PRINCIPAL
W. R. TAYLOR
COLLECTION
195 1
G^ Der Ursprung
der
israelitisch-jüdischen Escbatologie
von
Lic. Dr. Hugo Greßmann
Privatdozent a. d. Universität Kiel.
528421
Gottingen
Tandcnhoeck und Ruprecht
Forschungen zur Keligion und Literatur
des Alten und Neuen Testaments
herausgegeben von
D "Wilhelra Bousset und D Hermanxi Q-ürLkel
ao. Prof. d. Theol. in Göttingen ao. Prof. d. Theol. in Berlin
6. Heft.
TT&iT.-Bnchdraekerei Ton E. A. Hath. Göttinnen.
Bousset und Eichhorn zur Ehre
Dem Leser und Autor zur Freude
Vorwort
Mein erster Dank gebührt , meinen Lehrern, den Herren
Professoren Giesebeecht, Smend und Wellhaüsen. Die Wahl
des Themas, das ich in dem vorUegenden Buch behandle, hat
es mit sich gebracht, daß ich ihrer mehr ablehnend als zu-
stimmend gedacht habe. Um so lieber betone ich hier, wie viel
ich ihnen schuldig bin. Herr Professor Bousset hat mir nicht
nur ein Verständnis des Menschensohnproblems und der Apo-
kalyptik, sondern der Religion überhaupt erschlossen. Daß ich
neben ihnen vor allem Herrn Professor Gunkel, dem gegenüber
ich bei aller Abhängigkeit im Einzelnen doch im Großen und
Ganzen den Anspruch auf Originahtät erhebe, als Forscher wie
als Herausgeber zu wärmstem Dank verpflichtet bin, wird jeder
aus der folgenden Darstellung von selbst erkennen. Sehr wert-
voll war mir der persönliche Verkehr mit Herrn Professor
EiCHHOEN, dessen scharfer Blick und nüchternes Urteil mich
oft gefördert haben und der es ja durch seine aufrichtige Teil-
nahme und lautere Mitfreude vennag. Andere grade zu selbst-
ständigem Forschen anzuregen und in ihrer Selbständigkeit zu
stärken. Im Übrigen bin ich bestrebt gewesen, überall die
Namen derer zu nennen, von denen ich direkt oder indirekt
gelernt habe. Eine Ausnahme habe ich nur bei guten Über-
setzungen gemacht, die ich stillschweigend benutzt habe, wo
immer ich sie fand. Ich weiß sehr wohl, daß ich vielfach von
Mitarbeitern und Vorgängern abhängig bin, und habe mich gern
bemüht, ihnen zu geben, was sie für sich beanspruchen können.
Denn das, was ich wirkHch und völlig mein Eigen nenne, ist
nicht das Einzelne, sondern das Ganze.
Kiel. 1^1190 6re6niaiiti.
Inhaltsangabe.
Seite
Einleitung 1—7
§ 1. Der Begriff der Esehatologie und die Begrenzung
des Themas 1
§ 2. Die Methode der Untersuchung 2
Erster Teil: Die ünheilsesehatologie 8—192
§ 3. Die Jahvetheophanien 8
§ 4. Die Offenbarung Jahves im Erdbeben .... 12
§ 5. Die Offenbarung Jahves im Sturm 19
§ 6. Die Offenbarung Jahves im Vulkan 31
§ 7. Die Offenbarung Jahves am Sinai 40
§ 8. Die Offenbarung Jahves im Feuer 49
§ 9. Die Offenbarung Jahves im Gewitter .... 58
§ 10. Jahve als Kriegsgott 71
§ 11. Jahve als Seuchen- und Totengott 85
§ 12. Die Wohnung Jahves 98
§ 13. Die Persönlichkeit Jahves 118
§ 14. Die Opfermahlzeit Jahves 136
§ 15. Der Tag Jahves 141
§ 16. Die Katastrophen 159
§ 17. Der Nördliche 174
Zweiter Teil: Die Heilsesehatologie 193—365
A. Das goldene Zeitalter 193—250
§ 18. Der neue Bund 193
§ 19. Die Umwandlung der Natur 207
§ 20. Die mythische Topographie 221
§ 21. Der Best 229
§ 22. Die Echtheit der Zukunftshoffnungen .... 238
B. Der Messias 250—301
§ 23. Der Hofstil 250
§ 24. Die Segenszeit 259
§ 25. Die göttliche Geburt 270-
§ 26. Der Paradieskönig 286
§ 27. Die Thronbesteigung Jahves 294
VIII Inhaltsangabe.
Seite
C. Der Ebed Jahve 301—333
§ 28. Der Stil Deuterojesajas 301
§ 29. Israel als Ebed Jahve 312
§ 30. Das große Mysterium 317
§ 31. Der sterbende Gott 328
D. Der Menschensohn 334 — 365
§ 32. Das sprachliche Problem des Menschensohns . 334
§ 33. Der »Mensch« im Daniel 340
§ 34. Der »Mensch« im IVEsra 349
§ 35. Der »Mensch« im Henochbuche 355
Verzeichnisse 366—378
I. Sachverzeichnis 366
II. Stellenverzeichnis 368
III. Namenverzeichnis 377
Einleitung.
§ 1. Der Begriff der Eschatologie und die Begrenzung
des Themas.
Eschatologie heißt die Wissenschaft von den letzten Dingen
(rT'nnN, xa löiaxa^ de novissimis). Unter diesem Namen faßte
man früher alle die Anschauungen zusammen, die vom Ende
— sei es des Einzelnen, sei es der ganzen Welt — handelten.
Die durch die Exegese Alten und Neuen Testamentes gewon-
nenen Resultate wurden von der Dogmatik systematisch zu-
sammengestellt und für die Heilslehre verwertet. Neuerdings
wird das Wort Eschatologie meist in prägnantem Sinne ver-
waiidt und auf den Ideenkomplex beschränkt, der mit dem 'W elt-
ende und der Welterneuerung zusammenhängt, und nur in dieser
engeren Bedeutung soll es für uns in Betracht kommen. Es
werden also alle die Vorstellungsreihen ausgeschlossen, die an
den Tod und die Auferstehung, kurz an die Endschicksale des
Einzelnen anknüpfen. Sie sollen nur soweit mitbehandelt werden,
als das Ergehen des Individuums von dem des Volkes und der
Menschheit unablösbar ist. Überdies soll unsere Untersuchung
rein historisch sein, ohne jede Bücksichtnahme auf die Dogmatik.
Das Material, das innerhalb des Alten Testamentes ver-
hältnismäßig dürftig ist, schwillt innerhalb der-t^°QiiriQpj(j-|-^p>'^^
und Apnkryplien sp ^Px^ralfig an, daß eine bloße Sammlung des
vorhandenen Stoffes ein umfangreiches Werk liefern würde. Ein
großer Teil muß freihch von neuem klar herausgestellt werden,
da er den notwendigen Ausgangspunkt und die Basis für unsere
Untersuchung bildet, sodaß alles Wesentliche besprochen wird.
Aber es soll davon abgesehen werden, jede einzelne Stelle zu
Forschungen zur Rel. u. Lit, d. A. u. NT. 6. 1
2 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
notieren. Das kann um so leichter geschehen, als viele An-
schauungen typisch sind. Ledighch Wiederholungen aufeuzählen,
können wir uns ersparen, zumal diese Arbeit bereits von anderen
(namentlich von Huhn und Volz) geleistet ist. Unser Zweck
ist vor allem, ein Verständnis der israelitisch-jüdischen Eschato-
logie zu gewinnen, und darum müssen wir uns vornehmlich in
ihre Genesis versenken. Denn erst wenn wir diese kennen, ist
es möglich, ihre Geschichte und Entwicklung zu schreiben.
Wollen wir konstatieren, welche Wandlungen die Eschato-
logie im Laufe der Jahrhunderte durchgemacht hat, wollen wir
den Anteil abmessen, den die großen Männer Israels an ihrer
Ausgestaltung gehabt haben, so müssen wir zunächst die Werk-
.|^^^,^^^J statt besuchen, in der sie geschmiedet wurde. Es genügt für
ein historisches Verständnis durchaus nicht, überall da wo eine
Anschauung zum ersten Male auftaucht, herauszuheben, was der
^^^*^^ / Verfasser an dieser Stelle hat sagen wollen, sondern es muß
j^j^Hf^ daneben auch die Frage aufgeworfen und beantwortet werden,
^ ob die Idee älter ist und welche Entwicklungsreihe sie bereits
C.^j*****' jjjjj^gj. gjßjj Y^2ii. Wenn man will, mag man diese Studien archäo-
logisch nennen. Trotzdem sind sie keineswegs überflüssig oder
.^ gar nebensächlich, da ohne diese Art von »Archäologie«, die
W. Robertson Smith in seiner »Religion der Semiten« so
genial geübt und die auch Wellhausen in den »Resten arabi-
schen Heidentums« so meisterhaft gehandhabt hat, die in der
prophetischen Literatur uns entgegentretende, von den größten
Männern des Volkes errungene Religionsstufe ein unbegreifliches
Rätsel bleiben würde. Ohne eine Kenntnis der populären Vor-
stellungen ist eine historische Würdigung der Prophetie unmögHch.
§ 2. Die Methode der Untersuchung.
Der Stoff ist enthalten in den prophetischen Büchern des
Alten Testamentes, nur teilweise sind seine historischen und
poetischen Schriften zur Ergänzung Jberanzuziehen. Über die
vorprophetische Eschatologie erfahren wir aus direkter Über-
lieferung so gut wie nichts, und doch ist dieser Ideenkreis zur
Zeit des Arnos, wie gezeigt werden soll, im Großen und Ganzen
bereits fertig und abgeschlossen. Es muß deshalb der Versuch
gemacht werden, durch Aufrollen von rückwärts her zu den
Die Methode der Untersuchung. 3
Prinzipien durchzudringen, die als bewegende Kraft die Eschato-
logie geschaffen haben. Erst wenn es gelingt, den vollendeten,
sozusagen erstarrten Anschauungen neues Leben einzuhauchen,
daß sie selbst uns erzählen von ihrer Geburt und von ihrem
Wachsen, erst dann haben wir einen tieferen Einblick gewonnen.
Die Eschatologie der Propheten versteht man nur, wenn man
ihre Vorstufen klar erkannt hat.
Damit ist die historisch-kritische Methode von vorne-
herein als die einzig berechtigte gegeben. Die Kesultate der
modernen alttestamentlichen Literatur -Forschung müssen im
Großen und Ganzen als bekannt vorausgesetzt werden und als
bewiesen gelten, wenn es auch im Einzelnen oft nötig sein wird,
die Gründe für die Datierung und für die Echtheit oder Un-
echtheit einer strittigen Stelle zu prüfen. Der Boden, auf dem
wir uns bewegen, ist recht unsicher. Berücksichtigt man
die häufig eintretende Unmöglichkeit, die Schriften, mit deren
Inhalt wir es hier zu tun haben, auch nur annähernd chrono-
logisch zu fixieren, und bedenkt man ferner, daß die Ergebnisse
der Kritik mitunter weit auseinander gehen, so scheint das
Fimdament, auf das wir bauen möchten, sehr unzuverlässig zu
sein, und endlich mag es noch viel prekärer aussehen, wenn
wir unser Wissen über die vorprophetische Zeit aus den prophe-
tischen Werken selbst schöpfen wollen.
Allein es kommt auf den Versuch an. Oder sollte es nicht
möglich sein, auf sichere oder wenig angefochtene Daten ge-
stützt, aus der prophetischen Verkündigung selbst Rückschlüsse
zu ziehen auf Volksvorstellungen, die zu jener Zeit gangbar ^
waren und die man als außer- und vorprophetisch bezeichnen ^^^*'
darf? Solche Rückschlüsse sind erstens überall da erlaubt, '=**--«^^*t-
wo die Propheten polemisieren und ihrer Ansicht nach falsche ^^ «*^
Ideen gürückweisen oder korrigieren. Aus ihrer Antithese muß ^ u-^ju*-»
die These erkannt werden, die sie bekämpfen. Solche Rück-
schlüsse sind zweitens überall da erlaubt, wo die Eschatologie
der Propheten nicht organisch aus ihrer eigenen Predigt zu ver-
stehen ist, vielmehr einen gewissen Widerspruch gegen sie ver-
rät. Denn in diesen Fällen muß es sich um Anschauungen
handeln, die nicht von innen heraus schöpferisch geboren, son-
dern von außen her fremd übernommen sind. Endlich kann ^ /^
auch das Gepräge einer Formel, die Einkleidung eines Ge- ^c<ii mJ$
4 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
dankens nicht nur wegen der sprachhchen Fassung, sondern
auch wegen der inhalthchen Bedeutung wichtig werden für den,
der weiß, daß Worte iinrl Ansf^viinlra AinTnai pi^^ ipi^nj^dig^s
Dasein geführt haben, und der im stände ist, ihnen dies ur-
spfungliche Leben wieder einzuhauchen. Jils wird "atgp" unsere
Aufgabe sein, bei jeder einzelnen eschatologischen Idee nicht
nur auf den Sinn zu achten, den sie an den überlieferten Stellen
hat, sondern auch darauf, ob sich aus der Tradition noch eine
dahinter hegende, ältere Stufe erkennen läßt.
Dazu kommt ein weiteres wichtiges Hilfsmittel. Häufig
wird bei einem späteren Schriftsteller ganz klar das ausge-
sprochen, was wir bei einem früheren nicht ausdrücklich genannt,
wohl aber vorausgesetzt finden. In solchen Fällen ist es ein
Eecht und eine Pflicht des Exegeten, beide Äußerungen mit
einander zu kombinieren und früher Geschriebenes durch später
Bezeugtes zu illustrieren und zu erklären. Von dem Irrtum,
als ob Ideen stets erst dann entstanden seien, wenn sie zum
ersten Mal in der Literatur auftauchen, muß man sich frei zu
machen suchen. Es ist Gunkels Verdienst, diesen Gedanken
immer wieder energisch betont zu haben. Als Methode fordert
er speziell in diesem Falle, »die ihrem Ursprung nach oft fast
unkenntlichen altprophetischen Schilderungen aus den viel deut-
licheren spätprophetischen und apokalyptischen zu verstehen« ^
Das ist freilich ein gefährlicher Weg, aber bei vorsichtigem
Forschen wird es mitunter möglich sein, Rückschlüsse aus späterer
Überlieferung auf frühere Traditionen zu machen. Wo die
Verwandtschaft auf der Hand liegt und wo älteres unverstan-
denes Gut nur durch jüngere Zeugnisse einleuchtend erklärt
werden kann, wird sich gegen das von Gunkel vorgeschlagene
Verfahren nichts einwenden lassen. Wo dagegen starke Unter-
schiede vorhanden sind und wo die ganze Vorstellungswelt eine
andere ist, tut man natürlich besser, eine Lücke unseres Wissens
zu bekennen als sie in falscher Weise auszufüllen. Bei alledem
ist die Chronologie genau zu beachten und über der sachlichen
Verwandtschaft die zeitliche Entfernung nicht zu vergessen.
Hält man sich diese Vorsichtsmaßregeln stets vor Augen, so
1. Forschungen, Heft I, S. 24.
Die Methode der Untersuchung. 5
darf man die apokalyptischen Anschauungen ebenso gut wie die
Ideen fremder Völker zur Erläuterung heranziehen.
Großer Beliebtheit erfreut sich die religionsgeschicht-
liche Methode. Dies Wort hat neuerdings einen eigenen
Klang gewonnen. Es bedeutet so viel wie: Erforschung des
Einflusses der einen Religion auf die andere und des geschicht-
lichen Zusammenhanges verschiedener Kehjsrionen. Gewiß müssen
diese Probleme einmal aufgeworfen und zu lösen versucht werden,
aber mir scheint, daß die Zeit des Abschlusses noch lange nicht
gekommen ist und daß alle bis jetzt aufgestellten Behauptungen
in dieser Beziehung einen stark hypothetischen Charakter tragen,
den man nie aus den Augen verlieren darf. Wie will man
denn entscheiden, ob z. B. die israelitische Religion auf die
persische oder umgekehrt eingewirkt hat, solange man beide so
wenig kennt, wie es heute der Fall ist ? Vorläufig ist und bleibt
unsere Hauptaufgabe, die israelitische Religion für sich allein
klarer herauszuarbeiten, und bei jeder einzelnen Aussage zu
prüfen, ob sie in Israel selbst entstanden oder aus der Fremde
gekommen sei. Denn das Alte Testament darf nicht isoliert
werden, analoge Glaubensvorstellungen fremder Völker sind zur
Erläuterung und Vertiefung des Verständnisses heranzuziehen,
und je mehr das geschieht, um so besser werden wir das reli-
giöse Leben Israels begreifen lernen. Wenn man diese Art der
Forschung rehgionsgeschichtliche Methode nennen will, so mag
man das tun, obwohl diese Benennung eine einseitige und un-
nötige Verengerung des viel weiteren Begriffes »Religions-
geschichte« voraussetzt.
In ebenso großem, wenn nicht noch größerem, Ansehen
steht die psycbf^l^gjg^T^^ ^'^V]äV"^[^ von Tatsachen. Ich bin
weit davon entfernt, ihre Berechtigung leugnen zu wollen, aber
sie hat sich selbst genügend diskreditiert, da sie voreilig oft an
unrechtem Orte angewandt wird bei Dingen, die psychologisch
weder verstanden werden können noch dürfen, und da sie durch-
aus nicht immer leistet, was sie verspricht. So legt z. B. Huhn
gleich im dritten Paragraphen seines Buches seine Ansicht dar
über die psychologische Entstehung der messianischen Weissa-
gung, ohne vorher untersucht zu haben, ob der Stoff eine solche
Deutung überhaupt verträgt oder nicht. Eine derartige Er-
klärung hätte er frühestens geben dürfen am Schlüsse seiner
6 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Arbeit und dann vor allem die Frage aufwerfen müssen, ob
seine Ausführungen auch den Zweck erfüllen, zu dem sie ge-
macht sind.
Aus der Anwendung der philologisch-historischen Methode
ergeben sich zwei Folgerungen, auf die ausdrücklich aufmerksam
zu machen am Ende nicht überflüssig ist. Abgelehnt wird da-
mit erstens jede allegorische Interpretation, mit deren
Hülfe man eine Reihe alttestamentlicher Stellen messianisch
»gedeutet« hat. Die AUegorese, die aus der Stoa durch die
Vermittlung Philos und des Hellenismus in die griechische Kirche
übergegangen und durch die Jahrhunderte fortgepflanzt ist, hat
früher ihr gutes Existenzrecht gehabt, da sie allein die Möglich-
keit bot, über die durch die Bibel veranlaßten Anstöße hinweg-
zukommen. Ihr verdanken wir die Erhaltung eines Schrifttums^
das man ohne sie hätte verwerfen müssen. In der modernen
Wissenschaft hat, wie nicht weiter hervorgehoben und dargetan
zu werden braucht, die allegorische Auslegung keine Stätte, ob-
wohl sie faktisch noch lange nicht ausgerottet ist und selbst von
Männern wie Wellhausen und Duhm gelegentlich noch geübt
wird. Aus demselben Grunde müssen wir zweitens betonen,
daß Jesu Stellung zur Eschatologie und speziell zur messia-
nischen Weissagung des Alten Testaments für uns nicht einfach
maßgebend sein kann. Denn er teilte die exegetische Methode der
Rabbinen und das allegorische Verständnis seiner Zeitgenossen,
und darum ist es für uns oft unmöglich, seiner Auslegung alt-
testamentlicher Zitate zu folgen. Seine Worte kommen für
uns nur dann in Betracht, wenn es gilt, seine eigenen An-
schauungen über die Eschatologie festzustellen. Für die Be-
antwortung dieser Frage wird es gewiß von Wichtigkeit sein zu
beachten, welchen Sinn er in einzelnen eschatologisch gedeuteten
Versen der Schrift findet und wie er sie für seine Messianität
wertet. Unsere Interpretation des Alten Testamentes aber darf
ohne Rücksicht auf die seine gegeben werden, da unsere Methode
prinzipiell von der seinen abweicht.
Man könnte nun versucht sein, die vorhandenen Quellen,
so gut es geht, chronologisch bei der ältesten anfangend bis zur
jüngsten herab durchzunehmen, aus jeder das eschatologische
Bild herauszuheben und nachzuzeichnen. Bleibt man hierbei
stehen, wie es Huhn in seinen messianischen Weissagungen ge-
Die Methode der Untersuchung. 7
tan hat, so wird man ein historisches Verständnis nicht gewinnen,
da man nicht entscheiden kann, ob etwas individuell oder
typisch ist an den einzelnen Bildern. Erst wenn man sie zu
einem Gesamtgemälde zusammenstellt und mit einander ver-
gleicht, wird es möglich sein zu sehen, ob und wie weit sie
übereinstimmen oder auseinander gehen und welche Ideen sie
voraussetzen. Diese zweite Arbeit der ersten folgen zu lassen,
wäre gewiß ein gangbarer Weg. Aber er wäre sehr beschwer-
lich und auf die Dauer ermüdend, da nicht nur mancher Zug
des Gesamtgemäldes in den speziellen Bildern allzu häufig, son-
dern da auch der ganze Einzelstoff bei der Zusammenfassung
noch einmal wiederkehren würde. Es dürfte sich daher em-
pfehlen, den Stoff in erster Linie nicht nach chronologischen,
sondern nach sachlichen Gesichtspunkten zu ordnen, ohne jene
deshalb aus dem Auge zu verlieren, mit anderen Worten: be-
stimmte Ideen, wie sie sich aus der Natur der Sache und dem
Gang der Untersuchung von selbst ergeben, herauszugreifen und
im Zusammenhange mit den Mitteln der philologisch-historischen
Methode zu behandeln. Wir vermeiden damit von vornherein
einen gefährlichen Irrweg, das Einzelne nur in der Vereinzelung
zu betrachten und so in ein falsches Licht zu rücken. Freilich
wird man sich auf der anderen Seite vor dem Fehler hüten
müssen, über dem Typischen und Regelmäßigen das vielleicht
vorhandene Individuelle und Einzigartige zu übersehen.
Besonders zu warnen ist endlich vor dem Ausdruck »messia-
nisch«, der hier und da noch üblich ist, obwohl er den gewal-
tigen Irrtum in sich birgt, als drehe sich die israelitisch-jüdische
Eschatologie im Wesenthchen um den Messias, als sei sie ohne
ihn undenkbar. Man wird, um solchen Mißverständnissen
a limine vorzubeugen, gut tun, das beanstandete Wort auf die-
jenigen Partieen zu beschränken, in denen wirklich von einem
Messias die Eede ist, aber im übrigen es lieber zu vermeiden
und statt dessen »eschatologisch« zu sagen. Ebenso falsch ist
es, von einem »Gerichtstage« Jahves zu sprechen, da diese
Vorstellung in älterer Zeit nur vereinzelt nachweisbar ist.
Erster Teil.
Die Unheilseschatologie.
§ 3. Die Jahvetheophanien.
Bei Arnos begegnet uns zum ersten Male der Ausdruck
Tag Jahves (mir' Di''), um ein bevorstehendes, für Israel un-
heilvolles Eingreifen seines Gottes zu bezeichnen (öisff.). Ohne
uns den vollen Inhalt und die Bedeutung dieser Phrase klar
zu machen, betonen wir vorläufig nur so viel, daß diese Benennung
dann allein einen Sinn hat, wenn sie auf ein irgendwie wirken-
des Handeln oder auf eine irgendwie geschehende Offenbarung
Jahves sich bezieht. Aus dem Buche des Arnos erfahren vdr
bei oberflächlicher Betrachtung nichts Näheres darüber. Da-
gegen sehen wir, wie der Glaube das Walten der Gottheit mit
manchen Dingen, sei es gegenwärtigen, sei es zukünftigen, ver-
knüpft und wie in vielen eschatologischen Weissagungen direkt
Javetheophanien beschrieben werden. Wenn wir diese Dich-
tungen genauer untersuchen und die Vorstellungen erforschen,
die in ihnen ausgesprochen sind oder die ihnen unausgesprochen
zu Grunde liegen, so werden wir vielleicht im stände sein, uns
ein lebendiges Bild davon zu machen, was der Israelit bei
einem »Tage Jahves« sich dachte.
Überblicken wir die Gesamtheit der Gotteserscheinungen
und Gottesschilderungen im Alten Testamente, so treten uns
verschiedene Typen entgegen, die bald klar auseinander ge-
halten sind bald ineinander übergehen. Teils wird Jahve vor-
nehmlich als Spender des Unheils teils als der des Heiles
charakterisiert, teils wird sein Walten in der Geschichte teils
Die Jahvetheophanien. 9
das in der Natur besungen. Uns interessiert hier nur das letzte:
die Offenbarung Jahves in der Natur, doch müssen wir auch hier
differenzieren, da ein Teil der Hymnen das Wirken der Gottheit
mit einzelnen Erscheinungen, — die bald segenstiftend, freund-
Hch, bald grauenvoll, verderblich sind, — verbindet, ein dritter
endlich die ganze Welt in den Bereich der Poesie hineinzieht.
Ob alle drei Arten von Anfang an neben einander existiert
haben, ist eine Frage, die jetzt nicht beantwortet werden soll.
Nur das eine muß energisch betont_werden, daß dip d^ttp, Crs^fhin^^
in Israel jüngeren Ursprungs_ist. Denn diejenigen Theophanien,
die den Gott Israels mit der ganzen Welt in Zusammenhang .
setzen , begegnen uns erst in den_späteren prophetischen und /
poetischen Büchern, während die früheren ihn durchweg nur niit "^ * t-^*******'
ei7rgr"be stimmten Gruppe von Naturerscheinungen kombi- Jk, tC//
niereE Es ist durchaus nicht so, als ob Jahve, der Gott des ^. ^ •
Alls, auch als Urheber jedes einzelnen Dinges geschildert würde, ^;^^/^
sondern aus der großen Fülle der Erscheinungen werden nur ein-
zelne herausgegriffen und von Jahve abgeleitet, während andere ^ ^i*-****
vollkommen fehlen. Daraus folgt, daß die Idee von Jahve als ^'^^■^^^ift*^
dem universalen Weltengott nicht am Anfang der israelitischen
HeHgionsgeschichte gestanden haben kann, da sonst jene spezi-
fische Auswahl der dem Jahve beigelegten Naturwunder un- *
begreiflich wäre. \
Die altprophetischen Jahvetheophanien, die im Einzelnen
mannigfach variieren, bewegen sich doch in ganz fest normierten ^cZu^ ^
Grenzen, nämlich innerhalb der allgemein gültigen Gottes- A^UvtAi/
Vorstellungen. Denn nur die Wirkungen in der Natur, die ^^ x
jedermann der Gottheit zuschreibt und in denen jedermann ihr fy^
besonderes Walten erkennt, können einen Platz einnehmen in ^ Ai -
den Geschichten, die vom göttlichen Handeln erzählen. Selbst diitt^A^
die frei schaffende Kunst des Dichters ist an dies Gesetz ge-
bunden: er kann von der Gottheit allein die Dinge aussagen,
die nach der Volksanschauung in ihrem Wesen begründet sind.
Inhaltlich muß sein Glaube mit dem jedes Frommen überein-
stimmen, wenngleich die Form, in die er seine Überzeugung
kleidet, mehr oder weniger sein persönliches Eigentum sein
mag. Es gab zwar in vorchristlicher Zeit keine Dogmen, die
genau regelten, was der Einzelne glauben durfte und was nicht,
wohl aber bestand ein genau ausgeprägter Typus, wie ihn
W
10 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
die Religion jedes Volkes und jeder Epoche trägt, an dem
der Poet so gut teilnimmt wie der Alltagsmensch. Wir haben
darum ein Recht, die dichterischen Stücke für unsere Unter-
suchung ebenso heranzuziehen wie die prosaischen, wenn
wir uns nur das Eine vor Augen halten: die Bilder, die die
Propheten gemalt haben, gehören der Kunstpoesie an, sind
nicht immer und nicht ohne weiteres volkstümlichen Ur-
sprungs, und sollten sie noch so einfach sein. Diese Bilder
aber sind entstanden auf Grund rehgiöser Ideen, die wir als
populär bezeichnen dürfen. Wenn wir den religiösen Kern
bloßlegen, den die dichterische Schale birgt, dann haben wir
die letzten, allgemein gültigen, jedermann bindenden Voraus-
setzungen erkannt.
Da für den antiken Menschen die auffälligen und außer-
gewöhnhchen Naturerscheinungen eine Gottesoffenbarung be-
deuten, so sind für ihn Natur und Religion aufs engste mit
einander verquickt und dürfen von uns nicht getrennt werden.
Wir werden im Gegenteil von der Natur ausgehen und die Tat-
sachen ausfindig zu machen suchen, die den Anlaß für eine
bestimmte religiöse Idee gegeben haben. Mitunter schildern
die Propheten Naturereignisse in sehr lebhaften und anschau-
lichen Farben, ohne doch die Ursache derselben genauer anzu-
geben. Wir sind in solchen Fällen gezwungen, sie zu erschließen
und das ahlov zu rekonstruieren, dessen Wirkungen beschrieben
[<V'<^ werden. Meist wird diese Arbeit leicht gelingen, bisweilen aber
^jL^ sind die Folgeerscheinungen verschiedener Kausalitäten einander
./d^ so ähnlich, daß es schwer wird, ein sicheres Urteil über die
^^^ L jedesmalige Ursache zu gewinnen, zumal wenn die dichterische
t i^ Phantasie Erlebnisse des Alltags in grotesker Weise vergröbert
und ausschmückt. So sind z. B. die durch ein Erdbeben her-
, vorgerufenen Verwüstungen bis zu einem gewissen Grade den
Verheerungen des Sturmes gleich, sodaß man, falls nur die
Folgen genannt sind, über die Ursache wohl schwanken kann.
Es ist gut, sich das von vorneherein klar zu machen, obwohl
solche Differenzen der Auffassung für unsere Ergebnisse von
geringer Bedeutung sind.
Daneben ist zu beachten, daß den Dichtem, die sich
oft, keineswegs stets, nach ihren Vorgängern richten und die
häufig nach Mustern und mit überkommenen Vorstellungen
^'^^^-^
Die Jahvetheophanien. 11
arbeiten, der Ursprung eines Bildes nicht immer bekannt und
bewußt gewesen zu sein braucht. Wir müssen, abgesehen von
der frei schöpferischen, an Naturereignisse sich nur schwach an-
lehnenden Phantasie, auch mit der Tatsache rechnen, daß eine
Koutine von alters her in der Behandlung der Jahvetheophanien
bestand, die das zu Grunde liegende, ursprünglich deutliche
Phänomen verdunkelte. Die Züge, mit denen die älteste Jahve-
erscheinung, die am Sinai, ausgestattet worden war, gewannen
im Laufe der Zeit typische Geltung, weil dieses Ereignis der
behebteste Hymnenstoff war. So sind sie auch in den eschato-
logischen Mythus hineingewebt und haben sein farb^n^cSfiges-
Kleid mit schmücken helfen. Aber wenn so auch die Sinai-
theophanie das literarische Vorbild gewesen sein mag, nach dem
alle anderen Theophanien gestaltet wurden, muß man sich doch
vor dem Irrtum hüten, als sei damit die Entstehung der ein-
zelnen Mythologeme klar gestellt. Denn die uns vorliegenden^
überlieferten Sinaitheophanien, zumal der Hymnen, sind nicht
einheitlicher Art, sondern hier sind schon mannigfache Züge
verschiedenster Herkunft zu einem Ganzen vereinigt, die wir
erst sauber wieder von einander lösen müssen, ehe wir sie ver-
stehen können. Selbst die Sinaitheophanie des Buches Exodus
ist nicht die klare dichterische Mythologisierung eines ^ Natur-
ereignisses, sondern, wie wir sehen werden, mehr oder weniger
stilisiert.
Die Verknüpfung heterogener Elemente zu einer Theophanie /iix4Ay% ^
ist auf den ersten Blick sehr befremdend, da man meinen sollte^ , //
daß Jahve, wenn er z. B. ein Gewittergott ist, auch mit den .
Farben des Gewitters dargestellt werden müßte. Wie soll e&
erklärt werden, wenn in dies Bild sich ganz andere Züge ****'^^
mischen, die z. B. vom Erdbeben, vom Sirokko, aber nicht vom J^ 'u* ^****
Gewitter herrühren? Einmal ist zu beachten, daß Jahve in /L^.y/^^
der späteren Zeit nicht als der Gott einer bestimmten Natur- ^filnLi
erscheinung, sondern als der Gott einer Reihe von Natur- J _
erscheinungen gilt. Zum anderen ist die dichterische Phantasie 'HiÄu^/
in Anschlag zu bringen, die den Gott mit dem ganzen Kom- . ^ ' .
plex aller der Dinge auszustatten liebt, in denen er sich offen- ^^'^Y'^tJ
bart, um die Herrlichkeit seiner Majestät zu erhöhen. Wie der ^i^^ /
König alle Minister und Trabanten um sich sammelt, um eine '
würdige Folie für seine Person zu gewinnen, so zeigt der Dichter
12 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
den Jahve, der umgeben ist von allen seinen Schrecken, und
schildert ihn inmitten seines Hofstaates. Es ist schließlich
nichts Anderes, wenn auf den Götterbildern alle die Attribute
und Symbole der Gottheit zusammengestellt sind, die ihr bei-
kommen, einerlei ob sie sich auf eine bestimmte Seite oder auf
alle die verschiedenen Seiten ihres Wesens beziehen und im
letzten Grunde disharmonisch sind. Eine Einheit bilden sie nur
in der Phantasie des Dichters.
§ 4. Die Offenbarung Jahves im Erdbeben.
JusTus KÖBERLE : Natui" und Geist nach der Auffassung des Alten
Testaments. München 1901. J. G. Müller: Geschichte der amerika-
nischen Urreligionen. Basel 1855. Richard Lasch: Die Ursache und
Bedeutung der Erdheben im Volksglauben und Volksbrauch (Archiv für
Religionswissenschaft, Bd. V). Tübingen 1902. M. Wilhelm Meyer:
Von St. Pierre bis Karlsbad. Studien über die Entwicklungsgeschichte
der Vulkane. Berlin 1904. Paul Volz: Jüdische Eschatologie. Tü-
bingen 1903.
Das Erdbeben wird ausdrücklich erwähnt in der Sinai-
theophanie des Mose (Ex. 19 is) und des Elia (Ißeg. 19 ii) und
spielt eine große Rolle in den poetischen Darstellungen Jahves,
mögen sich diese nun auf irgend ein historisches Ereignis be-
ziehen oder das Kommen Gottes am Ende der Tage beschreiben.
Durch eine Fülle von Bildern und Beispielen wird das Erd-
beben anschaulich gemacht. In einer Glosse zum Buche Arnos
(88) wird es verglichen mit dem Sichheben und Sichsenken des
Nils (vgl. Nah. I5, wenn N'*^ni_ lichtig überliefert ist), Jes. 24 20
mit dem Taumeln des Betrunkenen und ebendort mit dem
^h wanken der Hängematte. GewöhnHch heißt es, daß die
Hügel heben und die Erde zittert (Nah. I5. Jer. 424. 51 29.
Hag 26. 21 u. a.), seltener, daß die Berge sich spalten und die
Erde zersplittert wird (Mch. I4. Jes. 24 19. Ps. 60 4. Zach. 144),
und daß die Grundfesten oder Säulen, auf denen die Erde ruht,
ins Wanken geraten (Jes. 13 13. 24 is. Ps. 18 8. Job. 96). Wie
sie, so wird auch der Himmel erschüttert und zerrissen (Jes.
13 13. 63 19. Hag. 26. 21; vgl. Köberle S. 113).
Schon diese Übersicht zeigt, daß Erdbeben den Israeliten
Palästinas bekannt gewesen sind und in der Tat werden solche
aus geschichtlicher Zeit gemeldet (I Sam. 14 15. Am. 1 1. Zach. 145).
Diese Erdbeben waren wahrscheinlich nicht vulkanischer, sondern
Der Tag des Erdbebens. 13
»tek tonischer Art, d. h. sie hängen mit Bewegungen von Schollen
der Erdkruste an Erdspalten zusammen, oder der Oberflächen-
boden ist infolge unterirdischer Aushöhlungen oder Auslaugung
von Gyps-, Kochsalz- und Kalklagern eingestürzt« (Guthe).
Für die religiöse Anschauung jener Zeit macht dieser Unter-
schied natürlich nichts aus. Es genügt zu konstatieren, daß
man damals die Offenbarung Jahves im Erdbeben sah und
immer wieder erlebte.
Als Jahve auszog vor seinem Volke her, in der Wüste ein-
herging, wankte unter ihm die Erde (Jdc. bd. Ps. 68 sf.), wie
unter seinem Schritt am Ende der Tage die Berge zergehen
(Mch. I3) und der Ölberg sich spalten wird (Zach. 144). Oder
wenn er nur wütend blickt, bersten die ewigen Berge, ver-
sinken die uralten Hügel (Hab. Se); wenn er auf die Erde herab-
schaut, so zittert sie (Ps. 10432). Die gewöhnliche Vorstellung
denkt den Jahve des Erdbebens als einen grimmigen, zornigen
Gott und glaubt in dem Getöse dieser Naturerscheinung eine
Scheltrede zu vernehmen (Nah. le. Jer. 10 10. Ez. 38i9. Jes. 13 13.
Ps. 18 16). Viel gewaltiger klingt die Poesie des 29. Psalms:
Jahves Stimme zerschmettert Zedern, Jahve zerschmettert die
Zedern des Libanon. Er macht sie hüpfen wie ein Kalb,
Libanon und Sirion wie einen jungen Büffel (vgl. Ps. 1144. e).
Die Stimme Jahves, die zu einem wundervoll grotesken Bild
benutzt wird, deutet hier nicht auf das Krachen des Donners^
sondern auf das Rollen des Erdbebens und das Brüllen des
Sturmes hin. Der mn'' bnp klingt wie Musik in den Ohren
der uralten Berge, und wenn der Gott ihnen aufspielt, müssen
sie tanzen, und sie springen ungefüge, ungeschlacht wie ein mun~
teres Kalb, wie ein junger Büffel auf der Weide. Verwandte
Anschauungen bemerken wir auch anderswo: »Bei einem Erd-
beben soll die Erde ihren Kindern, den Karaiben, durch ihre
eigene Bewegung zu wissen tun, daß sie sich ebenfalls Bewegung
geben sollen, weshalb sie sich dann dem Tanz und der Freude
hingeben« (MI^ller S. 221). Von den mexikanischen Land-
leuten werden noch jetzt »vulkanische Ausbrüche, welche des
Nachts als Flammen bald über eine ganze Fläche sich aus-
breiten, bald zu hohen Spitzkegeln aufschießen, . . . . la baila
de los demonios oder der Teufelstanz genannt« (MtJLLEß S. 504).
Weiteres Material findet man bei Lasch.
14 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Von solchen Erdbeben weiß nun die Eschatologie viel zu
erzählen, bald mehr bald minder poetisch. Einigermaßen pro-
saisch lautet eine Weissagung bei Ezechiel: Wahrlich an jenem
Tage soll ein großes Erdbeben über das Land Israel kommen.
Da sollen vor mir erbeben die Fische des Meeres und die Vögel
unter dem Himmel^ das Getier des Feldes und alles Getvürm,
das auf der Erde kriecht, und alle Menschen, die auf dem Erd-
boden sind; und die Berge sollen einstürzen und die Felswände
umfallen und alle Mauern zu Boden sinken (Ez. 38i9f.). Das
Erdbeben begegnet uns schon in der Schilderung des Tages
Jahves bei Arnos 8 8 und 95, doch sind diese Verse wohl mit
Recht für interpoliert erklärt worden. Trotzdem läßt sich diese
Anschauung als alt belegen, zunächst aus dem echten Jesaja.
Jes. 2 12 — 19 entwirft ein farbenprächtiges Gemälde, das nach
gewöhnlicher Ansicht einen Gottessturm, richtiger wohl ein damit
verbundenes Erdbeben darstellt : Denn einen Tag hat Jahve der
Heere über alles Prächtige und Stolze und über alles Ragende
und Erhabene^, und über alle Zedern Libanons, die stolzen,
und über alle Eichen Basans, die ragenden^, tmd über alle
Berge, die stolzen, und über alle Hügel, die ragenden, und
über jeden hohen Turm und über jede befestigte Mauer und
über alle Tarsisschiffe und über alle köstlichen Wimpel^:
Und niedrig wird werden der Hochmut der Menschen und
niedrig der Stolz der Männer, xmd erhaben wird Jahve, er
'Ullein, an jenem Tage. Und die Nicht se^ • • •; kommen
werden sie in Felsenhöhlen und in Löcher des Staubes vor
dem Schrecken Jahves und seiner hehren Majestät, wenn er
aufsteht, zu erschüttern die Erde. Ein grandioses Erdbeben
also wird daherfahren am Tage Jahves über alles Hohe und
Erhabene. Die Zedern Libanons und die Eichen Basans werden
geknickt, als wären sie dünne Halme. Ragende Türme und
festgefügte Mauern brechen zusammen, Schiffe und Wimpel
sinken unter, und Berge und Hügel werden vom Erdboden
hinweggefegt. Die Götzen verkriechen sich in Felsspalten und
Sandritzen zu Ratten und Fledermäusen, und der Mensch ver-
liert allen Stolz und winselt im Staube. Denn Jahve will allein
1. Lies nasi mit den LXX. 2. Stelle o'^s^csm mit Duhm hinter i^jatn.
3. So mit Gesenius. Gunkel vermutet: Barken.
4. Die beiden folgenden Worte sind verderbt.
Der Tag des Erdbebens. 15
erhaben sein, ihn stört jede Höhe. Neben sich, rings um sich
her duldet er nur eine große ebene Fläche, über die nichts
hervorragt, weder Bäume noch Berge noch Paläste noch Men-
schen. Jahve allein schaut wie ein weithin sichtbarer Turm
über Land und Meer.
Die dichterische Form dieser imposanten Rede mag von
Jesaja herstammen, den Inhalt hat er nicht erfunden, sondern
übernommen. Das folgt nicht nur aus dem allgemeinen Grund-
satze, daß die mythische Vorstellung des Erdbebens ihrer Natur nach
älter ist als die Prophet! e, ja als alle geschichtliche ÜberHeferung,
sondern das geht auch aus dem Zusammenhange hervor, in dem
diese Worte stehen. Denn Jesaja hat diese Theophanie be-
nutzt, um an ihr die Wertlosigkeit des Götzendienstes darzu-
legen. Was sollen dem A^olke die Zauberer und Wahrsager,
und wären es selbst die gewaltigsten in ihrer Art, die von Osten
her oder aus dem Philisterland oder überhaupt aus der Fremde,
was vermögen die Götzen, und wären sie aus purem Silber oder
Golde gefertigt, was helfen Wagen und Rosse und weltlicher
Besitz, wenn Jahves Erdbeben dereinst alles verwüstend einher-
fährt? An jenem Tage wird hinwerfen der Mensch seine sil-
bernen und goldenen Nichtse, die er sich gemacht hat zur Hul-
digung^ den Maulwürfen und den Fledermäusen (Y. 6 — 11. 20 1.
Man erkennt hier noch die üradeutung. Nach der alten mythi-
schen Anschauung waren es die Götter selbst, die sich vor
Jahves Majestät angstvoll in Felslöchem bargen, bei Jesaja
sind es die Menschen, die ihre toten Götzen in Klippen und
Risse werfen. Und achten wir femer auf die dem Propheten
eigentümliche Verkündigung von der drohenden assjrischen Ge-
fahr, die das israelitische Volk vernichten soll, so fällt uns^uf,
daß in dieser ganzen Schilderung nicht der leiseste Hinweis
auf sie ^nthalten_ist, ja_daß sie. mjt diesem Tage_Jahves_gradezu
unverträglich_ist._Wenn der Gott so wütet, daß außer ihm selbst
nichts Erhabenes, fast möchte man sagen, überhaupt nichts übrig
bleibt, wozu sollte er dann noch die Assyrer bemühen? Sie
würden in diesem Zusammenhange einigermaßen überflüssig
sein und kommen darum überhaupt nicht vor. Mit andern Worten :
1. V. 21 ist Dublette zu V. 19; dagegen ist nicht genügend Grund
vorhanden, V. 20 zu streichen.
16 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
bei der ursprünglichen Konzeption dieser mythischen Dichtung hat
man nicht im Entferntesten an sie gedacht, und darum kann Jesaja
diese Vorstellung des Jahvetages nicht selbst gebildet, sondern
nur übernommen haben. Noch eine andere Tatsache ist be-
achtenswert. Libanon und Basan sind die einzigen Landschaften,
die mit Namen erwähnt werden. Sonst ist ganz allgemein von
allen Bergen, von jedem hohen Turm, von den Menschen und
der Erde die Rede, sodaß sich das Erdbeben des Jahvetages
ursprünglich nicht auf Palästina beschränkt, sondern über die
ganze Welt erstreckt zu haben scheint.
Besonders beliebt war, wie wir aus vielen Stellen ersehen, die
Wendung von dem Schrecken Jahves (mtr^ nns oder mn^ nqnnTs),
wenn er aufsteht, zu erschüttern die Erde (Jes. 2 19. 21). In
dieser Phrase malt sich das ganze Grauen und Entsetzen, das
man bei dem jähen, plötzUchen und überwältigenden Eindruck
dieser Gottesoffenbarung empfand. Und geschehen wird's plötz-
lich, urplötzlich, von Jahve der Heere wirst du heimgesucht mit
Donner und Dröhnen und großem Schall, mit Windsbraut und
Wetter und der Lohe fressenden Feuers (Jes. 29 sf.). Dann über-
fällt die Menschen ein »panischer« Schrecken, wie wir es bei
der Katastrophe auf Martinique so ergreifend kennen lernen.
»Qualvoller noch als die Schrecken solcher plötzlichen < vulka-
nischen > Ausbrüche sind die Wirkungen großer Erdbeben, vor
denen man nicht weiß, wohin entfliehen, denn man sieht nicht
die Ursache der furchtbaren Elementargewalt, die Erdschollen
von Ländergröße durcheinander rüttelt. Die unsichtbare Todes-
gefahr verbreitet unbeschreibhches Entsetzen, und in Länder-
gebieten, in denen die Erde lange Zeit oft wiederholt bebte,
wird der Wahnsinn, in welchen die beständige Angst die Un-
glücklichen treibt, oft epidemisch« (Meyer S. 15). Der Gottes-
schreck, der mit vielen naturhaften Manifestationen Jahves ver-
knüpft ist (vgl. u. § 10), hing wohl besonders eng mit dem Erd-
beben zusammen, wie außer Jes. 2 19. 21 auch I Sam. 14 15 lehrt:
Da erbebte die Erde und erzeugte einen Gottesschreck (rr^nn
D">fTbN). Aus Gen. 3142. 53 scheint hervorzugehen, daß die
Kanaaniter einen Gott pnit"^ thd kannten: Wenn nicht der
Gott meines Vaters, der Gott Abrahams und der Schrecken
Isaaks, mir geholfen hätte, dann hättest du mich ziehen lassen
mit leeren Händen, Deutlicher ist die zweite Stelle: Das be-
Der Tag des Schreckens. 17
schwor Jakob beim Schrecken IsaakSy seines Vaters, denn man
leistet einen Eid nur Bei^der Grottheit. Da diese Erzählung die
Kultsage von Mizpa behandelt, so hat Gunkel mit Recht daraus
geschlossen, daß der erwähnte Gottesname ursprünglich dem
Numen dieser Stadt des Ostjordanlandes zukomme. Wie man
aus Jdc. Il34ff., der Geschichte der Jephtatochter, vermuten
möchte, wurden ihm in prähistorischer Zeit Menschenopfer dar-
gebracht. Es zwingt uns nichts, das Attribut des Schreck^nsi -fqjwps
aus einer Anleihe bei den Kanaanitern herzuleiten, da diese
Vorstellung sich mit dem ursprünglichen Wesen Jahves wohl
verträgt. Eher könnten parallele religiöse Ideen über dieselbe
Naturerscheinung vorliegen. Genaueres läßt sich nicht ausmachen,
da diese Gestalt Isaaks in der Genesis vollkommen verblaßt ist
und da auch der Ausdruck pn::"« ins, trotzdem er seinen gött-
lichen Charakter bewahrt hat, nicht mehr verstanden wurde,
wie die deutliche volksetymologische Anspielung auf diesen
Namen Gen. 2733 beweist.
Der Tag Jahves gilt vor allem als ein Tag des Schreckens
(n»5i!i?3 Db"» Jes. 225. Ez. 7?), ein Tag der Verstörung (Dn-«
riD^n?: Jes. 225. Mch. 7 4), wo panikartige Furcht die Menschen
ergreift, sodaß sie nicht mehr wissen, was sie tun. Wie Jahve
einst Israel verheißen hat: Einen GoUesschrecken werde ich vor
dir hersenden, und alle die Völker, unter welche du kommen
wirst, in Verwirrung bringen und will machen, daß all deine
Feinde vor dir die Flucht ergreifen (Ex. 232?), und wie Israel
einst selbst vom Gottesschrecken erfaßt wurde, als Saul die
zerstückelten Rinder durch Boten im Lande umhertragen ließ
(ISam. 11 7), so wird es auch am Ende der Tage geschehen.
Mußten wir oben (vgl. S. 14) zwei Verse des Amos, die aus-
drücklich vom Erdbeben handeln, als unecht preisgeben, so
setzen die zweifellos authentischen Worte 2i3ff. ebenfalls ein
Erdbeben voraus und schildern deuthch den damit verbundenen
panischen Schrecken: Siehe, so mache ich euch den Boden unter
den Füßen schwankend, wie ein Wagen schwankt unter der
Last der Garben'^, Da weiß der Schnelle nicht wohin, und der
Starke kann seine Kraft nicht brauchen, und der Streitbare
rettet sein Leben nicht. Der Bogenschütze hält nicht stand, und
1. Vgl. Wellhausen und Nowack z. St.
Forschungen zur Rel. n. Lit. d. A. n. NT. 6.
18 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
der Leichtfüßige entrinnt nicht, und der Reiter zu Roß rettet
sein Leben nicht. Und wer festes Mutes ist unter den Streitern,
flieht nacht an jenem Tage, sagt Jahve. Das Stück (Am. I2 — 2i6)j
in dessen Zusammenhang uns diese Verse überliefert sind, ist
voll von mythischen Vorstellungen und wird uns noch des Öfteren
beschäftigen. Hier soll nur Folgendes hervorgehoben werden.
Erstens bestätigt sich uns, was wir aus Jes. 2 12 ff. erschlossen
h^en : Die Anschauung vom Tage Jahves als einem gewaltigen
Erdbeben ist alt, älter als Jesaja, älter als Arnos, älter als die
schriftstellernde Prophetie überhaupt. Amos schildert in den
ersten beiden Kapiteln seines Buches mit grellen Farben einen
furchtbaren Strafakt Jahves. Nur mit ganz leisen, kaum er-
kennbaren Zügen deutet er an, daß Jahve zur Ausführung
seines Beschlusses einen menschlichen Helfer, den Assyrer, be-
nutzt. Diese befremdende Tatsache, daß Amos von Jahve
redet und den Assyrer meint, wird nicht einleuchtender durch
die Behauptung: »Das liegt im Stil der prophetischen Rede
und läßt sich bis auf den Koran herab verfolgen« (Wellhausen).
Denn es kommt nicht bloß darauf an, diesen Stil zu konsta-
tieren, sondern ihn auch zu erklären. Verständlich aber wird
er mir rlmv^l] (\'m Armahrnp.. daß die ältesten Propheten dies
, f^y^r^^'^^ Helldunkel liebten, weil sie populäre eschatologische Ideen natur-
mythologischer Art verwandten und ihre nahe Erfüllung vor-
aussagten. Indem Vorstellungen, die in früherer, vielleicht in
prähistorischer, Zeit entstanden und ausgeprägt waren, auf die
Gegenwart oder unmittelbar bevorstehende Zukunft bezogen
wurden, mußten die Weissagungen notwendig in ein gewisses
Helldunkel gehüllt werden, wenn anders sie mutatis mutandis
passen sollten. Zw/?itefg fnirt ^111^ riiPgPTn ATnngyifaf^ was nicht
oft gpnnj^ bptmif; -pyprdpn kann, daß die iNaiur "^on Anfang an
in den Bereich der Eschatologie hinemgehürL Ulid, so"^eit wir
Lusgesöhlöfe^fin War! "
Der Gottesschrecken kehrt in den Schilderungen vom Tage
Jahves häufig wieder, aber er ist später typisch geworden und
von Naturerscheinungen völlig losgelöst. So heißt es z. B.
Zeph. I17: Da mache ich den Menschen bange, daß sie umher-
gehen wie die Blinden, oder Zach. 12 4 : Jenes Tages, sagt Jahve,
schlage ich das Roß mit Scheuen und den Reiter mit Ver-
Der Tag des Schreckens. 19
wirrung, nur dem Hause Judas öffne ich das Äuge^, aber jedes Boß
der Heiden schlage ich mit Blindheit Wenn ferner die Exulanten
den Untergang Jerusalems erfahren, werden sie so schreckens-
starr sein, daß sie die Zeichen der Trauer vergessen (Ez 24 19 — 24).
Alle natürlichen Verhältnisse werden umgekehrt : Der Sohn ver-
achtet den Vater, die Tochter erhebt sich wider die Mutter j die
Schwieger wider die Mutter^ und des Menschen Feinde sind seine
Hausgenossen (Mch. Te). Jenes Tages wird eine gewaltige Ver-
wirrung von Jahve aus über sie kommen, sodaß sie Hand an
einander legen ^ und die Hand des einen sich wider die des
anderen erhebt (Zach. 14 ly). Einer fällt durch das Schwert des
anderen (Hag. 222). Da wird gewaltige Erregung (excessus
mentis) über die Erdenbewohner fallen, daß sie Kriege wider
einander planen (IVEsra 13 so, vgl. 5i, IBar. 203). Siehe, Tage
kommen^ da wird .... der Allmächtige über die Erde und ihre
Bewohner und über ihre Regenten Geistesverwirrung und herz-
lähmenden Schreck herbeiführen. Und sie werden einander
hassen und sich gegenseitig zum Krieg anreizen u. s. w. (IBar.
70 2. 6). Kurz, »es geht alles drunter und drüber, man kommt
•aus ^ dem Entsetzen nicht hinaus« (Volz S. 181, wo mehr
Material).
§ 5. Die Offenbarung Jahres im Sturm.
Hermann Gunkel: Schöpfung und Chaos. Göttingen 1895.
In der Beschreibung des Tages Jahves, der über das Land
der Ägypter hereinbrechen soll, sagt Ezechiel: Und machen
werde ich die Ströme zur Trocknis (Ez. 30 12). Jer. 51 36 wird
dasselbe gegen Babel geweissagt: Darum also spricht Jahve:
^iehe ich führe deine Sache mid räche deine Rache und lasse
austrocknen ihr Meer und lasse versiegen ihren Quell, Das ist
nicht uneigentlich zu verstehen von dem Vertilgen der Lebens-
kraft Babels, wie Giesebrecht will, so wenig das Folgende un-
eigentlich gemeint ist: Und es soll Babel zu Steinhaufen werden,
eine Wohnung der Schakale, ein Entsetzen und Gespött, ohne
Bewohner. Es ist auch nicht daran zu erinnern, daß Ägyptens
und Babyloniens Fruchtbarkeit in ganz besonderem Maße ab-
1. Lies min'' rr^dh^ und rry-ns. 2. Lies inyia Tf.
2*
20 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
hängig ist von der Eeichlichkeit des Wassers und der Existenz
der Kanäle und daß die Propheten mit Rücksicht darauf die
Idee vom Austrocknen des »Meeres« erdichtet hätten; denn diese
Einzelheit findet sich ebenso in den Drohungen gegen Israel.
In der Jahvetheophanie des Buches Nahum wird durch die
geographischen Namen ausdrückhch auf Palästina hingewiesen:
Er schilt das Meer und legt es trocken und macht alle Ströme
wasserlos. Basan und der Karmel vergeht ^ und die Blüte des
Libanon wird welk (1 4). Auf diese Weise also kann man nicht
zu einer einleuchtenden Erklärung des Tatbestandes gelangen.
Man muß vielmehr vom Ost- oder Südostwind ausgehen^
dem furchtbarsten Winde, der Palästina heimsucht. Im Winter
angenehm und willkommen, wird er im Sommer zum entsetz-
lichen Sirokko. »Er trocknet die Schleimhaut der Luftwege
aus und verursacht Entzündungen, erzeugt die größte Müdigkeit,.
Kopfweh, Beklemmung der Brust, beschleunigten Puls, Durst,
selbst wirkliches Fieber. Er trocknet die Möbel aus, daß sie
krachen, krümmt die Bücherdecken und die in Rahmen hän-
genden Bilder und versengt förmlich ganze Felder von jungem
Getreide . . . Da er auch sehr heftig auftreten kann und
Wirbelwinde verursacht, die Menschen und Tiere umwerfen,
dabei feinen Staub und Sand durch die Luft treibt, so ist es
begreiflich, daß er von jeher als der verderbliche Wind gegolten
hat« (Guthe, Bibelwörterbuch s. v. Wetter). Wir erwarten a
priori, daß er, der in Palästina eine so hervorragende Rolle
spielt, in besonderem Sinne als der Wind Jahves galt, und
diese Erwartung täuscht uns nicht.
Der (Süd)ostwind ist das Element, in dem die Gottheit
webt, und darum heißt er direkt mn*^ n^n D">^p, (Hos. 13i5)
oder allgemeiner mn"" n"}2?D (Jer. 23 19 = 30 23). In Sturm
und Wetter ist sein Weg, und Gewölk ist der Staub seiner
Füße (Nah. I3). Fressendes Feuer geht vor ihm her und rings
um ihn stürmt es gewaltig (Ps. 50 3). Jahve wird über ihnen
erscheinen, seine Pfeile schießen hervor wie Blitze, und der Herr
Jahve stößt in die Posaune und fährt dahin in den Stürmen
des Süds (Zach. 9 14). Im Orkan, der Berge zerreißt und Felsen
zerschmettert, hofft Eha den Gott zu schauen (IReg. 19 11), im
Orkan holt Jahve denselben Propheten zum Himmel empor
(II Reg. 2i) und im Orkan antwortet er dem Hiob (Job 38 1. 406)^
Der Tag des Sirokko. 21
wie dieser schon vorher gefürchtet hatte: Wenn ich ihn riefe
und er gäbe mir Antwort, so würde ichs doch nicht glauben^
daß er mich anhören werde, vielmehr im Sturmwind würde er
mich zermahnen (Job 9 lef.). Die Art, wie Jahve mit dem Wind
verbunden wurde, war verschieden. Bald ward er als ein Wind-
gott vorgestellt, der den Sturm durch die Nase bläst (Ex. lös. lo.
Jes. 59 19. Ps. 18 16). Wenn Eis Odem (b» r\mi)i) die Wasser
anhaucht, so gefrieren sie (Job 37 lo). Das Gras verdorrt, die
Blume verwelkt, wenn Jahves Odem (mrT« n^'n) sie anbläst (Jes.
40?. 24). Bald wird er als ein grimmiger, »wutschnaubender«
Held gedacht, vor dessen Scheltrede sich das Wasser ängstKch
verkriecht (Nah. I4. Ps. 18 le. 106 9). Bald ist der Wind der
Wagen Jahves, auf dem er einherfährt. Als Elia und EUsa
sich unterredeten, kam plötzlich ein feuriger Wagen und feurige
Bosse, die trennten beide von einander, und also fuhr Elia im
Wetter gen Himmel (IIBeg. 2 11). Siehe, wie Wolken zieht er
heran und dem Sturm gleichen seine Wagen, schneller als Adler
sind seine Rosse (Jer. 4 13). Denn siehe Jahve will im Feuer
kommen und wie der Wirbelwind sind seine Wagen, heimzu-
zahlen in Hitze seinen Zorn und sein Dräuen in Feuerflammen
{Jes. 6615).
Das mythische Motiv vom Jahveorkan ist, aus der Gegen-
wart entlehnt, in die eschatologische Dichtung aufgenommen
und begegnet uns zunächst in bildlicher Redeweise. Ps. 83 14
betet der Sänger um Vernichtung seiner Feinde: Mein Gott,
mach sie wie Wirbelstaub, wie Stoppeln vor dem Winde! Wie
das Feuer, das den Wald anzündet, und wie die Flamme, die
an den Bergen züngelt, so verfolge du sie mit deinem Wetter
und schrecke du sie mit deiner Windsbraut! Jeremia läßt
Jahve von den Israeliten sagen : Darum will ich sie zerstreuen
wie Spreu, zerstiebend vor dem Wind der Wüste (Jer. 1324).
Wie ein Ostwind will ich sie verscheuchen vor dem Feind
<Jer. 18 17). Obwohl diese Worte, so wie sie vorliegen, in der
Form des Vergleiches gehalten sind und so aufgefaßt werden
müssen, geht doch aus einer ganz ähnlichen Stelle hervor, daß
diese Bedensarten ursprüngHch nicht bildlich, sondern eigentlich
gemeint waren: Siehe, der Sturmwind Jahves bricht hervor und
Windsbraut wälzt sich daher, auf das Haupt der Frevler
wirbelt sie herab (Jer. 23 19 = 80 23). Erst ein späterer Glos-
22 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
sator hat zu der tniT' ni»o die Erklärung: Grimm gefügt und
damit den anfänglichen Sinn etwas umgebogen. Allein stärkere
Stützen als dies stehen uns für unsere Behauptung zu Gebote.
Hos. 13 uf. läßt der Prophet Jahve die rätselhaften Worte
sprechen: Soll ich sie (die Israeliten) aus der Hölle Hand be-
freien, vom Tode sie loskaufen? Her mit deinen Seuchen, Tod!
Her mit deiner Pestilenz, Hölle ! Mitleid ist vor meinen Augen
verborgen Ein Ostwind Jahves wird kommen, aus der
Wüste sich erhebend, der wird seinen Born austrocknen, seine
Quelle versiegen machen. Das ist eine seltsame, frappierende
Kede, über die man sich nicht genug wundern kann. Wie
kommt denn Hosea dazu, Hölle, Tod und den Ostwind Jahves
zu zitieren, da er doch die Assyrer meint? Nach den An-
schauungen des Propheten müßte die Drohung etwa lauten:
Soll ich sie aus der Assyrer Hand befreien, vom Kriege sie
loskaufen? Her mit deinen Seuchen, Krieg, her mit deiner
Pestilenz! Mitleid ist vor meinen Augen verborgen. W^ie der
Ostwind Jahves, der Quellen und Borne vertrocknet, brause
heran, Assyrer, alles versengend und verheerend ! Das hat Hosea
zweifellos auch sagen wollen, aber seine Ausdrucksweise ist auf-
fälHg und bedarf der Erklärung.
So wie seine Worte lauten, enthalten sie ein mythisches
Motiv. Jahve tritt hier auf als ein grausamer, unbarmherziger,
vernichtender Gott. Als seine Diener ruft er herbei den Tod
mit seinem Heer von Seuchen, die Seol mit ihren Fieberscharen,
während er selbst im Ostwind daherfährt. Wie furchtbar und
entsetzhch müssen diese Horden wüten, wenn sie auf die Erde
losgelassen werden! Die Bäche werden wasserleer, fruchtbares
Ackerland wandelt sich in öde Wüstenei, Menschen und Tiere
siechen vor Fieberdurst dahin und selbst die Fische im Wasser
müssen zu Grunde gehen. Das ist eine in sich verständliche
Rede. Wir sehen, wie die im Zusammenhang der prophetischen
Schrift anstößigen Worte Jahves alles Sonderbare verlieren,
sobald sie ohne Beziehung auf die Assyrer aus sich selbst er-
klärt werden. Vor allem begreift man dann, wie der Prophet
von dem Ostwind Jahves eine mythische Schilderung, nicht
einen poetischen Vergleich geben kann. Und ebenso begreiflich
ist es jetzt, daß die Assyrer als Tod und Hölle bezeichnet
werden. Denn Hosea hat hier eine mythische Idee aus der
Der Tag des §irokko. 23
Überlieferung übernommen und umgedeutet. Wie jeder Ver-
gleich hinkt, so ist auch diese Unideutung nur halb gelungen,
und darum kann das benutzte mythische Motiv nicht von Hosea
selbst erdichtet sein, wie denn überhaupt in historischer Zeit
weder Mythen noch mythische Vorstellungen entstehen.
Tatsächlich können wir dieselbe Idee schon bei Amos
nachweisen. Das Buch dieses Propheten beginnt mit einer
interessanten Formel, die wegen ihrer Inkonzinnität nicht von
ihm selbst herstammen kann, sondern wohl aus älteren
Liedern entlehnt sein muß: Jahve brüllt von Zion her und
donnert aus Jerusalem, da trauern die Auen der Hirten und
des Karmels Haupt verdorrt (Am. I2). Wellhausen bemerkt
dazu: »Als Judäer läßt Amos, vielleicht nach älterem Muster,
den Jahve von Zion aus donnern, ohne damit sagen zu wollen,
daß er dort und nirgends anders wohne. Denn er erkennt kein
Vorzugsrecht Judas vor Israel an. — Das Gewitter, das von
Zion ausgeht, ist ein uneigentHches ; es hat die paradoxe Wir-
kung, daß Kraut und Bäume welken und verdorren«. Um den
Satz des Amos zu verstehen, muß man zunächst erkennen, daß
in ihm verschiedene Anschauungen zusammengeflossen sind.
Der Vordersatz enthält die beiden mit einander verbundenen Aus-
sagen, die leicht wieder von einander zu lösen sind: Erstens,
Jahve wohnt in Zion und in Jerusalem; zweitens, Jahve brüllt
und donnert im Gewitter. Durch die Vereinigung dieser beiden
Vorstellungen entsteht eine Inkonzinnität; denn ein Gewitter
erhebt sich nicht aus Jerusalem. Zum Nachsatz hat ferner in
der ursprünglichen Konzeption ein anderer Vordersatz gehört,
der verloren gegangen ist. Die Auen der Hirten trauern und
des Karmels Haupt verdorrt, wenn — der Sirokko weht, oder
richtiger, da die Formel wie die beiden anderen religiös gewesen
sein muß, — wenn Jahve im Sirokko einherfährt. Dieser Aus-
druck wurde durch den anderen, zusammengesetzten, verdrängt:
wenn Jahve von Zion her brüllt und aus Jerusalem donnert.
Diese Vertauschung der Glieder war nur möglich, falls die
Sätze nicht mehr lebendig, sondern durch den Gebrauch be-
reits erstarrt waren, und falls sie alle drei in das Gebiet des
religiösen Sprachschatzes gehörten, also auch der Ostwind als
eine Manifestation Jahves galt. Amos kann nicht der Schöpfer
24 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
dieser Vorstellungen gewesen sein, er muß überkommenes Gut
benutzt haben i.
Wir haben das mythische Motiv vom Jahvesamüm, das
uns zuerst bei Hosea, mit einer Schilderung der Assyrernot ver-
quickt, begegnet war, jetzt auch in einer selbständigen, reli-
giösen Formel des Amos nachgewiesen, die ihrem Charakter
nach in der vorprophetischen Zeit entstanden sein muß. Nicht
ohne Grund hat Amos sie seinem Buche vorangestellt. Sie ist
gewissermaßen das Motto für die ersten beiden Kapitel, in
denen der Tag Jahves mit mythischen Farben gemalt ist. Es
ist bereits gezeigt worden, daß 2i3ff. die Vorstellung eines mit
dem Gottesschrecken verbundenen eschatologischen Erdbebens
voraussetzt. Jetzt sei noch darauf aufmerksam gemacht, wie
Jahve selbst Feuer an die Paläste legt heim Hurrah am Tage
der Schlacht, im Wetter am Tage des Sturms (n5?,o d't«3 1^02
lu). Der Tag Jahves führt gradezu seinen Namen nach dem
dann stattfindenden Orkan oder Sirokko, der uns auch sonst
entgegentritt, grade in den Drohreden der beiden ältesten
Propheten, sodaß wir mit Sicherheit behaupten können, er habe
eine Rolle gespielt in der populären Anschauung vom Tage
Jahves.
1, Der hier beobachtete religionsgeschichtlich wichtige Vorgang
läßt sich auch sonst konstatieren. Professor Eichhorn hat mich auf
Joh. 738 aufmerksam gemacht: Wer an mich glaubt^ .... Ströme leben-
digen Wassers werden aus seinem Leibe ßießen. Vordersatz und Nach-
satz passen nicht zu einander, beide stammen aus einer ganz verschie-
denen Sphäre. Der erste ist christlichen Ursprungs, der zweite nicht.
Er lehnt sich, wie ich glaube, an ein Kultbild an, aus dessen Leibe
Ströme von Quellwasser flössen, etwa ähnlich den Abbildungen babylo-
nischer Wassergottheiten, wo ein Wasserstrom von beiden Schultern
ausgeht (vgl. z. B. Jeeemias: Das Alte Testament im Lichte des Alten
Orients. Leipzig 1904. S. 38. Abb. 16). Die Formel muß, wenn man
sie rekonstruieren will , ursprünglich etwa gelautet haben : »Wer sich
taufen läßt« oder »wer in den Jordan steigt, Ströme lebendigen Wassers
werden aus seinem Leibe fließen« d. h. der wird mit dem Stromgott
identisch und eben dadurch heilig und sündenfrei. Die mystische Ein-
heit, in der Adorant und Gottheit sich verbinden, wird ausgedrückt
durch das der Darstellung des Gottes entlehnte Bild. Später ist dann
die in diesem Wasserkult übliche Phrase ins Christentum übergegangen
und dort mit einer ganz andersartigen Idee verschmolzen worden, sodaß
sie ihren alten Klang und Sinn vollkommen verloren hat.
Der Tag des Sirokko. 25
Hos. 43 heißt es: Darum wird trauern das Land und
alles, was darin wohnt, verwelken bis auf das Wild des Feldes
und die Vögel des Himmels, und auch die Fische des Meeres
werden hingerafft werden. Nach Wellhausen freüich enthält
dieser Vers eine »Aussage über schon Gegenwärtiges: die Natur
seufzt sichtHch unter der Sünde der Menschen«. Aber das
wäre ein gar zu seltsamer Gedanke, daß die Fische an der
Oberfläche schwimmen und die Tiere krepieren, weil die Men-
schen lügen, morden, stehlen und ehebrechen (42). Es werden
vielmehr wie 13 15 die Wirkungen genannt, die der Samum am
mrT« DT" anrichtet: Unter seiner furchtbaren Hitze und Trocken-
heit leidet nicht nur das Land, werden nicht nur die Gräser
versengt, sondern auch Menschen und Tiere, ja selbst die Fische
des Meeres gehen zu Grunde, ^^^t"
Am. 8i3f. gibt eine andere, nicht minder lebendige Schil-
derung : Jenes Tages werden die schönen Mädchen und die jungen
Männer vor Durst in Ohnmacht fallen, die da schwören beim
Heiligtum von Bethel und sagen: so wahr dein Gott lebt, Dan!
und so wahr dein < Gott > lebt, Beersabaf und sie sinken hin
und stehen nicht wieder auf. An diesen Versen, die mannig-
fachen Anstoß bereitet haben, ist das Eine klar, daß »jenes
Tages« ein gewaltiger, alles ausdörrender Sirokko wehen wird,
und daß infolge dessen die Borne und Quellen versiegen und
die schönen Mädchen und jungen Männer vor Durst umfallen,
schmählich im Stich gelassen von den Göttern, denen sie ihre
Huldigungen darzubringen pflegten. Mit dem Kult ist es dann
vorbei, wie die Sonne der Finsternis gewichen ist, die Feste in
Trauer, die Lieder in Klage verwandelt sind und das Haupt-
haar zur Glatze geworden ist^ (Sgff.). Das Austrocknen der
Bäche und Brunnen ist eine Folge des Jahvesamüms, von dem
jedermann wußte, daß sich seine versengende Kraft am mn^ DT«
besonders furchtbar entfaltet, sodaß der Prophet nur darauf an-
zuspielen braucht. Warum er grade die schönen Mädchen und
die jungen Männer nennt, verstehen wir nicht mehr 2.
1. V. 11 f. streiche ich mit Oort u. a.
2. Darum haben wir freilich noch keinen Grund , die Worte zu
streichen und V. 14 a mit Löhr und Meinhold zu eliminieren. Wenn
man genügend Phantasie besitzt, so kann man ja vermuten, daß die
Götter von Dan und Beersaba hier Quellnumina bedeuten und Ursprung-
26 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Aus allen diesen Belegstellen geht mit der größten Deut-
lichkeit hervor, wie verkehrt das Dogma ist, daß »die Herein-
ziehung der physischen "Welt in das Gerichtsdrama ein Kenn-
zeichen der späteren Eschatologie sei« (Duhm zu Jes. 344). Im
Gegenteil, von Anfang an schon in den ältesten Büchern, aus
denen uns der Tag Jahves bekannt ist, wird von einer Um-
wälzung in der Natur gesprochen. Man muß also, ob man will
oder nicht, zugeben, daß die Natur von Hause aus auf die
eschatologische Bühne gehört, und wenn man die auf das Sitt-
liche und die Menschenwelt gerichteten Träger der Prophetie
nicht als die Schöpfer dieser Dichtung begreifen kann, so wird
man weiter zugestehen müssen, daß ihnen ein festausgeprägter
Stoff überliefert sei, wie ja auch aus vielen anderen Anzeichen
hervorgeht. Aber man wir(?" vielleicht weiter gehen und sagen:
es sei wohl denkbar, daß dem Tage Jahves eine Wirkung auf
die Natur zugeschrieben wurde, allein ursprünglich sei nicht die
ganze Erde, geschweige denn die Welt, sondern nur Palästina
in den Bereich des Mythus gezogen worden. Erst später sei
mit der Verwicklung Israels in die Wirren der Weltreiche und
mit der durch die Geschichte verursachten Erweiterung des
Horizontes die Bühne des eschatologischen Dramas vergrößert
worden. Vor allem wird Deuterojesaja als der Schöpfer dieses
Universalismus gefeiert und gepriesen. Diese Anschauung be-
ruht in der Tat auf einem richtigen Gesamteindruck, In den
älteren d. h. vorexilischen Dichtungen tritt der kosmische Hinter-
grund bei weitem nicht so deutlich hervor, wie in der Zeit nach
der Verbannung, aber man würde doch fehlgehen, wollte man
ihn ganz leugnen.
Die Offenbarung Jahves im Sirokko erlebte Israel nicht
einmal, sondern immer wieder, sobald furchtbare Ostwinde das
Land heimsuchten. Dies Mythologem ist also spezifisch israeli-
tisch, weil es aus dem Klima Palästinas erklärlich ist. Fremden
Ursprung zu vermuten, liegt nicht der geringste Anlaß vor, ob-
lich ausdrücklich als solche bezeichnet sein mögen. Zu Beersaba würde
Wellhausens Konjektur -^^a gut passen, und i^n^s könnte Korrektur
sein für den Baal der Jordanquelle, in deren Nähe Dan lag. Die
schönen Mädchen und jungen Männer führten am Ende Eeigentänze auf
wie in dem mit Quellen versehenen Silo (Jdc. 21 21) oder sie sind als
der Typus für die kräftigsten Leute gewählt (Gunkel).
Der Tag des Sirokko. 27
wohl es durchaus wahrscheinhch ist, daß auch die Kanaaniter
in ßeseph oder Rasuph einen Gott des »Glutwindes« besaßen^
und obwohl die Möglichkeit nicht geleugnet werden soll, daß
Züge dieses Gottes auf Jahve übertragen worden sind. Wenn
aber der antike Mensch in allen auffälligen Naturerscheinungen
das Walten der Gottheit sah, so wird man die Offenbarung
Jahves im Ostwinde dem Glauben des israehtischen Volkes nicht
absprechen dürfen, mag dessen Phantasieleben auch noch so ge-
ring eingeschätzt werden. So kommt es, daß das Motiv vom Jahve-
samüm äußerst beliebt war. Es findet sich nicht nur in reli-
giösen Formeln, sondern ist ebenso in den Sinaigeschichten
verwandt worden (Ex. 14 21) wie es in dem eschatologischen
Mythus immer und immer wiederkehrt; noch Mechilta 30b
(zu Ex. 14 21) weiß, daß die Eache Gottes an den Gottlosen
durch einen Ostwind vollzogen wird (Volz S. 281).
Beim Überblick über das sonst noch im Alten Testament
vorhandene Material beginnen wir mit den Schilderungen, denen
speziell der Sirokko zu Grunde zu liegen scheint. Jes. 339:
Es welkf^j hinwelkt die Erde, beschämt ist der Libanon , ver-
dorrt, es wurde Saron wie die Steppe, und kahl steht Basan
und der Kännel. Die hier aufgezählten Landschaften gehören
teilweise nicht zu Israel, liegen aber doch in seinem Gesichts-
kreis. Jes. 42i4f.: Stumm bin ich gewesen seit lange, bin still,
halt an mich: wie die Gebärende will ich schreien, will schnauben
und schnappen zumal, will ausdörren Berge und Hügel und all
ihr Kraut austrocknen, will Ströme machen zu Inseln und
Sümpfe austrocknen. Jes. 244ff.: Es trauert und vergeht die
Erde, es welkt, vergeht die Welt, es welkt der Himmel wie die
Erde^ .... Darum frißt ein Fluch die Erde tmd sind in
Schuld, die auf ihr wohnen, darum brennen die Bewohner der
Erde (im Fieber) und bleiben übrig wenig Menschen. Noch
farbenreicher wird das Ausdörren des Himmels Jes. 344 ge-
malt : Und zusammenrollen werden sich wie ein Buch die Himmel
und all ihr Heer abwelken, wie abwelkt das Lauh vom Wein-
stock und wie das Abwelkende vom Feigenbaum. Wir erinnern
uns, wie der Ostwind »die ßücherdecken krümmt«, und dürfen
uns dementsprechend vorstellen, wie er dermaleinst, in grotesker
1. Lies nVas. 2. Lies mit Gunkel, ynsn ny ciiö.
28 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Vergröberung bekannter Tatsachen, den Himmel zusammen-
ballen wird, bis er berstend auseinander kracht. Infolge der
gewaltigen Hitze wird auch der Himmelsbaum verdorren, sodaß
die Sterne abwelken, die wie goldene Früchte oder Blätter an
ihm hangen. Daß der Himmelsbaum eine auch sonst nachweis-
bare mythische Anschauung ^ der Israeliten ist, hat Gunkel
an der Hand von Zach. 4iff. treffend gezeigt.
Anderswo ist es weniger der Sirokko als der Sturmwind über-
haupt, der den Himmel zerfetzt gleich dem Bauche (Jes. 51 e). Und
ebenso wird der Himmelsbaum nicht durch einen Samum zum
Verdorren gebracht, sondern durch einen gewaltigen Orkan ge-
schüttelt [vTvo avBfxov lÄsydXov Geio/iiivri), daß die Sterne wie
Feigen zur Erde fallen (Apk. Job. 613). Diese Nüanzen sind
sehr interessant; sie lehren uns, wie falsch es ist, bei derartigen
Schilderungen sofort an Abhängigkeit der Autoren zu denken.
Eine Entlehnung ist schon deswegen unmögHch, weil die An-
schauungen nicht genau übereinstimmen. Es handelt sich viel-
mehr um parallele Vorstellungen, die im Leben des Volkes
gewiß noch viel mannigfaltiger waren, als wir heute konstatieren
können, und deren Verschiedenheit man nicht verwischen darf.
Matth. 2429 heißt es einfach: Und die Sterne werden vom
Himmel fallen^ und die Mächte der Himmel werden erschüttert
werden. Hier ist von einem Baum keine Rede, es wird nur
ein Beben des Himmels vorausgesetzt.
Jetzt kehren wir zu den Stellen zurück, von denen wir am
Anfang dieses Paragraphen ausgingen. Denn jetzt verstehen
wir, warum in den eschatologischen Schilderungen so oft von
der Austrocknung des Meeres gesprochen wird. Dieser Zug ist
angelehnt an die Erfahrung, die Israel beim Wehen des Sirokko
erlebte, nur daß das Versiegen der Bäche und Flüsse in grotes-
ker Vergröberung und phantastischer Übertreibung auf das Meer
übertragen ist: Siehe, durch mein Schelten trockne ich aus das
Meer, mache Ströme zur Wüste; es verdorren^ die Fische ohne
Wasser und es stirbt durch Durst ihr Getier^. Ich kleide die
1. Die von Gunkel vermutete Herkunft dieser Idee aus Babylonien
ist möglich, aber der als Himmelsbaum gedachte Ölbaum trägt spezi-
fisch israelitisches Gepräge; Kanaan war ein Ölland (Hos. 122).
2. Lies "^aTi mit den LXX. 3. Lies nnana mit Duhm.
Der Tag des Sturms. 29
Himmel in Schwärze und Sacktuch mache ich zu ihrer Hülle
(Jes. 50 2f.). Ebenso wie das den klimatischen Verhältnissen Pa-
lästinas entnommene Bild vom Austrocknen des Wassers in den
eschatologischen Mythus eingedrungen ist, so auch in die Erzäh-
lungen, die von der Urzeit handeln.
Es bildete von altersher einen Bestandteil der Lieder, die
Jahves Großtaten in der mosaischen Vergangenheit besangen
und die den Hymnendichtern ihr typisches Material lieferten.
Das geht besonders klar aus der »halb mythisch« (Baethgen),
richtiger vollkommen mythisch gefärbten Theophanie des 18.
Psalms hervor, die in vielen zu Tage liegenden Einzelheiten an
den Sinaibericht erinnert: Rauch stieg auf in seiner Nase, und
Feuer fra& aus seinem Munde und Kohlen brannten vor ihm
aus. Er neigte den Himmel und ließ sich hernieder, während
Dunkel unter seinen Füßen war. Er ritt auf dem Kerub und
flog dahin und schwebte einher auf dem Fittig des Windes.
Er machte Finsternis zu seiner Hülle, Wasserdunkel, Wolken-
dickicht war seine Hütte rings umher. Vom Glänze vor ihm
brachen durch: seine Wolken, Hagel und Feuerkohlen. Da
donnerte im Himmel Jahve und ''Eljön ließ seine Stimme er-
tönen^. Er warf seine Pfeile und zerstreute sie (seine Feinde)
und blitzte mit Blitzen und schreckte sie. Da wurden die Betten
des Meeres sichtbar und aufgedeckt die Grundfesten der Welt
vor deinem Schelten, Jahve, vor dem Schnauben des Odems deiner
Nase. Dazu bemerkt Gunkel mit Recht: »Die ganze Theo-
phanie ist schließlich dazu da, um das Meer aufzuwühlen und
sein Bette bloßzulegen. Der Dichter hat diese Spitze der Jahve-
erscheinung benutzt, um daran seine Fortsetzung: die Eettung
des Ertrinkenden, anzufügen; er hätte auf diesen einigermaßen
sonderbaren Gedanken kaum kommen können, wenn die Theo-
phanie nicht schon jenen Schluß vorher gehabt hätte« (S. 106).
Dieser Schluß ist eben entstanden durch eine Kombination
des Schilfmeeres mit dem Sinai. Und durch dein Zornes-
schnauben türmten sich empor die Wasser, standen wie ein Wall
die Rinnsale, waren geronnen die Tiefen im Herzen des Meeres
heißt es Ex. lös, und ähnlich sagt der Psalmist: Er bedräute
das Schilfmeer, da ward es trocken, und führte sie durch Tiefen
1. Streiche die Schlußworte und vergleiche überhaupt II Sam. 22.
"30 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
wie durch eine Trift (Ps. IO69). Hier wird noch der Name
erwähnt, anderswo ist einfach von dem Meere die Rede: Die
Wasser sahen dich, Gott, die Wasser schauten dich, bebten, und
£S zitterten die Tiefen. Die Wolken strömten Wasser, die
Himmelswolken donnerten, und deine Pfeile zuckten hin und her.
Deine Donnerstimme erscholl im Wirbelwind, Blitze erleuchteten
den Erdkreis, die Erde erbebte und schwankte. Durch das Meer
ging dein Weg, deine Pfade durch große Wasser und deine
Spuren wurden nicht erkannt^ (Ps. 7 7 17 — 20). Bist du es nicht,
der das Meer austrocknete, die Wasser der großen Flut, der
Meerestiefen zum Wege machte, daß hindurchzogen die Erlösten
(Jes. 51 10)? Den urkundhchen Beleg endlich, daß der israeli-
tische Erzähler die Austrocknung des Meeres durch das Motiv
-des Ostwindes verständlich machte, gibt uns der älteste Bericht:
Da ließ Jahve das Meer durch einen starken Ostwind die ganze
Nacht über zurücktreten und legte so den Meeresboden trocken
(Ex. 142i). Der Ostwind wird genannt, nicht deshalb, weil der
biblische Verfasser in den Himmelsrichtungen ungenau orientiert
ist (Baentsch), sondern infolge einer Art von Anachronismus;
denn der Ostwind ist der typische, alles versengende Sirokko
Palästinas.
Der Zug vom Austrocknen der Wasser^) stammt also im
letzten Grunde nicht aus dem Schöpfungsmythus, wie Gunkel
(S. 106) vermutet, noch vom Schilfmeer, wie Köbeble (S. 123)
annimmt, sondern aus der damaligen Gegenwart Israels. Von
hier aus ist er sowohl in die Endzeit wie in die Urzeit über-
tragen worden und ist auch in den oinn-tiämat- Mythus
eingedrungen, der seinerseits wieder die Geschichte der mosai-
schen Zeit und, wie wir noch sehen werden, die Eschatologie
beeinflußt hat.
1. Im Märchen fährt der Schmied Ilraarinen über das offene Meer;
dabei ward des Pferdes Huf nicht naß, noch zog der Schlitten eine
Spur. Vgl. Emmy Schreck: Finnische Märchen S. 3 ff. (nach Kadee-
macher).
2. Über Jahve als Wassergott vergleiche die erschöpfende Zu-
sammenstellung bei Köberle S. 120 ff.
Der Tag des Vulkans. 31
§ 6. Die Offenbarung Jahves im Yulkan.
Hermann Gunkel: Deutsche Literaturzeitung 1903. Sp. 3058 f.
Ausgewählte Psalmen. Göttingen 1904. Wilhelm Bousset: Die Eeli-
gion des Judentums. Berlin 1903. Paul Volz: Jüdische Eschatologie.
Tübingen 1903. A. V. Williams Jackson: Die iranische Eeligion
(Grundriß der iranischen Philologie Bd. II von W. Geiger und
E. Kuhn), Straßburg 1904. Nathan Söderblom: La vie future
d'apres le Mazdeisme. Angers 1901. Ernst Böklen: Die Verwandt-
schaft der jüdisch-christlichen mit der parsischen Eschatologie. Göt-
tingen 1902. S. Herrlich: Die antike Überlieferung über den Vesuv-
Ausbruch im Jahre 79. (Beiträge zur alten Geschichte von Lehmann
und KoRNEMANN, Bd. IV). Leipzig 1904. S. 209 &.
Eine Reihe von archaistischen Eedewendungen in den
Jahvetheophanien und eschatologischen Gemälden weist zweifel-
los vulkanischen Ursprung auf. Wir behandeln sie im Zu-
sammenhang mit den Vorstellungen, die nach volkstümlichem
Glauben mit unterirdischem Feuer verbunden waren. "Wenn es
Nah. le heißt: Jahves Wut brennt wie Feuer und die Felsen
schmelzen vor ihm^ so ist dieser Zug einer vulkanischen Er-
scheinung entlehnt. Denn fragen wir nach dem Naturereignis,
bei dem von einem Schmelzen der Felsen die Rede sein könnte,
so ist die einzig mögliche Antwort: beim Vulkan. Ähnlich heißt
es Ps. 46?: Er ließ seine Stimme erschallen, da zerschmolz die
Erde. Ein anderes Bild begegnet uns Mch. Is: Siehe, Jahve
zieht aus von seiner Stätte, kommt herab und tritt auf die Höhen
der Erde, und die Berge zergehen unter seinem Schritt und die
Täler zerteilen sich wie Wachs vor dem Feuer, wie Wasser aus-
geschüttet an einem Abhang. Das Sichspalten der Berge und
Täler kann in vulkanischen Gegenden beobachtet werden. Voll-
kommen verständlich ist, wie ihr Zergehen verglichen werden
kann mit Wassern, ausgeschüttet an einem Abhang nur bei
einem typisch vulkanischen Gemälde, nicht bei einem einfachen
Erdbeben. Denn was konnten diese am Abhang ausgeschütteten
Wasser, verbunden mit der Spaltung der Berge, ursprüng-
lich anders symboUsieren als die flüssige Lavamasse, oder aber die
glühende Aschenwolke, die den Berg hinabrollt und auch sonst mit
einem Strom verghchen wird*? Die Stelle ist naturmythologisch
1. Plinius epp. VI 20i3: densa caligo tergis imminebat, quae nos
torrentis modo infusa terrae sequebatur.
32 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
und eben das beweist, daß Nahum nicht der Schöpfer dieser
Theophanie ist, sondern daß er mit überkommenem Gute
arbeitet. Der ebenfalls hier angestellte Vergleich mit dem
Schmelzen wie Wachs ist in derselben Weise für vulkanische
Erscheinungen typisch (vgl. Ps. 22 15. 683. 975) wie das Eauchen
der Berge : Der die Erde anblickt, daß sie zittert, der die Berge
schlägt f da& sie rauchen (Ps. 10432. 1445). Wenn in dem »Sinai«
ein Feuer brennt und eine Rauchwolke über ihm lagert — und
nur dann — kann er einem glühenden Schmelzofen (Ex. 19i8)
verglichen werden. Da Jahve am Ende der Tage im Vulkan
erscheint, so sagt Maleachi mit einer wunderlichen /nerdd^eoig
eig aXXo yevog: Denn siehe der Tag kommt, brennend wie ein
Ofen (Mal. 3 19). In einem anderen Bilde findet sich derselbe
Vorgang. Jahve, dessen Vesuv ursprünglich der »Sinai« ist und
der später in Jerusalem wohnt, hat nun ein Feuer in Zion und
einen Ofen in Jerusalem"^, um Assur zu vernichten (Jes. 31 9),
wie er einst einen Ofen hatte für Sodom und Gomorrha (Gen.
1928). Dtn. 3222 wird vulkanisches Feuer beschrieben: Denn
ein Feuer loderte auf in meiner Nase, das brennt bis in die
Tiefen der Unterwelt, verzehrt die Erde samt ihrem Gewächs
und entzündet die Grundfesten der Berge. Übersetzt man diesen
Satz aus der religiösen Poesie in die profane Prosa, so wird
eine Naturerscheinung geschildert, die nur beim Vulkan be-
obachtet werden kann. Ähnlich lautet Ps. 83i5f.: Wie Feuer,
das den Wald anzündet, wie die Flamme, die die Berge ver-
brennt, so verfolge du sie mit deinem Wetter und schrecke du
sie mit deiner Windsbraut. Daß die Berge als bewaldete zu
denken seien (Baethgen) widerspricht dem klaren Wortsinn,
der vielmehr »brennende Berge« voraussetzt.
Bei der Zerstörung Sodoms spielt neben dem Feuerregen
der Schwefel eine Rolle (Gen. 1924). Man könnte den Schwefel
direkt mit dem Vulkan kombinieren, da z. B. die Kraterwände
des Vesuvs mit ihm geschmückt sind (Meyer S. 12) und da
auch der Ausbruch des Mont Pele mit Kohlensäure und Schwefel-
dampf verbunden war (Meyer S. 23. 26) und da auch hier manche
Gelehrte daran gedacht haben. Aber wie die heutigen Geologen
1. DuHM leugnet, daß der Ofen ein Werkzeug der Vernichtung
sei, weil er unter dem i^sn einen Altar versteht.
Der Tag des Schwefels. 33
uns belehren, braucht der Schwefel durchaus nicht auf vulka-
nischen Ursprung hinzuweisen, weil er selbst ein Erzeugnis der
organischen Welt ist. Die Sodom- und Gomorrhageschichte
weist ihrer Lokalfarbe nach auf das Tote Meer hin, obwohl es
auftalHg ist, wie Gunkel mit Recht gezeigt hat, daß sie nichts
von der Bildung des Salzmeeres erzählt, was grade für den Ort,
an dem sie haftet, charakteristisch ist. Gunkel nimmt daher eine
Übertragung der Sage von anderswoher auf das Tote Meer an.
Da diese jedoch gut dort hinpaßt, so liegt es wohl näher, eine
Verstümmelung, sei es absichtlich oder unabsichtlich, zu ver-
muten. Nach Ansicht der Geologen war es möglich, daß bei
einer Katastrophe, die mit tektonischem Erdbeben verbunden
war. Gase, Thermen, petroleum- und asphalthaltige Massen aus
neu geöffneten Spalten hervorstiegen. Kohlenwasserstoff und
Schwefelwasserstoff, die brennbar sind, können sich unter ge-
wissen Umständen sogar von selbst entzünden, und so konnte
die Luft über der Spalte in Flammen stehen und Rauch sich
bilden (Blanckenhorn: ZdPV XIX 1896).
Viel wichtiger ist für uns die Kenntnis der populären An-
schauung vom Toten Meere, die uns bei Strabo XVI 763 f. ent-
gegentritt. Darnach befinde sich dort unter der Erde ein großes
Feuer, durch dessen Hitze der dort ebenfalls vorhandene Asphalt
flüssig werde. Er verweist darauf, daß der See gleichsam zu
kochen scheine, indem Blasen an der Oberfläche zerplatzen,
ferner auf heiße Quellen i, die Schwefelgeruch verbreiten, und
auf Felsen mit durchschwitzendem Erdpech. Da in Palästina
Schwefel nur in den Schichten der sogenannten Niederterraiese
am südlichen Teile des Toten Meeres vorkommt, so ist es wahr-
scheinlich, daß die Israeliten dort die Farben gewonnen haben
für die Bilder, in denen der Schwefel eine Rolle spielt. Wenn
Jahve Feuer und Schwefel »regnen« läßt, so muß das sagen-
1. Wo heiße Quellen sind, nimmt der Volksglaube auch sonst ein
unterirdisches Feuer an. Pausanias II 34i berichtet von den warmen
Quellen bei Methana: (faal ^h !dvTt,y6vov tov ^rjfxrjTQiov Maxeöövoyv ßaai-
XsvovTog TOTS nQtJTOV t6 v^coq (pavrjvaL, (favrjvai (ff ov^ v^cjq evd^vg, dkla
nvQ dva^iaav noXv ix rfjg y^g, Inl 6s tovt(s} ^aQav&ivTc Qv^vcct t6 {'(ftü().
Kadermacher: Das Jenseits im Mythos der Hellenen (Bonn 1903),
S. 96 f. erklärt aus dieser Anschauung mit Kecht die Entstehung der
Vorstellung vom Pyriphlegeton.
Forschnngen zur Rel. u. Lit. d. A. u. NT. 6. 3
34 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
hafte Volksauffassung sein, nach der alle meteorologischen Er-
scheinungen himmHscher Natur sind. In Wirklichkeit mag es
eher geschehen sein, daß brennende Schwefelhäche sich ergossen,
deren Ursache auf ein unterirdisches oder überirdisches Feuer
zurückgeführt wurde, wie in der wunderbar imposanten Jahve-
theophanie, die in grell mythologischem Kolorit gehalten ist:
Siehe, Jahves Name kommt von Ferne, brennenden Zorns und
wuchtiger Erhebung, seine Lippen sind voll Grimm und seine
Zunge wie fressendes Feuer und sein Atem wie ein bis zum
Hals reichender strömender Bach . . . Und hören läßt Jahve
seinen hehren Donner und die Senkung seines Armes läßt er
sehen mit grimmigem Zorn und der Lohe fressenden Feuers,
mit Sturm und Wetterguß und Hagelstein . . . Denn zuge-
rüstet ist vordem,^ schon die Brandstätte . . . errichtet tief, breit,
ihre Schicht ist Feuer und viel Holz, Jahves Hauch wie ein
Schwefelbach brennt darein (Jes. 3027ff.). Die hier erwähnte
Brandstätte, die wohl nach Art einer tiefen Grube gedacht ist,
ist dem » Moloch «kult entnommen. Man wird nach der Analogie
schließen dürfen, daß auch im Hinnomtale der Volksglaube ein
unterirdisches Feuer vermutete, in dem die Feuergottheit wohnte,
der zu Ehren die Menschenopfer verbrannt wurden^. Die Glosse
(Duhm), daß die Brandstätte auch für den Moloch bestimmt sei,
entstammt einer anderen Anschauung, wonach der jetzt zum
Dämon degradierte Gott zur Strafe für seine Bosheit im Feuer
gequält werden solle. Beide Auffassungen können verhältnismäßig
alt sein, die eine dem Jahvismus entsprechend, die andere ihm
widersprechend. Ähnliches wird uns noch im Folgenden be-
gegnen.
Dies echt jesajanische Stück ist das älteste, das von einem
Untergange der Feinde Israels, hier Assur, durch Jahves Feuer,
speziell durch einen brennenden Schwefelbach redet. Jesaja als
den Schöpfer dieser mythischen Idee anzusehen, ist schon des-
halb unmöglich, weil mythische Vorstellungen ihrem Wesen
1. Lies ^ittns^a mit den LXX.
2. Da wir von heißen Quellen in dem Hinnomtale nichts wissen,
so hat sich der Volksglaube hier nicht an Naturerscheinungen, sondern
an den Kult des Gottes angeschlossen. Weil »Moloch« ein chthonischer
Feuergott war und hier verehrt wurde, so mußte sich hier auch das
Element befinden, in dem die Gottheit zu Hause war.
Der Tag des Schwefels. 35
nach uralt sind und am allerwenigsten aus der Phantasie der
Propheten erklärt werden können, die wir als Vertreter einer
höheren, geistigeren Religionsstufe mit Recht zu beurteilen ge-
wohnt sind. Wenn Jesaja trotzdem diese Anschauung äußert,
die ihrem Charakter nach durchaus naturmythologisch ist, so
muß sie von ihm der populären Tradition entlehnt sein. Wir
dürfen also sagen, daß im Volke von alters her noch zur Zeit
Jesajas die Ansicht herrschte, die, ihres poetischen Gewandes
entkleidet, so lauten würde: Jahve vernichtet oder wird seine
Gegner vernichten durch Feuer, sei es durch einen Schwefel-
bach oder Vulkan (Jes. 31 9). An einer anderen Stelle, die
aus einem späteren Jahrhundert stammt, wird, was wir soeben
vom alten Jesaja gehört haben, prosaischer so ausgedrückt:
Denn einen Tag der Rache hat Jahve und ein Jahr der Ver-
geltung für Zions Hader. Und verwandeln werden sich seine
Bäche zu Pech und sein Staub zu Schwefel y und es wird sein
Land zum Pech, brennend bei Nacht und Tage (Jes. 348ff.).
Jedenfalls kann nach dieser Übersicht kein Zweifel sein,
daß die Israehten Jahves Offenbarung im Vulkan, d. h. in der
Bergeslohe, im unterirdischen Feuer und in brennenden Schwefel-
strömen, sahen und deshalb seine Theophanie mit derartigen
Zügen ausstatteten. Diese Schrecken der Majestät Jahves galten
ihnen zugleich als Strafmittel wider die Feinde der Gottheit
und des Volkes, wie bereits aus der Zeit Jesajas belegt werden
kann. Beide Anschauungen sind ihrer Natur nach älter als die
Prophetie, da sie dem volkstümlichen Glauben entstammen
müssen. Von einem Weltbrand ist keine Rede, sondern nur
von einem lokalen Feuer Jahves, das teilweise typisch palästini-
sche Züge trägt (Schwefelstrom), teilweise aber nicht palästini-
schen Ursprungs sein kannn. Denn ein Zerschmelzen der Erde
(Ps. 46?), eine Spaltung der Berge, verbunden mit dem Herab-
fließen der Vulkanmasse wie Wasser, ausgeschüttet an einem
Abhang (Mch. 1 3), ist in Palästina nie beobachtet worden. Hier
müssen also fremde Überlieferungen vorKegen. Ob sie an die
» Sinai «tradition anknüpfen, die im nächsten Paragraphen aus-
führlicher behandelt werden soll, ist nicht mit Sicherheit zu ent-
scheiden. Doch ist es deshalb unwahrscheinlich, weil die Jahve-
theophanie des Buches Exodus — ihren vulkanischen Charakter
vorausgesetzt — ausschließlich freundhche Züge zeigt und trotz
3*
36 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
aller Furchtbarkeit keine verheerenden Wirkungen zurückläßt.
Von den Geschichten des Alten Testamentes gehört, was eben-
falls beachtenswert ist, nur eine einzige, die von Sodom und
Gomorrha, in diesen Zusammenhang. Die Eschatologie weist
demnach verhältnismäßig reiche und andersartige vulkanische
Spuren auf, sodaß sie in dieser Beziehung durchaus singulär
dasteht. Die Vorstellung vom Tage Jahves als eines vulkani-
schen Ofens (Mal. 3 19) findet in Palästina selbst keine Erklärung.
Man wird sie nicht trennen dürfen von der Idee des Welt-
brandes, die uns in der persischen Eschatologie und in der
späteren jüdischen (Vita Adae 49 f. Jos. Ant. I § 70 f.) und christ-
lichen (II Petr. Soff.) Literatur begegnet. Es fragt sich nur, wie
man beide Anschauungen mit einander kombinieren will. Der
Gedanke des Weltbrandes, so viel ist sicher, kann, weil er
mythisch ist, nicht durch eine bloße Vergröberung jesajanischer
oder prophetischer Behauptungen entstanden sein, kann sich also
nicht in Israel gebildet haben, sondern muß aus der Fremde
kurz vor der christlichen Zeit eingewandert sein. Umgekehrt
lassen sich die eschatologischen Vorstellungen der Prophetie am
ehesten begreifen als der letzte blasse Schimmer einer ursprüng-
lich viel farbenkräftigeren Schilderung des Weltbrandes. Das
Schmelzen der Erde, das Brennen der Berge, die Verheerungen
der Schwefelströme sind die winzigen Überbleibsel eines einst
gewaltigen Gemäldes. Was damals von der ganzen Welt galt,
ist jetzt auf einen kleinen Bruchteil der Erde beschränkt und
in Palästina — aller Geologie zum Trotz — lokaHsiert. Wir
müßten, um diese Auffassung zu rechtfertigen, eine zweite, be-
reits in früher vorprophetischer Zeit erfolgte Einwanderung der-
selben Ideen annehmen, die später aufs neue eingeströmt sind.
Ob diese Hypothese Anspruch auf Wahrscheinlichkeit hat, läßt
sich erst dann entscheiden, wenn wir das gesamte Material über-
schauen.
Besonders zahlreiche Anspielungen an einen Feuerstrom
finden sich in den SibylUnen: Und es wird fließen ein Gießbach
mächtigen Feuers, unermüdlich, verbrennend die Erde und ver-
brennend das Meer (III 841). Obwohl hier nicht bloß wirkliche
Erlebnisse vergrößert sind, da auch der Himmel und die ganze
Schöpfung in eins zusammengeschmolzen werden sollen, so
liegt doch die Idee von dem verbrannten Meere vulkanischen
Der Tag des Feuerstroms. 37
Erscheinungen nicht so fern, daß man zu ihrer Erklärung auf
den »urzeitHch gottwidrigen Charakter des chaotischen Unge-
heuers« verweisen müßte (Volz S. 295). Aus St. Vincent ist
bekannt, wie das Wasser in Siedeglut versetzt ward (Meyeb
S. 38). Im Anschluß an solche oder ähnliche Erfahrungen mag
die phantastische Vorstellung von einer Verbrennung des Meeres
entstanden sein. Herelich (S. 224 ff.) hält es für wahrschein-
lich, daß die Prophezeiungen der Sibylle beeinflußt seien durch
die Katastrophe, die Pompeji im Jahre 79 zerstörte. Aber die Idee
des Weltbrandes selbst ist anderer Herkunft, nur die Form, in
die sie gekleidet wird, ist durch die Zeitgeschichte und die
Lokalität modifiziert, genau so wie es in der prophetischen Escha-
tologie der Fall ist. Wenn wir ferner Apk. Joh. 19 20. 20io. uf.
21 8 von einem brennenden Feuer- und Schwefelsee lesen, in den
die Gottlosen geworfen werden, so hängt dies Mythologem
hier mit dem Toten Meere zusammen — mag es auch dem
Ursprünge nach außerpalästinisch sein — da wir in jener Gegend
sogleich eine parallele Anschauung nachweisen werdend Für
die Frage nach dem Ursprungsort der Vorstellung vom Welt-
brande ist es wichtig zu untersuchen, ob, wie Bousset (S. 481)
behauptet, in der späteren Zeit spezifische Züge der iranischen
Eschatologie aufzuzeigen sind.
Charakteristisch ist dort, daß in den Gäthäs wie im Bünda-
hishn von einer Flut geschmolzenen Metalls die Rede ist (Jack-
son § 80; SöDERBLOM S. 238. 268 f.). Durch diese glühend
heiße Flut, so wird weiter gelehrt, müssen alle Menschen hin-
durchgehen, aber dem Gerechten erscheint es nicht schlimmer,
als wate er durch warme Milch (Jackson § 85). Solche Vor-
stellung einer Metallflut, die doch wohl teilweise im Anschluß
an Lavaströme sich gebildet hat, konnte in Persien entstehen,
weil das Innere des iranischen Hochplateaus in der Tat von
vulkanischen Massen durchbrochen ist. »Ö. vom Urumiasee er-
hebt sich der Sahend (3440 m), weiter gegen Norden der mäch-
tige Gebirgsstock des Säwelän (4813 m). Beide Vulkane sind
erloschen. Vulkanische Bildungen treten auch im so. Persien
1. Das hierher gehörige Material ist äußerst umfangreich (vgl.
BÖKLEN S. 119 ff. ; Bousset S. 269). Es im Einzelnen vorzuführen, ist
überflüssig, da die Züge typisch sind.
38 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
hervor, nämlich der isolierte Kühi-ßasmän im N. von Bampur
und onö. davon der noch jetzt tätige 3868 m hohe Kühi-Nau-
schäda oder Kühi-Taftän« (Geiger). Die spezifisch persische
Idee von dem feurigen Metallfluß ist zwar nicht klar aus-
gesprochen, scheint aber doch vorausgesetzt zu sein IHen. 526:
Und jene Berge^ die deine Augen gesehen haben, der Berg von
Eisen und der von Kupfer, der von Silber und der von Gold,
der von Zinn und der von Blei, diese alle werden vor dem Aus-
erwählten wie Wachs vor dem Feuer sein und wie Wasser,
welches von oben her über jene Berge herabläuft; und sie werden
schwach sein vor seinen Füßen.
Mit dieser Stelle hängt eine andere zusammen, die eben-
falls an die persische Anschauung erinnert, aber doch beträcht-
lich von ihr abweicht, IHen. 674ff. : ünd^er wird jene Engel,
die die Ungerechtigkeit gezeigt haben, in jenes brennende Tal
einschließen, tvelches mir zuvor mein Großvater Henoch gezeigt
hatte, im Westen bei den Bergen des Goldes und Silbers, des Eisens
und des Gußmetalls und des Zinns. Und ich sah jenes Tal, in
dem eine gewaltige Bewegung war, und ein Hin- und Herwogen
der Wasser. Und als dies alles geschah, entstand aus jenem
feurigen Metallguß und der Bewegung, die sie (die Wasser)
hin und her schaukelte, an jenem Ort ein Schwefelgeruch, und
er verband sich mit jenen Wassern; und jenes Tal der Engel,
die die Menschen verführt haben, brennt immerzu unter der Erde
dort. Und durch die Täler derselben (Erde) kommen Feuer-
ströme, da wo jene Engel gestraft werden, welche die Bewohner
der Erde verführt haben. Und jene Wasser werden in jenen
Tagen den Königen und Mächtigen und Hohen und denen, die
auf Erden wohnen, zur Heilung des Leibes, aber zur Marter
des Geistes dienen; ihr Geist ist ja voll Wollust, sodaß ihr Leib
gestraft wird, weil sie den Namen des Herrn der Geister ver-
leugnet haben. Sie sehen ihre tägliche Strafe, und glauben doch
nicht an seinen Namen. Und je ärger ihr Leib brennt, um so
mshr werden sie eine Veränderung am Geiste spüren auf immer
und ewig .... Und jene Wasser selbst werden in jenen Tagen
eine Veränderung erleiden: denn wenn jene Engel in jenen
Wassern gestraft werden, so ändern sich jene Wasserquellen in-
betreff ihrer Hitze, und wenn die Engel aufsteigen, so wird jenes
Wasser der Quellen sich ändern und kalt werden. Und ich
Der Tag des Feuerstroms. 39
hörte Michael anheben und sprechen: Dieses Gericht j mit dem
die Engel gerichtet werden^ ist ein Zeugnis für die Könige und
Mächtigen, welche die Erde besitzen. Denn diese Wasser des Ge-
richts dienen zur Heilung des Leibes der Fürsten und zur Wol-
lust ihres Fleisches; aber sie sehen nicht und glauben nicht, daß
jene Wasser sich ändern und ein ewiges Feuer werden können.
Zu Anfang ist zwar auch hier von einem feurigen Metallfluß
die Rede, nachher jedoch werden deuthch heiße Wasserquellen
geschildert, die an die hammäm ez-zerkä im wädi zerkä mdm
Moabs, die Kalirrhoe des Altertums, wo einst Herodes der Große
Heilung suchte (Josephus: Bell. Jud. 1335. §657 Antiq.XVII
65. § 171), und an die Thermen in der Nähe des Toten Meeres
erinnern. Diese Gegend, die so. in nicht allzu weiter Ferne
vom Tale Hinnom liegt, galt, wie wir aus dieser Stelle ersehen,
als unterminiert von einem gewaltigen Feuerreservoir, in dem
sündige Engel zur Strafe gequält werden. Die »hohen Bade-
gäste« (Beee), die dies wissen und diesen Anbhck täglich vor
Augen haben, kümmern sich in ihrer Wollust nicht darum und
bedenken nicht, daß auch sie dereinst mit demselben Kurwasser
gestraft werden, mit dem sie jetzt sündigen. Diese Anschauungen
tragen palästinisches Lokalkolorit und sind darum im Lande
entstanden, um so mehr als wir in der Glosse zu Jes. 3033 eine
ganz ähnliche Idee konstatieren konnten, nach der »Moloch« im
unterirdischen Feuer der Geenna (des Tales Hinnom), etwa als
ein von Jahve abgefallener Dämon, gemartert wird. Die gleiche
Volksvorstellung liegt vielleicht Gen. 143 zu Grunde, falls statt
D"»'iji5ri p?:y mit Ben AN (Histoire du peuple d 'Israel I 116)
0"*1^.n P'^y zu punktieren ist. Wenn sich so an diese von der
Natur wunderhch ausgestattete Gegend des Salzmeeres eine
Reihe mythischer und sagenhafter Erzählungen und Motive
heftet, so ist trotzdem nicht einzusehen, warum sich dort die
Idee von einem feurigen Metallfluß ebenso ausgebildet haben
sollte wie von einem brennenden Schwefelbach.
Endlich gehört hierher noch die Fegfeuerstelle der Sibyl-
linen. Nachdem dort die Befestigung der Feuersäule beschrieben
ist (II 240), wo rings in weitem Umkreis ein unaufhörlicher
Feuerstrom rinnt (II 285 f.), heißt es: Und dann werden alle
durch das brennende Feuer und die unauslöschliche Flamme
hindurchgehen, und die Gerechten werden alle gerettet werden.
40 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
die Gottlosen aber alle verderben auf ganze Äonen hin (II 252 ff.).
Wenn sie dreimal so viel gebüßt, als sie böses Werk gefrevelt
(II 304) und die Fürbitte der Frommen erlangt haben, wird
Gott sie aus dem gewaltigen Feuer und dem unsterblichen Knir-
schen erretten (II 332 ff.; vgl. IKor. 3i5 ocod^rjoeTai . . . o;g
6 La TtvQog), Hier ist die Ähnlichkeit mit der persischen Vor-
stellung größer. Allerdings ist für den Metallfluß die spezifisch
altisraelitische, jetzt seltsam verdunkelte Idee von der Feuer säule
eingetreten. Überdies werden die Sünder aus ihrer Qual nicht
deshalb erlöst, weil sie vollkommen geläutert sind, sondern weil
ihre himmlischen Fürsprecher sich für sie verwandt haben. Aber
das gewiß nicht selbstverständliche und keineswegs naheliegende
Hindurchgehen der Menschen durch Feuer, um dennoch ge-
rettet zu werden, macht den persischen Einfluß sehr wahr-
scheinlich.
Mit Recht wird darum behauptet werden dürfen, daß die
Idee vom Weltbrande, wie sie in den späteren Pseudepigraphen
begegnet, durch iranische Vermittlung zu den Juden gekommen
sei. Da dasselbe für die vorprophetische Zeit unmöglich an-
genommen werden kann, so muß die Einwanderung damals von
anderswoher erfolgt sein, wenn man nicht vermuten will, Israel
habe jene Vorstellung aus der Wüste mitgebracht. Um ein
volles Verständnis der israelitischen Anschauungen zu gewinnen,
bleibt eben noch die Frage zu beantworten: Woher hatte Israel
die Kenntnis von Berg- und Vulkanfeuer, die wir notwendig
nach den am Anfang dieses Paragraphen angeführten Stellen
bei ihm voraussetzen müssen? Das Problem ist deshalb
schwierig, weil es heute in Palästina keine tätigen Vulkane
mehr gibt. Vielleicht kann uns eine Untersuchung der mosai-
schen Traditionen weiter helfen.
§ 7. Die Offenbarung Jahves am Sinai.
Hermann Schultz: Alttestamentliclie Theologie^ Göttingen 1896.
EuDOLF Smend: Lehrbuch der alttestamentlichen Keligionsgeschichte*.
Freiburg 1899. Bernhard Stade: Biblische Theologie des Alten Testa-
ments. Bd. I. Tübingen 1905. Ditlef Nielsen: Die altarabische Mond-
religion und die mosaische Überlieferung. Straßburg 1904.
Ex. 19 leff. lautet: Am dritten Tage aber, als es Morgen
ward, brachen Bonner und Blitze los, und eine dichte Wolke
ließ sich herab auf den Berg und starkes Trompetengeschmetter
Der Tag des Vulkans. 41
erscholl, sodaß ein Schrecken kam über alles Volk, das im Lager
war .... Der Berg Sinai aber stand ganz in Bauch, weil
Jahve im Feuer auf ihn herabgefahren war, und Bauch stieg
auf wie der Bauch eines Schmelzofens, und der ganze Berg er-
hebte stark. Die erste Frage, die sich angesichts dieser Schil-
derung erhebt, ist die, ob wir noch die Naturtatsache aufzufinden
vermögen, die die Farben zu diesem Gemälde geliefert hat. Erst
wenn sich dies als undenkbar herausstellt, dürfen wir unsere
Zuflucht zur puren Phantasietätigkeit des Dichters nehmen. Die
neuerdings von Nielsen (S. 173) geäußerte Vermutung, daß
Eauch und Feuer von einem auf dem Berge Sinai gelegenen
Opferaltar herrührten, ist als wenig einleuchtend zu verwerfen,
da Gewitter und Erdbeben auf diese Weise unerklärt bleiben.
Fast allgemein verbreitet ist eine andere Anschauung: »Jahve
erscheint seinem ursprünglichen Charakter als Wettergott ent-
sprechend im Gewitter« (Baentsch zu Ex. 19 ig). »Jahve war
von Haus aus wohl ein Naturgott und vielleicht bezeichnet auch
der Name Jahve eine bestimmte Naturerscheinung, in der man
eine besondere Manifestation von ihm und einen Ausdruck seines
Wesens sah. Jahve erscheint so regelmäßig im Gewitter, daß
man ihn für einen ursprünglichen Gewittergott halten möchte«
(Smend S. 23 f.). »Vielleicht ist er nach jetzt nicht mehr erkenn-
barer Etymologie der himmlische Gewittergott« (Schultz ^
S. 412). Aber das Gewitter ist durchaus nicht die haupt-
sächliche, geschweige denn die einzige Naturtatsache, in der man
eine Offenbarung Jahves erlebte, und um die Natur Jahves zu
bestimmen, darf man nicht von der Etymologie ausgehen, da
der Name Jahve für uns etymologisch nicht mehr durchsichtig
ist, wenn auch für unbeweisbare Kombinationen Möglichkeiten
in Menge vorhanden und aufgestellt sind. Das ursprüngliche
Wesen Jahves ist uns unbekannt, und alle Versuche, dahinter
zu kommen, sind mißglückt und mußten mißglücken, wie die
Religionsgeschichte bei allen derartigen Unternehmungen gelehrt
hat. Für uns handelt es sich hier nur um die Sinaitheophanie,
und diese wird durch die Annahme eines Gewitters nicht er-
klärt. Man muß mindestens hinzufügen, daß ein Erdbeben da-
mit verbunden war. Aber selbst dann versteht man noch nicht,
wie der Berg mit einem »Schmelzofen« vergHchen werden kann
42 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
und ganz in Eauch gehüllt sein soll; denn bei einem Gewitter
läßt sich dies nicht beobachten i.
GuNKEL hat nun an verschiedenen Stellen (vgl. Lit. § 6)
behauptet, der »Sinai« sei ein Vulkan gewesen, und damit eine
neue 2 und, wie ich meine, sichere Basis für unsere Untersuchung
geschaffen. Um falschen Voraussetzungen vorzubeugen, sei von
vorneherein betont, daß der »Sinai« nicht auf der sogenannten
Sinaihalbinsel zu suchen ist.
Zum Beweise dafür, daß die Sinaitheophanie in der Tat
mit vulkanischen Farben gemalt ist, lasse ich den Bericht eines
Augenzeugen folgen, der die Katastrophe auf Martinique be-
obachtet hat: »Am Morgen des 8. Mai (1902) gewährte der
Vulkan einen furchtbaren Anblick. Er war tiefschwarz, und
aus dem Dunkel erhoben sich unermeßliche Säulen von leuch-
tendem Kauch und Feuer. Der Himmel war schwarzgrau, die
Sonne wie hinter einem düsteren Vorhang versteckt. Kein
Windhauch trieb den Bauch auseinander. Die ganze Luft lag
wie ein dumpfer, schwerer, erstickender Teppich über der Stadt.
Alles ruhig und todesstill. Die Landschaft schien ihrem Ver-
derben mit trauriger Besignation entgegenzuharren.
»8 Uhr. Von Corbet aus schauen wir nach St. Pierre
hinüber. Während man alle möglichen Vermutungen mit
dumpfer und leiser Stimme austauscht, ändert sich plötzlich der
AnbKck des Berges. Seine ganze Masse scheint in eine fürchter-
liche Bewegung zu geraten. Überall wallende Bauchwolken,
aufflammende Feuersäulen ; mit einem Male zuckt ein gewaltiger
Bhtzstrahl durch die Finsternis. Was wird geschehen? Eine
Sekunde, zwei Sekunden verstreichen Der Berg öffnet
sich .... und plötzlich hört man von allen Seiten schreien:
Laßt uns fliehen! Laßt uns Bettung suchen! Hilfe! Ver-
derben !
»Nun ist der bUnde Zufall Herr und Verhängnis des Lebens.
Ein ganzes Volk in wahnsinnigem Schreck, die Hände gegen
^en Himmel gebreitet, fleht, weint, schreit, hat die Vernunft
1. V. Gall: Die Herrlichkeit Gottes (Gießen 1900) S.24 behauptet:
»Dieses Kauchen kommt von den Blitzen«. Aber hat man schon jemals
wahrgenommen, daß Berge rauchen, wenn der Blitz sie trifft?
2. Dennekt: Glauben und Wissen II S. 305 nennt den englischen
Keisenden Charles Beke als Vorläufer.
Der Tag des Vulkans. 43
verloren, weiß nicht mehr, wohin es fliehen soll. Ich mit meiner
Familie stürze halb besinnungslos in südlicher Richtung davon.
In einem Augenblick der Überlegung wende ich mich um und
kehre einige Schritte zurück, um zu sehen, was eigentlich ge-
schehen ist
»Nie werde ich das furchtbare Schauspiel vergessen, das
sich nun meinen Augen darbot. Der Mont Pele scheint nicht
mehr vorhanden zu sein. Eine ungeheure, feuerschwangere
Öffnung hat sich aufgetan. Von ihr geboren, scheint eine riesen-
große schwarze Wand, aus der Tausende von Blitzen zucken,
sich mit furchtbarer Gewalt uns entgegenzustürzen. Von dem
Himmel ist nichts mehr zu sehen; Flammen umgeben uns von
allen Seiten. Und ein brüllendes, stampfendes Donnern begleitet
den Todesmarsch dieser entsetzlichen Erscheinung. Auch das
Meer ist schwarz; es wallt auf, es hebt sich drohend, und von
Zeit zu Zeit rollt eine gewaltige Woge dunkel und lautlos in
die Stadt und über die Felder der Umgebung. Wir sind ver-
loren! Uns bleibt nichts mehr übrig, als uns auf den Tod vor-
zubereiten ....
»Aber plötzhch vollzieht sich eine unerwartete Wendung.
Ein starker Wind kommt auf, ein wahrer Orkan. Die Bäume
werden von ihm gegen den Boden gebogen. Brausend und
pfeifend prallt er gegen die von Blitzen durchzuckte Rauch-
wand und hält sie 300 Meter von uns entfernt auf . . . Wir
sind gerettet! Nur 30 Sekunden waren verstrichen — 30 Se-
kunden, die uns wie ein Tag der Angst erschienen. Der Wind
nimmt allmählich ab und hört in 3—4 Minuten ganz auf. Wo
St. Pierre lag, flammt jetzt ein Scheiterhaufen . . .
»Ein furchtbares Gewitter entladet sich über uns; tobender
Donner, zuckende Blitze und, schrecklicher als beides, ein Regen
von Steinen, von Asche und Schlamm, der uns niederwirft und
uns eine halbe Stunde lang mit unwiderstehlicher Gewalt ein-
hüllt. St. Pierre ist zu Grunde gegangen. Wo einst das
Leben herrschte, gibt es jetzt nur rauchende, stinkende Trüm-
mer« . . . (Meyer S. 7 ff.).
Wer diese Schilderung des Mont Pele mit der des Sinai
vergleicht, kann nicht zweifeln, daß Ex. 19 einen vulkanischen
Berg beschreiben will. Ganz charakteristische Züge finden wir
wieder : vor allem den Rauch und das Feuer, dann den schmet-
44 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
ternden Donner ^ und die grellen Blitze, das Erdbeben, die
Finsternis und endlich den wahnsinnigen Schrecken. Das Bild
des Schmelzofens hat noch eine lebendige Anschauung des feuer-
speienden Berges bewahrt. Auf der anderen Seite ist nicht zu
verkennen, daß die Erzählung stilisiert ist, und eben um dieser
Eigentümlichkeit willen ist es begreiflich, daß ihr vulkanischer
Ursprung bisher verschleiert war. Während sonst der Berg das
Feuer auswirft, das Feuer also von unten herauf in die Höhe
geschleudert wird, heißt es hier, daß Jahve im Feuer auf ihn
herabgefahren, vermutHch vom Himmel her. Die Modifikation
entspricht genau der Sodomerzählung, wonach der Schwefel, der
ursprünghch aus dem Erdinnern sich entzündet, vom Himmel
regnet. Übrigens hat sich noch das Richtigere erhalten Dtn. 4ii:
Der Berg brannte, sodaß die Lohe mitten in den Himmel hin-
einschlug (vgl. 9 15). In der Exodus-Schilderung vermissen wir
ferner den furchtbaren Orkan, von dem wir auf Martinique ge-
hört haben. Aber der Sturm ist keine notwendige Begleit-
erscheinung einer Eruption. Gänzlich verloren hat sich die
Erinnerung an den Lavastrom oder an den Aschenregen, sodaß
es auf Grund dieses Berichtes unmöglich ist, zu entscheiden, zu
welcher Gruppe von Vulkanen der Berg gehört haben mag
(vgl. Meyek S. 50).
Mit der Sinaitheophanie kombinieren wir die Erzählung,
von der Feuer- und Wolkensäule, obwohl beide in der uns vor-
liegenden Tradition nichts mit einander zu tun haben. Jahve
aber zog vor ihnen her^ am Tage in einer Wolkensäule, um
ihnen den Weg zu zeigen, und des Nachts in einer Feuersäule,
um ihnen zu leuchten, sodaß sie bei Tag und Nacht weiter ziehen
konnten. Am Tage wich die Wolkensäule nicht und des Nachts
stand die Feuersäule an der Spitze des Volkes (Ex. 132if.). Die
1. Das donnerähnliche Getöse beim Ausbruch ist auch sonst be-
obachtet: »Das Eollen wird zum furchtbaren Gebrüll und Getöse,
krachend zerbirst der Kraterboden« Credner: Elemente der Geologie
S. 156. Auffällig bleibt, daß dieser Donner als »Trompetengeschmetter«
bezeichnet wird. Von Interesse ist die teilweise mythisch gefärbte
Schilderung des Vesuvausbruches durch Cassius Dio 66, 23, 1 : xal 1^6-
xow ol fikv rovg yCyavzag ^navCaraa&at {noXXit yaq xal Tora atStoka aviaiv
iv T(p xanvfp ^KifaCvsTo, xccl nQoaixt xal aaknCyytov reg ßorj i^xovsto).
Herrlich S. 218.
Der Tag des Vulkans. 45
früher beliebte Hypothese von Feuerpfannen, die die Karawanen
angeblich vor sich hertragen lassen, ist jetzt wohl allgemein auf-
gegeben, da aus ihr die zitierte Vorstellung nicht einleuchtend
erklärt werden kann. Ebenso muß die Behauptung zurück-
gewiesen werden, die Baentsch zu Ex. 13 21 äußert: »Die
Wolken- und Feuersäule ist eine passende Manifestation Jahves ;
auch sonst erscheint er in Feuer und Rauch . . ., was ganz
seinem ursprüngUchen Charakter als Gewittergott entspricht«.
Denn man fragt sich vergebens, wo in aller Welt bei einem
Gewitter derartige Phänomene beobachtet seien: bei Tage eine
Wolkensäule, bei Nacht eine Feuersäule. Dagegen stimmen sie
genau zu einer vulkanischen Eruption. Die Dampf- und Aschen-
wolke , die des Tags wie eine dunkle Wand über dem Krater
schwebt, gleicht des Nachts einer Feuersäule, erleuchtet durch
den Wiederschein der glühenden Massen im Innern des Berges
(Heerlich S. 215). Daß sie den Israeliten schon aus weiter
Ferne als Wegweiser dient, ist wohl begreiflich und auch heutigen
Vulkanbesuchem gut bekannt. Selbst ihre Loslösung vom Berge,
die hier allerdings in unnatürlicher Weise stark stilisiert ist,
entspricht bis zu einem gewissen Grade vulkanischen Erschei-
nungen. Denn nicht immer hat die Vulkanwolke die rasende
Geschwindigkeit, wie oben geschildert. »Während ... die ver-
derbenbringende Wolke auf Martinique fast in einem Moment
die 71/2 Kilometer vom Vulkanberge entfernte Stadt St. Pierre
erreicht hat und grade deshalb alle lebenden Wesen in der-
selben vernichtet hat, bewegte sich nach der Schilderung des
Plinius die Aschenwolke < des Vesuvs > nur verhältnismäßig
langsam vorwärts, indem sie wie ein sich über die Erde er-
gießender Bergstrom den Fliehenden im Bücken folgte und sich
allmählich über Meer und Land herabsenkte« (Herrlich S. 215).
Trotzdem ist die StiUsierung unverkennbar, wenn die Säule des
Exodus schon am Schilfmeer erscheint und bald vor bald hinter
den Israeliten wandelt (Ex. 14 19).
Ein klares Bild kann man sich nach alledem von der
Sinaikatastrophe nicht mehr machen, weil die Geschichte, so wie
sie uns vorliegt, zu stilisiert ist, weil manche Züge, wie z. B.
das Hinaufsteigen des Mose auf den Berg, schwerlich als wirk-
lich geschehen sich begreifen lassen, weil andere Einzelheiten
verdunkelt sind oder gar fehlen. Von dem Bericht eines Augen-
46 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
zeugen kann demnach nicht gesprochen werden, obwohl die
Farben in anderer Beziehung wieder so lebendig sind, daß man
auf diesen Gedanken verfallen kann, wie mir denn auch ihre
wesentliche Treue von einem Naturwissenschaftler bestätigt wurde.
Ich möchte daher auch glauben, daß dem Buche Exodus, so-
weit es hier in Betracht kommt, ein älteres, uns verlorenes Ge-
dicht vorgelegen hat, das das historische Ereignis besang und
in dem die aufgezeigten disiecta membra der Vulkanerscheinung
noch zu einem Ganzen vereinigt waren. Bei der Übertragung
der Poesie in Prosa — ein Vorgang, wie er z. B. im Bichter-
buche durch einen Vergleich von c. 4 mit 5 studiert werden
kann — und bei der weiteren mündlichen Fortpflanzung der
Erzählung ist dann ihre ursprüngliche Treue und Natur Wahrheit
verwischt worden und zum Teil verloren gegangen.
