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Full text of "Der Zweckbegriff bei Trendelenburg"

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Liebermann,  Bernhard 

Der  Zweckbegriff  bei 
Trendelen bürg 


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in  2010  witii  funding  from 

University  of  Toronto 


littp://www.arcliive.org/details/derzweckbegriffbOOIieb 


n^ 


Der  Zweckbegriff 


bei 


Trendelenbiirg. 


Inaiigural-Dissertation, 

der  Hohen 

Pliilosopliisclien  Facultät  der  Universität  Jena 

zur  Erlangung  der 

Pliilosopliisclien  Doctorwürde 


vorgelegt 


von 


Bernhard  Liebermann, 


Meiuiugeu.  ^ 

Druck  und  Vei'lag  der  Keyssner'schen  Hofbuchdruckerei. 

1889. 


^  A  -■  '■•' 


ß 


AUS  PER 
ÜN!VERSiTAIS  =  £tSL;OTHEK; 


Seinem  geliebten  Brnder, 

Herrn  Pfarrer  C.  Liebermann 


zu 


Osthausen  b.  Kraiiichfeld, 

in  herzlicher  Zuneigung 
gewidmet 


vom 


Verfasser. 


Dei?  Z^^^eckbegriff 

bei 

Trendelenburg. 


Der  Zweckbegriff,  im  Entwickelungsgange  philosophi- 
scher Forschung  hier  angebahnt,  begründet  und  hervor- 
gehoben, dort  geläugnet,  beschränkt  und  zurückgeschoben, 
immer  aber  als  eines  der  Hauptprobleme  des  Denkens 
anerkannt,  erlangt  gerade  in  unserer  Zeit  Beachtung  und 
Befestigung.  In  welch'  hohem  Grrade  hieran  Adolf  Tren- 
delenburg, dieser  umsichtige  und  gediegene  Forscher,  be- 
teiligt sei,  dies  sagen  uns  am  Treffendsten  die  Worte 
Jherings:  „Das  Beste,  was  mir  bei  meinem  Suchen  — 
(nach  genügender  Erörterung  und  Begründung  des  Zweck- 
begriffs von  Seiten  Anderer)  —  begegnet  ist,  sind  meines 
Erachtens  die  Ausführungen  von  Trendelenburg,  meister- 
haft nach  Form  und  Inhalt."')  Aber  freilich,  es  war 
unser  Philosoph  mit  seiner  Nüchternheit  und  Strenge  des 
Denkens,  mit  seiner  —  man  könnte  sagen  —  klassischen 
Einfachheit  des  Darstellens  im  Strome  einer  flachen  Mode- 
philosophie fast  in  Vergessenheit  geraten.    Um  eo  erfreu- 

1)  Der  Zweck  im  Recht  I.  2.  Aufl.  p.  VIII. 


'^^    6    ex« 

lieber  ist  es,  dass  das  wissenschaftliche  Interesse,  sich  der 
Lehre  Trendelenburgs  wieder  zuwendet.  Und  es  möchte 
derart  auch  durch  diese  unsere  Untersuchung  Anlass  zur 
weiterschreitenden  Würdigung  dieses  Philosophen  gegeben 
werden.  Wir  werden  so  nun  im  Folgenden  allerdings 
weder  die  Grundthesen,  noch  das  Ganze  der  ^in  Rede 
stehenden  Speculation  behandeln,  sondern  nur  ein  Einzelnes, 
ob  zwar  Grundlegendes  derselben,  doch  muss  eben  im 
Zweckbegriff  das  vollständige,  wenn  anders  einheitlich 
durchwirkte  System  sich  mit  herausstellen. 

Yon  den  Trendelenburgischen  Schriften  kommen  hier 
vornehmlich:  „Logische  Untersuchungen"  ')  und  darin 
wieder  Bd.  IL.  Abschn.  IX,  p.  1 — 76.  „Der  Zweck"  ganz 
besonders  in  Betracht,  wenngleich  der  Begriff  des  Zweckes 
auch  in  seinen  übrigen  Werken  —  wie  in:  „Naturrecht  auf 
dem  Grunde  der  Ethik."  ^)  (z.  B.  bei  den  Grundstellen: 
„Die  organische  [zwecklich,  im  Zwecke  begründete]  Welt-, 
anschauung  stützt  sich  zunächst  auf  die  grosse  Thatsache 
des  Lebendigen.  —  Der  Charakter  eines  nach  innerem 
Zweck  sich  gliedernden,  entwickelnden,  vollendenden 
Ganzen  bleibt  im  Sittlichen;"  ^)  und:  „  [es]  ist  das  Recht 
im  sittlichen  Ganzen  der  Inbegriff  derjenigen  ^allgemeinen 
Bestimmungen  des  Handelns,  durch  welche  es  geschieht, 
dass  das  sittliche  Ganze  und  seine  Gliederung  sich  erhalten 
und  weiterbilden  kann  ^)  .  .  .),  ferner  'in  „Historische 
Beiträge  zur  Philosophie"  ^)  (z.  B.  bei  dem  abschliessen- 
den Urteile  über  die  Kategorienlehre:  „Durch  ^  die  im 
Geiste  frei  gewordene^  Bewegung,  die  der  Ursprung  der 
mathematischen  Welt  ist,  wird  es  möglich,  in  die  Be- 
wegung einzugehen,  welche  der  Entstehung  der  Dinge  zu 


.')J^eipz.  1862,  2  Bdde.  2  Aufl.    -')  Leipz.  1868,  2.  Aufl.  ■■')  ib.  p. 

25  ff.     *)  ib.  p.  83     ■•)  Berlin,  Bethge,  1846,  55,  67.  3  Bdde. 


n^9      7      QX" 

Grunde  liegt')  .  .  .;"  und:  „Aus  der  bewussten  Richtung 
der  constructiven  Bewegung  entspringt  schon  mehr  als 
blind  wirkende  Causalität;  es  wird  durch  dieselbe  auf 
dem  Gebiete  der  menschlichen  Tätigkeit  der  grosse  Begriff 
des  Zweckes  möglich  und  in  der  Xatur  erkennbar"  ')  — 
principiell  vorwaltet  und  daher  auch  aus  diesen  Schriften 
in  Ergänzung  und  ^Vervollständigung  der  Hauptstellen  zu 
erörtern  ist. 

Als  Teile  unserer  Forschung  ergeben  sich,  vorwiegend  nach 
dem  Gange  des  Trendelenburgischen  Philosophems  selbst: 
Inhalt  und  Begründung  des  Zweckbegriffes,  "Widerlegung 
der  Gegengründe,  das  Reich  der  Zwecke,  der  Zweck  im 
Zusammenhange   des    Systems  und  Resume  und  Kritik.^) 


Der  Inhalt  eines  Begriffes  ist  gleich  der  Summe  der 
wesentlichen  Merkmale  desselben.^)  Als  solche  resultiren 
aus  der  Analysis  der  ersten  Hälfte  ^)  des  oben  angegebenen 
Hauptabschnittes  im  Gesammtbet rächt: 

A.  Der  Zweck  ist  ein  Erfahrungsmässiges  und  Tat- 
sächliches; er  wird,  in  seiner  das  natürliche  wie 
geistige  Leben  umfassenden  Macht  angeschaut,  zum 
Weltbegriff. '') 

B.  Der  Zweck  als  eine  Tatsache  erfordert  als  Be- 
dingung der  Tatsächlichkeit  die  Entgegensetzung, 
aber  diese  Entzweiung  wird  unter  einem  neuen 
Ganzen  wieder  aufgehoben.  *') 

*)  ib.  1,  363.  ^)  ib.  p.  369.  ^)  Bei  alledem  bezeichnen  wir  fortan 
die  2  Bdde  der  „Log.  Untersuclijrn."  mit  I  u.  II,  die  3  Bdde  der 
„Hist.  Beiträge"  mit  1,  2  u.  3,  „Naturrecht..."  mit  „R."  Ferner 
bedeutet  ex.:  vergl.  auch,  ^b)  I,  20.  *)  II,  1—38.  *)  11,  1  —  16,  6, 
19,  22,  24,  26,  27,  28,  42,  48,  88,  90,  91  etc.  «)  H,  17,  18,  28, 
b5,  127,  135,  162. 


C.  Der  Zweck,  so  auf  das  Ganze  gehend,  erzeugt  die 
Teile  aus  dem  Ganzen  und  ist  hiernach  ein  Hy- 
sterenproteron  oder   eine   praestabilirte  Harmonie.  ') 

D.  Derart  ist,  soweit  der  Zweck  in  der  Welt  wirklich 
geworden,  der  Gedanke  als  Grund  vorangegangen,  ^j 

E.  Dieser  Gedanke,  mit  den  wirkenden  Ursachen  eins, 
steht  in  seiner  Macht  mitten  in  und  über  den  Dingen. 
Und  so  dient  in  ihm  die  Kraft  dem  Zwecke.  Da- 
her will  letzterer,  wo  er  erscheint,  eine  Tätigkeit.  •') 

F.  Insofern  wirkt  der  Zweck  auf  den  Stoff  und  erhebt 
denselben  zum  Mittel.  ■*) 

G.  Die  Zwecke  sind  einander  untergeordnet  und  bilden 
Reihen.  ^) 

Diese  Entfaltung  der  Merkmale  des  Zweckbegriffes 
hebt  also  mit  der  Erfahrung  an,  zeigt  sodann  im  Allge- 
meinen Yoraussetzung  wie  Charakter  des  Zweckes,  betont 
weiterhin  die  Wechselbeziehung  zwischen  Zweck  und  Ge- 
danken, schreitet  hierauf  zur  Darlegung  der  Relation  des 
Zweckes  zur  Materie  und  gipfelt  in  der  Eröffnung  des 
Ausblickes  auf  die  (endlosen)  Reihen  der  in  der  Wir- 
kung beharrenden,  einander  sich  unterordnenden  Zwecke. 

Das  erste  Merkmal  fusst  in  der  Empirie,  das  letzte 
reicht  in  das  Metaphysische  hinein. 

Das  Empirische  ist  Yielheit.  Wirkte  der  Zweck  sich 
derselben  nicht  ein,  oder  so,  dass  er  sie  vermehrte,  so 
wäre  er  Nicht-Zweck.  Polglich  muss  er  der  Yielheit 
sich  einwirken  und  dieselbe  mindern,  die  Dinge  in  Be- 
ziehung von  Ursache  und  Wirkung  umgestalten,  docli 
hierdurch  fördernd,  weil  neuen  Zielpuncten  und  immer 
höherer  Einheit  zuführend.  Diese  zielsetzende  Einwirkung 


1)  n.  19  fi-,  29,  125,  134,  190;  23;  25;  6,  26,  27,  28,  492.  •^)  II, 
27  ff.  91,  117,  431,  433.  ■')  U,  30;  31,  132;  3!,  137.  *)  II,  32: 
34,  37,  124,  137,  159.     *)  II,  37. 


'^^    9    <s^ 

des  Zweckes  würde  jedoch  nicht  sein,  wenn  ihm  nicht 
der  Gedanke,  der  vorausschauende,  zu  Grunde  läge.  Aber 
auch  der  Gedanke  vermöchte  nicht  zum  Ziele  zu  führen, 
hätte  er  nicht  Macht  zur  Formung  und  Kraft  des  Bildens 
und  Trieb  der  Actualität.  Indem  nun  der  Zweck  kraft- 
begabt sich  aus-  und  einwirkt,  ergreift  er  die  AVeit  zur 
Mittelschaft.  Da  endlich,  wenn  das  Tatsächliche  nicht 
zerrissen  werden  soll,  im  Fluss  der  Formung  kein  Still- 
stand, kein  Yacuum  eintreten  darf,  so  muss  das  eben 
Bezweckte  d.  i.  zwecklich  Erreichte  sofort  zu  neuer  Ziel- 
setzung und  weiterem  Zweckgeschehen  treiben. 

In  wiederum  neuer  Beleuchtung  enthüllt  sich  das 
Ganze  dieser  Merkmale,  wenn  wir  ihren  Umfang  und 
Bereich  selbst  in  Betracht  ziehen.  Die  Erklärung  fängt 
mit  dem  Begriff  des  endlich  Weiten  an  und  schliesst  mit 
demjenigen  des  unendlich  Weiten.  Die  mitteninne  auf- 
tretenden Merkmale  müssen  den  Zweckbegriff  fortgesetzt 
verengern.  Schon  der  2.  Satz:  „Der  Zweck  erfordert 
Entgegensetzung"  repraesentirt  eine  bedeutende  Einschrän- 
kung, denn  hier  blicken  wir  sofort  von  der  immensen 
Yielheit  des  Concreten  weg  und  auf  die  Entgegensetzung 
oder  jeweilige  Zweiheit  hin.  Wenn  der  Zweck  dann  im 
3.  Merkmale  als  {jörf^ov  jcqotbqov  erhellt,  so  tut  sich 
darin  eine  ganz  specifische  Exclusivität  an  ihm  kund,  und 
jemehr  demgemäss  der  Bereich  der  Causalität  vom  Zwecke 
und  seinem  Reiche  abgelöst  w^ird,  um  so  weniger  kann 
insoweit  der  Zweckbegriff  ausgedehnt  sein.  Eine  weitere 
Verengerung  entspringt  aus  der  Association  von  Zweck 
und  Gedanke,  denn  so  hat  der  erstere  nicht  nur  an  sich, 
sondern  obendrein  von  einem  Andern  her  und  dies  erneut 
an  sich,  also  potenzirt,  Begrenzung.  Die  Concentration 
der  Definition  schreitet  Aveiter,  indem  das  Wirken  des 
Gedankens,   mit  Ausschluss  des  Quäle   auf  das  Quantum 


'^IS   10  Q^ 

bezogen,  allein  in  Ansehung  seiner  Macht  und  diese 
wieder  nicht  als  blind  in  die  "Weite  und  Breite,  sondern 
ziehvärts  wirkende  Fornmngskraft,  letztere  aber  wiederum 
als  activ,  mit  Weglassung  der  Indifferenz,  gefasst  wird. 
Ja,  immer  mehr  spannt  sich  die  Definition  in  ein  Mini- 
mum zurück,  wenn  der  Zweck  dann  auch  nicht  melir  als 
Quantum,  sondern  nur  noch  als  Quatenus,  nämlich  inwie- 
weit er  der  "Welt  sich  einwirkt,  genommen  wird,  bis 
freilich  in  dem  das  Ganze  krönenden  Merkmale  der 
(endlosen)  Zweckreihen  die  siebenfache  Spannung  und 
Concentration  plötzlich  über  das  erste  Merkmal  hinaus 
in's  Unbegrenzte  sich  ausweitet. 

Wir  schreiten  nunmehr  zur  Einzelbetrachtung  der 
Merkmale  des  Zweckbergriffes  Tr's. 

Nachdem  unser  Philosoph  seinen  Gmndbegriff,  die 
Bewegung  im  Denken  wie  im  Sein  ^),  gewonnen  und  die 
Gegenstände  a  priori  aus  der  Bewegung,  nämlich  Raum 
und  Zeit,  Materie  und  Form,  Figur  und  Zahl,  extensive 
und  intensive  Grösse ")  und  ebenso  die  realen  Kategorien 
aus  der  Bewegung,  als  da  sind  Causalität  und  Substanz, 
Quahtät  und  Quantität,  Messbarkeit  und  Einheit  im  Yielen, 
luhaerenz  und  Wechselwirkung,  ^)  deduzirt  hat,  verlässt 
er  zeitweilig  die  logische  Ableitung  und  versetzt  un;? 
mitten  in  die  Gestalten  der  Natur,  da  wir  so  nur  erkennen 
können,  wie  weit  die  schöpferische  Bewegung  mit  den  aus 
ihr  entspringenden  Begrift'en  ausreiche.  Halten  wir  derart 
die  Theorie  gegen  Tatsachen,  so  begegnen  uns  sogleich 
solche,  welche  aus  Bewegung  und  Causahtät  nicht  zu  er- 
klären sind.  Im  Gesichte  des  Menschen  —  ein  ganz 
nahe  liegendes  Beispiel  —  entsprechen  Stoff  und  Bau 
der  Medien  des  Auges  (Nerv  und  Netzhaut,  die  gewölbte 


•)  I,  140  £F.     2)  I,  233     324.     ')  I,  325-379. 


'^^    11    QX" 

Hornhaut,  die  wässerige  Feuchtigkeit,  die  sammelnde 
Linse,  der  dünnere  Glaskörper)  der  Farbe  und  Form  der 
Aussendinge,  so  dass  die  von  Einem  Puncte  kommenden 
Strahlenkegel  des  Lichtes,  nach  Einem  Puncte  der  Netz- 
haut zu  gebrochen  und  hier  durch  Hornhaut  und  Linse 
in  der  Ümkehrung  dargestellt,  im  Lichtmeer  des  Sehnerven 
Gestalten  ergeben.  Zudem  wird  das  unvollständige  Ge- 
horchen des  einen  Werkzeuges  durch  schöpferische  Vor- 
sicht überwunden,  indem  das  schwarze  Pigment  der 
Augenwände  das  überschüssige  Licht  aufschlürft,  indem 
der  Schirm  der  beweglichen  Jris  den  Rand  der  sonst  das 
Bild  wieder  zerstreuenden  Linse  deckt,  und  indem  die 
Ausgleichung  der  sammelnden  Mittel  des  Auges  die  sonst 
unvermeidliche  Farbenzerstreuung  verhütet.  ')  Dieses 
im  Verborgenen  gebildete,  aber,  wenn  dem  Lichte  ge- 
öffnet, dem  Lichte  auch  entsprechende  Auge  zeigt  über 
die  mechanische  Causalität  hinaus  und  auf  den  Zweck. 
Derselbe  erhellt  als  Tatsache  ferner  aus  den  dem  je- 
Aveiligen  Bewegungselement  angemessenen  Bewegungs- 
werkzeugen des  Thieres,  z.  B.  entsprechen  einander  der 
luftige  Bau  des  Vogels  (fächerartige  Flügel,  Kraft  der 
Schwungbewegung,  Luft  in  den  Knochen)  und  die  zu 
durchschneidende  Luft,  die  festen  Knochen  der  Landthiere 
und  das  feste  Land.  Ein  greifbarer  Beweis,  ein  hervor- 
ragender Beleg  der  auf  jedem  Schritt  in  der  Natur  uns 
begegnenden  praestabilirten  Harmonie  (Leibniz)  ist  der 
über  die  scheinbar  unzweckmässige  Anordnung  der  sehr 
schief  auf  ihre  Hebel  wirkenden  Muskeln  und  über  die 
einseitige  Zweckmässigkeit  der  Mechanik  bester  Hebel- 
einrichtung triumphirende  organische  Bau  des  menschlichen 
Körpers  nach  seiner  Uebereinstimmung  zwischen  seinem 
beweglichen  Schwerpunct  und  dem  verschiebbaren  Unter- 


1^  12  e^ 

stützungspunct  und  der  von  den  Sinnen  geforderten,  aber 
auch  die  Sinne  fordernden,  mit  Richtungen  begabten  aus- 
gleichenden Bewegung  der  verschiedensten  GUeder.  Tr. 
zieht  sodann  Cuvier,  den  mit  Meisterhand  zeichnenden 
Architecten  der  Natur,  heran,  insofern  er  aus  dem  von 
diesem  dargelegten  Zusammenhang  der  ganzen  Organisation 
eines  Thieres  mit  seiner  Nahrung,  -wie  z.  B.  beim  fleisch- 
fressenden Thiere  die  Eingeweide  zum  Flcischverdauen, 
die  Kiefer  zum  Fressen,  die  Klauen  zum  Festhalten  und 
Zerreissen,  die  Zähne  zum  Zerschneiden,  die  Bewegungs- 
organe zum  Fangen,  die  Sinnesorgane  zur  Wahrnehmung 
in  die  Ferne,  der  Instinct  zum  Verbergen,  Auflauern  oder 
Ueberfallen  eingerichtet  seien,  die  Abhängigkeit  der  Glie- 
der und  Teile  aus  einem  Gedanken  des  Ganzen  hervoi- 
gehen  sieht.  Auch  W.  Tischbein,  ebenfalls  ein  Vertrauter 
des  Thierlebens,  der  den  Unterschied  der  Physiognomien 
der  Thierköpfe,  die  mutige  Kraft  oder  die  friedliche 
Ruhe,  den  durchdringenden  Blick  und  scharfen  Verstand 
oder  die  aufgeschüchterte  Phantasie  und  den  matteren 
Blick  aus  dem  Unterschiede  der  Fleisch-  und  Pflanzen- 
nahrung vmd  aus  dieser  verschiedenen  Weise  der  Selbst- 
erhaltung als  des  höchsten  Thierzweckes  herleitet,  muss 
für  die  Tatsächlichkeit  des  Zweckes  Zeugnis  geben.  In 
Analogie  findet  Tr.  bezüglich  der  Nahrung  des  Menschen, 
dass  hier  zwar  der  Zweck  der  Nahrung  und  die  Organe 
der  äusseren  und  inneren  Aneignung  (da  zur  Erlangung 
der  Fleischspeise  ihm  der  ganze  Apparat  der  scharfen 
Klaue,  des  gewaltigen  Gebisses  etc.  und  zur  Assimilation 
der  Pflanzennahrung  der  grössere  Aufwand  thierischen 
Apparates  und  die  ganze  Vorrichtung  zur  Verdauung 
vegetabilischer  Producte  fehlt)  auf  den  ersten  Blick  aus- 
einander zu  fallen  scheinen,  dass  jedoch  der  Mensch  das 
Mangelnde  durch  die  List  des  Verstandes   ersetzt,   indem 


•>19    13    QX^ 

er  die  Waffe  statt  Klaue  und  Zahn,  das  Feuer  zum  vor- 
herigen Kochen  der  Pflanzennahrung  gebraucht,  und  indem 
er  mit  dem  Feuer  weiter  wuchernd  Zeit  und  Raum  be- 
siegt und  im  trotzigen  Prometheuswerk  der  Kultur  die 
Natur  den  Zwecken  des  menschlichen  Lebens  wachsend 
dienstbar  macht,  wesshalb  insgemein  jener  Widerspruch 
unter  höherem  Gedanken  sich  aufhebt.  Tr.  weist  ferner 
auf  die  bei  den  höheren  Thieren  eng  gebundenen  und 
eng  begrenzten  Verrichtungen  dienenden  Sinnesorgane 
(das  Tastgefühl  ist  verwachsen  mit  den  "Werkzeugen  zur 
Bewegung  etc.,  der  Geschmack  ist  bloss  prüfend  und 
warnend,  das  Auge  beschränkt  sich  auf  die  Selbsterlialtung), 
aber  im  Menschen  sich  frei  entfaltenden  Sinne  hin  (Künste 
aus  dem  Tastgefühl,  Erkennen  chemischer  Differenzen  aus 
dem  Geschmack,  Sprache  aus  dem  Gehör,  Erschliessen 
der  unendlichen  Welt  durch  das  Auge).  Wenn  in  letz- 
terem Betrachte  die  Sinne  im  Dienste  des  denkenden 
Geistes  den  höheren  Zweck  kundtun,  so  ergiebt  sich  aus 
der  Zusammenstellung  mit  dem  niederen  Zweck  die  merk- 
würdige Tatsache,  dass  ein  in  sich  Yollendetes,  Abge- 
schlossenes wieder  Glied  eines  umfassenderen,  bedeutsameren 
Lebens  wird,  und  dass,  wenn  die  Pflanzenwelt  ihre  Grösse 
und  Schönheit  dem  Thierreiche  opfert,  das  thierische 
Sinnenleben  dem  menschlichen  Geistesleben  als  dem  Hö- 
heren und  Mächtigeren  untergeordnet  ist.  Die  schlagendste 
Taterweisung  des  Zweckes  aber  findet  unser  Philosoph 
im  Samen  und  Keim  und  seiner  Entwickelung.  „Der 
Same,  der  sich  verändert,  giebt  sich  selbst  nicht  auf.  Das 
Ende  der  Entwicklung  bringt  den  Anfang  wieder  hervor. 
In  der  Frucht  hat  sich  der  Same  vervielfacht.  —  In  dem 
unterschiedenen  Keime  liegen  die  Unterschiede  verborgen 
und  in  dem  ganzen  Kreislauf  der  Entwicklung  regiert 
jeder    Schritt    das    künftige   Ganze.    —    Die    Macht    des 


'319     14    <äX^ 

Ganzen  wirkt,  ehe  es  da  ist,  damit  es  werde.  Der  Keim 
ist  das  künftige  Ganze  in  der  Möglichkeit  und  Anlage, 
durch  die  Entwicklung  entstehen  die  Glieder  des  Ganzen 
in  der  Wirklichkeit."  ')  Dieser  Zweck  der  fernen  Zu- 
kunft, kein  grösseres  Paradoxon  als  derjenige  des  fernen 
Raumes,  wenn  das  Auge  mit  der  um  viele  Erdhalbmesser 
fernen  Lichtesquello  harmonirt,  stellt  einen  Gedanken  dar, 
„der  die  "Welt  beherrscht,  indem  er  sie  durchschauet." 
Und  endlich  zeigt  neben  der  gegenwärtigen  Natur  auch 
die  unvordenkliche  Yergangenheit  die  Tatsache  des  Zweckes 
auf,  insofern  als,  nach  Resultaten  der  Geologie,  über  den 
Trümmern  physikalischer  Zerstörungen  immer  wieder 
neues  und  grösseres  Leben  sich  erhob,  insofern  als  mannig- 
fiiltige,  physikalisch  unerklärte,  ja  kaum  denkbare  Pflan- 
zen- und  Thiergeschlechter  aus  den  herrschenden  Kräften 
entstanden,  und  insofern  als  aus  dem  Einerlei  physikalischer 
Bedingungen  (Licht  und  Luft,  Wasser  und  Boden)  gleich- 
zeitig verschiedene  Stufen  und  Formen  eigenen  Lebens 
auftraten,  so  dass  in  dieser  Stufenreihe  der  Wesen  der 
innere  Zweck  als  Weltbegriff  sich  erschliesst.  Der  Zweck 
ist  also  überhaupt  „ein  Factum  der  Welt"."') 

Erfordert  so  die  Vielheit,  die  Erscheinungswelt,  inwie- 
weit sie  aus  dem  Causalcn  nicht  begriffen  werden  kann, 
den  Zweck,  so  ist  hinwiederum  der  Zweck  durch  die 
Yielheit  und  Entzweiung  -)  oder  das  Relative  bedingt.  In 
der  nichts  absetzenden,  sich  nicht  differenzirenden  Gleich- 
gültigkeit des  einförmigen  Raum-Continuums,  des  gleich- 
massigen  Luftmeeres,  der  nivellirten  Wassermasse  erscheint 
ursprünglich  der  Zweck  nicht.  Wo  aber  wie  in  obigen 
Tatsachen  das  Thier  und  sein  Lebenselement,  Auge  und 
Licht,  Luft  und  Lunge,  Verdauungswerkzeuge  und  Nah- 
rung, Hebel  und  zu  Hebendes,  Sprache  des  Einen  und 
')  II,  14.     a»)  n,  4G4.     2)  11^  435^  ^^  n^  162,  440. 


nl^   15   ^-^ 

Gehör  des  Anderen  sich  gegenüberstehen,  auf  einander 
hinweisen  und  gleichsam  sich  gegenseitig  suchen,  kann 
Dieses  für  Jenes  sein  und  Wechselbeziehung  beider  und 
Neubildung  unter  einem  höheren  Ganzen  d.  h.  eben  der 
Zweck  eintreten.  Während  bei  der  wirkenden  Ursache 
das  gewirkte  Einzelding  wie  ein  Stück  vom  Ganzen  sich 
loslöst  und  in  sich  abschliesst,  begrenzt  sich  auf  dem 
Zweckgebiete  die  Substanz  nur  zwecks  der  Entgegen- 
^tellung.  Linie  und  Kreis,  an  sich  unabhängig  bestehend, 
bilden,  wenn  sie  in  die  Beziehung  der  Gleichheit  der 
Rechtecke  aus  den  Secantenteilen  treten,  eine  Aufgabe 
und  ihre  Lösung  und  so  ein  gegliedertes  Ganze.  Das 
organische  Leben,  relativ  selbständig  der  Natur  gegenüber, 
ist  dennoch  ein  Verhältnis  des  Bedürfens  zu  ihr,  Dem- 
gemäss  ist  die  Beziehung  ein  Wesentliches,  die  Natur 
des  Zweckes.  Aber  „die  Entzweiung,  die  der  Zweck 
fordert,  wird  durch  den  Zweck  wieder  aufgehoben."  *) 
Das  Entzweite  fügt  sich  in  ein  neues  Ganze  zusammen. 
Die  Vielheit  wird  zur  Einheit.  Das  Auge,  dem  Lichte 
zustrebend,  das  Licht,  in's  Auge  strahlend,  werden  im 
Akte  des  Sehens  eins.  Die  Lunge  verlangt  nach  Luft, 
die  Luft  strömt  in  die  Lunge  ein,  und  sie  werden  im 
Hauchen  geeint.  Doch  überwiegt  dort  das  sehende  Auge, 
hier  die  verlangende  Lunge,  wie  denn,  immer  aber  ohne 
die  Einheit  aufzuheben,  in  diesem  Geschehen  der  Ver- 
einigung des  Entzweiten  der  Zweck  in  dem  einen  Gliede 
besonders  seine  architectonische  Macht,  in  dem  andern 
(z.  B.  dem  minder  tätigen  Lichte)  mehr  das  Ziel  der 
wirkenden  Ursache,  das  Werkzeug  der  Verwirklichung 
auszusprechen  pflegt. 

Das  Ganze  nun,  welches  der  Zweck  erstrebt,  steht 
vom  Anfang   an    (in  dem  Vorausschauen)  fertig  da,  es  ist 

»)  n,  19. 


's^  16  ^^ 

frülier  als  seine  Teile.  Es  ist  vor  den  Teilen  bestimmt. ') 
Die  Zukunft  ist  dabei  zur  Gegenwart  geworden.  -)  Wäh- 
rend in  der  Causalität  die  Bewegung  blindlings  producirt, 
Punot  nach  Punct  setzt,  Teile  auf  Teile  erzeugt,  nach 
starrem  Gesetze  der  Succession  das  Eine  aus  dem  Anderen 
hervoi treibt,  ist  sie  gegen  die  Gesammtentwicklung  oder 
das  Ganze  gleichgiltig,  und  im  Causalen  ist  mithin  das 
Ganze  erst  nach  den  Teilen  (an  welchem  Resultate  aus 
der  Entstehung  die  Dialektik  der  Erkenntnirfs :  dass  die  Teile 
nur  Teile  durch  das  Ganze  seien,  nichts  zu  ändern  ver- 
mag). Es  ergeben  sonach  im  Zwecke  die  Teile  sich  so, 
dass  das  Ganze  sie  organisch  bestimmt,  wogegen  bei  Ur- 
sache und  Wirkung  das  Ganze  aus  den  vorhandenen 
Teilen  einfach  sich  summirt.  Auch  hierin  zeugen  die 
Tatsachen  für  den  Zweck  als  die  kühne  l'mkehruug  der 
wirkenden  Ursache  und  der  Zeitfolge.  Die  Sammlung  der 
einfallenden  Lichtstrahlen,  das  später  zu  Erwirkende,  be- 
dingt als  geforderte  Zukunft  vorher  Bau  und  Function 
der  brechenden  Medien  im  Auge.  Die  AVirkung  der  festen 
Widerlage  des  Muskels  bestimmt  die  entsprechende  Festig- 
keit des  Knochens  als  die  Ursache  im  Voraus.  Der 
Same,  das  Gehcimniss  der  Entwickelung,  die  Zukunft  des 
Organismus  in  sich  bergend,  hat  in  dieser  seiner  Wirkung 
den  Grund  seiner  Eigenschaften  und  Tätigkeiten.  „Die 
Natur  spricht  es  hiernach  als  einfache  Tatsache  aus,  dass 
dasjenige,  was  von  Seiten  der  wirkenden  Ursache  das 
Nachfolgende  und  Hervorgebrachte  ist,  in  dem  Zwecke 
gerade  das  Vorangehende  und  Hervorbringende  ist.''  ^) 
Wie  derart  das  Ganze  ideell  vor  den  Teilen  sei,  zeigen  die 
analytische  Lösung  einer  geometrischen  Aufgabe,  die  aus 
dem  Grundzuge  der  ganzen  Lebensoekonomie  erhellenden 


»)  (^  I,  1.  n,  89  R.  2Ü.,  •-)  II,  433.  Causalität  I,  332  ff.  »)U,  23, 
29.  fxj  2,  344. 


nfts   17  '2^ 

Teile  des  Baues  der  Thiere  (Cuvier,  s.  o.),  die  aus  dem 
determinirenden  Ganzen  stammende  geheimnissvolle  Ueber- 
einstimmung  der  Teile  des  thierischen  Organismus.  (Goethe.) 
Und  real  tut  es  der  Same,  ^)  dies  potenzielle  Ganze,  dar, 
wenn  er  die  ganze  Entwickelung  durchbildet  und  erst 
und  allein  im  Leben  des  Ganzen  den  Teilen  Bestand 
giebt*  ebenso  der  Staatskörper,  bei  dem  ähnlicherweise 
das  Einzelne,  vom  Ganzen  sich  losreissend,  in  seiner 
lebendigen  Tätigkeit  erlischt.  Ja,  wie  in  Anbetracht  der 
das  Ende  zum  Anfang  machenden  Umkehrung  der  Cau- 
salität  selbst  die  Möglichkeit  der  Zukunft  die  Teile  be- 
stimmt, so  sind  im  Organischen  sogar  die  Glieder  der 
Glieder  determinirt  (nach  dem  näheren  und  weiteren 
Ganzen). 

Wie  aber  kann  die  Wirkung  zur  hervorbringenden  Ur- 
sache werden?  "Wenn  das  Ganze  vor  den  Teilen  ist  und 
die  Teile  aus  dem  Ganzen  hervorgehen,  so  muss  dasselbe 
vor  der  Zweckverwirklichung  gegeben  sein,  doch  nicht  als 
ein  Reales  und  empirisch  Bestimmtes,  sondern  als  ein  in 
der  Idee,  im  Vorausschauen,  im  Gedanken  Bestimmendes. 
Die  Idee  (im  weiteren  Sinne),  der  Gedanke,  ein  Denken- 
des und  Gedachtes,  ein  trotz  fliessender  Grenzen  in  der 
vorausgenommenen  Zukunft  Begrenzendes,  ein  von  unbe- 
stimmten Grundzügen  zu  immer  bestimmterer  Ausführung 
Fortschreitendes^''),  Formendes  und  Bildendes,  ist  im 
Zweckgeschehen  wesentlich  inbegriffen.  Tr.  verweist  wie- 
derum auf  sprechende  Tatsachen.  „Das  Auge  sieht,  aber 
das  Sehen  selbst  hat  das  Auge  gemacht.  Die  Füsse  gehen, 
aber  das  Gehen  selbst  hat  die  Gelenke  der  Füsse  ge- 
richtet.^*)" In  der  Harmonie  dieser  und  anderer  Or- 
gane mit   ihren  Tätigkeiten,    in   ihrem    dem    nachherigen 


1)  ~  R,  26.     'a)  I,  315;  R,  6.     *a)  II,  27,  136  ff. 


m^    IS   Q^ 

"Wirken  adaequaten  vorhergehenden  Werden  liegt  ein 
Praestabilirendes,  eine  die  Glieder  umfassende  Macht,  der 
Gedanke  als  das  A  und  O  im  Gmnde  der  Dinge  *^).  Nicht 
die  spätere  Einwirkung  bildet  früher  und  formt  den  Or- 
ganismus in  der  Richtung,  wie  er  sich  dem  Einwirkenden 
selbst  einwirken,  der  aeusseren  Welt  sich  einprägen  soll, 
es  schafft  das  Licht  nicht  das  Auge  und  der  Schall  nicht 
das  Ohr,  sondern  der  einwohnende  Gedanke  durchdringt 
geheimnissvoll  das  Grundw^erden  und  schafft  das  Wunder 
der  Organisation,  Die  Macht  des  Gedankens  in  den 
Dingen,  das  Ideale  in  der  Natur,  ')  stellt  sich  derart  un- 
widerleglich heraus.  Dieser  Gedanke  als  das  Erste,  kein 
blosses  Abbild  und  fremdes  Widerspiegeln  der  Erscheinung, 
sondern  sie  im  Grunde  bestimmend,  als  solcher  zugleich 
das  Letzte,*')  Tiefste  in  unserem  denkenden  Eindringen 
in  das  Sein,  er  will  etwas,  sucht  und  bedarf  ein  Anderes  ^), 
hierin  nicht  der  stummen  Figur  gleichend,  sondern  über- 
all in  der  siegenden  Initiative  begriffen.  Denn  das  Ent- 
zweite zu  einen,  Kräften  etwas  abzugewinnen,  Materie 
zum  Material  des  Bildens  und  Bauens  zu  erheben,  dem 
Starren  das  Bewegliche,  dem  Bedürfniss  die  Nahrung  an- 
zupassen, wer  vermöchte  dies,  wenn  nicht  der  erfahrene, 
durchschauende,  durchdringende  und  beherrschende  Ge- 
danke? So  ist  es  denn  „ein  einfaches,  aber  bedeutsames 
Ergebniss,  dass,  soNveit  der  Zweck  in  der  Welt  wirklich 
geworden,  der  Gedanke  als  Grund  vorangegangen  ist."^) 
(s.   0.) 

Wenn  nun  auch  dergestalt  durch  den  Gedanken  jenes 
grosse  Hysteronproteron,  jene  Umkehrung  des  einleuch- 
tenden Causalnexus  in  dem  durch  den  Zweck  bestimmten 
wirklichen    Geschehen    begreiflicher   wird,  so    erhebt   sich 

a**)  (x;  R,  25.      ')    2,    344.  11,  137.     a')    I,   88.    322.     ■)  2,  347. 
^)  U,  23.  fx;  433. 


^x^   19   6^/. 

doch  die  neue  Frage,  wie  sich  der  Gedanke  zu  den 
Kräften,  die  in  der  wirkenden  Ursache  erscheinen,  ver- 
halte. Da  der  Zweck  die  Umkehrung  von  Ursache  und 
"Wirkung  ist,  so  müssen  Zweckgedanke  und  Causalkräfte 
sich  treffen.  Dem  vorgreifenden,  das  Mögliche  aussprechen- 
den, das  Sein  darstellenden  oder  bestimmenden  Gedanken 
kann  dazu  der  das  Wirkliche  erreicht  habende  feste  und 
gewordene,  der  im  Materiellen  verkörperte  Gedanke 
hemmend  entgegentreten.  ')  Den  regen  Kräften  dort, 
dem  erstarrten  Gedanken  hier  kann  nun  der  Zweck- 
gedanke nicht  begegnen  als  der  überlistende  Feind  oder 
der  unliebsame  Fremdling,  denn  alsdann  würde  er  nur 
zufällig  und  von  aussen  in  die  Dinge  hineinscheinen  und 
wie  durch  eine  Täuschung  an  Stelle  der  gedankenlosen 
Ursache  dastehen,  vielmehr  ist  er  desswegen,  weil  er  im 
Grunde  der  Dinge  und  das  Erste  und  Letzte  ist  (s.  o.), 
nicht  zwischen,  sondern  mitten  unter  den  Dingen  als  eine 
dominirende  Macht.  Und  diese  Macht  des  zwecksetzenden 
Gedankens  ist  keine  isohrte,  für  sich  bestehende,  im  Dua- 
lismus und  Conflict  zur  Causalität  wirkende,  das  Sein 
spaltende  und  so  endlos  negireude,  nein,  sie  eint  sich  — 
und  es  wird  dann  der  Zweck  sozusagen  zur  Zweckursache 
—  mit  den  Kräften  der  wirkenden  Ursache,  indem  sie 
dieselben  zielbewusst  richtet,  und  dergestalt  kommt  der  vor- 
ausschauende Gedanke  im  Siege  über  das  Widersprechende 
und  Widerstrebende  zur  kraftvollen  Darstellung.  Wie 
im  Samen  von  dem  Keime  bis  zur  Blüte  und  Frucht  der 
regierende,  zusammenhaltende  Zweck  und  die  von  innen 
hervortreibende  Kraft  identisch  sind,  so  steht  im  Allge- 
meinen nicht  nur  „die  Kraft  im  Dienste  des  Zweckes",'-) 
sondern    es    muss    sogar    obwalten    „Durchdringung    von 


»)  n,  166  £f.    ^)  II,  31.  I,  99,  u.  zu  A')  d.  folg.  S. 

2* 


vxc)  20  '^^ 

Zweck  und  Kraft,  von  Denken  und  Sein"  '),  ja  „Einheit 
von  Zweck  und  Kraft. "  2) 

"Wo  aber  der  mit  der  Kraft  geeinte  Zweck  erscheint, 
„will  er  eine  Tätigkeit."  ^).  Ruhe  ist  Indifferenz,  Gleich- 
gewicht zusammenwirkender  Kräfte,  aber  der  Zweck  ist 
stets  in  Differenzirung,  Neugestaltung,  Regung  und  Be- 
wegung begriffen.  Ruhe  ist  das  schlechthin  Leidende 
und  fällt  als  solches  der  wirkenden  Ursache  anhcim, 
welche  in  Gleichförmigkeit  und  Gleichgültigkeit  beharrt."^) 
Die  Tätigkeiten  der  Organe  (Einzel-Zwecke),  das  har- 
monische Leben  des  Organismus  (Gesammtzweck)  bezeugen 
die  Tätigkeit  des  Zweckes  überhaupt.  Ja,  der  Zweck 
ist  „der  Mittelpunct  der  Tätigkeiten" ,  den  lebenden 
Wesen,  wie  der  Maschine,  nicht  fremd,  sondern  grund- 
eigen. Der  sich  verwirklichende  Zweckgedanke  als  die 
Seele  des  begehrten,  empfundenen,  gedachten  und  gewollten 
Zwecks  setzt  sich  in  Tätigkeiten  um.  Diese  Tätigkeiten 
beziehen  sich  nicht  so  sehr  auf  ihr  Object  als  ihr  Subject, 
indem  das  Wesen  in  ihnen  sich  Zweck  ist  und  durch  die 
Activität  des  Organes  ein  geförderter  Selbstzweck  resultirt. 
Insofern  kann  die  Tätigkeit  des  Zweckes  eine  reflexive"*) 
heissen.  So  muss  das  Sehen  des  Auges  zunächst  nicht 
auf  Gruppirung  und  Sondirung  der  Phaenomene,  sondern 
auf  die  eigene  Selbstauswirkung,  Darstellung  und  Erhöhung 
seiner  Wesenheit,  Fähigkeit  und  Fertigkeit  gehen.  Ge- 
danke, Kraft  und  Tätigkeit  stellen  so  den  inneren  Zweck 
dar.  ^^) 

„Wie  man  den  hellen  Funken  aus  dem  harten  Steine 
schlägt,  so  giebt  der  Zweck  als  Tätigkeit  durch  jS^ötigung 
zur  Tätigkeit    im    widerspenstigen    Stoff  dem    Gedanken 


*)    ir,    30.  130.  f^;R,  24.    3)    II,    31.     c^)    II,    162.     *)  II,  S2  ff. 
d*)  II,  77.  88.  89.    f^  R,  40.  42.  48.  67. 


nK9    21   ®x^ 

Dasein."  ')  Wo  weder  finale  noch  neutrale  Bewegung, 
da  ist  pure  Materie,  gebundene  Bewegung,  ^j  Einheit  des 
Intensiven  und  Extensiven,  ^)  Die  Materie,  von  innen 
sich  dehnend  und  Mass  und  Grenze  in  sich  habend,  ■*) 
artet  durch  die  erzeugende  Bewegung  in  den  Stoff  ^},  und 
letzterer  wird  durch  immer  neu  durchdringende  Bewegung 
und  Gegenbewegung  Begrenzung  oder  Form  erlangen. 
In  die  eigenste  Natur  des  Stoffes  nun  dringt  der  Ge- 
danke des  Zweckes,  als  organisirende  Bewegung  in  die 
erzeugende,  ein.  (Der  Begriff  überredet  die  Notwendig- 
keit. Plato).  Und  umgekehrt  wird  der  Zweck  als  Vor- 
aussetzung von  Kräften  des  Stoffes  zur  Erreichung  eines 
notwendig  Bestimmten  erfüllt.  Diese  mit  Notwendigkeit 
bestimmende  Durchdringung  und  Bewältigung '''')  des 
Stoffes  durch  den  Zweck  ist  sogar  derart,  dass  Ein  Zweck 
in  den  verschiedensten  Gestaltungen  und  mannigfaltigsten 
Formungen  sich  vollzieht,  bei  aller  Flächenvermehrung 
die  Einheit  des  Gedankens  wahrend,  die  zerstreuten 
Kräfte  des  Stoffes  der  Forderung  eines  näheren  und 
weiteren  und  immer  höheren  Ganzen  einheitlich  dienstbar 
machend.  Die  Notwendigkeit  des  Construirens  z,  B.  einer 
Säge  entspringt  aus  der  Voraussetzung  des  Zerschneidens 
durch  Keibung.  Da  zwecks  des  Austausches  zwischen 
Sauerstoff  und  Kohlensäure  das  Medium  der  Berührung 
zwischen  Luft  und  Blut  möglichst  weitreichend  sein  soll, 
so  hat  die  Lunge  in  ihren  zahllosen  Zellen  eine  unge- 
heuer grosse  Oberfläche.  Der  Eine  Zweck  der  Beweg- 
lichkeit findet  sich  in  den  Thiergeschlechtern  auf  das  Ver- 
schiedenste angelegt  und  gestaltet.  Offenbar  zeigt  sich 
in  dieser  Ergreifung  und  Durchwaltung  des  Stoffes  — 
so  lautet   das   hierher  gehörige   Endurteil    Tr.'s   —   eine 

1)  U,  32.  137.     2)     I,  306,  251   fi'.     ^)  I,  293.     *)   I,  275.     ')  I 
354.  "&)  II,   193. 


'^is  22  "S^ 

(tiefgehende  und  umfassende)  „Durchdringung  von  Zweck 
und  Kraft""'),  von  denen  jener  ohne  Kraft  (des  Stoffes) 
leer,  diese  aber  ohne  den  Gedanken  blind  ist.  In  solcher 
Dienstbarkeit  unter  dem  Zwecke  wird  der  Stoff  zum 
Mittel.'^)  Zu  dem  Gedanken  werden  die  Elemente  der 
Verwirklichung  gesucht.  Diese  Elemente  müssen  sich 
fügen  und  dem  gedachten  Ganzen  genügen.  Wo  letzteres 
nicht  der  Fall  sein  würde,  könnte  der  ergriffene  Stoff 
nicht  Teil  zum  Ganzen,  Glied  zum  Organismus  werden. 
Der  Mensch  hat  häufig  zuerst  die  gegebenen  Teile,  die 
Mittel,  bereit  liegende  Factoren  vor  sieh,  aus  welchen  er 
dann  das  Ganze,  den  Zweck,  ersinnt  oder  erfindet.  Allein 
beim  höchsten  menschlichen  Schaffen,  in  der  Kunst,  erzeugt 
das  Reifen  des  Gedankens  das  Wachsen  der  ausführenden 
Mittel. 

Das  von  dem  Zwecke  im  Mittel  geforderte  Notwendige 
wird,  wenn  es  selbst  erst  gesucht  bez.  ausgesucht  werden 
muss,  ein  anderes  Notwendige  fordern.  Das  einem  Zwecke 
dienende  Glied  wird  herrschend  und  unterwirft  sich  ein 
Neues.  Der  verwirklichte  Zweck  wird  wieder  Mittel.  ^) 
Die  mittlere  Proportionale  zwischen  zwei  gegebenen  Linien 
zu  finden  als  Hauptzweck  bringt  die  Abzweckung 
eines  rechtwinkligen  Dreiecks,  diese  sodann  das  Fällen 
eines  Perpendikels  aus  der  Dreiecksspitze,  und  letztere 
Bezweckung  hinwiederum  die  Construction  eines  Halb- 
kreises über  der  Basis  der  vereinten  Linien  notwendig  mit 
sich,  so  dass  sich  hier  eine  Tätigkeit  in  die  andere  ein- 
renkt. Eine  ähnliche  Ineinandorschiebung  zeigt  sich  in 
der  Erweiterung  eines  einfach  nackten  Satzes  durch  Aus- 
prägung seiner  ursprünglichen  Begriffe  in  den  zugehörigen 
Nebensätzen,  welche  letztere,  vom  Ganzen  gefordert  und 

a*)  II,  34.     "^j  Die  Materie  wird  insoweit  Material.     (Hegel)  II, 
55.  fv)  11,  191.     ')  II,  12. 


'>^  23  ö^ 

getragen,  Glieder  zum  Ganzen  und  darin  zugleich  engeres 
Ganze  und  engere  Glieder  stufenweise  unter  sich  bilden. 
Es  dient  ferner  die  Feuchtigkeit  der  Zwecktätigkeit  der 
Linse,  die  Linse  wieder  der  Strahlenbrechung,  das  Auge 
endlich  dem  Organismus  (zwecks  der  Ortsbewegung)  im 
Ganzen.  Im  Ethischen  steht  die  Kunst  des  Sattlers  unter 
der  sie  fordernden  Kunst  des  Reiters,  diese  unter  der- 
jenigen des  Feldherrn,  letztere  wieder  unter  der  Kunst 
des  Staatsmannes  (Aristoteles).  „So  stellt  sich  eine  Un- 
terordnung, ein  System  von  Zwecken  dar."  ^)  "Wir 
haben  hier  Zweckreihen  vor  uns,  welche  über  die  Gattung 
hinaus  in's  Ueb ersinnliche  reichen  müssen.  Li  solcher  Un- 
terordnung aber  offenbart  sich  zugleich  noch  die  Con- 
sequenz  des  herrschenden  Gedankens.  Die  blosse  Kraft 
stirbt  in  der  Ursache  als  "Wirkung  ab.  Die  Ursache  ist 
mit  der  "Wirkung  nicht  mehr  Ursache.  In  der  erzeugten 
Linie,  im  wirkenden  Stosse  endet  die  Ursache.  Im  Zwecke 
dagegen  behauptet  sich  die  "Wirkung  als  Ursache  (das 
Sehen  baut  das  Auge)  in  der  Ursache  als  Wirkung  (im 
Sehen  betätigt  sich  das  Organ  des  Auges).  Die  Ursache 
erhält  sich  in  ihrer  Selbstfolge  und  schliesst  sich  in  dem 
Andern  mit  sich  selbst  zusammen  (Hegel).  Wie  Organe 
ohne  den  bildenden  und  zusammenhaltenden  Zweck  un- 
möglich sind,  so  können  die  Dinge  im  Allgemeinen  ledig- 
lich im  Zwecke,  welcher  in  seiner  Consequenz  und  so 
zusagen  sich  selbst  getreu  die  wesenscongruente  Ent- 
faltung und  gemäss  seiner  Unterordnung  wechselseitige 
Förderung,  ausgleichende  Gliederung  und  zielbewusste 
Eegierung  verbürgt,  ihren  wahren  Bestand  haben.  „Der 
Zweck  (die  Ursache)  ist  die  bleibende  und  inwohnende 
Seele  des  Organs  (der  aus  dem  Zweck  hervorgegangenen 


')  U,  35  u.  36.  cxj  R,  45. 


'7K9   24   G?r 

"Wirkung",  ^)  ja,  er  ist   das  Leben   der  Dinge,    das  Gött- 
liche in  den  Dingen  (Plato)  überhaupt. 

Die  Einzclbctrachtung  der  Merkmale  des  Zweck- 
begriffes Tr.'s  ist  hiermit  beendet.  Wir  erkannten  also  näher 
und  genauer  des  Zweckes  Tatsächlichkeit,  sein  "Wesen 
als  Umkehrung  und  zugleich  Yertiefung  der  Causalität, 
das  Ideale  und  Potentiale  des  Gedankens  und  das  Pieale 
des  Mittels.  Diese  Zweckdefinition  Tr.'s,  aus  der  Analysis 
des  Tatsächlichen  fliessend  und  in  der  Wirklichkeit  stets 
auch  ihr  Correctiv  suchend,  ist  von  solcher  Weite  und 
Tiefe,  dass  wir  in  ihr  sogar  eine  bedeutsame  Vorarbeit 
zum  Folgenden  zugleich  erkemien  können. 


Die  Begründung^)  des  Setzens  des  Zweckes,  die 
Entwickelung  der  Gründe,  aus  welchen  die  Tatsächlich- 
keit des  Zweckgeschehens  zwingend  hervorgeht,  diese 
naturgemässe  Folge  der  Begriffserläuterung,  könnte  also 
aut's  Erste  in  dem  tatsächlichen  Hervortreten,  in  der 
Phaenomenalität  des  Zweckes  beschlossen  sein.  Tr.  legt 
sich  den  Satz  nahe :  Der  Zweck  offenbart  sich  selbst  und 
das  ist  sein  eigentlicher  Beweis^).  Die  folgerichtige  Ent- 
wickelung der  obigen  Merkmale  des  Zweckbegriffes,  was 
war  es  anders  als  ein  Herauslesen  aus  des  Zweckes 
Selbstoffenbarung ?^)  „Zwar  kann  der  Zweck  als  der 
unsichtbare  Gedanke  nicht  beobachtet  werden,  wie  die 
äussere  Erscheinung,  aber  er  ist  dessenungeachtet  in  dem, 
was  beobachtet  werden  kann,'  gegenwärtig  wie  die  Seele 
der    Erscheinung."^)     Er    wird    uns    in    der    organischen 

')  II,  37.  2)  spcciell  H,  66—76.  ')  fv;  II,  71.  *)  (%.-  H,  86. 
^)  U,  72. 


'^19   25   2^ 

Einheit,  im  organischen  Wesen  zuhöchst  dargestellt^)  und 
gleichsam  entgegengetragen.  2)  Die  den  wirkenden  Kräften 
parallele  oder  überlegene,  weil  übergreifende  und  einheit- 
lich richtende  Tätigkeit  des  Zweckes  tritt  in  der  strengen 
Unterordnung  der  Functionen,  in  der  kräftigen  Selbst- 
erhaltung, in  der  geheimnissvollen  Weiterzeugung,  in  der 
weitgreifenden  Fürsorge  unwiderleglich  zu  Tage.^)  Dass 
das  Organ  seinen  specifischen,  vorherbestimmten  Zweck 
(das  Auge  das  Sehen)  vollziehen  muss  *),  und  dass  umge- 
kehrt die  eigenartig  wirkenden  Glieder  nur  im  Leben 
des  Ganzen  Bestand  haben,  spricht  Bestimmung,  Zu- 
sammenfassung und  Leitung  durch  den  Zweck  aus.  Wir 
haben  hierin  den  directen  Beweis.  Quod  exsistit,  est. 
Das  Erscheinende  drängt  sich  dem  denkenden  Geiste  auf, 
es  projicirt  sich  in  unsere  Yorstellungen,  dieselben  er- 
füllend und  bestimmend,  es  dringt  in  unser  Erkennen  ein 
und  wird  Teil  desselben.  Eines  anderen  Dartuns  weder 
fähig  noch  bedürftig,  ist  es  durch  sich  selbst  Beweis. 
So  enthüllt  sich  in  völliger  Unmittelbarkeit  das  Zweck- 
geschehen, und  wir  müssen  es,  und  träte  es  auch  nur  in 
Einem  Falle  an's  Licht,  ohne  Weiteres  zugeben,  wie  auch 
das  unbefangene  Urteil  der  Jahrhunderte  es  längst  getan 
hat.  Der  Zweck  ist  sonach  im  Leben  der  Natur  und  in 
der  Welt  der  Individuation  ein  Objectives  '")  und  Reales. 
Indem  er  sich  verwirklicht,  bejaht  er  sich,  und  indem  er 
sich  bejaht,  beweist  er  sich.  ^)  Der  Zweck  hat,  zumal 
in  der  in  ihm  beschlossenen  Wechselwirkung  zwischen 
dem  Ganzen  und  seinen  Teilen,  eine  sich  selbst  verkün- 
dende Klarheit) 

Zu  dieser  Logik  der  einfachen,  unwiderleglichen  Tat- 
sache fügt  Tr.  die  Beweisführung  aus  der  Ohnmacht  der 

')  II,    127.     2)  n,    38  f.     3)  11^    28.     '')  II,   124.     ^)  II,    77.    91. 
«)  U,  82.     ')  11,  71. 


