Liebermann, Bernhard
Der Zweckbegriff bei
Trendelen bürg
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n^
Der Zweckbegriff
bei
Trendelenbiirg.
Inaiigural-Dissertation,
der Hohen
Pliilosopliisclien Facultät der Universität Jena
zur Erlangung der
Pliilosopliisclien Doctorwürde
vorgelegt
von
Bernhard Liebermann,
Meiuiugeu. ^
Druck und Vei'lag der Keyssner'schen Hofbuchdruckerei.
1889.
^ A -■ '■•'
ß
AUS PER
ÜN!VERSiTAIS = £tSL;OTHEK;
Seinem geliebten Brnder,
Herrn Pfarrer C. Liebermann
zu
Osthausen b. Kraiiichfeld,
in herzlicher Zuneigung
gewidmet
vom
Verfasser.
Dei? Z^^^eckbegriff
bei
Trendelenburg.
Der Zweckbegriff, im Entwickelungsgange philosophi-
scher Forschung hier angebahnt, begründet und hervor-
gehoben, dort geläugnet, beschränkt und zurückgeschoben,
immer aber als eines der Hauptprobleme des Denkens
anerkannt, erlangt gerade in unserer Zeit Beachtung und
Befestigung. In welch' hohem Grrade hieran Adolf Tren-
delenburg, dieser umsichtige und gediegene Forscher, be-
teiligt sei, dies sagen uns am Treffendsten die Worte
Jherings: „Das Beste, was mir bei meinem Suchen —
(nach genügender Erörterung und Begründung des Zweck-
begriffs von Seiten Anderer) — begegnet ist, sind meines
Erachtens die Ausführungen von Trendelenburg, meister-
haft nach Form und Inhalt."') Aber freilich, es war
unser Philosoph mit seiner Nüchternheit und Strenge des
Denkens, mit seiner — man könnte sagen — klassischen
Einfachheit des Darstellens im Strome einer flachen Mode-
philosophie fast in Vergessenheit geraten. Um eo erfreu-
1) Der Zweck im Recht I. 2. Aufl. p. VIII.
'^^ 6 ex«
lieber ist es, dass das wissenschaftliche Interesse, sich der
Lehre Trendelenburgs wieder zuwendet. Und es möchte
derart auch durch diese unsere Untersuchung Anlass zur
weiterschreitenden Würdigung dieses Philosophen gegeben
werden. Wir werden so nun im Folgenden allerdings
weder die Grundthesen, noch das Ganze der ^in Rede
stehenden Speculation behandeln, sondern nur ein Einzelnes,
ob zwar Grundlegendes derselben, doch muss eben im
Zweckbegriff das vollständige, wenn anders einheitlich
durchwirkte System sich mit herausstellen.
Yon den Trendelenburgischen Schriften kommen hier
vornehmlich: „Logische Untersuchungen" ') und darin
wieder Bd. IL. Abschn. IX, p. 1 — 76. „Der Zweck" ganz
besonders in Betracht, wenngleich der Begriff des Zweckes
auch in seinen übrigen Werken — wie in: „Naturrecht auf
dem Grunde der Ethik." ^) (z. B. bei den Grundstellen:
„Die organische [zwecklich, im Zwecke begründete] Welt-,
anschauung stützt sich zunächst auf die grosse Thatsache
des Lebendigen. — Der Charakter eines nach innerem
Zweck sich gliedernden, entwickelnden, vollendenden
Ganzen bleibt im Sittlichen;" ^) und: „ [es] ist das Recht
im sittlichen Ganzen der Inbegriff derjenigen ^allgemeinen
Bestimmungen des Handelns, durch welche es geschieht,
dass das sittliche Ganze und seine Gliederung sich erhalten
und weiterbilden kann ^) . . .), ferner 'in „Historische
Beiträge zur Philosophie" ^) (z. B. bei dem abschliessen-
den Urteile über die Kategorienlehre: „Durch ^ die im
Geiste frei gewordene^ Bewegung, die der Ursprung der
mathematischen Welt ist, wird es möglich, in die Be-
wegung einzugehen, welche der Entstehung der Dinge zu
.')J^eipz. 1862, 2 Bdde. 2 Aufl. -') Leipz. 1868, 2. Aufl. ■■') ib. p.
25 ff. *) ib. p. 83 ■•) Berlin, Bethge, 1846, 55, 67. 3 Bdde.
n^9 7 QX"
Grunde liegt') . . .;" und: „Aus der bewussten Richtung
der constructiven Bewegung entspringt schon mehr als
blind wirkende Causalität; es wird durch dieselbe auf
dem Gebiete der menschlichen Tätigkeit der grosse Begriff
des Zweckes möglich und in der Xatur erkennbar" ') —
principiell vorwaltet und daher auch aus diesen Schriften
in Ergänzung und ^Vervollständigung der Hauptstellen zu
erörtern ist.
