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Full text of "Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie"

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PRINCIPAL 

W.  R.  TAYLOR 

COLLECTION 

195 1 


G^  Der  Ursprung 


der 


israelitisch-jüdischen  Escbatologie 


von 


Lic.  Dr.  Hugo  Greßmann 

Privatdozent  a.  d.  Universität  Kiel. 


528421 


Gottingen 
Tandcnhoeck  und  Ruprecht 


Forschungen  zur  Keligion  und  Literatur 
des  Alten  und  Neuen  Testaments 

herausgegeben  von 
D  "Wilhelra  Bousset    und    D  Hermanxi  Q-ürLkel 

ao.  Prof.  d.  Theol.  in  Göttingen  ao.  Prof.  d.  Theol.  in  Berlin 

6.  Heft. 


TT&iT.-Bnchdraekerei  Ton  E.  A.  Hath.  Göttinnen. 


Bousset  und  Eichhorn  zur  Ehre 

Dem  Leser  und  Autor  zur  Freude 


Vorwort 


Mein  erster  Dank  gebührt ,  meinen  Lehrern,  den  Herren 
Professoren  Giesebeecht,  Smend  und  Wellhaüsen.  Die  Wahl 
des  Themas,  das  ich  in  dem  vorUegenden  Buch  behandle,  hat 
es  mit  sich  gebracht,  daß  ich  ihrer  mehr  ablehnend  als  zu- 
stimmend gedacht  habe.  Um  so  lieber  betone  ich  hier,  wie  viel 
ich  ihnen  schuldig  bin.  Herr  Professor  Bousset  hat  mir  nicht 
nur  ein  Verständnis  des  Menschensohnproblems  und  der  Apo- 
kalyptik,  sondern  der  Religion  überhaupt  erschlossen.  Daß  ich 
neben  ihnen  vor  allem  Herrn  Professor  Gunkel,  dem  gegenüber 
ich  bei  aller  Abhängigkeit  im  Einzelnen  doch  im  Großen  und 
Ganzen  den  Anspruch  auf  Originahtät  erhebe,  als  Forscher  wie 
als  Herausgeber  zu  wärmstem  Dank  verpflichtet  bin,  wird  jeder 
aus  der  folgenden  Darstellung  von  selbst  erkennen.  Sehr  wert- 
voll war  mir  der  persönliche  Verkehr  mit  Herrn  Professor 
EiCHHOEN,  dessen  scharfer  Blick  und  nüchternes  Urteil  mich 
oft  gefördert  haben  und  der  es  ja  durch  seine  aufrichtige  Teil- 
nahme und  lautere  Mitfreude  vennag.  Andere  grade  zu  selbst- 
ständigem Forschen  anzuregen  und  in  ihrer  Selbständigkeit  zu 
stärken.  Im  Übrigen  bin  ich  bestrebt  gewesen,  überall  die 
Namen  derer  zu  nennen,  von  denen  ich  direkt  oder  indirekt 
gelernt  habe.  Eine  Ausnahme  habe  ich  nur  bei  guten  Über- 
setzungen gemacht,  die  ich  stillschweigend  benutzt  habe,  wo 
immer  ich  sie  fand.  Ich  weiß  sehr  wohl,  daß  ich  vielfach  von 
Mitarbeitern  und  Vorgängern  abhängig  bin,  und  habe  mich  gern 
bemüht,  ihnen  zu  geben,  was  sie  für  sich  beanspruchen  können. 
Denn  das,  was  ich  wirkHch  und  völlig  mein  Eigen  nenne,  ist 
nicht  das  Einzelne,  sondern  das  Ganze. 

Kiel.  1^1190  6re6niaiiti. 


Inhaltsangabe. 


Seite 

Einleitung 1—7 

§    1.    Der  Begriff  der  Esehatologie  und  die  Begrenzung 

des  Themas       1 

§     2.     Die  Methode  der  Untersuchung 2 

Erster  Teil:  Die  ünheilsesehatologie      8—192 

§     3.    Die  Jahvetheophanien 8 

§    4.    Die  Offenbarung  Jahves  im  Erdbeben     ....  12 

§     5.     Die  Offenbarung  Jahves  im  Sturm 19 

§     6.    Die  Offenbarung  Jahves  im  Vulkan 31 

§     7.    Die  Offenbarung  Jahves  am  Sinai 40 

§     8.     Die  Offenbarung  Jahves  im  Feuer 49 

§    9.    Die  Offenbarung  Jahves  im  Gewitter      ....  58 

§  10.    Jahve  als  Kriegsgott 71 

§  11.     Jahve  als  Seuchen-  und  Totengott 85 

§  12.    Die  Wohnung  Jahves 98 

§  13.     Die  Persönlichkeit  Jahves 118 

§  14.    Die  Opfermahlzeit  Jahves 136 

§  15.    Der  Tag  Jahves 141 

§  16.    Die  Katastrophen 159 

§  17.     Der  Nördliche 174 

Zweiter  Teil:  Die  Heilsesehatologie 193—365 

A.  Das  goldene  Zeitalter 193—250 

§  18.     Der  neue  Bund 193 

§  19.     Die  Umwandlung  der  Natur       207 

§  20.    Die  mythische  Topographie 221 

§  21.    Der  Best 229 

§  22.    Die  Echtheit  der  Zukunftshoffnungen     ....  238 

B.  Der  Messias 250—301 

§  23.     Der  Hofstil 250 

§  24.    Die  Segenszeit       259 

§  25.    Die  göttliche  Geburt 270- 

§  26.    Der  Paradieskönig 286 

§  27.    Die  Thronbesteigung  Jahves       294 


VIII  Inhaltsangabe. 

Seite 

C.  Der  Ebed  Jahve 301—333 

§  28.    Der  Stil  Deuterojesajas 301 

§  29.     Israel  als  Ebed  Jahve 312 

§  30.    Das  große  Mysterium 317 

§  31.    Der  sterbende  Gott 328 

D.  Der  Menschensohn 334 — 365 

§  32.    Das  sprachliche  Problem  des  Menschensohns      .  334 

§  33.    Der  »Mensch«  im  Daniel 340 

§  34.    Der  »Mensch«  im  IVEsra 349 

§  35.    Der  »Mensch«  im  Henochbuche 355 

Verzeichnisse 366—378 

I.  Sachverzeichnis       366 

II.  Stellenverzeichnis        368 

III.  Namenverzeichnis        377 


Einleitung. 


§  1.    Der  Begriff  der  Eschatologie  und  die  Begrenzung 

des  Themas. 

Eschatologie  heißt  die  Wissenschaft  von  den  letzten  Dingen 
(rT'nnN,  xa  löiaxa^  de  novissimis).  Unter  diesem  Namen  faßte 
man  früher  alle  die  Anschauungen  zusammen,  die  vom  Ende 
—  sei  es  des  Einzelnen,  sei  es  der  ganzen  Welt  —  handelten. 
Die  durch  die  Exegese  Alten  und  Neuen  Testamentes  gewon- 
nenen Resultate  wurden  von  der  Dogmatik  systematisch  zu- 
sammengestellt und  für  die  Heilslehre  verwertet.  Neuerdings 
wird  das  Wort  Eschatologie  meist  in   prägnantem   Sinne  ver- 


waiidt  und  auf  den  Ideenkomplex  beschränkt,  der  mit  dem  'W  elt- 
ende und  der  Welterneuerung  zusammenhängt,  und  nur  in  dieser 
engeren  Bedeutung  soll  es  für  uns  in  Betracht  kommen.  Es 
werden  also  alle  die  Vorstellungsreihen  ausgeschlossen,  die  an 
den  Tod  und  die  Auferstehung,  kurz  an  die  Endschicksale  des 
Einzelnen  anknüpfen.  Sie  sollen  nur  soweit  mitbehandelt  werden, 
als  das  Ergehen  des  Individuums  von  dem  des  Volkes  und  der 
Menschheit  unablösbar  ist.  Überdies  soll  unsere  Untersuchung 
rein  historisch  sein,  ohne  jede  Bücksichtnahme  auf  die  Dogmatik. 
Das  Material,  das  innerhalb  des  Alten  Testamentes  ver- 
hältnismäßig  dürftig  ist,  schwillt  innerhalb  der-t^°QiiriQpj(j-|-^p>'^^ 
und  Apnkryplien  sp  ^Px^ralfig  an,  daß  eine  bloße  Sammlung  des 
vorhandenen  Stoffes  ein  umfangreiches  Werk  liefern  würde.  Ein 
großer  Teil  muß  freihch  von  neuem  klar  herausgestellt  werden, 
da  er  den  notwendigen  Ausgangspunkt  und  die  Basis  für  unsere 
Untersuchung  bildet,  sodaß  alles  Wesentliche  besprochen  wird. 
Aber  es  soll  davon   abgesehen  werden,  jede  einzelne  Stelle  zu 

Forschungen  zur  Rel.  u.  Lit,  d.  A.  u.  NT.   6.  1 


2        Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

notieren.  Das  kann  um  so  leichter  geschehen,  als  viele  An- 
schauungen typisch  sind.  Ledighch  Wiederholungen  aufeuzählen, 
können  wir  uns  ersparen,  zumal  diese  Arbeit  bereits  von  anderen 
(namentlich  von  Huhn  und  Volz)  geleistet  ist.  Unser  Zweck 
ist  vor  allem,  ein  Verständnis  der  israelitisch-jüdischen  Eschato- 
logie zu  gewinnen,  und  darum  müssen  wir  uns  vornehmlich  in 
ihre  Genesis  versenken.  Denn  erst  wenn  wir  diese  kennen,  ist 
es  möglich,  ihre  Geschichte  und  Entwicklung  zu  schreiben. 

Wollen  wir  konstatieren,  welche  Wandlungen  die  Eschato- 
logie im  Laufe  der  Jahrhunderte  durchgemacht  hat,  wollen  wir 
den  Anteil  abmessen,  den  die  großen  Männer  Israels  an  ihrer 
Ausgestaltung  gehabt  haben,  so  müssen  wir  zunächst  die  Werk- 
.|^^^,^^^J        statt  besuchen,   in   der  sie   geschmiedet  wurde.    Es  genügt  für 
ein  historisches  Verständnis  durchaus  nicht,  überall  da  wo  eine 
Anschauung  zum  ersten  Male  auftaucht,  herauszuheben,  was  der 
^^^*^^        /    Verfasser   an  dieser  Stelle  hat  sagen  wollen,  sondern  es  muß 
j^j^Hf^  daneben  auch  die  Frage  aufgeworfen  und  beantwortet  werden, 
^    ob  die  Idee  älter  ist  und  welche  Entwicklungsreihe  sie  bereits 
C.^j*****'    jjjjj^gj.  gjßjj  Y^2ii.    Wenn  man  will,  mag  man  diese  Studien  archäo- 
logisch nennen.     Trotzdem  sind  sie  keineswegs  überflüssig  oder 
.^  gar  nebensächlich,   da  ohne   diese  Art  von  »Archäologie«,  die 

W.  Robertson  Smith  in  seiner  »Religion  der  Semiten«  so 
genial  geübt  und  die  auch  Wellhausen  in  den  »Resten  arabi- 
schen Heidentums«  so  meisterhaft  gehandhabt  hat,  die  in  der 
prophetischen  Literatur  uns  entgegentretende,  von  den  größten 
Männern  des  Volkes  errungene  Religionsstufe  ein  unbegreifliches 
Rätsel  bleiben  würde.  Ohne  eine  Kenntnis  der  populären  Vor- 
stellungen ist  eine  historische  Würdigung  der  Prophetie  unmögHch. 

§  2.    Die  Methode  der  Untersuchung. 

Der  Stoff  ist  enthalten  in  den  prophetischen  Büchern  des 
Alten  Testamentes,  nur  teilweise  sind  seine  historischen  und 
poetischen  Schriften  zur  Ergänzung  Jberanzuziehen.  Über  die 
vorprophetische  Eschatologie  erfahren  wir  aus  direkter  Über- 
lieferung so  gut  wie  nichts,  und  doch  ist  dieser  Ideenkreis  zur 
Zeit  des  Arnos,  wie  gezeigt  werden  soll,  im  Großen  und  Ganzen 
bereits  fertig  und  abgeschlossen.  Es  muß  deshalb  der  Versuch 
gemacht   werden,   durch  Aufrollen    von  rückwärts   her  zu  den 


Die  Methode  der  Untersuchung.  3 

Prinzipien  durchzudringen,  die  als  bewegende  Kraft  die  Eschato- 
logie  geschaffen  haben.  Erst  wenn  es  gelingt,  den  vollendeten, 
sozusagen  erstarrten  Anschauungen  neues  Leben  einzuhauchen, 
daß  sie  selbst  uns  erzählen  von  ihrer  Geburt  und  von  ihrem 
Wachsen,  erst  dann  haben  wir  einen  tieferen  Einblick  gewonnen. 
Die  Eschatologie  der  Propheten  versteht  man  nur,  wenn  man 
ihre  Vorstufen  klar  erkannt  hat. 

Damit  ist  die  historisch-kritische  Methode  von  vorne- 
herein als  die  einzig  berechtigte  gegeben.  Die  Kesultate  der 
modernen  alttestamentlichen  Literatur -Forschung  müssen  im 
Großen  und  Ganzen  als  bekannt  vorausgesetzt  werden  und  als 
bewiesen  gelten,  wenn  es  auch  im  Einzelnen  oft  nötig  sein  wird, 
die  Gründe  für  die  Datierung  und  für  die  Echtheit  oder  Un- 
echtheit  einer  strittigen  Stelle  zu  prüfen.  Der  Boden,  auf  dem 
wir  uns  bewegen,  ist  recht  unsicher.  Berücksichtigt  man 
die  häufig  eintretende  Unmöglichkeit,  die  Schriften,  mit  deren 
Inhalt  wir  es  hier  zu  tun  haben,  auch  nur  annähernd  chrono- 
logisch zu  fixieren,  und  bedenkt  man  ferner,  daß  die  Ergebnisse 
der  Kritik  mitunter  weit  auseinander  gehen,  so  scheint  das 
Fimdament,  auf  das  wir  bauen  möchten,  sehr  unzuverlässig  zu 
sein,  und  endlich  mag  es  noch  viel  prekärer  aussehen,  wenn 
wir  unser  Wissen  über  die  vorprophetische  Zeit  aus  den  prophe- 
tischen Werken  selbst  schöpfen  wollen. 

Allein  es  kommt  auf  den  Versuch  an.    Oder  sollte  es  nicht 
möglich  sein,   auf  sichere   oder  wenig    angefochtene  Daten  ge- 
stützt, aus  der  prophetischen  Verkündigung  selbst  Rückschlüsse 
zu  ziehen   auf  Volksvorstellungen,   die   zu  jener  Zeit   gangbar         ^ 
waren  und  die  man  als  außer-  und  vorprophetisch   bezeichnen  ^^^*' 
darf?     Solche   Rückschlüsse  sind   erstens  überall  da  erlaubt,  '=**--«^^*t- 
wo  die  Propheten  polemisieren  und  ihrer  Ansicht  nach  falsche  ^^  «*^ 
Ideen  gürückweisen  oder  korrigieren.    Aus  ihrer  Antithese  muß  ^  u-^ju*-» 
die  These   erkannt  werden,   die  sie  bekämpfen.     Solche  Rück- 
schlüsse sind  zweitens  überall  da  erlaubt,  wo  die  Eschatologie 
der  Propheten  nicht  organisch  aus  ihrer  eigenen  Predigt  zu  ver- 
stehen ist,  vielmehr  einen  gewissen  Widerspruch  gegen  sie  ver- 
rät.   Denn   in  diesen  Fällen    muß  es   sich   um  Anschauungen 
handeln,  die  nicht  von  innen  heraus  schöpferisch  geboren,  son- 
dern von  außen  her  fremd  übernommen  sind.     Endlich  kann  ^  /^ 
auch   das  Gepräge   einer  Formel,  die   Einkleidung   eines    Ge-  ^c<ii  mJ$ 


4        Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

dankens  nicht  nur  wegen  der  sprachhchen  Fassung,  sondern 
auch  wegen  der  inhalthchen  Bedeutung  wichtig  werden  für  den, 
der  weiß,  daß  Worte  iinrl  Ansf^viinlra  AinTnai  pi^^  ipi^nj^dig^s 
Dasein  geführt  haben,  und  der  im  stände  ist,  ihnen  dies  ur- 
spfungliche  Leben  wieder  einzuhauchen.  Jils  wird  "atgp"  unsere 
Aufgabe  sein,  bei  jeder  einzelnen  eschatologischen  Idee  nicht 
nur  auf  den  Sinn  zu  achten,  den  sie  an  den  überlieferten  Stellen 
hat,  sondern  auch  darauf,  ob  sich  aus  der  Tradition  noch  eine 
dahinter  hegende,  ältere  Stufe  erkennen  läßt. 

Dazu  kommt  ein  weiteres  wichtiges  Hilfsmittel.  Häufig 
wird  bei  einem  späteren  Schriftsteller  ganz  klar  das  ausge- 
sprochen, was  wir  bei  einem  früheren  nicht  ausdrücklich  genannt, 
wohl  aber  vorausgesetzt  finden.  In  solchen  Fällen  ist  es  ein 
Eecht  und  eine  Pflicht  des  Exegeten,  beide  Äußerungen  mit 
einander  zu  kombinieren  und  früher  Geschriebenes  durch  später 
Bezeugtes  zu  illustrieren  und  zu  erklären.  Von  dem  Irrtum, 
als  ob  Ideen  stets  erst  dann  entstanden  seien,  wenn  sie  zum 
ersten  Mal  in  der  Literatur  auftauchen,  muß  man  sich  frei  zu 
machen  suchen.  Es  ist  Gunkels  Verdienst,  diesen  Gedanken 
immer  wieder  energisch  betont  zu  haben.  Als  Methode  fordert 
er  speziell  in  diesem  Falle,  »die  ihrem  Ursprung  nach  oft  fast 
unkenntlichen  altprophetischen  Schilderungen  aus  den  viel  deut- 
licheren spätprophetischen  und  apokalyptischen  zu  verstehen«  ^ 
Das  ist  freilich  ein  gefährlicher  Weg,  aber  bei  vorsichtigem 
Forschen  wird  es  mitunter  möglich  sein,  Rückschlüsse  aus  späterer 
Überlieferung  auf  frühere  Traditionen  zu  machen.  Wo  die 
Verwandtschaft  auf  der  Hand  liegt  und  wo  älteres  unverstan- 
denes Gut  nur  durch  jüngere  Zeugnisse  einleuchtend  erklärt 
werden  kann,  wird  sich  gegen  das  von  Gunkel  vorgeschlagene 
Verfahren  nichts  einwenden  lassen.  Wo  dagegen  starke  Unter- 
schiede vorhanden  sind  und  wo  die  ganze  Vorstellungswelt  eine 
andere  ist,  tut  man  natürlich  besser,  eine  Lücke  unseres  Wissens 
zu  bekennen  als  sie  in  falscher  Weise  auszufüllen.  Bei  alledem 
ist  die  Chronologie  genau  zu  beachten  und  über  der  sachlichen 
Verwandtschaft  die  zeitliche  Entfernung  nicht  zu  vergessen. 
Hält  man  sich   diese  Vorsichtsmaßregeln   stets  vor  Augen,   so 


1.  Forschungen,  Heft  I,  S.  24. 


Die  Methode  der  Untersuchung.  5 

darf  man  die  apokalyptischen  Anschauungen  ebenso  gut  wie  die 
Ideen  fremder  Völker  zur  Erläuterung  heranziehen. 

Großer  Beliebtheit  erfreut  sich  die  religionsgeschicht- 
liche Methode.  Dies  Wort  hat  neuerdings  einen  eigenen 
Klang  gewonnen.  Es  bedeutet  so  viel  wie:  Erforschung  des 
Einflusses  der  einen  Religion  auf  die  andere  und  des  geschicht- 
lichen Zusammenhanges  verschiedener  Kehjsrionen.  Gewiß  müssen 
diese  Probleme  einmal  aufgeworfen  und  zu  lösen  versucht  werden, 
aber  mir  scheint,  daß  die  Zeit  des  Abschlusses  noch  lange  nicht 
gekommen  ist  und  daß  alle  bis  jetzt  aufgestellten  Behauptungen 
in  dieser  Beziehung  einen  stark  hypothetischen  Charakter  tragen, 
den  man  nie  aus  den  Augen  verlieren  darf.  Wie  will  man 
denn  entscheiden,  ob  z.  B.  die  israelitische  Religion  auf  die 
persische  oder  umgekehrt  eingewirkt  hat,  solange  man  beide  so 
wenig  kennt,  wie  es  heute  der  Fall  ist  ?  Vorläufig  ist  und  bleibt 
unsere  Hauptaufgabe,  die  israelitische  Religion  für  sich  allein 
klarer  herauszuarbeiten,  und  bei  jeder  einzelnen  Aussage  zu 
prüfen,  ob  sie  in  Israel  selbst  entstanden  oder  aus  der  Fremde 
gekommen  sei.  Denn  das  Alte  Testament  darf  nicht  isoliert 
werden,  analoge  Glaubensvorstellungen  fremder  Völker  sind  zur 
Erläuterung  und  Vertiefung  des  Verständnisses  heranzuziehen, 
und  je  mehr  das  geschieht,  um  so  besser  werden  wir  das  reli- 
giöse Leben  Israels  begreifen  lernen.  Wenn  man  diese  Art  der 
Forschung  rehgionsgeschichtliche  Methode  nennen  will,  so  mag 
man  das  tun,  obwohl  diese  Benennung  eine  einseitige  und  un- 
nötige Verengerung  des  viel  weiteren  Begriffes  »Religions- 
geschichte« voraussetzt. 

In  ebenso  großem,  wenn  nicht  noch  größerem,  Ansehen 
steht  die  psycbf^l^gjg^T^^  ^'^V]äV"^[^  von  Tatsachen.  Ich  bin 
weit  davon  entfernt,  ihre  Berechtigung  leugnen  zu  wollen,  aber 
sie  hat  sich  selbst  genügend  diskreditiert,  da  sie  voreilig  oft  an 
unrechtem  Orte  angewandt  wird  bei  Dingen,  die  psychologisch 
weder  verstanden  werden  können  noch  dürfen,  und  da  sie  durch- 
aus nicht  immer  leistet,  was  sie  verspricht.  So  legt  z.  B.  Huhn 
gleich  im  dritten  Paragraphen  seines  Buches  seine  Ansicht  dar 
über  die  psychologische  Entstehung  der  messianischen  Weissa- 
gung, ohne  vorher  untersucht  zu  haben,  ob  der  Stoff  eine  solche 
Deutung  überhaupt  verträgt  oder  nicht.  Eine  derartige  Er- 
klärung hätte  er  frühestens   geben  dürfen  am  Schlüsse  seiner 


6       Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Arbeit  und  dann  vor  allem  die  Frage  aufwerfen  müssen,  ob 
seine  Ausführungen  auch  den  Zweck  erfüllen,  zu  dem  sie  ge- 
macht sind. 

Aus  der  Anwendung  der  philologisch-historischen  Methode 
ergeben  sich  zwei  Folgerungen,  auf  die  ausdrücklich  aufmerksam 
zu  machen  am  Ende  nicht  überflüssig  ist.  Abgelehnt  wird  da- 
mit erstens  jede  allegorische  Interpretation,  mit  deren 
Hülfe  man  eine  Reihe  alttestamentlicher  Stellen  messianisch 
»gedeutet«  hat.  Die  AUegorese,  die  aus  der  Stoa  durch  die 
Vermittlung  Philos  und  des  Hellenismus  in  die  griechische  Kirche 
übergegangen  und  durch  die  Jahrhunderte  fortgepflanzt  ist,  hat 
früher  ihr  gutes  Existenzrecht  gehabt,  da  sie  allein  die  Möglich- 
keit bot,  über  die  durch  die  Bibel  veranlaßten  Anstöße  hinweg- 
zukommen. Ihr  verdanken  wir  die  Erhaltung  eines  Schrifttums^ 
das  man  ohne  sie  hätte  verwerfen  müssen.  In  der  modernen 
Wissenschaft  hat,  wie  nicht  weiter  hervorgehoben  und  dargetan 
zu  werden  braucht,  die  allegorische  Auslegung  keine  Stätte,  ob- 
wohl sie  faktisch  noch  lange  nicht  ausgerottet  ist  und  selbst  von 
Männern  wie  Wellhausen  und  Duhm  gelegentlich  noch  geübt 
wird.  Aus  demselben  Grunde  müssen  wir  zweitens  betonen, 
daß  Jesu  Stellung  zur  Eschatologie  und  speziell  zur  messia- 
nischen  Weissagung  des  Alten  Testaments  für  uns  nicht  einfach 
maßgebend  sein  kann.  Denn  er  teilte  die  exegetische  Methode  der 
Rabbinen  und  das  allegorische  Verständnis  seiner  Zeitgenossen, 
und  darum  ist  es  für  uns  oft  unmöglich,  seiner  Auslegung  alt- 
testamentlicher  Zitate  zu  folgen.  Seine  Worte  kommen  für 
uns  nur  dann  in  Betracht,  wenn  es  gilt,  seine  eigenen  An- 
schauungen über  die  Eschatologie  festzustellen.  Für  die  Be- 
antwortung dieser  Frage  wird  es  gewiß  von  Wichtigkeit  sein  zu 
beachten,  welchen  Sinn  er  in  einzelnen  eschatologisch  gedeuteten 
Versen  der  Schrift  findet  und  wie  er  sie  für  seine  Messianität 
wertet.  Unsere  Interpretation  des  Alten  Testamentes  aber  darf 
ohne  Rücksicht  auf  die  seine  gegeben  werden,  da  unsere  Methode 
prinzipiell  von  der  seinen  abweicht. 

Man  könnte  nun  versucht  sein,  die  vorhandenen  Quellen, 
so  gut  es  geht,  chronologisch  bei  der  ältesten  anfangend  bis  zur 
jüngsten  herab  durchzunehmen,  aus  jeder  das  eschatologische 
Bild  herauszuheben  und  nachzuzeichnen.  Bleibt  man  hierbei 
stehen,  wie  es  Huhn  in  seinen  messianischen  Weissagungen  ge- 


Die  Methode  der  Untersuchung.  7 

tan  hat,  so  wird  man  ein  historisches  Verständnis  nicht  gewinnen, 
da  man  nicht  entscheiden  kann,  ob  etwas  individuell  oder 
typisch  ist  an  den  einzelnen  Bildern.  Erst  wenn  man  sie  zu 
einem  Gesamtgemälde  zusammenstellt  und  mit  einander  ver- 
gleicht, wird  es  möglich  sein  zu  sehen,  ob  und  wie  weit  sie 
übereinstimmen  oder  auseinander  gehen  und  welche  Ideen  sie 
voraussetzen.  Diese  zweite  Arbeit  der  ersten  folgen  zu  lassen, 
wäre  gewiß  ein  gangbarer  Weg.  Aber  er  wäre  sehr  beschwer- 
lich und  auf  die  Dauer  ermüdend,  da  nicht  nur  mancher  Zug 
des  Gesamtgemäldes  in  den  speziellen  Bildern  allzu  häufig,  son- 
dern da  auch  der  ganze  Einzelstoff  bei  der  Zusammenfassung 
noch  einmal  wiederkehren  würde.  Es  dürfte  sich  daher  em- 
pfehlen, den  Stoff  in  erster  Linie  nicht  nach  chronologischen, 
sondern  nach  sachlichen  Gesichtspunkten  zu  ordnen,  ohne  jene 
deshalb  aus  dem  Auge  zu  verlieren,  mit  anderen  Worten:  be- 
stimmte Ideen,  wie  sie  sich  aus  der  Natur  der  Sache  und  dem 
Gang  der  Untersuchung  von  selbst  ergeben,  herauszugreifen  und 
im  Zusammenhange  mit  den  Mitteln  der  philologisch-historischen 
Methode  zu  behandeln.  Wir  vermeiden  damit  von  vornherein 
einen  gefährlichen  Irrweg,  das  Einzelne  nur  in  der  Vereinzelung 
zu  betrachten  und  so  in  ein  falsches  Licht  zu  rücken.  Freilich 
wird  man  sich  auf  der  anderen  Seite  vor  dem  Fehler  hüten 
müssen,  über  dem  Typischen  und  Regelmäßigen  das  vielleicht 
vorhandene  Individuelle  und  Einzigartige  zu  übersehen. 

Besonders  zu  warnen  ist  endlich  vor  dem  Ausdruck  »messia- 
nisch«,  der  hier  und  da  noch  üblich  ist,  obwohl  er  den  gewal- 
tigen Irrtum  in  sich  birgt,  als  drehe  sich  die  israelitisch-jüdische 
Eschatologie  im  Wesenthchen  um  den  Messias,  als  sei  sie  ohne 
ihn  undenkbar.  Man  wird,  um  solchen  Mißverständnissen 
a  limine  vorzubeugen,  gut  tun,  das  beanstandete  Wort  auf  die- 
jenigen Partieen  zu  beschränken,  in  denen  wirklich  von  einem 
Messias  die  Eede  ist,  aber  im  übrigen  es  lieber  zu  vermeiden 
und  statt  dessen  »eschatologisch«  zu  sagen.  Ebenso  falsch  ist 
es,  von  einem  »Gerichtstage«  Jahves  zu  sprechen,  da  diese 
Vorstellung  in  älterer  Zeit  nur  vereinzelt  nachweisbar  ist. 


Erster  Teil. 


Die  Unheilseschatologie. 

§  3.    Die  Jahvetheophanien. 

Bei  Arnos  begegnet  uns  zum  ersten  Male  der  Ausdruck 
Tag  Jahves  (mir'  Di''),  um  ein  bevorstehendes,  für  Israel  un- 
heilvolles Eingreifen  seines  Gottes  zu  bezeichnen  (öisff.).  Ohne 
uns  den  vollen  Inhalt  und  die  Bedeutung  dieser  Phrase  klar 
zu  machen,  betonen  wir  vorläufig  nur  so  viel,  daß  diese  Benennung 
dann  allein  einen  Sinn  hat,  wenn  sie  auf  ein  irgendwie  wirken- 
des Handeln  oder  auf  eine  irgendwie  geschehende  Offenbarung 
Jahves  sich  bezieht.  Aus  dem  Buche  des  Arnos  erfahren  vdr 
bei  oberflächlicher  Betrachtung  nichts  Näheres  darüber.  Da- 
gegen sehen  wir,  wie  der  Glaube  das  Walten  der  Gottheit  mit 
manchen  Dingen,  sei  es  gegenwärtigen,  sei  es  zukünftigen,  ver- 
knüpft und  wie  in  vielen  eschatologischen  Weissagungen  direkt 
Javetheophanien  beschrieben  werden.  Wenn  wir  diese  Dich- 
tungen genauer  untersuchen  und  die  Vorstellungen  erforschen, 
die  in  ihnen  ausgesprochen  sind  oder  die  ihnen  unausgesprochen 
zu  Grunde  liegen,  so  werden  wir  vielleicht  im  stände  sein,  uns 
ein  lebendiges  Bild  davon  zu  machen,  was  der  Israelit  bei 
einem  »Tage  Jahves«  sich  dachte. 

Überblicken  wir  die  Gesamtheit  der  Gotteserscheinungen 
und  Gottesschilderungen  im  Alten  Testamente,  so  treten  uns 
verschiedene  Typen  entgegen,  die  bald  klar  auseinander  ge- 
halten sind  bald  ineinander  übergehen.  Teils  wird  Jahve  vor- 
nehmlich als  Spender  des  Unheils  teils  als  der  des  Heiles 
charakterisiert,  teils  wird  sein  Walten  in  der  Geschichte  teils 


Die  Jahvetheophanien.  9 

das  in  der  Natur  besungen.    Uns  interessiert  hier  nur  das  letzte: 
die  Offenbarung  Jahves  in  der  Natur,  doch  müssen  wir  auch  hier 
differenzieren,  da  ein  Teil  der  Hymnen  das  Wirken  der  Gottheit 
mit  einzelnen  Erscheinungen,  —  die  bald  segenstiftend,  freund- 
Hch,  bald  grauenvoll,   verderblich  sind,  —  verbindet,  ein  dritter 
endlich  die  ganze  Welt  in  den  Bereich  der  Poesie  hineinzieht. 
Ob   alle   drei  Arten  von   Anfang  an  neben    einander   existiert 
haben,   ist  eine  Frage,   die  jetzt  nicht  beantwortet  werden  soll. 
Nur  das  eine  muß  energisch  betont_werden,  daß  dip  d^ttp,  Crs^fhin^^ 
in  Israel  jüngeren  Ursprungs_ist.    Denn  diejenigen  Theophanien, 
die  den  Gott  Israels  mit  der  ganzen  Welt  in  Zusammenhang        . 
setzen ,  begegnen   uns  erst  in  den_späteren  prophetischen   und  / 
poetischen  Büchern,  während  die  früheren  ihn  durchweg  nur  niit  "^  *  t-^*******' 
ei7rgr"be stimmten  Gruppe  von  Naturerscheinungen  kombi-  Jk,  tC// 
niereE     Es  ist  durchaus  nicht  so,   als  ob  Jahve,   der  Gott  des  ^.       ^  • 
Alls,  auch  als  Urheber  jedes  einzelnen  Dinges  geschildert  würde,   ^;^^/^ 
sondern  aus  der  großen  Fülle  der  Erscheinungen  werden  nur  ein- 
zelne herausgegriffen  und  von  Jahve  abgeleitet,  während  andere  ^  ^i*-**** 
vollkommen  fehlen.     Daraus  folgt,   daß  die  Idee  von  Jahve  als  ^'^^■^^^ift*^ 
dem  universalen  Weltengott  nicht  am  Anfang  der  israelitischen 
HeHgionsgeschichte  gestanden  haben  kann,  da  sonst  jene  spezi- 
fische  Auswahl   der   dem  Jahve  beigelegten   Naturwunder  un-         * 
begreiflich  wäre.  \ 

Die   altprophetischen  Jahvetheophanien,   die   im  Einzelnen 
mannigfach  variieren,  bewegen  sich  doch  in  ganz  fest  normierten    ^cZu^  ^ 
Grenzen,    nämlich     innerhalb    der    allgemein    gültigen    Gottes-  A^UvtAi/ 
Vorstellungen.     Denn    nur   die  Wirkungen    in    der  Natur,    die  ^^  x 
jedermann  der  Gottheit  zuschreibt  und  in  denen  jedermann  ihr        fy^ 
besonderes  Walten  erkennt,  können   einen  Platz   einnehmen  in  ^     Ai - 
den  Geschichten,  die  vom  göttlichen  Handeln  erzählen.     Selbst  diitt^A^ 
die  frei   schaffende  Kunst  des  Dichters  ist  an  dies  Gesetz  ge- 
bunden:  er  kann  von  der  Gottheit  allein  die  Dinge  aussagen, 
die  nach  der  Volksanschauung  in  ihrem  Wesen  begründet  sind. 
Inhaltlich  muß  sein  Glaube  mit  dem  jedes  Frommen  überein- 
stimmen, wenngleich  die  Form,   in   die   er   seine   Überzeugung 
kleidet,    mehr   oder   weniger   sein   persönliches    Eigentum    sein 
mag.    Es  gab  zwar  in  vorchristlicher  Zeit  keine  Dogmen,  die 
genau  regelten,  was  der  Einzelne  glauben  durfte  und  was  nicht, 
wohl    aber    bestand  ein    genau    ausgeprägter    Typus,    wie   ihn 


W 


10      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

die  Religion  jedes  Volkes  und  jeder  Epoche  trägt,  an  dem 
der  Poet  so  gut  teilnimmt  wie  der  Alltagsmensch.  Wir  haben 
darum  ein  Recht,  die  dichterischen  Stücke  für  unsere  Unter- 
suchung ebenso  heranzuziehen  wie  die  prosaischen,  wenn 
wir  uns  nur  das  Eine  vor  Augen  halten:  die  Bilder,  die  die 
Propheten  gemalt  haben,  gehören  der  Kunstpoesie  an,  sind 
nicht  immer  und  nicht  ohne  weiteres  volkstümlichen  Ur- 
sprungs, und  sollten  sie  noch  so  einfach  sein.  Diese  Bilder 
aber  sind  entstanden  auf  Grund  rehgiöser  Ideen,  die  wir  als 
populär  bezeichnen  dürfen.  Wenn  wir  den  religiösen  Kern 
bloßlegen,  den  die  dichterische  Schale  birgt,  dann  haben  wir 
die  letzten,  allgemein  gültigen,  jedermann  bindenden  Voraus- 
setzungen erkannt. 

Da  für  den  antiken  Menschen  die  auffälligen  und  außer- 
gewöhnhchen  Naturerscheinungen  eine  Gottesoffenbarung  be- 
deuten, so  sind  für  ihn  Natur  und  Religion  aufs  engste  mit 
einander  verquickt  und  dürfen  von  uns  nicht  getrennt  werden. 
Wir  werden  im  Gegenteil  von  der  Natur  ausgehen  und  die  Tat- 
sachen ausfindig  zu  machen  suchen,  die  den  Anlaß  für  eine 
bestimmte  religiöse  Idee  gegeben  haben.  Mitunter  schildern 
die  Propheten  Naturereignisse  in  sehr  lebhaften  und  anschau- 
lichen Farben,  ohne  doch  die  Ursache  derselben  genauer  anzu- 
geben. Wir  sind  in  solchen  Fällen  gezwungen,  sie  zu  erschließen 
und  das  ahlov  zu  rekonstruieren,  dessen  Wirkungen  beschrieben 
[<V'<^  werden.    Meist  wird  diese  Arbeit  leicht  gelingen,  bisweilen  aber 

^jL^  sind  die  Folgeerscheinungen  verschiedener  Kausalitäten  einander 

./d^  so  ähnlich,  daß  es  schwer  wird,  ein  sicheres  Urteil  über  die 
^^^  L  jedesmalige  Ursache  zu  gewinnen,  zumal  wenn  die  dichterische 
t  i^  Phantasie  Erlebnisse  des  Alltags  in  grotesker  Weise  vergröbert 

und  ausschmückt.     So  sind  z.  B.   die  durch  ein  Erdbeben  her- 
,  vorgerufenen  Verwüstungen   bis  zu  einem   gewissen  Grade  den 

Verheerungen  des  Sturmes  gleich,  sodaß  man,  falls  nur  die 
Folgen  genannt  sind,  über  die  Ursache  wohl  schwanken  kann. 
Es  ist  gut,  sich  das  von  vorneherein  klar  zu  machen,  obwohl 
solche  Differenzen  der  Auffassung  für  unsere  Ergebnisse  von 
geringer  Bedeutung  sind. 

Daneben  ist  zu  beachten,  daß  den  Dichtem,  die  sich 
oft,  keineswegs  stets,  nach  ihren  Vorgängern  richten  und  die 
häufig    nach   Mustern    und    mit   überkommenen   Vorstellungen 

^'^^^-^ 


Die  Jahvetheophanien.  11 

arbeiten,  der  Ursprung  eines  Bildes  nicht  immer  bekannt  und 
bewußt  gewesen  zu  sein  braucht.  Wir  müssen,  abgesehen  von 
der  frei  schöpferischen,  an  Naturereignisse  sich  nur  schwach  an- 
lehnenden Phantasie,  auch  mit  der  Tatsache  rechnen,  daß  eine 
Koutine  von  alters  her  in  der  Behandlung  der  Jahvetheophanien 
bestand,  die  das  zu  Grunde  liegende,  ursprünglich  deutliche 
Phänomen  verdunkelte.  Die  Züge,  mit  denen  die  älteste  Jahve- 
erscheinung,  die  am  Sinai,  ausgestattet  worden  war,  gewannen 
im  Laufe  der  Zeit  typische  Geltung,  weil  dieses  Ereignis  der 
behebteste  Hymnenstoff  war.  So  sind  sie  auch  in  den  eschato- 
logischen  Mythus  hineingewebt  und  haben  sein  farb^n^cSfiges- 
Kleid  mit  schmücken  helfen.  Aber  wenn  so  auch  die  Sinai- 
theophanie  das  literarische  Vorbild  gewesen  sein  mag,  nach  dem 
alle  anderen  Theophanien  gestaltet  wurden,  muß  man  sich  doch 
vor  dem  Irrtum  hüten,  als  sei  damit  die  Entstehung  der  ein- 
zelnen Mythologeme  klar  gestellt.  Denn  die  uns  vorliegenden^ 
überlieferten  Sinaitheophanien,  zumal  der  Hymnen,  sind  nicht 
einheitlicher  Art,  sondern  hier  sind  schon  mannigfache  Züge 
verschiedenster  Herkunft  zu  einem  Ganzen  vereinigt,  die  wir 
erst  sauber  wieder  von  einander  lösen  müssen,  ehe  wir  sie  ver- 
stehen können.  Selbst  die  Sinaitheophanie  des  Buches  Exodus 
ist  nicht  die  klare  dichterische  Mythologisierung  eines  ^  Natur- 
ereignisses, sondern,  wie  wir  sehen  werden,  mehr  oder  weniger 
stilisiert. 

Die  Verknüpfung  heterogener  Elemente  zu  einer  Theophanie  /iix4Ay%  ^ 
ist  auf  den  ersten  Blick  sehr  befremdend,  da  man  meinen  sollte^  ,      // 
daß  Jahve,   wenn   er  z.  B.  ein  Gewittergott  ist,   auch  mit  den     . 
Farben   des  Gewitters   dargestellt  werden  müßte.     Wie  soll  e& 
erklärt   werden,    wenn   in    dies    Bild   sich    ganz    andere    Züge       ****'^^ 
mischen,  die  z.  B.  vom  Erdbeben,  vom  Sirokko,  aber  nicht  vom  J^  'u*  ^**** 
Gewitter   herrühren?     Einmal  ist   zu  beachten,   daß  Jahve  in  /L^.y/^^ 
der  späteren  Zeit  nicht  als  der  Gott  einer  bestimmten  Natur-  ^filnLi 
erscheinung,    sondern    als    der    Gott    einer  Reihe   von   Natur-       J     _ 
erscheinungen  gilt.    Zum  anderen  ist  die  dichterische  Phantasie  'HiÄu^/ 
in  Anschlag  zu  bringen,   die  den  Gott  mit  dem  ganzen  Kom-   .  ^    '  . 
plex  aller  der  Dinge  auszustatten  liebt,  in  denen  er  sich  offen-  ^^'^Y'^tJ 
bart,  um  die  Herrlichkeit  seiner  Majestät  zu  erhöhen.    Wie  der  ^i^^  / 
König  alle  Minister  und  Trabanten  um  sich  sammelt,   um  eine  ' 

würdige  Folie  für  seine  Person  zu  gewinnen,  so  zeigt  der  Dichter 


12      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

den  Jahve,  der  umgeben  ist  von  allen  seinen  Schrecken,  und 
schildert  ihn  inmitten  seines  Hofstaates.  Es  ist  schließlich 
nichts  Anderes,  wenn  auf  den  Götterbildern  alle  die  Attribute 
und  Symbole  der  Gottheit  zusammengestellt  sind,  die  ihr  bei- 
kommen, einerlei  ob  sie  sich  auf  eine  bestimmte  Seite  oder  auf 
alle  die  verschiedenen  Seiten  ihres  Wesens  beziehen  und  im 
letzten  Grunde  disharmonisch  sind.  Eine  Einheit  bilden  sie  nur 
in  der  Phantasie  des  Dichters. 


§  4.    Die  Offenbarung  Jahves  im  Erdbeben. 

JusTus  KÖBERLE :  Natui"  und  Geist  nach  der  Auffassung  des  Alten 
Testaments.  München  1901.  J.  G.  Müller:  Geschichte  der  amerika- 
nischen Urreligionen.  Basel  1855.  Richard  Lasch:  Die  Ursache  und 
Bedeutung  der  Erdheben  im  Volksglauben  und  Volksbrauch  (Archiv  für 
Religionswissenschaft,  Bd.  V).  Tübingen  1902.  M.  Wilhelm  Meyer: 
Von  St.  Pierre  bis  Karlsbad.  Studien  über  die  Entwicklungsgeschichte 
der  Vulkane.  Berlin  1904.  Paul  Volz:  Jüdische  Eschatologie.  Tü- 
bingen 1903. 

Das  Erdbeben  wird  ausdrücklich  erwähnt  in  der  Sinai- 
theophanie  des  Mose  (Ex.  19  is)  und  des  Elia  (Ißeg.  19  ii)  und 
spielt  eine  große  Rolle  in  den  poetischen  Darstellungen  Jahves, 
mögen  sich  diese  nun  auf  irgend  ein  historisches  Ereignis  be- 
ziehen oder  das  Kommen  Gottes  am  Ende  der  Tage  beschreiben. 
Durch  eine  Fülle  von  Bildern  und  Beispielen  wird  das  Erd- 
beben anschaulich  gemacht.  In  einer  Glosse  zum  Buche  Arnos 
(88)  wird  es  verglichen  mit  dem  Sichheben  und  Sichsenken  des 
Nils  (vgl.  Nah.  I5,  wenn  N'*^ni_  lichtig  überliefert  ist),  Jes.  24 20 
mit  dem  Taumeln  des  Betrunkenen  und  ebendort  mit  dem 
^h wanken  der  Hängematte.  GewöhnHch  heißt  es,  daß  die 
Hügel  heben  und  die  Erde  zittert  (Nah.  I5.  Jer.  424.  51 29. 
Hag  26.  21  u.  a.),  seltener,  daß  die  Berge  sich  spalten  und  die 
Erde  zersplittert  wird  (Mch.  I4.  Jes.  24 19.  Ps.  60 4.  Zach.  144), 
und  daß  die  Grundfesten  oder  Säulen,  auf  denen  die  Erde  ruht, 
ins  Wanken  geraten  (Jes.  13 13.  24  is.  Ps.  18  8.  Job.  96).  Wie 
sie,  so  wird  auch  der  Himmel  erschüttert  und  zerrissen  (Jes. 
13 13.  63 19.  Hag.  26. 21;  vgl.  Köberle  S.  113). 

Schon  diese  Übersicht  zeigt,  daß  Erdbeben  den  Israeliten 
Palästinas  bekannt  gewesen  sind  und  in  der  Tat  werden  solche 
aus  geschichtlicher  Zeit  gemeldet  (I  Sam.  14 15.  Am.  1 1.  Zach.  145). 
Diese  Erdbeben  waren  wahrscheinlich  nicht  vulkanischer,  sondern 


Der  Tag  des  Erdbebens.  13 

»tek tonischer  Art,  d.  h.  sie  hängen  mit  Bewegungen  von  Schollen 
der  Erdkruste  an  Erdspalten  zusammen,  oder  der  Oberflächen- 
boden ist  infolge  unterirdischer  Aushöhlungen  oder  Auslaugung 
von  Gyps-,  Kochsalz-  und  Kalklagern  eingestürzt«  (Guthe). 
Für  die  religiöse  Anschauung  jener  Zeit  macht  dieser  Unter- 
schied natürlich  nichts  aus.  Es  genügt  zu  konstatieren,  daß 
man  damals  die  Offenbarung  Jahves  im  Erdbeben  sah  und 
immer  wieder  erlebte. 

Als  Jahve  auszog  vor  seinem  Volke  her,  in  der  Wüste  ein- 
herging, wankte  unter  ihm  die  Erde  (Jdc.  bd.  Ps.  68  sf.),  wie 
unter  seinem  Schritt  am  Ende  der  Tage  die  Berge  zergehen 
(Mch.  I3)  und  der  Ölberg  sich  spalten  wird  (Zach.  144).  Oder 
wenn  er  nur  wütend  blickt,  bersten  die  ewigen  Berge,  ver- 
sinken die  uralten  Hügel  (Hab.  Se);  wenn  er  auf  die  Erde  herab- 
schaut,  so  zittert  sie  (Ps.  10432).  Die  gewöhnliche  Vorstellung 
denkt  den  Jahve  des  Erdbebens  als  einen  grimmigen,  zornigen 
Gott  und  glaubt  in  dem  Getöse  dieser  Naturerscheinung  eine 
Scheltrede  zu  vernehmen  (Nah.  le.  Jer.  10 10.  Ez.  38i9.  Jes.  13 13. 
Ps.  18 16).  Viel  gewaltiger  klingt  die  Poesie  des  29.  Psalms: 
Jahves  Stimme  zerschmettert  Zedern,  Jahve  zerschmettert  die 
Zedern  des  Libanon.  Er  macht  sie  hüpfen  wie  ein  Kalb, 
Libanon  und  Sirion  wie  einen  jungen  Büffel  (vgl.  Ps.  1144.  e). 
Die  Stimme  Jahves,  die  zu  einem  wundervoll  grotesken  Bild 
benutzt  wird,  deutet  hier  nicht  auf  das  Krachen  des  Donners^ 
sondern  auf  das  Rollen  des  Erdbebens  und  das  Brüllen  des 
Sturmes  hin.  Der  mn''  bnp  klingt  wie  Musik  in  den  Ohren 
der  uralten  Berge,  und  wenn  der  Gott  ihnen  aufspielt,  müssen 
sie  tanzen,  und  sie  springen  ungefüge,  ungeschlacht  wie  ein  mun~ 
teres  Kalb,  wie  ein  junger  Büffel  auf  der  Weide.  Verwandte 
Anschauungen  bemerken  wir  auch  anderswo:  »Bei  einem  Erd- 
beben soll  die  Erde  ihren  Kindern,  den  Karaiben,  durch  ihre 
eigene  Bewegung  zu  wissen  tun,  daß  sie  sich  ebenfalls  Bewegung 
geben  sollen,  weshalb  sie  sich  dann  dem  Tanz  und  der  Freude 
hingeben«  (MI^ller  S.  221).  Von  den  mexikanischen  Land- 
leuten werden  noch  jetzt  »vulkanische  Ausbrüche,  welche  des 
Nachts  als  Flammen  bald  über  eine  ganze  Fläche  sich  aus- 
breiten, bald  zu  hohen  Spitzkegeln  aufschießen,  .  .  .  .  la  baila 
de  los  demonios  oder  der  Teufelstanz  genannt«  (MtJLLEß  S.  504). 
Weiteres  Material  findet  man  bei  Lasch. 


14      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Von  solchen  Erdbeben  weiß  nun  die  Eschatologie  viel  zu 
erzählen,  bald  mehr  bald  minder  poetisch.  Einigermaßen  pro- 
saisch lautet  eine  Weissagung  bei  Ezechiel:  Wahrlich  an  jenem 
Tage  soll  ein  großes  Erdbeben  über  das  Land  Israel  kommen. 
Da  sollen  vor  mir  erbeben  die  Fische  des  Meeres  und  die  Vögel 
unter  dem  Himmel^  das  Getier  des  Feldes  und  alles  Getvürm, 
das  auf  der  Erde  kriecht,  und  alle  Menschen,  die  auf  dem  Erd- 
boden sind;  und  die  Berge  sollen  einstürzen  und  die  Felswände 
umfallen  und  alle  Mauern  zu  Boden  sinken  (Ez.  38i9f.).  Das 
Erdbeben  begegnet  uns  schon  in  der  Schilderung  des  Tages 
Jahves  bei  Arnos  8  8  und  95,  doch  sind  diese  Verse  wohl  mit 
Recht  für  interpoliert  erklärt  worden.  Trotzdem  läßt  sich  diese 
Anschauung  als  alt  belegen,  zunächst  aus   dem   echten  Jesaja. 

Jes.  2 12 — 19  entwirft  ein  farbenprächtiges  Gemälde,  das  nach 
gewöhnlicher  Ansicht  einen  Gottessturm,  richtiger  wohl  ein  damit 
verbundenes  Erdbeben  darstellt :  Denn  einen  Tag  hat  Jahve  der 
Heere  über  alles  Prächtige  und  Stolze  und  über  alles  Ragende 
und  Erhabene^,  und  über  alle  Zedern  Libanons,  die  stolzen, 
und  über  alle  Eichen  Basans,  die  ragenden^,  tmd  über  alle 
Berge,  die  stolzen,  und  über  alle  Hügel,  die  ragenden,  und 
über  jeden  hohen  Turm  und  über  jede  befestigte  Mauer  und 
über  alle  Tarsisschiffe  und  über  alle  köstlichen  Wimpel^: 
Und  niedrig  wird  werden  der  Hochmut  der  Menschen  und 
niedrig  der  Stolz  der  Männer,  xmd  erhaben  wird  Jahve,  er 
'Ullein,  an  jenem  Tage.  Und  die  Nicht se^  •  •  •;  kommen 
werden  sie  in  Felsenhöhlen  und  in  Löcher  des  Staubes  vor 
dem  Schrecken  Jahves  und  seiner  hehren  Majestät,  wenn  er 
aufsteht,  zu  erschüttern  die  Erde.  Ein  grandioses  Erdbeben 
also  wird  daherfahren  am  Tage  Jahves  über  alles  Hohe  und 
Erhabene.  Die  Zedern  Libanons  und  die  Eichen  Basans  werden 
geknickt,  als  wären  sie  dünne  Halme.  Ragende  Türme  und 
festgefügte  Mauern  brechen  zusammen,  Schiffe  und  Wimpel 
sinken  unter,  und  Berge  und  Hügel  werden  vom  Erdboden 
hinweggefegt.  Die  Götzen  verkriechen  sich  in  Felsspalten  und 
Sandritzen  zu  Ratten  und  Fledermäusen,  und  der  Mensch  ver- 
liert allen  Stolz  und  winselt  im  Staube.     Denn  Jahve  will  allein 


1.  Lies  nasi  mit  den  LXX.       2.  Stelle  o'^s^csm  mit  Duhm  hinter  i^jatn. 

3.  So  mit  Gesenius.     Gunkel  vermutet:  Barken. 

4.  Die  beiden  folgenden  Worte  sind  verderbt. 


Der  Tag  des  Erdbebens.  15 

erhaben  sein,  ihn  stört  jede  Höhe.  Neben  sich,  rings  um  sich 
her  duldet  er  nur  eine  große  ebene  Fläche,  über  die  nichts 
hervorragt,  weder  Bäume  noch  Berge  noch  Paläste  noch  Men- 
schen. Jahve  allein  schaut  wie  ein  weithin  sichtbarer  Turm 
über  Land  und  Meer. 

Die  dichterische  Form  dieser  imposanten  Rede  mag  von 
Jesaja  herstammen,  den  Inhalt  hat  er  nicht  erfunden,  sondern 
übernommen.  Das  folgt  nicht  nur  aus  dem  allgemeinen  Grund- 
satze, daß  die  mythische  Vorstellung  des  Erdbebens  ihrer  Natur  nach 
älter  ist  als  die  Prophet! e,  ja  als  alle  geschichtliche  ÜberHeferung, 
sondern  das  geht  auch  aus  dem  Zusammenhange  hervor,  in  dem 
diese  Worte  stehen.  Denn  Jesaja  hat  diese  Theophanie  be- 
nutzt, um  an  ihr  die  Wertlosigkeit  des  Götzendienstes  darzu- 
legen. Was  sollen  dem  A^olke  die  Zauberer  und  Wahrsager, 
und  wären  es  selbst  die  gewaltigsten  in  ihrer  Art,  die  von  Osten 
her  oder  aus  dem  Philisterland  oder  überhaupt  aus  der  Fremde, 
was  vermögen  die  Götzen,  und  wären  sie  aus  purem  Silber  oder 
Golde  gefertigt,  was  helfen  Wagen  und  Rosse  und  weltlicher 
Besitz,  wenn  Jahves  Erdbeben  dereinst  alles  verwüstend  einher- 
fährt? An  jenem  Tage  wird  hinwerfen  der  Mensch  seine  sil- 
bernen und  goldenen  Nichtse,  die  er  sich  gemacht  hat  zur  Hul- 
digung^ den  Maulwürfen  und  den  Fledermäusen  (Y.  6 — 11.  20 1. 
Man  erkennt  hier  noch  die  üradeutung.  Nach  der  alten  mythi- 
schen Anschauung  waren  es  die  Götter  selbst,  die  sich  vor 
Jahves  Majestät  angstvoll  in  Felslöchem  bargen,  bei  Jesaja 
sind  es  die  Menschen,  die  ihre  toten  Götzen  in  Klippen  und 
Risse  werfen.  Und  achten  wir  femer  auf  die  dem  Propheten 
eigentümliche  Verkündigung  von  der  drohenden  assjrischen  Ge- 
fahr, die  das  israelitische  Volk  vernichten  soll,  so  fällt  uns^uf, 
daß  in  dieser  ganzen  Schilderung  nicht  der  leiseste  Hinweis 
auf  sie  ^nthalten_ist,  ja_daß  sie.  mjt  diesem  Tage_Jahves_gradezu 
unverträglich_ist._Wenn  der  Gott  so  wütet,  daß  außer  ihm  selbst 
nichts  Erhabenes,  fast  möchte  man  sagen,  überhaupt  nichts  übrig 
bleibt,  wozu  sollte  er  dann  noch  die  Assyrer  bemühen?  Sie 
würden  in  diesem  Zusammenhange  einigermaßen  überflüssig 
sein  und  kommen  darum  überhaupt  nicht  vor.  Mit  andern  Worten : 


1.  V.  21  ist  Dublette  zu  V.  19;  dagegen  ist  nicht  genügend  Grund 
vorhanden,  V.  20  zu  streichen. 


16      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

bei  der  ursprünglichen  Konzeption  dieser  mythischen  Dichtung  hat 
man  nicht  im  Entferntesten  an  sie  gedacht,  und  darum  kann  Jesaja 
diese  Vorstellung  des  Jahvetages  nicht  selbst  gebildet,  sondern 
nur  übernommen  haben.  Noch  eine  andere  Tatsache  ist  be- 
achtenswert. Libanon  und  Basan  sind  die  einzigen  Landschaften, 
die  mit  Namen  erwähnt  werden.  Sonst  ist  ganz  allgemein  von 
allen  Bergen,  von  jedem  hohen  Turm,  von  den  Menschen  und 
der  Erde  die  Rede,  sodaß  sich  das  Erdbeben  des  Jahvetages 
ursprünglich  nicht  auf  Palästina  beschränkt,  sondern  über  die 
ganze  Welt  erstreckt  zu  haben  scheint. 

Besonders  beliebt  war,  wie  wir  aus  vielen  Stellen  ersehen,  die 
Wendung  von  dem  Schrecken  Jahves  (mtr^  nns  oder  mn^  nqnnTs), 
wenn  er  aufsteht,  zu  erschüttern  die  Erde  (Jes.  2 19.  21).  In 
dieser  Phrase  malt  sich  das  ganze  Grauen  und  Entsetzen,  das 
man  bei  dem  jähen,  plötzUchen  und  überwältigenden  Eindruck 
dieser  Gottesoffenbarung  empfand.  Und  geschehen  wird's  plötz- 
lich, urplötzlich,  von  Jahve  der  Heere  wirst  du  heimgesucht  mit 
Donner  und  Dröhnen  und  großem  Schall,  mit  Windsbraut  und 
Wetter  und  der  Lohe  fressenden  Feuers  (Jes.  29  sf.).  Dann  über- 
fällt die  Menschen  ein  »panischer«  Schrecken,  wie  wir  es  bei 
der  Katastrophe  auf  Martinique  so  ergreifend  kennen  lernen. 
»Qualvoller  noch  als  die  Schrecken  solcher  plötzlichen  <  vulka- 
nischen >  Ausbrüche  sind  die  Wirkungen  großer  Erdbeben,  vor 
denen  man  nicht  weiß,  wohin  entfliehen,  denn  man  sieht  nicht 
die  Ursache  der  furchtbaren  Elementargewalt,  die  Erdschollen 
von  Ländergröße  durcheinander  rüttelt.  Die  unsichtbare  Todes- 
gefahr verbreitet  unbeschreibhches  Entsetzen,  und  in  Länder- 
gebieten, in  denen  die  Erde  lange  Zeit  oft  wiederholt  bebte, 
wird  der  Wahnsinn,  in  welchen  die  beständige  Angst  die  Un- 
glücklichen treibt,  oft  epidemisch«  (Meyer  S.  15).  Der  Gottes- 
schreck, der  mit  vielen  naturhaften  Manifestationen  Jahves  ver- 
knüpft ist  (vgl.  u.  §  10),  hing  wohl  besonders  eng  mit  dem  Erd- 
beben zusammen,  wie  außer  Jes.  2 19.  21  auch  I  Sam.  14 15  lehrt: 
Da  erbebte  die  Erde  und  erzeugte  einen  Gottesschreck  (rr^nn 
D">fTbN).  Aus  Gen.  3142.  53  scheint  hervorzugehen,  daß  die 
Kanaaniter  einen  Gott  pnit"^  thd  kannten:  Wenn  nicht  der 
Gott  meines  Vaters,  der  Gott  Abrahams  und  der  Schrecken 
Isaaks,  mir  geholfen  hätte,  dann  hättest  du  mich  ziehen  lassen 
mit  leeren  Händen,     Deutlicher   ist  die  zweite  Stelle:    Das  be- 


Der  Tag  des  Schreckens.  17 

schwor  Jakob  beim  Schrecken  IsaakSy  seines  Vaters,  denn  man 
leistet  einen  Eid  nur  Bei^der  Grottheit.  Da  diese  Erzählung  die 
Kultsage  von  Mizpa  behandelt,  so  hat  Gunkel  mit  Recht  daraus 
geschlossen,  daß  der  erwähnte  Gottesname  ursprünglich  dem 
Numen  dieser  Stadt  des  Ostjordanlandes  zukomme.  Wie  man 
aus  Jdc.  Il34ff.,  der  Geschichte  der  Jephtatochter,  vermuten 
möchte,  wurden  ihm  in  prähistorischer  Zeit  Menschenopfer  dar- 
gebracht. Es  zwingt  uns  nichts,  das  Attribut  des  Schreck^nsi  -fqjwps 
aus  einer  Anleihe  bei  den  Kanaanitern  herzuleiten,  da  diese 
Vorstellung  sich  mit  dem  ursprünglichen  Wesen  Jahves  wohl 
verträgt.  Eher  könnten  parallele  religiöse  Ideen  über  dieselbe 
Naturerscheinung  vorliegen.  Genaueres  läßt  sich  nicht  ausmachen, 
da  diese  Gestalt  Isaaks  in  der  Genesis  vollkommen  verblaßt  ist 
und  da  auch  der  Ausdruck  pn::"«  ins,  trotzdem  er  seinen  gött- 
lichen Charakter  bewahrt  hat,  nicht  mehr  verstanden  wurde, 
wie  die  deutliche  volksetymologische  Anspielung  auf  diesen 
Namen  Gen.  2733  beweist. 

Der  Tag  Jahves  gilt  vor  allem  als  ein  Tag  des  Schreckens 
(n»5i!i?3  Db"»  Jes.  225.  Ez.  7?),  ein  Tag  der  Verstörung  (Dn-« 
riD^n?:  Jes.  225.  Mch.  7 4),  wo  panikartige  Furcht  die  Menschen 
ergreift,  sodaß  sie  nicht  mehr  wissen,  was  sie  tun.  Wie  Jahve 
einst  Israel  verheißen  hat:  Einen  GoUesschrecken  werde  ich  vor 
dir  hersenden,  und  alle  die  Völker,  unter  welche  du  kommen 
wirst,  in  Verwirrung  bringen  und  will  machen,  daß  all  deine 
Feinde  vor  dir  die  Flucht  ergreifen  (Ex.  232?),  und  wie  Israel 
einst  selbst  vom  Gottesschrecken  erfaßt  wurde,  als  Saul  die 
zerstückelten  Rinder  durch  Boten  im  Lande  umhertragen  ließ 
(ISam.  11 7),  so  wird  es  auch  am  Ende  der  Tage  geschehen. 
Mußten  wir  oben  (vgl.  S.  14)  zwei  Verse  des  Amos,  die  aus- 
drücklich vom  Erdbeben  handeln,  als  unecht  preisgeben,  so 
setzen  die  zweifellos  authentischen  Worte  2i3ff.  ebenfalls  ein 
Erdbeben  voraus  und  schildern  deuthch  den  damit  verbundenen 
panischen  Schrecken:  Siehe,  so  mache  ich  euch  den  Boden  unter 
den  Füßen  schwankend,  wie  ein  Wagen  schwankt  unter  der 
Last  der  Garben'^,  Da  weiß  der  Schnelle  nicht  wohin,  und  der 
Starke  kann  seine  Kraft  nicht  brauchen,  und  der  Streitbare 
rettet  sein  Leben  nicht.    Der  Bogenschütze  hält  nicht  stand,  und 


1.  Vgl.  Wellhausen  und  Nowack  z.  St. 

Forschungen  zur  Rel.  n.  Lit.  d.  A.  n.  NT.  6. 


18      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

der  Leichtfüßige  entrinnt  nicht,  und  der  Reiter  zu  Roß  rettet 
sein  Leben  nicht.  Und  wer  festes  Mutes  ist  unter  den  Streitern, 
flieht  nacht  an  jenem  Tage,  sagt  Jahve.  Das  Stück  (Am.  I2 — 2i6)j 
in  dessen  Zusammenhang  uns  diese  Verse  überliefert  sind,  ist 
voll  von  mythischen  Vorstellungen  und  wird  uns  noch  des  Öfteren 
beschäftigen.  Hier  soll  nur  Folgendes  hervorgehoben  werden. 
Erstens  bestätigt  sich  uns,  was  wir  aus  Jes.  2 12 ff.  erschlossen 
h^en :  Die  Anschauung  vom  Tage  Jahves  als  einem  gewaltigen 
Erdbeben  ist  alt,  älter  als  Jesaja,  älter  als  Arnos,  älter  als  die 
schriftstellernde  Prophetie  überhaupt.  Amos  schildert  in  den 
ersten  beiden  Kapiteln  seines  Buches  mit  grellen  Farben  einen 
furchtbaren  Strafakt  Jahves.  Nur  mit  ganz  leisen,  kaum  er- 
kennbaren Zügen  deutet  er  an,  daß  Jahve  zur  Ausführung 
seines  Beschlusses  einen  menschlichen  Helfer,  den  Assyrer,  be- 
nutzt. Diese  befremdende  Tatsache,  daß  Amos  von  Jahve 
redet  und  den  Assyrer  meint,  wird  nicht  einleuchtender  durch 
die  Behauptung:  »Das  liegt  im  Stil  der  prophetischen  Rede 
und  läßt  sich  bis  auf  den  Koran  herab  verfolgen«  (Wellhausen). 
Denn  es  kommt  nicht  bloß  darauf  an,  diesen  Stil  zu  konsta- 
tieren, sondern  ihn  auch  zu  erklären.  Verständlich  aber  wird 
er  mir  rlmv^l]  (\'m  Armahrnp..  daß  die  ältesten  Propheten  dies 
,  f^y^r^^'^^  Helldunkel  liebten,  weil  sie  populäre  eschatologische  Ideen  natur- 
mythologischer Art  verwandten  und  ihre  nahe  Erfüllung  vor- 
aussagten. Indem  Vorstellungen,  die  in  früherer,  vielleicht  in 
prähistorischer,  Zeit  entstanden  und  ausgeprägt  waren,  auf  die 
Gegenwart  oder  unmittelbar  bevorstehende  Zukunft  bezogen 
wurden,  mußten  die  Weissagungen  notwendig  in  ein  gewisses 
Helldunkel  gehüllt  werden,  wenn  anders  sie  mutatis  mutandis 
passen  sollten.  Zw/?itefg  fnirt  ^111^  riiPgPTn  ATnngyifaf^  was  nicht 
oft  gpnnj^  bptmif;  -pyprdpn  kann,  daß  die  iNaiur  "^on  Anfang  an 
in  den  Bereich  der  Eschatologie  hinemgehürL  Ulid,  so"^eit  wir 
Lusgesöhlöfe^fin  War!  " 


Der  Gottesschrecken  kehrt  in  den  Schilderungen  vom  Tage 
Jahves  häufig  wieder,  aber  er  ist  später  typisch  geworden  und 
von  Naturerscheinungen  völlig  losgelöst.  So  heißt  es  z.  B. 
Zeph.  I17:  Da  mache  ich  den  Menschen  bange,  daß  sie  umher- 
gehen wie  die  Blinden,  oder  Zach.  12  4 :  Jenes  Tages,  sagt  Jahve, 
schlage   ich   das   Roß   mit   Scheuen   und   den  Reiter   mit   Ver- 


Der  Tag  des  Schreckens.  19 

wirrung,  nur  dem  Hause  Judas  öffne  ich  das  Äuge^,  aber  jedes  Boß 
der  Heiden  schlage  ich  mit  Blindheit  Wenn  ferner  die  Exulanten 
den  Untergang  Jerusalems  erfahren,  werden  sie  so  schreckens- 
starr sein,  daß  sie  die  Zeichen  der  Trauer  vergessen  (Ez  24 19 — 24). 
Alle  natürlichen  Verhältnisse  werden  umgekehrt :  Der  Sohn  ver- 
achtet den  Vater,  die  Tochter  erhebt  sich  wider  die  Mutter j  die 
Schwieger  wider  die  Mutter^  und  des  Menschen  Feinde  sind  seine 
Hausgenossen  (Mch.  Te).  Jenes  Tages  wird  eine  gewaltige  Ver- 
wirrung von  Jahve  aus  über  sie  kommen,  sodaß  sie  Hand  an 
einander  legen  ^  und  die  Hand  des  einen  sich  wider  die  des 
anderen  erhebt  (Zach.  14  ly).  Einer  fällt  durch  das  Schwert  des 
anderen  (Hag.  222).  Da  wird  gewaltige  Erregung  (excessus 
mentis)  über  die  Erdenbewohner  fallen,  daß  sie  Kriege  wider 
einander  planen  (IVEsra  13  so,  vgl.  5i,  IBar.  203).  Siehe,  Tage 
kommen^  da  wird  ....  der  Allmächtige  über  die  Erde  und  ihre 
Bewohner  und  über  ihre  Regenten  Geistesverwirrung  und  herz- 
lähmenden Schreck  herbeiführen.  Und  sie  werden  einander 
hassen  und  sich  gegenseitig  zum  Krieg  anreizen  u.  s.  w.  (IBar. 
70 2.  6).  Kurz,  »es  geht  alles  drunter  und  drüber,  man  kommt 
•aus ^  dem  Entsetzen  nicht  hinaus«  (Volz  S.  181,  wo  mehr 
Material). 

§  5.    Die  Offenbarung  Jahres  im  Sturm. 

Hermann  Gunkel:    Schöpfung  und  Chaos.     Göttingen  1895. 

In  der  Beschreibung  des  Tages  Jahves,  der  über  das  Land 
der  Ägypter  hereinbrechen  soll,  sagt  Ezechiel:  Und  machen 
werde  ich  die  Ströme  zur  Trocknis  (Ez.  30 12).  Jer.  51 36  wird 
dasselbe  gegen  Babel  geweissagt:  Darum  also  spricht  Jahve: 
^iehe  ich  führe  deine  Sache  mid  räche  deine  Rache  und  lasse 
austrocknen  ihr  Meer  und  lasse  versiegen  ihren  Quell,  Das  ist 
nicht  uneigentlich  zu  verstehen  von  dem  Vertilgen  der  Lebens- 
kraft Babels,  wie  Giesebrecht  will,  so  wenig  das  Folgende  un- 
eigentlich gemeint  ist:  Und  es  soll  Babel  zu  Steinhaufen  werden, 
eine  Wohnung  der  Schakale,  ein  Entsetzen  und  Gespött,  ohne 
Bewohner.  Es  ist  auch  nicht  daran  zu  erinnern,  daß  Ägyptens 
und  Babyloniens  Fruchtbarkeit  in   ganz  besonderem  Maße  ab- 


1.  Lies  min''  rr^dh^  und  rry-ns.  2.  Lies  inyia  Tf. 

2* 


20      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

hängig  ist  von  der  Eeichlichkeit  des  Wassers  und  der  Existenz 
der  Kanäle  und  daß  die  Propheten  mit  Rücksicht  darauf  die 
Idee  vom  Austrocknen  des  »Meeres«  erdichtet  hätten;  denn  diese 
Einzelheit  findet  sich  ebenso  in  den  Drohungen  gegen  Israel. 
In  der  Jahvetheophanie  des  Buches  Nahum  wird  durch  die 
geographischen  Namen  ausdrückhch  auf  Palästina  hingewiesen: 
Er  schilt  das  Meer  und  legt  es  trocken  und  macht  alle  Ströme 
wasserlos.  Basan  und  der  Karmel  vergeht  ^  und  die  Blüte  des 
Libanon  wird  welk  (1 4).  Auf  diese  Weise  also  kann  man  nicht 
zu  einer   einleuchtenden  Erklärung   des  Tatbestandes   gelangen. 

Man  muß  vielmehr  vom  Ost-  oder  Südostwind  ausgehen^ 
dem  furchtbarsten  Winde,  der  Palästina  heimsucht.  Im  Winter 
angenehm  und  willkommen,  wird  er  im  Sommer  zum  entsetz- 
lichen Sirokko.  »Er  trocknet  die  Schleimhaut  der  Luftwege 
aus  und  verursacht  Entzündungen,  erzeugt  die  größte  Müdigkeit,. 
Kopfweh,  Beklemmung  der  Brust,  beschleunigten  Puls,  Durst, 
selbst  wirkliches  Fieber.  Er  trocknet  die  Möbel  aus,  daß  sie 
krachen,  krümmt  die  Bücherdecken  und  die  in  Rahmen  hän- 
genden Bilder  und  versengt  förmlich  ganze  Felder  von  jungem 
Getreide  .  .  .  Da  er  auch  sehr  heftig  auftreten  kann  und 
Wirbelwinde  verursacht,  die  Menschen  und  Tiere  umwerfen, 
dabei  feinen  Staub  und  Sand  durch  die  Luft  treibt,  so  ist  es 
begreiflich,  daß  er  von  jeher  als  der  verderbliche  Wind  gegolten 
hat«  (Guthe,  Bibelwörterbuch  s.  v.  Wetter).  Wir  erwarten  a 
priori,  daß  er,  der  in  Palästina  eine  so  hervorragende  Rolle 
spielt,  in  besonderem  Sinne  als  der  Wind  Jahves  galt,  und 
diese  Erwartung  täuscht  uns  nicht. 

Der  (Süd)ostwind  ist  das  Element,  in  dem  die  Gottheit 
webt,  und  darum  heißt  er  direkt  mn*^  n^n  D">^p,  (Hos.  13i5) 
oder  allgemeiner  mn""  n"}2?D  (Jer.  23 19  =  30  23).  In  Sturm 
und  Wetter  ist  sein  Weg,  und  Gewölk  ist  der  Staub  seiner 
Füße  (Nah.  I3).  Fressendes  Feuer  geht  vor  ihm  her  und  rings 
um  ihn  stürmt  es  gewaltig  (Ps.  50  3).  Jahve  wird  über  ihnen 
erscheinen,  seine  Pfeile  schießen  hervor  wie  Blitze,  und  der  Herr 
Jahve  stößt  in  die  Posaune  und  fährt  dahin  in  den  Stürmen 
des  Süds  (Zach.  9 14).  Im  Orkan,  der  Berge  zerreißt  und  Felsen 
zerschmettert,  hofft  Eha  den  Gott  zu  schauen  (IReg.  19 11),  im 
Orkan  holt  Jahve  denselben  Propheten  zum  Himmel  empor 
(II  Reg.  2i)  und  im  Orkan  antwortet  er  dem  Hiob  (Job  38 1.  406)^ 


Der  Tag  des  Sirokko.  21 

wie  dieser  schon  vorher  gefürchtet  hatte:  Wenn  ich  ihn  riefe 
und  er  gäbe  mir  Antwort,  so  würde  ichs  doch  nicht  glauben^ 
daß  er  mich  anhören  werde,  vielmehr  im  Sturmwind  würde  er 
mich  zermahnen  (Job  9  lef.).  Die  Art,  wie  Jahve  mit  dem  Wind 
verbunden  wurde,  war  verschieden.  Bald  ward  er  als  ein  Wind- 
gott vorgestellt,  der  den  Sturm  durch  die  Nase  bläst  (Ex.  lös.  lo. 
Jes.  59 19.  Ps.  18 16).  Wenn  Eis  Odem  (b»  r\mi)i)  die  Wasser 
anhaucht,  so  gefrieren  sie  (Job  37  lo).  Das  Gras  verdorrt,  die 
Blume  verwelkt,  wenn  Jahves  Odem  (mrT«  n^'n)  sie  anbläst  (Jes. 
40?.  24).  Bald  wird  er  als  ein  grimmiger,  »wutschnaubender« 
Held  gedacht,  vor  dessen  Scheltrede  sich  das  Wasser  ängstKch 
verkriecht  (Nah.  I4.  Ps.  18  le.  106  9).  Bald  ist  der  Wind  der 
Wagen  Jahves,  auf  dem  er  einherfährt.  Als  Elia  und  EUsa 
sich  unterredeten,  kam  plötzlich  ein  feuriger  Wagen  und  feurige 
Bosse,  die  trennten  beide  von  einander,  und  also  fuhr  Elia  im 

Wetter  gen  Himmel  (IIBeg.  2 11).  Siehe,  wie  Wolken  zieht  er 
heran  und  dem  Sturm  gleichen  seine  Wagen,  schneller  als  Adler 
sind  seine  Rosse  (Jer.  4 13).  Denn  siehe  Jahve  will  im  Feuer 
kommen  und  wie  der  Wirbelwind  sind  seine  Wagen,  heimzu- 
zahlen in  Hitze  seinen  Zorn  und  sein  Dräuen  in  Feuerflammen 
{Jes.  6615). 

Das  mythische  Motiv  vom  Jahveorkan  ist,  aus  der  Gegen- 
wart entlehnt,  in  die  eschatologische  Dichtung  aufgenommen 
und  begegnet  uns  zunächst  in  bildlicher  Redeweise.  Ps.  83 14 
betet  der  Sänger  um  Vernichtung  seiner  Feinde:  Mein  Gott, 
mach  sie  wie  Wirbelstaub,  wie  Stoppeln  vor  dem  Winde!  Wie 
das  Feuer,  das  den  Wald  anzündet,  und  wie  die  Flamme,  die 
an  den  Bergen  züngelt,  so  verfolge  du  sie  mit  deinem  Wetter 
und  schrecke  du  sie  mit  deiner  Windsbraut!  Jeremia  läßt 
Jahve  von  den  Israeliten  sagen :  Darum  will  ich  sie  zerstreuen 
wie  Spreu,   zerstiebend  vor   dem    Wind   der  Wüste  (Jer.  1324). 

Wie  ein  Ostwind  will  ich  sie  verscheuchen  vor  dem  Feind 
<Jer.  18 17).  Obwohl  diese  Worte,  so  wie  sie  vorliegen,  in  der 
Form  des  Vergleiches  gehalten  sind  und  so  aufgefaßt  werden 
müssen,  geht  doch  aus  einer  ganz  ähnlichen  Stelle  hervor,  daß 
diese  Bedensarten  ursprüngHch  nicht  bildlich,  sondern  eigentlich 
gemeint  waren:   Siehe,  der  Sturmwind  Jahves  bricht  hervor  und 

Windsbraut  wälzt  sich  daher,  auf  das  Haupt  der  Frevler 
wirbelt  sie  herab  (Jer.  23 19  =  80  23).     Erst  ein  späterer  Glos- 


22     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

sator  hat  zu  der  tniT'  ni»o  die  Erklärung:  Grimm  gefügt  und 
damit  den  anfänglichen  Sinn  etwas  umgebogen.  Allein  stärkere 
Stützen  als  dies  stehen  uns  für  unsere  Behauptung  zu  Gebote. 

Hos.  13  uf.  läßt  der  Prophet  Jahve  die  rätselhaften  Worte 
sprechen:  Soll  ich  sie  (die  Israeliten)  aus  der  Hölle  Hand  be- 
freien, vom  Tode  sie  loskaufen?  Her  mit  deinen  Seuchen,  Tod! 
Her  mit  deiner  Pestilenz,  Hölle !    Mitleid  ist  vor  meinen  Augen 

verborgen Ein  Ostwind  Jahves   wird  kommen,    aus   der 

Wüste  sich  erhebend,  der  wird  seinen  Born  austrocknen,  seine 
Quelle  versiegen  machen.  Das  ist  eine  seltsame,  frappierende 
Kede,  über  die  man  sich  nicht  genug  wundern  kann.  Wie 
kommt  denn  Hosea  dazu,  Hölle,  Tod  und  den  Ostwind  Jahves 
zu  zitieren,  da  er  doch  die  Assyrer  meint?  Nach  den  An- 
schauungen des  Propheten  müßte  die  Drohung  etwa  lauten: 
Soll  ich  sie  aus  der  Assyrer  Hand  befreien,  vom  Kriege  sie 
loskaufen?  Her  mit  deinen  Seuchen,  Krieg,  her  mit  deiner 
Pestilenz!  Mitleid  ist  vor  meinen  Augen  verborgen.  W^ie  der 
Ostwind  Jahves,  der  Quellen  und  Borne  vertrocknet,  brause 
heran,  Assyrer,  alles  versengend  und  verheerend !  Das  hat  Hosea 
zweifellos  auch  sagen  wollen,  aber  seine  Ausdrucksweise  ist  auf- 
fälHg  und  bedarf  der  Erklärung. 

So  wie  seine  Worte  lauten,  enthalten  sie  ein  mythisches 
Motiv.  Jahve  tritt  hier  auf  als  ein  grausamer,  unbarmherziger, 
vernichtender  Gott.  Als  seine  Diener  ruft  er  herbei  den  Tod 
mit  seinem  Heer  von  Seuchen,  die  Seol  mit  ihren  Fieberscharen, 
während  er  selbst  im  Ostwind  daherfährt.  Wie  furchtbar  und 
entsetzhch  müssen  diese  Horden  wüten,  wenn  sie  auf  die  Erde 
losgelassen  werden!  Die  Bäche  werden  wasserleer,  fruchtbares 
Ackerland  wandelt  sich  in  öde  Wüstenei,  Menschen  und  Tiere 
siechen  vor  Fieberdurst  dahin  und  selbst  die  Fische  im  Wasser 
müssen  zu  Grunde  gehen.  Das  ist  eine  in  sich  verständliche 
Rede.  Wir  sehen,  wie  die  im  Zusammenhang  der  prophetischen 
Schrift  anstößigen  Worte  Jahves  alles  Sonderbare  verlieren, 
sobald  sie  ohne  Beziehung  auf  die  Assyrer  aus  sich  selbst  er- 
klärt werden.  Vor  allem  begreift  man  dann,  wie  der  Prophet 
von  dem  Ostwind  Jahves  eine  mythische  Schilderung,  nicht 
einen  poetischen  Vergleich  geben  kann.  Und  ebenso  begreiflich 
ist  es  jetzt,  daß  die  Assyrer  als  Tod  und  Hölle  bezeichnet 
werden.     Denn  Hosea  hat  hier   eine  mythische  Idee  aus  der 


Der  Tag  des  §irokko.  23 

Überlieferung  übernommen  und  umgedeutet.  Wie  jeder  Ver- 
gleich hinkt,  so  ist  auch  diese  Unideutung  nur  halb  gelungen, 
und  darum  kann  das  benutzte  mythische  Motiv  nicht  von  Hosea 
selbst  erdichtet  sein,  wie  denn  überhaupt  in  historischer  Zeit 
weder  Mythen  noch  mythische  Vorstellungen  entstehen. 

Tatsächlich  können  wir  dieselbe  Idee  schon  bei  Amos 
nachweisen.  Das  Buch  dieses  Propheten  beginnt  mit  einer 
interessanten  Formel,  die  wegen  ihrer  Inkonzinnität  nicht  von 
ihm  selbst  herstammen  kann,  sondern  wohl  aus  älteren 
Liedern  entlehnt  sein  muß:  Jahve  brüllt  von  Zion  her  und 
donnert  aus  Jerusalem,  da  trauern  die  Auen  der  Hirten  und 
des  Karmels  Haupt  verdorrt  (Am.  I2).  Wellhausen  bemerkt 
dazu:  »Als  Judäer  läßt  Amos,  vielleicht  nach  älterem  Muster, 
den  Jahve  von  Zion  aus  donnern,  ohne  damit  sagen  zu  wollen, 
daß  er  dort  und  nirgends  anders  wohne.  Denn  er  erkennt  kein 
Vorzugsrecht  Judas  vor  Israel  an.  —  Das  Gewitter,  das  von 
Zion  ausgeht,  ist  ein  uneigentHches ;  es  hat  die  paradoxe  Wir- 
kung, daß  Kraut  und  Bäume  welken  und  verdorren«.  Um  den 
Satz  des  Amos  zu  verstehen,  muß  man  zunächst  erkennen,  daß 
in  ihm  verschiedene  Anschauungen  zusammengeflossen  sind. 
Der  Vordersatz  enthält  die  beiden  mit  einander  verbundenen  Aus- 
sagen, die  leicht  wieder  von  einander  zu  lösen  sind:  Erstens, 
Jahve  wohnt  in  Zion  und  in  Jerusalem;  zweitens,  Jahve  brüllt 
und  donnert  im  Gewitter.  Durch  die  Vereinigung  dieser  beiden 
Vorstellungen  entsteht  eine  Inkonzinnität;  denn  ein  Gewitter 
erhebt  sich  nicht  aus  Jerusalem.  Zum  Nachsatz  hat  ferner  in 
der  ursprünglichen  Konzeption  ein  anderer  Vordersatz  gehört, 
der  verloren  gegangen  ist.  Die  Auen  der  Hirten  trauern  und 
des  Karmels  Haupt  verdorrt,  wenn  —  der  Sirokko  weht,  oder 
richtiger,  da  die  Formel  wie  die  beiden  anderen  religiös  gewesen 
sein  muß,  —  wenn  Jahve  im  Sirokko  einherfährt.  Dieser  Aus- 
druck wurde  durch  den  anderen,  zusammengesetzten,  verdrängt: 
wenn  Jahve  von  Zion  her  brüllt  und  aus  Jerusalem  donnert. 
Diese  Vertauschung  der  Glieder  war  nur  möglich,  falls  die 
Sätze  nicht  mehr  lebendig,  sondern  durch  den  Gebrauch  be- 
reits erstarrt  waren,  und  falls  sie  alle  drei  in  das  Gebiet  des 
religiösen  Sprachschatzes  gehörten,  also  auch  der  Ostwind  als 
eine  Manifestation  Jahves  galt.     Amos  kann  nicht  der  Schöpfer 


24      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

dieser  Vorstellungen  gewesen  sein,    er  muß  überkommenes  Gut 
benutzt  haben  i. 

Wir  haben  das  mythische  Motiv  vom  Jahvesamüm,  das 
uns  zuerst  bei  Hosea,  mit  einer  Schilderung  der  Assyrernot  ver- 
quickt, begegnet  war,  jetzt  auch  in  einer  selbständigen,  reli- 
giösen Formel  des  Amos  nachgewiesen,  die  ihrem  Charakter 
nach  in  der  vorprophetischen  Zeit  entstanden  sein  muß.  Nicht 
ohne  Grund  hat  Amos  sie  seinem  Buche  vorangestellt.  Sie  ist 
gewissermaßen  das  Motto  für  die  ersten  beiden  Kapitel,  in 
denen  der  Tag  Jahves  mit  mythischen  Farben  gemalt  ist.  Es 
ist  bereits  gezeigt  worden,  daß  2i3ff.  die  Vorstellung  eines  mit 
dem  Gottesschrecken  verbundenen  eschatologischen  Erdbebens 
voraussetzt.  Jetzt  sei  noch  darauf  aufmerksam  gemacht,  wie 
Jahve  selbst  Feuer  an  die  Paläste  legt  heim  Hurrah  am  Tage 
der  Schlacht,  im  Wetter  am  Tage  des  Sturms  (n5?,o  d't«3  1^02 
lu).  Der  Tag  Jahves  führt  gradezu  seinen  Namen  nach  dem 
dann  stattfindenden  Orkan  oder  Sirokko,  der  uns  auch  sonst 
entgegentritt,  grade  in  den  Drohreden  der  beiden  ältesten 
Propheten,  sodaß  wir  mit  Sicherheit  behaupten  können,  er  habe 
eine  Rolle  gespielt  in  der  populären  Anschauung  vom  Tage 
Jahves. 


1,  Der  hier  beobachtete  religionsgeschichtlich  wichtige  Vorgang 
läßt  sich  auch  sonst  konstatieren.  Professor  Eichhorn  hat  mich  auf 
Joh.  738  aufmerksam  gemacht:  Wer  an  mich  glaubt^  ....  Ströme  leben- 
digen Wassers  werden  aus  seinem  Leibe  ßießen.  Vordersatz  und  Nach- 
satz passen  nicht  zu  einander,  beide  stammen  aus  einer  ganz  verschie- 
denen Sphäre.  Der  erste  ist  christlichen  Ursprungs,  der  zweite  nicht. 
Er  lehnt  sich,  wie  ich  glaube,  an  ein  Kultbild  an,  aus  dessen  Leibe 
Ströme  von  Quellwasser  flössen,  etwa  ähnlich  den  Abbildungen  babylo- 
nischer Wassergottheiten,  wo  ein  Wasserstrom  von  beiden  Schultern 
ausgeht  (vgl.  z.  B.  Jeeemias:  Das  Alte  Testament  im  Lichte  des  Alten 
Orients.  Leipzig  1904.  S.  38.  Abb.  16).  Die  Formel  muß,  wenn  man 
sie  rekonstruieren  will ,  ursprünglich  etwa  gelautet  haben :  »Wer  sich 
taufen  läßt«  oder  »wer  in  den  Jordan  steigt,  Ströme  lebendigen  Wassers 
werden  aus  seinem  Leibe  fließen«  d.  h.  der  wird  mit  dem  Stromgott 
identisch  und  eben  dadurch  heilig  und  sündenfrei.  Die  mystische  Ein- 
heit, in  der  Adorant  und  Gottheit  sich  verbinden,  wird  ausgedrückt 
durch  das  der  Darstellung  des  Gottes  entlehnte  Bild.  Später  ist  dann 
die  in  diesem  Wasserkult  übliche  Phrase  ins  Christentum  übergegangen 
und  dort  mit  einer  ganz  andersartigen  Idee  verschmolzen  worden,  sodaß 
sie  ihren  alten  Klang  und  Sinn  vollkommen  verloren  hat. 


Der  Tag  des  Sirokko.  25 

Hos.  43  heißt  es:  Darum  wird  trauern  das  Land  und 
alles,  was  darin  wohnt,  verwelken  bis  auf  das  Wild  des  Feldes 
und  die  Vögel  des  Himmels,  und  auch  die  Fische  des  Meeres 
werden  hingerafft  werden.  Nach  Wellhausen  freüich  enthält 
dieser  Vers  eine  »Aussage  über  schon  Gegenwärtiges:  die  Natur 
seufzt  sichtHch  unter  der  Sünde  der  Menschen«.  Aber  das 
wäre  ein  gar  zu  seltsamer  Gedanke,  daß  die  Fische  an  der 
Oberfläche  schwimmen  und  die  Tiere  krepieren,  weil  die  Men- 
schen lügen,  morden,  stehlen  und  ehebrechen  (42).  Es  werden 
vielmehr  wie  13 15  die  Wirkungen  genannt,  die  der  Samum  am 
mrT«  DT"  anrichtet:  Unter  seiner  furchtbaren  Hitze  und  Trocken- 
heit leidet  nicht  nur  das  Land,  werden  nicht  nur  die  Gräser 
versengt,  sondern  auch  Menschen  und  Tiere,  ja  selbst  die  Fische 
des  Meeres  gehen  zu  Grunde,     ^^^t" 

Am.  8i3f.  gibt  eine  andere,  nicht  minder  lebendige  Schil- 
derung :  Jenes  Tages  werden  die  schönen  Mädchen  und  die  jungen 
Männer  vor  Durst  in  Ohnmacht  fallen,  die  da  schwören  beim 
Heiligtum  von  Bethel  und  sagen:  so  wahr  dein  Gott  lebt,  Dan! 
und  so  wahr  dein  <  Gott  >  lebt,  Beersabaf  und  sie  sinken  hin 
und  stehen  nicht  wieder  auf.  An  diesen  Versen,  die  mannig- 
fachen Anstoß  bereitet  haben,  ist  das  Eine  klar,  daß  »jenes 
Tages«  ein  gewaltiger,  alles  ausdörrender  Sirokko  wehen  wird, 
und  daß  infolge  dessen  die  Borne  und  Quellen  versiegen  und 
die  schönen  Mädchen  und  jungen  Männer  vor  Durst  umfallen, 
schmählich  im  Stich  gelassen  von  den  Göttern,  denen  sie  ihre 
Huldigungen  darzubringen  pflegten.  Mit  dem  Kult  ist  es  dann 
vorbei,  wie  die  Sonne  der  Finsternis  gewichen  ist,  die  Feste  in 
Trauer,  die  Lieder  in  Klage  verwandelt  sind  und  das  Haupt- 
haar zur  Glatze  geworden  ist^  (Sgff.).  Das  Austrocknen  der 
Bäche  und  Brunnen  ist  eine  Folge  des  Jahvesamüms,  von  dem 
jedermann  wußte,  daß  sich  seine  versengende  Kraft  am  mn^  DT« 
besonders  furchtbar  entfaltet,  sodaß  der  Prophet  nur  darauf  an- 
zuspielen braucht.  Warum  er  grade  die  schönen  Mädchen  und 
die  jungen  Männer  nennt,  verstehen  wir  nicht  mehr 2. 


1.  V.  11  f.  streiche  ich  mit  Oort  u.  a. 

2.  Darum  haben  wir  freilich  noch  keinen  Grund ,  die  Worte  zu 
streichen  und  V.  14  a  mit  Löhr  und  Meinhold  zu  eliminieren.  Wenn 
man  genügend  Phantasie  besitzt,  so  kann  man  ja  vermuten,  daß  die 
Götter  von  Dan  und  Beersaba  hier  Quellnumina  bedeuten  und  Ursprung- 


26      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Aus  allen  diesen  Belegstellen  geht  mit  der  größten  Deut- 
lichkeit hervor,  wie  verkehrt  das  Dogma  ist,  daß  »die  Herein- 
ziehung der  physischen  "Welt  in  das  Gerichtsdrama  ein  Kenn- 
zeichen der  späteren  Eschatologie  sei«  (Duhm  zu  Jes.  344).  Im 
Gegenteil,  von  Anfang  an  schon  in  den  ältesten  Büchern,  aus 
denen  uns  der  Tag  Jahves  bekannt  ist,  wird  von  einer  Um- 
wälzung in  der  Natur  gesprochen.  Man  muß  also,  ob  man  will 
oder  nicht,  zugeben,  daß  die  Natur  von  Hause  aus  auf  die 
eschatologische  Bühne  gehört,  und  wenn  man  die  auf  das  Sitt- 
liche und  die  Menschenwelt  gerichteten  Träger  der  Prophetie 
nicht  als  die  Schöpfer  dieser  Dichtung  begreifen  kann,  so  wird 
man  weiter  zugestehen  müssen,  daß  ihnen  ein  festausgeprägter 
Stoff  überliefert  sei,  wie  ja  auch  aus  vielen  anderen  Anzeichen 
hervorgeht.  Aber  man  wir(?" vielleicht  weiter  gehen  und  sagen: 
es  sei  wohl  denkbar,  daß  dem  Tage  Jahves  eine  Wirkung  auf 
die  Natur  zugeschrieben  wurde,  allein  ursprünglich  sei  nicht  die 
ganze  Erde,  geschweige  denn  die  Welt,  sondern  nur  Palästina 
in  den  Bereich  des  Mythus  gezogen  worden.  Erst  später  sei 
mit  der  Verwicklung  Israels  in  die  Wirren  der  Weltreiche  und 
mit  der  durch  die  Geschichte  verursachten  Erweiterung  des 
Horizontes  die  Bühne  des  eschatologischen  Dramas  vergrößert 
worden.  Vor  allem  wird  Deuterojesaja  als  der  Schöpfer  dieses 
Universalismus  gefeiert  und  gepriesen.  Diese  Anschauung  be- 
ruht in  der  Tat  auf  einem  richtigen  Gesamteindruck,  In  den 
älteren  d.  h.  vorexilischen  Dichtungen  tritt  der  kosmische  Hinter- 
grund bei  weitem  nicht  so  deutlich  hervor,  wie  in  der  Zeit  nach 
der  Verbannung,  aber  man  würde  doch  fehlgehen,  wollte  man 
ihn  ganz  leugnen. 

Die  Offenbarung  Jahves  im  Sirokko  erlebte  Israel  nicht 
einmal,  sondern  immer  wieder,  sobald  furchtbare  Ostwinde  das 
Land  heimsuchten.  Dies  Mythologem  ist  also  spezifisch  israeli- 
tisch, weil  es  aus  dem  Klima  Palästinas  erklärlich  ist.  Fremden 
Ursprung  zu  vermuten,  liegt  nicht  der  geringste  Anlaß  vor,  ob- 


lich  ausdrücklich  als  solche  bezeichnet  sein  mögen.  Zu  Beersaba  würde 
Wellhausens  Konjektur  -^^a  gut  passen,  und  i^n^s  könnte  Korrektur 
sein  für  den  Baal  der  Jordanquelle,  in  deren  Nähe  Dan  lag.  Die 
schönen  Mädchen  und  jungen  Männer  führten  am  Ende  Eeigentänze  auf 
wie  in  dem  mit  Quellen  versehenen  Silo  (Jdc.  21 21)  oder  sie  sind  als 
der  Typus  für  die  kräftigsten  Leute  gewählt  (Gunkel). 


Der  Tag  des  Sirokko.  27 

wohl  es  durchaus  wahrscheinhch  ist,  daß  auch  die  Kanaaniter 
in  ßeseph  oder  Rasuph  einen  Gott  des  »Glutwindes«  besaßen^ 
und  obwohl  die  Möglichkeit  nicht  geleugnet  werden  soll,  daß 
Züge  dieses  Gottes  auf  Jahve  übertragen  worden  sind.  Wenn 
aber  der  antike  Mensch  in  allen  auffälligen  Naturerscheinungen 
das  Walten  der  Gottheit  sah,  so  wird  man  die  Offenbarung 
Jahves  im  Ostwinde  dem  Glauben  des  israehtischen  Volkes  nicht 
absprechen  dürfen,  mag  dessen  Phantasieleben  auch  noch  so  ge- 
ring eingeschätzt  werden.  So  kommt  es,  daß  das  Motiv  vom  Jahve- 
samüm  äußerst  beliebt  war.  Es  findet  sich  nicht  nur  in  reli- 
giösen Formeln,  sondern  ist  ebenso  in  den  Sinaigeschichten 
verwandt  worden  (Ex.  14  21)  wie  es  in  dem  eschatologischen 
Mythus  immer  und  immer  wiederkehrt;  noch  Mechilta  30b 
(zu  Ex.  14 21)  weiß,  daß  die  Eache  Gottes  an  den  Gottlosen 
durch  einen  Ostwind  vollzogen  wird  (Volz  S.  281). 

Beim  Überblick  über  das  sonst  noch  im  Alten  Testament 
vorhandene  Material  beginnen  wir  mit  den  Schilderungen,  denen 
speziell  der  Sirokko  zu  Grunde  zu  liegen  scheint.  Jes.  339: 
Es  welkf^j  hinwelkt  die  Erde,  beschämt  ist  der  Libanon ,  ver- 
dorrt, es  wurde  Saron  wie  die  Steppe,  und  kahl  steht  Basan 
und  der  Kännel.  Die  hier  aufgezählten  Landschaften  gehören 
teilweise  nicht  zu  Israel,  liegen  aber  doch  in  seinem  Gesichts- 
kreis. Jes.  42i4f.:  Stumm  bin  ich  gewesen  seit  lange,  bin  still, 
halt  an  mich:  wie  die  Gebärende  will  ich  schreien,  will  schnauben 
und  schnappen  zumal,  will  ausdörren  Berge  und  Hügel  und  all 
ihr  Kraut  austrocknen,  will  Ströme  machen  zu  Inseln  und 
Sümpfe  austrocknen.  Jes.  244ff.:  Es  trauert  und  vergeht  die 
Erde,  es  welkt,  vergeht  die  Welt,  es  welkt  der  Himmel  wie  die 
Erde^  ....  Darum  frißt  ein  Fluch  die  Erde  tmd  sind  in 
Schuld,  die  auf  ihr  wohnen,  darum  brennen  die  Bewohner  der 
Erde  (im  Fieber)  und  bleiben  übrig  wenig  Menschen.  Noch 
farbenreicher  wird  das  Ausdörren  des  Himmels  Jes.  344  ge- 
malt :  Und  zusammenrollen  werden  sich  wie  ein  Buch  die  Himmel 
und  all  ihr  Heer  abwelken,  wie  abwelkt  das  Lauh  vom  Wein- 
stock und  wie  das  Abwelkende  vom  Feigenbaum.  Wir  erinnern 
uns,  wie  der  Ostwind  »die  ßücherdecken  krümmt«,  und  dürfen 
uns  dementsprechend  vorstellen,  wie  er  dermaleinst,  in  grotesker 


1.  Lies  nVas.  2.  Lies  mit  Gunkel,  ynsn  ny  ciiö. 


28      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Vergröberung  bekannter  Tatsachen,  den  Himmel  zusammen- 
ballen wird,  bis  er  berstend  auseinander  kracht.  Infolge  der 
gewaltigen  Hitze  wird  auch  der  Himmelsbaum  verdorren,  sodaß 
die  Sterne  abwelken,  die  wie  goldene  Früchte  oder  Blätter  an 
ihm  hangen.  Daß  der  Himmelsbaum  eine  auch  sonst  nachweis- 
bare mythische  Anschauung ^  der  Israeliten  ist,  hat  Gunkel 
an  der  Hand  von  Zach.  4iff.  treffend  gezeigt. 

Anderswo  ist  es  weniger  der  Sirokko  als  der  Sturmwind  über- 
haupt, der  den  Himmel  zerfetzt  gleich  dem  Bauche  (Jes.  51  e).  Und 
ebenso  wird  der  Himmelsbaum  nicht  durch  einen  Samum  zum 
Verdorren  gebracht,  sondern  durch  einen  gewaltigen  Orkan  ge- 
schüttelt [vTvo  avBfxov  lÄsydXov  Geio/iiivri),  daß  die  Sterne  wie 
Feigen  zur  Erde  fallen  (Apk.  Job.  613).  Diese  Nüanzen  sind 
sehr  interessant;  sie  lehren  uns,  wie  falsch  es  ist,  bei  derartigen 
Schilderungen  sofort  an  Abhängigkeit  der  Autoren  zu  denken. 
Eine  Entlehnung  ist  schon  deswegen  unmögHch,  weil  die  An- 
schauungen nicht  genau  übereinstimmen.  Es  handelt  sich  viel- 
mehr um  parallele  Vorstellungen,  die  im  Leben  des  Volkes 
gewiß  noch  viel  mannigfaltiger  waren,  als  wir  heute  konstatieren 
können,  und  deren  Verschiedenheit  man  nicht  verwischen  darf. 
Matth.  2429  heißt  es  einfach:  Und  die  Sterne  werden  vom 
Himmel  fallen^  und  die  Mächte  der  Himmel  werden  erschüttert 
werden.  Hier  ist  von  einem  Baum  keine  Rede,  es  wird  nur 
ein  Beben  des  Himmels  vorausgesetzt. 

Jetzt  kehren  wir  zu  den  Stellen  zurück,  von  denen  wir  am 
Anfang  dieses  Paragraphen  ausgingen.  Denn  jetzt  verstehen 
wir,  warum  in  den  eschatologischen  Schilderungen  so  oft  von 
der  Austrocknung  des  Meeres  gesprochen  wird.  Dieser  Zug  ist 
angelehnt  an  die  Erfahrung,  die  Israel  beim  Wehen  des  Sirokko 
erlebte,  nur  daß  das  Versiegen  der  Bäche  und  Flüsse  in  grotes- 
ker Vergröberung  und  phantastischer  Übertreibung  auf  das  Meer 
übertragen  ist:  Siehe,  durch  mein  Schelten  trockne  ich  aus  das 
Meer,  mache  Ströme  zur  Wüste;  es  verdorren^  die  Fische  ohne 
Wasser  und  es  stirbt  durch  Durst  ihr  Getier^.     Ich  kleide  die 


1.  Die  von  Gunkel  vermutete  Herkunft  dieser  Idee  aus  Babylonien 
ist  möglich,  aber  der  als  Himmelsbaum  gedachte  Ölbaum  trägt  spezi- 
fisch israelitisches  Gepräge;  Kanaan  war  ein  Ölland  (Hos.  122). 

2.  Lies  "^aTi  mit  den  LXX.  3.  Lies  nnana  mit  Duhm. 


Der  Tag  des  Sturms.  29 

Himmel  in  Schwärze  und  Sacktuch  mache  ich  zu  ihrer  Hülle 
(Jes.  50  2f.).  Ebenso  wie  das  den  klimatischen  Verhältnissen  Pa- 
lästinas entnommene  Bild  vom  Austrocknen  des  Wassers  in  den 
eschatologischen  Mythus  eingedrungen  ist,  so  auch  in  die  Erzäh- 
lungen, die  von  der  Urzeit  handeln. 

Es  bildete  von  altersher  einen  Bestandteil  der  Lieder,  die 
Jahves  Großtaten  in  der  mosaischen  Vergangenheit  besangen 
und  die  den  Hymnendichtern  ihr  typisches  Material  lieferten. 
Das  geht  besonders  klar  aus  der  »halb  mythisch«  (Baethgen), 
richtiger  vollkommen  mythisch  gefärbten  Theophanie  des  18. 
Psalms  hervor,  die  in  vielen  zu  Tage  liegenden  Einzelheiten  an 
den  Sinaibericht  erinnert:  Rauch  stieg  auf  in  seiner  Nase,  und 
Feuer  fra&  aus  seinem  Munde  und  Kohlen  brannten  vor  ihm 
aus.  Er  neigte  den  Himmel  und  ließ  sich  hernieder,  während 
Dunkel  unter  seinen  Füßen  war.  Er  ritt  auf  dem  Kerub  und 
flog  dahin  und  schwebte  einher  auf  dem  Fittig  des  Windes. 
Er  machte  Finsternis  zu  seiner  Hülle,  Wasserdunkel,  Wolken- 
dickicht war  seine  Hütte  rings  umher.  Vom  Glänze  vor  ihm 
brachen  durch:  seine  Wolken,  Hagel  und  Feuerkohlen.  Da 
donnerte  im  Himmel  Jahve  und  ''Eljön  ließ  seine  Stimme  er- 
tönen^. Er  warf  seine  Pfeile  und  zerstreute  sie  (seine  Feinde) 
und  blitzte  mit  Blitzen  und  schreckte  sie.  Da  wurden  die  Betten 
des  Meeres  sichtbar  und  aufgedeckt  die  Grundfesten  der  Welt 
vor  deinem  Schelten,  Jahve,  vor  dem  Schnauben  des  Odems  deiner 
Nase.  Dazu  bemerkt  Gunkel  mit  Recht:  »Die  ganze  Theo- 
phanie ist  schließlich  dazu  da,  um  das  Meer  aufzuwühlen  und 
sein  Bette  bloßzulegen.  Der  Dichter  hat  diese  Spitze  der  Jahve- 
erscheinung  benutzt,  um  daran  seine  Fortsetzung:  die  Eettung 
des  Ertrinkenden,  anzufügen;  er  hätte  auf  diesen  einigermaßen 
sonderbaren  Gedanken  kaum  kommen  können,  wenn  die  Theo- 
phanie nicht  schon  jenen  Schluß  vorher  gehabt  hätte«  (S.  106). 

Dieser  Schluß  ist  eben  entstanden  durch  eine  Kombination 
des  Schilfmeeres  mit  dem  Sinai.  Und  durch  dein  Zornes- 
schnauben  türmten  sich  empor  die  Wasser,  standen  wie  ein  Wall 
die  Rinnsale,  waren  geronnen  die  Tiefen  im  Herzen  des  Meeres 
heißt  es  Ex.  lös,  und  ähnlich  sagt  der  Psalmist:  Er  bedräute 
das  Schilfmeer,  da  ward  es  trocken,  und  führte  sie  durch  Tiefen 


1.  Streiche  die  Schlußworte  und  vergleiche  überhaupt  II  Sam.  22. 


"30      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

wie  durch  eine  Trift  (Ps.  IO69).  Hier  wird  noch  der  Name 
erwähnt,  anderswo  ist  einfach  von  dem  Meere  die  Rede:  Die 
Wasser  sahen  dich,  Gott,  die  Wasser  schauten  dich,  bebten,  und 
£S  zitterten  die  Tiefen.  Die  Wolken  strömten  Wasser,  die 
Himmelswolken  donnerten,  und  deine  Pfeile  zuckten  hin  und  her. 
Deine  Donnerstimme  erscholl  im  Wirbelwind,  Blitze  erleuchteten 
den  Erdkreis,  die  Erde  erbebte  und  schwankte.  Durch  das  Meer 
ging  dein  Weg,  deine  Pfade  durch  große  Wasser  und  deine 
Spuren  wurden  nicht  erkannt^  (Ps.  7 7 17 — 20).  Bist  du  es  nicht, 
der  das  Meer  austrocknete,  die  Wasser  der  großen  Flut,  der 
Meerestiefen  zum  Wege  machte,  daß  hindurchzogen  die  Erlösten 
(Jes.  51 10)?  Den  urkundhchen  Beleg  endlich,  daß  der  israeli- 
tische Erzähler  die  Austrocknung  des  Meeres  durch  das  Motiv 
-des  Ostwindes  verständlich  machte,  gibt  uns  der  älteste  Bericht: 
Da  ließ  Jahve  das  Meer  durch  einen  starken  Ostwind  die  ganze 
Nacht  über  zurücktreten  und  legte  so  den  Meeresboden  trocken 
(Ex.  142i).  Der  Ostwind  wird  genannt,  nicht  deshalb,  weil  der 
biblische  Verfasser  in  den  Himmelsrichtungen  ungenau  orientiert 
ist  (Baentsch),  sondern  infolge  einer  Art  von  Anachronismus; 
denn  der  Ostwind  ist  der  typische,  alles  versengende  Sirokko 
Palästinas. 

Der  Zug  vom  Austrocknen  der  Wasser^)  stammt  also  im 
letzten  Grunde  nicht  aus  dem  Schöpfungsmythus,  wie  Gunkel 
(S.  106)  vermutet,  noch  vom  Schilfmeer,  wie  Köbeble  (S.  123) 
annimmt,  sondern  aus  der  damaligen  Gegenwart  Israels.  Von 
hier  aus  ist  er  sowohl  in  die  Endzeit  wie  in  die  Urzeit  über- 
tragen worden  und  ist  auch  in  den  oinn-tiämat- Mythus 
eingedrungen,  der  seinerseits  wieder  die  Geschichte  der  mosai- 
schen Zeit  und,  wie  wir  noch  sehen  werden,  die  Eschatologie 
beeinflußt  hat. 


1.  Im  Märchen  fährt  der  Schmied  Ilraarinen  über  das  offene  Meer; 
dabei  ward  des  Pferdes  Huf  nicht  naß,  noch  zog  der  Schlitten  eine 
Spur.  Vgl.  Emmy  Schreck:  Finnische  Märchen  S.  3 ff.  (nach  Kadee- 
macher). 

2.  Über  Jahve  als  Wassergott  vergleiche  die  erschöpfende  Zu- 
sammenstellung bei  Köberle  S.  120  ff. 


Der  Tag  des  Vulkans.  31 


§  6.    Die  Offenbarung  Jahves  im  Yulkan. 

Hermann  Gunkel:  Deutsche  Literaturzeitung  1903.  Sp.  3058  f. 
Ausgewählte  Psalmen.  Göttingen  1904.  Wilhelm  Bousset:  Die  Eeli- 
gion  des  Judentums.  Berlin  1903.  Paul  Volz:  Jüdische  Eschatologie. 
Tübingen  1903.  A.  V.  Williams  Jackson:  Die  iranische  Eeligion 
(Grundriß  der  iranischen  Philologie  Bd.  II  von  W.  Geiger  und 
E.  Kuhn),  Straßburg  1904.  Nathan  Söderblom:  La  vie  future 
d'apres  le  Mazdeisme.  Angers  1901.  Ernst  Böklen:  Die  Verwandt- 
schaft der  jüdisch-christlichen  mit  der  parsischen  Eschatologie.  Göt- 
tingen 1902.  S.  Herrlich:  Die  antike  Überlieferung  über  den  Vesuv- 
Ausbruch  im  Jahre  79.  (Beiträge  zur  alten  Geschichte  von  Lehmann 
und  KoRNEMANN,  Bd.  IV).    Leipzig  1904.    S.  209  &. 

Eine  Reihe  von  archaistischen  Eedewendungen  in  den 
Jahvetheophanien  und  eschatologischen  Gemälden  weist  zweifel- 
los vulkanischen  Ursprung  auf.  Wir  behandeln  sie  im  Zu- 
sammenhang mit  den  Vorstellungen,  die  nach  volkstümlichem 
Glauben  mit  unterirdischem  Feuer  verbunden  waren.  "Wenn  es 
Nah.  le  heißt:  Jahves  Wut  brennt  wie  Feuer  und  die  Felsen 
schmelzen  vor  ihm^  so  ist  dieser  Zug  einer  vulkanischen  Er- 
scheinung entlehnt.  Denn  fragen  wir  nach  dem  Naturereignis, 
bei  dem  von  einem  Schmelzen  der  Felsen  die  Rede  sein  könnte, 
so  ist  die  einzig  mögliche  Antwort:  beim  Vulkan.  Ähnlich  heißt 
es  Ps.  46?:  Er  ließ  seine  Stimme  erschallen,  da  zerschmolz  die 
Erde.  Ein  anderes  Bild  begegnet  uns  Mch.  Is:  Siehe,  Jahve 
zieht  aus  von  seiner  Stätte,  kommt  herab  und  tritt  auf  die  Höhen 
der  Erde,  und  die  Berge  zergehen  unter  seinem  Schritt  und  die 
Täler  zerteilen  sich  wie  Wachs  vor  dem  Feuer,  wie  Wasser  aus- 
geschüttet an  einem  Abhang.  Das  Sichspalten  der  Berge  und 
Täler  kann  in  vulkanischen  Gegenden  beobachtet  werden.  Voll- 
kommen verständlich  ist,  wie  ihr  Zergehen  verglichen  werden 
kann  mit  Wassern,  ausgeschüttet  an  einem  Abhang  nur  bei 
einem  typisch  vulkanischen  Gemälde,  nicht  bei  einem  einfachen 
Erdbeben.  Denn  was  konnten  diese  am  Abhang  ausgeschütteten 
Wasser,  verbunden  mit  der  Spaltung  der  Berge,  ursprüng- 
lich anders  symboUsieren  als  die  flüssige  Lavamasse,  oder  aber  die 
glühende  Aschenwolke,  die  den  Berg  hinabrollt  und  auch  sonst  mit 
einem  Strom  verghchen  wird*?   Die  Stelle  ist  naturmythologisch 


1.  Plinius  epp.  VI  20i3:    densa  caligo  tergis  imminebat,  quae  nos 
torrentis  modo  infusa  terrae  sequebatur. 


32      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

und  eben  das  beweist,  daß  Nahum  nicht  der  Schöpfer  dieser 
Theophanie  ist,  sondern  daß  er  mit  überkommenem  Gute 
arbeitet.  Der  ebenfalls  hier  angestellte  Vergleich  mit  dem 
Schmelzen  wie  Wachs  ist  in  derselben  Weise  für  vulkanische 
Erscheinungen  typisch  (vgl.  Ps.  22 15.  683.  975)  wie  das  Eauchen 
der  Berge :  Der  die  Erde  anblickt,  daß  sie  zittert,  der  die  Berge 
schlägt f  da&  sie  rauchen  (Ps.  10432.  1445).  Wenn  in  dem  »Sinai« 
ein  Feuer  brennt  und  eine  Rauchwolke  über  ihm  lagert  —  und 
nur  dann  —  kann  er  einem  glühenden  Schmelzofen  (Ex.  19i8) 
verglichen  werden.  Da  Jahve  am  Ende  der  Tage  im  Vulkan 
erscheint,  so  sagt  Maleachi  mit  einer  wunderlichen  /nerdd^eoig 
eig  aXXo  yevog:  Denn  siehe  der  Tag  kommt,  brennend  wie  ein 
Ofen  (Mal.  3 19).  In  einem  anderen  Bilde  findet  sich  derselbe 
Vorgang.  Jahve,  dessen  Vesuv  ursprünglich  der  »Sinai«  ist  und 
der  später  in  Jerusalem  wohnt,  hat  nun  ein  Feuer  in  Zion  und 
einen  Ofen  in  Jerusalem"^,  um  Assur  zu  vernichten  (Jes.  31 9), 
wie  er  einst  einen  Ofen  hatte  für  Sodom  und  Gomorrha  (Gen. 
1928).  Dtn.  3222  wird  vulkanisches  Feuer  beschrieben:  Denn 
ein  Feuer  loderte  auf  in  meiner  Nase,  das  brennt  bis  in  die 
Tiefen  der  Unterwelt,  verzehrt  die  Erde  samt  ihrem  Gewächs 
und  entzündet  die  Grundfesten  der  Berge.  Übersetzt  man  diesen 
Satz  aus  der  religiösen  Poesie  in  die  profane  Prosa,  so  wird 
eine  Naturerscheinung  geschildert,  die  nur  beim  Vulkan  be- 
obachtet werden  kann.  Ähnlich  lautet  Ps.  83i5f.:  Wie  Feuer, 
das  den  Wald  anzündet,  wie  die  Flamme,  die  die  Berge  ver- 
brennt, so  verfolge  du  sie  mit  deinem  Wetter  und  schrecke  du 
sie  mit  deiner  Windsbraut.  Daß  die  Berge  als  bewaldete  zu 
denken  seien  (Baethgen)  widerspricht  dem  klaren  Wortsinn, 
der  vielmehr  »brennende  Berge«  voraussetzt. 

Bei  der  Zerstörung  Sodoms  spielt  neben  dem  Feuerregen 
der  Schwefel  eine  Rolle  (Gen.  1924).  Man  könnte  den  Schwefel 
direkt  mit  dem  Vulkan  kombinieren,  da  z.  B.  die  Kraterwände 
des  Vesuvs  mit  ihm  geschmückt  sind  (Meyer  S.  12)  und  da 
auch  der  Ausbruch  des  Mont  Pele  mit  Kohlensäure  und  Schwefel- 
dampf verbunden  war  (Meyer  S.  23.  26)  und  da  auch  hier  manche 
Gelehrte  daran  gedacht  haben.    Aber  wie  die  heutigen  Geologen 


1.   DuHM  leugnet,   daß   der  Ofen    ein  Werkzeug   der  Vernichtung 
sei,  weil  er  unter  dem  i^sn  einen  Altar  versteht. 


Der  Tag  des  Schwefels.  33 

uns  belehren,  braucht  der  Schwefel  durchaus  nicht  auf  vulka- 
nischen Ursprung  hinzuweisen,  weil  er  selbst  ein  Erzeugnis  der 
organischen  Welt  ist.  Die  Sodom-  und  Gomorrhageschichte 
weist  ihrer  Lokalfarbe  nach  auf  das  Tote  Meer  hin,  obwohl  es 
auftalHg  ist,  wie  Gunkel  mit  Recht  gezeigt  hat,  daß  sie  nichts 
von  der  Bildung  des  Salzmeeres  erzählt,  was  grade  für  den  Ort, 
an  dem  sie  haftet,  charakteristisch  ist.  Gunkel  nimmt  daher  eine 
Übertragung  der  Sage  von  anderswoher  auf  das  Tote  Meer  an. 
Da  diese  jedoch  gut  dort  hinpaßt,  so  liegt  es  wohl  näher,  eine 
Verstümmelung,  sei  es  absichtlich  oder  unabsichtlich,  zu  ver- 
muten. Nach  Ansicht  der  Geologen  war  es  möglich,  daß  bei 
einer  Katastrophe,  die  mit  tektonischem  Erdbeben  verbunden 
war.  Gase,  Thermen,  petroleum-  und  asphalthaltige  Massen  aus 
neu  geöffneten  Spalten  hervorstiegen.  Kohlenwasserstoff  und 
Schwefelwasserstoff,  die  brennbar  sind,  können  sich  unter  ge- 
wissen Umständen  sogar  von  selbst  entzünden,  und  so  konnte 
die  Luft  über  der  Spalte  in  Flammen  stehen  und  Rauch  sich 
bilden  (Blanckenhorn:  ZdPV  XIX  1896). 

Viel  wichtiger  ist  für  uns  die  Kenntnis  der  populären  An- 
schauung vom  Toten  Meere,  die  uns  bei  Strabo  XVI  763  f.  ent- 
gegentritt. Darnach  befinde  sich  dort  unter  der  Erde  ein  großes 
Feuer,  durch  dessen  Hitze  der  dort  ebenfalls  vorhandene  Asphalt 
flüssig  werde.  Er  verweist  darauf,  daß  der  See  gleichsam  zu 
kochen  scheine,  indem  Blasen  an  der  Oberfläche  zerplatzen, 
ferner  auf  heiße  Quellen i,  die  Schwefelgeruch  verbreiten,  und 
auf  Felsen  mit  durchschwitzendem  Erdpech.  Da  in  Palästina 
Schwefel  nur  in  den  Schichten  der  sogenannten  Niederterraiese 
am  südlichen  Teile  des  Toten  Meeres  vorkommt,  so  ist  es  wahr- 
scheinlich, daß  die  Israeliten  dort  die  Farben  gewonnen  haben 
für  die  Bilder,  in  denen  der  Schwefel  eine  Rolle  spielt.  Wenn 
Jahve  Feuer  und  Schwefel   »regnen«  läßt,   so  muß  das  sagen- 


1.  Wo  heiße  Quellen  sind,  nimmt  der  Volksglaube  auch  sonst  ein 
unterirdisches  Feuer  an.  Pausanias  II  34i  berichtet  von  den  warmen 
Quellen  bei  Methana:  (faal  ^h  !dvTt,y6vov  tov  ^rjfxrjTQiov  Maxeöövoyv  ßaai- 
XsvovTog  TOTS  nQtJTOV  t6  v^coq  (pavrjvaL,  (favrjvai  (ff  ov^  v^cjq  evd^vg,  dkla 
nvQ  dva^iaav  noXv  ix  rfjg  y^g,  Inl  6s  tovt(s}  ^aQav&ivTc  Qv^vcct  t6  {'(ftü(). 
Kadermacher:  Das  Jenseits  im  Mythos  der  Hellenen  (Bonn  1903), 
S.  96  f.  erklärt  aus  dieser  Anschauung  mit  Kecht  die  Entstehung  der 
Vorstellung  vom  Pyriphlegeton. 

Forschnngen  zur  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.    6.  3 


34      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

hafte  Volksauffassung  sein,  nach  der  alle  meteorologischen  Er- 
scheinungen himmHscher  Natur  sind.  In  Wirklichkeit  mag  es 
eher  geschehen  sein,  daß  brennende  Schwefelhäche  sich  ergossen, 
deren  Ursache  auf  ein  unterirdisches  oder  überirdisches  Feuer 
zurückgeführt  wurde,  wie  in  der  wunderbar  imposanten  Jahve- 
theophanie,  die  in  grell  mythologischem  Kolorit  gehalten  ist: 
Siehe,  Jahves  Name  kommt  von  Ferne,  brennenden  Zorns  und 
wuchtiger  Erhebung,  seine  Lippen  sind  voll  Grimm  und  seine 
Zunge  wie  fressendes  Feuer  und  sein  Atem  wie  ein  bis  zum 
Hals  reichender  strömender  Bach  .  .  .  Und  hören  läßt  Jahve 
seinen  hehren  Donner  und  die  Senkung  seines  Armes  läßt  er 
sehen  mit  grimmigem  Zorn  und  der  Lohe  fressenden  Feuers, 
mit  Sturm  und  Wetterguß  und  Hagelstein  .  .  .  Denn  zuge- 
rüstet  ist  vordem,^  schon  die  Brandstätte  .  .  .  errichtet  tief,  breit, 
ihre  Schicht  ist  Feuer  und  viel  Holz,  Jahves  Hauch  wie  ein 
Schwefelbach  brennt  darein  (Jes.  3027ff.).  Die  hier  erwähnte 
Brandstätte,  die  wohl  nach  Art  einer  tiefen  Grube  gedacht  ist, 
ist  dem  » Moloch «kult  entnommen.  Man  wird  nach  der  Analogie 
schließen  dürfen,  daß  auch  im  Hinnomtale  der  Volksglaube  ein 
unterirdisches  Feuer  vermutete,  in  dem  die  Feuergottheit  wohnte, 
der  zu  Ehren  die  Menschenopfer  verbrannt  wurden^.  Die  Glosse 
(Duhm),  daß  die  Brandstätte  auch  für  den  Moloch  bestimmt  sei, 
entstammt  einer  anderen  Anschauung,  wonach  der  jetzt  zum 
Dämon  degradierte  Gott  zur  Strafe  für  seine  Bosheit  im  Feuer 
gequält  werden  solle.  Beide  Auffassungen  können  verhältnismäßig 
alt  sein,  die  eine  dem  Jahvismus  entsprechend,  die  andere  ihm 
widersprechend.  Ähnliches  wird  uns  noch  im  Folgenden  be- 
gegnen. 

Dies  echt  jesajanische  Stück  ist  das  älteste,  das  von  einem 
Untergange  der  Feinde  Israels,  hier  Assur,  durch  Jahves  Feuer, 
speziell  durch  einen  brennenden  Schwefelbach  redet.  Jesaja  als 
den  Schöpfer  dieser  mythischen  Idee  anzusehen,  ist  schon  des- 
halb   unmöglich,   weil   mythische    Vorstellungen    ihrem    Wesen 

1.  Lies  ^ittns^a  mit  den  LXX. 

2.  Da  wir  von  heißen  Quellen  in  dem  Hinnomtale  nichts  wissen, 
so  hat  sich  der  Volksglaube  hier  nicht  an  Naturerscheinungen,  sondern 
an  den  Kult  des  Gottes  angeschlossen.  Weil  »Moloch«  ein  chthonischer 
Feuergott  war  und  hier  verehrt  wurde,  so  mußte  sich  hier  auch  das 
Element  befinden,  in  dem  die  Gottheit  zu  Hause  war. 


Der  Tag  des  Schwefels.  35 

nach  uralt  sind  und  am  allerwenigsten  aus  der  Phantasie  der 
Propheten  erklärt  werden  können,  die  wir  als  Vertreter  einer 
höheren,  geistigeren  Religionsstufe  mit  Recht  zu  beurteilen  ge- 
wohnt sind.  Wenn  Jesaja  trotzdem  diese  Anschauung  äußert, 
die  ihrem  Charakter  nach  durchaus  naturmythologisch  ist,  so 
muß  sie  von  ihm  der  populären  Tradition  entlehnt  sein.  Wir 
dürfen  also  sagen,  daß  im  Volke  von  alters  her  noch  zur  Zeit 
Jesajas  die  Ansicht  herrschte,  die,  ihres  poetischen  Gewandes 
entkleidet,  so  lauten  würde:  Jahve  vernichtet  oder  wird  seine 
Gegner  vernichten  durch  Feuer,  sei  es  durch  einen  Schwefel- 
bach oder  Vulkan  (Jes.  31 9).  An  einer  anderen  Stelle,  die 
aus  einem  späteren  Jahrhundert  stammt,  wird,  was  wir  soeben 
vom  alten  Jesaja  gehört  haben,  prosaischer  so  ausgedrückt: 
Denn  einen  Tag  der  Rache  hat  Jahve  und  ein  Jahr  der  Ver- 
geltung für  Zions  Hader.  Und  verwandeln  werden  sich  seine 
Bäche  zu  Pech  und  sein  Staub  zu  Schwefel  y  und  es  wird  sein 
Land  zum  Pech,  brennend  bei  Nacht  und  Tage  (Jes.  348ff.). 

Jedenfalls  kann  nach  dieser  Übersicht  kein  Zweifel  sein, 
daß  die  Israehten  Jahves  Offenbarung  im  Vulkan,  d.  h.  in  der 
Bergeslohe,  im  unterirdischen  Feuer  und  in  brennenden  Schwefel- 
strömen, sahen  und  deshalb  seine  Theophanie  mit  derartigen 
Zügen  ausstatteten.  Diese  Schrecken  der  Majestät  Jahves  galten 
ihnen  zugleich  als  Strafmittel  wider  die  Feinde  der  Gottheit 
und  des  Volkes,  wie  bereits  aus  der  Zeit  Jesajas  belegt  werden 
kann.  Beide  Anschauungen  sind  ihrer  Natur  nach  älter  als  die 
Prophetie,  da  sie  dem  volkstümlichen  Glauben  entstammen 
müssen.  Von  einem  Weltbrand  ist  keine  Rede,  sondern  nur 
von  einem  lokalen  Feuer  Jahves,  das  teilweise  typisch  palästini- 
sche Züge  trägt  (Schwefelstrom),  teilweise  aber  nicht  palästini- 
schen Ursprungs  sein  kannn.  Denn  ein  Zerschmelzen  der  Erde 
(Ps.  46?),  eine  Spaltung  der  Berge,  verbunden  mit  dem  Herab- 
fließen der  Vulkanmasse  wie  Wasser,  ausgeschüttet  an  einem 
Abhang  (Mch.  1 3),  ist  in  Palästina  nie  beobachtet  worden.  Hier 
müssen  also  fremde  Überlieferungen  vorKegen.  Ob  sie  an  die 
» Sinai «tradition  anknüpfen,  die  im  nächsten  Paragraphen  aus- 
führlicher behandelt  werden  soll,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  ent- 
scheiden. Doch  ist  es  deshalb  unwahrscheinlich,  weil  die  Jahve- 
theophanie  des  Buches  Exodus  —  ihren  vulkanischen  Charakter 
vorausgesetzt  —  ausschließlich  freundhche  Züge  zeigt  und  trotz 

3* 


36      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

aller  Furchtbarkeit  keine  verheerenden  Wirkungen  zurückläßt. 
Von  den  Geschichten  des  Alten  Testamentes  gehört,  was  eben- 
falls beachtenswert  ist,  nur  eine  einzige,  die  von  Sodom  und 
Gomorrha,  in  diesen  Zusammenhang.  Die  Eschatologie  weist 
demnach  verhältnismäßig  reiche  und  andersartige  vulkanische 
Spuren  auf,  sodaß  sie  in  dieser  Beziehung  durchaus  singulär 
dasteht.  Die  Vorstellung  vom  Tage  Jahves  als  eines  vulkani- 
schen Ofens  (Mal.  3 19)  findet  in  Palästina  selbst  keine  Erklärung. 

Man  wird  sie  nicht  trennen  dürfen  von  der  Idee  des  Welt- 
brandes, die  uns  in  der  persischen  Eschatologie  und  in  der 
späteren  jüdischen  (Vita  Adae  49  f.  Jos.  Ant.  I  §  70  f.)  und  christ- 
lichen (II  Petr.  Soff.)  Literatur  begegnet.  Es  fragt  sich  nur,  wie 
man  beide  Anschauungen  mit  einander  kombinieren  will.  Der 
Gedanke  des  Weltbrandes,  so  viel  ist  sicher,  kann,  weil  er 
mythisch  ist,  nicht  durch  eine  bloße  Vergröberung  jesajanischer 
oder  prophetischer  Behauptungen  entstanden  sein,  kann  sich  also 
nicht  in  Israel  gebildet  haben,  sondern  muß  aus  der  Fremde 
kurz  vor  der  christlichen  Zeit  eingewandert  sein.  Umgekehrt 
lassen  sich  die  eschatologischen  Vorstellungen  der  Prophetie  am 
ehesten  begreifen  als  der  letzte  blasse  Schimmer  einer  ursprüng- 
lich viel  farbenkräftigeren  Schilderung  des  Weltbrandes.  Das 
Schmelzen  der  Erde,  das  Brennen  der  Berge,  die  Verheerungen 
der  Schwefelströme  sind  die  winzigen  Überbleibsel  eines  einst 
gewaltigen  Gemäldes.  Was  damals  von  der  ganzen  Welt  galt, 
ist  jetzt  auf  einen  kleinen  Bruchteil  der  Erde  beschränkt  und 
in  Palästina  —  aller  Geologie  zum  Trotz  —  lokaHsiert.  Wir 
müßten,  um  diese  Auffassung  zu  rechtfertigen,  eine  zweite,  be- 
reits in  früher  vorprophetischer  Zeit  erfolgte  Einwanderung  der- 
selben Ideen  annehmen,  die  später  aufs  neue  eingeströmt  sind. 
Ob  diese  Hypothese  Anspruch  auf  Wahrscheinlichkeit  hat,  läßt 
sich  erst  dann  entscheiden,  wenn  wir  das  gesamte  Material  über- 
schauen. 

Besonders  zahlreiche  Anspielungen  an  einen  Feuerstrom 
finden  sich  in  den  SibylUnen:  Und  es  wird  fließen  ein  Gießbach 
mächtigen  Feuers,  unermüdlich,  verbrennend  die  Erde  und  ver- 
brennend das  Meer  (III  841).  Obwohl  hier  nicht  bloß  wirkliche 
Erlebnisse  vergrößert  sind,  da  auch  der  Himmel  und  die  ganze 
Schöpfung  in  eins  zusammengeschmolzen  werden  sollen,  so 
liegt  doch   die  Idee  von  dem  verbrannten  Meere  vulkanischen 


Der  Tag  des  Feuerstroms.  37 

Erscheinungen  nicht  so  fern,  daß  man  zu  ihrer  Erklärung  auf 
den  »urzeitHch  gottwidrigen  Charakter  des  chaotischen  Unge- 
heuers« verweisen  müßte  (Volz  S.  295).  Aus  St.  Vincent  ist 
bekannt,  wie  das  Wasser  in  Siedeglut  versetzt  ward  (Meyeb 
S.  38).  Im  Anschluß  an  solche  oder  ähnliche  Erfahrungen  mag 
die  phantastische  Vorstellung  von  einer  Verbrennung  des  Meeres 
entstanden  sein.  Herelich  (S.  224  ff.)  hält  es  für  wahrschein- 
lich, daß  die  Prophezeiungen  der  Sibylle  beeinflußt  seien  durch 
die  Katastrophe,  die  Pompeji  im  Jahre  79  zerstörte.  Aber  die  Idee 
des  Weltbrandes  selbst  ist  anderer  Herkunft,  nur  die  Form,  in 
die  sie  gekleidet  wird,  ist  durch  die  Zeitgeschichte  und  die 
Lokalität  modifiziert,  genau  so  wie  es  in  der  prophetischen  Escha- 
tologie  der  Fall  ist.  Wenn  wir  ferner  Apk.  Joh.  19  20.  20io.  uf. 
21 8  von  einem  brennenden  Feuer-  und  Schwefelsee  lesen,  in  den 
die  Gottlosen  geworfen  werden,  so  hängt  dies  Mythologem 
hier  mit  dem  Toten  Meere  zusammen  —  mag  es  auch  dem 
Ursprünge  nach  außerpalästinisch  sein  —  da  wir  in  jener  Gegend 
sogleich  eine  parallele  Anschauung  nachweisen  werdend  Für 
die  Frage  nach  dem  Ursprungsort  der  Vorstellung  vom  Welt- 
brande ist  es  wichtig  zu  untersuchen,  ob,  wie  Bousset  (S.  481) 
behauptet,  in  der  späteren  Zeit  spezifische  Züge  der  iranischen 
Eschatologie  aufzuzeigen  sind. 

Charakteristisch  ist  dort,  daß  in  den  Gäthäs  wie  im  Bünda- 
hishn  von  einer  Flut  geschmolzenen  Metalls  die  Rede  ist  (Jack- 
son §  80;  SöDERBLOM  S.  238.  268  f.).  Durch  diese  glühend 
heiße  Flut,  so  wird  weiter  gelehrt,  müssen  alle  Menschen  hin- 
durchgehen, aber  dem  Gerechten  erscheint  es  nicht  schlimmer, 
als  wate  er  durch  warme  Milch  (Jackson  §  85).  Solche  Vor- 
stellung einer  Metallflut,  die  doch  wohl  teilweise  im  Anschluß 
an  Lavaströme  sich  gebildet  hat,  konnte  in  Persien  entstehen, 
weil  das  Innere  des  iranischen  Hochplateaus  in  der  Tat  von 
vulkanischen  Massen  durchbrochen  ist.  »Ö.  vom  Urumiasee  er- 
hebt sich  der  Sahend  (3440  m),  weiter  gegen  Norden  der  mäch- 
tige Gebirgsstock  des  Säwelän  (4813  m).  Beide  Vulkane  sind 
erloschen.     Vulkanische   Bildungen  treten   auch  im  so.  Persien 


1.  Das  hierher  gehörige  Material  ist  äußerst  umfangreich  (vgl. 
BÖKLEN  S.  119  ff. ;  Bousset  S.  269).  Es  im  Einzelnen  vorzuführen,  ist 
überflüssig,  da  die  Züge  typisch  sind. 


38      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

hervor,  nämlich  der  isolierte  Kühi-ßasmän  im  N.  von  Bampur 
und  onö.  davon  der  noch  jetzt  tätige  3868  m  hohe  Kühi-Nau- 
schäda  oder  Kühi-Taftän«  (Geiger).  Die  spezifisch  persische 
Idee  von  dem  feurigen  Metallfluß  ist  zwar  nicht  klar  aus- 
gesprochen, scheint  aber  doch  vorausgesetzt  zu  sein  IHen.  526: 
Und  jene  Berge^  die  deine  Augen  gesehen  haben,  der  Berg  von 
Eisen  und  der  von  Kupfer,  der  von  Silber  und  der  von  Gold, 
der  von  Zinn  und  der  von  Blei,  diese  alle  werden  vor  dem  Aus- 
erwählten  wie  Wachs  vor  dem  Feuer  sein  und  wie  Wasser, 
welches  von  oben  her  über  jene  Berge  herabläuft;  und  sie  werden 
schwach  sein  vor  seinen  Füßen. 

Mit  dieser  Stelle  hängt  eine  andere  zusammen,  die  eben- 
falls an  die  persische  Anschauung  erinnert,  aber  doch  beträcht- 
lich von  ihr  abweicht,  IHen.  674ff. :  ünd^er  wird  jene  Engel, 
die  die  Ungerechtigkeit  gezeigt  haben,  in  jenes  brennende  Tal 
einschließen,  tvelches  mir  zuvor  mein  Großvater  Henoch  gezeigt 
hatte,  im  Westen  bei  den  Bergen  des  Goldes  und  Silbers,  des  Eisens 
und  des  Gußmetalls  und  des  Zinns.  Und  ich  sah  jenes  Tal,  in 
dem  eine  gewaltige  Bewegung  war,  und  ein  Hin-  und  Herwogen 
der  Wasser.  Und  als  dies  alles  geschah,  entstand  aus  jenem 
feurigen  Metallguß  und  der  Bewegung,  die  sie  (die  Wasser) 
hin  und  her  schaukelte,  an  jenem  Ort  ein  Schwefelgeruch,  und 
er  verband  sich  mit  jenen  Wassern;  und  jenes  Tal  der  Engel, 
die  die  Menschen  verführt  haben,  brennt  immerzu  unter  der  Erde 
dort.  Und  durch  die  Täler  derselben  (Erde)  kommen  Feuer- 
ströme,  da  wo  jene  Engel  gestraft  werden,  welche  die  Bewohner 
der  Erde  verführt  haben.  Und  jene  Wasser  werden  in  jenen 
Tagen  den  Königen  und  Mächtigen  und  Hohen  und  denen,  die 
auf  Erden  wohnen,  zur  Heilung  des  Leibes,  aber  zur  Marter 
des  Geistes  dienen;  ihr  Geist  ist  ja  voll  Wollust,  sodaß  ihr  Leib 
gestraft  wird,  weil  sie  den  Namen  des  Herrn  der  Geister  ver- 
leugnet haben.  Sie  sehen  ihre  tägliche  Strafe,  und  glauben  doch 
nicht  an  seinen  Namen.  Und  je  ärger  ihr  Leib  brennt,  um  so 
mshr  werden  sie  eine  Veränderung  am  Geiste  spüren  auf  immer 
und  ewig  ....  Und  jene  Wasser  selbst  werden  in  jenen  Tagen 
eine    Veränderung   erleiden:    denn   wenn  jene   Engel   in  jenen 

Wassern  gestraft  werden,  so  ändern  sich  jene  Wasserquellen  in- 
betreff  ihrer  Hitze,  und  wenn  die  Engel  aufsteigen,  so  wird  jenes 

Wasser   der  Quellen  sich  ändern  und   kalt  werden.     Und   ich 


Der  Tag  des  Feuerstroms.  39 

hörte  Michael  anheben  und  sprechen:  Dieses  Gericht j  mit  dem 
die  Engel  gerichtet  werden^  ist  ein  Zeugnis  für  die  Könige  und 
Mächtigen,  welche  die  Erde  besitzen.  Denn  diese  Wasser  des  Ge- 
richts dienen  zur  Heilung  des  Leibes  der  Fürsten  und  zur  Wol- 
lust ihres  Fleisches;  aber  sie  sehen  nicht  und  glauben  nicht,  daß 
jene  Wasser  sich  ändern  und  ein  ewiges  Feuer  werden  können. 
Zu  Anfang  ist  zwar  auch  hier  von  einem  feurigen  Metallfluß 
die  Rede,  nachher  jedoch  werden  deuthch  heiße  Wasserquellen 
geschildert,  die  an  die  hammäm  ez-zerkä  im  wädi  zerkä  mdm 
Moabs,  die  Kalirrhoe  des  Altertums,  wo  einst  Herodes  der  Große 
Heilung  suchte  (Josephus:  Bell.  Jud.  1335.  §657  Antiq.XVII 
65.  §  171),  und  an  die  Thermen  in  der  Nähe  des  Toten  Meeres 
erinnern.  Diese  Gegend,  die  so.  in  nicht  allzu  weiter  Ferne 
vom  Tale  Hinnom  liegt,  galt,  wie  wir  aus  dieser  Stelle  ersehen, 
als  unterminiert  von  einem  gewaltigen  Feuerreservoir,  in  dem 
sündige  Engel  zur  Strafe  gequält  werden.  Die  »hohen  Bade- 
gäste« (Beee),  die  dies  wissen  und  diesen  Anbhck  täglich  vor 
Augen  haben,  kümmern  sich  in  ihrer  Wollust  nicht  darum  und 
bedenken  nicht,  daß  auch  sie  dereinst  mit  demselben  Kurwasser 
gestraft  werden,  mit  dem  sie  jetzt  sündigen.  Diese  Anschauungen 
tragen  palästinisches  Lokalkolorit  und  sind  darum  im  Lande 
entstanden,  um  so  mehr  als  wir  in  der  Glosse  zu  Jes.  3033  eine 
ganz  ähnliche  Idee  konstatieren  konnten,  nach  der  »Moloch«  im 
unterirdischen  Feuer  der  Geenna  (des  Tales  Hinnom),  etwa  als 
ein  von  Jahve  abgefallener  Dämon,  gemartert  wird.  Die  gleiche 
Volksvorstellung  liegt  vielleicht  Gen.  143  zu  Grunde,  falls  statt 
D"»'iji5ri  p?:y  mit  Ben  AN  (Histoire  du  peuple  d 'Israel  I  116) 
0"*1^.n  P'^y  zu  punktieren  ist.  Wenn  sich  so  an  diese  von  der 
Natur  wunderhch  ausgestattete  Gegend  des  Salzmeeres  eine 
Reihe  mythischer  und  sagenhafter  Erzählungen  und  Motive 
heftet,  so  ist  trotzdem  nicht  einzusehen,  warum  sich  dort  die 
Idee  von  einem  feurigen  Metallfluß  ebenso  ausgebildet  haben 
sollte  wie  von  einem  brennenden  Schwefelbach. 

Endlich  gehört  hierher  noch  die  Fegfeuerstelle  der  Sibyl- 
linen.  Nachdem  dort  die  Befestigung  der  Feuersäule  beschrieben 
ist  (II  240),  wo  rings  in  weitem  Umkreis  ein  unaufhörlicher 
Feuerstrom  rinnt  (II  285 f.),  heißt  es:  Und  dann  werden  alle 
durch  das  brennende  Feuer  und  die  unauslöschliche  Flamme 
hindurchgehen,   und  die  Gerechten  werden  alle  gerettet  werden. 


40      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

die  Gottlosen  aber  alle  verderben  auf  ganze  Äonen  hin  (II  252  ff.). 
Wenn  sie  dreimal  so  viel  gebüßt,  als  sie  böses  Werk  gefrevelt 
(II  304)  und  die  Fürbitte  der  Frommen  erlangt  haben,  wird 
Gott  sie  aus  dem  gewaltigen  Feuer  und  dem  unsterblichen  Knir- 
schen erretten  (II  332  ff.;  vgl.  IKor.  3i5  ocod^rjoeTai  .  .  .  o;g 
6 La  TtvQog),  Hier  ist  die  Ähnlichkeit  mit  der  persischen  Vor- 
stellung größer.  Allerdings  ist  für  den  Metallfluß  die  spezifisch 
altisraelitische,  jetzt  seltsam  verdunkelte  Idee  von  der  Feuer säule 
eingetreten.  Überdies  werden  die  Sünder  aus  ihrer  Qual  nicht 
deshalb  erlöst,  weil  sie  vollkommen  geläutert  sind,  sondern  weil 
ihre  himmlischen  Fürsprecher  sich  für  sie  verwandt  haben.  Aber 
das  gewiß  nicht  selbstverständliche  und  keineswegs  naheliegende 
Hindurchgehen  der  Menschen  durch  Feuer,  um  dennoch  ge- 
rettet zu  werden,  macht  den  persischen  Einfluß  sehr  wahr- 
scheinlich. 

Mit  Recht  wird  darum  behauptet  werden  dürfen,  daß  die 
Idee  vom  Weltbrande,  wie  sie  in  den  späteren  Pseudepigraphen 
begegnet,  durch  iranische  Vermittlung  zu  den  Juden  gekommen 
sei.  Da  dasselbe  für  die  vorprophetische  Zeit  unmöglich  an- 
genommen werden  kann,  so  muß  die  Einwanderung  damals  von 
anderswoher  erfolgt  sein,  wenn  man  nicht  vermuten  will,  Israel 
habe  jene  Vorstellung  aus  der  Wüste  mitgebracht.  Um  ein 
volles  Verständnis  der  israelitischen  Anschauungen  zu  gewinnen, 
bleibt  eben  noch  die  Frage  zu  beantworten:  Woher  hatte  Israel 
die  Kenntnis  von  Berg-  und  Vulkanfeuer,  die  wir  notwendig 
nach  den  am  Anfang  dieses  Paragraphen  angeführten  Stellen 
bei  ihm  voraussetzen  müssen?  Das  Problem  ist  deshalb 
schwierig,  weil  es  heute  in  Palästina  keine  tätigen  Vulkane 
mehr  gibt.  Vielleicht  kann  uns  eine  Untersuchung  der  mosai- 
schen Traditionen  weiter  helfen. 

§  7.    Die  Offenbarung  Jahves  am  Sinai. 

Hermann  Schultz:  Alttestamentliclie  Theologie^  Göttingen  1896. 
EuDOLF  Smend:  Lehrbuch  der  alttestamentlichen  Keligionsgeschichte*. 
Freiburg  1899.  Bernhard  Stade:  Biblische  Theologie  des  Alten  Testa- 
ments. Bd.  I.  Tübingen  1905.  Ditlef  Nielsen:  Die  altarabische  Mond- 
religion und  die  mosaische  Überlieferung.     Straßburg  1904. 

Ex.  19  leff.  lautet:  Am  dritten  Tage  aber,  als  es  Morgen 
ward,  brachen  Bonner  und  Blitze  los,  und  eine  dichte  Wolke 
ließ  sich  herab  auf  den  Berg  und  starkes  Trompetengeschmetter 


Der  Tag  des  Vulkans.  41 

erscholl,  sodaß  ein  Schrecken  kam  über  alles  Volk,  das  im  Lager 
war  ....  Der  Berg  Sinai  aber  stand  ganz  in  Bauch,  weil 
Jahve  im  Feuer  auf  ihn  herabgefahren  war,  und  Bauch  stieg 
auf  wie  der  Bauch  eines  Schmelzofens,  und  der  ganze  Berg  er- 
hebte stark.  Die  erste  Frage,  die  sich  angesichts  dieser  Schil- 
derung erhebt,  ist  die,  ob  wir  noch  die  Naturtatsache  aufzufinden 
vermögen,  die  die  Farben  zu  diesem  Gemälde  geliefert  hat.  Erst 
wenn  sich  dies  als  undenkbar  herausstellt,  dürfen  wir  unsere 
Zuflucht  zur  puren  Phantasietätigkeit  des  Dichters  nehmen.  Die 
neuerdings  von  Nielsen  (S.  173)  geäußerte  Vermutung,  daß 
Eauch  und  Feuer  von  einem  auf  dem  Berge  Sinai  gelegenen 
Opferaltar  herrührten,  ist  als  wenig  einleuchtend  zu  verwerfen, 
da  Gewitter  und  Erdbeben  auf  diese  Weise  unerklärt  bleiben. 
Fast  allgemein  verbreitet  ist  eine  andere  Anschauung:  »Jahve 
erscheint  seinem  ursprünglichen  Charakter  als  Wettergott  ent- 
sprechend im  Gewitter«  (Baentsch  zu  Ex.  19  ig).  »Jahve  war 
von  Haus  aus  wohl  ein  Naturgott  und  vielleicht  bezeichnet  auch 
der  Name  Jahve  eine  bestimmte  Naturerscheinung,  in  der  man 
eine  besondere  Manifestation  von  ihm  und  einen  Ausdruck  seines 
Wesens  sah.  Jahve  erscheint  so  regelmäßig  im  Gewitter,  daß 
man  ihn  für  einen  ursprünglichen  Gewittergott  halten  möchte« 
(Smend  S.  23  f.).  »Vielleicht  ist  er  nach  jetzt  nicht  mehr  erkenn- 
barer Etymologie  der  himmlische  Gewittergott«  (Schultz ^ 
S.  412).  Aber  das  Gewitter  ist  durchaus  nicht  die  haupt- 
sächliche, geschweige  denn  die  einzige  Naturtatsache,  in  der  man 
eine  Offenbarung  Jahves  erlebte,  und  um  die  Natur  Jahves  zu 
bestimmen,  darf  man  nicht  von  der  Etymologie  ausgehen,  da 
der  Name  Jahve  für  uns  etymologisch  nicht  mehr  durchsichtig 
ist,  wenn  auch  für  unbeweisbare  Kombinationen  Möglichkeiten 
in  Menge  vorhanden  und  aufgestellt  sind.  Das  ursprüngliche 
Wesen  Jahves  ist  uns  unbekannt,  und  alle  Versuche,  dahinter 
zu  kommen,  sind  mißglückt  und  mußten  mißglücken,  wie  die 
Religionsgeschichte  bei  allen  derartigen  Unternehmungen  gelehrt 
hat.  Für  uns  handelt  es  sich  hier  nur  um  die  Sinaitheophanie, 
und  diese  wird  durch  die  Annahme  eines  Gewitters  nicht  er- 
klärt. Man  muß  mindestens  hinzufügen,  daß  ein  Erdbeben  da- 
mit verbunden  war.  Aber  selbst  dann  versteht  man  noch  nicht, 
wie  der  Berg  mit  einem  »Schmelzofen«  vergHchen  werden  kann 


42      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

und  ganz  in  Eauch  gehüllt  sein  soll;  denn  bei  einem  Gewitter 
läßt  sich  dies  nicht  beobachten  i. 

GuNKEL  hat  nun  an  verschiedenen  Stellen  (vgl.  Lit.  §  6) 
behauptet,  der  »Sinai«  sei  ein  Vulkan  gewesen,  und  damit  eine 
neue 2  und,  wie  ich  meine,  sichere  Basis  für  unsere  Untersuchung 
geschaffen.  Um  falschen  Voraussetzungen  vorzubeugen,  sei  von 
vorneherein  betont,  daß  der  »Sinai«  nicht  auf  der  sogenannten 
Sinaihalbinsel  zu  suchen  ist. 

Zum  Beweise  dafür,  daß  die  Sinaitheophanie  in  der  Tat 
mit  vulkanischen  Farben  gemalt  ist,  lasse  ich  den  Bericht  eines 
Augenzeugen  folgen,  der  die  Katastrophe  auf  Martinique  be- 
obachtet hat:  »Am  Morgen  des  8.  Mai  (1902)  gewährte  der 
Vulkan  einen  furchtbaren  Anblick.  Er  war  tiefschwarz,  und 
aus  dem  Dunkel  erhoben  sich  unermeßliche  Säulen  von  leuch- 
tendem Kauch  und  Feuer.  Der  Himmel  war  schwarzgrau,  die 
Sonne  wie  hinter  einem  düsteren  Vorhang  versteckt.  Kein 
Windhauch  trieb  den  Bauch  auseinander.  Die  ganze  Luft  lag 
wie  ein  dumpfer,  schwerer,  erstickender  Teppich  über  der  Stadt. 
Alles  ruhig  und  todesstill.  Die  Landschaft  schien  ihrem  Ver- 
derben mit  trauriger  Besignation  entgegenzuharren. 

»8  Uhr.  Von  Corbet  aus  schauen  wir  nach  St.  Pierre 
hinüber.  Während  man  alle  möglichen  Vermutungen  mit 
dumpfer  und  leiser  Stimme  austauscht,  ändert  sich  plötzlich  der 
AnbKck  des  Berges.  Seine  ganze  Masse  scheint  in  eine  fürchter- 
liche Bewegung  zu  geraten.  Überall  wallende  Bauchwolken, 
aufflammende  Feuersäulen ;  mit  einem  Male  zuckt  ein  gewaltiger 
Bhtzstrahl   durch   die  Finsternis.     Was  wird   geschehen?     Eine 

Sekunde,  zwei  Sekunden  verstreichen Der  Berg  öffnet 

sich  ....  und  plötzlich  hört  man  von  allen  Seiten  schreien: 
Laßt  uns  fliehen!  Laßt  uns  Bettung  suchen!  Hilfe!  Ver- 
derben ! 

»Nun  ist  der  bUnde  Zufall  Herr  und  Verhängnis  des  Lebens. 
Ein  ganzes  Volk  in  wahnsinnigem  Schreck,  die  Hände  gegen 
^en  Himmel   gebreitet,  fleht,  weint,  schreit,   hat   die  Vernunft 


1.  V.  Gall:  Die  Herrlichkeit  Gottes  (Gießen  1900)  S.24  behauptet: 
»Dieses  Kauchen  kommt  von  den  Blitzen«.  Aber  hat  man  schon  jemals 
wahrgenommen,  daß  Berge  rauchen,  wenn  der  Blitz  sie  trifft? 

2.  Dennekt:  Glauben  und  Wissen  II  S.  305  nennt  den  englischen 
Keisenden  Charles  Beke  als  Vorläufer. 


Der  Tag  des  Vulkans.  43 

verloren,  weiß  nicht  mehr,  wohin  es  fliehen  soll.  Ich  mit  meiner 
Familie  stürze  halb  besinnungslos  in  südlicher  Richtung  davon. 
In  einem  Augenblick  der  Überlegung  wende  ich  mich  um  und 
kehre  einige  Schritte  zurück,  um  zu  sehen,  was  eigentlich  ge- 
schehen ist 

»Nie  werde  ich  das  furchtbare  Schauspiel  vergessen,  das 
sich  nun  meinen  Augen  darbot.  Der  Mont  Pele  scheint  nicht 
mehr  vorhanden  zu  sein.  Eine  ungeheure,  feuerschwangere 
Öffnung  hat  sich  aufgetan.  Von  ihr  geboren,  scheint  eine  riesen- 
große schwarze  Wand,  aus  der  Tausende  von  Blitzen  zucken, 
sich  mit  furchtbarer  Gewalt  uns  entgegenzustürzen.  Von  dem 
Himmel  ist  nichts  mehr  zu  sehen;  Flammen  umgeben  uns  von 
allen  Seiten.  Und  ein  brüllendes,  stampfendes  Donnern  begleitet 
den  Todesmarsch  dieser  entsetzlichen  Erscheinung.  Auch  das 
Meer  ist  schwarz;  es  wallt  auf,  es  hebt  sich  drohend,  und  von 
Zeit  zu  Zeit  rollt  eine  gewaltige  Woge  dunkel  und  lautlos  in 
die  Stadt  und  über  die  Felder  der  Umgebung.  Wir  sind  ver- 
loren! Uns  bleibt  nichts  mehr  übrig,  als  uns  auf  den  Tod  vor- 
zubereiten .... 

»Aber  plötzhch  vollzieht  sich  eine  unerwartete  Wendung. 
Ein  starker  Wind  kommt  auf,  ein  wahrer  Orkan.  Die  Bäume 
werden  von  ihm  gegen  den  Boden  gebogen.  Brausend  und 
pfeifend  prallt  er  gegen  die  von  Blitzen  durchzuckte  Rauch- 
wand und  hält  sie  300  Meter  von  uns  entfernt  auf  .  .  .  Wir 
sind  gerettet!  Nur  30  Sekunden  waren  verstrichen  —  30  Se- 
kunden, die  uns  wie  ein  Tag  der  Angst  erschienen.  Der  Wind 
nimmt  allmählich  ab  und  hört  in  3—4  Minuten  ganz  auf.  Wo 
St.  Pierre  lag,  flammt  jetzt  ein  Scheiterhaufen  .  .  . 

»Ein  furchtbares  Gewitter  entladet  sich  über  uns;  tobender 
Donner,  zuckende  Blitze  und,  schrecklicher  als  beides,  ein  Regen 
von  Steinen,  von  Asche  und  Schlamm,  der  uns  niederwirft  und 
uns  eine  halbe  Stunde  lang  mit  unwiderstehlicher  Gewalt  ein- 
hüllt. St.  Pierre  ist  zu  Grunde  gegangen.  Wo  einst  das 
Leben  herrschte,  gibt  es  jetzt  nur  rauchende,  stinkende  Trüm- 
mer« .  .  .  (Meyer  S.  7  ff.). 

Wer  diese  Schilderung  des  Mont  Pele  mit  der  des  Sinai 
vergleicht,  kann  nicht  zweifeln,  daß  Ex.  19  einen  vulkanischen 
Berg  beschreiben  will.  Ganz  charakteristische  Züge  finden  wir 
wieder :  vor  allem  den  Rauch  und  das  Feuer,  dann  den  schmet- 


44      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

ternden  Donner ^  und  die  grellen  Blitze,  das  Erdbeben,  die 
Finsternis  und  endlich  den  wahnsinnigen  Schrecken.  Das  Bild 
des  Schmelzofens  hat  noch  eine  lebendige  Anschauung  des  feuer- 
speienden Berges  bewahrt.  Auf  der  anderen  Seite  ist  nicht  zu 
verkennen,  daß  die  Erzählung  stilisiert  ist,  und  eben  um  dieser 
Eigentümlichkeit  willen  ist  es  begreiflich,  daß  ihr  vulkanischer 
Ursprung  bisher  verschleiert  war.  Während  sonst  der  Berg  das 
Feuer  auswirft,  das  Feuer  also  von  unten  herauf  in  die  Höhe 
geschleudert  wird,  heißt  es  hier,  daß  Jahve  im  Feuer  auf  ihn 
herabgefahren,  vermutHch  vom  Himmel  her.  Die  Modifikation 
entspricht  genau  der  Sodomerzählung,  wonach  der  Schwefel,  der 
ursprünghch  aus  dem  Erdinnern  sich  entzündet,  vom  Himmel 
regnet.  Übrigens  hat  sich  noch  das  Richtigere  erhalten  Dtn.  4ii: 
Der  Berg  brannte,  sodaß  die  Lohe  mitten  in  den  Himmel  hin- 
einschlug (vgl.  9 15).  In  der  Exodus-Schilderung  vermissen  wir 
ferner  den  furchtbaren  Orkan,  von  dem  wir  auf  Martinique  ge- 
hört haben.  Aber  der  Sturm  ist  keine  notwendige  Begleit- 
erscheinung einer  Eruption.  Gänzlich  verloren  hat  sich  die 
Erinnerung  an  den  Lavastrom  oder  an  den  Aschenregen,  sodaß 
es  auf  Grund  dieses  Berichtes  unmöglich  ist,  zu  entscheiden,  zu 
welcher  Gruppe  von  Vulkanen  der  Berg  gehört  haben  mag 
(vgl.  Meyek  S.  50). 

Mit  der  Sinaitheophanie  kombinieren  wir  die  Erzählung, 
von  der  Feuer-  und  Wolkensäule,  obwohl  beide  in  der  uns  vor- 
liegenden Tradition  nichts  mit  einander  zu  tun  haben.  Jahve 
aber  zog  vor  ihnen  her^  am  Tage  in  einer  Wolkensäule,  um 
ihnen  den  Weg  zu  zeigen,  und  des  Nachts  in  einer  Feuersäule, 
um  ihnen  zu  leuchten,  sodaß  sie  bei  Tag  und  Nacht  weiter  ziehen 
konnten.  Am  Tage  wich  die  Wolkensäule  nicht  und  des  Nachts 
stand  die  Feuersäule  an  der  Spitze  des  Volkes  (Ex.  132if.).    Die 


1.  Das  donnerähnliche  Getöse  beim  Ausbruch  ist  auch  sonst  be- 
obachtet: »Das  Eollen  wird  zum  furchtbaren  Gebrüll  und  Getöse, 
krachend  zerbirst  der  Kraterboden«  Credner:  Elemente  der  Geologie 
S.  156.  Auffällig  bleibt,  daß  dieser  Donner  als  »Trompetengeschmetter« 
bezeichnet  wird.  Von  Interesse  ist  die  teilweise  mythisch  gefärbte 
Schilderung  des  Vesuvausbruches  durch  Cassius  Dio  66,  23,  1 :  xal  1^6- 
xow  ol  fikv  rovg  yCyavzag  ^navCaraa&at  {noXXit  yaq  xal  Tora  atStoka  aviaiv 
iv  T(p  xanvfp  ^KifaCvsTo,  xccl  nQoaixt  xal  aaknCyytov  reg  ßorj  i^xovsto). 
Herrlich  S.  218. 


Der  Tag  des  Vulkans.  45 

früher  beliebte  Hypothese  von  Feuerpfannen,  die  die  Karawanen 
angeblich  vor  sich  hertragen  lassen,  ist  jetzt  wohl  allgemein  auf- 
gegeben, da  aus  ihr  die  zitierte  Vorstellung  nicht  einleuchtend 
erklärt  werden  kann.  Ebenso  muß  die  Behauptung  zurück- 
gewiesen werden,  die  Baentsch  zu  Ex.  13 21  äußert:  »Die 
Wolken-  und  Feuersäule  ist  eine  passende  Manifestation  Jahves ; 
auch  sonst  erscheint  er  in  Feuer  und  Rauch  .  .  .,  was  ganz 
seinem  ursprüngUchen  Charakter  als  Gewittergott  entspricht«. 
Denn  man  fragt  sich  vergebens,  wo  in  aller  Welt  bei  einem 
Gewitter  derartige  Phänomene  beobachtet  seien:  bei  Tage  eine 
Wolkensäule,  bei  Nacht  eine  Feuersäule.  Dagegen  stimmen  sie 
genau  zu  einer  vulkanischen  Eruption.  Die  Dampf-  und  Aschen- 
wolke ,  die  des  Tags  wie  eine  dunkle  Wand  über  dem  Krater 
schwebt,  gleicht  des  Nachts  einer  Feuersäule,  erleuchtet  durch 
den  Wiederschein  der  glühenden  Massen  im  Innern  des  Berges 
(Heerlich  S.  215).  Daß  sie  den  Israeliten  schon  aus  weiter 
Ferne  als  Wegweiser  dient,  ist  wohl  begreiflich  und  auch  heutigen 
Vulkanbesuchem  gut  bekannt.  Selbst  ihre  Loslösung  vom  Berge, 
die  hier  allerdings  in  unnatürlicher  Weise  stark  stilisiert  ist, 
entspricht  bis  zu  einem  gewissen  Grade  vulkanischen  Erschei- 
nungen. Denn  nicht  immer  hat  die  Vulkanwolke  die  rasende 
Geschwindigkeit,  wie  oben  geschildert.  »Während  ...  die  ver- 
derbenbringende Wolke  auf  Martinique  fast  in  einem  Moment 
die  71/2  Kilometer  vom  Vulkanberge  entfernte  Stadt  St.  Pierre 
erreicht  hat  und  grade  deshalb  alle  lebenden  Wesen  in  der- 
selben vernichtet  hat,  bewegte  sich  nach  der  Schilderung  des 
Plinius  die  Aschenwolke  <  des  Vesuvs  >  nur  verhältnismäßig 
langsam  vorwärts,  indem  sie  wie  ein  sich  über  die  Erde  er- 
gießender Bergstrom  den  Fliehenden  im  Bücken  folgte  und  sich 
allmählich  über  Meer  und  Land  herabsenkte«  (Herrlich  S.  215). 
Trotzdem  ist  die  StiUsierung  unverkennbar,  wenn  die  Säule  des 
Exodus  schon  am  Schilfmeer  erscheint  und  bald  vor  bald  hinter 
den  Israeliten  wandelt  (Ex.  14 19). 

Ein  klares  Bild  kann  man  sich  nach  alledem  von  der 
Sinaikatastrophe  nicht  mehr  machen,  weil  die  Geschichte,  so  wie 
sie  uns  vorliegt,  zu  stilisiert  ist,  weil  manche  Züge,  wie  z.  B. 
das  Hinaufsteigen  des  Mose  auf  den  Berg,  schwerlich  als  wirk- 
lich geschehen  sich  begreifen  lassen,  weil  andere  Einzelheiten 
verdunkelt  sind  oder  gar  fehlen.    Von  dem  Bericht  eines  Augen- 


46      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

zeugen  kann  demnach  nicht  gesprochen  werden,  obwohl  die 
Farben  in  anderer  Beziehung  wieder  so  lebendig  sind,  daß  man 
auf  diesen  Gedanken  verfallen  kann,  wie  mir  denn  auch  ihre 
wesentliche  Treue  von  einem  Naturwissenschaftler  bestätigt  wurde. 
Ich  möchte  daher  auch  glauben,  daß  dem  Buche  Exodus,  so- 
weit es  hier  in  Betracht  kommt,  ein  älteres,  uns  verlorenes  Ge- 
dicht vorgelegen  hat,  das  das  historische  Ereignis  besang  und 
in  dem  die  aufgezeigten  disiecta  membra  der  Vulkanerscheinung 
noch  zu  einem  Ganzen  vereinigt  waren.  Bei  der  Übertragung 
der  Poesie  in  Prosa  —  ein  Vorgang,  wie  er  z.  B.  im  Bichter- 
buche  durch  einen  Vergleich  von  c.  4  mit  5  studiert  werden 
kann  —  und  bei  der  weiteren  mündlichen  Fortpflanzung  der 
Erzählung  ist  dann  ihre  ursprüngliche  Treue  und  Natur  Wahrheit 
verwischt  worden  und  zum  Teil  verloren  gegangen. 