'j^  26  sx> 

wirkenden  Ursache,  aus  ihrem  tatsächlichen  Unvermögen, 
eine  zureichende  Erklärung  von  Erscheinungen,  wie  von 
denen  des  organischen  Lebens,  zu  geben.')  Es  ist  dies 
eine  mächtige  Notwendigkeit,  die  blind  wirkende  Ursache 
einem  Höheren  d.  i.  dem  Zwecke  zu  unterwerfen.  In  der 
Causalität  laufen  die  Tätigkeiten  auseinander,  sie  strahlen 
vom  Kraftpunkte  aus,  ihre  Richtungen  sind  bis  zur  Ent- 
zweiung mannigfaltige,  bunte  und  verschlungene,  und  in 
diesen  Richtungen  wieder  ist  jedes  Erreichen  und  jedwede 
Wirkung  ein  Absetzen  und  momentanes  Ruhen,  ein  Dis- 
continuum,  ja,  die  im  Gewirkten  gebundene  und  erschöpfte 
Kraft  muss  einer  neuwirkenden  stärkeren  weichen  und 
die  ursprüngliche  Richtung  abbrechen,  wie  dies  eine  Folge 
des  überall  gegenwärtigen  Widerstandes  der  Gegenkräfte 
überhaupt  ist.  Aber  sind  im  Organischen  nicht  nach 
Einem  Puncte  zusammenstrebende  Tätigkeiten,  conver- 
girende  Richtungen,  continuirliche  Entwickelungen  ?  Diese 
„überraschende  Verknüpfung"-)  zeigt  den  Zweck  auf. 
„Dieser  Punct,  in  vielen  Fällen  nur  ideal,  aber  durch  den 
Gang  und  die  Ordnung  der  Kräfte  angedeutet  und  not- 
wendig gesetzt,  bezeichnet  der  Anschauung  die  Einheit 
des  Zweckes  in  der  Fülle  der  dienenden  Kräfte."  „Diese 
Convergenz  der  Richtungen  begleitet  den  Zweck  der- 
gestalt, dass,  wo  sie  in  der  Erscheinung  nicht  nachge- 
wiesen werden  kann,  auch  der  Zweck  nicht  zu  erkennen 
ist."  ^)  Und  die  der  stetigen  Entwickelung  gleiche  unend- 
lich kleine  Differenzirung  des  Organischen  in  Keim,  Zelle 
und  Glied  tut  den  durchwaltenden  praeformirenden  Ge- 
danken, eben  den  Zweck,  kund.  In  diesem  Betracht 
sind  wir  also  genötigt,  die  Fährte  der  wirkenden  Ursache 
zu  verlassen,   und    wir   müssen   einen   anderen  Weg  ver- 


>)  n,  70  £F.    ^)  n,  70.    ')  II,  73. 


019  27  SV 

suchen.     So  ist  das  aus  der  Finsteraiss  nicht  begreifliche 
Licht  als  eigene  Tätigkeit  zu  setzen. 

Der  Zweck  ist  ein  Uebergreifendes,  ein  Höheres,  schon 
im  Mechanischen  z.  B,  in  der  Maschine.  ')  Bewegende 
Ursache  (Kraft),  das  zu  Bewegende  (Stoff,  Last  ect.), 
die  Art  des  Bewegens  (Construction,  Form)  stehen  im 
Dienste  des  bauenden  und  lenkenden  Zweckes,  der  hier 
freilich  wie  von  aussen  und  fremd  eingreift.  Im  Or- 
ganischen vollends,  in  dieser  Ordnung  zusammenstimmen- 
der Elemente,  in  dieser  von  innen  geschehenden  einheit- 
lichen Entwickelung  ist  die  Causalität  weit  überschritten. 
Die  erzeugende  Bewegung,  die  das  "Wesen  der  wirkenden 
Ursache  ausmacht,  sie,  die  in  der  Wirkung  als  der  dar- 
gestellten Ursache  und  so  in  ihrem  eigenen  Anhalten  sich 
in  sich  bestimmt  und  individuirt,  und  hierin,  das  Starre 
der  Materie  treibend,  das  Elastische  in  sich  verschiebend, 
ihren  Sieg  zum  Ausdruck  bringt,"'^)  geht  im  Organischen 
auf  in  die  Zwecksetzung,  durch  welche  nicht  blos  pro- 
ducirt,  sondern  auch  potenzirt,  mehr  von  innen  entwickelt 
als  von  aussen  zusammengesetzt,  und  der  Form  zugleich 
die  Il^orm  gegeben  wird.  Und  weiter!  Die  organischen 
Tätigkeiten,  sind  sie  nicht  mehr  als  die  aus  der  wirkenden 
Ursache  an  der  Substanz  (des  aus  Materie  und  Form  in 
sich  Selbständigen)  hervortretende  Qualität?  Wenn  ich 
sage:  „das  Auge  sieht"  und  dagegen:  „Das  sehende 
Auge  ist  des  Leibes  Licht",  so  ist  dort  ein  gegen  Anderes 
in  Gleichgültigkeit  Verharrendes,  lediglich  Qualitatives, 
hier  aber  ein  im  Dienste  eines  höheren  Granzen  Stehendes 
und  darum  selbst  Höheres  gesetzt.  Ferner,  es  strömen 
die  organischen  Tätigkeiten  zum  Leben  des  Ganzen, 
von  welchem  sie  ausgehen,  zurück,  sie  vollziehen  sich  so 
sehr  für  als  durch  das  Ganze,  ^*)  was  ihr  Gmnd,  ist 
Ö~nri24  ff.     2j  I,  332  ff.     2»)  n,  170.  191. 


'^^  28  (s^ 

ihnen  zugleich  Ziel,  aber  in  der  wii-kenden  Ursache  ist 
nur  die  durchgehende  Tat  des  in  Bezug  auf  woher?  und 
wohin?  neutralen  An-  und  Absetzens,  des  weder  vor- 
noch  rückwärts  schauenden  steten  Neuerzeugens,  und  ihre 
etwaige  Rückkehr  in  sich  wäre  nichts  als  ungewohnter 
Rückschlag  aus  fremder  Rückwirkung.  ') 

Auch  ist  aus  der  Causalität  nicht  zu  erklären,  wie 
es  Kräfte  geben  könne,  welche  nach  ihrer  Ergänzung, 
nach  der  Erfüllung  ihrer  Bedingung  verlangen,  wie  dies 
geschieht,  wenn  z.  B.  die  Kraft  des  Auges  nach  der 
Erregung  durch  das  Licht  verlangt.  Die  Kraft  in  der 
wirkenden  Ursache,  als  Resultat  der  Wechselwirkungen 
zwischen  äusseren  und  inneren  Tätigkeiten  aus  den 
Wechselbeziehungen  des  Ganzen  und  seiner  Teile,  hat 
nicht  die  Tendenz  und  das  Streben  zur  künftigen 
Wechselwirkung.  Nur  die  bereits  vorhandenen  Um- 
stände und  die  gegebenen  Bedingungen  ihres  Tätigwerdens 
sind  für  sie  von  Belang  und  zugleich  von  Zwang.  ^) 
Ueberhaupt  weist  die  wirkende  Ursache  nur  Tätig- 
keiten und  ihre  Wechselwirkung,  die  allgemeine  Actuali- 
tät,  auf,  aber  der  Zweck  zeigt  zugleich  Herrschaft  und 
Ziel.  ^)  In  ihrer  Tätigkeit  gestaltet  jene  zwar  den  Stoff, 
sie  macht  in  der  Materie  Gebundenes  frei,  bringt  die 
Indifferenz  des  Intensiven  und  Extensiven  zur  Differenz, 
allein  wie  mag  dies  an  den  Zweck  hinanreichen,  der  im 
Ergreifen  des  Stoffes  sich  selbst  darstellt  und  gliedert  ?  *) 
Wenn  dazu  der  Zweck  mit  Einem  Schlage  viele  Ver- 
bindungen anregt  und  mit  seiner  Einheit  in  der  Yerwirk- 
lichung  die  Mannigfaltigkeit  zu  seinem  Dienste  fordert,  ^) 
wie  sehr  unmöglich  wäre  dies  aus  dem  Causalen,  welches 
in  unwandelbarer  Succession  das  Eine   aus   dem    Andern 

')  n,  130  f.   2)  n,  132.  I,  357  ff.  3)  n,  no.  ')  ii,  i8i. 

»)  II,  183. 


'^^  29  9^ 

und  dabei  lediglich  Gleiches  aus  Gleichem,  Aehnliches 
aus  Aehnlichem  stetig  und  langsam  hervorbringt!  ^)  Es 
scheiden  sich  auch  bezüglich  der  Notwendigkeit  wirkende 
Ursache  und  Zweck.  „Beide  fallen  der  Notwendigkeit 
anheim,  aber  geradezu  entgegengesetzt.  In  der  wirkenden 
Ursache  ist  das  Sein  das  Erste  und  wird  vom  Denken 
nachgebildet.  Wenn  es  erreicht  ist,  so  ergiebt  sich  die 
Notwendigkeit.  In  dem  Zwecke  ist  umgekehrt  das  Denken 
das  Erste  und  fordert  die  Gestaltung  des  Seins.  Wenn 
sich  der  Zweck  in  der  Erscheinung  offenbart,  und  sich 
diese  dadurch  zu  einem  notwendigen  Ganzen  zusammen- 
fasst,  so  ergreift  das  erkennende  Denken  das  Denken  im 
Ursprünge  und  geht  in  den  Erscheinungen  in  sich  selbst 
zurück.  Daher  versöhnt  die  Notwendigkeit  des  Zw^eckes 
den  freien  Geist"  ^).  Aber  ein  ungelöster  AViderspruch 
entspringt  aus  dem  Causalen,  in  welchem  das  Sein  als 
das  Erste  vom  Denken  nachgebildet  wird,  da  nämlich 
dann  die  Grundfrage  sich  auftut,  ob  dem  Sein  das 
Denken  im  Ursprünge  zu  Grunde  liege.  Die  Superiorität 
des  Zweckes  erhellt  ebenso  aus  dem  das  Notwendige 
constituirenden  Möglichen.  „In  der  wirkenden  Ursache 
erheben  sich  aus  demselben  Dinge  verschiedene  Möglich- 
keiten, es  wird  etwas  Anderes,  je  nachdem  dies  oder 
jenes  hinzutritt.  Sie  erwartet  als  ruhend  und  leidend 
die  Bestimmungen  fremd  von  aussen  her.  Der  Zweck 
findet  oft  mehrere  mögliche  Wege  zu  seinem  Ziele.  In- 
dem er  sich  indessen  selbst  näher  bestimmt  und  neue 
Rücksichten  als  Zwecke  des  Zweckes  in  sich  aufnimmt  — : 
werden  darnach  die  Mittel  gemessen  und  die  minder 
entsprechenden  Möglichkeiten  ausgeschlossen."  ^)  Dieses 
innere  Entwerfen  und  Entscheiden  aber  lässt  jenes  aeusser- 
liche   Bestimmtwerden    weit    hinter    sich.     Auch    das    an 


1)  II,  162  f.    ^)  II,  185.    3)  U,  169. 


^9  30  ^^ 

dem  Notwendigen  zu  messende,  weil  als  das  vom  Not- 
wendigen nicht  Mitbefasste,  aber  doch  mit  dem  Not- 
wendigen in  Berührung  Tretende,  Zufällige  giebt  in  seiner 
Doppelbildung  nach  Ursache  und  Zweck  dem  letzteren 
den  Vorzug.  Das  Gesetz  der  wirkenden  Ursache  wird 
aus  und  mit  Bedingungen.  Diese  bestimmen  und  be- 
wirken das  Gesetz,  nicht  aber  das  Gesetz  jene.  Insoweit 
haben  wir  im  Causalen  freie  Bewegung  indifferenter 
Elemente,  welche  innerhalb  des  Gesetzes  nach  freier  und 
fremder  Bestimmung  variiren  können.  Anders  im  Zwecke. 
Hier  erlangt  der  Zufall  eine  selbständige  Stellung  und 
grössere  Wichtigkeit.  Der  voraussehende  bestimmende 
Gedanke  findet  im  Concreten  immer  ein  Undurchdringliches, 
nicht  Heranziehbares.  "Wirkt  dieses  zur  Förderung  oder 
Hemmung  des  Zweckes  oder  zur  Eigenbildung,  so  ent- 
steht das  Zufällige,  ^)  hier  also  das  schwerer  wiegende. 
Tr,  hat  uns  so  auf  schlagende  Weise  das  in  unüber- 
sehbar vielen  Erscheinungen  auftretende  Minus  des  Cau- 
salen und  das  Plus  des  Finalen  gezeigt.  Der  plötzliche 
Sprung  der  Erscheinungen  verlässt  den  ruhigen  Ablauf 
der  wirkenden  Ursache  und  zwingt  uns  zum  Setzen  des 
Zweckes.  Der  Faden  der  physischen  Tätigkeit,  sonst 
ruhig  sich  fortspinnend,  reisst  in  solchen  Erscheinungen 
—  so  viel  wir  jetzt  zu  erkennen  vermögen  —  ab.  Hier 
drängt  sich  uns  eine  neue  Theorie  auf,  welche  mit  der 
Erscheinung  sich  decken  muss.  Wenn  die  causale  Er- 
klärung nicht  mehr  zureicht,  geht  die  Einheit  der  Welt 
verloren,  und  sie  kann  nur  durch  den  Gedanken  des 
Zweckes  wieder  gesucht  und  gefunden  werden. 2)  Da 
das  Organische  offenbar  die  Ausprägung  eines  Sehenden^ 
Vorausschauenden,  Vorherbestimmenden,  nämlich  des  Ge- 


1)  li,  190.     2)  n,  72  f. 


'^  31  s^"" 

dankens  ist,  so  muss  das  Eeich  der  blinden  Kräfte  ^) 
daran  seine  Grenze  haben.  Beachten  wir  die  Sorgfalt 
und  das  Zarte,  die  klare  Intention  des  organisirenden 
Schaffens,  so  müssen  wir  das  Ungestüm  ^)  unbeherrschter 
Kräfte  hiervon  entschieden  abweisen. 

Aber  auch  auf  die  düstere  Kehrseite  weist  uns  Tr. 
hin.  "Wenn  immer  und  überall  nichts  als  treibende  Ur- 
sache und  "Wirkung,  dann  hätten  wir  um  uns  nur  ein 
immerwährendes,  das  Einzelne  als  losgerissenes  Stück  des 
Ganzen  mit  sich  reissendes  "Weiterfliessen,  ein  endloses, 
unheimliches  Meereswogen,  und  war  selber  wären  darin 
nicht  mehr  als  der  Schein  eines  in  übermütiger  Kraft 
von  der  Substanz  sich  lösenden,  doch  ihr  wieder  ver- 
fallenden Lebens.  Materie  und  Bewegung  als  die  alleinigen 
Factoren  aller  Erscheinung  wären  dann  das  Erste  und 
Letzte,  der  Gedanke  würde  den  Dingen  nicht  zu  Grunde 
liegen,  sondern  erst  aus  der  physischen  Ursache  erzeugt 
werden.  Das  Organische  entstammte  so  nur  der  Not- 
wendigkeit, und  der  nach  dem  Geiste  fragende  Geist 
müsste  diese  wieder  als  Zufall  erklären.  Einen  Zweck 
anzunehmen,  würde  hiernach  eitel  Täuschung  sein.  Alles 
Grosse  wäre  dieserart  nur  im  glücklichen  Zusammen- 
wirken zurechtgestossen.  2)  In  der  Geschichte,  2*)  welche, 
Freiheit  in  die  Notwendigkeit  fassend,  in  besonnenen 
Individuen  mitten  in  den  Begebenheiten  ihre  grossen 
Triumphe  feiert  (wie  in  Luther's  Wort  und  Tat  zu 
"Worms:  „ich  kann  nicht  anders"),  müsste  eine  solche 
Notw^endigkeit  zur  Hungersnot  führen,  darin  man  das 
Erste  Beste  gierig  ergreift  und  verschlingt.  Und  ebenso 
würde,  wenn  man  nur  die  äussere  Notwendigkeit  sehen 
und  die  Ausgleichung  mit  der  Freiheit  des  Inhaltes  nicht 
gelten   lassen    wollte,    Gottes  Schöpfung  zu  einem  unver- 

Ö^^iTäiS.    2)  II,  459.    2»)  f^  II,  361. 


^9    32    GX^ 

meidlichen  Fehler.  ^)  Mithin  reicht  die  Annahme  der 
blossen  Causalität  nicht  nur  nicht  zu  zur  Erklärung  der 
Welt,  sondern  sie  häuft  Dunkel  auf  Dunkel  und  führt 
zur  endlosen  Nacht  des  unentwirrbaren  Rätsels.  Somit 
aber  ist  der  Zweck  im  Verhältniss  zur  Causalität  ein 
Uebergreifendes  und  Ueberwirkendes,  Vertiefendes  und 
Vollendendes, 

Und  doch  wird  durch  den  Zweck  die  wirkende  Ur- 
sache auch  nicht  aufgehoben.  "Wir  erkannten  ja  oben, 
dass  der  Gedanke  des  Zweckes  mit  der  Kraft  der 
■wirkenden  Ursache  eins  wird.  Die  Zwecktätigkeit  fixirt 
sich  in  einer  wirkenden  Ursache,  ihr  Bildungsgesetz  wird 
so  höher  bestimmt,  der  Zweck  nimmt  sie  in  Besitz 
und  eignet  sich  dieselbe  an.  Im  Mechanismus  findet 
zwar  nicht  diese  Uebertragung  Statt,  aber  doch  eine 
tätige,  in  der  Tätigkeit  beruhende  Verbindung,  indem 
die  bewegende  Ursache  sammt  Stoff  und  Form  mit  dem 
den  Stoff  wählenden,  die  Form  entwerfenden,  also  aus 
dem  physisch  Allgemeinen  in  die  Teile  aus  dem  Ganzen 
determinirendcn  Zwecke  zur  Einheit  combinirt  wird.  Im 
Organismus  aber  sind  Stoff,  Form,  bewegende  Ursache 
und  Zweck  (gleichsam)  miteinander  und  durcheinander, 
der  innewohnende  Zweck  eignet  den  fremden  Stoff  sich 
specifisch  an,  erzeugt  die  äussere  Form  von  innen  und 
bildet  so  durch  die  Kraft  der  bewegenden  Ursache,  aber 
sie  beherrschend.  -)  Desshalb  ist  die  wirkende  Ursache 
im  Zwecke  noch  enthalten,  ^)  das  Niedere  ist  im  Höheren 
beschlossen.  ^)  Ist  der  Zweck  im  Verhältniss  zur  be- 
wegenden Ursache  ein  Ueberwirkendes,  so  darf  diese  doch 
als  Seitenwirkung  gelten.  °) 

Dieser  zweite,  Yon  Tr.  vorgezeichnete  Weg  der  Be- 
gründung des  Zweckbegriffes  ist  der  indirecte.    In  solcher 

'Hl,  187.'    2)  II,  124  ff.     ')  n,  129.     *)  II,  412.    ')  U,  462. 


'^^  33  e^ 

Beweisfühmng  ^)    wird    aus    der    Zurückweisung  des  Un- 
möglichen das  Nohvendige  bewährt.     Das   Causale    kann 
den  Organismus  unmöglich  erklären,    somit    ist    die    An- 
nahme des  Zweckes  als  eines  Anderen  und  zwar  Höheren 
notwendig.    Soll  indirect  ein  Bejahendes  begründet  werden, 
so  ist  das  Gegenteil  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  darauf- 
hin   zu   prüfen,    ob    es    sich    in    diesem    Zusammenhange 
halten  könne,  wie  wir  denn  die  ünhaltbarkeit  der  einmal 
als    ausschliesslich    herrschend    angenommenen   Causalität 
erkannten.     Zur    indirecten    Begründung    eines    negativen 
Urteils   ist    das  positive  Gegentheil  mit  der  aus  ihm  ent- 
springenden Gedankenreihe  zu  setzen,  mit  deren  Herrschen 
oder  Unterliegen  jenes  besteht  oder  fällt.     Hierher  gehört 
unsere  Ausführung,  dass  die  wirkende  Ursache  im  Zwecke 
nicht  auJ'gchobeu  sei.     Obschon  nun  der  indirecte  Beweis 
der  eigentliche  Beweis  der  Yerneinung  ist,  kann  er  doch 
in  Verbindung    mit    einem    die    möglichen   Fälle   neben- 
einander   stellenden    disjunctiven    Urteile    eine    Bejahung 
begründen.     Diese    möglichen    Fälle    hat    Tr.    umfassend 
bestimmt    und    ihre   Folgerungen  streng  gezogen.     Wenn 
so  das  zu  Erklärende  aus  der  Summe  der  Erscheinungen, 
soweit   sie  uns  zugänglich  sind,  =  n,   ihre  Erklärbarkeir 
aus   der   wirkenden  Ursache  aber  =  1  gesetzt   wird,    so 
muss  n — 1    das    nur   durch    Weiteres  oder  Höheres  d.  i. 
den    Zweck    zu    Erklärende    und    Begreifbare    zwingend 
darstellen.-)     Notwendig    ist    für    den    denkenden    Geist, 
die  Welt  zu  enträtseln,    in    sie    erkennend    einzudringen. 
Notwendig    müsste     dies     die     Causalität,     wenn     allein 
herrschend,    leisten,    doch   ist   dies  als  vermessen  zu  ver- 
neinen. ^)     Der  Bereich  der   wirkenden   Ursache   ist    also 
zu    begrenzen,    und    der    Zweck   muss    ihr    übergeordnet 
werden. 

')  II,  396  ff.     2j  .^  II,  i(j8,     :i)  u,   16G. 


oi9  34  Gx^ 

Wir  gehen  nunmehr  zur  weiteren  Argumentation 
über.  Dass  der  Zweck  ist,  ^vurde  logisch  direct  und 
indirect  gezeigt.  Es  stellt  sich  uns  jetzt  die  Aufgabe  zu 
erforschen,  wie  wir  den  Zweck  erkennen,  in  welcher 
Bahn  er  sich  uns  erschliesse,  nach  welcher  Art  und  Be- 
stimmtheit seiner  selbst  der  Geist  ihn  finde  und  ergründe.  ') 
Es  würde  dies  der  allgemein  logische  Beweis  sein.  Tr. 
führt  darin  seinen  ersten  Stammbegriff,  die  Bewegung, 
in's  Feld  und  stützt  sich  auf  die  Position,  welche  er  in 
der  aus  der  Bewegung  ihm  sich  ergebenden  Bestimmung 
des  Seins  und  Denkens  gewonnen  hat. 

Nachdem  Tr.  die  formale  Logik  "^j  als  in  ihrem  Ziele,  den 
fertigen  Begriff  sich  selbst  gleich  zu  setzen,  jede  Entwicke- 
lung  und  Begründung  abschneidend,  und  die  dialektische 
Methode  ^),  als  in  ihrem  Wollen,  nur  aus  sich  selbst  zu 
schöpfen  und  das  Denken  gleichsam  sich  selbst  bebrüten 
zu  lassen,  in  Yermessenheit  endend,  der  Leerheit  und  des 
Anschauungslosen  überführt  hat,  ^)  schreitet  er  zur  positiven 
Folgerung,  dass  das  Erkennen,  wenn  es  sich  in  sich  selbst 
zurecht  finden  soll,  in  subjectiver  Bedingtheit,  aber  mit 
Beanspruchung  des  Objectivcn,  alle  seine  Elemente  vor- 
aussetzen muss.  Nun  heisst  Erkennen  immer  ein  Seien- 
des erkennen  (Plato),  zunächst  das  nach  aussen  gleichsam 
ausgegossene,  aeussere,  dann  aber,  wenn  das  Erkennen 
seiner  selbst  bewusst  wird,  zugleich  ein  in  sich  Gespanntes, 
Inneres,  das  Denken,  das  gedachte  Denken.  ^)  So  treten 
im  Erkennen  Denken  und  Sein  auseinander  und  bilden 
einen  schwer  zu  vermittelnden  Gegensatz.  Da  jede  Er- 
klärung eines  jeden  dieser  Unterschiedenen  den  Bezug 
auf  das  andere  in  sich  birgt,  und  dies  sogar,  indem  jed- 
wedes sich  selbst  voraussetzt,  so  dass  z.  B.  Herbart's 
Definition  des  Seins  als  der  absoluten  Position  nicht  frei 

')  11,  66.     2)  i^  15-35.    3)  I,  36-130.     *)  I,  130.     '^)  I,  131  ff. 


-^19  35  SV 

ausgeht,  und  zumal,  wenn  man  im  weitereu  Blicke  das 
Denken  als  das  höchste  Organ  ^)  oder  die  höchste  Blüte  2) 
der  Tätigkeiten  zu  bezeichnen  sich  principiell  begnügen 
wollte:  so  muss  es  damit  sein  Bewenden  haben.  Denken 
und  Sein  als  die  auf  einander  hinweisenden  Glieder  des 
höchsten  und  letzten  Gegensatzes  zu  begreifen,  wozu 
übrigens  kommt,  dass  beide  im  Laufe  der  Untersuchung 
sich  selbst  mehr  und  mehr  erschliessen  und  bestimmen 
werden.  Dagegen  ist  es  um  so  not^vendiger,  die  gegen- 
seitigen Relationen  aufzuhellen  und  Antwort  zu  geben 
auf  die  Fragen:  „Wie  kommt  das  Denken  zum  Sein? 
Wie  tritt  das  Sein  in  das  Denken?"^),  welche  Fragen 
schon  aus  der  logischen  Bezogenheit  und  wechselseitigen 
Abhängigkeit  von  beidem  hervorgehen,  und  die  zudem 
ip  ihrer  besonderen  Lösung  in  dem  das  Denken  \de  das 
Sein  vermittelnden  Acte  des  Erkennens  (wie  denn  im 
Acte  des  Sehens  die  Energie  der  Farbe  und  des  Auges 
zusammengehen)  auf  generelle  Beant^'ortung  hindrängen. 
Soll  nun  eine  Beziehung  nicht  in  der  Luft  schweben,  so 
muss  sie  zur  realen  Beeinflussung  sich  verdichten,  diese 
aber  schafft,  indem  sie  Berührung  erfordert,  in  dem  Be- 
reiche der  Berührung  ein  Gemeinsames  des  Entgegen- 
stehenden, (wider  A.  Geulinx).  Dies  Gemeinsame  aber, 
wenn  es  den  Gegensatz  vermitteln  soll,  kann  keine  ruhende 
Eigenschaft,  es  muss  vielmehr  eine  Tätigkeit  sein.  Damit 
diese  in  den  vielverschlungenen,  dichtverwachsenen  Ge- 
stalten des  Endlichen  überall  durchgreifen,  bedingen  und 
vermitteln  könne,  eignet  ihr  notwendig  das  Elementare. 
Als  elementare  Tätigkeit  darf  sie  nicht  in  Fremdem,  son- 
dern nur  in  sich  Anfang  haben,  und  so  resultirt  ihre 
Ursprünglichkeit.  Als  solche  muss  sie  endlich  die  allge- 
meinste und  dazu  unteilbare  oder  einfiiche  Tätigkeit  sein. 
')  I,  17.    2)  i^  154.    3_)  X,  135. 

3* 


^9  36  a^<^ 

Eine  solche  Tätigkeit  nun  ist  die  Bewegung.  ')  Die 
Bewegung  ist  bereits  das  unentbehrliche  Vehikel  des 
dialektisch  erzeugenden  Gedankens,  die  unvermeidliche 
Voraussetzung  der  vermeint  voraussctzungslosen  Logik, 
und  noch  mehr  waltet  sie  in  der  formalen  Logik, 
wenn  diese  aus  dem  gegebenen  Begrift'  Folgerungen 
zieht. '■^)  Aber  wir  sehen  von  diesen  gesonderten  Gebieten 
ab  und  richten  den  Blick  auf  Denken  wie  Sein  über- 
haupt. Zunächst  die  aeussere  Welt!  In  ihr  sind  alle 
Tätigkeiten  (mechanische  Eindrücke,  chemische  Erregun- 
gen, organische  Verrichtungen)  mit  Bewegung  verknüpft, 
Bewegung  ist  die  verbreitetste  Tätigkeit  im  Sein,  die 
durchgehende  Tat  der  Natur;  ^)  alle  Tätigkeiten  der  Welt 
durchwaltet  sie,  ^)  selbst  eine  Tat  und  kein  festes  Ding ;  ^) 
sie  ist  erste  Energie  des  Seins,  ^)  erste  Tat  der  Dinge,  ^) 
Tat  der  erzeugenden  Natur.  *")  Dagegen  ist  nirgends  in 
der  Natur  ursprüngliche  Ruhe.  Das  scheinbar  Ruhende 
ist  in  der  Tiefe  dennoch  von  der  Bewegung  ergriffen, 
nämUch  es  ist  nur  das  Gegengewicht  der  Bewegungen, 
die  Wechselwirkung  der  entgegengesetzten  Bewegungen, 
also  lediglich  ein  Erzeugtes,  aber  kein  Erzeugendes,  sie 
ist  im  Bilde  des  zusammenhaltenden  Ganzen  gegeben, 
und  mithin  allein  aus  der  Bewegung,  '*)  aber  die  Bewegung 
nicht  aus  ihr  begreiflich.  Aber  auch  in  der  inneren  Welt 
ist  durchweg  Bewegung,  ein  Gegenbild  der  aeusseren  Be- 
wegung, innere  ist  im  Vorgang  des  Anschauens,  in  der 
Tätigkeit  des  Verstandes  (dort  Succession  des  Zusammen- 
fassens der  Hauptmerkmale  des  Angeschauten,  hier  Unter- 
scheidung und  Verbindung  des  Begrifflichen),  Bewegung 
ist  in  der  logischen  Folgerung  (s.  o.),  Bewegung  ist  im 
zweckmässigen    Richten    und    Berechnen    (in   jener    die 

1)  I,  141  ff.    2)  I,  30.    ^)  I,  290.    *)  I,  310.     '")  I,  333.    «)  I,  3G0. 
')  I,  336.     *)  I,  317.     •')  I,  273  f. 


'3^  87  ex^ 

Itichtung  woher,  in  diesem  die  Richtung  wohin).  Auch 
diese  innere  Bewegung  ist  ein  Erstes  und  dies  als  Tat 
der  Imagination,  die  aus  Receptivität  und  Spontaneität  ^) 
ein  Ganzes  der  Anschauung  ermöglicht,  sie  ist  gleicherweise 
Anfang  und  Bedingung  des  Denkens.  '")  Ob  zwar  der 
Unterschied  obwaltet,  dass  die  aeussere  Bewegung  schaffend 
und  erzeugend,  -)  die  innere  nachbildend  und  constructiv  ^) 
ist,  ob  erstere  im  aeusseren,  diese  im  inneren  Raum  der 
Vorstellungen  sich  vollzieht,  wenngleich  ferner  jene,  Raum 
und  Zeit  aus  sich  gebärend  *)  und  constituirend,  letztere 
in  diese  Form  des  Anschauens  zwingt,  ^)  so  ist  dennoch 
weiterhin  in  der  Natur  wie  in  der  Welt  des  Geistes  die 
Bewegung  das  Elementarste,  '^)  das  Grundgeschehen,  sie 
repraesentirt  sodann,  ob  gebunden  (Materie )  oder  frei  ') 
(Geist)  gleicherart  ein  Wirkendes,  im  Erzeugen  (Stoff  aus 
der  Materie),  Hemmen  (Form  aus  dem  Stoff  ''*),  Zusammen- 
halten (Mechanismus  und  Organismus,  **)  im  Aufnehmen, 
Empfangen,  Erfahren,^)  Urteilen'  °)  und  Schliessen. '  *)  Und 
wie  sie  als  durchgehende  Tat  der  Natur  vor  der  Erfah- 
rung '-)  und  somit  ursprünglich  ist,  so  ist  sie  auch  aprio- 
rische, erste  Tat  des  Denkens. '  ^)  Da  ferner  die  reale 
Bewegung  dort  und  die  ideale  '^)  hier  Alles  umfassen  und 
in  sich  begreifen,  was  je  als  Erscheinendes  eintritt  und  als 
dessen  Grund  gelten  kann,  so  ist  sie  zugleich  das  All- 
gemeinste. Obwohl  sie  endlich  als  Letztes  in  der  Fülle 
ihrer  concreten  Gestaltung  unermesslich  reich  ist,  so  hat 
sie  zugleich  als  das  Erste  beiderseitig  völlige  Leere  ' '") 
und  Unbestimmtheit  bezüglich  des  aus  ihr  zu  Erzeugenden 
und   somit  Unteilbarkeit  und  Einfachheit.     „So  wird  um 


'^')  I,  235.  \)  I,  317.  -)  I,  322.  ^)  1,  283.  359.  366.  370.  37J. 
*)  I,  321.  332.  155  ff.  ^)  I,  223.  «)  I,  197.  ^)  T,  30Ö.  H,  484. 
fv;  I.  251  f.  (Kant).  '■^)  I,  266.  «)  I,  274.  «)  I,  235.  '«)  H,  206  ff. 
")  II,  298  ff'.     '■')   1,  233,  235.     '')  I,  310.     »)  I,  307.     '')  H,  31. 


-j^  38  «2^ 

dieser  Allgemeinheit  willen"  —  und  ebenso  wegen  der 
gleichen  Ursprünglichkeit  und  Einfachheit  —  „die  Bewegung 
dem  Denken  und  Sein  gemeinschaftlich  angehören."  ') 

Nun  haben  wir  es  wiederholt  berührt,  dass  die 
wirkende  Ursache  in  die  Bewegung  einbegriffen  ist.  Ihr 
Gesetz :  Ex  hoc,  ergo  post  hoc"^)  spricht  offenkundig 
eine  Fortbewegung  von  dem  Wirkenden  zu  dem  zu 
Wirkenden,  also  insgemein  Bewegung  aus.  Was  ist 
leichter  zu  beweisen?  Jedes  Produciren  und  jedwedes 
Product  der  Causalität  bezeichnet  nichts  als  Bewegung,  ^"j 
„Die  wirkende  Ursache  erstreckt  sich  soweit  als  die  Be- 
wegung. "  ^*) 

Ist  aber,  wie  dargetan,  Bewegung  dem  Denken  und 
Sein  gemeinsam,  so  hält  sich  die  Causalität  nicht  allein 
im  Sein,  was  ohne  Weiteres  aus  dem  Früheren  und  über- 
haupt einleuchtet,  sondern  auch  im  Denken.  Hierbei  mag 
es  auffallen,  auf  dies  Gebiet  der  Freiheit  die  wirkende 
Ursache  zu  beziehen.  '^)  Und  dennoch,  sie  ist  „notwendig 
für  das  Denken  gesetzt."  ^)  Denn  da  der  Gedanke 
die  äusseren  Dinge  nachbildet,  diese  aber,  soweit  sie 
nicht  auf  den  Zweck  hinweisen  (s.  o.),  in  der  wirkenden 
Ursache  bestehen,  so  muss  erdemgemäss  thätig  sein  und 
unser  Denken  wird  insoweit  causal,  (so  in  der  Ideen- 
association,  im  Denken  nach  der  Folge  der  Zeit  oder 
dem  Gesichtspunct  der  Aehnlichkeit).  "^j 

Es  ist  im  Sein,  inwiefern  es  aus  dem  Causalen  nicht 
erklärbar  ist,  auch  das  Zweckgeschehen  und  dies  als  das 
Höhere.  Der  Vorgang  der  Zweckverwirklichung,  das 
Aufkeimen  des  idealen  Prius,  die  Ergreifung  des  Stoffes 
als  des  Mittels  und  die  Darstellung  der  Teile  aus  dem 
Ganzen  ist  nicht  minder  Bewegung,  also  vom  Prius  durch 

1)  I,  IsiT  ^)  I,  337.  3)  <^  I,  334.  3a)  I,  333.  *)  n^  66  ff. 
5)  I,  383. 


^5^  39  ö^ 

das  Medium  zum  Posterius,  hier  sogar  dreifach  gegliederte, 
aber  dazu  einheithch  geleitete. 

Wiederum  aber,  da  die  Bewegung  dem  Sein  und 
Denken  gemeinsam  ist,  und  also  im  Sein  der  Zweck 
herrscht,  muss  das  Denken  in  der  Analogie  des  Zweck- 
geschehens den  Zweck  im  Sein  erkennen  und  verstehen, 
ja  selbst  Zwecke  entwerfen  können. 

Und  noch  mehr!  «Wie  wir  die  äussere  Bewegung 
nur  durch  die  eigene  Bewegung  des  Geistes  erkennen" 
(im  Anschauen,  Trennen  and  Yerbinden,  Urteilen  und 
Schliessen),  „so  erkennen  wir  auch  den  äusseren  Zweck, 
den  die  Natur  verwirklicht  hat,  nur  weil  der  Geist  selbst 
Zwecke  entwirft  und  daher  Zwecke  nachbilden  kann."  ^)  Es 
ist  somit  die  eigenste  "Wesenheit  des  Geistes,  Zwecke  aus 
sich  in's  Aeussere  und  aus  dem  Aeusseren  in  sich  zu 
projiciren,  dort  schöpferisch-)  thätig,  hier  aus  dem  Ge- 
gebenen schöpfend. 

Die  durchgehende  Bewegung,  die  Kraft  des  Denkens 
wie  Bildnerin  des  Daseins  ^),  die  Trägerin  der  Causalität  ^) 
und  als  causale  auch  durch  die  Seelenzustände  hindurch 
sich  fortsetzend  ^),  wird  demnach  hier  als  entwerfende 
und  wiedererkennende  evident.  „Weil  der  Geist  Zwecke 
entwirft  und  ausführt,  vermag  er  rückwärts  die  ent- 
worfenen und  ausgeführten  zu  verstehen. "  ^)  Der  Zweck, 
dem  das  Bichtende  einwohnt,  begreift  ki'aft  dieser  Eigen- 
schaft das  ausser  ihm  einheitlich  Bewegte  und  Gerichtete. 
Er  durchdringt  als  Prinzip  im  Geiste  das  Besultat  in  der 
Natur.  Stösst  er  auf  ein  Chaos  blinder  Kräfte,  so  ist  ihm 
dies  völlig  incongruent,  und  er  muss  es  unmittelbar  ver- 
werfen. Trifft  ihn  aber  z.  B.  die  schön  geschwungene 
mächtige  Linie  und  das  wunderbare  Farbenspiel  des  plötzlich 

')  II,  69,  178.  f^  453.  -)  I,  289.  300.  =»)  I,  329.  *)  I,  333- 
")  I,  334.     «)  II,  70.  75. 


-Ä^  40  Q^ 

sich  aufbauenden  Regenbogens,  so  gerät  er  in  Staunen 
über  diesen  herrliclicn  Ausdruck  causalen  Werdens,  und 
er  fühlt  sich  angespornt,  den  hervorbringenden  Grund  zu 
lesen  und  aus  ihm  die  Erscheinung  yax  reconstmiren.  ') 
Wenn  der  Geist  aber  vollends  in  der  Pflanze  die  Ver- 
wandlung des  Unorganischen  in  Organisches,  den  Plan 
des  Typus,  die  Fortpflanzung  der  Gattung,  am  Thiere  die 
vielgliederigen  Werkzeuge,  in  ihm  Steigen  des  Empfindens 
und  Begehrens  und  insgesammt  die  centrale  Bildung, 
im  Menschen  die  hohe  Geistesblüte  des  Denkens  in 
Errungenschaften  der  Wissenschaft  und  Werken  der  Kunst 
und  die  erhabene  ethische  Bestimmung-)  bemerkt  und 
betrachtet,  so  ergreift  ihn  Entzücken  über  den  in  alledem 
wunderbar  sich  verwirklichenden  Zweckgedanken,  und  es 
ist  ihm  zufolge  dieser  homogenen  •^)  Zwecktätigkeit 
grosse  Befriedigung,  weil  congruonte  Darstellung  seiner 
selbst,  darüber  nachzusinnen  und  nachzuforschen  und  den 
Zweckgedanken  in  seinem  tiefsten  Wollen  und  geheimsten 
AVerden  zu  erkennen. 

Behufs  völliger  Aufklärung  dieses  Sachvei'haltes  stellt 
Tr.  scharf  und  durchschlagend  noch  die  Antithese  zwischen 
dem  Werden  und  Wesen  des  CäUsalen  und  finalen  Er- 
kcnnens  (causa  cognoscendi  und  causa  finalis)  auf.  Er 
sagt : 

„Im  ersten  Falle  wird  die  Wii-kung  des  realen  Pro- 
cesses  zur  Ursache  des  logischen.  Zu  dem,  was  in  dem 
Sein  das  Spätere  ist,  stellt  der  Gedanke  das  Frühere 
her;  und  es  ist  wenigstens  die  Absicht,  den  Vorgang  des 
Seins  im  Denken  zurückzutun,  und  dann  geistig  aus 
dem  hervorbringenden  Grunde  die  Thatsache  noch  ein- 
mal werden  zu  lassen. 


0  II,  68.     -■)  11,  79.     \)  II,  485. 


'■519    41    5l?r 

Im  zweiten  Falle  wird  die  Tätigkeit  des  logischen 
Processes  zur  Ursache  des  realen.  Das  Denken,  bereits 
von  den  Erscheinungen  erfüllt,  setzt  eine  Wirkung  und 
fragt,  soweit  es  Einsicht  des  realen  Processes  hat,  wie 
diese  zu  erreichen  ist.  Die  Wirkung  ist  das  Gewollte, 
unl  dieser  Wirkung  halber  wird  die  Ursache  gewollt, 
aus  der  sie  hervorgeht. 

In  dem  ersten  Falle  ist  die  von  aussen  erregte  nach- 
bildende Bewegung,  im  zweiten  die  vorbildende  das 
tätige  Mittelglied.  Dort  entsteht  aus  der  Realität  des 
Consequens  die  Vorstellung  des  Antecedens,  hier  aus  der 
Vorstellung  des  Consequens  die  Realität  des  Antecedens 
und  dadurch  ebenso  des  Consequens.  Dort  geht  der 
Gedanke  rückwärts,  hier  greift  er  vorwärts."  ') 

Derart  dringt  der  Geist  in  das  Seiende  ein.  Inwieweit 
er  es  so  ergreift,  führte  er  es  in  das  Denken  über  und 
verwandelt  es  in  letzteres.  Hierin  erkennt  er  Ursache 
und  Wirkung  des  realen  Processes.  In  dieser  Erkennt- 
niss  erwirbt  er  Macht  über  die  Wirkung.  Und  so  kann 
er  unterwerfend,  regierend,  bestimmend  eingreifen. 

Sehen  wir  nunmehr  nicht  abermals  den  Zweck  vor 
uns  aufgeschlossen  ?  Der  Zweck  aus  dem  Sein  im  Denken 
und  durch  das  Denken  im  Sein:  das  ergiebt  auf's  Neue 
Kunde  und  Beweis  des  Zweckes  überhaupt. 

Doch  noch  ein  Letztes!  Zur  Vollendung  dieser  Be- 
weisführung muss  noch  diejenige  von  der  metaphysischen 
Seite  her  angestellt  werden.  Wir  erkannten  zwar,  dass 
der  Zweck  ist,  und  wie  er  dem  Denken  sich  auftut, 
allein  es  erübrigt  noch  zu  wissen,  „wie  überhaupt  der 
Zweck  im  Sein  werde."-)  Es  darf  hiernach  gefragt 
wertlen,  da  der  Zweck  die  in  der  wirkenden  Ursache 
tätige    Bewegung    voraussetzt,    während    dieselbe    Frage 

')  n,  68  f.    -)  II,  74  f. 


'^^  42  ex^ 

gegenüber  der  sich  selbst  voraussetzenden  Bewegung  kein 
Recht  hat.  Zuvor  erinnern  wir  uns  dessen,  dass  wir  an 
das  Transcendente  bereits  streiften,  dass  wir,  die  Fort- 
setzung der  Zweckreihen  über  die  Gattung  hinaus  an- 
deutend, letztere  als  den  Zweck  ins  Transcendente  ein- 
leitend hinzustellen  Anlass  fühlten. ')  Auch  „liegt  in  der 
Gewissheit,  dass  der  Zweck  ist,  schon  eine  metaphysische 
Erkenntniss"-),  denn  das  Metaphysische  stellt  das  Ur- 
sprüngliche, Urbegründende  im  Sein  dar  ^),  und  da  der 
Zweck  ein  Tatsächliches  im  Sein  ist,  so  muss  auch  seine 
"Wurzel  in  den  Urgrund  des  Seins  hinabreichen.  Doch 
da  dieS^  Argumentation  die  allgemeinste  ist,  so  kann  sie 
den  besonderen  Yorgang  des  Zweckes  nach  seinem 
"Werden  und  Eintreten  nicht  zureichend  dartun.  Und  die 
Vernunft^  welche  überall  die  Einheit  sucht,  *)  will  keine 
Dunkelheit  dulden,  da  diese  das  Eine  wieder  entzweit. 
Also  drängt  sich  unerbittlich  die  Frage  auf,  wie  denn 
das  Ideale  des  inneren  Zweckes  in  das  Reale  der  äusseren 
Gestaltung  komme?  Aber  in  welchem  Vorauswissen 
können  wir  uns  Stufen  in's  Metaphysische  bauen?  Wir 
kennen  des  Zweckes  ideale  Praemissen,  vor  allem  die 
A^orausnahme  des  Ganzen,  die  Coincidenz  von  Gedanke 
und  Kraft,  die  Wirkung  vor  der  Ursache,  die  durch  den 
Gedanken  mögliche  Consequens  in  der  Forderung  der 
Mittel.  Auch  sahen  wir,  wie  unser  Zwecke  entwerfender 
Gedanke  die  im  Sein  verwirklichten  Zwecke  versteht. 
Aber  wo  zeigt  uns  die  Speculation  den  Punct  in  der 
Natur,  an  welchem  der  Zweckgedanke  die  Kraft  ergreift? 
Gleicht  der  Zweck  hierin  nicht  dem  Helios,  der,  kühn 
auf  flammendem  Wagen  thronend,  die  Somienrosse  mit 
der  Hand  lenkt,  aber  mit  der  Hand,  die  keine  Zügel 
besitzt?  Indess  so  wunderbar  es  scheint,  dass  der  Ge- 
1)  II,  37.     ^)  U,  66.     ^)  I,  339.     ^)  II,  425. 


^si9  43  ^^^ 

danke  des  Zweckes  die  wirkenden  Kräfte  mit  unsichtbaren 
Zügeln  regiere,  so  ist  dies  doch  nicht  das  alleinige 
Wunder.  „Es  ist  zu  bewundern,  wie  die  ursprüngliche 
Bewegung,  welche  doch  kein  Anhänger  der  blind  wirken- 
den Ursache  leugnet,  in  dem  Menschengeiste  dergestalt 
frei  und  bewusst  wird,  dass  er  mit  ihr  die  äussere  Be- 
wegung nachbildet  und  sich  aneignet  und  die  Geometrie 
schafft  —  und  doch  geschieht  es.  Es  ist  ebenso  die  Ueber- 
einstimmung  zu  bewundern,  wenn  die  zusammengesetzte 
Organisation  dazu  hilft,  dass  das  einfache  Princip  im 
Grunde  der  Dinge  erkannt  werde  und  der  menschliche 
Gedanke  den  Gedanken  im  Sein  erreiche  —  und  doch 
geschieht  es."  ^)  Die  praktische  Yemunft  kann  zufolge 
dieser  Uebereinstimmung,  des  höchsten  Erfolges  des 
inneren  Zwecks,  das  metaphysische  Werden  dieser  unbe- 
greiflich grossen,  hinter  ihren  Formen  liegenden  Kunst 
nicht  bezweifeln.  Wir  werden  dabei  immer  weiter  hinan- 
kommen, den  Quellpunct  des  Eintretens  des  Zweckes 
näher  bestimmen  und  seine  Beziehungen  aus  dem  Unbe- 
dingten in  das  Bedingte^)  vermehrt  bezeichnen  zu  können, 
wenn  wir  umgekehrt  in  stetigem  Fortschreiten  die  aus 
dem  Gegebenen,  aus  der  empirischen  Welt  des  Zweckes 
in  seine  Transcendenz  führenden  oder  doch  dahin  zurück- 
weisenden Beziehungen^)  auffinden.  Aus  diesen  Hin- 
weisungen des  Endlichen  zum  Unendlichen^)  wird 
hervorgehen,  dass  dasjenige,  was  der  innere  Zweck,  das 
Wesen  der  Dinge,  als  Soll  im  Bedingten  ausspricht,  dem 
Inhalte  nach  der  Wille  im  Unbedingten  ist.*)  Gründet 
man  aber  so  den  Zweck  als  das  aus  der  Voraussetzung 
Notwendige  in  das  Unbedingte,  so  muss,  da  im  Bedingungs- 
losen Voraussetzung  nicht  Statt  hat,  das  Notwendige  durch 
den  absoluten  Willen  in  einen  grösseren  Zusammenhang 
1)11,75.     2)^^11,442.     =>)  cxj  II,  474.     *)  II,  442.     ^)  II,  441. 


i>''3  44  ^^ 

eintreten  ^)  und,  an  sich  transcendent,  noch  immanent 
werden.  Endlich  dürfen  wir,  in  Anbetracht  des  hiernach 
eine  immer  grössere  Sphäre  seiner  Offenbarung  sich 
schaffenden  Willens  des  Unbedingten,  und  auf  Grund 
unserer  Erkenntniss,  dass  der  Zweckgedanke  eine  Macht 
in  den  Dingen  sei,  dies  metaphysische  Werden  des 
Zweckes  noch  als  Macht  des  Idealen  zum  Realen  fassen. 
Freilich  wenn  schon  die  Fläche  des  empirischen  Daseins 
des  Zweckes  unübersehbar  gross  ist,  und  bietet  es  nicht 
geringe  Schwierigkeiten,  den  Inhalt  des  erscheinenden 
Zweckes,  zumal  in  seiner  Hegemonie  bezüglich  der 
wirkenden  Ursache,  darzutun,  um  wie  viel  weniger 
zureichend  muss  er  darstellbar  sein  nach  der  Tiefe  seines 
Werdens ! 


Nachdem  im  Seitherigen  durch  die  Entwickelung  des 
Inhalts  und  im  Gange  der  Begründung  des  Zweckbegriffs 
Tr.'s  ein  Positives  vor  uns  sich  aufgebaut  hat,  betrachten 
wir  auch  die  Theorie  derer,  welche  den  Zweck  ein- 
schränkten oder  läugneten.  Indem  wir  so  auch  die 
Gegeiigrüiide  sprechen  lassen,  üben  wir  nicht  nur  Ge- 
rechtigkeit und  entgehen  wir  nicht  allein  der  Gefahr  der 
Einseitigkeit,  sondern  wir  schaffen  durch  die  Wider- 
legung jener  wiederum  zugleich  ein  Förderndes  und 
Positives.  -) 

Den  ältesten  Versuch,  den  Zweck  für  nur  subjectiv 
und    alles  Geschehen    aus   der  blind    wirkenden  Ursache 


')  n,  442.     -)  II,  39  ff. 


'319  45   ^^ 

zu  erklären,  ^)  erkennen  wir  aus  den  in  Aristoteles  -)  uns 
aufbewahrten  Elementen  der  Philosophie  des  Empedocles. 
Dieser  Yor-Atomistiker  lässt  im  Streit  der  Liebe  und 
dos  Hasses,  der  verbindenden  und  scheidenden  Kräfte 
Elemente  und  Gestalten  zufällig  (ünas  av  tviif)  sich 
treffen,  in  diesem,  wenn  ungenügenden  Zusammentreffen, 
sofort  wieder  untergehen,  wenn  aber  in  der  Ueberein- 
stiramung  genügenden,  sich  behaupten  und  in  der  Form 
eines  scheinbaren  Zweckes  sich  erhalten.  Gegen  diese 
Anschauung  wendet  schon  Aristoteles  ein,  dass  diells'atur- 
erscheinungen  ein  Constantes  seien  {asl  ovtag),  das  zu- 
fällige Zusammentreffen  aber  ein  Beständiges  nicht  ergeben 
kijnne,  ein  Einwand,  der  nicht  wegzuräumen  ist,  zumal 
da  die  Widerrede  der  Gegner,  aus  tausend  und  aber 
tausend  sogleich  wieder  vergehenden  Entstehungen  stelle 
sich  dennoch  eine  beständige  Bildung  oder  eine  Mehrzahl 
derselben  heraus,  desswegen  hinfällig  ist,  weil  wir  die 
etwa  ungefügigen,  im  Auftreten  sofort  wieder  unter- 
sinkenden Bildungen  bez.  Bildungsansätze  gar  nicht 
kennen.  Ueberdies  vereinigen  sich  die  zahllosenElemente 
des  Möglichen  in  zahllosen  Möglichkeiten  nach  bestimmten 
Verhältnissen  (z.  B.  in  Quoten  der  einen  Körper  oder 
einen  Stoff  bildenden  chemischen  Elemente),  wie  denn 
Buchstaben  aller  Art,  zusammengeschüttet  und  etwa  durch- 
einander gerüttelt,  nie  z.  B.  ein  Gedicht,  also  aus  dem  Sinn- 
losen ein  Siimvolles,  ergeben  werden,  sodass  mithin  das  Yer- 
hältniss  der  Mischung  und  die  Art  der  Vereinigung  ein 
ursprünglicher,  mitgebrachter  Plan  d.h.  Zweck  ist.  „Dieser 
Weg  desUngefährs  giebt  uns  keine  Hoffnung  zu  der  Einsicht, 
wie  aus  dem  Blinden  das  Sehende,  aus  dem  bunten  wirren 
Durcheinander  die  Praecision  des  Organischen,  der  Be- 
stand des  Uebereinstimmenden,  die  Befriedigung  des  Le- 
yiiTesli.  (c^  I,  262  ff.)  ^)  Phys.  U,  4.  8. 