Diese Hypothese eines geschichtlichen Kerns ist nicht in
die Luft gebaut, sondern stützt sich auf folgende Tatsachen, die
rätselhaft sind und erklärt werden müssen: Erstens ist es eine
in jeder Beziehung auffällige, mehrfach geäußerte Vorstellung
(Ex. 193f. Dtn. 332. Jdc. 5 4), die noch zur Zeit des Elia be-
kannt war (IReg. 198JBF.), daß Jahve, der Gott Kanaans, außer-
halb dieses Landes am »Sinai« wohnt. Sie kann nur verstanden
werden auf grund geschichtlicher Erinnerung: Jahve war von
Hause aus der Gott dieses Berges, erst später ist er zum Gotte
Israels und dadurch zum Gotte Palästinas geworden. Diese
Entwicklung wird beglaubigt durch die Tatsache, daß neben
den Israeliten auch die Qeniter resp. Midianiter Jahveverehrer
gewesen zu sein scheinen. Viele Forscher schließen, wie ich
glaube mit Recht, aus Gen. 4i6, daß das dem (Stamme)
Kain verhehene Zeichen ein kultisches Jahvezeichen gewesen
sei. Israel ist sich bewußt, die Einsetzung eines Richter-
kollegiums nach Ex. 18 von Jethro und vielleicht auch die
Sitte der Beschneidung nach Ex. 4 24ff. von Zippora, der Tochter
Jethros, gelernt zu haben. Und da ein Teil des Volkes Jethros
sich nach Num. 1029ff. am »Sinai« Israel angeschlossen hat, so
haben wir ein Recht, das Heiligtum Jethros, des Oberpriesters
der Midianiter, eben dort zu suchen und zu behaupten, daß der
Berg nicht nur bei den Israeliten, sondern auch bei den Qenitem
als Gottessitz galt und rehgiöse Bedeutung wohl für alle die
Nomaden hatte, die in seiner Nähe umherschweiften.
Der Tag des Vulkans. 47
Zweitens ist es in jeder Beziehung merkwürdig, daß uns
in den Jahvetheophanien , wie wir gesehen haben, eine Eeihe
einzelner Züge entgegentreten, die nur einem vulkanischen Er-
eignis entlehnt sein können, obwohl unseres Wissens Palästina
in historischer Zeit keine Vulkane besessen hat. Das wird be-
stätigt durch den typischen, unanschaulichen Charakter der
Bilder, der sich bis zu einem gewissen Grade auch auf den
Exodusbericht erstreckt. Trotzdem begegnet uns niemals wieder
eine im Großen und Ganzen so frappante Vulkanschilderung
wie hier, obwohl anderswo zerstreute Glieder genügend vor-
handen sind. Daraus folgt, daß Jahve ursprünglich ein außer-
kanaanitischer Gott war, und dazu stimmt die Überlieferung, die
die älteste, die Religion Israels begründende Jahvetheophanie
außerhalb Palästinas am »Sinai« lokalisiert und in die vor-
palästinische Vergangenheit verlegt. Es ist also kein Grund
vorhanden, diese Vulkan-Tradition anzufechten, die in der Escha-
tologie außerdem durch fremdländische Elemente bereichert
sein mag.
Obwohl es bei dieser Annahme begreiflich ist, daß Jahve,
der ursprüngliche Gott des »Sinai«, noch später, als er längst
von diesem Berge losgelöst und nach Palästina übergesiedelt ist,
typisch vulkanische Züge trägt, so ist es drittens doch unver-
ständlich, daß er zum Nationalgotte Israels ward. Was ver-
band ihn mit diesem Volke zu einer unlösbaren Einheit? Wie
kam es, daß er in Israel von Anfang an allein und ausschließ-
lich verehrt w^erden durfte? Um dies zu erklären, muß gewiß
an die Tat eines großen Mannes gedacht werden. Diese exklu-
sive Religion ist nicht von selbst gewachsen, sondern im Geist
eines Einzelnen entstanden und durch ihn der Menge mitgeteilt
worden. Aber seiner Überzeugung und seinem Glauben kann
vom Volke nur dann Gehör und Gefolgschaft gewährt sein, wenn
hinter ihm eine reale und grandiose Offenbarung Jahves grade
zu Gunsten Israels stand. Hätten wir eine Schilderung wie die
des Exodus von der Gotteserscheinung am »Sinai« und vom
Untergang der Ägypter nicht, so müßten wir sie postuheren.
Eine radikale Leugnung der Tradition vermindert nicht, sondern
vermehrt die Eätsel. Mag immerhin eine Stilisierung und
mancherlei Sagenhaftes hinzugekommen sein, darf doch ein ge-
schichtlicher Kern behauptet werden.
48 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Dagegen muß es fraglich bleiben, wo dieser Berg gelegen
hat. Die Tatsache, daß christliche Mönche des vierten Jahr-
hunderts ihn zuerst auf der Sinaihalbinsel gesucht haben , ist
für uns schon um der späten Entstehung willen wertlos. Vulkane
gab es längs der ganzen Ostküste des Roten Meeres von Aden
an, namentlich zwischen Mekka und Medina. Im Gebiet des
alten Edom, wo man jetzt meist den Sinai vermutet, existieren
Vulkankegel (Ritter: Erdkunde XIV 1046; XV 777), von
denen wir leider nicht wissen, wie lange sie tätig gewesen sind.
Eine genauere Identifizierung liegt außerhalb des Rahmens
dieser Untersuchung und muß den Geographen und Geologen
vorbehalten bleibend
1. Vgl. die Karte (geologisch) bei Doughty: Travels in Arabia
deserta. I. Cambridge 1888. — Dennert: Glauben und Wissen II,
S. 298 ff. hat Gune^el den Vorwurf gemacht, er habe eine Hypothese
»ins Blaue hinein« vorgeschlagen. Davon kann weder nach Gunkels
eigenen Belegen noch nach den obigen Ausführungen die Eede sein.
Dennert behauptet, »daß bei den Sinai-Ereignissen die wichtigsten
Kennzeichen eines Vulkanausbruches fehlen«. »Von regelrechtem Vul-
kanismus . . . kann man . . . erst sprechen, wenn ein Aschenregen und
ein Lavastrom festgestellt sind« (S. 302). Das ist insofern falsch, als
ein Lavastrom nicht unbedingt notwendig ist, falls ein Aschenregen
stattgefunden hat (vgl. die Katastrophen, die Pompeji und St. Pierre
vernichtet haben). Aber eine Stilisierung und Lückenhaftigkeit des
Exodusberichtes muß Dennert zugestanden werden. Nach seiner eigenen
Erklärung »kommt man bei den Sinai-Erscheinungen durchaus mit Ge-
witter und Erdbeben aus« (S. 303). Das ist deshalb nicht möglich, weil
das auf einen Berg, den Berg Sinai, beschränkte Erdbeben nicht tekto-
nischer, sondern vulkanischer Natur ist, weil ferner der mit einem
»Schmelzofen« verglichene Berg oder der »brennende Berg« und alle die
anderen oben genannten Dinge ungezwungen nur zu einem Vulkan
passen. Die Forderung, erst den »echten« Sinai aufzufinden und ihn als
einen Vulkan zu erweisen (S. 305), ist ungerechtfertigt. Zunächst genügt
die von ihm selbst konstatierte Tatsache, daß sich »östlich von der
Südspitze der Sinaihalbinsel in etwa 250—300 km Entfernung ....
öde und umfangreiche Lavadecken mit erloschenen Kratern« finden, bei
denen »Ausbrüche in geschichtlicher Zeit nicht mehr nachgewiesen sind.
Immerhin vermutet man von einigen wenigen Kratern Aus-
brüche in historischer Zeit« (S. 306). Die Gunkel unterstellte
Ansicht: »Der schlaue und verschlagene Moses hat den Vulkanausbruch
benutzt, um dem Volk die Erscheinung Jahves vorzugaukeln« (S. 299),
muß mit Entrüstung abgewehrt werden. Wir glauben nur, daß nach
Der Tag des Feuers. 49
Der »Sinai« ist nach alledem der Berg, an den teilweise
die vulkanischen Bilder gehängt sind. Vielleicht aber haben
die Israeliten Vulkane noch in größerer Nähe gehabt. Vul-
kanisch ist der Dscholän und Hauran, das Gebiet am Arnon
und östlich vom Toten Meere. Obwohl es bei den heutigen
Forschern für unwahrscheinlich gilt, daß die Eruptionen dieser
Landschaften in die Zeit des Menschen fallen, so werden doch
die Lavaergüsse, die zum Jordan und zum Toten Meer ab-
flössen, in die spätere Periode des Diluviums gesetzt. Endlich
befindet sich ein alter Krater auf dem dschebel ed-daki^ dessen
Lavaerde sich bis in die Ebene Jesreel erstreckt (Guthe RE»
XIV 586). Wir müssen auf Grund unserer Exegese einen
Vulkan postulieren, an den die geschichtliche Erinnerung Israels
angeknüpft haben muß; Sache der Geologen wird es sein, ihn
nachzuweisen.
§ 8. Die Offenbarung Jahves im Feuer.
Die Dichter wählen verschiedene Bilder, um Jahve als den
Feuergott zu kennzeichnen. Bald lodert das Feuer aus seiner
Nase (Dtn. 3222), bald kommt es aus seinem Munde, während
Rauch aus seiner Nase steigt (Ps. 18 9), bald gleicht seine Zunge
verzehrendem Feuer (Jes. 30 27). Anderswo heißt es: Feuer frißt
rings vor ihm her und rings um ihn stürmt es gewaltig (Ps. 50 s)
oder Feuer geht vor ihm her und beleckt rings seine Schritte'^
(Ps. 973). Jahve hat feurige Ws^g^n und feurige Rosse (II Reg.
2 11. 617) und kommt im Feuer, heimzugeben in Hitze seinen
Zorn und sein Dräuen in Feuerflammen (Jes. 6615). Wie schon
bei Amos (vgl. Isff.) so ist auch bei Zephanja der Tag Jahves
ein Feuertag: Weder ihr Gold noch ihr Silber wird sie retten
am Tage der Wut Jahves, wenn durch das Feuer seines Grimms
die ganze Erde gefressen wird (Zeph. lis. 38).
Während bei Amos nur einzelne Völker und Städte ge-
nannt werden, gegen die Jahve sein Feuer losläßt, während bei
Jesaja nur der Gedanke als populär nachweisbar war, daß Jahve
seine Feinde d. h. Assur durch Feuer und brennenden Schwefel
dem vorliegenden Bericht Jahve sich ebenso im Vulkan wie im Gewitter
und Erdbeben offenbart hat.
1. Lies '<^'\'J'^ Wellhausen,
Forschungen zur Rel. u. Lit. d. A. u. NT. 6. 4
50 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
vernichten werde, so haben wir hier bei Zephanja klar und
deutlich die Idee eines Weltbrandes. Da es allgemein zuge-
standen ist, daß dieser Prophet wenig originell ist, sondern fast
durchaus in den Bahnen Jesajas wandelt, so überrascht die
genannte Anschauung bei ihm um so mehr, als sie bei Jesaja
fehlt. Woher stammt sie? Ist es wahrscheinlich, daß sie dem
unschöpferischen, phantasielosen Geist des Zephanja entsprungen
sei? Man sollte dann wenigstens erwarten, die ungeheuerliche,
zum ersten Mal ausgesprochene Drohung über alle Völker von
Äthiopien bis nach Assur, über die ganze Welt sei hinreichend
motiviert und begründet. Zephanja aber »redet von keinem
positiven Zweck, den das Gericht über die Heiden hatte«
(Smend S. 243). Grade das unvermittelte, abrupte Auftreten
dieser Idee beweist, daß sie für Zephanja selbstverständhch, daß
sie also von ihm nicht geschaffen, sondern übernommen ist. Da
sie sich bei den älteren Propheten nicht findet, so muß sie der
Volkstradition entlehnt sein. Dazu stimmt auch der Vers, mit
dem Zephanja sein Buch eröffiiet: Fortraffen will ich alles von
der Erde; spricht Jahve, fortraffen will ich Menschen und Vieh,
fortraffen die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres.
Dieser letzte Zug von der Ausrottung der Tiere wird durch die
grausige Wut Jahves allein nicht genügend erklärt. Wie reimt
er sich mit der Ansicht, die Propheten hätten ihrem Volke den
Sittenspiegel vorgehalten? Wie reimt er sich ferner mit der
Behauptung, Zephanjas Predigt sei durch den Skythensturm
veranlaßt? Wäre die Schilderung des Propheten im BUck auf
diese Feinde entstanden, so wäre sie ein völliges Eätsel. Denn
man begriffe weder, warum er von Jahves persönlichem Ein-
schreiten statt von den Skythen redet, noch warum er die ganze
Erde und sogar das unvernünftige Vieh nennt, die in ihrer Gesamt-
heit von Menschen überhaupt nicht zu Grunde gerichtet werden
können. Alles wird verständlich, sobald man sich zu der Lö-
sung entschließt, er habe ältere Weissagungen vor sich gehabt,
die ursprünglich von einer Naturkatastrophe handelten und die
von dem Propheten erst künstlich umgedeutet werden mußten.
Diese populäre Anschauung, die zur Zeit des Zephanja beleg-
bar ist, die ihrer ganzen mythischen Art nach aber in viel
frühere Jahrhunderte zurückreichen muß, lehrte einen Unter-
gang der ganzen Erde, der Menschen und der Tiere durch ein ge-
I
Jahve als Lichtgott. 51
waltiges Feuer Jahves. Die Propheten jedoch wandten ihr Augen-
merk vor allem auf Israel und Juda und schoben für die mythi-
schen Schrecken Jahves die historischen Feinde Israels ein.
Wenn Ezechiel und die Juden ein Weltende erwarten ähnlich
wie Zephanja, so ist damit konstatiert, daß in der späteren,
nachexilischen Zeit die ältere, vorprophetische Vorstellung wieder
auftaucht. Durch diese Ausführungen soll ein zweites Dogma
über die Eschatologie umgestoßen werden, das fast allgemein
anerkannt und von Böklen einmal so formuliert ist: »Die
spezielle Idee eines Weltgerichtes, also nicht bloß eines Ge-
richtes über Israel und seine Feinde, sondern über alle Menschen,
die Völker wie die einzelnen Individuen . . . diese Idee ist
allerdings nicht so alt wie die Gerichtsvorstellmig überhaupt,
sondern erst nach dem Exil nachzuweisen. Die ersten Spuren
finden sich bei Joel, Jes. 24 — 27 und im Buche Daniel« (S. 116).
Nur GuNKEL hat den Sachverhalt im Wesentlichen richtig an-
gedeutet (Forschungen I, S. 21 f.).
Eine merkwürdige Beschreibung Jahves entwirft Ezechiel.
Oberhalb der Hüften sieht die Gottheit aus wie Glanzerz i, unter-
halb wie Feuer und Lichtschein (Ez. I27). Aus diesen Worten
dürfte das Eine zweifellos hervorgehen, daß Jahve dadurch als
Feuer- oder Lichtgott charakterisiert werden soll 2. Ebenso
sicher ist, daß der Prophet dieses Bild nicht aus der Luft ge-
griffen hat, sondern wohl durch die Anschauung eines Kult-
bildes dazu angeregt worden ist, sowie die im selben Kapitel ge-
zeichneten Kerube nicht auf bloßer Phantasie beruhen. Auch
wer eine Vision anzunehmen geneigt ist, muß zugeben, daß selbst
in der Ekstase der Geist sich nicht frei machen kann von den
Anschauungsformen, die sich ihm im Leben und wachen Zu-
stande eingeprägt haben, zumal zum Mindesten eine »schrift-
stellernde Reflexion« Ezechiels wahrscheinlich ist. Zwei Fragen
tauchen auf und heischen gebieterisch Antwort: Wie mag das
Kultbild ausgesehen haben, das Ezechiel seiner Manier ent-
sprechend in so wenig plastischer Weise schilderi? Und woher
hatte er es? Wenn die Exegeten meinen, die untere Hälfte strahle
in schwächerem Lichte, »weil sie schicklicher Weise von einem
1. wie Feuer das ringsum ein Gehäuse (n^a) hat, ist mit vielen
Exegeten zu streichen. 2. Vgl. u. § 12.
4*
52 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
den Leib umwallenden Gewände umhüllt war« (Keaetzschmae),
so glaube ich eher das Gegenteil. Denn erstens kann ich mir
nichts Helleres denken als Licht und Feuer, zweitens ist im
Text von einem Kleid keine Rede, es kann auch schwerlich vor-
ausgesetzt sein, da Licht und Feuer durch ein Gewand hindurch
nicht wahrgenommen werden können. Stellt man sich vor,
die Gestalt sei nackt gewesen, so erhebt sich die Schwierigkeit,
wie der untere Teil des Körpers als feurig kenntlich gemacht
sein soll, im Gegensatz zu dem oberen, der wie Glanzerz scheint.
Die einfachste Lösung ist doch wohl die, daß der Oberkörper
in Farben gemalt war, die wie Edelmetall erstrahlten, die Ge-
stalt von den Hüften an aber direkt aus Feuerflammen heraus-
wuchs.
Die Vermutung, der Prophet habe bei seiner Schilderung
ein Jahvebild vor Augen gehabt, ist a limine abzuweisen, da
ein solches, wenn es je existiert hat, zu seiner Zeit längst als
Scheusal verpönt war. Also bleibt nur die Möglichkeit der
Anlehnung an ein babylonisches Kultbild, wie man eine solche
auch bei den Keruben und wie man babylonischen Ursprung ebenso
vom Schreiberengel (Gunkel) behauptet hat. In diesem Falle ist
der Grund von höchstem Interesse, warum Ezechiel unter all den
vielen Bildern babylonischer Götter grade dies für Jahve ausge-
sucht und als passend für ihn erachtet hat. Bewogen haben kann
ihn kaum der Glaube, daß Jahve seinem Grundcharakter nach
ein Feuergott sei, da das schwerlich seinem und dem damaligen
religiösen Bewußtsein überhaupt entsprach, wenn auch diese antike
Anschauung in archaistischen Wendungen und poetischen Schil-
derungen fortlebte. Zutreffender wird es sein, Jahve hier als
Lichtgott aufzufassen, zumal sich über ihm der Regenbogen
wölbt (I28). Fragen wir noch genauer, welche spezielle Gott-
heit das Prototyp des ezechielischen Jahve gewesen sei, so hegt
es am nächsten an Nergal, den Totengott, zu denken, der öfter
als Gott des Feuers mit glühendem Munde (IV R. 2454a) be-
zeichnet wird und als dessen Bilder mit großer WahrscheinHch-
keit die in den Torlaibungen aufgestellten geflügelten Löwen-
kolosse mit Menschenantlitz zu betrachten sind, eben sie, von
denen Ezechiel wohl die Farben für seine Kerubgestalten ent-
lehnt hat.
Als Gott des Lichtes erscheint Jahve erst in Verhältnis-
I
Der Tag des Waldbrandes. 53
mäßig später Zeit (vgl. Jes. 25. 10 17. 60i9f. Ex. 3429ff.i Mch. 7 8.
Ps. 27 1. 36 10), die ältere Zeit sah seine Offenbarung im Feuer,
nicht nur des Berges und unter der Erde, sondern auch im
Brand der Städte (Am. lu. Jer. 1727. 43 12. 4927 u. a.) und der
Wälder. Ich zünde ein Feuer an, spricht Jahve^ in ihrem Walde,
das verzehrt alle ihre Umgebungen (Jer. 21 u). In einer Allegorie
erzählt Ezechiel: Und das Wort Jahves kam zu mir folgender-
maßen: Menschensohn! Richte dein Antlitz gen Süden und
predige wider Mittag und weissage wider den Wald des Süd-
landes und sprich zum Walde des Südlandes: Höre das Wort
Jahves! Also hat der Herr Jahve gesprochen: Fürwahr, ich
zünde ein Feuer in dir an, und es wird fressen in dir jeden
frischen Baum und jeden dürren Baum, Nicht wird verlöschen
die Flammenlohe .... Und alles Fleisch soll sehen, daß ich,
Jahve, sie entzündet habe, die unverlöschliche (Ez. 21 1 — 4).
Auch Zach, lliff. ist ein kleines, für sich stehendes Ge-
dicht: Öffne, Libanon, deine Tore, daß Feuer fresse deine
Zedern! Jammere Zypresse, denn die Zeder ist gefallen, die
ein Majestätischer verwüstet^. Jammert y ihr Basanseichen, denn
gefallen ist der unzugängliche Wald ! Hör, die Hirten jammern,
weil ... .3 verwüstet ist; hör, die Löwen brüllen, weil die Pracht
des Jordans verwüstet ist. Diese Worte, die einen Brand des
Libanonwaldes und überhaupt aller reich bewaldeten Gegenden
Palästinas durch ein Feuer Jahves, des Majestätischen, voraus-
setzen, können mit dem Vorhergehenden nicht in Einklang ge-
bracht werden, da 10 10 gesagt wird, daß die Israeliten heim-
kehren sollen in das Land Gilead und Libanon. Das wäre
nach dem Verbrennen der Zedern schwer möglich. Gewöhn-
lich faßt man die Bäume als ein Bild für die Feinde auf und
verbindet so diese Verse mit den vorangegangenen: »Dem
Triumphe der Israeliten entspricht das Wehgeschrei der heid-
nischen Könige und Völker über ihre Niederlage« (Wellhausen).
Aber diese Auslegung ist sehr fraglich, da eine ganz ähnliche
Stelle notwendig auf Juda bezogen werden muß: Hör, die
Hirten schreien und die Vorsteher der Herde heulen, weil Jahve
1. Über Ex. 3429ff. vgl. u. § 13 Genaueres.
2. Ich lese -r^Jiz "i^-rs i:r?s nach Jes. 10 34. Jer. 2536.
3. sn^nx ist verderbt (Wellhausen). Man erwartet einen Land-
schaftsnamen.
54 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
ihre Weide verwüstet hat und die friedlichen Auen vor der
Zornglut Jahves vernichtet sind (Jer. 2536f.). Wie aus dem
Zusammenhange hervorgeht, wird ein gewaltiger Sturm Jahves
über die palästinischen Triften und sogar über die ganze Welt
einherbrausen und alles zu Grunde richten. Eine dritte, eben-
falls etwas abweichende Parallele bietet Jes. 10 33 f.: Siehe, der
Herr, Jahve der Heere, entästet die Krone durch ein Beil^, und
die hochragenden (Bäume) sind gefällt und die hohen sinken
nieder. Niedergehauen werden die Walddickichte mit dem Eisen
und der Libanon(wald) fällt durch einen Majestätischen. Auch
hier deutet man den Libanonwald ohne zwingenden Grund um
auf das vor Jerusalem rückende Assyrerheer. Daß der Prophet
die Bilder nicht wörtlich gemeint hat, ist wohl mit Recht an-
zunehmen, aber was er sich dabei gedacht hat, können wir heute
nicht mehr entscheiden, da er seiner Allegorie keine Auslegung
beigefügt hat. Immerhin liegt es am nächsten, diesen geographi-
schen Namen Palästinas auch palästinische Personen oder Ver-
hältnisse unterzuschieben. Uns interessiert in dieser Unter-
suchung nur das Bild als solches, das in sich vollkommen klar
ist und zum Verständnis keiner anderweitigen Interpretation
bedarf*. Alle drei Beispiele lehren uns, daß man eine eschato-
logische Verwüstung der Wälder und Auen durch einen Maje-
stätischen, durch Jahve, erwartete. Diese Idee verwirklicht sich
nach den verschiedenen Anschauungen bald durch ein Feuer
bald durch einen Sturm bald durch eine Axt Jahves.
Endlich ist noch Jes. lOieff. zu nennen, wo das Bild vom
Waldfeuer Jahves in wenig plastischer Weise verschmolzen ist
mit einem anderen, das etwa von dem langsam den Menschen
verzehrenden Glutfieber hergenommen ist: Darum entsendet der
Herr, Jahve der Heere, in sein Fett die Darre, und unter seiner
Leber ^ entbrennt ein Brand wie Feuerbrand, und es wird sein,
wie wenn ein Siecher dahinsiecht. Und das Licht Israels wird
zum Feuer und sein Heiliger zur Flamme, und sie verbrennt
und frißt seine Dornen und Disteln an einem Tage. Und seinen
mächtigen Wald und sein Fruchtland vertilgt er völlig. Und der
1. nsytta (Duhm). Vielleicht ist nzsnya (= Erdbeben oder Sturm)
zu halten; vgl. Jes. 2 19. 21.
2. Lies 'inas und stelle V. 18 b um (nach einer schriftlichen Mit-
teilung GUNKELS).
Jahve als Baumgott. 55
Rest seiner Waldbäume wird gering sein und ein Knabe schriebe
sie auf. Man wird nach alledem nicht leugnen können, daß
der Israelit auch im Waldbrand eine Offenbarung Jahves sah.
Vielleicht wird man dem gegenüber auf den Baumkultus
aufmerksam machen und es für schwierig halten, daß nach dem
Glauben des Volkes Bäume Jahves (Ps. 104 le) durch die Gott-
heit selbst angezündet werden. In der Tat gab es heihge
Bäume. Genannt werden vor allem Eichen und Terebinthen
(V^N, lib«, nbN Gen. 126. 18i. 354. 8. Jdc. 6ii. Qs?), daneben
Tamarisken (bu3N Gen. 2133. I Sam. 226. 31 13), Palmen (iTah
Jdc. 45), Bakasträucher (n52 II Sam. 524) und die göttlichen
Zedern (bN""'T"}fi< Ps. 80 11). Ebenso galten ganze Waldungen
als heilig wie der »Hain von Mamre«, und vielleicht auch
Karmel, Libanon und Basan. Zu beachten ist aber, wie all-
gemein zugestanden wird, daß die einwandernden Hebräer eine
Reihe heiliger Bäume von den Kanaanitern übernommen und
von einem anderen Gott auf Jahve übertragen haben. Namen
altkanaanitischer Baumgottheiten erfahren wir nicht mehr. Sie
sind vollständig durch Jahve verdrängt und wohl für immer
verschollen. Aus den Genesiserzählungen kann nur rück-
schließend vermutet werden, daß sie einst eine große Bolle ge-
spielt haben müssen. Die Identifikation Jahves mit den über-
heferten Baumgöttern ist natürlich nicht mit einem Male, son-
dern allmählich im Laufe der Zeit und vielleicht nicht in allen
Kreisen des Volkes zugleich, sondern nur in einem Teile vor
sich gegangen. So konnte sich wohl die Vorstellung bilden,
daß Jahve die göttlichen Zedern in Brand steckt, zu einer Zeit,
wo diese Bäume noch nicht sein Attribut geworden waren.
Vielleicht auch sollte durch diese Tatsache der Gedanke zum
Ausdruck gebracht werden, daß Jahve in seinem gewaltigen
Grimm nichts Heiliges kennt. Wenn er zürnt, schont er nicht
einmal sein Eigentum. So wenig Israel, sein Erstgeborener,
dem grausigen und verderbHcJie'n Wüten seines Gottes entgehen
kann, so wenig entrinnen die Bäume, und wären es selbst heihge
Zedern, der allgemeinen Vernichtung. Jedenfalls lernen wir
aus diesen Anschauungen die volkstümliche Religion kennen.
Wenn eine imposante Feuersbrunst entstand, sei es im Walde,
sei es wo anders, so sagte man: das hat Jahve getan in seinem
56 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Zorn. Voraussetzung ist natürhch, daß man die wirkliche Ur-
sache nicht wußte.
Jahve war schon Baumgott, ehe er nach Palästina kam.
Sein heihger Strauch war der Dornbusch. Nach Dtn. 33 le
wohnte Jahve im Dornbusch, und nach Ex. 32 erlebte Mose
eine Jahvetheophanie in einer Feuerflamme, die aus dem Dorn-
busch hervorschlug, ohne ihn zu verzehren. Bei der Singularität
dieser Idee, die nur noch als unverstandenes Überbleibsel dunkel
in die Erinnerung hineinragt, können wir eine sichere Erklärung
nicht ausmachen. Das Folgende kann darum nur den An-
spruch erheben, ein Versuch zu sein. Es ist längst bemerkt
und von Wellhausen wieder aufs neue betont worden, daß die
Namen des Berges (''3"'D) und des Dornbusches (riDp) im letzten
Grunde identisch sind, mit anderen Worten, daß der Sinai »der
mit Domen Bewachsene« heißt. Trifft das zu, so wäre der
Dombusch dem Jahve deshalb geweiht gewesen, weil er auf
dem Berge steht, wo die Gottheit wohnt, genau so wie die
Preißelbeere der Vulkangöttin Pele heilig ist, weil sie für ihren
Berg, den Kilaueagipfel Hawaiis, charakteristisch ist (Meyer
S. 55). Diese einfache Lösung des Eätsels würde nur dann
unmöglich sein, wenn die Voraussetzung nicht richtig ist, wenn
riDO und ■«:"»D ursprünghch nichts mit einander zu tun haben,
sondern nur durch die Volksetymologie miteinander verbunden
sind. An sich wäre ebenso gut denkbar, daß ■'3"'0 »der Berg
des (babylonischen) Mondgottes Sin« bedeutet (vgl. iaD mit dem
Gotte Nabu). Dann müßte der Dornbusch auf anderem Wege
zum Attribut Jahves geworden sein. Gbill (Die Erzväter. 1875.
S. 181 ff.) hat nachzuweisen gesucht, daß dieser Strauch das
Bild des himmlischen Feuers gewesen sei. Es braucht nicht
gerade das himmlische, sondern kann überhaupt das Feuer
sein, das durch den Dorn symbolisiert wird. Denn die leichte
Entzündbarkeit ist in der Tat das spezifische Charakteristikum
dieses Stachelgewächses, wie aus vielen Beispielen hervorgeht,
in denen es das schnelle Umsichgreifen der Feuerlohe veran-
schaulicht (Ex. 225. Jdc.9i5.i Jes. 9i7. 10i7.274. 33 12. PS.II812).
1. In dieser köstlichen Parabel wird der Dornbusch mit feiner
Ironie verächtlich gemacht. Welche Frucht hat dieser Wüstenstrauch
aufzuweisen, die Götter und Menschen erfreut? Kann er sich messen
mit dem Ölbaum, der Feige und dem Weinstock? Wohl lädt er die
Jahve als Baumgott. 57
So war es vor allem geeignet, das Attribut Jahves, des Feuer-
gottes, zu werdend
Endlich bedarf noch die Tatsache der Erklärung, warum
der Busch in der Sinaitheophanie nicht verbrennt. Nielsen
(S. 134 f.), meint, Ex. 82 schildere das Eäucheropfer einer dor-
nigen Pflanze aus der Kassia-Art (n3o), die in Lederkapseln
gewickelt sei. »Leder verbrennt bekanntlich sehr langsam«.
Aber unser Bericht erzählt weder von einem Räucheropfer noch
vom Leder noch vom langsamen Verbrennen. Wir werden diesen
am besten verstehen, wenn wir analoge Geschichten heranziehen.
»Dieselbe Erscheinung wurde nach Julius Afeikanus^ und
EusTHATius^ bei der Terebinthe zu Mamre gesehen. Der ganze
Baum schien in Flammen zu stehen; sobald aber das Feuer
verschwand, stand er wiederum unversehrt da«^. »Ebenso
glaubte man, daß auf den Zweigen des heiligen Ölbaumes
zwischen den ambrosischen Felsen bei Tyrus Feuer erscheine,
ohne ihr Laub zu versengen« s. Robertson Smith hält wohl
mit Recht elektrische Phänomene für die physikalische Grund-
lage dieser Vorstellungen.
Um das Bild von Jahve als dem Feuergott vollständig zu
gestalten, ist endlich noch hinzuzufügen, daß er auch im Opfer-
TJntertaDen ein, sich in seinem Schatten zu bergen, aber seit wann
werfen Dornen einen Schatten, seit wann bieten sie schützende Zuflucht
vor Sonnenglut und Wetterguß ? Und wie lächerlich! Die hohe Zeder
unter den dürftigen Zweigen dieses niedrigen Busches! dessen, der
nichts weiter kann, als ein Feuer entzünden, um die wundervollen und
stattlichen Bäume zu verbrennen, die unsere ganze Freude sind. Aber
freilich grade darum ist er vorzüglich geeignet, den König zu spielen.
Wozu sich kein anständiger Baum hergibt, weil seine Früchte ihm
kostbarer dünken als das Schweben über den Anderen, dazu ist dieser
Wüstenstrauch grade gut genug. Denn nur solche Lumpe werden
König! — Die Parabel paßt ausgezeichnet in den überlieferten Zu-
sammenhang. Jotham verhöhnt den Abimelech, der sich zum König
krönen läßt und die Sichemiten, die seiner wert sind!
1. Beachtenswert ist, daß das arabische Äquivalent für rt30 LLm.
nicht nur die »Sennapflanze«, sondern auch den »Glanz« des Blitzes
bedeutet (z. B. Kamil 534, 14).
2. Georgius Syncellus ed. Bonn. S. 202.
3. Keland: Antiq. hebr. S. 712. 4. Kob. Smith: Kel. S. 148.
5. Ebd. S. 147 f. Smith verweist auf Achilles Tatius II 14; Non-
nus 40, 474; die Abbildung bei Pietschmann: Die Phönizier S. 295.
58 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
feuer erscheint. Als die Flamme vom Altar gen Himmel stieg^
fuhr der Engel Jahves (mn"" "jn^ts d. h. ursprünghch einmal
mn^) zum Himmel auf (Jdc. 13 20 vgl. 621). Gewöhnlich fällt
umgekehrt das Feuer von Jahve d. h. vom Himmel herab und
verzehrt das Brandopfer (Lev. 924. I Reg. 18 38. I Chr. 2126.
II Chr. 7i). Ganz stilisiert ist das Bild in Gen. 15 17: Als die
Sonne untergegangen und dichte Finsternis eingetreten war, kam
Bauch wie aus einem Ofen und eine Feuer fackel, die zwischen
jenen Opferstücken hindurchging. Nach den analogen Beispielen
dürfen wir annehmen, daß auch hier Jahve sich offenbart, ob-
wohl er nicht genannt ist. Brandopfer sind durchaus nichts
Selbstverständhches , in Arabien sind sie ganz ungewÖhnHch
("Wellhaüsen: Skizzen III, 113) und im älteren Israel »außer-
ordentiich oder mythisch« (Wellhausen: Prolegomena^ 70). Ihre
Darbringung ist fast stets mit einer Theophanie verbunden.
§ 9. Die Offenbarung Jahves im Gewitter.
Von Gall: Die Herrlichkeit Gottes. Gießen 1900.
Die Offenbarung Jahves im Gewitter ist mit Absicht an
den Schluß geschoben worden, um die Behauptung Smends, die
von vielen anderen unterschrieben ist, ins rechte Licht zu rücken :
»Jahve erscheint so regelmäßig im Gewitter, daß man ihn für
einen ursprünglichen Gewittergott halten möchte« (S. 23 f.).
Davon kann nach der in den vorigen Paragraphen aufgestellten
Übersicht schlechterdings keine Rede sein. Mit I Heg. 19 läßt
sich die Gesamtheit der verderblichen Naturereignisse, in denen
man das Walten der Gottheit vornehmlich erblickte, in die drei
Worte: Erdbeben, Sturm und Feuer, zusammenfassen. Denn
auch der Gewittergott ist nur eine spezielle Abart des Feuer-
gottes. Wohl reizte der Donner die Phantasie, der hoch droben
grollt und brüllt, daß man sein eigen Wort nicht versteht, wohl
weckten die Wolkenbrüche, Pegen- und Hagelschauer das
Staunen, die die dürftigen Rinnsale in überschwemmende Ströme
verwandeln, aber das gewaltigste, imposanteste, immer wieder
neue Wunder war doch der Blitz, der vom Himmel her-
niederfährt, man weiß nicht woher noch wohin, das zuckende
Flammenmeer, das den Horizont überflutet, der schier un-
erschöpfhche Vorrat an Feuer. Auch die Israeliten dachten
Der Tag des Gewitters. 59
sich wohl himmlische Kammern, in denen das Feuer auf-
bewahrt wird. Wir haben ja schon des Öfteren gesehen^
daß des Berges (Ex. 19 is), der Erde (Gen. 1924) und de&
Brandopfers Flammenlohe als himmhschen Ursprungs betrachtet
wird. Das Gottesfeuer (o'inbN mjn), das nach Job. lie vom
Himmel fällt, um 7000 Schafe mitsamt den Hirten zu ver-
nichten, braucht nicht grade als Blitz aufgefaßt zu werden, ob-
wohl dieser vielleicht denselben mythischen Namen Gottesfeuer
führte.
Die Blitze gelten als Pfeile, von dem Bogen Jahves ab-
geschossen. So heißt es Hab. 3ii: Der Mond blieb in seiner
Wohnung vor dem Licht deiner Pfeile; Ps. 18 is (= IlSam. 22 15):
Und er warf Pfeile und zerstreute sie, er blitzte Blitze und ver-
wirrte sie; Ps. 77i8f.: Die Wolken erdonnerten und es fuhren
einher deine Pfeile. Dein Donner erschallte im Wirbelwind^
Blitze erleuchteten den Erdkreis. Und Gen. 9i3fF. (vgl. Hab. 89)
ist von Jahves Bogen die Rede, den er nach beendigter
Schlacht in die Wolken gestellt hat. Auch hier liegt eine
Naturerscheinung zu Grunde, da ohne Zweifel der Regenbogen
gemeint ist (vgl. Ez. I28. Sir. 43 11). Im Gewitter hörte und
sah man den Kampf des Gottes mit bösen Dämonen, wie ihn
bekanntlich die Phantasie vieler Völker sich ausgemalt hat.
Nahe verwandt mit dieser Anschauung ist eine andere, die
die Blitze nicht als Pfeile, sondern als Speere bezeichnete. Beide
stehen nebeneinander Hab. 3 11: Vor dem Licht deiner Pfeile^,
die da flogen, vor dem Glanz deiner blitzenden Speere. Unter-
schieden sind sie darin, daß ein Speer nicht mit dem Bogen
geschossen, sondern mit dem Arme geschwungen wird. So er-
klärt sich Jes. 30 30: Und hören läßtJahve seinen hehren Donner,
und die Senkung seines Armes läßt er sehen mit grimmigem
Zorn und der Lohe fressenden Feuers^ mit Sturm und Wetter-
guß und Hagelstein. Nach dem Parallelismus erwartet man^
daß neben dem Donner der Blitz genannt werde, und darum
haben wir ein Recht, bei der Lohe fressenden Feuers vornehm-
lich an ihn zu denken. Wenn der Gott den Arm aufhebt, holt
er aus zum drohenden Wurf, wenn er ihn senkt, ist der Speer
geschleudert und der Blitz saust durch die Lüfte. Übrigens
wird nicht nur der Blitz geschwungen (pi-idh Sir. 462), »hinter
dem als der Waife der innere Sinn den göttlichen Arm sieht«
60 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
(DuHM), sondern, wie der Prophet hinzusetzt, auch Regentropfen
und Hagelkörner, die kleinen Steinen gleichen. Etwas prosai-
scher drückt die Sap. Sal. 52if. dasselbe so aus: Ausfahren
werden wohlgezielte Geschosse der Blitze und wie vom ivohl-
gerundeten Bogen der Wolken werden sie zum Ziele fliegen.
Und aus einer Steinschleuder werden grimmerfüllte Hagelkörner
geschleudert werden. Dasselbe soll wohl auch Jes. 3032 be-
sagen: Mit den Waffen^ der Schwingung (nsiin) bekämpft er
sie, d.. h. mit seinen himmhschen Pfeilen, Speeren, Steinen ver-
nichtet er sie^. Damit wird man endlich V. 28 kombinieren
dürfen: Siehe, Jahves Name kommt von ferne (V. 27), um zu
schwingen < wider die > Völker^ mit der Unheilsschwinge (seil,
seines Armes), mit . . . .* wider die Backen der Nationen.
Wie in vielen anderen Dingen so vernahm man auch im
Donner die Stimme Jahves, und Ps. 29 vor allem feiert die
Herrhchkeit des mJT' h^p^. Gleich der Musik, die den Truppen
voranzieht, donnert Jahve vor seinem Heere her (Joel 2ii). Er
brüllt (Am. I2. Hos. 11 10. Jo. 4i6. Jer. 25 30. Job. 374) wie ein
Löwe, er jauchzt wie die Keltertreter (Jer. 25 30). Mitunter
scheint es, als seien die Musikinstrumente sogar metonymisch
für das Krachen, sei es des Gewitters, des Sturms oder des
Erdbebens, eingetreten. So in der Sinaitheophanie : Donner und
Blitze brachen los ... . und es erscholl starkes Geschmetter von
Trompeten .... und der ganze Berg erbebte stark und das
1. ri^r:^^ wie Ps. 764.
2. Dieser Sinn wird durch den Zusammenhanja: gefordert (vgl. V. 30)
und ist aus der Idee der Sache wohl verständlich. Er liegt überdies
viel näher als das weithergeholte »Schwingen der Weihegaben« (Kittel),
das vielleicht auch beim »Bannen der Kriegsbeute« (Duhm) eine Kolle
spielte. Noch weniger geht es an, bei dem Schwingen in V. 32 ein
anderes Bild anzunehmen als bei dem Schwingen, von dem V. 28 redet.
Denn dies, meint man, gehe zurück auf das Schütteln des Korns im
Siebe. Und dann, welch sonderbarer Ausdruck! Man redet wohl von
einem »Kornsieb«, aber schwerlich von einem »Spreusieb«. Hier in der
Hand Gottes gedacht, wäre es zu einer »Schwinge des Nichtigen« oder
zu einer »Unheilswanne« geworden. Viel einfacher scheint mir die
oben versuchte Ableitung.
3. Lies a-'ijr! hy entsprechend dem parallelen hy.
4. rtyr»3 loi ist verderbt und verstehe ich ebensowenig wie Duhm.
Ich vermute einen Parallelausdruck zu nss s-^r.
5. Vgl. KÖBERLE S. 131 f.
Der Tag der Posaune. 61
Schmettern der Trompeten wurde immer stärker (Ex. 19i6fF.),
Daß es sich um die dichterische Beschreibung einer Natur-
erscheinung oder um eine mythische Vorstellung^, nicht um
menschhche Musik handelt, geht besonders klar aus Ex. 20 is
hervor, wo die Stellung der Worte charakteristischer Weise so
lautet: Donnerschläge und Blitze, Trompetengeschmetter und
rauchender Berg. Es wäre falsch, wollte man den wie Drom-
metenton klingenden Donner als eine exakte naturwissenschaft-
liche Schilderung auffassen und etwa im Anschluß an Ebers, wie
es bei Dillmann geschieht, auf den Wiederhall hinweisen, den ein
Gewitter in den Sinaibergen hervorruft. Hier muß vielmehr die
schöpferische Kraft des Dichters mit in Anschlag gebracht werden,
der wohl an ein Naturereignis anknüpft, aber in der Phantasie
darüber hinausgeht. Hörte man ein Rollen und Grollen in der
Luft und auf dem Berge, so sagte man: Jahve stößt in die
Posaune. Dann wird Jahve über ihnen erscheinen, und sein
Pfeil wird dem Blitze gleich ausgehen, und der Herr Jahve
wird in die Posaune stoßen und in den Stürmen des Südens
einherfahren (Zach. 9i4). Es ist möglich, daß die Posaune hier
schon losgelöst ist von der Naturanschauung und zu einem
bloßen Attribut Jahves als des Kriegsgottes geworden ist.
Man muß sich jedenfalls hüten, überall und an allen Stellen
hinter dieser mythologischen Größe ein q)aLv6f.ievov zu vermuten.
AVenn es Jes. 3032 heißt: Mit Pauken und mit Zithern^ und
mit Schleuderwaffen bekämpft er sie, so darf zum Verständnis
dieser Worte an Ex. 20 lo erinnert werden: Und sie sprachen
zu Mose: Rede du mit uns, dann wollen wir hören, aber Gott
soll nicht zu uns reden, damit wir nicht sterben. Das Hören
der göttlichen Stimme bringt also den Tod (vgl. Dtn. 621), und
darum können die göttlichen Instrumente direkt als tödliche
Waffen bezeichnet sein, ohne daß man die Idee des »Donner-
keils« zur Hülfe heranzuziehen braucht. In der spätjüdischen
Apokalyptik hat die Posaune Gottes grade entgegengesetzten
Sinn. Durch ihren ohrenbetäubenden Lärm vernichtet sie nicht
die Menschen, sondern weckt sie auf: Sowie der Ruf ergeht, die
1. Vgl. 0. S. 44 die Parallele!
2. Wenn man cera mit dem Folgenden verbindet, so darf das
dreimal hinter einander stehende 3 nicht verschieden aufgefaßt werden.
62 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Stimme des Erzengels erschallt und die Posaune Gottes ertönt,
wird der Herr selbst vom Himmel herabsteigen und werden die
Toten in Christo auferstehen (I Thess. 4i6). Auch Ps. Sal. 11 1
soll die Lärmposaune Jerusalem aus der Lethargie aufrütteln,
daß es den Zurückkehrenden entgegenschaue (Volz S. 310).
Vom Gewitter sind unabtrennbar der Gewittersturm und
der Gewitterregen, die ebenso als Vernichtungsmittel in der
Hand Jahves dienen, wie Feuer, Schwefel und Glutwind der
Becherteil d. h. das Los der Gottlosen sind (Ps. lle). Siehe,
wegschivemmenden Platzregen will ich senden, Hagelsteine sollen
fallen und eine Windsbraut soll losbrechen^ (Ez. 13 ii). Beim
Untergang Gogs finden wir alle Gottesschrecken neben ein-
ander genannt: Ich will mit ihm rechten durch Pest und Blut-
vergießen, durch hinwegschwemmenden Regen und Hagelsteine;
Feuer und Schwefel will ich regnen lassen über ihn, seine Kriegs-
scharen und die vielen Völker, die mit ihm sind (Ez. 3822). So
sind denn auch die Jahvetheophanien der Vergangenheit, nament-
lich die des Sinai, mit entsprechenden Zügen ausgestattet : Jahre,
als du auszogst aus Seir, einhertratest vom Gefilde Edoms, da
hebte die Erde, es troffen die Himmel, es troffen die Wolken
von Wasser, Berge wankten vor Jahve (Jdc. 54f. vgl. Ps. 68 sf.
77 18. Hab. 3 10 nach Nowack). Daneben aber wußte das Volk
noch von mancher historischen Offenbarung Jahves im Gewitter-
sturm zu Gunsten Israels zu erzählen.
Die meisten Geschichten sind lokalisiert in der Jesreelebene.
Der Kison oder nähr el-mukattd überschwemmt in der Regen-
zeit fast die ganze Ebene, »die daher auch nur an den höher
gelegenen Rändern besiedelt ist, in der Mitte und an den
Wasserbetten stark morastigen Boden hat. Streitwagen und
Reitern kann die Umgebung des Kison daher leicht gefährlich
werden, namentlich nach einem starken Regen« (Guthe). Li
der Schlacht am Tabor, 16. April 1799, sollen viele Araber
von den Fluten verschlungen sein. Schon das Deboralied singt
davon, wie die Könige Kanaans zu Taanach an den Wassern
Megiddos vom Kisonbach fortgerissen wurden (Jdc. 5 21). Wie
wir aus Ps. 83ioJä'. erfahren, war dieser Fluß nicht nur in dem
.Sisera-, sondern auch in dem Jabinkampfe und in den Midia-
1. Vgl. die Kommentare von Bertholet und Kraetzschmar.
Der Tag des Gewitterregens. 63
niterkriegen von entscheidender Bedeutung: Tue ihnen wie
Midian, tvie Sisera, wie Jahin am Bache Kison. Sie wurden
vertilgt bei Endor, wurden Dünger für das Feld. Mache ihre
Edlen tvie Oreh und Seeb und wie Seba und Zalmuna alle ihre
Fürsten Mein Gott, mach sie wie Wirbelstaub, wie
Stoppeln vor dem Winde. Wie Feuer, das den Wald an-
zündet, wie die Flamme, die Berge verbrennt, so verfolge du sie
mit deinem Sturmwind und schrecke sie mit deiner Windsbraut.
Dem Dichter dieses Psalmes haben noch mythologischer gefärbte
Berichte vorgelegen , als sie uns im Alten Testamente — ab-
gesehen von Jdc. 5 — aufbewahrt sind (vgl. Jos. 11. Jdc. 4 f.
7 f.), Berichte, in denen ein machtvolles Eingreifen Jahves zu
Gunsten seines Volkes erzählt und wohl eine verheerende Über-
flutung des durch Gewittersturm geschwollenen Kisonbaches ge-
schildert wurde.
In dem hochmythologischen Psalm Hab. c. 3 lesen wir,
wie Jahve von Teman und vom Gebirge Parans her (33) seinem
Gesalbten zu Hülfe eilt, um dessen Feinde zu zerschmettern. Da-
bei wird beschrieben, wie er zu diesem Zweck über die Wasser
stürmt. Als er seine Eosse über das Meer trieb, schäumten die
Wogen (3 15) und die Tiefe brüllte (3io). Fast scheint es, als
sei der Gott auf die Fluten ergrimmt, als richte sich gegen die
Fluten sein Zorn, da er darauf herfährt mit seinem siegreichen
Wagen (38). Und doch, »wenn Jahve von Paran her nach
Palästina zum Gerichte kommt, berührt er das Meer nicht«
(Gunkel: Schöpfung S. 105). In dieser Theophanie sind typische
Züge verwandt, ohne Rücksicht auf die Geographie ; sie stammen
so, wie sie hier vorliegen, aus dem tehom-Mythus. Dort sind sie
eingedrungen und haben sein Kolorit spezifisch palästinisch ge-
färbt. Mit dem genannten Mythus verbunden, sind sie dann in
die Endzeit übertragen. Ursprünglich sind sie zwar der Natur-
anschauung der Gegenwart entnommen, vergröbert und ver-
größert worden, um in die kosmischen Verhältnisse hineinzu-
passen. Aber die Farben zu diesem Bilde hat trotz der (edo-
mitischen!) Ortsnamen schwerlich Palästina geliefert, da hier die
Sturmflut des Meeres geschildert wird.
Die einherßutende Geißel, unter der wir vielleicht Jes. IO26
den Kisonbach verstehen müssen, begegnet uns noch einmal
Jes. 28 15 in Verbindung mit einer anderen Gegend. Und wegfegen
64 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
wird der Hagel die Zuflucht^ und Wasser das Versteck fort-
schwemmen .... Wenn die flutende Geißel daherfährt, sollt ihr
von ihr vernichtet werden .... Denn zu kurz ist das Bett sich
zu strecken, und die Decke zu schmal für das Einhüllen. Denn
wie zu Har Perazim wird aufstehen Jahve, wie im Giheonstal toben,
zu tun seine Tat — fremd seine Tat, und zu wirken sein Werkj
— wildfremd sein Werk (Jes. 28 17). Der Prophet verkündet
hier einen Gewittersturm, durch dessen Regensturz der Fluß an-
schwillt, sodaß sein Bett zu kurz wird sich zu strecken und
seine Decke zu schmal für das Einhüllen''^, wie es einst in der
Davidzeit geschah. Nach II Sam. 024 war Jahve damals im
Sturm durch die Wipfel der Bakasträucher gerauscht, um vor
dem Heere auszuziehen und eine Niederlage unter den Philistern
anzurichten. Aus unserer Stelle entnehmen wir, daß er durch
eine Überschwemmung die Vernichtung der Feinde bewirkte.
Eine Erinnerung daran hat II Sam. 620 bew^ahrt, wenn dort
Baal Perazim {= Har Perazim) erklärt wird durch den Satz:
Jahve hat meine Feinde vor mir her durchbrochen wie bei einem
Wasser durchbruch. Der Ort ist heute unbekannt. Vielleicht
ist an den wädi es-sarär zu denken (Guthe), dessen Fort-
setzung der tiefe, mit Binsen und Rohrpflanzen umrahmte nähr
rübtn bildet.
Wenn Jesaja an dieser Stelle einen Untergang Jerusalems
durch einen göttlichen Gewitterregen erwartet, so ist diese Vor-
stellung der populären Mythologie entlehnt. Denn es ist von
der höchsten Wichtigkeit und von rätselhafter Auffälligkeit, ob-
wohl es noch kein Exeget betont hat, daß in diesem ganzen Ab-
schnitt (28 14 — 22) mit keinem Wort an die Assyrer erinnert wird.
Der Einzige, der handelt, ist Jahve. Sein wildfremdes Werk
ist das Thema der Rede. Die Verse erzählen nur von dem
Tun Jahves und daher enthalten sie einen Mythus. Es ist ja
wahrscheinlich, daß der Prophet geglaubt hat, Jahve werde
»Untergang und Entscheidung« durch das alles überflutende
Heer der Assyrer herbeiführen; beweisen läßt sich das nicht,
da keine Anspielung, kein Wort darauf hindeutet. Was Jesaja
schildert, ist eine durch Jahves Gewittersturm verursachte Über-
1. Streiche sts mit Duhm.
2. Das Bild vom Menschen ist auf den Fluß übertragen.
t
Der Tag der Überschwemmung. 65
schwemmung, und man begreift zunächst nicht, wie er dazu
kam, wenn er die Assyrergefahr allein im Auge hatte. Die
Form , in die er seine Weissagung kleidet, wird erst verständ-
Hch, sobald man sie für überliefert hält. Sie ist ihrer ganzen
mythischen Art nach volkstümlichen Ursprungs. Wir kon-
statieren also, daß zur Zeit Jesajas in Israel die Meinung ver-
breitet war, eine künftige, eschatologische Flut werde die Ver-
nichtung bringen. Da die Männer, gegen die der Prophet
polemisiert, fest überzeugt sind, Jerusalem werde von ihr ver-
schont bleiben, so folgt daraus, daß es sich um eine Weltflut?
um eine Sintflut handelt. Denn sie können unmöglich erwartet
haben, daß ein beliebig kleiner Bach ein winziges Stück Pa-
lästinas unter Wasser setzen und Jerusalem unbehelligt lassen
werde, weil es einige Meter höher lag. Damit ist eine eschato-
logische Sintfiutidee ausdrücklich als populär erwiesen. Die
Farben, mit denen die kommende Katastrophe gemalt war, sind
spezifisch palästinisch. Wir sehen auch hier wieder, daß die
Eschatologie älter ist als die Prophetie, daß diese von jener
lebt, und nicht umgekehrt, wie es — mit Ausnahme Gunkels —
die allgemein wissenschaftlich anerkannte Theorie lehrt. Jesaja
unterscheidet sich von dem Volksglauben nur dadurch, daß er
im Gegensatz zu ihm betont, auch Jerusalem wird der Hagel
wegfegen und das Wasser fortschwemmen. Den Sinn dieser
Stelle versteht man nur dann, wenn man sie zunächst wörtlich
auffaßt und nicht allegorisiert, wie es die Exegeten tun. Hinter
dem Wortsinn schlummert allerdings das prophetische Geheimnis,
das eine halbwegs politische Erfüllung der in den Naturschleier
gehüllten Weissagung ahnen läßt.
Ganz anders ist es Jes. 282, wo das Kecht zur Allegorese
durch den vom Propheten selbst gekennzeichneten Vergleich
gegeben ist: Siehe^ einen Mächtigen und Starken hat der Herr,
wie Hagelwetterguß und Seuchensturm, wie Wetterguß gewaltiger,
überflutender Wasser, der niederstreckt zur Erde mit der Hand.
Hier sind Hagel, Regen, Sturm und Überschwemmung nur
Bilder für das Assyrerheer. Ebenso ist es Jes. 17i2ff.: Ha,
ein Brausen vieler Völker, die wie das Brausen des Meeres
brausen, und Tosen starker'^ Nationen, die wie das Tosen vieler
1. Die Stellung dieses Wortes mit den LXX.
Forschungen zur ßeJ. u. Lit. d. A. a. NT. 6.
66 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Wasser tosenK Er bedroht es, daß es flieht in die Weite und zer-
streut wird wie Spreu der Berge vor dem Winde und wie Wirbel-
staub vor der Windsbraut. Zur Zeit des Abends: siehe da, Schrecken,
bevor der Morgen kommt, ist es dahin. Bas ist das Teil unserer
Plünderer und das Los unserer Räuber. Diese Stelle erinnert
an die vorhergehenden, da auch hier Völker verghchen werden
mit dem überschwemmenden Meere, obwohl der Unterschied
nicht zu verkennen ist. Während sonst Jahve hinter Assur
steht und ihn zum Gewittersturm für Israel macht, so vertreibt
er hier umgekehrt die Völker und verjagt die Wasser.
Wie sind diese Bilder, die von einer Naturerscheinung auf
Menschen übertragen sind, zu erklären? Es würde an sich,
wenn wir nur diese Bilder hätten, durchaus genügen, eine
dichterische Konzeption der Propheten anzunehmen. Aber wir
waren oben zu konstatieren gezwungen, daß es sich in Jes. 28 uff.
nicht um eine Allegorie, sondern um die Beschreibung einer wirk-
lichen, in Zukunft eintretenden Flut mythischer Art handelt,
wie sie nach dem Volksglauben erwartet wurde. Wenn uns
hier dieselbe Vorstellung begegnet, in das Gewand des dichteri-
schen Vergleiches gehüllt, so muß für diese bildliche Anschauung
späterer Ursprung vermutet werden, zumal sie so ganz in den
prophetischen Gedankenkreis hineinpaßt. Dazu stimmt die ge-
schichtliche Entwicklung der Eschatologie überhaupt, soweit wir
sie bis jetzt kennen gelernt haben. Wir sahen, daß in vor-
prophetischer Zeit eine feste, jedermann geläufige Theorie be-
stand, die Welt werde untergehen durch Erdbeben, Sturm,
Feuer oder Flut Jahves. Die Propheten betonten vor allem,
daß Israel durch Jahve zu Grunde gehen solle, während das
Volk an eine Rettung glaubte. Aber an die Stelle der mythi-
schen Schrecken Jahves schiebt sich durch die Prophetie mehr
und mehr die durch Jahve veranlaß te historische Assyrer-
gefahr, und — daraus erkennt man das gewaltige sittliche Pathos
der Propheten — die »wildfremde Tat«, daß sie Jahve selbst
an der Spitze fremder Nationen gegen sein eigenes Volk zu
Felde ziehen lassen. Von jetzt an beginnt die in den prophe-
tischen Büchern ständige Inkonzinnität zwischen den mythischen
und historischen Ideen. Jahves Vernichtung kommt durch
1. Der folgende Satz ist Glosse (Duhm, Gunkel).
Der Tag der Flut. 67
eine Flut, sagte das Volk. Jahves Vernichtung kommt durch
die Assyrer, sagten die Propheten. Was lag näher als beide
Ideen miteinander auszugleichen: Jahves Vernichtung kommt
durch die Assyrer wie durch eine Flut. Denselben Vor-
gang haben wir schon oben bei dem mythischen Motiv des Jahve-
orkans nachgewiesen (S. 21), ohne freilich in die Tiefe zu dringen,
und wir werden noch einmal darauf eingehen müssen.
Ist die Entwicklung richtig gezeichnet, so können wir aus
Jes. 17i2ff. eine Bestätigung für unsere Exegese von Jes. 28i4ff.
entnehmen, daß viele Wasser, ein Meer, eine Sintflut die Erde
überschwemmen, Jerusalem aber nicht vernichten werden. End-
lich ist noch Jes. 54 9f. hierher zu ziehen, wo die Zeit des Exils
mit den Tagen Noahs verglichen wird. Das tertium compara-
tionis ist der neue Bund, der damals nach der Sintflut und jetzt
nach dem Exil zwischen Gott und seinem Volke geschlossen
wird. Es ist zunächst durchaus unbegreiflich, wozu es eines
neuen Bundes bedarf. Genügt es nicht, wenn Jahve sagt, hin-
fort werde seine Gnade von Israel nicht mehr weichen? Die
Idee des Bundes ist durch nichts motiviert, und darum ist auch
die Parallele zwischen dem Exil und der Sintflut nicht leicht ver-
ständlich aus dem Geist des Schriftstellers, sondern nur aus der
Umbiegung einer Tradition. Was hier als Bild erscheint, war
einst als Realität gedacht. Die Katastrophe, die am Ende der
Tage über die Erde kommen und sie wegspülen wird, ist eine
Wiederholung der Sintflut. Die Katastrophe ist eingetreten, die
Überschwemmung erfolgt — nach prophetischer Anschauung —
durch die Assyrer, Chaldäer, durch das Exil. Von hier ist auch
das merkwürdige Hin- und Herpendeln Jesajas zu erklären,
der 17i2ff. der populären Idee beistimmt, 28140". ihr widerspricht.
Dort wird Jerusalem vor den Wassern gerettet, hier wird es hin-
weggespült. Es genügt nicht, an die kaleidoskopartig wechselnde
politische Situation zu erinnern, es genügt nicht, auf die dem be-
ständigen Schwanken unterworfene Psyche des Propheten hinzu-
weisen, man muß daneben eine Theorie statuieren, und diese
ergibt sich von selbst, wenn man die Parallele der Sintflut sich
deuthch macht. Wie damals nur Ein Frommer nebst seiner
Familie gerettet wurde, so sollen auch beim Endgericht nur
Wenige, nur ein »Rest« (vgl. § 21), dem göttlichen Zorn ent-
rinnen. Daß die Israeliten sich selbst unter die »Wenigen«
68 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
rechneten, ist begreiflich, während die Propheten dem populären
Glauben schroff entgegentraten. Nur manchmal machten sie
dem Volke Zugeständnisse und bewiesen damit, daß auch sie
Menschen waren, die nun einmal von den herrschenden Zeit-
strömungen sich nie ganz lösen können. Wenn man darauf
aufmerksam macht, daß Jahve nach Gen. 82if. Jes. 549 ge-
schworen habe, keine Sintflut wiederkehren zu lassen, so ist das
keine Widerlegung unserer Ausführungen, sondern zeigt nur,
daß die Theorien eben in verschiedenen Schichten des Volkes
und zu verschiedenen Zeiten verschieden waren. Ein Dogma
darüber existierte nicht.
In diesen Gedankenkreis gehören endlich noch eine Eeihe
prophetischer Stellen, aus denen sich um ihres bildhchen
Charakters willen mit Sicherheit nichts folgern läßt. Jes. Soff.:
Weil dies Volk die sanft fließenden Wasser Siloahs verachtet . . .
darum siehe, läßt der Herr die Wasser des Euphratstromes
steigen . . . der wird eindringen in Juda, überschwemmen und
überfluten. Das Wort von den sanft fließenden Wassern Siloahs
verstehen wir nicht mehr — trotz der Kommentatoren, da ^s
wohl eine Anspielung auf irgend ein verlorenes Gedicht oder an
eine uns unbekannte populäre Idee ist. Das Bild von dem
überschwemmenden Euphrat kann mögKcherweise der Phantasie
des Propheten entsprungen sein, indem er Assur mit dem
Euphrat vertauschte. Wahrscheinlicher ist mir die andere, eben-
falls vorhandene Möglichkeit, daß dem Propheten eine Theorie
vorlag über eine eschatologische Flut mythischer Art, die von
ihm auf den Euphrat umgedeutet wurde. Ähnhch ist der Sach-
verhalt in Jer. 472: Siehe, Wasser fluten heran vom Norden
und werden zu einem reißenden Strom und überschwemmen die
Erde und was sie füllt, die Städte und die darin wohnen, da
schreien die Menschen und heulen alle Bewohner der Erde.
Wie aus dem nächsten Verse hervorgeht, ist das Wasser aus
dem Norden ein Symbol für den Feind aus dem Norden.
Beides steht unvermittelt und unausgeglichen neben einander.
V. 2 ist eine Weissagung auf dem Gebiet der N^tur, V. 3
eine Weissagung auf dem Gebiet des Völkerlebens. Genau
so ist es in dem eschatologischen Psalm 46, wo zunächst
ein Erdbeben, dann eine Wasserflut geschildert wird: Drum
fürchten wir uns nicht, wenngleich die Erde weicht und Berge
Der Tag der Finsternis. 69
ins Meer sinken, wenn seine Wasser brausen und toben, Berge
erbeben vor seinem Übermut. Erst aus V. 7 erfährt man, daß
auch dieser Aufruhr der Elemente nur ein Bild ist für das Wüten
der Völker und das Wanken der Eeiche. Ohne Bild werden
in der späten Apokalypse Jes. 24 is die Himmelsfenster erwähnt,
aus denen bei der Sintflut die Wasser strömen (Gen. 7ii. 82):
Denn die Gitter von der Hohe her sind geöffnet, und es erbeben
die Grundfesten der Erde. In den Pseudepigraphen (Volz
S. 105) und im Neuen Testamente (Mt. 2437. Lk. 1726) wird
der eschatologische Weltuntergang häufig mit der Sintflut ver-
gUchen und diese ihrerseits als Weltuntergang dargestellt. Man
beginnt, die verschiedenen Theorien vom Ende zu systematisieren
und miteinander auszugleichen. In der Vergangenheit ging die
Welt durch Wasser zu Grunde, in Zukunft wird sie durch Feuer
zerstört werden (Vita Adae 49. Jos.Ant. I 70. II Pt. Sef.). In
älterer Zeit hatte man nicht das Bedürfnis zu schematisieren,
sondern ließ die Ideen bunt, wie es sich grade traf, durch-
einanderwirbeln und nebeneinander bestehen.
Wie zu anderen Naturerscheinungen: zum Regen, Hagel,
Sturm, Vulkan, so gehört auch zum Gewitter die dunkle
Wolke, die, das Licht der Gestirne verfinsternd und den Himmel
in undurchdringliche Nacht hüllend, die folgende Katastrophe im
Voraus ankündigt. Darum offenbart sich Jahve auch in der Fin-
sternis, in dem Element, das dem Lichte grade entgegengesetzt
ist. Bei der Sinaitheophanie heißt es ausdrücklich, daß sich die
Gottheit in dem schweren Gewölk befand, welches über dem
Berge hing (Ex. 20 21). Gewöhnlich ^ wird die Wolke als das
Gefährt Jahves {T^^7^'^ ^^d")) gedacht (Jes. 19 1. Ps. 18iof. 1043).
Weil Jahve am Ende der Tage sich auch in dieser Weise
manifestiert, so ist die Rede von einem Tag der Finsternis und
des Dunkels, einem Tag der Wolken und des Gewölks (Joel 22.
Zeph. Ii5. Ez. 34 12). Das Licht des Himmels ist dann ver-
schwunden (Jer. 423). Und verhüllen werde ich den Himmel ....
und in Schwarz kleiden seine Sterne, die Sonne will ich mit
Wolken verhüllen, und der Mond soll sein Licht nicht leuchten
lassen. Alle Leuchten des Lichtes am Himmel werde ich in
Schwarz kleiden . . . und Finsternis bringen . . . (Ez. 327ff.).
1. Vgl. die Sammlung der Anschauungen bei Köberle S. 131.
70 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Ganz ähnlich lautet Jes. 50 3 : Ich kleide die Himmel in Schwärze
und Sacktuch mache ich zu ihrer Hülle; Jes. 13 lo: Denn die
Sterne des Himmels und ihre .... hellen nicht ihr Licht, ver-
finstert ist die Sonne in ihrem Aufgang, und der Mond läßt
sein Licht nicht mehr erglänzen; Joel 4i5: Sonne und Mond
haben sich verfinstert und die Sterne ihren Glanz verloren.
Noch ausführlicher ist Joel Ssf.: Und ich will Zeichen im
Himmel und auf Erden geben, Blut und Feuer und Rauch-
säulen. Die Sonne wird sich in Finsternis ivandeln und der
Mond in Blut. Dazu bemerkt Schiaparelli (Die Astronomie
im Alten Testament, übersetzt von Willy Lüdtke. Gießen 1904):
»Diese Stellen scheinen auf wirkHch beobachtete Dinge hinzu-
deuten. Die totalen Mondfinsternisse waren stets zu jeder Zeit
und an jedem Ort häufig genug: der in Blut verwandelte Mond
bezieht sich sicher auf jene rötliche dunkle Farbe, die man oft
bei solchen Finsternissen beobachtet« (S. 37).
Auch diese Anschauung läßt sich bei dem ältesten Pro-
pheten nachweisen und stammt im letzten Grunde aus der vor-
prophetischen Eschatologie : Jenes Tages, spricht der Herr Jahve,
laß ich die Sonne am Mittag untergehen und mache es der Erde
finster am lichten Tage (Am. 89). Wellhausen erklärt: »Die
Wirkung jenes schreckUchen Tages auf die Menschen wird sein
wie die einer Sonnenfinsternis. Arnos hat eine totale Sonnen-
finsternis erlebt am 9. Februar 784 (J. D. Michaelis).« Aber
dieser Hinweis auf ein zeitgenössisches Ereignis, das übrigens nach
Schiaparelli (S. 38) richtiger am 15. Juni 763 stattfand, kann
uns über die Schwierigkeit der vorgetragenen Exegese nicht
hinweghelfen. Die Worte enthalten keinen Vergleich und reden
nicht von einer Wirkung auf die Menschen, sondern konstatieren
ganz einfach, daß dann an jenem Tage eine Sonnenfinsternis
eintreten werde. Mit einem Feldzug der Assyrer reimt sich
das fi-eilich ebenso schlecht wie der im selben Zusammenhang
erwähnte Sirokko. Darum können diese Vorstellungen nicht
dem Geist des Amos entsprungen, sondern müssen aus der
Volksanschauung vom Tage Jahves entnommen sein. Wir lernen
daraus vor allem, daß sie von alters her auch kosmolo-
gische Ideen enthielt und durchaus nicht auf das Land Pa-
lästina beschränkt war, wie die heutige Wissenschaft mit Un-
recht behauptet.
Der Tag der Schlacht. 71
§ 10. Jahve als Kriegsgott.
E. Kautzsch : Die ursprüngliche Bedeutung des Namens nisss nin-i
(ZATW VI 17 if. 250). Gießen 1886. Julius Wellhausen : Die kleinen
Propheten^. Berlin 1898. S. 77. Israelitisch -jüdische Geschichte^.
Berlin 1897. S. 25 f. Hermann Gunkel: Genesis^ Göttingen 1902.
S. 314. M. Th. Houtsma: nrrV, n^r^'^tt, üir-^h (ZATW XXII 329 ff.). Gießen
1902. Eduard Meyer: Über einige semitische Götter (ZDMG XXXI
719)1877. W. Max Müller: Asien und Europa. Leipzig 1893. S. 311 ff.
Eberhard Schrader (Winckler- Zimmern): Keilinschriften und Altes
Testament^. Berlin 1903. S. 224. 478. W. Spiegelberg: Eine Esp (sicnL^^
Stele (ZA XIII 120 vgl. 328) 1898. ^
Wie die im vorigen Paragraphen besprochenen Bilder für
die Schrecken des Gewitters beweisen, sah man in dem Ge-
wittergott zugleich einen Kriegsgott. Seine Pfeile und Speere
sind die Blitze, seine Posaune ist der Donner, sein Bogen der
Regenbogen, der erst nach vollendeter Schlacht sichtbar wird,
sein Wagen und sein Pferd sind Sturm und Wolke (vgl. nament-
lich Hab. Ssif.). Jahve ist in seiner Eigenschaft als Kriegsgott
aber auch losgelöst von jeder Naturerscheinung. Mit den Heeren
Israels zieht er hinaus ins Feld (Ps. 44 lo. 60 12. 108 12). Ge-
waltig und stark, ein Held im Streit (Ps. 248), ergreift er Schild
und Tartsche, um zu kämpfen mit denen, die wider Israel sich
erheben (Ps. 35 if.). Ja, Gott zerschmettert das Haupt seiner
Feinde (Ps. 6822); Jahve ist ein Kriegsheld, Jahve ist sein Name
(Ex. 153). Jahve zieht aus wie ein Held, wie ein Kriegsmann
weckt er den Eifer; Kriegslärm und Geschrei erhebt er, zeigt
sich als Helden wider seine Feinde (Jes. 42 13). So erscheint er
in der eschatologischen Zeit heim Hurrah am Tage der Schlacht
(Am. I14), heim Hurrah und Hall der Drommete (Am. 22),
darum heißt jener Tag überhaupt ein Tag der Drommete und
des Kriegsgeschreis üher die festen Städte und die hohen Zinnen
(Zeph. lie). Besonders beachtenswert ist, wie aus allen Zitaten
die wenig plastisch - anschauHche Art der Personschilderung
hervorgeht, wie sehr die Israeliten an dichterischer Phantasie
zurückbleiben etwa hinter einem Homer. Selbst da, wo einmal
der Versuch gemacht wird, die Rüstung Jahves zu beschreiben,
ist die unkonkrete Art nicht zu verkennen: Und er zog Ge-
rechtigkeit an wie einen Panzer, und der Helm des Heiles
war auf seinem Haupte, und er zog an die Kleider der Bache
.... und hüllte sich wie in einen Mantel in Eifer (Jes. 59 17
72 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
vgl. IThess. 58. Eph. 6i4fF.). Entfernt man die allegorische
Deutung, die als späte Neuerung zu begreifen ist, so ist von
poetischer Gestaltungskraft fast nichts zu spüren.
Als Kriegsgott führt Jahve das Epitheton Jahve der Heer-
scharen (mKsas rriJT»), das zu gleicher Zeit dem Gott der Lade
zukommt. Sobald die Israehten bei Eben Ha-ezer von den
Philistern besiegt sind, holen sie die Lade Jahves der Heer-
scharen, der über den Keruhen thront, aus Silo, damit er in
ihre Mitte komme und sie aus der Gewalt ihrer Bedränger
errette (I Sam. 43f.). Diese Anschauung wird bestätigt durch
IlSam. llii^: Die Lade befindet sich beim israelitischen Lager,
und durch Num. lOssff. Denn beim Aufbruch der Lade betet
man: Steh auf, Jahve, damit zerstieben deine Feinde und deine
Widersacher fliehen vor deinem Angesicht. Die Lade galt also
damals zweifellos als ein heihges Gerät des Kriegsgottes
(Kautzsch). Was sie ursprüngHch bedeutet haben mag, kann
hier auf sich beruhen, nur so viel muß betont werden, daß sie
von Hause aus mit dem Kriegsgott nichts zu tun hat. Nicht
das Mindeste, weder der Kasten noch seine Ornamentik noch
sein etwaiger Inhalt, weist darauf hin. Folglich ist die spätere
Auffassung für die ältere Zeit nicht maßgebend, die Anschauung
muß gewechselt haben.
Ferner wird Jahve Zebaoth im Alten Testamente selbst
von den Kriegsscharen Israels abgeleitet, allerdings nicht in den
älteren Schriften, sondern nur an den relativ späten Stellen
ISam. 1745 und Ps. 24 lo (vgl. V. 8), sodaß auch hier der Titel
im Zusammenhang steht mit dem Kriegsgott. Endlich werden
wohl schon die Israeliten, genau so wie die modernen Forscher,
das Epitheton kombiniert haben mit dem D-^öttJn NSit, das nach
IReg. 22 19. Ps. 10321. 1482 mit den Engeln, nach Dtn. 4i9.
Jes. 4026 mit den Sternen identisch ist. Wenn es Jdc. 5 20
heißt: Die Sterne kämpften vom Himmel her, so ist es sehr
fraghch, ob hier die feste und technische Vorstellung von dem
D"'»^n «aas: unausgesprochen im Hintergrunde liegt. Aus dieser
1. Warum die Lade von der Zeit Samuels an (ISam. 7i) bis auf
die Davids (II Sam. 6) in Kirjath-Jearira bleibt, ist noch nicht genügend
erklärt (trotz Budde). Offenbar ist sie, wie die Berichte lehren, dort
zu Hause. Warum ist grade Kirjath-Jearim an die Stelle des zer-
störten Silo getreten?
Jahve Zebaoth. 73
Übersicht geht so viel mit Klarheit hervor, daß Jahve Zebaoth
zu gewissen Zeiten als das Attribut des israelitischen Kriegs-
gottes galt.
Der Name selbst ist für uns vollkommen unerklärlich und
war es wohl schon damals. Der Plural niNn:: wird ausschließ-
lich für die Kriegsscharen Israels gebraucht. Die für uns am
nächsten Hegende Annahme, Jahve Zebaoth sei von hier aus
zu verstehen, wird dadurch illusorisch gemacht, daß die älteren
Schriftsteller, wie gezeigt ist, diese Deutung nicht kennen. »Es
wäre auch wunderlich, das Heer Israels einfach die Heere zu
nennen, noch dazu im Plural und mit Auslassung des Artikels«
(Wellhausen). Deshalb ist in neuerer Zeit meist die andere
Möglichkeit bevorzugt: Der Titel Jahve Zebaoth beziehe sich
ursprüngHch auf das Himmelsheer. Dagegen erhebt sich auf
der anderen Seite die mit Recht betonte Schwierigkeit, daß die
Sterne stets Niit, niemals m^nir heißen.
Da Jahve Zebaoth im Pentateuch, Josua und ßichterbuche
fehlte so hat Wellhausen eine dritte Hypothese aufgestellt
und vermutet, dies Attribut sei eine Neuschöpfung des Amos
und bedeute den Gott der ganzen Welt, den Gott der kos-
mischen Kräfte (vgl. Gen. 2i). Aber erstens ist fraglich, ob
m«i5: dies wirklich besagen kann. Zweitens läßt sich nicht
sicher behaupten, daß der Prophet diesen Sinn mit Jahve
Zebaoth verbunden habe. Wellhausen hat allerdings den
Schein für sich. Denn wenn man alles das zusammenfassen und
auf eine einheitliche Formel bringen will, was Amos und seine
Nachfolger im Anschluß an Jahve Zebaoth ausführen, so muß
man schon einen so weiten Begriff wie den des Schöpfergottes
wählen, um alles darin unterbringen zu können. Dennoch liegt es
mindestens ebenso nahe, wenn nicht viel näher, zu glauben, Amos
habe den ursprünglichen Sinn von Jahve Zebaoth überhaupt nicht
1. Lidzbarski: Epheineris für sem. Epigraphik I, S. 258 Anm. 1
vermutet, daß das xvQcog navToxQccttoQ, womit die LXX den Ausdruck
teilweise wiedergeben, auf n^'a^'yr f^'n'^ und dieses im letzten Grunde auf
das assyrische sar hissati »Herr der Welt« zurückgehe. Aber navToxQccrcjQ
kann auf Jahve einfach deshalb übertragen sein, weil es das höchste
und ehrenvollste Beiwort war, das die griechischen Übersetzer zu ver-
geben hatten. »Jahve Zebaoth« haben jedenfalls auch sie nicht mehr
zu deuten gewußt.
74 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
mehr gekannt, für ihn sei dies Epitheton weiter nichts als ein
besonders feierhcher, weil altehrwürdiger Titel für Jahve gewesen.
Denn von einer Neuschöpfung kann schlechterdings keine Rede
sein. Erstens hat man beim Propheten nicht die Empfindung,
»daß man es mit einem bisher unbekannten, jetzt erst von Amos
geprägten Ausdruck zu tun hat« (Nowack^ zu Am. 3 13). Er
erklärt ihn und pointiert ihn nirgends, er verwendet ihn in
keiner polemischen Antithese, sondern setzt ihn als so geläufig
voraus wie etwa Jesus den des »Reiches Gottes«. Zweitens
werden derartige Formeln überhaupt nicht von Einzelnen er-
funden, und mag man diese noch so genial einschätzen, sondern
durch die Menge geschaffen und von den Einzelnen nur der
Tradition entnommen. Oder von welchem Begriff wollte man
behaupten, daß Jesus ihn erstmalig geprägt und zum terminus
technicus erhoben habe? Drittens bliebe auf diese Weise die
in den Samuelisbüchern vorUegende Verbindung des Namens
Jahve Zebaoth mit der Lade absolut rätselhaft. Denn daß eine
derartige Verengerung der Idee nach der Zeit des Amos vor
sich gegangen sei, wird man mit keinen Mitteln wahrscheinlich
machen können.
Wellhausen hat noch eine vierte, wie ich meine, ganz
andere Erklärung hinzugefügt: mNai£ bezeichnet »vielleicht
eigentlich die Heere der Dämonen«. Das soll doch wohl ein
Preisgeben der im Vorhergehenden bekämpften Anschauung
bedeuten, da er für dies Epitheton sicherlich keinem Amos die
Verantwortung auferlegen kann? Da sich Wellhausen nicht
genauer darüber äußert, so weiß ich auch nicht, wie er zu seiner
Aufi'assung kommt. Vielleicht hat er etwas Ähnliches im Auge
wie GuNKEL, der bei Jahve Zebaoth nicht einseitig an das
Heer des Himmels und das Sternenheer, sondern auch an
meteorologische Erscheinungen wie Sturm, Regen, Gewitter
denkt, die man von einem »wütenden Heere« mag abgeleitet
haben. Manche Züge der Überlieferung werden allerdings durch
diese Annahme am einleuchtendsten erklärt.
Sehen wir uns die oben gestreifte Erzählung I Sam. 4 noch
etwas genauer an, so bleibt eine Tatsache sehr auffälHg. Als
die Philister den Jubel hören, mit dem die Lade Jahves der
Heerscharen von den Israeliten empfangen wird, da sagen sie
nicht, wie wir erwarten würden: dies ist die Gottheit, die alle
Jahve als Kriegsgott. 75
Feinde Israels, die Ägypter, Amoriter, Moabiter, Edomiter
besiegt hat, sondern: Das ist dieselbe Gottheit, die die Ägypter
mit allerlei Plagen und mit der Pest^ schlug (ISam. 48). Und
wirklich bringt ihnen nachher Jahve Zebaoth die Pest und die
Mäuseplage (I Sam. 6, LXX 5), die durch homöopathische
Magie vertrieben werden, indem man goldene Pestbeulen und
goldene Mäuse als Weihgeschenke der Lade mitgibt. Auch
die Art, wie die Leute von Beth-Semes, die die Lade ansahen
(ISam. 619), und wie Ussa, der mit der Hand nach der Lade
gegriffen hatte (II Sam. 6 6 vgl. Chron.), von Jahve getötet
werden, paßt nicht zu dem Symbol eines Kriegsgottes. Dem-
nach ist Jahve Zebaoth hier kein Kriegsgott, die Lade nicht
das Attribut eines Kriegsgottes, sondern eines Pestgottes. So
bestätigt sich unser oben ausgesprochener Satz, daß die Lade
ursprünglich ein Kriegssymbol nicht gewesen sein könne. Er
muß jetzt noch erweitert und auf Jahve selbst ausgedehnt
werden: Jahve ist von Hause aus kein eigentlicher Kriegs-
gott. Wo er als ein solcher aufgefaßt wird, handelt es sich um
eine — gewiß alte — Umdeutung seines Wesens. Jahve ist
Kriegsgott nur, sofern er die Pest und andere Land-
plagen sendet.
Das paßt vortrefflich zu der Art, wie Jahve überhaupt für
Israel kämpft: Gegen den Heereszug der Ägypter beugt er sich
in der Wolken- und Feuersäule herab und bringt dadurch Ver-
wirrung hervor. Er läßt die Kader von ihren Wagen ab-
springen, sodaß sie nur mühsam vorwärts kommen (Ex. 1424f.),
und treibt sie schließHch mitten ins Meer hinein, sodaß kein
einziger von ihnen am Leben bleibt (Ex. 1427f ). Die aufrühre-
rische Eotte Korah wird von der Erde verschlungen und fährt
lebendig in die Unterwelt (Num. 16 soff.) oder wird vom Feuer
Jahves verzehrt (Num. 16 35). Bei der Eroberung Jerichos
stürzen die Mauern zusammen (Jos. 620), während Jahve bei
Gibeon die fünf südkanaanitischen Könige in Schrecken setzte
sodaß sie geschlagen werden; auf der Flucht läßt er gewaltige
Hagelsteine fallen und Sonne und Mond stillstehen (Jos. lOiiff.).
Sisera wird von Jahve verstört ^ (Jdc. 4 15), indem die Sterne
1. Lies ^aiai Wellhausen.
2. a^n ^th ist mit Budde zu streichen.
76 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
vom Himmel her kämpfen und der Bach Kison über seine Ufer
tritt (Jdc. 020). Bei Mizpa donnert Jahve mit lautem Getöse
und erzeugt dadurch Furcht bei den PhiHstem (I Sam. 7io).
Dieselben Gegner werden bei Michmas durch ein Erdbeben
(I Sam. 14 15), in der Ebene Eephaim durch einen Sturm
tödhch erschreckt (II Sam. 524). Sanheribs Heer wird durch
den Engel Jahves (d. h. durch die Pest?) des Nachts dezimiert,
sodaß 185000 Mann geschlagen werden (IIKeg. 1935).
Fassen wir das Resultat dieser Übersicht zusammen, so
ergibt sich: Jahve war kein wirklicher Kriegsgott. Er kämpfte
für Israel mit Sturm, Hagel, Gewitter, Erdbeben, Feuer und
Pest, oder mit anderen Worten: Jahve ist Kriegsgott nur, so-
fern er Naturgott ist. Durchgehends sind Naturerscheinungen
sein »Heer« und seine »Waffen«. Da aber für diese göttlichen
Schrecken niemals der Ausdruck m«3:r gebraucht wird^, so ist
es trotzdem unmöglich, die Entstehung des Namens Jahve
Zebaoth von hier aus zu erklären. Er bleibt für uns so rätsel-
haft wie zuvor. Die wahrscheinlichste Annahme ist daher, daß dies
Epitheton von einem anderen Gotte auf Jahve übertragen wurde.
So ist es am leichtesten begreifhch, daß der ursprüngHche Sinn
verloren gehen konnte und daß der Titel Jahve Zebaoth von
den älteren Schriftstellern gemieden wurde, entweder weil man
ihn nicht kannte oder weil man noch um seine heidnische Her-
kunft wußte.
Das wird bestätigt durch eine andere ebenso merkwürdige
Beobachtung. Da Jahve als Kriegsgott gilt und da das Schwert
Jahves ein in Israel geläufiges, in der Eschatologie viel ver-
wendetes Mythologem ist, so sollte man erwarten, daß Jahve in
den mythisch gefärbten älteren Berichten nach Art eines Ares
mit dem Schwerte dreinschlagen werde. Aber wie die oben
gebotene Übersicht lehrt, ist das durchaus nicht der Fall. Nur
ein einziges Mal wird ein Schwert erwähnt. Als Josua sich
bei Jericho befand, schaute er einst auf und sah einen Mann
mit gezücktem Schwerte vor sich stehen. Gefragt, wer er sei,
antwortete jener: Ich hin der Anführer des Kriegsheeres Jahves
(mST» Nai£ nu) Jos. 5i4). Diese Erzählung, die die Einleitung
1. Besonders lehrreich ist Joel. Dort werden mythische Heu-
schrecken als das »Heer Jahves« bezeichnet (Jo. 2ii), aber der Aus-
druck sau fehlt.
Das Schwert Jahves. 77
zu der folgenden Geschichte von dem Fall der Mauern Jerichos
bildet, ist offenbar verstümmelt. Man hat sie einer sehr späten
Zeit zuweisen wollen (Kuenen) allein deshalb, weil der Aus-
druck rjirr' »3 st in der älteren Literatur ungebräuchlich sei und
die Vorstellung von einem Fürsten des himmlischen Heeres erst
an Dan. 10i2ff. seine Parallele habe. Diese Gründe sind nicht
genügend. Wohin käme man, wenn man alles das für spät
halten wollte, was nur einmal bezeugt ist? Überdies ist kein
einziges Muster im ganzen Alten Testamente aufzutreiben, nach
dem dieser Bericht gefertigt sein könntet Und endlich, wäre
er spät, so wäre er nicht verstümmelt worden. Die durch und
durch mythische Haltung und die ihm allein eigentümhchen
Ideen bezeugen im Gegenteil sein hohes Alter. Beachtenswert
ist, daß auch hier nicht Jahve selbst, sondern der Oberste des
Heeres Jahves das Schwert führt. Doch darf kühnlich von
Jahve Zebaoth dasselbe behauptet werden wie von seinem Feld-
herren; denn der Kriegsgott und das Schwert gehören not-
wendig zusammen. Man kann vermuten, daß der mn*" NSit Ti)
erst ein künstliches Substitut sei für mNni2 mir' wie der "i^b^a
mr?"^ für m?T« selbst.
Es ist gewiß kein Zufall, daß das Schwert Jahves in den
historischen Büchern nur ein einziges Mal und noch dazu in
einem verstümmelten Abschnitt begegnet. Wenn Jahve ur-
sprünglich der Gott des »Sinai« war, der in einer nur von
Beduinen durchschweiften Gegend lag, so ist das Attribut eines
Schwertes ihm kaum von Hause aus eigen gewesen; denn die
Hauptwaffe der Nomaden ist der Speer, und der Gott trägt
natürlich dieselbe Kriegsrüstung wie seine Verehrer. »Das
Schwert ist wahrscheinlich erst auf dem Boden Palästinas eine
von den Israeliten viel gebrauchte Waffe geworden« (Nowack:
Archäologie I 362). Ist das richtig, so muß dies Mythologem
von einem fremden Gott auf Jahve übertragen sein, ebenso wie
wir es von dem Prädikat Jahve Zebaoth gefordert haben.
Überschaut man die eschatologischen Stellen, in denen das
1. Mit der Erzählung der Erscheinung Jahves im brennenden
Busch, auf die Stade ZATW VI 133 verweist, hat er nicht das Min-
deste zu tun. Eher könnte man an I Chr. 21 16 erinnern, wo der Engel
Jahves, der mit gezücktem Schwert zwischen Himmel und Erde steht,
charakteristischer Weise kein Kriegs-, sondern ein Pestengel ist.
78 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Schwert Jahves begegnet, so ist ein Teil von ihnen leicht ver-
ständlich. Jahve als israelitischer Kriegsgott führt natürHch das
Schwert wider seine und Israels Feinde, z. B. gegen Assur:
Und fallen wird Assur durch das Schwert eines Nichtmenschen,
und das Schwert eines Unsterblichen wird ihn fressen, ....
ist der Spruch Jahves, der ein Feuer hat in Zion und einen
Ofen in Jerusalem (Jes. Sls); oder gegen die Kuschiten: Auch
ihr Kuschiten seid erschlagen von meinem Schwert (Zeph. 2 12).
Allgemeiner lautet Dtn. 324if.: Wenn ich mein blitzendes Schwert
geschärft habe und meine Hand zum Köcher^ ^^^^A dann will
ich Rache nehmen an meinen Drängern und will meinen Hassern
vergelten. Meine Pfeile sollen trunken werden vom Blut, und
mein Schwert soll Fleisch fressen vom Blut Erschlagener und
Gefangener, vom Haupt der Führer des Feindes. So wird das
Schwert überhaupt zu dem Mittel, mit dem er das Gericht an
allen Frevlem vollzieht (Jer. 25 31. Jes. 66 le). Da speziell Jahve
Zebaoth der Titel des Kriegsgottes ist, so kommt ihm vor allem
das Schwert zu. Die Sprüche, die das Schwert wider Babel
ankündigen, werden eingeleitet mit dem Satze: Ihr (der Israe-
liten) Erlöser ist stark, Jahve der Heerscharen ist sein Name,
streitbar streitet er ihren Streit (Jer. öOsdff.). War uns in den
historischen Büchern das Schwert Jahves nur ein einziges Mal
entgegengetreten (Jos. öisff.), so spielt es eine um so größere
Eolle in der Poesie. Auch dies Motiv haben die Propheten
der Volkstradition entnommen, in die es lange zuvor aus
kanaanitischem Glauben übergegangen war. In der Prosa wird
es wohl deshalb vermieden, weil der heidnische Ursprung mehr
oder minder bekannt war. Jedenfalls kann von einer Neu-
schöpfung keine Rede sein.
Denn es wäre falsch, wollte man meinen, dem Jahve sei
das Attribut des Schwertes deshalb beigelegt, weil er durch
irdische Kriegsheere, etwa durch die Assyrer, wirke, ihre Waffe
sei in dichterischer Kühnheit zu der seinen gemacht. In den
ims vorliegenden Texten ist es grade umgekehrt: überall ist das
mythische Schwert Jahves das Primäre, erst in zweiter Linie
wird es zur Darstellung irdischer Kämpfe verwandt. Das geht
besonders klar aus Ez. 2l8Jff. hervor: Sprich zum Lande Israel,
1. Lies ntv^z nacli einer mündliclieii Mitteilung Gunkels.
Das Schwert Jahves. 79
also hat Jahve gesprochen: Fürwahr ich will an dich und werde
mein Schwert aus seiner Scheide ziehen und ausrotten aus dir
den Gerechten und den Gottlosen. Weil ich ausrotten werde aus
dir den Gerechten und den Gottlosen, darum wird mein Schwert
aus seiner Scheide fahren wider alles Fleisch von Süden bis
Norden. Und alles Fleisch soll erkennen, daß ich, Jahve, mein
Schwert aus seiner Scheide gezogen habe, indem es nicht wieder
darein zurückkehrt. Ezechiel läßt dann das interessante, leider
stark verstümmelte Lied folgen von dem großen Würgeschwert,
das sich in der Hand des Mörders verdoppelt, ja verdreifacht
(V. 19), das schneidig ist nach rechts und links, wohin immer
seine Schärfen gerichtet sind (Y. 21). Erst V. 24 bringt die
Umdeutung: Jahves Schwert d. h. das Schwert des Königs von
Babel wird kommen. Genau so ist es Ez. 32 lo: Und ich werde
starr machen über dich viele Nationen, und ihre Könige sollen
schaudernd über dich erschauern, ivenn ich mein Schwert schwinge
vor ihrem Angesicht .... Denn, so fährt bezeichnender Weise
V. 11 fort, also hat der Herr Jahve über dich gesprochen: das
Schwert des Königs von Babel wird über dich kommen.
Über das Schwert Jahves mögen manche Mythen im Um-
lauf gewesen sein. Das lehrt nicht nur das eben erwähnte
Schwerthed, dessen Inhalt schwerlich von Ezechiel erdichtet ist,
sondern auch Jes. 27 1 : An jenem Tage sucht Jahve heim mit seinem
grausamen, großen und starken Schwerte Leviathan, die gewun-
dene Schlange, und Leviathan, die gekrümmte (?) Schlange, und
mordet den Thannin im Meer. Darnach war das Schwert Jahves,
das mit feierlichen, ehrwürdigen Epitheta belegt wird, geschHffen
gegen übermenschliche Wesen, gegen das Heer der Höhe in der
Höhe (Jes.242i), gegen die himmhschen, irdischen oder im Meere
lebenden Drachen i. Etwas Ähnliches mag der Apokalyptiker
im Auge gehabt haben, der Jes. 345 den aus dem Zusammen-
hang nicht verständlichen Zug berichtet: Trunken ward im
Himmel mein Schwert, siehe auf Edom fährt es herab. Es wird
hier in poetischer Hyperbel als ein dämonisches Wesen dar-
1. Man könnte vermuten, daß das Schwert dem Jahve erst bei-
gelegt sei, nachdem der Tiämatmythus auf ihn übertragen war. Aber
die Waffe Marduks war nicht das Schwert. Der babylonische Mythus
wurde also, wie an vielen anderen Stellen so auch hier, mit palästini-
schen Farben übermalt.
80 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
gestellt, das sich berauschen kann, das nach anderer Vorstellung
unaufhörlich weiter wüten muß: Ha, Schwert Jahves, wie lange
■findest du keine Ruhe? Zieh dich zurück in deine Scheide, be-
ruhige dich und raste (Jer. 476). Völlig selbständig ist die
Flamme des zuckenden Schwertes (Gen. 824), die neben den
Keruben — nicht in ihrer Hand — das Paradies bewacht.
Der Begriff des Schwertes ist hier auf den zuckenden Blitz
übertragen. Das ist spätere Umdeutung, wie nach den Apo-
kalyptikern feurige Schwerter vom Himmel fallen (Volz S. 281 f.)
oder gar schwertähnliche Gestirne am Himmel erscheinen werden
(Volz S. 185). Denn ursprünglich hat das »Schwert« Jahves,
wie der Ausdruck besagt, keinen naturhaften Hintergrund. Beim
Paradiesesschwert erinnert Dillmann mit Recht an die paral-
lelen eschatologischen Anschauungen. Die Entwicklung der
Idee ist hier wie überall in derselben Weise vor sich gegangen:
das Schwert, das Jahve in der Gegenwart führt, wird projiziert
in die Urzeit (Dnnn-Leviathan und Paradies) und Endzeit.
Mit dem Schwert Jahves ist oft noch ein anderer Zug
verbunden. 3^.n"bbn ist Num. 19i6. Dtn. 21i Bezeichnung für
den »Ermordeten«, genauer für den »Nichtbestatteten«. Denn
ursprünglich hieß so jeder, der im Kriege gefallen, vom
»Schwerte durchbohrt« war; im Alten Testamente aber be-
gegnet der Ausdruck nur in technischer Bedeutung für jeden,
der nicht rite bestattet ist. Aus Ez. 31 18. 32i9ff., wo Schwert-
durchbohrte parallel neben den Unbeschnittenen genannt werden,
folgt, daß jener wie dieser Terminus etwas Schimpfliches besagt.
Beider Gräber sind nach V. 23 am äußersten Ende der Grube
gelegen. Die Unbeschnittenen sind, wie leicht verständlich ist,
in einen Winkel der Seol gebannt, weil der fromme Israelit sie
wie im Leben so auch im Tode verabscheut und jede Berührung,
selbst im Hades, vermeiden möchte. Die Seol wird hier als
Schattenbild des irdischen Daseins aufgefaßte Warum der
Israelit dieselbe Empfindung gegen den Schwertdurchbohrten
hegt, darüber klärt uns V. 27 auf: Nicht liegen sie bei den
Becken, den Giganten der Urzeit^, die hinabgestiegen sind in
1. Wie nach griechischem Glauben die Toten in Phylen und Phra-
trien geordnet sind. Eadermacher: Das Jenseits S. 5 f.
2. Lies nh^yo n^!;*E: Coknill.
Die Schwerterschlagenen. 81
die Seol in voller Kampfesrüstung, denen man ihre Schwerter
unter ihre Häupter legte und deren Schilde^ auf ihren Geheinen
lagen. Die 3 -in ">bbn sind also die nicht ehrenvoll Bestatteten.
Sachlich hat Gunkel (Schöpfung S. 34) jedenfalls Recht, wenn
er das Wort mit »schwertentweiht« wiedergibt; die formelle
Frage, ob es von dem Verbum bbn in der Bedeutung »schänden«
abgeleitet werden muß, möchte ich nicht bejahen, da wegen der
Verbindung mit 3nn ein bbn im Sinne von »durchbohren«
näher liegt und da sich jene Umbiegung ins Schimpfliche
durch die Annahme einer technischen Redensart erklären kann.
Eine genauere Schilderung Hefert der Anfang desselben
Kapitels, in dem Pharao unter dem Bilde des Krokodils be-
schrieben wird: Ich werde dich werfen aufs Land, aufs freie
Feld dich schleudern und auf dir sich niedersetzen lassen alle
Vögel des Himmels und sich sättigen lassen von dir das Getier
der ganzen Erde. Und ich tue dein Fleisch auf die Berge und
fülle die Täler mit deinem Äse^ und tränke die Erde mit deinem
Ausflüsse; vor Blut von dir sollen triefen^ die Berge, und die
Talschluchten sollen voll werden von deinem Blute^ (Ez. 324fF.
vgl. 295). Da Jahve es ist, der den T'sn mordet, so wäre dem-
nach 2-in •^'bbnö eine Abkürzung für mrr« n-\n "»bbn. Als Be-
stätigung und zugleich als Ergänzung dient Jer. 2532f.: So
spricht Jahve der Heerscharen: Siehe Unheil geht aus von einem
Volk zum anderen, und ein gewaltiger Sturm erhebt sich vom
Ende der Erde. Und liegen werden die Erschlagenen Jahves
an jenem Tage von einem Ende der Erde bis zum anderen,
nicht wird man sie beklagen noch sie sammeln noch sie begraben.
Zu Mist auf der Erde sollen sie werden. Diese Stelle lehrt
uns als Terminus technicus für die nicht rite Bestatteten "«bbn
mn*» kennen und zeigt uns, daß das Schwert Jahves später keine
wesentliche Rolle bei dieser Vorstellung spielte — denn hier
werden die Gegner durch einen Sturm Jahves vernichtet —
sondern daß es nur eine spezifische Art angibt dafür, wie Jahve
seine Feinde erschlägt. Wenn aber das »Durchbohren« von
Hause aus Sache des Schwertes ist, so waren die rniT" ■'bbn
1. Lies t:ri:s Cornill. 2. Lies Tjr^'i Gesenius.
3. Lies ^r-j": Kraetzschmae.
5. Natürlich nur in der Eschatologie.
Forschungen zur Rel. u. Lit. d. A. u. NT. 0.
82 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
ursprünghch vom Schwert Jahves Durchbohrte, so sind Sturm
und ähnliche Dinge erst spätere Surrogate für das Schwert
Jahves; denn vom Sturm wird man nicht »durchbohrt«. Wir
können hier also dieselbe Übertragung nachweisen wie vorher
bei Jahve Zebaoth, als dessen Waffen Naturerscheinungen gelten,
und wie beim Schwert Jahves, das auf den Blitz umgedeutet
wird. Demnach muß der älteste und volle Ausdruck seinem
Sinne nach gewesen sein: n'\n'* ann '^bbn, obwohl er vielleicht
nie existiert hat. n"in -^bbn und Hirt"* "^bbn sind parallele tech-
nische Abkürzungen.
Schon aus den beiden beigebrachten Beispielen erhellt, daß
neben der nichtrituellen Bestattung die große Zahl der Leichen,
die die ganze Erde bedecken sollen, ein Hauptcharakteristikum
der Idee ausmacht. So heißt es Jes. 66 le: Denn durch Feuer
wird Jahve rechten und durch sein Schwert mit allem Fleisch,
und viel werden sein die Erschlagenen Jahves; Jer. 12 12: Über
alle Kahlhöhen der Wüste kamen die Zerstörer; denn das
Schwert Jahves frißt von einem Ende der Erde zum anderen —
kein Friede allem Fleisch, Die älteste Bezeugung dieser Idee
liefert der echte Jesaja, wenn er zu den Jerusalemem sagt:
Sind deine Durchbohrten nicht Schwertdurchbohrte, nicht Kampf -
getötete? Gemeint ist: Sind sie nicht von Jahve erschlagen?
Denn einen Tag des Stürmens und Stürzens und Verstörens
hat der Herr Jahve der Heere (Jes. 222. 5).
An anderen Stellen wird nur die Sache geschildert, während
der technische Ausdruck fehlt. So weissagt Jesaja von den
Assyrern: Überlassen werden sie dem Geier der Berge und dem
Getier des Landes, übersommern wird darauf der Geier und alles
Getier des Landes darauf überwintern (Jes. 18 e). Wie sehr die
rohe, hier vorausgesetzte Sitte, die Leichen unbeerdigt auf dem
Schlachtfeld liegen zu lassen, dem feineren Empfinden der späteren
Zeit widersprach, dafür ist Ezechiel ein klassischer Zeuge. Der
Untergang Gogs wird zunächst nach dem Typus der mn"» ^bbn
beschrieben: Auf den Bergen Israels sollst du fallen, . . . den
mannigfach beschwingten Raubvögeln und dem Getier des Feldes
gebe ich dich zum Fräße. Dann fügt er — ein Mythenmotiv
im Märchengewande — hinzu, daß die Israeliten sieben Jahre
lang mit den Rüstungen der Feinde heizen werden, um darauf
fortzufahren : Und geschehen wird es an jenem Tage, da werde
Der Bann Jahves. 83
ich für Gog einen .... Ort als Grabstelle in Israel bestimmen^
, . . und das Haus Israel wird sie sieben Monate lang begraben^
um das Land zu reinigen (Ez. 39). Die prophetische Über-
arbeitung eines volkstümlichen Mythus ist hier mit Händen zu
greifen. Hätte der Prophet frei geschaffen, so hätte er wohl
nicht erst durch Jahve das Land auf sieben Monate verun-
reinigen lassen, sondern dem Wunder der Vernichtung ein
zweites angereiht. Dasselbe, was Ezechiel von Gog weissagt,
prophezeit Joel von dem Nördlichen: Und den Feind aus dem
Norden will ich von euch entfernen und will ihn in ein dürres
und ödes Land stoßen, seinen Vortrab in das östliche und
seinen Nachtrab in das ivestliche Meer, und sein Gestank soll
aufsteigen (Jo. 2 20). Besonders häufig ist das Motiv im Jeremia:
Tage kommen, spricht Jahve, da wird nicht mehr gesagt werden
Topheth und Tal ben Hinnom, sondern Tal des Würgens, und
man wird im Topheth (nicht ^) begraben, weil kein Baum vor-
handen ist. Und die Leichen dieses Volkes werden zur Speise
dienen den Vögeln des Himmels und den Tieren der Erde, und
niemand wird sie wegscheuchen (Jer. 732ff. 8iif. I64. 197. 342o).
Auch dieser Zug der Eschatologie gilt durch das Exil als er-
füllt. Das Volk in der Verbannung erscheint dem Propheten
unter dem Bilde unbeerdigter Totengebeine (Ez. 372; nach
V. 12 liegen sie — man beachte den Widerspruch — in
Gräbern!). So erst begreift man, wie er zu diesem in jeder
Beziehung auffälligen und wunderbaren Bilde gelangen konnte.
Fragen wir, woher die Farben stammen, mit denen diese
Gemälde gemalt sind, so erhalten wir eine teilweise Antwort
darauf aus Jes. 34 2f.: Ihre (der Völker) Erschlagenen liegen
hingeworfen da, und Gestank steigt auf von ihren Leichnamen,
1. Ohne die Einfügung dieser Negation ist der Satz absolut sinnlos.
Grade das Unbeerdigtbleiben ist die Strafe; die schon beerdigt sind,
werden wieder aus den Gräbern gerissen und ihre Gebeine werden
hingestreut 8iff. — Seiend (S. 480 Anra. 1) behauptet: »Das Tal Hinnom
wurde zur Geenna wegen einer Drohung Jeremias«. Aber erstens ent-
steht niemals eine Volksvorstellung in alter Zeit durch ein Schriftwort.
Zweitens ist absolut unverständlich, wie aus der Drohung des Unbe-
erdigtbleibens die Idee einer »Feuerhölle« werden kann. Das Tal
Hinnom muß vielmehr seit alters als Totenstätte gegolten haben und
»Moloch« ein Feuer- und Totengott gewesen sein.
6*
84 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
und Berge zerfließen von ihrem Blut Diese Schilderung wird
eingeleitet durch die Worte: Denn ergrimmt ist Jahve über alle
Völker und zornig über all ihr Heer, er hat sie mit dem
Banne belegt, hat sie der Schlachtung preisgegeben. Die in
diesem Zusammenhang behandelten Züge sind also nach israe-
litischer Auffassung dem Banne (D^^n) entlehnt. Jahve ist ein
furchtbarer Gott, der sich nicht begnügt, seine Gegner nieder-
zustrecken, sondern der überdies den Bann an ihnen ausübt.
Weil Israel den Tag Jahves umdeutete auf das Exil, so konnte
Deuterojesaja sagen, Jahve habe Jakob dem Banne überliefert
(Jes. 4328; vgl. Mal. 324. Zach. 14 ii). Der Bann bezog sich
selten auf einzelne Menschen, sondern meist auf ganze Städte,
die zerstört und deren Einwohner insgesamt oder zum größten
Teil gemordet wurden. Ob sie unbeerdigt liegen blieben, er-
fahren wir nicht. Aber die grandiosen und grausigen Gemälde
der Propheten von der Schlacht Jahves am Ende der Tage,
wo die Leichen der erschlagenen Feinde ganze Hügel und
Täler bedecken, wo die Berge vom Blute triefen und die Rinn-
sale vom Ase stinken, wo die leichenfressenden Vögel und
Raubtiere allein die schaurige Einöde beleben — welche Unter-
schrift verdienen diese Gemälde besser als den Bann Jahves?
Vielleicht hat noch das Bild von der Ermordung des urzeit-
lichen Drachen mitgewirkt, die in ähnlicher Weise geschildert
wird (Gunkel: Schöpfung S. 85. 113); wie damals so wird es
sich wiederholen am Tage Jahves, wenn der große Volkerwürger
erscheint. Wie überwältigend muß Jahve den Propheten vor
der Seele gestanden haben, die sein Eingreifen in die Ge-
schicke der Völker mit solchen Farben malen konnten!
Damals war Jahve längst zum Kriegsgotte geworden, und
er mag es schon zur Zeit des Mose gewesen sein. Dennoch
glaubten wir gewissen Tatsachen der Überlieferung entnehmen
zu dürfen, daß er seinem eigentlichen Wesen nach ein Natur-
gott war. Soweit er Kriegsgott ist, hat eine sekundäre Um-
deutung stattgefunden, die sich, wenigstens teilweise, unter
fremdem Einfluß vollzogen haben muß, wie das Prädikat Jahve
Zebaoth und das Attribut des Schwertes lehren. Genaueres
anzugeben ist unmöglich. Vielleicht darf man vermuten, daß
der kanaanitische Gott Reseph (nach Euting Rassäph, nach
Wellhausen zu Hab. 35 heute Rasuph ausgesprochen) hierbei
Reseph. 85
eine Rolle gespielt hat. Er wird gewöhnlich als Bhtzgott auf-
gefaßt. Das ist mindestens einseitig. Das Wort C|«J-^, das im
Alten Testamente mehrfach begegnet, ist Ps» 7848. Cnt. 8 6.
Job. 5?. Sir. 43 1? nicht sicher zu deuten, wohl aber bezeichnet
es Dtn. 3224 (apellativisch) und Hab. 35 die personifizierte Pest.
Wir haben demnach ein Recht, ihn für einen zum Engel Jahves
degradierten Seuchengott der Kanaaniter zu halten. Seiner Dar-
stellung nach war er jedoch ein Kriegsgott. »Die meisten
Bilder geben ihm die Rüstung mit Speer, Schild und Keule,
dazu eine asiatische Stirnbinde und daran den Gazellenkopf«
(Müller S. 312). Houtsma will Ps. 764 mit einer kleinen
Korrektur pjüi nujp Resephhogen statt des unverständUchen
n\zjp "»du;-) Blitze des Bogens lesen. Dann lautet der Zusammen-
hang: Gott ist in Juda bekannt, in Israel ist sein Name gro&,
und in Salem erstand seine Hütte, seine Wohnung in Zion,
Dort zerbrach er den Bogen des Reseph, Schild, Schwert und
Waffe. Der Psalmendichter würde also ausführen, wie Jahve
den Bogen und die ganze Waffenrüstung des Reseph abgetan
und vernichtet hat. Es ist nun sehr wohl möglich, daß Züge
von dem besiegten Gott auf den Sieger übergegangen sind, wie
es in der Religionsgeschichte häufig vorkommt; aber auf Sicher-
heit müssen wir bei dem Mangel an Nachrichten verzichten.
§ 11. Jahve als Seuchen- und Totengott.
Georg Beer: Der biblische Hades (Theologische Abhandlungen,
eine Festgabe für H. J. Holtzmann), Tübingen 1902. Hans Duhm:
Die bösen Geister im Alten Testament, Tübingen 1904.
Wie Jahve im Kriege für Israel eintrat und dann vor
allem durch Naturereignisse wirkte , so vernichtete er seine
Gegner auch durch Plagen jeder Art. Um Saras willen schlug
er den Pharao mit schweren Schlägen (Gen. 12 1? vgl. 20 17).
Zur Zeit des Mose ließ er zehn Plagen über die Ägypter er-
gehen (Ex. 7 — 11). In der Wüste ward Mirjam mit dem Aus-
satz bestraft (Num. 12), und unter das mundende Volk wurden
Sarafe d. h. Brandschlangen geschickt (Num. 25). Vor Israel
sandte Jahve Hornissen ^ her, die die Kanaaniter aus Palästina
1. Erzählt wird das niemals; denkbar ist ein so gewaltiger Her-
86 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
vertrieben (Ex. 2328. Dtn. I20. Jos. 24i2 vgl. Philo: de praem.
16). Durch den Raub der Lade stellten sich bei den Philistern
die Pest und eine Mäuseplage ein (ISam. 5 f.). Davids Stadt
ward infolge der Volkszählung von einer Pest heimgesucht
(IlSam 24 = IChr. 21). Über Asarja (Ussia) verhängte Jahve
eine Plage, sodaß er aussätzig ward bis zum Tage seines Todes
(IIReg. 105 = II Chr. 26 19), während Sanheribs Heer durch
den Engel Jahves d. h. wahrscheinlich durch die Pest dezimiert
wurde (II Reg. 1935 = II Chr. 32 21). Unter die heidnischen
Samarier trieb Jahve Löwen, weil sie den Landesgott nicht
gebührend verehrten (II Reg. 1725).
Wie groß die Fülle der Seuchen und Plagen war, mit
denen der erzürnte Jahve seine Feinde überschütten konnte,
lehrt ein flüchtiger Blick in den Fluchkatalog Dtn. 28. Alle
Leiden und Übel, von denen die Menschen je gequält wurden,
schrieb man in älterer Zeit unbefangen dem Wirken Jahves
zu. Noch ein Amos sagte: »Geschieht ein Unglück in der
Stadt und Jahve hats nicht getan« (36)? Nimmt man zu dieser
Anschauung von Jahve als dem Plagengotte seine Offenbarung
durch Erdbeben, Sturm, Feuer, Flut und Krieg, die in den
vorigen Paragraphen skizziert worden ist, so begreift man, eine
wie furchtbare, grausame, explosive, schrecken erregende Gottheit
Jahve nach dem Glauben des Volkes sein konnte und unter
Umständen war. Israel brauchte keine Kakodämonen, weil
Jahve selbst der fiirchtbarste Dämon war (Hans Duhm). Wehe
den Menschen, wenn Jahve ergrimmt war und seiner Rache
die Zügel schießen ließ ! Aber mochte der Gott auch mitunter
auf Israel zürnen, die Regel war doch, daß seine Strafe
nur die Feinde Israels traf, während sein Volk sich seines
mächtigen Schutzes erfreuen durfte und trotz alledem auf seine
Liebe und Güte vertraute. Erst eine spätere, empfindlichere
Zeit nahm Anstoß an dem naiven Glauben, der von Jahve alles
Unheil ableitete. Man ersetzte ihn, anfangs durch den Engel
Jahves (IlSam. 24 le. II Reg. 1935. Jes. 3736), dann durch den
Satan (Job. 2?), behielt aber daneben die alte Vorstellung bei
(Job. 1921).
nissenschwarm, um ein ganzes Volk zu vernicliten, ebenfalls nicht»
Hier scheinen Mythen hineinzuspielen.
Der Tag der Seuchen. 87
In der Eschatologie spielen die Seuchen ebenfalls eine
große Eolle. Es genügt, aus dem reichen Material einige
charakteristische Beispiele auszuwählen. Hos. 13 u sagt Jahve
mit Bezug auf die Ephraemiten: Soll ich sie aus der Hand
der Hölle befreien^ vom Tode sie loskaufen? Her mit deinen
Seuchen, Tod! Her mit deiner Pestilenz, Hölle! Tod und
Seol sind hier persönlich gedacht, da sie mit »Du« angeredet
werden. Sie gelten als Unterfeldherren Jahves, die ein großes
Heer von Fieber- und Krankheitsscharen befehlen. Wie vor
und hinter dem Könige Trabanten herlaufen (IlSam. 15i.
ISam. 2542), so geht nach Hab. Ss die Pest dem Jahve voran,
während das Fieber (f)\zj")) ihm folgt. Handelt es sich an diesen
Stellen um erstmalige dichterische Personifizierung von Tod,
Seol und Pest durch die Propheten oder haben wir hier volks-
tümliche, mythische Größen vor uns?
In der babylonischen Religion sind mit den Göttern der
Totenwelt die bösen Krankheits- und Seuchendämonen aufs
engste verbunden (KAT.^ S. 460). Wie »aus der altorientaU-
schen Toten weit, dem Ort Nergals (des Toten gottes) und Nam-
tars, des Pestgottes, alle Dämonen und Seuchen kommen«
(Jeremias S. 363), so wird Hos. 13 14 Pest und Fieber mit Seol
und Tod verknüpft, so heißt Job. 18 is der Aussatz m73 ^»•iDa
der Erstgeborne des Todes, so wird im nächsten Verse der Tod
selbst als der ninVa "jb?:, als der König der Schrecken bezeichnet.
Mit Recht betont darum Beer: »Hos. 13 u und Job. 18 14 hegen
gewiß nicht erst ad hoc geschaffene Personifikationen von Tod
und Unterwelt vor«, ebenso wenig wie die Hab. 35 im Gefolge
Jahves einherziehenden 5)iz3";i und "la*?/ prophetische Neubildungen
sind. Der altkanaanitische Gott Reseph des Seucheusturms,
des Fiebers und des Krieges ist hier sachlich, obwohl der
formelle Ausdruck fehlt, zu einem Engel Jahves geworden.
Beide, Reseph und Jahve, waren ursprünglich gleichen Ranges.
Als aber die israehtische Religion über die kanaanitische siegte,
ward Reseph zum mn"» ^Kb73 degradiert. Je mehr die sittUche
Seite im Wesen Jahves hervortrat, je mehr die dämonischen
Elemente seiner Natur zurückgedrängt wurden, um so mehr
liebte es der fortgeschrittene Glaube des Volkes, die anstößigen
1. = bab. Dibarra?
88 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Dinge nicht von Jahve selbst, sondern von seinem Engel ver-
richten zu lassen, die ja von Hause aus minderwertig waren
und an die hoheits volle Majestät Jahves nicht entfernt heran-
reichten. Ob Jahve von Anfang an einen Hofstaat und Diener
besaß, wissen wir nicht, sicher ist jedenfalls, daß schon in vor-
prophetischer Zeit, wie eben Hab. 3 5 beweist, ein Teil der
D"»SNb73 sich aus fremden Göttern rekrutierte. Auf einer noch
späteren Entwicklungsstufe wurden die unheilbringenden Engel
zu Dämonen herabgedrückt: Fürchte dich nicht vor dem Schrecken
der Nacht^ vor dem Pfeil, der am Tage fliegt, vor der Pest,
die im Finsteren schreitet, vor der Seuche und dem Dämon des
Mittags^ (Ps. 9l5f. vgl. Ps. 784&. Sir. 3928ff.). Neben dem dai/tioviov
lxeaii](.ißQiv6v (vgl. Jer. lös) sind auch die übrigen Namen als
Dämonen zu verstehen, obwohl sie vielleicht kein sehr selb-
ständiges Wesen geführt haben, sondern mehr oder minder
Personifikationen dichterischer Art waren und bheben. Wir
müssen also drei Phasen in der Anschauung des Volkes unter-
scheiden, die chronologisch bis zu einem gewissen Grade neben
einander hergehen: Die Seuchen werden erstens von Jahve,
zweitens von den Engeln Jahves, drittens von jahvefeindlichen
Dämonen abgeleitet. Als Persönlichkeiten erscheinen sie in
älterer Zeit nur sehr selten, dagegen wieder im Judentum zur
Zeit Christi.
Während die besprochene Hosea- und Habakukstelle zur
zweiten Stufe gehören, setzen die meisten anderen prophetischen
Aussprüche noch die erste voraus. So sagt z.B. Jer. 14 12:
Wenn sie fasten, höre ich nicht auf ihre Klage, und wenn sie
Opfer und Gabe darbringen, will ich ihnen nicht wohl; denn
durch Schwert, Hunger und Pest will ich sie vernichten; 18 21:
Darum gib ihre Söhne dem Hunger preis und stürze sie hin
in die Gewalt des Schwertes; es sollen ihre Weiber kinderlos
werden und verwitwet, ihre Männer Pestermordete und ihre
Jünglinge Schwerterschlagene im Kriege; 21 6 : Und ich will
schlagen die Bewohner dieser Stadt, Menschen und Vieh; an
schwerer Seuche sollen sie sterben. Aber wozu Stellen über
Stellen häufen, kehrt doch die typische Trias der Hauptver-
nichtungsmittel Jahves : Hunger, Schwert und Pest bei Jeremia
1. So wohl richtig B. Duhm mit den LXX.
Der Tag der wilden Tiere. 89
allein 18 mal und in derselben stereotypen Weise auch anderswo
wieder.
Nicht ganz so oft, aber immerhin noch häufig genug,
kommen als vierte schlimme Strafe die wilden Tiere hinzu. So
sagt Jahve Dtn. 3223f.: Überhäufen will ich sie mit Übeln, will
all meine Pfeile gegen sie verbrauchen: Hunger (aus Mangel)
an Zukost und Brot^, Fieber und giftige Seuche, will der Tiere
Zahn gegen sie entsenden samt dem Gift der im Staube
schleichenden Schlangen. Damit vergleiche man eine Stelle wie
Jer. 56: Darum tötet sie der Löwe aus dem Walde, verheert
sie der Steppenwolf, lauert der Panther an ihren Städten; jeder
der sich herauswagt aus ihnen, wird zerrissen. Daß die wilden
Tiere hier Bilder seien für die Feinde (Giesebeecht), ist durch
nichts angedeutet und wenig wahrscheinlich, weil auch Pest,
Hunger und Schwert in realem Sinne gemeint sind. Oder
Jer. 817: Denn siehe, ich entsende wider euch Schlangen, Basi-
lisken, gegen die keine Beschwörung hilft, und sie sollen euch
beißen, spricht Jahve. Da von einem Vergleich keine Rede ist,
so ist die allegorische Exegese abzulehnen. Wenn Giese-
BRECHT Am. 5 19 für die Vorlage Jeremias hält, so wird diese
«inseitig literarische Betrachtung dem Tatbestande nicht gerecht.
Dort heißt es: Am Tage Jahves wird es sein, als ob jemand,
der einem Löwen entflieht, von einem Bären gestellt wird, und
schließlich we?in er nach Hause gelangt ist und sich mit der
Hand gegen die Wand stemmt, von einer Schlange gebissen wird
d. h. wer der Skylla glückUch entgangen ist, fällt in die
Chaiybdis. Wollte Giesebeecht seine These durchführen, so
müßte er erstens annehmen, daß Jeremia — man bedenke,
ein Mann wie Jeremia! — den Amos gründlich mißverstand,
indem er einen Vergleich wörtlich auffaßte, und zweitens,
daß Jeremia dann wieder die Tiere als Bild verwandte für
Israels Feinde. Diese künstliche Konstruktion wird vollends
zweifelhaft, wenn Am. 5 19 unecht sein sollte, wie Löhr und
NowACK vermuten. Dann wird Giesebeecht sich wohl, wie
er es jetzt schon tut, auf Am. 93 berufen, wo zufällig auch
eine Schlange begegnet. Aber ist es glaublich, daß Jeremia
die dort gemeinte mythische Meeresschlange in dichterischer
1, Lies arr^T -jit^ ayi nach mündliclier Mitteilung Gunkels.
90 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Phantasie zu menschlichen Basilisken gemacht haben sollte?
Ist es denn überhaupt wahrscheinlich, er habe sich an den
Schreibtisch gesetzt, den Arnos studiert wie ein heiliges Buch
und im Anschluß an ihn seine eigenen Dichtungen konzipiert?
Ist es nicht viel einleuchtender, bei beiden dieselben eschato-
logischen Anschauungen wiederzufinden, die in dem allgemeinen
Yolksbewußtsein gang und gäbe waren? Zu den typischen
Strafmitteln Jahves gehörten die wilden Tiere so gut wie Pest,
Hunger und Schwert. Das ist durch die Notizen in den histo-
rischen Büchern, die keine Allegorisierung vertragen (Ex. 2329.
Num. 25. IIReg. 1725), außer allen Zweifel gestellt. Lag e&
denn da so fern, war es nicht vielmehr selbstverständlich, daß-
Jahve, wenn er selbst an seinem Gerichtstage in die Schicksale^
Israels eingriiF, auch wilde Tiere wieder seine Feinde losließ? Wir
werden also postulieren dürfen, daß in der älteren vorprophetischen
Eschatologie Drohungen existierten, die von einem wütenden Heer
wilder Tiere redeten, durch die Jahve das Land verwüsten
werde. Wenn bei Jeremia und Ezechiel (5i7. 14i5f.) diese Tiere-
wieder in eigentlichem Sinne verstanden werden, so ist eben bei
diesen jüngeren Propheten die ui*sprün gliche Idee bewahrt worden.
Übrigens ist sie schon bei Hosea deutlich nachweisbar in einem
Verse, der besonders interessant ist, weil er das Reale mit dem
Bildlichen vermengt: Ich stoße auf sie (sagt Jahve) wie eine-
verwaiste Bärin und zerreiße ihre Herzkammern^ und Löwen
werden sie fressen"^, die wilden Tiere des Feldes sie zerreißen
(Hos. 13 8). Da Jahve die Bestien schickte, so ist es von hier
aus am leichtesten begreifhch, wie das letzte Zitat lehrt, daß
die Gottheit selbst, sei es mit einem Löwen (Hos. 5i4. 11 lo. 13?^
Jes. 31 4. Jer. 49 19 u. a.), einem Panther (Hos. 13?) oder gar
einer Motte (Hos. 138) verglichen wird^. Wenn anderswo-
(Zeph. 2i4f. Jes. 132if. 34iiff. Jer. 9io. IO22. 4933. 5039. 5l37>
1. So NowACK mit den LXX.
2. Auffallend ist, worauf mich Eichhorn aufmerksam gemacht hat^
daß Jahve in den prophetischen Büchern niemals mit einem Stier oder
Kalh verglichen wird, obwohl er doch in Dan und Bethel (IKeg. 1228)-
unter dem Bilde eines Kalbes verehrt sein soll. Ob das mehrfach
vorkommende Epitheton Vs^r^ ••ss oder apr "^"as (vgl. auch Gunkell
Schöpfung S. 66) an alten Stierdienst erinnert, ist fraglich, da das Bild
in Bethel stets \tv junger Stier, niemals -»-as, heißt.
Der Tag der Heuschrecken. 91
geschildert wird, wie in den verödeten Ländern und Städtert
Schakale, Wölfe, Uhus, Strauße und andere Wüstentiere hausen,
so darf man diese Tatsache schwerlich in diesen Zusammen-
hang einreihen, sondern muß sie einfach zum Stil der Kriegs-
lieder rechnen. Seit alters — wohl nicht erst seit Zephanja
— liebten es die Dichter, die vöUige Verheerung einer Gegend
durch solche typischen Züge anschaulich zu beschreiben.
Neben den wilden Tieren bildeten die Heuschrecken, die
durch den Südostwind nach Palästina getragen wurden, eine
besonders furchtbare, von Zeit zu Zeit wiederkehrende Land-
plage. Sie ist aus der Gegenwart nicht nur in die mosaische
Urzeit (Ex. 10), sondern auch in die Eschatologie projiziert
worden. Im Buche Joel wird von einer solchen Heuschrecken-
plage berichtet, die ohne Zweifel damals wirklich beobachtet ward,,
wie einige treffende Züge lehren. Da heißt es: Rasselnd wie
Kriegswagen huschen sie über die Höhen der Berge, prasselnd
ivie die Flamme des Feuers, das Stoppeln verzehrt, wie ein zahl-
reiches und zum Kriege gerüstetes Heer (Jo. 25). Aus Brehms
Tierleben (VI S. 482) erfahren wir: »Das ewige Auf- und
Niedersteigen, das Schwirren der Tausende von Flügeln und
das Knirschen der gefräßigen Kinnbacken am Boden verursacht
ein eigentümliches, schwer zu beschreibendes Geräusch, welches^
sich mit dem Rauschen eines starken Hagelschauers noch am
besten vergleichen läßt«. In Südafrika heißen die Wander-
heuschrecken Rooi Batjes d. h. »Rotröcke« nach den rotunifor-
mierten englischen Soldaten. »Die Vergleichung wird um so
treffender, als die jungen Heuschrecken sich ebenfalls zu Zügen
ordnen und geschlossen über die Gegend marschieren. In ihnen
günstigen Jahren sieht man ganze Armeen derselben auf dem
Marsche, die meist eine bestimmte Richtung einhalten und die-
selbe nicht gern aufgeben« (S. 481). Jo. 27f. fährt fort: Wie
Helden laufen sie, ivie Kriegsmänner steigen sie über die Mauer,
jeder zieht seinen Weg, und sie verwirren ihre Pfade nicht. Einer
drängt den anderen nicht, ein jeder wandelt seinen Pfad. »Sie
gleichen einem Schwärm von Ameisen, und alle nehmen, ohne
sich gegenseitig zu berühren, denselben Weg, stets in geringer
Entfernung von einander« (Brehm S. 486). In die Stadt eilen
sie, auf die Mauern laufen sie, in die Häuser steigen sie, durch
die Fenster dringen sie dem Diebe gleich (Jo. 29). »Bei der
"92 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
großen Heuschreckenplage 1865 sahen manche Bewohner von
Nazareth sich gezwungen, vor den Heuschrecken aus ihren
Häusern zu fliehen« (Nowack z. St.). Sonne und Mond wurden
finster, und die Sterne verloren ihren Glanz (Jo. 2io). Daß
die Heuschrecken Wolken bilden, die das Sonnenlicht nicht
durchlassen, wird oft berichtet (Beehm S. 480).