Diese  Hypothese  eines  geschichtlichen  Kerns  ist  nicht  in 
die  Luft  gebaut,  sondern  stützt  sich  auf  folgende  Tatsachen,  die 
rätselhaft  sind  und  erklärt  werden  müssen:  Erstens  ist  es  eine 
in  jeder  Beziehung  auffällige,  mehrfach  geäußerte  Vorstellung 
(Ex.  193f.  Dtn.  332.  Jdc.  5  4),  die  noch  zur  Zeit  des  Elia  be- 
kannt war  (IReg.  198JBF.),  daß  Jahve,  der  Gott  Kanaans,  außer- 
halb dieses  Landes  am  »Sinai«  wohnt.  Sie  kann  nur  verstanden 
werden  auf  grund  geschichtlicher  Erinnerung:  Jahve  war  von 
Hause  aus  der  Gott  dieses  Berges,  erst  später  ist  er  zum  Gotte 
Israels  und  dadurch  zum  Gotte  Palästinas  geworden.  Diese 
Entwicklung  wird  beglaubigt  durch  die  Tatsache,  daß  neben 
den  Israeliten  auch  die  Qeniter  resp.  Midianiter  Jahveverehrer 
gewesen  zu  sein  scheinen.  Viele  Forscher  schließen,  wie  ich 
glaube  mit  Recht,  aus  Gen.  4i6,  daß  das  dem  (Stamme) 
Kain  verhehene  Zeichen  ein  kultisches  Jahvezeichen  gewesen 
sei.  Israel  ist  sich  bewußt,  die  Einsetzung  eines  Richter- 
kollegiums nach  Ex.  18  von  Jethro  und  vielleicht  auch  die 
Sitte  der  Beschneidung  nach  Ex.  4  24ff.  von  Zippora,  der  Tochter 
Jethros,  gelernt  zu  haben.  Und  da  ein  Teil  des  Volkes  Jethros 
sich  nach  Num.  1029ff.  am  »Sinai«  Israel  angeschlossen  hat,  so 
haben  wir  ein  Recht,  das  Heiligtum  Jethros,  des  Oberpriesters 
der  Midianiter,  eben  dort  zu  suchen  und  zu  behaupten,  daß  der 
Berg  nicht  nur  bei  den  Israeliten,  sondern  auch  bei  den  Qenitem 
als  Gottessitz  galt  und  rehgiöse  Bedeutung  wohl  für  alle  die 
Nomaden  hatte,  die  in  seiner  Nähe  umherschweiften. 


Der  Tag  des  Vulkans.  47 

Zweitens  ist  es  in  jeder  Beziehung  merkwürdig,  daß  uns 
in  den  Jahvetheophanien ,  wie  wir  gesehen  haben,  eine  Eeihe 
einzelner  Züge  entgegentreten,  die  nur  einem  vulkanischen  Er- 
eignis entlehnt  sein  können,  obwohl  unseres  Wissens  Palästina 
in  historischer  Zeit  keine  Vulkane  besessen  hat.  Das  wird  be- 
stätigt durch  den  typischen,  unanschaulichen  Charakter  der 
Bilder,  der  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  auf  den 
Exodusbericht  erstreckt.  Trotzdem  begegnet  uns  niemals  wieder 
eine  im  Großen  und  Ganzen  so  frappante  Vulkanschilderung 
wie  hier,  obwohl  anderswo  zerstreute  Glieder  genügend  vor- 
handen sind.  Daraus  folgt,  daß  Jahve  ursprünglich  ein  außer- 
kanaanitischer  Gott  war,  und  dazu  stimmt  die  Überlieferung,  die 
die  älteste,  die  Religion  Israels  begründende  Jahvetheophanie 
außerhalb  Palästinas  am  »Sinai«  lokalisiert  und  in  die  vor- 
palästinische Vergangenheit  verlegt.  Es  ist  also  kein  Grund 
vorhanden,  diese  Vulkan-Tradition  anzufechten,  die  in  der  Escha- 
tologie  außerdem  durch  fremdländische  Elemente  bereichert 
sein  mag. 

Obwohl  es  bei  dieser  Annahme  begreiflich  ist,  daß  Jahve, 
der  ursprüngliche  Gott  des  »Sinai«,  noch  später,  als  er  längst 
von  diesem  Berge  losgelöst  und  nach  Palästina  übergesiedelt  ist, 
typisch  vulkanische  Züge  trägt,  so  ist  es  drittens  doch  unver- 
ständlich, daß  er  zum  Nationalgotte  Israels  ward.  Was  ver- 
band ihn  mit  diesem  Volke  zu  einer  unlösbaren  Einheit?  Wie 
kam  es,  daß  er  in  Israel  von  Anfang  an  allein  und  ausschließ- 
lich verehrt  w^erden  durfte?  Um  dies  zu  erklären,  muß  gewiß 
an  die  Tat  eines  großen  Mannes  gedacht  werden.  Diese  exklu- 
sive Religion  ist  nicht  von  selbst  gewachsen,  sondern  im  Geist 
eines  Einzelnen  entstanden  und  durch  ihn  der  Menge  mitgeteilt 
worden.  Aber  seiner  Überzeugung  und  seinem  Glauben  kann 
vom  Volke  nur  dann  Gehör  und  Gefolgschaft  gewährt  sein,  wenn 
hinter  ihm  eine  reale  und  grandiose  Offenbarung  Jahves  grade 
zu  Gunsten  Israels  stand.  Hätten  wir  eine  Schilderung  wie  die 
des  Exodus  von  der  Gotteserscheinung  am  »Sinai«  und  vom 
Untergang  der  Ägypter  nicht,  so  müßten  wir  sie  postuheren. 
Eine  radikale  Leugnung  der  Tradition  vermindert  nicht,  sondern 
vermehrt  die  Eätsel.  Mag  immerhin  eine  Stilisierung  und 
mancherlei  Sagenhaftes  hinzugekommen  sein,  darf  doch  ein  ge- 
schichtlicher Kern  behauptet  werden. 


48      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Dagegen  muß  es  fraglich  bleiben,  wo  dieser  Berg  gelegen 
hat.  Die  Tatsache,  daß  christliche  Mönche  des  vierten  Jahr- 
hunderts ihn  zuerst  auf  der  Sinaihalbinsel  gesucht  haben ,  ist 
für  uns  schon  um  der  späten  Entstehung  willen  wertlos.  Vulkane 
gab  es  längs  der  ganzen  Ostküste  des  Roten  Meeres  von  Aden 
an,  namentlich  zwischen  Mekka  und  Medina.  Im  Gebiet  des 
alten  Edom,  wo  man  jetzt  meist  den  Sinai  vermutet,  existieren 
Vulkankegel  (Ritter:  Erdkunde  XIV  1046;  XV  777),  von 
denen  wir  leider  nicht  wissen,  wie  lange  sie  tätig  gewesen  sind. 
Eine  genauere  Identifizierung  liegt  außerhalb  des  Rahmens 
dieser  Untersuchung  und  muß  den  Geographen  und  Geologen 
vorbehalten  bleibend 


1.  Vgl.  die  Karte  (geologisch)  bei  Doughty:  Travels  in  Arabia 
deserta.  I.  Cambridge  1888.  —  Dennert:  Glauben  und  Wissen  II, 
S.  298  ff.  hat  Gune^el  den  Vorwurf  gemacht,  er  habe  eine  Hypothese 
»ins  Blaue  hinein«  vorgeschlagen.  Davon  kann  weder  nach  Gunkels 
eigenen  Belegen  noch  nach  den  obigen  Ausführungen  die  Eede  sein. 
Dennert  behauptet,  »daß  bei  den  Sinai-Ereignissen  die  wichtigsten 
Kennzeichen  eines  Vulkanausbruches  fehlen«.  »Von  regelrechtem  Vul- 
kanismus .  .  .  kann  man  .  .  .  erst  sprechen,  wenn  ein  Aschenregen  und 
ein  Lavastrom  festgestellt  sind«  (S.  302).  Das  ist  insofern  falsch,  als 
ein  Lavastrom  nicht  unbedingt  notwendig  ist,  falls  ein  Aschenregen 
stattgefunden  hat  (vgl.  die  Katastrophen,  die  Pompeji  und  St.  Pierre 
vernichtet  haben).  Aber  eine  Stilisierung  und  Lückenhaftigkeit  des 
Exodusberichtes  muß  Dennert  zugestanden  werden.  Nach  seiner  eigenen 
Erklärung  »kommt  man  bei  den  Sinai-Erscheinungen  durchaus  mit  Ge- 
witter und  Erdbeben  aus«  (S.  303).  Das  ist  deshalb  nicht  möglich,  weil 
das  auf  einen  Berg,  den  Berg  Sinai,  beschränkte  Erdbeben  nicht  tekto- 
nischer,  sondern  vulkanischer  Natur  ist,  weil  ferner  der  mit  einem 
»Schmelzofen«  verglichene  Berg  oder  der  »brennende  Berg«  und  alle  die 
anderen  oben  genannten  Dinge  ungezwungen  nur  zu  einem  Vulkan 
passen.  Die  Forderung,  erst  den  »echten«  Sinai  aufzufinden  und  ihn  als 
einen  Vulkan  zu  erweisen  (S.  305),  ist  ungerechtfertigt.  Zunächst  genügt 
die  von  ihm  selbst  konstatierte  Tatsache,  daß  sich  »östlich  von  der 
Südspitze  der  Sinaihalbinsel  in  etwa  250—300  km  Entfernung  .... 
öde  und  umfangreiche  Lavadecken  mit  erloschenen  Kratern«  finden,  bei 
denen  »Ausbrüche  in  geschichtlicher  Zeit  nicht  mehr  nachgewiesen  sind. 
Immerhin  vermutet  man  von  einigen  wenigen  Kratern  Aus- 
brüche in  historischer  Zeit«  (S.  306).  Die  Gunkel  unterstellte 
Ansicht:  »Der  schlaue  und  verschlagene  Moses  hat  den  Vulkanausbruch 
benutzt,  um  dem  Volk  die  Erscheinung  Jahves  vorzugaukeln«  (S.  299), 
muß   mit  Entrüstung  abgewehrt  werden.     Wir  glauben  nur,   daß  nach 


Der  Tag  des  Feuers.  49 

Der  »Sinai«  ist  nach  alledem  der  Berg,  an  den  teilweise 
die  vulkanischen  Bilder  gehängt  sind.  Vielleicht  aber  haben 
die  Israeliten  Vulkane  noch  in  größerer  Nähe  gehabt.  Vul- 
kanisch ist  der  Dscholän  und  Hauran,  das  Gebiet  am  Arnon 
und  östlich  vom  Toten  Meere.  Obwohl  es  bei  den  heutigen 
Forschern  für  unwahrscheinlich  gilt,  daß  die  Eruptionen  dieser 
Landschaften  in  die  Zeit  des  Menschen  fallen,  so  werden  doch 
die  Lavaergüsse,  die  zum  Jordan  und  zum  Toten  Meer  ab- 
flössen, in  die  spätere  Periode  des  Diluviums  gesetzt.  Endlich 
befindet  sich  ein  alter  Krater  auf  dem  dschebel  ed-daki^  dessen 
Lavaerde  sich  bis  in  die  Ebene  Jesreel  erstreckt  (Guthe  RE» 
XIV  586).  Wir  müssen  auf  Grund  unserer  Exegese  einen 
Vulkan  postulieren,  an  den  die  geschichtliche  Erinnerung  Israels 
angeknüpft  haben  muß;  Sache  der  Geologen  wird  es  sein,  ihn 
nachzuweisen. 

§  8.    Die  Offenbarung  Jahves  im  Feuer. 

Die  Dichter  wählen  verschiedene  Bilder,  um  Jahve  als  den 
Feuergott  zu  kennzeichnen.  Bald  lodert  das  Feuer  aus  seiner 
Nase  (Dtn.  3222),  bald  kommt  es  aus  seinem  Munde,  während 
Rauch  aus  seiner  Nase  steigt  (Ps.  18  9),  bald  gleicht  seine  Zunge 
verzehrendem  Feuer  (Jes.  30 27).  Anderswo  heißt  es:  Feuer  frißt 
rings  vor  ihm  her  und  rings  um  ihn  stürmt  es  gewaltig  (Ps.  50  s) 
oder  Feuer  geht  vor  ihm  her  und  beleckt  rings  seine  Schritte'^ 
(Ps.  973).  Jahve  hat  feurige  Ws^g^n  und  feurige  Rosse  (II  Reg. 
2 11.  617)  und  kommt  im  Feuer,  heimzugeben  in  Hitze  seinen 
Zorn  und  sein  Dräuen  in  Feuerflammen  (Jes.  6615).  Wie  schon 
bei  Amos  (vgl.  Isff.)  so  ist  auch  bei  Zephanja  der  Tag  Jahves 
ein  Feuertag:  Weder  ihr  Gold  noch  ihr  Silber  wird  sie  retten 
am  Tage  der  Wut  Jahves,  wenn  durch  das  Feuer  seines  Grimms 
die  ganze  Erde  gefressen  wird  (Zeph.  lis.  38). 

Während  bei  Amos  nur  einzelne  Völker  und  Städte  ge- 
nannt werden,  gegen  die  Jahve  sein  Feuer  losläßt,  während  bei 
Jesaja  nur  der  Gedanke  als  populär  nachweisbar  war,  daß  Jahve 
seine  Feinde  d.  h.  Assur  durch  Feuer  und  brennenden  Schwefel 


dem  vorliegenden  Bericht  Jahve  sich  ebenso  im  Vulkan  wie  im  Gewitter 
und  Erdbeben  offenbart  hat. 

1.  Lies  '<^'\'J'^  Wellhausen, 

Forschungen  zur  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.   6.  4 


50      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

vernichten  werde,  so  haben  wir  hier  bei  Zephanja  klar  und 
deutlich  die  Idee  eines  Weltbrandes.  Da  es  allgemein  zuge- 
standen ist,  daß  dieser  Prophet  wenig  originell  ist,  sondern  fast 
durchaus  in  den  Bahnen  Jesajas  wandelt,  so  überrascht  die 
genannte  Anschauung  bei  ihm  um  so  mehr,  als  sie  bei  Jesaja 
fehlt.  Woher  stammt  sie?  Ist  es  wahrscheinlich,  daß  sie  dem 
unschöpferischen,  phantasielosen  Geist  des  Zephanja  entsprungen 
sei?  Man  sollte  dann  wenigstens  erwarten,  die  ungeheuerliche, 
zum  ersten  Mal  ausgesprochene  Drohung  über  alle  Völker  von 
Äthiopien  bis  nach  Assur,  über  die  ganze  Welt  sei  hinreichend 
motiviert  und  begründet.  Zephanja  aber  »redet  von  keinem 
positiven  Zweck,  den  das  Gericht  über  die  Heiden  hatte« 
(Smend  S.  243).  Grade  das  unvermittelte,  abrupte  Auftreten 
dieser  Idee  beweist,  daß  sie  für  Zephanja  selbstverständhch,  daß 
sie  also  von  ihm  nicht  geschaffen,  sondern  übernommen  ist.  Da 
sie  sich  bei  den  älteren  Propheten  nicht  findet,  so  muß  sie  der 
Volkstradition  entlehnt  sein.  Dazu  stimmt  auch  der  Vers,  mit 
dem  Zephanja  sein  Buch  eröffiiet:  Fortraffen  will  ich  alles  von 
der  Erde;  spricht  Jahve,  fortraffen  will  ich  Menschen  und  Vieh, 
fortraffen  die  Vögel  des  Himmels  und  die  Fische  des  Meeres. 
Dieser  letzte  Zug  von  der  Ausrottung  der  Tiere  wird  durch  die 
grausige  Wut  Jahves  allein  nicht  genügend  erklärt.  Wie  reimt 
er  sich  mit  der  Ansicht,  die  Propheten  hätten  ihrem  Volke  den 
Sittenspiegel  vorgehalten?  Wie  reimt  er  sich  ferner  mit  der 
Behauptung,  Zephanjas  Predigt  sei  durch  den  Skythensturm 
veranlaßt?  Wäre  die  Schilderung  des  Propheten  im  BUck  auf 
diese  Feinde  entstanden,  so  wäre  sie  ein  völliges  Eätsel.  Denn 
man  begriffe  weder,  warum  er  von  Jahves  persönlichem  Ein- 
schreiten statt  von  den  Skythen  redet,  noch  warum  er  die  ganze 
Erde  und  sogar  das  unvernünftige  Vieh  nennt,  die  in  ihrer  Gesamt- 
heit von  Menschen  überhaupt  nicht  zu  Grunde  gerichtet  werden 
können.  Alles  wird  verständlich,  sobald  man  sich  zu  der  Lö- 
sung entschließt,  er  habe  ältere  Weissagungen  vor  sich  gehabt, 
die  ursprünglich  von  einer  Naturkatastrophe  handelten  und  die 
von  dem  Propheten  erst  künstlich  umgedeutet  werden  mußten. 
Diese  populäre  Anschauung,  die  zur  Zeit  des  Zephanja  beleg- 
bar ist,  die  ihrer  ganzen  mythischen  Art  nach  aber  in  viel 
frühere  Jahrhunderte  zurückreichen  muß,  lehrte  einen  Unter- 
gang der  ganzen  Erde,  der  Menschen  und  der  Tiere  durch  ein  ge- 


I 


Jahve  als  Lichtgott.  51 

waltiges  Feuer  Jahves.  Die  Propheten  jedoch  wandten  ihr  Augen- 
merk vor  allem  auf  Israel  und  Juda  und  schoben  für  die  mythi- 
schen Schrecken  Jahves  die  historischen  Feinde  Israels  ein. 
Wenn  Ezechiel  und  die  Juden  ein  Weltende  erwarten  ähnlich 
wie  Zephanja,  so  ist  damit  konstatiert,  daß  in  der  späteren, 
nachexilischen  Zeit  die  ältere,  vorprophetische  Vorstellung  wieder 
auftaucht.  Durch  diese  Ausführungen  soll  ein  zweites  Dogma 
über  die  Eschatologie  umgestoßen  werden,  das  fast  allgemein 
anerkannt  und  von  Böklen  einmal  so  formuliert  ist:  »Die 
spezielle  Idee  eines  Weltgerichtes,  also  nicht  bloß  eines  Ge- 
richtes über  Israel  und  seine  Feinde,  sondern  über  alle  Menschen, 
die  Völker  wie  die  einzelnen  Individuen  .  .  .  diese  Idee  ist 
allerdings  nicht  so  alt  wie  die  Gerichtsvorstellmig  überhaupt, 
sondern  erst  nach  dem  Exil  nachzuweisen.  Die  ersten  Spuren 
finden  sich  bei  Joel,  Jes.  24 — 27  und  im  Buche  Daniel«  (S.  116). 
Nur  GuNKEL  hat  den  Sachverhalt  im  Wesentlichen  richtig  an- 
gedeutet (Forschungen  I,  S.  21  f.). 

Eine  merkwürdige  Beschreibung  Jahves  entwirft  Ezechiel. 
Oberhalb  der  Hüften  sieht  die  Gottheit  aus  wie  Glanzerz  i,  unter- 
halb wie  Feuer  und  Lichtschein  (Ez.  I27).  Aus  diesen  Worten 
dürfte  das  Eine  zweifellos  hervorgehen,  daß  Jahve  dadurch  als 
Feuer-  oder  Lichtgott  charakterisiert  werden  soll 2.  Ebenso 
sicher  ist,  daß  der  Prophet  dieses  Bild  nicht  aus  der  Luft  ge- 
griffen hat,  sondern  wohl  durch  die  Anschauung  eines  Kult- 
bildes dazu  angeregt  worden  ist,  sowie  die  im  selben  Kapitel  ge- 
zeichneten Kerube  nicht  auf  bloßer  Phantasie  beruhen.  Auch 
wer  eine  Vision  anzunehmen  geneigt  ist,  muß  zugeben,  daß  selbst 
in  der  Ekstase  der  Geist  sich  nicht  frei  machen  kann  von  den 
Anschauungsformen,  die  sich  ihm  im  Leben  und  wachen  Zu- 
stande eingeprägt  haben,  zumal  zum  Mindesten  eine  »schrift- 
stellernde  Reflexion«  Ezechiels  wahrscheinlich  ist.  Zwei  Fragen 
tauchen  auf  und  heischen  gebieterisch  Antwort:  Wie  mag  das 
Kultbild  ausgesehen  haben,  das  Ezechiel  seiner  Manier  ent- 
sprechend in  so  wenig  plastischer  Weise  schilderi?  Und  woher 
hatte  er  es?  Wenn  die  Exegeten  meinen,  die  untere  Hälfte  strahle 
in  schwächerem  Lichte,  »weil  sie  schicklicher  Weise  von  einem 


1.    wie  Feuer   das  ringsum   ein    Gehäuse  (n^a)   hat,    ist   mit   vielen 
Exegeten  zu  streichen.  2.  Vgl.  u.  §  12. 

4* 


52      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

den  Leib  umwallenden  Gewände  umhüllt  war«  (Keaetzschmae), 
so  glaube  ich  eher  das  Gegenteil.  Denn  erstens  kann  ich  mir 
nichts  Helleres  denken  als  Licht  und  Feuer,  zweitens  ist  im 
Text  von  einem  Kleid  keine  Rede,  es  kann  auch  schwerlich  vor- 
ausgesetzt sein,  da  Licht  und  Feuer  durch  ein  Gewand  hindurch 
nicht  wahrgenommen  werden  können.  Stellt  man  sich  vor, 
die  Gestalt  sei  nackt  gewesen,  so  erhebt  sich  die  Schwierigkeit, 
wie  der  untere  Teil  des  Körpers  als  feurig  kenntlich  gemacht 
sein  soll,  im  Gegensatz  zu  dem  oberen,  der  wie  Glanzerz  scheint. 
Die  einfachste  Lösung  ist  doch  wohl  die,  daß  der  Oberkörper 
in  Farben  gemalt  war,  die  wie  Edelmetall  erstrahlten,  die  Ge- 
stalt von  den  Hüften  an  aber  direkt  aus  Feuerflammen  heraus- 
wuchs. 

Die  Vermutung,  der  Prophet  habe  bei  seiner  Schilderung 
ein  Jahvebild  vor  Augen  gehabt,  ist  a  limine  abzuweisen,  da 
ein  solches,  wenn  es  je  existiert  hat,  zu  seiner  Zeit  längst  als 
Scheusal  verpönt  war.  Also  bleibt  nur  die  Möglichkeit  der 
Anlehnung  an  ein  babylonisches  Kultbild,  wie  man  eine  solche 
auch  bei  den  Keruben  und  wie  man  babylonischen  Ursprung  ebenso 
vom  Schreiberengel  (Gunkel)  behauptet  hat.  In  diesem  Falle  ist 
der  Grund  von  höchstem  Interesse,  warum  Ezechiel  unter  all  den 
vielen  Bildern  babylonischer  Götter  grade  dies  für  Jahve  ausge- 
sucht und  als  passend  für  ihn  erachtet  hat.  Bewogen  haben  kann 
ihn  kaum  der  Glaube,  daß  Jahve  seinem  Grundcharakter  nach 
ein  Feuergott  sei,  da  das  schwerlich  seinem  und  dem  damaligen 
religiösen  Bewußtsein  überhaupt  entsprach,  wenn  auch  diese  antike 
Anschauung  in  archaistischen  Wendungen  und  poetischen  Schil- 
derungen fortlebte.  Zutreffender  wird  es  sein,  Jahve  hier  als 
Lichtgott  aufzufassen,  zumal  sich  über  ihm  der  Regenbogen 
wölbt  (I28).  Fragen  wir  noch  genauer,  welche  spezielle  Gott- 
heit das  Prototyp  des  ezechielischen  Jahve  gewesen  sei,  so  hegt 
es  am  nächsten  an  Nergal,  den  Totengott,  zu  denken,  der  öfter 
als  Gott  des  Feuers  mit  glühendem  Munde  (IV  R.  2454a)  be- 
zeichnet wird  und  als  dessen  Bilder  mit  großer  WahrscheinHch- 
keit  die  in  den  Torlaibungen  aufgestellten  geflügelten  Löwen- 
kolosse mit  Menschenantlitz  zu  betrachten  sind,  eben  sie,  von 
denen  Ezechiel  wohl  die  Farben  für  seine  Kerubgestalten  ent- 
lehnt hat. 

Als   Gott  des  Lichtes   erscheint  Jahve   erst  in   Verhältnis- 


I 


Der  Tag  des  Waldbrandes.  53 

mäßig  später  Zeit  (vgl.  Jes.  25.  10 17.  60i9f.  Ex.  3429ff.i  Mch.  7  8. 
Ps.  27 1.  36 10),  die  ältere  Zeit  sah  seine  Offenbarung  im  Feuer, 
nicht  nur  des  Berges  und  unter  der  Erde,  sondern  auch  im 
Brand  der  Städte  (Am.  lu.  Jer.  1727.  43 12.  4927  u.  a.)  und  der 
Wälder.  Ich  zünde  ein  Feuer  an,  spricht  Jahve^  in  ihrem  Walde, 
das  verzehrt  alle  ihre  Umgebungen  (Jer.  21  u).  In  einer  Allegorie 
erzählt  Ezechiel:  Und  das  Wort  Jahves  kam  zu  mir  folgender- 
maßen: Menschensohn!  Richte  dein  Antlitz  gen  Süden  und 
predige  wider  Mittag  und  weissage  wider  den  Wald  des  Süd- 
landes  und  sprich  zum  Walde  des  Südlandes:  Höre  das  Wort 
Jahves!  Also  hat  der  Herr  Jahve  gesprochen:  Fürwahr,  ich 
zünde  ein  Feuer  in  dir  an,  und  es  wird  fressen  in  dir  jeden 
frischen  Baum  und  jeden  dürren  Baum,  Nicht  wird  verlöschen 
die  Flammenlohe  ....  Und  alles  Fleisch  soll  sehen,  daß  ich, 
Jahve,  sie  entzündet  habe,  die  unverlöschliche  (Ez.  21 1 — 4). 

Auch  Zach,  lliff.  ist  ein  kleines,  für  sich  stehendes  Ge- 
dicht: Öffne,  Libanon,  deine  Tore,  daß  Feuer  fresse  deine 
Zedern!  Jammere  Zypresse,  denn  die  Zeder  ist  gefallen,  die 
ein  Majestätischer  verwüstet^.  Jammert y  ihr  Basanseichen,  denn 
gefallen  ist  der  unzugängliche  Wald !  Hör,  die  Hirten  jammern, 
weil  ...  .3  verwüstet  ist;  hör,  die  Löwen  brüllen,  weil  die  Pracht 
des  Jordans  verwüstet  ist.  Diese  Worte,  die  einen  Brand  des 
Libanonwaldes  und  überhaupt  aller  reich  bewaldeten  Gegenden 
Palästinas  durch  ein  Feuer  Jahves,  des  Majestätischen,  voraus- 
setzen, können  mit  dem  Vorhergehenden  nicht  in  Einklang  ge- 
bracht werden,  da  10 10  gesagt  wird,  daß  die  Israeliten  heim- 
kehren sollen  in  das  Land  Gilead  und  Libanon.  Das  wäre 
nach  dem  Verbrennen  der  Zedern  schwer  möglich.  Gewöhn- 
lich faßt  man  die  Bäume  als  ein  Bild  für  die  Feinde  auf  und 
verbindet  so  diese  Verse  mit  den  vorangegangenen:  »Dem 
Triumphe  der  Israeliten  entspricht  das  Wehgeschrei  der  heid- 
nischen Könige  und  Völker  über  ihre  Niederlage«  (Wellhausen). 
Aber  diese  Auslegung  ist  sehr  fraglich,  da  eine  ganz  ähnliche 
Stelle  notwendig  auf  Juda  bezogen  werden  muß:  Hör,  die 
Hirten  schreien  und  die  Vorsteher  der  Herde  heulen,  weil  Jahve 


1.  Über  Ex.  3429ff.  vgl.  u.  §  13  Genaueres. 

2.  Ich  lese  -r^Jiz  "i^-rs  i:r?s  nach  Jes.  10  34.  Jer.  2536. 

3.  sn^nx   ist  verderbt  (Wellhausen).     Man  erwartet   einen  Land- 
schaftsnamen. 


54      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

ihre  Weide  verwüstet  hat  und  die  friedlichen  Auen  vor  der 
Zornglut  Jahves  vernichtet  sind  (Jer.  2536f.).  Wie  aus  dem 
Zusammenhange  hervorgeht,  wird  ein  gewaltiger  Sturm  Jahves 
über  die  palästinischen  Triften  und  sogar  über  die  ganze  Welt 
einherbrausen  und  alles  zu  Grunde  richten.  Eine  dritte,  eben- 
falls etwas  abweichende  Parallele  bietet  Jes.  10 33 f.:  Siehe,  der 
Herr,  Jahve  der  Heere,  entästet  die  Krone  durch  ein  Beil^,  und 
die  hochragenden  (Bäume)  sind  gefällt  und  die  hohen  sinken 
nieder.  Niedergehauen  werden  die  Walddickichte  mit  dem  Eisen 
und  der  Libanon(wald)  fällt  durch  einen  Majestätischen.  Auch 
hier  deutet  man  den  Libanonwald  ohne  zwingenden  Grund  um 
auf  das  vor  Jerusalem  rückende  Assyrerheer.  Daß  der  Prophet 
die  Bilder  nicht  wörtlich  gemeint  hat,  ist  wohl  mit  Recht  an- 
zunehmen, aber  was  er  sich  dabei  gedacht  hat,  können  wir  heute 
nicht  mehr  entscheiden,  da  er  seiner  Allegorie  keine  Auslegung 
beigefügt  hat.  Immerhin  liegt  es  am  nächsten,  diesen  geographi- 
schen Namen  Palästinas  auch  palästinische  Personen  oder  Ver- 
hältnisse unterzuschieben.  Uns  interessiert  in  dieser  Unter- 
suchung nur  das  Bild  als  solches,  das  in  sich  vollkommen  klar 
ist  und  zum  Verständnis  keiner  anderweitigen  Interpretation 
bedarf*.  Alle  drei  Beispiele  lehren  uns,  daß  man  eine  eschato- 
logische  Verwüstung  der  Wälder  und  Auen  durch  einen  Maje- 
stätischen, durch  Jahve,  erwartete.  Diese  Idee  verwirklicht  sich 
nach  den  verschiedenen  Anschauungen  bald  durch  ein  Feuer 
bald  durch  einen  Sturm  bald  durch  eine  Axt  Jahves. 

Endlich  ist  noch  Jes.  lOieff.  zu  nennen,  wo  das  Bild  vom 
Waldfeuer  Jahves  in  wenig  plastischer  Weise  verschmolzen  ist 
mit  einem  anderen,  das  etwa  von  dem  langsam  den  Menschen 
verzehrenden  Glutfieber  hergenommen  ist:  Darum  entsendet  der 
Herr,  Jahve  der  Heere,  in  sein  Fett  die  Darre,  und  unter  seiner 
Leber  ^  entbrennt  ein  Brand  wie  Feuerbrand,  und  es  wird  sein, 
wie  wenn  ein  Siecher  dahinsiecht.  Und  das  Licht  Israels  wird 
zum  Feuer  und  sein  Heiliger  zur  Flamme,  und  sie  verbrennt 
und  frißt  seine  Dornen  und  Disteln  an  einem  Tage.  Und  seinen 
mächtigen  Wald  und  sein  Fruchtland  vertilgt  er  völlig.    Und  der 


1.  nsytta   (Duhm).     Vielleicht   ist  nzsnya  (=  Erdbeben   oder  Sturm) 
zu  halten;  vgl.  Jes.  2 19.  21. 

2.  Lies  'inas  und  stelle  V.  18  b   um   (nach  einer  schriftlichen  Mit- 
teilung GUNKELS). 


Jahve  als  Baumgott.  55 

Rest  seiner  Waldbäume  wird  gering  sein  und  ein  Knabe  schriebe 
sie  auf.  Man  wird  nach  alledem  nicht  leugnen  können,  daß 
der  Israelit  auch  im  Waldbrand  eine  Offenbarung  Jahves  sah. 
Vielleicht  wird  man  dem  gegenüber  auf  den  Baumkultus 
aufmerksam  machen  und  es  für  schwierig  halten,  daß  nach  dem 
Glauben  des  Volkes  Bäume  Jahves  (Ps.  104  le)  durch  die  Gott- 
heit selbst  angezündet  werden.  In  der  Tat  gab  es  heihge 
Bäume.  Genannt  werden  vor  allem  Eichen  und  Terebinthen 
(V^N,  lib«,  nbN  Gen.  126.  18i.  354.  8.  Jdc.  6ii.  Qs?),  daneben 
Tamarisken  (bu3N  Gen.  2133.  I  Sam.  226.  31 13),  Palmen  (iTah 
Jdc.  45),  Bakasträucher  (n52  II  Sam.  524)  und  die  göttlichen 
Zedern  (bN""'T"}fi<  Ps.  80 11).  Ebenso  galten  ganze  Waldungen 
als  heilig  wie  der  »Hain  von  Mamre«,  und  vielleicht  auch 
Karmel,  Libanon  und  Basan.  Zu  beachten  ist  aber,  wie  all- 
gemein zugestanden  wird,  daß  die  einwandernden  Hebräer  eine 
Reihe  heiliger  Bäume  von  den  Kanaanitern  übernommen  und 
von  einem  anderen  Gott  auf  Jahve  übertragen  haben.  Namen 
altkanaanitischer  Baumgottheiten  erfahren  wir  nicht  mehr.  Sie 
sind  vollständig  durch  Jahve  verdrängt  und  wohl  für  immer 
verschollen.  Aus  den  Genesiserzählungen  kann  nur  rück- 
schließend vermutet  werden,  daß  sie  einst  eine  große  Bolle  ge- 
spielt haben  müssen.  Die  Identifikation  Jahves  mit  den  über- 
heferten  Baumgöttern  ist  natürlich  nicht  mit  einem  Male,  son- 
dern allmählich  im  Laufe  der  Zeit  und  vielleicht  nicht  in  allen 
Kreisen  des  Volkes  zugleich,  sondern  nur  in  einem  Teile  vor 
sich  gegangen.  So  konnte  sich  wohl  die  Vorstellung  bilden, 
daß  Jahve  die  göttlichen  Zedern  in  Brand  steckt,  zu  einer  Zeit, 
wo  diese  Bäume  noch  nicht  sein  Attribut  geworden  waren. 
Vielleicht  auch  sollte  durch  diese  Tatsache  der  Gedanke  zum 
Ausdruck  gebracht  werden,  daß  Jahve  in  seinem  gewaltigen 
Grimm  nichts  Heiliges  kennt.  Wenn  er  zürnt,  schont  er  nicht 
einmal  sein  Eigentum.  So  wenig  Israel,  sein  Erstgeborener, 
dem  grausigen  und  verderbHcJie'n  Wüten  seines  Gottes  entgehen 
kann,  so  wenig  entrinnen  die  Bäume,  und  wären  es  selbst  heihge 
Zedern,  der  allgemeinen  Vernichtung.  Jedenfalls  lernen  wir 
aus  diesen  Anschauungen  die  volkstümliche  Religion  kennen. 
Wenn  eine  imposante  Feuersbrunst  entstand,  sei  es  im  Walde, 
sei  es  wo  anders,  so  sagte  man:  das  hat  Jahve  getan  in  seinem 


56      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Zorn.     Voraussetzung  ist  natürhch,  daß  man  die  wirkliche  Ur- 
sache nicht  wußte. 

Jahve  war  schon  Baumgott,  ehe  er  nach  Palästina  kam. 
Sein  heihger  Strauch  war  der  Dornbusch.  Nach  Dtn.  33 le 
wohnte  Jahve  im  Dornbusch,  und  nach  Ex.  32  erlebte  Mose 
eine  Jahvetheophanie  in  einer  Feuerflamme,  die  aus  dem  Dorn- 
busch hervorschlug,  ohne  ihn  zu  verzehren.  Bei  der  Singularität 
dieser  Idee,  die  nur  noch  als  unverstandenes  Überbleibsel  dunkel 
in  die  Erinnerung  hineinragt,  können  wir  eine  sichere  Erklärung 
nicht  ausmachen.  Das  Folgende  kann  darum  nur  den  An- 
spruch erheben,  ein  Versuch  zu  sein.  Es  ist  längst  bemerkt 
und  von  Wellhausen  wieder  aufs  neue  betont  worden,  daß  die 
Namen  des  Berges  (''3"'D)  und  des  Dornbusches  (riDp)  im  letzten 
Grunde  identisch  sind,  mit  anderen  Worten,  daß  der  Sinai  »der 
mit  Domen  Bewachsene«  heißt.  Trifft  das  zu,  so  wäre  der 
Dombusch  dem  Jahve  deshalb  geweiht  gewesen,  weil  er  auf 
dem  Berge  steht,  wo  die  Gottheit  wohnt,  genau  so  wie  die 
Preißelbeere  der  Vulkangöttin  Pele  heilig  ist,  weil  sie  für  ihren 
Berg,  den  Kilaueagipfel  Hawaiis,  charakteristisch  ist  (Meyer 
S.  55).  Diese  einfache  Lösung  des  Eätsels  würde  nur  dann 
unmöglich  sein,  wenn  die  Voraussetzung  nicht  richtig  ist,  wenn 
riDO  und  ■«:"»D  ursprünghch  nichts  mit  einander  zu  tun  haben, 
sondern  nur  durch  die  Volksetymologie  miteinander  verbunden 
sind.  An  sich  wäre  ebenso  gut  denkbar,  daß  ■'3"'0  »der  Berg 
des  (babylonischen)  Mondgottes  Sin«  bedeutet  (vgl.  iaD  mit  dem 
Gotte  Nabu).  Dann  müßte  der  Dornbusch  auf  anderem  Wege 
zum  Attribut  Jahves  geworden  sein.  Gbill  (Die  Erzväter.  1875. 
S.  181  ff.)  hat  nachzuweisen  gesucht,  daß  dieser  Strauch  das 
Bild  des  himmlischen  Feuers  gewesen  sei.  Es  braucht  nicht 
gerade  das  himmlische,  sondern  kann  überhaupt  das  Feuer 
sein,  das  durch  den  Dorn  symbolisiert  wird.  Denn  die  leichte 
Entzündbarkeit  ist  in  der  Tat  das  spezifische  Charakteristikum 
dieses  Stachelgewächses,  wie  aus  vielen  Beispielen  hervorgeht, 
in  denen  es  das  schnelle  Umsichgreifen  der  Feuerlohe  veran- 
schaulicht (Ex.  225.  Jdc.9i5.i  Jes.  9i7.  10i7.274.  33 12.  PS.II812). 


1.  In  dieser  köstlichen  Parabel  wird  der  Dornbusch  mit  feiner 
Ironie  verächtlich  gemacht.  Welche  Frucht  hat  dieser  Wüstenstrauch 
aufzuweisen,  die  Götter  und  Menschen  erfreut?  Kann  er  sich  messen 
mit  dem  Ölbaum,    der  Feige    und    dem  Weinstock?     Wohl  lädt  er  die 


Jahve  als  Baumgott.  57 

So  war  es  vor  allem  geeignet,  das  Attribut  Jahves,  des  Feuer- 
gottes, zu  werdend 

Endlich  bedarf  noch  die  Tatsache  der  Erklärung,  warum 
der  Busch  in  der  Sinaitheophanie  nicht  verbrennt.  Nielsen 
(S.  134  f.),  meint,  Ex.  82  schildere  das  Eäucheropfer  einer  dor- 
nigen Pflanze  aus  der  Kassia-Art  (n3o),  die  in  Lederkapseln 
gewickelt  sei.  »Leder  verbrennt  bekanntlich  sehr  langsam«. 
Aber  unser  Bericht  erzählt  weder  von  einem  Räucheropfer  noch 
vom  Leder  noch  vom  langsamen  Verbrennen.  Wir  werden  diesen 
am  besten  verstehen,  wenn  wir  analoge  Geschichten  heranziehen. 
»Dieselbe  Erscheinung  wurde  nach  Julius  Afeikanus^  und 
EusTHATius^  bei  der  Terebinthe  zu  Mamre  gesehen.  Der  ganze 
Baum  schien  in  Flammen  zu  stehen;  sobald  aber  das  Feuer 
verschwand,  stand  er  wiederum  unversehrt  da«^.  »Ebenso 
glaubte  man,  daß  auf  den  Zweigen  des  heiligen  Ölbaumes 
zwischen  den  ambrosischen  Felsen  bei  Tyrus  Feuer  erscheine, 
ohne  ihr  Laub  zu  versengen« s.  Robertson  Smith  hält  wohl 
mit  Recht  elektrische  Phänomene  für  die  physikalische  Grund- 
lage dieser  Vorstellungen. 

Um  das  Bild  von  Jahve  als  dem  Feuergott  vollständig  zu 
gestalten,  ist  endlich  noch  hinzuzufügen,  daß  er  auch  im  Opfer- 


TJntertaDen  ein,  sich  in  seinem  Schatten  zu  bergen,  aber  seit  wann 
werfen  Dornen  einen  Schatten,  seit  wann  bieten  sie  schützende  Zuflucht 
vor  Sonnenglut  und  Wetterguß  ?  Und  wie  lächerlich!  Die  hohe  Zeder 
unter  den  dürftigen  Zweigen  dieses  niedrigen  Busches!  dessen,  der 
nichts  weiter  kann,  als  ein  Feuer  entzünden,  um  die  wundervollen  und 
stattlichen  Bäume  zu  verbrennen,  die  unsere  ganze  Freude  sind.  Aber 
freilich  grade  darum  ist  er  vorzüglich  geeignet,  den  König  zu  spielen. 
Wozu  sich  kein  anständiger  Baum  hergibt,  weil  seine  Früchte  ihm 
kostbarer  dünken  als  das  Schweben  über  den  Anderen,  dazu  ist  dieser 
Wüstenstrauch  grade  gut  genug.  Denn  nur  solche  Lumpe  werden 
König!  —  Die  Parabel  paßt  ausgezeichnet  in  den  überlieferten  Zu- 
sammenhang. Jotham  verhöhnt  den  Abimelech,  der  sich  zum  König 
krönen  läßt  und  die  Sichemiten,  die  seiner  wert  sind! 

1.  Beachtenswert  ist,  daß  das  arabische  Äquivalent  für  rt30  LLm. 
nicht  nur  die  »Sennapflanze«,  sondern  auch  den  »Glanz«  des  Blitzes 
bedeutet  (z.  B.  Kamil  534,  14). 

2.  Georgius  Syncellus  ed.  Bonn.    S.  202. 

3.  Keland:  Antiq.  hebr.  S.  712.  4.  Kob.  Smith:  Kel.  S.  148. 
5.  Ebd.  S.  147  f.    Smith  verweist  auf  Achilles  Tatius  II  14;  Non- 

nus  40,  474;  die  Abbildung  bei  Pietschmann:  Die  Phönizier  S.  295. 


58      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

feuer  erscheint.  Als  die  Flamme  vom  Altar  gen  Himmel  stieg^ 
fuhr  der  Engel  Jahves  (mn""  "jn^ts  d.  h.  ursprünghch  einmal 
mn^)  zum  Himmel  auf  (Jdc.  13  20  vgl.  621).  Gewöhnlich  fällt 
umgekehrt  das  Feuer  von  Jahve  d.  h.  vom  Himmel  herab  und 
verzehrt  das  Brandopfer  (Lev.  924.  I  Reg.  18  38.  I  Chr.  2126. 
II  Chr.  7i).  Ganz  stilisiert  ist  das  Bild  in  Gen.  15 17:  Als  die 
Sonne  untergegangen  und  dichte  Finsternis  eingetreten  war,  kam 
Bauch  wie  aus  einem  Ofen  und  eine  Feuer fackel,  die  zwischen 
jenen  Opferstücken  hindurchging.  Nach  den  analogen  Beispielen 
dürfen  wir  annehmen,  daß  auch  hier  Jahve  sich  offenbart,  ob- 
wohl er  nicht  genannt  ist.  Brandopfer  sind  durchaus  nichts 
Selbstverständhches ,  in  Arabien  sind  sie  ganz  ungewÖhnHch 
("Wellhaüsen:  Skizzen  III,  113)  und  im  älteren  Israel  »außer- 
ordentiich  oder  mythisch«  (Wellhausen:  Prolegomena^  70).  Ihre 
Darbringung  ist  fast  stets  mit  einer  Theophanie  verbunden. 

§  9.    Die  Offenbarung  Jahves  im  Gewitter. 

Von  Gall:  Die  Herrlichkeit  Gottes.     Gießen  1900. 

Die  Offenbarung  Jahves  im  Gewitter  ist  mit  Absicht  an 
den  Schluß  geschoben  worden,  um  die  Behauptung  Smends,  die 
von  vielen  anderen  unterschrieben  ist,  ins  rechte  Licht  zu  rücken : 
»Jahve  erscheint  so  regelmäßig  im  Gewitter,  daß  man  ihn  für 
einen  ursprünglichen  Gewittergott  halten  möchte«  (S.  23  f.). 
Davon  kann  nach  der  in  den  vorigen  Paragraphen  aufgestellten 
Übersicht  schlechterdings  keine  Rede  sein.  Mit  I  Heg.  19  läßt 
sich  die  Gesamtheit  der  verderblichen  Naturereignisse,  in  denen 
man  das  Walten  der  Gottheit  vornehmlich  erblickte,  in  die  drei 
Worte:  Erdbeben,  Sturm  und  Feuer,  zusammenfassen.  Denn 
auch  der  Gewittergott  ist  nur  eine  spezielle  Abart  des  Feuer- 
gottes. Wohl  reizte  der  Donner  die  Phantasie,  der  hoch  droben 
grollt  und  brüllt,  daß  man  sein  eigen  Wort  nicht  versteht,  wohl 
weckten  die  Wolkenbrüche,  Pegen-  und  Hagelschauer  das 
Staunen,  die  die  dürftigen  Rinnsale  in  überschwemmende  Ströme 
verwandeln,  aber  das  gewaltigste,  imposanteste,  immer  wieder 
neue  Wunder  war  doch  der  Blitz,  der  vom  Himmel  her- 
niederfährt, man  weiß  nicht  woher  noch  wohin,  das  zuckende 
Flammenmeer,  das  den  Horizont  überflutet,  der  schier  un- 
erschöpfhche  Vorrat   an  Feuer.     Auch    die  Israeliten   dachten 


Der  Tag  des  Gewitters.  59 

sich  wohl  himmlische  Kammern,  in  denen  das  Feuer  auf- 
bewahrt wird.  Wir  haben  ja  schon  des  Öfteren  gesehen^ 
daß  des  Berges  (Ex.  19 is),  der  Erde  (Gen.  1924)  und  de& 
Brandopfers  Flammenlohe  als  himmhschen  Ursprungs  betrachtet 
wird.  Das  Gottesfeuer  (o'inbN  mjn),  das  nach  Job.  lie  vom 
Himmel  fällt,  um  7000  Schafe  mitsamt  den  Hirten  zu  ver- 
nichten, braucht  nicht  grade  als  Blitz  aufgefaßt  zu  werden,  ob- 
wohl dieser  vielleicht  denselben  mythischen  Namen  Gottesfeuer 
führte. 

Die  Blitze  gelten  als  Pfeile,  von  dem  Bogen  Jahves  ab- 
geschossen. So  heißt  es  Hab.  3ii:  Der  Mond  blieb  in  seiner 
Wohnung  vor  dem  Licht  deiner  Pfeile;  Ps.  18 is  (=  IlSam.  22 15): 
Und  er  warf  Pfeile  und  zerstreute  sie,  er  blitzte  Blitze  und  ver- 
wirrte sie;  Ps.  77i8f.:  Die  Wolken  erdonnerten  und  es  fuhren 
einher  deine  Pfeile.  Dein  Donner  erschallte  im  Wirbelwind^ 
Blitze  erleuchteten  den  Erdkreis.  Und  Gen.  9i3fF.  (vgl.  Hab.  89) 
ist  von  Jahves  Bogen  die  Rede,  den  er  nach  beendigter 
Schlacht  in  die  Wolken  gestellt  hat.  Auch  hier  liegt  eine 
Naturerscheinung  zu  Grunde,  da  ohne  Zweifel  der  Regenbogen 
gemeint  ist  (vgl.  Ez.  I28.  Sir.  43 11).  Im  Gewitter  hörte  und 
sah  man  den  Kampf  des  Gottes  mit  bösen  Dämonen,  wie  ihn 
bekanntlich  die  Phantasie  vieler  Völker  sich  ausgemalt  hat. 

Nahe  verwandt  mit  dieser  Anschauung  ist  eine  andere,  die 
die  Blitze  nicht  als  Pfeile,  sondern  als  Speere  bezeichnete.  Beide 
stehen  nebeneinander  Hab.  3 11:  Vor  dem  Licht  deiner  Pfeile^, 
die  da  flogen,  vor  dem  Glanz  deiner  blitzenden  Speere.  Unter- 
schieden sind  sie  darin,  daß  ein  Speer  nicht  mit  dem  Bogen 
geschossen,  sondern  mit  dem  Arme  geschwungen  wird.  So  er- 
klärt sich  Jes.  30  30:  Und  hören  läßtJahve  seinen  hehren  Donner, 
und  die  Senkung  seines  Armes  läßt  er  sehen  mit  grimmigem 
Zorn  und  der  Lohe  fressenden  Feuers^  mit  Sturm  und  Wetter- 
guß und  Hagelstein.  Nach  dem  Parallelismus  erwartet  man^ 
daß  neben  dem  Donner  der  Blitz  genannt  werde,  und  darum 
haben  wir  ein  Recht,  bei  der  Lohe  fressenden  Feuers  vornehm- 
lich an  ihn  zu  denken.  Wenn  der  Gott  den  Arm  aufhebt,  holt 
er  aus  zum  drohenden  Wurf,  wenn  er  ihn  senkt,  ist  der  Speer 
geschleudert  und  der  Blitz  saust  durch  die  Lüfte.  Übrigens 
wird  nicht  nur  der  Blitz  geschwungen  (pi-idh  Sir.  462),  »hinter 
dem  als  der  Waife  der  innere  Sinn  den  göttlichen  Arm  sieht« 


60      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

(DuHM),  sondern,  wie  der  Prophet  hinzusetzt,  auch  Regentropfen 
und  Hagelkörner,  die  kleinen  Steinen  gleichen.  Etwas  prosai- 
scher drückt  die  Sap.  Sal.  52if.  dasselbe  so  aus:  Ausfahren 
werden  wohlgezielte  Geschosse  der  Blitze  und  wie  vom  ivohl- 
gerundeten  Bogen  der  Wolken  werden  sie  zum  Ziele  fliegen. 
Und  aus  einer  Steinschleuder  werden  grimmerfüllte  Hagelkörner 
geschleudert  werden.  Dasselbe  soll  wohl  auch  Jes.  3032  be- 
sagen: Mit  den  Waffen^  der  Schwingung  (nsiin)  bekämpft  er 
sie,  d..  h.  mit  seinen  himmhschen  Pfeilen,  Speeren,  Steinen  ver- 
nichtet er  sie^.  Damit  wird  man  endlich  V.  28  kombinieren 
dürfen:  Siehe,  Jahves  Name  kommt  von  ferne  (V.  27),  um  zu 
schwingen  <  wider  die  >  Völker^  mit  der  Unheilsschwinge  (seil, 
seines  Armes),  mit  .  .  .  .*  wider  die  Backen  der  Nationen. 

Wie  in  vielen  anderen  Dingen  so  vernahm  man  auch  im 
Donner  die  Stimme  Jahves,  und  Ps.  29  vor  allem  feiert  die 
Herrhchkeit  des  mJT'  h^p^.  Gleich  der  Musik,  die  den  Truppen 
voranzieht,  donnert  Jahve  vor  seinem  Heere  her  (Joel  2ii).  Er 
brüllt  (Am.  I2.  Hos.  11 10.  Jo.  4i6.  Jer.  25 30.  Job.  374)  wie  ein 
Löwe,  er  jauchzt  wie  die  Keltertreter  (Jer.  25 30).  Mitunter 
scheint  es,  als  seien  die  Musikinstrumente  sogar  metonymisch 
für  das  Krachen,  sei  es  des  Gewitters,  des  Sturms  oder  des 
Erdbebens,  eingetreten.  So  in  der  Sinaitheophanie :  Donner  und 
Blitze  brachen  los  ...  .  und  es  erscholl  starkes  Geschmetter  von 
Trompeten  ....  und  der  ganze  Berg   erbebte  stark  und   das 

1.  ri^r:^^  wie  Ps.  764. 

2.  Dieser  Sinn  wird  durch  den  Zusammenhanja:  gefordert  (vgl.  V.  30) 
und  ist  aus  der  Idee  der  Sache  wohl  verständlich.  Er  liegt  überdies 
viel  näher  als  das  weithergeholte  »Schwingen  der  Weihegaben«  (Kittel), 
das  vielleicht  auch  beim  »Bannen  der  Kriegsbeute«  (Duhm)  eine  Kolle 
spielte.  Noch  weniger  geht  es  an,  bei  dem  Schwingen  in  V.  32  ein 
anderes  Bild  anzunehmen  als  bei  dem  Schwingen,  von  dem  V.  28  redet. 
Denn  dies,  meint  man,  gehe  zurück  auf  das  Schütteln  des  Korns  im 
Siebe.  Und  dann,  welch  sonderbarer  Ausdruck!  Man  redet  wohl  von 
einem  »Kornsieb«,  aber  schwerlich  von  einem  »Spreusieb«.  Hier  in  der 
Hand  Gottes  gedacht,  wäre  es  zu  einer  »Schwinge  des  Nichtigen«  oder 
zu  einer  »Unheilswanne«  geworden.  Viel  einfacher  scheint  mir  die 
oben  versuchte  Ableitung. 

3.  Lies  a-'ijr!  hy  entsprechend  dem  parallelen  hy. 

4.  rtyr»3  loi  ist  verderbt  und  verstehe  ich  ebensowenig  wie  Duhm. 
Ich  vermute  einen  Parallelausdruck  zu  nss  s-^r. 

5.  Vgl.   KÖBERLE   S.    131  f. 


Der  Tag  der  Posaune.  61 

Schmettern  der  Trompeten  wurde  immer  stärker  (Ex.  19i6fF.), 
Daß  es  sich  um  die  dichterische  Beschreibung  einer  Natur- 
erscheinung oder  um  eine  mythische  Vorstellung^,  nicht  um 
menschhche  Musik  handelt,  geht  besonders  klar  aus  Ex.  20 is 
hervor,  wo  die  Stellung  der  Worte  charakteristischer  Weise  so 
lautet:  Donnerschläge  und  Blitze,  Trompetengeschmetter  und 
rauchender  Berg.  Es  wäre  falsch,  wollte  man  den  wie  Drom- 
metenton klingenden  Donner  als  eine  exakte  naturwissenschaft- 
liche Schilderung  auffassen  und  etwa  im  Anschluß  an  Ebers,  wie 
es  bei  Dillmann  geschieht,  auf  den  Wiederhall  hinweisen,  den  ein 
Gewitter  in  den  Sinaibergen  hervorruft.  Hier  muß  vielmehr  die 
schöpferische  Kraft  des  Dichters  mit  in  Anschlag  gebracht  werden, 
der  wohl  an  ein  Naturereignis  anknüpft,  aber  in  der  Phantasie 
darüber  hinausgeht.  Hörte  man  ein  Rollen  und  Grollen  in  der 
Luft  und  auf  dem  Berge,  so  sagte  man:  Jahve  stößt  in  die 
Posaune.  Dann  wird  Jahve  über  ihnen  erscheinen,  und  sein 
Pfeil  wird  dem  Blitze  gleich  ausgehen,  und  der  Herr  Jahve 
wird  in  die  Posaune  stoßen  und  in  den  Stürmen  des  Südens 
einherfahren  (Zach.  9i4).  Es  ist  möglich,  daß  die  Posaune  hier 
schon  losgelöst  ist  von  der  Naturanschauung  und  zu  einem 
bloßen  Attribut  Jahves  als  des  Kriegsgottes  geworden  ist. 
Man  muß  sich  jedenfalls  hüten,  überall  und  an  allen  Stellen 
hinter  dieser  mythologischen  Größe  ein  q)aLv6f.ievov  zu  vermuten. 
AVenn  es  Jes.  3032  heißt:  Mit  Pauken  und  mit  Zithern^  und 
mit  Schleuderwaffen  bekämpft  er  sie,  so  darf  zum  Verständnis 
dieser  Worte  an  Ex.  20 lo  erinnert  werden:  Und  sie  sprachen 
zu  Mose:  Rede  du  mit  uns,  dann  wollen  wir  hören,  aber  Gott 
soll  nicht  zu  uns  reden,  damit  wir  nicht  sterben.  Das  Hören 
der  göttlichen  Stimme  bringt  also  den  Tod  (vgl.  Dtn.  621),  und 
darum  können  die  göttlichen  Instrumente  direkt  als  tödliche 
Waffen  bezeichnet  sein,  ohne  daß  man  die  Idee  des  »Donner- 
keils« zur  Hülfe  heranzuziehen  braucht.  In  der  spätjüdischen 
Apokalyptik  hat  die  Posaune  Gottes  grade  entgegengesetzten 
Sinn.  Durch  ihren  ohrenbetäubenden  Lärm  vernichtet  sie  nicht 
die  Menschen,  sondern  weckt  sie  auf:  Sowie  der  Ruf  ergeht,  die 


1.  Vgl.  0.  S.  44  die  Parallele! 

2.  Wenn   man  cera   mit   dem  Folgenden  verbindet,    so   darf  das 
dreimal  hinter  einander  stehende  3  nicht  verschieden  aufgefaßt  werden. 


62      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Stimme  des  Erzengels  erschallt  und  die  Posaune  Gottes  ertönt, 
wird  der  Herr  selbst  vom  Himmel  herabsteigen  und  werden  die 
Toten  in  Christo  auferstehen  (I  Thess.  4i6).  Auch  Ps.  Sal.  11 1 
soll  die  Lärmposaune  Jerusalem  aus  der  Lethargie  aufrütteln, 
daß  es  den  Zurückkehrenden  entgegenschaue  (Volz  S.  310). 

Vom  Gewitter  sind  unabtrennbar  der  Gewittersturm  und 
der  Gewitterregen,  die  ebenso  als  Vernichtungsmittel  in  der 
Hand  Jahves  dienen,  wie  Feuer,  Schwefel  und  Glutwind  der 
Becherteil  d.  h.  das  Los  der  Gottlosen  sind  (Ps.  lle).  Siehe, 
wegschivemmenden  Platzregen  will  ich  senden,  Hagelsteine  sollen 
fallen  und  eine  Windsbraut  soll  losbrechen^  (Ez.  13 ii).  Beim 
Untergang  Gogs  finden  wir  alle  Gottesschrecken  neben  ein- 
ander genannt:  Ich  will  mit  ihm  rechten  durch  Pest  und  Blut- 
vergießen, durch  hinwegschwemmenden  Regen  und  Hagelsteine; 
Feuer  und  Schwefel  will  ich  regnen  lassen  über  ihn,  seine  Kriegs- 
scharen und  die  vielen  Völker,  die  mit  ihm  sind  (Ez.  3822).  So 
sind  denn  auch  die  Jahvetheophanien  der  Vergangenheit,  nament- 
lich die  des  Sinai,  mit  entsprechenden  Zügen  ausgestattet :  Jahre, 
als  du  auszogst  aus  Seir,  einhertratest  vom  Gefilde  Edoms,  da 
hebte  die  Erde,  es  troffen  die  Himmel,  es  troffen  die  Wolken 
von  Wasser,  Berge  wankten  vor  Jahve  (Jdc.  54f.  vgl.  Ps.  68  sf. 
77 18.  Hab.  3 10  nach  Nowack).  Daneben  aber  wußte  das  Volk 
noch  von  mancher  historischen  Offenbarung  Jahves  im  Gewitter- 
sturm zu  Gunsten  Israels  zu  erzählen. 

Die  meisten  Geschichten  sind  lokalisiert  in  der  Jesreelebene. 
Der  Kison  oder  nähr  el-mukattd  überschwemmt  in  der  Regen- 
zeit fast  die  ganze  Ebene,  »die  daher  auch  nur  an  den  höher 
gelegenen  Rändern  besiedelt  ist,  in  der  Mitte  und  an  den 
Wasserbetten  stark  morastigen  Boden  hat.  Streitwagen  und 
Reitern  kann  die  Umgebung  des  Kison  daher  leicht  gefährlich 
werden,  namentlich  nach  einem  starken  Regen«  (Guthe).  Li 
der  Schlacht  am  Tabor,  16.  April  1799,  sollen  viele  Araber 
von  den  Fluten  verschlungen  sein.  Schon  das  Deboralied  singt 
davon,  wie  die  Könige  Kanaans  zu  Taanach  an  den  Wassern 
Megiddos  vom  Kisonbach  fortgerissen  wurden  (Jdc.  5  21).  Wie 
wir  aus  Ps.  83ioJä'.  erfahren,  war  dieser  Fluß  nicht  nur  in  dem 
.Sisera-,   sondern  auch  in  dem  Jabinkampfe  und  in  den  Midia- 


1.  Vgl.  die  Kommentare  von  Bertholet  und  Kraetzschmar. 


Der  Tag  des  Gewitterregens.  63 

niterkriegen  von  entscheidender  Bedeutung:  Tue  ihnen  wie 
Midian,  tvie  Sisera,  wie  Jahin  am  Bache  Kison.  Sie  wurden 
vertilgt  bei  Endor,  wurden  Dünger  für  das  Feld.  Mache  ihre 
Edlen  tvie  Oreh  und  Seeb  und  wie  Seba  und  Zalmuna  alle  ihre 

Fürsten Mein  Gott,    mach    sie   wie   Wirbelstaub,   wie 

Stoppeln  vor  dem  Winde.  Wie  Feuer,  das  den  Wald  an- 
zündet, wie  die  Flamme,  die  Berge  verbrennt,  so  verfolge  du  sie 
mit  deinem  Sturmwind  und  schrecke  sie  mit  deiner  Windsbraut. 
Dem  Dichter  dieses  Psalmes  haben  noch  mythologischer  gefärbte 
Berichte  vorgelegen ,  als  sie  uns  im  Alten  Testamente  —  ab- 
gesehen von  Jdc.  5  —  aufbewahrt  sind  (vgl.  Jos.  11.  Jdc.  4  f. 
7  f.),  Berichte,  in  denen  ein  machtvolles  Eingreifen  Jahves  zu 
Gunsten  seines  Volkes  erzählt  und  wohl  eine  verheerende  Über- 
flutung des  durch  Gewittersturm  geschwollenen  Kisonbaches  ge- 
schildert wurde. 

In  dem  hochmythologischen  Psalm  Hab.  c.  3  lesen  wir, 
wie  Jahve  von  Teman  und  vom  Gebirge  Parans  her  (33)  seinem 
Gesalbten  zu  Hülfe  eilt,  um  dessen  Feinde  zu  zerschmettern.  Da- 
bei wird  beschrieben,  wie  er  zu  diesem  Zweck  über  die  Wasser 
stürmt.  Als  er  seine  Eosse  über  das  Meer  trieb,  schäumten  die 
Wogen  (3 15)  und  die  Tiefe  brüllte  (3io).  Fast  scheint  es,  als 
sei  der  Gott  auf  die  Fluten  ergrimmt,  als  richte  sich  gegen  die 
Fluten  sein  Zorn,  da  er  darauf  herfährt  mit  seinem  siegreichen 
Wagen  (38).  Und  doch,  »wenn  Jahve  von  Paran  her  nach 
Palästina  zum  Gerichte  kommt,  berührt  er  das  Meer  nicht« 
(Gunkel:  Schöpfung  S.  105).  In  dieser  Theophanie  sind  typische 
Züge  verwandt,  ohne  Rücksicht  auf  die  Geographie ;  sie  stammen 
so,  wie  sie  hier  vorliegen,  aus  dem  tehom-Mythus.  Dort  sind  sie 
eingedrungen  und  haben  sein  Kolorit  spezifisch  palästinisch  ge- 
färbt. Mit  dem  genannten  Mythus  verbunden,  sind  sie  dann  in 
die  Endzeit  übertragen.  Ursprünglich  sind  sie  zwar  der  Natur- 
anschauung der  Gegenwart  entnommen,  vergröbert  und  ver- 
größert worden,  um  in  die  kosmischen  Verhältnisse  hineinzu- 
passen. Aber  die  Farben  zu  diesem  Bilde  hat  trotz  der  (edo- 
mitischen!)  Ortsnamen  schwerlich  Palästina  geliefert,  da  hier  die 
Sturmflut  des  Meeres  geschildert  wird. 

Die  einherßutende  Geißel,  unter  der  wir  vielleicht  Jes.  IO26 
den  Kisonbach  verstehen  müssen,  begegnet  uns  noch  einmal 
Jes.  28 15  in  Verbindung  mit  einer  anderen  Gegend.    Und  wegfegen 


64      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

wird  der  Hagel  die  Zuflucht^  und  Wasser  das  Versteck  fort- 
schwemmen ....  Wenn  die  flutende  Geißel  daherfährt,  sollt  ihr 
von  ihr  vernichtet  werden  ....  Denn  zu  kurz  ist  das  Bett  sich 
zu  strecken,  und  die  Decke  zu  schmal  für  das  Einhüllen.  Denn 
wie  zu  Har  Perazim  wird  aufstehen  Jahve,  wie  im  Giheonstal  toben, 
zu  tun  seine  Tat  —  fremd  seine  Tat,  und  zu  wirken  sein  Werkj 
—  wildfremd  sein  Werk  (Jes.  28 17).  Der  Prophet  verkündet 
hier  einen  Gewittersturm,  durch  dessen  Regensturz  der  Fluß  an- 
schwillt, sodaß  sein  Bett  zu  kurz  wird  sich  zu  strecken  und 
seine  Decke  zu  schmal  für  das  Einhüllen''^,  wie  es  einst  in  der 
Davidzeit  geschah.  Nach  II  Sam.  024  war  Jahve  damals  im 
Sturm  durch  die  Wipfel  der  Bakasträucher  gerauscht,  um  vor 
dem  Heere  auszuziehen  und  eine  Niederlage  unter  den  Philistern 
anzurichten.  Aus  unserer  Stelle  entnehmen  wir,  daß  er  durch 
eine  Überschwemmung  die  Vernichtung  der  Feinde  bewirkte. 
Eine  Erinnerung  daran  hat  II  Sam.  620  bew^ahrt,  wenn  dort 
Baal  Perazim  {=  Har  Perazim)  erklärt  wird  durch  den  Satz: 
Jahve  hat  meine  Feinde  vor  mir  her  durchbrochen  wie  bei  einem 
Wasser durchbruch.  Der  Ort  ist  heute  unbekannt.  Vielleicht 
ist  an  den  wädi  es-sarär  zu  denken  (Guthe),  dessen  Fort- 
setzung der  tiefe,  mit  Binsen  und  Rohrpflanzen  umrahmte  nähr 
rübtn  bildet. 

Wenn  Jesaja  an  dieser  Stelle  einen  Untergang  Jerusalems 
durch  einen  göttlichen  Gewitterregen  erwartet,  so  ist  diese  Vor- 
stellung der  populären  Mythologie  entlehnt.  Denn  es  ist  von 
der  höchsten  Wichtigkeit  und  von  rätselhafter  Auffälligkeit,  ob- 
wohl es  noch  kein  Exeget  betont  hat,  daß  in  diesem  ganzen  Ab- 
schnitt (28 14 — 22)  mit  keinem  Wort  an  die  Assyrer  erinnert  wird. 
Der  Einzige,  der  handelt,  ist  Jahve.  Sein  wildfremdes  Werk 
ist  das  Thema  der  Rede.  Die  Verse  erzählen  nur  von  dem 
Tun  Jahves  und  daher  enthalten  sie  einen  Mythus.  Es  ist  ja 
wahrscheinlich,  daß  der  Prophet  geglaubt  hat,  Jahve  werde 
»Untergang  und  Entscheidung«  durch  das  alles  überflutende 
Heer  der  Assyrer  herbeiführen;  beweisen  läßt  sich  das  nicht, 
da  keine  Anspielung,  kein  Wort  darauf  hindeutet.  Was  Jesaja 
schildert,  ist  eine  durch  Jahves  Gewittersturm  verursachte  Über- 


1.  Streiche  sts  mit  Duhm. 

2.  Das  Bild  vom  Menschen  ist  auf  den  Fluß  übertragen. 


t 


Der  Tag  der  Überschwemmung.  65 

schwemmung,  und  man  begreift  zunächst  nicht,  wie  er  dazu 
kam,  wenn  er  die  Assyrergefahr  allein  im  Auge  hatte.  Die 
Form ,  in  die  er  seine  Weissagung  kleidet,  wird  erst  verständ- 
Hch,  sobald  man  sie  für  überliefert  hält.  Sie  ist  ihrer  ganzen 
mythischen  Art  nach  volkstümlichen  Ursprungs.  Wir  kon- 
statieren also,  daß  zur  Zeit  Jesajas  in  Israel  die  Meinung  ver- 
breitet war,  eine  künftige,  eschatologische  Flut  werde  die  Ver- 
nichtung bringen.  Da  die  Männer,  gegen  die  der  Prophet 
polemisiert,  fest  überzeugt  sind,  Jerusalem  werde  von  ihr  ver- 
schont bleiben,  so  folgt  daraus,  daß  es  sich  um  eine  Weltflut? 
um  eine  Sintflut  handelt.  Denn  sie  können  unmöglich  erwartet 
haben,  daß  ein  beliebig  kleiner  Bach  ein  winziges  Stück  Pa- 
lästinas unter  Wasser  setzen  und  Jerusalem  unbehelligt  lassen 
werde,  weil  es  einige  Meter  höher  lag.  Damit  ist  eine  eschato- 
logische Sintfiutidee  ausdrücklich  als  populär  erwiesen.  Die 
Farben,  mit  denen  die  kommende  Katastrophe  gemalt  war,  sind 
spezifisch  palästinisch.  Wir  sehen  auch  hier  wieder,  daß  die 
Eschatologie  älter  ist  als  die  Prophetie,  daß  diese  von  jener 
lebt,  und  nicht  umgekehrt,  wie  es  —  mit  Ausnahme  Gunkels  — 
die  allgemein  wissenschaftlich  anerkannte  Theorie  lehrt.  Jesaja 
unterscheidet  sich  von  dem  Volksglauben  nur  dadurch,  daß  er 
im  Gegensatz  zu  ihm  betont,  auch  Jerusalem  wird  der  Hagel 
wegfegen  und  das  Wasser  fortschwemmen.  Den  Sinn  dieser 
Stelle  versteht  man  nur  dann,  wenn  man  sie  zunächst  wörtlich 
auffaßt  und  nicht  allegorisiert,  wie  es  die  Exegeten  tun.  Hinter 
dem  Wortsinn  schlummert  allerdings  das  prophetische  Geheimnis, 
das  eine  halbwegs  politische  Erfüllung  der  in  den  Naturschleier 
gehüllten  Weissagung  ahnen  läßt. 

Ganz  anders  ist  es  Jes.  282,  wo  das  Kecht  zur  Allegorese 
durch  den  vom  Propheten  selbst  gekennzeichneten  Vergleich 
gegeben  ist:  Siehe^  einen  Mächtigen  und  Starken  hat  der  Herr, 
wie  Hagelwetterguß  und  Seuchensturm,  wie  Wetterguß  gewaltiger, 
überflutender  Wasser,  der  niederstreckt  zur  Erde  mit  der  Hand. 
Hier  sind  Hagel,  Regen,  Sturm  und  Überschwemmung  nur 
Bilder  für  das  Assyrerheer.  Ebenso  ist  es  Jes.  17i2ff.:  Ha, 
ein  Brausen  vieler  Völker,  die  wie  das  Brausen  des  Meeres 
brausen,  und  Tosen  starker'^  Nationen,  die  wie  das  Tosen  vieler 


1.  Die  Stellung  dieses  Wortes  mit  den  LXX. 

Forschungen  zur  ßeJ.  u.  Lit.  d.  A.  a.  NT.  6. 


66      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Wasser  tosenK  Er  bedroht  es,  daß  es  flieht  in  die  Weite  und  zer- 
streut wird  wie  Spreu  der  Berge  vor  dem  Winde  und  wie  Wirbel- 
staub vor  der  Windsbraut.  Zur  Zeit  des  Abends:  siehe  da,  Schrecken, 
bevor  der  Morgen  kommt,  ist  es  dahin.  Bas  ist  das  Teil  unserer 
Plünderer  und  das  Los  unserer  Räuber.  Diese  Stelle  erinnert 
an  die  vorhergehenden,  da  auch  hier  Völker  verghchen  werden 
mit  dem  überschwemmenden  Meere,  obwohl  der  Unterschied 
nicht  zu  verkennen  ist.  Während  sonst  Jahve  hinter  Assur 
steht  und  ihn  zum  Gewittersturm  für  Israel  macht,  so  vertreibt 
er  hier  umgekehrt  die  Völker  und  verjagt  die  Wasser. 

Wie  sind  diese  Bilder,  die  von  einer  Naturerscheinung  auf 
Menschen  übertragen  sind,  zu  erklären?  Es  würde  an  sich, 
wenn  wir  nur  diese  Bilder  hätten,  durchaus  genügen,  eine 
dichterische  Konzeption  der  Propheten  anzunehmen.  Aber  wir 
waren  oben  zu  konstatieren  gezwungen,  daß  es  sich  in  Jes.  28  uff. 
nicht  um  eine  Allegorie,  sondern  um  die  Beschreibung  einer  wirk- 
lichen, in  Zukunft  eintretenden  Flut  mythischer  Art  handelt, 
wie  sie  nach  dem  Volksglauben  erwartet  wurde.  Wenn  uns 
hier  dieselbe  Vorstellung  begegnet,  in  das  Gewand  des  dichteri- 
schen Vergleiches  gehüllt,  so  muß  für  diese  bildliche  Anschauung 
späterer  Ursprung  vermutet  werden,  zumal  sie  so  ganz  in  den 
prophetischen  Gedankenkreis  hineinpaßt.  Dazu  stimmt  die  ge- 
schichtliche Entwicklung  der  Eschatologie  überhaupt,  soweit  wir 
sie  bis  jetzt  kennen  gelernt  haben.  Wir  sahen,  daß  in  vor- 
prophetischer Zeit  eine  feste,  jedermann  geläufige  Theorie  be- 
stand, die  Welt  werde  untergehen  durch  Erdbeben,  Sturm, 
Feuer  oder  Flut  Jahves.  Die  Propheten  betonten  vor  allem, 
daß  Israel  durch  Jahve  zu  Grunde  gehen  solle,  während  das 
Volk  an  eine  Rettung  glaubte.  Aber  an  die  Stelle  der  mythi- 
schen Schrecken  Jahves  schiebt  sich  durch  die  Prophetie  mehr 
und  mehr  die  durch  Jahve  veranlaß te  historische  Assyrer- 
gefahr,  und  —  daraus  erkennt  man  das  gewaltige  sittliche  Pathos 
der  Propheten  —  die  »wildfremde  Tat«,  daß  sie  Jahve  selbst 
an  der  Spitze  fremder  Nationen  gegen  sein  eigenes  Volk  zu 
Felde  ziehen  lassen.  Von  jetzt  an  beginnt  die  in  den  prophe- 
tischen Büchern  ständige  Inkonzinnität  zwischen  den  mythischen 
und   historischen   Ideen.      Jahves    Vernichtung   kommt   durch 


1.  Der  folgende  Satz  ist  Glosse  (Duhm,  Gunkel). 


Der  Tag  der  Flut.  67 

eine  Flut,  sagte  das  Volk.  Jahves  Vernichtung  kommt  durch 
die  Assyrer,  sagten  die  Propheten.  Was  lag  näher  als  beide 
Ideen  miteinander  auszugleichen:  Jahves  Vernichtung  kommt 
durch  die  Assyrer  wie  durch  eine  Flut.  Denselben  Vor- 
gang haben  wir  schon  oben  bei  dem  mythischen  Motiv  des  Jahve- 
orkans  nachgewiesen  (S.  21),  ohne  freilich  in  die  Tiefe  zu  dringen, 
und  wir  werden  noch  einmal  darauf  eingehen  müssen. 

Ist  die  Entwicklung  richtig  gezeichnet,  so  können  wir  aus 
Jes.  17i2ff.  eine  Bestätigung  für  unsere  Exegese  von  Jes.  28i4ff. 
entnehmen,  daß  viele  Wasser,  ein  Meer,  eine  Sintflut  die  Erde 
überschwemmen,  Jerusalem  aber  nicht  vernichten  werden.  End- 
lich ist  noch  Jes.  54  9f.  hierher  zu  ziehen,  wo  die  Zeit  des  Exils 
mit  den  Tagen  Noahs  verglichen  wird.  Das  tertium  compara- 
tionis  ist  der  neue  Bund,  der  damals  nach  der  Sintflut  und  jetzt 
nach  dem  Exil  zwischen  Gott  und  seinem  Volke  geschlossen 
wird.  Es  ist  zunächst  durchaus  unbegreiflich,  wozu  es  eines 
neuen  Bundes  bedarf.  Genügt  es  nicht,  wenn  Jahve  sagt,  hin- 
fort werde  seine  Gnade  von  Israel  nicht  mehr  weichen?  Die 
Idee  des  Bundes  ist  durch  nichts  motiviert,  und  darum  ist  auch 
die  Parallele  zwischen  dem  Exil  und  der  Sintflut  nicht  leicht  ver- 
ständlich aus  dem  Geist  des  Schriftstellers,  sondern  nur  aus  der 
Umbiegung  einer  Tradition.  Was  hier  als  Bild  erscheint,  war 
einst  als  Realität  gedacht.  Die  Katastrophe,  die  am  Ende  der 
Tage  über  die  Erde  kommen  und  sie  wegspülen  wird,  ist  eine 
Wiederholung  der  Sintflut.  Die  Katastrophe  ist  eingetreten,  die 
Überschwemmung  erfolgt  —  nach  prophetischer  Anschauung  — 
durch  die  Assyrer,  Chaldäer,  durch  das  Exil.  Von  hier  ist  auch 
das  merkwürdige  Hin-  und  Herpendeln  Jesajas  zu  erklären, 
der  17i2ff.  der  populären  Idee  beistimmt,  28140".  ihr  widerspricht. 
Dort  wird  Jerusalem  vor  den  Wassern  gerettet,  hier  wird  es  hin- 
weggespült. Es  genügt  nicht,  an  die  kaleidoskopartig  wechselnde 
politische  Situation  zu  erinnern,  es  genügt  nicht,  auf  die  dem  be- 
ständigen Schwanken  unterworfene  Psyche  des  Propheten  hinzu- 
weisen, man  muß  daneben  eine  Theorie  statuieren,  und  diese 
ergibt  sich  von  selbst,  wenn  man  die  Parallele  der  Sintflut  sich 
deuthch  macht.  Wie  damals  nur  Ein  Frommer  nebst  seiner 
Familie  gerettet  wurde,  so  sollen  auch  beim  Endgericht  nur 
Wenige,  nur  ein  »Rest«  (vgl.  §  21),  dem  göttlichen  Zorn  ent- 
rinnen.    Daß  die  Israeliten   sich  selbst  unter  die   »Wenigen« 


68      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

rechneten,  ist  begreiflich,  während  die  Propheten  dem  populären 
Glauben  schroff  entgegentraten.  Nur  manchmal  machten  sie 
dem  Volke  Zugeständnisse  und  bewiesen  damit,  daß  auch  sie 
Menschen  waren,  die  nun  einmal  von  den  herrschenden  Zeit- 
strömungen sich  nie  ganz  lösen  können.  Wenn  man  darauf 
aufmerksam  macht,  daß  Jahve  nach  Gen.  82if.  Jes.  549  ge- 
schworen habe,  keine  Sintflut  wiederkehren  zu  lassen,  so  ist  das 
keine  Widerlegung  unserer  Ausführungen,  sondern  zeigt  nur, 
daß  die  Theorien  eben  in  verschiedenen  Schichten  des  Volkes 
und  zu  verschiedenen  Zeiten  verschieden  waren.  Ein  Dogma 
darüber  existierte  nicht. 

In  diesen  Gedankenkreis  gehören  endlich  noch  eine  Eeihe 
prophetischer  Stellen,  aus  denen  sich  um  ihres  bildhchen 
Charakters  willen  mit  Sicherheit  nichts  folgern  läßt.  Jes.  Soff.: 
Weil  dies  Volk  die  sanft  fließenden  Wasser  Siloahs  verachtet . . . 
darum  siehe,  läßt  der  Herr  die  Wasser  des  Euphratstromes 
steigen  .  .  .  der  wird  eindringen  in  Juda,  überschwemmen  und 
überfluten.  Das  Wort  von  den  sanft  fließenden  Wassern  Siloahs 
verstehen  wir  nicht  mehr  —  trotz  der  Kommentatoren,  da  ^s 
wohl  eine  Anspielung  auf  irgend  ein  verlorenes  Gedicht  oder  an 
eine  uns  unbekannte  populäre  Idee  ist.  Das  Bild  von  dem 
überschwemmenden  Euphrat  kann  mögKcherweise  der  Phantasie 
des  Propheten  entsprungen  sein,  indem  er  Assur  mit  dem 
Euphrat  vertauschte.  Wahrscheinlicher  ist  mir  die  andere,  eben- 
falls vorhandene  Möglichkeit,  daß  dem  Propheten  eine  Theorie 
vorlag  über  eine  eschatologische  Flut  mythischer  Art,  die  von 
ihm  auf  den  Euphrat  umgedeutet  wurde.  Ähnhch  ist  der  Sach- 
verhalt in  Jer.  472:  Siehe,  Wasser  fluten  heran  vom  Norden 
und  werden  zu  einem  reißenden  Strom  und  überschwemmen  die 
Erde  und  was  sie  füllt,  die  Städte  und  die  darin  wohnen,  da 
schreien  die  Menschen  und  heulen  alle  Bewohner  der  Erde. 
Wie  aus  dem  nächsten  Verse  hervorgeht,  ist  das  Wasser  aus 
dem  Norden  ein  Symbol  für  den  Feind  aus  dem  Norden. 
Beides  steht  unvermittelt  und  unausgeglichen  neben  einander. 
V.  2  ist  eine  Weissagung  auf  dem  Gebiet  der  N^tur,  V.  3 
eine  Weissagung  auf  dem  Gebiet  des  Völkerlebens.  Genau 
so  ist  es  in  dem  eschatologischen  Psalm  46,  wo  zunächst 
ein  Erdbeben,  dann  eine  Wasserflut  geschildert  wird:  Drum 
fürchten  wir  uns  nicht,  wenngleich  die  Erde  weicht  und  Berge 


Der  Tag  der  Finsternis.  69 

ins  Meer  sinken,  wenn  seine  Wasser  brausen  und  toben,  Berge 
erbeben  vor  seinem  Übermut.  Erst  aus  V.  7  erfährt  man,  daß 
auch  dieser  Aufruhr  der  Elemente  nur  ein  Bild  ist  für  das  Wüten 
der  Völker  und  das  Wanken  der  Eeiche.  Ohne  Bild  werden 
in  der  späten  Apokalypse  Jes.  24  is  die  Himmelsfenster  erwähnt, 
aus  denen  bei  der  Sintflut  die  Wasser  strömen  (Gen.  7ii.  82): 
Denn  die  Gitter  von  der  Hohe  her  sind  geöffnet,  und  es  erbeben 
die  Grundfesten  der  Erde.  In  den  Pseudepigraphen  (Volz 
S.  105)  und  im  Neuen  Testamente  (Mt.  2437.  Lk.  1726)  wird 
der  eschatologische  Weltuntergang  häufig  mit  der  Sintflut  ver- 
gUchen  und  diese  ihrerseits  als  Weltuntergang  dargestellt.  Man 
beginnt,  die  verschiedenen  Theorien  vom  Ende  zu  systematisieren 
und  miteinander  auszugleichen.  In  der  Vergangenheit  ging  die 
Welt  durch  Wasser  zu  Grunde,  in  Zukunft  wird  sie  durch  Feuer 
zerstört  werden  (Vita  Adae  49.  Jos.Ant.  I  70.  II  Pt.  Sef.).  In 
älterer  Zeit  hatte  man  nicht  das  Bedürfnis  zu  schematisieren, 
sondern  ließ  die  Ideen  bunt,  wie  es  sich  grade  traf,  durch- 
einanderwirbeln und  nebeneinander  bestehen. 

Wie  zu  anderen  Naturerscheinungen:  zum  Regen,  Hagel, 
Sturm,  Vulkan,  so  gehört  auch  zum  Gewitter  die  dunkle 
Wolke,  die,  das  Licht  der  Gestirne  verfinsternd  und  den  Himmel 
in  undurchdringliche  Nacht  hüllend,  die  folgende  Katastrophe  im 
Voraus  ankündigt.  Darum  offenbart  sich  Jahve  auch  in  der  Fin- 
sternis, in  dem  Element,  das  dem  Lichte  grade  entgegengesetzt 
ist.  Bei  der  Sinaitheophanie  heißt  es  ausdrücklich,  daß  sich  die 
Gottheit  in  dem  schweren  Gewölk  befand,  welches  über  dem 
Berge  hing  (Ex.  20 21).  Gewöhnlich  ^  wird  die  Wolke  als  das 
Gefährt  Jahves  {T^^7^'^  ^^d"))  gedacht  (Jes.  19 1.  Ps.  18iof.  1043). 
Weil  Jahve  am  Ende  der  Tage  sich  auch  in  dieser  Weise 
manifestiert,  so  ist  die  Rede  von  einem  Tag  der  Finsternis  und 
des  Dunkels,  einem  Tag  der  Wolken  und  des  Gewölks  (Joel  22. 
Zeph.  Ii5.  Ez.  34 12).  Das  Licht  des  Himmels  ist  dann  ver- 
schwunden (Jer.  423).  Und  verhüllen  werde  ich  den  Himmel .... 
und  in  Schwarz  kleiden  seine  Sterne,  die  Sonne  will  ich  mit 
Wolken  verhüllen,  und  der  Mond  soll  sein  Licht  nicht  leuchten 
lassen.  Alle  Leuchten  des  Lichtes  am  Himmel  werde  ich  in 
Schwarz  kleiden  .  .  .  und  Finsternis  bringen  .  .  .  (Ez.  327ff.). 


1.  Vgl.  die  Sammlung  der  Anschauungen  bei  Köberle  S.  131. 


70      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Ganz  ähnlich  lautet  Jes.  50 3 :  Ich  kleide  die  Himmel  in  Schwärze 
und  Sacktuch  mache  ich  zu  ihrer  Hülle;  Jes.  13  lo:  Denn  die 
Sterne  des  Himmels  und  ihre  ....  hellen  nicht  ihr  Licht,  ver- 
finstert ist  die  Sonne  in  ihrem  Aufgang,  und  der  Mond  läßt 
sein  Licht  nicht  mehr  erglänzen;  Joel  4i5:  Sonne  und  Mond 
haben  sich  verfinstert  und  die  Sterne  ihren  Glanz  verloren. 
Noch  ausführlicher  ist  Joel  Ssf.:  Und  ich  will  Zeichen  im 
Himmel  und  auf  Erden  geben,  Blut  und  Feuer  und  Rauch- 
säulen. Die  Sonne  wird  sich  in  Finsternis  ivandeln  und  der 
Mond  in  Blut.  Dazu  bemerkt  Schiaparelli  (Die  Astronomie 
im  Alten  Testament,  übersetzt  von  Willy  Lüdtke.  Gießen  1904): 
»Diese  Stellen  scheinen  auf  wirkHch  beobachtete  Dinge  hinzu- 
deuten. Die  totalen  Mondfinsternisse  waren  stets  zu  jeder  Zeit 
und  an  jedem  Ort  häufig  genug:  der  in  Blut  verwandelte  Mond 
bezieht  sich  sicher  auf  jene  rötliche  dunkle  Farbe,  die  man  oft 
bei  solchen  Finsternissen  beobachtet«  (S.  37). 

Auch  diese  Anschauung  läßt  sich  bei  dem  ältesten  Pro- 
pheten nachweisen  und  stammt  im  letzten  Grunde  aus  der  vor- 
prophetischen Eschatologie :  Jenes  Tages,  spricht  der  Herr  Jahve, 
laß  ich  die  Sonne  am  Mittag  untergehen  und  mache  es  der  Erde 
finster  am  lichten  Tage  (Am.  89).  Wellhausen  erklärt:  »Die 
Wirkung  jenes  schreckUchen  Tages  auf  die  Menschen  wird  sein 
wie  die  einer  Sonnenfinsternis.  Arnos  hat  eine  totale  Sonnen- 
finsternis erlebt  am  9.  Februar  784  (J.  D.  Michaelis).«  Aber 
dieser  Hinweis  auf  ein  zeitgenössisches  Ereignis,  das  übrigens  nach 
Schiaparelli  (S.  38)  richtiger  am  15.  Juni  763  stattfand,  kann 
uns  über  die  Schwierigkeit  der  vorgetragenen  Exegese  nicht 
hinweghelfen.  Die  Worte  enthalten  keinen  Vergleich  und  reden 
nicht  von  einer  Wirkung  auf  die  Menschen,  sondern  konstatieren 
ganz  einfach,  daß  dann  an  jenem  Tage  eine  Sonnenfinsternis 
eintreten  werde.  Mit  einem  Feldzug  der  Assyrer  reimt  sich 
das  fi-eilich  ebenso  schlecht  wie  der  im  selben  Zusammenhang 
erwähnte  Sirokko.  Darum  können  diese  Vorstellungen  nicht 
dem  Geist  des  Amos  entsprungen,  sondern  müssen  aus  der 
Volksanschauung  vom  Tage  Jahves  entnommen  sein.  Wir  lernen 
daraus  vor  allem,  daß  sie  von  alters  her  auch  kosmolo- 
gische  Ideen  enthielt  und  durchaus  nicht  auf  das  Land  Pa- 
lästina beschränkt  war,  wie  die  heutige  Wissenschaft  mit  Un- 
recht behauptet. 


Der  Tag  der  Schlacht.  71 


§  10.    Jahve  als  Kriegsgott. 

E.  Kautzsch  :  Die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Namens  nisss  nin-i 
(ZATW  VI  17  if.  250).  Gießen  1886.  Julius  Wellhausen  :  Die  kleinen 
Propheten^.  Berlin  1898.  S.  77.  Israelitisch -jüdische  Geschichte^. 
Berlin  1897.  S.  25  f.  Hermann  Gunkel:  Genesis^  Göttingen  1902. 
S.  314.  M.  Th.  Houtsma:  nrrV,  n^r^'^tt,  üir-^h  (ZATW  XXII  329  ff.).  Gießen 
1902.  Eduard  Meyer:  Über  einige  semitische  Götter  (ZDMG  XXXI 
719)1877.  W.  Max  Müller:  Asien  und  Europa.  Leipzig  1893.  S.  311  ff. 
Eberhard  Schrader  (Winckler- Zimmern):  Keilinschriften  und  Altes 
Testament^.  Berlin  1903.  S.  224.  478.  W.  Spiegelberg:  Eine  Esp  (sicnL^^ 
Stele  (ZA  XIII  120  vgl.  328)  1898.  ^ 

Wie  die  im  vorigen  Paragraphen  besprochenen  Bilder  für 
die  Schrecken  des  Gewitters  beweisen,  sah  man  in  dem  Ge- 
wittergott zugleich  einen  Kriegsgott.  Seine  Pfeile  und  Speere 
sind  die  Blitze,  seine  Posaune  ist  der  Donner,  sein  Bogen  der 
Regenbogen,  der  erst  nach  vollendeter  Schlacht  sichtbar  wird, 
sein  Wagen  und  sein  Pferd  sind  Sturm  und  Wolke  (vgl.  nament- 
lich Hab.  Ssif.).  Jahve  ist  in  seiner  Eigenschaft  als  Kriegsgott 
aber  auch  losgelöst  von  jeder  Naturerscheinung.  Mit  den  Heeren 
Israels  zieht  er  hinaus  ins  Feld  (Ps.  44  lo.  60 12.  108 12).  Ge- 
waltig und  stark,  ein  Held  im  Streit  (Ps.  248),  ergreift  er  Schild 
und  Tartsche,  um  zu  kämpfen  mit  denen,  die  wider  Israel  sich 
erheben  (Ps.  35  if.).  Ja,  Gott  zerschmettert  das  Haupt  seiner 
Feinde  (Ps.  6822);  Jahve  ist  ein  Kriegsheld,  Jahve  ist  sein  Name 
(Ex.  153).  Jahve  zieht  aus  wie  ein  Held,  wie  ein  Kriegsmann 
weckt  er  den  Eifer;  Kriegslärm  und  Geschrei  erhebt  er,  zeigt 
sich  als  Helden  wider  seine  Feinde  (Jes.  42 13).  So  erscheint  er 
in  der  eschatologischen  Zeit  heim  Hurrah  am  Tage  der  Schlacht 
(Am.  I14),  heim  Hurrah  und  Hall  der  Drommete  (Am.  22), 
darum  heißt  jener  Tag  überhaupt  ein  Tag  der  Drommete  und 
des  Kriegsgeschreis  üher  die  festen  Städte  und  die  hohen  Zinnen 
(Zeph.  lie).  Besonders  beachtenswert  ist,  wie  aus  allen  Zitaten 
die  wenig  plastisch  -  anschauHche  Art  der  Personschilderung 
hervorgeht,  wie  sehr  die  Israeliten  an  dichterischer  Phantasie 
zurückbleiben  etwa  hinter  einem  Homer.  Selbst  da,  wo  einmal 
der  Versuch  gemacht  wird,  die  Rüstung  Jahves  zu  beschreiben, 
ist  die  unkonkrete  Art  nicht  zu  verkennen:  Und  er  zog  Ge- 
rechtigkeit an  wie  einen  Panzer,  und  der  Helm  des  Heiles 
war  auf  seinem  Haupte,  und  er  zog  an  die  Kleider  der  Bache 
....  und  hüllte  sich  wie   in  einen  Mantel  in  Eifer  (Jes.  59 17 


72      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

vgl.  IThess.  58.  Eph.  6i4fF.).  Entfernt  man  die  allegorische 
Deutung,  die  als  späte  Neuerung  zu  begreifen  ist,  so  ist  von 
poetischer  Gestaltungskraft  fast  nichts  zu  spüren. 

Als  Kriegsgott  führt  Jahve  das  Epitheton  Jahve  der  Heer- 
scharen (mKsas  rriJT»),  das  zu  gleicher  Zeit  dem  Gott  der  Lade 
zukommt.  Sobald  die  Israehten  bei  Eben  Ha-ezer  von  den 
Philistern  besiegt  sind,  holen  sie  die  Lade  Jahves  der  Heer- 
scharen, der  über  den  Keruhen  thront,  aus  Silo,  damit  er  in 
ihre  Mitte  komme  und  sie  aus  der  Gewalt  ihrer  Bedränger 
errette  (I  Sam.  43f.).  Diese  Anschauung  wird  bestätigt  durch 
IlSam.  llii^:  Die  Lade  befindet  sich  beim  israelitischen  Lager, 
und  durch  Num.  lOssff.  Denn  beim  Aufbruch  der  Lade  betet 
man:  Steh  auf,  Jahve,  damit  zerstieben  deine  Feinde  und  deine 
Widersacher  fliehen  vor  deinem  Angesicht.  Die  Lade  galt  also 
damals  zweifellos  als  ein  heihges  Gerät  des  Kriegsgottes 
(Kautzsch).  Was  sie  ursprüngHch  bedeutet  haben  mag,  kann 
hier  auf  sich  beruhen,  nur  so  viel  muß  betont  werden,  daß  sie 
von  Hause  aus  mit  dem  Kriegsgott  nichts  zu  tun  hat.  Nicht 
das  Mindeste,  weder  der  Kasten  noch  seine  Ornamentik  noch 
sein  etwaiger  Inhalt,  weist  darauf  hin.  Folglich  ist  die  spätere 
Auffassung  für  die  ältere  Zeit  nicht  maßgebend,  die  Anschauung 
muß  gewechselt  haben. 

Ferner  wird  Jahve  Zebaoth  im  Alten  Testamente  selbst 
von  den  Kriegsscharen  Israels  abgeleitet,  allerdings  nicht  in  den 
älteren  Schriften,  sondern  nur  an  den  relativ  späten  Stellen 
ISam.  1745  und  Ps.  24  lo  (vgl.  V.  8),  sodaß  auch  hier  der  Titel 
im  Zusammenhang  steht  mit  dem  Kriegsgott.  Endlich  werden 
wohl  schon  die  Israeliten,  genau  so  wie  die  modernen  Forscher, 
das  Epitheton  kombiniert  haben  mit  dem  D-^öttJn  NSit,  das  nach 
IReg.  22 19.  Ps.  10321.  1482  mit  den  Engeln,  nach  Dtn.  4i9. 
Jes.  4026  mit  den  Sternen  identisch  ist.  Wenn  es  Jdc.  5 20 
heißt:  Die  Sterne  kämpften  vom  Himmel  her,  so  ist  es  sehr 
fraghch,  ob  hier  die  feste  und  technische  Vorstellung  von  dem 
D"'»^n  «aas:  unausgesprochen  im  Hintergrunde  liegt.    Aus  dieser 


1.  Warum  die  Lade  von  der  Zeit  Samuels  an  (ISam.  7i)  bis  auf 
die  Davids  (II  Sam.  6)  in  Kirjath-Jearira  bleibt,  ist  noch  nicht  genügend 
erklärt  (trotz  Budde).  Offenbar  ist  sie,  wie  die  Berichte  lehren,  dort 
zu  Hause.  Warum  ist  grade  Kirjath-Jearim  an  die  Stelle  des  zer- 
störten Silo  getreten? 


Jahve  Zebaoth.  73 

Übersicht  geht  so  viel  mit  Klarheit  hervor,  daß  Jahve  Zebaoth 
zu  gewissen  Zeiten  als  das  Attribut  des  israelitischen  Kriegs- 
gottes galt. 

Der  Name  selbst  ist  für  uns  vollkommen  unerklärlich  und 
war  es  wohl  schon  damals.  Der  Plural  niNn::  wird  ausschließ- 
lich für  die  Kriegsscharen  Israels  gebraucht.  Die  für  uns  am 
nächsten  Hegende  Annahme,  Jahve  Zebaoth  sei  von  hier  aus 
zu  verstehen,  wird  dadurch  illusorisch  gemacht,  daß  die  älteren 
Schriftsteller,  wie  gezeigt  ist,  diese  Deutung  nicht  kennen.  »Es 
wäre  auch  wunderlich,  das  Heer  Israels  einfach  die  Heere  zu 
nennen,  noch  dazu  im  Plural  und  mit  Auslassung  des  Artikels« 
(Wellhausen).  Deshalb  ist  in  neuerer  Zeit  meist  die  andere 
Möglichkeit  bevorzugt:  Der  Titel  Jahve  Zebaoth  beziehe  sich 
ursprüngHch  auf  das  Himmelsheer.  Dagegen  erhebt  sich  auf 
der  anderen  Seite  die  mit  Recht  betonte  Schwierigkeit,  daß  die 
Sterne  stets  Niit,  niemals  m^nir  heißen. 

Da  Jahve  Zebaoth  im  Pentateuch,  Josua  und  ßichterbuche 
fehlte  so  hat  Wellhausen  eine  dritte  Hypothese  aufgestellt 
und  vermutet,  dies  Attribut  sei  eine  Neuschöpfung  des  Amos 
und  bedeute  den  Gott  der  ganzen  Welt,  den  Gott  der  kos- 
mischen Kräfte  (vgl.  Gen.  2i).  Aber  erstens  ist  fraglich,  ob 
m«i5:  dies  wirklich  besagen  kann.  Zweitens  läßt  sich  nicht 
sicher  behaupten,  daß  der  Prophet  diesen  Sinn  mit  Jahve 
Zebaoth  verbunden  habe.  Wellhausen  hat  allerdings  den 
Schein  für  sich.  Denn  wenn  man  alles  das  zusammenfassen  und 
auf  eine  einheitliche  Formel  bringen  will,  was  Amos  und  seine 
Nachfolger  im  Anschluß  an  Jahve  Zebaoth  ausführen,  so  muß 
man  schon  einen  so  weiten  Begriff  wie  den  des  Schöpfergottes 
wählen,  um  alles  darin  unterbringen  zu  können.  Dennoch  liegt  es 
mindestens  ebenso  nahe,  wenn  nicht  viel  näher,  zu  glauben,  Amos 
habe  den  ursprünglichen  Sinn  von  Jahve  Zebaoth  überhaupt  nicht 


1.  Lidzbarski:  Epheineris  für  sem.  Epigraphik  I,  S.  258  Anm.  1 
vermutet,  daß  das  xvQcog  navToxQccttoQ,  womit  die  LXX  den  Ausdruck 
teilweise  wiedergeben,  auf  n^'a^'yr  f^'n'^  und  dieses  im  letzten  Grunde  auf 
das  assyrische  sar  hissati  »Herr  der  Welt«  zurückgehe.  Aber  navToxQccrcjQ 
kann  auf  Jahve  einfach  deshalb  übertragen  sein,  weil  es  das  höchste 
und  ehrenvollste  Beiwort  war,  das  die  griechischen  Übersetzer  zu  ver- 
geben hatten.  »Jahve  Zebaoth«  haben  jedenfalls  auch  sie  nicht  mehr 
zu  deuten  gewußt. 


74      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

mehr  gekannt,  für  ihn  sei  dies  Epitheton  weiter  nichts  als  ein 
besonders  feierhcher,  weil  altehrwürdiger  Titel  für  Jahve  gewesen. 
Denn  von  einer  Neuschöpfung  kann  schlechterdings  keine  Rede 
sein.  Erstens  hat  man  beim  Propheten  nicht  die  Empfindung, 
»daß  man  es  mit  einem  bisher  unbekannten,  jetzt  erst  von  Amos 
geprägten  Ausdruck  zu  tun  hat«  (Nowack^  zu  Am.  3 13).  Er 
erklärt  ihn  und  pointiert  ihn  nirgends,  er  verwendet  ihn  in 
keiner  polemischen  Antithese,  sondern  setzt  ihn  als  so  geläufig 
voraus  wie  etwa  Jesus  den  des  »Reiches  Gottes«.  Zweitens 
werden  derartige  Formeln  überhaupt  nicht  von  Einzelnen  er- 
funden, und  mag  man  diese  noch  so  genial  einschätzen,  sondern 
durch  die  Menge  geschaffen  und  von  den  Einzelnen  nur  der 
Tradition  entnommen.  Oder  von  welchem  Begriff  wollte  man 
behaupten,  daß  Jesus  ihn  erstmalig  geprägt  und  zum  terminus 
technicus  erhoben  habe?  Drittens  bliebe  auf  diese  Weise  die 
in  den  Samuelisbüchern  vorUegende  Verbindung  des  Namens 
Jahve  Zebaoth  mit  der  Lade  absolut  rätselhaft.  Denn  daß  eine 
derartige  Verengerung  der  Idee  nach  der  Zeit  des  Amos  vor 
sich  gegangen  sei,  wird  man  mit  keinen  Mitteln  wahrscheinlich 
machen  können. 

Wellhausen  hat  noch  eine  vierte,  wie  ich  meine,  ganz 
andere  Erklärung  hinzugefügt:  mNai£  bezeichnet  »vielleicht 
eigentlich  die  Heere  der  Dämonen«.  Das  soll  doch  wohl  ein 
Preisgeben  der  im  Vorhergehenden  bekämpften  Anschauung 
bedeuten,  da  er  für  dies  Epitheton  sicherlich  keinem  Amos  die 
Verantwortung  auferlegen  kann?  Da  sich  Wellhausen  nicht 
genauer  darüber  äußert,  so  weiß  ich  auch  nicht,  wie  er  zu  seiner 
Aufi'assung  kommt.  Vielleicht  hat  er  etwas  Ähnliches  im  Auge 
wie  GuNKEL,  der  bei  Jahve  Zebaoth  nicht  einseitig  an  das 
Heer  des  Himmels  und  das  Sternenheer,  sondern  auch  an 
meteorologische  Erscheinungen  wie  Sturm,  Regen,  Gewitter 
denkt,  die  man  von  einem  »wütenden  Heere«  mag  abgeleitet 
haben.  Manche  Züge  der  Überlieferung  werden  allerdings  durch 
diese  Annahme  am  einleuchtendsten  erklärt. 

Sehen  wir  uns  die  oben  gestreifte  Erzählung  I  Sam.  4  noch 
etwas  genauer  an,  so  bleibt  eine  Tatsache  sehr  auffälHg.  Als 
die  Philister  den  Jubel  hören,  mit  dem  die  Lade  Jahves  der 
Heerscharen  von  den  Israeliten  empfangen  wird,  da  sagen  sie 
nicht,  wie  wir  erwarten  würden:    dies  ist  die  Gottheit,   die  alle 


Jahve  als  Kriegsgott.  75 

Feinde  Israels,  die  Ägypter,  Amoriter,  Moabiter,  Edomiter 
besiegt  hat,  sondern:  Das  ist  dieselbe  Gottheit,  die  die  Ägypter 
mit  allerlei  Plagen  und  mit  der  Pest^  schlug  (ISam.  48).  Und 
wirklich  bringt  ihnen  nachher  Jahve  Zebaoth  die  Pest  und  die 
Mäuseplage  (I  Sam.  6,  LXX  5),  die  durch  homöopathische 
Magie  vertrieben  werden,  indem  man  goldene  Pestbeulen  und 
goldene  Mäuse  als  Weihgeschenke  der  Lade  mitgibt.  Auch 
die  Art,  wie  die  Leute  von  Beth-Semes,  die  die  Lade  ansahen 
(ISam.  619),  und  wie  Ussa,  der  mit  der  Hand  nach  der  Lade 
gegriffen  hatte  (II  Sam.  6  6  vgl.  Chron.),  von  Jahve  getötet 
werden,  paßt  nicht  zu  dem  Symbol  eines  Kriegsgottes.  Dem- 
nach ist  Jahve  Zebaoth  hier  kein  Kriegsgott,  die  Lade  nicht 
das  Attribut  eines  Kriegsgottes,  sondern  eines  Pestgottes.  So 
bestätigt  sich  unser  oben  ausgesprochener  Satz,  daß  die  Lade 
ursprünglich  ein  Kriegssymbol  nicht  gewesen  sein  könne.  Er 
muß  jetzt  noch  erweitert  und  auf  Jahve  selbst  ausgedehnt 
werden:  Jahve  ist  von  Hause  aus  kein  eigentlicher  Kriegs- 
gott. Wo  er  als  ein  solcher  aufgefaßt  wird,  handelt  es  sich  um 
eine  —  gewiß  alte  —  Umdeutung  seines  Wesens.  Jahve  ist 
Kriegsgott  nur,  sofern  er  die  Pest  und  andere  Land- 
plagen sendet. 

Das  paßt  vortrefflich  zu  der  Art,  wie  Jahve  überhaupt  für 
Israel  kämpft:  Gegen  den  Heereszug  der  Ägypter  beugt  er  sich 
in  der  Wolken-  und  Feuersäule  herab  und  bringt  dadurch  Ver- 
wirrung hervor.  Er  läßt  die  Kader  von  ihren  Wagen  ab- 
springen, sodaß  sie  nur  mühsam  vorwärts  kommen  (Ex.  1424f.), 
und  treibt  sie  schließHch  mitten  ins  Meer  hinein,  sodaß  kein 
einziger  von  ihnen  am  Leben  bleibt  (Ex.  1427f ).  Die  aufrühre- 
rische Eotte  Korah  wird  von  der  Erde  verschlungen  und  fährt 
lebendig  in  die  Unterwelt  (Num.  16  soff.)  oder  wird  vom  Feuer 
Jahves  verzehrt  (Num.  16  35).  Bei  der  Eroberung  Jerichos 
stürzen  die  Mauern  zusammen  (Jos.  620),  während  Jahve  bei 
Gibeon  die  fünf  südkanaanitischen  Könige  in  Schrecken  setzte 
sodaß  sie  geschlagen  werden;  auf  der  Flucht  läßt  er  gewaltige 
Hagelsteine  fallen  und  Sonne  und  Mond  stillstehen  (Jos.  lOiiff.). 
Sisera  wird  von  Jahve  verstört  ^  (Jdc.  4 15),  indem   die  Sterne 


1.  Lies  ^aiai  Wellhausen. 

2.  a^n  ^th  ist  mit  Budde  zu  streichen. 


76      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

vom  Himmel  her  kämpfen  und  der  Bach  Kison  über  seine  Ufer 
tritt  (Jdc.  020).  Bei  Mizpa  donnert  Jahve  mit  lautem  Getöse 
und  erzeugt  dadurch  Furcht  bei  den  PhiHstem  (I  Sam.  7io). 
Dieselben  Gegner  werden  bei  Michmas  durch  ein  Erdbeben 
(I  Sam.  14 15),  in  der  Ebene  Eephaim  durch  einen  Sturm 
tödhch  erschreckt  (II  Sam.  524).  Sanheribs  Heer  wird  durch 
den  Engel  Jahves  (d.  h.  durch  die  Pest?)  des  Nachts  dezimiert, 
sodaß  185000  Mann  geschlagen  werden  (IIKeg.  1935). 

Fassen  wir  das  Resultat  dieser  Übersicht  zusammen,  so 
ergibt  sich:  Jahve  war  kein  wirklicher  Kriegsgott.  Er  kämpfte 
für  Israel  mit  Sturm,  Hagel,  Gewitter,  Erdbeben,  Feuer  und 
Pest,  oder  mit  anderen  Worten:  Jahve  ist  Kriegsgott  nur,  so- 
fern er  Naturgott  ist.  Durchgehends  sind  Naturerscheinungen 
sein  »Heer«  und  seine  »Waffen«.  Da  aber  für  diese  göttlichen 
Schrecken  niemals  der  Ausdruck  m«3:r  gebraucht  wird^,  so  ist 
es  trotzdem  unmöglich,  die  Entstehung  des  Namens  Jahve 
Zebaoth  von  hier  aus  zu  erklären.  Er  bleibt  für  uns  so  rätsel- 
haft wie  zuvor.  Die  wahrscheinlichste  Annahme  ist  daher,  daß  dies 
Epitheton  von  einem  anderen  Gotte  auf  Jahve  übertragen  wurde. 
So  ist  es  am  leichtesten  begreifhch,  daß  der  ursprüngHche  Sinn 
verloren  gehen  konnte  und  daß  der  Titel  Jahve  Zebaoth  von 
den  älteren  Schriftstellern  gemieden  wurde,  entweder  weil  man 
ihn  nicht  kannte  oder  weil  man  noch  um  seine  heidnische  Her- 
kunft wußte. 

Das  wird  bestätigt  durch  eine  andere  ebenso  merkwürdige 
Beobachtung.  Da  Jahve  als  Kriegsgott  gilt  und  da  das  Schwert 
Jahves  ein  in  Israel  geläufiges,  in  der  Eschatologie  viel  ver- 
wendetes Mythologem  ist,  so  sollte  man  erwarten,  daß  Jahve  in 
den  mythisch  gefärbten  älteren  Berichten  nach  Art  eines  Ares 
mit  dem  Schwerte  dreinschlagen  werde.  Aber  wie  die  oben 
gebotene  Übersicht  lehrt,  ist  das  durchaus  nicht  der  Fall.  Nur 
ein  einziges  Mal  wird  ein  Schwert  erwähnt.  Als  Josua  sich 
bei  Jericho  befand,  schaute  er  einst  auf  und  sah  einen  Mann 
mit  gezücktem  Schwerte  vor  sich  stehen.  Gefragt,  wer  er  sei, 
antwortete  jener:  Ich  hin  der  Anführer  des  Kriegsheeres  Jahves 
(mST»  Nai£  nu)   Jos.  5i4).     Diese  Erzählung,  die  die  Einleitung 

1.  Besonders  lehrreich  ist  Joel.  Dort  werden  mythische  Heu- 
schrecken als  das  »Heer  Jahves«  bezeichnet  (Jo.  2ii),  aber  der  Aus- 
druck sau  fehlt. 


Das  Schwert  Jahves.  77 

zu  der  folgenden  Geschichte  von  dem  Fall  der  Mauern  Jerichos 
bildet,  ist  offenbar  verstümmelt.  Man  hat  sie  einer  sehr  späten 
Zeit  zuweisen  wollen  (Kuenen)  allein  deshalb,  weil  der  Aus- 
druck rjirr'  »3 st  in  der  älteren  Literatur  ungebräuchlich  sei  und 
die  Vorstellung  von  einem  Fürsten  des  himmlischen  Heeres  erst 
an  Dan.  10i2ff.  seine  Parallele  habe.  Diese  Gründe  sind  nicht 
genügend.  Wohin  käme  man,  wenn  man  alles  das  für  spät 
halten  wollte,  was  nur  einmal  bezeugt  ist?  Überdies  ist  kein 
einziges  Muster  im  ganzen  Alten  Testamente  aufzutreiben,  nach 
dem  dieser  Bericht  gefertigt  sein  könntet  Und  endlich,  wäre 
er  spät,  so  wäre  er  nicht  verstümmelt  worden.  Die  durch  und 
durch  mythische  Haltung  und  die  ihm  allein  eigentümhchen 
Ideen  bezeugen  im  Gegenteil  sein  hohes  Alter.  Beachtenswert 
ist,  daß  auch  hier  nicht  Jahve  selbst,  sondern  der  Oberste  des 
Heeres  Jahves  das  Schwert  führt.  Doch  darf  kühnlich  von 
Jahve  Zebaoth  dasselbe  behauptet  werden  wie  von  seinem  Feld- 
herren; denn  der  Kriegsgott  und  das  Schwert  gehören  not- 
wendig zusammen.  Man  kann  vermuten,  daß  der  mn*"  NSit  Ti) 
erst  ein  künstliches  Substitut  sei  für  mNni2  mir'  wie  der  "i^b^a 
mr?"^  für  m?T«  selbst. 

Es  ist  gewiß  kein  Zufall,  daß  das  Schwert  Jahves  in  den 
historischen  Büchern  nur  ein  einziges  Mal  und  noch  dazu  in 
einem  verstümmelten  Abschnitt  begegnet.  Wenn  Jahve  ur- 
sprünglich der  Gott  des  »Sinai«  war,  der  in  einer  nur  von 
Beduinen  durchschweiften  Gegend  lag,  so  ist  das  Attribut  eines 
Schwertes  ihm  kaum  von  Hause  aus  eigen  gewesen;  denn  die 
Hauptwaffe  der  Nomaden  ist  der  Speer,  und  der  Gott  trägt 
natürlich  dieselbe  Kriegsrüstung  wie  seine  Verehrer.  »Das 
Schwert  ist  wahrscheinlich  erst  auf  dem  Boden  Palästinas  eine 
von  den  Israeliten  viel  gebrauchte  Waffe  geworden«  (Nowack: 
Archäologie  I  362).  Ist  das  richtig,  so  muß  dies  Mythologem 
von  einem  fremden  Gott  auf  Jahve  übertragen  sein,  ebenso  wie 
wir  es  von  dem  Prädikat  Jahve  Zebaoth  gefordert  haben. 

Überschaut  man  die  eschatologischen  Stellen,  in  denen  das 


1.  Mit  der  Erzählung  der  Erscheinung  Jahves  im  brennenden 
Busch,  auf  die  Stade  ZATW  VI  133  verweist,  hat  er  nicht  das  Min- 
deste zu  tun.  Eher  könnte  man  an  I  Chr.  21 16  erinnern,  wo  der  Engel 
Jahves,  der  mit  gezücktem  Schwert  zwischen  Himmel  und  Erde  steht, 
charakteristischer  Weise  kein  Kriegs-,  sondern  ein  Pestengel  ist. 


78      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Schwert  Jahves  begegnet,  so  ist  ein  Teil  von  ihnen  leicht  ver- 
ständlich. Jahve  als  israelitischer  Kriegsgott  führt  natürHch  das 
Schwert  wider  seine  und  Israels  Feinde,  z.  B.  gegen  Assur: 
Und  fallen  wird  Assur  durch  das  Schwert  eines  Nichtmenschen, 
und  das  Schwert  eines  Unsterblichen  wird  ihn  fressen,  .... 
ist  der  Spruch  Jahves,  der  ein  Feuer  hat  in  Zion  und  einen 
Ofen  in  Jerusalem  (Jes.  Sls);  oder  gegen  die  Kuschiten:  Auch 
ihr  Kuschiten  seid  erschlagen  von  meinem  Schwert  (Zeph.  2 12). 
Allgemeiner  lautet  Dtn.  324if.:  Wenn  ich  mein  blitzendes  Schwert 
geschärft  habe  und  meine  Hand  zum  Köcher^  ^^^^A  dann  will 
ich  Rache  nehmen  an  meinen  Drängern  und  will  meinen  Hassern 
vergelten.  Meine  Pfeile  sollen  trunken  werden  vom  Blut,  und 
mein  Schwert  soll  Fleisch  fressen  vom  Blut  Erschlagener  und 
Gefangener,  vom  Haupt  der  Führer  des  Feindes.  So  wird  das 
Schwert  überhaupt  zu  dem  Mittel,  mit  dem  er  das  Gericht  an 
allen  Frevlem  vollzieht  (Jer.  25  31.  Jes.  66  le).  Da  speziell  Jahve 
Zebaoth  der  Titel  des  Kriegsgottes  ist,  so  kommt  ihm  vor  allem 
das  Schwert  zu.  Die  Sprüche,  die  das  Schwert  wider  Babel 
ankündigen,  werden  eingeleitet  mit  dem  Satze:  Ihr  (der  Israe- 
liten) Erlöser  ist  stark,  Jahve  der  Heerscharen  ist  sein  Name, 
streitbar  streitet  er  ihren  Streit  (Jer.  öOsdff.).  War  uns  in  den 
historischen  Büchern  das  Schwert  Jahves  nur  ein  einziges  Mal 
entgegengetreten  (Jos.  öisff.),  so  spielt  es  eine  um  so  größere 
Eolle  in  der  Poesie.  Auch  dies  Motiv  haben  die  Propheten 
der  Volkstradition  entnommen,  in  die  es  lange  zuvor  aus 
kanaanitischem  Glauben  übergegangen  war.  In  der  Prosa  wird 
es  wohl  deshalb  vermieden,  weil  der  heidnische  Ursprung  mehr 
oder  minder  bekannt  war.  Jedenfalls  kann  von  einer  Neu- 
schöpfung keine  Rede  sein. 

Denn  es  wäre  falsch,  wollte  man  meinen,  dem  Jahve  sei 
das  Attribut  des  Schwertes  deshalb  beigelegt,  weil  er  durch 
irdische  Kriegsheere,  etwa  durch  die  Assyrer,  wirke,  ihre  Waffe 
sei  in  dichterischer  Kühnheit  zu  der  seinen  gemacht.  In  den 
ims  vorliegenden  Texten  ist  es  grade  umgekehrt:  überall  ist  das 
mythische  Schwert  Jahves  das  Primäre,  erst  in  zweiter  Linie 
wird  es  zur  Darstellung  irdischer  Kämpfe  verwandt.  Das  geht 
besonders  klar  aus  Ez.  2l8Jff.  hervor:  Sprich  zum  Lande  Israel, 


1.  Lies  ntv^z  nacli  einer  mündliclieii  Mitteilung  Gunkels. 


Das  Schwert  Jahves.  79 

also  hat  Jahve  gesprochen:  Fürwahr  ich  will  an  dich  und  werde 
mein  Schwert  aus  seiner  Scheide  ziehen  und  ausrotten  aus  dir 
den  Gerechten  und  den  Gottlosen.  Weil  ich  ausrotten  werde  aus 
dir  den  Gerechten  und  den  Gottlosen,  darum  wird  mein  Schwert 
aus  seiner  Scheide  fahren  wider  alles  Fleisch  von  Süden  bis 
Norden.  Und  alles  Fleisch  soll  erkennen,  daß  ich,  Jahve,  mein 
Schwert  aus  seiner  Scheide  gezogen  habe,  indem  es  nicht  wieder 
darein  zurückkehrt.  Ezechiel  läßt  dann  das  interessante,  leider 
stark  verstümmelte  Lied  folgen  von  dem  großen  Würgeschwert, 
das  sich  in  der  Hand  des  Mörders  verdoppelt,  ja  verdreifacht 
(V.  19),  das  schneidig  ist  nach  rechts  und  links,  wohin  immer 
seine  Schärfen  gerichtet  sind  (Y.  21).  Erst  V.  24  bringt  die 
Umdeutung:  Jahves  Schwert  d.  h.  das  Schwert  des  Königs  von 
Babel  wird  kommen.  Genau  so  ist  es  Ez.  32  lo:  Und  ich  werde 
starr  machen  über  dich  viele  Nationen,  und  ihre  Könige  sollen 
schaudernd  über  dich  erschauern,  ivenn  ich  mein  Schwert  schwinge 
vor  ihrem  Angesicht  ....  Denn,  so  fährt  bezeichnender  Weise 
V.  11  fort,  also  hat  der  Herr  Jahve  über  dich  gesprochen:  das 
Schwert  des  Königs  von  Babel  wird  über  dich  kommen. 

Über  das  Schwert  Jahves  mögen  manche  Mythen  im  Um- 
lauf gewesen  sein.  Das  lehrt  nicht  nur  das  eben  erwähnte 
Schwerthed,  dessen  Inhalt  schwerlich  von  Ezechiel  erdichtet  ist, 
sondern  auch  Jes.  27 1 :  An  jenem  Tage  sucht  Jahve  heim  mit  seinem 
grausamen,  großen  und  starken  Schwerte  Leviathan,  die  gewun- 
dene Schlange,  und  Leviathan,  die  gekrümmte  (?)  Schlange,  und 
mordet  den  Thannin  im  Meer.  Darnach  war  das  Schwert  Jahves, 
das  mit  feierlichen,  ehrwürdigen  Epitheta  belegt  wird,  geschHffen 
gegen  übermenschliche  Wesen,  gegen  das  Heer  der  Höhe  in  der 
Höhe  (Jes.242i),  gegen  die  himmhschen,  irdischen  oder  im  Meere 
lebenden  Drachen  i.  Etwas  Ähnliches  mag  der  Apokalyptiker 
im  Auge  gehabt  haben,  der  Jes.  345  den  aus  dem  Zusammen- 
hang nicht  verständlichen  Zug  berichtet:  Trunken  ward  im 
Himmel  mein  Schwert,  siehe  auf  Edom  fährt  es  herab.  Es  wird 
hier  in  poetischer  Hyperbel   als   ein   dämonisches  Wesen   dar- 


1.  Man  könnte  vermuten,  daß  das  Schwert  dem  Jahve  erst  bei- 
gelegt sei,  nachdem  der  Tiämatmythus  auf  ihn  übertragen  war.  Aber 
die  Waffe  Marduks  war  nicht  das  Schwert.  Der  babylonische  Mythus 
wurde  also,  wie  an  vielen  anderen  Stellen  so  auch  hier,  mit  palästini- 
schen Farben  übermalt. 


80      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

gestellt,  das  sich  berauschen  kann,  das  nach  anderer  Vorstellung 
unaufhörlich  weiter  wüten  muß:  Ha,  Schwert  Jahves,  wie  lange 
■findest  du  keine  Ruhe?  Zieh  dich  zurück  in  deine  Scheide,  be- 
ruhige dich  und  raste  (Jer.  476).  Völlig  selbständig  ist  die 
Flamme  des  zuckenden  Schwertes  (Gen.  824),  die  neben  den 
Keruben  —  nicht  in  ihrer  Hand  —  das  Paradies  bewacht. 
Der  Begriff  des  Schwertes  ist  hier  auf  den  zuckenden  Blitz 
übertragen.  Das  ist  spätere  Umdeutung,  wie  nach  den  Apo- 
kalyptikern  feurige  Schwerter  vom  Himmel  fallen  (Volz  S.  281  f.) 
oder  gar  schwertähnliche  Gestirne  am  Himmel  erscheinen  werden 
(Volz  S.  185).  Denn  ursprünglich  hat  das  »Schwert«  Jahves, 
wie  der  Ausdruck  besagt,  keinen  naturhaften  Hintergrund.  Beim 
Paradiesesschwert  erinnert  Dillmann  mit  Recht  an  die  paral- 
lelen eschatologischen  Anschauungen.  Die  Entwicklung  der 
Idee  ist  hier  wie  überall  in  derselben  Weise  vor  sich  gegangen: 
das  Schwert,  das  Jahve  in  der  Gegenwart  führt,  wird  projiziert 
in  die  Urzeit  (Dnnn-Leviathan  und  Paradies)  und  Endzeit. 

Mit  dem  Schwert  Jahves  ist  oft  noch  ein  anderer  Zug 
verbunden.  3^.n"bbn  ist  Num.  19i6.  Dtn.  21i  Bezeichnung  für 
den  »Ermordeten«,  genauer  für  den  »Nichtbestatteten«.  Denn 
ursprünglich  hieß  so  jeder,  der  im  Kriege  gefallen,  vom 
»Schwerte  durchbohrt«  war;  im  Alten  Testamente  aber  be- 
gegnet der  Ausdruck  nur  in  technischer  Bedeutung  für  jeden, 
der  nicht  rite  bestattet  ist.  Aus  Ez.  31 18.  32i9ff.,  wo  Schwert- 
durchbohrte parallel  neben  den  Unbeschnittenen  genannt  werden, 
folgt,  daß  jener  wie  dieser  Terminus  etwas  Schimpfliches  besagt. 
Beider  Gräber  sind  nach  V.  23  am  äußersten  Ende  der  Grube 
gelegen.  Die  Unbeschnittenen  sind,  wie  leicht  verständlich  ist, 
in  einen  Winkel  der  Seol  gebannt,  weil  der  fromme  Israelit  sie 
wie  im  Leben  so  auch  im  Tode  verabscheut  und  jede  Berührung, 
selbst  im  Hades,  vermeiden  möchte.  Die  Seol  wird  hier  als 
Schattenbild  des  irdischen  Daseins  aufgefaßte  Warum  der 
Israelit  dieselbe  Empfindung  gegen  den  Schwertdurchbohrten 
hegt,  darüber  klärt  uns  V.  27  auf:  Nicht  liegen  sie  bei  den 
Becken,    den  Giganten  der  Urzeit^,   die  hinabgestiegen  sind  in 


1.  Wie  nach  griechischem  Glauben  die  Toten  in  Phylen  und  Phra- 
trien  geordnet  sind.    Eadermacher:  Das  Jenseits  S.  5  f. 

2.  Lies  nh^yo  n^!;*E:  Coknill. 


Die  Schwerterschlagenen.  81 

die  Seol  in  voller  Kampfesrüstung,  denen  man  ihre  Schwerter 
unter  ihre  Häupter  legte  und  deren  Schilde^  auf  ihren  Geheinen 
lagen.  Die  3 -in  ">bbn  sind  also  die  nicht  ehrenvoll  Bestatteten. 
Sachlich  hat  Gunkel  (Schöpfung  S.  34)  jedenfalls  Recht,  wenn 
er  das  Wort  mit  »schwertentweiht«  wiedergibt;  die  formelle 
Frage,  ob  es  von  dem  Verbum  bbn  in  der  Bedeutung  »schänden« 
abgeleitet  werden  muß,  möchte  ich  nicht  bejahen,  da  wegen  der 
Verbindung  mit  3nn  ein  bbn  im  Sinne  von  »durchbohren« 
näher  liegt  und  da  sich  jene  Umbiegung  ins  Schimpfliche 
durch  die  Annahme  einer  technischen  Redensart  erklären  kann. 
Eine  genauere  Schilderung  Hefert  der  Anfang  desselben 
Kapitels,  in  dem  Pharao  unter  dem  Bilde  des  Krokodils  be- 
schrieben wird:  Ich  werde  dich  werfen  aufs  Land,  aufs  freie 
Feld  dich  schleudern  und  auf  dir  sich  niedersetzen  lassen  alle 
Vögel  des  Himmels  und  sich  sättigen  lassen  von  dir  das  Getier 
der  ganzen  Erde.  Und  ich  tue  dein  Fleisch  auf  die  Berge  und 
fülle  die  Täler  mit  deinem  Äse^  und  tränke  die  Erde  mit  deinem 
Ausflüsse;  vor  Blut  von  dir  sollen  triefen^  die  Berge,  und  die 
Talschluchten  sollen  voll  werden  von  deinem  Blute^  (Ez.  324fF. 
vgl.  295).  Da  Jahve  es  ist,  der  den  T'sn  mordet,  so  wäre  dem- 
nach 2-in  •^'bbnö  eine  Abkürzung  für  mrr«  n-\n  "»bbn.  Als  Be- 
stätigung und  zugleich  als  Ergänzung  dient  Jer.  2532f.:  So 
spricht  Jahve  der  Heerscharen:  Siehe  Unheil  geht  aus  von  einem 
Volk  zum  anderen,  und  ein  gewaltiger  Sturm  erhebt  sich  vom 
Ende  der  Erde.  Und  liegen  werden  die  Erschlagenen  Jahves 
an  jenem  Tage  von  einem  Ende  der  Erde  bis  zum  anderen, 
nicht  wird  man  sie  beklagen  noch  sie  sammeln  noch  sie  begraben. 
Zu  Mist  auf  der  Erde  sollen  sie  werden.  Diese  Stelle  lehrt 
uns  als  Terminus  technicus  für  die  nicht  rite  Bestatteten  "«bbn 
mn*»  kennen  und  zeigt  uns,  daß  das  Schwert  Jahves  später  keine 
wesentliche  Rolle  bei  dieser  Vorstellung  spielte  —  denn  hier 
werden  die  Gegner  durch  einen  Sturm  Jahves  vernichtet  — 
sondern  daß  es  nur  eine  spezifische  Art  angibt  dafür,  wie  Jahve 
seine  Feinde  erschlägt.  Wenn  aber  das  »Durchbohren«  von 
Hause   aus  Sache  des  Schwertes  ist,  so  waren  die  rniT"  ■'bbn 


1.  Lies  t:ri:s  Cornill.  2.  Lies  Tjr^'i  Gesenius. 

3.  Lies  ^r-j":  Kraetzschmae. 

5.  Natürlich  nur  in  der  Eschatologie. 

Forschungen  zur  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.   0. 


82      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

ursprünghch  vom  Schwert  Jahves  Durchbohrte,  so  sind  Sturm 
und  ähnliche  Dinge  erst  spätere  Surrogate  für  das  Schwert 
Jahves;  denn  vom  Sturm  wird  man  nicht  »durchbohrt«.  Wir 
können  hier  also  dieselbe  Übertragung  nachweisen  wie  vorher 
bei  Jahve  Zebaoth,  als  dessen  Waffen  Naturerscheinungen  gelten, 
und  wie  beim  Schwert  Jahves,  das  auf  den  Blitz  umgedeutet 
wird.  Demnach  muß  der  älteste  und  volle  Ausdruck  seinem 
Sinne  nach  gewesen  sein:  n'\n'*  ann  '^bbn,  obwohl  er  vielleicht 
nie  existiert  hat.  n"in  -^bbn  und  Hirt"*  "^bbn  sind  parallele  tech- 
nische Abkürzungen. 

Schon  aus  den  beiden  beigebrachten  Beispielen  erhellt,  daß 
neben  der  nichtrituellen  Bestattung  die  große  Zahl  der  Leichen, 
die  die  ganze  Erde  bedecken  sollen,  ein  Hauptcharakteristikum 
der  Idee  ausmacht.  So  heißt  es  Jes.  66  le:  Denn  durch  Feuer 
wird  Jahve  rechten  und  durch  sein  Schwert  mit  allem  Fleisch, 
und  viel  werden  sein  die  Erschlagenen  Jahves;  Jer.  12 12:  Über 
alle  Kahlhöhen  der  Wüste  kamen  die  Zerstörer;  denn  das 
Schwert  Jahves  frißt  von  einem  Ende  der  Erde  zum  anderen  — 
kein  Friede  allem  Fleisch,  Die  älteste  Bezeugung  dieser  Idee 
liefert  der  echte  Jesaja,  wenn  er  zu  den  Jerusalemem  sagt: 
Sind  deine  Durchbohrten  nicht  Schwertdurchbohrte,  nicht  Kampf - 
getötete?  Gemeint  ist:  Sind  sie  nicht  von  Jahve  erschlagen? 
Denn  einen  Tag  des  Stürmens  und  Stürzens  und  Verstörens 
hat  der  Herr  Jahve  der  Heere  (Jes.  222.  5). 

An  anderen  Stellen  wird  nur  die  Sache  geschildert,  während 
der  technische  Ausdruck  fehlt.  So  weissagt  Jesaja  von  den 
Assyrern:  Überlassen  werden  sie  dem  Geier  der  Berge  und  dem 
Getier  des  Landes,  übersommern  wird  darauf  der  Geier  und  alles 
Getier  des  Landes  darauf  überwintern  (Jes.  18  e).  Wie  sehr  die 
rohe,  hier  vorausgesetzte  Sitte,  die  Leichen  unbeerdigt  auf  dem 
Schlachtfeld  liegen  zu  lassen,  dem  feineren  Empfinden  der  späteren 
Zeit  widersprach,  dafür  ist  Ezechiel  ein  klassischer  Zeuge.  Der 
Untergang  Gogs  wird  zunächst  nach  dem  Typus  der  mn"»  ^bbn 
beschrieben:  Auf  den  Bergen  Israels  sollst  du  fallen,  .  .  .  den 
mannigfach  beschwingten  Raubvögeln  und  dem  Getier  des  Feldes 
gebe  ich  dich  zum  Fräße.  Dann  fügt  er  —  ein  Mythenmotiv 
im  Märchengewande  —  hinzu,  daß  die  Israeliten  sieben  Jahre 
lang  mit  den  Rüstungen  der  Feinde  heizen  werden,  um  darauf 
fortzufahren :    Und  geschehen  wird  es  an  jenem  Tage,   da  werde 


Der  Bann  Jahves.  83 

ich  für  Gog  einen  ....  Ort  als  Grabstelle  in  Israel  bestimmen^ 
,  .  .  und  das  Haus  Israel  wird  sie  sieben  Monate  lang  begraben^ 
um  das  Land  zu  reinigen  (Ez.  39).  Die  prophetische  Über- 
arbeitung eines  volkstümlichen  Mythus  ist  hier  mit  Händen  zu 
greifen.  Hätte  der  Prophet  frei  geschaffen,  so  hätte  er  wohl 
nicht  erst  durch  Jahve  das  Land  auf  sieben  Monate  verun- 
reinigen lassen,  sondern  dem  Wunder  der  Vernichtung  ein 
zweites  angereiht.  Dasselbe,  was  Ezechiel  von  Gog  weissagt, 
prophezeit  Joel  von  dem  Nördlichen:  Und  den  Feind  aus  dem 
Norden  will  ich  von  euch  entfernen  und  will  ihn  in  ein  dürres 
und  ödes  Land  stoßen,  seinen  Vortrab  in  das  östliche  und 
seinen  Nachtrab  in  das  ivestliche  Meer,  und  sein  Gestank  soll 
aufsteigen  (Jo.  2  20).  Besonders  häufig  ist  das  Motiv  im  Jeremia: 
Tage  kommen,  spricht  Jahve,  da  wird  nicht  mehr  gesagt  werden 
Topheth  und  Tal  ben  Hinnom,  sondern  Tal  des  Würgens,  und 
man  wird  im  Topheth  (nicht  ^)  begraben,  weil  kein  Baum  vor- 
handen  ist.  Und  die  Leichen  dieses  Volkes  werden  zur  Speise 
dienen  den  Vögeln  des  Himmels  und  den  Tieren  der  Erde,  und 
niemand  wird  sie  wegscheuchen  (Jer.  732ff.  8iif.  I64.  197.  342o). 
Auch  dieser  Zug  der  Eschatologie  gilt  durch  das  Exil  als  er- 
füllt. Das  Volk  in  der  Verbannung  erscheint  dem  Propheten 
unter  dem  Bilde  unbeerdigter  Totengebeine  (Ez.  372;  nach 
V.  12  liegen  sie  —  man  beachte  den  Widerspruch  —  in 
Gräbern!).  So  erst  begreift  man,  wie  er  zu  diesem  in  jeder 
Beziehung  auffälligen  und  wunderbaren  Bilde  gelangen  konnte. 
Fragen  wir,  woher  die  Farben  stammen,  mit  denen  diese 
Gemälde  gemalt  sind,  so  erhalten  wir  eine  teilweise  Antwort 
darauf  aus  Jes.  34 2f.:  Ihre  (der  Völker)  Erschlagenen  liegen 
hingeworfen  da,  und  Gestank  steigt  auf  von  ihren  Leichnamen, 


1.  Ohne  die  Einfügung  dieser  Negation  ist  der  Satz  absolut  sinnlos. 
Grade  das  Unbeerdigtbleiben  ist  die  Strafe;  die  schon  beerdigt  sind, 
werden  wieder  aus  den  Gräbern  gerissen  und  ihre  Gebeine  werden 
hingestreut  8iff.  —  Seiend  (S.  480  Anra.  1)  behauptet:  »Das  Tal  Hinnom 
wurde  zur  Geenna  wegen  einer  Drohung  Jeremias«.  Aber  erstens  ent- 
steht niemals  eine  Volksvorstellung  in  alter  Zeit  durch  ein  Schriftwort. 
Zweitens  ist  absolut  unverständlich,  wie  aus  der  Drohung  des  Unbe- 
erdigtbleibens  die  Idee  einer  »Feuerhölle«  werden  kann.  Das  Tal 
Hinnom  muß  vielmehr  seit  alters  als  Totenstätte  gegolten  haben  und 
»Moloch«  ein  Feuer-  und  Totengott  gewesen  sein. 

6* 


84      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

und  Berge  zerfließen  von  ihrem  Blut  Diese  Schilderung  wird 
eingeleitet  durch  die  Worte:  Denn  ergrimmt  ist  Jahve  über  alle 
Völker  und  zornig  über  all  ihr  Heer,  er  hat  sie  mit  dem 
Banne  belegt,  hat  sie  der  Schlachtung  preisgegeben.  Die  in 
diesem  Zusammenhang  behandelten  Züge  sind  also  nach  israe- 
litischer Auffassung  dem  Banne  (D^^n)  entlehnt.  Jahve  ist  ein 
furchtbarer  Gott,  der  sich  nicht  begnügt,  seine  Gegner  nieder- 
zustrecken, sondern  der  überdies  den  Bann  an  ihnen  ausübt. 
Weil  Israel  den  Tag  Jahves  umdeutete  auf  das  Exil,  so  konnte 
Deuterojesaja  sagen,  Jahve  habe  Jakob  dem  Banne  überliefert 
(Jes.  4328;  vgl.  Mal.  324.  Zach.  14 ii).  Der  Bann  bezog  sich 
selten  auf  einzelne  Menschen,  sondern  meist  auf  ganze  Städte, 
die  zerstört  und  deren  Einwohner  insgesamt  oder  zum  größten 
Teil  gemordet  wurden.  Ob  sie  unbeerdigt  liegen  blieben,  er- 
fahren wir  nicht.  Aber  die  grandiosen  und  grausigen  Gemälde 
der  Propheten  von  der  Schlacht  Jahves  am  Ende  der  Tage, 
wo  die  Leichen  der  erschlagenen  Feinde  ganze  Hügel  und 
Täler  bedecken,  wo  die  Berge  vom  Blute  triefen  und  die  Rinn- 
sale vom  Ase  stinken,  wo  die  leichenfressenden  Vögel  und 
Raubtiere  allein  die  schaurige  Einöde  beleben  —  welche  Unter- 
schrift verdienen  diese  Gemälde  besser  als  den  Bann  Jahves? 
Vielleicht  hat  noch  das  Bild  von  der  Ermordung  des  urzeit- 
lichen Drachen  mitgewirkt,  die  in  ähnlicher  Weise  geschildert 
wird  (Gunkel:  Schöpfung  S.  85.  113);  wie  damals  so  wird  es 
sich  wiederholen  am  Tage  Jahves,  wenn  der  große  Volkerwürger 
erscheint.  Wie  überwältigend  muß  Jahve  den  Propheten  vor 
der  Seele  gestanden  haben,  die  sein  Eingreifen  in  die  Ge- 
schicke der  Völker  mit  solchen  Farben  malen  konnten! 

Damals  war  Jahve  längst  zum  Kriegsgotte  geworden,  und 
er  mag  es  schon  zur  Zeit  des  Mose  gewesen  sein.  Dennoch 
glaubten  wir  gewissen  Tatsachen  der  Überlieferung  entnehmen 
zu  dürfen,  daß  er  seinem  eigentlichen  Wesen  nach  ein  Natur- 
gott war.  Soweit  er  Kriegsgott  ist,  hat  eine  sekundäre  Um- 
deutung  stattgefunden,  die  sich,  wenigstens  teilweise,  unter 
fremdem  Einfluß  vollzogen  haben  muß,  wie  das  Prädikat  Jahve 
Zebaoth  und  das  Attribut  des  Schwertes  lehren.  Genaueres 
anzugeben  ist  unmöglich.  Vielleicht  darf  man  vermuten,  daß 
der  kanaanitische  Gott  Reseph  (nach  Euting  Rassäph,  nach 
Wellhausen  zu  Hab.  35  heute  Rasuph  ausgesprochen)  hierbei 


Reseph.  85 

eine  Rolle  gespielt  hat.  Er  wird  gewöhnlich  als  Bhtzgott  auf- 
gefaßt. Das  ist  mindestens  einseitig.  Das  Wort  C|«J-^,  das  im 
Alten  Testamente  mehrfach  begegnet,  ist  Ps»  7848.  Cnt.  8 6. 
Job.  5?.  Sir.  43 1?  nicht  sicher  zu  deuten,  wohl  aber  bezeichnet 
es  Dtn.  3224  (apellativisch)  und  Hab.  35  die  personifizierte  Pest. 
Wir  haben  demnach  ein  Recht,  ihn  für  einen  zum  Engel  Jahves 
degradierten  Seuchengott  der  Kanaaniter  zu  halten.  Seiner  Dar- 
stellung nach  war  er  jedoch  ein  Kriegsgott.  »Die  meisten 
Bilder  geben  ihm  die  Rüstung  mit  Speer,  Schild  und  Keule, 
dazu  eine  asiatische  Stirnbinde  und  daran  den  Gazellenkopf« 
(Müller  S.  312).  Houtsma  will  Ps.  764  mit  einer  kleinen 
Korrektur  pjüi  nujp  Resephhogen  statt  des  unverständUchen 
n\zjp  "»du;-)  Blitze  des  Bogens  lesen.  Dann  lautet  der  Zusammen- 
hang: Gott  ist  in  Juda  bekannt,  in  Israel  ist  sein  Name  gro&, 
und  in  Salem  erstand  seine  Hütte,  seine  Wohnung  in  Zion, 
Dort  zerbrach  er  den  Bogen  des  Reseph,  Schild,  Schwert  und 
Waffe.  Der  Psalmendichter  würde  also  ausführen,  wie  Jahve 
den  Bogen  und  die  ganze  Waffenrüstung  des  Reseph  abgetan 
und  vernichtet  hat.  Es  ist  nun  sehr  wohl  möglich,  daß  Züge 
von  dem  besiegten  Gott  auf  den  Sieger  übergegangen  sind,  wie 
es  in  der  Religionsgeschichte  häufig  vorkommt;  aber  auf  Sicher- 
heit  müssen   wir  bei  dem  Mangel   an   Nachrichten   verzichten. 


§  11.    Jahve  als  Seuchen-  und  Totengott. 

Georg  Beer:  Der  biblische  Hades  (Theologische  Abhandlungen, 
eine  Festgabe  für  H.  J.  Holtzmann),  Tübingen  1902.  Hans  Duhm: 
Die  bösen  Geister  im  Alten  Testament,  Tübingen  1904. 

Wie  Jahve  im  Kriege  für  Israel  eintrat  und  dann  vor 
allem  durch  Naturereignisse  wirkte ,  so  vernichtete  er  seine 
Gegner  auch  durch  Plagen  jeder  Art.  Um  Saras  willen  schlug 
er  den  Pharao  mit  schweren  Schlägen  (Gen.  12 1?  vgl.  20 17). 
Zur  Zeit  des  Mose  ließ  er  zehn  Plagen  über  die  Ägypter  er- 
gehen (Ex.  7 — 11).  In  der  Wüste  ward  Mirjam  mit  dem  Aus- 
satz bestraft  (Num.  12),  und  unter  das  mundende  Volk  wurden 
Sarafe  d.  h.  Brandschlangen  geschickt  (Num.  25).  Vor  Israel 
sandte  Jahve  Hornissen  ^  her,  die  die  Kanaaniter  aus  Palästina 


1.  Erzählt  wird  das  niemals;    denkbar  ist  ein  so  gewaltiger  Her- 


86     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

vertrieben  (Ex.  2328.  Dtn.  I20.  Jos.  24i2  vgl.  Philo:  de  praem. 
16).  Durch  den  Raub  der  Lade  stellten  sich  bei  den  Philistern 
die  Pest  und  eine  Mäuseplage  ein  (ISam.  5  f.).  Davids  Stadt 
ward  infolge  der  Volkszählung  von  einer  Pest  heimgesucht 
(IlSam  24  =  IChr.  21).  Über  Asarja  (Ussia)  verhängte  Jahve 
eine  Plage,  sodaß  er  aussätzig  ward  bis  zum  Tage  seines  Todes 
(IIReg.  105  =  II Chr.  26 19),  während  Sanheribs  Heer  durch 
den  Engel  Jahves  d.  h.  wahrscheinlich  durch  die  Pest  dezimiert 
wurde  (II  Reg.  1935  =  II  Chr.  32  21).  Unter  die  heidnischen 
Samarier  trieb  Jahve  Löwen,  weil  sie  den  Landesgott  nicht 
gebührend  verehrten  (II  Reg.  1725). 

Wie  groß  die  Fülle  der  Seuchen  und  Plagen  war,  mit 
denen  der  erzürnte  Jahve  seine  Feinde  überschütten  konnte, 
lehrt  ein  flüchtiger  Blick  in  den  Fluchkatalog  Dtn.  28.  Alle 
Leiden  und  Übel,  von  denen  die  Menschen  je  gequält  wurden, 
schrieb  man  in  älterer  Zeit  unbefangen  dem  Wirken  Jahves 
zu.  Noch  ein  Amos  sagte:  »Geschieht  ein  Unglück  in  der 
Stadt  und  Jahve  hats  nicht  getan«  (36)?  Nimmt  man  zu  dieser 
Anschauung  von  Jahve  als  dem  Plagengotte  seine  Offenbarung 
durch  Erdbeben,  Sturm,  Feuer,  Flut  und  Krieg,  die  in  den 
vorigen  Paragraphen  skizziert  worden  ist,  so  begreift  man,  eine 
wie  furchtbare,  grausame,  explosive,  schrecken  erregende  Gottheit 
Jahve  nach  dem  Glauben  des  Volkes  sein  konnte  und  unter 
Umständen  war.  Israel  brauchte  keine  Kakodämonen,  weil 
Jahve  selbst  der  fiirchtbarste  Dämon  war  (Hans  Duhm).  Wehe 
den  Menschen,  wenn  Jahve  ergrimmt  war  und  seiner  Rache 
die  Zügel  schießen  ließ !  Aber  mochte  der  Gott  auch  mitunter 
auf  Israel  zürnen,  die  Regel  war  doch,  daß  seine  Strafe 
nur  die  Feinde  Israels  traf,  während  sein  Volk  sich  seines 
mächtigen  Schutzes  erfreuen  durfte  und  trotz  alledem  auf  seine 
Liebe  und  Güte  vertraute.  Erst  eine  spätere,  empfindlichere 
Zeit  nahm  Anstoß  an  dem  naiven  Glauben,  der  von  Jahve  alles 
Unheil  ableitete.  Man  ersetzte  ihn,  anfangs  durch  den  Engel 
Jahves  (IlSam.  24 le.  II Reg.  1935.  Jes.  3736),  dann  durch  den 
Satan  (Job.  2?),  behielt  aber  daneben  die  alte  Vorstellung  bei 
(Job.  1921). 


nissenschwarm,   um   ein    ganzes    Volk    zu   vernicliten,    ebenfalls    nicht» 
Hier  scheinen  Mythen  hineinzuspielen. 


Der  Tag  der  Seuchen.  87 

In  der  Eschatologie  spielen  die  Seuchen  ebenfalls  eine 
große  Eolle.  Es  genügt,  aus  dem  reichen  Material  einige 
charakteristische  Beispiele  auszuwählen.  Hos.  13 u  sagt  Jahve 
mit  Bezug  auf  die  Ephraemiten:  Soll  ich  sie  aus  der  Hand 
der  Hölle  befreien^  vom  Tode  sie  loskaufen?  Her  mit  deinen 
Seuchen,  Tod!  Her  mit  deiner  Pestilenz,  Hölle!  Tod  und 
Seol  sind  hier  persönlich  gedacht,  da  sie  mit  »Du«  angeredet 
werden.  Sie  gelten  als  Unterfeldherren  Jahves,  die  ein  großes 
Heer  von  Fieber-  und  Krankheitsscharen  befehlen.  Wie  vor 
und  hinter  dem  Könige  Trabanten  herlaufen  (IlSam.  15i. 
ISam.  2542),  so  geht  nach  Hab.  Ss  die  Pest  dem  Jahve  voran, 
während  das  Fieber  (f)\zj"))  ihm  folgt.  Handelt  es  sich  an  diesen 
Stellen  um  erstmalige  dichterische  Personifizierung  von  Tod, 
Seol  und  Pest  durch  die  Propheten  oder  haben  wir  hier  volks- 
tümliche, mythische  Größen  vor  uns? 

In  der  babylonischen  Religion  sind  mit  den  Göttern  der 
Totenwelt  die  bösen  Krankheits-  und  Seuchendämonen  aufs 
engste  verbunden  (KAT.^  S.  460).  Wie  »aus  der  altorientaU- 
schen  Toten  weit,  dem  Ort  Nergals  (des  Toten  gottes)  und  Nam- 
tars,  des  Pestgottes,  alle  Dämonen  und  Seuchen  kommen« 
(Jeremias  S.  363),  so  wird  Hos.  13 14  Pest  und  Fieber  mit  Seol 
und  Tod  verknüpft,  so  heißt  Job.  18 is  der  Aussatz  m73  ^»•iDa 
der  Erstgeborne  des  Todes,  so  wird  im  nächsten  Verse  der  Tod 
selbst  als  der  ninVa  "jb?:,  als  der  König  der  Schrecken  bezeichnet. 
Mit  Recht  betont  darum  Beer:  »Hos.  13 u  und  Job.  18 14  hegen 
gewiß  nicht  erst  ad  hoc  geschaffene  Personifikationen  von  Tod 
und  Unterwelt  vor«,  ebenso  wenig  wie  die  Hab.  35  im  Gefolge 
Jahves  einherziehenden  5)iz3";i  und  "la*?/  prophetische  Neubildungen 
sind.  Der  altkanaanitische  Gott  Reseph  des  Seucheusturms, 
des  Fiebers  und  des  Krieges  ist  hier  sachlich,  obwohl  der 
formelle  Ausdruck  fehlt,  zu  einem  Engel  Jahves  geworden. 
Beide,  Reseph  und  Jahve,  waren  ursprünglich  gleichen  Ranges. 
Als  aber  die  israehtische  Religion  über  die  kanaanitische  siegte, 
ward  Reseph  zum  mn"»  ^Kb73  degradiert.  Je  mehr  die  sittUche 
Seite  im  Wesen  Jahves  hervortrat,  je  mehr  die  dämonischen 
Elemente  seiner  Natur  zurückgedrängt  wurden,  um  so  mehr 
liebte  es  der  fortgeschrittene  Glaube  des  Volkes,  die  anstößigen 


1.   =  bab.  Dibarra? 


88      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Dinge  nicht  von  Jahve  selbst,  sondern  von  seinem  Engel  ver- 
richten zu  lassen,  die  ja  von  Hause  aus  minderwertig  waren 
und  an  die  hoheits volle  Majestät  Jahves  nicht  entfernt  heran- 
reichten. Ob  Jahve  von  Anfang  an  einen  Hofstaat  und  Diener 
besaß,  wissen  wir  nicht,  sicher  ist  jedenfalls,  daß  schon  in  vor- 
prophetischer Zeit,  wie  eben  Hab.  3  5  beweist,  ein  Teil  der 
D"»SNb73  sich  aus  fremden  Göttern  rekrutierte.  Auf  einer  noch 
späteren  Entwicklungsstufe  wurden  die  unheilbringenden  Engel 
zu  Dämonen  herabgedrückt:  Fürchte  dich  nicht  vor  dem  Schrecken 
der  Nacht^  vor  dem  Pfeil,  der  am  Tage  fliegt,  vor  der  Pest, 
die  im  Finsteren  schreitet,  vor  der  Seuche  und  dem  Dämon  des 
Mittags^  (Ps.  9l5f.  vgl.  Ps.  784&.  Sir.  3928ff.).  Neben  dem  dai/tioviov 
lxeaii](.ißQiv6v  (vgl.  Jer.  lös)  sind  auch  die  übrigen  Namen  als 
Dämonen  zu  verstehen,  obwohl  sie  vielleicht  kein  sehr  selb- 
ständiges Wesen  geführt  haben,  sondern  mehr  oder  minder 
Personifikationen  dichterischer  Art  waren  und  bheben.  Wir 
müssen  also  drei  Phasen  in  der  Anschauung  des  Volkes  unter- 
scheiden, die  chronologisch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  neben 
einander  hergehen:  Die  Seuchen  werden  erstens  von  Jahve, 
zweitens  von  den  Engeln  Jahves,  drittens  von  jahvefeindlichen 
Dämonen  abgeleitet.  Als  Persönlichkeiten  erscheinen  sie  in 
älterer  Zeit  nur  sehr  selten,  dagegen  wieder  im  Judentum  zur 
Zeit  Christi. 

Während  die  besprochene  Hosea-  und  Habakukstelle  zur 
zweiten  Stufe  gehören,  setzen  die  meisten  anderen  prophetischen 
Aussprüche  noch  die  erste  voraus.  So  sagt  z.B.  Jer.  14 12: 
Wenn  sie  fasten,  höre  ich  nicht  auf  ihre  Klage,  und  wenn  sie 
Opfer  und  Gabe  darbringen,  will  ich  ihnen  nicht  wohl;  denn 
durch  Schwert,  Hunger  und  Pest  will  ich  sie  vernichten;  18  21: 
Darum  gib  ihre  Söhne  dem  Hunger  preis  und  stürze  sie  hin 
in  die  Gewalt  des  Schwertes;  es  sollen  ihre  Weiber  kinderlos 
werden  und  verwitwet,  ihre  Männer  Pestermordete  und  ihre 
Jünglinge  Schwerterschlagene  im  Kriege;  21 6 :  Und  ich  will 
schlagen  die  Bewohner  dieser  Stadt,  Menschen  und  Vieh;  an 
schwerer  Seuche  sollen  sie  sterben.  Aber  wozu  Stellen  über 
Stellen  häufen,  kehrt  doch  die  typische  Trias  der  Hauptver- 
nichtungsmittel Jahves :  Hunger,  Schwert  und  Pest  bei  Jeremia 


1.  So  wohl  richtig  B.  Duhm  mit  den  LXX. 


Der  Tag  der  wilden  Tiere.  89 

allein  18  mal  und  in  derselben  stereotypen  Weise  auch  anderswo 
wieder. 

Nicht  ganz  so  oft,  aber  immerhin  noch  häufig  genug, 
kommen  als  vierte  schlimme  Strafe  die  wilden  Tiere  hinzu.  So 
sagt  Jahve  Dtn.  3223f.:  Überhäufen  will  ich  sie  mit  Übeln,  will 
all  meine  Pfeile  gegen  sie  verbrauchen:  Hunger  (aus  Mangel) 
an  Zukost  und  Brot^,  Fieber  und  giftige  Seuche,  will  der  Tiere 
Zahn  gegen  sie  entsenden  samt  dem  Gift  der  im  Staube 
schleichenden  Schlangen.  Damit  vergleiche  man  eine  Stelle  wie 
Jer.  56:  Darum  tötet  sie  der  Löwe  aus  dem  Walde,  verheert 
sie  der  Steppenwolf,  lauert  der  Panther  an  ihren  Städten;  jeder 
der  sich  herauswagt  aus  ihnen,  wird  zerrissen.  Daß  die  wilden 
Tiere  hier  Bilder  seien  für  die  Feinde  (Giesebeecht),  ist  durch 
nichts  angedeutet  und  wenig  wahrscheinlich,  weil  auch  Pest, 
Hunger  und  Schwert  in  realem  Sinne  gemeint  sind.  Oder 
Jer.  817:  Denn  siehe,  ich  entsende  wider  euch  Schlangen,  Basi- 
lisken, gegen  die  keine  Beschwörung  hilft,  und  sie  sollen  euch 
beißen,  spricht  Jahve.  Da  von  einem  Vergleich  keine  Rede  ist, 
so  ist  die  allegorische  Exegese  abzulehnen.  Wenn  Giese- 
BRECHT  Am.  5 19  für  die  Vorlage  Jeremias  hält,  so  wird  diese 
«inseitig  literarische  Betrachtung  dem  Tatbestande  nicht  gerecht. 
Dort  heißt  es:  Am  Tage  Jahves  wird  es  sein,  als  ob  jemand, 
der  einem  Löwen  entflieht,  von  einem  Bären  gestellt  wird,  und 
schließlich  we?in  er  nach  Hause  gelangt  ist  und  sich  mit  der 
Hand  gegen  die  Wand  stemmt,  von  einer  Schlange  gebissen  wird 
d.  h.  wer  der  Skylla  glückUch  entgangen  ist,  fällt  in  die 
Chaiybdis.  Wollte  Giesebeecht  seine  These  durchführen,  so 
müßte  er  erstens  annehmen,  daß  Jeremia  —  man  bedenke, 
ein  Mann  wie  Jeremia!  —  den  Amos  gründlich  mißverstand, 
indem  er  einen  Vergleich  wörtlich  auffaßte,  und  zweitens, 
daß  Jeremia  dann  wieder  die  Tiere  als  Bild  verwandte  für 
Israels  Feinde.  Diese  künstliche  Konstruktion  wird  vollends 
zweifelhaft,  wenn  Am.  5 19  unecht  sein  sollte,  wie  Löhr  und 
NowACK  vermuten.  Dann  wird  Giesebeecht  sich  wohl,  wie 
er  es  jetzt  schon  tut,  auf  Am.  93  berufen,  wo  zufällig  auch 
eine  Schlange  begegnet.  Aber  ist  es  glaublich,  daß  Jeremia 
die    dort   gemeinte    mythische   Meeresschlange   in    dichterischer 


1,  Lies  arr^T  -jit^  ayi  nach  mündliclier  Mitteilung  Gunkels. 


90      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Phantasie  zu  menschlichen  Basilisken  gemacht  haben  sollte? 
Ist  es  denn  überhaupt  wahrscheinlich,  er  habe  sich  an  den 
Schreibtisch  gesetzt,  den  Arnos  studiert  wie  ein  heiliges  Buch 
und  im  Anschluß  an  ihn  seine  eigenen  Dichtungen  konzipiert? 
Ist  es  nicht  viel  einleuchtender,  bei  beiden  dieselben  eschato- 
logischen  Anschauungen  wiederzufinden,  die  in  dem  allgemeinen 
Yolksbewußtsein  gang  und  gäbe  waren?  Zu  den  typischen 
Strafmitteln  Jahves  gehörten  die  wilden  Tiere  so  gut  wie  Pest, 
Hunger  und  Schwert.  Das  ist  durch  die  Notizen  in  den  histo- 
rischen Büchern,  die  keine  Allegorisierung  vertragen  (Ex.  2329. 
Num.  25.  IIReg.  1725),  außer  allen  Zweifel  gestellt.  Lag  e& 
denn  da  so  fern,  war  es  nicht  vielmehr  selbstverständlich,  daß- 
Jahve,  wenn  er  selbst  an  seinem  Gerichtstage  in  die  Schicksale^ 
Israels  eingriiF,  auch  wilde  Tiere  wieder  seine  Feinde  losließ?  Wir 
werden  also  postulieren  dürfen,  daß  in  der  älteren  vorprophetischen 
Eschatologie  Drohungen  existierten,  die  von  einem  wütenden  Heer 
wilder  Tiere  redeten,  durch  die  Jahve  das  Land  verwüsten 
werde.  Wenn  bei  Jeremia  und  Ezechiel  (5i7.  14i5f.)  diese  Tiere- 
wieder  in  eigentlichem  Sinne  verstanden  werden,  so  ist  eben  bei 
diesen  jüngeren  Propheten  die  ui*sprün gliche  Idee  bewahrt  worden. 
Übrigens  ist  sie  schon  bei  Hosea  deutlich  nachweisbar  in  einem 
Verse,  der  besonders  interessant  ist,  weil  er  das  Reale  mit  dem 
Bildlichen  vermengt:  Ich  stoße  auf  sie  (sagt  Jahve)  wie  eine- 
verwaiste Bärin  und  zerreiße  ihre  Herzkammern^  und  Löwen 
werden  sie  fressen"^,  die  wilden  Tiere  des  Feldes  sie  zerreißen 
(Hos.  13 8).  Da  Jahve  die  Bestien  schickte,  so  ist  es  von  hier 
aus  am  leichtesten  begreifhch,  wie  das  letzte  Zitat  lehrt,  daß 
die  Gottheit  selbst,  sei  es  mit  einem  Löwen  (Hos.  5i4.  11  lo.  13?^ 
Jes.  31 4.  Jer.  49 19  u.  a.),  einem  Panther  (Hos.  13?)  oder  gar 
einer  Motte  (Hos.  138)  verglichen  wird^.  Wenn  anderswo- 
(Zeph.  2i4f.   Jes.  132if.  34iiff.    Jer.  9io.   IO22.  4933.  5039.  5l37> 


1.  So  NowACK  mit  den  LXX. 

2.  Auffallend  ist,  worauf  mich  Eichhorn  aufmerksam  gemacht  hat^ 
daß  Jahve  in  den  prophetischen  Büchern  niemals  mit  einem  Stier  oder 
Kalh  verglichen  wird,  obwohl  er  doch  in  Dan  und  Bethel  (IKeg.  1228)- 
unter  dem  Bilde  eines  Kalbes  verehrt  sein  soll.  Ob  das  mehrfach 
vorkommende  Epitheton  Vs^r^  ••ss  oder  apr  "^"as  (vgl.  auch  Gunkell 
Schöpfung  S.  66)  an  alten  Stierdienst  erinnert,  ist  fraglich,  da  das  Bild 
in  Bethel  stets  \tv  junger  Stier,  niemals  -»-as,  heißt. 


Der  Tag  der  Heuschrecken.  91 

geschildert  wird,  wie  in  den  verödeten  Ländern  und  Städtert 
Schakale,  Wölfe,  Uhus,  Strauße  und  andere  Wüstentiere  hausen, 
so  darf  man  diese  Tatsache  schwerlich  in  diesen  Zusammen- 
hang einreihen,  sondern  muß  sie  einfach  zum  Stil  der  Kriegs- 
lieder rechnen.  Seit  alters  —  wohl  nicht  erst  seit  Zephanja 
—  liebten  es  die  Dichter,  die  vöUige  Verheerung  einer  Gegend 
durch  solche  typischen  Züge  anschaulich  zu  beschreiben. 

Neben  den  wilden  Tieren  bildeten  die  Heuschrecken,  die 
durch  den  Südostwind  nach  Palästina  getragen  wurden,  eine 
besonders  furchtbare,  von  Zeit  zu  Zeit  wiederkehrende  Land- 
plage.  Sie  ist  aus  der  Gegenwart  nicht  nur  in  die  mosaische 
Urzeit  (Ex.  10),  sondern  auch  in  die  Eschatologie  projiziert 
worden.  Im  Buche  Joel  wird  von  einer  solchen  Heuschrecken- 
plage berichtet,  die  ohne  Zweifel  damals  wirklich  beobachtet  ward,, 
wie  einige  treffende  Züge  lehren.  Da  heißt  es:  Rasselnd  wie 
Kriegswagen  huschen  sie  über  die  Höhen  der  Berge,  prasselnd 
ivie  die  Flamme  des  Feuers,  das  Stoppeln  verzehrt,  wie  ein  zahl- 
reiches  und  zum  Kriege  gerüstetes  Heer  (Jo.  25).  Aus  Brehms 
Tierleben  (VI  S.  482)  erfahren  wir:  »Das  ewige  Auf-  und 
Niedersteigen,  das  Schwirren  der  Tausende  von  Flügeln  und 
das  Knirschen  der  gefräßigen  Kinnbacken  am  Boden  verursacht 
ein  eigentümliches,  schwer  zu  beschreibendes  Geräusch,  welches^ 
sich  mit  dem  Rauschen  eines  starken  Hagelschauers  noch  am 
besten  vergleichen  läßt«.  In  Südafrika  heißen  die  Wander- 
heuschrecken Rooi  Batjes  d.  h.  »Rotröcke«  nach  den  rotunifor- 
mierten englischen  Soldaten.  »Die  Vergleichung  wird  um  so 
treffender,  als  die  jungen  Heuschrecken  sich  ebenfalls  zu  Zügen 
ordnen  und  geschlossen  über  die  Gegend  marschieren.  In  ihnen 
günstigen  Jahren  sieht  man  ganze  Armeen  derselben  auf  dem 
Marsche,  die  meist  eine  bestimmte  Richtung  einhalten  und  die- 
selbe nicht  gern  aufgeben«  (S.  481).  Jo.  27f.  fährt  fort:  Wie 
Helden  laufen  sie,  ivie  Kriegsmänner  steigen  sie  über  die  Mauer, 
jeder  zieht  seinen  Weg,  und  sie  verwirren  ihre  Pfade  nicht.  Einer 
drängt  den  anderen  nicht,  ein  jeder  wandelt  seinen  Pfad.  »Sie 
gleichen  einem  Schwärm  von  Ameisen,  und  alle  nehmen,  ohne 
sich  gegenseitig  zu  berühren,  denselben  Weg,  stets  in  geringer 
Entfernung  von  einander«  (Brehm  S.  486).  In  die  Stadt  eilen 
sie,  auf  die  Mauern  laufen  sie,  in  die  Häuser  steigen  sie,  durch 
die  Fenster  dringen  sie  dem  Diebe  gleich    (Jo.  29).     »Bei  der 


"92      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

großen  Heuschreckenplage  1865  sahen  manche  Bewohner  von 
Nazareth  sich  gezwungen,  vor  den  Heuschrecken  aus  ihren 
Häusern  zu  fliehen«  (Nowack  z.  St.).  Sonne  und  Mond  wurden 
finster,  und  die  Sterne  verloren  ihren  Glanz  (Jo.  2io).  Daß 
die  Heuschrecken  Wolken  bilden,  die  das  Sonnenlicht  nicht 
durchlassen,  wird  oft  berichtet  (Beehm  S.  480). 

Aber  wenn  so  auch  die  Farben,  mit  denen  Joel  malt,  einer 
wirklichen  Heuschreckenplage  entlehnt  sind,  so  finden  sich  daneben 
•doch  einige  Züge,  die  in  dieses  Bild  nicht  hineinpassen.  Jo.  2ii 
heißt  es:  Jahve  hat  gedonnert  vor  seinem  Heere  her.  Man  hat 
keinen  Anlaß,  auf  das  Donnern  Jahves  Gewicht  zu  legen  und 
es  für  exakte  Naturbeschreibung  zu  halten  und  zu  behaupten, 
daß  »gleichzeitig  mit  dem  Einfall  der  Heuschrecken  in  Jerusa- 
lem ein  gewaltiges  Gewitter  stattgefunden  habe«  (Wellhausen). 
Denn  einmal  wird  durch  ein  Gewitter  die  Plage  illusorisch 
(Merx),  zum  andern  ist  die  Annahme  ungenügend,  um  die 
Worte  Joels  vollkommen  zu  erklären.  Im  Vorhergehenden  sagt 
der  Prophet:  Vor  ihm  zitterte  die  Erde,  hebte  der  Himmel 
(2io).  Nowack  belehrt  uns  zwar,  daß  »die  Erde  erbebt  .  .  ., 
weil  Jahve  seine  Stimme  ertönen  ließ  d.  i.  donnert«,  aber  so 
leicht  wird  niemand  dieser  These  Gehör  schenken,  da  sie  den 
Tatsachen,  wenigstens  in  unserer  Gegend,  nicht  entspricht.  Die 
Erschütterung  des  Himmels  vollends  ist  überhaupt  nicht  auf  ein 
Naturereignis,  sondern  nur  auf  die  Phantasie  zurückzuführen. 
Man  kommt  also  mit  der  Ansicht  nicht  durch,  Joel  schildere 
hier  eine  zeitgenössische  Begebenheit  mit  naturwissenschaftlicher 
Treue.  Denn  die  Worte  2  lof.  sind  als  wirklich  geschehen  absolut 
unerklärlich,  sind  aber  wohl  begreiflich  in  einer  Eschatologie,  für 
die  das  Erscheinen  Jahves  im  Gewitter,  im  Erd-  und  Himmel- 
beben an  der  Spitze  eines  großen  Heeres  von  Plagen  typisch 
ist.  Auch  22f.  kann  nicht  von  Heuschrecken  ausgesagt  sein: 
Wie  Morgenrot  liegt  ausgehreitet  auf  den  Bergen  ein  großes  und 
zahlreiches  Volk,  wie  seines  gleichen  nicht  gewesen  ist  von  An- 
beginn und  nach  ihyn  nicht  wieder  sein  wird  bis  zu  den  Jahren 
der  fernsten  Geschlechter;  denn  so  außergewöhnlich  sind  die 
Heuschrecken  nicht.  Vor  ihm  her  fraß  das  Feuer  und  hinter 
ihm  lohte  die  Flamme,  ist  ebenfalls  nur  mit  Mühe  auf  das  Heu- 
schreckenheer zu  beziehen. 