'^19  46  t^x^ 

bens  und  gar  der  selbstbewusste  Gedanke  entstehen  könne. 
Die  unendlich  wachsende  Unwahrscheinlichkeit  kommt 
der  Unmöghchkeit  gleich".  ') 

Nachdem  hierauf  Plato,  indem  er  Denken  und  Sein 
in  der  Idee  als  einem  Gemeinsamen  gipfeln,  Wirklichkeit 
des  Werdens  wie  Wahrheit  des  Erkennens  in  den  Ideen 
wurzeln  und  die  höchsten  Begriffe  die  höchsten  Formen 
sein  lässt,  '^)  in  den  Ideen  als  den  aus  der  göttlichen  Ver- 
nunft stammenden,  dem  Stoffe  sich  einbildenden,  den 
Zwang  (Kvayxalov)  der  Materie  durch  die  verständige 
Beredung  zur  Mittelachaft  und  Mitursache  (övvainov) 
überwindenden  ^)  und  so  in  Freiheit  formenden  ewigen 
Urbildern  den  inneren  Zweck  stillschweigend  gesetzt  ^), 
Aristoteles  aber  in  scharfer  Durchbildung  ihn  zum  herrschen- 
den Princip,  so  dass  von  allem,  was  geschehe,  das  Eine  offen- 
bar, das  Andere  jedoch  implicite  und  doch  zwecks  der 
Verneinung  einer  Vorausnahme  zweckmässig,  ja  alles 
durch  Denken  oder  Natur  («jro  diavotKg  xcd  anb  q)v6SG)s) 
Vollbrachte  um  eines  Zweckes  willen  {av£cc  rov)  ge- 
schehe, ^)  erhoben  hatte ;  nachdem  ferner  von  der  Stoa, 
um  Freiheit  des  Weltganzen  und  Notwendigkeit  der 
Teile  (im  Fatum)  zu  einen,  ein  umfassendes  organisches 
d.  i.  zwecksetzendes  Göttliches  gelehrt,  ^)  zumal  aber  von 
der  patristischen  und  scholastischen  Philosophie  der  Zweck 
als  integrirender  Begriff  des  Ileilsplanes  angenommen 
worden  war:  versuchte  zuerst  wieder  Baco  von  Ve  rulara 
dem  Zweckbegriff  eine  einschneidende  Beschränkung  auf- 
zuerlegen. '')     Er  unterscheidet   zunächst  Causalität  (Effi- 


1)  II,  65.  2)  1,  205  ff.  3)  2,  127  ff.  Tim.  ■*)  II,  39.  112. 
fxj  473.  Phaed.  ^)  Phys.  II,  5.  «)  2,  134.  Phaedr.  fragm.  vol.  2. 
zbv  .dia..  Kixi  ElficiQ^svTjv  kuI  'AväynTjv  >ial  ttjv  avrijv  ftvcti. 
2,  162.  Plut.  de  fato  :.  M.  :  tu  iirjölv  dvaizicos  yiyvea9ai  kXXcc 
Kurä  itQorjyovfisvccg  aitiag.     '')  11  39  ff. 


T>iD  47  s^ 

ciens)  und  Materie  von  Finalität  (Finis)  und  Form.  Er- 
steres  weist  er  der  Physik  zu  und  teilt  diese  in  die 
Lehren  von  den  internen  Weltprincipien  (Principia  Rerum), 
vom  externen  Weltganzen  (Mundus  sive  Fabricatio  Kerum) 
und  vom  Einzelnen  des  Erscheinenden  (Xatura  sparsa 
sive  fusa).  Der  Metaphysik  aber  soll  die  Untersuchung 
der  Formal-  und  Finalursachen  zukommen.  Während 
nun  die  Auffindung  der  physischen  Ursache  Licht  und 
Handhabe  darreiche,  sei  die  Erforschung  der  Form  weder 
leicht  noch  nützlich,  und  vollends  die  L^ntersuchung  der 
Zweckursache  vertreibe  und  stürze  die  Prüfung  und  Er- 
gründung  des  physisch  Realen  und  wiege  die  Menschen 
mit  den  glänzenden,  aber  zugleich  verschwommenen  Resul- 
taten, welche  sie  zeige,  in  Ruhe  und  Untätigkeit. ')  Aber 
da  das  Metaphysische  als  ein  Irrationales  dem  Physischen 
stets  immanent  ist,  kann  beides  so  scharf  nicht,  ja  über- 
haupt nicht  völlig  getrennt  werden,  und  der  Zweck, 
dem  Physischen  entrückt,  ist  leer,  des  Fleisches  und 
Blutes  beraubt,  ausserhalb  der  lebendigen  Yerbindung 
mit  dem  Leben  der  Natur  erstorben.  Und  wie  kann 
Baco  dann  noch  annehmen,  dass  Gottes  Weisheit 
aus  dem  weit  anders  als  im  Schema  des  Natürlichen 
wirkenden  Zwecke  um  so  wunderbarer  und  die  Natur  ver- 
klärend hervorleuchte?  Ausserdem  ist  es  falsch,  dass 
die  Erforschung  des  Zweckes  unfruchtbar  sei  und  zur 
Erkenntniss  der  Natur  wie  zur  Herrschaft  über  sie  nichts 
beitrage.  Eben  der  Zweck  löst  den  Bann,  der  aus  der 
Unerklärbarkeit  durch  die  wirkende  Ursache  über  zahl- 
lose Erscheinungen  sich  legt.  Und  er  treibt  überdies 
geradezu  dahin,  aus  vorhandener  Zweckverwirklichung  in 
neuer  Zwecksetzung,  im  Suchen  und  Anwenden  von  Mitteln 
Ungeahntes  zu  entdecken,  Ueberraschendes  zu  erfinden. 
')  De  augm.  scientiai'um  lib.  III,  cap.  IV. 


-j^  48  Q^ 

So  handelt  der  geniale,  auf  Heilmittel  zu  einem  neuen  Heil- 
verfahren sinnende  Arzt,  so  der  umsichtige,  aus  erkannten 
paedagogischen  Maximen  und  ihrer  Weiterentwicklung 
das  Bildungsziel  anstrebende  Erzieher,  Edison  calculirte: 
Da  das  menschliche  Stimmorgan  zumeist  eine  vibrircnde 
Membran  ist,  so  ist  eine  ähnliche  Membran  herzustellen, 
damit  ich  die  durcli  das  Einsprechen  in  den  Schallwellen 
bestehende  LuftbeAvegung  dem  vibrirenden  Stimmorgane 
in  der  Membran  und  ihren  Schwingungen  nachbilden, 
fixiren  und  wiedergeben  kann,  und  er  erüinil  in  diesem 
Zw^ecksetzen  den  Phonograph. 

B.  Spinoza's  stricte  Ableugnung  des  Zweckes  fliesst 
zunächst  aus  seiner  Metapliysik.  Er  setzt  die  l'r-Eine, 
von  einer  anderen  Substanz  nicht  abzuleitende,  ')  in  Den- 
ken und  Ausdehnung,  ihren  Attributen,  ^)  nur  durch  sich 
selbst  begreifliche  ^)  Substanz  (Gott),  Die  beiden  Attribute 
begrenzen  und  bestimmen  sich  in  die  endlichen  Dinge, 
und  diese  sind  Modi  der  Determination  der  res  cogitans 
sive  res  extensa, '*)  Alle  solche  Weisen  des  Denkens 
wie  der  Ausdehnung  haben  die  Eine  Substanz  identisch  ^) 
zur  Ursache.  So  laufen  in  beiden  Attributen  die  Modi 
einander  parallel,  und  es  kann  das  Denken  nicht  auf  die 
Ausdehnung  (wie  die  Ausdehnung  nicht  auf  das  Denken) ') 
wirken.  So  aber  folgt,  dass  der  Zweck,  der  die  Ge- 
staltung d.  i,  die  Ausdehnung  durchdringende  Gedanke, 
nicht  !:ein  kann,  es  giebt  hiernach  kein  Organisches, 
sondern  lediglich  ein  Mechanisches  aus  dem  Wesen  der 
wirkenden  Ursache,  noch  weniger  kann  das  Ethische  als 
Freiwerden  des  Organischen  Statt  haben,  äussere  Ordnung 
wie   innere   Uebereinstimmung   der   Dinge   beziehen    sich 


1)    Kih.    I,    G,   (edd.    Paulus).     ""}  ib.    IL    1  u.  2.     ^j   ib.    I,    10. 
')  ib.  II,   1  u.  2.     s)  ib.  II,  7,     «j  <^  ib.  III,  2. 


r^D  49    2^" 

nur  auf  unser  Vorstellen.  Dieser  Ableitung  gegenüber 
macht  Tr,  mit  Recht  geltend,  dass  ihr  geometrisch- 
mathematischer Formalismus  für  die  philosophische  Spe- 
culation  nicht  zureiche,  'j  dass  dieser  in  vorausgesetzte 
Axiome  unerörterte  Begriffe  wie  die  Causalität  aufnehme,  ^) 
sowie  dass  ihm  zu  seinen  formalen  Definitionen  die  Mittel 
realer  Construction  fehlen.  -)  Besonders  aber  ist  zurück- 
zuweisen das  unvermittelte  Aufnehmen  und  wieder  das 
willkürlich  formale  Scheiden  von  Denken  und  Ausdehnung, 
und  hiermit  wird  Spinoza's  Zweckabläugnung  hinfällig. ^ ^), 
Mit  Notwendigkeit  bleibt  offen,  dass  jene  Attribute  mehr 
in  constitutivem  Sinne  die  Eine  Substanz  bilden  und 
schon  desswegen,  weil  sie  zur  Einheit  zusammengehen, 
ein  Geraeinsames  haben.  ^)  In  diesem  Gemeinsamen  aber 
könnte  der  Zweck  inbegriffen  sein.  Sodann  ist  unhaltbar 
Spinoza's  Satz,  dass,  wenn  Gott  um  eines  Zweckes  willen 
handele,  ^)  er  notwendig  ein  ihm  Mangelndes  begehre, 
denn,  indem  Gott  Zwecke  setzt,  ist  nicht  mit  einge- 
schlossen, dass  ein  Anderes  ihn  dazu  nötige  oder  dass 
das  zu  Bezweckende  ein  Entbehren  ausfüllen  soll  und 
insofern  abermals  Nötigung  sei. 

Ebensowenig  ist  Spinoza's  Negirung  des  physischen 
Zweckes  stichhaltig.  Das  Organische  als  Organisches  ge- 
langt bei  ihm  gar  nicht  zur  näheren  Erforschung.  ^)  Da 
er  das  unendliche  Denken  von  der  Einwirkung  auf  die 
unendliche  Ausdehnung  fernhält,  so  kann  sich  ihm  frei- 
lich nicht  erschliessen,  wie  in  der  Organisation  die  Not- 
wendigkeit des  idealen  Ganzen  die  Notwendigkeit  der 
realen  Teile  bestimmt.  ')  „Nirgends  beobachtet  er  die 
lebendige  Natur,  die  in  jeder  Gestaltung  dem  eindringen- 


')  Tr.,  2,  47  f.,  u.  überhaupt  p.  31  ff.     ^\  ib.  p.  48.     a")  fv.  II, 
445  f.     »)  2,  53.    108  f.  U,   41.    *)  Eth.  I,  36,  append.     ^)  II,  42. 

4 


'^^  50  o^ 

den  Beobachter  die  Tatsache  der  Zweckmässigkeit  ent- 
gegenbringt.'^ '•^)  Ist  das  Leben  in  seiner  Fülle  der  Er- 
scheinungen nichts  als  eine  geometrische  Fläche  von 
starrer  Ruhe,  ein  bewegungsloser,  blendender  Wasser- 
spiegel ?  Kann  die  im  Organischen  nach  einem  Puncte 
convergirende  Bewegung  nur  die  einer  Linie  sein,  welche 
in  der  geraden  Fortbewegung  wieder  eine  Linie  und  in 
der  seitlichen  Fortbewegung  nur  eine  Ebene  beschreibt? 
Wenn  Alles  in  die  erliabenc  Anschauung  der  mächtigen 
Substanz  versenkt  werden  darf,  so  bleibt  kein  Raum  für 
die  Betrachtung  des  Mikrokosmos.  Sind  die  Einzelwesen 
nur  Staub,  der  auf  der  Einen  Substanz  herumwirbelt,  um 
in  dies  grosse  notwendige  Grab  zurückzusinken,  dann  ist 
die  Mühe  des  Erdenkens  und  Begründens  auch  der 
Spinozistischen  Philosophie  dem  Urheber  selbst  nur  eine 
entsetzlich  flüchtige,  ungeheuere  Täuschung,  besonders  da 
zufolge  der  Discrepanz  zwischen  Denken  und  Ausdehnung 
im  Absterben  des  Leibes  dem  dann  ohne  Corrclat 
bleibenden  Geiste  sein  intelligere  gegenstandslos,  er  selbst 
damit  wesenloser  Schein  würde.  Merkwürdig!  der  Mann, 
der  den  Zweck  verwirft,  entwirft  selbst  Zwecke,  indem 
er  in  Nachbildung  des  Zweckes  des  Auges  gemäss  diesem 
optischen  Gesetze  aus  dem  verwirklichten  Zwecke  das 
Glas  bearbeitet  und  sclileift,  damit  und  so  dass  es  eine 
möglichst  zweckmässige  Nachahmung  der  Linse  zum 
Zwecke  der  Förderung  des  Zweckes  des  Sehens  Averde! 
Es  ist  daher  nicht  nur  nicht  die  Zweckursache  eine 
menschliche  Erfindung  (nihil  esse  praeter  ipsuin  humanuni 
appetitum)  ^)  aus  Trieb  oder  Verlangen  des  Menschen, 
als  erster  Ursache  —  denn   dem    Triebe  liegt  die  Sehn- 


1)  2,  03.     '')  IJ,  42.     ')  Eth.  IV,  Vorr.  p.  201. 


Ti^  51  Q^ 

sucht  des  unerfüllten  Zweckes  zu  Grunde,  wie  das  Ver- 
langen des  Auges  nach  Licht,  der  Seele  nach  Erkennt- 
niss  den  innewohnenden  Zweck  bekundet  M  —  auch  nicht 
eine  Vorspiegelung  des  Vorstellens,  denn  letzteres  als 
Denken  soll  ja  von  der  Ausdehnung  geschieden  sein: 
sondern  es  folgt  umgekehrt  die  Erfindung,  das  Experim?nt, 
wie  alles  zielgewisse  Tun  und  Werden,  aus  dem  Zwecke, 
wie  denn  auch  Euler  wider  Newton  aus  dem  im  Auge 
ausgeführten  Zwecke  die  Möglichkeit  und  AusfühiTing  der 
Abzweckung  achromatischer  Bilder  durch  brechende  Medien 
erfolgreich  dargetan  und  veranlasst  hat. 

Die  Misshandlung  des  Zweckbegriffes  bei  Spinoza 
rächt  sich  besonders  noch  auf  dem  Gebiete  der  Ethik.  -) 
Was  heisst  nach  Spinoza  sittlich  (ex  virtute  agere)? 
Sittlich,  also  sittlich  gut,  handelt  der  Mensch  soweit,  als 
er  darin  aus  dem,  was  er  erkennt,  d.  i.  vernunftgemäss 
determinirt  wird.  ^)  Allein  wo  ist  bei  diesem  Determinirt- 
werden  die  Freiheit,  die  freigegebene  Beweglichkeit  des 
ethischen  Tuns?  wo  das  ideale  Zielsetzen,  wenn  vorher 
das  Mass  der  Erkenntniss  causal  einengt?  wo  überhaupt 
das  Tun,  da  es  doch  vielmehr  ein  Leiden  ist,  ein  Passives 
unter  dem  Drucke  der  Causalität?  Dazu  kommt,  dass 
das  intelligere,  welches  Spinoza  übrigens  von  der 
Ausdehnung  in  den  Affecten  stark  irritirt  werden  lässt, 
Macht  in  Bezug  auf  die  Ausdehnung  in  Ansehung  der  Weite 
und  Tiefe  des  sittlichen  Handelns  oder  gar  des  sittlichen 
Reiches  aus  Grund  der  Geschiedenheit  von  Denken  und 
Ausdehnen  gar  nicht  erwerben  könnte.  Wenn  aber  vol- 
lends die  höchste  Stufe  des  Erkennens  gleich  sein  soll 
der  adaequaten  Idee  der  Wesenheit  der  Einen  Substanz 
und   ihrer  Attribute   und   des  Wesens   der  Dinge,  *)   wie 

')  Tr.  n^  42  f.  "")  II,  43  ff.  ^)  Eth.  IV,  23.  Tr.  U,  43  ff. 
*)  Eth.  II,  40,  Schol.  2.  (^  Tr.  2,  96  f. 

4* 


'^9  52  Q^ 

vermag  das  Handeln  dieser  Höhe  nahe  zu  kommen,  da 
es  doch  kein  Treibendes,  Schaffendes,  Autonomes,  sondern 
ein  Bewegtes,  Erzeugtes  und  Heteronomes  ist?  Gesetzt 
aber,  es  würde  von  dem  intolligere  das  ex  virtute  agere 
nachgezogen,  mitgesetzt  und  mitbewirkt,  so  wäre  es  eben- 
falls ein  Abhängiges,  niemals  ein  Freies.  Wenn  ferner 
der  Geist  (mens)  sich  in  sich  selbst  erhalten  will,  ^)  so 
muss  derart  das  intelligere,  das  agere  determinirend,  zum 
Egoismus  führen.  Auch  darin  ist  Spinoza  zu  widerlogen, 
dass  er,  den  Trieb  der  Selbsterhaltung  über  das  Eigen- 
leben zur  Gemeinschaft  hinausführend  und  Macht  (])otentia) 
der  Selbsterhaltung  des  einen  durch  die  des  andern  u.  s.  w. 
verstärkt  werden  lassend,  das  Recht  gleichsetzt  der  Macht  -') 
und  dadurch  das  Recht  nach  dem  Nutzen  des  Einzelnen 
Avie  des  Ganzen  privilegirt,  zugleich  aber  auch,  mit 
Machiavell,  einer  Macht  und  also  einem  Recht  durch  Un- 
recht, List  oder  Gewalt  Bahn  gibt,  während  dagegen  nur 
durch  den  göttlichen  Zweck  das  Recht  über  die  flache 
und  wüste  Vorstellung  der  physischen  Macht  sich  erhebt. 
Nicht  zu  billigen  ist  daher  auch  die  Definition  des  Guten 
als  des  gewissen  Wissens  vom  Nützlichen,  nämlich  von 
dem  für  das  handelnde  Subject  Nützlichen,  ^)  sowie  des 
Bösen  als  des  gewissen  Wissens  des  uns  an  der  Teil- 
nahme an  dem  uns  Nützlichen  Hindernden.  Beides  wäre 
nur  intellectuell,  und  doch  ist  es  in  Wahrheit  real,  ja 
jenes  substantial,  dieses  radical  (Kant).  Hier  wie  dort 
würde  Selbstbehauptung,  Eigen  fördern  ng,  Eigennutz  das 
Treibende  sein.  Ferner  ist  in  Rücksicht  auf  andere  das 
Gute  (z.  B.  Rettung  aus  Lebensgefahr)  mir  oft  schädlich, 
dennoch  aber  muss  ich  es  vollbringen,  wie  umgekehrt 
das  Böse  mir  zuweilen  nützlich,   ja    „allzu    schön"    wäre, 

')  Etil.  TU,  9.     Tr.  2,  87  f.     -)   Tr.   II,   43.     2,   92  ff.   R,  13  f. 
8)  Eth.  IV,  Praof.  Defin.  1. 


'^^  53  <2^ 

aber  ich  muss  es  unweigerlich  fliehen.  Wenn  aber  auch 
jenes  Gute  als  Zurückstreben  in  die  Eine  Substanz,  das 
Böse  dagegen  als  centrif'ugale  Abkehr  gefasst  würde,  so 
wäre  im  ersten  Falle  jS^egirung  des  Selbst,  (im  zweiten 
Negirung  der  Einen  Substanz)  also  ein  Negatives,  Un- 
brauchbares, kein  Gut  und  nichts  Gutes.  Ausserdem 
sind  Gutes  und  Böses  als  Wissen  nur  Modi  des  Denkens, 
sie  liegen  lediglich  in  unserer  Vorstellung.  Gerechtigkeit - 
und  Ungerechtigkeit,  Sünde  und  Verdienst  sind  äusser- 
liche  Begriffe;  Strebungen  aus  der  Vernunft,  Begierden 
aus  Ursachen  sind  unterschiedslos  Wirkungen  der  Natur.  ') 
Wo  ist  hier  der  Markstein  alles  Ethischen,  die  Verant- 
wortlichkeit der  sittlichen  Person  wie  Gemeinschaft  ?  Ethik 
ohne  Zweck  ist  hinfällig,  Sittliches  ohne  Freiheit  ein 
Unding.  Was  will  es  schliesslich  noch  besagen,  wenn 
Spinoza  in  der  intellectualen  Liebe  Gottes,  wie  in  der 
frommen  Begeisterung  seiner  Weltansicht,  ruhen  will? 
Unsere  Erkenntniss,  in  dieser  Liebe  die  Vollendung 
ihrer  Freude  findend,  wie  Spinoza  lehrt,  jauchzt  zunächst 
da  auf,  wo  ihr  die  Harmonie  gedankenvoller  Zwecke 
begegnet,  ihr  Gipfel  wird  erst  mit  dem  göttlichen  Zweck 
erreicht,  und  ihre  Liebe  zu  Gott  ist  dann  eine  ganz 
andere,  als  die  aus  starrem  Mechanismus  sich  erhebende. 
So  ist  Spinoza's  System  der  unerbittlichen  Notwendigkeit 
„ohne  Leben  und  Liebe",  schroff  und  hart,  einseitig  und 
flach,  aber  dadurch  ein  indirecter  Beweis  für  die  Bedeu- 
tung des  Zweckes.  -) 

Tr.  unternimmt  hierauf  die  Zurückweisung  der  Ein- 
schränkung und  teilweisen  Negation,  welche  der  Zweck 
bei  Kant  findet.^)  Kant's  Philosophcm  über  den  Zweck 


')  Tr.  2,  97.     Eth.  IV,  praef.     Prop.  37.     Schol.  2.     ^)  Tr.  U 
44.     3)  n,  44  ff. 


-a^  54  Qx^ 

gründet  sich  auf  sein  Unterscheiden  der  bestimmenden, 
unter  gegebenes  Allgemeine  das  Besondere  unterord- 
nenden, und  der  reflectirenden,  zu  gegebenem  Besonderen 
das  Allgemeine  suchenden  Urteilskraft,  'j  Es  will  ihm 
Inhalt  und  Grenze  unserer  Erkenntniss  der  springende  Punct 
auch  hinsichtlich  des  Zweckes  sein.  ''')  Er  handelt  zu- 
nächst von  der  objectiven  Zweckmässigkeit,  welche  nach 
einem  einzigen  Principe  unendlich  viele  Gestaltungen 
in  der  Geometrie  ermögliche,  doch  eben  desswegen  nur 
formal  sei.  Weiterhin  kritisirt  er  die  relative  Zweckmässig- 
keit der  Natur  nach  dem  Gesichtspunkte  der  Zuträglich- 
keit von  Naturdingen  als  Mitteln  für  andere  Geschöpfe. 
Ist  diese  mehr  eine  äussere,  so  haben  dagegen  die  Dinge 
als  Naturzwecke  und  organisirte  Wesen  erfahrungsmässig 
eine  innere  Zweckmässigkeit,  deren  Beurteilungsprincip 
sich  freilich  dahin  klären  muss,  dasa:  „ein  Ding  seiner 
inneren  Form  halber  als  Naturzweck  beurteilen  ganz 
etwas  Anderes  ist,  als  die  Existenz  dieses  Dinges  für 
Zweck  der  Natur  halten. '^  -)  Nun  müsstc  der  Zweck 
der  Natur  oder  der  Endzweck  uns  bekannt  sein,  doch 
dieser  liegt  ganz  ausserhalb  der  Natur  und  ihrer  physisch- 
teleologischen  Betrachtung.  Das  Allgemeine  ist  somit 
nicht  gegeben,  das  Besondere  kann  darum  nicht  abgeleitet 
werden,  folglich  aber  ist  evident:  dass  dieses  Princip  des 
Zweckes  „nicht  ein  Princip  für  die  bestimmende,  sondern 
nur  für  die  reflectirende  Urteilskraft  sei,  dass  es  regulativ 
und  nicht  constitutiv  sei."  ^)  So  ist  es  denn  nur  ein  Leit- 
faden, ein  neues  Princip,  eine  Maxime  mehr,  im  teleo- 
logischen Urteile  uns  die  Natur  so  vorzustellen,    „als    ob 


1)  Krit.  der  Urteilskraft.  1867,  (edd.  Hartenstein),  §.  61  ff., 
§.  67  und  Einl.  IV.,  p.  185  f.  >")  I,  156.  ~  234.  H,  97.  ')  ebend., 
§.  67,  p.  390  (Krit.  d.  ürteilski-.)      »)  ebend.  p.  391. 


'J19  55  Q^ 

ein   Verstand  den  Grund  der  Einheit  des   Mannigfaltigen 
ihrer  empirischen  Gesetze  enthalte."  ') 

Hiergegen  macht  Tr.  geltend,  dass  Kant,  gleichwie 
er  Raum  und  Zeit  zu  menschlichen  Anschauungsformen-), 
die  Kategorien  zu  Stammbegriffen  unseres  Verstandes  ^) 
die  im  Urteile  ausgesagte  Einheit  der  Dinge  zu  einer 
Folge  der  Einheit  des  menschlichen  Selbsbewusstseins  ^), 
und  die  Idee  des  Unbedingten  zu  einem  blossen  Sporn 
und  Stachel  des  menschlichen  Erkennens  mache  ^'),  so 
consequenterweise,  um  durch  Anerkennung  der  Objec- 
tivität  des  Zweckes  den  seinem  Götterbild e,  dem  „Dinge 
an  sich",  sorgsam  übergelegten  Schleier  nicht  lüften  zu 
müssen,  den  Zweck  zu  einem  subjectiven  Lichtblick 
unseres  Denkens  auf  die  Dinge  herabsetze,  während  er 
doch  als  das  Licht  der  Dinge  selbst  hervortrete.  Kant 
fällt  nach  Tr.'s  Darlegung  hier  in  den  nämlichen  Fehler 
als  in  seiner  Ansicht  von  Raum  und  Zeit.  Seine  scharf- 
sinnigen und  tiefgehenden  Argumente  zeigen  zwar,  dass 
Raum  und  Zeit  subjective  Bedingungen  unseres  Wahr- 
nehmens vmd  Erfahrens  sind  ^),  doch  lassen  sie  die 
ausschliessliche  Subjectivität  jener  unbewiesen.  Wenn  so 
auch  der  Zweck  für  den  Geist  notwendig  und  eine  un- 
vermeidliche Form  des  Anschauens  ist,  und  ob  er  gleich 
im  Geiste  entspringt  und  durch  eine  Geistestat  erzeugt 
wird,  so  kann,  ja  muss  er  doch  zugleich  auch  der  Sache, 
dem  Objecte,  der  andern  Hälfte  des  Ganzen,  der  er- 
gänzenden Relation,  dem  mit  dem  Subject  auf  das  Engste 
Zusammenhängenden,  angehören ''),  wie  denn  z.  B.  im 
mathematischen  Vorberechnen  und  zielanstrebenden  Con- 
strairen    der    Geist    nimmermehr    ein    Reales    erreichen 

1)  eben.  Einl.  IV.,  p.  187.  ^)  I,  158.  ^)  I,  326.  ^  U,  197  ff. 
*)  I,  352.  ex.  n,  189,  408  f.  ^')  II,  426.  »)  i,  156  ff.  «)  H,  47. 
Ebenso  ist  ein  Objectives  auch  im  Empfinden  11,  478  ff. 


-^^  56  sx> 

könnte,  wenn  die  Dinge  ihm  hierin  nicht  antworteten 
und  verwirklichte,  objectivc  Zweckmässigkeit,  die  da  in 
Rechnung  und  Construction  nachgeschafFen  wird,  auf 
keine  Weise  gegeben  wäre.  ')  "Wenn  das  Reich  der 
Möglichkeiten  so  gespalten  werden  könnte,  dass  was  sub- 
jectiv  nicht  objectiv,  und  was  objectiv  nicht  subjectiv 
sei,  so  wäre  unser  Erkennen  Schein  und  sein  Inhalt 
Schein  des  Erscheinenden,  da  wir  ja  nie  zu  wissen  ver- 
möchten, ob  denn  auch  das  zu  Erkennende  dem  Er- 
kennenden wirklich  entspreche,  und  es  wäre  geradezu 
unnütz,  das  Denken  derart  anzuspannen,  denn  wir  wTrden 
einem  niemals  einzuholenden  Dinge  nachjagen  und  schliess- 
lich uns  selbst  einfangen '"),  alle  Empirie  wäre  aufge- 
hoben ^^)  und  unser  Uns-Selbsteinspinnen  in  eine  kleine 
eigene  Welt  würde -'')  sich  abschliessen,  wenn  auch  noch  die 
Empfindung  nur  subjectiv  sein  dürfte.  Zumal  aus  diesen 
congruenten  Folgerungen  der  Kantischen  Zweckerklärung 
erhellt  zwingend,  wie  auch  im  Zwecke  „die  Grundformen 
dergestalt  übergreifen,  dass  die  Vorstellung  desselben 
ebenso  von  dem  Geiste  wie  er  selbst  von  den  Dingen 
hervorgebracht  wird."  ^) 

Zudem  müsste  der  Zweck,  falls  er  nur  subjectiv  und 
lediglich  eine  Kategorie  des  Erkennens  wäre,  überall  un- 
gesucht da  sein  und  sich  darbieten,  wo  und  wann  und 
wie  immer  unser  Denken  auf  das  Sein  sich  richtet.  Er 
müsste  als  notwendiges  Gepräge  der  Begründung,  als 
immerdar  mit  unseren  geistigen  Tätigkeiten  verkettete 
Notwendigkeit  erscheinen.  Aber  sehen  wir  nicht  an  seiner 
Statt  zunächst  die  wirkende  Ursache  reich  und  gewaltig 
auftreten,    dagegen    den  Zweck   als   übergreifend  und  er- 

')  ~  I,  160  f.  *)  fv.  I,  158  f .  ~  II,  187.  2«)  n,  482.  '")  II, 
480.    3)  <^  II,  47. 


Ti^  57  <2x> 

gänzend  erst  da,  wo  jene  abreisst?  So  wenig  hiernach 
die  wirkende  Ursache  in  Anbetracht  der  Kraft  ihres 
Producirens  und  der  Fülle  ihrer  Producte  ein  nur  Sub- 
jectives  sein  könnte,  so  wenig  auch  kann  der  Zweck,  die 
Erfüllung  des  Causalen,  pure  Kategorie  sein.  ^Wo  die 
subjective  Regel  des  Zweckes  soll  angewandt  werden, 
das  entscheidet  das  "Wesen  der  Sache,  und  sie  vermag 
sich  daher  selbst  nicht  in  dem  engen  Kreise  einer  bloss 
subjectiven  Betrachtungsweise  abzuschhessen  und  bestimmt 
sich  selbst  aus  dem  Object."  ')  Kant's  Ansicht  führt  so 
über  sich  selbst  hinaus,  der  mit  vergeblicher  Mühe  ein- 
geengte Begriff  überschreitet  die  streng  gezogene  Grenze, 
in  der  treibenden  Kraft  seiner  Folgerungen  entwächst 
er  seiner  Beschränkung,  und  die  überstiegene  Schranke 
ist  für    den  sie  überwindenden  keine  Schranke  mehr. 

Weiterhin  noch  zeigt  sich  das  Unzureichende  '  dieser 
Deduction  des  Zweckes  bei  Kant,  wenn  er  die  Möglich- 
keit der  Naturdinge  als  Mittel  zu  Zwecken  aus  der  all- 
gemeinen Idee  der  als  Inbegriff  der  Gegenstände  der 
Sinne  genommenen  Natur  verneint.  ^)  Denn  da  die  Natur 
mehr  ist  als  die  Summe  des  Gegenständlichen  und  Greif- 
baren, schon  zufolge  ihres  verborgenen  AValtens,  so  kann 
in  ihrer  Innerlichkeit  wohl  auch  ein  Inneres,  der  Zweck, 
wohnen  und  wirken.  Wäre  die  Natur  aber  ein  Aeusser- 
liches  nur  und  stände  ihr  der  subjective  Zweck  nur 
äusserlich,  als  reflectirendes  Prinzip,  gegenüber,  so  würde 
dann  als  belanglos  freigegeben  werden  die  denkende  Er- 
reichung der  inneren  Gesetz-  und  Zweckmässigkeit  der 
Natur,  die  diesfalls  „ihren  allgemeinen  Gesetzen  nach 
eingerichtet  sein  mag,  wie  sie  wolle."  ^) 


»)  II,  51.     ')  Krit.   d.  ürteilskr.   §  61.     ')    Krit.   d.   Urteilslvr., 
Einl.  V.,  p.  192. 


'ä^  58  ex^ 

Ferner  ist  Kant's  Setzen  eines  nur  reflectirenden 
teleologischen  Princips,  welches  darum  auch  über  das 
Regulative  nicht  hinausreichte,  darin  zurückzuwoison  und 
zu  bekämpfen,  insofern  als  eine  regulative  Idee  in  der 
Tat  nur  subjectiv  wirkt  und  in  solchem  Wirken  nichts 
anderes  vollbringt,  als  dass  sie  den  Oeist  reizt  und  an- 
spornt, nicht  im  Begrenzten  und  Einzelnen  zu  rasten, 
sondern  von  den  ergriffenen  Teilen  her  zu  den  Be- 
dingungen fortzuschreiten.  Hierin  bewegt  sie  sich  in  dem- 
selben Kreise  und  dem  nämlichen  Geleise,  denn  sie  kann 
als  regulative  nicht  zugleich  constitutiv  sein  und  zum 
Objectivcn  führen,  sondern  sie  dreht  den  Yerstand  immer 
in  seinem,  vom  Sachlichen  streng  abgeschlossenen  Elemente 
herum.  Aber  wie  ganz  anders  doch  der  Zweck !  Plötz- 
lich setzt  er  die  Betrachtung  der  Dinge  um  und  „zwingt 
den  Yerstand,  der  die  Dinge  aus  den  Dingen  begreifen 
will,  gleichsam  aus  seiner  Rolle  zu  fallen."  ^)  Die  be- 
tretene Bahn  des  Causalen  wird  verlassen,  der  Kreis  des 
Regulativen  durchbrochen,  der  Zweck,  eine  Macht  in  den 
Dingen,  in  seinem  Gestalten  die  wirkende  Ursache  weit 
überholend,  setzt  selbst  die  Wahrheit  seiner  Betrachtungs- 
weise, er  ist  constitutiv  und  schöpferisch. 

Die  gleiche  Verwahrung  und  Abweisung  im  Verhält- 
niss  zu  Kant's  Zwecktheorom  ergiebt  sich  endlich  noch 
wenn  man  mit  Tr.  im  Allgemeinen  überschlägt,  welchen 
Wert  denn  ein  bloss  regelnder,  aber  nichts  feststellender 
Begriff  des  Zweckes  haben  würde?  Also  er  hätte  nur 
die  verworrenen  Vorstellungen  zu  ordnen,  und  dies  wäre 
ausserdem  „nur  unsere  Ordnung,  nicht  die  WeltoMnung, 
nur  Aushülfe  unseres  Verstandes,  nicht  das  Gesetz  der 
Dinge."  '^)   Aber  gesetzt  auch,  der  Zweck  wäre  nur  Regel 


')  II,  50.    ■')  U,  48. 


's^  59  Qx> 

des  Denkens,  welch'  eine  die  regelmässige  Aussen- 
beziehung  des  Regelnden  völlig  ignorirende  Regel  hätten 
wir  hier!  Denn  sie  würde  also  ihren  Gegenstand  nicht 
einmal  tangiren,  geschweige  denn  innerlich  gestalten,  sie 
wäre  ein  Gesetz  ohne  Gesetzeskraft,  ein  Herr,  dem 
niemand  Gehorsam  zu  leisten  schuldig  ist!  Oder  sollte 
sie  Heterogenes  eben  nur  zusammenzwängen,  in  kurze 
Formel  widerstrebende,  weitläufige  Einzelheiten  zusammen- 
drängen? Dann  wäre  der  Zweck  einem  Thoren  zu  ver- 
gleichen oder  einem  Despoten!  „Soll  der  Zweck  nur 
eine  Regel  im  Erkennen  bilden,  ohne  zugleich  die  Regel 
der  Sache  zu  sein:  so  ergiebt  er  statt  einer  notwendigen 
Verkettung  der  Dinge  nur  eine  zufällige  Verknüpfung  des 
Geistes."  *)  Und  wollte  man  auch  damit  sich  begnügen, 
dass  der  Zweck  wenigstens  ein  Princip  mehr  sei,  die 
Erscheinungen  der  Natur  unter  Regeln  zu  bringen,  wo 
die  Gesetze  der  Causalität  nach  dem  blossen  Mechanismus 
derselben  nicht  zulangten,  so  hätte  man  durch  dies  neue 
Princip,  welches  dem  der  wirkenden  Ursache  widerstreitet, 
nicht  Vereinfachung,  sondern  Verwickelung  der  Erkennt- 
nisse, und  selbst  wenn  letzteres  nicht  wäre,  doch  eben 
nur  eine  neue  Anordnung  und  geänderte  Registratur,  ein 
vorentworfenes  Schema  eines  andersgearteten  Inhalts- 
verzeichnisses der  Dinge,  wie  sie  dem  Mens chengeistc  er- 
scheinen, und  gleichsam  eine  neue  Eiguration  im  Kalei- 
doskop der  bunten  Aussenwclt;  eine  Begründung  und 
Ergründung,  ein  Eindringen  in  den  Zusammenhang  des 
Weltgeschehens  wäre  damit  aber  ausgeschlossen,  und  das 
Princip  mehr  hat  sonach  keinen  Wert.-) 

Mithin    ist    der  Zweck   nicht   bloss  subjectiv,  sondern 
zugleich  die  objectiv    „inwohnende,  gestaltende  Seele  der 

»)  n,  49.     2)  II,  51  i. 


'a^    60    (2^ 

Dingo."')  ,,I)i(>  Tat  entspricht  unserer  Vorstellung.  Wir 
wirken  n;ich  der  autgcfasstcn  Zweckmässigkeit  auf  die 
Dingo  ein,  und  die  Dinge  antworteten  dieser  Einwirkung 
gemäss.  Wir  wenden  hiernach  den  Zweckbegriff,  der  nur 
regulativ  sein  sollte,  constitutiv  an  (z.  B.  in  der  Ilcnlung, 
in  der  Ausbildung  des  Leibes,  in  der  Erziehung),  und  die 
Natur  der  Dinge  leidet,  fordert  und  bestätigt  dies  Ver- 
fahren. 2) 

Auch  gegenüber  der  von  Hegel  gegebenen  Ent- 
wickelung  des  Zweckbegrift's  nimmt  Tr.  eine  abwehrende 
Stellung  ein.  ^) 

Hegels  Dialektik,  welche  häufig  ein  Arabeskenspiel 
abstracter  Begriffe  ist,  ')  macht  ihre  Schwäche  auch  in 
der  Ableitung  des  Zweckes  kund.  Es  soll  aus  dem  zum 
Schluss  sich  entwickelnden  Begriff  Vermittelung  und 
durch  diese  Bewegung  zugleich  Unmittelbarkeit,  also  Auf- 
hebung der  Vermittelung,  so  aber  das  Für-Sich-Seicnde, 
die  Objectivität,  aus  dieser  wiederum  als  selbständiger 
Gleichgültigkeit  des  nur  äusserlich  geeinten  objectiven 
Auseinander-Seins  der  Mechanismus,  aus  diesem  endlich 
durch  Centralität  der  Beziehung  der  gegeneinander  ge- 
spannten Objectivitätcn  der  das  Object  in  seiner  Existenz 
gegen  sein  Anderes  diffcrcnt  setzende  Chemismus  hervor- 
gehen. Im  Chemismus  nun  zeigt  sich  zufolge  der 
Centralität  und  TotaHtät  der  Bestimmtheiten  der  Trieb, 
in  der  Aufhebung  des  entgegengesetzten  einseitigen 
Objectes  sich  zum  realen  Ganzen  zu  machen.  So  ent- 
stehen äusserliche  Processe,  welche  in  Productc  übergehen, 
sie  zeigen  darin  ihre  Endlichkeit,  zugleich  aber  auch  die 
Negirung  der  Aeusserlichkeit  und  Unmittelbarkeit  des 
Begriffes  des  Objectes.     Dieser  objective  freie  Begriff  ist 


')  n,  52  f.  91.     2)  II,  53,  fx.  433.     ')  II,  53  fl".     *)  I,  299, 


'■^ftS    Ql    QX' 

der  Zweck.  Der  Zweck  als  die  sich  von  sich  selbst  ab- 
stossende  und  darin  sich  erhaltende  Einheit,  Ursache 
seiner  selbst  und  die  Wirkung  zur  Ursache  machend,  in 
seiner  Selbstobjectivirang  den  Unterschied  des  Subjeetiven 
und  Objectivon  aufhebend,  ist  zunächst  endlich  (Material 
der  Verwirklichung  in  der  endlichen  Weltj  und  äusserlich 
(das  gegebene  Object  ist  sein  Inhalt)  und  hierdurch  zu- 
fällig. Indem  aber  in  der  Ausführung  der  Begriff  als 
Wahrheit  der  sich  abstossenden,  aber  in  den  dadurch 
entstehenden  Dingen  bei  sich  bleibenden  Substanz  in  der 
Macht  der  letzteren  das  Mittel  sich  unterwirft,  und  indem 
der  erreichte  Zw^eck  wieder  Material  zu  anderen  Zwecken 
wird,  entsteht  durch  diesen  Process  in's  Unendliche,  diese 
Relativität  des  ausgeführten  Zweckes,  diese  Idendität  des 
Zweckes  und  Mittels,  die  Idee,  die  absolute  Einheit  des 
Begriffes  und  der  Objectivität,  die  Yernuuft,  die  das 
ewige  Anschauen  ihrer  selbst  im  Andern  ist,  der  Begriff, 
der  in  seiner  Objectivität  sich  selbst  ausgeführt  hat,  das 
Object,  das  innere  Zweckmässigkeit,  wesentliche  Sub- 
jectivität  ist.  —  Der  so  geartete  Zweck  zeigt  sich  am 
Organischen.  Dieses  erhält  sich  selbst  in  Beziehung  auf 
ein  Anderes,  in  ihm  hat  sich  die  Natur  in  den  Begriff 
reflectirt,  '")  Ursache  und  Wirkung,  Tun  und  Leiden 
sind  darin  in  Eins  zusammengenommen.  Es  ist  ein 
Sichselbsterhaltendes  und  Insichzurüekkehrendes,  also 
Objectivirung  zur  wesenhaften  Subjeetivität.^')  Ist  so  der 
Zweck  im  Organischen  die  Realisirung  des  Begriffes,  so 
beginnt  überhaupt  im  Zwecke  das  Dasein  des  Begriffes, 
das  Freie  existirond  als  Freies,  das  Subject,  Totalität  des 
Beiöichselbstseins,  in  der  Selbstbestimmung  Inhalt,  in  der 
Selbstbesonderung   Form.        Hierbei    ist    äussere   Zweck- 

'«)  oo  n,  201  f.    a»)  Phaenom.  des  Geistes.  Bd.  11,  Berlin  1841, 
p.  189  ff. 


'^^  62  '2x^ 

mässigkeit  aus  der  Mitbezweckung  des  Mittels,  innere 
Zweckmässigkeit  aber,  insofern  sie  sich  selbst  Zweck  und 
Mittel  ist.  lieber  dieser  endliclien  Zweckmässigkeit  steht 
die  absolute.  ') 

Doch  wie  steht  es  um  diese  blendende  Deduction  des 
Zweckes?  Resultirt  so  tatsächlich  der  Sieg  des  Zweckes 
über  die  AVeit  in  der  unendlichen  Objectivimng  des  Be- 
griffes in  seine  Subjectivität? 

Tr.  verraisst  zunächst  im  Uebergange  des  disjunctiven 
Schlusses  in  die  Objectivität  das  nach  aussen  Treibende, 
Objectivirende,  er  verneint  die  Möglichkeit  des  Entzweiens 
des  Centrums  in  der  Centralität  des  Mechanismus  zum 
Chemismus  gegenseitig  sich  erregender  Beziehungen  (z. 
B.  üebergang  aus  der  Astronomie  in  die  Chemie);  er 
legt  dar,  dass  im  Chemismus  (z.  B.  100  Teile  Schwefel- 
säure verbinden  sich  mit  71  Teilen  Kalk  zu  Gyps)  ent- 
weder Causalität  in  der  Wechselwirkung  der  Kräfte  der 
Stoffe  oder,  wenn  die  Stoffe  zur  Yerwirklichung  ihres 
Begriffes  und  wie  für  einander  bestimmt  in  bestimmter 
Mischung  zusammengehen,  schon  der  waltende  Zweck  zu 
statuiren  sei.  -) 

Die  unendliclie  Negation  des  Chemismus  sodann,  wie 
sie  im  Process  und  Product  desselben  vorliegen  soll, 
kann  ebensowenig  den  Zweck  ergeben,  denn  jene  aus  der 
Einbezogenheit  in  Process  und  Product  sich  ergebende 
UnSelbstständigkeit  ist  nur  Mangel  an  Macht,  Abhängig- 
keit von  einer  anderen  wirkenden  Ursache,  so  dass  mit 
der  Aufhebung  dieses  Defectivums  im  Chemismus  nichts 
als  Causalität  erscheint.  Und  weiter,  wie  kann  das  im 
"Werden  und  Wechsel  beschlossene  zufällige,  blinde  Spiel 
der  Yerbindungcn   den   sehenden  Zweckgedanken  in  sich 

»)  Philosophie  d.  Relig.,  Bd.  XI,  IJerlin  1840,  p.  27  fi".  *)  II, 
5fi  ff. 


'V19  63  e^ 

fassen,  und  wie  vermag  der  in's  Object  versenkt  ge- 
wesene, aber  in  der  Selbstobjectivirung  sich  befreiende 
Begriff,  also  ein  gebundenes  Prius,  als  freier  Gedanke 
das  Posterius  vorher  zu  bestimmen  ?  Ferner  ist  im  end- 
losen Gange  der  Identificirung  von  Zweck  und  Mittel 
beides  real  dennoch  auseinanderzuhalten,  und  nur  im 
absoluten  Ganzen,  welches  aber  im  unendlichen  Process 
weder  bedingt  ist,  noch  erzeugt  wird,  könnte  reale 
Identität  Statt  haben;  und  der  Verlauf  in's  Unendliche 
bringt  es  nicht  mit  sich,  dass  die  sich  ausgleichenden 
Functionen  Antrieb  hätten,  die  Zwecke,  die  da  gerad- 
linig fortschreiten,  zu  einem  Kreislauf  umzubiegen,  so 
aber  kann  Totalität  des  Zweckes,  die  Idee  als  der 
absolute  Zweck,  der  das  Dasein  der  Welt  ist,  nimmer- 
mehr gefolgert  werden.  ')  Auch  ist  nicht  einzusehen,  dass 
der  im  Zweck  sich  reflectirende  Begriff,  die  mit  sich 
identische  Isegativität,  und  als  solche,  gleich  der  Substanz, 
ein  Unendliches,  dem  endlichen,  äusserlichen  Zwecke  noch 
die  Möglichkeit  der  Yerwirklichung  neben  sich  belasse, 
vielmehr  muss  letzterer  in  jenem  sich  aufheben  und 
negiren.  Und  wie  könnte  zur  Kealisirung  des  unend- 
lichen Zweckes  der  Begriff  in  seiner  Selbstbefreiung  als 
Walirheit  der  Substanz  Macht  gewinnen,  wenn  die 
Substanz,  in  ihrem  reinen  Wechsel  mit  sich  selbst,  durch 
ihr  Bei-sich-bleiben  in  den  Accidenzen  nichts  als  formale 
Identität,  bereits  für  sich  selbst  ohne  Macht  ist?  wie 
vermöchte  er  vorherbestimmend  den  Inhalt  des  Daseins  zu 
beherrschen,  indem  er  selbst  inhaltslos  ist?-)  Ob  auch 
endlich  der  Zweck  in  der  Natur  innerlicher  und  tiefer, 
so  ist  doch  im  menschlichen  Zwecksetzen  keine  Willkür, 
der  äussere  Zweck  ist  hier  Ausprägung  der  inneren 
geistigen  Bestimmtheit.  ^) 

')  II,  G2.  (^  T,  G5  f.     -j  II,  59  f.     3)  ib. 


nü^    64   '^^ 

Wie  Kant's  formal  subjective,  so  reicht  auch  Hegel's 
formal  objective  Zweckerklärung  nicht  aus,  „die  innere 
Möglichkeit  des  Zweckbegriffcs  zu  entwickeln  und  die 
Notwendigkeit  seiner  Herrschaft  zu  begründen."  ') 

Im  Bereiche  der  Ableitung  des  physischen  Zweckes 
nicht  so  sehr,  als  bei  der  Aufstellung  des  ethischen 
Zweckes  nuisste  Tr.  hart  und  entscheidend  mit  der 
Lehre  Schopenhauer's  zusammentreffen,  und  es  ge- 
schieht dies  in  der  Ausführung  über  den  Zweck  und 
den  Willen. --i) 

Zwar  in  Beziehung  auf  das  organische  Gestalten  der 
Natur  bereits  negirt  Schopenhauer  den  Zweck,  denn  jenes 
sei  nur  gleich  dem  nach  einem  Zweckbegrilf  und  doch 
zugleich  ganz  ohne  denselben.  Anscheinend  Zweck- 
mässiges sei  lediglich  Ausdruck  des  mit  sich  selbst  so 
weit  übereinstimmenden  Willens.  Dieser  Wille  ist  der 
zeitlose  und  raumesfreie,  in  der  Vielheit  und  Mannig- 
faltigkeit der  Zeit-  und  Raumdinge  der  Eine,  der  Be- 
dingung der  Möglichkeit  der  Individuation  abholde.  Er 
ist  der  Wille  zum  Dasein  und  die  Welt  der  Erscheinung 
als  Vorstellung"-)  ist  seine  Objectität. -')  Hiergegen 
setzt  Tr. :  Da  die  Objectität  nichts  ist  als  Erkennbar- 
keit, so  muss  der  Wille  zum  Leben  nicht  nur  zu  seinem 
Uebergeben  in  die  Objectivität  mitwirken,  sondern  auch 
vorher  in  unsere  apriorischen  Erkenntnisformen  des 
Raumes,  der  Zeit  und  der  Causalität  sich  fügen.  In 
diesem  Anteil  des  Grundes  liegt  für  den  Willen  ein  An- 
weis der  Besonderung.  Er  kann  soweit  nicht  unentwegt 
der  Eine,    ungeteilte  bleiben,  und  insomit  auch  nicht  das 


M  II,  62.  =)  II,  77  tt.  l(Jl  f.  "•-)  n,  162.  2a)  A.  Schopen- 
hauer, Die  Welt  als  Wille  und  Vorstellg.,  Leipzig  1877,  Bd.  I 
§  28,  p.  182  E,  und  Bd.  II,  Kap.  26  u.  27,  p.  372  flf.  [edd.  Frauen- 
städt,  Bd.  II  u.  III.] 


nA9    Q^   QX" 

Eine  d.  h.  scheinbar  Zweckmässige,  Harmonische  objecti- 
viren.      Die  Uebereinstimmimg    im  Organischen  hat  mit- 
hin anderen  und  tieferen  Grund.     Aber  angenommen  ein- 
mal,   das  Zweckmässige    sei   nicht   mehr  als  Ausprägung 
des  Einen  Grundwillens,  was  würde  es  denn  bedeuten  zu 
sagen,    dass    alle   Teile    der  Natur   einfach  einander  ent- 
gegenkommen, sich  suchen  und  finden  ?  ^)    Denn    tun    sie 
dies  aus  sich,   so  ist  der  Wille  sofort  ein  Geteiltes,   wenn 
aber    nicht,    so    ist     in    dem    Einen    Willen    doch     der 
Antrieb  d.  h.  er  ist  causal,  was  er  aber  nach  seinem  der 
Individuation  Fremdsein  nicht  sein  dürfte.      Wenn  ferner 
durch  das  einfache  Entgegenkommen  der  Teile  ein  Ganzes 
der   Organisation     entsteht,     so    hat    dann    letzteres    als 
W^irkung  die  Ursache  des  so  und  so  gearteten  ausschliess- 
lichen   Zusammengehens    dargegeben;    und    abermals,  ist 
diese  Umkehrung    des  Causalnexus    als    ein  Zweites  zur 
wirkenden  Ursache  nicht  weit  mehr  als  ein  Einfaches  und 
Voraussetzungsloses?-)       Auch    wenn    man    das   Zweck- 
mässige als  Abbild  des  Urbildlichen,  als  inzeitliche  Dar- 
stellung   des  Zeitlosen  d.  i.    der  Idee   fassen  wollte,     — 
die  platonische  Idee,  das  ewige  Musterbild,  ist  der  adae- 
quate,   unmittelbare    Ausdruck  des   Willens   zum   Leben, 
—    so    bliebe   wiederum  ein  Unerklärliches,  nämlich  wie 
denn    das  Zeitlose   in  der  Umkehrung  der  Zeitfolge  Sieg 
und  Herrschaft  über  die  Zeit  gewinnen  könne?  ^)       Mit- 
hin   muss    in    dieser  Uebereinstimmung  des  Willens  mit 
sich    der    consequente    Gedanke    des    objectiven    inneren 
Zweckes  in  Voraussetzung    und   Vorausnahme     (wie  im 
Instincte  des  Thieres)  enthalten  sein.   „Hiernach  zeigt  sich 
trotz  öchopenhauer's  Behauptung    an  seinen   eigenen  Ge- 
danken,   dass    der   Wille,   der    sich  objectivirt,  Causalität 


»)  n,  115  f.     ^)  n,  116.    3)  II,  117. 


T»^  66  S30 

und  Vernunft  zumal  ist."  ')  Der  grundlose  Wille  könnte 
nicht  in  Gesetzen  und  Zwecken  erscheinen,  der  blinde 
AVille  nicht  die  platonische  Idee  wollen.-)  In  den  drei 
Stufen  seiner  Objectivation  (Naturgesetz,  Organisches  und 
Mensch)  zeigt  er  sich  nicht  als  Spiel  des  Würfels  von 
tausend  Seiten  und  tausend  Augen,  sondern  als  Sehendes, 
als  Vernunft,  Grund  und  Ziel  in  sich  bergend.  ^)  Und 
wie  die  Vielheit  des  Erscheinenden  kein  Gaukelbild  und 
das  vorgestellte  Sein  kein  Schein  ist,  ■^)  so  ist  der 
physische  Zweck  nicht  Reflexion  des  mit  sich  überein- 
stimmenden Willens,  sondern  ein  mächtiger  Gedanke  im 
Grundgeschehen. 