Aber wenn so auch die Farben, mit denen Joel malt, einer
wirklichen Heuschreckenplage entlehnt sind, so finden sich daneben
•doch einige Züge, die in dieses Bild nicht hineinpassen. Jo. 2ii
heißt es: Jahve hat gedonnert vor seinem Heere her. Man hat
keinen Anlaß, auf das Donnern Jahves Gewicht zu legen und
es für exakte Naturbeschreibung zu halten und zu behaupten,
daß »gleichzeitig mit dem Einfall der Heuschrecken in Jerusa-
lem ein gewaltiges Gewitter stattgefunden habe« (Wellhausen).
Denn einmal wird durch ein Gewitter die Plage illusorisch
(Merx), zum andern ist die Annahme ungenügend, um die
Worte Joels vollkommen zu erklären. Im Vorhergehenden sagt
der Prophet: Vor ihm zitterte die Erde, hebte der Himmel
(2io). Nowack belehrt uns zwar, daß »die Erde erbebt . . .,
weil Jahve seine Stimme ertönen ließ d. i. donnert«, aber so
leicht wird niemand dieser These Gehör schenken, da sie den
Tatsachen, wenigstens in unserer Gegend, nicht entspricht. Die
Erschütterung des Himmels vollends ist überhaupt nicht auf ein
Naturereignis, sondern nur auf die Phantasie zurückzuführen.
Man kommt also mit der Ansicht nicht durch, Joel schildere
hier eine zeitgenössische Begebenheit mit naturwissenschaftlicher
Treue. Denn die Worte 2 lof. sind als wirklich geschehen absolut
unerklärlich, sind aber wohl begreiflich in einer Eschatologie, für
die das Erscheinen Jahves im Gewitter, im Erd- und Himmel-
beben an der Spitze eines großen Heeres von Plagen typisch
ist. Auch 22f. kann nicht von Heuschrecken ausgesagt sein:
Wie Morgenrot liegt ausgehreitet auf den Bergen ein großes und
zahlreiches Volk, wie seines gleichen nicht gewesen ist von An-
beginn und nach ihyn nicht wieder sein wird bis zu den Jahren
der fernsten Geschlechter; denn so außergewöhnlich sind die
Heuschrecken nicht. Vor ihm her fraß das Feuer und hinter
ihm lohte die Flamme, ist ebenfalls nur mit Mühe auf das Heu-
schreckenheer zu beziehen.
Aus 2-20 geht deutlich hervor, woher Joel einen Teil der
Der Tag der Heuschrecken. 93
Züge entlehnt hat: Und den "»21 Di: will ich von euch entfernen
und will ihn in ein dürres und ödes Land stoßen, seinen Vor-
trab in das östliche Meer und seinen Nachtrab in das westliche
Meer, und Gestank soll aufsteigen. Das östliche Meer deutet
man gewöhnlich auf das Tote, das westliche auf das Mittel-
ländische Meer (aber vgl. § 20). Unter den Heuschrecken ver-
steht der Prophet jedenfalls den eschatologischen Feind. Das
Wort ■»3iD5r ist in diesem Zusammenhange durchaus unübersetzbar»
Es heißt eigentlich Das Nördliche, ist hier aber zum rätselhaften
Terminus technicus geworden, da der Begriff des »Nördlichen«
im Bewußtsein des Propheten keine Rolle mehr spielt; denn
sonst hätte er diesen Ausdruck nicht wählen können, um damit
die von Süden, also aus der entgegengesetzten Richtung kom-
menden Heuschrecken zu bezeichnen. Wir können uns die Ent-
wicklung der Phrase klar machen an dem deutschen Frauen-
zimmer, dessen zweiter Bestandteil jede Bedeutung in der Sprache
verloren hat. Mit der Geschichte des "»aiDir werden wir uns noch
beschäftigen müssen; es genügt hier zu konstatieren, daß es für
Joel der apokalyptische »Feind der Endzeit« ist (vgl. § 17).
Joel ist nicht mehr Prophet, sondern Apokalyptiker, wie
aus dem Stil seines Buches geschlossen werden muß. Betrachtet
man nur die beiden ersten Kapitel, so ist nicht wie bei den
älteren Propheten eine Anschauung klar und lebendig durch-
geführt, sondern es sind verschiedene Ideen so mit einander
kombiniert und laufen so ineinander über, daß ein eigentümliches
Schillern entsteht. AVill man diese Kapitel erklären, so muß
man drei eschatologische Vorstellungen von einander scheiden,
die hier mit einander verbunden sind. Erstens: Jahve wird
kommen. Vor ihm her frißt das Feuer, hinter ihm her loht die
Flamme (23); Erde und Himmel erbeben; Sonne, Mond und
Sterne werden finster (2 lo). Feuer verzehrt die Auen der Trift,
die Flamme entzündet alle Bäume des Feldes, und alle Wasser-
becken trocknen aus (ligf.). Neben dieser mythischen Beschrei-
bung des Sirokko steht zweitens, daß Jahve an der Spitze
eines gewaltigen Heeres von Heuschrecken einherzieht, die alle
Weinstöcke, Feigen- und Ölbäume kahl fressen (c. 1) und selbst
in die Städte dringen (c. 2). Da der glühendheiße Südostwind
und die Heuschreckenplage in natura mit einander verbunden
sein können, so mögen sie auch in dieser Dichtung von Hause
-:94 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
-aus zusammengehören, obwohl diese Annahme bei einem Apo-
kalyptiker nicht unbedingt notwendig ist. Denn drittens soll
<3er »nördliche Feind« erscheinen, auf den Bergen lagern, ver-
nichtet werden und unbeerdigt liegen bleiben. Die oberflächliche
Verknüpfung dieser drei eschatologischen Anschauungen zu einem
wenig einheitlichen Ganzen ist ein Zeichen der Apokalyptik. Das
.Bild wird noch bunter, wenn man c. 3 und 4 hinzunimmt, wozu
^r an dieser Stelle keinen Anlaß haben.
Die erste und dritte Idee begegnen uns anderswo gesondert;
sie stammen durch Vermittlung der älteren Prophetie aus dem
Volksglauben. Wer wollte meinen, ein Prophet oder gar ein
„Apokalyptiker wie Joel habe die zweite Auffassung von dem
Tage Jahves als einem Tage der Heuschrecken zum ersten
Male ausgesprochen? Die Apokalyptik arbeitet mit überliefertem
Gute, lautet ein allgemein gültiger Satz. Da die eben erwähnte
Vorstellung bei den älteren Propheten nicht nachweisbar ist, so
muß sie füglich der Volkstradition entlehnt sein. Und erlebte
Joel wirklich eine furchtbare Heuschreckenplage, wie die Kom-
mentatoren mit Recht behaupten, so konnte er niemals auf die
Idee verfallen, der Tag Jahves sei nahe (lis), wenn nicht schon
vorher dieser Tag mit einer solchen Plage als identisch galt
oder mit ihr wenigstens aufs engste verbunden war. Wenn bei
uns die Cholera ausbricht, glaubt doch niemand, daß das Ende
der Welt da sei. Nur bei Kriegen, Kometen und anderen Din-
gen, die wir als »Vorzeichen« aus der Bibel kennen, wird heute
noch hin und wieder einer solchen Vermutung Ausdruck ver-
liehen. Auch für Joel sind die Heuschrecken nur »Vorboten«.
. Für ihn war der Tag Jahves schon Dogma geworden ; mit dem
Eintreten der Plage war nur ein Teil der eschatologischen Er-
wartung erfüllt, eine große Reihe von Einzelheiten standen noch
aus und mußten noch in die Erscheinung treten.
Mit Recht ist die Allegorisierung der Heuschrecken Joels
fast allgemein aufgegeben. Wahrscheinlich dürfen wir eine pa-
-^rallele Idee schon Jes. Tisf. voraussetzen, einer kleinen, nur aus
^wei Versen bestehenden Rede : Und geschehen wirds an jenem
Tage, zischen wird Jahve der Fliege und der Biene, und kommen
werden sie und sich niederlassen alle in die Täler der Klippen
und in die Klüfte der Felsen und in alle Dornbüsche und auf
■ralle Triften. Liest man diese Sätze so, wie sie hier zitiert sind,
Der Tag der Fliegen und der Bienen. 95
dann wird niemand auf den Gedanken kommen, die genannten
Tiere umzudeuten. Die kleine Dichtung ist in sich vollkommen
durchsichtig und bedarf nach dem Vorangegangenen keiner
weiteren Erläuterung, da sie in die volkstümlichen Vorstellungen
vom Tage Jahves ausgezeichnet hineinpaßt. Jahve wird jenes
Tages wie ein Bienenvater auch die kleinen lästigen Insekten
herbeirufen, wie er mit dem Heer der Heuschrecken und den
wütenden Bestien das Land erfüllt. Nach dem überlieferten
Text freilich soll die Fliege auf Ägypten, die Biene auf Assur
bezogen werden, und es ist durchaus wahrscheinlich, daß der
Prophet dies oder etwas Ähnliches gemeint hat. Nur stellt man
es sich gewöhnlich so vor, als sei er auf dies Bild verfallen,
weil die Fliege für Ägypten, die Biene für Assur bezeichnend
sei (Dillmann-Kittel). Diese Erklärung, deren Berechtigung
nicht ganz geleugnet werden soll, ist aber doch nur teilweise
zutreffend. Denn die Fliege ist auch in Palästina ein sehr lästi-
ges Insekt, das zur wirkhchen Plage werden kann. »Im Ror
gibt es große, den Tieren gefährliche, blutsaugende Fliegen;
sonst treten Schwärme kleiner schwarzer Fliegen auf, die in
Mund und Nase kriechen« (Nowack: Archaeol. I S. 86). Und
wenn einmal sagenhafte Erzählungen existiert haben, nach denen
die Kanaaniter durch Hornissen aus dem Lande vertrieben
wurden, so dürfen wir uns auch die Bienen Palästinas nicht
allzu harmlos denken, mögen hier auch noch andere uns unbe-
kannte Faktoren mitgewirkt haben. Jesaja exemplifiziert keines-
wegs auf die charakteristischen Eigenschaften der Fliegen und
Bienen, wie es doch nahe liegen sollte bei einem Schriftsteller,
der angeblich zum ersten Male den Tag Jahves mit diesen
Farben malt, sondern er begnügt sich mit der allgemeinen Aus-
sage, daß durch die Insekten das ganze Land überschw^emmt
werden solle, was ebensogut von Heuschrecken wie von Bienen
gilt. Die Konzeption dieser Dichtung erklärt sich am einfachsten
unter der Annahme, der Prophet habe sich an ältere Muster an-
gelehnt, die eine wirkliche Insektenplage — wie einst beim Exodus
— so auch am Tage Jahves schilderten. Eben deshalb stellte
er die Feinde unter dem Bilde von Insekten dar und bezeichnete
sie in mystischem Halbdunkel nach den einigermaßen hervor-
stechenden Plagen ihres Landes.
Sofern Jahve der Gott der verderblichen Naturerscheinungen,
96 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
des Krieges und der Seuchen ist, spielt er auch die Rolle des
Toten gottes. Sein Wirken muß sich daher, wie sich von selbst
versteht, überall im Massenmorde und im gewaltsamen Tode
offenbaren. Das Prädikat eines Totengottes kommt ihm somit
nur in abgeleiteter, in sekundärer Beziehung zu. Eigentlicher
Totengott wäre er dann, wenn er seinen Wohnsitz in der Seol
hätte, wenn er antike Epitheta führte, die mit dem allgemeinen
Todeslos zusammenhängen, wenn in mythischen Bildern be-
schrieben würde, wie er alle Menschen aus dem Leben abruft.
In späterer Zeit finden sich freilich einige Redewendungen, die
zweifellos lehren, daß man, wie alles, so auch den Tod von Jahve
selbst ableitete. Wenn Gott den Odem einzieht, so vergehen
die Geschöpfe (Ps. 10429. Job. 34i4ff.). Gott macht den Men-
schen zum Staube und spricht: Kehrt wieder (seil, zum Staube),
ihr Menschenkinder (Ps. 903). Die ältere Zeit weiß davon nichts.
Wenn es I Sam. 26 heißt: Jahve tötet und macht lebendig, er
stößt in das Totenreich hinab und führt herauf, so ist das nur
ein hyperbolischer Ausdruck für den krankenheilenden Gott (vgl.
Ps. 304 und KAT* S. 639), ein Ausdruck, der vielleicht im An-
schluß an alte Mythen geprägt ist. Mag Jahves Arm später auch
in die Unterwelt reichen (Am. 92), mag Seol die Untergebene
Jahves sein (Hos. 13 14), ursprünglich haben Jahve und die Seol
nichts mit einander zu tun (Bebe). Denn Jahve thront im
Himmel, während die Seol tief drunten in der Erde (Jes. 149. 15)
oder unter den Wassern liegt (Job. 265). Die Patriarchen
werden versammelt zu ihren Vätern (Gen. 25 17. 3529. 4933), aber
zu Gott entrückt werden nur Henoch und Elia (Gen. 524. II Reg. 2).
Sein Bereich ist der Himmel, in der Seol preist man ihn nicht
(Ps. 66. 88i2f. Jes. 38i8f.). Beer macht darauf aufmerksam, daß
unter den Werken Jahves niemals die Seol aufgezählt werde.
Man darf hinzufügen, daß kein Epitheton, kein Bild Jahve als
Totengott darstellt. Das sanfte Entschlafen auf dem Strohlager,
das Hinabsteigen zur Grube, das Leben in der Seol geschieht
ohne Jahve.
Die Seol gehört ihrem Wesen nach, wie Beek mit Recht
gezeigt hat hat, einem chthonischen Glauben an, während Jahve
im Alten Testamente niemals als chthonischer Gott erscheint
(gegen Beer). Man könnte zwar vermuten, weil Jahve von
Hause aus der Gott des Sinai gewesen sei, müsse er chthonische
Jahve und die Seol. 97
Natur gehabt haben, zumal wenn der Sinai wirklich ein Vulkan
war. Aber mag das auch vermutet werden, nachweisen läßt
sich das nicht, im Gegenteil! Nach Ex. 2O21 wohnt Jahve nicht
in dem Berge, sondern in der Wolke, die über dem Berge lagert,
nach Ex. 19 18 kommt Jahves Feuer nicht aus dem Berge, son-
dern fährt herab vom Himmel. Nach IReg. 199 befand sich
zwar eine Höhle am Horeb (Sinai), in der EHa über Nacht
blieb. Aber um vor Jahve zu treten, wird ihm befohlen, aus
der Höhle herauszugehen und auf den Berg zu steigen (I Reg,
19 11). In derselben Weise muß es verstanden werden, wenn die
Aramäer (IBeg. 2023flP.) den Jahve für einen Gott der Berge
und nicht der Ebene halten. Endlich rekurriert Beer auf
IReg. 812, wo Jahve erklärt, im Dunkel wohnen zu wollen.
Aber wie V. lOf. lehren, ist vom Verfasser nicht an das Dunkel
der Höhle gedacht worden, da eine Wolke den Raum füllt.
Ist Jahve also je ein chthonischer Gott gewesen, so hat er im
Licht der Geschichte bereits seine alte Natur abgestreift und
ist zum Himmelsgott geworden.
Seol wird nicht nur Hos. 13 14, sondern auch anderswo per-
sonifiziert. Mehrfach finden sich Bilder, die von der Seol als
von einem unersättlichen Scheusal mit großem Rachen reden
(Jes. 5 14. Hab. 25. Ps. Uli. Prov. I12. 27 20. 30 le). Es ist mög-
Hch, daß diese Bilder weiter nichts sind als poetische Personi-
fikationen (so KöBEKLE S. 141), zumal von einem Kult der
Seol keine Spuren vorhanden sind, es ist aber auch mögHch,
daß diese Bilder das dichterische Überbleibsel einer mythischen
Gestalt, einer kanaanitischen Hadesgöttin, sind, die entsprechend
der babylonischen Ereskigal als löwenköpfiges oder drachenartiges
ungeheuer galt. Ebenso wenig läßt sich die Frage nach der
Anschauung des Todes mit Sicherheit entscheiden. Während
der Tod an der späten Stelle Koh. 9 12 mit einem Vogelsteller
verglichen wird, ist er in den Psalmen öfter als Jäger ^ mit
Schlingen und Fallstricken direkt personifiziert (Ps. 18 6. 91 3. 116 3).
Er führt, wie wir gesehen haben, nicht nur das Epitheton ^b?3
mnbn, sondern hat sogar Söhne: Sein Erstgeborner ist der
Aussatz (Job. 18i3f.), und vielleicht waren einmal alle Seuchen
1. Auch Jahve wird als Jäger (Hos. 7 12. Ez. 323) oder Fischer
(Ez. 294. Job. 4O25) dargestellt, aber an keiner dieser Stellen yerrichtet
er die Funktionen des Totengottes.
Forschungen «ur Rel. u. Lit. d, A. n, NT. 6. 7
98 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
und Plagen überhaupt Kinder des Todes (vgl. Hos. 13 u). Sicher
poetisch sind Verse wie Jes. 149, wo Seol dem Könige Babels
zur Begrüßung entgegenstürmt, die Schatten rings um sich her
aufstört und die Könige von ihren Thronen treibt i, oder Jer. 9 20,
wo der Tod einem Diebe gleich in die Fenster steigt, um die
Einwohner zu morden. Weil Jahve kein Totengott im eigent-
lichen Sinne des Wortes ist, darum spielen die mythischen An-
schauungen von Tod und Seol in der Eschatologie eine ver-
hältnismäßig geringe Rolle.
§ 12. Die Wohnung Jahres.
Friedrich BAETHaEN: Beiträge zur semitischen Eeligionsgeschichte.
Berlin 1888. Gustav Westphal : Die Vorstellungen von einer Wohnung
Jahves (Inaugural-Dissertation). Marburg 1903.
Überall da, wo Jahve wohnte, d. h. sich als gegenwärtig
offenbarte, errichtete man ihm Tempel und baute ihm Altäre.
Alle Kultstätten Palästinas aufzuzählen, deren Namen uns über-
liefert sind, hat keinen Wert. Es sollen nur einzelne charak-
teristische Anschauungen herausgehoben werden, die für die
Gottesvorstellung auch der Eschatologie von Bedeutung und die
geeignet sind, die Idee des Gottesberges im Norden zu er-
läutern.
Jahve war von alters her ein Zevq ogeiog, ein Baal der
Berge. Beweisend für diese These sind nicht die Bamoth, die
auf den Höhen gelegenen HeiHgtümer, da sie einfach von den
Kanaanitem auf die IsraeHten übergingen, sondern die Namen
verschiedener Berge, mit denen die Person Jahves aufs engste
verknüpft ist. In der Tradition wird als ältester, uns unbe-
kannter Berg der Sinai oder Horeb genannt. Mit ihm verbun-
den, vielleicht nicht nur in den Liedern, sondern auch in der
Geographie, erscheinen das edomitische Gebirge von Paran
(Jdc. 54. Hab. Ss) und Seir (Dtn. 332. Jdc. 04). Wohl be-
gegnen ihre Namen hin und wieder in den Jahvetheophanien
der späteren Zeit, aber sie sind nichts weiter als archaistische
Überreste, halb verschollene Reminiszenzen aus einer früheren
Epoche der israehtischen Rehgion. Ein klassischer Zeuge dafür
1. Ähnliche Schilderungen finden sich auch im Ägyptischen; vgl.
A. Erman: Die ägyptische Eeligion. Berlin 1905. S. 92.
Der Gott der Berge. 99
ist die Eschatologie. Mögen Sinai, Horeb und andere edo-
mitische Berge beiläufig einmal erwähnt werden: da wo eine
für Israel wichtige Entscheidung Jahves in der Endzeit statt-
findet, werden nicht sie, sondern ausschließlich palästinische Ge-
genden als die Stätten der Offenbarung bezeichnet^. Nur die
Geschichtserzählungen haben uns eine einzige Ausnahme von
dieser Regel übermittelt: Elia soll zum Heiligtum Jahves am
Horeb gewallfahrtet sein. Für ihn, so scheint es, war Jahve nur
dort zu finden, war er nur dort zu Hause und darum besuchte
er ihn dort. Ganz verloren gegangen war also der Glaube an
den ursprünglichen Wohnsitz Jahves außerhalb Palästinas nicht;
in gewissen Kreisen mag er bis dahin immer lebendig gewesen
«ein, obwohl wir niemals etwas Näheres darüber erfahren. Für
die große Masse des Volkes und auch für die folgenden schrift-
stellerischen Propheten war Jahve mit Israel nach Palästina
gezogen, hatte dort sein Domizil aufgeschlagen und offenbarte
sich dort von Zeit zu Zeit. Zum krassesten Ausdruck wird
diese Idee ISam. 26 19 gebracht: Weil David aus Palästina ver-
irieben wird, darum hat er keinen Teil mehr an Jahves Eigen-
tum ^ darum kann er fortan Jahve nicht mehr verehren, darum
heißt es für ihn nur: Diene anderen Göttern! Der Syrer Naeman
freilich weiß sich zu helfen: Er nimmt zwei Maultierlasten pa-
lästinischer Erde mit. Denn er will fernerhin keinen anderen
Göttern mehr Brandopfer und Schlachtopfer bringen, sondern
nur Jahve (II Reg. 5 17). So fühlt er sich durch ein magisch-
reales Band mit dem Wohnsitz Jahves verknüpft.
Wohl nur die wenigsten Israeliten haben eine so kleinhche
Gottesanschauung gehabt. Mochte Jahve auch vornehmlich im
Lande Kanaan sich offenbaren, so reichte seine Macht doch
weit darüber hinaus (Mal. 1 5). Schon in alter Zeit^ läuft neben
1. Über das Tal Abarim s. u. § 17.
2. Stade: Bibl. Theologie S. 104 weist die Behauptung Gunkels,
der Glaube an das Wohnen Jahves gehöre schon der ältesten Zeit an,
zurück, weil sie »auf mangelhafter Literarkritik beruhe« (S. 104).
Ich will weder auf die Literarkritik noch auf die gewaltsame Über-
setzung Stades von D'^)a:»n-p (Gen. 1924) »aus der Wetterwolke« eingehen,
sondern mich auf seine eigene positive Auffassung beschränken. Ez.
28 14. 16 ist von dem Götterberg im Norden die Kede, dessen Gipfel in
die Wolken reicht. »Daraus erklärt sich, daß die Ezechiel erscheinende
Wetterwolke von Norden herkommt I4. Damit ist eine positive Aus-
7*
100 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
dieser Vorstellungsreihe eine andere her, die Jahve nicht auf
Erden, sondern im Himmel wohnend denkt. Man muß sich
vor zwei Fehlern hüten, die oft gemacht werden: einmal, die
überlieferten Notizen mechanisch zu dogmatisieren und gewaltsam
in ein System zu pressen. Der antike Mensch kennt das Be-
dürfnis nicht, das uns schon durch den Katechismusunterricht
anerzogen ist, eine einzige klare und bestimmte Antwort auf
die Fragen der religiösen Reflexion zu suchen. Zweitens darf
man die Macht der Gewohnheit nicht unterschätzen, die in der
sprachlichen Formel nachwirkt. Noch immer mochte man den
Tempel eine »Wohnung des Gottes« nennen und war doch
längst überzeugt, daß das im eigentlichen Sinne nicht richtig
sei. Sicher gab es einmal eine Zeit, in der Jahve auf dem
Sinai zu Hause war, und mit Gewißheit konnte man erwarten^
ihn dort zu treffen. Aber wir haben gesehen, daß alle Nach-
richten, die wir besitzen, Gott nicht mehr auf dem Berge
selbst, geschweige denn in dem Berge, sondern in der Wolke
über dem Berge suchen. Höchst wahrscheinlich handelt es
sich hier um eine spätere Umdeutung; denn Wolken waren
überall vorhanden und sind für den Sinai nicht charakteristisch.
Die Wolke schwebt dort, weil der Berg heilig ist, und nicht
kunft über den Verbleib Jabves nach Zerstörung Jerusalems gewonnen . . .
So erklärt sich auch, daß sich beim Erscheinen Jahves der Himmel
öffnet 1 1. Durch diesen Synkretismus ist Jahve in den Himmel hinein-
gewachsen« (S. 290f. Ebenso v. Gall: Die Herrlichkeit Gottes S. 31:
»Vielleicht hat gar die Wanderung Jahves zum Götterberg .... die
Brücke zur Vorstellung vom Wohnen Jahves im Himmel geboten«).
Gegen diese Anschauung sprechen folgende Schwierigkeiten: Erstens-
ist es undenkbar, daß eine solche Idee wie die von der himmlischen
Wohnung der Gottheit in historischer Zeit entstehe; sie ist ihrer Natur
nach prähistorisch, weil sie mythisch ist. Zweitens ist es unmöglich,,
daß sie den Israeliten bis auf Ezechiel unbekannt gewesen sei; und
wenn alle Nachrichten darüber fehlten, so müßten wir sie postulieren.
Denn das historische Israel und zumal die Propheten standen nicht
mehr auf einer primitiven, sondern auf einer hohen Religionsstufe^
die undenkbar ist ohne den Glauben an eine himmlische Gottheit.
Drittens ist die fetischistische Vorstellung, als habe Jahve bis zur
Zerstörung im Tempel von Jerusalem gesessen, als unprophetisch abzu-
lehnen. Das religionsgeschichtlich schwierige Problem, wie die Götter
in den Himmel gekommen sind, ist also durch Stade seiner Lösung:
nicht näher gebracht.
Sinai. Zion. Tabor. 101
umgekehrt! Folglich muß Jahve einmal am Sinai selbst ge-
haftet und auf ihm resp. in ihm gewohnt haben. Dies Beispiel
ist äußerst instruktiv. Wenn es in der Entwicklung der Re-
ligion möglich gewesen ist, Jahve sogar von den Stätten los-
zulösen, die von Natur als gegebene Offenbarungsorte ausge-
zeichnet waren, um wie leichter mochte der Glaube an das
Wohnen Jahves in Tempeln verschwinden, die erst von Menschen-
hand künstlich als Behausung der Gottheit geschaffen waren!
So wenig Apollon ständig im delphischen Heiligtum weilte, so
wenig gilt das Entsprechende für Jahve. Ab und an mochte
er in sein irdisches Heim einkehren, um Orakel und Weisung
zu erteilen, in Visionen oder Träumen sich zu offenbaren, für
gewöhnlich aber war Jahve im Himmel. Nach dem Gesetze
der Trägheit erhielten sich die alten Formeln, die einer vielleicht
schon Jahrhunderte lang überwundenen Rehgionsstufe angehörten,
sodaß es falsch wäre, aus ihnen Schlüsse zu ziehen über den
Glauben der damahgen Zeit.
Selbst als Gott Palästinas hat Jahve seine Bergnatur nicht
aufgegeben. In den Augen der Aramäer galt er noch zur Zeit
Ahabs als ein Gott der Berge, der seinen Anhängern auf den
Bergen den Sieg verleiht, in der Ebene aber ohnmächtig ist
(IReg. 20 23). Seit der Erobei-ung Jerusalems durch David und
seit seiner Erhebung zur Reichshauptstadt redete man mit Vor-
liebe von dem Berge Zion, dem niedrigsten Hügel (noch nicht
700 m hoch) im Gebiet des alten Jerusalem, den Jahve sich
erwählt habe (Jes. 818. 18 7. Ps. 742. 7868 u. a.). Zion heißt
gradezu der Berg Jahves (Jes. 23. Mch. 42), dort steht das
Haus Jahves (Jer. 7ioff. 23 11). Weil Jahve dort »wohnte«,
glaubte das Volk, der Tempel könne nie zerstört werden, und
in gewissen Kreisen ward dieser Glaube zum krassesten Aber-
glauben (Jer. 74). Im Gegensatz zu dieser Anschauung betont
der Prophet, Zion solle grade deshalb als Feld gepflügt werden
(Mch. 3iif.). Als das Deuteronomium eingeführt und alle Kult-
stätten mit Ausnahme Jerusalems abgeschafft wurden, stieg die
Bedeutung Zions ins Ungemessene. Von da an war es der
einzig legitime Wohnort Jahves, obgleich der Berg schon in
früherer Zeit ausgezeichnet und mit all den Ehrenprädikaten
versehen war, die man zur Verfügung hatte.
Neben dem Zion, dessen besondere Heiligkeit durch die
102 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Geschichte begründet ist, galten auch die anderen hervorragenden
Berge Palästinas, die von uralten Zeiten her um ihrer Natur-
beschaffenheit willen eine Rolle in der kanaanitischen Religion
spielten, als Berge Jahves. Der Tdbor, auf dem jedenfalls eine
Kultstätte lag, mag das mit Recht oder mit Unrecht aus Hos. 5i
geschlossen sein, jauchzt nach des Psalmisten Wort über den
Namen Jahves (Ps. 89 13).
Öfter wird der Karmel genannt und geschildert, wie sein
dichtbelaubter Gipfel vor dem Sirokko Jahves verdorrt (Am. 1 2.
Jes. 339. 302). Aus I Reg. 18 erfahren wir, daß dort ein Altar
Jahves stand, und das Gottesurteil auf dem Karmel scheint ur-
sprünglich eine Kultlegende zu sein, die den Wohnsitz Jahves, der
auf das Flehen seines Propheten Feuer vom Himmel herab-
sandte, dort begründet und rechtfertigt gegenüber dem ohn-
mächtigen Baal, im Anschluß an die historische Gestalt des
großen Baalstreiters Eha. Noch zu Tacitus' Zeit (Hist. II 78)
war dort ein Altar, und JambHchus (vita Pyth. III 14 f.) be-
zeichnet den Berg, dessen Einsamkeit Pythagoras aufsuchte,
als ein aßazov, unzugängHch den profanen Menschen. Die
Herden, die dort weiden, sind unverletzlich, der Flüchtling findet
dort ein sicheres Asyl. EndUch begegnet der Karmel in einer
Rede des Amos, die nicht ganz verständUch ist (9iff.). Der
Prophet sah den Herrn am Altar stehen und hörte ihn reden:
Schlage den Knauf, daß die Schwellen beben .... Und ihren
letzten Rest will ich mit dem Schwerte würgen, nicht einer von
ihnen soll entrinnen, kein einziger sich retten. Wenn sie in die
Hölle durchbrechen, so langt sie von dort mein Arm, und wenn
sie zum Himmel auffahren, so hole ich sie herab, und wenn sie
sich auf dem Gipfel des Karmel verkriechen, so spüre ich sie
dort auf und hole sie, und wenn sie sich vor meinem Blick ver-
stecken im Meeresgrund, so befehle ich dort der Schlange sie zu
beißen, und wenn sie von ihren Feinden getrieben in Gefangen-
schaft wandern, so befehle ich dort dem Schwerte, sie zu er-
würgen; ich richte mein Auge auf sie zum Bösen, und nicht
zum Guten. Die Szene scheint in dem Tempel von Bethel ge-
dacht, der zur Strafe für die sündigen IsraeUten umgestürzt
wird (vgl. 3 14). Wer entflieht, den weiß der allmächtige Jahve
überall zu treffen, mag man zum Himmel auffahren, in die Seol
durchbrechen oder auf dem Meeresgrund sich verstecken. Neben
Karmel. Basan. Libanon. 103
und zwischen diesen drei unmöglichen Dingen nennt Arnos das
Exil und das Verkriechen auf dem Karmel, der sich wegen
seiner zahlreichen Höhlen besonders gut dazu eignete. Auf-
fallend ist die Inkonzinnität der Zufluchtsorte und die schlechte
Stilistik, mit der sie ohne erkennbaren Gedankenfortschritt an
einander gereiht sind.
Ein Gottes (Jahve-)ber(j ist der Basansher g, ein giebelreicher
Berg ist der Basansberg (Ps. 68 le). Gemeint ist wahrscheinlich
der Hermon (Baethgen), ein dreikuppiger Vorsprung des Anti-
libanus, der an der Nordspitze Basans lag (Dtn. Ss). Euse-
bius (Onom. ed. Eeich Klostermann 20 u) sagt von ihm: wg
iBQOv Ti^aGd^at vno tiov ed^vaiv, und Hieronymus (ebd. 21 is):
esse in uertice eins insigne templum. Von einem Lokalgotte,
dem pTa'nn b^a, hören wir bereits in alter Zeit (Jdc. Ss. I Chr.
023). Der Name des Gebirges hängt mit onn, dem arab. Haram
zusammen, d. h. der geweihte Bezirk, der Temenos, der die
Kultstätte umgibt und in dem die Tiere des Gottes weiden
(vgl. Wellhausen: Reste arabischen Heidentums. Berlin 1887.
S. 101 ff.). Man wird kaum fehlgehen in der Annahme, dem
Baal des Hermon seien Kühe und Stiere heilig gewesen, da
Basan grade um ihretwillen berühmt war (Dtn. 32 u. Ps. 22 is).
Interessant ist Am. 4iff., wo der Prophet die Weiber Samariens
metonymisch als Basanskühe tituliert und ihnen weissagt; Ihr
werdet aus euren Trümmern herausgehen, jede vor sich hin, und
verstoßen werden zum Hermon^. Denn dort sind solche feisten
Kühe zu Hause, dorthin gehören auch die samarischen Kühe,
und das von Rechts wegen.
Noch berühmter war der Libanon wegen seiner Wälder,
die von alters her ein wertvolles Bauholz lieferten. In der Ein-
leitung zur Höllenfahrt des Königs von Babel heißt es : Es ruht,
es rastet die ganze Erde, sie brechen aus in Jubel, auch die
Zypressen freuen sich um dich, die Zedern Libanons. Seit du
dich gelegt, steigt nicht mehr der Fäller zu uns auf (Jes. 14 7f).
Diese Worte haben einen klaren dichterisch-hyperbolischen Sinn:
Wie die Menschenwelt so freut sich auch die Natur, die unter
1. Lies nr.ttirr ips^bhi. Vielleicht gab es dort einen unzüchtigen
Kult, wie noch später in dem etwas nördlicher gelegenen Baalbek und
Aphaka; denn dem Sinne nach muß ein Hurenhaus gemeint sein (münd-
liche Mitteilung Günkels).
104 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
dem babylonischen Sklavenvogt seufzte, über die Erlösung aus
diesem Frondienst. »Seit der Libanon unter Tiglat-Pilesar III.
zum assyrischen Machtbereiche gehörte, holte man von hier das
Bauholz, wie es zuvor schon die Ägypter getan hatten. Nebu-
kadnezar hat im Wadi Brissa im Libanon eine Straße bauen
lassen, die Zedern herabzubringen« (A. Jekemias zu I Heg. 5 13).
Die Phöniker verehrten einen ^anb b^i (Lidzbarski: Hdb.
S. 239), den die Israeliten mit Jahve identifizierten. Denn
Ps. 104 16 redet von den Bäumen Jahves, den Zedern des Li-
banon, die er gepflanzt hat. Eine parallele Vorstellung finden
wir bei den Babyloniern: Als Gilgames und Eabani zur Göttin
Irnini (Istar) wandern, kommen sie an einen Zedern wald: Sie
standen, den Wald betrachtend, schauen an die Höhe der Zeder,
schauen an den Eingang des Waldes, wo Humbaba zu wandeln
pflegt erhabenen Schrittes. Wege sind angelegt, gutgemacht ist
der Pfad. Sie schauen an den Zedernhügel, den Wohnsitz der
Götter, das Allerheiligste der Irnini (Jeremias S. 97 f.). Dieser
Zedenihügel, der »jedenfalls im Osten von Babylonien zu suchen«
(Zimmern S. 527) und der mit dem Berg von Behistun oder
dem Elvend identifiziert worden ist (Jensen), hat mit dem
Libanon nichts zu tun. Es handelt sich also um parallele,
nicht um abhängige Ideen, die sich überall da bilden konnten,
wo es Zedern gab. Die Verbreitung dieses Baumes reicht »vom
westhchen Himalaya über Syrien und Cilicien durch Nordafiika
bis Marokko, immer auf dem Bücken der Hochgebirge« (Socin),
aber in Palästina selbst existierten keine Zedern. Wo sie im
Alten Testamente erwähnt sind , ist stets an . die des Libanon
gedacht.
Man hat nun speziell für den göttlichen Zedernhain, der
Ez. 31 geschildert wird, babylonischen Einfluß vermutet^. Dort
wird erzählt: Es war einmal eine Zeder auf dem Libanon mit
dichtem Laube, herrhchen Ästen und wundervollem Wüchse.
Da sie vom Urmeer getränkt wurde, war zwischen den Wolken
ihr Wipfel, in ihren Zweigen nisteten die Vögel, unter ihren
Ästen gebaren die Tiere und in ihrem Schatten wohnten zahl-
reiche Völker. Zedern glichen ihr nicht im Garten Gottes, und
1. Jeremias: Jzdubar-Nimrod S. 23; Jastrow: Rel. of Babyl. S. 481;
Jensen KB VI 1, S. 441 fiF.; Zimmern KAT^ S. 528.
Das Märchen von der hochmütigen Zeder. 105
es beneideten sie alle Bäume Edens, die im Gottesgarten waren.
Da geschah es, daß sie hochmütig ward und sich über alle ihre
Genossen erhob. Zur Strafe dafür ward sie gefällt. Ihre
Zweige füllten die Bergtäler und ihre Äste lagen zerbrochen in
den Bächen. Ihre Knospen fraß das Wild des Feldes, sodaß
die Zeder nicht wieder neu ausschlagen und neue Triebe an-
setzen konnte. So ist sie verdorben, gestorben (V. 1 — 14a).
So wie die Geschichte hier wiedergegeben ist, ist sie ein
reines Märchen, deren Thema lauten würde: »Die hochmütige
Zeder«. Dies Märchen kann nicht von Ezechiel selbst ge-
dichtet sein. Denn nach seiner folgenden Darstellung wird die
Zeder nicht gefällt, sondern kommt mit den Bäumen Edens in die
Unterwelt (V. 16 f.), ohne daß ihre Bestrafung durch irgend eine
Schuld motiviert würde. Der Prophet hat also das Märchen der
Tradition entnommen und für seinen Zweck umgearbeitet und um-
gedeutet auf den Pharao. Aber das Märchen muß noch eine zweite
Umwandlung erlebt haben. Die beiden Namen, Libanon und
Eden, gehen merkwürdig durcheinander und werden promiscue ge-
braucht: alle Edenbäume, die erlesensten und besten des Libanon,
alle Wasser trinkenden (V. 16). Man hat daraus schließen
wollen, daß Eden, der Gottesgaiien , einmal auf dem Libanon
gesucht worden sei. Diese Folgerung ist nicht unbedingt not-
wendig. Wenn das Märchen ursprünglich von einer wunder-
vollen Paradieseszeder handelte, so lag es für den IsraeHten
nahe, von einer Libanonzeder zu reden, ohne daß er deshalb
das Paradies mit dem Libanon zu identifizieren brauchte. Die
Übertragung solcher Erzählungen geschieht oft nur stückweise.
Der Beweis dafür, daß der Libanon erst später in das Märchen
hineingebracht ist, ergibt sich vor allem aus der Szenerie. Eine
so gewaltig große Zeder, deren Wurzeln bis in die unterste
Tiefe der Erde, bis in den Urozean (D^nn) reicht, und deren
Wipfel über die Wolken hinaus bis in den Himmel hinein
wächst, kann ursprünghch nicht auf dem Libanon, sondern nur
in dem mythischen (wenn auch irdischen) Lande Eden gestanden
haben. Märchen sind an sich nirgends autochthon, sondern ge-
hören zur Allerweltsliteratur. Für diese Geschichte kann man
mit Sicherheit israelitische Herkunft leugnen, da weder die
»Zeder« noch die »Tehom« palästinisch sind. Eine Entlehnung
106 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
aus dem Babylonischen ist möglich, aber nicht sichert Ezechiel
scheint das Märchen stark stilisiert zu haben, um es als Bild
für den Pharao verwerten zu können. Namentlich ist wohl der
Zug von dem flinabfahren der Bäume in die Unterwelt nicht
ursprünglich, sondern später hinzugefügt, etwa nach dem Muster
von Jes. 14.
Beachtenswert ist ein ähnHches Märchen im syr. Baruch
c. 36. In der Ebene stand ein Wald, von hohen und wilden
Felsbergen umgeben. Ihm gegenüber wuchs ein Weinstock^
unter dem eine sanfte Quelle hervorfloß. Diese Quelle gelangte
bis zu dem Walde hin und wurde zu gewaltigen Fluten, die die
Bäume und die Berge rings umher verwüsteten, sodaß nur eine
einzige Zeder übrig blieb; aber auch diese ward entwurzelt
und zu Boden geworfen. Auch hier ist es eine gottlose (367ff.)
Zeder, wie die Deutung hinzufügt, des Libanon (395), die an-
fangs von sanften Wassern getränkt, dann aber von großen
Fluten (nia'i niTsinr)) mit anderen Bäumen vernichtet wird.
Das ursprünglich mythische Element des Gottesgartens ist ab-
gestoßen; gebheben ist außer dem novellistischen Stoff nur der
Urozean. Neu hinzugekommen ist der Weinstock, vielleicht von
Hause aus ein Symbol für Kanaan (doch vgl. Ez. 17).
Diese Abschweifung war vor allem deshalb wertvoll, weil
sie uns gezeigt hat, daß die Propheten in ihren eschatologischen
Reden nicht nur Mythen, sondern auch Märchen verwandt
haben. Sie war notwendig, um die wahrscheinlich unrichtige
Meinung abzuweisen, als habe der Libanon je als Gottesgarten
d. h. als Wohnort Jahves gegolten.
Von einem anderen Sitze Jahves hören wir in der nach-
exihschen Zeit Zach. 6iff. Vier Wagen, mit buntfarbigen Rossen
bespannt, kommen zwischen zwei ehernen Bergen hervor: das
sind die vier himmlischen Winde, die ausziehen, nachdem sie
sich vor dem Herrn der ganzen Welt gestellt haben. Wir
dürfen vermuten, daß der sire de tot le monde auf den Metall-
bergen seine Burg hat; alles Übrige bleibt dunkel. Gab es
dort nur zwei Berge oder noch mehr? Auf welchem von ihnen
las das Haus Jahves? Ihre Beschaffenheit aus Erz läßt sich
1. Spezifisch israelitisch ist es, wenn der "Weltbaum Zach. 4 als
»Mandelbaum« oder »Ölbaum« gedacht wird (vgl. Gunkel: Schöpfung
S. 114 ff.).
Die Metallberge. 107
wohl aus der Kombination zweier ursprünglich von einander
getrennter Ideen erklären. Aus griechischen Dichtern ist uns
die Bezeichnung des Himmels als /«Azfiov (II. XVIII 425 Find.
Pyth. X 42 Nem. VI 6) oder jtoUtal-Aov (II. V 504 Od. III 2>
geläufig. Daß sie den Israeliten nicht unbekannt war, lehrt
Job. 37 18, wo der Himmel mit Metallguä (pi:^») verglichen
wird (vgl. Dtn. 2823). Da ferner die irdischen Tempel dem
Himmel nachgebildet sind (Gunkel), so waren der Altar, die
Schlange und viele Geräte in der Stiftshütte und im salomo-
nischen Heiligtum wahrscheinHch nicht deshalb ehern, weil Erz
das für Kunstwerke übliche Metall war, sondern weil dadurch
die himmlische Natur symbolisiert werden sollte. Daraus würde
sich endlich am leichtesten begreifen, warum die Gestalt des
Engels in Ez. 403 wie Erz erstrahlt. Mit dieser Vorstellungs-
reihe von der ehernen Wohnung der Götter verband sich die
andere, die den Sitz der Götter auf den Bergen suchtet So
entstand die Anschauung von den ehernen Bergen, die man als
reines Phantasieprodukt betrachten muß und für die man kein
entsprechendes Korrelat in der Natur aufspüren darf. Aber in
Israel ist sie nicht autochthon, da nach genuin israelitischem
Glauben Jahve ein Gott ganz bestimmter irdischer Berge war^
die man mit Namen bezeichnen konnte und zu bezeichnen
pflegte.
Im Alten Testamente hören wir niemals wieder von diesen
mythischen Metallbergen. Sie begegnen aber IHen. 52: Unter
den verborgenen Dingen des Himmels schaut der Apokalyptiker
einen Berg von Eisen und einen von Kupfer und einen von
Silber und einen von Gold, einen von Zinn und einen von Blei,
die vor dem Auserwählten wie Wachs vor dem Feuer sein
werden, am Ende der Tage also zerschmelzen. Hier werden
sechs Metallberge genannt. Damit dürfen wir eine andere Stelle
kombinieren : I Hen. 24 sieht der Seher sieben herrliche Berge
jeden vom anderen verschieden, deren prächtige Edelsteine im
hellsten Glänze strahlen. Drei von den Bergen liegen gegen
Osten, drei gegen Süden, während der siebte mitten zwischen
1. Daß der Himmel selbst als Berg gegolten habe (Gunkel: For-
schungen I S. 49), halte ich nicht für wahrscheinlich, da die sinnliche
"Wahrnehmung dies nicht lehrt. Hier ist diese Annahme auch des-
halb ausgeschlossen, weil von »Bergen« die Kede ist.
108 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
ihnen steht, sie alle an Höhe überragt und an der Spitze einem
Thronsessel gleicht. Die Deutung (253) fügt hinzu, daß eben
hier der große Herr der Herrlichkeit, der ewige König, wohnt,
wenn er hemiedersteigt, die Erde zu besuchen zum Guten. Die
Siebenzahl der Berge begreift sich nur aus der Summe der
Planeten, unter denen die Sonne der größte ist. Die Sterne
werden als Berge vorgestellt, wie IHen. 18 13 bestätigt: Daselbst
sah ich sieben Sterne wie große brennende Berge. Kurz vorher
(186ff.) wird wieder ein Tag und Nacht brennender Strafort
beschrieben da, wo die sieben Berge aus Edelstein sind, drei
nach Osten und drei nach Süden, und mitten zwischen ihnen
einer, der bis in den Himmel reicht, dem Throne Gottes gleich.
Drei Vorstellungen laufen an den besprochenen Stellen der
Henochapokalypse teils neben einander teils durcheinander.
Überall gelten die Sterne als Berge, bald strahlen sie wie Edel-
steine, bald glänzen sie wie Metall, bald brennen sie wie Feuer 1.
1. Bei Völkern, deren Gesichtshorizont von hohen, unzugänglichen
Gebirgen begrenzt ist, kann der Glaube sich bilden, eben diese Berge
seien Wohnorte für die Götter. Berge, die von niemandem erstiegen
sind, die, von der Ebene aus gesehen, in den Himmel zu ragen scheinen,
eignen sich wohl, auf ihnen das Land der Götter zu suchen. Das gilt
für die Eeligiou jedes Volkes, dessen Lage durch hohe Berge bestimmt ist.
In der Planetenreligion wird derselbe Gedanke etwas variiert. Die
Sonne geht des Abends in den Bergen zur Kühe, erhebt sich des Mor-
gens von ihrem Lager in den Bergen, dort in den Bergen ist sie zu
Hause. Diese Sonnenberge müssen natürlich funkeln und glitzern vom
vielfarbigen Licht der Bewohnerin, und die dichterische Phantasie hat
hier einen weiten Spielraum, sich zu betätigen. Sie kann ausmalen,
wie zwischen oder auf diesen Bergen ein märchenhafter Palast sich be-
findet, in dem die Sonnengottheit weilt, mit goldstrotzenden, silber-
beschlagenen Toren u. s. w. Sie kann erzählen von den wunderbaren
Thronen, auf denen die Sterngötter sitzen, wie auch nach IIHen. 482
die Sonne zicei große Throne hat, wo sie ausruht, zurückkehrend hierhin
und dorthin, über den Thronen des Mondes. Im Laufe der Zeit verblaßt
die ursprünglich lebendige und konkrete Anschauung und das Streben
nach Schematisierung macht sich geltend. Auf dieser Stufe steht die
Henochapokalypse. Die Planeten, die zunächst in den Bergen wohnen,
sind hier zu Bergen selbst geworden, wie nach Alexander v. Humboldt
(Ansichten der Natur^ S. 310) die Indianer am Orinoko zwei Felsen,
Camosi und Keri, als Sonne und Mond verehrten. Die Metalle, anfangs
ganz allgemein mit Lichtgöttern und Lichtorten verbunden, sind hier
wie in der babylonischen Eeligion mechanisch systematisiert. Das
Die Metallberge. 109
Als ein wesentliches Charakteristikum kommt die Siebenzahl
hinzu und die Schematisierung der Metalle. Beides weist auf
Feuer, ursprünglich ein Attribut der Feuer- und Lichtwesen, wird von
dem Apokalyptiker gar als eine Strafe aufgefaßt.
Wir haben eine Reihe mythischer Bruchstücke im Alten Testa-
mente, die als genuin israelitisch nicht zu begreifen sind, die vielmehr
aus einer Lichtreligion stammen müssen. Sie gewinnen erst Leben
durch das Hineinstellen in einen größeren Komplex verwandter Ideen.
Zur Erläuterung und Veranschaulichung dieser Bruchstücke mag es er-
laubt sein, sie hier im Zusammenhang zu behandeln und dabei auf
frühere, primitive Stufen menschlicher Denkweise zurückzugreifen, die^
wie ausdrücklich betont sei, im Alten Testamente, geschweige denn in
den Pseudepigraphen, längst überwunden sind.
Erstens: Edelsteine und Metalle stehen um ihrer Lichtnatur
willen in engster Beziehung zu Lichtwesen. Wir sahen (vgl. o. S. 51 flF.)^
wie Jahves Oberkörper nach Ez. 1 27 in Silbergold hwr, = ^XexiQov) er-
strahlt. Schon hier dürfen wir hinzufügen, worauf später (vgl. § 33)
genauer eingegangen werden soll, daß die Lenden Gabriels (Dan. lOsf.)
mit Gold gegürtet sind; sein Leib erglänzt wie Silbergold, während
Schenkel und Arme dem wohl vorwiegend goldfarbig gedachten korin-
thischen Erz ('"sVp rvr.i) gleichen, das aus einer Legierung von Gold.
Silber und Kupfer bestand. Auch Apollon hatte goldstrahlende Glieder.
Deshalb ließen Pythagoras (Jamblich : vita Pyth. c. 19. 28) und der Schwind-
ler Alexander (bei Lukian 40) ihren goldenen Schenkel sehen, um sich
als Lichtgottheiten zu offenbaren (vgl. Dieterich: Nekyia S. 39). — Ein-
facher wird das Wesen der Lichtgottheit durch einen sie schmückenden
Edelstein zum Ausdruck gebracht. In der Mitte des mit Laubwerk
oder Ähren verzierten Kalathos funkelte beim Jupiter Heliopolitanus
(Hadad-Eammän) eine Kugel aus Edelstein (Rene Dussaud: Notes de
Mythologie Syrienne S. 42). Auch Moloch soll auf der Stirn einen
Diamanten getragen haben, wie Theophylakt zu Akt. 743 nach Kyrill
berichtet: tig kitiatfoQov tvnov, von Selben (De diis Syris I 6) auf die
Sonne gedeutet. Das himmlische Lichtwesen Ez. 28 13 ist mit einem
Kleide aus 10 (LXX : 12) Edelsteinen bedeckt. Der Himmel selbst
funkelt (nach Ex. 24 lo) wie ein Boden aus Sapphirfliesen. — Ebenso
hängen Edelsteine und Metalle mit den Planeten zusammen. Das Gold
war vor allem ein Sonnensymbol und diente als solches bei den Indern
(Oldenberg: Rel. des Veda S. 88f.). Die Erfindung des Goldschmelzena
wurde bei den Römern dem Sol beigelegt (Plinius n. h. VII 56). Das
peruanische Sonnenbild war aus massivem Golde gefertigt, wie dort
Gold überhaupt vorzugsweise für den Sonnenkult verwendet wurde. So
erhielt an allen Sonnenfesten der oberste Nationalgott eine außerordent-
liche Masse Goldes zum Geschenk (Müller: Amerikan. Urrel. S. 363.
373. 420). Die Goldadern der Berge sind nach der Edda die geronnenen
110 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
denselben Ursprung hin, auf Entlehnung aus der babylonischen
Religion, obwohl dort eine genaue Parallele bis jetzt nicht zu
Tränen der Freyja (vgl. W. Menzel: Die vorehristl. Unsterblichkeits-
lehre I S. 202). Auch das ijXsxtqov gilt als Sonnenträne, die sich im
Lichtstrom findet, vor dessen Mündung die Zinninseln liegen (vgl.
Dieterich: Nekyia S. 27). Nach Job. 3722 kommt das Gold (vom Götter-
berg) aus dem Norden. — Die Sterngötter wohnen (nach der Henoch-
apokalypse) in metallenen oder diamantenen Bergen. Die Finnen ließen
den Mond in einem Felsen mit bunter Rinde, die Sonne in einem stahl-
gefüllten Berge eingeschlossen werden (Belege und weiteres Material
bei Roschek : Myth. Lexikon II 2751 f.). Die Türen des Beitempels in
Palmyra bestanden aus einer hellen Kupferlegierung (stVs). »Die Wahl
dieses Metalls . . . war vielleicht nicht ganz zufällig. Denn Bei ist ein
Sonnengott und Messing ist eine Imitation des Goldes, des Metalls der
Sonne«. (Lidzbarski DLZ 1905 Sp. 1561).
Zweitens: Feuer und Licht dienen dazu, um in dichterisch-
mythischer Art das Wesen einer Licht-, Feuer- oder Sterngottheit und
ihren Wohnort zum klaren Ausdruck zu bringen. Feurige Wagen und
Rosse kommen einem Jahve ebenso zu wie einem Apollon. Feurig sind
nicht nur die Berge, in denen die Planetengötter wohnen, sondern mit
feurigen Steinen ist auch der Götterberg (Ez. 28 u) gepflastert. Flammen-
berge spielen in den Märchen eine große Rolle (vgl. W. Menzel: Die
vorehristl. Unsterblichkeitslehre I S. 81). — Parallel sind Strahlen-
krone und Strahlenkranz. Im griech. Baruch (c. 6) wird der Sonnen-
gott als Mensch gezeichnet, der auf einem Sonnenwagen sitzt, mit einer
Feuerkrone geschmückt. IIHen. 142 lesen wir von einer Krone des
Glanzes, die die Sonne schmückt. Schon in ältester Zeit werden bei
den Rothäuten (Müller: Amerik. Urrel. S. 474), den Indern (Oldenberg:
Rel. des Veda S. 89), den Griechen (Röscher: Myth. Lex. I 1997 f. II,
3131) u. a. die Sterngötter als Scheibe dargestellt, mit einem Menschen-
gesicht in der Mitte und gewöhnlich von einem Strahlenkranz umgeben.
Ebenso werden in Griechenland, wenn auch nicht ausschließlich, so
doch am häufigsten, Strahlenkranz und Strahlenkrone den Lichtgott-
heiten zuerteilt (Stephani: Nimbus und Strahlenkranz. In den Mem.
de l'Acad. de St. Petersbourg. 6. Serie 1859. S. 25 f. 119). Mit Recht
haben daher Dieterich (Nekyia S. 43) und Volz (Eschat. S. 344) das
Diadem de?- Schönheit, den Kranz des Lebens und den Kranz der Ge-
rechtigkeit, der den Seligen zu teil werden soll, von hier aus gedeutet.
Weil die Seligen einmal mit Lichtwesen identifiziert wurden, darum
erhielten sie auch deren Abzeichen. Die Vorstellung ist von den
Griechen übernommen (Dieterich), bei denen noch ein anderes künst-
lerisches Motiv mitgewirkt haben dürfte, das Weicker (Der Seelenvogel
S. 14) mit Unrecht als das Ursprüngliche und Alleinige ansieht: Die
Seligen bekränzen sich, weil sie »an allen Freuden des Jenseits . . . .
Die Metallberge. 111
finden ist. Wohl aber sind dort alle Prämissen vorhanden, die
in Israel fehlen. Während die Planeten in der israelitischen
Keligion niemals eine Eolle gespielt haben, sind sie für die
babylonische Religion gradezu charakteristerisch. Die Planeten
gehören seit alters zum babylonischen Pantheon. Da die ßaby-
lonier ferner von einem Berge des Somienaufgangs und von
einem Berge des Sonnenunterganges reden (Jensen: Kosmologie
der Bab. S. 212. Jastrow I S. 428) und einen Zusammen-
hang der Planeten mit den Metallen in schematischer Weise
angenommen haben, so sind dort alle Teile der Idee gesondert
aufzuzeigen, aus deren Komposition die Vorstellung der Apo-
kalypsen von dem Wohnort Gottes hervorgegangen ist. Wahr-
scheinlich gehören hierher auch die Metallberge Zacharjas, in
dessen Buche Gunkel viele fremde Traditionen hat nachweisen
können.
Vielleicht darf man damit noch eine andere Reihe von Aus-
sagen kombinieren, die bisher nicht völlig verstanden sind.
Ps. 765 heißt es von Jahve: Furchtbar^ bist du, herrlich, von
ewigen^ Bergen her; Ps. 87 1: Seine Gründung liegt auf heiligen
Bergen; Ps. 121 1: Ich hebe meine Äugen auf zu den Bergen,
von denen mir Hülfe kommt. Die Verfasser dieser Psalmen
haben bei den Bergen, wie der Kontext teilweise ausdrücklich
am Gelage, den Eeigentänzen und dem lobpreisenden Kitharspiel teil-
nehmen. Eine kyrenische Schale des 6. Jhrh. im Louvre zeigt ein
solches avfxnoöiov rwv oaiojv«.
Drittens sind besonders beliebt die Bilder, die von Augen und
Fackeln der Sterngötter reden. Auf der ältesten Stufe erscheint im
Yeda der Sonnengott Surya, der selbst ein Auge ist. Die fortge-
schritteneren Gestalten, die den Menschen mehr angenähert sind, wie
Mitra und Varuna, haben die Sonne als ihr Auge (Oldenberg: Eel. des
Veda S. 48). So sind auch Zach. 4io die sieben Planetenaugen zu Augen
Jahves, nach Apk. Joh. 56 zu Augen des Lammes geworden (Gunkel).
Geht der Prozeß der Vermenschlichung noch weiter, so leuchten schließ»
lieh nur die Augen der Gottheit wie die Sonne. — Völlig analog werden
die Sterne anfänglich selbst als Fackeln oder Leuchten aufgefaßt und
..im Kultus so dargestellt (Ex. 25. Zach. 4. Apk. Joh. Ii2. 4). Infolge
eintretender Vermenschlich ung werden die Sterne zu ^a^ov/oi: Helios
und Selene (vgl. Eoscher : Myth. Lex. II 3133) halten Fackeln in ihren
Händen. Auf der dritten Stufe endlich werden Götter oder Engel nur
noch mit Fackeln verglichen (Dan. lOe).
1, Lies siia Duhm. 2. Lies iy mit den LXX: Hitzig.
112 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
sagt, an Zion oder Jerusalem gedacht. Aber der Plural (o'^'^nn)
ist auffäUig. Die meisten Ausleger erklären ihn daraus, daß
Jerusalem auf mehreren Bergen lag, die mit dem Tempelberg
zusammengefaßt wurden. Aber Jahve wohnte nicht auf den
Bergen, sondern auf dem Berge Zion oder aber in Jerusalem,
wofür niemals das Allgemeine und Farblose die Berge gebraucht
wird. Es müssen also ursprünglich mythische Berge gemeint
sein, die erst später auf Zion oder Jerusalem umgedeutet sind.
In den uns vorliegenden Texten ist diese mythische
Vorstellung nur noch ein stilistisches Überbleibsel.
Aus Ps. 87 1 möchte man schließen, daß Jahve auf seinen
heiUgen Bergen eine Gründung gehabt habe. Wirklich erfahren
wir Ps. 465 von einem Strom, dessen Arme die Gottesstadt er-
freuen, die heiligste der Wohnungen des Höchsten. Ohne Zweifel
meint der Verfasser Jerusalem, obwohl dort gar kein Strom
fließt. Die fremden Züge, die hier auf Jerusalem übertragen
sind, können nicht aus Jes. 8 6 (den sanft fließenden Wassern
Siloahs; Baethgen) stammen, da diese Stelle selbst räselhaft
ist, sondern sind dem Paradiese entlehnte Obgleich der Ver-
fasser es schwerlich noch gewußt hat, sondern nur davon redet,
weil es zum Stil gehört, ist ursprüngHch gedacht an den wunder-
vollen Paradiesesstrom, der Leben und Freude ergießt; das
Paradies wird als Stadt vorgestellt, ist im eigentHchen Sinne
des Wortes Gottes Stadt ^ die Gründung Jahves, auf heihgen
Bergen gelegen. Noch der Apokalyptiker Henoch sieht auf dem
vorhin erwähnten siebten und größten Berge den Paradieses-
garten, in dessen Mitte der Baum von köstUchem Gerüche steht,
den kein Sterblicher berühren darf bis zum Gericht (I Hen. 244.
205). Diese Zitate genügen, um die älteste Geschichte dieser
Idee zu schreiben. Die Berge sind anfangs Planeten- oder
Götterberge, aus Metall oder Diamanten. Dort leben die Götter
ein göttliches Leben in der Götterstadt; prächtige Paläste,
Gärten in feenhafter Schöne und erquickende Ströme laben
ihr Auge und ergötzen ihr Herz. Das ist im letzten Grunde,
wie GuNKEL mit Recht vermutet, eine mit märchenhafter Phan-
tasie ausgeschmückte Schilderung des Himmels selbst, wo Götter
und Selige wohnen. In der Religion Israels ist die Götterstadt
1. Gunkel: Genesis^ S. 30 f. Torschungen I S. 48 ff.
Der Gottesberg im Norden. 113
zur Gottesstadt geworden, in der Engel und Entrückte die
Freuden des Paradieses genießen. Die Psalmen setzen eine
dritte Entwicklungsstufe voraus : Die Bilder der himmlischen
Gottesstad.t und des himmlischen Gottesgartens sind auf das
irdische Jerusalem übertragen, die Gottesberge in den Berg
Zion umgewandelt. Ein Bewußtsein ihres Ursprungs scheint
nicht mehr vorhanden; sie werden als ehrende Epitheta ge-
braucht, um von Zion das Herrlichste und Schönste auszusagen,
was der Dichter Mund zu künden vermag. Das verhältnis-
mäßig junge Heiligtum auf dem Zion ist wohl nicht das erste
gewesen, auf das die Attribute der Gottesstadt und des Gottes-
berges angewandt sind. Wir dürfen vermuten, daß es zum Stil
verloren gegangener Hymnen gehörte, die Kultstätten Jahves
hier auf Erden als Spiegelbilder des himmlischen Tempels dar-
zustellen, nach dessen Muster sie ja auch gebaut sein sollen,
wie GuNKEL vermutet hat*.
Neben den ehernen Bergen und den Bergen wird als dritter
mythischer Wohnort der Gottesberg im äußersten Norden ge-
nannt. So heißt es in einer Drohung gegen Babel: Du frei-
lich gedachtest in deinem Herzen: Gen Himmel will ich steigen,
hoch über die Gottessterne erheben meinen Thron und mich
niederlassen auf dem Versammlungsberg im äußersten Norden
(Jes. 14 13). Darf man diese Idee mit den vorher skizzierten
organisch verbinden? IHen. 205 verbietet es, da der Paradies-
baum, der auf dem siebten Berge wächst, erst am Tage des
großen Gerichtes nach Norden verpflanzt werden soll. Darnach
wäre also der siebte und höchste Berg, der zwischen den dreien
nach Osten und den dreien nach Süden steht, nicht im Norden
zu suchen. Seine Lage wird niemals genauer bestimmt; wenn
man die geographischen Notizen des Henochbuches weiter ver-
folgt, so wird man meist ein klares Bild nicht gewinnen. Auch
die eben zitierte Angabe ist in sich unverständlich. Nach dem
Wortlaut müßte der Berg zwischen Süden und Osten d. h. im
Südosten liegen, was wenig wahrscheinlich ist. In solchen
Fällen darf man stets vermuten, daß zwei Vorstellungsreihen
1. Wir haben drei Vorstellungen, die meist unverbunden neben
einander stehen, die aber ursprünglich zusammengehören: 1) Götter-
berge, 2) Göttergarten, 3) Götterstadt. Wer ihre Zusammengehörigkeit
nicht zugeben will, mag sie auseinander halten.
Forschungen zur Rel. n. Lit. d. A. u. NT. 6. 8
114 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
mit einander vermengt sind, die auseinander zu wirren unsere
erste Pflicht ist. Wenn ein Berg in der Mitte, drei nach Osten
und drei nach Süden liegen sollen, so ergänzt man unwillkür-
lich drei weitere je im Norden und im Westen (vgl. die Parallele
Apk. Joh. 21 13). Diese Idee von zwölf Bergen, die um einen
in der Mitte gelegenen gruppiert sind, geht nicht auf die sieben
Planeten, sondern auf die zwölf Tierkreise zurück. Übrigens ist
die Tatsache, daß der Paradiesbaum nach Norden verpflanzt
werden soll, im letzten Grunde kein Gegenbeweis, sondern der
stärkste Beweis dafür, daß das Paradies eben im Norden lokali-
siert ist; denn der Apokalyptiker hat diesen Zug nicht zu ver-
drängen vermocht. Auch I Hen. 77 3 wird es dort vorausgesetzt :
Und die vierte Weltgegend , tvelche Norden heißt, wird in drei
Teile geteilt .... der dritte mit dem Garten der Gerechtigkeit
Der Gottesberg und das Paradies liegen demnach für die spätere
Anschauung — neben der andere herlaufen — im Norden.
Jes. 14 13 ist nicht mit Bestimmtheit zu datieren (wahrschein-
lich nachexilisch), sodaß wir aus dieser Stelle nicht entscheiden
können, wann die beiden genannten Vorstellungen zum ersten
Male auftauchen. Über den Ort des Paradieses geben Gen. 2
und 3 keine einheitliche Auskunft. Nach 28 glaubte man es
im fernen Osten, nach 824 im fernen Westen, nach 2ioff. im
fernen Norden an der Quelle von Euphrat und Tigris (Gunkel).
Der Westen könnte genuin palästinisch sein, sofern das Para-
dies jenseits des (Mittelländischen) Meeres gesucht wurde. Die
beiden anderen Himmelsrichtungen müssen aus fremder Tradition
stammen, da im Osten Kanaans die große Wüste sich dehnte,
in der oder hinter der ein Paradies schwerlich angenommen
werden konnte. Der Norden weist in Verbindung mit Euphrat
und Tigris direkt auf babylonischen Ursprung. Der Gottesberg
im äußersten Norden kann ebensowenig israelitischem Glauben
entstammen. Denn der Berg Jahves, auf dem er sich mit seinen
Engeln treffen könnte, ist im Süden zu suchen, mag man nun
an den Sinai oder an den Zion denken. Heilige Berge im
Norden kennen viele Völker, aber sie haben stets ganz be-
stimmte Namen und liegen nicht, wie Jes. 14 13 vorauszusetzen
scheint, über den Sternen. Nur von den Babyloniern wissen
wir, daß der Himmelsgott Anu am Nordhimmel lokalisiert
wurde (KAT3 S. 352).
Der Gottesberg im Norden. 115
Wann ist diese Idee nach Palästina gekommen ? Im Alten
Testamente begegnet sie uns zum ersten Male sicher bei Ezechiel.
Die Berufungsvision schildert, wie ein Sturmwind von Norden
her heraneilt (I4). Die neuesten Kommentare nehmen an, bei
Ezechiel »sei die Ekstase in dem Augenblick eingetreten, wo er
tatsächhch einer Windsbraut gewahr wurde, die von Norden
heranzog« (Beetholet; ähnlich Keaetzschmae). Aber mit
welchem Recht macht man einen dicken Strich hinter dem
Nordwind und hält ihn für eine reale Tatsache, die ganze übrige
Beschreibung hingegen für Vision? Entweder ist das Ganze
Vision oder das Ganze schriftstellerische Einkleidung. Wer
wie Beetholet und Keaetzschmae zwischen einzelnen Teilen
der Schilderung genau unterscheiden will, ob sie real oder
visionär sind, hat die Pflicht, jedesmal seine Vermutung durch
den Text zu begründen. Da dies nicht geschieht und da die
Worte keinen Anlaß dazu geben, so dürfen wir die erwähnte
Behauptung als ungerechtfertigt ansehen. Überall sonst im
Alten Testamente erscheint der Wettergott Jahve, wie oben
gezeigt ist (vgl. S. 20 ff.), aus Süden oder Osten. Der Nord-
wind ist in Palästina weder ein Sturmwind noch überhaupt in
irgend einer Weise charakteristisch. Folglich handelt es sich hier
um den Einschlag einer fremden mythischen Idee, die niemand bei
einem Manne wie Ezechiel für unmöglich halten darf, dessen
Buch von Mythen vollgepfropft ist. Man erinnere sich nur an
die nach fremdem Muster gezeichneten Gestalten Jahves und der
Kerube im ersten Kapitel! Der Umweg freilich dürfte sich
nicht empfehlen, den viele ältere Kommentatoren machen: Weil
Jahve bei der Exilierung des letzten Davididen Jerusalem ver-
lassen habe, darum habe er seinen Sitz im mythischen Norden
genommen. Eine solche Pedanterie und theologische Schulung
dürfen wir einem Ezechiel nicht zutrauen. Er kannte den
Gottesberg im Norden und ließ deshalb Jahve von dorther
kommen. Die Sturm wölke Jahves gehört zum alten, längst
typisch gewordenen Stil der Jahvetheophanien, hinter der man
nichts Reales vermuten darf.
Mit derselben mythischen Anschauung wird es zusammen-
hängen, wenn Ez. 92 betont wird, die Engel zögen vom oberen
Tore heran, das nach Norden gewandt sei. Sicherer ist
Ps. 483: Schön erhebt sich, die Wonne der ganzen Welt, der
116 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Berg Zion an den äußersten Enden des Nordens, die Stadt des
großen Königs. Diese dem Wortlaut nach höchst merkwürdige
Aussage, die von Jerusalem zunächst absolut unverständUch ist,
läßt sich nur begreifen durch die Übertragung einer fremden Idee
auf Zion. Da Zion der Berg Jahves ist, so hat ihm der
Psalmist das Attribut eines anderen Jahveberges als ehrendes
Prädikat beigelegt. Wie alt muß diese Eedensart gewesen sein,
wie lange schon im Umlauf sich befunden haben, wenn sie so
abgeschliffen und nichtssagend geworden ist, daß sie in solcher
Weise verwertet werden kann! Häufiger wird Zion dasselbe
für die Zukunft in Aussicht gestellt. In der eschatologischen
Zeit soll Zion zum höchsten Berg der Erde werden (Jes. 22.
Mch. 4i. Zach. 14 lo). Die Vermutung Gunkels dürfte nicht
zu kühn sein, daß der höchste Berg eben der des Nordens sei,
auf dem ursprünglich die himmHsche Stadt des großen Königs
lag (vgl. Apk. Joh. 21 lo). In diesen Zusammenhang gehört
ferner auch Ez. 28. Der hier vom Propheten benutzte, schon
von GuNKEL rekonstruierte Mythus handelte von einem wunder-
vollen und weisen Geschöpfe Gottes, das auf dem heihgen
Gottesberge wohnte. Ohne Fehl war es vom Tage der Schöpfung
an, bis ein Frevel an ihm erfunden ward. Ob seiner glänzenden
Schönheit überhob sich sein Herz. Da ward es vom Gottes-
berge verstoßen und auf die Erde geworfen. Diese Züge, die
auf den König von Tyrus nicht passen, die im Hinblick auf ihn
nicht gedichtet sein können, beziehen sich ursprünglich auf ein
Lichtwesen, das inmitten feuriger Steine auf dem himmlischen
Gottesberge wandelte i.
Mit Ausnahme Ezechiels sind alle erwähnten Stellen un-
datierbar. Es ist wenig wahrscheinlich, daß die Idee von dem
Gottesberge im Norden erst durch ihn in Palästina bekannt
geworden sein sollte. Dagegen spricht einmal die große Häufig-
keit, mit der dies Motiv auftritt, sodann die Tatsache, daß es
als völlig abgegriffene Münze ausgegeben wird. Sogar in den
Kidtus ist es eingedrungen. Wenn Lev. In. 6i8 vorgeschrieben
wird, das Brand- und Sündopfer solle auf der nach Norden ge-
richteten Seite des Altars geschlachtet werden, so haben wir es
1. Der novellistische StoflF dieses Mythus erinnert lebhaft an die
oben besprochene Geschichte von der »übermütigen Zeder«.
Der Gottesberg im Norden. 117
hier mit einer kultischen Neuerung zu tun, die Ez. 4039 noch
nicht vorausgesetzt wird. Sie wäre gewiß nicht durchgesetzt
oder überhaupt einzuführen versucht worden, falls sie noch von
ferne an Mythologie erinnerte. Ursprünghch aber liegt sicher
etwas Mythologisches zu Grunde, und schon Ewald hat die
Heiligkeit der Nordseite mit dem Gottesberg im Norden kom-
biniert. War dieser Zusammenhang kurz nach dem Exil schon
vergessen, so kann die mythologische Vorstellung nicht erst
durch Ezechiel bekannt geworden sein. Genau so wie man
schon in vorprophetischer Zeit das Paradies im Norden (Gen.
2ioff.) gesucht hat, genau so wußte man von einem Jahveberg
im Norden.
Die Israeliten haben diese Idee aus ßabylonien bezogen
durch die Vermittlung der Kanaaniter. Aus phönikischen In-
schriften erfahren wir von einem Baal ";Di2, der in mehreren
theophoren Eigennamen erscheint ^ Baethgen (S. 22) hat diesen
Gott wohl mit Recht als den Baal des Nordens gedeutet und
zur Erläuterung auf Jes. 14 13 verwiesen: er ist »derjenige Baal,
welcher auf dem heiligen Götterberge im Norden thront«. Man
könnte vermuten, daß es sich hier um einen beliebigen Lokal-
gott handle. Aber dagegen spricht die weite Verbreitung dieses
Gottesnamens und seine, wie es scheint, hohe Stellung. »Im
Gebiet des Stammes Gad lag eine Stadt Zaphon (Jos. 1327), in
Ägypten in der Nähe des roten Meeres das bekannte Baal
Zephon. Diese beiden Namen können nicht von einander ge-
trennt werden und verhalten sich als Ortsnamen wie Meon
< oder Beon Num. 323 > zu Baal Meon« (Baethgen). Die
Keilinschriften berichten von einem tyrischen Gott Ba-al-sa-pu-nu,
der neben dem Beeloafirjv genannt wird, von einem Gebirge im
Libanon und einer Stadt in Südpalästina desselben Namens
(KAT3 S. 357. 479). Für die Erklärung dieses Tatbestandes
gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ist die babylonische Idee
von dem Götterberg im Norden vor alter Zeit in Palästina ein-
gedrungen; man erinnere sich an den Berg Nebo, der seinen
Namen zweifellos nach dem babylonischen Gotte Nabu führt.
Während aber nach babylonischer Anschauung Anu auf dem
1. Vgl. Lidzbarski Hdb. S. 239 [? ^ss] ^sra punisch; S. 234 ^bs izy
und lES 12 phönikisch.
118 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Nordberge wohnte, schufen die Kanaaniter sich eine eigene
Gottheit: den Baal Zaphon. Oder es liegt eine von Hause aus
parallele religionsgeschichtUche Entwicklung vor. Wie die
Babylonier, angeregt vielleicht durch die bis in den Himmel
steigenden Gebirge des Nordens, dort den Sitz ihres höchsten
Gottes suchten, so hätten die Kanaaniter etwa den im Norden
gelegenen Libanon für den Thron eines Gottes gehalten. Aber
die zweite Möglichkeit ist wenig wahrscheinlich. Denn der
Libanon sowohl wie der Baal des Libanon sind ganz bestimmte
Namen. Wie man sich auch entscheiden mag, die Idee eines
Gottesberges im Norden ist in Palästina als alt zu erweisen,
älter denn das Alte Testament.
§ 13. Die Persönliclikeit Jahves.
Wir haben gesehen, wie Jahve, der im Mittelpunkt der
vorprophetischen Unheilseschatologie steht, dem Glauben seines
Volkes durch sein Walten in der Natur als eine lebendige
Größe erschien. In den Erdbeben, die panikartige Furcht her-
vorriefen, in den Stürmen, die über das Land brausten, in den
Feuersbrünsten, die Wälder und Städte verheerten, in den Ge-
wittern, deren Majestät die Herzen überwältigte, in den Eegen-
güssen, die Bäche in Ströme verwandelten, in den Seuchen, die
Tausende unerbittlich dahinmähten, in den Kriegen, die das
Blut der Jünglinge forderten, allüberall, wo Entsetzliches ge-
schah, war Jahve den Sinnen unmittelbar nahe. Kein Unglück
konnte vorübergehen, ohne daß der Fromme mit Schrecken der
Realität seines Gottes gewahr ward. Mit wie gewaltigem Pathos
verstehen es die Propheten, die Erhabenheit Jahves vor die
Augen zu malen, indem sie die grandiosen Naturereignisse
schildern, als deren Urheber die Gottheit betrachtet wird!
»Überall, wo Jahves Erscheinung in poetischen Stücken be-
schrieben wird, finden wir ... in gesteigerter Diktion gehaltene
Naturschilderungen« (Köberle).
Überbhcken wir dies Ergebnis, so ist es wert, in mehr-
facher Hinsicht genauer erwogen zu werden. Durch diese
Untersuchungen ist die Voraussetzung bestätigt, von der wir
ausgingen (§ 3): Jahve wird in der älteren Zeit durchaus nicht
mit allen, sondern nur mit einem Teil der Naturerscheinungen
Jahve als Naturgott. 119
in Zusammenhang gebracht. Er ist nicht zunächst der Gott
der ganzen Welt, sondern in erster Linie der Gott einzelner,
besonders der entsetzlichen Naturereignisse, die die menschliche
Phantasie anregen und aufregen. Weder als Schöpfergott
noch als Sterngott wird er verherrlicht, sondern vor
allem, um es kurz zu sagen, als Naturgott der schreck-
lichen Phänomene. In diesen Dingen lebte die Religion,
soweit sie sich auf die Natur bezog, auf sie war das Augenmerk
der Israeliten gerichtet, wenn es daneben gewiß auch mögHch
war, andere Naturerscheinungen von Jahve abzuleiten und ihm
zuzuschreiben, war er doch der einzige Gott des Volkes. Aber
diese theoretische Möglichkeit spielte eine nur geringe Rolle
gegenüber den Tatsachen, die sich in Palästina dem frommen
Empfinden mit Gewalt aufdrängten, gegenüber den Natur-
erlebnissen, in denen sich die göttliche Macht auf eine ganz be-
stimmte Weise offenbarte. Wir begreifen, wie auch die Religion
Israels bis zu einem gewissen Grade abhängig ist von Land
und Khma, von Wind und Wetter. Allein in dieser Modi-
fikation war sie existenzfähig in Palästina. Das ist ja im letzten
Grunde selbstverständlich, aber es schien nötig, darauf auf-
merksam zu machen, weil es bisher nicht genügend beachtet ist.
So wie die uns überlieferten Texte es lehren, sah man in all
den aufgezählten Naturereignissen die Ofi'enbarung Jahves. Mit
den uns zu Gebote stehenden Mitteln ist es unmöglich, das
ursprüngliche Wesen Jahves zu eruieren und es auf eine
einzige, ganz bestimmte Erscheinung zurückzuführen, falls dieser
Versuch überhaupt gerechtfertigt ist. An zwei Punkten haben
wir zwar eine geschichtliche Wandlung konstatieren können, aber
doch nur unklar und verschwommen. Es scheint, als ob Jahve,
soweit er als Vulkan gott galt, speziell auf dem »Sinai« lokalisiert
war und dort zum Nationalgotte Israels erhoben wurde. Allein
wir wissen nicht, wie weit sich sein Wirkungskreis schon da-
mals auf andere Naturereignisse ausgedehnt hatte, und es wäre
einseitig und verfehlt, wollten wir die verschiedenen Seiten seines
Wesens auf diese eine Wurzel des Vulkan gottes reduzieren.
Ebenso glaubten wir, in der Auffassung Jahves als eines Kriegs-
gottes eine sekundäre Neuerung erblicken zu dürfen, die nicht
so ursprüngHch ist wie die Verehrung Jahves als eines Natur-
gottes. Allein wann diese Umdeutung vollzogen wurde, ist
120 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
unserer Kenntnis verborgen. Tatsache ist nur, daß sie in der
prähistorischen Epoche erfolgte, von der uns keine gleichzeitige
Nachricht Kunde gibt.
Wenn Jahve der Gott einer einzelnen Natur-
erscheinung genannt wird, so muß man sich vor dem
Irrtum hüten, als sei er mit ihr identisch! Davon kann
in der israelitischen Rehgion keine Rede sein. Er gilt überall
als eine lebendige götthche PersönHchkeit, die hinter, nicht in
dem Naturereignis steht, die es verursacht und hervorruft, aber
nicht in ihm aufgeht. Wie wäre das auch denkbar? Wäre
er etwa mit dem Erdbeben identisch, wie könnte er dann die
Seuchen schicken? Grade die Fülle der Dinge, zu denen er
in Beziehung gesetzt wird, ist der beste Beweis dafür, daß er
mit keinem einzelnen sich völlig deckt. Aber man kann einen
Unterschied in der Art der Darstellung wahrnehmen. Während
die ältere Zeit es liebt, Jahve als Sturmgott etwa dadurch zu
charakterisieren, daß man den Wind als den Hauch seines Mundes
bezeichnet, und so seine Person, ja seinen Leib mit der Natur-
erscheinung aufs engste verknüpft, rückt eine höhere Auffassung
ihn ferner von ihr und sucht eben dadurch seine erhabene
Majestät zu steigern. Dem Elia begegnet er nicht mehr im
Orkan, sondern im sanften Säuseln des Windes (IBeg 19 12).
Die imposante Größe Jahves tritt so viel wirkungskräftiger
hervor. Wir dürfen diese Stufe für eine höhere halten, wenn
sie auch chronologisch für unser Auge der ersten parallel läuft.
Die Frömmigkeit aller Zeiten, die die lebendige Persön-
lichkeit Gottes nach dem Bilde des Menschen denkt und denken
muß, da auf Erden kein Wesen existiert, das höher wäre als
der Mensch, scheut sich nicht, von einer Stimme Gottes oder
einem Arm Gottes oder einer Hand Gottes zu sprechen, ohne
darum die Gottheit in der Sphäre des rein Menschlichen auf-
gehen zu lassen. Und doch ist ein scharfer Unterschied zwischen
der Auffassung des antiken Menschen und der unsrigen vor-
handen. Wenn sich auch das Jahrhimdert nicht fixieren läßt,
wo die eine zur anderen wird, so ist doch die Etappe sachlich
gegeben dm*ch das Aufkommen der Philosophie. Während wir
uns in jenem Falle des bildlichen Charakters unserer Ausdrucks-
weise und ihrer Inadäquatheit stets bewußt sind und uns ihrer
nur zur VeranschauHchung unserer Aussagen von Gott mangels
Die Persönlichkeit Jahves. 121
anderer Vorstellungsreihen bedienen oder sie zu bloß rhetorischem
Schmuck unserer Rede verwenden, ist dem antiken Menschen
dieser Unterschied zwischen Realität und Phantasie nicht be-
wußt, da für ihn das subjektive Erleben zugleich ein objektives
bedeutet. Aus diesem Grunde nennen wir dasselbe poetische
Bild, das für uns auf dem Spiel unserer dichtenden Phantasie
basiert, überall da, wo es bei antiken Völkern begegnet, ein
mythisches Bild, um damit anzuzeigen, daß es früher eben
mehr als ein bloßes Bild sein sollte, daß es als Realität galt
und aufgefaßt ward.
So hören wir auch im Alten Testamente fast von allen
einzelnen Gliedern Jahves: von dem Kopf (Jes. 59 17), dem
Antlitz (s. u.), den Augen (Zach. 4 10. Ps. 34 le), den Wimpern
(Ps. II4), dem Ohre (Ps. ITe. 3I2), der Nase (Dtn. 3222), dem
Munde (Ps. 18 9), der Lippe und Zunge (Jes. 302?), den Hüften
(Ez. I27), dem Arme und der Hand (s. u.), dem Einger (Ex. 31 is),
den Beinen und Füßen (Jes. 661. Ps. 18 10. Nah. I3), der Rück-
seite (Ex. 3323). Aber eine Zusammenfassung dieser ver-
schiedenen Teile des Körpers wird nirgends geboten. Die
Phantasie des Dichters haftet an dem Einzelnen, ohne
das Bedürfnis, es zu einer Gesamtanschauung zu kom-
binieren. Wie groß dieser Mangel ist, empfindet man erst
dann deutlich, wenn man den Gott Ezechiels etwa mit den
Göttern Homers vergleicht. Man hat aber deshalb kein Recht,
von einem Defekt der ReHgion zu reden, wo offenbar nur eine Be-
schränktheit der israelitischen Phantasie vorliegt. Im Gegenteil,
diese Unfähigkeit Jahve zu beschreiben, kam der ReHgion
eher zu gute, da sie eine Herabsetzung des (xöttlichen auf das
Niveau des rein Menschlichen oder gar UntermenschHchen,
wenn auch nicht unmöglich machte, so doch erschwerte. Jahve
blieb von Anfang an der Unnahbare, unzugänglich und unsichtbar
selbst für die Dichter, die neben der Erde auch den Himmel
in den Bereich ihrer Schilderungen zu ziehen pflegen. Später
hat man aus der Not eine Tugend gemacht. Die ReHgion
verbot jede Darstellung der Gottheit. Gewiß haben die Israe-
liten von alten Zeiten her eine große Scheu gehabt, die Gott-
heit in menschlichem Bilde zu malen, und grade darin zeigt
sich in besonderem Maße die Kraft ihres Glaubens. Daneben
aber ist auch die Eigentümlichkeit des hebräischen Dichters in
122 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Betracht zu ziehen, der »nur in geringem Grade befähigt ist,
das zur Darstellung zu bringen, was er sieht. Der Verfasser
des 45. Psalms will offenbar ein Bild von einem Brautzug und
einem Brautpaar geben; zu plastischer Anschaulichkeit aber
hat er seine Schilderung nicht gebracht« (Baudissin: Einleitung
S. 644).
Eine besondere Rolle, die noch niemals klar herausgearbeitet
ist^ spielen der Arm, die Hand oder die Rechte Jahves. Diese
Grlieder wechseln unterschiedslos, um die gewaltige, sozusagen
muskulöse Kraft Gottes im Bilde darzustellen: Du hast einen
Arm voller Kraft, stark ist deine Hand, hoch erhoben
deine Rechte (Ps. 89 u). Es ist kaum noch erlaubt, hier
von einem Bilde zu reden, da es nicht ausgeführt, sondern
nur fragmentarisch ist. Der Arm Jahves muß freilich irgend-
wann einmal als ein plastisches Bild empfunden worden sein;
denn sonst hätte man nicht davon geredet. In den uns
vorHegenden Schriften des Alten Testamentes aber denkt man
überhaupt nicht mehr an eine Hand. Nicht ein einziges
Mal wird an all den Stellen, die im Folgenden zitiert
werden, nach homerischer Weise mit epischem Behagen ge-
malt, nur ein einzelner Pinselstrich deutet flüchtig an. Es
handelt sich zwar um ursprünglich anschauliche, aber später
nicht mehr angeschaute bildHche Redensarten, die vor allem
den siegverleihenden, hülfreichen Gott bezeichnen: Mit deiner
Hand vertriebst du Völker .... Denn nicht durch ihr Schwert
haben sie das Lafid in Besitz genommen, und nicht ihr Arm
verschaffte ihnen den Sieg, sondern deine Rechte und dein
Arm und das Licht deines Antlitzes, denn du hattest Wohl-
gefallen an ihnen (Ps. 44 sf.). Deine Rechte, Jahve, ist herrlich
ob ihrer Kraft, deine Rechte, Jahve, zerschmettert die Feinde
(Ex. löe). Horch, Jubel und Siegesruf in den Zelten der
Frommen, die Rechte Jahves verrichtet große Taten, die Rechte
Jahves erhöht, die Rechte Jahves verrichtet große Taten (Ps. 118 löf.).
Es ist schon zu viel gesagt, daß Jahve als Longimanus gelte.
1. Abgesehen von den Kommentaren, die fast immer an der Einzel-
stelle haften, hat m. W. nur Giesebrecht (Der Knecht Jahves S. 72)
dies Problem gestreift. Er redet von einem »Begriff des Armes Jahves,
wohl zu unterscheiden von dem der Hand Gottes«, ohne diese unhalt-
bare These näher zu begründen.
Die Hand Jahves. 123
Wenn die Israeliten in die Unterwelt durchbrechen, so holt
er sie zwar mit seiner Hand herauf (Am. 92). Aber es wird
nicht geschildert, wie er oben im Himmel auf seinem Throne
sitzt und in aller Gemächhchkeit seinen unheimlich langen
Arm ausstreckt und bis in die Seol hinabgreift. Das Bild ist
auch hier wie sonst nur fragmentarisch. Er streckt seine Hand
aus der Höhe und errettet den Ertrinkenden aus großen
Wassern (Ps. 144 ii) und hilft seinen Gehebten mit seiner
Rechten (Ps. 60 7). Wahrlich, Jahves Hand ist nicht zu
kurz (Num. 11 23. Jes. 502. 59 1). Ebenso groß und stark wie
seine rechte Hand ist sein Arm, ohne daß dies weiter aus-
gemalt würde. Über die Größe deines Armes erstarren sie wie
Stein (Ex. 15 le). Gemäß der Größe deines Armes mache frei^
die dem Tod Geweihten (Ps. 79 11). Du hast durch deinen
starken Arm deine Feinde zerstreut (Ps. 89 11). Entblößt hat
Jahve seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, und
sehen werden alle Enden der Erde die Bettung unseres Gottes
(Jes. 52 10). Und gleich darauf heißt es: Der Arm Jahves,
wem ward er offenbar (Jes. 53 1). Duhm denkt schon zu an-
schauhch, wenn er exegesiert: »Wer hat in der Höhe den für
gewöhnhche Augen unsichtbaren Gottesarm erblickt?« Charak-
teristisch für den Sprachgebrauch ist eben, daß der Arm Jahves-
nicht viel mehr als ein Synonym für die Kraft Jahves ist.
Mitunter scheint der Arm von der Person losgelöst und tritt
als selbständiges Wesen auf: Als Jahve von Edom heimkehrte,
das Gewand mit Blut bespritzt wie ein Keltertreter von rotem
Beerensaft, da sagt er: Die Kelter trat ich allein und von den
Völkern ivar niemand mit mir . . . Und ich schaute, doch da
war kein Helfer, und ich erstaunte, da war kein Unterstützer,,
da half mir mein Arm, und mein Grimm unterstützte mich
(Jes. 63iff. vgl. 59 16. Ps. 98i). Der Verfasser will ohne Zweifel
sagen, daß Jahve sich selbst zu helfen wußte: Sein Arm war
stark genug, um jeder Unterstützung entbehren zu können»
Der Israeht kann so unanschaulich denken, daß er den Arm
ohne die Person sieht: Rege dich, rege dich, waffne dich mit
Kraft, Arm Jahves (Jes. 51 9)! Siehe, Jahve kommt mit Stärke
und mit sieghaftem Arme (Jes. 40 10). Aber man darf den
1. Lies •'V^r: mit Trg. Pes.
124 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Arm so wenig personifiziert auffassen wie die Stärke. Da er
nicht nur neben die Götter, sondern auch neben die Menschen
tritt, so ist dieser für unsere Sprache ungewöhnliche Ausdruck
dem Israeliten nicht auffällig gewesen. In dem Königshochzeits-
liede (Ps. 455) heißt es: Furchtbare Taten lehre dich deine
Rechte. Gunkel erklärt diese Worte zu plastisch: »Der rechte
Arm, der das Schwert führt, wird hier nach höchst altertüm-
licher, poetischer Vorstellung wie ein dämonisches Wesen ge-
dacht, das die schaurigen Streiche führt aus eigener Gewalt.
Der Krieger selbst mag seinem Arme zuschauen und von ihm
kämpfen lernen«. Die Rechte ist hier weiter nichts als die
Kraft.
Dieselben Glieder zeichnen nicht nur den Kriegs-, sondern
auch den Schöpfergott aus: Meine Hand hat die Erde ge-
gründet, meine Rechte den Himmel ausgespannt ( Jes. 48 13). Ich
habe die Erde gemacht , den Menschen, das Vieh, das auf der
Oberfläche der Erde, durch meine große Kraft und meinen aus-
gereckten Arm (Jer. 275). Du brachtest sie, pflanztest sie ein
auf den Berg deines Erbes, in die Stätte, die du zur Wohnung
dir bereitet, Jahve, in das Heiligtum, Herr, das deine Hände
gegründet (Ex. 15 17 vgl. Ps. 78 54). Und wenn Gott den Menschen
aus Erde vom Ackerboden (Gen. 2?) und alle Tiere des Feldes
und die Vögel des Himmels (Gen. 2 19) bildete, so wird er seine
Hände benutzt haben, so gut wie der Töpfer, der den Lehm
knetet. Um die Tätigkeit des Menschen auszudrücken, stellt
der Maler ihn mit ausgestrecktem Arme dar. Dasselbe Bild,
auf die Gottheit übertragen, bedeutet im letzten Grunde nicht
nur den bei der Schöpfung, sondern überhaupt den arbeitenden,
handelnden, wirkenden Gott, vornehmlich im Affekte, um das
Grandiose seines Tuns verständlich zu machen: Darum ent-
brannte der Zorn Jahves wider sein Volk, und er reckte seine
Hand wider es aus und schlug es ... . Bei alledem wandte
sich sein Zorn nicht und seine Hand blieb ausgereckt (Jes. 525).
Und ich selbst will mit euch kämpfen, mit ausgereckter Hand
und starkem Arm und im Zorn und im Grimm und in ge-
waltiger Wut (Jer. 21 6). Ich will meine Hand wider sie aus-
recken und das Land zur Wüste und zur Wüstenei machen
(Ez. 614. 149.13 u. a.). Bemerkenswert ist, daß Jahve in alter
Zeit fast ausschließlich seine Hand zum Unheil und zur Strafe
Die Hand Jahves. 125
braucht. Der Zauberer, der ein Volk oder eine Stadt verderben
will, ahmt symbolisch das Tun der Gottheit nach. Indem er
seinen Stab emporhebt (Ex. ITgfF.) oder seine Lanze ausreckt
(Jos. 8 18. 26)1, glaubt er durch magischen Konnex, Jahve zum
Handeln zu zwingen. Der Kontakt ist unterbrochen in dem
Augenblick, wo er den Stab sinken läßt (Ex. 17 ii).
Die Hand spielt endhch eine Rolle beim Wirken des Natur-
gottes. Wenn Jahve die Berge schlägt, daß sie rauchen (Ps. 10432.
1445), so bedient er sich dabei seines Armes oder seiner Hand
(vgl. Jes. 025)*. Wie er im allgemeinen seine Hand schwingt
(Jes. 19 16. Zach. 2i3), so schleudert er im besonderen als Ge-
wittergott mit seinem Arm die ßlitzspeere, wie wir aus Jes. 30 so
erschlossen haben. Gleich dem Sturm, der niederschlägt zur
Erde mit der Hand (Jes. 282), trocknet Jahve die Meereszunge
Ägyptens aus und schwingt seine Hand wider den Strom in
seinem Glutwind (Jes. 11 15). Als Schläge Jahves, von seiner
Hand herrührend, gelten Krankheiten und Plagen (nsTa, :>aD),
Bhndheit und Pest, vor allem der Aussatz. Der Aussätzige
ist zar' i^oxrjv der von Gott Geschlagene (Ps. 73 u. Jes. 534).
Aber auch vom Ekstatiker sagt man: Die Hand Jahves war
auf ihm (Ez. Is. 3i4. 22. 37 1. II Reg. 3 15) oder die Hand Gottes
fiel auf ihn (Ez. 81) oder die Hand Jahves packte (ptn) den
Propheten (Jes. 811. Ez. 3 14). Die krankhaft bis zum Wahnsinn
fast gesteigerte Gefühlserregung, die den Ekstatiker ergreift,
gilt als eine Wirkung der auf ihm lastenden Hand Jahves.
Wie vom Schlage getroffen, in seiner Willenskraft gelähmt,
steht er unter dem hypnotischen Banne der Gottheit. Man
muß sich hüten, mit diesen Stellen etwa Ez. 11 5 zu kombinieren:
der Geist Jahves fiel auf ihn, als ob durch die Handauflegung
Jahves der Geist übertragen würde. Mag das auch die spätere
Anschauung sein, ursprünglich brauchte man kein Medium. Es
genügt, daß Jahve den Menschen anfaßt, um ihn in Ekstase
1. V. 19 ist das Ausrecken der Lanze umgedeutet.
2. Ethnographische Parallelen bei Lasch Arch. f. Rel. V 242:
»Wann die Eingebornen (auf Samoa) ein Erdbeben spüren, rufen sie:
Dank, daß Mafuie nur einen Arm hat! Hätte er zwei, so würde er die
Erde in Stücke brechen«.
126 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
zu versetzen, genau so wie die Berge rauchen müssen, wenn
Jahve sie anrühi-t^.
Auf neuerdings bekannt gewordenen babylonischen Siegel-
zylindern ^ ist ein Arm mit einer siebenfingrigen Hand dargestellt,
die angebetet wird. Die sieben Planeten scheinen hier als Finger
an der Hand des höchsten Himmelsgottes gedacht^, wie sie in
analoger Weise Zach. 4 als seine Augen gelten. Nielsen
(S. 154 f.) nimmt einen Zusammenhang dieses Kultsymbols mit
der Hand Jahves an. Er beruft sich dafür auf den Sprach-
gebrauch, den er sehr oberflächlich und ungenügend anführt.
Hätte er ihn systematisch beobachtet, wie es oben versucht ist,
so würde ihn die Vielseitigkeit am Ende stutzig gemacht haben.
Wäre die Hand Jahves wirklich ein bestimmtes Kultsymbol
gewesen, das man real vor Augen hatte oder wenigstens unter
besonderen Umständen sehen konnte, so wäre schwerlich solch
ein vielseitiger Sprachgebrauch möglich gewesen; er wäre be-
schränkter geblieben in engerem Anschluß an das fest-
stehende Kultsymbol. Nielsen verweist ferner auf Ex. 17i6,
den kleinen Vers, der die oben erwähnte zauberhafte Besiegung
der Amalekiter durch Moses Arm abschließt, und der von ihm
übersetzt wird: Es ist eine Hand am Thron Jahves. Aber daß
03 Thron heiße, ist trotz Ewald und Dillmann wenig wahr-
scheinlich. Da der Vers an den Altar Jahve ist mein Banner
anknüpft, so ist statt des unverständlichen 03 das verständliche
02 zu lesen, wie fast alle Neueren tun: Hand (gelegt) an das
Banner Jahves. Ob dies Lied, dessen Übersetzung und Be-
deutung* fraglich bleiben muß, etwas mit dem Altar Jahves zu
1. GuNKEL macht mich auf eine Parallele bei Goethe aufmerksam:
Dich hat die Hand de?- Venus berührt. Venezianische Epigramme
No. 101 (Jubiläums-Ausgabe Bd. I S. 226). Vgl. auch die griechischen
Parallelen Arch. f. Eel. Wiss. VII S. 103 ff.
2. Vgl. Theo. G. Pinches : Collection of Sir Henry Peek. Inscribed
Babylonian tablets. Part. III S. 64. 66 und Nielsen: Die altarabische
Mondreligion S. 155.
3. Vgl. das Standbild des Janus, dessen Finger die Zahl 365 dar-
stellen. WissowA: Keligion und Kultus der Kömer S. 93. Eeitzen-
-STEin: Poimandres S. 275. Beachtenswert ist, wie wenig diese Vor-
stellung durch den Augenschein begründet ist.
4. GuNKEL (nach mündlicher Mitteilung) vermutet, daß dies Lied
gesungen wurde, während das Banner Jahves dem Heere Israels voranzog.
Das Antlitz Jahves. 127
tun hat, mag man mit Recht bezweifehi; jedenfalls aber ist
diese Stütze viel zu schwach, um die Last der von Nielsen
geübten Beweisführung zu tragen. Allen diesen Bildern
liegt überhaupt kein kultisches Symbol zu Grunde,
sondern es genügt, an das eigentümlich fragmentarische
Denken bei primitiven Völkern zu erinnern, die nicht
das Bedürfnis haben, das Einzelne zu einer Gesamtanschauung,
oder in diesem speziellen Falle: die Einzelglieder zu einer Ge-
samtpersönlichkeit zusammenzufassen K
Etwas anders ist es mit dem Antlitz Jahves. Hier hat
Nielsen (S. 179) ebenfalls fremde Einflüsse vermutet. Zwei
Dinge sind in der Tat auffällig und bedürfen der Aufklärung.
Erstens die Redensarten: Jahve lasse leuchten sein Angesicht
oder Jahve erhebe das Licht seines Angesichtes (Num. 625. Ps. 4?.
31i7. 672. 80 4. 8. 20. 119i35. Dan. 9i7). Diese Phrasen werden
ausschließlich von Jahve gebraucht. Das Licht des Angesichtes^
das Ps. 444 neben der Rechte und dem Arm Jahves steht,
wird Prov. 16 15 auch dem Könige beigelegt ^ und ist wahr-
scheinlich erst von Jahve auf ihn übertragen. Man behauptet
gewöhnlich, die zitierte Redensart bilde einen Gegensatz zu der
anderen: das Antlitz verbergen (Dtn. 31i7f. Ps. 10 11. 132. 2225.
279. 308. 8815. 10429). Aber zu dieser gehört als oppositionell:
nv^ hinschauen oder by )^y D'^u? das Auge auf jemanden richten
oder n3s sich hinwenden (Ps. 25 le. 86 le. 119 132). Die Haupt-
sache, warum das Antlitz grade leuchten muß, um gnädig zu
sein, wird daraus nicht erklärt. Wenn ferner Ex. 3429ff. er-
zählt wird, daß das Antlitz des Mose strahlte infolge seines
Redens mit Gott, so vermuten die Exegeten mit Recht, die
do^a d-eov sei auf ihn übergegangen. Sie sollten weiter ver-
muten, daß Mose nach diesen Versen mit Jahve von Angesicht
zu Angesicht verkehrt habe, da der göttliche Lichtglanz vom
1. »Solche kurz abgebrochene Gedankenreihen, die jederzeit auf
bereite Annahme rechnen können, scheinen eben der mythischen Zeit
eigen zu sein.« »Das Auftreten unentwickelter und unverbundener Ge-
dankenanfänge ist geradezu eine Eigentümlichkeit der mythischen Zeit.«
E. H. Berger: Mythische Kosraographie der Griechen. Leipzig 1904.
S. 15. 23.
2. Job. 2924 ist verderbt (Duhm). Auch im Babylonischen ist
Ähnliches nachweisbar.
128 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
AntHtz Jahves herrührt. Diese Worte stehen folghch im strikten
Gegensatz zu Ex. 332iff., wonach Mose trotz seines Bittens das
Antlitz Jahves nicht sehen dürfe, wenn anders er am Leben
bleiben wolle. Die Geschichte dieser Theophanie ist im Lauf
der Zeit mehrfach überarbeitet worden, wie andere Züge be-
stätigend lehren. Eine jüngere Quelle weiß von einer Licht-
glorie des göttlichen Antlitzes, während die älteren nichts davon
berichten. Dem entspricht die religionsgeschichtliche Wandlung.
Während die ältere Zeit es vermeidet, Jahve zu beschreiben,
und das Göttliche in den Schleier keuschen Geheimnisses hüllt,
haben wir in Ez. 1 die erste wirkliche Schilderung der gött-
lichen Gestalt Jahves. Aber mag sie auch jünger bezeugt und
später zur Geltung gelangt sein, so ist sie ihrem Ursprünge
nach nicht erst damals entstanden und keineswegs aus der Luft
gegriffen. Eine zweite, noch auffälligere Tatsache findet sich
im selben Zusammenhang. Denn auf das Flehen des Mose,
Jahve möge sein Volk geleiten, antwortet dieser: mein Antlitz
soll mitgehen (Ex. 33 u). Und ähnlich heißt es Dtn. 43?: mit
seinem Antlitz führte Jahve Israel aus Ägypten. Ein Antlitz
kann nicht führen. Man hat daher gesagt, panim sei Engel-
name (Smend^ S. 124). Das ist aber ausgeschlossen durch
Jes. 639, wo nur Jahve selbst gemeint sein kann: Nicht Bote^
noch Engel, (sondern) sein Angesicht rettete sie. Dazu kommen
noch Ps. 444: Das Licht deines Antlitzes verschaffte ihnen den
Sieg, und Thren. 4i6: Jahves Antlitz hat sie zerstreut unter die
Völker. Diese Ausdrucksweise ist im Israehtischen ihrem Ur-
sprung nach unverständlich. Es handelt sich hier folglich nicht
um genuine, sondern um übernommene Vorstellungen, deren
Deutung unsicher und hypothetisch bleibt. Die Kanaaniter*
kannten ein Epitheton Antlitz des Baal, der Göttin ddh bei-
gelegt, und nannten darnach verschiedene Stätten bN^3B (Gen.
32 3i), d-eov TtQooiüTtov (Stbabo XVI 2, 15 f.). Eine ausreichende
Erklärung dieser ebenfalls rätselhaften Tatsache ist noch nicht
gegeben. Hieran darf man jedenfalls noch eher erinnern als
an die babylonischen Siegelzylinder*, auf denen öfter nur das
1. Lies ^"s DuHM. 2. Vgl. Baethgen S. 56 f.
3. PmcHES: Collection of Sir Henry Peek. Part. III S. 65. Nielsen:
Altarab. Mondreligion S. 179. Nielsens Thesen vermag ich mir nicht
Der Becher Jahves. 129
Gesicht eines Gottes dargestellt wird, während der übrige
Körper fehlt. Wir müssen uns zum Verständnis der israe-
litischen Phrasen mit der Annahme begnügen, daß den Hebräern
das Antlitz Gottes als eine geläufige Bezeichnung der Gottheit
selbst (Jes. 689) und als im himmlischen Lichtglanz strahlend
von irgendwoher vermittelt wurde 1.
Hierher dürfen wir endlich die Vorstellung von dem Becher
in der Hand Jahves ziehen. Eine im Arabischen gebräuchliche
Redensart lautet: q^Ü ^j^^ ^J^ den Todeshecher trinken, die
zweifellos vom Giftbecher hergenommen ist. Im Alten Testa-
mente ist sie nicht nachweisbar. Statt dessen findet sich die
anzueignen, da er lediglich Vermutungen ohne Beweise und ohne innere
Anhaltspunkte aufstellt.
1. Eichhorn macht mich auf die wichtige Tatsache aufmerksam,
daß die Gottesvorstellungen der Genesis toto coelo verschieden sind
von denen des ganzen Alten Testamentes. Die Erde erbebt nicht, wenn
Jahve erscheint, die Hütte wird nicht hell von seinem Antlitz, wenn er
eintritt, der Mensch stirbt nicht, wenn er die Gottheit sieht. Nur in
der Genesis, sonst nie wieder, wird Jahve so menschlich gezeichnet.
Mit Adam wandelt er durchs Paradies, bei der Sintflut schließt er
persönlich die Arche zu, den Duft von Noahs Opfer saugt er mit Be-
hagen ein; bei Abraham ist er zu Gaste und stärkt sich durch ein
Frühstück. Mit Jakob ringt er und unterliegt. Man merkt, hier weht
eine ganz andere religiöse Luft als sonst im Alten Testamente. Diese
Geschichten müssen in einem anderen Kreise entstanden sein, da in
ihnen eine eigentümliche Atmosphäre herrscht, die wir nur hier kennen
lernen. Der Unterschied zwischen der Genesis und z. B. dem Buche Exodus
in dieser Beziehung ist so offenkundig, daß ihn nur ein Blinder über-
sehen kann. Wie man ihn erklären will, ist eine zweite Frage.
Ich nehme an, daß die Geschichten der Genesis von den Kanaanitern
entlehnt sind, die gleich Homer in einer kulturübersättigten Zeit
lebten, wo die Eeligion sich zu zersetzen und in Eationalismus auf-
zulösen begann. Man hat die Scheu vor der Gottheit verloren und
zieht sie ins Menschliche herab. Die scheinbare Naivität ist in Wirk-
lichkeit Hyperkultur. Sonderbar ist nur, daß die Israeliten niemals
das Bedürfnis empfunden haben, die spezifischen Züge der GottesoiFen-
barung, mit denen wir uns in diesem und in den vorhergehenden Para-
graphen beschäftigt haben, nachträglich in die Genesiserzählungen
einzufügen. — Einen dritten denkwürdigen Kreis, der wieder für sich
steht, bilden die Josephsgeschichten. »An die Stelle des Glaubens an
die Gotteserscheinungen ist der Yorsehungsglaube getreten« (Gunkel"^
S. 351).
Forschungen zur Rel. n. Lit. d. A. u. NT. 6. 9
130 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Phrase : aus dem Zornesbecher oder aus der Zornesschale trinken,
die auffälligerweise nur ein einziges Mal (Hab. 2 15 nach der
Konjektur Wellhausens) in profanem Sinne begegnet, sonst
stets von Jahve ausgesagt ist. Das Bild ist nicht ohne weiteres
klar. Man möchte es ebenfalls auf den Giftbecher zurück-
führen, da das Wort nTsn sowohl Gift wie Zorn heißte Weil
Gift und Zorn für das semitische Sprachbewußtsein eng zu-
sammengehören, darum kann von einem Becher und von einem
Ausgießen (Ez. 14 19. 20 33. 2222. Hos. 5 10. Thren. 24. 4 11) und
von einem Trinken (Job. 21 20) des Zornes gesprochen werden.
Wir erwarten demnach, daß die Schilderung der Folgen, die
das Trinken des göttlichen Zornesbechers hervorruft, sich decke
mit den Erscheinungen, die durch Giftgenuß verursacht werden.
Von einem Giftwasser Jahves redet unzweideutig Jeremia.
Sammelt euch, laßt uns in die festen Städte ziehen und dort
untergehen; denn Jahve, unser Gott, läßt uns untergehen und
tränkt uns mit Giftwasser; denn wir haben gesündigt wider
Jahve (Jer. 814). Anderswo sagt Jahve: Darum will ich dies
Volk mit Wermut speisen und mit Giftwasser tränken (Jer. 9 14.
23 15). In allen diesen Versen ist ein Gift gemeint, das von
einer uns unbekannten Pflanze genommen wird, wie wir auch
die von uns mit Wermut übersetzte Pflanze nicht genau iden-
tifizieren können 2. Soweit sind die Bilder klar.
Die Unklarheit beginnt schon an der Stelle, die man
ohne Grund als die Quelle dieser ganzen Idee angesehen hat:
Denn so sprach Jahve, der Gott Israels zu mir: Nimm^ diesen
Weinbecher .... aus meiner Hand und lasse ihn trinken
alle Völker, zu denen ich dich sende. Und sie sollen trinken
und ins Schwanken geraten und ins Rasen durch das Schwert,
das ich unter sie sende. Und ich nahm den Becher aus der
Hand Jahves und ließ ihn trinken alle Völker, zu denen Jahve
mich gesandt hatte .... Du aber sollst zu ihnen sagen: So
spricht Jahve der Heerscharen, der Gott Israels: Trinkt, daß
1. Die Urbedeutung ist »Gift«, wie die Übereinstimmung des Assy-
rischen (imtu), Arabischen /^c'^jLj, Äthiopischen (rflCp*^; Galle) und
Syrischen (f^ouaju) lehrt.
2. Man denkt an Artemisia absinthium, die aber nicht giftig ist.
Der Becher Jahves. 131
ihr trunken werdet und speit und hinfallt, ohne aufzustehen^
vor dem Schwerte, das ich mitten unter euch sende (Jer. 25i5ff. 27).
Hier sind zwei Bilder mit einander vermengt: das vom Trinken
des Bechers Jahves und das vom Gefressen werden durchs
Schwert. Möglich war dies, da beide inhaltUch identisch sind
und den gewaltsamen Tod bedeuten. Der Verfasser war sich
des bildlichen Charakters gar nicht mehr bewußt und brauchte
darum beide metonymisch. Um dieses abgeblaßten Sinnes
willen kann die Phrase vom Becher Jahves nicht erstmalig
durch Jeremia geschaffen, sondern sie muß um vieles älter
sein. Wollte man selbst mit Duhm das Schwert als Glosse
streichen, so ist doch nicht jeder Anstoß entfernt. Denn das
Bild bleibt trotzdem unklar. Obwohl der Becher ausdrücklich
als Weinbecher bezeichnet ist, paßt die folgende Schilderung
nicht dazu. Vom Wein kann man zwar trunken werden, speien
und hinfallen, aber man steht wieder auf, man stirbt nicht
davon noch gerät man durch ihn in Easerei. Der Wein ist
überhaupt vÖlHg ungeeignet, um das Unheil zu symbolisieren,
das er hier symbolisieren muß. Denn er ist in erster Linie ein
köstlicher Trank, ein Freudespender und Sorgenloser, und er
behält diesen Charakter trotz der unangenehmen Wirkungen,
die sich an den übermäßigen Genuß knüpfen.
Von diesem Gesichtspunkt aus ist Ps. 60 5 ebenso auffällig:
Du hast dein Volk Hartes sehen lassen, du hast uns Taumel-
wein trinken lassen. Baethgen erklärt: »Der Taumel selbst
ist das Gift, welches das Volk getrunken hat«. Aber es handelt
sich hier, wie aus dem Parallelismus hervorgeht, einfach um eine
technische Redensart. Du hast uns mit Taumelwein getränkt
d. h. du hast uns Unheil bescheert. Der Taumelwein hat hier
dieselbe Bedeutung wie im Neuen Testamente tvottJqiov Unheil
(Matt. 2O22. 2639). Vom Weine aus ist diese Begriffsentwicklung
schlechterdings unverständhch. Ebenso kennt Ps. 709 nur den
Unheilsbecher: Denn ein Becher ist in der Hand Jahves mit
gärendem Wein voller Würze, und er schenkt davon, und auch^
seine Hefen müssen trinken, müssen schlürfen alle Gottlosen
auf Erden; ich aber will jubeln für immer. Der Fromme trinkt
den Most Jahves nicht. Wäre wirklich himmhscher Wein im
1. Lies ns Wellhausen.
132 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Becher Jahves, so müßte der Gerechte zu allererst davon kosten.
Der Weinbecher kann demnach nicht ursprünglich sein, sondern
muß als ein späteres Substitut aufgefaßt werden.
An einer anderen Reihe von Stellen wird das Getränk
nicht näher bezeichnet. So heißt es Jer. 5139: . . . ich will
bereiten ihren Trank und will sie trunken machen, damit sie
zusammenbrechen^ und entschlafen zu ewigem Schlaf ohne Er-
wachen, spricht Jahve. Wie hier der Tod als eine Wirkung
des göttlichen Trankes ausdrücklich genannt wird, so auch
Ob. 16: Denn so wie ihr auf meinem heiligen Berge habt
trinken müssen, werden alle Völker beständig trinken, trinken
und wieder trinken^, und sein, als wären sie nie gewesen. Die-
selbe Idee scheint Ez. 2332f. (vgl. Y. 25fF.) vorausgesetzt zu sein:
Den Becher, der deiner Schwester gereicht ward, sollst du
trinken, den tiefen, weiten .... der viel zu fassen vermag ....
den Becher des Schauers und des Schauders. Anderswo ist es
nicht der Tod, sondern die Schmach, die den Trinker trifft.
Freue dich und sei fröhlich, . . . die du wohnst im Lande Uz, auch
an dich wird der Becher kommen, du wirst dich berauschen und
entblößten (Thren. 4 21). Wehe dem, der den Änderen zu trinken
gibt aus der Schale seines Zornes^ bis zur Berauschung, um an
ihrer Schande sich zu weiden. Trink nun auch du und taumle^,
es kommt an dich der Becher aus der Rechten Jahves, und du
wirst dich sättigen an Schmach statt an Ehre^ (Hab. 2i5f.).
Wieder an anderen Stellen wird Ohnmacht oder Wahnsinn als
Folge des Trinkens genannt. Ermuntere dich, ermuntere dich,
steh auf, Jerusalem, die du getrunken hast von Jahves Hand
den Becher seines Grimmes, die du den Kelch des Taumels ge-
trunken, geschlürft hast . . . Deine Söhne lagen ohnmächtig . . .
wie die Antilope im Netz, Sie waren voll vom Grimm Jahves,
vom Schelten deines Gottes. Darum höre dies. Elende und
Trunkene, doch nicht vom Wein. So spricht Jahve, dein Gott,
der da hadert für sein Volk: Siehe, genommen habe ich von
deiner Hand den Becher des Taumels, nicht wirst du ferner
mehr trinken den Kelch meines Grimmes ( Jes. 51 i7ff.). In über-
1. Lies ic^y Giesebrecht. 2. Lies i^yi; vgl. das arab. \^.
3. Lies ir^rt pcis Wellhausen. 4. Lies ^?'^ni LXX.
5. Vgl. Wellhausen und Nowack z. St.
Der Becher Jahves. 133
tragenem Sinne werden Städte als ünheilsbecher Jahves aufgefaßt:
Ein goldener Becher war Babel in der Hand Jahves, der die
ganze Erde berauschen sollte; vom Weine darin tranken die
Völker, darum gebürdeten sie sich wie Rasende (Jer. 51?).
DüHMs allegorische Erklärung ist nicht überzeugend: »Der
Wein ist die verführende Macht, die die reiche, prächtige
Königs- und Handelsstadt auf die Welt ausübte«. Der Ver-
fasser will vielmehr sagen: Das Unheil der Erde kam auf Ver-
anstaltung Jahves grade aus dem prachtvollen Babel. Um
diesen Gedanken auszudrücken, benutzt er die Voretellung von
dem Becher Jahves und stellt die Stadt selbst als diesen Kelch
dar, aus dem die Völker trinken, sich berauschen und dann
wahnsinnig werden. Zach. 122 wird dasselbe Bild auf Jerusalem
angewandt: Siehe, ich mache Jerusalem zu einem Taumelkelch
für alle Völker ringsum, und auch Juda^ wird dabei sein bei
der Belagerung Jerusalems.
Fassen wir die Einzelzüge zu einer Gesamtanschauung zu-
sammen, so ergibt sich Folgendes : Wer aus dem Becher Jahves
trinkt, wird berauscht, taumelt, gebärdet sich wie ein Käsender,
fällt ohnmächtig hin, entblößt sich oder wird, als wäre er nie
gewesen, wird entschlafen zu ewigem Schlaf, ohne Erwachen.
So weit die Tatsachen. Die im Folgenden versuchte
Erklärung^ kann nur den Anspruch einer Hypothese
erheben.
Sehen wir von dem zuerst erwähnten Giftwasser ab und
achten wir nur auf die zuletzt genannten Dinge, so sind sie
weder für das Giftwasser noch für den Wein charakteristisch.
Sie passen nicht zu purem Gifte. Denn dann würde ein Trunk
genügen, um das Ende des Trinkers herbeizuführen, dann
würde man ihn nicht trinken, trinken und wieder trinken, dann
würde man nicht bloß ohnmächtig oder rasend. Ebenso wenig
stimmen sie zum Weine. Denn er ist kein Symbol des Unglücks,
sondern des Glücks, und wer ihn genießt, entschläft nicht zu
ewigem Schlaf, ohne Erwachen. Mit größerem Recht darf man
an ein langsam wirkendes Pflanzengift denken, das nicht immer
zum Tode, sondern mitunter nur zur Ohnmacht oder zur Raserei
1. Streiche hv Geigeb.
2. Im Anschluß an eine mündliche Mitteilung Gunkels.
134 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
führt. Grade die Worte, mit denen das Sterben nicht direkt
genannt, sondern umschrieben wird, lassen auf eine Art Opium,
Haschisch oder einen ähnlichen Eauschtrank schließen, aus dem
man Lethe schlürft und wird, als wäre man nie gewesen, durch
dessen Genuß man entschlummert oder, falls er zu reichlich
gewesen, auf immer entschläft. Die Kenntnis eines solchen
Rauschmittels und seiner Wirkungen darf man jedenfalls damals
so gut voraussetzen, wie sie heute im Orient vorhanden ist.
Nun wird jedoch an einigen Stellen der Wein, wie wir
gesehen haben, ausdrückHch genannt, und bis zu einem gewissen
Grade sind ja auch die Folgen des Weingenusses denen des
Rauschtrankes ähnlich, sodaß beides sehr wohl in der Phantasie
der Propheten mit einander kombiniert werden konnte. Man
müßte aber eine Übertreibung annehmen, die auch deshalb
wahrscheinlich ist, weil nicht bloß Einzelne, sondern ganze
Völker aus dem Becher Jahves trinken sollen. Diese Schilde-
rungen sind charakterisiert durch eine wild-phantastische und
groteske Art. Wie wir von künstlichen Mitteln, von Musik
(II Reg. 3 15) und Tanz (IReg. 18) der älteren Propheten hören,
um die Verzückung hervorzurufen, so erfahren wir auch durch
Jesaja, daß die Priester und Propheten, durch Wein und Meth
in Ekstase versetzt, sinnlose Orakel in barbarischem Kauder-
welsch stammeln (Jes. 287ff.), wenn sie nicht einfach den Jesaja
höhnen. Jedenfalls benutzt dieser ihr Wort, um es gegen sie
selbst anzuwenden und ihnen zuzurufen: Jawohl, in solchem
barbarischen Kauderwelsch wird Jahve schon zu euch reden
und euch — assyrisch lehren! Durch eine ähnliche Pointe
werden vielleicht auch die Dinge verständlich, die uns hier be-
schäftigen.
In der Heilseschatologie begegnet uns einmal eine Schil-
derung, wie Jahve auf seinem Berge allen Völkern ein großes
Gastmahl anrichtet aus Fettspeisen und Hefenweinen (Jes. 206).
Diese Idee muß, wie aus manchen Anzeichen hervorgeht (vgl.
§ 14), alt sein, obwohl sie uns nur an einer späten Stelle über-
liefert ist, und muß einmal eine größere Rolle gespielt haben.
Wir haben darum ein Recht, für uns verlorene Beschreibungen
eines solchen göttlichen Gelages zu vermuten, das wohl nach
Art der Feste gedacht war, die man im Tempel am Tische
Der Becher Jahves. 135
der Gottheit feierte. Beim Hauptfest, das nach der Weinlese
stattfand, zogen die Scharen unter fröhhchem Flötenspiel in
die Festhallen der HeiHgtümer (ISam. 922. Jes. 3O29). Dort
aß man und trank man und war fröhlich vor Jahve. Wenn
dann der Festbecher, der Becher Jahves, von Hand zu Hand
gereicht ward, herrschte ausgelassene Freude, die oft das Maß
des Anstands überschreiten mochte (Jdc. 21 21. ISam. I13.
Am. 2?).
Denken wir uns an diesen Festen im allgemeinen und an
dem Jahvefest der Heilseschatologie im besonderen die Schilde-
rungen der Propheten orientiert, so werden sie begreiflich als
eine Verdrehung ins Groteske. Für sie ist der Tag Jahves ein
Tag des Unheils, und darum verwandelt sich für sie das Bild
der Heiterkeit in ein Bild des Entsetzens. Auch sie stellen,
in Anlehnung an die populären Anschauungen, jenen Tag als
ein Opferfest dar, an dem der Becher Jahves kreist, aber sie
übertreiben die Wirkungen des Weines, als würde ein Rausch-
trank oder gar Giftwasser von Jahve kredenzt. Ein ganzes
Volk trinkt, rast, taumelt, stürzt, verliert die Besinnung, ent-
schläft und wird, als wäre es nie gewesen. Diese Erklärung
ist nur eine Hypothese, aber nicht unwahrscheinlicher als andere,
zumal wenn sie im Zusammenhang mit den Tatsachen be-
trachtet wird, die im nächsten Paragraphen behandelt werden
sollen.
In einem anderen Sinne lernen wir sehr viel später
den Becher Jahves als Inspirationsbecher kennen. Als Esra
die heiligen Schriften diktieren soll, ruft eine Stimme ihm zu:
Esra, tu den Mund auf und trinke, ivomit ich dich tränke!
Da tat ich den Mund auf und sieh, ein voller Kelch ward mir
gereicht, der war gefüllt wie von Wasser, dessen Farbe aber
dem Feuer gleich war (IV Esra 1437ff.). Hier wird deutlich die
Inspiration unter dem Bilde des Trinkens aus dem göttlichen
Becher beschrieben. Daß dieser Zug von diesem Schriftsteller
zum ersten Mal erfunden sei, wird niemand behaupten wollen,
der als ein wesentliches Merkmal der Apokalyptik das Arbeiten
mit überkommenen Ideen anerkennt. Aber ob die Vorstellung
altisraehtisch ist, können wir aus Mangel an Material nicht
entscheiden. Sie hat jedoch mit den oben angeführten Tat-
136 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Sachen scheinbar nichts zu tun. ReHgionsgeschichtlich sind
viele Parallelen zu ihr vorhanden ^
§ 14. Die Opfermahlzeit Jahves.
Der Tag Jahves heißt Zeph. Is m?T' nnt Di"«. Die ge-
wöhnliche Übersetzung lautet: Tag des Opfers Jahves. Sie ist
ungenau, wie aus dem vorhergehenden Verse folgt: Still vor
dem Herrn Jahve; denn nah ist der Tag Jahves; denn bereitet
hat Jahve das Opfer, hat die von ihm Geladenen geheiligt. Weil
von Geladenen, von Gästen, die Rede ist, handelt es sich nicht
einfach um ein Opfer, sondern genauer um eine Opfermahlzeit.
Die Seltsamkeit dieser Vorstellung wird durch die ungenaue
Wiedergabe: Tag des Opfers Jahves stark abgeschwächt. Wir
würden es verstehen, wenn das Morden der Menschen ein
Opfern genannt würde, da in alter Zeit jedes Schlachten ein
Opfern gewesen ist. Das Wort Jeremias: Ich lasse sie hin-
stürzen wie Schafe heim Schlachten (51 40), bedarf keiner Er-
klärung. Auch das ist begreiflich, warum Jahve ein Opfer
veranstaltet im Lande des Nordens am Flusse Euphrat (Jer. 46 10).
Menschliche Funktionen sind in poetischer Lizenz auf die Gott-
heit übertragen, obwohl sich bei scharfer Logik einige Schwierig-
keiten ergeben. Denn während die Opfer sonst einer Gottheit
dargebracht zu werden pflegen und irgend einen bestimmten
Zweck verfolgen, ist hier Beides außer Acht gelassen.
Der Tag Jahves als Opfermahlzeit hingegen, an der ge-
ladene Gäste teilnehmen, ist eine zunächst völlig rätselhafte
Anschauung. Wir erfahren nicht genau, wer das Schlachtopfer
und wer die Gäste sind. Es liegt im Stil der prophetischen
Rede, dunkel, geheimnisvoll, orakulös das Künftige mehr anzu-
deuten als zu nennen, es lieber mit einem leichten Schleier zu
verhüllen als zu offenbaren. Nach der herkömmlichen Auf-
fassung sind die Israeliten das Schlachtopfer, während man
ihre Feinde, die Völker, als die Gäste betrachtet. Wenn man
den Zephanja beim Worte nimmt, so ist diese Erklärung
unmöglich. Denn mit Israel sollen alle Tiere, Vögel, Fische,
1. Vgl, Oldenberg: Keligion des Veda S. 175,
Die Opfermahlzeit Jahves. 137
ja alles, auch die Menschen, vernichtet werden (l2f.). Trotzdem
darf man vielleicht kein allzu großes Gewicht auf diese Verse
legen, da sie als Einleitung gewissermaßen nur das Motto für
die gleich darauf geschilderte israelitische Katastrophe bilden
und den breiten, überlieferten Rahmen abgeben, in dem das
kleine, spezifisch prophetische Bild steckt. Es bleibt noch eine
andere Möglichkeit, die deshalb vorzuziehen ist, weil sie besser
in den Zusammenhang paßt, während jene ihn inkonzinn ge-
staltet, uj^npn ist auch Terminus technicus für das zu opfernde
Tier: stürze sie hin wie Schafe zur Schlachtung und heilige sie
auf den Tag des Würgens (Jer. 123). Die geladenen Gäste,
die Jahve geheiligt d. h. dem Untergang geweiht hat, sind
identisch mit dem Schlachtopfer, sind also niemand anders als
die Israeliten selbst. Wie grausig ist das Bild, das der Prophet
hier mit ein paar Strichen gemalt hat! Jahve veranstaltet ein
göttliches Gastmahl. Aber während man sich sonst freut vor
Jahve, wie der geläufige Ausdruck für die im Tempel genossene
Mahlzeit lautet, hat hier der Gastgeber selbst bereits das Schwert
gewetzt, um seine eigenen Gäste zu morden.