Aus  2-20  geht  deutlich   hervor,   woher  Joel   einen  Teil   der 


Der  Tag  der  Heuschrecken.  93 

Züge  entlehnt  hat:  Und  den  "»21  Di:  will  ich  von  euch  entfernen 
und  will  ihn  in  ein  dürres  und  ödes  Land  stoßen,  seinen  Vor- 
trab  in  das  östliche  Meer  und  seinen  Nachtrab  in  das  westliche 
Meer,  und  Gestank  soll  aufsteigen.  Das  östliche  Meer  deutet 
man  gewöhnlich  auf  das  Tote,  das  westliche  auf  das  Mittel- 
ländische Meer  (aber  vgl.  §  20).  Unter  den  Heuschrecken  ver- 
steht der  Prophet  jedenfalls  den  eschatologischen  Feind.  Das 
Wort  ■»3iD5r  ist  in  diesem  Zusammenhange  durchaus  unübersetzbar» 
Es  heißt  eigentlich  Das  Nördliche,  ist  hier  aber  zum  rätselhaften 
Terminus  technicus  geworden,  da  der  Begriff  des  »Nördlichen« 
im  Bewußtsein  des  Propheten  keine  Rolle  mehr  spielt;  denn 
sonst  hätte  er  diesen  Ausdruck  nicht  wählen  können,  um  damit 
die  von  Süden,  also  aus  der  entgegengesetzten  Richtung  kom- 
menden Heuschrecken  zu  bezeichnen.  Wir  können  uns  die  Ent- 
wicklung der  Phrase  klar  machen  an  dem  deutschen  Frauen- 
zimmer, dessen  zweiter  Bestandteil  jede  Bedeutung  in  der  Sprache 
verloren  hat.  Mit  der  Geschichte  des  "»aiDir  werden  wir  uns  noch 
beschäftigen  müssen;  es  genügt  hier  zu  konstatieren,  daß  es  für 
Joel  der  apokalyptische  »Feind  der  Endzeit«  ist  (vgl.  §  17). 

Joel  ist  nicht  mehr  Prophet,  sondern  Apokalyptiker,  wie 
aus  dem  Stil  seines  Buches  geschlossen  werden  muß.  Betrachtet 
man  nur  die  beiden  ersten  Kapitel,  so  ist  nicht  wie  bei  den 
älteren  Propheten  eine  Anschauung  klar  und  lebendig  durch- 
geführt, sondern  es  sind  verschiedene  Ideen  so  mit  einander 
kombiniert  und  laufen  so  ineinander  über,  daß  ein  eigentümliches 
Schillern  entsteht.  AVill  man  diese  Kapitel  erklären,  so  muß 
man  drei  eschatologische  Vorstellungen  von  einander  scheiden, 
die  hier  mit  einander  verbunden  sind.  Erstens:  Jahve  wird 
kommen.  Vor  ihm  her  frißt  das  Feuer,  hinter  ihm  her  loht  die 
Flamme  (23);  Erde  und  Himmel  erbeben;  Sonne,  Mond  und 
Sterne  werden  finster  (2  lo).  Feuer  verzehrt  die  Auen  der  Trift, 
die  Flamme  entzündet  alle  Bäume  des  Feldes,  und  alle  Wasser- 
becken trocknen  aus  (ligf.).  Neben  dieser  mythischen  Beschrei- 
bung des  Sirokko  steht  zweitens,  daß  Jahve  an  der  Spitze 
eines  gewaltigen  Heeres  von  Heuschrecken  einherzieht,  die  alle 
Weinstöcke,  Feigen-  und  Ölbäume  kahl  fressen  (c.  1)  und  selbst 
in  die  Städte  dringen  (c.  2).  Da  der  glühendheiße  Südostwind 
und  die  Heuschreckenplage  in  natura  mit  einander  verbunden 
sein  können,   so  mögen  sie  auch  in  dieser  Dichtung  von  Hause 


-:94      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

-aus  zusammengehören,  obwohl  diese  Annahme  bei  einem  Apo- 
kalyptiker  nicht  unbedingt  notwendig  ist.  Denn  drittens  soll 
<3er  »nördliche  Feind«  erscheinen,  auf  den  Bergen  lagern,  ver- 
nichtet werden  und  unbeerdigt  liegen  bleiben.  Die  oberflächliche 
Verknüpfung  dieser  drei  eschatologischen  Anschauungen  zu  einem 
wenig  einheitlichen  Ganzen  ist  ein  Zeichen  der  Apokalyptik.  Das 
.Bild  wird  noch  bunter,  wenn  man  c.  3  und  4  hinzunimmt,  wozu 
^r  an  dieser  Stelle  keinen  Anlaß  haben. 

Die  erste  und  dritte  Idee  begegnen  uns  anderswo  gesondert; 
sie  stammen  durch  Vermittlung  der  älteren  Prophetie  aus  dem 
Volksglauben.  Wer  wollte  meinen,  ein  Prophet  oder  gar  ein 
„Apokalyptiker  wie  Joel  habe  die  zweite  Auffassung  von  dem 
Tage  Jahves  als  einem  Tage  der  Heuschrecken  zum  ersten 
Male  ausgesprochen?  Die  Apokalyptik  arbeitet  mit  überliefertem 
Gute,  lautet  ein  allgemein  gültiger  Satz.  Da  die  eben  erwähnte 
Vorstellung  bei  den  älteren  Propheten  nicht  nachweisbar  ist,  so 
muß  sie  füglich  der  Volkstradition  entlehnt  sein.  Und  erlebte 
Joel  wirklich  eine  furchtbare  Heuschreckenplage,  wie  die  Kom- 
mentatoren mit  Recht  behaupten,  so  konnte  er  niemals  auf  die 
Idee  verfallen,  der  Tag  Jahves  sei  nahe  (lis),  wenn  nicht  schon 
vorher  dieser  Tag  mit  einer  solchen  Plage  als  identisch  galt 
oder  mit  ihr  wenigstens  aufs  engste  verbunden  war.  Wenn  bei 
uns  die  Cholera  ausbricht,  glaubt  doch  niemand,  daß  das  Ende 
der  Welt  da  sei.  Nur  bei  Kriegen,  Kometen  und  anderen  Din- 
gen, die  wir  als  »Vorzeichen«  aus  der  Bibel  kennen,  wird  heute 
noch  hin  und  wieder  einer  solchen  Vermutung  Ausdruck  ver- 
liehen. Auch  für  Joel  sind  die  Heuschrecken  nur  »Vorboten«. 
.  Für  ihn  war  der  Tag  Jahves  schon  Dogma  geworden ;  mit  dem 
Eintreten  der  Plage  war  nur  ein  Teil  der  eschatologischen  Er- 
wartung erfüllt,  eine  große  Reihe  von  Einzelheiten  standen  noch 
aus  und  mußten  noch  in  die  Erscheinung  treten. 

Mit  Recht  ist  die  Allegorisierung  der  Heuschrecken  Joels 

fast  allgemein  aufgegeben.    Wahrscheinlich  dürfen  wir  eine  pa- 

-^rallele  Idee  schon  Jes.  Tisf.  voraussetzen,  einer  kleinen,  nur  aus 

^wei  Versen  bestehenden  Rede :   Und  geschehen  wirds  an  jenem 

Tage,  zischen  wird  Jahve  der  Fliege  und  der  Biene,  und  kommen 

werden  sie  und  sich  niederlassen  alle  in  die  Täler  der  Klippen 

und  in  die  Klüfte  der  Felsen  und  in  alle  Dornbüsche  und  auf 

■ralle  Triften.     Liest  man  diese  Sätze  so,  wie  sie  hier  zitiert  sind, 


Der  Tag  der  Fliegen  und  der  Bienen.  95 

dann  wird  niemand  auf  den  Gedanken  kommen,  die  genannten 
Tiere  umzudeuten.  Die  kleine  Dichtung  ist  in  sich  vollkommen 
durchsichtig  und  bedarf  nach  dem  Vorangegangenen  keiner 
weiteren  Erläuterung,  da  sie  in  die  volkstümlichen  Vorstellungen 
vom  Tage  Jahves  ausgezeichnet  hineinpaßt.  Jahve  wird  jenes 
Tages  wie  ein  Bienenvater  auch  die  kleinen  lästigen  Insekten 
herbeirufen,  wie  er  mit  dem  Heer  der  Heuschrecken  und  den 
wütenden  Bestien  das  Land  erfüllt.  Nach  dem  überlieferten 
Text  freilich  soll  die  Fliege  auf  Ägypten,  die  Biene  auf  Assur 
bezogen  werden,  und  es  ist  durchaus  wahrscheinlich,  daß  der 
Prophet  dies  oder  etwas  Ähnliches  gemeint  hat.  Nur  stellt  man 
es  sich  gewöhnlich  so  vor,  als  sei  er  auf  dies  Bild  verfallen, 
weil  die  Fliege  für  Ägypten,  die  Biene  für  Assur  bezeichnend 
sei  (Dillmann-Kittel).  Diese  Erklärung,  deren  Berechtigung 
nicht  ganz  geleugnet  werden  soll,  ist  aber  doch  nur  teilweise 
zutreffend.  Denn  die  Fliege  ist  auch  in  Palästina  ein  sehr  lästi- 
ges Insekt,  das  zur  wirkhchen  Plage  werden  kann.  »Im  Ror 
gibt  es  große,  den  Tieren  gefährliche,  blutsaugende  Fliegen; 
sonst  treten  Schwärme  kleiner  schwarzer  Fliegen  auf,  die  in 
Mund  und  Nase  kriechen«  (Nowack:  Archaeol.  I  S.  86).  Und 
wenn  einmal  sagenhafte  Erzählungen  existiert  haben,  nach  denen 
die  Kanaaniter  durch  Hornissen  aus  dem  Lande  vertrieben 
wurden,  so  dürfen  wir  uns  auch  die  Bienen  Palästinas  nicht 
allzu  harmlos  denken,  mögen  hier  auch  noch  andere  uns  unbe- 
kannte Faktoren  mitgewirkt  haben.  Jesaja  exemplifiziert  keines- 
wegs auf  die  charakteristischen  Eigenschaften  der  Fliegen  und 
Bienen,  wie  es  doch  nahe  liegen  sollte  bei  einem  Schriftsteller, 
der  angeblich  zum  ersten  Male  den  Tag  Jahves  mit  diesen 
Farben  malt,  sondern  er  begnügt  sich  mit  der  allgemeinen  Aus- 
sage, daß  durch  die  Insekten  das  ganze  Land  überschw^emmt 
werden  solle,  was  ebensogut  von  Heuschrecken  wie  von  Bienen 
gilt.  Die  Konzeption  dieser  Dichtung  erklärt  sich  am  einfachsten 
unter  der  Annahme,  der  Prophet  habe  sich  an  ältere  Muster  an- 
gelehnt, die  eine  wirkliche  Insektenplage  —  wie  einst  beim  Exodus 
—  so  auch  am  Tage  Jahves  schilderten.  Eben  deshalb  stellte 
er  die  Feinde  unter  dem  Bilde  von  Insekten  dar  und  bezeichnete 
sie  in  mystischem  Halbdunkel  nach  den  einigermaßen  hervor- 
stechenden Plagen  ihres  Landes. 

Sofern  Jahve  der  Gott  der  verderblichen  Naturerscheinungen, 


96      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

des  Krieges  und  der  Seuchen  ist,  spielt  er  auch  die  Rolle  des 
Toten gottes.  Sein  Wirken  muß  sich  daher,  wie  sich  von  selbst 
versteht,  überall  im  Massenmorde  und  im  gewaltsamen  Tode 
offenbaren.  Das  Prädikat  eines  Totengottes  kommt  ihm  somit 
nur  in  abgeleiteter,  in  sekundärer  Beziehung  zu.  Eigentlicher 
Totengott  wäre  er  dann,  wenn  er  seinen  Wohnsitz  in  der  Seol 
hätte,  wenn  er  antike  Epitheta  führte,  die  mit  dem  allgemeinen 
Todeslos  zusammenhängen,  wenn  in  mythischen  Bildern  be- 
schrieben würde,  wie  er  alle  Menschen  aus  dem  Leben  abruft. 
In  späterer  Zeit  finden  sich  freilich  einige  Redewendungen,  die 
zweifellos  lehren,  daß  man,  wie  alles,  so  auch  den  Tod  von  Jahve 
selbst  ableitete.  Wenn  Gott  den  Odem  einzieht,  so  vergehen 
die  Geschöpfe  (Ps.  10429.  Job.  34i4ff.).  Gott  macht  den  Men- 
schen zum  Staube  und  spricht:  Kehrt  wieder  (seil,  zum  Staube), 
ihr  Menschenkinder  (Ps.  903).  Die  ältere  Zeit  weiß  davon  nichts. 
Wenn  es  I  Sam.  26  heißt:  Jahve  tötet  und  macht  lebendig,  er 
stößt  in  das  Totenreich  hinab  und  führt  herauf,  so  ist  das  nur 
ein  hyperbolischer  Ausdruck  für  den  krankenheilenden  Gott  (vgl. 
Ps.  304  und  KAT*  S.  639),  ein  Ausdruck,  der  vielleicht  im  An- 
schluß an  alte  Mythen  geprägt  ist.  Mag  Jahves  Arm  später  auch 
in  die  Unterwelt  reichen  (Am.  92),  mag  Seol  die  Untergebene 
Jahves  sein  (Hos.  13 14),  ursprünglich  haben  Jahve  und  die  Seol 
nichts  mit  einander  zu  tun  (Bebe).  Denn  Jahve  thront  im 
Himmel,  während  die  Seol  tief  drunten  in  der  Erde  (Jes.  149.  15) 
oder  unter  den  Wassern  liegt  (Job.  265).  Die  Patriarchen 
werden  versammelt  zu  ihren  Vätern  (Gen.  25 17.  3529.  4933),  aber 
zu  Gott  entrückt  werden  nur  Henoch  und  Elia  (Gen.  524.  II  Reg.  2). 
Sein  Bereich  ist  der  Himmel,  in  der  Seol  preist  man  ihn  nicht 
(Ps.  66.  88i2f.  Jes.  38i8f.).  Beer  macht  darauf  aufmerksam,  daß 
unter  den  Werken  Jahves  niemals  die  Seol  aufgezählt  werde. 
Man  darf  hinzufügen,  daß  kein  Epitheton,  kein  Bild  Jahve  als 
Totengott  darstellt.  Das  sanfte  Entschlafen  auf  dem  Strohlager, 
das  Hinabsteigen  zur  Grube,  das  Leben  in  der  Seol  geschieht 
ohne  Jahve. 

Die  Seol  gehört  ihrem  Wesen  nach,  wie  Beek  mit  Recht 
gezeigt  hat  hat,  einem  chthonischen  Glauben  an,  während  Jahve 
im  Alten  Testamente  niemals  als  chthonischer  Gott  erscheint 
(gegen  Beer).  Man  könnte  zwar  vermuten,  weil  Jahve  von 
Hause  aus  der  Gott  des  Sinai  gewesen  sei,  müsse  er  chthonische 


Jahve  und  die  Seol.  97 

Natur  gehabt  haben,  zumal  wenn  der  Sinai  wirklich  ein  Vulkan 
war.  Aber  mag  das  auch  vermutet  werden,  nachweisen  läßt 
sich  das  nicht,  im  Gegenteil!  Nach  Ex.  2O21  wohnt  Jahve  nicht 
in  dem  Berge,  sondern  in  der  Wolke,  die  über  dem  Berge  lagert, 
nach  Ex.  19 18  kommt  Jahves  Feuer  nicht  aus  dem  Berge,  son- 
dern fährt  herab  vom  Himmel.  Nach  IReg.  199  befand  sich 
zwar  eine  Höhle  am  Horeb  (Sinai),  in  der  EHa  über  Nacht 
blieb.  Aber  um  vor  Jahve  zu  treten,  wird  ihm  befohlen,  aus 
der  Höhle  herauszugehen  und  auf  den  Berg  zu  steigen  (I  Reg, 
19 11).  In  derselben  Weise  muß  es  verstanden  werden,  wenn  die 
Aramäer  (IBeg.  2023flP.)  den  Jahve  für  einen  Gott  der  Berge 
und  nicht  der  Ebene  halten.  Endlich  rekurriert  Beer  auf 
IReg.  812,  wo  Jahve  erklärt,  im  Dunkel  wohnen  zu  wollen. 
Aber  wie  V.  lOf.  lehren,  ist  vom  Verfasser  nicht  an  das  Dunkel 
der  Höhle  gedacht  worden,  da  eine  Wolke  den  Raum  füllt. 
Ist  Jahve  also  je  ein  chthonischer  Gott  gewesen,  so  hat  er  im 
Licht  der  Geschichte  bereits  seine  alte  Natur  abgestreift  und 
ist  zum  Himmelsgott  geworden. 

Seol  wird  nicht  nur  Hos.  13 14,  sondern  auch  anderswo  per- 
sonifiziert. Mehrfach  finden  sich  Bilder,  die  von  der  Seol  als 
von  einem  unersättlichen  Scheusal  mit  großem  Rachen  reden 
(Jes.  5 14.  Hab.  25.  Ps.  Uli.  Prov.  I12.  27 20.  30 le).  Es  ist  mög- 
Hch,  daß  diese  Bilder  weiter  nichts  sind  als  poetische  Personi- 
fikationen (so  KöBEKLE  S.  141),  zumal  von  einem  Kult  der 
Seol  keine  Spuren  vorhanden  sind,  es  ist  aber  auch  mögHch, 
daß  diese  Bilder  das  dichterische  Überbleibsel  einer  mythischen 
Gestalt,  einer  kanaanitischen  Hadesgöttin,  sind,  die  entsprechend 
der  babylonischen  Ereskigal  als  löwenköpfiges  oder  drachenartiges 
ungeheuer  galt.  Ebenso  wenig  läßt  sich  die  Frage  nach  der 
Anschauung  des  Todes  mit  Sicherheit  entscheiden.  Während 
der  Tod  an  der  späten  Stelle  Koh.  9 12  mit  einem  Vogelsteller 
verglichen  wird,  ist  er  in  den  Psalmen  öfter  als  Jäger ^  mit 
Schlingen  und  Fallstricken  direkt  personifiziert  (Ps.  18  6.  91 3. 116  3). 
Er  führt,  wie  wir  gesehen  haben,  nicht  nur  das  Epitheton  ^b?3 
mnbn,  sondern  hat  sogar  Söhne:  Sein  Erstgeborner  ist  der 
Aussatz  (Job.  18i3f.),   und  vielleicht  waren  einmal  alle  Seuchen 

1.  Auch  Jahve  wird  als  Jäger  (Hos.  7 12.  Ez.  323)  oder  Fischer 
(Ez.  294.  Job.  4O25)  dargestellt,  aber  an  keiner  dieser  Stellen  yerrichtet 
er  die  Funktionen  des  Totengottes. 

Forschungen  «ur  Rel.  u.  Lit.  d,  A.  n,  NT.  6.  7 


98      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

und  Plagen  überhaupt  Kinder  des  Todes  (vgl.  Hos.  13  u).  Sicher 
poetisch  sind  Verse  wie  Jes.  149,  wo  Seol  dem  Könige  Babels 
zur  Begrüßung  entgegenstürmt,  die  Schatten  rings  um  sich  her 
aufstört  und  die  Könige  von  ihren  Thronen  treibt i,  oder  Jer.  9  20, 
wo  der  Tod  einem  Diebe  gleich  in  die  Fenster  steigt,  um  die 
Einwohner  zu  morden.  Weil  Jahve  kein  Totengott  im  eigent- 
lichen Sinne  des  Wortes  ist,  darum  spielen  die  mythischen  An- 
schauungen von  Tod  und  Seol  in  der  Eschatologie  eine  ver- 
hältnismäßig geringe  Rolle. 

§  12.    Die  Wohnung  Jahres. 

Friedrich  BAETHaEN:  Beiträge  zur  semitischen  Eeligionsgeschichte. 
Berlin  1888.  Gustav  Westphal  :  Die  Vorstellungen  von  einer  Wohnung 
Jahves  (Inaugural-Dissertation).     Marburg  1903. 

Überall  da,  wo  Jahve  wohnte,  d.  h.  sich  als  gegenwärtig 
offenbarte,  errichtete  man  ihm  Tempel  und  baute  ihm  Altäre. 
Alle  Kultstätten  Palästinas  aufzuzählen,  deren  Namen  uns  über- 
liefert sind,  hat  keinen  Wert.  Es  sollen  nur  einzelne  charak- 
teristische Anschauungen  herausgehoben  werden,  die  für  die 
Gottesvorstellung  auch  der  Eschatologie  von  Bedeutung  und  die 
geeignet  sind,  die  Idee  des  Gottesberges  im  Norden  zu  er- 
läutern. 

Jahve  war  von  alters  her  ein  Zevq  ogeiog,  ein  Baal  der 
Berge.  Beweisend  für  diese  These  sind  nicht  die  Bamoth,  die 
auf  den  Höhen  gelegenen  HeiHgtümer,  da  sie  einfach  von  den 
Kanaanitem  auf  die  IsraeHten  übergingen,  sondern  die  Namen 
verschiedener  Berge,  mit  denen  die  Person  Jahves  aufs  engste 
verknüpft  ist.  In  der  Tradition  wird  als  ältester,  uns  unbe- 
kannter Berg  der  Sinai  oder  Horeb  genannt.  Mit  ihm  verbun- 
den, vielleicht  nicht  nur  in  den  Liedern,  sondern  auch  in  der 
Geographie,  erscheinen  das  edomitische  Gebirge  von  Paran 
(Jdc.  54.  Hab.  Ss)  und  Seir  (Dtn.  332.  Jdc.  04).  Wohl  be- 
gegnen ihre  Namen  hin  und  wieder  in  den  Jahvetheophanien 
der  späteren  Zeit,  aber  sie  sind  nichts  weiter  als  archaistische 
Überreste,  halb  verschollene  Reminiszenzen  aus  einer  früheren 
Epoche  der  israehtischen  Rehgion.    Ein  klassischer  Zeuge  dafür 


1.  Ähnliche  Schilderungen  finden  sich  auch  im  Ägyptischen;    vgl. 
A.  Erman:  Die  ägyptische  Eeligion.     Berlin  1905.     S.  92. 


Der  Gott  der  Berge.  99 

ist  die  Eschatologie.  Mögen  Sinai,  Horeb  und  andere  edo- 
mitische  Berge  beiläufig  einmal  erwähnt  werden:  da  wo  eine 
für  Israel  wichtige  Entscheidung  Jahves  in  der  Endzeit  statt- 
findet, werden  nicht  sie,  sondern  ausschließlich  palästinische  Ge- 
genden als  die  Stätten  der  Offenbarung  bezeichnet^.  Nur  die 
Geschichtserzählungen  haben  uns  eine  einzige  Ausnahme  von 
dieser  Regel  übermittelt:  Elia  soll  zum  Heiligtum  Jahves  am 
Horeb  gewallfahrtet  sein.  Für  ihn,  so  scheint  es,  war  Jahve  nur 
dort  zu  finden,  war  er  nur  dort  zu  Hause  und  darum  besuchte 
er  ihn  dort.  Ganz  verloren  gegangen  war  also  der  Glaube  an 
den  ursprünglichen  Wohnsitz  Jahves  außerhalb  Palästinas  nicht; 
in  gewissen  Kreisen  mag  er  bis  dahin  immer  lebendig  gewesen 
«ein,  obwohl  wir  niemals  etwas  Näheres  darüber  erfahren.  Für 
die  große  Masse  des  Volkes  und  auch  für  die  folgenden  schrift- 
stellerischen Propheten  war  Jahve  mit  Israel  nach  Palästina 
gezogen,  hatte  dort  sein  Domizil  aufgeschlagen  und  offenbarte 
sich  dort  von  Zeit  zu  Zeit.  Zum  krassesten  Ausdruck  wird 
diese  Idee  ISam.  26 19  gebracht:  Weil  David  aus  Palästina  ver- 
irieben  wird,  darum  hat  er  keinen  Teil  mehr  an  Jahves  Eigen- 
tum ^  darum  kann  er  fortan  Jahve  nicht  mehr  verehren,  darum 
heißt  es  für  ihn  nur:  Diene  anderen  Göttern!  Der  Syrer  Naeman 
freilich  weiß  sich  zu  helfen:  Er  nimmt  zwei  Maultierlasten  pa- 
lästinischer Erde  mit.  Denn  er  will  fernerhin  keinen  anderen 
Göttern  mehr  Brandopfer  und  Schlachtopfer  bringen,  sondern 
nur  Jahve  (II  Reg.  5 17).  So  fühlt  er  sich  durch  ein  magisch- 
reales Band  mit  dem  Wohnsitz  Jahves  verknüpft. 

Wohl  nur  die  wenigsten  Israeliten  haben  eine  so  kleinhche 
Gottesanschauung  gehabt.  Mochte  Jahve  auch  vornehmlich  im 
Lande  Kanaan  sich  offenbaren,  so  reichte  seine  Macht  doch 
weit  darüber  hinaus  (Mal.  1 5).    Schon  in  alter  Zeit^  läuft  neben 

1.  Über  das  Tal  Abarim  s.  u.  §  17. 

2.  Stade:  Bibl.  Theologie  S.  104  weist  die  Behauptung  Gunkels, 
der  Glaube  an  das  Wohnen  Jahves  gehöre  schon  der  ältesten  Zeit  an, 
zurück,  weil  sie  »auf  mangelhafter  Literarkritik  beruhe«  (S.  104). 
Ich  will  weder  auf  die  Literarkritik  noch  auf  die  gewaltsame  Über- 
setzung Stades  von  D'^)a:»n-p  (Gen.  1924)  »aus  der  Wetterwolke«  eingehen, 
sondern  mich  auf  seine  eigene  positive  Auffassung  beschränken.  Ez. 
28 14.  16  ist  von  dem  Götterberg  im  Norden  die  Kede,  dessen  Gipfel  in 
die  Wolken  reicht.  »Daraus  erklärt  sich,  daß  die  Ezechiel  erscheinende 
Wetterwolke  von  Norden   herkommt  I4.     Damit  ist    eine  positive  Aus- 

7* 


100    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

dieser  Vorstellungsreihe  eine  andere  her,  die  Jahve  nicht  auf 
Erden,  sondern  im  Himmel  wohnend  denkt.  Man  muß  sich 
vor  zwei  Fehlern  hüten,  die  oft  gemacht  werden:  einmal,  die 
überlieferten  Notizen  mechanisch  zu  dogmatisieren  und  gewaltsam 
in  ein  System  zu  pressen.  Der  antike  Mensch  kennt  das  Be- 
dürfnis nicht,  das  uns  schon  durch  den  Katechismusunterricht 
anerzogen  ist,  eine  einzige  klare  und  bestimmte  Antwort  auf 
die  Fragen  der  religiösen  Reflexion  zu  suchen.  Zweitens  darf 
man  die  Macht  der  Gewohnheit  nicht  unterschätzen,  die  in  der 
sprachlichen  Formel  nachwirkt.  Noch  immer  mochte  man  den 
Tempel  eine  »Wohnung  des  Gottes«  nennen  und  war  doch 
längst  überzeugt,  daß  das  im  eigentlichen  Sinne  nicht  richtig 
sei.  Sicher  gab  es  einmal  eine  Zeit,  in  der  Jahve  auf  dem 
Sinai  zu  Hause  war,  und  mit  Gewißheit  konnte  man  erwarten^ 
ihn  dort  zu  treffen.  Aber  wir  haben  gesehen,  daß  alle  Nach- 
richten, die  wir  besitzen,  Gott  nicht  mehr  auf  dem  Berge 
selbst,  geschweige  denn  in  dem  Berge,  sondern  in  der  Wolke 
über  dem  Berge  suchen.  Höchst  wahrscheinlich  handelt  es 
sich  hier  um  eine  spätere  Umdeutung;  denn  Wolken  waren 
überall  vorhanden  und  sind  für  den  Sinai  nicht  charakteristisch. 
Die  Wolke  schwebt  dort,   weil  der  Berg  heilig  ist,  und  nicht 


kunft  über  den  Verbleib  Jabves  nach  Zerstörung  Jerusalems  gewonnen  . . . 
So  erklärt  sich  auch,  daß  sich  beim  Erscheinen  Jahves  der  Himmel 
öffnet  1 1.  Durch  diesen  Synkretismus  ist  Jahve  in  den  Himmel  hinein- 
gewachsen« (S.  290f.  Ebenso  v.  Gall:  Die  Herrlichkeit  Gottes  S.  31: 
»Vielleicht  hat  gar  die  Wanderung  Jahves  zum  Götterberg  ....  die 
Brücke  zur  Vorstellung  vom  Wohnen  Jahves  im  Himmel  geboten«). 
Gegen  diese  Anschauung  sprechen  folgende  Schwierigkeiten:  Erstens- 
ist  es  undenkbar,  daß  eine  solche  Idee  wie  die  von  der  himmlischen 
Wohnung  der  Gottheit  in  historischer  Zeit  entstehe;  sie  ist  ihrer  Natur 
nach  prähistorisch,  weil  sie  mythisch  ist.  Zweitens  ist  es  unmöglich,, 
daß  sie  den  Israeliten  bis  auf  Ezechiel  unbekannt  gewesen  sei;  und 
wenn  alle  Nachrichten  darüber  fehlten,  so  müßten  wir  sie  postulieren. 
Denn  das  historische  Israel  und  zumal  die  Propheten  standen  nicht 
mehr  auf  einer  primitiven,  sondern  auf  einer  hohen  Religionsstufe^ 
die  undenkbar  ist  ohne  den  Glauben  an  eine  himmlische  Gottheit. 
Drittens  ist  die  fetischistische  Vorstellung,  als  habe  Jahve  bis  zur 
Zerstörung  im  Tempel  von  Jerusalem  gesessen,  als  unprophetisch  abzu- 
lehnen. Das  religionsgeschichtlich  schwierige  Problem,  wie  die  Götter 
in  den  Himmel  gekommen  sind,  ist  also  durch  Stade  seiner  Lösung: 
nicht  näher  gebracht. 


Sinai.    Zion.    Tabor.  101 

umgekehrt!  Folglich  muß  Jahve  einmal  am  Sinai  selbst  ge- 
haftet und  auf  ihm  resp.  in  ihm  gewohnt  haben.  Dies  Beispiel 
ist  äußerst  instruktiv.  Wenn  es  in  der  Entwicklung  der  Re- 
ligion möglich  gewesen  ist,  Jahve  sogar  von  den  Stätten  los- 
zulösen, die  von  Natur  als  gegebene  Offenbarungsorte  ausge- 
zeichnet waren,  um  wie  leichter  mochte  der  Glaube  an  das 
Wohnen  Jahves  in  Tempeln  verschwinden,  die  erst  von  Menschen- 
hand künstlich  als  Behausung  der  Gottheit  geschaffen  waren! 
So  wenig  Apollon  ständig  im  delphischen  Heiligtum  weilte,  so 
wenig  gilt  das  Entsprechende  für  Jahve.  Ab  und  an  mochte 
er  in  sein  irdisches  Heim  einkehren,  um  Orakel  und  Weisung 
zu  erteilen,  in  Visionen  oder  Träumen  sich  zu  offenbaren,  für 
gewöhnlich  aber  war  Jahve  im  Himmel.  Nach  dem  Gesetze 
der  Trägheit  erhielten  sich  die  alten  Formeln,  die  einer  vielleicht 
schon  Jahrhunderte  lang  überwundenen  Rehgionsstufe  angehörten, 
sodaß  es  falsch  wäre,  aus  ihnen  Schlüsse  zu  ziehen  über  den 
Glauben  der  damahgen  Zeit. 

Selbst  als  Gott  Palästinas  hat  Jahve  seine  Bergnatur  nicht 
aufgegeben.  In  den  Augen  der  Aramäer  galt  er  noch  zur  Zeit 
Ahabs  als  ein  Gott  der  Berge,  der  seinen  Anhängern  auf  den 
Bergen  den  Sieg  verleiht,  in  der  Ebene  aber  ohnmächtig  ist 
(IReg.  20  23).  Seit  der  Erobei-ung  Jerusalems  durch  David  und 
seit  seiner  Erhebung  zur  Reichshauptstadt  redete  man  mit  Vor- 
liebe von  dem  Berge  Zion,  dem  niedrigsten  Hügel  (noch  nicht 
700  m  hoch)  im  Gebiet  des  alten  Jerusalem,  den  Jahve  sich 
erwählt  habe  (Jes.  818.  18  7.  Ps.  742.  7868  u.  a.).  Zion  heißt 
gradezu  der  Berg  Jahves  (Jes.  23.  Mch.  42),  dort  steht  das 
Haus  Jahves  (Jer.  7ioff.  23 11).  Weil  Jahve  dort  »wohnte«, 
glaubte  das  Volk,  der  Tempel  könne  nie  zerstört  werden,  und 
in  gewissen  Kreisen  ward  dieser  Glaube  zum  krassesten  Aber- 
glauben (Jer.  74).  Im  Gegensatz  zu  dieser  Anschauung  betont 
der  Prophet,  Zion  solle  grade  deshalb  als  Feld  gepflügt  werden 
(Mch.  3iif.).  Als  das  Deuteronomium  eingeführt  und  alle  Kult- 
stätten mit  Ausnahme  Jerusalems  abgeschafft  wurden,  stieg  die 
Bedeutung  Zions  ins  Ungemessene.  Von  da  an  war  es  der 
einzig  legitime  Wohnort  Jahves,  obgleich  der  Berg  schon  in 
früherer  Zeit  ausgezeichnet  und  mit  all  den  Ehrenprädikaten 
versehen  war,  die  man  zur  Verfügung  hatte. 

Neben  dem  Zion,  dessen  besondere  Heiligkeit   durch  die 


102      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Geschichte  begründet  ist,  galten  auch  die  anderen  hervorragenden 
Berge  Palästinas,  die  von  uralten  Zeiten  her  um  ihrer  Natur- 
beschaffenheit willen  eine  Rolle  in  der  kanaanitischen  Religion 
spielten,  als  Berge  Jahves.  Der  Tdbor,  auf  dem  jedenfalls  eine 
Kultstätte  lag,  mag  das  mit  Recht  oder  mit  Unrecht  aus  Hos.  5i 
geschlossen  sein,  jauchzt  nach  des  Psalmisten  Wort  über  den 
Namen  Jahves  (Ps.  89 13). 

Öfter  wird  der  Karmel  genannt  und  geschildert,  wie  sein 
dichtbelaubter  Gipfel  vor  dem  Sirokko  Jahves  verdorrt  (Am.  1 2. 
Jes.  339.  302).  Aus  I  Reg.  18  erfahren  wir,  daß  dort  ein  Altar 
Jahves  stand,  und  das  Gottesurteil  auf  dem  Karmel  scheint  ur- 
sprünglich eine  Kultlegende  zu  sein,  die  den  Wohnsitz  Jahves,  der 
auf  das  Flehen  seines  Propheten  Feuer  vom  Himmel  herab- 
sandte, dort  begründet  und  rechtfertigt  gegenüber  dem  ohn- 
mächtigen Baal,  im  Anschluß  an  die  historische  Gestalt  des 
großen  Baalstreiters  Eha.  Noch  zu  Tacitus'  Zeit  (Hist.  II  78) 
war  dort  ein  Altar,  und  JambHchus  (vita  Pyth.  III  14 f.)  be- 
zeichnet den  Berg,  dessen  Einsamkeit  Pythagoras  aufsuchte, 
als  ein  aßazov,  unzugängHch  den  profanen  Menschen.  Die 
Herden,  die  dort  weiden,  sind  unverletzlich,  der  Flüchtling  findet 
dort  ein  sicheres  Asyl.  EndUch  begegnet  der  Karmel  in  einer 
Rede  des  Amos,  die  nicht  ganz  verständUch  ist  (9iff.).  Der 
Prophet  sah  den  Herrn  am  Altar  stehen  und  hörte  ihn  reden: 
Schlage  den  Knauf,  daß  die  Schwellen  beben  ....  Und  ihren 
letzten  Rest  will  ich  mit  dem  Schwerte  würgen,  nicht  einer  von 
ihnen  soll  entrinnen,  kein  einziger  sich  retten.  Wenn  sie  in  die 
Hölle  durchbrechen,  so  langt  sie  von  dort  mein  Arm,  und  wenn 
sie  zum  Himmel  auffahren,  so  hole  ich  sie  herab,  und  wenn  sie 
sich  auf  dem  Gipfel  des  Karmel  verkriechen,  so  spüre  ich  sie 
dort  auf  und  hole  sie,  und  wenn  sie  sich  vor  meinem  Blick  ver- 
stecken im  Meeresgrund,  so  befehle  ich  dort  der  Schlange  sie  zu 
beißen,  und  wenn  sie  von  ihren  Feinden  getrieben  in  Gefangen- 
schaft wandern,  so  befehle  ich  dort  dem  Schwerte,  sie  zu  er- 
würgen; ich  richte  mein  Auge  auf  sie  zum  Bösen,  und  nicht 
zum  Guten.  Die  Szene  scheint  in  dem  Tempel  von  Bethel  ge- 
dacht, der  zur  Strafe  für  die  sündigen  IsraeUten  umgestürzt 
wird  (vgl.  3 14).  Wer  entflieht,  den  weiß  der  allmächtige  Jahve 
überall  zu  treffen,  mag  man  zum  Himmel  auffahren,  in  die  Seol 
durchbrechen  oder  auf  dem  Meeresgrund  sich  verstecken.    Neben 


Karmel.    Basan.     Libanon.  103 

und  zwischen  diesen  drei  unmöglichen  Dingen  nennt  Arnos  das 
Exil  und  das  Verkriechen  auf  dem  Karmel,  der  sich  wegen 
seiner  zahlreichen  Höhlen  besonders  gut  dazu  eignete.  Auf- 
fallend ist  die  Inkonzinnität  der  Zufluchtsorte  und  die  schlechte 
Stilistik,  mit  der  sie  ohne  erkennbaren  Gedankenfortschritt  an 
einander  gereiht  sind. 

Ein  Gottes  (Jahve-)ber(j  ist  der  Basansher g,  ein  giebelreicher 
Berg  ist  der  Basansberg  (Ps.  68  le).  Gemeint  ist  wahrscheinlich 
der  Hermon  (Baethgen),  ein  dreikuppiger  Vorsprung  des  Anti- 
libanus,  der  an  der  Nordspitze  Basans  lag  (Dtn.  Ss).  Euse- 
bius  (Onom.  ed.  Eeich  Klostermann  20 u)  sagt  von  ihm:  wg 
iBQOv  Ti^aGd^at  vno  tiov  ed^vaiv,  und  Hieronymus  (ebd.  21  is): 
esse  in  uertice  eins  insigne  templum.  Von  einem  Lokalgotte, 
dem  pTa'nn  b^a,  hören  wir  bereits  in  alter  Zeit  (Jdc.  Ss.  I  Chr. 
023).  Der  Name  des  Gebirges  hängt  mit  onn,  dem  arab.  Haram 
zusammen,  d.  h.  der  geweihte  Bezirk,  der  Temenos,  der  die 
Kultstätte  umgibt  und  in  dem  die  Tiere  des  Gottes  weiden 
(vgl.  Wellhausen:  Reste  arabischen  Heidentums.  Berlin  1887. 
S.  101  ff.).  Man  wird  kaum  fehlgehen  in  der  Annahme,  dem 
Baal  des  Hermon  seien  Kühe  und  Stiere  heilig  gewesen,  da 
Basan  grade  um  ihretwillen  berühmt  war  (Dtn.  32  u.  Ps.  22  is). 
Interessant  ist  Am.  4iff.,  wo  der  Prophet  die  Weiber  Samariens 
metonymisch  als  Basanskühe  tituliert  und  ihnen  weissagt;  Ihr 
werdet  aus  euren  Trümmern  herausgehen,  jede  vor  sich  hin,  und 
verstoßen  werden  zum  Hermon^.  Denn  dort  sind  solche  feisten 
Kühe  zu  Hause,  dorthin  gehören  auch  die  samarischen  Kühe, 
und  das  von  Rechts  wegen. 

Noch  berühmter  war  der  Libanon  wegen  seiner  Wälder, 
die  von  alters  her  ein  wertvolles  Bauholz  lieferten.  In  der  Ein- 
leitung zur  Höllenfahrt  des  Königs  von  Babel  heißt  es :  Es  ruht, 
es  rastet  die  ganze  Erde,  sie  brechen  aus  in  Jubel,  auch  die 
Zypressen  freuen  sich  um  dich,  die  Zedern  Libanons.  Seit  du 
dich  gelegt,  steigt  nicht  mehr  der  Fäller  zu  uns  auf  (Jes.  14  7f). 
Diese  Worte  haben  einen  klaren  dichterisch-hyperbolischen  Sinn: 
Wie  die  Menschenwelt  so  freut  sich  auch  die  Natur,   die  unter 


1.  Lies  nr.ttirr  ips^bhi.  Vielleicht  gab  es  dort  einen  unzüchtigen 
Kult,  wie  noch  später  in  dem  etwas  nördlicher  gelegenen  Baalbek  und 
Aphaka;  denn  dem  Sinne  nach  muß  ein  Hurenhaus  gemeint  sein  (münd- 
liche Mitteilung  Günkels). 


104      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

dem  babylonischen  Sklavenvogt  seufzte,  über  die  Erlösung  aus 
diesem  Frondienst.  »Seit  der  Libanon  unter  Tiglat-Pilesar  III. 
zum  assyrischen  Machtbereiche  gehörte,  holte  man  von  hier  das 
Bauholz,  wie  es  zuvor  schon  die  Ägypter  getan  hatten.  Nebu- 
kadnezar  hat  im  Wadi  Brissa  im  Libanon  eine  Straße  bauen 
lassen,  die  Zedern  herabzubringen«  (A.  Jekemias  zu  I  Heg.  5 13). 

Die  Phöniker  verehrten  einen  ^anb  b^i  (Lidzbarski:  Hdb. 
S.  239),  den  die  Israeliten  mit  Jahve  identifizierten.  Denn 
Ps.  104 16  redet  von  den  Bäumen  Jahves,  den  Zedern  des  Li- 
banon, die  er  gepflanzt  hat.  Eine  parallele  Vorstellung  finden 
wir  bei  den  Babyloniern:  Als  Gilgames  und  Eabani  zur  Göttin 
Irnini  (Istar)  wandern,  kommen  sie  an  einen  Zedern wald:  Sie 
standen,  den  Wald  betrachtend,  schauen  an  die  Höhe  der  Zeder, 
schauen  an  den  Eingang  des  Waldes,  wo  Humbaba  zu  wandeln 
pflegt  erhabenen  Schrittes.  Wege  sind  angelegt,  gutgemacht  ist 
der  Pfad.  Sie  schauen  an  den  Zedernhügel,  den  Wohnsitz  der 
Götter,  das  Allerheiligste  der  Irnini  (Jeremias  S.  97  f.).  Dieser 
Zedenihügel,  der  »jedenfalls  im  Osten  von  Babylonien  zu  suchen« 
(Zimmern  S.  527)  und  der  mit  dem  Berg  von  Behistun  oder 
dem  Elvend  identifiziert  worden  ist  (Jensen),  hat  mit  dem 
Libanon  nichts  zu  tun.  Es  handelt  sich  also  um  parallele, 
nicht  um  abhängige  Ideen,  die  sich  überall  da  bilden  konnten, 
wo  es  Zedern  gab.  Die  Verbreitung  dieses  Baumes  reicht  »vom 
westhchen  Himalaya  über  Syrien  und  Cilicien  durch  Nordafiika 
bis  Marokko,  immer  auf  dem  Bücken  der  Hochgebirge«  (Socin), 
aber  in  Palästina  selbst  existierten  keine  Zedern.  Wo  sie  im 
Alten  Testamente  erwähnt  sind ,  ist  stets  an .  die  des  Libanon 
gedacht. 

Man  hat  nun  speziell  für  den  göttlichen  Zedernhain,  der 
Ez.  31  geschildert  wird,  babylonischen  Einfluß  vermutet^.  Dort 
wird  erzählt:  Es  war  einmal  eine  Zeder  auf  dem  Libanon  mit 
dichtem  Laube,  herrhchen  Ästen  und  wundervollem  Wüchse. 
Da  sie  vom  Urmeer  getränkt  wurde,  war  zwischen  den  Wolken 
ihr  Wipfel,  in  ihren  Zweigen  nisteten  die  Vögel,  unter  ihren 
Ästen  gebaren  die  Tiere  und  in  ihrem  Schatten  wohnten  zahl- 
reiche Völker.     Zedern  glichen  ihr  nicht  im  Garten  Gottes,  und 


1.  Jeremias:  Jzdubar-Nimrod  S.  23;  Jastrow:  Rel.  of  Babyl.  S.  481; 
Jensen  KB  VI  1,  S.  441  fiF.;  Zimmern  KAT^  S.  528. 


Das  Märchen  von  der  hochmütigen  Zeder.  105 

es  beneideten  sie  alle  Bäume  Edens,  die  im  Gottesgarten  waren. 
Da  geschah  es,  daß  sie  hochmütig  ward  und  sich  über  alle  ihre 
Genossen  erhob.  Zur  Strafe  dafür  ward  sie  gefällt.  Ihre 
Zweige  füllten  die  Bergtäler  und  ihre  Äste  lagen  zerbrochen  in 
den  Bächen.  Ihre  Knospen  fraß  das  Wild  des  Feldes,  sodaß 
die  Zeder  nicht  wieder  neu  ausschlagen  und  neue  Triebe  an- 
setzen konnte.     So  ist  sie  verdorben,  gestorben  (V.  1 — 14a). 

So  wie  die  Geschichte  hier  wiedergegeben  ist,  ist  sie  ein 
reines  Märchen,  deren  Thema  lauten  würde:  »Die  hochmütige 
Zeder«.  Dies  Märchen  kann  nicht  von  Ezechiel  selbst  ge- 
dichtet sein.  Denn  nach  seiner  folgenden  Darstellung  wird  die 
Zeder  nicht  gefällt,  sondern  kommt  mit  den  Bäumen  Edens  in  die 
Unterwelt  (V.  16  f.),  ohne  daß  ihre  Bestrafung  durch  irgend  eine 
Schuld  motiviert  würde.  Der  Prophet  hat  also  das  Märchen  der 
Tradition  entnommen  und  für  seinen  Zweck  umgearbeitet  und  um- 
gedeutet auf  den  Pharao.  Aber  das  Märchen  muß  noch  eine  zweite 
Umwandlung  erlebt  haben.  Die  beiden  Namen,  Libanon  und 
Eden,  gehen  merkwürdig  durcheinander  und  werden  promiscue  ge- 
braucht: alle  Edenbäume,  die  erlesensten  und  besten  des  Libanon, 
alle  Wasser  trinkenden  (V.  16).  Man  hat  daraus  schließen 
wollen,  daß  Eden,  der  Gottesgaiien ,  einmal  auf  dem  Libanon 
gesucht  worden  sei.  Diese  Folgerung  ist  nicht  unbedingt  not- 
wendig. Wenn  das  Märchen  ursprünglich  von  einer  wunder- 
vollen Paradieseszeder  handelte,  so  lag  es  für  den  IsraeHten 
nahe,  von  einer  Libanonzeder  zu  reden,  ohne  daß  er  deshalb 
das  Paradies  mit  dem  Libanon  zu  identifizieren  brauchte.  Die 
Übertragung  solcher  Erzählungen  geschieht  oft  nur  stückweise. 
Der  Beweis  dafür,  daß  der  Libanon  erst  später  in  das  Märchen 
hineingebracht  ist,  ergibt  sich  vor  allem  aus  der  Szenerie.  Eine 
so  gewaltig  große  Zeder,  deren  Wurzeln  bis  in  die  unterste 
Tiefe  der  Erde,  bis  in  den  Urozean  (D^nn)  reicht,  und  deren 
Wipfel  über  die  Wolken  hinaus  bis  in  den  Himmel  hinein 
wächst,  kann  ursprünghch  nicht  auf  dem  Libanon,  sondern  nur 
in  dem  mythischen  (wenn  auch  irdischen)  Lande  Eden  gestanden 
haben.  Märchen  sind  an  sich  nirgends  autochthon,  sondern  ge- 
hören zur  Allerweltsliteratur.  Für  diese  Geschichte  kann  man 
mit  Sicherheit  israelitische  Herkunft  leugnen,  da  weder  die 
»Zeder«  noch  die  »Tehom«  palästinisch  sind.     Eine  Entlehnung 


106      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

aus  dem  Babylonischen  ist  möglich,  aber  nicht  sichert  Ezechiel 
scheint  das  Märchen  stark  stilisiert  zu  haben,  um  es  als  Bild 
für  den  Pharao  verwerten  zu  können.  Namentlich  ist  wohl  der 
Zug  von  dem  flinabfahren  der  Bäume  in  die  Unterwelt  nicht 
ursprünglich,  sondern  später  hinzugefügt,  etwa  nach  dem  Muster 
von  Jes.  14. 

Beachtenswert  ist  ein   ähnHches  Märchen  im  syr.  Baruch 

c.  36.  In  der  Ebene  stand  ein  Wald,  von  hohen  und  wilden 
Felsbergen  umgeben.  Ihm  gegenüber  wuchs  ein  Weinstock^ 
unter  dem  eine  sanfte  Quelle  hervorfloß.  Diese  Quelle  gelangte 
bis  zu  dem  Walde  hin  und  wurde  zu  gewaltigen  Fluten,  die  die 
Bäume  und  die  Berge  rings  umher  verwüsteten,  sodaß  nur  eine 
einzige  Zeder  übrig  blieb;  aber  auch  diese  ward  entwurzelt 
und  zu  Boden  geworfen.  Auch  hier  ist  es  eine  gottlose  (367ff.) 
Zeder,  wie  die  Deutung  hinzufügt,  des  Libanon  (395),  die  an- 
fangs von  sanften  Wassern  getränkt,  dann  aber  von  großen 
Fluten  (nia'i  niTsinr))  mit  anderen  Bäumen  vernichtet  wird. 
Das  ursprünglich  mythische  Element  des  Gottesgartens  ist  ab- 
gestoßen; gebheben  ist  außer  dem  novellistischen  Stoff  nur  der 
Urozean.  Neu  hinzugekommen  ist  der  Weinstock,  vielleicht  von 
Hause  aus  ein  Symbol  für  Kanaan  (doch  vgl.  Ez.  17). 

Diese  Abschweifung  war  vor  allem  deshalb  wertvoll,  weil 
sie  uns  gezeigt  hat,  daß  die  Propheten  in  ihren  eschatologischen 
Reden  nicht  nur  Mythen,  sondern  auch  Märchen  verwandt 
haben.  Sie  war  notwendig,  um  die  wahrscheinlich  unrichtige 
Meinung  abzuweisen,   als  habe  der  Libanon  je  als  Gottesgarten 

d.  h.  als  Wohnort  Jahves  gegolten. 

Von  einem  anderen  Sitze  Jahves  hören  wir  in  der  nach- 
exihschen  Zeit  Zach.  6iff.  Vier  Wagen,  mit  buntfarbigen  Rossen 
bespannt,  kommen  zwischen  zwei  ehernen  Bergen  hervor:  das 
sind  die  vier  himmlischen  Winde,  die  ausziehen,  nachdem  sie 
sich  vor  dem  Herrn  der  ganzen  Welt  gestellt  haben.  Wir 
dürfen  vermuten,  daß  der  sire  de  tot  le  monde  auf  den  Metall- 
bergen seine  Burg  hat;  alles  Übrige  bleibt  dunkel.  Gab  es 
dort  nur  zwei  Berge  oder  noch  mehr?  Auf  welchem  von  ihnen 
las   das  Haus  Jahves?     Ihre  Beschaffenheit  aus  Erz   läßt  sich 


1.  Spezifisch  israelitisch  ist  es,  wenn  der  "Weltbaum  Zach.  4  als 
»Mandelbaum«  oder  »Ölbaum«  gedacht  wird  (vgl.  Gunkel:  Schöpfung 
S.  114  ff.). 


Die  Metallberge.  107 

wohl  aus  der  Kombination  zweier  ursprünglich  von  einander 
getrennter  Ideen  erklären.  Aus  griechischen  Dichtern  ist  uns 
die  Bezeichnung  des  Himmels  als  /«Azfiov  (II.  XVIII  425  Find. 
Pyth.  X  42  Nem.  VI  6)  oder  jtoUtal-Aov  (II.  V  504  Od.  III  2> 
geläufig.  Daß  sie  den  Israeliten  nicht  unbekannt  war,  lehrt 
Job.  37 18,  wo  der  Himmel  mit  Metallguä  (pi:^»)  verglichen 
wird  (vgl.  Dtn.  2823).  Da  ferner  die  irdischen  Tempel  dem 
Himmel  nachgebildet  sind  (Gunkel),  so  waren  der  Altar,  die 
Schlange  und  viele  Geräte  in  der  Stiftshütte  und  im  salomo- 
nischen Heiligtum  wahrscheinHch  nicht  deshalb  ehern,  weil  Erz 
das  für  Kunstwerke  übliche  Metall  war,  sondern  weil  dadurch 
die  himmlische  Natur  symbolisiert  werden  sollte.  Daraus  würde 
sich  endlich  am  leichtesten  begreifen,  warum  die  Gestalt  des 
Engels  in  Ez.  403  wie  Erz  erstrahlt.  Mit  dieser  Vorstellungs- 
reihe von  der  ehernen  Wohnung  der  Götter  verband  sich  die 
andere,  die  den  Sitz  der  Götter  auf  den  Bergen  suchtet  So 
entstand  die  Anschauung  von  den  ehernen  Bergen,  die  man  als 
reines  Phantasieprodukt  betrachten  muß  und  für  die  man  kein 
entsprechendes  Korrelat  in  der  Natur  aufspüren  darf.  Aber  in 
Israel  ist  sie  nicht  autochthon,  da  nach  genuin  israelitischem 
Glauben  Jahve  ein  Gott  ganz  bestimmter  irdischer  Berge  war^ 
die  man  mit  Namen  bezeichnen  konnte  und  zu  bezeichnen 
pflegte. 

Im  Alten  Testamente  hören  wir  niemals  wieder  von  diesen 
mythischen  Metallbergen.  Sie  begegnen  aber  IHen.  52:  Unter 
den  verborgenen  Dingen  des  Himmels  schaut  der  Apokalyptiker 
einen  Berg  von  Eisen  und  einen  von  Kupfer  und  einen  von 
Silber  und  einen  von  Gold,  einen  von  Zinn  und  einen  von  Blei, 
die  vor  dem  Auserwählten  wie  Wachs  vor  dem  Feuer  sein 
werden,  am  Ende  der  Tage  also  zerschmelzen.  Hier  werden 
sechs  Metallberge  genannt.  Damit  dürfen  wir  eine  andere  Stelle 
kombinieren :  I  Hen.  24  sieht  der  Seher  sieben  herrliche  Berge 
jeden  vom  anderen  verschieden,  deren  prächtige  Edelsteine  im 
hellsten  Glänze  strahlen.  Drei  von  den  Bergen  liegen  gegen 
Osten,   drei  gegen  Süden,  während  der  siebte  mitten  zwischen 


1.  Daß  der  Himmel  selbst  als  Berg  gegolten  habe  (Gunkel:  For- 
schungen I  S.  49),  halte  ich  nicht  für  wahrscheinlich,  da  die  sinnliche 
"Wahrnehmung  dies  nicht  lehrt.  Hier  ist  diese  Annahme  auch  des- 
halb ausgeschlossen,  weil  von  »Bergen«  die  Kede  ist. 


108      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

ihnen  steht,  sie  alle  an  Höhe  überragt  und  an  der  Spitze  einem 
Thronsessel  gleicht.  Die  Deutung  (253)  fügt  hinzu,  daß  eben 
hier  der  große  Herr  der  Herrlichkeit,  der  ewige  König,  wohnt, 
wenn  er  hemiedersteigt,  die  Erde  zu  besuchen  zum  Guten.  Die 
Siebenzahl  der  Berge  begreift  sich  nur  aus  der  Summe  der 
Planeten,  unter  denen  die  Sonne  der  größte  ist.  Die  Sterne 
werden  als  Berge  vorgestellt,  wie  IHen.  18 13  bestätigt:  Daselbst 
sah  ich  sieben  Sterne  wie  große  brennende  Berge.  Kurz  vorher 
(186ff.)  wird  wieder  ein  Tag  und  Nacht  brennender  Strafort 
beschrieben  da,  wo  die  sieben  Berge  aus  Edelstein  sind,  drei 
nach  Osten  und  drei  nach  Süden,  und  mitten  zwischen  ihnen 
einer,  der  bis  in  den  Himmel  reicht,  dem  Throne  Gottes  gleich. 
Drei  Vorstellungen  laufen  an  den  besprochenen  Stellen  der 
Henochapokalypse  teils  neben  einander  teils  durcheinander. 
Überall  gelten  die  Sterne  als  Berge,  bald  strahlen  sie  wie  Edel- 
steine, bald  glänzen  sie  wie  Metall,  bald  brennen  sie  wie  Feuer  1. 


1.  Bei  Völkern,  deren  Gesichtshorizont  von  hohen,  unzugänglichen 
Gebirgen  begrenzt  ist,  kann  der  Glaube  sich  bilden,  eben  diese  Berge 
seien  Wohnorte  für  die  Götter.  Berge,  die  von  niemandem  erstiegen 
sind,  die,  von  der  Ebene  aus  gesehen,  in  den  Himmel  zu  ragen  scheinen, 
eignen  sich  wohl,  auf  ihnen  das  Land  der  Götter  zu  suchen.  Das  gilt 
für  die  Eeligiou  jedes  Volkes,  dessen  Lage  durch  hohe  Berge  bestimmt  ist. 

In  der  Planetenreligion  wird  derselbe  Gedanke  etwas  variiert.  Die 
Sonne  geht  des  Abends  in  den  Bergen  zur  Kühe,  erhebt  sich  des  Mor- 
gens von  ihrem  Lager  in  den  Bergen,  dort  in  den  Bergen  ist  sie  zu 
Hause.  Diese  Sonnenberge  müssen  natürlich  funkeln  und  glitzern  vom 
vielfarbigen  Licht  der  Bewohnerin,  und  die  dichterische  Phantasie  hat 
hier  einen  weiten  Spielraum,  sich  zu  betätigen.  Sie  kann  ausmalen, 
wie  zwischen  oder  auf  diesen  Bergen  ein  märchenhafter  Palast  sich  be- 
findet, in  dem  die  Sonnengottheit  weilt,  mit  goldstrotzenden,  silber- 
beschlagenen Toren  u.  s.  w.  Sie  kann  erzählen  von  den  wunderbaren 
Thronen,  auf  denen  die  Sterngötter  sitzen,  wie  auch  nach  IIHen.  482 
die  Sonne  zicei  große  Throne  hat,  wo  sie  ausruht,  zurückkehrend  hierhin 
und  dorthin,  über  den  Thronen  des  Mondes.  Im  Laufe  der  Zeit  verblaßt 
die  ursprünglich  lebendige  und  konkrete  Anschauung  und  das  Streben 
nach  Schematisierung  macht  sich  geltend.  Auf  dieser  Stufe  steht  die 
Henochapokalypse.  Die  Planeten,  die  zunächst  in  den  Bergen  wohnen, 
sind  hier  zu  Bergen  selbst  geworden,  wie  nach  Alexander  v.  Humboldt 
(Ansichten  der  Natur^  S.  310)  die  Indianer  am  Orinoko  zwei  Felsen, 
Camosi  und  Keri,  als  Sonne  und  Mond  verehrten.  Die  Metalle,  anfangs 
ganz  allgemein  mit  Lichtgöttern  und  Lichtorten  verbunden,  sind  hier 
wie    in    der   babylonischen   Eeligion    mechanisch   systematisiert.      Das 


Die  Metallberge.  109 

Als   ein   wesentliches   Charakteristikum   kommt   die   Siebenzahl 
hinzu   und  die  Schematisierung  der  Metalle.    Beides  weist  auf 


Feuer,    ursprünglich  ein  Attribut  der  Feuer-  und  Lichtwesen,  wird  von 
dem  Apokalyptiker  gar  als  eine  Strafe  aufgefaßt. 

Wir  haben  eine  Reihe  mythischer  Bruchstücke  im  Alten  Testa- 
mente, die  als  genuin  israelitisch  nicht  zu  begreifen  sind,  die  vielmehr 
aus  einer  Lichtreligion  stammen  müssen.  Sie  gewinnen  erst  Leben 
durch  das  Hineinstellen  in  einen  größeren  Komplex  verwandter  Ideen. 
Zur  Erläuterung  und  Veranschaulichung  dieser  Bruchstücke  mag  es  er- 
laubt sein,  sie  hier  im  Zusammenhang  zu  behandeln  und  dabei  auf 
frühere,  primitive  Stufen  menschlicher  Denkweise  zurückzugreifen,  die^ 
wie  ausdrücklich  betont  sei,  im  Alten  Testamente,  geschweige  denn  in 
den  Pseudepigraphen,  längst  überwunden  sind. 

Erstens:  Edelsteine  und  Metalle  stehen  um  ihrer  Lichtnatur 
willen  in  engster  Beziehung  zu  Lichtwesen.  Wir  sahen  (vgl.  o.  S.  51  flF.)^ 
wie  Jahves  Oberkörper  nach  Ez.  1 27  in  Silbergold  hwr,  =  ^XexiQov)  er- 
strahlt. Schon  hier  dürfen  wir  hinzufügen,  worauf  später  (vgl.  §  33) 
genauer  eingegangen  werden  soll,  daß  die  Lenden  Gabriels  (Dan.  lOsf.) 
mit  Gold  gegürtet  sind;  sein  Leib  erglänzt  wie  Silbergold,  während 
Schenkel  und  Arme  dem  wohl  vorwiegend  goldfarbig  gedachten  korin- 
thischen Erz  ('"sVp  rvr.i)  gleichen,  das  aus  einer  Legierung  von  Gold. 
Silber  und  Kupfer  bestand.  Auch  Apollon  hatte  goldstrahlende  Glieder. 
Deshalb  ließen  Pythagoras  (Jamblich  :  vita  Pyth.  c.  19. 28)  und  der  Schwind- 
ler Alexander  (bei  Lukian  40)  ihren  goldenen  Schenkel  sehen,  um  sich 
als  Lichtgottheiten  zu  offenbaren  (vgl.  Dieterich:  Nekyia  S.  39).  —  Ein- 
facher wird  das  Wesen  der  Lichtgottheit  durch  einen  sie  schmückenden 
Edelstein  zum  Ausdruck  gebracht.  In  der  Mitte  des  mit  Laubwerk 
oder  Ähren  verzierten  Kalathos  funkelte  beim  Jupiter  Heliopolitanus 
(Hadad-Eammän)  eine  Kugel  aus  Edelstein  (Rene  Dussaud:  Notes  de 
Mythologie  Syrienne  S.  42).  Auch  Moloch  soll  auf  der  Stirn  einen 
Diamanten  getragen  haben,  wie  Theophylakt  zu  Akt.  743  nach  Kyrill 
berichtet:  tig  kitiatfoQov  tvnov,  von  Selben  (De  diis  Syris  I  6)  auf  die 
Sonne  gedeutet.  Das  himmlische  Lichtwesen  Ez.  28 13  ist  mit  einem 
Kleide  aus  10  (LXX :  12)  Edelsteinen  bedeckt.  Der  Himmel  selbst 
funkelt  (nach  Ex.  24  lo)  wie  ein  Boden  aus  Sapphirfliesen.  —  Ebenso 
hängen  Edelsteine  und  Metalle  mit  den  Planeten  zusammen.  Das  Gold 
war  vor  allem  ein  Sonnensymbol  und  diente  als  solches  bei  den  Indern 
(Oldenberg:  Rel.  des  Veda  S.  88f.).  Die  Erfindung  des  Goldschmelzena 
wurde  bei  den  Römern  dem  Sol  beigelegt  (Plinius  n.  h.  VII  56).  Das 
peruanische  Sonnenbild  war  aus  massivem  Golde  gefertigt,  wie  dort 
Gold  überhaupt  vorzugsweise  für  den  Sonnenkult  verwendet  wurde.  So 
erhielt  an  allen  Sonnenfesten  der  oberste  Nationalgott  eine  außerordent- 
liche Masse  Goldes  zum  Geschenk  (Müller:  Amerikan.  Urrel.  S.  363. 
373.  420).    Die  Goldadern  der  Berge  sind  nach  der  Edda  die  geronnenen 


110      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

denselben  Ursprung  hin,  auf  Entlehnung  aus  der  babylonischen 
Religion,  obwohl  dort  eine  genaue  Parallele  bis  jetzt  nicht  zu 


Tränen  der  Freyja  (vgl.  W.  Menzel:  Die  vorehristl.  Unsterblichkeits- 
lehre I  S.  202).  Auch  das  ijXsxtqov  gilt  als  Sonnenträne,  die  sich  im 
Lichtstrom  findet,  vor  dessen  Mündung  die  Zinninseln  liegen  (vgl. 
Dieterich:  Nekyia  S.  27).  Nach  Job.  3722  kommt  das  Gold  (vom  Götter- 
berg) aus  dem  Norden.  —  Die  Sterngötter  wohnen  (nach  der  Henoch- 
apokalypse)  in  metallenen  oder  diamantenen  Bergen.  Die  Finnen  ließen 
den  Mond  in  einem  Felsen  mit  bunter  Rinde,  die  Sonne  in  einem  stahl- 
gefüllten Berge  eingeschlossen  werden  (Belege  und  weiteres  Material 
bei  Roschek  :  Myth.  Lexikon  II  2751  f.).  Die  Türen  des  Beitempels  in 
Palmyra  bestanden  aus  einer  hellen  Kupferlegierung  (stVs).  »Die  Wahl 
dieses  Metalls  .  .  .  war  vielleicht  nicht  ganz  zufällig.  Denn  Bei  ist  ein 
Sonnengott  und  Messing  ist  eine  Imitation  des  Goldes,  des  Metalls  der 
Sonne«.     (Lidzbarski  DLZ  1905  Sp.  1561). 

Zweitens:  Feuer  und  Licht  dienen  dazu,  um  in  dichterisch- 
mythischer Art  das  Wesen  einer  Licht-,  Feuer-  oder  Sterngottheit  und 
ihren  Wohnort  zum  klaren  Ausdruck  zu  bringen.  Feurige  Wagen  und 
Rosse  kommen  einem  Jahve  ebenso  zu  wie  einem  Apollon.  Feurig  sind 
nicht  nur  die  Berge,  in  denen  die  Planetengötter  wohnen,  sondern  mit 
feurigen  Steinen  ist  auch  der  Götterberg  (Ez.  28 u)  gepflastert.  Flammen- 
berge spielen  in  den  Märchen  eine  große  Rolle  (vgl.  W.  Menzel:  Die 
vorehristl.  Unsterblichkeitslehre  I  S.  81).  —  Parallel  sind  Strahlen- 
krone und  Strahlenkranz.  Im  griech.  Baruch  (c.  6)  wird  der  Sonnen- 
gott als  Mensch  gezeichnet,  der  auf  einem  Sonnenwagen  sitzt,  mit  einer 
Feuerkrone  geschmückt.  IIHen.  142  lesen  wir  von  einer  Krone  des 
Glanzes,  die  die  Sonne  schmückt.  Schon  in  ältester  Zeit  werden  bei 
den  Rothäuten  (Müller:  Amerik.  Urrel.  S.  474),  den  Indern  (Oldenberg: 
Rel.  des  Veda  S.  89),  den  Griechen  (Röscher:  Myth.  Lex.  I  1997 f.  II, 
3131)  u.  a.  die  Sterngötter  als  Scheibe  dargestellt,  mit  einem  Menschen- 
gesicht in  der  Mitte  und  gewöhnlich  von  einem  Strahlenkranz  umgeben. 
Ebenso  werden  in  Griechenland,  wenn  auch  nicht  ausschließlich,  so 
doch  am  häufigsten,  Strahlenkranz  und  Strahlenkrone  den  Lichtgott- 
heiten zuerteilt  (Stephani:  Nimbus  und  Strahlenkranz.  In  den  Mem. 
de  l'Acad.  de  St.  Petersbourg.  6.  Serie  1859.  S.  25  f.  119).  Mit  Recht 
haben  daher  Dieterich  (Nekyia  S.  43)  und  Volz  (Eschat.  S.  344)  das 
Diadem  de?-  Schönheit,  den  Kranz  des  Lebens  und  den  Kranz  der  Ge- 
rechtigkeit, der  den  Seligen  zu  teil  werden  soll,  von  hier  aus  gedeutet. 
Weil  die  Seligen  einmal  mit  Lichtwesen  identifiziert  wurden,  darum 
erhielten  sie  auch  deren  Abzeichen.  Die  Vorstellung  ist  von  den 
Griechen  übernommen  (Dieterich),  bei  denen  noch  ein  anderes  künst- 
lerisches Motiv  mitgewirkt  haben  dürfte,  das  Weicker  (Der  Seelenvogel 
S.  14)  mit  Unrecht  als  das  Ursprüngliche  und  Alleinige  ansieht:  Die 
Seligen  bekränzen  sich,   weil   sie   »an  allen  Freuden  des  Jenseits  .  .  .  . 


Die  Metallberge.  111 

finden  ist.  Wohl  aber  sind  dort  alle  Prämissen  vorhanden,  die 
in  Israel  fehlen.  Während  die  Planeten  in  der  israelitischen 
Keligion  niemals  eine  Eolle  gespielt  haben,  sind  sie  für  die 
babylonische  Religion  gradezu  charakteristerisch.  Die  Planeten 
gehören  seit  alters  zum  babylonischen  Pantheon.  Da  die  ßaby- 
lonier  ferner  von  einem  Berge  des  Somienaufgangs  und  von 
einem  Berge  des  Sonnenunterganges  reden  (Jensen:  Kosmologie 
der  Bab.  S.  212.  Jastrow  I  S.  428)  und  einen  Zusammen- 
hang der  Planeten  mit  den  Metallen  in  schematischer  Weise 
angenommen  haben,  so  sind  dort  alle  Teile  der  Idee  gesondert 
aufzuzeigen,  aus  deren  Komposition  die  Vorstellung  der  Apo- 
kalypsen von  dem  Wohnort  Gottes  hervorgegangen  ist.  Wahr- 
scheinlich gehören  hierher  auch  die  Metallberge  Zacharjas,  in 
dessen  Buche  Gunkel  viele  fremde  Traditionen  hat  nachweisen 
können. 

Vielleicht  darf  man  damit  noch  eine  andere  Reihe  von  Aus- 
sagen kombinieren,  die  bisher  nicht  völlig  verstanden  sind. 
Ps.  765  heißt  es  von  Jahve:  Furchtbar^  bist  du,  herrlich,  von 
ewigen^  Bergen  her;  Ps.  87 1:  Seine  Gründung  liegt  auf  heiligen 
Bergen;  Ps.  121 1:  Ich  hebe  meine  Äugen  auf  zu  den  Bergen, 
von  denen  mir  Hülfe  kommt.  Die  Verfasser  dieser  Psalmen 
haben  bei  den  Bergen,  wie  der  Kontext  teilweise  ausdrücklich 


am  Gelage,  den  Eeigentänzen  und  dem  lobpreisenden  Kitharspiel  teil- 
nehmen. Eine  kyrenische  Schale  des  6.  Jhrh.  im  Louvre  zeigt  ein 
solches  avfxnoöiov  rwv  oaiojv«. 

Drittens  sind  besonders  beliebt  die  Bilder,  die  von  Augen  und 
Fackeln  der  Sterngötter  reden.  Auf  der  ältesten  Stufe  erscheint  im 
Yeda  der  Sonnengott  Surya,  der  selbst  ein  Auge  ist.  Die  fortge- 
schritteneren Gestalten,  die  den  Menschen  mehr  angenähert  sind,  wie 
Mitra  und  Varuna,  haben  die  Sonne  als  ihr  Auge  (Oldenberg:  Eel.  des 
Veda  S.  48).  So  sind  auch  Zach.  4io  die  sieben  Planetenaugen  zu  Augen 
Jahves,  nach  Apk.  Joh.  56  zu  Augen  des  Lammes  geworden  (Gunkel). 
Geht  der  Prozeß  der  Vermenschlichung  noch  weiter,  so  leuchten  schließ» 
lieh  nur  die  Augen  der  Gottheit  wie  die  Sonne.  —  Völlig  analog  werden 
die  Sterne  anfänglich  selbst  als  Fackeln  oder  Leuchten  aufgefaßt  und 
..im  Kultus  so  dargestellt  (Ex.  25.  Zach.  4.  Apk.  Joh.  Ii2.  4).  Infolge 
eintretender  Vermenschlich ung  werden  die  Sterne  zu  ^a^ov/oi:  Helios 
und  Selene  (vgl.  Eoscher  :  Myth.  Lex.  II  3133)  halten  Fackeln  in  ihren 
Händen.  Auf  der  dritten  Stufe  endlich  werden  Götter  oder  Engel  nur 
noch  mit  Fackeln  verglichen  (Dan.  lOe). 

1,  Lies  siia  Duhm.  2.  Lies  iy  mit  den  LXX:  Hitzig. 


112      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

sagt,  an  Zion  oder  Jerusalem  gedacht.  Aber  der  Plural  (o'^'^nn) 
ist  auffäUig.  Die  meisten  Ausleger  erklären  ihn  daraus,  daß 
Jerusalem  auf  mehreren  Bergen  lag,  die  mit  dem  Tempelberg 
zusammengefaßt  wurden.  Aber  Jahve  wohnte  nicht  auf  den 
Bergen,  sondern  auf  dem  Berge  Zion  oder  aber  in  Jerusalem, 
wofür  niemals  das  Allgemeine  und  Farblose  die  Berge  gebraucht 
wird.  Es  müssen  also  ursprünglich  mythische  Berge  gemeint 
sein,  die  erst  später  auf  Zion  oder  Jerusalem  umgedeutet  sind. 
In  den  uns  vorliegenden  Texten  ist  diese  mythische 
Vorstellung  nur  noch  ein  stilistisches  Überbleibsel. 

Aus  Ps.  87 1  möchte  man  schließen,  daß  Jahve  auf  seinen 
heiUgen  Bergen  eine  Gründung  gehabt  habe.  Wirklich  erfahren 
wir  Ps.  465  von  einem  Strom,  dessen  Arme  die  Gottesstadt  er- 
freuen, die  heiligste  der  Wohnungen  des  Höchsten.  Ohne  Zweifel 
meint  der  Verfasser  Jerusalem,  obwohl  dort  gar  kein  Strom 
fließt.  Die  fremden  Züge,  die  hier  auf  Jerusalem  übertragen 
sind,  können  nicht  aus  Jes.  8 6  (den  sanft  fließenden  Wassern 
Siloahs;  Baethgen)  stammen,  da  diese  Stelle  selbst  räselhaft 
ist,  sondern  sind  dem  Paradiese  entlehnte  Obgleich  der  Ver- 
fasser es  schwerlich  noch  gewußt  hat,  sondern  nur  davon  redet, 
weil  es  zum  Stil  gehört,  ist  ursprüngHch  gedacht  an  den  wunder- 
vollen Paradiesesstrom,  der  Leben  und  Freude  ergießt;  das 
Paradies  wird  als  Stadt  vorgestellt,  ist  im  eigentHchen  Sinne 
des  Wortes  Gottes  Stadt  ^  die  Gründung  Jahves,  auf  heihgen 
Bergen  gelegen.  Noch  der  Apokalyptiker  Henoch  sieht  auf  dem 
vorhin  erwähnten  siebten  und  größten  Berge  den  Paradieses- 
garten, in  dessen  Mitte  der  Baum  von  köstUchem  Gerüche  steht, 
den  kein  Sterblicher  berühren  darf  bis  zum  Gericht  (I  Hen.  244. 
205).  Diese  Zitate  genügen,  um  die  älteste  Geschichte  dieser 
Idee  zu  schreiben.  Die  Berge  sind  anfangs  Planeten-  oder 
Götterberge,  aus  Metall  oder  Diamanten.  Dort  leben  die  Götter 
ein  göttliches  Leben  in  der  Götterstadt;  prächtige  Paläste, 
Gärten  in  feenhafter  Schöne  und  erquickende  Ströme  laben 
ihr  Auge  und  ergötzen  ihr  Herz.  Das  ist  im  letzten  Grunde, 
wie  GuNKEL  mit  Recht  vermutet,  eine  mit  märchenhafter  Phan- 
tasie ausgeschmückte  Schilderung  des  Himmels  selbst,  wo  Götter 
und  Selige  wohnen.     In  der  Religion  Israels  ist  die  Götterstadt 


1.  Gunkel:  Genesis^  S.  30  f.    Torschungen  I  S.  48  ff. 


Der  Gottesberg  im  Norden.  113 

zur  Gottesstadt  geworden,  in  der  Engel  und  Entrückte  die 
Freuden  des  Paradieses  genießen.  Die  Psalmen  setzen  eine 
dritte  Entwicklungsstufe  voraus :  Die  Bilder  der  himmlischen 
Gottesstad.t  und  des  himmlischen  Gottesgartens  sind  auf  das 
irdische  Jerusalem  übertragen,  die  Gottesberge  in  den  Berg 
Zion  umgewandelt.  Ein  Bewußtsein  ihres  Ursprungs  scheint 
nicht  mehr  vorhanden;  sie  werden  als  ehrende  Epitheta  ge- 
braucht, um  von  Zion  das  Herrlichste  und  Schönste  auszusagen, 
was  der  Dichter  Mund  zu  künden  vermag.  Das  verhältnis- 
mäßig junge  Heiligtum  auf  dem  Zion  ist  wohl  nicht  das  erste 
gewesen,  auf  das  die  Attribute  der  Gottesstadt  und  des  Gottes- 
berges angewandt  sind.  Wir  dürfen  vermuten,  daß  es  zum  Stil 
verloren  gegangener  Hymnen  gehörte,  die  Kultstätten  Jahves 
hier  auf  Erden  als  Spiegelbilder  des  himmlischen  Tempels  dar- 
zustellen, nach  dessen  Muster  sie  ja  auch  gebaut  sein  sollen, 
wie  GuNKEL  vermutet  hat*. 

Neben  den  ehernen  Bergen  und  den  Bergen  wird  als  dritter 
mythischer  Wohnort  der  Gottesberg  im  äußersten  Norden  ge- 
nannt. So  heißt  es  in  einer  Drohung  gegen  Babel:  Du  frei- 
lich gedachtest  in  deinem  Herzen:  Gen  Himmel  will  ich  steigen, 
hoch  über  die  Gottessterne  erheben  meinen  Thron  und  mich 
niederlassen  auf  dem  Versammlungsberg  im  äußersten  Norden 
(Jes.  14 13).  Darf  man  diese  Idee  mit  den  vorher  skizzierten 
organisch  verbinden?  IHen.  205  verbietet  es,  da  der  Paradies- 
baum, der  auf  dem  siebten  Berge  wächst,  erst  am  Tage  des 
großen  Gerichtes  nach  Norden  verpflanzt  werden  soll.  Darnach 
wäre  also  der  siebte  und  höchste  Berg,  der  zwischen  den  dreien 
nach  Osten  und  den  dreien  nach  Süden  steht,  nicht  im  Norden 
zu  suchen.  Seine  Lage  wird  niemals  genauer  bestimmt;  wenn 
man  die  geographischen  Notizen  des  Henochbuches  weiter  ver- 
folgt, so  wird  man  meist  ein  klares  Bild  nicht  gewinnen.  Auch 
die  eben  zitierte  Angabe  ist  in  sich  unverständlich.  Nach  dem 
Wortlaut  müßte  der  Berg  zwischen  Süden  und  Osten  d.  h.  im 
Südosten  liegen,  was  wenig  wahrscheinlich  ist.  In  solchen 
Fällen   darf  man  stets  vermuten,   daß  zwei  Vorstellungsreihen 


1.  Wir  haben  drei  Vorstellungen,  die  meist  unverbunden  neben 
einander  stehen,  die  aber  ursprünglich  zusammengehören:  1)  Götter- 
berge, 2)  Göttergarten,  3)  Götterstadt.  Wer  ihre  Zusammengehörigkeit 
nicht  zugeben  will,  mag  sie  auseinander  halten. 

Forschungen  zur  Rel.  n.  Lit.  d.  A.  u.  NT.   6.  8 


114      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

mit  einander  vermengt  sind,  die  auseinander  zu  wirren  unsere 
erste  Pflicht  ist.  Wenn  ein  Berg  in  der  Mitte,  drei  nach  Osten 
und  drei  nach  Süden  liegen  sollen,  so  ergänzt  man  unwillkür- 
lich drei  weitere  je  im  Norden  und  im  Westen  (vgl.  die  Parallele 
Apk.  Joh.  21 13).  Diese  Idee  von  zwölf  Bergen,  die  um  einen 
in  der  Mitte  gelegenen  gruppiert  sind,  geht  nicht  auf  die  sieben 
Planeten,  sondern  auf  die  zwölf  Tierkreise  zurück.  Übrigens  ist 
die  Tatsache,  daß  der  Paradiesbaum  nach  Norden  verpflanzt 
werden  soll,  im  letzten  Grunde  kein  Gegenbeweis,  sondern  der 
stärkste  Beweis  dafür,  daß  das  Paradies  eben  im  Norden  lokali- 
siert ist;  denn  der  Apokalyptiker  hat  diesen  Zug  nicht  zu  ver- 
drängen vermocht.  Auch  I  Hen.  77  3  wird  es  dort  vorausgesetzt : 
Und  die  vierte  Weltgegend ,  tvelche  Norden  heißt,  wird  in  drei 
Teile  geteilt  ....  der  dritte  mit  dem  Garten  der  Gerechtigkeit 
Der  Gottesberg  und  das  Paradies  liegen  demnach  für  die  spätere 
Anschauung  —  neben  der  andere  herlaufen  —  im  Norden. 

Jes.  14 13  ist  nicht  mit  Bestimmtheit  zu  datieren  (wahrschein- 
lich nachexilisch),  sodaß  wir  aus  dieser  Stelle  nicht  entscheiden 
können,  wann  die  beiden  genannten  Vorstellungen  zum  ersten 
Male  auftauchen.  Über  den  Ort  des  Paradieses  geben  Gen.  2 
und  3  keine  einheitliche  Auskunft.  Nach  28  glaubte  man  es 
im  fernen  Osten,  nach  824  im  fernen  Westen,  nach  2ioff.  im 
fernen  Norden  an  der  Quelle  von  Euphrat  und  Tigris  (Gunkel). 
Der  Westen  könnte  genuin  palästinisch  sein,  sofern  das  Para- 
dies jenseits  des  (Mittelländischen)  Meeres  gesucht  wurde.  Die 
beiden  anderen  Himmelsrichtungen  müssen  aus  fremder  Tradition 
stammen,  da  im  Osten  Kanaans  die  große  Wüste  sich  dehnte, 
in  der  oder  hinter  der  ein  Paradies  schwerlich  angenommen 
werden  konnte.  Der  Norden  weist  in  Verbindung  mit  Euphrat 
und  Tigris  direkt  auf  babylonischen  Ursprung.  Der  Gottesberg 
im  äußersten  Norden  kann  ebensowenig  israelitischem  Glauben 
entstammen.  Denn  der  Berg  Jahves,  auf  dem  er  sich  mit  seinen 
Engeln  treffen  könnte,  ist  im  Süden  zu  suchen,  mag  man  nun 
an  den  Sinai  oder  an  den  Zion  denken.  Heilige  Berge  im 
Norden  kennen  viele  Völker,  aber  sie  haben  stets  ganz  be- 
stimmte Namen  und  liegen  nicht,  wie  Jes.  14 13  vorauszusetzen 
scheint,  über  den  Sternen.  Nur  von  den  Babyloniern  wissen 
wir,  daß  der  Himmelsgott  Anu  am  Nordhimmel  lokalisiert 
wurde  (KAT3  S.  352). 


Der  Gottesberg  im  Norden.  115 

Wann  ist  diese  Idee  nach  Palästina  gekommen  ?  Im  Alten 
Testamente  begegnet  sie  uns  zum  ersten  Male  sicher  bei  Ezechiel. 
Die  Berufungsvision  schildert,  wie  ein  Sturmwind  von  Norden 
her  heraneilt  (I4).  Die  neuesten  Kommentare  nehmen  an,  bei 
Ezechiel  »sei  die  Ekstase  in  dem  Augenblick  eingetreten,  wo  er 
tatsächhch  einer  Windsbraut  gewahr  wurde,  die  von  Norden 
heranzog«  (Beetholet;  ähnlich  Keaetzschmae).  Aber  mit 
welchem  Recht  macht  man  einen  dicken  Strich  hinter  dem 
Nordwind  und  hält  ihn  für  eine  reale  Tatsache,  die  ganze  übrige 
Beschreibung  hingegen  für  Vision?  Entweder  ist  das  Ganze 
Vision  oder  das  Ganze  schriftstellerische  Einkleidung.  Wer 
wie  Beetholet  und  Keaetzschmae  zwischen  einzelnen  Teilen 
der  Schilderung  genau  unterscheiden  will,  ob  sie  real  oder 
visionär  sind,  hat  die  Pflicht,  jedesmal  seine  Vermutung  durch 
den  Text  zu  begründen.  Da  dies  nicht  geschieht  und  da  die 
Worte  keinen  Anlaß  dazu  geben,  so  dürfen  wir  die  erwähnte 
Behauptung  als  ungerechtfertigt  ansehen.  Überall  sonst  im 
Alten  Testamente  erscheint  der  Wettergott  Jahve,  wie  oben 
gezeigt  ist  (vgl.  S.  20  ff.),  aus  Süden  oder  Osten.  Der  Nord- 
wind ist  in  Palästina  weder  ein  Sturmwind  noch  überhaupt  in 
irgend  einer  Weise  charakteristisch.  Folglich  handelt  es  sich  hier 
um  den  Einschlag  einer  fremden  mythischen  Idee,  die  niemand  bei 
einem  Manne  wie  Ezechiel  für  unmöglich  halten  darf,  dessen 
Buch  von  Mythen  vollgepfropft  ist.  Man  erinnere  sich  nur  an 
die  nach  fremdem  Muster  gezeichneten  Gestalten  Jahves  und  der 
Kerube  im  ersten  Kapitel!  Der  Umweg  freilich  dürfte  sich 
nicht  empfehlen,  den  viele  ältere  Kommentatoren  machen:  Weil 
Jahve  bei  der  Exilierung  des  letzten  Davididen  Jerusalem  ver- 
lassen habe,  darum  habe  er  seinen  Sitz  im  mythischen  Norden 
genommen.  Eine  solche  Pedanterie  und  theologische  Schulung 
dürfen  wir  einem  Ezechiel  nicht  zutrauen.  Er  kannte  den 
Gottesberg  im  Norden  und  ließ  deshalb  Jahve  von  dorther 
kommen.  Die  Sturm  wölke  Jahves  gehört  zum  alten,  längst 
typisch  gewordenen  Stil  der  Jahvetheophanien,  hinter  der  man 
nichts  Reales  vermuten  darf. 

Mit  derselben  mythischen  Anschauung  wird  es  zusammen- 
hängen, wenn  Ez.  92  betont  wird,  die  Engel  zögen  vom  oberen 
Tore  heran,  das  nach  Norden  gewandt  sei.  Sicherer  ist 
Ps.  483:    Schön  erhebt  sich,   die  Wonne  der  ganzen  Welt,  der 


116      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Berg  Zion  an  den  äußersten  Enden  des  Nordens,  die  Stadt  des 
großen  Königs.  Diese  dem  Wortlaut  nach  höchst  merkwürdige 
Aussage,  die  von  Jerusalem  zunächst  absolut  unverständUch  ist, 
läßt  sich  nur  begreifen  durch  die  Übertragung  einer  fremden  Idee 
auf  Zion.  Da  Zion  der  Berg  Jahves  ist,  so  hat  ihm  der 
Psalmist  das  Attribut  eines  anderen  Jahveberges  als  ehrendes 
Prädikat  beigelegt.  Wie  alt  muß  diese  Eedensart  gewesen  sein, 
wie  lange  schon  im  Umlauf  sich  befunden  haben,  wenn  sie  so 
abgeschliffen  und  nichtssagend  geworden  ist,  daß  sie  in  solcher 
Weise  verwertet  werden  kann!  Häufiger  wird  Zion  dasselbe 
für  die  Zukunft  in  Aussicht  gestellt.  In  der  eschatologischen 
Zeit  soll  Zion  zum  höchsten  Berg  der  Erde  werden  (Jes.  22. 
Mch.  4i.  Zach.  14  lo).  Die  Vermutung  Gunkels  dürfte  nicht 
zu  kühn  sein,  daß  der  höchste  Berg  eben  der  des  Nordens  sei, 
auf  dem  ursprünglich  die  himmHsche  Stadt  des  großen  Königs 
lag  (vgl.  Apk.  Joh.  21  lo).  In  diesen  Zusammenhang  gehört 
ferner  auch  Ez.  28.  Der  hier  vom  Propheten  benutzte,  schon 
von  GuNKEL  rekonstruierte  Mythus  handelte  von  einem  wunder- 
vollen und  weisen  Geschöpfe  Gottes,  das  auf  dem  heihgen 
Gottesberge  wohnte.  Ohne  Fehl  war  es  vom  Tage  der  Schöpfung 
an,  bis  ein  Frevel  an  ihm  erfunden  ward.  Ob  seiner  glänzenden 
Schönheit  überhob  sich  sein  Herz.  Da  ward  es  vom  Gottes- 
berge verstoßen  und  auf  die  Erde  geworfen.  Diese  Züge,  die 
auf  den  König  von  Tyrus  nicht  passen,  die  im  Hinblick  auf  ihn 
nicht  gedichtet  sein  können,  beziehen  sich  ursprünglich  auf  ein 
Lichtwesen,  das  inmitten  feuriger  Steine  auf  dem  himmlischen 
Gottesberge  wandelte  i. 

Mit  Ausnahme  Ezechiels  sind  alle  erwähnten  Stellen  un- 
datierbar.  Es  ist  wenig  wahrscheinlich,  daß  die  Idee  von  dem 
Gottesberge  im  Norden  erst  durch  ihn  in  Palästina  bekannt 
geworden  sein  sollte.  Dagegen  spricht  einmal  die  große  Häufig- 
keit, mit  der  dies  Motiv  auftritt,  sodann  die  Tatsache,  daß  es 
als  völlig  abgegriffene  Münze  ausgegeben  wird.  Sogar  in  den 
Kidtus  ist  es  eingedrungen.  Wenn  Lev.  In.  6i8  vorgeschrieben 
wird,  das  Brand-  und  Sündopfer  solle  auf  der  nach  Norden  ge- 
richteten Seite  des  Altars  geschlachtet  werden,  so  haben  wir  es 


1.  Der  novellistische  StoflF  dieses  Mythus  erinnert  lebhaft  an  die 
oben  besprochene  Geschichte  von  der  »übermütigen  Zeder«. 


Der  Gottesberg  im  Norden.  117 

hier  mit  einer  kultischen  Neuerung  zu  tun,  die  Ez.  4039  noch 
nicht  vorausgesetzt  wird.  Sie  wäre  gewiß  nicht  durchgesetzt 
oder  überhaupt  einzuführen  versucht  worden,  falls  sie  noch  von 
ferne  an  Mythologie  erinnerte.  Ursprünghch  aber  liegt  sicher 
etwas  Mythologisches  zu  Grunde,  und  schon  Ewald  hat  die 
Heiligkeit  der  Nordseite  mit  dem  Gottesberg  im  Norden  kom- 
biniert. War  dieser  Zusammenhang  kurz  nach  dem  Exil  schon 
vergessen,  so  kann  die  mythologische  Vorstellung  nicht  erst 
durch  Ezechiel  bekannt  geworden  sein.  Genau  so  wie  man 
schon  in  vorprophetischer  Zeit  das  Paradies  im  Norden  (Gen. 
2ioff.)  gesucht  hat,  genau  so  wußte  man  von  einem  Jahveberg 
im  Norden. 

Die  Israeliten  haben  diese  Idee  aus  ßabylonien  bezogen 
durch  die  Vermittlung  der  Kanaaniter.  Aus  phönikischen  In- 
schriften erfahren  wir  von  einem  Baal  ";Di2,  der  in  mehreren 
theophoren  Eigennamen  erscheint  ^  Baethgen  (S.  22)  hat  diesen 
Gott  wohl  mit  Recht  als  den  Baal  des  Nordens  gedeutet  und 
zur  Erläuterung  auf  Jes.  14 13  verwiesen:  er  ist  »derjenige  Baal, 
welcher  auf  dem  heiligen  Götterberge  im  Norden  thront«.  Man 
könnte  vermuten,  daß  es  sich  hier  um  einen  beliebigen  Lokal- 
gott handle.  Aber  dagegen  spricht  die  weite  Verbreitung  dieses 
Gottesnamens  und  seine,  wie  es  scheint,  hohe  Stellung.  »Im 
Gebiet  des  Stammes  Gad  lag  eine  Stadt  Zaphon  (Jos.  1327),  in 
Ägypten  in  der  Nähe  des  roten  Meeres  das  bekannte  Baal 
Zephon.  Diese  beiden  Namen  können  nicht  von  einander  ge- 
trennt werden  und  verhalten  sich  als  Ortsnamen  wie  Meon 
<  oder  Beon  Num.  323  >  zu  Baal  Meon«  (Baethgen).  Die 
Keilinschriften  berichten  von  einem  tyrischen  Gott  Ba-al-sa-pu-nu, 
der  neben  dem  Beeloafirjv  genannt  wird,  von  einem  Gebirge  im 
Libanon  und  einer  Stadt  in  Südpalästina  desselben  Namens 
(KAT3  S.  357.  479).  Für  die  Erklärung  dieses  Tatbestandes 
gibt  es  zwei  Möglichkeiten.  Entweder  ist  die  babylonische  Idee 
von  dem  Götterberg  im  Norden  vor  alter  Zeit  in  Palästina  ein- 
gedrungen; man  erinnere  sich  an  den  Berg  Nebo,  der  seinen 
Namen  zweifellos  nach  dem  babylonischen  Gotte  Nabu  führt. 
Während  aber   nach   babylonischer  Anschauung  Anu  auf  dem 


1.  Vgl.  Lidzbarski  Hdb.  S.  239  [?  ^ss]  ^sra  punisch;  S.  234  ^bs  izy 
und  lES  12  phönikisch. 


118      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Nordberge  wohnte,  schufen  die  Kanaaniter  sich  eine  eigene 
Gottheit:  den  Baal  Zaphon.  Oder  es  liegt  eine  von  Hause  aus 
parallele  religionsgeschichtUche  Entwicklung  vor.  Wie  die 
Babylonier,  angeregt  vielleicht  durch  die  bis  in  den  Himmel 
steigenden  Gebirge  des  Nordens,  dort  den  Sitz  ihres  höchsten 
Gottes  suchten,  so  hätten  die  Kanaaniter  etwa  den  im  Norden 
gelegenen  Libanon  für  den  Thron  eines  Gottes  gehalten.  Aber 
die  zweite  Möglichkeit  ist  wenig  wahrscheinlich.  Denn  der 
Libanon  sowohl  wie  der  Baal  des  Libanon  sind  ganz  bestimmte 
Namen.  Wie  man  sich  auch  entscheiden  mag,  die  Idee  eines 
Gottesberges  im  Norden  ist  in  Palästina  als  alt  zu  erweisen, 
älter  denn  das  Alte  Testament. 


§  13.    Die  Persönliclikeit  Jahves. 

Wir  haben  gesehen,  wie  Jahve,  der  im  Mittelpunkt  der 
vorprophetischen  Unheilseschatologie  steht,  dem  Glauben  seines 
Volkes  durch  sein  Walten  in  der  Natur  als  eine  lebendige 
Größe  erschien.  In  den  Erdbeben,  die  panikartige  Furcht  her- 
vorriefen, in  den  Stürmen,  die  über  das  Land  brausten,  in  den 
Feuersbrünsten,  die  Wälder  und  Städte  verheerten,  in  den  Ge- 
wittern, deren  Majestät  die  Herzen  überwältigte,  in  den  Eegen- 
güssen,  die  Bäche  in  Ströme  verwandelten,  in  den  Seuchen,  die 
Tausende  unerbittlich  dahinmähten,  in  den  Kriegen,  die  das 
Blut  der  Jünglinge  forderten,  allüberall,  wo  Entsetzliches  ge- 
schah, war  Jahve  den  Sinnen  unmittelbar  nahe.  Kein  Unglück 
konnte  vorübergehen,  ohne  daß  der  Fromme  mit  Schrecken  der 
Realität  seines  Gottes  gewahr  ward.  Mit  wie  gewaltigem  Pathos 
verstehen  es  die  Propheten,  die  Erhabenheit  Jahves  vor  die 
Augen  zu  malen,  indem  sie  die  grandiosen  Naturereignisse 
schildern,  als  deren  Urheber  die  Gottheit  betrachtet  wird! 
»Überall,  wo  Jahves  Erscheinung  in  poetischen  Stücken  be- 
schrieben wird,  finden  wir  ...  in  gesteigerter  Diktion  gehaltene 
Naturschilderungen«  (Köberle). 

Überbhcken  wir  dies  Ergebnis,  so  ist  es  wert,  in  mehr- 
facher Hinsicht  genauer  erwogen  zu  werden.  Durch  diese 
Untersuchungen  ist  die  Voraussetzung  bestätigt,  von  der  wir 
ausgingen  (§  3):  Jahve  wird  in  der  älteren  Zeit  durchaus  nicht 
mit  allen,  sondern  nur  mit  einem  Teil  der  Naturerscheinungen 


Jahve  als  Naturgott.  119 

in  Zusammenhang  gebracht.  Er  ist  nicht  zunächst  der  Gott 
der  ganzen  Welt,  sondern  in  erster  Linie  der  Gott  einzelner, 
besonders  der  entsetzlichen  Naturereignisse,  die  die  menschliche 
Phantasie  anregen  und  aufregen.  Weder  als  Schöpfergott 
noch  als  Sterngott  wird  er  verherrlicht,  sondern  vor 
allem,  um  es  kurz  zu  sagen,  als  Naturgott  der  schreck- 
lichen Phänomene.  In  diesen  Dingen  lebte  die  Religion, 
soweit  sie  sich  auf  die  Natur  bezog,  auf  sie  war  das  Augenmerk 
der  Israeliten  gerichtet,  wenn  es  daneben  gewiß  auch  mögHch 
war,  andere  Naturerscheinungen  von  Jahve  abzuleiten  und  ihm 
zuzuschreiben,  war  er  doch  der  einzige  Gott  des  Volkes.  Aber 
diese  theoretische  Möglichkeit  spielte  eine  nur  geringe  Rolle 
gegenüber  den  Tatsachen,  die  sich  in  Palästina  dem  frommen 
Empfinden  mit  Gewalt  aufdrängten,  gegenüber  den  Natur- 
erlebnissen, in  denen  sich  die  göttliche  Macht  auf  eine  ganz  be- 
stimmte Weise  offenbarte.  Wir  begreifen,  wie  auch  die  Religion 
Israels  bis  zu  einem  gewissen  Grade  abhängig  ist  von  Land 
und  Khma,  von  Wind  und  Wetter.  Allein  in  dieser  Modi- 
fikation war  sie  existenzfähig  in  Palästina.  Das  ist  ja  im  letzten 
Grunde  selbstverständlich,  aber  es  schien  nötig,  darauf  auf- 
merksam zu  machen,  weil  es  bisher  nicht  genügend  beachtet  ist. 
So  wie  die  uns  überlieferten  Texte  es  lehren,  sah  man  in  all 
den  aufgezählten  Naturereignissen  die  Ofi'enbarung  Jahves.  Mit 
den  uns  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  ist  es  unmöglich,  das 
ursprüngliche  Wesen  Jahves  zu  eruieren  und  es  auf  eine 
einzige,  ganz  bestimmte  Erscheinung  zurückzuführen,  falls  dieser 
Versuch  überhaupt  gerechtfertigt  ist.  An  zwei  Punkten  haben 
wir  zwar  eine  geschichtliche  Wandlung  konstatieren  können,  aber 
doch  nur  unklar  und  verschwommen.  Es  scheint,  als  ob  Jahve, 
soweit  er  als  Vulkan gott  galt,  speziell  auf  dem  »Sinai«  lokalisiert 
war  und  dort  zum  Nationalgotte  Israels  erhoben  wurde.  Allein 
wir  wissen  nicht,  wie  weit  sich  sein  Wirkungskreis  schon  da- 
mals auf  andere  Naturereignisse  ausgedehnt  hatte,  und  es  wäre 
einseitig  und  verfehlt,  wollten  wir  die  verschiedenen  Seiten  seines 
Wesens  auf  diese  eine  Wurzel  des  Vulkan gottes  reduzieren. 
Ebenso  glaubten  wir,  in  der  Auffassung  Jahves  als  eines  Kriegs- 
gottes eine  sekundäre  Neuerung  erblicken  zu  dürfen,  die  nicht 
so  ursprüngHch  ist  wie  die  Verehrung  Jahves  als  eines  Natur- 
gottes.    Allein    wann    diese    Umdeutung   vollzogen   wurde,   ist 


120      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

unserer  Kenntnis  verborgen.  Tatsache  ist  nur,  daß  sie  in  der 
prähistorischen  Epoche  erfolgte,  von  der  uns  keine  gleichzeitige 
Nachricht  Kunde  gibt. 

Wenn  Jahve  der  Gott  einer  einzelnen  Natur- 
erscheinung genannt  wird,  so  muß  man  sich  vor  dem 
Irrtum  hüten,  als  sei  er  mit  ihr  identisch!  Davon  kann 
in  der  israelitischen  Rehgion  keine  Rede  sein.  Er  gilt  überall 
als  eine  lebendige  götthche  PersönHchkeit,  die  hinter,  nicht  in 
dem  Naturereignis  steht,  die  es  verursacht  und  hervorruft,  aber 
nicht  in  ihm  aufgeht.  Wie  wäre  das  auch  denkbar?  Wäre 
er  etwa  mit  dem  Erdbeben  identisch,  wie  könnte  er  dann  die 
Seuchen  schicken?  Grade  die  Fülle  der  Dinge,  zu  denen  er 
in  Beziehung  gesetzt  wird,  ist  der  beste  Beweis  dafür,  daß  er 
mit  keinem  einzelnen  sich  völlig  deckt.  Aber  man  kann  einen 
Unterschied  in  der  Art  der  Darstellung  wahrnehmen.  Während 
die  ältere  Zeit  es  liebt,  Jahve  als  Sturmgott  etwa  dadurch  zu 
charakterisieren,  daß  man  den  Wind  als  den  Hauch  seines  Mundes 
bezeichnet,  und  so  seine  Person,  ja  seinen  Leib  mit  der  Natur- 
erscheinung aufs  engste  verknüpft,  rückt  eine  höhere  Auffassung 
ihn  ferner  von  ihr  und  sucht  eben  dadurch  seine  erhabene 
Majestät  zu  steigern.  Dem  Elia  begegnet  er  nicht  mehr  im 
Orkan,  sondern  im  sanften  Säuseln  des  Windes  (IBeg  19 12). 
Die  imposante  Größe  Jahves  tritt  so  viel  wirkungskräftiger 
hervor.  Wir  dürfen  diese  Stufe  für  eine  höhere  halten,  wenn 
sie  auch  chronologisch  für  unser  Auge  der  ersten  parallel  läuft. 

Die  Frömmigkeit  aller  Zeiten,  die  die  lebendige  Persön- 
lichkeit Gottes  nach  dem  Bilde  des  Menschen  denkt  und  denken 
muß,  da  auf  Erden  kein  Wesen  existiert,  das  höher  wäre  als 
der  Mensch,  scheut  sich  nicht,  von  einer  Stimme  Gottes  oder 
einem  Arm  Gottes  oder  einer  Hand  Gottes  zu  sprechen,  ohne 
darum  die  Gottheit  in  der  Sphäre  des  rein  Menschlichen  auf- 
gehen zu  lassen.  Und  doch  ist  ein  scharfer  Unterschied  zwischen 
der  Auffassung  des  antiken  Menschen  und  der  unsrigen  vor- 
handen. Wenn  sich  auch  das  Jahrhimdert  nicht  fixieren  läßt, 
wo  die  eine  zur  anderen  wird,  so  ist  doch  die  Etappe  sachlich 
gegeben  dm*ch  das  Aufkommen  der  Philosophie.  Während  wir 
uns  in  jenem  Falle  des  bildlichen  Charakters  unserer  Ausdrucks- 
weise und  ihrer  Inadäquatheit  stets  bewußt  sind  und  uns  ihrer 
nur  zur  VeranschauHchung  unserer  Aussagen  von  Gott  mangels 


Die  Persönlichkeit  Jahves.  121 

anderer  Vorstellungsreihen  bedienen  oder  sie  zu  bloß  rhetorischem 
Schmuck  unserer  Rede  verwenden,  ist  dem  antiken  Menschen 
dieser  Unterschied  zwischen  Realität  und  Phantasie  nicht  be- 
wußt, da  für  ihn  das  subjektive  Erleben  zugleich  ein  objektives 
bedeutet.  Aus  diesem  Grunde  nennen  wir  dasselbe  poetische 
Bild,  das  für  uns  auf  dem  Spiel  unserer  dichtenden  Phantasie 
basiert,  überall  da,  wo  es  bei  antiken  Völkern  begegnet,  ein 
mythisches  Bild,  um  damit  anzuzeigen,  daß  es  früher  eben 
mehr  als  ein  bloßes  Bild  sein  sollte,  daß  es  als  Realität  galt 
und  aufgefaßt  ward. 

So  hören  wir  auch  im  Alten  Testamente  fast  von  allen 
einzelnen  Gliedern  Jahves:  von  dem  Kopf  (Jes.  59 17),  dem 
Antlitz  (s.  u.),  den  Augen  (Zach.  4 10.  Ps.  34  le),  den  Wimpern 
(Ps.  II4),  dem  Ohre  (Ps.  ITe.  3I2),  der  Nase  (Dtn.  3222),  dem 
Munde  (Ps.  18 9),  der  Lippe  und  Zunge  (Jes.  302?),  den  Hüften 
(Ez.  I27),  dem  Arme  und  der  Hand  (s.  u.),  dem  Einger  (Ex.  31  is), 
den  Beinen  und  Füßen  (Jes.  661.  Ps.  18 10.  Nah.  I3),  der  Rück- 
seite (Ex.  3323).  Aber  eine  Zusammenfassung  dieser  ver- 
schiedenen Teile  des  Körpers  wird  nirgends  geboten.  Die 
Phantasie  des  Dichters  haftet  an  dem  Einzelnen,  ohne 
das  Bedürfnis,  es  zu  einer  Gesamtanschauung  zu  kom- 
binieren. Wie  groß  dieser  Mangel  ist,  empfindet  man  erst 
dann  deutlich,  wenn  man  den  Gott  Ezechiels  etwa  mit  den 
Göttern  Homers  vergleicht.  Man  hat  aber  deshalb  kein  Recht, 
von  einem  Defekt  der  ReHgion  zu  reden,  wo  offenbar  nur  eine  Be- 
schränktheit der  israelitischen  Phantasie  vorliegt.  Im  Gegenteil, 
diese  Unfähigkeit  Jahve  zu  beschreiben,  kam  der  ReHgion 
eher  zu  gute,  da  sie  eine  Herabsetzung  des  (xöttlichen  auf  das 
Niveau  des  rein  Menschlichen  oder  gar  UntermenschHchen, 
wenn  auch  nicht  unmöglich  machte,  so  doch  erschwerte.  Jahve 
blieb  von  Anfang  an  der  Unnahbare,  unzugänglich  und  unsichtbar 
selbst  für  die  Dichter,  die  neben  der  Erde  auch  den  Himmel 
in  den  Bereich  ihrer  Schilderungen  zu  ziehen  pflegen.  Später 
hat  man  aus  der  Not  eine  Tugend  gemacht.  Die  ReHgion 
verbot  jede  Darstellung  der  Gottheit.  Gewiß  haben  die  Israe- 
liten von  alten  Zeiten  her  eine  große  Scheu  gehabt,  die  Gott- 
heit in  menschlichem  Bilde  zu  malen,  und  grade  darin  zeigt 
sich  in  besonderem  Maße  die  Kraft  ihres  Glaubens.  Daneben 
aber  ist  auch  die  Eigentümlichkeit  des  hebräischen  Dichters  in 


122      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Betracht  zu  ziehen,  der  »nur  in  geringem  Grade  befähigt  ist, 
das  zur  Darstellung  zu  bringen,  was  er  sieht.  Der  Verfasser 
des  45.  Psalms  will  offenbar  ein  Bild  von  einem  Brautzug  und 
einem  Brautpaar  geben;  zu  plastischer  Anschaulichkeit  aber 
hat  er  seine  Schilderung  nicht  gebracht«  (Baudissin:  Einleitung 
S.  644). 

Eine  besondere  Rolle,  die  noch  niemals  klar  herausgearbeitet 
ist^  spielen  der  Arm,  die  Hand  oder  die  Rechte  Jahves.  Diese 
Grlieder  wechseln  unterschiedslos,  um  die  gewaltige,  sozusagen 
muskulöse  Kraft  Gottes  im  Bilde  darzustellen:  Du  hast  einen 
Arm  voller  Kraft,  stark  ist  deine  Hand,  hoch  erhoben 
deine  Rechte  (Ps.  89 u).  Es  ist  kaum  noch  erlaubt,  hier 
von  einem  Bilde  zu  reden,  da  es  nicht  ausgeführt,  sondern 
nur  fragmentarisch  ist.  Der  Arm  Jahves  muß  freilich  irgend- 
wann einmal  als  ein  plastisches  Bild  empfunden  worden  sein; 
denn  sonst  hätte  man  nicht  davon  geredet.  In  den  uns 
vorHegenden  Schriften  des  Alten  Testamentes  aber  denkt  man 
überhaupt  nicht  mehr  an  eine  Hand.  Nicht  ein  einziges 
Mal  wird  an  all  den  Stellen,  die  im  Folgenden  zitiert 
werden,  nach  homerischer  Weise  mit  epischem  Behagen  ge- 
malt, nur  ein  einzelner  Pinselstrich  deutet  flüchtig  an.  Es 
handelt  sich  zwar  um  ursprünglich  anschauliche,  aber  später 
nicht  mehr  angeschaute  bildHche  Redensarten,  die  vor  allem 
den  siegverleihenden,  hülfreichen  Gott  bezeichnen:  Mit  deiner 
Hand  vertriebst  du  Völker  ....  Denn  nicht  durch  ihr  Schwert 
haben  sie  das  Lafid  in  Besitz  genommen,  und  nicht  ihr  Arm 
verschaffte  ihnen  den  Sieg,  sondern  deine  Rechte  und  dein 
Arm  und  das  Licht  deines  Antlitzes,  denn  du  hattest  Wohl- 
gefallen an  ihnen  (Ps.  44 sf.).  Deine  Rechte,  Jahve,  ist  herrlich 
ob  ihrer  Kraft,  deine  Rechte,  Jahve,  zerschmettert  die  Feinde 
(Ex.  löe).  Horch,  Jubel  und  Siegesruf  in  den  Zelten  der 
Frommen,  die  Rechte  Jahves  verrichtet  große  Taten,  die  Rechte 
Jahves  erhöht,  die  Rechte  Jahves  verrichtet  große  Taten  (Ps.  118  löf.). 
Es   ist  schon  zu  viel  gesagt,   daß  Jahve   als  Longimanus  gelte. 

1.  Abgesehen  von  den  Kommentaren,  die  fast  immer  an  der  Einzel- 
stelle haften,  hat  m.  W.  nur  Giesebrecht  (Der  Knecht  Jahves  S.  72) 
dies  Problem  gestreift.  Er  redet  von  einem  »Begriff  des  Armes  Jahves, 
wohl  zu  unterscheiden  von  dem  der  Hand  Gottes«,  ohne  diese  unhalt- 
bare These  näher  zu  begründen. 


Die  Hand  Jahves.  123 

Wenn  die  Israeliten  in  die  Unterwelt  durchbrechen,  so  holt 
er  sie  zwar  mit  seiner  Hand  herauf  (Am.  92).  Aber  es  wird 
nicht  geschildert,  wie  er  oben  im  Himmel  auf  seinem  Throne 
sitzt  und  in  aller  Gemächhchkeit  seinen  unheimlich  langen 
Arm  ausstreckt  und  bis  in  die  Seol  hinabgreift.  Das  Bild  ist 
auch  hier  wie  sonst  nur  fragmentarisch.  Er  streckt  seine  Hand 
aus  der  Höhe  und  errettet  den  Ertrinkenden  aus  großen 
Wassern  (Ps.  144  ii)  und  hilft  seinen  Gehebten  mit  seiner 
Rechten  (Ps.  60 7).  Wahrlich,  Jahves  Hand  ist  nicht  zu 
kurz  (Num.  11 23.  Jes.  502.  59 1).  Ebenso  groß  und  stark  wie 
seine  rechte  Hand  ist  sein  Arm,  ohne  daß  dies  weiter  aus- 
gemalt würde.  Über  die  Größe  deines  Armes  erstarren  sie  wie 
Stein  (Ex.  15 le).     Gemäß   der  Größe  deines  Armes  mache  frei^ 

die  dem  Tod  Geweihten  (Ps.  79 11).     Du  hast durch  deinen 

starken  Arm  deine  Feinde  zerstreut  (Ps.  89 11).  Entblößt  hat 
Jahve  seinen  heiligen  Arm  vor  den  Augen  aller  Völker,  und 
sehen  werden  alle  Enden  der  Erde  die  Bettung  unseres  Gottes 
(Jes.  52 10).  Und  gleich  darauf  heißt  es:  Der  Arm  Jahves, 
wem  ward  er  offenbar  (Jes.  53 1).  Duhm  denkt  schon  zu  an- 
schauhch,  wenn  er  exegesiert:  »Wer  hat  in  der  Höhe  den  für 
gewöhnhche  Augen  unsichtbaren  Gottesarm  erblickt?«  Charak- 
teristisch für  den  Sprachgebrauch  ist  eben,  daß  der  Arm  Jahves- 
nicht  viel  mehr  als  ein  Synonym  für  die  Kraft  Jahves  ist. 
Mitunter  scheint  der  Arm  von  der  Person  losgelöst  und  tritt 
als  selbständiges  Wesen  auf:  Als  Jahve  von  Edom  heimkehrte, 
das  Gewand  mit  Blut  bespritzt  wie  ein  Keltertreter  von  rotem 
Beerensaft,  da  sagt  er:  Die  Kelter  trat  ich  allein  und  von  den 
Völkern  ivar  niemand  mit  mir  .  .  .  Und  ich  schaute,  doch  da 
war  kein  Helfer,  und  ich  erstaunte,  da  war  kein  Unterstützer,, 
da  half  mir  mein  Arm,  und  mein  Grimm  unterstützte  mich 
(Jes.  63iff.  vgl.  59 16.  Ps.  98i).  Der  Verfasser  will  ohne  Zweifel 
sagen,  daß  Jahve  sich  selbst  zu  helfen  wußte:  Sein  Arm  war 
stark  genug,  um  jeder  Unterstützung  entbehren  zu  können» 
Der  Israeht  kann  so  unanschaulich  denken,  daß  er  den  Arm 
ohne  die  Person  sieht:  Rege  dich,  rege  dich,  waffne  dich  mit 
Kraft,  Arm  Jahves  (Jes.  51 9)!  Siehe,  Jahve  kommt  mit  Stärke 
und   mit   sieghaftem    Arme    (Jes.  40 10).     Aber   man    darf  den 


1.  Lies  •'V^r:  mit  Trg.  Pes. 


124      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Arm  so  wenig  personifiziert  auffassen  wie  die  Stärke.  Da  er 
nicht  nur  neben  die  Götter,  sondern  auch  neben  die  Menschen 
tritt,  so  ist  dieser  für  unsere  Sprache  ungewöhnliche  Ausdruck 
dem  Israeliten  nicht  auffällig  gewesen.  In  dem  Königshochzeits- 
liede  (Ps.  455)  heißt  es:  Furchtbare  Taten  lehre  dich  deine 
Rechte.  Gunkel  erklärt  diese  Worte  zu  plastisch:  »Der  rechte 
Arm,  der  das  Schwert  führt,  wird  hier  nach  höchst  altertüm- 
licher, poetischer  Vorstellung  wie  ein  dämonisches  Wesen  ge- 
dacht, das  die  schaurigen  Streiche  führt  aus  eigener  Gewalt. 
Der  Krieger  selbst  mag  seinem  Arme  zuschauen  und  von  ihm 
kämpfen  lernen«.  Die  Rechte  ist  hier  weiter  nichts  als  die 
Kraft. 

Dieselben  Glieder  zeichnen  nicht  nur  den  Kriegs-,  sondern 
auch  den  Schöpfergott  aus:  Meine  Hand  hat  die  Erde  ge- 
gründet, meine  Rechte  den  Himmel  ausgespannt  ( Jes.  48 13).  Ich 
habe  die  Erde  gemacht ,  den  Menschen,  das  Vieh,  das  auf  der 
Oberfläche  der  Erde,  durch  meine  große  Kraft  und  meinen  aus- 
gereckten Arm  (Jer.  275).  Du  brachtest  sie,  pflanztest  sie  ein 
auf  den  Berg  deines  Erbes,  in  die  Stätte,  die  du  zur  Wohnung 
dir  bereitet,  Jahve,  in  das  Heiligtum,  Herr,  das  deine  Hände 
gegründet  (Ex.  15 17  vgl.  Ps.  78  54).  Und  wenn  Gott  den  Menschen 
aus  Erde  vom  Ackerboden  (Gen.  2?)  und  alle  Tiere  des  Feldes 
und  die  Vögel  des  Himmels  (Gen.  2 19)  bildete,  so  wird  er  seine 
Hände  benutzt  haben,  so  gut  wie  der  Töpfer,  der  den  Lehm 
knetet.  Um  die  Tätigkeit  des  Menschen  auszudrücken,  stellt 
der  Maler  ihn  mit  ausgestrecktem  Arme  dar.  Dasselbe  Bild, 
auf  die  Gottheit  übertragen,  bedeutet  im  letzten  Grunde  nicht 
nur  den  bei  der  Schöpfung,  sondern  überhaupt  den  arbeitenden, 
handelnden,  wirkenden  Gott,  vornehmlich  im  Affekte,  um  das 
Grandiose  seines  Tuns  verständlich  zu  machen:  Darum  ent- 
brannte der  Zorn  Jahves  wider  sein  Volk,  und  er  reckte  seine 
Hand  wider  es  aus  und  schlug  es  ...  .  Bei  alledem  wandte 
sich  sein  Zorn  nicht  und  seine  Hand  blieb  ausgereckt  (Jes.  525). 
Und  ich  selbst  will  mit  euch  kämpfen,  mit  ausgereckter  Hand 
und  starkem  Arm  und  im  Zorn  und  im  Grimm  und  in  ge- 
waltiger Wut  (Jer.  21 6).  Ich  will  meine  Hand  wider  sie  aus- 
recken und  das  Land  zur  Wüste  und  zur  Wüstenei  machen 
(Ez.  614.  149.13  u.  a.).  Bemerkenswert  ist,  daß  Jahve  in  alter 
Zeit  fast  ausschließlich  seine  Hand  zum  Unheil  und  zur  Strafe 


Die  Hand  Jahves.  125 

braucht.  Der  Zauberer,  der  ein  Volk  oder  eine  Stadt  verderben 
will,  ahmt  symbolisch  das  Tun  der  Gottheit  nach.  Indem  er 
seinen  Stab  emporhebt  (Ex.  ITgfF.)  oder  seine  Lanze  ausreckt 
(Jos.  8 18.  26)1,  glaubt  er  durch  magischen  Konnex,  Jahve  zum 
Handeln  zu  zwingen.  Der  Kontakt  ist  unterbrochen  in  dem 
Augenblick,  wo  er  den  Stab  sinken  läßt  (Ex.  17  ii). 

Die  Hand  spielt  endhch  eine  Rolle  beim  Wirken  des  Natur- 
gottes. Wenn  Jahve  die  Berge  schlägt,  daß  sie  rauchen  (Ps.  10432. 
1445),  so  bedient  er  sich  dabei  seines  Armes  oder  seiner  Hand 
(vgl.  Jes.  025)*.  Wie  er  im  allgemeinen  seine  Hand  schwingt 
(Jes.  19 16.  Zach.  2i3),  so  schleudert  er  im  besonderen  als  Ge- 
wittergott mit  seinem  Arm  die  ßlitzspeere,  wie  wir  aus  Jes.  30 so 
erschlossen  haben.  Gleich  dem  Sturm,  der  niederschlägt  zur 
Erde  mit  der  Hand  (Jes.  282),  trocknet  Jahve  die  Meereszunge 
Ägyptens  aus  und  schwingt  seine  Hand  wider  den  Strom  in 
seinem  Glutwind  (Jes.  11 15).  Als  Schläge  Jahves,  von  seiner 
Hand  herrührend,  gelten  Krankheiten  und  Plagen  (nsTa,  :>aD), 
Bhndheit  und  Pest,  vor  allem  der  Aussatz.  Der  Aussätzige 
ist  zar'  i^oxrjv  der  von  Gott  Geschlagene  (Ps.  73 u.  Jes.  534). 
Aber  auch  vom  Ekstatiker  sagt  man:  Die  Hand  Jahves  war 
auf  ihm  (Ez.  Is.  3i4.  22.  37 1.  II  Reg.  3 15)  oder  die  Hand  Gottes 
fiel  auf  ihn  (Ez.  81)  oder  die  Hand  Jahves  packte  (ptn)  den 
Propheten  (Jes.  811.  Ez.  3 14).  Die  krankhaft  bis  zum  Wahnsinn 
fast  gesteigerte  Gefühlserregung,  die  den  Ekstatiker  ergreift, 
gilt  als  eine  Wirkung  der  auf  ihm  lastenden  Hand  Jahves. 
Wie  vom  Schlage  getroffen,  in  seiner  Willenskraft  gelähmt, 
steht  er  unter  dem  hypnotischen  Banne  der  Gottheit.  Man 
muß  sich  hüten,  mit  diesen  Stellen  etwa  Ez.  11 5  zu  kombinieren: 
der  Geist  Jahves  fiel  auf  ihn,  als  ob  durch  die  Handauflegung 
Jahves  der  Geist  übertragen  würde.  Mag  das  auch  die  spätere 
Anschauung  sein,  ursprünglich  brauchte  man  kein  Medium.  Es 
genügt,  daß  Jahve  den  Menschen   anfaßt,  um  ihn  in  Ekstase 


1.  V.  19  ist  das  Ausrecken  der  Lanze  umgedeutet. 

2.  Ethnographische  Parallelen  bei  Lasch  Arch.  f.  Rel.  V  242: 
»Wann  die  Eingebornen  (auf  Samoa)  ein  Erdbeben  spüren,  rufen  sie: 
Dank,  daß  Mafuie  nur  einen  Arm  hat!  Hätte  er  zwei,  so  würde  er  die 
Erde  in  Stücke  brechen«. 


126      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

zu  versetzen,   genau  so   wie   die  Berge  rauchen  müssen,   wenn 
Jahve  sie  anrühi-t^. 

Auf  neuerdings  bekannt  gewordenen  babylonischen  Siegel- 
zylindern ^  ist  ein  Arm  mit  einer  siebenfingrigen  Hand  dargestellt, 
die  angebetet  wird.  Die  sieben  Planeten  scheinen  hier  als  Finger 
an  der  Hand  des  höchsten  Himmelsgottes  gedacht^,  wie  sie  in 
analoger  Weise  Zach.  4  als  seine  Augen  gelten.  Nielsen 
(S.  154 f.)  nimmt  einen  Zusammenhang  dieses  Kultsymbols  mit 
der  Hand  Jahves  an.  Er  beruft  sich  dafür  auf  den  Sprach- 
gebrauch, den  er  sehr  oberflächlich  und  ungenügend  anführt. 
Hätte  er  ihn  systematisch  beobachtet,  wie  es  oben  versucht  ist, 
so  würde  ihn  die  Vielseitigkeit  am  Ende  stutzig  gemacht  haben. 
Wäre  die  Hand  Jahves  wirklich  ein  bestimmtes  Kultsymbol 
gewesen,  das  man  real  vor  Augen  hatte  oder  wenigstens  unter 
besonderen  Umständen  sehen  konnte,  so  wäre  schwerlich  solch 
ein  vielseitiger  Sprachgebrauch  möglich  gewesen;  er  wäre  be- 
schränkter geblieben  in  engerem  Anschluß  an  das  fest- 
stehende Kultsymbol.  Nielsen  verweist  ferner  auf  Ex.  17i6, 
den  kleinen  Vers,  der  die  oben  erwähnte  zauberhafte  Besiegung 
der  Amalekiter  durch  Moses  Arm  abschließt,  und  der  von  ihm 
übersetzt  wird:  Es  ist  eine  Hand  am  Thron  Jahves.  Aber  daß 
03  Thron  heiße,  ist  trotz  Ewald  und  Dillmann  wenig  wahr- 
scheinlich. Da  der  Vers  an  den  Altar  Jahve  ist  mein  Banner 
anknüpft,  so  ist  statt  des  unverständlichen  03  das  verständliche 
02  zu  lesen,  wie  fast  alle  Neueren  tun:  Hand  (gelegt)  an  das 
Banner  Jahves.  Ob  dies  Lied,  dessen  Übersetzung  und  Be- 
deutung* fraglich  bleiben  muß,  etwas  mit  dem  Altar  Jahves  zu 


1.  GuNKEL  macht  mich  auf  eine  Parallele  bei  Goethe  aufmerksam: 
Dich  hat  die  Hand  de?-  Venus  berührt.  Venezianische  Epigramme 
No.  101  (Jubiläums-Ausgabe  Bd.  I  S.  226).  Vgl.  auch  die  griechischen 
Parallelen  Arch.  f.  Eel.  Wiss.  VII  S.  103  ff. 

2.  Vgl.  Theo.  G.  Pinches  :  Collection  of  Sir  Henry  Peek.  Inscribed 
Babylonian  tablets.  Part.  III  S.  64.  66  und  Nielsen:  Die  altarabische 
Mondreligion  S.  155. 

3.  Vgl.  das  Standbild  des  Janus,  dessen  Finger  die  Zahl  365  dar- 
stellen. WissowA:  Keligion  und  Kultus  der  Kömer  S.  93.  Eeitzen- 
-STEin:  Poimandres  S.  275.  Beachtenswert  ist,  wie  wenig  diese  Vor- 
stellung durch  den  Augenschein  begründet  ist. 

4.  GuNKEL  (nach  mündlicher  Mitteilung)  vermutet,  daß  dies  Lied 
gesungen  wurde,  während  das  Banner  Jahves  dem  Heere  Israels  voranzog. 


Das  Antlitz  Jahves.  127 

tun  hat,  mag  man  mit  Recht  bezweifehi;  jedenfalls  aber  ist 
diese  Stütze  viel  zu  schwach,  um  die  Last  der  von  Nielsen 
geübten  Beweisführung  zu  tragen.  Allen  diesen  Bildern 
liegt  überhaupt  kein  kultisches  Symbol  zu  Grunde, 
sondern  es  genügt,  an  das  eigentümlich  fragmentarische 
Denken  bei  primitiven  Völkern  zu  erinnern,  die  nicht 
das  Bedürfnis  haben,  das  Einzelne  zu  einer  Gesamtanschauung, 
oder  in  diesem  speziellen  Falle:  die  Einzelglieder  zu  einer  Ge- 
samtpersönlichkeit  zusammenzufassen  K 

Etwas  anders  ist  es  mit  dem  Antlitz  Jahves.  Hier  hat 
Nielsen  (S.  179)  ebenfalls  fremde  Einflüsse  vermutet.  Zwei 
Dinge  sind  in  der  Tat  auffällig  und  bedürfen  der  Aufklärung. 
Erstens  die  Redensarten:  Jahve  lasse  leuchten  sein  Angesicht 
oder  Jahve  erhebe  das  Licht  seines  Angesichtes  (Num.  625.  Ps.  4?. 
31i7.  672.  80 4. 8.  20.  119i35.  Dan.  9i7).  Diese  Phrasen  werden 
ausschließlich  von  Jahve  gebraucht.  Das  Licht  des  Angesichtes^ 
das  Ps.  444  neben  der  Rechte  und  dem  Arm  Jahves  steht, 
wird  Prov.  16 15  auch  dem  Könige  beigelegt ^  und  ist  wahr- 
scheinlich erst  von  Jahve  auf  ihn  übertragen.  Man  behauptet 
gewöhnlich,  die  zitierte  Redensart  bilde  einen  Gegensatz  zu  der 
anderen:  das  Antlitz  verbergen  (Dtn.  31i7f.  Ps.  10 11.  132.  2225. 
279.  308.  8815.  10429).  Aber  zu  dieser  gehört  als  oppositionell: 
nv^  hinschauen  oder  by  )^y  D'^u?  das  Auge  auf  jemanden  richten 
oder  n3s  sich  hinwenden  (Ps.  25 le.  86 le.  119 132).  Die  Haupt- 
sache, warum  das  Antlitz  grade  leuchten  muß,  um  gnädig  zu 
sein,  wird  daraus  nicht  erklärt.  Wenn  ferner  Ex.  3429ff.  er- 
zählt wird,  daß  das  Antlitz  des  Mose  strahlte  infolge  seines 
Redens  mit  Gott,  so  vermuten  die  Exegeten  mit  Recht,  die 
do^a  d-eov  sei  auf  ihn  übergegangen.  Sie  sollten  weiter  ver- 
muten, daß  Mose  nach  diesen  Versen  mit  Jahve  von  Angesicht 
zu  Angesicht  verkehrt   habe,   da  der  göttliche  Lichtglanz   vom 


1.  »Solche  kurz  abgebrochene  Gedankenreihen,  die  jederzeit  auf 
bereite  Annahme  rechnen  können,  scheinen  eben  der  mythischen  Zeit 
eigen  zu  sein.«  »Das  Auftreten  unentwickelter  und  unverbundener  Ge- 
dankenanfänge ist  geradezu  eine  Eigentümlichkeit  der  mythischen  Zeit.« 
E.  H.  Berger:  Mythische  Kosraographie  der  Griechen.  Leipzig  1904. 
S.  15.  23. 

2.  Job.  2924  ist  verderbt  (Duhm).  Auch  im  Babylonischen  ist 
Ähnliches  nachweisbar. 


128      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

AntHtz  Jahves  herrührt.  Diese  Worte  stehen  folghch  im  strikten 
Gegensatz  zu  Ex.  332iff.,  wonach  Mose  trotz  seines  Bittens  das 
Antlitz  Jahves  nicht  sehen  dürfe,  wenn  anders  er  am  Leben 
bleiben  wolle.  Die  Geschichte  dieser  Theophanie  ist  im  Lauf 
der  Zeit  mehrfach  überarbeitet  worden,  wie  andere  Züge  be- 
stätigend lehren.  Eine  jüngere  Quelle  weiß  von  einer  Licht- 
glorie des  göttlichen  Antlitzes,  während  die  älteren  nichts  davon 
berichten.  Dem  entspricht  die  religionsgeschichtliche  Wandlung. 
Während  die  ältere  Zeit  es  vermeidet,  Jahve  zu  beschreiben, 
und  das  Göttliche  in  den  Schleier  keuschen  Geheimnisses  hüllt, 
haben  wir  in  Ez.  1  die  erste  wirkliche  Schilderung  der  gött- 
lichen Gestalt  Jahves.  Aber  mag  sie  auch  jünger  bezeugt  und 
später  zur  Geltung  gelangt  sein,  so  ist  sie  ihrem  Ursprünge 
nach  nicht  erst  damals  entstanden  und  keineswegs  aus  der  Luft 
gegriffen.  Eine  zweite,  noch  auffälligere  Tatsache  findet  sich 
im  selben  Zusammenhang.  Denn  auf  das  Flehen  des  Mose, 
Jahve  möge  sein  Volk  geleiten,  antwortet  dieser:  mein  Antlitz 
soll  mitgehen  (Ex.  33  u).  Und  ähnlich  heißt  es  Dtn.  43?:  mit 
seinem  Antlitz  führte  Jahve  Israel  aus  Ägypten.  Ein  Antlitz 
kann  nicht  führen.  Man  hat  daher  gesagt,  panim  sei  Engel- 
name (Smend^  S.  124).  Das  ist  aber  ausgeschlossen  durch 
Jes.  639,  wo  nur  Jahve  selbst  gemeint  sein  kann:  Nicht  Bote^ 
noch  Engel,  (sondern)  sein  Angesicht  rettete  sie.  Dazu  kommen 
noch  Ps.  444:  Das  Licht  deines  Antlitzes  verschaffte  ihnen  den 
Sieg,  und  Thren.  4i6:  Jahves  Antlitz  hat  sie  zerstreut  unter  die 
Völker.  Diese  Ausdrucksweise  ist  im  Israehtischen  ihrem  Ur- 
sprung nach  unverständlich.  Es  handelt  sich  hier  folglich  nicht 
um  genuine,  sondern  um  übernommene  Vorstellungen,  deren 
Deutung  unsicher  und  hypothetisch  bleibt.  Die  Kanaaniter* 
kannten  ein  Epitheton  Antlitz  des  Baal,  der  Göttin  ddh  bei- 
gelegt, und  nannten  darnach  verschiedene  Stätten  bN^3B  (Gen. 
32  3i),  d-eov  TtQooiüTtov  (Stbabo  XVI  2, 15  f.).  Eine  ausreichende 
Erklärung  dieser  ebenfalls  rätselhaften  Tatsache  ist  noch  nicht 
gegeben.  Hieran  darf  man  jedenfalls  noch  eher  erinnern  als 
an  die  babylonischen  Siegelzylinder*,   auf  denen  öfter  nur  das 


1.  Lies  ^"s  DuHM.  2.  Vgl.  Baethgen  S.  56  f. 

3.  PmcHES:  Collection  of  Sir  Henry  Peek.  Part.  III  S.  65.    Nielsen: 
Altarab.  Mondreligion  S.  179.     Nielsens  Thesen  vermag  ich  mir  nicht 


Der  Becher  Jahves.  129 

Gesicht  eines  Gottes  dargestellt  wird,  während  der  übrige 
Körper  fehlt.  Wir  müssen  uns  zum  Verständnis  der  israe- 
litischen Phrasen  mit  der  Annahme  begnügen,  daß  den  Hebräern 
das  Antlitz  Gottes  als  eine  geläufige  Bezeichnung  der  Gottheit 
selbst  (Jes.  689)  und  als  im  himmlischen  Lichtglanz  strahlend 
von  irgendwoher  vermittelt  wurde  1. 

Hierher  dürfen  wir  endlich  die  Vorstellung  von  dem  Becher 
in  der  Hand  Jahves  ziehen.  Eine  im  Arabischen  gebräuchliche 
Redensart  lautet:  q^Ü  ^j^^  ^J^  den  Todeshecher  trinken,  die 
zweifellos  vom  Giftbecher  hergenommen  ist.  Im  Alten  Testa- 
mente  ist   sie   nicht  nachweisbar.      Statt  dessen  findet  sich  die 


anzueignen,  da  er  lediglich  Vermutungen  ohne  Beweise  und  ohne  innere 
Anhaltspunkte  aufstellt. 

1.  Eichhorn  macht  mich  auf  die  wichtige  Tatsache  aufmerksam, 
daß  die  Gottesvorstellungen  der  Genesis  toto  coelo  verschieden  sind 
von  denen  des  ganzen  Alten  Testamentes.  Die  Erde  erbebt  nicht,  wenn 
Jahve  erscheint,  die  Hütte  wird  nicht  hell  von  seinem  Antlitz,  wenn  er 
eintritt,  der  Mensch  stirbt  nicht,  wenn  er  die  Gottheit  sieht.  Nur  in 
der  Genesis,  sonst  nie  wieder,  wird  Jahve  so  menschlich  gezeichnet. 
Mit  Adam  wandelt  er  durchs  Paradies,  bei  der  Sintflut  schließt  er 
persönlich  die  Arche  zu,  den  Duft  von  Noahs  Opfer  saugt  er  mit  Be- 
hagen ein;  bei  Abraham  ist  er  zu  Gaste  und  stärkt  sich  durch  ein 
Frühstück.  Mit  Jakob  ringt  er  und  unterliegt.  Man  merkt,  hier  weht 
eine  ganz  andere  religiöse  Luft  als  sonst  im  Alten  Testamente.  Diese 
Geschichten  müssen  in  einem  anderen  Kreise  entstanden  sein,  da  in 
ihnen  eine  eigentümliche  Atmosphäre  herrscht,  die  wir  nur  hier  kennen 
lernen.  Der  Unterschied  zwischen  der  Genesis  und  z.  B.  dem  Buche  Exodus 
in  dieser  Beziehung  ist  so  offenkundig,  daß  ihn  nur  ein  Blinder  über- 
sehen kann.  Wie  man  ihn  erklären  will,  ist  eine  zweite  Frage. 
Ich  nehme  an,  daß  die  Geschichten  der  Genesis  von  den  Kanaanitern 
entlehnt  sind,  die  gleich  Homer  in  einer  kulturübersättigten  Zeit 
lebten,  wo  die  Eeligion  sich  zu  zersetzen  und  in  Eationalismus  auf- 
zulösen begann.  Man  hat  die  Scheu  vor  der  Gottheit  verloren  und 
zieht  sie  ins  Menschliche  herab.  Die  scheinbare  Naivität  ist  in  Wirk- 
lichkeit Hyperkultur.  Sonderbar  ist  nur,  daß  die  Israeliten  niemals 
das  Bedürfnis  empfunden  haben,  die  spezifischen  Züge  der  GottesoiFen- 
barung,  mit  denen  wir  uns  in  diesem  und  in  den  vorhergehenden  Para- 
graphen beschäftigt  haben,  nachträglich  in  die  Genesiserzählungen 
einzufügen.  —  Einen  dritten  denkwürdigen  Kreis,  der  wieder  für  sich 
steht,  bilden  die  Josephsgeschichten.  »An  die  Stelle  des  Glaubens  an 
die  Gotteserscheinungen  ist  der  Yorsehungsglaube  getreten«  (Gunkel"^ 
S.  351). 

Forschungen  zur  Rel.  n.  Lit.  d.  A.  u.  NT.   6.  9 


130      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Phrase :  aus  dem  Zornesbecher  oder  aus  der  Zornesschale  trinken, 
die  auffälligerweise  nur  ein  einziges  Mal  (Hab.  2 15  nach  der 
Konjektur  Wellhausens)  in  profanem  Sinne  begegnet,  sonst 
stets  von  Jahve  ausgesagt  ist.  Das  Bild  ist  nicht  ohne  weiteres 
klar.  Man  möchte  es  ebenfalls  auf  den  Giftbecher  zurück- 
führen, da  das  Wort  nTsn  sowohl  Gift  wie  Zorn  heißte  Weil 
Gift  und  Zorn  für  das  semitische  Sprachbewußtsein  eng  zu- 
sammengehören, darum  kann  von  einem  Becher  und  von  einem 
Ausgießen  (Ez.  14 19.  20 33.  2222.  Hos.  5 10.  Thren.  24.  4 11)  und 
von  einem  Trinken  (Job.  21 20)  des  Zornes  gesprochen  werden. 
Wir  erwarten  demnach,  daß  die  Schilderung  der  Folgen,  die 
das  Trinken  des  göttlichen  Zornesbechers  hervorruft,  sich  decke 
mit  den  Erscheinungen,  die  durch  Giftgenuß  verursacht  werden. 

Von  einem  Giftwasser  Jahves  redet  unzweideutig  Jeremia. 
Sammelt  euch,  laßt  uns  in  die  festen  Städte  ziehen  und  dort 
untergehen;  denn  Jahve,  unser  Gott,  läßt  uns  untergehen  und 
tränkt  uns  mit  Giftwasser;  denn  wir  haben  gesündigt  wider 
Jahve  (Jer.  814).  Anderswo  sagt  Jahve:  Darum  will  ich  dies 
Volk  mit  Wermut  speisen  und  mit  Giftwasser  tränken  (Jer.  9 14. 
23 15).  In  allen  diesen  Versen  ist  ein  Gift  gemeint,  das  von 
einer  uns  unbekannten  Pflanze  genommen  wird,  wie  wir  auch 
die  von  uns  mit  Wermut  übersetzte  Pflanze  nicht  genau  iden- 
tifizieren können  2.     Soweit  sind  die  Bilder  klar. 

Die  Unklarheit  beginnt  schon  an  der  Stelle,  die  man 
ohne  Grund  als  die  Quelle  dieser  ganzen  Idee  angesehen  hat: 
Denn  so  sprach  Jahve,  der  Gott  Israels  zu  mir:  Nimm^  diesen 
Weinbecher  ....  aus  meiner  Hand  und  lasse  ihn  trinken 
alle  Völker,  zu  denen  ich  dich  sende.  Und  sie  sollen  trinken 
und  ins  Schwanken  geraten  und  ins  Rasen  durch  das  Schwert, 
das  ich  unter  sie  sende.  Und  ich  nahm  den  Becher  aus  der 
Hand  Jahves  und  ließ  ihn  trinken  alle  Völker,  zu  denen  Jahve 
mich  gesandt  hatte  ....  Du  aber  sollst  zu  ihnen  sagen:  So 
spricht  Jahve  der  Heerscharen,   der  Gott  Israels:    Trinkt,   daß 


1.  Die  Urbedeutung  ist  »Gift«,  wie  die  Übereinstimmung  des  Assy- 
rischen (imtu),  Arabischen  /^c'^jLj,  Äthiopischen  (rflCp*^;  Galle)  und 

Syrischen  (f^ouaju)  lehrt. 

2.  Man  denkt  an  Artemisia  absinthium,   die   aber  nicht  giftig  ist. 


Der  Becher  Jahves.  131 

ihr  trunken  werdet  und  speit  und  hinfallt,  ohne  aufzustehen^ 
vor  dem  Schwerte,  das  ich  mitten  unter  euch  sende  (Jer.  25i5ff.  27). 
Hier  sind  zwei  Bilder  mit  einander  vermengt:  das  vom  Trinken 
des  Bechers  Jahves  und  das  vom  Gefressen  werden  durchs 
Schwert.  Möglich  war  dies,  da  beide  inhaltUch  identisch  sind 
und  den  gewaltsamen  Tod  bedeuten.  Der  Verfasser  war  sich 
des  bildlichen  Charakters  gar  nicht  mehr  bewußt  und  brauchte 
darum  beide  metonymisch.  Um  dieses  abgeblaßten  Sinnes 
willen  kann  die  Phrase  vom  Becher  Jahves  nicht  erstmalig 
durch  Jeremia  geschaffen,  sondern  sie  muß  um  vieles  älter 
sein.  Wollte  man  selbst  mit  Duhm  das  Schwert  als  Glosse 
streichen,  so  ist  doch  nicht  jeder  Anstoß  entfernt.  Denn  das 
Bild  bleibt  trotzdem  unklar.  Obwohl  der  Becher  ausdrücklich 
als  Weinbecher  bezeichnet  ist,  paßt  die  folgende  Schilderung 
nicht  dazu.  Vom  Wein  kann  man  zwar  trunken  werden,  speien 
und  hinfallen,  aber  man  steht  wieder  auf,  man  stirbt  nicht 
davon  noch  gerät  man  durch  ihn  in  Easerei.  Der  Wein  ist 
überhaupt  vÖlHg  ungeeignet,  um  das  Unheil  zu  symbolisieren, 
das  er  hier  symbolisieren  muß.  Denn  er  ist  in  erster  Linie  ein 
köstlicher  Trank,  ein  Freudespender  und  Sorgenloser,  und  er 
behält  diesen  Charakter  trotz  der  unangenehmen  Wirkungen, 
die  sich  an  den  übermäßigen  Genuß  knüpfen. 

Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  ist  Ps.  60 5  ebenso  auffällig: 
Du  hast  dein  Volk  Hartes  sehen  lassen,  du  hast  uns  Taumel- 
wein  trinken  lassen.  Baethgen  erklärt:  »Der  Taumel  selbst 
ist  das  Gift,  welches  das  Volk  getrunken  hat«.  Aber  es  handelt 
sich  hier,  wie  aus  dem  Parallelismus  hervorgeht,  einfach  um  eine 
technische  Redensart.  Du  hast  uns  mit  Taumelwein  getränkt 
d.  h.  du  hast  uns  Unheil  bescheert.  Der  Taumelwein  hat  hier 
dieselbe  Bedeutung  wie  im  Neuen  Testamente  tvottJqiov  Unheil 
(Matt.  2O22.  2639).  Vom  Weine  aus  ist  diese  Begriffsentwicklung 
schlechterdings  unverständhch.  Ebenso  kennt  Ps.  709  nur  den 
Unheilsbecher:  Denn  ein  Becher  ist  in  der  Hand  Jahves  mit 
gärendem  Wein  voller  Würze,  und  er  schenkt  davon,  und  auch^ 
seine  Hefen  müssen  trinken,  müssen  schlürfen  alle  Gottlosen 
auf  Erden;  ich  aber  will  jubeln  für  immer.  Der  Fromme  trinkt 
den  Most  Jahves  nicht.     Wäre  wirklich  himmhscher  Wein  im 


1.  Lies  ns  Wellhausen. 


132      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Becher  Jahves,  so  müßte  der  Gerechte  zu  allererst  davon  kosten. 
Der  Weinbecher  kann  demnach  nicht  ursprünglich  sein,  sondern 
muß  als  ein  späteres  Substitut  aufgefaßt  werden. 

An  einer  anderen  Reihe  von  Stellen  wird  das  Getränk 
nicht  näher  bezeichnet.  So  heißt  es  Jer.  5139:  .  .  .  ich  will 
bereiten  ihren  Trank  und  will  sie  trunken  machen,  damit  sie 
zusammenbrechen^  und  entschlafen  zu  ewigem  Schlaf  ohne  Er- 
wachen, spricht  Jahve.  Wie  hier  der  Tod  als  eine  Wirkung 
des  göttlichen  Trankes  ausdrücklich  genannt  wird,  so  auch 
Ob.  16:  Denn  so  wie  ihr  auf  meinem  heiligen  Berge  habt 
trinken  müssen,  werden  alle  Völker  beständig  trinken,  trinken 
und  wieder  trinken^,  und  sein,  als  wären  sie  nie  gewesen.  Die- 
selbe Idee  scheint  Ez.  2332f.  (vgl.  Y.  25fF.)  vorausgesetzt  zu  sein: 
Den  Becher,  der  deiner  Schwester  gereicht  ward,  sollst  du 
trinken,  den  tiefen,  weiten  ....  der  viel  zu  fassen  vermag  .... 
den  Becher  des  Schauers  und  des  Schauders.  Anderswo  ist  es 
nicht  der  Tod,  sondern  die  Schmach,  die  den  Trinker  trifft. 
Freue  dich  und  sei  fröhlich,  .  . .  die  du  wohnst  im  Lande  Uz,  auch 
an  dich  wird  der  Becher  kommen,  du  wirst  dich  berauschen  und 
entblößten  (Thren.  4 21).  Wehe  dem,  der  den  Änderen  zu  trinken 
gibt  aus  der  Schale  seines  Zornes^  bis  zur  Berauschung,  um  an 
ihrer  Schande  sich  zu  weiden.  Trink  nun  auch  du  und  taumle^, 
es  kommt  an  dich  der  Becher  aus  der  Rechten  Jahves,  und  du 
wirst  dich  sättigen  an  Schmach  statt  an  Ehre^  (Hab.  2i5f.). 
Wieder  an  anderen  Stellen  wird  Ohnmacht  oder  Wahnsinn  als 
Folge  des  Trinkens  genannt.  Ermuntere  dich,  ermuntere  dich, 
steh  auf,  Jerusalem,  die  du  getrunken  hast  von  Jahves  Hand 
den  Becher  seines  Grimmes,  die  du  den  Kelch  des  Taumels  ge- 
trunken, geschlürft  hast  .  .  .  Deine  Söhne  lagen  ohnmächtig  .  .  . 
wie  die  Antilope  im  Netz,  Sie  waren  voll  vom  Grimm  Jahves, 
vom  Schelten  deines  Gottes.  Darum  höre  dies.  Elende  und 
Trunkene,  doch  nicht  vom  Wein.  So  spricht  Jahve,  dein  Gott, 
der  da  hadert  für  sein  Volk:  Siehe,  genommen  habe  ich  von 
deiner  Hand  den  Becher  des  Taumels,  nicht  wirst  du  ferner 
mehr  trinken  den  Kelch  meines  Grimmes  ( Jes.  51  i7ff.).     In  über- 


1.  Lies  ic^y  Giesebrecht.  2.  Lies  i^yi;  vgl.  das  arab.   \^. 

3.  Lies  ir^rt  pcis  Wellhausen.  4.  Lies  ^?'^ni  LXX. 

5.  Vgl.  Wellhausen  und  Nowack  z.  St. 


Der  Becher  Jahves.  133 

tragenem  Sinne  werden  Städte  als  ünheilsbecher  Jahves  aufgefaßt: 
Ein  goldener  Becher  war  Babel  in  der  Hand  Jahves,  der  die 
ganze  Erde  berauschen  sollte;  vom  Weine  darin  tranken  die 
Völker,  darum  gebürdeten  sie  sich  wie  Rasende  (Jer.  51?). 
DüHMs  allegorische  Erklärung  ist  nicht  überzeugend:  »Der 
Wein  ist  die  verführende  Macht,  die  die  reiche,  prächtige 
Königs-  und  Handelsstadt  auf  die  Welt  ausübte«.  Der  Ver- 
fasser will  vielmehr  sagen:  Das  Unheil  der  Erde  kam  auf  Ver- 
anstaltung Jahves  grade  aus  dem  prachtvollen  Babel.  Um 
diesen  Gedanken  auszudrücken,  benutzt  er  die  Voretellung  von 
dem  Becher  Jahves  und  stellt  die  Stadt  selbst  als  diesen  Kelch 
dar,  aus  dem  die  Völker  trinken,  sich  berauschen  und  dann 
wahnsinnig  werden.  Zach.  122  wird  dasselbe  Bild  auf  Jerusalem 
angewandt:  Siehe,  ich  mache  Jerusalem  zu  einem  Taumelkelch 
für  alle  Völker  ringsum,  und  auch  Juda^  wird  dabei  sein  bei 
der  Belagerung  Jerusalems. 

Fassen  wir  die  Einzelzüge  zu  einer  Gesamtanschauung  zu- 
sammen, so  ergibt  sich  Folgendes :  Wer  aus  dem  Becher  Jahves 
trinkt,  wird  berauscht,  taumelt,  gebärdet  sich  wie  ein  Käsender, 
fällt  ohnmächtig  hin,  entblößt  sich  oder  wird,  als  wäre  er  nie 
gewesen,  wird  entschlafen  zu  ewigem  Schlaf,  ohne  Erwachen. 
So  weit  die  Tatsachen.  Die  im  Folgenden  versuchte 
Erklärung^  kann  nur  den  Anspruch  einer  Hypothese 
erheben. 

Sehen  wir  von  dem  zuerst  erwähnten  Giftwasser  ab  und 
achten  wir  nur  auf  die  zuletzt  genannten  Dinge,  so  sind  sie 
weder  für  das  Giftwasser  noch  für  den  Wein  charakteristisch. 
Sie  passen  nicht  zu  purem  Gifte.  Denn  dann  würde  ein  Trunk 
genügen,  um  das  Ende  des  Trinkers  herbeizuführen,  dann 
würde  man  ihn  nicht  trinken,  trinken  und  wieder  trinken,  dann 
würde  man  nicht  bloß  ohnmächtig  oder  rasend.  Ebenso  wenig 
stimmen  sie  zum  Weine.  Denn  er  ist  kein  Symbol  des  Unglücks, 
sondern  des  Glücks,  und  wer  ihn  genießt,  entschläft  nicht  zu 
ewigem  Schlaf,  ohne  Erwachen.  Mit  größerem  Recht  darf  man 
an  ein  langsam  wirkendes  Pflanzengift  denken,  das  nicht  immer 
zum  Tode,  sondern  mitunter  nur  zur  Ohnmacht  oder  zur  Raserei 


1.  Streiche  hv  Geigeb. 

2.  Im  Anschluß  an  eine  mündliche  Mitteilung  Gunkels. 


134      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

führt.  Grade  die  Worte,  mit  denen  das  Sterben  nicht  direkt 
genannt,  sondern  umschrieben  wird,  lassen  auf  eine  Art  Opium, 
Haschisch  oder  einen  ähnlichen  Eauschtrank  schließen,  aus  dem 
man  Lethe  schlürft  und  wird,  als  wäre  man  nie  gewesen,  durch 
dessen  Genuß  man  entschlummert  oder,  falls  er  zu  reichlich 
gewesen,  auf  immer  entschläft.  Die  Kenntnis  eines  solchen 
Rauschmittels  und  seiner  Wirkungen  darf  man  jedenfalls  damals 
so  gut  voraussetzen,  wie  sie  heute  im  Orient  vorhanden  ist. 

Nun  wird  jedoch  an  einigen  Stellen  der  Wein,  wie  wir 
gesehen  haben,  ausdrückHch  genannt,  und  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  sind  ja  auch  die  Folgen  des  Weingenusses  denen  des 
Rauschtrankes  ähnlich,  sodaß  beides  sehr  wohl  in  der  Phantasie 
der  Propheten  mit  einander  kombiniert  werden  konnte.  Man 
müßte  aber  eine  Übertreibung  annehmen,  die  auch  deshalb 
wahrscheinlich  ist,  weil  nicht  bloß  Einzelne,  sondern  ganze 
Völker  aus  dem  Becher  Jahves  trinken  sollen.  Diese  Schilde- 
rungen sind  charakterisiert  durch  eine  wild-phantastische  und 
groteske  Art.  Wie  wir  von  künstlichen  Mitteln,  von  Musik 
(II  Reg.  3 15)  und  Tanz  (IReg.  18)  der  älteren  Propheten  hören, 
um  die  Verzückung  hervorzurufen,  so  erfahren  wir  auch  durch 
Jesaja,  daß  die  Priester  und  Propheten,  durch  Wein  und  Meth 
in  Ekstase  versetzt,  sinnlose  Orakel  in  barbarischem  Kauder- 
welsch stammeln  (Jes.  287ff.),  wenn  sie  nicht  einfach  den  Jesaja 
höhnen.  Jedenfalls  benutzt  dieser  ihr  Wort,  um  es  gegen  sie 
selbst  anzuwenden  und  ihnen  zuzurufen:  Jawohl,  in  solchem 
barbarischen  Kauderwelsch  wird  Jahve  schon  zu  euch  reden 
und  euch  —  assyrisch  lehren!  Durch  eine  ähnliche  Pointe 
werden  vielleicht  auch  die  Dinge  verständlich,  die  uns  hier  be- 
schäftigen. 

In  der  Heilseschatologie  begegnet  uns  einmal  eine  Schil- 
derung, wie  Jahve  auf  seinem  Berge  allen  Völkern  ein  großes 
Gastmahl  anrichtet  aus  Fettspeisen  und  Hefenweinen  (Jes.  206). 
Diese  Idee  muß,  wie  aus  manchen  Anzeichen  hervorgeht  (vgl. 
§  14),  alt  sein,  obwohl  sie  uns  nur  an  einer  späten  Stelle  über- 
liefert ist,  und  muß  einmal  eine  größere  Rolle  gespielt  haben. 
Wir  haben  darum  ein  Recht,  für  uns  verlorene  Beschreibungen 
eines  solchen  göttlichen  Gelages  zu  vermuten,  das  wohl  nach 
Art  der  Feste  gedacht  war,  die  man  im  Tempel  am  Tische 


Der  Becher  Jahves.  135 

der  Gottheit  feierte.  Beim  Hauptfest,  das  nach  der  Weinlese 
stattfand,  zogen  die  Scharen  unter  fröhhchem  Flötenspiel  in 
die  Festhallen  der  HeiHgtümer  (ISam.  922.  Jes.  3O29).  Dort 
aß  man  und  trank  man  und  war  fröhlich  vor  Jahve.  Wenn 
dann  der  Festbecher,  der  Becher  Jahves,  von  Hand  zu  Hand 
gereicht  ward,  herrschte  ausgelassene  Freude,  die  oft  das  Maß 
des  Anstands  überschreiten  mochte  (Jdc.  21 21.  ISam.  I13. 
Am.  2?). 

Denken  wir  uns  an  diesen  Festen  im  allgemeinen  und  an 
dem  Jahvefest  der  Heilseschatologie  im  besonderen  die  Schilde- 
rungen der  Propheten  orientiert,  so  werden  sie  begreiflich  als 
eine  Verdrehung  ins  Groteske.  Für  sie  ist  der  Tag  Jahves  ein 
Tag  des  Unheils,  und  darum  verwandelt  sich  für  sie  das  Bild 
der  Heiterkeit  in  ein  Bild  des  Entsetzens.  Auch  sie  stellen, 
in  Anlehnung  an  die  populären  Anschauungen,  jenen  Tag  als 
ein  Opferfest  dar,  an  dem  der  Becher  Jahves  kreist,  aber  sie 
übertreiben  die  Wirkungen  des  Weines,  als  würde  ein  Rausch- 
trank oder  gar  Giftwasser  von  Jahve  kredenzt.  Ein  ganzes 
Volk  trinkt,  rast,  taumelt,  stürzt,  verliert  die  Besinnung,  ent- 
schläft und  wird,  als  wäre  es  nie  gewesen.  Diese  Erklärung 
ist  nur  eine  Hypothese,  aber  nicht  unwahrscheinlicher  als  andere, 
zumal  wenn  sie  im  Zusammenhang  mit  den  Tatsachen  be- 
trachtet wird,  die  im  nächsten  Paragraphen  behandelt  werden 
sollen. 

In  einem  anderen  Sinne  lernen  wir  sehr  viel  später 
den  Becher  Jahves  als  Inspirationsbecher  kennen.  Als  Esra 
die  heiligen  Schriften  diktieren  soll,  ruft  eine  Stimme  ihm  zu: 
Esra,  tu  den  Mund  auf  und  trinke,  ivomit  ich  dich  tränke! 
Da  tat  ich  den  Mund  auf  und  sieh,  ein  voller  Kelch  ward  mir 
gereicht,  der  war  gefüllt  wie  von  Wasser,  dessen  Farbe  aber 
dem  Feuer  gleich  war  (IV  Esra  1437ff.).  Hier  wird  deutlich  die 
Inspiration  unter  dem  Bilde  des  Trinkens  aus  dem  göttlichen 
Becher  beschrieben.  Daß  dieser  Zug  von  diesem  Schriftsteller 
zum  ersten  Mal  erfunden  sei,  wird  niemand  behaupten  wollen, 
der  als  ein  wesentliches  Merkmal  der  Apokalyptik  das  Arbeiten 
mit  überkommenen  Ideen  anerkennt.  Aber  ob  die  Vorstellung 
altisraehtisch  ist,  können  wir  aus  Mangel  an  Material  nicht 
entscheiden.     Sie   hat  jedoch   mit  den   oben   angeführten  Tat- 


136      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Sachen    scheinbar    nichts    zu   tun.      ReHgionsgeschichtlich   sind 
viele  Parallelen  zu  ihr  vorhanden  ^ 


§  14.    Die  Opfermahlzeit  Jahves. 

Der  Tag  Jahves  heißt  Zeph.  Is  m?T'  nnt  Di"«.  Die  ge- 
wöhnliche Übersetzung  lautet:  Tag  des  Opfers  Jahves.  Sie  ist 
ungenau,  wie  aus  dem  vorhergehenden  Verse  folgt:  Still  vor 
dem  Herrn  Jahve;  denn  nah  ist  der  Tag  Jahves;  denn  bereitet 
hat  Jahve  das  Opfer,  hat  die  von  ihm  Geladenen  geheiligt.  Weil 
von  Geladenen,  von  Gästen,  die  Rede  ist,  handelt  es  sich  nicht 
einfach  um  ein  Opfer,  sondern  genauer  um  eine  Opfermahlzeit. 
Die  Seltsamkeit  dieser  Vorstellung  wird  durch  die  ungenaue 
Wiedergabe:  Tag  des  Opfers  Jahves  stark  abgeschwächt.  Wir 
würden  es  verstehen,  wenn  das  Morden  der  Menschen  ein 
Opfern  genannt  würde,  da  in  alter  Zeit  jedes  Schlachten  ein 
Opfern  gewesen  ist.  Das  Wort  Jeremias:  Ich  lasse  sie  hin- 
stürzen wie  Schafe  heim  Schlachten  (51 40),  bedarf  keiner  Er- 
klärung. Auch  das  ist  begreiflich,  warum  Jahve  ein  Opfer 
veranstaltet  im  Lande  des  Nordens  am  Flusse  Euphrat  (Jer.  46 10). 
Menschliche  Funktionen  sind  in  poetischer  Lizenz  auf  die  Gott- 
heit übertragen,  obwohl  sich  bei  scharfer  Logik  einige  Schwierig- 
keiten ergeben.  Denn  während  die  Opfer  sonst  einer  Gottheit 
dargebracht  zu  werden  pflegen  und  irgend  einen  bestimmten 
Zweck  verfolgen,  ist  hier  Beides  außer  Acht  gelassen. 

Der  Tag  Jahves  als  Opfermahlzeit  hingegen,  an  der  ge- 
ladene Gäste  teilnehmen,  ist  eine  zunächst  völlig  rätselhafte 
Anschauung.  Wir  erfahren  nicht  genau,  wer  das  Schlachtopfer 
und  wer  die  Gäste  sind.  Es  liegt  im  Stil  der  prophetischen 
Rede,  dunkel,  geheimnisvoll,  orakulös  das  Künftige  mehr  anzu- 
deuten als  zu  nennen,  es  lieber  mit  einem  leichten  Schleier  zu 
verhüllen  als  zu  offenbaren.  Nach  der  herkömmlichen  Auf- 
fassung sind  die  Israeliten  das  Schlachtopfer,  während  man 
ihre  Feinde,  die  Völker,  als  die  Gäste  betrachtet.  Wenn  man 
den  Zephanja  beim  Worte  nimmt,  so  ist  diese  Erklärung 
unmöglich.     Denn   mit  Israel  sollen  alle  Tiere,  Vögel,  Fische, 


1.  Vgl,  Oldenberg:  Keligion  des  Veda  S.  175, 


Die  Opfermahlzeit  Jahves.  137 

ja  alles,  auch  die  Menschen,  vernichtet  werden  (l2f.).  Trotzdem 
darf  man  vielleicht  kein  allzu  großes  Gewicht  auf  diese  Verse 
legen,  da  sie  als  Einleitung  gewissermaßen  nur  das  Motto  für 
die  gleich  darauf  geschilderte  israelitische  Katastrophe  bilden 
und  den  breiten,  überlieferten  Rahmen  abgeben,  in  dem  das 
kleine,  spezifisch  prophetische  Bild  steckt.  Es  bleibt  noch  eine 
andere  Möglichkeit,  die  deshalb  vorzuziehen  ist,  weil  sie  besser 
in  den  Zusammenhang  paßt,  während  jene  ihn  inkonzinn  ge- 
staltet, uj^npn  ist  auch  Terminus  technicus  für  das  zu  opfernde 
Tier:  stürze  sie  hin  wie  Schafe  zur  Schlachtung  und  heilige  sie 
auf  den  Tag  des  Würgens  (Jer.  123).  Die  geladenen  Gäste, 
die  Jahve  geheiligt  d.  h.  dem  Untergang  geweiht  hat,  sind 
identisch  mit  dem  Schlachtopfer,  sind  also  niemand  anders  als 
die  Israeliten  selbst.  Wie  grausig  ist  das  Bild,  das  der  Prophet 
hier  mit  ein  paar  Strichen  gemalt  hat!  Jahve  veranstaltet  ein 
göttliches  Gastmahl.  Aber  während  man  sich  sonst  freut  vor 
Jahve,  wie  der  geläufige  Ausdruck  für  die  im  Tempel  genossene 
Mahlzeit  lautet,  hat  hier  der  Gastgeber  selbst  bereits  das  Schwert 
gewetzt,  um  seine  eigenen  Gäste  zu  morden. 

Zephanja  denkt  sich  die  Ausführung  der  Tat  nicht  ganz 
so  entsetzlich  und  wörthch.  In  V.  16:  ein  Tag  der  Trompete 
und  des  Kriegsgeschreis  gegen  die  festen  Städte  und  gegen  die 
hohen  Zinnen,  deutet  er  an,  daß  Jahve  sich  eines  irdischen 
Mittlers  bedient,  eines  feindhchen  Heeres,  das  Israel  besiegt 
und  vernichtet.  Aber  man  steht  zunächst  vor  einem 
völligen  Rätsel,  wenn  man  fragt,  wie  sich  der  Prophet 
den  Untergang  Israels  durch  einen  unglücklichen 
Feldzug  unter  dem  Bilde  einer  göttlichen  Opfermahl- 
zeit vorstellen  konnte.  So  viel  wird  man  mit  Sicherheit 
sagen  dürfen:  Ganz  aus  sich  selbst  hat  er  diese  Idee  nicht  ge- 
schaffen, da  sie  dazu  viel  zu  dunkel  und  abrupt  auftritt. 
Er  wird  sich  vielmehr  an  eine  damals  bekannte,  uns  unbekannte 
Tradition  angelehnt  haben.  Fragen  wir  nun  weiter,  woher  er 
diese  Tradition  hatte  und  wie  sie  aussah,  so  tappen  wir  im 
Dunkeln.  Aus  den  uns  überlieferten  älteren  prophetischen 
Büchern  stammt  sie  nicht.  Ob  sie  nur  mündlich  oder  auch 
schrifthch  fixiert  war,  läßt  sich  nicht  ausmachen.  Ich  trage 
kein  Bedenken,  eine  reiche  Literatur  über  den  Tag  Jahves 
vorauszusetzen,  die  uns  verloren  gegangen  ist.     Das  ist  eigentlich 


138      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

selbstverständHch,  wenn  man  überlegt,  wie  aus  der  ganzen  fast 
tausendjährigen  Geschichte,  die  das  israeHtisch-jüdische  Volk 
erlebt  hat,  nur  diese  paar  Bruchstücke  erhalten  sind,  die  wir 
Altes  Testament  nennen.  Und  doch  wird  selten  Ernst  gemacht 
mit  diesem  Gedanken.  Man  meint  meist,  wenn  man  die  älteren 
Quellenschriften  seziert  hat,  dann  habe  man  eine  Kenntnis  von 
dem  geistigen  Leben  des  vorexilischen  Israel.  In  Wirkhchkeit 
besitzen  wir  eine  ganz  dürftige  Kunde.  Gunkel  hat  des  Öfteren 
darauf  hingewiesen,  daß  an  manchen  Stellen  des  Priesterkodex 
gute  alte  Tradition  vorliegt,  die  wir  in  den  älteren,  noch  vor- 
handenen Schriften  vergebens  suchen.  Es  muß  neben  ihnen 
her  ein  breiter  Strom  existiert  haben,  der  kostbare  Überlieferungen 
mit  sich  führte,  von  denen  wir  zufällig  einmal  aus  späterer 
Zeit  hören.  Genau  so  ist  es  mit  den  prophetischen  Büchern. 
Aus  einzelnen  Anspielungen,  unzusammenhängenden  Fragmenten 
und  undeutlichen,  unverständlichen  Bildern  müssen  wir  notwendig 
schließen,  daß  neben  ihnen  und  vor  ihnen  eine  reiche,  vor 
allem  auch  eschatologische  Tradition  fortgepflanzt  wurde,  sei  es 
mündlich  sei  es  schriftlich. 