Folgenschwerer  ist  Schopenhauer's  Verneinung  der 
menschlichen  AVillensfreiheit  in  Ansehung  zeitlicher  Hand- 
lungen. Frei  kann  —  nach  Seh.  —  der  Mensch  nur  in 
seinem  ganzen  Sein  und  AVesen  (existentia  et  essentia) 
als  seiner  freien  ausserzeitlichen  Tat  sein.  Da  nun  das 
inzeitliche  Operari  des  Menschen  nur  Vielheit  und  Ver- 
schiedenheit des  Darstellens  der  ursprünglichen  Einheit 
ist,  so  muss  es  genau  gleichmässig  und  notwendig  be- 
stimmt und  von  jeweiligen  Motiven  lediglich  inscenirt, 
also  durchweg  determinirt,  vorsieh  gehen.  Alle  mensch- 
lichen Handlungen  aus  Motiven  sind  individuell  und 
casual,  weniger  zufällig  nach  der  äusseren  Einwirkung 
als  notwendig  aus  der  \'orherbestimmtheit.  Das  Operari 
ist  unfrei.  In  jedem  Individuum  ist  in  jedem  Falle  nur 
Eine  Handlung  möglich.  Frei  ist  nur  das  Esse,  der 
intelligible  Grund  des  empirischen  Handelns.  Jeder  ist, 
was  er  ist,  gleichwie  er  tut,  was  er  ist;  und  in  dem,  was 
er  ist,  liegt  mit  der  Freiheit  auch  Schuld  und  Verdienst. 
Da  hiernach  der  Mensch  verantwortlich    ist  nicht  für  das 

')  II,  118.    ')  ^  II,  111.    ')  ^  II,  112.    *)  ~  n,  108. 


-^9  67  s^ 

aus  dem  Eintritt  des  Tuns  in  die  Motive  notwendig  sich 
ergebende  Handeln,  sondern  dafür,  dass  eine  andere 
Handlung  möglich  war,  wenn  nur  er  selbst  ein  Anderer 
gewesen  wäre,  so  trifft  der  Stachel  des  Gewissens  als  des 
wachsenden  Bekanntwerdens  des  Menschen  mit  seinem 
wahren  Selbst  allein  das  Esse,  und  höchstens  können 
rücksichtlich  der  sittlichen  Verantwortlichkeit  noch  die 
drei  Grrundmotive  Egoismus ,  Bosheit  und  Mitleid  con- 
curriren.  ^)  Gewichtig  und  bedeutsam  sind  die  Gegen- 
argumente Tr.'s.  Die  intelligible  Freiheit,  von  Kant  für 
den  vernünftigen  Willen  und  gegen  den  Determinismus 
gesetzt,  soll  mit  dem  intellectlosen,  unvernünftigen  Willen 
zusammenstehen  und  die  empirische  Notwendigkeit  be- 
dingen und  begründen!  Und  wie  kann  jene  Freiheit  eine 
intelligible  sein,  wenn  die  Objectität  des  Willens  auch 
in  unseren  Handlungen  nichts  als  Ausdruck  der  Vor- 
stellung, dazu  als  Intellectuelles  aus  dem  Intellectlosen, 
und  somit  gar  kein  empirisches  Kundwerden  der  Allge- 
meinheit der  Dinge  und  des  Seins  überhaupt  ist!-)  Auch 
die  von  Seh.  versuchte  Subsumtion  des  Begriffes  der 
Kraft  unter  denjenigen  des  AVillens  kann  hier  nicht 
helfen,  denn  es  bleibt  dann  wieder  unaufgehellt,  durch 
welchen  artbildendcn  Unterschied  aus  diesem  allgemeineren 
Begriffe  jener  besondere  hervorgehe.  Und  wodurch  haben 
wir  von  einem  Willen  insgemein  Kunde  ?  Ausschliesslich 
aus  der  Analogie  unseres  eigenen  Willens.  Da  nun  unser 
Einzelwille  im  Rahmen  der  Vorstellung,  nach  Motiven 
und  in  der  Zeit  handelt,  jener  Grundwille  jedoch  ohne 
Intellect,    ohne  Motive    und   ausser   der  Zeit  wirken  soll, 


')  n,  101  ö".  -;  II,  10:).  Schopenhauer,  Welt  als  W.  u.  V., 
s.  o.  Bd.  I  p.  178  ff.;  188  ff.;  342  ff.;  §  61,  p.  391  ff.;  Bd.  II, 
Kap.  19,  p.  224  ff. ;  p.  868  f. ;  Kap.  47,  p.  676  ff.  cf.  et. :  „Die  Grund- 
probleme  der  Ethik"  Leipz.  1860. 

5* 


^5^  68  s^ 

so  haben  wir  hier  ein  widersprechendes  Analogen,  das 
TtQatov  ^'Evdog  einer  haltlosen  Ainphibolie, 'j  eine  unglück- 
selige Metapher!-)  Aus  diesem  in  sich  unbegreiflichen, 
dem  menschlichen  Willen  entgegengesetzten  Willen  kann 
unmöglich  die  Notwendigkeit  unserer  Willensäusserung 
folgen.  Hierzu  bedürfte  der  Urwille  durchgehende,  zu- 
sammenhaltende Kraft  und  vorausschauende  Vernunft,  die 
beide  ihm  nicht  eignen.  Ist  es  auch  Notwendigkeit  des 
Willens  zum  Leben,  dass  der  Selbstmörder  einen  Willen 
zum  Tode  ausführt?  oder  wäre  der  Tod  nicht  Yerneinung 
des  Lebens,  sondern  Rückkehr  zum  Intelligiblen  d.  h. 
aus  der  Yernunft  in  die  blinde  Unvernunft?  Der  Wille 
zum  Leben  als  Princip  macht  das  Leben  des  Menschen 
zum  Resultat,  das  ethische  Handeln  zum  Mechanismus 
der  Notwendigkeit.  Aber  das  in  sich  selbst  Gewisse  im 
Menschen,  der  begehrende,  empfindende,  denkende,  wollende 
Zweckgedanke,  die  Seele,  ist  nur  ihrer  Erscheinung,  ihrer 
Selbstverwirklichung  nach  Resultat,  aber  in  ihrem  Wesen 
ist  sie  Princip,  ^)  ihre  Tätigkeit  ist  eine  reflexive,  '^)  sie 
denkt  und  will  sich  selbst,  nicht  aber  eine  zum  etwaigen 
Urwillen  regressive;  sie  hat  unveräusserlich  das  Selbst- 
bewusstsein  ^)  zu  eigen,  und  nicht  das  Mitbewusstsein 
eines  Ursprünglicheren;  ihre  Einheit  setzt  sich  fort  durch 
Raum  und  Zeit  und  unbekümmert  um  die  Vielheit  der 
Darstellungen  des  Willens  zum  Leben;  sie  erkennt 
apriorische  Wahrheiten  ohne  Beihilfe  der  Objectität 
des  Willens.  Und  das  sittUche  Handeln,  dessen 
Aufgabe  es  ist,  die  Zwecke  in  ihrer  Unterordnung 
unter  den  letzten  Zweck, ")  nämlich  die  Erfüllung  des 
eigentümlichen  Menschenwesens,  zu  wollen,  ^)  kann  nicht 
in  die  Linie  starrer  Notwendigkeit  fallen,  da  es  sinnlichen 

1)  II,  109  f.    ^)  IT,  113.    ^)  ir,  80.    ■•)  II,  83.    ')  II,  84  f.     •)  II, 
93.     ';  II,  91. 


-i/^S)  69  ^^ 

Vorstellungen  und  Reizen  widerspricht,  ^*)  denn  ein  Ge- 
bundener kann  nicht  kämpfen.  Wenn  so  aus  dem  Streite 
der  Zwecke  im  Kampfe  sittlicher  Arbeit  das  sittliche 
Ideal  sich  herausklären  soll,  so  muss  das  apriorische  Sitten- 
gebot Möglichkeit  seines  Erreichens,  Freiheit  des  Handelns 
erfordern.  ')  Aber  im  Notwendigen  ist  kein  bewusstes 
Ziel,  sondern  unbewusste  Entwickelung,  in  welcher  der 
Mensch  kein  Tuender,  sondern  ein  Getanes  wäre,  nur 
ein  Schauplatz  des  Abspielens  fremder  Causalität-)  und 
ihr  Canal.  Steigerung  des  geistigen  Lebens,  Schwung 
des  idealen  Strebens  wären  hiernach  unmöglich,  -)  wogegen 
die  Geschichte  des  Tages  und  der  Jahrtausende  Zeugnis 
ablegt.  In  die  festgefügte  Notwendigkeit  der  Willensacte 
würde  fernerhin  nicht  eintreten  können  der  Zwiespalt  und 
Widerstreit  der  Zwecke  als  Teile  und  der  Zwecke  des 
Ganzen.  ^)  Die  lebhafte  Lust  des  Sinnhchen  in  der  Be- 
gierde und  die  Idee  des  Guten,  für  welche  letztere  Seh. 
auch  gar  keinen  Raum  hat ;  *)  —  da  aber  alles  ethische 
Leben  durch  die  Antithese  zur  Synthese  schreitet,  so  würde 
mit  jener  auch  diese  wegfallen  — ,  jene,  sagen  wir  also, 
könnten  nimmermehr  miteinander  in  Conflict  geraten,  es 
gäbe  nichts  als  uniformes  Objectiviren  des  "Willens,  Gutes 
und  Böses  wären  indifferent,  Lasterhaftigkeit  müsste  ir- 
relevant sein,  ja,  womöglich  müsste  es  als  intensivere  Dar- 
stellung des  Urbegehrens  d.  i.  des  Grundwillens  besondere 
Geltung  erlangen!  Hiermit  wäre  alle  Schuld  verneint  und 
jedes  Verbrechen  sanctionirt,  denn  dass  der  fehlende 
Mensch  nicht  anders  ist  und  zumal  nicht  anders  tut,  als 
er  ist,  liegt  nicht  mehr  in  seiner  Macht,  sondern  in  seiner 
vorzeitHchen  freien  Tat,  w^elche  freilich,  in  die  absolute 
Freiheit  des  Willens  zum  Leben  einbezogen,  sofort  zur 
Notwendigkeit  wird. 

1»)  II,  93.    »)  ib.     ^)  II,  96.     ')  II,  90.     *)  II,  112. 


-HO  70  <s^ 

So  ist  nicht  nur  der  Wille  zum  Leben  als  vor  der 
Zeit  und  vor  der  Yernunft  sich  selbst  Widerlegung, 
sondern  auch  in  seiner  zeitlichen  Objectität  als  das  ethische 
Handehi  determinirend  unlialtbar.  öchopenhauer's  Lehre 
ist  leerer  Idealismus  und  zeitigt  praktisch  den  Materialis- 
mus. Tr.  verteidigt  also  sachlich  und  besonnen,  aber 
dadurch  nachhaltig  und  siegreich  den  inneren,  zuletzt  auf 
das  Göttliche  führenden')  Zweck. 

Es  erübrigt  noch,  die  von  Charles  Darwin  auf- 
gestellte Theorie  durchgehender  physischen  Causalität  in 
Entstehung  der  Thier-  und  rflanzenarten^)  einer  Trüfung 
und  AViderlegung  zu  unterziehen,  und  dies  eben  gemäss 
dem  von  Tr.  entwickelten  und  begründeten  Zweckprincip. 
Hierbei  ist  vorauszuschicken,  dass  Darwin  die  mensch- 
liche Zwecksetzung  im  Bereiche  der  künstlichen  Züchtung 
ohne  Weiteres  anerkennt,  dono  er  spricht  dem  Menschen 
das  Vermögen  zu,  geringe  Artabänderungen  durch  Aus- 
wahl zum  Zwecke  der  Nachzucht  herbeizuführen  und  in 
Häufung  dieser  Abänderungen  ein  Beträchtliches  zu  er- 
zielen ^),  und  in  dieser  Zwecksetzung  der  Nachzucht,  in 
der  zweckentsprechenden  Wahl  der  Zuchtart,  im  zweck- 
mässigen Wiederholen  des  Vorganges  liegt  der  subjective, 
persönliche,  bewusste,  die  erfuderische  Erkenntniss  be- 
wegende, zu  immer  vollendeterer  Verwirklichung  treibende, 
das  AVissen  bereichernde  Zweckgedanke  des  Menschen  '), 
welchen  vorausschauenden,  vorherbestimmenden  Gedanken 
im  Menschen  wie  im  Grunde  der  Dinge  insgemein  ^) 
Tr.  so  gründlich  dargetan  hat,  offenkundig  beschlossen. 
Ob  aber  Darwin  die  menschhche  Zwecksetzung  auf  das 
ganze    Gebiet    menschlichen    Handelns,    wie    aus    diesem 


')  n,  141.  ^)  üeber  die  Entstehung  der  Arten  etc.,  deutsch 
von  H.  G.  Bronn.  Stuttgart  1860.  ")  D,  10,  36,  67,  85.  *)  Tr.  II, 
91  u.  77  ff.     5)  I,  88.     II,  83.  86. 


'l^9  71  QX" 

Besonderen  zu  vermuten'),  ausgedehnt  wissen  will,  hat 
er  selbst  in  diesem  AVeike  nirgends  betont,  obwohl  es 
wichtig  wäre  zu  wissen,  wie  das  von  ihm  behauptete 
stufenweise  Erwerben  jeder  geistigen  Fähigkeit^)  zu  dem 
Sittlichen,  welches  einerseits  nicht  abzuläugnen  ist  und 
andererseits,  wenn  in  die  Causaiität  einbezogen,  sein 
Hauptmerkmal,  das  Yerantwortliche,  verliert,  sich  ver- 
halte, und  wiewohl  alsdann  auch  seine  Lehre  an  ihren 
Früchten  am  Besten  zu  erkennen  sein  würde.  Ebenso 
ist  im  Voraus  zu  bemerken,  dass  Darwin,  da  ihm  natür- 
liche Uebertragung  oder  Erblichkeit,  natürliche  Züchtung 
und  Kampf  um's  Dasein  als  Principien  der  Naturerklärung 
ausreichen,  die  Frage  nach  dem  metaphysisch  Einwirkenden^ 
wie  höherer,  aber  doch  der  menschlichen  Vernunft  analoger 
Kräfte^),  also  nach  dem  etwa  einwohnenden  und  inne- 
wirkenden  Zweckgedanken  wenig  oder  nicht  beschäftigt, 
obgleich  schon  unsere  von  ihm  zugestandene  Unwissen- 
heit über  die  Gesetze  der  Abänderungen  '*),  unsere  gänz- 
liche Unkenntniss  der  Zwischen-  oder  Mittelforraen  ''), 
unser  Unvermögen,  das  Dasein  des  wunderbaren,  ob  auch 
nach  Gelegenheitsursachen  abändernden  Instinctes  der 
Thiere'*)  zu  erklären,  die  wunderbare  und  herrliche 
Organisation  auch  der  niedrigsten  Lebensformen  '')  ihm  es 
verbieten  sollten,  in  seinen  Untersuchungen  weder  mit 
dem  Ursprung  der  geistigen  Grundkräfte  noch  mit  dem 
des  Lebens  selbst  etwas  zu  schaffen  haben  *")  und  so  das 
metaphysische  Problem  einfach  zurückschieben  zu  wollen. 
Wenn  nun  Darwin  solcherart  einzig  und  allein  die  pure 
Empirie,  das   schlechthin  Natürliche,    das  physisch  Reale 


»)  cf.  D,  218.  2)  D,  493.  »)  D,  462.  *)  D,  178.  »)  d^  466  f. 
Tr.  11  (3.  Aufl.),  84  f.  «)  D,  217  cf.  0.  Liebraann,  Zur  Analysis 
der  Wirklichkeit,  Strassburg  1880,  p.  428  f.  u.  überhaupt  p.  313  flf. 
'J  D,  136.     »)  I>,  217. 


'>^  72  '^'^ 

zum  Inhalte  seiner  Forschung  wählt,  und  dazu  in  Be- 
obachtung und  Experiment,  in  eigenem  scharfsinnigen 
Ergründen  wie  umfassendem  Verwerten  der  Resultate 
anderer  Forschungen  die  materiale  Methode,  das  Son- 
diren des  existirenden  Typus  und  daraus  das  Com- 
biniren  zu  erstrebender  Varietäten  wie  erloschener 
Arten  und  zu  alledem  ein  unermüdliches  Zusammentragen 
einer  Fülle  von  Belegen  in  Anwendung  bringt,  so  ist 
daran  zu  erinnern,  dass  nach  Kaufs  schwer  widerleglichen 
Ausführungen  die  Phaenomene  mit  der  wahren  Wesen- 
heit sich  nicht  decken  und  dass  unsere  Anschauungs- 
formen subjectiv  bedingt  sind,  freilich  nach  Tr.  so  auch 
—  aber  dies  wäre  das  höchste  Zugeständniss  —  dass 
bis  zu  einem  gewissen  Grade,  aber  doch  eben  nie  ganz, 
dem  Subjectiven  das  objectiv  Reale  entspricht.  ^)  Die 
nähere  Betrachtung  der  obigen  Principien  ergiebt  aber  zu- 
nächst dies,  dass  wir  die  Erblichkeit  der  Charactere  der 
Arten  leichtlich  der  Causalität  zuerkennen  können,  denn 
jene  erscheint  ja  als  Gestaltung  des  j^achfolgenden  aus 
der  Gestalt  des  Vorhergehenden,  als  wesenscongruenter 
Zusammenhang  in  Erzeugung,  embryonaler  Entwickelung, 
Geborenwerden  und  Eigenexistenz  beim  Thiere  und  in 
Befruchtung,  Blüte,  Samen  und  Eigengebilde  bei  der 
Pflanze.  Trotzdem  ist  hierbei  zu  bedenken,  dass  erstlich 
die  Gesetze,  welche  die  Erblichkeit  regeln,  und  zweitens 
der  tiefere  Grund  des  Vorganges  der  Vererbung  selbst 
uns  völlig  unbekannt  sind.-)  Die  strenge  Ableitung  der 
Erblichkeit  aus  dem  Causalen  ist  bereits  hierdurch  ge- 
lockert. Wie  aber,  wenn  die  Erblichkeit  zugleich  über 
die  wirkende  Ursache  hinausreichte  ?  Wenn  der  Trommel- 
taube   als    erbliches  Characterstück  die  Haube  zukommt, 

>)  Tr.  I,    168.    368.   370.     II,    66   f.      =>)  D.,    19.   0.   Liebmann, 
s.  0.,  p.  428  ff. 


'Vv9  73  sx' 

so  rnuss  zufolge  genetischer  Entwickelung  die  Stamm- 
taube dieser  Gattung  mindestens  ein  Rudiment  dieser 
Kaube  gehabt  haben.  Setzen  wir  dieses  Rudiment  als 
Folge  oder  Wirkung  eines  inneren,  durch  äussere  Um- 
stände begünstigten  Triebes,  so  liegt  im  Treibenden  der 
Zweck  beschlossen.  AYenn  dann  die  von  der  ersten  ab- 
stammende zweite  und  überhaupt  xte  Taube  die  gleiche 
Eigenschaft  aufweist,  so  behauptet  sich  darin  der  Zweck 
in  der  AVirkung  '),  und  im  jedesmaligen  Selbstbeliaupten 
wird  das  Gewirkte  zum  Neuwirkenden,  zu  neuem  Zwecke, 
so  dass  in  der  Erblichkeit  zugleich  Reihen  von  Zwecken'^) 
zu  Tage  treten.  Zeigt  die  Erblichkeit  weiterhin  Einheit 
des  Characters,  Regel  der  Fortbildung  und  lebenskräftige 
Wesenserneuerung,  so  muss  ein  Einendes,  Regelndes, 
Kraftgebendes  darin  walten,  und  als  solches  darf  der 
bildende,  bauende,  lenkende  Zweckgedanke  gelten.  ^)  So 
erhält  die  Erblichkeit  aus  dem  Zwecke,  Darwin's  Princip 
aus  Trendelenburg's  Zweckprincip  eine  tiefere  Bedeutung 
und  die  Möglichkeit  hellerer  Einsicht.  ^*)  Es  tritt  dies 
noch  mehr  hervor  in  Beziehung  auf  das  zweite  Princip 
des  Darwinismus,  den  Kampf  u  m' s  Dasein.  Derselbe 
soll  lediglich  durch  die  Mitbewerbung,  die  Neigung  aller 
Organismen  zu  starker  Vermehrung,  Nahrung  und  Klima 
bfKÜngt  und  insoweit  causal  hervorgerufen  sein.  Aber 
über  Wirkung  wie  Ursache  greift  hierin  offenbar  ein 
Höheres  über,  nämlich  der  Zweck  der  Selbsterhaltung.  ^^) 
Tr.  führt  nachdrücklich  aus,  dass  der  Zweck  der  Mittel- 
punct  aller  Tätigkeiten  im  lebenden  Wesen  sei,  dass  diese 
')  Tr.  II,  37  f.  2)  Xr.  II,  35  f.  ^)  Tr.  11.  79.  3a)  Tr.  selbst 
(L.  U.,  II,  dritte  Auflage,  1870,  Anmerkg.  p.  79— 93,  über  die  Erb- 
lichkeit :  „Die  Teilung  derselben  Mateiüe  zu  andern  Individuen 
erklärt  nicht  die  Fortpflanzung  der  die  Materie  beherrschenden, 
sich  die  künftigen  Lebensbedingungen  zubereitenden  und  anpas- 
senden Form."  (p.  85.)     ^b)  H,  88. 


'■ä^  74  sx 

Tätigkeiten,    wiewohl   im   Anderen  eiocheinend,    auf    das 
Wesen,  welchem  Sie  integrircn,  als  reflexive  zurückgehen, 
und    dass    das    AVesen,    der    Organismus,    in    ihnen    sich 
selbst  Zweck  wird.  ')     Nun  denn,    wie  wird  die  aus  dem 
Mit-   und    IS^ebeneinander   der    Organismen   entspringende 
"Wechselbeziehung    acut    zur    Älitbewerhung?     Was    ist 
Mitbewerbung    und    Kampf   um    die   Existenz  anders  als 
Streben  nach  Selbstbehauptung  und  Solbstverwirklichung? 
Wäre   jeder    Organismus    in    Ijczichung    auf   sich    selbst 
gleichgültig,  so  müsste  er  es  auch  im  Verhältniss  zu  den 
neben  und  mit  ihm  seienden  Organismen  sein,  und  dann 
könnte    niemals    ein   solcher   Kampf  auf  Leben  und  Tod 
entbrennen.      Ebensowenig     kann     die    Annahme    dieses 
grossen    Wettringens    alleinig     causal     aus    der    starken 
Neigung    der    Organismen   zur  Vermehrung  '^)    hergelciiiet 
werden.     Tr.  urteilt  mit  Recht,    dass  die  geheimnissvolle 
Fortpflanzung   über   die  Ohnmacht  eines  blinden  Würfel- 
spiels   hinausgehe.  ^)      Die    erzeugenden    Factoren     oder 
besser    die   Factoren    der  Erzeugung  sind  mit  Nichten  in 
einem  blinden  Drang  beschlossen,    sondern   sie  stehen  in 
einem  höheren  Dienste,  nämlich  wieder  des  Selbstzweckes, 
in  Kraft  dessen  der  Organismus  in  seiner  Vermehrung  zu- 
nächst nur  sich  selbst  will.     Das  Gleiche  gilt  von  Nahrung 
und  Klima.    Jene  wäre  gleichgültig  ohne  den  unmittelbaren 
Trieb  aller  Wesen  nach  Selbsterhaltung,    also    nach  Ver- 
wirklichung des  Selbstzweckes.     Dieses  hätte  keinen  Be- 
lang,   wenn   nicht   der  Organismus,    eben  um  sich  zu  be- 
haupten und  seinen  Selbstzweck  auszuführen,    hier  gegen 
Hitze,    dort    gegen  Kälte   rcagirte.     Hunger    dort,    über- 
mässige Erkältung  oder  Erwärmung  hier  sind  nicht  mehr 
als  Anzeichen    des   drohenden    Aufhörens   der   Selbstver- 
wirklichung.    So    aber    erscheint    uns    auch    der    Kampf 
"^TTtTTi,  82  f.  78.     ^)  D ,  68  ff.    «)  Tr.,  H,  28. 


<xa  75  svt 

ums  Dasein  in  einem  ganz  anderen  Lichte.  Er  ist  mit 
Notwendigkeit  aus  der  wirkenden  Ursache  nicht  zu  de- 
duciren.  Ist  er  nicht  allgemein  notwendig,  so  ist  er  auch 
nicht  überall  wirklich,  wie  das  friedliche  Zusammenleben 
von  wilden  und  zahmen  Thicrheerden,  das  oft  beobach- 
tete einträchtige  Zusammensein  sonst  einander  frindlieher 
Thiere,  das  Zusammenstehen  verschiedenster  Pflanzen 
beweisen.  Und  überdies  sehen  wir  derart  nicht  mehr 
ein  grausames  ßingen  der  Organismen  vor  uns,  sondern 
eine  Difterenzirung  zum  Zwecke  der  Yerwirklichung  der 
höchsten  Gattung,  und  das  in  dieser  unvermeidlichen 
DiÖ'erenzirung  Untergehende  ist  dann  nicht  nur  ein  Ent- 
gegenstehendes und  jS^egatives  gewesen,  sondern  es  ward 
Mittel  zum  Zwecke,  sein  Vergehen  i-st  nutzbringend  und 
positiv,  wie  der  Tod  des  tapferen  Kriegers  für  den  Sieg 
des  Ganzen.  In  dieser  Zweck-Difierenzirung  der  Selbst- 
behauptung der  Einzelwesen  bemerken  wir  endlich  einen 
grossartigen  Aufbau  der  Unterordnung  der  Einzelzwecke 
unter  den  Gcsammtzweck  der  allgemeinen,  aus  dem 
jeweiligen  Siege  der  Zweckverwirklichung  des  Yoll- 
kommneren  potential  resultirenden  Vervollkommnung.  Tr. 
hat  es  klar  hingestellt,  dass  in  dem  Lebendigen  der 
Zweck  Mittel  und  das  Mittel  Zweck  ist  '),  so  dass  die 
Indifferenz  des  Untersinkenden  Mittel  und  Anlass  der 
Differenzirung  wird;  und  dieUntcrordnung  der  Zwecke  unter 
einen  umfassenden  und  beherrschenden  Zweck "^j  i^st  gerade 
insofern  möglich,  als  der  eben  verwirklichte,  doch  zum  Mittel 
neuen  Zweckgeschehens  sich  begebende  Zweck  unter  eine 
neue  Einheit  tritt,  welches  denn  überall  einen  beherrschen- 
den, zuletzt  aber  einen  allbeherrschenden  Zweck  ergiebt. -*) 

•)  Tr.  I,  66.  ")  Tr.  II,  35.  ^a)  Tr.  selbst:  (II,  3.  Aufl..  p.  87.) 
„Der  Kampf  um  das  Leben  ist  ein  Kampf  um  Zwecke,  denn  ohne 
solche  ist  kein  Selbst  zu  denken."    (Fortsetzung  s.  f.  Seite.) 


'>^  76  s?«" 

Leichter  und  deutlicher  noch  erhellt,  dass  die  natür- 
liche Züchtung  ein  Zweckvorgang  ist.  Natürliche  Aus- 
wahl oder  Züclitung  wird  von  Darwin  in  die  Erhaltung 
vorteilhafter  und  Zurücksetzung  nachteiliger  Abänderungen 
gesetzt.-')  Zwar  soll  dieser  Ausdruck  zunächst  nur  bild- 
lich zu  nehmen  sein,  doch  wird  seinem  Urheber  Avie  den 
Anhängern  desselben  das  Bild  unwillkürlich  zur  öache. 
Hier  bringt  also  nicht  der  Mensch,  sondern  die  Natur  als 
natura  naturans  die  Abänderungen  hervor.  Die  Natur 
selbst  ist  wirksam  tätig,  die  bildungsfähige  Organisation 
zu  vervollkommnen.  Sie  ändert  die  Larve  eines  Insectes 
nach  dem  C»c;iichtspuncte  des  Nützlichen,  sie  passt  das 
Gefieder  der  Wald-  und  Schneehühner  zum  Schutze  vor 
Feinden  der  P'arbe  der  Erde  an;  sie  spornt  die  Männ- 
chen zum  Kampfe  um  das  Weibchen  an  und  veranlasst 
so,  im  Siege  des  Stärkeren,  sexuelle  Veredelung.  Die 
Arbeit  teilend,  aber  im  Endbetracht  einend,  ungeordnete 
Zunahme  von  Artenformen  hemmend,  wirkt  sie  langsam, 
aber  sicher,  dazu  täglich  und  stündlich  und  allenorts. 
Ist  in  alledem  nicht  ein  zweckmässiges  Geschehen  kund 
und  offenbar?  Die  Natur  ^^■ill  Arten  erhalten,  ist  soviel 
als :  Die  lebenskräftigen  Organismen  errtreben  ihre  fort- 
gesetzte Selbstverwirklichung.  Wenn  zudem  nur  A'orteil- 
haftes  erhalten,  Nachteiliges  aber  preisgegeben  werden 
soll,  so  ist  darin  verstärkte  Yerwirklichung  des  Selbst- 
zweckes ausgesprochen.  Tr.  sagt:  „Erst  mit  dem  Be- 
griffe des  Zweckes  bildet  sich  die  Möglichkeit  von  Selbst- 
erhaltungen;   —    vorher    giebt  es  kein  Selbst  im  eigent- 

„Dcr  Kampf  um  das  Leben,  der  Erreger  der  Kraft  für  den 
Zweck  des  Selbst,  ist  das  Mittel  zur  Stärkung  und  Erhöhung  des 
Selbst"  (p.  91). 

„Im  Ganzen  wird  auch  der  Untergang  im  Lebenskeime  seine 
Bedeutung  haben"  (p.  93). 

')  D,  85  f. 


nfis  77  e^"" 

liehen  Sinne,  sondern  nur  Reaction  eines  Bildungs- 
gesetzes." ')  Ist  es  bereits  Zweck,  wenn  die  natürliche 
Zuchtwahl  etwas  anstrebt,  ^)  nämlich  Zweck  der  fernen 
Zukunft,  wie  Tr.  es  bezeichnet,  ^)  so  ist  die  Erstrebung 
des  Besseren  ^*)  noch  intensiver  ein  Zweckgeschehen, 
dessen  Wesen  auch  Tr.  in  der  aufsteigenden  Entwickelung 
ausgeprägt  sieht,  ^)  Jenem  Abändern ,  Anpassen  und 
Anspornen,  kurz  dem  Wirken  der  natürlichen  Züchtung 
liegt  ferner  dies  zu  Grund,  dass  das  Ganze  vor  den  Teilen 
gedacht  und  gewollt  ist.  Erhaltung  und  Vervollkomm- 
nung insgemein,  Nützlichkeit,  Schutz  etc.  insbesondere 
sind  nichts  anderes  als  das  Ganze,  zu  dessen  Eeahsirung 
dann  die  Auswirkung  und  Modification  des  organischen 
Lebens  die  Teile  hergiebt.  So  soll  die  Biene  erhalten 
und  veredelt  vf  erden.  Dies  der  umfassende  Gedanke  des 
Ganzen.  Dazu  kommt  als  näheres  Ganze  Schutz  vor 
Feinden.  Daher  eignet  der  Biene  das  aufmerksame  Ge- 
hör, der  scharfe  Geruchsinn,  der  vergiftende  Stachel.  Dies 
aber  ist  nach  Tr.  ganz  die  Art  des  Zweckes,  dass  er  aus 
der  vorgedachten  Einheit  das  diese  constituirende  Einzelne 
will  und  so  sich  im  Naturproduct  individuirt.  ^)  Wenn 
die  natürliche  Züchtung  ferner  die  Arbeit  teilt,  so  direct, 
durch  Zerstörung  von  Hemmungen  aber  indirect  ihre 
Tätigkeit  fördert,  so  können  wir  darin  auch  die  Um- 
kehrung des  Causalen  constatiren.  Getrennte  Geschlechter 
bei  Pflanzen  zur  Ueberführung  des  Pollens  durch  Insecten 
giebt  höhere  Fruchtbarkeit,  Hemmung  des  ungeordneten 
übermässigen  Wachstums  von  Arten  gibt  die  Möglichkeit 
grösserer  Veredelung  einzelner  Arten :  beides  Wirkungen, 
die  zur  Ursache  werden,  und  Trennung  dort,  Zerstörungs- 


>)  Tr.  II,  82.     ^)  D.,  110.     ^)  Tr.,  II,  15.     ^a)  D,   J33  f.     *)  Tr. 
U,  16.  87.     5)  Tr.  H,  78. 


-•^^  78  öx^ 

Differenzirung  hier  bedingen,  so  dass  ohne  die  Wirkung, 
die  Ursache  wird,  auch  die  Ursache,  die  zur  Wirkung 
treibt,  nicht  zu  sein  brauchte.  Es  genügt  liier,  darauf 
zurückzuweisen,  dass  nach  Tr.  gerade  im  Zwecke  das 
Nachfolgende  zum  Früheren,  das  Hervorzubringende  zum 
Hervorbringenden  wird.  Da  weiterhin  die  natürliche 
Züchtung  in  langen  Zeiträumen  in  unendlich  kleinen  Ab- 
änderungen oft  unter  scheinbaren  Rückbildungen  dennoch 
das  Ziel  der  Art- Vervollkommnung  im  Auge  behält  und 
approximativ  erreicht,  so  ist  dies  Beweis  jener  Energie, 
welche  aus  der  von  Tr.  dargelegten  Coincidenz  von  Zweck- 
gedanken und  Krafc  der  wirkenden  l^rsache  hervorgeht 
und  in  ihm  Bestand  hat,  (s.  o.)*')  Insofern  die  natür- 
liche Züchtung  im  Organischen  überall  und  jederzeit  wirkt, 
offenbart  sich  darin  nach  Tr.  der  Zweck,  welcher  mit 
allem  Organischen,  weil  dasselbe  von  innen  bildend,  not- 
wendig verknüpft  ist.  Und  Darwin  selbst  kann  nicht 
umhin,  in  der  Natur  und  ihrer  organischen  Differenzirung 
den  Zweck  anzuerkennen!  Er  setzt,  dass  im  Verhältnis 
zur  künstlichen  Züchtung  von  Arten  durch  menschliche 
Zwecksetzung  der  Natur  d.  i.  der  natürlichen  Züchtung 
„unvergleichlich  längere  Zeiträume  für  ihre  Pläne  zu  Ge- 
bot stehen."')  Dcmgcmäss  muss  durch  alle  Organisation 
doch  ein  Planen,  eine  Abzweekung  hindurchgehen,  und 
dies  ist  nach  Tr.  der  Gedanke  als  Grundlage  des  Ganzen  -). 
Darwin  gesteht  bezüglich  der  natürlichen  Zuchtwahl  in 
besonderem  Betracht  zu:  „Bei  den  Hausthieren  passt  sie 
die  Structur  eines  jeden  Einzelwesens  den  Zwecken  der 
Gemeinde  an",  ^)  welche  von  Tr.  beschriebene  Unter- 
ordnung der  Zwecke  überall  bei  Individuum  und  Gemein- 


a')  cf.  f^  Tr.  II,  79.     ')  D,  87,  483.    -)  Tr.  H,  91;   <^  ebenda, 
3.  Aufl.,  p.  92:  „ein  Plan  ewigen  Ursprungs".     ')  D,  92. 


'/vS  79  Q^ 

Schaft  eintritt.  Er  widerspricht  sich  daher  selbst,  wenn 
er  jetzt  Zweck  des  Organen  in  Abrede  stellt,  dann  sofort 
aber  einen  Abändemngsplan  der  Natur  annimmt, 'j  da  doch 
in  dem  Gesammtzweck  der  Einzelzweck  enthalten  sein 
niuss,  ^Yenn  die  Bienen  die  Bodenflüche  des  Zapfens 
im  Strohkorbe  mit  concentrischen  Kreisen  anzeichnen  und 
in  Beziehung  dahin  dann  lotrecht  bauen,  so  ist  dieses 
allerdings  ein  erstaunliches  Planen,  und  wenn  die  Pflanze 
Kohlenstüft'  aufnimmt  undSauerstofi'für  thierische  Organis- 
men, die  jene  ausathmen,  abgiebt,  so  ist  dies  eine  Har- 
monie von  Zwecken  aus  der  gegenseitigen  Unterordnung. 
Da  somit  der  Zweck,  wie  Darwin  wider  Willen  zugeben 
muss,  die  Organisation  und  ihre  Difi'erenzirung  durch- 
waltet, so  muss  er  auch  in  den  einzelnen  Organen  des 
Organismus  erscheinen.  In  der  Tat  erkennt  Darwin  auch 
dies  an.  Er  lehrt,  dass  die  Elügel  des  Vogels  zum  be- 
sonderen Zwecke  des  Fluges  hoch  ausgebildete  Organe 
seien, -J  dass  die  >Scliwimmblase  ursprünglich  nur  zum 
Zwecke  des  Schwimmeus  gebildet  sei,  ^)  dass  die  natür- 
liche Züchtung  dabei  bald  ein  zweierlei  Verrichtungen 
dienendes  Organ  vorwiegend  für  einen  der  beiden  Zwecke 
ausbilde,  'j  bald  einen  Zweck  in  einen  vollkommeneren 
abändere,  "j  Diese  Ausführungen  Darwins  stimmen  wieder 
überein  mit  Tr's.  iSatz:  „Der  Zweck  regiert  das  Ganze 
und  bev,  acht  die  Ausführung  der  Teile'". ")  Die  natürliche 
Züchtung  muss  als  in  Organisation,  Organismus  und  Organ 
sehend,  zielsetzend  und  zweckanstrebend  wirksam  sein. 
Ist  sie  es  im  einzelnen  Falle,  dann  muss  sie  es  auch  im 
Ganzen  sein,  denn  die  Natur  ist  eine  unteilbare  Ein- 
heit.    UnvoUkommenheit  oder  gar  Zweckwidrigkeit  eines 


')  D,  483.    2)  D,  192.    3)D,  201.    *)  D,  200.     *j  D,  201  f.    «)  Tr. 

n,  i   f. 


n^9  so  Q^ 

Organes  ist  zufolge  unserer  nicht  zureichenden  Kenntnis 
seines  ganzen  Haushaltes  nur  Schein,  wie  Darwin  selbst 
sagt, ')  oder  sie  verschwindet  in  Beziehung  auf  andere 
Zwecke.  Darwin  steht  daher  wiederum  mit  sich  selbst 
im  Widerspruch.  Es  zeigt  sich  dies  recht  drastisch  an 
einer  Stelle  seines  ^Yerkes,  wo  er  jetzt  das  Einwirken 
und  Innewalten  intellectueller  Kräfte  in  der  Natur  in 
Zweifel  zieht,  sofort  aber  behauptet,  duss  die  natürliche 
Züchtung  mit  nie  irrendem  Takte  Zwecke  immer  weiterer 
Vervollkommnung  bis  in's  Unendliche  zu  verwirklichen 
befähigt  sei,  ^)  worin  doch  offenbar  Intelligenz  und  Kraft, 
die  im  Zweckgedanken  geeint,  beschlossen  sind. 

Wie  hoch  Darwin  die  Zweckmässigkeit  der  Natur 
oder  der  natürlichen  Züchtung  anschlage,  leuchtet  aus 
seiner  Yergleichung  letzterer  mit  der  künstlichen  Züch- 
tung ein.  ^)  Er  lehrt:  „Da  der  Mensch  durch  methodisch 
oder  unbewusst  ausgeführte  Wahl  zum  Zwecke  der  Nach- 
zucht so  grosse  Erfolge  erzielen  kann  und  gewiss  erzielt 
hat,  was  muss  nicht  die  Natur  leisten  können?  Der 
Mensch  kann  absichtlich  nur  auf  äusserliche  und  sicht- 
bare Charactere  wirken;  die  Natur  fragt  nicht  nach  dem 
Aussehen,  ausser  wo  es  zu  irgend  einem  Zwecke  nützlich 
sein  kann.  Sie  kann  auf  jedes  innere  Organ,  auf  den 
geringsten  Unterschied  in  der  organischen  Tätigkeit,  auf 
die  ganze  Maschinerie  des  Lebens  wirken.  Der  Mensch 
wählt  nur  zu  seinem  eigenen  Nutzen ;  die  Natur  nur  zum 
Nutzen  des  Wesens,  das  sie  pflegt.  —  Wie  flüchtig  sind 
die  Wünsche  und  die  Anstrengungen  des  Menschen!  wie 
kurz  ist  seine  Zeit!  wie  dürftig  sind  mithin  seine  Er- 
zeugnisse denjenigen  gegenüber,  welche  die  Natur  im  Ver- 
laufe ganzer  geologischer  Perioden  anhäuft!  Dürfen  wir 
uns  daher  wundern,  wenn  die  Natur-Producte  einen  weit 

')  D.,  205  f.     •-)  D.,  199.     ')  D.,  88  ff.  u.  p.  67. 


'■ä^S    81    <2X» 

„achteren"  Character  als  die  des  Menschen  haben,   wenn 
sie    den  verwickeltsten  Lebens -Bedingungen    weit  besser 
angepasst    sind    und    das    Gepräge    einer    weit    höheren 
Meisterschaft  an  sich  tragen?"  Das  ist  deutlich  gesprochen! 
Da    in    der    künstlichen   Züchtung   als  dem  Niederen  die 
Zwecksetzung    obwaltet,    so    muss    um    so   mehr    in    der 
Natur    und   natürlichen   Züchtung    als    dem    Höheren  der 
Zweck  wirken !    Und  auch  hierin  stimmt  Darwin  überein 
mit  Tr.,  der  da  gleichfalls  urteilt:    „Es  wäre  leichter  ge- 
wesen,   diesen   Begriff   (des  Zweckes)    aus   dem  Bereiche 
des  menschlichen  Willens  herzuholen.  —  Aber  der  Zweck 
erscheint  in  der  Natur  schöpferischer  und  tiefer."')    Nicht 
minder  aber  ist  diese  Uebereinstimmung  ein  Gegenbeweis 
gegen    die    von    Darwin    sonst    gelehrte    Causalität    der 
natürlichen  Züchtung  und  des  Naturgeschehens  überhaupt.  ^*) 
Ebenso  sehr  wird    schliesslich,    wieder  aus  Tr.'s  Dar- 
legungen  schöpfend,    Verwahrung   gegen  die  von  Darwin 
versuchte     lediglich     causale    Erklärung     auch    des    In- 
stinctes'^)    eingelegt.      Der    Instinct,    eine    wunderbare 
Erscheinung  des  Thierlebens,  soll  ein  vom  einzelnen  Thiere 
ohne  Erfahrung,    doch  Erfahrung  forderndes,    von    vielen 
Thieren   übereinstimmend,    doch    unbewusst   der  Zwecke, 
immer  aber  eine  kleine  Dosis   von  Urteil    oder   Yerstand 
offenbarendes  Handeln,  dazu  abänderlich  und  erblich  sein. 
Hierbei  jedoch  ist  nur  Wirkung,    aber   nicht   Entstehung 
erklärt,  und  ferner,  Abänderlichkeit  d.  h.  Aenderung   der 


')  Tr.  n,  16.  'a)  Tr.  selbst:  „Der  Begriff  der  Anpassung  führt 
auf  den  Zweck;  es  liegt  in  ihm  nur  ein  anderer  Name  für  den 
bildenden  Zweck."  „Indem  aber  die  Anpassung  erst  in  langer 
Vererbung  der  Art  die  beständige  Eigenschaft  giebt,  —  so  hat 
die  Anpassung,  wo  sie  positiv  wirkliche  Werkzeuge  schafft  und 
Mittel  erfindet,  die  Ausführung  des  Einen  durchgehenden  Zweckes 
nur  in  kleinste  Schritte  zerlegt."  (U,  3.  Aufl.  p.  88.)    -)  D  217   ff. 

6 


'^^  82  s^ 

Richtung  des  Handelns  zuge^fben,  die  Erblichkeit,  selbst 
wenn  man  letztere  mit  E.  Heiing  aus  dem  Gattungs- 
gedächtniss  erklären  AvoUte,  immer  nur  ein  Problem,  aber 
kein  Princip.  ') 

AYenn  die  Gluckhenne  nur  an  jenem  Platze,  welchen 
sie,  noch  ohne  Eier  unter  sich  zu  haben,  unter  allerlei 
Zeichen  und  Tönen  einnimmt,  und  sei  er  auch  nach 
unserem  Verstände  ein  ganz  unpassender,  vorteilhaft  und 
emsig  brütet;  wenn  die  brütende  Gans,  das  Nest  auf 
kurze  Zeit  verlassend,  die  erwärmten  Eier  bis  zu  ihrer 
Rückkehr  sorgfältig  mit  Stroh  etc.  bedeckt;  wenn  Bienen- 
schwärme, bevor  sie  den  Mutterstock  verlassen,  Spur- 
bienen aussenden,  welche  den  Ort  des  Anlegens  aus- 
suchen und  aufputzen  -) :  so  ist  dies  mehr  als  blinde 
Causalität;  alle  diese  und  ähnliche  Vorgänge  sind  ein  ob 
auch  nur  dunkel  bewusstes  und  sei  es  auch  unbewusstes 
tatsächliches  Zwecksetzeu,  wie  denn  Tr.  schliesst:  „Der 
Instinct  beruht  auf  dem  vorausgesetzten  objectiven  inneren 
Zweck  des  Lebens."  ^) 

So  wird  die  Causalität  in  Darwin's  Entwickelungs- 
theorie,  wie  sorgfältig  auch  er  dieselbe  aufdecken  und 
stützen  will,  überall  vom  Zwecke  überholt  und  ergänzt. 
Daher  irrt  Darwin  nicht  weniger  als  sein  Vorläufer  Bacon 
von  Verulam,  wenn  er  zu  behaupten  wagt,  dass  Schöpfungs- 
Plan  oder  Einheit  des  Zweckes  anzunehmen  nichts  als 
Deckmantel  unserer  Unwissenheit  sei  ^),  da  doch  Ver- 
wirklichung, Ausprägung,  Verzweigung,  Steigerung  und 
anscheinende  Verkümmerung,  Sieg  und  Hemmung  etc. 
des  Zweckgeschehens  nachzuweisen,  nie  des  Schweisses 
des  Forschenden  unwert  sein  kann,  ja    mehr  leisten  und 


')  cf.    0.   Liebmann,   s.    o.,    p.  425    ff.     *)    L.    Huber,    Bienen- 
zucht, Lahr,  1888,  p.   197,  204.     ')  Tr.  IL  118.     *)  D,  485. 


's^  83  Q^ 

gelten  muss,  als  die  Rätsei  der  Sphinx  „Causalität"  ver- 
geblich lösen  zu  wollen. 

Endlich  wird  demgemäss  im  Rückschliessen  Darwin's 
Annahme  einer  gemeinsamen  Urform  ')  erschüttert  (nämlich 
in  Ansehung  ledighch  causalen  Wirkens)  und  vernichtet, 
da  dann  bereits  in  letzterer  der  Zweck  wirken  und  über- 
dies in  jeder  i^^achform  sich  erhalten  musste,  so  dass  dei- 
Zweck  als  weltbeherrschende  und  durchgehende  Tat  der 
Natur  erscheint^),  so  aber  im  Endbetracht  auf  den  gött- 
lichen Zweck  führt.  ^) 

„Man  erkennt  das  Gröttliche  in  der  Natur,  aber  nennt 
es  Beschränkung,  das  Göttliche  durch  Gott  zu  denken. 
Sprich  ehrlich,  der  du  so  sprichst:  Kannst  du  das  Gött- 
liche ohne  Gott,  den  weltdurchdringenden  Zweck  ohne 
den  Geist  des  Schöpfers  verstehen  ?"  ^) 

„Wenn  die  Materie  Princip  ist,  —  so  ist  es  conse- 
quent,  das  Princip  als  notwendige  Energie  für  ewig  zu 
halten.  Aber  wenn  die  Materie  das  Princip  der  Yielheit 
ist,  so  ist  ihr  gegenüber  ein  Princip  der  Einheit  ebenso 
notwendig,  und  es  ist  daher  ebenso  consequent,  das 
Princip  der  Einheit  für  ebenso  ewig  zu  erklären;  und 
fragen  wir  näher,  was  dieses  Princip  der  Einheit 
sei,  und  wir  finden,  dass  es  Begriff  oder  Idee  oder 
Zweck  sei:  so  ist  es  ebenso  notwendig,  dies  Ideale  als 
das  Ewige  zu  setzen."'*'') 

Mit    dieser    Widerlegung    Darwin's     sind     auch    alle 

')  D,  488.  -)  Tr.  n,  182;  ebend.,  3.  Aufl.,  p.  89  f.  „Das  Schau- 
spiel der  Entwickelung  —  von  der  angenommenen  Monere  bis 
zum  Menschen  — ,  dem  ein  Gedanke  zu  Grunde  liegt,  ist  grösser 
geworden,  aber  der  Gedanke  herrscht  im  Zwecke  nach  wie  vor." 
(p.  92).  ^)  II,  141.  cf.  zum  Allgemeinen  R.  Eucken,  Beiträge  z. 
Gesch.  der  neueren  Philosophie  Heidelberg  1886.  p.  134.  *)  II, 
467.     *a)  II,  (3.  Aufl.),  86. 


'ii©  84  Q^ 

Folgerungen  im  Darwinismus  insgemein  modificirt,  be- 
ziehungsweise negirt.  ') 

„So  ist  der  Monismus  der  Materie,  die  Alleinherr- 
schaft der  wirkenden  Kräfte,  die  sich  auf  dem  »Sturz  des 
Idealen  aufbauen  will,  ein  zu  frühes  Siegeslied."  ') 

Blicken  wir  zum  Jjeschlusse  auf  die  lange  Reihe  und 
reiche  Folge  der  durch  und  aus  Trendelenburg  gegebenen 
Gegenargumentirung  und  die  tiefgehende  und  weitgreifendo 
Widerlegung  der  Gegner  des  Zweckes  zurück,  so  erhellt 
Tragweite  und  Fruchtbarkeit  des  Zweckprincips  in  der 
Fassung  und  Begründung  Trendelenburg's  auch  in  diesem 
Zusammenhang. 


Der  so  eingehend  entwickelte,  so  erschöpfend  be- 
gründete, so  umfassend  verteidigte  Zweck,  wdo  weit  reicht 
er  nun?  welches  ist  in  Entfaltung  und  Erfüllung  und 
Begrenzung  sein  Reich?  Wir  ersahen,  dass  der  Zweck 
ein  umfassender  und  weltbeherrschender  ist.  So  muss 
billig  auch  nach  dem  Umfang  des  reichen  Inhaltes,  nach 
dem  Gebiete  der  Herrschaft  des  Herrschers  gefragt  und 
geforscht  werden.  Haben  wir  zuletzt  den  Zweck  gleich- 
sam nach  Aussen  verteidigt,  so  geziemt  es  sich  jetzt,  in 
die  sichere  Feststellung  der  Grenzen  einzutreten  wie  im 
Ausbau  des  Inneren  fortzuschreiten.  Tr.  gibt  uns  auch 
hierin  lichten  Einblick  und  weitreichenden  Ueberblick. 

Der  Bereich  des  Zweckes  wird  aber  zuvor  an  ge- 
wisse Bedingungen  und  Voraussetzungen,  an  bestimmte 
Yerhältnisse  und  Normen,  die  sozusagen  die  Constituanten 

»)  Tr.  II  (3.  Auß.),  93. 


nl<3   85   ^^ 

d.h.  Bedingenden  und  formell  Erzeugenden  sind,  gebunden 
sein.  Tr.  bezeichnet  dies  als  die  modalen  Kategorien/) 
inwiefern,  wird  sich  im  Folgenden  ergeben.  Bei  dem 
Beweise  der  Realität  des  Zweckes  aus  der  Gemeinschaft 
von  Denken  und  Sein  in  der  vermittelnden  Bewegung 
wurde  letztere  als  Form  des  Denkens  und  Bestimmtheit 
und  Wesen  des  Seins  d.  h.  als  Kategorie  dargetan,  auch 
handelten  wir  bereits  von  den  modalen  Kategorien  des 
Zweckes  bei  der  Abwägung  zwischen  Finalität  und  Cau- 
salität,  doch  geschah  letzteres  nur  nach  einer  Seite  und 
nebenbei,  und  ersteres  nur  allgemein.  unter  der 
Modalität  nun  verstehen  wir  diejenigen  Kategorien  oder 
Grundbegriffe,  welche  im  Erkennen  an  sich  Ursprung 
und  Mass  haben,-)  hier  also  gemäss  dem  Erkennen  in 
und  aus  dem  Zwecke.  Was  aber  zunächst  das  Erkennen 
des  Seins  aus  dem  Zwecke  dargiebt,  das  ist  der  modale 
Begriff  des  Grundes  der  Sache,  ^j  nämlich  ob?  und 
wie?  letztere  vom  Zwecke  regiert  werde.  Erkannten  wir 
an  früherer  Stelle  z.  B.,  dass  der  Same  die  Möglichkeit  der 
Entwickelung  der  Pflanze  nach  Keim,  Gestaltung,  Blüte 
und  Frucht  in  sich  trage  und  dies  als  ein  ideales  Prius, 
so  war  dies  eine  Sach-Erkenntnis  aus  dem  Zwecke. 
Suchen  wir  zu  erforschen,  wie  es  mit  dem  Zwecke  der 
SelbstverW'irklichung  des  Organismus  der  Biene  stehe, 
wenn  doch  dessen  negative  Ausführung  d.  i.  Selbstschutz 
durch  Gebrauch  des  Stachels  zufolge  des  Widerhakens 
des  letzteren  der  Biene  sicheren  Tod  bringt,  so  wird 
unser  Denken  insoweit  den  Modus  des  Erkennens  der  causa 
hnalis  zeigen.  Es  ist  aber  ohne  Weiteres  klar,  dass  das 
Reich  des  Zweckes  um  so  mehr  sich  uns  erschliessen 
muss,  je  mehr  durch  diese  Modalität  des  Erkennens  das  an- 

')  U,  156  flf.     2)  n,  157.     ')  U,  158  f. 