Zephanja denkt sich die Ausführung der Tat nicht ganz
so entsetzlich und wörthch. In V. 16: ein Tag der Trompete
und des Kriegsgeschreis gegen die festen Städte und gegen die
hohen Zinnen, deutet er an, daß Jahve sich eines irdischen
Mittlers bedient, eines feindhchen Heeres, das Israel besiegt
und vernichtet. Aber man steht zunächst vor einem
völligen Rätsel, wenn man fragt, wie sich der Prophet
den Untergang Israels durch einen unglücklichen
Feldzug unter dem Bilde einer göttlichen Opfermahl-
zeit vorstellen konnte. So viel wird man mit Sicherheit
sagen dürfen: Ganz aus sich selbst hat er diese Idee nicht ge-
schaffen, da sie dazu viel zu dunkel und abrupt auftritt.
Er wird sich vielmehr an eine damals bekannte, uns unbekannte
Tradition angelehnt haben. Fragen wir nun weiter, woher er
diese Tradition hatte und wie sie aussah, so tappen wir im
Dunkeln. Aus den uns überlieferten älteren prophetischen
Büchern stammt sie nicht. Ob sie nur mündlich oder auch
schrifthch fixiert war, läßt sich nicht ausmachen. Ich trage
kein Bedenken, eine reiche Literatur über den Tag Jahves
vorauszusetzen, die uns verloren gegangen ist. Das ist eigentlich
138 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
selbstverständHch, wenn man überlegt, wie aus der ganzen fast
tausendjährigen Geschichte, die das israeHtisch-jüdische Volk
erlebt hat, nur diese paar Bruchstücke erhalten sind, die wir
Altes Testament nennen. Und doch wird selten Ernst gemacht
mit diesem Gedanken. Man meint meist, wenn man die älteren
Quellenschriften seziert hat, dann habe man eine Kenntnis von
dem geistigen Leben des vorexilischen Israel. In Wirkhchkeit
besitzen wir eine ganz dürftige Kunde. Gunkel hat des Öfteren
darauf hingewiesen, daß an manchen Stellen des Priesterkodex
gute alte Tradition vorliegt, die wir in den älteren, noch vor-
handenen Schriften vergebens suchen. Es muß neben ihnen
her ein breiter Strom existiert haben, der kostbare Überlieferungen
mit sich führte, von denen wir zufällig einmal aus späterer
Zeit hören. Genau so ist es mit den prophetischen Büchern.
Aus einzelnen Anspielungen, unzusammenhängenden Fragmenten
und undeutlichen, unverständlichen Bildern müssen wir notwendig
schließen, daß neben ihnen und vor ihnen eine reiche, vor
allem auch eschatologische Tradition fortgepflanzt wurde, sei es
mündlich sei es schriftlich.
Etwas anders als Zephanja ist Jes. ISs: Ich habe entboten
meine Geheiligten, auch eingeladen meine Recken zu meinem
Zorn, meine stolz-frohlockenden. Hier sind die Geheiligten
nicht das Opfer, sondern das Werkzeug Jahves: Horch Ge-
tümmel in den Bergen gleich einem großen Volk, horch Lärm
von Königreichen^, versammelten Völkern! Jahve Zehaoth mustert
das Heer der Schlacht (V. 4). Genauer sind es (nach V. 17)
die Meder, die Babel vernichten sollen. Als Opferpriester von
besonderer Heiligkeit, die sich nicht selbst durch Lustrationen
und Sühnebräuche geweiht haben, sondern die von Jahve ge-
weiht sind, vollziehen sie das Opfer an dem auserlesenen Schlacht-
tier und nehmen als Gäste Jahves am Opfermahle teil. Nur
dieser einleitende Vers setzt vielleicht die Opferidee voraus, während
nachher das Ende Babels nicht mit den Farben der Opferung
gemalt wird. Das Bild ist hier also ebenso typisch wie bei
Zephanja, und die Anschauung vom Tage Jahves als einem
Opferschmaus wird darum nicht verständlicher.
Zum dritten Male begegnet sie uns in der Gogweissagung
1. Lies nisVrtt DE Lagarde.
Die Opfermahlzeit Jahves. 139
Ez. 39i7fF.: Du aber, Menschenkind, . . . sprich zu den mannig-
fach beschwingten Vögeln und zu dem Getier des Feldes: ....
Schart euch zusammen von ringsum zu meinem Opfermahle, das
ich für euch schlachten will, ein großes Opfermahl auf den
Bergen Israels, und ihr sollt Fleisch fressen und Blut trinken.
Fleisch von Helden sollt ihr fressen und das Blut der Fürsten
der Erde sollt ihr trinken, Widder, Lämmer und Böcke, Farren
und Masttiere von Basan, insgesamt. Und ihr sollt Fett fressen
bis zur Sättigung und Blut trinken bis zur Trunkenheit von
meinem Opfermahle, das ich für euch geschlachtet habe. Und ihr
sollt euch an meinem Tische sättigen an Bossen und Pferden, Helden
und allerlei Kriegsleuten. Vorausgesetzt wird in diesen Worten,
daß Gog nicht bestattet wird, sondern unbeerdigt liegen bleibt.
Das paßt nicht recht zu dem Vorhergehenden, wo von den
Veranstaltungen zum Wegschaffen der Leichen die Rede ist.
Der Zusammenhang ist nicht organisch (so schon KeItzschmae).
Trotzdem liegt auch hier uraltes Gut vor. Das Verzehren der
Leichen durch Vögel und Tiere wird sonderbarer Weise als
ein Opferschmaus beschrieben. Gog ist ein auserlesenes Menschen-
opfer, das mit den kostbarsten Schlachttieren, nämhch denen
ßasans, auf eine Stufe gestellt wird. Die Teilnehmer an der
Mahlzeit, Vögel und Tiere, erhalten die besten Opferteile: Blut
und Fett. Dieser Zug kann vom Verfasser nicht erfunden
sein, er ist in dieser späteren und selbst in der früheren Zeit
nicht begreiflich. Nach Ez. 44 15 sollen Blut und Fett des
Opfertieres als die vornehmlichen Träger des Lebens Jahve
dargebracht werden, und nach Lev. 3 darf man Fett und Blut
nicht genießen, weil sie die heihgsten Bestandteile des Opfers
sind, die Jahve selbst zukommen. Sehr viel früher wurden
Blut und Fett einmal von den Opferteilnehmern selbst getrunken
(Smith: ßel. der Sem. S. 177). Aber hier werden diese hoch-
heihgen Stücke weder Jahve noch den Menschen, sondern den
Tieren zu teil.
Die Tradition kehrt Jes. 34 in doppelter Form wieder.
Man hat mit Unrecht an eine Nachahmung Ezechiels gedacht.
Denn hier findet sich ein Zug, den wir dort nicht getroffen
haben. Alle Völker werden bestimmt für die Schlachtung und
geopfert. Die Leichname werden hingeworfen, und die Berge
140 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
zerfließen von ihrem Blut und flüssig werden alle {Hügely. Da
im Folgenden das Schwert Jahves besonders auf Edom herab-
fährt, so werden die Edomiter als Hammel und Böcke dar-
gestellt, an deren Blut und Nierenfett das Schwert Jahves
sich berauscht. Und es trinkt ihr Land das Blut, und ihr
Staub wird von Fett getränkt. Blut und Fett, die hochheiligen
Träger des Lebens, werden also hier nicht von der Gottheit,
auch nicht von Menschen oder Tieren, sondern von den Bergen
und der Erde genossen.
Die nächste Parallele zu dem Opfer der Völker sind die
Erzählungen vom Ende der Tiämat. Der Tannin wird ebenso
wie sie nicht begraben, sondern aufs Land, in die Wüste ge-
worfen, wo ihn die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels
fressen (Ez. 295. 324. Ps. 74 m). Das Fleisch wird auf die
Berge gebracht, mit dem Ase werden die Täler gefüllt und
mit dem Blute das Land getränkt (Ez. 326). Es ist möglich,
daß die eschatologischen Schilderungen der Propheten durch
diese urzeitlichen Gemälde beeinflußt sind, und eine gemein-
same Wurzel scheint nicht ausgeschlossen zu sein. Aber die
Deutung der zusammengestellten Tatsachen ist sehr hypothetisch,
und auch die im Folgenden versuchte andersa-rtige Er-
klärung2 kann keineswegs auf Sicherheit, sondern
nur auf Wahrscheinlichkeit Anspruch erheben.
Nach Jes. 256 wird Jahve in der Heilszeit (vgl. 2423) ein
Gelage veranstalten von Fettspeisen und Hefenweinen für alle
Völker. Dies Symposion darf man schwerlich trennen von der
im Vorhergehenden behandelten Opfermahlzeit. Denn sein
heiliger Opfercharakter zeigt sich nicht nur darin,' daß Jahve
der Gastgeber ist und daß die Bewirtung auf dem heiligen
Berge Zion geschieht, sondern auch in der Wahl der Speisen.
Fett ist das Ambrosia Jahves (Lev. c. 3). Auch hierzu liefert
der Tiämatmythus eine frappante Parallele. Leviathan und
Behemoth sollen einst von den Übriggebhebenen im messiani-
schen Reiche verzehrt werden (IBar. 29. IVEsra 652. IHen. 6O24).
Nach den Eabbinen wird ihr Fleisch aufbewahrt für das köst-
liche Mahl der SeHgen (Webek: Jüd. Theol.» S. 202). Leider
1. So mit BiCKELL, DUHM,
2. Auf sie hat mich Gunkel hingewiesen.
Die Opfermahlzeit Jahves. 141
erfahren wir alle diese Dinge nur aus späten Quellen. Obwohl
sie ihrer mythischen Natur nach alt sein müssen, ist es doch
die Frage, ob wir sie grade in Israel vor dem Exil als bekannt
voraussetzen dürfen. Nehmen wir das hypothetisch an, so würde
sich die prophetische Idee von der schreckhchen Opfermahlzeit
Jahves als gegensätzlich daran orientiert erklären.
Ebenso wie der Becher Jahves (vgl. o. S. 135) würde die
göttHche Opfermahlzeit ursprünglich eine Freudenfeier darstellen.
Jahve lädt sein Volk oder alle Völker bei sich zu Gaste, setzt
ihnen auserlesene, himmlische Speisen vor und reicht ihnen
seinen Becher, gefüllt mit köstlichem Meth. So etwa dürfen
wir ohne allzu viel Phantasie die populären Schilderungen der
Heilseschatologie rekonstruieren. Diese freundlichen Anschau-
ungen haben die Propheten ins Grausige verzerrt. Jawohl! ein
Jahvefest soll kommen, so lehren auch sie, allein statt des
Jubels wird Entsetzen herrschen. Statt von Milch und Most,
wie das Volk glaubte (Am. 9i3. Jo. 4i8), werden die Hügel
und Berge vom Blute triefen. Denn Jahve benutzt die Gelegen-
heit, um die geladenen Gäste zu töten! Die Grausamkeit
dieses Bildes wird etwas gemildert, wenn wir uns seine Ent-
stehung in dieser Weise denken dürfen, aber furchtbar bleibt
es doch. Hier können wir einmal einen Blick werfen in die
unheimhch-gigantische Größe der Propheten, vor der wir er-
schauern. Wer dies Gemälde des Jahvefestes ersonnen hat,
in dessen Augen flammte die Glut der Erregung, in dessen
Geist pochte das Wort Gottes wie ein Hammer, der Felsen
zerschmettert. Diese Seiten in dem Wesen der Propheten sind
zwar nicht so freundlich wie diejenigen, die man gewöhnlich
betont, aber wir dürfen auch sie nicht übersehen, wenn anders
wir der historischen Bedeutung dieser Männer gerecht werden
wollen. Je mehr wir uns in sie versenken, um so mehr emfinden
wir, auf wie einsamer Höhe sie stehen, in ihrer grandiosen Ein-
seitigkeit mit niemandem vergleichbar.
§ 15. Der Tag Jahves.
Eugen Huhn: Die messianischen Weissagungen. Freiburg 1899.
E. H. Charles: Eschatology (in der: Encyclopaedia Biblica). London
1901. J. M. P. Smith: The Day of Yahweh (American Journal of Theo-
logy) Bd. V, S. 505 ff. Hermann Gunkel: Forschungen, Heft I, S. 21 ff.
142 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
— Zu ü^n^m n-'^ns vgl. Stärk in der ZATW 1891, S. 247 ff. — Zum
Wesen der Apokalyptik vgl. Smend in der ZATW 1884, S. 161 ff.
Jetzt endlich kann unsere Untersuchung zu dem Punkte
zurückkehren, von dem sie ausgegangen ist. Beim Propheten
Arnos begegnet uns zum ersten Male der Ausdruck Tag Jahves
(mrr^ dt' öis). Was bedeutete er damals? Schultz ^ S. 574
antwortet auf diese Frage: »Unter allen Tagen der Zeit be-
zeichnet er den Tag, den sich Gott für sein großes Werk be-
reitet und vorbehält, von dem er redet und an dem er sich ver-
herrlichen will — den Tag, der einzig ist unter allen Tagen,
und darum auch einfach jener Tag heißen kann«. An dieser
Definition ist richtig, daß die Phrase bei Amos einen prägnanten
Sinn haben muß, da sie eine bereits feststehende Formel, ein
Terminus technicus ist. Denn schon Amos redet von jenem Tage
{89. 13), ohne daß das Pronomen demonstrativum aus
dem Zusammenhang zu erklären wäre. Nur der Inhalt
macht den Hörer darauf aufmerksam, daß jener Tag gemeint
ist, den jedermann als den Tag Jahves kennt. Der Prophet
kann demnach den Ausdruck nicht geprägt haben, er fand ihn
bereits im Volksglauben vor, und eine bloße Anspielung ge-
nügte, um jedem Zeitgenossen ein bestimmtes, ganz kon-
kretes Bild zu geben, etwa wie wir bei »jener Entwicklungs-
theorie« sofort den mehr oder weniger scharf abgegrenzten
Ideenkomplex des »Darwinismus« in das Gedächtnis zurück-
rufen. Je technischer sozusagen eine Formel geworden, je mehr
sie als tägliche, gangbare Münze abgeschliffen ist, um so vor-
sichtiger wird man sein, allein aus der sprachHchen Fassung
eines Ausdrucks Schlüsse auf den derzeitigen Inhalt zu ziehen.
Wir erleben es ja tägHch, wie der Inhalt einer Formel von
Mund zu Mund, von Generation zu Generation sich unmerk-
lich-merklich wandelt und modifiziert, den veränderten An-
schauungen eines neuen Geschlechtes entsprechend.
Mit dieser Einschränkung wollen wir zunächst auf den
sprachlichen Ausdruck achten und versuchen, ob wir der da-
mals bereits erstarrten Formel das ursprüngHche Leben wieder ein-
hauchen können. Auf den Begriff der bestimmten Zeitspanne, der
von Hause aus dem Worte »Tag« beikommt, wird in den Schriften
der Propheten kein Gewicht mehr gelegt, da neben «inn Di^M
auch onn U^Jz^^n (Jer. 33 15. 504. Jo. 4i) jene Tage und nyn
Der Tag Jahves. 143
fii^nn (Mch. 34. Zeph. 3i9. Jer. 31i. 33i5. 504. Ez. 7i2. Jo. 4i)
jene Zeit steht. Wohl aber bedarf es der Erklärung, wie dem
Jahve ein Tag oder mehrere Tage gehören können. Faßt man
die Redensart nach ihrem Wortlaut auf, so bleibt nur eine ge-
naue Parallele, nämlich die der Wochentage. Wie wir einen
Tag der Venus, einen Tag des Merkur oder im Babylonischen
einen Tag der 2egova (Epiphan. haer. 16, 2) d. h. der Istar^
haben, so könnten die Juden im Anschluß daran von einem
Tage Jahves geredet haben. Aber diese Behauptung läßt sich
nicht einmal wahrscheinlich machen, geschweige denn beweisen.
Eine zweite Möglichkeit ist die, D^"' in übertragenem Sinne
zu deuten. Die verbreitetste Erklärung versteht unter dem Tage
Jahves den Schlachttag, die Schlacht Jahves. Das arabische
jaum wird häufig so verwandt, und im Hebräischen begegnet
uns derselbe Sprachgebrauch Jes. 93 i"»!?: dt» die Midianiter-
schlacht. Aber der Tatbestand sprengt diese zu enge Definition
und verlangt eine Erweiterung. Dasselbe gilt von einer anderen
Ableitung, die man aus dem babylonischen ümu d. h. Sturmtag,
Sturm Jahves versuchen könnte^. Nach den Schilderungen, die
innerhalb der prophetischen Schriften selbst vom Tage Jahves
gegeben werden und die in den vorangehenden Paragraphen
zusammengestellt sind, ist dieser nicht nur ein Tag der Schlacht
oder des Sturmes, sondern auch des Erdbebens, des Feuers, der
Überflutung, des Gewitters, der Finsternis, der Seuchen, der
wilden Tiere, des Schreckens und des Rausches. Mit welchem
Rechte will man alle diese Dinge leugnen oder wenigstens in
den Hintergrund drängen zu gunsten jener wenigen Stellen, die
von einem Kampfe oder einem Sturme Jahves an seinem Tage
reden? Mehr Wahrscheinlichkeit hat die Bedeutung Festtag
Jahves wie es Festtage der Baale (D'ibysri ^n^ Hos. 2i6) gab.
Für die Yolksanschauung war die eschatologische Zeit jedenfalls
eine götthche Festzeit (vgl. o. S. 141). Aber auch diese Auf-
fassung wird durch die Fülle der andersartigen Dinge gesprengt.
So gut man im Deutschen den Ausdruck »Tag« benutzen und
daran das hervorstechende Merkmal einer bestimmten Zeitspanne
1. Vgl. Seru a KAT^ S. 429 Anm. 1.
2. Vgl. Jastrow: Kel. Bd. I. S. 305 Anm. 4. Delitzsch: Assyri-
sches Handwörterbuch S. 33.
144 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
knüpfen kann, so gut konnte der Hebräer dasselbe tun und hat
es getan. Denn, wie wir gesehen haben, gibt es einen Tag des
Schreckens f Tag des Erdbebens^ Tag der Finsternis u. s. w.
Um all den Schilderungen gerecht zu werden, die von dem
Tage Jahves gegeben werden, müssen wir eine sehr allgemeine
Fassung wählen und ihn definieren als den Tag, an dem
Jahve sich irgendwie offenbart, an dem er irgendwie
handelt, der durch ihn irgendwie charakterisiert wird.
Es existierten ursprünglich wohl viele Tage Jahves. Aber
es ist nicht unwichtig zu betonen, daß dieser Sprachgebrauch
gänzlich verschwunden ist. Keine einzige Großtat Jahves in
der Vergangenheit oder damaligen Gegenwart hat den uns be-
kannten Schriftstellern Anlaß gegeben, von einem Tage Jahves
zu sprechen. Überall, wo dieser Ausdruck begegnet, bezieht er
sich auf die Zukunft, d. h. er ist bereits in vorprophetischer
Zeit zum eschatologischen Terminus geworden. Wie ist diese
keineswegs selbstverständliche Tatsache zu erklären? Doch
wohl nur so, daß die in Zukunft erwartete Offenbarung Jahves
völhg unvergleichbar war mit allen denen, die in der Gegenwart
oder Vergangenheit je geschehen waren. Was bedeuteten die
Wunder der Natur, die Jahve bisher verrichtet, was besagten
die Schrecken, mit denen er seine Feinde bisher entsetzt hatte,
gegenüber der einen, allgewaltigen Katastrophe, die Jahves
schrecklich-herrHche Majestät erst in ungeahntem Glanz ent-
hüllen sollte? Vor diesem zukünftigen Tage Jahves verblaßten
alle die anderen.
Mit dieser Auffassung lassen sich die überlieferten Tat-
sachen am besten reimen. Als die älteste oder mythische
Stufe der Unheilseschatologie dürfen wir die Erwartung
einer großen Weltkatastrophe bezeichnen^. Wir sind aus
inneren und äußeren Gründen gezwungen, sie für die älteste zu
halten. Denn erstens kann aus der Weltkatastrophe wohl eine
speziell palästinische werden, während das Umgekehrte in histori-
scher Zeit undenkbar ist, da der Glaube an Weltkatastrophen
nur in der mythischen d. h. prähistorischen Epoche entstanden
sein kann. Zweitens schimmert der Charakter des Tages Jahves
als einer Weltkatastrophe in den prophetischen Schriften nur
1. GuNKEL a. a. 0. S. 21.
Die mythische Stufe des Tages Jahves. 145
noch durch und ist so unkenntHch geworden, daß die heutigen
Forscher (mit Ausnahme Gunkels) ihn bisher fast gänzlich
ignorieren konnten.
Stellen wir uns einmal auf den heute von der Wissenschaft
behaupteten Standpunkt und prüfen wir das Fundament, auf
das man gewöhnlich baut. Man meint, die Idee einer Welt-
katastrophe sei zum ersten Male ausgesprochen von Zephanja.
So sagt z. B. Stade (Bibl. Theologie S. 251): »Man sieht auch
an Zephanjas AVeissagung, wie sehr die Einfügung in das
assyrische Weltreich den Blick erweitert hat: die universali-
stische Betrachtung des Tages Jahves, für die Folgezeit charak-
teristisch, tritt hier zum ersten Male auf«. Zephanja ist kein
tiefer und originaler Denker, sondern gilt als der beste Typus
eines Durchschnittspropheten. Will man wissen, wie wohl un-
gefähr die populäre Erwartung der Endzeit aussah, so muß man
sich an die kleinen Geister halten, die der Masse näher stehen
als die Ausnahmemenschen. In dieser Hinsicht ist Zephanja
von großer Bedeutung für uns. Von vorneherein betont er,
daß eine Weltkatastrophe drohe, von der die ganze Erde, alle
Menschen, das Vieh, die Vögel und die Fische betroffen werden,
ohne den Zweck anzugeben, den Jahve dabei befolgt. Jahve
ist zornig, voller Grimm und Eifer, und darum gefällt es ihm,
die Welt zu vernichten. Das Unheil erstreckt sich auf Juda,
seine nächsten Nachbarn: die Philister, Moabiter und Ammo-
niter, und endlich auf Kus und Assur. Eine ethische Moti-
vierung wird nur dem Orakel gegen Juda beigefügt, während
sie bei den fremden Völkern fast ganz fehlt.
Zephanja kann nicht zum ersten Male die Idee
einer Weltkatastrophe ausgesprochen haben, weil er
keine klare Anschauung damit verbindet. Er redet
zwar von einer Vernichtung der Welt, hat aber ein anderes
Bild vor Augen. Denn stellen wir die ganz konkrete Frage:
Wodurch geht die Welt zu Grunde? so erhalten wir keine un-
zweideutige Antwort. Und doch ist die Idee des Weltunter-
ganges, mag ihre Entstehung auch noch so schwierig und dunkel
sein, dann wenn sie einmal vorhanden ist, eine ganz einfache
Sache. Aus lis könnte man auf einen Weltbrand schheßen
am Tage der Wut Jahves^ wenn durch das Feuer seiner Eifer-
sucht die ganze Erde verzehrt wird. Das wäre eine klare An-
Forschnngen znr Rel. u. Lit. d. A. u. NT. 6. IQ
146 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
schauung, mit der wir uns zufrieden geben könnten, falls wirk-
lich Jahve der einzige Schauspieler auf der Bühne des Welten-
dramas wäre. Der Prophet nennt allerdings nur Jahve, das
Unheil kommt nach dem Wortlaut seiner Verkündigung allein
von Jahve. Aber an einer Stelle wird dieser einheitliche Ge-
danke von einem anderen durchkreuzt und dadurch das ganze
Bild inkonkret und verschwommen gestaltet: ein Tag der
Trompete und des Kriegsgeschreis gegen die festen Städte und
die hohen Zinnen (lie). Daß Zephanja von den Skythen weis-
sagt, ist eine Behauptung der Kommentatoren, zu der der Text
selbst keinen Anlaß bietet. Ob seine Predigt durch die Skythen-
horden angeregt wurde, ist eine andere Frage, deren Berechti-
gung nicht geleugnet werden soll. Im übrigen aber erwartet
er, soviel können wir mit Sicherheit ausmachen, trotz des gegen-
teihgen Scheines der Einleitungsworte keine Weltkatastrophe,
die durch Jahve herbeigeführt wird, sondern einen Krieg, mit
dem niemals die ganze Welt, sondern nur ein Teil überzogen
werden kann. Grade die Inkonzinnität seiner AVorte, die bald
diese bald jene Anschauung voraussetzen, ist der beste Beweis
dafür, daß die Idee der Weltkatastrophe nicht von ihm stammen
kann. Er benutzt diesen Gedanken nur als Einkleidung für die
mysteriöse Andeutung einer andersartigen Katastrophe.
Ebensowenig kann Zephanja der Erste gewesen
sein, der die Vorstellung einer Weltkatastrophe von
anderswoher übernommen hat. Denn wäre sie damals aus
der Fremde entlehnt, so wäre sie eben konkret und hätte ihre
Anschaulichkeit noch nicht eingebüßt. Fragen wir die älteren
Propheten überhaupt, ob in Zukunft eine große Flut, ein Welt-
brand oder ein Erdbeben oder was sonst kommen werde, so
erhalten wir keine einheitHche klare Antwort, sondern ein buntes
Stimmengeschwirr schallt uns entgegen. Der Tag Jahves wird
auf alle mögliche Weise geschildert, aber er wird durch diese
Fülle der Vorstellungen nicht anschaulicher, sondern unanschau-
licher. Die Idee des Weltendes, wie sie von den Propheten der
älteren Zeit vorgetragen wird, ist sehr kompliziert. Eine Eeihe
von Fäden laufen hier zusammen, die sich sehr weit nach rück-
wärts verfolgen lassen und die eben deshalb bis weit in die
vorprophetische Zeit zurückreichen müssen. Man kann zwar
viele Theorieen, Schemata, Termini technici aufzeigen, die be-
Die mythische Stufe des Tages Jahves. 147
reits eine lange Geschichte hinter sich haben müssen, aber kein
bestimmtes, konkretes Gemälde vom Weltende wie bei
der Sintflut. Um dieses fragmentarischen Charakters
willen muß die Unheilseschatologie älter sein als die Prophetie
und aus der prähistorischen Epoche stammen, auch dann wenn
sie etwa ausländischen Ursprungs sein sollte (vgl. darüber § 16).
Der universale Charakter der Endkatastrophe tritt nun
aber keineswegs, wie wir bislang den Gegnern zugestanden haben,
erst bei Zephanja und Jeremia (vgl. namentlich 423ff., wo die
künftige Vernichtung als ein Weltchaos, als ein tohu vahohu
geschildert wird), auf, sondern ist bereits vorher nachweislich
vorhanden, wie in früheren Paragraphen des Einzelnen genauer
erörtert wurde. Es sei daran erinnert, wie schon bei Amos (89)
nicht nur die Erde, sondern auch die Sonne, wie in Jesaja c. 2
nicht nur Palästina, sondern die ganze Erde, wie bei Hosea (43)
nicht nur das Land und seine Bewohner, sondern auch das
Wild des Feldes, die Vögel des Himmels und die Fische des
Meeres in Mitleidenschaft gezogen werden, wie Jes. 28 uff. eine
AVeltflut vorausgesetzt wird u. s. w. In diesem Zusammenhange
sei endlich noch hingewiesen auf die Heidenorakel, die ebenfalls
für den ursprünglich universalen Charakter der Unheilseschato-
logie sprechen und von Anfang an zum ständigen Repertoir der
Prophetie gehören. Bereits Amos läßt einen festen prophetischen
Stil erkennen (Wellhausen), der sich nicht im Laufe der münd-
lichen Wirksamkeit dieses Mannes herausgebildet haben kann,
dessen Prägung vielmehr längere Zeit gedauert haben muß. Es
ist Sache des Stiles, neben Israel eine Reihe von Völkern auf-
zuzählen, die durch die Katastrophe betroffen werden. Welchen
Sinn hätte das, wenn es sich um ein Unheil handelte, das nur
Israel anginge? Die selbstverständliche Voraussetzung, die also
schon von Amos geteilt wird, ist doch, daß eben eine Welt-
katastrophe erwartet wird. Man nennt natürlich nicht alle
Nationen der Erde, sondern begnügt sich mit denen, die be-
kannt waren und aus irgend einem Grunde die Aufmerksamkeit
auf sich zogen, namentlich mit den Nachbarn und den jeweiligen
Eeinden. Daran war Israel besonders interessiert, weil es den
Heiden von ganzem Herzen den Untergang wünschte, und in
diese Orakel konnte es all den Haß hineinlegen, der es gegen
seine Gegner beseelte.
10*
148 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Smend (S. 189 Anm. 1) meint: »Die eigentHchen Pro-
pheten, von Arnos bis auf Jeremia, bedrohen andere Völker mit
den Assyrörn und den Chaldäern doch nur deshalb, weil sie
Israel und Juda die Unmöglichkeit jedes Widerstandes gegen
die von Jahve bestellte Weltmacht zu Gemüte führen wollen«.
Aber in manchen Heidenorakeln (z. B. Arnos c. 1 und Zephanja)
wird 3s so dargestellt, als erfolge die Vernichtung der Völker
nicht durch eine irdische Weltmacht, sondern durch Jahve selbst.
In allen diesen Fällen ist die Erklärung Smends von vorne-
herein unmöglich. Wozu brauchte man die Weissagung gegen
die Heiden, da immer wieder hervorgehoben wird, daß Jahve
es ist, der durch die Weltreiche oder ohne sie Israel vernichten
will? Wer wollte Jahve widerstehen? Wie sollte dem Leicht-
füßigen die Zuflucht nicht entschwinden, wie sollte der Held
sein Leben nicht verlieren, wenn Jahve durch ein Erdbeben
den Boden schwankend macht, wie der Wagen schwankt, der
voller Garben ist (Am. 2i3ff.)? An dieser Stelle und an anderen^
wo ähnliche Naturkatastrophen geschildert werden, denen gegen-
über der Mensch mit Notwendigkeit wehrlos und ohnmächtig
ist, wäre es doch überflüssig, die Unmöglichkeit des Wider-
standes oder die Sicherheit des Verderbens noch besonders zu
betonen und durch Beispiele der heidnischen Völker zu illu-
strieren. Der Prophet Amos stellt einfach sieben Nationen
neben einander und zeigt, wie die Katastrophe über alle gleich-
mäßig ergeht, einen weiteren Zweck verfolgt er nicht. Man
darf ihm auch nicht den Schluß unterschieben: »Wenn die
Sünde an Israel heimgesucht wurde, dann sollte sie auch in der
ganzen Welt gerichtet werden« (Smend ebd.). Die Idee der
Weltkatastrophe in der Form, die sie nach den uns vorliegenden
Quellen gehabt hat, wird damit nicht erklärt. Denn wäre sie
wirklich aus der Ethik geboren und von Hause aus ethisch be-
gründet worden, so wäre nur die Vernichtung der Menschen be-
greiflich. Tatsächlich aber ist es eine Naturkatastrophe, die
daneben auch das Land und die Tiere trifft und die durch eine
ethische Motivierung niemals verständhch gemacht werden kann.
Wenn beides trotzdem mit einander verknüpft ist, so ist das
nicht ursprünglich, sondern sekundär. Die Entstehung der
Heidenorakel als Gattung erklärt sich am einfachsten
durch die Idee einer universalen Katastrophe, während
Die volkstümliche Stufe des Tages Jahves. 149
die einzelnen Weissagungen natürlich durch besondere zeit-
geschichtliche Umstände veranlaßt und modifiziert wurden.
Obwohl es falsch ist, den universalen Charakter der Un-
heilseschatologie in den älteren Prophetenschriften gänzUch zu
leugnen, so ist auf der anderen Seite nicht zu verkennen, daß
diese erste oder mythische Stufe nur noch leise dort hinein ragt.
Sie ist bis zu einem gewissen Grade undeutlich geworden, die
Konturen des Gemäldes sind nicht mehr scharf gezeichnet.
Viel klarer, wenn auch keineswegs einheitlicher, wird das Bild,
sobald wir uns der zweiten oder volkstümlichen Stufe zu-
wenden, auf der die Unheilseschatologie in historischer, aber
voramoseischer Zeit steht. Sie ist ebenso wie die erste ihrem
Wesen nach naturmythologischer Art, unterscheidet
sich aber von ihr — wie wir nicht beweisen, sondern nur aus
inneren Gründen vermuten können — deshalb, weil die Art
der Weltkatastrophe mannigfach variiert wird, während
sie ursprünglich einmal in einer ganz bestimmten Weise gedacht
sein muß. Noch die Schilderungen unserer Propheten, die das Ende
ausmalen, stimmen mitunter recht wenig zu historischen Feinden,
die den Ratschluß Jahves an seinem Volke ausführen sollen.
Statt von dem, was Assyrer, Babylonier, Ägypter und überhaupt
Menschen tun, lesen wir von den mythischen Schrecken Jahves;
bisweilen ist von Schlachten und Niederlagen und Deportationen
gar nicht, sondern allein von Naturkatastrophen die Rede, bis-
weilen geht beides so durcheinander, daß man zweifelt, was
«igenthch die Meinung der Propheten sei. Da es die unbe-
strittene Hauptaufgabe dieser Männer seit Amos war, den Unter-
gang des israelitischen Volkes durch historische Feinde zu ver-
kündigen, so sind wir gezwungen, die Naturkatastrophe für
dichterische Einkleidung zu halten. Aber diese dichterische
Einkleidung will erklärt sein. Es genügt nicht, an die Theo-
phanieen zu erinnern, als ob Jahve den Gegnern zu Hülfe
komme und nur durch seine göttlichen Mittel mitwirke am
Werk der Zerstörung. Durch diese Annahme bleiben alle die
Stellen unbegreif hch , an denen allein von Jahve die Rede ist
und ein irdischer Feind nicht genannt wird. Sie werden erst
dann begreiflich, wenn Jahve in der voramoseischen Zeit
der einzig Handelnde war. Das ist noch in der uns vorliegenden
Literatur so deutUch, daß ich schlechterdings nicht verstehe,
150 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
wie die Forscher (abgesehen von Gunkel S. 21 ff.) darüber
haben hinweglesen können. So allein wird vollends klar, warum
dieser Tag in eminentem Sinne als ein Tag Jahves bezeichnet
werden konnte. Denn mochte auch für den Frommen aller
Zeiten jede siegreiche Schlacht Israels eine Fügung sein, in
der er Gottes Hand erkannte, sie deshalb nach Jahve zu heißen,
fiel ihm nicht ein. Nur der Tag, an dem eine Sintflut, ein
Erdbeben, ein Weltensturm stattfand, war würdig, den Namen
Jahves zu tragen.
Ebenso sind wir aus inneren Gründen gezwungen, diese
Ausmalung der Weltkatastrophe für vorprophetisch zu halten.
So wenig in historischer Zeit eine Weltkatastrophe erdichtet
wird, so wenig die Idee von einem Tage Jahves oder vom Ende
der Tage dem prophetischen Geiste entsprungen sein kann, so
wenig ist auch die naturhafte Art dieser Katastrophe als Eigen-
tum der Propheten erklärlich. Hätten nicht Erdbeben, Sturm,
Feuer, Gewitter, Seuchen und Kriege längst als Offenbarungen
Jahves gegolten, so wären sie durch die Propheten niemals dazu
gemacht worden. Nur deshalb weil alle diese Naturerscheinungen
von den Israeliten bereits vorher dem Jahve zugeschrieben
wurden, spielen sie auch in den prophetischen Reden eine Rolle.
Die älteren Propheten sind in der Gottesauffassung, soweit sie
sich auf das Verhältnis Jahves zur Natur bezieht, abhängig
vom Volksglauben. Das Neue, das sie brachten, liegt auf einem
anderen Gebiet.
Ein weiteres Charakteristikum der volkstümlichen
Stufe, worin sich ihre Eschatologie von der mythischen Stufe
unterscheidet, ist die Beschränkung des Unheils auf die
Heiden. Während die Weltkatastrophe von Hause aus über
die ganze Menschheit ergeht, von der vielleicht niemand, viel-
leicht nur ein besonderer Teil gerettet wird, ist diese ursprüng-
liche Anschauung im Glauben des Volkes heilseschatologisch
dahin umgebogen, daß eben Israel selbst mit dem Leben davon-
kommt. Das ist sehr unanschaulich und sehr inkonkret gedacht,
da ja schließlich bei einer naturhaften, über die ganze Welt
sich erstreckenden Katastrophe schlechterdings niemand dem
Verderben entrinnen kann. Aber was ist menschlich begreif-
licher als die Differenzierung, die der Patriotismus zwischen
Israel und den Heiden vollzieht? Für jenes ist das Heil, für
Die volkstümliche Stufe des Tages Jahves.
151
diese das Unheil bestimmt; jenes wird gerettet, diese gehen zu
Grunde. Der landläufige Patriotismus ist stets mit eigentüm-
lichen Werturteilen verbunden. Er sieht nur den Splitter im
Auge der fremden Völker, ohne sich um den Balken im eigenen
Auge zu kümmern. So überläßt er jenen den Schatten, um
sich selbst das Licht vorzubehalten. Wie sollte es in Israel
anders gewesen sein?
Wir haben diesen Glauben bereits im Anschluß an Jes.
28i5ff. konstatiert (vgl. o. S. 65) und verweisen hier noch auf
Amos 5 18 — 20 : Weh denen, die den Tag Jahves herbeiwünschen!
was soll euch der Tag Jahves ? er ist Finsternis und kein Licht.
Wie wenn einer vor dem Löwen flieht und der Bär stößt auf
ihn, oder er tritt ins Haus und lehnt seinen Arm an die Wand
und es beißt ihn die Schlange! Ist doch der Tag Jahves
Finsternis und kein Licht, und dunkel ohne einen hellen Strahl.
Es ist klar, daß Amos hier gegen eine Yolksvorstellung polemi-
siert. Es gab Zeitgenossen des Propheten, die den Tag Jahves
herbeiwünschten, auf daß er Licht bringe in das Dunkel der
Gegenwart. Sie sehnten, um es ganz allgemein und unbestimmt
auszudrücken, die in der Zukunft liegende »große Krisis herbei,
die mit einem Schlage die neue schöne Ära herbeiführt, ohne
daß sie den Finger zu rühren brauchen« (Wellhausen). Ob-
wohl die Zeit noch ferne schien, hielten sie es doch für mög-
lich, daß sie bald kommen werde. Das Schlagwort des Tages
Jahves ist also nicht von Amos geprägt worden, wie hier noch
einmal ausdrücklich bestätigt werden mag, er legt ihm nur einen
anderen Inhalt bei. Im Gegensatz zur populären Anschauung
betont er zweimal, der jom jahve sei nicht Licht, sondern
Finsternis, nicht Heil, sondern Unheil. Er verkehrt die Er-
wartung dieser Leute in ihr Gegenteil. Sie meinen, es werde
ein freudiger, festlicher Jubeltag, ein n:t2 DT'', werden, während
er ihn zu einem Unglückstage, einem y^ Dv, stempelt. Darum
sind jene voll herzHcher Sehnsucht, er aber warnt sie, düsterer
Ahnung voll. Hier zeigt sich besonders deutHch, wie nach
dem Volksglauben Israel von der Katastrophe verschont bleiben
soll und wie sittlich indifferent die populäre Eschatologie war!
Als das wichtigste Ergebnis unserer ganzen Untersuchung
dürfen wir die These bezeichnen, daß die Eschatologie der Vor-
läufer der Prophetie ist, nicht umgekehrt, wie Wellhausen
152 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
und alle seine Anhänger behaupten. Wellhausen hat seine
Ansicht einmal im Anschluß an Zeph. Ssff. knapp so formuhert:
»Wir haben hier statt der aus Zeit und Umständen geborenen,
historischen und ursprünglich mündhchen Prophetie die von
Ezechiel begründete dogmatische und literarische Eschatologie
mit für alle Zeit giltigen, fest ausgebildeten Zügen«. Im
Gegenteil! Die Prophetie beruht von Anfang an auf einer,
durch die historischen Ereignisse zwar modifizierten, sonst aber
längst fertigen Eschatologie. Das Schema war bereits vor
Amos vorhanden und konnte bald so bald anders aus-
gefüllt werden. Mit der Unheilsprophetie verhält es sich,
um einen Vergleich anzuwenden, wie mit einer Orgel: Klaviatur
und Register sind gegeben, es kommt nur darauf an, wer spielt
und wie er spielt. Der Klaviatur entspricht die Eschatologie,
den Registern die verschiedene Form, in der die Weltkatastrophe
gedacht ist: sei es als Erdbeben oder Sturm oder Feuer oder
Kampf oder sonstwie. Nicht einmal eine neue Technik haben
die Propheten gebracht, aber die Melodie ist ihr persönhches
Eigentum.
Um diese Melodie zu würdigen, müssen wir uns endlich
der dritten oder prophetischen Stufe der Unheilseschato-
logie zuwenden. Wohl mochte es Leute geben, die den Tag
Jahves herbeiwünschten (Am. öis), aber die große Masse wird
geglichen haben den Sicheren in Zion und den Sorglosen auf
dem Berge Samariens . . . Sie ivähnen den bösen Tag ferne
und rücken doch nahe das Jahr^ des Frevels (A.m. 61. 3). Sie
teilen das Sehnen und Hoffen der Wenigen nicht; für sie ist
die Krisis in viel zu weiter, nebelhafter Ferne, als daß sie sich
ernstlich darum kümmern sollten, und so sündigen sie sorglos
darauf los. Da brachte Amos, so viel mr wissen, zum ersten
Male die Botschaft, die seitdem durch die Jahrhunderte
immer wieder von Zeit zu Zeit aufgetaucht und fast nie ganz
verstummt ist, daß der mn"» D t> nahe herbeigekommen
sei. Was die einen für so gut wie ausgeschlossen hielten, was
die anderen auch in den kühnsten Träumen kaum zu hoffen
1. Lies :^'.-ü (im Anschluß an eine mündliche Vermutung Gunkels:
rytö Stunde) und vgl. zum Wechsel von Jahr und Tag im Parallelismus
Jes. 348. 61 2. 634.
Die prophetische Stufe des Tages Jahves. 153
wagten, das war nach ihm jetzt da! Man mache sich klar,
was das heißen will. Der Tag Jahves mit dem reichen, kon-
kreten Inhalt, den dies Wort im Glauben des Volkes barg,
sollte AVirklichkeit werden! Wie mußten die Herzen schneller
schlagen, sei es vor Entzücken sei es vor Entsetzen, bei dem
Gedanken: Jahve der Heere kommt, kommt nicht in fernen,
unermeßlichen Zeiten, sondern in der allernächsten Zukunft,
übers Jahr! Das klang wohl damals genau so widersinnig imd
paradox wie später, als der Ruf erscholl: Jesus, dieser Mensch,
von der Maria geboren, von den Juden vor drei Tagen ge-
kreuzigt, ist der Messias, der in Bälde wiederkehren wird auf
den Wolken des Himmels, um die Welt zu richten! Wenn
heute einer auftreten und ernsthaft weissagen wollte, daß inner-
halb eines Menschenalters der Weltuntergang stattfinden werde,
würden wir ihn nicht nach Hause schicken wie einst Amazja
den Amos: Seher, geh; troll dich ins Land Juda und iß dort
Brot und dort prophezei?
Diese Gewißheit der Propheten über das hereinbrechende
Ende war, soweit sie nicht auf dem Geheimnis der Inspiration
beruht, auf ihren gewaltigen Zorn über die Sünde Israels ge-
gründet. Sie sahen, vne das Volk trotz all seiner Opfer und
Kulthandlungen und Tempel tief in die Sünde verstrickt war.
An den Veruntreuungen der Beamten, an der Völlerei und Un-
zucht, an der Bedrückung der Armen, an den Pflichtversäum-
nissen der Priester und an dem Heidentum im Gottesdienst
ward ihnen der Ernst der Lage klar und erschien ihnen das
Ende unabwendbar. So griffen sie zur Eschatologie , um dem
Volke das kommende Unheil zu schildern, und verbanden sie
mit sittlichen und religiösen Idealen aufs engste. Die ethische
Vertiefung der Unheilseschatologie ist ein neues und
bleibendes Verdienst der Propheten. Wie wenig vorher
Sittlichkeit und Eschatologie mit einander zu tun hatten, das
wird aus einzelnen Weissagungen sehr deutlich, z. B. aus den
Heidenorakeln. Alle Prophezeiungen vom Ende Israels sind
bald mehr bald weniger durch irgendwelche Sünden des Volkes
motiviert, bei den Drohungen gegen die Heiden aber findet sich
eine ganze Reihe, in der jede ethische Begründung fehlt. Hier
hat sich das Ursprüngliche erhalten. Das konnte um so leichter
geschehen, als man die Sünden der Heiden nicht so gut kannte
154 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
wie die Israels. Zu Grunde gehen mußten deshalb jene Völker
doch, und das war ja die Hauptsache, die unwandelbar feststand,
ganz abgesehen von jeder Verschuldung. Diese Heidenorakel
sind, etwa neben Zephanja, bei dem ÄhnHches beobachtet werden
kann, die beste Quelle, um den Unterschied zwischen der pro-
phetischen und populären Eschatologie zu studieren.
Vor allem aber erhellt ihre Differenz aus der Anschauung
über das Schicksal Israels an der Wende der Tage. Während
nach volkstümlichem Glauben Israel bei der Kata-
strophe gerettet wird, ist ihm nach prophetischer Über-
zeugung die Vernichtung gewiß. Diese Differenz erklärt
sich aus dem verschiedenen Standpunkt, den die Beurteiler ein-
nehmen. Das Volk richtet sich nach patriotischen, die Prophetie
nach sittlichen Gesichtspunkten. Weil die Propheten die Sünde
Israels kennen, darum betonen sie die Strafe Israels. Das Volk
weiß von jener nichts und will daher auch von dieser nichts
hören. So begreift sich, wie die Drohung der Propheten gegen
Israel, die unglaublich, ja widersinnig klang (Smend), so sehr in
den Vordergrund gerückt wird, daß darüber der universale
Charakter der Katastrophe fast verloren geht. Er ist nicht
ganz verschwunden, wohl aber in der älteren Prophetie (bis
zum Exil) zurückgedrängt, weil sie vor allem die Aufgabe hatte,
Israel die eigene Vernichtung klar zu machen. Damit wird das
Wesen der israehtischen ReHgion von Grund aus verändert.
Während sie bisher auf der Existenz Israels beruhte und ohne
sie schlechterdings undenkbar war, wird jetzt durch die Pro-
phetie die Sittlichkeit zu ihrem einzigen Fundament erhoben.
Mit der Erwartung der Propheten vom baldigen Ende
Israels hängt eine andere Tatsache zusammen, durch die sich
die prophetische Eschatologie von der populären unterscheidet
und auf die bereits in anderen Zusammenhängen öfter hin-
gewiesen wurde, nämlich daß jetzt an die Stelle der mythi-
schen Schrecken Jahves historische Feinde treten.
Man redet zwar noch von jenen, meint aber diese. Innerhalb
der älteren prophetischen Schriften müssen wir darum zum Teil
die Naturkatastrophen, wo sie begegnen, für eine dichterische
Einkleidung und für ein stilistisches Überbleibsel halten, das
aus einer früheren Periode der Unheilseschatologie stammt. Man
hat darum noch kein Recht, sie allegorisch zu deuten, sondern
Kanonische und außerkanonische Propheten. 155
muß den mysteriösen Charakter der Prophetie in Betracht
ziehen. Von der Zukunft redet man nicht mit Wissenschaft-
Hcher Klarheit, sondern im Ton und Stil des Geheimnisses.
Sie wird mit Absicht in einen halb durchsichtigen halb undurch-
sichtigen Schleier gehüllt; denn wie soll man genau wissen, wie
genau schildern das, was kommen wird? So vermeidet man es
auch, die Feinde, die man im Auge hat, mit Namen zu nennen^
sondern bevorzugt ein gewisses Helldunkel, das eine eigentüm-
lich poetische Stimmung hervorruft.
Der Charakter der vorexilischen Prophetie, soweit sie kano-
nisch geworden und uns erhalten ist, wird ganz allgemein da-
durch bestimmt, daß die Unheilseschatologie durchaus
im Vordergrund der Verkündigung steht. Da nun nach
unserer Auffassung die Eschatologie älter ist als Arnos und
eine in mancher Beziehung feste Form trägt, so müssen bereits
vor unsern kanonischen Männern Prophetenschulen
existiert haben, die in Lied und Wort die eschatologischen
Tatsachen verherrlichten. Wir hören von solchen Leuten,,
deren Gesänge uns verloren gegangen sind, im Kanon selbst.
Die Nebiim tauchen bereits zur Zeit Samuels auf und sind
keineswegs der israelitischen Religion eigentümlich, da es neben
den Jahve- auch Baalspropheten gibt (IReg. 18). Sie lebten
in Vereinen zusammen (II Reg. 2), bildeten also Schulen, die
von einem Herren geleitet wurden. In ihren Kreisen ward die
Ekstase gepflegt, die besonders zu Zeiten nationaler Erregung
in hellen Flammen emporloderte. Der rehgiöse Patriotismus
ward von ihnen stets aufs neue entfacht, und mitunter griffen sie
in die politischen Wirren ein, um die Geschichte nach ihren
Plänen zu lenken. Daneben übten sie die Funktionen des
Sehers aus. Dem Micha ben Jimla, der nichts Gutes zu weis-
sagen pflegte, standen 400 Jahvepropheten gegenüber, die dem
Könige Glück weissagten (IReg. 22). Gleich unsern kanoni-
schen Propheten sind die vor- und außerkanonischen Nebiim
halb Politiker und halb Wahrsager; nur müssen wir diesen
Männern im Durchschnitt die ethische und religiöse Größe
unserer Propheten absprechen. Obwohl es nicht berichtet wird^
hindert uns nichts an der Vermutung, daß schon die Nebiim
die Eschatologie gepflegt und die Stilformen überliefert haben,
deren sich später die kanonischen Propheten bedient haben.
156 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Woher sollten denn diese die Traditionen genommen haben
als aus den Kreisen derer, die mit ihnen denselben Namen
führten? Das gewöhnliche Volk hat von der Eschatologie
wahrscheinlich nicht viel gewußt ^ wie derartige Mythen wohl
überall vornehmlich in gewissen Berufskreisen zu Hause sind.
Über die Art der von den Nebiim gepflegten Escha-
tologie könnte man am Ende ein falsches Bild gewinnen
aus den Worten, die Jeremia zu Hananja sagt: Die Propheten,
die vor mir und vor dir von Urzeit her waren, die haben
prophezeit über viele Länder und große Reiche (nur) von Krieg
und von Unheil und von Seuche (Jer. 288). Jeremia bezeichnet
die ihm feindhch gesinnten prophetischen Gegner als Heils-
und darum als Lügenpropheten; denn die Unheilspropheten
seien die ältesten und darum einzig berechtigten Propheten.
Wir sehen von dem Werturteil ganz ab und halten uns nur an
die Tatsache, daß sich hier zwei Richtungen innerhalb der
Prophetie gegenüber zu stehen scheinen, von denen die eine
(die kanonische) durch das Verkünden des Unheils, die andere
(die außerkanonische) durch das Verkünden des Heils charak-
terisiert wird. Diese Gegensätze sind nicht absolut, sondern
nur relativ zu denken. Es ist völlig unmöglich, sich vorzu-
stellen, daß beide Richtungen schroff von einander gesondert
waren. Denn erstens sind unsere kanonischen Propheten
2war vornehmlich »Sturmvögel« des Unheils gewesen, aber sie
haben daneben auch heilseschatologische Schilderungen verfaßt.
Zweitens setzt die Unheilseschatologie ebenso wie die Heils-
eschatologie eine lange Geschichte voraus und beide gehören,
wie wir sehen werden (vgl. § 22), zusammen gleich den zwei
Schalen einer Muschel. Wie sollte da eine Partei der Pro-
pheten ausschUeßlich das Unheil, die andere ebenso ausschließ-
lich das Heil besungen haben ? Wir müssen vielmehr annehmen,
daß in der älteren Zeit (d. h. vor Amos) die Nebiim die ganze
Eschatologie gepflegt haben, aber in der Form, die wir als die
volkstümhche Stufe der Eschatologie bezeichnet haben, daß dann
mit Amos eine Spaltung innerhalb der Prophetie eintritt und
1. Wenn ich im Vorhergehenden das Wort »volkstümlich« oder
»vorprophetisch« gebraucht habe, so ist es nur im Gegensatz zu unseren
kanonischen Propheten gemeint. Es bedeutet so viel wie »vor Amos«.
Die apokalyptische Stufe des Tages Jahves. 157
infolgedessen die prophetische neben der volkstümlichen
Stufe herläuft.
Nach dem Exil herrscht auch in der kanonischen
Prophetie die Heilseschatologie vor. Das war durch die
Lage der Dinge notwendig gegeben. Als der verheißene Tag
Jahves in seiner ganzen Furchtbarkeit durch das Exil in die
Erscheinung getreten war, mußte fortan die Zukunftshoffnung
die Zukunftsdrohung verdrängen. Die Mission der älteren
Prophetie war erfüllt, eine neue Zeit heischte gebieterisch eine
Wendung der Prophetie. Mit der Heilsprophetie hält
die alte volkstümliche Eschatologie wieder ihren
Einzug, die eben ihrem Grundzuge nach nicht Unheils-,
sondern Heilseschatologie war. So werden die mythischen
Schrecken Jahves wieder lebendiger; der universale Charakter
des Tages Jahves wird wieder deutHcher, da die Kata-
strophe auf die Heiden beschränkt wird, während Israel ihr
entrinnt; die ethische Begründung verschwindet wieder mehr,
und die naturhafte Vorstellung vom Ende überwiegt. Daneben
aber wirkt die prophetische Unheilseschatologie fort und ver-
mengt sich mit der volkstümlichen. Aus ihrer Vermischung
und einem Einschlag neuer Ideen aus der Fremde erwächst all-
mähhch die Apokalyptik.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich naturgemäß eine ver-
änderte Auffassung über das Verhältnis der Apokalyptik
zur Prophetie. Man hat wohl gesagt, jene setze im Gegen-
satz zu dieser einen fest überlieferten, eschatologischen Gedanken-
kreis voraus, sei abhängig von einer genau normierten Über-
lieferung; die Aufgabe der Apokalyptik bestehe darin, diese
Tradition umzudeuten und auf eine bestimmte Zeitlage anzu-
wenden (Smend a. a. 0. S. 199). In dieser Schärfe ist der
Gegensatz nicht vorhanden. Die von Smend versuchte Kon-
struktion beruht auf dem Grundirrtum, als hätten die Propheten
die eschatologischen Anschauungen erstmalig geschaffen, als sei
die Eschatologie entstanden mit oder aus der schriftstellernden
Prophetie. In Wahrheit war der Prophet vor dieselbe Aufgabe
gestellt wie der Apokalyptiker. Für beide kam es darauf an,
den ihnen überlieferten Stoff resp. das ihnen überlieferte Schema
mit den konkreten Situationen in Einklang zu setzen. Während
aber der Prophet aus der populären mündhchen Überlieferung
158 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
schöpft, ist der Apokalyptiker außerdem — nicht ausschließHch ! —
an die schriftliche Fixierung der Eschatologie durch die Pro-
phetie gebunden. Was Wellhausen als das Wesen der Escha-
tologie im Allgemeinen bezeichnet hat (vgl. o. S. 152), ist zwar
in dieser Allgemeinheit falsch, triflPt aber zu im Besonderen auf
den Charakter der apokalyptischen Eschatologie. Das hängt
notwendig zusammen einmal mit der epigonenhaften, unproduk-
tiven und unschöpferischen Art der Apokalyptik, zum andern
mit der damals beginnenden Wertschätzung und Kanonisierung
der prophetischen Schriften. Was sie an Weissagung enthielten,
mußte, wenn es noch nicht geschehen war, in Zukunft sich er-
iüllen. Da war jeder Buchstabe, jedes Jota von Wichtigkeit.
Während die Propheten kraft ihres Genies mit suveräner Hoheit
über der Tradition standen und mit ihr nach freiem Ermessen
schalteten, beugten sich die Apokalyptiker demütig, ja sklavisch
unter den Stoff. Jenen Recken gegenüber erscheinen sie als
schwächliche Zwerge. Dort herrscht blühendes Leben, hier
graue Theorie, und nur ganz selten spürt man den warmen
Pulsschlag ihres Lebens, im übrigen zehren sie von der Ver-
gangenheit. Die Propheten wissen sich von Gott gesandt und
treten kraft eigener Machtvollkommenheit vor das Volk. Der
Apokalyptiker sucht die Autorität, die er selbst nicht besitzt,
künstlich zu gewinnen, indem er sich in den Glorienschein
fremder Persönlichkeiten hüllt und durch ihren Mund redet.
Schon am Stil sind beide zu unterscheiden. Während der
Prophet als wirkhcher Dichter die Situation festhält und ein
konkretes, anschauliches Bild entwirft, dessen Einzelzüge ein
harmonisches Ganze bilden, ist die apokalyptische Dichtung stets
kompilatorischer Natur, einstimmige, heterogene Elemente wer-
den mit einander vereinigt und bunt durch einander gewürfelt.
Dieser krause und wirre Charakter verhert seinen bizarr-
phantastischen Anstrich auch dann nicht, wenn das Drama der
Endzeit, wie es mitunter geschieht, in verschiedene Akte zerlegt
wird. Die Systematisierung der Einzelheiten ist ebenfalls bis
zu. einem gewissen Grade ein unterscheidendes Merkmal der
apokalyptischen von der prophetischen Eschatologie.
Weltkatastropheii. 159
§ 16. Die Katastrophen.
Hermann Gunkel: Kommentar zur Genesis'^. Göttingen 1902.
S. 233 fr. Forschungen Heft I.
Wir haben gesehen, daß die am Tage Jahves stattfindende
Katastrophe fast durchweg mit palästinischen Farben gezeichnet
ist. In Palästina erlebten die Israeliten gewaltige Feuersbrünste^
Orkane, Erdbeben, Heuschreckenplagen und anderes, und darum
konnten sie, ja mußten sie das kommende Unheil so ausmalen,
wie sie es taten. Einzelne Schrecken, die sie aus eigener Er-
fahrung wenig oder gar nicht kannten, von denen sie nur durch
Hörensagen wußten, mochten sie in das Bild einschieben, ohne
daß es sich darum merklich veränderte. Sein palästinischer
Charakter blieb dennoch im Großen und Ganzen gewahrt.
In diesen Eahmen fügt sich nur die eine Tatsache nicht,
die für das ursprüngliche Wesen des Tages Jahves von ent-
scheidender Bedeutung ist: seine universale Natur. Der Glaube
an eine Weltkatastrophe ist durchaus nichts Selbstverständliches,
und man muß sich hüten, so nahe es liegen mag, ihn allein
psychologisch abzuleiten. Gewiß ist eine YergrÖberung realer
Ereignisse ins Riesenhafte und Phantastische denkbar, aber eine
Projizierung ins Kosmologische wird damit nicht erklärt. Wenn
bei uns an der Meeresküste eine gewaltige Flut eintritt, so ver-
fällt niemand auf die Idee, die Erde gehe zu Grunde. Mögen
auch Häuser und Dörfer zerstört werden, man weiß, daß das
Wasser über eine gewisse Höhe niemals hinausdringen wird.
In einem Lande wie Deutschland kann überhaupt der Gedanke
an eine große • Naturkatastrophe irgend welcher Art nicht auf-
kommen, da wir seit uralter Zeit niemals eine solche erlebt
haben. Theorieen über das Weltende können nur dort entstehen,
wo man die Entfesselung der Elemente, die alles zerschmetternde
Gewalt der Naturkräfte in ganz anderer Weise beobachten kann
als bei uns. Zentralamerika mit seinen Vulkanen ist ein
günstigerer Boden für solche Erzeugnisse der Phantasie, und
wenn wir in Mexiko eine ausgebildete Eschatologie finden i, so
ist das begreiflich, da Eruptionen wie die des Mont Pele wohl
die Ahnung eines Erduntergangs hervorzurufen vermögen. In
1. Vgl. Müller: Amerikanische Urrel. S. 513 ff.
160 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Palästina aber fehlen und haben, soweit wir aus historischer Zeit
wissen, tiefwühlende Naturerschütterungen (abgesehen von Erd-
beben) vollständig gefehlt.
Wir sind daher gezwungen, für fremdländischen Ursprung
der Idee eines Weltunterganges zu plädieren (Gunkel: For-
schungen S. 21). Die Israeliten haben sie von irgend woher
entlehnt, nicht direkt, sondern indirekt durch die Vermittlung
der Kanaaniter. Denn der Mythus muß in Palästina uralt und
dort längst bekannt gewesen sein, ehe die Israeliten einwanderten,
weil er fast ganz und gar akklimatisiert und in ein durchaus
palästinisches Kolorit getaucht ist. Die ursprünglichen Farben
sind übermalt und bis auf einige Pinselstriche verwischt. Er
hat eine ähnliche Geschichte erlebt wie der Tiämat-Mythus, der,
aus Babylonien nach Kanaan importiert, hier ein völlig anderes,
nur in wenig Zügen treues, Gesicht gewonnen hat.
Im alten Israel kannte man zwei Katastrophen, eine in der
Vorzeit: die Sintflut, eine in der Endzeit: den Tag Jahves.
Für die Erklärung haben wir bisher zwei Faktoren konstatiert:
Erstens die Naturanregung; denn nur in Ländern, die von
furchtbaren Naturumwälzungen heimgesucht werden, kann der
Glaube an Weltuntergänge entstehen. Zweitens die Lust zu
fabulieren, die jedem Menschen innewohnt; denn die Phantasie
liebt es, die Dinge, die aus der Gegenwart sei es in die Ver-
gangenheit sei es in die Zukunft projiziert werden, in riesenhaft-
übertriebener Ausschmückung zur Darstellung zu bringen. Seit
Jeremia ist ein dritter Faktor nachweisbar, die Perioden-
theorie, die seitdem unauflösHch mit der Eschatologie verknüpft
ist. Es fragt sich, ob diese Verbindung damals zuerst vollzogen
wurde oder ob sie älter oder gar ursprünglich ist.
Jeremia hat zum ersten Male die Dauer des Exils auf
70 Jahre bemessen (25 n. 29 lo). Wie kommt er dazu? Keine
Willkür ist ausgeschlossen; denn nichts zwang den Propheten,
überhaupt eine Zahl zu nennen. Es bleibt nur die Annahme
übrig, daß die Zahl siebzig überliefert war. Mit Eecht faßt
man 70 als eine ungenaue Variante zu der Zahl 72 auf. »Daß
. . . diese Zahl ursprünglich astronomischer Herkunft ist, von
der Einteilung des 360 tägigen Jahres in 72 Tagfünfte (hamustu =
Woche) ausgehend, hat zuerst Winckler: Altor. Forsch. II
S. 98 if. gezeigt und später noch durch viele Beispiele im Ein-
Die Periodentheorie. 161
zelnen belegt« i. Ob Jeremia diese Bedeutung der Zahl gekannt
hat, ist aller Wahrscheinlichkeit nach zu verneinen, da man
von 72 resp. 70 »Wochen« oder »Perioden«, aber nicht von
ebenso vielen »Jahren« zu hören erwartet. Man wußte damals
wohl nur noch, daß diese Zahl eine Weltperiode bezeichnete,
während der genauere Charakter dieses Zeitraums verloren ge-
gangen war. Jeremia hielt also das Exil für eine Weltkata-
strophe und berechnete darum seine Dauer auf 72 Zyklen
d. h. ein Jahr. Da das Exil keine Weltkatastrophe war, so
konnte Jeremia schwerlich erstmahg auf den Gedanken ver-
fallen, mit ihm Zahlen zu verbinden, die für Weltperioden maß-
gebend waren. Man wird sich vielmehr vorstellen müssen, daß
diese Verknüpfung schon vorher erfolgt war im populären Glauben,
als man noch nicht an das bestimmte historische Ereignis, son-
dern noch an eine wirkliche Weltkatastrophe dachte.
Ezechiel berichtet 44if., wie Jahve ihm befohlen habe, eine
bestimmte Zahl von Tagen auf der linken Seite unbeweglich zu
liegen und so symbolisch entsprechend einer ebenso langen Zahl
von Jahren die Verschuldung Israels zu tragen, sich dann auf
die rechte Seite zu legen und dasselbe für Juda zu tun. Der
massorethische Text nennt als Zyklen 390 + 40, die LXX teils
190 + 40, teils 150 + 40. Bertholet und Keätzschmar
bevorzugen die kleineren Zahlen der LXX, da sie glauben, der
Prophet erzähle hier wirklich Erlebtes. Ich halte mich an die
massorethischen Angaben, weil sie mir erklärlich scheinen, und
nehme an, daß dem Ezechiel genau so wie dem Jeremia eine
feste Zahl überiiefert war, und zwar 430, die er auf beide
Reiche verteilte (390 + 40). Ganz analog verhält es sich mit
dem chronologischen System der historischen Bücher. Das Ge-
rippe bildet die Zahlsumme (480 = 12 x 40), die unregelmäßig
mehr oder weniger nach Belieben in Einzelposten aufgelöst
wird. Vermutlich ist die Zahl 430 entstanden durch die Ver-
schmelzung zweier verwandter Traditionen. Die eine redete von
360 »Tagen«, die andere von 70 »Wochen«. Als man das
Wesen des betreffenden Zeitraums vergessen hatte, zu dem
diese Zahlen gehörten, konnten sie mit einander kombiniert und
1. KAT^ S. 634 f. Dort weitere Literatur; vgl. übrigens auch
GuNKEL zu Gen. 17.
Forschungen zur Rel. n. Lit. d. A. u. NT. 6. 11
162 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
addiert werden. In dieser Vereinigung d. h. als Summe werden
sie dem Ezechiel bereits vorgelegen haben, da er keinen Grund
gehabt hätte, die Zahlen 360 + 70 zu ändern, zumal wenn
Jeremia bereits von 70 Jahren geredet hatte. Eine Überein-
stimmung der beiden Propheten in diesem Punkte ist durchaus
nicht notwendig, da kein Dogma über die Dauer des Exils sie
band. Wir haben keinen Anlaß, jene Überlieferung aus dem
Buche Jeremia zu streichen (Wellhausen, Smend), nur deshalb
weil Ezechiel einer anderen Tradition gefolgt ist. Wenn meine
Auffassung richtig ist, handelt es sich übrigens nicht einmal
um zwei verschiedene Traditionen, sondern beide besagen ur-
sprünglich dasselbe: Der durch die Weltkatastrophe hervor-
gerufene Zustand dauert 360 Zyklen = 70 Zyklen = 1 Jahr.
Jeremia und Ezechiel haben also diese mythischen Weltzahlen
auf die Geschichte Israels und Judas gedeutet.
Wir haben gesehen (vgl. S. 65 ff.), wie nach populärem
und prophetischem Glauben das eschatologische Unheil auch
als eine Wiederholung der Sintflut aufgefaßt wurde. Wenn
Deuterojesaja 549 die Tage nach dem Exil mit den Tagen
Noahs nach der Flut vergleicht, so beruht dies nicht auf einer
geistreichen Spielerei, sondern auf der festen Überzeugung dieses
Mannes, daß Exil und Sintflut, die Katastrophen der Endzeit
und Vorzeit, in ihrem innersten Wesen verwandt sind. Aus
dem Exil selbst ist diese Ansicht völlig unbegreiflich; denn es
war keine universale, sondern eine partikulare Begebenheit.
Damals handelte es sich um die Menschheit, hier um Israel.
Wie konnte der Verfasser auf den seltsamen Gedanken ver-
fallen, beides auch nur in Parallele zu setzen? Das ist nur
begreiflich aus der Umbiegung einer längst bekannten, jedermann
geläufigen Tradition. Nur wenn das Exil als identisch galt mit
der großen Katastrophe der Endzeit, konnte es mit der Sintflut
paralleHsiert werden. Jene Identität aber ist nicht aus den Tat-
sachen und Ereignissen abgeleitet und ableitbar, kann also
nicht damals zum ersten Male entstanden sein; sie beruhte
vielmehr auf einer alten Theorie, und diese Theorie behielt man
bei, trotzdem die Tatsachen und Ereignisse ihr nur ziemlich
wenig entsprachen.
In diesem Zusammenhange ist es für die Bestätigung
unserer These nicht nur von Interesse, daß außer der israe-
Die Periodentheorie. 163
litischen auch die mexikanische Eschatologie in engster Be-
ziehung zum Weltjahre steht i, sondern von besonderer Wichtig-
keit, daß die Sintflut im Alten Testamente selbst aufs engste
mit der Weltspekulation verknüpft ist. Die Sintflut dauert
vom 27. Tage (LXX; 17. M. T.) des 2. Monats im Jahre 600
bis zum 27. Tage des 2. Monats im Jahre 601, also genau ein
Jahr oder 360 Tage; denn da vom Beginn bis zum Höhepunkt
der Flut 150 Tage verflossen sein sollen, die Zeit aber nach
den Kalenderangaben (sowohl der LXX wie des M. T.) genau
b Monate beträgt, so ist der Monat zu 30 Tagen gerechnet^.
Das Gesagte genügt, um die Übereinstimmung dieser Speku-
lation mit der Berechnung der Endkatastrophe zu erweisen.
Da diese alt ist, muß es auch jene sein. Die Chronologie
«tammt allerdings aus dem Priesterkodex, braucht darum aber
nicht notwendig späten Ursprungs zu sein. So gut sein Sintflut-
foericht in anderer Hinsicht ältere Züge treu bewahrt hat, die
sich beim Jahvisten nicht finden (vgl. Gunkel: Gen. S. 134),
so gut kann die Chronologie zum alten Bestände gehören. Ich
erinnere daran, wie auch die Zahl der Lebensjahre des Henoch
(365), die aus dem System des PC herausfällt, auf eine alte
Tradition zurückgehen muß. In der Flutchronologie ist noch
ein Datum beachtenswert: Die Wasser verlaufen sich am 1. Tage
des 1. Monats im Jahre 601, also am Neujahrstage. »Dieser
Termin soll markieren, daß . . . eine neue Epoche in der Welt
beginnt« (Gunkel).
Anklänge an eine Einteilung der Weltgeschichte in vier
(drei?) Perioden scheinen sich zuerst im Priesterkodex zu finden.
Die vier Abschnitte könnten reichen
1. von der Schöpfung bis Noah,
2. von Noah bis Abraham,
3. von Abraham bis Mose,
4. von Mose ab.
Die Vierzahl wird zwar nicht deutlich herausgehoben, der Ver-
fasser resp. der von ihm überlieferte Stoff ist aber ersichtlich
1. Vgl. Müller: Amerik. Urrel. S. 509 ff.
2. Die LXX liaben demnacli das Ursprüngliche bewahrt, wenn sie
vom 27. an rechnen. Bei dieser Annahme verschwindet jede Diskrepanz
(gegen Gtjnkel).
11*
164 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
an ein bestimmtes Schema gebunden. Am klarsten geht dies
aus den Bundeszeichen hervor. In der Geschichte Noahs wird
der Regenbogen (Gen. 9 13), in der Geschichte Abrahams die
Beschneidung (Gen. 17 11), in der Geschichte Moses der Sabbath
(Ex. 31 17) als Bundeszeichen genannt. Diese drei Heroen, zu denen
man vielleicht Adam als den vierten hinzurechnen darf, obgleich
bei ihm von keinem Bunde die Rede ist (doch vgl. § 18), sollen
hierdurch in paralleler Weise als Anfänger einer neuen Epoche
hingestellt werden. Auffallend ist einmal die verschiedene Art
dieser Bundeszeichen: Regenbogen, Beschneidung, Sabbath,
sodann die verschiedene Verteilung. Wenn Gott bereits den
Sabbath geheiUgt hatte, warum wird dieser Feiertag nicht schon
den ersten Menschen eingeschärft? Oder wenn er als spezifisch
israelitisch galt, warum wurde er dann nicht wenigstens zu-
sammen mit der Beschneidung eingeführt? Hier scheint ein
Schema einzuwirken, das am Anfang jeder neuen Periode einen
neuen Bund und ein neues Bundeszeichen verlangte. Dazu
kommt ein Zweites: Der Priesterkodex verwendet als Gottes-
namen der Urzeit D"«nb«, seit Abraham "»nus b«, seit Mose n^n'*.
Auch hier wird eine Theorie zu Grunde liegen, nach der zu
Beginn jeder neuen Periode eine neue Gottesoffenbarung statt-
fand. Als nächste Parallele und vielleicht als Prototyp dieser
Idee ist nach Gunkel die Notiz des Berossus aufzufassen, die
von einer viermaligen Offenbarung des Oannes (Ea?) und seiner
Nachfolger unter den zehn Urkönigen weiß (Eusebi Chronic,
liber prior, ed. Schoene S. 7 ff'. 31 f.).
In den jüngeren und außerbiblischen ÜberHeferungen be-
gegnen teils dieselben teils verwandte Vorstellungen über Welt-
perioden, die als Bestätigung der eben gemachten Beobachtungen
von Wert sind. Zunächst kehrt die Vi erzähl wieder. In
vier Epochen wird die Weltgeschichte geteilt IHen. 8959ff.
IVEsra 12. IBar. 39. »Auch in der rabbinischen Theologie
sind die vier Weltreiche stereotyp; z.B. mechilta 71b zu Ex. 20 18,
sifre 135a zu Dtn. 32ii« (Volz S. 168; Feedlnand Webee:
Jüdische Theologie 2 S. 365). Nach der persischen Eschatologie
(Bund. c. 1. 34 1) zerfällt der Weltlauf in 4 x 3000 Jahre.
Hesiod (Werke und Tage 109 ff'.) kennt vier Weltalter: ein
goldenes, silbernes, ehernes und eisernes, eins immer minder-
wertiger als das andere. Versinnbildlicht wird dieselbe Idee
Die Periodentheorie. 165
Dan. 232 durch eine Statue, deren verschiedene Teile, Bahman-
Ya§t c. 1 durch einen Baum, dessen vier Zweige aus den vier
genannten Metallen bestehen. In anderer Weise werden die
vier Reiche symbolisiert durch vier ruchlose Hirten (Zach. Il4ff.),
durch vier Reiter mit farbigen Pferden (Apk. Job. 6iff.), durch
vier gewaltige Tiere (Dan. 7) oder durch vier Homer (Zach. 2iff.),
Die Vierzahl erklärt sich am einfachsten aus den vier Jahres-
zeiten, die vom irdischen Jahr auf das Weltjahr übertragen
sind, mit dem Frühling beginnend bis zum Winter. Diese
Theorie setzt ursprünglich eine Vierzahl von Göttern oder
Gröttersystemen voraus, die nach einander zur Regierung kommen.
Eine andere Tradition rechnet mit der Siebenzahl. So
heißt es IIHen. 33iiF.: Den achten Tag aber setzte ich, damit
derselbe achte Tag sei der erstgeschaffene über meine Werke,
und daß sie erfunden werden zum Bilde des siebenten Tausend,
daß des achten Tausend Anfang werde die Zeit der Zahllosig-
keit und unendlich, weder Jahre, noch Monate, noch Wochen,
noch Tage, noch Stunden. Nach dem Test. Abrah. Rec. A19
sagt Thanatos zu Abraham: Die sieben Äonen hindurch ver-
wüste ich die Welt und nach Rec. B 7 sagt Michael zu Abraham :
Du ivirst aufgenommen werden in den Himmel; dein Leib aber
bleibt auf Erden . . . 7000 Äonen; denn dann wird alles Fleisch
auferweckt werden. Im Talmud wird die Dauer der Zeit Gogs
auf sieben Jahre angegeben (Wajjikra rabba c. 11) und im
Bahman-Yast begegnet uns der schon vorhin erwähnte Welt-
baum, diesmal aber mit sieben Zweigen (c. 2). Diese Sieben-
zahl der Äonen hängt mit der siebentägigen Woche zusammen,
die von den sieben Planetengöttern regiert wird. Sie ist erst
verhältnismäßig sehr spät bezeugt und scheint erst in jüngerer
Zeit die Spekulationen verdrängt zu haben, die sich an die
fünftägige Woche (hamustu) geknüpft habend
Eine dritte Tradition gruppiert sich um die Zahl
Siebzig. Abgesehen von Jeremia findet sie sich bei Daniel
(924ff.), der 70 Wochen, und IHen. 8959ff., der 70 HiHen vom
Untergang Israels als Nation bis zum eschatologischen Drama,
also von einer Welt zur anderen, rechnet. Nach IHen. 10 12
1, Sieben Wochen sind auch IHen. 93 für diese Welt gerechnet.
Denn mit der achten beginnt die messianische Zeit (vgl. Yolz S, 14).
166 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
vergehen zwischen der Sintflut und dem Endgericht 70 Ge-
schlechter. Das Wort Hirt ist nur ein apokalyptischer Name
für Engel K Die 70 Hirten sind also ein später Ersatz für die
70 Engel (Dtn. 328 LXX), die als Schutzherren über 70 Völker
verteilt sind. Beachtenswert ist, daß Set (Typhon) im Osiris-
mythus, »der im Grunde ja ein Jahresmythus ist« (Zimmeen),
72 Mitverschworene hat.
Entsprechend der Zwölf zahl von Monaten wird das Exil
auf 12 Stunden (IHen. 89?!), der jetzige Äon auf 12 Jahre (Apk.
Abrah. c. 29) oder auf 12 Teile berechnet (IVEsral4ii). Nach
dem Bundahis (c. 1. 34 1) dauert die Welt 12000 Jahre, nach
Berossus 12 x 3000 Jahre (KAT.s S. 333). Nach IBar. c. 53
wechseln schwarze und helle Wasser 12 Zeiten hindurch ab.
Als parallel darf gelten, wenn 12 Zeiten der Drangsale (IBar.
c. 27), 12 letzte Hirten (IHen. 90 17), und wenn im Talmud
12 Monate für die Sintflut und für die Gerichte über Hiob,
Ägypten, Gog und Magog gezählt werden (Webeb^ S. 343 vgl.
VoLZ S. 275. 288). Die zwölf Tierkreisgötter, die auf israe-
litischem Boden zu zwölf Engeln geworden sind (Apk. Joh. 21i2
vgl. die 12 Taxiarchen I Hen. 82), werden in der apokalyptischen
Eschatologie als Hirten bezeichnet.
Eines darf bei dieser Zusammenstellung freilich nicht ver-
gessen werden. So fein säuberlich, wie wir uns bemüht haben,
die verwandten Anschauungen zu gruppieren und zu sondern,
sind sie in der apokalyptischen Literatur nicht geordnet. Aber
mag auch alles bunt und kraus durcheinander wirbeln, es hat
einmal ein ganz bestimmter Sinn in allen diesen Berechnungen
gelegen. Der Zeitraum, der alle genannten Zahlen umfaßt, so-
zusagen der Generalnenner, in dem sie alle aufgehen, ist das
Jahr (Gunkel). Diese Spekulation von Weltperioden, die von
Hause aus astronomischer Natur ist, kann nicht israehtischen
Ursprungs sein, sondern dürfte aus Babylonien stammen, zumal
dort eine fünftägige Woche bezeugt ist. Um der oben zitierten
Stelle Jeremias willen müssen wir annehmen, daß wenigstens
ein Teil dieser astronomischen Ideen seit alters in Kanaan be-
kannt war. Später mögen nach dem Exil den Israeliten weitere
1. Schürer: Geschichte des jüd. Volkes^ III S. 198.
Die Periodentheorie. 167
Bruchstücke dieser Theorie geläufig geworden sein; denn nach
dem Exil fließt der Strom reichlicher als vorher.
Die Verknüpfung der Weltkatastrophen mit dieser Perioden-
theorie ist seit Jeremia nachweisbar, scheint aber nach dem
oben Gesagten auf ältere Vorläufer zurückzugehen und darf
vielleicht sogar für ursprünglich gehalten werden. Denn wenn
man überhaupt die Idee des Weltunterganges und die, wie wir
später sehen werden, tatsächhch damit verbundene Vorstellung
der Weltemeuerung erklären will, so bleibt die Ableitung aus
einer astronomischen Spekulation immer noch am wahrschein-
lichsten. Die Sonne, die nach antiker Anschauung rund um
die Erde geht, kehrt im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende
zu dem Punkt zurück, an dem sie anfänglich gestanden hat.
Dann ist ein Weltjahr zu Ende, und von neuem beginnt der
unendliche Kreislaufs. Man könnte gegen diese Hypothese
einwenden, daß man dann eine Eeihe von Weltkatastrophen
und Welterneuerungen erwarten würde, da ja die Weltjahre in
unaufhörlichem Wechsel sich folgen. Aber dieser Einwand ist
nicht stichhaltig, wenn man sich etwas lebendiger in den Geist
des antiken Menschen versetzt. Wie unauslöschlich tief muß
der Eindruck gewesen sein, als der Mensch zum ersten Male
mit staunender Bewunderung das Geheimnis des Weltjahres
erfaßte! Mit welcher Andacht mochte er dem schier unendlich
fernen Zeitpunkt gegenüberstehen, wo das Ende der Sonnen-
bahn zum Anfang zurückkehrte! Auf diesen Moment konzen-
trierte sich sein Interesse, und ihn umgab das Spiel seiner
Phantasie mit allerlei mythischem Beiwerk. Was sollte ihn
reizen, noch weiter in die Ferne zu schweifen?
Wie die Periodentheorie bestimmt nach Babylonien weist,
so berichten auch babylonische Schriftsteller, daß man dort
künftige Katastrophen auf Grund von astronomischen Speku-
lationen erwartet habe. Wir erfahren bei Seneca: Berossus . . .
weist dem Brand und der Flut (bestimmte) Zeiten zu. Er be-
1. So GuNKEL (Genesis" S. 234): »Aus der Beobachtung der
Präzession der Sonne erklärt sich ... die Gleichung von Urzeit und
Endzeit, die in der Eschatologie eine solche Eolle spielt«. Vgl. auch
Winckler: Gesch. Isr. II S. 282 ff. Altorient. Forsch. 3. Eeihe Bd. II
Heft 2 S. 289.
168 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
hauptet nämlich, daß die Erde brennen werde, wenn alle Sterne,
die jetzt verschiedene Wege gehen, im Krebs zusammenkommen
. . . daü eine Überschwemmung stattfinden werde, wenn dieselbe
Schar von Sternen im Steinbock zusammenkommt^. Diese An-
schauung wird als alt bestätigt durch die Ominaliteratur, in der
häufig Schilderungen einer Fluchzeit begegnen, z. B.: (Wenn
unter den Planeten die und die Bewegung stattfindet), so werden
die Götter zürnen, . . . wird das Helle trüb, das Beine schmutzig
werden, werden die Regengüsse und Hochwasser aufhören, . . .
. . . werden die Länder in Verwirrung geraten, . . . wird Er-
hörung des Gebetes nicht stattfinden, werden die Vorzeichen der
Wahrsager nicht (günstig seiny. Hier wird zwar nicht genau
dasselbe gesagt wie bei Berossus, immerhin aber ist die Paral-
lele so frappant, daß man bei anderer Konjunktion von einer
künftigen Sintflut oder einem Weltfeuer zu hören erwarten
könnte. Mit bestimmten Konjunktionen sind natürhch feste
Perioden ohne weiteres verbunden. Ich muß es den Assyrio-
logen überlassen, diese Dinge weiter zu verfolgen.
Mit den Weltkatastrophen ist außer der Periodentheorie
noch eine Plagentheorie verbunden, die man nach dem Vor-
gange der rabbinischen Theologie mit dem mißverständlichen
und aus einem ganz anderen Ideenkreis stammenden Terminus ^
messianische Wehen zu nennen pflegt. Es handelt sich um ein
formales Schema, dessen Inhalt nach Belieben wechselt: Eine
große, gewaltige, endgültige Katastrophe wird vorbereitet und
angekündigt dm'ch mehrere vorläufige kleinere Plagen. Dies
Schema erscheint bereits als fest ausgeprägt bei dem ersten der
schriftstellernden Propheten Amos 46 — 12. Nach diesen Versen
hat Jahve die Israehten mehrfach gewarnt und zur Umkehr
1. Berosus . . . conflagrationi atque diluvio terapora assignat.
Arsura enim terrena contendit, quando omnia sidera, quae nunc diversos
agunt cursus, in canerum convenerint, sie sub eodem posita vestigio,
ut recta linea exire per orbes omnium possit; inundationem futuram,
quura eadem siderum turba in capricornum convenerit. Illic solstitium,
hie bruraa confieitur; magnae potentiae signa, quando in ipsa muta-
tione anni momenta sunt (Seneca : Nat. Quaest. III 29 ; Müller : Fragm.
hist. graee. II 510).
2. Zimmern KAT.^ S. 393.
3. Vgl. Gunkel: Schöpfung S. 271 ff. Forschungen, Heft I S. 54.
Die Plagentheorie. 169
gemahnt. Aber sie wollten keine Buße tun. So ist denn die
letzte Vemichtungskatastrophe unvermeidlich geworden. Wer
nicht hören will, muß fühlen.
Eine wichtige Frage, die bisher von den Exegeten weder ge-
stellt noch beantwortet wurde, ist die, ob der Prophet durch zeit-
genössische Plagen zu der skizzierten Auffassung genötigt wurde
oder nicht. Er beschreibt nach einander eine Hungersnot, eine
Dürre, Kornbrand und Heuschrecken, Pest und Krieg, eine Zer-
störung wie die Sodoms und Gomorrhas. Nun ist es möglich und
vielleicht notwendig anzunehmen, daß alle diese Plagen während
eines Menschen alters eingetreten sein können, falls sie genügend
klein gedacht und über einen genügend langen Zeitraum ver-
teilt werden. Damit ist aber der eigentümliche Tenor dieser
Rede nicht erklärt. Amos erzählt nicht, wie vor zehn Jahren
einmal eine furchtbare Pest stattfand, die in dieser Stadt über
ein Drittel der Menschen dahinraffte, wie ein Jahr darauf der
Krieg mit den Aramäern so unglücklich verlief, daß Tausende
von Jünglingen getötet wurden, wie vor vier Jahren ein entsetz-
liches Erdbeben erfolgte, durch das einige bekannte Städte zer-
stört wurden gleich der Katastrophe von Sodom und Gomorrha.
Im Gegenteil, es wird so dargestellt, als ob die Plagen Schlag
auf Schlag sich aneinander reihten, nur eine kurze Pause da-
zwischen, damit die Israeliten Zeit fänden zur Buße. Und nicht
allein das Chronologische fehlt, sondern man vermißt überhaupt
alle individuellen Züge^, die dem Bilde erst Leben und Wirk-
lichkeit verleihen. Alles ist farblos, verallgemeinert und typisch,
ohne Rücksichtnahme auf konkrete Einzelheiten. Statt durch
den Hinweis auf bekannte, selbsterlebte Dinge, die noch nach
Jahren im Gedächtnis der Leute haften geblieben sind, die
Erinnerung an die furchtbaren Plagen von neuem wirksam auf-
zufrischen, begnügt sich Amos mit einer fast statistisch trockenen
Aufzählung.
Das Schematische dieses Abschnittes ist unverkennbar.
Man versteht überdies nicht, wie Amos selbst die vielen Plagen
als Vorläufer einer größeren Katastrophe betrachtet haben kann,
1. V. 7 f. fallen etwas aus dem . Tenor der übrigen Verse heraus
und sind darum teilweise für unecht erklärt worden. Wahrscheinlicher
vermutet Gunkel (nach mündlicher Mitteilung), daß nach Y. 7 a der
Eefrain ausgefallen sei.
170 Der Urspnmg der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
wenn beide nicht schon vorher durch eine Theorie mit einander
verbunden waren. Heuschrecken, Dürre, Hungersnot, Krieg,
Pest und Erdbeben mochten selten sein, aber wenn sie vor-
kamen, waren sie doch nicht so außergewöhnlich, daß man auf
die Idee verfallen konnte, das Ende der Welt oder der Tag
Jahves sei da. Und selbst dann, wenn sie in kürzeren Ab-
ständen einander ablösten, mochte man das Unglück für groß
und den Zorn Jahves für gewaltig halten, aber daß die Gott-
heit nun obendrein noch gänzliche Vernichtung beschließen
werde, ist kein Gedanke des Glaubens, sondern Ausfluß einer
feststehenden Theorie. Nur durch die Annahme eines Schemas
fällt Licht auf diesen Abschnitt des Amos. So begreift es
sich, warum der Hauptnachdruck nicht auf die einzelnen Plagen^
sondern auf ihre Häufung gelegt wird. Denn erst wenn viele
Plagen eintreten, wenn eine Mehrzahl von Plagen die Erde
verwüstet, ist die Katastrophe nahe. Da Amos überzeugt war,
das Ende stehe bevor, so forderte das Schema notwendig eine
Reihe vorläufiger Plagen, durch die das Volk nicht zur Buße
gebracht war.
Die Katastrophe kann abgewendet werden durch die Be-
kehrung des Volkes, kann aufgehalten werden durch die Für-
sprache eines Propheten. Amos berichtet 7iff. von drei (resp.
vier) Visionen, die ihm zuteil geworden seien. Zunächst habe
er Heuschrecken gesehen, die das ganze Land fressen sollten,,
dann ein Feuer, das den großen Ozean und den Himmel (?)
verzehren 1 sollte. Der Prophet habe für Jakob um Vergebung
gebeten und Jahve habe zugesagt, die Plagen sollten nicht ge-
schehen. Als Jahve aber zum dritten Male selbst mit dem Lot
in der Hand erscheint, verbietet er jede fernere Einmischung;
denn das Ende ist unumstößlich beschlossen. Es ist gewiß
nicht »nur von psychologischem Interesse« (Smend^ S. 183),
daß Amos zuerst eine Heuschreckenplage, darauf ein gewaltiges
Feuer und schließlich erst das Ende erwartete. Denn zunächst
haben wir hier eine deuthche Parallele zu 46ff; nur der Inhalt
des Schemas ist modifiziert, das Schema selbst ist dasselbe.
Wozu werden zweitens immer neue Plagen genannt? Warum
1. Von einer »Dürre«, wie die Exegeten behaupten, redet der Text
nicht. Das Bild ist vielmehr mythologisch, wie der Name Tehom lehrt.
Die Plagentheorie. 171
wird nicht eine und dieselbe mehrfach zurückgewiesen? Oder
umgekehrt, warum erscheint nicht Jahve von vornherein und
wird um die Zurücknahme seines Vernichtungsbefehles gebeten?
Warum werden vorher noch zwei Plagen vorausgesetzt? Die
Antwort kann nur lauten: Weil ein Schema vorhanden war,
das vor der endgültigen Katastrophe noch mehrere Plagen ver-
langte. Wer freihch in den Heuschrecken und in der angeb-
lichen »Dürre« nur Bilder für die Assyrer zu sehen vermag,^
ohne sie gradezu allegorisch aufzufassen (wie Smend), wird das
Problem in dieser Fassung nicht anerkennen. Aber auch für
ihn erhebt sich dieselbe Schwierigkeit, warum die AssjTcr in
immer neuen Bildern dargestellt werden. Mit dem bloßen
Worte »Vision« oder »Psychologie« ist das nicht erklärt noch
das Recht begründet, die genannten Plagen irgendwie umzu-
deuten.
Femer lehrt Jes. 9? — 10 4. 025—30, daß das Strafgericht
Gottes in mehreren Schlägen sich vollzieht, die auf einander
folgend das Land verheeren, bis das Ziel, die endliche Ver-
nichtung Israels, erreicht ist. Die Variante weicht insofern
ab, als die Plagen hier nicht zur Besserung des Volkes dienen
sollen, sondern nur als Äußerungen des gewaltigen Zornes Jahves
angesehen werden, der sich nicht genug tun kann in seinem
Zerstörungseifer. Schließlich sei daran erinnert, wie bei Jeremia
und Ezechiel in sehr vielen Fällen drei oder vier Plagen, zwar
nicht zeitlich an einander gereiht, aber doch aufs engste mit
einander verbunden werden (vgl. o. S. 88 f.). Hier haben wir
den sachlichen Übergang vom festen chronologischen Schema
zur gänzHchen Formlosigkeit, die in der vorexilischen Prophetie
vorherrscht. So mannigfach sonst die Farben sind, mit denen
die Katastrophe gemalt wird, so existieren doch die meisten
Einzelbilder für sich. Der Tag Jahves wird bald so bald
anders gezeichnet, ohne daß irgend ein Zusammenhang aufzu-
weisen wäre. In der nachexilischen Zeit hingegen sind die
Gemälde oft zu größeren Gesamtkompositionen mehr oder
weniger gut zusammengeordnet Das Ende ist zu einem wirk-
lichen Drama in verschiedenen Akten geworden. Auch hier^
so sehen wir jetzt, handelt es sich nicht um etwas absolut,
sondern nur relativ Neues. Bereits in der älteren, vor-
prophetischen Zeit war ein Schema vorhanden ge-
172 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
wesen, das verschiedene Plagen chronologisch an ein-
ander reihte, bis die Katastrophe eintrat.- Die Zahl der
Plagen bleibt unbestimmt und wird erst in der Apokalypse
Job. durch die heilige Vier und Sieben normiert.
Dasselbe Schema begegnet uns außerhalb der Eschatologie
noch einmal bei den ägyptischen Plagen des Buches Exodus
(78 — 11 10). Der schematische Charakter ist hier besonders klar,
obwohl er von den Exegeten bisher verkannt wurdet Denn
diese Häufung der Wunder ist zunächst durchaus unverständlich.
Ein Pharao, der nach zehn (resp. neun) furchtbaren Plagen
noch so verstockt bleibt, daß ein elftes nötig wird, um seinen
Sinn zu brechen, ist weder in der Geschichte noch in der Sage
begreiflich. Die Vermutung, Ägypten sei »zu der Zeit, als die
israeUtischen Stämme ihre Auswanderung vorbereiteten, von be-
sonders schweren Kalamitäten heimgesucht worden« (Baentsch),
beruht auf Rationalismus. Denn es handelt sich teilweise nicht
mehr um mögliche Plagen, sondern um unmögliche Wunder.
Wenn aber Baentsch von dem »phantasiebegabten Volksgeist«
redet, der »recht wohl von selbst auf jene Heimsuchungen ver-
fallen und sie zu jenen lebensvollen Erzählungen gestalten
konnte«, so hat er grade die Hauptsache ins Gegenteil verkehrt.
Denn die Geschichten sind alles andere eher als »lebensvoll«.
Die Verhärtung Pharaos ist psychologisch ein völliges Eätsel.
Mochte er anfangs an Zauberei glauben, mußte er sich doch
•eines Besseren belehren lassen, als seine Weisen das Wunder
nicht nachmachen konnten. Trotzdem geht das Spiel (auch
nach dem Priesterkodex) weiter. Nur durch die Annahme
^iner Theorie kann man dies Problem lösen. Die vielen Plagen
gehören von Hause aus zusammen; mag auch die eine oder
andere später erdichtet sein, jedenfalls bilden sie als Mehrzahl
^ine bestimmte Tradition. Wie bei Amos sollen sie die Be-
troffenen zur Umkehr bringen. In Wirklichkeit würden ein
oder zwei Plagen reichlich genügen. Da jedoch die Theorie
viele Plagen kennt, so muß notwendig der Widersinn ent-
stehen, daß selbst bei fünf- oder zehnfacher Wiederholung die
Buße nicht erzwungen werden kann.
Die Theorie verlangt ihrem Wesen nach, daß eine Plage
1. Kichtig Gunkel: Forschungen I S. 54.
Die Plagen theorie. 173-
immer größer ist als die andere oder daß mindestens am Ende
eine grandiose Plage, anders ausgedrückt, eine Katastrophe
steht, durch die der Abschluß erreicht wird. Im Exodus haben
wir die Tötung der Erstgeburt, in der Eschatologie die Ver-
nichtung Israels am Ende. Beide Katastrophen sind den
vorhergehenden Plagen viel zu ähnlich, sie sind zu klein, als-
daß sie ursprünglich sein könnten. Warum läßt sich Pharao
durch die Tötung der Erstgeburt bestimmen, während die Pest
doch mindestens ebenso schlimm war? Die Wunder beim Aus-
zug sind aus anderem Zusammenhange hierher übertragen
worden, sodaß sich über den ursprünglichen Schluß nichts
Sicheres ausmachen läßt. Für die Eschatologie kommt jedoch,^
— wie wir schon oft und mit vielen Gründen zu beweisen ge-
sucht haben, denen hier ein neuer angereiht wird — anfänglich
eine Weltkatastrophe in Betracht. Sie allein eignet sich und
paßt vortrefflich an den Schluß vorgängiger kleiner Plagen,
Dieselbe Theorie findet sich bereits in Babylonien, wie es
scheint^, und ist dort mit der Sintflut auf's engste verknüpft.
Auf Dürre, Mißwachs und Unfruchtbarkeit folgt zweitens eine
Fieberseuche; denn »die Sünden der Menschen haben nicht ab-
genommen, sondern haben sich gegen früher noch gemehrt«.
Nach einer abermaligen kleineren Plage bricht endlich die Sint-
flut herein und vernichtet die Menschheit. Die Plagen sind hier
schon ethisch begründet, und das ist als alt begreiflich, obwohl
es psychologisch, wie oben ausgeführt, unverständlich ist. Denn
jene Theorie ist ursprünglich ästhetischer Herkunft. Die Dichter
lieben es, das Unheil nicht mit einem Male als vollendet dar-
zustellen, sondern es langsam, ruckweise anschwellen zu lassen,
bis es schließlich gleich einer Lawine hereinbraust. Als das
Motiv für die fortwährende Steigerung der Plagen bis zur end-
gültigen Katastrophe ist die Verstocktheit und Unbußfertigkeit
der Menschen hinzugekommen. Erst als die ästhetisch stili-
sierte Weltkatastrophe feststand, wurde sie nachträglich ethisch,
begründet.
1. Vgl. KAT.3 S. 552 f.; Gunkel: Forschungen I S. 54.
174 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
§ 17. Der Nördliclie.
Der Tag Jahves ist in der Prophetie vielfach als ein nahe
bevorstehender irdischer Kampf aufgefaßt. Das gewöhnlich an-
gewandte Schema lautet, daß Jahve ein fremdes Heer herbei-
ruft, um Israel und Juda zu verderben. Für das Schema ist
es gleichgültig, welches Volk gemeint ist. Überall nun, wo eine
bestimmte historische Gefahr in den Gesichtskreis der Propheten
tritt, wechselt der Inhalt des Schemas entsprechend der jeweiligen
politischen Situation. Sind es anfangs Assyrer und Ägypter,
so sind es später Babylonier, Perser, Griechen und Eömer,
durch die das Ende Israels herbeigeführt und die Erwartung
vom Tage Jahves in Wirklichkeit umgesetzt wird. Diese Vari-
ationen im einzelnen zu verfolgen, hat für uns in diesem Zu-
sammenhange keinen Wert, sobald das Schema klar erkannt
ist. Man darf es bereits für vorprophetisch halten, weil die
Ausfüllung des Schemas trotz aller geschichthchen Bedingtheit
in eigenartig unbestimmter, stereotyper Weise erfolgt. Die Pro-
pheten haben sich an bereits vorhandene stilistische Vorbilder
angelehnt und die jeweiligen Feinde Israels nach älteren
Mustern geschildert.
Denn wo auch immer gewisse Völker mit Namen genannt
werden, niemals kann man aus der Beschreibung er-
schließen, welches Volk nun grade an dieser Stelle
gemeint sei, da nur generelle, niemals individuelle Züge an-
geführt werden. Oder durch welche Charakteristika werden
etwa die Assyrer von den Chaldäern oder die Chaldäer von
den Skythen unterschieden, sodaß kein Zweifel an der Identi-
fizierung sein kann ? Wo nicht zufällig Namen genannt werden,
stehen wir vor den allgemein gehaltenen Schilderungen wie vor
unlösbaren Eätseln, falls nicht aus anderen Dingen die Zeit
fixiert werden kann. Wellhausen gesteht diese Tatsache be-
züglich der Skythen unumwunden ein, will sie aber einseitig
auf dies Volk beschränken und aus einem bestimmten Einzel-
falle erklären: »Jeremia kann im Jahre 626 nur die Skythen,
nicht die Chaldäer im Auge gehabt haben. Daß das aus seiner
Schilderung der Feinde nicht klar hervorgeht, muß allerdings
zugegeben werden; das erklärt sich aber einfach aus dem zeit-
Prophetischer Stil. 175
liehen Zwischenraum von dreiundzwanzig Jahren, der in diesem
Falle zwischen seiner ursprünglichen Weissagung und ihrer
Niederschrift Hegt, in der Gestalt, wie wir sie lesen. Wenn er
von den Skythen ausgegangen war, als er sprach, so hat er,
als er schrieb, ihre Schilderung so übermalt, daß sie auch auf
die Chaldäer paßte« (zu Zeph. 2 15). Aber wenn wir nicht auf
die Zeitverhältnisse, sondern nur auf die Beschreibung selbst
achten, so können wir an jedes beliebige Volk des Nordens
z. B. an die Aramäer denken. Der Verfasser von Ez. c. 38 f.,
der die früheren Weissagungen der Propheten auf Gog-Magog
bezog, konnte das mit einem Schein des Rechtes tun und ohne
die Furcht, mit dürren Worten widerlegt zu werden.
Die Propheten schildern eben keine individuellen
Völkertypen. Selbst wo sie einen bestimmten historischen
Feind weissagen, geben sie kein deutliches Bild von ihm, sondern
zeichnen ihn mit herkömmlichen Zügen. Charakteristisch für
diesen festausgeprägten Stil, den man fast überall konstatieren
kann, ist die krasse Art und Weise, mit der die Farben auf-
getragen werden, sind die ungeheuren Hyperbeln, die einen
Stich ins Fabelhafte zeigen. So verkündet Jer. 1 15 : Denn siehe
ich werde rufen alle . . .^ Königreiche des Nordens. Der auf-
fällige Plural wird von Giesebrecht so erklärt: »Daß sich ein
Reich aus mehreren Völkerschaften zusammensetzte, war sonder-
lich bei den großen Weltmonarchien der damahgen Zeit nichts
Seltenes«. Giesebrecht hat den Text ein klein wenig modi-
fiziert und damit grade seine bezeichnende Nüanze ver-
wischt. Denn es handelt sich nicht um mehrere^ sondern um
alle Königreiche des Nordens. Eine solche Weltherrschaft hat
Babylonien zwar nie ausgeübt, aber es gehört zum prophetischen
Stil, solche Übertreibungen auszusprechen.
Als zweites Beispiel kommt die Tatsache in Betracht, daß
nicht nur bei Jeremia, sondern auch anderswo neben dem
Norden das Ende der Welt als Ausgangspunkt der Feinde ge-
nannt wird. So spricht Jahve: Siehe, ein Volk kommt aus dem
Lande des Nordens, und ein gewaltiges Reich regt sich von den
Enden der Erde (Jer. 622). Und erheben wird er ein Panier
1. jTins'i;« ist handscliriftliche Glosse.
176 Der Ursprung der israelitisch- jüdischen Eschatologie.
den Völkern^ aus der Ferne und ihnen pfeifen vom Ende der
Erde (Jes. 026). Obwohl Israel mit Assyrern und Babyloniern
oft in Berührung war und sie aus eigener Erfahrung kannte,
obwohl bereits die Kanaaniter mit ihnen vertraut gewesen waren
und obwohl die Assyrer zur Zeit Jesajas bereits ein Jahrhundert
lang wieder in den Gesichtskreis der palästinischen Völker ge-
treten waren, konnte man dennoch sagen, sie kämen vom Ende
der Welt. Man darf diese Worte nicht für bare Münze nehmen
und weitgehende Schlüsse daraus ziehen, wie klein damals der
geographische Horizont der Israeliten gewesen sei. Es handelt
sich hier um technische Redensarten, die zum ständigen Reper-
toir solcher eschatologischen Dichtungen gehören.
Anderswo heißt es: ein altes Volk, ein Volk aus der Ewig-
keit werde heranrücken (Jer. 5 15). Dem Propheten sollen hierbei
nicht die Skythen vorschweben, »die sich nach Herod. lY 5
als ein sehr junges Volk betrachteten«, sondern die »Babylonier«,
die »das älteste Kulturvolk Vorderasiens waren« (Giesebkecht).
Aber den Israeliten darf man schwerlich dieselbe geschichtliche
Auffassung zuschreiben wie dem Herodot. Überdies paßt das
Prädikat ewig, wenn man es genau nimmt, nicht einmal zu
den Babyloniern. Denn es wird nur Göttern und göttlichen
Wesen, wie den Riesen (Ez. 26i9f. 322?), und uralten Dingen
wie den Bergen und der Zeit, niemals jedoch gewöhnlichen
Menschen beigelegt. Die Übertragung auf die Chaldäer ergab
sich von selbst, weil solche Übertreibungen nun einmal eine
Eigentümlichkeit des eschatologischen und wohl überhaupt des
dichterischen Stiles in damaliger Zeit waren. Die blühende
orientaliche Phantasie läßt das feindliche Heer des Nordens
aus lauter Becken (Jer. öie) bestehen in sorgloser Unbekümmert-
heit um die realen Tatsachen, die selbst bei der größten Tapfer-
keit genügend Ausnahmefälle lehren. Wer kein Pedant ist,
könnte am Ende heute noch ähnliche Aussprüche tun. Und
wenn Jesaja vom assyrischen Volke sagt: Kein Müder noch
Strauchelnder ist in ihm, nicht schläft noch schlummert es (52?),
so darf man weder hinzufügen: »wo's Not tut« (Dillmann)
noch die Worte streichen, weil sie nur auf Gott paßten (Duhm).
Klingt es nicht ebenso fabelhaft, wenn der Prophet fortfährt:
1. Eine Korrektur ist unnötig; vgl. Kautzsch: Gramm. § 145m.
Der Ansturm der Völker gegen Jerusalem. 177
Die Hufe semer Rosse sind wie Kiesel zu achten, und seine
Bäder wie die Windsbraut (Jes. 028)? Siehe, wie Wolken steigt
er herauf und wie der Sturmwind sind seine Wagen, schneller
als Adler sind seine Bosse (Jer. 4 13). Erinnert der Vers nicht
an den Wirbelwindwagen Jahves (Jes. 6615)? Noch phanta-
stischer ist die Schilderung der Feinde Nineves: Der Schild
seiner Becken ist gerötet, die reisigen Mannen sind purpur-
gefärbt^; wie Feuerfackeln^ ist der Wagen am Tage, wo er ihn
lenkt, und die Bosse^ rasen. Auf den Straßen rennen die
Wagen, galoppieren über die Plätze; sie funkeln^ ivie Fackeln,
wie Blitze fahren sie hin und her (Nah. 24ff.). Der Vergleich
der Kriegswagen mit dem Zickzack der Blitze und dem Flimmern
der Feuerfackeln ist sehr kühn, nach alledem aber, was wir
bisher über den prophetischen Stil festgestellt haben, nicht
unmöglich. Die gegebenen Beispiele genügen, um die Behaup-
tung zu rechtfertigen, daß die Propheten bei der Beschreibung
der Feinde nicht ein bestimmtes reales Volk vor Augen hatten,
sondern bis zu einem gewissen Grade durch ältere Vorbilder
beeinflußt waren.
Neben diesem ersten Schema, wonach Völker kommen
und Israel vernichten werden, findet sich ein zweites, wonach
Völker kommen und vor Jerusalem zu Grunde gehen werden.
Eine Eigentümlichkeit des zweiten Schemas ist es, daß selten eine
einzelne Nation genannt wird, daß vielmehr fast regelmäßig
von vielen oder von allen Völkern der Welt die Rede ist. Nach
Wellhausen ist diese Variante »ein stehender Zug der escha-
tologischen Weissagung seit Ezechiel« (zu Mch. 4iiff.). »Früher
war es stets ein bereits im Hintergrunde drohender Feind, eine
wirklich heranrückende Gefahr gewesen, wodurch die Erwartung
eines großen, durch reichliche Ansammlung von Zündstoif im
Innern längst vorbereiteten Brandes erregt wurde — seit dem
Exil wurde von einer allgemeinen Vereinigung Gott weiß
welcher Völker gegen das Neue Jerusalem phantasiert, zu der
1. Natürlich vom Blute. An der Lesart zu zweifeln, liegt wegen
des Parallelismus kein Anlaß vor.
2. Lies niT^t^j :ös5. Zur Sache vgl. den nächsten Vers; zum Femin.
Jdc. 44. Die Worte sind verderbt durch ein mißverstandenes üm-
stellungszeichen,
3. Lies ü"^o^£ LXX. 4. Lies an-s-nö Wellhausen.
Forschungen zur Rol. u. Lit. d. A. u. NT. 6. 12
178 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
in Wirkhchkeit durchaus kein Anlaß vorhanden war« (Prole-
gomena* S. 425). Zu den von ihm zitierten Stellen (Ez. 38 f.
Jes. 66i8fF. Jo. 4. Zach. 12. 14) könnten noch manche andere
hinzugefügt werden (wie Zeph. Ssff. Mch. 4iiff. Ps. 46. 48 u. a.).
Aber wichtiger ist, daß dieselbe Idee und dasselbe Schema
bereits in vorexihscher Zeit nachweisbar ist, und zwar in einer
bestimmten Reihenfolge verbunden mit dem vorhin besprochenen
ersten Schema. Zuerst heißt es: Israel wird vernichtet, dann:
Israel wird gerettet. Das ist um so merkwürdiger und rätsel-
hafter, als beides meist unvermittelt neben einander gestellt wird.
So heißt es Jes. 89f.: Tobt, ihr Völker j und seid betäubt!
Und horcht auf, alle Weiten der Erde! Rüstet euch und seid
betäubt! . . . Plant einen Plan, daß er gebrochen werde, be-
schließt einen Beschluß, daß er nicht zu stände komme! Diese
Verse stehen in striktem Gegensatz zum Vorhergehenden. Denn
vorher wird ausgeführt, wie die vielen und gewaltigen Wasser
des Euphrat Juda überschwemmen und überfluten werden,
während hier hinterher Völker vergeblich versuchen, ihre böse
Absicht gegen Israel zu verwirkhchen. An der zweiten Stelle
ist es genau so. Jes. 174ff. schildert die fast völlige Vernichtung
Jakobs. In engem, unvermittelten Anschluß daran fährt unser
Text fort: Ha, ein Brausen vieler Völker, die wie das Brausen
des Meeres brausen, .... doch er schilt darein, und es flieht
in die Weite und ist gejagt, wie Spreu der Berge vor dem
Winde und wie Wirbelstaub vor der Windsbraut. Zur Zeit
des Abends, siehe da: Schrecken, bevor der Morgen da, ist es
dahin. Das ist das Teil für unsere Plünderer und das Los
für unsere Räuber (Jes. 17i2ff.). WahrscheinHch ist auch Mch. 4
vorexilisch, da die Gründe, die für die Unechtheit geltend ge-
macht werden, nicht ausreichend sind. Hier finden sich eben-
falls beide Schemata lose neben einander. Während die V. 9f.
geschilderte Belagerung Zions als erfolgreich gedacht wird,
werden nach V. 11 ff. die vielen Völker, die Jerusalem stürmen,
siegreich abgeschlagen und vernichtet. Diese drei Stellen ge-
nügen zum Beleg unserer These, daß das angebhch nachexilische
Schema bereits vor dem Exil fertig war. Ein Teil der Exe-
geten freiUch (wie Stade ZATW. 1883 S. 16) plädiert auch
hier für Unechtheit, weil in Jesajas Theologie die vielen Völker
noch nicht vorkommen könnten. Aber einmal gehen sie von
Der Ansturm der Völker gegen Jerusalem. 179
einer petitio principii aus, der eine innerliche Berechtigung
kaum zugestanden werden kann, zum anderen müßten sie außer
den genannten Zitaten auch Jes. 026 und 29? streichen. So
weit freilich haben sie Kecht: Das zweite Schema ist in den
vorexihschen Schriften sehr selten. Es wird von den älteren
Propheten deshalb in den Hintergrund gedrängt, weil es die
Rettung Jerusalems voraussetzt, also im letzten Grunde nicht
zur Unheils-, sondern zur Heilseschatologie gehört.
Wir stehen hier vor demselben Problem wie vor der An-
schauung des Tages Jahves überhaupt. Schon im Volksglauben
umfaßte sie, wie wir gesehen haben, die beiden scheinbar ein-
ander ausschheßenden Gegensätze: Heil und Unheil. Diesen
beiden Polen entsprechen genau die beiden jetzt erkannten
Schemata: Israel wird gerettet und Israel wird vernichtet. Wie
vor dem Exil die schriftstellernde Prophetie das Unheil voran-
stellte, so benutzte sie vorzugsweise das ihm korrespondierende
Schema, ohne es freihch exklusiv zu verwenden. Nach dem
Exil ist das Umgekehrte häufiger der Fall. Es ist Pflicht des
Historikers, weder die These noch die Antithese zu leugnen,
sondern die höhere Synthese zu suchen,- in der sie beide sich
auflösen. Auf welche Weise beide mit einander ausgeglichen
w^erden können, muß späterer Untersuchung vorbehalten bleiben,
wenn wir das ganze Material überschauen. Hier muß es ge-
nügen, die Tatsachen zu registrieren.
Die unorganische, unvermittelte Vereinigung der beiden
Schemata ist ein Problem für sich, das auch dann nicht gelöst
ist, wenn man die drei oben genannten Beispiele für nach-
exiHsch erklärt. Die Frage wird damit nur hinausgeschoben.
Denn es muß beantwortet werden, wie der nachexihsche Glos-
sator dazu kam, in völUg sinnloser Weise das grade Gegenteil
von dem auszusagen resp. hinzuzufügen, was der Text über-
lieferte. Aber ob vorexihsch oder nachexilisch, ist relativ gleich-
gültig gegenüber der klaren Erkenntnis, daß es zum Stil der
prophetischen Schriften gehört, beide Schemata an einander zu
reihen, ohne den Umschwung von der Drohung in die Ver-
heißung zu motivieren. Zeph. 3i — 7 enthält eine bittere An-
klage gegen Jerusalem und kündigt den Juden die verdiente
Strafe an. V. 8 dagegen ward umgekehrt über die Völker und
JReiche der Zorn Jahves ausgegossen und Jerusalem aus aller
12*
180 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Not gerettet^. Mch. 7iff. schildern die Verderbtheit Jerusalems
und stellen die nahe Strafe in Aussicht; V. 7 ff. dagegen wird
die große Wendung geweissagt: Jerusalem, jetzt öde, wird dann
wieder aufgebaut und umgekehrt das Land der Heiden zur
Wüste, ohne jede Motivierung dieses Umschwungs. Nach
Zach. 14iff. versammeln sich zunächst alle Heiden gegen
Jerusalem und erobern es. Dann aber zieht Jahve aus und
kämpft gegen jene Heiden, so wie er einst kämpfte zur Zeit
des Krieges. Wiederum fehlt der innere Zusammenhang zwischen
beiden Tatsachen.
Nach der am weitesten verbreiteten Vorstellung war Jahve
selbst es, der die Feinde herbeirief, der ihnen pfiff vom Ende
der Erde. Seltener eilen sie auf eigenen Antrieb herbei. Beide
Theorien sind in sich verständUch und der prophetischen Predigt
angemessen. An einer Stelle nun können wir verfolgen, wie
die eine Idee in die andere übergeht: in der Gog-Magogweis-
sagung (Ez. c. 38f), die nach Wellhausens Auffassung für
die Geschichte der Eschatologie von besonderer Bedeutung ist:
»Bei Ezechiel, in dem ersten und klassischen Beispiel der
Metamorphose von Prophetie in Eschatologie, haben die Skythen
in Gog und Magog ihren Eeflex erzeugt .... Er kann nur
an Prophetien denken, die dem Einbruch der Skythen gleich-
zeitig und dadurch veranlaßt waren. Der literarische Ursprung
der Eschatologie ist hier mit Händen zu greifen« (zu Zeph. 2 15).
WELiiHAUSEN legt besonderes Gewicht darauf, daß der Ver-
fasser sich auf frühere nicht erfüllte Weissagungen beruft. Das
ist in der Tat etwas Neues, bis dahin in der prophetischen
Literatur nicht Nachweisbares. Hier haben wir nicht mehr
Prophetie, sondern Apokalyptik, und nur von der apokalyp-
tischen Eschatologie gilt der von Wellhausen behauptete lite-
rarische Ursprung. Über die prophetische Eschatologie ist damit
noch nichts ausgemacht. Daß die Skythen in Gog und Magog
ihren »Reflex« erzeugt hätten, ist ein etwas änigmatischer
Ausdruck, mit dem ich nicht viel anzufangen weiß. Ist Well-
hausen von derselben Ansicht beherrscht, die Bektholet in
folgenden Worten ausspricht: »Unter König Josias Regierung
— Ez. mochte damals vielleicht schon in den Jahren stehen,
1. Auch dies Stück ist scliwerlicb nacliexilisch.
Gog-Magog. 181
in denen die Empfänglichkeit für äußere Eindrücke am Aller-
größten ist — war plündernd und ohne Schonung der skytische
Feind aus dem Norden über das Land hereingebrochen. Der
Eindruck war bei allen, die ihn kennen gelernt hatten, unaus-
löschlich gebheben, und seine Erscheinung war so unheimlich
überraschend gewesen, daß man sich darauf gefaßt machen
mußte, ihn eines Tages plötzlich wiederkehren zu sehen. Es
scheint, als habe sich dieser Gedanke auch Ez. tief eingeprägt
und habe ihn nicht verlassen«. Beetholet und andere gehen
also von der Annahme aus, die Gog-Magogweissagung sei so,
wie sie vorliege, im Wesentlichen ein Werk der schöpferischen
Phantasie des Propheten.
ToY und Keätzschmar haben mit Eecht betont, daß in
diesen beiden Kapiteln Ezechiels zwei parallele Rezensionen
verarbeitet sind. 39 1— 8 ist eine Dublette, einmal zu 38i8— 23,
da beide Stücke die Vernichtung Gogs verheißen, zweitens
zu 399 — 20, da beide vom Opfermahl für die Tiere erzählen.
Charakteristisch für 39i— s ist die Tatsache, daß Gog hier von
Jahve selbst gegen Israel heraufgeführt wird. In 383 — 9 wird
Gog ebenso samt seinen Anhängern als Vasall und Untertan
Jahves dargestellt, auf dessen Befehl er über Israel herfällt.
38 10 — lea dagegen handelt er selbständig. Er denkt sich einen
bösen Plan aus, um wider das Volk zu ziehen, das auf dem
Nabel der Erde wohnt. Also gehören 383 — 9. leb. 17. 39 1 — 8(B)
auf der einen Seite und 38io— lea. 18 — 23. 399—20 (A) auf der andern
Seite zusammen 1. Beide Rezensionen unterscheiden sich außer
in dem bereits genannten Grunde besonders darin, daß A
mehrere Einzelzüge enthält, die in B fehlen. Da diese Einzel-
züge sämtlich mythischer oder märchenhafter Natur sind, so
ist A älter als B. Zweitens werden in B, obwohl Gog
aus dem äußersten Norden kommen soll, neben ihm die
Äthiopen genannt, die bekanntlich im äußersten Süden wohnen,
wiederum ein sekundärer Zug, der in A fehlt. Drittens
finden sich nur in B Berufungen auf frühere, nicht erfüllte
AVeissagungen, die in A tatsächlich vorliegen, sonst aber im
ganzen Alten Testament nicht aufgezeigt werden können.
1. 3021 — 29 sind späterer Zusatz und ohne Belang für unserea
Zweck.
182 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Viertens muß auch darum A den Vorzug verdienen, weil dort
die Erzählung pragmatisch ist: Gog überfällt die Israeliten und
wird dafür von Jahve bestraft. B verkündet in rätselhafter
Weise, wie Jahve selbst Gog gegen Israel führt und ihn dann
vernichtet, nur um sich den Heiden als Gott zu erweisen, nicht
einmal um sich als Schutzherr Israels zu zeigen. Bousset*
hat wohl mit Recht vermutet, die Weissagung sei erst später
in das Buch Ezechiel aufgenommen worden, da 388. 12 bereits
die Sammlung der Zerstreuten vorausgesetzt wird. Dazu kommt
die Beobachtung, die von allen Exegeten gemacht wird, daß
nämlich Ezechiels Zukunftsweissagung mit c. 37 zu Ende ge-
bracht ist. Daraus muß derselbe Schluß auf Unechtheit ge-
zogen werden. Nachdem Israel in die Heimat zurückgekehrt,
der messianische König eingesetzt, der Friedensbund geschlossen
und Jahves Heiligtum auf ewig in ihre Mitte gestellt ist, kann
dieser Friede nicht noch einmal, wenn auch nur in maiorem
Dei gloriam, gestört werden. In c. 37 wird eine kommende
Beunruhigung — um es milde auszudrücken, in Wirkhchkeit
soll es sehr viel schlimmer werden — durch nichts angedeutet.
Der Feind aus dem Norden, der in den älteren Prophetien
namenlos ist, heißt hier Gog. Der Name Gog ist von Winckleb
(Altoriental. Forsch. II S. 160 ff.) wohl richtig zusammengestellt
worden mit dem Lande Gag, das in einem der Tel-Amama-
briefe (KB. V 5) erwähnt wird. Gog galt damals als ein sagen-
haftes Volk des fernsten Nordens, wie bei den Griechen die
Skythen oder die Kimmerier. Für den Verfasser dieser Pro-
phetie handelt es sich jedenfalls nicht um ein mythisches,
sondern um ein reales, historisches Volk, von dem zwar allerlei
Sagen umliefen, an dessen Wohnort am Ende der Welt jedoch
geglaubt wurde. Soweit ist es erlaubt, von einem Zusammen-
hange Gogs mit den Skythen zu reden. Mochten beide von
Hause aus auch nicht identisch sein, so konnten sie doch mit
einander identifiziert werden. Ich will kein Gewicht darauf
legen, daß Bez. B mit den »früheren Weissagungen« grade die
ausgeschiedene Bez. A meint, sondern gebe gern die ^Xöglich-
keit zu, sie beziehe sich auf die Aussprüche Zephanjas oder
Jeremias. Die Farben, mit denen der von ihnen verkündete
1. Kel. S. 205 Anm. 3.
Der Nabel der Erde. 183
Feind geschildert war, paßten ebenso gut zu den Skythen wie
zu den Chaldäern wie zu Gog. Aber eines muß ganz energisch
betont werden, was bisher übersehen ist: Mit dem Namen
Gogs ist eine feste Tradition verknüpft, die von dem
Propheten nicht geschaffen, sondern übernommen ist.
Denn 38 12 findet sich die erste rätselhafte Notiz: Gog
zieht gegen ein Volk, das auf dem Nabel der Erde wohnt.
Damit ist im jetzigen Texte ohne Zweifel Israel gemeint. Schon
05 hat der Prophet die Anschauung ausgesprochen, daß Jeru-
salem mitten unter die Heiden gestellt sei und rings um es
her die Länder liegen. Nach den weitverbreiteten Nachrichten,
die wir besitzen, ist es wohl nicht nur das Volk, sondern auch
und vor allem der höchste Gott, der diesen Ehrenplatz in der
Mitte der Welt inne hat. Wie hier bei Ezechiel und im
Buche der Jubiläen (819) der Berg Zion »den Mittelpunkt des
Nabels der Erde« bildet, so bezeichneten die Israeliten (nach
Jdc. 937) auch eine andere Örtlichkeit bei Sichem als den
Nabel der ErdeK VölHg entsprechend liegt der Sinai im
Mittelpunkt der Wüste (Jub. 81s) und wohnen die Semiten
gleich den Chinesen im Beich der Mitte (Jub. 812). Im Nabel
der Erde befinden sich nach IHen. 26if.: ein heiliger Berg,
nach babylonischen Vorstellungen: Babylonien, nach griechischen :
Delphi, Athen oder Paphos, nach mittelalterlichen Karten:
Jerusalem 2. Dem Ausdruck hat schwerlich je eine lebendige,
plastische Anschauung zu Grunde gelegen, als wäre die Erde
einmal aufgefaßt worden als ein auf dem Rücken ausgestrecktes
menschliches resp. göttHches Wesen, dessen Zentnim der Nabel
ist, obwohl wir entsprechende ägyptische Bilder kennen 3, sondern
es wird sich von Hause aus um eine poetische Metapher handeln.
Der Mittelpunkt der Erde spielt eine so große Rolle, weil das
betreffende Volk sich selbst und seinen Gott damit als das
Wesentlichste, Wichtigste und Erhabenste der Welt darstellt.
Alle übrigen Menschen wohnen nur an den »Enden«, in den
»Winkeln«, an der Peripherie der Erde. Eine solche Idee
konnte sich wohl in den großen Monarchien des Altertums aus-
1. Nicht des Landes, wie man gewöhnlich übersetzt.
2. Vgl. z. B. die Abbildung bei A. Jeremias S. 354 No. 135.
3. Vgl. z. B. die Abbildungen bei H. Brugsch: Eeligion und
Mythologie der alten Ägypter. Leipzig 1888. S. 210f.
184 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
bilden, in dem winzigen Israel ist sie als autochthon nicht zu
verstehen. Ihre Erwähnung in diesem Zusammenhange macht
stutzig. Sollte sie sich hier aus einer mythischen Tradition
erklären ?
Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man bedenkt, wie
wenig Israel in die 8820 geschilderte Katastrophe hineinpaßt:
Wahrlich, an jenem Tage soll ein großes Erdbeben über das
Land Israel kommen, und vor mir sollen erbeben die Fische
des Meeres und die Vögel unter dem Himmel und das Getier
des Feldes und alles Gewürm, das auf dem Erdboden kriecht,
und alle Menschen, die auf der Erdoberfläche sind; und nieder-
gerissen werden sollen die Berge und einstürzen die Felssteige
und alle Mauern zu Boden fallen. Wenn so die gesamte Natur
und Kreatur vernichtet wird, muß allerdings Gog zu Grunde
gehen, aber mit Gog auch Israel. Die Rettung Israels ist bei
einer so beschriebenen Katastrophe schlechterdings unvorstellbar.
Ein zweiter Grund, weshalb die Gog-Magog Weissagung
nicht »zunächst ein Kind der Reflexion« (Smend), sondern eine
feste Überlieferung ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß sie an
ganz bestimmte, mit Namen genannte Orte gebunden ist. Will
man dem Ezechiel, oder wer sonst der Verfasser sein mag, zu-
trauen, er habe diese Lokalisierung erstmalig geschaffen ? Wenn
das der Fall wäre, so müßten die Örtlichkeiten bekannt und
die Gründe durchsichtig sein, warum er die Geschichte grade
dorthin verlegt hat. Das Gegenteil ist der Fall. Wir stehen
vor lauter unlösbaren Rätseln. Immer wieder wird betont, daß
die Katastrophe in Israel stattfinden, daß Gog auf den Bergen
Israels fallen, daß seine Grabstätte in Israel sein soll. Wie
reimt sich damit die geographische Angabe, das Grab sei öst-
lich vom Meere^ zu suchen? Da sie vom mittelländischen Meere
nicht verstanden werden kann, so muß man an das Tote Meer
denken. Östlich vom Toten Meere aber sind wir außerhalb
Palästinas, vor allem in jener Zeit nach dem Exil, wo Israels
Land auf ein noch kleineres Gebiet als früher zusammen-
geschrumpft war.
Der Name des Begräbnisortes heißt: Tal der Wanderer.
Ein solches Tal ist uns unbekannt, und doch ist an der Richtig-
1. Oder gegenüber dem 3Ieere.
Das Leichental. 185
keit des Textes nicht zu zweifehi. Denn an diesen Namen ist
eine Legende angeschlossen: Eine Kommission von Männern
soll im Lande umherwandern und die übrig gebliebenen Ge-
beine dort aufsuchen. Wo solche gefunden werden, sollen
neben ihnen Male aufgerichtet werden, bis die offiziellen Toten-
gräber die Bestattung vollzogen haben. Diese Legende kann
sich schwerlich gebildet haben im Zusammenhang mit einem
wirklich vorhandenen Tal, da sie nicht in der Vergangenheit,
sondern in der Zukunft spielt. ' Man hat durch eine andere
Punktation das Tal der Wandere?- in das Tal Aharim ver-
wandeln wollen, was trotz der etymologischen Anspielungen
(D'^^^b^ Wanderer) nicht unmöglich wäre. Da es im nordwest-
lichen Teile der moabitischen Hochebene ein Gebirge Aharim
gab (Num. 3347f.), so würde die geographische Notiz östlich des
(Toten) Meeres dazu stimmen. Aber nicht passen würde die
ausdrückliche Bemerkung, wonach dies Tal in Israel zu suchen
sei. Wer durchaus an jener Lokalisierung in Moab festhalten
will, hat die Verpflichtung, diesen Widerspruch zu erklären.