Etwas  anders  als  Zephanja  ist  Jes.  ISs:  Ich  habe  entboten 
meine  Geheiligten,  auch  eingeladen  meine  Recken  zu  meinem 
Zorn,  meine  stolz-frohlockenden.  Hier  sind  die  Geheiligten 
nicht  das  Opfer,  sondern  das  Werkzeug  Jahves:  Horch  Ge- 
tümmel in  den  Bergen  gleich  einem  großen  Volk,  horch  Lärm 
von  Königreichen^,  versammelten  Völkern!  Jahve  Zehaoth  mustert 
das  Heer  der  Schlacht  (V.  4).  Genauer  sind  es  (nach  V.  17) 
die  Meder,  die  Babel  vernichten  sollen.  Als  Opferpriester  von 
besonderer  Heiligkeit,  die  sich  nicht  selbst  durch  Lustrationen 
und  Sühnebräuche  geweiht  haben,  sondern  die  von  Jahve  ge- 
weiht sind,  vollziehen  sie  das  Opfer  an  dem  auserlesenen  Schlacht- 
tier und  nehmen  als  Gäste  Jahves  am  Opfermahle  teil.  Nur 
dieser  einleitende  Vers  setzt  vielleicht  die  Opferidee  voraus,  während 
nachher  das  Ende  Babels  nicht  mit  den  Farben  der  Opferung 
gemalt  wird.  Das  Bild  ist  hier  also  ebenso  typisch  wie  bei 
Zephanja,  und  die  Anschauung  vom  Tage  Jahves  als  einem 
Opferschmaus  wird  darum  nicht  verständlicher. 

Zum  dritten  Male  begegnet  sie  uns  in  der  Gogweissagung 


1.  Lies  nisVrtt  DE  Lagarde. 


Die  Opfermahlzeit  Jahves.  139 

Ez.  39i7fF.:  Du  aber,  Menschenkind,  .  .  .  sprich  zu  den  mannig- 
fach beschwingten  Vögeln  und  zu  dem  Getier  des  Feldes:  .... 
Schart  euch  zusammen  von  ringsum  zu  meinem  Opfermahle,  das 
ich  für  euch  schlachten  will,  ein  großes  Opfermahl  auf  den 
Bergen  Israels,  und  ihr  sollt  Fleisch  fressen  und  Blut  trinken. 
Fleisch  von  Helden  sollt  ihr  fressen  und  das  Blut  der  Fürsten 
der  Erde  sollt  ihr  trinken,  Widder,  Lämmer  und  Böcke,  Farren 
und  Masttiere  von  Basan,  insgesamt.  Und  ihr  sollt  Fett  fressen 
bis  zur  Sättigung  und  Blut  trinken  bis  zur  Trunkenheit  von 
meinem  Opfermahle,  das  ich  für  euch  geschlachtet  habe.  Und  ihr 
sollt  euch  an  meinem  Tische  sättigen  an  Bossen  und  Pferden,  Helden 
und  allerlei  Kriegsleuten.  Vorausgesetzt  wird  in  diesen  Worten, 
daß  Gog  nicht  bestattet  wird,  sondern  unbeerdigt  liegen  bleibt. 
Das  paßt  nicht  recht  zu  dem  Vorhergehenden,  wo  von  den 
Veranstaltungen  zum  Wegschaffen  der  Leichen  die  Rede  ist. 
Der  Zusammenhang  ist  nicht  organisch  (so  schon  KeItzschmae). 
Trotzdem  liegt  auch  hier  uraltes  Gut  vor.  Das  Verzehren  der 
Leichen  durch  Vögel  und  Tiere  wird  sonderbarer  Weise  als 
ein  Opferschmaus  beschrieben.  Gog  ist  ein  auserlesenes  Menschen- 
opfer, das  mit  den  kostbarsten  Schlachttieren,  nämhch  denen 
ßasans,  auf  eine  Stufe  gestellt  wird.  Die  Teilnehmer  an  der 
Mahlzeit,  Vögel  und  Tiere,  erhalten  die  besten  Opferteile:  Blut 
und  Fett.  Dieser  Zug  kann  vom  Verfasser  nicht  erfunden 
sein,  er  ist  in  dieser  späteren  und  selbst  in  der  früheren  Zeit 
nicht  begreiflich.  Nach  Ez.  44 15  sollen  Blut  und  Fett  des 
Opfertieres  als  die  vornehmlichen  Träger  des  Lebens  Jahve 
dargebracht  werden,  und  nach  Lev.  3  darf  man  Fett  und  Blut 
nicht  genießen,  weil  sie  die  heihgsten  Bestandteile  des  Opfers 
sind,  die  Jahve  selbst  zukommen.  Sehr  viel  früher  wurden 
Blut  und  Fett  einmal  von  den  Opferteilnehmern  selbst  getrunken 
(Smith:  ßel.  der  Sem.  S.  177).  Aber  hier  werden  diese  hoch- 
heihgen  Stücke  weder  Jahve  noch  den  Menschen,  sondern  den 
Tieren  zu  teil. 

Die  Tradition  kehrt  Jes.  34  in  doppelter  Form  wieder. 
Man  hat  mit  Unrecht  an  eine  Nachahmung  Ezechiels  gedacht. 
Denn  hier  findet  sich  ein  Zug,  den  wir  dort  nicht  getroffen 
haben.  Alle  Völker  werden  bestimmt  für  die  Schlachtung  und 
geopfert.     Die  Leichname  werden  hingeworfen,  und  die  Berge 


140      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

zerfließen  von  ihrem  Blut  und  flüssig  werden  alle  {Hügely.  Da 
im  Folgenden  das  Schwert  Jahves  besonders  auf  Edom  herab- 
fährt, so  werden  die  Edomiter  als  Hammel  und  Böcke  dar- 
gestellt, an  deren  Blut  und  Nierenfett  das  Schwert  Jahves 
sich  berauscht.  Und  es  trinkt  ihr  Land  das  Blut,  und  ihr 
Staub  wird  von  Fett  getränkt.  Blut  und  Fett,  die  hochheiligen 
Träger  des  Lebens,  werden  also  hier  nicht  von  der  Gottheit, 
auch  nicht  von  Menschen  oder  Tieren,  sondern  von  den  Bergen 
und  der  Erde  genossen. 

Die  nächste  Parallele  zu  dem  Opfer  der  Völker  sind  die 
Erzählungen  vom  Ende  der  Tiämat.  Der  Tannin  wird  ebenso 
wie  sie  nicht  begraben,  sondern  aufs  Land,  in  die  Wüste  ge- 
worfen, wo  ihn  die  Tiere  des  Feldes  und  die  Vögel  des  Himmels 
fressen  (Ez.  295.  324.  Ps.  74 m).  Das  Fleisch  wird  auf  die 
Berge  gebracht,  mit  dem  Ase  werden  die  Täler  gefüllt  und 
mit  dem  Blute  das  Land  getränkt  (Ez.  326).  Es  ist  möglich, 
daß  die  eschatologischen  Schilderungen  der  Propheten  durch 
diese  urzeitlichen  Gemälde  beeinflußt  sind,  und  eine  gemein- 
same Wurzel  scheint  nicht  ausgeschlossen  zu  sein.  Aber  die 
Deutung  der  zusammengestellten  Tatsachen  ist  sehr  hypothetisch, 
und  auch  die  im  Folgenden  versuchte  andersa-rtige  Er- 
klärung2  kann  keineswegs  auf  Sicherheit,  sondern 
nur  auf  Wahrscheinlichkeit  Anspruch  erheben. 

Nach  Jes.  256  wird  Jahve  in  der  Heilszeit  (vgl.  2423)  ein 
Gelage  veranstalten  von  Fettspeisen  und  Hefenweinen  für  alle 
Völker.  Dies  Symposion  darf  man  schwerlich  trennen  von  der 
im  Vorhergehenden  behandelten  Opfermahlzeit.  Denn  sein 
heiliger  Opfercharakter  zeigt  sich  nicht  nur  darin,'  daß  Jahve 
der  Gastgeber  ist  und  daß  die  Bewirtung  auf  dem  heiligen 
Berge  Zion  geschieht,  sondern  auch  in  der  Wahl  der  Speisen. 
Fett  ist  das  Ambrosia  Jahves  (Lev.  c.  3).  Auch  hierzu  liefert 
der  Tiämatmythus  eine  frappante  Parallele.  Leviathan  und 
Behemoth  sollen  einst  von  den  Übriggebhebenen  im  messiani- 
schen  Reiche  verzehrt  werden  (IBar.  29.  IVEsra  652.  IHen.  6O24). 
Nach  den  Eabbinen  wird  ihr  Fleisch  aufbewahrt  für  das  köst- 
liche Mahl  der  SeHgen  (Webek:  Jüd.  Theol.»  S.  202).    Leider 


1.  So   mit    BiCKELL,    DUHM, 

2.  Auf  sie  hat  mich  Gunkel  hingewiesen. 


Die  Opfermahlzeit  Jahves.  141 

erfahren  wir  alle  diese  Dinge  nur  aus  späten  Quellen.  Obwohl 
sie  ihrer  mythischen  Natur  nach  alt  sein  müssen,  ist  es  doch 
die  Frage,  ob  wir  sie  grade  in  Israel  vor  dem  Exil  als  bekannt 
voraussetzen  dürfen.  Nehmen  wir  das  hypothetisch  an,  so  würde 
sich  die  prophetische  Idee  von  der  schreckhchen  Opfermahlzeit 
Jahves  als  gegensätzlich  daran  orientiert  erklären. 

Ebenso  wie  der  Becher  Jahves  (vgl.  o.  S.  135)  würde  die 
göttHche  Opfermahlzeit  ursprünglich  eine  Freudenfeier  darstellen. 
Jahve  lädt  sein  Volk  oder  alle  Völker  bei  sich  zu  Gaste,  setzt 
ihnen  auserlesene,  himmlische  Speisen  vor  und  reicht  ihnen 
seinen  Becher,  gefüllt  mit  köstlichem  Meth.  So  etwa  dürfen 
wir  ohne  allzu  viel  Phantasie  die  populären  Schilderungen  der 
Heilseschatologie  rekonstruieren.  Diese  freundlichen  Anschau- 
ungen haben  die  Propheten  ins  Grausige  verzerrt.  Jawohl!  ein 
Jahvefest  soll  kommen,  so  lehren  auch  sie,  allein  statt  des 
Jubels  wird  Entsetzen  herrschen.  Statt  von  Milch  und  Most, 
wie  das  Volk  glaubte  (Am.  9i3.  Jo.  4i8),  werden  die  Hügel 
und  Berge  vom  Blute  triefen.  Denn  Jahve  benutzt  die  Gelegen- 
heit, um  die  geladenen  Gäste  zu  töten!  Die  Grausamkeit 
dieses  Bildes  wird  etwas  gemildert,  wenn  wir  uns  seine  Ent- 
stehung in  dieser  Weise  denken  dürfen,  aber  furchtbar  bleibt 
es  doch.  Hier  können  wir  einmal  einen  Blick  werfen  in  die 
unheimhch-gigantische  Größe  der  Propheten,  vor  der  wir  er- 
schauern. Wer  dies  Gemälde  des  Jahvefestes  ersonnen  hat, 
in  dessen  Augen  flammte  die  Glut  der  Erregung,  in  dessen 
Geist  pochte  das  Wort  Gottes  wie  ein  Hammer,  der  Felsen 
zerschmettert.  Diese  Seiten  in  dem  Wesen  der  Propheten  sind 
zwar  nicht  so  freundlich  wie  diejenigen,  die  man  gewöhnlich 
betont,  aber  wir  dürfen  auch  sie  nicht  übersehen,  wenn  anders 
wir  der  historischen  Bedeutung  dieser  Männer  gerecht  werden 
wollen.  Je  mehr  wir  uns  in  sie  versenken,  um  so  mehr  emfinden 
wir,  auf  wie  einsamer  Höhe  sie  stehen,  in  ihrer  grandiosen  Ein- 
seitigkeit mit  niemandem  vergleichbar. 


§  15.    Der  Tag  Jahves. 

Eugen  Huhn:  Die  messianischen  Weissagungen.  Freiburg  1899. 
E.  H.  Charles:  Eschatology  (in  der:  Encyclopaedia  Biblica).  London 
1901.  J.  M.  P.  Smith:  The  Day  of  Yahweh  (American  Journal  of  Theo- 
logy)  Bd.  V,  S.  505  ff.    Hermann  Gunkel:  Forschungen,  Heft  I,  S.  21  ff. 


142      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

—    Zu  ü^n^m  n-'^ns   vgl.  Stärk  in  der  ZATW  1891,    S.  247  ff.    —    Zum 
Wesen  der  Apokalyptik  vgl.  Smend  in  der  ZATW  1884,  S.  161  ff. 

Jetzt  endlich  kann  unsere  Untersuchung  zu  dem  Punkte 
zurückkehren,  von  dem  sie  ausgegangen  ist.  Beim  Propheten 
Arnos  begegnet  uns  zum  ersten  Male  der  Ausdruck  Tag  Jahves 
(mrr^  dt'  öis).  Was  bedeutete  er  damals?  Schultz ^  S.  574 
antwortet  auf  diese  Frage:  »Unter  allen  Tagen  der  Zeit  be- 
zeichnet er  den  Tag,  den  sich  Gott  für  sein  großes  Werk  be- 
reitet und  vorbehält,  von  dem  er  redet  und  an  dem  er  sich  ver- 
herrlichen will  —  den  Tag,  der  einzig  ist  unter  allen  Tagen, 
und  darum  auch  einfach  jener  Tag  heißen  kann«.  An  dieser 
Definition  ist  richtig,  daß  die  Phrase  bei  Amos  einen  prägnanten 
Sinn  haben  muß,  da  sie  eine  bereits  feststehende  Formel,  ein 
Terminus  technicus  ist.  Denn  schon  Amos  redet  von  jenem  Tage 
{89.  13),  ohne  daß  das  Pronomen  demonstrativum  aus 
dem  Zusammenhang  zu  erklären  wäre.  Nur  der  Inhalt 
macht  den  Hörer  darauf  aufmerksam,  daß  jener  Tag  gemeint 
ist,  den  jedermann  als  den  Tag  Jahves  kennt.  Der  Prophet 
kann  demnach  den  Ausdruck  nicht  geprägt  haben,  er  fand  ihn 
bereits  im  Volksglauben  vor,  und  eine  bloße  Anspielung  ge- 
nügte, um  jedem  Zeitgenossen  ein  bestimmtes,  ganz  kon- 
kretes Bild  zu  geben,  etwa  wie  wir  bei  »jener  Entwicklungs- 
theorie« sofort  den  mehr  oder  weniger  scharf  abgegrenzten 
Ideenkomplex  des  »Darwinismus«  in  das  Gedächtnis  zurück- 
rufen. Je  technischer  sozusagen  eine  Formel  geworden,  je  mehr 
sie  als  tägliche,  gangbare  Münze  abgeschliffen  ist,  um  so  vor- 
sichtiger wird  man  sein,  allein  aus  der  sprachHchen  Fassung 
eines  Ausdrucks  Schlüsse  auf  den  derzeitigen  Inhalt  zu  ziehen. 
Wir  erleben  es  ja  tägHch,  wie  der  Inhalt  einer  Formel  von 
Mund  zu  Mund,  von  Generation  zu  Generation  sich  unmerk- 
lich-merklich wandelt  und  modifiziert,  den  veränderten  An- 
schauungen eines  neuen  Geschlechtes  entsprechend. 

Mit  dieser  Einschränkung  wollen  wir  zunächst  auf  den 
sprachlichen  Ausdruck  achten  und  versuchen,  ob  wir  der  da- 
mals bereits  erstarrten  Formel  das  ursprüngHche  Leben  wieder  ein- 
hauchen können.  Auf  den  Begriff  der  bestimmten  Zeitspanne,  der 
von  Hause  aus  dem  Worte  »Tag«  beikommt,  wird  in  den  Schriften 
der  Propheten  kein  Gewicht  mehr  gelegt,  da  neben  «inn  Di^M 
auch  onn  U^Jz^^n  (Jer.  33 15.  504.  Jo.  4i)  jene  Tage  und    nyn 


Der  Tag  Jahves.  143 

fii^nn  (Mch.  34.  Zeph.  3i9.  Jer.  31i.  33i5.  504.  Ez.  7i2.  Jo.  4i) 
jene  Zeit  steht.  Wohl  aber  bedarf  es  der  Erklärung,  wie  dem 
Jahve  ein  Tag  oder  mehrere  Tage  gehören  können.  Faßt  man 
die  Redensart  nach  ihrem  Wortlaut  auf,  so  bleibt  nur  eine  ge- 
naue Parallele,  nämlich  die  der  Wochentage.  Wie  wir  einen 
Tag  der  Venus,  einen  Tag  des  Merkur  oder  im  Babylonischen 
einen  Tag  der  2egova  (Epiphan.  haer.  16,  2)  d.  h.  der  Istar^ 
haben,  so  könnten  die  Juden  im  Anschluß  daran  von  einem 
Tage  Jahves  geredet  haben.  Aber  diese  Behauptung  läßt  sich 
nicht  einmal  wahrscheinlich  machen,  geschweige  denn  beweisen. 
Eine  zweite  Möglichkeit  ist  die,  D^"'  in  übertragenem  Sinne 
zu  deuten.  Die  verbreitetste  Erklärung  versteht  unter  dem  Tage 
Jahves  den  Schlachttag,  die  Schlacht  Jahves.  Das  arabische 
jaum  wird  häufig  so  verwandt,  und  im  Hebräischen  begegnet 
uns  derselbe  Sprachgebrauch  Jes.  93  i"»!?:  dt»  die  Midianiter- 
schlacht.  Aber  der  Tatbestand  sprengt  diese  zu  enge  Definition 
und  verlangt  eine  Erweiterung.  Dasselbe  gilt  von  einer  anderen 
Ableitung,  die  man  aus  dem  babylonischen  ümu  d.  h.  Sturmtag, 
Sturm  Jahves  versuchen  könnte^.  Nach  den  Schilderungen,  die 
innerhalb  der  prophetischen  Schriften  selbst  vom  Tage  Jahves 
gegeben  werden  und  die  in  den  vorangehenden  Paragraphen 
zusammengestellt  sind,  ist  dieser  nicht  nur  ein  Tag  der  Schlacht 
oder  des  Sturmes,  sondern  auch  des  Erdbebens,  des  Feuers,  der 
Überflutung,  des  Gewitters,  der  Finsternis,  der  Seuchen,  der 
wilden  Tiere,  des  Schreckens  und  des  Rausches.  Mit  welchem 
Rechte  will  man  alle  diese  Dinge  leugnen  oder  wenigstens  in 
den  Hintergrund  drängen  zu  gunsten  jener  wenigen  Stellen,  die 
von  einem  Kampfe  oder  einem  Sturme  Jahves  an  seinem  Tage 
reden?  Mehr  Wahrscheinlichkeit  hat  die  Bedeutung  Festtag 
Jahves  wie  es  Festtage  der  Baale  (D'ibysri  ^n^  Hos.  2i6)  gab. 
Für  die  Yolksanschauung  war  die  eschatologische  Zeit  jedenfalls 
eine  götthche  Festzeit  (vgl.  o.  S.  141).  Aber  auch  diese  Auf- 
fassung wird  durch  die  Fülle  der  andersartigen  Dinge  gesprengt. 
So  gut  man  im  Deutschen  den  Ausdruck  »Tag«  benutzen  und 
daran  das  hervorstechende  Merkmal  einer  bestimmten  Zeitspanne 


1.  Vgl.  Seru  a  KAT^  S.  429  Anm.  1. 

2.  Vgl.  Jastrow:  Kel.  Bd.  I.  S.  305  Anm.  4.    Delitzsch:  Assyri- 
sches Handwörterbuch  S.  33. 


144      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

knüpfen  kann,  so  gut  konnte  der  Hebräer  dasselbe  tun  und  hat 
es  getan.  Denn,  wie  wir  gesehen  haben,  gibt  es  einen  Tag  des 
Schreckens f  Tag  des  Erdbebens^  Tag  der  Finsternis  u.  s.  w. 
Um  all  den  Schilderungen  gerecht  zu  werden,  die  von  dem 
Tage  Jahves  gegeben  werden,  müssen  wir  eine  sehr  allgemeine 
Fassung  wählen  und  ihn  definieren  als  den  Tag,  an  dem 
Jahve  sich  irgendwie  offenbart,  an  dem  er  irgendwie 
handelt,  der  durch  ihn  irgendwie  charakterisiert  wird. 

Es  existierten  ursprünglich  wohl  viele  Tage  Jahves.  Aber 
es  ist  nicht  unwichtig  zu  betonen,  daß  dieser  Sprachgebrauch 
gänzlich  verschwunden  ist.  Keine  einzige  Großtat  Jahves  in 
der  Vergangenheit  oder  damaligen  Gegenwart  hat  den  uns  be- 
kannten Schriftstellern  Anlaß  gegeben,  von  einem  Tage  Jahves 
zu  sprechen.  Überall,  wo  dieser  Ausdruck  begegnet,  bezieht  er 
sich  auf  die  Zukunft,  d.  h.  er  ist  bereits  in  vorprophetischer 
Zeit  zum  eschatologischen  Terminus  geworden.  Wie  ist  diese 
keineswegs  selbstverständliche  Tatsache  zu  erklären?  Doch 
wohl  nur  so,  daß  die  in  Zukunft  erwartete  Offenbarung  Jahves 
völhg  unvergleichbar  war  mit  allen  denen,  die  in  der  Gegenwart 
oder  Vergangenheit  je  geschehen  waren.  Was  bedeuteten  die 
Wunder  der  Natur,  die  Jahve  bisher  verrichtet,  was  besagten 
die  Schrecken,  mit  denen  er  seine  Feinde  bisher  entsetzt  hatte, 
gegenüber  der  einen,  allgewaltigen  Katastrophe,  die  Jahves 
schrecklich-herrHche  Majestät  erst  in  ungeahntem  Glanz  ent- 
hüllen sollte?  Vor  diesem  zukünftigen  Tage  Jahves  verblaßten 
alle  die  anderen. 

Mit  dieser  Auffassung  lassen  sich  die  überlieferten  Tat- 
sachen am  besten  reimen.  Als  die  älteste  oder  mythische 
Stufe  der  Unheilseschatologie  dürfen  wir  die  Erwartung 
einer  großen  Weltkatastrophe  bezeichnen^.  Wir  sind  aus 
inneren  und  äußeren  Gründen  gezwungen,  sie  für  die  älteste  zu 
halten.  Denn  erstens  kann  aus  der  Weltkatastrophe  wohl  eine 
speziell  palästinische  werden,  während  das  Umgekehrte  in  histori- 
scher Zeit  undenkbar  ist,  da  der  Glaube  an  Weltkatastrophen 
nur  in  der  mythischen  d.  h.  prähistorischen  Epoche  entstanden 
sein  kann.  Zweitens  schimmert  der  Charakter  des  Tages  Jahves 
als  einer  Weltkatastrophe  in   den  prophetischen  Schriften  nur 


1.  GuNKEL  a.  a.  0.  S.  21. 


Die  mythische  Stufe  des  Tages  Jahves.  145 

noch  durch  und  ist  so  unkenntHch  geworden,  daß  die  heutigen 
Forscher  (mit  Ausnahme  Gunkels)  ihn  bisher  fast  gänzlich 
ignorieren  konnten. 

Stellen  wir  uns  einmal  auf  den  heute  von  der  Wissenschaft 
behaupteten  Standpunkt  und  prüfen  wir  das  Fundament,  auf 
das  man  gewöhnlich  baut.  Man  meint,  die  Idee  einer  Welt- 
katastrophe sei  zum  ersten  Male  ausgesprochen  von  Zephanja. 
So  sagt  z.  B.  Stade  (Bibl.  Theologie  S.  251):  »Man  sieht  auch 
an  Zephanjas  AVeissagung,  wie  sehr  die  Einfügung  in  das 
assyrische  Weltreich  den  Blick  erweitert  hat:  die  universali- 
stische Betrachtung  des  Tages  Jahves,  für  die  Folgezeit  charak- 
teristisch, tritt  hier  zum  ersten  Male  auf«.  Zephanja  ist  kein 
tiefer  und  originaler  Denker,  sondern  gilt  als  der  beste  Typus 
eines  Durchschnittspropheten.  Will  man  wissen,  wie  wohl  un- 
gefähr die  populäre  Erwartung  der  Endzeit  aussah,  so  muß  man 
sich  an  die  kleinen  Geister  halten,  die  der  Masse  näher  stehen 
als  die  Ausnahmemenschen.  In  dieser  Hinsicht  ist  Zephanja 
von  großer  Bedeutung  für  uns.  Von  vorneherein  betont  er, 
daß  eine  Weltkatastrophe  drohe,  von  der  die  ganze  Erde,  alle 
Menschen,  das  Vieh,  die  Vögel  und  die  Fische  betroffen  werden, 
ohne  den  Zweck  anzugeben,  den  Jahve  dabei  befolgt.  Jahve 
ist  zornig,  voller  Grimm  und  Eifer,  und  darum  gefällt  es  ihm, 
die  Welt  zu  vernichten.  Das  Unheil  erstreckt  sich  auf  Juda, 
seine  nächsten  Nachbarn:  die  Philister,  Moabiter  und  Ammo- 
niter,  und  endlich  auf  Kus  und  Assur.  Eine  ethische  Moti- 
vierung wird  nur  dem  Orakel  gegen  Juda  beigefügt,  während 
sie  bei  den  fremden  Völkern  fast  ganz  fehlt. 

Zephanja  kann  nicht  zum  ersten  Male  die  Idee 
einer  Weltkatastrophe  ausgesprochen  haben,  weil  er 
keine  klare  Anschauung  damit  verbindet.  Er  redet 
zwar  von  einer  Vernichtung  der  Welt,  hat  aber  ein  anderes 
Bild  vor  Augen.  Denn  stellen  wir  die  ganz  konkrete  Frage: 
Wodurch  geht  die  Welt  zu  Grunde?  so  erhalten  wir  keine  un- 
zweideutige Antwort.  Und  doch  ist  die  Idee  des  Weltunter- 
ganges, mag  ihre  Entstehung  auch  noch  so  schwierig  und  dunkel 
sein,  dann  wenn  sie  einmal  vorhanden  ist,  eine  ganz  einfache 
Sache.  Aus  lis  könnte  man  auf  einen  Weltbrand  schheßen 
am  Tage  der  Wut  Jahves^  wenn  durch  das  Feuer  seiner  Eifer- 
sucht die  ganze  Erde  verzehrt  wird.    Das  wäre  eine  klare  An- 

Forschnngen  znr  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.    6.  IQ 


146      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

schauung,  mit  der  wir  uns  zufrieden  geben  könnten,  falls  wirk- 
lich Jahve  der  einzige  Schauspieler  auf  der  Bühne  des  Welten- 
dramas wäre.  Der  Prophet  nennt  allerdings  nur  Jahve,  das 
Unheil  kommt  nach  dem  Wortlaut  seiner  Verkündigung  allein 
von  Jahve.  Aber  an  einer  Stelle  wird  dieser  einheitliche  Ge- 
danke von  einem  anderen  durchkreuzt  und  dadurch  das  ganze 
Bild  inkonkret  und  verschwommen  gestaltet:  ein  Tag  der 
Trompete  und  des  Kriegsgeschreis  gegen  die  festen  Städte  und 
die  hohen  Zinnen  (lie).  Daß  Zephanja  von  den  Skythen  weis- 
sagt, ist  eine  Behauptung  der  Kommentatoren,  zu  der  der  Text 
selbst  keinen  Anlaß  bietet.  Ob  seine  Predigt  durch  die  Skythen- 
horden angeregt  wurde,  ist  eine  andere  Frage,  deren  Berechti- 
gung nicht  geleugnet  werden  soll.  Im  übrigen  aber  erwartet 
er,  soviel  können  wir  mit  Sicherheit  ausmachen,  trotz  des  gegen- 
teihgen  Scheines  der  Einleitungsworte  keine  Weltkatastrophe, 
die  durch  Jahve  herbeigeführt  wird,  sondern  einen  Krieg,  mit 
dem  niemals  die  ganze  Welt,  sondern  nur  ein  Teil  überzogen 
werden  kann.  Grade  die  Inkonzinnität  seiner  AVorte,  die  bald 
diese  bald  jene  Anschauung  voraussetzen,  ist  der  beste  Beweis 
dafür,  daß  die  Idee  der  Weltkatastrophe  nicht  von  ihm  stammen 
kann.  Er  benutzt  diesen  Gedanken  nur  als  Einkleidung  für  die 
mysteriöse  Andeutung  einer  andersartigen  Katastrophe. 

Ebensowenig  kann  Zephanja  der  Erste  gewesen 
sein,  der  die  Vorstellung  einer  Weltkatastrophe  von 
anderswoher  übernommen  hat.  Denn  wäre  sie  damals  aus 
der  Fremde  entlehnt,  so  wäre  sie  eben  konkret  und  hätte  ihre 
Anschaulichkeit  noch  nicht  eingebüßt.  Fragen  wir  die  älteren 
Propheten  überhaupt,  ob  in  Zukunft  eine  große  Flut,  ein  Welt- 
brand oder  ein  Erdbeben  oder  was  sonst  kommen  werde,  so 
erhalten  wir  keine  einheitHche  klare  Antwort,  sondern  ein  buntes 
Stimmengeschwirr  schallt  uns  entgegen.  Der  Tag  Jahves  wird 
auf  alle  mögliche  Weise  geschildert,  aber  er  wird  durch  diese 
Fülle  der  Vorstellungen  nicht  anschaulicher,  sondern  unanschau- 
licher. Die  Idee  des  Weltendes,  wie  sie  von  den  Propheten  der 
älteren  Zeit  vorgetragen  wird,  ist  sehr  kompliziert.  Eine  Eeihe 
von  Fäden  laufen  hier  zusammen,  die  sich  sehr  weit  nach  rück- 
wärts verfolgen  lassen  und  die  eben  deshalb  bis  weit  in  die 
vorprophetische  Zeit  zurückreichen  müssen.  Man  kann  zwar 
viele  Theorieen,   Schemata,  Termini  technici  aufzeigen,   die  be- 


Die  mythische  Stufe  des  Tages  Jahves.  147 

reits  eine  lange  Geschichte  hinter  sich  haben  müssen,  aber  kein 
bestimmtes,  konkretes  Gemälde  vom  Weltende  wie  bei 
der  Sintflut.  Um  dieses  fragmentarischen  Charakters 
willen  muß  die  Unheilseschatologie  älter  sein  als  die  Prophetie 
und  aus  der  prähistorischen  Epoche  stammen,  auch  dann  wenn 
sie  etwa  ausländischen  Ursprungs  sein  sollte  (vgl.  darüber  §  16). 
Der  universale  Charakter  der  Endkatastrophe  tritt  nun 
aber  keineswegs,  wie  wir  bislang  den  Gegnern  zugestanden  haben, 
erst  bei  Zephanja  und  Jeremia  (vgl.  namentlich  423ff.,  wo  die 
künftige  Vernichtung  als  ein  Weltchaos,  als  ein  tohu  vahohu 
geschildert  wird),  auf,  sondern  ist  bereits  vorher  nachweislich 
vorhanden,  wie  in  früheren  Paragraphen  des  Einzelnen  genauer 
erörtert  wurde.  Es  sei  daran  erinnert,  wie  schon  bei  Amos  (89) 
nicht  nur  die  Erde,  sondern  auch  die  Sonne,  wie  in  Jesaja  c.  2 
nicht  nur  Palästina,  sondern  die  ganze  Erde,  wie  bei  Hosea  (43) 
nicht  nur  das  Land  und  seine  Bewohner,  sondern  auch  das 
Wild  des  Feldes,  die  Vögel  des  Himmels  und  die  Fische  des 
Meeres  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden,  wie  Jes.  28  uff.  eine 
AVeltflut  vorausgesetzt  wird  u.  s.  w.  In  diesem  Zusammenhange 
sei  endlich  noch  hingewiesen  auf  die  Heidenorakel,  die  ebenfalls 
für  den  ursprünglich  universalen  Charakter  der  Unheilseschato- 
logie sprechen  und  von  Anfang  an  zum  ständigen  Repertoir  der 
Prophetie  gehören.  Bereits  Amos  läßt  einen  festen  prophetischen 
Stil  erkennen  (Wellhausen),  der  sich  nicht  im  Laufe  der  münd- 
lichen Wirksamkeit  dieses  Mannes  herausgebildet  haben  kann, 
dessen  Prägung  vielmehr  längere  Zeit  gedauert  haben  muß.  Es 
ist  Sache  des  Stiles,  neben  Israel  eine  Reihe  von  Völkern  auf- 
zuzählen, die  durch  die  Katastrophe  betroffen  werden.  Welchen 
Sinn  hätte  das,  wenn  es  sich  um  ein  Unheil  handelte,  das  nur 
Israel  anginge?  Die  selbstverständliche  Voraussetzung,  die  also 
schon  von  Amos  geteilt  wird,  ist  doch,  daß  eben  eine  Welt- 
katastrophe erwartet  wird.  Man  nennt  natürlich  nicht  alle 
Nationen  der  Erde,  sondern  begnügt  sich  mit  denen,  die  be- 
kannt waren  und  aus  irgend  einem  Grunde  die  Aufmerksamkeit 
auf  sich  zogen,  namentlich  mit  den  Nachbarn  und  den  jeweiligen 
Eeinden.  Daran  war  Israel  besonders  interessiert,  weil  es  den 
Heiden  von  ganzem  Herzen  den  Untergang  wünschte,  und  in 
diese  Orakel  konnte  es  all  den  Haß  hineinlegen,  der  es  gegen 
seine  Gegner  beseelte. 

10* 


148      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Smend  (S.  189  Anm.  1)  meint:  »Die  eigentHchen  Pro- 
pheten, von  Arnos  bis  auf  Jeremia,  bedrohen  andere  Völker  mit 
den  Assyrörn  und  den  Chaldäern  doch  nur  deshalb,  weil  sie 
Israel  und  Juda  die  Unmöglichkeit  jedes  Widerstandes  gegen 
die  von  Jahve  bestellte  Weltmacht  zu  Gemüte  führen  wollen«. 
Aber  in  manchen  Heidenorakeln  (z.  B.  Arnos  c.  1  und  Zephanja) 
wird  3s  so  dargestellt,  als  erfolge  die  Vernichtung  der  Völker 
nicht  durch  eine  irdische  Weltmacht,  sondern  durch  Jahve  selbst. 
In  allen  diesen  Fällen  ist  die  Erklärung  Smends  von  vorne- 
herein unmöglich.  Wozu  brauchte  man  die  Weissagung  gegen 
die  Heiden,  da  immer  wieder  hervorgehoben  wird,  daß  Jahve 
es  ist,  der  durch  die  Weltreiche  oder  ohne  sie  Israel  vernichten 
will?  Wer  wollte  Jahve  widerstehen?  Wie  sollte  dem  Leicht- 
füßigen die  Zuflucht  nicht  entschwinden,  wie  sollte  der  Held 
sein  Leben  nicht  verlieren,  wenn  Jahve  durch  ein  Erdbeben 
den  Boden  schwankend  macht,  wie  der  Wagen  schwankt,  der 
voller  Garben  ist  (Am.  2i3ff.)?  An  dieser  Stelle  und  an  anderen^ 
wo  ähnliche  Naturkatastrophen  geschildert  werden,  denen  gegen- 
über der  Mensch  mit  Notwendigkeit  wehrlos  und  ohnmächtig 
ist,  wäre  es  doch  überflüssig,  die  Unmöglichkeit  des  Wider- 
standes oder  die  Sicherheit  des  Verderbens  noch  besonders  zu 
betonen  und  durch  Beispiele  der  heidnischen  Völker  zu  illu- 
strieren. Der  Prophet  Amos  stellt  einfach  sieben  Nationen 
neben  einander  und  zeigt,  wie  die  Katastrophe  über  alle  gleich- 
mäßig ergeht,  einen  weiteren  Zweck  verfolgt  er  nicht.  Man 
darf  ihm  auch  nicht  den  Schluß  unterschieben:  »Wenn  die 
Sünde  an  Israel  heimgesucht  wurde,  dann  sollte  sie  auch  in  der 
ganzen  Welt  gerichtet  werden«  (Smend  ebd.).  Die  Idee  der 
Weltkatastrophe  in  der  Form,  die  sie  nach  den  uns  vorliegenden 
Quellen  gehabt  hat,  wird  damit  nicht  erklärt.  Denn  wäre  sie 
wirklich  aus  der  Ethik  geboren  und  von  Hause  aus  ethisch  be- 
gründet worden,  so  wäre  nur  die  Vernichtung  der  Menschen  be- 
greiflich. Tatsächlich  aber  ist  es  eine  Naturkatastrophe,  die 
daneben  auch  das  Land  und  die  Tiere  trifft  und  die  durch  eine 
ethische  Motivierung  niemals  verständhch  gemacht  werden  kann. 
Wenn  beides  trotzdem  mit  einander  verknüpft  ist,  so  ist  das 
nicht  ursprünglich,  sondern  sekundär.  Die  Entstehung  der 
Heidenorakel  als  Gattung  erklärt  sich  am  einfachsten 
durch  die  Idee  einer  universalen  Katastrophe,  während 


Die  volkstümliche  Stufe  des  Tages  Jahves.  149 

die    einzelnen    Weissagungen    natürlich    durch    besondere   zeit- 
geschichtliche Umstände  veranlaßt  und  modifiziert  wurden. 

Obwohl  es  falsch  ist,  den  universalen  Charakter  der  Un- 
heilseschatologie  in  den  älteren  Prophetenschriften  gänzUch  zu 
leugnen,  so  ist  auf  der  anderen  Seite  nicht  zu  verkennen,  daß 
diese  erste  oder  mythische  Stufe  nur  noch  leise  dort  hinein  ragt. 
Sie  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade  undeutlich  geworden,  die 
Konturen  des  Gemäldes  sind  nicht  mehr  scharf  gezeichnet. 
Viel  klarer,  wenn  auch  keineswegs  einheitlicher,  wird  das  Bild, 
sobald  wir  uns  der  zweiten  oder  volkstümlichen  Stufe  zu- 
wenden, auf  der  die  Unheilseschatologie  in  historischer,  aber 
voramoseischer  Zeit  steht.  Sie  ist  ebenso  wie  die  erste  ihrem 
Wesen  nach  naturmythologischer  Art,  unterscheidet 
sich  aber  von  ihr  —  wie  wir  nicht  beweisen,  sondern  nur  aus 
inneren  Gründen  vermuten  können  —  deshalb,  weil  die  Art 
der  Weltkatastrophe  mannigfach  variiert  wird,  während 
sie  ursprünglich  einmal  in  einer  ganz  bestimmten  Weise  gedacht 
sein  muß.  Noch  die  Schilderungen  unserer  Propheten,  die  das  Ende 
ausmalen,  stimmen  mitunter  recht  wenig  zu  historischen  Feinden, 
die  den  Ratschluß  Jahves  an  seinem  Volke  ausführen  sollen. 
Statt  von  dem,  was  Assyrer,  Babylonier,  Ägypter  und  überhaupt 
Menschen  tun,  lesen  wir  von  den  mythischen  Schrecken  Jahves; 
bisweilen  ist  von  Schlachten  und  Niederlagen  und  Deportationen 
gar  nicht,  sondern  allein  von  Naturkatastrophen  die  Rede,  bis- 
weilen geht  beides  so  durcheinander,  daß  man  zweifelt,  was 
«igenthch  die  Meinung  der  Propheten  sei.  Da  es  die  unbe- 
strittene Hauptaufgabe  dieser  Männer  seit  Amos  war,  den  Unter- 
gang des  israelitischen  Volkes  durch  historische  Feinde  zu  ver- 
kündigen, so  sind  wir  gezwungen,  die  Naturkatastrophe  für 
dichterische  Einkleidung  zu  halten.  Aber  diese  dichterische 
Einkleidung  will  erklärt  sein.  Es  genügt  nicht,  an  die  Theo- 
phanieen  zu  erinnern,  als  ob  Jahve  den  Gegnern  zu  Hülfe 
komme  und  nur  durch  seine  göttlichen  Mittel  mitwirke  am 
Werk  der  Zerstörung.  Durch  diese  Annahme  bleiben  alle  die 
Stellen  unbegreif hch ,  an  denen  allein  von  Jahve  die  Rede  ist 
und  ein  irdischer  Feind  nicht  genannt  wird.  Sie  werden  erst 
dann  begreiflich,  wenn  Jahve  in  der  voramoseischen  Zeit 
der  einzig  Handelnde  war.  Das  ist  noch  in  der  uns  vorliegenden 
Literatur  so   deutUch,   daß   ich  schlechterdings  nicht  verstehe, 


150      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

wie  die  Forscher  (abgesehen  von  Gunkel  S.  21  ff.)  darüber 
haben  hinweglesen  können.  So  allein  wird  vollends  klar,  warum 
dieser  Tag  in  eminentem  Sinne  als  ein  Tag  Jahves  bezeichnet 
werden  konnte.  Denn  mochte  auch  für  den  Frommen  aller 
Zeiten  jede  siegreiche  Schlacht  Israels  eine  Fügung  sein,  in 
der  er  Gottes  Hand  erkannte,  sie  deshalb  nach  Jahve  zu  heißen, 
fiel  ihm  nicht  ein.  Nur  der  Tag,  an  dem  eine  Sintflut,  ein 
Erdbeben,  ein  Weltensturm  stattfand,  war  würdig,  den  Namen 
Jahves  zu  tragen. 

Ebenso  sind  wir  aus  inneren  Gründen  gezwungen,  diese 
Ausmalung  der  Weltkatastrophe  für  vorprophetisch  zu  halten. 
So  wenig  in  historischer  Zeit  eine  Weltkatastrophe  erdichtet 
wird,  so  wenig  die  Idee  von  einem  Tage  Jahves  oder  vom  Ende 
der  Tage  dem  prophetischen  Geiste  entsprungen  sein  kann,  so 
wenig  ist  auch  die  naturhafte  Art  dieser  Katastrophe  als  Eigen- 
tum der  Propheten  erklärlich.  Hätten  nicht  Erdbeben,  Sturm, 
Feuer,  Gewitter,  Seuchen  und  Kriege  längst  als  Offenbarungen 
Jahves  gegolten,  so  wären  sie  durch  die  Propheten  niemals  dazu 
gemacht  worden.  Nur  deshalb  weil  alle  diese  Naturerscheinungen 
von  den  Israeliten  bereits  vorher  dem  Jahve  zugeschrieben 
wurden,  spielen  sie  auch  in  den  prophetischen  Reden  eine  Rolle. 
Die  älteren  Propheten  sind  in  der  Gottesauffassung,  soweit  sie 
sich  auf  das  Verhältnis  Jahves  zur  Natur  bezieht,  abhängig 
vom  Volksglauben.  Das  Neue,  das  sie  brachten,  liegt  auf  einem 
anderen  Gebiet. 

Ein  weiteres  Charakteristikum  der  volkstümlichen 
Stufe,  worin  sich  ihre  Eschatologie  von  der  mythischen  Stufe 
unterscheidet,  ist  die  Beschränkung  des  Unheils  auf  die 
Heiden.  Während  die  Weltkatastrophe  von  Hause  aus  über 
die  ganze  Menschheit  ergeht,  von  der  vielleicht  niemand,  viel- 
leicht nur  ein  besonderer  Teil  gerettet  wird,  ist  diese  ursprüng- 
liche Anschauung  im  Glauben  des  Volkes  heilseschatologisch 
dahin  umgebogen,  daß  eben  Israel  selbst  mit  dem  Leben  davon- 
kommt. Das  ist  sehr  unanschaulich  und  sehr  inkonkret  gedacht, 
da  ja  schließlich  bei  einer  naturhaften,  über  die  ganze  Welt 
sich  erstreckenden  Katastrophe  schlechterdings  niemand  dem 
Verderben  entrinnen  kann.  Aber  was  ist  menschlich  begreif- 
licher als  die  Differenzierung,  die  der  Patriotismus  zwischen 
Israel  und  den  Heiden  vollzieht?    Für  jenes  ist  das  Heil,   für 


Die  volkstümliche  Stufe  des  Tages  Jahves. 


151 


diese  das  Unheil  bestimmt;  jenes  wird  gerettet,  diese  gehen  zu 
Grunde.  Der  landläufige  Patriotismus  ist  stets  mit  eigentüm- 
lichen Werturteilen  verbunden.  Er  sieht  nur  den  Splitter  im 
Auge  der  fremden  Völker,  ohne  sich  um  den  Balken  im  eigenen 
Auge  zu  kümmern.  So  überläßt  er  jenen  den  Schatten,  um 
sich  selbst  das  Licht  vorzubehalten.  Wie  sollte  es  in  Israel 
anders  gewesen  sein? 

Wir  haben  diesen  Glauben  bereits  im  Anschluß  an  Jes. 
28i5ff.  konstatiert  (vgl.  o.  S.  65)  und  verweisen  hier  noch  auf 
Amos  5 18 — 20 :  Weh  denen,  die  den  Tag  Jahves  herbeiwünschen! 
was  soll  euch  der  Tag  Jahves  ?  er  ist  Finsternis  und  kein  Licht. 
Wie  wenn  einer  vor  dem  Löwen  flieht  und  der  Bär  stößt  auf 
ihn,  oder  er  tritt  ins  Haus  und  lehnt  seinen  Arm  an  die  Wand 
und  es  beißt  ihn  die  Schlange!  Ist  doch  der  Tag  Jahves 
Finsternis  und  kein  Licht,  und  dunkel  ohne  einen  hellen  Strahl. 
Es  ist  klar,  daß  Amos  hier  gegen  eine  Yolksvorstellung  polemi- 
siert. Es  gab  Zeitgenossen  des  Propheten,  die  den  Tag  Jahves 
herbeiwünschten,  auf  daß  er  Licht  bringe  in  das  Dunkel  der 
Gegenwart.  Sie  sehnten,  um  es  ganz  allgemein  und  unbestimmt 
auszudrücken,  die  in  der  Zukunft  liegende  »große  Krisis  herbei, 
die  mit  einem  Schlage  die  neue  schöne  Ära  herbeiführt,  ohne 
daß  sie  den  Finger  zu  rühren  brauchen«  (Wellhausen).  Ob- 
wohl die  Zeit  noch  ferne  schien,  hielten  sie  es  doch  für  mög- 
lich, daß  sie  bald  kommen  werde.  Das  Schlagwort  des  Tages 
Jahves  ist  also  nicht  von  Amos  geprägt  worden,  wie  hier  noch 
einmal  ausdrücklich  bestätigt  werden  mag,  er  legt  ihm  nur  einen 
anderen  Inhalt  bei.  Im  Gegensatz  zur  populären  Anschauung 
betont  er  zweimal,  der  jom  jahve  sei  nicht  Licht,  sondern 
Finsternis,  nicht  Heil,  sondern  Unheil.  Er  verkehrt  die  Er- 
wartung dieser  Leute  in  ihr  Gegenteil.  Sie  meinen,  es  werde 
ein  freudiger,  festlicher  Jubeltag,  ein  n:t2  DT'',  werden,  während 
er  ihn  zu  einem  Unglückstage,  einem  y^  Dv,  stempelt.  Darum 
sind  jene  voll  herzHcher  Sehnsucht,  er  aber  warnt  sie,  düsterer 
Ahnung  voll.  Hier  zeigt  sich  besonders  deutHch,  wie  nach 
dem  Volksglauben  Israel  von  der  Katastrophe  verschont  bleiben 
soll  und  wie   sittlich  indifferent  die  populäre  Eschatologie  war! 

Als  das  wichtigste  Ergebnis  unserer  ganzen  Untersuchung 
dürfen  wir  die  These  bezeichnen,  daß  die  Eschatologie  der  Vor- 
läufer  der   Prophetie   ist,   nicht  umgekehrt,   wie  Wellhausen 


152      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

und  alle  seine  Anhänger  behaupten.  Wellhausen  hat  seine 
Ansicht  einmal  im  Anschluß  an  Zeph.  Ssff.  knapp  so  formuhert: 
»Wir  haben  hier  statt  der  aus  Zeit  und  Umständen  geborenen, 
historischen  und  ursprünglich  mündhchen  Prophetie  die  von 
Ezechiel  begründete  dogmatische  und  literarische  Eschatologie 
mit  für  alle  Zeit  giltigen,  fest  ausgebildeten  Zügen«.  Im 
Gegenteil!  Die  Prophetie  beruht  von  Anfang  an  auf  einer, 
durch  die  historischen  Ereignisse  zwar  modifizierten,  sonst  aber 
längst  fertigen  Eschatologie.  Das  Schema  war  bereits  vor 
Amos  vorhanden  und  konnte  bald  so  bald  anders  aus- 
gefüllt werden.  Mit  der  Unheilsprophetie  verhält  es  sich, 
um  einen  Vergleich  anzuwenden,  wie  mit  einer  Orgel:  Klaviatur 
und  Register  sind  gegeben,  es  kommt  nur  darauf  an,  wer  spielt 
und  wie  er  spielt.  Der  Klaviatur  entspricht  die  Eschatologie, 
den  Registern  die  verschiedene  Form,  in  der  die  Weltkatastrophe 
gedacht  ist:  sei  es  als  Erdbeben  oder  Sturm  oder  Feuer  oder 
Kampf  oder  sonstwie.  Nicht  einmal  eine  neue  Technik  haben 
die  Propheten  gebracht,  aber  die  Melodie  ist  ihr  persönhches 
Eigentum. 

Um  diese  Melodie  zu  würdigen,  müssen  wir  uns  endlich 
der  dritten  oder  prophetischen  Stufe  der  Unheilseschato- 
logie  zuwenden.  Wohl  mochte  es  Leute  geben,  die  den  Tag 
Jahves  herbeiwünschten  (Am.  öis),  aber  die  große  Masse  wird 
geglichen  haben  den  Sicheren  in  Zion  und  den  Sorglosen  auf 
dem  Berge  Samariens  .  .  .  Sie  ivähnen  den  bösen  Tag  ferne 
und  rücken  doch  nahe  das  Jahr^  des  Frevels  (A.m.  61.  3).  Sie 
teilen  das  Sehnen  und  Hoffen  der  Wenigen  nicht;  für  sie  ist 
die  Krisis  in  viel  zu  weiter,  nebelhafter  Ferne,  als  daß  sie  sich 
ernstlich  darum  kümmern  sollten,  und  so  sündigen  sie  sorglos 
darauf  los.  Da  brachte  Amos,  so  viel  mr  wissen,  zum  ersten 
Male  die  Botschaft,  die  seitdem  durch  die  Jahrhunderte 
immer  wieder  von  Zeit  zu  Zeit  aufgetaucht  und  fast  nie  ganz 
verstummt  ist,  daß  der  mn"»  D  t>  nahe  herbeigekommen 
sei.  Was  die  einen  für  so  gut  wie  ausgeschlossen  hielten,  was 
die   anderen   auch  in   den   kühnsten  Träumen  kaum   zu  hoffen 


1.  Lies  :^'.-ü  (im  Anschluß  an  eine  mündliche  Vermutung  Gunkels: 
rytö  Stunde)  und  vgl.  zum  Wechsel  von  Jahr  und  Tag  im  Parallelismus 
Jes.  348.  61 2.  634. 


Die  prophetische  Stufe  des  Tages  Jahves.  153 

wagten,  das  war  nach  ihm  jetzt  da!  Man  mache  sich  klar, 
was  das  heißen  will.  Der  Tag  Jahves  mit  dem  reichen,  kon- 
kreten Inhalt,  den  dies  Wort  im  Glauben  des  Volkes  barg, 
sollte  AVirklichkeit  werden!  Wie  mußten  die  Herzen  schneller 
schlagen,  sei  es  vor  Entzücken  sei  es  vor  Entsetzen,  bei  dem 
Gedanken:  Jahve  der  Heere  kommt,  kommt  nicht  in  fernen, 
unermeßlichen  Zeiten,  sondern  in  der  allernächsten  Zukunft, 
übers  Jahr!  Das  klang  wohl  damals  genau  so  widersinnig  imd 
paradox  wie  später,  als  der  Ruf  erscholl:  Jesus,  dieser  Mensch, 
von  der  Maria  geboren,  von  den  Juden  vor  drei  Tagen  ge- 
kreuzigt, ist  der  Messias,  der  in  Bälde  wiederkehren  wird  auf 
den  Wolken  des  Himmels,  um  die  Welt  zu  richten!  Wenn 
heute  einer  auftreten  und  ernsthaft  weissagen  wollte,  daß  inner- 
halb eines  Menschenalters  der  Weltuntergang  stattfinden  werde, 
würden  wir  ihn  nicht  nach  Hause  schicken  wie  einst  Amazja 
den  Amos:  Seher,  geh;  troll  dich  ins  Land  Juda  und  iß  dort 
Brot  und  dort  prophezei? 

Diese  Gewißheit  der  Propheten  über  das  hereinbrechende 
Ende  war,  soweit  sie  nicht  auf  dem  Geheimnis  der  Inspiration 
beruht,  auf  ihren  gewaltigen  Zorn  über  die  Sünde  Israels  ge- 
gründet. Sie  sahen,  vne  das  Volk  trotz  all  seiner  Opfer  und 
Kulthandlungen  und  Tempel  tief  in  die  Sünde  verstrickt  war. 
An  den  Veruntreuungen  der  Beamten,  an  der  Völlerei  und  Un- 
zucht, an  der  Bedrückung  der  Armen,  an  den  Pflichtversäum- 
nissen der  Priester  und  an  dem  Heidentum  im  Gottesdienst 
ward  ihnen  der  Ernst  der  Lage  klar  und  erschien  ihnen  das 
Ende  unabwendbar.  So  griffen  sie  zur  Eschatologie ,  um  dem 
Volke  das  kommende  Unheil  zu  schildern,  und  verbanden  sie 
mit  sittlichen  und  religiösen  Idealen  aufs  engste.  Die  ethische 
Vertiefung  der  Unheilseschatologie  ist  ein  neues  und 
bleibendes  Verdienst  der  Propheten.  Wie  wenig  vorher 
Sittlichkeit  und  Eschatologie  mit  einander  zu  tun  hatten,  das 
wird  aus  einzelnen  Weissagungen  sehr  deutlich,  z.  B.  aus  den 
Heidenorakeln.  Alle  Prophezeiungen  vom  Ende  Israels  sind 
bald  mehr  bald  weniger  durch  irgendwelche  Sünden  des  Volkes 
motiviert,  bei  den  Drohungen  gegen  die  Heiden  aber  findet  sich 
eine  ganze  Reihe,  in  der  jede  ethische  Begründung  fehlt.  Hier 
hat  sich  das  Ursprüngliche  erhalten.  Das  konnte  um  so  leichter 
geschehen,  als  man  die  Sünden  der  Heiden  nicht  so  gut  kannte 


154      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

wie  die  Israels.  Zu  Grunde  gehen  mußten  deshalb  jene  Völker 
doch,  und  das  war  ja  die  Hauptsache,  die  unwandelbar  feststand, 
ganz  abgesehen  von  jeder  Verschuldung.  Diese  Heidenorakel 
sind,  etwa  neben  Zephanja,  bei  dem  ÄhnHches  beobachtet  werden 
kann,  die  beste  Quelle,  um  den  Unterschied  zwischen  der  pro- 
phetischen und  populären  Eschatologie  zu  studieren. 

Vor  allem  aber  erhellt  ihre  Differenz  aus  der  Anschauung 
über  das  Schicksal  Israels  an  der  Wende  der  Tage.  Während 
nach  volkstümlichem  Glauben  Israel  bei  der  Kata- 
strophe gerettet  wird,  ist  ihm  nach  prophetischer  Über- 
zeugung die  Vernichtung  gewiß.  Diese  Differenz  erklärt 
sich  aus  dem  verschiedenen  Standpunkt,  den  die  Beurteiler  ein- 
nehmen. Das  Volk  richtet  sich  nach  patriotischen,  die  Prophetie 
nach  sittlichen  Gesichtspunkten.  Weil  die  Propheten  die  Sünde 
Israels  kennen,  darum  betonen  sie  die  Strafe  Israels.  Das  Volk 
weiß  von  jener  nichts  und  will  daher  auch  von  dieser  nichts 
hören.  So  begreift  sich,  wie  die  Drohung  der  Propheten  gegen 
Israel,  die  unglaublich,  ja  widersinnig  klang  (Smend),  so  sehr  in 
den  Vordergrund  gerückt  wird,  daß  darüber  der  universale 
Charakter  der  Katastrophe  fast  verloren  geht.  Er  ist  nicht 
ganz  verschwunden,  wohl  aber  in  der  älteren  Prophetie  (bis 
zum  Exil)  zurückgedrängt,  weil  sie  vor  allem  die  Aufgabe  hatte, 
Israel  die  eigene  Vernichtung  klar  zu  machen.  Damit  wird  das 
Wesen  der  israehtischen  ReHgion  von  Grund  aus  verändert. 
Während  sie  bisher  auf  der  Existenz  Israels  beruhte  und  ohne 
sie  schlechterdings  undenkbar  war,  wird  jetzt  durch  die  Pro- 
phetie  die  Sittlichkeit  zu  ihrem   einzigen  Fundament  erhoben. 

Mit  der  Erwartung  der  Propheten  vom  baldigen  Ende 
Israels  hängt  eine  andere  Tatsache  zusammen,  durch  die  sich 
die  prophetische  Eschatologie  von  der  populären  unterscheidet 
und  auf  die  bereits  in  anderen  Zusammenhängen  öfter  hin- 
gewiesen wurde,  nämlich  daß  jetzt  an  die  Stelle  der  mythi- 
schen Schrecken  Jahves  historische  Feinde  treten. 
Man  redet  zwar  noch  von  jenen,  meint  aber  diese.  Innerhalb 
der  älteren  prophetischen  Schriften  müssen  wir  darum  zum  Teil 
die  Naturkatastrophen,  wo  sie  begegnen,  für  eine  dichterische 
Einkleidung  und  für  ein  stilistisches  Überbleibsel  halten,  das 
aus  einer  früheren  Periode  der  Unheilseschatologie  stammt.  Man 
hat  darum  noch  kein  Recht,  sie  allegorisch  zu  deuten,   sondern 


Kanonische  und  außerkanonische  Propheten.  155 

muß  den  mysteriösen  Charakter  der  Prophetie  in  Betracht 
ziehen.  Von  der  Zukunft  redet  man  nicht  mit  Wissenschaft- 
Hcher  Klarheit,  sondern  im  Ton  und  Stil  des  Geheimnisses. 
Sie  wird  mit  Absicht  in  einen  halb  durchsichtigen  halb  undurch- 
sichtigen Schleier  gehüllt;  denn  wie  soll  man  genau  wissen,  wie 
genau  schildern  das,  was  kommen  wird?  So  vermeidet  man  es 
auch,  die  Feinde,  die  man  im  Auge  hat,  mit  Namen  zu  nennen^ 
sondern  bevorzugt  ein  gewisses  Helldunkel,  das  eine  eigentüm- 
lich poetische  Stimmung  hervorruft. 

Der  Charakter  der  vorexilischen  Prophetie,  soweit  sie  kano- 
nisch geworden  und  uns  erhalten  ist,  wird  ganz  allgemein  da- 
durch bestimmt,  daß  die  Unheilseschatologie  durchaus 
im  Vordergrund  der  Verkündigung  steht.  Da  nun  nach 
unserer  Auffassung  die  Eschatologie  älter  ist  als  Arnos  und 
eine  in  mancher  Beziehung  feste  Form  trägt,  so  müssen  bereits 
vor  unsern  kanonischen  Männern  Prophetenschulen 
existiert  haben,  die  in  Lied  und  Wort  die  eschatologischen 
Tatsachen  verherrlichten.  Wir  hören  von  solchen  Leuten,, 
deren  Gesänge  uns  verloren  gegangen  sind,  im  Kanon  selbst. 
Die  Nebiim  tauchen  bereits  zur  Zeit  Samuels  auf  und  sind 
keineswegs  der  israelitischen  Religion  eigentümlich,  da  es  neben 
den  Jahve-  auch  Baalspropheten  gibt  (IReg.  18).  Sie  lebten 
in  Vereinen  zusammen  (II Reg.  2),  bildeten  also  Schulen,  die 
von  einem  Herren  geleitet  wurden.  In  ihren  Kreisen  ward  die 
Ekstase  gepflegt,  die  besonders  zu  Zeiten  nationaler  Erregung 
in  hellen  Flammen  emporloderte.  Der  rehgiöse  Patriotismus 
ward  von  ihnen  stets  aufs  neue  entfacht,  und  mitunter  griffen  sie 
in  die  politischen  Wirren  ein,  um  die  Geschichte  nach  ihren 
Plänen  zu  lenken.  Daneben  übten  sie  die  Funktionen  des 
Sehers  aus.  Dem  Micha  ben  Jimla,  der  nichts  Gutes  zu  weis- 
sagen pflegte,  standen  400  Jahvepropheten  gegenüber,  die  dem 
Könige  Glück  weissagten  (IReg.  22).  Gleich  unsern  kanoni- 
schen Propheten  sind  die  vor-  und  außerkanonischen  Nebiim 
halb  Politiker  und  halb  Wahrsager;  nur  müssen  wir  diesen 
Männern  im  Durchschnitt  die  ethische  und  religiöse  Größe 
unserer  Propheten  absprechen.  Obwohl  es  nicht  berichtet  wird^ 
hindert  uns  nichts  an  der  Vermutung,  daß  schon  die  Nebiim 
die  Eschatologie  gepflegt  und  die  Stilformen  überliefert  haben, 
deren  sich   später   die    kanonischen  Propheten    bedient  haben. 


156      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Woher  sollten  denn  diese  die  Traditionen  genommen  haben 
als  aus  den  Kreisen  derer,  die  mit  ihnen  denselben  Namen 
führten?  Das  gewöhnliche  Volk  hat  von  der  Eschatologie 
wahrscheinlich  nicht  viel  gewußt  ^  wie  derartige  Mythen  wohl 
überall  vornehmlich  in  gewissen  Berufskreisen  zu  Hause  sind. 
Über  die  Art  der  von  den  Nebiim  gepflegten  Escha- 
tologie könnte  man  am  Ende  ein  falsches  Bild  gewinnen 
aus  den  Worten,  die  Jeremia  zu  Hananja  sagt:  Die  Propheten, 
die  vor  mir  und  vor  dir  von  Urzeit  her  waren,  die  haben 
prophezeit  über  viele  Länder  und  große  Reiche  (nur)  von  Krieg 
und  von  Unheil  und  von  Seuche  (Jer.  288).  Jeremia  bezeichnet 
die  ihm  feindhch  gesinnten  prophetischen  Gegner  als  Heils- 
und darum  als  Lügenpropheten;  denn  die  Unheilspropheten 
seien  die  ältesten  und  darum  einzig  berechtigten  Propheten. 
Wir  sehen  von  dem  Werturteil  ganz  ab  und  halten  uns  nur  an 
die  Tatsache,  daß  sich  hier  zwei  Richtungen  innerhalb  der 
Prophetie  gegenüber  zu  stehen  scheinen,  von  denen  die  eine 
(die  kanonische)  durch  das  Verkünden  des  Unheils,  die  andere 
(die  außerkanonische)  durch  das  Verkünden  des  Heils  charak- 
terisiert wird.  Diese  Gegensätze  sind  nicht  absolut,  sondern 
nur  relativ  zu  denken.  Es  ist  völlig  unmöglich,  sich  vorzu- 
stellen, daß  beide  Richtungen  schroff  von  einander  gesondert 
waren.  Denn  erstens  sind  unsere  kanonischen  Propheten 
2war  vornehmlich  »Sturmvögel«  des  Unheils  gewesen,  aber  sie 
haben  daneben  auch  heilseschatologische  Schilderungen  verfaßt. 
Zweitens  setzt  die  Unheilseschatologie  ebenso  wie  die  Heils- 
eschatologie  eine  lange  Geschichte  voraus  und  beide  gehören, 
wie  wir  sehen  werden  (vgl.  §  22),  zusammen  gleich  den  zwei 
Schalen  einer  Muschel.  Wie  sollte  da  eine  Partei  der  Pro- 
pheten ausschUeßlich  das  Unheil,  die  andere  ebenso  ausschließ- 
lich das  Heil  besungen  haben  ?  Wir  müssen  vielmehr  annehmen, 
daß  in  der  älteren  Zeit  (d.  h.  vor  Amos)  die  Nebiim  die  ganze 
Eschatologie  gepflegt  haben,  aber  in  der  Form,  die  wir  als  die 
volkstümhche  Stufe  der  Eschatologie  bezeichnet  haben,  daß  dann 
mit  Amos   eine  Spaltung   innerhalb   der  Prophetie  eintritt   und 


1.  Wenn  ich  im  Vorhergehenden  das  Wort  »volkstümlich«  oder 
»vorprophetisch«  gebraucht  habe,  so  ist  es  nur  im  Gegensatz  zu  unseren 
kanonischen  Propheten  gemeint.     Es  bedeutet  so  viel  wie  »vor  Amos«. 


Die  apokalyptische  Stufe  des  Tages  Jahves.  157 

infolgedessen  die  prophetische  neben  der  volkstümlichen 
Stufe  herläuft. 

Nach  dem  Exil  herrscht  auch  in  der  kanonischen 
Prophetie  die  Heilseschatologie  vor.  Das  war  durch  die 
Lage  der  Dinge  notwendig  gegeben.  Als  der  verheißene  Tag 
Jahves  in  seiner  ganzen  Furchtbarkeit  durch  das  Exil  in  die 
Erscheinung  getreten  war,  mußte  fortan  die  Zukunftshoffnung 
die  Zukunftsdrohung  verdrängen.  Die  Mission  der  älteren 
Prophetie  war  erfüllt,  eine  neue  Zeit  heischte  gebieterisch  eine 
Wendung  der  Prophetie.  Mit  der  Heilsprophetie  hält 
die  alte  volkstümliche  Eschatologie  wieder  ihren 
Einzug,  die  eben  ihrem  Grundzuge  nach  nicht  Unheils-, 
sondern  Heilseschatologie  war.  So  werden  die  mythischen 
Schrecken  Jahves  wieder  lebendiger;  der  universale  Charakter 
des  Tages  Jahves  wird  wieder  deutHcher,  da  die  Kata- 
strophe auf  die  Heiden  beschränkt  wird,  während  Israel  ihr 
entrinnt;  die  ethische  Begründung  verschwindet  wieder  mehr, 
und  die  naturhafte  Vorstellung  vom  Ende  überwiegt.  Daneben 
aber  wirkt  die  prophetische  Unheilseschatologie  fort  und  ver- 
mengt sich  mit  der  volkstümlichen.  Aus  ihrer  Vermischung 
und  einem  Einschlag  neuer  Ideen  aus  der  Fremde  erwächst  all- 
mähhch  die  Apokalyptik. 

Aus  diesen  Ausführungen  ergibt  sich  naturgemäß  eine  ver- 
änderte Auffassung  über  das  Verhältnis  der  Apokalyptik 
zur  Prophetie.  Man  hat  wohl  gesagt,  jene  setze  im  Gegen- 
satz zu  dieser  einen  fest  überlieferten,  eschatologischen  Gedanken- 
kreis voraus,  sei  abhängig  von  einer  genau  normierten  Über- 
lieferung; die  Aufgabe  der  Apokalyptik  bestehe  darin,  diese 
Tradition  umzudeuten  und  auf  eine  bestimmte  Zeitlage  anzu- 
wenden (Smend  a.  a.  0.  S.  199).  In  dieser  Schärfe  ist  der 
Gegensatz  nicht  vorhanden.  Die  von  Smend  versuchte  Kon- 
struktion beruht  auf  dem  Grundirrtum,  als  hätten  die  Propheten 
die  eschatologischen  Anschauungen  erstmalig  geschaffen,  als  sei 
die  Eschatologie  entstanden  mit  oder  aus  der  schriftstellernden 
Prophetie.  In  Wahrheit  war  der  Prophet  vor  dieselbe  Aufgabe 
gestellt  wie  der  Apokalyptiker.  Für  beide  kam  es  darauf  an, 
den  ihnen  überlieferten  Stoff  resp.  das  ihnen  überlieferte  Schema 
mit  den  konkreten  Situationen  in  Einklang  zu  setzen.  Während 
aber   der  Prophet  aus  der  populären  mündhchen  Überlieferung 


158      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

schöpft,  ist  der  Apokalyptiker  außerdem  —  nicht  ausschließHch !  — 
an  die  schriftliche  Fixierung  der  Eschatologie  durch  die  Pro- 
phetie  gebunden.  Was  Wellhausen  als  das  Wesen  der  Escha- 
tologie im  Allgemeinen  bezeichnet  hat  (vgl.  o.  S.  152),  ist  zwar 
in  dieser  Allgemeinheit  falsch,  triflPt  aber  zu  im  Besonderen  auf 
den  Charakter  der  apokalyptischen  Eschatologie.  Das  hängt 
notwendig  zusammen  einmal  mit  der  epigonenhaften,  unproduk- 
tiven und  unschöpferischen  Art  der  Apokalyptik,  zum  andern 
mit  der  damals  beginnenden  Wertschätzung  und  Kanonisierung 
der  prophetischen  Schriften.  Was  sie  an  Weissagung  enthielten, 
mußte,  wenn  es  noch  nicht  geschehen  war,  in  Zukunft  sich  er- 
iüllen.  Da  war  jeder  Buchstabe,  jedes  Jota  von  Wichtigkeit. 
Während  die  Propheten  kraft  ihres  Genies  mit  suveräner  Hoheit 
über  der  Tradition  standen  und  mit  ihr  nach  freiem  Ermessen 
schalteten,  beugten  sich  die  Apokalyptiker  demütig,  ja  sklavisch 
unter  den  Stoff.  Jenen  Recken  gegenüber  erscheinen  sie  als 
schwächliche  Zwerge.  Dort  herrscht  blühendes  Leben,  hier 
graue  Theorie,  und  nur  ganz  selten  spürt  man  den  warmen 
Pulsschlag  ihres  Lebens,  im  übrigen  zehren  sie  von  der  Ver- 
gangenheit. Die  Propheten  wissen  sich  von  Gott  gesandt  und 
treten  kraft  eigener  Machtvollkommenheit  vor  das  Volk.  Der 
Apokalyptiker  sucht  die  Autorität,  die  er  selbst  nicht  besitzt, 
künstlich  zu  gewinnen,  indem  er  sich  in  den  Glorienschein 
fremder  Persönlichkeiten  hüllt  und  durch  ihren  Mund  redet. 
Schon  am  Stil  sind  beide  zu  unterscheiden.  Während  der 
Prophet  als  wirkhcher  Dichter  die  Situation  festhält  und  ein 
konkretes,  anschauliches  Bild  entwirft,  dessen  Einzelzüge  ein 
harmonisches  Ganze  bilden,  ist  die  apokalyptische  Dichtung  stets 
kompilatorischer  Natur,  einstimmige,  heterogene  Elemente  wer- 
den mit  einander  vereinigt  und  bunt  durch  einander  gewürfelt. 
Dieser  krause  und  wirre  Charakter  verhert  seinen  bizarr- 
phantastischen Anstrich  auch  dann  nicht,  wenn  das  Drama  der 
Endzeit,  wie  es  mitunter  geschieht,  in  verschiedene  Akte  zerlegt 
wird.  Die  Systematisierung  der  Einzelheiten  ist  ebenfalls  bis 
zu.  einem  gewissen  Grade  ein  unterscheidendes  Merkmal  der 
apokalyptischen  von  der  prophetischen  Eschatologie. 


Weltkatastropheii.  159 

§  16.    Die  Katastrophen. 

Hermann  Gunkel:  Kommentar  zur  Genesis'^.  Göttingen  1902. 
S.  233  fr.     Forschungen  Heft  I. 

Wir  haben  gesehen,  daß  die  am  Tage  Jahves  stattfindende 
Katastrophe  fast  durchweg  mit  palästinischen  Farben  gezeichnet 
ist.  In  Palästina  erlebten  die  Israeliten  gewaltige  Feuersbrünste^ 
Orkane,  Erdbeben,  Heuschreckenplagen  und  anderes,  und  darum 
konnten  sie,  ja  mußten  sie  das  kommende  Unheil  so  ausmalen, 
wie  sie  es  taten.  Einzelne  Schrecken,  die  sie  aus  eigener  Er- 
fahrung wenig  oder  gar  nicht  kannten,  von  denen  sie  nur  durch 
Hörensagen  wußten,  mochten  sie  in  das  Bild  einschieben,  ohne 
daß  es  sich  darum  merklich  veränderte.  Sein  palästinischer 
Charakter  blieb  dennoch  im  Großen  und  Ganzen  gewahrt. 

In  diesen  Eahmen  fügt  sich  nur  die  eine  Tatsache  nicht, 
die  für  das  ursprüngliche  Wesen  des  Tages  Jahves  von  ent- 
scheidender Bedeutung  ist:  seine  universale  Natur.  Der  Glaube 
an  eine  Weltkatastrophe  ist  durchaus  nichts  Selbstverständliches, 
und  man  muß  sich  hüten,  so  nahe  es  liegen  mag,  ihn  allein 
psychologisch  abzuleiten.  Gewiß  ist  eine  YergrÖberung  realer 
Ereignisse  ins  Riesenhafte  und  Phantastische  denkbar,  aber  eine 
Projizierung  ins  Kosmologische  wird  damit  nicht  erklärt.  Wenn 
bei  uns  an  der  Meeresküste  eine  gewaltige  Flut  eintritt,  so  ver- 
fällt niemand  auf  die  Idee,  die  Erde  gehe  zu  Grunde.  Mögen 
auch  Häuser  und  Dörfer  zerstört  werden,  man  weiß,  daß  das 
Wasser  über  eine  gewisse  Höhe  niemals  hinausdringen  wird. 
In  einem  Lande  wie  Deutschland  kann  überhaupt  der  Gedanke 
an  eine  große  •  Naturkatastrophe  irgend  welcher  Art  nicht  auf- 
kommen, da  wir  seit  uralter  Zeit  niemals  eine  solche  erlebt 
haben.  Theorieen  über  das  Weltende  können  nur  dort  entstehen, 
wo  man  die  Entfesselung  der  Elemente,  die  alles  zerschmetternde 
Gewalt  der  Naturkräfte  in  ganz  anderer  Weise  beobachten  kann 
als  bei  uns.  Zentralamerika  mit  seinen  Vulkanen  ist  ein 
günstigerer  Boden  für  solche  Erzeugnisse  der  Phantasie,  und 
wenn  wir  in  Mexiko  eine  ausgebildete  Eschatologie  finden  i,  so 
ist  das  begreiflich,  da  Eruptionen  wie  die  des  Mont  Pele  wohl 
die  Ahnung   eines  Erduntergangs  hervorzurufen  vermögen.     In 


1.  Vgl.  Müller:  Amerikanische  Urrel.  S.  513  ff. 


160       Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Palästina  aber  fehlen  und  haben,  soweit  wir  aus  historischer  Zeit 
wissen,  tiefwühlende  Naturerschütterungen  (abgesehen  von  Erd- 
beben) vollständig  gefehlt. 

Wir  sind  daher  gezwungen,  für  fremdländischen  Ursprung 
der  Idee  eines  Weltunterganges  zu  plädieren  (Gunkel:  For- 
schungen S.  21).  Die  Israeliten  haben  sie  von  irgend  woher 
entlehnt,  nicht  direkt,  sondern  indirekt  durch  die  Vermittlung 
der  Kanaaniter.  Denn  der  Mythus  muß  in  Palästina  uralt  und 
dort  längst  bekannt  gewesen  sein,  ehe  die  Israeliten  einwanderten, 
weil  er  fast  ganz  und  gar  akklimatisiert  und  in  ein  durchaus 
palästinisches  Kolorit  getaucht  ist.  Die  ursprünglichen  Farben 
sind  übermalt  und  bis  auf  einige  Pinselstriche  verwischt.  Er 
hat  eine  ähnliche  Geschichte  erlebt  wie  der  Tiämat-Mythus,  der, 
aus  Babylonien  nach  Kanaan  importiert,  hier  ein  völlig  anderes, 
nur  in  wenig  Zügen  treues,  Gesicht  gewonnen  hat. 

Im  alten  Israel  kannte  man  zwei  Katastrophen,  eine  in  der 
Vorzeit:  die  Sintflut,  eine  in  der  Endzeit:  den  Tag  Jahves. 
Für  die  Erklärung  haben  wir  bisher  zwei  Faktoren  konstatiert: 
Erstens  die  Naturanregung;  denn  nur  in  Ländern,  die  von 
furchtbaren  Naturumwälzungen  heimgesucht  werden,  kann  der 
Glaube  an  Weltuntergänge  entstehen.  Zweitens  die  Lust  zu 
fabulieren,  die  jedem  Menschen  innewohnt;  denn  die  Phantasie 
liebt  es,  die  Dinge,  die  aus  der  Gegenwart  sei  es  in  die  Ver- 
gangenheit sei  es  in  die  Zukunft  projiziert  werden,  in  riesenhaft- 
übertriebener Ausschmückung  zur  Darstellung  zu  bringen.  Seit 
Jeremia  ist  ein  dritter  Faktor  nachweisbar,  die  Perioden- 
theorie,  die  seitdem  unauflösHch  mit  der  Eschatologie  verknüpft 
ist.  Es  fragt  sich,  ob  diese  Verbindung  damals  zuerst  vollzogen 
wurde  oder  ob  sie  älter  oder  gar  ursprünglich  ist. 

Jeremia  hat  zum  ersten  Male  die  Dauer  des  Exils  auf 
70  Jahre  bemessen  (25 n.  29 lo).  Wie  kommt  er  dazu?  Keine 
Willkür  ist  ausgeschlossen;  denn  nichts  zwang  den  Propheten, 
überhaupt  eine  Zahl  zu  nennen.  Es  bleibt  nur  die  Annahme 
übrig,  daß  die  Zahl  siebzig  überliefert  war.  Mit  Eecht  faßt 
man  70  als  eine  ungenaue  Variante  zu  der  Zahl  72  auf.  »Daß 
.  .  .  diese  Zahl  ursprünglich  astronomischer  Herkunft  ist,  von 
der  Einteilung  des  360  tägigen  Jahres  in  72  Tagfünfte  (hamustu  = 
Woche)  ausgehend,  hat  zuerst  Winckler:  Altor.  Forsch.  II 
S.  98  if.  gezeigt  und  später  noch  durch  viele  Beispiele  im  Ein- 


Die  Periodentheorie.  161 

zelnen  belegt«  i.  Ob  Jeremia  diese  Bedeutung  der  Zahl  gekannt 
hat,  ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  zu  verneinen,  da  man 
von  72  resp.  70  »Wochen«  oder  »Perioden«,  aber  nicht  von 
ebenso  vielen  »Jahren«  zu  hören  erwartet.  Man  wußte  damals 
wohl  nur  noch,  daß  diese  Zahl  eine  Weltperiode  bezeichnete, 
während  der  genauere  Charakter  dieses  Zeitraums  verloren  ge- 
gangen war.  Jeremia  hielt  also  das  Exil  für  eine  Weltkata- 
strophe und  berechnete  darum  seine  Dauer  auf  72  Zyklen 
d.  h.  ein  Jahr.  Da  das  Exil  keine  Weltkatastrophe  war,  so 
konnte  Jeremia  schwerlich  erstmahg  auf  den  Gedanken  ver- 
fallen, mit  ihm  Zahlen  zu  verbinden,  die  für  Weltperioden  maß- 
gebend waren.  Man  wird  sich  vielmehr  vorstellen  müssen,  daß 
diese  Verknüpfung  schon  vorher  erfolgt  war  im  populären  Glauben, 
als  man  noch  nicht  an  das  bestimmte  historische  Ereignis,  son- 
dern noch  an  eine  wirkliche  Weltkatastrophe  dachte. 

Ezechiel  berichtet  44if.,  wie  Jahve  ihm  befohlen  habe,  eine 
bestimmte  Zahl  von  Tagen  auf  der  linken  Seite  unbeweglich  zu 
liegen  und  so  symbolisch  entsprechend  einer  ebenso  langen  Zahl 
von  Jahren  die  Verschuldung  Israels  zu  tragen,  sich  dann  auf 
die  rechte  Seite  zu  legen  und  dasselbe  für  Juda  zu  tun.  Der 
massorethische  Text  nennt  als  Zyklen  390  +  40,  die  LXX  teils 
190  +  40,  teils  150  +  40.  Bertholet  und  Keätzschmar 
bevorzugen  die  kleineren  Zahlen  der  LXX,  da  sie  glauben,  der 
Prophet  erzähle  hier  wirklich  Erlebtes.  Ich  halte  mich  an  die 
massorethischen  Angaben,  weil  sie  mir  erklärlich  scheinen,  und 
nehme  an,  daß  dem  Ezechiel  genau  so  wie  dem  Jeremia  eine 
feste  Zahl  überiiefert  war,  und  zwar  430,  die  er  auf  beide 
Reiche  verteilte  (390  +  40).  Ganz  analog  verhält  es  sich  mit 
dem  chronologischen  System  der  historischen  Bücher.  Das  Ge- 
rippe bildet  die  Zahlsumme  (480  =  12  x  40),  die  unregelmäßig 
mehr  oder  weniger  nach  Belieben  in  Einzelposten  aufgelöst 
wird.  Vermutlich  ist  die  Zahl  430  entstanden  durch  die  Ver- 
schmelzung zweier  verwandter  Traditionen.  Die  eine  redete  von 
360  »Tagen«,  die  andere  von  70  »Wochen«.  Als  man  das 
Wesen  des  betreffenden  Zeitraums  vergessen  hatte,  zu  dem 
diese  Zahlen  gehörten,  konnten  sie  mit  einander  kombiniert  und 


1.  KAT^    S.  634 f.      Dort    weitere   Literatur;    vgl.   übrigens    auch 
GuNKEL  zu  Gen.  17. 

Forschungen  zur  Rel.  n.  Lit.  d.  A.  u.  NT.  6.  11 


162     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

addiert  werden.  In  dieser  Vereinigung  d.  h.  als  Summe  werden 
sie  dem  Ezechiel  bereits  vorgelegen  haben,  da  er  keinen  Grund 
gehabt  hätte,  die  Zahlen  360  +  70  zu  ändern,  zumal  wenn 
Jeremia  bereits  von  70  Jahren  geredet  hatte.  Eine  Überein- 
stimmung der  beiden  Propheten  in  diesem  Punkte  ist  durchaus 
nicht  notwendig,  da  kein  Dogma  über  die  Dauer  des  Exils  sie 
band.  Wir  haben  keinen  Anlaß,  jene  Überlieferung  aus  dem 
Buche  Jeremia  zu  streichen  (Wellhausen,  Smend),  nur  deshalb 
weil  Ezechiel  einer  anderen  Tradition  gefolgt  ist.  Wenn  meine 
Auffassung  richtig  ist,  handelt  es  sich  übrigens  nicht  einmal 
um  zwei  verschiedene  Traditionen,  sondern  beide  besagen  ur- 
sprünglich dasselbe:  Der  durch  die  Weltkatastrophe  hervor- 
gerufene Zustand  dauert  360  Zyklen  =  70  Zyklen  =  1  Jahr. 
Jeremia  und  Ezechiel  haben  also  diese  mythischen  Weltzahlen 
auf  die  Geschichte  Israels  und  Judas  gedeutet. 

Wir  haben  gesehen  (vgl.  S.  65 ff.),  wie  nach  populärem 
und  prophetischem  Glauben  das  eschatologische  Unheil  auch 
als  eine  Wiederholung  der  Sintflut  aufgefaßt  wurde.  Wenn 
Deuterojesaja  549  die  Tage  nach  dem  Exil  mit  den  Tagen 
Noahs  nach  der  Flut  vergleicht,  so  beruht  dies  nicht  auf  einer 
geistreichen  Spielerei,  sondern  auf  der  festen  Überzeugung  dieses 
Mannes,  daß  Exil  und  Sintflut,  die  Katastrophen  der  Endzeit 
und  Vorzeit,  in  ihrem  innersten  Wesen  verwandt  sind.  Aus 
dem  Exil  selbst  ist  diese  Ansicht  völlig  unbegreiflich;  denn  es 
war  keine  universale,  sondern  eine  partikulare  Begebenheit. 
Damals  handelte  es  sich  um  die  Menschheit,  hier  um  Israel. 
Wie  konnte  der  Verfasser  auf  den  seltsamen  Gedanken  ver- 
fallen, beides  auch  nur  in  Parallele  zu  setzen?  Das  ist  nur 
begreiflich  aus  der  Umbiegung  einer  längst  bekannten,  jedermann 
geläufigen  Tradition.  Nur  wenn  das  Exil  als  identisch  galt  mit 
der  großen  Katastrophe  der  Endzeit,  konnte  es  mit  der  Sintflut 
paralleHsiert  werden.  Jene  Identität  aber  ist  nicht  aus  den  Tat- 
sachen und  Ereignissen  abgeleitet  und  ableitbar,  kann  also 
nicht  damals  zum  ersten  Male  entstanden  sein;  sie  beruhte 
vielmehr  auf  einer  alten  Theorie,  und  diese  Theorie  behielt  man 
bei,  trotzdem  die  Tatsachen  und  Ereignisse  ihr  nur  ziemlich 
wenig  entsprachen. 

In  diesem  Zusammenhange  ist  es  für  die  Bestätigung 
unserer  These  nicht  nur  von  Interesse,   daß   außer  der  israe- 


Die  Periodentheorie.  163 

litischen  auch  die  mexikanische  Eschatologie  in  engster  Be- 
ziehung zum  Weltjahre  steht i,  sondern  von  besonderer  Wichtig- 
keit, daß  die  Sintflut  im  Alten  Testamente  selbst  aufs  engste 
mit  der  Weltspekulation  verknüpft  ist.  Die  Sintflut  dauert 
vom  27.  Tage  (LXX;  17.  M.  T.)  des  2.  Monats  im  Jahre  600 
bis  zum  27.  Tage  des  2.  Monats  im  Jahre  601,  also  genau  ein 
Jahr  oder  360  Tage;  denn  da  vom  Beginn  bis  zum  Höhepunkt 
der  Flut  150  Tage  verflossen  sein  sollen,  die  Zeit  aber  nach 
den  Kalenderangaben  (sowohl  der  LXX  wie  des  M.  T.)  genau 
b  Monate  beträgt,  so  ist  der  Monat  zu  30  Tagen  gerechnet^. 
Das  Gesagte  genügt,  um  die  Übereinstimmung  dieser  Speku- 
lation mit  der  Berechnung  der  Endkatastrophe  zu  erweisen. 
Da  diese  alt  ist,  muß  es  auch  jene  sein.  Die  Chronologie 
«tammt  allerdings  aus  dem  Priesterkodex,  braucht  darum  aber 
nicht  notwendig  späten  Ursprungs  zu  sein.  So  gut  sein  Sintflut- 
foericht  in  anderer  Hinsicht  ältere  Züge  treu  bewahrt  hat,  die 
sich  beim  Jahvisten  nicht  finden  (vgl.  Gunkel:  Gen.  S.  134), 
so  gut  kann  die  Chronologie  zum  alten  Bestände  gehören.  Ich 
erinnere  daran,  wie  auch  die  Zahl  der  Lebensjahre  des  Henoch 
(365),  die  aus  dem  System  des  PC  herausfällt,  auf  eine  alte 
Tradition  zurückgehen  muß.  In  der  Flutchronologie  ist  noch 
ein  Datum  beachtenswert:  Die  Wasser  verlaufen  sich  am  1.  Tage 
des  1.  Monats  im  Jahre  601,  also  am  Neujahrstage.  »Dieser 
Termin  soll  markieren,  daß  .  .  .  eine  neue  Epoche  in  der  Welt 
beginnt«  (Gunkel). 

Anklänge  an  eine  Einteilung  der  Weltgeschichte  in  vier 
(drei?)  Perioden  scheinen  sich  zuerst  im  Priesterkodex  zu  finden. 
Die  vier  Abschnitte  könnten  reichen 

1.  von  der  Schöpfung  bis  Noah, 

2.  von  Noah  bis  Abraham, 

3.  von  Abraham  bis  Mose, 

4.  von  Mose  ab. 

Die  Vierzahl  wird  zwar  nicht  deutlich  herausgehoben,  der  Ver- 
fasser resp.  der  von  ihm  überlieferte  Stoff  ist  aber  ersichtlich 


1.  Vgl.  Müller:  Amerik.  Urrel.  S.  509 ff. 

2.  Die  LXX  liaben  demnacli  das  Ursprüngliche  bewahrt,  wenn  sie 
vom  27.  an  rechnen.  Bei  dieser  Annahme  verschwindet  jede  Diskrepanz 
(gegen  Gtjnkel). 

11* 


164      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

an  ein  bestimmtes  Schema  gebunden.  Am  klarsten  geht  dies 
aus  den  Bundeszeichen  hervor.  In  der  Geschichte  Noahs  wird 
der  Regenbogen  (Gen.  9 13),  in  der  Geschichte  Abrahams  die 
Beschneidung  (Gen.  17 11),  in  der  Geschichte  Moses  der  Sabbath 
(Ex.  31 17)  als  Bundeszeichen  genannt.  Diese  drei  Heroen,  zu  denen 
man  vielleicht  Adam  als  den  vierten  hinzurechnen  darf,  obgleich 
bei  ihm  von  keinem  Bunde  die  Rede  ist  (doch  vgl.  §  18),  sollen 
hierdurch  in  paralleler  Weise  als  Anfänger  einer  neuen  Epoche 
hingestellt  werden.  Auffallend  ist  einmal  die  verschiedene  Art 
dieser  Bundeszeichen:  Regenbogen,  Beschneidung,  Sabbath, 
sodann  die  verschiedene  Verteilung.  Wenn  Gott  bereits  den 
Sabbath  geheiUgt  hatte,  warum  wird  dieser  Feiertag  nicht  schon 
den  ersten  Menschen  eingeschärft?  Oder  wenn  er  als  spezifisch 
israelitisch  galt,  warum  wurde  er  dann  nicht  wenigstens  zu- 
sammen mit  der  Beschneidung  eingeführt?  Hier  scheint  ein 
Schema  einzuwirken,  das  am  Anfang  jeder  neuen  Periode  einen 
neuen  Bund  und  ein  neues  Bundeszeichen  verlangte.  Dazu 
kommt  ein  Zweites:  Der  Priesterkodex  verwendet  als  Gottes- 
namen der  Urzeit  D"«nb«,  seit  Abraham  "»nus  b«,  seit  Mose  n^n'*. 
Auch  hier  wird  eine  Theorie  zu  Grunde  liegen,  nach  der  zu 
Beginn  jeder  neuen  Periode  eine  neue  Gottesoffenbarung  statt- 
fand. Als  nächste  Parallele  und  vielleicht  als  Prototyp  dieser 
Idee  ist  nach  Gunkel  die  Notiz  des  Berossus  aufzufassen,  die 
von  einer  viermaligen  Offenbarung  des  Oannes  (Ea?)  und  seiner 
Nachfolger  unter  den  zehn  Urkönigen  weiß  (Eusebi  Chronic, 
liber  prior,  ed.  Schoene  S.  7  ff'.  31  f.). 

In  den  jüngeren  und  außerbiblischen  ÜberHeferungen  be- 
gegnen teils  dieselben  teils  verwandte  Vorstellungen  über  Welt- 
perioden, die  als  Bestätigung  der  eben  gemachten  Beobachtungen 
von  Wert  sind.  Zunächst  kehrt  die  Vi  erzähl  wieder.  In 
vier  Epochen  wird  die  Weltgeschichte  geteilt  IHen.  8959ff. 
IVEsra  12.  IBar.  39.  »Auch  in  der  rabbinischen  Theologie 
sind  die  vier  Weltreiche  stereotyp;  z.B.  mechilta  71b  zu  Ex.  20 18, 
sifre  135a  zu  Dtn.  32ii«  (Volz  S.  168;  Feedlnand  Webee: 
Jüdische  Theologie 2  S.  365).  Nach  der  persischen  Eschatologie 
(Bund.  c.  1.  34 1)  zerfällt  der  Weltlauf  in  4  x  3000  Jahre. 
Hesiod  (Werke  und  Tage  109 ff'.)  kennt  vier  Weltalter:  ein 
goldenes,  silbernes,  ehernes  und  eisernes,  eins  immer  minder- 
wertiger  als   das   andere.     Versinnbildlicht  wird  dieselbe  Idee 


Die  Periodentheorie.  165 

Dan.  232  durch  eine  Statue,  deren  verschiedene  Teile,  Bahman- 
Ya§t  c.  1  durch  einen  Baum,  dessen  vier  Zweige  aus  den  vier 
genannten  Metallen  bestehen.  In  anderer  Weise  werden  die 
vier  Reiche  symbolisiert  durch  vier  ruchlose  Hirten  (Zach.  Il4ff.), 
durch  vier  Reiter  mit  farbigen  Pferden  (Apk.  Job.  6iff.),  durch 
vier  gewaltige  Tiere  (Dan.  7)  oder  durch  vier  Homer  (Zach.  2iff.), 
Die  Vierzahl  erklärt  sich  am  einfachsten  aus  den  vier  Jahres- 
zeiten, die  vom  irdischen  Jahr  auf  das  Weltjahr  übertragen 
sind,  mit  dem  Frühling  beginnend  bis  zum  Winter.  Diese 
Theorie  setzt  ursprünglich  eine  Vierzahl  von  Göttern  oder 
Gröttersystemen  voraus,  die  nach  einander  zur  Regierung  kommen. 

Eine  andere  Tradition  rechnet  mit  der  Siebenzahl.  So 
heißt  es  IIHen.  33iiF.:  Den  achten  Tag  aber  setzte  ich,  damit 
derselbe  achte  Tag  sei  der  erstgeschaffene  über  meine  Werke, 
und  daß  sie  erfunden  werden  zum  Bilde  des  siebenten  Tausend, 
daß  des  achten  Tausend  Anfang  werde  die  Zeit  der  Zahllosig- 
keit  und  unendlich,  weder  Jahre,  noch  Monate,  noch  Wochen, 
noch  Tage,  noch  Stunden.  Nach  dem  Test.  Abrah.  Rec.  A19 
sagt  Thanatos  zu  Abraham:  Die  sieben  Äonen  hindurch  ver- 
wüste ich  die  Welt  und  nach  Rec.  B  7  sagt  Michael  zu  Abraham : 
Du  ivirst  aufgenommen  werden  in  den  Himmel;  dein  Leib  aber 
bleibt  auf  Erden  . .  .  7000  Äonen;  denn  dann  wird  alles  Fleisch 
auferweckt  werden.  Im  Talmud  wird  die  Dauer  der  Zeit  Gogs 
auf  sieben  Jahre  angegeben  (Wajjikra  rabba  c.  11)  und  im 
Bahman-Yast  begegnet  uns  der  schon  vorhin  erwähnte  Welt- 
baum, diesmal  aber  mit  sieben  Zweigen  (c.  2).  Diese  Sieben- 
zahl der  Äonen  hängt  mit  der  siebentägigen  Woche  zusammen, 
die  von  den  sieben  Planetengöttern  regiert  wird.  Sie  ist  erst 
verhältnismäßig  sehr  spät  bezeugt  und  scheint  erst  in  jüngerer 
Zeit  die  Spekulationen  verdrängt  zu  haben,  die  sich  an  die 
fünftägige  Woche  (hamustu)  geknüpft  habend 

Eine  dritte  Tradition  gruppiert  sich  um  die  Zahl 
Siebzig.  Abgesehen  von  Jeremia  findet  sie  sich  bei  Daniel 
(924ff.),  der  70  Wochen,  und  IHen.  8959ff.,  der  70  HiHen  vom 
Untergang  Israels  als  Nation  bis  zum  eschatologischen  Drama, 
also  von  einer  Welt  zur  anderen,  rechnet.     Nach  IHen.  10 12 


1,  Sieben  Wochen   sind   auch  IHen.  93  für   diese  Welt  gerechnet. 
Denn   mit  der  achten   beginnt   die  messianische  Zeit  (vgl.  Yolz  S,  14). 


166      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

vergehen  zwischen  der  Sintflut  und  dem  Endgericht  70  Ge- 
schlechter. Das  Wort  Hirt  ist  nur  ein  apokalyptischer  Name 
für  Engel  K  Die  70  Hirten  sind  also  ein  später  Ersatz  für  die 
70  Engel  (Dtn.  328  LXX),  die  als  Schutzherren  über  70  Völker 
verteilt  sind.  Beachtenswert  ist,  daß  Set  (Typhon)  im  Osiris- 
mythus,  »der  im  Grunde  ja  ein  Jahresmythus  ist«  (Zimmeen), 
72  Mitverschworene  hat. 

Entsprechend  der  Zwölf  zahl  von  Monaten  wird  das  Exil 
auf  12  Stunden  (IHen.  89?!),  der  jetzige  Äon  auf  12  Jahre  (Apk. 
Abrah.  c.  29)  oder  auf  12  Teile  berechnet  (IVEsral4ii).  Nach 
dem  Bundahis  (c.  1.  34 1)  dauert  die  Welt  12000  Jahre,  nach 
Berossus  12  x  3000  Jahre  (KAT.s  S.  333).  Nach  IBar.  c.  53 
wechseln  schwarze  und  helle  Wasser  12  Zeiten  hindurch  ab. 
Als  parallel  darf  gelten,  wenn  12  Zeiten  der  Drangsale  (IBar. 
c.  27),  12  letzte  Hirten  (IHen.  90 17),  und  wenn  im  Talmud 
12  Monate  für  die  Sintflut  und  für  die  Gerichte  über  Hiob, 
Ägypten,  Gog  und  Magog  gezählt  werden  (Webeb^  S.  343  vgl. 
VoLZ  S.  275.  288).  Die  zwölf  Tierkreisgötter,  die  auf  israe- 
litischem Boden  zu  zwölf  Engeln  geworden  sind  (Apk.  Joh.  21i2 
vgl.  die  12  Taxiarchen  I  Hen.  82),  werden  in  der  apokalyptischen 
Eschatologie  als  Hirten  bezeichnet. 

Eines  darf  bei  dieser  Zusammenstellung  freilich  nicht  ver- 
gessen werden.  So  fein  säuberlich,  wie  wir  uns  bemüht  haben, 
die  verwandten  Anschauungen  zu  gruppieren  und  zu  sondern, 
sind  sie  in  der  apokalyptischen  Literatur  nicht  geordnet.  Aber 
mag  auch  alles  bunt  und  kraus  durcheinander  wirbeln,  es  hat 
einmal  ein  ganz  bestimmter  Sinn  in  allen  diesen  Berechnungen 
gelegen.  Der  Zeitraum,  der  alle  genannten  Zahlen  umfaßt,  so- 
zusagen der  Generalnenner,  in  dem  sie  alle  aufgehen,  ist  das 
Jahr  (Gunkel).  Diese  Spekulation  von  Weltperioden,  die  von 
Hause  aus  astronomischer  Natur  ist,  kann  nicht  israehtischen 
Ursprungs  sein,  sondern  dürfte  aus  Babylonien  stammen,  zumal 
dort  eine  fünftägige  Woche  bezeugt  ist.  Um  der  oben  zitierten 
Stelle  Jeremias  willen  müssen  wir  annehmen,  daß  wenigstens 
ein  Teil  dieser  astronomischen  Ideen  seit  alters  in  Kanaan  be- 
kannt war.     Später  mögen  nach  dem  Exil  den  Israeliten  weitere 


1.  Schürer:  Geschichte  des  jüd.  Volkes^  III  S.  198. 


Die  Periodentheorie.  167 

Bruchstücke  dieser  Theorie   geläufig  geworden  sein;    denn  nach 
dem  Exil  fließt  der  Strom  reichlicher  als  vorher. 

Die  Verknüpfung  der  Weltkatastrophen  mit  dieser  Perioden- 
theorie ist  seit  Jeremia  nachweisbar,  scheint  aber  nach  dem 
oben  Gesagten  auf  ältere  Vorläufer  zurückzugehen  und  darf 
vielleicht  sogar  für  ursprünglich  gehalten  werden.  Denn  wenn 
man  überhaupt  die  Idee  des  Weltunterganges  und  die,  wie  wir 
später  sehen  werden,  tatsächhch  damit  verbundene  Vorstellung 
der  Weltemeuerung  erklären  will,  so  bleibt  die  Ableitung  aus 
einer  astronomischen  Spekulation  immer  noch  am  wahrschein- 
lichsten. Die  Sonne,  die  nach  antiker  Anschauung  rund  um 
die  Erde  geht,  kehrt  im  Lauf  der  Jahrhunderte  und  Jahrtausende 
zu  dem  Punkt  zurück,  an  dem  sie  anfänglich  gestanden  hat. 
Dann  ist  ein  Weltjahr  zu  Ende,  und  von  neuem  beginnt  der 
unendliche  Kreislaufs.  Man  könnte  gegen  diese  Hypothese 
einwenden,  daß  man  dann  eine  Eeihe  von  Weltkatastrophen 
und  Welterneuerungen  erwarten  würde,  da  ja  die  Weltjahre  in 
unaufhörlichem  Wechsel  sich  folgen.  Aber  dieser  Einwand  ist 
nicht  stichhaltig,  wenn  man  sich  etwas  lebendiger  in  den  Geist 
des  antiken  Menschen  versetzt.  Wie  unauslöschlich  tief  muß 
der  Eindruck  gewesen  sein,  als  der  Mensch  zum  ersten  Male 
mit  staunender  Bewunderung  das  Geheimnis  des  Weltjahres 
erfaßte!  Mit  welcher  Andacht  mochte  er  dem  schier  unendlich 
fernen  Zeitpunkt  gegenüberstehen,  wo  das  Ende  der  Sonnen- 
bahn zum  Anfang  zurückkehrte!  Auf  diesen  Moment  konzen- 
trierte sich  sein  Interesse,  und  ihn  umgab  das  Spiel  seiner 
Phantasie  mit  allerlei  mythischem  Beiwerk.  Was  sollte  ihn 
reizen,  noch  weiter  in  die  Ferne  zu  schweifen? 

Wie  die  Periodentheorie  bestimmt  nach  Babylonien  weist, 
so  berichten  auch  babylonische  Schriftsteller,  daß  man  dort 
künftige  Katastrophen  auf  Grund  von  astronomischen  Speku- 
lationen erwartet  habe.  Wir  erfahren  bei  Seneca:  Berossus  .  .  . 
weist  dem  Brand  und  der  Flut  (bestimmte)  Zeiten  zu.     Er  be- 


1.  So  GuNKEL  (Genesis"  S.  234):  »Aus  der  Beobachtung  der 
Präzession  der  Sonne  erklärt  sich  ...  die  Gleichung  von  Urzeit  und 
Endzeit,  die  in  der  Eschatologie  eine  solche  Eolle  spielt«.  Vgl.  auch 
Winckler:  Gesch.  Isr.  II  S.  282  ff.  Altorient.  Forsch.  3.  Eeihe  Bd.  II 
Heft  2  S.  289. 


168      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

hauptet  nämlich,  daß  die  Erde  brennen  werde,  wenn  alle  Sterne, 
die  jetzt  verschiedene  Wege  gehen,  im  Krebs  zusammenkommen 
.  .  .  daü  eine  Überschwemmung  stattfinden  werde,  wenn  dieselbe 
Schar  von  Sternen  im  Steinbock  zusammenkommt^.  Diese  An- 
schauung wird  als  alt  bestätigt  durch  die  Ominaliteratur,  in  der 
häufig  Schilderungen  einer  Fluchzeit  begegnen,  z.  B.:  (Wenn 
unter  den  Planeten  die  und  die  Bewegung  stattfindet),  so  werden 
die  Götter  zürnen,  . .  .  wird  das  Helle  trüb,  das  Beine  schmutzig 
werden,  werden  die  Regengüsse  und  Hochwasser  aufhören,  .  .  . 
.  .  .  werden  die  Länder  in  Verwirrung  geraten,  .  .  .  wird  Er- 
hörung  des  Gebetes  nicht  stattfinden,  werden  die  Vorzeichen  der 
Wahrsager  nicht  (günstig  seiny.  Hier  wird  zwar  nicht  genau 
dasselbe  gesagt  wie  bei  Berossus,  immerhin  aber  ist  die  Paral- 
lele so  frappant,  daß  man  bei  anderer  Konjunktion  von  einer 
künftigen  Sintflut  oder  einem  Weltfeuer  zu  hören  erwarten 
könnte.  Mit  bestimmten  Konjunktionen  sind  natürhch  feste 
Perioden  ohne  weiteres  verbunden.  Ich  muß  es  den  Assyrio- 
logen  überlassen,  diese  Dinge  weiter  zu  verfolgen. 

Mit  den  Weltkatastrophen  ist  außer  der  Periodentheorie 
noch  eine  Plagentheorie  verbunden,  die  man  nach  dem  Vor- 
gange der  rabbinischen  Theologie  mit  dem  mißverständlichen 
und  aus  einem  ganz  anderen  Ideenkreis  stammenden  Terminus  ^ 
messianische  Wehen  zu  nennen  pflegt.  Es  handelt  sich  um  ein 
formales  Schema,  dessen  Inhalt  nach  Belieben  wechselt:  Eine 
große,  gewaltige,  endgültige  Katastrophe  wird  vorbereitet  und 
angekündigt  dm'ch  mehrere  vorläufige  kleinere  Plagen.  Dies 
Schema  erscheint  bereits  als  fest  ausgeprägt  bei  dem  ersten  der 
schriftstellernden  Propheten  Amos  46 — 12.  Nach  diesen  Versen 
hat  Jahve    die  Israehten    mehrfach   gewarnt   und   zur  Umkehr 


1.  Berosus  .  .  .  conflagrationi  atque  diluvio  terapora  assignat. 
Arsura  enim  terrena  contendit,  quando  omnia  sidera,  quae  nunc  diversos 
agunt  cursus,  in  canerum  convenerint,  sie  sub  eodem  posita  vestigio, 
ut  recta  linea  exire  per  orbes  omnium  possit;  inundationem  futuram, 
quura  eadem  siderum  turba  in  capricornum  convenerit.  Illic  solstitium, 
hie  bruraa  confieitur;  magnae  potentiae  signa,  quando  in  ipsa  muta- 
tione  anni  momenta  sunt  (Seneca  :  Nat.  Quaest.  III  29 ;  Müller  :  Fragm. 
hist.  graee.  II  510). 

2.  Zimmern  KAT.^  S.  393. 

3.  Vgl.  Gunkel:   Schöpfung  S.  271  ff.    Forschungen,  Heft  I  S.  54. 


Die  Plagentheorie.  169 

gemahnt.  Aber  sie  wollten  keine  Buße  tun.  So  ist  denn  die 
letzte  Vemichtungskatastrophe  unvermeidlich  geworden.  Wer 
nicht  hören  will,  muß  fühlen. 

Eine  wichtige  Frage,  die  bisher  von  den  Exegeten  weder  ge- 
stellt noch  beantwortet  wurde,  ist  die,  ob  der  Prophet  durch  zeit- 
genössische Plagen  zu  der  skizzierten  Auffassung  genötigt  wurde 
oder  nicht.  Er  beschreibt  nach  einander  eine  Hungersnot,  eine 
Dürre,  Kornbrand  und  Heuschrecken,  Pest  und  Krieg,  eine  Zer- 
störung wie  die  Sodoms  und  Gomorrhas.  Nun  ist  es  möglich  und 
vielleicht  notwendig  anzunehmen,  daß  alle  diese  Plagen  während 
eines  Menschen  alters  eingetreten  sein  können,  falls  sie  genügend 
klein  gedacht  und  über  einen  genügend  langen  Zeitraum  ver- 
teilt werden.  Damit  ist  aber  der  eigentümliche  Tenor  dieser 
Rede  nicht  erklärt.  Amos  erzählt  nicht,  wie  vor  zehn  Jahren 
einmal  eine  furchtbare  Pest  stattfand,  die  in  dieser  Stadt  über 
ein  Drittel  der  Menschen  dahinraffte,  wie  ein  Jahr  darauf  der 
Krieg  mit  den  Aramäern  so  unglücklich  verlief,  daß  Tausende 
von  Jünglingen  getötet  wurden,  wie  vor  vier  Jahren  ein  entsetz- 
liches Erdbeben  erfolgte,  durch  das  einige  bekannte  Städte  zer- 
stört wurden  gleich  der  Katastrophe  von  Sodom  und  Gomorrha. 
Im  Gegenteil,  es  wird  so  dargestellt,  als  ob  die  Plagen  Schlag 
auf  Schlag  sich  aneinander  reihten,  nur  eine  kurze  Pause  da- 
zwischen, damit  die  Israeliten  Zeit  fänden  zur  Buße.  Und  nicht 
allein  das  Chronologische  fehlt,  sondern  man  vermißt  überhaupt 
alle  individuellen  Züge^,  die  dem  Bilde  erst  Leben  und  Wirk- 
lichkeit verleihen.  Alles  ist  farblos,  verallgemeinert  und  typisch, 
ohne  Rücksichtnahme  auf  konkrete  Einzelheiten.  Statt  durch 
den  Hinweis  auf  bekannte,  selbsterlebte  Dinge,  die  noch  nach 
Jahren  im  Gedächtnis  der  Leute  haften  geblieben  sind,  die 
Erinnerung  an  die  furchtbaren  Plagen  von  neuem  wirksam  auf- 
zufrischen, begnügt  sich  Amos  mit  einer  fast  statistisch  trockenen 
Aufzählung. 

Das  Schematische  dieses  Abschnittes  ist  unverkennbar. 
Man  versteht  überdies  nicht,  wie  Amos  selbst  die  vielen  Plagen 
als  Vorläufer  einer  größeren  Katastrophe  betrachtet  haben  kann, 


1.  V.  7  f.  fallen  etwas  aus  dem .  Tenor  der  übrigen  Verse  heraus 
und  sind  darum  teilweise  für  unecht  erklärt  worden.  Wahrscheinlicher 
vermutet  Gunkel  (nach  mündlicher  Mitteilung),  daß  nach  Y.  7  a  der 
Eefrain  ausgefallen  sei. 


170       Der  Urspnmg  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

wenn  beide  nicht  schon  vorher  durch  eine  Theorie  mit  einander 
verbunden  waren.  Heuschrecken,  Dürre,  Hungersnot,  Krieg, 
Pest  und  Erdbeben  mochten  selten  sein,  aber  wenn  sie  vor- 
kamen, waren  sie  doch  nicht  so  außergewöhnlich,  daß  man  auf 
die  Idee  verfallen  konnte,  das  Ende  der  Welt  oder  der  Tag 
Jahves  sei  da.  Und  selbst  dann,  wenn  sie  in  kürzeren  Ab- 
ständen einander  ablösten,  mochte  man  das  Unglück  für  groß 
und  den  Zorn  Jahves  für  gewaltig  halten,  aber  daß  die  Gott- 
heit nun  obendrein  noch  gänzliche  Vernichtung  beschließen 
werde,  ist  kein  Gedanke  des  Glaubens,  sondern  Ausfluß  einer 
feststehenden  Theorie.  Nur  durch  die  Annahme  eines  Schemas 
fällt  Licht  auf  diesen  Abschnitt  des  Amos.  So  begreift  es 
sich,  warum  der  Hauptnachdruck  nicht  auf  die  einzelnen  Plagen^ 
sondern  auf  ihre  Häufung  gelegt  wird.  Denn  erst  wenn  viele 
Plagen  eintreten,  wenn  eine  Mehrzahl  von  Plagen  die  Erde 
verwüstet,  ist  die  Katastrophe  nahe.  Da  Amos  überzeugt  war, 
das  Ende  stehe  bevor,  so  forderte  das  Schema  notwendig  eine 
Reihe  vorläufiger  Plagen,  durch  die  das  Volk  nicht  zur  Buße 
gebracht  war. 

Die  Katastrophe  kann  abgewendet  werden  durch  die  Be- 
kehrung des  Volkes,  kann  aufgehalten  werden  durch  die  Für- 
sprache eines  Propheten.  Amos  berichtet  7iff.  von  drei  (resp. 
vier)  Visionen,  die  ihm  zuteil  geworden  seien.  Zunächst  habe 
er  Heuschrecken  gesehen,  die  das  ganze  Land  fressen  sollten,, 
dann  ein  Feuer,  das  den  großen  Ozean  und  den  Himmel  (?) 
verzehren  1  sollte.  Der  Prophet  habe  für  Jakob  um  Vergebung 
gebeten  und  Jahve  habe  zugesagt,  die  Plagen  sollten  nicht  ge- 
schehen. Als  Jahve  aber  zum  dritten  Male  selbst  mit  dem  Lot 
in  der  Hand  erscheint,  verbietet  er  jede  fernere  Einmischung; 
denn  das  Ende  ist  unumstößlich  beschlossen.  Es  ist  gewiß 
nicht  »nur  von  psychologischem  Interesse«  (Smend^  S.  183), 
daß  Amos  zuerst  eine  Heuschreckenplage,  darauf  ein  gewaltiges 
Feuer  und  schließlich  erst  das  Ende  erwartete.  Denn  zunächst 
haben  wir  hier  eine  deuthche  Parallele  zu  46ff;  nur  der  Inhalt 
des  Schemas  ist  modifiziert,  das  Schema  selbst  ist  dasselbe. 
Wozu  werden   zweitens  immer  neue  Plagen  genannt?     Warum 


1.  Von  einer  »Dürre«,  wie  die  Exegeten  behaupten,  redet  der  Text 
nicht.    Das  Bild  ist  vielmehr  mythologisch,  wie  der  Name  Tehom  lehrt. 


Die  Plagentheorie.  171 

wird  nicht  eine  und  dieselbe  mehrfach  zurückgewiesen?  Oder 
umgekehrt,  warum  erscheint  nicht  Jahve  von  vornherein  und 
wird  um  die  Zurücknahme  seines  Vernichtungsbefehles  gebeten? 
Warum  werden  vorher  noch  zwei  Plagen  vorausgesetzt?  Die 
Antwort  kann  nur  lauten:  Weil  ein  Schema  vorhanden  war, 
das  vor  der  endgültigen  Katastrophe  noch  mehrere  Plagen  ver- 
langte. Wer  freihch  in  den  Heuschrecken  und  in  der  angeb- 
lichen »Dürre«  nur  Bilder  für  die  Assyrer  zu  sehen  vermag,^ 
ohne  sie  gradezu  allegorisch  aufzufassen  (wie  Smend),  wird  das 
Problem  in  dieser  Fassung  nicht  anerkennen.  Aber  auch  für 
ihn  erhebt  sich  dieselbe  Schwierigkeit,  warum  die  AssjTcr  in 
immer  neuen  Bildern  dargestellt  werden.  Mit  dem  bloßen 
Worte  »Vision«  oder  »Psychologie«  ist  das  nicht  erklärt  noch 
das  Recht  begründet,  die  genannten  Plagen  irgendwie  umzu- 
deuten. 

Femer  lehrt  Jes.  9? — 10 4.  025—30,  daß  das  Strafgericht 
Gottes  in  mehreren  Schlägen  sich  vollzieht,  die  auf  einander 
folgend  das  Land  verheeren,  bis  das  Ziel,  die  endliche  Ver- 
nichtung Israels,  erreicht  ist.  Die  Variante  weicht  insofern 
ab,  als  die  Plagen  hier  nicht  zur  Besserung  des  Volkes  dienen 
sollen,  sondern  nur  als  Äußerungen  des  gewaltigen  Zornes  Jahves 
angesehen  werden,  der  sich  nicht  genug  tun  kann  in  seinem 
Zerstörungseifer.  Schließlich  sei  daran  erinnert,  wie  bei  Jeremia 
und  Ezechiel  in  sehr  vielen  Fällen  drei  oder  vier  Plagen,  zwar 
nicht  zeitlich  an  einander  gereiht,  aber  doch  aufs  engste  mit 
einander  verbunden  werden  (vgl.  o.  S.  88 f.).  Hier  haben  wir 
den  sachlichen  Übergang  vom  festen  chronologischen  Schema 
zur  gänzHchen  Formlosigkeit,  die  in  der  vorexilischen  Prophetie 
vorherrscht.  So  mannigfach  sonst  die  Farben  sind,  mit  denen 
die  Katastrophe  gemalt  wird,  so  existieren  doch  die  meisten 
Einzelbilder  für  sich.  Der  Tag  Jahves  wird  bald  so  bald 
anders  gezeichnet,  ohne  daß  irgend  ein  Zusammenhang  aufzu- 
weisen wäre.  In  der  nachexilischen  Zeit  hingegen  sind  die 
Gemälde  oft  zu  größeren  Gesamtkompositionen  mehr  oder 
weniger  gut  zusammengeordnet  Das  Ende  ist  zu  einem  wirk- 
lichen Drama  in  verschiedenen  Akten  geworden.  Auch  hier^ 
so  sehen  wir  jetzt,  handelt  es  sich  nicht  um  etwas  absolut, 
sondern  nur  relativ  Neues.  Bereits  in  der  älteren,  vor- 
prophetischen  Zeit    war    ein    Schema    vorhanden    ge- 


172      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

wesen,  das  verschiedene  Plagen  chronologisch  an  ein- 
ander reihte,  bis  die  Katastrophe  eintrat.-  Die  Zahl  der 
Plagen  bleibt  unbestimmt  und  wird  erst  in  der  Apokalypse 
Job.  durch  die  heilige  Vier  und  Sieben  normiert. 

Dasselbe  Schema  begegnet  uns  außerhalb  der  Eschatologie 
noch  einmal  bei  den  ägyptischen  Plagen  des  Buches  Exodus 
(78 — 11 10).  Der  schematische  Charakter  ist  hier  besonders  klar, 
obwohl  er  von  den  Exegeten  bisher  verkannt  wurdet  Denn 
diese  Häufung  der  Wunder  ist  zunächst  durchaus  unverständlich. 
Ein  Pharao,  der  nach  zehn  (resp.  neun)  furchtbaren  Plagen 
noch  so  verstockt  bleibt,  daß  ein  elftes  nötig  wird,  um  seinen 
Sinn  zu  brechen,  ist  weder  in  der  Geschichte  noch  in  der  Sage 
begreiflich.  Die  Vermutung,  Ägypten  sei  »zu  der  Zeit,  als  die 
israeUtischen  Stämme  ihre  Auswanderung  vorbereiteten,  von  be- 
sonders schweren  Kalamitäten  heimgesucht  worden«  (Baentsch), 
beruht  auf  Rationalismus.  Denn  es  handelt  sich  teilweise  nicht 
mehr  um  mögliche  Plagen,  sondern  um  unmögliche  Wunder. 
Wenn  aber  Baentsch  von  dem  »phantasiebegabten  Volksgeist« 
redet,  der  »recht  wohl  von  selbst  auf  jene  Heimsuchungen  ver- 
fallen und  sie  zu  jenen  lebensvollen  Erzählungen  gestalten 
konnte«,  so  hat  er  grade  die  Hauptsache  ins  Gegenteil  verkehrt. 
Denn  die  Geschichten  sind  alles  andere  eher  als  »lebensvoll«. 
Die  Verhärtung  Pharaos  ist  psychologisch  ein  völliges  Eätsel. 
Mochte  er  anfangs  an  Zauberei  glauben,  mußte  er  sich  doch 
•eines  Besseren  belehren  lassen,  als  seine  Weisen  das  Wunder 
nicht  nachmachen  konnten.  Trotzdem  geht  das  Spiel  (auch 
nach  dem  Priesterkodex)  weiter.  Nur  durch  die  Annahme 
^iner  Theorie  kann  man  dies  Problem  lösen.  Die  vielen  Plagen 
gehören  von  Hause  aus  zusammen;  mag  auch  die  eine  oder 
andere  später  erdichtet  sein,  jedenfalls  bilden  sie  als  Mehrzahl 
^ine  bestimmte  Tradition.  Wie  bei  Amos  sollen  sie  die  Be- 
troffenen zur  Umkehr  bringen.  In  Wirklichkeit  würden  ein 
oder  zwei  Plagen  reichlich  genügen.  Da  jedoch  die  Theorie 
viele  Plagen  kennt,  so  muß  notwendig  der  Widersinn  ent- 
stehen, daß  selbst  bei  fünf-  oder  zehnfacher  Wiederholung  die 
Buße  nicht  erzwungen  werden  kann. 

Die  Theorie  verlangt  ihrem  Wesen  nach,  daß   eine  Plage 


1.  Kichtig  Gunkel:  Forschungen  I  S.  54. 


Die  Plagen theorie.  173- 

immer  größer  ist  als  die  andere  oder  daß  mindestens  am  Ende 
eine  grandiose  Plage,  anders  ausgedrückt,  eine  Katastrophe 
steht,  durch  die  der  Abschluß  erreicht  wird.  Im  Exodus  haben 
wir  die  Tötung  der  Erstgeburt,  in  der  Eschatologie  die  Ver- 
nichtung Israels  am  Ende.  Beide  Katastrophen  sind  den 
vorhergehenden  Plagen  viel  zu  ähnlich,  sie  sind  zu  klein,  als- 
daß  sie  ursprünglich  sein  könnten.  Warum  läßt  sich  Pharao 
durch  die  Tötung  der  Erstgeburt  bestimmen,  während  die  Pest 
doch  mindestens  ebenso  schlimm  war?  Die  Wunder  beim  Aus- 
zug sind  aus  anderem  Zusammenhange  hierher  übertragen 
worden,  sodaß  sich  über  den  ursprünglichen  Schluß  nichts 
Sicheres  ausmachen  läßt.  Für  die  Eschatologie  kommt  jedoch,^ 
—  wie  wir  schon  oft  und  mit  vielen  Gründen  zu  beweisen  ge- 
sucht haben,  denen  hier  ein  neuer  angereiht  wird  —  anfänglich 
eine  Weltkatastrophe  in  Betracht.  Sie  allein  eignet  sich  und 
paßt  vortrefflich  an  den  Schluß  vorgängiger  kleiner  Plagen, 
Dieselbe  Theorie  findet  sich  bereits  in  Babylonien,  wie  es 
scheint^,  und  ist  dort  mit  der  Sintflut  auf's  engste  verknüpft. 
Auf  Dürre,  Mißwachs  und  Unfruchtbarkeit  folgt  zweitens  eine 
Fieberseuche;  denn  »die  Sünden  der  Menschen  haben  nicht  ab- 
genommen, sondern  haben  sich  gegen  früher  noch  gemehrt«. 
Nach  einer  abermaligen  kleineren  Plage  bricht  endlich  die  Sint- 
flut herein  und  vernichtet  die  Menschheit.  Die  Plagen  sind  hier 
schon  ethisch  begründet,  und  das  ist  als  alt  begreiflich,  obwohl 
es  psychologisch,  wie  oben  ausgeführt,  unverständlich  ist.  Denn 
jene  Theorie  ist  ursprünglich  ästhetischer  Herkunft.  Die  Dichter 
lieben  es,  das  Unheil  nicht  mit  einem  Male  als  vollendet  dar- 
zustellen, sondern  es  langsam,  ruckweise  anschwellen  zu  lassen, 
bis  es  schließlich  gleich  einer  Lawine  hereinbraust.  Als  das 
Motiv  für  die  fortwährende  Steigerung  der  Plagen  bis  zur  end- 
gültigen Katastrophe  ist  die  Verstocktheit  und  Unbußfertigkeit 
der  Menschen  hinzugekommen.  Erst  als  die  ästhetisch  stili- 
sierte Weltkatastrophe  feststand,  wurde  sie  nachträglich  ethisch, 
begründet. 


1.  Vgl.  KAT.3  S.  552 f.;  Gunkel:  Forschungen  I  S.  54. 


174      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 


§  17.    Der  Nördliclie. 

Der  Tag  Jahves  ist  in  der  Prophetie  vielfach  als  ein  nahe 
bevorstehender  irdischer  Kampf  aufgefaßt.  Das  gewöhnlich  an- 
gewandte Schema  lautet,  daß  Jahve  ein  fremdes  Heer  herbei- 
ruft, um  Israel  und  Juda  zu  verderben.  Für  das  Schema  ist 
es  gleichgültig,  welches  Volk  gemeint  ist.  Überall  nun,  wo  eine 
bestimmte  historische  Gefahr  in  den  Gesichtskreis  der  Propheten 
tritt,  wechselt  der  Inhalt  des  Schemas  entsprechend  der  jeweiligen 
politischen  Situation.  Sind  es  anfangs  Assyrer  und  Ägypter, 
so  sind  es  später  Babylonier,  Perser,  Griechen  und  Eömer, 
durch  die  das  Ende  Israels  herbeigeführt  und  die  Erwartung 
vom  Tage  Jahves  in  Wirklichkeit  umgesetzt  wird.  Diese  Vari- 
ationen im  einzelnen  zu  verfolgen,  hat  für  uns  in  diesem  Zu- 
sammenhange keinen  Wert,  sobald  das  Schema  klar  erkannt 
ist.  Man  darf  es  bereits  für  vorprophetisch  halten,  weil  die 
Ausfüllung  des  Schemas  trotz  aller  geschichthchen  Bedingtheit 
in  eigenartig  unbestimmter,  stereotyper  Weise  erfolgt.  Die  Pro- 
pheten haben  sich  an  bereits  vorhandene  stilistische  Vorbilder 
angelehnt  und  die  jeweiligen  Feinde  Israels  nach  älteren 
Mustern  geschildert. 

Denn  wo  auch  immer  gewisse  Völker  mit  Namen  genannt 
werden,  niemals  kann  man  aus  der  Beschreibung  er- 
schließen, welches  Volk  nun  grade  an  dieser  Stelle 
gemeint  sei,  da  nur  generelle,  niemals  individuelle  Züge  an- 
geführt werden.  Oder  durch  welche  Charakteristika  werden 
etwa  die  Assyrer  von  den  Chaldäern  oder  die  Chaldäer  von 
den  Skythen  unterschieden,  sodaß  kein  Zweifel  an  der  Identi- 
fizierung sein  kann  ?  Wo  nicht  zufällig  Namen  genannt  werden, 
stehen  wir  vor  den  allgemein  gehaltenen  Schilderungen  wie  vor 
unlösbaren  Eätseln,  falls  nicht  aus  anderen  Dingen  die  Zeit 
fixiert  werden  kann.  Wellhausen  gesteht  diese  Tatsache  be- 
züglich der  Skythen  unumwunden  ein,  will  sie  aber  einseitig 
auf  dies  Volk  beschränken  und  aus  einem  bestimmten  Einzel- 
falle erklären:  »Jeremia  kann  im  Jahre  626  nur  die  Skythen, 
nicht  die  Chaldäer  im  Auge  gehabt  haben.  Daß  das  aus  seiner 
Schilderung  der  Feinde  nicht  klar  hervorgeht,  muß  allerdings 
zugegeben  werden;   das  erklärt  sich  aber  einfach  aus  dem  zeit- 


Prophetischer  Stil.  175 

liehen  Zwischenraum  von  dreiundzwanzig  Jahren,  der  in  diesem 
Falle  zwischen  seiner  ursprünglichen  Weissagung  und  ihrer 
Niederschrift  Hegt,  in  der  Gestalt,  wie  wir  sie  lesen.  Wenn  er 
von  den  Skythen  ausgegangen  war,  als  er  sprach,  so  hat  er, 
als  er  schrieb,  ihre  Schilderung  so  übermalt,  daß  sie  auch  auf 
die  Chaldäer  paßte«  (zu  Zeph.  2 15).  Aber  wenn  wir  nicht  auf 
die  Zeitverhältnisse,  sondern  nur  auf  die  Beschreibung  selbst 
achten,  so  können  wir  an  jedes  beliebige  Volk  des  Nordens 
z.  B.  an  die  Aramäer  denken.  Der  Verfasser  von  Ez.  c.  38  f., 
der  die  früheren  Weissagungen  der  Propheten  auf  Gog-Magog 
bezog,  konnte  das  mit  einem  Schein  des  Rechtes  tun  und  ohne 
die  Furcht,  mit  dürren  Worten  widerlegt  zu  werden. 

Die  Propheten  schildern  eben  keine  individuellen 
Völkertypen.  Selbst  wo  sie  einen  bestimmten  historischen 
Feind  weissagen,  geben  sie  kein  deutliches  Bild  von  ihm,  sondern 
zeichnen  ihn  mit  herkömmlichen  Zügen.  Charakteristisch  für 
diesen  festausgeprägten  Stil,  den  man  fast  überall  konstatieren 
kann,  ist  die  krasse  Art  und  Weise,  mit  der  die  Farben  auf- 
getragen werden,  sind  die  ungeheuren  Hyperbeln,  die  einen 
Stich  ins  Fabelhafte  zeigen.  So  verkündet  Jer.  1 15 :  Denn  siehe 
ich  werde  rufen  alle  .  .  .^  Königreiche  des  Nordens.  Der  auf- 
fällige Plural  wird  von  Giesebrecht  so  erklärt:  »Daß  sich  ein 
Reich  aus  mehreren  Völkerschaften  zusammensetzte,  war  sonder- 
lich bei  den  großen  Weltmonarchien  der  damahgen  Zeit  nichts 
Seltenes«.  Giesebrecht  hat  den  Text  ein  klein  wenig  modi- 
fiziert und  damit  grade  seine  bezeichnende  Nüanze  ver- 
wischt. Denn  es  handelt  sich  nicht  um  mehrere^  sondern  um 
alle  Königreiche  des  Nordens.  Eine  solche  Weltherrschaft  hat 
Babylonien  zwar  nie  ausgeübt,  aber  es  gehört  zum  prophetischen 
Stil,  solche  Übertreibungen  auszusprechen. 

Als  zweites  Beispiel  kommt  die  Tatsache  in  Betracht,  daß 
nicht  nur  bei  Jeremia,  sondern  auch  anderswo  neben  dem 
Norden  das  Ende  der  Welt  als  Ausgangspunkt  der  Feinde  ge- 
nannt wird.  So  spricht  Jahve:  Siehe,  ein  Volk  kommt  aus  dem 
Lande  des  Nordens,  und  ein  gewaltiges  Reich  regt  sich  von  den 
Enden  der  Erde  (Jer.  622).      Und  erheben  wird   er  ein  Panier 


1.  jTins'i;«  ist  handscliriftliche  Glosse. 


176      Der  Ursprung  der  israelitisch- jüdischen  Eschatologie. 

den  Völkern^  aus  der  Ferne  und  ihnen  pfeifen  vom  Ende  der 
Erde  (Jes.  026).  Obwohl  Israel  mit  Assyrern  und  Babyloniern 
oft  in  Berührung  war  und  sie  aus  eigener  Erfahrung  kannte, 
obwohl  bereits  die  Kanaaniter  mit  ihnen  vertraut  gewesen  waren 
und  obwohl  die  Assyrer  zur  Zeit  Jesajas  bereits  ein  Jahrhundert 
lang  wieder  in  den  Gesichtskreis  der  palästinischen  Völker  ge- 
treten waren,  konnte  man  dennoch  sagen,  sie  kämen  vom  Ende 
der  Welt.  Man  darf  diese  Worte  nicht  für  bare  Münze  nehmen 
und  weitgehende  Schlüsse  daraus  ziehen,  wie  klein  damals  der 
geographische  Horizont  der  Israeliten  gewesen  sei.  Es  handelt 
sich  hier  um  technische  Redensarten,  die  zum  ständigen  Reper- 
toir  solcher  eschatologischen  Dichtungen  gehören. 

Anderswo  heißt  es:  ein  altes  Volk,  ein  Volk  aus  der  Ewig- 
keit werde  heranrücken  (Jer.  5 15).  Dem  Propheten  sollen  hierbei 
nicht  die  Skythen  vorschweben,  »die  sich  nach  Herod.  lY  5 
als  ein  sehr  junges  Volk  betrachteten«,  sondern  die  »Babylonier«, 
die  »das  älteste  Kulturvolk  Vorderasiens  waren«  (Giesebkecht). 
Aber  den  Israeliten  darf  man  schwerlich  dieselbe  geschichtliche 
Auffassung  zuschreiben  wie  dem  Herodot.  Überdies  paßt  das 
Prädikat  ewig,  wenn  man  es  genau  nimmt,  nicht  einmal  zu 
den  Babyloniern.  Denn  es  wird  nur  Göttern  und  göttlichen 
Wesen,  wie  den  Riesen  (Ez.  26i9f.  322?),  und  uralten  Dingen 
wie  den  Bergen  und  der  Zeit,  niemals  jedoch  gewöhnlichen 
Menschen  beigelegt.  Die  Übertragung  auf  die  Chaldäer  ergab 
sich  von  selbst,  weil  solche  Übertreibungen  nun  einmal  eine 
Eigentümlichkeit  des  eschatologischen  und  wohl  überhaupt  des 
dichterischen  Stiles  in  damaliger  Zeit  waren.  Die  blühende 
orientaliche  Phantasie  läßt  das  feindliche  Heer  des  Nordens 
aus  lauter  Becken  (Jer.  öie)  bestehen  in  sorgloser  Unbekümmert- 
heit um  die  realen  Tatsachen,  die  selbst  bei  der  größten  Tapfer- 
keit genügend  Ausnahmefälle  lehren.  Wer  kein  Pedant  ist, 
könnte  am  Ende  heute  noch  ähnliche  Aussprüche  tun.  Und 
wenn  Jesaja  vom  assyrischen  Volke  sagt:  Kein  Müder  noch 
Strauchelnder  ist  in  ihm,  nicht  schläft  noch  schlummert  es  (52?), 
so  darf  man  weder  hinzufügen:  »wo's  Not  tut«  (Dillmann) 
noch  die  Worte  streichen,  weil  sie  nur  auf  Gott  paßten  (Duhm). 
Klingt  es  nicht  ebenso  fabelhaft,   wenn   der  Prophet  fortfährt: 


1.  Eine  Korrektur   ist  unnötig;   vgl.  Kautzsch:    Gramm.  §  145m. 


Der  Ansturm  der  Völker  gegen  Jerusalem.  177 

Die  Hufe  semer  Rosse  sind  wie  Kiesel  zu  achten,  und  seine 
Bäder  wie  die  Windsbraut  (Jes.  028)?  Siehe,  wie  Wolken  steigt 
er  herauf  und  wie  der  Sturmwind  sind  seine  Wagen,  schneller 
als  Adler  sind  seine  Bosse  (Jer.  4 13).  Erinnert  der  Vers  nicht 
an  den  Wirbelwindwagen  Jahves  (Jes.  6615)?  Noch  phanta- 
stischer ist  die  Schilderung  der  Feinde  Nineves:  Der  Schild 
seiner  Becken  ist  gerötet,  die  reisigen  Mannen  sind  purpur- 
gefärbt^;  wie  Feuerfackeln^  ist  der  Wagen  am  Tage,  wo  er  ihn 
lenkt,  und  die  Bosse^  rasen.  Auf  den  Straßen  rennen  die 
Wagen,  galoppieren  über  die  Plätze;  sie  funkeln^  ivie  Fackeln, 
wie  Blitze  fahren  sie  hin  und  her  (Nah.  24ff.).  Der  Vergleich 
der  Kriegswagen  mit  dem  Zickzack  der  Blitze  und  dem  Flimmern 
der  Feuerfackeln  ist  sehr  kühn,  nach  alledem  aber,  was  wir 
bisher  über  den  prophetischen  Stil  festgestellt  haben,  nicht 
unmöglich.  Die  gegebenen  Beispiele  genügen,  um  die  Behaup- 
tung zu  rechtfertigen,  daß  die  Propheten  bei  der  Beschreibung 
der  Feinde  nicht  ein  bestimmtes  reales  Volk  vor  Augen  hatten, 
sondern  bis  zu  einem  gewissen  Grade  durch  ältere  Vorbilder 
beeinflußt  waren. 

Neben  diesem  ersten  Schema,  wonach  Völker  kommen 
und  Israel  vernichten  werden,  findet  sich  ein  zweites,  wonach 
Völker  kommen  und  vor  Jerusalem  zu  Grunde  gehen  werden. 
Eine  Eigentümlichkeit  des  zweiten  Schemas  ist  es,  daß  selten  eine 
einzelne  Nation  genannt  wird,  daß  vielmehr  fast  regelmäßig 
von  vielen  oder  von  allen  Völkern  der  Welt  die  Rede  ist.  Nach 
Wellhausen  ist  diese  Variante  »ein  stehender  Zug  der  escha- 
tologischen  Weissagung  seit  Ezechiel«  (zu  Mch.  4iiff.).  »Früher 
war  es  stets  ein  bereits  im  Hintergrunde  drohender  Feind,  eine 
wirklich  heranrückende  Gefahr  gewesen,  wodurch  die  Erwartung 
eines  großen,  durch  reichliche  Ansammlung  von  Zündstoif  im 
Innern  längst  vorbereiteten  Brandes  erregt  wurde  —  seit  dem 
Exil  wurde  von  einer  allgemeinen  Vereinigung  Gott  weiß 
welcher  Völker   gegen  das  Neue  Jerusalem  phantasiert,  zu  der 


1.  Natürlich  vom  Blute.  An  der  Lesart  zu  zweifeln,  liegt  wegen 
des  Parallelismus  kein  Anlaß  vor. 

2.  Lies  niT^t^j  :ös5.  Zur  Sache  vgl.  den  nächsten  Vers;  zum  Femin. 
Jdc.  44.  Die  Worte  sind  verderbt  durch  ein  mißverstandenes  üm- 
stellungszeichen, 

3.  Lies  ü"^o^£  LXX.  4.  Lies  an-s-nö  Wellhausen. 

Forschungen  zur  Rol.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.    6.  12 


178      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

in  Wirkhchkeit  durchaus  kein  Anlaß  vorhanden  war«  (Prole- 
gomena*  S.  425).  Zu  den  von  ihm  zitierten  Stellen  (Ez.  38  f. 
Jes.  66i8fF.  Jo.  4.  Zach.  12.  14)  könnten  noch  manche  andere 
hinzugefügt  werden  (wie  Zeph.  Ssff.  Mch.  4iiff.  Ps.  46.  48  u.  a.). 
Aber  wichtiger  ist,  daß  dieselbe  Idee  und  dasselbe  Schema 
bereits  in  vorexihscher  Zeit  nachweisbar  ist,  und  zwar  in  einer 
bestimmten  Reihenfolge  verbunden  mit  dem  vorhin  besprochenen 
ersten  Schema.  Zuerst  heißt  es:  Israel  wird  vernichtet,  dann: 
Israel  wird  gerettet.  Das  ist  um  so  merkwürdiger  und  rätsel- 
hafter, als  beides  meist  unvermittelt  neben  einander  gestellt  wird. 
So  heißt  es  Jes.  89f.:  Tobt,  ihr  Völker j  und  seid  betäubt! 
Und  horcht  auf,  alle  Weiten  der  Erde!  Rüstet  euch  und  seid 
betäubt!  .  .  .  Plant  einen  Plan,  daß  er  gebrochen  werde,  be- 
schließt einen  Beschluß,  daß  er  nicht  zu  stände  komme!  Diese 
Verse  stehen  in  striktem  Gegensatz  zum  Vorhergehenden.  Denn 
vorher  wird  ausgeführt,  wie  die  vielen  und  gewaltigen  Wasser 
des  Euphrat  Juda  überschwemmen  und  überfluten  werden, 
während  hier  hinterher  Völker  vergeblich  versuchen,  ihre  böse 
Absicht  gegen  Israel  zu  verwirkhchen.  An  der  zweiten  Stelle 
ist  es  genau  so.  Jes.  174ff.  schildert  die  fast  völlige  Vernichtung 
Jakobs.  In  engem,  unvermittelten  Anschluß  daran  fährt  unser 
Text  fort:  Ha,  ein  Brausen  vieler  Völker,  die  wie  das  Brausen 
des  Meeres  brausen,  ....  doch  er  schilt  darein,  und  es  flieht 
in  die  Weite  und  ist  gejagt,  wie  Spreu  der  Berge  vor  dem 
Winde  und  wie  Wirbelstaub  vor  der  Windsbraut.  Zur  Zeit 
des  Abends,  siehe  da:  Schrecken,  bevor  der  Morgen  da,  ist  es 
dahin.  Das  ist  das  Teil  für  unsere  Plünderer  und  das  Los 
für  unsere  Räuber  (Jes.  17i2ff.).  WahrscheinHch  ist  auch  Mch.  4 
vorexilisch,  da  die  Gründe,  die  für  die  Unechtheit  geltend  ge- 
macht werden,  nicht  ausreichend  sind.  Hier  finden  sich  eben- 
falls beide  Schemata  lose  neben  einander.  Während  die  V.  9f. 
geschilderte  Belagerung  Zions  als  erfolgreich  gedacht  wird, 
werden  nach  V.  11  ff.  die  vielen  Völker,  die  Jerusalem  stürmen, 
siegreich  abgeschlagen  und  vernichtet.  Diese  drei  Stellen  ge- 
nügen zum  Beleg  unserer  These,  daß  das  angebhch  nachexilische 
Schema  bereits  vor  dem  Exil  fertig  war.  Ein  Teil  der  Exe- 
geten  freiUch  (wie  Stade  ZATW.  1883  S.  16)  plädiert  auch 
hier  für  Unechtheit,  weil  in  Jesajas  Theologie  die  vielen  Völker 
noch  nicht  vorkommen  könnten.     Aber  einmal  gehen  sie  von 


Der  Ansturm  der  Völker  gegen  Jerusalem.  179 

einer  petitio  principii  aus,  der  eine  innerliche  Berechtigung 
kaum  zugestanden  werden  kann,  zum  anderen  müßten  sie  außer 
den  genannten  Zitaten  auch  Jes.  026  und  29?  streichen.  So 
weit  freilich  haben  sie  Kecht:  Das  zweite  Schema  ist  in  den 
vorexihschen  Schriften  sehr  selten.  Es  wird  von  den  älteren 
Propheten  deshalb  in  den  Hintergrund  gedrängt,  weil  es  die 
Rettung  Jerusalems  voraussetzt,  also  im  letzten  Grunde  nicht 
zur  Unheils-,  sondern  zur  Heilseschatologie  gehört. 

Wir  stehen  hier  vor  demselben  Problem  wie  vor  der  An- 
schauung des  Tages  Jahves  überhaupt.  Schon  im  Volksglauben 
umfaßte  sie,  wie  wir  gesehen  haben,  die  beiden  scheinbar  ein- 
ander ausschheßenden  Gegensätze:  Heil  und  Unheil.  Diesen 
beiden  Polen  entsprechen  genau  die  beiden  jetzt  erkannten 
Schemata:  Israel  wird  gerettet  und  Israel  wird  vernichtet.  Wie 
vor  dem  Exil  die  schriftstellernde  Prophetie  das  Unheil  voran- 
stellte, so  benutzte  sie  vorzugsweise  das  ihm  korrespondierende 
Schema,  ohne  es  freihch  exklusiv  zu  verwenden.  Nach  dem 
Exil  ist  das  Umgekehrte  häufiger  der  Fall.  Es  ist  Pflicht  des 
Historikers,  weder  die  These  noch  die  Antithese  zu  leugnen, 
sondern  die  höhere  Synthese  zu  suchen,-  in  der  sie  beide  sich 
auflösen.  Auf  welche  Weise  beide  mit  einander  ausgeglichen 
w^erden  können,  muß  späterer  Untersuchung  vorbehalten  bleiben, 
wenn  wir  das  ganze  Material  überschauen.  Hier  muß  es  ge- 
nügen, die  Tatsachen  zu  registrieren. 

Die  unorganische,  unvermittelte  Vereinigung  der  beiden 
Schemata  ist  ein  Problem  für  sich,  das  auch  dann  nicht  gelöst 
ist,  wenn  man  die  drei  oben  genannten  Beispiele  für  nach- 
exiHsch  erklärt.  Die  Frage  wird  damit  nur  hinausgeschoben. 
Denn  es  muß  beantwortet  werden,  wie  der  nachexihsche  Glos- 
sator dazu  kam,  in  völUg  sinnloser  Weise  das  grade  Gegenteil 
von  dem  auszusagen  resp.  hinzuzufügen,  was  der  Text  über- 
lieferte. Aber  ob  vorexihsch  oder  nachexilisch,  ist  relativ  gleich- 
gültig gegenüber  der  klaren  Erkenntnis,  daß  es  zum  Stil  der 
prophetischen  Schriften  gehört,  beide  Schemata  an  einander  zu 
reihen,  ohne  den  Umschwung  von  der  Drohung  in  die  Ver- 
heißung zu  motivieren.  Zeph.  3i — 7  enthält  eine  bittere  An- 
klage gegen  Jerusalem  und  kündigt  den  Juden  die  verdiente 
Strafe  an.  V.  8  dagegen  ward  umgekehrt  über  die  Völker  und 
JReiche  der  Zorn  Jahves   ausgegossen  und  Jerusalem   aus  aller 

12* 


180      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Not  gerettet^.  Mch.  7iff.  schildern  die  Verderbtheit  Jerusalems 
und  stellen  die  nahe  Strafe  in  Aussicht;  V.  7 ff.  dagegen  wird 
die  große  Wendung  geweissagt:  Jerusalem,  jetzt  öde,  wird  dann 
wieder  aufgebaut  und  umgekehrt  das  Land  der  Heiden  zur 
Wüste,  ohne  jede  Motivierung  dieses  Umschwungs.  Nach 
Zach.  14iff.  versammeln  sich  zunächst  alle  Heiden  gegen 
Jerusalem  und  erobern  es.  Dann  aber  zieht  Jahve  aus  und 
kämpft  gegen  jene  Heiden,  so  wie  er  einst  kämpfte  zur  Zeit 
des  Krieges.  Wiederum  fehlt  der  innere  Zusammenhang  zwischen 
beiden  Tatsachen. 

Nach  der  am  weitesten  verbreiteten  Vorstellung  war  Jahve 
selbst  es,  der  die  Feinde  herbeirief,  der  ihnen  pfiff  vom  Ende 
der  Erde.  Seltener  eilen  sie  auf  eigenen  Antrieb  herbei.  Beide 
Theorien  sind  in  sich  verständUch  und  der  prophetischen  Predigt 
angemessen.  An  einer  Stelle  nun  können  wir  verfolgen,  wie 
die  eine  Idee  in  die  andere  übergeht:  in  der  Gog-Magogweis- 
sagung  (Ez.  c.  38f),  die  nach  Wellhausens  Auffassung  für 
die  Geschichte  der  Eschatologie  von  besonderer  Bedeutung  ist: 
»Bei  Ezechiel,  in  dem  ersten  und  klassischen  Beispiel  der 
Metamorphose  von  Prophetie  in  Eschatologie,  haben  die  Skythen 
in  Gog  und  Magog  ihren  Eeflex  erzeugt  ....  Er  kann  nur 
an  Prophetien  denken,  die  dem  Einbruch  der  Skythen  gleich- 
zeitig und  dadurch  veranlaßt  waren.  Der  literarische  Ursprung 
der  Eschatologie  ist  hier  mit  Händen  zu  greifen«  (zu  Zeph.  2 15). 
WELiiHAUSEN  legt  besonderes  Gewicht  darauf,  daß  der  Ver- 
fasser sich  auf  frühere  nicht  erfüllte  Weissagungen  beruft.  Das 
ist  in  der  Tat  etwas  Neues,  bis  dahin  in  der  prophetischen 
Literatur  nicht  Nachweisbares.  Hier  haben  wir  nicht  mehr 
Prophetie,  sondern  Apokalyptik,  und  nur  von  der  apokalyp- 
tischen Eschatologie  gilt  der  von  Wellhausen  behauptete  lite- 
rarische Ursprung.  Über  die  prophetische  Eschatologie  ist  damit 
noch  nichts  ausgemacht.  Daß  die  Skythen  in  Gog  und  Magog 
ihren  »Reflex«  erzeugt  hätten,  ist  ein  etwas  änigmatischer 
Ausdruck,  mit  dem  ich  nicht  viel  anzufangen  weiß.  Ist  Well- 
hausen von  derselben  Ansicht  beherrscht,  die  Bektholet  in 
folgenden  Worten  ausspricht:  »Unter  König  Josias  Regierung 
—  Ez.  mochte   damals  vielleicht  schon   in  den  Jahren   stehen, 


1.  Auch  dies  Stück  ist  scliwerlicb  nacliexilisch. 


Gog-Magog.  181 

in  denen  die  Empfänglichkeit  für  äußere  Eindrücke  am  Aller- 
größten ist  —  war  plündernd  und  ohne  Schonung  der  skytische 
Feind  aus  dem  Norden  über  das  Land  hereingebrochen.  Der 
Eindruck  war  bei  allen,  die  ihn  kennen  gelernt  hatten,  unaus- 
löschlich gebheben,  und  seine  Erscheinung  war  so  unheimlich 
überraschend  gewesen,  daß  man  sich  darauf  gefaßt  machen 
mußte,  ihn  eines  Tages  plötzlich  wiederkehren  zu  sehen.  Es 
scheint,  als  habe  sich  dieser  Gedanke  auch  Ez.  tief  eingeprägt 
und  habe  ihn  nicht  verlassen«.  Beetholet  und  andere  gehen 
also  von  der  Annahme  aus,  die  Gog-Magogweissagung  sei  so, 
wie  sie  vorliege,  im  Wesentlichen  ein  Werk  der  schöpferischen 
Phantasie  des  Propheten. 

ToY  und  Keätzschmar  haben  mit  Eecht  betont,  daß  in 
diesen  beiden  Kapiteln  Ezechiels  zwei  parallele  Rezensionen 
verarbeitet  sind.  39 1— 8  ist  eine  Dublette,  einmal  zu  38i8— 23, 
da  beide  Stücke  die  Vernichtung  Gogs  verheißen,  zweitens 
zu  399 — 20,  da  beide  vom  Opfermahl  für  die  Tiere  erzählen. 
Charakteristisch  für  39i— s  ist  die  Tatsache,  daß  Gog  hier  von 
Jahve  selbst  gegen  Israel  heraufgeführt  wird.  In  383 — 9  wird 
Gog  ebenso  samt  seinen  Anhängern  als  Vasall  und  Untertan 
Jahves  dargestellt,  auf  dessen  Befehl  er  über  Israel  herfällt. 
38 10 — lea  dagegen  handelt  er  selbständig.  Er  denkt  sich  einen 
bösen  Plan  aus,  um  wider  das  Volk  zu  ziehen,  das  auf  dem 
Nabel  der  Erde  wohnt.  Also  gehören  383 — 9.  leb.  17.  39 1 — 8(B) 
auf  der  einen  Seite  und  38io— lea.  18 — 23.  399—20  (A)  auf  der  andern 
Seite  zusammen  1.  Beide  Rezensionen  unterscheiden  sich  außer 
in  dem  bereits  genannten  Grunde  besonders  darin,  daß  A 
mehrere  Einzelzüge  enthält,  die  in  B  fehlen.  Da  diese  Einzel- 
züge sämtlich  mythischer  oder  märchenhafter  Natur  sind,  so 
ist  A  älter  als  B.  Zweitens  werden  in  B,  obwohl  Gog 
aus  dem  äußersten  Norden  kommen  soll,  neben  ihm  die 
Äthiopen  genannt,  die  bekanntlich  im  äußersten  Süden  wohnen, 
wiederum  ein  sekundärer  Zug,  der  in  A  fehlt.  Drittens 
finden  sich  nur  in  B  Berufungen  auf  frühere,  nicht  erfüllte 
AVeissagungen,  die  in  A  tatsächlich  vorliegen,  sonst  aber  im 
ganzen    Alten    Testament    nicht    aufgezeigt    werden     können. 


1.  3021 — 29    sind    späterer  Zusatz    und    ohne  Belang    für    unserea 
Zweck. 


182      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Viertens  muß  auch  darum  A  den  Vorzug  verdienen,  weil  dort 
die  Erzählung  pragmatisch  ist:  Gog  überfällt  die  Israeliten  und 
wird  dafür  von  Jahve  bestraft.  B  verkündet  in  rätselhafter 
Weise,  wie  Jahve  selbst  Gog  gegen  Israel  führt  und  ihn  dann 
vernichtet,  nur  um  sich  den  Heiden  als  Gott  zu  erweisen,  nicht 
einmal  um  sich  als  Schutzherr  Israels  zu  zeigen.  Bousset* 
hat  wohl  mit  Recht  vermutet,  die  Weissagung  sei  erst  später 
in  das  Buch  Ezechiel  aufgenommen  worden,  da  388. 12  bereits 
die  Sammlung  der  Zerstreuten  vorausgesetzt  wird.  Dazu  kommt 
die  Beobachtung,  die  von  allen  Exegeten  gemacht  wird,  daß 
nämlich  Ezechiels  Zukunftsweissagung  mit  c.  37  zu  Ende  ge- 
bracht ist.  Daraus  muß  derselbe  Schluß  auf  Unechtheit  ge- 
zogen werden.  Nachdem  Israel  in  die  Heimat  zurückgekehrt, 
der  messianische  König  eingesetzt,  der  Friedensbund  geschlossen 
und  Jahves  Heiligtum  auf  ewig  in  ihre  Mitte  gestellt  ist,  kann 
dieser  Friede  nicht  noch  einmal,  wenn  auch  nur  in  maiorem 
Dei  gloriam,  gestört  werden.  In  c.  37  wird  eine  kommende 
Beunruhigung  —  um  es  milde  auszudrücken,  in  Wirkhchkeit 
soll  es  sehr  viel  schlimmer  werden  —  durch  nichts  angedeutet. 
Der  Feind  aus  dem  Norden,  der  in  den  älteren  Prophetien 
namenlos  ist,  heißt  hier  Gog.  Der  Name  Gog  ist  von  Winckleb 
(Altoriental.  Forsch.  II  S.  160 ff.)  wohl  richtig  zusammengestellt 
worden  mit  dem  Lande  Gag,  das  in  einem  der  Tel-Amama- 
briefe  (KB.  V  5)  erwähnt  wird.  Gog  galt  damals  als  ein  sagen- 
haftes Volk  des  fernsten  Nordens,  wie  bei  den  Griechen  die 
Skythen  oder  die  Kimmerier.  Für  den  Verfasser  dieser  Pro- 
phetie  handelt  es  sich  jedenfalls  nicht  um  ein  mythisches, 
sondern  um  ein  reales,  historisches  Volk,  von  dem  zwar  allerlei 
Sagen  umliefen,  an  dessen  Wohnort  am  Ende  der  Welt  jedoch 
geglaubt  wurde.  Soweit  ist  es  erlaubt,  von  einem  Zusammen- 
hange Gogs  mit  den  Skythen  zu  reden.  Mochten  beide  von 
Hause  aus  auch  nicht  identisch  sein,  so  konnten  sie  doch  mit 
einander  identifiziert  werden.  Ich  will  kein  Gewicht  darauf 
legen,  daß  Bez.  B  mit  den  »früheren  Weissagungen«  grade  die 
ausgeschiedene  Bez.  A  meint,  sondern  gebe  gern  die  ^Xöglich- 
keit  zu,  sie  beziehe  sich  auf  die  Aussprüche  Zephanjas  oder 
Jeremias.    Die  Farben,  mit  denen   der  von   ihnen  verkündete 


1.  Kel.  S.  205  Anm.  3. 


Der  Nabel  der  Erde.  183 

Feind  geschildert  war,  paßten  ebenso  gut  zu  den  Skythen  wie 
zu  den  Chaldäern  wie  zu  Gog.  Aber  eines  muß  ganz  energisch 
betont  werden,  was  bisher  übersehen  ist:  Mit  dem  Namen 
Gogs  ist  eine  feste  Tradition  verknüpft,  die  von  dem 
Propheten  nicht  geschaffen,  sondern  übernommen  ist. 

Denn  38 12  findet  sich  die  erste  rätselhafte  Notiz:  Gog 
zieht  gegen  ein  Volk,  das  auf  dem  Nabel  der  Erde  wohnt. 
Damit  ist  im  jetzigen  Texte  ohne  Zweifel  Israel  gemeint.  Schon 
05  hat  der  Prophet  die  Anschauung  ausgesprochen,  daß  Jeru- 
salem mitten  unter  die  Heiden  gestellt  sei  und  rings  um  es 
her  die  Länder  liegen.  Nach  den  weitverbreiteten  Nachrichten, 
die  wir  besitzen,  ist  es  wohl  nicht  nur  das  Volk,  sondern  auch 
und  vor  allem  der  höchste  Gott,  der  diesen  Ehrenplatz  in  der 
Mitte  der  Welt  inne  hat.  Wie  hier  bei  Ezechiel  und  im 
Buche  der  Jubiläen  (819)  der  Berg  Zion  »den  Mittelpunkt  des 
Nabels  der  Erde«  bildet,  so  bezeichneten  die  Israeliten  (nach 
Jdc.  937)  auch  eine  andere  Örtlichkeit  bei  Sichem  als  den 
Nabel  der  ErdeK  VölHg  entsprechend  liegt  der  Sinai  im 
Mittelpunkt  der  Wüste  (Jub.  81s)  und  wohnen  die  Semiten 
gleich  den  Chinesen  im  Beich  der  Mitte  (Jub.  812).  Im  Nabel 
der  Erde  befinden  sich  nach  IHen.  26if.:  ein  heiliger  Berg, 
nach  babylonischen  Vorstellungen:  Babylonien,  nach  griechischen : 
Delphi,  Athen  oder  Paphos,  nach  mittelalterlichen  Karten: 
Jerusalem 2.  Dem  Ausdruck  hat  schwerlich  je  eine  lebendige, 
plastische  Anschauung  zu  Grunde  gelegen,  als  wäre  die  Erde 
einmal  aufgefaßt  worden  als  ein  auf  dem  Rücken  ausgestrecktes 
menschliches  resp.  göttHches  Wesen,  dessen  Zentnim  der  Nabel 
ist,  obwohl  wir  entsprechende  ägyptische  Bilder  kennen 3,  sondern 
es  wird  sich  von  Hause  aus  um  eine  poetische  Metapher  handeln. 
Der  Mittelpunkt  der  Erde  spielt  eine  so  große  Rolle,  weil  das 
betreffende  Volk  sich  selbst  und  seinen  Gott  damit  als  das 
Wesentlichste,  Wichtigste  und  Erhabenste  der  Welt  darstellt. 
Alle  übrigen  Menschen  wohnen  nur  an  den  »Enden«,  in  den 
»Winkeln«,  an  der  Peripherie  der  Erde.  Eine  solche  Idee 
konnte  sich  wohl  in  den  großen  Monarchien  des  Altertums  aus- 


1.  Nicht  des  Landes,  wie  man  gewöhnlich  übersetzt. 

2.  Vgl.  z.  B.  die  Abbildung  bei  A.  Jeremias  S.  354  No.  135. 

3.  Vgl.    z.   B.    die    Abbildungen    bei   H.  Brugsch:    Eeligion    und 
Mythologie  der  alten  Ägypter.    Leipzig  1888.     S.  210f. 


184      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

bilden,  in  dem  winzigen  Israel  ist  sie  als  autochthon  nicht  zu 
verstehen.  Ihre  Erwähnung  in  diesem  Zusammenhange  macht 
stutzig.  Sollte  sie  sich  hier  aus  einer  mythischen  Tradition 
erklären  ? 

Dieser  Eindruck  wird  verstärkt,  wenn  man  bedenkt,  wie 
wenig  Israel  in  die  8820  geschilderte  Katastrophe  hineinpaßt: 
Wahrlich,  an  jenem  Tage  soll  ein  großes  Erdbeben  über  das 
Land  Israel  kommen,  und  vor  mir  sollen  erbeben  die  Fische 
des  Meeres  und  die  Vögel  unter  dem  Himmel  und  das  Getier 
des  Feldes  und  alles  Gewürm,  das  auf  dem  Erdboden  kriecht, 
und  alle  Menschen,  die  auf  der  Erdoberfläche  sind;  und  nieder- 
gerissen werden  sollen  die  Berge  und  einstürzen  die  Felssteige 
und  alle  Mauern  zu  Boden  fallen.  Wenn  so  die  gesamte  Natur 
und  Kreatur  vernichtet  wird,  muß  allerdings  Gog  zu  Grunde 
gehen,  aber  mit  Gog  auch  Israel.  Die  Rettung  Israels  ist  bei 
einer  so  beschriebenen  Katastrophe  schlechterdings  unvorstellbar. 

Ein  zweiter  Grund,  weshalb  die  Gog-Magog Weissagung 
nicht  »zunächst  ein  Kind  der  Reflexion«  (Smend),  sondern  eine 
feste  Überlieferung  ist,  ergibt  sich  aus  der  Tatsache,  daß  sie  an 
ganz  bestimmte,  mit  Namen  genannte  Orte  gebunden  ist.  Will 
man  dem  Ezechiel,  oder  wer  sonst  der  Verfasser  sein  mag,  zu- 
trauen, er  habe  diese  Lokalisierung  erstmalig  geschaffen  ?  Wenn 
das  der  Fall  wäre,  so  müßten  die  Örtlichkeiten  bekannt  und 
die  Gründe  durchsichtig  sein,  warum  er  die  Geschichte  grade 
dorthin  verlegt  hat.  Das  Gegenteil  ist  der  Fall.  Wir  stehen 
vor  lauter  unlösbaren  Rätseln.  Immer  wieder  wird  betont,  daß 
die  Katastrophe  in  Israel  stattfinden,  daß  Gog  auf  den  Bergen 
Israels  fallen,  daß  seine  Grabstätte  in  Israel  sein  soll.  Wie 
reimt  sich  damit  die  geographische  Angabe,  das  Grab  sei  öst- 
lich vom  Meere^  zu  suchen?  Da  sie  vom  mittelländischen  Meere 
nicht  verstanden  werden  kann,  so  muß  man  an  das  Tote  Meer 
denken.  Östlich  vom  Toten  Meere  aber  sind  wir  außerhalb 
Palästinas,  vor  allem  in  jener  Zeit  nach  dem  Exil,  wo  Israels 
Land  auf  ein  noch  kleineres  Gebiet  als  früher  zusammen- 
geschrumpft war. 

Der  Name  des  Begräbnisortes  heißt:  Tal  der  Wanderer. 
Ein  solches  Tal  ist  uns  unbekannt,  und  doch  ist  an  der  Richtig- 


1.  Oder  gegenüber  dem  3Ieere. 


Das  Leichental.  185 

keit  des  Textes  nicht  zu  zweifehi.  Denn  an  diesen  Namen  ist 
eine  Legende  angeschlossen:  Eine  Kommission  von  Männern 
soll  im  Lande  umherwandern  und  die  übrig  gebliebenen  Ge- 
beine dort  aufsuchen.  Wo  solche  gefunden  werden,  sollen 
neben  ihnen  Male  aufgerichtet  werden,  bis  die  offiziellen  Toten- 
gräber die  Bestattung  vollzogen  haben.  Diese  Legende  kann 
sich  schwerlich  gebildet  haben  im  Zusammenhang  mit  einem 
wirklich  vorhandenen  Tal,  da  sie  nicht  in  der  Vergangenheit, 
sondern  in  der  Zukunft  spielt. '  Man  hat  durch  eine  andere 
Punktation  das  Tal  der  Wandere?-  in  das  Tal  Aharim  ver- 
wandeln wollen,  was  trotz  der  etymologischen  Anspielungen 
(D'^^^b^  Wanderer)  nicht  unmöglich  wäre.  Da  es  im  nordwest- 
lichen Teile  der  moabitischen  Hochebene  ein  Gebirge  Aharim 
gab  (Num.  3347f.),  so  würde  die  geographische  Notiz  östlich  des 
(Toten)  Meeres  dazu  stimmen.  Aber  nicht  passen  würde  die 
ausdrückliche  Bemerkung,  wonach  dies  Tal  in  Israel  zu  suchen 
sei.  Wer  durchaus  an  jener  Lokalisierung  in  Moab  festhalten 
will,  hat  die  Verpflichtung,  diesen  Widerspruch  zu  erklären. 
Er  muß  weiter  zugeben,  daß  diese  Schilderung  nicht  vom  Tal 
Aharim  hergenommen  sein  kann,  sondern  umgekehrt  dorthin 
aus  der  Mythologie  übertragen  ist.  Auffällig  ist  noch  eine 
Näherbestimmung:  Dies  Tal  wird  den  Wanderern  den  Weg 
verstopfen  (39 ii).  Es  wird  nicht  gesagt,  wodurch  dies  geschehen 
soll,  und  es  ist  nur  Vermutung,  wenn  m"an  ergänzt:  durch  die 
aufgefüllten  Leichen.  Jedenfalls  soll  das  Leichental  als  völlig 
unzugänglich  dargestellt  und,  wie  Hitzig  mit  Eecht  annimmt, 
einem  großen  Grabe  verähnhcht  werden.  Die  ganze  Be- 
schreibung führt  auf  ein  mythisches  Totental. 

Vielleicht  dürfen  wir  mit  dieser  Tradition  Zach.  14iff.  ver- 
knüpfen. Die  Situation  ist  dieselbe  wie  Ez.  38.  Am  Tage 
Jahves  versammeln  sich  alle  Heiden  vor  Jerusalem,  bedrängen 
und  erobern  es.  Dann  aber  tritt  die  große  Wendung  ein :  Jahve 
zieht  aus  und  kämpft  gegen  jene  Heiden,  wie  er  einst  kämpfte 
zur  Zeit  des  Krieges.  Ein  gewaltiges  Erdbeben  entsteht  und 
eben  dadurch  wird  ein  Tal  verstopft.  Das  Drama  spielt  in  Juda: 
Und  seine  Füße  treten  jenes  Tages  auf  den  Ölherg,  der  östlich 
von  Jerusalem  liegt,  und  der  Ölherg  spaltet  sich  in  der  Mitte 
von  Ost  nach  West,  und  es  entsteht  ein  breites  Tal,  indem  ein 
Teil  des  Berges  nach  Norden  und  der  andere  nach  Süden  weicht» 


186      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Und  das  Tal  Harai  wird  verstopft^  ....  Das  Tal  Harai  resp. 
Harim  ist  uns  durchaus  unbekannt.  Wellhause^  vermutet  als 
ursprünglichen  Text  das  Tal  Hinnom,  Wichtiger  ist,  daß  aus 
dem  Folgenden  klar  wird,  weshalb  diese  geologischen  Ver- 
änderungen in  der  Nähe  Jerusalems  stattfinden:  Die  himmhsche 
Szenerie,  das  Paradies,  soll  hergestellt  werden.  Jahve  wird  zum 
König  der  Welt  (V.  9),  Jerusalem,  seine  Eesidenz,  zum  Götter- 
berg (Y.  10),  und  ein  lebendiges  Wasser  wird  von  Jerusalem 
ausgehen,  ein  Teil  nach  dem  östlichen  Meer  und  der  andere 
nach  dem  westlichen  Meer  fließen  (V.  8) ;  gemeint  ist  der  mehr- 
armige  Paradiesstrom,  der  die  Gottesstadt  erfreut  (vgl.  Gunkel: 
Genesis 2  S.  31  u.  §  20).  Das  neu  entstandene  breite  Tal,  das  von 
Osten  nach  Westen  läuft,  ist  doch  wohl  bestimmt,  den  Himmelsfluß 
aufzunehmen.  Im  Gegensatz  dazu  dürfen  wir  das  verstopfte  Tal^ 
das  keinen  Zugang  zum  Götterberge  hat,  für  den  Aufenthaltsort 
der  Gottesfeinde  jeder  Art  halten.  Abgeschlossen  vom  Tal  des 
Lebens  liegt  das  Tal  des  Todes.  Dazu  stimmt  die  Schilderung 
Ez.  c.  39  ausgezeichnet:  Die  Wesen,  die  versucht  haben,  den 
Nabel  der  Erde  d.  h.  den  Gottessitz  zu  erstürmen,  kommen  zur 
Strafe  dafür  ins  Totental.  Ob  es  je  auf  das  moabitische  Tal 
Abarim  übertragen  war,  ist  nach  dem  oben  Gesagten  sehr 
zweifelhaft.  Mehr  Wahrscheinlichkeit  hat  die  Lokalisierung  im 
Tale  Hinnom  für  sich.  Denn  obwohl  dieser  Name  Zach.  14  kon- 
jiziert  werden  muß,  paßt  er  einigermaßen  in  die  Situation.  Während 
der  Ölberg  der  heilige  Berg  ist,  der  zum  Paradiestal  gespalten 
wird,  soll  das  Tal  Hinnom,  das  vielleicht  von  alters  her  Stätte 
eines  Totengottes  war,  zum  Totental  werden,  verstopft  gegen  den 
Göttersitz  hin.  Das  Primäre  ist  hier  offenkundig  die  mythische 
Topographie,  da  ja  die  irdische  Szenerie  erst  verwandelt  werden 
muß,  ehe  sie  zu  jener  stimmt.  Schon  nach  Jeremia  (732)  soll 
Israel  von  dem  Völkerwürger  im  Tale  Hinnom  gewürgt  und 
bestattet  werden,  sodaß  es  den  Namen  Würgetal  erhält.  Aus 
dieser  Notiz  dürfen  wir  folgern,  daß  die  bei  Ez.  und  Zach,  vor- 
handene Tradition  bereits  in  vorexilischer  Zeit  bekannt  war. 
Die  Überlieferung  in  der  Gog- Weissagung  ist  mit  legendarischen 
Zusätzen  ausgeschmückt,  läßt  aber  das  ursprünghch  mythische 
Kolorit  noch  durchschimmern. 