-^2    86    "2^^ 

scheinend  Unzweckmässige,  Dunkele,  Causale,  Noirw^endige 
Mögliche  und  Zufällige  in  das  Zweckgeschehen  einbezogen 
werden  kann.  Nichts  Geringeres  als  eine  ernstliche  An- 
gelegenheit aller  zur  Einheit  strebenden  Forschung  ist  es 
demnach,  in  der  Fülle  der  Formen  ')  des  Erscheinenden 
dem  weitverzweigten  Zwecke  nachspüren  und  die  Welt 
im  Grossen  und  Kleinen  aus  dem  Zwecke  erklären  zu 
wollen.  Es  muss  doch  von  grossem  Gewicht  sein,  zu  er- 
kennen, wie  der  Gedanke  des  Zweckes  in  seiner  idealen 
Grösse  gegen  die  gegebene  Materie  in  ihrer  zwingenden 
Notwendigkeit  ankämpft,  wie  die  kühne  Idee  durch  das 
widerstrebende  Mittel  hindurch  zum  Ziele  dringt,  wie  der 
Sieg  des  Zweckes  über  den  starren  Stoff,  der  vorerst  kein 
ganz  durchdringender  ist,  sondern  immer  ein  Eesiduum  des 
Unbezwungenen,  zur  Mittelschaft  nicht  Heranzieh  baren 
neben  sich  hat,  2)  dennoch  fortschreitend  die  Natur 
verklärt.  ^)  Dabei  darf  das  Zweck-Erkennen  vor  dem 
Rätselhaften  und  Yerworreneu  nicht  nur  nicht  zurück- 
weichen, sondern  muss  um  so  eifriger  in  dasselbe  ein- 
dringen, damit  der  Zw  eck  in  vermeintlich  unzweckmässiger 
Anordnung  dessenungeachtet  offenbar,  ja  um  so  durch- 
sichtiger werde.  ^)  Und  selbst  da,  wo  zwar  die  Tätigkeit 
vollzogen,  aber  der  Zweck  nicht  erreicht  wird,  ■)  muss 
der  Modus  des  Erkennens  aus  dem  Zwecke  insofern 
doch  zur  Anwendung  kommen,  als  Ansatz  und  Fort- 
führung des  gehemmten  Zweckgeschehens  aufzudecken 
bleiben.  Wie  die  Wissenschaft  zur  unerlässlichen  Voraus- 
setzung hat,  dass  etwas  zu  Wissendes  sei,  und  dass  das- 
selbe gewusst  werden  könne,  so  setzt,  eineModification  des  all- 
gemeinen Wissens  zuerst,  dann  aber  das  Wissen  x«t  l^oxriv 


')  II,  87.  <^  n,  134.  ")  II,  137.   ')  ^  II,  38.  f^  135.    *)  r^  II 
8.    »;  n,  124. 


'^(^  87  Q^ 

bildend,  das  Zweck-Erkennen  den  Zweck  voraus,  um 
dessen  Einwohnen  und  Innenwirken  im  Denken  wie  im 
Sein  wachsend,  in  immer  weiterem  Bereiche  wie  grösserer 
Tiefe,  zu  erreichen.  So  muss  die  durchgehende  Immanenz 
des  Zweckes  erkannt  und  dieses  Erkennen  selbst  dann 
zum  principium  rationis  sufficientis  cognoscendi  werden. 
Der  Zweck  als  Grund  der  Dinge  zerlegt  sich  nun  in 
Momente,  die  dann  Teile  des  Ganzen  sind  und  zur  Ein- 
heit einer  Tat  verwendet  werden.  Die  aus  dem  ganzen 
Grund  und  allen  seinen  Momenten  verstandene  Sache 
ergiebt  das  Notwendige,  die  Sache  aber,  welche  an  dem 
Grunde  Fehlendes  im  Gedanken  ergänzt,  das  Mögliche  'j. 
Da  unser  Erkennen  leichter  und  früher  die  Teile  als  das 
Ganze  erfasst,  so  wird  auch  bezüglich  des  Zweckes  der 
Begriff  des  Möglichen  zunächst  hervortreten.  Das  Mög- 
liche ist  durch  den  die  Sache  vorbildenden  Gedanken, 
der  aber  das  Wirkliche  erreichen  und  in  eme  tätige  Ein- 
heit zusammenfassend  besiegen  will,  und  so  wird  es  zur 
Modalität  des  vorauseilenden  und  ergänzenden  Gedankens 
des  Zukünftigen.  Der  Zweckgedanke  nun,  ein  Ganzes 
vor  den  Teilen,  kann  den  Stoff  mächtiger  oder  schwächer, 
enger  oder  weiter  ergreifen.  .„Der  Zweck  findet  oft 
mehrere  "Wege  zu  einem  Ziele."-)  In  dieser  Yerschie- 
denheit  der  Mittel  liegt  das  Mögliche  des  Zweckes,  Und 
insofern  erstreckt  sich  der  Zweck  soweit  als  seine  Mög- 
lichkeit, Er  misst  aber  die  Mittel,  ergreift  immer  die 
besten  und  schliesst  die  nicht  entsprechenden  aus.  Er 
bestimmt  sich  dabei  aus  sich  selbst,  entwirft  und  ent- 
scheidet so  die  Möglichkeiten  von  innen,  z.  B.  auch  indem 
er  neue  Rücksichten  als  Zwecke  in  sich  aufnimmt  (s.  o.). 
Dieses  aber   ist  die    Modalität    des  Was    des  Möglichen 


»)  n,  165  ff.  »)  n,  169. 


'ä^  88  2x^ 

oder  die  Wirklichkeit  des  Möglichen,  mehr  das  aeussere 
Geschehen  des  Zweckes  in  sich  begreifend.  Da  der  Zweck 
jedoch  zugleich  Herrschaft  anstrebt,  und  dazu  Einsicht 
in  die  "Wirkungen  der  Mittel  nimmt,  um  diese  zu  über- 
sehen und  zu  richten,  und  indem  er  derart  seine  Ver- 
wirklichung, die  vorentworfene,  in  ihre  Momente  zurück- 
wirft, so  entsteht  die  innere  Möglichkeit.  Hier  handelt 
es  sich  um  die  Modalität  des  Wie  des  Möglichen  oder 
um  die  Möglichkeit  des  Wirklichen.  Werden  und  Wesen, 
Entstehen  und  Geschehen  des  Zweckes,  die  Entwickelung 
der  Verwirklichung  desselben  stehen  hier  im  Vorder- 
grunde des  Erkennens.  Es  will  z.  B.  das  Denken  den 
Gmnd  des  zweckmässigen  thierischen  Instinctes,  etwa  des 
Nestbaues  der  Vögel,  erkennen.  Das  Ganze  ist  da,  auch 
Teile  sind  erkannt,  wie  z.  B.  Schutz  der  Eier  und  Jungen. 
Aber  die  innere  Möglichkeit  des  Vorganges  ist  im  Gan- 
zen beschlossen  und  alle  Momente  sind  daher  zu  er- 
forschen. Da  muss  denn  Ruhendes  belebt,  Unvollständiges 
ergänzt  werden,  bis  das  Gesammtgeschehen  klargelegt 
ist.  Je  mehr  wir  aber  überhaupt  die  innere  Möglichkeit 
der  Phaenomene  durchschauen,  desto  mehr  erschliesst 
sich  uns  das  Reich  des  Zweckes,  welches  also  jene 
aeussere  und  diese  innere  Möglichkeit  in  sich  fasst. 

Betrachtet  man  die  Möglichkeit  im  Zwecke  als  ein 
solches  organisch  Praeformirendes  und  mechanisch  Einen- 
des, in  welchem  Bedürfniss  nach  einem  Anderen,  Be- 
stimmtheit in  Bezug  auf  noch  zu  erreichende  vollere 
Wirklichkeit  vorherrscht,  so  erhellt  als  weitere  Modalität 
die  Potenz.  ')  Wir  sehen  hierbei  von  den  realen  Be- 
dingungen der  Potenz  ab  und  behalten  nur  die  Beziehung 
des  zukünftig  Erfüllenden  im  Auge.   Ein  künftiges  Dasein 

')  n,  174  f.  482. 


'■ai9  89  Q^ 

soll  eintreten  und  ist  bereits  vorherbestimmt.  Es  soll 
aber  zugleich  ein  Gegebenes  erfüllen,  ein  Begonnenes  vol- 
lenden. Im  Zwecke  ist  hierin  gleichsam  ein  dämmerndes 
Vorbilden,  ein  noch  umdunkeltes  Vorausschauen,  in  wel- 
ches dann  das  Licht  hineinscheinen  soll.  Es  sind  vom 
Ganzen  erst  einige  Teile  da,  aber  die  fehlenden  werden 
begehrt,  damit  aus  und  in  allen  Teilen  das  Ganze  sich 
vollwahr  verwirkliche.  Der  Zweck  determinirt  hierbei 
nicht  Teile  für  sich,  sondern  inwiefern  sie  suchen  zur 
Einheit  eines  Actus  sich  zusammenzuschliessen.  Dies 
Potentiale  am  Zweck  zeigt  abermals  weitere  Grenzen 
seines  Reiches,  indem  es  das  Bedürftige  und  Erfüllende, 
das  Fehlende  und  Ergänzende  mit  einbedingt.  So  ist 
der  Begriff  des  Samens  eine  modale  Potenz,  die  erst  in 
der  Bezogenheit  auf  Entwicklung  des  Samens  zum  Keimen, 
Sprossen,  Blühen  und  Fruchten  ihre  Erfüllung  erlangt. 

Den  Gegensatz  zum  Möglichen  bildet  aus  dem  Unmög- 
lichen die  Notwendigkeit^)  als  die  Unmöglichkeit  des 
Gegenteils.  So  ist  das  Notwendige  das  Unvermeidliche 
und  streng  Begrenzte,  während  das  Mögliche  die  Wahl 
frei  gibt  und  die  Grenzen  offen  lässt.  Diese  mehr  aeussere 
und  secundäre  Erklärung  wird  tiefer  geführt,  indem  man 
das  Notwendige  als  das  nicht  zu  Denkende  begreift.  Ein 
solches  ist  aber  die  Notwendigkeit  erst  dann,  wenn  die  Er- 
eignisse von  dem  hinzutretenden  Denken  gemessen  werden. 
„Der  letzte  Punct,  auf  dem  alle  Notwendigkeit  beruht, 
ist  daher  eine  Gemeinschaft  des  Denkens  und  Seins."  ^) 
Diese  Gemeinschaft  erkannten  wir  auch  im  Zwecke,  so 
dass  mithin  die  Notwendigkeit  auch  zum  Zweck  in  Be- 
ziehung tritt.  Im  Zwecke  nun  ist  das  Denken  das  Erste 
und  fordert  die  Gestaltung  des  Seins.     Offenbart   sich  in 


^)  n,  176  ff.    =•)  n,  178. 


'>^  90  Q^ 

der  Erscheinung  der  Zweck,  so  schliesst  sich  dieselbe  zu 
einem  Ganzen  zusammen,  welches  aus  dem  Gedanken 
und  im  Zusammenstimmen  aller  Teile  notwendig  ist. 
Hierbei  ergreift  das  Denken,  welches  erkennt,  das  Denken 
im  Ursprünge,  welches  erkannt  werden  soll,  es  geht  in 
den  Erscheinungen  in  sich  selbst  zurück  und  so  ist  der 
Zweck  Notwendigkeit  in  der  Freiheit  der  Selbstbe- 
stimmung. Die  Notwendigkeit  des  Zweckes  ist  daher 
keine  starr  gebundene  oder  todte,  sondern  eine  freie, 
mit  Leben  beseelte,  und  sie  versöhnt  somit  den  freien 
Geist  (s.  0.),  Die  Freiheit  des  Zweckes  im  Notwendigen 
zeigt  sich  auch  in  Beziehung  auf  die  Unmöglichkeit 
des  Gegenteils,  in  dem  hierin  der  hervorbringenden 
Tätigkeit  die  verhütende  zur  Seite  geht.  Die  menscli- 
liche  Zwecksetzung  erheischt  jeweilig  bestimmte,  zweck- 
entsprechende Mittel.  In  die  Wirksamkeit  dieser  Mittel 
können  sich  fremde  Einwirkungen  störend  oder  doch 
hemmend  einmischen.  Desshalb  bauet  man  vor  in  der 
Vorsorge  und  fortwährenden  Wachsamkeit  zur  Abwen- 
dung etwaiger  Gegenwirkungen.  Auch  die  Natur  trifft 
Vorkehrungen  wider  das  unmöglicli  sein  Sollende.  So 
im  Bau  des  Auges  (s.  o.),  in  welchem  Zerstreuung  des 
einfallenden  Lichtes,  gleichfalls  im  Bau  des  Ohres,  in 
w^elchem  durch  seine  Krümmung,  Erhöhung  und  Ver- 
tiefung, durch  Wollhaare  und  bitterschmeckende  Fett- 
absonderung das  Eindringen  von  fremden  Körpern  oder 
von  Insecten  unmöglich  w^erden  soll.  Dergestalt  wird  die 
physische  Notwendigkeit  im  Zwecke  „so  isolirt  und  so 
gerichtet,  dass  sie  nicht  links  noch  rechts  weichen  und 
ihren  Gehorsam  nicht  versagen  kann."  ')  Auch  in  dieser 
Verhütung  desjenigen,   was  unmöglich  sein  soll,    tritt   die 

»)  n,  186  f. 


^^19    91    ^-^ 

Erhöhung  der  formalen,  strengen  Notwendigkeit  in  die 
den  Zweck  ergreifende  Freiheit,  in  das  freie  Wollen 
eines  freibestimmten  Zweckinhaltes,  in  den  in  der  Macht 
des  ZAveckes  (s.  o.)  freien,  selbsteignen  Sieg  der  Aus- 
führung  und    Zweckverwirklichung   versöhnend    zu  Tage. 

Yon  dem  Gesichtspuncte  aus,  gemäss  welchem  das  Not- 
wendige als  einender  Punct  im  Denken  und  Sein  gelten 
muss,  ist  endlich  der  Zweck  noch  in  der  Modalität  des 
Allgemeinen  inbegriffen,  denn  das  Einende  ist  zugleich 
das  Allgemeine  der  Tatsache,  die  ein  Uebereinstimmen- 
des  bekundet,  der  Bewegung  der  einheitlichen  Entwicke- 
lung,  des  alle  Bedingungen  zusammenfassenden  Grundes. 
Mit  dem  Allgemeinen  beginnt  auch  der  Yorgang  des 
Zweckes.  Er  will  sich  zunächst  nur  in  die  Fläche  des 
Seins  ausbreiten,  unterschiedslos  und  sich  selbst  gleich. 
Hierin  zeigt  er  dort,  wo  er  in  das  Allgemeine  eintritt, 
ein  besonderes  Ergreifen,  eine  Besonderung  desselben. 
Durch  die  Besonderung  des  Allgemeinen  wird  er  mit 
dem  Wirklichen  eins.  In  dem  Wirklichen  stellt  er  sich 
tiefer,  doch  immer  nur  nach  allgemeineren  Factoren  und 
in  umfassenderen  Momenten  dar.  Soweit  nun  freie  Be- 
sonderung im  Allgemeinen,  Verhütung  des  Unmöglichen, 
Durchdringung  von  Denken  und  Sein  in  der  Notwendig- 
keit reichen,  soweit  reicht  auch  der  Zweck. 

Zeigen  sich  die  einzelnen  Ausprägungen  des  Not- 
wendigen, wie  sie  die  Tatsachen  durchgehend  be- 
stimmen, und  erzeugt  das  Allgemeine  des  Grundes 
das  Allgemeine  der  Tatsache,  so  haben  wir  weiter- 
hin den  Begriff  des  Gesetzes  vor  uns.  Das  Ge- 
setz stellt  sich  „als  das  Allgemeine  dar,  welches  vor 
der    Erscheinung    die    Erscheinung    bestimmt."  ')     Allein 

»)  U,  190. 


'j^  92  ex' 

bezüglich  des  Zweckes  hat  das  Gesetz  nicht  als  stabilirte 
Form  und  zwingende  Norm  Geltung,  sondern  lediglich 
nach  der  Analogie,  „wie  es  im  Geiste  des  Gesetzgebers 
entworfen  wird."  ')  Im  Zusammenhange  mit  dem  Gesetze 
tut  der  Zweck  nichts,  als  dass  er  aus  dem  zerstreuten 
Einzelnen  dies  oder  jenes  wählt  und  bestimmt,  das  so 
Bestimmte  einer  Ordnung  nach  dem  Ziele  hin  unterwirft, 
das  so  Geordnete  in  seinem  ganzen  Verlaufe  sich 
dienstbar  erhält.  Er  ist  Quelle,  nicht  Ausfluss  des 
Gesetzes,  nicht  ein  Anderes  ist  ihm  Gesetz,  sondern  er 
ist  sich  selbst  Gesetz.  So  beobachten  wir  im  "Werden 
des  Organischen  das  Selbst-Gesetz  des  Zweckes,  die 
selbsteigene  gesetzmässige  Entwickelung,  welche  dem  Ein- 
fluss  einer  fremden  Gesetzlichkeit,  einem  äusseren  Zwange 
Widerstand  entgegensetzt.  Wir  erkennen  die  Autonomie 
des  Zweckes  noch  mehr  im  Ethischen  als  der  im  Selbst- 
zweck freien  Selbstverwirklichung  und  in  der  bewussten 
sittlichen  Arbeit  als  in  des  Selbstzweckes  concreter  Ge- 
staltung der  Persönlichkeit. 

Eine  frappirende  Darstellung  erfährt  die  Bedeutung 
und  der  Bereich  des  Zweckes  noch  im  ZufalP).  Das 
Fremde,  Undurchdringliche,  Incommensurabele  in  Be- 
ziehung auf  die  Notwendigkeit  d.  h.  das  Zufällige  kann 
nicht  allgemein,  sondern  nur  ganz  im  Besonderen  und 
im  Yerhältniss  zum  Ganzen  nur  untergeordneter  und 
lediglich  unvorhergesehener  Weise  mit  dem  Zweckge- 
schehen zusammentreffen.  Wenn  eine  im  zartesten  Marmor 
plötzhch  erscheinende  Ader  das  Yollendcn  des  Werkes 
des  meissclndcn  Künstlers,  wenn  das  aller  Vorberechnung 
zuwiderlaufende  Handeln  des  Feindes  das  Schachspiel  des 
grossen  Feldherrn    durchkreuzt,    so    wirkt    das    Zufällige 

>)  n,  190. 


oi9  93  e^ 

störend,  wie  es  jedoch  auch  begünstigend  concurriren 
kann.  Allein  es  ist  und  bleibt  auch  in  seiner  Ein- 
wirkung auf  den  Zweck  ein  Seltenes  und  nur  Aeusseres, 
immer  Accidenz,  von  welchem  die  Substanz  in  ihrem 
Innersten  nie  getroffen  wird.  Dazu  kann  der  Zweck  in 
der  Aenderung  seiner  Richtung  oder  wie  auf  Umwegen 
das  Zufällige  und  anfänglich  Hemmende  sofort  in  sich 
einbeziehen  und  mitverwenden,  wodurch  er  sogar  im 
überraschenden  Sieg  auftritt. 

Nichts  liegt  nun  näher  als  anzunehmen,  dass  des 
Zweckes  Reich  weit  über  das  gleichsam  flache  Modale  auch 
in  die  Tiefen  des  Realen  sich  erstrecke.  Tr.  sagt 
wiederholt,  dass  dem  Modalen  das  Reale  unmittelbar  ent- 
spreche. Die  Voraussicht  in  der  Möglichkeit  und  der 
Abschluss  des  Ganzen  in  der  Notwendigkeit  sind  zwar 
vorerst  ein  Logisches  im  subjectiven  Denken,  allein  es  ist 
beides  doch  zugleich  auch  in  die  Sache,  das  Objective 
und  Reale  gelegt,  ohne  welches  Möglichkeit  und  Not- 
wendigkeit gegenstandslos,  ohne  Inhalt  und  Erfüllung 
wären').  Die  modale  Potenz  trägt  von  der  anderen  Seite 
ein  Reales  in  sich,  inwiefern  in  ihr  ein  Teil  realer  Be- 
dingungen zum  Ganzen  eines  Daseins  gegeben  ist-).  Und 
der  Zweck  kommt  zu  allererst  als  Realität,  als  Tatsache 
und  Factum  zur  Ersclieinung.  In  der  Zergliederung  eben 
der  aus  der  Causalität  nicht  zu  erklärenden  Tatsache 
offenbaren  sich  die  Seiten  seines  Wesens^).  Jede  Aus- 
sage und  Kundwerdung  des  Zweckes  hat  in  der  Tat- 
sache ihren  Grund,  jede  Aussage  über  den  Zweck  an  der 
Tatsache  ihr  Correctiv.  Erkannten  wir  bis  jetzt  in  diesem 
Abschnitte  das  modal  Bestimmende  des  Zweckreiches, 
so  fragen  wir  nunmehr   nach   dem    real  Erfüllenden    des- 

')  II,  263.     2)  n,  174.    3)  11^  16  s. 


n/13     94:     ^^ 

selben.  Da  der  Zweck  die  Bewegung  des  Gedankens  in 
sich  fasst,  so  werden  die  früheren  Ortes  bezeichneten 
Grundbegriffe  der  Bewegung  vom  Zwecke  näher  bestimmt, 
durchdrungen  und  um  ein  neues,  tieferes  Centrum  ge- 
sammelt. Sind  bereits  die  Kategorien  der  Bewegung 
durch  die  unermessliche  Möglichkeit  der  sie  erzeugenden 
Tat  von  dem  weitesten  Umfang,  um  wie  viel  weiter 
müssen  die  realen  Kategorien  aus  dem  Zwecke,  welche 
Tr,  klar  und  umfassend  darlegt^),  reichen!  Die  erste  Re- 
alität des  Reiches  des  Zweckes  aber  ist  das  Mittel"'). 
Der  Zweck  wird  real,  indem  er  die  Welt  ergreift,  welche 
dann,  soweit  sie  ergriffen  wird,  zum  Mittel  wird.  Im 
Allgemeinen  nun  fordert  der  Zweck  die  Materie  zu  seiner 
Verwirklichung,  entwirft  er  die  Form  behufs  seiner  Aus- 
prägung, im  Besonderen  dagegen  —  und  dies  ergiebt  den 
engeren  Begriff  des  Mittels  —  macht  er  die  wirkende  Ur- 
sache, indem  der  Zweckgedanke  mit  den  Kräften  derselben 
eins  wird,  sich  dienstbar  und  richtet  sie.  So  tritt  er  im  Or- 
ganischen als  Zweckursache  zu  Tage.  Die  wirkende  Ur- 
sache wird  Mittel  des  Zweckvollzuges.  Daher  kann  der 
Organismus  nicht  umhin,  seinen  Zweck  auszuführen,  wie 
denn  das  Auge  sehen,  das  Ohr  hören,  die  Lunge  atmen 
muss.  Diese  Dienstbarkeit  der  wirkenden  Ursache  bildet 
einen  Grundpfeiler  des  Reiches  des  Zweckes.  Und  die 
Organisation'^)  ist  das  Hauptgebiet  seiner  Herrschaft. 
Durch  den  Zweck  wird  im  Organismus  der  Stoff  specifisch 
assimilirt,  die  Form  von  innen  erzeugt,  die  bewegende 
Ursache  zur  bildenden  Kraft  umgewandelt.  Die  Teile  sind 
durcheinander  und  mit  dem  Ganzen,  letzteres  aber  durch- 
waltet jene,  so  dass  eine  Einheit  der  Entwickelung  aus 
dem  Ganzen   in   den  Teilen   zum   Ganzen   entsteht.     Der 

1)  II,  123  fi'.     a>)  II,   137.     -)  II,  124  f. 


T^  95  (^x^ 

Zweck  ist  somit  das  eigne  Leben  des  Organismus.  Er 
bildet  und  entwickelt  zum  Organischen  gemäss  einer  Ge- 
setzlichkeit, die  ihm  allein  bekannt  und  mit  welcher  er 
in  freier  Selbstbestimmung  eins  wird.  In  alledem  ist  der 
objective  innere  Zweck  beschlossen  d.  h.  ein  solcher? 
„welcher  die  Teile  und  Kräfte  eines  Organismus  so  in 
Uebereinstimmung  ordnet,  dass  er  dessen  Wesen  ausmacht 
und  ihn  und  die  Gattung  erhält"  ').  Da  der  innere  Zweck 
aus  dem  vorgedachten  Ganzen  Yerwirklichung  und  Er- 
haltung desselben  anstrebt,  so  stellt  er  sich  darin  als 'das 
individuirende  Princip  dar.  Und  im  Lebendigen,  „wo 
bewegende  Kraft  und  innerer  Zweck  zusammenfallen,  wo 
dem  Tätigen  das,  was  es  tut.  zu  Gute  kommt  oder  zum 
Schaden  wird"-),  kommt  so  der  Begriff  des  Selbst  voll 
heraus.  Dieses  organisch  Lebendige  aber,  dies  Ideale 
des  Selbst  in  der  Natur,  welches  dem  Schein  der  nackten 
Kräfte  das  Gegengewicht  hält^),  ist  von  unsäglichem 
Werte. 

Mit  dem  Organischen  hat  das  Mechanische"^)  den 
Zweck  gemein.  Auch  hier  ist  das  Ganze  vor  den  Teilen 
gedacht,  doch  werden  die  Teile  nicht  erst  im  Ganzen. 
Stoff,  Form  und  bewegende  Ursache,  wiewohl  nicht  inner- 
lich verwachsen  miteinander,  sondern  nur  äusserlich  zu- 
sammengebracht, sind  doch  in  dem  Gedanken  der  zu  er- 
zielenden Wirkung  für  einander  bestimmt  und  fügen  sich 
in  genau  gegliederte  Tätigkeit.  Ein  Einendes,  und  sei 
es  auch  nur  äusserer  Zwang,  eine  Intelligenz,  wiewohl 
sie  von  aussen  kommt  und  fremd  bleibt,  beherrscht  auch 
die  Maschine.  Zwar  scheint  das  Mechanische  auf  den 
ersten  Blick  hin  in  sich  gleichgültig  und  leblos  zu  sein, 
jedoch    die    eindringende  Erkenntniss   der  Harmonie   der 


')  II,  77.     ■')  II,  79.     *)  ~  R,  25.     ^)  II,  124. 


'^^  96  G^ 

Teile  unter  sich  und  im  Verliältniss  zur  Einheit  der  her- 
beizuführenden Wirkung  zeigt  bald,  dass  auch  hierin  ein 
Geistiges,  Vorausschauendes,  einheitlich  Bildendes,  näm- 
lich der  Zweck,  wirksam  ist.  Wenn  dann  in  diesem 
Ganzen,  welches  rein  und  rund  abgeschlossen  ist'),  die 
latente  Möglichkeit  der  bezweckten  Wirkung  durch  die 
treibende  Kraft  zur  Wirklichkeit  frei  wird,  wenn  die 
Kräfte  des  Hebels,  des  Wellrades  etc.  sich  regen  und  in 
wunderbarem  Zusammenwirken  sich  bewegen  und  so  die 
Endwirkung,  wie  eine  vom  Menschen  selbst  ausgeführte, 
ergeben :  so  springt  in  die  Augen,  dass  in  dem  ganzen 
Vorgang  ein  Zweckgeschehen,  wenn  auch  kein  an  sich 
einwohnender,  so  doch  einwirkender  und  jedenfalls  be- 
herrschender Zweck  beschlossen  ist"^).  Die  unübersehbar 
häufigen  mechanischen  Tätigkeiten  und  Vorgänge,  die 
unzählbaren  Erfindungen,  sei  es  einfachster  Mechanik,  sei 
es  complicirter  Apparate,  zeugen  gleichfalls  für  die  weit- 
gehende Herrschaft  des  (hier  äusseren)  Zweckes. 

Insgesammt  aber  ist  das  iieich  des  Zweckes  da,  wo 
die  nach  ihm  sich  bildende  Einheit  einer  Vielheit  sich 
überordnet.  Die  Einheit  im  Zwecke  ist  mehr  als  fixirte 
Bewegung  in  der  Vielheit,-)  sie  drängt  sich  in  den  Ge- 
danken als  in  einen  lebendigen  Punct  zusammen  und  ist 
in  dem  vorherbestimmenden  Gedanken  das  Frühere  und 
Ursprüngliche.  In  ihrer  äusserlichen  Darstellung  zeigt 
sie  dann  die  Vielheit,  der  Gedanke  macht  Dinge  und 
Tätigkeiten  zu  seinem  Substrat.  So  bestimmt  die  Ein- 
heit das  Bildungsgesetz  der  Vielheit  und  regiert  das 
Werden  der  Teile.  Sie  erzeugt  von  innen,  umfasst  das 
Hervorgebrachte  wesensinnig,  spannt  die  Gestaltung  des 
Mannigfaltigen   in   den   einenden   Ursprung   zurück,  giebt 

^)  II,  78.     a')  II,  391,     '')   I,  354. 


'^^  97  sx> 

dem  Yielfarbigen  ein  Grund- Colorit,  dem  Vielgestaltigen 
die  durchgehende  Norm  und  dies  immer  richtend,  re- 
gierend und  zielwärts  führend.  Die  Einheit  bindet,  ob- 
wohl der  Neutralität  Raum  lassend,  die  Bildung  des 
Minerals  und  leitet  den  Bau  und  die  Bewegungen  einer 
Maschine.  „So  löst  sich  das  alte  Problem  der  Einheit 
in  der  Vielheit  auf  dem  Gebiete  des  Zweckes  durch  den 
Gedanken  selbst,  und  die  organische  Einheit  ist  seine  höchste 
Darstellung."  ^) 

Derart  werden  im  Zwecke  auch  das  Ganze  imd  seine 
Teile  in  reicher  Geltung  kund.  Im  Mechanischen  bereits 
sind  die  Teile  nicht  gleichgültig  gegen  einander,  sondern 
werden  im  Zwecke  der  Wirkung  des  Ganzen  gegenseitig 
gefordert.  „Im  Organismus  werden  die  Teile,  die  äusser- 
lich  im  Ganzen  erschienen,  zu  Gliedern,  die  das  Leben 
des  Individuums  hervorbringt  und  die  wiederum  das 
Leben  hervorbringen.  Der  Gedanke  des  Ganzen  bestimmt 
die  Verrichtungen  der  Glieder  und  die  Glieder  dienen 
der  Verwirklichung  des  Ganzen.  Die  starre  Vorstellung 
des  Teiles  steigert  sich  zu  dem  geistigen  Begriff  des 
Gliedes  d.  h.  des  einen  eigentümlichen  Zweck  vollziehen- 
den Teiles.  Die  Teile  werden  vom  Ganzen  umschlossen, 
die  Glieder  vom  Leben  des  Ganzen  durchdrungen."  ^) 
So  verwirklicht  sich  der  Zweck  des  Ganzen  als  das 
Wesen  in  den  Teilen,  deren  Wesen  hinwiederum  in  dem 
Zusammenschluss  zum  Ganzen  liegt.  Ist  jenes  der  über- 
geordnete, so  dieses  der  untergeordnete  Zweck.  Dabei 
können  die  Glieder  im  näheren  und  notwendigen,  das 
Ganze  unbedingt  constituirenden,  oder  im  weiteren,  loseren, 
unwesentlichen  Zusammenhang  stehen  (Substanz  und 
Accidenz).       Zudem   geht  es   an,   dass   zu    den   Gliedern 


')  II,  127.    «)  n,  128. 


^^  98  '2x^ 

wieder  Unterglicder  treten,  wodurch  jene  einen  eigenen 
Mittelpunct,  ein  besonderes  Leben,  eine  gewisse  Selbst- 
ständigkeit empfangen.  Aber  in  dem  Allen  waltet  eine 
innige  Inhaerenz  ob,  eine  Congruonz  und  Concentration 
der  Tätigkeiten;  gleichviel  Zusammenstreben  in's  Cfanze 
resultirt  aus  dem  Erheben  des  Teiles  in  das  Leben  des 
Allgemeinen  wie  aus  der  Darstellung  des  Allgemeinen 
im  besonderen  Leben  der  Glieder.  So  sind  im  Organis- 
mus das  Ganze  und  seine  Glieder  durch  einander,  gegen 
einander  und  mit  einander. 

Die  tiefinnerste  Verbindung  des  Ganzen  und  der  Teile 
im  Zwecke  zeigt  sich  im  weiteren  Betrachte  als  organi- 
sche Wechselwirkung').  Der  Gedanke  des  Ganzen 
durchströmt  die  Teile  als  die  Träger  seiner  Selbstdar- 
stellung, die  Teile  streben  wiederum  in  den  Gedanken 
als  die  ursprüngliche  Einheit  zurück.  Die  Einheit  als 
Zweck  sucht  die  Vielheit  als  Mittel  ihrer  Verwirklichung, 
und  die  Vielheit,  welche  selbst  wieder  bezweckt,  wirklich 
zu  werden,  sieht  im  Einenden,  welches  allein  ihr  Bestand 
gewährt,  das  Mittel  ihrer  lebendigen  Darstellung.  Die 
Momente  des  Eingehens  in  die  Wirkhchkeit  sind  als 
Wirkung  zugleich  die  Ursache  im  Ganzen  des  Gedankens, 
letztere  aber  ist  in  ihrem  Werden  Mittel  der  Objectivi- 
rung  der  Teile.  Im  Miteinander  des  Organischen  ist 
weder  Unverstand  noch  Zufall  noch  blinde  Macht,  sondern 
es  wurzelt  und  gipfelt  Alles  und  Jedes  im  Medium  des 
Gedankens  -).  „Die  organische  Wechselwirkung  hat  das 
schönste  Band,  den  Gedanken  als  Herrn  der  Kräfte.  —  In 
der  organischen  Wechselwirkung  ist  der  mit  der  physischen 
Ursache  eins  gewordene  Gedanke  die  innerste  Natur  des 
Dinges."      Stehen    aber    in    organischer   Wechselwirkung 


»)  U,  129.     2)  fv;  I,  358. 


1/L9    99    Q^ 

nicht  mehr  Organe  eines  Ganzen,  sondern  sogar  Organis- 
men, welche  dann  zur  höheren  Einheit  zusammengehen, 
so  resultirt  ein  System  (z.  B.  das  Sonnensystem).  Der 
Zweck  waltet  mithin  da,  wo  eine  innige  Durchdringung 
vom  Ganzen  und  seinen  Teilen,  ein  tiefgehendes  Ver- 
schmelzen von  Einheit  und  Vielheit,  oder  gar  eine  Con- 
centricität  von  Organismen,  und  dies  Alles  als  im  herr- 
schenden Gedanken  lebend  und  webend,  offenbar  wird  und 
durchgängig  vorliegt. 

Der  aus  der  Wechselwirkung  unmittelbar  entspringende 
Begriff  der  Kraft,  ^)  nämlich  der  Erzeugung  eines 
Neuen  aus  Berührung,  Mischung  und  Ineinander  der 
Teile  als  Eigenschaften,  steht  im  Mechanischen  im  Dienste 
des  von  aussen  kommenden  fremden,  im  Organischen 
im  Dienste  des  von  innen  wirkenden  selbsteigenen  Ge- 
dankens. Nicht  Fortwirkung  aus  dem  ersten  Anstoss, 
auch  nicht  Mitwirkung  oder  Gegenwirkung  anderer  Kräfte 
bedingen  die  organische  Kraft,  sondern  der  Zweck  des 
Ganzen  birgt  dieselbe  in  sich  und  erhebt  sie  zur  Activi- 
tät.  Sie  ist  hier  nicht  allein  gegeben  und  disponibel, 
sondern  angelegt  und  disponirt.  Sie  wirkt  weniger  in 
der  Richtung  der  Linie  oder  Ebene  als  in  derjenigen  der 
körperlichen  Ecke.  Die  Kraft  an  sich  ist  wirksam  nach 
der  Seite  der  Einzeldarstellung  und  Vereinzelung,  die 
Kraft  im  Zwecke  dient  der  Sammlung  und  Abrundung. 
lieber  der  Möglichkeit  der  blossen  Ausbreitung  steht  hier 
die  Notwendigkeit  der  Concentrirung.  Sie  ist  mehr  ein 
tätig  Wollendes  als  ein  stumm  Gewolltes.  Sie  kann  sich 
zu  demjenigen,  in  welchem  sie  wirkt,  nicht  neutral  ver- 
halten, sondern  hat  die  Tendenz,  dasselbe  zum  Ausdruck 
zu  bringen.     Wenn    ich    sage:     „Der   Geist   denkt",   so 

■J  II,  132. 


nl(3  100  ex^ 

wird  die  Geisteskraft  schlechthin  gesetzt.  Dagegen  be- 
kundet die  Kraft  sich  nach  dem  Zweck  und  Ziel,  sobald 
man  sie  begreift  nach  dem  Urteile:  „Das  Denken  ist 
des  Geistes  Leben."  Es  besteht  das  Reich  des  Zweckes 
nicht  zum  Wenigsten  in  der  Kraft,  welche  dem  sie  be- 
herrschenden Ganzen  willig  dient  und  in  ihm,  aus  der 
Einzelwirkung  in  den  Teilen,  Richtung,  Sammlung,  Ge- 
nüge und  Erfüllung  findet. 

Kraft  im  Verhältniss  zu  Kraft  ist  Tätigkeit ').  "Wie 
tritt  an  der  Tätigkeit  der  Zweck  hervor?  Die  Qualität 
der  Substanz,  die  wirkende  Ursache  ist  ein  Tun,  welches 
an  seinem  Grunde  haftet,  doch  ohne  in  diesen  einzudringen 
oder  ihn  gar  zu  bestimmen;  es  kommt  und  weiss  nicht 
woher  ?  und  wirkt  und  weiss  nicht  wohin  ?  Bestimmtheit 
und  Richtung  empfängt  die  Tätigkeit  erst  im  Zwecke. 
Das  Auge  sieht.  Aber  wenn  es  z.  B,  in  die  Welt  hinein- 
stiert, ist  dies  mehr  als  Vollzug  einer  physischen  Potenz 
und  blinde  Aeusserung  einer  sinnvollen  Ursache?  ^)  Darum 
muss  der  Zweck  des  lichten  Erkennens  die  Tätigkeit  des 
Sehens  regieren.  Zu  diesem  Zwecke,  aus  ihm  und  für 
ihn,  soll  die  Tätigkeit  sich  vollziehen.  Es  erhalten  so 
die  organischen  Tätigkeiten  nur  im  Zwecke  ihren  eigent- 
lichen Sinn,  allein  durch  den  Zweck  ihre  zureichende 
Erklärung.  Ohne  den  Zweck  sind  dieselben  für  sich 
dumpf  und  stumpf,  für  unser  Erkennen  dunkel  und 
rätselhaft.  Die  Tätigkeiten  werden  also  final  gerichtet, 
aber  auch  gesichtet.  Eine  Tätigkeit  kann  wie  ermattet 
sein  oder  in  feindseliger  Macht  herantreten.  Sie  wird 
ausgeschieden  oder  abgestossen  werden  müssen.  Die  vor- 
herbestimmte Norm  erheischt  den  unbestrittenen,  unver- 
kümmerten  Ausdruck  ihrer  selbst,  aus  der  Ä^egation    des 


')  II,   130  f.     2)  n,   124. 


'IH9  101  e^ 

unmöglich  sein  Sollenden  wird  die  Privation  des  Mangel- 
haften, die  Bekämpfung  d.  i.  Differenzirung  des  Entgegen- 
strebenden. Indem  ferner  die  organischen  Tätigkeiten 
„ebenso  für  das  Ganze  geschehen,  als  von  dem  Ganzen 
getan  werden",  so  strömen  dieselben  zum  Ganzen  zurück. 
Sie  sind  in  dieser  Hinsicht  reflexiv  (s.  o.).  So  vollzieht 
sich  das  Atmen  durch  und  für  die  Lunge,  das  Sprechen 
aus  den  Sprachorganen  und  zur  Bildung  derselben.  „In 
der  organischen  Tätigkeit  ist  diese  Rückkehr  das  innerste 
Wesen."  Da  hierin  der  Grund  zum  Ziele  wird,  so  ver- 
wandelt sich  die  Ursache  in  die  Wirkung,  die  Wirkung 
aber  war  Ursache  des  Grundes  der  Tätigkeit.  Diese  In- 
version von  Ursache  und  Wirkung  ist  nun,  vne  wir  sie 
oben  überhaupt  erkannten,  auch  hier  ein  gewisses  und 
sicheres  Merkmal  des  Zweckgeschehens. 

Die  organische  Tätigkeit  muss  von  einem  organischen 
Substrat  getragen  werden.  Es  äussert  sich  in  ihr  das 
notwendige  Glied  des  Ganzen^).  Die  Unterschiede  des 
Wesens  erfüllen  sich  durch  den  Zweck  zu  Gliedern  der 
Einheit.  Die  Tätigkeit  des  Ganzen  baut  sich  zweckmässig 
aus  der  Einzeltätigkeit  auf.  Jedes  Glied  hat  und  übt 
Besonderung  der  Tätigkeit,  doch  nur  im  Rahmen  der 
allgemeinen  Einheit.  Gliederung  ist  ebensowohl  organ- 
ische Individuation  wie  Concentration.  Die  Tätigkeiten 
der  Glieder  sind  geteilt  und  doch  auch  geeint.  Die 
Wesensunterschiede  treten  am  Organismus  als  Glieder  in 
scharfer  Ausprägung  und  grosser  Selbstständigkeit  hervor, 
aber  sie  heben  die  Einheit  nicht  auf.  Die  Glieder  führen 
zwar  den  eignen  Zweck  aus.  Dieser  aber  ist  dem  Gesammt- 
zwecke  untergeordnet  und  in  ihm  enthalten.  Daher  voll- 
ziehen jene  zugleich  auch  diesen.    Die  strenge  Gliederung 


1)  II,  131  f.  rv)  92. 


'a^  102  2^ 

und  durchwaltende  Sammlung  der  Tätigkeiten  im  Organis- 
mus zeigen  die  Herrschaft  des  Zweckes  an. 

Erhebt  so  der  Zweck  die  Qualität  zur  Tätigkeit,  so 
vollendet  er  auch  die  Quantität'),  welche  dann  nicht 
länger  nur  extensive  und  intensive,  continuirliche  und  dis- 
crete  Grösse,  sondern  temperirte  Bestimmtheit  ist.  Der 
Zweck  erfordert  ein  Angemessenes  und  Entsprechendes 
auch  hier.  Er  will  einen  Einklang,  bezüglich  dessen  nichts 
abgenommen  noch  hinzugetan  werden  kann.  Er  gleicht 
Ueberschuss  und  Mangel,  Plus  und  Minus  gegenseitig  aus. 
Die  organische  Grösse  weist  das  Elicnmass  des  Ganzen  auf. 
Er  schafft  beharrende  Indifferenz  und  dauerndes  Gleichge- 
wicht. Die  bildenden  Elemente  werden  hier  erweitert, 
dort  begrenzt,  doch  immer  derr.rt,  dass  sie  zuletzt  ein 
Harmonisches  ergeben.  Die  verschiedenen  Tätigkeiten, 
welche  auch  nach  ihrer  unterschiedlichen  Stärke  ausein- 
anderzugehen scheinen,  w^erden  zur  Gesammttätigkeit  ab- 
gewogen. Wie  dergestalt  das  Extensive  durch  den  Zweck 
höhere  Bedeutung  und  reicheren  Inhalt  empfängt,  so  auch 
das  in  dem  Resultate  der  Umkelirung  der  Bewegungs- 
factoren Raum  und  Zeit  (Bewegunqs-Räume  verhalten  sich 
umgekehrt  wie  Bewegungs-Zeiten)  beruhende  Intensive. 
Der  Zweck  erwirkt  ein  Mittleres  zwischen  dem  Maximum 
und  Minimum  der  Intensität.  „Was  unter  dem  Minimum 
und  über  dem  Maximum  liegt,  erscheint  als  monströs." 
Jenes  wäre  ein  Unbegrenztes,  dieses  ein  Uebergrenzendes, 
die  dem  Zwecke  eigentümliche  Formung  müsstc  hierbei 
wegfallen,  und  somit  er  selbst  seiner  Yerwirkliclmng  un- 
fähig sein.  Ebenso  würde  ein  Ueberschreiten  des  Maxi- 
mums wie  Minimums  jede  Normirung  vereiteln,  weil  genaue 
Gliederung,    feste  Fügung,  reinliche   Abrundung   hindern, 

»)  n,  132  f. 


mis  103  2^ 

und  doch  realisirt  sich  der  Zweck  in  sicherer  Ausprägung 
und  wesenscongruenter  Differenzirung,  nach  seinem  be- 
stimmten Typus.  In  dieser  Modification  der  Grössenver- 
hältnisse,  in  der  Verarbeitung  derselben  aus  Einem  Sinn, 
in  ihrer  Ausprägung  wie  aus  Einem  Guss,  im  einheit- 
lichen Zusaramcnschluss  der  Elemente  wird  ein  neuer 
Markstein  des  Reiches  des  Zweckes  offenkundig. 

Da  Qualität  (Princip  der  Bewegung)  und  Quantität 
(Product  der  Bewegung),  welchen  der  Zweck  also  eine 
höhere  Bedeutung  verleiht,  an  der  Materie  haften  als 
an  dem  Substrat  des  Seins,  so  muss  der  Zweck  auch  die 
letztere  ergreifen  ').  Dann  ist  dieselbe  ohne  Weiteres  als 
vom  Zweck  gefordert  und  ihm  dienend  evident,  denn 
wäre  sie  fordernd  und  herrschend  gegenüber  demselben, 
so  könnte  sie  mit  Erfolg  dem  widerstreben ,  so  be- 
rührt und  beeinflusst  zu  werden.  Diese  ihre  Dienstbar- 
keit ist  sogar  unerlässlich,  wenn  der  Zweckgedanke  leib- 
liches Dasein,  Halt  und  Leben,  ein  ihn  Tragendes  und 
Differenzirendes  gewinnen  soll.  Indem  nun  der  Zweck 
in  die  Materie  eingeht,  kann  er  nicht  umhin,  eine  Tätig- 
keit zu  wollen.  Diese  Tätigkeit  vollzieht  sich  in  leiblicher 
oder  geistiger  Bewegung.  Dementsprechend  zeigen  sich 
an  der  Materie  Festigkeit  und  Beweglichkeit.  Jene  zu 
entbinden,  diese  zu  consolidiren,  in  der  Dienstbarkeit 
beider  sich  darzustellen  ist  nun  seine  Aufgabe.  In  solchem 
Einwirken  des  Zweckes  entfaltet  sich  der  unerschöpfliche 
Reichtum  des  materiellen  Daseins,  das  an  sich  Indifferente 
wird  in  steter  Organisation  geschieden  und  immer  mannig- 
faltiger ausgewirkt.  Dadurch  dass  die  Materie,  inwiefern 
sie  den  Zweck  aufnimmt,  Mittel  des  Organisirens  wird, 
reift  sie   selbst    zur   lebensvollen,    vom  Gedanken   durch- 

1)  n,  136 f.  ■.,     /,■  - 


'v^  104  G^ 

drungenen,  nach  der  Vorherbestimmung  gestalteten,  or- 
ganischen Materie.  Doch  nicht  völlig  nimmt  sieden 
Zweck  an.  Denn  zu  gross  ist  der  Gedanke,  zu  kühn 
die  Idee,  zu  fern  das  Ziel  und  zu  einschneidend  das 
schöpferische  "Walten  des  Zweckes,  als  dass  der  Materie 
starre  Notwendigkeit  ganz  in  freie  Hingabe,  ihre  Mittel- 
barkeit ohne  Rückstand  in  unmittelbares  Eingehen  sich 
wandele,  und  als  dass  der  Stoff  ohne  Rest  aufgehe  in 
die  Idee  und  das  zu  Schaffende  gleich  werde  dem  Schaf- 
fenden ^).  Aber  ungeachtet  dieser  Beschränkung  bleibt 
der  weite  Bereich  des  Zweckes  in  Ansehung  der  organi- 
schen Materie '  (Physikalisches,  Chemisches,  Plastisches  der 
Pflanze)  unangefochten  und  hochbedeutsam. 

Die  äusserste  Erscheinung  des  der  Materie  sich  ein- 
bildenden Zweckes  ist  die  organische  F  o  r  m.  ^)  Die  Sym- 
metrie vollendet  sich  zur  Gliederung.  Es  harmoniren 
hierin  nicht  etwa  nur  zwei  benachbarte  Teile,  sondern 
unter  vielen  jeder  mit  jedem  anderen.  Die  Form  aus 
dem  Zweck  ist  Gepräge  von  innen,  nicht  aber  Stempel 
von  aussen.  Ihr  Werden  ist  von  einem  centralen  Puncte 
oder  von  einer  Axe  aus  Entwickelung  in  die  Peripherie. 
Dies  ihr  lebendiges  Centrum  ist  der  Gedanke.  Darum 
mag  das  Denken  auch  in  der  zweckmässigen  Formung 
culminiren.  Die  dem  Denken  Anfangs-  wie  End- 
punct  bezeichnende  Form  kann  als  Ausdruck  des 
Gedankens  die  Symbolik  desselben  heissen  (Schleier- 
macher). Das  Nachbilden  der  organischen  Form  gehört 
zum  Wesen  der  Kunst.  Auch  diese  erstrebt  reine 
Formung  des  das  Ganze  vor  den  Teilen  in  sich  be- 
greifenden reinen  Gedankens.  So  ist  denn  die  organische 
Form  es,    welche  dem   tiefer  Blickenden  das  Geheimniss 


1)  <^  II,  91.     -)  II,  138.    87. 


'^^  105  '^^ 

des  schaffenden  Geistes  verrät  und  „das  durchsichtige 
Zeichen  des  Zweckes  ist." 

Mit  dem  Aeusseren  gewinnt  im  Zwecke  auch  das 
Innere  0  eine  tiefere  Bedeutung.  Ist  jenes  das 
Werdende  und  Gewordene,  so  dieses  dasjenige,  was  erst 
werden  soll,  hierin  nicht  inhaltsleere  Bezogenheit  zum 
Gegensätzlichen,  sondern  Drang  des  Werdens,  Trieb  des 
Bildens.  Aeusseres,  immer  im  Inneren  ruhend,  und 
Inneres,  stets  im  Aeusseren  gegenwärtig,  sind  in  dieser 
Hinsicht  nie  geeint,  aber  auch  keinesfalls  getrennt,  sondern 
vielmehr  im  wesentlichen  Einstreben  des  Idealen  in's 
Reale,  im  fundamentalen  Hervorgehen  des  Posterius  aus 
dem  Prius  begriffen.  Im  Inneren  ist  der  Brennpunct  des 
Seins,  die  geheime  Werkstatt  aller  Gestaltung,  der  Thron 
des  Zweckes.  Yon  hier  aus  entknospet  alles  Zweckvolle 
zur  wunderbaren  Entfaltung. 

Es  correspondiren  mit  dem  zweckerfüllten  Aeusseren 
und  dem  zweckeinigen  Inneren  Ordnung  und  Mass. 

Die  Ordnung^)  tritt  ein,  wenn  der  Zweck  Teile 
und  Elemente  zusammenfügt.  Da  die  Teile  aus,  in  und 
zu  dem  Ganzen  sind,  so  muss  ihre  Reihenfolge  von  der 
Einheit  beherrscht  sein.  Indem  der  Zweckgedanke  die 
Momente  seiner  Darstellung  durchwaltet,  sind  diese  im 
Einzelnen  und  Allumfassenden  im  Denken  beschlossen 
d.  h.  geordnet,  wogegen  das  Ungeordnete  darin  gerade 
als  solches  erkannt  wird,  dass  es  ein  innewirkendes 
Denken  nicht  zeigt.  Insofern  als  die  Idee  mit  der  Macht 
des  Causalen  eins  wird,  vermag  sie  die  Teile  ihres  Er- 
scheinens zusammen  zu  halten,  indess  aus  dem  Nichtsein 
der  sammelnden  Kraft  das  Chaotische  entsteht.  Nach 
Grund  und  Ziel  ist  das  Einzelne   hier  gleichgeartet,    und 


1)  n,  136.    ^)  II,  134.  87. 


'^^  106  2^ 

so  nur  kann  Ordnung  Statt  haben,  während  das  Zu- 
sammentragen ungleicher  Elemente  nichts  als  ein  Con- 
glomerat  ergiebt.  Da,  wenn  zwei  Grössen  einer  dritten 
ähnlich,  gegenseitige  Aehnlichkcit  vorliegt,  so  müssen 
alle  Teile  und  Glieder  des  Organischen,  weil  dem  Ganzen 
adaequat,  unter  sich  harmonircn. 

Dazu  ist  die  Ordnung  zur  Anordnung  vertieft,  jeder 
Teil  ist  in  Rück-  und  Vorbeziehung  zum  nächsten,  alle 
Teile  sind  in  aufsteigender  Linie  in  Relation  zur  Ge- 
sammtheit  geordnet,  jedwedem  ist  sein  Platz,  seine 
Function  angewiesen,  und  die  besondere  Wirkung  ist 
praedisponirt  zur  Wirkung  der  Allgemeinheit. 

Das  Mass')  im  Zweckmässigen  kann  nichts  Un- 
wesentliches sein,  da  es  alsdann  der  Uebereinstimmung 
des  Ganzen  schädlich  zu  werden  vermöchte.  Es  muss 
daher  wesenhaft  in  dem  Zweckgeschehen  begrändet  sein. 
Weiterhin  darf  es  nicht  äusserlich  herantreten,  sondern 
muss  von  innen  herauskommen.  Denn  es  ist  nicht  aus- 
geschlossen, dass  es  in  jenem  Falle  mit  der  inneren  Sache 
in  Widerspruch  geraten  könne.  Sodann  ist  zurück- 
zuweisen, dass  dasselbe  aus  fremder  Berechnung,  welche 
doch  trügen  kann,  entstamme.  Aus  der  Yernunft  der 
Sache  selbst  muss  es  sich  ergeben.  Das  Mass  ist  hier 
die  Norm  des  Zweckes,  das  durchgehende  Prototypische, 
ideal  durch  die  Idee,  welcher  es  integrirt.  Inwiefern 
dies  Mass  in  einem  Vielfachen  erscheint,  wird  es  zum 
Ebenmass.  Mit  der  Fülle  des  Erscheinenden  wächst  die 
Macht  des  Gedankens  und  die  Herrschaft  des  Masses. 
Und  dementsprechend  tritt  die  wunderbare  Schönheit  und 
die  grossartige  Harmonie  der  Erscheinungen  immer  deut- 
licher  in's    Licht.     „Das  plastische  Kunstwerk   zeigt   das 

•)  n,  134  f. 


<^  107  2x^ 

Mass  in  seiner  lautersten  Vollendung."  Ja,  es  ist  das 
innere  Mass,  welches  allein  durch  den  Zweck  zu  verstehen 
ist,  den  Dingen  eingeboren.  ^)  „Das  Mass  der  Glieder 
im  organischen  Leibe,  das  Mass  der  Tugenden  in  der 
ethischen  Welt,  das  Mass  eines  Kunstwerkes  und  anderes 
solches  sind  Begriffe,  die  in  dem  höheren  Begriff  des 
Zweckes  wie  in  ihrer  Angel  mhen."  -)  Die  reale  Aus- 
wirkung des  Masses  der  Dinge  ist  das  grosse  Werk  des 
Zweckes. 