Er muß weiter zugeben, daß diese Schilderung nicht vom Tal
Aharim hergenommen sein kann, sondern umgekehrt dorthin
aus der Mythologie übertragen ist. Auffällig ist noch eine
Näherbestimmung: Dies Tal wird den Wanderern den Weg
verstopfen (39 ii). Es wird nicht gesagt, wodurch dies geschehen
soll, und es ist nur Vermutung, wenn m"an ergänzt: durch die
aufgefüllten Leichen. Jedenfalls soll das Leichental als völlig
unzugänglich dargestellt und, wie Hitzig mit Eecht annimmt,
einem großen Grabe verähnhcht werden. Die ganze Be-
schreibung führt auf ein mythisches Totental.
Vielleicht dürfen wir mit dieser Tradition Zach. 14iff. ver-
knüpfen. Die Situation ist dieselbe wie Ez. 38. Am Tage
Jahves versammeln sich alle Heiden vor Jerusalem, bedrängen
und erobern es. Dann aber tritt die große Wendung ein : Jahve
zieht aus und kämpft gegen jene Heiden, wie er einst kämpfte
zur Zeit des Krieges. Ein gewaltiges Erdbeben entsteht und
eben dadurch wird ein Tal verstopft. Das Drama spielt in Juda:
Und seine Füße treten jenes Tages auf den Ölherg, der östlich
von Jerusalem liegt, und der Ölherg spaltet sich in der Mitte
von Ost nach West, und es entsteht ein breites Tal, indem ein
Teil des Berges nach Norden und der andere nach Süden weicht»
186 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Und das Tal Harai wird verstopft^ .... Das Tal Harai resp.
Harim ist uns durchaus unbekannt. Wellhause^ vermutet als
ursprünglichen Text das Tal Hinnom, Wichtiger ist, daß aus
dem Folgenden klar wird, weshalb diese geologischen Ver-
änderungen in der Nähe Jerusalems stattfinden: Die himmhsche
Szenerie, das Paradies, soll hergestellt werden. Jahve wird zum
König der Welt (V. 9), Jerusalem, seine Eesidenz, zum Götter-
berg (Y. 10), und ein lebendiges Wasser wird von Jerusalem
ausgehen, ein Teil nach dem östlichen Meer und der andere
nach dem westlichen Meer fließen (V. 8) ; gemeint ist der mehr-
armige Paradiesstrom, der die Gottesstadt erfreut (vgl. Gunkel:
Genesis 2 S. 31 u. § 20). Das neu entstandene breite Tal, das von
Osten nach Westen läuft, ist doch wohl bestimmt, den Himmelsfluß
aufzunehmen. Im Gegensatz dazu dürfen wir das verstopfte Tal^
das keinen Zugang zum Götterberge hat, für den Aufenthaltsort
der Gottesfeinde jeder Art halten. Abgeschlossen vom Tal des
Lebens liegt das Tal des Todes. Dazu stimmt die Schilderung
Ez. c. 39 ausgezeichnet: Die Wesen, die versucht haben, den
Nabel der Erde d. h. den Gottessitz zu erstürmen, kommen zur
Strafe dafür ins Totental. Ob es je auf das moabitische Tal
Abarim übertragen war, ist nach dem oben Gesagten sehr
zweifelhaft. Mehr Wahrscheinlichkeit hat die Lokalisierung im
Tale Hinnom für sich. Denn obwohl dieser Name Zach. 14 kon-
jiziert werden muß, paßt er einigermaßen in die Situation. Während
der Ölberg der heilige Berg ist, der zum Paradiestal gespalten
wird, soll das Tal Hinnom, das vielleicht von alters her Stätte
eines Totengottes war, zum Totental werden, verstopft gegen den
Göttersitz hin. Das Primäre ist hier offenkundig die mythische
Topographie, da ja die irdische Szenerie erst verwandelt werden
muß, ehe sie zu jener stimmt. Schon nach Jeremia (732) soll
Israel von dem Völkerwürger im Tale Hinnom gewürgt und
bestattet werden, sodaß es den Namen Würgetal erhält. Aus
dieser Notiz dürfen wir folgern, daß die bei Ez. und Zach, vor-
handene Tradition bereits in vorexilischer Zeit bekannt war.
Die Überlieferung in der Gog- Weissagung ist mit legendarischen
Zusätzen ausgeschmückt, läßt aber das ursprünghch mythische
Kolorit noch durchschimmern.
1. Lies Djnca LXX.
Das mythische Meer. 187
Eine weitere Spur derselben Tradition treffen wir im Buche
Joel. Wir sahen, wie dort eine Heuschreckenplage mit leben-
digen Farben gemalt war (vgl. o. S. 93). Auffällig war vor
allem die Bezeichnung der Nördliche^ da die Heuschrecken au&
dem Südosten nach Palästina kommen. Das ist der erste
fremde Zug, der auf anderen Ursprung weist. Als zweiten
fügen wir hier hinzu die Schilderung seines Endes: Und den
Feind aus dem Norden will ich von euch entfernen und will
ihn in ein dürres und ödes Land stoßen, seinen Vortrab in das
östliche Meer und seinen Nachtrab in das westliche Meer, und
sein Gestank soll aufsteigen (2 20). Wellhausen äußert sich
über diese merkwürdige Geographie überhaupt nicht. Nowack
meint, es sei mit dem östlichen das Tote, mit dem westlichen
das mittelländische Meer bezeichnet. Aber abgesehen davon^
daß man diese beiden Meere schwerhch in dieser Weise zu-
sammenstellen kann, wie reimen sich damit die anderen Be-
hauptungen? Ich will ihn weit von euch treiben. War denn
das Tote Meer so weit entfernt? Und wenn das vorderste Ende
ins Tote, das hinterste ins mittelländische Meer stürzte, so fiel
das Gros grade mitten in Juda hinein. Und wo ist das dürre
und öde Land, das zwischen den beiden Meeren liegen muß?
Die ganze Schilderung paßt also nicht auf Juda, und ist in
ganz Palästina nicht zu lokalisieren. Hier müssen fremde
Elemente eingedrungen sein. In c. 4 weissagt Joel, Jahve
werde alle Heiden im Tale Josaphat zusammenbringen und
dort richten (V. 2. 12). Dies Tal, das im Folgenden (V. 14)
auch den Namen Tal der Entscheidung^ führt, ist uns unbe-
kannt. Da die Etymologie durchsichtig ist, so glaubt man^
Joel habe den Namen geschaffen. Aber mag auch der Aus-
druck Tal der Entscheidung von ihm herstammen, daß er ein
solches nomen proprium ganz aus sich gebildet habe, ist wenig
wahrscheinlich, zumal auch die übrigen Züge dieser Weissagung
nicht individuell, sondern typisch sind. Ob das V. 18 genannte
Akaziental wirklich mit dem wadi es-sant identisch sei (Well-
hausen), ist ebenso zweifelhaft, da es durchflössen wird von dem
uns bereits bekannten mythischen Quell. Selbst der Zug findet
1. Vielleicht gehört auch das Tal der Offenbarung (Jes. 22 1. 5)
hierher.
188 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
sich wieder, daß Jerusalem abgesperrt wird gegen die Heiden:
Jerusalem soll unverletzliches Gebiet sein, und Heiden werden
nicht mehr den Weg darüber nehmen dürfen (V. 17). Wie
diese Absperrung erreicht wird, ist nicht weiter ausgeführt. So
viel läßt sich nach alledem mit Sicherheit behaupten: Im Buche
Joel liegt eine Reihe von Einzelheiten vor, die sich in den Zu-
sammenhang nicht organisch hineinfügen, die einer ganz anders
gearteten ursprünglich mythischen Tradition entsprungen sein
müssen, jetzt aber stark verdunkelt sind. Obwohl der Nörd-
liche als eine reale Heuschreckenplage geschildert wird, ist er
dennoch mit mythischen Zügen verknüpft, die zur Gog-Magog-
weissagung gehören. In dieser Hinsicht ist es von besonderem
Interesse, daß nach den LXX die von Amos (7i) geschaute
Heuschreckenplage Gog ist^, während der massorethische Text
noch nichts davon weiß.
Die LXX erinnern schon an die mythische Tradition, die
uns ausführlicher begegnet in der Apk. Joh. 9i — ii (vgl. Gunkel:
Schöpfung S. 214 f. 217 if.). Die Heupferde werden hier als
Ungeheuer beschrieben mit Menschenköpfen, Weiberhaaren,
Löwenzähnen und Skorpionschwänzen. Auf dem Haupte tragen
sie Goldkronen. Sie kommen hervor aus dem Brunnen des
Abgrunds. An ihrer Spitze steht Abaddon d. h. Seol (Job. 266.
2822. Prov. 15 11. Ps. 8812). Die Ungetüme sind also als Höllen-
geister charakterisiert. Es wäre falsch, wollte man diese apo-
kalyptische Tradition allein aus Joel ableiten. Denn dort sind
-es wirkliche, hier mythische Heuschrecken. Dies Negative ist
sicher; positiv läßt sich über einen irgendwie vorhandenen Zu-
sammenhang nichts Gewisses behaupten. Wahrscheinlich ist
hier mit dem aus Joel übernommenen Stoff anderes mythisches
Material verbunden. Neue mythische Vorstellungen sind einge-
strömt und haben ihn bereichert und umgestaltet. Die Gog-
Magog - Überlieferung findet sich Apk. Joh. 19i5ff. 207ff. in
engem Anschluß an Ezechiel.
»Endlich hängt auch die Weissagung von einem König des
Nordens (Dan. ll4off.), der in den letzten Tagen die Erde mit
Krieg überziehen soll, vielleicht mit der Gog- Weissagung zu-
sammen«. Diese jeder »geschichtlichen Deutung spottenden«
1. xcu iöoii ßQov/og elg Fojy 6 ßaaiUvg. Vgl. auch Num. 247 LXX.
Das mythische Meer. 189
Verse geben »aller Wahrscheinlichkeit nach eine ältere, nur
noch halb verstandene apokalyptische Tradition weiter« (Bousset :
Kehgion S. 207). Der NördHche, so heißt es hier, wird in das
Prachtland eindringen und sich viele kostbare Schätze an Gold
und Silber aneignen. Dann wird er das Zelt seines Palastes
aufschlagen zwischen den Meeren und dem Berge der heiligen
Pracht, und er kommt zu seinem Ende, und niemand hilft ihm.
Das Land der Pracht soll wohl Palästina, der Berg der heiligen
Pracht Zion sein. Aber was die Meere bedeuten, ist hier
ebenso unklar wie im Buche Joel. Viele Exegeten denken an
das mittelländische Meer. Abgesehen von dem Sprachgebrauch^
der in Prosa den Plural D"'732 hier kaum zuläßt, ist die zitierte
Angabe überhaupt keine geographische Ortsbestimmung. Wa&
soll das heißen: Zwischen Jerusalem und dem Mittelmeer?
Hier ist eine mythische Geographie auf Palästina übertragen^
ohne daß man freilich ein deutliches Bild gewinnt. Noch ver-
worrener ist IHen. 26: In der Mitte der Erde gibt es einen
gesegneten und fruchtbaren Ort, in dessen Garten Bäume mit
immerwährenden Schößlingen stehen. Und daselbst sah ich
einen heiligen Berg, und unterhalb des Berges ein Wasser von
Osten her (kommend), und sein Lauf nach Süden gerichtet.
Und ich sah nach Osten hin einen anderen Berg, der höher war
als dieser, und zivischen ihnen eine tiefe, aber nicht breite
Schlucht, und auch in ihr floß ein Wasser an dem Berge hin.
Und tvestlich von diesem ivar ein anderer Berg, der war
niedriger als er und hatte keine Höhe, und eine Schlucht war
unterhalb desselben zwischen ihnen, und eine andere tiefe und
trockene Schlucht am Ende von den dreien. Und alle Schluchten
waren tief, aber nicht breit, aus hartem Fels und < kein >
Baum war in ihnen gepflanzt ... Da sprach ich: Wozu ist
dieses gesegnete und ganz mit Bäumen bestandene Land, und
diese verfluchte Schlucht dazwischen? . . . Diese verfluchte
Schlucht ist für die in Ewigkeit Verfluchten bestimmt. Aus
dieser letzten Bemerkung folgt deutlich, daß hier eine mythische
Landschaft geschildert wird, nämhch die Hölle neben dem
Pai-adiese. Auf der anderen Seite freilich ist die Beschreibung
unklar. Wir sind daher zu der Annahme gezwungen, daß die
mythische Topographie hier nicht rein erhalten sei, sondern daß
hier irgendwie die örtHchen Verhältnisse Jerusalems hinein-
190 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
•spielen. Abgesehen von dem Ölberg und dem Bache Kidron
aber ist es unmöglich, die einzelnen Berge und Flüsse genauer
zu identifizieren. Die verfluchte Schlucht soll wohl das Tal
Hinnom sein, während alle weiteren Gleichsetzungen, die man
versucht hat, als nicht einleuchtend zu verwerfen sind.
Wir haben uns bemüht zu konstatieren, wie mit dem Nörd-
lichen eine feste mythische Tradition verknüpft ist, die zum
■ersten Male nicht bei Ezechiel, sondern bereits bei Jeremia
begegnet, also aus vorexilischer Zeit stammt. Während sie bei
Jeremia nur leise anklingt, ist sie bei Ezechiel, Zacharja, Joel
und Daniel deutlicher nachweisbar. Allein niemals lernen wir
das ganze Gefüge des Mythus kennen, wir müssen uns mit un-
jzusammenhängenden Bruchstücken begnügen. Ganz deutlich
ist die mythische Topographie, die von einem Gottessitz handelt,
der im Nahel der Erde gelegen und durch eine Schranke ab-
gesperrt ist von dem Leichental oder dem Ort der göttlichen
Peinde. Diese Feinde müssen einmal mythischer Natur ge-
wesen sein; aber sie haben ihr altes Gewand abgestreift und
sind zu bloßen Menschen, zu Völkern, herabgesunken. Nur der
Name erinnert noch an die ursprüngliche Herkunft. So gut der
Nordberg gleich dem Götterberge ist, so gut ist der Nördliche
ein göttliches Wesen. In den uns vorliegenden Texten ist der
mythische Charakter stark verblaßt. Aus dem Gottessitz ist
Zion, aus dem Totental das Gehinnom geworden. Da diese
Lokalisierung bereits bei Jeremia (732) vorhanden ist, so muß
der Mythus damals schon in Israel eine längere Geschichte
hinter sich gehabt haben. Israelitischer Ursprung ist aus-
geschlossen, da er unverkennbar den Polytheismus zur Grund-
lage hat. Sein eigentUcher Sitz scheint von Hause aus die
Eschatologie gewesen zu sein; wenigstens ist er anderwärts bis-
her nicht aufzuzeigen.
Eine Kombination mit dem Tiämatmythus scheint aus-
geschlossen, obwohl dieser in der Apokalyptik eine große Bolle
spielt (Jes. 242ifr. 27 1. Ps. 6831. Ps. Sah 226ff. IHen. 6024f.
IVEsra 602. IBar. 294. Test. Asser c. 7. Apk. Joh. 12iff.).
Das Schema des eschatologischen Kampfes ist auch mit den
Einzelheiten des Tiämatmythus ausgefüllt, auf die ich nicht
näher einzugehen brauche, da sie in Günkels Werk: »Schöpfung
und Chaos« vollständig behandelt sind. Der ursprünghche Sitz
Der Nördliche. 191
dieses Mythus ist in den Geschichten der Urzeit. Wo er in
der Endzeit begegnet, Hegt eine Übertragung vor. Aber keinen
einzigen der mythischen Namen, die uns hier begegnet sind,
weder den Götterberg noch den Berg der heiligen Pracht noch
den Nabel der Erde noch das verstopfte Tal noch den Nörd-
lichen finden wir in dem Tiämatmythus wieder.
Nicht nur der Mythus vom Nördhchen, sondern die Un-
heilseschatologie überhaupt in ihrer ursprüngHch m}i;hischen
Form muß schon früh, in vorprophetischer Zeit, in Palästina
eingewandert sein. Eine Rekonstruktion ist unmöglich. Denn
darauf muß zum Schluß noch einmal und mit aller Energie
hingewiesen werden: Wenn es uns auch geglückt ist, an einigen
Stellen eine bestimmte mythische Tradition aufzuzeigen, so
handelt es sich doch allüberall nur um Bruckstücke. Uns geht
es, um ein Bild zu brauchen, wie dem Forscher, der in einem
Trümmerhaufen die Überreste einer Götterstatue findet, der hier
einen Arm, dort ein Bein, dort andere Glieder entdeckt, deren
Zusammengehörigkeit er wohl erkennt. Sobald er sich aber
daran macht, die Teile zusammenzusetzen, sieht er die Unmög-
lichkeit seines Vorhabens ein. Der Fragmente sind zu wenig;
es fehlt der Rumpf, der die Körperteile erst zusammenhält.
Was wir im Alten Testament über das spezifisch Mythologische
der Eschatologie erfahren, beschränkt sich im Grunde auf ein
paar Dinge. Diese Einzelzüge können schwerlich für sich
existiert haben, sie lassen ein größeres, ausgeführtes Gemälde
vermuten, das für uns verloren gegangen ist, ja das vielleicht
nicht einmal dem alten Israel bekannt war. Wir müssen mit
der Möglichkeit rechnen, daß der Mythus und die
Eschatologie überhaupt nicht als Ganzes, sondern
bruchstückweise in Israel eingewandert sei.
Das Merkwürdigste ist nun, daß das Bild immer deutlicher
wird, je weiter die Geschichte vorrückt. In der Entwicklung
der israehtischen Eschatologie geht das Verworrene dem Ein-
fachen voraus, und doch ist das Verworrene erst aus dem Ein-
fachen geworden! Der vorprophetische Hintergrund, auf dem
sich die prophetische Eschatologie abhebt, ist nachweisbar in
der nachprophetischen (d. h. nachexilischen) Zeit. Gewiß haben
die Propheten den Inhalt ihrer Eschatologie zum großen Teil
aus der israelitischen Volkstradition geschöpft und in dieser mag
192 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Manches lebendig gewesen sein, von dem wir überhaupt nichts
ahnen oder erst durch spätere Schriftsteller hören. Aber damit
allein ist der fragmentarische Charakter der früheren propheti-
schen Eschatologie noch nicht genügend erklärt. War eine
klare populäre Vorstellung von einer künftigen Weltkatastrophe
wirklich vorhanden, so konnte sie nicht in dieser starken Weise
durch die Prophetie abgeschwächt und verwischt werden. Um
dieser Tatsache gerecht zu werden, müssen wir denselben frag-
mentarischen Charakter bereits für die volkstümliche Eschato-
logie postulieren. Wir werden annehmen dürfen, daß die
Eschatologie erst allmählich und in Bruchstücken der israeliti-
schen Religion bekannt w^urde, daß eine ursprünglich nur kleine
und verschwommene Tradition im Laufe der Zeit immer mehr
anschwoll und deutlichere Gestalt gewann.
In der Zeit, wo wir die Unheilseschatologie kennen lernen,
weiß man nichts mehr von der ursprünglich ausländischen Her-
kunft. Sie ist völlig akklimatisiert, mit palästinischen
Lokalfarben durchtränkt und mit israelitischem Geiste
erfüllte Hymnensänger und Propheten feiern die gewaltige
Tat Jahves in der Endzeit. Bald schildern sie mit Entsetzen
die schreckHchen Wehen, die über die Erde kommen sollen in
den letzten Tagen, bald zeichnen sie mit tiefem Kummer ein
Bild der verderbten Menschheit, die sich gegenseitig im Kriege
zerfleischen wird, bald stimmen sie ein grausiges Triumphhed
an über die Majestät Jahves, die alles vernichtend dann der
Welt sich offenbart, bald reden sie davon im Ton des Ver-
trauens und der unerschütterlichen Zuversicht, bald leihen sie
der Sehnsucht Flügel und wünschen begehrend die große Zeit
herbei. So hat die Eschatologie in den hebräischen Dichtern
die ganze Skala der Empfindungen ausgelöst. Sie wurzelt fest
in ihrem Herzen und durchwebt ihr Sinnen. Die Zukunft wirft
ihr Licht und ihren Schatten voraus und nimmt an ihrem Teile
das Glauben und Leben und Hoffen der Gegenwart gefangen.
1. Vgl. GuNKEL (Forschungen I S. 21), der überhaupt die Ge-
schichte der Eschatologie zum ersten Male klar gezeichnet hat.
Zweiter Teil.
Die Heilseschatologie.
A. Das goldene Zeitalter.
§ 18. Der neue Bund.
E. Kraetzschmar : Die Bundesvorstellung im Alten Testament in
ihrer geschichtlichen Entwicklung. 1896. H. Usener: Keligionsgeschicht-
liche Untersuchungen. III. Sintflutsagen. Bonn 1899.
Wir können jetzt die Probe aufs Exempel machen. Wenn
die eschatologische Katastrophe von Hause aus keine partikulare,
sondern eine universale war, wenn es sich ursprünglich nicht
um die Vernichtung Israels, sondern um die Zerstörung der
ganzen Welt handelte, so werden wir a priori erwarten, daß der
Beginn der neuen Zeit mit den Farben gemalt sei, mit denen
der Anfang dieses Äons gezeichnet zu werden pflegte, d. h. mit
den Farben des Paradieses. Wäre der Untergang Israels das
Primäre gewesen, so müßte zunächst und vor allem die Wieder-
herstellung der Nation geschildert, die Heimkehr aus dem Exil
und die Befreiung von der Fremdherrschaft verkündigt werden.
Diese Züge lassen sich zwar an vielen Stellen aufzeigen, aber
sie dominieren durchaus nicht und anderswo fehlen sie ganz.
Statt dessen wird ein neues goldenes Zeitalter beschrieben,
dessen Erwartung aus den damahgen Verhältnissen nicht psycho-
logisch abgeleitet werden kann. Diese phantastischen Hoffnungen
haben mit den realen Erlebnissen des israehtischen Volkes nicht
das Mindeste zu tun. Sie stammen aus einer ganz anderen
Sphäre und sind in geschichtlichen Erfahrungen nicht begründet
noch können sie aus ihnen erklärt werden.
Wir sahen (vgl. o. S. 164), wie nach dem Priesterkodex
am Beginn jeder Epoche ein neuer Bund steht, den Jahve mit
Forschungen zur Rel. u. Lit. d. A. u. NT. 6. 13
194 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
dem jeweiUgen Anfänger der Periode, mit Noah, Abraham und
Mose, schließt. Nur bei Adam fehlt ein solcher Bund. Man
hat ihn damals ergänzt, als man den Priesterkodex »Vierbundes-
buch« nannte. Da man aber keinen hinreichenden Beweis für
diese Ergänzung zu führen vermocht hat, so ließ man jene Be-
zeichnung fallen. Dennoch beruhte sie auf einem richtigen Ge-
fühl. Die Symmetrie allein schon fordert für das erste Zeit-
alter dieselbe Inauguration wie für das zweite, dritte und vierte.
Wir müssen darum zunächst vermuten, daß die Überlieferung
des Priesterkodex in ihrer ursprünglichen Gestalt einen Bundes-
schluß auch am Anfang der Welt kannte. Wenn die jetzige
Tradition nichts mehr davon weiß, so ist eine Verdunkelung
eingetreten.
Diese Vermutung wird zur Gewißheit erhoben durch die
Eschatologie. Hos. 2 20 heißt es: Und ich werde einen Bund
schliefen für sie an jenem Tage mit den Tieren des Feldes, den
Vögeln des Himmels und dem Gewürm des Landes; Bogen,
Schwert und Waffe will ich zerbrechen und fortschaffen von der
Erde und sie in Sicherheit wohnen lassen. Mit Eecht sagt
Wellhausen: »Es wäre hier eine treffliche Gelegenheit für
Jahve, einen Bund mit Israel zu schließen. Er schließt ihn
aber mit den Tieren, zum Schutz des Landes vor Wildschaden,
Vögel- und Insektenfraß«. Wellhausen begnügt sich damit,
diesen sonderbaren Gedanken zu konstatieren, ohne ihn zu er-
klären. Denn selbstverständlich ist er durchaus nicht, auch
wenn er das wirklich besagte, was Wellhausen aus ihm her-
ausliest 1. Es handelt sich für den Propheten doch zunächst
um die Vernichtung Israels durch die Assyrer und Ägypter,
mochten außerdem auch allerlei Landplagen hereinbrechen.
Genügte es da nicht, wenn Hosea die Wiederherstellung des
Volkes verkündete? War es nicht schon eine überreiche Gnade,
falls Palästina nach der furchtbaren Verheerung von neuem mit
Emtesegen bedacht ward? Wer wird auf die Idee verfallen,
wilde Tiere, Vögel und Insekten möchten kommen und die
Felder wiederum veröden?
Noch seltsamer wird die Stelle, wenn man mit den Exegeten
übersetzt: Boge7i, Schtvert und Streit . . . schaffe ich fort aus
1. Die riclitige Erklärung s. u. S. 200.
Die Umwandlung der Tiere. 195
dem Lande. »Darum schafft er auch Frieden«, sagt Well-
HAUSEN, »nicht für alle Welt, sondern für das Land der
Israeliten, damit sie geruhig wohnen.« Das wäre doch eine
gar zu sonderbare Utopie, auf die Sicherheit Israels zu hoffen,
wenn alle Waffen aus Palästina verschwunden sein werden.
Viel richtiger und zweckdienlicher wäre es, die Rüstungen der
Feinde zu vernichten, und man begreift nicht, warum der
Prophet nicht dies Wunder erwartet haben sollte, da ja auch
die Entwaffnung Israels auf die Tat Jahves zurückgeführt
werden muß. Wenn man meiner Übersetzung von der Erde
folgt, so ist zwar der gröbste Anstoß beseitigt, aber auffällig
bleibt der Satz darum doch. Dem Gläubigen konnte das Wort
Jahves genügen, er werde fortan das Land vor allen Feinden
beschützen. Wozu bedurfte es da der phantastischen Hoffnung
auf eine Abrüstung aller Völker? Dieser Gedanke ist, obwohl
er hier vorliegt, psychologisch nicht begreiflich.
Ebenso merkwürdig ist der Ausdruck, Jahve werde jenes
Tages einen Bund schheßen mit den wilden Tieren. Gunkel
{Genesis 2 S. 108 f.) hat dies mit Recht eine altertümliche Vor-
stellung genannt. Sie scheint nicht auf der Höhe der propheti-
schen Anschauung zu stehen. Denn da, wo die Idee des Bundes
lebendig ist, handelt es sich um einen Vertrag, eine gegenseitige
Verpflichtung, mögen die Parteien auf gleichem Fuße mit ein-
ander verkehren oder nicht. Ein Bund wird ursprünglich nur
zwischen Menschen geschlossen. Später wird das Verhältnis der
Gottheit zu den Menschen in dem Sinne des Bundes aufgefaßt.
Hier aber scheinen die Tiere als bündnisfähig mit Gott dar-
gestellt zu werden. Wie ist das möglich? Nach gewöhnlicher
Anschauung freihch ist der Ausdruck nur bildUch gemeint und
etwa gleichbedeutend mit »ein Gesetz auferlegen«. Das ist des-
wegen sehr unwahrscheinlich, weil der Inhalt des Befehles nicht
angegeben wird und aus dem Zusammenhange nicht erraten
werden kann. Wellhaüsens oben mitgeteilte Exegese kann
keinen Anspruch auf Wahrscheinlichkeit erheben. Das Wort
Hoseas ist so abrupt, daß es für uns völlig unverständlich bliebe,
wenn wir es nicht aus anderen Stellen erklären könnten. Der
Prophet spielt hier an eine zu seiner Zeit geläufige Theorie an,
die uns aus späteren Quellen deutlicher wird.
Jes. lleff. heißt es: Und gastenwird der Wolf heim Lamm,
13*
196 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
und der Pardel heim Böckchen lagern, und Kalb und Löwe
essen^ zusammen ^ ein kleiner Knabe ist ihr Hirte. Kuh und
Bärin weiden zusammen^ und der Löwe frißt Häcksel wie das
Rind (vgl. Jes. 6025). Der Säugling spielt an dem Loch der
Natter, und nach der Höhle^ des Basilisken streckt ein Ent-
wöhnter seine Hand aus. Beachtenswert ist zunächst der Zu-
sanimenhang, in dem die Verse stehen. Unmittelbar vorher ist
von dem Reis aus der Wurzel Isais die Rede. Damit beginnt
dies heilseschatologische Kapitel. Diesen seltsamen Anfang
kann die Psychologie auf keine Weise verständlich machen, mag
man das Stück dem Jesaja zuerkennen oder absprechen. Ver-
setzt man sich in den Geist Jesajas, der Israel den Untergang
durch Assurs Heer verkündete, dann mußte er, so sollte man
denken, von der neuen Ära zuerst und vor allem etwas ganz
Anderes erwarten! Was nützte der weiseste und gerechteste
König, wenn nicht zuvor eine Nation da war, die er regieren
konnte? Und welchen Wert hatte das beschauliche Stillleben
der Tiere, solange die Welt voller Kriegsgetümmel und solange
nicht das Volk aus Feindesnot befreit war? Hinterher freihch
(V. 11 ff.) wird von dem Loskauf des Restes und von der Samm-
lung der versprengten Israeliten geredet. Aber diese Dinge
hätten als die Hauptsache, ja als die Voraussetzung notwendig
vorangehen müssen. Ihre Nachstellung bleibt psychologisch
ebenso unverständlich, wenn das Stück für exilisch oder nach-
exilisch gehalten wird.
Betrachten wir die Verse 6 — 8 für sich, so sind sie über-
haupt nicht aus besonderen Zeitumständen geboren. Der Ge-
danke des Tierfriedens ist ein integrierender Bestandteil der-
jenigen Geschichten, die vom Eintreten einer neuen Weltepoche
handeln. Vor allem hat die Poesie den Beginn dieser Welt,
das goldene Zeitalter, als einen Zustand ungestörten Glückes
vorgestellt. Auch die israelitische Urgeschichte hat in dem
nüchternen Speisegebot des Priesterkodex eine Erinnerung an
den Urfrieden bewahrt*, wenngleich in der Paradieserzählung
selbst dieser Zug nicht erhalten ist. So haben die Dichter
1. Lies s^n"' Duhm. 2. Streiche p'^i!?'' iisav.
3. Lies n-iytt nach einer schriftlichen Mitteilung Gunkels.
4. Vgl. Gunkel: Genesis^ zu l29f.
Die Umwandlung der Tiere. 197
vieler Völker von der seligen Urzeit gesungen i. Wo nun die
Morgenröte einer neuen, besseren Zukunft anbricht, da gehört
es zum Stil, sie mit den Farben der Urzeit zu malen. Römische
Dichter haben auf diese Weise den Regierungsantritt des
Augustus verherrlicht^. Der Glaube an ein künftiges goldenes
Zeitalter läßt sich in der klassischen Literatur zum ersten Male
— das ist nicht unwichtig für die Frage nach dem Ursprungs-
lande dieses Stils — bei Vergilius nachweisen», der durch die
Geburt eines Knaben einen »Wendepunkt der Geschicke Roms
und der Welt« erwartet*. Aber längst vorher waren in Baby-
lonien, wofür wir an passenden Stellen frappante Parallelen an-
führen werden, irdische Könige »als Bringer der Erlösung und
Bahnbrecher einer neuen Zeit« gefeierte Immerhin ist zwischen
diesen Dichtungen und dem Jesajazitat ein Unterschied vor-
handen, der nicht verwischt werden darf. Während es sich
dort um bestimmte historische Situationen handelt, ist die Schil-
derung des Propheten eigentümlich unbestimmt. Er hat einen
eschatologischen Moment im Auge, der sich allerdings in ab-
sehbarer Zeit verwirklichen wird, der aber doch nicht genau
fixiert ist Wenn nur Y. 1 — 8 echt sein sollten, wie viele
Exegeten annehmen, so ist diese Zukunftshoffnung rein mythisch,
ohne jede Rücksicht auf konkrete und reale Verhältnisse Israels.
Aus diesem Grunde müßte — selbst für den Fall, daß sich
nachweisen läßt, es sei in Israel Stil gewesen, neue Epochen,
etwa den Regierungsantritt eines Königs, mit den Farben des
goldenen Zeitalters zu malen — neben diesem Stil und unab-
hängig von ihm wenigstens in Bruchstücken die Erwartung eines
eschatologischen Paradieses hergegangen sein. Ja, man darf
vielleicht sagen, aus ihr erklärt sich erst die Entstehung jenes
Stiles. Weil man eine zukünftige goldene Zeit erhoffte, darum
eben konnte die höfische Schmeichelei den Regierungsantritt
eines Königs als ihren Anbruch schildern. Doch ist diese An-
nahme nicht unbedingt notwendig, da sich der Hofstil auch
auf urzeitliche Mythen beziehen kann. Aus der einfachen
Sehnsucht, mit Hülfe des neuen Herrschers zu besseren Zu-
1. Dellmann: Genesis® S. 47 bringt eine Menge Material.
2. Horat. Carm. I 23of. Vgl. Epod. 165if. 3. Verg. ecl. 42if. 5(
4. UsENER a. a. 0. S. 206. 5. Zimmern KAT^ S. 380 ff.
198 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
ständen zu gelangen, ist jedenfalls ein solcher Stil nicht geboren;
denn sonst wäre er überall in der Welt vorhanden, da jene Sehn-
sucht allen Menschen und Zeiten eigen ist.
Fragt man weiter, warum grade die Urzeit so paradiesisch
schön gedacht wird, so genügen ebenfalls psychologische Er-
klärungen allein nicht zum Verständnis. Gunkel meint: »Der
alte Mythus vom Frieden der Menschen und Tiere atmet die
Sehnsucht eines kriegsmüden, gealterten Volkes nach Ruhe und
Frieden ; das älteste Israel, ein jugendfrisches, kriegslustiges Volk^
wird ihn nicht erzeugt haben; in Israel kennen wir solche
müden Stimmungen erst aus der Zeit der Propheten, als die
Welt von Waffen klirrte und Israel durch die beständigen Kriege
erschöpft war« (Genesis ^ S. 100). Ähnlich hat sich Gunkei*
in der Deutschen Rundschau (Jahrgang 31. Berlin 1904, S. 60)
geäußert: »Jeder Mensch und jedes Volk träumt einen Traum
von Glück und Frieden und ungestörtem Genuß. Jeder träumt
davon anders: der JüngHng schwärmt von den Tagen der Zu-
kunft, und der Greis versenkt sich voll Wehmut in die sonnige
Zeit seiner Jugend, und nur darin stimmen sie beide überein:
in der Gegenwart herrschen Elend und Herzeleid, da ist das
Glück nicht zu finden. Die Überlieferung der Völker aber ver-
setzt dies Bild der Sehnsucht in die Urzeit, an den Anfang
unseres Geschlechtes oder an das Ende der Dinge. Vom
Paradies der Vorzeit redet sie mit Trauer: es ist unwieder-
bringlich verloren; von der seligen Endzeit mit Begeisterung:
sie wird sicherlich kommen!« In schönen Worten schildert hier
Gunkel die Stimmungen, in denen die Dichter und auch die
israelitischen Propheten zu den Mythen von Urzeit und Endzeit
gegriffen haben mögen, um den Empfindungen Ausdruck zu ver-
leihen, die sie bewegten. Die Ausmalung im Einzelnen, der
Friede der Natur, wo Kinder noch mit Löwen und Kreuzottern
spielten, erklärt sich daraus nicht
Die Wurzel dieser Vorstellungen erkennt man, wenn man
die von Usener (S. 200 ff.) beigebrachten Parallelen beachtet^
die in manchen Einzelheiten an die prophetische Eschatologie
anklingen. Die Griechen glaubten, daß es auf dem heiligen
Kreta kein todbringendes, reißendes Tier gebe, weder Wölfe
noch Bären, nicht einmal Eulen, daß der Eschenhain des
klarischen Apollon frei sei von Schlangen und allem schäd-
Das Götterland.
199
liehen Grewürm. Ja, es ging sogar die Sage von den Hainen
der Argeia und der aitolischen Artemis am Flusse Timavus,
daß dort alle Tiere zahm seien oder es sofort beim Betreten
würden, und Wölfe friedlich mit den Hirschen verkehrten. In
allen diesen Fällen handelt es sich weder um urzeitliche noch
endzeitliche Schilderungen, sondern um die Beschreibung eines
Götterlandes. Im Paradiese ist ja auch nach der israelitischen
Erzählung Jahve zu Hause, er lustwandelt in ihm (Gen. Ss),
und darum redet Ezechiel von dem Gottesgarten (28 13). Auch
in der eschatologischen Zeit soll Jerusalem wieder werden wie
Eden, wie der Jahvegarten (Jes. Öls). Weil das Paradies das
Götterland vorstellt, darum wird es mit all den farbenprächtigen
Zügen ausgestattet, die je die Dichter erdacht haben. Welche
Züge man besonders liebte, das war der Stimmung und dem
Geschmack des Einzelnen und der jeweiligen Generation unter-
worfen. Hier darf die psychologische Erklärung ihr Recht be-
anspruchen. Zunächst aber liegt eine Theorie zu Grunde, der
Glaube, daß an den Anfang der Welt das Götterland, der
Gottesgarten gehört, mag nun die ganze Erde so aufgefaßt sein
oder mögen die Götter in einem irdischen Hain sich ergangen
haben oder mag das Paradies allmählich in immer weiter ent-
fernte geographische oder gar mythische Gegenden und schließ-
lich in den Himmel verlegt sein. Wenn die Eschatologie den
Beginn der neuen Zeit mit denselben Farben malt wie den
Anfang dieser Welt, so folgt daraus, daß ihr die Erwartung
von der Wiederkehr des Paradieses geläufig ist oder wenigstens
einmal geläufig war. Man vermeidet es besser, in diesem Zu-
sammenhange von einem Paradies der »Endzeit« zu reden.
Denn in Wirklichkeit ist die Endzeit eine Urzeit, freilich die
Urzeit einer künftigen, neuen Welt, die kein Ende hat.
Ob Jesaja den eschatologischen Frieden nur für Palästina
oder für die ganze Welt erwartet hat, läßt sich nicht mit Sicher-
heit entscheiden!. Für ihn stand natürlich sein Land im Vorder-
grund des Interesses, und es mag ihm ferngelegen haben, über
die Tragweite der von ihm ausgesprochenen Idee nachzudenken.
Da sie aber wegen ihres mythischen Charakters kein Erzeugnis
1. Wenn man V. 9 ff. dem Jesaja abspricht, obwohl dies für V. 9
schwerlich berechtigt ist.
200 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
seines Geistes sein kann, sondern viel älter sein muß, so wird
bei der ursprünglichen Konzeption die ganze Welt gemeint sein.
Denn es wäre doch ein sonderbarer Gedanke, daß der Gottes-
fiiede nur in die Tierwelt Palästinas einziehen sollte. In dieser
Hinsicht stimmt Jesaja mit Hos. 2 20 überein. Wir werden jetzt
sagen dürfen, daß diese Stelle nach jener auszulegen ist. Der
»Bundesschluß« Jahves mit den Tieren bedeutet nicht, daß
Palästina fortan vor »Wildschaden, Vögel- und Insektenfraß«
geschützt sein, sondern daß die Natur der Tiere von Grund aus
verändert werden soll. Wenn das auch zunächst zu gunsten
Israels (»für sie«) geschieht, so ist doch diese Beschränkung
eine sekundäre Zutat, die zu der ursprünglichen Idee nicht paßt.
Jedenfalls ist es unerlaubt, den kurzen änigmatischen Ausdruck
Hoseas anders auszulegen als Jes. lleff., zumal das Nicht-
vorhandensein der Kriegs Waffen in gleicher Weise ein Charak-
teristikum, wenn auch nicht des biblischen Paradieses, so doch
des goldenen Zeitalters ist. Auch die Griechen glaubten, »daß
Schiffahrt, Gebrauch des Eisens, Krieg und die Künste des
erwerbenden Lebens den Stand der Unschuld noch nicht getrübt
hätten« (Usekek). Dieselben Züge finden sich in den Pseud-
epigraphen. Erst die bösen Engel haben die Urmenschen ver-
derbt und sie die Anfertigung von Mordinstrumenten gelehrt
(z. B. IHen. 8. 696).
In der Endzeit werden die Waffen wieder verschwinden.
Da werden die Völker umschmieden ihre Schwerter zu Pflug-
eisen und ihre Lanzenspitzen zu Winzerstangen. Nicht erheben
sie wider einander das Schwert und nicht mehr lernen sie Krieg
(Jes. 24. Mch. 43). Nicht nur Israel, sondern die ganze Welt wird
ein großes Friedensreich umspannen. Nicht nur die Assyrer
stecken ihr Schwert in die Scheide, sondern jeder mit Gedröhn
auftretende Stiefel und mit Blut befleckte'^ Mantel wird werden
zum Brande, zur Speise des Feuers (Jes. 94). Wagen, Kosse,
Kriegsbogen' werden aus Ephraim und Jerusalem vernichtet,
denn Jahve schafft den Völkern Frieden durch seinen Spruch
(Zach. 9 10). Daß dann auch die Festungen dem Erdboden
gleich gemacht, die Zaubermittel entfernt und die Götzen aus-
gerottet werden (Mch. öoff.), versteht sich am Ende von selbst.
1. Lies n^ss-a Bachmann.
Die Vernichtung der Waffen. 201
Im Lande Gottes darf es keine Dinge geben, an denen Jahve
Anstoß nehmen könnte. Dem Wachstum der religiösen Ein-
sicht entsprechend erwartet man zunächst nur das Verschwinden
der Bamoth (Am. 79) und der Baalbilder (Hos. 2 19), später
auch die Zerstörung der Ascheren und Mazzeben (Mch. 5i2f.).
Abgesehen von Hos. 2 20 ist uns der Gedanke des Bundes
noch nicht wieder begegnet. Er findet sich aber auch in einer
ähnlich klingenden Heilsweissagung Ezechiels: Und ich werde
meinen Friedenshund für sie abschließen und die gefährlichen
Tiere aus dem Lande beseitigen^ sodaß sie in der Wüste sicher
wohnen und in den Wäldern ruhig schlafen können (Ez. 3425;
vgl. Lev. 266. Jes. 359). Die Tiere sind^ ursprünglich wörtlich
gemeint wie die im Folgenden genannten segenspendenden Regen-
güsse. Ezechiel ist nicht auf diese Idee verfallen. Ihm kommt sie
so seltsam und fremd vor, daß er die Tiere (in V. 28) umdeutet
auf die Heidenvölker. Die dem Propheten vorliegende Tradition
berührt sich zwar mit Hos. 2 20. Jes. lliff., deckt sich aber
nicht mit diesen Stellen. Das Wegschaffen der Tiere aus dem
Lande ist wohl eine sekundäre Neuerung rationalistischer Art
gegenüber der alten Überlieferung, die von einer Umwandlung
aus der Wildheit zur Zahmheit wußte. Der Ausdruck Friedens-
hund ist zwar nicht unvei-ständlich im Munde Ezechiels, aber
jedenfalls nicht von ihm geprägt, da er die Anschauung voraus-
setzt, Jahve habe mit den wilden Tieren selbst einen Vertrag
geschlossen. Dem Propheten muß bereits die Erklärung des
Tierfriedens durch einen Friedensbund in der Tradition ge-
geben sein, da sie dem prophetischen Gottesglauben nicht an-
gemessen ist (vgl. 0. S. 195). Das Bundschließen ist hier kein
so zweideutiger Ausdruck wie bei Hosea, sondern kann nur in
eigentlichem Sinne aufgefaßt werden. Nicht überall wird der
Tierfriede auf einen Bund zurückgeführt. Das ist auch unnötig,
da er sich ohne weiteres aus den Vorstellungen vom Paradiese,
vom Götterlande erklärt. Darum dürfen wir seine Verknüpfung
mit der Bundesidee, wenn auch für alt, so doch für sekundär
halten.
Das Bundesmotiv ist mit den Geschichten der eschatologi-
schen Urzeit unlösbar verknüpft. Der beste Beweis dafür ist
1. trotz Bektholet und Kraetzschmar.
202 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Mal. 3i: SiehCj ich sende meinen Boten vor mir her, daß er vor
mir den Weg ebne, und plötzlich wird der Herr, den ihr sucht,
zu seinem Tempel kommen, und der Engel des Bundes, an dem
ihr Gefallen habt, siehe er kommt. Was dieser nur hier ge-
nannte Engel des Bundes genauer bedeutete, wissen wir nicht.
Nach Wellhausen ist es »Jahve selber, in verschämter Aus-
drucksweise oder in verhüllter Gestalt«, nach Keaetzschmar
(S. 237fiP.) der Schutzengel der Gemeinde, nach Smend^ (S. 124)
der »inmitten seiner Gemeinde Wohnung nehmende Jahve«.
Es liegt nahe, den rT^'nü ^Nb73 für den zum Engel Jahves
degradierten rr^in b^a anzusehen, der von den Sichemiten ver-
ehrt wurde (Jdc. 833. 94. 46). Es war wohl ursprünglich ein
Zsvg OQ'Mog, der die Verträge zu schützen hatte, die bei ihm
geschlossen wurden (Baudissin PRE^ s. v. Baal). Welche
Funktionen der von Maleachi erwähnte Bundesengel zu ver-
richten hatte, wird nicht gesagt. Nur so viel dürfen wir be-
haupten, daß es gewiß nicht eine zufällige Laune dieses Schrift-
stellers ist, wenn er ihn in Begleitung Jahves erscheinen läßt.
Hätte er diesen Zug erfunden, so würde er ihn begründet und
verdeutlicht haben. Der Verfasser spielt hier an Dinge an, die
seinen Zeitgenossen geläufig waren, die wir nicht kennen. Wo
der Bundesengel sich zeigt, wird auch ein Bund geschlossen.
Wie jener, so gehört auch dieser notwendig an den Anfang der
neuen Welt. Die Notiz bei Maleachi lehrt uns, wenn sie auch
erst aus später Zeit stammt, grade durch ihre Unverständlichkeit
und Abruptheit, daß der Gedanke von dem neuen Bunde sehr
viel älter ist.
Als die Sintflut vorüber ist, errichtet Gott nach dem
Priesterkodex einen Bund mit den Menschen, daß niemals
wieder alles Fleisch vertilgt werden soll von Wassern der Sint-
flut, und keine Sintflut mehr kommen soll, die Erde zu verderben
(Gen. 9 11). Der Bund ist also seinem Inhalte nach ein Ver-
sprechen. Der Jahvist hat zwar den Ausdruck Bund nicht,
aber die Worte, die er Jahve bei sich selbst sprechen läßt, sind
ein Versprechen und besagen dasselbe: Fortan sollen, solange
die Erde steht, nicht mehr aufhören Säen und Ernten, Frost
und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht (Gen. 822).
Völhg parallel dazu verheißt Deuterojesaja für die neue Zeit:
Wie in den Tagen Noahs ist mir dies. Wie ich geschworen
Der neue Bund. 203
habe, daß Noahs Wasser nicht mehr über die Erde kommen, so
habe ich geschworen, dir nicht zu zürnen und dich nicht zu be-
dräuen. Mögen auch die Berge weichen und die Hügel wanken,
meine Gnade soll nicht von dir weichen, mein Friedensbund
nicht wanken (Jes. 54 9f.). Die Parallelisierung der Zeit nach
dem Exil mit der Zeit nach der Sintflut könnte man für eine
geistreiche Idee des Verfassers erklären oder gar für »eine
Frucht aus der Lektüre des Jahvisten« halten (Duhm), obwohl
dieser weder von einem Schwur noch von einem Friedensbunde
redet. Aber Deuterojesaja ist auch sonst davon durchdrungen,
am Anfang einer neuen Zeit zu stehen. Von diesem Bewußt-
sein aus, die Wende zweier Welten zu erleben, muß er gradezu
verstanden werden: Das Frühere, fürwahr, es ist geschehen und
Neues tue ich kund (Jes. 429).
Zunächst muß es auffallen, daß der Verfasser den Jahve
einen Schwur tun läßt, er werde nie wieder ein Exil über Israel
verhängen. Das ist um so wunderbarer, als jede innere Be-
gründung fehlt. Einem Frommen lag es gewiß nahe, Gott um
Gnade für Israel zu bitten, und er mochte der Erhörung gewiß
sein, solange er sich bewußt war, mit der Gesamtheit des Volkes
den Willen Jahves zu erfüllen. Aber hier wird ohne jede Be-
dingung und ohne jede Rücksicht auf eine künftige mögliche
Sünde Israels ewige Huld (548) verheißen. Dieses Wort erklärt
sich nur aus dem Glauben des Verfassers, am Anfang einer
neuen Epoche zu stehen. Zu einer neuen Zeit gehört ein neuer
Bund. Darin zeigt sich die schwännerische Begeisterung der
Propheten, die der gegenwärtigen, zeitweiligen und vorüber-
gehenden Not eine ewig dauernde Begnadigung in Zukunft
gegenüberstellt 1. So heißt es auch Jes. 553: Gewähren will ich
einen ewigen Bund, beständige Gnadenerweisungen für David.
Wenn ein König den Thron bestieg oder bei sonstigen feier-
lichen Gelegenheiten, forderte der Hofstil, daß man ihm und
seinem Hause ewige Dauer verkündete (Ps. 45?). Man liebte
es, diesen Wunsch in ein Versprechen Jahves zu kleiden
(II Sam. 7 16). Der ewige Bund d. h. die für alle Zeiten gül-
tige Verheißung Jahves wird hier nicht zunächst dem davidi-
1. Auf diese psychologische Vermittlung hat mich Gunkel hin-
gewiesen.
204 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
sehen Könige (wie Jer. 332off.), sondeni dem Volke zu teil.
Dieselbe Anschauung wird Jes. 592i. 61 8. Ez. 166ofF. 3726 aus-
gesprochen. Sie besagt, daß das Kriegsbeil zwischen Jahve
und Israel begraben wird. Ein Friedenshund wird geschlossen.
Jahve verpflichtet sich feierlich, niemals wieder seinem Volke
zu zürnen, nie wieder eine Katastrophe heraufzuführen, sondern
■ewige Gnade und Huld zu gewähren : Ich mache mit ihnen einen
ewigen Bund, daß ich nicht aufhören will, mich ihrer zu erbarmen^
indem ich ihnen wohltue (Jer. 32 4o).
In allen diesen Fällen ist die ursprüngliche Idee umge-
deutet worden, wie aus dem ältesten Belege geschlossen werden
darf: Siehe, Tage kommen, spricht Jahve, da mache ich mit
dem Hause Israel und dem Hause Juda einen neuen Bund
. . . Legen will ich mein Gesetz in ihr Inneres und auf ihr
Herz es schreiben, und ich will ihnen zum Gott und sie sollen
mir zum Volk sein. Dann belehren sie nicht mehr einer den
anderen und ein Bruder den Bruder mit den Worten: »Er-
kennet Jahve«, denn sie werden mich erkennen, klein und groß
(Jer. 3l3iff.). Dem alten, mit Mose errichteten, in geschriebene
Oesetze gefaßten Bunde gegenüber verheißt hier Jeremia zum
ersten Male einen neuen Bund, der nicht äußerlich auf Tafeln
eingegraben, sondern innerlich ins Herz hineingemeißelt wird.
Seine Worte sind ein denkwürdiger Protest gegen Gesetzrollen
und Buchreligion. Mögen diese Dinge auch in der Gegenwart
zu Recht bestehen, dennoch sind sie minderwertig und ver-
gänglich, und müssen in der herrlichen Zukunft einem höheren
Ideale weichen. Wenn die neue Zeit anbricht, verschwinden
alle Satzungen und Statuten, die den Menschen doch nur
äußerlich zwingen. An ihre Stelle tritt die innere geistige Er-
kenntnis Gottes, die weder auf Buchstaben noch auf Belehrung
beruht. Dazu muß der Mensch von Grund auf umgewandelt
werden, und diese Umwandlung führt der Prophet zurück auf
einen neuen Bund, während spätere Schriftsteiler von einem
neuen Herzen oder Geiste reden (Ez. 11 19. 3626. Ps. 51 12).
Sehen wir zunächst einmal von dem Bunde ab, so finden
wir denselben Gedanken, daß die Menschen der Heilszeit voll-
kommen sind, auch anderswo. Z. B. Jes. 11 9: Nicht handelt
1. Lies D'an-i'o ratös sV Giesebrecht.
Die Umwandlung des Menschen. 205
an böse noch verderbt auf meinem ganzen heiligen Bergland
(= Jes. 6025). Denn voll ist das Land von Erkenntnis Jahves^
wie Wasser das Meer bedecken (= Hab. 2i4). Wenn der Er-
löser aus Zion kommt und den Abfall aus Jakob entfernt^
schließt Jahve einen Bund mit ihm: Mein Geist, der auf dir
ist, und meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt, nicht
werden sie weichen aus deinem Munde, aus dem Munde deines
Samens und aus dem Munde des Samens deines Samens vorir
nun an bis in Ewigkeit (Jes. 59 21). Die Israeliten werden
nicht nur fromm 1, sondern sie werden auch, wie Joel 3iff. in
grotesker Weise ausführt, insgesamt zu Propheten: Und darnach
will ich meinen Geist über alles Fleisch ausgießen, und eure
Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Greise sollen Träume
haben, eure Jünglinge Gesichte sehen. Und auch über die
Knechte und Mägde will ich in jenen Tagen meinen Geist aus-
gießen. Diese Hoffnung eines Epigonen (Giesebeecht) stammt
aus einer Zeit, wo Ekstasen, Träume und Gesichte selten waren
und wo man sie allen Menschen, selbst den Dienstboten, an-
wünschte. Ebenso wie die Psyche wird auch die Physis des
eschatologischen Menschen verändert. Die Langlebigkeit der
Urzeit kehrt wieder. Wer jung stirbt, wird als Hundertjähriger
dahingerafft (Jes. 6620. Zach. 84). Auch diese Idee erklärt sich
aus der Anschauung vom Paradiese. Im Lande der Götter
fühi-t man ein sehges, sündloses und vor allem längeres Leben
als hier auf Erden, ja nach später bezeugter, aber älterer Vor-
stellung hat der Tod überhaupt kein Existenzrecht mehr in der
neuen Zeit (Jes. 208).
Wir haben nachgewiesen, daß an manchen Stellen unab-
hängig von einander die Umwandlung der Tier- und Menschen-
welt auf einen Bund zurückgeführt wird. Dies Zusammen-
treffen kann nicht zufällig, sondern muß in der Natur der
Sache begründet sein. Aus der Bundesidee ist die genannte
Umwandlung nicht zu erklären, jene ist also das Sekundäre,
diese das Primäre. Vielmehr ist hier, um die aus der Idee
des Götterlandes völlig verständHche Umwandlung zu be-
gründen, ein Motiv aus dem Rechtsleben aufgegriffen. Die
Bundschließung ist zunächst ein juristischer Akt, unter reli-
1. Weitere Stellensammlungen bei Schultz'^ S. 583 f.
206 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
giösen Zeremonien vollzogen. Wenn zwei Parteien mit ein-
ander streiten, so wird die Sache beglichen durch einen
Vertrag, an den beide Teile samt Kind und Kindeskindern
gebunden sind. Das friedliche Zusammenleben verschiedener
Leute, Stämme und Städte, wir würden sagen, die Ordnung in
einem E-echtsstaate beruht auf dem »Bunde«. Das ist nicht
nur auf das Verhältnis der Staaten unter einander, sondern
auch vom Mikrokosmos auf den Makrokosmos übertragen. Die
Frage: Wie kommt es, daß Menschen, Tiere, ja die ganze
Natur bestimmten Gesetzen Untertan sind? wird beantwortet
durch die Idee des Bundes. Der Gedanke des abstrakten
Naturgesetzes ist nicht erreicht; die Regelmäßigkeit der Er-
scheinungen erklärt man sich durch einen Vertrag, auf den sich
alle Naturwesen verpflichtet haben. Man darf nicht weiter
fragen, wie dieser Vertrag zustande gekommen ist. Die Volks-
mythologie ist fragmentarisch. Sie begnügt sich, eine Einzelheit
zu konstatieren, ohne sie genauer auszuführen. Wenn die Sonne
das Auge eines Gottes ist, so kümmert sich das Volk nicht
weiter darum, wo nun die Hand sein mag. So wird man sich
anfangs darauf beschränkt haben, von einem Bunde der Gott-
heit mit Menschen und Tieren zu sprechen. Wenn Jahve
(nach Jer. 8820. 25) einen Bund hat mit Tag und Nacht, so
liegt hier eine »starke Abgebrauchtheit der Bundes Vorstellung«
vor (Giesebkecht). Spätere Schriftsteller, die über diese Idee
bereits reflektieren, wissen dann von einem Eide zu erzählen,
den die Dinge, z. B. die Sterne, der Gottheit geschworen haben
(IHen. 69 160'.). Die alte Zeit denkt naiver.
Die Übertragung der Bundesidee vom Mikrokosmos auf
den Makrokosmos ist als ursprünglich israehtisch nicht zu be-
greifen. Denn sie setzt ein Interesse an der Kosmologie vor-
aus, das die Israeliten kaum je gehabt' haben. Die Ahnung
der Naturgesetze kann nur in einem Volke entstanden sein, das
wissenschafthche Beobachtungen anstellte und wissenschaftliches
Denken besaß. Beides fehlte den Israeliten. Wir müssen zu-
frieden sein, den außerisraelitischen Ursprung dieser Anschauung
zu behaupten, da sich nichts Näheres über die Herkunft aus-
machen läßt.
Die Fessel des Bundes (Ez. 20 37), die den Menschen, Tieren
und Dingen der neuen Zeit angelegt wird, ist das Gegenbild
Der neue Bund. 207
zu der vorhergehenden Auflösung des Bundes und Entfesselung
der Naturgewalten am Ende der Tage. Wenn Israel getadelt
wird, weil es den Bund gebrochen habe (Jer. llio. 142i. Ez. 447),
so ist das ohne weiteres verständlich. Denn die Sünde des
Volkes, um derentwillen es gestraft wird, gilt als eine Über-
tretung des Bundes, den Jahve mit ihm am Sinai geschlossen
hat. Auffälhger ist das Wort Jahves: Und ich nahm meinen
Stab: Huld, und zerbrach ihn, um meinen Bund zu vernichten,
den ich mit allen Völkern geschlossen habe (Zach. 11 lo). Aus
der uns geläufigen Vorstellung vom Bunde, der speziell zwischen
Jahve und Israel stattgefunden hat, ist das nicht begreiflich.
Mit allen Völkern hat Jahve nach israelitischer Anschauung
nie einen Bund gehabt. Hier wirkt die außerisraelitische Idee
nach, die alle Ordnung unter den Menschen und in der Welt
überhaupt auf das Bestehen eines Bundes zurückführt. Wird
er aufgehoben, so beginnt ein allgemeiner Wirrwar, eine Un-
ordnung, die zum Kampf aller gegen alle und zur endlichen
Weltkatastrophe hinüberleitet. Dieser Bund ist von dem mosa-
ischen gewöhnhch unterschieden durch das Beiwort ewig, da er
aus der Urzeit stammt: Es trauert, verfällt die Erde, verwelkt,
verfällt die Welt, verwelkt der Himmel samt^ der Erde, da die
Erde entweiht ist unter ihren Bewohnern. Denn sie übertraten
die Gesetze, überschritten die Satzung, brachen den ewigen Bund
(Jes. 24 4f). Hier wird der Bund durch die Menschen, an der
vorher zitierten Stelle durch Jahve gelöst. Beides ist im Grunde
dasselbe, obwohl die ursprüngliche Idee damals schon nicht
mehr klar gewesen sein mag: Alle Ordnung hört auf. Soll sie
wiederhergestellt werden, so muß am Anfang der neuen Welt
ein neuer Vertrag geschlossen werden, auf den Gottheit und
Menscheit, ja auch die Natur sich verpflichtet. Später redet
man zwar noch von dem neuen Bunde, aber der ursprüngliche
Sinn ist umgebogen worden, wie im Vorhergehenden ausgeführt ist.
§ 19. Die Umwandlung der Natur.
H. Usener: Milch und Honig (im Kheinischen Museum für Philo-
logie N. r. Bd. 57) S. 177ff. B. Stade: Ein Land, wo Milch und
Honig fließt (ZATW. 1902) S. 321 ff. J. Goldziher: Milch und Honig
(Mitteilungen des Deutschen Palästinavereins 1903) S. 73 f.
1. Lies uy a^i'a Gunkel.
208 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Neben der Umwandlung der Menschen und Tiere, die
bereits im vorigen Paragraphen besprochen ist, geht eine völlige
Veränderung der Natur in der neuen Zeit vor sich. Hier
lassen sich zwei Schemata unterscheiden, deren Inhalt in mannig-
facher Weise variiert.
Das erste lautet: Palästina wird durch die Katastrophe
zu einer Wüste gemacht. In der Heilszeit wird das verwüstete
Palästina wieder fruchtbar werden. Beide Glieder dieses
Schemas korrespondieren mit einander, obwohl sie meist nicht
mit einander verbunden, sondern von einander getrennt sind.
Die Verödung des Landes, dessen grausige Einsamkeit oft in
typischer Art durch das Überhandnehmen wilder Tiere ge-
schildert wird (vgl. 0. S. 90 f.), ist ein so beliebtes Thema der pro-
phetischen Rede, daß nicht näher darauf eingegangen zu werden
braucht. Zwei Beispiele dürften zur Illustration genügen: Und
geschehen wird es an jenem Tage, man hält eine kleine Kuh und
zwei Schafe .... Jeder Ort, tco tausend Rebstöcke für tausend
Silberlinge stehen, wird den Dornen und Disteln zu teil . . . Und
alle Berge, die mit der Hacke behackt werden, nicht kommt man
dahin aus Furcht vor Dornen und Disteln, und dienen wird
es zur Austreibung des Stieres und zur Zertretung des Schafes
(Jes. 72iff.). Das Charakteristikum der Wüste sind Dornen und
Disteln. Das Land verödet, die Einwohner verarmen. Man be-
gnügt sich mit einer kleinen Kuh und zwei Schafen. Die Speise
des Nomaden ist die einzige Nahrung, Getreide und Weinbau,
die Bestellung des Ackers hört auf. Zittert, ihr Sorglosen, bebt,
ihr Vertrauensseligen, zieht euch nackt aus, umgürtet die Lenden,
schlagt auf die Brüste^, über die Felder der Lust, den frucht-
tragenden Weinstock, über den Acker meines Volkes, der in
Dornen und Disteln aufgeht, ja über alle wonnigen Häuser der
lustigen Stadt, Denn der Palast ist verlassen, der Stadtlärm
verödet, Hügel und Warte ist geworden zur Blöße^ auf immer,
zur Wonne der Wildesel, zur Weide der Herden (Jes. 32iiff.).
Die Weiber sollen die Totenklage anstimmen über die Trümmer
Jerusalems und des Landes.
Diese Schilderungen sind verständlich aus dem Glauben
1. Vgl. die Kommentare.
2. Lies n-i^'o und vgl. Duhm.
Die Umwandlung Palästinas. 209
der Propheten an die Vernichtung Israels durch die Invasion
eines fremden Feindes. Als korrespondierendes Gegenstück
sind die Gedichte zu betrachten, die die künftige Fruchtbarkeit
Palästinas ausmalen: Und dann an jenem Tage will ich will-
fahren^ spricht Jahve, will ich willfahren dem Himmel, und der
wird der Erde tvillfahren, und die Erde wird dem Getreide,
Most und Ol willfahren, und sie werden Jizreel (= Israel) will-
fahren (Hos. 223f.). Derselbe Gedanke wird Jes. 42 so wieder-
gegeben: Und an jenem Tage wird gereichen der Sproß Jahves
zur Zierde und zur Ehre, und die Frucht des Landes zur
Hoheit und zum Schmuck den Entronnenen Israels. Der Sproß
Jahves (mn*^ ^'^^)j der hier in Parallele mit der Frucht des
Landes steht, muß mithin dasselbe besagen. Diese Benennung
des Getreides stammt wohl aus der kanaanäischen Religion und
lautete, wie man vielleicht vermuten darf, ursprünglich b^n nü32.
Was die Erde sprossen läßt, gilt als eine Gabe des Baal.
An anderen Stellen nun sind mit der Schilderung der
künftigen Fruchtbarkeit Palästinas eigenartige Züge verknüpft,
die nicht ohne weiteres verständlich sind. Beachten wir zu-
nächst, wie von den Prosaikern als Lohn der Gottesfurcht und
Tugend eine Segenszeit verheißen wird: Wenn ihr diese Rechte
gehorsam befolgt, .... wird er deine Leihesfrucht und deine
Feldfrucht, dein Getreide, deinen Most und dein Öl, den Wurf
deiner Binder und die Tracht deines Kleinviehs in dem Lande
segnen (Dtn. 7 12 vgl. 28 sf.) oder: .... 50 will ich euch jedesmal
zur rechten Zeit Regen senden, daß der Boden seinen Ertrag
gebe, und die Bäume auf dem Felde ihre Früchte tragen; da
soll sich hei euch die Dreschzeit bis zur Weinlese hinziehen und
die Weinlese bis zur Saatzeity daß ihr Brot in FiUle zu essen
habt (Lev. 26 4f.). Alle diese Verheißungen setzen keine Wunder
voraus, sondern halten sich innerhalb der Schranken des Mög-
lichen, genauer des Bestmöglichen, ebenso wie die beiden obigen
Beispiele aus den eschatologischen Weissagungen. Anders
lautet Am. 9 13: Denn, siehe, Tage kommen, sagt Jahve, da
reiht sich der Pflüger an den Schnitter und der Trauhenkelterer
an den Säemann, da werden die Berge von Most triefen und
alle Hügel fließen. Und Jo. 4i8: An jenem Tage werden die
Berge von Most triefen und die Hügel von Milch fließen. Aus
den Zusammenhängen, in denen diese Verse stehen, erhellt,
Forschungen zur Rel. u. Lit. d. A. n. NT. 6. 14
210 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
daß die künftige Fruchtbarkeit auf Palästina beschränkt bleiben
soll. Man könnte nun das Triefen der Berge von Most und
das Überfließen der Berge von Milch für einen prophetisch-über-
schwänghchen Ausdruck erklären, der nur das ungeheure Ge-
deihen anschauhch illustrieren soll. Die Schriftsteller, die uns
diese Worte überliefert haben, werden sie sicher in diesem Sinne
aufgefaßt haben, aber damit ist die Entstehung dieser Bilder
noch nicht deutlich. Das Bild der von Most triefenden Berge
kann schwerlich begriffen werden aus der orientalischen Phan-
tasie, als ob sie angeregt wäre durch die auf den Bergen
wachsenden Bebstöcke, da die Phantasie in ganz anderer Weise
arbeitet. Das zeigen die milchtriefenden Hügel, die aus einer
Naturanschauung schlechterdings nicht erklärt werden können.
Die Bilder verlieren alles AuffäUige, wenn es Mythen oder
mythische Vorstellungen gab, wonach die Gottheit oder eine
Gottheit Milch aus den Bergen oder aus der Erde überhaupt
hervorzuzaubern vermochte. Aus dem Alten Testamente kennen
wir nur eine Anspielung auf solche Geschichten. Dtn. 32 13
heißt es: Er (Jahve) ließ ihn (Israel) dahinfahren auf den
Höhen der Erde und ließ ihn genießen^ die Früchte des Feldes.
Er ließ ihn Honig saugen aus dem Felsen und Öl aus Kiesel-
gestein. Man hat hier daran erinnert, daß es in den felsigen
Schlupfwinkeln z. B. der Wüste Juda noch heute viel Honig
gibt, daß die Ölbäume auf den Bergen Palästinas wild wachsen
und daß das Öl in Keltern getreten wurde, die meist in
den Felsen gehauen waren. Aber damit ist diese Stelle
nicht erklärt. Welche Anknüpfungspunkte in der Natur finden
sich denn für die milchtriefenden Berge? Aus Felsen und
Kieselgestein sprudelt uns sterblichen Menschen das Wasser
der Quelle, und nur im Märchen oder Mythus fließt statt dessen
Honig und Öl, von der gütigen Fee oder der Gottheit hervor-
gezaubert. Beachtenswert ist die Art der Eingangsworte: Hier
sind die Dinge, die sonst von der Gottheit ausgesagt werden,
auf Israel übertragen. Einem Gotte gleich schreitet Israel
dahin über die Höhen der Erde (vgl. Am. 4 13. Mch. I3)!
Vielleicht liefen in Israel oder noch früher in Kanaan ähnhche
Geschichten imi, wie wir sie aus Griechenland hören: »Die
1. Lies in^-'ss"^ mit LXX.
Milch und Honig. 211
Gegenwart des Dionysos auf Erden äußert sich neben anderen
Wundern dadurch, daß von selbst Milch und Honig fließt, um
die Durstenden zu laben. Von Milch fließt der Boden und
vom Nektar der Bienen: so dünkt es den Bakchantinnen, wenn
sie die Gegenwart des Gottes fühlen .... Schon bei der
Geburt des Dionysos hebt Philostratos es hervor, daß die Erde
selbst sich an seinem Schwärmen beteiligen werde, indem sie
ihm gewähre, Wein aus Wasserquellen zu schöpfen und Milch
wie aus Brüsten bald aus einer Ackerscholle, bald aus einem
Felsen zu ziehen .... Aus dem sprödesten Stoff vermag der
Gott das süße Naß hervorzuzaubern« (Usenee S. 177). Vor-
stellungen, die mit diesen griechischen Mythen zwar nicht
identisch, wohl aber ihnen verwandt sind, müssen auch da ge-
herrscht haben, wo man glaubte, die Berge würden von Milch
triefen. Die Form, in die Amos und Joel ihren Gedanken
kleiden, ist längst vor ihnen geprägt, und ein Streit um die
Priorität des einen vor dem anderen ist hier überflüssig i. Beide
haben ihre Züge einem bereits vorhandenen Stil entlehnt.
Dieser Stil besteht darin, den Anbruch einer neuen Zeit mit
den Farben des Götterlandes zu schildern.
Milch und Most, oder wie es gewöhnlich heißt, Milch und
Honig sind Göttergaben und gehören zu den Dingen des Götter-
landes. Das geht erstens aus den Pseudepigraphen hervor:
Denn die allesgehärende Erde wird den Sterblichen geben die
beste unermeßliche Frucht von Korn, Wein und Ol; aber vom
Himmel herab lieblichen Trank süßen Honigs, . . . und die Erde
wird hervorbrechen lassen süße Quellen weißer Milch (Sib. HI
744ff.). Der Honig, der aus dem Himmel stammt, ist die Speise
der Götter (Usener). Aber die heilige Erde der Frommen allein
wird alles dies hervorbringen, als Naß Honig träufelnd vom
Felsen und von der Quelle, und ambrosische Milch wird fließen
allen Gerechten (Sib. V 281ff.). Darum findet man dies köst-
HcheNaß auch im Paradiese: Und es gehen hervor zwei Quellen,
welche fließen lassen Honig und Milch, und ihre Quellen lassen
fließen Ol und Wein, und sie teilen sich in vier Teile und um-
gehen mit stillem Lauf, und sie gehen herab in das Paradies
Edems, zwischen Verweslichkeit und ünverweslichkeit (H.Hen.Söf.).
1. Übrigens ist Amos 9i3 nach Jo. 4i8 zu korrigieren.
14*
212 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Zweitens hat üsener durch viele klassische Belege gezeigt, »daß
zu den Vorstellungen, womit das Götterland und, was damit
wesensgleich ist, der Aufenthalt der Seligen, das Paradies oder
der Ort des goldenen Zeitalters, ausgestattet wurde, seit alters
auch gehörte, daß es ein Land sei, wo Milch und Honig fließt.
Damm kündigt sich durch dies Wunder der Gott an, der durch
seine Gegenwart den Himmel auf Erden zaubert, Dionysos«
(S. 192). Durch die schon dem Jahvisten geläufige Bezeichnung
Palästinas als des Landes, wo Milch und Honig fließt (Ex. 3 8. 17.
135. 333. Lev. 2O24. Jer. II5. 3222. Ez. 206. 15 u. a.), wird
diese Vorstellung als altisraelitisch erwiesen 1.
Die Sehnsucht des Menschen denkt sich begreiflicher Weise
den Himmel als einen märchenhaft schönen Ort, wo es unter
anderem auch wunderbare Speisen wie Ambrosia und Nektar
und herrhche Nahrung gibt. Je nach dem Klima, in dem der
Antike lebt, wird er das Götterland mit den verschiedenen Ge-
nüssen ausstatten, die er kennt. Nun wird man Milch und
Honig als Speisen wohl fast überall geschätzt haben, sodaß es
von hieraus schwer ist zu entscheiden, ob diese Ausmalung des
Paradieses ursprünglich israelitisch ist oder nicht. Die alt-
israelitischen Paradieserzählungen wissen nichts von
1. Es ist wichtig zu betonen, daß diese Phrase in den Urmythen
und Patriarchensagen fehlt. »Sie taucht mit der Ausführung aus
Ägypten auf und steht in den Pentateuchquellen wie in den zitierten
Stellen der Bücher Jeremia und Ezechiel immer in Beziehung zu dieser
Situation« (Stade). Kanaan wird damit als das Götterland der Wüste
gegenübergestellt. Diesen Sinn muß die Benennung ursprünglich einmal
gehabt haben, er ist aber verloren gegangen. Das Land, wo Milch und
Honig fließt, ist weiter nichts als ein technischer Ausdruck für das
»Land der Verheißung«. Nirgends, wo er uns im Alten Testamente be-
gegnet, ist er mehr lebendig. Aber, so viel ist doch sicher, er muß
es einmal gewesen sein. Fragen wir: Wo? so kann die Antwort lauten:
in der mündlichen Überlieferung oder in verlorenen Liedern einer älteren
Zeit. Eine Einwanderung der Phrase im 8. oder 7. Jahrhundert (Stade)
ist unmöglich, da grade um diese Zeit der technische Sinn bereits
nachweisbar ist. Man denkt nicht mehr dabei ans Götterland, man
verwendet den Ausdruck nicht mehr bei den Paradieserzählungen, son-
dern er ist beschränkt auf Kanaan, das Land der Verheißung. So ist
es begreiflich, daß man auch die eschatologischen Eedewendungen von
»Milch und Honig« nicht versteht, sondern beinahe ins Gegenteil ver-
dreht (s. 0.}.
Milch und Honig. 213
Milch und Honig, und das ist wohl zu beachten. Einen
besseren Prüfstein aber haben wir am Kultus. Als typische
Götterspeise gilt in Israel weder Milch noch Honig,
sondern Blut und Fett. Denn nur diese Dinge spendete man
der Gottheit. Milch wurde bei den Israeliten überhaupt nicht
zu Libationen verwendete Die Darbringung des Honigs ist,
wie man aus Ez. 16 19. Lev. 2 11. II. Chr. 31 5 schheßen darf,
»aus einem palästinischen Kult in den Jahvekult zeitweihg^ ein-
gedrungen, aber wieder ausgeschaltet worden« (Stade). Wir
müssen hier demnach mit einem fremden Einfluß rechnen, der
sich aus den folgenden Erwägungen noch wahrscheinlicher
machen läßt.
Jes. 72iff. wird eine Schilderung des verödeten und ver-
armten Landes in der eschatologischen Zeit (an jenem Tage)
gegeben: Man hält sich eine kleine Kuh und zwei Schafe; die
unerschwingUch teueren Weinstöcke verschwinden; das ganze
Land wird voll von Domen und Disteln; auf die Berge, die sonst
dem Ackerbau dienen, treibt man Stiere und Schafe. Mitten
dazwischen heißt es: Denn Sahne und Honig wird essen jeder
Übriggebliebene im Lande (V. 22). Im jetzigen Zusammen-
hange können Sahne und Honig nur die Speise des Nomaden
bedeuten und als Zeichen derArmut aufgefaßt werden. Das
ist sehr auffällig; denn, wie wir im Vorhergehenden gesehen
haben, hat das Land, in dem Milch und Honig fließt, allezeit
und mit Recht als ein Typus des Reichtums gegolten, einerlei
woher die besprochene Redensart stammen mag. Überdies ist
auch für den Beduinen Milch und Honig keineswegs die all-
tägHche, kärghche Nahrung und keineswegs für ihn charakte-
ristisch, sondern auch ihm dient die Kombination von Milch
und Honig (oder Honig und Wasser) »zur Bezeichnung des
Überflusses« (Goldzihbb). Schon einem Glossator kam der
jesajanische Text sehr unwahrscheinlich vor. Er glaubte, we-
nigstens die Sahne anders erklären zu müssen, als es der Zu-
sammenhang fordert, und fügte dämm hinzu: Und geschehen
wird es, ob der vielen geronnenen Milch ißt man Sahne (Y. 22).
1. Doch vgl. W. K. Smith S. 167 Anm. 327 zu Ex. 23 19. 3426.
2. Über die anderslautende Notiz des Theophrastos vgl. Büchler
ZATW XXII S. 202 ff.
214 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Damit ist er dem alten Sinn um ein gut Stück näher gerückt,
wenn er ihn auch nicht ganz getroffen hat. Man sieht, der
Zug stand fest, die Überlieferung war gegeben: »Die Übrig-
gebliebenen der neuen Zeit essen Honig und Sahne«. Die
Späteren verstanden ihn nicht mehr, sie suchten sich damit ab-
zufinden, indem sie ihn umdeuteten, bald so bald anders. Für
uns, die wir die Parallelen überschauen, kann die ursprüngUche
Meinung nicht zweifelhaft sein. Wenn die Übriggebliebenen
Sahne und Honig essen, so sollen sie dadurch als Teilnehmer
am Göttermahle dargestellt werden. Aus Jes. 256 haben wir
bereits (vgl. o. S. 134) dieselbe Anschauung kennen gelernt, nur
sind hier die ausländischen Speisen des Mythus durch inländische
ersetzt worden. Sahne und Honig sind durch Fettspeisen und
Hefenweine verdrängt.
Wer den göttlichen Trank trinkt und die göttliche Nah-
rung kostet, wird göttlich, wird vergottet. Die Unsterblichkeits-
speise, die sonst nur den Göttern vorbehalten ist, wird dann
den Sterblichen gereicht und macht sie unsterblich. Nach grie-
chischem Glauben kommt den »im glückhchen Jenseits woh-
nenden Geistern die Speise der Götter zu. In einem Zauber-
buche .... wird angeordnet: Nimm die Milch mit dem Honig
und trink davon . . ., dann wird etwas Göttliches in deinem Herzen
sein« (UsENEE S. 192). In Israel wird das zwar nirgends gesagt
und mag in historischer Zeit nicht mehr behauptet sein, ursprüng-
lich aber ist es als notwendige Folge mit der Ursache gegeben.
Man begnügt sich später damit, die körperliche und geistige
Vollkommenheit (vgl. o. S. 204) und die Heihgkeit des neuen
Israel zu erwarten (Jes. 43. 62 12. Jo; 4 17). Jerusalem wird dann
heißen die Stadt Jahves, das Zion des Heiligen Israels (Jes. 60 u).
Die Israeliten werden Priester Jahves (Jes. öle) oder heiUger
Same (Jes. 613) genannt. Unreine dürfen die heilige Stadt nicht
mehr betreten (Jes. 52 1); denn jede Unreinheit wird entfernt
(Zach. 13iff.). Ja, selbst die Leichenfelder und Totentäler
(Jer. 31 40), die Roßschellen und Töpfe in Jerusalem und Juda,
die bis dahin in höchstem Maße unrein waren 1, werden dem
Jahve der Heerscharen geheiHgt (Zach. 142i). Zwar gilt schon
das gegenwärtige Israel als heihg, aber doch nur in abge-
1. Warum? weiß ich nicht.
Milch und Honig. 215
schwächten! Sinne, die vollkommene Heiligung, die bald mehr
rituell, bald mehr sittHch gedacht wird, geschieht erst am Tage
Jahves.
Jes. 7 15 endhch heißt es von der Nahrung des Immanuel:
Saline und Honig wird er essen, um die Zeity wo er weiß,
das Böse zu verschmähen und das Gute zu wählen. Wiederum
haben wir frappante Parallelen in der griechischen Mythologie:
»Das Zeusknäblein wird auf Kreta durch Milch und Honig
ernährt. Dem kleinen Dionysos netzt Makris, als Hermes
ihr ihn gebracht, die trockene Lippe mit Honig. Und den
jungen Achilleus zieht Cheiron mit Milch, Mark und Honig
auf« (ÜSENEß S. 178 f.). Jesaja hat diese Nahrung, wie aus
V. 16 und 21 ff. hervorgeht, als Nomadenspeise gedeutet, obwohl
sie durchaus nicht für den Beduinen typisch ist. Aus diesem
Grunde müssen wir annehmen, daß der besprochene Zug ihm
überliefert war und von ihm, vielleicht absichtlich (vgl. § 13 f.),
vielleicht unabsichtlich, ins Gegenteil verdreht worden ist. Jeden-
falls ist- er ursprünglich nicht für eine Schilderung geschaffen,
die bestimmt war, die Verarmung des Landes und der Ein-
wohner zu zeichnen. Er konnte auch schwerlich in dieser Weise
verwandt werden, wenn er damals noch lebendig war.
Von verschiedenen Gesichtspunkten aus sind wir dazu ge-
drängt, die Erwähnung von Milch und Honig in den eschato-
logischen Weissagungen für außerisraehti sehen Ursprungs zu
halten. Man könnte sich begnügen, auf die Kanaaniter zu re-
kurrieren, wenn deren Religion als ein einheimisches Gewächs
zu betrachten wäre und weiter keine Mittel zur Rekonstruktion
der Geschichte zur Verfügung ständen. Hier aber dürfen wir
babylonische Herkunft mit Wahrscheinlichkeit behaupten. Denn
in Babylonien galt Honig als Götterspeise und dort spielte er
eine Rolle im Kultus. In babylonischen Ritualtexten wird häufig
ein Gemisch aus Honig und Dickmilch genannt, das nament-
lich bei der Weihe neuer Götterbilder gebraucht ward (KAT^
S. 526). Von dort scheinen der Ritus und die damit verbun-
denen mythischen Vorstellungen nach Arabien, Palästina, Ägypten
und Griechenland gewandert zu sein.
Ein zweites Schema lautet: Die Wüste wird in einen
Baumgarten verwandelte Es unterscheidet sich von dem vor-
1. Vgl. Gunkel: Genesis-^ S. 31 f.
216 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
hergehenden namentlich darin, daß das korrespondierende Glied
fehlt, d. h.: Hier wird nicht Jerusalem oder Palästina oder sonst
ein Ort vorher erst zu einer Wüste gemacht, sondern die Wüste
ist bereits da. Israel wird in sie hineingeführt, und nun beginnt
der Wechsel der Szenerie. Dies zweite Schema ist mit Vor-
liebe von Deuterojesaja benutzt und an vielen Stellen behandelt
worden. Aus der Fülle der Belege mögen einige herausgegriffen
werden: Ich will öffnen auf kahlen Hügeln Ströme und inmitten
der Täler Quellörter, will machen die Wüste zum Wasserhecken
und dürres Land zu Wasserquellen, Ich will gehen in die Wüste
Zeder, Akazie, Myrte, Ölbaum, will setzen in die Steppe Zypresse,
Ulme und Buchshaum (Jes. 41i8— 20). Nicht hohen sie gedurstet,
in Wüsten ließ er sie wandern, Wasser aus dem Felsen ließ
er ihnen rinnen, und spaltete den Stein, daß die Wasser
flössen (Jes. 48 21). Denn in Freuden sollt ihr ausziehen, und
in Frieden sollt ihr geleitet werden. Die Berge und Hügel sollen
ausbrechen vor euch her in Jubel, und alle Bäume des Feldes in
die Hände schlagen; statt Dorngestrüpp wird die Zypresse wachsen,
und statt Nesseln wird die Myrte sprießen; und es wird dem
Jahve werden zum Buhm und zum ewigen, unvertilgharen Zeichen
(Jes. 55i2f.).
Psychologisch kann diese Hoffnung nicht erklärt werden.
Gewiß mochte dem nach Palästina Heimkehrenden der Zug
durch die Wüste als ein schrecklicher Gedanke vor den Augen
stehen, aber dui-fte ihm nicht der Trost genügen, Jahve werde
ihn sicher durch alle FährUchkeiten hindurchgeleiten? Wozu
brauchte er die phantastische Erwartung auf eine Umwandlung
der Wüste in ein herrhch-schönes Land? Überdies ist der Ge-
danke mythischer Natur: Jahve wird erscheinen und unter seinen
Füßen quellen Ströme aus der Erde und schießen Bäume aus
dem Boden hervor. Solche mythischen Motive können nicht
von einem Dichter des Exils zum ersten Male geschaffen, sie
können nur aus der Tradition übernommen sein. Woher die
Farben stammen, mit denen diese Bilder gemalt sind, erkennt
man am deutlichsten aus Jes. 51 3, wo der Verfasser das erste
Schema benutzt hat: Denn Mitleid hat Jahve mit Zion, Mitleid
mit all ihren Trümmern, und er wird machen^ ihre Wüste wie
1. Lies üv-'i DuHM.
Die Verwandlung der Wüste. 217
Eden und ihre Steppe wie Jahves Garten. Es heißt nicht ein-
fach: Das Paradies kehrt wieder, sondern eine Zeit kehrt wieder,
wo die Wüste oder das verwüstete Jerusalem göttergleich sein
wird. Hier hegt ein Stil vor; die neue Zeit, an deren Schwelle
Deuterojesaja zu stehen sich bewußt ist, wird mit den Farben
Edens, des Götterlandes, geschildert i.
Vergleicht man dies zweite Schema mit dem ersten, so
könnte man geneigt sein, es deshalb für sekundär zu halten,
weil das erste Glied, die Katastrophe, fehlt. Dieser Irrweg ist
gefährlich. Wenn auch bestimmte Schemata aufzuweisen sind,
die wir heute als Abstraktionen aus den konkreten Schilderungen
der Schriftsteller entnehmen, so muß man sich dennoch hüten,
alles »schematisieren« zu wollen, als ob nur Ein Schema vor-
handen wäre. Für die israelitische Eschatologie ist grade die
Fülle der Schemata bezeichnend, die neben einander herlaufen,
sich berühren, und die in bunter Mannigfaltigkeit variieren.
Neben der Theorie: Palästina wird zu einer Wüste und diese
Wüste zu einem Fruchtland gemacht, steht die andere, eng ver-
wandte, aber doch etwas modifizierte: Die Wüste selbst wird in der
kommenden Neuzeit paradiesesgleich werden. Von einer Kata-
strophe ist in diesem Zusammenhange keine Rede, sie darf auch
nicht ergänzt werden. Wir dürfen sogar diese zweite Theorie
für die ältere erklären. Denn einmal ist sie mythischer Natur.
Sie beruht im letzten Grunde auf der Anschauung von der
Wiederkehr des Paradieses. Und ferner wird auch die Wieder-
herstellung Palästinas, wenigstens teilweise, mit den Farben des
Paradieses gemalt. Nach der herkömmlichen Auffassung ver-
läuft die Entwicklung der Heilseschatologie so, daß die Pro-
pheten zunächst eine in poetisch gehobener Sprache gehaltene,
aber doch mit realen Zügen ausgestattete Fruchtbarkeit Palä-
stinas verkünden (erstes Schema), daß aber später die Heils-
weissagungen einen immer stärkeren mythischen Anstrich zeigen
(zweites Schema). Von dieser Ansicht beherrscht, haben die
Exegeten alle mythischen Stellen aus den früheren Propheten
gestrichen. Das ist ein willkürlicher Gewaltakt. Die über-
lieferten Tatsachen erklären sich nur, wenn man die beiden
1. Deuterojesaja ist von Späteren vielfach nachgeahmt. Vgl. be-
sonders Jes. c. 35.
218 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Schemata in umgekehrter Reihenfolge ordnet, als es gewöhnlich
geschieht. Es war von Anfang an Stil, den Anbruch einer
neuen, herrlicheren Zeit so zu schildern, als komme das Para-
dies, das Götterland wieder. Dieser Stil läßt sich überall da
konstatieren, wo die prophetischen Worte aus den realen Zeit-
verhältnissen nicht verständlich sind. Er hat sich gewiß nicht
im Handumdrehen ausgebildet. Wenn wir ihn bei Deutero-
jesaja finden, so können Avir ihn dort nur erklären im Anschluß
an ältere Vorbilder. Zu seiner Zeit muß es bereits Lieder ge-
geben haben, die von einer Wiederholung der paradiesischen
Zeit sangen. Im letzten Grunde geht dieser Stil zurück auf
eine klare eschatologische Hoffnung, die von der Wiederkehr
des Paradieses selbst redete (Gijnkel). Sie ist im Alten Testa-
mente nirgends deutlich ausgesprochen. Da sie mythisch ist, muß
sie aus alter Zeit stammen und, wenn nicht im vorprophetischen
Volke, so außerhalb Israels postuliert werden. Die Erwartungen
der Propheten auf ein fruchtbareres künftiges Palästina sind der
letzte blasse Abglanz des eschatologischen Paradieses. Nur
einige Spuren, die man vergebens zu beseitigen sich bemüht^
verraten das uralte mythische Kolorit.
Das bei Deuterojesaja vorausgesetzte Schema: Israel muß
wieder in die Wüste und darauf wird diese Wüste in ein Para-
dies verwandelt, ist originell nur insofern, als der Verfasser be-
stimmt an die syro-arabische Wüste denkt. Wie sehr er von
der Tradition abhängig ist, kann man aus Hosea lernen, der
zwar nicht genau dieselbe, aber doch eine verwandte Anschauung
ausspricht, die nur aus demselben Schema erklärt werden kann:
Darum ivill ich sie locken und in die Wüste führen und ihr
zu Herzen reden ^ und ich iveise ihr von dort aus ihre Wein-
berge an und mache das Tal Akor zur Pforte der Hoffnung;
da wird sie fügsam ivie in ihrer Jugend und wie zur Zeit, da
sie aus Ägyptenland zog (Hos. 2i6f.). Israel soll also v/ieder
zurück in die Wüste, soll wieder als Nomade umherschweifen
und in Zelten wohnen (Hos. 12 lo), wie einst vor der Eroberung
Kanaans. Von dort aus verheißt ihm Jahve die Weinberge
Palästinas, und es kehrt heim durch die Hoffnungspforte, das
Tal Akor, wie damals, als es über Jericho seinen Einzug hielt
(Nowack). Wollen wir diese Erwartung auf eine Formel brin-
gen, so können wir sagen: Die Vorzeit Israels wiederholt sich.
Die Wiederkehr des Paradieses. 219
Dieser merkwürdige Gedanke ist aus den damaligen Zeitverhält-
nissen nicht erklärlich. Hosea konnte eine Vernichtung, eine
Dezimierung, eine Deportation seines Volkes durch die Assyrer
und Ägypter fürchten. Wir würden es verstehen, wenn Palä-
stina in eine Wüste und diese Wüste nachher in ein Frucht-
land verwandelt wird. Aber wie in aller Welt sollte er auf die
Idee verfallen, Israel werde wieder in die Wüste gehen ? Nowack
gibt als die Meinung des Propheten an: »Jahve erzieht sie zur
Einfachheit, die einst das aus der Wüste kommende Israel kenn-
zeichnete«. Aber abgesehen davon, daß das Nomadenideal der
Rekabiter durchaus nicht von der Prophetie rezipiert war, wer
wird jenen Gedanken in eine so wunderliche Form kleiden?
Zu einer allegorischen Auslegung haben wir kein Recht; wir
müssen die Worte so nehmen, wie sie lauten.
Eine Theorie, die israelitische Vorzeit werde wiederkehren,
ist in sich unverständlich. Denn die Geschichte läßt sich nicht
wiederholen. Anders ist es, wenn es sich ursprünglich um eine
mythische Anschauung handelt, die hinterher durch geschicht-
liche Dinge beeinflußt und modifiziert ist. Alles wird verständ-
Hch, sobald wir zur Zeit Hoseas die von Deuterojesaja ausge-
sprochene eschatologische Vorstellung voraussetzen: Israel muß
wieder in die Wüste, und darauf verwandelt sich die Wüste in
das Paradies. Eine kleine Verschiebung trat dadurch ein, daß
Hosea speziell an die ägyptische Wüste (im Süden Palästinas)
dachte. Infolgedessen konnte er die eschatologische Zeit mit
den Farben der mosaischen malen. In Wirklichkeit gab es
also keine Theorie von der Wiederkehr der mosaischen Wüsten-
wanderung, sondern sie ist nur scheinbar vorhanden, weil Hosea
die eschatologische Wüste mit der ägyptischen identifiziert hat.
Damit war notwendig eine weitere Änderung gegeben: Jetzt
wurde nicht mehr die Wüste zu einem Paradies gemacht, son-
dern man wanderte aus der Wüste nach Kanaan, in das Land
der Verheißung, wo Korn, Most und Öl fortan im Überfluß sich
finden. Dieselbe Theorie läßt sich endUch auch Ez. 2034ff. nach-
weisen: Und ich werde euch herausführen aus den Völkern und
euch versammeln aus den Ländern, in die ihr zerstreut wurdet . . .
und ich werde euch bringen zu der Wüste der Völker und werde
dort mit euch rechten von Angesicht zu Angesicht. Wie ich mit
euren Vätern in der Wüste des Landes Ägypten gerechtet habe,
220 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
so werde ich mit euch reckten. Auch hier muß Israel wieder
in die Wüste der Völker, die entweder identisch ist oder pa-
rallehsirt wird mit der ägyptischen Wüste. Die einen kehren
heim, wie aus den folgenden Versen hervorgeht, ins gelobte
Land, die anderen dürfen es nur von ferne schauen.
Nicht nur im Zusammenhang mit dieser Theorie, sondern
auch sonst (vgl. Hab. 3. Jes. 1024ff. llisf. 51 9f. I. Bar. 29. Mech.
50 b zu Ex. 16 25) hat die mosaische Vorzeit abgefärbt auf die
eschatologische Urzeit. Diese Tatsache aber ist auf andere Weise
zu erklären. Hier war der Anlaß, beide Zeiten mit einander
zu verknüpfen, nicht durch die Wüste, sondern durch die Wunder
gegeben. Weil die Wunder der Urzeit sich im kommenden
Äon wiederholen werden, darum hat man die Farben zu dem
Wundergemälde nicht nur dem Tiämatmythus, sondern auch
dem Durchzug durchs Schilfmeer und anderen Geschichten des
Exodus entlehnt.
Die eschatologische Verwandlung der Wüste in ein Para-
dies setzt eine neue Erde voraus. Deutlich gesagt wird in
den prophetischen Schriften das eine so wenig wie das
andere. Wir können nur vermuten, daß der herausgehobene
Stil, der auf die Paradiesvorstellungen anspielt, sich gebildet hat
im Anschluß an eine klare, fest ausgeprägte Eschatologie. Ein
solches Bruchstück könnte man in Jes. 65 17. 6622 sehen, wo es
zum ersten Male heißt: Siehe , ich schaffe einen neuen Himmel
und eine neue Erde. Aber über solche und ähnliche Bruch-
stücke kommen wir im Alten Testamente nicht hinaus. Eine
ausgeführte, scharf umrissene Eschatologie ist bei den Propheten
nicht vorhanden; sie darf als vollständiges Ganze auch schwer-
lich im Volk behauptet werden, wohl aber mag sie in der Fremde
existiert haben und allmähHch eingewandert sein. Klar ausge-
sprochen ist die Wiederkehr des Paradieses erst IV. Esra 736.
852. Sib. III 769. I. Hen. 25. IL Hen. 65 10. L Bar. 46. Test.
Levi c. 18. Apk. Joh. 2?. (Näheres bei Volz S. 344 ff. 377.)
Zum Götterlande gehört endlich nicht nur eine üppigere
Vegetation, sondern auch eine hellere Beleuchtung und ein an-
genehmeres KHma, als es uns auf Erden beschieden ist: Dann
wird es keine Hitze mehr gehen und keine Kälte noch Frost,
und es wird ein beständiger Tag sein, kein Wechsel von Tag
Der höchste Berg. 221
und Nacht^j und zur Zeit des Abends wird Licht sein (Zach.
14 ef.). Der Mond wird so hell scheinen wie die Sonne, und
die Sonne noch siebenmal glänzender (Jes. 3026). Nicht wird
dir ferner die Sonne dienen zum Licht, noch zur Helle der
Mond dir leuchten, ... nicht wird ferner untergehen deine
Sonne, noch dein Mond abnehmen; denn Jahve wird dir sein
zum ewigen Licht (Jes. 60i9f.). Der blasse Mond und das Glut-
licht der Sonne wird erbleichen vor der HerrHchkeit Jahves
(Jes. 2423). Und es wird keine Nacht mehr geben, und sie
brauchen keine Leuchter und kein Sonnenlicht; denn Gott der
Herr wird über sie leuchten lassen (Apk. Joh. 225 vgl. 2l23f.).
Auffällig ist, daß in den Pseudepigi-aphen nur ein einziges
Mal (IHen. 91 le) von dem siderischen Lichtglanz der neuen
Zeit geredet wird. Im Alten Testamente wird das Paradies
zwar nicht als besonders strahlend geschildert, wohl aber führt
es Ilflen. 65 lo das Beiwort hell.
§ 20. Die mythische Topographie.
über das himmlische Jerusalem vgl. H. Gunkel: Forschungen
Heft I S. 48flF. und überhaupt Genesis^ S. 31fiF.
Wir haben bisher aus stiHstischen Redewendungen und
kleineren Bruchstücken, die das eschatologische Paradies be-
schreiben, einige allgemeine Charakteristika des künftigen Götter-
landes kennen gelernt. Dort gibt es keine wilden und reißenden
Tiere, keine sündigen und gebrechlichen Menschen, keine baum-
lose und wasserleere AVüste. Dazu kommen nun noch einige
speziell topographische Angaben, die wir teilweise schon ge-
streift haben, die hier aber noch einmal im Zusammenhang be-
sprochen werden müssen.
Geschehen wird es in den künftigen Tagen: festgegründet
wird sein der Tempelberg Jahves an der Spitze der Berge, so-
daß er erhabener ist als die Hügel (Jes. 22 = Mch 4i). Das
Haus Jahves der Heilszeit wird also auf dem höchsten Berge
liegen. An diesem klaren Wortlaut ist nicht zu rütteln. Daß
der Vers »natürlich nicht physisch, sondern politisch« gemeint
sei, ist nicht wahrscheinHch. Mit welchem Rechte wird er alle-
1. Vgl. die Kommentare von Wellhausen-Nowack.
222 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
gorisiert? Oder ist die Allegorese »selbstverständKch« ? Allein
wenn es Ez. 402 heißt, das neue Jerusalem werde auf dem
höchsten Berge sich erheben, so wird dieser Satz von den
meisten Exegeten wörtHch verstanden ebenso wie Zach. 14 lo:
Das ganze Land wird sich zur Ebene wandeln von Geba bis
Rimmon südlich von Jerusalem, dies aber wird hoch sein.
Hätten die Ausleger Recht, so müßten Ezechiel und Zacharja
Jes. 22 gröblich mißdeutet und einen bildlich gemeinten Aus-
druck wörtlich genommen haben. Das ist unmöglich. Ent-
weder sind alle Stellen allegorisch aufzufassen, wofür nicht der
geringste Anhaltspunkt vorhanden ist, oder alle wörtlich, solange
sich ein irgendwie denkbarer Sinn mit ihnen verbinden läßt.
Nun hat schon Gunkel auf die treffende Parallele vom höchsten
Gottesberg im Norden hingewiesen, auf dem nach Ps. 483 bereits
das gegenwärtige Jerusalem liegt. Dorthin wird auch das
künftige Zion verpflanzt, oder vielmehr umgekehrt: der Berg
Zion wird zu dem höchsten Gottesberg gemacht (vgl. § 12).
Diese Idee muß, wie wir gezeigt haben, ausländischen Ur-
sprungs sein.
Zach. 14io fügt einen neuen Zug hinzu: Die Umgebung
Jerusalems wird in eine Ebene verwandelt. Es gibt keine
anderen Berge neben dem Gottesberge. Dadurch wird seine
einzigartige Höhe noch besonders markiert. Diese Einzelheit
stimmt nicht zu Jes. 22 (= Mch. 4i), wonach die anderen Berge
nicht verschwinden, sondern bestehen bleiben. Solche Inkon-
gruenzen darf man nicht verwischen oder ausgleichen. Denn
dogmatische Übereinstimmung ist bei mythischen Vorstellungen
nicht erforderlich. Die Idee, die wir aus Zach, kennen lernen,
ist schwerlich schon Jes. 2i2ff. vorausgesetzt, wo durch Jahves
Macht alles Ragende und Erhabene gestürzt wird : Neben Zedern,
Eichen, Türmen, Mauern und Schiffen werden auch Berge und
Hügel dem Erdboden gleichgemacht, damit Jahve allein hoch
sei an seinem Tage. Da hier ein Erdbeben geschildert wird,
so soll das Hinfallen der Berge und Hügel nur die Gewalt
der Naturkatastrophe veranschaulichen. Von einer Theorie wie
bei Zach, ist keine Rede. Es heißt ja auch, daß Jahve —
nicht der Berg Jahves! — erhaben bleibt.
Wohl aber finden wir einen verwandten Gedanken bei
Deuterojesaja. Er singt an vielen Stellen von der neuen Straße,
Die Götterstraße. 223
die für Jahve mitten durch die Wüste gelegt werden soll. Zu
diesem Zweck wird jeder Berg und Hügel sich senken und
jedes Tal sich heben (Jes. 403f. 42 le. 49 ii). Spätere Schrift-
steller haben die Anschauung von dem Wunderwege nachgeahmt
und etwas verändert (Jes. 11 16. 1923. 358. 57 14. 62 lo). Man
verweist zur Erklärung dieser Idee darauf, daß »vorher die
Straßen in Stand gesetzt wurden, wenn Könige reisten (Justin
2 10. Arrian Alex. 430. Diod. Sic. 2 13); so sollen dem Jahve die
Wege geebnet werden da, wo er durchziehen werde« (Kittel).
Viel näher liegt es, an die babylonischen Götterstraüen zu er-
innern z. B. an die berühmte Prozessionsstraße des Gottes
Marduk, die von Babylon nach Borsippa führte und auf der
die Götterbilder in feierHchem Zuge durch Priester getragen
wurden 1. Bei Deuterojesaja, der im Exil lebte, macht es keine
Schwierigkeit, direkt babylonischen Einfluß anzunehmcD. Eine
so herrliche Straße wie die babylonischen Götter sie besitzen,
ja noch eine viel wunderbarere wird Jahve sich selbst bauen,
wenn er an der Spitze seines Volkes durch die Wüste nach
Palästina heimkehrt. Ohne jede Vermittlung freilich konnte
der Verfasser auf diese Idee nicht verfallen. Da ihm aber,
wie wir gezeigt haben, die Verwandlung der Wüste in das
Paradies ein aus der Tradition bereits geläufiger Gedanke war,
so ist es verständhch, daß er die Götterstraße dem Bilde
einfügte. Sie begegnet uns später wieder in dem himm-
lischen Jerusalem, der Gottesstadt, die durchquert wird von
einer Gasse mit reinem Golde ivie durchsichtiges Glas (Apk.
Job. 21 21). Diese Gasse ist nichts Anderes als die in den
Himmel projizierte Götterstraße 2.
Das Verschwinden der Berge und Hügel ist damit noch
nicht erklärt. So hoch waren die Wüstenberge nicht, als daß
keine Straße darüber hinweg gelegt werden könnte. Es scheinen
bei Deuterojesaja zwei Ideen mit einander verschmolzen zu sein.
1. GuNKEL a. a. 0. S. 49 Anm. 5. Auch bei den Ägyptern gab
es solclie Gotteswege; vgl. Adolf Erman: Die ägyptische Eeligion.
Berlin 1905. S. 43.
2. GuNKEL (lenkt speziell an die Milchstraße, ohne einen stich-
haltigen Beweis dafür zu liefern. Einen Beleg dafür, daß eben diese
himmlische Erscheinung im älteren Orient als »Straße« bezeichnet sei,
gibt er nicht und gibt es nicht, so viel ich weiß.
224 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
In dieser Ansicht werden wir bestärkt durch die Parallele bei
Zach., wo die Verwandlung der Berge in eine Ebene losgelöst
ist von der Gottesstraße, und durch die persische Eschatologie,
für die es charakteristisch ist, daß es auf der neuen Erde keine
Berge mehr geben sollet Diese Vorstellung muß entstanden
sein in einem mit gewaltigen, schwer passierbaren Bergen aus-
gestatteten Lande, wo das Nichtvorhandensein von Gebirgen
als ein Vorzug des Götterlandes erscheinen konnte. Babylonien
kann darum nicht ihr Ursprungsort sein, da dort überhaupt
keine Berge existieren. Wohl aber konnte sie sich in Persien
bilden. Denn »in den Gebirgsketten, welche es durchziehen,
sind Gipfelhöhen von mehr als 5000 Meter nicht selten« (Geiger).
Man kann freilich auch auf Palästina verweisen. Grade Judäa,
der südlichste Teil des Westjordanlandes, »ist ein schwer zu-
gängliches Gebirge, wo die als Eingangspforte dienenden Täler
so eng und steil sind, daß sie von einer geringen Anzahl Krieger
verteidigt werden können« (Bühl). Es wäre an sich nicht
unmöglich, einen analogen Ursprung der Idee in Judäa wie in
Persien zu behaupten, obwohl die frappante Übereinstimmung
in einer so speziellen Einzelheit stutzig macht. Die Zweifel
mehren sich, wenn man bedenkt, daß die Vorstellung zum
ersten Mal in Verbindung mit der sicher ausländischen Idee
der Götterstraße bei einem Schriftsteller des Exils auftaucht.
Deuterojesaja mag sie in Babylonien kennen gelernt haben,
wohin sie damals vielleicht aus Persien gewandert sein mag.
Überdies läßt sich bei jedem Zuge der mythischen Topographie
die fremde Herkunft wahrscheinlich machen.
Etwas anders ist die Entstehung des Paradiesstromes zu
denken. Für das Paradies, das dem Semiten wie eine Oase in
der Wüste dünkt, ist vor allem das Wasser charakteristisch.
Denn ohne den Quell ist die Oase unmöglich. Je größer das
Paradies vorgestellt wird, desto mehr Quellen und Ströme gibt
es dort. Die Zahl ist unbegrenzt. Erst später wird die Vierzahl
bevorzugt, nachdem die Paradiesströme mit den Weltströmen
kombiniert sind 2, die die Erde umfließen, entsprechend den
1. Bund. 3033. Plutarch: De Isid. et Osir. c. 47. Vgl. Böklen
S. 131 ff., der die spätjüdisch-christlichen Parallelen gesammelt hat.
2. So jetzt mit Eecht auch Gunkel (vgl. Deutsche Rundschau
1904, S. 61 f.).
Der Paradiesstrom. 225
vier Himmelsrichtungen. Wird das Paradies in den Himmel
projiziert, so wird einfach das irdische Bild mit allen Einzelheiten
dorthin übertragen. Die Phantasie hat hier freien Spielraum,
sodaß man sinnlich wahrnehmbare Äquivalente nicht mehr suchen
darf. Man fabuliert von dem Strom — sei es im Himmel sei
es auf Erden — voll Milch und Honig, Öl und Wein (II Hen. 6),
aus dem die Götter den unsterblichen Trank schöpfen, von den
Schiffen, die auf diesem Kanal fahren, um die Seelen von der
Erde in den Himmel überzusetzen (Mani), von dem Meer im
Osten und Westen, in das der Paradiesstrom mündet usw.
Dies mythische Weltmeer haben wir bereits in der israelitischen
Eschatologie kennen gelernt (§ 16). Mythisch ist das Meer, in
dessen östlicher Gegend das Totental Gogs liegt (Ez. 39 ii),
das östliche und westliche Meer, in das der Nördliche gestürzt
wird (Jo. 22o), die Meere und der Berg der heiligen Pracht,
zwischen denen der König des Nordens fällt (Dan. 11 45). Alle
diese Aussagen sind im Hinblick auf die Geographie Palästinas
absolut unverständlich und müssen darum mythischen Ur-
sprungs sein. Der Zusammenhang dieses Meeres mit dem
Paradiess^row erhellt besonders aus Zach. 148: Und dann an
jenem Tage gehen lebendige Wasser von Jerusalem aus, deren
eine Hälfte zum östlichen und deren andere Hälfte zum west-
lichen Meere läuft, im Sommer und im Winter werden sie'^ vor-
handen sein. Der Quell, der in Jerusalem entspringt, wird
zum Strom und mündet auf beiden Seiten in ein Meer. Woher
diese Vorstellung stammt, ist hier nicht mehr deutlich und ist
dem Verfasser dieser Verse schwerlich bewußt gewesen, der wohl
an das Mittelländische und Tote Meer gedacht hat. Andere
Züge desselben Stückes, vor allem die Erhebung Zions zum
höchsten Gottesberge, lehren uns, daß die von Jahve an seinem
Tage geschaffene Szenerie das Paradies oder das Gottesland
darstellen soll.
Der hier genannte Quell und der Strom, dessen Arme
nach Ps. 465 die Gottesstadt erfreuen, und der Bach, der nach
Jo. 4 18 das mythische Akaziental tränkt, und die Quelle, die
sich öffnet für Sünde und Unreinheit (Zach. 13 1), begegnet
uns zum ersten Male Ez. 47 1 — 12. Unter der Schwelle des
1. Lies t^Tr Wellhausen.
ForschtiDgen znr Rel. u. Lit. d. A. u. NT. 6. 15
226 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Tempels entspringt eine Quelle, die nach Osten zu fließt und
bald zu einem gewaltigen Wasser anschwillt. Durch die Ost-
mark Judas gelangt der Strom bis zum Toten Meere und
macht es gesund, sodaß es fortan wimmelt von Fischen. An
den Ufern des Flusses wachsen allerlei eßbare Bäume, deren
Laub nicht welkt und deren Früchte nicht aufhören. Ihre
Früchte dienen zur Speise, ihr Laub zur Arzenei. Fragen wir,
wo diese wunderbaren Bäume ursprünglich zu Hause sind, so
kann die Antwort nicht zweifelhaft sein: im Paradiese. Nur
im Götterlande fließen so wunderbare Lebenswasser, die das
Salzige süß und das Kranke gesund machen können. Von
Ezechiel sind diese Züge sicher nicht in der Schreibstube er-
dichtet, da sie mythischen Ursprungs sind. Er hat vielmehr
aus einer Tradition geschöpft, die in Israel nicht autochthon
sein kann. Denn die Paradieserzählung in Gen. 2 und 3 weiß
wohl von Strömen, hingegen nichts von einem Meere, sei es
im Osten oder Westen. Eine andere Frage ist die, ob Ezechiel
die Stoffe zum ersten Male aus der Fremde übernommen hat
oder ob er von einer älteren israelitischen Volksüberlieferung
abhängig ist. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir
erstens beachten, wie undeutlich, verblaßt und schematisiert
die Vorstellungen sind. Gewiß dürfen wir ein gut Teil auf
Kosten des eigentümlichen Geschmacks dieses Propheten setzen,
aber die ursprünglichen Farben sind so verwischt, daß es wahr-
scheinHcher ist, das Gemälde sei bereits längere Zeit in Palä-
stina bekannt gewesen, zumal es in Beziehung zum Toten
Meere gebracht ist. Eine solche Umdeutung, wie sie hier voll-
zogen ist, geschieht schwerlich in einem AugenbHck und bei
einem einzigen Schriftsteller, sondern fordert einen längeren,
langsameren Prozeß. Zweitens können die späteren Propheten
nicht von Ezechiel allein abhängig gewesen sein, wie die Exe-
geten behaupten, da neue Züge hinzugefügt werden und vor
allem neben dem östlichen noch ein westhches Meer genannt
wird.
Das Alte Testament enthält im Grunde nur mehr oder
weniger deutliche Anspielungen an den eschatologischen Paradies-
strom. So heißt es auch Ps. 36 ef.: Sie trinken vom Fett deines
Hauses und mit deinem Edenbache tränkst du sie. Denn bei
dir ist der Brunnen des Lebens. Klarer mid plastischer werden
Der Paradiesstrom. 227
die Vorstellungen, auf denen diese Anspielungen beruhen, erst
in den späteren Apokalypsen ausgesprochen. Sie reden von
Weisheitsbäumen, Ölbäumen, Lebensbäumen, vom Holz des
Lebens und Wasser des Lebens ^ Von besonderem Interesse
ist die Schilderung des himmlischen Jerusalem, das Apk.
Joh. 22 if. als Gottesstadt beschrieben wird: Und er zeigte mir
einen Strom von Lebenswasser, glänzend wie Kristall^ hervor-
kommend aus dem Thron Gottes und des Lammes, mitten in
ihrer Gasse; hüben und drüben am Strom den Baum des Lebens,
zwölfmal Frucht bringend, jeden Monat seine Frucht gebend;
und die Blätter des Baumes sind zur Heilung der Nationen,
Der Strom bricht hier aus dem Throne Gottes hervor, der den
irdischen Tempel vertritt. Die Anschauung, die längst geläufig
ist, ist hier von der Erde in den Himmel übertragen. Wir
fragen, woher sie ursprünglich stammen mag. Vermutlich ist
das Bild der Quelle, die unter der Tempelschwelle entspringt,
da entstanden, wo es Sitte war, über der Quelle ein Heihgtum
zu errichten, da ja das Wasser als göttliche, lebenspendende
Macht galt. Vielleicht wurde mitunter der Gottesthron grade
über die Stelle gesetzt, wo das Wasser aus dem geheimnisvollen
Schöße der Erde hervorbrach^.
In demselben Stück Zach. 144ff., das die mythische Topo-
graphie des neuen Jerusalem schildert, ist die Rede von der
Verstopfung des Tales Harai. Wir haben diese Stelle bereits
verghchen (§ 16) mit dem ebenfalls mythischen Tale Oberim,
dem Totentale, das den Wanderern den Weg versperrt (Ez.
39 ii). Auch dieser Zug scheint mit dem Götterlande zusammen-
zuhängen, zu dem kein Zugang führt, von dem alle Götter-
feinde ferngehalten werden. Überall da, wo das Gottesland mit
Jerusalem identifiziert ist, sind die Gottesfeinde einfach die
Heiden. So heißt es Jo. 4 17: Und Jerusalem soll unverletz-
liches Gebiet sein, und Heiden werden nicht mehr den Weg
darüber nehmen dürfen (vgl. Ob. V. 17). Oder Jes. 52 1: Kleide
dich in deine Prachtkleider, . . . heilige Stadt; denn nicht mehr soll
ferner in dich kommen der Unbeschnittene, Unreine. Anderswo
1. Vgl. VoLz S. 376.
2. Etwas anders, mir nicht ganz verständlich, ist die Idee von
<iem Thron Gottes über den himmlischen Wassern (vgl. Ps. 29 10).
15*
228 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
aber wird dieser, an sich ganz verständliche, Gedanke in eine
hochmythologische Form gekleidet: Ich (Jahve) lagere mich
zum Schutz meines Hauses als Wache, daß keiner hin und her
den Weg darüber nimmt, und kein Gewalthaber soll ferner
über sie kotnmen (Zach. 98). Während nach Gen. 324 der
Gottesgarten vom Kerub oder vom Flammenschwert behütet
wird, spielt hier Jahve selbst die Rolle des Kerub. Zach. 29
wird die Sicherheit Jerusalems dadurch gewährleistet, daß Jahve
ihr als Feuermauer dient. Wahrscheinlich sind diese Bilder
ein letzter, nicht mehr verstandener Nachklang einer alten
mythischen Anschauung, wonach das Götterland oder das Para-
dies gegen Riesen, Dämonen oder sonstige Wesen abgesperrt
wird. Bald steht die Gottheit bald ein Kerub bald ein Engel
Wache, bald wird eine hohe Mauer oder Feuerwand aufgeführt,
die man mit dem Himmel selbst identifiziert hat. Eine ähn-
liche Vorstellung setzt schon der babylonische Schöpfungsmythus
voraus, der von Marduk nach der Tötung Tiämats erzählt: Er
stellte ihre Hälfte auf, machte sie zur Decke, dem Himmel, schob
einen Riegel vor, stellte Wächter hin und befahl, ihre Wasser
nicht mehr herauszulassen'^. Am Himmelsdach befindet sich
eine mit Riegeln versehene Tür. Aufgabe der Wächter ist es,
den Weg zu versperren, hier zwar nicht den äußeren Feinden,
sondern den über dem Himmel ruhenden Wassern. Als gött-
liche Türhüter vor Tempeln und Palästen fungierten bei den
Babyloniem bekanntlich die gewaltigen Stier- und Löwenkolosse,
die den Dämonen den Eingang verwehren sollten und die man
mit den kanaanitischen Keruben identifiziert hat.
Die Mauer ist mit dem Paradiese verbunden IIHen. 65 lo:
Und es wird ihnen eine große, unzerstörbare Mauer sein und
das helle und unverwesliche Paradies, ohne daß eine klare Vor-
stellung aus diesen Worten zu gewinnen wäre. DeutHcher ist
Apk. Joh. 21i2f., wo Jerusalem, wie Gunkel gezeigt hat, als
Gottesstadt geschildert wird: Sie hat eine große und hohe
Mauer und zwölf Tore, und auf den Toren zwölf Engel ....
Drei Tore von Osten, drei von Norden, drei von Süden,
drei von Westen. Diese Mauer war ursprünglich einmal der
Himmel selbst. IHen. c. 34 z. B. kennt noch je drei Himmels-
Die himmlische Mauer. 229
tore in den vier Richtungen, aus denen die Winde blasen.
Eine Variante zu den zwölf Toren der Mauer sind ihre zwölf
Grundsteine, die mit allerlei Edelsteinen verziert sind (V. 19).
Die Zwölfzahl ist eine spätere, wenn auch alte (vgl. Ez. 483off.)
Zutat, die wohl irgendwie auf die zwölf Tierkreiszeichen zurück-
geht (Gunkel). Ursprünglich kommt es nicht auf die Zahl an.
Der Himmel als das Reich der Lichter und Lichtgötter funkelt
und glitzert wie Diamanten und Perlen. So wird das neue
Jerusalem schon Jes. 54iif. beschrieben: Siehe, ich fasse in
Bunterz deine Steine und werde dich gründen in Sapphiren,
und werde Rubine machen zu deinen Zinnen und deine Tore
zu Karfunkelsteinen und deine Einfassung zu Edelsteinen (vgl.
Tob. 13i6f.).
§ 21. Der Rest.
Johannes Meinhou) : Studien zur israelitischen Eeligionsgeschichte.
Bd. I. Der heilige Best. Teil 1. Elias, Arnos, Hosea, Jesaja. Bonn 1903.
Wo die Propheten die Katastrophe des Tages Jahves
schildern, reden sie meist weder von der Rettung eines Einzelnen
noch eines Volksteiles, sondern veranschaulichen im Gegenteil
durch mehr oder minder drastische Beispiele die völlige Ver-
nichtung der Nation. So sagt Amos : Wie der Hirt dem Munde
des Löwen zwei Beinchen oder ein Ohrläppchen entreißt, so
werden die Kinder Israels gerettet (3 12). Die Fetzen, die er
behält, sind nicht der Rede wert. Gefallen ist, steht nicht mehr
auf, die Jungfrau Israel, liegt hingestreckt auf der eigenen Flur,
keiner richtet sie auf. Denn so spricht Jahve: Die Stadt, die
zu tausend ausrückt, wird hundert übrig haben, und die zu
hundert ausrückt, wird zehn übrig haben (Am. 52f.). Der Nach-
druck wird nicht darauf gelegt, daß einige dem Verderben ent-
rinnen, sondern wie wenige ihm entgehen. Der Gedanke an
den Best ist nicht erhebend, sondern niederschmetternd. Was
bei der Katastrophe übrig bleibt, verdient kaum, Rest genannt
zu werden. Mögen die Israehten in den Himmel, in die Seol,
oder ins Meer flüchten, Gottes Arm trifft sie überall. Und
wenn sie vor ihren Feinden her in die Gefangenschaft wandern,
so befehle ich dort dem Schwerte, sie zu würgen (Am. 9iff.).
Wie sollte da auch nur einer mit dem Leben davonkommen?
230 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Und gleich Arnos die übrigen Propheten ! Ephraims Menge
wird den Vögeln gleich verfliegen, sodaß es keine Geburt, keine
Schwangerschaft, keine Empfängnis mehr gibt. Getroffen ist
Ephraim, ihre Wurzel ist verdorrt, Frucht setzen sie nicht an.
Auch wenn sie Kinder zeugen, töte ich die Lieblinge ihres Leibes,
und wenn sie ihre Kinder groß ziehen y mache ich sie verwaist,
menschenarm, ja wehe auch ihnen, wenn ich von ihnen weiche!
(Hos. 9 11. 16. 12). Das ganze Land soll verwüstet und verödet
werden, und ist noch ein Zehntel darin, so muß es wieder ins
Feuer, wie die Eiche und die Terebinthe, an denen beim Fällen
ein Wurzelstamm blieb (Jes. 6iiff.). D. h. »Wenn auf einer
Neurodung die Bäume gefällt sind, macht man die Wurzel-
stümpfe, deren Ausgrabung zu viel Zeit kosten würde, durch
Feuer unschädlich« (Duhm). Es soll also schlechterdings nichts
gerettet werden. An jenem Tage wird es sein, wie wenn man
Ähren liest im. Tale Bephaim, und übrig daran bleiben eine
Nachlese wie beim Olivenklopfen, zwei, drei Beeren in der Spitze
des Wipfels, vier, fünf in den Zweigen des Fruchtbaumes (Jes.
17 sf.). Die Ernte, die der große Schnitter hält, ist gewaltig.
Genau so ist es an den Stellen, wo die Weltkatastrophe
geschildert wird: Fortraffen will ich alles von der Erde,
spricht Jahve, fortraffen will ich Menschen und Vieh, fortraffen
die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres (Zeph. I2).
Ich schaue, und siehe, es gibt keine Menschen und alle Vögel
des Himmels sind entflohen (Jer. 425). Denn so wird es sein
inmitten der Erde, mitten unter den Völkern, wie beim Oliven-
klopfen, wie bei der Nachlese, wenn vollendet die Lese (Jes. 24 13).
Gratien, Grube und Garn über dich, Bewohner der Erde ! Und
geschehen wird es, der flieht vor dem Grauen, fällt hin zur
Grube, und der aufsteigt aus der Grube, wird gefangen vom
Garn (Jes. 24i7f. vgl. Jer. 4843f.). Wer dem einen Verderben
glücklich entronnen ist, wird sicher in das andere gestürzt. Eine
Ausnahme wird nicht zugelassen, die ganze Menschheit geht zu
Grunde, sie muß es, weil die Gitter von der Höhe her geöffnet
sind und die Grundfesten der Erde erbeben; in Trümmer zer-
trümmert sich die Erde, in Splitter zersplittert sich die Erde
(Jes. 24i8f.). Aber mit diesem Gedanken wird nicht Ernst ge-
macht; denn im Folgenden existiert nicht nur der Berg Zion
Der Rest. 231
und Jerusalem (2423), sondern auch alle Völker sind vorhanden,
denen Jahve ein köstHches Mahl bereitet (206).
Und so ist in weitaus den meisten Fällen keine
Vermittlung zwischen Unheil und Heil nachweisbar,
nur an einigen Stellen ist es anders. So heißt es z. B. Jes.
l25: Ich lüill meine Hand wider dich ausstrecken, will läutern
im Schmelzofen^ deine Schlacken und all deine Bleistücke ent-
fernen. Es ist übertrieben, wenn Stade behauptet: »Jesaja hat
von Anfang an die tröstliche Gewißheit nicht gefehlt, daß Jahve
einen Rest übrig lassen wird, der sich zu ihm zurückwendet,
wiewohl er das in seiner Berufungsvision nicht ausspricht, über-
haupt nirgends sagt, wie sich das vermittelt« (Bibl. Theol. I
S. 225). Hier haben wir einmal eine solche Vermittlung : Israel
soll nicht gänzlich vernichtet, sondern geläutert werden. Die
schlechten Elemente werden beseitigt, nur die guten bleiben
zui-ück und bilden den Kern des neuen Volkes. Ein ander Mal
heißt es: Siehe ^ die Augen des Herrn Jahve richten sich gegen
das sündige Reich, daß ich es von der Oberfläche der Erde ver-
tilge. Doch will ich das Haus Jakob nicht ganz und gar ver-
tilgen, sagt Jahve (Amos 98).
Eine Vermittlung ist femer da vorhanden, wo das Volk
Israel, nachdem es von dem Unheil betroifen ist, sich zu Jahve
bekehrt und Buße tut. Wie Gomer, das verstoßene, untreue Weib
Hoseas, viele Tage ohne einen Mann sitzen soll, so sollen auch
die Kinder Israels lange Zeit ohne König, Opfer und Bilder
bleiben. Darnach werden sie umkehren, werden Jahve, ihren
Gott, suchen und voll Furcht hineilen zu ihm (Hos. Ssff.). Man
beachte wohl den Ausdruck! Es heißt nicht: »Diejenigen, die
sich bekehren, werden gesegnet werden«, sondern wie das Unheil
so ergeht auch das Heil in gleicher Weise über Gesamtisrael.
Dieselbe Anschauung haben wir aus Hos. 2i6ff. kennen gelernt:
Israel soll in die Wüste zurück; dort wird ihm Jahve ins Herz
reden, und dann wird es nach Palästina heimkehren.
An den meisten Stellen aber, die heilseschatologische Schil-
derungen enthalten, fragt man vergebens, woher das neue Volk
stammt, dessen paradiesisches Glück beschrieben wird. Ist denn
Israel durch die Katastrophe nicht vernichtet? Ist die Welt
1. Lies "^ra mit Clericus.
232 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
nicht zu Grunde gegangen? Ist ein Teil gerettet, und warum
grade dieser Teil? Man kann ja, wenn man Phantasie genug
besitzt, mitunter die Verbindungslinien ziehen, aber das Typische
ist eben , daß sie von den Propheten oft nicht ausdrücklich ge-
zogen werden. Es geht uns hier mit der Unheils- und der
gewöhnlich darauf folgenden Heilseschatologie, als hätten wir
zwei Trümmerfelder vor uns; beide sind getrennt und Hegen
doch nahe beieinander. Manche Spuren deuten auf einen ur-
sprünglichen Zusammenhang, aber sie sind zu sehr verwischt,
als daß wir sie mit Sicherheit verfolgen könnten. Erwägen
wir die oben zitierten Verse, wonach Israel bis auf den letzten
Mann und die Welt bis auf die Fische des Meeres vertilgt
werden soll, so scheint uns eine Heilseschatologie so gut wie
unmöglich. Darin bestärkt uns noch die prophetische Ethik,
die sich mit großem Eifer bemüht, dem Volke den Sittenspiegel
vorzuhalten. Man hat oft den Eindruck, daß sie ungerecht
urteilt. So sagt Jeremia einmal in ungeheurer Übertreibung:
Streift umher auf den Straßen Jerusalems und suchet doch und
gebet acht, und suchet auf ihren Plätzen, oh ihr jemand findet,
oh einer ist, der Recht tut, der nach Treue strebt, so will ich
ihr vergehen (Jer. 5i). Und trotzdem verkünden die Propheten
eine Heilseschatologie ! Wir müssen uns mit dem Auseinander-
klaffen von Unheil und Heil innerhalb der prophetischen Escha-
tologie abzufinden suchen. Um diesen Tatbestand zu erklären,
bleibt allein die Möglichkeit, daß die Propheten die Heils-
eschatologie ebenso wie die Unheilseschatologie aus den popu-
lären Anschauungen übernommen und in dem fragmentarischen
Zustand belassen haben, der ihnen in Israel vielleicht seit
lange, vielleicht seit immer geeignet hat. Grade bei überlieferten
Ideen, die jedermann geläufig sind, kann man oft beobachten,
wie wenig selbst kritische Geister sie durchdringen und sie zu
einem organisch-lebendigen Ganzen verbinden.