1.  Lies  Djnca  LXX. 


Das  mythische  Meer.  187 

Eine  weitere  Spur  derselben  Tradition  treffen  wir  im  Buche 
Joel.  Wir  sahen,  wie  dort  eine  Heuschreckenplage  mit  leben- 
digen Farben  gemalt  war  (vgl.  o.  S.  93).  Auffällig  war  vor 
allem  die  Bezeichnung  der  Nördliche^  da  die  Heuschrecken  au& 
dem  Südosten  nach  Palästina  kommen.  Das  ist  der  erste 
fremde  Zug,  der  auf  anderen  Ursprung  weist.  Als  zweiten 
fügen  wir  hier  hinzu  die  Schilderung  seines  Endes:  Und  den 
Feind  aus  dem  Norden  will  ich  von  euch  entfernen  und  will 
ihn  in  ein  dürres  und  ödes  Land  stoßen,  seinen  Vortrab  in  das 
östliche  Meer  und  seinen  Nachtrab  in  das  westliche  Meer,  und 
sein  Gestank  soll  aufsteigen  (2  20).  Wellhausen  äußert  sich 
über  diese  merkwürdige  Geographie  überhaupt  nicht.  Nowack 
meint,  es  sei  mit  dem  östlichen  das  Tote,  mit  dem  westlichen 
das  mittelländische  Meer  bezeichnet.  Aber  abgesehen  davon^ 
daß  man  diese  beiden  Meere  schwerhch  in  dieser  Weise  zu- 
sammenstellen kann,  wie  reimen  sich  damit  die  anderen  Be- 
hauptungen? Ich  will  ihn  weit  von  euch  treiben.  War  denn 
das  Tote  Meer  so  weit  entfernt?  Und  wenn  das  vorderste  Ende 
ins  Tote,  das  hinterste  ins  mittelländische  Meer  stürzte,  so  fiel 
das  Gros  grade  mitten  in  Juda  hinein.  Und  wo  ist  das  dürre 
und  öde  Land,  das  zwischen  den  beiden  Meeren  liegen  muß? 
Die  ganze  Schilderung  paßt  also  nicht  auf  Juda,  und  ist  in 
ganz  Palästina  nicht  zu  lokalisieren.  Hier  müssen  fremde 
Elemente  eingedrungen  sein.  In  c.  4  weissagt  Joel,  Jahve 
werde  alle  Heiden  im  Tale  Josaphat  zusammenbringen  und 
dort  richten  (V.  2.  12).  Dies  Tal,  das  im  Folgenden  (V.  14) 
auch  den  Namen  Tal  der  Entscheidung^  führt,  ist  uns  unbe- 
kannt. Da  die  Etymologie  durchsichtig  ist,  so  glaubt  man^ 
Joel  habe  den  Namen  geschaffen.  Aber  mag  auch  der  Aus- 
druck Tal  der  Entscheidung  von  ihm  herstammen,  daß  er  ein 
solches  nomen  proprium  ganz  aus  sich  gebildet  habe,  ist  wenig 
wahrscheinlich,  zumal  auch  die  übrigen  Züge  dieser  Weissagung 
nicht  individuell,  sondern  typisch  sind.  Ob  das  V.  18  genannte 
Akaziental  wirklich  mit  dem  wadi  es-sant  identisch  sei  (Well- 
hausen), ist  ebenso  zweifelhaft,  da  es  durchflössen  wird  von  dem 
uns  bereits  bekannten  mythischen  Quell.     Selbst  der  Zug  findet 


1.   Vielleicht   gehört    auch    das    Tal  der    Offenbarung    (Jes.  22 1. 5) 
hierher. 


188      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

sich  wieder,  daß  Jerusalem  abgesperrt  wird  gegen  die  Heiden: 
Jerusalem  soll  unverletzliches  Gebiet  sein,  und  Heiden  werden 
nicht  mehr  den  Weg  darüber  nehmen  dürfen  (V.  17).  Wie 
diese  Absperrung  erreicht  wird,  ist  nicht  weiter  ausgeführt.  So 
viel  läßt  sich  nach  alledem  mit  Sicherheit  behaupten:  Im  Buche 
Joel  liegt  eine  Reihe  von  Einzelheiten  vor,  die  sich  in  den  Zu- 
sammenhang nicht  organisch  hineinfügen,  die  einer  ganz  anders 
gearteten  ursprünglich  mythischen  Tradition  entsprungen  sein 
müssen,  jetzt  aber  stark  verdunkelt  sind.  Obwohl  der  Nörd- 
liche als  eine  reale  Heuschreckenplage  geschildert  wird,  ist  er 
dennoch  mit  mythischen  Zügen  verknüpft,  die  zur  Gog-Magog- 
weissagung  gehören.  In  dieser  Hinsicht  ist  es  von  besonderem 
Interesse,  daß  nach  den  LXX  die  von  Amos  (7i)  geschaute 
Heuschreckenplage  Gog  ist^,  während  der  massorethische  Text 
noch  nichts  davon  weiß. 

Die  LXX  erinnern  schon  an  die  mythische  Tradition,  die 
uns  ausführlicher  begegnet  in  der  Apk.  Joh.  9i — ii  (vgl.  Gunkel: 
Schöpfung  S.  214  f.  217  if.).  Die  Heupferde  werden  hier  als 
Ungeheuer  beschrieben  mit  Menschenköpfen,  Weiberhaaren, 
Löwenzähnen  und  Skorpionschwänzen.  Auf  dem  Haupte  tragen 
sie  Goldkronen.  Sie  kommen  hervor  aus  dem  Brunnen  des 
Abgrunds.  An  ihrer  Spitze  steht  Abaddon  d.  h.  Seol  (Job.  266. 
2822.  Prov.  15 11.  Ps.  8812).  Die  Ungetüme  sind  also  als  Höllen- 
geister  charakterisiert.  Es  wäre  falsch,  wollte  man  diese  apo- 
kalyptische Tradition  allein  aus  Joel  ableiten.  Denn  dort  sind 
-es  wirkliche,  hier  mythische  Heuschrecken.  Dies  Negative  ist 
sicher;  positiv  läßt  sich  über  einen  irgendwie  vorhandenen  Zu- 
sammenhang nichts  Gewisses  behaupten.  Wahrscheinlich  ist 
hier  mit  dem  aus  Joel  übernommenen  Stoff  anderes  mythisches 
Material  verbunden.  Neue  mythische  Vorstellungen  sind  einge- 
strömt und  haben  ihn  bereichert  und  umgestaltet.  Die  Gog- 
Magog  -  Überlieferung  findet  sich  Apk.  Joh.  19i5ff.  207ff.  in 
engem  Anschluß  an  Ezechiel. 

»Endlich  hängt  auch  die  Weissagung  von  einem  König  des 
Nordens  (Dan.  ll4off.),  der  in  den  letzten  Tagen  die  Erde  mit 
Krieg  überziehen  soll,  vielleicht  mit  der  Gog- Weissagung  zu- 
sammen«.    Diese   jeder    »geschichtlichen  Deutung  spottenden« 


1.  xcu  iöoii  ßQov/og  elg  Fojy  6  ßaaiUvg.    Vgl.  auch  Num.  247  LXX. 


Das  mythische  Meer.  189 

Verse  geben  »aller  Wahrscheinlichkeit  nach  eine  ältere,  nur 
noch  halb  verstandene  apokalyptische  Tradition  weiter«  (Bousset  : 
Kehgion  S.  207).  Der  NördHche,  so  heißt  es  hier,  wird  in  das 
Prachtland  eindringen  und  sich  viele  kostbare  Schätze  an  Gold 
und  Silber  aneignen.  Dann  wird  er  das  Zelt  seines  Palastes 
aufschlagen  zwischen  den  Meeren  und  dem  Berge  der  heiligen 
Pracht,  und  er  kommt  zu  seinem  Ende,  und  niemand  hilft  ihm. 
Das  Land  der  Pracht  soll  wohl  Palästina,  der  Berg  der  heiligen 
Pracht  Zion  sein.  Aber  was  die  Meere  bedeuten,  ist  hier 
ebenso  unklar  wie  im  Buche  Joel.  Viele  Exegeten  denken  an 
das  mittelländische  Meer.  Abgesehen  von  dem  Sprachgebrauch^ 
der  in  Prosa  den  Plural  D"'732  hier  kaum  zuläßt,  ist  die  zitierte 
Angabe  überhaupt  keine  geographische  Ortsbestimmung.  Wa& 
soll  das  heißen:  Zwischen  Jerusalem  und  dem  Mittelmeer? 
Hier  ist  eine  mythische  Geographie  auf  Palästina  übertragen^ 
ohne  daß  man  freilich  ein  deutliches  Bild  gewinnt.  Noch  ver- 
worrener ist  IHen.  26:  In  der  Mitte  der  Erde  gibt  es  einen 
gesegneten  und  fruchtbaren  Ort,  in  dessen  Garten  Bäume  mit 
immerwährenden  Schößlingen  stehen.  Und  daselbst  sah  ich 
einen  heiligen  Berg,  und  unterhalb  des  Berges  ein  Wasser  von 
Osten  her  (kommend),  und  sein  Lauf  nach  Süden  gerichtet. 
Und  ich  sah  nach  Osten  hin  einen  anderen  Berg,  der  höher  war 
als  dieser,  und  zivischen  ihnen  eine  tiefe,  aber  nicht  breite 
Schlucht,  und  auch  in  ihr  floß  ein  Wasser  an  dem  Berge  hin. 
Und  tvestlich  von  diesem  ivar  ein  anderer  Berg,  der  war 
niedriger  als  er  und  hatte  keine  Höhe,  und  eine  Schlucht  war 
unterhalb  desselben  zwischen  ihnen,  und  eine  andere  tiefe  und 
trockene  Schlucht  am  Ende  von  den  dreien.  Und  alle  Schluchten 
waren  tief,  aber  nicht  breit,  aus  hartem  Fels  und  <  kein  > 
Baum  war  in  ihnen  gepflanzt  ...  Da  sprach  ich:  Wozu  ist 
dieses  gesegnete  und  ganz  mit  Bäumen  bestandene  Land,  und 
diese  verfluchte  Schlucht  dazwischen?  .  .  .  Diese  verfluchte 
Schlucht  ist  für  die  in  Ewigkeit  Verfluchten  bestimmt.  Aus 
dieser  letzten  Bemerkung  folgt  deutlich,  daß  hier  eine  mythische 
Landschaft  geschildert  wird,  nämhch  die  Hölle  neben  dem 
Pai-adiese.  Auf  der  anderen  Seite  freilich  ist  die  Beschreibung 
unklar.  Wir  sind  daher  zu  der  Annahme  gezwungen,  daß  die 
mythische  Topographie  hier  nicht  rein  erhalten  sei,  sondern  daß 
hier   irgendwie    die    örtHchen   Verhältnisse    Jerusalems   hinein- 


190      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

•spielen.  Abgesehen  von  dem  Ölberg  und  dem  Bache  Kidron 
aber  ist  es  unmöglich,  die  einzelnen  Berge  und  Flüsse  genauer 
zu  identifizieren.  Die  verfluchte  Schlucht  soll  wohl  das  Tal 
Hinnom  sein,  während  alle  weiteren  Gleichsetzungen,  die  man 
versucht  hat,  als  nicht  einleuchtend  zu  verwerfen  sind. 

Wir  haben  uns  bemüht  zu  konstatieren,  wie  mit  dem  Nörd- 
lichen eine  feste  mythische  Tradition  verknüpft  ist,  die  zum 
■ersten  Male  nicht  bei  Ezechiel,  sondern  bereits  bei  Jeremia 
begegnet,  also  aus  vorexilischer  Zeit  stammt.  Während  sie  bei 
Jeremia  nur  leise  anklingt,  ist  sie  bei  Ezechiel,  Zacharja,  Joel 
und  Daniel  deutlicher  nachweisbar.  Allein  niemals  lernen  wir 
das  ganze  Gefüge  des  Mythus  kennen,  wir  müssen  uns  mit  un- 
jzusammenhängenden  Bruchstücken  begnügen.  Ganz  deutlich 
ist  die  mythische  Topographie,  die  von  einem  Gottessitz  handelt, 
der  im  Nahel  der  Erde  gelegen  und  durch  eine  Schranke  ab- 
gesperrt ist  von  dem  Leichental  oder  dem  Ort  der  göttlichen 
Peinde.  Diese  Feinde  müssen  einmal  mythischer  Natur  ge- 
wesen sein;  aber  sie  haben  ihr  altes  Gewand  abgestreift  und 
sind  zu  bloßen  Menschen,  zu  Völkern,  herabgesunken.  Nur  der 
Name  erinnert  noch  an  die  ursprüngliche  Herkunft.  So  gut  der 
Nordberg  gleich  dem  Götterberge  ist,  so  gut  ist  der  Nördliche 
ein  göttliches  Wesen.  In  den  uns  vorliegenden  Texten  ist  der 
mythische  Charakter  stark  verblaßt.  Aus  dem  Gottessitz  ist 
Zion,  aus  dem  Totental  das  Gehinnom  geworden.  Da  diese 
Lokalisierung  bereits  bei  Jeremia  (732)  vorhanden  ist,  so  muß 
der  Mythus  damals  schon  in  Israel  eine  längere  Geschichte 
hinter  sich  gehabt  haben.  Israelitischer  Ursprung  ist  aus- 
geschlossen, da  er  unverkennbar  den  Polytheismus  zur  Grund- 
lage hat.  Sein  eigentUcher  Sitz  scheint  von  Hause  aus  die 
Eschatologie  gewesen  zu  sein;  wenigstens  ist  er  anderwärts  bis- 
her nicht  aufzuzeigen. 

Eine  Kombination  mit  dem  Tiämatmythus  scheint  aus- 
geschlossen, obwohl  dieser  in  der  Apokalyptik  eine  große  Bolle 
spielt  (Jes.  242ifr.  27 1.  Ps.  6831.  Ps.  Sah  226ff.  IHen.  6024f. 
IVEsra  602.  IBar.  294.  Test.  Asser  c.  7.  Apk.  Joh.  12iff.). 
Das  Schema  des  eschatologischen  Kampfes  ist  auch  mit  den 
Einzelheiten  des  Tiämatmythus  ausgefüllt,  auf  die  ich  nicht 
näher  einzugehen  brauche,  da  sie  in  Günkels  Werk:  »Schöpfung 
und  Chaos«  vollständig  behandelt  sind.     Der  ursprünghche  Sitz 


Der  Nördliche.  191 

dieses  Mythus  ist  in  den  Geschichten  der  Urzeit.  Wo  er  in 
der  Endzeit  begegnet,  Hegt  eine  Übertragung  vor.  Aber  keinen 
einzigen  der  mythischen  Namen,  die  uns  hier  begegnet  sind, 
weder  den  Götterberg  noch  den  Berg  der  heiligen  Pracht  noch 
den  Nabel  der  Erde  noch  das  verstopfte  Tal  noch  den  Nörd- 
lichen finden  wir  in  dem  Tiämatmythus  wieder. 

Nicht  nur  der  Mythus  vom  Nördhchen,  sondern  die  Un- 
heilseschatologie  überhaupt  in  ihrer  ursprüngHch  m}i;hischen 
Form  muß  schon  früh,  in  vorprophetischer  Zeit,  in  Palästina 
eingewandert  sein.  Eine  Rekonstruktion  ist  unmöglich.  Denn 
darauf  muß  zum  Schluß  noch  einmal  und  mit  aller  Energie 
hingewiesen  werden:  Wenn  es  uns  auch  geglückt  ist,  an  einigen 
Stellen  eine  bestimmte  mythische  Tradition  aufzuzeigen,  so 
handelt  es  sich  doch  allüberall  nur  um  Bruckstücke.  Uns  geht 
es,  um  ein  Bild  zu  brauchen,  wie  dem  Forscher,  der  in  einem 
Trümmerhaufen  die  Überreste  einer  Götterstatue  findet,  der  hier 
einen  Arm,  dort  ein  Bein,  dort  andere  Glieder  entdeckt,  deren 
Zusammengehörigkeit  er  wohl  erkennt.  Sobald  er  sich  aber 
daran  macht,  die  Teile  zusammenzusetzen,  sieht  er  die  Unmög- 
lichkeit seines  Vorhabens  ein.  Der  Fragmente  sind  zu  wenig; 
es  fehlt  der  Rumpf,  der  die  Körperteile  erst  zusammenhält. 
Was  wir  im  Alten  Testament  über  das  spezifisch  Mythologische 
der  Eschatologie  erfahren,  beschränkt  sich  im  Grunde  auf  ein 
paar  Dinge.  Diese  Einzelzüge  können  schwerlich  für  sich 
existiert  haben,  sie  lassen  ein  größeres,  ausgeführtes  Gemälde 
vermuten,  das  für  uns  verloren  gegangen  ist,  ja  das  vielleicht 
nicht  einmal  dem  alten  Israel  bekannt  war.  Wir  müssen  mit 
der  Möglichkeit  rechnen,  daß  der  Mythus  und  die 
Eschatologie  überhaupt  nicht  als  Ganzes,  sondern 
bruchstückweise  in  Israel  eingewandert  sei. 

Das  Merkwürdigste  ist  nun,  daß  das  Bild  immer  deutlicher 
wird,  je  weiter  die  Geschichte  vorrückt.  In  der  Entwicklung 
der  israehtischen  Eschatologie  geht  das  Verworrene  dem  Ein- 
fachen voraus,  und  doch  ist  das  Verworrene  erst  aus  dem  Ein- 
fachen geworden!  Der  vorprophetische  Hintergrund,  auf  dem 
sich  die  prophetische  Eschatologie  abhebt,  ist  nachweisbar  in 
der  nachprophetischen  (d.  h.  nachexilischen)  Zeit.  Gewiß  haben 
die  Propheten  den  Inhalt  ihrer  Eschatologie  zum  großen  Teil 
aus  der  israelitischen  Volkstradition  geschöpft  und  in  dieser  mag 


192      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Manches  lebendig  gewesen  sein,  von  dem  wir  überhaupt  nichts 
ahnen  oder  erst  durch  spätere  Schriftsteller  hören.  Aber  damit 
allein  ist  der  fragmentarische  Charakter  der  früheren  propheti- 
schen Eschatologie  noch  nicht  genügend  erklärt.  War  eine 
klare  populäre  Vorstellung  von  einer  künftigen  Weltkatastrophe 
wirklich  vorhanden,  so  konnte  sie  nicht  in  dieser  starken  Weise 
durch  die  Prophetie  abgeschwächt  und  verwischt  werden.  Um 
dieser  Tatsache  gerecht  zu  werden,  müssen  wir  denselben  frag- 
mentarischen Charakter  bereits  für  die  volkstümliche  Eschato- 
logie postulieren.  Wir  werden  annehmen  dürfen,  daß  die 
Eschatologie  erst  allmählich  und  in  Bruchstücken  der  israeliti- 
schen Religion  bekannt  w^urde,  daß  eine  ursprünglich  nur  kleine 
und  verschwommene  Tradition  im  Laufe  der  Zeit  immer  mehr 
anschwoll  und  deutlichere  Gestalt  gewann. 

In  der  Zeit,  wo  wir  die  Unheilseschatologie  kennen  lernen, 
weiß  man  nichts  mehr  von  der  ursprünglich  ausländischen  Her- 
kunft. Sie  ist  völlig  akklimatisiert,  mit  palästinischen 
Lokalfarben  durchtränkt  und  mit  israelitischem  Geiste 
erfüllte  Hymnensänger  und  Propheten  feiern  die  gewaltige 
Tat  Jahves  in  der  Endzeit.  Bald  schildern  sie  mit  Entsetzen 
die  schreckHchen  Wehen,  die  über  die  Erde  kommen  sollen  in 
den  letzten  Tagen,  bald  zeichnen  sie  mit  tiefem  Kummer  ein 
Bild  der  verderbten  Menschheit,  die  sich  gegenseitig  im  Kriege 
zerfleischen  wird,  bald  stimmen  sie  ein  grausiges  Triumphhed 
an  über  die  Majestät  Jahves,  die  alles  vernichtend  dann  der 
Welt  sich  offenbart,  bald  reden  sie  davon  im  Ton  des  Ver- 
trauens und  der  unerschütterlichen  Zuversicht,  bald  leihen  sie 
der  Sehnsucht  Flügel  und  wünschen  begehrend  die  große  Zeit 
herbei.  So  hat  die  Eschatologie  in  den  hebräischen  Dichtern 
die  ganze  Skala  der  Empfindungen  ausgelöst.  Sie  wurzelt  fest 
in  ihrem  Herzen  und  durchwebt  ihr  Sinnen.  Die  Zukunft  wirft 
ihr  Licht  und  ihren  Schatten  voraus  und  nimmt  an  ihrem  Teile 
das  Glauben  und  Leben   und  Hoffen  der  Gegenwart  gefangen. 


1.   Vgl.  GuNKEL    (Forschungen  I   S.  21),    der   überhaupt   die   Ge- 
schichte der  Eschatologie  zum  ersten  Male  klar  gezeichnet  hat. 


Zweiter  Teil. 


Die  Heilseschatologie. 

A.    Das    goldene   Zeitalter. 
§  18.    Der  neue  Bund. 

E.  Kraetzschmar  :  Die  Bundesvorstellung  im  Alten  Testament  in 
ihrer  geschichtlichen  Entwicklung.  1896.  H.  Usener:  Keligionsgeschicht- 
liche  Untersuchungen.    III.  Sintflutsagen.     Bonn  1899. 

Wir  können  jetzt  die  Probe  aufs  Exempel  machen.  Wenn 
die  eschatologische  Katastrophe  von  Hause  aus  keine  partikulare, 
sondern  eine  universale  war,  wenn  es  sich  ursprünglich  nicht 
um  die  Vernichtung  Israels,  sondern  um  die  Zerstörung  der 
ganzen  Welt  handelte,  so  werden  wir  a  priori  erwarten,  daß  der 
Beginn  der  neuen  Zeit  mit  den  Farben  gemalt  sei,  mit  denen 
der  Anfang  dieses  Äons  gezeichnet  zu  werden  pflegte,  d.  h.  mit 
den  Farben  des  Paradieses.  Wäre  der  Untergang  Israels  das 
Primäre  gewesen,  so  müßte  zunächst  und  vor  allem  die  Wieder- 
herstellung der  Nation  geschildert,  die  Heimkehr  aus  dem  Exil 
und  die  Befreiung  von  der  Fremdherrschaft  verkündigt  werden. 
Diese  Züge  lassen  sich  zwar  an  vielen  Stellen  aufzeigen,  aber 
sie  dominieren  durchaus  nicht  und  anderswo  fehlen  sie  ganz. 
Statt  dessen  wird  ein  neues  goldenes  Zeitalter  beschrieben, 
dessen  Erwartung  aus  den  damahgen  Verhältnissen  nicht  psycho- 
logisch abgeleitet  werden  kann.  Diese  phantastischen  Hoffnungen 
haben  mit  den  realen  Erlebnissen  des  israehtischen  Volkes  nicht 
das  Mindeste  zu  tun.  Sie  stammen  aus  einer  ganz  anderen 
Sphäre  und  sind  in  geschichtlichen  Erfahrungen  nicht  begründet 
noch  können  sie  aus  ihnen  erklärt  werden. 

Wir  sahen  (vgl.  o.  S.  164),  wie  nach  dem  Priesterkodex 
am  Beginn  jeder  Epoche  ein  neuer  Bund  steht,  den  Jahve  mit 

Forschungen  zur  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.   6.  13 


194      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

dem  jeweiUgen  Anfänger  der  Periode,  mit  Noah,  Abraham  und 
Mose,  schließt.  Nur  bei  Adam  fehlt  ein  solcher  Bund.  Man 
hat  ihn  damals  ergänzt,  als  man  den  Priesterkodex  »Vierbundes- 
buch« nannte.  Da  man  aber  keinen  hinreichenden  Beweis  für 
diese  Ergänzung  zu  führen  vermocht  hat,  so  ließ  man  jene  Be- 
zeichnung fallen.  Dennoch  beruhte  sie  auf  einem  richtigen  Ge- 
fühl. Die  Symmetrie  allein  schon  fordert  für  das  erste  Zeit- 
alter dieselbe  Inauguration  wie  für  das  zweite,  dritte  und  vierte. 
Wir  müssen  darum  zunächst  vermuten,  daß  die  Überlieferung 
des  Priesterkodex  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  einen  Bundes- 
schluß auch  am  Anfang  der  Welt  kannte.  Wenn  die  jetzige 
Tradition  nichts  mehr  davon  weiß,  so  ist  eine  Verdunkelung 
eingetreten. 

Diese  Vermutung  wird  zur  Gewißheit  erhoben  durch  die 
Eschatologie.  Hos.  2 20  heißt  es:  Und  ich  werde  einen  Bund 
schliefen  für  sie  an  jenem  Tage  mit  den  Tieren  des  Feldes,  den 
Vögeln  des  Himmels  und  dem  Gewürm  des  Landes;  Bogen, 
Schwert  und  Waffe  will  ich  zerbrechen  und  fortschaffen  von  der 
Erde  und  sie  in  Sicherheit  wohnen  lassen.  Mit  Eecht  sagt 
Wellhausen:  »Es  wäre  hier  eine  treffliche  Gelegenheit  für 
Jahve,  einen  Bund  mit  Israel  zu  schließen.  Er  schließt  ihn 
aber  mit  den  Tieren,  zum  Schutz  des  Landes  vor  Wildschaden, 
Vögel-  und  Insektenfraß«.  Wellhausen  begnügt  sich  damit, 
diesen  sonderbaren  Gedanken  zu  konstatieren,  ohne  ihn  zu  er- 
klären. Denn  selbstverständlich  ist  er  durchaus  nicht,  auch 
wenn  er  das  wirklich  besagte,  was  Wellhausen  aus  ihm  her- 
ausliest 1.  Es  handelt  sich  für  den  Propheten  doch  zunächst 
um  die  Vernichtung  Israels  durch  die  Assyrer  und  Ägypter, 
mochten  außerdem  auch  allerlei  Landplagen  hereinbrechen. 
Genügte  es  da  nicht,  wenn  Hosea  die  Wiederherstellung  des 
Volkes  verkündete?  War  es  nicht  schon  eine  überreiche  Gnade, 
falls  Palästina  nach  der  furchtbaren  Verheerung  von  neuem  mit 
Emtesegen  bedacht  ward?  Wer  wird  auf  die  Idee  verfallen, 
wilde  Tiere,  Vögel  und  Insekten  möchten  kommen  und  die 
Felder  wiederum  veröden? 

Noch  seltsamer  wird  die  Stelle,  wenn  man  mit  den  Exegeten 
übersetzt:   Boge7i,  Schtvert  und  Streit  .  .  .  schaffe  ich  fort  aus 


1.  Die  riclitige  Erklärung  s.  u.  S.  200. 


Die  Umwandlung  der  Tiere.  195 

dem  Lande.  »Darum  schafft  er  auch  Frieden«,  sagt  Well- 
HAUSEN,  »nicht  für  alle  Welt,  sondern  für  das  Land  der 
Israeliten,  damit  sie  geruhig  wohnen.«  Das  wäre  doch  eine 
gar  zu  sonderbare  Utopie,  auf  die  Sicherheit  Israels  zu  hoffen, 
wenn  alle  Waffen  aus  Palästina  verschwunden  sein  werden. 
Viel  richtiger  und  zweckdienlicher  wäre  es,  die  Rüstungen  der 
Feinde  zu  vernichten,  und  man  begreift  nicht,  warum  der 
Prophet  nicht  dies  Wunder  erwartet  haben  sollte,  da  ja  auch 
die  Entwaffnung  Israels  auf  die  Tat  Jahves  zurückgeführt 
werden  muß.  Wenn  man  meiner  Übersetzung  von  der  Erde 
folgt,  so  ist  zwar  der  gröbste  Anstoß  beseitigt,  aber  auffällig 
bleibt  der  Satz  darum  doch.  Dem  Gläubigen  konnte  das  Wort 
Jahves  genügen,  er  werde  fortan  das  Land  vor  allen  Feinden 
beschützen.  Wozu  bedurfte  es  da  der  phantastischen  Hoffnung 
auf  eine  Abrüstung  aller  Völker?  Dieser  Gedanke  ist,  obwohl 
er  hier  vorliegt,  psychologisch  nicht  begreiflich. 

Ebenso  merkwürdig  ist  der  Ausdruck,  Jahve  werde  jenes 
Tages  einen  Bund  schheßen  mit  den  wilden  Tieren.  Gunkel 
{Genesis  2  S.  108  f.)  hat  dies  mit  Recht  eine  altertümliche  Vor- 
stellung genannt.  Sie  scheint  nicht  auf  der  Höhe  der  propheti- 
schen Anschauung  zu  stehen.  Denn  da,  wo  die  Idee  des  Bundes 
lebendig  ist,  handelt  es  sich  um  einen  Vertrag,  eine  gegenseitige 
Verpflichtung,  mögen  die  Parteien  auf  gleichem  Fuße  mit  ein- 
ander verkehren  oder  nicht.  Ein  Bund  wird  ursprünglich  nur 
zwischen  Menschen  geschlossen.  Später  wird  das  Verhältnis  der 
Gottheit  zu  den  Menschen  in  dem  Sinne  des  Bundes  aufgefaßt. 
Hier  aber  scheinen  die  Tiere  als  bündnisfähig  mit  Gott  dar- 
gestellt zu  werden.  Wie  ist  das  möglich?  Nach  gewöhnlicher 
Anschauung  freihch  ist  der  Ausdruck  nur  bildUch  gemeint  und 
etwa  gleichbedeutend  mit  »ein  Gesetz  auferlegen«.  Das  ist  des- 
wegen sehr  unwahrscheinlich,  weil  der  Inhalt  des  Befehles  nicht 
angegeben  wird  und  aus  dem  Zusammenhange  nicht  erraten 
werden  kann.  Wellhaüsens  oben  mitgeteilte  Exegese  kann 
keinen  Anspruch  auf  Wahrscheinlichkeit  erheben.  Das  Wort 
Hoseas  ist  so  abrupt,  daß  es  für  uns  völlig  unverständlich  bliebe, 
wenn  wir  es  nicht  aus  anderen  Stellen  erklären  könnten.  Der 
Prophet  spielt  hier  an  eine  zu  seiner  Zeit  geläufige  Theorie  an, 
die  uns  aus  späteren  Quellen  deutlicher  wird. 

Jes.  lleff.  heißt  es:  Und  gastenwird  der  Wolf  heim  Lamm, 

13* 


196      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

und  der  Pardel  heim  Böckchen  lagern,  und  Kalb  und  Löwe 
essen^  zusammen  ^  ein  kleiner  Knabe  ist  ihr  Hirte.  Kuh  und 
Bärin  weiden  zusammen^  und  der  Löwe  frißt  Häcksel  wie  das 
Rind  (vgl.  Jes.  6025).  Der  Säugling  spielt  an  dem  Loch  der 
Natter,  und  nach  der  Höhle^  des  Basilisken  streckt  ein  Ent- 
wöhnter seine  Hand  aus.  Beachtenswert  ist  zunächst  der  Zu- 
sanimenhang,  in  dem  die  Verse  stehen.  Unmittelbar  vorher  ist 
von  dem  Reis  aus  der  Wurzel  Isais  die  Rede.  Damit  beginnt 
dies  heilseschatologische  Kapitel.  Diesen  seltsamen  Anfang 
kann  die  Psychologie  auf  keine  Weise  verständlich  machen,  mag 
man  das  Stück  dem  Jesaja  zuerkennen  oder  absprechen.  Ver- 
setzt man  sich  in  den  Geist  Jesajas,  der  Israel  den  Untergang 
durch  Assurs  Heer  verkündete,  dann  mußte  er,  so  sollte  man 
denken,  von  der  neuen  Ära  zuerst  und  vor  allem  etwas  ganz 
Anderes  erwarten!  Was  nützte  der  weiseste  und  gerechteste 
König,  wenn  nicht  zuvor  eine  Nation  da  war,  die  er  regieren 
konnte?  Und  welchen  Wert  hatte  das  beschauliche  Stillleben 
der  Tiere,  solange  die  Welt  voller  Kriegsgetümmel  und  solange 
nicht  das  Volk  aus  Feindesnot  befreit  war?  Hinterher  freihch 
(V.  11  ff.)  wird  von  dem  Loskauf  des  Restes  und  von  der  Samm- 
lung der  versprengten  Israeliten  geredet.  Aber  diese  Dinge 
hätten  als  die  Hauptsache,  ja  als  die  Voraussetzung  notwendig 
vorangehen  müssen.  Ihre  Nachstellung  bleibt  psychologisch 
ebenso  unverständlich,  wenn  das  Stück  für  exilisch  oder  nach- 
exilisch  gehalten  wird. 

Betrachten  wir  die  Verse  6 — 8  für  sich,  so  sind  sie  über- 
haupt nicht  aus  besonderen  Zeitumständen  geboren.  Der  Ge- 
danke des  Tierfriedens  ist  ein  integrierender  Bestandteil  der- 
jenigen Geschichten,  die  vom  Eintreten  einer  neuen  Weltepoche 
handeln.  Vor  allem  hat  die  Poesie  den  Beginn  dieser  Welt, 
das  goldene  Zeitalter,  als  einen  Zustand  ungestörten  Glückes 
vorgestellt.  Auch  die  israelitische  Urgeschichte  hat  in  dem 
nüchternen  Speisegebot  des  Priesterkodex  eine  Erinnerung  an 
den  Urfrieden  bewahrt*,  wenngleich  in  der  Paradieserzählung 
selbst   dieser  Zug   nicht   erhalten   ist.     So   haben   die  Dichter 


1.  Lies  s^n"'  Duhm.  2.  Streiche  p'^i!?''  iisav. 

3.  Lies  n-iytt  nach  einer  schriftlichen  Mitteilung  Gunkels. 

4.  Vgl.  Gunkel:  Genesis^  zu  l29f. 


Die  Umwandlung  der  Tiere.  197 

vieler  Völker  von  der  seligen  Urzeit  gesungen  i.  Wo  nun  die 
Morgenröte  einer  neuen,  besseren  Zukunft  anbricht,  da  gehört 
es  zum  Stil,  sie  mit  den  Farben  der  Urzeit  zu  malen.  Römische 
Dichter  haben  auf  diese  Weise  den  Regierungsantritt  des 
Augustus  verherrlicht^.  Der  Glaube  an  ein  künftiges  goldenes 
Zeitalter  läßt  sich  in  der  klassischen  Literatur  zum  ersten  Male 
—  das  ist  nicht  unwichtig  für  die  Frage  nach  dem  Ursprungs- 
lande dieses  Stils  —  bei  Vergilius  nachweisen»,  der  durch  die 
Geburt  eines  Knaben  einen  »Wendepunkt  der  Geschicke  Roms 
und  der  Welt«  erwartet*.  Aber  längst  vorher  waren  in  Baby- 
lonien,  wofür  wir  an  passenden  Stellen  frappante  Parallelen  an- 
führen werden,  irdische  Könige  »als  Bringer  der  Erlösung  und 
Bahnbrecher  einer  neuen  Zeit«  gefeierte  Immerhin  ist  zwischen 
diesen  Dichtungen  und  dem  Jesajazitat  ein  Unterschied  vor- 
handen, der  nicht  verwischt  werden  darf.  Während  es  sich 
dort  um  bestimmte  historische  Situationen  handelt,  ist  die  Schil- 
derung des  Propheten  eigentümlich  unbestimmt.  Er  hat  einen 
eschatologischen  Moment  im  Auge,  der  sich  allerdings  in  ab- 
sehbarer Zeit  verwirklichen  wird,  der  aber  doch  nicht  genau 
fixiert  ist  Wenn  nur  Y.  1 — 8  echt  sein  sollten,  wie  viele 
Exegeten  annehmen,  so  ist  diese  Zukunftshoffnung  rein  mythisch, 
ohne  jede  Rücksicht  auf  konkrete  und  reale  Verhältnisse  Israels. 
Aus  diesem  Grunde  müßte  —  selbst  für  den  Fall,  daß  sich 
nachweisen  läßt,  es  sei  in  Israel  Stil  gewesen,  neue  Epochen, 
etwa  den  Regierungsantritt  eines  Königs,  mit  den  Farben  des 
goldenen  Zeitalters  zu  malen  —  neben  diesem  Stil  und  unab- 
hängig von  ihm  wenigstens  in  Bruchstücken  die  Erwartung  eines 
eschatologischen  Paradieses  hergegangen  sein.  Ja,  man  darf 
vielleicht  sagen,  aus  ihr  erklärt  sich  erst  die  Entstehung  jenes 
Stiles.  Weil  man  eine  zukünftige  goldene  Zeit  erhoffte,  darum 
eben  konnte  die  höfische  Schmeichelei  den  Regierungsantritt 
eines  Königs  als  ihren  Anbruch  schildern.  Doch  ist  diese  An- 
nahme nicht  unbedingt  notwendig,  da  sich  der  Hofstil  auch 
auf  urzeitliche  Mythen  beziehen  kann.  Aus  der  einfachen 
Sehnsucht,   mit  Hülfe   des  neuen  Herrschers   zu  besseren  Zu- 


1.  Dellmann:  Genesis®  S.  47  bringt  eine  Menge  Material. 

2.  Horat.  Carm.  I  23of.    Vgl.  Epod.  165if.        3.  Verg.  ecl.  42if.  5( 
4.  UsENER  a.  a.  0.  S.  206.  5.  Zimmern  KAT^  S.  380  ff. 


198       Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

ständen  zu  gelangen,  ist  jedenfalls  ein  solcher  Stil  nicht  geboren; 
denn  sonst  wäre  er  überall  in  der  Welt  vorhanden,  da  jene  Sehn- 
sucht allen  Menschen  und  Zeiten  eigen  ist. 

Fragt  man  weiter,  warum  grade  die  Urzeit  so  paradiesisch 
schön  gedacht  wird,  so  genügen  ebenfalls  psychologische  Er- 
klärungen allein  nicht  zum  Verständnis.  Gunkel  meint:  »Der 
alte  Mythus  vom  Frieden  der  Menschen  und  Tiere  atmet  die 
Sehnsucht  eines  kriegsmüden,  gealterten  Volkes  nach  Ruhe  und 
Frieden ;  das  älteste  Israel,  ein  jugendfrisches,  kriegslustiges  Volk^ 
wird  ihn  nicht  erzeugt  haben;  in  Israel  kennen  wir  solche 
müden  Stimmungen  erst  aus  der  Zeit  der  Propheten,  als  die 
Welt  von  Waffen  klirrte  und  Israel  durch  die  beständigen  Kriege 
erschöpft  war«  (Genesis ^  S.  100).  Ähnlich  hat  sich  Gunkei* 
in  der  Deutschen  Rundschau  (Jahrgang  31.  Berlin  1904,  S.  60) 
geäußert:  »Jeder  Mensch  und  jedes  Volk  träumt  einen  Traum 
von  Glück  und  Frieden  und  ungestörtem  Genuß.  Jeder  träumt 
davon  anders:  der  JüngHng  schwärmt  von  den  Tagen  der  Zu- 
kunft, und  der  Greis  versenkt  sich  voll  Wehmut  in  die  sonnige 
Zeit  seiner  Jugend,  und  nur  darin  stimmen  sie  beide  überein: 
in  der  Gegenwart  herrschen  Elend  und  Herzeleid,  da  ist  das 
Glück  nicht  zu  finden.  Die  Überlieferung  der  Völker  aber  ver- 
setzt dies  Bild  der  Sehnsucht  in  die  Urzeit,  an  den  Anfang 
unseres  Geschlechtes  oder  an  das  Ende  der  Dinge.  Vom 
Paradies  der  Vorzeit  redet  sie  mit  Trauer:  es  ist  unwieder- 
bringlich verloren;  von  der  seligen  Endzeit  mit  Begeisterung: 
sie  wird  sicherlich  kommen!«  In  schönen  Worten  schildert  hier 
Gunkel  die  Stimmungen,  in  denen  die  Dichter  und  auch  die 
israelitischen  Propheten  zu  den  Mythen  von  Urzeit  und  Endzeit 
gegriffen  haben  mögen,  um  den  Empfindungen  Ausdruck  zu  ver- 
leihen, die  sie  bewegten.  Die  Ausmalung  im  Einzelnen,  der 
Friede  der  Natur,  wo  Kinder  noch  mit  Löwen  und  Kreuzottern 
spielten,  erklärt  sich  daraus  nicht 

Die  Wurzel  dieser  Vorstellungen  erkennt  man,  wenn  man 
die  von  Usener  (S.  200  ff.)  beigebrachten  Parallelen  beachtet^ 
die  in  manchen  Einzelheiten  an  die  prophetische  Eschatologie 
anklingen.  Die  Griechen  glaubten,  daß  es  auf  dem  heiligen 
Kreta  kein  todbringendes,  reißendes  Tier  gebe,  weder  Wölfe 
noch  Bären,  nicht  einmal  Eulen,  daß  der  Eschenhain  des 
klarischen  Apollon   frei    sei  von   Schlangen   und   allem    schäd- 


Das  Götterland. 


199 


liehen  Grewürm.  Ja,  es  ging  sogar  die  Sage  von  den  Hainen 
der  Argeia  und  der  aitolischen  Artemis  am  Flusse  Timavus, 
daß  dort  alle  Tiere  zahm  seien  oder  es  sofort  beim  Betreten 
würden,  und  Wölfe  friedlich  mit  den  Hirschen  verkehrten.  In 
allen  diesen  Fällen  handelt  es  sich  weder  um  urzeitliche  noch 
endzeitliche  Schilderungen,  sondern  um  die  Beschreibung  eines 
Götterlandes.  Im  Paradiese  ist  ja  auch  nach  der  israelitischen 
Erzählung  Jahve  zu  Hause,  er  lustwandelt  in  ihm  (Gen.  Ss), 
und  darum  redet  Ezechiel  von  dem  Gottesgarten  (28 13).  Auch 
in  der  eschatologischen  Zeit  soll  Jerusalem  wieder  werden  wie 
Eden,  wie  der  Jahvegarten  (Jes.  Öls).  Weil  das  Paradies  das 
Götterland  vorstellt,  darum  wird  es  mit  all  den  farbenprächtigen 
Zügen  ausgestattet,  die  je  die  Dichter  erdacht  haben.  Welche 
Züge  man  besonders  liebte,  das  war  der  Stimmung  und  dem 
Geschmack  des  Einzelnen  und  der  jeweiligen  Generation  unter- 
worfen. Hier  darf  die  psychologische  Erklärung  ihr  Recht  be- 
anspruchen. Zunächst  aber  liegt  eine  Theorie  zu  Grunde,  der 
Glaube,  daß  an  den  Anfang  der  Welt  das  Götterland,  der 
Gottesgarten  gehört,  mag  nun  die  ganze  Erde  so  aufgefaßt  sein 
oder  mögen  die  Götter  in  einem  irdischen  Hain  sich  ergangen 
haben  oder  mag  das  Paradies  allmählich  in  immer  weiter  ent- 
fernte geographische  oder  gar  mythische  Gegenden  und  schließ- 
lich in  den  Himmel  verlegt  sein.  Wenn  die  Eschatologie  den 
Beginn  der  neuen  Zeit  mit  denselben  Farben  malt  wie  den 
Anfang  dieser  Welt,  so  folgt  daraus,  daß  ihr  die  Erwartung 
von  der  Wiederkehr  des  Paradieses  geläufig  ist  oder  wenigstens 
einmal  geläufig  war.  Man  vermeidet  es  besser,  in  diesem  Zu- 
sammenhange von  einem  Paradies  der  »Endzeit«  zu  reden. 
Denn  in  Wirklichkeit  ist  die  Endzeit  eine  Urzeit,  freilich  die 
Urzeit  einer  künftigen,  neuen  Welt,  die  kein  Ende  hat. 

Ob  Jesaja  den  eschatologischen  Frieden  nur  für  Palästina 
oder  für  die  ganze  Welt  erwartet  hat,  läßt  sich  nicht  mit  Sicher- 
heit entscheiden!.  Für  ihn  stand  natürlich  sein  Land  im  Vorder- 
grund des  Interesses,  und  es  mag  ihm  ferngelegen  haben,  über 
die  Tragweite  der  von  ihm  ausgesprochenen  Idee  nachzudenken. 
Da  sie  aber  wegen  ihres  mythischen  Charakters  kein  Erzeugnis 


1.  Wenn  man  V.  9  ff.  dem  Jesaja  abspricht,   obwohl  dies  für  V.  9 
schwerlich  berechtigt  ist. 


200     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

seines  Geistes  sein  kann,  sondern  viel  älter  sein  muß,  so  wird 
bei  der  ursprünglichen  Konzeption  die  ganze  Welt  gemeint  sein. 
Denn  es  wäre  doch  ein  sonderbarer  Gedanke,  daß  der  Gottes- 
fiiede  nur  in  die  Tierwelt  Palästinas  einziehen  sollte.  In  dieser 
Hinsicht  stimmt  Jesaja  mit  Hos.  2 20  überein.  Wir  werden  jetzt 
sagen  dürfen,  daß  diese  Stelle  nach  jener  auszulegen  ist.  Der 
»Bundesschluß«  Jahves  mit  den  Tieren  bedeutet  nicht,  daß 
Palästina  fortan  vor  »Wildschaden,  Vögel-  und  Insektenfraß« 
geschützt  sein,  sondern  daß  die  Natur  der  Tiere  von  Grund  aus 
verändert  werden  soll.  Wenn  das  auch  zunächst  zu  gunsten 
Israels  (»für  sie«)  geschieht,  so  ist  doch  diese  Beschränkung 
eine  sekundäre  Zutat,  die  zu  der  ursprünglichen  Idee  nicht  paßt. 
Jedenfalls  ist  es  unerlaubt,  den  kurzen  änigmatischen  Ausdruck 
Hoseas  anders  auszulegen  als  Jes.  lleff.,  zumal  das  Nicht- 
vorhandensein der  Kriegs  Waffen  in  gleicher  Weise  ein  Charak- 
teristikum, wenn  auch  nicht  des  biblischen  Paradieses,  so  doch 
des  goldenen  Zeitalters  ist.  Auch  die  Griechen  glaubten,  »daß 
Schiffahrt,  Gebrauch  des  Eisens,  Krieg  und  die  Künste  des 
erwerbenden  Lebens  den  Stand  der  Unschuld  noch  nicht  getrübt 
hätten«  (Usekek).  Dieselben  Züge  finden  sich  in  den  Pseud- 
epigraphen.  Erst  die  bösen  Engel  haben  die  Urmenschen  ver- 
derbt und  sie  die  Anfertigung  von  Mordinstrumenten  gelehrt 
(z.  B.  IHen.  8.  696). 

In  der  Endzeit  werden  die  Waffen  wieder  verschwinden. 
Da  werden  die  Völker  umschmieden  ihre  Schwerter  zu  Pflug- 
eisen und  ihre  Lanzenspitzen  zu  Winzerstangen.  Nicht  erheben 
sie  wider  einander  das  Schwert  und  nicht  mehr  lernen  sie  Krieg 
(Jes.  24.  Mch.  43).  Nicht  nur  Israel,  sondern  die  ganze  Welt  wird 
ein  großes  Friedensreich  umspannen.  Nicht  nur  die  Assyrer 
stecken  ihr  Schwert  in  die  Scheide,  sondern  jeder  mit  Gedröhn 
auftretende  Stiefel  und  mit  Blut  befleckte'^  Mantel  wird  werden 
zum  Brande,  zur  Speise  des  Feuers  (Jes.  94).  Wagen,  Kosse, 
Kriegsbogen'  werden  aus  Ephraim  und  Jerusalem  vernichtet, 
denn  Jahve  schafft  den  Völkern  Frieden  durch  seinen  Spruch 
(Zach.  9 10).  Daß  dann  auch  die  Festungen  dem  Erdboden 
gleich  gemacht,  die  Zaubermittel  entfernt  und  die  Götzen  aus- 
gerottet werden  (Mch.  öoff.),   versteht  sich  am  Ende  von  selbst. 


1.  Lies  n^ss-a  Bachmann. 


Die  Vernichtung  der  Waffen.  201 

Im  Lande  Gottes  darf  es  keine  Dinge  geben,  an  denen  Jahve 
Anstoß  nehmen  könnte.  Dem  Wachstum  der  religiösen  Ein- 
sicht entsprechend  erwartet  man  zunächst  nur  das  Verschwinden 
der  Bamoth  (Am.  79)  und  der  Baalbilder  (Hos.  2 19),  später 
auch  die  Zerstörung   der  Ascheren  und  Mazzeben  (Mch.  5i2f.). 

Abgesehen  von  Hos.  2  20  ist  uns  der  Gedanke  des  Bundes 
noch  nicht  wieder  begegnet.  Er  findet  sich  aber  auch  in  einer 
ähnlich  klingenden  Heilsweissagung  Ezechiels:  Und  ich  werde 
meinen  Friedenshund  für  sie  abschließen  und  die  gefährlichen 
Tiere  aus  dem  Lande  beseitigen^  sodaß  sie  in  der  Wüste  sicher 
wohnen  und  in  den  Wäldern  ruhig  schlafen  können  (Ez.  3425; 
vgl.  Lev.  266.  Jes.  359).  Die  Tiere  sind^  ursprünglich  wörtlich 
gemeint  wie  die  im  Folgenden  genannten  segenspendenden  Regen- 
güsse. Ezechiel  ist  nicht  auf  diese  Idee  verfallen.  Ihm  kommt  sie 
so  seltsam  und  fremd  vor,  daß  er  die  Tiere  (in  V.  28)  umdeutet 
auf  die  Heidenvölker.  Die  dem  Propheten  vorliegende  Tradition 
berührt  sich  zwar  mit  Hos.  2  20.  Jes.  lliff.,  deckt  sich  aber 
nicht  mit  diesen  Stellen.  Das  Wegschaffen  der  Tiere  aus  dem 
Lande  ist  wohl  eine  sekundäre  Neuerung  rationalistischer  Art 
gegenüber  der  alten  Überlieferung,  die  von  einer  Umwandlung 
aus  der  Wildheit  zur  Zahmheit  wußte.  Der  Ausdruck  Friedens- 
hund  ist  zwar  nicht  unvei-ständlich  im  Munde  Ezechiels,  aber 
jedenfalls  nicht  von  ihm  geprägt,  da  er  die  Anschauung  voraus- 
setzt, Jahve  habe  mit  den  wilden  Tieren  selbst  einen  Vertrag 
geschlossen.  Dem  Propheten  muß  bereits  die  Erklärung  des 
Tierfriedens  durch  einen  Friedensbund  in  der  Tradition  ge- 
geben sein,  da  sie  dem  prophetischen  Gottesglauben  nicht  an- 
gemessen ist  (vgl.  0.  S.  195).  Das  Bundschließen  ist  hier  kein 
so  zweideutiger  Ausdruck  wie  bei  Hosea,  sondern  kann  nur  in 
eigentlichem  Sinne  aufgefaßt  werden.  Nicht  überall  wird  der 
Tierfriede  auf  einen  Bund  zurückgeführt.  Das  ist  auch  unnötig, 
da  er  sich  ohne  weiteres  aus  den  Vorstellungen  vom  Paradiese, 
vom  Götterlande  erklärt.  Darum  dürfen  wir  seine  Verknüpfung 
mit  der  Bundesidee,  wenn  auch  für  alt,  so  doch  für  sekundär 
halten. 

Das  Bundesmotiv  ist  mit  den  Geschichten  der  eschatologi- 
schen  Urzeit  unlösbar  verknüpft.     Der  beste  Beweis  dafür  ist 


1.  trotz  Bektholet  und  Kraetzschmar. 


202      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Mal.  3i:  SiehCj  ich  sende  meinen  Boten  vor  mir  her,  daß  er  vor 
mir  den  Weg  ebne,  und  plötzlich  wird  der  Herr,  den  ihr  sucht, 
zu  seinem  Tempel  kommen,  und  der  Engel  des  Bundes,  an  dem 
ihr  Gefallen  habt,  siehe  er  kommt.  Was  dieser  nur  hier  ge- 
nannte Engel  des  Bundes  genauer  bedeutete,  wissen  wir  nicht. 
Nach  Wellhausen  ist  es  »Jahve  selber,  in  verschämter  Aus- 
drucksweise oder  in  verhüllter  Gestalt«,  nach  Keaetzschmar 
(S.  237fiP.)  der  Schutzengel  der  Gemeinde,  nach  Smend^  (S.  124) 
der  »inmitten  seiner  Gemeinde  Wohnung  nehmende  Jahve«. 
Es  liegt  nahe,  den  rT^'nü  ^Nb73  für  den  zum  Engel  Jahves 
degradierten  rr^in  b^a  anzusehen,  der  von  den  Sichemiten  ver- 
ehrt wurde  (Jdc.  833.  94.  46).  Es  war  wohl  ursprünglich  ein 
Zsvg  OQ'Mog,  der  die  Verträge  zu  schützen  hatte,  die  bei  ihm 
geschlossen  wurden  (Baudissin  PRE^  s.  v.  Baal).  Welche 
Funktionen  der  von  Maleachi  erwähnte  Bundesengel  zu  ver- 
richten hatte,  wird  nicht  gesagt.  Nur  so  viel  dürfen  wir  be- 
haupten, daß  es  gewiß  nicht  eine  zufällige  Laune  dieses  Schrift- 
stellers ist,  wenn  er  ihn  in  Begleitung  Jahves  erscheinen  läßt. 
Hätte  er  diesen  Zug  erfunden,  so  würde  er  ihn  begründet  und 
verdeutlicht  haben.  Der  Verfasser  spielt  hier  an  Dinge  an,  die 
seinen  Zeitgenossen  geläufig  waren,  die  wir  nicht  kennen.  Wo 
der  Bundesengel  sich  zeigt,  wird  auch  ein  Bund  geschlossen. 
Wie  jener,  so  gehört  auch  dieser  notwendig  an  den  Anfang  der 
neuen  Welt.  Die  Notiz  bei  Maleachi  lehrt  uns,  wenn  sie  auch 
erst  aus  später  Zeit  stammt,  grade  durch  ihre  Unverständlichkeit 
und  Abruptheit,  daß  der  Gedanke  von  dem  neuen  Bunde  sehr 
viel  älter  ist. 

Als  die  Sintflut  vorüber  ist,  errichtet  Gott  nach  dem 
Priesterkodex  einen  Bund  mit  den  Menschen,  daß  niemals 
wieder  alles  Fleisch  vertilgt  werden  soll  von  Wassern  der  Sint- 
flut, und  keine  Sintflut  mehr  kommen  soll,  die  Erde  zu  verderben 
(Gen.  9 11).  Der  Bund  ist  also  seinem  Inhalte  nach  ein  Ver- 
sprechen. Der  Jahvist  hat  zwar  den  Ausdruck  Bund  nicht, 
aber  die  Worte,  die  er  Jahve  bei  sich  selbst  sprechen  läßt,  sind 
ein  Versprechen  und  besagen  dasselbe:  Fortan  sollen,  solange 
die  Erde  steht,  nicht  mehr  aufhören  Säen  und  Ernten,  Frost 
und  Hitze,  Sommer  und  Winter,  Tag  und  Nacht  (Gen.  822). 
Völhg  parallel  dazu  verheißt  Deuterojesaja  für  die  neue  Zeit: 
Wie  in  den  Tagen  Noahs  ist  mir  dies.      Wie   ich  geschworen 


Der  neue  Bund.  203 

habe,  daß  Noahs  Wasser  nicht  mehr  über  die  Erde  kommen,  so 
habe  ich  geschworen,  dir  nicht  zu  zürnen  und  dich  nicht  zu  be- 
dräuen. Mögen  auch  die  Berge  weichen  und  die  Hügel  wanken, 
meine  Gnade  soll  nicht  von  dir  weichen,  mein  Friedensbund 
nicht  wanken  (Jes.  54 9f.).  Die  Parallelisierung  der  Zeit  nach 
dem  Exil  mit  der  Zeit  nach  der  Sintflut  könnte  man  für  eine 
geistreiche  Idee  des  Verfassers  erklären  oder  gar  für  »eine 
Frucht  aus  der  Lektüre  des  Jahvisten«  halten  (Duhm),  obwohl 
dieser  weder  von  einem  Schwur  noch  von  einem  Friedensbunde 
redet.  Aber  Deuterojesaja  ist  auch  sonst  davon  durchdrungen, 
am  Anfang  einer  neuen  Zeit  zu  stehen.  Von  diesem  Bewußt- 
sein aus,  die  Wende  zweier  Welten  zu  erleben,  muß  er  gradezu 
verstanden  werden:  Das  Frühere,  fürwahr,  es  ist  geschehen  und 
Neues  tue  ich  kund  (Jes.  429). 

Zunächst  muß  es  auffallen,  daß  der  Verfasser  den  Jahve 
einen  Schwur  tun  läßt,  er  werde  nie  wieder  ein  Exil  über  Israel 
verhängen.  Das  ist  um  so  wunderbarer,  als  jede  innere  Be- 
gründung fehlt.  Einem  Frommen  lag  es  gewiß  nahe,  Gott  um 
Gnade  für  Israel  zu  bitten,  und  er  mochte  der  Erhörung  gewiß 
sein,  solange  er  sich  bewußt  war,  mit  der  Gesamtheit  des  Volkes 
den  Willen  Jahves  zu  erfüllen.  Aber  hier  wird  ohne  jede  Be- 
dingung und  ohne  jede  Rücksicht  auf  eine  künftige  mögliche 
Sünde  Israels  ewige  Huld  (548)  verheißen.  Dieses  Wort  erklärt 
sich  nur  aus  dem  Glauben  des  Verfassers,  am  Anfang  einer 
neuen  Epoche  zu  stehen.  Zu  einer  neuen  Zeit  gehört  ein  neuer 
Bund.  Darin  zeigt  sich  die  schwännerische  Begeisterung  der 
Propheten,  die  der  gegenwärtigen,  zeitweiligen  und  vorüber- 
gehenden Not  eine  ewig  dauernde  Begnadigung  in  Zukunft 
gegenüberstellt  1.  So  heißt  es  auch  Jes.  553:  Gewähren  will  ich 
einen  ewigen  Bund,  beständige  Gnadenerweisungen  für  David. 
Wenn  ein  König  den  Thron  bestieg  oder  bei  sonstigen  feier- 
lichen Gelegenheiten,  forderte  der  Hofstil,  daß  man  ihm  und 
seinem  Hause  ewige  Dauer  verkündete  (Ps.  45?).  Man  liebte 
es,  diesen  Wunsch  in  ein  Versprechen  Jahves  zu  kleiden 
(II  Sam.  7 16).  Der  ewige  Bund  d.  h.  die  für  alle  Zeiten  gül- 
tige Verheißung  Jahves  wird  hier  nicht   zunächst  dem   davidi- 


1.  Auf  diese  psychologische  Vermittlung   hat  mich  Gunkel  hin- 
gewiesen. 


204      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

sehen  Könige  (wie  Jer.  332off.),  sondeni  dem  Volke  zu  teil. 
Dieselbe  Anschauung  wird  Jes.  592i.  61 8.  Ez.  166ofF.  3726  aus- 
gesprochen. Sie  besagt,  daß  das  Kriegsbeil  zwischen  Jahve 
und  Israel  begraben  wird.  Ein  Friedenshund  wird  geschlossen. 
Jahve  verpflichtet  sich  feierlich,  niemals  wieder  seinem  Volke 
zu  zürnen,  nie  wieder  eine  Katastrophe  heraufzuführen,  sondern 
■ewige  Gnade  und  Huld  zu  gewähren :  Ich  mache  mit  ihnen  einen 
ewigen  Bund,  daß  ich  nicht  aufhören  will,  mich  ihrer  zu  erbarmen^ 
indem  ich  ihnen  wohltue  (Jer.  32 4o). 

In  allen  diesen  Fällen  ist  die  ursprüngliche  Idee  umge- 
deutet worden,  wie  aus  dem  ältesten  Belege  geschlossen  werden 
darf:  Siehe,  Tage  kommen,  spricht  Jahve,  da  mache  ich  mit 
dem  Hause  Israel  und  dem  Hause  Juda  einen  neuen  Bund 
.  .  .  Legen  will  ich  mein  Gesetz  in  ihr  Inneres  und  auf  ihr 
Herz  es  schreiben,  und  ich  will  ihnen  zum  Gott  und  sie  sollen 
mir  zum  Volk  sein.  Dann  belehren  sie  nicht  mehr  einer  den 
anderen  und  ein  Bruder  den  Bruder  mit  den  Worten:  »Er- 
kennet Jahve«,  denn  sie  werden  mich  erkennen,  klein  und  groß 
(Jer.  3l3iff.).  Dem  alten,  mit  Mose  errichteten,  in  geschriebene 
Oesetze  gefaßten  Bunde  gegenüber  verheißt  hier  Jeremia  zum 
ersten  Male  einen  neuen  Bund,  der  nicht  äußerlich  auf  Tafeln 
eingegraben,  sondern  innerlich  ins  Herz  hineingemeißelt  wird. 
Seine  Worte  sind  ein  denkwürdiger  Protest  gegen  Gesetzrollen 
und  Buchreligion.  Mögen  diese  Dinge  auch  in  der  Gegenwart 
zu  Recht  bestehen,  dennoch  sind  sie  minderwertig  und  ver- 
gänglich, und  müssen  in  der  herrlichen  Zukunft  einem  höheren 
Ideale  weichen.  Wenn  die  neue  Zeit  anbricht,  verschwinden 
alle  Satzungen  und  Statuten,  die  den  Menschen  doch  nur 
äußerlich  zwingen.  An  ihre  Stelle  tritt  die  innere  geistige  Er- 
kenntnis Gottes,  die  weder  auf  Buchstaben  noch  auf  Belehrung 
beruht.  Dazu  muß  der  Mensch  von  Grund  auf  umgewandelt 
werden,  und  diese  Umwandlung  führt  der  Prophet  zurück  auf 
einen  neuen  Bund,  während  spätere  Schriftsteiler  von  einem 
neuen  Herzen  oder  Geiste  reden  (Ez.  11 19.  3626.  Ps.  51 12). 

Sehen  wir  zunächst  einmal  von  dem  Bunde  ab,  so  finden 
wir  denselben  Gedanken,  daß  die  Menschen  der  Heilszeit  voll- 
kommen  sind,  auch  anderswo.     Z.  B.  Jes.  11 9:   Nicht  handelt 


1.  Lies  D'an-i'o  ratös  sV  Giesebrecht. 


Die  Umwandlung  des  Menschen.  205 

an  böse  noch  verderbt  auf  meinem  ganzen  heiligen  Bergland 
(=  Jes.  6025).  Denn  voll  ist  das  Land  von  Erkenntnis  Jahves^ 
wie  Wasser  das  Meer  bedecken  (=  Hab.  2i4).  Wenn  der  Er- 
löser aus  Zion  kommt  und  den  Abfall  aus  Jakob  entfernt^ 
schließt  Jahve  einen  Bund  mit  ihm:  Mein  Geist,  der  auf  dir 
ist,  und  meine  Worte,  die  ich  in  deinen  Mund  gelegt,  nicht 
werden  sie  weichen  aus  deinem  Munde,  aus  dem  Munde  deines 
Samens  und  aus  dem  Munde  des  Samens  deines  Samens  vorir 
nun  an  bis  in  Ewigkeit  (Jes.  59  21).  Die  Israeliten  werden 
nicht  nur  fromm  1,  sondern  sie  werden  auch,  wie  Joel  3iff.  in 
grotesker  Weise  ausführt,  insgesamt  zu  Propheten:  Und  darnach 
will  ich  meinen  Geist  über  alles  Fleisch  ausgießen,  und  eure 
Söhne  und  Töchter  sollen  weissagen,  eure  Greise  sollen  Träume 
haben,  eure  Jünglinge  Gesichte  sehen.  Und  auch  über  die 
Knechte  und  Mägde  will  ich  in  jenen  Tagen  meinen  Geist  aus- 
gießen. Diese  Hoffnung  eines  Epigonen  (Giesebeecht)  stammt 
aus  einer  Zeit,  wo  Ekstasen,  Träume  und  Gesichte  selten  waren 
und  wo  man  sie  allen  Menschen,  selbst  den  Dienstboten,  an- 
wünschte. Ebenso  wie  die  Psyche  wird  auch  die  Physis  des 
eschatologischen  Menschen  verändert.  Die  Langlebigkeit  der 
Urzeit  kehrt  wieder.  Wer  jung  stirbt,  wird  als  Hundertjähriger 
dahingerafft  (Jes.  6620.  Zach.  84).  Auch  diese  Idee  erklärt  sich 
aus  der  Anschauung  vom  Paradiese.  Im  Lande  der  Götter 
fühi-t  man  ein  sehges,  sündloses  und  vor  allem  längeres  Leben 
als  hier  auf  Erden,  ja  nach  später  bezeugter,  aber  älterer  Vor- 
stellung hat  der  Tod  überhaupt  kein  Existenzrecht  mehr  in  der 
neuen  Zeit  (Jes.  208). 

Wir  haben  nachgewiesen,  daß  an  manchen  Stellen  unab- 
hängig von  einander  die  Umwandlung  der  Tier-  und  Menschen- 
welt auf  einen  Bund  zurückgeführt  wird.  Dies  Zusammen- 
treffen kann  nicht  zufällig,  sondern  muß  in  der  Natur  der 
Sache  begründet  sein.  Aus  der  Bundesidee  ist  die  genannte 
Umwandlung  nicht  zu  erklären,  jene  ist  also  das  Sekundäre, 
diese  das  Primäre.  Vielmehr  ist  hier,  um  die  aus  der  Idee 
des  Götterlandes  völlig  verständHche  Umwandlung  zu  be- 
gründen, ein  Motiv  aus  dem  Rechtsleben  aufgegriffen.  Die 
Bundschließung    ist  zunächst   ein  juristischer  Akt,    unter   reli- 


1.  Weitere  Stellensammlungen  bei  Schultz'^  S.  583  f. 


206      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

giösen  Zeremonien  vollzogen.  Wenn  zwei  Parteien  mit  ein- 
ander streiten,  so  wird  die  Sache  beglichen  durch  einen 
Vertrag,  an  den  beide  Teile  samt  Kind  und  Kindeskindern 
gebunden  sind.  Das  friedliche  Zusammenleben  verschiedener 
Leute,  Stämme  und  Städte,  wir  würden  sagen,  die  Ordnung  in 
einem  E-echtsstaate  beruht  auf  dem  »Bunde«.  Das  ist  nicht 
nur  auf  das  Verhältnis  der  Staaten  unter  einander,  sondern 
auch  vom  Mikrokosmos  auf  den  Makrokosmos  übertragen.  Die 
Frage:  Wie  kommt  es,  daß  Menschen,  Tiere,  ja  die  ganze 
Natur  bestimmten  Gesetzen  Untertan  sind?  wird  beantwortet 
durch  die  Idee  des  Bundes.  Der  Gedanke  des  abstrakten 
Naturgesetzes  ist  nicht  erreicht;  die  Regelmäßigkeit  der  Er- 
scheinungen erklärt  man  sich  durch  einen  Vertrag,  auf  den  sich 
alle  Naturwesen  verpflichtet  haben.  Man  darf  nicht  weiter 
fragen,  wie  dieser  Vertrag  zustande  gekommen  ist.  Die  Volks- 
mythologie ist  fragmentarisch.  Sie  begnügt  sich,  eine  Einzelheit 
zu  konstatieren,  ohne  sie  genauer  auszuführen.  Wenn  die  Sonne 
das  Auge  eines  Gottes  ist,  so  kümmert  sich  das  Volk  nicht 
weiter  darum,  wo  nun  die  Hand  sein  mag.  So  wird  man  sich 
anfangs  darauf  beschränkt  haben,  von  einem  Bunde  der  Gott- 
heit mit  Menschen  und  Tieren  zu  sprechen.  Wenn  Jahve 
(nach  Jer.  8820. 25)  einen  Bund  hat  mit  Tag  und  Nacht,  so 
liegt  hier  eine  »starke  Abgebrauchtheit  der  Bundes  Vorstellung« 
vor  (Giesebkecht).  Spätere  Schriftsteller,  die  über  diese  Idee 
bereits  reflektieren,  wissen  dann  von  einem  Eide  zu  erzählen, 
den  die  Dinge,  z.  B.  die  Sterne,  der  Gottheit  geschworen  haben 
(IHen.  69 160'.).     Die  alte  Zeit  denkt  naiver. 

Die  Übertragung  der  Bundesidee  vom  Mikrokosmos  auf 
den  Makrokosmos  ist  als  ursprünglich  israehtisch  nicht  zu  be- 
greifen. Denn  sie  setzt  ein  Interesse  an  der  Kosmologie  vor- 
aus, das  die  Israeliten  kaum  je  gehabt'  haben.  Die  Ahnung 
der  Naturgesetze  kann  nur  in  einem  Volke  entstanden  sein,  das 
wissenschafthche  Beobachtungen  anstellte  und  wissenschaftliches 
Denken  besaß.  Beides  fehlte  den  Israeliten.  Wir  müssen  zu- 
frieden sein,  den  außerisraelitischen  Ursprung  dieser  Anschauung 
zu  behaupten,  da  sich  nichts  Näheres  über  die  Herkunft  aus- 
machen läßt. 

Die  Fessel  des  Bundes  (Ez.  20 37),  die  den  Menschen,  Tieren 
und  Dingen  der  neuen  Zeit  angelegt  wird,  ist   das  Gegenbild 


Der  neue  Bund.  207 

zu  der  vorhergehenden  Auflösung  des  Bundes  und  Entfesselung 
der  Naturgewalten  am  Ende  der  Tage.  Wenn  Israel  getadelt 
wird,  weil  es  den  Bund  gebrochen  habe  (Jer.  llio.  142i.  Ez.  447), 
so  ist  das  ohne  weiteres  verständlich.  Denn  die  Sünde  des 
Volkes,  um  derentwillen  es  gestraft  wird,  gilt  als  eine  Über- 
tretung des  Bundes,  den  Jahve  mit  ihm  am  Sinai  geschlossen 
hat.  Auffälhger  ist  das  Wort  Jahves:  Und  ich  nahm  meinen 
Stab:  Huld,  und  zerbrach  ihn,  um  meinen  Bund  zu  vernichten, 
den  ich  mit  allen  Völkern  geschlossen  habe  (Zach.  11  lo).  Aus 
der  uns  geläufigen  Vorstellung  vom  Bunde,  der  speziell  zwischen 
Jahve  und  Israel  stattgefunden  hat,  ist  das  nicht  begreiflich. 
Mit  allen  Völkern  hat  Jahve  nach  israelitischer  Anschauung 
nie  einen  Bund  gehabt.  Hier  wirkt  die  außerisraelitische  Idee 
nach,  die  alle  Ordnung  unter  den  Menschen  und  in  der  Welt 
überhaupt  auf  das  Bestehen  eines  Bundes  zurückführt.  Wird 
er  aufgehoben,  so  beginnt  ein  allgemeiner  Wirrwar,  eine  Un- 
ordnung, die  zum  Kampf  aller  gegen  alle  und  zur  endlichen 
Weltkatastrophe  hinüberleitet.  Dieser  Bund  ist  von  dem  mosa- 
ischen gewöhnhch  unterschieden  durch  das  Beiwort  ewig,  da  er 
aus  der  Urzeit  stammt:  Es  trauert,  verfällt  die  Erde,  verwelkt, 
verfällt  die  Welt,  verwelkt  der  Himmel  samt^  der  Erde,  da  die 
Erde  entweiht  ist  unter  ihren  Bewohnern.  Denn  sie  übertraten 
die  Gesetze,  überschritten  die  Satzung,  brachen  den  ewigen  Bund 
(Jes.  24 4f).  Hier  wird  der  Bund  durch  die  Menschen,  an  der 
vorher  zitierten  Stelle  durch  Jahve  gelöst.  Beides  ist  im  Grunde 
dasselbe,  obwohl  die  ursprüngliche  Idee  damals  schon  nicht 
mehr  klar  gewesen  sein  mag:  Alle  Ordnung  hört  auf.  Soll  sie 
wiederhergestellt  werden,  so  muß  am  Anfang  der  neuen  Welt 
ein  neuer  Vertrag  geschlossen  werden,  auf  den  Gottheit  und 
Menscheit,  ja  auch  die  Natur  sich  verpflichtet.  Später  redet 
man  zwar  noch  von  dem  neuen  Bunde,  aber  der  ursprüngliche 
Sinn  ist  umgebogen  worden,  wie  im  Vorhergehenden  ausgeführt  ist. 

§  19.    Die  Umwandlung  der  Natur. 

H.  Usener:  Milch  und  Honig  (im  Kheinischen  Museum  für  Philo- 
logie N.  r.  Bd.  57)  S.  177ff.  B.  Stade:  Ein  Land,  wo  Milch  und 
Honig  fließt  (ZATW.  1902)  S.  321  ff.  J.  Goldziher:  Milch  und  Honig 
(Mitteilungen  des  Deutschen  Palästinavereins  1903)  S.  73 f. 


1.  Lies  uy  a^i'a  Gunkel. 


208      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Neben  der  Umwandlung  der  Menschen  und  Tiere,  die 
bereits  im  vorigen  Paragraphen  besprochen  ist,  geht  eine  völlige 
Veränderung  der  Natur  in  der  neuen  Zeit  vor  sich.  Hier 
lassen  sich  zwei  Schemata  unterscheiden,  deren  Inhalt  in  mannig- 
facher Weise  variiert. 

Das  erste  lautet:  Palästina  wird  durch  die  Katastrophe 
zu  einer  Wüste  gemacht.  In  der  Heilszeit  wird  das  verwüstete 
Palästina  wieder  fruchtbar  werden.  Beide  Glieder  dieses 
Schemas  korrespondieren  mit  einander,  obwohl  sie  meist  nicht 
mit  einander  verbunden,  sondern  von  einander  getrennt  sind. 
Die  Verödung  des  Landes,  dessen  grausige  Einsamkeit  oft  in 
typischer  Art  durch  das  Überhandnehmen  wilder  Tiere  ge- 
schildert wird  (vgl.  0.  S.  90  f.),  ist  ein  so  beliebtes  Thema  der  pro- 
phetischen Rede,  daß  nicht  näher  darauf  eingegangen  zu  werden 
braucht.  Zwei  Beispiele  dürften  zur  Illustration  genügen:  Und 
geschehen  wird  es  an  jenem  Tage,  man  hält  eine  kleine  Kuh  und 
zwei  Schafe  ....  Jeder  Ort,  tco  tausend  Rebstöcke  für  tausend 
Silberlinge  stehen,  wird  den  Dornen  und  Disteln  zu  teil .  .  .  Und 
alle  Berge,  die  mit  der  Hacke  behackt  werden,  nicht  kommt  man 
dahin  aus  Furcht  vor  Dornen  und  Disteln,  und  dienen  wird 
es  zur  Austreibung  des  Stieres  und  zur  Zertretung  des  Schafes 
(Jes.  72iff.).  Das  Charakteristikum  der  Wüste  sind  Dornen  und 
Disteln.  Das  Land  verödet,  die  Einwohner  verarmen.  Man  be- 
gnügt sich  mit  einer  kleinen  Kuh  und  zwei  Schafen.  Die  Speise 
des  Nomaden  ist  die  einzige  Nahrung,  Getreide  und  Weinbau, 
die  Bestellung  des  Ackers  hört  auf.  Zittert,  ihr  Sorglosen,  bebt, 
ihr  Vertrauensseligen,  zieht  euch  nackt  aus,  umgürtet  die  Lenden, 
schlagt  auf  die  Brüste^,  über  die  Felder  der  Lust,  den  frucht- 
tragenden Weinstock,  über  den  Acker  meines  Volkes,  der  in 
Dornen  und  Disteln  aufgeht,  ja  über  alle  wonnigen  Häuser  der 
lustigen  Stadt,  Denn  der  Palast  ist  verlassen,  der  Stadtlärm 
verödet,  Hügel  und  Warte  ist  geworden  zur  Blöße^  auf  immer, 
zur  Wonne  der  Wildesel,  zur  Weide  der  Herden  (Jes.  32iiff.). 
Die  Weiber  sollen  die  Totenklage  anstimmen  über  die  Trümmer 
Jerusalems  und  des  Landes. 

Diese   Schilderungen   sind   verständlich   aus   dem   Glauben 


1.  Vgl.  die  Kommentare. 

2.  Lies  n-i^'o  und  vgl.  Duhm. 


Die  Umwandlung  Palästinas.  209 

der  Propheten  an  die  Vernichtung  Israels  durch  die  Invasion 
eines  fremden  Feindes.  Als  korrespondierendes  Gegenstück 
sind  die  Gedichte  zu  betrachten,  die  die  künftige  Fruchtbarkeit 
Palästinas  ausmalen:  Und  dann  an  jenem  Tage  will  ich  will- 
fahren^  spricht  Jahve,  will  ich  willfahren  dem  Himmel,  und  der 
wird  der  Erde  tvillfahren,  und  die  Erde  wird  dem  Getreide, 
Most  und  Ol  willfahren,  und  sie  werden  Jizreel  (=  Israel)  will- 
fahren (Hos.  223f.).  Derselbe  Gedanke  wird  Jes.  42  so  wieder- 
gegeben: Und  an  jenem  Tage  wird  gereichen  der  Sproß  Jahves 
zur  Zierde  und  zur  Ehre,  und  die  Frucht  des  Landes  zur 
Hoheit  und  zum  Schmuck  den  Entronnenen  Israels.  Der  Sproß 
Jahves  (mn*^  ^'^^)j  der  hier  in  Parallele  mit  der  Frucht  des 
Landes  steht,  muß  mithin  dasselbe  besagen.  Diese  Benennung 
des  Getreides  stammt  wohl  aus  der  kanaanäischen  Religion  und 
lautete,  wie  man  vielleicht  vermuten  darf,  ursprünglich  b^n  nü32. 
Was  die  Erde  sprossen  läßt,  gilt  als  eine  Gabe  des  Baal. 

An  anderen  Stellen  nun  sind  mit  der  Schilderung  der 
künftigen  Fruchtbarkeit  Palästinas  eigenartige  Züge  verknüpft, 
die  nicht  ohne  weiteres  verständlich  sind.  Beachten  wir  zu- 
nächst, wie  von  den  Prosaikern  als  Lohn  der  Gottesfurcht  und 
Tugend  eine  Segenszeit  verheißen  wird:  Wenn  ihr  diese  Rechte 
gehorsam  befolgt,  ....  wird  er  deine  Leihesfrucht  und  deine 
Feldfrucht,  dein  Getreide,  deinen  Most  und  dein  Öl,  den  Wurf 
deiner  Binder  und  die  Tracht  deines  Kleinviehs  in  dem  Lande 
segnen  (Dtn.  7 12  vgl.  28 sf.)  oder:  ....  50  will  ich  euch  jedesmal 
zur  rechten  Zeit  Regen  senden,  daß  der  Boden  seinen  Ertrag 
gebe,  und  die  Bäume  auf  dem  Felde  ihre  Früchte  tragen;  da 
soll  sich  hei  euch  die  Dreschzeit  bis  zur  Weinlese  hinziehen  und 
die  Weinlese  bis  zur  Saatzeity  daß  ihr  Brot  in  FiUle  zu  essen 
habt  (Lev.  26  4f.).  Alle  diese  Verheißungen  setzen  keine  Wunder 
voraus,  sondern  halten  sich  innerhalb  der  Schranken  des  Mög- 
lichen, genauer  des  Bestmöglichen,  ebenso  wie  die  beiden  obigen 
Beispiele  aus  den  eschatologischen  Weissagungen.  Anders 
lautet  Am.  9 13:  Denn,  siehe,  Tage  kommen,  sagt  Jahve,  da 
reiht  sich  der  Pflüger  an  den  Schnitter  und  der  Trauhenkelterer 
an  den  Säemann,  da  werden  die  Berge  von  Most  triefen  und 
alle  Hügel  fließen.  Und  Jo.  4i8:  An  jenem  Tage  werden  die 
Berge  von  Most  triefen  und  die  Hügel  von  Milch  fließen.  Aus 
den   Zusammenhängen,   in    denen    diese  Verse    stehen,    erhellt, 

Forschungen  zur  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  n.  NT.  6.  14 


210     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

daß  die  künftige  Fruchtbarkeit  auf  Palästina  beschränkt  bleiben 
soll.  Man  könnte  nun  das  Triefen  der  Berge  von  Most  und 
das  Überfließen  der  Berge  von  Milch  für  einen  prophetisch-über- 
schwänghchen  Ausdruck  erklären,  der  nur  das  ungeheure  Ge- 
deihen anschauhch  illustrieren  soll.  Die  Schriftsteller,  die  uns 
diese  Worte  überliefert  haben,  werden  sie  sicher  in  diesem  Sinne 
aufgefaßt  haben,  aber  damit  ist  die  Entstehung  dieser  Bilder 
noch  nicht  deutlich.  Das  Bild  der  von  Most  triefenden  Berge 
kann  schwerlich  begriffen  werden  aus  der  orientalischen  Phan- 
tasie, als  ob  sie  angeregt  wäre  durch  die  auf  den  Bergen 
wachsenden  Bebstöcke,  da  die  Phantasie  in  ganz  anderer  Weise 
arbeitet.  Das  zeigen  die  milchtriefenden  Hügel,  die  aus  einer 
Naturanschauung  schlechterdings  nicht  erklärt  werden  können. 
Die  Bilder  verlieren  alles  AuffäUige,  wenn  es  Mythen  oder 
mythische  Vorstellungen  gab,  wonach  die  Gottheit  oder  eine 
Gottheit  Milch  aus  den  Bergen  oder  aus  der  Erde  überhaupt 
hervorzuzaubern  vermochte.  Aus  dem  Alten  Testamente  kennen 
wir  nur  eine  Anspielung  auf  solche  Geschichten.  Dtn.  32 13 
heißt  es:  Er  (Jahve)  ließ  ihn  (Israel)  dahinfahren  auf  den 
Höhen  der  Erde  und  ließ  ihn  genießen^  die  Früchte  des  Feldes. 
Er  ließ  ihn  Honig  saugen  aus  dem  Felsen  und  Öl  aus  Kiesel- 
gestein. Man  hat  hier  daran  erinnert,  daß  es  in  den  felsigen 
Schlupfwinkeln  z.  B.  der  Wüste  Juda  noch  heute  viel  Honig 
gibt,  daß  die  Ölbäume  auf  den  Bergen  Palästinas  wild  wachsen 
und  daß  das  Öl  in  Keltern  getreten  wurde,  die  meist  in 
den  Felsen  gehauen  waren.  Aber  damit  ist  diese  Stelle 
nicht  erklärt.  Welche  Anknüpfungspunkte  in  der  Natur  finden 
sich  denn  für  die  milchtriefenden  Berge?  Aus  Felsen  und 
Kieselgestein  sprudelt  uns  sterblichen  Menschen  das  Wasser 
der  Quelle,  und  nur  im  Märchen  oder  Mythus  fließt  statt  dessen 
Honig  und  Öl,  von  der  gütigen  Fee  oder  der  Gottheit  hervor- 
gezaubert. Beachtenswert  ist  die  Art  der  Eingangsworte:  Hier 
sind  die  Dinge,  die  sonst  von  der  Gottheit  ausgesagt  werden, 
auf  Israel  übertragen.  Einem  Gotte  gleich  schreitet  Israel 
dahin  über  die  Höhen  der  Erde  (vgl.  Am.  4 13.  Mch.  I3)! 
Vielleicht  liefen  in  Israel  oder  noch  früher  in  Kanaan  ähnhche 
Geschichten   imi,    wie    wir   sie    aus  Griechenland   hören:    »Die 


1.  Lies  in^-'ss"^  mit  LXX. 


Milch  und  Honig.  211 

Gegenwart  des  Dionysos  auf  Erden  äußert  sich  neben  anderen 
Wundern  dadurch,  daß  von  selbst  Milch  und  Honig  fließt,  um 
die  Durstenden  zu  laben.  Von  Milch  fließt  der  Boden  und 
vom  Nektar  der  Bienen:  so  dünkt  es  den  Bakchantinnen,  wenn 
sie  die  Gegenwart  des  Gottes  fühlen  ....  Schon  bei  der 
Geburt  des  Dionysos  hebt  Philostratos  es  hervor,  daß  die  Erde 
selbst  sich  an  seinem  Schwärmen  beteiligen  werde,  indem  sie 
ihm  gewähre,  Wein  aus  Wasserquellen  zu  schöpfen  und  Milch 
wie  aus  Brüsten  bald  aus  einer  Ackerscholle,  bald  aus  einem 
Felsen  zu  ziehen  ....  Aus  dem  sprödesten  Stoff  vermag  der 
Gott  das  süße  Naß  hervorzuzaubern«  (Usenee  S.  177).  Vor- 
stellungen, die  mit  diesen  griechischen  Mythen  zwar  nicht 
identisch,  wohl  aber  ihnen  verwandt  sind,  müssen  auch  da  ge- 
herrscht haben,  wo  man  glaubte,  die  Berge  würden  von  Milch 
triefen.  Die  Form,  in  die  Amos  und  Joel  ihren  Gedanken 
kleiden,  ist  längst  vor  ihnen  geprägt,  und  ein  Streit  um  die 
Priorität  des  einen  vor  dem  anderen  ist  hier  überflüssig  i.  Beide 
haben  ihre  Züge  einem  bereits  vorhandenen  Stil  entlehnt. 
Dieser  Stil  besteht  darin,  den  Anbruch  einer  neuen  Zeit  mit 
den  Farben  des  Götterlandes  zu  schildern. 

Milch  und  Most,  oder  wie  es  gewöhnlich  heißt,  Milch  und 
Honig  sind  Göttergaben  und  gehören  zu  den  Dingen  des  Götter- 
landes. Das  geht  erstens  aus  den  Pseudepigraphen  hervor: 
Denn  die  allesgehärende  Erde  wird  den  Sterblichen  geben  die 
beste  unermeßliche  Frucht  von  Korn,  Wein  und  Ol;  aber  vom 
Himmel  herab  lieblichen  Trank  süßen  Honigs,  .  .  .  und  die  Erde 
wird  hervorbrechen  lassen  süße  Quellen  weißer  Milch  (Sib.  HI 
744ff.).  Der  Honig,  der  aus  dem  Himmel  stammt,  ist  die  Speise 
der  Götter  (Usener).  Aber  die  heilige  Erde  der  Frommen  allein 
wird  alles  dies  hervorbringen,  als  Naß  Honig  träufelnd  vom 
Felsen  und  von  der  Quelle,  und  ambrosische  Milch  wird  fließen 
allen  Gerechten  (Sib.  V  281ff.).  Darum  findet  man  dies  köst- 
HcheNaß  auch  im  Paradiese:  Und  es  gehen  hervor  zwei  Quellen, 
welche  fließen  lassen  Honig  und  Milch,  und  ihre  Quellen  lassen 
fließen  Ol  und  Wein,  und  sie  teilen  sich  in  vier  Teile  und  um- 
gehen mit  stillem  Lauf,  und  sie  gehen  herab  in  das  Paradies 
Edems,  zwischen  Verweslichkeit  und  ünverweslichkeit  (H.Hen.Söf.). 


1.  Übrigens  ist  Amos  9i3  nach  Jo.  4i8  zu  korrigieren. 

14* 


212    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Zweitens  hat  üsener  durch  viele  klassische  Belege  gezeigt,  »daß 
zu  den  Vorstellungen,  womit  das  Götterland  und,  was  damit 
wesensgleich  ist,  der  Aufenthalt  der  Seligen,  das  Paradies  oder 
der  Ort  des  goldenen  Zeitalters,  ausgestattet  wurde,  seit  alters 
auch  gehörte,  daß  es  ein  Land  sei,  wo  Milch  und  Honig  fließt. 
Damm  kündigt  sich  durch  dies  Wunder  der  Gott  an,  der  durch 
seine  Gegenwart  den  Himmel  auf  Erden  zaubert,  Dionysos« 
(S.  192).  Durch  die  schon  dem  Jahvisten  geläufige  Bezeichnung 
Palästinas  als  des  Landes,  wo  Milch  und  Honig  fließt  (Ex.  3  8. 17. 
135.  333.  Lev.  2O24.  Jer.  II5.  3222.  Ez.  206.  15  u.  a.),  wird 
diese  Vorstellung  als  altisraelitisch  erwiesen  1. 

Die  Sehnsucht  des  Menschen  denkt  sich  begreiflicher  Weise 
den  Himmel  als  einen  märchenhaft  schönen  Ort,  wo  es  unter 
anderem  auch  wunderbare  Speisen  wie  Ambrosia  und  Nektar 
und  herrhche  Nahrung  gibt.  Je  nach  dem  Klima,  in  dem  der 
Antike  lebt,  wird  er  das  Götterland  mit  den  verschiedenen  Ge- 
nüssen ausstatten,  die  er  kennt.  Nun  wird  man  Milch  und 
Honig  als  Speisen  wohl  fast  überall  geschätzt  haben,  sodaß  es 
von  hieraus  schwer  ist  zu  entscheiden,  ob  diese  Ausmalung  des 
Paradieses  ursprünglich  israelitisch  ist  oder  nicht.  Die  alt- 
israelitischen Paradieserzählungen   wissen   nichts  von 


1.  Es  ist  wichtig  zu  betonen,  daß  diese  Phrase  in  den  Urmythen 
und  Patriarchensagen  fehlt.  »Sie  taucht  mit  der  Ausführung  aus 
Ägypten  auf  und  steht  in  den  Pentateuchquellen  wie  in  den  zitierten 
Stellen  der  Bücher  Jeremia  und  Ezechiel  immer  in  Beziehung  zu  dieser 
Situation«  (Stade).  Kanaan  wird  damit  als  das  Götterland  der  Wüste 
gegenübergestellt.  Diesen  Sinn  muß  die  Benennung  ursprünglich  einmal 
gehabt  haben,  er  ist  aber  verloren  gegangen.  Das  Land,  wo  Milch  und 
Honig  fließt,  ist  weiter  nichts  als  ein  technischer  Ausdruck  für  das 
»Land  der  Verheißung«.  Nirgends,  wo  er  uns  im  Alten  Testamente  be- 
gegnet, ist  er  mehr  lebendig.  Aber,  so  viel  ist  doch  sicher,  er  muß 
es  einmal  gewesen  sein.  Fragen  wir:  Wo?  so  kann  die  Antwort  lauten: 
in  der  mündlichen  Überlieferung  oder  in  verlorenen  Liedern  einer  älteren 
Zeit.  Eine  Einwanderung  der  Phrase  im  8.  oder  7.  Jahrhundert  (Stade) 
ist  unmöglich,  da  grade  um  diese  Zeit  der  technische  Sinn  bereits 
nachweisbar  ist.  Man  denkt  nicht  mehr  dabei  ans  Götterland,  man 
verwendet  den  Ausdruck  nicht  mehr  bei  den  Paradieserzählungen,  son- 
dern er  ist  beschränkt  auf  Kanaan,  das  Land  der  Verheißung.  So  ist 
es  begreiflich,  daß  man  auch  die  eschatologischen  Eedewendungen  von 
»Milch  und  Honig«  nicht  versteht,  sondern  beinahe  ins  Gegenteil  ver- 
dreht (s.  0.}. 


Milch  und  Honig.  213 

Milch  und  Honig,  und  das  ist  wohl  zu  beachten.  Einen 
besseren  Prüfstein  aber  haben  wir  am  Kultus.  Als  typische 
Götterspeise  gilt  in  Israel  weder  Milch  noch  Honig, 
sondern  Blut  und  Fett.  Denn  nur  diese  Dinge  spendete  man 
der  Gottheit.  Milch  wurde  bei  den  Israeliten  überhaupt  nicht 
zu  Libationen  verwendete  Die  Darbringung  des  Honigs  ist, 
wie  man  aus  Ez.  16 19.  Lev.  2 11.  II.  Chr.  31 5  schheßen  darf, 
»aus  einem  palästinischen  Kult  in  den  Jahvekult  zeitweihg^  ein- 
gedrungen, aber  wieder  ausgeschaltet  worden«  (Stade).  Wir 
müssen  hier  demnach  mit  einem  fremden  Einfluß  rechnen,  der 
sich  aus  den  folgenden  Erwägungen  noch  wahrscheinlicher 
machen  läßt. 

Jes.  72iff.  wird  eine  Schilderung  des  verödeten  und  ver- 
armten Landes  in  der  eschatologischen  Zeit  (an  jenem  Tage) 
gegeben:  Man  hält  sich  eine  kleine  Kuh  und  zwei  Schafe;  die 
unerschwingUch  teueren  Weinstöcke  verschwinden;  das  ganze 
Land  wird  voll  von  Domen  und  Disteln;  auf  die  Berge,  die  sonst 
dem  Ackerbau  dienen,  treibt  man  Stiere  und  Schafe.  Mitten 
dazwischen  heißt  es:  Denn  Sahne  und  Honig  wird  essen  jeder 
Übriggebliebene  im  Lande  (V.  22).  Im  jetzigen  Zusammen- 
hange können  Sahne  und  Honig  nur  die  Speise  des  Nomaden 
bedeuten  und  als  Zeichen  derArmut  aufgefaßt  werden.  Das 
ist  sehr  auffällig;  denn,  wie  wir  im  Vorhergehenden  gesehen 
haben,  hat  das  Land,  in  dem  Milch  und  Honig  fließt,  allezeit 
und  mit  Recht  als  ein  Typus  des  Reichtums  gegolten,  einerlei 
woher  die  besprochene  Redensart  stammen  mag.  Überdies  ist 
auch  für  den  Beduinen  Milch  und  Honig  keineswegs  die  all- 
tägHche,  kärghche  Nahrung  und  keineswegs  für  ihn  charakte- 
ristisch, sondern  auch  ihm  dient  die  Kombination  von  Milch 
und  Honig  (oder  Honig  und  Wasser)  »zur  Bezeichnung  des 
Überflusses«  (Goldzihbb).  Schon  einem  Glossator  kam  der 
jesajanische  Text  sehr  unwahrscheinlich  vor.  Er  glaubte,  we- 
nigstens die  Sahne  anders  erklären  zu  müssen,  als  es  der  Zu- 
sammenhang fordert,  und  fügte  dämm  hinzu:  Und  geschehen 
wird  es,  ob  der  vielen  geronnenen  Milch  ißt  man  Sahne  (Y.  22). 


1.  Doch  vgl.  W.  K.  Smith  S.  167  Anm.  327  zu  Ex.  23 19.  3426. 

2.  Über  die  anderslautende  Notiz   des  Theophrastos  vgl.  Büchler 
ZATW  XXII  S.  202  ff. 


214    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Damit  ist  er  dem  alten  Sinn  um  ein  gut  Stück  näher  gerückt, 
wenn  er  ihn  auch  nicht  ganz  getroffen  hat.  Man  sieht,  der 
Zug  stand  fest,  die  Überlieferung  war  gegeben:  »Die  Übrig- 
gebliebenen der  neuen  Zeit  essen  Honig  und  Sahne«.  Die 
Späteren  verstanden  ihn  nicht  mehr,  sie  suchten  sich  damit  ab- 
zufinden, indem  sie  ihn  umdeuteten,  bald  so  bald  anders.  Für 
uns,  die  wir  die  Parallelen  überschauen,  kann  die  ursprüngUche 
Meinung  nicht  zweifelhaft  sein.  Wenn  die  Übriggebliebenen 
Sahne  und  Honig  essen,  so  sollen  sie  dadurch  als  Teilnehmer 
am  Göttermahle  dargestellt  werden.  Aus  Jes.  256  haben  wir 
bereits  (vgl.  o.  S.  134)  dieselbe  Anschauung  kennen  gelernt,  nur 
sind  hier  die  ausländischen  Speisen  des  Mythus  durch  inländische 
ersetzt  worden.  Sahne  und  Honig  sind  durch  Fettspeisen  und 
Hefenweine  verdrängt. 

Wer  den  göttlichen  Trank  trinkt  und  die  göttliche  Nah- 
rung kostet,  wird  göttlich,  wird  vergottet.  Die  Unsterblichkeits- 
speise, die  sonst  nur  den  Göttern  vorbehalten  ist,  wird  dann 
den  Sterblichen  gereicht  und  macht  sie  unsterblich.  Nach  grie- 
chischem Glauben  kommt  den  »im  glückhchen  Jenseits  woh- 
nenden Geistern  die  Speise  der  Götter  zu.  In  einem  Zauber- 
buche ....  wird  angeordnet:  Nimm  die  Milch  mit  dem  Honig 
und  trink  davon  . . .,  dann  wird  etwas  Göttliches  in  deinem  Herzen 
sein«  (UsENEE  S.  192).  In  Israel  wird  das  zwar  nirgends  gesagt 
und  mag  in  historischer  Zeit  nicht  mehr  behauptet  sein,  ursprüng- 
lich aber  ist  es  als  notwendige  Folge  mit  der  Ursache  gegeben. 
Man  begnügt  sich  später  damit,  die  körperliche  und  geistige 
Vollkommenheit  (vgl.  o.  S.  204)  und  die  Heihgkeit  des  neuen 
Israel  zu  erwarten  (Jes.  43.  62 12.  Jo;  4 17).  Jerusalem  wird  dann 
heißen  die  Stadt  Jahves,  das  Zion  des  Heiligen  Israels  (Jes.  60  u). 
Die  Israeliten  werden  Priester  Jahves  (Jes.  öle)  oder  heiUger 
Same  (Jes.  613)  genannt.  Unreine  dürfen  die  heilige  Stadt  nicht 
mehr  betreten  (Jes.  52 1);  denn  jede  Unreinheit  wird  entfernt 
(Zach.  13iff.).  Ja,  selbst  die  Leichenfelder  und  Totentäler 
(Jer.  31 40),  die  Roßschellen  und  Töpfe  in  Jerusalem  und  Juda, 
die  bis  dahin  in  höchstem  Maße  unrein  waren  1,  werden  dem 
Jahve  der  Heerscharen  geheiHgt  (Zach.  142i).  Zwar  gilt  schon 
das   gegenwärtige  Israel  als   heihg,    aber   doch   nur   in    abge- 


1.  Warum?  weiß  ich  nicht. 


Milch  und  Honig.  215 

schwächten!  Sinne,  die  vollkommene  Heiligung,  die  bald  mehr 
rituell,  bald  mehr  sittHch  gedacht  wird,  geschieht  erst  am  Tage 
Jahves. 

Jes.  7 15  endhch  heißt  es  von  der  Nahrung  des  Immanuel: 
Saline  und  Honig  wird  er  essen,  um  die  Zeity  wo  er  weiß, 
das  Böse  zu  verschmähen  und  das  Gute  zu  wählen.  Wiederum 
haben  wir  frappante  Parallelen  in  der  griechischen  Mythologie: 
»Das  Zeusknäblein  wird  auf  Kreta  durch  Milch  und  Honig 
ernährt.  Dem  kleinen  Dionysos  netzt  Makris,  als  Hermes 
ihr  ihn  gebracht,  die  trockene  Lippe  mit  Honig.  Und  den 
jungen  Achilleus  zieht  Cheiron  mit  Milch,  Mark  und  Honig 
auf«  (ÜSENEß  S.  178 f.).  Jesaja  hat  diese  Nahrung,  wie  aus 
V.  16  und  21  ff.  hervorgeht,  als  Nomadenspeise  gedeutet,  obwohl 
sie  durchaus  nicht  für  den  Beduinen  typisch  ist.  Aus  diesem 
Grunde  müssen  wir  annehmen,  daß  der  besprochene  Zug  ihm 
überliefert  war  und  von  ihm,  vielleicht  absichtlich  (vgl.  §  13 f.), 
vielleicht  unabsichtlich,  ins  Gegenteil  verdreht  worden  ist.  Jeden- 
falls ist-  er  ursprünglich  nicht  für  eine  Schilderung  geschaffen, 
die  bestimmt  war,  die  Verarmung  des  Landes  und  der  Ein- 
wohner zu  zeichnen.  Er  konnte  auch  schwerlich  in  dieser  Weise 
verwandt  werden,  wenn  er  damals  noch  lebendig  war. 

Von  verschiedenen  Gesichtspunkten  aus  sind  wir  dazu  ge- 
drängt, die  Erwähnung  von  Milch  und  Honig  in  den  eschato- 
logischen  Weissagungen  für  außerisraehti sehen  Ursprungs  zu 
halten.  Man  könnte  sich  begnügen,  auf  die  Kanaaniter  zu  re- 
kurrieren, wenn  deren  Religion  als  ein  einheimisches  Gewächs 
zu  betrachten  wäre  und  weiter  keine  Mittel  zur  Rekonstruktion 
der  Geschichte  zur  Verfügung  ständen.  Hier  aber  dürfen  wir 
babylonische  Herkunft  mit  Wahrscheinlichkeit  behaupten.  Denn 
in  Babylonien  galt  Honig  als  Götterspeise  und  dort  spielte  er 
eine  Rolle  im  Kultus.  In  babylonischen  Ritualtexten  wird  häufig 
ein  Gemisch  aus  Honig  und  Dickmilch  genannt,  das  nament- 
lich bei  der  Weihe  neuer  Götterbilder  gebraucht  ward  (KAT^ 
S.  526).  Von  dort  scheinen  der  Ritus  und  die  damit  verbun- 
denen mythischen  Vorstellungen  nach  Arabien,  Palästina,  Ägypten 
und  Griechenland  gewandert  zu  sein. 

Ein  zweites  Schema  lautet:  Die  Wüste  wird  in  einen 
Baumgarten  verwandelte     Es  unterscheidet  sich  von  dem  vor- 

1.  Vgl.  Gunkel:  Genesis-^  S.  31  f. 


216     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

hergehenden  namentlich  darin,  daß  das  korrespondierende  Glied 
fehlt,  d.  h.:  Hier  wird  nicht  Jerusalem  oder  Palästina  oder  sonst 
ein  Ort  vorher  erst  zu  einer  Wüste  gemacht,  sondern  die  Wüste 
ist  bereits  da.  Israel  wird  in  sie  hineingeführt,  und  nun  beginnt 
der  Wechsel  der  Szenerie.  Dies  zweite  Schema  ist  mit  Vor- 
liebe von  Deuterojesaja  benutzt  und  an  vielen  Stellen  behandelt 
worden.  Aus  der  Fülle  der  Belege  mögen  einige  herausgegriffen 
werden:  Ich  will  öffnen  auf  kahlen  Hügeln  Ströme  und  inmitten 
der  Täler  Quellörter,  will  machen  die  Wüste  zum  Wasserhecken 
und  dürres  Land  zu  Wasserquellen,  Ich  will  gehen  in  die  Wüste 
Zeder,  Akazie,  Myrte,  Ölbaum,  will  setzen  in  die  Steppe  Zypresse, 
Ulme  und  Buchshaum  (Jes.  41i8— 20).  Nicht  hohen  sie  gedurstet, 
in  Wüsten  ließ  er  sie  wandern,  Wasser  aus  dem  Felsen  ließ 
er  ihnen  rinnen,  und  spaltete  den  Stein,  daß  die  Wasser 
flössen  (Jes.  48 21).  Denn  in  Freuden  sollt  ihr  ausziehen,  und 
in  Frieden  sollt  ihr  geleitet  werden.  Die  Berge  und  Hügel  sollen 
ausbrechen  vor  euch  her  in  Jubel,  und  alle  Bäume  des  Feldes  in 
die  Hände  schlagen;  statt  Dorngestrüpp  wird  die  Zypresse  wachsen, 
und  statt  Nesseln  wird  die  Myrte  sprießen;  und  es  wird  dem 
Jahve  werden  zum  Buhm  und  zum  ewigen,  unvertilgharen  Zeichen 
(Jes.  55i2f.). 

Psychologisch  kann  diese  Hoffnung  nicht  erklärt  werden. 
Gewiß  mochte  dem  nach  Palästina  Heimkehrenden  der  Zug 
durch  die  Wüste  als  ein  schrecklicher  Gedanke  vor  den  Augen 
stehen,  aber  dui-fte  ihm  nicht  der  Trost  genügen,  Jahve  werde 
ihn  sicher  durch  alle  FährUchkeiten  hindurchgeleiten?  Wozu 
brauchte  er  die  phantastische  Erwartung  auf  eine  Umwandlung 
der  Wüste  in  ein  herrhch-schönes  Land?  Überdies  ist  der  Ge- 
danke mythischer  Natur:  Jahve  wird  erscheinen  und  unter  seinen 
Füßen  quellen  Ströme  aus  der  Erde  und  schießen  Bäume  aus 
dem  Boden  hervor.  Solche  mythischen  Motive  können  nicht 
von  einem  Dichter  des  Exils  zum  ersten  Male  geschaffen,  sie 
können  nur  aus  der  Tradition  übernommen  sein.  Woher  die 
Farben  stammen,  mit  denen  diese  Bilder  gemalt  sind,  erkennt 
man  am  deutlichsten  aus  Jes.  51 3,  wo  der  Verfasser  das  erste 
Schema  benutzt  hat:  Denn  Mitleid  hat  Jahve  mit  Zion,  Mitleid 
mit  all  ihren  Trümmern,  und  er  wird  machen^  ihre  Wüste  wie 


1.  Lies  üv-'i  DuHM. 


Die  Verwandlung  der  Wüste.  217 

Eden  und  ihre  Steppe  wie  Jahves  Garten.  Es  heißt  nicht  ein- 
fach: Das  Paradies  kehrt  wieder,  sondern  eine  Zeit  kehrt  wieder, 
wo  die  Wüste  oder  das  verwüstete  Jerusalem  göttergleich  sein 
wird.  Hier  hegt  ein  Stil  vor;  die  neue  Zeit,  an  deren  Schwelle 
Deuterojesaja  zu  stehen  sich  bewußt  ist,  wird  mit  den  Farben 
Edens,  des  Götterlandes,  geschildert  i. 

Vergleicht  man  dies  zweite  Schema  mit  dem  ersten,  so 
könnte  man  geneigt  sein,  es  deshalb  für  sekundär  zu  halten, 
weil  das  erste  Glied,  die  Katastrophe,  fehlt.  Dieser  Irrweg  ist 
gefährlich.  Wenn  auch  bestimmte  Schemata  aufzuweisen  sind, 
die  wir  heute  als  Abstraktionen  aus  den  konkreten  Schilderungen 
der  Schriftsteller  entnehmen,  so  muß  man  sich  dennoch  hüten, 
alles  »schematisieren«  zu  wollen,  als  ob  nur  Ein  Schema  vor- 
handen wäre.  Für  die  israelitische  Eschatologie  ist  grade  die 
Fülle  der  Schemata  bezeichnend,  die  neben  einander  herlaufen, 
sich  berühren,  und  die  in  bunter  Mannigfaltigkeit  variieren. 
Neben  der  Theorie:  Palästina  wird  zu  einer  Wüste  und  diese 
Wüste  zu  einem  Fruchtland  gemacht,  steht  die  andere,  eng  ver- 
wandte, aber  doch  etwas  modifizierte:  Die  Wüste  selbst  wird  in  der 
kommenden  Neuzeit  paradiesesgleich  werden.  Von  einer  Kata- 
strophe ist  in  diesem  Zusammenhange  keine  Rede,  sie  darf  auch 
nicht  ergänzt  werden.  Wir  dürfen  sogar  diese  zweite  Theorie 
für  die  ältere  erklären.  Denn  einmal  ist  sie  mythischer  Natur. 
Sie  beruht  im  letzten  Grunde  auf  der  Anschauung  von  der 
Wiederkehr  des  Paradieses.  Und  ferner  wird  auch  die  Wieder- 
herstellung Palästinas,  wenigstens  teilweise,  mit  den  Farben  des 
Paradieses  gemalt.  Nach  der  herkömmlichen  Auffassung  ver- 
läuft die  Entwicklung  der  Heilseschatologie  so,  daß  die  Pro- 
pheten zunächst  eine  in  poetisch  gehobener  Sprache  gehaltene, 
aber  doch  mit  realen  Zügen  ausgestattete  Fruchtbarkeit  Palä- 
stinas verkünden  (erstes  Schema),  daß  aber  später  die  Heils- 
weissagungen einen  immer  stärkeren  mythischen  Anstrich  zeigen 
(zweites  Schema).  Von  dieser  Ansicht  beherrscht,  haben  die 
Exegeten  alle  mythischen  Stellen  aus  den  früheren  Propheten 
gestrichen.  Das  ist  ein  willkürlicher  Gewaltakt.  Die  über- 
lieferten Tatsachen  erklären  sich   nur,   wenn   man   die  beiden 


1.  Deuterojesaja  ist  von  Späteren   vielfach  nachgeahmt.    Vgl.  be- 
sonders Jes.  c.  35. 


218     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Schemata  in  umgekehrter  Reihenfolge  ordnet,  als  es  gewöhnlich 
geschieht.  Es  war  von  Anfang  an  Stil,  den  Anbruch  einer 
neuen,  herrlicheren  Zeit  so  zu  schildern,  als  komme  das  Para- 
dies, das  Götterland  wieder.  Dieser  Stil  läßt  sich  überall  da 
konstatieren,  wo  die  prophetischen  Worte  aus  den  realen  Zeit- 
verhältnissen nicht  verständlich  sind.  Er  hat  sich  gewiß  nicht 
im  Handumdrehen  ausgebildet.  Wenn  wir  ihn  bei  Deutero- 
jesaja  finden,  so  können  Avir  ihn  dort  nur  erklären  im  Anschluß 
an  ältere  Vorbilder.  Zu  seiner  Zeit  muß  es  bereits  Lieder  ge- 
geben haben,  die  von  einer  Wiederholung  der  paradiesischen 
Zeit  sangen.  Im  letzten  Grunde  geht  dieser  Stil  zurück  auf 
eine  klare  eschatologische  Hoffnung,  die  von  der  Wiederkehr 
des  Paradieses  selbst  redete  (Gijnkel).  Sie  ist  im  Alten  Testa- 
mente nirgends  deutlich  ausgesprochen.  Da  sie  mythisch  ist,  muß 
sie  aus  alter  Zeit  stammen  und,  wenn  nicht  im  vorprophetischen 
Volke,  so  außerhalb  Israels  postuliert  werden.  Die  Erwartungen 
der  Propheten  auf  ein  fruchtbareres  künftiges  Palästina  sind  der 
letzte  blasse  Abglanz  des  eschatologischen  Paradieses.  Nur 
einige  Spuren,  die  man  vergebens  zu  beseitigen  sich  bemüht^ 
verraten  das  uralte  mythische  Kolorit. 

Das  bei  Deuterojesaja  vorausgesetzte  Schema:  Israel  muß 
wieder  in  die  Wüste  und  darauf  wird  diese  Wüste  in  ein  Para- 
dies verwandelt,  ist  originell  nur  insofern,  als  der  Verfasser  be- 
stimmt an  die  syro-arabische  Wüste  denkt.  Wie  sehr  er  von 
der  Tradition  abhängig  ist,  kann  man  aus  Hosea  lernen,  der 
zwar  nicht  genau  dieselbe,  aber  doch  eine  verwandte  Anschauung 
ausspricht,  die  nur  aus  demselben  Schema  erklärt  werden  kann: 
Darum  ivill  ich  sie  locken  und  in  die  Wüste  führen  und  ihr 
zu  Herzen  reden ^  und  ich  iveise  ihr  von  dort  aus  ihre  Wein- 
berge an  und  mache  das  Tal  Akor  zur  Pforte  der  Hoffnung; 
da  wird  sie  fügsam  ivie  in  ihrer  Jugend  und  wie  zur  Zeit,  da 
sie  aus  Ägyptenland  zog  (Hos.  2i6f.).  Israel  soll  also  v/ieder 
zurück  in  die  Wüste,  soll  wieder  als  Nomade  umherschweifen 
und  in  Zelten  wohnen  (Hos.  12  lo),  wie  einst  vor  der  Eroberung 
Kanaans.  Von  dort  aus  verheißt  ihm  Jahve  die  Weinberge 
Palästinas,  und  es  kehrt  heim  durch  die  Hoffnungspforte,  das 
Tal  Akor,  wie  damals,  als  es  über  Jericho  seinen  Einzug  hielt 
(Nowack).  Wollen  wir  diese  Erwartung  auf  eine  Formel  brin- 
gen,  so  können  wir  sagen:   Die  Vorzeit  Israels  wiederholt  sich. 


Die  Wiederkehr  des  Paradieses.  219 

Dieser  merkwürdige  Gedanke  ist  aus  den  damaligen  Zeitverhält- 
nissen nicht  erklärlich.  Hosea  konnte  eine  Vernichtung,  eine 
Dezimierung,  eine  Deportation  seines  Volkes  durch  die  Assyrer 
und  Ägypter  fürchten.  Wir  würden  es  verstehen,  wenn  Palä- 
stina in  eine  Wüste  und  diese  Wüste  nachher  in  ein  Frucht- 
land verwandelt  wird.  Aber  wie  in  aller  Welt  sollte  er  auf  die 
Idee  verfallen,  Israel  werde  wieder  in  die  Wüste  gehen  ?  Nowack 
gibt  als  die  Meinung  des  Propheten  an:  »Jahve  erzieht  sie  zur 
Einfachheit,  die  einst  das  aus  der  Wüste  kommende  Israel  kenn- 
zeichnete«. Aber  abgesehen  davon,  daß  das  Nomadenideal  der 
Rekabiter  durchaus  nicht  von  der  Prophetie  rezipiert  war,  wer 
wird  jenen  Gedanken  in  eine  so  wunderliche  Form  kleiden? 
Zu  einer  allegorischen  Auslegung  haben  wir  kein  Recht;  wir 
müssen  die  Worte  so  nehmen,  wie  sie  lauten. 

Eine  Theorie,  die  israelitische  Vorzeit  werde  wiederkehren, 
ist  in  sich  unverständlich.  Denn  die  Geschichte  läßt  sich  nicht 
wiederholen.  Anders  ist  es,  wenn  es  sich  ursprünglich  um  eine 
mythische  Anschauung  handelt,  die  hinterher  durch  geschicht- 
liche Dinge  beeinflußt  und  modifiziert  ist.  Alles  wird  verständ- 
Hch,  sobald  wir  zur  Zeit  Hoseas  die  von  Deuterojesaja  ausge- 
sprochene eschatologische  Vorstellung  voraussetzen:  Israel  muß 
wieder  in  die  Wüste,  und  darauf  verwandelt  sich  die  Wüste  in 
das  Paradies.  Eine  kleine  Verschiebung  trat  dadurch  ein,  daß 
Hosea  speziell  an  die  ägyptische  Wüste  (im  Süden  Palästinas) 
dachte.  Infolgedessen  konnte  er  die  eschatologische  Zeit  mit 
den  Farben  der  mosaischen  malen.  In  Wirklichkeit  gab  es 
also  keine  Theorie  von  der  Wiederkehr  der  mosaischen  Wüsten- 
wanderung, sondern  sie  ist  nur  scheinbar  vorhanden,  weil  Hosea 
die  eschatologische  Wüste  mit  der  ägyptischen  identifiziert  hat. 
Damit  war  notwendig  eine  weitere  Änderung  gegeben:  Jetzt 
wurde  nicht  mehr  die  Wüste  zu  einem  Paradies  gemacht,  son- 
dern man  wanderte  aus  der  Wüste  nach  Kanaan,  in  das  Land 
der  Verheißung,  wo  Korn,  Most  und  Öl  fortan  im  Überfluß  sich 
finden.  Dieselbe  Theorie  läßt  sich  endUch  auch  Ez.  2034ff.  nach- 
weisen: Und  ich  werde  euch  herausführen  aus  den  Völkern  und 
euch  versammeln  aus  den  Ländern,  in  die  ihr  zerstreut  wurdet .  .  . 
und  ich  werde  euch  bringen  zu  der  Wüste  der  Völker  und  werde 
dort  mit  euch  rechten  von  Angesicht  zu  Angesicht.  Wie  ich  mit 
euren  Vätern  in  der  Wüste  des  Landes  Ägypten  gerechtet  habe, 


220     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

so  werde  ich  mit  euch  reckten.  Auch  hier  muß  Israel  wieder 
in  die  Wüste  der  Völker,  die  entweder  identisch  ist  oder  pa- 
rallehsirt  wird  mit  der  ägyptischen  Wüste.  Die  einen  kehren 
heim,  wie  aus  den  folgenden  Versen  hervorgeht,  ins  gelobte 
Land,  die  anderen  dürfen  es  nur  von  ferne  schauen. 

Nicht  nur  im  Zusammenhang  mit  dieser  Theorie,  sondern 
auch  sonst  (vgl.  Hab.  3.  Jes.  1024ff.  llisf.  51 9f.  I.  Bar.  29.  Mech. 
50  b  zu  Ex.  16  25)  hat  die  mosaische  Vorzeit  abgefärbt  auf  die 
eschatologische  Urzeit.  Diese  Tatsache  aber  ist  auf  andere  Weise 
zu  erklären.  Hier  war  der  Anlaß,  beide  Zeiten  mit  einander 
zu  verknüpfen,  nicht  durch  die  Wüste,  sondern  durch  die  Wunder 
gegeben.  Weil  die  Wunder  der  Urzeit  sich  im  kommenden 
Äon  wiederholen  werden,  darum  hat  man  die  Farben  zu  dem 
Wundergemälde  nicht  nur  dem  Tiämatmythus,  sondern  auch 
dem  Durchzug  durchs  Schilfmeer  und  anderen  Geschichten  des 
Exodus  entlehnt. 

Die  eschatologische  Verwandlung  der  Wüste  in  ein  Para- 
dies setzt  eine  neue  Erde  voraus.  Deutlich  gesagt  wird  in 
den  prophetischen  Schriften  das  eine  so  wenig  wie  das 
andere.  Wir  können  nur  vermuten,  daß  der  herausgehobene 
Stil,  der  auf  die  Paradiesvorstellungen  anspielt,  sich  gebildet  hat 
im  Anschluß  an  eine  klare,  fest  ausgeprägte  Eschatologie.  Ein 
solches  Bruchstück  könnte  man  in  Jes.  65 17.  6622  sehen,  wo  es 
zum  ersten  Male  heißt:  Siehe ,  ich  schaffe  einen  neuen  Himmel 
und  eine  neue  Erde.  Aber  über  solche  und  ähnliche  Bruch- 
stücke kommen  wir  im  Alten  Testamente  nicht  hinaus.  Eine 
ausgeführte,  scharf  umrissene  Eschatologie  ist  bei  den  Propheten 
nicht  vorhanden;  sie  darf  als  vollständiges  Ganze  auch  schwer- 
lich im  Volk  behauptet  werden,  wohl  aber  mag  sie  in  der  Fremde 
existiert  haben  und  allmähHch  eingewandert  sein.  Klar  ausge- 
sprochen ist  die  Wiederkehr  des  Paradieses  erst  IV.  Esra  736. 
852.  Sib.  III  769.  I.  Hen.  25.  IL  Hen.  65 10.  L  Bar.  46.  Test. 
Levi  c.  18.  Apk.  Joh.  2?.    (Näheres  bei  Volz  S.  344  ff.  377.) 

Zum  Götterlande  gehört  endlich  nicht  nur  eine  üppigere 
Vegetation,  sondern  auch  eine  hellere  Beleuchtung  und  ein  an- 
genehmeres KHma,  als  es  uns  auf  Erden  beschieden  ist:  Dann 
wird  es  keine  Hitze  mehr  gehen  und  keine  Kälte  noch  Frost, 
und  es  wird  ein  beständiger  Tag  sein,  kein  Wechsel  von  Tag 


Der  höchste  Berg.  221 

und  Nacht^j  und  zur  Zeit  des  Abends  wird  Licht  sein  (Zach. 
14  ef.).  Der  Mond  wird  so  hell  scheinen  wie  die  Sonne,  und 
die  Sonne  noch  siebenmal  glänzender  (Jes.  3026).  Nicht  wird 
dir  ferner  die  Sonne  dienen  zum  Licht,  noch  zur  Helle  der 
Mond  dir  leuchten,  ...  nicht  wird  ferner  untergehen  deine 
Sonne,  noch  dein  Mond  abnehmen;  denn  Jahve  wird  dir  sein 
zum  ewigen  Licht  (Jes.  60i9f.).  Der  blasse  Mond  und  das  Glut- 
licht der  Sonne  wird  erbleichen  vor  der  HerrHchkeit  Jahves 
(Jes.  2423).  Und  es  wird  keine  Nacht  mehr  geben,  und  sie 
brauchen  keine  Leuchter  und  kein  Sonnenlicht;  denn  Gott  der 
Herr  wird  über  sie  leuchten  lassen  (Apk.  Joh.  225  vgl.  2l23f.). 
Auffällig  ist,  daß  in  den  Pseudepigi-aphen  nur  ein  einziges 
Mal  (IHen.  91  le)  von  dem  siderischen  Lichtglanz  der  neuen 
Zeit  geredet  wird.  Im  Alten  Testamente  wird  das  Paradies 
zwar  nicht  als  besonders  strahlend  geschildert,  wohl  aber  führt 
es  Ilflen.  65  lo  das  Beiwort  hell. 


§  20.    Die  mythische  Topographie. 

über  das  himmlische  Jerusalem  vgl.  H.  Gunkel:  Forschungen 
Heft  I  S.  48flF.  und  überhaupt  Genesis^  S.  31fiF. 

Wir  haben  bisher  aus  stiHstischen  Redewendungen  und 
kleineren  Bruchstücken,  die  das  eschatologische  Paradies  be- 
schreiben, einige  allgemeine  Charakteristika  des  künftigen  Götter- 
landes kennen  gelernt.  Dort  gibt  es  keine  wilden  und  reißenden 
Tiere,  keine  sündigen  und  gebrechlichen  Menschen,  keine  baum- 
lose und  wasserleere  AVüste.  Dazu  kommen  nun  noch  einige 
speziell  topographische  Angaben,  die  wir  teilweise  schon  ge- 
streift haben,  die  hier  aber  noch  einmal  im  Zusammenhang  be- 
sprochen werden  müssen. 

Geschehen  wird  es  in  den  künftigen  Tagen:  festgegründet 
wird  sein  der  Tempelberg  Jahves  an  der  Spitze  der  Berge,  so- 
daß  er  erhabener  ist  als  die  Hügel  (Jes.  22  =  Mch  4i).  Das 
Haus  Jahves  der  Heilszeit  wird  also  auf  dem  höchsten  Berge 
liegen.  An  diesem  klaren  Wortlaut  ist  nicht  zu  rütteln.  Daß 
der  Vers  »natürlich  nicht  physisch,  sondern  politisch«  gemeint 
sei,  ist  nicht  wahrscheinHch.     Mit  welchem  Rechte  wird  er  alle- 


1.  Vgl.  die  Kommentare  von  Wellhausen-Nowack. 


222      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

gorisiert?  Oder  ist  die  Allegorese  »selbstverständKch«  ?  Allein 
wenn  es  Ez.  402  heißt,  das  neue  Jerusalem  werde  auf  dem 
höchsten  Berge  sich  erheben,  so  wird  dieser  Satz  von  den 
meisten  Exegeten  wörtHch  verstanden  ebenso  wie  Zach.  14  lo: 
Das  ganze  Land  wird  sich  zur  Ebene  wandeln  von  Geba  bis 
Rimmon  südlich  von  Jerusalem,  dies  aber  wird  hoch  sein. 
Hätten  die  Ausleger  Recht,  so  müßten  Ezechiel  und  Zacharja 
Jes.  22  gröblich  mißdeutet  und  einen  bildlich  gemeinten  Aus- 
druck wörtlich  genommen  haben.  Das  ist  unmöglich.  Ent- 
weder sind  alle  Stellen  allegorisch  aufzufassen,  wofür  nicht  der 
geringste  Anhaltspunkt  vorhanden  ist,  oder  alle  wörtlich,  solange 
sich  ein  irgendwie  denkbarer  Sinn  mit  ihnen  verbinden  läßt. 
Nun  hat  schon  Gunkel  auf  die  treffende  Parallele  vom  höchsten 
Gottesberg  im  Norden  hingewiesen,  auf  dem  nach  Ps.  483  bereits 
das  gegenwärtige  Jerusalem  liegt.  Dorthin  wird  auch  das 
künftige  Zion  verpflanzt,  oder  vielmehr  umgekehrt:  der  Berg 
Zion  wird  zu  dem  höchsten  Gottesberg  gemacht  (vgl.  §  12). 
Diese  Idee  muß,  wie  wir  gezeigt  haben,  ausländischen  Ur- 
sprungs sein. 

Zach.  14io  fügt  einen  neuen  Zug  hinzu:  Die  Umgebung 
Jerusalems  wird  in  eine  Ebene  verwandelt.  Es  gibt  keine 
anderen  Berge  neben  dem  Gottesberge.  Dadurch  wird  seine 
einzigartige  Höhe  noch  besonders  markiert.  Diese  Einzelheit 
stimmt  nicht  zu  Jes.  22  (=  Mch.  4i),  wonach  die  anderen  Berge 
nicht  verschwinden,  sondern  bestehen  bleiben.  Solche  Inkon- 
gruenzen darf  man  nicht  verwischen  oder  ausgleichen.  Denn 
dogmatische  Übereinstimmung  ist  bei  mythischen  Vorstellungen 
nicht  erforderlich.  Die  Idee,  die  wir  aus  Zach,  kennen  lernen, 
ist  schwerlich  schon  Jes.  2i2ff.  vorausgesetzt,  wo  durch  Jahves 
Macht  alles  Ragende  und  Erhabene  gestürzt  wird :  Neben  Zedern, 
Eichen,  Türmen,  Mauern  und  Schiffen  werden  auch  Berge  und 
Hügel  dem  Erdboden  gleichgemacht,  damit  Jahve  allein  hoch 
sei  an  seinem  Tage.  Da  hier  ein  Erdbeben  geschildert  wird, 
so  soll  das  Hinfallen  der  Berge  und  Hügel  nur  die  Gewalt 
der  Naturkatastrophe  veranschaulichen.  Von  einer  Theorie  wie 
bei  Zach,  ist  keine  Rede.  Es  heißt  ja  auch,  daß  Jahve  — 
nicht  der  Berg  Jahves!  —  erhaben  bleibt. 

Wohl  aber  finden  wir  einen  verwandten  Gedanken  bei 
Deuterojesaja.     Er  singt  an  vielen  Stellen  von  der  neuen  Straße, 


Die  Götterstraße.  223 

die  für  Jahve  mitten  durch  die  Wüste  gelegt  werden  soll.  Zu 
diesem  Zweck  wird  jeder  Berg  und  Hügel  sich  senken  und 
jedes  Tal  sich  heben  (Jes.  403f.  42 le.  49 ii).  Spätere  Schrift- 
steller haben  die  Anschauung  von  dem  Wunderwege  nachgeahmt 
und  etwas  verändert  (Jes.  11 16.  1923.  358.  57 14.  62 lo).  Man 
verweist  zur  Erklärung  dieser  Idee  darauf,  daß  »vorher  die 
Straßen  in  Stand  gesetzt  wurden,  wenn  Könige  reisten  (Justin 
2 10.  Arrian  Alex.  430.  Diod.  Sic.  2 13);  so  sollen  dem  Jahve  die 
Wege  geebnet  werden  da,  wo  er  durchziehen  werde«  (Kittel). 
Viel  näher  liegt  es,  an  die  babylonischen  Götterstraüen  zu  er- 
innern z.  B.  an  die  berühmte  Prozessionsstraße  des  Gottes 
Marduk,  die  von  Babylon  nach  Borsippa  führte  und  auf  der 
die  Götterbilder  in  feierHchem  Zuge  durch  Priester  getragen 
wurden  1.  Bei  Deuterojesaja,  der  im  Exil  lebte,  macht  es  keine 
Schwierigkeit,  direkt  babylonischen  Einfluß  anzunehmcD.  Eine 
so  herrliche  Straße  wie  die  babylonischen  Götter  sie  besitzen, 
ja  noch  eine  viel  wunderbarere  wird  Jahve  sich  selbst  bauen, 
wenn  er  an  der  Spitze  seines  Volkes  durch  die  Wüste  nach 
Palästina  heimkehrt.  Ohne  jede  Vermittlung  freilich  konnte 
der  Verfasser  auf  diese  Idee  nicht  verfallen.  Da  ihm  aber, 
wie  wir  gezeigt  haben,  die  Verwandlung  der  Wüste  in  das 
Paradies  ein  aus  der  Tradition  bereits  geläufiger  Gedanke  war, 
so  ist  es  verständhch,  daß  er  die  Götterstraße  dem  Bilde 
einfügte.  Sie  begegnet  uns  später  wieder  in  dem  himm- 
lischen Jerusalem,  der  Gottesstadt,  die  durchquert  wird  von 
einer  Gasse  mit  reinem  Golde  ivie  durchsichtiges  Glas  (Apk. 
Job.  21 21).  Diese  Gasse  ist  nichts  Anderes  als  die  in  den 
Himmel  projizierte  Götterstraße 2. 

Das  Verschwinden  der  Berge  und  Hügel  ist  damit  noch 
nicht  erklärt.  So  hoch  waren  die  Wüstenberge  nicht,  als  daß 
keine  Straße  darüber  hinweg  gelegt  werden  könnte.  Es  scheinen 
bei  Deuterojesaja  zwei  Ideen  mit  einander  verschmolzen  zu  sein. 


1.  GuNKEL  a.  a.  0.  S.  49  Anm.  5.  Auch  bei  den  Ägyptern  gab 
es  solclie  Gotteswege;  vgl.  Adolf  Erman:  Die  ägyptische  Eeligion. 
Berlin  1905.     S.  43. 

2.  GuNKEL  (lenkt  speziell  an  die  Milchstraße,  ohne  einen  stich- 
haltigen Beweis  dafür  zu  liefern.  Einen  Beleg  dafür,  daß  eben  diese 
himmlische  Erscheinung  im  älteren  Orient  als  »Straße«  bezeichnet  sei, 
gibt  er  nicht  und  gibt  es  nicht,  so  viel  ich  weiß. 


224      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

In  dieser  Ansicht  werden  wir  bestärkt  durch  die  Parallele  bei 
Zach.,  wo  die  Verwandlung  der  Berge  in  eine  Ebene  losgelöst 
ist  von  der  Gottesstraße,  und  durch  die  persische  Eschatologie, 
für  die  es  charakteristisch  ist,  daß  es  auf  der  neuen  Erde  keine 
Berge  mehr  geben  sollet  Diese  Vorstellung  muß  entstanden 
sein  in  einem  mit  gewaltigen,  schwer  passierbaren  Bergen  aus- 
gestatteten Lande,  wo  das  Nichtvorhandensein  von  Gebirgen 
als  ein  Vorzug  des  Götterlandes  erscheinen  konnte.  Babylonien 
kann  darum  nicht  ihr  Ursprungsort  sein,  da  dort  überhaupt 
keine  Berge  existieren.  Wohl  aber  konnte  sie  sich  in  Persien 
bilden.  Denn  »in  den  Gebirgsketten,  welche  es  durchziehen, 
sind  Gipfelhöhen  von  mehr  als  5000  Meter  nicht  selten«  (Geiger). 
Man  kann  freilich  auch  auf  Palästina  verweisen.  Grade  Judäa, 
der  südlichste  Teil  des  Westjordanlandes,  »ist  ein  schwer  zu- 
gängliches Gebirge,  wo  die  als  Eingangspforte  dienenden  Täler 
so  eng  und  steil  sind,  daß  sie  von  einer  geringen  Anzahl  Krieger 
verteidigt  werden  können«  (Bühl).  Es  wäre  an  sich  nicht 
unmöglich,  einen  analogen  Ursprung  der  Idee  in  Judäa  wie  in 
Persien  zu  behaupten,  obwohl  die  frappante  Übereinstimmung 
in  einer  so  speziellen  Einzelheit  stutzig  macht.  Die  Zweifel 
mehren  sich,  wenn  man  bedenkt,  daß  die  Vorstellung  zum 
ersten  Mal  in  Verbindung  mit  der  sicher  ausländischen  Idee 
der  Götterstraße  bei  einem  Schriftsteller  des  Exils  auftaucht. 
Deuterojesaja  mag  sie  in  Babylonien  kennen  gelernt  haben, 
wohin  sie  damals  vielleicht  aus  Persien  gewandert  sein  mag. 
Überdies  läßt  sich  bei  jedem  Zuge  der  mythischen  Topographie 
die  fremde  Herkunft  wahrscheinlich  machen. 

Etwas  anders  ist  die  Entstehung  des  Paradiesstromes  zu 
denken.  Für  das  Paradies,  das  dem  Semiten  wie  eine  Oase  in 
der  Wüste  dünkt,  ist  vor  allem  das  Wasser  charakteristisch. 
Denn  ohne  den  Quell  ist  die  Oase  unmöglich.  Je  größer  das 
Paradies  vorgestellt  wird,  desto  mehr  Quellen  und  Ströme  gibt 
es  dort.  Die  Zahl  ist  unbegrenzt.  Erst  später  wird  die  Vierzahl 
bevorzugt,  nachdem  die  Paradiesströme  mit  den  Weltströmen 
kombiniert   sind 2,   die   die   Erde   umfließen,    entsprechend   den 


1.  Bund.  3033.    Plutarch:    De  Isid.   et   Osir.  c.  47.     Vgl.  Böklen 
S.  131  ff.,    der   die    spätjüdisch-christlichen   Parallelen    gesammelt    hat. 

2.  So   jetzt   mit  Eecht    auch   Gunkel   (vgl.  Deutsche  Rundschau 
1904,  S.  61  f.). 


Der  Paradiesstrom.  225 

vier  Himmelsrichtungen.  Wird  das  Paradies  in  den  Himmel 
projiziert,  so  wird  einfach  das  irdische  Bild  mit  allen  Einzelheiten 
dorthin  übertragen.  Die  Phantasie  hat  hier  freien  Spielraum, 
sodaß  man  sinnlich  wahrnehmbare  Äquivalente  nicht  mehr  suchen 
darf.  Man  fabuliert  von  dem  Strom  —  sei  es  im  Himmel  sei 
es  auf  Erden  —  voll  Milch  und  Honig,  Öl  und  Wein  (II  Hen.  6), 
aus  dem  die  Götter  den  unsterblichen  Trank  schöpfen,  von  den 
Schiffen,  die  auf  diesem  Kanal  fahren,  um  die  Seelen  von  der 
Erde  in  den  Himmel  überzusetzen  (Mani),  von  dem  Meer  im 
Osten  und  Westen,  in  das  der  Paradiesstrom  mündet  usw. 
Dies  mythische  Weltmeer  haben  wir  bereits  in  der  israelitischen 
Eschatologie  kennen  gelernt  (§  16).  Mythisch  ist  das  Meer,  in 
dessen  östlicher  Gegend  das  Totental  Gogs  liegt  (Ez.  39  ii), 
das  östliche  und  westliche  Meer,  in  das  der  Nördliche  gestürzt 
wird  (Jo.  22o),  die  Meere  und  der  Berg  der  heiligen  Pracht, 
zwischen  denen  der  König  des  Nordens  fällt  (Dan.  11 45).  Alle 
diese  Aussagen  sind  im  Hinblick  auf  die  Geographie  Palästinas 
absolut  unverständlich  und  müssen  darum  mythischen  Ur- 
sprungs sein.  Der  Zusammenhang  dieses  Meeres  mit  dem 
Paradiess^row  erhellt  besonders  aus  Zach.  148:  Und  dann  an 
jenem  Tage  gehen  lebendige  Wasser  von  Jerusalem  aus,  deren 
eine  Hälfte  zum  östlichen  und  deren  andere  Hälfte  zum  west- 
lichen Meere  läuft,  im  Sommer  und  im  Winter  werden  sie'^  vor- 
handen sein.  Der  Quell,  der  in  Jerusalem  entspringt,  wird 
zum  Strom  und  mündet  auf  beiden  Seiten  in  ein  Meer.  Woher 
diese  Vorstellung  stammt,  ist  hier  nicht  mehr  deutlich  und  ist 
dem  Verfasser  dieser  Verse  schwerlich  bewußt  gewesen,  der  wohl 
an  das  Mittelländische  und  Tote  Meer  gedacht  hat.  Andere 
Züge  desselben  Stückes,  vor  allem  die  Erhebung  Zions  zum 
höchsten  Gottesberge,  lehren  uns,  daß  die  von  Jahve  an  seinem 
Tage  geschaffene  Szenerie  das  Paradies  oder  das  Gottesland 
darstellen  soll. 

Der  hier  genannte  Quell  und  der  Strom,  dessen  Arme 
nach  Ps.  465  die  Gottesstadt  erfreuen,  und  der  Bach,  der  nach 
Jo.  4 18  das  mythische  Akaziental  tränkt,  und  die  Quelle,  die 
sich  öffnet  für  Sünde  und  Unreinheit  (Zach.  13 1),  begegnet 
uns   zum   ersten  Male  Ez.  47 1 — 12.      Unter   der  Schwelle   des 


1.  Lies  t^Tr  Wellhausen. 

ForschtiDgen  znr  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.   6.  15 


226      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Tempels  entspringt  eine  Quelle,  die  nach  Osten  zu  fließt  und 
bald  zu  einem  gewaltigen  Wasser  anschwillt.  Durch  die  Ost- 
mark Judas  gelangt  der  Strom  bis  zum  Toten  Meere  und 
macht  es  gesund,  sodaß  es  fortan  wimmelt  von  Fischen.  An 
den  Ufern  des  Flusses  wachsen  allerlei  eßbare  Bäume,  deren 
Laub  nicht  welkt  und  deren  Früchte  nicht  aufhören.  Ihre 
Früchte  dienen  zur  Speise,  ihr  Laub  zur  Arzenei.  Fragen  wir, 
wo  diese  wunderbaren  Bäume  ursprünglich  zu  Hause  sind,  so 
kann  die  Antwort  nicht  zweifelhaft  sein:  im  Paradiese.  Nur 
im  Götterlande  fließen  so  wunderbare  Lebenswasser,  die  das 
Salzige  süß  und  das  Kranke  gesund  machen  können.  Von 
Ezechiel  sind  diese  Züge  sicher  nicht  in  der  Schreibstube  er- 
dichtet, da  sie  mythischen  Ursprungs  sind.  Er  hat  vielmehr 
aus  einer  Tradition  geschöpft,  die  in  Israel  nicht  autochthon 
sein  kann.  Denn  die  Paradieserzählung  in  Gen.  2  und  3  weiß 
wohl  von  Strömen,  hingegen  nichts  von  einem  Meere,  sei  es 
im  Osten  oder  Westen.  Eine  andere  Frage  ist  die,  ob  Ezechiel 
die  Stoffe  zum  ersten  Male  aus  der  Fremde  übernommen  hat 
oder  ob  er  von  einer  älteren  israelitischen  Volksüberlieferung 
abhängig  ist.  Um  diese  Frage  zu  beantworten,  müssen  wir 
erstens  beachten,  wie  undeutlich,  verblaßt  und  schematisiert 
die  Vorstellungen  sind.  Gewiß  dürfen  wir  ein  gut  Teil  auf 
Kosten  des  eigentümlichen  Geschmacks  dieses  Propheten  setzen, 
aber  die  ursprünglichen  Farben  sind  so  verwischt,  daß  es  wahr- 
scheinHcher  ist,  das  Gemälde  sei  bereits  längere  Zeit  in  Palä- 
stina bekannt  gewesen,  zumal  es  in  Beziehung  zum  Toten 
Meere  gebracht  ist.  Eine  solche  Umdeutung,  wie  sie  hier  voll- 
zogen ist,  geschieht  schwerlich  in  einem  AugenbHck  und  bei 
einem  einzigen  Schriftsteller,  sondern  fordert  einen  längeren, 
langsameren  Prozeß.  Zweitens  können  die  späteren  Propheten 
nicht  von  Ezechiel  allein  abhängig  gewesen  sein,  wie  die  Exe- 
geten  behaupten,  da  neue  Züge  hinzugefügt  werden  und  vor 
allem  neben  dem  östlichen  noch  ein  westhches  Meer  genannt 
wird. 

Das  Alte  Testament  enthält  im  Grunde  nur  mehr  oder 
weniger  deutliche  Anspielungen  an  den  eschatologischen  Paradies- 
strom. So  heißt  es  auch  Ps.  36 ef.:  Sie  trinken  vom  Fett  deines 
Hauses  und  mit  deinem  Edenbache  tränkst  du  sie.  Denn  bei 
dir  ist  der  Brunnen  des  Lebens.     Klarer  mid  plastischer  werden 


Der  Paradiesstrom.  227 

die  Vorstellungen,  auf  denen  diese  Anspielungen  beruhen,  erst 
in  den  späteren  Apokalypsen  ausgesprochen.  Sie  reden  von 
Weisheitsbäumen,  Ölbäumen,  Lebensbäumen,  vom  Holz  des 
Lebens  und  Wasser  des  Lebens ^  Von  besonderem  Interesse 
ist  die  Schilderung  des  himmlischen  Jerusalem,  das  Apk. 
Joh.  22 if.  als  Gottesstadt  beschrieben  wird:  Und  er  zeigte  mir 
einen  Strom  von  Lebenswasser,  glänzend  wie  Kristall^  hervor- 
kommend aus  dem  Thron  Gottes  und  des  Lammes,  mitten  in 
ihrer  Gasse;  hüben  und  drüben  am  Strom  den  Baum  des  Lebens, 
zwölfmal  Frucht  bringend,  jeden  Monat  seine  Frucht  gebend; 
und  die  Blätter  des  Baumes  sind  zur  Heilung  der  Nationen, 
Der  Strom  bricht  hier  aus  dem  Throne  Gottes  hervor,  der  den 
irdischen  Tempel  vertritt.  Die  Anschauung,  die  längst  geläufig 
ist,  ist  hier  von  der  Erde  in  den  Himmel  übertragen.  Wir 
fragen,  woher  sie  ursprünglich  stammen  mag.  Vermutlich  ist 
das  Bild  der  Quelle,  die  unter  der  Tempelschwelle  entspringt, 
da  entstanden,  wo  es  Sitte  war,  über  der  Quelle  ein  Heihgtum 
zu  errichten,  da  ja  das  Wasser  als  göttliche,  lebenspendende 
Macht  galt.  Vielleicht  wurde  mitunter  der  Gottesthron  grade 
über  die  Stelle  gesetzt,  wo  das  Wasser  aus  dem  geheimnisvollen 
Schöße  der  Erde  hervorbrach^. 

In  demselben  Stück  Zach.  144ff.,  das  die  mythische  Topo- 
graphie des  neuen  Jerusalem  schildert,  ist  die  Rede  von  der 
Verstopfung  des  Tales  Harai.  Wir  haben  diese  Stelle  bereits 
verghchen  (§  16)  mit  dem  ebenfalls  mythischen  Tale  Oberim, 
dem  Totentale,  das  den  Wanderern  den  Weg  versperrt  (Ez. 
39  ii).  Auch  dieser  Zug  scheint  mit  dem  Götterlande  zusammen- 
zuhängen, zu  dem  kein  Zugang  führt,  von  dem  alle  Götter- 
feinde ferngehalten  werden.  Überall  da,  wo  das  Gottesland  mit 
Jerusalem  identifiziert  ist,  sind  die  Gottesfeinde  einfach  die 
Heiden.  So  heißt  es  Jo.  4 17:  Und  Jerusalem  soll  unverletz- 
liches Gebiet  sein,  und  Heiden  werden  nicht  mehr  den  Weg 
darüber  nehmen  dürfen  (vgl.  Ob.  V.  17).  Oder  Jes.  52 1:  Kleide 
dich  in  deine  Prachtkleider,  . .  .  heilige  Stadt;  denn  nicht  mehr  soll 
ferner  in  dich  kommen  der  Unbeschnittene,   Unreine.     Anderswo 


1.  Vgl.  VoLz  S.  376. 

2.  Etwas   anders,   mir  nicht   ganz   verständlich,   ist  die  Idee   von 
<iem  Thron  Gottes  über  den  himmlischen  Wassern  (vgl.  Ps.  29 10). 

15* 


228      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

aber  wird  dieser,  an  sich  ganz  verständliche,  Gedanke  in  eine 
hochmythologische  Form  gekleidet:  Ich  (Jahve)  lagere  mich 
zum  Schutz  meines  Hauses  als  Wache,  daß  keiner  hin  und  her 
den  Weg  darüber  nimmt,  und  kein  Gewalthaber  soll  ferner 
über  sie  kotnmen  (Zach.  98).  Während  nach  Gen.  324  der 
Gottesgarten  vom  Kerub  oder  vom  Flammenschwert  behütet 
wird,  spielt  hier  Jahve  selbst  die  Rolle  des  Kerub.  Zach.  29 
wird  die  Sicherheit  Jerusalems  dadurch  gewährleistet,  daß  Jahve 
ihr  als  Feuermauer  dient.  Wahrscheinlich  sind  diese  Bilder 
ein  letzter,  nicht  mehr  verstandener  Nachklang  einer  alten 
mythischen  Anschauung,  wonach  das  Götterland  oder  das  Para- 
dies gegen  Riesen,  Dämonen  oder  sonstige  Wesen  abgesperrt 
wird.  Bald  steht  die  Gottheit  bald  ein  Kerub  bald  ein  Engel 
Wache,  bald  wird  eine  hohe  Mauer  oder  Feuerwand  aufgeführt, 
die  man  mit  dem  Himmel  selbst  identifiziert  hat.  Eine  ähn- 
liche Vorstellung  setzt  schon  der  babylonische  Schöpfungsmythus 
voraus,  der  von  Marduk  nach  der  Tötung  Tiämats  erzählt:  Er 
stellte  ihre  Hälfte  auf,  machte  sie  zur  Decke,  dem  Himmel,  schob 
einen  Riegel  vor,  stellte  Wächter  hin  und  befahl,  ihre  Wasser 
nicht  mehr  herauszulassen'^.  Am  Himmelsdach  befindet  sich 
eine  mit  Riegeln  versehene  Tür.  Aufgabe  der  Wächter  ist  es, 
den  Weg  zu  versperren,  hier  zwar  nicht  den  äußeren  Feinden, 
sondern  den  über  dem  Himmel  ruhenden  Wassern.  Als  gött- 
liche Türhüter  vor  Tempeln  und  Palästen  fungierten  bei  den 
Babyloniem  bekanntlich  die  gewaltigen  Stier-  und  Löwenkolosse, 
die  den  Dämonen  den  Eingang  verwehren  sollten  und  die  man 
mit  den  kanaanitischen  Keruben  identifiziert  hat. 

Die  Mauer  ist  mit  dem  Paradiese  verbunden  IIHen.  65  lo: 
Und  es  wird  ihnen  eine  große,  unzerstörbare  Mauer  sein  und 
das  helle  und  unverwesliche  Paradies,  ohne  daß  eine  klare  Vor- 
stellung aus  diesen  Worten  zu  gewinnen  wäre.  DeutHcher  ist 
Apk.  Joh.  21i2f.,  wo  Jerusalem,  wie  Gunkel  gezeigt  hat,  als 
Gottesstadt  geschildert  wird:  Sie  hat  eine  große  und  hohe 
Mauer  und  zwölf  Tore,  und  auf  den  Toren  zwölf  Engel  .... 
Drei  Tore  von  Osten,  drei  von  Norden,  drei  von  Süden, 
drei  von  Westen.  Diese  Mauer  war  ursprünglich  einmal  der 
Himmel  selbst.    IHen.  c.  34  z.  B.  kennt  noch  je  drei  Himmels- 


Die  himmlische  Mauer.  229 

tore  in  den  vier  Richtungen,  aus  denen  die  Winde  blasen. 
Eine  Variante  zu  den  zwölf  Toren  der  Mauer  sind  ihre  zwölf 
Grundsteine,  die  mit  allerlei  Edelsteinen  verziert  sind  (V.  19). 
Die  Zwölfzahl  ist  eine  spätere,  wenn  auch  alte  (vgl.  Ez.  483off.) 
Zutat,  die  wohl  irgendwie  auf  die  zwölf  Tierkreiszeichen  zurück- 
geht (Gunkel).  Ursprünglich  kommt  es  nicht  auf  die  Zahl  an. 
Der  Himmel  als  das  Reich  der  Lichter  und  Lichtgötter  funkelt 
und  glitzert  wie  Diamanten  und  Perlen.  So  wird  das  neue 
Jerusalem  schon  Jes.  54iif.  beschrieben:  Siehe,  ich  fasse  in 
Bunterz  deine  Steine  und  werde  dich  gründen  in  Sapphiren, 
und  werde  Rubine  machen  zu  deinen  Zinnen  und  deine  Tore 
zu  Karfunkelsteinen  und  deine  Einfassung  zu  Edelsteinen  (vgl. 
Tob.  13i6f.). 


§  21.    Der  Rest. 

Johannes  Meinhou)  :  Studien  zur  israelitischen  Eeligionsgeschichte. 
Bd.  I.  Der  heilige  Best.    Teil  1.  Elias,  Arnos,  Hosea,  Jesaja.    Bonn  1903. 

Wo  die  Propheten  die  Katastrophe  des  Tages  Jahves 
schildern,  reden  sie  meist  weder  von  der  Rettung  eines  Einzelnen 
noch  eines  Volksteiles,  sondern  veranschaulichen  im  Gegenteil 
durch  mehr  oder  minder  drastische  Beispiele  die  völlige  Ver- 
nichtung der  Nation.  So  sagt  Amos :  Wie  der  Hirt  dem  Munde 
des  Löwen  zwei  Beinchen  oder  ein  Ohrläppchen  entreißt,  so 
werden  die  Kinder  Israels  gerettet  (3 12).  Die  Fetzen,  die  er 
behält,  sind  nicht  der  Rede  wert.  Gefallen  ist,  steht  nicht  mehr 
auf,  die  Jungfrau  Israel,  liegt  hingestreckt  auf  der  eigenen  Flur, 
keiner  richtet  sie  auf.  Denn  so  spricht  Jahve:  Die  Stadt,  die 
zu  tausend  ausrückt,  wird  hundert  übrig  haben,  und  die  zu 
hundert  ausrückt,  wird  zehn  übrig  haben  (Am.  52f.).  Der  Nach- 
druck wird  nicht  darauf  gelegt,  daß  einige  dem  Verderben  ent- 
rinnen, sondern  wie  wenige  ihm  entgehen.  Der  Gedanke  an 
den  Best  ist  nicht  erhebend,  sondern  niederschmetternd.  Was 
bei  der  Katastrophe  übrig  bleibt,  verdient  kaum,  Rest  genannt 
zu  werden.  Mögen  die  Israehten  in  den  Himmel,  in  die  Seol, 
oder  ins  Meer  flüchten,  Gottes  Arm  trifft  sie  überall.  Und 
wenn  sie  vor  ihren  Feinden  her  in  die  Gefangenschaft  wandern, 
so  befehle  ich  dort  dem  Schwerte,  sie  zu  würgen  (Am.  9iff.). 
Wie   sollte   da  auch  nur  einer  mit  dem  Leben  davonkommen? 


230      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Und  gleich  Arnos  die  übrigen  Propheten !  Ephraims  Menge 
wird  den  Vögeln  gleich  verfliegen,  sodaß  es  keine  Geburt,  keine 
Schwangerschaft,  keine  Empfängnis  mehr  gibt.  Getroffen  ist 
Ephraim,  ihre  Wurzel  ist  verdorrt,  Frucht  setzen  sie  nicht  an. 
Auch  wenn  sie  Kinder  zeugen,  töte  ich  die  Lieblinge  ihres  Leibes, 
und  wenn  sie  ihre  Kinder  groß  ziehen  y  mache  ich  sie  verwaist, 
menschenarm,  ja  wehe  auch  ihnen,  wenn  ich  von  ihnen  weiche! 
(Hos.  9 11.  16.  12).  Das  ganze  Land  soll  verwüstet  und  verödet 
werden,  und  ist  noch  ein  Zehntel  darin,  so  muß  es  wieder  ins 
Feuer,  wie  die  Eiche  und  die  Terebinthe,  an  denen  beim  Fällen 
ein  Wurzelstamm  blieb  (Jes.  6iiff.).  D.  h.  »Wenn  auf  einer 
Neurodung  die  Bäume  gefällt  sind,  macht  man  die  Wurzel- 
stümpfe, deren  Ausgrabung  zu  viel  Zeit  kosten  würde,  durch 
Feuer  unschädlich«  (Duhm).  Es  soll  also  schlechterdings  nichts 
gerettet  werden.  An  jenem  Tage  wird  es  sein,  wie  wenn  man 
Ähren  liest  im.  Tale  Bephaim,  und  übrig  daran  bleiben  eine 
Nachlese  wie  beim  Olivenklopfen,  zwei,  drei  Beeren  in  der  Spitze 
des  Wipfels,  vier,  fünf  in  den  Zweigen  des  Fruchtbaumes  (Jes. 
17  sf.).     Die  Ernte,  die  der  große  Schnitter  hält,  ist  gewaltig. 

Genau  so  ist  es  an  den  Stellen,  wo  die  Weltkatastrophe 
geschildert  wird:  Fortraffen  will  ich  alles  von  der  Erde, 
spricht  Jahve,  fortraffen  will  ich  Menschen  und  Vieh,  fortraffen 
die  Vögel  des  Himmels  und  die  Fische  des  Meeres  (Zeph.  I2). 
Ich  schaue,  und  siehe,  es  gibt  keine  Menschen  und  alle  Vögel 
des  Himmels  sind  entflohen  (Jer.  425).  Denn  so  wird  es  sein 
inmitten  der  Erde,  mitten  unter  den  Völkern,  wie  beim  Oliven- 
klopfen, wie  bei  der  Nachlese,  wenn  vollendet  die  Lese  (Jes.  24 13). 
Gratien,  Grube  und  Garn  über  dich,  Bewohner  der  Erde !  Und 
geschehen  wird  es,  der  flieht  vor  dem  Grauen,  fällt  hin  zur 
Grube,  und  der  aufsteigt  aus  der  Grube,  wird  gefangen  vom 
Garn  (Jes.  24i7f.  vgl.  Jer.  4843f.).  Wer  dem  einen  Verderben 
glücklich  entronnen  ist,  wird  sicher  in  das  andere  gestürzt.  Eine 
Ausnahme  wird  nicht  zugelassen,  die  ganze  Menschheit  geht  zu 
Grunde,  sie  muß  es,  weil  die  Gitter  von  der  Höhe  her  geöffnet 
sind  und  die  Grundfesten  der  Erde  erbeben;  in  Trümmer  zer- 
trümmert sich  die  Erde,  in  Splitter  zersplittert  sich  die  Erde 
(Jes.  24i8f.).  Aber  mit  diesem  Gedanken  wird  nicht  Ernst  ge- 
macht;  denn  im  Folgenden   existiert  nicht  nur  der  Berg  Zion 


Der  Rest.  231 

und  Jerusalem  (2423),  sondern  auch  alle  Völker  sind  vorhanden, 
denen  Jahve  ein  köstHches  Mahl  bereitet  (206). 

Und  so  ist  in  weitaus  den  meisten  Fällen  keine 
Vermittlung  zwischen  Unheil  und  Heil  nachweisbar, 
nur  an  einigen  Stellen  ist  es  anders.  So  heißt  es  z.  B.  Jes. 
l25:  Ich  lüill  meine  Hand  wider  dich  ausstrecken,  will  läutern 
im  Schmelzofen^  deine  Schlacken  und  all  deine  Bleistücke  ent- 
fernen. Es  ist  übertrieben,  wenn  Stade  behauptet:  »Jesaja  hat 
von  Anfang  an  die  tröstliche  Gewißheit  nicht  gefehlt,  daß  Jahve 
einen  Rest  übrig  lassen  wird,  der  sich  zu  ihm  zurückwendet, 
wiewohl  er  das  in  seiner  Berufungsvision  nicht  ausspricht,  über- 
haupt nirgends  sagt,  wie  sich  das  vermittelt«  (Bibl.  Theol.  I 
S.  225).  Hier  haben  wir  einmal  eine  solche  Vermittlung :  Israel 
soll  nicht  gänzlich  vernichtet,  sondern  geläutert  werden.  Die 
schlechten  Elemente  werden  beseitigt,  nur  die  guten  bleiben 
zui-ück  und  bilden  den  Kern  des  neuen  Volkes.  Ein  ander  Mal 
heißt  es:  Siehe ^  die  Augen  des  Herrn  Jahve  richten  sich  gegen 
das  sündige  Reich,  daß  ich  es  von  der  Oberfläche  der  Erde  ver- 
tilge. Doch  will  ich  das  Haus  Jakob  nicht  ganz  und  gar  ver- 
tilgen, sagt  Jahve  (Amos  98). 

Eine  Vermittlung  ist  femer  da  vorhanden,  wo  das  Volk 
Israel,  nachdem  es  von  dem  Unheil  betroifen  ist,  sich  zu  Jahve 
bekehrt  und  Buße  tut.  Wie  Gomer,  das  verstoßene,  untreue  Weib 
Hoseas,  viele  Tage  ohne  einen  Mann  sitzen  soll,  so  sollen  auch 
die  Kinder  Israels  lange  Zeit  ohne  König,  Opfer  und  Bilder 
bleiben.  Darnach  werden  sie  umkehren,  werden  Jahve,  ihren 
Gott,  suchen  und  voll  Furcht  hineilen  zu  ihm  (Hos.  Ssff.).  Man 
beachte  wohl  den  Ausdruck!  Es  heißt  nicht:  »Diejenigen,  die 
sich  bekehren,  werden  gesegnet  werden«,  sondern  wie  das  Unheil 
so  ergeht  auch  das  Heil  in  gleicher  Weise  über  Gesamtisrael. 
Dieselbe  Anschauung  haben  wir  aus  Hos.  2i6ff.  kennen  gelernt: 
Israel  soll  in  die  Wüste  zurück;  dort  wird  ihm  Jahve  ins  Herz 
reden,  und  dann  wird  es  nach  Palästina  heimkehren. 

An  den  meisten  Stellen  aber,  die  heilseschatologische  Schil- 
derungen enthalten,  fragt  man  vergebens,  woher  das  neue  Volk 
stammt,  dessen  paradiesisches  Glück  beschrieben  wird.  Ist  denn 
Israel   durch    die  Katastrophe   nicht  vernichtet?     Ist  die  Welt 


1.  Lies  "^ra  mit  Clericus. 


232      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

nicht  zu  Grunde  gegangen?  Ist  ein  Teil  gerettet,  und  warum 
grade  dieser  Teil?  Man  kann  ja,  wenn  man  Phantasie  genug 
besitzt,  mitunter  die  Verbindungslinien  ziehen,  aber  das  Typische 
ist  eben ,  daß  sie  von  den  Propheten  oft  nicht  ausdrücklich  ge- 
zogen werden.  Es  geht  uns  hier  mit  der  Unheils-  und  der 
gewöhnlich  darauf  folgenden  Heilseschatologie,  als  hätten  wir 
zwei  Trümmerfelder  vor  uns;  beide  sind  getrennt  und  Hegen 
doch  nahe  beieinander.  Manche  Spuren  deuten  auf  einen  ur- 
sprünglichen Zusammenhang,  aber  sie  sind  zu  sehr  verwischt, 
als  daß  wir  sie  mit  Sicherheit  verfolgen  könnten.  Erwägen 
wir  die  oben  zitierten  Verse,  wonach  Israel  bis  auf  den  letzten 
Mann  und  die  Welt  bis  auf  die  Fische  des  Meeres  vertilgt 
werden  soll,  so  scheint  uns  eine  Heilseschatologie  so  gut  wie 
unmöglich.  Darin  bestärkt  uns  noch  die  prophetische  Ethik, 
die  sich  mit  großem  Eifer  bemüht,  dem  Volke  den  Sittenspiegel 
vorzuhalten.  Man  hat  oft  den  Eindruck,  daß  sie  ungerecht 
urteilt.  So  sagt  Jeremia  einmal  in  ungeheurer  Übertreibung: 
Streift  umher  auf  den  Straßen  Jerusalems  und  suchet  doch  und 
gebet  acht,  und  suchet  auf  ihren  Plätzen,  oh  ihr  jemand  findet, 
oh  einer  ist,  der  Recht  tut,  der  nach  Treue  strebt,  so  will  ich 
ihr  vergehen  (Jer.  5i).  Und  trotzdem  verkünden  die  Propheten 
eine  Heilseschatologie !  Wir  müssen  uns  mit  dem  Auseinander- 
klaffen von  Unheil  und  Heil  innerhalb  der  prophetischen  Escha- 
tologie abzufinden  suchen.  Um  diesen  Tatbestand  zu  erklären, 
bleibt  allein  die  Möglichkeit,  daß  die  Propheten  die  Heils- 
eschatologie ebenso  wie  die  Unheilseschatologie  aus  den  popu- 
lären Anschauungen  übernommen  und  in  dem  fragmentarischen 
Zustand  belassen  haben,  der  ihnen  in  Israel  vielleicht  seit 
lange,  vielleicht  seit  immer  geeignet  hat.  Grade  bei  überlieferten 
Ideen,  die  jedermann  geläufig  sind,  kann  man  oft  beobachten, 
wie  wenig  selbst  kritische  Geister  sie  durchdringen  und  sie  zu 
einem  organisch-lebendigen  Ganzen  verbinden. 

Demgegenüber  wird  man  auf  den  eigentümhchen  Mittel- 
gedanken hinweisen,  mit  dessen  Hülfe  sich  die  Propheten  oft 
bemüht  haben,  die  Kluft  zwischen  Unheil  und  Heil  zu  über- 
brücken: Der  Rest  oder  die  Entronnenen  (Jes.  42.  10  20.  37  31) 
oder  die  übriggebliebenen  (Jes.  43.  102off.  llii.  le.  285)  ist  der 
Ehrentitel  derer,  die  gewürdigt  sind,  ins  Buch  des  Lebens^  ein- 

1.  Die  klassischen  Parallelen  sind  jetzt  gesammelt  bei  Ludovicus 


Der  Rest.  233 

geschrieben  zu  werden  oder  in  das  Reich  einer  besseren  Zu- 
kunft einzugehen.  Der  Restgedanke  gehört  von  Hause 
aus  zur  Unheilseschatologie.  Denn  von  einem  Reste  oder 
von  Entronnenen  redet  man  naturgemäß  nur  nach  einer  furcht- 
baren Katastrophe,  die  alles  bis  auf  einen  Best  vernichtet  hat. 
Und  in  dieser  Bedeutung  ist  uns  der  Restgedanke  bereits  aus 
den  am  Anfang  dieses  Paragraphen  zitierten  Prophetenworten 
geläufig.  Die  zwei,  drei  Beeren,  die  bei  der  Olivenlese,  die  zehn 
Mann,  die  im  Kriege,  die  Beinchen  und  Ohrläppchen,  die  von 
der  Löwenbeute  übrig  bleiben,  enthalten  den  Restgedanken  und 
verwenden  ihn,  um  die  Größe  des  Unheils  zu  veranschauHchen. 
Das  ist  verständlich.  Aber  innerhalb  der  Heilseschato- 
logie  ist  der  Rest  nur  verständlich  als  ein  dogmati- 
scher Terminus  technicus.  Alle  die  köstlichen  und  herr- 
lichen Dinge,  die  von  der  Heilszeit  ausgesagt  werden,  sollten 
ursprünglich  einem  Reste  zuteil  werden?  Das  wäre  etwa  so, 
wie  wenn  man  in  die  wildwogenden  Wellen  des  Ozeans  zwei 
oder  drei  Tropfen  Öl  gießen  wollte!  Beide  Tatsachen  reimen 
sich  nicht  mit  einander.  Ein  Rest  und  eine  Heilseschatologie 
schließen  sich  eigentlich  aus.  Man  kann  sie  freilich  zusammen- 
biegen, indem  man  den  Hauptgedanken  ergänzt,  und  so  wird 
es,  wie  wir  vermuten  dürfen,  auch  von  den  Propheten  geschehen 
sein.  Sie  werden  verkündet  haben,  daß  Einige  dem  allgemeinen 
Verderben  entrinnen,  daß  diese  Wenigen  sich  bekehren  und 
daß  aus  ihnen  das  neue  Volk  hervorgeht,  über  das  die  Fülle 
der  paradiesischen  Güter  ausgeschüttet  wird.  Das  Objekt  des 
Heiles  sollte  nicht  der  Rest,  sondern  das  neue  Volk 
sein.  Ein  Beispiel  mag  statt  vieler  diese  Behauptung  illustrieren: 
Da  mache  ich  das  Hinkende  zum  Best  und  das  Versprengte^ 
zum  zahlreichen  Volk  (Mch.  4?).  Der  Best  ist  hier  ein  völlig 
dogmatischer  Ausdruck,  der  nach  dem  Parallelismus  membrorum 
gleichbedeutend  ist  mit  dem  zahlreichen  Volk.  Er  ist  aus  der 
Unheilseschatologie  herübergenommen  in  die  Heilseschatologie, 
offenbar  in  der  Absicht,  beide  zu  verbinden.  Aber  merkwürdig 
bleibt  doch,  wie  wenig   die  Propheten  diesen  vielleicht  einmal 

Euhl:  De  mortuorum  iudicio  (Religionsgeschichtliche  Versuche  und 
Vorarbeiten  von  Dieterich  und  Wünsch.  Bd.  II.  Heft  2).  Gießen  1903. 
S.  101  fiF. 

1.  Lies  nm:m  wie  in  V.  6. 


234       Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

lebendigen  Vermittlungsgedanken  des  Restes  benutzen,  um  nun 
wirklich  eine  konzinne  Verbindung  zwischen  Unheil  und  Heil 
herzustellen!  Beides  klafft  in  den  uns  überlieferten  Schriften 
trotzdem  auseinander.  Schon  das  führt  darauf,  daß  die  heils- 
eschatologische  Idee  des  Restes  keine  prophetische  Neuerung 
ist,  sondern  bereits  früher  vorhanden  war. 