Wenn  in  einem  Ganzen  alle  Teile  so  geordnet  sind 
und  das  innere  Mass  solches  Ausreifen  erlangt  hat,  dass 
jenes  dem  Zwecke  seiner  Gattung  durch  und  durch  ent- 
spricht, dann  offenbart  es  seine  Wahrheit.  ^)  Das  Wahre 
besteht  hiernach  in  der  vollkommenen  Erfüllung  der 
Teile  zum  Zweck  des  Individuums  innerhalb  der  Con- 
gmenz  zur  Gattung  als  dem  höheren  Zweck.  Ohne 
völlige  Darstellung  der  Teile  bleibt  der  niedere  Zweck 
unerreicht,  und  das  Ganze  ist  in  Rücksicht  der  Allge- 
meinheit, zu  welcher  es  gehört,  unvollkommen  und  un- 
wahr. Das  nicht  bis  zur  Vollendung  herausgebildete 
Ganze  ist  schon  an  sich  unwahr,  denn  es  gebricht  ihm 
an  unverkümmerter  Wirklichkeit.  Um  wie  viel  weniger 
ist  es  ungetrübte  Objectivirung  des  weiteren  Ganzen! 
Das  objectiv  Wahre  erfordert  also  am  Individuum  die 
genaueste  Ausprägung  des  Gattungszweckes.  In  diesem 
Sinne  bezeichnet  man  ein  Musterexemplar  einer  Pflanze 
oder  eines  Thieres,  inwiefern  es  die  Gattung  rein  und 
voll  darstellt,  als  wahr.  Aehnlich  nennt  man  Socrates 
einen  wahren  Philosophen,  Pericles  einen  wahren  Staats- 
mann, Caesar  einen  wahren  Feldherrn,  Shakespear  einen 
wahren  dramatischen  Dichter.     Da    die    Realisirung    des 


»)  I,  349  £f.     2)  ib.,  p.  352.    »)  II,  138.  93 


-^  108  s^ 

weiteren  Ganzen  in  dem  Aufnehmen  desselben  in  den 
inneren  Zweck  des  näheren  beruht,  und  da  wieder  nur 
der  innere  Zweck  des  erstcren  aufgenommen  werden 
kann,  so  ist,  kurz  gesagt,  das  Wahre  der  adaequatc  Aus- 
druck des  inneren  Zweckes. 

Verwandt  mit  dem  Begriff  des  "Wahren  ist  derjenige 
des  Schönen.^)  Das  Wahrzeichen  desselben  ist  die 
Erregung  unseres  Wohlgefallens  durch  das  sinnlich  An- 
geschaute. Ihr  Mass  ist  die  Uebereinstimmung  mit  dem 
auffassenden  Organ.  Das  Schöne  gefällt  unmittelbar.  Es 
antwortet  unserem  eigensten  Wesen.  Der  innere  Zweck  wird 
in  ihm  wesentlich  auf  den  Anschauenden  bezogen.  Unser 
Denken  will  das  Gleichgeartete,  den  Gedanken  im  Sein,  auf- 
finden. Gelingt  dies  beim  ersten  Wurf,  erschliesst  sich  das 
Gegenständliche  sogleich  als  gedankenvolles,  vom  Denken 
durchdrungenes,  so  erkennen  und  empfinden  wir  es  als 
schön.  Derart  kann  auch  die  Wahrheit,  die  Idee,  Wohlge- 
fallen erzeugen,  ja  den  Geist  entzücken.  Die  in  wachsender 
Klärung  oder  blitzschnell  erfolgende  Conception  der  er- 
habenen Idee  begeistert  z.  B.  den  Künstler.  Der  innere 
Zweck  aber,  so  in  Relation  zum  Anschauenden,  und  der 
äussere  Zweck,  in  solcher  Unmittelbarkeit  erkannt,  er- 
geben die  organische  Schönheit.  Sie  sind  darin  eigen- 
tümlich mit  einander  verschmolzen.  Jener  realisirt  aus 
der  Idee,  dieser  idealisirt  das  Reale.  Dort  wird  das 
Erscheinende  an  sich,  hier  noch  bezüglich  dos  Organes 
der  Erscheinung,  der  Anschauung,  geschaffen.  Ersterer 
bildet,  letzterer  ziert  und  verleiht  so  zu  sagen  dem  Mo- 
nument das  Ornament.  So  entspricht  die  organische 
Schönheit  auch  den  Zwecken  der  Erscheinung.  „Indem 
ihr  Ebenmass    nur    durch   den    eigenen  Zweck  hervorge- 


1)  II,  139  f.  463.    437  f.  (Fries). 


^iH3  109  Q^ 

bracht  zu  sein  scheint,  da  dieser,  in  allen  Teilen  der 
Form  gegenwärtig,  allenthalben  durchblickt:  scheint  sie 
wieder  nur  für  die  Anschauung  da  zu  sein,  die  sich  in 
ihr  der  eigenen  Harmonie  bewusst  wird.  So  stimmen 
die  objective  Betrachtung  und  die  subjective  Beschauung 
in  wunderbarer  Befriedigung  überein." 

Im  Wahren  und  Schönen  tut  sich  somit  ein  neues 
grosses  Gebiet  des  Zweckes  auf. 

Als  besonders  mächtig  aber  ist  der  Zweck  endlich 
noch  im  Ethischen  zu  erkennen.  Was  in  der  Maschine 
die  letzte  Einheit,  im  Organismus  lebendiger  Mittelpunct 
ist,  wird  im  Menschen  zum  Selbstdenken  und  Selbst- 
wollen, ^)  Die  Empfindung  der  Lust  als  geförderter 
Zweck,  diejenige  der  Unlust  als  gehemmter  Zweck  bilden 
in  uns  ein  Eigenes  in  sich.  ^)  Mitteninne  zwischen  sol- 
cher Mehrung  oder  Minderung  des  Daseins  ist  stets  und 
als  ein  Constantes  das  einheitUche  Selbstbewusstsein.  ^) 
Höher  stehend  als  die  Selbstempfindung,  ist  es  dem  in 
stetem  blinden  Kreislauf  befangenen  Materiellen  entrückt 
und  überlegen.  In  ihm  erzeugt  die  Einheit  als  das  Erste 
die  Yielheit,  das  Ganze  die  Teile,  wie  Tätigkeiten,  Yor- 
stellungen.  Zustände,  allein  in  diesem  endlosen  Wandel 
und  Wechsel  des  Erzeugten  „verliert  sich  das  Selbstbe- 
wusstsein nicht;  sondern  sich  selbst  gewiss  schwebt  es 
frei  und  rein  darüber."  ^)  Das  Selbstbewusstsein,  aus 
keiner  äusseren  Erfahrung  abzuleiten  und  Begriffe  a  priori 
in  sich  tragend,  ist  nicht  Resultat,  etwa  electrischer  Kräfte 
der  Nerven,  die  doch  nimmermehr  etwas  von  sich  wissen 
können,  sondern  Princip,  Ursprüngliches,  Erstes,  funda- 
mentale Einheit  des  Lebens,  aus  dem  zufälligen  Zu- 
sammentreffen  der   Yielheit    nicht    nur    nicht    entstanden 


•)  II,  82  f.  91  f.     2)  11^  83  f.  R,  27  f.     ^)  II,  84  f.     *)  H,  85. 


G^  110  e^^ 

und  dadurcli  bedingt,  sondern  von  Anfang  an  in  ruhiger 
Freiheit  über  dieselbe  herrschend.  Die  so  beschaifeue  Wesen- 
heit des  Menschen  geht  über  das  Organische,  welches 
zwar  auch  ein  Selbst  ist  und  dessen  Ausprägung  erstrebt, 
wie  über  das  Thierische,  in  welchem  der  innere  Zweck 
im  Grundbegehren  der  Selbsterhaltung  des  Lebens  auf- 
geht, weit  hinaus.  Der  Mensch  denkt  und  sein  Denken 
durchdringt  seine  Zwecke.  Der  richtende  Zweck  in  ihm, 
die  innere  Bestimmung,  der  Gedanke  des  Wertes  seines 
Lebens  ist  ihm  bewusst.  Durch  das  Denken  ist  er 
einerseits  des  Allgemeinen  fähig,  andererseits  der  Be- 
stimmung und  Durchsetzung  des  Besonderen  (der  Teile) 
mächtig.  Der  Geist,  im  Organischen  wie  gebunden,  ent- 
faltet dann  seinen  Reichtum  und  all'  seine  Herrlichkeit.  ') 
Er  treibt  zur  weitgehenden  Verzweigung  des  inneren 
Zweckes  im  Handeln,  zur  Ausdehnung  des  Wissens,  zur 
Allseitigkeit  des  Wollens,  aber  immer  die  Einheit  wahrend. 
Er  ringt  nach  zunehmender  Befreiung  des  inneren  Zweckes 
von  Hindernissen  und  Hemmungen,  da  letztere  die  Ein- 
heit gefährden.  Zumal  aber  erstrebt  er  die  Ueberwindung 
des  Zwiespaltes,  welcher  entspringt,  wenn  der  Zweck  des 
Eigenlebens  als  die  Zwecke  des  Ganzen  fliehend  oder 
als  von  ihnen  eingeengt  erscheint,  und  wenn  in  ihm 
selbst  die  Zwecke  des  Sinnlichen  und  Vernunftlosen  als 
Teile  dem  Ganzen  und  Höheren,  Vernünftigen  zu  wider- 
streben drohen.-)  In  alledem  ruht  das  Ethische,  sei 
es  des  einzelnen  Menschen,  sei  es  der  Gemeinschaft.  ^) 
Der  Zweck,  in  der  Natur  objectiv,  wird  im  Menschen 
subjectiv,  ja  gleichsam  persönlich  im  Willen.  Hierbei 
sind  Wille  und  Freiheit  des  Willens  Hauptbestimmungen 
des    Ethischen.     Das    sittHche    Wollen    hat    jedoch    nur 


')  (x;  I,  820.     2)  B.,  70  f.     3)  R,  43  f. 


dann  Platz,  wenn  es  vermag,  auf  das  Motiv  des  Ge- 
dankens der  Idee  des  menschlichen  Wesens  als  des  End- 
zweckes ' ")  zu  handeln.  Und  die  Freiheit  besteht  darin, 
„im  "Widerspruch  mit  den  Begierden  und  unabhängig 
von  sinnlichen  Motiven  das  nur  im  Gedanken  erfasste 
Gute  (d.  h.  jenen  Endzweck)  zum  Beweggrund  zu  haben"*^), 
und  im  Vermögen,  der  inneren  Hindernisse,  welche  dem 
unbedingten  Gebote  der  jederzeitigen  Erfüllung  des 
menschlichen  Wesens  widerstreiten,  Herr  zu  werden. 
Auf  solche  Weise  wird  der  Zweck  im  Ethischen  „frei 
empfangen,  eigentümlich  gestaltet  und  be\Yusst  voll- 
zogen." ^)  Es  zeigt  darum  die  ethische  Geschichte  des 
Menschengeschlechtes  den  Zweck  des  Erkennens  in  Er- 
weiterung und  Vertiefung  der  Erkenntniss,  den  des 
Wollens  in  Mehrung  und  Steigerung  der  Organe  des 
Willens  und  in  wachsender  Bestimmung  des  Willens  selbst 
aus  der  Macht  der  Vernunft  ^),  die  Freiheit  der  Zweck- 
setzung, die  aus  der  Begrenzung  sich  erhebend,  erhabene 
Triumphe  feiert  ^),  und  den  Sieg  des  Zweckes  überhaupt. 
Alles  Sittliche  aber,  das  gewordene  wie  das  noch  wer- 
dende, hat  die  sittliche  Person  '")  des  Einzelnen  oder,  in 
weiterem  Sinne,  der  Gemeinschaft  zum  Anker  und  Stern. 
Das  Ich,  ein  sich  zusammennehmendes  Ganze,  strahlt  in 
seinen  Zwecken  selbstbewusst  aus.  Was  seinem  Wesen 
als  dem  inneren  Zwecke  entspricht  oder  widerspricht, 
wird  durch  die  Freiheit  Gesittung  zum  Guten  oder  Ent- 
sittlichung zum  Bösen.  Es  liegt  in  der  Macht  der  Per- 
sönlichkeit, der  Selbstsucht  des  Teilzweckes  zu  wehren 
und  die  Erfüllung  des  Zweckes  der  ganzen  Wesenheit 
dadurch  zu  mehren,  "^j  Es  ist  ihm  die  Möglichkeit  der 
Realisirung     des     im     unbedingten    Gebote    des    letzten 

1")  R,  41.   »1)  n,  93.  fv;  R,  48  f.    ^)  II,  435.  ex;  229.    »)  n,  122. 
*)  n,  187.    ^)  II,  14Ü  f.    «)  II,  91. 


Zweckes  gegebenen  Notwendigen  verliehen.  "Wird  nun 
der  Zweck  in  allen  seinen  Beziehungen,  in  der  ganzen 
Harmonie  seiner  Erscheinung,  im  umfassenden  Durch- 
walten seines  Principes  erkannt  und  für  das  ganze 
menschliche  Leben  anerkannt  und  im  Gebiete  des  Han- 
delns jederzeit  angestrebt,  so  reift  die  "Weisheit,  Die 
tätige  Hingabe  sodann  an  den  allseits  erkannten  Zweck, 
der  nie  ruhende  Eifer,  ihn  zu  verwirklichen,  die  rastlose 
Bemühung  im  Aufsuchen  aller  erdenkbaren  Mittel,  die  an- 
dauernde Unverdrossenheit  in  der  Bearbeitung  und  Verwen- 
dung der  Mittel,  die  Aufopferung  womöglich  des  eignen  Seins 
zum  Heile  eines  anderen  oder  zum  Wohle  der  Gemeinschaft 
ist  die  L  i  e  b  e.  ^)  Ferner  ergiebt  das  lebendige  persönliche 
Mass,  in  welchem  sich  die  inneren  und  äusseren  Elemente  aus- 
gleichen, die  Abkläi-ung  der  Vollkommenheit  des  Wesens  im 
entsprechenden  Wirken,  die  harmonische  Darstellung  des 
inneren  Zweckes  in  den  äusseren  Handlungen,  das  Vor- 
ausschauen der  Teile,  die  vollwerte  Einbeziehung  der 
Wirkung  in  die  Ursache,  die  Durchsetzung  des  zu  Voll- 
ziehenden mit  dem  Ganzen  als  dem  permanenten  Correc- 
tiv,  das  Meiden  des  Zuviel  als  eines  zweckstörenden, 
die  Besonnenheit,  Wo  aber  Intensivität  des  Werk- 
zeuges für  den  Zweck  obwaltet,  wo  die  Schneide  des 
Mittels  geschärft,  die  Kraft  der  Einwirkung  vervielfacht 
und  die  Materie  mit  aller  Spannkraft  des  Gedankens 
bearbeitet  wird,  wo  die  Kühnheit  der  Idee  wächst  und 
ihre  Siegeslust  mit  dem  Widerspruch  steigt  und  so  das 
Ich  mit  allem  Nachdruck  und  unentwegt  seiner  Selbst- 
verwirklichung obliegt,  da  und  dann  offenbart  sich  die 
Beharrlichkeit.  Inwiefern  weiterhin  das  Glied  dem 
Ganzen  sich  willig  unterordnet,  seinen  Zweck  nur  auf  der 
Basis  des  allgemeinen  erstrebt,  des  Eigenwillens  sich  soweit 
')  ,^  II,  435, 


'V^  113  (sx^ 

begiebt,  als  der  höhere  es  erheischt,  ja  nur  dann  seines 
Daseins  froh  wird,  wenn  durch  seine  Dienstwiiligkeit  das 
Ganze  gedeiht;  inwiefern  also  der  Mensch  als  Glied 
häuslicher,  kirchlicher  oder  staatlicher  Gemeinschaft  sich 
gerne  unterordnet,  freudig  einordnet,  und  wenn  nötig 
lieber  Einbusse  vom  eignen  Sein  erleidet,  als  Zerstörung 
der  übergeordneten  Zweckverwirklichung  duldet:  zeigt 
sich  der  Gehorsam.  Die  Wechselwirkung  aber, 
welche  die  Glieder  unter  einander  und  innerhalb  des 
Ganzen  so  ausüben,  dass  eines  das  andere  fördert,  keines 
dem  andern  schadet,  dass  im  Mitseienden  und  Beigeord- 
neten die  gleich  volle  Darstellung  des  Allgemeinen  vor 
sich  geht,  ja  sogar  jedes  das  Mass  eines  jeden  wird,  er- 
giebt  die  Gerechtigkeit.  Wenn  nun  endlich  das 
ethische  Subject  in  solcher  persönlichen  Auswirkung  des 
selbsteigenen  Zweckes  wie  desjenigen  einer  Gesammtheit, 
zu  welcher  er  zählt,  Harmonie  des  Erkennens  und 
Wollens,  Uebereinstimmung  der  Entfaltung  seines  Wesens 
aus  der  inneren  Freiheit  gewinnt,  so  tritt  an  ihm,  höher 
als  die  organische  Schönheit  und  „schöneren  Antlitzes  als 
jede  andere,"^)  die  sittliche  Schönheit  (xakoxaya^ta) 
hervor.  So  erfährt  der  Zweck  im  Ethischen  die  höchste 
Steigerung  und  sein  Reich  die  gewaltigste  Mehrung,  und 
es  bleibt  nur  beklagenswert,  dass  Tr.  eine  systematische 
Darstellung  der  Ethik  gemäss  dem  zumal  in  ihr  macht- 
vollen Zweckprincip  nicht  gab,  wodurch  das  Intensive 
und  Weite  des  Zweckes  zweifelsohne  zur  noch  helleren 
Einsicht  gebracht  worden  sein  würde.  *  ^)  Insgesammt  aber 
kam  in  diesem  ganzen  Abschnitte  unserer  Untersuchung 
die  mächtige  Tiefe  und  die  grossartige  Ausdehnung  der 
Herrschaft  des  Zweckes  in  ungeahnter  Fülle  zu  unserer 
staunenden  Erkenntniss. 


^)  II,  141  und  52.  ''^}  cf.  R.  Eucken,  Beiträge  etc.,  s.  o.,  p.  135. 

8 


^7^9  114  QX^ 

Was  will  es  dagegen  bedeuten,  wenn  an  äussersten 
Puncten  dieses  umfassenden  Zweckbereiches  relative  Be- 
schränkungen eintreten?  Zwar  ist  schon  das  dem  Zweck- 
geschehen zunächst  Liegende,  das  Materiale  aus  der  Materie, 
in  etwas  begrenzt,  da  der  Stoff,  der  fremde  und  unheim- 
liche, den  Zweck  beengt,  die  Materie  ihn  kränkt,  die 
Natur  denselben  hemmt  ^),  indess  der  Sieg  der  Ver- 
geistigung des  Materiellen  durch  den  Zweck  ist  dennoch 
nicht  aufzuhalten,  da  das  Beschränkende  nicht  inneliegt, 
sondern  nur  anliegt,  nicht  vor-,  sondern  nachwirkt, 
concurrirt,  aber  nicht  durchwaltet,  ein  Residuum  nur, 
doch  kein  Nerv  der  Sache  selbst.  Eine  andere  Be- 
grenzung des  Zweckvollzuges  entspringt  aus  der  Not- 
wendigkeit, falls  man  dieselbe  nur  äusserlich,  als  starre 
und  formale  fasst.  ^)  Allein  dieselbe  ist  mit  Nichten  der 
feste  Punct  des  Gegenstosses ,  sondern  vielmehr  das 
Punctum  saliens  der  Gfemeinschaft  zwischen  Denken  und 
Sein.  Sie  hat  somit  einen  realen  Inhalt,  einen  flüssigen 
Kern  in  harter  Schale.  Obwohl  die  erste  Strenge  des 
Zweckes  im  Notwendigen  leiden  muss,  so  lässt  er  doch 
in  seiner  Energie,  die  aus  der  Coincidenz  mit  der  wir- 
kenden Ursache  fliesst,  nicht  ab,  die  Notwendigkeit  mit 
dem  Leben  des  Geistes  zu  beseelen  ^),  und  die  Ueber- 
legenheit  muss  schliesslich  auf  seiner  Seite  sein.  Der 
fremde  Zwang,  die  ferne  Gebundenheit  wird  von  der 
vorwärtsdringenden  Freiheit  des  Gedankens  immer  weiter 
zurückgetrieben.  Auch  das  in  die  Dinge  gegossene  Ge- 
setz *),  die  stabilirte  Form,  das  festgefügte  Allgemeine 
kann  dem  Zwecke  zur  Schranke  werden.  Es  ist  jedoch 
nicht  ausgeschlossen,  dass  der  Zweckgedanke,  wie  um 
eine  Kette  an  sicherem  Puncte  aufzuhängen,  um  ein  Ent- 


»)  n,  91,  137,  193.     2)  n^  187  f.    3)  jj^  i85.  ex.  411.    *)  II,  190. 


r!H3  115  QX' 

schwebendes  zu  binden,  ein  Festes  zu  brechen,  gerade 
das  Gesetz  zum  Mittel  seiner  Verwirklichung  erhebt,  und 
wenn  auch  nicht  neben,  so  doch  innerhalb  und  überhalb 
desselben  frei  waltet.  Ingleichen  wäre  das  spielende 
Zufällige,  dies  halb  Bedingte  und  endlos  Variirende  und 
durchweg  Relative  ^),  geeignet,  dem  Zwecke  verhängniss- 
Yoll  zu  werden.  Doch,  da  es  Bestimmtheit  im  Sein  und 
der  Zweck  Grundlage  des  Seins  ist,  so  muss  es  mit  wach- 
sender Wahrscheinlichkeit,  ja  zuletzt  notwendig  mit  dem 
in  seiner  Yerwirklichung  immer  weiter  vorrückenden 
Zwecke  einmal  zusammentreffen,  worin  es  aber  von  diesem 
sogleich  zur  Mittelschaft  verwandelt  wird.  Weiterhin 
dürfte  das  Finale,  dies  Vorausschauende  und  Vorher- 
bestimmende, vom  blinden  Causalen,  der  ehernen  Form 
unbewusster  Consequenz,  auf  den  ersten  Blick  gänzlich 
zu  scheiden  und  in  diesem  eine  unüberschreitbare  Grenze 
für  jenes  zu  statuiren  sein.  Indess  ist  hier  wieder  ein- 
zuwenden, dass  der  Gedanke,  mit  der  Kraft  der  wirkenden 
Ursache  sich  erfüllend,  in  ihrem  Fliessen  ^)  sich  fixirend, 
ihr  Bildungsgesetz  bestimmend  und  sich  aneignend  ^), 
diese  Schranke  in  sich  fasst,  dadurch  aufhebt  und  so- 
zusagen darüber  zur  Tagesordnung  übergeht.  Wie 
namentlich  in  der  organischen  Wechselwirkung  das  Wech- 
selverhältniss  der  wirkenden  Ursache  völlig  enthalten 
ist  ^),  so  vollzieht  sich  insgemein  der  Zweck  durch  die 
wirkende  Ursache  ^)  und  dies  zudem  derart,  dass  er  ihr 
unwandelbares  Gesetz  der  Succession  umkehrt.  So  geht 
die  Causahtät  in's  Zweckgeschehen  auf  und  •  der  Zweck 
wird  zur  Zweckursache  ^■'')  (s.  o.).  Endlich  kann  als 
Grenze  des  Reiches  der  Zwecke  dies  bezeichnet  werden, 
dass    er    in    seinem   innersten  Wesen   im  Metaphysischen 

^)  II,    192.     2)  n,   162.     3)  II,    124.     ")  II,    129.     *)  ib.  ex;  462. 
5")  <xj  II,  472. 

8* 


1/13  116  <3ßc 

wurzele.  Und  fürwahr,  es  könnte  der  Zweckgedanke  im 
Grunde  der  Dinge  nicht  sein,  geschweige  denn  schöpferisch 
walten,  wenn  er  nicht  im  schaffenden  göttlichen  Denken ') 
basirte.  Ja,  der  Zweck,  der  das  Ganze  vor  den  Teilen 
bestimmt  und  diese  in  jenem  determinirt,  ein  Prius  des 
Idealen,  ist  in  das  absolute  Prius  der  Idee  '")  gegründet; 
er,  als  Eegierer  der  Weltbildung,  ruht  in  Gott  ''^),  dem 
grossen  Geist,  der  Zeit  wie  Ewigkeit  schauet  ^%  alles  Ge- 
schehen, auch  dasjenige  des  Zweckes,  in  Einem  durch- 
dringt und  überblickt;  so  im  Ewigen  inbegriffen  wird  er, 
in  seinem  lichten  Praestabiliren  zukünftiger  Harmonie, 
in  der  Ueberwachung  des  Werdens  der  Teile,  in  der 
Verhütung  des  unmöglich  sein  Sollenden  gleichsam  pro- 
videntiell,  ja  die  Providenz  selbst.  ^)  Doch  erkennen  wir 
im  metaphysischen  Wesen  des  Zweckes  nicht  nur  keine 
Begrenzung  desselben,  sondern  dagegen  eine  unendHche 
Entschränkung ;  gleichwie  das  Meer  den  Wassern  des 
einmündenden  Stromes  weitesten  Raum  gewährt,  so  findet 
das  schon  endlich  unübersehbare  Reich  des  Zweckes  die 
höchste  Erweiterung  und  grösste  Vertiefung  im  Gött- 
lichen. Tr.'s  meisterhafter  und  glanzvoller  A.ufbau  des 
Reiches  des  Zweckes  bleibt  hiernach  unerschüttert  und 
immer  gleichen  Rühmens  wert. 


Man  darf  nunmehr  darauf  gespannt  sein  zu  erfahren, 
wie  dieser  so  inhaltsvolle,  dazu  tief  begründete,  freilich 
viel  umstrittene,  aber  doch  ein  mächtiges  Reich  consti- 
tuirende  und  erfüllende  Begriff  des  Zweckes  im  Zusammen- 
hang des  ganzen  Systems  Tr.'s   sich   verhalte.     Hierzu 


')  I,  99.  (x;  n,  467.    \)  II,  462.  ^)  II,  136.    ^)  I,  229.  •»)  11,  144. 


"^^9  117  <2X^ 

bemerken  wir  zunächst,  dass  Tr.  das  Systematische  seiner 
Forschung,  Princip  wie  Resultat  derselben,  nicht  ohne 
Weiteres  greifbar  dargelegt  hat,  ja  dass  die  Benennung 
„Logische  Untersuchungen"  eher  eine  Vielheit  als  Einheit 
anzudeuten  scheint,  wogegen  es  allerdings  wirksamer  ge- 
wesen wäre,  für  jene  Bezeichnung  vielleicht  die  Aufschrift : 
„Bewegung,  Ursache  und  Zweck"  zu  wählen.  Es  liegt  in 
der  Eigenart  unseres  Philosophen,  in  objectiver  Zerglie- 
derung des  Objectes  der  Tatsache  im  Denken  und  Sein 
einfach  der  logischen  Entwickelung,  die,  wenn  in  richtiger 
Bahn,  unfehlbar  die  Einheit  finden  und  darstellen  muss, 
zu  vertrauen,  wie  er  denn  bezüglich  der  Deduction  des 
Zweckes  sagt:  „Die  Untersuchung  nimmt,  von  der  Sache 
selbst  geführt,  einen  eigenen  Weg. "  ^)  In  dieser  Methode 
streng  sachlichen  Forschens  gewinnt  er  indertat  die  Er- 
kenntniss  der  Einheit,  nämlich  der  Denken  und  Sein  ver- 
mittelnden Bewegung  (s.  o.).  Letztere  wird  ihm  durch- 
waltendes Grundprincip.  Die  Beziehung  des  Bewegenden 
zum  Bewegten  ergiebt  die  Causalität  ^),  diejenige  des  zu 
Bewegenden  zu  dem  Bewegenden  die  Finalität  ^).  Hierin 
aber  sind  bereits  die  Grundmauern  des  gesammten  Denk- 
gebäudes erkennbar.  Tr.'s  System,  von  ohnehin  wertvollen 
scharfsinnigen  logischen  Erörterungen  vorbereitet,  rings  um- 
geben und  zuweilen  wie  verhüllt,  wird  und  reift  ihm  der- 
gestalt ungesucht,  und  klärt  sich  für  uns  immer  lichtvoller 
ab,  bis  es  zuletzt  in  reinster  Schönheit  sich  völlig  enthüllt. 
Da  nun  der  Zweck  ein  wesentlicher  Teil  desselben  ist, 
so  muss  der  Zweckbogriff  in  inniger  Verknüpfung  mit 
dem  Zusammenhang  des  Ganzen  stehen. 

Das  Systematische  der  Philosophie  Tr.'s  erhellt  weiter, 
wenn   wir  mit   ihm  selbst  erwägen,   was  System  heisse  ^) 


')  n,  30  f.     2)  fvj  I,  332.     ')  fx..  II,  31.     *)  II,  408  f. 


riK3  118  av 

und  darauf  hin  seine  eignen  Ausfühmngen  prüfen.  Das 
Gemeinsame  in  den  jeder  Wissenschaft,  zumal  aber  in 
der  Philosophie  vorliegenden  Problemen  ist  das  Metaphy- 
sische. Dasselbe  muss  als  letzter  Grund  ungeteilte  Einheit 
sein.  Dementsprechend  wird  die  metaphysische  Betrachtung 
fortschreitend  der  Einheit  sich  nähern.  Auch  die  dieser 
Betrachtung  zugewendete  Methode,  die  Logik,  zeigt  Ein- 
heit auf,  insofern  sie  auf  ihren  verschiedenen  Wegen  und 
in  ihren  immer  neuen  Antrieben  stets  die  Eine  Kunst, 
ihr  sich  selbst  getreues  Wesen,  strenge  Notwendigkeit 
der  Folgerung  im  Aufsuchen  des  Notwendigen  unausgesetzt 
kundgiebt^).  Auf  eine  Einheit  des  Ganzen  der  Erkennt- 
niss,  eine  Zusammenfassung  und  Zusammenhaltung  von 
Denkmomenten  unter  einen  letzten  Gesichtspunct  in  Kraft 
eines  ersten  Principes  ist  auch  das  System  gerichtet.  Es 
ist  die  Einheit  Eines  erweiterten,  umfassenden  Gesammt- 
urteiles,  wie  schon  im  einfachen  Urteil  Einheit  zwischen 
Substanz  (Subject)  und  Tätigkeit  (Prädicat)  hergestellt 
wird-).  Die  Einheit  des  Systems  entsteht  aber  entweder 
durch  Anordnung,  Verwendung  von  Fertigem,  Yerbindung 
des  Verwandten,  durchsichtige  Einteilung,  übersichtliche 
Gruppirung  (descriptiv)  oder  durch  Entwickelung,  Er- 
zeugung aus,  Gestaltung  nach  einem  Princip  und  Werden 
aus  den  inneren  Gründen,  überhaupt  Entfaltung  von  innen 
(genetisch).  Das  System  sammelt,  sichtet,  richtet  und 
besonders  es  gliedert  Gewordenes  oder  Werdendes;  es 
will  dabei  ein  Gebiet  von  Erscheinungen  decken,  Tatsachen 
erklären,  Vorgänge  aufhellen.  Die  einzelnen  wissenschaft- 
lichen Systeme  streben  zu  Einem  grossen  System  des 
Weltgegenbildes  oder  der  Wcltansicht  zusammen^).  Mit 
diesen  Merkzeichen   eines   Systems   der  Darstellung  har- 


')  I,  7  flf.    ^)  II,  208.    3)  11^  29. 


's^  119  '^^ 

monirt  diejenige  Tr.'s  voll  und  ganz.  Das  metaphysisch 
Eineist  die  Bewegung  als  „das  Ursprünglichste"^),  das 
in  uugekannter  grauer  Vergangenheit  hinter  ims  liegende 
Uranfängliche  wie  fort  und  fort,  doch  verborgener  Weise, 
Erhaltende"-).  Das  logisch  Eine  ist  das  zielbewusste, 
entwickelungscongruente,  streng  folgerichtige  Erforschen 
der  Wirklichkeit  im  Denken  und  Sein  und  das  durch- 
greifende Streben,  diese  Wirklichkeit  zum  Notwendigen 
zu  erheben  ^).  Wir  erkennen  in  Tr.'s  Gedankenbau  ferner 
ein  erstes  Princip  sowie  einen  höchsten  Gesichtspunct,  Be- 
wegung und  Zweck.  Das  Ganze  legt  Eine  Generalidee 
an  den  Tag,  nämlich  dass  ein  Gedanke  sei  im  Grunde 
der  Dinge,  darum  Denken  im  Sein  wie  auch  Sein  im 
Denken.  Die  Art  des  Werdens  des  Systemes  ist  vor- 
wiegend die  genetische,  die  objective  Zergliederung  des 
Tatbestandes,  dadurch  die  Aufdeckung  des  Principiellen, 
die  Verwendung  und  Verwertung  desselben,  allseitige 
Fortführung  des  jeweilig  Erreichten,  Durchdringung  auch 
der  formal  logischen  Partien  mit  dem  Grundbewegenden, 
in  Allem  aber  zielgewisser,  weil  auf  richtiger  Basis  be- 
ruhender, in  fester  Ordnung  beschlossener  architectonischer 
Aufbau  des  Ganzen.  Doch  erfährt  auch  das  Descriptive 
Beachtung,  wenn  Reihen  von  Tatsachen  und  Belegen  an- 
geführt, einbezogen  und  eingeordnet  werden.  Hervor- 
ragend aber  ist  die  genaue  Gliederung,  die  sorgfältige, 
doch  geniale  Abstufung  der  Grundbegriffe,  die  wir  als- 
bald näher  erwägen  werden.  Dass  aber  die  Bewegung 
Alles,  die  wirkende  Ursache  eine  Menge  von  Erscheinungen, 
der  übergeordnete  Zweck  das  aus  jener  nicht  Deutbare 
erklärt  und  allgemeine  wie  besondere  Bewegung  durch 
den  Gedanken  erfüllt,   steht   nach  dem  Seitherigen  eben- 


')  I,  200.    ^)  <xj  I,  218.    3)  I,  13. 


n?^  120  <^^ 

falls  fest.  Und  so  geht  schliesslich  aus  dem,  was  Tr.  so 
schlicht  und  besonnen  ausgeführt  hat,  die  harmonische 
"Wahrheit  und  Schönheit  der  oi-ganischen  Weltanschauung*) 
hervor.  Daher  ist  in  Berücksichtigung  dieser  Momente 
die  Trendelenburgische  Philosophie  tatsächlich  und  voll- 
wahr als  System  zu  begreifen. 

Der  bisher  im  Allgemeinen  gezeichnete  Character  dieses 
Systems  wird  nebenher  zugleich  noch  schärfer  sich  heraus- 
stellen, wenn  nun  nicht  sowohl  das  Durchgreifen  des 
Principes  der  Bewegung  oder  des  Causalen,  welches  dar- 
zutun aber  entschieden  gleichfalls  von  Pieiz  und  Nutzen  wäre, 
als  das  Durchwalten  des  Zweckprinoipes  im  tieferen  Betracht 
aufgehellt  werden  soll.  Wir  fragen  hier  zunächst:  Wo 
trat  der  Zweck  ein,  wann  wurde  und  wenn  wird  er  als 
Princip  der  Welterklärung  unabweisbar  nötig?  Es  ge- 
schah dies  mit  dem  Unvermögen  der  Causalität,  einer 
unermesslichen  Fülle  von  Erscheinungen  Deutung  zu 
werden. 

Hiernach  hat  der  Zweck  als  das  Höhere  unter  sich 
ein  Niederes.  Das  Sein  muss  in  jenem  eine  Grenzlinie 
zeigen  und  nach  oben  wie  unten,  den  Farben  des  Spec- 
trums ähnlich,  sich  abstufen.  Das  von  ihm  abstehende 
Inferiore  aber  ist  das  physicalische  und  weiterhin  das 
mathematische,  das  mit  ihm  anhebende  Superiore  dagegen 
das  organische  und  ethische  Sein'-J.  Das  Mathematische, 
nicht  nur  als  Gegenstand  der  Abstraction,  des  Wegsehens 
von  den  physischen  Eigenschaften  eines  Körpers  „aus  der 
Vorausnahme  entsprungen"  (Aristoteles),  auch  nicht  allein 
aus  dem  Uebergang  des  Punctcs  in  die  Linie,  der  Linie 
in  die  Fläche,  der  Fläche  in  den  Körper  entstanden,  ist 
Intention  und   gleichsam   Ideal   der   Natur,    welche  zwar 


')  U,  462  flf.  R,  23  ff.     ^)  II,  144. 


nicht  die  reine  Linie,  den  strengen  Kreis,  die  völlige 
Kugel,  aber  doch  das  approximativ  Gleichgeartete  hervor- 
bringt, und  es  ist  zudem  vollendende,  das  Unvollkommene 
ergänzende,  das  Mangelnde  erratende  apriorische  Tat  des 
Geistes').  Im  Unfertigen  nun  fehlen  Teile.  Sind  solche 
hier  nicht  dargestellt,  so  ist  das  Ganze  nicht  da.  Aber 
dass  das  Ganze  zu,  in  und  aus  den  Teilen  sei,  ist  des 
Zweckes  Grundwesen.  Insoweit  ist  darum  das  Mathe- 
matische nicht  Ausdruck,  sondern,  wenn  es  hochkommt, 
nur  Ahnung  eines  Zweckes.  Dasselbe  gilt,  wenn  man 
das  Mathematische  nach  den  in  ihm  wirkenden  Tätigkeiten 
der  Bewegung  beurteilt.  Ein  innerhalb  der  Bewegung 
Liegendes,  vom  betrachtenden  Geist  Fixirtes,  aber  weder 
im  Aufhören  noch  im  Neuansetzen  der  Bewegung  zu 
Fassendes  ist  der  Punct^).  Die  unveränderte  Richtung 
der  Bewegung  desselben  ergiebt  die  Linie,  die  Bewegung 
letzterer  nach  einem  Aussen-  (ausserhalb  gelegenen)  Puncto 
die  Fläche,  das  Abbrechen  dieser  Bewegung  die  Figur, 
das  Abbrechen  der  Bewegung  der  Figur  den  Körper.  Da 
das  jeweilige  Abbrechen  das  jedesmalige  Resultat  liefert, 
da  es  zu  diesem  Behufe  beliebig  und  blindlings  geschehen 
kann,  so  ist  Yorherbestimmen  durch  den  Zweck  nicht  ge- 
boten. So  wenig  endlich  dort  in  den  Gebilden  der  Natur 
die  wunderbaren  Zahlenverhältnisse  (z.  B.  z/  =  y^)  genau 
und  vollkommen  dargestellt  sind  und  also  Teile  vermissen 
lassen,  so  wenig  ist  die  ZahP)  als  zeitliches  Nacheinander 
aus  dem  Eins  dem  Zwecke,  der  in  der  Priorität  des 
Ganzen  und  Umkehrung  der  Causalität  des  festgefügten 
Nacheinander  spottet,  zu  subsumiren,  wiewohl  auch  die 
Ordnung  und  Verbindung,  das  Mit-  und  Ineinander,  Mehnmg 
und  Mindemng,  Vervielfältigung  und  Teilung,  Combination 


1)  I,  266  f.     -)  I,  269  f.     3)  I,  276  flf. 


"^/^  122  '2^ 

und  Permutation,  Potcnzirung  und  Differcntialfunction  der 
Zahlen,  wie  insgemein  ihre  niedere  rechnerische  oder 
höhere  arithmetische  Verwendung  auf  das  Zweckmässige 
hindeuten.  Das  Physikalische,  zuvor  gleichfalls  Be- 
wegung in  die  Ausdehnung  und  Fläche,  besitzt  überdies 
ein  Neues,  und  zwar  Bewegung  in  die  Tiefe  und  Inten- 
sivität;  es  wird  das  neutrale  Fortschreiten  der  Bewegung 
dort  zur  erzeugenden  Kraft  hier*).  Dies  inhaltsvollere  Sein 
hat  den  Reichtum  der  Producte  des  Extensiven  aus  der 
Productivität  des  Intensiven.  Da  wird  das  in  der  Be- 
wegung formal  Fixirte  zum  springenden  Punct,  die  Figur, 
bislang  kahle,  todte  Fläche,  belebt  sich  mit  Farbenfülle 
und  bunter  Gestaltung,  die  Linie  wird  zur  fortlaufenden 
Kraftwirkung,  das  mathematische  Körpergcbilde  erlangt 
sozusagen  Fleisch  und  Blut.  Nun  wirken  Kräfte  mit 
und  gegen  einander,  Stoss  und  "Widerstoss,  Druck  und 
Gegendruck,  Erwärmung  und  Erkaltung  treten  ein,  Hellig- 
keit und  Finstemiss  wechseln,  Tonschwingungen  und 
Schallwellen  umwogen  uns,  die  Erregungen  des  Magnetis- 
mus werden  sichtbar,  electrische  Funken  blitzen,  electrische 
Ströme  kreisen  wundersam,  kurz  überall  regt  und  bewegt 
es  sich  lebensvoll.  So  sehr  nun  auch  das  physische  Sein 
Gesetzen,  wie  dem  des  Kräfteparallelogramms,  des  Hebels, 
der  Welle,  der  Veränderung  des  tropfbar  Flüssigen  (Ge- 
wichtsverlust im  Wasser  etc.)  der  ausdehnsamen  Flüssig- 
keiten (Absorption,  Diffusion  etc.),  der  Fortpflanzung  der 
Schallwellen,  der  Geschwindigkeit  des  Lichtes  u.  a.  ent- 
sprechen mag,  so  ist  es  dennoch  in  dieselben  nur  ausge- 
gossen, nicht  der  Gesetzgeber,  wie  der  Zweck  es  ist, 
sondern  Untertan.  Ob  ferner  auch  die  Wirkung  der 
Kräfte   zu   berechnen   ist,    so  fehlt  doch  viel,    dass  darin 

')  n,  291  f. 


'^^  123  '^^ 

die  Kräfte  selbst  sich  gesetzmässig  determiniren,  während 
sie  im  Zweckvolien  abgewogen  und  differenzirt  sind  aus 
dem  Zweck,  in  welchem  Gedanke  und  Kraft  coincidiren. 
Alsdann  bleibt  nicht  verborgen,  dass  im  Physicalischen  die 
Kräfte  zwar  nach  aussen  gehen,  allein  nicht  in  den  An- 
fang zurückkehren,  aber  dem  Zweckmässigen  kommt 
speciell  die  reflexive  Tätigkeit  zu.  Das  Physicalische 
enthält  höchstens  eine  Anbahnung  des  Zweckgeschehens. 
Die  Erfüllung  dieser  Ahnung,  der  Vollzug  des  so  An- 
gebahnten findet  durch  den  Zweck  zunächst  im  Orga- 
nischen Statt.  Hier  ist  dann  eine  innere  Berechnung  der 
Kräfte,  ein  Bestimmen  der  Qualität,  eine  Begrenzung  der 
Quantität,  inneres  Mass,  innige  Verknüpfung  des  Ganzen 
und  der  Teile,  Erzeugung  des  Ganzen  in  den  Teilen,  der 
Teile  zum  Ganzen,  Werden  der  Form  von  innen,  Ver- 
tiefung des  Causalen,  Beseelung  der  starren  Materie,  Ver- 
geistigung der  blöden  Natur,  und  dies  Alles  aus  dem  Ge- 
danken. Die  Bewegung  im  Organischen  ist  nicht  eine 
von  einem  Anderen  gerichtete,  sondern  ein  Anderes  (die 
Teile)  richtende,  keine  von  aussen  kommende  und  fremde, 
sondern  eine  innere  und  selbsteigne,  sie  ist  sehend  und 
bewusst.  Die  organische  Bewegung  erreicht,  wenn  unge- 
hemmt, immer  und  ganz  ihr  Ideal.  Zum  Zwecke  der 
Lichtempfindung  sind  im  Auge  der  höheren  Thiere 
teils  brechende,  teils  sammelnde  Medien;  die  vereinte 
Wirkung  beider  ermöglicht  vollständige  Zweckdarstellung. 
Fehlte  eines  der  Medien,  so  wäre  das  Ziel  nicht  erlangt. 
Ferner  erzeugt  diese  Bewegung  nicht,  indem  sie  blindlings 
abbricht,  sondern  sie  ist  Mittelpunct '),  von  welchem  das 
Gestalten  ausgeht,  und  zugleich  Höhepunct,  zu  welchem 
jenes   so  zurückkehrt,   dass  ohne   Abbrechen   und  Unter- 

')  <xj  n,  207. 


'VIS  124  '5^ 

brechung  die  bewegende  Kraft,  der  bildende  Gedanke, 
der  dctcrminirende  Zweck  dem  Organismus  einwohnt,  so 
dass  ein  Abbrechen  und  Innehalten  die  Zweckverwirk- 
lichung geradezu  stören  würde.  Die  Zwecktätigkeit  der 
Atmungswerkzeuge,  stets  aus  und  zu  dem  Zwecke  des 
Atmens,  darf  nicht  durchbrochen  werden  und  kann  selbst 
nicht  aussetzen,  wenn  die  Erreichung  des  Zweckes  nicht 
gehemmt  oder  gar  vernichtet  werden  soll.  Ferner  ist 
auch  im  Organischen  allseitig  Regung  und  Bewegung, 
Wirken  physischer  Kräfte,  Strom  des  Lebens,  allein 
wiederum  in  höherem  Sinne,  denn  „mit  dem  Begriff  des 
Lebendigen  geht  der  Begriff  des  Beseelten  Hand  in  Hand" ') 
hier,  wo  der  Gedanke  richtet  und  regiert,  vorherbestimmt 
und  dann  ausführt,  durchdringt  und  verschmelzt,  fördert 
und  bewacht,  bildet,  baut  und  lenkt.  Der  innere  Zweck 
ist  die  Seele  des  Organischen,  dies  selbst  der  Ausdruck 
eines  Beseelenden,  das  Substrat  eines  Geistigen,  die  Selbst- 
ausprägung eines  Denkendon,  Die  höchste  Stufe  aber 
zeigt  durch  den  Zweck  die  Sphäre  des  Ethischen.  Ob 
auch,  ähnlich  dem  Mathematischen,  die  begründende  Ge- 
sinnung die  wandellose  Bestimmung  zum  Göttlichen  hat, 
das  selbst  ewig  ist,  und  wenn  schon  fernerhin  die  zu 
erkennende  Sache  gleichsam  physicalisch  festgefügten, 
objectiven  Character  hat'^),  so  ist  nicht  nur  die  Aneignung 
der  Gesinnung  und  das  erkennende  Durchdringen  des 
Objectes  ein  organisches  Bilden,  ein  zweckmässiges  Aus- 
reifen, eine  zweckerfüllte  Selbstvervollkommnung  des  Ichs, 
sondern  auch  freie  Betätigung,  im  freien  Raum  des 
Mittels  und  Masses  sich  vollziehende  Verwirklichung  der 
Persönlichkeit.  So  erhebt  sich  eine  neue  Welt,  an  Schön- 
heit ohne  Gleichen.    Das  SittUche  ist  „eine  ursprüngliche 


0  II,  77.    ')  II,  229. 


'j^  125  <^^ 

Tat,  die  der  Mensch  aus  seinem  eigenen  Busen  nimmt"  ^). 
„Der  Greist  kommt  der  äusseren  Welt  zuvor  und  bildet 
sich  ihr  schöpferisch  ein",  und  bildet  darin  sich  selbst 
nach  freier  Zwecksetzung,  als  Ganzes  zum  Ganzen,  das 
Theoretische  der  Erfahrung  practisch  gestaltend,  am  Stoff 
den  Selbstzweck  vollziehend,  äussere  Zwecke  ordnend, 
Gegebenes  umformend,  ja  die  ganze  Welt  zum  Materiale 
der  Pflicht''')  (Fichte),  zum  Antrieb  der  Tugenden  erhebend. 

Entsprechende  Abstufung  nach  dem  Zwecke  hin  weisen 
auch  die  Grundbegriffe  des  Seins  aufJ'')  Der  Begriff 
des  Ganzen  ist  im  Mathematischen  (Figur  und  Zahl)  nur 
im  abstracten  Sinne  Substanz.  Die  geometrische  Einheit 
ist  nichts  als  das  Bild  der  die  erzeugende  (Stoff)  und 
gestaltende  (Form)  Bewegung  zusammenhaltenden  Be- 
wegung, welche  letztere  lediglich  auf  den  Act  der  Ein- 
heit bezogen  ist  und  das  in  jenem  Erst-  und  Zweitbe- 
wegenden zufolge  des  Flusses  der  Bewegung  im  Ent- 
stehen sofort  wieder  dem  Vergehen  Zuneigende  gegen- 
wärtig erhält.  -)  Das  arithmetische  Ganze  vollends,  die 
Zahl,  aus  der  absetzenden  Tätigkeit  in  der  Zeit  ent- 
springend (übrigens  auch  aus  räumlicher  Begrenzung  er- 
klärbar), in  diesem  Absetzen  das  absolute  Eins  dar- 
stellend, ist  durch  Wiederholung  des  abgesetzten  Eins 
und  wird  eben  ein  Ganzes,  indem  sie  das  Wiederholte 
zusammenfasst,  insofern  sogar  bildlos,  daher  noch  ab- 
stracter  als  die  Einheit  der  ßaumgrösse. 

Im  Physischen,  in  der  Natur,  wird  das  Ganze  materiell 
dicht  und  concret.  Die  Bewegung  ist  hierin  nicht  mehr 
durchgehend,  sondern  lixirt,  nicht  allmomentlich  offen, 
sondern  geschlossen,  ihr  Erzeugniss  ist  aus  dem  Bilde 
zur    Substanz    verdichtet    und    zur    realen    Yerkörperung 


')  I,  320  f.     1^  fxj  II,  43G.     "^)  rv;  n,  439.     -)  I,  274  f. 


'y.9  126  2>^ 

schritt  so  in  ihr  die  Idee  fort.  „Real  erzeugt  sich  die 
materielle  Gestalt  und  Grösse."  ^)  Nun  giebt  es  greif- 
bares Quantum,  messbares  Quäle,  wägbare  Masse.  Die 
Einheit  ist  flüchtig,  fliessend,  leer  und  verblasst  im  Ma- 
thematischen, doch  bleibend,  festbegrenzt,  vollinlialtlich, 
scharf  herausgestellt  im  Physicalischen.  Indess  das  in 
der  Einheit  Herrschende,  das  Ganze  Praeformirende,  die 
Teile  Determinirende  erscheint  erst  im  Organischen  durch 
den  Zweck.  Es  tritt  nunmehr  jene  wesensinnige  Wechsel- 
wirkung ein,  von  welcher  man  die  Regel  aufstellen  kann : 
Eines  für  Alle,  Alle  für  Eines,  Das  Ganze  ist  nur  durch 
die  Teile,  die  Teile  sind  nur  in  dem  Ganzen.  Diese 
Harmonie  der  Wechselwirkung  bestätigt  und  verwirklicht 
die  Idee  des  Ganzen.  Jedoch  die  Verklärung  der  Yer- 
geistigung  des  Grundbegriffes  der  Einheit  im  Organischen 
kommt  allein  mit  dem  Ethischen  zum  Durchbruch.  Ein 
freies  Ganze  ist  die  sittliche  Person,  ein  Ganzes  ihr  in 
der  Selbstbestimmung  freies  sittliches  Handeln.  Der 
innere  Zweck  wird  als  Einheit  frei  erkannt  und  gewollt. 
Da  ist  Einheit  des  Selbstbewusstseins  inmitten  wechseln- 
der Vorstellungen,  Wahrung  der  Einheit  gegenüber  dem 
Zwiespalt  zwischen  dem  Zweck  des  Ganzen  und  der 
Teile.  —  Aehnliche  Fortfühmng  zum  Zwecke  erfährt  der 
Grundbegriff  des  Teiles.  Im  Mathematischen  ist  der 
Teil  nur  ein  Quantum  der  Bewegung,  ein  Moment  des 
Punctuellen,  ein  Ansetzen  der  Linie,  Stück  einer  Fläche  etc., 
Element  des  Absetzens  zeitlicher  Tätigkeit  in  der  ab- 
stracten  Eins  oder  Bildungsfactor  der  Eins  in  jeder 
weiteren  Zahl.  Im  Physischen  hat  der  Teil  bereits 
reichere  Bedeutung,  nämUch  einer  Qualität  der  Bewegung)-; 
er  wird  kraftbegabter  Seiuspuuct,  da  die  Qualität  Princip 


')  I,  340.     2)  oo  I,  344. 


019  127  Q^ 

der  Bewegung,  Kraft  und  Tätigkeit  ist ;  aus  einem  todten 
Merkmale  reift  hier  der  Teil  zur  lebendigen  Constituante 
der  Eigenschaft.  Organ  und  Organismus  aber  haben  den 
Teil  zum  Glied.  Er  ist  demgemäss  Notwendigkeit  aus 
und  zu  dem  Ganzen,  von  ihm  durchdrungen,  zu  ihm 
dringend,  Tätigkeit  im  Gesammttun,  "Wirkung  innerhalb 
des  zu  Wirkenden,  Blick  des  durchschauenden  Gedankens. 
Im  Ethischen  endlich  kehrt  er  durch  den  freigewordenen 
Zweck  in  der  Bestimmung  des  Menschen  als  Glied  einer 
ethischen  Gemeinschaft  freier  und  in  höchster  Fülle  wieder. 
Die  sittliche  Person  ein  Glied  des  sittlichen  Reiches,  ihm 
ein-  und  untergeordnet,  in  ihrer  Selbstverwirklichung 
zugleich  das  Allgemeine  darstellend,  welch'  erhabener 
Gipfel  des  Zweckgeschehens!  —  Ebenso  vollendet  sich 
im  Zwecke  die  Kategorie  des  Masses.  Im  Mathematischen 
entspringt  das  Mass  aus  der  äusseren  Yergleichung  der 
tätigen  Bewegung.  „Das  grössere  Quadrat  weist  auf 
eine  grössere  Bewegung  hin,  die  es  construirte,  die  vollere 
Zahl  auf  eine  intensivere  Kraft,  welche  die  grössere 
Masse  der  Eins  gesetzt  und  zu  einer  Einheit  zusammen- 
gefasst  hat."  i)  Die  Messbarkeit  kommt  durch  die  Be- 
wegung auch  den  materiellen  Gestalten  zu.  Doch  wird 
hierbei  nicht  sowohl  Aeusseres  an  Aeusserem,  als  Inneres 
an  Aeusserem  gemessen.  Das  Mass  im  Physischen  ist  über- 
haupt ein  inneres,  den  Dingen  eingeboren.  Nur  bei  be- 
stimmten Massen  (wie  in  den  Zahlenverhältnissen  chemi- 
scher Zusammensetzungen  deutlich  wird)  behalten  die  Ge- 
staltungen des  Natürlichen  ihre  Eigenschaften  bei.  Allein 
im  Organischen  wird  das  Mass  ein  inneres  in  der  höheren 
Bedeutung  des  Zweckgemässen,  nämlich  inwiefern  es  dem 
"Wesen  und  Zwecke   dessen   entspricht,    welchem  es  ein- 

')  I,  348. 