Demgegenüber wird man auf den eigentümhchen Mittel-
gedanken hinweisen, mit dessen Hülfe sich die Propheten oft
bemüht haben, die Kluft zwischen Unheil und Heil zu über-
brücken: Der Rest oder die Entronnenen (Jes. 42. 10 20. 37 31)
oder die übriggebliebenen (Jes. 43. 102off. llii. le. 285) ist der
Ehrentitel derer, die gewürdigt sind, ins Buch des Lebens^ ein-
1. Die klassischen Parallelen sind jetzt gesammelt bei Ludovicus
Der Rest. 233
geschrieben zu werden oder in das Reich einer besseren Zu-
kunft einzugehen. Der Restgedanke gehört von Hause
aus zur Unheilseschatologie. Denn von einem Reste oder
von Entronnenen redet man naturgemäß nur nach einer furcht-
baren Katastrophe, die alles bis auf einen Best vernichtet hat.
Und in dieser Bedeutung ist uns der Restgedanke bereits aus
den am Anfang dieses Paragraphen zitierten Prophetenworten
geläufig. Die zwei, drei Beeren, die bei der Olivenlese, die zehn
Mann, die im Kriege, die Beinchen und Ohrläppchen, die von
der Löwenbeute übrig bleiben, enthalten den Restgedanken und
verwenden ihn, um die Größe des Unheils zu veranschauHchen.
Das ist verständlich. Aber innerhalb der Heilseschato-
logie ist der Rest nur verständlich als ein dogmati-
scher Terminus technicus. Alle die köstlichen und herr-
lichen Dinge, die von der Heilszeit ausgesagt werden, sollten
ursprünglich einem Reste zuteil werden? Das wäre etwa so,
wie wenn man in die wildwogenden Wellen des Ozeans zwei
oder drei Tropfen Öl gießen wollte! Beide Tatsachen reimen
sich nicht mit einander. Ein Rest und eine Heilseschatologie
schließen sich eigentlich aus. Man kann sie freilich zusammen-
biegen, indem man den Hauptgedanken ergänzt, und so wird
es, wie wir vermuten dürfen, auch von den Propheten geschehen
sein. Sie werden verkündet haben, daß Einige dem allgemeinen
Verderben entrinnen, daß diese Wenigen sich bekehren und
daß aus ihnen das neue Volk hervorgeht, über das die Fülle
der paradiesischen Güter ausgeschüttet wird. Das Objekt des
Heiles sollte nicht der Rest, sondern das neue Volk
sein. Ein Beispiel mag statt vieler diese Behauptung illustrieren:
Da mache ich das Hinkende zum Best und das Versprengte^
zum zahlreichen Volk (Mch. 4?). Der Best ist hier ein völlig
dogmatischer Ausdruck, der nach dem Parallelismus membrorum
gleichbedeutend ist mit dem zahlreichen Volk. Er ist aus der
Unheilseschatologie herübergenommen in die Heilseschatologie,
offenbar in der Absicht, beide zu verbinden. Aber merkwürdig
bleibt doch, wie wenig die Propheten diesen vielleicht einmal
Euhl: De mortuorum iudicio (Religionsgeschichtliche Versuche und
Vorarbeiten von Dieterich und Wünsch. Bd. II. Heft 2). Gießen 1903.
S. 101 fiF.
1. Lies nm:m wie in V. 6.
234 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
lebendigen Vermittlungsgedanken des Restes benutzen, um nun
wirklich eine konzinne Verbindung zwischen Unheil und Heil
herzustellen! Beides klafft in den uns überlieferten Schriften
trotzdem auseinander. Schon das führt darauf, daß die heils-
eschatologische Idee des Restes keine prophetische Neuerung
ist, sondern bereits früher vorhanden war.
Man hat Jesaja als den Schöpfer dieser Idee ausgeben
wollen. Sein Sohn hieß Sear-Jasub: der Rest bekehrt sich
(Jes. 73). »Nur dann natürlich«, sagt Meinhold (S. 109), »ist
für Jahve eine Heilstat möglich, — und daran zeigt sich der
hohe Gottesbegriff des Propheten, wenn eine Bekehrung zu
ihm stattfindet. Mit der Gewißheit der Bekehrung auch nur
eines Teiles ist auch die Gewißheit einer Rettung gegeben. Es
fragt sich nun, woran der Prophet bei dem intu gedacht hat.
Man wird annehmen müssen, daß bei Jesaja die Erkenntnis von
einer bevorstehenden inneren, durch den wahren Glauben oder
Unglauben gewirkten Scheidung zwischen einem ^lagarjl yiaTä
Ttvevina und einem yiaTcc odgyia nicht von Anfang an vorhanden
war. Sie ist ihm erst in heißen Kämpfen geworden«. Gegen
diese psychologische Ableitung erheben sich gewichtige Be-
denken. Die Benennung des Sohnes und der Grund für diese
Benennung wird nicht erzählt. Wenn sie einer Idee Ausdruck
geben sollte, die unter Wehen geboren war, so hätte der Prophet
sie nicht stillschweigend bei seinen Lesern als bekannt voraus-
setzen dürfen. Und nun gar in diesem Falle, wo Jesaja auf
die öffentliche Meinung einwirken wollte, konnte kein mystischer
Name gewählt werden, den niemand verstand, der nur die Seelen-
kämpfe des Propheten verkörperte, von denen niemand etwas
ahnte, sondern es mußte ein allgemein bekanntes und verbreitetes
Schlagwort sein, das kräftig einschlug. Wer es hörte, mußte
sofort wissen, worum es sich handle. Da wir in den hinter-
lassenen Fragmenten keine Spur von den »heißen Kämpfen«
finden, da Jesaja sich nur ein einziges Mal über die Bekehrung
des Restes äußert (Jes. 102off.), so bestätigt dies unsere Ver-
mutung, daß er einen damals schon geläufigen Terminus tech-
nicus aufgegriffen hat. War er volkstümlich, so lag ihm sicher
nicht die Scheidung von einem Israel 'Äaza Tcvevfia und einem
Israel x«ra aa^xa zu Grunde, die überhaupt nicht hebräisch,
sondern griechisch ist.
Der Rest. 235
Jesaja kann um so weniger als Schöpfer dieser Idee in
Betracht kommen, als sich der Best schon bei Amos als
Terminus technicus belegen läßt: Sucht das Gute und nicht
das Böse, damit ihr lebt, und Jahve, der Gott Zehaoth, mit euch
sei, wie ihr behauptet Haßt das Böse und liebt das Gute und
richtet das Becht auf im Gericht, vielleicht wird Jahve, der
Gott Zebaoth, dann dem Beste Josephs gnädig sein (Am. Öuf.).
Der Best Josephs ist ein sehr merkwürdiger Ausdruck. Well-
hausen erklärt: »Joseph ist bis auf einen Rest heninter-
gekommen, durch viele Kalamitäten«. Amos lebte zur Zeit
Jerobeams II. Von eben derselben Zeit sagt eben derselbe
Wellhausen: »Unter Joas' Sohne, Jerobeam II., erstieg das
Reich sogar einen Gipfel äußerer Macht, der an die Zeiten
Davids erinnern konnte«. Und doch soll der Prophet von einem
durch viele Kalamitäten heruntergekommenen Beste Josephs
reden ! Wellhausen verweist freilich zum Belege auf Am. 46ff.
72ff., aber wir haben bereits oben (vgl. S. 168 ff.) gezeigt, daß hier
eine Plagentheorie einwirkt. Der Best Josephs paßt überhaupt
nicht zur Bezeichnung des damaligen Volkes, da Joseph damals
kein »Rest«, sondern eine blühende Nation war. Der Ausdruck
muß sich vielmehr auf diejenigen beziehen, die aus der eschato-
logischen Katastrophe gerettet werdend Verständlich ist er aber
nur dann, wenn er bereits zur Zeit des Amos eschatologischer
Terminus technicus war. Die Idee des Restes ist hier in
eigentümlicher Weise verwertet worden, wie sonst nie wieder:
Schon gegenwärtig soll Joseph sich bekehren, damit Jahve
künftighin bei der hereinbrechenden Katastrophe dem Reste
gnädig sei! Gewöhnlich hören wir, daß erst der gerettete Rest
sich bekehren wird, ohne etwas über den Grund seiner Rettung
zu erfahren.
Die Betonung der Buße dürfen wir vielleicht auf die
Rechnung der Propheten setzen, aber der Restgedanke
in seiner heilseschatologischen Passung entstammt be-
reits dem Volksglauben, oder richtiger um seines dogmatischen
Charakters willen den vorkanonischen Prophetenschulen. Von
1. Der Eest Josephs kann unraöglicli Juda sein, wie MEiNHOiiD^
will. Er sucht aus Arnos I2 (vgl. darüber 0. S. 23) zu beweisen, daß^
Juda der Katastrophe entgehen werde.
236 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
alters her mag es solche Schilderungen gegeben haben, wie wir
sie jetzt noch in den prophetischen Schriften lesen, wo der Ge-
danke des Bestes zur Veranschaulichung der Große des Unheils
diente : Alle gehen zu Grunde bis auf den Rest. Aber daneben
war nun einmal die Heilseschatologie gegeben, nach der keines-
wegs alle zu Grunde gehen konnten. Um den Widerspruch aus-
zugleichen und eine Vermittlung herzustellen, klammerten sich die
(vorkanonischen) Propheten an die Idee des Restes, die nun aus
kritischen Bedenken heilseschatologisch umgebogen wurdet Für
den israelitischen Patriotismus mochte es dann selbstverständHch
sein, daß die wenigen GlückUchen, die der Katastrophe entrinnen
sollten, mit den Israeliten identisch seien (vgl. o. S. 150), obwohl der
Ausdruck Rest nur wenig dazu paßte. Dem gegenüber betonten
die (kanonischen) Propheten den ursprünglichen Sinn des Restes
und illustrierten ihn vielleicht im Anschluß an ältere Vorbilder.
Aber sie haben sich nicht gänzlich lösen können von dem volks-
tümlichen Glauben und haben der herrschenden Zeitauffassung
mitunter den schuldigen Tribut entrichtet. Die ganze Heils-
eschatologie, die dem inneren Wesen der kanonischen
Prophetie von Grund aus widerstreitet, ist ein mehr
unfreiwilliges Zugeständnis an die populäre Eschato-
logie, in deren Vordergrund eben nicht das Unheil, sondern
das Heil stand. Die Heilseschatologie war nun einmal in der
Überlieferung gegeben, und wenn die Propheten sie auch keines-
wegs geleugnet haben, so fühlten sie sich dennoch berufen, vor
allem die Sturmvögel des Unheils zu sein. Je nach dem Maße,
in dem sie vom Volksglauben abhängig waren und das zu ver-
schiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen ver-
schieden stark gewesen sein mag, modifizierte sich die Schärfe,
mit der sie den Umfang der kommenden Katastrophe bestimmten.
Das kaleidoskopartige Schillern ihrer Weissagung (vgl. o. S. 67)
erklärt sich zum Teil aus der wechselnden Stellung, die sie dem
Volksglauben gegenüber einnahmen. Wir finden die mannig-
fachsten Nüanzen neben einander: Zwischen dem einen Extrem,
1. Ich bitte zu beachten, daß es sich hier um eine Kekonstruktion
bandelt, die vielleicht auch in anderer Weise versucht werden kann.
Erklärt werden soll die Tatsache, daß der Eestgedanke sowohl Un-
heils- wie heilseschatologisch ist und schon bei Arnos als Terminus
technicus erscheint.
Der fragmentarische Charakter der Eschatologie. 237
nach dem Israel wie in der populär-patriotischen Anschauung
dem Unheil entrinnt, und zwischen dem anderen Extrem, nach
dem der Tag Jahves nur Finsternis und kein Licht ist, liegt
eine Eeihe von Schattierungen.
Die Vermittlungsidee des Restes sollte die Brücke schlagen
vom Unheil zum Heil; aber sie ist erst verhältnismäßig spät,
wenn auch vor Amos, aufgetaucht. Wir können die Umbiegung
einer anfänglich ganz anders gerichteten Vorstellung und die
Umgestaltung eines anfänglich ganz anders geformten Stoffes
noch in den Prophetenschriften einigermaßen deutlich verfolgen.
Der Restgedanke konnte von vorneherein nicht das leisten, was
er leisten sollte. Die Brücke war viel zu schwach, um die für
sie bestimmte Last zu tragen. Daraus ergibt sich eine wichtige
Konsequenz. Denn wenn dies richtig ist, dann sind in der
israelitischen Eschatologie Unheil und Heil von Hause
aus nicht mit einander organisch verbunden gewesen,
sondern haben lose neben einander gestanden. Erst
durch den Restgedanken sind sie unorganisch und mangelhaft
mit einander verknüpft worden. Diesen trümmerhaften Charakter
hat auch die prophetische Eschatologie bewahrt.
Für die Vorstufe, die der prophetischen Unheilseschatologie
vorausging, war ein Weltuntergang durch eine wie immer ge-
artete Katastrophe charakteristisch. Als Vorläuferin der pro-
phetischen Heilseschatologie lernten wir die Vorstellung kennen,
daß die Welt aufs neue gebaut und daß vor allem das Paradies
wiederkehren solle. Da beide Ideen mythisch sind, so müssen
sie beide notwendig alt sein, älter als die Prophetie. Mag nun
die zweite Anschauung einen mit der ersten gemeinsamen Ur-
sprung haben oder später, wenn auch schon in alter Zeit, hin-
zugefügt sein, so mußte man sich jedenfalls in dem Augenblick,
wo sie entstand, über ihr Verhältnis zur ersten klar werden»
Oder will man es für wahrscheinlich halten, daß es da, wo beide
als lebendige Ideen neben einander existieren, keine Vermittlung
zwischen ihnen gegeben habe? Der Glaube an eine neue Welt
hat doch nur dann einen Sinn, wenn Menschen vorhanden sind,
die die Freuden des Paradieses genießen können. Die Götter
haben ihr Reich für sich und brauchen kein Neuland. Die
Neuschöpfung geschieht allein um der Menschen willen. Sind
aber die Menschen durch eine vorausgegangene Katastrophe
"238 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Ternichtet, so ist die Wiederkehr des Paradieses überflüssig —
oder die Menschen müssen auferstehen zu einem neuen Leben.
Der Auferstehungsgedanke ist in der späteren apokalyptischen
Eschatologie ein richtiges und organisches Bindeglied zwischen
Unheil und Heil und in ganz anderer Weise als die ßestidee
geeignet, beide mit einander zu verknüpfen. Auch wenn man
der Ansicht ist, daß alle psychologischen Ableitungen der Auf-
•erstehungshoffnung , die man versucht hat, von Grund aus ver-
fehlt sind und daß sie vielmehr in uralten Zeiten entstanden
sein muß, so wird man sie dennoch dem älteren Israel nach
allem, was wir wissen, absprechen müssen. Eine andere Frage
ist die, ob das Volk, von dem Israel die Eschatologie über-
nommen hat, den Mittelgedanken der Auferstehung kannte.
Diese Frage läßt sich heute weder bejahen noch verneinen.
Sicher ist nur das eine, daß Israel den ursprünglichen Mittel-
gedanken, welcher Art er auch immer gewesen sein mag, ver-
gessen hat. Unheil und Heil, zwei stark beschädigte Säulen,
sind die allein übriggebHebenen Reste des alten Tempels und
zeugen noch von der entschwundenen Pracht.
§ 22. Die Echtheit der Zuknnftshoffnungen.
Hermann Guthe: Das Zukunftsbild des Jesaja. Leipzig 1885.
Fbiedrich Giesebrecht: Beiträge zur Jesajakritik. Göttingen 1890.
H. Hackmann. Die Zukunftserwartung des Jesaja. Göttingen 1893.
Paul Volz : Die vorexilische Jahveprophetie und der Messias. Göttingen
1897. W. Nowack: Die Zukunftshoffnungen Israels in der assyrischen
Zeit (Theol. Abhandlungen für H. J. Holtzmann). Tübingen 1902.
'T. K. Cheyne: Introduction to the book of Isaiah. 1895 (deutsch von
Böhmer 1897).
Man hat versucht, aus den vorexilischen Prophetenschriften
einen großen Teil der Stellen auszumerzen, die von der Heils-
eschatologie handeln, und sie für exihsch oder nachexilisch zu
erklären. Von der Inkonsequenz, durch die einige Verse dem
Seziermesser der Kritiker glücklich entgangen sind, will ich
nicht reden, da man das Versäumte ja nachholen kann. Wohl
aber darf man verlangen, daß die Negation ergänzt werde durch
die positive Entstehungsgeschichte aller der Tatsachen, die oben
§ 18 — 21 aufgezählt sind und die noch hinzukommen. Ab-
gesehen von ein paar Notizen, die durchaus ungenügend sind,
hat sich bisher niemand die Mühe gemacht, den vorhandenen
Prophetischer Stil. 239
Stoff zu sammeln und seinen historischen Werdegang aufzu-
zeigen i.
Um die Entstehungszeit der Heilseschatologie zu bestimmen,
geht man gewöhnUch von der Frage aus, ob die heilseschatolo-
gischen Partieen von dem Verfasser stammen, in dessen Buche
sie überHefert sind, oder ob sie an der Stelle und in dem Sinne
stehen, die der Autor ihnen zugedacht haben mag. Diese
Frage ist leichter aufgeworfen als beantwortet. Sie kann hier
nur gestreift, nicht erschöpfend behandelt werden,
da die Komposition der prophetischen Schriften und der Stil
der prophetischen Reden bisher noch nicht genügend untersucht
sind, obwohl sie dessen dringend bedürfen. Ohne sich auf
Kleinigkeiten einzulassen, ist es lohnend, sich mit den großen
Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, die man gegen die Echt-
heit vorgebracht hat. Denn teilweise stützt sich die Kritik auf
falsche Axiome.
Ein oft angeführter Grund ist der, daß der Zusammen-
hang mit dem Vorhergehenden und Folgenden lose sei. Das
ist richtig, aber nicht richtig ist es, einen solchen überhaupt zu
erwarten. Die schriftstellerische Art der Prophetenbücher er-
kennt man am besten, wenn man sie vergleicht mit der Art
eines Demosthenes oder Cicero. Diese haben lange, logisch
durchdachte, kunstreich zusammengefügte ßeden komponiert
und stilisiert, zu denen auch wir mit Bewunderung empor-
blicken. Die prophetischen Schriften sind zum größten Teil aus
kurzen, zusammenhanglosen Sprüchen zusammengesetzt, da man
zwei, drei Sätze, vier, fünf Verse keine »Rede« nennen kann.
Sie ähneln am ehesten den Evangelien, die uns Fragmente, ab-
gerissene Worte aus der Lehrtätigkeit Jesu mitteilen, die wenige,
freilich goldene Körner aus seinem reichen Schatze uns auf-
bewahrt haben. Wer hier straffe Gliederung verlangt, wer
noch wie einst von einer »Bergpredigt« Jesu spricht, die Matth.
c. 5 ff. überliefert sei, legt einen falschen Maßstab an diese
Literaturgattung an. Die einzelnen Prophetenbücher sind ver-
schiedenen Charakters. Während Jeremia und Ezechiel mit-
unter längere Zusammenhänge bieten, die sich über mehrere
1. HüHNs Buch ist kaum einmal eine Materialiensammlung zu
nennen.
240 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Kapitel erstrecken, so wird man bei Arnos, Hosea, Jesaja und
wie sie alle heißen, bald hierin bald dorthin geführt. Kaum hat
man einige Verse gelesen, so wird man plötzlich, ehe man es
sich versieht, in eine völlig andere Situation versetzt. Jedes
Wort des Überganges, jede VerbindungsHnie fehlt. Ohne Ver-
mittlung werden die disparatesten Dinge lose an einander ge-
gereiht. Ob die Propheten jemals »Reden« in unserm Sinne
gehalten haben, ob sie selbst die bruchstückartigen Notizen ge-
sammelt und in irgend ein Gefüge gebracht haben oder ob das
durch ihre Schüler geschehen ist, das alles sind Fragen, die hier
nicht beantwortet werden können. Jedenfalls müssen die Be-
obachtungen über Zusammenhangslosigkeit, die man bei den
heilseschatologischen , speziell den messianischen Weissagungen
gemacht hat, verallgemeinert und auf breiterer Basis von neuem
angestellt werden. Es wird sich dann zeigen, wie wenig sie
geeignet sind, um über Echtheit und Unechtheit zu entscheiden.
Daneben wird oft die Schwerfälligkeit des Ausdrucks
und die Mangelhaftigkeit des Rhythmus und des Paral-
lelismus gerügt. Auch dieser Vorwurf trifft nicht die heils-
eschatologischen Stellen allein, sondern überhaupt die propheti-
schen Schriften als Ganzes. Wir dürfen nicht ohne weiteres an-
nehmen, daß die Reden der Propheten wörtlich so gelautet haben,
wie sie in unserem Texte stehen. Teils mögen die Verfasser
selbst sie überarbeitet und prosaischer gestaltet haben, teils
mochten ihnen Andeutungen und Anspielimgen genügen, um in
ihren Lesern Gehörtes oder längst Bekanntes wachzurufen;
denn ihre Bücher waren für die Zeitgenossen, nicht für die
Nachwelt bestimmt. Teils aber haben auch spätere Exegeten
und Abschreiber den Text gemodelt. Einen Parallelismus zu
verunstalten, eine bildliche Redewendung durch eine prosaische
zu ersetzen oder zu ergänzen, machte ihrem Gewissen keine
Sorge, da sie den Begriff der philologischen Akribie sowenig
wie den des literarischen Eigentums kannten. Mehr oder minder
fei haben sie alle mit dem überlieferten Text geschaltet, ihn
überarbeitet, verbessert, ergänzt, gekürzt, bereichert, erklärt, wie
es ihnen bona fide recht erschien. Darum werden wir dem
Texte mit grundsätzlichem Mißtrauen gegenüberstehen und mit
der Skepsis, daß wir nur selten die Worte, sondern im besten
Prophetischer Stil. 241
Falle die Gedanken des ursprünglichen Autors zu erwarten
habend
Noch weniger beweisen einzelne Ausdrücke, zumal
wenn sie wenigen Versen entnommen sind. Auch hier haben
die Schreiber — nicht nur in den heilseschatologischen Partieen,
sondern überall — nach eigenem Belieben geändert, eine un-
moderne Phrase durch eine moderne verdrängt, ein ihrem Ge-
schmack nicht zusagendes Bild um gedichtet, genau so wie es
noch heute mit unsern Gesangbuchliedern geschieht. Die Pro-
phetenschriften waren Erbauungsbücher, die in den Synagogen
vorgetragen wurden, die als historische Urkunden nichts galten,
sondern die nur wegen ihres ethisch-rehgiösen Gehalts in An-
sehen standen. Darum war der Buchstabe wenig, der Gedanke
die Hauptsache. So notwendig und bis zu einem gewissen
Grade unentbehrlich sprachliche Untersuchungen sind, so vor-
sichtig muß man doch in ihrer Verwertung sein. Es kann
nicht oft genug wiederholt werden, daß sie für sich allein gar
nichts beweisen; sie dürfen höchstens als Bestätigung für ein
anderweit gewonnenes Resultat dienen, und auch nur dann,
wenn sie in Massen zur Verfügung stehen und wenn genügen-
des Material zur Vergleichung vorhanden ist.
Überdies ist eine andere Erwägung sehr nützlich. Wir
haben auf Schritt und Tritt gesehen, daß die Propheten die
heilseschatologischen Ideen nicht selbst erdichtet, sondern vor-
gefunden haben in einer älteren Tradition, sei es mündlicher
sei es vielleicht gar schriftKcher Art. Der Inhalt ist sicher nur
bis zu einem gewissen Grade ihr originales Eigentum, wie weit
es die Form ist, können wir heute nicht wissen. Wenn wir
aber bedenken, wie verhältnismäßig viele mythische Elemente
in den wenigen heilseschatologischen Stellen enthalten sind,
dann werden wir die Möglichkeit nicht leugnen dürfen, daß sie
auch im Ausdruck an ihre Vorläufer sich angelehnt haben
können. Das Material, mit dem sie arbeiten, ist längst fest
ausgeprägt, die Formeln sind technisch, die Benennungen typisch.
1. Um Mißverständnissen vorzubeugen, betone ich, daß damit
weder über den Unwert oder Wert der LXX noch über den der Metrik
irgend etwas ausgesagt sein soll. Meine Skepsis ist in textlicher Be-
ziehung sehr stark.
Forschungen zur Rel. n. Lit, d. A. u. NT. 6. 16
242 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
die Ideen undeutlich geworden. Wie soll man denn erwarten,
die Phrasen und Redewendungen der jesajanischen Messias-
stücke, um deren Originalität es sich vor allem handelt, an
späteren Stellen oder in anderen Zusammenhängen wieder an-
zutreffen, da sie völlig isoliert sind und in einzigartiger Weise
von Dingen reden, die nirgendwo sonst berührt werden ?i Der
Heilseschatologie haftet in viel größerem Maße der ursprünglich
fremde Charakter an, während die Unheilseschatologie mehr
israelitischen Geist atmet und stärker in palästinisches Kolorit
getaucht ist.
Der wichtigste Einwand, der gegen die Echtheit der vor-
exilischen Heilseschatologie erhoben ist, geht dahin, daß Pro-
phetie und Heilseschatologie sich durchaus ihrem innersten
Wesen nach ausschließen. Dieser Einwand ist nur bis zu einem
gewissen Grade berechtigt. Die den Propheten von Gott ver-
liehene Aufgabe war, vor allem das drohende Ende Israels zu
weissagen, das unerbittliche Verhängnis im Voraus zu prophe-
zeien und das Volk darauf vorzubereiten. Kurz, die ältere
Prophetie hat hauptsächhch die Unheilseschatologie zu ihrem
Gegenstande. Wenn sie nun ihrer Büßpredigt die Spitze ab-
brach, indem sie dennoch einen günstigen Ausgang erwartete,
so war das vielleicht ein pädagogischer Fehler, eine politische
Utopie und vor allem ein Widerspruch in sich. Denn »eine
bedingt ausgesprochene Weissagung ist gar keine Weissagung,
sondern hölzernes Eisen« (Smbnd^ S. 191). Allein ob logisch,
pädagogisch und politisch falsch, um die Tatsachen kommen
wir damit nicht herum. Es steht unumstößlich fest, daß
Jesaja dem sich bekehrenden Rest (Sear-jasuh) die
Segenszeit verheißen hat. Der Restgedanke ist ein aus
der volkstümlichen Heilseschatologie aufgenommener Fremd-
körper in die ältere Prophetie, deren Keni die Unheilseschato-
logie ist. Seine Rezeption ist wohl begreif Kch. Die Propheten
überragten als gewaltige Männer, von Jahves Geist erleuchtet
und getrieben, alles Volk um eines Hauptes Länge, aber sie
waren auch Patrioten, die ein inniges Mitgefühl hatten mit dem
Geschick ihrer Nation. Da ist es nur zu verständlich, daß sie,
wenn nicht immer so doch bisweilen, ihre Hoffnung und ihren
1. Wir werden darauf unten zurückkommen.
Unheil und Heil. 243
Glauben auf den Rest setzten, der nach der populären Erwartung
übrig bleiben sollte. War dies eine praktische Zugeständnis
an die Heilseschatologie gemacht, so ist nicht einzusehen, wo
prinzipiell die Grenze gezogen werden sollte. Mit der Rest-
idee ist die starre Unheilseschatologie durchbrochen.
Jetzt ist eine Bresche geschlagen, durch die die ganze oder
wenigstens ein großer Teil der Heilseschatologie den Einzug
halten konnte. Ob etwas mehr, ob etwas weniger Heilseschato-
logie, das war dem Geschmack des Einzelnen überlassen. Über-
dies muß man bedenken, daß der Stoff in der Tradition nun
einmal gegeben war und deshalb auch weiter fortgepflanzt
wurde, ohne daß man sich viel um die innere Einheit kümmerte.
Es widerstrebt mir, alle die Gründe zu wiederholen, die
man mit großem Scharfsinn und tiefem Verständnis der Pro-
phetie zusammengetragen hat, um zu erweisen, daß Prophetie
und Heilseschatologie nicht organisch zusammenstimmen. Die
Gründe sind im Wesentlichen durchaus richtig, soweit man
nicht den Messias, der seinen Platz nur in einem Teil der
Heilseschatologie hat, fälschlich in die ganze Eschatologie hin-
übergezogen hat. Wohl aber sind die Folgerungen, die man
aus dieser Erkenntnis abgeleitet hat, als unzutreffend abzulehnen.
Man hätte die heilseschatologischen Weissagungen, statt sie für
nachprophetisch zu erklären, vielmehr für vorprophetisch aus-
geben sollen. So werden alle beanstandeten Dinge verständlich.
Damit soll nicht behauptet werden, daß jede einzelne heils-
eschatologische Stelle ohne weiteres »echt« sei. Aber als einzig
berechtigtes Kriterium, um die »Echtheit« zu leugnen, sind nur
die vorausgesetzten zeitgeschichtlichen Verhältnisse anzusehen.
Solange diese nicht gegen die Urheberschaft dessen sprechen,
in dessen Buche die Heilseschatologie überliefert ist, solange
wird man die »Echtheit« aufrecht erhalten dürfen.
Ein abschließendes Urteil wird erst mögHch sein, wenn wir
über die literarische Komposition der Prophetenbücher und über
die Grundsätze, nach denen man die Sprüche geordnet hat, ins
Reine gekommen sind. Wie zahlreiche Fälle zeigen (vgl. S. 178 ff.),
ist es offenbar die Absicht der Sammler gewesen, einer unheils-
eschatologischen Weissagung als Gegenstück eine heilseschato-
logische anzureihen. Dies Prinzip bedarf jedenfalls der Erklärung,
mag man es den Autoren selbst oder späteren Editoren zu-
16*
244 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
schreiben. Vielleicht spielte der Aberglaube eine Rolle, der die
Drohung nicht liebt ohne die Verheißung, vielleicht ist es der
Überrest eines alten eschatologischen Stiles, wonach der Sänger
zunächst ein Lied vortrug, das die Fluchzeit behandelte, und
in unmittelbarem Anschluß daran ein anderes, das die Segens-
zeit verherrhchte. Wir können uns jedenfalls die Macht des
Stiles nicht groß genug vorstellen.
Nachdem ich so die Haupteinwände der Gegner in Kürze
als nicht zutreffend erwiesen zu haben glaube, will ich noch
einmal meine eigene Position zusammenfassend darstellen, die
von dem verwickelten literarischen Problem völlig unabhängig ist.
Der Ursprung der israelitischen Heilseschatologie
liegt für uns im Dunkeln und kann auf keine Weise
psychologisch rekonstruiert werden. Man sagt gewöhn-
lich, die äußere Veranlassung sei die gewesen, daß »Wirklich-
keit und Ideal sich nicht deckten. Denn sobald die Zufrieden-
heit mit den bestehenden Verhältnissen schwand, erwachte die
Sehnsucht nach einem vollendeten Heile« (Huhn I S. 4). Mit
demselben Recht oder Unrecht könnte man das Gregenteil be-
haupten: Die Zukunftserwartung sei aus dem jugendlichen,
kraftstrotzenden Selbstgefühl eines siegreichen, vorwärtsstreben-
den Volkes geboren, das durch einen König der Endzeit unter
den Auspizien eines gnädigen Gottes seine weitschauenden Ziele
zu verwirklichen hoffe, wie der Jüngling den Traum des Mannes
träumt, der in der Reife der Jahre mühelos die Früchte seiner
Arbeit erntet. Dieser Alexander wünsch eines sich stark fühlen-
den Volkes, das Sichrecken nach dem, was vorne ist, und die
Antezipation der Zukunft ist zunächst und vor allem ein Zeichen
innerer Kraft und energischer Lebensäußerung, mag auch etwas
Unzufriedenheit mit der Gegenwart sich hineinmischen. Aber
ob so oder so, alle diese und ähnHche psychologischen Ab-
leitungen leisten nicht das, was sie leisten sollen. Wohl kann
der Mensch, der es liebt, die Vergangenheit im rosigsten Lichte
zu malen, auch in Zukunft machtvolle Könige, herrhche Tage,
fruchtbare Zeiten und ungestörten Frieden im Lande ersehnen;
aber daß grade das Paradies wiederkehren solle, ist kein am
Wege liegender Gedanke. Es handelt sich nicht nur um eine
Projizierung alles dessen, was in der Gegenwart als gut und
Die mythische Stufe der Heilseschatologie. 245
schön gilt, in eine noch bessere und schönere Zukunft, sondern
auch um mythische Züge.
Diese mythischen Züge, die insgesamt mit der
Anschauung vom Götterlande zusammenhängen, sind
ihrem Wesen nach uralt und können nicht von den Pro-
pheten erdichtet, sondern müssen einer älteren Yolkstradition
entnommen sein. Nun könnte man die mythischen Bestandteile
der Heilseschatologie, die zwar an sich alt sein müssen, dennoch
für eine späte, vielleicht nachexilische Anleihe Israels bei einem
fremden Volke halten. Allein dagegen ist einzuwenden, daß
sie von den mythischen Überbleibseln der Unheilseschatologie
vollkommen Unabtrennbar sind. Die israelitische Religions-
geschichte wäre ein unlösbares Rätsel, wenn Unheils- und Heils-
eschatologie, die denselben teilweise mythischen teilweise frag-
mentarischen Charakter tragen und die zu einander gehören
und sich gegenseitig entsprechen wie die zwei Schalen einer
Muschel, zu verschiedenen Zeiten von auswärts her eingewandert
wären. Mit welcher Wahrscheinlichkeit dürfte man vermuten,
daß die Israeliten vor dem Exil alles dasjenige, was mit dem
Unheil, nach dem Exil hingegen, fein säuberlich davon getrennt,
alles dasjenige entlehnt hätten, was mit dem Heile zusammen-
hängt ?
Denn beide, Unheils- wie Heilseschatologie, sind
in Israel nicht autochthon. Das würde ich nicht ohne
weiteres aus dem mythologischen Charakter schließen, da ich
keinen Grund einsehe, warum man den Israeliten das mythische
Denken absprechen sollte. Wohl aber bestimmen mich dazu
folgende Erwägungen: Erstens ist für die Unheilseschatologie,
wie wir gesehen haben (vgl. o. S. 160), fremder Ursprung wahr-
scheinlich. Was ihr recht ist, muß der Heilseschatologie billig
sein. Zweitens wären die treibenden Kräfte, die zur Ent-
stehung der Heilseschatologie geführt haben, wohl noch durch-
sichtig und erkennbar, falls sie in Israel je wirksam gewesen
wären. Drittens haben wir bei vielen einzelnen Ideen die
ausländische Herkunft bewiesen, und wie vieles Einzelne, so
wird auch das Ganze aus der Fremde von irgendwoher stammen.
Als Hauptgrund führen wir viertens den fragmentarischen
Charakter der älteren Heilseschatologie ins Feld.
Es handelt sich bei den älteren Propheten, wie gezeigt
246 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
wurde, nicht um ein vollkommenes Gemälde, das von einem
großen Meister geschaffen sein könnte, sondern um lauter ein-
zelne Züge. Erst nach mühsamer archäologischer Untersuchung
konnten die Bruchstücke identifiziert und ihre ursprüngliche
Zusammengehörigkeit behauptet werden. Denn der mythische
Hintergrund, der dem geübten Auge noch sichtbar ist, ist doch
so stark verwischt und verblaßt, daß er dem flüchtigen Be-
schauer nicht auffällt. Verständliches wechselt mit halbwegs
oder vöUig Unverständlichem, zeitgeschichthch Bedingtes und
Mythisches gehen durch einander. Niemals wird in der älteren
Zeit einfach und klar gesagt: Das Paradies kehrt wieder, eine
neue Welt hebt an, sondern wir sind gezwungen, aus Einzel-
heiten, die aus der übrigen Umgebung herausfallen und in
einem seltsamen Kontrast zu ihr stehen, jene Idee rückwärts zu
erschließen. Die Eschatologie des Heiles ist allerdings nicht
ganz so stark zertrümmert wie die des Unheils, immerhin ist
das ursprüngliche Gebäude nicht mehr erhalten.
Der bruchstückartige Charakter, der sowohl der Unheils-
(vgl. 0. S. 147) wie der Heilseschatologie eignet, zeigt sich ferner
in der Zusammenhangslosigkeit und dem Auseinanderklaffen
beider Teile. Die Verbindungslinien herüber und hinüber sind
verloren gegangen. Auf der einen Seite wird die Vernichtung
der ganzen Menschheit oder Israels betont, auf der andern
Seite wird ein neues Paradies für die Menschheit geschaffen,
ohne daß man erfährt, woher diese Menschheit stammt. Der
Eestgedanke ist nur ein kümmerhcher Ersatz für das fehlende
Ghed und stellt keine organische, sondern eine disharmonische
Vereinigung zwischen Weltuntergang und Welterneuerung her
(vgl. § 21).
Dieser fragmentarische Charakter muß schon in der volks-
tümhchen Eschatologie vorhanden gewesen sein. Hätte ein
großer, festgefügter Bau je in Israel existiert, so wäre er schwer-
lich so brüchig geworden, wie es jetzt in den älteren Propheten-
schriften der Fall ist. Diese Bruchstücke sind doch nur ver-
ständlich als der Überrest eines wirkUch einmal vorhandenen
Baues, den wir zwar nicht nachweisen können, wohl aber postu-
lieren müssen. Es bleibt darum nichts anderes übrig, als die
Eschatologie für außerisraelitischen Ursprungs zu halten. Das
ist um so wahrscheinlicher, als uns in den späteren Apokalypsen
Der fragmentarische Charakter der Heilseschatologie. 247
tatsächlich ein großer und imposanter Bau entgegentritt. Was
wir aus den Schilderungen der Propheten nur erschlossen haben
als die unausgesprochen zu Grunde liegende Idee, das wird hier
klar ausgesprochen und im Zusammenhang dargestellt: Die
Welt wird durch Feuer vernichtet, Himmel und Erde werden
neu, und das Paradies kehrt wieder in seiner ganzen Schön-
heit. Zwischen beiden Tatsachen Hegt die Auferstehung und
verknüpft sie zu einem harmonischen Ganzen. Ist es wahr-
scheinlich, daß dieser Bau aus den Bruchstücken entstanden sei,
die wir aus dem Alten Testamente kennen lernen? Von den
Fugen und Rissen, mit denen die Fragmente vermauert sein
müßten, bemerkt man auch nicht das Geringste; im Gegenteil,
es ist sachlich — nicht literarisch! — eine einheitliche Schöpfung
aus einem Guß. Erst die Ruine, dann das stattliche Schloß,
welch seltsames Rätsel ! Dies Rätsel löst sich nur in dem Falle,
wo man eine zweimalige Einwanderung desselben Stoffes an-
nimmt. Zum ersten Male strömte das Material in alter, vor-
prophetischer Zeit ein. Die letzten Spuren können wir in
unseren prophetischen Schriften verfolgen. Die zweite Über-
schwemmung Palästinas mit eschatologischen Ideell geschah erst
sehr viel später, als der Synkretismus, die Verschmelzung der
Religionen des Orients, begann, i
Die Kritiker haben also Recht, wenn sie auf die lose Ver-
bindung zwischen Unheil und Heil in der älteren Prophetie
hinweisen. Man darf kaum einmal so viel sagen, daß die
Propheten erst die lange Nacht des Unheils und dann den
hellen Tag des Heils verkündet hätten. Selbst diese chrono-^
logische Ordnung der beiden Teile, so wahrscheinlich sie ist,
1. Diese historische Gesamtauffassung ist zuerst von Gunkel
(Forschungen I S. 23) vertreten. — Wenn man die ältere Eschatologie,
wie es wahrscheinlich ist, aus Babylonien herleiten darf, so wird man
sie vielleicht aus astronomischen Theorien erklären müssen. Gunkel
verweist auf die Präzession der Sonne (Genesis'^ S. 234). Neuerdings
behauptet Eduard Meyer für die Eschatologie ägyptischen Ursprung.
Wertvoller ist mir das Zugeständnis: »Daß das Schema <^der propheti-
schen Verkündigung) einschließlich der messianischen Zukunft nicht
etwa von Arnos oder Jesaja geschaffen, sondern überkommenes Gut ist,
bedarf keines Beweises«. (Sitzungsberichte der Kgl. preuß. Akad. d.
Wiss. Philos.-hist. Classe vom 22. Juni 1905. Bd. XXXI S. 651 f.)
248 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
läßt sich nicht klar beweisen, sondern nur erschließen und an
einigen Stellen voraussetzen. Aber die Kritiker haben Unrecht,
wenn sie deshalb die Zukunftshoffnungen ganz oder teilweise
streichen wollen. Der mythische Untergrund, auf dem
die Heilseschatologie beruht, ist ein unumstößlicher
Beweis für ihr hohes Alter. Der Glaube an die Wieder-
kehr des Paradieses, der allein die Heilseschatologie begreiflich
macht, kann nicht im Licht der Geschichte, geschweige denn
in dem oder nach dem Exil entstanden sein. Wenn eine Escha-
tologie erst einmal vorhanden war, konnten sich neue Ideen,
seien es heimische, seien es auswärtige, leicht ankrystallisieren.
Es soll darum nicht geleugnet werden, daß einzelne Fragmente
zu allen Zeiten, namentlich seit dem Exil, hinzugekommen sind.
Aber der Grundstock existierte schon früher und muß als vor-
prophetisch gelten.
Auf diese älteste oder mythische Stufe der Heils-
eschatologie, die in der vorexihschen Prophetie nur noch als
Untergrund mehr oder weniger deutlich erkennbar ist, folgte,
wie in der Unheilseschatologie , eine zweite oder volkstüm-
liche Stufe. Sie wird auch in der Heilseschatologie vornehm-
lich charakterisiert durch die palästinische Färbung
des aus der Fremde überlieferten Stoffes. Israel hat die Ideen,
die es vom Ausland bezog, umgestaltet und teilweise in seinem
Geiste umgeprägt. Dadurch ist der ursprünglich recht reiche
mythische Gehalt verringert worden. Die Hoffnungen, die das
Herz des Volkes erfreuten, sind nur noch flüchtig in das leuch-
tende Gold des Mythus hineingetaucht und mit ihm wie mit
einem leichten Überzug bedeckt. Vor allem ist aber der ur-
sprünglich weltweite Horizont verengert und auf Palästina be-
schränkt worden. Was anfänglich von der neuen Welt mit
ihrem neuen Paradiese galt, das ist jetzt allein für das Palä-
stina der Endzeit in Anspruch genommen. Dort im Lande
Israels spielen dann die Kinder mit Kreuzottern und Löwen,
dort triefen die Berge von Milch und Honig, dort werden die
Schwerter zu Winzermessern umgeschmiedet, dort feiert man
das göttliche Freudenmahl der neuen Zeit, dort liegt die Resi-
denz auf dem Gottesberg im Norden , dort fließt der Strom,
dessen Arme die Gottesstadt erfreuen, dort verschwinden Krank-
heit, Tränen und Tod, dorthin eilt nun alle Welt, um mit
Die volkstümliche Stufe der Heilseschatologie. 249
Israel des höchsten Glückes teilhaftig zu werden und mit ihm
seinen Gott Jahve zu preisen.
Mochten auch die religiösen Farben in diesem Bilde nicht
ganz fehlen, so werden sie doch nur als Hintergrund gedient
haben, von dem sich Israels Herrlichkeit desto schärfer und
klarer abhob. So erquickte und erfreute sich der israeUtische
Patriot an diesem Gemälde der Endzeit, und sehnsüchtig schaute
er in die Zukunft, wo alle diese köstlichen Dinge sich erfüllen
würden. Ging es den Israeliten gut, so mochte die Aussicht
auf ein solches Ende gerechten Stolz oder wohl gar nationale
Eitelkeit hervorrufen. Aber in noch höherem Grade wird die
Heilseschatologie sie getröstet haben, wenn äußere Gefahren
und innere Not sie bedrängten. Dann hängte sich das Herz
des Frommen an die Zukunft, und dieser Glaube trug ihn
hinweg über die Qual der Gegenwart. Die Heilseschatologie
war die Lösung all der bangen Rätsel, die ihn ängstigten, und
ersetzte ihm die Hoffnung auf ein Jenseits. Gar manche
Lieder haben die Sänger im Voraus gedichtet, die dann ge-
sungen werden sollen, wenn die Zeit erfüllt ist. Der Psalter, der
freilich im großen und ganzen nachprophetisch ist, spiegelt dennoch
die Stimmungen wieder, mit denen man im Volke der großen
heilbringenden Wendung entgegensah^.
Die dritte oder prophetische Stufe der Heilseschato-
logie wird weniger gekennzeichnet durch eine Wandlung des
Stoffes als vielmehr durch die andersartige Beleuchtung, in die
der überlieferte Stoff von jetzt an geiückt wird. Die End-
hoffnungen, die der Tradition entlehnt sind, dienen fortan dazu,
um der Sehnsucht nach dem religiös-sittlichen Ideal
der Propheten Ausdruck zu verleihen. Die herrliche
Zeit, die mit dem Tage Jahves anbricht, schafft die Erfüllung
der prophetischen Forderungen : Dann wird man sich nicht mehr
auf Schwerter, Rosse und Kriegswagen verlassen, weil ein großes
Friedensreich die Nationen umspannt und weil sogar in die
Tierwelt und in die Natur der ewige Friede seinen Einzug hält.
Dann wird man auf Jahve allein vertrauen, der seine Residenz
inmitten seines Volkes aufschlägt und der ihr ein besserer Hüter
sein wird als alle waffenstarrenden Heere. Dann wird man nur
1. Vgl. den Artikel Gunkels: Die Endhoffnung des Psalmisten,
in der Christliclien Welt. 1903. No. 48. Sp. 1130 ff.
250 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
den einen Gott verehren in vollkommener Gerechtigkeit und
Treue und wird die silbernen und goldenen Götzen den Ratten
und Fledermäusen überlassen. Die möglichst enge Verknüpfung
der Heilseschatologie mit der Religion und der Sittlichkeit
dürfen wir als die hauptsächlichste prophetische Neuerung an-
sehen, die später nach dem Exil teilweise wieder verloren ge-
gangen ist.
B. Der Messias.
§ 23. Der Hofstil.
Weinel: n»tt und seine Derivate (ZATW Bd. 18). Gießen 1898.
Wellhausen: Zwei Eechtsriten bei den Hebräern (Archiv f. Kel.-Wiss.
Bd. 7). Leipzig 1904. Adolf Erman: Die ägyptische Keligion. Berlin
1905. Morris Jastrow: Die Keligion Babyloniens und Assyriens. Bd. I.
Gießen 1902.
Ein heutzutage dem Könige eingereichtes Aktenstück trägt
einen festen, ausgeprägten Stil, zu dem gewisse Anreden, Unter-
schriften und Formeln gehören, die zum Teil unserm modernen
Empfinden widersprechen, die wir aber doch ruhig gebrauchen,
weil sie aus der alten Zeit stammen und durch Jahrhunderte
lange Gewohnheit geheiligt sind. Das wird so bleiben und ist
immer so gewesen, solange Sitte und Brauch existiert haben.
Genau ebenso haben die vom Könige selbst ausgefertigten Er-
lasse einen ganz charakteristischen Typus, dessen Eigenart mög-
lichst wenig, am liebsten gar nicht Änderungen unterworfen wird.
Das konservative Element, das jedem Stile innewohnt, macht
sich aus naheliegenden Gründen beim Hofstil, der die beiden
genannten Arten zusammenfaßt, am meisten geltend. Leider
besitzen wir im Alten Testament kein einheimisch-israelitisches
Dokument, etwa den Brief eines Untertanen an seinen Herrn,
durch den uns der Hofstil anschaulich vor Augen geführt würde.
Wir sind darum auf indirekte Schlüsse aus gelegentlichen, zu-
fällig überlieferten Notizen angewiesen. Gute Führerdienste
können uns die babylonischen Urkunden leisten, ohne daß wir
darum die israelitischen Parallelen ohne weiteres für babyloni-
schen Ursprungs zu halten brauchen.
Das Vorhandensein dieses Stiles ist im letzten Grunde
selbstverständlich. Bei der Thronbesteigung, bei der Bückkehr
Der Hofstü. 251
vom Kriegsschauplatz, bei der Vermählung, bei der Geburt eines
Thronfolgers, bei diplomatischen Empfängen und sonst bei
prunkvollen Festen des Königs muß der Hofsänger die Leier stets
auf einen bestimmten Ton stimmen und alte, regelmäßig sich
wiederholende Gedanken nicht nur über den König selbst, son-
dern auch über den Glanz seiner Herrschaft, den Reichtum
seines Landes und das Gelingen seiner Unternehmungen vor-
tragen. Nur die Form, in die er seine Worte kleiden will, ist
ihm überlassen. Je nachdem sich bedeutende Zeitereignisse
abgespielt haben oder nicht, je nachdem wird der charakter-
istische Typus dieser Hoflieder stärker oder schwächer gewandelt
Dieser Einschlag aus der Gegenwart ist inhalthch meist leicht
zu erkennen, er allein verleiht zusammen mit der Eigenart des
Dichters den Liedern lebendigen Reiz. Zieht man das Indivi-
duelle und die Zeitfärbung ab, so bleibt noch ein großer Rest^
der für alle HofUeder typisch ist und der uns hier allein inter-
essiert.
Die Berufung des Königs Merodochbaladan II. wird auf
dem Berliner Grenzstein so geschildert: Marduk faßte zum
Lande Äkkad (= Bahylonien), von dem er im Grimm sich
abgewandt hatte, Zuneigung, hielt Umschau unter allen Leuten,
musterte die Menschheit; unter allen Menschen, sämtlichen Wohn^
sitzen traf er in festem Beschlüsse Auswahl; Merodachbaladan,
den König von Babylon, .... sah er freudig an . . . und ver-
kündete durch seinen Ausspruch: Dies sei der Hirte, der die
Versprengten zusammenbringt^. Ähnlich heißt es in der Cylin-
derinschrift von Cyrus: Marduk faßte Erbarmen, In allen
Ländern insgesamt hielt er Umschau, musterte sie und suchte
einen gerechten Fürsten nach seinem Herzen, ihn zu fassen bei
seiner Hand: Kuras, König von Aman, berief er mit Namen;
zur Herrschaft über die Gesamtheit des Alls tat er kund
seinen Namen^. Zum Teil mit denselben Ausdrücken sagt der
in Babylonien lebende^ Deuterojesaja von Cyrus, daß Jahve ihn
bei der Hand gefaßt und seinen Namen gerufen habe (Jes. 45 1.4).
Ob hier ein, wenn auch nur indirekter, Anschluß an den baby-
1. Keilinschr. Bibl. III 1 S. 185 ff. Zimmern KAT^ S. 382.
2. Keilinschr. Bibl. III 2 S. 121 ff. Zimmern KAT^ S. 381.
3. Vgl. das, was oben (S. 223) über die Idee der Götterstraße aus-
geführt wurde.
252 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Ionischen Hofstil vorliegt^, läßt sich nicht sicher entscheiden,
da wir den israelitischen Hofstil nicht genügend kennen 2. Jeden-
falls müssen beide, wie aus den zahlreichen Parallelen im fol-
genden erhelltj einander sehr ähnlich gewesen sein. Sie stimmen
übrigens auch mit dem ägyptischen Hofstil im großen und ganzen
überein.
Ebenso wie in den bereits zitierten Texten, »so heißt es
nicht nur zahllose Male in den babylonischen und assyrischen
Königsinschriften seit der ältesten Zeit bis in die jüngste Zeit,
daß der und der König von den Göttern zur Herrschaft über das
Land berufen, von ihnen ausersehen worden sei, z. T. auch mit
dem Zusatz, daß schon in seiner Kindheit, im Mutterleibe, der
König durch die Götter zur Regierung bestimmt worden sei,
sondern es wird wiederholt auch gesagt, daß schon vor alters,
vor fernen Tagen, solche göttliche Bestimmung des Königs zur
Herrschaft erfolgt sei «3. Auch die israelitischen Könige fühlten
sich als die Erkorenen Jahves. David sagt zur Michal, Jahve
habe ihn vor ihrem Vater und vor dessen ganzem Hause erwählt,
um ihn zum Fürsten über Israel, das Volk Jahves, zu bestellen
(II Sam. 621 vgl. I Reg. Sie), und I Sam. 16 schildert, wie Sa-
muel auf Anstiften Jahves den jüngsten der Söhne Isais, der
des Vaters Schafe hütet, erkiest und salbt. Es fehlt hier zwar
der weltweite Horizont des Babyloniers, der die Gottheit nicht
bloß ein Volk, sondern alle Völker mustern läßt, um seine Aus-
wahl zu treffen, aber das ist durch die Situation notwendig ge-
geben. Wer aber wollte behaupten, daß auch solche Worte, die
von der ganzen Welt reden, in Israel ausgeschlossen seien?
Das ersehen wir aus Dichtungen wie Ps. 2. 72. 110. Höfische
Schmeichelei wünscht hier dem regierenden'^ Könige Israels die
Weltherrschaft: Er soll die Völker zermalmen mit eisernem
Stabe, soll herrschen von Meer zu Meer und sitzen zur Rechten
Jahves, bis daß dieser lege die Feinde zum Schemel seiner
1. So Kittel: Cyrus und Deuterojesaja ZATW Bd. 18. S. 160.
2. So GuNKEL nach schriftlicher Mitteilung. Doch vgl. § 28.
3. ZiMMEBN KAT^ S. 403.
4. So mit Eecht Gunkel in seinen »Ausgewählten Psalmen«.
Aber mit Unrecht nimmt er eine Übertragung der eschatologischen
Messiashoffnungen auf den regierenden König an. Der Messias hat hier
nichts zu suchen. Es war eben Hofstil, so vom Kegenten zu sprechen.
Vorstellungen vom Könige. 253
Füße. Man würde Israel einen seltsamen Größenwahn zu-
sprechen, wollte man ihm selbst in den kühnsten Träumen die
genuine Erwartung eines weltumspannenden Königreiches zu-
trauen. Sie kann bei ihm so wenig entstanden sein, wie es
heutzutage bei einem modernen Dichter undenkbar ist, daß er
etwa dem Fürsten von Montenegro die europäische Kaiserkrone
spontan verheißen sollte! Der Ursprung des Glaubens an ein
Weltreich ist psychologisch nur verständlich bei einem Volke,
das mit gutem Recht den Anspruch auf- die Weltherrschaft
erheben darf. Die »Welt« ist nach damaliger Anschauung
natürlich viel kleiner als heute, aber Israel hatte kaum einmal
einen Begriff von dieser kleinen Welt. Es fehlte ihm der
lebendige Eindruck, und darum kann die Rolle, die die
Welt in seiner Religion tatsächlich spielt, nicht von ihm selbst
gedichtet sein. Etwas ganz anderes ist es, wenn etwas zum Stil
geworden ist. Dann kann es weiter wandern und sich auch
da lokalisieren, wo es, streng genommen, absurd oder lächerlich
ist. Das Hofzeremoniell Ludwigs XIV., das in Frankreich viel-
leicht seinen guten Sinn hatte, ward, weil der König nun einmal
tonangebend war, nachgeahmt an all den kleinen Fürstenhöfen
Europas und sank damit zur Karrikatur herab.
So muß notwendig auch der israelitische Hofstil aus der
Fremde stammen. Man kann sich das sehr gut an Ps. 2
klar machen. Die hier vorausgesetzte Situation paßt nur schlecht
zu einem israelitischen Könige. Denn er hat keine Fürsten
und Völker unter sich, die sich wider ihn empören könnten.
Das Bild wird sofort anschaulich und lebendig, wenn
man einmal annimmt, der Psalm sei in einem Welt-
reich entstanden. Wie oft hat es die Geschichte gelehrt,
daß der Thronwechsel in einem gewaltigen Weltreich von den
unterworfenen Völkern und Königen benutzt wird, um das Joch
der Fremdherrschaft von sich abzuschütteln! Unter diesem
Gesichtspunkte muß man den Psalm lesen : Der mächtige König,
der auch die fremden Untertanen im Zaum hielt, ist gestorben.
Das ist das Zeichen zum Abfall, und schon laufen die Fäden
der Verschwörung durch das ganze, unermeßHche Reich. Diese
Situation benutzt der Sänger, um den neuen König bei seiner
Thronbesteigung zu verherrlichen. Er schildert die gefährliche
politische Lage, gibt aber zugleich seinem Herrscher den Trost,
254 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
daß sein Gott im Himmel für ihn ist. Wer vermag wider ihn
zu sein? Und dann legt er ihm die Worte in den Mund und
läßt ihn selbst reden: Ich aber hin als sein (Gottes) König
bestellt^ .... Er sprach zu mir: »Du bist mein Sohn, ich
selbst habe dich heute gezeugt! Bitte von mir, so geb ich dir
Völker zum Erbe, zum Besitz die Enden der Welt! Du darfst
sie mit eisernem Stabe zermalmen, wie Töpfergeschirr sie zer-
trümmern«. Zum Schluß wendet sich der Dichter an die unter-
worfenen Könige: Nun aber, ihr Könige, seid klug; laßt euch
warnen, ihr Richter der Erde.
Von besonderem Interesse ist, daß hier die babylonische
Adoptionsformel (Hammurabi § 192) vorliegt^. An dem Tage,
wo der König den Thron besteigt, wird er von der Gottheit an
Sohnes statt angenommen mit den Worten: Du bist mein
Sohn; ich selbst habe dich heute gezeugt. Ebenso beachtenswert
ist der Ausdruck in Ps. 728, dessen Verständnis ich Eichhorn
verdanke: Er herrsche von Meer zu Meer und vom Euphrat bis
zu den Enden der Welt. Die zweite Hälfte dieser technischen
Redensart (sie kehrt auch Zach. 9io wieder) muß in ßabylo-
nien geprägt sein, obwohl sie einstweilen aus babylonischen
Quellen noch nicht belegt werden kann. Denn die Größe eines
Reiches wird allewege bezeichnet, indem man entweder die
beiden äußersten Grenzen nennt (von einem Weltmeer bis zum
andern), oder indem man vom Zentrum ^ zur Peripherie geht
(vom Euphrat bis zu den Enden der Welt). So sind einige
Phrasen aus Babylonien nach Israel gewandert, dort einheimisch
geworden und in israelitischem Sinne umgedeutet. Da sie
ihren Sitz im Hofstil haben, so dürfen wir diesen, wenigstens
zum Teil, für babylonischen Ursprungs halten.
Nicht immer sind wir in der günstigen Lage, Zusammen-
hänge zwischen dem Hofstil Israels und dem der beiden Welt-
reiche, Babylonien oder Ägypten, nachzuweisen. Wir müssen
uns im übrigen begnügen, sie zu vermuten und uns auf eine
Sammlung des Materials beschränken. Besonders beliebt war,
nicht nur in Israel, das Prädikat der Ewigkeit, das in ver-
schwenderischer Fülle über den König ausgeschüttet wird. So
1. So ist mit den LXX zu verstehen. 2. So zuerst Gunkel.
3. Als Ende der Welt kann der Euphrat für die Israeliten nicht
in Betracht kommen.
r
Yorstellungen vom Könige. 255
heißt es in dem Gruße: Der König lebe ewiglich (IReg. I31.
Neh. 23. Dan. 24. 89), so heißt es auch im Liede: Ihm möge
Jahve ewige Lebensdauer verleihen (Ps. 21 5. 61 7). Sein Haus
soll für ewig Bestand haben, sein Thron feststehen in Ewigkeit
(IlSam. 7i6. IReg. 245. 95. Ps. I851. 45?. 72 17). Aber auch
abgesehen von den Segenswünschen für die Zukunft wird, was
unserm Empfinden nicht so verständlich ist, das Haus Davids
in die Urzeit zurückdatiert: An jenem Tage will ich die ver-
fallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Bisse ver-
mauern und die Trümmer wieder aufhauen j und ich will sie
machen wie in den Tagen der Urzeit (Am. 9 11). Dbiy "'^a'^iD
ist, wörtlich aufgefaßt, in dem oder nach dem Exil ebenso un-
begreiflich wie zur Zeit des Amos. Es wird begreiflich nur
durch den Hofstil, dem solche Übertreibungen geläufig sind, der
es liebt, die Dynastie als uralt hinzustellen, mag sie nun im
Licht der Geschichte oder gar erst vor kurzem zur Herrschaft
gekommen sein. Ferner gehören hierher die üblichen Segens-
wünsche: Es möge dem Könige nie an Nachfolgern und an
zahlreichem Nachwüchse fehlen (II Sam. 7 12. I Reg. 9 5. Jer.
33 20 ff. Ps. 89 so); mit seinem Namen sollen sich segnen alle
Geschlechter auf Erden, und alle Völker sollen ihn glücklich
preisen (Ps. 72 17); überhaupt alle die Lobeshymnen des Regenten,
wie auch immer sie lauten mögen.
Daß dieser Hofstil sich nur in Israel und nirgendwo sonst ge-
bildet haben könnte, läßt sich nicht nachweisen. Im Gegenteil
deuten einige seiner Elemente (die Idee der Weltherrschaft, die
Vorstellung von der Adoption des Königs durch die Gottheit,
die Redensart Ps. 72 s) auf ausländischen, vornehmlich babyloni-
schen Ursprung hin. Fragen wir, wann er eingewandert sei,
so ist als Terminus a quo die Entstehung des israelitischen
Königtums gegeben. Genauer werden wir an die Zeit Salomos
denken dürfen, der zuerst in größerem Umfange einen regen
Verkehr mit den Nachbarkönigen unterhielt und unter dem das
israelitische Hofzeremoniell geprägt wurde. Eine direkte Ab-
hängigkeit vom babylonischen Hofstil ist wenig wahrscheinlich;
eher mag dieser auf indirektem Wege durch phönikische Ver-
mittlung seinen Einfluß ausgeübt haben, da ja König Hiram
von Tyrus ein Freund Salomos war. Unter solchen Umständen
wäre es falsch, wollten wir in Israel nach psychologischen Mo-
256 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
tiven suchen, aus denen der Hofstil zu erklären sei. Da er aus
der Fremde übernommen ist, so darf man nur sagen: Der Hof-
stil spielte eine Rolle allein deshalb, weil er nun einmal vor-
handen war und zu dem notwendigen Zeremoniell jedes orien-
talischen Königtums gehörte. Höchstens darf man auf die devote
Überschwänglichkeit aufmerksam machen, die diesen Stilz um Teil
geschaffen und sich auch in Israel geäußert hat (Gunkel). Aus
den technischen Bezeichnungen Sohn Gottes (11 ^dim. 7i4. Ps. 2?)
oder Erstgeborner Gottes (Ps. 8928) für den König darf man
irgend welche Schlüsse auf Königsvergötterung nicht ziehen.
Denn das war eben Stil, so vom König zu reden, und bei
einem Stil fragt niemand, ob er einen Sinn hat oder nicht.
Am allerwenigsten darf man diese Ausdrücke wörtlich fassen,
als ob der König damals für einen physischen Sohn der Gottheit
gegolten habe. Oder glaubt man die Grüße, die dem Könige
ewiges Leben wünschen, wörtlich deuten zu dürfen?
Grade das läßt sich als ein spezifisch israelitisches
Charakteristikum innerhalb des Hofstiles herausheben: das
fast völlige Zurücktreten der Königsvergötterung.
Die babylonisch-assyrischen Könige galten schon nach den älte-
sten Inschriften als Kinder der Muttergöttin und wurden als
Göttersöhne verherrlicht. So ernährte sich Lugalzaggisi von
der Lebensmilch der Ninharsag, Gudea sog an den Brüsten der
Nina und Assurbanipal saß im Schöße der Istar^. In der alt-
babylonischen Zeit wurden sie auch nach dem Tode apotheosiert
und direkt mit den Stemgöttern identifiziert^. Aber das klas-
sische Land der Königsvergötterung war Ägypten: »Die Gött-
lichkeit des Herrschers gehört in Ägypten zu den uralten
Dogmen«*. So lehrt es uns auch der Hofstil der Tell-el-
Amarnabriefe. Wenn also Israel den Hofstil von einem an-
deren Volke übernommen hat, so hat es ihn doch in seinem
Geiste umgeprägt. Denn im ganzen Alten Testamente wird
der (regierende) König nur ein einziges Mal mit dem Titel
Gott angeredet* : Dein Thron, o Gott, steht immer und ewiglich.
Wir haben hier ein Überbleibsel aus einer Periode, wo es auch
in Israel einmal geläufiger war, den König Gott zu nennen,
1. Zimmern K AT» S. 379. 2. Zimmern KAT'' S. 639.
3. Erman S. 39; vgl. S. 40. 79. 199. 208.
4. So mit Eecht Gunkel zu Ps. 45?.
Vorstellungen vom Könige. 257
obwohl dieser Brauch vielleicht niemals allzu stark in Übung
gewesen sein mag. Spätere Redaktoren werden unsere Texte
überarbeitet und wie alles Anstößige so auch diese Titulatur
des Königs ausgemerzt haben. Nur diese eine Stelle ist ihnen
entgangen und gibt uns Kunde von einem verschollenen Ht^sti),
der einen allgemein orientalischen Charakter trug. Mag nun
die Königsvergötterung von vorneherein zurückgetreten oder
später zurückgedrängt sein, jedenfalls zeigt sich hier die ge-
waltige Höhe der israelitischen Religion, die, frei von byzantini-
scher Schmeichelei, den menschlichen Herrscher in respektvoller
Entfernung von Jahve hält*. Der ungeheure Abstand des
Königs von der Gottheit zeigt sich deutlich auch Zach. 128,
wo gesagt wird, daß in der eschatologischen Zeit der
Schwächste zum Helden wird wie David und das Haus Davids
wie Gott^. Wer wollte es da wagen, das gegenwärtige Königs-
geschlecht auch nur mit der Gottheit zu vergleichen, geschweige
denn mit ihr gleichzusetzen? Aus dem Worte des Weibes von
Tekoa, dem David ob seiner Weisheit wie der Engel Jahves
erscheint (II Sam. 14 17. 20), darf man keine Schlüsse auf Ver-
götterung ziehen, da es sich hier um eine devote Redewendung
handelt, die keinen religiösen Wert hat. So lange die Israeliten
nur Dorfschulzen und kleine Scheichs hatten, d. h. in der soge-
nannten Richterzeit, war eine Vergötterung der Herrscher über-
haupt ausgeschlossen, da sie ein höfisches Zeremoniell, eine
Schranke zwischen Volk und Thron und eine größere Macht
zur unbedingt notwendigen Voraussetzung hat. Diese Erwägung
zwingt uns wiederum, beim israelitischen Hofstil fremden Einfluß
anzunehmen: Die Königsvergötterung kann nicht israelitischen
Ursprungs sein. Daß sie seit der Zeit Davids in Israel auto-
chthon entstanden sei, ist von vorneherein unwahrscheinlich.
Eine gewisse Annäherung des Königs an die Gott-
heit, die aber noch zu keiner Identifizierung mit ihr
geführt hat, läßt sich freiHch auch in Israel an zwei Punkten
beobachten. Der elfenbeinerne Thron Salomos, der auf sechs
von je zwei Löwen flankierten Stufen stand (IReg. lOisff.),
»ahmt den Thron des höchsten Himmelsgottes nach, der hoch
oben auf der siebenten der von Dämonen bewachten himm-
1. Vgl. GUNKEL ZU Ps. 20.
2. Und wie der Engel Gottes ist Glosse.
ForschuDgen zur Rel. u. Lit. d. A. n. NT. 6. 17
258 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
lischen ,Festen' sitzt« ^. Ob Salomo und seine Zeitgenossen
diesen Sinn noch gekannt haben, wissen wir nicht. Die Mög-
hchkeit, daß Salomo den Glanz seines Königtums in die gött-
liche Sphäre rücken wollte, wird man mit Sicherheit nicht in
Abrede stellen können. Immerhin ist es auf der anderen Seite
zweifellos, daß sich Salomo hier an (phönikisch-)babylonische
Vorbilder anlehnt und deshalb vielleicht mehr unbewußt als
bewußt das irdische Regiment dem himmlischen annähern wollte.
Von irgend welchem Einfluß auf die rehgiöse Wertschätzung
des Königs ist dieser Akt, soweit wir heute sehen, nicht ge-
wesen.
Der König ist femer der Gesalbte Jahves (mn*^ H''^'^).
Fragen wir, was das damals bedeutete, so erhalten wir aus
unseren Quellen die Antwort: Durch die Ölsalbung ist der
König sakrosankt geworden. Er ist fortan unverletzlich
(ISam. 26. IlSam. lidff. 49ff.). Dem David schlägt schon das
Gewissen, als er dem Könige Saul einen Zipfel seines Gewandes
abgeschnitten hat (ISam. 24 ef.). Wer dem Könige flucht, wird
ebenso gesteinigt, wie derjenige, der Gott lästert (IlSam. 1922).
So ist der König durch die Salbung aus der alltägUchen Sphäre
herausgehoben und möglichst nahe an die Gottheit herangerückt.
Bis hierher führen uns die Nachrichten des Alten Testamentes
selbst. Wollen wir weiter forschen, woher der Eitus der Öl-
salbung stammt und wie er seine gegenwärtige Bedeutung er-
langt hat, so müssen wir uns auf das Gebiet der Hypothesen
begeben. Vielleicht dürfen wir vermuten, daß der Bitus von
der Gottheit auf den König übertragen wurde. Im Kultus
der Ägypter nimmt der Priester, nachdem er den Gott in der
Kapelle begrüßt hat, »seine Geräte, die er im Kasten bei sich
hat, und beginnt damit die tägliche Toilette Gottes. Er be-
sprengt sein Bild aus zweimal vier Krügen mit Wasser, er be-
kleidet es mit Leinenbinden, die weiß, grün, rot und rötlich
sind, er salbt es mit Öl, legt ihm grüne und schwarze
Schminke auf imd was dieser Dinge mehr sind« (Eeman
S. 49). Auch in Babylonien darf am Ende ein ähnlicher Bitus
aus den Zaubertexten erschlossen werden: Helles Öl, reines Öl,
1. Gunkel: Psalmen S. 90.
Der Gesalbte. 259
glänzendes Öl, Öl, welches die Götter glänzend machtK Wie
mit Sahne uiid Honig 2, so mögen die babylonischen Götterbilder
ebenfalls mit Öl bestrichen sein. In Babylonien ist allerdings,
80 weit wir bis heute wissen, die Salbung des Königs unbe-
kannt 3. In Kanaan aber ist sie seit alters gebräuchlich gewesen,
wie wir jetzt aus den Tell-el-Amarnabriefen gelernt haben*.
Ebenso dürfen wir aus Gen. 28 is schheßen, daß schon die
Kanaaniter den Steinkörper der Gottheit von Bethel mit Öl
eingerieben haben. Aus solchen Eiten des Kultus mag die
Salbung der Könige hervorgegangen sein, die wohl mit kulti-
schem d. h. heiligem, außergewöhnlichen Öl erfolgte. Bei der
Inthronisation vertritt der Priester die Rolle des Gottes und voll-
zieht in dessen Namen den Akt der Weihung: So ist der von
Jahve Gesalbte durch das kultische Öl geheihgt und sakrosankt
geworden. Später^ dachte man sich, bei der heihgen Handlung
werde ein materielles Fluidum, der göttHche Lebensstoff oder,
nach gewöhnlicher Ausdrucksweise, der heilige Geist (ISam. lOe.
16 13. Jes. 61 1) auf den König übertragen. Es bildete sich die
Vorstellung von einem götthchen, himmlischen Öl, das schöner
als alles irdische Öl speziell für die Götter vorhanden sei. Im
Paradies, im Götterlande wachsen solche Bäume, von denen
das Öl des Lebens fließt (Vita Adae c. 36; vgl. IIHen. 83.5
Rez. B.). Als Henoch in den zehnten Himmel kommt, wird
er mit einem Öl gesalbt, dessen Glanz wie schöner Tau und
Sonnenstrahlen und dessen Duft wie Myrrhe ist (IIHen. 229).
§ 24. Die Segenszeit.
Im vorigen Paragraphen ist zu zeigen versucht, daß ein
israehtischer Hofstil mit einem bestimmten Typus, mit fest-
stehenden Ideen, Titulaturen und Redensarten existiert hat,
zunächst ganz abgesehen von der Eschatologie. Man darf sich
nicht irre führen lassen durch das Wort Messias. Im Alten
1. Maklü VII 31 ff. Beitr. zur Assyr. IV S. 160f. Jastkow I
S. 318. 2. ZiMMEBN KAT.3 S. 526.
3. Zimmern KAT.^ S. 602. 4. KB. V No. 37.
5. Icli halte diese Anschauung — im Gegensatz zur herrschenden
Auffassung — nicht für ursprünglich.
17*
260 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Testamente kann jeder König Messias heißen. Unser
heutiger Sprachgebrauch, der aus dem Neuen Testamente stammt
und dem auch ich mich anschließe, bezeichnet — was jedesmal
wohl zu beachten ist! — als Messias nur den letzten escha-
tologischen König, der keine Nachfolger mehr hat.
Wenn wir jetzt zur Eschatologie übergehen, so glaube ich, mit
ihrer Hülfe den Hofstil in einigen wesentlichen Punkten er-
gänzen zu können.
Innerhalb der heilseschatologischen Schilderungen sondert
sich eine gewisse Gruppe von Vorstellungen aus, die ursprüngUch
mit dem Könige und seiner Verherrlichung zusammenhängt.
Diese Züge sind später oft gänzlich vom Könige losgelöst und
bilden ein eigenes Kapitel im Drama der Endzeit. Das ist
überall da der Fall, wo der König nicht genannt wird und an
seine Stelle die Gottheit oder Israel oder Jerusalem getreten
ist (z. B. Jes. c. 60). Die Einzelheiten waren eben so typisch, daß
sie auch dann aufgezählt wurden, wenn der natürliche Mittel-
punkt (d. h. der König) verschwunden ist, um den sie sich
ursprünglich gruppiert haben müssen, wie sich aus der Natur
der Sache ergibt. Sie gehören so, wie sie uns heute vorliegen,
zum eschatologischen Stil. Ich behaupte nun, daß die
Dinge, die im Folgenden zusammengestellt sind, einstmals auch
eine Rolle im Hofstil gespielt haben, d. h. daß sie nicht nur
von dem eschatologischen, sondern von jedem behebigen
(regierenden oder künftigen) Könige ausgesagt werden konnten
und ausgesagt wurden.
Diese Behauptung gründet sich zuerst auf den
babylonisch-assyrischen Hofstil. Dort kann die Regierung
eines Königs als eine Zeit des Segens geschildert werden. So
heißt es in dem Brief eines Höflings an Assurbanipal : Tage
des Rechts, Jahre der Gerechtigkeit, reichliche Regengüsse, ge-
waltige Hochwasser, guter Kaufpreis. Die Götter sind wohl-
geneigt, Gottesfurcht ist viel vorhanden, die Tempel reichlich
versehen . . . Die Greise hüpfen, die Kinder singen, die Frauen
und Mädchen . . . heiraten . . . geben Knaben und Mädchen
das Leben. Das Werfen verläuft richtig. Wen seine Sünden
dem Tode überantwortet hatten, den hat mein Herr König am
Leben gelassen. Die viele Jahre gefangen saßen, hast du frei-
gelassen; die viele Tage krank waren, sind genesen. Die
Hofetil. 261
Hungrigen sind gesättigt, die Ausgemergelten sind fett geworden,
die Nackten sind mit Kleidern bekleidet worden"^. Solche Worte
sind bis jetzt erst verhältnismäßig spät nachweisbar; wir dürfen
sie aber um des konservativen Charakters des Hofstiles willen
unbedenkUch für älter erklären.
Eine andere Frage, die hier nicht gelöst zu werden braucht,
ist die, ob diese Schilderungen der Segenszeit ursprünglich im
(babylonischen) Hofstil entstanden sind. Hier mögen teilweise
noch andere Kräfte wirksam gewesen sein, da wir ähnUche
Beschreibungen auch an anderen Stellen finden, wo die Segens-
zeit nicht durch die Regierung eines Königs, sondern durch
eine Sternkonstellation (Omina) oder durch die Lösung eines
Bannes (Zauber) hervorgerufen ist. So heißt es z. B. in der
Surpu-Serie IV 38 fi"., wo die sieben großen Götter angerufen
werden: Mögen sie das Geschlinge zerreißen, den Bann lösen,
die bösen Fesseln sprengen, die Bande lockern, (die Ketten) aus-
einander reißen, den Gottesschwur aufheben, den Frevel {weg-
nehmen), die Missetaten entfernen, die Sünden verzeihen. Es
lebe der Kranke, es gehe der Lahme, möge der Gebundene be-
freit, der Gefangene erlöst werden, der Eingekerkerte das Licht
erblicken"^. Gemeint sind, wie aus anderen Stellen hervorgeht,
die zu Unrecht Verhafteten, die im Dunkel des Gefängnisses
schmachten. Ich überlasse es den Assyriologen , diese Zu-
sammenhänge weiter zu verfolgen. Für meinen Zweck genügt
es, innerhalb des babylonischen Hofstils Schilderungen einer
Segenszeit nachgewiesen zu haben, deren Züge typisch sind.
Zu diesen typischen Zügen gehört die Befreiung der Ge-
fangenen, die als ein Zeichen der Humanität des neuen
Herrschers angesehen und gepriesen wird. In Israel dürfte es
in diesem Punkte nicht anders gewesen sein als in Babylonien,
und was wir Jes. 61 if. hören, mag einmal von jedem Könige
gerühmt sein, wie der Prophet in seiner Weise sagt: Der Geist
des Herrn Jahve ist auf mir, weil Jahve mich gesalbt, das Evan-
gelium den Elenden zu bringen mich gesandt hat. Herzgebrochenen
Verband anzulegen. Gefangenen Freiheit auszurufen und den
Gebundenen Öffnung der Augen, auszurufen ein Jahr der Huld
1. Beiträge zur Assyr. I S. 620. Zimmern KAT.» S. 380.
2. Jastrow I S. 321.
262 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
von Jahve und einen Tag der Rache von unserem Gott, zu
trösten alle Trauernden. Diese Stelle stimmt mit den ange-
führten babylonischen Zitaten zum l'eil nicht nur dem Inhalt,
sondern auch dem Ausdruck nach überein: Denn hier wie dort
ist ganz allgemein von den Gefangenen die Rede, während nur
die zu Unrecht Eingekerkerten gemeint sind; hier wie dort wird
die Befreiung aus der Haft bezeichnet als eine Öffiiung der
Augen, als ein Wiedererblicken des Lichtes; hier wie dort
wechseln die Worte Jahr und Tag im Parallelismus mem-
brorumi. So zeigt sich eine Kontinuität des Stiles bis in die
einzelnen Phrasen hinein, die gewiß nicht zufällig ist, sondern
auf einem historischen Zusammenhang beruht. Denn an eine
parallele Entwicklung oder an das Neuschaffen eines einzelnen,
bestimmten Dichters wird der nicht glauben, der sich die wunder-
bare Macht des Stiles klar vergegenwärtigt.
Zweitens gründet sich meine Behauptung eines Zusammen-
hanges zwischen Hofstil und eschatologischem Stil auf die Tat-
sache, daß in beiden die Idee des Weltreiches nach-
weisbar eine Rolle. spielt. Genau so wie dem regierenden
Herrscher (Ps. 2. 72. 110 vgl. § 23) kommt auch dem Messias
das Weltreich zu. Das ist leicht begreiflich, war dieser doch
nach damaliger Anschauung nicht viel mehr als ein König, ob-
wohl er erst in der Endzeit regieren und mit ganz besonderer
Machtfülle ausgestattet sein sollte. Der Stil erlaubte dem Hof-
dichter, jeden beliebigen König als Weltherrscher zu preisen,
mochte auch die Welt, die er wirklich regierte, nicht größer
sein als Israel. In derselben Weise und, wenn es möglich war,
noch etwas überschwänglicher, mußte auch der Messias ver-
herrlicht werden. Wo er fehlte, trat Israel an seine Stelle.
Mit besonderer Vorliebe wird geschildert, wie die stolzen Könige
der Heiden sich vor Israel demütigen werden: Und es werden
Könige deine Wärter sein und ihre Fürstinnen deine Ammen,
Das Gesicht zur Erde werden sie sich dir beugen und den
Staub deiner Füße lecken (Jes. 4923). Bauen werden die Bar-
baren deine Mauern und ihre Könige dir dienen (Jes. 60 lo),
und stehen werden Fremde und euer Kleinvieh weiden, und die
Barbaren sind eure Ackerer und Winzer (Jes. 61 5). Diese
1. Vgl. auch den Brief des Höflings an Assurbanipal.
Weltreichtum. 263
Hoffnung auf ein Weltreich wird als alt bezeugt durch Gen. 49 lo:
Nicht weicht das Szepter aus Juda noch der Stab zwischen
seinen Füßen, bis daß sein Könige kommt, dem die Völker ge-
horchen.
Die Macht des Königs ist äußerlich sichtbar an der Fülle
seines Reichtums, und wie in den historischen Berichten so
dürfte in den Hofliedern dieser Ruhm nicht oft übergangen,
sondern eher ins Große projiziert sein, da dies die Art der
Hofdichter, nicht nur der orientalischen, ist. So wie in unseren
Texten die eschatologische Segenszeit beschrieben ist, mögen
einst auch offizielle Sänger den Antritt des regierenden Königs
gefeiert haben. Nur darf man das Eine nicht aus den Augen
verlieren, daß hier ein Stil vorliegt, der oft zu den realen Ver-
hältnissen Israels nicht paßt. Man erinnere sich darum lieber
an ausländische Dinge, z. B. an die Bilder auf dem schwarzen
Obehsken Salmanassars II! KHngt es nicht fast wie eine
poetische Beschreibung dieser Bilder, wenn es Jes. ßOöff. heißt:
Denn zuwenden ivird sich dir des Meeres Fülle, der Völker
Vermögen wird zu dir kommen. Ein Strom von Kamelen wird
dich bedecken, die Dromedare Midians und Ephas, sie alle
kommen von Saba, Gold und Weihrauch bringen sie und Jahves
Ruhm künden sie. Alle Schafe Kedars versammeln sich dir,
die Widder Nebajoths dienen dir . . . Und offen werden stehen
deine Tore beständig, bei Tag und Nacht nicht geschlossen, zu
bringen zu dir das Vermögen der Völker, indem ihre Könige
Führer sind^ . . . Du ivirst saugen die Milch der Völker und
den Reichtum der Könige essen^ (V. 16 vgl. 61 e). Deutero-
jesaja hatte einst gesungen: Der Erwerb Ägyptens und der Ge-
winn Äthiopiens und die Sabäer, die hochwüchsigen, werden an
dir vorüberziehen, dir gehören und dir dienen; in Ketten werden
sie vorüberziehen (Jes. 45 w). Selbst der Schacher und Buhler-
lohn von Tyrus soll nicht aufgespeichert und aufgespart, sondern
denen zu teil werden, die vor Jahve wohnen, satt zu essen und
zu statthcher Kleidung (Jes. 23 is). Schon nach Zeph. 3ia
1. Lies rh^iz (statt nW) nach Zach. 99. Der Vers verheißt Juda
eine ewige Herrschaft, die er nicht verlieren soll, bis ans seinem Ge-
schlechte der eschatologische König kommt.
2. Lies D^snä Duhm. 3. So die LXX.
264 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
bringen die Heiden ihre Gaben von jenseits der Ströme von
Kus.
Von dem Gedanken der Weltherrschaft und des Weltreich-
tums ist die Idee der Weltreligion unabtrennbar, die zum ersten
Male in dem alten Stücke Jes. 22ff. (= Mch. 4iif.) verkündet
wird: Und strömen iverden zu ihm (zum Berge Zion) alle
Heiden, und viele Völker werden zu ihm gehen und iverden
sagen: Wohlan, steigen wir hinauf zum Berge Jahves, zum Haus
des Gottes Jakobs, damit er uns belehre über seine Wege und
wir gehen in seinen Pfaden; denn von Zion geht aus Lehre und
das Wort Jahves von Jerusalem. Ebenso alt ist Zeph. 2ii:
Die Völker aller Länder kommen ein jedes von seinem Orte aus,
um ihn anzubeten, und Zeph. 39: Denn dann will ich den
Völkern reine Lippen geben, daß sie alle den Namen Jahves
anrufen und ihm einträchtig dienen. Später wird diese Weis-
sagung oft wiederholt, mitunter durch die Wunder Jahves be-
gründet: Wie zur Zeit, da du aus Ägyptenland zogst, laß^ uns
Wundertaten schauen. Die Heiden werden es sehen und ver-
zweifeln an all ihrer Macht ^ sie werden die Hand auf den
Mund legen, ihre Ohren werden taub iverden. Sie werden den
Schlangen gleich Staub lecken, wie die, welche am Boden kriechen,
sie werden zitternd hervorkommen aus ihren Burgen zu Jahve,
unser m Gott, sie werden zittern und sich fürchten vor dir
(Mch 7i5ff.). Und ich werde kommen, zu sammeln die Völker
und Zungen, und sie werden kommen und meine Herrlichkeit
sehen, und ich werde unter ihnen Wunder tun, und werde
senden von ihnen Entronnene zu . . . den fernen Gestaden, die
nicht gehört haben mein Gerücht noch meine Herrlichkeit ge-
sehen (Jes 66i8f.)2.
Wir haben bereits oben (vgl. S. 253) zu zeigen versucht,
daß der Gedanke eines Weltreiches nicht in Israel entstanden
sein kann, sondern dorthin übertragen ist zusammen mit dem
Hofstil. Mag er nun mit der Eschatologie von Hause aus ver-
knüpft gewesen oder erst später mit ihr verbunden sein, »jeden-
falls muß die Religion, die so die Prophetie beeinflußt hat, eine
solche gewesen sein, die mit der Weltkultur in Verbindung
1. Lies njs'in Wellhausen.
2. Im Übrigen vergleiche Smend^ S. 375 f.
Weltreich. 265
stand: die Idee von einem kommenden Weltreiche, das über
alle Nationen gebietet, und die damit zusammenhängende von
einer künftigen Weltreligion, der alle Völker anhangen, eine
Idee, die in der israehtischen Eschatologie so häufig auftritt,
kann sicherlich nur auf dem Boden eines großen weltherrschenden
Volkes und nicht in einem Winkel der Erde entstanden sein«^
Und wie sollte die Erwartung sich bilden, daß in der Endzeit
die kostbarsten Kleinodien der ganzen Welt zu Jerusalem zu-
sammenströmen würden? Es war schlechterdings nichts vor-
handen, was einen derartigen Optimismus, um es milde auszu-
drücken, erklären könnte. Kanaan bedeutete damals gegenüber
Ägypten und Babylonien etwa dasselbe, was heute Belgien
gegenüber Deutschland und Frankreich bedeutet. Jede Pflanze
verlangt ihren Boden, auf dem sie gedeihen, jede Idee Verhält-
nisse, unter denen sie wachsen kann. Die notwendigen Vor-
bedingungen für den Glauben an das Einheimsen der Welt-
reichtümer sind nur in einem Weltreich, wie Ägypten oder
Babylonien gegeben, wo man gewohnt war, den regelmäßigen
oder besonderen Tribut der Vasallen Völker in Empfang zu
nehmen, wo man alljährhch einmal oder mehrmal Gelegenheit
hatte, die Abgesandten fremder und ferner Nationen mit den
Schätzen ihrer Heimat beladen als Untertanen zu erblicken.
Da konnte die Phantasie der Dichter in ganz anderer Weise
angeregt werden als in dem Kleinstaat Israel. Etwas Anderes
ist es, sobald die Ideen von der Weltherrschaft, dem Welt-
reichtum und der Weltreligion einmal technisch geworden sind.
Seit der Zeit sind sie überall möglich, selbst dann wenn die
natürlichen Voraussetzungen fehlen.
Tatsächlich ist nun die Idee eines Weltimperiums^ bereits
im babylonischen Ira-Mythus nachweisbar: Das Meerland soll
das Meerland, Mesopotamien Mesopotamien, Assyrien Assyrien,
den Elamiter der Elamiter, den Kassiten der Kassite, den Su-
täer der Sutäer, den Kutäer der Kutäer, den Lulubäer der
Lulubäer, ein Land das andere, ein Haus das andere, ein
Mensch den anderen, ein Bruder den anderen nicht verschonen,
sondern sollen einander totschlagen. Aber darnach soll der
1. Gunkel: Forschungen I S. 24.
2. So weit haben Jastrow und Zimmern KAT^ S. 394 Eecht.
266 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Akkader (d. h. der Bahylonier) aufkommen und soll sie alle
niederstrecken und sie insgesamt niederwerfen^. Leider läßt
sich bei dem mangelhaften Verständnis dieses Mythus bis jetzt
nichts Näheres darüber aussagen, wie diese Worte im Einzelnen
gemeint sind. Deutlich ist nur, daß zuletzt der Bahylonier die
Oberhand behält. Ebenso ist bei den Ägyptern der Gedanke
der Weltherrschaft zum Ausdruck gebracht worden, als alles
Land vom Euphrat bis zum Sudan der achtzehnten Dynastie
zinste und die Reichtümer dieses ungeheuren Gebietes nach
Ägypten strömten. Man hat damals sogar im Bilde dargestellt^^
wie Amon-Re dem Könige das Sichelschwert überreicht und
ihm fremde Völker übergibt. Die Idee einer Weltreligion, die
sich außerhalb Israels bis jetzt nicht belegen läßt, ist auch beim
Polytheismus nicht undenkbar. Hammurabi z. B., der ein be-
geisterter Verehrer seines Stadtgottes Marduk war, der ihm die
höchste Eangwürde im babylonischen Pantheon verlieh und ihm
alle Erfolge und Siege und den Ruhm seiner Regierung zu-
schrieb, konnte wohl einen Dichter zu dem Liede anregen:
Marduk, an dessen Brust die Schicksalstafeln befestigt seien,
der damit die Herrschaft über Himmel und Erde besitze, Mar-
duks Macht solle wachsen und sich ausdehnen über alle Völker,
die Hammurabi ihm unterwerfe. Wir haben einen solchen Text
nicht, aber daß er dem Geist der babylonischen Religion wider-
spreche, wird man nicht behaupten dürfen. Die unterjochten
Völker, die nach Babylon kamen, brachten ihre Huldigung doch
nicht nur dem Könige, sondern auch seinem Gotte, dem Stadt-
und Staatsgotte, dar; und wenn der Glaube an ein Weltreich
vorhanden war, so war damit auch der Glaube an eine Welt-
religion gegeben oder lag wenigstens nicht fem.
Die Fürsorge des Königs zeigt sich ferner darin, daß er
wie ein rechter Hirte die Untertanen weidet, und darum wird
er gepriesen als der Hirte, der für seine Herde sorgt. Die
Bezeichnung des Herrschers als TtoL^r^v (n^h) ist so gebräuch-
lich (z.B. IlSam. 52. 7?. Jer. 3i5. Mch ösf. Nah.3i8. Ez. 3724)
und so naheliegend, daß sie keiner weiteren Ableitung bedarf.
Wohl aber ist das Epitheton: der die Versprengten sammelt
beachtenswert, weil es schon im Babylonischen begegnet und
1. KB VI 1. S. 67, 9 ff. 2. Erman: Ägypt. Eel. S. 61.
Hof Stil. 267
technisch ist. Merodachbaladan II. wird zum Könige prokla-
miert mit den Worten: Dies sei der Hirte, der die Versprengten
zusammenbringt^. Im alten Testamente ist dasselbe Prädikat
meist auf die Gottheit übertragen, die ja auch als König (Ex.
15i8. Dtn. 335. Ps. ös. lOie. 24 7f. 29io. 445 u. s. w.) wie al&
Hirte (Gen. 48i5. Jes. 40ii. 63ii. Jer. 31io. Hos. 4i6. Mch. Tu,
Ps. 23 1. 289) dargestellt wird, und gewöhnlich auf die Samm-
lung der verbannten Israeliten bezogen (Jes. 11 12. 27 13. 56»,
Ps. 1472 u. s. w.). Diese Umdeutung lag sehr nahe, braucht
aber durchaus nicht überall durchgeführt zu sein, sodaß man
aus dieser Redensart nicht ohne weiteres auf nachexilische Ab-
fassung eines Verses schließen darf. An zwei Stellen wenigsten»
ist das Bild des Hirten deutUch festgehalten : An jenem Tage^
spricht Jahve, will ich das Hinkende sammeln und das Ver-
sprengte zusammenbringen und die, welche ich geweidet habe^.
Und ich mache das Hinkende zum Rest^ und das Versprengte^
zum zahlreichen Volk, und Jahve wird König über die auf dem
Berge Zion sein von nun an bis in Ewigkeit, und du, Herden-
türm, Hügel der Tochter Zion, zu dir wird kommen^ die ur-
anfängliche Herrschaft^, und kommen wird das Königtum'^ zur
Tochter Jerusalem (Mch. 46ff.). Ebenso wie das Bild vom
Hinkenden, vom Weiden und vom Herdenturm ist das Ver-
sprengte aufzufassen als Bezeichnung der unruhig sich zer-
streuenden und verirrenden Schafe. Das Gleiche gilt von Zeph,
3 19: Ich helfe dem Hinkenden und das Zerstreute werde ich
sammeln und bringen zu Ruhm und Ehre auf der ganzen Erde
(vgl. V. 18)8.
1. Vgl. 0. S. 251. 2. Sprich -rrrri; Hiph. wie Ps. 7872.
3. Auch dies ist kein Beweis für nachexilische Abfassung; vgl. §21.
4. Lies rn-jni wie in V. 6. 5. Streiche nKa\
6. Vgl. Jes. l26. 7. Schreibe rsVw^sn rtsai.
8. Dies Bild vom Hirten ist gewiß uralt. Es muß aus einer Zeit
stammen, wo das Volk wesentlich Nomadenvolk war, wo die Tätigkeit
des Hirten als Vorbild für die Tätigkeit des Königs gelten konnte, wo
es noch möglich war, daß wirkliche Hirten (wie David) den Königs-^
thron bestiegen. Obwohl das Bild weit verbreitet ist und bei vielen
Völkern genuin entstanden sein kann, darf israelitischer Ursprung schwer-
lich behauptet werden. Denn das Prädikat : der die Versprengten sammelt^
ist bereits technisch geworden und wird genau so stereotyp wie in
268 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Die Segenszeit, die jeder König heraufführt, beschränkt
sich nicht auf sein unmittelbares Wirken, sondern zeigt sich
indirekt in alledem, was als Folge seiner guten, gerechten und
friedvollen Regierung zu betrachten ist. Das Gedeihen des
Landes in Handel und Wandel, das sorglose Genießen des
Glückes in Haus und Familie, der regelmäßige Gottesdienst,
die Prachtbauten der Tempel, Paläste und Häuser, diese und
manche Dinge mehr sind Motive, die gewiß in den Hofliedem
ebenso oft wiedergekehrt sind, wie sie uns heute beim eschato-
logischen König oder in den Schilderungen der Endzeit über-
haupt begegnen. Besonders behebt ist nach hebräischem Ge-
schmack die Hervorhebung der zahlreichen Kinder und Ein-
wohner: Dann wird die Zahl der Kinder Israel dem Meeres-
sand gleichen, der nicht gemessen und gezählt werden kann
(Hos. 2i). Der Kleine wird werden zum Stamm und der Ge-
ringe zu einem starken Volk (Jes. 60 22). Dorf weise soll Jeru-
salem bewohnt werden wegen der Fülle von Menschen und Vieh
in seiner Mitte (Zach. 28). Denn dann wirst du zu eng sein
für die Bewohner (Jes. 4Qid). Juble, Unfruchtbare^ ... brich aus
und jauchze, die nicht kreißte! Denn mehr sind die Söhne der
Verwüsteten als die Söhne der Vermählten, spricht Jahve (Jes.
54 1). Auch das Betonen der Freude und Lust, unter einem
so von Jahve begnadeten Könige zu leben, gehörte wohl zum
ständigen Material der Hofsänger, wie man aus dem babyloni-
schen Hofstil und der israelitischen Heilseschatologie schließen
darf: Da kommen sie denn und jubeln auf Zions Höhe und
strömen herbei zum Segen Jahves, zu Korn, zu Most und Öl
und zu jungen Schafen und Rindern, und ihre Seele wird wie
ein gewässerter Garten, und sie brauchen nicht länger zu darben.
Dann freut sich die Jungfrau im Reigen und die Jünglinge
und Greise zumal^, und ich wandle ihre Trauer in Jubel und
tröste sie und erquicke sie in ihrem Kummer. Und ich letze
die Seele der Priester mit Fett, und mein Volk nährt sich von
meinem Segen, spricht Jahve (Jer. 31i2ff. vgl. 30 19. 33 11. Jes.
61iff. Zach. 84f.).
Babylonien verwandt. Wenn der Hofstil überhaupt aus der Fremde
stammt, so wird auch dies Prädikat mit ihm gewandert sein.
1. Vgl. den oben zitierten Brief an Assurbanipal.
Hofstil. 269
Der Hofstil forderte, den jeweiKgen König als den Bringer
der Segenszeit zu feiern. Dieselben Motive, die in diesem Stile
vielleicht nur rhetorische Floskeln waren, bei denen sich schwer-
lich selbst der loyalste Hofpoet viel dachte, führten ein leben-
digeres Dasein im eschatologischen Stil. Denn der Messias
sollte wirklich all die »frommen Wünsche« und Erwartungen
erfüllen, die man vom regierenden Herrscher hegte; er sollte
das wahr machen, was von dem gegenwärtigen König höchstens
cum grano salis galt. Und so stand dem Israeliten das be-
rückend schöne Bild der eschatologischen Segenszeit als eine
ferne, aber doch gewisse Hoffnung vor der Seele: jene Zeit, wo
unter dem Szepter des machtvollen, gerechten und freundlichen
Messias das Volk Israel als die Auslese der Menschheit aner-
kannt wird, wo im Innern Jubel und Glück, Gesundheit und
Überfluß walten, wo das Reich nach außen hin geachtet und
gefürchtet ist. Alle Welt ist Israel unterworfen, alle Welt
bietet ihm ihre Kostbarkeiten und alle Welt huldigt seinem
Gotte. Da sind die Tore Jerusalems bei Tag und Nacht ge-
öffnet, um den endlosen Strom der Fremden einzulassen, die
ihre heimatlichen Schätze als Tribut herbeischleppen. Da sind
die Straßen mit Gold gepflastert, und die Israeliten brauchen
keine Sklavendienste mehr zu tun; denn Könige sind ihre
Handlanger und demütigen sich vor ihnen im Staube. Mit
welcher Liebe mochte sich der Israelit in dies herrlich schöne
Bild versenken! Wer will ihn deshalb schelten? In dies Ge-
wand der Zukunft konnte er die zahllosen Wünsche hinein-
weben, die eine traurige Gegenwart in ihm hervorrief, und es
mit den leuchtenden Goldfäden seiner Zeit durchwirken.
Zum Teil berühren sich die Motive der Segenszeit mit
denen des goldenen Zeitalters, und sie mögen darum zum Teil
zurückgehen auf die Anschauung vom Paradies und vom Götter-
lande. Es ist begreiflich, daß die Farben, mit denen die Re-
gierungszeit des Herrschers und des Messias gemalt wird, von
dem Gemälde der seligen Urzeit entlehnt sind, zumal wenn eine
AViederkehr dieser Zeit erwartet wurde. Der Hauptsache nach
aber liegen hier andersartige Elemente vor. Es fehlt das
mythische Kolorit. An die Stelle des übernatürlichen
Friedensreiches ist das natürliche Weltreich getreten. Aus der
Gottesstadt mit ihrer Wundermauer ist eine irdische Stadt mit
210 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Festungsmauern geworden^. Die Gestalt Jahves, der
Oottheit, ist ersetzt durch den Messias, einen König.
Das ist ein wesentlicher Unterschied, den man sich ganz klar
machen muß: Das goldene Zeitalter kann um seiner mythischen
Art willen ursprünglich nur von der Gottheit heraufgeführt
werden. Wenn diese Heraufführung trotzdem als eine Tat des
Messias gilt, so sind ihm hier Funktionen beigelegt, die ihm
als einem Könige von Hause aus nicht zukommen. Der An-
bruch der Segenszeit hingegen kann allezeit von einem macht-
Tollen Herrscher erhofft sein. Hier ist es unnötig, eine sekun-
däre Übertragung aufzunehmen. Der Einfluß des Hofstils auf
den eschatologischen Stil ist begreiflich, sobald der Messias als
■der eschatologische König vorhanden ist. Aber unerklärt bleibt
noch das Problem, wie der Messias an die Stelle der Gottheit
treten konnte.
§ 25. Die göttliche Oeburt.
Alfred Jeremias : Babylonisches im Neuen Testament. Leipzig 1905.
An dem babylonischen Hofstil ist für uns von großem In-
teresse, daß er mythische Bestandteile in sich aufgenommen hat.
1. Die Mauern der Stadt wieder aufzubauen, ist Sache des ein-
Tieimischen Königs. Jesaja c. 60 ist als dichterische Übertreibung be-
greiflich, wonach fremde Fürsten die Maurer Jerusalems sind. Auf-
fälliger erscheint mir Ps. 102 17: Denn Jahve wird Zürn bauen, in seiner
Majestät sich offenbaren. Der Psalmist hat den Ausdruck sicher nicht
fio wörtlich aufgefaßt, wie er lautet, sondern als poetische Metapher
gedeutet. Aber was jetzt nur noch stilistische Form ist, war einstmals
vielleicht lebendig-konkret. Wir kennen aus späteren Nachrichten
die mythische Gestalt des großen Baumeisters, der die himmlische
Gottesstadt erbaut (II Hen. Einl., Zwei gnostische Hymnen ed. Preu-
•SCHEN S. 13 Z. 18; Flügel: Mani S. 71. Z. 15). Überdies haben wir
gesehen, daß in Israel tatsächlich eine einst reichere mythische Tra-
dition über die Gottesstadt existiert hat (vgl. o. S. 112 f. 228 f.). Diese
mythische Stadt ist meist durch das (himmlische oder irdische) Jerusalem
ersetzt. Während an die Stelle des ursprünglich mythischen Erbauers
meist der irdische König getreten ist, so hätten wir Ps. 102 noch
«ine letzte, fast ganz verwischte Spur einer älteren Zwischenstufe, so-
-daß die historische Keihenfolge gewesen wäre: Der große Baumeister,
Jahve, der irdische König, genau entsprechend der anderen Entwicklung:
Die mythische Gottesstadt, das himmlische Jerusalem, das irdische Zion.
Die göttliche Geburt. 271
Das ergibt sich besonders schön aus dem Gebet des Assurna-
sirpal II. an Istar : Ich wurde gehören inmitten von Bergen, die
niemand kennt, nicht war ich eingedenk deiner Herrschaft, nicht
betete ich beständig (zu dir), die Leute von Assyrien wußten
nichts von deiner Gottheit, flehten nicht zu ihr: da hast du, o
Istar, furchtbare Herrscherin unter den Göttern, mit dem Blick
deiner Augen 7nich ausersehen. Verlangen getragen nach meiner
Herrschaft, hast mich hervorgeholt aus den Bergen, zum Hirten
der Menschen mich berufen, hast mir ein gerechtes Szepter ver-
liehen'^. Da Assurnasirpals Vater, der Sohn Tiglat-Pilesars II.,
ebenfalls König von Assyrien war, so können die unbekannten
Berge nur dem Mythus entstammen. Sargon, der Gründer von
Babylon sagte: Meine Mutter war Vestalin (?J, mein Vater un-
bekannt, während der Bruder meines Vaters das Gebirge be-
wohnt, und ebenso erklärt der Priesterfürst Gudea der Göttin
GA-TUM-DUG: Ich habe keine Mutter, du bist meine Mutter;
ich habe keinen Vater, du bist mein Vater . . . an einem heiligen
(bez. verborgenen) Orte hast du mich geboren^. Diese drei
Beispiele, die einander sehr ähnlich sind, lassen keinen Zweifel
daran, daß es sich hier um einen typischen Stil handelt, der
mythische Elemente benutzt. Nimmt man die bereits oben
(S. 256) zitierten Stellen hinzu, an denen von der Ernährung
der Könige durch Göttinnen die Rede ist, so soll wohl durch
die Geburt in den (himmlischen) Bergen die göttliche Abstam-
mung des Herrschers zum Ausdruck gebracht werden. Mit
ZiMMEEN wird man vermuten dürfen, daß die Züge, die uns
hier begegnen, ursprünglich einem Mythus entliehen sind, der
die Einsetzung des ersten Königs erzählte 3. Der ürkönig ist
das Prototyp aller folgenden Herrscher gewesen. Wir würden
uns nicht wundern, wenn wir ebenso im israelitischen Hofstil
mythische Züge anträfen. Allein sie sind dort aus Mangel an
Dokumenten nicht mit Sicherheit nachweisbar. Nachweisen
können wir ähnliche Elemente nur im eschatologischen Stil, wo
1. Zeitschrift für Assyr. V S. 66 ff. 79 f. Zimmern KAT » S. 382.
2. Jeremias a. a. 0. S. 28 f.
3. Zimmern denkt speziell an den Etana- Mythus (KB VI, 1.
S. 583 f.); das ist nicht ganz sicher, da wir von diesem Mythus bisher
nur den Anfang kennen.
272 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
sie mit der Gestalt des Messias zusammenhängen ; aber es dürfte
nicht zu kühn sein, auf Grund der babylonischen Belege zu
vermuten, daß das, was wir jetzt vielleicht nur vom eschatologi-
schen Könige hören, einst von jedem israelitischen Könige aus-
gesagt werden konnte i.
Die Messias idee ist so, wie sie uns heute vorliegt, aufs
engste mit der davidischen Dynastie verknüpft. Der
eschatologische König ist überall, wo er uns begegnet, ein Da-
vidide*. Diese Verherrlichung des jüdischen Königshauses kann
aus inneren Gründen ebenso gut zur Zeit Davids wie später
erfolgt sein. Vorher ist sie natürhch undenkbar. Aber es ist
falsch, wenn man daraus den Schluß zieht, daß deshalb auch
die Messiasidee an sich, abgesehen von ihrer Verquickung mit
dem nationalen Herrschergeschlecht, vorher nicht ausgeprägt
sein und nicht existiert haben könne. Die Kritiker, die diesen
Schluß ziehen, hätten tatsächUch Recht, wenn die Gestalt des
Messias restlos in der Verherrhchung der davidischen Dynastie
aufginge, wenn jeder einzelne Zug daraus begreiflich wäre.
Das ist nicht der Fall; es bleiben einige mythische Überreste,
und um dieser Dinge willen, die weder zur Zeit Davids
noch nachher noch überhaupt im Licht der Geschichte ent-
standen sein können, muß die Messiasidee älter sein als
die Prophetie. Ihre Verbindung mit dem Hause Davids ist
eine sekundäre Neuerung, die mit der ursprünglichen Vorstellung
vom Messias nichts zu tun hat.
Wir gehen aus von der vielumstrittenen Gestalt des Im-
manuel (Jes. 7 uff.). Als Jesaja seinem Könige Ahas die Ret-
tung Judäas im syrisch-ephraemitischen Kriege verheißt, bietet
er ihm, wie man meint, zum Beweis der Richtigkeit seines
1. Die mythischen Elemente bereiten dieser Annahme keine
Schwierigkeit. Ich erinnere noch einmal daran (vgl. o. S. 256), daß
wir in Ps. 45 den urkundlichen Beleg für die Anrede des Königs
als Gottheit haben. Diese letzte Spur deutet auf einen einst sehr
viel reicheren Hofstil, dem auch mythische Elemente nicht gefehlt
haben.
2. Wenn Hos. 35. Ez. 3423f. 3724 David selbst als der eschatolo-
gische König genannt wird, so ist das Wort einfach mit Davidide zu
übersetzen. Eine Auferstehung oder Wiederkehr Davids ist ausge-
schlossen, weil wir davon nichts wissen.
Immanuel. 273
Orakels ein göttliches Wunder an : Jahve selbst wolle die Worte
seines Propheten bestätigen. Ahas verzichtet, und nun gibt ihm
Jesaja von sich aus ein Zeichen : Siehey das Weih ist schwanger
und gebiert einen Sohn und wird seinen Namen Immanuel heißen.
Sahne und Honig wird er essen um die Zeit, ivo er weiß, das
Böse zu verschmähen und das Gute zu wählen. Denn bevor der
Knabe weiß, das Böse zu verschmähen und das Gute zu wählen,
wird verödet sein das Land, vor dessen beiden Königen dir
graut. Bringen wird Jahve über dich und über dein Volk und
über das Haus deines Vaters Tage, welche nicht gekommen sind
seit dem Tage, wo Ephraim abfiel von Juda. Aus dem Zu-
sammenhang, in dem diese Worte überliefert sind, geht zweierlei
deutlich hervor: Erstens muß es sich nicht um ein nur vor-
gestelltes, sondern um ein wirklich erwartetes Ereignis, um die
Geburt eines Knaben handeln, die sofort oder in absehbarer
Zeit geschehen sollte. Ein eschatologischer Messias, der erst
am Ende der Tage kommt, kann dem Könige Ahas nicht als
Bestätigung für die Richtigkeit der prophetischen Worte dienen.
Damit scheint die messianische Deutung ausgeschlossen. Zweitens
will hier der Prophet offenbar ein Wunder verkündigen (Mein-
hold). Der Zusammenhang wird erst dann glatt, wenn man
beide Seiten gleichmäßig betont: Das Kind soll wirklich geboren
werden; aber mit dieser Tatsache ist zugleich ein großes Wunder
verknüpft.
Die Schwierigkeit beginnt bei der Frage, worin das Wunder
besteht. So viele Ausleger, so viele Meinungen! Die Verödung
Arams und Ephraims, die Verheerung Judas, das Essen von
Sahne und Honig sind keine Wunder. Ein beliebiges Kind als
verkleidete Zeitangabe, wie viele Exegeten vermuten, ist ebenso-
wenig ein Wunder. Überdies spielt der Prophet, wie auch der
Artikel bezeugt, auf ein bestimmtes, auf das Weib an (n?3bi>n).
Denkt man speziell an die Frau des Jesaja oder des Ahas, so
taucht ein neues Rätsel auf: Woher weiß der Prophet, daß die
Schwangere grade einen Sohn gebären wird? Es ist überhaupt
verfehlt, wenn man genauer fragt, welches historische Weib Jesaja
im Auge gehabt habe, weil man doch keine Antwort darauf er-
hält. Das ist ja gerade die Eigentümlichkeit des Orakels, jedes
Orakels, nur geheimnisvoll anzudeuten. Hätte Jesaja nicht ab-
sichtlich Iv (xvGTrjQiqj sprechen wollen, so'hätte er sich mitLeichtig-
Forschangen zur Rel. u. Lit. d. A. u. NT. 6. 18
274 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
keit klarer ausdrücken können, indem er mein oder dein Weib oder
etwas Ähnliches sagte. Daß das Weib dabeigestanden und er
mit dem Finger darauf hingewiesen hätte, scheint mir eine Ver-
legenheitsauskunft zu sein, die den Charakter der prophetischen
Rede verkennt. Immerhin wäre das Wort ganz unver-
ständlich, wenn nicht Jesaja durch den Artikel {das
Weib) auf eine damals bereits vorhandene Tradition
anspielte.
Meinhold (der heihge Rest S. 122) behauptet freiUch, das
Wunder sei eben »die Voraussage des Propheten, daß die
Jiöby^ einen Sohn gebären und er^ diesen Immanuel nennen
werde«. Aber das wäre ein Wunder, das nicht den geringsten
Zusammenhang aufwiese mit der politischen Situation, in der
wir uns hier befinden, ein Wunder, das mit der Vernichtung
Ephraims und Arams gar nichts zu tun hat, während doch der
geweissagte Knabe in die engste Beziehung zu dieser Tatsache
gesetzt wird. Einer weiteren Schwierigkeit entgeht Meinhold
nur durch den Gewaltakt der Streichung : Um die Zeit, wo der
Knabe gut und böse unterscheiden kann, d. h. wo er etwa 4 — 5
Jahre alt ist, wird Juda, Aram, Ephraim verwüstet sein und
der Knabe selbst wird Milch und Honig essen müssen. Diese
Speisen gelten hier also als Zeichen der Hirtenkost, des ärm-
lichen Nomaden. Es ist bereits oben (S. 215) betont worden,
wie auffalhg dieser auch von Meinhold beanstandete Zug ist.
Aber deshalb ist es doch verfehlt, wenn Meinhold ihn so, wie
er überliefert ist, auf die messianische Heilszeit beziehen will
(S. 117). Man wird diesem Kritiker zustimmen müssen, sobald
er seine Behauptung dahin einschränkt, daß diese Einzelheit
ursprünglich einmal vielleicht die Fülle der paradiesischen
Zeit veranschauHchen sollte, daß er aber im jetzigen Zu-
sammenhange wahrscheinlich das Gegenteil besagt. Wir
möchten das um so mehr annehmen, als V. 22 dieselbe ^ An-
schauung ausgesprochen wird.
Dann aber zerstört V. 15, genau so wie V. 17, den Sinn
der ganzen Szene. Denn wir erwarten keine Unheils-, sondern
eine Heilsweissagung : Ephraim und Aram sollen vernichtet, aber
1. Meinhold denkt an Jesajas Frau. 2. Meinhold liest -^rs^j?.
3. Der Unterschied von a^r; und ns^an ist bedeutungslos.
Immanuel. 275
Juda soll gerettet werden. Das war doch die Botschaft, die
der Prophet dem Ahas auszurichten hatte, und dazu paßt auch
der Name des Kindes: Gott mit uns, Gott mit Juda. Und
trotzdem soll der Knabe Milch und Honig essen, dann wenn
er 4 — 5 Jahre alt ist? Wie reimt sich das mit einer Rettung
Judas, da dies Wort vielmehr die Verödung des Landes voraus-
setzt? Im Gegensatz dazu verkündet Y. 16 die Verheerung
des Landes^ vor dessen beiden Königen Ahas graut, also Ephraims
und Arams. Wir dürfen aus diesem Verse stillschweigend er-
gänzen, daß Juda dem Verderben glückUch entgeht. Dagegen
greift nun V. 17 in stilistisch sehr unschöner Weise auf V. 15
zurück: Über Juda sollen schreckliche Tage kommen, wie sie
seit dem Abfall Ephraims nicht dagewesen sind. Hält man
V. 15 und 17 für echt, so muß man auf eine Erklärung dieser
Szene verzichten. Denn eine Unheilsweissagung läßt sich weder
mit dem Namen Immanuel noch mit dem Anfang dieses
Kapitels vereinigen.
Man hat auch kein Recht, eine ganze Geschichte zu kon-
struieren, etwa so: Wenn das Kind geboren ist, d. h. in
spätestens neun Monaten, ist Gott mit Juda gewesen und hat
es vor Ephraim und Aram gerettet. Zur Erinnerung an diese
Gottestat wird dem Kinde der symbolische Name Immanuel zu
teil, der ihm auch bleibt, trotzdem er später nicht mehr paßt,
sondern eigentlich Gott ivider uns lauten sollte. Denn wenn
der Knabe zwischen gut und böse unterscheiden kann, also etwa
vierjährig geworden ist, dann wird Juda ebenso verwüstet sein
wie Ephraim und Aram. Diese Konstruktion ist unmögHch,
weil sie erstens die Hauptsache, nämlich die Rettung Judas,
ergänzen muß, weil sie zweitens die stilistisch unschöne Aus-
einanderreißung von V. 15 und 17 nicht erklärt, weil sie drittens
der Stimmung nicht gerecht wird, die in den Worten liegt: das
Land, vor dessen beiden Königen dir graut. Das ist keine
Drohung, sondern eine Verheißung.
Es scheint also nichts weiter übrig zu bleiben, als V. 17
zu streichen, der den gröbsten Anstoß enthält. Bei V. 15 ist
das nicht unbedingt notwendig, da er für sich allein und nur
mit V. 16 verbunden auch in glückverheißendem Sinne auf-
gefaßt werden kann. Wenn nur V. 15 und 16 echt sind, so ist
der Zusammenhang vielleicht verständlich. Ich sage mit Ab-
18*
276 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
sieht »vielleicht«; denn es bleiben auch dann noch eine Reihe
von Schwierigkeiten. Wir fragen erstens: Soll denn nur Im-
manuel die Segenszeit erleben, als deren typische Güter Milch
und Honig genannt werden? Sollen nicht alle Israeliten daran
teilnehmen? Wir fragen zweitens: Warum soll Immanuel
allein um die Zeit, wo er gut und böse unterscheiden kann,
diese Speisen genießen? Warum nicht auch fernerhin ? Drittens:
Warum wird dieser Zug überhaupt erwähnt, da er in dem Zu-
sammenhange durchaus überflüssig ist? Diese Erwägungen
könnten uns wohl verleiten, auch V. 15 zu streichen. Aber
V. 16 ist nicht weniger bedenklich, wenn man den genauen
Wortlaut beachtet: Juda soll allerdings gerettet, Ephraim und
Aram sollen verödet werden, — das paßt vorzüglich in die
Situation hinein — , aber das soll doch erst geschehen, bevor
der Knabe zwischen gut und böse unterscheiden kann! Bis
dahin, d. h. innerhalb der nächsten 4—5 Jahre, aber hätten
Ephraim und Aram grade genügend Zeit, um Juda zu ver-
wüsten und zu bedrücken ! Also scheint auch dieser Vers keine
Verheißung, sondern eine Drohung zu sein. Trotzdem ist
der Zusammenhang vielleicht verständlich, sobald
man sich entschließt, hier eine von Jesaja benutzte
Tradition anzunehmen.
Es gab, so müssen wir vermuten, zur Zeit Jesajas eine be-
kannte Weissagung von der Geburt eines wunderbaren Knaben,
der den Namen Immanuel erhalten, in seiner Kindheit Milch
und Honig essen und, ehe er zwischen gut und böse unter-
scheiden gelernt hätte, d. h. noch ehe er fünf Jahre alt sei, der
Befreier seines Volkes oder der Bringer des Glückes werden
sollte. Das Wunder, das Jesaja dem Ahas prophezeit, besteht
darin, daß er die Erfüllung dieser Weissagung für die
Gegenwart ankündigt: Das Weib, das du kennst, König, ist
schon schwanger, und über eine Weile wird der Retter Immanuel
geboren, wie es das alte Orakel verheißt! Hier tritt uns der
gewaltige Glaubensmut und die imponierende Kühnheit Jesajas
klar vor die Augen. Er wagt, das für wirklich und gegen-
wärtig auszugeben, was für die anderen in einer ungewissen
Zukunft liegt. In dem Augenblick, wo man einen von Jesaja
der Tradition entlehnten Stoff annimmt, kommt man über die
oben erwähnten Schwierigkeiten hinweg. Denn von da an darf
Immanuel. 277
man auf die Einzelheiten kein Gewicht mehr legen, weil sie
nicht ad hoc erfunden, sondern überliefert sind. Man darf die
AVorte nicht mehr pressen, sondern nur auf die Pointe achten,
die in ihnen enthalten ist: Jetzt, in der allernächsten Zeit wird
der Immanuel erscheinen, der uns aus aller Not befreit.
Trotzdem so die Worte einigermaßen verständlich werden,
wage ich auch diese Erklärung nicht mit Sicherheit vorzutragen.
Denn das ganze Kapitel ist in einem so traurigen Zu-
stande, daß wir über Fragmente, Lücken und Wider-
sprüche schwerlich hinausgelangen. Nur V. 1 — 7 geben
einen guten und klaren Sinn. Die historische Situation wird
anschaulich geschildert, der Ort genau angegeben, an dem die
Szene stattfindet, und das Orakel deutlich verkündigt: Ephraim
und Aram wollen Juda vernichten, aber nicht solVs bestehen und
nicht solVs geschehen! (V. 7). Damit ist die Geschichte zu Ende;
eine weitere Fortsetzung erwartet man nicht. Die beiden nächsten
Verse (8. 9) geben so, wie sie heute lauten, keinen Sinn. Was
heißt denn das: Das Haupt von Aram ist Damaskus, von Da-
maskus Resin, von Ephraim Samaria und von Samaria Pekach?
Hier muß irgend etwas ausgefallen sein. In Y. 10 tritt plötz-
lich ein ganz unmotivierter Personenwechsel ein. Jetzt ist nicht
mehr von Jesaja und Ahas, sondern von Jahve und Ahas die
Rede. Ebenso wenig begreift man, warum Ahas sich ein
Wunder erbitten soll. Daß der König an der vom Propheten
vorgetragenen Prophezeiung Zweifel hege, ist nur eine Ver-
mutung der Exegeten, die durch den Text nicht gerechtfertigt
ist. Man möchte mit V. 10 eine ganz neue Situation beginnen
lassen. Das ist wieder deshalb sehr schwierig, weil sie der
vorigen zu ähnlich ist. Ebenso sind V. 181 und 20—25 lose
angefügte Texte, die mit dem Vorhergehenden nicht zusammen-
hängen, obwohl V. 22 (Milch und Honig) darauf zuinickweist.
Das Kapitel muß von einem späteren Redaktor so stark über-
arbeitet sein, daß man am besten tut, die einzelnen Verse für
sich allein zu behandeln.
Fassen wir nun noch einmal das zusammen, worauf es für
uns hier ankommt: Die Immanuel Weissagung muß auf eine da-
mals bekannte Tradition anspielen, da die einzelnen Züge ganz
abrupt sind und nicht erklärt werden: Das Weib, das Essen
von Milch und Honig in der Kindheit, der Knabe Immanuel
278 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
als Befreier und Retter, ehe er zwischen gut und böse unter-
scheiden kann. Es muß sich hier um eine mythische Ge-
stalt handeln, »denn ein eben geborenes Menschenkind kann
seinem Volke nicht helfen, wohl aber ein göttliches Kind«
(Gunkel). Dazu stimmt, was wir oben (vgl. S. 210 ff.) über Milch
und Honig als die Götterspeise ausgeführt haben.
Genau so wie hier wird sonst in der Heilseschatologie auf
die wunderbare Geburt des Messias angespielte So heißt
es Mch. 5iff.: Und du, Beth Ephrat, kleinster^ unter den Gauen
JudaSf aus dir wird hervorgehen, der über Israel herrschen soll,
und seine Herkunft stammt aus der Vorzeit, den Tagen der
Urzeit. Darum wird er sie preisgeben, bis die Gebärende ge-
boren hat; dann wird der Rest seiner Brüder zu den Kindern
Israels zurückkehren. Und er tritt auf und weidet in der Kraft
Jdhves, in der Hoheit des Namens Jahves, seines Gottes, und
sie werden (ruhig) wohnen; denn nun ist er groß bis zu den
Enden der Erde hin. Und das wird der Friede sein: Wenn
Assur in unser Land kommt und unser Gebiet^ betritt, so stellen
wir wider es sieben Hirten und acht Fürsten der Menschen auf
und sie weiden das Land Assur mit dem Schwerte und das
Land Nimrods mit dem Gezückten^ und erretten^ vor Assur,
wenn es in unser Land kommt und unser Gebiet betritt. Der
Verfasser singt ein Lied auf den Messias. Aus der Dynastie
Davids soll ein künftiger König sprossen, der nicht nur Israel
weiden, sondern dessen Herrschaft bis an die Enden der Erde
reichen soll. Soweit ist alles verständlich. Daneben aber findet
sich eine Reihe rätselhafter Einzelheiten.
Der Stil ist prophetisch-abrupt, das nicht genannte Subjekt
wechselt fortwährend^. Zunächst wird vom Messias geredet,
dann von Gott (er wird sie preisgeben), darauf wieder vom
Messias (er tritt auf) und endlich von den Judäern (wir). Wir
fragen vergebens, warum besonders von der Gebärenden ge-
sprochen wird und was die sieben Fürsten und acht Hirten der
Menschen vorstellen. Wellhausen meint, die erwähnte Geburt
»lasse sich nur verstehen als Anspielung auf die Stelle Jes. 7i4,
1. Vgl. zum Folgenden Gunkel: Forschungen I S. 24 f.
2. Lies 'T'y^tn r^Es rr^a Koorda. 3. Lies irn^-t« LXX.
4. So mit Eecht Wellhausen. 5. Lies 'i^'sn'i Wellhausen.
6. Mit der Ausscheidung von V. 2 ist nichts geholfen.
Die göttliche Geburt. 279
die dann also hier schon als klassisch gilt. Dergleichen ge-
heimnisvolle Andeutungen, mit literarischen Beziehungen, sind
nicht im Stil der älteren Propheten«. Aber da die sieben
Hirten und acht Fürsten der Menschen nur hier vorkommen
und nicht aus der angeblichen Jesajaquelle geschöpft sein können,
sondern aus einer besonderen, sei es schriftlichen sei es münd-
lichen, Tradition geflossen sein müssen, so ist nicht einzusehen,
warum die Geburt des Kindes grade auf Jes. lu zurückgehen
soll. Hier liegt vielmehr eine alte vorprophetische ÜberHeferung
vor, die auch Jes. 95 vorausgesetzt ist.
Jes. 9i — 6 ist die bereits erfolgte Geburt eines Kindes ge-
schildert, das auf dem Throne Davids sitzen soll: Denn ein
Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und es kommt
die Herrschaft auf seine Schulter . . . zur Mehrung der Ge-
rechtigkeit^ und zum Frieden ohne Ende, auf dem Throne
Davids und über sein Königreich, es zu festigen und zu stützen
mit Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Tavoc
Erklärung des Perfektums bleiben zwei Möglichkeiten. Ent-
weder handelt es sich hier um die Verherrlichung eines wirk-
lich gebornen Kronprinzen, der als die künftige Zierde und
Stütze des Davidsthrones gepriesen wird. Dann haben wir es
hier mit dem Hofstil zu tun. Oder es ist ein nicht weiter zu
identifizierendes Kind gemeint, das eschatologische Kind, von
dem jedermann wußte, daß es kommen sollte, und dessen in
Zukunft erfolgende Geburt hier im eschatologischen Stil
als bereits gegenwärtig beschrieben wird. In jedem Falle aber
müssen wir einen Stil annehmen. Denn es lassen sich keine
Tatsachen denken, auf Grund deren das Lied entstanden und
gedichtet sein könnte. Mögen vielleicht an einen tatkräftigen,
genialen Herrscher die kühnsten Erwartungen geknüpft werden,
so ist dasselbe doch unmöglich bei einem eben gebornen Kinde.
Wer sich für den Hofstil entscheidet, muß außerdem zugeben,
daß hier eschatologische Motive benutzt sind. Das eschatolo-
gische Kolorit dieses Stückes ist unverkennbar aus V. 4: Denn
jeder mit Gedröhn auftretende Stiefel und mit Blut befleckte
Mantel, der wird werden zum Brande, eine Speise des Feuers,
1. Auf diese Verderbnis hat mich Gunkel aufmerksam gemacht.
Ich lese -i'^c^^r! vgl. Mal. 26.
280 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Mit der Wiederkehr der goldenen Urzeit verschwindet der Krieg
und das Kriegsgerät. Dieser mythische Gedanke war zur Zeit
des Propheten bereits geläufig. Die dichterische Form freilich,
in die er gekleidet, und die besondere Ausprägung, die ihm
gegeben wird, ist das originale Eigentum Jesajas, das
man gewiß nicht gering schätzen darf. Aber soweit hier
ein Stil vorHegt, kann Jesaja nicht der Schöpfer sein.
Dasselbe folgt zweitens aus der literarischen Komposition
des Stückes. Die Zusammenhangslosigkeit und Abruptheit der
einzelnen Verse ist freilich eine Eigentümlichkeit der ganzen
Prophetie. Aber aus den lose aneinandergereihten Dingen der
Heilszeit gewinnt man überhaupt kein anschaulich -lebendiges
Bild, das man von einem Autor wie Jesaja verlangen darf:
Denen, die in der Finsternis wandeln, erglänzt ein großes Licht.
Ein gewaltiger Jubel wie beim Erntefest und beim Beuteteilen
erhebt sich. Denn das drückende Joch des Drängers wird zer-
brochen wie am Tage Midians. Denn jeder Kriegsstiefel und
jeder Kriegsmantel wird verbrannt. Denn der zukünftige König
ist geboren und wird das Reich Davids befestigen. Trotz aller
kausalen Partikeln ist keine organische Verbindung zwischen
den einzelnen Tatsachen hergestellt. Wir fragen vergeblich, ob
der Messias an dem Befreiungskampf gegen die Feinde beteihgt
ist oder nicht, ob er erst nach dem Eintritt der Friedenszeit
geboren wird oder nicht. Hätte Jesaja die drei Dinge
erfunden, so hätte er sich nicht mit einer bloßen Auf-
zählung begnügen dürfen, wenn anders er von seinen
Hörern und Lesern verstanden sein wollte. Lehnte er
sich hingegen an eine damals bekannte und geläufige Tradition
an, so bedurfte es für seine Zeitgenossen nur einer kurzen Er-
innerung. Ein paar Schlagworte machten ihnen klar, was er
zu sagen hatte. Je undeutlicher und verworrener sie für uns
sind, um so heller und anschaulicher müssen sie in den Köpfen
der damaligen Leute gelebt haben. Oder wenn man das nicht
annehmen will, so kann man darauf hinweisen, daß grade im
Stil viele Elemente von Generation zu Generation mitgeschleppt
werden, die jedermann vertraut klingen, die aber dennoch
verdunkelt sind. Mag dies oder jenes richtig sein, jedenfalls
sind originale Ideen des Propheten ausgeschlossen.