Man  hat  Jesaja  als  den  Schöpfer  dieser  Idee  ausgeben 
wollen.  Sein  Sohn  hieß  Sear-Jasub:  der  Rest  bekehrt  sich 
(Jes.  73).  »Nur  dann  natürlich«,  sagt  Meinhold  (S.  109),  »ist 
für  Jahve  eine  Heilstat  möglich,  —  und  daran  zeigt  sich  der 
hohe  Gottesbegriff  des  Propheten,  wenn  eine  Bekehrung  zu 
ihm  stattfindet.  Mit  der  Gewißheit  der  Bekehrung  auch  nur 
eines  Teiles  ist  auch  die  Gewißheit  einer  Rettung  gegeben.  Es 
fragt  sich  nun,  woran  der  Prophet  bei  dem  intu  gedacht  hat. 
Man  wird  annehmen  müssen,  daß  bei  Jesaja  die  Erkenntnis  von 
einer  bevorstehenden  inneren,  durch  den  wahren  Glauben  oder 
Unglauben  gewirkten  Scheidung  zwischen  einem  ^lagarjl  yiaTä 
Ttvevina  und  einem  yiaTcc  odgyia  nicht  von  Anfang  an  vorhanden 
war.  Sie  ist  ihm  erst  in  heißen  Kämpfen  geworden«.  Gegen 
diese  psychologische  Ableitung  erheben  sich  gewichtige  Be- 
denken. Die  Benennung  des  Sohnes  und  der  Grund  für  diese 
Benennung  wird  nicht  erzählt.  Wenn  sie  einer  Idee  Ausdruck 
geben  sollte,  die  unter  Wehen  geboren  war,  so  hätte  der  Prophet 
sie  nicht  stillschweigend  bei  seinen  Lesern  als  bekannt  voraus- 
setzen dürfen.  Und  nun  gar  in  diesem  Falle,  wo  Jesaja  auf 
die  öffentliche  Meinung  einwirken  wollte,  konnte  kein  mystischer 
Name  gewählt  werden,  den  niemand  verstand,  der  nur  die  Seelen- 
kämpfe des  Propheten  verkörperte,  von  denen  niemand  etwas 
ahnte,  sondern  es  mußte  ein  allgemein  bekanntes  und  verbreitetes 
Schlagwort  sein,  das  kräftig  einschlug.  Wer  es  hörte,  mußte 
sofort  wissen,  worum  es  sich  handle.  Da  wir  in  den  hinter- 
lassenen  Fragmenten  keine  Spur  von  den  »heißen  Kämpfen« 
finden,  da  Jesaja  sich  nur  ein  einziges  Mal  über  die  Bekehrung 
des  Restes  äußert  (Jes.  102off.),  so  bestätigt  dies  unsere  Ver- 
mutung, daß  er  einen  damals  schon  geläufigen  Terminus  tech- 
nicus  aufgegriffen  hat.  War  er  volkstümlich,  so  lag  ihm  sicher 
nicht  die  Scheidung  von  einem  Israel  'Äaza  Tcvevfia  und  einem 
Israel  x«ra  aa^xa  zu  Grunde,  die  überhaupt  nicht  hebräisch, 
sondern  griechisch  ist. 


Der  Rest.  235 

Jesaja  kann  um  so  weniger  als  Schöpfer  dieser  Idee  in 
Betracht  kommen,  als  sich  der  Best  schon  bei  Amos  als 
Terminus  technicus  belegen  läßt:  Sucht  das  Gute  und  nicht 
das  Böse,  damit  ihr  lebt,  und  Jahve,  der  Gott  Zehaoth,  mit  euch 
sei,  wie  ihr  behauptet  Haßt  das  Böse  und  liebt  das  Gute  und 
richtet  das  Becht  auf  im  Gericht,  vielleicht  wird  Jahve,  der 
Gott  Zebaoth,  dann  dem  Beste  Josephs  gnädig  sein  (Am.  Öuf.). 
Der  Best  Josephs  ist  ein  sehr  merkwürdiger  Ausdruck.  Well- 
hausen erklärt:  »Joseph  ist  bis  auf  einen  Rest  heninter- 
gekommen,  durch  viele  Kalamitäten«.  Amos  lebte  zur  Zeit 
Jerobeams  II.  Von  eben  derselben  Zeit  sagt  eben  derselbe 
Wellhausen:  »Unter  Joas'  Sohne,  Jerobeam  II.,  erstieg  das 
Reich  sogar  einen  Gipfel  äußerer  Macht,  der  an  die  Zeiten 
Davids  erinnern  konnte«.  Und  doch  soll  der  Prophet  von  einem 
durch  viele  Kalamitäten  heruntergekommenen  Beste  Josephs 
reden !  Wellhausen  verweist  freilich  zum  Belege  auf  Am.  46ff. 
72ff.,  aber  wir  haben  bereits  oben  (vgl.  S.  168  ff.)  gezeigt,  daß  hier 
eine  Plagentheorie  einwirkt.  Der  Best  Josephs  paßt  überhaupt 
nicht  zur  Bezeichnung  des  damaligen  Volkes,  da  Joseph  damals 
kein  »Rest«,  sondern  eine  blühende  Nation  war.  Der  Ausdruck 
muß  sich  vielmehr  auf  diejenigen  beziehen,  die  aus  der  eschato- 
logischen  Katastrophe  gerettet  werdend  Verständlich  ist  er  aber 
nur  dann,  wenn  er  bereits  zur  Zeit  des  Amos  eschatologischer 
Terminus  technicus  war.  Die  Idee  des  Restes  ist  hier  in 
eigentümlicher  Weise  verwertet  worden,  wie  sonst  nie  wieder: 
Schon  gegenwärtig  soll  Joseph  sich  bekehren,  damit  Jahve 
künftighin  bei  der  hereinbrechenden  Katastrophe  dem  Reste 
gnädig  sei!  Gewöhnlich  hören  wir,  daß  erst  der  gerettete  Rest 
sich  bekehren  wird,  ohne  etwas  über  den  Grund  seiner  Rettung 
zu  erfahren. 

Die  Betonung  der  Buße  dürfen  wir  vielleicht  auf  die 
Rechnung  der  Propheten  setzen,  aber  der  Restgedanke 
in  seiner  heilseschatologischen  Passung  entstammt  be- 
reits dem  Volksglauben,  oder  richtiger  um  seines  dogmatischen 
Charakters   willen   den   vorkanonischen  Prophetenschulen.     Von 


1.  Der  Eest  Josephs  kann  unraöglicli  Juda  sein,  wie  MEiNHOiiD^ 
will.  Er  sucht  aus  Arnos  I2  (vgl.  darüber  0.  S.  23)  zu  beweisen,  daß^ 
Juda  der  Katastrophe  entgehen  werde. 


236      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

alters  her  mag  es  solche  Schilderungen  gegeben  haben,  wie  wir 
sie  jetzt  noch  in  den  prophetischen  Schriften  lesen,  wo  der  Ge- 
danke des  Bestes  zur  Veranschaulichung  der  Große  des  Unheils 
diente :  Alle  gehen  zu  Grunde  bis  auf  den  Rest.  Aber  daneben 
war  nun  einmal  die  Heilseschatologie  gegeben,  nach  der  keines- 
wegs alle  zu  Grunde  gehen  konnten.  Um  den  Widerspruch  aus- 
zugleichen und  eine  Vermittlung  herzustellen,  klammerten  sich  die 
(vorkanonischen)  Propheten  an  die  Idee  des  Restes,  die  nun  aus 
kritischen  Bedenken  heilseschatologisch  umgebogen  wurdet  Für 
den  israelitischen  Patriotismus  mochte  es  dann  selbstverständHch 
sein,  daß  die  wenigen  GlückUchen,  die  der  Katastrophe  entrinnen 
sollten,  mit  den  Israeliten  identisch  seien  (vgl.  o.  S.  150),  obwohl  der 
Ausdruck  Rest  nur  wenig  dazu  paßte.  Dem  gegenüber  betonten 
die  (kanonischen)  Propheten  den  ursprünglichen  Sinn  des  Restes 
und  illustrierten  ihn  vielleicht  im  Anschluß  an  ältere  Vorbilder. 
Aber  sie  haben  sich  nicht  gänzlich  lösen  können  von  dem  volks- 
tümlichen Glauben  und  haben  der  herrschenden  Zeitauffassung 
mitunter  den  schuldigen  Tribut  entrichtet.  Die  ganze  Heils- 
eschatologie, die  dem  inneren  Wesen  der  kanonischen 
Prophetie  von  Grund  aus  widerstreitet,  ist  ein  mehr 
unfreiwilliges  Zugeständnis  an  die  populäre  Eschato- 
logie, in  deren  Vordergrund  eben  nicht  das  Unheil,  sondern 
das  Heil  stand.  Die  Heilseschatologie  war  nun  einmal  in  der 
Überlieferung  gegeben,  und  wenn  die  Propheten  sie  auch  keines- 
wegs geleugnet  haben,  so  fühlten  sie  sich  dennoch  berufen,  vor 
allem  die  Sturmvögel  des  Unheils  zu  sein.  Je  nach  dem  Maße, 
in  dem  sie  vom  Volksglauben  abhängig  waren  und  das  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  und  unter  verschiedenen  Umständen  ver- 
schieden stark  gewesen  sein  mag,  modifizierte  sich  die  Schärfe, 
mit  der  sie  den  Umfang  der  kommenden  Katastrophe  bestimmten. 
Das  kaleidoskopartige  Schillern  ihrer  Weissagung  (vgl.  o.  S.  67) 
erklärt  sich  zum  Teil  aus  der  wechselnden  Stellung,  die  sie  dem 
Volksglauben  gegenüber  einnahmen.  Wir  finden  die  mannig- 
fachsten Nüanzen  neben  einander:  Zwischen  dem  einen  Extrem, 


1.  Ich  bitte  zu  beachten,  daß  es  sich  hier  um  eine  Kekonstruktion 
bandelt,  die  vielleicht  auch  in  anderer  Weise  versucht  werden  kann. 
Erklärt  werden  soll  die  Tatsache,  daß  der  Eestgedanke  sowohl  Un- 
heils- wie  heilseschatologisch  ist  und  schon  bei  Arnos  als  Terminus 
technicus  erscheint. 


Der  fragmentarische  Charakter  der  Eschatologie.       237 

nach  dem  Israel  wie  in  der  populär-patriotischen  Anschauung 
dem  Unheil  entrinnt,  und  zwischen  dem  anderen  Extrem,  nach 
dem  der  Tag  Jahves  nur  Finsternis  und  kein  Licht  ist,  liegt 
eine  Eeihe  von  Schattierungen. 

Die  Vermittlungsidee  des  Restes  sollte  die  Brücke  schlagen 
vom  Unheil  zum  Heil;  aber  sie  ist  erst  verhältnismäßig  spät, 
wenn  auch  vor  Amos,  aufgetaucht.  Wir  können  die  Umbiegung 
einer  anfänglich  ganz  anders  gerichteten  Vorstellung  und  die 
Umgestaltung  eines  anfänglich  ganz  anders  geformten  Stoffes 
noch  in  den  Prophetenschriften  einigermaßen  deutlich  verfolgen. 
Der  Restgedanke  konnte  von  vorneherein  nicht  das  leisten,  was 
er  leisten  sollte.  Die  Brücke  war  viel  zu  schwach,  um  die  für 
sie  bestimmte  Last  zu  tragen.  Daraus  ergibt  sich  eine  wichtige 
Konsequenz.  Denn  wenn  dies  richtig  ist,  dann  sind  in  der 
israelitischen  Eschatologie  Unheil  und  Heil  von  Hause 
aus  nicht  mit  einander  organisch  verbunden  gewesen, 
sondern  haben  lose  neben  einander  gestanden.  Erst 
durch  den  Restgedanken  sind  sie  unorganisch  und  mangelhaft 
mit  einander  verknüpft  worden.  Diesen  trümmerhaften  Charakter 
hat  auch  die  prophetische  Eschatologie  bewahrt. 

Für  die  Vorstufe,  die  der  prophetischen  Unheilseschatologie 
vorausging,  war  ein  Weltuntergang  durch  eine  wie  immer  ge- 
artete Katastrophe  charakteristisch.  Als  Vorläuferin  der  pro- 
phetischen Heilseschatologie  lernten  wir  die  Vorstellung  kennen, 
daß  die  Welt  aufs  neue  gebaut  und  daß  vor  allem  das  Paradies 
wiederkehren  solle.  Da  beide  Ideen  mythisch  sind,  so  müssen 
sie  beide  notwendig  alt  sein,  älter  als  die  Prophetie.  Mag  nun 
die  zweite  Anschauung  einen  mit  der  ersten  gemeinsamen  Ur- 
sprung haben  oder  später,  wenn  auch  schon  in  alter  Zeit,  hin- 
zugefügt sein,  so  mußte  man  sich  jedenfalls  in  dem  Augenblick, 
wo  sie  entstand,  über  ihr  Verhältnis  zur  ersten  klar  werden» 
Oder  will  man  es  für  wahrscheinlich  halten,  daß  es  da,  wo  beide 
als  lebendige  Ideen  neben  einander  existieren,  keine  Vermittlung 
zwischen  ihnen  gegeben  habe?  Der  Glaube  an  eine  neue  Welt 
hat  doch  nur  dann  einen  Sinn,  wenn  Menschen  vorhanden  sind, 
die  die  Freuden  des  Paradieses  genießen  können.  Die  Götter 
haben  ihr  Reich  für  sich  und  brauchen  kein  Neuland.  Die 
Neuschöpfung  geschieht  allein  um  der  Menschen  willen.  Sind 
aber   die  Menschen   durch   eine   vorausgegangene  Katastrophe 


"238      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Ternichtet,  so  ist  die  Wiederkehr  des  Paradieses  überflüssig  — 
oder  die  Menschen  müssen  auferstehen  zu  einem  neuen  Leben. 
Der  Auferstehungsgedanke  ist  in  der  späteren  apokalyptischen 
Eschatologie  ein  richtiges  und  organisches  Bindeglied  zwischen 
Unheil  und  Heil  und  in  ganz  anderer  Weise  als  die  ßestidee 
geeignet,  beide  mit  einander  zu  verknüpfen.  Auch  wenn  man 
der  Ansicht  ist,  daß  alle  psychologischen  Ableitungen  der  Auf- 
•erstehungshoffnung ,  die  man  versucht  hat,  von  Grund  aus  ver- 
fehlt sind  und  daß  sie  vielmehr  in  uralten  Zeiten  entstanden 
sein  muß,  so  wird  man  sie  dennoch  dem  älteren  Israel  nach 
allem,  was  wir  wissen,  absprechen  müssen.  Eine  andere  Frage 
ist  die,  ob  das  Volk,  von  dem  Israel  die  Eschatologie  über- 
nommen hat,  den  Mittelgedanken  der  Auferstehung  kannte. 
Diese  Frage  läßt  sich  heute  weder  bejahen  noch  verneinen. 
Sicher  ist  nur  das  eine,  daß  Israel  den  ursprünglichen  Mittel- 
gedanken, welcher  Art  er  auch  immer  gewesen  sein  mag,  ver- 
gessen hat.  Unheil  und  Heil,  zwei  stark  beschädigte  Säulen, 
sind  die  allein  übriggebHebenen  Reste  des  alten  Tempels  und 
zeugen  noch  von  der  entschwundenen  Pracht. 


§  22.    Die  Echtheit  der  Zuknnftshoffnungen. 

Hermann  Guthe:  Das  Zukunftsbild  des  Jesaja.  Leipzig  1885. 
Fbiedrich  Giesebrecht:  Beiträge  zur  Jesajakritik.  Göttingen  1890. 
H.  Hackmann.  Die  Zukunftserwartung  des  Jesaja.  Göttingen  1893. 
Paul  Volz  :  Die  vorexilische  Jahveprophetie  und  der  Messias.  Göttingen 
1897.  W.  Nowack:  Die  Zukunftshoffnungen  Israels  in  der  assyrischen 
Zeit  (Theol.  Abhandlungen  für  H.  J.  Holtzmann).  Tübingen  1902. 
'T.  K.  Cheyne:  Introduction  to  the  book  of  Isaiah.  1895  (deutsch  von 
Böhmer  1897). 

Man  hat  versucht,  aus  den  vorexilischen  Prophetenschriften 
einen  großen  Teil  der  Stellen  auszumerzen,  die  von  der  Heils- 
eschatologie  handeln,  und  sie  für  exihsch  oder  nachexilisch  zu 
erklären.  Von  der  Inkonsequenz,  durch  die  einige  Verse  dem 
Seziermesser  der  Kritiker  glücklich  entgangen  sind,  will  ich 
nicht  reden,  da  man  das  Versäumte  ja  nachholen  kann.  Wohl 
aber  darf  man  verlangen,  daß  die  Negation  ergänzt  werde  durch 
die  positive  Entstehungsgeschichte  aller  der  Tatsachen,  die  oben 
§  18 — 21  aufgezählt  sind  und  die  noch  hinzukommen.  Ab- 
gesehen von  ein  paar  Notizen,  die  durchaus  ungenügend  sind, 
hat  sich  bisher  niemand  die  Mühe  gemacht,   den  vorhandenen 


Prophetischer  Stil.  239 

Stoff  zu  sammeln  und  seinen  historischen  Werdegang  aufzu- 
zeigen i. 

Um  die  Entstehungszeit  der  Heilseschatologie  zu  bestimmen, 
geht  man  gewöhnUch  von  der  Frage  aus,  ob  die  heilseschatolo- 
gischen  Partieen  von  dem  Verfasser  stammen,  in  dessen  Buche 
sie  überHefert  sind,  oder  ob  sie  an  der  Stelle  und  in  dem  Sinne 
stehen,  die  der  Autor  ihnen  zugedacht  haben  mag.  Diese 
Frage  ist  leichter  aufgeworfen  als  beantwortet.  Sie  kann  hier 
nur  gestreift,  nicht  erschöpfend  behandelt  werden, 
da  die  Komposition  der  prophetischen  Schriften  und  der  Stil 
der  prophetischen  Reden  bisher  noch  nicht  genügend  untersucht 
sind,  obwohl  sie  dessen  dringend  bedürfen.  Ohne  sich  auf 
Kleinigkeiten  einzulassen,  ist  es  lohnend,  sich  mit  den  großen 
Gesichtspunkten  auseinanderzusetzen,  die  man  gegen  die  Echt- 
heit vorgebracht  hat.  Denn  teilweise  stützt  sich  die  Kritik  auf 
falsche  Axiome. 

Ein  oft  angeführter  Grund  ist  der,  daß  der  Zusammen- 
hang mit  dem  Vorhergehenden  und  Folgenden  lose  sei.  Das 
ist  richtig,  aber  nicht  richtig  ist  es,  einen  solchen  überhaupt  zu 
erwarten.  Die  schriftstellerische  Art  der  Prophetenbücher  er- 
kennt man  am  besten,  wenn  man  sie  vergleicht  mit  der  Art 
eines  Demosthenes  oder  Cicero.  Diese  haben  lange,  logisch 
durchdachte,  kunstreich  zusammengefügte  ßeden  komponiert 
und  stilisiert,  zu  denen  auch  wir  mit  Bewunderung  empor- 
blicken. Die  prophetischen  Schriften  sind  zum  größten  Teil  aus 
kurzen,  zusammenhanglosen  Sprüchen  zusammengesetzt,  da  man 
zwei,  drei  Sätze,  vier,  fünf  Verse  keine  »Rede«  nennen  kann. 
Sie  ähneln  am  ehesten  den  Evangelien,  die  uns  Fragmente,  ab- 
gerissene Worte  aus  der  Lehrtätigkeit  Jesu  mitteilen,  die  wenige, 
freilich  goldene  Körner  aus  seinem  reichen  Schatze  uns  auf- 
bewahrt haben.  Wer  hier  straffe  Gliederung  verlangt,  wer 
noch  wie  einst  von  einer  »Bergpredigt«  Jesu  spricht,  die  Matth. 
c.  5  ff.  überliefert  sei,  legt  einen  falschen  Maßstab  an  diese 
Literaturgattung  an.  Die  einzelnen  Prophetenbücher  sind  ver- 
schiedenen Charakters.  Während  Jeremia  und  Ezechiel  mit- 
unter längere  Zusammenhänge  bieten,  die  sich  über   mehrere 


1.   HüHNs   Buch   ist   kaum   einmal    eine  Materialiensammlung    zu 
nennen. 


240      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Kapitel  erstrecken,  so  wird  man  bei  Arnos,  Hosea,  Jesaja  und 
wie  sie  alle  heißen,  bald  hierin  bald  dorthin  geführt.  Kaum  hat 
man  einige  Verse  gelesen,  so  wird  man  plötzlich,  ehe  man  es 
sich  versieht,  in  eine  völlig  andere  Situation  versetzt.  Jedes 
Wort  des  Überganges,  jede  VerbindungsHnie  fehlt.  Ohne  Ver- 
mittlung werden  die  disparatesten  Dinge  lose  an  einander  ge- 
gereiht. Ob  die  Propheten  jemals  »Reden«  in  unserm  Sinne 
gehalten  haben,  ob  sie  selbst  die  bruchstückartigen  Notizen  ge- 
sammelt und  in  irgend  ein  Gefüge  gebracht  haben  oder  ob  das 
durch  ihre  Schüler  geschehen  ist,  das  alles  sind  Fragen,  die  hier 
nicht  beantwortet  werden  können.  Jedenfalls  müssen  die  Be- 
obachtungen über  Zusammenhangslosigkeit,  die  man  bei  den 
heilseschatologischen ,  speziell  den  messianischen  Weissagungen 
gemacht  hat,  verallgemeinert  und  auf  breiterer  Basis  von  neuem 
angestellt  werden.  Es  wird  sich  dann  zeigen,  wie  wenig  sie 
geeignet  sind,  um  über  Echtheit  und  Unechtheit  zu  entscheiden. 
Daneben  wird  oft  die  Schwerfälligkeit  des  Ausdrucks 
und  die  Mangelhaftigkeit  des  Rhythmus  und  des  Paral- 
lelismus gerügt.  Auch  dieser  Vorwurf  trifft  nicht  die  heils- 
eschatologischen Stellen  allein,  sondern  überhaupt  die  propheti- 
schen Schriften  als  Ganzes.  Wir  dürfen  nicht  ohne  weiteres  an- 
nehmen, daß  die  Reden  der  Propheten  wörtlich  so  gelautet  haben, 
wie  sie  in  unserem  Texte  stehen.  Teils  mögen  die  Verfasser 
selbst  sie  überarbeitet  und  prosaischer  gestaltet  haben,  teils 
mochten  ihnen  Andeutungen  und  Anspielimgen  genügen,  um  in 
ihren  Lesern  Gehörtes  oder  längst  Bekanntes  wachzurufen; 
denn  ihre  Bücher  waren  für  die  Zeitgenossen,  nicht  für  die 
Nachwelt  bestimmt.  Teils  aber  haben  auch  spätere  Exegeten 
und  Abschreiber  den  Text  gemodelt.  Einen  Parallelismus  zu 
verunstalten,  eine  bildliche  Redewendung  durch  eine  prosaische 
zu  ersetzen  oder  zu  ergänzen,  machte  ihrem  Gewissen  keine 
Sorge,  da  sie  den  Begriff  der  philologischen  Akribie  sowenig 
wie  den  des  literarischen  Eigentums  kannten.  Mehr  oder  minder 
fei  haben  sie  alle  mit  dem  überlieferten  Text  geschaltet,  ihn 
überarbeitet,  verbessert,  ergänzt,  gekürzt,  bereichert,  erklärt,  wie 
es  ihnen  bona  fide  recht  erschien.  Darum  werden  wir  dem 
Texte  mit  grundsätzlichem  Mißtrauen  gegenüberstehen  und  mit 
der  Skepsis,  daß  wir  nur  selten  die  Worte,  sondern  im  besten 


Prophetischer  Stil.  241 

Falle   die   Gedanken    des    ursprünglichen    Autors   zu   erwarten 
habend 

Noch  weniger  beweisen  einzelne  Ausdrücke,  zumal 
wenn  sie  wenigen  Versen  entnommen  sind.  Auch  hier  haben 
die  Schreiber  —  nicht  nur  in  den  heilseschatologischen  Partieen, 
sondern  überall  —  nach  eigenem  Belieben  geändert,  eine  un- 
moderne Phrase  durch  eine  moderne  verdrängt,  ein  ihrem  Ge- 
schmack nicht  zusagendes  Bild  um  gedichtet,  genau  so  wie  es 
noch  heute  mit  unsern  Gesangbuchliedern  geschieht.  Die  Pro- 
phetenschriften waren  Erbauungsbücher,  die  in  den  Synagogen 
vorgetragen  wurden,  die  als  historische  Urkunden  nichts  galten, 
sondern  die  nur  wegen  ihres  ethisch-rehgiösen  Gehalts  in  An- 
sehen standen.  Darum  war  der  Buchstabe  wenig,  der  Gedanke 
die  Hauptsache.  So  notwendig  und  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  unentbehrlich  sprachliche  Untersuchungen  sind,  so  vor- 
sichtig muß  man  doch  in  ihrer  Verwertung  sein.  Es  kann 
nicht  oft  genug  wiederholt  werden,  daß  sie  für  sich  allein  gar 
nichts  beweisen;  sie  dürfen  höchstens  als  Bestätigung  für  ein 
anderweit  gewonnenes  Resultat  dienen,  und  auch  nur  dann, 
wenn  sie  in  Massen  zur  Verfügung  stehen  und  wenn  genügen- 
des Material  zur  Vergleichung  vorhanden  ist. 

Überdies  ist  eine  andere  Erwägung  sehr  nützlich.  Wir 
haben  auf  Schritt  und  Tritt  gesehen,  daß  die  Propheten  die 
heilseschatologischen  Ideen  nicht  selbst  erdichtet,  sondern  vor- 
gefunden haben  in  einer  älteren  Tradition,  sei  es  mündlicher 
sei  es  vielleicht  gar  schriftKcher  Art.  Der  Inhalt  ist  sicher  nur 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  ihr  originales  Eigentum,  wie  weit 
es  die  Form  ist,  können  wir  heute  nicht  wissen.  Wenn  wir 
aber  bedenken,  wie  verhältnismäßig  viele  mythische  Elemente 
in  den  wenigen  heilseschatologischen  Stellen  enthalten  sind, 
dann  werden  wir  die  Möglichkeit  nicht  leugnen  dürfen,  daß  sie 
auch  im  Ausdruck  an  ihre  Vorläufer  sich  angelehnt  haben 
können.  Das  Material,  mit  dem  sie  arbeiten,  ist  längst  fest 
ausgeprägt,  die  Formeln  sind  technisch,  die  Benennungen  typisch. 


1.  Um  Mißverständnissen  vorzubeugen,  betone  ich,  daß  damit 
weder  über  den  Unwert  oder  Wert  der  LXX  noch  über  den  der  Metrik 
irgend  etwas  ausgesagt  sein  soll.  Meine  Skepsis  ist  in  textlicher  Be- 
ziehung sehr  stark. 

Forschungen  zur  Rel.  n.  Lit,  d.  A.  u.  NT.   6.  16 


242      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

die  Ideen  undeutlich  geworden.  Wie  soll  man  denn  erwarten, 
die  Phrasen  und  Redewendungen  der  jesajanischen  Messias- 
stücke, um  deren  Originalität  es  sich  vor  allem  handelt,  an 
späteren  Stellen  oder  in  anderen  Zusammenhängen  wieder  an- 
zutreffen, da  sie  völlig  isoliert  sind  und  in  einzigartiger  Weise 
von  Dingen  reden,  die  nirgendwo  sonst  berührt  werden  ?i  Der 
Heilseschatologie  haftet  in  viel  größerem  Maße  der  ursprünglich 
fremde  Charakter  an,  während  die  Unheilseschatologie  mehr 
israelitischen  Geist  atmet  und  stärker  in  palästinisches  Kolorit 
getaucht  ist. 

Der  wichtigste  Einwand,  der  gegen  die  Echtheit  der  vor- 
exilischen  Heilseschatologie  erhoben  ist,  geht  dahin,  daß  Pro- 
phetie  und  Heilseschatologie  sich  durchaus  ihrem  innersten 
Wesen  nach  ausschließen.  Dieser  Einwand  ist  nur  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  berechtigt.  Die  den  Propheten  von  Gott  ver- 
liehene Aufgabe  war,  vor  allem  das  drohende  Ende  Israels  zu 
weissagen,  das  unerbittliche  Verhängnis  im  Voraus  zu  prophe- 
zeien und  das  Volk  darauf  vorzubereiten.  Kurz,  die  ältere 
Prophetie  hat  hauptsächhch  die  Unheilseschatologie  zu  ihrem 
Gegenstande.  Wenn  sie  nun  ihrer  Büßpredigt  die  Spitze  ab- 
brach, indem  sie  dennoch  einen  günstigen  Ausgang  erwartete, 
so  war  das  vielleicht  ein  pädagogischer  Fehler,  eine  politische 
Utopie  und  vor  allem  ein  Widerspruch  in  sich.  Denn  »eine 
bedingt  ausgesprochene  Weissagung  ist  gar  keine  Weissagung, 
sondern  hölzernes  Eisen«  (Smbnd^  S.  191).  Allein  ob  logisch, 
pädagogisch  und  politisch  falsch,  um  die  Tatsachen  kommen 
wir  damit  nicht  herum.  Es  steht  unumstößlich  fest,  daß 
Jesaja  dem  sich  bekehrenden  Rest  (Sear-jasuh)  die 
Segenszeit  verheißen  hat.  Der  Restgedanke  ist  ein  aus 
der  volkstümlichen  Heilseschatologie  aufgenommener  Fremd- 
körper in  die  ältere  Prophetie,  deren  Keni  die  Unheilseschato- 
logie ist.  Seine  Rezeption  ist  wohl  begreif Kch.  Die  Propheten 
überragten  als  gewaltige  Männer,  von  Jahves  Geist  erleuchtet 
und  getrieben,  alles  Volk  um  eines  Hauptes  Länge,  aber  sie 
waren  auch  Patrioten,  die  ein  inniges  Mitgefühl  hatten  mit  dem 
Geschick  ihrer  Nation.  Da  ist  es  nur  zu  verständlich,  daß  sie, 
wenn  nicht  immer  so  doch  bisweilen,  ihre  Hoffnung   und  ihren 


1.    Wir  werden  darauf  unten  zurückkommen. 


Unheil  und  Heil.  243 

Glauben  auf  den  Rest  setzten,  der  nach  der  populären  Erwartung 
übrig  bleiben  sollte.  War  dies  eine  praktische  Zugeständnis 
an  die  Heilseschatologie  gemacht,  so  ist  nicht  einzusehen,  wo 
prinzipiell  die  Grenze  gezogen  werden  sollte.  Mit  der  Rest- 
idee ist  die  starre  Unheilseschatologie  durchbrochen. 
Jetzt  ist  eine  Bresche  geschlagen,  durch  die  die  ganze  oder 
wenigstens  ein  großer  Teil  der  Heilseschatologie  den  Einzug 
halten  konnte.  Ob  etwas  mehr,  ob  etwas  weniger  Heilseschato- 
logie, das  war  dem  Geschmack  des  Einzelnen  überlassen.  Über- 
dies muß  man  bedenken,  daß  der  Stoff  in  der  Tradition  nun 
einmal  gegeben  war  und  deshalb  auch  weiter  fortgepflanzt 
wurde,  ohne  daß  man  sich  viel  um  die  innere  Einheit  kümmerte. 

Es  widerstrebt  mir,  alle  die  Gründe  zu  wiederholen,  die 
man  mit  großem  Scharfsinn  und  tiefem  Verständnis  der  Pro- 
phetie  zusammengetragen  hat,  um  zu  erweisen,  daß  Prophetie 
und  Heilseschatologie  nicht  organisch  zusammenstimmen.  Die 
Gründe  sind  im  Wesentlichen  durchaus  richtig,  soweit  man 
nicht  den  Messias,  der  seinen  Platz  nur  in  einem  Teil  der 
Heilseschatologie  hat,  fälschlich  in  die  ganze  Eschatologie  hin- 
übergezogen hat.  Wohl  aber  sind  die  Folgerungen,  die  man 
aus  dieser  Erkenntnis  abgeleitet  hat,  als  unzutreffend  abzulehnen. 
Man  hätte  die  heilseschatologischen  Weissagungen,  statt  sie  für 
nachprophetisch  zu  erklären,  vielmehr  für  vorprophetisch  aus- 
geben sollen.  So  werden  alle  beanstandeten  Dinge  verständlich. 
Damit  soll  nicht  behauptet  werden,  daß  jede  einzelne  heils- 
eschatologische  Stelle  ohne  weiteres  »echt«  sei.  Aber  als  einzig 
berechtigtes  Kriterium,  um  die  »Echtheit«  zu  leugnen,  sind  nur 
die  vorausgesetzten  zeitgeschichtlichen  Verhältnisse  anzusehen. 
Solange  diese  nicht  gegen  die  Urheberschaft  dessen  sprechen, 
in  dessen  Buche  die  Heilseschatologie  überliefert  ist,  solange 
wird  man  die  »Echtheit«  aufrecht  erhalten  dürfen. 

Ein  abschließendes  Urteil  wird  erst  mögHch  sein,  wenn  wir 
über  die  literarische  Komposition  der  Prophetenbücher  und  über 
die  Grundsätze,  nach  denen  man  die  Sprüche  geordnet  hat,  ins 
Reine  gekommen  sind.  Wie  zahlreiche  Fälle  zeigen  (vgl.  S.  178  ff.), 
ist  es  offenbar  die  Absicht  der  Sammler  gewesen,  einer  unheils- 
eschatologischen  Weissagung  als  Gegenstück  eine  heilseschato- 
logische  anzureihen.  Dies  Prinzip  bedarf  jedenfalls  der  Erklärung, 
mag    man    es    den  Autoren   selbst   oder  späteren  Editoren  zu- 

16* 


244      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

schreiben.  Vielleicht  spielte  der  Aberglaube  eine  Rolle,  der  die 
Drohung  nicht  liebt  ohne  die  Verheißung,  vielleicht  ist  es  der 
Überrest  eines  alten  eschatologischen  Stiles,  wonach  der  Sänger 
zunächst  ein  Lied  vortrug,  das  die  Fluchzeit  behandelte,  und 
in  unmittelbarem  Anschluß  daran  ein  anderes,  das  die  Segens- 
zeit verherrhchte.  Wir  können  uns  jedenfalls  die  Macht  des 
Stiles  nicht  groß  genug  vorstellen. 

Nachdem  ich  so  die  Haupteinwände  der  Gegner  in  Kürze 
als  nicht  zutreffend  erwiesen  zu  haben  glaube,  will  ich  noch 
einmal  meine  eigene  Position  zusammenfassend  darstellen,  die 
von  dem  verwickelten  literarischen  Problem  völlig  unabhängig  ist. 

Der  Ursprung  der  israelitischen  Heilseschatologie 
liegt  für  uns  im  Dunkeln  und  kann  auf  keine  Weise 
psychologisch  rekonstruiert  werden.  Man  sagt  gewöhn- 
lich, die  äußere  Veranlassung  sei  die  gewesen,  daß  »Wirklich- 
keit und  Ideal  sich  nicht  deckten.  Denn  sobald  die  Zufrieden- 
heit mit  den  bestehenden  Verhältnissen  schwand,  erwachte  die 
Sehnsucht  nach  einem  vollendeten  Heile«  (Huhn  I  S.  4).  Mit 
demselben  Recht  oder  Unrecht  könnte  man  das  Gregenteil  be- 
haupten: Die  Zukunftserwartung  sei  aus  dem  jugendlichen, 
kraftstrotzenden  Selbstgefühl  eines  siegreichen,  vorwärtsstreben- 
den Volkes  geboren,  das  durch  einen  König  der  Endzeit  unter 
den  Auspizien  eines  gnädigen  Gottes  seine  weitschauenden  Ziele 
zu  verwirklichen  hoffe,  wie  der  Jüngling  den  Traum  des  Mannes 
träumt,  der  in  der  Reife  der  Jahre  mühelos  die  Früchte  seiner 
Arbeit  erntet.  Dieser  Alexander  wünsch  eines  sich  stark  fühlen- 
den Volkes,  das  Sichrecken  nach  dem,  was  vorne  ist,  und  die 
Antezipation  der  Zukunft  ist  zunächst  und  vor  allem  ein  Zeichen 
innerer  Kraft  und  energischer  Lebensäußerung,  mag  auch  etwas 
Unzufriedenheit  mit  der  Gegenwart  sich  hineinmischen.  Aber 
ob  so  oder  so,  alle  diese  und  ähnHche  psychologischen  Ab- 
leitungen leisten  nicht  das,  was  sie  leisten  sollen.  Wohl  kann 
der  Mensch,  der  es  liebt,  die  Vergangenheit  im  rosigsten  Lichte 
zu  malen,  auch  in  Zukunft  machtvolle  Könige,  herrhche  Tage, 
fruchtbare  Zeiten  und  ungestörten  Frieden  im  Lande  ersehnen; 
aber  daß  grade  das  Paradies  wiederkehren  solle,  ist  kein  am 
Wege  liegender  Gedanke.  Es  handelt  sich  nicht  nur  um  eine 
Projizierung  alles  dessen,   was  in   der  Gegenwart  als  gut  und 


Die  mythische  Stufe  der  Heilseschatologie.  245 

schön  gilt,  in  eine  noch  bessere  und  schönere  Zukunft,  sondern 
auch  um  mythische  Züge. 

Diese  mythischen  Züge,  die  insgesamt  mit  der 
Anschauung  vom  Götterlande  zusammenhängen,  sind 
ihrem  Wesen  nach  uralt  und  können  nicht  von  den  Pro- 
pheten erdichtet,  sondern  müssen  einer  älteren  Yolkstradition 
entnommen  sein.  Nun  könnte  man  die  mythischen  Bestandteile 
der  Heilseschatologie,  die  zwar  an  sich  alt  sein  müssen,  dennoch 
für  eine  späte,  vielleicht  nachexilische  Anleihe  Israels  bei  einem 
fremden  Volke  halten.  Allein  dagegen  ist  einzuwenden,  daß 
sie  von  den  mythischen  Überbleibseln  der  Unheilseschatologie 
vollkommen  Unabtrennbar  sind.  Die  israelitische  Religions- 
geschichte wäre  ein  unlösbares  Rätsel,  wenn  Unheils-  und  Heils- 
eschatologie, die  denselben  teilweise  mythischen  teilweise  frag- 
mentarischen Charakter  tragen  und  die  zu  einander  gehören 
und  sich  gegenseitig  entsprechen  wie  die  zwei  Schalen  einer 
Muschel,  zu  verschiedenen  Zeiten  von  auswärts  her  eingewandert 
wären.  Mit  welcher  Wahrscheinlichkeit  dürfte  man  vermuten, 
daß  die  Israeliten  vor  dem  Exil  alles  dasjenige,  was  mit  dem 
Unheil,  nach  dem  Exil  hingegen,  fein  säuberlich  davon  getrennt, 
alles  dasjenige  entlehnt  hätten,  was  mit  dem  Heile  zusammen- 
hängt ? 

Denn  beide,  Unheils-  wie  Heilseschatologie,  sind 
in  Israel  nicht  autochthon.  Das  würde  ich  nicht  ohne 
weiteres  aus  dem  mythologischen  Charakter  schließen,  da  ich 
keinen  Grund  einsehe,  warum  man  den  Israeliten  das  mythische 
Denken  absprechen  sollte.  Wohl  aber  bestimmen  mich  dazu 
folgende  Erwägungen:  Erstens  ist  für  die  Unheilseschatologie, 
wie  wir  gesehen  haben  (vgl.  o.  S.  160),  fremder  Ursprung  wahr- 
scheinlich. Was  ihr  recht  ist,  muß  der  Heilseschatologie  billig 
sein.  Zweitens  wären  die  treibenden  Kräfte,  die  zur  Ent- 
stehung der  Heilseschatologie  geführt  haben,  wohl  noch  durch- 
sichtig und  erkennbar,  falls  sie  in  Israel  je  wirksam  gewesen 
wären.  Drittens  haben  wir  bei  vielen  einzelnen  Ideen  die 
ausländische  Herkunft  bewiesen,  und  wie  vieles  Einzelne,  so 
wird  auch  das  Ganze  aus  der  Fremde  von  irgendwoher  stammen. 
Als  Hauptgrund  führen  wir  viertens  den  fragmentarischen 
Charakter  der  älteren  Heilseschatologie  ins  Feld. 

Es  handelt   sich   bei   den  älteren  Propheten,   wie   gezeigt 


246      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

wurde,  nicht  um  ein  vollkommenes  Gemälde,  das  von  einem 
großen  Meister  geschaffen  sein  könnte,  sondern  um  lauter  ein- 
zelne Züge.  Erst  nach  mühsamer  archäologischer  Untersuchung 
konnten  die  Bruchstücke  identifiziert  und  ihre  ursprüngliche 
Zusammengehörigkeit  behauptet  werden.  Denn  der  mythische 
Hintergrund,  der  dem  geübten  Auge  noch  sichtbar  ist,  ist  doch 
so  stark  verwischt  und  verblaßt,  daß  er  dem  flüchtigen  Be- 
schauer nicht  auffällt.  Verständliches  wechselt  mit  halbwegs 
oder  vöUig  Unverständlichem,  zeitgeschichthch  Bedingtes  und 
Mythisches  gehen  durch  einander.  Niemals  wird  in  der  älteren 
Zeit  einfach  und  klar  gesagt:  Das  Paradies  kehrt  wieder,  eine 
neue  Welt  hebt  an,  sondern  wir  sind  gezwungen,  aus  Einzel- 
heiten, die  aus  der  übrigen  Umgebung  herausfallen  und  in 
einem  seltsamen  Kontrast  zu  ihr  stehen,  jene  Idee  rückwärts  zu 
erschließen.  Die  Eschatologie  des  Heiles  ist  allerdings  nicht 
ganz  so  stark  zertrümmert  wie  die  des  Unheils,  immerhin  ist 
das  ursprüngliche  Gebäude  nicht  mehr  erhalten. 

Der  bruchstückartige  Charakter,  der  sowohl  der  Unheils- 
(vgl.  0.  S.  147)  wie  der  Heilseschatologie  eignet,  zeigt  sich  ferner 
in  der  Zusammenhangslosigkeit  und  dem  Auseinanderklaffen 
beider  Teile.  Die  Verbindungslinien  herüber  und  hinüber  sind 
verloren  gegangen.  Auf  der  einen  Seite  wird  die  Vernichtung 
der  ganzen  Menschheit  oder  Israels  betont,  auf  der  andern 
Seite  wird  ein  neues  Paradies  für  die  Menschheit  geschaffen, 
ohne  daß  man  erfährt,  woher  diese  Menschheit  stammt.  Der 
Eestgedanke  ist  nur  ein  kümmerhcher  Ersatz  für  das  fehlende 
Ghed  und  stellt  keine  organische,  sondern  eine  disharmonische 
Vereinigung  zwischen  Weltuntergang  und  Welterneuerung  her 
(vgl.  §  21). 

Dieser  fragmentarische  Charakter  muß  schon  in  der  volks- 
tümhchen  Eschatologie  vorhanden  gewesen  sein.  Hätte  ein 
großer,  festgefügter  Bau  je  in  Israel  existiert,  so  wäre  er  schwer- 
lich so  brüchig  geworden,  wie  es  jetzt  in  den  älteren  Propheten- 
schriften der  Fall  ist.  Diese  Bruchstücke  sind  doch  nur  ver- 
ständlich als  der  Überrest  eines  wirkUch  einmal  vorhandenen 
Baues,  den  wir  zwar  nicht  nachweisen  können,  wohl  aber  postu- 
lieren müssen.  Es  bleibt  darum  nichts  anderes  übrig,  als  die 
Eschatologie  für  außerisraelitischen  Ursprungs  zu  halten.  Das 
ist  um  so  wahrscheinlicher,  als  uns  in  den  späteren  Apokalypsen 


Der  fragmentarische  Charakter  der  Heilseschatologie.       247 

tatsächlich  ein  großer  und  imposanter  Bau  entgegentritt.  Was 
wir  aus  den  Schilderungen  der  Propheten  nur  erschlossen  haben 
als  die  unausgesprochen  zu  Grunde  liegende  Idee,  das  wird  hier 
klar  ausgesprochen  und  im  Zusammenhang  dargestellt:  Die 
Welt  wird  durch  Feuer  vernichtet,  Himmel  und  Erde  werden 
neu,  und  das  Paradies  kehrt  wieder  in  seiner  ganzen  Schön- 
heit. Zwischen  beiden  Tatsachen  Hegt  die  Auferstehung  und 
verknüpft  sie  zu  einem  harmonischen  Ganzen.  Ist  es  wahr- 
scheinlich, daß  dieser  Bau  aus  den  Bruchstücken  entstanden  sei, 
die  wir  aus  dem  Alten  Testamente  kennen  lernen?  Von  den 
Fugen  und  Rissen,  mit  denen  die  Fragmente  vermauert  sein 
müßten,  bemerkt  man  auch  nicht  das  Geringste;  im  Gegenteil, 
es  ist  sachlich  —  nicht  literarisch!  —  eine  einheitliche  Schöpfung 
aus  einem  Guß.  Erst  die  Ruine,  dann  das  stattliche  Schloß, 
welch  seltsames  Rätsel !  Dies  Rätsel  löst  sich  nur  in  dem  Falle, 
wo  man  eine  zweimalige  Einwanderung  desselben  Stoffes  an- 
nimmt. Zum  ersten  Male  strömte  das  Material  in  alter,  vor- 
prophetischer Zeit  ein.  Die  letzten  Spuren  können  wir  in 
unseren  prophetischen  Schriften  verfolgen.  Die  zweite  Über- 
schwemmung Palästinas  mit  eschatologischen  Ideell  geschah  erst 
sehr  viel  später,  als  der  Synkretismus,  die  Verschmelzung  der 
Religionen  des  Orients,  begann,  i 

Die  Kritiker  haben  also  Recht,  wenn  sie  auf  die  lose  Ver- 
bindung zwischen  Unheil  und  Heil  in  der  älteren  Prophetie 
hinweisen.  Man  darf  kaum  einmal  so  viel  sagen,  daß  die 
Propheten  erst  die  lange  Nacht  des  Unheils  und  dann  den 
hellen  Tag  des  Heils  verkündet  hätten.  Selbst  diese  chrono-^ 
logische   Ordnung  der   beiden   Teile,    so  wahrscheinlich  sie  ist, 


1.  Diese  historische  Gesamtauffassung  ist  zuerst  von  Gunkel 
(Forschungen  I  S.  23)  vertreten.  —  Wenn  man  die  ältere  Eschatologie, 
wie  es  wahrscheinlich  ist,  aus  Babylonien  herleiten  darf,  so  wird  man 
sie  vielleicht  aus  astronomischen  Theorien  erklären  müssen.  Gunkel 
verweist  auf  die  Präzession  der  Sonne  (Genesis'^  S.  234).  Neuerdings 
behauptet  Eduard  Meyer  für  die  Eschatologie  ägyptischen  Ursprung. 
Wertvoller  ist  mir  das  Zugeständnis:  »Daß  das  Schema  <^der  propheti- 
schen Verkündigung)  einschließlich  der  messianischen  Zukunft  nicht 
etwa  von  Arnos  oder  Jesaja  geschaffen,  sondern  überkommenes  Gut  ist, 
bedarf  keines  Beweises«.  (Sitzungsberichte  der  Kgl.  preuß.  Akad.  d. 
Wiss.    Philos.-hist.  Classe  vom  22.  Juni  1905.    Bd.  XXXI    S.  651  f.) 


248       Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

läßt  sich  nicht  klar  beweisen,  sondern  nur  erschließen  und  an 
einigen  Stellen  voraussetzen.  Aber  die  Kritiker  haben  Unrecht, 
wenn  sie  deshalb  die  Zukunftshoffnungen  ganz  oder  teilweise 
streichen  wollen.  Der  mythische  Untergrund,  auf  dem 
die  Heilseschatologie  beruht,  ist  ein  unumstößlicher 
Beweis  für  ihr  hohes  Alter.  Der  Glaube  an  die  Wieder- 
kehr des  Paradieses,  der  allein  die  Heilseschatologie  begreiflich 
macht,  kann  nicht  im  Licht  der  Geschichte,  geschweige  denn 
in  dem  oder  nach  dem  Exil  entstanden  sein.  Wenn  eine  Escha- 
tologie erst  einmal  vorhanden  war,  konnten  sich  neue  Ideen, 
seien  es  heimische,  seien  es  auswärtige,  leicht  ankrystallisieren. 
Es  soll  darum  nicht  geleugnet  werden,  daß  einzelne  Fragmente 
zu  allen  Zeiten,  namentlich  seit  dem  Exil,  hinzugekommen  sind. 
Aber  der  Grundstock  existierte  schon  früher  und  muß  als  vor- 
prophetisch gelten. 

Auf  diese  älteste  oder  mythische  Stufe  der  Heils- 
eschatologie, die  in  der  vorexihschen  Prophetie  nur  noch  als 
Untergrund  mehr  oder  weniger  deutlich  erkennbar  ist,  folgte, 
wie  in  der  Unheilseschatologie ,  eine  zweite  oder  volkstüm- 
liche Stufe.  Sie  wird  auch  in  der  Heilseschatologie  vornehm- 
lich charakterisiert  durch  die  palästinische  Färbung 
des  aus  der  Fremde  überlieferten  Stoffes.  Israel  hat  die  Ideen, 
die  es  vom  Ausland  bezog,  umgestaltet  und  teilweise  in  seinem 
Geiste  umgeprägt.  Dadurch  ist  der  ursprünglich  recht  reiche 
mythische  Gehalt  verringert  worden.  Die  Hoffnungen,  die  das 
Herz  des  Volkes  erfreuten,  sind  nur  noch  flüchtig  in  das  leuch- 
tende Gold  des  Mythus  hineingetaucht  und  mit  ihm  wie  mit 
einem  leichten  Überzug  bedeckt.  Vor  allem  ist  aber  der  ur- 
sprünglich weltweite  Horizont  verengert  und  auf  Palästina  be- 
schränkt worden.  Was  anfänglich  von  der  neuen  Welt  mit 
ihrem  neuen  Paradiese  galt,  das  ist  jetzt  allein  für  das  Palä- 
stina der  Endzeit  in  Anspruch  genommen.  Dort  im  Lande 
Israels  spielen  dann  die  Kinder  mit  Kreuzottern  und  Löwen, 
dort  triefen  die  Berge  von  Milch  und  Honig,  dort  werden  die 
Schwerter  zu  Winzermessern  umgeschmiedet,  dort  feiert  man 
das  göttliche  Freudenmahl  der  neuen  Zeit,  dort  liegt  die  Resi- 
denz auf  dem  Gottesberg  im  Norden ,  dort  fließt  der  Strom, 
dessen  Arme  die  Gottesstadt  erfreuen,  dort  verschwinden  Krank- 
heit,   Tränen    und    Tod,    dorthin    eilt    nun  alle  Welt,   um  mit 


Die  volkstümliche  Stufe  der  Heilseschatologie.  249 

Israel  des  höchsten  Glückes  teilhaftig  zu  werden  und  mit  ihm 
seinen  Gott  Jahve  zu  preisen. 

Mochten  auch  die  religiösen  Farben  in  diesem  Bilde  nicht 
ganz  fehlen,  so  werden  sie  doch  nur  als  Hintergrund  gedient 
haben,  von  dem  sich  Israels  Herrlichkeit  desto  schärfer  und 
klarer  abhob.  So  erquickte  und  erfreute  sich  der  israeUtische 
Patriot  an  diesem  Gemälde  der  Endzeit,  und  sehnsüchtig  schaute 
er  in  die  Zukunft,  wo  alle  diese  köstlichen  Dinge  sich  erfüllen 
würden.  Ging  es  den  Israeliten  gut,  so  mochte  die  Aussicht 
auf  ein  solches  Ende  gerechten  Stolz  oder  wohl  gar  nationale 
Eitelkeit  hervorrufen.  Aber  in  noch  höherem  Grade  wird  die 
Heilseschatologie  sie  getröstet  haben,  wenn  äußere  Gefahren 
und  innere  Not  sie  bedrängten.  Dann  hängte  sich  das  Herz 
des  Frommen  an  die  Zukunft,  und  dieser  Glaube  trug  ihn 
hinweg  über  die  Qual  der  Gegenwart.  Die  Heilseschatologie 
war  die  Lösung  all  der  bangen  Rätsel,  die  ihn  ängstigten,  und 
ersetzte  ihm  die  Hoffnung  auf  ein  Jenseits.  Gar  manche 
Lieder  haben  die  Sänger  im  Voraus  gedichtet,  die  dann  ge- 
sungen werden  sollen,  wenn  die  Zeit  erfüllt  ist.  Der  Psalter,  der 
freilich  im  großen  und  ganzen  nachprophetisch  ist,  spiegelt  dennoch 
die  Stimmungen  wieder,  mit  denen  man  im  Volke  der  großen 
heilbringenden   Wendung  entgegensah^. 

Die  dritte  oder  prophetische  Stufe  der  Heilseschato- 
logie wird  weniger  gekennzeichnet  durch  eine  Wandlung  des 
Stoffes  als  vielmehr  durch  die  andersartige  Beleuchtung,  in  die 
der  überlieferte  Stoff  von  jetzt  an  geiückt  wird.  Die  End- 
hoffnungen, die  der  Tradition  entlehnt  sind,  dienen  fortan  dazu, 
um  der  Sehnsucht  nach  dem  religiös-sittlichen  Ideal 
der  Propheten  Ausdruck  zu  verleihen.  Die  herrliche 
Zeit,  die  mit  dem  Tage  Jahves  anbricht,  schafft  die  Erfüllung 
der  prophetischen  Forderungen :  Dann  wird  man  sich  nicht  mehr 
auf  Schwerter,  Rosse  und  Kriegswagen  verlassen,  weil  ein  großes 
Friedensreich  die  Nationen  umspannt  und  weil  sogar  in  die 
Tierwelt  und  in  die  Natur  der  ewige  Friede  seinen  Einzug  hält. 
Dann  wird  man  auf  Jahve  allein  vertrauen,  der  seine  Residenz 
inmitten  seines  Volkes  aufschlägt  und  der  ihr  ein  besserer  Hüter 
sein  wird  als  alle  waffenstarrenden  Heere.    Dann  wird  man  nur 


1.  Vgl.   den   Artikel   Gunkels:    Die  Endhoffnung   des  Psalmisten, 
in  der  Christliclien  Welt.     1903.    No.  48.    Sp.  1130  ff. 


250      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

den  einen  Gott  verehren  in  vollkommener  Gerechtigkeit  und 
Treue  und  wird  die  silbernen  und  goldenen  Götzen  den  Ratten 
und  Fledermäusen  überlassen.  Die  möglichst  enge  Verknüpfung 
der  Heilseschatologie  mit  der  Religion  und  der  Sittlichkeit 
dürfen  wir  als  die  hauptsächlichste  prophetische  Neuerung  an- 
sehen, die  später  nach  dem  Exil  teilweise  wieder  verloren  ge- 
gangen ist. 


B.    Der  Messias. 
§  23.    Der  Hofstil. 

Weinel:  n»tt  und  seine  Derivate  (ZATW  Bd.  18).  Gießen  1898. 
Wellhausen:  Zwei  Eechtsriten  bei  den  Hebräern  (Archiv  f.  Kel.-Wiss. 
Bd.  7).  Leipzig  1904.  Adolf  Erman:  Die  ägyptische  Keligion.  Berlin 
1905.  Morris  Jastrow:  Die  Keligion  Babyloniens  und  Assyriens.  Bd.  I. 
Gießen  1902. 

Ein  heutzutage  dem  Könige  eingereichtes  Aktenstück  trägt 
einen  festen,  ausgeprägten  Stil,  zu  dem  gewisse  Anreden,  Unter- 
schriften und  Formeln  gehören,  die  zum  Teil  unserm  modernen 
Empfinden  widersprechen,  die  wir  aber  doch  ruhig  gebrauchen, 
weil  sie  aus  der  alten  Zeit  stammen  und  durch  Jahrhunderte 
lange  Gewohnheit  geheiligt  sind.  Das  wird  so  bleiben  und  ist 
immer  so  gewesen,  solange  Sitte  und  Brauch  existiert  haben. 
Genau  ebenso  haben  die  vom  Könige  selbst  ausgefertigten  Er- 
lasse einen  ganz  charakteristischen  Typus,  dessen  Eigenart  mög- 
lichst wenig,  am  liebsten  gar  nicht  Änderungen  unterworfen  wird. 
Das  konservative  Element,  das  jedem  Stile  innewohnt,  macht 
sich  aus  naheliegenden  Gründen  beim  Hofstil,  der  die  beiden 
genannten  Arten  zusammenfaßt,  am  meisten  geltend.  Leider 
besitzen  wir  im  Alten  Testament  kein  einheimisch-israelitisches 
Dokument,  etwa  den  Brief  eines  Untertanen  an  seinen  Herrn, 
durch  den  uns  der  Hofstil  anschaulich  vor  Augen  geführt  würde. 
Wir  sind  darum  auf  indirekte  Schlüsse  aus  gelegentlichen,  zu- 
fällig überlieferten  Notizen  angewiesen.  Gute  Führerdienste 
können  uns  die  babylonischen  Urkunden  leisten,  ohne  daß  wir 
darum  die  israelitischen  Parallelen  ohne  weiteres  für  babyloni- 
schen Ursprungs  zu  halten  brauchen. 

Das  Vorhandensein  dieses  Stiles  ist  im  letzten  Grunde 
selbstverständlich.     Bei  der  Thronbesteigung,  bei  der  Bückkehr 


Der  Hofstü.  251 

vom  Kriegsschauplatz,  bei  der  Vermählung,  bei  der  Geburt  eines 
Thronfolgers,  bei  diplomatischen  Empfängen  und  sonst  bei 
prunkvollen  Festen  des  Königs  muß  der  Hofsänger  die  Leier  stets 
auf  einen  bestimmten  Ton  stimmen  und  alte,  regelmäßig  sich 
wiederholende  Gedanken  nicht  nur  über  den  König  selbst,  son- 
dern auch  über  den  Glanz  seiner  Herrschaft,  den  Reichtum 
seines  Landes  und  das  Gelingen  seiner  Unternehmungen  vor- 
tragen. Nur  die  Form,  in  die  er  seine  Worte  kleiden  will,  ist 
ihm  überlassen.  Je  nachdem  sich  bedeutende  Zeitereignisse 
abgespielt  haben  oder  nicht,  je  nachdem  wird  der  charakter- 
istische Typus  dieser  Hoflieder  stärker  oder  schwächer  gewandelt 
Dieser  Einschlag  aus  der  Gegenwart  ist  inhalthch  meist  leicht 
zu  erkennen,  er  allein  verleiht  zusammen  mit  der  Eigenart  des 
Dichters  den  Liedern  lebendigen  Reiz.  Zieht  man  das  Indivi- 
duelle und  die  Zeitfärbung  ab,  so  bleibt  noch  ein  großer  Rest^ 
der  für  alle  HofUeder  typisch  ist  und  der  uns  hier  allein  inter- 
essiert. 

Die  Berufung  des  Königs  Merodochbaladan  II.  wird  auf 
dem  Berliner  Grenzstein  so  geschildert:  Marduk  faßte  zum 
Lande  Äkkad  (=  Bahylonien),  von  dem  er  im  Grimm  sich 
abgewandt  hatte,  Zuneigung,  hielt  Umschau  unter  allen  Leuten, 
musterte  die  Menschheit;  unter  allen  Menschen,  sämtlichen  Wohn^ 
sitzen  traf  er  in  festem  Beschlüsse  Auswahl;  Merodachbaladan, 
den  König  von  Babylon,  ....  sah  er  freudig  an  .  . .  und  ver- 
kündete  durch  seinen  Ausspruch:  Dies  sei  der  Hirte,  der  die 
Versprengten  zusammenbringt^.  Ähnlich  heißt  es  in  der  Cylin- 
derinschrift  von  Cyrus:  Marduk  faßte  Erbarmen,  In  allen 
Ländern  insgesamt  hielt  er  Umschau,  musterte  sie  und  suchte 
einen  gerechten  Fürsten  nach  seinem  Herzen,  ihn  zu  fassen  bei 
seiner  Hand:  Kuras,  König  von  Aman,  berief  er  mit  Namen; 
zur  Herrschaft  über  die  Gesamtheit  des  Alls  tat  er  kund 
seinen  Namen^.  Zum  Teil  mit  denselben  Ausdrücken  sagt  der 
in  Babylonien  lebende^  Deuterojesaja  von  Cyrus,  daß  Jahve  ihn 
bei  der  Hand  gefaßt  und  seinen  Namen  gerufen  habe  (Jes.  45 1.4). 
Ob  hier  ein,  wenn  auch  nur  indirekter,  Anschluß  an  den  baby- 

1.  Keilinschr.  Bibl.  III  1  S.  185  ff.     Zimmern  KAT^  S.  382. 

2.  Keilinschr.  Bibl.  III  2  S.  121  ff.     Zimmern  KAT^  S.  381. 

3.  Vgl.  das,  was  oben  (S.  223)  über  die  Idee  der  Götterstraße  aus- 
geführt wurde. 


252     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Ionischen  Hofstil  vorliegt^,  läßt  sich  nicht  sicher  entscheiden, 
da  wir  den  israelitischen  Hofstil  nicht  genügend  kennen 2.  Jeden- 
falls müssen  beide,  wie  aus  den  zahlreichen  Parallelen  im  fol- 
genden erhelltj  einander  sehr  ähnlich  gewesen  sein.  Sie  stimmen 
übrigens  auch  mit  dem  ägyptischen  Hofstil  im  großen  und  ganzen 
überein. 

Ebenso  wie  in  den  bereits  zitierten  Texten,  »so  heißt  es 
nicht  nur  zahllose  Male  in  den  babylonischen  und  assyrischen 
Königsinschriften  seit  der  ältesten  Zeit  bis  in  die  jüngste  Zeit, 
daß  der  und  der  König  von  den  Göttern  zur  Herrschaft  über  das 
Land  berufen,  von  ihnen  ausersehen  worden  sei,  z.  T.  auch  mit 
dem  Zusatz,  daß  schon  in  seiner  Kindheit,  im  Mutterleibe,  der 
König  durch  die  Götter  zur  Regierung  bestimmt  worden  sei, 
sondern  es  wird  wiederholt  auch  gesagt,  daß  schon  vor  alters, 
vor  fernen  Tagen,  solche  göttliche  Bestimmung  des  Königs  zur 
Herrschaft  erfolgt  sei  «3.  Auch  die  israelitischen  Könige  fühlten 
sich  als  die  Erkorenen  Jahves.  David  sagt  zur  Michal,  Jahve 
habe  ihn  vor  ihrem  Vater  und  vor  dessen  ganzem  Hause  erwählt, 
um  ihn  zum  Fürsten  über  Israel,  das  Volk  Jahves,  zu  bestellen 
(II  Sam.  621  vgl.  I  Reg.  Sie),  und  I  Sam.  16  schildert,  wie  Sa- 
muel auf  Anstiften  Jahves  den  jüngsten  der  Söhne  Isais,  der 
des  Vaters  Schafe  hütet,  erkiest  und  salbt.  Es  fehlt  hier  zwar 
der  weltweite  Horizont  des  Babyloniers,  der  die  Gottheit  nicht 
bloß  ein  Volk,  sondern  alle  Völker  mustern  läßt,  um  seine  Aus- 
wahl zu  treffen,  aber  das  ist  durch  die  Situation  notwendig  ge- 
geben. Wer  aber  wollte  behaupten,  daß  auch  solche  Worte,  die 
von  der  ganzen  Welt  reden,  in  Israel  ausgeschlossen  seien? 

Das  ersehen  wir  aus  Dichtungen  wie  Ps.  2.  72. 110.  Höfische 
Schmeichelei  wünscht  hier  dem  regierenden'^  Könige  Israels  die 
Weltherrschaft:  Er  soll  die  Völker  zermalmen  mit  eisernem 
Stabe,  soll  herrschen  von  Meer  zu  Meer  und  sitzen  zur  Rechten 
Jahves,    bis   daß   dieser   lege   die   Feinde   zum   Schemel  seiner 


1.  So  Kittel:  Cyrus  und  Deuterojesaja  ZATW  Bd.  18.  S.  160. 

2.  So  GuNKEL  nach  schriftlicher  Mitteilung.    Doch  vgl.  §  28. 

3.  ZiMMEBN  KAT^  S.  403. 

4.  So  mit  Eecht  Gunkel  in  seinen  »Ausgewählten  Psalmen«. 
Aber  mit  Unrecht  nimmt  er  eine  Übertragung  der  eschatologischen 
Messiashoffnungen  auf  den  regierenden  König  an.  Der  Messias  hat  hier 
nichts  zu  suchen.    Es  war  eben  Hofstil,  so  vom  Kegenten  zu  sprechen. 


Vorstellungen  vom  Könige.  253 

Füße.  Man  würde  Israel  einen  seltsamen  Größenwahn  zu- 
sprechen, wollte  man  ihm  selbst  in  den  kühnsten  Träumen  die 
genuine  Erwartung  eines  weltumspannenden  Königreiches  zu- 
trauen. Sie  kann  bei  ihm  so  wenig  entstanden  sein,  wie  es 
heutzutage  bei  einem  modernen  Dichter  undenkbar  ist,  daß  er 
etwa  dem  Fürsten  von  Montenegro  die  europäische  Kaiserkrone 
spontan  verheißen  sollte!  Der  Ursprung  des  Glaubens  an  ein 
Weltreich  ist  psychologisch  nur  verständlich  bei  einem  Volke, 
das  mit  gutem  Recht  den  Anspruch  auf-  die  Weltherrschaft 
erheben  darf.  Die  »Welt«  ist  nach  damaliger  Anschauung 
natürlich  viel  kleiner  als  heute,  aber  Israel  hatte  kaum  einmal 
einen  Begriff  von  dieser  kleinen  Welt.  Es  fehlte  ihm  der 
lebendige  Eindruck,  und  darum  kann  die  Rolle,  die  die 
Welt  in  seiner  Religion  tatsächlich  spielt,  nicht  von  ihm  selbst 
gedichtet  sein.  Etwas  ganz  anderes  ist  es,  wenn  etwas  zum  Stil 
geworden  ist.  Dann  kann  es  weiter  wandern  und  sich  auch 
da  lokalisieren,  wo  es,  streng  genommen,  absurd  oder  lächerlich 
ist.  Das  Hofzeremoniell  Ludwigs  XIV.,  das  in  Frankreich  viel- 
leicht seinen  guten  Sinn  hatte,  ward,  weil  der  König  nun  einmal 
tonangebend  war,  nachgeahmt  an  all  den  kleinen  Fürstenhöfen 
Europas  und  sank  damit  zur  Karrikatur  herab. 

So  muß  notwendig  auch  der  israelitische  Hofstil  aus  der 
Fremde  stammen.  Man  kann  sich  das  sehr  gut  an  Ps.  2 
klar  machen.  Die  hier  vorausgesetzte  Situation  paßt  nur  schlecht 
zu  einem  israelitischen  Könige.  Denn  er  hat  keine  Fürsten 
und  Völker  unter  sich,  die  sich  wider  ihn  empören  könnten. 
Das  Bild  wird  sofort  anschaulich  und  lebendig,  wenn 
man  einmal  annimmt,  der  Psalm  sei  in  einem  Welt- 
reich entstanden.  Wie  oft  hat  es  die  Geschichte  gelehrt, 
daß  der  Thronwechsel  in  einem  gewaltigen  Weltreich  von  den 
unterworfenen  Völkern  und  Königen  benutzt  wird,  um  das  Joch 
der  Fremdherrschaft  von  sich  abzuschütteln!  Unter  diesem 
Gesichtspunkte  muß  man  den  Psalm  lesen :  Der  mächtige  König, 
der  auch  die  fremden  Untertanen  im  Zaum  hielt,  ist  gestorben. 
Das  ist  das  Zeichen  zum  Abfall,  und  schon  laufen  die  Fäden 
der  Verschwörung  durch  das  ganze,  unermeßHche  Reich.  Diese 
Situation  benutzt  der  Sänger,  um  den  neuen  König  bei  seiner 
Thronbesteigung  zu  verherrlichen.  Er  schildert  die  gefährliche 
politische  Lage,  gibt  aber  zugleich  seinem  Herrscher  den  Trost, 


254     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

daß  sein  Gott  im  Himmel  für  ihn  ist.  Wer  vermag  wider  ihn 
zu  sein?  Und  dann  legt  er  ihm  die  Worte  in  den  Mund  und 
läßt  ihn  selbst  reden:  Ich  aber  hin  als  sein  (Gottes)  König 
bestellt^  ....  Er  sprach  zu  mir:  »Du  bist  mein  Sohn,  ich 
selbst  habe  dich  heute  gezeugt!  Bitte  von  mir,  so  geb  ich  dir 
Völker  zum  Erbe,  zum  Besitz  die  Enden  der  Welt!  Du  darfst 
sie  mit  eisernem  Stabe  zermalmen,  wie  Töpfergeschirr  sie  zer- 
trümmern«. Zum  Schluß  wendet  sich  der  Dichter  an  die  unter- 
worfenen Könige:  Nun  aber,  ihr  Könige,  seid  klug;  laßt  euch 
warnen,  ihr  Richter  der  Erde. 

Von  besonderem  Interesse  ist,  daß  hier  die  babylonische 
Adoptionsformel  (Hammurabi  §  192)  vorliegt^.  An  dem  Tage, 
wo  der  König  den  Thron  besteigt,  wird  er  von  der  Gottheit  an 
Sohnes  statt  angenommen  mit  den  Worten:  Du  bist  mein 
Sohn;  ich  selbst  habe  dich  heute  gezeugt.  Ebenso  beachtenswert 
ist  der  Ausdruck  in  Ps.  728,  dessen  Verständnis  ich  Eichhorn 
verdanke:  Er  herrsche  von  Meer  zu  Meer  und  vom  Euphrat  bis 
zu  den  Enden  der  Welt.  Die  zweite  Hälfte  dieser  technischen 
Redensart  (sie  kehrt  auch  Zach.  9io  wieder)  muß  in  ßabylo- 
nien  geprägt  sein,  obwohl  sie  einstweilen  aus  babylonischen 
Quellen  noch  nicht  belegt  werden  kann.  Denn  die  Größe  eines 
Reiches  wird  allewege  bezeichnet,  indem  man  entweder  die 
beiden  äußersten  Grenzen  nennt  (von  einem  Weltmeer  bis  zum 
andern),  oder  indem  man  vom  Zentrum ^  zur  Peripherie  geht 
(vom  Euphrat  bis  zu  den  Enden  der  Welt).  So  sind  einige 
Phrasen  aus  Babylonien  nach  Israel  gewandert,  dort  einheimisch 
geworden  und  in  israelitischem  Sinne  umgedeutet.  Da  sie 
ihren  Sitz  im  Hofstil  haben,  so  dürfen  wir  diesen,  wenigstens 
zum  Teil,  für  babylonischen  Ursprungs  halten. 

Nicht  immer  sind  wir  in  der  günstigen  Lage,  Zusammen- 
hänge zwischen  dem  Hofstil  Israels  und  dem  der  beiden  Welt- 
reiche, Babylonien  oder  Ägypten,  nachzuweisen.  Wir  müssen 
uns  im  übrigen  begnügen,  sie  zu  vermuten  und  uns  auf  eine 
Sammlung  des  Materials  beschränken.  Besonders  beliebt  war, 
nicht  nur  in  Israel,  das  Prädikat  der  Ewigkeit,  das  in  ver- 
schwenderischer  Fülle   über  den  König  ausgeschüttet  wird.     So 

1.  So  ist  mit  den  LXX  zu  verstehen.  2.  So  zuerst  Gunkel. 

3.  Als  Ende  der  Welt  kann  der  Euphrat  für  die  Israeliten  nicht 
in  Betracht  kommen. 


r 


Yorstellungen  vom  Könige.  255 


heißt  es  in  dem  Gruße:  Der  König  lebe  ewiglich  (IReg.  I31. 
Neh.  23.  Dan.  24.  89),  so  heißt  es  auch  im  Liede:  Ihm  möge 
Jahve  ewige  Lebensdauer  verleihen  (Ps.  21 5.  61 7).  Sein  Haus 
soll  für  ewig  Bestand  haben,  sein  Thron  feststehen  in  Ewigkeit 
(IlSam.  7i6.  IReg.  245.  95.  Ps.  I851.  45?.  72 17).  Aber  auch 
abgesehen  von  den  Segenswünschen  für  die  Zukunft  wird,  was 
unserm  Empfinden  nicht  so  verständlich  ist,  das  Haus  Davids 
in  die  Urzeit  zurückdatiert:  An  jenem  Tage  will  ich  die  ver- 
fallene Hütte  Davids  wieder  aufrichten  und  ihre  Bisse  ver- 
mauern und  die  Trümmer  wieder  aufhauen  j  und  ich  will  sie 
machen  wie  in  den  Tagen  der  Urzeit  (Am.  9 11).  Dbiy  "'^a'^iD 
ist,  wörtlich  aufgefaßt,  in  dem  oder  nach  dem  Exil  ebenso  un- 
begreiflich wie  zur  Zeit  des  Amos.  Es  wird  begreiflich  nur 
durch  den  Hofstil,  dem  solche  Übertreibungen  geläufig  sind,  der 
es  liebt,  die  Dynastie  als  uralt  hinzustellen,  mag  sie  nun  im 
Licht  der  Geschichte  oder  gar  erst  vor  kurzem  zur  Herrschaft 
gekommen  sein.  Ferner  gehören  hierher  die  üblichen  Segens- 
wünsche: Es  möge  dem  Könige  nie  an  Nachfolgern  und  an 
zahlreichem  Nachwüchse  fehlen  (II  Sam.  7 12.  I  Reg.  9  5.  Jer. 
33 20 ff.  Ps.  89 so);  mit  seinem  Namen  sollen  sich  segnen  alle 
Geschlechter  auf  Erden,  und  alle  Völker  sollen  ihn  glücklich 
preisen  (Ps.  72 17);  überhaupt  alle  die  Lobeshymnen  des  Regenten, 
wie  auch  immer  sie  lauten  mögen. 

Daß  dieser  Hofstil  sich  nur  in  Israel  und  nirgendwo  sonst  ge- 
bildet haben  könnte,  läßt  sich  nicht  nachweisen.  Im  Gegenteil 
deuten  einige  seiner  Elemente  (die  Idee  der  Weltherrschaft,  die 
Vorstellung  von  der  Adoption  des  Königs  durch  die  Gottheit, 
die  Redensart  Ps.  72  s)  auf  ausländischen,  vornehmlich  babyloni- 
schen Ursprung  hin.  Fragen  wir,  wann  er  eingewandert  sei, 
so  ist  als  Terminus  a  quo  die  Entstehung  des  israelitischen 
Königtums  gegeben.  Genauer  werden  wir  an  die  Zeit  Salomos 
denken  dürfen,  der  zuerst  in  größerem  Umfange  einen  regen 
Verkehr  mit  den  Nachbarkönigen  unterhielt  und  unter  dem  das 
israelitische  Hofzeremoniell  geprägt  wurde.  Eine  direkte  Ab- 
hängigkeit vom  babylonischen  Hofstil  ist  wenig  wahrscheinlich; 
eher  mag  dieser  auf  indirektem  Wege  durch  phönikische  Ver- 
mittlung seinen  Einfluß  ausgeübt  haben,  da  ja  König  Hiram 
von  Tyrus  ein  Freund  Salomos  war.  Unter  solchen  Umständen 
wäre  es  falsch,   wollten  wir  in  Israel  nach  psychologischen  Mo- 


256     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

tiven  suchen,  aus  denen  der  Hofstil  zu  erklären  sei.  Da  er  aus 
der  Fremde  übernommen  ist,  so  darf  man  nur  sagen:  Der  Hof- 
stil spielte  eine  Rolle  allein  deshalb,  weil  er  nun  einmal  vor- 
handen war  und  zu  dem  notwendigen  Zeremoniell  jedes  orien- 
talischen Königtums  gehörte.  Höchstens  darf  man  auf  die  devote 
Überschwänglichkeit  aufmerksam  machen,  die  diesen  Stilz  um  Teil 
geschaffen  und  sich  auch  in  Israel  geäußert  hat  (Gunkel).  Aus 
den  technischen  Bezeichnungen  Sohn  Gottes  (11  ^dim.  7i4.  Ps.  2?) 
oder  Erstgeborner  Gottes  (Ps.  8928)  für  den  König  darf  man 
irgend  welche  Schlüsse  auf  Königsvergötterung  nicht  ziehen. 
Denn  das  war  eben  Stil,  so  vom  König  zu  reden,  und  bei 
einem  Stil  fragt  niemand,  ob  er  einen  Sinn  hat  oder  nicht. 
Am  allerwenigsten  darf  man  diese  Ausdrücke  wörtlich  fassen, 
als  ob  der  König  damals  für  einen  physischen  Sohn  der  Gottheit 
gegolten  habe.  Oder  glaubt  man  die  Grüße,  die  dem  Könige 
ewiges  Leben  wünschen,  wörtlich  deuten  zu  dürfen? 

Grade  das  läßt  sich  als  ein  spezifisch  israelitisches 
Charakteristikum  innerhalb  des  Hofstiles  herausheben:  das 
fast  völlige  Zurücktreten  der  Königsvergötterung. 
Die  babylonisch-assyrischen  Könige  galten  schon  nach  den  älte- 
sten Inschriften  als  Kinder  der  Muttergöttin  und  wurden  als 
Göttersöhne  verherrlicht.  So  ernährte  sich  Lugalzaggisi  von 
der  Lebensmilch  der  Ninharsag,  Gudea  sog  an  den  Brüsten  der 
Nina  und  Assurbanipal  saß  im  Schöße  der  Istar^.  In  der  alt- 
babylonischen Zeit  wurden  sie  auch  nach  dem  Tode  apotheosiert 
und  direkt  mit  den  Stemgöttern  identifiziert^.  Aber  das  klas- 
sische Land  der  Königsvergötterung  war  Ägypten:  »Die  Gött- 
lichkeit des  Herrschers  gehört  in  Ägypten  zu  den  uralten 
Dogmen«*.  So  lehrt  es  uns  auch  der  Hofstil  der  Tell-el- 
Amarnabriefe.  Wenn  also  Israel  den  Hofstil  von  einem  an- 
deren Volke  übernommen  hat,  so  hat  es  ihn  doch  in  seinem 
Geiste  umgeprägt.  Denn  im  ganzen  Alten  Testamente  wird 
der  (regierende)  König  nur  ein  einziges  Mal  mit  dem  Titel 
Gott  angeredet* :  Dein  Thron,  o  Gott,  steht  immer  und  ewiglich. 
Wir  haben  hier  ein  Überbleibsel  aus  einer  Periode,  wo  es  auch 
in  Israel   einmal   geläufiger  war,    den  König  Gott  zu    nennen, 

1.  Zimmern  K AT»  S.  379.  2.  Zimmern  KAT''  S.  639. 

3.  Erman  S.  39;  vgl.  S.  40.  79.  199.  208. 

4.  So  mit  Eecht  Gunkel  zu  Ps.  45?. 


Vorstellungen  vom  Könige.  257 

obwohl  dieser  Brauch  vielleicht  niemals  allzu  stark  in  Übung 
gewesen  sein  mag.  Spätere  Redaktoren  werden  unsere  Texte 
überarbeitet  und  wie  alles  Anstößige  so  auch  diese  Titulatur 
des  Königs  ausgemerzt  haben.  Nur  diese  eine  Stelle  ist  ihnen 
entgangen  und  gibt  uns  Kunde  von  einem  verschollenen  Ht^sti), 
der  einen  allgemein  orientalischen  Charakter  trug.  Mag  nun 
die  Königsvergötterung  von  vorneherein  zurückgetreten  oder 
später  zurückgedrängt  sein,  jedenfalls  zeigt  sich  hier  die  ge- 
waltige Höhe  der  israelitischen  Religion,  die,  frei  von  byzantini- 
scher Schmeichelei,  den  menschlichen  Herrscher  in  respektvoller 
Entfernung  von  Jahve  hält*.  Der  ungeheure  Abstand  des 
Königs  von  der  Gottheit  zeigt  sich  deutlich  auch  Zach.  128, 
wo  gesagt  wird,  daß  in  der  eschatologischen  Zeit  der 
Schwächste  zum  Helden  wird  wie  David  und  das  Haus  Davids 
wie  Gott^.  Wer  wollte  es  da  wagen,  das  gegenwärtige  Königs- 
geschlecht auch  nur  mit  der  Gottheit  zu  vergleichen,  geschweige 
denn  mit  ihr  gleichzusetzen?  Aus  dem  Worte  des  Weibes  von 
Tekoa,  dem  David  ob  seiner  Weisheit  wie  der  Engel  Jahves 
erscheint  (II  Sam.  14 17. 20),  darf  man  keine  Schlüsse  auf  Ver- 
götterung ziehen,  da  es  sich  hier  um  eine  devote  Redewendung 
handelt,  die  keinen  religiösen  Wert  hat.  So  lange  die  Israeliten 
nur  Dorfschulzen  und  kleine  Scheichs  hatten,  d.  h.  in  der  soge- 
nannten Richterzeit,  war  eine  Vergötterung  der  Herrscher  über- 
haupt ausgeschlossen,  da  sie  ein  höfisches  Zeremoniell,  eine 
Schranke  zwischen  Volk  und  Thron  und  eine  größere  Macht 
zur  unbedingt  notwendigen  Voraussetzung  hat.  Diese  Erwägung 
zwingt  uns  wiederum,  beim  israelitischen  Hofstil  fremden  Einfluß 
anzunehmen:  Die  Königsvergötterung  kann  nicht  israelitischen 
Ursprungs  sein.  Daß  sie  seit  der  Zeit  Davids  in  Israel  auto- 
chthon  entstanden  sei,  ist  von  vorneherein  unwahrscheinlich. 

Eine  gewisse  Annäherung  des  Königs  an  die  Gott- 
heit, die  aber  noch  zu  keiner  Identifizierung  mit  ihr 
geführt  hat,  läßt  sich  freiHch  auch  in  Israel  an  zwei  Punkten 
beobachten.  Der  elfenbeinerne  Thron  Salomos,  der  auf  sechs 
von  je  zwei  Löwen  flankierten  Stufen  stand  (IReg.  lOisff.), 
»ahmt  den  Thron  des  höchsten  Himmelsgottes  nach,  der  hoch 
oben    auf  der  siebenten    der   von  Dämonen    bewachten    himm- 

1.  Vgl.    GUNKEL   ZU   Ps.   20. 

2.  Und  wie  der  Engel  Gottes  ist  Glosse. 
ForschuDgen  zur  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  n.  NT.  6.  17 


258      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

lischen  ,Festen'  sitzt«  ^.  Ob  Salomo  und  seine  Zeitgenossen 
diesen  Sinn  noch  gekannt  haben,  wissen  wir  nicht.  Die  Mög- 
hchkeit,  daß  Salomo  den  Glanz  seines  Königtums  in  die  gött- 
liche Sphäre  rücken  wollte,  wird  man  mit  Sicherheit  nicht  in 
Abrede  stellen  können.  Immerhin  ist  es  auf  der  anderen  Seite 
zweifellos,  daß  sich  Salomo  hier  an  (phönikisch-)babylonische 
Vorbilder  anlehnt  und  deshalb  vielleicht  mehr  unbewußt  als 
bewußt  das  irdische  Regiment  dem  himmlischen  annähern  wollte. 
Von  irgend  welchem  Einfluß  auf  die  rehgiöse  Wertschätzung 
des  Königs  ist  dieser  Akt,  soweit  wir  heute  sehen,  nicht  ge- 
wesen. 

Der  König  ist  femer  der  Gesalbte  Jahves  (mn*^  H''^'^). 
Fragen  wir,  was  das  damals  bedeutete,  so  erhalten  wir  aus 
unseren  Quellen  die  Antwort:  Durch  die  Ölsalbung  ist  der 
König  sakrosankt  geworden.  Er  ist  fortan  unverletzlich 
(ISam.  26.  IlSam.  lidff.  49ff.).  Dem  David  schlägt  schon  das 
Gewissen,  als  er  dem  Könige  Saul  einen  Zipfel  seines  Gewandes 
abgeschnitten  hat  (ISam.  24 ef.).  Wer  dem  Könige  flucht,  wird 
ebenso  gesteinigt,  wie  derjenige,  der  Gott  lästert  (IlSam.  1922). 
So  ist  der  König  durch  die  Salbung  aus  der  alltägUchen  Sphäre 
herausgehoben  und  möglichst  nahe  an  die  Gottheit  herangerückt. 
Bis  hierher  führen  uns  die  Nachrichten  des  Alten  Testamentes 
selbst.  Wollen  wir  weiter  forschen,  woher  der  Eitus  der  Öl- 
salbung stammt  und  wie  er  seine  gegenwärtige  Bedeutung  er- 
langt hat,  so  müssen  wir  uns  auf  das  Gebiet  der  Hypothesen 
begeben.  Vielleicht  dürfen  wir  vermuten,  daß  der  Bitus  von 
der  Gottheit  auf  den  König  übertragen  wurde.  Im  Kultus 
der  Ägypter  nimmt  der  Priester,  nachdem  er  den  Gott  in  der 
Kapelle  begrüßt  hat,  »seine  Geräte,  die  er  im  Kasten  bei  sich 
hat,  und  beginnt  damit  die  tägliche  Toilette  Gottes.  Er  be- 
sprengt sein  Bild  aus  zweimal  vier  Krügen  mit  Wasser,  er  be- 
kleidet es  mit  Leinenbinden,  die  weiß,  grün,  rot  und  rötlich 
sind,  er  salbt  es  mit  Öl,  legt  ihm  grüne  und  schwarze 
Schminke  auf  imd  was  dieser  Dinge  mehr  sind«  (Eeman 
S.  49).  Auch  in  Babylonien  darf  am  Ende  ein  ähnlicher  Bitus 
aus  den  Zaubertexten  erschlossen  werden:   Helles  Öl,  reines  Öl, 


1.  Gunkel:  Psalmen  S.  90. 


Der  Gesalbte.  259 

glänzendes  Öl,  Öl,  welches  die  Götter  glänzend  machtK  Wie 
mit  Sahne  uiid  Honig  2,  so  mögen  die  babylonischen  Götterbilder 
ebenfalls  mit  Öl  bestrichen  sein.  In  Babylonien  ist  allerdings, 
80  weit  wir  bis  heute  wissen,  die  Salbung  des  Königs  unbe- 
kannt 3.  In  Kanaan  aber  ist  sie  seit  alters  gebräuchlich  gewesen, 
wie  wir  jetzt  aus  den  Tell-el-Amarnabriefen  gelernt  haben*. 
Ebenso  dürfen  wir  aus  Gen.  28  is  schheßen,  daß  schon  die 
Kanaaniter  den  Steinkörper  der  Gottheit  von  Bethel  mit  Öl 
eingerieben  haben.  Aus  solchen  Eiten  des  Kultus  mag  die 
Salbung  der  Könige  hervorgegangen  sein,  die  wohl  mit  kulti- 
schem d.  h.  heiligem,  außergewöhnlichen  Öl  erfolgte.  Bei  der 
Inthronisation  vertritt  der  Priester  die  Rolle  des  Gottes  und  voll- 
zieht in  dessen  Namen  den  Akt  der  Weihung:  So  ist  der  von 
Jahve  Gesalbte  durch  das  kultische  Öl  geheihgt  und  sakrosankt 
geworden.  Später^  dachte  man  sich,  bei  der  heihgen  Handlung 
werde  ein  materielles  Fluidum,  der  göttHche  Lebensstoff  oder, 
nach  gewöhnlicher  Ausdrucksweise,  der  heilige  Geist  (ISam.  lOe. 
16 13.  Jes.  61 1)  auf  den  König  übertragen.  Es  bildete  sich  die 
Vorstellung  von  einem  götthchen,  himmlischen  Öl,  das  schöner 
als  alles  irdische  Öl  speziell  für  die  Götter  vorhanden  sei.  Im 
Paradies,  im  Götterlande  wachsen  solche  Bäume,  von  denen 
das  Öl  des  Lebens  fließt  (Vita  Adae  c.  36;  vgl.  IIHen.  83.5 
Rez.  B.).  Als  Henoch  in  den  zehnten  Himmel  kommt,  wird 
er  mit  einem  Öl  gesalbt,  dessen  Glanz  wie  schöner  Tau  und 
Sonnenstrahlen  und  dessen  Duft  wie  Myrrhe  ist  (IIHen.  229). 


§  24.    Die  Segenszeit. 

Im  vorigen  Paragraphen  ist  zu  zeigen  versucht,  daß  ein 
israehtischer  Hofstil  mit  einem  bestimmten  Typus,  mit  fest- 
stehenden Ideen,  Titulaturen  und  Redensarten  existiert  hat, 
zunächst  ganz  abgesehen  von  der  Eschatologie.  Man  darf  sich 
nicht  irre  führen  lassen  durch  das  Wort  Messias.    Im  Alten 


1.  Maklü  VII  31  ff.     Beitr.    zur   Assyr.   IV    S.  160f.     Jastkow  I 
S.  318.  2.  ZiMMEBN  KAT.3  S.  526. 

3.  Zimmern  KAT.^  S.  602.  4.  KB.  V  No.  37. 

5.  Icli  halte  diese  Anschauung  —  im  Gegensatz  zur  herrschenden 
Auffassung  —  nicht  für  ursprünglich. 

17* 


260      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Testamente  kann  jeder  König  Messias  heißen.  Unser 
heutiger  Sprachgebrauch,  der  aus  dem  Neuen  Testamente  stammt 
und  dem  auch  ich  mich  anschließe,  bezeichnet  —  was  jedesmal 
wohl  zu  beachten  ist!  —  als  Messias  nur  den  letzten  escha- 
tologischen  König,  der  keine  Nachfolger  mehr  hat. 
Wenn  wir  jetzt  zur  Eschatologie  übergehen,  so  glaube  ich,  mit 
ihrer  Hülfe  den  Hofstil  in  einigen  wesentlichen  Punkten  er- 
gänzen zu  können. 

Innerhalb  der  heilseschatologischen  Schilderungen  sondert 
sich  eine  gewisse  Gruppe  von  Vorstellungen  aus,  die  ursprüngUch 
mit  dem  Könige  und  seiner  Verherrlichung  zusammenhängt. 
Diese  Züge  sind  später  oft  gänzlich  vom  Könige  losgelöst  und 
bilden  ein  eigenes  Kapitel  im  Drama  der  Endzeit.  Das  ist 
überall  da  der  Fall,  wo  der  König  nicht  genannt  wird  und  an 
seine  Stelle  die  Gottheit  oder  Israel  oder  Jerusalem  getreten 
ist  (z.  B.  Jes.  c.  60).  Die  Einzelheiten  waren  eben  so  typisch,  daß 
sie  auch  dann  aufgezählt  wurden,  wenn  der  natürliche  Mittel- 
punkt (d.  h.  der  König)  verschwunden  ist,  um  den  sie  sich 
ursprünglich  gruppiert  haben  müssen,  wie  sich  aus  der  Natur 
der  Sache  ergibt.  Sie  gehören  so,  wie  sie  uns  heute  vorliegen, 
zum  eschatologischen  Stil.  Ich  behaupte  nun,  daß  die 
Dinge,  die  im  Folgenden  zusammengestellt  sind,  einstmals  auch 
eine  Rolle  im  Hofstil  gespielt  haben,  d.  h.  daß  sie  nicht  nur 
von  dem  eschatologischen,  sondern  von  jedem  behebigen 
(regierenden  oder  künftigen)  Könige  ausgesagt  werden  konnten 
und  ausgesagt  wurden. 

Diese  Behauptung  gründet  sich  zuerst  auf  den 
babylonisch-assyrischen  Hofstil.  Dort  kann  die  Regierung 
eines  Königs  als  eine  Zeit  des  Segens  geschildert  werden.  So 
heißt  es  in  dem  Brief  eines  Höflings  an  Assurbanipal :  Tage 
des  Rechts,  Jahre  der  Gerechtigkeit,  reichliche  Regengüsse,  ge- 
waltige Hochwasser,  guter  Kaufpreis.  Die  Götter  sind  wohl- 
geneigt, Gottesfurcht  ist  viel  vorhanden,  die  Tempel  reichlich 
versehen  .  .  .  Die  Greise  hüpfen,  die  Kinder  singen,  die  Frauen 
und  Mädchen  .  .  .  heiraten  .  .  .  geben  Knaben  und  Mädchen 
das  Leben.  Das  Werfen  verläuft  richtig.  Wen  seine  Sünden 
dem  Tode  überantwortet  hatten,  den  hat  mein  Herr  König  am 
Leben  gelassen.  Die  viele  Jahre  gefangen  saßen,  hast  du  frei- 
gelassen;   die    viele    Tage    krank    waren,    sind    genesen.     Die 


Hofetil.  261 

Hungrigen  sind  gesättigt,  die  Ausgemergelten  sind  fett  geworden, 
die  Nackten  sind  mit  Kleidern  bekleidet  worden"^.  Solche  Worte 
sind  bis  jetzt  erst  verhältnismäßig  spät  nachweisbar;  wir  dürfen 
sie  aber  um  des  konservativen  Charakters  des  Hofstiles  willen 
unbedenkUch  für  älter  erklären. 

Eine  andere  Frage,  die  hier  nicht  gelöst  zu  werden  braucht, 
ist  die,  ob  diese  Schilderungen  der  Segenszeit  ursprünglich  im 
(babylonischen)  Hofstil  entstanden  sind.  Hier  mögen  teilweise 
noch  andere  Kräfte  wirksam  gewesen  sein,  da  wir  ähnUche 
Beschreibungen  auch  an  anderen  Stellen  finden,  wo  die  Segens- 
zeit nicht  durch  die  Regierung  eines  Königs,  sondern  durch 
eine  Sternkonstellation  (Omina)  oder  durch  die  Lösung  eines 
Bannes  (Zauber)  hervorgerufen  ist.  So  heißt  es  z.  B.  in  der 
Surpu-Serie  IV  38  fi".,  wo  die  sieben  großen  Götter  angerufen 
werden:  Mögen  sie  das  Geschlinge  zerreißen,  den  Bann  lösen, 
die  bösen  Fesseln  sprengen,  die  Bande  lockern,  (die  Ketten)  aus- 
einander reißen,  den  Gottesschwur  aufheben,  den  Frevel  {weg- 
nehmen), die  Missetaten  entfernen,  die  Sünden  verzeihen.  Es 
lebe  der  Kranke,  es  gehe  der  Lahme,  möge  der  Gebundene  be- 
freit, der  Gefangene  erlöst  werden,  der  Eingekerkerte  das  Licht 
erblicken"^.  Gemeint  sind,  wie  aus  anderen  Stellen  hervorgeht, 
die  zu  Unrecht  Verhafteten,  die  im  Dunkel  des  Gefängnisses 
schmachten.  Ich  überlasse  es  den  Assyriologen ,  diese  Zu- 
sammenhänge weiter  zu  verfolgen.  Für  meinen  Zweck  genügt 
es,  innerhalb  des  babylonischen  Hofstils  Schilderungen  einer 
Segenszeit  nachgewiesen  zu  haben,  deren  Züge  typisch  sind. 

Zu  diesen  typischen  Zügen  gehört  die  Befreiung  der  Ge- 
fangenen, die  als  ein  Zeichen  der  Humanität  des  neuen 
Herrschers  angesehen  und  gepriesen  wird.  In  Israel  dürfte  es 
in  diesem  Punkte  nicht  anders  gewesen  sein  als  in  Babylonien, 
und  was  wir  Jes.  61  if.  hören,  mag  einmal  von  jedem  Könige 
gerühmt  sein,  wie  der  Prophet  in  seiner  Weise  sagt:  Der  Geist 
des  Herrn  Jahve  ist  auf  mir,  weil  Jahve  mich  gesalbt,  das  Evan- 
gelium den  Elenden  zu  bringen  mich  gesandt  hat.  Herzgebrochenen 
Verband  anzulegen.  Gefangenen  Freiheit  auszurufen  und  den 
Gebundenen  Öffnung  der  Augen,  auszurufen  ein  Jahr  der  Huld 


1.  Beiträge  zur  Assyr.  I  S.  620.    Zimmern  KAT.»  S.  380. 

2.  Jastrow  I  S.  321. 


262      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

von  Jahve  und  einen  Tag  der  Rache  von  unserem  Gott,  zu 
trösten  alle  Trauernden.  Diese  Stelle  stimmt  mit  den  ange- 
führten babylonischen  Zitaten  zum  l'eil  nicht  nur  dem  Inhalt, 
sondern  auch  dem  Ausdruck  nach  überein:  Denn  hier  wie  dort 
ist  ganz  allgemein  von  den  Gefangenen  die  Rede,  während  nur 
die  zu  Unrecht  Eingekerkerten  gemeint  sind;  hier  wie  dort  wird 
die  Befreiung  aus  der  Haft  bezeichnet  als  eine  Öffiiung  der 
Augen,  als  ein  Wiedererblicken  des  Lichtes;  hier  wie  dort 
wechseln  die  Worte  Jahr  und  Tag  im  Parallelismus  mem- 
brorumi.  So  zeigt  sich  eine  Kontinuität  des  Stiles  bis  in  die 
einzelnen  Phrasen  hinein,  die  gewiß  nicht  zufällig  ist,  sondern 
auf  einem  historischen  Zusammenhang  beruht.  Denn  an  eine 
parallele  Entwicklung  oder  an  das  Neuschaffen  eines  einzelnen, 
bestimmten  Dichters  wird  der  nicht  glauben,  der  sich  die  wunder- 
bare Macht  des  Stiles  klar  vergegenwärtigt. 

Zweitens  gründet  sich  meine  Behauptung  eines  Zusammen- 
hanges zwischen  Hofstil  und  eschatologischem  Stil  auf  die  Tat- 
sache, daß  in  beiden  die  Idee  des  Weltreiches  nach- 
weisbar eine  Rolle. spielt.  Genau  so  wie  dem  regierenden 
Herrscher  (Ps.  2.  72.  110  vgl.  §  23)  kommt  auch  dem  Messias 
das  Weltreich  zu.  Das  ist  leicht  begreiflich,  war  dieser  doch 
nach  damaliger  Anschauung  nicht  viel  mehr  als  ein  König,  ob- 
wohl er  erst  in  der  Endzeit  regieren  und  mit  ganz  besonderer 
Machtfülle  ausgestattet  sein  sollte.  Der  Stil  erlaubte  dem  Hof- 
dichter, jeden  beliebigen  König  als  Weltherrscher  zu  preisen, 
mochte  auch  die  Welt,  die  er  wirklich  regierte,  nicht  größer 
sein  als  Israel.  In  derselben  Weise  und,  wenn  es  möglich  war, 
noch  etwas  überschwänglicher,  mußte  auch  der  Messias  ver- 
herrlicht werden.  Wo  er  fehlte,  trat  Israel  an  seine  Stelle. 
Mit  besonderer  Vorliebe  wird  geschildert,  wie  die  stolzen  Könige 
der  Heiden  sich  vor  Israel  demütigen  werden:  Und  es  werden 
Könige  deine  Wärter  sein  und  ihre  Fürstinnen  deine  Ammen, 
Das  Gesicht  zur  Erde  werden  sie  sich  dir  beugen  und  den 
Staub  deiner  Füße  lecken  (Jes.  4923).  Bauen  werden  die  Bar- 
baren deine  Mauern  und  ihre  Könige  dir  dienen  (Jes.  60  lo), 
und  stehen  werden  Fremde  und  euer  Kleinvieh  weiden,  und  die 
Barbaren  sind   eure   Ackerer   und    Winzer   (Jes.  61 5).     Diese 


1.  Vgl.  auch  den  Brief  des  Höflings  an  Assurbanipal. 


Weltreichtum.  263 

Hoffnung  auf  ein  Weltreich  wird  als  alt  bezeugt  durch  Gen.  49  lo: 
Nicht  weicht  das  Szepter  aus  Juda  noch  der  Stab  zwischen 
seinen  Füßen,  bis  daß  sein  Könige  kommt,  dem  die  Völker  ge- 
horchen. 

Die  Macht  des  Königs  ist  äußerlich  sichtbar  an  der  Fülle 
seines  Reichtums,  und  wie  in  den  historischen  Berichten  so 
dürfte  in  den  Hofliedern  dieser  Ruhm  nicht  oft  übergangen, 
sondern  eher  ins  Große  projiziert  sein,  da  dies  die  Art  der 
Hofdichter,  nicht  nur  der  orientalischen,  ist.  So  wie  in  unseren 
Texten  die  eschatologische  Segenszeit  beschrieben  ist,  mögen 
einst  auch  offizielle  Sänger  den  Antritt  des  regierenden  Königs 
gefeiert  haben.  Nur  darf  man  das  Eine  nicht  aus  den  Augen 
verlieren,  daß  hier  ein  Stil  vorliegt,  der  oft  zu  den  realen  Ver- 
hältnissen Israels  nicht  paßt.  Man  erinnere  sich  darum  lieber 
an  ausländische  Dinge,  z.  B.  an  die  Bilder  auf  dem  schwarzen 
Obehsken  Salmanassars  II!  KHngt  es  nicht  fast  wie  eine 
poetische  Beschreibung  dieser  Bilder,  wenn  es  Jes.  ßOöff.  heißt: 
Denn  zuwenden  ivird  sich  dir  des  Meeres  Fülle,  der  Völker 
Vermögen  wird  zu  dir  kommen.  Ein  Strom  von  Kamelen  wird 
dich  bedecken,  die  Dromedare  Midians  und  Ephas,  sie  alle 
kommen  von  Saba,  Gold  und  Weihrauch  bringen  sie  und  Jahves 
Ruhm  künden  sie.  Alle  Schafe  Kedars  versammeln  sich  dir, 
die  Widder  Nebajoths  dienen  dir  . . .  Und  offen  werden  stehen 
deine  Tore  beständig,  bei  Tag  und  Nacht  nicht  geschlossen,  zu 
bringen  zu  dir  das  Vermögen  der  Völker,  indem  ihre  Könige 
Führer  sind^  .  .  .  Du  ivirst  saugen  die  Milch  der  Völker  und 
den  Reichtum  der  Könige  essen^  (V.  16  vgl.  61  e).  Deutero- 
jesaja  hatte  einst  gesungen:  Der  Erwerb  Ägyptens  und  der  Ge- 
winn Äthiopiens  und  die  Sabäer,  die  hochwüchsigen,  werden  an 
dir  vorüberziehen,  dir  gehören  und  dir  dienen;  in  Ketten  werden 
sie  vorüberziehen  (Jes.  45  w).  Selbst  der  Schacher  und  Buhler- 
lohn von  Tyrus  soll  nicht  aufgespeichert  und  aufgespart,  sondern 
denen  zu  teil  werden,  die  vor  Jahve  wohnen,  satt  zu  essen  und 
zu    statthcher    Kleidung    (Jes.   23  is).      Schon    nach    Zeph.   3ia 


1.  Lies  rh^iz  (statt  nW)  nach  Zach.  99.  Der  Vers  verheißt  Juda 
eine  ewige  Herrschaft,  die  er  nicht  verlieren  soll,  bis  ans  seinem  Ge- 
schlechte der  eschatologische  König  kommt. 

2.  Lies  D^snä  Duhm.  3.  So  die  LXX. 


264      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

bringen  die  Heiden  ihre  Gaben  von  jenseits  der  Ströme  von 
Kus. 

Von  dem  Gedanken  der  Weltherrschaft  und  des  Weltreich- 
tums ist  die  Idee  der  Weltreligion  unabtrennbar,  die  zum  ersten 
Male  in  dem  alten  Stücke  Jes.  22ff.  (=  Mch.  4iif.)  verkündet 
wird:  Und  strömen  iverden  zu  ihm  (zum  Berge  Zion)  alle 
Heiden,  und  viele  Völker  werden  zu  ihm  gehen  und  iverden 
sagen:  Wohlan,  steigen  wir  hinauf  zum  Berge  Jahves,  zum  Haus 
des  Gottes  Jakobs,  damit  er  uns  belehre  über  seine  Wege  und 
wir  gehen  in  seinen  Pfaden;  denn  von  Zion  geht  aus  Lehre  und 
das  Wort  Jahves  von  Jerusalem.  Ebenso  alt  ist  Zeph.  2ii: 
Die  Völker  aller  Länder  kommen  ein  jedes  von  seinem  Orte  aus, 
um  ihn  anzubeten,  und  Zeph.  39:  Denn  dann  will  ich  den 
Völkern  reine  Lippen  geben,  daß  sie  alle  den  Namen  Jahves 
anrufen  und  ihm  einträchtig  dienen.  Später  wird  diese  Weis- 
sagung oft  wiederholt,  mitunter  durch  die  Wunder  Jahves  be- 
gründet: Wie  zur  Zeit,  da  du  aus  Ägyptenland  zogst,  laß^  uns 
Wundertaten  schauen.  Die  Heiden  werden  es  sehen  und  ver- 
zweifeln an  all  ihrer  Macht  ^  sie  werden  die  Hand  auf  den 
Mund  legen,  ihre  Ohren  werden  taub  iverden.  Sie  werden  den 
Schlangen  gleich  Staub  lecken,  wie  die,  welche  am  Boden  kriechen, 
sie  werden  zitternd  hervorkommen  aus  ihren  Burgen  zu  Jahve, 
unser m  Gott,  sie  werden  zittern  und  sich  fürchten  vor  dir 
(Mch  7i5ff.).  Und  ich  werde  kommen,  zu  sammeln  die  Völker 
und  Zungen,  und  sie  werden  kommen  und  meine  Herrlichkeit 
sehen,  und  ich  werde  unter  ihnen  Wunder  tun,  und  werde 
senden  von  ihnen  Entronnene  zu  .  . .  den  fernen  Gestaden,  die 
nicht  gehört  haben  mein  Gerücht  noch  meine  Herrlichkeit  ge- 
sehen (Jes  66i8f.)2. 

Wir  haben  bereits  oben  (vgl.  S.  253)  zu  zeigen  versucht, 
daß  der  Gedanke  eines  Weltreiches  nicht  in  Israel  entstanden 
sein  kann,  sondern  dorthin  übertragen  ist  zusammen  mit  dem 
Hofstil.  Mag  er  nun  mit  der  Eschatologie  von  Hause  aus  ver- 
knüpft gewesen  oder  erst  später  mit  ihr  verbunden  sein,  »jeden- 
falls muß  die  Religion,  die  so  die  Prophetie  beeinflußt  hat,  eine 
solche  gewesen    sein,   die    mit   der  Weltkultur   in  Verbindung 


1.  Lies  njs'in  Wellhausen. 

2.  Im  Übrigen  vergleiche  Smend^  S.  375 f. 


Weltreich.  265 

stand:  die  Idee  von  einem  kommenden  Weltreiche,  das  über 
alle  Nationen  gebietet,  und  die  damit  zusammenhängende  von 
einer  künftigen  Weltreligion,  der  alle  Völker  anhangen,  eine 
Idee,  die  in  der  israehtischen  Eschatologie  so  häufig  auftritt, 
kann  sicherlich  nur  auf  dem  Boden  eines  großen  weltherrschenden 
Volkes  und  nicht  in  einem  Winkel  der  Erde  entstanden  sein«^ 
Und  wie  sollte  die  Erwartung  sich  bilden,  daß  in  der  Endzeit 
die  kostbarsten  Kleinodien  der  ganzen  Welt  zu  Jerusalem  zu- 
sammenströmen würden?  Es  war  schlechterdings  nichts  vor- 
handen, was  einen  derartigen  Optimismus,  um  es  milde  auszu- 
drücken, erklären  könnte.  Kanaan  bedeutete  damals  gegenüber 
Ägypten  und  Babylonien  etwa  dasselbe,  was  heute  Belgien 
gegenüber  Deutschland  und  Frankreich  bedeutet.  Jede  Pflanze 
verlangt  ihren  Boden,  auf  dem  sie  gedeihen,  jede  Idee  Verhält- 
nisse, unter  denen  sie  wachsen  kann.  Die  notwendigen  Vor- 
bedingungen für  den  Glauben  an  das  Einheimsen  der  Welt- 
reichtümer sind  nur  in  einem  Weltreich,  wie  Ägypten  oder 
Babylonien  gegeben,  wo  man  gewohnt  war,  den  regelmäßigen 
oder  besonderen  Tribut  der  Vasallen  Völker  in  Empfang  zu 
nehmen,  wo  man  alljährhch  einmal  oder  mehrmal  Gelegenheit 
hatte,  die  Abgesandten  fremder  und  ferner  Nationen  mit  den 
Schätzen  ihrer  Heimat  beladen  als  Untertanen  zu  erblicken. 
Da  konnte  die  Phantasie  der  Dichter  in  ganz  anderer  Weise 
angeregt  werden  als  in  dem  Kleinstaat  Israel.  Etwas  Anderes 
ist  es,  sobald  die  Ideen  von  der  Weltherrschaft,  dem  Welt- 
reichtum und  der  Weltreligion  einmal  technisch  geworden  sind. 
Seit  der  Zeit  sind  sie  überall  möglich,  selbst  dann  wenn  die 
natürlichen  Voraussetzungen  fehlen. 

Tatsächlich  ist  nun  die  Idee  eines  Weltimperiums^  bereits 
im  babylonischen  Ira-Mythus  nachweisbar:  Das  Meerland  soll 
das  Meerland,  Mesopotamien  Mesopotamien,  Assyrien  Assyrien, 
den  Elamiter  der  Elamiter,  den  Kassiten  der  Kassite,  den  Su- 
täer  der  Sutäer,  den  Kutäer  der  Kutäer,  den  Lulubäer  der 
Lulubäer,  ein  Land  das  andere,  ein  Haus  das  andere,  ein 
Mensch  den  anderen,  ein  Bruder  den  anderen  nicht  verschonen, 
sondern   sollen   einander   totschlagen.      Aber   darnach   soll    der 


1.  Gunkel:  Forschungen  I  S.  24. 

2.  So  weit  haben  Jastrow  und  Zimmern  KAT^  S.  394  Eecht. 


266      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Akkader  (d.  h.  der  Bahylonier)  aufkommen  und  soll  sie  alle 
niederstrecken  und  sie  insgesamt  niederwerfen^.  Leider  läßt 
sich  bei  dem  mangelhaften  Verständnis  dieses  Mythus  bis  jetzt 
nichts  Näheres  darüber  aussagen,  wie  diese  Worte  im  Einzelnen 
gemeint  sind.  Deutlich  ist  nur,  daß  zuletzt  der  Bahylonier  die 
Oberhand  behält.  Ebenso  ist  bei  den  Ägyptern  der  Gedanke 
der  Weltherrschaft  zum  Ausdruck  gebracht  worden,  als  alles 
Land  vom  Euphrat  bis  zum  Sudan  der  achtzehnten  Dynastie 
zinste  und  die  Reichtümer  dieses  ungeheuren  Gebietes  nach 
Ägypten  strömten.  Man  hat  damals  sogar  im  Bilde  dargestellt^^ 
wie  Amon-Re  dem  Könige  das  Sichelschwert  überreicht  und 
ihm  fremde  Völker  übergibt.  Die  Idee  einer  Weltreligion,  die 
sich  außerhalb  Israels  bis  jetzt  nicht  belegen  läßt,  ist  auch  beim 
Polytheismus  nicht  undenkbar.  Hammurabi  z.  B.,  der  ein  be- 
geisterter Verehrer  seines  Stadtgottes  Marduk  war,  der  ihm  die 
höchste  Eangwürde  im  babylonischen  Pantheon  verlieh  und  ihm 
alle  Erfolge  und  Siege  und  den  Ruhm  seiner  Regierung  zu- 
schrieb, konnte  wohl  einen  Dichter  zu  dem  Liede  anregen: 
Marduk,  an  dessen  Brust  die  Schicksalstafeln  befestigt  seien, 
der  damit  die  Herrschaft  über  Himmel  und  Erde  besitze,  Mar- 
duks  Macht  solle  wachsen  und  sich  ausdehnen  über  alle  Völker, 
die  Hammurabi  ihm  unterwerfe.  Wir  haben  einen  solchen  Text 
nicht,  aber  daß  er  dem  Geist  der  babylonischen  Religion  wider- 
spreche, wird  man  nicht  behaupten  dürfen.  Die  unterjochten 
Völker,  die  nach  Babylon  kamen,  brachten  ihre  Huldigung  doch 
nicht  nur  dem  Könige,  sondern  auch  seinem  Gotte,  dem  Stadt- 
und  Staatsgotte,  dar;  und  wenn  der  Glaube  an  ein  Weltreich 
vorhanden  war,  so  war  damit  auch  der  Glaube  an  eine  Welt- 
religion gegeben  oder  lag  wenigstens  nicht  fem. 

Die  Fürsorge  des  Königs  zeigt  sich  ferner  darin,  daß  er 
wie  ein  rechter  Hirte  die  Untertanen  weidet,  und  darum  wird 
er  gepriesen  als  der  Hirte,  der  für  seine  Herde  sorgt.  Die 
Bezeichnung  des  Herrschers  als  TtoL^r^v  (n^h)  ist  so  gebräuch- 
lich (z.B.  IlSam.  52.  7?.  Jer.  3i5.  Mch  ösf.  Nah.3i8.  Ez.  3724) 
und  so  naheliegend,  daß  sie  keiner  weiteren  Ableitung  bedarf. 
Wohl  aber  ist  das  Epitheton:  der  die  Versprengten  sammelt 
beachtenswert,   weil  es  schon  im  Babylonischen  begegnet  und 


1.  KB  VI  1.  S.  67,  9  ff.  2.  Erman:  Ägypt.  Eel.  S.  61. 


Hof  Stil.  267 

technisch  ist.  Merodachbaladan  II.  wird  zum  Könige  prokla- 
miert mit  den  Worten:  Dies  sei  der  Hirte,  der  die  Versprengten 
zusammenbringt^.  Im  alten  Testamente  ist  dasselbe  Prädikat 
meist  auf  die  Gottheit  übertragen,  die  ja  auch  als  König  (Ex. 
15i8.  Dtn.  335.  Ps.  ös.  lOie.  24 7f.  29io.  445  u.  s.  w.)  wie  al& 
Hirte  (Gen.  48i5.  Jes.  40ii.  63ii.  Jer.  31io.  Hos.  4i6.  Mch.  Tu, 
Ps.  23 1.  289)  dargestellt  wird,  und  gewöhnlich  auf  die  Samm- 
lung der  verbannten  Israeliten  bezogen  (Jes.  11 12.  27 13.  56», 
Ps.  1472  u.  s.  w.).  Diese  Umdeutung  lag  sehr  nahe,  braucht 
aber  durchaus  nicht  überall  durchgeführt  zu  sein,  sodaß  man 
aus  dieser  Redensart  nicht  ohne  weiteres  auf  nachexilische  Ab- 
fassung eines  Verses  schließen  darf.  An  zwei  Stellen  wenigsten» 
ist  das  Bild  des  Hirten  deutUch  festgehalten :  An  jenem  Tage^ 
spricht  Jahve,  will  ich  das  Hinkende  sammeln  und  das  Ver- 
sprengte  zusammenbringen  und  die,  welche  ich  geweidet  habe^. 
Und  ich  mache  das  Hinkende  zum  Rest^  und  das  Versprengte^ 
zum  zahlreichen  Volk,  und  Jahve  wird  König  über  die  auf  dem 
Berge  Zion  sein  von  nun  an  bis  in  Ewigkeit,  und  du,  Herden- 
türm,  Hügel  der  Tochter  Zion,  zu  dir  wird  kommen^  die  ur- 
anfängliche  Herrschaft^,  und  kommen  wird  das  Königtum'^  zur 
Tochter  Jerusalem  (Mch.  46ff.).  Ebenso  wie  das  Bild  vom 
Hinkenden,  vom  Weiden  und  vom  Herdenturm  ist  das  Ver- 
sprengte aufzufassen  als  Bezeichnung  der  unruhig  sich  zer- 
streuenden und  verirrenden  Schafe.  Das  Gleiche  gilt  von  Zeph, 
3 19:  Ich  helfe  dem  Hinkenden  und  das  Zerstreute  werde  ich 
sammeln  und  bringen  zu  Ruhm  und  Ehre  auf  der  ganzen  Erde 
(vgl.  V.  18)8. 


1.  Vgl.  0.  S.  251.  2.  Sprich  -rrrri;  Hiph.  wie  Ps.  7872. 

3.  Auch  dies  ist  kein  Beweis  für  nachexilische  Abfassung;  vgl.  §21. 

4.  Lies  rn-jni  wie  in  V.  6.  5.  Streiche  nKa\ 
6.  Vgl.  Jes.  l26.               7.  Schreibe  rsVw^sn  rtsai. 

8.  Dies  Bild  vom  Hirten  ist  gewiß  uralt.  Es  muß  aus  einer  Zeit 
stammen,  wo  das  Volk  wesentlich  Nomadenvolk  war,  wo  die  Tätigkeit 
des  Hirten  als  Vorbild  für  die  Tätigkeit  des  Königs  gelten  konnte,  wo 
es  noch  möglich  war,  daß  wirkliche  Hirten  (wie  David)  den  Königs-^ 
thron  bestiegen.  Obwohl  das  Bild  weit  verbreitet  ist  und  bei  vielen 
Völkern  genuin  entstanden  sein  kann,  darf  israelitischer  Ursprung  schwer- 
lich behauptet  werden.  Denn  das  Prädikat :  der  die  Versprengten  sammelt^ 
ist  bereits  technisch  geworden   und    wird   genau    so   stereotyp   wie  in 


268      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Die  Segenszeit,  die  jeder  König  heraufführt,  beschränkt 
sich  nicht  auf  sein  unmittelbares  Wirken,  sondern  zeigt  sich 
indirekt  in  alledem,  was  als  Folge  seiner  guten,  gerechten  und 
friedvollen  Regierung  zu  betrachten  ist.  Das  Gedeihen  des 
Landes  in  Handel  und  Wandel,  das  sorglose  Genießen  des 
Glückes  in  Haus  und  Familie,  der  regelmäßige  Gottesdienst, 
die  Prachtbauten  der  Tempel,  Paläste  und  Häuser,  diese  und 
manche  Dinge  mehr  sind  Motive,  die  gewiß  in  den  Hofliedem 
ebenso  oft  wiedergekehrt  sind,  wie  sie  uns  heute  beim  eschato- 
logischen  König  oder  in  den  Schilderungen  der  Endzeit  über- 
haupt begegnen.  Besonders  behebt  ist  nach  hebräischem  Ge- 
schmack die  Hervorhebung  der  zahlreichen  Kinder  und  Ein- 
wohner: Dann  wird  die  Zahl  der  Kinder  Israel  dem  Meeres- 
sand  gleichen,  der  nicht  gemessen  und  gezählt  werden  kann 
(Hos.  2i).  Der  Kleine  wird  werden  zum  Stamm  und  der  Ge- 
ringe zu  einem  starken  Volk  (Jes.  60  22).  Dorf  weise  soll  Jeru- 
salem bewohnt  werden  wegen  der  Fülle  von  Menschen  und  Vieh 
in  seiner  Mitte  (Zach.  28).  Denn  dann  wirst  du  zu  eng  sein 
für  die  Bewohner  (Jes.  4Qid).  Juble,  Unfruchtbare^  ...  brich  aus 
und  jauchze,  die  nicht  kreißte!  Denn  mehr  sind  die  Söhne  der 
Verwüsteten  als  die  Söhne  der  Vermählten,  spricht  Jahve  (Jes. 
54 1).  Auch  das  Betonen  der  Freude  und  Lust,  unter  einem 
so  von  Jahve  begnadeten  Könige  zu  leben,  gehörte  wohl  zum 
ständigen  Material  der  Hofsänger,  wie  man  aus  dem  babyloni- 
schen Hofstil  und  der  israelitischen  Heilseschatologie  schließen 
darf:  Da  kommen  sie  denn  und  jubeln  auf  Zions  Höhe  und 
strömen  herbei  zum  Segen  Jahves,  zu  Korn,  zu  Most  und  Öl 
und  zu  jungen  Schafen  und  Rindern,  und  ihre  Seele  wird  wie 
ein  gewässerter  Garten,  und  sie  brauchen  nicht  länger  zu  darben. 
Dann  freut  sich  die  Jungfrau  im  Reigen  und  die  Jünglinge 
und  Greise  zumal^,  und  ich  wandle  ihre  Trauer  in  Jubel  und 
tröste  sie  und  erquicke  sie  in  ihrem  Kummer.  Und  ich  letze 
die  Seele  der  Priester  mit  Fett,  und  mein  Volk  nährt  sich  von 
meinem  Segen,  spricht  Jahve  (Jer.  31i2ff.  vgl.  30 19.  33 11.  Jes. 
61iff.    Zach.  84f.). 


Babylonien    verwandt.     Wenn   der  Hofstil   überhaupt    aus    der  Fremde 
stammt,  so  wird  auch  dies  Prädikat  mit  ihm  gewandert  sein. 
1.  Vgl.  den  oben  zitierten  Brief  an  Assurbanipal. 


Hofstil.  269 

Der  Hofstil  forderte,  den  jeweiKgen  König  als  den  Bringer 
der  Segenszeit  zu  feiern.  Dieselben  Motive,  die  in  diesem  Stile 
vielleicht  nur  rhetorische  Floskeln  waren,  bei  denen  sich  schwer- 
lich selbst  der  loyalste  Hofpoet  viel  dachte,  führten  ein  leben- 
digeres Dasein  im  eschatologischen  Stil.  Denn  der  Messias 
sollte  wirklich  all  die  »frommen  Wünsche«  und  Erwartungen 
erfüllen,  die  man  vom  regierenden  Herrscher  hegte;  er  sollte 
das  wahr  machen,  was  von  dem  gegenwärtigen  König  höchstens 
cum  grano  salis  galt.  Und  so  stand  dem  Israeliten  das  be- 
rückend schöne  Bild  der  eschatologischen  Segenszeit  als  eine 
ferne,  aber  doch  gewisse  Hoffnung  vor  der  Seele:  jene  Zeit,  wo 
unter  dem  Szepter  des  machtvollen,  gerechten  und  freundlichen 
Messias  das  Volk  Israel  als  die  Auslese  der  Menschheit  aner- 
kannt wird,  wo  im  Innern  Jubel  und  Glück,  Gesundheit  und 
Überfluß  walten,  wo  das  Reich  nach  außen  hin  geachtet  und 
gefürchtet  ist.  Alle  Welt  ist  Israel  unterworfen,  alle  Welt 
bietet  ihm  ihre  Kostbarkeiten  und  alle  Welt  huldigt  seinem 
Gotte.  Da  sind  die  Tore  Jerusalems  bei  Tag  und  Nacht  ge- 
öffnet, um  den  endlosen  Strom  der  Fremden  einzulassen,  die 
ihre  heimatlichen  Schätze  als  Tribut  herbeischleppen.  Da  sind 
die  Straßen  mit  Gold  gepflastert,  und  die  Israeliten  brauchen 
keine  Sklavendienste  mehr  zu  tun;  denn  Könige  sind  ihre 
Handlanger  und  demütigen  sich  vor  ihnen  im  Staube.  Mit 
welcher  Liebe  mochte  sich  der  Israelit  in  dies  herrlich  schöne 
Bild  versenken!  Wer  will  ihn  deshalb  schelten?  In  dies  Ge- 
wand der  Zukunft  konnte  er  die  zahllosen  Wünsche  hinein- 
weben, die  eine  traurige  Gegenwart  in  ihm  hervorrief,  und  es 
mit  den  leuchtenden  Goldfäden  seiner  Zeit  durchwirken. 

Zum  Teil  berühren  sich  die  Motive  der  Segenszeit  mit 
denen  des  goldenen  Zeitalters,  und  sie  mögen  darum  zum  Teil 
zurückgehen  auf  die  Anschauung  vom  Paradies  und  vom  Götter- 
lande. Es  ist  begreiflich,  daß  die  Farben,  mit  denen  die  Re- 
gierungszeit des  Herrschers  und  des  Messias  gemalt  wird,  von 
dem  Gemälde  der  seligen  Urzeit  entlehnt  sind,  zumal  wenn  eine 
AViederkehr  dieser  Zeit  erwartet  wurde.  Der  Hauptsache  nach 
aber  liegen  hier  andersartige  Elemente  vor.  Es  fehlt  das 
mythische  Kolorit.  An  die  Stelle  des  übernatürlichen 
Friedensreiches  ist  das  natürliche  Weltreich  getreten.  Aus  der 
Gottesstadt  mit  ihrer  Wundermauer  ist  eine  irdische  Stadt  mit 


210    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Festungsmauern  geworden^.  Die  Gestalt  Jahves,  der 
Oottheit,  ist  ersetzt  durch  den  Messias,  einen  König. 
Das  ist  ein  wesentlicher  Unterschied,  den  man  sich  ganz  klar 
machen  muß:  Das  goldene  Zeitalter  kann  um  seiner  mythischen 
Art  willen  ursprünglich  nur  von  der  Gottheit  heraufgeführt 
werden.  Wenn  diese  Heraufführung  trotzdem  als  eine  Tat  des 
Messias  gilt,  so  sind  ihm  hier  Funktionen  beigelegt,  die  ihm 
als  einem  Könige  von  Hause  aus  nicht  zukommen.  Der  An- 
bruch der  Segenszeit  hingegen  kann  allezeit  von  einem  macht- 
Tollen  Herrscher  erhofft  sein.  Hier  ist  es  unnötig,  eine  sekun- 
däre Übertragung  aufzunehmen.  Der  Einfluß  des  Hofstils  auf 
den  eschatologischen  Stil  ist  begreiflich,  sobald  der  Messias  als 
■der  eschatologische  König  vorhanden  ist.  Aber  unerklärt  bleibt 
noch  das  Problem,  wie  der  Messias  an  die  Stelle  der  Gottheit 
treten  konnte. 

§  25.    Die  göttliche  Oeburt. 

Alfred  Jeremias  :   Babylonisches   im  Neuen  Testament.     Leipzig  1905. 

An  dem  babylonischen  Hofstil  ist  für  uns  von  großem  In- 
teresse, daß  er  mythische  Bestandteile  in  sich  aufgenommen  hat. 


1.  Die  Mauern  der  Stadt  wieder  aufzubauen,  ist  Sache  des  ein- 
Tieimischen  Königs.  Jesaja  c.  60  ist  als  dichterische  Übertreibung  be- 
greiflich, wonach  fremde  Fürsten  die  Maurer  Jerusalems  sind.  Auf- 
fälliger erscheint  mir  Ps.  102 17:  Denn  Jahve  wird  Zürn  bauen,  in  seiner 
Majestät  sich  offenbaren.  Der  Psalmist  hat  den  Ausdruck  sicher  nicht 
fio  wörtlich  aufgefaßt,  wie  er  lautet,  sondern  als  poetische  Metapher 
gedeutet.  Aber  was  jetzt  nur  noch  stilistische  Form  ist,  war  einstmals 
vielleicht  lebendig-konkret.  Wir  kennen  aus  späteren  Nachrichten 
die  mythische  Gestalt  des  großen  Baumeisters,  der  die  himmlische 
Gottesstadt  erbaut  (II  Hen.  Einl.,  Zwei  gnostische  Hymnen  ed.  Preu- 
•SCHEN  S.  13  Z.  18;  Flügel:  Mani  S.  71.  Z.  15).  Überdies  haben  wir 
gesehen,  daß  in  Israel  tatsächlich  eine  einst  reichere  mythische  Tra- 
dition über  die  Gottesstadt  existiert  hat  (vgl.  o.  S.  112  f.  228  f.).  Diese 
mythische  Stadt  ist  meist  durch  das  (himmlische  oder  irdische)  Jerusalem 
ersetzt.  Während  an  die  Stelle  des  ursprünglich  mythischen  Erbauers 
meist  der  irdische  König  getreten  ist,  so  hätten  wir  Ps.  102  noch 
«ine  letzte,  fast  ganz  verwischte  Spur  einer  älteren  Zwischenstufe,  so- 
-daß  die  historische  Keihenfolge  gewesen  wäre:  Der  große  Baumeister, 
Jahve,  der  irdische  König,  genau  entsprechend  der  anderen  Entwicklung: 
Die  mythische  Gottesstadt,  das  himmlische  Jerusalem,  das  irdische  Zion. 


Die  göttliche  Geburt.  271 

Das  ergibt  sich  besonders  schön  aus  dem  Gebet  des  Assurna- 
sirpal  II.  an  Istar :  Ich  wurde  gehören  inmitten  von  Bergen,  die 
niemand  kennt,  nicht  war  ich  eingedenk  deiner  Herrschaft,  nicht 
betete  ich  beständig  (zu  dir),  die  Leute  von  Assyrien  wußten 
nichts  von  deiner  Gottheit,  flehten  nicht  zu  ihr:  da  hast  du,  o 
Istar,  furchtbare  Herrscherin  unter  den  Göttern,  mit  dem  Blick 
deiner  Augen  7nich  ausersehen.  Verlangen  getragen  nach  meiner 
Herrschaft,  hast  mich  hervorgeholt  aus  den  Bergen,  zum  Hirten 
der  Menschen  mich  berufen,  hast  mir  ein  gerechtes  Szepter  ver- 
liehen'^. Da  Assurnasirpals  Vater,  der  Sohn  Tiglat-Pilesars  II., 
ebenfalls  König  von  Assyrien  war,  so  können  die  unbekannten 
Berge  nur  dem  Mythus  entstammen.  Sargon,  der  Gründer  von 
Babylon  sagte:  Meine  Mutter  war  Vestalin  (?J,  mein  Vater  un- 
bekannt, während  der  Bruder  meines  Vaters  das  Gebirge  be- 
wohnt, und  ebenso  erklärt  der  Priesterfürst  Gudea  der  Göttin 
GA-TUM-DUG:  Ich  habe  keine  Mutter,  du  bist  meine  Mutter; 
ich  habe  keinen  Vater,  du  bist  mein  Vater  .  .  .  an  einem  heiligen 
(bez.  verborgenen)  Orte  hast  du  mich  geboren^.  Diese  drei 
Beispiele,  die  einander  sehr  ähnlich  sind,  lassen  keinen  Zweifel 
daran,  daß  es  sich  hier  um  einen  typischen  Stil  handelt,  der 
mythische  Elemente  benutzt.  Nimmt  man  die  bereits  oben 
(S.  256)  zitierten  Stellen  hinzu,  an  denen  von  der  Ernährung 
der  Könige  durch  Göttinnen  die  Rede  ist,  so  soll  wohl  durch 
die  Geburt  in  den  (himmlischen)  Bergen  die  göttliche  Abstam- 
mung des  Herrschers  zum  Ausdruck  gebracht  werden.  Mit 
ZiMMEEN  wird  man  vermuten  dürfen,  daß  die  Züge,  die  uns 
hier  begegnen,  ursprünglich  einem  Mythus  entliehen  sind,  der 
die  Einsetzung  des  ersten  Königs  erzählte 3.  Der  ürkönig  ist 
das  Prototyp  aller  folgenden  Herrscher  gewesen.  Wir  würden 
uns  nicht  wundern,  wenn  wir  ebenso  im  israelitischen  Hofstil 
mythische  Züge  anträfen.  Allein  sie  sind  dort  aus  Mangel  an 
Dokumenten  nicht  mit  Sicherheit  nachweisbar.  Nachweisen 
können  wir  ähnliche  Elemente  nur  im  eschatologischen  Stil,  wo 


1.  Zeitschrift  für  Assyr.  V   S.  66  ff.  79  f.     Zimmern  KAT  »  S.  382. 

2.  Jeremias  a.  a.  0.  S.  28 f. 

3.  Zimmern  denkt  speziell  an  den  Etana- Mythus  (KB  VI,  1. 
S.  583 f.);  das  ist  nicht  ganz  sicher,  da  wir  von  diesem  Mythus  bisher 
nur  den  Anfang  kennen. 


272     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

sie  mit  der  Gestalt  des  Messias  zusammenhängen ;  aber  es  dürfte 
nicht  zu  kühn  sein,  auf  Grund  der  babylonischen  Belege  zu 
vermuten,  daß  das,  was  wir  jetzt  vielleicht  nur  vom  eschatologi- 
schen  Könige  hören,  einst  von  jedem  israelitischen  Könige  aus- 
gesagt werden  konnte  i. 

Die  Messias idee  ist  so,  wie  sie  uns  heute  vorliegt,  aufs 
engste  mit  der  davidischen  Dynastie  verknüpft.  Der 
eschatologische  König  ist  überall,  wo  er  uns  begegnet,  ein  Da- 
vidide*. Diese  Verherrlichung  des  jüdischen  Königshauses  kann 
aus  inneren  Gründen  ebenso  gut  zur  Zeit  Davids  wie  später 
erfolgt  sein.  Vorher  ist  sie  natürhch  undenkbar.  Aber  es  ist 
falsch,  wenn  man  daraus  den  Schluß  zieht,  daß  deshalb  auch 
die  Messiasidee  an  sich,  abgesehen  von  ihrer  Verquickung  mit 
dem  nationalen  Herrschergeschlecht,  vorher  nicht  ausgeprägt 
sein  und  nicht  existiert  haben  könne.  Die  Kritiker,  die  diesen 
Schluß  ziehen,  hätten  tatsächUch  Recht,  wenn  die  Gestalt  des 
Messias  restlos  in  der  Verherrhchung  der  davidischen  Dynastie 
aufginge,  wenn  jeder  einzelne  Zug  daraus  begreiflich  wäre. 
Das  ist  nicht  der  Fall;  es  bleiben  einige  mythische  Überreste, 
und  um  dieser  Dinge  willen,  die  weder  zur  Zeit  Davids 
noch  nachher  noch  überhaupt  im  Licht  der  Geschichte  ent- 
standen sein  können,  muß  die  Messiasidee  älter  sein  als 
die  Prophetie.  Ihre  Verbindung  mit  dem  Hause  Davids  ist 
eine  sekundäre  Neuerung,  die  mit  der  ursprünglichen  Vorstellung 
vom  Messias  nichts  zu  tun  hat. 

Wir  gehen  aus  von  der  vielumstrittenen  Gestalt  des  Im- 
manuel (Jes.  7 uff.).  Als  Jesaja  seinem  Könige  Ahas  die  Ret- 
tung Judäas  im  syrisch-ephraemitischen  Kriege  verheißt,  bietet 
er  ihm,   wie   man  meint,   zum   Beweis    der  Richtigkeit    seines 


1.  Die  mythischen  Elemente  bereiten  dieser  Annahme  keine 
Schwierigkeit.  Ich  erinnere  noch  einmal  daran  (vgl.  o.  S.  256),  daß 
wir  in  Ps.  45  den  urkundlichen  Beleg  für  die  Anrede  des  Königs 
als  Gottheit  haben.  Diese  letzte  Spur  deutet  auf  einen  einst  sehr 
viel  reicheren  Hofstil,  dem  auch  mythische  Elemente  nicht  gefehlt 
haben. 

2.  Wenn  Hos.  35.  Ez.  3423f.  3724  David  selbst  als  der  eschatolo- 
gische König  genannt  wird,  so  ist  das  Wort  einfach  mit  Davidide  zu 
übersetzen.  Eine  Auferstehung  oder  Wiederkehr  Davids  ist  ausge- 
schlossen, weil  wir  davon  nichts  wissen. 


Immanuel.  273 

Orakels  ein  göttliches  Wunder  an :  Jahve  selbst  wolle  die  Worte 
seines  Propheten  bestätigen.  Ahas  verzichtet,  und  nun  gibt  ihm 
Jesaja  von  sich  aus  ein  Zeichen :  Siehey  das  Weih  ist  schwanger 
und  gebiert  einen  Sohn  und  wird  seinen  Namen  Immanuel  heißen. 
Sahne  und  Honig  wird  er  essen  um  die  Zeit,  ivo  er  weiß,  das 
Böse  zu  verschmähen  und  das  Gute  zu  wählen.  Denn  bevor  der 
Knabe  weiß,  das  Böse  zu  verschmähen  und  das  Gute  zu  wählen, 
wird  verödet  sein  das  Land,  vor  dessen  beiden  Königen  dir 
graut.  Bringen  wird  Jahve  über  dich  und  über  dein  Volk  und 
über  das  Haus  deines  Vaters  Tage,  welche  nicht  gekommen  sind 
seit  dem  Tage,  wo  Ephraim  abfiel  von  Juda.  Aus  dem  Zu- 
sammenhang, in  dem  diese  Worte  überliefert  sind,  geht  zweierlei 
deutlich  hervor:  Erstens  muß  es  sich  nicht  um  ein  nur  vor- 
gestelltes, sondern  um  ein  wirklich  erwartetes  Ereignis,  um  die 
Geburt  eines  Knaben  handeln,  die  sofort  oder  in  absehbarer 
Zeit  geschehen  sollte.  Ein  eschatologischer  Messias,  der  erst 
am  Ende  der  Tage  kommt,  kann  dem  Könige  Ahas  nicht  als 
Bestätigung  für  die  Richtigkeit  der  prophetischen  Worte  dienen. 
Damit  scheint  die  messianische  Deutung  ausgeschlossen.  Zweitens 
will  hier  der  Prophet  offenbar  ein  Wunder  verkündigen  (Mein- 
hold). Der  Zusammenhang  wird  erst  dann  glatt,  wenn  man 
beide  Seiten  gleichmäßig  betont:  Das  Kind  soll  wirklich  geboren 
werden;  aber  mit  dieser  Tatsache  ist  zugleich  ein  großes  Wunder 
verknüpft. 

Die  Schwierigkeit  beginnt  bei  der  Frage,  worin  das  Wunder 
besteht.  So  viele  Ausleger,  so  viele  Meinungen!  Die  Verödung 
Arams  und  Ephraims,  die  Verheerung  Judas,  das  Essen  von 
Sahne  und  Honig  sind  keine  Wunder.  Ein  beliebiges  Kind  als 
verkleidete  Zeitangabe,  wie  viele  Exegeten  vermuten,  ist  ebenso- 
wenig ein  Wunder.  Überdies  spielt  der  Prophet,  wie  auch  der 
Artikel  bezeugt,  auf  ein  bestimmtes,  auf  das  Weib  an  (n?3bi>n). 
Denkt  man  speziell  an  die  Frau  des  Jesaja  oder  des  Ahas,  so 
taucht  ein  neues  Rätsel  auf:  Woher  weiß  der  Prophet,  daß  die 
Schwangere  grade  einen  Sohn  gebären  wird?  Es  ist  überhaupt 
verfehlt,  wenn  man  genauer  fragt,  welches  historische  Weib  Jesaja 
im  Auge  gehabt  habe,  weil  man  doch  keine  Antwort  darauf  er- 
hält. Das  ist  ja  gerade  die  Eigentümlichkeit  des  Orakels,  jedes 
Orakels,  nur  geheimnisvoll  anzudeuten.  Hätte  Jesaja  nicht  ab- 
sichtlich Iv  (xvGTrjQiqj  sprechen  wollen,  so'hätte  er  sich  mitLeichtig- 

Forschangen  zur  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.    6.  18 


274    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

keit  klarer  ausdrücken  können,  indem  er  mein  oder  dein  Weib  oder 
etwas  Ähnliches  sagte.  Daß  das  Weib  dabeigestanden  und  er 
mit  dem  Finger  darauf  hingewiesen  hätte,  scheint  mir  eine  Ver- 
legenheitsauskunft zu  sein,  die  den  Charakter  der  prophetischen 
Rede  verkennt.  Immerhin  wäre  das  Wort  ganz  unver- 
ständlich, wenn  nicht  Jesaja  durch  den  Artikel  {das 
Weib)  auf  eine  damals  bereits  vorhandene  Tradition 
anspielte. 

Meinhold  (der  heihge  Rest  S.  122)  behauptet  freiUch,  das 
Wunder  sei  eben  »die  Voraussage  des  Propheten,  daß  die 
Jiöby^  einen  Sohn  gebären  und  er^  diesen  Immanuel  nennen 
werde«.  Aber  das  wäre  ein  Wunder,  das  nicht  den  geringsten 
Zusammenhang  aufwiese  mit  der  politischen  Situation,  in  der 
wir  uns  hier  befinden,  ein  Wunder,  das  mit  der  Vernichtung 
Ephraims  und  Arams  gar  nichts  zu  tun  hat,  während  doch  der 
geweissagte  Knabe  in  die  engste  Beziehung  zu  dieser  Tatsache 
gesetzt  wird.  Einer  weiteren  Schwierigkeit  entgeht  Meinhold 
nur  durch  den  Gewaltakt  der  Streichung :  Um  die  Zeit,  wo  der 
Knabe  gut  und  böse  unterscheiden  kann,  d.  h.  wo  er  etwa  4 — 5 
Jahre  alt  ist,  wird  Juda,  Aram,  Ephraim  verwüstet  sein  und 
der  Knabe  selbst  wird  Milch  und  Honig  essen  müssen.  Diese 
Speisen  gelten  hier  also  als  Zeichen  der  Hirtenkost,  des  ärm- 
lichen Nomaden.  Es  ist  bereits  oben  (S.  215)  betont  worden, 
wie  auffalhg  dieser  auch  von  Meinhold  beanstandete  Zug  ist. 
Aber  deshalb  ist  es  doch  verfehlt,  wenn  Meinhold  ihn  so,  wie 
er  überliefert  ist,  auf  die  messianische  Heilszeit  beziehen  will 
(S.  117).  Man  wird  diesem  Kritiker  zustimmen  müssen,  sobald 
er  seine  Behauptung  dahin  einschränkt,  daß  diese  Einzelheit 
ursprünglich  einmal  vielleicht  die  Fülle  der  paradiesischen 
Zeit  veranschauHchen  sollte,  daß  er  aber  im  jetzigen  Zu- 
sammenhange wahrscheinlich  das  Gegenteil  besagt.  Wir 
möchten  das  um  so  mehr  annehmen,  als  V.  22  dieselbe ^  An- 
schauung ausgesprochen  wird. 

Dann  aber  zerstört  V.  15,  genau  so  wie  V.  17,  den  Sinn 
der  ganzen  Szene.  Denn  wir  erwarten  keine  Unheils-,  sondern 
eine  Heilsweissagung :  Ephraim  und  Aram  sollen  vernichtet,  aber 

1.  Meinhold  denkt  an  Jesajas  Frau.  2.  Meinhold  liest  -^rs^j?. 

3.  Der  Unterschied  von  a^r;  und  ns^an  ist  bedeutungslos. 


Immanuel.  275 

Juda  soll  gerettet  werden.  Das  war  doch  die  Botschaft,  die 
der  Prophet  dem  Ahas  auszurichten  hatte,  und  dazu  paßt  auch 
der  Name  des  Kindes:  Gott  mit  uns,  Gott  mit  Juda.  Und 
trotzdem  soll  der  Knabe  Milch  und  Honig  essen,  dann  wenn 
er  4 — 5  Jahre  alt  ist?  Wie  reimt  sich  das  mit  einer  Rettung 
Judas,  da  dies  Wort  vielmehr  die  Verödung  des  Landes  voraus- 
setzt? Im  Gegensatz  dazu  verkündet  Y.  16  die  Verheerung 
des  Landes^  vor  dessen  beiden  Königen  Ahas  graut,  also  Ephraims 
und  Arams.  Wir  dürfen  aus  diesem  Verse  stillschweigend  er- 
gänzen, daß  Juda  dem  Verderben  glückUch  entgeht.  Dagegen 
greift  nun  V.  17  in  stilistisch  sehr  unschöner  Weise  auf  V.  15 
zurück:  Über  Juda  sollen  schreckliche  Tage  kommen,  wie  sie 
seit  dem  Abfall  Ephraims  nicht  dagewesen  sind.  Hält  man 
V.  15  und  17  für  echt,  so  muß  man  auf  eine  Erklärung  dieser 
Szene  verzichten.  Denn  eine  Unheilsweissagung  läßt  sich  weder 
mit  dem  Namen  Immanuel  noch  mit  dem  Anfang  dieses 
Kapitels  vereinigen. 

Man  hat  auch  kein  Recht,  eine  ganze  Geschichte  zu  kon- 
struieren, etwa  so:  Wenn  das  Kind  geboren  ist,  d.  h.  in 
spätestens  neun  Monaten,  ist  Gott  mit  Juda  gewesen  und  hat 
es  vor  Ephraim  und  Aram  gerettet.  Zur  Erinnerung  an  diese 
Gottestat  wird  dem  Kinde  der  symbolische  Name  Immanuel  zu 
teil,  der  ihm  auch  bleibt,  trotzdem  er  später  nicht  mehr  paßt, 
sondern  eigentlich  Gott  ivider  uns  lauten  sollte.  Denn  wenn 
der  Knabe  zwischen  gut  und  böse  unterscheiden  kann,  also  etwa 
vierjährig  geworden  ist,  dann  wird  Juda  ebenso  verwüstet  sein 
wie  Ephraim  und  Aram.  Diese  Konstruktion  ist  unmögHch, 
weil  sie  erstens  die  Hauptsache,  nämlich  die  Rettung  Judas, 
ergänzen  muß,  weil  sie  zweitens  die  stilistisch  unschöne  Aus- 
einanderreißung  von  V.  15  und  17  nicht  erklärt,  weil  sie  drittens 
der  Stimmung  nicht  gerecht  wird,  die  in  den  Worten  liegt:  das 
Land,  vor  dessen  beiden  Königen  dir  graut.  Das  ist  keine 
Drohung,  sondern  eine  Verheißung. 

Es  scheint  also  nichts  weiter  übrig  zu  bleiben,  als  V.  17 
zu  streichen,  der  den  gröbsten  Anstoß  enthält.  Bei  V.  15  ist 
das  nicht  unbedingt  notwendig,  da  er  für  sich  allein  und  nur 
mit  V.  16  verbunden  auch  in  glückverheißendem  Sinne  auf- 
gefaßt werden  kann.  Wenn  nur  V.  15  und  16  echt  sind,  so  ist 
der  Zusammenhang  vielleicht  verständlich.    Ich  sage  mit  Ab- 

18* 


276      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

sieht  »vielleicht«;  denn  es  bleiben  auch  dann  noch  eine  Reihe 
von  Schwierigkeiten.  Wir  fragen  erstens:  Soll  denn  nur  Im- 
manuel die  Segenszeit  erleben,  als  deren  typische  Güter  Milch 
und  Honig  genannt  werden?  Sollen  nicht  alle  Israeliten  daran 
teilnehmen?  Wir  fragen  zweitens:  Warum  soll  Immanuel 
allein  um  die  Zeit,  wo  er  gut  und  böse  unterscheiden  kann, 
diese  Speisen  genießen?  Warum  nicht  auch  fernerhin ?  Drittens: 
Warum  wird  dieser  Zug  überhaupt  erwähnt,  da  er  in  dem  Zu- 
sammenhange durchaus  überflüssig  ist?  Diese  Erwägungen 
könnten  uns  wohl  verleiten,  auch  V.  15  zu  streichen.  Aber 
V.  16  ist  nicht  weniger  bedenklich,  wenn  man  den  genauen 
Wortlaut  beachtet:  Juda  soll  allerdings  gerettet,  Ephraim  und 
Aram  sollen  verödet  werden,  —  das  paßt  vorzüglich  in  die 
Situation  hinein  — ,  aber  das  soll  doch  erst  geschehen,  bevor 
der  Knabe  zwischen  gut  und  böse  unterscheiden  kann!  Bis 
dahin,  d.  h.  innerhalb  der  nächsten  4—5  Jahre,  aber  hätten 
Ephraim  und  Aram  grade  genügend  Zeit,  um  Juda  zu  ver- 
wüsten und  zu  bedrücken !  Also  scheint  auch  dieser  Vers  keine 
Verheißung,  sondern  eine  Drohung  zu  sein.  Trotzdem  ist 
der  Zusammenhang  vielleicht  verständlich,  sobald 
man  sich  entschließt,  hier  eine  von  Jesaja  benutzte 
Tradition  anzunehmen. 

Es  gab,  so  müssen  wir  vermuten,  zur  Zeit  Jesajas  eine  be- 
kannte Weissagung  von  der  Geburt  eines  wunderbaren  Knaben, 
der  den  Namen  Immanuel  erhalten,  in  seiner  Kindheit  Milch 
und  Honig  essen  und,  ehe  er  zwischen  gut  und  böse  unter- 
scheiden gelernt  hätte,  d.  h.  noch  ehe  er  fünf  Jahre  alt  sei,  der 
Befreier  seines  Volkes  oder  der  Bringer  des  Glückes  werden 
sollte.  Das  Wunder,  das  Jesaja  dem  Ahas  prophezeit,  besteht 
darin,  daß  er  die  Erfüllung  dieser  Weissagung  für  die 
Gegenwart  ankündigt:  Das  Weib,  das  du  kennst,  König,  ist 
schon  schwanger,  und  über  eine  Weile  wird  der  Retter  Immanuel 
geboren,  wie  es  das  alte  Orakel  verheißt!  Hier  tritt  uns  der 
gewaltige  Glaubensmut  und  die  imponierende  Kühnheit  Jesajas 
klar  vor  die  Augen.  Er  wagt,  das  für  wirklich  und  gegen- 
wärtig auszugeben,  was  für  die  anderen  in  einer  ungewissen 
Zukunft  liegt.  In  dem  Augenblick,  wo  man  einen  von  Jesaja 
der  Tradition  entlehnten  Stoff  annimmt,  kommt  man  über  die 
oben  erwähnten  Schwierigkeiten  hinweg.     Denn  von  da  an  darf 


Immanuel.  277 

man  auf  die  Einzelheiten  kein  Gewicht  mehr  legen,  weil  sie 
nicht  ad  hoc  erfunden,  sondern  überliefert  sind.  Man  darf  die 
AVorte  nicht  mehr  pressen,  sondern  nur  auf  die  Pointe  achten, 
die  in  ihnen  enthalten  ist:  Jetzt,  in  der  allernächsten  Zeit  wird 
der  Immanuel  erscheinen,  der  uns  aus  aller  Not  befreit. 

Trotzdem  so  die  Worte  einigermaßen  verständlich  werden, 
wage  ich  auch  diese  Erklärung  nicht  mit  Sicherheit  vorzutragen. 
Denn  das  ganze  Kapitel  ist  in  einem  so  traurigen  Zu- 
stande, daß  wir  über  Fragmente,  Lücken  und  Wider- 
sprüche schwerlich  hinausgelangen.  Nur  V.  1 — 7  geben 
einen  guten  und  klaren  Sinn.  Die  historische  Situation  wird 
anschaulich  geschildert,  der  Ort  genau  angegeben,  an  dem  die 
Szene  stattfindet,  und  das  Orakel  deutlich  verkündigt:  Ephraim 
und  Aram  wollen  Juda  vernichten,  aber  nicht  solVs  bestehen  und 
nicht  solVs  geschehen!  (V.  7).  Damit  ist  die  Geschichte  zu  Ende; 
eine  weitere  Fortsetzung  erwartet  man  nicht.  Die  beiden  nächsten 
Verse  (8.  9)  geben  so,  wie  sie  heute  lauten,  keinen  Sinn.  Was 
heißt  denn  das:  Das  Haupt  von  Aram  ist  Damaskus,  von  Da- 
maskus Resin,  von  Ephraim  Samaria  und  von  Samaria  Pekach? 
Hier  muß  irgend  etwas  ausgefallen  sein.  In  Y.  10  tritt  plötz- 
lich ein  ganz  unmotivierter  Personenwechsel  ein.  Jetzt  ist  nicht 
mehr  von  Jesaja  und  Ahas,  sondern  von  Jahve  und  Ahas  die 
Rede.  Ebenso  wenig  begreift  man,  warum  Ahas  sich  ein 
Wunder  erbitten  soll.  Daß  der  König  an  der  vom  Propheten 
vorgetragenen  Prophezeiung  Zweifel  hege,  ist  nur  eine  Ver- 
mutung der  Exegeten,  die  durch  den  Text  nicht  gerechtfertigt 
ist.  Man  möchte  mit  V.  10  eine  ganz  neue  Situation  beginnen 
lassen.  Das  ist  wieder  deshalb  sehr  schwierig,  weil  sie  der 
vorigen  zu  ähnlich  ist.  Ebenso  sind  V.  181  und  20—25  lose 
angefügte  Texte,  die  mit  dem  Vorhergehenden  nicht  zusammen- 
hängen, obwohl  V.  22  (Milch  und  Honig)  darauf  zuinickweist. 
Das  Kapitel  muß  von  einem  späteren  Redaktor  so  stark  über- 
arbeitet sein,  daß  man  am  besten  tut,  die  einzelnen  Verse  für 
sich  allein  zu  behandeln. 

Fassen  wir  nun  noch  einmal  das  zusammen,  worauf  es  für 
uns  hier  ankommt:  Die  Immanuel  Weissagung  muß  auf  eine  da- 
mals bekannte  Tradition  anspielen,  da  die  einzelnen  Züge  ganz 
abrupt  sind  und  nicht  erklärt  werden:  Das  Weib,  das  Essen 
von  Milch   und  Honig  in   der  Kindheit,  der  Knabe  Immanuel 


278      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

als  Befreier  und  Retter,  ehe  er  zwischen  gut  und  böse  unter- 
scheiden kann.  Es  muß  sich  hier  um  eine  mythische  Ge- 
stalt handeln,  »denn  ein  eben  geborenes  Menschenkind  kann 
seinem  Volke  nicht  helfen,  wohl  aber  ein  göttliches  Kind« 
(Gunkel).  Dazu  stimmt,  was  wir  oben  (vgl.  S.  210  ff.)  über  Milch 
und  Honig  als  die  Götterspeise  ausgeführt  haben. 

Genau  so  wie  hier  wird  sonst  in  der  Heilseschatologie  auf 
die  wunderbare  Geburt  des  Messias  angespielte  So  heißt 
es  Mch.  5iff.:  Und  du,  Beth  Ephrat,  kleinster^  unter  den  Gauen 
JudaSf  aus  dir  wird  hervorgehen,  der  über  Israel  herrschen  soll, 
und  seine  Herkunft  stammt  aus  der  Vorzeit,  den  Tagen  der 
Urzeit.  Darum  wird  er  sie  preisgeben,  bis  die  Gebärende  ge- 
boren hat;  dann  wird  der  Rest  seiner  Brüder  zu  den  Kindern 
Israels  zurückkehren.  Und  er  tritt  auf  und  weidet  in  der  Kraft 
Jdhves,  in  der  Hoheit  des  Namens  Jahves,  seines  Gottes,  und 
sie  werden  (ruhig)  wohnen;  denn  nun  ist  er  groß  bis  zu  den 
Enden  der  Erde  hin.  Und  das  wird  der  Friede  sein:  Wenn 
Assur  in  unser  Land  kommt  und  unser  Gebiet^  betritt,  so  stellen 
wir  wider  es  sieben  Hirten  und  acht  Fürsten  der  Menschen  auf 
und  sie  weiden  das  Land  Assur  mit  dem  Schwerte  und  das 
Land  Nimrods  mit  dem  Gezückten^  und  erretten^  vor  Assur, 
wenn  es  in  unser  Land  kommt  und  unser  Gebiet  betritt.  Der 
Verfasser  singt  ein  Lied  auf  den  Messias.  Aus  der  Dynastie 
Davids  soll  ein  künftiger  König  sprossen,  der  nicht  nur  Israel 
weiden,  sondern  dessen  Herrschaft  bis  an  die  Enden  der  Erde 
reichen  soll.  Soweit  ist  alles  verständlich.  Daneben  aber  findet 
sich  eine  Reihe  rätselhafter  Einzelheiten. 

Der  Stil  ist  prophetisch-abrupt,  das  nicht  genannte  Subjekt 
wechselt  fortwährend^.  Zunächst  wird  vom  Messias  geredet, 
dann  von  Gott  (er  wird  sie  preisgeben),  darauf  wieder  vom 
Messias  (er  tritt  auf)  und  endlich  von  den  Judäern  (wir).  Wir 
fragen  vergebens,  warum  besonders  von  der  Gebärenden  ge- 
sprochen wird  und  was  die  sieben  Fürsten  und  acht  Hirten  der 
Menschen  vorstellen.  Wellhausen  meint,  die  erwähnte  Geburt 
»lasse  sich  nur  verstehen  als  Anspielung  auf  die  Stelle  Jes.  7i4, 

1.  Vgl.  zum  Folgenden  Gunkel:  Forschungen  I  S.  24 f. 

2.  Lies  'T'y^tn  r^Es  rr^a  Koorda.  3.  Lies  irn^-t«  LXX. 

4.  So  mit  Eecht  Wellhausen.  5.  Lies  'i^'sn'i  Wellhausen. 

6.  Mit  der  Ausscheidung  von  V.  2  ist  nichts  geholfen. 


Die  göttliche  Geburt.  279 

die  dann  also  hier  schon  als  klassisch  gilt.  Dergleichen  ge- 
heimnisvolle Andeutungen,  mit  literarischen  Beziehungen,  sind 
nicht  im  Stil  der  älteren  Propheten«.  Aber  da  die  sieben 
Hirten  und  acht  Fürsten  der  Menschen  nur  hier  vorkommen 
und  nicht  aus  der  angeblichen  Jesajaquelle  geschöpft  sein  können, 
sondern  aus  einer  besonderen,  sei  es  schriftlichen  sei  es  münd- 
lichen, Tradition  geflossen  sein  müssen,  so  ist  nicht  einzusehen, 
warum  die  Geburt  des  Kindes  grade  auf  Jes.  lu  zurückgehen 
soll.  Hier  liegt  vielmehr  eine  alte  vorprophetische  ÜberHeferung 
vor,  die  auch  Jes.  95  vorausgesetzt  ist. 

Jes.  9i — 6  ist  die  bereits  erfolgte  Geburt  eines  Kindes  ge- 
schildert, das  auf  dem  Throne  Davids  sitzen  soll:  Denn  ein 
Kind  ist  uns  geboren,  ein  Sohn  ist  uns  gegeben,  und  es  kommt 
die  Herrschaft  auf  seine  Schulter  .  .  .  zur  Mehrung  der  Ge- 
rechtigkeit^ und  zum  Frieden  ohne  Ende,  auf  dem  Throne 
Davids  und  über  sein  Königreich,  es  zu  festigen  und  zu  stützen 
mit  Recht  und  Gerechtigkeit  von  nun  an  bis  in  Ewigkeit.  Tavoc 
Erklärung  des  Perfektums  bleiben  zwei  Möglichkeiten.  Ent- 
weder handelt  es  sich  hier  um  die  Verherrlichung  eines  wirk- 
lich gebornen  Kronprinzen,  der  als  die  künftige  Zierde  und 
Stütze  des  Davidsthrones  gepriesen  wird.  Dann  haben  wir  es 
hier  mit  dem  Hofstil  zu  tun.  Oder  es  ist  ein  nicht  weiter  zu 
identifizierendes  Kind  gemeint,  das  eschatologische  Kind,  von 
dem  jedermann  wußte,  daß  es  kommen  sollte,  und  dessen  in 
Zukunft  erfolgende  Geburt  hier  im  eschatologischen  Stil 
als  bereits  gegenwärtig  beschrieben  wird.  In  jedem  Falle  aber 
müssen  wir  einen  Stil  annehmen.  Denn  es  lassen  sich  keine 
Tatsachen  denken,  auf  Grund  deren  das  Lied  entstanden  und 
gedichtet  sein  könnte.  Mögen  vielleicht  an  einen  tatkräftigen, 
genialen  Herrscher  die  kühnsten  Erwartungen  geknüpft  werden, 
so  ist  dasselbe  doch  unmöglich  bei  einem  eben  gebornen  Kinde. 
Wer  sich  für  den  Hofstil  entscheidet,  muß  außerdem  zugeben, 
daß  hier  eschatologische  Motive  benutzt  sind.  Das  eschatolo- 
gische Kolorit  dieses  Stückes  ist  unverkennbar  aus  V.  4:  Denn 
jeder  mit  Gedröhn  auftretende  Stiefel  und  mit  Blut  befleckte 
Mantel,  der  wird  werden  zum  Brande,   eine  Speise  des  Feuers, 


1.  Auf  diese  Verderbnis   hat  mich  Gunkel  aufmerksam  gemacht. 
Ich  lese  -i'^c^^r!  vgl.  Mal.  26. 


280      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Mit  der  Wiederkehr  der  goldenen  Urzeit  verschwindet  der  Krieg 
und  das  Kriegsgerät.  Dieser  mythische  Gedanke  war  zur  Zeit 
des  Propheten  bereits  geläufig.  Die  dichterische  Form  freilich, 
in  die  er  gekleidet,  und  die  besondere  Ausprägung,  die  ihm 
gegeben  wird,  ist  das  originale  Eigentum  Jesajas,  das 
man  gewiß  nicht  gering  schätzen  darf.  Aber  soweit  hier 
ein  Stil  vorHegt,  kann  Jesaja  nicht  der  Schöpfer  sein. 

Dasselbe  folgt  zweitens  aus  der  literarischen  Komposition 
des  Stückes.  Die  Zusammenhangslosigkeit  und  Abruptheit  der 
einzelnen  Verse  ist  freilich  eine  Eigentümlichkeit  der  ganzen 
Prophetie.  Aber  aus  den  lose  aneinandergereihten  Dingen  der 
Heilszeit  gewinnt  man  überhaupt  kein  anschaulich -lebendiges 
Bild,  das  man  von  einem  Autor  wie  Jesaja  verlangen  darf: 
Denen,  die  in  der  Finsternis  wandeln,  erglänzt  ein  großes  Licht. 
Ein  gewaltiger  Jubel  wie  beim  Erntefest  und  beim  Beuteteilen 
erhebt  sich.  Denn  das  drückende  Joch  des  Drängers  wird  zer- 
brochen wie  am  Tage  Midians.  Denn  jeder  Kriegsstiefel  und 
jeder  Kriegsmantel  wird  verbrannt.  Denn  der  zukünftige  König 
ist  geboren  und  wird  das  Reich  Davids  befestigen.  Trotz  aller 
kausalen  Partikeln  ist  keine  organische  Verbindung  zwischen 
den  einzelnen  Tatsachen  hergestellt.  Wir  fragen  vergeblich,  ob 
der  Messias  an  dem  Befreiungskampf  gegen  die  Feinde  beteihgt 
ist  oder  nicht,  ob  er  erst  nach  dem  Eintritt  der  Friedenszeit 
geboren  wird  oder  nicht.  Hätte  Jesaja  die  drei  Dinge 
erfunden,  so  hätte  er  sich  nicht  mit  einer  bloßen  Auf- 
zählung begnügen  dürfen,  wenn  anders  er  von  seinen 
Hörern  und  Lesern  verstanden  sein  wollte.  Lehnte  er 
sich  hingegen  an  eine  damals  bekannte  und  geläufige  Tradition 
an,  so  bedurfte  es  für  seine  Zeitgenossen  nur  einer  kurzen  Er- 
innerung. Ein  paar  Schlagworte  machten  ihnen  klar,  was  er 
zu  sagen  hatte.  Je  undeutlicher  und  verworrener  sie  für  uns 
sind,  um  so  heller  und  anschaulicher  müssen  sie  in  den  Köpfen 
der  damaligen  Leute  gelebt  haben.  Oder  wenn  man  das  nicht 
annehmen  will,  so  kann  man  darauf  hinweisen,  daß  grade  im 
Stil  viele  Elemente  von  Generation  zu  Generation  mitgeschleppt 
werden,  die  jedermann  vertraut  klingen,  die  aber  dennoch 
verdunkelt  sind.  Mag  dies  oder  jenes  richtig  sein,  jedenfalls 
sind  originale  Ideen  des  Propheten  ausgeschlossen. 

Drittens  sprechen  die  mythischen  Überreste  gegen  Jesajas 


Das  göttliche  Kind.  281 

Urheberschaft.  Erwähnt  ist  bereits  der  eschatologische  Friede, 
der  durch  kein  Säbelgerassel  gestört  werden  kann.  Dazu  kommen 
die  geheimnisvollen  Namen,  die  das  Kind  erhält,  die  nichts 
Nebensächliches  sind,  sondern  das  Wesen  ausdrücken.  Die 
Namengebung  und  Umnennung  von  Personen  und  Sachen,  spielt 
eine  große  Kolle  in  den  eschatologischen  Eeden  (Hos.  2 1. 3. 
Jes.  I26.  43.  5812.  60 14.  18.  61 6.  62 12.  Ez.  4835).  Sie  ist  vielleicht 
alt  und  hängt  mit  der  großen  Wendung  des  Geschickes  (3^\zj 
n^iauj)  überhaupt  zusammen.  Wie  am  Anfang  der  jetzigen  Welt 
alle  Dinge  ihren  bestimmten  Namen  empfangen  haben,  so  werden 
sie  auch  in  der  künftigen  Welt  neu  genannt.  Der  Wechsel  der 
Namen  bedeutet  ursprünglich  einen  Wechsel  in  dem  Wesen  des 
Trägers.  In  dieser  späteren  Zeit  mögen  solche  uralten,  primi- 
tiven Anschauungen  nicht  mehr  lebendig  gewesen  sein.  Die 
Neunennung  gehörte  nun  einmal  zu  den  eschatologischen 
Schilderungen  und  man  sprach  davon,  weil  es  so  Brauch  war. 
Durch  die  Abhängigkeit  von  einem  solchen  festausgeprägten 
Stil  soll  die  Originalität  der  Propheten  natürlich  nicht  ver- 
kleinert werden,  obwohl  sie  im  Einzelnen  nicht  immer  nach- 
gewiesen werden  kann.  Im  Allgemeinen  aber  müssen  wdr  überall 
bedenken ,  daß  diese  größten  Männer  Israels  trotz  des  über- 
nommenen Stils  und  trotz  vieler  Einzelheiten  völlig  selbständig 
sind.  Die  von  Jesaja  überlieferten  Namen  des  eschatologischen 
Königs  sind  einer  genaueren  Betrachtung  wert. 

Er  heißt  "niaa  bx  mächtiger  Gott.  Denselben  Titel  führen 
Jahve  (-na:»rT  bii-nJi  bNin  Dtn.  10 17.  Jer.  32  is  vgl.  Jes.  IO21) 
und  die  verstorbenen  Giganten  der  Urzeit  (D'^'^nni  "»bN  Ez.  322i), 
die  zwar  nicht  unter  die  himmlischen  Götter  aufgenommen  sind, 
wohl  aber  einen  Ehrenplatz  in  der  Seol  innehaben.  Die  Ei- 
Religion  ist,  wie  die  Genesis  lehrt,  nicht  israelitischen,  sondern 
kanaanitischen  Ursprungs  ^  Zwischen  einem  bN  und  einem 
^135  ist  nach  kanaanitischer  Auffassung  kein  großer  Unterschied. 
»Wie  ein  starker  El  zu  denken  ist,  wie  weit  seine  Kraft  reichte, 
das  zeigt  ja  die  Erzählung  von  dem  El  von  Peniel  (Gen.  3225ff.) 
und  seinem  mißlungenen  Angriff  auf  Jakob,  der  freihch  auch 
übermenschlich  stark  ist^«  (Duhm  zu  Jes.  9  5).    »Wie  im  Standes- 

1.  Vgl.  Gunkel:  Genesis'^  S.  165. 

2.  Vgl.  Job.  41 17,  wo  ebenfalls  a-^bs  dem  Sinne  nach  so  viel  wie 
>Helden«  bedeutet. 


282      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Verhältnis  der  Edle  zwischen  dem  König  und  Freien,  so  steht 
der  Held  zwischen  Gott  und  dem  Menschen.  Aus  den  Edlen 
gehen  Könige,  aus  den  Helden  Götter  hervor.  riQwg  laxl  k^ 
av^QCOTVov  TL  '/.al  d-eov  OüvS^btov,  o  fLuqze  avd-qtoitog  ioTi  fxrp;B 
d-eoQy  Aal  ovvafj^tpozeQog  egtl  (Lucian  in  dial.  mort.  3),  doch  so, 
daß  das  Menschliche  vorwalte:  ita  tamen,  ut  plus  ab  homine 
habeat,  sagt  Servius  zu  Aen.  1,  200«  ^  Der  von  Jesaja  er- 
wartete Held  ist  menschlicher  König  und  Gott  zugleich,  ist  eine 
Art  Halbgott.  Wie  immer  man  es  erklären  mag,  die  Tatsache 
selbst  steht,  ganz  abgesehen  von  der  Deutung,  fest:  Dem  Messias 
ist  hier  ein  götthches  Prädikat  beigelegt. 