'5^  128  G^ 

wohnt  und  in  welchem  es  ausgeprägt  wird.  Das  reale 
Mass  des  Physischen  wird  hier  zum  idealen  Mass  und  in 
der  Durchführung  des  letzteren  zum  Ebenmass.  Im  Sitt- 
lichen endlich  wird  es  in  der  persönlichen  Tugend  der 
Besonnenheit  frei,  ja,  in  der  umfassenden  Schönheit  des 
Ethischen,  in  der  harmonischen  Darstellung  des  Tugend- 
haften insgemein,  des  Endzweckes  überhaupt,  wird  das 
Ebenmass  in  seinem  Vollglauz  und  Grundwert  offenbar, 
—  Aufeinander  hinweisende,  zum  Zwecke  emporführende 
Stufen  treten  schliesslich  auch  am  Grundbegriffe  der 
Eigenschaften  zu  Tage,  Die  mathematische  Eigen- 
schaft beruht  in  der  Möglichkeit  neuer  Bewegung  des 
eben  bewegend  Erreichten,  z.  B.  der  Zahl  zu  neuen  Ver- 
bindungen, der  Figur  zu  weiterer  Figurenbildung').  Die 
physische  Eigenschaft  ist  an  der  Substanz  haftende  Cau- 
salität.  „Wie  jedes  Gemälde  Ton,  jeder  Stil  Farbe,  jeder 
Character  Physiognomie  hat,  so  hat  überhaupt  jedes  Ding 
Qualität"^),  Dazu  werden  die  Qualitäten  des  Physischen 
durch  die  AVechsel Wirkung  mit  Kraft  erfüllt.  Dies  inne- 
haftende  und  nach  aussen  wirkende  Dynamische  erhebt 
sich  im  Organischen  zur  reflexiven  Tätigkeit,  Sie  geht 
vom  Ceutrum  zur  Peripherie,  von  der  Peripherie  zum 
Centrum.  Anfang  und  Ende,  Ursprung  und  Ausgang  sind 
in  ihr  zu  Einem  verschlungen.  Der  Selbstzweck  des 
Organismus  spannt  sie  in  sich  selbst  zurück.  Im  Ethischen 
gar  werden  die  Eigenschaften  in  Kraft  des  freien  Zweckes 
zu  frei  erstrebten,  frei  erworbenen  Tugenden,  von  denen 
wir  oben  die  Weisheit,  die  Liebe,  die  Besonnenheit,  dio 
Beharrlichkeit,  den  Gehorsam  und  die  Gerechtigkeit  be- 
zeichneten. —  In  diesen  sämmtlichen  Abstufungen  auch 
der  Grundbegriffe  ist  der  Begriff  des  Zweckes  Ziel  und  Krone. 


')  I,  312  f.  343.     2)  I,  347. 


n^  129  Q^ 

Gleichwie  derart  die  Stufen  des  Seins  und  die  Ab- 
stufungen seiner  Grundbegriffe  auf  den  Zweck  hinführen, 
so  erfüllt  sich  das  Princip  des  Seins,  die  Bewegung,  fort- 
schreitend nach  dem  Zwecke  hin.  In  ihrem  allgemeinen, 
umfassenden,  voraussetzungslosen,  unbestimmten  Wesen 
ist  die  Bewegung  das  ursprünglichst  Reale ^),  die  ver- 
breitetste  und  elementarste  Tätigkeit-),  das  frei  und 
apriorisch  Erzeugende^).  So  erweist  sie  sich  als  das  schlecht- 
hin Erste.  Und  als  solches  erscheint  sie  „einfach  und 
fast  leer"**),  weil  in  die  Vielheit  des  Empirischen  noch 
nicht  sich  individuirend.  Sie  ist  insoweit  erste  Energie 
des  Denkens  und  Seins  ^),  der  begiündende  Anfang,  der 
allgemeine  Ursprung,  der  erste  fortwirkende  Anstoss,  einer 
Ursache  nicht  bedürfend^).  In  diesem  Uranfänglichen  der 
Bewegung  liegt  zugleich  ihre  Freiheit,  in  unendlichen 
Richtungen  tätig  zu  werden";.  Als  das  reine  Absolute 
gebiert  sie  nun  Raum  und  Zeit^),  wodurch  dem  Ersten 
ein  Zweites  folgt,  innerhalb  des  Raumes  und  der  Zeit 
aber  erzeugt  sie  dann  Figur  und  ZahP),  Gestalt  und 
Grösse,  Eigenschaft,  Wechselwirkung  und  Kraft  ^°). 

Stellen  wir  uns  jetzt  in  die  Empirie  des  Bewegten, 
aus  dem  Bewegenden  Producirten  hinein  —  und  wir  haben 
ja  immer  zunächst  den  Fortgang,  aber  nicht  den  Anfang 
der  Bewegung,  das  Erzeugte,  doch  nicht  so  das  im 
Grunde  jeweilig  Erzeugende,  geschweige  denn  das  Erst- 
erzeugende vor  und  um  uns  — ,  greifen  wir  ferner  aus 
der  Menge  der  Bewegungsproducte  ein  beliebiges  einzelnes 
heraus  und  betrachten  wir  die  darin  anhaltende  Bewegung 
rücksichtlich  der  vorangehenden,  mit  welchem  jene  — 
continuirlichem  Erst-  und  Grundbewegenden  eingeordnet 
—  zusammenhängt,   sowie   hinsichtlich  der  folgenden  Be- 

')  I,  197  ff.  »)  I,  13Sff.  ^)  I,  234  f.  *)  II,  31.  ")  1,369. 
«)  I,  107.     ')  I,  234.     «)  I,  321.  332.    «)  I,  267  ff.  289.    '">)  I,  342ff. 

9 


'i^  130  a^ 

wegung,  die  wegen  des  nämlichen  Continuums  sich  an- 
schliessen  muss,  so  haben  wir  lange  nicht  mehr  das  ab- 
solute Was  der  Bewegung,  sondern  vielmehr  das  Woher 
der  Individuation  derselben  darin  zu  constatiren.  In  allen 
so  angeschauten  Erzeugnissen  der  Bewegung  ist  die  be- 
stimmende Macht  die  wirkende  Ursache  mit  dem 
Woher').  Hier  ist  Besonderung  des  Allgemeinen  der 
Bewegung:  keine  umfassende  Macht  ist  darin  ihr  zuge- 
schrieben, sondern  es  befasst  und  begrenzt  sich  dagegen 
die  Bewegung  im  engen  Producte,  Eine  Bewegung  setzt 
dabei  die  andere  voraus,  die  zweite  wird  aus  der  ersten, 
die  dritte  aus  der  zweiten  u.  s.  w.  genauer  bestimmt. 
Das  Product  der  Bewegung  ist  ein  Zusammengesetztes 
und  in  sich  Yolles.  Es  bietet  Gewirktes  aus  dem  Wir- 
kenden, Vielheit  aus  der  Einheit  dar  und  beweist  endliche 
Pixirung  der  unendlichen  Bewegungen.  In  diesem  Zu- 
sammenwirken verschiedener  Momente  reift  die  Gestaltung, 
in  der  werdenden  Bestimmtheit  der  weiten  freien  Be- 
wegung wird  aus  dem  Abstracten  das  Concrete  erzeugt. 
Doch  ist  die  Mannigfaltigkeit  aus  der  Bewegung,  so  reich 
und  endlos,  zugleich  eine  gesetzmässige,  weil  stets  im 
ursprünglich  Bewegenden  beschlossen  und  darum  der 
Continuität  der  Entwickeluug  unterworfen.  Dies  gilt  auch 
dann,  wenn  das  eben  Erzeugte  ein  Neues  erzeugt  und  die 
Wirkung  in  Ursache  sich  umsetzt.  Zunächst  ist  hier  die 
Bewegung  in  demselben  Masse  tätig  als  dort,  wo  sich  die 
Ursache  in  Wirkung  übersetzt.  Und  ferner  ist  hier  wie  dort 
die  Ursache  nur  Ursache,  inwiefern  die  Endursache  d.  i. 
Wirkung  ihr  entspricht,  und  die  Wirkung  ist  Wirkung^  in- 
wieweit sie  die  Ursache  darstellt.  So  kann  zufolge  des  Gemein- 
samen beider,   so  muss  wegen  de8  fortwährenden  Flusses 

')  II,  144. 


n^  131  Q^ 

der  Bewegung  die  "Wirkung  in  die  Ursache  übergehen. 
Darum  ist  im  Gesammtbetracht  dieser  bezeichneten  Mo- 
mente des  sich  zum  Zweiten,  überhaupt  Empirischen  be- 
gebenden Ersten,  des  Aufnehmens  der  einen  Richtung  in 
die  andere,  des  fortzeugenden  Grestaltens  zu  setzen:  „dass 
die  Bewegimg  die  Trägerin  der  abstracten  Causahtät"  *) 
sei  und  dass  sie  im  Causalitätsgesetz  den  Ausdruck  ihrer 
Macht  finde  ^).  Desshalb  aber  ist  die  Causalität  nicht 
pure  Wiederholung  (Hume),  sondern  durchgehende  stetige 
Bewegung,  auch  nicht  bloss  Regel  des  Erscheinens  (Kant), 
sondern  Wesen  der  Dinge,  ebensowenig  nur  Zugleichsein 
der  reellen  Wirkung  mit  ihrer  vollständigen  reellen  Ur- 
sache (Jacobi),  sondern  auch  Folge,  Fortgang  und  Ent- 
wickelung,  endlich  auch  kein  Zusammenschlagen  der  Po- 
sition und  Negation  in  einem  Complexe  (Herbart),  sondern, 
ungeachtet  des  Zusammenfallens  von  Ursache  und  Wirkung 
in  ihrem  Berührungspuncte,  dennoch  ebensowohl  vorher 
bestimmende  Richtung,  voraufgehende  Bewegung.  Und 
„wir  sind  selbst  causal  — .  Wir  verändern,  wir  erzeugen 
und  fassen  uns  darin  als  die  Ursache,  die  früher  ist  als 
die  Wirkung"^).  Unser  Denken  bewegt  sich  auch  in  der 
Bahn  von  Ursache  und  Wirkung,  Gmnd  und  Folge.  Da- 
her ist  es  uns  möglich,  die  wirkende  Ursache  in  der  Be- 
wegung und  ihrem  Producte  zu  erkennen,  nach  dem  Grund- 
gesetz: „Was  in  der  Entwicklung  vorwärts  geschah,  soll 
rückwärts  gefunden  werden"'^). 

Wie  nun  die  Leere  der  Allgemeinheit  der  Bewegung 
auf  die  Fülle  der  Besonderung  in  der  Causalität  hinweist, 
so  fordert  die  in  letzterem  bestehende  Richtung  des  Wo- 
her notwendig  ihre  Ergänzung  in  der  Richtung  des  Wo- 
h  i  n.    Die  ursprüngliche  Bewegung  geht  in  unentschiedener. 


»)  I,  333.     2)  11^  335,     3)  i^  339    jj^  296.     *)  I,  334. 

9* 


'■i^B  132  P-^ 

bestimmungsloser  Richtung  in  die  Weite  und  Breite.   Zwar 
wird  sie  dann  im  Causalen  rückwärts  und  nach  der  Tiefe 
bestimmt,  allein  noch  nicht  vorwärts  und  nach  der  Höhe. 
Ferner    ist  in    der  wirkenden  Ursache  angehaltene,    aber 
keine    zusammenhaltende    Bewegung.     Weiterhin    ist    ihr 
Product   nur   äussere  Form   und    Gestaltung,   jedoch   mit 
Nichten  innere  Entfaltung  und  centrale  Formung.    Sodann 
erscheint   im   causal  Erzeugten   ein  Aneinander  und  Mit- 
einander, aber  kein  Ineinander  und  Durcheinander,  Coin- 
cidenz,    doch   nicht  Immanenz,    Succession,   jedoch   keine 
Organisation.     Die  wirkende  Ursache,  dies  wiederholt  von 
uns  berührte  Niedere,    besitzt  ohnedies  nichts    als   blinde 
Kraft    zur  Bildung   der  Einheit,    spielende  Kräfte  in  der 
Wechselbeziehung,    blinde    Kräfte    als    qualitative    Tätig- 
keiten,   überhaupt  Kräfte  ohne  Tendenz  des  Zukünftigen, 
blindes  Erzeugniss  in  der  Quantität').  Demnach  ist  es,  wenn 
die  Bewegung  sich  vollenden  soll,  zwingendes  Erforderniss, 
dass    ein  Bewusstes,    der  Gedanke,    sie  nach  einem  Ziele 
richte,  und  dass  dies  Richtende  dem  innewohne,  was  ge- 
richtet   wird    und    sich   in  ihm  mitbewegt 2).     Mitteninne 
in  der  rastlos  schaffenden  Bewegung  erheben  sich  so  Teile, 
die    nicht  gleichgültig   nebeneinander  verharren,    sondern 
sich    zu    einem    Ganzen    zusammenschliessen').     Es  wird 
dabei    der    gleichförmige   FIuss    der    wirkenden   Ursache 
durchbrochen,  in  dieser  Vielheit  greift  weitere  Beziehung 
Platz*),    der   Gedanke   richtet  und  sichtet,    und  es  bildet 
sich    die   schönere   Harmonie    eines   vom  Denken    durch- 
drungenen Ganzen.     Dieser  „schöpferische  Vorblick ''^)  des 
Denkens   im  Sein,    der  die  höhere  Einheit  bewirkt,    ver- 
wandelt die  Wirkung   in  die  Ursache,    das  Ende  in  den 
Anfang  (s.  0.),   regiert  das  Besondere  und  DifFerente,  die 


»)  II,  127  fi'.     •-)  II,  79.     3)  II,  461.     ")  II,  162.     »)  U,  351. 


'^  133  ev 

Mittel,  bewacht  das  "Werden,  behütet  die  Ausführung,  be- 
herrscht, mit  der  Kraft  der  wirkenden  Ursache  eins,  den 
ganzen  Vorgang,  und  fügt  so  die  Teile  zum  Ganzen  kräftig 
und  innig  zusammen.  Hiermit  entsteht  eine  specifische 
Differenz,  ein  eigenartig  abgeschlossenes  Gebilde,  welches 
in  Wechselwirkung  mit  dem  allgemeinen  Leben  den  Cha- 
racter  ausprägt,  und  in  den  Teilen  als  Gliedern  das  Ganze 
widerspiegelt').  Während  im  Causalen  das  Denken  dem 
Sein  nachgeht,  muss  hier  das  Sein  dem  Denken  nach^). 
In  alledem  aber  ist  der  Zweck  kund  und  offenbar.  Und 
darum  ist  es  „die  Verklärurig  der  wirkenden  Ur- 
sache, dass  sie  aus  dem  bhnden  Ungestüm  in  den  Dienst 
des  Gedankens  tritt  und  dadurch  eine  Bestimmung  des 
Geistes  empfängt"^).  Somit  aber  ist  der  Zweck  der  edelste 
aller  Naturbegriffe ^),  ja  vielleicht  der  grösste  Begrifft)  und 
hat  überhaupt  die  grösste  Bedeutung''). 

Aus  diesen  Abstufungen  des  Seins,  der  Grundbegriffe 
sowie  des  Grundprincipes  desselben,  zum  Zwecke  hinan 
geht  endlich  die  organische  Weltansicht  hervor, 
und  dies  so,  dass  sie  von  der  vorerst  ihr  feindlich  ent- 
gegenstehenden physischen^)  (oder  mechanischen)  geradezu 
vorbereitet,  ja  postulirt  wird.  Wenn  in  letzterer  Hinsicht 
causal  Unerklärbares  und  darum  über  sich  Hinausweisendes 
eintritt,  so  ist  der  Zw'eck  als  das  Höhere  gefordert.  Nun 
soll  unter  dem  Gesichtspuncte  des  Physischen  die  ganze 
Welt  nur  als  Inbegriff  von  treibenden  Ursachen  und 
Wirkungen,  Materie  und  Bewegung  als  Erstes  und  Letztes, 
überall  starre  Notwendigkeit,  unvermeidlicher  Zwang  zu 
begreifen  sein.  Allein  schon  die  Basis  dieser  Weltansicht, 
das  mit  der  Bew^egung  durch  die  Gesammtheit  des  Er- 
scheinenden sich  ergiessende  Mathematische,  zeigt  in  den 

')  II,  373.  375.  2)  ^  II,  296.  3)  n,  88.  ")  II,  43.  2,  35. 
)  I,    70.     •)  fx;  U,  162.     ■')  n,  458. 


n^9  134  s^ 

von  ihm  zusammengehaltenen  Massen  „Mittel  für  das  Da- 
sein des  Lebens  und  des  Geistes".     Und  wenn  ferner  die 
Gravitation  die   erste  Bedingung   des  "Weltganzen  ist,   so 
beweist  ihre,  sowie  jede  und  selbst  die  äusserste  und  letzte 
Kraft,    dass    sie    in  Ansehung    der    harmonischen  Einheit 
ihres  Wirkens    im   Dienste   des  Gedankens   stehen.     Das 
Physische  oder  Materielle  selbst,  durch  die  Bewegung  auf- 
geschlossen,  an   sich   gleichförmiger  Fluss,    blinde  Macht, 
ein   todtes  Leben,   ein   lebendiger  Tod,    ein  Zwittergebild 
zwischen  Yernünftigem  und  Unvernünftigem  und  Zwielicht 
zwischen    Finsterniss   und    Licht,    erheischt    Begeistigung 
durch  den  Zweck  ^),   Durchleuchtung  mit  dem  Gedanken, 
geistige  Wiedergeburt  aus  der  Vernunft.    Das  Organische, 
von  dieser  Anschauung  auf  das  Procrustes-Bett  des  Cau- 
salen  gespannt,  sprengt  die  Fesseln  solcher  Gebundenheit, 
indem   es  einen  lebendigen  Mittolpunct  sonst  indifferenter 
Tätigkeiten    bildet,    im    Gegensatz    zum    äusserlich    Not- 
wendigen und  Zufälligen  von   innen  erzeugt,    dem  L'rtum 
des  blöden  Verstandes   dort   das  Meisterwerk  des  lichten 
Gedankens   hier   entgegenstellt.     Das  Ethische  zumal,   so 
gleichsam  in  die  Zwangsjacke  gezwängt,  durchschlägt  die 
Schranken,   da  es   die  Freiheit  des  persönlichen  Zweckes 
in  sich  aufnimmt,  dem  Zweckbiklen  ungekannte  Bedeutung 
und    ungeahnten   Wert    verleiht  und   so   eine   neue,   viel 
höhere  Welt  schafft.    Weiterhin  kennt  die  „nackte  Ansicht 
der  wirkenden  Ursache"  nur  dvn  Begriff  als  ein  Letztes, 
und    zwar  „insoweit  er  die  Vorstellung  ist,    die  den  her- 
vorbringenden   Grund   der    Sache    in    sich    aufgenommen 
hat"  2).     Der  Begriff  des   Kreises,    des  Falles,    des  Mag- 
netismus etc.  verlangt  jedoch  auch  Kunde  über  das  Werden 
des   zu  Begreifenden  oder  schon  begrifflich  Fixirten,   das 

»)  U,  66.    »)  n,  466. 


'^^  135  ^^ 

Werden  aber  beruht  in  der  Tätigkeit  eines  Erzeugenden, 
das  I^achzubildende  entspringt  aus  einem  Vorbildenden, 
und  dies  ist  hier  die  Idee,  deren  Wesen  es  ist,  in  Be- 
ziehung auf  den  Gedanken  eines  Ganzen  vor  den  Teilen 
d.  i.  eines  Zweckes  zur  Wirklichkeit  zu  reifen.  Auch  ist 
daran  zu  erinnern,  dass  die  von  der  blossen  wirkenden 
Ursache  bestimmten  Kategorien,  wenn  sie  nicht  in  sich 
fremd  und  blind  bleiben  sollen,  vom  Gedanken  durch- 
leuchtet werden  müssen.  Im  Allgemeinen  aber  ist  zu 
betonen,  dass  die  physische  Ansicht  einseitig  bei  der  Be- 
trachtung des  Teiles  beharrt.  Die  einzelnen  Wissenschaften 
bemächtigen  sich  des  Einzelnen,  betrachten  es  getrennt, 
vereinzeln  sich  und  ihrer  Erkenntniss  Wege  und  Errungen- 
schaften. ^Wenn  die  Teile,  als  wären  sie  unabhängig 
und  aus  sich,  auf  sich  selbst  hingestellt  werden,  so  müssen 
sie  dadurch  den  Gedanken  des  umschliessenden  und  sich  in 
den  Teilen  verwirklichenden  Ganzen  einbüssen.  Betrachte 
die  Hand  für  sich,  und  du  siehst  nur  die  Strecker  und 
Beuger,  die  die  kleinen  Hebel  der  Knochen  im  mannig- 
faltigen Spiele  bewegen.  Aber  betrachte  das  Auge  mit, 
das  die  Hand  richtet  und  führt,  und  es  tritt  Geist  und 
Zweck  in  dies  Werkzeug  der  Werkzeuge;  doch  stimmen 
Auge  und  Hand  nur  in  der  grossen  Voraussetzung  des 
beide  umfassenden  lebendigen  Leibes  zusammen.  Wie  in 
diesem  Beispiele,  geht  es  mit  den  Wissenschaften  über- 
haupt"'). Man  blickt  zu  sehrauf  das  Besonderte,  kommt 
so  immer  mehr  in's  Stückwerk  und  sieht  schliesslich  den 
Wald  vor  lauter  Bäumen  nicht.  Obwohl  es  den  Wissen- 
schaften weder  verwehrt  sein  kann,  um  ihre  Königin  Streit 
zu  führen,  noch  es  erlassen  werden  darf,  die  Ergründung 
im  Einzelnen  und   lediglich   aus  der  Sache  zu  erstreben, 

')  II,  461. 


^^  136  G«^ 

so  ist  dagegen  jederzeit  und  mit  allem  Nachdmck  nach 
einem  Ganzen  der  Erkenntniss  zu  ringen  und  zwar  in 
Gemeinschaft  mit  den  "Wissenschaften  insgesammt.  Wenn 
darin  eben  der  Beruf  der  Philosophie  sich  erfüllt,  „so 
wird  sie  die  organische  Weltansicht  immer  vermitteln". 
Im  Ganzen  wird  der  aus  dem  Ganzen  stammende,  in  ihm 
lebende  und  webende  Zweck  erkannt.  In  der  Erkcnntniss 
des  Geistigen  des  Gedankens  aber  wird  die  Ansicht  der 
wirkenden  Kräfte  und  der  bewegten  Materie  andere  Be- 
leuchtung empfangen  oder  gar  in  das  höhere  Licht  auf- 
gehen. 

Die  organische  Weltansicht,  im  Gedanken,  der  ein 
Organon  (Werkzeug)  sich  zu  bilden  und  zu  leiten  vermag, 
begründet,  ist  „die  geistige,  die  Ansicht  des  sich  verwirk- 
lichenden Geistes"^).  Der  Gedanke  ist  vor  Allem,  nicht 
nachgeboren,  die  ewige  Macht  des  Geistes  O,  über  die 
Ohnmacht  der  blinden  Ursache  weit  triumphirend.  Im 
Gedanken  besteht  Alles  und  Jedes,  das  Ganze  wie  die 
Teile,  Umfassendes  und  Einzelnes,  Organismus  und  Glieder- 
„Nichts  ist  ausser  dem  umfassenden  Ganzen"^),  im  Ge- 
danken nur  ist  Bestand,  Leben,  Entfaltung,  ohne  ihn  Ver- 
kümmerung, Verderben  und  To  1.  „Die  Wahrheit  jedes 
Dinges  ist  ein  Strahl  dieses  Gedankens;  wie  den  Dingen 
ein  Begriff  zum  Grunde  liegt,  so  sollen  sie  diesem  Begriff 
genügen.  Die  Wahrheit  zeichnet  sich  auf  diese  Weise 
in  den  Gestalten  der  Schöpfuni;-,  und  wir  betrachten  sie 
in  ihr  andächtig  und  fromm".  Und  durch  den  Gedanken 
ist  Alles  geschaffen.  Makrokosmus  wie  Mikrokosmus, 
Nahes  und  Fernes,  Sprödes  und  Williges  sind  von  ihm 
durchdrungen  oder  doch  durchschimmert,  zutiefst  von  ihm 
getragen.     Er  ist  das  absolute  Prius  der  natürlichen  und 


»)  II,  462.     •^)  n,  467.     3)  11^  464. 


'^^  137  0^ 

sittlichen  Welt.  Lange  bevor  der  menschliche  Geist  die 
Probleme  der  Physik  nur  ahnte,  geschweige  denn,  das 
Seiende  nachdenkend,  löste,  waren  sie  sämmtlich  uran- 
fanglich durch  den  Gedanken  im  Bau  der  Glieder  und 
Organe  gelöst.  Und  nun  ist  die  menschliche  Vernunft 
nicht  mehr  sich  selbst  Fremdling,  sondern  in  der  bewussten 
Notwendigkeit,  in  der  das  Relative  und  Endliche  durch- 
waltcnden  Vernunft  erkennt  sie  froh  und  begeistert  sich 
selbst  wieder.  „Sic  ist  nun  nicht  mehr  wie  eine  schwäch- 
liche Consonanz,  die  unfehlbar  im  Brausen  des  Meeres 
und  Windes  untergeht,  sondern  wie  ein  Einklang  in  eine 
grössere  Harmonie.  Alles  Erkennen  ist  nun  die  ver- 
trauensvolle Tat,  die  dem  Gedanken  nachschafft,  alles 
Wahrnehmen  ein  Lauschen  auf  seine  Offenbarung,  alles 
Denken  ein  Nachdenken" ').  Auch  ist  zu  dem  Gedanken 
Alles  geschaffen.  Der  Gedanke  schwebt  dem  Werden  vor. 
Zu  ihm  soll  im  gedankenvollen  Werden  das  Sein  hinan. 
Dem  idealen  Entwürfe  soll  die  reale  Nachweisung  ent- 
sprechen. Die  vorleuchtende  Einheit  wird  der  zerstreuten 
Vielheit  Impuls,  zu  schönerer  Einheit  der  Harmonie  sich 
zu  erheben.  Die  Welt  und  was  darinnen  ist,  beginnt  und 
endet  im  Gedanken.  Die  organische  Weltansicht  läuft 
so  in  die  Idee  aus.  Der  Zweck,  eine  ideale  Kategorie^), 
sein  Gedanke  als  das  ideale  Prius  führen  dahin,  den  Be- 
griff der  Sache  in  der  Bestimmung  des  Organischen,  in 
der  Bedingtheit  durch  ein  Ganzes,  in  der  Beziehung  auf 
ein  Gewolltes,  im  Streben  nach  einem  Höheren,  zuletzt 
im  Lichte  des  Unbedingten  d.  i.  eben  als  Idee  zu  er- 
kennen. Unser  Erkennen,  nur  aus  einem  Stücklein  der 
Welt  stammend^),  dazu  in  Bezug  auf  dies  Minimum  des 
zu  Wissenden  noch  Stückwerk,  entwirft  nun  mit  der  hellen 

')  n,  463.  2)  n,  487.  3)  n,  417. 


m^  138  <2x^ 

Fackel  der  Anschauung  des  Ganzen  aus  dem  Teilchen 
und  Bruchstück  die  darin  bildende  Idee.  ^Wir  schauen 
nun  die  Natur  mit  aufmerksamerem  Auge  und  lauschen 
der  offenbarenden  Geschichte  mit  empfänglicherem  Ohr. 
Das  Sein  und  jede  Entwickelung  des  Seins  ist  nun  ein 
Blick  des  Geistes.  Die  Dinge  oder  Wesen  sind  nun  die 
in  ihren  Producten  angeschaueten  Entwickelungsstufcn  der 
Einen  unendlichen  Tätigkeit  —  die  gleichsam  aufgehaltene 
oder  verweilende  (ewige)  Idee".  (Berger)').  Die  organische 
Weltansicht  fasst  endlich  die  Idee  in  Gott.  Der  welt- 
durchdringende Zweck,  der  schöpferische  Gedanke,  all- 
mächtig vom  Anfangt),  die  freie  Schöpfung  aus  dem 
Zwecke^)  ist  ohne  den  Geist  Gottes  nicht  zu  verstehen^). 
Die  Welt,  von  der  Zweckidee  durchwaltet,  ist  ein  Bild 
Gottes.  Das  schöpferische  Verfahren  der  Natur  ■)  tut 
göttliche  Macht  und  Weisheit  kund.  Die  Formen  des 
den  Zweck  aufsuchenden  und  den  gefundenen  entwerfen- 
den und  durchführenden  Gedankens  sind  die  Schriftzeichen 
Gottes^).  Schon  das  Buch  der  Weisheit  rühmt:  „Du  Lieb- 
haber des  Lebens,  dein  unvergänglicher  Geist  ist  in  allen". 
Die  Harmonie  des  Bedingten  durch  den  weltbeherrschcn- 
den  Zweck  ruht  im  Unbedingten').  Die  Zweckbeziehung 
im  einzelnen  Dasein  weist  auf  den  unbedingten  welt- 
durchdringenden Gedanken  hin.  Die  blinde  Macht  der 
Substanz  erhebt  sich  zur  schöpferischen  Weisheit,  indem 
an  und  in  ihr  die  unbedingte  Verwirklichung  der  Ver- 
nunft sich  vollzieht.  „Die  Welt  ist  vernünftig  und  die 
Vernunft  ist  wirklich".  Da  der  weltbeheri sehende  Zweck 
nur  durch  die  Einheit  von  Gedanke  und  Kraft  ist,  so 
verbürgt  das  zweckbeherrschte  All  der  Welt  den  unbe- 
dingten allmächtigen  Gedanken.     Obwohl  der  Zweck  erst 

')  II,  468.    *)  II,  262.    3)  I,  64.    ")  II,  467.    »)  n,  356.    «)  U,  138. 
')  n,  433. 


'^  139  e^ 

im  Eelativen  und  Bedingten,  in  der  Entzweiung  zur  Tätig- 
keit kommt,  ist  er  dennoch  insofern  auch  im  Unbedingten, 
als  letzteres,  gleichwie  im  Ethischen  die  Substanz  zur 
Person  sich  steigert,  die  absolute  Persönlichkeit  ist,  welche 
denkt  und  will,  beides  eint,  in  diesem  Geeinten  dem  Be- 
dingten das  Soll,  den  Dingen  ihr  "Wesen,  dem  Werden 
seinen  inneren  Zweck  giebt  (s.  o.)^),  und  welche  eben 
darin  ihre  Freiheit  in  Alles  erkennende  Weisheit  und 
allerschaffende  Liebe  ausbreitet.  So  offenbart  sich  uns 
die  moralische  Weltordnung.  Das  Göttliche  der  freien, 
wenn  nötig  opferfreudigen  Hingabe  an  den  Zweck  soll 
nun  in  uns  Gestalt  gewinnen.  Wenn  wir  nicht  blindlings 
und  im  Widerspruch  denken  und  handeln  wollen,  so  muss 
unser  begreifendes  Denken  und  freies  Handeln  ganz  und 
durchaus  im  Unbedingten  ruhen.  (Fichte.)  Denken  wir 
dann  im  Zwecke  ethischer  Bestimmung  den  unbedingten 
Grund  unseres  Daseins,  so  denken  wir  den  göttlichen 
Willen.  Gott,  der  den  Zweck  setzt  und  erhält  und  in 
dem  dieser  ruht,  ist  geistig  und  frei  und  Quelle  der  Wahr- 
heit und  des  Heiles^). 

So  steht  denn  der  Zweck,  im  Steigen  der  Stufen, 
welche  am  Sein,  an  den  Grundbegriffen  wie  am  Grund- 
princip  desselben  erscheinen,  immer  lichter  hervortretend, 
aus  der  Vorbereitung  wachsend  in  die  Erfüllung  gelangend., 
zuletzt  und  zuhöchst  die  organische  Weltansicht  ergebend, 
im  genauen  Zusammenhang  mit  dem  System  Tr.'s,  und 
gerade  dieser  Begriff  ergiesst  über  die  fernen  Anfänge, 
den  verschlungenen  Fortgang,  den  tiefsinnigen  Ausgang 
des  Ganzen  das  klärendste  Licht. 


')  n,  441.    2)  n,  433  f. 


Es  muss  eine  anziehende  Aufgabe  sein,  nunmehr  in 
einem  Resuiii(3  den  Ertrag  des  Ganzen  dieser  unserer 
Teil-Ausführungen  aus  dem  Reichtum  des  von  Tr.  Dar- 
gelegten zusammenzuschauen.  Wir  betrachteten  aber  aufs 
Erste  den  Inhalt  des  Zweckbegriffes,  gaben  Analysis 
desselben  nach  seinen  Merkmalen,  gruppirten  diese,  aber 
untersuchten  sie  auch  im  Einzelnen.  Da  zeigte  eich  denn 
der  Zweck  zunächst  als  ein  Factum  der  "VVclt.  Er  for- 
derte in  seiner  Tatsächlichkeit  sodann  Vielheit  und  Ent- 
zweiung, das  Entzweite  zu  neuem  Ganzen  zusammen- 
zufügen. Dies  Ganze  aus  dem  Zweck  erwies  sich  als 
in  ihm  praestabilirt.  Es  beruhte  dies  im  Gedanken,  der 
im  Zweckgeschchen  wesentlich  inbegriffen  ist.  Der  voraus- 
schauende Gedanke  wird  mit  den  Kräften  der  im  Zwecke 
in  der  Umkehrung  erscheinenden  wirkenden  Ursache  eins, 
erlangt  so  Kraft  und  Macht  und  wird  Tätigkeit.  Inso- 
weit als  diese  Tätigkeit  die  Materie  ergreift,  besondert 
sich  letztere  zu  Stoff  und  Mittel.  Indem  der  verwirklichte 
Zweck  wieder  Mittel  zu  frischer  Zwecksetzung  wird,  er- 
geben sich  Unterordnung,  Conscquenz,  überhaupt  Reihen 
der  Zwecke.  —  Wir  erwogen  hierauf  zum  Zweiten  die 
Begründung  des  Begriffes.  Der  Zweck  bewies  und 
verkündete  sich  zuvor  selbst.  Das  Organische  ist  sein 
unumstösslicher  Tatbeweis.  Diesem  directen  Beweise  trat 
der  indirecte  bei.  Es  offenbarte  sich  zwingende  Not- 
wendigkeit, die  blind  wirkende,  gegenüber  Erscheinungen 
des  organischen  Lebens  ohnmächtige  Ursache  einem 
Höheren,  nämlich  dem  Zwecke  zu  unterwerfen.  Die 
Sorgfalt  und  das  Zarte,  die  klare  Intention  des  organi- 
sirenden  Schaffens  weisen  das  Ungestüm  unbeherrschter 
Kräfte  entschieden  von  sich  ab.  In  der  Unmöglichkeit 
des  Gegenteils,  nämlich  des  hierin  zureichenden  Causalen, 
lag    der    Nerv    und    die   Stärke   des  indirecten  Beweises. 


'H<3  141  ex' 

Eine  weitere  Begründung  des  Zweckbegriffes  wurde  im 
Logischen  des  realen  Verhältnisses  zwischen  Denken  und 
Sein  gegeben.  Es  fand  sich  ein  Gemeinsames  beider,  die 
Bewegung,  das  Elementarste  und  Grundgeschehen  der 
äusseren  wie  inneren  Welt.  Da  nun  der  Zweck  im  Sein, 
wie  direct  und  indirect  dargetan,  da  im  Sein  aber  Be- 
wegung ist,  so  haben  wir  in  ihm  zweckentwerfende  Be- 
wegung. Da  ferner  Bewegung  nicht  minder  im  Denken, 
welches  selbst  Zwecke  setzt,  so  kann  dieses  jenen  im 
Sein  vorbildenden  Zweckgedanken  nachbilden.  Der  Ge- 
danke hier  erreicht  das  Seiende  dort,  eben  weil  letzteres 
vom  Gedanken  getragen  und  durchwirkt  ist.  Darum  ist 
der  Zweck  aus  dem  Sein  im  Denken  und  durch  das 
Denken  im  Sein.  —  Die  vierte  Argumentation  endlich  war 
diejenige  von  der  metaphysischen  Seite.  Wie  der  Zweck 
im  Sein  werde,  ist  zwar  nicht  aufzuhellen,  sowenig  der 
Grund  des  Gesetzmässigen  der  Causalität  durchsichtig  ist. 
Allein  wir  können  uns  doch  dem  nähern,  den  im  Be- 
dingten erscheinenden  Zweck  so  in  das  Unbedingte  zu 
gründen,  dass  er  Ausprägung  des  unbedingten  Willens 
und  Immanenz  des  Absoluten  wird.  —  Der  dritte  Teil 
unserer  Untersuchung  beschäftigte  sich  mit  der  Wider- 
legung der  Gegengründe.  Der  erste  Gegner  der  Teleo- 
logie,  Empedocles,  konnte  das  Constanteund  das  Mass  der 
Verhältnisse  der  Bildungen  nicht  erklären.  Bacon,  den 
Zweck  dem  Physischen  entrückend,  beraubt  ihn  seines 
lebendigen  Inhaltes,  will  aber  dennoch  Gottes  Weisheit 
aus  ihm  leuchten  sehen,  und  läugnet  mit  Unrecht  die 
Fruchtbarkeit  des  Zweckprincipes.  Spinoza,  der  im 
Absoluten  Denken  und  Ausdehnung  statuirt,  aber  trennt, 
kommt  in  seinem  dürren  Formalisnms  über  das  causal 
Mechanische  nicht  hinaus ;  einseitig  mathematisch  operirend, 
beobachtet  er  nirgends   die  lebendige  Natur  und  das  Or- 


'1^9  142  G^ 

gallische;  indem  er  das  Ethische  dem  Mathematischen 
unterwirft,  Gutes  und  Böses  nur  intellectuell  fasst,  hebt 
er  die  sittliche  Verantwortung  auf.  Kant  begreift  den 
Zweck  als  lediglich  Subjectives,  während  doch  die  Dinge 
selbst  in  der  Fülle  ihrer  eigentümlichen  Gestaltung  dem 
Zweckbegriff  antworten  und  das  Wesen  der  Sache  in  ihm 
das  Entscheidende  ist ;  er  nimmt  die  Natur  äusserlich  und 
schematisch,  verneint  desshalb  für  sie  den  Zweck,  obgleich 
die  tiefere  Innerlichkeit  derselben  den  inneren  Zweck  wohl 
besitzen  kann;  er  irrt  weiter,  wenn  er  den  Zweck  bloss 
als  regulatives  Princip  gelten  lassen  will,  da  er  doch 
constitutiv  und  schöpferisch  wirkt;  es  ist  ebenso  zurück- 
zuweisen, dass  der  Zweck  als  ein  Princip  mehr,  als  neues 
Princip  der  Naturerklärung  beizubehalten  sei,  da  ein  neues 
Registriren  und  Verzeichnen  der  Dinge  die  Erkenntnisse 
nur  verwickelt,  aber  nicht  vereinfacht.  Hegel  will  zwar 
im  Chemismus  den  Zweck  als  ein  Objectives  nachweisen, 
jedoch  bleibt  ungelöst,  ob  es  auch  möglich  sei,  dass  in 
der  Centralität  des  Mechanismus  das  Centrum  zum  Chemis- 
mus gegenseitiger  Erregungen  sich  entzweie;  sodann  kann 
die  Wechselwirkung  der  Kräfte  der  chemischen  Stoffe 
auch  causal  sein;  weiterhin  sind  Zweck  und  Mittel  im 
Endlichen  und  real  nicht  identisch;  femer  kann  der  Be- 
griff, iu's  Object  versenkt,  nicht  das  ideale  Prius  sein,  und 
ebensowenig  vermag  er,  als  Wahrheit  der  durch  ihr  Bei- 
sich-B leiben  in  den  Accidenzen  formal  machtlosen  Sub- 
stanz selbst  inhaltsleer,  den  Inhalt  des  Daseins  zu  be- 
stimmen; endlich  ist  der  äussere  menschliche  Zweck,  ob- 
wohl nicht  von  gleicher  Tiefe  wie  derjenige  in  der  Natur, 
dennoch  keine  Willkür,  sondern  Ausprägung  der  inneren 
geistigen  Bestimmtheit,  so  dass  insgesammt  die  Zweck- 
deductiun  bei  Hegel  abzulehnen  ist.  Schopenhauer 
lehrt,    dass  der  physische  Zweck  nichts  sei  als  Ausdruck 


mis  143  Q^ 

des  mit  sich  selbst  übereinstimmenden  Willens,  indess 
wäre  dieser  Wille  kein  ungeteilter,  denn  er  müsste  sich 
zum  Uebergehen  in  seine  Objectität  fortwährend  besonderen 
und  rücksichtlich  der  Objectität  als  Erkennbarkeit  für  uns 
vorher  insoweit  in  Raum  und  Zeit  sich  fügen,  und  ein 
so  Geteiltes  kann  das  Ungeteilte,  Harmonische,  Zweck- 
volle nicht  hervorbringen;  wenn  die  Teile  der  Natur  sich 
einfach  suchen  und  finden,  so  ist  darin  das  Treibende 
causal,  das  Verknüpfende  final;  auch  als  Abbild  der  un- 
zeithchen  Idee  kann  das  im  Siege  über  die  Zeitfolge  be- 
stehende Zweckmässige  nicht  sein;  der  Wille,  gmndlos 
und  blind,  ist  unfähig,  Gesetz  und  Vernunft  im  Zwecke 
zu  wollen.  Insonderheit  aber  rücksichtlich  des  Ethischen 
ist  Schopenhauer  auf  verhängnissvoller  Fährte.  Wenn 
nur  das  Esse  frei,  das  Operari  aber  unfrei  ist,  so  ist  das 
sittliche  Handeln  lediglich  Mechanismus  der  Notwendigkeit, 
und  da  das  Esse  im  Willen  zum  Leben  aufgeht,  so  ist 
das  Leben  des  Menschen  nicht  mehr  als  Resultat  aus 
diesem  Princip.  Dann  ist  der  Mensch  kein  Tuender, 
sondern  ein  Getanes,  Schauplatz  der  Causalität.  Es  wären 
so  Gutes  und  Böses  indifferent,  die  Schuld  aufgehoben, 
das  Verbrechen  sanctionirt.  Aber  das  sittliche,  mit  der 
sinnlichen  Lust  Kämpfende,  in  Zweckunterordnung  den 
letzten  Zweck  anstrebende  Handeln  kann  nimmermehr  an 
die  Kette  starrer  Notwendigkeit  geschmiedet  und  die 
Gewissensverantwortung  darf  nie  freigegeben  werden. 
Darwin  endlich  gründet  seine  Theorie  physischer  Cau- 
salität auf  Erblichkeit,  Kampf  um's  Dasein  und  natür- 
liche Züchtung,  aber  die  im  Grunde  ihrer  Gesetze  uner- 
klärte Erblichkeit  ist  gehalten  vom  Zwecke,  der  in  der 
Wirkung  sich  behauptet,  und  setzt  sich  zusammen  aus 
Reihen  von  Zwecken;  der  Kampf  um's  Dasein  zeigt  un- 
widerlegUch    den   Zweck   der  Selbsterhaltung  des  Indivi- 


1^  144  Q^ 

duums  wie  der  Differenzimng  der  Gattung;  er  beweist 
grossartige  Unterordnung  der  Einzelzwecke  unter  den  Ge- 
sammtzweck;  in  ihm  wird  der  Zweck  Mittel,  das  Mittel 
Zweck;  es  ist  daher  Differenzimng  aus  dem  Zwecke  an 
Statt  desselben  zu  setzen;  die  natürliche  Züchtung  gar 
ist  greifbares  Zweckgeschehen,  denn  sie  will  Verwirk- 
lichung des  Selbstzweckes  durch  den  Teilzweck  des  Voll- 
kommneren;  Abänderung,  Anpassung,  Bewaclmng  und 
Bewahren  offenbaren  das  Ganze  vor  den  Teilen;  Teilung 
der  Arbeit  zu  Förderung  und  Hemmung,  Ausgleichung 
übermässiger  Vermehrung  tun  Umkehrung  von  Ursache 
und  Wirkung  kund;  zielgewisse  unendhch  kleine  Mo- 
dificationen  durch  ungemessen  lange  Zeiträume  verraten  ein 
grossartiges  Planen  in  der  Energie  der  Einheit  von  Ge- 
danke und  Kraft.  D.  giebt  selbst  zu,  dass  der  Zweck 
die  Organisation  durchwalte.  Er  erklärt  Wirkung,  aber 
nicht  Wesen  des  geheimnissvollen  thierischen  Instinctes. 
Dem  Menschen  Zwecktätigkeit  zuerkennend,  aber  sie  der 
höheren  Meisterschaft  der  Natur  unterordnend,  steht  er 
mit  sich  selbst  im  grellsten  Widerspruch,  da  er  sonst  der 
natura  naturans  (welche  ihm  und  seinen  Anhängern  aus 
einem  Bilde  zur  Sache  wird)  nur  Causalität  zuspricht. 
So  weisen  seine  Principien  und  auch  die  Annahme  einer 
Urform  allseitig  auf  den  Zweck,  zuletzt  auf  den  göttlichen, 
hin.  —  Zum  vierten  versuchten  wir,  Entfaltung  und  Be- 
grenzung des  Reiches  des  Zweckes  darzustellen.  Es  ge- 
schah dies  zuerst  modal,  dann  real,  auf  beide  Weise  aber 
zugleich  in  Ansehung  der  Zweckbeschränkung.  Der  Mo- 
dalitäten nächste  war  diejenigees  Grün  des  der  Sache, 
gemäss  welchem  das  Erkennen  der  Welt  aus  dem  Zwecke 
möglich  und  von  weittragender  Bedeutung  ist.  Hierauf 
entwickelten  wir,  dass  das  Mögliche,  das  am  Grunde 
der  Sache  Fehlen''-?,  als  äusseres  die  Verschiedenheit  der 


1113  145  '^^ 

Mittel  zu  einem  Zwecke,  als  inneres  das  Werden  und 
Wesen  des  (inneren)  Zweckes  constituire.  Das  Bedürfniss 
im  Möglichen  nach  einem  Anderen,  Begehren  des  Ganzen 
nach  Ergänzung  seiner  noch  fehlenden  Teile,  ergab  die 
Potenz.  Die  Unmöglichkeit  des  Gegenteils  oder  das  nicht 
zu  Denkende,  die  Notwendigkeit,  in  der  Gemeinschaft 
des  Denkens  und  Seins  beruhend,  wird  von  dem  Zweck- 
gedanken zur  Wirklichkeit  seines  Reiches  insoweit  er- 
griifen,  als  in  ihm  das  Denken  als  Erstes  die  Gestaltung 
des  Seins  fordert,  indem  jenes  sich  frei  bestimmt,  alle 
Mittel  verwertet,  jeden  Teil  zum  Ganzen  völlig  ausprägt, 
dabei  das  dem  Gedanken  Widerstrebende,  die  Zweckver- 
wirklichung Hemmende,  d.  i.  das  Gegenteil  als  Unmög- 
liches, zurückweist.  Das  Allgemeine  ferner,  aus  dem  Not- 
wendigen als  dem  einenden  Punct  im  Denken  und  Sein 
hervorgehend^  alle  Bedingungen  des  zusammenfassenden 
Grundes  bekundend,  erscheint  am  Zwecke  vorerst  in  der 
Ausdehnung  desselben  in  die  breite  Fläche  des  Seins,  führt 
aber  sodann  in  die  Besonderung  und  Wirklichkeit  des 
Zweckgeschehens.  Weiterhin  baut  der  Zweck  sein  Reich, 
wenn  er  das  die  Erscheinung  vor  der  Erscheinung  be- 
stimmende Allgemeine,  das  Gesetz,  welches  er  selbst  ist, 
in  Ordnung,  Beherrschung  des  Geordneten,  zielgewisser 
Führung  der  beherrschten  Ordnung  zum  Ausdruck  bringt. 
Das  ganz  Besondere,  Fremde  und  Undurchdringliche  so- 
gar, das  Zufällige,  muss  dem  Zwecke  dienstbar  sein,  so- 
bald es,  überdies  unfähig,  das  Innere  des  Zweckes  zu 
stören,  von  demselben  einbezogen  und  mitverwendet  wird. 
Nach  der  Realität  aber  erschliesst  und  erfüllt  sich  das 
grosse  Zweckreich,  insofern  der  Zweck  als  Factum  die 
Welt  zum  Mittel  macht,  die  Kräfte  der  wirkenden  Ur- 
sache in  sich  aufnimmt,  und  als  Zweckursache  das  Or- 
ganische schafft.    Es  herrscht  der  Zweck,  wiewohl  von 

10 


'^^  146  ?-^ 

aussen  kommend,  auch  im  Mechanischen,  die  unterschied- 
lichen Tätigkeiten  desselben  zur  Gesammtwirkung  einend, 
UeberhauptistdieEinheitinderVielheit,Vorherbestimmung 
der  Teile,  Bindung  und  Leitung  des  Werdens,  eine  be- 
deutsame Offenbarung  des  Zweckgedankens.  Im  Zwecke 
erhöhen  sich  die  Teile  zu  Gliedern,  die  aus  dem  Ganzen 
kommen,  in  ihm  bestehen,  zu  ihm  streben.  Diese  Glieder 
stehen  in  inniger  Wechselwirkung  zum  Ganzen  wie  unter 
einander.  Aus  der  AVechselwirkung,  dem  An-,  Mit-  und  In- 
einander der  Teile  entspringt  die  Kraft,  Erzeugung  eines 
Neuen,  Activität  im  Zweckgedanken,  mit  der  Tendenz  der 
Zweckverwirklichung.  Kraft  zu  Kraft  ist  Tätigkeit,  hier 
sinnvolle,  gerichtete,  temperirte,  reflexive,  gegliederte. 
Wie  die  Qualität  in  den  Tätigkeiten,  so  wird  auch  die 
Quantität  durch  den  Zweck  vollendet  und  zwar  zur  ab- 
gewogenen Bestimmtheit,  zum  Niveau  des  Mittleren,  zur 
Modification  der  Grössenverhältnisse  im  einheitlichen,  ab- 
geschätzten Zusammenschluss  der  Elemente.  Quäle  und 
Quantum,  so  vom  Zweck  erhöht,  ergeben  die  organische 
Materie,  die  dem  übergeordneten  Zweckgedanken  leibhches 
Dasein  leiht  und  Gefäss  seines  Inhaltes  wird,  und  welche 
steter  Differenzirung  oder  Organisation  aus  der  Indifferenz 
gleichkommt.  Die  äussere  Erscheinung  der  organischen 
Materie  ist  die  von  innen  werdende,  vom  Gedanken  er- 
zeugte organische  Form.  Aeusseres  und  Inneres  werden 
so  im  Zwecke  vortieft.  Aus  dem  innewirkenden  Denken 
entsteht  Ordnung,  durchgehende  Bezogenheit  der  gleich- 
artenden Teile  des  Ganzen,  femer  das  Mass,  die  innere 
Berechnung,  die  durchgreifende  Norm.  Aus  Mass  und 
Ordnung  wird  die  Wahrheit  als  vollkommne  Erfüllung  der 
Teile  zum  Zwecke  des  Individuums  innerhalb  der  Congruenz 
zur  Gattung  als  dem  höheren  Zweck.  Ihr  verwandt 
ist  die  Schönheit,  in  der  Relation  des  inneren  Zweckes 


'V^  147  '2X-- 

auf  den  Anschauenden  und  im  unmittelbaren  Erfassen  des 
äusseren  Zweckes  bestehend.  Ist  liiernach  bereits  das 
Reich  der  Zwecke  als  gross  und  mächtig  offenbar,  so 
strahlt  es  im  Vollglanz  seiner  Herrlichkeit  durch  das 
Ethische,  in  welchem  die  letzte  Einheit  des  Mechanisch-^n, 
der  lebendige  Mittelpunct  im  Organischen  zum  Selbstdenken 
und  Selbstwollen  in  Kraft  des  frei  und  rein  über  Wechsel 
und  Wandel  der  Tätigkeiten,  Zustände  und  Vorstellungen 
schwebenden  Selbstbewusstseins  werden.  Des  Menschen 
Denken  durchdringt  seine  Zwecke.  Der  richtende  Zweck 
in  ihm  ist  die  innere  Bestimmung  und  diese  seines  Lebens 
Wert,  Grund  und  Krone.  Der  innere  Zweck  entfaltet  sich 
in  des  Geistes  Macht  zur  weitgehenden  Verzweigung  des 
Handelns,  Ausdehnung  des  Wissens,  Allseitigkeit  des 
Wollens.  Es  wird  der  Teilzweck  des  Sinnlichen  unter- 
worfen dem  Gesammtzweck,  zumal  dem  Endzweck.  So 
wird  der  Zweck  in  Wille  und  Freiheit  des  Menschen  per- 
sönlich. Und  derart  reifen  aus  dem  Zwecke  erhabene 
Tugenden,  als  da  sind  Weisheit,  Liebe,  Besonnenheit,  Be- 
harrlichkeit, Gehorsam,  Gerechtigkeit,  zuletzt  alle  um- 
fassend sittliche  Schönheit.  {KaXo'Kaya^ia  s.  Tikuörrig.) 
—  Verschwindend  ist  gegenüber  diesem  grossen  und 
schönen  Reiche  des  Zweckes  die  bezügliche  Beschränkung, 
denn  die  spröde  Materie  wird  durch  den  Zweck  dennoch 
fortschreitend  vergeistigt,  die  starre  Notwendigkeit  zu- 
nehmend mit  dem  Leben  des  Geistes  beseelt,  das  unbe- 
rechenbare Zufällige  wachsend  zur  Mittelschaft  herange- 
zogen. Und  in  die  entgegenstehende  wirkende  Ursache 
geht  der  Zweck  ein  und  nimmt  sie  in  sich  auf.  Sein 
Wurzeln  im  Metaphysischen  endlich,  das  Ruhen  in  Gott, 
ist  vielmehr  unendliche  Entschränkung ,  unermessliche 
Erweiterung  seines  Reiches  und  erhabenste  Vertiefung 
seiner    selbst    zum    Göttlichen    überhaupt.  —  Der   fünfte 

10* 


nK9  148  QÄ^ 

Teil  unserer  Untersuchung  bezweckte  die  Aufhellung  des 
Verhältnisses,  in  welchem  der  Zweckbegriff  zum  Ganzen 
des  Systems  Tr.'s  steht.  Wir  bemerkten  hier  zuvor, 
dass  dies  System  mit  einer  Menge  von  allgemein  logischen 
Deductionen  zunächst  zwar  wie  verhüllt  sei,  aber  dann 
im  Verfolge  der  durchgehenden  Grundinitiative  um  so 
gefestigter  und  lichtvoller  sich  herauskläre.  Hierauf  er- 
kannten wir  als  Wesen  des  Systemes  insgemein,  dass  es 
nach  der  Einheit  eines  Ganzen  der  Erkenntniss  hin 
sammle,  sichte,  richte,  gliedere  und  Erscheinungen  decke, 
und  fanden,  dass  hiermit  im  Besonderen  Tr.'s  Darlegungen 
als  systematische  einstimmen.  Das  Durchwalten  des 
Zweckprincipes  aber  erwies  sich  aus  den  Abstufungen 
des  Seins.  Das  Mathematische,  Figur  und  Zahl,  ist  als 
in  Rücksicht  eines  vollkommenen  Ganzen  Unfertiges  nur 
Ahnung  des  Zweckes,  das  Physische,  obwohl  lebenerfüllt, 
gesetzmässig  und  kraftdeterminirt,  ist  höchstens  An- 
bahnung des  Zweckes;  das  Organische  aber,  Beseelung 
der  starren  Materie,  Vergeistigung  der  blöden  Natur, 
zeigt  den  vollen  Zweckgedanken;  das  Ethische  zumal 
weist  eine  neue  Welt  persönlicher  Zweckverwirklichung 
auf,  die  der  Mensch  aus  seinem  eigenen  Busen  nimmt. 
Aehnliche  Stufen  zu  dem  Zweck  hinan  finden  sich  an 
den  Grundbegriffen  des  Seins,  so  an  dem  des  Ganzen 
(abstract  —  concret  —  praeformirend  —  frei)^  des  Not- 
wendigen (consequente  Bestimmung  der  Sache  —  der 
Kräfte  —  des  Gedankens  —  des  menschlichen  Wesens  ^)^ 
des  Teiles  (Quantum  —  Quäle  —  notwendiges  Glied  —  freies 
Glied),  des  Masses  (äusseres  —  inneres  —  specifisches  — 
persönliche  Tugend)  und  der  Eigenschaft  (Möglichkeit  neuer 
Bewegung    —    Causalität   —   CentraUtät    —    Tugenden). 