Drittens sprechen die mythischen Überreste gegen Jesajas
Das göttliche Kind. 281
Urheberschaft. Erwähnt ist bereits der eschatologische Friede,
der durch kein Säbelgerassel gestört werden kann. Dazu kommen
die geheimnisvollen Namen, die das Kind erhält, die nichts
Nebensächliches sind, sondern das Wesen ausdrücken. Die
Namengebung und Umnennung von Personen und Sachen, spielt
eine große Kolle in den eschatologischen Eeden (Hos. 2 1. 3.
Jes. I26. 43. 5812. 60 14. 18. 61 6. 62 12. Ez. 4835). Sie ist vielleicht
alt und hängt mit der großen Wendung des Geschickes (3^\zj
n^iauj) überhaupt zusammen. Wie am Anfang der jetzigen Welt
alle Dinge ihren bestimmten Namen empfangen haben, so werden
sie auch in der künftigen Welt neu genannt. Der Wechsel der
Namen bedeutet ursprünglich einen Wechsel in dem Wesen des
Trägers. In dieser späteren Zeit mögen solche uralten, primi-
tiven Anschauungen nicht mehr lebendig gewesen sein. Die
Neunennung gehörte nun einmal zu den eschatologischen
Schilderungen und man sprach davon, weil es so Brauch war.
Durch die Abhängigkeit von einem solchen festausgeprägten
Stil soll die Originalität der Propheten natürlich nicht ver-
kleinert werden, obwohl sie im Einzelnen nicht immer nach-
gewiesen werden kann. Im Allgemeinen aber müssen wdr überall
bedenken , daß diese größten Männer Israels trotz des über-
nommenen Stils und trotz vieler Einzelheiten völlig selbständig
sind. Die von Jesaja überlieferten Namen des eschatologischen
Königs sind einer genaueren Betrachtung wert.
Er heißt "niaa bx mächtiger Gott. Denselben Titel führen
Jahve (-na:»rT bii-nJi bNin Dtn. 10 17. Jer. 32 is vgl. Jes. IO21)
und die verstorbenen Giganten der Urzeit (D'^'^nni "»bN Ez. 322i),
die zwar nicht unter die himmlischen Götter aufgenommen sind,
wohl aber einen Ehrenplatz in der Seol innehaben. Die Ei-
Religion ist, wie die Genesis lehrt, nicht israelitischen, sondern
kanaanitischen Ursprungs ^ Zwischen einem bN und einem
^135 ist nach kanaanitischer Auffassung kein großer Unterschied.
»Wie ein starker El zu denken ist, wie weit seine Kraft reichte,
das zeigt ja die Erzählung von dem El von Peniel (Gen. 3225ff.)
und seinem mißlungenen Angriff auf Jakob, der freihch auch
übermenschlich stark ist^« (Duhm zu Jes. 9 5). »Wie im Standes-
1. Vgl. Gunkel: Genesis'^ S. 165.
2. Vgl. Job. 41 17, wo ebenfalls a-^bs dem Sinne nach so viel wie
>Helden« bedeutet.
282 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Verhältnis der Edle zwischen dem König und Freien, so steht
der Held zwischen Gott und dem Menschen. Aus den Edlen
gehen Könige, aus den Helden Götter hervor. riQwg laxl k^
av^QCOTVov TL '/.al d-eov OüvS^btov, o fLuqze avd-qtoitog ioTi fxrp;B
d-eoQy Aal ovvafj^tpozeQog egtl (Lucian in dial. mort. 3), doch so,
daß das Menschliche vorwalte: ita tamen, ut plus ab homine
habeat, sagt Servius zu Aen. 1, 200« ^ Der von Jesaja er-
wartete Held ist menschlicher König und Gott zugleich, ist eine
Art Halbgott. Wie immer man es erklären mag, die Tatsache
selbst steht, ganz abgesehen von der Deutung, fest: Dem Messias
ist hier ein götthches Prädikat beigelegt.
Ein zweites ebenfalls göttliches Epitheton ist n:^~^3N. Die
Übersetzung Beutevater ist an sich nicht einleuchtend und wird
es durch den Zusammenhang noch weniger. Denn das folgende
Fürst des Friedens bildet einen absoluten Gegensatz dazu, und
das vorhergehende ^iia bN weist nach einer anderen Richtung.
Jenes Epitheton heißt vielmehr Vater der Ewigkeit und ist so
gut ein Attribut der Gottheit wie ny "j^üj Bewohner der Ewig-
keitj das Jes. 57 is von Jahve ausgesagt wird. Als altisraehti-
sches Beiwort der Gottheit ist Ewigvater, bei dem der Begriff
des Vaters natürlich nicht gepreßt werden darf, sondern etwa
als Herr aufzufassen ist, allerdings nicht belegbar, da die Ewig-
keit Gottes in der älteren Religion noch keine Rolle spielt, wohl
aber als altkanaanitisches, kennen wir doch einen Dbi? b«, einen
Gott der Ewigkeit, als Numen von Beersaba (Gen. 21 33). Viel-
leicht dürfen wir an Ägypten erinnern (Guthe), wo derartige
göttliche Prädikate wie der große Gott, Herr über die Unend-
lichkeit, Fürst der Ewigkeit ganz geläufig sind und wo auch die
vergötterten Könige damit geschmückt werden.
Ebenso geht das dritte Attribut der Wunder rät oder
ein Wunder an Rat über die gewöhnhchen Königstitel hinaus.
Nach Jes. 25 1 ist Jahve es, der Wunderheschlüsse^ vollbringt^
und zwischen einem fvr^ n^d und einem «bs T\^v Wunder-
täter ist am Ende kein großer Unterschied. Selbst der Aus-
druck Friedefürst, der sehr nahe zu liegen scheint, kehrt im
Alten Testament nicht wieder. Solche mythischen Namen^
wie sie hier, zum Teil sicher, vorliegen, werden nicht
1. Grimm: Mythol. P S. 282. 2. So mit Recht Dühm.
Der eschatologische Halbgott. 28^
erdichtet, am allerwenigsten von einem Propheten wie
Jesaja, sondern aus der Überlieferung entnommen. Hat
der Prophet ein bestimmtes Königskind im Auge, so muß er
sich an einen festausgeprägten Stil angeschlossen haben, bei
dem mythische Termini nicht auffällig sind. Bei einer absoluten
Zukunftshoffnung muß erst recht eine Tradition vorausgesetzt
werden. Denn kein Israelit, kein Prophet konnte in einer sa
späten Zeit die Hoffnung auf einen mit göttlichen Eigenschaften
ausgestatteten König aus der Luft greifen. Selbst die kühnsten
Erwartungen sind trotz all ihrer Kühnheit noch lange nicht
mythisch. Hätte Jesaja sie zum ersten Male ausgesprochen, sa
hätte er diese nicht nur für uns, sondern auch für seine Zeit-
genossen ungeheuren Behauptungen näher erklären und be-
gründen müssen.
Jesaja kann nicht der Autor der Ideen sein. Waren sie
aber zu seiner Zeit im Volke gang und gäbe, so haben wir
keinen Grund, die Verse ihm abzuerkennen und in ein spätere»
Jahrhundert zu verlegen. Das ist um so weniger möglich, weil
sie bei einem jüngeren Schriftsteller noch unverständlicher sind.
Aus einer messianischen Umprägung der Immanuelweissagung
(VoLz S. 59) sind sie nicht begreiflich, da in ihnen mythische
Elemente erhalten sind, die sich nicht durch bloß literarische
Beziehungen oder Abhängigkeitsverhältnisse gebildet haben
können. Diese mythischen Dinge sind ihrer Natur nach auf
jeden Fall alt, mögen sie nun früher oder später aufgezeichnet
sein. Man hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die
Messiasnamen von Jes. 95 niemals wiederkehren. Das ist sehr
beachtenswert. Späte Abfassungszeit daraus zu erschließen, ist
falsch, da die erwähnte Tatsache dadurch nicht erklärhcher
wird. Im Gegenteil, je älter Jes. 9iff. datiert wird, um sa
leichter wird man annehmen können, daß hier noch eine alte
Tradition vorliegt, die nachmals ganz verschollen ist,
Jes 95 lernten wir göttliche Prädikate des Messias kennen:
Heldengott, Ewigvater. Jes. 7 15 haben wir Milch und Honig
als umgedeuteten Überrest der Götterspeise auffassen zu müssen
geglaubt Wir dürfen den Messias darum mit Recht als eine
Art Halbgott bezeichnen. Was liegt näher als in der Gebären-
den Mch. 02 und dem Weihe Jes. 7i4 den letzten, verhallenden
284 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Nachklang der Gottesmutter zu hören i? Ein strikter Beweis
läßt sich nicht führen ; wir müssen uns mit dem indirekten
Grunde begnügen, daß das göttliche Kind eine göttliche Mutter
voraussetzt. Ob die Mutter als Frau oder »Jungfrau« gedacht ist,
läßt sich aus dem Jes. 7i4 gebrauchten Worte nicht entscheiden,
da 1173^5 beides heißen kann. Es ist jedoch kein Grund vor-
handen, die traditionelle Deutung auf die »Jungfrau« anzufechten.
Später hat die Geburt des Messias eine noch größere Rolle
gespielt. Die Rabbiner reden von Christuswehen (niu)^"! n-ibain^),
die bereits im Neuen Testamente (Mark. 139) auf die dem Ende
vorangehenden Drangsale bezogen sind. Daß der Ausdruck
nicht von Anfang an diese Dinge bezeichnen sollte, ist klar.
GuNKEL^ hat ihn wohl richtig mit Apk. Job. 12 kombiniert,
wo die Geburt des Messias durchsichtiger als im Alten Testa-
mente auf eine mythische Figur zurückgeführt wird, ein Weib,
gekleidet in die Sonne, der Mond unter ihren Füßen und auf
ihrem Kopfe ein Kranz von zwölf Sternen, und sie war schwanger
und schrie in Wehen und Qualen der Gehurt. Die Tradition,
die bei den Propheten als halb verschollen vorausgesetzt werden
muß, ist hier wieder lebendig. Sie muß aufs neue aus der
Fremde eingeströmt sein.
Denn der ausländische Ursprung ist sicher. Eine Gottes-
mutter hat in Israel nie existiert. An welche Göttin wir spe-
ziell zu denken haben, läßt sich heute noch nicht entscheiden.
Man hat für die apokalyptische Gestalt auf babylonische, ägyp-
tische und griechische* Parallelen hingewiesen : die babylonische
Damkina, die Mutter des Marduk, und die ägyptische Hathor,
die Mutter des Horus, streiten vor allem um die Palme des
Sieges. Vielleicht darf man auch an Istar erinnern, die in dem
Hofstil, wie wir gesehen haben, als Königsmutter erwähnt wird.
Dann würden sich am Ende die sieben Hirten und acht Fürsten
der Menschen erklären (Mch. 5 4), da fünfzehn die Zahl der Istar
ist^ Doch ist diese Frage verhältnismäßig gleichgültig gegen-
1. So zuerst Gunkel: Forschungen I S. 24.
1. VoLz: Jüd. Esch. S. 173. 3. Schöpfung S. 271.
4. Gunkel: Schöpfung S. 386. Bousset: Kommentar zur Apk.:
Eel. S. 486. Zimmern KAT^ S. 360. Gunkel: Forschungen I S. 56.
5. Zimmern KAT^ S. 454.
Die göttliche Mutter und das göttliche Kind. 285
über der Hauptsache, daß die Gestalt der Messiasmutter
aus der Fremde nach Israel gewandert ist. Das muß
bereits in alter Zeit geschehen sein, da die ursprünglich mythische
Tradition so, wie sie uns in den Prophetenschriften begegnet^
bis auf ganz geringe Spuren verloren gegangen und in israeliti-
schem Geiste umgeprägt ist.
Ebenso wie die Messiasmutter stammt auch der
Messias aus der Fremde. Wir können das nicht nur um
seiner mythischen Züge willen behaupten, sondern auch deshalb^
weil die Salbung, nach der er später seinen Namen führt, gar
keine Rolle spielt und völhg nebensächlich ist. Im Ganzen haben
wir drei Elemente unterschieden, die vielleicht drei verschiedene^
chronologisch aufeinander folgende Stufen derselben Gestalt
repräsentieren, vielleicht aber auch drei verschiedenen Gestalten
entsprechen. Die älteste, weil undeutlichste, Gestalt ist die
eines göttlichen Kindes, das gleich nach seiner Geburt der
Welt (Israel) das Heil bringt. Etwas konkreter ist die (viel-
leicht mit der ersten identische, vielleicht erst später mit ihr
kombinierte) Gestalt des Gottkönigs mit göttlichen Epitheta
und göttlichen Funktionen. Am anschaulichsten ist die völlig
israelitisierte Gestalt des Da vidi den, eines künftigen Herrschers
aus dem nationalen Königsgeschlecht, der am Ende die ganze
Welt beherrscht und keine Nachfolger mehr hat. Wenn wir
ganz genau sein wollen, so dürfen wir nur die letzte Gestalt
»einen« Messias nennen. Denn »der« Messias war damals noch
nicht zu einer fest konsolidierten Größe geworden, und es scheint
nicht ausgeschlossen, daß z. B. ein Jesaja noch mehrere escha-
tologische Gestalten neben einander kannte (Immanuel, Davidide).
Jetzt verstehen wir bis zu einem gewissen Grade, wie in
der Heilseschatologie Jahve durch den Messias verdrängt werden
konnte. Was bei einem einfachen Könige unbegreiflich ist^
wird begreiflicher bei einem Gottkönige. Durch seine halb-
göttliche Natur wird der eschatologische Herrscher näher an
Jahve herangerückt und kann dessen Funktionen leichter über-
nehmen. Die allgemeine religiöse Voraussetzung, unter der sich
allein eine Gestalt wie der Gottkönig bilden konnte, ist die
zwar nicht in Israel, wohl aber bei seinen Nachbarvölkern nach-
weisbare Königsvergötterung. In der Eschatologie aber handelt
es sich nicht nur um diese allgemeine religiöse Anschauung,
286 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
sondern der Messias ist eine ganz spezielle Figur, die ihr Dasein
einer bestimmten Vorstellung und vielleicht einem bestimmten
Mythus verdankt. Trotzdem muß man die Möglichkeit im Auge
behalten, daß hier verschiedene Wurzeln zusammengewachsen
sind, die bis in ihre entferntesten Ausläufer zu verfolgen unsere
nächste Aufgabe sein muß.
§ 26. Der Paradieskönig.
Es ist beachtenswert, wie selten der Messias als Besieger
der Feinde auftritt. Wo von dem Weltreich die Kede ist,
geschieht es meist mit einer flüchtigen Erwähnung oder aber es
wird geschildert, wie Israel oder Jahve — nicht, wie der Mes-
sias — seine Gegner bezwingt. Der Messias ist trotz seiner
Herrschernatur kein Kriegsheld, kein »Beutevater«, sondern ein
Friedensfürst. Die Tätigkeit jedes Königs ist zweifacher Art:
im Frieden zu richten und im Kriege zu führen. Die zweite
Aufgabe aber kommt beim eschatologischen Könige fast gar
nicht in Betracht. Wie er die Weltherrschaft gewinnt, erfahren
wir nicht. Er hat sie eben und übt sie aus im Sinne eines
gerechten Richters. Er braucht keine Waffengewalt, um seine
Macht aufrecht zu halten, sondern es genügt ein Hauch seiner
Lippen, ein Spruch seines Mundes. Sein Reich ist nicht von
dieser Welt, obwohl es über diese Welt sich streckt. Das
Hauptcharakteristikum seiner Regierungszeit ist der ewige goldene
Friede, wie er einst im Paradiese, in der Urzeit herrschte.
Daneben fehlen auch andersartige Züge nicht ganz, allein sie
treten in den Hintergrund; sie sind einzeln, verloren, abgerissen
und werden niemals zu einem konkret-lebendigen Bilde gestaltet.
So heißt der Messias Zach. 9 9 f. zwar siegreich, aber das,
was der Verfasser schildert, ist kein Sieg und kein Siegesfürst:
Freue dich sehr, Tochter Zion, brich in Jubel aus, Tochter
Jerusalem, denn dein König kommt zu dir; gerecht und sieg-
reich'^ ist er, demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen
der Eselin. Er wird die Wagen aus Ephraim und die Rosse
aus Jerusalem vernichten^, und vernichtet wird der Kriegsbogen;
1. Vielleicht ist mit den LXX y^.yi'a hülfreich zu lesen (Gunkel
nach schriftlicher Mitteilung). 2. Lies ni2r; LXX.
Das königliche Reittier. 287
er schafft den Völkern Frieden durch seinen Spruch^ und seine
Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Euphrat bis zu
den Enden der Erde. Der Messias tut das Gegenteil von dem,
was sonst ein Herrscher zu tun pflegt. Statt seine Rüstung zu
stärken, rüstet er ab. Wenn er sich dabei auf Ephraim und Juda
zu beschränken scheint, dürfen wir dies der mangelnden An-
schauungskraft des Verfassers zur Last legen, dessen Blick auf
Palästina gebannt ist. Der Schriftsteller, der hier zu uns redet,
arbeitet mit überkommenen Stoffen, ohne sie völlig zu durch-
dringen. Das Reiten des Messias auf einem Esel, das hier als
Zeichen der Demut aufgefaßt ist, hat man bisher als etwas
Selbstverständliches hingenommen, ohne sich darüber zu wun-
dern. Nirgendwo sonst wird der eschatologische König als be-
sonders demütig gedacht, auch die Ausrottung der Kriegs wagen
und die Schaffung des Völkerfriedens gilt nirgends als Ausfluß
seiner Demut. Der Messias wird nur hier als demütig hin-
gestellt. Dieser Gedanke bildete sich im Anschluß an einen
der Tradition entlehnten, aber nicht mehr verstandenen Zug.
Jer. 1725. 224 wird betont, wie der König der Zukunft einen
herrlichen prunkvollen Einzug hält auf Wagen und Rossen,
so wie es sich für einen mächtigen, siegreichen Herrscher ge-
ziemt. Erst seit der Zeit Salomos wurden Pferde in größerem
Maße eingeführt, blieben aber auf die Könige und die vor-
nehmen Leute beschränkt. Die Ärmeren begnügten sich mit
dem Esel. Wenn darum der Messias auf einem Esel reitet, so
konnte das in der späteren Zeit als Zeichen der Demut ge-
deutet werden. Aber nur die Deutung ist neu, der Zug selbst
ist alt. In der älteren und bis in die königliche Zeit hinein
war der Esel das Reittier der Fürsten (Jdc. IO4. 12 14. II Sam.
1927). Unsere Zacharjastelle scheint von Gen. 49 11 (oder einer
verwandten Tradition) abhängig, wo ebenfalls der Esel oder das
Füllen der Eselin als Tier des Messias genannt wird: Nicht
weicht das Szepter von Juda noch der Stab zwischen seinen
Füßen ^ bis sein (eschatologischer) Herrscher'^ kommt, dem die
Völker gehorchen, der seinen Esel an den Weinstock bindet, an
die Rebe seiner Eselin Füllen, der sein Gewand in Wein
wäscht, in Traubenblut sein Kleid, dessen Augen vom Weine
1. Lies n'V;y'2.
288 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
funkeln'^ und dessen Zähne weiß sind von Milch. Unter dem
Messias wird Juda in ein paradiesisches Milch- und Weinland ver-
wandelt, so daß der König die sonst sorglich gehüteten Rebstöcke
zum Anbinden seines königlichen Reittieres benutzen kann.
Wenn diese Erklärung der Zacharjastelle richtig ist, so zeigt
sich hier an einer archäologischen Einzelheit, wie alt und richtig
die traditionell messianische Deutung von Gen. 49 ii und wie
unmöglich es ist, die Gestalt des Messias erst in dem oder nach
dem Exil entstehen zu lassen; denn dann wäre niemals der
Esel zu seinem Reittier gemacht worden. Nicht Demut, sondern
königliche Gerechtigkeit ist das Kennzeichen des Messias.
Siehe, Tage kommen, spricht Jahve, da erwecke ich dem
David eitlen gerechten Sproß, und er soll herrschen als König
und sich einsichtig zeigen und Recht und Gerechtigkeit schaffen
im Lande. In seinen Tagen wird Juda Hülfe erfahren und
Israel sicher wohnen, und das ist sein Name, mit dem man
ihn nennen ivird: Jahve ist unsere Gerechtigkeit (Jer. 235f. vgl.
Jer. 33 uff.). Gerechtigkeit und Paradiesesfrieden lehrt uns
auch Ez. 3423ff. als die Merkmale des eschatologischen Reiches
kennen: Und ich werde einen einzigen Hirten über sie erwecken,
der sie weiden soll, meinen Knecht David . . . Und ich, Jahve,
will ihnen zum Gotte sein, und mein Knecht David ist Fürst
in ihrer Mitte; ich, Jahve, habe es geredet. Und ich werde
meinen Friedensbund für sie abschließen und die schlimmen
Tiere aus dem Lande beseitigen, daß sie in der Wüste sicher
wohnen und in den Wäldern (ruhig) schlafen können.
Während Jes. 94 u. 5 Paradies und Paradieskönig nur lose
mit einander vereinigt sind, ist ihre Verbindung Jes. lliff. sehr
viel enger: Hervorgehen wird ein Reis aus dem Stumpfe Isais
und ein Sproß aus seinen Wurzeln Frucht tragen. Und nieder-
lassen wird sich auf ihn der Geist Jahves, der Geist der Weis-
heit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der
Geist der Erkenntnis und Furcht Jahves .... Und nicht
nach dem, was seine Augen sehen, und nicht nach dem, was
seine Ohren hören, entscheidet er. Richten wird er in Gerechtig-
1. Das Wort "W^n hat Gunkel richtig mit funkelnd übersetzt.
Es hängt wohl (durch Metathesis) zusammen mit hn::, J.h2S\5" die Augen-
schminke, durch die die Augen feurig und glänzend gemacht werden.
Der fragmentarische Charakter der Eschatologie. 289
keit die Niedrigen und Entscheidung gehen in Gradheit den
Elenden des Landes, und schlagen wird er den Wüterich^ mit
dem Stabe seines Mundes und durch den Hauch seiner Lippen
töten den Gottlosen, Und es wird sein Gerechtigkeit der Gurt
seiner Hüften und Treue der Gürtel seiner Lenden. Und nun
folgt (V. 6 — 8) das schon behandelte reizende Genrebild, das
den goldenen Frieden der eschatologischen Urzeit malt. Das
Reich des Messias ist das Friedensreich des Paradieses; unter
diesem Könige und Richter kehrt das goldene Zeitalter wieder,
wo Mensch und Raubtier sich befreunden und mit einander
spielen.
Jetzt, wo wir den gesamten^ Stoff überschauen, müssen wir
uns noch einmal seinen bruchstückartigen Charakter klar machen.
Wir lesen in den prophetischen Schriften häufig Schilderungen
des goldenen Zeitalters, ohne von einem Könige des eschatolo-
gischen Paradieses zu hören. Auf der anderen Seite vernehmen
wir von einem eschatologischen König, ohne paradiesische Züge
erwähnt zu finden. Das ist überall da der Fall, wo der Messias
gewissermaßen ein verklärter David ist, wo er rein nationale
Züge trägt. Hier ist offenbar eine völlige IsraeHtisierung ein-
getreten, durch die die ursprünghch mythischen Züge abge-
stoßen und umgeprägt sind. Wo diese aber erhalten sind (d. h.
namentlich Jes. Tuff". 9iff. lliff. Mch. 5iff.), da begegnen uns
zugleich andere mythische Elemente (vgl. Jes. 7i5. 94. lleff.
Mch. 5 5), die, wenn wir sie überhaupt erklären können, mit der
Anschauung von der AViederkehr des Paradieses zusammen-
hängen. Die Gestalt des eschatologischen Königs ist
darum aus inneren Gründen vom Paradiese untrennbar.
Das Nächstliegende ist es jedenfalls, wenn die eine Reihe der
mythischen Elemente auf das Paradies hinweist, dann auch die
andere Reihe von dorther abzuleiten. Die Trennung beider
Reihen, die in den prophetischen Schriften — nicht immer, aber
1. Lies v'^y mit Gesenius.
2. Die Deutung des Messias auf das Volk, die man besonders bei
Ps, 2 versucht hat (Smend^ S. 374), halte ich für unmöglich. Sie kann
weder durch den Hinweis auf Dan. 7i8fif. oder auf Clemens Alexandrinus
noch durch die (ebenso falsche) kollektivische Deutung der Königs-
psalmen gerechtfertigt werden.
Forschungen zur Rel. u. Lit. d. A. u. NT. 6. 19
290 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
meist — vollzogen ist, beruht eben auf dem bruchstückartigen
Charakter der israeUtischen Eschatologie.
Wie am Anfang dieser Welt, so steht am Anfang der
künftigen das Paradies mit seinem Könige. Die Genesis kennt
nur einen »Menschen«, Adam, und sein Weib, aber keinen
»König« als den Bewohner des Paradieses. Es bleibt uns
also nichts anderes übrig, als nach rehgionsgeschichthchen
Parallelen zu suchen. Leider wissen wir bis heute nichts von
einem babylonischen Paradiesmythus ^, dessen Mittelpunkt sehr
wohl ein Halbgott oder König gebildet haben könnte ent-
sprechend den zehn »Urkönigen«^. Eine völlige Analogie aber
finden wir in der indo-iranischen ReHgion: »Herrscher im Reich
der Seligen ist des Vivasvant Sohn Yama, von dem der Athar-
vaveda sagt, daß er starb der Erste der Sterblichen, hinging als
Erster in jene Welt (XVIII, 3, 13). Wir haben hier den bei
den verschiedensten Völkern der Erde wiederkehrenden mytho-
logischen Typus des Oberhaupts der Seelen .... Der Er-
zeuger des sterblichen Geschlechts wurde dann vielleicht schon
in indo-iranischer Zeit als König des goldenen Zeitalters vor-
gestellt, in dem es nicht Alter und Tod, nicht Hitze und Kälte,
nicht Mangel und Leidenschaft gab : zwar der Veda weiß davon
nichts, aber die avestischen Zeugnisse von Yima des Vivanhvant
Sohn treten in die Lücke ein. Und wie in der hesiodischen
Sage von den fünf Weltaltem die Menschen des goldenen Ge-
schlechts nach dem Tode zu besonders mächtigen Dämonen
werden, so lebt im Avesta das Reich Yimas als ein Reich
sehger, weiser SterbHcher fort, in ein weltentrücktes Wunder-
land versetzt. Wir überschreiten die Grenzen des Beweisbaren,
aber nicht der berechtigten Vermutungen, wenn wir hinter diesen
Vorstellungen einen Glauben der arischen Zeit zu erkennen
meinen, daß die Seelen derer, die in der goldenen Zeit auf
Erden mit Yama gelebt haben, auch im Jenseits den König
als die Nächsten umgeben, eine Art Adel unter den Hinge-
1. Der Adapamythus, auf den Zimmern (KAT.^ S. 520 ff.) u. a. hin-
weist, hat nichts weder mit dem Paradiese noch mit Adam zu tun.
Die Ähnlichkeit beschränkt sich auf dasselbe Motiv: Verscherzung der
Unsterblichkeit. Vgl. Gunkel: Genesis'^ S. 33.
2. Eusebi Chronic, liber prior ed. Schoene S. 7 ff. 31 f. Zimmern
KAT.3 S. 531 ff.
Der König des goldenen Zeitalters. 291
schiedenen bilden «i. Der heroisierte erste Mensch ist hier wie
der Messias in Israel der König des goldenen Zeitalters, hier
in der Urzeit, dort in der Endzeit.
Aber die Parallelen gehen noch weiter. Wir erinnern uns
an die Umwandlung der menschlichen Natur, an das Gottes-
mahl auf dem Zion mit Fettspeisen und Hefenweinen, an die
Ernährung des Restes durch Honig und Milch, wenn wir aus
dem Veda hören: »Irdische UnvoUkommenheit ist abgetan: das
bedeutet nicht innere Erhebung zu ethischen Idealen, sondern
Beseitigung körperlicher Gebrechen; die Seligen haben die
Krankheit ihres Leibes hinter sich gelassen; sie sind nicht lahm,
nicht krumm von Gliedern. Sie verkehren droben nicht mit
Yama allein, auch mit den himmlischen Göttern. Beide Könige,
so wird bei der Bestattung dem Toten nachgerufen, die an der
Speise sich erfreuen, Yama sollst du sehen und den Gott Varuna
, . . Yama zecht unter einem wohlbelaubten Baum zusammen
mit den Göttern; dort erschallen Lieder und Flötenspiel; gewiß
sind auch die Seligen als Teilhaber an diesem festlichen Treiben
zu denken; Soma trinken die Einen, Andere Honig oder ge-
schmolzene Butter . . . Wir hören von . . . Teichen von Butter,
voll von Milch, von Wasser, von saurer Milch; solche Ströme
sollen dir alle fließen, honigsüß schwellend in der Himmelswelt,
Lotusteiche von allen Seiten dich umgeben «K Sieht man von
1. Oldenberq: Eel. des Veda S. 532f.
2. Oldenberg S. 534 ff. — Eichhorn macht mich auf die Tatsache
aufmerksam, daß wir hier eine völlig anschauliche Schilderung der Ur-
zeit haben, in der Milch und Honig nicht so fragmentarisch-unver-
ständlich wie im Alten Testamente, sondern ausführlich und lebendig
vorkommen. Aus diesem Grunde hält Eichhorn den iranischen Ur-
sprung der israelitischen Eschatologie auch für die ältere
^eit erwägenswert. In Iran gab es erstens heilige Kühe und
Vorstellungen vom himmlischen Honig, sodaß Milch und Honig als
Götterspeise dort begreiflich sind (vgl. Oldenberg S. 175 ff.). In Iran
gab es zweitens Vulkane, sodaß dort die Idee von einem Welt-
untergang durch Feuer sich bilden konnte (vgl. o. S. 37 f.). In Iran gab
es drittens rauhe, unwegsame Berge, die in der Endzeit nach
israelitisch-iranischer Eschatologie verschwinden sollen (vgl. o. S. 224).
In Iran existierte viertens eine nachweisbare Eschatologie mit
einem völlig ausgeprägten, in sich einheitlich-geschlossenen System.
Die drei letzten Gründe machen den babylonischen Ursprung unwahr-
19*
292 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
dem indischen Kolorit ab und verlegt den Schauplatz vom
Himmel auf die Erde, speziell nach Palästina, so haben wir
eine deutliche Analogie zu der israelitischen Schilderung des
goldenen Zeitalters, das mit dem eschatologischen Könige an-
bricht. Wenn der neue Himmel und die neue Erde ge-
schaffen werden, wenn eine neue, selige Urzeit be-
ginnt, so muß der erste Mensch wiederum zum Herr-
scher dieses Reiches werden, wie er es am Anfang
dieser Welt gewesen ist. Nehmen wir an, die israelitische
Eschatologie stamme von einem Volke, das einen »König« des
Paradieses kannte, so ist dessen Identität mit dem Messias d. h.
dem eschatologischen Könige keinen Augenblick mehr zweifel-
haft. Bei dieser Hypothese werden die überheferten Tatsachen
verständhch.
So erklärt sich die Rezeption der mythischen Paradies-
elemente in dem Hofetil: Der jeweiUge Fürst oder die jeweihge
Dynastie wird gefeiert als Bringer der goldenen Zeit, wie einst
der erste König. So erklärt sich die Haupttätigkeit des Messias:
Er schafft als letzter König das Reich des Friedens wieder
und regiert in Gerechtigkeit über ein gesundes und sündloses
Volk und über ein Land des Segens und des Überflusses, wie
es einst im Anfang war. So erklären sich seine Prädikate:
Immanuel ist ein geziemendes Attribut für den, der himmhschen
Honig und göttliche Milch genießt. Vater der Ewigkeit ist
eine passende Bezeichnung des ersten Menschen, der zugleich
der TCQWTOToyiog tcov ve'/,Qiüv (Apok. Job. I5) der erste Tote ist.
Denn »der erste Mensch war auch der erste Gestorbene, der
zu göttlichen Dimensionen erwachsene König des Totenreiches« \
und wie die gegenwärtigen Herrscher so ist auch ihr Prototyp,
der erste König, ein Abkömmling der Gottheit. In
Israel werden ihm nur göttliche Epitheta, auf der Stufe der
scheinlich, wenn nicht unmöglich. Babylonien kann nur als Über-
gangsstufe in Betracht kommen. Der Mythus des Weltunterganges
und der Welterneuerung kann schon in uralter Zeit aus Persien über
Babylonien nach dem Westen gewandert sein. Wir wissen jetzt, daß
bereits um 2000 v. Chr. die Elamiter (im Norden der iranischen Land-
schaft Lusiana) eine wichtige Eolle in der altbabylonischen Geschichte
spielten.
1. Oldenberg S. 276.
Der König des goldenen Zeitalters. 293
Naturvölker wird ihm sogar göttliche Verehrung zu teil. »Bei
den Karaiben ist Loguo der erste Mensch, welcher von seiner
himmlischen Wohnung herabstieg, die Erde schuf und dann
wieder in den Himmel zurückkehrte ... In Tahiti hatten die
zu Göttern erhobenen Gestorbenen und der erste Mensch die-
selben Namen, nämlich Tii oder Tiki^ .... Sowohl bei den
Mingos als den Leni-Lenape ist der erste Mensch ein Gegen-
stand göttlicher Verehrung .... Ja sogar wird abwechselnd
bald der Herr des Lebens bald der erste Mensch als derjenige
angerufen, der da Gewalt hat über die Geister .... Nach
dem Mythus der Indianer oben am Lorenzstrom und Missisippi
hat sich der erste Mensch in den Himmel erhoben und donnert
dort. Die Mönitarris verehren den Herrn des Lebens als den
Menschen, der nie stirbt und als den ersten Menschen . . .
Bei den Hundsrippindianem ist der erste Mensch Schöpfer der
Menschen, der Sonne und des Mondes«*. »Unter den Söhnen
des Kutka, des Schöpfers ist Haetsch der erste Mensch, der
auf Erden wohnte und starb und nach dem Tode als Be-
herrscher der Unterwelt zum Hades hinabging« s.
So haben wir eine Reihe von Parallelen, die uns lehren,
wie aus demselben religiösen Grundmotiv eine Vergötterung
des Urmenschen hervorging*. Die Religion, die die Escha-
tologie beeinflußt hat, könnte erzählt haben, wie der göttliche
Urmensch, von einer Gottesmutter geboren, in seiner Kindheit
mit göttlichen Speisen ernährt, schon als Knabe zum König
des Paradieses eingesetzt sei und in der goldenen Urzeit ein
gerechtes Regiment über die Menschen geführt habe. Mit den-
selben Farben, mit denen das Bild des ersten Königs am An-
fang der Welt gemalt ist, wurden dann auch die folgenden
Königsgemälde bis hinab zu dem des eschatologischen Messias
gezeichnet. Wir haben Spuren im babylonischen Hofstil ge-
funden, die sich nahe mit denen des israelitisch eschatologischen
Stiles berühren. Aber da wir den Mythus der Berufung des
ürkönigs nicht kennen, so läßt sich auch nicht mit annähernder
Sicherheit Babylonien als das Ursprungsland des Messias be-
1. J. G. Müllek: Am. Urrel. S. 135. 2. Müller S. 133.
3. Tylor: Die Anfänge der Kultur I S. 312 f.
4. Anders wird die Gestalt des Messias erklärt von Curtiss:
Ursemitische Eeligion S. 147 f.
294 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
zeichnen. Wir müssen uns fürs erste mit einem Ignoramus
begnügen. Mit Gewißheit läßt sich natürlich nicht sagen, daß
die bisher bloßgelegte Wurzel die einzige war, die sich im Laufe
der Zeit ausgewachsen hat und zu einem stattlichen Baume
geworden ist. Die wenigen Trümmer, die uns als letzter Über-
rest des alten Mythus in der israelitischen Eschatologie be-
gegnen, sind nicht ausreichend, um den ursprünghchen Bau zu
rekonstruieren. Vielleicht erzählte der Mythus weiter, der Ur-
könig sei ein Mensch gewordener Gott gewesen und nach seinem
Tode sei er wieder — wie nach den oben zitierten Parallelen
— in den Himmel zurückgekehrt und wohne nun in der Sonne
und regiere die Welt als Sonnengott. Vielleicht war es auch
anders. Hier ist der Phantasie unbeschränkter Spielraum ge-
währt. Jedenfalls lehren uns, worauf es hier allein ankommt,
die beigebrachten Parallelen der Naturvölker, daß der erste
Mensch und die Gottheit ursprünglich einmal iden-
tische Doppelgänger gewe'sen sein können, und darum
scheinen mir weitere Wurzeln der Messiasvorstellung nicht unbe-
dingt notwendig.
g 27. Die Thronbesteigung Jalives.
Der Messias und Jahve wechseln in der israelitischen
Eschatologie ab. Das ist begreiflich einmal deshalb, weil der
Messias im letzten Grunde eine göttliche Gestalt, ein Gottkönig,
ist und dadurch in die Sphäre der Gottheit erhoben wird. Das
wird noch begreiflicher, wenn wir eine zweite parallele Reihe
beachten. Fast überall, wo uns Jahve in der Heilseschatologie
begegnet, wird er in einer ganz bestimmten Weise dargestellt.
Wir können die Schilderungen, die von ihm gegeben, und die
Funktionen, die ihm beigelegt werden, zurückführen auf den
Begriff des eschatologischen Königs. Auffällig ist die
Tatsache, wie selten die hierher gehörigen Anschauungen bei
den älteren Propheten begegnen. Wir lernen sie fast nur aus
den Psalmen und den späteren Apokalypsen kennen, die aber
gewiß ältere Traditionen benutzt haben *.
1. »Wir können in der gesamten Eschatologie zwei Strömungen
unterscheiden; beide sprechen von einem kommenden Keiche und einem
kommenden Könige; während aber die eine den König David oder
Das Königtum Jahves. 295
Jahve ist König geworden, so beginnen eine Reihe von
Psalmen, die ihrem Inhalte nach eschatologischer Art sind
(Ps. 93 1. 97i. 99i, vgl. 479. 953. 96 lo. 986). Das ist die in
Israel stehende Formel, mit der jeder neue König begrüßt wird:
Wenn ihr Posaunenschall hört, dann sagt: Absalom ist König
geworden in Hebron (II Sam. 15 lo). Wie wir aus dieser und
anderen Stellen ersehen (I Reg. I34. 39. II Reg. 9 13), stößt das
Volk dabei in die Posaune, klatscht in die Hände (II Reg. 11 12),
jauchzt dem Gesalbten den Glückwunsch zu (I Sam. 10 24.
II Sam. 16 16) und vollführt einen großen Lärm, daß schier die
Erde birst (I Reg. I40. 45), bis der König in feierlicher Pro-
zession zum Thron geleitet ist (I Reg. I35). Dementsprechend
klatschen beim Regierungsantritt Jahves die Völker in die Hände
und jauchzen ihm zu mit Jubelruf (Ps. 472); unter dem Schall
der Posaunen hält er seinen Einzug in den Himmel^ und steigt
hinauf auf seinen Thron (Ps. 479). Gleich dem Könige ist er
in ein Prunkgewand gehüllt: Sein Kleid ist Pracht und Hoheit,
sein Kleid ist Licht^ (Ps. 93i. 104i).
Was bedeutet die Thronbesteigung Jahves? Sie dient zu-
nächst zum Ausdruck der Tatsache, daß Jahve das Welt-
regiment ergriffen hat. Gott ward König über die Heiden,
Davids Sohn nennt, ist in der anderen Jahve selbst der Herrscher der
Zukunft; überall wo von Gottes Reich gesprochen wird, fehlt der
menschliche König; denn ein Messias hat in Gottes Reich keine Stätte«
(Gunkel: Psalmen S. 162). Vgl. zu diesem ganzen Abschnitt das soeben
zitierte Buch Gunkels.
1. Wie Jahve in das himmlische Haus einzieht, so tut er es auch
beim irdischen Tempel; nur ist er dort persönlich, hier in seinem
Palladium zugegen. Immer aber erfolgt dieser Einzug, wie es begreif-
lich ist, nach Art eines Königs. So heißt es Ps. 247 : Erhebt, ihr Tore,
die Häupter, Ja erhebt euch, ihr uralten Pfort^-n, daß der König der
Ehren einziehe. Übrigens gibt es hierzu, nebenbei bemerkt, eine inter-
essante Parallele in dem altindischen Märchen: Nala und Daraayanti
(Reclam No. 2116), wo von dem halbgöttlichen Helden erzählt wird:
»Kommt er an eine niedere Pforte, so braucht er sich niemals zu
bücken; denn kaum hat sie den Mann erblickt, so erhebt sie
sich in dem Augenblicke, wo er sich stoßen mußte, in zuvorkommender
Weise« (S. 104). Die Voraussetzung ist auch hier wie Ps. 24?, daß die
Pforten nicht, wie bei uns, von innen nach außen, sondern von unten
nach oben geöffnet werden.
2. Zur Erklärung dieser Vorstellung vgl. Gunkel: Psalmen S. 172.
296 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Gott hat sich auf seinen heiligen Thron gesetzt (Ps. 479). Jahve
ward König, die Völker mögen zittern! Er thront auf den Ke-
ruhen, es hebe die Erde! Jahve ist groß in Zion und erhaben
über alle Völker (Ps. 99 1). Wie die Völker so beherrscht Jahve
auch die Götter: Jahve ist ein großer Gott, ein König über alle
Götter (Ps. 903). Da verzweifeln alle Bilderdiener, die sich der
Götzen rühmen; alle Götter sinken vor ihm in den Staub . . .
Denn du, Jahve, bist der Höchste über alle Welt, hocherhahen
über alle Götter (Ps. 977ff.). Nach Gunkel ist die »Voraus-
setzung dieses Gedankens von Jahves zukünftiger Thronbesteigung,
daß er gegenwärtig eigentlich noch nicht König der ganzen
Welt ist; gegenwärtig ist sein Reich noch nicht gekommen« i.
Aber es ist sehr fraghch, ob man diesen Schluß ziehen darf.
Die Israeliten, wenigstens der späteren Zeit, haben schwerlich
je daran gezweifelt, daß Jahve schon jetzt auf seinem Throne
sitzt und als Weltkönig das All regiert. Man braucht den von
Gunkel aufgestellten Satz nur ins Positive umzukehren, um
seine Unwahrscheinlichkeit zu erkennen. Oder sollte man in
Israel Jahve jemals als den Untergebenen eines anderen,
höheren Gottes betrachtet haben? Freilich, die Worte besagen
wirkHch das, was Gunkel aus ihnen herausliest. Trotzdem darf
ihnen dieser Sinn nicht beigelegt werden, weil er in den Geist
der israelitischen ßehgion nicht hineinpaßt. Diese Antithese
löst sich in einer Synthese auf, sobald wir hier eine aus der
Fremde stammende Tradition annehmen. Sie muß aus-
ländischen Ursprungs sein, weil sie erstens den Polytheismus
voraussetzt und weil sie zweitens erst den eschatologischen Gott
als den Universalgott preist. Als diese Lieder nach Israel
wanderten und auf Jahve übertragen wurden, da sang man sie
nach, ohnesichum den ursprünglichen Sinn zu kümmern. Man
legte in sie hinein, was man selbst empfand. Wir erleben es
ja heute in ähnlicher Weise immer wieder. Auch unsere Ge-
meinde genießt die israelitischen Psalmen und fragt nicht viel
nach der historischen Auffassung und nach der ursprünglichen
Bedeutung der Worte, sondern schiebt ihnen unbefangen die
eigene Stimmung und sogar die eigenen Gedanken unter. Wie
sollte es damals anders gewesen sein ? Vielleicht hat die Syna-
1. S. 158.
Das Weltgericht. 297
goge eine alte Tradititon bewahrt, wenn sie Ps. 47 als »Neu-
jahrslied« bezeichnet. Nicht das Posaunenblasen (Baethgen),
nicht der Universalismus (Dühm), sondern die Thronbesteigung
Jahves, die am Anfang jedes neuen Jahres erfolgte, haben den
Psalm zum Neujahrsliede gestempelt Weil man in Babylonien
oder sonstwo bei den Nachbarvölkern am Neujahrstage — und
ebenso beim Anfang einer neuen Welt — die Thronbesteigung
eines neuen Gottes feierte, so ward dies Beispiel in Israel nach-
geahmt, weil es so zum Stil gehörte. Während anderswo natür-
lich verschiedene Götter nach einander den Thron bestiegen, so
mußte man sich in Israel wohl oder übel mit dem einen Gott
begnügen. Israel schob in seinem ausgeprägten Monotheismus
untergeordnete Wesen wie Göttersöhne oder Engel (Dtn.
328 LXX) an die Stelle der Götter und faßte sie als Statt-
halter Jahves auf, die ihr Amt von ihm empfangen und ihm
zurückgeben. Damit ist der ursprüngliche Sinn umgebogen und
die Idee etwas verdunkelt.
Das Weltregiment Jahves bedeutet zugleich das
Weltgericht: Sp^^echt unter den Heiden: Jahve ward König
.... Denn er kommt, die Erde zu richten; er wird den Erd-
kreis richten in Gerechtigkeit und die Völker nach seiner Treue
(Ps. 96 10. 13. 989). Von diesem Gericht Jahves ist oft und schon
früh die Rede. So heißt es bereits Jes. Sisf.: Da steht Jahve
zu hadern und tritt auf, zu richten sein Volk^. Jahve kommt
ins Gericht mit den Altesten seines Volkes und seinen Oberen.
Während hier und an einigen anderen Stellen das Bild des
Gerichtes bis zu einem gewissen Grade anschaulich durchge-
führt ist, so ist doch beachtenswert, wie verhältnismäßig
selten dies in der Eschatologie geschieht. Die Be-
strafung der Menschen am Ende der Welt wird gewöhnlich
nicht durch ein Gericht, sondern durch eine Katastrophe oder einen
Kampf vollzogen. Ein Gericht kann sich ja auch niemals über
die leblose Natur erstrecken, deren Untergang eben beim Welt-
ende vorausgesetzt ist. Das Bild des Gerichtes paßt nicht zu
einer Naturkatastrophe und ist darum mit der Eschatologie nur
inkonzinn verknüpft Ein besonders schönes Beispiel ist Ps. 97 :
Hier wird zunächst eine Naturoffenbarung Jahves beschrieben,
1. Lies '.■cy LXX.
298 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
die im Feuer, Gewitter, Erdbeben, Vulkan erfolgt. Da ver-
zweifeln alle Bilderdiener, die sich der Götzen rühmen; alle
Götter sinken vor ihm in den Staub. »Wie abgeschliffen dem
Psalmisten diese Bilder sind, sieht man deutlich daran, daß er
mitten in die Schilderung der Feuererscheinung Jahves einen
so ganz andersartigen Zug setzen kann wie den: Gerechtigkeit
und Recht tragen seinen Thron« (Gunkel) und daß er am Schluß
dieser Naturkatastrophe einen so ganz andersartigen Satz hin-
zufügen kann wie den: Zion aber hört es mit Freuden und
Judas Städte frohlocken über deine Gerichte^ Jahve! Gericht
bedeutet hier so viel wie Strafe. Hätte der Verfasser den Be-
griff des Gerichtes konkret und anschaulich aufgefaßt, so hätte
er keine Naturkatastrophe ausmalen dürfen. Ein Eichter kämpft
nicht und streckt niemanden in den Staub, sondern er setzt
sich auf den Thron, läßt Sessel für die Beirichter herzuschaffen,,
schlägt die Aktenbücher auf, führt den Prozeß, fällt das Urteil
und übergibt den Schuldigen dem Henker. Ein solches wirk-
lich lebendiges Bild einer Gerichtsszene Jahves findet sich zum
ersten Male im Buche Daniel (Tgff.). Im übrigen Alten Testa-
ment hingegen ist die Idee des Gerichtes bald mehr bald weniger
fragmentarisch durchgeführt.
Während das Gericht über die Völker fast ganz unan-
schaulich bleibt, ist das Gericht über die Götter konkreter
dargestellt. Die Szenen Deuterojesajas gehören nicht hierher,
da sie sich nicht auf das eschatologische Gericht beziehen.
Wohl aber darf auf Ps. 82 verwiesen werden, wo Jahve die
Götter versammelt hat, ihnen ihre Sünden vorhält und ihre
Strafe verkündigt: Einst habe ich gesagt, daß ihr Götter^ seid,.
Söhne des Höchsten ihr alle! Aber jetzt sollt ihr sterben wie
Menschen, wie einer der Fürsten fallen, P'aßt man diese Worte
so auf, wie sie lauten, dann kann an dem Sinn kein Zweifel
sein : Jahve widerruft hier ein früher von ihm gegebenes Dekret,
in welchem er die Götter ausdrückHch als Götter anerkannt
hatte. Sobald man sich nun aber die israelitische Religion ver-
gegenwärtigt, wird man diese Auslegung für unmöglich erklären.
Wie sollten die Götzen je mit Jahves Wissen und Willen als
1. Mit Kecht betont Gunkel, daß n^rW hier nur Götter heißen
kann.
Die Himmelfahrt Jahves. 299"
Götter eingesetzt und bestätigt sein? Von der Existenz eines^
solchen Jahvewortes wissen wir nichts, ja wir glauben mit Sicher-
heit sagen zu dürfen, daß es nie existiert hat. Und dennoch
wird das hier, so deutlich wie nur möglich, behauptet. Diese
Schwierigkeit löst sich am einfachsten bei Annahme einer
fremden Tradition, die auch deshalb wahrscheinlich ist, weil
wir hier ein singuläres und verlorenes Bruchstück haben, zu
dem sich keine Parallele im ganzen Alten Testament aufweisen
läßt^. Israel überhörte den negativen Auftakt dieser Worte
und achtete allein auf die positive Fortsetzung, nach der die
Götzen nichtig sind und wie Menschen gegenüber Jahve.
Merkwürdig ist nun, daß mit dem Gedanken der Thron-
besteigung Jahves noch die Idee einer Himmelfahrt Jahves
verknüpft scheint! Gott ist unter Jauchzen auf gefahren ^ Jahve
unter Posaunenschall . . . Gott ward König über die Heiden,
hat sich auf seinen heiligen Thron gesetzt (Ps. 476.9). Über den
Sinn des hier gebrauchten Verbums (nby) hat man viel ge-
stritten, hauptsächlich deshalb weil man sich die vorausgesetzte
Situation nicht genügend klar gemacht hat. Der Dichter be-
singt den Augenblick, wo Jahve die Weltherrschaft antritt, also
keine real -historische, sondern eine mythisch- eschatologische
Situation, die er kraft seiner dichterischen Phantasie als gegen-
wärtig darstellt. Er versetzt sich in die Endzeit, schildert die
einzelnen Akte der Krönungszeremonien und fordert zum Schluß^
die versammelten Völker auf, einen Hymnus anzustimmen auf
Jahve, den neuen Weltenkönig. Da der Thron Jahves im
Himmel steht, so kann das Hinauffahren nur nach dem HimmeL
erfolgen 2. Jahve hat den Thron im Himmel aufgestellt, und
seine Herrschaft regiert das All (Ps, 103 19). Dem Zusammen-
hang nach ist die Himmelfahrt Jahves ein Teil der Krönungs-
1. Vgl, übrigens Ps. 58. Auf Dtn. 328 LXX kann man nicht hin-
weisen, weil wir dort die israelitische Umprägung haben, nach
der nicht selbständige Götter, sondern Engel Jahves über die
Heiden gesetzt sind. In Ps. 82 steht die heidnische Vorstellung {Götter}
neben der israelitischen {Göttersöhne).
2. nVy von der Heimkehr der Bundeslade in den Tempel Jerusalems-
zu verstehen, ist nach der Situation des Psalmes unmöglich. Für das
Besteigen des Thrones wird niemals nVy, sondern stets 2v^ gebraucht.
Das bloße nVy = in den Himmel fahren z. B. auch Jdc. 621. 1320.
300 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Zeremonien und entspricht der Prozession des irdischen Königs
von der Wahlstätte zum Thron. Darauf führt auch, wie die
oben zitierten Parallelen zeigen, daß die Himmelfahrt unter
Jauchzen und Posaunenschall geschieht (vgl. IReg. Issf.). Dies
Motiv der Himmelfahrt dürfte ursprüngHch dem eschatologischen
Mythus angehören, weil es mit der Idee der Weltherrschaft
zusammenhängt. Später kann es sich losgelöst haben und
selbständig geworden sein, sodaß es bei besonderen Gelegen-
heiten, an bestimmten Festtagen, in gewissen Liedern verwertet
wurde. Jedenfalls haben wir hier, wie überall, nur ein Frag-
ment, das in seinen ursprünglichen Zusammenhang einzureihen
für uns sehr schwer ist. Wenn wir fragen, ob und warum
Jahve vorher den Himmel verlassen hat, so erhalten wir keine
Antwort.
Anderswo finden wir ein anderes Bruchstück, vielleicht
•desselben Baues, das speziell die Krönung Jahves in Zion
besingt : Denn Jahve Zebaoth ward König auf dem Berge Zions
und in Jerusalem, und vor seinen Ältesten ist Herrlichkeit (Jes.
2423). Diese, wie es scheint, sehr späte Apokalypse, die von
der eschatologischen Zeit handelt, ist für uns noch von beson-
derem Interesse deshalb, weil sich an die Krönung Jahves
ursprüngHch 1 die einzige uns überlieferte Schilderung der heils-
«schatologischen Mahlzeit schloß, die dann von den Propheten
nach unserer Vermutung ins Grausige verzerrt wurde (vgl.
o. S. 134. 140): Und anrichten wird Jahve Zebaoth allen Völkern
auf diesem Berge ein Gelage von Fettspeisen, ein Gelage von
Hefenweinen, von markigen Fettspeisen, von geläuterten Hefen-
weinen (Jes. 256). In diesem Zusammenhange bedeutet das
Gelage das Krönungsmahl, das der Wahlhandlung folgte:
Da zog das ganze Volk zum Gilgal hin und machte dort Saul
zum Könige vor Jahve im Gilgal. Und man schlachtete dort
Heilsopfer vor Jahve und Saul, und alle Männer Israels waren
■dort überaus fröhlich (ISam. 11 15).
So haben wir einen bestimmten Komplex festumgrenzter,
aber zusammenhangloser, bruchstückartiger Ideen kennen gelernt,
die sich sämtlich um die Thronbesteigung Jahves gruppieren
und ihn als den eschatologischen König darstellen. Der Sache
1. Jes. 25 1 — 5 sind Glosse (Duhm)
Der Stil Deuterqjesajas. 301
nach, nicht der Pei-son nach, sind der hier geschilderte Jahve
und der Messias ursprünghch, wie es scheint, Doppelgänger
gewesen: Die Funktionen beider sind fast noch identisch. Der
Messias wird mehr als ein zum Gott erhobener König, Jahve
mehr als ein zum König erhobener Gott beschrieben. Es ist
nun sehr wohl möghch, daß in der Eschatologie, die die
israelitische Religion beeinflußt hat, eine Gestalt im Mittelpunkt
stand, die beider Züge in sich vereinigtet Bei der Wanderung
nach Israel hat sich diese Gestalt verdoppelt^ und die eine^
mehr göttliche, Seite ihres Wesens an Jahve, die andere, mehr
menschliche, Seite ihres Wesens an den Messias abgegeben.
Der eschatologische Heros, der ursprünglich reiche mythische
Züge trug, die in der älteren Prophetie bis auf Jesaja und
Micha noch durchschimmern, ist im Laufe der Zeit immer mehr
zum irdischen Könige degradiert und hat rein nationalen Cha-
rakter gewonnen. Jahve jedoch war gegen diese Entwicklung
gefeit, da er den göttlichen Typus nicht verlieren konnte.
Darum dürfen wir der ursprünglichen eschatologischen Ge-
stalt vielleicht die Dinge wieder zuschreiben, die in der jetzigen
Überheferung nicht mehr vom Messias, sondern nur noch von
Jahve ausgesagt werden. Da aber möglicherweise auch hetero-
gene Elemente in der Eschatologie vereinigt sein können, sa
müssen wir auch hier auf Sicherheit verzichten.
C. Der Ebed Jahve.
§ 28. Der Stil Deuter oj es ajas.
Bernhard Duhm: Die Theologie der Propheten. Göttingen 1875.
M. Schian: Die Ebed-Jahve-Lieder. 1895. L. Laue: Die Ebed-Jahve-
Lieder. Wittenberg 1898. Ernst Sellin: Serubbabel. Leipzig 1898.
G. Füllkrug: Der Gottesknecht des Deuterojesaja. Göttingen 1899.
Alfred Bertholet: Zu Jesaja 53. Tübingen 1899. K. Budde: Die
sogenannten Ebed-Jahve-Lieder. Gießen 1900. C, H. Cornill: Die
neueste Litteratur über Jes. 40—66 (TheoL Kundschau Bd. III S. 409 ff.).
Tübingen 1900. Ernst Sellin: Studien zur Entstehungsgeschichte der
1. Vgl. Gunkel: Forschungen I S. 24 f.
2. Dieser Prozeß ist in der Keligionsgeschichte oft zu beobachten.
Man vergleiche auf israelitischem Boden Jahve mit dem Engel Jahves-
oder Jahve mit Satan.
302 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
jüdischen Gemeinde. Leipzig 1901. Friedrich Giesebrecht: Der
Knecht Jahves des Deuterojesaja. Königsberg 1902. Hermann Gunkel :
Forschungen. Heft I. S. 78 f. Göttingen 1903.
Der gegenwärtige Streit der Wissenschaft dreht sich um die
Frage, ob der mtr« lay des Deuterojesaja (d. h. Jes. c. 40 — 55)
eine individuelle Gestalt (wie der Messias, oder eine historische
Persönlichkeit wie Serubbabel, Nehemia, Eleasar) oder eine
kollektivische (wie das Volk Israel) sei. Nun scheidet man jetzt
meist nach dem Vorgange Duhms die sogenannten Ebed-Jahve-
lieder (Jes. 42i — 4. 49i— 6. 504 — 9. 52i3— 53i2) als eine besondere
Größe aus Deuterojesaja aus, die von einigen einem anderen
Autor zugeschrieben werden, während andere an der Identität
des Verfassers festhalten. Da die Frage nach der Einheitlichkeit
«der Stücke nicht durch sprachliche noch durch zeitgeschicht-
liche, sondern allein durch biblisch-theologische Untersuchungen
beantwortet werden kann, so dürfen wir sie hier bei Seite lassen
und uns allein auf die religionsgeschichtlichen Probleme be-
schränken. Ehe wir speziell zum Ebed Jahve übergehen, müssen
wir den Horizont etwas weiter spannen und uns den eigentüm-
lichen Stil Deuterojesajas klar machen, den unsere Exegeten
bisher nicht genügend beachtet haben.
In einem früheren Paragraphen wurde ausgeführt, Deutero-
jesaja müsse verstanden werden von seinem Zentralbewußtsein
aus: Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden
(§ 18). Diese Behauptung muß ergänzt werden durch den Hin-
weis auf eine andere Tatsache: Seine Worte bewegen sich bis
zu einem gewissen Grade alle auf dem gleichen Niveau, mag
er von Jahve oder vom Ebed, von Israel oder von Cyrus sprechen.
Das macht es so außerordentlich schwer, in jedem Einzelfall zu
entscheiden, wer gemeint sei. Nur so viel ist sicher, daß er
eine feste Nomenklatur, scharf ausgeprägte, technische Formeln
und bestimmte Ideen hat. Da er sie aber in stereotyper
Weise auf alle seine Gestalten anwendet, so ruft er eben
dadurch ein eigentümhches Schillern und eine unklare Ver-
schwommenheit hervor, die merkwürdig absticht von der an sich
vorhandenen Klarheit. Das erhellt besonders schön aus den
Eedewendungen, die er Jahve in den Mund legt gegenüber den
Angeredeten Personen. Jahve heißt Cyrus seinen Freund ("^yn
4428), den er lieb hat (48 u), dessen Rechte er gefaßt (45 1), den
Der Stil Deuterojesajas. 303
er mit Namen genannt (453f.), den er berufen und gebracht hat
(48 15). Dieselben Ausdrücke begegnen uns wieder bei einem
Wort Jahves an Israel: Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob,
den ich erwählt habe, Same Abrahams, meines Freundes, du,
den ich faßte von den Enden der Erde und von ihren Säumen
berief (41 sf.) .... ich halte fest deine Rechte (41 13). Ebenso sagt
er zum Ebed : Siehe da, mein Knecht, an dem ich festhalte, mein
Erwählter, den meine Seele gern hat (42 1) . . . ich Jahve habe
dich gerufen in Treuen und ergriffen deine Hand (426).
Neben diesen einzelnen Redensarten, die gleichmäßig bei
Cyrus, bei Israel und beim Ebed wiederkehren, ist beachtens-
wert, wie auch sachlich dieselben Dinge in derselben, stereotypen
Weise von verschiedenen Personen ausgesagt werden. 504 ist
David ein Zeuge für die Völker^, 43 9f. 12. 448 hingegen ist es
Israel. 504 verkündet Jahve: Lehre wird von mir ausgehen,
und mein Recht mache ich zum Licht der Heiden; anderswo
wird dasselbe vom Ebed behauptet: Das Recht wird er aus-
gehen lassen den Heiden (42 1), ich mache dich zum Licht der
Heiden (496). Während Öls Jahve sagt: Auf mich harren die
Inseln, so heißt es 424 vom Ebed: Auf seine Lehre harren die
Inseln. 51 3 ist von der beständigen Gnade Davids, 548 von
der ewigen Gnade Jahves die Rede. Das eine Mal wird David
zum Fürsten und Gebieter der Nationen gemacht (554), das
andere Mal ist es Jahve (4523f.) oder Israel (4922f.) oder der
Ebed (49?. 52 uf.), mit teilweise identischen Ausdrücken. So
sind alle diese Gestalten einander mehr oder weniger angenähert
worden, sodaß es uns schwer wird, in jedem Einzelfalle anzu-
geben, welche er grade vor Augen hat. Unsere Pflicht ist es,
einen Versuch zu machen, diese merkwürdige Tatsache zu er-
klären. Für uns wird es hauptsächlich darauf ankommen zu
zeigen, daß hier ein bestimmter Stil vorliegt, woher der nach-
gewiesene Stil stammt und welche Phrasen und Ideen für ihn
charakteristisch sind.
Als Cyrus, König von Persien, das medische imd lydische
Reich unterworfen hatte, pries ihn Deuterojesaja als das Werk-
zeug und den Gesalbten Jahves, als den kommenden Weltkönig,
der im Auftrage Jahves die Völker unterjoche: Wer erweckte
1. Lies a^oyis LXX.
304 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
vom Aufgang den, dem Sieg begegnet auf Schritt und Tritt,
(wer) gibt Völker ihm preis und stürzt^ Könige, (wer) macht
wie Staub ihr^ Schwert, wie verjagte Spreu ihren^ Bogen? Er
verfolgt sie, fährt einher in Heil, den Pfad mit seinen Füßen
betritt er nicht (41 2f.). Ich habe ihn erweckt von Norden, daß
er komme, von Sonnenaufgang her rief ich ihn bei Namen^,
daß er Statthalter zertrete^ wie Lehm und wie der Töpfer Ton
zerstampft (4125). . . . Jahve, der von Cyrus sagt: Mein Freund^
und all mein Anliegen vollführt er ... . So spricht Jahve zu
seinem Gesalbten Cyrus, dessen Rechte ich gefaßt habe, um
Völker vor ihm niederzutreten'^ und die Hüften der Könige zu
entgürten, zu öffnen vor ihm die Türen und daß Tore nicht
verschlossen sind, ich gehe vor dir her und Unebenheiten ebne
ich, eherne Türen zertrümmere ich und eiserne Riegel zerhaue
ich, Geben will ich dir die Schätze der Finsternis und die
Vorräte des Verstecks, damit du erkennst, daß ich Jahve es
bin, der dich mit Namen nannte. Um meines Knechtes Jakob,
und Israel, meines Erwählten, willen rief ich dich mit deinem
Namen, mit Ehrennamen, obwohl du mich nicht kanntest
(4428 — 404). Ich habe ihn erweckt in Gerechtigkeit, werde all
seine Wege ebnen, er wird bauen meine Stadt, meine Gefangenen
entlassen, nicht um einen Kaufpreis noch um ein Geschenk,
spricht Jahve Zebaoth (45 is). Gedenkt an das Frühere von
Ewigkeit her, daß ich Gott bin und keiner mehr, Gottheit und
nichts wie ich, der da meldet vom Anfang den Ausgang, und
von urher, was noch ungeschehen ist, der sagt: Mein Plan wird
bestehen und all mein Anliegen führe ich aus, der vom Auf-
gang den Stoßvogel ruft, vom fernen Land den Mann seines
Planes. Ich hab es geredet, ich werde es bringen; ich hab es
geplant^, ich werd es vollführen (469ff.). Versammelt euch alle
und hört: Wer unter ihnen hat dies verkündet? Der, den Jahve
liebt, wird seinen Willen vollbringen an Babel und am Samen^
1. Lies IT Hitzig. 2. Lies nn^n Klostermann.
3. Lies crcp Klostermann.
4. Lies ittu;a TN-p. So mit Eecht Kittel nach 45 sf.
5. Lies Ca;;"! Clemcus.
6. Lies ^y'2 (Kuenen) nacli 48 14; doch ist das überlieferte »mein
Hirt« nicht unmöglich. 7. Lies -Vis = n-^-inls Wellhausen.
8. Lies "r::y^ Duhm. 9. Lies iyjta Duhm.
Cyrus. 305
der Chaldäer. Ich habe geredet und ihn gerufen y ihn gebracht
und seinen Weg gelingen lassen. Naht euch zu mir und hört
dies! Nicht habe ich von Anfang an im Versteck geredet; seit
es geschieht, bin ich dabei (48 uff.).
Es wurde bereits darauf aufmerksam gemacht (S. 252), daß
Deuterojesaja in seinen Äußerungen über Cyrus sich vielleicht
an den babylonischen Hofstil angelehnt hat. In Babylonien
pflegte man den König als den Auserwählten der Gottheit, ge-
wöhnlich des Marduk, zu preisen, unser Verfasser hat an die
Stelle der babylonischen Gottheit Jahve gesetzt, sonst aber
manche Ausdrücke wörtlich übertragen, wie z. B. er faßte ihn
bei der Hand, er rief ihn bei Namen, er hat ihn lieb, die wir
sämtlich aus dem Cyrus- Cylin der kennen lernen. Für diese
Annahme spricht erstens, daß wir diesen Hofstil vorher in
Israel nicht nachweisen können. Wir haben zwar einen Hof-
stil, aber es fehlen die hier gebrauchten Termini. Auf der
anderen Seite haben wir den babylonischen Cylinder, wo der
König der Perser tatsächhch als der Mann nach dem Herzen
Marduks dargestellt wird mit Äquivalenten, die den eben ge-
nannten hebräischen Ausdrücken wörtlich entsprechen. Was
liegt näher als die Vermutung, Deuterojesaja habe sich bei der
Verherrlichung des Cyrus an babylonische Vorbilder ange-
schlossen? Es ist schwer, im Einzelnen das Neue von dem
Alten genau zu scheiden, da wir stets dessen eingedenk bleiben
müssen, daß unser Wissen Stückwerk ist. Wenn Cyrus als der
Gesalbte Jahves bezeichnet wird, so ist das gewiß eine alt-
israelitische Redewendung, im übrigen aber scheint der baby-
lonische Hofstil eingewirkt zu haben. Wir dürfen natürlich
nicht an den Cyrus- Cylinder speziell denken, der ja erst aus
etwas späterer Zeit stammt, sondern ganz allgemein an den
dort üblichen Hofstil, für den der Cyrus - Cylinder nur ein
Musterbeispiel ist.
Zweitens findet sich in den Cyruszitaten eine Reihe
rätselhafter und teilweise mythischer Züge, deren israelitischer
Ursprung wenig w^ahrscheinlich ist. Mythisch ist es, wenn
Cyrus mit seinen Füßen den Pfad nicht betritt (41 3). Er
wird hier nach Art überirdischer Wesen ^ vorgestellt (Duhm).
1. Derselbe Zug begegnet uns Dan. 85 bei dem ursprünglich mythi-
Forschnngen zur Rel. n. Lit. d. A. u. NT. 6. 20
306 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Mythisch ist es, wenn Jahve vor Cyrus hergeht und die Hügel
vor ihm ebnet (452). Was hier von Cyrus ausgesagt wird, gilt
anderswo von Jahve selbst: Siehe, ich sende meinen Engel vor
mir her, daß er vor mir den Weg ebne (Mal. 3i). Deutero-
jesaja selbst kennt diese Anschauung: Horch, man ruft: In der
Wüste bahnt den Weg Jahves, macht grade in der Stepjpe eine
Straße unserm Gott! Jedes Tal soll sich heben, und jeder Berg
und Hügel soll sich senken, und werden soll das Hügelige zum
Blachfeld und die Berghaufen zur Ebene (Jes. 403f.). Die
paradiesische Götterstraße (vgl. o. S. 223) kann ursprünglich
nur von himmlischen Wesen gebaut sein und ist ursprünglich
nur für himmlische Wesen bestimmt. Aber wie Mal. 323 der
wegbahnende Engel vielleicht auf Eha umgedeutet ist, so ist
hier die Götterstraße für Cyrus geebnet.
Es scheint femer mythisch zu sein, wenn fast in jedem
Zitate ausdrücklich hervorgehoben wird, Cyrus komme vom
Sonnenaufgang. Gewiß kann dabei auch an Persien gedacht sein.
Da aber daneben einmal der Norden genannt wird (4125), so ist es
schwierig, darunter nun plötzlich Medien zu verstehen. In der
Heilseschatologie begegnet der Ausdruck Licht oft in mythischem
Sinne. Man darf aber nicht an die Stellen erinnern, an denen Licht
metonymisch für Heil gebraucht wird, da sie aus der Natur der
Sache ohne weiteres verständlich sind. So heißt es: Dann wird
hervorbrechen wie die Morgenröte dein Licht, und deine Heilung
wird eilends sprossen (Jes. 58 s) ... so wird aufstrahlen in der
Finsternis dein Licht, und deine Dunkelheit (wird werden) wie
der Mittag (Jes. 58 lo). Wenn ich in der Finsternis sitze, dann
ist Jahve mein Licht (Mch. Ts). Anders ist es dagegen Jes. 9i:
Das Volk, das im Dunkel wandelt, hat ein großes Licht gesehen-
die da wohnen im Todesschatten, über denen ist Licht erglänzt.
Dem Zusammenhang nach müssen sich diese Worte auf die
Lebenden beziehen, in deren finstere Gegenwart das Licht der
heiteren, eschatologischen Zukunft fällt. UrsprüngHch aber be-
schen Ziegenbock. Er ist als Motiv besonders scbön verwendet in dem
altindischen Märchen Nala und Damayanti (Reclam No. 2116): »Und
allsobald erblickte sie die Göttlichen schweißlos, unbeweglichen Blickes,
steifkränzig , staubfrei, und keiner von ihnen berührte beim
Stehen den Erdboden« (S. 30). Vgl. ferner o. S. 30 zu Ps. 7720;
o. S. 210 zu Dtn. 32 13.
Cyrus. 307
sagt der Wortsinn, daß die Bewohner der Unterwelt plötzlich
die helle Sonne schauen; »selbst im Hades erscheint das Licht
des Gottes« (Gunkel: Forschungen I S. 22). Anderswo wird
ausdrücklich Jahve selbst als dies Licht bezeichnet: Aufj werde
Licht j denn es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit Jahves
erstrahlt über dir; denn siehe, Finsternis bedeckt die Welt und
Dunkel die Völker, doch über dir erstrahlt Jahve, und seine
Herrlichkeit erscheint über dir (Jes. 60 if.). Und einige Verse
später: Nicht wird dir ferner dienen die Sonne zum Lichte am
Tage noch zur Helle der Mond dir leuchten, sondern Jahve
wird dir sein zum ewigen Licht und dein Gott zu deiner Zier
(Jes. 60 19). Jahve wird hier als das Licht vorgestellt, das am
Anfang der neuen Zeit die Welt erleuchtet (vgl. o. S. 221).
Dies mythische Bild ist in den Hofstil übergegangen und
von der Gottheit auf den König übertragen worden. Dieser
Prozeß ist vor Deuterojesaja nicht nachweisbar und
scheint außerhalb Israels vollzogen zu sein. Auf das Bileam-
lied kann man sich nicht berufen: Es strahlt auf^ ein Stern
aus Jakob (Num. 24 17). Denn hier ist Stern nur ein meto-
nymischer Ausdruck für Könige. Wenn Deuterojesaja Cyrus
als den Mann vom Sonnenaufgang feiert und in ähnlicher Weise
den Ebed als das Licht der Welt (426. 496. 51 4) bezeichnet, so
ist er nach der wahrscheinlichsten Annahme vom babylonischen
Hofstil abhängig, der solche mythischen Bestandteile in sich
aufgenommen hatte. Der Weltimperator scheint dort als ein
solarer Held gedacht, wie man 3 aus der Inschrift Sargons II.
hat schließen wollen, der von 350 alten Fürsten redet, die vor
ihm über Assyrien geherrscht hätten*; damit will Sargon wohl
sagen, daß mit ihm ein neues Weltenjahr beginnt. Erst sehr viel
später ist derselbe oder ein verwandter Hofstil durch Vermitt-
lung des Hellenismus in der griechisch-römischen Welt von
neuem aufgelebt, wo z. B. ein Nero begrüßt wird als 0 tov
^avTog "AOOfxov yivgiog . . . viog'^'Hhog eTCiXa^ipag Tolg'^EllriOiv^.
1. Lies n^t Wellhausen. 2. Wie im Arabischen.
3. So zuerst Kampers: Alexander der Große und die Idee des
Weltimperiums. 1901. 4. KB II S. 47.
5. DiTTENBERGER : Sylloge 376 Z. 31; vgl. vor allem Wendland:
<j€oz^Q ZNTW Bd. V S. 343.
20*
308 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Nach den Sibyllinen kommt auch der von Gott gesandte König
der Endzeit arc rjeXiOio (III 652).
Rätselhaft ist es endlich, wenn Cyrus als der von Jahve
Geweissagte gilt; denn solche Weissagungen existieren in un-
serem Alten Testamente nicht. Wir können auch schwerlich
annehmen, daß man im Exil schon die Schriften der früheren
Propheten als ein heiliges Buch genau studiert und sich auf
dort vorhandene, bisher unerfüllte Orakel berufen habe. Deu-
terojesaja selbst hat, wie wir mit Sicherheit sagen können, keine
bestimmten Prophezeiungen im Auge gehabt. Das geht mit
großer Deutlichkeit aus den Disputationen hervor, die er zwischen
Jahve und den übrigen Göttern abhalten läßt (41 21 ff. 44 7 ff.
45 21 ff.). Der Verfasser legt Jahve die Behauptung in den
Mund, er allein habe die Zukunft richtig vorausgesehen, wäh-
rend die übrigen Götter dazu nicht imstande gewesen seien.
Mit besonderem Nachdruck wird die Aufforderung vorangestellt:
Schafft herbei eure Rechtssache! spricht Jahve; bringt heran eure
Hauptbeweise! spricht der König Jakobs (41 21). Als notwendige
Voraussetzung, wenn diese Aufforderung wirklich wörtlich gemeint
ist, muß gelten, daß Deuterojesaja selbst zwingende Beweise für
die Sehergabe Jahves hat. Das ist doch der erste Einwand,
den jeder Heide erheben und auf den der Schriftsteller gefaßt
sein mußte: Bitte, zeige du uns erst einmal schwarz auf weiß,
wo Jahve die Zukunft vorausgesagt und speziell das Erscheinen
des Cyrus verkündet hat! Hätte Deuterojesaja solche
Orakel vorlegen können, so hätte er dies tun müssen
und gewiß auch getan. Aus seinem Schweigen dürfen wir
schließen, daß er keine konkreten Beweise hatte. Er beruft sich
weder auf Jeremia noch auf Jesaja noch auf Mose; ja er gibt uns
überhaupt nicht die Erlaubnis, im Umkreis der uns bekannten
Persönlichkeiten zu suchen, da er über sie hinaus in eine noch
fernere Vergangenheit deutet: Wer hats gemeldet vom Anfang,
daß wirs erkennen, und von einst, daß wir sagen : richtig (41 26) ?
Wer ließ hören von der Urzeit her das Künftige^ (44?).^ Wer
hat dies hören lassen von der Vorzeit her, vorlängst es verkündet
(45 21)? Eine Theorie, wie wir sie etwa bei Daniel kennen
lernen, daß alles, was geschieht, von Anfang an vorausgesagt
1. Vgl. DuHM zur Stelle.
Orakelstil. 309
sei, dürfen wir bei Deuterqjesaja nicht voraussetzen. Wir stehen
hier also vor einem psychologisch nicht erklärbaren Rätsel.
Das Problem löst sich, sobald wir hier einen von aus-
wärts übernommenen Stil vermuten. War es damals in
Babylonien Sitte, in dieser Art voji den Göttern zu reden, so
konnte unser Verfasser sich dem unbedenklich anschließen, ohne
Gefahr zu laufen, daß man Beweise von ihm forderte.
Diese Vermutung eines aus der Fremde entlehnten Stiles
läßt sich noch wahrscheinlicher machen, wenn man auf einige
weitere Dinge achtet, die man bisher verkannt hat. Erstens
wird in diesen Stücken der Polytheismus vorausge-
setzt. Wer von den Göttern Beweise erbittet und sich mit
ihnen in eine Disputation einläßt, hält sie für lebendige Wesen.
Gewiß ist das für Deuterojesaja nur eine stilistische Einkleidung.
Aber auf diese Einkleidung wäre er von sich aus niemals ver-
fallen, da er ja immer wieder die Nichtigkeit der Götzen betont
und ihre Existenz leugnet. Wie konnte ein so strenger Mono-
theist auch nur hypothetisch das zugeben, was er sonst aufs
schärfste bekämpfte? Will man ihm diese Selbstverleugnung
nicht zutrauen, so muß man einräumen, daß er hier eine Stil-
form von anderen übernommen hat. Ohne sich über die Voraus-
setzungen klar zu werden, die seinem eigenen Standpunkt im
Grunde widersprechen, achtete er nur auf die Konsequenzen,
— die alleinige Gottheit Jahves und die Ohnmacht der Götzen —
die sich grade mit Hülfe dieser Disputationen leicht deutlich
machen ließen.
Noch krasser tritt zweitens der ursprünghch polytheistische
Charakter zutage in der Tatsache, daß Jahve von sich in der
ersten Person Pluralis redet: Mögen sie herbeibringen und uns
verkünden das, was sich begeben wird (41 22ff.). Man darf zum
Verständnis dieser Stelle nicht auf 438if. verweisen, wo eine
andere Situation geschildert wird: Die Völker haben sich ver-
sammelt, ihnen gegenüber stehen die Israeliten. Jahve will
seinem Volke, das Augen hat und doch bhnd ist, das Ohren
hat und doch taub ist, klar machen, daß die Heiden keine
Orakel haben. Daraus sollen sie den Schluß ziehen auf die
Nichtigkeit der Götzen. Dieser Hauptgedanke wird nicht deut-
lich ausgesprochen, er geht aber aus der Pointe des ganzen
Stückes hervor: da werdet ihr erkennen und mir glauben und
310 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
einsehen, daß ich es bin; vor mir ist kein Gott gebildet und
nach mir wird keiner sein (43 lo). Wir vermissen nicht nur die
Götter in dieser Szene, sondern wir verstehen auch nicht, wie
Jahve sagen kann: Das Frühere mögen sie uns hören lassen
(439). Es sollte heißen: Das Frühere mögen sie euch hören
lassen. Denn nicht Jahve, sondern Israel soll überzeugt werden»
Daß sich Jahve hier mit seinem Volke zusammenfaßt, ist stili-
stisch sehr hart. 43 8 ff. ist also nicht verständlicher, sondern
noch unverständlicher als 41 22 ff., wo Jahve und die Götter die
einzigen Personen sind, die auftreten. Es ist gar kein Grund
vorhanden, die Israeliten hier stillschweigend zu ergänzen.
Nehmen wir an, Deuterojesaja habe diesen Stil entlehnt und
ursprünglich habe etwa ein Gott wie Marduk gesprochen, der
ja um seiner Schicksalstafeln willen besonders als Orakelgott
berühmt war, so würde man aus dem wir auf eine mit Marduk
zusammengehörige Götterpartei schließen, aber keineswegs auf
die Babylonier. Bei Deuterojesaja ist die erste Person Pluralis
nur noch ein stilistisches Überbleibsel (wie Gen. I26), das
von ferne an den polytheistischen Ursprung erinnert.
Drittens scheint es, als ob der Verfasser auch hier (wie
bei dem Hofstil) vom babylonischen Sprachschatz ab-
hängig sei. In demselben Zusammenhang, wo ausgeführt wird^
daß kein heidnischer Gott die Zukunft vorausgesagt habe, heißt
es: Zion hat einen puJNn: siehcy da sind sie ja! und Jerusalem
gebe ich den ^%^f2* Doch diese\ da ist kein Mann und von
diesen weiß keiner Bescheid (4l27f). Nach dem Kontext können
die beiden nicht übersetzten Wörter nichts Anderes bedeuten
als Propheten: Jahve hat Zion einen Propheten gegeben, während
die Götter keinen Propheten aufweisen können. Diese Be-
hauptung müßte man auch dann aufstellen, wenn man keinen
Beweis dafür beibringen könnte. Eine Korrektur erscheint mir
unnötig, weil das dem hebräischen p«3N*i genau entsprechende
babylonische Äquivalent mahrü (wörtlich der Erste)^ ebenfalls
Prophet heißt. Am Schluß des Schöpfungsmythus Inuma ilis
sagen die großen Götter, als sie dem Tiämatbändiger Marduk
die fünfzig Titel verliehen haben: Sie mögen festgehalten werden,
Mnd der mahrü möge sie offenbaren, der Weise und der Kun-
1. Lies nVsi DuHM.
Orakelstil. 311
dige (mudü) mögen sie zusammen überdenken^. Dies Zusammen-
treffen der Bedeutungen von 7'i\z)ni und mahrUj die an sich
nicht nahe liegen, kann unmöglich auf Zufall beruhen.
Deuterqjesaja muß sich vielmehr auch hier ebenso wie beim
Hofstil an babylonische Vorbilder angelehnt haben. Sobald wir
einen Stil annehmen, dürfen wir die Aussagen nicht mehr pressen.
Die ewigen Orakel^ von denen die Babylonier in ihren Götter-
texten reden mochten, beanspruchte unser Verfasser für Jahve
und verstand sie von irgendwelchen Weissagungen der früheren
Propheten, die zwar nicht von Cyrus direkt, wohl aber vom
eschatologischen Helden sprachen. Ich behaupte übrigens nur,
daß die festgeprägte Kunstform der Grötterdisputa-
tionen entlehnt sei und im Zusammenhang damit ein paar
Einzelheiten, die mit diesem Orakelstil eng verwachsen sind.
Die Gedanken dagegen, die in dieser Form dargestellt werden
— und das ist das Wertvollste — sind das originale Eigen-
tum unseres Verfassers. So zeigt sich Deuterojesaja auf Schritt
und Tritt abhängig von nicht-israelitischen Traditionen.
Man kann diese These an einem weiteren Beispiel erhärten.
Ein im zweiten Teil des Jesaja häufig wiederkehrendes Attribut
Jahves ist y"»u:n73 der Heiland (433. ii. 452i. 4926. 60 le. 638).
Dies Prädikat ist an sich ganz begreiflich. Aber rätselhaft ist
ein Satz wie der: Du bist ein verborgener Gott, ein Gott Israels,
ein Heiland (45 is). Das Epitheton des verborgenen Gottes ist
in Israel nicht verständHch. Es kann nur durch fremden Ein-
fluß erklärt werden und muß von einem fremden Gott auf Jahve
übertragen sein. Woher es stammt und was es bedeutet, läßt
sich bei einem so geringen Material nicht mit Sicherheit ent-
scheiden. Beachtenswert ist aber, daß verborgener Gott und
Heiland in der zitierten Stelle neben einander stehen. Wend-
land hat durch eine Fülle von Belegen gezeigt^, daß im helle-
nistischen Hofstil ebenso wie im Neuen Testament mit dem
Begriff des d^eog gcjt'^q die Epiphanie des (zuvor verborgenen)
Gottes verbunden ist. Überdies gilt der Helfer stets als ein
1. KB VI, 1. S. 38 Z. 22 f.
2. ZNTW V. S. 335 ff. Es sei auch erinnert an die Vorstellung
von dem Licht der Welt (vgl. o. S. 307), die vielleicht in dieselbe Sphäre
gehört.
312 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Weltheiland: damit meine Hülfe (Jahves o(OTr^QLa) reiche bis
ans Ende der Welt (496). Vielleicht dürfen wir hier die erste
Spur des später so lebendigen Stiles erkennen.
§ 29. Israel als Ebed Jahve.
Knecht Jahves kann, wie ein flüchtiger Blick in das Lexikon
lehrt, jeder Verehrer Jahves, jeder Israelit heißen. Es begegnet
uns im Alten Testament als Beiwort der Patriarchen, Könige,
Priester, Propheten und der Frommen überhaupt. Aus dem
Worte allein kann man nicht erschließen, was für eine Person
an der betreffenden Stelle gemeint ist, da es völlig farblos ist.
Um desselben Grundes willen ist es gänzlich ungeeignet, als
Terminus technicus verwandt zu werden. Trotzdem wird man
nicht leugnen können, daß es im Deuterojesaja tatsächlich
einen technischen Sinn erhalten hat: Dort soll unter
dem Ebed nicht jeder beliebige Israelit, sondern eine ganz be-
stimmte Größe verstanden werden. Hier stehen wir gleich am
Eingange unserer Untersuchung vor einem großen, unlösbaren
Bätsei. Denn diese Begriffsentwicklung hat sich nicht im Licht
der Geschichte vollzogen und kann darum nur ungenügend er-
klärt werden. Wahrscheinlich müssen wir, wie so oft, eine Ab-
kürzung eines einst volleren Ausdnicks annehmen. Wie er
auch ursprünghch gelautet haben mag, ob der himmlische oder
der göttliche oder der eschatologische Knecht Jahves, jedenfalls
bezeichnet das Wort bei Deuterojesaja den Knecht Jahves, den
jedermann kennt.
Fragen wir nun: Wer war der Ebed? können wir ihn
noch genauer bezeichnen? so scheint sich eine klare und un-
zweideutige Antwort aus Stellen wie 4l8ff. 43ioff. 44iff. 454.
4820. 493 zu ergeben, wo er direkt Israel genannt wird. Giese-
BRECHT hat nun mit allem Nachdruck die These zu beweisen ge-
sucht, der Knecht Jahves sei überall als das Volk Israel zu
verstehen. Da außerdem, wie Giesebeecht (S. 128 ff.) gezeigt
hat, die Aussagen über Israel zu einem großen Teil denen ent-
sprechen, die über den Ebed gemacht sind, so scheint es in der
Tat nahehegend, Israel an allen Stellen mit dem Ebed zu identi-
fizieren. Zwingend ist dieser Schluß jedoch nicht, da Deuterojesaja,
abgesehen von der bestimmten Ebedfigur, auch andere Personen
Israel als Ebed Jahve. 313
als Knecht Gottes bezeichnen konnte. Wir müssen von vorne-
herein mit der Möglichkeit rechnen, daß er vielleicht verschiedene
Ebedgestalten kennt, die wir genau auseinanderhalten müssen.
Diese Möglichkeit würde zur Gewißheit dann, wenn sich die
Deutung des Ebed auf Israel nicht überall durchführen ließe.
Wenn der Ebed und Israel identisch sind, so kann jenem
unmögKch eine Wirksamkeit an diesem zugeschrieben werden.
Wie reimt sich mit diesem logisch-unanfechtbaren Schluß Jes.
49 öf.: Aber jetzt sprach Jahve zu mir, der mich von Mutterleib
zu seinem Knecht geschaffen, um Jakob zu sich zurückzuführen
und Israel zu sich zu sammeln^ — so ward ich geehrt^ in den
Augen Jahves und mein Gott ward meine Stärke j und er
sprach — >->Zu gering ist es, dafür daß du mir Knecht bist, die
Stämme Jakobs wieder herzustellen und die Bewahrten Israels
wieder zurückzuführen, ich will dich vielmehr machen zum Licht
der Heiden, damit meine Rettung sei bis ans Ende der Welt«,
Liest man diese Worte so, wie sie lauten, wird niemand daran
zweifeln, daß dem Ebed Jahve zwei Aufgaben zuerteilt werden :
erstens — als die geringere — das Volk Israel aus dem Exil
heimzuführen, zweitens — als die größere — das Licht der
Heiden zu sein. »Redet demnach«, so muß selbst Giesebrecht
zugestehen (S. 43), »der Text seinem einfachsten Verständnis
nach von einem Knecht Gottes, bei dessen Entstehung Jahve
schon sein Absehen darauf gericht hatte, Israel aus dem Exil
zurückzuführen und Jakob zu sich zu sammeln, dann ist der
Knecht unweigerhch als Mittel und Werkzeug bei der Zurück-
führung gedacht«, also »enthält der Vers, wenn Israel der
Knecht ist, eine Absurdität«. Der Ebed muß hier folgHch von
Israel getrennt und als Einzelperson aufgefaßt werden 3.
Giesebrecht entzieht sich dieser Schlußfolgerung, indem
er mehrfach streicht. Nach ihm wird der ursprüngUche Text
«0 rekonstruiert: Aber jetzt hat Jahve gesprochen, der von Geburt
mich zum Knecht ihm schuf, und ich stehe hoch in Jahves Gunst,
und mein Gott ward meine Stärke: -»Zu gering ist es, aufzu-
richten Jakob und die Bewahrten Israels zurückzuführen, so
mache ich dich zum Licht der Heiden, daß mein Heil gelange
1. So mit Kecht das Qre. 2. Lies lasxi.
3. Von einer Unterscheidung zwischen Israel xarct nvsv^a und
Israel xarcc aüqxa kann natürlich im A.T. keine Kede sein.
314 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
zum Ende der Welt«, Als Gründe führt er an, daß man auf
diese Weise »von zwei stilistischen Monstren befreit« werde
(S. 44). Aber abgesehen davon, daß ein solcher Periodenbau
in der hebräischen Sprache durchaus nicht »unerhört« ist (vgL
Gen. liff. 240".), bleibt auch bei seiner Fassung eine von ihm
nicht beachtete Schwierigkeit bestehen. Warum sagt Jahve
nicht, wenn der von ihm angeredete Ebed mit Jakob -Israel
identisch ist: »Zu gering ist es, dich zurückzuführen«, wie es
ja auch im Folgenden heißt: »so mache ich dich zum Licht
der Heiden«? Trotz aller Korrekturen ist die Identifikation
des Knechtes mit Israel hier nicht einleuchtend. Nach Giese-
BEECHT ist es zweitens ursprünglich nicht der Ebed, sondern
Jahve, der die Stämme Jakobs wieder aufrichtete »Während
es nach dem ursprünglichen Texte mögHch war, den Knecht
als aktiven Restaurator Israels auszuschalten, will die Glosse,
die ihn lediglich als Einzelpersönlichkeit auffassen kann, ihm
auch seine, nach dem ursprünglichen Texte (wie es schien) nicht
genügend gewahrte Rolle bei der Rückkehr Israels reservieren«
(S. 39). Wenn das richtig wäre, so hätte Giesebrecht die
Pflicht gehabt, irgend eine Möglichkeit zu zeigen, wie
der Glossator zu seinem Mißverständnis kam. Da der
Ebed mehrfach ausdrücklich mit dem Namen Israel angeredet
wird, so sollte man es für ausgeschlossen halten, daß hinterher
ein Leser ihn »lediglich als Einzelpersönlichkeit auffaßte«. Man
wird vielmehr umgekehrt annehmen müssen, der Ebed Jahve
sei hier von Hause aus individuell gewesen, aber bereits von
Deuterojesaja teilweise auf Israel umgedeutet worden. Nur
so erklärt sich der vorliegende Tatbestand, nach dem der Ebed
bald mit Israel identisch sein muß bald nicht identisch sein
kann. Gewaltsame Streichungen helfen uns nicht weiter.
Als stärksten Gegengrund gegen die Überlieferung macht
Giesebrecht geltend, daß dem Ebed allein an dieser Stelle
eine Wirksamkeit an Israel zugeschrieben w^erde, während er
sonst nur einen Beruf für die Heiden habe. Der Verfasser
»kann unmöglich seine Leser mit dunklen Andeutungen aus
dem Hinterhalt überfallen, indem er ohne jede Vorbereitung in
1. Jahve kann jedoch nicht das Subjekt sein aus dem eben an-
geführten stilistischen Grunde.
Israel als Ebed Jahve. 315
einem halb verloren hingeworfenen Nebensatz auf etwas bisher
nicht dagewesenes verweist. Und — was die Hauptsache ist —
wo blieben in den späteren Aussagen dieses und der folgenden
Ebedstücke die Ausführungen dieses Gedankens? Wird der
Knecht noch einmal als derjenige geschildert, der Israel aus
dem Exil zurückführt? Das geschieht nirgends« (S. 43). Aber
diese beiden Argumenta e silentio sind nicht beweiskräftig. Wir
hören auch nur einmal und niemals wieder von dem Ebed, der
nicht schreit auf der Gasse, der das geknickte Rohr nicht zer-
bricht und den glimmenden Docht nicht löscht (42 2f.). Hat man
darum ein Recht, die Verse zu streichen? Überdies ist die
Gestalt des Knechtes Jahves voll von »dunklen Andeutungen« i.
So heißt es 49iff. 504ff. in striktem Gegensatz zu der eben an-
geführten Stelle, der Ebed sei ein scharfer Pfeil, sein Mund
wie ein schneidendes Schwert, er mache seine Stirn wie einen
harten Kiesel. Der Verfasser gibt sich nicht die geringste
Mühe, diese Gegensätze auszugleichen und seine Leser vor Miß-
verständnissen zu bewahren. Dies und manches Andere erklärt
sich nur, wenn der Ebed Jahve damals eine bekannte Figur
war, auf die Deuterojesaja nur anzuspielen brauchte.
Aber Giesebeechts Behauptung, daß der Ebed Jahve-
nirgendwo sonst als derjenige auftrete, der Israel aus dem Exil
zurückführe, ist falsch und beruht auf einer Exegese, die ich
nicht als richtig zu unterschreiben vermag. Jes. 426 sagt Jahve
zum Ebed: Ich bilde dich und mache dich zur lv rr'nn und
zum D^na -n«. Über den ungewöhnlichen Ausdruck Dy n*»*!!
sind eine Reihe von Auslegungen vorgetragen, die aufzuzählen
unnütz ist 2. Der Sinn ist durch das parallele D-'ia m« gegeben.
Wie dies nur bedeuten kann: Ich mache dich zu einem Licht
(d. h. Lichtbringer, Erkenntnis vermittler) für die Heiden, sa
muß auch jenes übersetzt werden: Ich mache dich zu einem
Bund (d. h. Bundbringer, Bundesvermittler) für das VolkK
Worin die Bundestätigkeit des Ebed besteht, wird V. 7 aus-
1. GiESEBKECHT selbst nennt die Ebedstücke »rätselhaft und unzu-
sammenhängend« (S. 204).
2. Ich verweise dafür auf Giesebeecht S. 167 ff. Seine eigene^
Deutung »Volksbund«, d. h. Volkseinheit, scheitert an dem Sprach-
gebrauch, da n-'na nicht unserm »Deutschen Bund« entspricht.
3. BuDDE (S. 26) sagt freilich: »Unmöglich ist und bleibt die Er-
316 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
geführt: um blinde Äugen zu öffnen, aus dem Kerker Gefangene
herauszuführen, aus dem Gefängnis, die in Finsternis sitzen.
ÄhnHch heißt es Jes. 49 sf.: So spricht Jahve: -»Zur Zeit der Huld
erhöre ich dich und am Tage der Rettung helfe ich dir, und
will dich schaffen und machen zum Bund für das Volk, auf-
zurichten das Land und die veröd-eten Erbstücke auszuteilen,
zu den Gefangenen zu sagen: Geht heraus! und zu denen in
der Finsternis: Kommt ans Licht!« Wir sehen also, wie nicht
nur innerhalb (49 sf.), sondern auch außerhalb der sogenannten
Ebed-Jahvelieder (42 ef. 49 sf.) der Knecht Jahves nicht mit
Israel identisch sein kann, da es seine Aufgabe ist, das im
exilischen Gefängnis schmachtende Volk zu befreien, es in die
Heimat zurückzuführen und ihm dort seine Landteile anzuweisen.
Diese drei Stellen zu streichen, ist unmöglich^.
Wir müssen uns nach alledem mit der Tatsache anfreunden,
^aß der Knecht Jahves bald eine kollektivische, bald eine indi-
viduelle Größe vorstellt. Es wäre falsch, wollte man das eine
oder das andere leugnen. Man muß das Nebeneinander zu be-
greifen suchen. Es bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder wurde
eine anfangs individuelle Gestalt schon von dem Verfasser dieser
Kapitel durchgehends auf das Volk Israel umgedeutet. Diese
Möglichkeit halte ich nicht für wahrscheinlich, weil der Ebed
durchaus nicht überall mit Israel ausdrücklich angeredet wird
und weil die Wirksamkeit, die dem Ebed an Israel zugeschrieben
wird, so offenkundig ausgesprochen wird, daß damit eine Identi-
fikation unmöglich ist. Darum ist die andere Möglichkeit zu
klärung des n-'^a als Bundesmittler«. Ist und bleibt auch die Erklärung
von (d-*:) "IS als »Lichtbringer« (für die Heiden) unmöglich?
1. Nach Gunkel: Forschungen I S. 78 kommt noch eine vierte
Stelle hinzu : Ich legte meine Worte in deinen Mund und im Schatten
meiner Hand barg ich dich, um auszuspannen {rr^ih Pes) den Himmel und
zu gründen die Erde und zu Zion zu sagen: »Mein Volk bist du«^ (51 16).
Da die Ausdrücke teilweise an die Aussagen über den Ebed erinnern
(492), so könnte man ihn vielleicht für den Angeredeten halten. Aber
nach dem jetzigen Zusammenhang kann nur Israel gemeint sein. Will
man V. 16 aus sich allein verstehen, so kann das Subjekt der Infini-
tive nicht der Angeredete, sondern nur Jahve sein. Denn nur die
Gottheit sagt zu Zion: »Mein Volk bist du« (Kittel). Wir werden also
besser tun, diese zweifelhafte Stelle unberücksichtigt zu lassen und uns
auf die sicheren zu beschränken.
Das erste Ebedstück. 317
bevorzugen. Deuterojesaja kennt zweiEbedgestalten: Das
Volk Israel und den großen Ungenannten. Darüber
daß beide einander angeähnelt sind, wird der sich nicht wundem^
der den Stil Deuterojesajas beachtet hat (§ 28). Beide Ge-
stalten gehen in einander über, das Individuum scheint teil-
weise umgedeutet auf Israel. Eine klare Scheidung, wie wir
sie heute bei einem modernen Schriftsteller beanspruchen, dürfen
wir bei Deuterojesaja nicht voraussetzen. Denn das ist ja grade
die Eigentümlichkeit seines Stiles: Eine gewisse Unklarkeit und
Verschwommenheit breitet sich über alle seine Gestalten und
Reden aus.
§ 80. Das große Mysterium.
Wenn wir nun die Stücke bei Seite lassen, in denen der
Ebed das Volk bedeutet, und uns im Folgenden nur mit der
individuellen Gestalt^ beschäftigen, so müssen wir uns von vorne-
herein vor einem naheliegenden Fehler hüten: die an ver-
schiedenen Stellen ausgesprochenen Anschauungen zu einem
geschlossenen Ganzen zu verbinden. Ein solcher Versuch muß
nicht nur mißlingen, sondern es ist sogar unstatthaft, ihn über-
haupt zu wagen. Denn das Recht zu kombinieren ist deshalb
verwehrt, weil der Verfasser selbst kein zusammenhängendes
Bild entwirft. Wir dürfen den fragmentarischen Charakter
nicht verwischen, der dem Ebed Jahve bei Deuterojesaja an-
haftet.
Er tritt uns sofort in dem ersten Ebed- Jahve stück
(42 1 — 7) entgegen. Dem Knecht werden hier, wie besonders aus
V. 6 erhellt, zwei Aufgaben zuerteilt: ein Bundesmittler für
Israel und ein Lichtbringer für die Heiden zu sein. Aber
zwischen diesen beiden Aufgaben ist keine organische Ver-
bindung hergestellt, sie stehen lose neben einander: V. 1 — 4
schildern zunächst seine Wirksamkeit an den Heiden, V. 5 — 7
seine Wirksamkeit an Israel. Das ist, nach unserm Geschmack,
sehr unschön. Dadurch daß zunächst von dem weltweiten und
dann erst von dem kleinen israelitischen Arbeitsfeld die Rede
ist, gewinnt das Stück einen unförmHchen Charakter. Der Aus-
druck Bundesmittler für Israel wird deutlich erklärt: Der Ebed
1. Im Folgenden bedeutet Ebed immer das Individuum.
318 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
soll Israel aus dem Gefängnis des Exils herausführen. Außer-
dem aber soll er — wir erfahren nicht wann, ob zu gleicher
Zeit oder früher oder später — auf der ganzen Erde Licht,
Wahrheit (ac^zjTa) und Lehre (n"iin) verbreiten und das Ver-
langen der Völker befriedigen; denn schon harren die Gestade
auf ihn. Ohne müde noch matt zu werden, vollendet er sein
^gewaltiges "Werk. Von Schwierigkeiten oder Hindernissen hören
wir nicht, wie überhaupt genauere Angaben fehlen. Was ist
•denn das für eine Wahrheit, was für eine Lehre, die er den
Heiden bringen soll? Soll er sie zu Jahve bekehren? Oder
-soll er ihnen eine tiefere Erkenntnis verschaffen? Offenbar
liegen hier Termini technici vor, die der damaligen Zeit geläufig
waren, für uns aber nicht ohne weiteres verständlich sind.
Nur über die Art seines Wirkens werden einige Züge
hinzugefügt: Er schreit nicht noch erhebt er noch läßt er hören
Mine Stimme auf der Straße. Dies Bild ist für uns nicht
deutlich, da wir den Gegensatz nicht sicher ergänzen können.
Wenn er nur leise oder von Person zu Person spricht, wie soll
€s ihm dann mögHch sein, seine Lehre bis ans Ende der Welt
zu tragen? Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, d^n glimmen-
den Docht löscht er nicht. Er geht also ganz sachte und be-
hutsam vor, ist kein Vorwärtsdränger und Stürmer voll rück-
•sichtsloser Kraft, sondern kümmert sich mit liebevoller Zartheit
auch um die Gebrochenen und Verzagten. Wie seltsam nimmt
^ich dieser Zug in dem Zusammenhang aus! Als ob ein
Prophet, dessen Worte bis ans Ende der Welt gehört werden
-sollen, nichts weiter zu tun hätte, als die Schwachen zu schonen !
Wir würden es verstehen, wenn davon auch nebenbei die Rede
wäre, aber zunächst und vor allem mußte der Verfasser doch
schildern, wie und wodurch die Völker gewonnen werden, wie
auf die Predigt des Ebed hin die Scharen von nah und fern
herbeiströmen, wie die Könige, Vornehmen und Führer des
Volkes seinem Rufe folgen sollten. Dann könnte hinterher als
ein besonderes Verdienst des Ebed hervorgehoben werden, daß
er trotz seiner ungeheuren Erfolge noch Lust und Liebe hatte,
sich um die Geringen und Zertretenen zu kümmern. Es fehlt
also der breite Rahmen, in den diese Einzelheit notwendig
hineingestellt werden muß, um die richtige Folie zu erhalten.
Kein einziges der angeführten Rätsel löst sich,
Das zweite Ebedstück. 319
•
wenn man den Ebed mit Israel identifiziert. Alles bleibt
so undeutlich wie zuvor. Wenn ein Schriftsteller sich vornahm,
Israel als einen Propheten zu personifizieren, dann mußte er
das Bild auch völlig durchführen. Wir haben hier aber kein
zusammenhängendes, sondern ein in lauter einzelne Bruchstücke
zerfallendes Gemälde. Grade dieser fragmentarische Charakter
wird durch die kollektivische Auffassung des Gottesknechtes
nicht erklärt. Wie sollten überdies die Leser wissen, daß unter
dem Ebed Israel zu verstehen sei? Israel als Missionar der
Heidenwelt, der eine fleißige Propaganda treibt, war damals
und ist im ganzen Alten Testamente ein unerhörter Gedanke.
Nur dann aber, wenn er jedermann geläufig und selbstverständlich
war, konnte sich der Verfasser begnügen, den Ebed namenlos
zu lassen, da jedermann wissen mußte, wer gemeint war. Wollte
man vermuten, die Idee sei grade hier und nur hier ausge-
sprochen, so muß man zugeben, daß der Verfasser verpflichtet
war, den Ebed ausdrückhch als Israel zu bezeichnen, wenn
anders er auf ein richtiges Verständnis rechnete. Aber die
kollektivische Deutung ist überhaupt ausgeschlossen, weil dem
Ebed eine Aufgabe an Israel zugeschrieben wird.
Die Kätsel werden noch größer, wenn wir die Gestalt als
Ganzes ins Auge fassen. Achten wir nur auf die Züge seiner
Wirksamkeit an den Heiden, so würden wir ihn einen Propheten
nennen können. Aber das Bild des Propheten, das hier ge-
zeichnet wird, ist weder an den vorexilischen noch an den
exilischen Propheten Israels orientiert. Oder welche Persön-
lichkeit wollte man etwa als das Modell des Ebed Jahve an-
führen? Wer ist je ein Licht der Heiden gewesen? Wer war
so schonend, sanftmütig und leise, daß die Schilderung des
Knechtes auf ihn zuträfe? Achten wir nun weiter auf die
Wirksamkeit des Gottesboten an Israel, so kann von einem
Propheten überhaupt nicht mehr die Rede sein. Oder war es
speziell die Sache eines Propheten, das Volk aus der Ver-
bannung heimzuführen? Eher dürfte man dies einem Könige
zuschreiben. Aber die hier geschilderte Gestalt wird weder
König noch Prophet genannt und ist darum auch keines von
beiden, sondern beides zusammen, und das heißt eben: sie ist
der Ebed Jahve.
Das zweite Ebedstück (49 1 — 9) betont ebenfalls die
320 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
beiden Aufgaben unseres Helden: ein Bundesmittler für Israel
und ein Lichtbringer für die Heiden zu sein. Aber diese beiden
Dinge sind hier enger als 42iff. mit einander verbunden: Weil
er der Knecht Jahves ist, soll er nicht nur Israel wieder her-
stellen, die Stämme Jakobs sammeln, sie in die Heimat zurück-
führen und ihnen dort ihre Ländereien anweisen, sondern er
soll sogar das Heil Jahves — so heißt es hier genauer — bis
ans Ende der Welt verbreiten. Der Grund für diesen außer-
ordentlichen Erfolg ist nicht durchsichtig. Als eine Belohnung
erscheint dieser nicht; denn der Knecht wird weder als besonders
treu in seiner Arbeit noch als ungerecht leidend in seinem Be-
rufe dargestellt. Noch empfindlicher ist die Lücke, die zwischen
seiner Erwählung von Mutterleibe an und seiner künftigen Yer-
herrhchung klafft. Wir erfahren nicht, was der Knecht bisher
getan, noch auf wen er seine Kraft verwandt hat, ob auf Israel
oder auf die Heiden. Nur das Eine hören wir, daß all sein
Streben umsonst war: Vergebens habe ich mich gemüht. »Wo
ist (der Ebed) aufgetreten? Wie ist er aufgetreten? Wer hat
ihm die Hindernisse in den Weg gelegt?« (Giesebeecht S. 34).
Wie kann sofort von einem Mißerfolg die Rede sein, ohne daß
zuvor die W^irksamkeit des Knechtes geschildert ist (Giese-
beecht S. 35)? So häufen sich auch in diesem Ebedstück
Rätsel über Rätsel. Das Einzige, was einigermaßen deuthch
sein dürfte, ist der scharfe Gegensatz zwischen der Gegenwart
und der Zukunft. Noch befindet sich der Ebed in tiefster
Erniedrigung, aber schon naht die herrhche Zeit, die ihm die
höchsten Ehren bringen soll; Könige werden es sehen und auf-
stehen, Fürsten und sich niederwerfen.
Die hier hervorgehobenen Schwierigkeiten sind zum Teil
schon von Giesebeecht erkannt, aber er irrt, wenn er sie durch
die kollektivische Deutung des Ebed zu beseitigen hofft. Denn
diese Schwierigkeiten sind nicht sachlicher, sondern
stilistischer Natur; sie bleiben auch dann bestehen, wenn
man den Ebed für eine Personifikation Israels hält. Personi-
fizieren heißt doch: etwas wie eine Person darstellen. Die Be-
schreibung aber, die hier von einer Person entworfen wird, ist
voller Lücken, Rätsel und ünverständlichkeiten. Es ist nicht
einzusehen, warum nicht, auch wenn Israel gemeint ist, der Ort
und die Art seiner Wirksamkeit genauer gekennzeichnet, warum
Das dritte Ebedstück. 321
nicht die Gegner genannt und die Hindernisse aufgezählt werden,
die man ihm in den Weg legte. Ein guter Schriftsteller hätte
diesen Stilfehler leicht vermeiden können. Im Übrigen aber
ist GiESEBRECHTs Thcse schon deshalb undurchführbar, weil
auch hier der Ebed, der Israel sammeln soll, nicht mit Israel
identisch sein kann.
Das dritte Ebedstück (504 — 9) beschreibt einen Propheten,
dem Jahve die Zunge und das Ohr der Jünger gegeben hat.
Von irgend welcher nationalen Tätigkeit, um das Volk wieder-
herzustellen, ist hier nicht die Rede. Trotzdem ist die voraus-
gesetzte Situation nicht deuthch. Der Ebed bekennt, er sei
nicht widerspenstig gegen das Wort Jahves gewesen und nicht
davor zurückgewichen. Fragt man nach einem Grunde, warum
diese Tatsache betont wird, so erhalten wir keine Antwort. Man
kann ja aus dem Folgenden schließen, daß er um seines pro-
phetischen Berufes willen viel zu leiden hatte und daß er ihn
deshalb am liebsten Gott vor die Füße geworfen hätte. Aber
das ist eben das Charakteristische: gesagt wird weder, daß er
um der Verfolgungen willen an seinem Berufe irre, noch daß
er um seines Berufes willen verfolgt wurde. Beide Dinge stehen
lose und unorganisch neben einander. Ebenso wenig erfährt
man, von wem die Verfolgungen ausgehen. Am nächstliegenden
ist es, die Verfolger in dem Kreise derer zu suchen, an denen
der Prophet arbeitete. Wenn wir nur wüßten, wem seine Wirk-
samkeit galt! Die Heiden als das Objekt seiner Tätigkeit an-
zusehen, ist willkürlich, solange man den Ebed für eine Einzel-
person hält. Denn die Heiden müßten ausdrücklich genannt
sein. Die Situation scheint hier dieselbe wie in c. 49 iff. : Augen-
blicklich ist der Ebed noch in Bedrängnis. Aber die jetzige
Erniedrigung wird bald vorübergehen; denn schon ist der nahe,
der ihm Recht schafft (doch vgl. u.).
In eine ganz andere Situation versetzt uns das vierte
Ebedstück (52 13— 53 12). Hier ist der Ebed nicht mehr in
Not, sondern er ist gestorben und begraben, wie es scheint.
Denn im Einzelnen tauchen auch hier eine Menge von Rätseln
auf. Der stilistische Aufbau ist sehr geschickt. Am Anfang
und am Ende wird die künftige Verherrlichung des Ebed ge-
schildert; dazwischen steht eine Rede, die von der Erniedrigung
des Ebed handelt.
Forschungen zur Rel. u. Lit. d. A. u. NT. 6. 21
322 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Wenn wir die Stimmung angeben wollen ^ die in dieser
Rede waltet, so werden wir sagen müssen: es ist Mysterien-
stimmung. Die Eedenden sind sich nicht nur bewußt,
ein großes Mysterium erlebt zu haben, sondern sie schwelgen
förmlich in dem Geheimnis. Obwohl sie es begriffen haben?
betonen sie nicht das Verständnis, das ihnen zu teil geworden
ist, sondern legen alles Gewicht auf die frühere Unwissenheit:
Wer hätte unserer Kunde geglaubt und wem wäre die Macht
Jahves offenbar geworden? Wer hätte ein solches Wunder für
mÖghch gehalten? Wie konnte man das ahnen! Er wuchs
vor uns auf wie ein kleines Eeis, wie ein Wurzelschoß aus
dürrem Lande, unansehnlich, unscheinbar, von niemand beachtet,
von niemand geschätzt. — Und nun springt das Lied in ge-
waltigem Sprunge von der Geburt des Ebed über zu seinem
Tode. — Er war ein Mann der Schmerzen, vertraut mit Krank-
heit und Leiden, unmenschHch entstellt. Das sahen wir wohl,
aber wir glaubten, Gott habe ihn gezeichnet. Darum ver-
achteten wir ihn, verhüllten unser Antlitz vor ihm und miß-
handelten ihn. Darum begruben wir ihn auch bei Frevlem
und Übeltätern. Das alles schien so natürlich und begreiflich.
Aber siehe da! wir gingen völlig in die Irre, wir haben uns
gründlich getäuscht. Wir wissen jetzt, er litt um unsretwillen !
Um uns Frieden zu schaffen, wurde er bestraft! Unsere
Schmerzen, Krankheiten und Verschuldungen nahm er hinweg.
Durch seine Strieme sind wir geheilt. Wer hätte das geglaubt!
Aber noch mehr, er trat nicht nur für uns ein, sondern er tat
dies auch willig und geduldig. Wie ein Lamm, das zur
Schlachtbank geführt wird, vor seinen Scherern verstummt, so
öffnete er seinen Mund nicht; kein Laut der Klage kam über
seine Lippen. Und das alles, obwohl er unschuldig war,
obgleich er kein Unrecht begangen und kein Betrug in seinem
Munde war! So ging der sündlose Ebed geduldig-unschuldig
in den Tod, um unsere Verfehlungen zu sühnen. Wer kann
dies große Geheimnis genugsam begreifen?
An dieser Eede ist erstens auffällig, daß von der ganzen
Zeit, die zwischen der Geburt und dem Leiden und Sterben
des Ebed liegt, überhaupt nicht die Rede ist. Zweitens
scheint der Anfang der Rede von einer anderen Voraussetzung
auszugehen als die übrigen Verse. Wer hätte unserer Kunde
Das vierte Ebedstück. 323
geglaubt, klingt so, als hätten die Redenden von vornherein
Bescheid gewußt. Sie scheuten sich nur mit ihrer Botschaft
hervorzutreten, weil sie unglaubwürdig war. Im Folgenden aber
erfährt man, daß überhaupt niemand den wirklichen Sachverhalt
zu durchschauen imstande war. Das, was geschah, war völlig
unbegreiflich. Drittens zeichnet sich das Leiden und Sterben
des Ebed durch eine eigentümhche Unklarheit aus. An welcher
Krankheit hat er gelitten? Ist er daran gestorben oder hat
man ihn getötet?
Ebenso dunkel sind im Einzelnen die beiden Versgruppen,
die die Rede umrahmen, obwohl der allgemeine Sinn klar ist.
Sie handeln von dem Triumph des Ebed: Er wird sich an
seinen Nachkommen erfreuen, lange leben, viel Glück haben,
mit Starken Beute teilen und die Achtung und Ehrfurcht der
Könige genießen. Daran ist auffällig: Erstens wundern wir
uns, daß der Ebed plötzlich lebt und Kinder hat. Eben noch
hörten wir von seinem Tode. Wenn wir die Schlußszene
verstehen wollen, so müssen wir notwendig die Auf-
erstehung des Ebed ergänzen. Wir wundem uns zweitens
über das Mißverhältnis zwischen dem vergangenen und dem
künftigen Schicksal des Ebed. Vielleicht dürfen wir seine Er-
höhung in die Worte zusammenfassen: Er soll ein angesehener
und mächtiger König werden. Das ist nichts Außergewöhn-
liches und viel zu wenig gegenüber dem, was der Ebed in
seinem Leiden und Sterben geleistet hat. Der Lohn entspricht
nicht der Arbeit. Drittens wundern wir uns, warum nicht
die Redenden zusammen mit dem Ebed verherrlicht werden.
Sie haben ihn zwar nicht erkannt, so lange er unter den
Lebenden weilte, aber sie preisen ihn jetzt, wo er tot ist, und
rühmen sich, daß er für sie gelitten und ihre Sünden getragen
habe. Sie sind durch seine Sühne schuldlos geworden. Aber
von den Folgen, die diese Tatsache für die Redenden haben
müßte, ist nicht die Rede^
Fragen wir die Exegeten, wer der Ebed ist, so lautet eine Ant-
wort: Israel. Die hier Redenden müßten dann die Heiden sein,
deren Strafe Israel im Exil auf sich genommen hätte. Dagegen
1. Der Text des Kapitels ist freilich sehr korrupt. Ich glaube
aber nicht, daß die Sache klarer würde, wenn der Text besser wäre.
21*
324 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
ist erstens zu betonen, daß bei dieser Auffassung die genannten
Rätsel und Lücken nicht erklärt werden. Ein guter Dichter,
der Israel personifizierte und diese Person leiden und sterben
ließ, konnte sie nicht plötzlich weiter leben lassen, ohne daß
er sie zuvor irgendwie aus dem Tode erweckte. So gut wie er
sagen konnte: Israel starb, so gut konnte und mußte er hinzu-
fügen: dann aber wird Israel auferstehen zu einem neuen und
schöneren Leben. Ebenso wie bei diesem Beispiel bleiben
überhaupt alle stilistischen Rätsel stehen. Gegen diese
kollektivische Deutung ist zweitens anzuführen, daß man gar
kein Recht hat, die Heiden für die Redenden zu halten. Denn
nicht ein einziges Mal werden innerhalb der Ebed-Jahve-
stücke die Heiden als die Gegner des Ebed bezeichnet.
Namen werden überhaupt nicht genannt, und darum liegt es
mindestens ebenso nahe, wenn nicht näher, die Feinde innerhalb
Israels zu suchen. Drittens ist jene Anschauung unmöglich,
weil die Heiden ja erst in Zukunft sehen werden, was ihnen
nie erzählt ward, und wahrnehmen werden, was sie nie gehört
haben. Die Redenden staunen jetzt schon, aber die
Heiden werden erst in Zukunft staunen, und darum
können beide nicht identisch sein.
Eine andere Gruppe von Forschem sieht in dem Ebed
eine historische Persönlichkeit und sucht sie mit einem
der uns bekannten Propheten zu identifizieren. Aber erstens
erklärt auch diese Auffassung die stilistischen Rätsel nicht. Ich
verweise besonders auf das völlig farblose Bild vom Leben
des Ebed und auf die allgemeinen und unklaren An-
deutungen seines Leidens und Sterbens. Wenn wir ein
historisches Ereignis vor uns hätten, so müßte alles genau ge-
schildert werden: An welcher Krankheit der Betreffende litt,
warum man ihn verfolgte, auf welche Weise und wo er starb,
wer seine Gegner waren u. s. w. Man vergegenwärtige sich
z. B., ob wohl jemals der Tod des Sokrates in dieser geheimnis-
vollen Weise geschildert werden konnte. Dies Suchen nach
einer historischen Persönlichkeit verkennt den Mysteriencharakter
des Kapitels. Zweitens: Hätte unser Verfasser einen be-
stimmten Menschen im Auge gehabt, an dem man damals so
wunderbare Dinge zu erleben glaubte, so hätte er uns den
Namen gewiß nicht verschwiegen. Denn so etwas kommt
Deutungen des Ebed. 325
doch nicht alle Tage vor, und die Leute waren schon damals
auf einen unsterblichen Namen so erpicht wie heute. Drittens
ist es undenkbar, daß ein Mensch, der von Leiden und Krank-
heiten entstellt war, zugleich als Frevler mißhandelt wurde.
Und wenn er existiert hätte, so hätte man sicherlich kein großes
Geheimnis hinter seinem Tode gesucht und ihn hinterher schwer-
lich zu einem unschuldigen Märtyrer gestempelt. Und was
besonders auffällig wäre, wie sollte man seine Aufer-
stehung und Verherrlichung erwartet und seinem
Leiden stellvertretenden Sühnecharakter zugeschrieben
haben?
Da der Ebed mit Israel nicht identisch ist, da er ferner
eine historische Persönlichkeit nicht gewesen sein kann und
doch als ein Individuum aufgefaßt werden muß, so bleibt nichts
Anderes übrig, als ihn für eine mythische Gestalt zu erklären
(Gunkel). Der ursprünglich mythische Charakter des Ebed
schimmert noch deutlich durch in der Tatsache der Aufer-
stehung, die in unserem jetzigen Text zwar nicht erzählt, aber
doch notwendig vorausgesetzt ist. Einstmals ist sie gewiß er-
zählt worden. Denn um die aufgezählten stilistischen
Rätsel zu erklären, müssen wir annehmen, daß Deutero-
jesaja die Gestalt des Ebed Jahve nicht geschaffen
haben kann, sondern einer damals vorhandenen Tradi-
tion entlehnt haben muß. Der Verfasser hat den Stoff
aus einer mündlichen oder schriftlichen Überlieferung geschöpft,
hat ihn aber in seiner eigenen Sprache dargestellt, da uns in
dieser Hinsicht nichts zwingt, einen fremden Autor zu vermuten.
Die übernommene Figur muß bereits in der Vorlage den Titel
Ebed (Jahve?) geführt haben, weil die Entstehung dieses Namens
für uns undurchsichtig ist. Außerdem wird bereits die Vorlage
denselben fragmentarischen Charakter getragen haben, der eine
Eigentümlichkeit der deuterojesajanischen Ebedfigur ist. Denn
hätte unser Autor einen Zusammenhang noch vorgefunden, so
würde er ihn schwerlich so zerrissen haben, wie es jetzt der
Fall ist.
Wir können aber noch einen Schritt mit Sicherheit tun,
um die Quelle näher zu bezeichnen, aus der Deuterojesaja ge-
schöpft haben muß, wenn wir auf die Situation achten, die
c. 53 voraussetzt. Fragen wir ganz konkret: Ist der Ebed tot
326 Der Ursprung der israelitisch- jüdischen Eschatologie.
zu der Zeit, wo Deuterojesaja schreibt? so werden wir darauf
mit Nein antworten müssen. Denn es wird durch keinen Zug
angedeutet, daß die Gegenwart des Verfassers mitten hinein-
fällt zwischen den Tod und die Verherrlichung des Ebed. Wir
können uns das an dem Beispiel der Apokalypse Johannen
klar machen. Wer wollte daran zweifeln, daß der Autor lebt,
nachdem der Christus gestorben und auferstanden und bevor
seine Parusie gekommen ist? Diese Situation tritt dort überall
zu Tage. Bei Deuterojesaja dagegen schließt sich die
Verherrlichung des Ebed unmittelbar und ohne jede
Zwischenstufe an sein Leiden und Sterben an. Da&
ist die charakteristische Situation des Kultliedes. Man
stelle sich etwa, um sich das zu veranschaulichen, ein Mysterien-
lied im Attiskult vor. Da kann genau so wie hier bei Deutero-
jesaja geschildert werden, wie Attis gestorben und begraben
ist, aber die Mysten wissen, er wird auferstehen und leben.
Ein solches Lied kann zu jeder Zeit gesungen werden, und
niemand wird auf den Gedanken verfallen, die Zeit des Sängers
zwischen den Tod und die Auferstehung des Attis zu verlegen.
Noch schillernder als in Jes. c. 53 ist übrigens die Situation
in c. 50, worauf schon Gibsebeecht aufmerksam gemacht hat:
»Bald hat man den Eindruck, als liege alles in der Vergangen-
heit, besonders in V. 5 und 6, bald scheint, besonders im zweiten
Teil, der Kampf sich vor dem Leser abzuspielen. Es ist klar,
daß diese Darstellung auf lebhafter Vergegenwärtigung
des Widerstandes beruht, der dem Knecht entgegentrat, ich
möchte aber bezweifeln, daß eine solche, beinahe phantastische
Vergegenwärtigung bei einer Einzelperson nahe lag, deren wirk-
liche nüchterne Erlebnisse sich hier, sei es in ihrem eigenen, sei
es in ihrer Verehrer Gedächtnis wieder spiegelten. Ganz« ebenso
»liegt die Sache, wenn es sich um eine Personifikation handelt«
(S. 51). Denn entweder ist Israel gerechtfertigt oder es ist
nicht gerechtfertigt, entweder leidet es noch oder es leidet nicht
mehr. Tertium non datur. Wenn nun hier doch Beides neben
einander ausgesagt wird und so ein »auf lebhafter Vergegen-
wärtigung« beruhendes eigentümHches Schillern entsteht, so ist
das nur zu erklären durch die Annahme eines KultHedes.
Jesaja c.53 geht also zurück auf ein aus den Mysterien
stammendes Kultlied, das am Todestage des Gottes
Art des KultHedes. 327
von den Mysten gesungen wurde. Denn die Elage waltet
durchaus vor, während die Verherrlichung nur leise hineinklingt.
So versteht man ferner die verschiedene Nüanzierung, daß die
Redenden dieses Kapitels zu Anfang als die Eingeweihten,
dann aber als die noch nicht Eingeweihten gelten. Zum Kultus
und zum Kultliede gehört eben die lebhafte Yergegenwärtigung;
es scheint, als spiele sich alles vor den Augen des Mysten ab,
während es doch in Wirklichkeit längst geschehen ist oder
höchstens in effigie wiederholt wird.
Fragt man nun weiter, was Deuterojesaja sich denn bei
dieser Gestalt des Ebed Jahve gedacht habe, so läßt sich keine
sichere Antwort darauf geben. Es scheint aber, als habe er ihn,
wie namentlich aus den Zügen seiner Verherrlichung hervorgeht,
für eine eschatologische Gestalt gehalten: Einen solchen
Ebed, wie er hier geschildert ist, wird Jahve uns, den Israeliten,
schenken, damit er sein Volk wiederherstelle und sein Licht bis
ans Ende der Erde verbreite! Wir werden den Gottesknecht
nicht grade einen Messias nennen dürfen, weil er kein Davidide
ist und nicht ausschließlich als König aufgefaßt wird. Da aber,
wie wir gesehen haben (vgl. o. S. 285), die Figur des Messias
sich in der älteren Zeit überhaupt noch nicht verdichtet und zu
einer scharf umrissenen Persönlichkeit ausgebildet hat, so haben
wir ein Recht, den Ebed Jahve für eine Parallelgestalt des
Messias zu erklärend
1. Eine weitere Ausdeutung der Einzelheiten ist kaum erlaubt, da
der Verfasser selbst sie als ein großes Mysterium hingestellt hat. Im
Übrigen würden wir zu keinem Kesultate kommen, auch wenn wir den
Versuch einer genaueren Ausdeutung machen wollten. Und darum ist
es prinzipiell richtig, von vorneherein darauf zu verzichten. Endlich
interessiert uns gar nicht, was sich Deuterojesaja im Einzelnen ge-
dacht haben mag, da seine Auffassung zum Verständnis dieses Kapitels
nicht das Geringste beiträgt. Hier tritt einmal der allerdings seltene
Eall ein, wo die Ansicht des Schriftstellers gleichgültig ist, der uns
diese Verse überliefert hat. So wie das Lied heute lautet, bezieht es
sich auf eine spezifisch israelitische Gestalt. Mehr kann man mit
Sicherheit nicht sagen. Wenn man will, mag man auch fernerhin an-
nehmen, Deuterojesaja habe in dem Leiden und der Verherrlichung des
Ebed ein Vorbild für das Leiden und die Verherrlichung Israels gesehen.
Gegen diese allgemeine Auslegung läi^t sich nicht viel einwenden, da er
ja auch sonst den Ebed mit Israel identifiziert hat, wie es scheint (493).
328 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
§ 31. Der sterbende Gott.
W. EoBERTSON Smith: Die Keligion der Semiten (deutsche Über-
setzung von E. Stube). Freiburg 1899. H. Hubert et M. Mauss:
Essai sur la nature et la fonction du sacrifice (L'Annee Sociologique
2. Jhrg.). Paris 1899. Friedrich Kauffmann: Balder (Texte und Unter-
suchungen zur Altgerraanischen Keligionsgeschichte). Straßburg 1902.