Ein  zweites  ebenfalls  göttliches  Epitheton  ist  n:^~^3N.  Die 
Übersetzung  Beutevater  ist  an  sich  nicht  einleuchtend  und  wird 
es  durch  den  Zusammenhang  noch  weniger.  Denn  das  folgende 
Fürst  des  Friedens  bildet  einen  absoluten  Gegensatz  dazu,  und 
das  vorhergehende  ^iia  bN  weist  nach  einer  anderen  Richtung. 
Jenes  Epitheton  heißt  vielmehr  Vater  der  Ewigkeit  und  ist  so 
gut  ein  Attribut  der  Gottheit  wie  ny  "j^üj  Bewohner  der  Ewig- 
keitj  das  Jes.  57  is  von  Jahve  ausgesagt  wird.  Als  altisraehti- 
sches  Beiwort  der  Gottheit  ist  Ewigvater,  bei  dem  der  Begriff 
des  Vaters  natürlich  nicht  gepreßt  werden  darf,  sondern  etwa 
als  Herr  aufzufassen  ist,  allerdings  nicht  belegbar,  da  die  Ewig- 
keit Gottes  in  der  älteren  Religion  noch  keine  Rolle  spielt,  wohl 
aber  als  altkanaanitisches,  kennen  wir  doch  einen  Dbi?  b«,  einen 
Gott  der  Ewigkeit,  als  Numen  von  Beersaba  (Gen.  21 33).  Viel- 
leicht dürfen  wir  an  Ägypten  erinnern  (Guthe),  wo  derartige 
göttliche  Prädikate  wie  der  große  Gott,  Herr  über  die  Unend- 
lichkeit, Fürst  der  Ewigkeit  ganz  geläufig  sind  und  wo  auch  die 
vergötterten  Könige  damit  geschmückt  werden. 

Ebenso  geht  das  dritte  Attribut  der  Wunder  rät  oder 
ein  Wunder  an  Rat  über  die  gewöhnhchen  Königstitel  hinaus. 
Nach  Jes.  25 1  ist  Jahve  es,  der  Wunderheschlüsse^  vollbringt^ 
und  zwischen  einem  fvr^  n^d  und  einem  «bs  T\^v  Wunder- 
täter ist  am  Ende  kein  großer  Unterschied.  Selbst  der  Aus- 
druck Friedefürst,  der  sehr  nahe  zu  liegen  scheint,  kehrt  im 
Alten  Testament  nicht  wieder.  Solche  mythischen  Namen^ 
wie  sie  hier,  zum  Teil  sicher,  vorliegen,   werden  nicht 


1.  Grimm:  Mythol.  P  S.  282.  2.  So  mit  Recht  Dühm. 


Der  eschatologische  Halbgott.  28^ 

erdichtet,  am  allerwenigsten  von  einem  Propheten  wie 
Jesaja,  sondern  aus  der  Überlieferung  entnommen.  Hat 
der  Prophet  ein  bestimmtes  Königskind  im  Auge,  so  muß  er 
sich  an  einen  festausgeprägten  Stil  angeschlossen  haben,  bei 
dem  mythische  Termini  nicht  auffällig  sind.  Bei  einer  absoluten 
Zukunftshoffnung  muß  erst  recht  eine  Tradition  vorausgesetzt 
werden.  Denn  kein  Israelit,  kein  Prophet  konnte  in  einer  sa 
späten  Zeit  die  Hoffnung  auf  einen  mit  göttlichen  Eigenschaften 
ausgestatteten  König  aus  der  Luft  greifen.  Selbst  die  kühnsten 
Erwartungen  sind  trotz  all  ihrer  Kühnheit  noch  lange  nicht 
mythisch.  Hätte  Jesaja  sie  zum  ersten  Male  ausgesprochen,  sa 
hätte  er  diese  nicht  nur  für  uns,  sondern  auch  für  seine  Zeit- 
genossen ungeheuren  Behauptungen  näher  erklären  und  be- 
gründen müssen. 

Jesaja  kann  nicht  der  Autor  der  Ideen  sein.  Waren  sie 
aber  zu  seiner  Zeit  im  Volke  gang  und  gäbe,  so  haben  wir 
keinen  Grund,  die  Verse  ihm  abzuerkennen  und  in  ein  spätere» 
Jahrhundert  zu  verlegen.  Das  ist  um  so  weniger  möglich,  weil 
sie  bei  einem  jüngeren  Schriftsteller  noch  unverständlicher  sind. 
Aus  einer  messianischen  Umprägung  der  Immanuelweissagung 
(VoLz  S.  59)  sind  sie  nicht  begreiflich,  da  in  ihnen  mythische 
Elemente  erhalten  sind,  die  sich  nicht  durch  bloß  literarische 
Beziehungen  oder  Abhängigkeitsverhältnisse  gebildet  haben 
können.  Diese  mythischen  Dinge  sind  ihrer  Natur  nach  auf 
jeden  Fall  alt,  mögen  sie  nun  früher  oder  später  aufgezeichnet 
sein.  Man  hat  mit  Recht  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die 
Messiasnamen  von  Jes.  95  niemals  wiederkehren.  Das  ist  sehr 
beachtenswert.  Späte  Abfassungszeit  daraus  zu  erschließen,  ist 
falsch,  da  die  erwähnte  Tatsache  dadurch  nicht  erklärhcher 
wird.  Im  Gegenteil,  je  älter  Jes.  9iff.  datiert  wird,  um  sa 
leichter  wird  man  annehmen  können,  daß  hier  noch  eine  alte 
Tradition  vorliegt,   die  nachmals  ganz  verschollen  ist, 

Jes  95  lernten  wir  göttliche  Prädikate  des  Messias  kennen: 
Heldengott,  Ewigvater.  Jes.  7 15  haben  wir  Milch  und  Honig 
als  umgedeuteten  Überrest  der  Götterspeise  auffassen  zu  müssen 
geglaubt  Wir  dürfen  den  Messias  darum  mit  Recht  als  eine 
Art  Halbgott  bezeichnen.  Was  liegt  näher  als  in  der  Gebären- 
den Mch.  02  und  dem   Weihe  Jes.  7i4  den  letzten,  verhallenden 


284     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Nachklang  der  Gottesmutter  zu  hören i?  Ein  strikter  Beweis 
läßt  sich  nicht  führen ;  wir  müssen  uns  mit  dem  indirekten 
Grunde  begnügen,  daß  das  göttliche  Kind  eine  göttliche  Mutter 
voraussetzt.  Ob  die  Mutter  als  Frau  oder  »Jungfrau«  gedacht  ist, 
läßt  sich  aus  dem  Jes.  7i4  gebrauchten  Worte  nicht  entscheiden, 
da  1173^5  beides  heißen  kann.  Es  ist  jedoch  kein  Grund  vor- 
handen, die  traditionelle  Deutung  auf  die  »Jungfrau«  anzufechten. 
Später  hat  die  Geburt  des  Messias  eine  noch  größere  Rolle 
gespielt.  Die  Rabbiner  reden  von  Christuswehen  (niu)^"!  n-ibain^), 
die  bereits  im  Neuen  Testamente  (Mark.  139)  auf  die  dem  Ende 
vorangehenden  Drangsale  bezogen  sind.  Daß  der  Ausdruck 
nicht  von  Anfang  an  diese  Dinge  bezeichnen  sollte,  ist  klar. 
GuNKEL^  hat  ihn  wohl  richtig  mit  Apk.  Job.  12  kombiniert, 
wo  die  Geburt  des  Messias  durchsichtiger  als  im  Alten  Testa- 
mente auf  eine  mythische  Figur  zurückgeführt  wird,  ein  Weib, 
gekleidet  in  die  Sonne,  der  Mond  unter  ihren  Füßen  und  auf 
ihrem  Kopfe  ein  Kranz  von  zwölf  Sternen,  und  sie  war  schwanger 
und  schrie  in  Wehen  und  Qualen  der  Gehurt.  Die  Tradition, 
die  bei  den  Propheten  als  halb  verschollen  vorausgesetzt  werden 
muß,  ist  hier  wieder  lebendig.  Sie  muß  aufs  neue  aus  der 
Fremde  eingeströmt  sein. 

Denn  der  ausländische  Ursprung  ist  sicher.  Eine  Gottes- 
mutter hat  in  Israel  nie  existiert.  An  welche  Göttin  wir  spe- 
ziell zu  denken  haben,  läßt  sich  heute  noch  nicht  entscheiden. 
Man  hat  für  die  apokalyptische  Gestalt  auf  babylonische,  ägyp- 
tische und  griechische*  Parallelen  hingewiesen :  die  babylonische 
Damkina,  die  Mutter  des  Marduk,  und  die  ägyptische  Hathor, 
die  Mutter  des  Horus,  streiten  vor  allem  um  die  Palme  des 
Sieges.  Vielleicht  darf  man  auch  an  Istar  erinnern,  die  in  dem 
Hofstil,  wie  wir  gesehen  haben,  als  Königsmutter  erwähnt  wird. 
Dann  würden  sich  am  Ende  die  sieben  Hirten  und  acht  Fürsten 
der  Menschen  erklären  (Mch.  5  4),  da  fünfzehn  die  Zahl  der  Istar 
ist^     Doch  ist  diese  Frage  verhältnismäßig  gleichgültig  gegen- 


1.  So  zuerst  Gunkel:  Forschungen  I  S.  24. 

1.  VoLz:  Jüd.  Esch.  S.  173.  3.  Schöpfung  S.  271. 

4.  Gunkel:    Schöpfung  S.  386.     Bousset:    Kommentar   zur  Apk.: 
Eel.  S.  486.     Zimmern  KAT^  S.  360.     Gunkel:  Forschungen  I  S.  56. 

5.  Zimmern  KAT^  S.  454. 


Die  göttliche  Mutter  und  das  göttliche  Kind.  285 

über  der  Hauptsache,  daß  die  Gestalt  der  Messiasmutter 
aus  der  Fremde  nach  Israel  gewandert  ist.  Das  muß 
bereits  in  alter  Zeit  geschehen  sein,  da  die  ursprünglich  mythische 
Tradition  so,  wie  sie  uns  in  den  Prophetenschriften  begegnet^ 
bis  auf  ganz  geringe  Spuren  verloren  gegangen  und  in  israeliti- 
schem Geiste  umgeprägt  ist. 

Ebenso  wie  die  Messiasmutter  stammt  auch  der 
Messias  aus  der  Fremde.  Wir  können  das  nicht  nur  um 
seiner  mythischen  Züge  willen  behaupten,  sondern  auch  deshalb^ 
weil  die  Salbung,  nach  der  er  später  seinen  Namen  führt,  gar 
keine  Rolle  spielt  und  völhg  nebensächlich  ist.  Im  Ganzen  haben 
wir  drei  Elemente  unterschieden,  die  vielleicht  drei  verschiedene^ 
chronologisch  aufeinander  folgende  Stufen  derselben  Gestalt 
repräsentieren,  vielleicht  aber  auch  drei  verschiedenen  Gestalten 
entsprechen.  Die  älteste,  weil  undeutlichste,  Gestalt  ist  die 
eines  göttlichen  Kindes,  das  gleich  nach  seiner  Geburt  der 
Welt  (Israel)  das  Heil  bringt.  Etwas  konkreter  ist  die  (viel- 
leicht mit  der  ersten  identische,  vielleicht  erst  später  mit  ihr 
kombinierte)  Gestalt  des  Gottkönigs  mit  göttlichen  Epitheta 
und  göttlichen  Funktionen.  Am  anschaulichsten  ist  die  völlig 
israelitisierte  Gestalt  des  Da  vidi  den,  eines  künftigen  Herrschers 
aus  dem  nationalen  Königsgeschlecht,  der  am  Ende  die  ganze 
Welt  beherrscht  und  keine  Nachfolger  mehr  hat.  Wenn  wir 
ganz  genau  sein  wollen,  so  dürfen  wir  nur  die  letzte  Gestalt 
»einen«  Messias  nennen.  Denn  »der«  Messias  war  damals  noch 
nicht  zu  einer  fest  konsolidierten  Größe  geworden,  und  es  scheint 
nicht  ausgeschlossen,  daß  z.  B.  ein  Jesaja  noch  mehrere  escha- 
tologische  Gestalten  neben  einander  kannte  (Immanuel,  Davidide). 

Jetzt  verstehen  wir  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  wie  in 
der  Heilseschatologie  Jahve  durch  den  Messias  verdrängt  werden 
konnte.  Was  bei  einem  einfachen  Könige  unbegreiflich  ist^ 
wird  begreiflicher  bei  einem  Gottkönige.  Durch  seine  halb- 
göttliche Natur  wird  der  eschatologische  Herrscher  näher  an 
Jahve  herangerückt  und  kann  dessen  Funktionen  leichter  über- 
nehmen. Die  allgemeine  religiöse  Voraussetzung,  unter  der  sich 
allein  eine  Gestalt  wie  der  Gottkönig  bilden  konnte,  ist  die 
zwar  nicht  in  Israel,  wohl  aber  bei  seinen  Nachbarvölkern  nach- 
weisbare Königsvergötterung.  In  der  Eschatologie  aber  handelt 
es   sich   nicht   nur  um   diese   allgemeine  religiöse  Anschauung, 


286      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

sondern  der  Messias  ist  eine  ganz  spezielle  Figur,  die  ihr  Dasein 
einer  bestimmten  Vorstellung  und  vielleicht  einem  bestimmten 
Mythus  verdankt.  Trotzdem  muß  man  die  Möglichkeit  im  Auge 
behalten,  daß  hier  verschiedene  Wurzeln  zusammengewachsen 
sind,  die  bis  in  ihre  entferntesten  Ausläufer  zu  verfolgen  unsere 
nächste  Aufgabe  sein  muß. 


§  26.    Der  Paradieskönig. 

Es  ist  beachtenswert,  wie  selten  der  Messias  als  Besieger 
der  Feinde  auftritt.  Wo  von  dem  Weltreich  die  Kede  ist, 
geschieht  es  meist  mit  einer  flüchtigen  Erwähnung  oder  aber  es 
wird  geschildert,  wie  Israel  oder  Jahve  —  nicht,  wie  der  Mes- 
sias —  seine  Gegner  bezwingt.  Der  Messias  ist  trotz  seiner 
Herrschernatur  kein  Kriegsheld,  kein  »Beutevater«,  sondern  ein 
Friedensfürst.  Die  Tätigkeit  jedes  Königs  ist  zweifacher  Art: 
im  Frieden  zu  richten  und  im  Kriege  zu  führen.  Die  zweite 
Aufgabe  aber  kommt  beim  eschatologischen  Könige  fast  gar 
nicht  in  Betracht.  Wie  er  die  Weltherrschaft  gewinnt,  erfahren 
wir  nicht.  Er  hat  sie  eben  und  übt  sie  aus  im  Sinne  eines 
gerechten  Richters.  Er  braucht  keine  Waffengewalt,  um  seine 
Macht  aufrecht  zu  halten,  sondern  es  genügt  ein  Hauch  seiner 
Lippen,  ein  Spruch  seines  Mundes.  Sein  Reich  ist  nicht  von 
dieser  Welt,  obwohl  es  über  diese  Welt  sich  streckt.  Das 
Hauptcharakteristikum  seiner  Regierungszeit  ist  der  ewige  goldene 
Friede,  wie  er  einst  im  Paradiese,  in  der  Urzeit  herrschte. 
Daneben  fehlen  auch  andersartige  Züge  nicht  ganz,  allein  sie 
treten  in  den  Hintergrund;  sie  sind  einzeln,  verloren,  abgerissen 
und  werden  niemals  zu  einem  konkret-lebendigen  Bilde  gestaltet. 

So  heißt  der  Messias  Zach.  9 9 f.  zwar  siegreich,  aber  das, 
was  der  Verfasser  schildert,  ist  kein  Sieg  und  kein  Siegesfürst: 
Freue  dich  sehr,  Tochter  Zion,  brich  in  Jubel  aus,  Tochter 
Jerusalem,  denn  dein  König  kommt  zu  dir;  gerecht  und  sieg- 
reich'^ ist  er,  demütig  und  reitet  auf  einem  Esel,  auf  einem  Füllen 
der  Eselin.  Er  wird  die  Wagen  aus  Ephraim  und  die  Rosse 
aus  Jerusalem  vernichten^,  und  vernichtet  wird  der  Kriegsbogen; 


1.  Vielleicht  ist  mit   den  LXX   y^.yi'a   hülfreich   zu  lesen  (Gunkel 
nach  schriftlicher  Mitteilung).  2.  Lies  ni2r;  LXX. 


Das  königliche  Reittier.  287 

er  schafft  den  Völkern  Frieden  durch  seinen  Spruch^  und  seine 
Herrschaft  reicht  von  Meer  zu  Meer  und  vom  Euphrat  bis  zu 
den  Enden  der  Erde.  Der  Messias  tut  das  Gegenteil  von  dem, 
was  sonst  ein  Herrscher  zu  tun  pflegt.  Statt  seine  Rüstung  zu 
stärken,  rüstet  er  ab.  Wenn  er  sich  dabei  auf  Ephraim  und  Juda 
zu  beschränken  scheint,  dürfen  wir  dies  der  mangelnden  An- 
schauungskraft des  Verfassers  zur  Last  legen,  dessen  Blick  auf 
Palästina  gebannt  ist.  Der  Schriftsteller,  der  hier  zu  uns  redet, 
arbeitet  mit  überkommenen  Stoffen,  ohne  sie  völlig  zu  durch- 
dringen. Das  Reiten  des  Messias  auf  einem  Esel,  das  hier  als 
Zeichen  der  Demut  aufgefaßt  ist,  hat  man  bisher  als  etwas 
Selbstverständliches  hingenommen,  ohne  sich  darüber  zu  wun- 
dern. Nirgendwo  sonst  wird  der  eschatologische  König  als  be- 
sonders demütig  gedacht,  auch  die  Ausrottung  der  Kriegs  wagen 
und  die  Schaffung  des  Völkerfriedens  gilt  nirgends  als  Ausfluß 
seiner  Demut.  Der  Messias  wird  nur  hier  als  demütig  hin- 
gestellt. Dieser  Gedanke  bildete  sich  im  Anschluß  an  einen 
der  Tradition  entlehnten,  aber  nicht  mehr  verstandenen  Zug. 
Jer.  1725.  224  wird  betont,  wie  der  König  der  Zukunft  einen 
herrlichen  prunkvollen  Einzug  hält  auf  Wagen  und  Rossen, 
so  wie  es  sich  für  einen  mächtigen,  siegreichen  Herrscher  ge- 
ziemt. Erst  seit  der  Zeit  Salomos  wurden  Pferde  in  größerem 
Maße  eingeführt,  blieben  aber  auf  die  Könige  und  die  vor- 
nehmen Leute  beschränkt.  Die  Ärmeren  begnügten  sich  mit 
dem  Esel.  Wenn  darum  der  Messias  auf  einem  Esel  reitet,  so 
konnte  das  in  der  späteren  Zeit  als  Zeichen  der  Demut  ge- 
deutet werden.  Aber  nur  die  Deutung  ist  neu,  der  Zug  selbst 
ist  alt.  In  der  älteren  und  bis  in  die  königliche  Zeit  hinein 
war  der  Esel  das  Reittier  der  Fürsten  (Jdc.  IO4.  12 14.  II  Sam. 
1927).  Unsere  Zacharjastelle  scheint  von  Gen.  49 11  (oder  einer 
verwandten  Tradition)  abhängig,  wo  ebenfalls  der  Esel  oder  das 
Füllen  der  Eselin  als  Tier  des  Messias  genannt  wird:  Nicht 
weicht  das  Szepter  von  Juda  noch  der  Stab  zwischen  seinen 
Füßen ^  bis  sein  (eschatologischer)  Herrscher'^  kommt,  dem  die 
Völker  gehorchen,  der  seinen  Esel  an  den  Weinstock  bindet,  an 
die  Rebe  seiner  Eselin  Füllen,  der  sein  Gewand  in  Wein 
wäscht,    in   Traubenblut  sein  Kleid,    dessen  Augen  vom  Weine 


1.  Lies  n'V;y'2. 


288     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

funkeln'^  und  dessen  Zähne  weiß  sind  von  Milch.  Unter  dem 
Messias  wird  Juda  in  ein  paradiesisches  Milch-  und  Weinland  ver- 
wandelt, so  daß  der  König  die  sonst  sorglich  gehüteten  Rebstöcke 
zum  Anbinden  seines  königlichen  Reittieres  benutzen  kann. 
Wenn  diese  Erklärung  der  Zacharjastelle  richtig  ist,  so  zeigt 
sich  hier  an  einer  archäologischen  Einzelheit,  wie  alt  und  richtig 
die  traditionell  messianische  Deutung  von  Gen.  49  ii  und  wie 
unmöglich  es  ist,  die  Gestalt  des  Messias  erst  in  dem  oder  nach 
dem  Exil  entstehen  zu  lassen;  denn  dann  wäre  niemals  der 
Esel  zu  seinem  Reittier  gemacht  worden.  Nicht  Demut,  sondern 
königliche  Gerechtigkeit  ist  das  Kennzeichen  des  Messias. 

Siehe,  Tage  kommen,  spricht  Jahve,  da  erwecke  ich  dem 
David  eitlen  gerechten  Sproß,  und  er  soll  herrschen  als  König 
und  sich  einsichtig  zeigen  und  Recht  und  Gerechtigkeit  schaffen 
im  Lande.  In  seinen  Tagen  wird  Juda  Hülfe  erfahren  und 
Israel  sicher  wohnen,  und  das  ist  sein  Name,  mit  dem  man 
ihn  nennen  ivird:  Jahve  ist  unsere  Gerechtigkeit  (Jer.  235f.  vgl. 
Jer.  33 uff.).  Gerechtigkeit  und  Paradiesesfrieden  lehrt  uns 
auch  Ez.  3423ff.  als  die  Merkmale  des  eschatologischen  Reiches 
kennen:  Und  ich  werde  einen  einzigen  Hirten  über  sie  erwecken, 
der  sie  weiden  soll,  meinen  Knecht  David  .  .  .  Und  ich,  Jahve, 
will  ihnen  zum  Gotte  sein,  und  mein  Knecht  David  ist  Fürst 
in  ihrer  Mitte;  ich,  Jahve,  habe  es  geredet.  Und  ich  werde 
meinen  Friedensbund  für  sie  abschließen  und  die  schlimmen 
Tiere  aus  dem  Lande  beseitigen,  daß  sie  in  der  Wüste  sicher 
wohnen  und  in  den   Wäldern  (ruhig)  schlafen  können. 

Während  Jes.  94  u.  5  Paradies  und  Paradieskönig  nur  lose 
mit  einander  vereinigt  sind,  ist  ihre  Verbindung  Jes.  lliff.  sehr 
viel  enger:  Hervorgehen  wird  ein  Reis  aus  dem  Stumpfe  Isais 
und  ein  Sproß  aus  seinen  Wurzeln  Frucht  tragen.  Und  nieder- 
lassen wird  sich  auf  ihn  der  Geist  Jahves,  der  Geist  der  Weis- 
heit und  der  Einsicht,  der  Geist  des  Rates  und  der  Kraft,  der 
Geist  der  Erkenntnis  und  Furcht  Jahves  ....  Und  nicht 
nach  dem,  was  seine  Augen  sehen,  und  nicht  nach  dem,  was 
seine  Ohren  hören,  entscheidet  er.     Richten  wird  er  in  Gerechtig- 


1.  Das   Wort  "W^n   hat   Gunkel  richtig   mit  funkelnd  übersetzt. 

Es  hängt  wohl  (durch  Metathesis)  zusammen  mit  hn::,  J.h2S\5"  die  Augen- 
schminke, durch  die  die  Augen  feurig  und  glänzend  gemacht  werden. 


Der  fragmentarische  Charakter  der  Eschatologie.       289 

keit  die  Niedrigen  und  Entscheidung  gehen  in  Gradheit  den 
Elenden  des  Landes,  und  schlagen  wird  er  den  Wüterich^  mit 
dem  Stabe  seines  Mundes  und  durch  den  Hauch  seiner  Lippen 
töten  den  Gottlosen,  Und  es  wird  sein  Gerechtigkeit  der  Gurt 
seiner  Hüften  und  Treue  der  Gürtel  seiner  Lenden.  Und  nun 
folgt  (V.  6 — 8)  das  schon  behandelte  reizende  Genrebild,  das 
den  goldenen  Frieden  der  eschatologischen  Urzeit  malt.  Das 
Reich  des  Messias  ist  das  Friedensreich  des  Paradieses;  unter 
diesem  Könige  und  Richter  kehrt  das  goldene  Zeitalter  wieder, 
wo  Mensch  und  Raubtier  sich  befreunden  und  mit  einander 
spielen. 

Jetzt,  wo  wir  den  gesamten^  Stoff  überschauen,  müssen  wir 
uns  noch  einmal  seinen  bruchstückartigen  Charakter  klar  machen. 
Wir  lesen  in  den  prophetischen  Schriften  häufig  Schilderungen 
des  goldenen  Zeitalters,  ohne  von  einem  Könige  des  eschatolo- 
gischen Paradieses  zu  hören.  Auf  der  anderen  Seite  vernehmen 
wir  von  einem  eschatologischen  König,  ohne  paradiesische  Züge 
erwähnt  zu  finden.  Das  ist  überall  da  der  Fall,  wo  der  Messias 
gewissermaßen  ein  verklärter  David  ist,  wo  er  rein  nationale 
Züge  trägt.  Hier  ist  offenbar  eine  völlige  IsraeHtisierung  ein- 
getreten, durch  die  die  ursprünghch  mythischen  Züge  abge- 
stoßen und  umgeprägt  sind.  Wo  diese  aber  erhalten  sind  (d.  h. 
namentlich  Jes.  Tuff".  9iff.  lliff.  Mch.  5iff.),  da  begegnen  uns 
zugleich  andere  mythische  Elemente  (vgl.  Jes.  7i5.  94.  lleff. 
Mch.  5  5),  die,  wenn  wir  sie  überhaupt  erklären  können,  mit  der 
Anschauung  von  der  AViederkehr  des  Paradieses  zusammen- 
hängen. Die  Gestalt  des  eschatologischen  Königs  ist 
darum  aus  inneren  Gründen  vom  Paradiese  untrennbar. 
Das  Nächstliegende  ist  es  jedenfalls,  wenn  die  eine  Reihe  der 
mythischen  Elemente  auf  das  Paradies  hinweist,  dann  auch  die 
andere  Reihe  von  dorther  abzuleiten.  Die  Trennung  beider 
Reihen,  die  in  den  prophetischen  Schriften  —  nicht  immer,  aber 


1.  Lies  v'^y  mit  Gesenius. 

2.  Die  Deutung  des  Messias  auf  das  Volk,  die  man  besonders  bei 
Ps,  2  versucht  hat  (Smend^  S.  374),  halte  ich  für  unmöglich.  Sie  kann 
weder  durch  den  Hinweis  auf  Dan.  7i8fif.  oder  auf  Clemens  Alexandrinus 
noch  durch  die  (ebenso  falsche)  kollektivische  Deutung  der  Königs- 
psalmen gerechtfertigt  werden. 

Forschungen  zur  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.  6.  19 


290     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

meist  —  vollzogen  ist,  beruht  eben   auf  dem  bruchstückartigen 
Charakter  der  israeUtischen  Eschatologie. 

Wie  am  Anfang  dieser  Welt,  so  steht  am  Anfang  der 
künftigen  das  Paradies  mit  seinem  Könige.  Die  Genesis  kennt 
nur  einen  »Menschen«,  Adam,  und  sein  Weib,  aber  keinen 
»König«  als  den  Bewohner  des  Paradieses.  Es  bleibt  uns 
also  nichts  anderes  übrig,  als  nach  rehgionsgeschichthchen 
Parallelen  zu  suchen.  Leider  wissen  wir  bis  heute  nichts  von 
einem  babylonischen  Paradiesmythus  ^,  dessen  Mittelpunkt  sehr 
wohl  ein  Halbgott  oder  König  gebildet  haben  könnte  ent- 
sprechend den  zehn  »Urkönigen«^.  Eine  völlige  Analogie  aber 
finden  wir  in  der  indo-iranischen  ReHgion:  »Herrscher  im  Reich 
der  Seligen  ist  des  Vivasvant  Sohn  Yama,  von  dem  der  Athar- 
vaveda  sagt,  daß  er  starb  der  Erste  der  Sterblichen,  hinging  als 
Erster  in  jene  Welt  (XVIII,  3,  13).  Wir  haben  hier  den  bei 
den  verschiedensten  Völkern  der  Erde  wiederkehrenden  mytho- 
logischen Typus  des  Oberhaupts  der  Seelen  ....  Der  Er- 
zeuger des  sterblichen  Geschlechts  wurde  dann  vielleicht  schon 
in  indo-iranischer  Zeit  als  König  des  goldenen  Zeitalters  vor- 
gestellt, in  dem  es  nicht  Alter  und  Tod,  nicht  Hitze  und  Kälte, 
nicht  Mangel  und  Leidenschaft  gab :  zwar  der  Veda  weiß  davon 
nichts,  aber  die  avestischen  Zeugnisse  von  Yima  des  Vivanhvant 
Sohn  treten  in  die  Lücke  ein.  Und  wie  in  der  hesiodischen 
Sage  von  den  fünf  Weltaltem  die  Menschen  des  goldenen  Ge- 
schlechts nach  dem  Tode  zu  besonders  mächtigen  Dämonen 
werden,  so  lebt  im  Avesta  das  Reich  Yimas  als  ein  Reich 
sehger,  weiser  SterbHcher  fort,  in  ein  weltentrücktes  Wunder- 
land versetzt.  Wir  überschreiten  die  Grenzen  des  Beweisbaren, 
aber  nicht  der  berechtigten  Vermutungen,  wenn  wir  hinter  diesen 
Vorstellungen  einen  Glauben  der  arischen  Zeit  zu  erkennen 
meinen,  daß  die  Seelen  derer,  die  in  der  goldenen  Zeit  auf 
Erden  mit  Yama  gelebt  haben,  auch  im  Jenseits  den  König 
als  die  Nächsten  umgeben,  eine  Art  Adel  unter  den   Hinge- 

1.  Der  Adapamythus,  auf  den  Zimmern  (KAT.^  S.  520 ff.)  u.  a.  hin- 
weist, hat  nichts  weder  mit  dem  Paradiese  noch  mit  Adam  zu  tun. 
Die  Ähnlichkeit  beschränkt  sich  auf  dasselbe  Motiv:  Verscherzung  der 
Unsterblichkeit.    Vgl.  Gunkel:  Genesis'^  S.  33. 

2.  Eusebi  Chronic,  liber  prior  ed.  Schoene  S.  7  ff.  31  f.  Zimmern 
KAT.3  S.  531  ff. 


Der  König  des  goldenen  Zeitalters.  291 

schiedenen  bilden  «i.  Der  heroisierte  erste  Mensch  ist  hier  wie 
der  Messias  in  Israel  der  König  des  goldenen  Zeitalters,  hier 
in  der  Urzeit,  dort  in  der  Endzeit. 

Aber  die  Parallelen  gehen  noch  weiter.  Wir  erinnern  uns 
an  die  Umwandlung  der  menschlichen  Natur,  an  das  Gottes- 
mahl auf  dem  Zion  mit  Fettspeisen  und  Hefenweinen,  an  die 
Ernährung  des  Restes  durch  Honig  und  Milch,  wenn  wir  aus 
dem  Veda  hören:  »Irdische  UnvoUkommenheit  ist  abgetan:  das 
bedeutet  nicht  innere  Erhebung  zu  ethischen  Idealen,  sondern 
Beseitigung  körperlicher  Gebrechen;  die  Seligen  haben  die 
Krankheit  ihres  Leibes  hinter  sich  gelassen;  sie  sind  nicht  lahm, 
nicht  krumm  von  Gliedern.  Sie  verkehren  droben  nicht  mit 
Yama  allein,  auch  mit  den  himmlischen  Göttern.  Beide  Könige, 
so  wird  bei  der  Bestattung  dem  Toten  nachgerufen,  die  an  der 
Speise  sich  erfreuen,  Yama  sollst  du  sehen  und  den  Gott  Varuna 
,  .  .  Yama  zecht  unter  einem  wohlbelaubten  Baum  zusammen 
mit  den  Göttern;  dort  erschallen  Lieder  und  Flötenspiel;  gewiß 
sind  auch  die  Seligen  als  Teilhaber  an  diesem  festlichen  Treiben 
zu  denken;  Soma  trinken  die  Einen,  Andere  Honig  oder  ge- 
schmolzene Butter  .  . .  Wir  hören  von  .  .  .  Teichen  von  Butter, 
voll  von  Milch,  von  Wasser,  von  saurer  Milch;  solche  Ströme 
sollen  dir  alle  fließen,  honigsüß  schwellend  in  der  Himmelswelt, 
Lotusteiche  von  allen  Seiten  dich  umgeben  «K      Sieht  man  von 


1.  Oldenberq:  Eel.  des  Veda  S.  532f. 

2.  Oldenberg  S.  534  ff.  —  Eichhorn  macht  mich  auf  die  Tatsache 
aufmerksam,  daß  wir  hier  eine  völlig  anschauliche  Schilderung  der  Ur- 
zeit haben,  in  der  Milch  und  Honig  nicht  so  fragmentarisch-unver- 
ständlich wie  im  Alten  Testamente,  sondern  ausführlich  und  lebendig 
vorkommen.  Aus  diesem  Grunde  hält  Eichhorn  den  iranischen  Ur- 
sprung der  israelitischen  Eschatologie  auch  für  die  ältere 
^eit  erwägenswert.  In  Iran  gab  es  erstens  heilige  Kühe  und 
Vorstellungen  vom  himmlischen  Honig,  sodaß  Milch  und  Honig  als 
Götterspeise  dort  begreiflich  sind  (vgl.  Oldenberg  S.  175 ff.).  In  Iran 
gab  es  zweitens  Vulkane,  sodaß  dort  die  Idee  von  einem  Welt- 
untergang durch  Feuer  sich  bilden  konnte  (vgl.  o.  S.  37  f.).  In  Iran  gab 
es  drittens  rauhe,  unwegsame  Berge,  die  in  der  Endzeit  nach 
israelitisch-iranischer  Eschatologie  verschwinden  sollen  (vgl.  o.  S.  224). 
In  Iran  existierte  viertens  eine  nachweisbare  Eschatologie  mit 
einem  völlig  ausgeprägten,  in  sich  einheitlich-geschlossenen  System. 
Die  drei  letzten  Gründe  machen   den  babylonischen  Ursprung  unwahr- 

19* 


292    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

dem  indischen  Kolorit  ab  und  verlegt  den  Schauplatz  vom 
Himmel  auf  die  Erde,  speziell  nach  Palästina,  so  haben  wir 
eine  deutliche  Analogie  zu  der  israelitischen  Schilderung  des 
goldenen  Zeitalters,  das  mit  dem  eschatologischen  Könige  an- 
bricht. Wenn  der  neue  Himmel  und  die  neue  Erde  ge- 
schaffen werden,  wenn  eine  neue,  selige  Urzeit  be- 
ginnt, so  muß  der  erste  Mensch  wiederum  zum  Herr- 
scher dieses  Reiches  werden,  wie  er  es  am  Anfang 
dieser  Welt  gewesen  ist.  Nehmen  wir  an,  die  israelitische 
Eschatologie  stamme  von  einem  Volke,  das  einen  »König«  des 
Paradieses  kannte,  so  ist  dessen  Identität  mit  dem  Messias  d.  h. 
dem  eschatologischen  Könige  keinen  Augenblick  mehr  zweifel- 
haft. Bei  dieser  Hypothese  werden  die  überheferten  Tatsachen 
verständhch. 

So  erklärt  sich  die  Rezeption  der  mythischen  Paradies- 
elemente in  dem  Hofetil:  Der  jeweiUge  Fürst  oder  die  jeweihge 
Dynastie  wird  gefeiert  als  Bringer  der  goldenen  Zeit,  wie  einst 
der  erste  König.  So  erklärt  sich  die  Haupttätigkeit  des  Messias: 
Er  schafft  als  letzter  König  das  Reich  des  Friedens  wieder 
und  regiert  in  Gerechtigkeit  über  ein  gesundes  und  sündloses 
Volk  und  über  ein  Land  des  Segens  und  des  Überflusses,  wie 
es  einst  im  Anfang  war.  So  erklären  sich  seine  Prädikate: 
Immanuel  ist  ein  geziemendes  Attribut  für  den,  der  himmhschen 
Honig  und  göttliche  Milch  genießt.  Vater  der  Ewigkeit  ist 
eine  passende  Bezeichnung  des  ersten  Menschen,  der  zugleich 
der  TCQWTOToyiog  tcov  ve'/,Qiüv  (Apok.  Job.  I5)  der  erste  Tote  ist. 
Denn  »der  erste  Mensch  war  auch  der  erste  Gestorbene,  der 
zu  göttlichen  Dimensionen  erwachsene  König  des  Totenreiches«  \ 
und  wie  die  gegenwärtigen  Herrscher  so  ist  auch  ihr  Prototyp, 
der  erste  König,  ein  Abkömmling  der  Gottheit.  In 
Israel  werden  ihm   nur  göttliche  Epitheta,   auf  der   Stufe  der 


scheinlich,  wenn  nicht  unmöglich.  Babylonien  kann  nur  als  Über- 
gangsstufe in  Betracht  kommen.  Der  Mythus  des  Weltunterganges 
und  der  Welterneuerung  kann  schon  in  uralter  Zeit  aus  Persien  über 
Babylonien  nach  dem  Westen  gewandert  sein.  Wir  wissen  jetzt,  daß 
bereits  um  2000  v.  Chr.  die  Elamiter  (im  Norden  der  iranischen  Land- 
schaft Lusiana)  eine  wichtige  Eolle  in  der  altbabylonischen  Geschichte 
spielten. 

1.  Oldenberg  S.  276. 


Der  König  des  goldenen  Zeitalters.  293 

Naturvölker  wird  ihm  sogar  göttliche  Verehrung  zu  teil.  »Bei 
den  Karaiben  ist  Loguo  der  erste  Mensch,  welcher  von  seiner 
himmlischen  Wohnung  herabstieg,  die  Erde  schuf  und  dann 
wieder  in  den  Himmel  zurückkehrte  ...  In  Tahiti  hatten  die 
zu  Göttern  erhobenen  Gestorbenen  und  der  erste  Mensch  die- 
selben Namen,  nämlich  Tii  oder  Tiki^  ....  Sowohl  bei  den 
Mingos  als  den  Leni-Lenape  ist  der  erste  Mensch  ein  Gegen- 
stand göttlicher  Verehrung  ....  Ja  sogar  wird  abwechselnd 
bald  der  Herr  des  Lebens  bald  der  erste  Mensch  als  derjenige 
angerufen,  der  da  Gewalt  hat  über  die  Geister  ....  Nach 
dem  Mythus  der  Indianer  oben  am  Lorenzstrom  und  Missisippi 
hat  sich  der  erste  Mensch  in  den  Himmel  erhoben  und  donnert 
dort.  Die  Mönitarris  verehren  den  Herrn  des  Lebens  als  den 
Menschen,  der  nie  stirbt  und  als  den  ersten  Menschen  .  .  . 
Bei  den  Hundsrippindianem  ist  der  erste  Mensch  Schöpfer  der 
Menschen,  der  Sonne  und  des  Mondes«*.  »Unter  den  Söhnen 
des  Kutka,  des  Schöpfers  ist  Haetsch  der  erste  Mensch,  der 
auf  Erden  wohnte  und  starb  und  nach  dem  Tode  als  Be- 
herrscher der  Unterwelt  zum  Hades  hinabging«  s. 

So  haben  wir  eine  Reihe  von  Parallelen,  die  uns  lehren, 
wie  aus  demselben  religiösen  Grundmotiv  eine  Vergötterung 
des  Urmenschen  hervorging*.  Die  Religion,  die  die  Escha- 
tologie  beeinflußt  hat,  könnte  erzählt  haben,  wie  der  göttliche 
Urmensch,  von  einer  Gottesmutter  geboren,  in  seiner  Kindheit 
mit  göttlichen  Speisen  ernährt,  schon  als  Knabe  zum  König 
des  Paradieses  eingesetzt  sei  und  in  der  goldenen  Urzeit  ein 
gerechtes  Regiment  über  die  Menschen  geführt  habe.  Mit  den- 
selben Farben,  mit  denen  das  Bild  des  ersten  Königs  am  An- 
fang der  Welt  gemalt  ist,  wurden  dann  auch  die  folgenden 
Königsgemälde  bis  hinab  zu  dem  des  eschatologischen  Messias 
gezeichnet.  Wir  haben  Spuren  im  babylonischen  Hofstil  ge- 
funden, die  sich  nahe  mit  denen  des  israelitisch  eschatologischen 
Stiles  berühren.  Aber  da  wir  den  Mythus  der  Berufung  des 
ürkönigs  nicht  kennen,  so  läßt  sich  auch  nicht  mit  annähernder 
Sicherheit  Babylonien   als   das  Ursprungsland   des  Messias  be- 


1.  J.  G.  Müllek:  Am.  Urrel.  S.  135.  2.  Müller  S.  133. 

3.  Tylor:  Die  Anfänge  der  Kultur  I  S.  312  f. 

4.  Anders   wird    die    Gestalt    des   Messias    erklärt    von   Curtiss: 
Ursemitische  Eeligion  S.  147  f. 


294      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

zeichnen.  Wir  müssen  uns  fürs  erste  mit  einem  Ignoramus 
begnügen.  Mit  Gewißheit  läßt  sich  natürlich  nicht  sagen,  daß 
die  bisher  bloßgelegte  Wurzel  die  einzige  war,  die  sich  im  Laufe 
der  Zeit  ausgewachsen  hat  und  zu  einem  stattlichen  Baume 
geworden  ist.  Die  wenigen  Trümmer,  die  uns  als  letzter  Über- 
rest des  alten  Mythus  in  der  israelitischen  Eschatologie  be- 
gegnen, sind  nicht  ausreichend,  um  den  ursprünghchen  Bau  zu 
rekonstruieren.  Vielleicht  erzählte  der  Mythus  weiter,  der  Ur- 
könig  sei  ein  Mensch  gewordener  Gott  gewesen  und  nach  seinem 
Tode  sei  er  wieder  —  wie  nach  den  oben  zitierten  Parallelen 
—  in  den  Himmel  zurückgekehrt  und  wohne  nun  in  der  Sonne 
und  regiere  die  Welt  als  Sonnengott.  Vielleicht  war  es  auch 
anders.  Hier  ist  der  Phantasie  unbeschränkter  Spielraum  ge- 
währt. Jedenfalls  lehren  uns,  worauf  es  hier  allein  ankommt, 
die  beigebrachten  Parallelen  der  Naturvölker,  daß  der  erste 
Mensch  und  die  Gottheit  ursprünglich  einmal  iden- 
tische Doppelgänger  gewe'sen  sein  können,  und  darum 
scheinen  mir  weitere  Wurzeln  der  Messiasvorstellung  nicht  unbe- 
dingt notwendig. 

g  27.    Die  Thronbesteigung  Jalives. 

Der  Messias  und  Jahve  wechseln  in  der  israelitischen 
Eschatologie  ab.  Das  ist  begreiflich  einmal  deshalb,  weil  der 
Messias  im  letzten  Grunde  eine  göttliche  Gestalt,  ein  Gottkönig, 
ist  und  dadurch  in  die  Sphäre  der  Gottheit  erhoben  wird.  Das 
wird  noch  begreiflicher,  wenn  wir  eine  zweite  parallele  Reihe 
beachten.  Fast  überall,  wo  uns  Jahve  in  der  Heilseschatologie 
begegnet,  wird  er  in  einer  ganz  bestimmten  Weise  dargestellt. 
Wir  können  die  Schilderungen,  die  von  ihm  gegeben,  und  die 
Funktionen,  die  ihm  beigelegt  werden,  zurückführen  auf  den 
Begriff  des  eschatologischen  Königs.  Auffällig  ist  die 
Tatsache,  wie  selten  die  hierher  gehörigen  Anschauungen  bei 
den  älteren  Propheten  begegnen.  Wir  lernen  sie  fast  nur  aus 
den  Psalmen  und  den  späteren  Apokalypsen  kennen,  die  aber 
gewiß  ältere  Traditionen  benutzt  haben  *. 


1.  »Wir  können  in  der  gesamten  Eschatologie  zwei  Strömungen 
unterscheiden;  beide  sprechen  von  einem  kommenden  Keiche  und  einem 
kommenden   Könige;    während    aber   die    eine    den   König   David    oder 


Das  Königtum  Jahves.  295 

Jahve  ist  König  geworden,  so  beginnen  eine  Reihe  von 
Psalmen,  die  ihrem  Inhalte  nach  eschatologischer  Art  sind 
(Ps.  93 1.  97i.  99i,  vgl.  479.  953.  96 lo.  986).  Das  ist  die  in 
Israel  stehende  Formel,  mit  der  jeder  neue  König  begrüßt  wird: 
Wenn  ihr  Posaunenschall  hört,  dann  sagt:  Absalom  ist  König 
geworden  in  Hebron  (II  Sam.  15  lo).  Wie  wir  aus  dieser  und 
anderen  Stellen  ersehen  (I  Reg.  I34.  39.  II  Reg.  9 13),  stößt  das 
Volk  dabei  in  die  Posaune,  klatscht  in  die  Hände  (II  Reg.  11 12), 
jauchzt  dem  Gesalbten  den  Glückwunsch  zu  (I  Sam.  10  24. 
II  Sam.  16 16)  und  vollführt  einen  großen  Lärm,  daß  schier  die 
Erde  birst  (I  Reg.  I40.  45),  bis  der  König  in  feierlicher  Pro- 
zession zum  Thron  geleitet  ist  (I  Reg.  I35).  Dementsprechend 
klatschen  beim  Regierungsantritt  Jahves  die  Völker  in  die  Hände 
und  jauchzen  ihm  zu  mit  Jubelruf  (Ps.  472);  unter  dem  Schall 
der  Posaunen  hält  er  seinen  Einzug  in  den  Himmel^  und  steigt 
hinauf  auf  seinen  Thron  (Ps.  479).  Gleich  dem  Könige  ist  er 
in  ein  Prunkgewand  gehüllt:  Sein  Kleid  ist  Pracht  und  Hoheit, 
sein  Kleid  ist  Licht^  (Ps.  93i.  104i). 

Was  bedeutet  die  Thronbesteigung  Jahves?  Sie  dient  zu- 
nächst zum  Ausdruck  der  Tatsache,  daß  Jahve  das  Welt- 
regiment ergriffen  hat.     Gott  ward  König  über  die  Heiden, 

Davids  Sohn  nennt,  ist  in  der  anderen  Jahve  selbst  der  Herrscher  der 
Zukunft;  überall  wo  von  Gottes  Reich  gesprochen  wird,  fehlt  der 
menschliche  König;  denn  ein  Messias  hat  in  Gottes  Reich  keine  Stätte« 
(Gunkel:  Psalmen  S.  162).  Vgl.  zu  diesem  ganzen  Abschnitt  das  soeben 
zitierte  Buch  Gunkels. 

1.  Wie  Jahve  in  das  himmlische  Haus  einzieht,  so  tut  er  es  auch 
beim  irdischen  Tempel;  nur  ist  er  dort  persönlich,  hier  in  seinem 
Palladium  zugegen.  Immer  aber  erfolgt  dieser  Einzug,  wie  es  begreif- 
lich ist,  nach  Art  eines  Königs.  So  heißt  es  Ps.  247 :  Erhebt,  ihr  Tore, 
die  Häupter,  Ja  erhebt  euch,  ihr  uralten  Pfort^-n,  daß  der  König  der 
Ehren  einziehe.  Übrigens  gibt  es  hierzu,  nebenbei  bemerkt,  eine  inter- 
essante Parallele  in  dem  altindischen  Märchen:  Nala  und  Daraayanti 
(Reclam  No.  2116),  wo  von  dem  halbgöttlichen  Helden  erzählt  wird: 
»Kommt  er  an  eine  niedere  Pforte,  so  braucht  er  sich  niemals  zu 
bücken;  denn  kaum  hat  sie  den  Mann  erblickt,  so  erhebt  sie 
sich  in  dem  Augenblicke,  wo  er  sich  stoßen  mußte,  in  zuvorkommender 
Weise«  (S.  104).  Die  Voraussetzung  ist  auch  hier  wie  Ps.  24?,  daß  die 
Pforten  nicht,  wie  bei  uns,  von  innen  nach  außen,  sondern  von  unten 
nach  oben  geöffnet  werden. 

2.  Zur  Erklärung  dieser  Vorstellung  vgl.  Gunkel:  Psalmen  S.  172. 


296     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Gott  hat  sich  auf  seinen  heiligen  Thron  gesetzt  (Ps.  479).  Jahve 
ward  König,  die  Völker  mögen  zittern!  Er  thront  auf  den  Ke- 
ruhen,  es  hebe  die  Erde!  Jahve  ist  groß  in  Zion  und  erhaben 
über  alle  Völker  (Ps.  99 1).  Wie  die  Völker  so  beherrscht  Jahve 
auch  die  Götter:  Jahve  ist  ein  großer  Gott,  ein  König  über  alle 
Götter  (Ps.  903).  Da  verzweifeln  alle  Bilderdiener,  die  sich  der 
Götzen  rühmen;  alle  Götter  sinken  vor  ihm  in  den  Staub  .  .  . 
Denn  du,  Jahve,  bist  der  Höchste  über  alle  Welt,  hocherhahen 
über  alle  Götter  (Ps.  977ff.).  Nach  Gunkel  ist  die  »Voraus- 
setzung dieses  Gedankens  von  Jahves  zukünftiger  Thronbesteigung, 
daß  er  gegenwärtig  eigentlich  noch  nicht  König  der  ganzen 
Welt  ist;  gegenwärtig  ist  sein  Reich  noch  nicht  gekommen«  i. 
Aber  es  ist  sehr  fraghch,  ob  man  diesen  Schluß  ziehen  darf. 
Die  Israeliten,  wenigstens  der  späteren  Zeit,  haben  schwerlich 
je  daran  gezweifelt,  daß  Jahve  schon  jetzt  auf  seinem  Throne 
sitzt  und  als  Weltkönig  das  All  regiert.  Man  braucht  den  von 
Gunkel  aufgestellten  Satz  nur  ins  Positive  umzukehren,  um 
seine  Unwahrscheinlichkeit  zu  erkennen.  Oder  sollte  man  in 
Israel  Jahve  jemals  als  den  Untergebenen  eines  anderen, 
höheren  Gottes  betrachtet  haben?  Freilich,  die  Worte  besagen 
wirkHch  das,  was  Gunkel  aus  ihnen  herausliest.  Trotzdem  darf 
ihnen  dieser  Sinn  nicht  beigelegt  werden,  weil  er  in  den  Geist 
der  israelitischen  ßehgion  nicht  hineinpaßt.  Diese  Antithese 
löst  sich  in  einer  Synthese  auf,  sobald  wir  hier  eine  aus  der 
Fremde  stammende  Tradition  annehmen.  Sie  muß  aus- 
ländischen Ursprungs  sein,  weil  sie  erstens  den  Polytheismus 
voraussetzt  und  weil  sie  zweitens  erst  den  eschatologischen  Gott 
als  den  Universalgott  preist.  Als  diese  Lieder  nach  Israel 
wanderten  und  auf  Jahve  übertragen  wurden,  da  sang  man  sie 
nach,  ohnesichum  den  ursprünglichen  Sinn  zu  kümmern.  Man 
legte  in  sie  hinein,  was  man  selbst  empfand.  Wir  erleben  es 
ja  heute  in  ähnlicher  Weise  immer  wieder.  Auch  unsere  Ge- 
meinde genießt  die  israelitischen  Psalmen  und  fragt  nicht  viel 
nach  der  historischen  Auffassung  und  nach  der  ursprünglichen 
Bedeutung  der  Worte,  sondern  schiebt  ihnen  unbefangen  die 
eigene  Stimmung  und  sogar  die  eigenen  Gedanken  unter.  Wie 
sollte  es  damals  anders  gewesen  sein  ?    Vielleicht  hat  die  Syna- 


1.  S.  158. 


Das  Weltgericht.  297 

goge  eine  alte  Tradititon  bewahrt,  wenn  sie  Ps.  47  als  »Neu- 
jahrslied« bezeichnet.  Nicht  das  Posaunenblasen  (Baethgen), 
nicht  der  Universalismus  (Dühm),  sondern  die  Thronbesteigung 
Jahves,  die  am  Anfang  jedes  neuen  Jahres  erfolgte,  haben  den 
Psalm  zum  Neujahrsliede  gestempelt  Weil  man  in  Babylonien 
oder  sonstwo  bei  den  Nachbarvölkern  am  Neujahrstage  —  und 
ebenso  beim  Anfang  einer  neuen  Welt  —  die  Thronbesteigung 
eines  neuen  Gottes  feierte,  so  ward  dies  Beispiel  in  Israel  nach- 
geahmt, weil  es  so  zum  Stil  gehörte.  Während  anderswo  natür- 
lich verschiedene  Götter  nach  einander  den  Thron  bestiegen,  so 
mußte  man  sich  in  Israel  wohl  oder  übel  mit  dem  einen  Gott 
begnügen.  Israel  schob  in  seinem  ausgeprägten  Monotheismus 
untergeordnete  Wesen  wie  Göttersöhne  oder  Engel  (Dtn. 
328  LXX)  an  die  Stelle  der  Götter  und  faßte  sie  als  Statt- 
halter Jahves  auf,  die  ihr  Amt  von  ihm  empfangen  und  ihm 
zurückgeben.  Damit  ist  der  ursprüngliche  Sinn  umgebogen  und 
die  Idee  etwas  verdunkelt. 

Das  Weltregiment  Jahves  bedeutet  zugleich  das 
Weltgericht:  Sp^^echt  unter  den  Heiden:  Jahve  ward  König 
....  Denn  er  kommt,  die  Erde  zu  richten;  er  wird  den  Erd- 
kreis richten  in  Gerechtigkeit  und  die  Völker  nach  seiner  Treue 
(Ps.  96 10. 13.  989).  Von  diesem  Gericht  Jahves  ist  oft  und  schon 
früh  die  Rede.  So  heißt  es  bereits  Jes.  Sisf.:  Da  steht  Jahve 
zu  hadern  und  tritt  auf,  zu  richten  sein  Volk^.  Jahve  kommt 
ins  Gericht  mit  den  Altesten  seines  Volkes  und  seinen  Oberen. 
Während  hier  und  an  einigen  anderen  Stellen  das  Bild  des 
Gerichtes  bis  zu  einem  gewissen  Grade  anschaulich  durchge- 
führt ist,  so  ist  doch  beachtenswert,  wie  verhältnismäßig 
selten  dies  in  der  Eschatologie  geschieht.  Die  Be- 
strafung der  Menschen  am  Ende  der  Welt  wird  gewöhnlich 
nicht  durch  ein  Gericht,  sondern  durch  eine  Katastrophe  oder  einen 
Kampf  vollzogen.  Ein  Gericht  kann  sich  ja  auch  niemals  über 
die  leblose  Natur  erstrecken,  deren  Untergang  eben  beim  Welt- 
ende vorausgesetzt  ist.  Das  Bild  des  Gerichtes  paßt  nicht  zu 
einer  Naturkatastrophe  und  ist  darum  mit  der  Eschatologie  nur 
inkonzinn  verknüpft  Ein  besonders  schönes  Beispiel  ist  Ps.  97 : 
Hier  wird   zunächst  eine  Naturoffenbarung  Jahves  beschrieben, 


1.  Lies  '.■cy  LXX. 


298     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

die  im  Feuer,  Gewitter,  Erdbeben,  Vulkan  erfolgt.  Da  ver- 
zweifeln alle  Bilderdiener,  die  sich  der  Götzen  rühmen;  alle 
Götter  sinken  vor  ihm  in  den  Staub.  »Wie  abgeschliffen  dem 
Psalmisten  diese  Bilder  sind,  sieht  man  deutlich  daran,  daß  er 
mitten  in  die  Schilderung  der  Feuererscheinung  Jahves  einen 
so  ganz  andersartigen  Zug  setzen  kann  wie  den:  Gerechtigkeit 
und  Recht  tragen  seinen  Thron«  (Gunkel)  und  daß  er  am  Schluß 
dieser  Naturkatastrophe  einen  so  ganz  andersartigen  Satz  hin- 
zufügen kann  wie  den:  Zion  aber  hört  es  mit  Freuden  und 
Judas  Städte  frohlocken  über  deine  Gerichte^  Jahve!  Gericht 
bedeutet  hier  so  viel  wie  Strafe.  Hätte  der  Verfasser  den  Be- 
griff des  Gerichtes  konkret  und  anschaulich  aufgefaßt,  so  hätte 
er  keine  Naturkatastrophe  ausmalen  dürfen.  Ein  Eichter  kämpft 
nicht  und  streckt  niemanden  in  den  Staub,  sondern  er  setzt 
sich  auf  den  Thron,  läßt  Sessel  für  die  Beirichter  herzuschaffen,, 
schlägt  die  Aktenbücher  auf,  führt  den  Prozeß,  fällt  das  Urteil 
und  übergibt  den  Schuldigen  dem  Henker.  Ein  solches  wirk- 
lich lebendiges  Bild  einer  Gerichtsszene  Jahves  findet  sich  zum 
ersten  Male  im  Buche  Daniel  (Tgff.).  Im  übrigen  Alten  Testa- 
ment hingegen  ist  die  Idee  des  Gerichtes  bald  mehr  bald  weniger 
fragmentarisch  durchgeführt. 

Während  das  Gericht  über  die  Völker  fast  ganz  unan- 
schaulich bleibt,  ist  das  Gericht  über  die  Götter  konkreter 
dargestellt.  Die  Szenen  Deuterojesajas  gehören  nicht  hierher, 
da  sie  sich  nicht  auf  das  eschatologische  Gericht  beziehen. 
Wohl  aber  darf  auf  Ps.  82  verwiesen  werden,  wo  Jahve  die 
Götter  versammelt  hat,  ihnen  ihre  Sünden  vorhält  und  ihre 
Strafe  verkündigt:  Einst  habe  ich  gesagt,  daß  ihr  Götter^  seid,. 
Söhne  des  Höchsten  ihr  alle!  Aber  jetzt  sollt  ihr  sterben  wie 
Menschen,  wie  einer  der  Fürsten  fallen,  P'aßt  man  diese  Worte 
so  auf,  wie  sie  lauten,  dann  kann  an  dem  Sinn  kein  Zweifel 
sein :  Jahve  widerruft  hier  ein  früher  von  ihm  gegebenes  Dekret, 
in  welchem  er  die  Götter  ausdrückHch  als  Götter  anerkannt 
hatte.  Sobald  man  sich  nun  aber  die  israelitische  Religion  ver- 
gegenwärtigt, wird  man  diese  Auslegung  für  unmöglich  erklären. 
Wie  sollten  die  Götzen  je   mit  Jahves  Wissen  und  Willen  als 


1.  Mit  Kecht  betont  Gunkel,  daß  n^rW   hier   nur  Götter  heißen 
kann. 


Die  Himmelfahrt  Jahves.  299" 

Götter  eingesetzt  und  bestätigt  sein?  Von  der  Existenz  eines^ 
solchen  Jahvewortes  wissen  wir  nichts,  ja  wir  glauben  mit  Sicher- 
heit sagen  zu  dürfen,  daß  es  nie  existiert  hat.  Und  dennoch 
wird  das  hier,  so  deutlich  wie  nur  möglich,  behauptet.  Diese 
Schwierigkeit  löst  sich  am  einfachsten  bei  Annahme  einer 
fremden  Tradition,  die  auch  deshalb  wahrscheinlich  ist,  weil 
wir  hier  ein  singuläres  und  verlorenes  Bruchstück  haben,  zu 
dem  sich  keine  Parallele  im  ganzen  Alten  Testament  aufweisen 
läßt^.  Israel  überhörte  den  negativen  Auftakt  dieser  Worte 
und  achtete  allein  auf  die  positive  Fortsetzung,  nach  der  die 
Götzen  nichtig  sind  und  wie  Menschen  gegenüber  Jahve. 

Merkwürdig  ist  nun,  daß  mit  dem  Gedanken  der  Thron- 
besteigung Jahves  noch  die  Idee  einer  Himmelfahrt  Jahves 
verknüpft  scheint!  Gott  ist  unter  Jauchzen  auf  gefahren  ^  Jahve 
unter  Posaunenschall  .  .  .  Gott  ward  König  über  die  Heiden, 
hat  sich  auf  seinen  heiligen  Thron  gesetzt  (Ps.  476.9).  Über  den 
Sinn  des  hier  gebrauchten  Verbums  (nby)  hat  man  viel  ge- 
stritten, hauptsächlich  deshalb  weil  man  sich  die  vorausgesetzte 
Situation  nicht  genügend  klar  gemacht  hat.  Der  Dichter  be- 
singt den  Augenblick,  wo  Jahve  die  Weltherrschaft  antritt,  also 
keine  real -historische,  sondern  eine  mythisch- eschatologische 
Situation,  die  er  kraft  seiner  dichterischen  Phantasie  als  gegen- 
wärtig darstellt.  Er  versetzt  sich  in  die  Endzeit,  schildert  die 
einzelnen  Akte  der  Krönungszeremonien  und  fordert  zum  Schluß^ 
die  versammelten  Völker  auf,  einen  Hymnus  anzustimmen  auf 
Jahve,  den  neuen  Weltenkönig.  Da  der  Thron  Jahves  im 
Himmel  steht,  so  kann  das  Hinauffahren  nur  nach  dem  HimmeL 
erfolgen 2.  Jahve  hat  den  Thron  im  Himmel  aufgestellt,  und 
seine  Herrschaft  regiert  das  All  (Ps,  103 19).  Dem  Zusammen- 
hang nach  ist  die  Himmelfahrt  Jahves  ein  Teil  der  Krönungs- 


1.  Vgl,  übrigens  Ps.  58.  Auf  Dtn.  328  LXX  kann  man  nicht  hin- 
weisen, weil  wir  dort  die  israelitische  Umprägung  haben,  nach 
der  nicht  selbständige  Götter,  sondern  Engel  Jahves  über  die 
Heiden  gesetzt  sind.  In  Ps.  82  steht  die  heidnische  Vorstellung  {Götter} 
neben  der  israelitischen  {Göttersöhne). 

2.  nVy  von  der  Heimkehr  der  Bundeslade  in  den  Tempel  Jerusalems- 
zu  verstehen,  ist  nach  der  Situation  des  Psalmes  unmöglich.  Für  das 
Besteigen  des  Thrones  wird  niemals  nVy,  sondern  stets  2v^  gebraucht. 
Das  bloße  nVy  =  in  den  Himmel  fahren  z.  B.  auch  Jdc.  621.  1320. 


300    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Zeremonien  und  entspricht  der  Prozession  des  irdischen  Königs 
von  der  Wahlstätte  zum  Thron.  Darauf  führt  auch,  wie  die 
oben  zitierten  Parallelen  zeigen,  daß  die  Himmelfahrt  unter 
Jauchzen  und  Posaunenschall  geschieht  (vgl.  IReg.  Issf.).  Dies 
Motiv  der  Himmelfahrt  dürfte  ursprüngHch  dem  eschatologischen 
Mythus  angehören,  weil  es  mit  der  Idee  der  Weltherrschaft 
zusammenhängt.  Später  kann  es  sich  losgelöst  haben  und 
selbständig  geworden  sein,  sodaß  es  bei  besonderen  Gelegen- 
heiten, an  bestimmten  Festtagen,  in  gewissen  Liedern  verwertet 
wurde.  Jedenfalls  haben  wir  hier,  wie  überall,  nur  ein  Frag- 
ment, das  in  seinen  ursprünglichen  Zusammenhang  einzureihen 
für  uns  sehr  schwer  ist.  Wenn  wir  fragen,  ob  und  warum 
Jahve  vorher  den  Himmel  verlassen  hat,  so  erhalten  wir  keine 
Antwort. 

Anderswo  finden  wir  ein  anderes  Bruchstück,  vielleicht 
•desselben  Baues,  das  speziell  die  Krönung  Jahves  in  Zion 
besingt :  Denn  Jahve  Zebaoth  ward  König  auf  dem  Berge  Zions 
und  in  Jerusalem,  und  vor  seinen  Ältesten  ist  Herrlichkeit  (Jes. 
2423).  Diese,  wie  es  scheint,  sehr  späte  Apokalypse,  die  von 
der  eschatologischen  Zeit  handelt,  ist  für  uns  noch  von  beson- 
derem Interesse  deshalb,  weil  sich  an  die  Krönung  Jahves 
ursprüngHch  1  die  einzige  uns  überlieferte  Schilderung  der  heils- 
«schatologischen  Mahlzeit  schloß,  die  dann  von  den  Propheten 
nach  unserer  Vermutung  ins  Grausige  verzerrt  wurde  (vgl. 
o.  S.  134.  140):  Und  anrichten  wird  Jahve  Zebaoth  allen  Völkern 
auf  diesem  Berge  ein  Gelage  von  Fettspeisen,  ein  Gelage  von 
Hefenweinen,  von  markigen  Fettspeisen,  von  geläuterten  Hefen- 
weinen (Jes.  256).  In  diesem  Zusammenhange  bedeutet  das 
Gelage  das  Krönungsmahl,  das  der  Wahlhandlung  folgte: 
Da  zog  das  ganze  Volk  zum  Gilgal  hin  und  machte  dort  Saul 
zum  Könige  vor  Jahve  im  Gilgal.  Und  man  schlachtete  dort 
Heilsopfer  vor  Jahve  und  Saul,  und  alle  Männer  Israels  waren 
■dort  überaus  fröhlich  (ISam.  11 15). 

So  haben  wir  einen  bestimmten  Komplex  festumgrenzter, 
aber  zusammenhangloser,  bruchstückartiger  Ideen  kennen  gelernt, 
die  sich  sämtlich  um  die  Thronbesteigung  Jahves  gruppieren 
und  ihn  als  den  eschatologischen  König  darstellen.     Der  Sache 


1.  Jes.  25 1 — 5  sind  Glosse  (Duhm) 


Der  Stil  Deuterqjesajas.  301 

nach,  nicht  der  Pei-son  nach,  sind  der  hier  geschilderte  Jahve 
und  der  Messias  ursprünghch,  wie  es  scheint,  Doppelgänger 
gewesen:  Die  Funktionen  beider  sind  fast  noch  identisch.  Der 
Messias  wird  mehr  als  ein  zum  Gott  erhobener  König,  Jahve 
mehr  als  ein  zum  König  erhobener  Gott  beschrieben.  Es  ist 
nun  sehr  wohl  möghch,  daß  in  der  Eschatologie,  die  die 
israelitische  Religion  beeinflußt  hat,  eine  Gestalt  im  Mittelpunkt 
stand,  die  beider  Züge  in  sich  vereinigtet  Bei  der  Wanderung 
nach  Israel  hat  sich  diese  Gestalt  verdoppelt^  und  die  eine^ 
mehr  göttliche,  Seite  ihres  Wesens  an  Jahve,  die  andere,  mehr 
menschliche,  Seite  ihres  Wesens  an  den  Messias  abgegeben. 
Der  eschatologische  Heros,  der  ursprünglich  reiche  mythische 
Züge  trug,  die  in  der  älteren  Prophetie  bis  auf  Jesaja  und 
Micha  noch  durchschimmern,  ist  im  Laufe  der  Zeit  immer  mehr 
zum  irdischen  Könige  degradiert  und  hat  rein  nationalen  Cha- 
rakter gewonnen.  Jahve  jedoch  war  gegen  diese  Entwicklung 
gefeit,  da  er  den  göttlichen  Typus  nicht  verlieren  konnte. 
Darum  dürfen  wir  der  ursprünglichen  eschatologischen  Ge- 
stalt vielleicht  die  Dinge  wieder  zuschreiben,  die  in  der  jetzigen 
Überheferung  nicht  mehr  vom  Messias,  sondern  nur  noch  von 
Jahve  ausgesagt  werden.  Da  aber  möglicherweise  auch  hetero- 
gene Elemente  in  der  Eschatologie  vereinigt  sein  können,  sa 
müssen  wir  auch  hier  auf  Sicherheit  verzichten. 


C.    Der  Ebed  Jahve. 
§  28.    Der  Stil  Deuter oj es ajas. 

Bernhard  Duhm:  Die  Theologie  der  Propheten.  Göttingen  1875. 
M.  Schian:  Die  Ebed-Jahve-Lieder.  1895.  L.  Laue:  Die  Ebed-Jahve- 
Lieder.  Wittenberg  1898.  Ernst  Sellin:  Serubbabel.  Leipzig  1898. 
G.  Füllkrug:  Der  Gottesknecht  des  Deuterojesaja.  Göttingen  1899. 
Alfred  Bertholet:  Zu  Jesaja  53.  Tübingen  1899.  K.  Budde:  Die 
sogenannten  Ebed-Jahve-Lieder.  Gießen  1900.  C,  H.  Cornill:  Die 
neueste  Litteratur  über  Jes.  40—66  (TheoL  Kundschau  Bd.  III  S.  409 ff.). 
Tübingen  1900.     Ernst  Sellin:  Studien  zur  Entstehungsgeschichte  der 


1.  Vgl.  Gunkel:  Forschungen  I  S.  24  f. 

2.  Dieser  Prozeß  ist  in  der  Keligionsgeschichte  oft  zu  beobachten. 
Man  vergleiche  auf  israelitischem  Boden  Jahve  mit  dem  Engel  Jahves- 
oder  Jahve  mit  Satan. 


302      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

jüdischen  Gemeinde.  Leipzig  1901.  Friedrich  Giesebrecht:  Der 
Knecht  Jahves  des  Deuterojesaja.  Königsberg  1902.  Hermann  Gunkel : 
Forschungen.   Heft  I.    S.  78  f.     Göttingen  1903. 

Der  gegenwärtige  Streit  der  Wissenschaft  dreht  sich  um  die 
Frage,  ob  der  mtr«  lay  des  Deuterojesaja  (d.  h.  Jes.  c.  40 — 55) 
eine  individuelle  Gestalt  (wie  der  Messias,  oder  eine  historische 
Persönlichkeit  wie  Serubbabel,  Nehemia,  Eleasar)  oder  eine 
kollektivische  (wie  das  Volk  Israel)  sei.  Nun  scheidet  man  jetzt 
meist  nach  dem  Vorgange  Duhms  die  sogenannten  Ebed-Jahve- 
lieder  (Jes.  42i — 4.  49i— 6.  504 — 9.  52i3— 53i2)  als  eine  besondere 
Größe  aus  Deuterojesaja  aus,  die  von  einigen  einem  anderen 
Autor  zugeschrieben  werden,  während  andere  an  der  Identität 
des  Verfassers  festhalten.  Da  die  Frage  nach  der  Einheitlichkeit 
«der  Stücke  nicht  durch  sprachliche  noch  durch  zeitgeschicht- 
liche, sondern  allein  durch  biblisch-theologische  Untersuchungen 
beantwortet  werden  kann,  so  dürfen  wir  sie  hier  bei  Seite  lassen 
und  uns  allein  auf  die  religionsgeschichtlichen  Probleme  be- 
schränken. Ehe  wir  speziell  zum  Ebed  Jahve  übergehen,  müssen 
wir  den  Horizont  etwas  weiter  spannen  und  uns  den  eigentüm- 
lichen Stil  Deuterojesajas  klar  machen,  den  unsere  Exegeten 
bisher  nicht  genügend  beachtet  haben. 

In  einem  früheren  Paragraphen  wurde  ausgeführt,  Deutero- 
jesaja müsse  verstanden  werden  von  seinem  Zentralbewußtsein 
aus:  Das  Alte  ist  vergangen,  siehe,  es  ist  alles  neu  geworden 
(§  18).  Diese  Behauptung  muß  ergänzt  werden  durch  den  Hin- 
weis auf  eine  andere  Tatsache:  Seine  Worte  bewegen  sich  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  alle  auf  dem  gleichen  Niveau,  mag 
er  von  Jahve  oder  vom  Ebed,  von  Israel  oder  von  Cyrus  sprechen. 
Das  macht  es  so  außerordentlich  schwer,  in  jedem  Einzelfall  zu 
entscheiden,  wer  gemeint  sei.  Nur  so  viel  ist  sicher,  daß  er 
eine  feste  Nomenklatur,  scharf  ausgeprägte,  technische  Formeln 
und  bestimmte  Ideen  hat.  Da  er  sie  aber  in  stereotyper 
Weise  auf  alle  seine  Gestalten  anwendet,  so  ruft  er  eben 
dadurch  ein  eigentümhches  Schillern  und  eine  unklare  Ver- 
schwommenheit hervor,  die  merkwürdig  absticht  von  der  an  sich 
vorhandenen  Klarheit.  Das  erhellt  besonders  schön  aus  den 
Eedewendungen,  die  er  Jahve  in  den  Mund  legt  gegenüber  den 
Angeredeten  Personen.  Jahve  heißt  Cyrus  seinen  Freund  ("^yn 
4428),  den  er  lieb  hat  (48  u),  dessen  Rechte  er  gefaßt  (45 1),  den 


Der  Stil  Deuterojesajas.  303 

er  mit  Namen  genannt  (453f.),  den  er  berufen  und  gebracht  hat 
(48 15).  Dieselben  Ausdrücke  begegnen  uns  wieder  bei  einem 
Wort  Jahves  an  Israel:  Du  aber,  Israel,  mein  Knecht,  Jakob, 
den  ich  erwählt  habe,  Same  Abrahams,  meines  Freundes,  du, 
den  ich  faßte  von  den  Enden  der  Erde  und  von  ihren  Säumen 
berief  (41  sf.)  ....  ich  halte  fest  deine  Rechte  (41 13).  Ebenso  sagt 
er  zum  Ebed :  Siehe  da,  mein  Knecht,  an  dem  ich  festhalte,  mein 
Erwählter,  den  meine  Seele  gern  hat  (42 1)  .  . .  ich  Jahve  habe 
dich  gerufen  in  Treuen  und  ergriffen  deine  Hand  (426). 

Neben  diesen  einzelnen  Redensarten,  die  gleichmäßig  bei 
Cyrus,  bei  Israel  und  beim  Ebed  wiederkehren,  ist  beachtens- 
wert, wie  auch  sachlich  dieselben  Dinge  in  derselben,  stereotypen 
Weise  von  verschiedenen  Personen  ausgesagt  werden.  504  ist 
David  ein  Zeuge  für  die  Völker^,  43 9f.  12.  448  hingegen  ist  es 
Israel.  504  verkündet  Jahve:  Lehre  wird  von  mir  ausgehen, 
und  mein  Recht  mache  ich  zum  Licht  der  Heiden;  anderswo 
wird  dasselbe  vom  Ebed  behauptet:  Das  Recht  wird  er  aus- 
gehen lassen  den  Heiden  (42 1),  ich  mache  dich  zum  Licht  der 
Heiden  (496).  Während  Öls  Jahve  sagt:  Auf  mich  harren  die 
Inseln,  so  heißt  es  424  vom  Ebed:  Auf  seine  Lehre  harren  die 
Inseln.  51 3  ist  von  der  beständigen  Gnade  Davids,  548  von 
der  ewigen  Gnade  Jahves  die  Rede.  Das  eine  Mal  wird  David 
zum  Fürsten  und  Gebieter  der  Nationen  gemacht  (554),  das 
andere  Mal  ist  es  Jahve  (4523f.)  oder  Israel  (4922f.)  oder  der 
Ebed  (49?.  52  uf.),  mit  teilweise  identischen  Ausdrücken.  So 
sind  alle  diese  Gestalten  einander  mehr  oder  weniger  angenähert 
worden,  sodaß  es  uns  schwer  wird,  in  jedem  Einzelfalle  anzu- 
geben, welche  er  grade  vor  Augen  hat.  Unsere  Pflicht  ist  es, 
einen  Versuch  zu  machen,  diese  merkwürdige  Tatsache  zu  er- 
klären. Für  uns  wird  es  hauptsächlich  darauf  ankommen  zu 
zeigen,  daß  hier  ein  bestimmter  Stil  vorliegt,  woher  der  nach- 
gewiesene Stil  stammt  und  welche  Phrasen  und  Ideen  für  ihn 
charakteristisch  sind. 

Als  Cyrus,  König  von  Persien,  das  medische  imd  lydische 
Reich  unterworfen  hatte,  pries  ihn  Deuterojesaja  als  das  Werk- 
zeug und  den  Gesalbten  Jahves,  als  den  kommenden  Weltkönig, 
der  im  Auftrage  Jahves  die  Völker  unterjoche:    Wer  erweckte 


1.  Lies  a^oyis  LXX. 


304    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

vom  Aufgang  den,  dem  Sieg  begegnet  auf  Schritt  und  Tritt, 
(wer)  gibt  Völker  ihm  preis  und  stürzt^  Könige,  (wer)  macht 
wie  Staub  ihr^  Schwert,  wie  verjagte  Spreu  ihren^  Bogen?  Er 
verfolgt  sie,  fährt  einher  in  Heil,  den  Pfad  mit  seinen  Füßen 
betritt  er  nicht  (41 2f.).  Ich  habe  ihn  erweckt  von  Norden,  daß 
er  komme,  von  Sonnenaufgang  her  rief  ich  ihn  bei  Namen^, 
daß  er  Statthalter  zertrete^  wie  Lehm  und  wie  der  Töpfer  Ton 
zerstampft  (4125).  . .  .  Jahve,  der  von  Cyrus  sagt:  Mein  Freund^ 
und  all  mein  Anliegen  vollführt  er  ...  .  So  spricht  Jahve  zu 
seinem  Gesalbten  Cyrus,  dessen  Rechte  ich  gefaßt  habe,  um 
Völker  vor  ihm  niederzutreten'^  und  die  Hüften  der  Könige  zu 
entgürten,  zu  öffnen  vor  ihm  die  Türen  und  daß  Tore  nicht 
verschlossen  sind,  ich  gehe  vor  dir  her  und  Unebenheiten  ebne 
ich,  eherne  Türen  zertrümmere  ich  und  eiserne  Riegel  zerhaue 
ich,  Geben  will  ich  dir  die  Schätze  der  Finsternis  und  die 
Vorräte  des  Verstecks,  damit  du  erkennst,  daß  ich  Jahve  es 
bin,  der  dich  mit  Namen  nannte.  Um  meines  Knechtes  Jakob, 
und  Israel,  meines  Erwählten,  willen  rief  ich  dich  mit  deinem 
Namen,  mit  Ehrennamen,  obwohl  du  mich  nicht  kanntest 
(4428 — 404).  Ich  habe  ihn  erweckt  in  Gerechtigkeit,  werde  all 
seine  Wege  ebnen,  er  wird  bauen  meine  Stadt,  meine  Gefangenen 
entlassen,  nicht  um  einen  Kaufpreis  noch  um  ein  Geschenk, 
spricht  Jahve  Zebaoth  (45  is).  Gedenkt  an  das  Frühere  von 
Ewigkeit  her,  daß  ich  Gott  bin  und  keiner  mehr,  Gottheit  und 
nichts  wie  ich,  der  da  meldet  vom  Anfang  den  Ausgang,  und 
von  urher,  was  noch  ungeschehen  ist,  der  sagt:  Mein  Plan  wird 
bestehen  und  all  mein  Anliegen  führe  ich  aus,  der  vom  Auf- 
gang den  Stoßvogel  ruft,  vom  fernen  Land  den  Mann  seines 
Planes.  Ich  hab  es  geredet,  ich  werde  es  bringen;  ich  hab  es 
geplant^,  ich  werd  es  vollführen  (469ff.).  Versammelt  euch  alle 
und  hört:  Wer  unter  ihnen  hat  dies  verkündet?  Der,  den  Jahve 
liebt,  wird  seinen  Willen  vollbringen  an  Babel  und  am  Samen^ 


1.  Lies  IT  Hitzig.  2.  Lies  nn^n  Klostermann. 

3.  Lies  crcp  Klostermann. 

4.  Lies  ittu;a  TN-p.    So  mit  Eecht  Kittel  nach  45  sf. 

5.  Lies  Ca;;"!  Clemcus. 

6.  Lies  ^y'2  (Kuenen)   nacli  48 14;    doch  ist  das   überlieferte  »mein 
Hirt«  nicht  unmöglich.  7.  Lies  -Vis  =  n-^-inls  Wellhausen. 

8.  Lies  "r::y^  Duhm.  9.  Lies  iyjta  Duhm. 


Cyrus.  305 

der  Chaldäer.  Ich  habe  geredet  und  ihn  gerufen  y  ihn  gebracht 
und  seinen  Weg  gelingen  lassen.  Naht  euch  zu  mir  und  hört 
dies!  Nicht  habe  ich  von  Anfang  an  im  Versteck  geredet;  seit 
es  geschieht,  bin  ich  dabei  (48  uff.). 

Es  wurde  bereits  darauf  aufmerksam  gemacht  (S.  252),  daß 
Deuterojesaja  in  seinen  Äußerungen  über  Cyrus  sich  vielleicht 
an  den  babylonischen  Hofstil  angelehnt  hat.  In  Babylonien 
pflegte  man  den  König  als  den  Auserwählten  der  Gottheit,  ge- 
wöhnlich des  Marduk,  zu  preisen,  unser  Verfasser  hat  an  die 
Stelle  der  babylonischen  Gottheit  Jahve  gesetzt,  sonst  aber 
manche  Ausdrücke  wörtlich  übertragen,  wie  z.  B.  er  faßte  ihn 
bei  der  Hand,  er  rief  ihn  bei  Namen,  er  hat  ihn  lieb,  die  wir 
sämtlich  aus  dem  Cyrus- Cylin der  kennen  lernen.  Für  diese 
Annahme  spricht  erstens,  daß  wir  diesen  Hofstil  vorher  in 
Israel  nicht  nachweisen  können.  Wir  haben  zwar  einen  Hof- 
stil, aber  es  fehlen  die  hier  gebrauchten  Termini.  Auf  der 
anderen  Seite  haben  wir  den  babylonischen  Cylinder,  wo  der 
König  der  Perser  tatsächhch  als  der  Mann  nach  dem  Herzen 
Marduks  dargestellt  wird  mit  Äquivalenten,  die  den  eben  ge- 
nannten hebräischen  Ausdrücken  wörtlich  entsprechen.  Was 
liegt  näher  als  die  Vermutung,  Deuterojesaja  habe  sich  bei  der 
Verherrlichung  des  Cyrus  an  babylonische  Vorbilder  ange- 
schlossen? Es  ist  schwer,  im  Einzelnen  das  Neue  von  dem 
Alten  genau  zu  scheiden,  da  wir  stets  dessen  eingedenk  bleiben 
müssen,  daß  unser  Wissen  Stückwerk  ist.  Wenn  Cyrus  als  der 
Gesalbte  Jahves  bezeichnet  wird,  so  ist  das  gewiß  eine  alt- 
israelitische Redewendung,  im  übrigen  aber  scheint  der  baby- 
lonische Hofstil  eingewirkt  zu  haben.  Wir  dürfen  natürlich 
nicht  an  den  Cyrus- Cylinder  speziell  denken,  der  ja  erst  aus 
etwas  späterer  Zeit  stammt,  sondern  ganz  allgemein  an  den 
dort  üblichen  Hofstil,  für  den  der  Cyrus  -  Cylinder  nur  ein 
Musterbeispiel  ist. 

Zweitens  findet  sich  in  den  Cyruszitaten  eine  Reihe 
rätselhafter  und  teilweise  mythischer  Züge,  deren  israelitischer 
Ursprung  wenig  w^ahrscheinlich  ist.  Mythisch  ist  es,  wenn 
Cyrus  mit  seinen  Füßen  den  Pfad  nicht  betritt  (41 3).  Er 
wird    hier  nach   Art   überirdischer  Wesen  ^   vorgestellt  (Duhm). 


1.  Derselbe  Zug  begegnet  uns  Dan.  85  bei  dem  ursprünglich  mythi- 

Forschnngen  zur  Rel.  n.  Lit.  d.  A.  u.  NT.    6.  20 


306      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Mythisch  ist  es,  wenn  Jahve  vor  Cyrus  hergeht  und  die  Hügel 
vor  ihm  ebnet  (452).  Was  hier  von  Cyrus  ausgesagt  wird,  gilt 
anderswo  von  Jahve  selbst:  Siehe,  ich  sende  meinen  Engel  vor 
mir  her,  daß  er  vor  mir  den  Weg  ebne  (Mal.  3i).  Deutero- 
jesaja  selbst  kennt  diese  Anschauung:  Horch,  man  ruft:  In  der 
Wüste  bahnt  den  Weg  Jahves,  macht  grade  in  der  Stepjpe  eine 
Straße  unserm  Gott!  Jedes  Tal  soll  sich  heben,  und  jeder  Berg 
und  Hügel  soll  sich  senken,  und  werden  soll  das  Hügelige  zum 
Blachfeld  und  die  Berghaufen  zur  Ebene  (Jes.  403f.).  Die 
paradiesische  Götterstraße  (vgl.  o.  S.  223)  kann  ursprünglich 
nur  von  himmlischen  Wesen  gebaut  sein  und  ist  ursprünglich 
nur  für  himmlische  Wesen  bestimmt.  Aber  wie  Mal.  323  der 
wegbahnende  Engel  vielleicht  auf  Eha  umgedeutet  ist,  so  ist 
hier  die  Götterstraße  für  Cyrus  geebnet. 

Es  scheint  femer  mythisch  zu  sein,  wenn  fast  in  jedem 
Zitate  ausdrücklich  hervorgehoben  wird,  Cyrus  komme  vom 
Sonnenaufgang.  Gewiß  kann  dabei  auch  an  Persien  gedacht  sein. 
Da  aber  daneben  einmal  der  Norden  genannt  wird  (4125),  so  ist  es 
schwierig,  darunter  nun  plötzlich  Medien  zu  verstehen.  In  der 
Heilseschatologie  begegnet  der  Ausdruck  Licht  oft  in  mythischem 
Sinne.  Man  darf  aber  nicht  an  die  Stellen  erinnern,  an  denen  Licht 
metonymisch  für  Heil  gebraucht  wird,  da  sie  aus  der  Natur  der 
Sache  ohne  weiteres  verständlich  sind.  So  heißt  es:  Dann  wird 
hervorbrechen  wie  die  Morgenröte  dein  Licht,  und  deine  Heilung 
wird  eilends  sprossen  (Jes.  58  s)  ...  so  wird  aufstrahlen  in  der 
Finsternis  dein  Licht,  und  deine  Dunkelheit  (wird  werden)  wie 
der  Mittag  (Jes.  58  lo).  Wenn  ich  in  der  Finsternis  sitze,  dann 
ist  Jahve  mein  Licht  (Mch.  Ts).  Anders  ist  es  dagegen  Jes.  9i: 
Das  Volk,  das  im  Dunkel  wandelt,  hat  ein  großes  Licht  gesehen- 
die  da  wohnen  im  Todesschatten,  über  denen  ist  Licht  erglänzt. 
Dem  Zusammenhang  nach  müssen  sich  diese  Worte  auf  die 
Lebenden  beziehen,  in  deren  finstere  Gegenwart  das  Licht  der 
heiteren,  eschatologischen  Zukunft  fällt.     UrsprüngHch  aber  be- 

schen  Ziegenbock.  Er  ist  als  Motiv  besonders  scbön  verwendet  in  dem 
altindischen  Märchen  Nala  und  Damayanti  (Reclam  No.  2116):  »Und 
allsobald  erblickte  sie  die  Göttlichen  schweißlos,  unbeweglichen  Blickes, 
steifkränzig ,  staubfrei,  und  keiner  von  ihnen  berührte  beim 
Stehen  den  Erdboden«  (S.  30).  Vgl.  ferner  o.  S.  30  zu  Ps.  7720; 
o.  S.  210  zu  Dtn.  32 13. 


Cyrus.  307 

sagt  der  Wortsinn,  daß  die  Bewohner  der  Unterwelt  plötzlich 
die  helle  Sonne  schauen;  »selbst  im  Hades  erscheint  das  Licht 
des  Gottes«  (Gunkel:  Forschungen  I  S.  22).  Anderswo  wird 
ausdrücklich  Jahve  selbst  als  dies  Licht  bezeichnet:  Aufj  werde 
Licht  j  denn  es  kommt  dein  Licht,  und  die  Herrlichkeit  Jahves 
erstrahlt  über  dir;  denn  siehe,  Finsternis  bedeckt  die  Welt  und 
Dunkel  die  Völker,  doch  über  dir  erstrahlt  Jahve,  und  seine 
Herrlichkeit  erscheint  über  dir  (Jes.  60 if.).  Und  einige  Verse 
später:  Nicht  wird  dir  ferner  dienen  die  Sonne  zum  Lichte  am 
Tage  noch  zur  Helle  der  Mond  dir  leuchten,  sondern  Jahve 
wird  dir  sein  zum  ewigen  Licht  und  dein  Gott  zu  deiner  Zier 
(Jes.  60 19).  Jahve  wird  hier  als  das  Licht  vorgestellt,  das  am 
Anfang  der  neuen  Zeit  die  Welt  erleuchtet  (vgl.  o.  S.  221). 

Dies  mythische  Bild  ist  in  den  Hofstil  übergegangen  und 
von  der  Gottheit  auf  den  König  übertragen  worden.  Dieser 
Prozeß  ist  vor  Deuterojesaja  nicht  nachweisbar  und 
scheint  außerhalb  Israels  vollzogen  zu  sein.  Auf  das  Bileam- 
lied  kann  man  sich  nicht  berufen:  Es  strahlt  auf^  ein  Stern 
aus  Jakob  (Num.  24 17).  Denn  hier  ist  Stern  nur  ein  meto- 
nymischer Ausdruck  für  Könige.  Wenn  Deuterojesaja  Cyrus 
als  den  Mann  vom  Sonnenaufgang  feiert  und  in  ähnlicher  Weise 
den  Ebed  als  das  Licht  der  Welt  (426.  496.  51 4)  bezeichnet,  so 
ist  er  nach  der  wahrscheinlichsten  Annahme  vom  babylonischen 
Hofstil  abhängig,  der  solche  mythischen  Bestandteile  in  sich 
aufgenommen  hatte.  Der  Weltimperator  scheint  dort  als  ein 
solarer  Held  gedacht,  wie  man 3  aus  der  Inschrift  Sargons  II. 
hat  schließen  wollen,  der  von  350  alten  Fürsten  redet,  die  vor 
ihm  über  Assyrien  geherrscht  hätten*;  damit  will  Sargon  wohl 
sagen,  daß  mit  ihm  ein  neues  Weltenjahr  beginnt.  Erst  sehr  viel 
später  ist  derselbe  oder  ein  verwandter  Hofstil  durch  Vermitt- 
lung des  Hellenismus  in  der  griechisch-römischen  Welt  von 
neuem  aufgelebt,  wo  z.  B.  ein  Nero  begrüßt  wird  als  0  tov 
^avTog  "AOOfxov  yivgiog  . . .  viog'^'Hhog  eTCiXa^ipag  Tolg'^EllriOiv^. 


1.  Lies  n^t  Wellhausen.  2.  Wie  im  Arabischen. 

3.  So   zuerst   Kampers:    Alexander   der   Große    und    die  Idee   des 
Weltimperiums.  1901.  4.  KB  II  S.  47. 

5.  DiTTENBERGER :   Sylloge  376  Z.  31;    vgl.  vor   allem  Wendland: 
<j€oz^Q  ZNTW  Bd.  V  S.  343. 

20* 


308      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Nach  den  Sibyllinen  kommt  auch  der  von  Gott  gesandte  König 
der  Endzeit  arc   rjeXiOio  (III  652). 

Rätselhaft  ist  es  endlich,  wenn  Cyrus  als  der  von  Jahve 
Geweissagte  gilt;  denn  solche  Weissagungen  existieren  in  un- 
serem Alten  Testamente  nicht.  Wir  können  auch  schwerlich 
annehmen,  daß  man  im  Exil  schon  die  Schriften  der  früheren 
Propheten  als  ein  heiliges  Buch  genau  studiert  und  sich  auf 
dort  vorhandene,  bisher  unerfüllte  Orakel  berufen  habe.  Deu- 
terojesaja  selbst  hat,  wie  wir  mit  Sicherheit  sagen  können,  keine 
bestimmten  Prophezeiungen  im  Auge  gehabt.  Das  geht  mit 
großer  Deutlichkeit  aus  den  Disputationen  hervor,  die  er  zwischen 
Jahve  und  den  übrigen  Göttern  abhalten  läßt  (41 21  ff.  44  7  ff. 
45 21  ff.).  Der  Verfasser  legt  Jahve  die  Behauptung  in  den 
Mund,  er  allein  habe  die  Zukunft  richtig  vorausgesehen,  wäh- 
rend die  übrigen  Götter  dazu  nicht  imstande  gewesen  seien. 
Mit  besonderem  Nachdruck  wird  die  Aufforderung  vorangestellt: 
Schafft  herbei  eure  Rechtssache!  spricht  Jahve;  bringt  heran  eure 
Hauptbeweise!  spricht  der  König  Jakobs  (41 21).  Als  notwendige 
Voraussetzung,  wenn  diese  Aufforderung  wirklich  wörtlich  gemeint 
ist,  muß  gelten,  daß  Deuterojesaja  selbst  zwingende  Beweise  für 
die  Sehergabe  Jahves  hat.  Das  ist  doch  der  erste  Einwand, 
den  jeder  Heide  erheben  und  auf  den  der  Schriftsteller  gefaßt 
sein  mußte:  Bitte,  zeige  du  uns  erst  einmal  schwarz  auf  weiß, 
wo  Jahve  die  Zukunft  vorausgesagt  und  speziell  das  Erscheinen 
des  Cyrus  verkündet  hat!  Hätte  Deuterojesaja  solche 
Orakel  vorlegen  können,  so  hätte  er  dies  tun  müssen 
und  gewiß  auch  getan.  Aus  seinem  Schweigen  dürfen  wir 
schließen,  daß  er  keine  konkreten  Beweise  hatte.  Er  beruft  sich 
weder  auf  Jeremia  noch  auf  Jesaja  noch  auf  Mose;  ja  er  gibt  uns 
überhaupt  nicht  die  Erlaubnis,  im  Umkreis  der  uns  bekannten 
Persönlichkeiten  zu  suchen,  da  er  über  sie  hinaus  in  eine  noch 
fernere  Vergangenheit  deutet:  Wer  hats  gemeldet  vom  Anfang, 
daß  wirs  erkennen,  und  von  einst,  daß  wir  sagen :  richtig  (41 26)  ? 
Wer  ließ  hören  von  der  Urzeit  her  das  Künftige^  (44?).^  Wer 
hat  dies  hören  lassen  von  der  Vorzeit  her,  vorlängst  es  verkündet 
(45  21)?  Eine  Theorie,  wie  wir  sie  etwa  bei  Daniel  kennen 
lernen,    daß  alles,   was  geschieht,   von  Anfang  an  vorausgesagt 


1.  Vgl.  DuHM  zur  Stelle. 


Orakelstil.  309 

sei,  dürfen  wir  bei  Deuterqjesaja  nicht  voraussetzen.  Wir  stehen 
hier  also  vor  einem  psychologisch  nicht  erklärbaren  Rätsel. 
Das  Problem  löst  sich,  sobald  wir  hier  einen  von  aus- 
wärts übernommenen  Stil  vermuten.  War  es  damals  in 
Babylonien  Sitte,  in  dieser  Art  voji  den  Göttern  zu  reden,  so 
konnte  unser  Verfasser  sich  dem  unbedenklich  anschließen,  ohne 
Gefahr  zu  laufen,  daß  man  Beweise  von  ihm  forderte. 

Diese  Vermutung  eines  aus  der  Fremde  entlehnten  Stiles 
läßt  sich  noch  wahrscheinlicher  machen,  wenn  man  auf  einige 
weitere  Dinge  achtet,  die  man  bisher  verkannt  hat.  Erstens 
wird  in  diesen  Stücken  der  Polytheismus  vorausge- 
setzt. Wer  von  den  Göttern  Beweise  erbittet  und  sich  mit 
ihnen  in  eine  Disputation  einläßt,  hält  sie  für  lebendige  Wesen. 
Gewiß  ist  das  für  Deuterojesaja  nur  eine  stilistische  Einkleidung. 
Aber  auf  diese  Einkleidung  wäre  er  von  sich  aus  niemals  ver- 
fallen, da  er  ja  immer  wieder  die  Nichtigkeit  der  Götzen  betont 
und  ihre  Existenz  leugnet.  Wie  konnte  ein  so  strenger  Mono- 
theist auch  nur  hypothetisch  das  zugeben,  was  er  sonst  aufs 
schärfste  bekämpfte?  Will  man  ihm  diese  Selbstverleugnung 
nicht  zutrauen,  so  muß  man  einräumen,  daß  er  hier  eine  Stil- 
form von  anderen  übernommen  hat.  Ohne  sich  über  die  Voraus- 
setzungen klar  zu  werden,  die  seinem  eigenen  Standpunkt  im 
Grunde  widersprechen,  achtete  er  nur  auf  die  Konsequenzen, 
—  die  alleinige  Gottheit  Jahves  und  die  Ohnmacht  der  Götzen  — 
die  sich  grade  mit  Hülfe  dieser  Disputationen  leicht  deutlich 
machen  ließen. 

Noch  krasser  tritt  zweitens  der  ursprünghch  polytheistische 
Charakter  zutage  in  der  Tatsache,  daß  Jahve  von  sich  in  der 
ersten  Person  Pluralis  redet:  Mögen  sie  herbeibringen  und  uns 
verkünden  das,  was  sich  begeben  wird  (41 22ff.).  Man  darf  zum 
Verständnis  dieser  Stelle  nicht  auf  438if.  verweisen,  wo  eine 
andere  Situation  geschildert  wird:  Die  Völker  haben  sich  ver- 
sammelt, ihnen  gegenüber  stehen  die  Israeliten.  Jahve  will 
seinem  Volke,  das  Augen  hat  und  doch  bhnd  ist,  das  Ohren 
hat  und  doch  taub  ist,  klar  machen,  daß  die  Heiden  keine 
Orakel  haben.  Daraus  sollen  sie  den  Schluß  ziehen  auf  die 
Nichtigkeit  der  Götzen.  Dieser  Hauptgedanke  wird  nicht  deut- 
lich ausgesprochen,  er  geht  aber  aus  der  Pointe  des  ganzen 
Stückes  hervor:    da  werdet  ihr  erkennen  und  mir  glauben  und 


310      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

einsehen,  daß  ich  es  bin;  vor  mir  ist  kein  Gott  gebildet  und 
nach  mir  wird  keiner  sein  (43  lo).  Wir  vermissen  nicht  nur  die 
Götter  in  dieser  Szene,  sondern  wir  verstehen  auch  nicht,  wie 
Jahve  sagen  kann:  Das  Frühere  mögen  sie  uns  hören  lassen 
(439).  Es  sollte  heißen:  Das  Frühere  mögen  sie  euch  hören 
lassen.  Denn  nicht  Jahve,  sondern  Israel  soll  überzeugt  werden» 
Daß  sich  Jahve  hier  mit  seinem  Volke  zusammenfaßt,  ist  stili- 
stisch sehr  hart.  43  8 ff.  ist  also  nicht  verständlicher,  sondern 
noch  unverständlicher  als  41 22  ff.,  wo  Jahve  und  die  Götter  die 
einzigen  Personen  sind,  die  auftreten.  Es  ist  gar  kein  Grund 
vorhanden,  die  Israeliten  hier  stillschweigend  zu  ergänzen. 
Nehmen  wir  an,  Deuterojesaja  habe  diesen  Stil  entlehnt  und 
ursprünglich  habe  etwa  ein  Gott  wie  Marduk  gesprochen,  der 
ja  um  seiner  Schicksalstafeln  willen  besonders  als  Orakelgott 
berühmt  war,  so  würde  man  aus  dem  wir  auf  eine  mit  Marduk 
zusammengehörige  Götterpartei  schließen,  aber  keineswegs  auf 
die  Babylonier.  Bei  Deuterojesaja  ist  die  erste  Person  Pluralis 
nur  noch  ein  stilistisches  Überbleibsel  (wie  Gen.  I26),  das 
von  ferne  an  den  polytheistischen  Ursprung  erinnert. 

Drittens  scheint  es,  als  ob  der  Verfasser  auch  hier  (wie 
bei  dem  Hofstil)  vom  babylonischen  Sprachschatz  ab- 
hängig sei.  In  demselben  Zusammenhang,  wo  ausgeführt  wird^ 
daß  kein  heidnischer  Gott  die  Zukunft  vorausgesagt  habe,  heißt 
es:  Zion  hat  einen  puJNn:  siehcy  da  sind  sie  ja!  und  Jerusalem 
gebe  ich  den  ^%^f2*  Doch  diese\  da  ist  kein  Mann  und  von 
diesen  weiß  keiner  Bescheid  (4l27f).  Nach  dem  Kontext  können 
die  beiden  nicht  übersetzten  Wörter  nichts  Anderes  bedeuten 
als  Propheten:  Jahve  hat  Zion  einen  Propheten  gegeben,  während 
die  Götter  keinen  Propheten  aufweisen  können.  Diese  Be- 
hauptung müßte  man  auch  dann  aufstellen,  wenn  man  keinen 
Beweis  dafür  beibringen  könnte.  Eine  Korrektur  erscheint  mir 
unnötig,  weil  das  dem  hebräischen  p«3N*i  genau  entsprechende 
babylonische  Äquivalent  mahrü  (wörtlich  der  Erste)^  ebenfalls 
Prophet  heißt.  Am  Schluß  des  Schöpfungsmythus  Inuma  ilis 
sagen  die  großen  Götter,  als  sie  dem  Tiämatbändiger  Marduk 
die  fünfzig  Titel  verliehen  haben:  Sie  mögen  festgehalten  werden, 
Mnd  der  mahrü  möge  sie  offenbaren,   der  Weise  und  der  Kun- 


1.  Lies  nVsi  DuHM. 


Orakelstil.  311 

dige  (mudü)  mögen  sie  zusammen  überdenken^.  Dies  Zusammen- 
treffen der  Bedeutungen  von  7'i\z)ni  und  mahrUj  die  an  sich 
nicht  nahe  liegen,  kann  unmöglich  auf  Zufall  beruhen. 

Deuterqjesaja  muß  sich  vielmehr  auch  hier  ebenso  wie  beim 
Hofstil  an  babylonische  Vorbilder  angelehnt  haben.  Sobald  wir 
einen  Stil  annehmen,  dürfen  wir  die  Aussagen  nicht  mehr  pressen. 
Die  ewigen  Orakel^  von  denen  die  Babylonier  in  ihren  Götter- 
texten reden  mochten,  beanspruchte  unser  Verfasser  für  Jahve 
und  verstand  sie  von  irgendwelchen  Weissagungen  der  früheren 
Propheten,  die  zwar  nicht  von  Cyrus  direkt,  wohl  aber  vom 
eschatologischen  Helden  sprachen.  Ich  behaupte  übrigens  nur, 
daß  die  festgeprägte  Kunstform  der  Grötterdisputa- 
tionen  entlehnt  sei  und  im  Zusammenhang  damit  ein  paar 
Einzelheiten,  die  mit  diesem  Orakelstil  eng  verwachsen  sind. 
Die  Gedanken  dagegen,  die  in  dieser  Form  dargestellt  werden 
—  und  das  ist  das  Wertvollste  —  sind  das  originale  Eigen- 
tum unseres  Verfassers.  So  zeigt  sich  Deuterojesaja  auf  Schritt 
und  Tritt  abhängig  von  nicht-israelitischen  Traditionen. 

Man  kann  diese  These  an  einem  weiteren  Beispiel  erhärten. 
Ein  im  zweiten  Teil  des  Jesaja  häufig  wiederkehrendes  Attribut 
Jahves  ist  y"»u:n73  der  Heiland  (433.  ii.  452i.  4926.  60 le.  638). 
Dies  Prädikat  ist  an  sich  ganz  begreiflich.  Aber  rätselhaft  ist 
ein  Satz  wie  der:  Du  bist  ein  verborgener  Gott,  ein  Gott  Israels, 
ein  Heiland  (45  is).  Das  Epitheton  des  verborgenen  Gottes  ist 
in  Israel  nicht  verständHch.  Es  kann  nur  durch  fremden  Ein- 
fluß erklärt  werden  und  muß  von  einem  fremden  Gott  auf  Jahve 
übertragen  sein.  Woher  es  stammt  und  was  es  bedeutet,  läßt 
sich  bei  einem  so  geringen  Material  nicht  mit  Sicherheit  ent- 
scheiden. Beachtenswert  ist  aber,  daß  verborgener  Gott  und 
Heiland  in  der  zitierten  Stelle  neben  einander  stehen.  Wend- 
land hat  durch  eine  Fülle  von  Belegen  gezeigt^,  daß  im  helle- 
nistischen Hofstil  ebenso  wie  im  Neuen  Testament  mit  dem 
Begriff  des  d^eog  gcjt'^q  die  Epiphanie  des  (zuvor  verborgenen) 
Gottes  verbunden    ist.     Überdies   gilt  der  Helfer   stets  als   ein 


1.  KB  VI,  1.  S.  38  Z.  22  f. 

2.  ZNTW  V.  S.  335  ff.  Es  sei  auch  erinnert  an  die  Vorstellung 
von  dem  Licht  der  Welt  (vgl.  o.  S.  307),  die  vielleicht  in  dieselbe  Sphäre 
gehört. 


312      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Weltheiland:  damit  meine  Hülfe  (Jahves  o(OTr^QLa)  reiche  bis 
ans  Ende  der  Welt  (496).  Vielleicht  dürfen  wir  hier  die  erste 
Spur  des  später  so  lebendigen  Stiles  erkennen. 


§  29.    Israel  als  Ebed  Jahve. 

Knecht  Jahves  kann,  wie  ein  flüchtiger  Blick  in  das  Lexikon 
lehrt,  jeder  Verehrer  Jahves,  jeder  Israelit  heißen.  Es  begegnet 
uns  im  Alten  Testament  als  Beiwort  der  Patriarchen,  Könige, 
Priester,  Propheten  und  der  Frommen  überhaupt.  Aus  dem 
Worte  allein  kann  man  nicht  erschließen,  was  für  eine  Person 
an  der  betreffenden  Stelle  gemeint  ist,  da  es  völlig  farblos  ist. 
Um  desselben  Grundes  willen  ist  es  gänzlich  ungeeignet,  als 
Terminus  technicus  verwandt  zu  werden.  Trotzdem  wird  man 
nicht  leugnen  können,  daß  es  im  Deuterojesaja  tatsächlich 
einen  technischen  Sinn  erhalten  hat:  Dort  soll  unter 
dem  Ebed  nicht  jeder  beliebige  Israelit,  sondern  eine  ganz  be- 
stimmte Größe  verstanden  werden.  Hier  stehen  wir  gleich  am 
Eingange  unserer  Untersuchung  vor  einem  großen,  unlösbaren 
Bätsei.  Denn  diese  Begriffsentwicklung  hat  sich  nicht  im  Licht 
der  Geschichte  vollzogen  und  kann  darum  nur  ungenügend  er- 
klärt werden.  Wahrscheinlich  müssen  wir,  wie  so  oft,  eine  Ab- 
kürzung eines  einst  volleren  Ausdnicks  annehmen.  Wie  er 
auch  ursprünghch  gelautet  haben  mag,  ob  der  himmlische  oder 
der  göttliche  oder  der  eschatologische  Knecht  Jahves,  jedenfalls 
bezeichnet  das  Wort  bei  Deuterojesaja  den  Knecht  Jahves,  den 
jedermann  kennt. 

Fragen  wir  nun:  Wer  war  der  Ebed?  können  wir  ihn 
noch  genauer  bezeichnen?  so  scheint  sich  eine  klare  und  un- 
zweideutige Antwort  aus  Stellen  wie  4l8ff.  43ioff.  44iff.  454. 
4820.  493  zu  ergeben,  wo  er  direkt  Israel  genannt  wird.  Giese- 
BRECHT  hat  nun  mit  allem  Nachdruck  die  These  zu  beweisen  ge- 
sucht, der  Knecht  Jahves  sei  überall  als  das  Volk  Israel  zu 
verstehen.  Da  außerdem,  wie  Giesebeecht  (S.  128  ff.)  gezeigt 
hat,  die  Aussagen  über  Israel  zu  einem  großen  Teil  denen  ent- 
sprechen, die  über  den  Ebed  gemacht  sind,  so  scheint  es  in  der 
Tat  nahehegend,  Israel  an  allen  Stellen  mit  dem  Ebed  zu  identi- 
fizieren. Zwingend  ist  dieser  Schluß  jedoch  nicht,  da  Deuterojesaja, 
abgesehen  von  der  bestimmten  Ebedfigur,  auch  andere  Personen 


Israel  als  Ebed  Jahve.  313 

als  Knecht  Gottes  bezeichnen  konnte.  Wir  müssen  von  vorne- 
herein mit  der  Möglichkeit  rechnen,  daß  er  vielleicht  verschiedene 
Ebedgestalten  kennt,  die  wir  genau  auseinanderhalten  müssen. 
Diese  Möglichkeit  würde  zur  Gewißheit  dann,  wenn  sich  die 
Deutung  des  Ebed   auf  Israel   nicht  überall  durchführen  ließe. 

Wenn  der  Ebed  und  Israel  identisch  sind,  so  kann  jenem 
unmögKch  eine  Wirksamkeit  an  diesem  zugeschrieben  werden. 
Wie  reimt  sich  mit  diesem  logisch-unanfechtbaren  Schluß  Jes. 
49  öf.:  Aber  jetzt  sprach  Jahve  zu  mir,  der  mich  von  Mutterleib 
zu  seinem  Knecht  geschaffen,  um  Jakob  zu  sich  zurückzuführen 
und  Israel  zu  sich  zu  sammeln^  —  so  ward  ich  geehrt^  in  den 
Augen  Jahves  und  mein  Gott  ward  meine  Stärke  j  und  er 
sprach  —  >->Zu  gering  ist  es,  dafür  daß  du  mir  Knecht  bist,  die 
Stämme  Jakobs  wieder  herzustellen  und  die  Bewahrten  Israels 
wieder  zurückzuführen,  ich  will  dich  vielmehr  machen  zum  Licht 
der  Heiden,  damit  meine  Rettung  sei  bis  ans  Ende  der  Welt«, 
Liest  man  diese  Worte  so,  wie  sie  lauten,  wird  niemand  daran 
zweifeln,  daß  dem  Ebed  Jahve  zwei  Aufgaben  zuerteilt  werden : 
erstens  —  als  die  geringere  —  das  Volk  Israel  aus  dem  Exil 
heimzuführen,  zweitens  —  als  die  größere  —  das  Licht  der 
Heiden  zu  sein.  »Redet  demnach«,  so  muß  selbst  Giesebrecht 
zugestehen  (S.  43),  »der  Text  seinem  einfachsten  Verständnis 
nach  von  einem  Knecht  Gottes,  bei  dessen  Entstehung  Jahve 
schon  sein  Absehen  darauf  gericht  hatte,  Israel  aus  dem  Exil 
zurückzuführen  und  Jakob  zu  sich  zu  sammeln,  dann  ist  der 
Knecht  unweigerhch  als  Mittel  und  Werkzeug  bei  der  Zurück- 
führung  gedacht«,  also  »enthält  der  Vers,  wenn  Israel  der 
Knecht  ist,  eine  Absurdität«.  Der  Ebed  muß  hier  folgHch  von 
Israel  getrennt  und  als  Einzelperson  aufgefaßt  werden  3. 

Giesebrecht  entzieht  sich  dieser  Schlußfolgerung,  indem 
er  mehrfach  streicht.  Nach  ihm  wird  der  ursprüngUche  Text 
«0  rekonstruiert:  Aber  jetzt  hat  Jahve  gesprochen,  der  von  Geburt 
mich  zum  Knecht  ihm  schuf,  und  ich  stehe  hoch  in  Jahves  Gunst, 
und  mein  Gott  ward  meine  Stärke:  -»Zu  gering  ist  es,  aufzu- 
richten Jakob  und  die  Bewahrten  Israels  zurückzuführen,  so 
mache  ich  dich  zum  Licht  der  Heiden,   daß  mein  Heil  gelange 

1.  So  mit  Kecht  das  Qre.  2.  Lies  lasxi. 

3.  Von  einer  Unterscheidung  zwischen  Israel  xarct  nvsv^a  und 
Israel  xarcc  aüqxa  kann  natürlich  im  A.T.  keine  Kede  sein. 


314      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

zum  Ende  der  Welt«,  Als  Gründe  führt  er  an,  daß  man  auf 
diese  Weise  »von  zwei  stilistischen  Monstren  befreit«  werde 
(S.  44).  Aber  abgesehen  davon,  daß  ein  solcher  Periodenbau 
in  der  hebräischen  Sprache  durchaus  nicht  »unerhört«  ist  (vgL 
Gen.  liff.  240".),  bleibt  auch  bei  seiner  Fassung  eine  von  ihm 
nicht  beachtete  Schwierigkeit  bestehen.  Warum  sagt  Jahve 
nicht,  wenn  der  von  ihm  angeredete  Ebed  mit  Jakob -Israel 
identisch  ist:  »Zu  gering  ist  es,  dich  zurückzuführen«,  wie  es 
ja  auch  im  Folgenden  heißt:  »so  mache  ich  dich  zum  Licht 
der  Heiden«?  Trotz  aller  Korrekturen  ist  die  Identifikation 
des  Knechtes  mit  Israel  hier  nicht  einleuchtend.  Nach  Giese- 
BEECHT  ist  es  zweitens  ursprünglich  nicht  der  Ebed,  sondern 
Jahve,  der  die  Stämme  Jakobs  wieder  aufrichtete  »Während 
es  nach  dem  ursprünglichen  Texte  mögHch  war,  den  Knecht 
als  aktiven  Restaurator  Israels  auszuschalten,  will  die  Glosse, 
die  ihn  lediglich  als  Einzelpersönlichkeit  auffassen  kann,  ihm 
auch  seine,  nach  dem  ursprünglichen  Texte  (wie  es  schien)  nicht 
genügend  gewahrte  Rolle  bei  der  Rückkehr  Israels  reservieren« 
(S.  39).  Wenn  das  richtig  wäre,  so  hätte  Giesebrecht  die 
Pflicht  gehabt,  irgend  eine  Möglichkeit  zu  zeigen,  wie 
der  Glossator  zu  seinem  Mißverständnis  kam.  Da  der 
Ebed  mehrfach  ausdrücklich  mit  dem  Namen  Israel  angeredet 
wird,  so  sollte  man  es  für  ausgeschlossen  halten,  daß  hinterher 
ein  Leser  ihn  »lediglich  als  Einzelpersönlichkeit  auffaßte«.  Man 
wird  vielmehr  umgekehrt  annehmen  müssen,  der  Ebed  Jahve 
sei  hier  von  Hause  aus  individuell  gewesen,  aber  bereits  von 
Deuterojesaja  teilweise  auf  Israel  umgedeutet  worden.  Nur 
so  erklärt  sich  der  vorliegende  Tatbestand,  nach  dem  der  Ebed 
bald  mit  Israel  identisch  sein  muß  bald  nicht  identisch  sein 
kann.     Gewaltsame  Streichungen  helfen  uns  nicht  weiter. 

Als  stärksten  Gegengrund  gegen  die  Überlieferung  macht 
Giesebrecht  geltend,  daß  dem  Ebed  allein  an  dieser  Stelle 
eine  Wirksamkeit  an  Israel  zugeschrieben  w^erde,  während  er 
sonst  nur  einen  Beruf  für  die  Heiden  habe.  Der  Verfasser 
»kann  unmöglich  seine  Leser  mit  dunklen  Andeutungen  aus 
dem  Hinterhalt  überfallen,  indem  er  ohne  jede  Vorbereitung  in 


1.   Jahve  kann  jedoch   nicht  das  Subjekt   sein   aus   dem  eben  an- 
geführten stilistischen  Grunde. 


Israel  als  Ebed  Jahve.  315 

einem  halb  verloren  hingeworfenen  Nebensatz  auf  etwas  bisher 
nicht  dagewesenes  verweist.  Und  —  was  die  Hauptsache  ist  — 
wo  blieben  in  den  späteren  Aussagen  dieses  und  der  folgenden 
Ebedstücke  die  Ausführungen  dieses  Gedankens?  Wird  der 
Knecht  noch  einmal  als  derjenige  geschildert,  der  Israel  aus 
dem  Exil  zurückführt?  Das  geschieht  nirgends«  (S.  43).  Aber 
diese  beiden  Argumenta  e  silentio  sind  nicht  beweiskräftig.  Wir 
hören  auch  nur  einmal  und  niemals  wieder  von  dem  Ebed,  der 
nicht  schreit  auf  der  Gasse,  der  das  geknickte  Rohr  nicht  zer- 
bricht und  den  glimmenden  Docht  nicht  löscht  (42  2f.).  Hat  man 
darum  ein  Recht,  die  Verse  zu  streichen?  Überdies  ist  die 
Gestalt  des  Knechtes  Jahves  voll  von  »dunklen  Andeutungen«  i. 
So  heißt  es  49iff.  504ff.  in  striktem  Gegensatz  zu  der  eben  an- 
geführten Stelle,  der  Ebed  sei  ein  scharfer  Pfeil,  sein  Mund 
wie  ein  schneidendes  Schwert,  er  mache  seine  Stirn  wie  einen 
harten  Kiesel.  Der  Verfasser  gibt  sich  nicht  die  geringste 
Mühe,  diese  Gegensätze  auszugleichen  und  seine  Leser  vor  Miß- 
verständnissen zu  bewahren.  Dies  und  manches  Andere  erklärt 
sich  nur,  wenn  der  Ebed  Jahve  damals  eine  bekannte  Figur 
war,  auf  die  Deuterojesaja  nur  anzuspielen  brauchte. 

Aber  Giesebeechts  Behauptung,  daß  der  Ebed  Jahve- 
nirgendwo  sonst  als  derjenige  auftrete,  der  Israel  aus  dem  Exil 
zurückführe,  ist  falsch  und  beruht  auf  einer  Exegese,  die  ich 
nicht  als  richtig  zu  unterschreiben  vermag.  Jes.  426  sagt  Jahve 
zum  Ebed:  Ich  bilde  dich  und  mache  dich  zur  lv  rr'nn  und 
zum  D^na  -n«.  Über  den  ungewöhnlichen  Ausdruck  Dy  n*»*!! 
sind  eine  Reihe  von  Auslegungen  vorgetragen,  die  aufzuzählen 
unnütz  ist 2.  Der  Sinn  ist  durch  das  parallele  D-'ia  m«  gegeben. 
Wie  dies  nur  bedeuten  kann:  Ich  mache  dich  zu  einem  Licht 
(d.  h.  Lichtbringer,  Erkenntnis  vermittler)  für  die  Heiden,  sa 
muß  auch  jenes  übersetzt  werden:  Ich  mache  dich  zu  einem 
Bund  (d.  h.  Bundbringer,  Bundesvermittler)  für  das  VolkK 
Worin   die  Bundestätigkeit  des  Ebed  besteht,  wird  V.  7   aus- 


1.  GiESEBKECHT  selbst  nennt  die  Ebedstücke  »rätselhaft  und  unzu- 
sammenhängend« (S.  204). 

2.  Ich  verweise  dafür  auf  Giesebeecht  S.  167  ff.  Seine  eigene^ 
Deutung  »Volksbund«,  d.  h.  Volkseinheit,  scheitert  an  dem  Sprach- 
gebrauch, da  n-'na  nicht  unserm  »Deutschen  Bund«  entspricht. 

3.  BuDDE  (S.  26)  sagt  freilich:  »Unmöglich  ist  und  bleibt  die  Er- 


316      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

geführt:  um  blinde  Äugen  zu  öffnen,  aus  dem  Kerker  Gefangene 
herauszuführen,  aus  dem  Gefängnis,  die  in  Finsternis  sitzen. 
ÄhnHch  heißt  es  Jes.  49 sf.:  So  spricht  Jahve:  -»Zur  Zeit  der  Huld 
erhöre  ich  dich  und  am  Tage  der  Rettung  helfe  ich  dir,  und 
will  dich  schaffen  und  machen  zum  Bund  für  das  Volk,  auf- 
zurichten das  Land  und  die  veröd-eten  Erbstücke  auszuteilen, 
zu  den  Gefangenen  zu  sagen:  Geht  heraus!  und  zu  denen  in 
der  Finsternis:  Kommt  ans  Licht!«  Wir  sehen  also,  wie  nicht 
nur  innerhalb  (49  sf.),  sondern  auch  außerhalb  der  sogenannten 
Ebed-Jahvelieder  (42  ef.  49  sf.)  der  Knecht  Jahves  nicht  mit 
Israel  identisch  sein  kann,  da  es  seine  Aufgabe  ist,  das  im 
exilischen  Gefängnis  schmachtende  Volk  zu  befreien,  es  in  die 
Heimat  zurückzuführen  und  ihm  dort  seine  Landteile  anzuweisen. 
Diese  drei  Stellen  zu  streichen,  ist  unmöglich^. 

Wir  müssen  uns  nach  alledem  mit  der  Tatsache  anfreunden, 
^aß  der  Knecht  Jahves  bald  eine  kollektivische,  bald  eine  indi- 
viduelle Größe  vorstellt.  Es  wäre  falsch,  wollte  man  das  eine 
oder  das  andere  leugnen.  Man  muß  das  Nebeneinander  zu  be- 
greifen suchen.  Es  bleiben  zwei  Möglichkeiten.  Entweder  wurde 
eine  anfangs  individuelle  Gestalt  schon  von  dem  Verfasser  dieser 
Kapitel  durchgehends  auf  das  Volk  Israel  umgedeutet.  Diese 
Möglichkeit  halte  ich  nicht  für  wahrscheinlich,  weil  der  Ebed 
durchaus  nicht  überall  mit  Israel  ausdrücklich  angeredet  wird 
und  weil  die  Wirksamkeit,  die  dem  Ebed  an  Israel  zugeschrieben 
wird,  so  offenkundig  ausgesprochen  wird,  daß  damit  eine  Identi- 
fikation  unmöglich  ist.     Darum   ist    die  andere  Möglichkeit  zu 

klärung  des  n-'^a  als  Bundesmittler«.  Ist  und  bleibt  auch  die  Erklärung 
von  (d-*:)  "IS  als  »Lichtbringer«  (für  die  Heiden)  unmöglich? 

1.  Nach  Gunkel:  Forschungen  I  S.  78  kommt  noch  eine  vierte 
Stelle  hinzu :  Ich  legte  meine  Worte  in  deinen  Mund  und  im  Schatten 
meiner  Hand  barg  ich  dich,  um  auszuspannen  {rr^ih  Pes)  den  Himmel  und 
zu  gründen  die  Erde  und  zu  Zion  zu  sagen:  »Mein  Volk  bist  du«^  (51 16). 
Da  die  Ausdrücke  teilweise  an  die  Aussagen  über  den  Ebed  erinnern 
(492),  so  könnte  man  ihn  vielleicht  für  den  Angeredeten  halten.  Aber 
nach  dem  jetzigen  Zusammenhang  kann  nur  Israel  gemeint  sein.  Will 
man  V.  16  aus  sich  allein  verstehen,  so  kann  das  Subjekt  der  Infini- 
tive nicht  der  Angeredete,  sondern  nur  Jahve  sein.  Denn  nur  die 
Gottheit  sagt  zu  Zion:  »Mein  Volk  bist  du«  (Kittel).  Wir  werden  also 
besser  tun,  diese  zweifelhafte  Stelle  unberücksichtigt  zu  lassen  und  uns 
auf  die  sicheren  zu  beschränken. 


Das  erste  Ebedstück.  317 

bevorzugen.  Deuterojesaja  kennt  zweiEbedgestalten:  Das 
Volk  Israel  und  den  großen  Ungenannten.  Darüber 
daß  beide  einander  angeähnelt  sind,  wird  der  sich  nicht  wundem^ 
der  den  Stil  Deuterojesajas  beachtet  hat  (§  28).  Beide  Ge- 
stalten gehen  in  einander  über,  das  Individuum  scheint  teil- 
weise umgedeutet  auf  Israel.  Eine  klare  Scheidung,  wie  wir 
sie  heute  bei  einem  modernen  Schriftsteller  beanspruchen,  dürfen 
wir  bei  Deuterojesaja  nicht  voraussetzen.  Denn  das  ist  ja  grade 
die  Eigentümlichkeit  seines  Stiles:  Eine  gewisse  Unklarkeit  und 
Verschwommenheit  breitet  sich  über  alle  seine  Gestalten  und 
Reden  aus. 

§  80.    Das  große  Mysterium. 

Wenn  wir  nun  die  Stücke  bei  Seite  lassen,  in  denen  der 
Ebed  das  Volk  bedeutet,  und  uns  im  Folgenden  nur  mit  der 
individuellen  Gestalt^  beschäftigen,  so  müssen  wir  uns  von  vorne- 
herein vor  einem  naheliegenden  Fehler  hüten:  die  an  ver- 
schiedenen  Stellen  ausgesprochenen  Anschauungen  zu  einem 
geschlossenen  Ganzen  zu  verbinden.  Ein  solcher  Versuch  muß 
nicht  nur  mißlingen,  sondern  es  ist  sogar  unstatthaft,  ihn  über- 
haupt zu  wagen.  Denn  das  Recht  zu  kombinieren  ist  deshalb 
verwehrt,  weil  der  Verfasser  selbst  kein  zusammenhängendes 
Bild  entwirft.  Wir  dürfen  den  fragmentarischen  Charakter 
nicht  verwischen,  der  dem  Ebed  Jahve  bei  Deuterojesaja  an- 
haftet. 

Er  tritt  uns  sofort  in  dem  ersten  Ebed- Jahve  stück 
(42 1 — 7)  entgegen.  Dem  Knecht  werden  hier,  wie  besonders  aus 
V.  6  erhellt,  zwei  Aufgaben  zuerteilt:  ein  Bundesmittler  für 
Israel  und  ein  Lichtbringer  für  die  Heiden  zu  sein.  Aber 
zwischen  diesen  beiden  Aufgaben  ist  keine  organische  Ver- 
bindung hergestellt,  sie  stehen  lose  neben  einander:  V.  1 — 4 
schildern  zunächst  seine  Wirksamkeit  an  den  Heiden,  V.  5 — 7 
seine  Wirksamkeit  an  Israel.  Das  ist,  nach  unserm  Geschmack, 
sehr  unschön.  Dadurch  daß  zunächst  von  dem  weltweiten  und 
dann  erst  von  dem  kleinen  israelitischen  Arbeitsfeld  die  Rede 
ist,  gewinnt  das  Stück  einen  unförmHchen  Charakter.  Der  Aus- 
druck Bundesmittler  für  Israel  wird  deutlich  erklärt:  Der  Ebed 


1.  Im  Folgenden  bedeutet  Ebed  immer  das  Individuum. 


318    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

soll  Israel  aus  dem  Gefängnis  des  Exils  herausführen.  Außer- 
dem aber  soll  er  —  wir  erfahren  nicht  wann,  ob  zu  gleicher 
Zeit  oder  früher  oder  später  —  auf  der  ganzen  Erde  Licht, 
Wahrheit  (ac^zjTa)  und  Lehre  (n"iin)  verbreiten  und  das  Ver- 
langen der  Völker  befriedigen;  denn  schon  harren  die  Gestade 
auf  ihn.  Ohne  müde  noch  matt  zu  werden,  vollendet  er  sein 
^gewaltiges  "Werk.  Von  Schwierigkeiten  oder  Hindernissen  hören 
wir  nicht,  wie  überhaupt  genauere  Angaben  fehlen.  Was  ist 
•denn  das  für  eine  Wahrheit,  was  für  eine  Lehre,  die  er  den 
Heiden  bringen  soll?  Soll  er  sie  zu  Jahve  bekehren?  Oder 
-soll  er  ihnen  eine  tiefere  Erkenntnis  verschaffen?  Offenbar 
liegen  hier  Termini  technici  vor,  die  der  damaligen  Zeit  geläufig 
waren,  für  uns  aber  nicht  ohne  weiteres  verständlich  sind. 

Nur  über  die  Art  seines  Wirkens  werden  einige  Züge 
hinzugefügt:  Er  schreit  nicht  noch  erhebt  er  noch  läßt  er  hören 
Mine  Stimme  auf  der  Straße.  Dies  Bild  ist  für  uns  nicht 
deutlich,  da  wir  den  Gegensatz  nicht  sicher  ergänzen  können. 
Wenn  er  nur  leise  oder  von  Person  zu  Person  spricht,  wie  soll 
€s  ihm  dann  mögHch  sein,  seine  Lehre  bis  ans  Ende  der  Welt 
zu  tragen?  Das  geknickte  Rohr  zerbricht  er  nicht,  d^n  glimmen- 
den Docht  löscht  er  nicht.  Er  geht  also  ganz  sachte  und  be- 
hutsam vor,  ist  kein  Vorwärtsdränger  und  Stürmer  voll  rück- 
•sichtsloser  Kraft,  sondern  kümmert  sich  mit  liebevoller  Zartheit 
auch  um  die  Gebrochenen  und  Verzagten.  Wie  seltsam  nimmt 
^ich  dieser  Zug  in  dem  Zusammenhang  aus!  Als  ob  ein 
Prophet,  dessen  Worte  bis  ans  Ende  der  Welt  gehört  werden 
-sollen,  nichts  weiter  zu  tun  hätte,  als  die  Schwachen  zu  schonen ! 
Wir  würden  es  verstehen,  wenn  davon  auch  nebenbei  die  Rede 
wäre,  aber  zunächst  und  vor  allem  mußte  der  Verfasser  doch 
schildern,  wie  und  wodurch  die  Völker  gewonnen  werden,  wie 
auf  die  Predigt  des  Ebed  hin  die  Scharen  von  nah  und  fern 
herbeiströmen,  wie  die  Könige,  Vornehmen  und  Führer  des 
Volkes  seinem  Rufe  folgen  sollten.  Dann  könnte  hinterher  als 
ein  besonderes  Verdienst  des  Ebed  hervorgehoben  werden,  daß 
er  trotz  seiner  ungeheuren  Erfolge  noch  Lust  und  Liebe  hatte, 
sich  um  die  Geringen  und  Zertretenen  zu  kümmern.  Es  fehlt 
also  der  breite  Rahmen,  in  den  diese  Einzelheit  notwendig 
hineingestellt  werden  muß,  um   die  richtige  Folie   zu  erhalten. 

Kein    einziges    der    angeführten    Rätsel   löst   sich, 


Das  zweite  Ebedstück.  319 

• 

wenn  man  den  Ebed  mit  Israel  identifiziert.  Alles  bleibt 
so  undeutlich  wie  zuvor.  Wenn  ein  Schriftsteller  sich  vornahm, 
Israel  als  einen  Propheten  zu  personifizieren,  dann  mußte  er 
das  Bild  auch  völlig  durchführen.  Wir  haben  hier  aber  kein 
zusammenhängendes,  sondern  ein  in  lauter  einzelne  Bruchstücke 
zerfallendes  Gemälde.  Grade  dieser  fragmentarische  Charakter 
wird  durch  die  kollektivische  Auffassung  des  Gottesknechtes 
nicht  erklärt.  Wie  sollten  überdies  die  Leser  wissen,  daß  unter 
dem  Ebed  Israel  zu  verstehen  sei?  Israel  als  Missionar  der 
Heidenwelt,  der  eine  fleißige  Propaganda  treibt,  war  damals 
und  ist  im  ganzen  Alten  Testamente  ein  unerhörter  Gedanke. 
Nur  dann  aber,  wenn  er  jedermann  geläufig  und  selbstverständlich 
war,  konnte  sich  der  Verfasser  begnügen,  den  Ebed  namenlos 
zu  lassen,  da  jedermann  wissen  mußte,  wer  gemeint  war.  Wollte 
man  vermuten,  die  Idee  sei  grade  hier  und  nur  hier  ausge- 
sprochen, so  muß  man  zugeben,  daß  der  Verfasser  verpflichtet 
war,  den  Ebed  ausdrückhch  als  Israel  zu  bezeichnen,  wenn 
anders  er  auf  ein  richtiges  Verständnis  rechnete.  Aber  die 
kollektivische  Deutung  ist  überhaupt  ausgeschlossen,  weil  dem 
Ebed  eine  Aufgabe  an  Israel  zugeschrieben  wird. 

Die  Kätsel  werden  noch  größer,  wenn  wir  die  Gestalt  als 
Ganzes  ins  Auge  fassen.  Achten  wir  nur  auf  die  Züge  seiner 
Wirksamkeit  an  den  Heiden,  so  würden  wir  ihn  einen  Propheten 
nennen  können.  Aber  das  Bild  des  Propheten,  das  hier  ge- 
zeichnet wird,  ist  weder  an  den  vorexilischen  noch  an  den 
exilischen  Propheten  Israels  orientiert.  Oder  welche  Persön- 
lichkeit wollte  man  etwa  als  das  Modell  des  Ebed  Jahve  an- 
führen? Wer  ist  je  ein  Licht  der  Heiden  gewesen?  Wer  war 
so  schonend,  sanftmütig  und  leise,  daß  die  Schilderung  des 
Knechtes  auf  ihn  zuträfe?  Achten  wir  nun  weiter  auf  die 
Wirksamkeit  des  Gottesboten  an  Israel,  so  kann  von  einem 
Propheten  überhaupt  nicht  mehr  die  Rede  sein.  Oder  war  es 
speziell  die  Sache  eines  Propheten,  das  Volk  aus  der  Ver- 
bannung heimzuführen?  Eher  dürfte  man  dies  einem  Könige 
zuschreiben.  Aber  die  hier  geschilderte  Gestalt  wird  weder 
König  noch  Prophet  genannt  und  ist  darum  auch  keines  von 
beiden,  sondern  beides  zusammen,  und  das  heißt  eben:  sie  ist 
der  Ebed  Jahve. 

Das    zweite    Ebedstück   (49 1 — 9)    betont    ebenfalls    die 


320      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

beiden  Aufgaben  unseres  Helden:  ein  Bundesmittler  für  Israel 
und  ein  Lichtbringer  für  die  Heiden  zu  sein.  Aber  diese  beiden 
Dinge  sind  hier  enger  als  42iff.  mit  einander  verbunden:  Weil 
er  der  Knecht  Jahves  ist,  soll  er  nicht  nur  Israel  wieder  her- 
stellen, die  Stämme  Jakobs  sammeln,  sie  in  die  Heimat  zurück- 
führen und  ihnen  dort  ihre  Ländereien  anweisen,  sondern  er 
soll  sogar  das  Heil  Jahves  —  so  heißt  es  hier  genauer  —  bis 
ans  Ende  der  Welt  verbreiten.  Der  Grund  für  diesen  außer- 
ordentlichen Erfolg  ist  nicht  durchsichtig.  Als  eine  Belohnung 
erscheint  dieser  nicht;  denn  der  Knecht  wird  weder  als  besonders 
treu  in  seiner  Arbeit  noch  als  ungerecht  leidend  in  seinem  Be- 
rufe dargestellt.  Noch  empfindlicher  ist  die  Lücke,  die  zwischen 
seiner  Erwählung  von  Mutterleibe  an  und  seiner  künftigen  Yer- 
herrhchung  klafft.  Wir  erfahren  nicht,  was  der  Knecht  bisher 
getan,  noch  auf  wen  er  seine  Kraft  verwandt  hat,  ob  auf  Israel 
oder  auf  die  Heiden.  Nur  das  Eine  hören  wir,  daß  all  sein 
Streben  umsonst  war:  Vergebens  habe  ich  mich  gemüht.  »Wo 
ist  (der  Ebed)  aufgetreten?  Wie  ist  er  aufgetreten?  Wer  hat 
ihm  die  Hindernisse  in  den  Weg  gelegt?«  (Giesebeecht  S.  34). 
Wie  kann  sofort  von  einem  Mißerfolg  die  Rede  sein,  ohne  daß 
zuvor  die  W^irksamkeit  des  Knechtes  geschildert  ist  (Giese- 
beecht S.  35)?  So  häufen  sich  auch  in  diesem  Ebedstück 
Rätsel  über  Rätsel.  Das  Einzige,  was  einigermaßen  deuthch 
sein  dürfte,  ist  der  scharfe  Gegensatz  zwischen  der  Gegenwart 
und  der  Zukunft.  Noch  befindet  sich  der  Ebed  in  tiefster 
Erniedrigung,  aber  schon  naht  die  herrhche  Zeit,  die  ihm  die 
höchsten  Ehren  bringen  soll;  Könige  werden  es  sehen  und  auf- 
stehen,  Fürsten  und  sich  niederwerfen. 

Die  hier  hervorgehobenen  Schwierigkeiten  sind  zum  Teil 
schon  von  Giesebeecht  erkannt,  aber  er  irrt,  wenn  er  sie  durch 
die  kollektivische  Deutung  des  Ebed  zu  beseitigen  hofft.  Denn 
diese  Schwierigkeiten  sind  nicht  sachlicher,  sondern 
stilistischer  Natur;  sie  bleiben  auch  dann  bestehen,  wenn 
man  den  Ebed  für  eine  Personifikation  Israels  hält.  Personi- 
fizieren heißt  doch:  etwas  wie  eine  Person  darstellen.  Die  Be- 
schreibung aber,  die  hier  von  einer  Person  entworfen  wird,  ist 
voller  Lücken,  Rätsel  und  ünverständlichkeiten.  Es  ist  nicht 
einzusehen,  warum  nicht,  auch  wenn  Israel  gemeint  ist,  der  Ort 
und  die  Art  seiner  Wirksamkeit  genauer  gekennzeichnet,  warum 


Das  dritte  Ebedstück.  321 

nicht  die  Gegner  genannt  und  die  Hindernisse  aufgezählt  werden, 
die  man  ihm  in  den  Weg  legte.  Ein  guter  Schriftsteller  hätte 
diesen  Stilfehler  leicht  vermeiden  können.  Im  Übrigen  aber 
ist  GiESEBRECHTs  Thcse  schon  deshalb  undurchführbar,  weil 
auch  hier  der  Ebed,  der  Israel  sammeln  soll,  nicht  mit  Israel 
identisch  sein  kann. 

Das  dritte  Ebedstück  (504 — 9)  beschreibt  einen  Propheten, 
dem  Jahve  die  Zunge  und  das  Ohr  der  Jünger  gegeben  hat. 
Von  irgend  welcher  nationalen  Tätigkeit,  um  das  Volk  wieder- 
herzustellen, ist  hier  nicht  die  Rede.  Trotzdem  ist  die  voraus- 
gesetzte Situation  nicht  deuthch.  Der  Ebed  bekennt,  er  sei 
nicht  widerspenstig  gegen  das  Wort  Jahves  gewesen  und  nicht 
davor  zurückgewichen.  Fragt  man  nach  einem  Grunde,  warum 
diese  Tatsache  betont  wird,  so  erhalten  wir  keine  Antwort.  Man 
kann  ja  aus  dem  Folgenden  schließen,  daß  er  um  seines  pro- 
phetischen Berufes  willen  viel  zu  leiden  hatte  und  daß  er  ihn 
deshalb  am  liebsten  Gott  vor  die  Füße  geworfen  hätte.  Aber 
das  ist  eben  das  Charakteristische:  gesagt  wird  weder,  daß  er 
um  der  Verfolgungen  willen  an  seinem  Berufe  irre,  noch  daß 
er  um  seines  Berufes  willen  verfolgt  wurde.  Beide  Dinge  stehen 
lose  und  unorganisch  neben  einander.  Ebenso  wenig  erfährt 
man,  von  wem  die  Verfolgungen  ausgehen.  Am  nächstliegenden 
ist  es,  die  Verfolger  in  dem  Kreise  derer  zu  suchen,  an  denen 
der  Prophet  arbeitete.  Wenn  wir  nur  wüßten,  wem  seine  Wirk- 
samkeit galt!  Die  Heiden  als  das  Objekt  seiner  Tätigkeit  an- 
zusehen, ist  willkürlich,  solange  man  den  Ebed  für  eine  Einzel- 
person hält.  Denn  die  Heiden  müßten  ausdrücklich  genannt 
sein.  Die  Situation  scheint  hier  dieselbe  wie  in  c.  49  iff. :  Augen- 
blicklich ist  der  Ebed  noch  in  Bedrängnis.  Aber  die  jetzige 
Erniedrigung  wird  bald  vorübergehen;  denn  schon  ist  der  nahe, 
der  ihm  Recht  schafft  (doch  vgl.  u.). 

In  eine  ganz  andere  Situation  versetzt  uns  das  vierte 
Ebedstück  (52 13— 53 12).  Hier  ist  der  Ebed  nicht  mehr  in 
Not,  sondern  er  ist  gestorben  und  begraben,  wie  es  scheint. 
Denn  im  Einzelnen  tauchen  auch  hier  eine  Menge  von  Rätseln 
auf.  Der  stilistische  Aufbau  ist  sehr  geschickt.  Am  Anfang 
und  am  Ende  wird  die  künftige  Verherrlichung  des  Ebed  ge- 
schildert; dazwischen  steht  eine  Rede,  die  von  der  Erniedrigung 
des  Ebed  handelt. 

Forschungen  zur  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.    6.  21 


322      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Wenn  wir  die  Stimmung  angeben  wollen  ^  die  in  dieser 
Rede  waltet,  so  werden  wir  sagen  müssen:  es  ist  Mysterien- 
stimmung. Die  Eedenden  sind  sich  nicht  nur  bewußt, 
ein  großes  Mysterium  erlebt  zu  haben,  sondern  sie  schwelgen 
förmlich  in  dem  Geheimnis.  Obwohl  sie  es  begriffen  haben? 
betonen  sie  nicht  das  Verständnis,  das  ihnen  zu  teil  geworden 
ist,  sondern  legen  alles  Gewicht  auf  die  frühere  Unwissenheit: 
Wer  hätte  unserer  Kunde  geglaubt  und  wem  wäre  die  Macht 
Jahves  offenbar  geworden?  Wer  hätte  ein  solches  Wunder  für 
mÖghch  gehalten?  Wie  konnte  man  das  ahnen!  Er  wuchs 
vor  uns  auf  wie  ein  kleines  Eeis,  wie  ein  Wurzelschoß  aus 
dürrem  Lande,  unansehnlich,  unscheinbar,  von  niemand  beachtet, 
von  niemand  geschätzt.  —  Und  nun  springt  das  Lied  in  ge- 
waltigem Sprunge  von  der  Geburt  des  Ebed  über  zu  seinem 
Tode.  —  Er  war  ein  Mann  der  Schmerzen,  vertraut  mit  Krank- 
heit und  Leiden,  unmenschHch  entstellt.  Das  sahen  wir  wohl, 
aber  wir  glaubten,  Gott  habe  ihn  gezeichnet.  Darum  ver- 
achteten wir  ihn,  verhüllten  unser  Antlitz  vor  ihm  und  miß- 
handelten ihn.  Darum  begruben  wir  ihn  auch  bei  Frevlem 
und  Übeltätern.  Das  alles  schien  so  natürlich  und  begreiflich. 
Aber  siehe  da!  wir  gingen  völlig  in  die  Irre,  wir  haben  uns 
gründlich  getäuscht.  Wir  wissen  jetzt,  er  litt  um  unsretwillen ! 
Um  uns  Frieden  zu  schaffen,  wurde  er  bestraft!  Unsere 
Schmerzen,  Krankheiten  und  Verschuldungen  nahm  er  hinweg. 
Durch  seine  Strieme  sind  wir  geheilt.  Wer  hätte  das  geglaubt! 
Aber  noch  mehr,  er  trat  nicht  nur  für  uns  ein,  sondern  er  tat 
dies  auch  willig  und  geduldig.  Wie  ein  Lamm,  das  zur 
Schlachtbank  geführt  wird,  vor  seinen  Scherern  verstummt,  so 
öffnete  er  seinen  Mund  nicht;  kein  Laut  der  Klage  kam  über 
seine  Lippen.  Und  das  alles,  obwohl  er  unschuldig  war, 
obgleich  er  kein  Unrecht  begangen  und  kein  Betrug  in  seinem 
Munde  war!  So  ging  der  sündlose  Ebed  geduldig-unschuldig 
in  den  Tod,  um  unsere  Verfehlungen  zu  sühnen.  Wer  kann 
dies  große  Geheimnis  genugsam  begreifen? 

An  dieser  Eede  ist  erstens  auffällig,  daß  von  der  ganzen 
Zeit,  die  zwischen  der  Geburt  und  dem  Leiden  und  Sterben 
des  Ebed  liegt,  überhaupt  nicht  die  Rede  ist.  Zweitens 
scheint  der  Anfang  der  Rede  von  einer  anderen  Voraussetzung 
auszugehen  als  die  übrigen  Verse.      Wer  hätte  unserer  Kunde 


Das  vierte  Ebedstück.  323 

geglaubt,  klingt  so,  als  hätten  die  Redenden  von  vornherein 
Bescheid  gewußt.  Sie  scheuten  sich  nur  mit  ihrer  Botschaft 
hervorzutreten,  weil  sie  unglaubwürdig  war.  Im  Folgenden  aber 
erfährt  man,  daß  überhaupt  niemand  den  wirklichen  Sachverhalt 
zu  durchschauen  imstande  war.  Das,  was  geschah,  war  völlig 
unbegreiflich.  Drittens  zeichnet  sich  das  Leiden  und  Sterben 
des  Ebed  durch  eine  eigentümhche  Unklarheit  aus.  An  welcher 
Krankheit  hat  er  gelitten?  Ist  er  daran  gestorben  oder  hat 
man  ihn  getötet? 

Ebenso  dunkel  sind  im  Einzelnen  die  beiden  Versgruppen, 
die  die  Rede  umrahmen,  obwohl  der  allgemeine  Sinn  klar  ist. 
Sie  handeln  von  dem  Triumph  des  Ebed:  Er  wird  sich  an 
seinen  Nachkommen  erfreuen,  lange  leben,  viel  Glück  haben, 
mit  Starken  Beute  teilen  und  die  Achtung  und  Ehrfurcht  der 
Könige  genießen.  Daran  ist  auffällig:  Erstens  wundern  wir 
uns,  daß  der  Ebed  plötzlich  lebt  und  Kinder  hat.  Eben  noch 
hörten  wir  von  seinem  Tode.  Wenn  wir  die  Schlußszene 
verstehen  wollen,  so  müssen  wir  notwendig  die  Auf- 
erstehung des  Ebed  ergänzen.  Wir  wundem  uns  zweitens 
über  das  Mißverhältnis  zwischen  dem  vergangenen  und  dem 
künftigen  Schicksal  des  Ebed.  Vielleicht  dürfen  wir  seine  Er- 
höhung in  die  Worte  zusammenfassen:  Er  soll  ein  angesehener 
und  mächtiger  König  werden.  Das  ist  nichts  Außergewöhn- 
liches und  viel  zu  wenig  gegenüber  dem,  was  der  Ebed  in 
seinem  Leiden  und  Sterben  geleistet  hat.  Der  Lohn  entspricht 
nicht  der  Arbeit.  Drittens  wundern  wir  uns,  warum  nicht 
die  Redenden  zusammen  mit  dem  Ebed  verherrlicht  werden. 
Sie  haben  ihn  zwar  nicht  erkannt,  so  lange  er  unter  den 
Lebenden  weilte,  aber  sie  preisen  ihn  jetzt,  wo  er  tot  ist,  und 
rühmen  sich,  daß  er  für  sie  gelitten  und  ihre  Sünden  getragen 
habe.  Sie  sind  durch  seine  Sühne  schuldlos  geworden.  Aber 
von  den  Folgen,  die  diese  Tatsache  für  die  Redenden  haben 
müßte,  ist  nicht  die  Rede^ 

Fragen  wir  die  Exegeten,  wer  der  Ebed  ist,  so  lautet  eine  Ant- 
wort: Israel.  Die  hier  Redenden  müßten  dann  die  Heiden  sein, 
deren  Strafe  Israel  im  Exil  auf  sich  genommen  hätte.     Dagegen 


1.  Der  Text   des  Kapitels   ist   freilich   sehr   korrupt.     Ich  glaube 
aber   nicht,    daß    die  Sache   klarer  würde,   wenn   der  Text  besser  wäre. 

21* 


324      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

ist  erstens  zu  betonen,  daß  bei  dieser  Auffassung  die  genannten 
Rätsel  und  Lücken  nicht  erklärt  werden.  Ein  guter  Dichter, 
der  Israel  personifizierte  und  diese  Person  leiden  und  sterben 
ließ,  konnte  sie  nicht  plötzlich  weiter  leben  lassen,  ohne  daß 
er  sie  zuvor  irgendwie  aus  dem  Tode  erweckte.  So  gut  wie  er 
sagen  konnte:  Israel  starb,  so  gut  konnte  und  mußte  er  hinzu- 
fügen: dann  aber  wird  Israel  auferstehen  zu  einem  neuen  und 
schöneren  Leben.  Ebenso  wie  bei  diesem  Beispiel  bleiben 
überhaupt  alle  stilistischen  Rätsel  stehen.  Gegen  diese 
kollektivische  Deutung  ist  zweitens  anzuführen,  daß  man  gar 
kein  Recht  hat,  die  Heiden  für  die  Redenden  zu  halten.  Denn 
nicht  ein  einziges  Mal  werden  innerhalb  der  Ebed-Jahve- 
stücke  die  Heiden  als  die  Gegner  des  Ebed  bezeichnet. 
Namen  werden  überhaupt  nicht  genannt,  und  darum  liegt  es 
mindestens  ebenso  nahe,  wenn  nicht  näher,  die  Feinde  innerhalb 
Israels  zu  suchen.  Drittens  ist  jene  Anschauung  unmöglich, 
weil  die  Heiden  ja  erst  in  Zukunft  sehen  werden,  was  ihnen 
nie  erzählt  ward,  und  wahrnehmen  werden,  was  sie  nie  gehört 
haben.  Die  Redenden  staunen  jetzt  schon,  aber  die 
Heiden  werden  erst  in  Zukunft  staunen,  und  darum 
können  beide  nicht  identisch  sein. 

Eine  andere  Gruppe  von  Forschem  sieht  in  dem  Ebed 
eine  historische  Persönlichkeit  und  sucht  sie  mit  einem 
der  uns  bekannten  Propheten  zu  identifizieren.  Aber  erstens 
erklärt  auch  diese  Auffassung  die  stilistischen  Rätsel  nicht.  Ich 
verweise  besonders  auf  das  völlig  farblose  Bild  vom  Leben 
des  Ebed  und  auf  die  allgemeinen  und  unklaren  An- 
deutungen seines  Leidens  und  Sterbens.  Wenn  wir  ein 
historisches  Ereignis  vor  uns  hätten,  so  müßte  alles  genau  ge- 
schildert werden:  An  welcher  Krankheit  der  Betreffende  litt, 
warum  man  ihn  verfolgte,  auf  welche  Weise  und  wo  er  starb, 
wer  seine  Gegner  waren  u.  s.  w.  Man  vergegenwärtige  sich 
z.  B.,  ob  wohl  jemals  der  Tod  des  Sokrates  in  dieser  geheimnis- 
vollen Weise  geschildert  werden  konnte.  Dies  Suchen  nach 
einer  historischen  Persönlichkeit  verkennt  den  Mysteriencharakter 
des  Kapitels.  Zweitens:  Hätte  unser  Verfasser  einen  be- 
stimmten Menschen  im  Auge  gehabt,  an  dem  man  damals  so 
wunderbare  Dinge  zu  erleben  glaubte,  so  hätte  er  uns  den 
Namen  gewiß  nicht  verschwiegen.     Denn  so  etwas  kommt 


Deutungen  des  Ebed.  325 

doch  nicht  alle  Tage  vor,  und  die  Leute  waren  schon  damals 
auf  einen  unsterblichen  Namen  so  erpicht  wie  heute.  Drittens 
ist  es  undenkbar,  daß  ein  Mensch,  der  von  Leiden  und  Krank- 
heiten entstellt  war,  zugleich  als  Frevler  mißhandelt  wurde. 
Und  wenn  er  existiert  hätte,  so  hätte  man  sicherlich  kein  großes 
Geheimnis  hinter  seinem  Tode  gesucht  und  ihn  hinterher  schwer- 
lich zu  einem  unschuldigen  Märtyrer  gestempelt.  Und  was 
besonders  auffällig  wäre,  wie  sollte  man  seine  Aufer- 
stehung und  Verherrlichung  erwartet  und  seinem 
Leiden  stellvertretenden  Sühnecharakter  zugeschrieben 
haben? 

Da  der  Ebed  mit  Israel  nicht  identisch  ist,  da  er  ferner 
eine  historische  Persönlichkeit  nicht  gewesen  sein  kann  und 
doch  als  ein  Individuum  aufgefaßt  werden  muß,  so  bleibt  nichts 
Anderes  übrig,  als  ihn  für  eine  mythische  Gestalt  zu  erklären 
(Gunkel).  Der  ursprünglich  mythische  Charakter  des  Ebed 
schimmert  noch  deutlich  durch  in  der  Tatsache  der  Aufer- 
stehung, die  in  unserem  jetzigen  Text  zwar  nicht  erzählt,  aber 
doch  notwendig  vorausgesetzt  ist.  Einstmals  ist  sie  gewiß  er- 
zählt worden.  Denn  um  die  aufgezählten  stilistischen 
Rätsel  zu  erklären,  müssen  wir  annehmen,  daß  Deutero- 
jesaja  die  Gestalt  des  Ebed  Jahve  nicht  geschaffen 
haben  kann,  sondern  einer  damals  vorhandenen  Tradi- 
tion entlehnt  haben  muß.  Der  Verfasser  hat  den  Stoff 
aus  einer  mündlichen  oder  schriftlichen  Überlieferung  geschöpft, 
hat  ihn  aber  in  seiner  eigenen  Sprache  dargestellt,  da  uns  in 
dieser  Hinsicht  nichts  zwingt,  einen  fremden  Autor  zu  vermuten. 
Die  übernommene  Figur  muß  bereits  in  der  Vorlage  den  Titel 
Ebed  (Jahve?)  geführt  haben,  weil  die  Entstehung  dieses  Namens 
für  uns  undurchsichtig  ist.  Außerdem  wird  bereits  die  Vorlage 
denselben  fragmentarischen  Charakter  getragen  haben,  der  eine 
Eigentümlichkeit  der  deuterojesajanischen  Ebedfigur  ist.  Denn 
hätte  unser  Autor  einen  Zusammenhang  noch  vorgefunden,  so 
würde  er  ihn  schwerlich  so  zerrissen  haben,  wie  es  jetzt  der 
Fall  ist. 

Wir  können  aber  noch  einen  Schritt  mit  Sicherheit  tun, 
um  die  Quelle  näher  zu  bezeichnen,  aus  der  Deuterojesaja  ge- 
schöpft haben  muß,  wenn  wir  auf  die  Situation  achten,  die 
c.  53  voraussetzt.     Fragen  wir  ganz  konkret:  Ist  der  Ebed  tot 


326      Der  Ursprung  der  israelitisch- jüdischen  Eschatologie. 

zu  der  Zeit,  wo  Deuterojesaja  schreibt?  so  werden  wir  darauf 
mit  Nein  antworten  müssen.  Denn  es  wird  durch  keinen  Zug 
angedeutet,  daß  die  Gegenwart  des  Verfassers  mitten  hinein- 
fällt zwischen  den  Tod  und  die  Verherrlichung  des  Ebed.  Wir 
können  uns  das  an  dem  Beispiel  der  Apokalypse  Johannen 
klar  machen.  Wer  wollte  daran  zweifeln,  daß  der  Autor  lebt, 
nachdem  der  Christus  gestorben  und  auferstanden  und  bevor 
seine  Parusie  gekommen  ist?  Diese  Situation  tritt  dort  überall 
zu  Tage.  Bei  Deuterojesaja  dagegen  schließt  sich  die 
Verherrlichung  des  Ebed  unmittelbar  und  ohne  jede 
Zwischenstufe  an  sein  Leiden  und  Sterben  an.  Da& 
ist  die  charakteristische  Situation  des  Kultliedes.  Man 
stelle  sich  etwa,  um  sich  das  zu  veranschaulichen,  ein  Mysterien- 
lied im  Attiskult  vor.  Da  kann  genau  so  wie  hier  bei  Deutero- 
jesaja geschildert  werden,  wie  Attis  gestorben  und  begraben 
ist,  aber  die  Mysten  wissen,  er  wird  auferstehen  und  leben. 
Ein  solches  Lied  kann  zu  jeder  Zeit  gesungen  werden,  und 
niemand  wird  auf  den  Gedanken  verfallen,  die  Zeit  des  Sängers 
zwischen  den  Tod  und  die  Auferstehung  des  Attis  zu  verlegen. 

Noch  schillernder  als  in  Jes.  c.  53  ist  übrigens  die  Situation 
in  c.  50,  worauf  schon  Gibsebeecht  aufmerksam  gemacht  hat: 
»Bald  hat  man  den  Eindruck,  als  liege  alles  in  der  Vergangen- 
heit, besonders  in  V.  5  und  6,  bald  scheint,  besonders  im  zweiten 
Teil,  der  Kampf  sich  vor  dem  Leser  abzuspielen.  Es  ist  klar, 
daß  diese  Darstellung  auf  lebhafter  Vergegenwärtigung 
des  Widerstandes  beruht,  der  dem  Knecht  entgegentrat,  ich 
möchte  aber  bezweifeln,  daß  eine  solche,  beinahe  phantastische 
Vergegenwärtigung  bei  einer  Einzelperson  nahe  lag,  deren  wirk- 
liche nüchterne  Erlebnisse  sich  hier,  sei  es  in  ihrem  eigenen,  sei 
es  in  ihrer  Verehrer  Gedächtnis  wieder  spiegelten.  Ganz«  ebenso 
»liegt  die  Sache,  wenn  es  sich  um  eine  Personifikation  handelt« 
(S.  51).  Denn  entweder  ist  Israel  gerechtfertigt  oder  es  ist 
nicht  gerechtfertigt,  entweder  leidet  es  noch  oder  es  leidet  nicht 
mehr.  Tertium  non  datur.  Wenn  nun  hier  doch  Beides  neben 
einander  ausgesagt  wird  und  so  ein  »auf  lebhafter  Vergegen- 
wärtigung« beruhendes  eigentümHches  Schillern  entsteht,  so  ist 
das  nur  zu  erklären  durch  die  Annahme  eines  KultHedes. 

Jesaja  c.53  geht  also  zurück  auf  ein  aus  den  Mysterien 
stammendes  Kultlied,   das   am  Todestage    des  Gottes 


Art  des  KultHedes.  327 

von  den  Mysten  gesungen  wurde.  Denn  die  Elage  waltet 
durchaus  vor,  während  die  Verherrlichung  nur  leise  hineinklingt. 
So  versteht  man  ferner  die  verschiedene  Nüanzierung,  daß  die 
Redenden  dieses  Kapitels  zu  Anfang  als  die  Eingeweihten, 
dann  aber  als  die  noch  nicht  Eingeweihten  gelten.  Zum  Kultus 
und  zum  Kultliede  gehört  eben  die  lebhafte  Yergegenwärtigung; 
es  scheint,  als  spiele  sich  alles  vor  den  Augen  des  Mysten  ab, 
während  es  doch  in  Wirklichkeit  längst  geschehen  ist  oder 
höchstens  in  effigie  wiederholt  wird. 

Fragt  man  nun  weiter,  was  Deuterojesaja  sich  denn  bei 
dieser  Gestalt  des  Ebed  Jahve  gedacht  habe,  so  läßt  sich  keine 
sichere  Antwort  darauf  geben.  Es  scheint  aber,  als  habe  er  ihn, 
wie  namentlich  aus  den  Zügen  seiner  Verherrlichung  hervorgeht, 
für  eine  eschatologische  Gestalt  gehalten:  Einen  solchen 
Ebed,  wie  er  hier  geschildert  ist,  wird  Jahve  uns,  den  Israeliten, 
schenken,  damit  er  sein  Volk  wiederherstelle  und  sein  Licht  bis 
ans  Ende  der  Erde  verbreite!  Wir  werden  den  Gottesknecht 
nicht  grade  einen  Messias  nennen  dürfen,  weil  er  kein  Davidide 
ist  und  nicht  ausschließlich  als  König  aufgefaßt  wird.  Da  aber, 
wie  wir  gesehen  haben  (vgl.  o.  S.  285),  die  Figur  des  Messias 
sich  in  der  älteren  Zeit  überhaupt  noch  nicht  verdichtet  und  zu 
einer  scharf  umrissenen  Persönlichkeit  ausgebildet  hat,  so  haben 
wir  ein  Recht,  den  Ebed  Jahve  für  eine  Parallelgestalt  des 
Messias  zu  erklärend 


1.  Eine  weitere  Ausdeutung  der  Einzelheiten  ist  kaum  erlaubt,  da 
der  Verfasser  selbst  sie  als  ein  großes  Mysterium  hingestellt  hat.  Im 
Übrigen  würden  wir  zu  keinem  Kesultate  kommen,  auch  wenn  wir  den 
Versuch  einer  genaueren  Ausdeutung  machen  wollten.  Und  darum  ist 
es  prinzipiell  richtig,  von  vorneherein  darauf  zu  verzichten.  Endlich 
interessiert  uns  gar  nicht,  was  sich  Deuterojesaja  im  Einzelnen  ge- 
dacht haben  mag,  da  seine  Auffassung  zum  Verständnis  dieses  Kapitels 
nicht  das  Geringste  beiträgt.  Hier  tritt  einmal  der  allerdings  seltene 
Eall  ein,  wo  die  Ansicht  des  Schriftstellers  gleichgültig  ist,  der  uns 
diese  Verse  überliefert  hat.  So  wie  das  Lied  heute  lautet,  bezieht  es 
sich  auf  eine  spezifisch  israelitische  Gestalt.  Mehr  kann  man  mit 
Sicherheit  nicht  sagen.  Wenn  man  will,  mag  man  auch  fernerhin  an- 
nehmen, Deuterojesaja  habe  in  dem  Leiden  und  der  Verherrlichung  des 
Ebed  ein  Vorbild  für  das  Leiden  und  die  Verherrlichung  Israels  gesehen. 
Gegen  diese  allgemeine  Auslegung  läi^t  sich  nicht  viel  einwenden,  da  er 
ja  auch  sonst  den  Ebed  mit  Israel  identifiziert  hat,  wie  es  scheint  (493). 


328      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 


§  31.    Der  sterbende  Gott. 

W.  EoBERTSON  Smith:  Die  Keligion  der  Semiten  (deutsche  Über- 
setzung von  E.  Stube).  Freiburg  1899.  H.  Hubert  et  M.  Mauss: 
Essai  sur  la  nature  et  la  fonction  du  sacrifice  (L'Annee  Sociologique 
2.  Jhrg.).  Paris  1899.  Friedrich  Kauffmann:  Balder  (Texte  und  Unter- 
suchungen  zur  Altgerraanischen  Keligionsgeschichte).     Straßburg  1902. 

Während  ich  für  meine  bisherigen  Ausführungen  über  den 
Ebed  Jahve  Zustimmung  beanspruche,  mache  ich  für  diesen 
Paragraphen  ausdrückUch  eine  Ausnahme,  weil  er  religions- 
geschichtlichen Hypothesen  gewidmet  ist.  Da  die  Gestalt  des 
Ebed  im  Alten  Testamente  fast  völlig  analogielos  ist  und  aus 
den  Eiten  und  dem  Geist  der  israelitischen  Religion  allein  nicht 
verstanden  werden  kann,  so  sind  wir  gezwungen,  fremde  Par- 
allelen heranzuziehen.  Aussicht  auf  Verständigung  ist  nur  dann 
vorhanden,  wenn  zuvor  eine  Einigung  über  den  Charakter  des 
Jesaja  c.  53  geschilderten  Leidens  und  Sterbens  erzielt  ist. 

So  viel  ist  auf  den  ersten  Blick  klar:  Dem  Leiden  und 
Sterben  des  Ebed  wird  ein  stellvertretender  Sühne- 
charakter zugesprochen.  Seine  eigene  Unschuld  wird  ebenso 
stark  betont  wie  der  Gedanke,  daß  er  für  die  Verschuldungen 
anderer  in  den  Tod  geht.  Aber  er  hat  nicht  nur  ihre  Sünden, 
sondern  auch  ihre  Krankheiten  und  Schmerzen  auf  sich  ge- 
nommen und  hat  sie  —  so  dürfen  wir  ergänzen  —  vollständig 
beseitigt.  Im  Hintergrunde  steht  die  Opferidee.  Wir  haben 
sachlich  eine  genaue  Parallele  an  dem  Bock  des  Asasel,  der 
als  Sühnopfer  am  großen  Versöhnungstage  dargebracht  wurde: 
Aaron  soll  seine  beiden  Hände  auf  den  Kopf  des  lebendigen 
Bockes  aufstemmen  und  über  ihm  alle  Verschuldungen  der 
Israeliten  bekennen  und  alle  Übertretungen^  die  sie  irgend  be- 
gangen haben,  und  soll  sie  auf  den  Kopf  des  Bockes  legen  und 
diesen  durch  einen  bereit  gehaltenen  Mann  in  die  Wüste  senden. 
So  soll  der  Bock  alle  ihre  Verschuldungen  auf  sich  hinwegtragen 
in  eine  abgelegene  Gegend,  und  man  soll  den  Bock  (erst)  in  der 
Wüste  loslassen  (Lev.  162if.).     Der  Bock  wird  also  beladen  mit 


Aber  auf  weitere  Einzelheiten  Gewicht  zu  legen,  ist  verkehrt,  als  ob 
hier  in  c.  53  die  Heiden  sprächen  und  Israel  eine  stellvertretende  Sühne 
für  die  Heiden  zugeschrieben  würde!  Dieser  Gedanke  ist  nirgends 
nachweisbar. 


Der  Sündenbock.  329 

den  Sünden  der  Gemeinde  und  stellvertretend  für  sie  geopfert. 
Denn  das  Austreiben  des  Bockes  ist  nur  eine  spezifische  Form 
des  Opfers  (Hubert-Mauss  S.  75).  Die  sühnende  Bedeutung, 
die  dem  Tode  des  Ebed  beigelegt  wird,  entspricht  völHg  dem 
Sühnecharakter,  der  hier  dem  Bock  des  Asasel  zukommt.  Im 
Übrigen  wird  die  Opferidee  53  lo  zum  klaren  Ausdruck  ge- 
bracht: Wenn  seine  Seele  (d.  h.  er  seihst)  das  Schuldopfer 
wird  vollzogen  habend  wk'd  er  Samen  sehen.  Das  Leiden  und 
Sterben  des  Ebed  ist  ein  mit  Ersatz  verbundenes  S'ühn- 
opfer  (d;z;n). 

Obwohl  er  so  als  menschlicher  Sündenbock  geschildert  wird, 
unterscheidet  er  sich  doch  in  charakteristischer  Weise  von  einem 
gewöhnlichen  Opfer  dadurch,  daß  er  nicht  von  Anderen  dar- 
gebracht wird,  sondern  daß  er  sich  selbst  darbringt  (53 lo). 
Diejenigen,  die  das  Opfer  gesehen  haben  und  denen  es  gilt, 
wissen  gar  nicht,  daß  es  sich  um  ein  Opfer  handelt.  Sie  halten 
den  Ebed  für  einen  Gottgezeichneten,  behandeln  ihn  wie  einen 
Aussätzigen  und  begraben  ihn  wie  einen  Verbrecher.  Erst 
hinterher  erkennen  sie  seine  Unschuld  und  begreifen  seine  Tat 
als  eine  freiwillige  Opferweihe.  Der  Tod  des  Ebed  ist  also 
genauer  ein  mysteriöses  Opfer,  das  nur  von  den  Eingeweihten 
verstanden  wird,  von  allen  anderen  aber  mißverstanden  werden 
muß. 