')  n,  413  ff. 


019  149  Q^ 

Abstufung  zum  Zwecke  ist  gleichfalls  am  Stammbegriff 
der  Bewegung  evident,  indem  dieselbe,  im  Anfang  ein- 
fach und  leer,  weil  die  ursprüngliche,  verbreitetste  und 
elementarste  Tätigkeit,  dann  sich  besondert  und  im  Pro- 
ducte  begrenzt,  und  so  die  bestimmende  Macht  der 
wirkenden  Ursache  mit  der  Richtung  des  "Woher  dar- 
stellt, schliesslich  aber  im  Zwecke  und  in  der  Richtung 
des  Wohin  die  höhere  Einheit  erstrebt  und  bewirkt,  die 
wirkende  Ursache  umkehrt  und  verklärt,  das  Besondere 
regirt,  das  Differente  specifisch  differenzirt,  das  "Werden 
bewacht,  die  Ausführung  beherrscht,  und  die  Teile  zum 
Ganzen  kräftig,  weil  in  der  Kraft  des  Causalen,  und 
innig,  zufolge  des  einwohnenden  Gedankens,  zusammen- 
fügt. Derart  resultirte  nun  die  organische  Weltansicht, 
angedeutet,  ja  gefordert  von  der  physischen,  in  welcher 
das  Mathematische  in  den  von  ihm  zusammengehaltenen 
Massen  doch  Mittel  für  das  Dasein  des  Lebens  imd 
Geistes  zeigt,  das  Materielle,  gleichförmig  fliessend  und 
blind  mächtig,  Durchleuchtung  mit  dem  Gedanken  er- 
heischt, und  über  welche  das  Organische,  central,  inner- 
lich, gedankenlicht,  hinauswächst,  das  Ethische  vollends, 
frei  persönlich,  weit  sich  erhebt,  und  die  einseitig  in  der 
Betrachtung  des  Teiles  beharrt;  jene  also  die  geistige, 
die  Ansicht  des  sich  verwirklichenden  Geistes,  im  Ge- 
danken, durch  welchen,  in  und  zu  welchem  alle  Dinge 
sind,  wurzelnd  und  gipfelnd,  dann  in  die  Idee  sich  er- 
hebend, endlich  aber  und  zuhöchst  wie  zutiefst  Stern 
und  Anker  gewinnend  im  Unbedingten,  in  Gott  dem 
ewigen  Geist,  dessen  Macht,  Weisheit  und  Liebe  und 
wesenseiniges  Denken  und  Wollen  das  Soll  des  Bedingten, 
den  inneren  Zweck  des  Werdens,  das  Wesen  der  Dinge 
setzt  und  erhält. 

Zum    Beschlüsse    dieser   Zusammenfassung  characteri- 


'i^  150  Q^ 

siren  wir  noch  kurz  die  Stellung  Tr.'s  zu  Plato, 
Aristoteles,  zur  Stoa  und  zum  Neu-Platonisnius,  zu  Car- 
tesius,  Locke,  Leibniz,  Fichte,  Schelling,  Herbart  und 
Schleiermacher  und  dies  insgesammt  bezüglich  der  Teleo- 
logie,  nicht  aber  in  Hinsicht  auf  die  ganzen  Systeme  hier 
wie  dort.  Plato's  Idee  nun,  von  diesem  nur  still- 
schweigend mit  dem  Zwecke  erfüllt  '),  wird  von  Tr.  aus- 
gesprochener Massen  und  in  vorwiegender  Weise  durch 
den  Begriff  des  Zweckes  vertieft.  „Die  Idee  ist  der 
Begriff  der  Sache,  in  der  organischen  Bestimmung  eines 
bedingenden  Ganzen  erkannt."  Als  solche  ruht  sie  in 
der  ewigen  Macht  des  Geistes,  denn  die  durchgehende 
Bestimmung  des  Ganzen  ist  ein  Geistiges  und  Göttliches. 
So  aber  sind  die  Dinge  oder  Wesen  die  gleichsam  ver- 
weilende ewige  Idee,  die  Idee  im  höchsten  und  er- 
habensten Sinne.  -)  Aristoteles  führt  den  Zweckbe- 
griff als  Princip  der  Philosophie  ein  ^)  (s.  o.).  Er  ver- 
sucht, die  einzelnen  Teile  und  Tätigkeiten  des  thierischen 
Lebens  als  aus  dem  Ganzen  notwendig  bestimmt  dar- 
zutun*); er  zeigt  im  Organismus,  welcher,  in  der  j^eu- 
erzeugung  sich  teilend,  zugleich  darin  erhöht  und  ge- 
stärkt in  sich  zurückkehre,  das  Constante  der  Gattung 
und  den  Zweck  der  fernen  Zukunft  •') ;  er  setzt  das  Ganze 
als  den  Teilen  voraufgehend  '^),  er  nennt  die  Wirkung  des 
Zweckes  auf  den  Stoff  das  aus  der  Voraussetzung  Not- 
wendige '').  Allein  er  deutet  die  Grundtatsache  der  In- 
version des  Causalen  im  Zweckgeschehen  eben  nur  an  ^), 
und  zumal  der  Gedanke,  das  A  und  0  im  Grunde  der 
Dinge,  ist  von  ihm  nicht  hervorgehoben.  Es  fehlt  die 
Durchbildung  des  Principes  in  Ansehung  der  Bewegung  im 
Allgemeinen  wie  der  wirkenden  Ursache  in  ihr  insbesondere, 

»>  TT,  39.    »)  IL  466  ff.     ^)  II,  39.     *)  II,  8.    »)  11,15.   ")  11,21. 
■')  II,  32.  «)  n,  23. 


ferner  die  Klärung  des  Verhältnisses  zwischen  Denken 
und  Sein,  die  Aufhellung  des  Gemeinsamen ;  es  wird  ver- 
misst  die  scharfsinnige  Abstufung  des  Seins  nach  dem 
Zwecke  hin  aus  dem  Reichtum  der  Kategorien.  Tr. 
knüpft  wohl  an  Aristoteles  an  —  und  wo  wäre  ein 
Philosoph  unberührt  von  der  geistigen  Errungenschaft 
vorausgehender  Entwickelung?  —  aber  im  Grand  und 
Ziel,  im  Auf-  und  Ausbau  seines  Systemes  wahrt  er  auch 
gegenüber  Aristoteles  seine  volle  Selbständigkeit.  "Wenn 
die  Stoiker  im  Zwecke  ihre  Lehre  von  der  Einheit  der 
Providenz  begründen,  so  ist  unserem  Forscher  der  Ge- 
danke als  Grundlage  der  Dinge  die  Providenz  selbst  (s.  o.), 
und  indem  er  den  Zweck,  der  die  Kjäfte  bindet,  das 
Werden  determinirt,  das  Geschehen  leitet,  die  Materie 
vergeistigt,  die  Natur  verklärt,  das  Ethische  vergött- 
licht^),  zur  organischen  Weltansicht  durchbildet,  wird 
letztere  ihm  „die  Yerallgemeinerung  dessen,  was  in  der 
christlichen  Sphäre  als  in  der  höchsten  Spitze  erscheint^)." 
Plotin,  der  Hauptvertreter  des  Neu-Platonismus,  lehrt 
zwar,  dass  die  Bewegung  des  (ruhenden)  Seienden  der 
Gedanke  (vorjöug)  sei  ^),  allein  er  ist  weit  davon  entfernt, 
dies  im  Sinne  des  Constitutiven  und  Schöpferischen  durch- 
zuführen. Cartesius  trennt  Ausdehnung  und  Denken, 
Leib  und  Seele,  da  das  jedesmalige  Eine  dieser  Zwei- 
heiten  für  sich  klar  und  deutlich  durch  logische  Abstrac- 
tion  gedacht  werden  könne  *) ;  er  verneint  daher  die  Be- 
wegung als  Gemeinsames  im  Denken  wie  im  Sein,  somit 
aber  hat  in  seinem  System  nicht  Raum  der  Zweck,  wel- 
cher die  Bewegung  des  Gedankens  im  Sein  darstellt  und 
in  welchem  unser  Denken  dem  Sein  bewegend  sich  ein- 
wirkt.    Die  praestabilirte  Harmonie,  welche  nach  L  e  i  b  - 

»)  II,  436.     2)  ex;  n,  463  f.     ä)  ],  236.     *)  I,  317  f. 


'^^  152  (^ 

niz  das  Reich  der  ]^atur  wie  der  Sitten  verknüpft  '), 
tritt  bei  Tr.  in  der  Lehre  von  der  Congruenz  der  Teile 
mit  dem  Ganzen  und  von  der  wesensinnigen  Inhaerenz 
derselben  eigenartig  auf;  und  während  jener  den  Zweck 
in  dem  organischen  Leib  so  andeutete,  dass  er  letzteren 
auch  in  seinen  kleinsten  Teilen  als  Maschine  hinstellte 
(machinae  naturae  h.  e.  corpora  viventia),  wobei  er  frei- 
lich zugleich  die  individuellen  Monaden  mit  im  Sinne 
hatte  ^),  erweist  Tr.  principiell  und  ist  ihm  neben  dem 
Ethischen  der  Höhepunct  seines  Forschens,  dass  im  Or- 
ganischen insgesammt  der  Zweckgedanke  wohne  und 
wirke,  bilde  und  baue.  Mit  Fichte,  der  wider  Hobbes 
und  Locke  das  Ethische  dem  von  diesen  gelehrten 
Parallelismus  mit  dem  Mathematischen  in  grosser  Geistes- 
tat entreisst  und  auf  immer  entrückt,  weiss  Tr.,  im 
Ethischen  die  höchste,  weil  frei-persönliche  Yerwirk- 
lichung  des  obersten  Zweckes,  nämlich  der  Idee  der 
menschlichen  Wesenheit,  erblickend,  sich  eins,  und  mit 
unverkennbarer  Genugtuung  hebt  er  aus  Fichte's  Pflicht- 
deductionen  die  vollwichtigen  Sätze  hervor:  „Unsere 
Pflicht  ist  das  Gewisseste.  Unsere  Welt  ist  das  ver- 
sinnlichte  Materiale  unserer  Pflicht;  dies  ist  der  wahre 
Grundstoff  aller  Erscheinung.  Fröhlich  und  unbefangen 
vollbringen,  was  jedesmal  die  Pflicht  gebeut,  ohne  Zweifeln 
und  Klügeln  über  die  Folgen,  ist  das  eigentliche  Glau- 
bensbekenntniss."  In  der  Vorraussetzung  des  Göttlichen 
wird  jede  unserer  Handlungen  vollzogen^);  allein  die 
Culmination  des  Teleologischen  im  Sittlichen,  wonach  es 
Zwecke  fordert,  die  es  ordne,  Verhältnisse,  die  es  ge- 
stalte und  wodurch  es  als  das  bedingte  Soll  aus  dem 
Unbedingten,    als  innerer  Zweck   aus  dem  Willen  Gottes 


')  U,  6.     M  II,  125.     =')  I,  320  f.  n,  435  f. 


n^9  153  Q^ 

sich  offenbart:  dies  dargetan  und  weithin  aufgehellt  zu 
haben,  ist  ein  besonderes  Verdienst  Tr.'s.  Wenn  Schel- 
ling  in  seiner  ersten  Epoche  die  Identität  von  Sein  und 
Erkennen  aus  der  Selbstbejahung  des  Seins,  welches 
letztere  dann  mit  dem  Wissen  eins  ist,  in  kühner  An- 
schauung, aber  schwacher  Begründung  behauptete  —  in 
schwacher  Begründung,  denn  Selbstbejahung  ist  hier  nichts 
als  Metapher,  und  das  Sein  aus  und  an  sich  kann  auch 
als  blind  genommen  werden  —  so  folgt,  dass  jedes  Ding, 
in  seinem  wahren  Wesen  gefasst,  mit  völliger  Gleich- 
gültigkeit als  eine  Weise  des  Seins  und  Selbsterkennens 
begreiflich  würde  '),  wogegen  Tr.  nachdrücklich  betont, 
dass  das  Identische  erst  aus  der  Bewegung,  welche  dem 
Unbewegten,  oder  aus  dem  Veränderlichen,  das  dem  sich 
selbst  Gleichen  entgegengestellt  werde,  entspringe;  dass 
im  Denken  und  Sein  als  Gemeinsames  die  Bewegung, 
beides  aber  unter  sich  nicht  gleich  sei,  sowie  dass  das 
Soll  im  Bedingten,  der  innere  Zweck  der  Dinge,  eben 
als  Differenzirung  aus  der  Indifferenz  des  Unbedingten 
Geltung,  Inhalt  und  Bestand  habe,  wie  denn  auch  der 
spätere  Schelling  nicht  umhin  konnte  zu  lehren,  dass 
Gott  einen  Teil  von  sich  (eine  Potenz)  zum  Grunde  und 
dadurch  die  Creatur  möglich  mache,  diesem  Realen  aber 
das  Ideale  übergeordnet  behaltend,  woraus  nun  universell 
hervorgeht,  dass  das  Ideale  Voraussetzung  des  Realen, 
der  Gedanke  im  Grunde  der  Dinge  die  Bedingung  der 
Wirkung  in  den  Dingen,  der  Wille  Gottes  der  nie  ver- 
siegende Quell  des  Gedankens,  der  die  Welt  beherrscht, 
und  an  welchem  allein  unser  Geist  sich  nährt  und  ent- 
zündet, immerdar  ist  und  bleibt.  -)  Dieser  Annäherung 
zwischen  Seh.  und  Tr.    steht  in  Ansehung  des  Sittlichen 


')  II,  446  flf.     *)  U,  487  f. 


^i^9  154  <2X- 

freilich  der  fundamentale  Gegensatz  zur  Seite,  dass  jener 
platonisirend  das  Wesen  des  Menschen  als  seine  eigene 
Tat,  sein  Ur-  und  Grundwollen  setzt,  in  dieser  intelli- 
giblen  Freiheit  jedoch  das  inzeitliche,  in  dieser  Welt 
seinen  Boden  und  Schauplatz  besitzende  sittliche  Handeln 
zum  blossen  Zusehen,  zur  äusseren  ^Notwendigkeit  herab- 
drückt, Besserung  und  Verschlimmerung  zum  Schein 
macht,  Sinnesänderung,  mit  dem  Ruf  zu  welcher  das 
Evangelium  anhebt,  völlig  preis  giebt  ^),  während  da- 
gegen Tr.  es  scharf  herausstellt,  dass  wir  uns  der  zeit- 
lichen Freiheit  des  ethischen  Tuns  bewusst  sind  mittelst 
der  Yerantwortuug  -)  und  derselben  auf  Grund  des  Sitten- 
gebotes auch  fähig  sein  müssen.  ^)  Herbart  kann  zu- 
nächst bei  seiner  Construction  der  Materie  des  Begriffes 
der  Bewegung  nicht  entraten,  denn  wenn  die  Materie 
auf  dem  Räume  ruht,  dieser  aber  im  Zusammen  besteht, 
wenn  sie  ferner  dann  so  herauskommt,  „dass  je  zwei 
oder  mehrere  Elemente  ein  Gleichgewicht  der  Attraktion 
und  Repulsion  geben  müssen,"  so  ist  in  jenem  Zusammen 
und  in  diesem  Zusammenhalten  Bewegung.  '^)  Ebenso- 
wenig reicht  es  zu,  die  praktische  Philosophie  auf  die 
Ideen  der  inneren  Freiheit,  der  Vollkommenheit,  des  Wohl- 
wollens, des  Rechtes  und  der  Billigkeit  als  auf  Form- 
begriffe, welche  harmonische  oder  disharmonische  Ver- 
hältnisse der  Begehrungen  beherrschen,  zu  gründen,  denn 
das  Harmonische  der  Erscheinung  ist  hierbei  nicht  Ur- 
sache, sondern  Wirkung  und  Folge  eines  tiefer  liegenden 
Grundes;  es  „muss  im  Sittlichen  die  Form  der  Harmonie 
aus  dem  Inhalte  der  Idee  entspringen,  aber  nicht  um- 
gekehrt der  Inhalt  der  Idee  aus  der  Form  der  Har- 
monie;"   das    harmonische    Aeussere   entreift  der  inneren 

»)  U,  100.     2)  II,  105.     ')  n,  93.     ••)  I,  260  f. 


'^19  155  Q^ 

Bestimmtheit  aus  der  Zweckbestimmung  des  menschlichen 
AVesens.  ')  Die  Erziehung  kann  und  darf  diese  edlere 
Ethik  des  inneren  Zweckes  und  die  daraus  hervorgehende 
ideale  Bestimmung  keinesfalls  vermissen  lassen.  Ge- 
nerell aber  rügt  Tr.,  dass  in  Herbarts  Metaphysik,  welche 
das  Seiende  als  schlechthin  positiv,  einfach,  ohne  Ver- 
neinung und  Relation,  jede  Grössenbestimmung  abweisend 
und  auch  die  Bewegung  ausschliessend  fassen  wolle,  der 
Zweck  fehle,  „der  die  Vielheit  zur  Einheit  begreift,  und 
somit  der  eigentliche  Halt  für  die  Einheit  sowohl  im 
Einzelnen  als  im  Ganzen"  wird  und  dass,  wie  jene  fünf 
Ideen  zuletzt  im  psychischen  Mechanismus  wurzeln,  so 
die  angebliche  Realität  des  absolut  Gegebenen  in  idea- 
listischem Scheine,  weil  die  Bewegung  negirend,  endet.  ^) 
—  Schleie rmacher  lehrt  gleich  Schelling  Identität 
des  Denkens  und  Seins,  indem  er  das  Absolute  allem 
Wissen  und  Wollen  voraussetzt  und  dasselbe  als  Subject- 
Object  nimmt,  weil  es  weder  als  Wissen  das  Sein,  noch 
als  Sein  das  Wissen  ausser  sich  habe;  er  bezeichnet 
sodann  dies  Absolute,  ähnlich  wie  Herbart,  als  schlecht- 
hin gegensatzlos,  weil  in  ihm  reales  Ineinander  von  Wissen 
und  Sein,  Idealem  und  Realem,  Geistigem  und  Ding- 
lichem, Gedanken  und  Gegenstand  beschlossen  sei.  Allein 
dies  völlige  Gleichgewicht  ist  kein  Punct  der  Ableitung 
und  Folgerung  und  auch  kein  Ziel  des  Handelns,  ent- 
gegnet Tr. ;  und  weiterhin  könnte  jenes  Ineinander  eben- 
sogut in  der  Unterordnung  des  Realen  unter  das  Ideale 
angeschaut  werden;  die  totale  Unbestimmtheit  und  In- 
differenz   ist    nur    leere    Formel.     Das  Bedingte    als    Be- 


»)  n,  89  f.  R,  39  ff.  1,  338  ff.  ^j  II,  475  f.  Uebcrhaupt  2,  313  ff., 
besonders  p.  341  ff. :  Die  Isolirung  der  Vielheit  des  Realen  sei 
ebenso  unstatthaft  und  müsse  zur  Umgestaltung  in  ein  aus  der 
Einheit  des  Gedankens  entspringendes  Ganze  fortschreiten. 


s^  156  <2^^ 

stimmtheit  weist  auf  das  Bestimmende,  „auf  die  be- 
stimmende Macht  des  Idealen  im  Realen  hin."  ')  Das 
Teleologische  muss  Schi,  selbst  statuiren,  wenn  er  Wissen 
und  Sein  für  uns  nur  in  Beziehung  auf  einander  und  so, 
dass  eines  des  andern  Mass  ist,  statuirt,  denn  das  Ding 
am  Begriff  zu  messen,  kann  lediglich  aus  dem  bestim- 
menden Zweck  des  letzteren  möglich  sein.  Vollends  die 
eigentümliche  Sittenlehre  Schleiermacher's  kann  den  Zweck 
nicht  entbehren.  Handeln  auf  die  Natur  ist  Durchdring- 
ung und  Einigung  von  Vernunft  und  Natur.  So  aber 
wirkt  sich  eben  das  Denken  ein,  und  ihm  vermöchte  das 
Natürliche  nicht  entgegenzukommen  oder  überhaupt  Mög- 
lichkeit, Einwirkung  in  sich  zu  erfahren,  darzubieten, 
wenn  nicht,  wiewohl  weniger  frei  und  mehr  gebunden, 
der  Gedanke  in  diesem  waltete;  aber  dies  gerade  ist  es, 
was  Tr.  so  licht  darstellt,  dass  dem  Zwecke  entwerfenden 
Geiste  die  Dinge,  die  ihrerseits  Zweckmässiges  vorbilden, 
antworten.  Tr.  wahrt  also  allseitig  seine  eigenartige 
Stellung  und  führt  das  Zweckprincip  überall  mit  der 
ihm  eigenen  "Weite  und  Schärfe  des  Blickes  meisterhaft 
durch. 


Doch  nun  zum  Beschluss  des  Ganzen !  Haben  wir  bis- 
lang objective  Darstellung  der  Zwecklehre  Tr.'s  angestrebt, 
so  darf  uns  jetzt  nicht  länger  verwehrt  sein,  in  einer 
Kritik  unserer  persönlichen  Stellungnahme  Ausdruck  zu 
verleihen.  Hierbei  ist  zunächst  daran  zu  erinnern,  dass 
wir  zu  mehreren  Malen  auf  die  Wahrheit  und  Schönheit 
der  Trendelenburgischen  Darlegungen  die  besondere  Auf- 

»)  II,  448  ff. 


ni>3  157  "e^ 

merksamkeit  hinzulenken  nicht  umhin  konnten;  wovon 
das  Herz  voll  war,  ging  der  Mund  über.  Jetzt  betonen 
wir  speciell  und  sagen  es  in  Zusammenfassung,  dass  uns 
weitgehende  Zustimmung  mit  Tr.  verbindet. 
Seine  streng  sachliche,  ernste  und  besonnene,  fein  son- 
dirende,  tiefgehende  und  Yieles  überblickende  Methode 
zog  uns  mit  wachsender  Macht  an.  Es  war  uns  von 
seltenem  Reize,  im  anscheinenden  Labyrinth  logischer 
Deductionen  den  Ariadnefaden  des  gesteigerten  Principes 
der  Zweck-Bewegung  allerorten  schimmern  und  leuchten 
zu  sehen.  Das  den  Begriff  des  Zweckes  sowie  der  wirkenden 
Ursache,  beide  als  neue,  doch  congenuine  Principien,  er- 
zeugende Grundprincip  der  Bewegung  scheint  uns  vor 
Allem  wohl  begründet  zu  sein.  Denn  es  muss  der  ge- 
sunden Vernunft  das  Nächstliegende,  Einfachste  und  Be- 
friedigendste sein,  aus  der  durchgängigen  Bewegung  des 
Denkens  und  Seins  auf  die  Bewegung  als  erste  Tat,  als 
Grund-  und  Urtun,  Ursprung,  Quelle  und  erhaltende  Macht 
alles  Bewegten  zurückzuschliessen.  Dagegen  ist  undenk- 
bar, dass  aus  dem  Ersten,  wenn  es  ein  absolut  Ruhendes 
und  schlechthin  Indifferenz  wäre,  diese  eminente  Tätigkeit 
des  Seeundären,  diese  endlose  Differenzirung  und  formen- 
reiche Gestaltung  hervorgehen  könnte.  Unseren  Beifall 
findet  insonderheit  die  Erfüllung  des  Prinzipes  der  Be- 
wegung zu  demjenigen  der  wirkenden  Ursache  und  wie- 
derum des  letzteren  Erhöhung  zu  dem  des  Zweckes.  Be- 
wegung, Ursache  und  Zweck  w^erden  jederzeit  überwiegend 
die  Pole  aller  Weltbetrachtung  bleiben,  und  nur  dies 
kann  die  Frage  sein,  welchem  dieser  Principien  der  Vorrang 
einzuräumen  ist.  Bewegung  ist  leer  und  neutral  ohne  die 
wirkende  Ursache,  diese  blind  ohne  den  Zweck,  und  um- 
gekehrt ist  der  Zweck  nur,  indem  er  die  wirkende  Ur- 
sache   beherrscht,    die   wirkende  Ursache   aber   hat  allein 


n/^  158  ^-^ 

Bestand  in  der  allgemeinen  Bewegung-.  Ebenso  sehr 
sprechen  uns  die  Resultate  der  Forschung  Tr.'s  an,  vor- 
nehmlich die  Abstufung  der  Grundbegriffe  nach  dem 
Zwecke  hin,  das  Reich  des  Zweckes,  die  höchste  Stufe 
des  Seins  im  Ethischen,  der  Yollendung  des  Organischen, 
offenbarend.  Die  organische  "Weltansicht  leistet  sonst  Un- 
erreichtes, in  dem  sie  das  Sein  mit  dem  Denken  durch- 
leuchten lässt  und  mit  dem  Sein  das  Denken  erfüllt,  so 
dass  also  Denken  und  Sein  weder  als  völliger  Gegensatz, 
noch  als  durchaus  Identisches  zu  fassen  sind,  woraus  die 
Möglichkeit  unendlicher  Durchdringung,  endlos  vergeistigten 
Werdens,  endlos  werdenden  Geistes  sich  ergiebt.  Und 
diinn  ist  gerade  sie,  wie  keine  andere  neben  ihr,  Einheit 
der  Anschauung  im  höchsten  Sinne;  sie  erklärt  und  ver- 
klärt das  Niedere,  wirft  auf  das  Fernste  aufhellendes  Licht 
aber  auch  das  Erhabenste  darf  sie  in  ihren  Bereich  ziehen ; 
es  sind  Weltansichten  zwar  unter,  jedoch  nicht  Eine  über 
ihr;  dagegen  ist  die  physische  oder  mechanische  insofern 
und  so  sehr  unvollkommen,  als  sie  weite  Gebiete  des  Un- 
erklärbaren vorfindet  und  so  die  höhere  notwendig  fordert. 
Gesetzt  aber  man  wollte,  wie  auch  Eucken  bemerkt'), 
in  Zweifel  ziehen,  ob  die  Bewegung,  im  Denken  und  Sein 
gegeben,  beiderseits  in  dem  gleichen  Sinne  zu  nehmen 
sei,  so  ist  immerhin  anzuerkennen,  dass  Tr.  diesellie  als 
Grundgeschehen,  welches  niclit  weiter  zu  definiren  ist, 
gründlich  und  weitblickend  dargetan  hat.  Wer  ferner 
der  metaphyöischen  Begründung  des  Zweckes,  wie  sie 
Tr.  bietet,  Bedenken  entgegenbringt,  kann  dennoch  nicht 
in  Abrede  stellen,  dass  Tr.  den  Zweck  als  Grundtatsache 
in  Natur  und  Geist  mit  aussergewöhnlichem  Scharfsinn, 
in  eindringender  Zergliederung,  die  dem  Tatsächlichen 
gerecht  werden  will,  in  umfassender  Verwendung  des  der 

')  Beiträge  etc.,  s.  o.,  p.   117  ff. 


n^  159  Q^ 

Wirklichkeit  abgerungenen  Erkenntnisselementes  muster- 
giltig  nachweist.  Zwar  wäre  hierbei  noch  der  Realismus 
zu  beanstanden,  gemäss  welchem  Tr.  das  Zweckgeschehen 
im  Sein  unmittelbar  erfassen  will,  —  obgleich  wir  doch 
zunächst  erst  desswegen^  weil  wir  selbst  im  Zwecke  denken 
und  handeln,  die  Dinge  auf  den  Zweck  hin  prüfen, 
dann  allerdings  so,  dass  uns  in  und  aus  diesen  ein  Cou- 
gruentes  antwortet  und  als  Realität  entgegentritt  —  allein 
es  ist  Tr.'s  mächtiges  und  erfolgreiches  Ringen  nach  idea- 
listischer Durchdringung  des  Wirklichen  ebenso  unver- 
kennbar. Man  kann  auch  dem  sich  skeptisch  gegenüber- 
stellen, dass,  wie  Tr.  setzt,  Sein  und  Denken  zunächst 
zwei  unterschiedliche  Welten  seien,  ind&>^  bleibt  dadurch 
Tr.'s  Verdienst,  ein  Geraeinsames  beider  erstrebt  und  in 
der  Bewegung  des  Seins  zum  Denken,  des  Denkens  zum 
Sein  die  Durchführung  desselben  unternommen  zu  haben, 
jedenfalls  ungeschmälert. 

Unsere  Auffassung  stimmt  nach  wie  vor  mit  Tr.  darin 
überein,  dass  die  Teleologie  Brennpunct  und  Pol  aller 
Realphilosophie  sein  müsse.  Den  Gedanken  im  Grunde 
der  Dinge  zu  erreichen,  ein  Denken  im  Sein  und  zwar 
als  constructives  zu  erkennen,  dasselbe  dann  zu  recon- 
struiren,  so  ein  geistiges  Weltbild  aus  dem  objectiv 
Geistigen  im  Menschengeiste  nachzuschaffen  und  in  der 
letzten  und  höchsten  Idee  des  allbedingenden  Unbedingten 
zur  Einheit  zu  führen,  dünkt  uns  die  Grundaufgabe  philo- 
sophischer Forschung.  Und  die  approximative  Lösung 
dieses  durchgreifenden  Problems  steht  und  fällt  eben  da- 
mit, ob  zwischen  Denken  und  Sein  Vermittelung  obwalte 
oder  nicht*). 


')  0.  Veeck,  Darst.  und  Erörterung  der  religions-philos.  Grund- 
anschauungen Tr.'s,  Gotha,  1888,  p.  32. 


's^  160  ex^ 

Zu  der  Art  und  Weise  nun,  wie  Tr.  dies  Medium 
communicationis  feststellt,  befinden  wir  uns  doch  in  einiger 
Abweichung  der  Deduction. 

Wir  könnten  leichter  einzelne  Hauptthesen  angreifen, 
z.  B. :  dass  der  philosophischen  Forschung  Ziel  der  Monis- 
mus, d.  i.  Durchdringimg  des  Seins  mit  dem  Gedanken, 
sein  müsse  ^),  denn  im  Yerbundenen  und  noch  nicht  Iden- 
tischen ist  immer  noch  Zweiheit,  und  real  kann  Denken 
und  Sein  weder  ganz  getrennt  noch  völlig  eins,  sondern 
nicht  mehr  und  nicht  weniger  als  mit,  durch  und  zu  ein- 
ander sein,  wesswegen  unsere  organische  oder  ideale  Welt- 
ansicht zwar  den  groben  Dualismus  zum  Monismus  auf- 
klärt, allein  im  lichtvollen  Monismus  den  abgeklärten 
Dualismus  beibehält,  und  so  die  wechselseitige  Immanenz 
vertritt. 

Auch  teilen  wir  nicht  die  Ansicht,  dass  durch  die 
tiefer  erforschte  Ursache  die  Annahme  des  Zweckwaltens 
möglicherweise  beseitigt  werden  könnte-),  indem  uns  um- 
gekehrt gewiss  ist,  dass  aus  dem  fortschreitenden  Einzel- 
wissen zunehmend  ein  Ganzes  der  Erkenntniss  reifen  wird, 
und  dass  in  letzterem  der  Zweck  steigende  Anerkennung 
erfahren  muss.  Jedoch  wären  solche  und  sonst  nur  ge- 
ringmögliche Ausstellungen  an  einzelnen  Puncten  oder 
Partien  des  Werkes  Tr.'s  bei  Weitem  nicht  bedeutsam 
genug,  den  wohltuenden  Einklang  der  GesammtdarstcUung 
zu  stören,  ihren  mächtigen  Eindruck  zu  schwächen.  Irr- 
tum verlässt  uns  nie.  Die  Wahrheit  hat  den  Irrtum,  wie 
das  Licht  den  Schatten,  neben  sich.  Doch  wie  im  Zenith 
des  Sonnenstandes  der  Schatten  minimal  wird,  so  geht, 
wie  hier,  der  untergeordnete  Irrtum  in  die  übergreifende 
Wahrheit  auf  und  verhilft  ihr  derart  zu  um  so  schönerem 
Glänze. 


1)  I,  99.    n,  464.    -)  n,  70. 


n/is  161  Qx> 

Unsere  angedeutete  Verschiedenheit  der  Zweckableitung 
ist  nun  zwar  gewichtiger  und  folgenreicher,  weil  ein 
Principielles  berührend,  nichtsdestoweniger  kann  dabei  die 
Trendelenburgische  Argumentation  intact  bleiben.  Ob 
und  in  wie  weit  übrigens  unser  folgender  Yersuch  mit 
Momenten  aus  Tr.'s  Darlegungen  zusamni entreife,  dürfte 
sich  aus  den  vorangehenden  umfassenden  Erörterungen 
dem  aufmerksamen  Leser  leicht  ergeben.  Schon  desshalb, 
aber  auch  um  den  einheitlichen  Fluss  unseres  Philoso- 
phems  nicht  zu  unterbrechen,  versagten  wir  uns  dahin 
zielende  Bemerkungen. 

Die  Bewegung  soll  und  muss  immerhin  als  wesenhaft 
Gemeinsames  des  Denkens  und  Seins  ihre  Geltung  be- 
wahren, nur  ist  sie,  im  einzelnen  Gebiete  substantial,  auf 
beides  bezogen  modal,  zeigt  so  den  Grundcharacter  des 
Kundwerdens  vom  Grundgeschehen,  die  Art  der  Selbst- 
offenbarung, die  "Weise  der  Activität.  Demgemäss  trachten 
Avir  darnach,  ein  solches  Vermittelndes  aufzufinden,  welches 
die  Substanz  dieses  anfänglich  streng  Doppelten  unver- 
rückt und  unverkümmert  dartut.  Dergestalt  wird  dem 
Zweckprincip  noch  tiefere  Begründung  zu  Teil  werden. 

Zu  diesem  Behufe  gehen  wir  vom  Bekannteren,  dem 
menschlichen  Denken,  aus.  Denken  ist  Eingehen  der 
Innenwelt  in  die  Aussenwelt,  Einsicht  in  die  Dinge,  Ein- 
dringen in  das  Werden,  Trennung  des  Objectes  in  Teile 
(Merkmale),  Zurückentwerfen  des  Ganzen  aus  den  Teilen 
(Begriff),  Teilung  des  Ganzen  unter  ein  höheres  Ganze, 
Reconstruction  des  letzteren  und  sofort  (Gattung,  Idee). 
Indem  unser  Geist  in  dieser  Tätigkeit  sich  auswirkt,  dem 
zu  Denkenden  sich  einwirkt,  das  Gedachte  als  seinen  Be- 
sitz erwirbt,  ist  er  Intelligenz. 

Diese  Möglichkeit,  das  Sein  denkend  zu  ergreifen,  ist 
die  Vorbedingung  aller  Erkenntniss  und  Wissenschaft- 
Ohne    sie    würde    die  Logik    gegenstandslos,    die  Matlie- 

11 


T>^  162  Q^ 

matik  nicht  anwendbar,  die  Physik  haltlos,  weil  des  Ge- 
setzlichen entbehrend,  die  Philosophie  nur  Dialectik  sein. 
"Wir  hätten  dann  nie  zu  verwertende,  geschweige  denn 
zu  erfüllende  "Wisscnsfiihigkeit,  niemals  zu  befriedigenden 
Wissensdrang.  Wäre  es  nicht  ein  masslos  Widersprechendes, 
stets  erkennen  zu  wollen  und  keinesfalls  erkennen  zu 
können?  Wäre  es  nicht  ein  Kreislauf  ohne  Ende,  ein 
Irrgang  ohne  Ausweg?  Ein  Erkennbares  ist  unerlässlich, 
wenn  der  Geist  nicht  an  sich  selbst  verzweifeln  soll. 

Es  ist  hierbei  ohne  Belang,  dass  wir  nicht  das  Ding 
an  sich,  den  tiefsten  Grund  und  vollen  Inhalt  des  Seins 
sondern  immer  nur  ein  Quotielles  und  Singuläres,  Teile 
oder  Seiten,  Verhältnisse  und  Beziehungen  desselben  er- 
kennen. So  wird  uns  die  Wirkung,  aber  nicht  das  Wesen 
der  Electricität  bekannt,  doch  ist  dieses  in  jener  und  ge- 
stattet erstere  Rückschliessen  auf  das  letztere.  Allerdings 
ist  im  Geistigen  mehr  als  im  Natürlichen  die  Entfaltung 
von  innen  zugleich  denkbar  hoclist  approximative  Wesen- 
oftenbarung.  Es  genügt  uns  aber  zu  constatiren,  dass 
wir  das  zu  Denkende,  das  Sein,  wenigstens  teil-  und  be- 
ziehungsweise im  Denken  zu  erlangen  vermögen. 

Auch  das  unvollkommene  Wie  des  Erkennens  darf 
uns  nicht  beirren.  Ich  erkenne  ein  Tönendes,  indem  ich 
es  empfinde ;  ich  empfinde  es,  indem  eine  Erregung  meinen 
der  Erregung  fähigen  Nerven  sich  mitteilt.  Das  Em- 
pfinden ist  nicht  dem  anfänglich  Erregenden,  das  Erkennen 
wieder  nicht  dem  Empfinden  congruent.  Der  höchste  der 
für  das  menschliche  Gehörorgan  vernehmbaren  Töne  hat 
24  000  Doppelschwingungen  in  der  Secunde').  Der  sen- 
sitive Nerv  mag  diese  ihn  treffende  ungeheuere  Erregung 
wiedergeben,  allein  wir  empfinden  dennoch  den  Ton  als 
Ganzes.  Und  wollen  wir  denselben  nach  seiner  Geltung 
erkennen,    die    er    in    den  Tonreihen    einnimmt,    so  wird 

')  J.  Heussi,  Lehrbuch  der   Physik,  Leipzig  1871  §  193. 


^319  163  Q^ 

diese  Empfindung  lediglich  in  der  Vergleichung  mit  anderen 
Tonempfindungen  Grund  der  Erkenntniss  werden  können. 
Obgleich  so  überhaupt  unser  Erkennen  meistens  ein  graduell 
vermitteltes  ist,  begnügen  wir  uns  damit,  dass  insgemein 
ein  denkendes  Erreichen  des  Seienden  angängig  ist.  Das 
obige  Beispiel  lehrt  uns  zugleich,  dass  ein  ganz  objectives 
Erkennen,  ein  dem  Sein  schlechthin  gleiches  Denken  für 
uns  unmöglich  ist,  weil  die  Geisteskräfte  hier  nicht  aus- 
reichen, den  unendlichen  Inhalt  zu  fassen,  die  unbegrenzte 
Weite  zu  umspannen,  das  allmomentliche  Werden  in  sich 
aufzunehmen. 

Dieses  adaequato  und  approximative  Denken  des  Seins, 
die  Möglichkeit,  so  ergriffen  zu  werden,  die  Fähigkeit, 
ein  solches  Eindringen  zu  erfahren,  ein  derartiges  Ent- 
gegenkommen, wo  das  Denken  sich  naht,  ein  sobeschaffenes 
Antworten,  wenn  der  Geist  fragt,  beweist,  dass  dem  Denken 
als  der  Intelligenz  das  Sein  verwandt  ist  als  das  In- 
telligibile.  Das  Sein  ist  somit  Corrclat  des  Denkens, 
ein  Abbild  des  Geistigen,  vom  Gedanken  durchdrungen 
und  denselben  ausprägend. 

So  erst  kann  die  Wissenschaft  suchen  und  finden,  so 
nur  hat  das  physicalische  Experiment,  die  mathematische 
Berechnung,  die  logische  Analysis  Sinn  und  Bedeutung, 
und  in  dieser  Grundtatsache  allein  kann  die  Philosophie 
ankern,  die  da  über  dem  Realen  das  Ideale  aufbauen  will. 
Nun  ist  unser  Geist  nicht  mehr  sich  selbst  der  grösste 
Widerspruch,  er  gewinnt  vielmehr  in  dem  zu  erkennenden 
Geistigen  des  Seienden  die  eigene  Selbstbcjahung  und 
Selbstbekräftigung. 

Der  von  hier  aus  sofort  mögliche,  ja  notwendige  Schritt 
ist  der,  zu  setzen:  dass  dem  Intelligiblen  im  Sein  die  In- 
telligenz zu  Grunde  liegen  muss.  Das  Denken  ist  in- 
telligibcl,  die  Gedanken  des  Einen  sind  dem  Andern  ver- 
ständlich,   nur    weil    das  Ich    eine  Intelligenz.     Ist  diese» 

11* 


-VLO  1 64  <2X^ 

wie  im  Irrsinn,  getrübt  und  gcliommt,  so  hört  ihre  Denk- 
tätigkeit und  J)enkäu9serung  sogleich  auf,  vernünftig,  be- 
greiflich oder  intelligibel  /u  sein.  Wie  die  Geistesarbeit 
der  Jahrlumderte,  der  Austausch  der  Gedanken,  die  fort- 
gesetzte Bereicherung  und  Klärung  des  Geistesbesitzes 
der  Menschheit  unmöglich  wäre,  falls  das  menschliehe  Ich 
nicht  eine  Intelligenz  wäre  und  Intelligibles  erzeugte,  so 
könnte  die  Welt  nicht  vernünftig  sein,  wenn  sie  der  Un- 
vernvmft  entstammte.  Auch  müsste  es  zur  Unmöglichkeit 
gehören,  dass  die  intelligible  "Welt  sich  continuirlich 
differenzirc  und  determinire,  wenn  sie  in  einem  schlecht- 
hin Indcterminirten,  welches  unfähig  wäre  zu  determiniren, 
gegründet  sein  sollte,  wobei  jenes  Indeterminirte  der 
Nicht-Intelligenz  gleichkommen  würde.  Darum  ist  das 
intelligible  Sein  desswegen  allein  gewordene  oder  noch 
werdende  Vernunft,  weil  dasjenige,  was  zu  diesem  Werden 
bewegt,  Intelligenz  ist.  Es  ist  ein  geistig  Bestimmtes  aus 
einem  geistig  Bestimmenden.  So  aber  begegnen  sich  im 
Denken  des  Seienden  aus  Grund  des  seienden  Denkens 
Intelligenz  und  Intelligenz.  Hierin  liegt  das  Geheimniss 
der  Freude  an  glücklicher  Forschung,  der  Quell  der  Be- 
geisterung für  den  Forschenden,  der  schönste  Preis  heiligen 
Strobens.  Wie  wir  also  dieser  Intelligenz  uns  nähern, 
indem  wir  versuchen,  das  Sein  in  Hinsicht  seines  Werdens 
und  Wollens  zu  begreifen,  so  kommt  wiederum  diese  uns 
nahe,  wenn  sie  die  Sinne  erregt,  den  Verstand  bewegt 
und  schult  (im  Mathematischen),  mit  Inhalt  erfüllt  (im 
Physischen),  mit  Form,  Regel  und  Anschauung  der  Ein- 
heit durchbildet  (im  Organischen),  und  wenn  sie  schliess- 
lich und  zuoberst  die  Vernunft  durchleuchtet  imd  zum 
Erhabensten  erhebt  (im  Ethischen  und  Idealen).  —  Die  In- 
telligenz nun  ist  das  Gemeinsame  zwischen  Denken  und  Sein. 
In  der  Intelligenz,  deren  Substrat  und  Verdichtung 
die  Mateiie  ist,   im  Geiste,   welcher  die  Natur  als  seinen 


o^  165  ®^ 

Leib  durchwaltet,  liegt  die  Basis  des  sogen.  Causalitäts- 
gesetzes.  Die  wirkende  Ursache  besagt  wesenhaften 
Zusammenhang  des  Späteren  und  Nachfolgenden  mit  dem 
Früheren  und  Vorhergehenden.  Nun  ist  durch  die  innc- 
wirkende  Intelligenz  jenes  wie  dieses  und  Alles  durch- 
geistigt, beides  besitzt  ein  gemeinschaftliches  Band  des 
Geistigen,  im  gemeinsam  Geistigen  herrscht  congruente, 
geistgetragene  Entfaltung.  Daher  ist  das  Causale  nichts 
Geringeres  als  Connex  des  Yernünftigen  und  bei  Weitem 
nicht  blinder  Verlauf  eines  ewig  Blinden.  Die  Welt  ist 
gleichsam  das  aufgeschlagene  Buch  der  Weltintelligenz. 
So  wenig  ein  Buch  nur  eine  Summe  von  Buchstaben  oder 
Gefüge  von  Sätzen  ist,  so  wenig  besteht  die  Welt  bloss 
aus  Elementen  der  Materie  und  Verbindungen  stofflicher 
Kräfte;  sie  ist  darum  ein  Ganzes  und  seine  Idee,  Geist- 
gewirktes und  Gcisterfülltes,  Planen  und  Intelligenz.  Die 
übereinstimmende  Entwickelung  in  ihr,  geordnete  Folge 
des  Fortschreitens,  der  strenge  Zusammenhang  der  Suc- 
ccssion  ist  im  Geistigen  beschlossen.  Stimmte  das  Zweite 
nicht  zum  Ersten,  widerspräche  das  Gewirkte  dem  Wir- 
kenden, so  wäre  die  Vernunft  zur  Unvernunft  geworden. 
So  ist  die  Causalität,  oft  zur  Verneinung  der  Intelligenz 
im  Sein  missbraucht,  gerade  Ausdruck,  Zeugniss  und  Be- 
weis derselben.  Es  offenbart  sich  eben  im  Causalen  das 
lichte  Sichselbstsetzen  der  Intelligenz,  bewussteEingcistung, 
Process  der  Vernunftincorporation,  Logik  des  Wcltlogos. 
Noch  mehr  aber  und  übergreifend  ist  die  Intelligenz 
im  Sein  Grundlage  des  Zweckgeschehens,  Denn  sie  stellt 
ein  Ganzes  und  Einheitliches  dar,  Getciltheit  wäre  Wider- 
spruch, Widerspruch  in  ihr  wäre  Selbstverncinung,  Selbst- 
verneinung müsste  zur  Selbstvemichtung  führen.  Ein  Ganzes 
zu  sein,  ist  tiefste  Eigenart  der  Vernunft,  während  Ge- 
spaltenheit und  Zerstückelung  nichts  als  Unvernunft  zeigt. 
Die   Intelligenz    als    Ganzes    muss    nun   auch  in  der 


-^  166  (^ 

Form  des  Ganzen  und  in  der  Norm  zum  Ganzen  d.  h. 
im  Zwecke  wirken.  In  der  Erzeugung  des  Ganzen  cul- 
minirt  der  Vorgang  der  Zweckverwirklichung.  In  dieser 
Macht  zum  Ganzen  wandelt  die  Intelligenz  das  causale, 
uninteressirte  Nebeneinander  in  das  sehnende  und  suchende 
Füreinander.  Lichtvoll  entwirft  sie  die  Teile  und  durch- 
schimmert dieselben  bis  in  das  Kleinste.  Sie  gruppirt  die 
zerstreute  Vielheit  unter  die  Einheit,  sie  individuirt  sich 
aus  der  endlosen  Vielheit  in  ein  harmonisches  Zusammen. 
Im  Organischen  hält  sie  eine  Menge  von  Atomen  vereint 
und  bindet  zahllose  Kräfte,  die  sonst  auseinandergehen 
würden.  Im  Mechanischen  sammelt  sie  disjecta  membra 
zur  Gesammtwirkung.  Im  Mathematischen  ist  sie  die 
gesetzgebende  Macht.  Nichts  steht  ihr  besser  als  das 
ideale  Prius  zum  realen  Posterius  zu  sein,  denn  Voraus- 
schauen, Vergegenwärtigung  des  Zukünftigen  ist  ihr  spe- 
cifisch  eigen.  So  besiegt  sie  Ursache,  Raum  und  Zeit. 
Wenn  ferner  die  Mittelschaft  am  Notwendigen  Begrenzung, 
im  Zufälligen  weiten  Spielraum  findet,  so  kann  die  zweck- 
setzende Intelligenz  jene  zunächst  umgehen,  dieser  weise 
begegnen.  Weiterhin  fällt  es  mit  dem  Wesen  derselben 
zusammen,  dass  der  verwirklichte  Zweck  nicht  unfi-ucht- 
barer  Wert  oder  todtes  Capital  sei,  sondern  Mittel  zu 
neuem  Zweckvollzug  werde.  Und  zumal  in  Zweckreihen 
wird  sie  ihre  Meisterschaft  betätigen,  einem  Hauptzweck 
viele  Zwecke  unterordnen,  den  Generalgedanken,  alles 
Wechsels  der  Mittel  ungeachtet,  durchführen,  Hemmungen 
trotzen,  an  vorübergehender  Zweckwidrigkeit  nicht  schei- 
tern, sondern  immer  neu  und  erfinderisch  und  endlos 
schöpferisch  überall  und  jederzeit  ein  Ganzes  erwirken, 
das  erreichte  Ganze  einem  abermaligen  und  sofort  sub- 
ordinircn,  endlich  ein  allumfassendes  Ganze,  in  alledem 
aber  sich  selbst  verwirklichen. 

Doch    dazu    ist    Macht    erforderlich.     Woher   will  sie 


m^  167  SV 

die  Intelligenz  entnehmen?  Wenn  aus  einem  Andern,  so 
ist  sie  im  Widerspruch  gefesselt,  mit  jenem  und  mit  sich 
selbst  uneins.  Doch  woher  sonst?  So  glatt  unsere  seit- 
herige Argumentation  des  Intelligiblen,  der  Intelligenz  und 
des  Zweckes  vor  sich  ging,  so  gross  ist  die  Schwierigkeit, 
die  Macht  der  Intelligenz  darzutun.  Nur  aus  sich  selbst 
also  kann  die  Intelligenz  das  Vermögen  haben,  im  Zweck- 
geschehen sich  zu  manifestiren.  Nun  wäre  in  ihr  Wissen 
und  Nicht-Können,  Können  und  Nicht- Wollen  ein  Wider- 
spruch, Widervernünftiges  und  Selbstverneinung.  Der  Ge- 
danke ist  also  zugleich  sein  eigener  Wille,  der  Wille  so- 
gleich eins  mit  seiner  Entäusserung  und  Verwirklichung, 
beides  wieder  desswegen,  weil  ein  Zwiespalt  in  der  In- 
telligenz niemals  entstehen  darf.  Wenn  sodann  Wissen 
überhaupt  Macht  ist,  nämlich  Macht,  das  Gewusste  dar- 
zustellen und  das  Darstellende  nach  ihm  zu  regieren,  so 
muss  gewiss  dieser  Intelligenz,  welche  im  Fernsein  des 
Widersprechenden  ihre  Wesenheit  ungetrübt  erhält  und 
die  das  unermessliche  Reich  des  Intelligiblen  schafft,  Macht 
der  Zwecksetzung  und  Machtwille  der  Zweckverwirklichung 
unanfechtbar  zukommen. 

Wir  krönen  unsere  Deduction  des  Zweckes,  indem 
wir  die  dem  Sein  integrirende  Intelligenz  einfügen  in  die 
absolute  Intelligenz.  Jene  ist  in  Ansehung  des  Zweck- 
mässigen im  Sein  gross  und  erhaben,  jedoch  rücksichtlich 
des  relativ  Zweckwidrigen,  welches  doch  ebenso  wie  jenes 
phaenomenal  ist,  noch  nicht  das  Vollkommenste  und  muss 
daher  in  dieser,  als  ihrer  Immanenz,  bemhcn.  Das  un- 
bedingte Agens,  das  schlechthin  Erst-,  Mit-  und  Letzt- 
bewegende  ist  also  die  absolute  Intelligenz.  Da  in  der 
relativen  Intelligenz  das  Zweckgeschehen  vorliegt  und 
diese  in  der  absoluten  ihren  Grund  hat,  so  muss  die 
Zweckverwirklichung  selbst  absolut,  von  endloser  Dauer, 
allvermögender      Macht,      alldurchdringender      Weisheit 


'ä^  168  s^ 

sein  und  bleiben.  Das  Organische  ist  nur  Abbild,  das 
Ethische  nur  Abglanz  des  für  uns  in  seinen  letzten  Tiefen  und 
erhabensten  Höhen  unfasslichen  absoluten  Zweckvollzuges. 

Auf  dieser  obersten  Stufe  der  eigenen  Zwecktheorie 
lehren  wir  zuhöchst,  dass  die  absolute  Intelligenz  Gott 
ist.  „Einer  ist  das  Eine"  (Jacobi).  Als  absolute  In- 
telligenz ist  er  die  absolute  Persönlichkeit,  in  welcher 
wie  das  Wissen,  so  auch  der  Wille  absolut  und  jenem 
identisch  ist.  Der  absolute  Wille  ist  zugleich  die 
schrankenlose  Macht,  denn  es  darf  in  der  höchsten  In- 
telligenz um  so  viel  weniger  ein  Zwiespalt  obwalten.  Die 
ungemessene  Macht  wird  zur  ungehemmten  Tätigkeit, 
und  diese  ist  als  Ursprüngliches,  Immanentes  und  Letztes 
Zwecktätigkeit.  Die  absolute  Intelligenz  als  höchste  Ein- 
heit wirkt  nur  in  und  zu  der  Einheit.  Grösstes  und 
Kleinstes,  Fernstes  und  Nächstes,  Sonnenwelten  wie 
Mikrobioben  schaut  Gott  sub  specie  aeternitatis  (Spinoza) 
als  Ganzes  in  Einem  Blick.  Grund,  Mittel  und  Ziel 
ftillen  so  in  Eins  zusammen.  Gott  ist  die  Pro  videnz,  die 
das  Zweckgeschehen  behütet  und  bewahrt,  die  ewige 
Weisheit,  welcher  auch  das  scheinbar  Zweckwidrige 
dienen  muss,  die  allesvcrmögende  Macht,  deren  Sieg  im 
Zwecke  unaufhaltsam  ist,  die  allerbarmende  Liebe,  welche 
im  Heilswerk  den  Zwiespalt  des  Gesammtzweckes  und 
Einzelzwcckes  ausgleicht. 

Und  hiermit  sind  wir  am  Endpuncte  überhaupt  ange- 
langt. Unsere  Ableitung  und  Begründung  des  Zweckbe- 
griffes will  ebensowenig  durchaus  neu  oder  völlig  zureichend 
sein,  wie  diejenige  Tr.'s.  Ein  unergründlich'  Element  wird 
bei  aller  menschlichen  Forschung,  die  sich  stets  nur  auf 
glcichgcartete  d.  i.  relative  stützen  kann,  immer  und  ewig 
zurüikbleiben.  Doch  wie  dem  auch  sei,  wir  stimmen  auch, 
in  der  zuletzt  entwickelten  subjectiven  Auffassung  darin  mit 
Tr.  überein,  dass  der  Zweck   sei    weltbeherrschend 


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B  Liebermann,   Bernhard 

3158  Der  Zweckbegriff  bei 

L3  Trendelenburg