Während ich für meine bisherigen Ausführungen über den
Ebed Jahve Zustimmung beanspruche, mache ich für diesen
Paragraphen ausdrückUch eine Ausnahme, weil er religions-
geschichtlichen Hypothesen gewidmet ist. Da die Gestalt des
Ebed im Alten Testamente fast völlig analogielos ist und aus
den Eiten und dem Geist der israelitischen Religion allein nicht
verstanden werden kann, so sind wir gezwungen, fremde Par-
allelen heranzuziehen. Aussicht auf Verständigung ist nur dann
vorhanden, wenn zuvor eine Einigung über den Charakter des
Jesaja c. 53 geschilderten Leidens und Sterbens erzielt ist.
So viel ist auf den ersten Blick klar: Dem Leiden und
Sterben des Ebed wird ein stellvertretender Sühne-
charakter zugesprochen. Seine eigene Unschuld wird ebenso
stark betont wie der Gedanke, daß er für die Verschuldungen
anderer in den Tod geht. Aber er hat nicht nur ihre Sünden,
sondern auch ihre Krankheiten und Schmerzen auf sich ge-
nommen und hat sie — so dürfen wir ergänzen — vollständig
beseitigt. Im Hintergrunde steht die Opferidee. Wir haben
sachlich eine genaue Parallele an dem Bock des Asasel, der
als Sühnopfer am großen Versöhnungstage dargebracht wurde:
Aaron soll seine beiden Hände auf den Kopf des lebendigen
Bockes aufstemmen und über ihm alle Verschuldungen der
Israeliten bekennen und alle Übertretungen^ die sie irgend be-
gangen haben, und soll sie auf den Kopf des Bockes legen und
diesen durch einen bereit gehaltenen Mann in die Wüste senden.
So soll der Bock alle ihre Verschuldungen auf sich hinwegtragen
in eine abgelegene Gegend, und man soll den Bock (erst) in der
Wüste loslassen (Lev. 162if.). Der Bock wird also beladen mit
Aber auf weitere Einzelheiten Gewicht zu legen, ist verkehrt, als ob
hier in c. 53 die Heiden sprächen und Israel eine stellvertretende Sühne
für die Heiden zugeschrieben würde! Dieser Gedanke ist nirgends
nachweisbar.
Der Sündenbock. 329
den Sünden der Gemeinde und stellvertretend für sie geopfert.
Denn das Austreiben des Bockes ist nur eine spezifische Form
des Opfers (Hubert-Mauss S. 75). Die sühnende Bedeutung,
die dem Tode des Ebed beigelegt wird, entspricht völHg dem
Sühnecharakter, der hier dem Bock des Asasel zukommt. Im
Übrigen wird die Opferidee 53 lo zum klaren Ausdruck ge-
bracht: Wenn seine Seele (d. h. er seihst) das Schuldopfer
wird vollzogen habend wk'd er Samen sehen. Das Leiden und
Sterben des Ebed ist ein mit Ersatz verbundenes S'ühn-
opfer (d;z;n).
Obwohl er so als menschlicher Sündenbock geschildert wird,
unterscheidet er sich doch in charakteristischer Weise von einem
gewöhnlichen Opfer dadurch, daß er nicht von Anderen dar-
gebracht wird, sondern daß er sich selbst darbringt (53 lo).
Diejenigen, die das Opfer gesehen haben und denen es gilt,
wissen gar nicht, daß es sich um ein Opfer handelt. Sie halten
den Ebed für einen Gottgezeichneten, behandeln ihn wie einen
Aussätzigen und begraben ihn wie einen Verbrecher. Erst
hinterher erkennen sie seine Unschuld und begreifen seine Tat
als eine freiwillige Opferweihe. Der Tod des Ebed ist also
genauer ein mysteriöses Opfer, das nur von den Eingeweihten
verstanden wird, von allen anderen aber mißverstanden werden
muß.
Um Jesaja c. 53 zu erklären, gingen wir von der Be-
hauptung aus, es sei ein KultHed gewesen oder nach Art eines
Kultliedes gedichtet worden. Solche Kultlieder schließen ge-
wöhnlich an einen Ritus an, um ihn zu deuten. Denn Kult-
handlung und KultHed gehören aufs engste zusammen^. Jene
wird von diesem begleitet und durch es erläutert. Häufig werden
Riten erklärt durch eine Geschichte. In unserem Falle würde
die Frage lauten, die an die uns unbekannte Kulthandlung
anknüpft: Warum feiern wir heute den Tod des Gottes h
lnvGTrjQiq)? Darauf antwortet das Lied, indem es von dem
einmal stattgefundenen Opfer des Gottes erzählt, der
1. Wahrscheinlich ist mit Giesebrecht a'isn zu lesen.
2. Vgl. z. B, Num. lOssf. Im Übrigen verweise ich auf Gunkels
im Herbst erscheinende: Israelitisch-jüdische Literaturgeschichte des
Altertums (in der: Kultur der Gegenwart).
330 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
sich selbst in geheimnisvoller Weise als Sündenbock darbrachte,
ohne daß es von den Menschen erkannt wurde.
Nehmen wir zu dem Tode des Ebed noch die Idee der
Auferstehung hinzu und beachten wir, daß wir von dem Leben
des Ebed so gut wie nichts erfahren, so muß die dem Ebed
ursprünglich zu Grunde liegende mythische Gestalt
eine solche gewesen sein, für die Sühnetod und Auf-
erstehung charakteristisch sind^. Wir können nun zwar
diese Gestalt nicht bestimmt mit Namen nennen, wohl aber
können wir den Kreis genau angeben, in den sie hineingehört:
sie gehört in den Kreis der Adonis- oder Tamüz-
gestalten. Aus den babylonischen Keilinschriften haben wir
bisher nur die Grundzüge des Tamüzmythus kennen gelernt.
In der Anrede des Gilgames an Istar heißt es: Tamüz, dem
Buhlen deiner Jugend, Jahr für Jahr bestimmtest du ihm
Weinen^. »Solche Klagen auf den in die Unterwelt hinab-
sinkenden Tamüz, die auch schon den für den Adonis-Kultus
so charakteristischen Vergleich des Tamüz mit einer rasch hin-
welkenden Pflanze in verschiedenen Variationen enthalten, sind
uns in mehreren an Tamüz gerichteten Hymnen erhalten« 3.
Adonis starb, wie wir aus phönikisch-griechischen Quellen er-
fahren, in der Blüte der Jahre und ward als Verstorbener be-
klagt, bald darauf aber als ein aus dem Tode wiederkehrender
Gott bejubelt. Die Phryger feierten den von der Großen Mutter
geliebten Attis mit jährlichen Trauerfesten und stellten dabei
sein Leichenbegängnis dar. Kurze Zeit nach der Bestattung
aber versicherten sie, Attis sei auferstanden. Die Athener be-
weinten erst den von Apollon getöteten Hyakinthos als Ver-
storbenen, feierten ihn dann aber als den Auferstandenen und
Verklärten. Der schöne Balder wird von den Äsen geopfert,
um den Tod zu überwinden und mit erhöhter Majestät
zurückzukehren*. Bei Attis wissen wir außerdem von
Mysterien^
1. So im Wesentlichen aucli Gunkel: Forschungen I S. 78.
2. KB VI, 1 S. 169. 3. KAT^ S. 397.
4. Kauffmann S. 272 ff.
5. Vgl. Hugo Hepding: Attis. Seine Mythen und sein Kult.
(Keligionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten von Dieterich und
Wünsch Bd. II. Gießen 1903.
Adonisgestalten. 331
Man dürfte es freilich nicht wagen, den Ebed Jahve oder
sein Vorbild in diesen Kreis der sterbenden und auferstehenden
Götter hineinzustellen, wenn die früher herrschende Anschauung
im Recht wäre, daß diese Götter Personifikationen der abster-
benden und neu erstehenden Vegetation oder der Jahreszeiten
seiend Denn dann bliebe der Sühne- und Opfer-
charakter des Ebed völlig unerklärt. Neuerdings aber
haben Hubert und Mauss eine neue, wie mir scheint, beachtens-
werte Theorie vom Opfer aufgestellt, wonach das Opfertier durch
die Opferweihe seine Natur gleich dem Phönix verändert ^ und
zu gottheitlicher Kraft gesteigert wird 3. Von dieser Theorie
1. A. Jeremias hat in seinem Buche: Babylonisches im Neuen
Testamente (Leipzig 1905) den »Kalendermythus vom sterbenden und
siegreichen Jahrgott« verfolgt. Ich vermag eine Bereicherung der
Wissenschaft in diesen Studien nicht zu erblicken, vor allem deshalb,
weil Tatsachen und Hypothesen nicht scharf von einander geschieden,,
sondern wild durcheinander gewirbelt werden. Ich vermisse eine klare
Darstellung dessen, was wir heute sicher über den babylonischen
Weltjahrmythus wissen. Die Assyriologen würden sich ein wirkliches
Verdienst erwerben, wenn sie sich zunächst einmal ganz und gar auf
die babylonischen Mythen und Spekulationen beschränkten. Ich habe
dies Urteil ausführlicher begründet in meinem Artikel: Die Mythen-
forschung im Alten Testament (Schleswig-Holsteinisches Kirchenblatt,
1904. Nr. 35f.).
2. »Elle (la victime) changeait de uature, comme Demophon,
comme Achille, comme le fils du roi de Byblos, quand Demeter, "rtietis
et Isis consumaient dans le feu leur humanite. Sa mort etait celle du
phenix: eile renaissait sacree« S. 71.
3. »Le sacrifice determine, par lui-meme, une exaltation de&
victimes qui les divinise directement. Nombreuses sont les legendem
oü se trouvent racontees de ces apotheoses. Hercule n'etait admis
dans rOlympe qu'apres son suicide sur l'Oeta. Attis et Eshmoun
furent animes apres leur mort d'une vie divine. La constellation de
laVierge n'est autre qu'Erigone, une deesse agraire qui s'etait pendue.
Au Mexique, un mythe rapportait que le soleil et la lune avaient ete-
crees par un sacrifice; la deesse Toci, la mere des dieux, etait egale-
ment presentee comme une femme qu'un sacrifice aurait divinisee.
Dans le memo pays, lors de la fete du dieu Totec, oü l'on tuait et
depouillait des captifs, un pretre revetait la peau de Tun d'eux; il
devenait alors l'image du dieu, portait ses ornements et son costume^
s'asseyait sur un trone et recevait ä la place du dieu les images de&
Premiers fruits Dans ces legendes subsiste la conscience obscure
332 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
ausgehend hat dann Kaufpmann den Tod Balders analysiert
und ihn als Opfertod bezeichnet, dessen Weihe nicht bloß dem
Geopferten zu gute kommt und ihm eine Rückkehr aus der
Unterwelt mit erhöhter Majestät verschafft, sondern dessen
Weihe auch den opfernden Äsen dient und die Frevel der
<jröttergemeinde sühnt.
Eine solche Adonisgestalt scheint ferner, worauf Gunkel^
aufmerksam gemacht hat. Zach. 129ff. vorausgesetzt zu sein:
An jenem Tage werde ich trachten, alle die Völker zu vernichten,
die gegen Jerusalem gekommen sind. Und über das Haus
Davids und die Bewohner Jerusalems gieße ich einen Geist des
Erbarmens und des Mitleids aus und sie blicken hin aup . . .,
-den sie durchbohrt haben, und klagen um ihn, wie man um den
Einzigen klagt, und sind bitterlich betrübt wie über den Ver-
lust des Erstgebornen. An jenem Tage tvird die Klage in
Jerusalem groß sein wie die Klage um Hadad-Rimmon im Tal
von Megiddo.
Die Exegeten denken meist an eine historische Schuld, die
die Jerusalemer auf sich geladen haben sollen. Aber daß es
sich um eine eschatologische Situation handelt, geht nicht nur aus
dem Futurum und aus der einleitenden Formel : an jenem Tage,
sondern auch aus der Erwähnung aller Völker hervor, die in
Wirklichkeit niemals gegen Jerusalem gezogen sind. Überdies
ist weder im vorhergehenden noch im folgenden irgend eine
historische Anspielung enthalten, die die Annahme solcher kon-
kreten Züge rechtfertigte. Endlich ist die Klage des ganzen
Volkes nur verständHch, wenn sie nicht über irgend einen be-
liebigen Märtyrer, sondern über eine mythische Persönlichkeit
ergeht. Denn sie wird verghchen mit der Klage über Hadad-
Rimmon im Tal von Megiddo d. h. mit einer Kultklage. So
viel darf jetzt wohl als sicher gelten, daß Hadad-Rimmon
Doppelname eines Gottes ist, während ein Ort desselben Namens
^wie man früher vermutete) unbekannt ist. Von einer Klage
um diesen Gott wissen wir freilich nichts. Da aber Hadad ein
zu Byblos verehrter Gott »und andererseits ßyblos die Stätte
der Klagefeiern für den von den Griechen Adonis genannten
de la vertu du sacrifice. La trace en persiste egalement dans les rites«
-S. 118.
1, Forschungen I S. 78 Anm. 5. 2. Auf mich ist unmöglich.
Adonisgestalten. 33S
Gott, so liegt es überaus nahe, die Klage Hadad-Kimmons auf
den Gott Hadad zu beziehen, der wahrscheinlich irgendwie mit
dem Adonis kombiniert wurde« (Baudissin PR» VII S. 295).
Leider ist bei Zacharja der Name der Gestalt ausgemerzt wor-
den, über die die judäische Totenklage erfolgen sollte. Aber
von besonderer Wichtigkeit ist die Tatsache, die Jes. c. 53
nicht ganz klar ist, daß es sich hierum eine eschatologische
Kult fei er handelt, daß also auch die Adonisgestalt der Escha-
tologie angehörte, mag man sie nun Messias oder Ebed Jahve
oder sonstwie nennen.
Obwohl die Israeliten teilweise noch zur Zeit
Ezechiels (814) den Tamüzkult kannten und übten, ist
es doch fraghch, ob der Verfasser von Zach. 12 noch etwas
über den Urspning der von ihm überlieferten Worte wußte.
Zach. c. 12 — 14 besteht aus vielen kleinen, nur lose oder gar
nicht zusammenhängenden Fragmenten. Diese Bruchstücke sind
von einem Späteren geordnet, scheinen aber in viel früherer
Zeit verfaßt zu sein, da sie teilweise gute, alte Traditionen ent-
halten. Es sei nur erinnert an die bereits oben behandelten
Verse Zach. 144ff. (vgl. S. 222 ff.). Als wertvolle Zeugnisse der
Vergangenheit hat ein Epigone diese Überreste früherer escha-
tologischer Dichtungen gesammelt, redigiert und vielleicht teil-
weise überarbeitet. Ihm danken wir die Erhaltung dieser für
uns unschätzbaren Dokumente.
So sehen wir, daß der Ebed Jahve doch nicht ganz ana-
logielos ist im Alten Testamente, wenn uns auch diese Parallele
zu einer tieferen Erkenntnis nicht verhilft. Eine wirkliche Ge-
schichte des Ebed Jahve zu schreiben, müssen wir uns versagen.
Wir können nur den Anfangs- und Endpunkt der Entwicklung
aufzeigen: Eine dem Adonis und eine dem Messias vergleich-
bare Gestalt. Aber wie nun diese aus jener geworden ist,
darüber dürften kaum einmal Hypothesen mit annähernder
AVahrscheinlichkeit möglich sein. Der Adonis war vergessen^
und allein die eschatologische Bedeutung blieb erhalten.
334 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
D. Der Menschensohn.
§ 32, Das sprachliclie Problem des Menschensohns.
H. Lietzmann: Der Menschensohn. Bonn 1896. J. Wellhausen:
Skizzen und Vorarbeiten. Heft VI. Berlin 1899. G. Dalmann: Die
Worte Jesu. Leipzig 1898. H. Gunkel: Aus Wellhausens apokalypti-
schen Forschungen (Zeitschrift für wiss. Theol. N. F. VII). Leipzig 1899.
P. Fiebig: Der Menschensohn. Tübingen 1901. Übersichten bei Schmie-
PEL (Protest. Monatshefte) 1898 und 1901 ; Baldenspeeger (Theolo-
gische Kundschau) 1900; Nathanael Schmidt: The Son of Man (Ency-
€lop. Biblica). Bd. IV.
In den Evangelien begegnet o viog tov avd-QcoTtov als
rätselhafter Terminus technicus für den Christus, den Messias.
Zum Verständnis dieses Ausdrucks ist es zunächst unbedingt
notwendig, das aramäische Äquivalent zu kennen. Es konnte
kein Zweifel sein — und die letzte Untersuchung von FiEBia
hat es bestätigt — daß Wellhausen das sprachliche Problem
von vorneherein richtig gelöst hat. »The use of this term in
Aramaic has been treated with most comprehensiveness by
FiEBiG, with most Talmudic leaming by Dalmann, and with
most insight by Wellhausen« (Schmidt). Wie vioq avd^gwTtov
= hebr. Dn« p = aram. uJ3N in, so ist 6 vlog tov avS-gcoTcov
= hebr. cn«n p = aram. nu33N 'nä. Während aber jenes
hebräische Wort verhältnismäßig selten und poetisch ist, also
-einem ebenso ungebräuchHchen »Menschenkind« entspricht, so
ist diese aramäische Phrase in allen aramäischen Dialekten ganz
gewöhnhch und bedeutet weiter nichts als »der Mensch«. Folg-
lich ist 0 viög TOV avd-QWTtov nicht »der Menschensohn«, son-
dern ganz einfach »der Mensch« zu übersetzen, und hatte diesen
Sinn, soweit die aramäische und hebräische Sprache reichten.
Wenn die LXX Difi« ]3 mit vlog avS-gcoTtov wiedergaben, so
kann man daraus schließen, daß vlog avS-gcoTtov im griechischen
Jargon der alexandrinischen Juden vöUig gleichbedeutend war
mit avd^QWTtog, und bei den griechisch redenden Palästinensern
wird es nicht anders gewesen sein. Der Ausdruck enthält also,
sprachlich betrachtet, durchaus nichts Geheimnisvolles oder My-
stisches ^
1. Auffällig und bis jetzt unerklärt ist allerdings das Problem,
auf das Wrede (ZNTW. Jahrgang V. 1904. S. 359) aufmerksam macht,
Das sprachliche Problem des Menschensohns. 335
Damit ist nach dem geläufigen Urteil das sprachliche
Problem erschöpft. Man erhebt jetzt sofort die Frage: Wie
kann »der Mensch« Messiasbezeichnung sein? Als Name des
Christus ist er für uns dunkel und unverständlich. Wellhatj-
SEN hat ihn früher a priori aus modernen Begriffen zu erklären
versucht: Der Titel sei ein philosophischer oder humanistischer
Terminus und bedeute den Menschen ^aolx e^ox^jv. Mit Recht
hat Wellhausen sich später selbst korrigiert: Denn Jesus ist
weder Philosoph noch Humanist gewesen. Seit wir eine histo-
rische Methode haben, ist es unerlaubt, von modernen An-
schauungen auszugehen, um alten Formeln Leben einzuhauchen.
Der Forscher hat die Pflicht, sich in die antike Welt zu ver-
senken und aus ihr heraus ein Verständnis zu gewinnen. Kann
er keine Klarheit erlangen, so hat er einfach die Tatsachen zu
registrieren, also in unserem Falle unumwunden zu bekennen:
»Der Mensch« ist zur Zeit Jesu geläufige Messiasbezeichnung;
da Jesus selbst diesen Ausdruck als bekannt voraussetzt und ihn
nirgends erklärt, so wissen wir nicht, was er bedeutet haben
mag. Wellhausen aber geht zu weit. Auf Grund seines
eigenen Nichtwissens folgert er, daß das Wort auch im Munde
Jesu keinen Sinn gehabt haben, deshalb auch nicht von ihm
gebraucht sein könne und darum überall da zu eliminieren sei,
wo sein messianisches Verständnis gefordert wird.
Dem gegenüber ist mit Gunkel zunächst zu betonen, wie
in der apokalyptischen Literatur eine ganze Reihe von Termini
technici existieren, die als ccTta^ leyofieva vorkommen und für
uns rätselhaft sind. So »der Hemmende«, »die Wehen«, »der
Baumeister«, »der Greuel der Verwüstung«, »der Löwe«, »der
zweite Tod« und andere mehr. In diesen Kreis paßt »der
Mensch« vorzüglich hinein. Zweitens macht Gunkel mit Recht
darauf aufmerksam, daß »der Mensch« eine »mysteriöse Ab-
kürzung sein könne für den Menschen Gottes, den Menschen
des Himmels, den ersten Menschen«. Ja, es kann nicht nur,
sondern es muß so sein, da nicht jeder beliebige, sondern nur
ein ganz konkreter Mensch als Messias angesprochen werden
kann. »Der Mensch« muß notwendig einen prägnanten Sinn
daß Jesus von sich statt des Ich die dritte Person mit dem Titel ge-
braucht. Dieser außergewöhnliche Sprachgebrauch muß auf irgend
welche uns unbekannten (religionsgeschichtlichen) Vorbilder zurückgehen.
336 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
haben. Dazu gibt es viele Parallelen, «inn DvJi oder DT»ri
»jener Tag« oder »der Tag« bezeichnen in gewissen Zusammen-
hängen, die von der Endzeit handeln, nicht jedweden, sondern
einen genau fixierten Tag, und zwar »jenen Tag, den jedermann
als den Tag Jahves kennt«. DT^n ist also eine Abkürzung für
mn'' DT», wie »das Ende« für »das Ende der Welt«, »die
Trübsal« für »die letzte Trübsal«, »das Lamm« für »das Lamm
Gottes«, »die Wehen« für »die Wehen des Messias«, »das Leben«
für »das erste Leben «i.
Fragen wir, wie der volle Ausdruck für »den Menschen«
gelautet habe, so ist darauf a priori keine Antwort zu geben.
Um aber nicht von falschen Voraussetzungen auszugehen,
müssen wir die eben beigebrachte Parallele noch einmal heran-
ziehen. Wenn auch meist mrr' nr gesagt wird, so hat man
doch kein Recht, von einem »Titel« zu reden. Denn ein Titel
hat stets nur Eine Form. Neben mrr' dt» aber finden sich
noch mehrere inhalthch gleichbedeutende Phrasen wie nar m*»
mn-' oder -»"^ ma:? Dr oder ■»■< s)n Dr. Da also die Bezeich-
nung des Tages Jahves nicht ganz festgeprägt ist, so ist auch
•'•» DT» nicht im strengen Sinne des Wortes ein »Titel« zu nennen.
Entsprechend der hier vorhandenen Fülle von Ausdrücken kann
man a priori dasselbe für »den Menschen« vermuten, und diese
Annahme bestätigt sich. Neben »Wolkenmensch« ("»sa:» -i3),
»oberer Mensch« (nNb3> m«), »Himmelsmensch« (o avd-QWTtog
s^ ovQccvov) begegnet in weit verbreiteten Spekulationen »der
erste Mensch« (hebr. "{iJanp m« aram. «-»Tanp nujdk nn). Alle
Namen können dieselbe Person bedeuten. Ob sie es wirklich
tun, soll im folgenden untersucht werden.
Damit erst ist die sprachliche Seite dieses Problems ge-
nügend erhellt. Jetzt erhebt sich um so dringender die sach-
liche Frage: Gibt es in der apokalyptischen vorchristlichen Lite-
ratur eine Gestalt, die man als den »messianischen Menschen«
bezeichnen darf? Fällt die Antwort bejahend aus, so ist weiter
zu forschen, woher diese Gestalt stammt und wie sie zu er-
klären ist.
Bei der heutigen wissenschaftlichen Behandlung des Themas
»Menschensohn« hat man sein Augenmerk in einseitiger Weise
1. Vgl. W. Brandt: Die mandäische Eeligion. S. 26 Anm. 2.
Das sprachliche Problem des Menschensohns. 337
fast nur auf das Sprachliche gerichtet und ist so zu einer An-
schauung gekommen, die sachlich durchaus unhaltbar ist. Die
im großen und ganzen herrschende Auffassung sieht in Dan. 7
den Ausgangspunkt für die messianische Idee des »Menschen«.
Der dort begegnende nuj3M ^n soll aber nicht der Messias,
sondern nur ein Symbol für das Volk Israel sein, das unter dem
Bilde eines Menschen dargestellt werde. Wäre das richtig, so
wäre die ganze folgende Entwicklung eine Kette von Mißver-
ständnissen. Zunächst muß Henoch den nur bildlich gemeinten
Ausdruck fälschlicher Weise wörtlich gedeutet, muß den »mit
den Wolken des Himmels« zu einem aus dem Himmel kom-
menden und deshalb im Himmel wohnenden gemacht und ihm
die Präexistenz beigelegt haben. Der Verfasser des IV. Esra-
buches dagegen muß umgekehrt geglaubt haben, nach Dan. 7
komme der Mensch nicht vom Himmel, sondern steige ebenso
wie die Tiere aus dem Wasser auf. Da er auf den Wolken
des Himmels fliege, so werde er wohl ein überirdisches Ge-
schöpf mit übermenschlichen Eigenschaften sein, das alles ver-
brenne — obwohl beides zu einander paßt wie Feuer und
Wasser! So wurde der Mensch Daniels durch ein Mißver-
ständnis zum Messias. Der Titel »Mensch« für Messias aber
könne erst auf griechischem Boden entstanden sein, als bar 'nasa
von den Übersetzern mit 6 viög zov avd^QOJTvov wiedergegeben
wurde; denn nur ein solches rätselhaftes Wort eigne sich für
einen mysteriösen Christustitel.
Eine lange Entwicklung auf eine Kette von Mißverständ-
nissen zurückzuführen, ist an sich ein Unding, und auch un-
wahrscheinlich, sobald man den bei allen Mißverständnissen
stattfindenden psychologischen Vorgang beachtet. Denn sie
passieren gewöhnlich nur, wenn ein von außen gegebener Anlaß,
etwa ein schwer deutbarer Text oder eine schlecht lesbare Hand-
schrift, vorliegt. Und wenn einmal jemand einen Satz falsch
auffaßt, weil er unklar ist, so werden daraus keine weltbewegen-
den Dinge, die große Kreise ziehen und ein Jahrhundert hin-
durch nicht nur den Geist des Gelehrten, sondern auch des
gemeinen Mannes beschäftigen. Überdies ist Dan. 7 so offen-
kundig, wie nur möglich, gesagt, wer unter dem Menschen zu
verstehen sei. Wie wäre da ein Mißverständnis denkbar, falls
es wirklich eingetreten sein sollte? Doch nur so, daß man die
Forschnngen zur Kel. u. Lit. d. A. u. NT. 6. 22
338 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
bereits bekannte Idee eines präexistenten himmlischen Menschen
auch in Dan. 7 hineininterpretierte und das einlegte, was nicht
auszulegen war. Um ein Beispiel aus vielen herauszugreifen:
Man meint, Philo habe die Ansicht von der Schöpfung erst des
himmlischen, dann des irdischen Adam aus dem doppelten Ge-
nesisbericht herausgesogen. Lag für Philo der Ausweg nicht
näher, daß dieselbe Schöpfung zweimal berichtet sei? Und wie
sollte Philo überhaupt darauf verfallen sein, die seltsame Idee
eines himmlischen Menschen zu postulieren, wenn er nicht
irgendwoher davon wußte? Oder will man ihm die Erwägungen
unterschieben, die moderne Gelehrte angestellt haben: Gen. 1
trage einen mehr supranaturalen Charakter, während in Gen. 2
noch der antike, frische Erdgeruch zu spüren sei, also sei dort
von einem himmHschen, hier von einem irdischen Adam die
Eede? Warum aber legte er ihm das Prädikat der Mann-
weiblichkeit bei? — Oder man denke an die rabbinische, auch
von Paulus benutzte Geschichte des wandernden Felsens. Sie
ist schwerHch entstanden aus dem zweimaligen Bericht vom
Wunder des Wasserschiagens in Ex. 17 und Num. 20, auch
nicht dadurch, daß man das Stationenverzeichnis in das Brunnen-
lied Num. 21 16 hineinzog, sondern weil man das Wunder eines
wandernden Felsens von irgendwoher kannte, darum glaubte
man, auch dies im Alten Testamente nachweisen zu können,
und knüpfte es an die erwähnten Stellen an. Sonst hätten
jedenfalls andere Annahmen näher gelegen als diese; man hätte
den Mose zum Wundertäter machen können, der mit seiner
Wünschelrute Wasser hervorzaubert, wo immer er will. —
Hätte also Henoch den Daniel mißverstanden, so wäre damit
fast zur Evidenz erhoben, daß der präexistente himmlische
Mensch nicht eine von ihm selbst erst gebildete, sondern damals
bereits herrschende Idee war, deren Entstehung in die Ver-
gangenheit zurückreicht. Damit wären wir mindestens wieder
bis auf die Zeit verwiesen, in der das Buch Daniel verfaßt wurde.
Aber die Behauptung von angeblichen Mißverständnissen
ist nicht bloß unwahrscheinlich, sondern auch unmöglich. Denn
manche Einzelheiten sind auf diese Weise schlechterdings nicht
zu erklären. Durch das Mißverständnis welcher Stelle des
Buches Daniel geht ein Feuerstrom aus dem Munde »des Men-
schen«, schlägt er sich einen Berg los und verbrennt die dort
Das sprachliche Problem des Menschensohns. 339
yersammelten Heere (lY Esra 13)? Auf Grund welcher miß-
verstandenen Danielstelle behauptet femer der äthiopische Henoch,
•daß »der Mensch« den Heiligen und Gerechten bereits offenbart
sei? Daß in ihm der Geist derer wohne, die in Gerechtigkeit ent-
schlafen sind? Wer sich der herrschenden Meinung anschließt, hat
die Pflicht, all dies und noch vieles mehr, begreiflich zu machen.
Er muß auch zeigen, wie das Bild »des Menschen« im IV Esra
bis zu einem gewissen Grade plastischer sein kann als im Buche
Daniel (Bousset). Wir werden schließen, daß es gar nicht
aus diesem stammen kann.
Fragen wir, wie es möglich gewesen ist, daß die bekämpfte
Ansicht so allgemeine wissenschaftUche Geltung hat erlangen
können, so liegt das zweifellos an der bereits von Gtjnkel hier
und in anderen Zusammenhängen gerügten Verwechslung der
ersten literarischen Bezeugung einer Idee mit ihrem ganzen
und ursprünglichem Umfange. Weil in Dan. 7 »der Mensch«
zum ersten Male in der Literatur auftaucht, darum glaubt man,
müsse notwendig dort der Ursprung dieser Gestalt zu suchen
«ein. Alle späteren Anspielungen oder Ausführungen können
nur im Anschluß an sie entstanden sein! Auf den Gedanken
aber, daß dort vielleicht zufällig nur ein Bruchstück aus einer
viel reicheren und umfassenderen Tradition aufbewahrt worden
sei, die später in gleicher Weise auch von anderen ausgeschöpft
wurde, verfiel man nicht. Das ist in unserem Falle um so
iinverzeihhcher, als es »längst Allgemeingut« (Wellhausen)
der Wissenschaft geworden ist, daß der Apokalyptiker seine
Stoffe nicht selbst schafft, sondern sie aus der Überlieferung
herübernimmt. So wenig man sonst bei der Entwicklung einer
Idee die persönlichen Träger dieser Gedanken, ihre Eigenart
und ihre Kraft der Umgestaltung vernachlässigen darf, auf un-
serem Gebiet bedeutet die schriftstellerische Originalität des
Einzelnen wenig; sie beschränkt sich auf Kombination, Aus-
schmückung und Auslegung der Tradition. Dazu kommt endlich
noch, daß speziell von den Tieren, die in Dan. 7 mit der Vision
des Menschensohnes verbunden sind, selbst Wellhausen zuge-
steht, sie enthielten eine irgendwie vermittelte Eeminiszenz an
fremde Überlieferung. Nur Gunkel und Bousset haben dies
■auch für den Menschensohn zugegeben und den Weg gezeigt,
auf dem die richtige Lösung zu finden ist.
22*
340 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
§ 33. Der »Mensch« im Daniel.
In der bekannten Vision des 7. Kap. des Buches Daniel
begegnet eine menschenähnliche Gestalt, die 7nit, oder wie die
LXX deuten, auf den Wolken des Himmels herankommt und
vor den Hochbetagten gelangt (V. 13). Der Ausgangspunkt
des »Menschen« wird nicht genannt und muß darum fürs erste
dunkel bleiben, wohl aber ist der Zweck seines Erscheinens
klar: Er wird beim Endgericht zum Weltherrscher proklamiert,
ihm wird die Macht und die Ehre in alle Ewigkeit zu teil (V. 14).
Da nach der dem Gesichte beigegebenen Auslegung das Volk
der Heiligen des Höchsten das Königtum der Ewigkeit erhält
(V. 18. 22. 27), so ist man gezwungen, in dem jetzt vorliegenden
Text den Menschen für ein Bild Israels zu halten, entsprechend
den heidnischen Reichen, die als Tiere dargestellt sind. So weit
stimmen alle Forscher überein.
Der Dissensus beginnt bei der Frage, ob der Menschen-
ähnliche ein von diesem Schriftsteller geschaffenes Symbol für
das Volk Israel sei, entstanden im Gegensatz zu den Tier-
symbolen für die heidnischen Völker. Dagegen spricht erstens:
So gut die Repräsentation der heidnischen Reiche durch Tiere,
wie allgemein zugestanden wird, eine Entlehnung ist, so gut
wird dies auch a priori von dem bar 'nasa gelten müssen. Wir
können mit annähernder Wahrscheinhchkeit postulieren, daß wir
hier so wenig wie sonst eine originale Idee des Verfassers vor
uns haben. Ein strikter Beweis folgt aus einer zweiten Be-
obachtung : Wäre der Menschenähnliche ein neu geprägtes Symbol,
so müßte man in der Deutung genauen und klaren Aufschluß
erwarten. Das Gegenteil ist der Fall. Denn grade dasjenige,
was uns am Unverständlichsten ist, das Fliegen des bar 'nasa
mit den Wolken des Himmels, wird nicht erklärt — offenbar,
weil der Verfasser dazu nicht imstande war. Das wird durch
eine dritte Erwägung bestätigt: Hätte der Schriftsteller selbst
das Symbol geschaffen, so ist nicht einzusehen, weshalb er sich
nicht einfach mit der Gestalt des Menschen begnügte. Damit
war ja die Hoheits- und Herrscherstellung Israels über die heid-
nischen Tiere gebührend gekennzeichnet! Warum fügte er
noch das rätselhafte Fliegen mit den Wolken des Himmels
Der Menschensohn kein Symbol. 341
hinzu? Irgend ein plausibler Grund läßt sich dafür nicht aus-
findig machen. Die Tiere, die aus dem Meere aufsteigen, werden
als nahe und gegenwärtig vor dem Richterstuhl vorausgesetzt,
ohne daß sie ausdrücklich auf den Wolken herbeigebracht
werden; also wäre es auch unnötig gewesen, von dem Menschen
dies auszusagen. Ebenso wenig kann dieser Zug die Zugehörig-
keit zu Gott bedeuten. Denn das hätte klarer und besser so
dargestellt werden müssen, daß der bar 'nasa neben Gott er-
scheint und von vorneherein neben Gott auftritt, statt daß er
erst aus der Ferne herbeigeholt wird. Wissenschaftlich nicht
gerechtfertigt ist die von Yolz (S. 11 vgl. S. 220) gegebene
Exegese: »Am großen Gerichtstag . . . wird er aus unbekannter
Ferne (= aus der bisherigen Inaktivität, dem Nichtsein) auf
den Wolken (= dem himmlischen Gespann) vor den Himmels-
thron gebracht d. h. er bekommt Leben, Sein, Bedeutung«.
Abgesehen davon, daß die Auslegung der Wolken vöUig aus
dem Bilde herausfällt, ist es nicht erlaubt, eine andere Deutung
beizufügen, wo der Schriftsteller ausdrücklich selbst eine bietet.
Man muß zugestehen, daß eine Erklärung dieses mythologischen
Zuges zunächst unmöglich ist, weil schon der Verfasser des
Danielbuches nichts damit anzufangen wußte. Folghch ist das
Kommen des Menschen mit den Wolken eine der Tradition ent-
lehnte Einzelheit, die in den Eahmen der Allegorie nicht hin-
einpaßt.
Ist an einer einzigen Stelle nachgewiesen worden, daß wir
keine Neuschöpfung, sondern eine apokalyptische Überlieferung
vor uns haben, so müssen wir die ganze Gestalt des Menschen-
ähnhchen für älter halten als Daniel. Unser apriorisches
Postulat, mit dem bar 'nasa müsse es sich ebenso wie mit den
Tieren desselben Kapitels verhalten, ist damit zur Evidenz er-
hoben. Um das ursprüngHche Gut der Tradition in voller Rein-
heit zu gewinnen, brauchen wir nur den Firnis zu entfernen,
mit dem es in der Auslegung leicht übertüncht ist. Die Origi-
nalität des Bearbeiters besteht allein darin, daß er den Menschen
umgedeutet hat auf Israel. Alles Übrige ist, wie die Vision
lehrt, zur Rekonstruktion des alten Mythus zu benutzen. Wir
«erfahren hier Folgendes : Wenn das Gericht stattfindet d. h. am
Ende der Tage wird »der Mensch« auf den Wolken des Himmels
erscheinen: Dem wurde Macht ^ Ehre und Herrschaft verliehen^
342 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
alle Völker, Nationen und Zungen müssen ihm dienen; seine
Macht soll ewig und unvergänglich sein, und sein Reich niemals
zerstört werden (7i4), d. h. er wird zum Weltherrscher an Gottes
statt proklamiert; der Hochbetagte tritt ihm sein Amt ab, wohl
nicht bloß auf Erden, sondern auch im Himmel i. Da nach alt-
israelitischer Anschauung der Messias an der Spitze der neuen
Zeit stehen soll, dem alle Völker unterworfen werden, so ist
»der Mensch« eine Parallelgestalt zum Messias.
Man könnte vielleicht einwenden, daß wir den Text etwas«
stilisieren, indem wir einfach »der Mensch« sagen, während ge-
nauer von einem die Rede ist, der wie ein Mensch aussieht.
Aber das ist keine Schwierigkeit. Denn einmal ist die Gestalt
kein gewöhnlicher, sondern ein himmlischer Christusmensch, der
mit einem Menschen nur von ungefähr vergHchen werden kann^
Zweitens gehört diese Ausdrucksweise zum apokalyptischen Stil.
Man lese vor allem die Berufungsvision Ezechiels, die mit der
Yergleichungspartikel in gradezu verschwenderischer Fülle um-
geht. Sachlich macht es keinen Unterschied aus, ob man das
»Wie« überall streicht, nur für den Stil ist es charakteristisch..
So ist es auch in dem 7. Kapitel des Daniel. Wenn der Ver-
fasser von dem ersten Tiere sagt, daß es einem Löwen glich
und Adlerflügel hatte, so war es eben ein Löwe, freihch kein
eigentlicher, sondern einer mit Adlersflügeln. Die Tradition
redete einfach von dem bekannten apokalyptischen Löwen, die
Vergleichungspartikel ist nur auf Kosten des Stiles zu setzen
(Gunkel). Wir haben demnach ein Recht, nicht von einem
Menschenähnlichen, sondern von dem Menschen zu sprechen.
Es ist notwendig, der Figur des Menschenähnlichen im
Buche Daniel noch etwas weiter nachzugehen. 8i5ff. wird er-
zählt, wie dem Daniel jemand gegenüber steht, der das Aus-
sehen eines Menschen hat. Während jener über die Vision
bestürzt ist, erschallt eine Stimme, die ruft und spricht: Gabriel^
erkläre dem dort das Gesicht! Der angelus iuterpres, der wie
ein Mensch aussieht, wird hier mit dem Namen »Gabriel« be-
zeichnet. Daß Engel in Menschengestalt erscheinen, ist nichts
Ungewöhnliches 2, aber ganz auffälUg ist 92off., wo bN'^nia uJ-tNin
der Mensch Gabriel zu Daniel kommt, ihm die Zukunft erklärt
1. So jedenfalls im IHenoch. 2. Vgl. schon Gen. 18 f. Jdc. 136.
Engeldarstellungen. 343
und die apokalyptische Offenbarung bringt. Auch hier wird
die Rolle des angelus interpres von Gabriel gespielt; der aber
wird nicht nur mit einem Menschen verglichen, sondern direkt
der Mensch genannt, obwohl er zweifellos ein Engel ist. End-
lich begegnet uns in c. 10 — 12 jemand, der aussieht wie ein
Mensch (10 le. is) und bei dessen AnbHck Daniel wie in c. 8
vor Schreck zu Boden fällt. Obgleich kein Name genannt ist,
hat man doch wohl mit Recht geschlossen, daß hier wie
anderswo unter dem angelus interpres Gabriel gemeint sei. So
lautet auch die Tradition im Talmud (tr. Joma 77 a).
Der Engel Gabriel, als dessen Charakteristikum wir bisher
nur die Menschengestalt kennen gelernt haben, wird 10 öf. ge-
nauer beschrieben 1 : Als ich meine Augen auf höh und schaute,
siehe da war da ein Mensch, gekleidet in Linnen, seine Lenden
gegürtet mit Gold aus Uphaz, sein Leih wie Chrysolith, sein Ge-
sicht wie Blitzschein, seine Augen wie Feuerfackeln, seine Arme
und Füße wie das Blinken geschliffenen Erzes und der Schall
seiner Worte wie die Stimme des Donners. Die Kommentatoren
begnügen sich, zu dieser Stelle einige nichtssagende literar-
historische Notizen zu liefern. So liest man z. B. bei Maeti:
»Die Schilderung (des himmhschen Boten = Gabriel) ahmte
sicher Ez. 92f. nach und ist dann wieder das Vorbild für Apk.
Job. Ii5 geworden«. Ez. 92f. ist von sechs Engeln die Rede,
die jeder ein Zerschmetterungsgerät in der Hand haben. In
der Mitte geht ein siebter, — nach dem Talmud (a. a. 0.)
wiederum Gabriel — der in ein linnenes Gewand gekleidet ist
und ein Schreibzeug an seinen Hüften trägt. Der hier be-
schriebene Engel stimmt mit dem Daniels nur in dem Linnenkleide
überein, sodaß man kein Recht hat, von »sicherer Nachahmung«
zu reden. Man hält ferner Stücke der Danielvision für entlehnt
aus Ez. 1?, wo von Fußsohlen gesprochen wird, die (rund) sind
wie die eines Kalbes und die'-^ glänzen wie pohertes Erz. Aber
diese Worte beziehen sich nicht auf die Engel, geschweige denn
auf Gabriel, sondern auf die Kerube. Sollte also wirklich ein
Zusammenhang dieser Stelle mit Daniel vorliegen , so hat der
Exeget die Pflicht, es verständlich zu machen, wie die Schil-
1. Vgl. dazu oben S. 109.
2. Perles-Kraetzschmar lesen cu"::-3 »ihr Gefieder«.
344 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
derung von der einen Gestalt auf die andere übertragen werden
konnte, oder anders ausgedrückt: wie die Kerube zu Engeln
wurden. Denn daß Engel und Kerube identisch seien, wird
doch ohne weiteres niemand glauben.
"Wertvoller als die Konstatierung einer solchen zweifelhaften
literarischen Abhängigkeit ist der Versuch, sich die Schilderung
des Engels in Dan. 10 sf. klar zu machen. So etwas sucht man
freihch vergebens in den Kommentaren. Oder ist es etwa nicht
auffällig, daß Arme und Füße wie poliertes Erz aussehen sollen,
da dies ein keineswegs nahehegender Vergleich ist? Oder daß
das Gesicht wie der Blitz, die Augen wie Feuerfackeln scheinen?
Wenn man sich die Linnenkleidung des menschenähnHchen
Engels vergegenwärtigt, so ist es begreifhch, daß Gesicht, Arme
und Füße in ihrem Glänze beschrieben werden; denn all diese
Gliedmaßen konnten vom Gewände entblößt sein. Woher aber
wußte der Apokalyptiker , daß der Leib gleich ChrysoHth er-
strahlte, da er doch durch das Linnenzeug gänzUch verhüllt
sein mußte? Aus dieser Inkongruenz können wir zunächst das
Eine mit Sicherheit erschließen: Die Dan. 10 öf. geschilderte
Engelsgestalt ist nicht aus der schöpferischen Intuition des Ver-
fassers, sondern aus der Tradition hervorgegangen. Zweitens
müssen hier verschiedene disparate Züge mit einander vereinigt
sein, die wir, um sie zu verstehen, erst wieder von einander
scheiden müssen. Auf die eine Seite gehören die mit einem
linnengewande bekleideten Engel, auf die andere Seite die ur-
sprünglich nackten Engel, deren Leiber und Glieder in typischer
Weise mit verschiedenen glänzenden Edelsteinen und Metallen
oder mit Feuer, Fackeln und Blitzen verglichen werden. Durch
die Verbindung dieser beiden, anfangs von einander gesonderten,
Überlieferungsreihen ist das unanschauliche Bild in Dan. 10 sf.
entstanden. Können wir noch etwas tiefer in die Entwicklungs-
geschichte eindringen?
Der in Linnen gekleidete Engel wird Ez. 92. Dan. 12 ef.,
wie es scheint, durch seine Tracht ausdrücklich von den anderen
Engeln unterschieden. Es hatten also nicht alle Engel Linnen-
gewänder. UrsprüngHch tragen wohl die Engel dasselbe Kleid
wie die Gottheit. Vielleicht ist diese Vorstellung nicht in Israel
entstanden, da sie nicht auf alle Engel ausgedehnt ist. Aber
wenn wir auch annehmen, daß die fertige Gestalt, mit dem
Engeldarstellungen. 345
Linnen bekleidet, nach Israel wanderte i, so können wir uns
den Vorgang doch an einem israelitischen Beispiel veranschau-
lichen. Weil Jahve oder richtiger das kultische Bild Jahves
mit einem ^^DN d. h. einem Überzug, ursprünglich aus Leinen,
später aus Silber oder Gold, versehen war, darum galt dasselbe
von den Engeln, den Dienern Jahves^. Während das Gottes-
bild im Laufe der Zeit mit immer größerem Luxus ausgestattet
wurde, behielten die Engel zum Teil das archaistische, hnnene
Gewand.
Daneben läuft eine parallele Idee her, die eine ähnliche
Entwicklung durchgemacht hat. Wir haben gesehen (vgl. o.
S. 51 ff.), wie Jahves Leib nach Ez. I27 (= 82) gleich Edel-
metall erstrahlt. Er wird hier unter fremdem Einfluß nach Art
eines Lichtwesens dargestellt. Dieselbe Natur haben nun bei
demselben Verfasser die Engel. Denn Ez. 403 heißt es: Und
er (Jahve) brachte mich dorthin, und siehe, da war ein Mann,
dessen Aussehen dem Erze glich. Der »Erz«engel, der Ez. 442
ungenau mit Jahve selbst identifiziert ist, wird durch den Ver-
gleich mit dem Metall als Lichtwesen charakterisiert, obwohl er
ebenso wie im Daniel als Mensch bezeichnet wird. Übrigens
kann in diesem Fall, wie wir mit Sicherheit sagen dürfen, die
Übertragung der götthchen Gestalt auf die Engel nicht in Israel
selbst vollzogen sein, da beide, Jahve und die Engel, auf diese
Weise zuerst von Ezechiel dargestellt werden, da also nicht ge-
nügend Zeit vorhanden ist, um eine solche Entwicklung wahr-
scheinlich zu machen. Soweit die Engel degradierte heidnische
Gottheiten sind, kommen ihnen natürlich ohne weiteres das gott-
heithche Gewand und der göttliche Leib zu, sodaß eine Über-
tragung nicht angenommen zu werden braucht.
Die Ideen von dem Metall- oder Lichtleibe und von dem
Linnenkleide der Gottheit sind parallel. So heißt es Ps. 1042
1, Für den Schreiberengel speziell hat zuerst Gunkel fremden Ur-
sprung vermutet. Vgl. Arch. f. Eel. Wiss. I S. 294 ff.
2. Ebenso von den Priestern (tiss siya), die das Linnenkleid der
Gottheit anzogen und die Gesichtsmaske (a""£'^p) des Gottesbildes an-
legten, um die Kräfte der Gottheit in sich überströmen zu lassen. Die
Anschauung, daß der Teraphim die Gesichtsmaske sei, verdanke ich der
mündlichen Belehrung Georg Hoffmanns.
346 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
von Jahve: Du hüllst dich wie in ein Kleid in Licht ^. "Wie
konnte diese mythische Anschauung besser zur Darstellung ge-
bracht werden als durch ein weißes Linnenkleid? Das Linnen-
kleid ist also die kultische Darstellung des Lichtleibes.
Das geht noch aus den Parallelaussagen der neutestamentlichen
Schriftsteller deutlich hervor. Während Mark. 16 5 nur von
einem weißen Gewände der Engel redet und während Matth.
283 zur Erklärung hinzufügt: weiß wie Schnee, befinden sich
dagegen nach Luk. 244 zwei Männer mit blitzendem Gewände
im Grabe Jesu. Während bei der Verklärung die Kleider
Christi nach Matth. 172 wie Licht glänzen und nach Luk. 929
weiß blitzen, sind sie nach Mark. 93 glänzend weiß, so weiß
wie kein Walker auf Erden bleichen kann. Hier haben wir
das deutliche Bild der weißen Farbe, die mit dem hellen Licht-
schein verglichen wird. Bei der Himmelfahrt tragen die Männer
d. h. die Engel weiße Kleider (Act. lio), wie den Seligen weiße
Gewänder zu teil werden sollen (Apk. Job. 611), die nach einer
seltsamen Vorstellung sogar in dem roten Blut des Lammes
weiß gebleicht sein sollen (Apk. Job. Tisf.). Beachtenswert ist,,
daß hier niemals mehr von einem Linnenkleide die Bede ist.
Während die ältere Zeit noch an dem Kultbilde orien-
tiert ist, hat man später nur die himmlische Licht-
d6§a vor Augen, die bald mit dem Schein des Blitzes,
bald mit dem Glanz der weißen Farbe verglichen wird.
Wir können aber noch eine interessante Umbildung im
Lauf der Geschichte verfolgen. Der wie Metall strahlende
Leib ist offenbar ursprünglich nackt gewesen, später aber hat
man ihn aus Schicklichkeitsgründen mit einem Gewände um-
hüllt. Mit anderen Worten: Die beiden Parallelvorstellungen
vom Lichtleib und Lichtkleid oder Linnenkleid werden mit
einander kombiniert. Nun dürfte aber in dem Augenblicke,
wo dies geschieht, nicht mehr von dem Metallleib der Gottheit
die Bede sein, da er durch das Gewand bedeckt wird.
Während bei der Gestalt Daniels, wie wir gesehen haben^
1. »Diese Anschauung von Gottes Lichtkleid ist, wie es scheint,
ursprünglich vom Himmel hergenommen, der als ein herrliches, blaues
Kleid der Gottheit gedacht worden ist« (Gunkel: Psalmen S. 172 f.).
Das Kleid ist aber nicht blau, sondern weiß.
Engeldarstellungen. 347
der Ausgleich noch nicht vollzogen ist, sondern beide
Ideen inkonzinn neben einander stehen, ist dagegen im
Neuen Testamente ihre organische Verschmelzung er-
folgt. Wir hören jetzt meist nur noch vom Gesicht (Matth. 172.
283). Am lehrreichsten ist ein Vergleich von Dan. 10 sf. mit
der nahe verwandten Stelle Apk. Joh. lisff.: . . . einen gleich
einem Menschen^ angetan mit einem Mantel und gegürtet an
der Brustmitte mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber
und die Haare wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Äugen
wie eine Feuerflamme, und seine Füße gleichwie im Ofen ge-
glühtes Erz, und seine Stimme wie das Bauschen großer Wasser
, . . und sein Angesicht war, wie die Sonne leuchtet in ihrer
Kraft. Die genannten Glieder des Körpers sind vom Gewände
entblößt. Es fehlen — anders als im Buche Daniel — der
Leib und die Lenden!
Diese Abschweifung war notwendig, um zu zeigen, daß
überall sonst, wo im Buche Daniel ein Menschenähnhcher ge-
nannt wird, darunter ein Engel zu verstehen ist. Ist das folglich
nicht auch die natürlichste Annahme für den »Menschen söhn«
in c. 7? Man kann nicht dagegen behaupten, daß der hier
Geschilderte »Mensch sei und als Mensch unterschieden werden
solle von den Engeln, die den Menschen nur ähnlich sehen«
(VoLZ S. 11). Denn 7 13 heißt es genau wie bei den Engeln:
Da kam jemand wie ein Mensch. Die Menschengestalt
schließt die Engelgestalt nicht aus. Man kann den Engel^
oder sagen wir präziser, bestimmte Engel der Apokalyptik
gradezu als himmhsche, vom Lichtglanz verklärte Menschen be-
zeichnen. Aber wir müssen noch Eines hinzufügen: Der
menschenähnliche Engel, von dem Dan. 7 handelt, ist kein ge-
wöhnhcher Engel. Denn nicht jeder Beliebige wird mit den.
Wolken des Himmels vor den Hochbetagten gebracht, und noch
weniger wird jeder Beliebige zum Herrscher des neuen Äons-
eingesetzt. Das kann nur von dem höchsten Engel gelten, von
dem Wesen, das nächst dem Hochbetagten das größte ist. Aus
diesem Grunde darf man den messianischen Himmelsmenschen
weder mit Gabriel, der uns im Buche Daniel öfter begegnet
ist, noch mit Michael, dem Schutzpatron Israels (IO21. 12i),-
identifizieren (so Nath. Schmidt). Denn so mächtig auch beide
sein mögen, keiner von ihnen ist der Mächtigste, der Ausschlag-
348 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
gebende, der Entscheidende. Nach lOisff. bedürfen beide gegen-
seitiger Hülfe und gegenseitigen Schutzes. Da wir keinen
Namen für den höchsten Engel erfahren, so müssen wir uns mit
dem Wissen bescheiden, das uns der Apokalyptiker übermittelt hat.
Als die Gestalt der Eschatologie gilt der Engel, den
jedermann als den eschatologischen Menschen kennt,
der am Ende der Tage zum Weltherrscher gemacht
werden soll.
Das wichtigste Ergebnis unserer Untersuchung ist die Tat-
sache, daß der »Menschensohn« kein von Daniel geschaffenes
Symbol für das Volk Israel, daß er also keine dichterisch-Hte-
rarische, sondern eine reale und individuelle Figur in der apo-
kalyptischen Eschatologie ist. Die Entwicklung ist mithin nicht
so verlaufen, wie man gewöhnlich meint, sondern grade umge-
kehrt: Nicht Israel ist als bar 'naäa, sondern der bar ^nasa ist
als Israel gedeutet. Bis zu einem gewissen Grade gehören
beide zusammen. Wenn der Menschensohn sein Regiment an-
tritt, muß auch Israel oder das Volk der Heiligen des Höchsten
zur Herrschaft gelangen, und daher ist diese Umdeutung möglich
gewesen und begreifhch. Man kann vielleicht noch einen Schritt
weiter gehen und behaupten, daß die merkwürdige Bezeichnung
Israels als die Heiligen des Höchsten ursprünghch ein Epitheton
des »Menschensohnes« oder seiner Gefährten war, da D'iizjnp
(aram. V^'^'^pJ ^^^ geläufiges Prädikat für die Engel ist (Dtn. 333.
Zach. 145. Ps. 896.8. Job. 5i. 15 15. Dan. 4io. u. 20. 813).
Wenn der »Mensch« bei Daniel ein Engel oder eine himm-
lische Größe ist, so liegt es nahe, in der fremden Tradition,
die hier auf das Judentum gewirkt haben muß, einen
Gott anzunehmen, der infolge des jüdischen Mono-
theismus zum Engel degradiert wurde. Weitere Ver-
mutungen sind zunächst nicht erlaubt. Es sei ausdrücklich
davor gewarnt, den bar 'nasa irgendwie zu kombinieren mit
den im selben Kapitel genannten Tieren. Mögen diese auch
wie jener aus irgend einer Überlieferung stammen, so können
hier doch möglicherweise ganz verschiedenartige Ideenkreise
vorliegen, die vielleicht erst durch unseren Verfasser mit ein-
ander verbunden sind. Die ursprüngliche Zusammengehörigkeit
beider müßte jedenfalls durch besondere Beweise erhärtet und
zur Evidenz gebracht werden, ehe man den Anspruch auf
Der höchste Engel. 349
Glaubwürdigkeit erhebt. Im Daniel stehen die Tiere und der
Mensch ganz lose neben einander. Es wird nicht einmal er-
zählt, daß dieser jene getötet habe^ Die Tradition ist eben
fragmentarisch, wie auch aus der Notiz über den Kampf der
Schutzengel hervorgeht, von dessen Entscheidung wir nichts
erfahren. Ebenso wenig hören wir etwas von dem Ursprungsort
des Menschen, wir wissen nicht, ob er wie die Tiere aus dem
Wasser oder ob er etwa aus dem Himmel kommt, worauf das
Fliegen mit den Wolken deutet.
§ 34. Der »Mensch« im IV Esra.
Gleich Daniel schaut Esra (c. 13) den himmlischen Menschen
in einem Gesichte, das sich nicht grade durch Deutlichkeit
auszeichnet. Er träumt, wie ein gewaltiger Orkan entsteht und
aus dem Herzen des Meeres etwas wie einen Menschen herauf-
führt. Der Mensch fliegt mit den Wolken des Himmels, und
alles erbebt, was er anschaut. Wohin seine Stimme dringt, da
zerschmilzt alles, wie Wachs zerfließt, wenn es Feuer spürt.
Ein unzählbares Heer versammelt sich, um den Menschen zu
bekämpfen, der einen großen Berg losschlägt und auf ihn fliegt.
Als der Ansturm der Feinde erfolgt, rührt der bar 'nasa keine
Hand, kein Schwert, keine Wafie, sondern läßt aus seinem
Munde einen feurigen Strom, von seinen Lippen einen flammen-
den Hauch, von seiner Zunge stürmende Funken ausgehen.
All dieses vermischt sich in einander: der feurige Strom, der
flammende Hauch und der gewaltige Sturm, und entzündet das
herannahende Heer, sodaß im selben Augenblick von den
Gegnern nichts weiter zu sehen ist als der Staub der Asche
und der Dunst des Eauches. Damach steigt der Mensch vom
Berge hernieder und ruft ein friedhches Heer zu sich. Gestalten
vieler Menschen nahen ihm, die einen frohlockend, die anderen
traurig; einige sind in Banden, andere führen andere als Opfer-
gaben mit sich.
1. Zimmern KAT.^ S. 512 Anm. 4 vermutet es. Weil nun, so
folgert er weiter (S. 392), die vier Tiere mit dem Zodiakus zusammen-
hängen, so habe auch »der Mensch« ursprünglich »von einem be-
stimmten Sternbild am Himmel seinen Ausgang genommen«. Aber ein
solches Sternbild kennen wir überdies nicht!
350 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Ehe wir zur eigenen Deutung übergehen, müssen wir den
Kommentar betrachten, den Esra selbst hinzufügt: Wenn du
einen Menschen aus dem Herzen des Meeres hast aufsteigen
sehen, das ist derjenige, den der Höchste lange Zeiten hindurch
aufspart, durch den er die Schöpfung erlösen will (1325f.). Der
Mensch wird hier ausdrücklich als owti^q bezeichnet, obwohl
dies Wort in eine ganz andere Anschauungswelt hineingehört.
Wo der Mensch aufgespart wird, ist leider nicht gesagt. Der
wird unter den Übriggebliebenen die neue Ordnung schaffen
(V. 26) d. h. den neuen Äon regieren. Wenn du gesehen hast,
wie aus seinem Munde Sturm und Feuer und Wetter hervorging,
wie er kein Schwert noch eine Waffe führte, und doch den An-
sturm jenes Heeres . . . vernichtete, das bedeutet: siehe. Tage
kommen, wo der Höchste die Erdenbewohner erlösen wird. Da
wird gewaltige Erregung über die Erdenbewohner fallen, daß
sie Kriege wider einander planen ... (V. 27 — 31). Man be-
achte, daß von diesen Kriegen wider einander vorher im Bilde
selbst nicht die Rede war. . . . Dann wird mein Sohn er-
scheinen, den du als Mann, der emporsteigt, gesehen hast (V. 32).
Der Mensch, der vorher gcottJq genannt war, wird hier (V. 32.
37. 52. 149) als Sohn Gottes bezeichnet. Der Sohnestitel ist in
der ganzen apokryphen, außerchristlichen Literatur nur im
IV Esra sicher nachweisbar. Nehmen wir noch 728f. hinzu, wo
Ton meinem Sohn, dem Christus, die Rede ist, so haben wir für
"diese eine eschatologische Gestalt vier Titel, die ganz ver-
schiedenen Ursprungs sind: den alttestamentlichen Messias, den
apokalyptischen Menschen, den hellenistischen Heiland und den
synoptischen Sohn Gottes. Das ist charakteristisch für die Apo-
kalyptik, die grade deshalb so wenig scharf umrissene Gestalten
hat, weil sie die vorhandenen Prädikate fast unterschiedslos ver-
wendet und oft von verschiedenen Personen dieselben Aussagen
macht.
Dann wann alle Völker seine (des Menschen) Stimme ver-
nehmen, werden sie alle ihre Länder und wechselseitigen Kriege
lassen; so wird sich ein unzählbares Heer an einem Punkte
sammeln ... Er selbst aber wird auf den Gipfel des Zion-
berges treten. Zion aber wird erscheinen und allen offenbar
werden, vollkommen erbaut, wie du gesehen hast, daß ein Berg
ohne Menschenhände losgehauen ward (V. 33—36). Der Berg
Der göttliche Mensch. 351
Zion spielt schon in der Eschatologie des Alten Testamentes
eine große ßolle und ist auch hier nicht unpassend. Aber
das Losschlagen des Berges ohne Menschenhände wird niemand
von der Erbauung des himmlischen Jerusalems verstehen, der
nicht diese Deutung gelesen hat. Die Allegorie und die alle-
gorische Auslegung sind also auch hier inkonzinn. Hätte der
Verfasser des Kommentars die Vision selbst gedichtet, so hätte
er seine Gedanken in etwas klareren Bildern ausgedrückt, ohne
ihnen darum den mysteriösen Charakter zu nehmen. Er hätte
z.B. von »Steinen« reden können, die von einem großen Berge
losgeschlagen werden, und hätte z. B. den Bau als ein Auf-
türmen dieser Steine bezeichnen können. Der uns vorliegende
Text aber ist offenbar ohne jede Rücksicht auf die vom Kom-
mentator ausgesprochenen Ideen entstanden. Mit anderen
Worten: der Apokalyptiker hat den Stoff der Vision der Über-
lieferung entlehnt und ihn nach seinem Geschmacke, bald mehr
bald minder richtig, gedeutet^. Er aber, mein Sohn, wird den
Völkern, die wider ihn gezogen sind, ihre Sünden strafen —
die sind dem Wetter gleich — ; er wird ihre bösen Anschläge
und ihre künftigen Qualen vorhalten — die sind wie das Feuer
— dann wird er sie mühelos vernichten durch sein Geheiß —
das gleicht der Flamme (V. 37f.). Die Form dieses Satzes, die
wohl dem syrischen Übersetzer zur Last fällt, ist unlogisch.
Der Verfasser wollte auch in den beiden ersten Gliedern wie
im letzten sagen: die Strafe der Sünden gleicht dem Wetter
— die künftigen Qualen gleichen dem Feuer — das mühelose
Vernichten gleicht der Flamme, oder noch besser: Dem Wetter
gleich, dem Feuer gleich, der Flamme gleich wird er sie strafen,
quälen, vernichten. Aber selbst davon abgesehen, paßt die
Deutung so schlecht wie nur möglich. Denn wie kann zwischen
Feuer und Flamme unterschieden werden? Wie kann jenes
die künftige Qual, diese — im Unterschied dazu! — das mühe-
lose Vernichten symbolisieren? Mögen diese Bilder für sich
allein immerhin so verstanden werden können, da, wo sie mit
einander vereinigt sind und im selben Atemzuge ausgesprochen
werden, dürfen sie nicht in dieser Weise differenziert werden.
Der Verfasser dieser gepreßten und verfehlten Auslegung kann
1. Vgl. GuNKEL (bei Kautzsch) Pseudepigraphen S. 347.
352 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
nicht zugleich der Maler jener Vision gewesen sein. Er hat
vielmehr die Bilder aus der Tradition übernommen und tiftelt
an ihnen herum, was sie wohl bedeuten mögen. Die Vision
ist alt, der Kommentar ist jung. Wir haben ein Recht, beide
scharf von einander zu sondern und auf eigene Faust ein Ver-
ständnis des überlieferten, apokalyptischen Stoffes zu versuchen.
Hier erfahren wir, was wir im Daniel so schmerzhch ver-
mißten: Der Ausgangspunkt des Menschen ist das Wasser.
Ebenso wie die Tiere steigt er aus dem Meere hervor. Aber
was besagt dieser rätselhafte Zug? Es ist interessant zu beob-
achten, wie der Verfasser des IVEsra sich bemüht, diese Tat-
sache zu erklären, die für ihn ebenso sonderbar war wie für
uns, die er aber nicht beseitigen konnte oder wollte, weil sie
durch die Tradition gegeben war. V. 51 f. kommt er noch
einmal darauf zurück und bittet Gott um Erleuchtung: Herr
Gott, zeige mir, weshalb ich den Menschen aus dem Herzen des
Meeres habe aufsteigen sehen. Er sprach zu mir: Wie niemand
erforschen noch erfahren kann, was in des Meeres Tiefen ist,
so kann niemand der Erdenbewohner meinen Sohn schauen noch
seine Gefährten, es sei denn zur Stunde seines Tages. Daß
diese Deutung nachträgUch und künsthch an den Stoff heran-
gebracht ist, bedarf keines Beweises. Wenn der Verfasser
wirklich diese Idee im Bilde hätte ausdrücken wollen, so hätte
er ja den Menschen können vom Himmel herabkommen lassen,
wurde er doch — wenigstens nach Henoch — als präexistent
gedacht; denn des Himmels Tiefen kann auch niemand er-
forschen noch erfahren. Diese gequälte Deutung bestätigt noch
einmal auf das klarste, daß der Zug vom Aufsteigen des
Menschen aus dem Meere der Tradition entstammt und schon
damals, wie es scheint, nicht mehr ganz verstanden wurde. Der
Kommentar fügt nachträglich eine Einzelheit hinzu, von der
wir vorher nichts gehört haben: Der bar ^nasa ist nicht allein,
sondern hat »Gefährten« bei sich (V. 52), vermutlich das Heer
der Engel, die ihn begleiten (Gunkel). Hier tritt uns wieder
das Fragmentarische der Tradition entgegen. So ganz
nebenbei erfahren wir eine wichtige Einzelheit.
Bruchstückartig ist aber auch der Charakter der ganzen
Vision. Wenn der Mensch im Wirbelwind aus dem Herzen
des Meeres emportaucht, so erwarten wir nicht, daß er plötzlich
Der göttliche Mensch. 353
auf den Wolken des Himmels fliegt, es müßte denn geschildert
sein, wie sich die Wolken aufs Meer herabsenken oder wie der
Sturm den Menschen in die Luft emporraff't. Unmittelbar
daran schließt sich eine Beschreibung, wie vor dem Menschen
alle zerschmolzen, die seine Stimme vernahmen, obwohl erst
hinterher von dem unzählbaren Heer die Eede ist, das ihn
bekämpft. Noch undeuthcher ist, warum er sich einen großen
Berg losschlägt und wie er das macht. Diese Dinge sind
überdies im Zusammenhang nicht motiviert. Um diese stilisti-
schen Mängel zu erklären, müssen wir annehmen, daß der
hier verwertete Stoff bereits eine längere Geschichte
erlebt hat und im Lauf der Zeit seine ursprüngliche
Anschaulichkeit eingebüßt hat.
Der Mensch wird hier, wie auch Gunkel betont hat, zum
Teil mit Zügen geschildert, die von Jahve entlehnt sind. Wie
hier der Mensch, so ist nach Jes. 19 1 Jahve der Wolkenreiter.
Wie sonst vor Jahve, so erbebt hier vor dem Menschen alles,
was er anschaut (Ps. 10432), oder zerschmilzt wie Wachs (Mch.
I4). Das Sichlosschlagen des Berges erinnert an die escha-
tologische Spaltung des Ölberges (Zach. 14 4). Der feurige
Strom und der flammende Hauch finden sich im Alten Testa-
mente zwar nicht genau wieder, rufen aber doch die mythische
Beschreibung Jahves Jes. 3027ff. ins Gedächtnis zurück. Der
gewaltige Sturm endlich und der Kampf gegen das unzählbare
Heer von Menschen sind für die Theophanie Jahves am Ende
der Tage so typisch, daß eine einzelne Stelle nicht angeführt
zu werden braucht.
Diese Züge konnten nur dann von Jahve auf den bar 'nasa
übertragen werden, wenn der eschatologische Mensch eine
göttliche Gestalt oder ein Engel war. Wir haben gesehen,
daß die Engel als Lichtwesen aufgefaßt und dargestellt wurden,
und an dem Lichtcharakter des Menschen kann kein Zweifel
sein: Yor ihm zerfließt alles wie Wachs, wenn es Feuer spürt;
was ihm entgegentritt, wird in den Staub der Asche und den
Dunst des Bauches verwandelt vor dem feuiigen Strom seines
Mundes, dem flammenden Hauch seiner Lippen und den stürmen-
den Funken seiner Zunge.
Ein solcher Engel, so wird man zunächst glauben, wohnt
im Himmel, und es ist daher ganz begreiflich, wenn er die
Forschungen zur Rel. u. Lit. d. A. u. NT. 6. 23
354 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Wolke zum Fhegen benutzt. Aber merkwürdig ist sein Auf-
steigen aus dem Meere. Gunkel (zu IVEsra 1352) meint: »Wenn
der Stoff mythologischer Art ist, so liegt der Gedanke an einen
Gestirngott nahe, der aus dem Meer auftaucht, zum Himmels-
berg emporsteigt, seine Feinde mit seinen glühenden Strahlen
verbrennt und dann sein Friedensreich stiftet«. Zunächst ist
so scharf wie möglich zu betonen, daß hier im IVEsra von
einem Gestirngott nicht mehr die Rede sein kann. Denn wenn
der Sonnengott auch aus dem Wasser emporsteigt, so wird er
doch niemals durch einen Sturmwind daraus heraufgeführt.
Noch weniger reitet er auf der Wolke oder schlägt sich einen
Berg los. Eine andere Frage ist die, ob die dem eschato-
logischen Menschen zu Grunde liegende, außerjüdische Ge-
stalt ein Sonnen- oder überhaupt Gestimgott war. Diese
Möglichkeit soll nicht geleugnet werden, weil es sich auch im
IVEsra (wie im Daniel) um ein Lichtwesen handeln muß.
Aber ein strikter Beweis ist nicht vorhanden. Das Aufsteigen
aus dem Meere, das überdies nur einmal erwähnt ist und nicht
ganz mit dem Fliegen auf den Wolken sich reimen läßt, würde
sich auch erklären, wenn dieser Zug sekundär und erst von
den Tieren (Dan 72f.) entlehnt ist, die durch vier Winde aus
dem großen Meere aufgestört werden. Wir würden dann, wie
so oft in der Apokalyptik, eine Vermischung zweier Traditionen
annehmen müssen.
Jedenfalls aber haben wir eine feste Überlieferung vor uns,
die nicht erst von dem Verfasser des IVEsrabuches geschaffen
sein kann, die vielleicht schon ihm in verdunkelter Gestalt vor-
lag. Wir lernen in seiner Eschatologie einen himmlischen Heros
kennen, der dieselben Funktionen ausübt, die nach der pro-
phetischen Eschatologie von Jahve verrichtet werden. Beachtens-
wert ist die verschiedene Nüanzierung in der Auffassung von
der Aufgabe des eschatologischen Menschen, die uns hier an
manchen Stellen entgegentritt. Während in der Vision Esras
das Amt des Weltrichters im Vordergrund, das des Welterlösers
im Hintergrund steht, so ist es in der Deutung grade umge-
kehrt. Das Eichten fehlt zwar nicht, aber es verschwindet
hinter dem Erlösen. Im Wesen des Menschensohnes sind also
beide Seiten vereinigt; je nach der Stimmung wird bald auf
die eine bald auf die andere das Hauptgewicht gelegt. Aus
Weltrichter und Weltherrscher. 355
dem Buche Daniel konnten wir nur feststellen, daß der Mensch
als Weltherrscher angesehen wurde. Jetzt können wir ergänzend
hinzufügen, daß er nicht nur Weltherrscher, sondern auch
Weltordner, Welterlöser und Weltrichter ist. Gott
selbst zieht sich vöUig zurück, er wird immer transzendenter
und überläßt alles, was mit der Welt zu tun hat, seinem
höchsten Engel, dem Menschen.
So tritt die eschatologische Gestalt der Apokalyptik in
immer deutlicheren Umrissen hervor. Wie sehr die Schilderung
Daniels sich auch decken mag mit derjenigen Esras, so ist doch
ohne weiteres klar, wie sehr diese zugleich über jene hinaus-
ragt. Von einer Weiterentwicklung danielischer Gedanken kann
keine Rede sein, sondern nur von einer Ergänzung fehlender
Gheder, von der Ausfüllung einer lückenhaften ÜberHeferung,
ohne daß freihch alle Rätsel gelöst, alle Fragen beantwortet
würden. Vor allem ist noch immer die Entstehung der Gestalt
des Menschen selbst in tiefes Dunkel gehüllt. Die Figur ist
vollkommen fertig, wo sie das Licht der Geschichte erbHckt.
Obwohl es sich um ein himmlisches, engelhaftes Lichtwesen
handelt von so gewaltiger Größe, daß Prädikate und Eigen-
schaften Gottes ihm beigelegt und göttliche Funktionen von
ihm verrichtet werden, wird es dennoch beschrieben wie ein
Mensch. Zwar gilt dasselbe von dem Gotte Ezechiels (I26),
sodaß seine gleichsam götthche Natur nicht geleugnet werden
kann, aber der Name dieser eschatologischen Gestalt ist eben
nicht Gott, sondern der Mensch. Denn das Pronomen ille oder
ipse (homo) ist weiter nichts als der (aramäische) Artikel.
§ 35. Der »Mensch« im Henochbuche.
Von den äthiopischen Namen des Menschensohnes können
wir absehen, da sie nicht originell, sondern nach einer fremden
Sprache gemodelt sind. Auch hier ist zu betonen, daß das
Pronomen dieser oder jener, wie gewöhnlich übersetzt wird, nur
den Artikel vertritt ^ Der zu Grunde liegende Terminus lautete
hier wie im IVEsra nujsn in der Mensch, und nicht etwa ein
Mensch, was aus der Beschreibung wie ein Mensch gefolgert
1. Um sich davon zu überzeugen, lese man ein beliebiges Stück,
z. B. c. 67 Flemming.
356 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatoiogie.
werden könnte. Für Daniel läßt sich diese klare Benennung
zwar nicht belegen, sie muß aber vorausgesetzt werden, da der
Christusmensch des Henochbuches ebenso wenig wie der des
IV Esra im Anschluß an die Danielstelle entstanden sein kann»
Alle drei schöpfen vielmehr aus derselben Quelle, aus der ge-
meinsamen apokalyptischen Überlieferung.
46 1 heißt es, zunächst in Übereinstimmung mit Dan. 7:
Und daselbst sah ich einen, der hatte ein Haupt der Tage, und
sein Haupt war weiß wie Wolle; und bei ihm war ein anderer^
dessen Gestalt hatte das Aussehen eines Menschen, dann aber
fährt Henoch fort: und sein Antlitz war voll Anmut gleich dem
eines heiligen Engels. Aus der Schilderung Daniels und Esra&
schlössen wir, daß es sich um ein himmlisches, engelgleiches
Lichtwesen in menschlicher Gestalt handeln müsse. Hier wird
ausdrücMich bestätigt, daß es, obwohl den Menschen, dennoch
auch den Engeln ähnlich sei.
Im Anschluß an Dan. 7 vermuteten wir ferner, daß der
Heilige (des Höchsten) vielleicht ein Prädikat des bar 'nasa ge-
wesen sei. Im Henoch erhält er zwar nicht dasselbe Attribut,
wohl aber sachlich entsprechende Epitheta: der Gerechte (53 e),.
der Auserwählte (405. 45 sf. 492.4. 513.5. 526.9. 536. 554. 61 5.
8. 10. 62 1), der Auserwählte der Gerechtigkeit und Treue (396).
Seine Genossen heißen nicht nur die Gerechten oder die Aus-
erwählten, sondern auch die Heiligen (50 1. 628).
Wie er im IV Esra als Sohn Gottes gedeutet war, so wird
er im Henoch völlig analog als der Gesalbte (Messias, Christus)
bezeichnet (48 lo. 524). Als solcher verrichtet er einmal wie im
IV 'Esra die Funktionen des Weltrichters: Er tötet alle
Sünder und Ungerechten mit der Rede seines Mundes (622), er
wird die Könige und die Mächtigen aufscheuchen von ihren
Lagern und die Gewaltigen von ihren Sitzen, und er wird die
Zäume der Gewaltigen lösen und die Zähne der Sünder zer-
malmen. Und er wird Könige von ihren Thronen und aus
ihren Reichen stoßen (46 4f.). Die Summe des Gerichts ward
ihm, dem Menschensohn, übergeben, und er läßt verschwinden
und vertilgt die Sünder vom Antlitz der Erde und die (Dämonen),
welche die Welt verführt haben (692?). Ebenso vernichtet er den
Azazel und seine ganze Sippschaft und sein ganzes Heer im
Namen des Herrn der Geister (554). Zweitens ist der Mensch
Der präexistente Mensch. 357
nicht nur Weltrichter, sondern auch Weltherrscher. Wie
ihm nach Dan. 7 Macht, Ehre und Herrschaft in alle Ewigkeit
verliehen wird, so sitzt er nach dem Henochbuche auf dem
Thron der Herrlichkeit (504. 625. 6927. 29), der ursprünglich dem
Hochbetagten zukommt (473. 6O2. 622). Das Haupt der Tage
gibt sein Kegiment ab an den Menschen: Und der Herr der
Geister hat seinen Auserwählten auf den Thron der Herrlich-
keit gesetzt, und er wird alle Werke der Heiligen oben im
Himmel richten, und ihre Taten werden auf der Wage gewogen
werden (61 s). Und der Auserwählte ivird in jenen Tagen auf
meinem Throne sitzen, und alle Geheimnisse der Weisheit werden
den Gedanken seines Mundes entströmen; denn der Herr der
Geister hat es ihm gegeben und hat ihn verherrlicht (Öls).
Fortan rufen alle Engel mit einer Stimme: Gepriesen sei er,
und gepriesen sei der Name des Herrn der Geister immerdar
und bis in Eivigkeit (61 11). Anderswo wird der Auserwählte
ebenfalls vor dem Herrn der Geister genannt: Es werden nieder-
fallen vor ihm (dem Menschensohne) und anbeten vor ihm alle,
die auf Erden wohnen, und sie werden preisen, rühmen und
lobsingen dem Herrn der Geister (485). Was wir schon aus
Daniel und deutlicher aus IVEsra gelernt haben, wird hier
noch einmal in voller Schärfe zum Ausdruck gebracht: Gott
wird gänzlich transzendent und tritt zurück, während der Christus-
mensch als Weltrichter des alten und als Weltherrscher des
neuen Äons in den Vordergrund tritt.
So weit reicht die Übereinstimmung mit Daniel und IV Esra.
Im Buche Henoch kommen einige neue Züge hinzu, die wir bei
jenen entweder gar nicht oder nicht klar ausgesprochen finden.
Dahin gehört vor allem die Präexistenz des Menschen. Bevor
die Sonne und die Zeichen geschaffen wurden, bevor die Sterne
des Himmels gemacht wurden, ist sein Name vor dem Herrn
der Geister genannt worden (483). Sein Name heißt seine
Person, wie aus 70iff. hervorgeht: Und darnach geschah es, daß
sein (Henochs) Name bei seinen Lebzeiten zu jenem Menschen-
sohne und zu dem Herrn der Geister erhöht wurde, hinweg von
denen, die auf Erden leben. Der Mensch ist also das erst-
geschaffene, vor aller Welt existierende Urwesen. Da
er sich durch Gerechtigkeit und Treue ausgezeichnet hat (396),
so ist er dem entsprechend belohnt worden. Dies ist der
358 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Menschensohn f der die Gerechtigkeit hat und hei dem die Ge-
rechtigkeit wohnt f und der alle Schätze des Verborgenen offen-
hart, weil der Herr der Geister ihn auserwählt hat, und dessen
Los vor dem Herrn der Geister den Sieg davongetragen hat
durch Gerechtigkeit in Ewigkeit (463). Um seiner Gerechtigkeit
willen ist er auserwählt und verborgen worden vor ihm, ehe die
Welt geschaffen wurde und bis in Ewigkeit (486). Seine Herr-
lichkeit währt von Ewigkeit zu Ewigkeit, und seine Macht von
Geschlecht zu Geschlecht. Und in ihm wohnt der Geist der
Weisheit und der Geist, der Einsicht verleiht, der Geist der
Lehre und der Kraft (49 2f.). Er wird für die Gerechten
ein Stab sein, daß sie sich auf ihn stützen und nicht fallen
(484). Weil er gerecht ist, darum eignet er sich vor allem zum
Weltrichter.
Seit Ewigkeit präexistent, ist der Mensch von Anfang an
verborgen (62?) und beherrscht alles Verborgene (626). Wo haben
wir uns das Verborgene zu denken? Der Engel, der den
Henoch führt, zeigt ihm, was im Verborgenen ist: das Erste
und das Letzte, im Himmel hoch oben und unter der Erde in
der Tiefe, an den Enden des Himmels und an den Grundfesten
des Himmels (60 ii). Da der Apokalyptiker den Menschen beim
Herrn der Geister sieht, so kommt die Gegend unter der Erde
nicht in Betracht. Nur der Himmel kann der Ort sein,
wo der Mensch verborgen wird. Genauer ist es vielleicht
da, wo die Wohnungen der Heiligen und die Ruheplätze der
Gerechten sind (39 sf.), wo die Erzväter und die Auserwählten
von uralten Zeiten her weilen, wohin auch Henoch entrückt
wird (70 1. 4), wo die Quelle der Gerechtigkeit, umgeben von
vielen Quellen der Weisheit (48 if.) und wo der Garten des
Lebens (61 12) liegt. Dort ist der Mensch vor dem Herrn der
Geister verborgen, um erst am Ende der Tage offenbar zu
werden. Nur einigen Auserwählten ist er bereits bekannt (48?.
62?). Frommen Männern wie Henoch war es schon in diesem
Leben vergönnt, auf ihren Himmelsreisen ihn zu schauen, die
Patriarchen und heiligen Urväter sind gleich nach ihrem Tode
zu ihm entrückt (70), aber in die Erscheinung tritt er erst nach
dem Verlauf dieses Äons, um die Gerechten zu belohnen und
die Gottlosen zu strafen und dann an der Stelle des Herrn
der Geister die Weltherrschaft zu übernehmen.
Der himmlische Mensch. 359
Nicht verständhch ist 493, wo von dem Menschen gesagt
wird: In ihm ivohnt der Geist der Weisheit, und der Geist, der
Einsicht verleiht, der Geist der Lehre und der Kraft, und der
Geist derer, die in Gerechtigkeit entschlafen sind. Beer (bei
Kautzsch) fügt als Erklärung hinzu: »Der Messias verwirklicht
die eschatologische Hoifnung der entschlafenen Frommen«.
Aber von einer »Hoffnung« ist im Text keine Rede. Volz
(S. 17) meint: »Die natürhchste Erklärung ist wohl die, daß
sich zu dem Geist der Weisheit und dem Geist der Einsicht
und dem Geist der Lehre und der Kraft noch der Geist einer
anderen Eigenschaft gesellt, die speziell für die entschlafenen
Frommen Bedeutung hat; dies ist am allgemeinsten der Geist
der Daseinskraft, der Existenzfähigkeit; des Lebens, also hätte
der Ausdruck den Sinn: im Messias wohnt der Geist, durch
den er den entschlafenen Frommen Portdauer nach dem Tod
zu geben vermag«. Aber dann würde man nicht einen »Geist
der Toten«, sondern einen »Geist des Lebens« erwarten. Sicher
ist, daß hier mit dem Zitat aus Jes. 11 2 eine fremde Tradition
verschmolzen ist. Der Wortlaut besagt ebenfalls ganz klar^,
daß in dem Messias der Geist der entschlafenen Froramen wohnt.
Ihn gewissermaßen als Aufbewahrungsort der Gerechten zu
denken, geht deshalb nicht, weil es in diesem Falle »Geister«
heißen müßte. Gunkel (mündlich) schlägt vor, die Worte als
animistische Vorstellung aufzufassen. In ihm inkorporiert sich
der Geist der Entschlafenen. Das kommt dem Text am
nächsten.
In dem wohl später angehängten Schlußkapitel (c. 71) der
Bilderreden und im slavischen Henochbuche wird der Urvater
Henoch, wie man vermutet hat, mit dem himmlischen Menschen
identifiziert. Nach seiner Entrückung begrüßt ihn der Hoch-
betagte mit den Worten: Du bist der Mannessohn, der zur
Gerechtigkeit geboren ist; und Gerechtigkeit ivohnt über dir und
die Gerechtigkeit des betagten Hauptes verläßt dich nicht . . .
Er ruft dir Heil zu im Namen der künftigen Welt, denn von
dort aus ist das Heil ausgegangen seit Erschaffung der Welt,
und so wird es auch dir zu teil werden immerdar und in alle
1. An eine Textkorruption ist nicht zu denken, da der Ausdruck
Ol jusz' Evaeßeiag xoi(xco[A,evoi auch II Makk. 1245 begegnet. Darnach ist
hier vielleicht zu verstehen: der Geist, der zum Martyrium befähigt?
360 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Ewigkeit. Und alle werden auf deinem Wege wandeln, da die
Gerechtigkeit dich niinmermehr verläßt; bei dir wird ihre Woh-
nung sein und bei dir ihr Los und von dir werden sie sich nie
und in alle Ewigkeit nicht mehr trennen (71i4ff.). Da dasselbe
teilweise vom Menschensohn ausgesagt wird (vgl. 49 2. 396if.)
und da Henoch hier direkt mit dem überall sonst technischen
Titel Mannessohn angeredet wird, so ist es nicht unmöglich,
daß der Verfasser dieses Kapitels beide Gestalten mit einander
identifizierte. Aber wahrscheinlicher ist eine andere Auffassung :
Henoch erhält hier das höchste Ruhmes- und Ehrenprädikat,
das der Apokalyptiker überhaupt zu vergeben hat. Diese Epi-
theta, die ursprünglich einer bestimmten Gestalt angehörten,
haben sich später von ihr gelöst und können nun auf jede halb-
göttliche Person übertragen werden. Da Henoch in alle Ge-
heimnisse der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft eingeweiht
ist, da er Himmel, Erde und Unterw^elt kennen gelernt hat
und nichts vor ihm verborgen ist, so ist es ganz begreifhch, daß
man diesem Mysten und Weltenwanderer die Prädikate des
Menschensohnes beigelegt hat. Noch allgemeiner heißt es
II Hen. 64 d. : Und nun segne du deine Söhne und alles Volk,
damit wir heute verherrlicht werden vor deinem Angesicht, weil
du vor dem Angesicht des Herrn verherrlicht wirst in Ewigkeit,
da dich der Herr auserwählt hat mehr denn alle Menschen auf
Erden und hat dich gesetzt zu einem, der niederschreibt seine
Geschöpfe, die sichtbaren und die unsichtbaren, und der weg-
nimmt die Sünden der Menschen und der hilft den Kindern
seines Hauses. Hieraus kann man noch weniger auf eine Identi-
fikation Henochs mit dem Menschensohne schließen.
Wir haben gesehen, um das Gesagte zusammenzufassen,
wie in der Apokalyptik der Mensch die Rolle des eschatologi-
schen Helden spielt. Er ist kein blasses Schemen, kein ab-
straktes Symbol, keine Personifikation Israels, sondern eine
konkrete, lebendige Figur, ein Engel, um den sich eine reiche
Tradition gruppiert hat. Von Ewigkeit her präexistent, vor
aller Welt geschaffen, ist der Menschensohn um seiner Gerech-
tigkeit willen von Gott auserwählt worden, um zunächst vor
ihm in der Verborgenheit des himmlischen Paradieses zu leben,
um dann am Ende dieses Äons die Welt zu richten und zu er-
lösen, um endhch den neuen Äon zu bilden, zu ordnen und im
Der himmlische Mensch. 361
Namen Gottes zu regieren. Kurz gesagt: Der Menschen-
sohn ist eine eschatologische Gestalt und bezeichnet
den präexistenten Weltrichter und Weltherrscher.
Wir dürfen ihn eine Parallelfigur zum Messias nennen,
sofern beide eschatologische Bedeutung haben. Aber keineswegs
haben wir ein Recht, beide ohne weiteres zu identifizieren.
Denn so nahe sie auch einander stehen, so sehr sind sie zu
gleicher Zeit von einander unterschieden. Der Messias ist der
künftige König aus Davids Haus, von Vater und Mutter ge-
boren, deren Geschlechtsregister vorgelegt werden können. Der
Menschensohn wird zwar an einigen Stellen Messias genannt,
ist aber niemals als Davidide bezeichnet. Der Messias ist
eine irdische, der Menschensohn eine himmlische
Gestalt. Beide haben von Hause aus nichts mit einander zu
tun, sondern haben einen ganz verschiedenen Ursprung. Eine
innerisraelitische Entwicklung ist unmöglich. Denn aus dem
Davididen kann niemals ein Engel werden oder doch nur so,
daß er mit einer fremden Gestalt verschmolzen wird, weil
mythische Vorstellungen in historischer Zeit nicht genuin ent-
stehen.
Der Menschensohn muß also aus der Fremde
stammen, wie die ganze apokalyptische Eschatologie aus der
Fremde gekommen ist. Denn anders als bei den Propheten
wird das Unheil als eine einheitliche und universale Katastrophe
(Weltbrand) geschildert, das Heil direkt als Wiederkehr des
Paradieses bezeichnet. Zwischen beiden bildet die Auferstehung
von den Toten das organisch verbindende Mittelglied. Diese
drei Dinge, die bei den Propheten nur undeutlich und lücken-
haft als letzte Tmmmer eines großen Baues nachweisbar sind,
erscheinen bei den Apokalyptikern als ein stattliches, festgefügtes
Haus. Die Wiederherstellung des Ursprünglichen war nur
möglich, wenn das mythische Urmuster von irgendwoher bezogen
werden konnte. In diesen Zusammenhang paßt die himmlische
Gestalt des Menschensohnes ausgezeichnet hinein.
Die Herübernahme aus der Fremde war nur möglich, wenn
sie an Gegebenes und Vorhandenes anknüpfen konnte. Nun
haben wir gesehen (vgl. o. S 285), daß die eschatologische Fi-
gur der Prophetie keineswegs einheitlich war. Sie enthält
neben dem Messiasgedanken vom künftigen Davididen mythische
362 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
Elemente, die von der Geburt eines göttlichen Heilandes und von
einem Gottkönige handeln. Wie wir damals annehmen mußten,
daß eine ausländische göttliche Gestalt mit dem Davididen kom-
biniert und verschmolzen sei, so stehen wir hier genau vor der-
selben Tatsache abgesehen davon, daß die Vereinigung der
Menschensohntradition mit der des Davididen in der Apoka-
lyptik noch nicht erfolgt, sondern erst später eingetreten ist.
Was liegt näher als die Vermutung, ein und dieselbe
Gestalt sei zum ersten Male lange vor der propheti-
schen Zeit und zum zweiten Male kurz vor der christ-
lichen Zeit nach Palästina gewandert, habe sich dort mit
einheimischen Größen vermischt und sei allmähhch umge-
wandelt worden (Gunkel)?
Nachdem wir dies sachliche Resultat gefunden haben,
kehren wir zum sprachlichen zurück. Es wurde von vorne-
herein betont, der Mensch als Messiasname könne nur als eine
Abkürzung verstanden w^erden. Eine Auswahl unter den ver-
schiedenen Möglichkeiten: Wolkenmensch, oberer Mensch, Him-
melsmensch, Urmensch war a priori nicht zu geben. Wie wir
jetzt gelernt haben, treffen alle diese Bezeichnungen auf die
behandelte Gestalt zu; alle sind im letzten Grunde identisch
und haben eschatologischen Sinn. Auf den Urmenschen weist
allerdings in der Apokalyptik nichts Besonderes hin, abgesehen
vielleicht von I Hen. 493, wonach sich der Geist der in Ge-
rechtigkeit Entschlafenen im Menschen inkorporiert. Wenn
diese Exegese richtig ist, würde man nur an den Urmenschen
denken dürfen. Zwingender als dies Argument scheinen mir
die allgemeinen Erwägungen, die bereits oben beim Messias
(S. 289) angestellt sind: Zum Anfänger der neuen Welt, zum
Herrscher des wiederkehrenden Paradieses eignet sich am besten
die vergötterte (^estalt des ersten Menschen. Grade der erste
Mensch, der zum ersten Toten geworden ist, übt, wie hier hinzu-
gefügt werden mag, mitunter auch das Amt und die Funktionen
des Totenrichters aus^. In der Apokalyptik haben wir das
deutliche Bild eines Gerichtes und eines Richters, der auf
seinem Throne sitzt, die geöffneten Gerichtsbücher vor sich oder
die Wage in seiner Hand. Bald wird der Hochbetagte (Dan.
1. Oldenberg: Kel. des Veda S. 541.
Der Urmensch. 363
72ff.), bald aber auch der Menschensohn (I Hen. 61 s) in dieser
"Weise dargestellt.
So dürfte Boüsset mit seiner Auffassung Recht behalten,
der Mensch sei eine Abkürzung für den ersten Menschen.
Wenn wir nun aber weiter fragen, woher diese eschatologische
-Gestalt des Urmenschen stamme, so können wir darauf keine
Antwort geben. Zwar weist manches, wie Boüsset mit Recht
betont, nach Persien hin. Die Übereinstimmungen zwischen der
jüdischen und iranischen Eschatologie sind so groß und so
frappant, daß eine Analogie ausgeschlossen ist, daß vielmehr
eine Abhängigkeit der einen von der anderen notwendig an-
genommen werden muß: Hier wie dort haben wir eine mit
Dualismus verbundene Eschatologie, hier wie dort einen Welt-
untergang, der speziell als Weltbrand gedacht wird, hier wie
dort eine Auferstehung der Toten, ein allgemeines Gericht, ein
neuer Äon. Die kleinen Differenzen, die namentlich von Söder-
BLOM herausgestellt sind, werden völlig aufgewogen durch die
zahlreichen Berührungen im Einzelnen. Neuerdings hat Darme-
STETER die These durchzuführen versucht, die iranische Escha-
tologie sei von der jüdischen abhängig. Diese Anschauung
ist unmöglich, da die jüdische Eschatologie nicht
autochthon sein kann, wie ich an vielen Stellen zu beweisen
mich bemüht habe. Boüsset möchte speziell den persischen
Urmenschen (Gayömart) für das mythische Vorbild des Menschen-
sohnes halten. Aber Gayömart hat, so weit wir wissen, niemals-
eine eschatologische Rolle gespielt. Die ümbiegung dieser Ge-
stalt ins Eschatologische kann aber nicht auf jüdischem Boden
vollzogen sein. Boüsset muß mit einer Unbekannten rechnen,
indem er auf die allerdings bedeutsame Tatsache aufmerksam
macht, daß »es unter den iranischen Religionsanhängern eine
Sekte gab, die sich nach dem Urmenschen Gayomarthier nannte«
(Rel. S. 348). Gayömart muß in ihrem System eine besondere^
hervoiTagende Stelle eingenommen haben, aber leider erfahren
wir aus der Notiz Sahrastänis nichts Genaueres darüber i. Es
ist möglich, es ist auch nicht möglich, daß der Urmensch bei
1. Theodor Haarbrücker : Abu-'l-Fath' Muhammad asch-Schahra-
stänis Eeligionspartheien und Philosophenschulen. Halle 1850. Teil I^
S. 276 f.
364 Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie.
ihnen eine eschatologische Große war. Wer will das ent-
scheiden ?
Ich verzichte einstweilen auf genauere Aussagen und be-
gnüge mich mit der Tatsache, daß der Urmensch nicht-jüdischen
Ursprungs ist. Später hoffe ich Gelegenheit zu finden, die Ge-
stalt des Urmenschen im Zusammenhang und im Unterschied
von der Adams weiter durch die gnostischen, manichäischen,
mandäischen, kabbalistischen Schriften hindurch zu verfolgen.
Man wird es begreifen, daß ich hier abbreche. Deim eine solche
Einzeluntersuchung hat nur dann Wert, wenn sie in den breiten
Kahmen der »Gnosis« überhaupt hineingestellt wird. Dazu
müssen die einzelnen »gnostischen« Systeme und Schriften zer-
gliedert und auf ihre heterogenen Bestandteile hin analysiert
w^erden. Ehe aber diese Arbeit in Angriff genommen werden
kann, wird es mein erstes Ziel sein, einen kritischen und einiger-
maßen lesbaren Text der jüdisch-christlichen Pseudepigraphen
zu schaffen, an dem es bisher trotz der mancherlei schätzens-
werten Vorarbeiten vielfach noch fehlt, und ihn mit fortlaufenden
Einzelerklärungen und zusammenfassenden Untersuchungen zu
versehen.
In den synoptischen Evangelien ist, um noch in Kürze auf
das Neue Testament einzugehen, an manchen Stellen o vlög
10V dv^QWTTOv einfach Messiastitel, nicht mehr und nicht weniger,
z. B. Luk. 18 31: Und es wird alles in Erfüllung gehen, was
geschrieben ist durch die Propheten über »den Menschen«. An
vielen anderen Stellen . aber ist der Mensch deutlich als der
eschatologische Weltrichter und Welthen-scher geschildert. Man
vergleiche z. B. Matth. 134i: »Der Mensch« wird seine Engel
ausschicken, und sie werden aus seinem Reiche zusammenlesen
alle Ärgernisse und die den Frevel tun, und iverden sie in den
Feuerofen werfen, da wird sein Heulen und Zähneknirschen.
Oder Matth. 1928: Wahrlich, ich sage euch, ihr, die ihr mir
folget, werdet in der neuen Welt, wenn der Sohn des Menschen
sitzt auf dem Thron seiner Herrlichkeit, ebenfalls auf zwölf
Thronen sitzen und richten die zwölf Stämme Israels. Da-
gegen ist der Gedanke der Präexistenz des Menschen bei den
Synoptikern verloren gegangen, er hat sich nur bei Johannes
erhalten : Und es ist niemand in den Himmel aufgestiegen, außer
der vom Himmel herabgekommen ist, der Sohn des Menschen,
Der Menschensohn. 365-
der im Himmel ist (Joh. 3 13). Wenn ihr nun schauet des
Menschen Sohn dahin aufsteigen, wo er zuvor war (Joh. 662)?
Paulus gebraucht zwar den Ausdruck Menschensohn nicht,
er kennt aber diese Gestalt unter anderem Namen. Während
ferner bei den Synoptikern (ebenso wie in den Pseudepigraphen)
Messias- und Menschensohntradition nur lose mit einander verknüpft
sind, ist bei Paulus eine organische Verbindung beider hergestellt.
Nach ihm ist der Christus aus Davids Samen nach dem Fleisch,
aber gesetzt zum Sohn Gottes mit Macht nach dem Geist (Rom. I3).
Der Sohn Gottes wird hier als ein höheres, himmlisches Wesen
(nach Art des Menschensohnes) vom Davididen unterschieden,
aber Christus war eben beides: auf Erden ein Davidide, vor
seiner Menschwerdung (Phil. 25ff.) und nach seiner Erhöhung
Sohn Gottes. Paulus scheint auch den Zusammenhang der
himmlischen Messiasgestalt d. h. des Titels Menschensohn mit
dem Urmenschen noch zu kennen, da er IKor. 1045 nicht ein-
fach beide parallelisiert und gegenüberstellt: es ward der erste
Mensch Adam zu lebendiger Seele, der letzte Adam zu lebendig
machendem Geist, sondern sogar polemisierend hinzufügt: Nicht
das Geistliche kommt zuerst, sondern erst das Seelische, und
hernach das Geistliche. Der erste Mensch ist von der Erde und
irdisch, der ziveite Mensch ist vom Himmel. Es muß also noch
zu seiner Zeit Leute gegeben haben, nach deren Theorie der
erste Mensch ein himmlisches Wesen war.
I. Sachverzeichnis.
Abaddon 188
Adam 338
Adapamythus 290
Adonisgestalten 330 ff.
Adoptiousformel 254
Amon-Ke 266
Anu 114
Apokalyptik 93. 157. 339
Asasel 328 f.
Assurbanipal 260
Assurnasirpal 271
Astronomische Spekulationen 167 f.
Attis 326. 330
Baal berith 202. — des Himmels
117. — des Libanons 104. —
Perazim 64. Sproß des — s 209.
— Zaphon 117
Balder 330. 332
Basan 103
Baumeister: der grolle — 270
Bäume: heilige — 55 ff.
Becher Jahves 129 ff.
Bei 110
Berge: heilige — Palästinas 98 ff.
Der höchste Berg (Gottesberg im
Norden) 113 f. 221 f. Metallene —
106 ff. Mythische — 111. 271.
Berg der Pracht 189. — des Son-
nenaufgangs 111. Verschwinden
der — 222 ff.
Bienen 85 f. 95
Blitze 59
Brandopfer 58
Bund: — am Anfang einer neuen
Epoche 164. engel 202. —
-Vorstellungen 193 ff. zeichen
164
Cyrus 251. 303 ff'.
Dämonen 86 ff.
Deuterojesaja 203. 302 ff.
Dibarra 87
Dionysos 211 ff.
Donner 44. 60 ff.
Dornbusch 56 ff.
Ebed Jahve 302 ff. = Israel 812ff.
= Individuum 317 ff.
Edelsteine 109 ff.
Eid der Dinge 206
Ekstase 125. 134ff. 205
El 281
Elektrische Erscheinungen 57
Elia 306
Engel 72. — als Statthalter Jahves
297. 299. Darstellungen der —
343 ff.
Ephod 345
Erdbeben 12 ff.
Eschatologie : fragmentarischer Cha-
rakter der — 147. 191 f. 237.
245 ff. Vermittlung zwischen Un-
heils- und Heils- — 178 ff. 242 f.
Der Ursprung der — : literarisch ?
180; babylonisch? 167 f.; ägyp-
tisch ? 247 ; iranisch ? 291. Über-
blick über die Geschichte der —
144 ff. 244 ff. Vgl. die Inhalts-
übersicht.
Esel: Keittier des Messias 287
Kabel des Jotham 56 f.
Fegfeuer 39
Felsen: der wandernde — 338
Feuer: Gottes — 59. Offenbarung
Jahves im — 49 ff. — -säule
40 ff. see37. —-ström 36 ff.
Finger der Planetengötter 126
Finsternis: Tag der — 69 f.
Fliegen 95
Fluchzeit 168
Gabriel 109. 342 ff. 347
Gastmahl Jahves 134. 136 ff. 300
Gayömart 363 f.
Genesis: religiöse Vorstellungen
der — 129
Gesalbter 258 ff.
Gewitter 23 ff.
Gewitterregen 62 ff.
Giftbecher 130 ff.
Gog 180 ff.
Sachverzeichnis.
367
Gott: verborgener — 311
Gottkönig 285
Götter: berge 100 ff.; dis-
putationen 308 ff. ; — -garten
112 ff.; — -gericht 298 f.; — -land
198 ff.; — -mutter 284 f.; —
speise 214 ff.; stadt 112.
270; - -Straße 223. 306.
Gudea 271
Hadad-Kimmon 109. 332 f.
Heer des Himmels 72
Heidenorakel 147 f.
Heiland 311. 350
Hermon 103
Heusehrecken 91 ff. 187 f.
Himmel: aus Metall 107 ff.; Woh-
nung Jahves 99 f.
Hiramelsbaum 28
Hirte = König 266 f.; == Engel 166
Honig 210 ff. 291
Horeb 98 f.
Hvakinthos 330
Jahve : Antlitz 127 ff. Becher 129 ff.
Furchtbarkeit 86. 141. Gestalt
51ff. 121ff. Himmelfahrt 299ff.
Krönung 300. Lichtgott 51 ff.
127 ff. 306 f. Naturgott 76. 119 f.
Schöpfergott 119. Schrecken 16.
Schwert 76 ff. Sterngott 119.
Stimme 13. 60f. Sturm 143.
Transzendenz 342. 355. 357. Ur-
sprüngliches Wesen 119. Welt-
herrschaft 295 ff. Zebaoth 72 ff.
Jerusalem : himmlisches — 223.
227 ff. 270
Immanuel 272 ff.
Inspirationsbecher 135
Istar 256. 271
Jupiter Heliopolitanus 109
Karmel 102
Kerube 52. 80. 115. 228
Kind: göttliches — 197. 285
Kison 62 ff.
Kleid der Engel 343 ff. — der
Gottheit 346
König: Vorstellungen vom — 251 ff.
ürkönig 271
Kranz des Lebens 110
Kultlieder 326 ff.
l,ade 72 ff.
Libanon 103 ff.
Licht: mythisch 306 f. — Gott-
heiten 109 ff.
Mahru = Prophet 310 f.
Marduk 79. 251. 266
Märchen: — von der hochmütigen
Zeder 104 ff. motive im A.T.
30. 295. 305 f.
Meer: mythisches — 187 f.
Merodachbaladan IL 251
Messias 7. 259 ff. Verschiedene Ge-
stalten 285. Demut und Ge-
rechtigkeit des — 286 ff. Geburt
des — 278 ff. Mutter des — 283 ff.
Parallelen zum — , vgl. Ebed Jahve
und Menschensohn
Metalle 108 ff.
Milchberge 210 ff. straße 223.
Vgl. Honig.
Mitra 111
Moloch 34. 39. 83
Mysterien 322 ff.
Mythisch 120f._127
Xabel der Erde 183 f.
Nabu 56
Naturgesetz 206
Nebiim 155 f.
Nergal 52
Norden 113 ff.
Nördliche 177 ff.
Ölsalbung 258 f.
Ominaliteratur 168
Opfertheorie 331
Osiris 166
Ostwind 20 ff. 93
Paradies 198 ff. — -ström 112.
186. 225. = goldenes Zeitalter,
Götterland 198 ff.
Paran 63
Periodentheorie 160 ff.
Plagen 85 ff.; — des Exodus 172f.
theorie 168 ff.
Planetenberge 108 ff.
Polytheismus im A.T. 309 f.
Priesterkodex 164
Propheten: Wesen der — 141. Be-
deutung der — 152 ff. Ethik der
— 232
Pyriphlegeton 33
Quellen : mythische — 225ff. ; heiße
33. 39
Reseph 27. 84 f. 87
Eest 229 ff. 242 f.
Salmanassar IL 263
Sargon 271. 307
Sear-Jasub 234. 242
Seol 80. 87. 96 ff. 188
kserua 143
Schrecken Isaaks 16
Schreiberengel 52
Schwefel 32 ff.
Schwerterschlagene 80 ff.
368
Sach- und Stellenverzeichnis.
Segenszeit 259 if.
Selige 110
Sennapflanze 57
Sin 56
Sinai 40 ff. 98 if.
Sintflut 64 if. 160 ff. 173
Skythen 180. 182
Sohn Gottes 256
Sonnengott: Darstellung 111. Epi-
theta auf den König übertragen
306 f.
Städtebrand 53
Sterne 72. Stern = König 307
Stierbild 90
Stil: Hof- — 197. 203. 250if. 260ff.
305 ff. — der Kriegslieder 90f.;
Orakel- — 308 ff. ; prophetischer
— 66 f. 174ff. 238ff. Vermischung
inkonzinner Vorstellungen 23 f.
Sühnopfer 328 f.
Sündlosigkeit der Menschen 204f.
Surya 111
Xabor 102
Tal: mythisches — 227 f.; — Aba-
rim 185; — der Akazien 187; —
der Entscheidung 187; — Harai
186; — Hinnora 39. 83. 186. 190;
— Josaphat 187; — der Offen-
barung 187; — der Wanderer
184f.; — des Würgens 186
Tamüz 330. 333
Taumelwein 131
Taxiarchen 166
Teman 63
Tempel 113
Teraphim 345
Thron Gottes 227. — Salomos 257
Tiämat 30. 79 f. 190 f.
Tierkreisgötter 166
Tod 87. Vernichtung des —es 205
Totenauferstehung 96
Totes Meer 33
Überschwemmung 62 ff.
Umwandlung der Berge 222 ff.; —
der Menschen 204 f. ; — der Natur
208 ff.; - der Tiere 194 ff.; —
der Wüste 216 ff.
Urmensch 290 ff. 362 ff.
"Varuna 111
Völker: Zug der — gegen Jerusa-
lem 177 ff.
Vulkan 31 ff.
IVaffen: Vernichtung der — 195.
200 f.
Waldbrand 53 ff.
Weltbaum 106; gericht 297 f . ;
— -herrschaft 253 ff. ; — -Jahr
165ff; — -Katastrophe 16.50.65.
67. 146 ff. 159 ff.; meer 225;
reich tum 263 ff.; religion
264
Woche: fünftägig 160. 166. Tage
der — 143
Wolke 69
Yama 290
iKahlen: vier 163 ff. ; sieben 165;
zwölf 166; fünfzehn 284; siebzig
160.165; dreihundertsechzig 162 ;
dreihundertfünfundsechzig 163 ;
vierhundertunddreißig 161
Zauberhaftes im A.T. 99. 125
Zedern 55. 104
Zion 101
Zornesbecher 130
IL
Stellenverzeichnis,
Altes Testament.
28
114
82
69
Gen.
2ioff.
114. 117
82lf.
68
1. 2
338
2 19
124
822
202
liff.
314
38
199
9 11
202
126
310
324
80. 114. 228
9 13
164
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73
4 16
46
9l3ff.
59
24ff.
314
524
96
126
55
27
124
7 11
69
1217
85
Stellenverzeichnis.
369
148
39
2328
86
328
166. 297. 299
1517
58
2329
90
32 13
210
1711
164
2410
109
32 14
103
18
342
25
111
3222
32. 49. 121
181
55
3117
164
3223f.
89
19
342
3118
121
3224
85
1924
32. 59
333
212
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1928
32
3314
128
332
46. 98
2017
85
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128
333
348
2133
55. 282
3323
121
335
267
2517
96
3426
213
3316
56
2733
17
3429ff.
53. 127
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259
Jos.
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16
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3153
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11
63
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212
1327
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32
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127
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45
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10
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123
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46. 63
135
212
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85
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46. 98
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44
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27. 30
19 16
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247
188
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156
122
24 17
307
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158
21. 29
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323
117
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123
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124
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15 18
267
Dtn.
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202
17
338
38
103
104
287
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125
4 11
44
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17
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125
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287
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437
128
136
342
18
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521
61
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58. 299
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26. 135
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12. 32. 59. 97
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2018
61
10 17
» 281
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135
2019
61
21i
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2021
69. 97
28
86
43
72
225
56
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209
48
75
2319
213
2823
107
5 f.
86
2327
17
31l7f.
127
619
75
Forschungen zur Rel. n. Lit. d. A. u. NT. 6.
24
370
Stellenverzeichnis.
7i
72
1228
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7 15
215
7 10
76
18
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134.
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58
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208. 213
1024
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198ff.
46
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17. 187
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257
7 uff.
272 ff.
289
23x8
263
Stellenverzeichnis.
371
244if.
27. 207
4024
21
49 5f.
313
24 13
230
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51 5
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282
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303
307
51 6
28
285
232
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315
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132
297
179
433
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214. 227
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52 10
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310
52 13-
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214. 281
4010
123
492
316
60 16
263. 311
40 11
267
493
312
327
6018
281
372
Stellenverzeichnis.
6019
307
1725
287
Ez.
60i9f.
53.
221
1727
53
60 22
268
18 17
21
1
128. 342
61iff.
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268
1821
88
li
100
615
262
197
83
l3
125
616
214. 263.
281
21 5
124
l4
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618
204
21 6
88
l7
343
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223
21 14
53
l26
355
62 12
214.
281
224
287
l27 51
109. 121. 345
63iff.
123
235f.
288
l28
59
638
311
23 11
101
3 14
125
639
128.
129
2315
130
322
125
6311
267
23 19
20. 21
44flF.
161
63 19
12
25 11
160
55
183
65 17
220
25i5flf.
131
5 17
90
6520
205
2530
60
6 14
124
6525
196.
205
2531
78
77
17
66 1
121
2532f.
81
7 12
143
66 15
21. 49.
177
2586f.
54
8i
125
6616
78. 82
275
124
82
345
66i8ff.
178.
264
288
156
8 14
333
6682
220
29 10
160
92f.
115. 343 f.
3019
268
11 5
125
Jer.
3023
20. 21
1119
204
ll5
175
31 1
143
13 11
62
3 15
266
3110
267
149
124
4 18
21.
177
31l2ff.
268
14 13
124
423ff.
69.
147
3l3lfif.
204
14l5f.
90
424
12
3140
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130
425
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281
1619
213
5i
232
3222
212
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204
56
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3240
204
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5l5
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3311
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5 16
176
33i4flF.
288
20 15
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622
175
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2033
130
74
101
3320
206
2034flf.
219
7ioflF.
101
332off.
204. 255
2037
206
732
186.
190
3325
206
2liff.
53
782ff.
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3420
83
2l8ff.
78
8iff.
83
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53
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79
8l4
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4610
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2332ff.
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230
26i9f.
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207
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5129
12
31iff.
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1412
88
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19
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105
1421
207
5137
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31 18
80
158
88
5139
132
323
97
164
83
5140
136
324
140
Stellenverzeichnis.
373
324fif.
326
327ff.
32 10
32i9£F.
3221
3227
34 12
3423ff.
3425
3428
3626
37
37 1
372
37 12
3724
3726
38 f.
38i9f.
3822
39
3911
39i7ff.
402
403
4039
442
44 7
44 15
47 1—12
4830fif.
4885
2i
23
2 15
2l6ff.
2 19
220
223f.
38if.
35
42f.
43
4 16
5i
5 10
5 14
7 12
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11 10
122
12 10
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281
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201
201
204
182
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83
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204
178. 180 fif.
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62
82 f.
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222
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345
207
139
225
229
281
Hos.
268. 281
281
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201
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209
231
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90
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13l4f.
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22ff.
25ff.
2 11
220
3iff.
33f.
4
4i
42
4l2ff.
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4 16
4 17
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22 ff.
20
Joel
91 ff.
69
92
91 f.
60. 76
83. 93. 187. 225
205
70
178
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187
187
70
60
188. 214. 227
4i8 141.187.209.225
Arnos
li
12 23.
l2— 2l6
l3ff.
14
ll4
22
27
2l3ff.
36
3 12
3 14
4iff.
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4l3
52f.
5l4f.
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5 18— 20
5 19
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7i
7iff.
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79
88
89
89ff.
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9iff.
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102
103
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229
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89
152
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235
201
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25
25
142
25
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93
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14
98
231
9 11
255
9 13
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Obadja
16
132
17
227
Micha
l3
13. 31. 35. 210
l4
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34
143
3iif.
101
4i
116. 221 f.
4iff.
264
42
101
43
200
46ff.
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47
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4 uff.
178
5iff.
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200
5l2f.
201
7iff.
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17
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77ff.
180
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7l5ff.
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Nahum
l3
20. 121
l4
20 f.
l5
12
l6
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24ff.
177
3 18
266
Hab.
25
97
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205
2 15
130
2l5f.
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3
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35
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36
13
38ff.
71
39
59
3 10
62
3 11
59
374
Stellenverzeichnis.
Zeph.
146f.
221
443f.
122
Is
50.
230
148
225
444
127 f.
l2f.
137
14 10
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445
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l8
136
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19
44 10
71
ll5
69
1421
214
455
124
116
71. 137.
146
Mal.
457
203. 255 f.
ll7
18
46
68 f. 178
ll8
49.
145
15
99
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2 11
264
3i
202. 306
467
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2 12
78
3 19
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297
2l4f.
90
324
84
472
295
3 1—7
38
49.
179
179
Psalmen
476
479
299
295. 296. 299
38flf.
178
2
252 ff. 262. 289
48
178
39
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27
256
483
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3 10
263
47
127
503
20. 49
3 19
143.
267
53
267
5112
204
66
96
58
299
Hag.
10 11
127
604
12
26
12
1016
267
605
131
221
12
ll4
121
607
123
222
19
11 6
62
6012
71
132
127
61 7
255
Zaeh.
176
121
672
127
2iff.
165
18
29
683
32
28
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186
97
688f.
13. 62
29
228
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12
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2 13
125
189
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6822
71
4
126
18 10
121
6831
190
4iff.
28
18iof.
69
72
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4 10
111.
121
18 15
59
728
254
6iff.
106
18l6
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255
84
205
1851
255
7314
125
84f.
268
215
255
742
101
98
228
2213
103
74 14
140
99f.
286
22 15
32
759
131
9 10
200.
254
2225
127
764
85
9 14
20. 61
23 1
267
765
111
10 10
53
247
295
77 i7ff.
30
lliff.
53
24 7f.
267
77 18
62
Il4ff.
165
248
71
77i8f.
59
11 10
207
24 10
72
7848
85
12
178
2516
127
7849
88
12—14
333
27 1
53
7854
124
122
133
279
127
7868
101
124
18
289
267
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123
128
257
29
13. 60
8O4
127
129ff.
332
29 10
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808
127
13 1
225
304
96
80 11
55
13iff.
214
308
127
80 20
127
14
178
31 2
121
82
298
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84
3117
127
83iofiF.
62
14iff.
180.
185
34 16
121
8314
21
144
12 f.
353
35 if.
71
83i5f.
32
144ff.
227.
333
36 9f.
226
86 16
127
145
12.
348
36 10
53
87 1
Ulf.
Stellenverzeichnis.
375
8812
188
14411
123
Koh.
88i2f.
96
1472
267
9l2
97
8815
127
1482
72
896. 8
348
Dan.
89 11
123
Prov.
24
255
89 14
122
I12
97
232
165
8928
256
1511
188
39
255
903
96
16 15
127
4 10. 14
. 20
348
9l3
97
2720
97
7 165. 337 ff.
340 ff.
91 5f.
88
30 16
97
72f.
354
93 1
295
79ff.
298
953
295 f.
Job
7l8ff.
289
96 10
295. 297
I16
59
85
305
96 13
297
27
86
813
348
97
297
5i
348
8l5ff.
342
97 1
295
57
85
9 17
127
973
49
96
12
920ff.
342
97 5
32
9l6f.
21
924ff.
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296
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348
105f.
109.
343 ff.
98 1
123
18l8f.
87. 97
106
111
986
295
1921
86
10l2ff.
77
989
297
21 20
130
10l3ff.
348
99 1
295 f.
265
96
10 16. lg
343
10217
270
266
188
IO2I
374
103 19
299
2822
188
ll40ff.
188
10321
72
2924
127
11 45
225
1041
295
34 uff.
96
12 1
374
104 2
345
374
60
12 6f.
344
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37 10
21
10416
55. 104
3718
107
Neh.
104 29
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3722
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23
255
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381
20
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406
20
[ Chron.
108 12
71
4025
97
523
103
110
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281
21
86
1144. 6
13
21 16
77
1168
97
Cnt.
2126
58
118 12
118 I5f.
56
122
86
85
II Chpon.
119132
127
Threni
7i
58
119135
127
24
130
26 19
86
121 1
111
4 11
130
3l5
213
1417
97
4 16
128
3221
86
1445
32. 125
421
132
Pseudepigraphen und Apokryphen
[nach Kautzsch zitiert].
Apk. Abraham
49
69
36
106
29 166
49 f.
36
39
395
164
106
Test. Abraham
I( =
syr.)
Barueh
53
166
A 19 165
46
220
702.6
19
B 7 165
253
19
27
166
II. (=
gpieeh.)
Ba-
Vita Adae
29
140. 220
rueh
36 259
294
190
6
110
376
Stellenverzeichnis.
IVEsra
494
356
85
259
5i
19
50i
356
85f.
211
658
140. 190 1
51 3
357
142
110
728f.
350
515
356
229
259
7S6
220
52
107
33iff.
165
852
220
524
356
482
108
12
164
526
38. 356
64 4f.
360
13
337 ff.
349 fif.
529
356
65 10 220 f.
228
1330
19
536
356
149
350
554
356 f.
Jubiläen
1437ff.
135
602
357
8 12
183
60 11
358
8 19
183
I(=
äth.) Henoeh
6024
140
[ed.
Flemming]
6024f.
190
Psalmen Sal
.
8
200
61 5
356
226ff.
190
1012
165
61 8
356 f.
lll
62
18 13
108
61 10
356
24
107
61 11
357
Sap. Sal.
244
112
61 12
358
52lf.
60
25
220
62 1
356
253
108
622
356 f.
Sibyllinen
255
112 f.
625
357
II 240
39
26
189
62 6f.
358
252 ff.
40
26 if.
183
628
356
285 ff.
39
34
228
674ff.
38
304 ff.
40
39 5f.
358
696
200
III 84f.
36
396
356 f.
69i6ff.
206
652
308
396ff.
360
6927
356 f.
744
211
405
356
6929
357
769
220
453f.
356
70
358
V 281 ff.
211
46i
356
70ifif.
357 f.
463
358
71
359 f.
Jesus Sir.
46 4f.
356
773
114
3928ff.
88
473
357
82
166
4311
59
48 if.
358
8959fif.
164 f.
4317
85
488
357
8971
166
462
59
484
358
90 17
166
485
357
91 16
221
Test. XU Patr.
486.7
358
93
165
Test. Asser 7
190
4810
356
Test. Levi 18
220
492
360
II ( =
slaw.) Henoeh
492ff.
358
6
225
Tobit
498
359
83
259
13l6f.
229
Neues Testament,
Matth.
Mark.
Job.
5ff.
239
93
346
3 13
365
1341
364
139
284
662
365
172
346 f.
165
346
738
24
1928
364
2022
131
Luk.
Act.
2429
28
929
346^
lio
346
2437
69
1726
69
2689
131
1831
364
Rom.
288
346 f.
244
346
l3
365
Stellenverzeichnis. Namenverzeichnis.
377
IKop.
Apk.
Joh.
207ff.
188
3 15
40
l5
292
20io
37
1545
365
ll2
111
20i4f.
37
ll3ff.
347
21 8
37
I Thess.
Il5
343
2110
116
4 16
62
27
220
2112
. 166
58
72
4
111
21l2f.
228
56
111
21 13
114
Eph.
6iff.
165
2119
229
6 uff.
72
6ii
346
2121
223
6 13
28
2l23f.
221
Phil.
7l3f.
346
22 if.
227
25ff.
IlPetP.
365
91-11
12iff.
19l5ff.
188
190. 284
188
225
221
35ff.
36. 69
1920
37
III. Namenverzeichnis.
Bachmann 200
Baldensperger 334
Baentsch 30. 41. 45. 172
Baudissin 122. 202. 333
Baethgen 29. 32. 98. 103. 112. 117.
128. 297
Beer 39. 85. 86. 96. 97. 359
Berger 127
Bertholet 62. 115. 161. 180. 181.
201. 301
Bickell 140
Blanckenhorn 33
Böklen 31. 37. 51. 224
Bousset 31. 37. 182. 189. 284. 339.
363
Brandt 336
Brehm 91. 92
Brugsch 183
Büchler 213
Budde 72. 75. 301. 315
Buhl 224
Charles, E. H. 141
Cheyne 238
Cornill 81. 301
Curtiss 293
Dalmann 334
Darmesteter 363
Delitzsch 143
Dennert 42. 48
Dieterich 109. 110
Dillmann 61. 80. 95. 126. 176. 197
Dittenberger .307
Duhm, B. 6. 14. 26. 28. 32. 34. 54.
60. 64. 66. 88. 111. 123. 127. 131.
140. 176. 196. 203. 208. 216. 230.
263. 281. 282. 297. 300. 301. 302.
304. 305. 308. 310
Duhm, Hans 85. 86
Dussaud 109
Eichhorn 24. 90. 129. 254. 291
Erman 98. 223. 250. 256. 258. 266
Ewald 117. 126
Fiebig 334
Flemming 355
Flügel 270
FüUkrug 301
Gall, von 42. 58. 100
Geiger 31. 38. 224
Gesenius 14. 81. 289
Giesebrecht 89. 122. 132. 175. 176.
204. 205. 206. 238. 302. 312. 313.
314. 315. 320. 326. 329
Goldziher 207. 213
Grill 56
Grimm 282
Gunkel 4. 14. 17. 19. 26. 27. 28.
29. 30. 31. 33. 42. 48. 51. 52. 54.
63. 65. 66. 71. 74. 78. 81. 84. 89.
90. 99. 103. 106. 107. 111. 112.
113. 114. 116. 124. 126. 129. 133.
378
Namenverzeichnis.
138. 140. 141. 144. 145. 150. 152.
159. 160. 161. 163. 164. 166. 167.
168. 169. 172. 173. 186. 188. 190.
192. 195. 196. 198. 203. 207. 215.
218. 221. 222. 223. 224. 228. 229.
247. 249. 252. 254. 256. 257. 258.
265. 278.. 279. 281. 284. 286. 288.
290. 295. 296. 298. 301. 302. 307.
316. 325. 329. 330. 332. 334. 335.
339. 342. 345. 346. 351. 352. 353.
354. 359 362
Guthe 13." 20. 49. 62. 64. 238. 282
Haarbriicker 363
Hackmann 238
Hepding 330
Herrlich 31. 37. 44. 45
Hitzig 111. 185. 304
Hoffmann, G. 345
Houtsraa 71. 85
Hiibert-Maiiss 328. 329. 331
Huhn 2. 5. 6. 141. 239. 244
Jackson 31. 37
Jastrow 104. 111. 143. 250. 259.
261. 265
Jensen 104. 111
Jeremias, Alfred 24. 104. 183. 270.
270. 271. 331
Kampers 307
.Kauffmann, Fr. 328. 330. 332
Kautzsch 71. 72. 176
Kittel 60. 95. 223. 252. 304. 316
Klostermann, A. 304
Klostermann, Erich 103
Köberle 12. 30. 60. 69. 97. 118
Krätzschmar 52. 62. 81. 115. 139.
161. 181. 193. 201. 202. 342
Kuenen 77. 304
de L/agarde 138
Lasch 12. 125
Laue 301
Lidzbarski 73. 104. 110. 117
Lietzmann 334
Löhr 25. 89
Marti 343
Meinhold 25. 229. 234. 235. 273. 274
Menzel 110
Merx 92
Meyer, Eduard 71. 247
Meyer, M. Wilhelm 12. 16. 32. 37.
43. 44. 56
Michaelis 70
Müller, J. G. 12. 13. 109. 159. 163.
293
Müller, W. Max 71. 85
Nielsen 40. 41. 57. 126. 127. 128
Nowack 17. 62. 74. 77. 89. 90.
92. 95. 132. 187. 218. 219. 221.
238
Oldenberg 109. 110. 111. 136. 291.
Oort 25 [292. 362
Preuschen 270
Radermacher 30. 33. 80
Eeitzenstein 126
Kenan 39
Eoscher 110. 111
Euhl 233
Schian 301
Schiaparelli 70
Schmidt, Nath. 334. 347
Schmiedel 334
Schoene 290
Schultz 40. 41. 142. 205
Schürer 166
Seiden 109
Seilin 301
Smend 40. 41. 58. 83. 128. 142. 148.
154. 157. 162. 170. 171. 184. 202.
242. 264. 289
Smith, J. M. P. 141
Smith, W. Eobertson 2. 57. 139.
213. 328
Socin 104
Söderblom 31. 37. 363
Spiegelberg 71
Stade 40. 77. 99. 145. 178. 207.
212. 213. 231
Stärk 142
Xoy 181
Tylor 293
Usener 193. 197. 198. 200. 207.
211. 212. 214. 215
Volz 2. 12. 19. 27. 31. 37. 62. 69.
80. 165. 166. 220. 227. 238. 283.
284. 341. 347
^Weber 140. 164. 166
Weicker 110
Weinel 250
Wellhausen 2. 6. 17. 18. 23. 25. 26.
49. 53. 56. 58. 70. 71. 73. 74. 75.
84. 92. 103. 130. 131. 132. 147.
151. 152. 158. 162. 174. 177. 180.
186. 187. 194. 195. 202. 221. 225.
235. 250. 264. 278. 304. 307. 334.
Wendland 307. 311 [335. 339
Westphal 98
Winckler 71. 160. 167. 182
Wissowa 126
Wrede 334
Zimmern (KAT^) 71. 87. 96. 104.
114. 161. 166. 168. 173. 197. 215.
251. 252. 256. 259. 261. 265. 271.
284. 290. 330. 349.
öiwuiNVÄ uöi Qtu iw msi
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