Um  Jesaja  c.  53  zu  erklären,  gingen  wir  von  der  Be- 
hauptung aus,  es  sei  ein  KultHed  gewesen  oder  nach  Art  eines 
Kultliedes  gedichtet  worden.  Solche  Kultlieder  schließen  ge- 
wöhnlich an  einen  Ritus  an,  um  ihn  zu  deuten.  Denn  Kult- 
handlung und  KultHed  gehören  aufs  engste  zusammen^.  Jene 
wird  von  diesem  begleitet  und  durch  es  erläutert.  Häufig  werden 
Riten  erklärt  durch  eine  Geschichte.  In  unserem  Falle  würde 
die  Frage  lauten,  die  an  die  uns  unbekannte  Kulthandlung 
anknüpft:  Warum  feiern  wir  heute  den  Tod  des  Gottes  h 
lnvGTrjQiq)?  Darauf  antwortet  das  Lied,  indem  es  von  dem 
einmal   stattgefundenen  Opfer  des  Gottes   erzählt,   der 


1.  Wahrscheinlich  ist  mit  Giesebrecht  a'isn  zu  lesen. 

2.  Vgl.  z.  B,  Num.  lOssf.  Im  Übrigen  verweise  ich  auf  Gunkels 
im  Herbst  erscheinende:  Israelitisch-jüdische  Literaturgeschichte  des 
Altertums  (in  der:  Kultur  der  Gegenwart). 


330     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

sich  selbst  in  geheimnisvoller  Weise  als  Sündenbock  darbrachte, 
ohne  daß  es  von  den  Menschen  erkannt  wurde. 

Nehmen  wir  zu  dem  Tode  des  Ebed  noch  die  Idee  der 
Auferstehung  hinzu  und  beachten  wir,  daß  wir  von  dem  Leben 
des  Ebed  so  gut  wie  nichts  erfahren,  so  muß  die  dem  Ebed 
ursprünglich  zu  Grunde  liegende  mythische  Gestalt 
eine  solche  gewesen  sein,  für  die  Sühnetod  und  Auf- 
erstehung charakteristisch  sind^.  Wir  können  nun  zwar 
diese  Gestalt  nicht  bestimmt  mit  Namen  nennen,  wohl  aber 
können  wir  den  Kreis  genau  angeben,  in  den  sie  hineingehört: 
sie  gehört  in  den  Kreis  der  Adonis-  oder  Tamüz- 
gestalten.  Aus  den  babylonischen  Keilinschriften  haben  wir 
bisher  nur  die  Grundzüge  des  Tamüzmythus  kennen  gelernt. 
In  der  Anrede  des  Gilgames  an  Istar  heißt  es:  Tamüz,  dem 
Buhlen  deiner  Jugend,  Jahr  für  Jahr  bestimmtest  du  ihm 
Weinen^.  »Solche  Klagen  auf  den  in  die  Unterwelt  hinab- 
sinkenden Tamüz,  die  auch  schon  den  für  den  Adonis-Kultus 
so  charakteristischen  Vergleich  des  Tamüz  mit  einer  rasch  hin- 
welkenden Pflanze  in  verschiedenen  Variationen  enthalten,  sind 
uns  in  mehreren  an  Tamüz  gerichteten  Hymnen  erhalten«  3. 
Adonis  starb,  wie  wir  aus  phönikisch-griechischen  Quellen  er- 
fahren, in  der  Blüte  der  Jahre  und  ward  als  Verstorbener  be- 
klagt, bald  darauf  aber  als  ein  aus  dem  Tode  wiederkehrender 
Gott  bejubelt.  Die  Phryger  feierten  den  von  der  Großen  Mutter 
geliebten  Attis  mit  jährlichen  Trauerfesten  und  stellten  dabei 
sein  Leichenbegängnis  dar.  Kurze  Zeit  nach  der  Bestattung 
aber  versicherten  sie,  Attis  sei  auferstanden.  Die  Athener  be- 
weinten erst  den  von  Apollon  getöteten  Hyakinthos  als  Ver- 
storbenen, feierten  ihn  dann  aber  als  den  Auferstandenen  und 
Verklärten.  Der  schöne  Balder  wird  von  den  Äsen  geopfert, 
um  den  Tod  zu  überwinden  und  mit  erhöhter  Majestät 
zurückzukehren*.  Bei  Attis  wissen  wir  außerdem  von 
Mysterien^ 


1.  So  im  Wesentlichen  aucli  Gunkel:  Forschungen  I  S.  78. 

2.  KB  VI,  1  S.  169.  3.  KAT^  S.  397. 

4.  Kauffmann  S.  272  ff. 

5.  Vgl.  Hugo  Hepding:  Attis.  Seine  Mythen  und  sein  Kult. 
(Keligionsgeschichtliche  Versuche  und  Vorarbeiten  von  Dieterich  und 
Wünsch  Bd.  II.    Gießen  1903. 


Adonisgestalten.  331 

Man  dürfte  es  freilich  nicht  wagen,  den  Ebed  Jahve  oder 
sein  Vorbild  in  diesen  Kreis  der  sterbenden  und  auferstehenden 
Götter  hineinzustellen,  wenn  die  früher  herrschende  Anschauung 
im  Recht  wäre,  daß  diese  Götter  Personifikationen  der  abster- 
benden und  neu  erstehenden  Vegetation  oder  der  Jahreszeiten 
seiend  Denn  dann  bliebe  der  Sühne-  und  Opfer- 
charakter des  Ebed  völlig  unerklärt.  Neuerdings  aber 
haben  Hubert  und  Mauss  eine  neue,  wie  mir  scheint,  beachtens- 
werte Theorie  vom  Opfer  aufgestellt,  wonach  das  Opfertier  durch 
die  Opferweihe  seine  Natur  gleich  dem  Phönix  verändert ^  und 
zu   gottheitlicher  Kraft   gesteigert   wird  3.    Von    dieser  Theorie 


1.  A.  Jeremias  hat  in  seinem  Buche:  Babylonisches  im  Neuen 
Testamente  (Leipzig  1905)  den  »Kalendermythus  vom  sterbenden  und 
siegreichen  Jahrgott«  verfolgt.  Ich  vermag  eine  Bereicherung  der 
Wissenschaft  in  diesen  Studien  nicht  zu  erblicken,  vor  allem  deshalb, 
weil  Tatsachen  und  Hypothesen  nicht  scharf  von  einander  geschieden,, 
sondern  wild  durcheinander  gewirbelt  werden.  Ich  vermisse  eine  klare 
Darstellung  dessen,  was  wir  heute  sicher  über  den  babylonischen 
Weltjahrmythus  wissen.  Die  Assyriologen  würden  sich  ein  wirkliches 
Verdienst  erwerben,  wenn  sie  sich  zunächst  einmal  ganz  und  gar  auf 
die  babylonischen  Mythen  und  Spekulationen  beschränkten.  Ich  habe 
dies  Urteil  ausführlicher  begründet  in  meinem  Artikel:  Die  Mythen- 
forschung im  Alten  Testament  (Schleswig-Holsteinisches  Kirchenblatt, 
1904.    Nr.  35f.). 

2.  »Elle  (la  victime)  changeait  de  uature,  comme  Demophon, 
comme  Achille,  comme  le  fils  du  roi  de  Byblos,  quand  Demeter,  "rtietis 
et  Isis  consumaient  dans  le  feu  leur  humanite.  Sa  mort  etait  celle  du 
phenix:  eile  renaissait  sacree«  S.  71. 

3.  »Le  sacrifice  determine,  par  lui-meme,  une  exaltation  de& 
victimes  qui  les  divinise  directement.  Nombreuses  sont  les  legendem 
oü  se  trouvent  racontees  de  ces  apotheoses.  Hercule  n'etait  admis 
dans  rOlympe  qu'apres  son  suicide  sur  l'Oeta.  Attis  et  Eshmoun 
furent  animes  apres  leur  mort  d'une  vie  divine.  La  constellation  de 
laVierge  n'est  autre  qu'Erigone,  une  deesse  agraire  qui  s'etait  pendue. 
Au  Mexique,  un  mythe  rapportait  que  le  soleil  et  la  lune  avaient  ete- 
crees  par  un  sacrifice;  la  deesse  Toci,  la  mere  des  dieux,  etait  egale- 
ment  presentee  comme  une  femme  qu'un  sacrifice  aurait  divinisee. 
Dans  le  memo  pays,  lors  de  la  fete  du  dieu  Totec,  oü  l'on  tuait  et 
depouillait  des  captifs,  un  pretre  revetait  la  peau  de  Tun  d'eux;  il 
devenait  alors  l'image  du  dieu,  portait  ses  ornements  et  son  costume^ 
s'asseyait  sur  un  trone  et  recevait  ä  la  place  du  dieu  les  images  de& 
Premiers  fruits Dans  ces  legendes  subsiste  la  conscience  obscure 


332      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

ausgehend  hat  dann  Kaufpmann  den  Tod  Balders  analysiert 
und  ihn  als  Opfertod  bezeichnet,  dessen  Weihe  nicht  bloß  dem 
Geopferten  zu  gute  kommt  und  ihm  eine  Rückkehr  aus  der 
Unterwelt  mit  erhöhter  Majestät  verschafft,  sondern  dessen 
Weihe  auch  den  opfernden  Äsen  dient  und  die  Frevel  der 
<jröttergemeinde  sühnt. 

Eine  solche  Adonisgestalt  scheint  ferner,  worauf  Gunkel^ 
aufmerksam  gemacht  hat.  Zach.  129ff.  vorausgesetzt  zu  sein: 
An  jenem  Tage  werde  ich  trachten,  alle  die  Völker  zu  vernichten, 
die  gegen  Jerusalem  gekommen  sind.  Und  über  das  Haus 
Davids  und  die  Bewohner  Jerusalems  gieße  ich  einen  Geist  des 
Erbarmens  und  des  Mitleids  aus  und  sie  blicken  hin  aup  . .  ., 
-den  sie  durchbohrt  haben,  und  klagen  um  ihn,  wie  man  um  den 
Einzigen  klagt,  und  sind  bitterlich  betrübt  wie  über  den  Ver- 
lust des  Erstgebornen.  An  jenem  Tage  tvird  die  Klage  in 
Jerusalem  groß  sein  wie  die  Klage  um  Hadad-Rimmon  im  Tal 
von  Megiddo. 

Die  Exegeten  denken  meist  an  eine  historische  Schuld,  die 
die  Jerusalemer  auf  sich  geladen  haben  sollen.  Aber  daß  es 
sich  um  eine  eschatologische  Situation  handelt,  geht  nicht  nur  aus 
dem  Futurum  und  aus  der  einleitenden  Formel :  an  jenem  Tage, 
sondern  auch  aus  der  Erwähnung  aller  Völker  hervor,  die  in 
Wirklichkeit  niemals  gegen  Jerusalem  gezogen  sind.  Überdies 
ist  weder  im  vorhergehenden  noch  im  folgenden  irgend  eine 
historische  Anspielung  enthalten,  die  die  Annahme  solcher  kon- 
kreten Züge  rechtfertigte.  Endlich  ist  die  Klage  des  ganzen 
Volkes  nur  verständHch,  wenn  sie  nicht  über  irgend  einen  be- 
liebigen Märtyrer,  sondern  über  eine  mythische  Persönlichkeit 
ergeht.  Denn  sie  wird  verghchen  mit  der  Klage  über  Hadad- 
Rimmon  im  Tal  von  Megiddo  d.  h.  mit  einer  Kultklage.  So 
viel  darf  jetzt  wohl  als  sicher  gelten,  daß  Hadad-Rimmon 
Doppelname  eines  Gottes  ist,  während  ein  Ort  desselben  Namens 
^wie  man  früher  vermutete)  unbekannt  ist.  Von  einer  Klage 
um  diesen  Gott  wissen  wir  freilich  nichts.  Da  aber  Hadad  ein 
zu  Byblos  verehrter  Gott  »und  andererseits  ßyblos  die  Stätte 
der  Klagefeiern   für  den   von   den  Griechen  Adonis  genannten 

de  la  vertu  du  sacrifice.  La  trace  en  persiste  egalement  dans  les  rites« 
-S.  118. 

1,  Forschungen  I  S.  78  Anm.  5.  2.  Auf  mich  ist  unmöglich. 


Adonisgestalten.  33S 

Gott,  so  liegt  es  überaus  nahe,  die  Klage  Hadad-Kimmons  auf 
den  Gott  Hadad  zu  beziehen,  der  wahrscheinlich  irgendwie  mit 
dem  Adonis  kombiniert  wurde«  (Baudissin  PR»  VII  S.  295). 
Leider  ist  bei  Zacharja  der  Name  der  Gestalt  ausgemerzt  wor- 
den, über  die  die  judäische  Totenklage  erfolgen  sollte.  Aber 
von  besonderer  Wichtigkeit  ist  die  Tatsache,  die  Jes.  c.  53 
nicht  ganz  klar  ist,  daß  es  sich  hierum  eine  eschatologische 
Kult  fei  er  handelt,  daß  also  auch  die  Adonisgestalt  der  Escha- 
tologie  angehörte,  mag  man  sie  nun  Messias  oder  Ebed  Jahve 
oder  sonstwie  nennen. 

Obwohl  die  Israeliten  teilweise  noch  zur  Zeit 
Ezechiels  (814)  den  Tamüzkult  kannten  und  übten,  ist 
es  doch  fraghch,  ob  der  Verfasser  von  Zach.  12  noch  etwas 
über  den  Urspning  der  von  ihm  überlieferten  Worte  wußte. 
Zach.  c.  12 — 14  besteht  aus  vielen  kleinen,  nur  lose  oder  gar 
nicht  zusammenhängenden  Fragmenten.  Diese  Bruchstücke  sind 
von  einem  Späteren  geordnet,  scheinen  aber  in  viel  früherer 
Zeit  verfaßt  zu  sein,  da  sie  teilweise  gute,  alte  Traditionen  ent- 
halten. Es  sei  nur  erinnert  an  die  bereits  oben  behandelten 
Verse  Zach.  144ff.  (vgl.  S.  222  ff.).  Als  wertvolle  Zeugnisse  der 
Vergangenheit  hat  ein  Epigone  diese  Überreste  früherer  escha- 
tologischer  Dichtungen  gesammelt,  redigiert  und  vielleicht  teil- 
weise überarbeitet.  Ihm  danken  wir  die  Erhaltung  dieser  für 
uns  unschätzbaren  Dokumente. 

So  sehen  wir,  daß  der  Ebed  Jahve  doch  nicht  ganz  ana- 
logielos ist  im  Alten  Testamente,  wenn  uns  auch  diese  Parallele 
zu  einer  tieferen  Erkenntnis  nicht  verhilft.  Eine  wirkliche  Ge- 
schichte des  Ebed  Jahve  zu  schreiben,  müssen  wir  uns  versagen. 
Wir  können  nur  den  Anfangs-  und  Endpunkt  der  Entwicklung 
aufzeigen:  Eine  dem  Adonis  und  eine  dem  Messias  vergleich- 
bare Gestalt.  Aber  wie  nun  diese  aus  jener  geworden  ist, 
darüber  dürften  kaum  einmal  Hypothesen  mit  annähernder 
AVahrscheinlichkeit  möglich  sein.  Der  Adonis  war  vergessen^ 
und  allein  die  eschatologische  Bedeutung  blieb  erhalten. 


334      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 


D.    Der  Menschensohn. 
§  32,    Das  sprachliclie  Problem  des  Menschensohns. 

H.  Lietzmann:  Der  Menschensohn.  Bonn  1896.  J.  Wellhausen: 
Skizzen  und  Vorarbeiten.  Heft  VI.  Berlin  1899.  G.  Dalmann:  Die 
Worte  Jesu.  Leipzig  1898.  H.  Gunkel:  Aus  Wellhausens  apokalypti- 
schen Forschungen  (Zeitschrift  für  wiss.  Theol.  N.  F.  VII).  Leipzig  1899. 
P.  Fiebig:  Der  Menschensohn.  Tübingen  1901.  Übersichten  bei  Schmie- 
PEL  (Protest.  Monatshefte)  1898  und  1901 ;  Baldenspeeger  (Theolo- 
gische Kundschau)  1900;  Nathanael  Schmidt:  The  Son  of  Man  (Ency- 
€lop.  Biblica).  Bd.  IV. 

In  den  Evangelien  begegnet  o  viog  tov  avd-QcoTtov  als 
rätselhafter  Terminus  technicus  für  den  Christus,  den  Messias. 
Zum  Verständnis  dieses  Ausdrucks  ist  es  zunächst  unbedingt 
notwendig,  das  aramäische  Äquivalent  zu  kennen.  Es  konnte 
kein  Zweifel  sein  —  und  die  letzte  Untersuchung  von  FiEBia 
hat  es  bestätigt  —  daß  Wellhausen  das  sprachliche  Problem 
von  vorneherein  richtig  gelöst  hat.  »The  use  of  this  term  in 
Aramaic  has  been  treated  with  most  comprehensiveness  by 
FiEBiG,  with  most  Talmudic  leaming  by  Dalmann,  and  with 
most  insight  by  Wellhausen«  (Schmidt).  Wie  vioq  avd^gwTtov 
=  hebr.  Dn«  p  =  aram.  uJ3N  in,  so  ist  6  vlog  tov  avS-gcoTcov 
=  hebr.  cn«n  p  =  aram.  nu33N  'nä.  Während  aber  jenes 
hebräische  Wort  verhältnismäßig  selten  und  poetisch  ist,  also 
-einem  ebenso  ungebräuchHchen  »Menschenkind«  entspricht,  so 
ist  diese  aramäische  Phrase  in  allen  aramäischen  Dialekten  ganz 
gewöhnhch  und  bedeutet  weiter  nichts  als  »der  Mensch«.  Folg- 
lich ist  0  viög  TOV  avd-QWTtov  nicht  »der  Menschensohn«,  son- 
dern ganz  einfach  »der  Mensch«  zu  übersetzen,  und  hatte  diesen 
Sinn,  soweit  die  aramäische  und  hebräische  Sprache  reichten. 
Wenn  die  LXX  Difi«  ]3  mit  vlog  avS-gcoTtov  wiedergaben,  so 
kann  man  daraus  schließen,  daß  vlog  avS-gcoTtov  im  griechischen 
Jargon  der  alexandrinischen  Juden  vöUig  gleichbedeutend  war 
mit  avd^QWTtog,  und  bei  den  griechisch  redenden  Palästinensern 
wird  es  nicht  anders  gewesen  sein.  Der  Ausdruck  enthält  also, 
sprachlich  betrachtet,  durchaus  nichts  Geheimnisvolles  oder  My- 
stisches ^ 


1.  Auffällig    und   bis  jetzt   unerklärt  ist  allerdings   das  Problem, 
auf  das  Wrede  (ZNTW.  Jahrgang  V.  1904.  S.  359)  aufmerksam  macht, 


Das  sprachliche  Problem  des  Menschensohns.  335 

Damit  ist  nach  dem  geläufigen  Urteil  das  sprachliche 
Problem  erschöpft.  Man  erhebt  jetzt  sofort  die  Frage:  Wie 
kann  »der  Mensch«  Messiasbezeichnung  sein?  Als  Name  des 
Christus  ist  er  für  uns  dunkel  und  unverständlich.  Wellhatj- 
SEN  hat  ihn  früher  a  priori  aus  modernen  Begriffen  zu  erklären 
versucht:  Der  Titel  sei  ein  philosophischer  oder  humanistischer 
Terminus  und  bedeute  den  Menschen  ^aolx  e^ox^jv.  Mit  Recht 
hat  Wellhausen  sich  später  selbst  korrigiert:  Denn  Jesus  ist 
weder  Philosoph  noch  Humanist  gewesen.  Seit  wir  eine  histo- 
rische Methode  haben,  ist  es  unerlaubt,  von  modernen  An- 
schauungen auszugehen,  um  alten  Formeln  Leben  einzuhauchen. 
Der  Forscher  hat  die  Pflicht,  sich  in  die  antike  Welt  zu  ver- 
senken und  aus  ihr  heraus  ein  Verständnis  zu  gewinnen.  Kann 
er  keine  Klarheit  erlangen,  so  hat  er  einfach  die  Tatsachen  zu 
registrieren,  also  in  unserem  Falle  unumwunden  zu  bekennen: 
»Der  Mensch«  ist  zur  Zeit  Jesu  geläufige  Messiasbezeichnung; 
da  Jesus  selbst  diesen  Ausdruck  als  bekannt  voraussetzt  und  ihn 
nirgends  erklärt,  so  wissen  wir  nicht,  was  er  bedeutet  haben 
mag.  Wellhausen  aber  geht  zu  weit.  Auf  Grund  seines 
eigenen  Nichtwissens  folgert  er,  daß  das  Wort  auch  im  Munde 
Jesu  keinen  Sinn  gehabt  haben,  deshalb  auch  nicht  von  ihm 
gebraucht  sein  könne  und  darum  überall  da  zu  eliminieren  sei, 
wo  sein  messianisches  Verständnis  gefordert  wird. 

Dem  gegenüber  ist  mit  Gunkel  zunächst  zu  betonen,  wie 
in  der  apokalyptischen  Literatur  eine  ganze  Reihe  von  Termini 
technici  existieren,  die  als  ccTta^  leyofieva  vorkommen  und  für 
uns  rätselhaft  sind.  So  »der  Hemmende«,  »die  Wehen«,  »der 
Baumeister«,  »der  Greuel  der  Verwüstung«,  »der  Löwe«,  »der 
zweite  Tod«  und  andere  mehr.  In  diesen  Kreis  paßt  »der 
Mensch«  vorzüglich  hinein.  Zweitens  macht  Gunkel  mit  Recht 
darauf  aufmerksam,  daß  »der  Mensch«  eine  »mysteriöse  Ab- 
kürzung sein  könne  für  den  Menschen  Gottes,  den  Menschen 
des  Himmels,  den  ersten  Menschen«.  Ja,  es  kann  nicht  nur, 
sondern  es  muß  so  sein,  da  nicht  jeder  beliebige,  sondern  nur 
ein  ganz  konkreter  Mensch  als  Messias  angesprochen  werden 
kann.     »Der  Mensch«    muß   notwendig   einen  prägnanten  Sinn 

daß  Jesus  von  sich  statt  des  Ich  die  dritte  Person  mit  dem  Titel  ge- 
braucht. Dieser  außergewöhnliche  Sprachgebrauch  muß  auf  irgend 
welche  uns  unbekannten  (religionsgeschichtlichen)  Vorbilder  zurückgehen. 


336      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

haben.  Dazu  gibt  es  viele  Parallelen,  «inn  DvJi  oder  DT»ri 
»jener  Tag«  oder  »der  Tag«  bezeichnen  in  gewissen  Zusammen- 
hängen, die  von  der  Endzeit  handeln,  nicht  jedweden,  sondern 
einen  genau  fixierten  Tag,  und  zwar  »jenen  Tag,  den  jedermann 
als  den  Tag  Jahves  kennt«.  DT^n  ist  also  eine  Abkürzung  für 
mn''  DT»,  wie  »das  Ende«  für  »das  Ende  der  Welt«,  »die 
Trübsal«  für  »die  letzte  Trübsal«,  »das  Lamm«  für  »das  Lamm 
Gottes«,  »die  Wehen«  für  »die  Wehen  des  Messias«,  »das  Leben« 
für  »das  erste  Leben «i. 

Fragen  wir,  wie  der  volle  Ausdruck  für  »den  Menschen« 
gelautet  habe,  so  ist  darauf  a  priori  keine  Antwort  zu  geben. 
Um  aber  nicht  von  falschen  Voraussetzungen  auszugehen, 
müssen  wir  die  eben  beigebrachte  Parallele  noch  einmal  heran- 
ziehen. Wenn  auch  meist  mrr'  nr  gesagt  wird,  so  hat  man 
doch  kein  Recht,  von  einem  »Titel«  zu  reden.  Denn  ein  Titel 
hat  stets  nur  Eine  Form.  Neben  mrr'  dt»  aber  finden  sich 
noch  mehrere  inhalthch  gleichbedeutende  Phrasen  wie  nar  m*» 
mn-'  oder  -»"^  ma:?  Dr  oder  ■»■<  s)n  Dr.  Da  also  die  Bezeich- 
nung des  Tages  Jahves  nicht  ganz  festgeprägt  ist,  so  ist  auch 
•'•»  DT»  nicht  im  strengen  Sinne  des  Wortes  ein  »Titel«  zu  nennen. 
Entsprechend  der  hier  vorhandenen  Fülle  von  Ausdrücken  kann 
man  a  priori  dasselbe  für  »den  Menschen«  vermuten,  und  diese 
Annahme  bestätigt  sich.  Neben  »Wolkenmensch«  ("»sa:»  -i3), 
»oberer  Mensch«  (nNb3>  m«),  »Himmelsmensch«  (o  avd-QWTtog 
s^  ovQccvov)  begegnet  in  weit  verbreiteten  Spekulationen  »der 
erste  Mensch«  (hebr.  "{iJanp  m«  aram.  «-»Tanp  nujdk  nn).  Alle 
Namen  können  dieselbe  Person  bedeuten.  Ob  sie  es  wirklich 
tun,  soll  im  folgenden  untersucht  werden. 

Damit  erst  ist  die  sprachliche  Seite  dieses  Problems  ge- 
nügend erhellt.  Jetzt  erhebt  sich  um  so  dringender  die  sach- 
liche Frage:  Gibt  es  in  der  apokalyptischen  vorchristlichen  Lite- 
ratur eine  Gestalt,  die  man  als  den  »messianischen  Menschen« 
bezeichnen  darf?  Fällt  die  Antwort  bejahend  aus,  so  ist  weiter 
zu  forschen,  woher  diese  Gestalt  stammt  und  wie  sie  zu  er- 
klären ist. 

Bei  der  heutigen  wissenschaftlichen  Behandlung  des  Themas 
»Menschensohn«  hat  man  sein  Augenmerk  in  einseitiger  Weise 


1.  Vgl.  W.  Brandt:  Die  mandäische  Eeligion.    S.  26  Anm.  2. 


Das  sprachliche  Problem  des  Menschensohns.  337 

fast  nur  auf  das  Sprachliche  gerichtet  und  ist  so  zu  einer  An- 
schauung gekommen,  die  sachlich  durchaus  unhaltbar  ist.  Die 
im  großen  und  ganzen  herrschende  Auffassung  sieht  in  Dan.  7 
den  Ausgangspunkt  für  die  messianische  Idee  des  »Menschen«. 
Der  dort  begegnende  nuj3M  ^n  soll  aber  nicht  der  Messias, 
sondern  nur  ein  Symbol  für  das  Volk  Israel  sein,  das  unter  dem 
Bilde  eines  Menschen  dargestellt  werde.  Wäre  das  richtig,  so 
wäre  die  ganze  folgende  Entwicklung  eine  Kette  von  Mißver- 
ständnissen. Zunächst  muß  Henoch  den  nur  bildlich  gemeinten 
Ausdruck  fälschlicher  Weise  wörtlich  gedeutet,  muß  den  »mit 
den  Wolken  des  Himmels«  zu  einem  aus  dem  Himmel  kom- 
menden und  deshalb  im  Himmel  wohnenden  gemacht  und  ihm 
die  Präexistenz  beigelegt  haben.  Der  Verfasser  des  IV.  Esra- 
buches  dagegen  muß  umgekehrt  geglaubt  haben,  nach  Dan.  7 
komme  der  Mensch  nicht  vom  Himmel,  sondern  steige  ebenso 
wie  die  Tiere  aus  dem  Wasser  auf.  Da  er  auf  den  Wolken 
des  Himmels  fliege,  so  werde  er  wohl  ein  überirdisches  Ge- 
schöpf mit  übermenschlichen  Eigenschaften  sein,  das  alles  ver- 
brenne —  obwohl  beides  zu  einander  paßt  wie  Feuer  und 
Wasser!  So  wurde  der  Mensch  Daniels  durch  ein  Mißver- 
ständnis zum  Messias.  Der  Titel  »Mensch«  für  Messias  aber 
könne  erst  auf  griechischem  Boden  entstanden  sein,  als  bar  'nasa 
von  den  Übersetzern  mit  6  viög  zov  avd^QOJTvov  wiedergegeben 
wurde;  denn  nur  ein  solches  rätselhaftes  Wort  eigne  sich  für 
einen  mysteriösen  Christustitel. 

Eine  lange  Entwicklung  auf  eine  Kette  von  Mißverständ- 
nissen zurückzuführen,  ist  an  sich  ein  Unding,  und  auch  un- 
wahrscheinlich, sobald  man  den  bei  allen  Mißverständnissen 
stattfindenden  psychologischen  Vorgang  beachtet.  Denn  sie 
passieren  gewöhnlich  nur,  wenn  ein  von  außen  gegebener  Anlaß, 
etwa  ein  schwer  deutbarer  Text  oder  eine  schlecht  lesbare  Hand- 
schrift, vorliegt.  Und  wenn  einmal  jemand  einen  Satz  falsch 
auffaßt,  weil  er  unklar  ist,  so  werden  daraus  keine  weltbewegen- 
den Dinge,  die  große  Kreise  ziehen  und  ein  Jahrhundert  hin- 
durch nicht  nur  den  Geist  des  Gelehrten,  sondern  auch  des 
gemeinen  Mannes  beschäftigen.  Überdies  ist  Dan.  7  so  offen- 
kundig, wie  nur  möglich,  gesagt,  wer  unter  dem  Menschen  zu 
verstehen  sei.  Wie  wäre  da  ein  Mißverständnis  denkbar,  falls 
es  wirklich  eingetreten  sein  sollte?     Doch  nur  so,  daß  man  die 

Forschnngen  zur  Kel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.  6.  22 


338      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

bereits  bekannte  Idee  eines  präexistenten  himmlischen  Menschen 
auch  in  Dan.  7  hineininterpretierte  und  das  einlegte,  was  nicht 
auszulegen  war.  Um  ein  Beispiel  aus  vielen  herauszugreifen: 
Man  meint,  Philo  habe  die  Ansicht  von  der  Schöpfung  erst  des 
himmlischen,  dann  des  irdischen  Adam  aus  dem  doppelten  Ge- 
nesisbericht herausgesogen.  Lag  für  Philo  der  Ausweg  nicht 
näher,  daß  dieselbe  Schöpfung  zweimal  berichtet  sei?  Und  wie 
sollte  Philo  überhaupt  darauf  verfallen  sein,  die  seltsame  Idee 
eines  himmlischen  Menschen  zu  postulieren,  wenn  er  nicht 
irgendwoher  davon  wußte?  Oder  will  man  ihm  die  Erwägungen 
unterschieben,  die  moderne  Gelehrte  angestellt  haben:  Gen.  1 
trage  einen  mehr  supranaturalen  Charakter,  während  in  Gen.  2 
noch  der  antike,  frische  Erdgeruch  zu  spüren  sei,  also  sei  dort 
von  einem  himmHschen,  hier  von  einem  irdischen  Adam  die 
Eede?  Warum  aber  legte  er  ihm  das  Prädikat  der  Mann- 
weiblichkeit bei?  —  Oder  man  denke  an  die  rabbinische,  auch 
von  Paulus  benutzte  Geschichte  des  wandernden  Felsens.  Sie 
ist  schwerHch  entstanden  aus  dem  zweimaligen  Bericht  vom 
Wunder  des  Wasserschiagens  in  Ex.  17  und  Num.  20,  auch 
nicht  dadurch,  daß  man  das  Stationenverzeichnis  in  das  Brunnen- 
lied Num.  21 16  hineinzog,  sondern  weil  man  das  Wunder  eines 
wandernden  Felsens  von  irgendwoher  kannte,  darum  glaubte 
man,  auch  dies  im  Alten  Testamente  nachweisen  zu  können, 
und  knüpfte  es  an  die  erwähnten  Stellen  an.  Sonst  hätten 
jedenfalls  andere  Annahmen  näher  gelegen  als  diese;  man  hätte 
den  Mose  zum  Wundertäter  machen  können,  der  mit  seiner 
Wünschelrute  Wasser  hervorzaubert,  wo  immer  er  will.  — 
Hätte  also  Henoch  den  Daniel  mißverstanden,  so  wäre  damit 
fast  zur  Evidenz  erhoben,  daß  der  präexistente  himmlische 
Mensch  nicht  eine  von  ihm  selbst  erst  gebildete,  sondern  damals 
bereits  herrschende  Idee  war,  deren  Entstehung  in  die  Ver- 
gangenheit zurückreicht.  Damit  wären  wir  mindestens  wieder 
bis  auf  die  Zeit  verwiesen,  in  der  das  Buch  Daniel  verfaßt  wurde. 
Aber  die  Behauptung  von  angeblichen  Mißverständnissen 
ist  nicht  bloß  unwahrscheinlich,  sondern  auch  unmöglich.  Denn 
manche  Einzelheiten  sind  auf  diese  Weise  schlechterdings  nicht 
zu  erklären.  Durch  das  Mißverständnis  welcher  Stelle  des 
Buches  Daniel  geht  ein  Feuerstrom  aus  dem  Munde  »des  Men- 
schen«,  schlägt  er  sich   einen  Berg  los  und  verbrennt  die  dort 


Das  sprachliche  Problem  des  Menschensohns.  339 

yersammelten  Heere  (lY  Esra  13)?  Auf  Grund  welcher  miß- 
verstandenen Danielstelle  behauptet  femer  der  äthiopische  Henoch, 
•daß  »der  Mensch«  den  Heiligen  und  Gerechten  bereits  offenbart 
sei?  Daß  in  ihm  der  Geist  derer  wohne,  die  in  Gerechtigkeit  ent- 
schlafen sind?  Wer  sich  der  herrschenden  Meinung  anschließt,  hat 
die  Pflicht,  all  dies  und  noch  vieles  mehr,  begreiflich  zu  machen. 
Er  muß  auch  zeigen,  wie  das  Bild  »des  Menschen«  im  IV  Esra 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  plastischer  sein  kann  als  im  Buche 
Daniel  (Bousset).  Wir  werden  schließen,  daß  es  gar  nicht 
aus  diesem  stammen  kann. 

Fragen  wir,  wie  es  möglich  gewesen  ist,  daß  die  bekämpfte 
Ansicht  so  allgemeine  wissenschaftUche  Geltung  hat  erlangen 
können,  so  liegt  das  zweifellos  an  der  bereits  von  Gtjnkel  hier 
und  in  anderen  Zusammenhängen  gerügten  Verwechslung  der 
ersten  literarischen  Bezeugung  einer  Idee  mit  ihrem  ganzen 
und  ursprünglichem  Umfange.  Weil  in  Dan.  7  »der  Mensch« 
zum  ersten  Male  in  der  Literatur  auftaucht,  darum  glaubt  man, 
müsse  notwendig  dort  der  Ursprung  dieser  Gestalt  zu  suchen 
«ein.  Alle  späteren  Anspielungen  oder  Ausführungen  können 
nur  im  Anschluß  an  sie  entstanden  sein!  Auf  den  Gedanken 
aber,  daß  dort  vielleicht  zufällig  nur  ein  Bruchstück  aus  einer 
viel  reicheren  und  umfassenderen  Tradition  aufbewahrt  worden 
sei,  die  später  in  gleicher  Weise  auch  von  anderen  ausgeschöpft 
wurde,  verfiel  man  nicht.  Das  ist  in  unserem  Falle  um  so 
iinverzeihhcher,  als  es  »längst  Allgemeingut«  (Wellhausen) 
der  Wissenschaft  geworden  ist,  daß  der  Apokalyptiker  seine 
Stoffe  nicht  selbst  schafft,  sondern  sie  aus  der  Überlieferung 
herübernimmt.  So  wenig  man  sonst  bei  der  Entwicklung  einer 
Idee  die  persönlichen  Träger  dieser  Gedanken,  ihre  Eigenart 
und  ihre  Kraft  der  Umgestaltung  vernachlässigen  darf,  auf  un- 
serem Gebiet  bedeutet  die  schriftstellerische  Originalität  des 
Einzelnen  wenig;  sie  beschränkt  sich  auf  Kombination,  Aus- 
schmückung und  Auslegung  der  Tradition.  Dazu  kommt  endlich 
noch,  daß  speziell  von  den  Tieren,  die  in  Dan.  7  mit  der  Vision 
des  Menschensohnes  verbunden  sind,  selbst  Wellhausen  zuge- 
steht, sie  enthielten  eine  irgendwie  vermittelte  Eeminiszenz  an 
fremde  Überlieferung.  Nur  Gunkel  und  Bousset  haben  dies 
■auch  für  den  Menschensohn  zugegeben  und  den  Weg  gezeigt, 
auf  dem  die  richtige  Lösung  zu  finden  ist. 

22* 


340      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 


§  33.    Der  »Mensch«  im  Daniel. 

In  der  bekannten  Vision  des  7.  Kap.  des  Buches  Daniel 
begegnet  eine  menschenähnliche  Gestalt,  die  7nit,  oder  wie  die 
LXX  deuten,  auf  den  Wolken  des  Himmels  herankommt  und 
vor  den  Hochbetagten  gelangt  (V.  13).  Der  Ausgangspunkt 
des  »Menschen«  wird  nicht  genannt  und  muß  darum  fürs  erste 
dunkel  bleiben,  wohl  aber  ist  der  Zweck  seines  Erscheinens 
klar:  Er  wird  beim  Endgericht  zum  Weltherrscher  proklamiert, 
ihm  wird  die  Macht  und  die  Ehre  in  alle  Ewigkeit  zu  teil  (V.  14). 
Da  nach  der  dem  Gesichte  beigegebenen  Auslegung  das  Volk 
der  Heiligen  des  Höchsten  das  Königtum  der  Ewigkeit  erhält 
(V.  18.  22.  27),  so  ist  man  gezwungen,  in  dem  jetzt  vorliegenden 
Text  den  Menschen  für  ein  Bild  Israels  zu  halten,  entsprechend 
den  heidnischen  Reichen,  die  als  Tiere  dargestellt  sind.  So  weit 
stimmen  alle  Forscher  überein. 

Der  Dissensus  beginnt  bei  der  Frage,  ob  der  Menschen- 
ähnliche ein  von  diesem  Schriftsteller  geschaffenes  Symbol  für 
das  Volk  Israel  sei,  entstanden  im  Gegensatz  zu  den  Tier- 
symbolen für  die  heidnischen  Völker.  Dagegen  spricht  erstens: 
So  gut  die  Repräsentation  der  heidnischen  Reiche  durch  Tiere, 
wie  allgemein  zugestanden  wird,  eine  Entlehnung  ist,  so  gut 
wird  dies  auch  a  priori  von  dem  bar  'nasa  gelten  müssen.  Wir 
können  mit  annähernder  Wahrscheinhchkeit  postulieren,  daß  wir 
hier  so  wenig  wie  sonst  eine  originale  Idee  des  Verfassers  vor 
uns  haben.  Ein  strikter  Beweis  folgt  aus  einer  zweiten  Be- 
obachtung :  Wäre  der  Menschenähnliche  ein  neu  geprägtes  Symbol, 
so  müßte  man  in  der  Deutung  genauen  und  klaren  Aufschluß 
erwarten.  Das  Gegenteil  ist  der  Fall.  Denn  grade  dasjenige, 
was  uns  am  Unverständlichsten  ist,  das  Fliegen  des  bar  'nasa 
mit  den  Wolken  des  Himmels,  wird  nicht  erklärt  —  offenbar, 
weil  der  Verfasser  dazu  nicht  imstande  war.  Das  wird  durch 
eine  dritte  Erwägung  bestätigt:  Hätte  der  Schriftsteller  selbst 
das  Symbol  geschaffen,  so  ist  nicht  einzusehen,  weshalb  er  sich 
nicht  einfach  mit  der  Gestalt  des  Menschen  begnügte.  Damit 
war  ja  die  Hoheits-  und  Herrscherstellung  Israels  über  die  heid- 
nischen Tiere  gebührend  gekennzeichnet!  Warum  fügte  er 
noch   das   rätselhafte  Fliegen    mit    den  Wolken    des    Himmels 


Der  Menschensohn  kein  Symbol.  341 

hinzu?  Irgend  ein  plausibler  Grund  läßt  sich  dafür  nicht  aus- 
findig machen.  Die  Tiere,  die  aus  dem  Meere  aufsteigen,  werden 
als  nahe  und  gegenwärtig  vor  dem  Richterstuhl  vorausgesetzt, 
ohne  daß  sie  ausdrücklich  auf  den  Wolken  herbeigebracht 
werden;  also  wäre  es  auch  unnötig  gewesen,  von  dem  Menschen 
dies  auszusagen.  Ebenso  wenig  kann  dieser  Zug  die  Zugehörig- 
keit zu  Gott  bedeuten.  Denn  das  hätte  klarer  und  besser  so 
dargestellt  werden  müssen,  daß  der  bar  'nasa  neben  Gott  er- 
scheint und  von  vorneherein  neben  Gott  auftritt,  statt  daß  er 
erst  aus  der  Ferne  herbeigeholt  wird.  Wissenschaftlich  nicht 
gerechtfertigt  ist  die  von  Yolz  (S.  11  vgl.  S.  220)  gegebene 
Exegese:  »Am  großen  Gerichtstag  .  .  .  wird  er  aus  unbekannter 
Ferne  (=  aus  der  bisherigen  Inaktivität,  dem  Nichtsein)  auf 
den  Wolken  (=  dem  himmlischen  Gespann)  vor  den  Himmels- 
thron gebracht  d.  h.  er  bekommt  Leben,  Sein,  Bedeutung«. 
Abgesehen  davon,  daß  die  Auslegung  der  Wolken  vöUig  aus 
dem  Bilde  herausfällt,  ist  es  nicht  erlaubt,  eine  andere  Deutung 
beizufügen,  wo  der  Schriftsteller  ausdrücklich  selbst  eine  bietet. 
Man  muß  zugestehen,  daß  eine  Erklärung  dieses  mythologischen 
Zuges  zunächst  unmöglich  ist,  weil  schon  der  Verfasser  des 
Danielbuches  nichts  damit  anzufangen  wußte.  Folghch  ist  das 
Kommen  des  Menschen  mit  den  Wolken  eine  der  Tradition  ent- 
lehnte Einzelheit,  die  in  den  Eahmen  der  Allegorie  nicht  hin- 
einpaßt. 

Ist  an  einer  einzigen  Stelle  nachgewiesen  worden,  daß  wir 
keine  Neuschöpfung,  sondern  eine  apokalyptische  Überlieferung 
vor  uns  haben,  so  müssen  wir  die  ganze  Gestalt  des  Menschen- 
ähnhchen  für  älter  halten  als  Daniel.  Unser  apriorisches 
Postulat,  mit  dem  bar  'nasa  müsse  es  sich  ebenso  wie  mit  den 
Tieren  desselben  Kapitels  verhalten,  ist  damit  zur  Evidenz  er- 
hoben. Um  das  ursprüngHche  Gut  der  Tradition  in  voller  Rein- 
heit zu  gewinnen,  brauchen  wir  nur  den  Firnis  zu  entfernen, 
mit  dem  es  in  der  Auslegung  leicht  übertüncht  ist.  Die  Origi- 
nalität des  Bearbeiters  besteht  allein  darin,  daß  er  den  Menschen 
umgedeutet  hat  auf  Israel.  Alles  Übrige  ist,  wie  die  Vision 
lehrt,  zur  Rekonstruktion  des  alten  Mythus  zu  benutzen.  Wir 
«erfahren  hier  Folgendes :  Wenn  das  Gericht  stattfindet  d.  h.  am 
Ende  der  Tage  wird  »der  Mensch«  auf  den  Wolken  des  Himmels 
erscheinen:   Dem  wurde  Macht ^  Ehre  und  Herrschaft  verliehen^ 


342    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

alle  Völker,  Nationen  und  Zungen  müssen  ihm  dienen;  seine 
Macht  soll  ewig  und  unvergänglich  sein,  und  sein  Reich  niemals 
zerstört  werden  (7i4),  d.  h.  er  wird  zum  Weltherrscher  an  Gottes 
statt  proklamiert;  der  Hochbetagte  tritt  ihm  sein  Amt  ab,  wohl 
nicht  bloß  auf  Erden,  sondern  auch  im  Himmel  i.  Da  nach  alt- 
israelitischer Anschauung  der  Messias  an  der  Spitze  der  neuen 
Zeit  stehen  soll,  dem  alle  Völker  unterworfen  werden,  so  ist 
»der  Mensch«  eine  Parallelgestalt  zum  Messias. 

Man  könnte  vielleicht  einwenden,  daß  wir  den  Text  etwas« 
stilisieren,  indem  wir  einfach  »der  Mensch«  sagen,  während  ge- 
nauer von  einem  die  Rede  ist,  der  wie  ein  Mensch  aussieht. 
Aber  das  ist  keine  Schwierigkeit.  Denn  einmal  ist  die  Gestalt 
kein  gewöhnlicher,  sondern  ein  himmlischer  Christusmensch,  der 
mit  einem  Menschen  nur  von  ungefähr  vergHchen  werden  kann^ 
Zweitens  gehört  diese  Ausdrucksweise  zum  apokalyptischen  Stil. 
Man  lese  vor  allem  die  Berufungsvision  Ezechiels,  die  mit  der 
Yergleichungspartikel  in  gradezu  verschwenderischer  Fülle  um- 
geht. Sachlich  macht  es  keinen  Unterschied  aus,  ob  man  das 
»Wie«  überall  streicht,  nur  für  den  Stil  ist  es  charakteristisch.. 
So  ist  es  auch  in  dem  7.  Kapitel  des  Daniel.  Wenn  der  Ver- 
fasser von  dem  ersten  Tiere  sagt,  daß  es  einem  Löwen  glich 
und  Adlerflügel  hatte,  so  war  es  eben  ein  Löwe,  freihch  kein 
eigentlicher,  sondern  einer  mit  Adlersflügeln.  Die  Tradition 
redete  einfach  von  dem  bekannten  apokalyptischen  Löwen,  die 
Vergleichungspartikel  ist  nur  auf  Kosten  des  Stiles  zu  setzen 
(Gunkel).  Wir  haben  demnach  ein  Recht,  nicht  von  einem 
Menschenähnlichen,  sondern  von  dem  Menschen  zu  sprechen. 

Es  ist  notwendig,  der  Figur  des  Menschenähnlichen  im 
Buche  Daniel  noch  etwas  weiter  nachzugehen.  8i5ff.  wird  er- 
zählt, wie  dem  Daniel  jemand  gegenüber  steht,  der  das  Aus- 
sehen eines  Menschen  hat.  Während  jener  über  die  Vision 
bestürzt  ist,  erschallt  eine  Stimme,  die  ruft  und  spricht:  Gabriel^ 
erkläre  dem  dort  das  Gesicht!  Der  angelus  iuterpres,  der  wie 
ein  Mensch  aussieht,  wird  hier  mit  dem  Namen  »Gabriel«  be- 
zeichnet. Daß  Engel  in  Menschengestalt  erscheinen,  ist  nichts 
Ungewöhnliches 2,  aber  ganz  auffälUg  ist  92off.,  wo  bN'^nia  uJ-tNin 
der  Mensch  Gabriel  zu  Daniel  kommt,  ihm  die  Zukunft  erklärt 


1.  So  jedenfalls  im  IHenoch.       2.  Vgl.  schon  Gen.  18  f.  Jdc.  136. 


Engeldarstellungen.  343 

und  die  apokalyptische  Offenbarung  bringt.  Auch  hier  wird 
die  Rolle  des  angelus  interpres  von  Gabriel  gespielt;  der  aber 
wird  nicht  nur  mit  einem  Menschen  verglichen,  sondern  direkt 
der  Mensch  genannt,  obwohl  er  zweifellos  ein  Engel  ist.  End- 
lich begegnet  uns  in  c.  10 — 12  jemand,  der  aussieht  wie  ein 
Mensch  (10  le.  is)  und  bei  dessen  AnbHck  Daniel  wie  in  c.  8 
vor  Schreck  zu  Boden  fällt.  Obgleich  kein  Name  genannt  ist, 
hat  man  doch  wohl  mit  Recht  geschlossen,  daß  hier  wie 
anderswo  unter  dem  angelus  interpres  Gabriel  gemeint  sei.  So 
lautet  auch  die  Tradition  im  Talmud  (tr.  Joma  77  a). 

Der  Engel  Gabriel,  als  dessen  Charakteristikum  wir  bisher 
nur  die  Menschengestalt  kennen  gelernt  haben,  wird  10 öf.  ge- 
nauer beschrieben  1 :  Als  ich  meine  Augen  auf  höh  und  schaute, 
siehe  da  war  da  ein  Mensch,  gekleidet  in  Linnen,  seine  Lenden 
gegürtet  mit  Gold  aus  Uphaz,  sein  Leih  wie  Chrysolith,  sein  Ge- 
sicht wie  Blitzschein,  seine  Augen  wie  Feuerfackeln,  seine  Arme 
und  Füße  wie  das  Blinken  geschliffenen  Erzes  und  der  Schall 
seiner  Worte  wie  die  Stimme  des  Donners.  Die  Kommentatoren 
begnügen  sich,  zu  dieser  Stelle  einige  nichtssagende  literar- 
historische Notizen  zu  liefern.  So  liest  man  z.  B.  bei  Maeti: 
»Die  Schilderung  (des  himmhschen  Boten  =  Gabriel)  ahmte 
sicher  Ez.  92f.  nach  und  ist  dann  wieder  das  Vorbild  für  Apk. 
Job.  Ii5  geworden«.  Ez.  92f.  ist  von  sechs  Engeln  die  Rede, 
die  jeder  ein  Zerschmetterungsgerät  in  der  Hand  haben.  In 
der  Mitte  geht  ein  siebter,  —  nach  dem  Talmud  (a.  a.  0.) 
wiederum  Gabriel  —  der  in  ein  linnenes  Gewand  gekleidet  ist 
und  ein  Schreibzeug  an  seinen  Hüften  trägt.  Der  hier  be- 
schriebene Engel  stimmt  mit  dem  Daniels  nur  in  dem  Linnenkleide 
überein,  sodaß  man  kein  Recht  hat,  von  »sicherer  Nachahmung« 
zu  reden.  Man  hält  ferner  Stücke  der  Danielvision  für  entlehnt 
aus  Ez.  1?,  wo  von  Fußsohlen  gesprochen  wird,  die  (rund)  sind 
wie  die  eines  Kalbes  und  die'-^  glänzen  wie  pohertes  Erz.  Aber 
diese  Worte  beziehen  sich  nicht  auf  die  Engel,  geschweige  denn 
auf  Gabriel,  sondern  auf  die  Kerube.  Sollte  also  wirklich  ein 
Zusammenhang  dieser  Stelle  mit  Daniel  vorliegen ,  so  hat  der 
Exeget   die  Pflicht,  es  verständlich   zu  machen,   wie  die  Schil- 


1.  Vgl.  dazu  oben  S.  109. 

2.  Perles-Kraetzschmar  lesen  cu"::-3  »ihr  Gefieder«. 


344    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

derung  von  der  einen  Gestalt  auf  die  andere  übertragen  werden 
konnte,  oder  anders  ausgedrückt:  wie  die  Kerube  zu  Engeln 
wurden.  Denn  daß  Engel  und  Kerube  identisch  seien,  wird 
doch  ohne  weiteres  niemand  glauben. 

"Wertvoller  als  die  Konstatierung  einer  solchen  zweifelhaften 
literarischen  Abhängigkeit  ist  der  Versuch,  sich  die  Schilderung 
des  Engels  in  Dan.  10 sf.  klar  zu  machen.  So  etwas  sucht  man 
freihch  vergebens  in  den  Kommentaren.  Oder  ist  es  etwa  nicht 
auffällig,  daß  Arme  und  Füße  wie  poliertes  Erz  aussehen  sollen, 
da  dies  ein  keineswegs  nahehegender  Vergleich  ist?  Oder  daß 
das  Gesicht  wie  der  Blitz,  die  Augen  wie  Feuerfackeln  scheinen? 
Wenn  man  sich  die  Linnenkleidung  des  menschenähnHchen 
Engels  vergegenwärtigt,  so  ist  es  begreifhch,  daß  Gesicht,  Arme 
und  Füße  in  ihrem  Glänze  beschrieben  werden;  denn  all  diese 
Gliedmaßen  konnten  vom  Gewände  entblößt  sein.  Woher  aber 
wußte  der  Apokalyptiker ,  daß  der  Leib  gleich  ChrysoHth  er- 
strahlte, da  er  doch  durch  das  Linnenzeug  gänzUch  verhüllt 
sein  mußte?  Aus  dieser  Inkongruenz  können  wir  zunächst  das 
Eine  mit  Sicherheit  erschließen:  Die  Dan.  10 öf.  geschilderte 
Engelsgestalt  ist  nicht  aus  der  schöpferischen  Intuition  des  Ver- 
fassers, sondern  aus  der  Tradition  hervorgegangen.  Zweitens 
müssen  hier  verschiedene  disparate  Züge  mit  einander  vereinigt 
sein,  die  wir,  um  sie  zu  verstehen,  erst  wieder  von  einander 
scheiden  müssen.  Auf  die  eine  Seite  gehören  die  mit  einem 
linnengewande  bekleideten  Engel,  auf  die  andere  Seite  die  ur- 
sprünglich nackten  Engel,  deren  Leiber  und  Glieder  in  typischer 
Weise  mit  verschiedenen  glänzenden  Edelsteinen  und  Metallen 
oder  mit  Feuer,  Fackeln  und  Blitzen  verglichen  werden.  Durch 
die  Verbindung  dieser  beiden,  anfangs  von  einander  gesonderten, 
Überlieferungsreihen  ist  das  unanschauliche  Bild  in  Dan.  10  sf. 
entstanden.  Können  wir  noch  etwas  tiefer  in  die  Entwicklungs- 
geschichte eindringen? 

Der  in  Linnen  gekleidete  Engel  wird  Ez.  92.  Dan.  12  ef., 
wie  es  scheint,  durch  seine  Tracht  ausdrücklich  von  den  anderen 
Engeln  unterschieden.  Es  hatten  also  nicht  alle  Engel  Linnen- 
gewänder. UrsprüngHch  tragen  wohl  die  Engel  dasselbe  Kleid 
wie  die  Gottheit.  Vielleicht  ist  diese  Vorstellung  nicht  in  Israel 
entstanden,  da  sie  nicht  auf  alle  Engel  ausgedehnt  ist.  Aber 
wenn   wir  auch  annehmen,   daß   die   fertige  Gestalt,   mit   dem 


Engeldarstellungen.  345 

Linnen  bekleidet,  nach  Israel  wanderte i,  so  können  wir  uns 
den  Vorgang  doch  an  einem  israelitischen  Beispiel  veranschau- 
lichen. Weil  Jahve  oder  richtiger  das  kultische  Bild  Jahves 
mit  einem  ^^DN  d.  h.  einem  Überzug,  ursprünglich  aus  Leinen, 
später  aus  Silber  oder  Gold,  versehen  war,  darum  galt  dasselbe 
von  den  Engeln,  den  Dienern  Jahves^.  Während  das  Gottes- 
bild im  Laufe  der  Zeit  mit  immer  größerem  Luxus  ausgestattet 
wurde,  behielten  die  Engel  zum  Teil  das  archaistische,  hnnene 
Gewand. 

Daneben  läuft  eine  parallele  Idee  her,  die  eine  ähnliche 
Entwicklung  durchgemacht  hat.  Wir  haben  gesehen  (vgl.  o. 
S.  51  ff.),  wie  Jahves  Leib  nach  Ez.  I27  (=  82)  gleich  Edel- 
metall erstrahlt.  Er  wird  hier  unter  fremdem  Einfluß  nach  Art 
eines  Lichtwesens  dargestellt.  Dieselbe  Natur  haben  nun  bei 
demselben  Verfasser  die  Engel.  Denn  Ez.  403  heißt  es:  Und 
er  (Jahve)  brachte  mich  dorthin,  und  siehe,  da  war  ein  Mann, 
dessen  Aussehen  dem  Erze  glich.  Der  »Erz«engel,  der  Ez.  442 
ungenau  mit  Jahve  selbst  identifiziert  ist,  wird  durch  den  Ver- 
gleich mit  dem  Metall  als  Lichtwesen  charakterisiert,  obwohl  er 
ebenso  wie  im  Daniel  als  Mensch  bezeichnet  wird.  Übrigens 
kann  in  diesem  Fall,  wie  wir  mit  Sicherheit  sagen  dürfen,  die 
Übertragung  der  götthchen  Gestalt  auf  die  Engel  nicht  in  Israel 
selbst  vollzogen  sein,  da  beide,  Jahve  und  die  Engel,  auf  diese 
Weise  zuerst  von  Ezechiel  dargestellt  werden,  da  also  nicht  ge- 
nügend Zeit  vorhanden  ist,  um  eine  solche  Entwicklung  wahr- 
scheinlich zu  machen.  Soweit  die  Engel  degradierte  heidnische 
Gottheiten  sind,  kommen  ihnen  natürlich  ohne  weiteres  das  gott- 
heithche  Gewand  und  der  göttliche  Leib  zu,  sodaß  eine  Über- 
tragung nicht  angenommen  zu  werden  braucht. 

Die  Ideen  von  dem  Metall-  oder  Lichtleibe  und  von  dem 
Linnenkleide  der  Gottheit  sind  parallel.    So  heißt  es  Ps.  1042 


1,  Für  den  Schreiberengel  speziell  hat  zuerst  Gunkel  fremden  Ur- 
sprung vermutet.    Vgl.  Arch.  f.  Eel.  Wiss.  I  S.  294  ff. 

2.  Ebenso  von  den  Priestern  (tiss  siya),  die  das  Linnenkleid  der 
Gottheit  anzogen  und  die  Gesichtsmaske  (a""£'^p)  des  Gottesbildes  an- 
legten, um  die  Kräfte  der  Gottheit  in  sich  überströmen  zu  lassen.  Die 
Anschauung,  daß  der  Teraphim  die  Gesichtsmaske  sei,  verdanke  ich  der 
mündlichen  Belehrung  Georg  Hoffmanns. 


346      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

von  Jahve:  Du  hüllst  dich  wie  in  ein  Kleid  in  Licht  ^.  "Wie 
konnte  diese  mythische  Anschauung  besser  zur  Darstellung  ge- 
bracht werden  als  durch  ein  weißes  Linnenkleid?  Das  Linnen- 
kleid ist  also  die  kultische  Darstellung  des  Lichtleibes. 
Das  geht  noch  aus  den  Parallelaussagen  der  neutestamentlichen 
Schriftsteller  deutlich  hervor.  Während  Mark.  16  5  nur  von 
einem  weißen  Gewände  der  Engel  redet  und  während  Matth. 
283  zur  Erklärung  hinzufügt:  weiß  wie  Schnee,  befinden  sich 
dagegen  nach  Luk.  244  zwei  Männer  mit  blitzendem  Gewände 
im  Grabe  Jesu.  Während  bei  der  Verklärung  die  Kleider 
Christi  nach  Matth.  172  wie  Licht  glänzen  und  nach  Luk.  929 
weiß  blitzen,  sind  sie  nach  Mark.  93  glänzend  weiß,  so  weiß 
wie  kein  Walker  auf  Erden  bleichen  kann.  Hier  haben  wir 
das  deutliche  Bild  der  weißen  Farbe,  die  mit  dem  hellen  Licht- 
schein verglichen  wird.  Bei  der  Himmelfahrt  tragen  die  Männer 
d.  h.  die  Engel  weiße  Kleider  (Act.  lio),  wie  den  Seligen  weiße 
Gewänder  zu  teil  werden  sollen  (Apk.  Job.  611),  die  nach  einer 
seltsamen  Vorstellung  sogar  in  dem  roten  Blut  des  Lammes 
weiß  gebleicht  sein  sollen  (Apk.  Job.  Tisf.).  Beachtenswert  ist,, 
daß  hier  niemals  mehr  von  einem  Linnenkleide  die  Bede  ist. 
Während  die  ältere  Zeit  noch  an  dem  Kultbilde  orien- 
tiert ist,  hat  man  später  nur  die  himmlische  Licht- 
d6§a  vor  Augen,  die  bald  mit  dem  Schein  des  Blitzes, 
bald  mit  dem  Glanz  der  weißen  Farbe  verglichen  wird. 
Wir  können  aber  noch  eine  interessante  Umbildung  im 
Lauf  der  Geschichte  verfolgen.  Der  wie  Metall  strahlende 
Leib  ist  offenbar  ursprünglich  nackt  gewesen,  später  aber  hat 
man  ihn  aus  Schicklichkeitsgründen  mit  einem  Gewände  um- 
hüllt. Mit  anderen  Worten:  Die  beiden  Parallelvorstellungen 
vom  Lichtleib  und  Lichtkleid  oder  Linnenkleid  werden  mit 
einander  kombiniert.  Nun  dürfte  aber  in  dem  Augenblicke, 
wo  dies  geschieht,  nicht  mehr  von  dem  Metallleib  der  Gottheit 
die  Bede  sein,  da  er  durch  das  Gewand  bedeckt  wird. 
Während  bei  der  Gestalt  Daniels,  wie  wir  gesehen  haben^ 


1.  »Diese  Anschauung  von  Gottes  Lichtkleid  ist,  wie  es  scheint, 
ursprünglich  vom  Himmel  hergenommen,  der  als  ein  herrliches,  blaues 
Kleid  der  Gottheit  gedacht  worden  ist«  (Gunkel:  Psalmen  S.  172  f.). 
Das  Kleid  ist  aber  nicht  blau,  sondern  weiß. 


Engeldarstellungen.  347 

der  Ausgleich  noch  nicht  vollzogen  ist,  sondern  beide 
Ideen  inkonzinn  neben  einander  stehen,  ist  dagegen  im 
Neuen  Testamente  ihre  organische  Verschmelzung  er- 
folgt. Wir  hören  jetzt  meist  nur  noch  vom  Gesicht  (Matth.  172. 
283).  Am  lehrreichsten  ist  ein  Vergleich  von  Dan.  10  sf.  mit 
der  nahe  verwandten  Stelle  Apk.  Joh.  lisff.:  .  .  .  einen  gleich 
einem  Menschen^  angetan  mit  einem  Mantel  und  gegürtet  an 
der  Brustmitte  mit  einem  goldenen  Gürtel.  Sein  Haupt  aber 
und  die  Haare  wie  weiße  Wolle,  wie  Schnee,  und  seine  Äugen 
wie  eine  Feuerflamme,  und  seine  Füße  gleichwie  im  Ofen  ge- 
glühtes Erz,  und  seine  Stimme  wie  das  Bauschen  großer  Wasser 
,  .  .  und  sein  Angesicht  war,  wie  die  Sonne  leuchtet  in  ihrer 
Kraft.  Die  genannten  Glieder  des  Körpers  sind  vom  Gewände 
entblößt.  Es  fehlen  —  anders  als  im  Buche  Daniel  —  der 
Leib  und  die  Lenden! 

Diese  Abschweifung  war  notwendig,  um  zu  zeigen,  daß 
überall  sonst,  wo  im  Buche  Daniel  ein  Menschenähnhcher  ge- 
nannt wird,  darunter  ein  Engel  zu  verstehen  ist.  Ist  das  folglich 
nicht  auch  die  natürlichste  Annahme  für  den  »Menschen söhn« 
in  c.  7?  Man  kann  nicht  dagegen  behaupten,  daß  der  hier 
Geschilderte  »Mensch  sei  und  als  Mensch  unterschieden  werden 
solle  von  den  Engeln,  die  den  Menschen  nur  ähnlich  sehen« 
(VoLZ  S.  11).  Denn  7 13  heißt  es  genau  wie  bei  den  Engeln: 
Da  kam  jemand  wie  ein  Mensch.  Die  Menschengestalt 
schließt  die  Engelgestalt  nicht  aus.  Man  kann  den  Engel^ 
oder  sagen  wir  präziser,  bestimmte  Engel  der  Apokalyptik 
gradezu  als  himmhsche,  vom  Lichtglanz  verklärte  Menschen  be- 
zeichnen. Aber  wir  müssen  noch  Eines  hinzufügen:  Der 
menschenähnliche  Engel,  von  dem  Dan.  7  handelt,  ist  kein  ge- 
wöhnhcher  Engel.  Denn  nicht  jeder  Beliebige  wird  mit  den. 
Wolken  des  Himmels  vor  den  Hochbetagten  gebracht,  und  noch 
weniger  wird  jeder  Beliebige  zum  Herrscher  des  neuen  Äons- 
eingesetzt.  Das  kann  nur  von  dem  höchsten  Engel  gelten,  von 
dem  Wesen,  das  nächst  dem  Hochbetagten  das  größte  ist.  Aus 
diesem  Grunde  darf  man  den  messianischen  Himmelsmenschen 
weder  mit  Gabriel,  der  uns  im  Buche  Daniel  öfter  begegnet 
ist,  noch  mit  Michael,  dem  Schutzpatron  Israels  (IO21.  12i),- 
identifizieren  (so  Nath.  Schmidt).  Denn  so  mächtig  auch  beide 
sein  mögen,  keiner  von  ihnen  ist  der  Mächtigste,  der  Ausschlag- 


348    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

gebende,  der  Entscheidende.  Nach  lOisff.  bedürfen  beide  gegen- 
seitiger Hülfe  und  gegenseitigen  Schutzes.  Da  wir  keinen 
Namen  für  den  höchsten  Engel  erfahren,  so  müssen  wir  uns  mit 
dem  Wissen  bescheiden,  das  uns  der  Apokalyptiker  übermittelt  hat. 
Als  die  Gestalt  der  Eschatologie  gilt  der  Engel,  den 
jedermann  als  den  eschatologischen  Menschen  kennt, 
der  am  Ende  der  Tage  zum  Weltherrscher  gemacht 
werden  soll. 

Das  wichtigste  Ergebnis  unserer  Untersuchung  ist  die  Tat- 
sache, daß  der  »Menschensohn«  kein  von  Daniel  geschaffenes 
Symbol  für  das  Volk  Israel,  daß  er  also  keine  dichterisch-Hte- 
rarische,  sondern  eine  reale  und  individuelle  Figur  in  der  apo- 
kalyptischen Eschatologie  ist.  Die  Entwicklung  ist  mithin  nicht 
so  verlaufen,  wie  man  gewöhnlich  meint,  sondern  grade  umge- 
kehrt: Nicht  Israel  ist  als  bar  'naäa,  sondern  der  bar  ^nasa  ist 
als  Israel  gedeutet.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  gehören 
beide  zusammen.  Wenn  der  Menschensohn  sein  Regiment  an- 
tritt, muß  auch  Israel  oder  das  Volk  der  Heiligen  des  Höchsten 
zur  Herrschaft  gelangen,  und  daher  ist  diese  Umdeutung  möglich 
gewesen  und  begreifhch.  Man  kann  vielleicht  noch  einen  Schritt 
weiter  gehen  und  behaupten,  daß  die  merkwürdige  Bezeichnung 
Israels  als  die  Heiligen  des  Höchsten  ursprünghch  ein  Epitheton 
des  »Menschensohnes«  oder  seiner  Gefährten  war,  da  D'iizjnp 
(aram.  V^'^'^pJ  ^^^  geläufiges  Prädikat  für  die  Engel  ist  (Dtn.  333. 
Zach.  145.  Ps.  896.8.  Job.  5i.  15 15.  Dan.  4io.  u.  20.  813). 

Wenn  der  »Mensch«  bei  Daniel  ein  Engel  oder  eine  himm- 
lische Größe  ist,  so  liegt  es  nahe,  in  der  fremden  Tradition, 
die  hier  auf  das  Judentum  gewirkt  haben  muß,  einen 
Gott  anzunehmen,  der  infolge  des  jüdischen  Mono- 
theismus zum  Engel  degradiert  wurde.  Weitere  Ver- 
mutungen sind  zunächst  nicht  erlaubt.  Es  sei  ausdrücklich 
davor  gewarnt,  den  bar  'nasa  irgendwie  zu  kombinieren  mit 
den  im  selben  Kapitel  genannten  Tieren.  Mögen  diese  auch 
wie  jener  aus  irgend  einer  Überlieferung  stammen,  so  können 
hier  doch  möglicherweise  ganz  verschiedenartige  Ideenkreise 
vorliegen,  die  vielleicht  erst  durch  unseren  Verfasser  mit  ein- 
ander verbunden  sind.  Die  ursprüngliche  Zusammengehörigkeit 
beider  müßte  jedenfalls  durch  besondere  Beweise  erhärtet  und 
zur   Evidenz    gebracht    werden,    ehe    man    den    Anspruch   auf 


Der  höchste  Engel.  349 

Glaubwürdigkeit  erhebt.  Im  Daniel  stehen  die  Tiere  und  der 
Mensch  ganz  lose  neben  einander.  Es  wird  nicht  einmal  er- 
zählt, daß  dieser  jene  getötet  habe^  Die  Tradition  ist  eben 
fragmentarisch,  wie  auch  aus  der  Notiz  über  den  Kampf  der 
Schutzengel  hervorgeht,  von  dessen  Entscheidung  wir  nichts 
erfahren.  Ebenso  wenig  hören  wir  etwas  von  dem  Ursprungsort 
des  Menschen,  wir  wissen  nicht,  ob  er  wie  die  Tiere  aus  dem 
Wasser  oder  ob  er  etwa  aus  dem  Himmel  kommt,  worauf  das 
Fliegen  mit  den  Wolken  deutet. 

§  34.    Der  »Mensch«  im  IV  Esra. 

Gleich  Daniel  schaut  Esra  (c.  13)  den  himmlischen  Menschen 
in  einem  Gesichte,  das  sich  nicht  grade  durch  Deutlichkeit 
auszeichnet.  Er  träumt,  wie  ein  gewaltiger  Orkan  entsteht  und 
aus  dem  Herzen  des  Meeres  etwas  wie  einen  Menschen  herauf- 
führt. Der  Mensch  fliegt  mit  den  Wolken  des  Himmels,  und 
alles  erbebt,  was  er  anschaut.  Wohin  seine  Stimme  dringt,  da 
zerschmilzt  alles,  wie  Wachs  zerfließt,  wenn  es  Feuer  spürt. 
Ein  unzählbares  Heer  versammelt  sich,  um  den  Menschen  zu 
bekämpfen,  der  einen  großen  Berg  losschlägt  und  auf  ihn  fliegt. 
Als  der  Ansturm  der  Feinde  erfolgt,  rührt  der  bar  'nasa  keine 
Hand,  kein  Schwert,  keine  Wafie,  sondern  läßt  aus  seinem 
Munde  einen  feurigen  Strom,  von  seinen  Lippen  einen  flammen- 
den Hauch,  von  seiner  Zunge  stürmende  Funken  ausgehen. 
All  dieses  vermischt  sich  in  einander:  der  feurige  Strom,  der 
flammende  Hauch  und  der  gewaltige  Sturm,  und  entzündet  das 
herannahende  Heer,  sodaß  im  selben  Augenblick  von  den 
Gegnern  nichts  weiter  zu  sehen  ist  als  der  Staub  der  Asche 
und  der  Dunst  des  Eauches.  Damach  steigt  der  Mensch  vom 
Berge  hernieder  und  ruft  ein  friedhches  Heer  zu  sich.  Gestalten 
vieler  Menschen  nahen  ihm,  die  einen  frohlockend,  die  anderen 
traurig;  einige  sind  in  Banden,  andere  führen  andere  als  Opfer- 
gaben mit  sich. 


1.  Zimmern  KAT.^  S.  512  Anm.  4  vermutet  es.  Weil  nun,  so 
folgert  er  weiter  (S.  392),  die  vier  Tiere  mit  dem  Zodiakus  zusammen- 
hängen, so  habe  auch  »der  Mensch«  ursprünglich  »von  einem  be- 
stimmten Sternbild  am  Himmel  seinen  Ausgang  genommen«.  Aber  ein 
solches  Sternbild  kennen  wir  überdies  nicht! 


350     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Ehe   wir  zur  eigenen  Deutung  übergehen,  müssen  wir  den 
Kommentar  betrachten,  den  Esra  selbst  hinzufügt:    Wenn  du 
einen  Menschen   aus   dem  Herzen  des   Meeres  hast   aufsteigen 
sehen,  das  ist  derjenige,  den  der  Höchste  lange  Zeiten  hindurch 
aufspart,  durch  den  er  die  Schöpfung  erlösen  will  (1325f.).    Der 
Mensch  wird  hier  ausdrücklich  als   owti^q  bezeichnet,   obwohl 
dies  Wort  in  eine  ganz  andere  Anschauungswelt  hineingehört. 
Wo  der  Mensch   aufgespart  wird,  ist  leider  nicht  gesagt.     Der 
wird   unter   den    Übriggebliebenen   die    neue   Ordnung   schaffen 
(V.  26)  d.  h.  den  neuen  Äon  regieren.      Wenn  du  gesehen  hast, 
wie  aus  seinem  Munde  Sturm  und  Feuer  und  Wetter  hervorging, 
wie  er  kein  Schwert  noch  eine  Waffe  führte,  und  doch  den  An- 
sturm jenes  Heeres  .  .  .  vernichtete,   das  bedeutet:   siehe.    Tage 
kommen,  wo  der  Höchste  die  Erdenbewohner  erlösen  wird.    Da 
wird  gewaltige   Erregung  über  die  Erdenbewohner  fallen,   daß 
sie  Kriege  wider   einander  planen  ...  (V.  27 — 31).     Man  be- 
achte, daß  von  diesen  Kriegen  wider  einander  vorher  im  Bilde 
selbst  nicht   die  Rede  war.     .  .  .  Dann  wird  mein   Sohn   er- 
scheinen, den  du  als  Mann,  der  emporsteigt,  gesehen  hast  (V.  32). 
Der  Mensch,  der  vorher  gcottJq  genannt  war,  wird  hier  (V.  32. 
37.  52.  149)  als  Sohn  Gottes  bezeichnet.     Der  Sohnestitel  ist  in 
der    ganzen    apokryphen,    außerchristlichen    Literatur    nur    im 
IV  Esra  sicher  nachweisbar.     Nehmen  wir  noch  728f.  hinzu,  wo 
Ton  meinem  Sohn,  dem  Christus,  die  Rede  ist,  so  haben  wir  für 
"diese    eine   eschatologische    Gestalt    vier   Titel,    die   ganz   ver- 
schiedenen Ursprungs  sind:   den  alttestamentlichen  Messias,  den 
apokalyptischen  Menschen,  den  hellenistischen  Heiland  und  den 
synoptischen  Sohn  Gottes.     Das  ist  charakteristisch  für  die  Apo- 
kalyptik,  die  grade  deshalb  so  wenig  scharf  umrissene  Gestalten 
hat,  weil  sie  die  vorhandenen  Prädikate  fast  unterschiedslos  ver- 
wendet und  oft  von  verschiedenen  Personen  dieselben  Aussagen 
macht. 

Dann  wann  alle  Völker  seine  (des  Menschen)  Stimme  ver- 
nehmen, werden  sie  alle  ihre  Länder  und  wechselseitigen  Kriege 
lassen;  so  wird  sich  ein  unzählbares  Heer  an  einem  Punkte 
sammeln  ...  Er  selbst  aber  wird  auf  den  Gipfel  des  Zion- 
berges  treten.  Zion  aber  wird  erscheinen  und  allen  offenbar 
werden,  vollkommen  erbaut,  wie  du  gesehen  hast,  daß  ein  Berg 
ohne  Menschenhände  losgehauen  ward  (V.  33—36).     Der  Berg 


Der  göttliche  Mensch.  351 

Zion  spielt  schon  in  der  Eschatologie  des  Alten  Testamentes 
eine  große  ßolle  und  ist  auch  hier  nicht  unpassend.  Aber 
das  Losschlagen  des  Berges  ohne  Menschenhände  wird  niemand 
von  der  Erbauung  des  himmlischen  Jerusalems  verstehen,  der 
nicht  diese  Deutung  gelesen  hat.  Die  Allegorie  und  die  alle- 
gorische Auslegung  sind  also  auch  hier  inkonzinn.  Hätte  der 
Verfasser  des  Kommentars  die  Vision  selbst  gedichtet,  so  hätte 
er  seine  Gedanken  in  etwas  klareren  Bildern  ausgedrückt,  ohne 
ihnen  darum  den  mysteriösen  Charakter  zu  nehmen.  Er  hätte 
z.B.  von  »Steinen«  reden  können,  die  von  einem  großen  Berge 
losgeschlagen  werden,  und  hätte  z.  B.  den  Bau  als  ein  Auf- 
türmen dieser  Steine  bezeichnen  können.  Der  uns  vorliegende 
Text  aber  ist  offenbar  ohne  jede  Rücksicht  auf  die  vom  Kom- 
mentator ausgesprochenen  Ideen  entstanden.  Mit  anderen 
Worten:  der  Apokalyptiker  hat  den  Stoff  der  Vision  der  Über- 
lieferung entlehnt  und  ihn  nach  seinem  Geschmacke,  bald  mehr 
bald  minder  richtig,  gedeutet^.  Er  aber,  mein  Sohn,  wird  den 
Völkern,  die  wider  ihn  gezogen  sind,  ihre  Sünden  strafen  — 
die  sind  dem  Wetter  gleich  — ;  er  wird  ihre  bösen  Anschläge 
und  ihre  künftigen  Qualen  vorhalten  —  die  sind  wie  das  Feuer 

—  dann  wird  er  sie  mühelos  vernichten  durch  sein  Geheiß  — 
das  gleicht  der  Flamme  (V.  37f.).  Die  Form  dieses  Satzes,  die 
wohl  dem  syrischen  Übersetzer  zur  Last  fällt,  ist  unlogisch. 
Der  Verfasser  wollte  auch  in  den  beiden  ersten  Gliedern  wie 
im   letzten   sagen:   die   Strafe  der  Sünden  gleicht  dem  Wetter 

—  die  künftigen  Qualen  gleichen  dem  Feuer  —  das  mühelose 
Vernichten  gleicht  der  Flamme,  oder  noch  besser:  Dem  Wetter 
gleich,  dem  Feuer  gleich,  der  Flamme  gleich  wird  er  sie  strafen, 
quälen,  vernichten.  Aber  selbst  davon  abgesehen,  paßt  die 
Deutung  so  schlecht  wie  nur  möglich.  Denn  wie  kann  zwischen 
Feuer  und  Flamme  unterschieden  werden?  Wie  kann  jenes 
die  künftige  Qual,  diese  —  im  Unterschied  dazu!  —  das  mühe- 
lose Vernichten  symbolisieren?  Mögen  diese  Bilder  für  sich 
allein  immerhin  so  verstanden  werden  können,  da,  wo  sie  mit 
einander  vereinigt  sind  und  im  selben  Atemzuge  ausgesprochen 
werden,  dürfen  sie  nicht  in  dieser  Weise  differenziert  werden. 
Der  Verfasser  dieser  gepreßten  und  verfehlten  Auslegung  kann 


1.  Vgl.  GuNKEL  (bei  Kautzsch)  Pseudepigraphen  S.  347. 


352    Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

nicht  zugleich  der  Maler  jener  Vision  gewesen  sein.  Er  hat 
vielmehr  die  Bilder  aus  der  Tradition  übernommen  und  tiftelt 
an  ihnen  herum,  was  sie  wohl  bedeuten  mögen.  Die  Vision 
ist  alt,  der  Kommentar  ist  jung.  Wir  haben  ein  Recht,  beide 
scharf  von  einander  zu  sondern  und  auf  eigene  Faust  ein  Ver- 
ständnis des  überlieferten,  apokalyptischen  Stoffes  zu  versuchen. 

Hier  erfahren  wir,  was  wir  im  Daniel  so  schmerzhch  ver- 
mißten: Der  Ausgangspunkt  des  Menschen  ist  das  Wasser. 
Ebenso  wie  die  Tiere  steigt  er  aus  dem  Meere  hervor.  Aber 
was  besagt  dieser  rätselhafte  Zug?  Es  ist  interessant  zu  beob- 
achten, wie  der  Verfasser  des  IVEsra  sich  bemüht,  diese  Tat- 
sache zu  erklären,  die  für  ihn  ebenso  sonderbar  war  wie  für 
uns,  die  er  aber  nicht  beseitigen  konnte  oder  wollte,  weil  sie 
durch  die  Tradition  gegeben  war.  V.  51  f.  kommt  er  noch 
einmal  darauf  zurück  und  bittet  Gott  um  Erleuchtung:  Herr 
Gott,  zeige  mir,  weshalb  ich  den  Menschen  aus  dem  Herzen  des 
Meeres  habe  aufsteigen  sehen.  Er  sprach  zu  mir:  Wie  niemand 
erforschen  noch  erfahren  kann,  was  in  des  Meeres  Tiefen  ist, 
so  kann  niemand  der  Erdenbewohner  meinen  Sohn  schauen  noch 
seine  Gefährten,  es  sei  denn  zur  Stunde  seines  Tages.  Daß 
diese  Deutung  nachträgUch  und  künsthch  an  den  Stoff  heran- 
gebracht ist,  bedarf  keines  Beweises.  Wenn  der  Verfasser 
wirklich  diese  Idee  im  Bilde  hätte  ausdrücken  wollen,  so  hätte 
er  ja  den  Menschen  können  vom  Himmel  herabkommen  lassen, 
wurde  er  doch  —  wenigstens  nach  Henoch  —  als  präexistent 
gedacht;  denn  des  Himmels  Tiefen  kann  auch  niemand  er- 
forschen noch  erfahren.  Diese  gequälte  Deutung  bestätigt  noch 
einmal  auf  das  klarste,  daß  der  Zug  vom  Aufsteigen  des 
Menschen  aus  dem  Meere  der  Tradition  entstammt  und  schon 
damals,  wie  es  scheint,  nicht  mehr  ganz  verstanden  wurde.  Der 
Kommentar  fügt  nachträglich  eine  Einzelheit  hinzu,  von  der 
wir  vorher  nichts  gehört  haben:  Der  bar  ^nasa  ist  nicht  allein, 
sondern  hat  »Gefährten«  bei  sich  (V.  52),  vermutlich  das  Heer 
der  Engel,  die  ihn  begleiten  (Gunkel).  Hier  tritt  uns  wieder 
das  Fragmentarische  der  Tradition  entgegen.  So  ganz 
nebenbei  erfahren  wir  eine  wichtige  Einzelheit. 

Bruchstückartig  ist  aber  auch  der  Charakter  der  ganzen 
Vision.  Wenn  der  Mensch  im  Wirbelwind  aus  dem  Herzen 
des  Meeres  emportaucht,  so  erwarten  wir  nicht,  daß  er  plötzlich 


Der  göttliche  Mensch.  353 

auf  den  Wolken  des  Himmels  fliegt,  es  müßte  denn  geschildert 
sein,  wie  sich  die  Wolken  aufs  Meer  herabsenken  oder  wie  der 
Sturm  den  Menschen  in  die  Luft  emporraff't.  Unmittelbar 
daran  schließt  sich  eine  Beschreibung,  wie  vor  dem  Menschen 
alle  zerschmolzen,  die  seine  Stimme  vernahmen,  obwohl  erst 
hinterher  von  dem  unzählbaren  Heer  die  Eede  ist,  das  ihn 
bekämpft.  Noch  undeuthcher  ist,  warum  er  sich  einen  großen 
Berg  losschlägt  und  wie  er  das  macht.  Diese  Dinge  sind 
überdies  im  Zusammenhang  nicht  motiviert.  Um  diese  stilisti- 
schen Mängel  zu  erklären,  müssen  wir  annehmen,  daß  der 
hier  verwertete  Stoff  bereits  eine  längere  Geschichte 
erlebt  hat  und  im  Lauf  der  Zeit  seine  ursprüngliche 
Anschaulichkeit  eingebüßt  hat. 

Der  Mensch  wird  hier,  wie  auch  Gunkel  betont  hat,  zum 
Teil  mit  Zügen  geschildert,  die  von  Jahve  entlehnt  sind.  Wie 
hier  der  Mensch,  so  ist  nach  Jes.  19 1  Jahve  der  Wolkenreiter. 
Wie  sonst  vor  Jahve,  so  erbebt  hier  vor  dem  Menschen  alles, 
was  er  anschaut  (Ps.  10432),  oder  zerschmilzt  wie  Wachs  (Mch. 
I4).  Das  Sichlosschlagen  des  Berges  erinnert  an  die  escha- 
tologische  Spaltung  des  Ölberges  (Zach.  14 4).  Der  feurige 
Strom  und  der  flammende  Hauch  finden  sich  im  Alten  Testa- 
mente zwar  nicht  genau  wieder,  rufen  aber  doch  die  mythische 
Beschreibung  Jahves  Jes.  3027ff.  ins  Gedächtnis  zurück.  Der 
gewaltige  Sturm  endlich  und  der  Kampf  gegen  das  unzählbare 
Heer  von  Menschen  sind  für  die  Theophanie  Jahves  am  Ende 
der  Tage  so  typisch,  daß  eine  einzelne  Stelle  nicht  angeführt 
zu  werden  braucht. 

Diese  Züge  konnten  nur  dann  von  Jahve  auf  den  bar  'nasa 
übertragen  werden,  wenn  der  eschatologische  Mensch  eine 
göttliche  Gestalt  oder  ein  Engel  war.  Wir  haben  gesehen, 
daß  die  Engel  als  Lichtwesen  aufgefaßt  und  dargestellt  wurden, 
und  an  dem  Lichtcharakter  des  Menschen  kann  kein  Zweifel 
sein:  Yor  ihm  zerfließt  alles  wie  Wachs,  wenn  es  Feuer  spürt; 
was  ihm  entgegentritt,  wird  in  den  Staub  der  Asche  und  den 
Dunst  des  Bauches  verwandelt  vor  dem  feuiigen  Strom  seines 
Mundes,  dem  flammenden  Hauch  seiner  Lippen  und  den  stürmen- 
den Funken  seiner  Zunge. 

Ein  solcher  Engel,  so  wird  man  zunächst  glauben,  wohnt 
im  Himmel,   und   es  ist  daher   ganz   begreiflich,   wenn   er   die 

Forschungen  zur  Rel.  u.  Lit.  d.  A.  u.  NT.    6.  23 


354     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Wolke  zum  Fhegen  benutzt.  Aber  merkwürdig  ist  sein  Auf- 
steigen aus  dem  Meere.  Gunkel  (zu  IVEsra  1352)  meint:  »Wenn 
der  Stoff  mythologischer  Art  ist,  so  liegt  der  Gedanke  an  einen 
Gestirngott  nahe,  der  aus  dem  Meer  auftaucht,  zum  Himmels- 
berg emporsteigt,  seine  Feinde  mit  seinen  glühenden  Strahlen 
verbrennt  und  dann  sein  Friedensreich  stiftet«.  Zunächst  ist 
so  scharf  wie  möglich  zu  betonen,  daß  hier  im  IVEsra  von 
einem  Gestirngott  nicht  mehr  die  Rede  sein  kann.  Denn  wenn 
der  Sonnengott  auch  aus  dem  Wasser  emporsteigt,  so  wird  er 
doch  niemals  durch  einen  Sturmwind  daraus  heraufgeführt. 
Noch  weniger  reitet  er  auf  der  Wolke  oder  schlägt  sich  einen 
Berg  los.  Eine  andere  Frage  ist  die,  ob  die  dem  eschato- 
logischen  Menschen  zu  Grunde  liegende,  außerjüdische  Ge- 
stalt ein  Sonnen-  oder  überhaupt  Gestimgott  war.  Diese 
Möglichkeit  soll  nicht  geleugnet  werden,  weil  es  sich  auch  im 
IVEsra  (wie  im  Daniel)  um  ein  Lichtwesen  handeln  muß. 
Aber  ein  strikter  Beweis  ist  nicht  vorhanden.  Das  Aufsteigen 
aus  dem  Meere,  das  überdies  nur  einmal  erwähnt  ist  und  nicht 
ganz  mit  dem  Fliegen  auf  den  Wolken  sich  reimen  läßt,  würde 
sich  auch  erklären,  wenn  dieser  Zug  sekundär  und  erst  von 
den  Tieren  (Dan  72f.)  entlehnt  ist,  die  durch  vier  Winde  aus 
dem  großen  Meere  aufgestört  werden.  Wir  würden  dann,  wie 
so  oft  in  der  Apokalyptik,  eine  Vermischung  zweier  Traditionen 
annehmen  müssen. 

Jedenfalls  aber  haben  wir  eine  feste  Überlieferung  vor  uns, 
die  nicht  erst  von  dem  Verfasser  des  IVEsrabuches  geschaffen 
sein  kann,  die  vielleicht  schon  ihm  in  verdunkelter  Gestalt  vor- 
lag. Wir  lernen  in  seiner  Eschatologie  einen  himmlischen  Heros 
kennen,  der  dieselben  Funktionen  ausübt,  die  nach  der  pro- 
phetischen Eschatologie  von  Jahve  verrichtet  werden.  Beachtens- 
wert ist  die  verschiedene  Nüanzierung  in  der  Auffassung  von 
der  Aufgabe  des  eschatologischen  Menschen,  die  uns  hier  an 
manchen  Stellen  entgegentritt.  Während  in  der  Vision  Esras 
das  Amt  des  Weltrichters  im  Vordergrund,  das  des  Welterlösers 
im  Hintergrund  steht,  so  ist  es  in  der  Deutung  grade  umge- 
kehrt. Das  Eichten  fehlt  zwar  nicht,  aber  es  verschwindet 
hinter  dem  Erlösen.  Im  Wesen  des  Menschensohnes  sind  also 
beide  Seiten  vereinigt;  je  nach  der  Stimmung  wird  bald  auf 
die  eine   bald   auf  die   andere  das  Hauptgewicht  gelegt.     Aus 


Weltrichter  und  Weltherrscher.  355 

dem  Buche  Daniel  konnten  wir  nur  feststellen,  daß  der  Mensch 
als  Weltherrscher  angesehen  wurde.  Jetzt  können  wir  ergänzend 
hinzufügen,  daß  er  nicht  nur  Weltherrscher,  sondern  auch 
Weltordner,  Welterlöser  und  Weltrichter  ist.  Gott 
selbst  zieht  sich  vöUig  zurück,  er  wird  immer  transzendenter 
und  überläßt  alles,  was  mit  der  Welt  zu  tun  hat,  seinem 
höchsten  Engel,  dem  Menschen. 

So  tritt  die  eschatologische  Gestalt  der  Apokalyptik  in 
immer  deutlicheren  Umrissen  hervor.  Wie  sehr  die  Schilderung 
Daniels  sich  auch  decken  mag  mit  derjenigen  Esras,  so  ist  doch 
ohne  weiteres  klar,  wie  sehr  diese  zugleich  über  jene  hinaus- 
ragt. Von  einer  Weiterentwicklung  danielischer  Gedanken  kann 
keine  Rede  sein,  sondern  nur  von  einer  Ergänzung  fehlender 
Gheder,  von  der  Ausfüllung  einer  lückenhaften  ÜberHeferung, 
ohne  daß  freihch  alle  Rätsel  gelöst,  alle  Fragen  beantwortet 
würden.  Vor  allem  ist  noch  immer  die  Entstehung  der  Gestalt 
des  Menschen  selbst  in  tiefes  Dunkel  gehüllt.  Die  Figur  ist 
vollkommen  fertig,  wo  sie  das  Licht  der  Geschichte  erbHckt. 
Obwohl  es  sich  um  ein  himmlisches,  engelhaftes  Lichtwesen 
handelt  von  so  gewaltiger  Größe,  daß  Prädikate  und  Eigen- 
schaften Gottes  ihm  beigelegt  und  göttliche  Funktionen  von 
ihm  verrichtet  werden,  wird  es  dennoch  beschrieben  wie  ein 
Mensch.  Zwar  gilt  dasselbe  von  dem  Gotte  Ezechiels  (I26), 
sodaß  seine  gleichsam  götthche  Natur  nicht  geleugnet  werden 
kann,  aber  der  Name  dieser  eschatologischen  Gestalt  ist  eben 
nicht  Gott,  sondern  der  Mensch.  Denn  das  Pronomen  ille  oder 
ipse  (homo)  ist  weiter  nichts  als  der  (aramäische)  Artikel. 

§  35.    Der  »Mensch«  im  Henochbuche. 

Von  den  äthiopischen  Namen  des  Menschensohnes  können 
wir  absehen,  da  sie  nicht  originell,  sondern  nach  einer  fremden 
Sprache  gemodelt  sind.  Auch  hier  ist  zu  betonen,  daß  das 
Pronomen  dieser  oder  jener,  wie  gewöhnlich  übersetzt  wird,  nur 
den  Artikel  vertritt ^  Der  zu  Grunde  liegende  Terminus  lautete 
hier  wie  im  IVEsra  nujsn  in  der  Mensch,  und  nicht  etwa  ein 
Mensch,    was   aus   der  Beschreibung  wie  ein   Mensch  gefolgert 

1.  Um  sich  davon  zu  überzeugen,  lese  man  ein  beliebiges  Stück, 
z.  B.  c.  67  Flemming. 


356     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatoiogie. 

werden  könnte.  Für  Daniel  läßt  sich  diese  klare  Benennung 
zwar  nicht  belegen,  sie  muß  aber  vorausgesetzt  werden,  da  der 
Christusmensch  des  Henochbuches  ebenso  wenig  wie  der  des 
IV  Esra  im  Anschluß  an  die  Danielstelle  entstanden  sein  kann» 
Alle  drei  schöpfen  vielmehr  aus  derselben  Quelle,  aus  der  ge- 
meinsamen apokalyptischen  Überlieferung. 

46 1  heißt  es,  zunächst  in  Übereinstimmung  mit  Dan.  7: 
Und  daselbst  sah  ich  einen,  der  hatte  ein  Haupt  der  Tage,  und 
sein  Haupt  war  weiß  wie  Wolle;  und  bei  ihm  war  ein  anderer^ 
dessen  Gestalt  hatte  das  Aussehen  eines  Menschen,  dann  aber 
fährt  Henoch  fort:  und  sein  Antlitz  war  voll  Anmut  gleich  dem 
eines  heiligen  Engels.  Aus  der  Schilderung  Daniels  und  Esra& 
schlössen  wir,  daß  es  sich  um  ein  himmlisches,  engelgleiches 
Lichtwesen  in  menschlicher  Gestalt  handeln  müsse.  Hier  wird 
ausdrücMich  bestätigt,  daß  es,  obwohl  den  Menschen,  dennoch 
auch  den  Engeln  ähnlich  sei. 

Im  Anschluß  an  Dan.  7  vermuteten  wir  ferner,  daß  der 
Heilige  (des  Höchsten)  vielleicht  ein  Prädikat  des  bar  'nasa  ge- 
wesen sei.  Im  Henoch  erhält  er  zwar  nicht  dasselbe  Attribut, 
wohl  aber  sachlich  entsprechende  Epitheta:  der  Gerechte  (53 e),. 
der  Auserwählte  (405.  45  sf.  492.4.  513.5.  526.9.  536.  554.  61 5. 
8. 10.  62 1),  der  Auserwählte  der  Gerechtigkeit  und  Treue  (396). 
Seine  Genossen  heißen  nicht  nur  die  Gerechten  oder  die  Aus- 
erwählten, sondern  auch  die  Heiligen  (50 1.  628). 

Wie  er  im  IV  Esra  als  Sohn  Gottes  gedeutet  war,  so  wird 
er  im  Henoch  völlig  analog  als  der  Gesalbte  (Messias,  Christus) 
bezeichnet  (48  lo.  524).  Als  solcher  verrichtet  er  einmal  wie  im 
IV 'Esra  die  Funktionen  des  Weltrichters:  Er  tötet  alle 
Sünder  und  Ungerechten  mit  der  Rede  seines  Mundes  (622),  er 
wird  die  Könige  und  die  Mächtigen  aufscheuchen  von  ihren 
Lagern  und  die  Gewaltigen  von  ihren  Sitzen,  und  er  wird  die 
Zäume  der  Gewaltigen  lösen  und  die  Zähne  der  Sünder  zer- 
malmen.  Und  er  wird  Könige  von  ihren  Thronen  und  aus 
ihren  Reichen  stoßen  (46 4f.).  Die  Summe  des  Gerichts  ward 
ihm,  dem  Menschensohn,  übergeben,  und  er  läßt  verschwinden 
und  vertilgt  die  Sünder  vom  Antlitz  der  Erde  und  die  (Dämonen), 
welche  die  Welt  verführt  haben  (692?).  Ebenso  vernichtet  er  den 
Azazel  und  seine  ganze  Sippschaft  und  sein  ganzes  Heer  im 
Namen  des  Herrn  der  Geister  (554).     Zweitens  ist  der  Mensch 


Der  präexistente  Mensch.  357 

nicht  nur  Weltrichter,  sondern  auch  Weltherrscher.  Wie 
ihm  nach  Dan.  7  Macht,  Ehre  und  Herrschaft  in  alle  Ewigkeit 
verliehen  wird,  so  sitzt  er  nach  dem  Henochbuche  auf  dem 
Thron  der  Herrlichkeit  (504.  625.  6927.  29),  der  ursprünglich  dem 
Hochbetagten  zukommt  (473.  6O2.  622).  Das  Haupt  der  Tage 
gibt  sein  Kegiment  ab  an  den  Menschen:  Und  der  Herr  der 
Geister  hat  seinen  Auserwählten  auf  den  Thron  der  Herrlich- 
keit gesetzt,  und  er  wird  alle  Werke  der  Heiligen  oben  im 
Himmel  richten,  und  ihre  Taten  werden  auf  der  Wage  gewogen 
werden  (61  s).  Und  der  Auserwählte  ivird  in  jenen  Tagen  auf 
meinem  Throne  sitzen,  und  alle  Geheimnisse  der  Weisheit  werden 
den  Gedanken  seines  Mundes  entströmen;  denn  der  Herr  der 
Geister  hat  es  ihm  gegeben  und  hat  ihn  verherrlicht  (Öls). 
Fortan  rufen  alle  Engel  mit  einer  Stimme:  Gepriesen  sei  er, 
und  gepriesen  sei  der  Name  des  Herrn  der  Geister  immerdar 
und  bis  in  Eivigkeit  (61 11).  Anderswo  wird  der  Auserwählte 
ebenfalls  vor  dem  Herrn  der  Geister  genannt:  Es  werden  nieder- 
fallen vor  ihm  (dem  Menschensohne)  und  anbeten  vor  ihm  alle, 
die  auf  Erden  wohnen,  und  sie  werden  preisen,  rühmen  und 
lobsingen  dem  Herrn  der  Geister  (485).  Was  wir  schon  aus 
Daniel  und  deutlicher  aus  IVEsra  gelernt  haben,  wird  hier 
noch  einmal  in  voller  Schärfe  zum  Ausdruck  gebracht:  Gott 
wird  gänzlich  transzendent  und  tritt  zurück,  während  der  Christus- 
mensch als  Weltrichter  des  alten  und  als  Weltherrscher  des 
neuen  Äons  in  den  Vordergrund  tritt. 

So  weit  reicht  die  Übereinstimmung  mit  Daniel  und  IV  Esra. 
Im  Buche  Henoch  kommen  einige  neue  Züge  hinzu,  die  wir  bei 
jenen  entweder  gar  nicht  oder  nicht  klar  ausgesprochen  finden. 
Dahin  gehört  vor  allem  die  Präexistenz  des  Menschen.  Bevor 
die  Sonne  und  die  Zeichen  geschaffen  wurden,  bevor  die  Sterne 
des  Himmels  gemacht  wurden,  ist  sein  Name  vor  dem  Herrn 
der  Geister  genannt  worden  (483).  Sein  Name  heißt  seine 
Person,  wie  aus  70iff.  hervorgeht:  Und  darnach  geschah  es,  daß 
sein  (Henochs)  Name  bei  seinen  Lebzeiten  zu  jenem  Menschen- 
sohne und  zu  dem  Herrn  der  Geister  erhöht  wurde,  hinweg  von 
denen,  die  auf  Erden  leben.  Der  Mensch  ist  also  das  erst- 
geschaffene, vor  aller  Welt  existierende  Urwesen.  Da 
er  sich  durch  Gerechtigkeit  und  Treue  ausgezeichnet  hat  (396), 
so   ist   er  dem    entsprechend   belohnt   worden.      Dies    ist   der 


358     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Menschensohn f  der  die  Gerechtigkeit  hat  und  hei  dem  die  Ge- 
rechtigkeit wohnt f  und  der  alle  Schätze  des  Verborgenen  offen- 
hart,  weil  der  Herr  der  Geister  ihn  auserwählt  hat,  und  dessen 
Los  vor  dem  Herrn  der  Geister  den  Sieg  davongetragen  hat 
durch  Gerechtigkeit  in  Ewigkeit  (463).  Um  seiner  Gerechtigkeit 
willen  ist  er  auserwählt  und  verborgen  worden  vor  ihm,  ehe  die 
Welt  geschaffen  wurde  und  bis  in  Ewigkeit  (486).  Seine  Herr- 
lichkeit währt  von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit,  und  seine  Macht  von 
Geschlecht  zu  Geschlecht.  Und  in  ihm  wohnt  der  Geist  der 
Weisheit  und  der  Geist,  der  Einsicht  verleiht,  der  Geist  der 
Lehre  und  der  Kraft  (49  2f.).  Er  wird  für  die  Gerechten 
ein  Stab  sein,  daß  sie  sich  auf  ihn  stützen  und  nicht  fallen 
(484).  Weil  er  gerecht  ist,  darum  eignet  er  sich  vor  allem  zum 
Weltrichter. 

Seit  Ewigkeit  präexistent,  ist  der  Mensch  von  Anfang  an 
verborgen  (62?)  und  beherrscht  alles  Verborgene  (626).  Wo  haben 
wir  uns  das  Verborgene  zu  denken?  Der  Engel,  der  den 
Henoch  führt,  zeigt  ihm,  was  im  Verborgenen  ist:  das  Erste 
und  das  Letzte,  im  Himmel  hoch  oben  und  unter  der  Erde  in 
der  Tiefe,  an  den  Enden  des  Himmels  und  an  den  Grundfesten 
des  Himmels  (60  ii).  Da  der  Apokalyptiker  den  Menschen  beim 
Herrn  der  Geister  sieht,  so  kommt  die  Gegend  unter  der  Erde 
nicht  in  Betracht.  Nur  der  Himmel  kann  der  Ort  sein, 
wo  der  Mensch  verborgen  wird.  Genauer  ist  es  vielleicht 
da,  wo  die  Wohnungen  der  Heiligen  und  die  Ruheplätze  der 
Gerechten  sind  (39  sf.),  wo  die  Erzväter  und  die  Auserwählten 
von  uralten  Zeiten  her  weilen,  wohin  auch  Henoch  entrückt 
wird  (70 1. 4),  wo  die  Quelle  der  Gerechtigkeit,  umgeben  von 
vielen  Quellen  der  Weisheit  (48  if.)  und  wo  der  Garten  des 
Lebens  (61 12)  liegt.  Dort  ist  der  Mensch  vor  dem  Herrn  der 
Geister  verborgen,  um  erst  am  Ende  der  Tage  offenbar  zu 
werden.  Nur  einigen  Auserwählten  ist  er  bereits  bekannt  (48?. 
62?).  Frommen  Männern  wie  Henoch  war  es  schon  in  diesem 
Leben  vergönnt,  auf  ihren  Himmelsreisen  ihn  zu  schauen,  die 
Patriarchen  und  heiligen  Urväter  sind  gleich  nach  ihrem  Tode 
zu  ihm  entrückt  (70),  aber  in  die  Erscheinung  tritt  er  erst  nach 
dem  Verlauf  dieses  Äons,  um  die  Gerechten  zu  belohnen  und 
die  Gottlosen  zu  strafen  und  dann  an  der  Stelle  des  Herrn 
der  Geister  die  Weltherrschaft  zu  übernehmen. 


Der  himmlische  Mensch.  359 

Nicht  verständhch  ist  493,  wo  von  dem  Menschen  gesagt 
wird:  In  ihm  ivohnt  der  Geist  der  Weisheit,  und  der  Geist,  der 
Einsicht  verleiht,  der  Geist  der  Lehre  und  der  Kraft,  und  der 
Geist  derer,  die  in  Gerechtigkeit  entschlafen  sind.  Beer  (bei 
Kautzsch)  fügt  als  Erklärung  hinzu:  »Der  Messias  verwirklicht 
die  eschatologische  Hoifnung  der  entschlafenen  Frommen«. 
Aber  von  einer  »Hoffnung«  ist  im  Text  keine  Rede.  Volz 
(S.  17)  meint:  »Die  natürhchste  Erklärung  ist  wohl  die,  daß 
sich  zu  dem  Geist  der  Weisheit  und  dem  Geist  der  Einsicht 
und  dem  Geist  der  Lehre  und  der  Kraft  noch  der  Geist  einer 
anderen  Eigenschaft  gesellt,  die  speziell  für  die  entschlafenen 
Frommen  Bedeutung  hat;  dies  ist  am  allgemeinsten  der  Geist 
der  Daseinskraft,  der  Existenzfähigkeit;  des  Lebens,  also  hätte 
der  Ausdruck  den  Sinn:  im  Messias  wohnt  der  Geist,  durch 
den  er  den  entschlafenen  Frommen  Portdauer  nach  dem  Tod 
zu  geben  vermag«.  Aber  dann  würde  man  nicht  einen  »Geist 
der  Toten«,  sondern  einen  »Geist  des  Lebens«  erwarten.  Sicher 
ist,  daß  hier  mit  dem  Zitat  aus  Jes.  11 2  eine  fremde  Tradition 
verschmolzen  ist.  Der  Wortlaut  besagt  ebenfalls  ganz  klar^, 
daß  in  dem  Messias  der  Geist  der  entschlafenen  Froramen  wohnt. 
Ihn  gewissermaßen  als  Aufbewahrungsort  der  Gerechten  zu 
denken,  geht  deshalb  nicht,  weil  es  in  diesem  Falle  »Geister« 
heißen  müßte.  Gunkel  (mündlich)  schlägt  vor,  die  Worte  als 
animistische  Vorstellung  aufzufassen.  In  ihm  inkorporiert  sich 
der  Geist  der  Entschlafenen.  Das  kommt  dem  Text  am 
nächsten. 

In  dem  wohl  später  angehängten  Schlußkapitel  (c.  71)  der 
Bilderreden  und  im  slavischen  Henochbuche  wird  der  Urvater 
Henoch,  wie  man  vermutet  hat,  mit  dem  himmlischen  Menschen 
identifiziert.  Nach  seiner  Entrückung  begrüßt  ihn  der  Hoch- 
betagte mit  den  Worten:  Du  bist  der  Mannessohn,  der  zur 
Gerechtigkeit  geboren  ist;  und  Gerechtigkeit  ivohnt  über  dir  und 
die  Gerechtigkeit  des  betagten  Hauptes  verläßt  dich  nicht  .  .  . 
Er  ruft  dir  Heil  zu  im  Namen  der  künftigen  Welt,  denn  von 
dort  aus  ist  das  Heil  ausgegangen  seit  Erschaffung  der  Welt, 
und  so  wird  es  auch  dir  zu  teil   werden  immerdar  und  in  alle 

1.  An  eine  Textkorruption  ist  nicht  zu  denken,  da  der  Ausdruck 
Ol  jusz'  Evaeßeiag  xoi(xco[A,evoi  auch  II  Makk.  1245  begegnet.  Darnach  ist 
hier  vielleicht  zu  verstehen:  der  Geist,  der  zum  Martyrium  befähigt? 


360     Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Ewigkeit.  Und  alle  werden  auf  deinem  Wege  wandeln,  da  die 
Gerechtigkeit  dich  niinmermehr  verläßt;  bei  dir  wird  ihre  Woh- 
nung sein  und  bei  dir  ihr  Los  und  von  dir  werden  sie  sich  nie 
und  in  alle  Ewigkeit  nicht  mehr  trennen  (71i4ff.).  Da  dasselbe 
teilweise  vom  Menschensohn  ausgesagt  wird  (vgl.  49  2.  396if.) 
und  da  Henoch  hier  direkt  mit  dem  überall  sonst  technischen 
Titel  Mannessohn  angeredet  wird,  so  ist  es  nicht  unmöglich, 
daß  der  Verfasser  dieses  Kapitels  beide  Gestalten  mit  einander 
identifizierte.  Aber  wahrscheinlicher  ist  eine  andere  Auffassung : 
Henoch  erhält  hier  das  höchste  Ruhmes-  und  Ehrenprädikat, 
das  der  Apokalyptiker  überhaupt  zu  vergeben  hat.  Diese  Epi- 
theta, die  ursprünglich  einer  bestimmten  Gestalt  angehörten, 
haben  sich  später  von  ihr  gelöst  und  können  nun  auf  jede  halb- 
göttliche Person  übertragen  werden.  Da  Henoch  in  alle  Ge- 
heimnisse der  Gegenwart,  Vergangenheit  und  Zukunft  eingeweiht 
ist,  da  er  Himmel,  Erde  und  Unterw^elt  kennen  gelernt  hat 
und  nichts  vor  ihm  verborgen  ist,  so  ist  es  ganz  begreifhch,  daß 
man  diesem  Mysten  und  Weltenwanderer  die  Prädikate  des 
Menschensohnes  beigelegt  hat.  Noch  allgemeiner  heißt  es 
II  Hen.  64  d. :  Und  nun  segne  du  deine  Söhne  und  alles  Volk, 
damit  wir  heute  verherrlicht  werden  vor  deinem  Angesicht,  weil 
du  vor  dem  Angesicht  des  Herrn  verherrlicht  wirst  in  Ewigkeit, 
da  dich  der  Herr  auserwählt  hat  mehr  denn  alle  Menschen  auf 
Erden  und  hat  dich  gesetzt  zu  einem,  der  niederschreibt  seine 
Geschöpfe,  die  sichtbaren  und  die  unsichtbaren,  und  der  weg- 
nimmt die  Sünden  der  Menschen  und  der  hilft  den  Kindern 
seines  Hauses.  Hieraus  kann  man  noch  weniger  auf  eine  Identi- 
fikation Henochs  mit  dem  Menschensohne  schließen. 

Wir  haben  gesehen,  um  das  Gesagte  zusammenzufassen, 
wie  in  der  Apokalyptik  der  Mensch  die  Rolle  des  eschatologi- 
schen  Helden  spielt.  Er  ist  kein  blasses  Schemen,  kein  ab- 
straktes Symbol,  keine  Personifikation  Israels,  sondern  eine 
konkrete,  lebendige  Figur,  ein  Engel,  um  den  sich  eine  reiche 
Tradition  gruppiert  hat.  Von  Ewigkeit  her  präexistent,  vor 
aller  Welt  geschaffen,  ist  der  Menschensohn  um  seiner  Gerech- 
tigkeit willen  von  Gott  auserwählt  worden,  um  zunächst  vor 
ihm  in  der  Verborgenheit  des  himmlischen  Paradieses  zu  leben, 
um  dann  am  Ende  dieses  Äons  die  Welt  zu  richten  und  zu  er- 
lösen, um  endhch  den  neuen  Äon  zu  bilden,  zu  ordnen  und  im 


Der  himmlische  Mensch.  361 

Namen  Gottes  zu  regieren.  Kurz  gesagt:  Der  Menschen- 
sohn ist  eine  eschatologische  Gestalt  und  bezeichnet 
den  präexistenten  Weltrichter  und  Weltherrscher. 

Wir  dürfen  ihn  eine  Parallelfigur  zum  Messias  nennen, 
sofern  beide  eschatologische  Bedeutung  haben.  Aber  keineswegs 
haben  wir  ein  Recht,  beide  ohne  weiteres  zu  identifizieren. 
Denn  so  nahe  sie  auch  einander  stehen,  so  sehr  sind  sie  zu 
gleicher  Zeit  von  einander  unterschieden.  Der  Messias  ist  der 
künftige  König  aus  Davids  Haus,  von  Vater  und  Mutter  ge- 
boren, deren  Geschlechtsregister  vorgelegt  werden  können.  Der 
Menschensohn  wird  zwar  an  einigen  Stellen  Messias  genannt, 
ist  aber  niemals  als  Davidide  bezeichnet.  Der  Messias  ist 
eine  irdische,  der  Menschensohn  eine  himmlische 
Gestalt.  Beide  haben  von  Hause  aus  nichts  mit  einander  zu 
tun,  sondern  haben  einen  ganz  verschiedenen  Ursprung.  Eine 
innerisraelitische  Entwicklung  ist  unmöglich.  Denn  aus  dem 
Davididen  kann  niemals  ein  Engel  werden  oder  doch  nur  so, 
daß  er  mit  einer  fremden  Gestalt  verschmolzen  wird,  weil 
mythische  Vorstellungen  in  historischer  Zeit  nicht  genuin  ent- 
stehen. 

Der  Menschensohn  muß  also  aus  der  Fremde 
stammen,  wie  die  ganze  apokalyptische  Eschatologie  aus  der 
Fremde  gekommen  ist.  Denn  anders  als  bei  den  Propheten 
wird  das  Unheil  als  eine  einheitliche  und  universale  Katastrophe 
(Weltbrand)  geschildert,  das  Heil  direkt  als  Wiederkehr  des 
Paradieses  bezeichnet.  Zwischen  beiden  bildet  die  Auferstehung 
von  den  Toten  das  organisch  verbindende  Mittelglied.  Diese 
drei  Dinge,  die  bei  den  Propheten  nur  undeutlich  und  lücken- 
haft als  letzte  Tmmmer  eines  großen  Baues  nachweisbar  sind, 
erscheinen  bei  den  Apokalyptikern  als  ein  stattliches,  festgefügtes 
Haus.  Die  Wiederherstellung  des  Ursprünglichen  war  nur 
möglich,  wenn  das  mythische  Urmuster  von  irgendwoher  bezogen 
werden  konnte.  In  diesen  Zusammenhang  paßt  die  himmlische 
Gestalt  des  Menschensohnes  ausgezeichnet  hinein. 

Die  Herübernahme  aus  der  Fremde  war  nur  möglich,  wenn 
sie  an  Gegebenes  und  Vorhandenes  anknüpfen  konnte.  Nun 
haben  wir  gesehen  (vgl.  o.  S  285),  daß  die  eschatologische  Fi- 
gur der  Prophetie  keineswegs  einheitlich  war.  Sie  enthält 
neben  dem  Messiasgedanken  vom  künftigen  Davididen  mythische 


362      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

Elemente,  die  von  der  Geburt  eines  göttlichen  Heilandes  und  von 
einem  Gottkönige  handeln.  Wie  wir  damals  annehmen  mußten, 
daß  eine  ausländische  göttliche  Gestalt  mit  dem  Davididen  kom- 
biniert und  verschmolzen  sei,  so  stehen  wir  hier  genau  vor  der- 
selben Tatsache  abgesehen  davon,  daß  die  Vereinigung  der 
Menschensohntradition  mit  der  des  Davididen  in  der  Apoka- 
lyptik  noch  nicht  erfolgt,  sondern  erst  später  eingetreten  ist. 
Was  liegt  näher  als  die  Vermutung,  ein  und  dieselbe 
Gestalt  sei  zum  ersten  Male  lange  vor  der  propheti- 
schen Zeit  und  zum  zweiten  Male  kurz  vor  der  christ- 
lichen Zeit  nach  Palästina  gewandert,  habe  sich  dort  mit 
einheimischen  Größen  vermischt  und  sei  allmähhch  umge- 
wandelt   worden  (Gunkel)? 

Nachdem  wir  dies  sachliche  Resultat  gefunden  haben, 
kehren  wir  zum  sprachlichen  zurück.  Es  wurde  von  vorne- 
herein betont,  der  Mensch  als  Messiasname  könne  nur  als  eine 
Abkürzung  verstanden  w^erden.  Eine  Auswahl  unter  den  ver- 
schiedenen Möglichkeiten:  Wolkenmensch,  oberer  Mensch,  Him- 
melsmensch, Urmensch  war  a  priori  nicht  zu  geben.  Wie  wir 
jetzt  gelernt  haben,  treffen  alle  diese  Bezeichnungen  auf  die 
behandelte  Gestalt  zu;  alle  sind  im  letzten  Grunde  identisch 
und  haben  eschatologischen  Sinn.  Auf  den  Urmenschen  weist 
allerdings  in  der  Apokalyptik  nichts  Besonderes  hin,  abgesehen 
vielleicht  von  I  Hen.  493,  wonach  sich  der  Geist  der  in  Ge- 
rechtigkeit Entschlafenen  im  Menschen  inkorporiert.  Wenn 
diese  Exegese  richtig  ist,  würde  man  nur  an  den  Urmenschen 
denken  dürfen.  Zwingender  als  dies  Argument  scheinen  mir 
die  allgemeinen  Erwägungen,  die  bereits  oben  beim  Messias 
(S.  289)  angestellt  sind:  Zum  Anfänger  der  neuen  Welt,  zum 
Herrscher  des  wiederkehrenden  Paradieses  eignet  sich  am  besten 
die  vergötterte  (^estalt  des  ersten  Menschen.  Grade  der  erste 
Mensch,  der  zum  ersten  Toten  geworden  ist,  übt,  wie  hier  hinzu- 
gefügt werden  mag,  mitunter  auch  das  Amt  und  die  Funktionen 
des  Totenrichters  aus^.  In  der  Apokalyptik  haben  wir  das 
deutliche  Bild  eines  Gerichtes  und  eines  Richters,  der  auf 
seinem  Throne  sitzt,  die  geöffneten  Gerichtsbücher  vor  sich  oder 
die  Wage  in   seiner  Hand.     Bald  wird  der  Hochbetagte  (Dan. 


1.  Oldenberg:  Kel.  des  Veda  S.  541. 


Der  Urmensch.  363 

72ff.),  bald   aber  auch  der  Menschensohn  (I  Hen.  61  s)  in  dieser 
"Weise  dargestellt. 

So  dürfte  Boüsset  mit  seiner  Auffassung  Recht  behalten, 
der  Mensch  sei  eine  Abkürzung  für  den  ersten  Menschen. 
Wenn  wir  nun  aber  weiter  fragen,  woher  diese  eschatologische 
-Gestalt  des  Urmenschen  stamme,  so  können  wir  darauf  keine 
Antwort  geben.  Zwar  weist  manches,  wie  Boüsset  mit  Recht 
betont,  nach  Persien  hin.  Die  Übereinstimmungen  zwischen  der 
jüdischen  und  iranischen  Eschatologie  sind  so  groß  und  so 
frappant,  daß  eine  Analogie  ausgeschlossen  ist,  daß  vielmehr 
eine  Abhängigkeit  der  einen  von  der  anderen  notwendig  an- 
genommen werden  muß:  Hier  wie  dort  haben  wir  eine  mit 
Dualismus  verbundene  Eschatologie,  hier  wie  dort  einen  Welt- 
untergang, der  speziell  als  Weltbrand  gedacht  wird,  hier  wie 
dort  eine  Auferstehung  der  Toten,  ein  allgemeines  Gericht,  ein 
neuer  Äon.  Die  kleinen  Differenzen,  die  namentlich  von  Söder- 
BLOM  herausgestellt  sind,  werden  völlig  aufgewogen  durch  die 
zahlreichen  Berührungen  im  Einzelnen.  Neuerdings  hat  Darme- 
STETER  die  These  durchzuführen  versucht,  die  iranische  Escha- 
tologie sei  von  der  jüdischen  abhängig.  Diese  Anschauung 
ist  unmöglich,  da  die  jüdische  Eschatologie  nicht 
autochthon  sein  kann,  wie  ich  an  vielen  Stellen  zu  beweisen 
mich  bemüht  habe.  Boüsset  möchte  speziell  den  persischen 
Urmenschen  (Gayömart)  für  das  mythische  Vorbild  des  Menschen- 
sohnes halten.  Aber  Gayömart  hat,  so  weit  wir  wissen,  niemals- 
eine  eschatologische  Rolle  gespielt.  Die  ümbiegung  dieser  Ge- 
stalt ins  Eschatologische  kann  aber  nicht  auf  jüdischem  Boden 
vollzogen  sein.  Boüsset  muß  mit  einer  Unbekannten  rechnen, 
indem  er  auf  die  allerdings  bedeutsame  Tatsache  aufmerksam 
macht,  daß  »es  unter  den  iranischen  Religionsanhängern  eine 
Sekte  gab,  die  sich  nach  dem  Urmenschen  Gayomarthier  nannte« 
(Rel.  S.  348).  Gayömart  muß  in  ihrem  System  eine  besondere^ 
hervoiTagende  Stelle  eingenommen  haben,  aber  leider  erfahren 
wir  aus  der  Notiz  Sahrastänis  nichts  Genaueres  darüber  i.  Es 
ist  möglich,  es  ist  auch  nicht  möglich,   daß  der  Urmensch   bei 


1.  Theodor  Haarbrücker  :  Abu-'l-Fath' Muhammad  asch-Schahra- 
stänis  Eeligionspartheien  und  Philosophenschulen.  Halle  1850.  Teil  I^ 
S.  276  f. 


364      Der  Ursprung  der  israelitisch-jüdischen  Eschatologie. 

ihnen    eine    eschatologische    Große    war.     Wer   will    das    ent- 
scheiden ? 

Ich  verzichte  einstweilen  auf  genauere  Aussagen  und  be- 
gnüge mich  mit  der  Tatsache,  daß  der  Urmensch  nicht-jüdischen 
Ursprungs  ist.  Später  hoffe  ich  Gelegenheit  zu  finden,  die  Ge- 
stalt des  Urmenschen  im  Zusammenhang  und  im  Unterschied 
von  der  Adams  weiter  durch  die  gnostischen,  manichäischen, 
mandäischen,  kabbalistischen  Schriften  hindurch  zu  verfolgen. 
Man  wird  es  begreifen,  daß  ich  hier  abbreche.  Deim  eine  solche 
Einzeluntersuchung  hat  nur  dann  Wert,  wenn  sie  in  den  breiten 
Kahmen  der  »Gnosis«  überhaupt  hineingestellt  wird.  Dazu 
müssen  die  einzelnen  »gnostischen«  Systeme  und  Schriften  zer- 
gliedert und  auf  ihre  heterogenen  Bestandteile  hin  analysiert 
w^erden.  Ehe  aber  diese  Arbeit  in  Angriff  genommen  werden 
kann,  wird  es  mein  erstes  Ziel  sein,  einen  kritischen  und  einiger- 
maßen lesbaren  Text  der  jüdisch-christlichen  Pseudepigraphen 
zu  schaffen,  an  dem  es  bisher  trotz  der  mancherlei  schätzens- 
werten Vorarbeiten  vielfach  noch  fehlt,  und  ihn  mit  fortlaufenden 
Einzelerklärungen  und  zusammenfassenden  Untersuchungen  zu 
versehen. 

In  den  synoptischen  Evangelien  ist,  um  noch  in  Kürze  auf 
das  Neue  Testament  einzugehen,  an  manchen  Stellen  o  vlög 
10V  dv^QWTTOv  einfach  Messiastitel,  nicht  mehr  und  nicht  weniger, 
z.  B.  Luk.  18 31:  Und  es  wird  alles  in  Erfüllung  gehen,  was 
geschrieben  ist  durch  die  Propheten  über  »den  Menschen«.  An 
vielen  anderen  Stellen .  aber  ist  der  Mensch  deutlich  als  der 
eschatologische  Weltrichter  und  Welthen-scher  geschildert.  Man 
vergleiche  z.  B.  Matth.  134i:  »Der  Mensch«  wird  seine  Engel 
ausschicken,  und  sie  werden  aus  seinem  Reiche  zusammenlesen 
alle  Ärgernisse  und  die  den  Frevel  tun,  und  iverden  sie  in  den 
Feuerofen  werfen,  da  wird  sein  Heulen  und  Zähneknirschen. 
Oder  Matth.  1928:  Wahrlich,  ich  sage  euch,  ihr,  die  ihr  mir 
folget,  werdet  in  der  neuen  Welt,  wenn  der  Sohn  des  Menschen 
sitzt  auf  dem  Thron  seiner  Herrlichkeit,  ebenfalls  auf  zwölf 
Thronen  sitzen  und  richten  die  zwölf  Stämme  Israels.  Da- 
gegen ist  der  Gedanke  der  Präexistenz  des  Menschen  bei  den 
Synoptikern  verloren  gegangen,  er  hat  sich  nur  bei  Johannes 
erhalten :  Und  es  ist  niemand  in  den  Himmel  aufgestiegen,  außer 
der  vom  Himmel  herabgekommen  ist,   der  Sohn   des  Menschen, 


Der  Menschensohn.  365- 

der  im  Himmel  ist  (Joh.  3 13).  Wenn  ihr  nun  schauet  des 
Menschen  Sohn  dahin  aufsteigen,  wo  er  zuvor  war  (Joh.  662)? 
Paulus  gebraucht  zwar  den  Ausdruck  Menschensohn  nicht, 
er  kennt  aber  diese  Gestalt  unter  anderem  Namen.  Während 
ferner  bei  den  Synoptikern  (ebenso  wie  in  den  Pseudepigraphen) 
Messias-  und  Menschensohntradition  nur  lose  mit  einander  verknüpft 
sind,  ist  bei  Paulus  eine  organische  Verbindung  beider  hergestellt. 
Nach  ihm  ist  der  Christus  aus  Davids  Samen  nach  dem  Fleisch, 
aber  gesetzt  zum  Sohn  Gottes  mit  Macht  nach  dem  Geist  (Rom.  I3). 
Der  Sohn  Gottes  wird  hier  als  ein  höheres,  himmlisches  Wesen 
(nach  Art  des  Menschensohnes)  vom  Davididen  unterschieden, 
aber  Christus  war  eben  beides:  auf  Erden  ein  Davidide,  vor 
seiner  Menschwerdung  (Phil.  25ff.)  und  nach  seiner  Erhöhung 
Sohn  Gottes.  Paulus  scheint  auch  den  Zusammenhang  der 
himmlischen  Messiasgestalt  d.  h.  des  Titels  Menschensohn  mit 
dem  Urmenschen  noch  zu  kennen,  da  er  IKor.  1045  nicht  ein- 
fach beide  parallelisiert  und  gegenüberstellt:  es  ward  der  erste 
Mensch  Adam  zu  lebendiger  Seele,  der  letzte  Adam  zu  lebendig 
machendem  Geist,  sondern  sogar  polemisierend  hinzufügt:  Nicht 
das  Geistliche  kommt  zuerst,  sondern  erst  das  Seelische,  und 
hernach  das  Geistliche.  Der  erste  Mensch  ist  von  der  Erde  und 
irdisch,  der  ziveite  Mensch  ist  vom  Himmel.  Es  muß  also  noch 
zu  seiner  Zeit  Leute  gegeben  haben,  nach  deren  Theorie  der 
erste  Mensch  ein  himmlisches  Wesen  war. 


I.  Sachverzeichnis. 


Abaddon  188 

Adam  338 

Adapamythus  290 

Adonisgestalten  330  ff. 

Adoptiousformel  254 

Amon-Ke  266 

Anu  114 

Apokalyptik  93.  157.  339 

Asasel  328  f. 

Assurbanipal  260 

Assurnasirpal  271 

Astronomische  Spekulationen  167  f. 

Attis  326.  330 

Baal  berith  202.  —  des  Himmels 
117.  —  des  Libanons  104.  — 
Perazim  64.  Sproß  des  — s  209. 
—  Zaphon  117 

Balder  330.  332 

Basan  103 

Baumeister:  der  grolle  —  270 

Bäume:  heilige  —  55 ff. 

Becher  Jahves  129  ff. 

Bei  110 

Berge:  heilige  —  Palästinas  98 ff. 
Der  höchste  Berg  (Gottesberg  im 
Norden)  113  f.  221  f.  Metallene  — 
106 ff.  Mythische  —  111.  271. 
Berg  der  Pracht  189.  —  des  Son- 
nenaufgangs 111.  Verschwinden 
der  —  222  ff. 

Bienen  85  f.  95 

Blitze  59 

Brandopfer  58 

Bund:    —   am  Anfang   einer  neuen 

Epoche  164. engel  202.     — 

-Vorstellungen  193  ff. zeichen 

164 

Cyrus  251.  303  ff'. 

Dämonen  86  ff. 

Deuterojesaja  203.  302  ff. 

Dibarra  87 

Dionysos  211  ff. 

Donner  44.  60  ff. 

Dornbusch  56  ff. 


Ebed  Jahve  302  ff.  =  Israel  812ff. 
=  Individuum  317  ff. 

Edelsteine  109  ff. 

Eid  der  Dinge  206 

Ekstase  125.  134ff.  205 

El  281 

Elektrische  Erscheinungen  57 

Elia  306 

Engel  72.  —  als  Statthalter  Jahves 
297.  299.  Darstellungen  der  — 
343  ff. 

Ephod  345 

Erdbeben  12  ff. 

Eschatologie :  fragmentarischer  Cha- 
rakter der  —  147.  191  f.  237. 
245 ff.  Vermittlung  zwischen  Un- 
heils- und  Heils-  —  178  ff.  242  f. 
Der  Ursprung  der  — :  literarisch  ? 
180;  babylonisch?  167 f.;  ägyp- 
tisch ?  247 ;  iranisch  ?  291.  Über- 
blick über  die  Geschichte  der  — 
144  ff.  244  ff.  Vgl.  die  Inhalts- 
übersicht. 

Esel:  Keittier  des  Messias  287 

Kabel  des  Jotham  56 f. 

Fegfeuer  39 

Felsen:  der  wandernde  —  338 

Feuer:  Gottes  —  59.  Offenbarung 
Jahves  im  —  49  ff.  —  -säule 
40 ff. see37.     —-ström  36 ff. 

Finger  der  Planetengötter  126 

Finsternis:  Tag  der  —  69 f. 

Fliegen  95 

Fluchzeit  168 

Gabriel  109.  342  ff.  347 

Gastmahl  Jahves  134.  136  ff.  300 

Gayömart  363  f. 

Genesis:  religiöse  Vorstellungen 
der  —  129 

Gesalbter  258  ff. 

Gewitter  23  ff. 

Gewitterregen  62  ff. 

Giftbecher  130  ff. 

Gog  180  ff. 


Sachverzeichnis. 


367 


Gott:  verborgener  —  311 

Gottkönig  285 

Götter: berge  100  ff.; dis- 

putationen  308  ff. ;  —  -garten 
112 ff.;  —  -gericht  298 f.;  —  -land 
198  ff.;     —     -mutter     284  f.;     — 

speise  214 ff.; stadt  112. 

270;  -  -Straße  223.  306. 

Gudea  271 

Hadad-Kimmon  109.  332  f. 

Heer  des  Himmels  72 

Heidenorakel  147  f. 

Heiland  311.  350 

Hermon  103 

Heusehrecken  91  ff.  187  f. 

Himmel:    aus  Metall  107 ff.;    Woh- 
nung Jahves  99  f. 

Hiramelsbaum  28 

Hirte  =  König  266 f.;  ==  Engel  166 

Honig  210 ff.  291 

Horeb  98  f. 

Hvakinthos  330 

Jahve :  Antlitz  127  ff.  Becher  129 ff. 
Furchtbarkeit  86.  141.  Gestalt 
51ff.  121ff.  Himmelfahrt  299ff. 
Krönung  300.  Lichtgott  51  ff. 
127  ff.  306  f.  Naturgott  76.  119  f. 
Schöpfergott  119.  Schrecken  16. 
Schwert  76  ff.  Sterngott  119. 
Stimme  13.  60f.  Sturm  143. 
Transzendenz  342.  355.  357.  Ur- 
sprüngliches Wesen  119.  Welt- 
herrschaft 295  ff.     Zebaoth  72  ff. 

Jerusalem :     himmlisches     —    223. 
227  ff.  270 

Immanuel  272  ff. 

Inspirationsbecher  135 

Istar  256.  271 

Jupiter  Heliopolitanus  109 

Karmel  102 

Kerube  52.  80.  115.  228 

Kind:  göttliches  —  197.  285 

Kison  62  ff. 

Kleid    der    Engel   343  ff.      —    der 
Gottheit  346 

König:  Vorstellungen  vom  —  251  ff. 
ürkönig  271 

Kranz  des  Lebens  110 

Kultlieder  326  ff. 

l,ade  72  ff. 

Libanon  103  ff. 

Licht:    mythisch    306 f.      —    Gott- 
heiten 109  ff. 

Mahru  =  Prophet  310  f. 

Marduk  79.  251.  266 

Märchen:   —  von  der  hochmütigen 


Zeder  104  ff. motive  im  A.T. 

30.  295.  305  f. 

Meer:  mythisches  —  187 f. 

Merodachbaladan  IL  251 

Messias  7.  259  ff.  Verschiedene  Ge- 
stalten 285.  Demut  und  Ge- 
rechtigkeit des  —  286  ff.  Geburt 
des  —  278  ff.  Mutter  des  —  283  ff. 
Parallelen  zum  — ,  vgl.  Ebed  Jahve 
und  Menschensohn 

Metalle  108  ff. 

Milchberge  210  ff. straße   223. 

Vgl.  Honig. 

Mitra  111 

Moloch  34.  39.  83 

Mysterien  322  ff. 

Mythisch  120f._127 

Xabel  der  Erde  183  f. 

Nabu  56 

Naturgesetz  206 

Nebiim  155  f. 

Nergal  52 

Norden  113  ff. 

Nördliche  177  ff. 

Ölsalbung  258 f. 

Ominaliteratur  168 

Opfertheorie  331 

Osiris  166 

Ostwind  20 ff.  93 

Paradies  198  ff.  —  -ström  112. 
186.  225.  =  goldenes  Zeitalter, 
Götterland  198  ff. 

Paran  63 

Periodentheorie  160  ff. 

Plagen  85 ff.;  —  des  Exodus  172f. 
theorie  168  ff. 

Planetenberge  108  ff. 

Polytheismus  im  A.T.  309  f. 

Priesterkodex  164 

Propheten:  Wesen  der  —  141.  Be- 
deutung der  —  152  ff.  Ethik  der 
—  232 

Pyriphlegeton  33 

Quellen :  mythische  —  225ff. ;  heiße 
33.  39 

Reseph  27.  84  f.  87 

Eest  229  ff.  242 f. 

Salmanassar  IL  263 

Sargon  271.  307 

Sear-Jasub  234.  242 

Seol  80.  87.  96  ff.  188 

kserua  143 

Schrecken  Isaaks  16 

Schreiberengel  52 

Schwefel  32  ff. 

Schwerterschlagene  80  ff. 


368 


Sach-  und  Stellenverzeichnis. 


Segenszeit  259  if. 

Selige  110 

Sennapflanze  57 

Sin  56 

Sinai  40 ff.  98 if. 

Sintflut  64 if.  160  ff.  173 

Skythen  180.  182 

Sohn  Gottes  256 

Sonnengott:  Darstellung  111.  Epi- 
theta auf  den  König  übertragen 
306  f. 

Städtebrand  53 

Sterne  72.     Stern  =  König  307 

Stierbild  90 

Stil:  Hof-  —  197.  203.  250if.  260ff. 
305 ff.  —  der  Kriegslieder  90f.; 
Orakel-  —  308  ff. ;    prophetischer 

—  66 f.  174ff.  238ff.  Vermischung 
inkonzinner  Vorstellungen  23  f. 

Sühnopfer  328  f. 

Sündlosigkeit  der  Menschen  204f. 

Surya  111 

Xabor  102 

Tal:  mythisches  —  227 f.;  —  Aba- 
rim  185;  —  der  Akazien  187;  — 
der  Entscheidung  187;  —  Harai 
186;  —  Hinnora  39.  83.  186.  190; 

—  Josaphat  187;  —  der  Offen- 
barung 187;  —  der  Wanderer 
184f.;  —  des  Würgens  186 

Tamüz  330.  333 

Taumelwein  131 

Taxiarchen  166 

Teman  63 

Tempel  113 

Teraphim  345 

Thron  Gottes  227.    —  Salomos  257 


Tiämat  30.  79  f.  190  f. 

Tierkreisgötter  166 

Tod  87.     Vernichtung  des  —es  205 

Totenauferstehung  96 

Totes  Meer  33 

Überschwemmung  62 ff. 

Umwandlung  der  Berge  222 ff.;  — 
der  Menschen  204 f. ;  —  der  Natur 
208 ff.;  -  der  Tiere  194 ff.;  — 
der  Wüste  216  ff. 

Urmensch  290  ff.  362  ff. 

"Varuna  111 

Völker:  Zug  der  —  gegen  Jerusa- 
lem 177  ff. 

Vulkan  31  ff. 

IVaffen:  Vernichtung  der  —  195. 
200  f. 

Waldbrand  53  ff. 

Weltbaum   106; gericht  297  f . ; 

—  -herrschaft  253  ff. ;  —  -Jahr 
165ff;  —  -Katastrophe  16.50.65. 

67.  146 ff.  159 ff.; meer   225; 

reich  tum  263  ff.; religion 

264 

Woche:  fünftägig  160.  166.  Tage 
der  —  143 

Wolke  69 

Yama  290 

iKahlen:  vier  163  ff. ;  sieben  165; 
zwölf  166;  fünfzehn  284;  siebzig 
160.165;  dreihundertsechzig  162 ; 
dreihundertfünfundsechzig  163 ; 
vierhundertunddreißig  161 

Zauberhaftes  im  A.T.  99.  125 

Zedern  55.  104 

Zion  101 

Zornesbecher  130 


IL 

Stellenverzeichnis, 

Altes  Testament. 

28 

114 

82 

69 

Gen. 

2ioff. 

114.  117 

82lf. 

68 

1.  2 

338 

2 19 

124 

822 

202 

liff. 

314 

38 

199 

9 11 

202 

126 

310 

324 

80.  114.  228 

9 13 

164 

2l 

73 

4 16 

46 

9l3ff. 

59 

24ff. 

314 

524 

96 

126 

55 

27 

124 

7 11 

69 

1217 

85 

Stellenverzeichnis. 


369 


148 

39 

2328 

86 

328 

166.  297.  299 

1517 

58 

2329 

90 

32 13 

210 

1711 

164 

2410 

109 

32 14 

103 

18 

342 

25 

111 

3222 

32.  49.  121 

181 

55 

3117 

164 

3223f. 

89 

19 

342 

3118 

121 

3224 

85 

1924 

32.  59 

333 

212 

324if. 

78 

1928 

32 

3314 

128 

332 

46.  98 

2017 

85 

332ifif. 

128 

333 

348 

2133 

55.  282 

3323 

121 

335 

267 

2517 

96 

3426 

213 

3316 

56 

2733 

17 

3429ff. 

53.  127 

2818 

259 

Jos. 

3142 

16 

Lev. 

5l3ff. 

88 

3153 

16 

In 

116 

5 14 

76 

3225£F. 

281 

2 11 

213 

620 

75 

354.8 

55 

3 

139 

8l8f. 

125 

3529 

96 

6 18 

116 

826 

125 

48 15 

267 

924 

56 

lOiiff. 

75 

49iof. 

263.  287 

162lf. 

328 

11 

63 

4933 

96 

2024 

212 

1327 

117 

26  4f. 

209 

2412 

86 

Ex. 

266 

201 

32 

56 

Jde. 

38 

212 

Num. 

33 

103 

3 17 

212 

625 

127 

4 

46.  63 

424fF. 

46 

1029ff. 

46 

45 

55 

7—11 

85.  172 

1035f. 

72.  329 

4 15 

75 

10 

91 

1123 

123 

5 

46.  63 

135 

212 

12 

85 

54 

46.  98 

132lf. 

44 

1630ff. 

75 

54f. 

13.  62 

1419 

45 

1635 

75 

520 

72.  76 

1421 

27.  30 

19 16 

80 

521 

62 

1424f. 

75 

20 

338 

611 

55 

I427f. 

75 

21 16 

338 

621 

58.  299 

153 

71 

247 

188 

7 

63 

156 

122 

24 17 

307 

8 

63 

158 

21.  29 

25 

85.  90 

833 

202 

15io 

21 

323 

117 

94 

202 

15l6 

123 

3347f. 

185 

915 

56 

15l7 

124 

937 

55.  183 

15 18 

267 

Dtn. 

946 

202 

17 

338 

38 

103 

104 

287 

179ff. 

125 

4 11 

44 

ll34ff. 

17 

1711 

125 

4 19 

72 

12 14 

287 

1716 

126 

437 

128 

136 

342 

18 

46 

521 

61 

1320 

58.  299 

19  3f. 

46 

7 12 

209 

21 21 

26.  135 

19i6£F. 

40.  61 

720 

86 

1918 

12.  32.  59.  97 

9 15 

44 

ISam. 

2018 

61 

10 17 

»  281 

ll3 

135 

2019 

61 

21i 

80 

26 

96 

2021 

69.  97 

28 

86 

43 

72 

225 

56 

28  3f. 

209 

48 

75 

2319 

213 

2823 

107 

5  f. 

86 

2327 

17 

31l7f. 

127 

619 

75 

Forschungen  zur  Rel.  n.  Lit.  d.  A.  u.  NT.   6. 


24 


370 


Stellenverzeichnis. 


7i 

72 

1228 

90 

7 15 

215 

7 10 

76 

18 

102. 

134. 

155 

7l6ff. 

215 

922 

135 

1838 

58 

7l8f. 

94.  277 

106 

259 

19 

58 

72lff. 

208.  213 

1024 

295 

198ff. 

46 

85ff. 

68 

11 7 

17 

199 

97 

86 

112 

11 15 

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178 

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16 

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101 

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226 

55 

2219 

72 

93 

143 

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258 

94 

200 

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87 

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288 

26 

258 

2 

96. 

155 

97-104 

171 

2619 

99 

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20 

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56 

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2 11 

21 

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266 

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64 

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86 

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55.  76 

1725 

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288.  289 

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195 

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199.  204 

7 12 

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281 

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232 

7 14 

256 

2 

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22 

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221. 

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212—19        14 

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222 

13 13 

12.  13 

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258 

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15 

13  21  ff. 

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22 

29 

221 

16 

14 

106 

2215 

59 

3l3f. 

297 

14  7f. 

103 

24 

86 

42 

232 

149 

96.  98 

2416 

86 

42f. 

209 

14X3 

113.  114.  117 

43 

214. 

232. 

281 

14X5 

96 

IReg. 

5 14 

97 

174ff. 

178 

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255 

525 

124. 

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17  5f. 

230 

134 

295 

525—30 

171 

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65.  178 

185 

295 

526 

176. 

179 

186 

82 

l39 

295 

527 

176 

187 

101 

140 

295 

528 

177 

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69.  353 

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295 

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255 

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8 12 

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277 

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8 16 

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17.  187 

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257 

7  uff. 

272  ff. 

289 

23x8 

263 

Stellenverzeichnis. 


371 


244if. 

27.  207 

4024 

21 

49  5f. 

313 

24 13 

230 

4026 

72 

496 

303.  307.  312 

24i7f. 

230 

41 2f. 

304 

497 

303 

24 18 

12.  69 

41 3 

305 

49  8f. 

316 

24i8f. 

230 

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303. 

312 

4911 

223 

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12 

41 13 

303 

4919 

268 

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79 

41 18—20 

216 

4922f. 

303 

242ifF. 

190 

4121 

308 

4923 

262 

2423 

221.  231.  300 

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308. 

309 

4926 

311 

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300 

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29 

256 

134.  140.  214. 

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310 

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70 

[231.  300 

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303 

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302.  315.  321. 

258 

205 

42iff. 

302 

[326 

27 1 

79.  190 

42 1—7 

317 

51 3 

199.  216.  303 

274 

56 

42  2f. 

315 

51 4 

307 

27 13 

267 

424 

303 

51 5 

303 

282 

65.  125 

426 

303 

307 

51 6 

28 

285 

232 

42  6f. 

315 

519 

123 

287ff. 

134 

429 

203 

51 9f. 

220 

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42 13 

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51 10 

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27 

51 16 

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29  5f. 

16 

42 16 

223 

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132 

297 

179 

433 

311 

52 1 

214.  227 

3026 

221 

438ff. 

309 

52 10 

123 

3027 

49.  121 

439 

310 

52 13- 

5312  302.  321  ff. 

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34.  353 

43  9f. 

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52i4f. 

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312 

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59.  125 

43 11 

311 

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43 12 

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268 

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203.  303 

314 

90 

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312 

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318 

78 

447ff. 

308 

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67.  203 

319 

32.  35 

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303 

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229 

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208 

4428 

302 

553 

203 

339 

27.  102 

4428—454 

304 

554 

303 

3312 

56 

45 1 

302 

55i2f. 

216 

34 

139 

452 

306 

568 

267 

34  2f. 

83 

453f. 

303 

57 14 

223 

34  4 

27 

454 

312 

57 15 

282 

345 

79 

45 13 

304 

588 

306 

348ff. 

35 

45 14 

263 

58 10 

306 

34iiff. 

90 

45 15 

311 

58 12 

281 

35 

217 

4521 

311 

59 1 

123 

352 

102 

452iff. 

308 

59 16 

123 

358 

223 

469ff. 

304 

59 17 

71.  121 

359 

201 

48 13 

124 

59 19 

21 

3731 

232 

48 14 

302 

5921 

204.  205 

3736 

86 

48  uff. 

305 

60 

260.  270 

38i8f. 

96 

4815 

303 

60  if. 

307 

40-55 

300 

4820 

312 

605ff. 

263 

403f. 

223.  306 

4821 

216 

60io 

262 

407 

21 

49iff.       302 

315 

319 

60 14 

214.  281 

4010 

123 

492 

316 

60 16 

263.  311 

40 11 

267 

493 

312 

327 

6018 

281 

372 


Stellenverzeichnis. 


6019 

307 

1725 

287 

Ez. 

60i9f. 

53. 

221 

1727 

53 

60  22 

268 

18  17 

21 

1 

128.  342 

61iff. 

259.  261 

268 

1821 

88 

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100 

615 

262 

197 

83 

l3 

125 

616 

214.  263. 

281 

21 5 

124 

l4 

99.  115 

618 

204 

21 6 

88 

l7 

343 

62 10 

223 

21 14 

53 

l26 

355 

62 12 

214. 

281 

224 

287 

l27      51 

109. 121.  345 

63iff. 

123 

235f. 

288 

l28 

59 

638 

311 

23 11 

101 

3 14 

125 

639 

128. 

129 

2315 

130 

322 

125 

6311 

267 

23 19 

20.  21 

44flF. 

161 

63 19 

12 

25 11 

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55 

183 

65 17 

220 

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131 

5 17 

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6520 

205 

2530 

60 

6  14 

124 

6525 

196. 

205 

2531 

78 

77 

17 

66 1 

121 

2532f. 

81 

7  12 

143 

66 15 

21.  49. 

177 

2586f. 

54 

8i 

125 

6616 

78.  82 

275 

124 

82 

345 

66i8ff. 

178. 

264 

288 

156 

8 14 

333 

6682 

220 

29 10 

160 

92f. 

115.  343  f. 

3019 

268 

11  5 

125 

Jer. 

3023 

20.  21 

1119 

204 

ll5 

175 

31 1 

143 

13 11 

62 

3 15 

266 

3110 

267 

149 

124 

4 18 

21. 

177 

31l2ff. 

268 

14 13 

124 

423ff. 

69. 

147 

3l3lfif. 

204 

14l5f. 

90 

424 

12 

3140 

214 

14 19 

130 

425 

230 

32 18 

281 

1619 

213 

5i 

232 

3222 

212 

1660ff. 

204 

56 

89 

3240 

204 

17 

106 

5l5 

176 

3311 

268 

206 

212 

5 16 

176 

33i4flF. 

288 

20 15 

212 

622 

175 

33 15 

142.  143 

2033 

130 

74 

101 

3320 

206 

2034flf. 

219 

7ioflF. 

101 

332off. 

204.  255 

2037 

206 

732 

186. 

190 

3325 

206 

2liff. 

53 

782ff. 

83 

3420 

83 

2l8ff. 

78 

8iff. 

83 

43 12 

53 

21l9ff. 

79 

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130 

4610 

136 

2222 

130 

8 17 

89 

47  2f. 

68 

2332ff. 

132 

9 10 

90 

476 

80 

2419-24 

19 

9 14 

130 

4843f. 

230 

26i9f. 

176 

920 

98 

49 19 

90 

28 

116 

10 10 

13 

4927 

53 

28 13 

109 

1022 

90 

4933 

90 

2814 

110 

115 

212 

504 

142.  143 

28  uff. 

99 

11 10 

207 

5084ff. 

78 

294 

97 

123 

137 

5039 

90 

295 

81.  140 

1212 

82 

51 7 

133 

30 12 

19 

1324 

21 

5129 

12 

31iff. 

105 

1412 

88 

5136 

19 

31 16 

105 

1421 

207 

5137 

90 

31 18 

80 

158 

88 

5139 

132 

323 

97 

164 

83 

5140 

136 

324 

140 

Stellenverzeichnis. 


373 


324fif. 

326 

327ff. 

32 10 

32i9£F. 

3221 

3227 

34 12 

3423ff. 
3425 
3428 
3626 

37 
37 1 
372 
37 12 

3724 
3726 

38  f. 
38i9f. 

3822 

39 

3911 

39i7ff. 

402 

403 

4039 

442 
44  7 
44 15 
47 1—12 
4830fif. 

4885 


2i 

23 

2 15 

2l6ff. 

2 19 

220 

223f. 

38if. 

35 

42f. 

43 

4 16 

5i 

5 10 

5 14 
7  12 

9iiff. 

11 10 
122 

12 10 

13  7f. 


81 

140 

69 

79 

80 

281 

176 

69 

272.  288 

201 

201 

204 

182 

125 

83 

83 

266.  272 

204 

178.  180  fif. 

13.  14 

62 

82  f. 

225.  227 

139 

222 

107.  345 

117 

345 

207 

139 

225 

229 

281 


Hos. 


268.  281 

281 

143 

218.  231 

201 

194.  200 

209 

231 

272 

25 

147 

267 

102 

130 

90 

97 

230 

60.  90 

28 

218 

90 


13 14 
13l4f. 

13 15 


1.  2 

22 

22ff. 

25ff. 

2 11 

220 

3iff. 

33f. 

4 
4i 

42 

4l2ff. 
4 15 
4  16 
4 17 


87.  96.  97 

22  ff. 

20 

Joel 

91  ff. 
69 
92 
91  f. 
60.  76 
83.  93.  187.  225 
205 
70 
178 
142.  143 
187 
187 
70 
60 
188.  214.  227 
4i8    141.187.209.225 


Arnos 


li 

12       23. 

l2— 2l6 

l3ff. 

14 

ll4 

22 

27 

2l3ff. 

36 

3  12 

3  14 

4iff. 

46—12 

4l3 

52f. 

5l4f. 

5  18 

5 18— 20 

5 19 

6iff. 

7i 

7iff. 

72ff. 

79 

88 

89 

89ff. 

8iiff. 

8 13 

8 14 

9iff. 

92 


12 

60.  102.  235 

18 

49 

53 

24.  71 

71 

135 

17.  24.  148 

86 

229 

102 

103 

168.  235 

210 

229 

235 

142 

151 

89 

152 

188 

170 

235 

201 

12.  14 

70.  142.  147 

25 

25 

142 

25 

102.  229 

96.  123 


93 

89 

95 

14 

98 

231 

9 11 

255 

9 13 

141.  209 

Obadja 

16 

132 

17 

227 

Micha 

l3 

13.  31.  35.  210 

l4 

12.  353 

34 

143 

3iif. 

101 

4i 

116.  221  f. 

4iff. 

264 

42 

101 

43 

200 

46ff. 

267 

47 

233 

49f. 

178 

4  uff. 

178 

5iff. 

278.  289 

53 

266.  283 

54 

284 

59ff. 

200 

5l2f. 

201 

7iff. 

180 

74 

17 

76 

19 

77ff. 

180 

78 

53.  306 

7  14 

267 

7l5ff. 

264 

Nahum 

l3 

20.  121 

l4 

20  f. 

l5 

12 

l6 

13.  31 

24ff. 

177 

3  18 

266 

Hab. 

25 

97 

2  14 

205 

2 15 

130 

2l5f. 

132 

3 

63.  220 

33 

98 

35 

85.  87 

36 

13 

38ff. 

71 

39 

59 

3 10 

62 

3 11 

59 

374 


Stellenverzeichnis. 


Zeph. 

146f. 

221 

443f. 

122 

Is 

50. 

230 

148 

225 

444 

127  f. 

l2f. 

137 

14 10 

116.  222 

445 

267 

l8 

136 

14  13 

19 

44 10 

71 

ll5 

69 

1421 

214 

455 

124 

116 

71.  137. 

146 

Mal. 

457 

203.  255  f. 

ll7 

18 

46 

68  f.  178 

ll8 

49. 

145 

15 

99 

465 

112.  225 

2 11 

264 

3i 

202.  306 

467 

31.  35 

2 12 

78 

3 19 

32.  36 

47 

297 

2l4f. 

90 

324 

84 

472 

295 

3 1—7 
38 

49. 

179 
179 

Psalmen 

476 
479 

299 
295.  296.  299 

38flf. 

178 

2 

252  ff.  262.  289 

48 

178 

39 

264 

27 

256 

483 

115.  222 

3 10 

263 

47 

127 

503 

20.  49 

3 19 

143. 

267 

53 

267 

5112 

204 

66 

96 

58 

299 

Hag. 

10 11 

127 

604 

12 

26 

12 

1016 

267 

605 

131 

221 

12 

ll4 

121 

607 

123 

222 

19 

11  6 

62 

6012 

71 

132 

127 

61  7 

255 

Zaeh. 

176 

121 

672 

127 

2iff. 

165 

18 

29 

683 

32 

28 

268 

186 

97 

688f. 

13.  62 

29 

228 

188 

12 

68 16 

103 

2 13 

125 

189 

49.  121 

6822 

71 

4 

126 

18 10 

121 

6831 

190 

4iff. 

28 

18iof. 

69 

72 

252.  262 

4 10 

111. 

121 

18 15 

59 

728 

254 

6iff. 

106 

18l6 

13.  21 

72 17 

255 

84 

205 

1851 

255 

7314 

125 

84f. 

268 

215 

255 

742 

101 

98 

228 

2213 

103 

74 14 

140 

99f. 

286 

22 15 

32 

759 

131 

9 10 

200. 

254 

2225 

127 

764 

85 

9  14 

20.  61 

23 1 

267 

765 

111 

10 10 

53 

247 

295 

77  i7ff. 

30 

lliff. 

53 

24  7f. 

267 

77 18 

62 

Il4ff. 

165 

248 

71 

77i8f. 

59 

11 10 

207 

24 10 

72 

7848 

85 

12 

178 

2516 

127 

7849 

88 

12—14 

333 

27 1 

53 

7854 

124 

122 

133 

279 

127 

7868 

101 

124 

18 

289 

267 

79 11 

123 

128 

257 

29 

13.  60 

8O4 

127 

129ff. 

332 

29 10 

227.  267 

808 

127 

13 1 

225 

304 

96 

80 11 

55 

13iff. 

214 

308 

127 

80  20 

127 

14 

178 

31  2 

121 

82 

298 

14 1 

84 

3117 

127 

83iofiF. 

62 

14iff. 

180. 

185 

34 16 

121 

8314 

21 

144 

12  f. 

353 

35  if. 

71 

83i5f. 

32 

144ff. 

227. 

333 

36  9f. 

226 

86 16 

127 

145 

12. 

348 

36 10 

53 

87 1 

Ulf. 

Stellenverzeichnis. 


375 


8812 

188 

14411 

123 

Koh. 

88i2f. 

96 

1472 

267 

9l2 

97 

8815 

127 

1482 

72 

896.  8 

348 

Dan. 

89 11 

123 

Prov. 

24 

255 

89 14 

122 

I12 

97 

232 

165 

8928 

256 

1511 

188 

39 

255 

903 

96 

16 15 

127 

4 10.  14 

.  20 

348 

9l3 

97 

2720 

97 

7      165.  337  ff. 

340  ff. 

91 5f. 

88 

30 16 

97 

72f. 

354 

93 1 

295 

79ff. 

298 

953 

295  f. 

Job 

7l8ff. 

289 

96 10 

295.  297 

I16 

59 

85 

305 

96 13 

297 

27 

86 

813 

348 

97 

297 

5i 

348 

8l5ff. 

342 

97 1 

295 

57 

85 

9  17 

127 

973 

49 

96 

12 

920ff. 

342 

97  5 

32 

9l6f. 

21 

924ff. 

165 

977ff. 

296 

1515 

348 

105f. 

109. 

343  ff. 

98 1 

123 

18l8f. 

87.  97 

106 

111 

986 

295 

1921 

86 

10l2ff. 

77 

989 

297 

21 20 

130 

10l3ff. 

348 

99 1 

295  f. 

265 

96 

10  16.  lg 

343 

10217 

270 

266 

188 

IO2I 

374 

103  19 

299 

2822 

188 

ll40ff. 

188 

10321 

72 

2924 

127 

11 45 

225 

1041 

295 

34  uff. 

96 

12 1 

374 

104  2 

345 

374 

60 

12  6f. 

344 

104  3 

69 

37 10 

21 

10416 

55.  104 

3718 

107 

Neh. 

104  29 

96.  127 

3722 

110 

23 

255 

104  32    13. 

32.  125.  353 

381 

20 

106  9 

21.  30 

406 

20 

[  Chron. 

108  12 

71 

4025 

97 

523 

103 

110 

252.  262 

4117 

281 

21 

86 

1144.  6 

13 

21 16 

77 

1168 

97 

Cnt. 

2126 

58 

118  12 
118  I5f. 

56 
122 

86 

85 

II  Chpon. 

119132 

127 

Threni 

7i 

58 

119135 

127 

24 

130 

26 19 

86 

121 1 

111 

4 11 

130 

3l5 

213 

1417 

97 

4 16 

128 

3221 

86 

1445 

32.  125 

421 

132 

Pseudepigraphen  und  Apokryphen 

[nach  Kautzsch  zitiert]. 


Apk.  Abraham 

49 

69 

36 

106 

29                            166 

49  f. 

36 

39 
395 

164 
106 

Test.  Abraham 

I(  = 

syr.) 

Barueh 

53 

166 

A  19                        165 

46 

220 

702.6 

19 

B  7                          165 

253 

19 

27 

166 

II.  (= 

gpieeh.) 

Ba- 

Vita  Adae 

29 

140.  220 

rueh 

36                            259 

294 

190 

6 

110 

376 


Stellenverzeichnis. 


IVEsra 

494 

356 

85 

259 

5i 

19 

50i 

356 

85f. 

211 

658 

140.  190  1 

51  3 

357 

142 

110 

728f. 

350 

515 

356 

229 

259 

7S6 

220 

52 

107 

33iff. 

165 

852 

220 

524 

356 

482 

108 

12 

164 

526 

38.  356 

64  4f. 

360 

13 

337  ff. 

349  fif. 

529 

356 

65 10               220  f. 

228 

1330 

19 

536 

356 

149 

350 

554 

356  f. 

Jubiläen 

1437ff. 

135 

602 

357 

8 12 

183 

60 11 

358 

8 19 

183 

I(= 

äth.)  Henoeh 

6024 

140 

[ed. 

Flemming] 

6024f. 

190 

Psalmen  Sal 

. 

8 

200 

61 5 

356 

226ff. 

190 

1012 

165 

61 8 

356  f. 

lll 

62 

18 13 

108 

61 10 

356 

24 

107 

61 11 

357 

Sap.  Sal. 

244 

112 

61 12 

358 

52lf. 

60 

25 

220 

62 1 

356 

253 

108 

622 

356  f. 

Sibyllinen 

255 

112  f. 

625 

357 

II  240 

39 

26 

189 

62  6f. 

358 

252  ff. 

40 

26  if. 

183 

628 

356 

285  ff. 

39 

34 

228 

674ff. 

38 

304  ff. 

40 

39  5f. 

358 

696 

200 

III  84f. 

36 

396 

356  f. 

69i6ff. 

206 

652 

308 

396ff. 

360 

6927 

356  f. 

744 

211 

405 

356 

6929 

357 

769 

220 

453f. 

356 

70 

358 

V  281  ff. 

211 

46i 

356 

70ifif. 

357  f. 

463 

358 

71 

359  f. 

Jesus  Sir. 

46  4f. 

356 

773 

114 

3928ff. 

88 

473 

357 

82 

166 

4311 

59 

48  if. 

358 

8959fif. 

164  f. 

4317 

85 

488 

357 

8971 

166 

462 

59 

484 

358 

90 17 

166 

485 

357 

91 16 

221 

Test.  XU  Patr. 

486.7 

358 

93 

165 

Test.  Asser  7 

190 

4810 

356 

Test.  Levi  18 

220 

492 

360 

II  (  = 

slaw.)  Henoeh 

492ff. 

358 

6 

225 

Tobit 

498 

359 

83 

259 

13l6f. 

229 

Neues  Testament, 

Matth. 

Mark. 

Job. 

5ff. 

239 

93 

346 

3 13 

365 

1341 

364 

139 

284 

662 

365 

172 

346  f. 

165 

346 

738 

24 

1928 

364 

2022 

131 

Luk. 

Act. 

2429 

28 

929 

346^ 

lio 

346 

2437 

69 

1726 

69 

2689 

131 

1831 

364 

Rom. 

288 

346  f. 

244 

346 

l3 

365 

Stellenverzeichnis.     Namenverzeichnis. 


377 


IKop. 

Apk. 

Joh. 

207ff. 

188 

3 15 

40 

l5 

292 

20io 

37 

1545 

365 

ll2 

111 

20i4f. 

37 

ll3ff. 

347 

21  8 

37 

I  Thess. 

Il5 

343 

2110 

116 

4 16 

62 

27 

220 

2112 

.     166 

58 

72 

4 

111 

21l2f. 

228 

56 

111 

21 13 

114 

Eph. 

6iff. 

165 

2119 

229 

6  uff. 

72 

6ii 

346 

2121 

223 

6 13 

28 

2l23f. 

221 

Phil. 

7l3f. 

346 

22  if. 

227 

25ff. 

IlPetP. 

365 

91-11 
12iff. 

19l5ff. 

188 

190.  284 

188 

225 

221 

35ff. 

36.  69 

1920 

37 

III.  Namenverzeichnis. 


Bachmann  200 
Baldensperger  334 
Baentsch  30.  41.  45.  172 
Baudissin  122.  202.  333 
Baethgen  29.  32.  98.  103.  112.  117. 

128.  297 
Beer  39.  85.  86.  96.  97.  359 
Berger  127 
Bertholet   62.   115.   161.   180.   181. 

201.  301 
Bickell  140 
Blanckenhorn  33 
Böklen  31.  37.  51.  224 
Bousset  31.  37.  182.  189.  284.  339. 

363 
Brandt  336 
Brehm  91.  92 
Brugsch  183 
Büchler  213 
Budde  72.  75.  301.  315 
Buhl  224 

Charles,  E.  H.  141 
Cheyne  238 
Cornill  81.  301 
Curtiss  293 
Dalmann  334 
Darmesteter  363 
Delitzsch  143 
Dennert  42.  48 
Dieterich  109.  110 


Dillmann  61.  80.  95.  126.  176.  197 

Dittenberger  .307 

Duhm,  B.  6.  14.  26.  28.  32.  34.  54. 

60.  64.  66.  88.  111. 123.  127.  131. 

140.  176.  196.  203.  208.  216.  230. 

263.  281.  282.  297.  300.  301.  302. 

304.  305.  308.  310 
Duhm,  Hans  85.  86 
Dussaud  109 

Eichhorn  24.  90.  129.  254.  291 
Erman  98.  223.  250.  256.  258.  266 
Ewald  117.  126 
Fiebig  334 
Flemming  355 
Flügel  270 
FüUkrug  301 
Gall,  von  42.  58.  100 
Geiger  31.  38.  224 
Gesenius  14.  81.  289 
Giesebrecht  89.  122.  132.  175.  176. 

204.  205.  206.  238.  302.  312.  313. 

314.  315.  320.  326.  329 
Goldziher  207.  213 
Grill  56 
Grimm  282 
Gunkel   4.   14.  17.   19.  26.  27.  28. 

29.  30.  31.  33.  42.  48.  51.  52.  54. 

63.  65.  66.  71.  74.  78.  81.  84.  89. 

90.   99.    103.   106.   107.  111.  112. 

113.  114. 116.  124.  126.  129.  133. 


378 


Namenverzeichnis. 


138.  140.  141.  144.  145.  150.  152. 

159.  160.  161.  163.  164.  166.  167. 

168.  169.  172.  173.  186.  188.  190. 

192.  195.  196.  198.  203.  207.  215. 

218.  221.  222.  223.  224.  228.  229. 

247.  249.  252.  254.  256.  257.  258. 

265.  278..  279.  281.  284.  286.  288. 

290.  295.  296.  298.  301.  302.  307. 

316.  325.  329.  330.  332.  334.  335. 

339.  342.  345.  346.  351.  352.  353. 

354.  359   362 
Guthe    13."  20.  49.  62.  64.  238.  282 
Haarbriicker  363 
Hackmann  238 
Hepding  330 
Herrlich  31.  37.  44.  45 
Hitzig  111.  185.  304 
Hoffmann,  G.  345 
Houtsraa  71.  85 
Hiibert-Maiiss  328.  329.  331 
Huhn  2.  5.  6.  141.  239.  244 
Jackson  31.  37 
Jastrow    104.    111.    143.    250.    259. 

261.  265 
Jensen  104.  111 
Jeremias,  Alfred  24.  104.  183.  270. 

270.  271.  331 
Kampers  307 

.Kauffmann,  Fr.  328.  330.  332 
Kautzsch  71.  72.  176 
Kittel  60.  95.  223.  252.  304.  316 
Klostermann,  A.  304 
Klostermann,  Erich  103 
Köberle  12.  30.  60.  69.  97.  118 
Krätzschmar   52.  62.  81.  115.  139. 

161.  181.  193.  201.  202.  342 
Kuenen  77.  304 
de  L/agarde  138 
Lasch  12.  125 
Laue  301 

Lidzbarski  73.  104.  110.  117 
Lietzmann  334 
Löhr  25.  89 
Marti  343 

Meinhold  25.  229.  234.  235.  273.  274 
Menzel  110 
Merx  92 

Meyer,  Eduard  71.  247 
Meyer,  M.  Wilhelm   12.  16.  32.  37. 

43.  44.  56 
Michaelis  70 
Müller,  J.  G.  12.  13.  109.  159.  163. 

293 
Müller,  W.  Max  71.  85 
Nielsen  40.  41.  57.  126.  127.  128 
Nowack    17.    62.    74.    77.    89.    90. 


92.  95.   132.  187.  218.  219.  221. 

238 
Oldenberg  109.  110.  111.  136.  291. 
Oort  25  [292.  362 

Preuschen  270 
Radermacher  30.  33.  80 
Eeitzenstein  126 
Kenan  39 
Eoscher  110.  111 
Euhl  233 
Schian  301 
Schiaparelli  70 
Schmidt,  Nath.  334.  347 
Schmiedel  334 
Schoene  290 

Schultz  40.  41.  142.  205 
Schürer  166 
Seiden  109 
Seilin  301 
Smend  40.  41.  58.  83. 128.  142.  148. 

154.  157.  162.  170.  171.  184.  202. 

242.  264.  289 
Smith,  J.  M.  P.  141 
Smith,   W.  Eobertson    2.    57.    139. 

213.  328 
Socin  104 

Söderblom  31.  37.  363 
Spiegelberg  71 
Stade   40.    77.   99.    145.    178.   207. 

212.  213.  231 
Stärk  142 
Xoy  181 
Tylor  293 
Usener    193.    197.    198.    200.    207. 

211.  212.  214.  215 
Volz  2.  12.  19.  27.  31.  37.  62.  69. 

80.  165.  166.  220.  227.  238.  283. 

284.  341.  347 
^Weber  140.  164.  166 
Weicker  110 
Weinel  250 
Wellhausen  2.  6.  17.  18.  23.  25.  26. 

49.  53.  56.  58.  70.  71.  73.  74.  75. 

84.   92.  103.   130.   131.  132.  147. 

151.  152.  158.  162.  174.  177.  180. 

186.  187.  194.  195.  202.  221.  225. 

235.  250.  264.  278.  304.  307.  334. 
Wendland  307.  311  [335.  339 

Westphal  98 

Winckler  71.  160.  167.  182 
Wissowa  126 
Wrede  334 
Zimmern  (KAT^)   71.    87.   96.  104. 

114.  161.  166.  168.  173.  197.  215. 

251.  252.  256.  259.  261.  265.  271. 

284.  290.  330.  349. 


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