Als Teile unserer Forschung ergeben sich, vorwiegend nach
dem Gange des Trendelenburgischen Philosophems selbst:
Inhalt und Begründung des Zweckbegriffes, "Widerlegung
der Gegengründe, das Reich der Zwecke, der Zweck im
Zusammenhange des Systems und Resume und Kritik.^)
Der Inhalt eines Begriffes ist gleich der Summe der
wesentlichen Merkmale desselben.^) Als solche resultiren
aus der Analysis der ersten Hälfte ^) des oben angegebenen
Hauptabschnittes im Gesammtbet rächt:
A. Der Zweck ist ein Erfahrungsmässiges und Tat-
sächliches; er wird, in seiner das natürliche wie
geistige Leben umfassenden Macht angeschaut, zum
Weltbegriff. '')
B. Der Zweck als eine Tatsache erfordert als Be-
dingung der Tatsächlichkeit die Entgegensetzung,
aber diese Entzweiung wird unter einem neuen
Ganzen wieder aufgehoben. *')
*) ib. 1, 363. ^) ib. p. 369. ^) Bei alledem bezeichnen wir fortan
die 2 Bdde der „Log. Untersuclijrn." mit I u. II, die 3 Bdde der
„Hist. Beiträge" mit 1, 2 u. 3, „Naturrecht..." mit „R." Ferner
bedeutet ex.: vergl. auch, ^b) I, 20. *) II, 1—38. *) 11, 1 — 16, 6,
19, 22, 24, 26, 27, 28, 42, 48, 88, 90, 91 etc. «) H, 17, 18, 28,
b5, 127, 135, 162.
C. Der Zweck, so auf das Ganze gehend, erzeugt die
Teile aus dem Ganzen und ist hiernach ein Hy-
sterenproteron oder eine praestabilirte Harmonie. ')
D. Derart ist, soweit der Zweck in der Welt wirklich
geworden, der Gedanke als Grund vorangegangen, ^j
E. Dieser Gedanke, mit den wirkenden Ursachen eins,
steht in seiner Macht mitten in und über den Dingen.
Und so dient in ihm die Kraft dem Zwecke. Da-
her will letzterer, wo er erscheint, eine Tätigkeit. •')
F. Insofern wirkt der Zweck auf den Stoff und erhebt
denselben zum Mittel. ■*)
G. Die Zwecke sind einander untergeordnet und bilden
Reihen. ^)
Diese Entfaltung der Merkmale des Zweckbegriffes
hebt also mit der Erfahrung an, zeigt sodann im Allge-
meinen Yoraussetzung wie Charakter des Zweckes, betont
weiterhin die Wechselbeziehung zwischen Zweck und Ge-
danken, schreitet hierauf zur Darlegung der Relation des
Zweckes zur Materie und gipfelt in der Eröffnung des
Ausblickes auf die (endlosen) Reihen der in der Wir-
kung beharrenden, einander sich unterordnenden Zwecke.
Das erste Merkmal fusst in der Empirie, das letzte
reicht in das Metaphysische hinein.
Das Empirische ist Yielheit. Wirkte der Zweck sich
derselben nicht ein, oder so, dass er sie vermehrte, so
wäre er Nicht-Zweck. Polglich muss er der Yielheit
sich einwirken und dieselbe mindern, die Dinge in Be-
ziehung von Ursache und Wirkung umgestalten, docli
hierdurch fördernd, weil neuen Zielpuncten und immer
höherer Einheit zuführend. Diese zielsetzende Einwirkung
1) n. 19 fi-, 29, 125, 134, 190; 23; 25; 6, 26, 27, 28, 492. •^) II,
27 ff. 91, 117, 431, 433. ■') U, 30; 31, 132; 3!, 137. *) II, 32:
34, 37, 124, 137, 159. *) II, 37.
'^^ 9 <s^
des Zweckes würde jedoch nicht sein, wenn ihm nicht
der Gedanke, der vorausschauende, zu Grunde läge. Aber
auch der Gedanke vermöchte nicht zum Ziele zu führen,
hätte er nicht Macht zur Formung und Kraft des Bildens
und Trieb der Actualität. Indem nun der Zweck kraft-
begabt sich aus- und einwirkt, ergreift er die AVeit zur
Mittelschaft. Da endlich, wenn das Tatsächliche nicht
zerrissen werden soll, im Fluss der Formung kein Still-
stand, kein Yacuum eintreten darf, so muss das eben
Bezweckte d. i. zwecklich Erreichte sofort zu neuer Ziel-
setzung und weiterem Zweckgeschehen treiben.
In wiederum neuer Beleuchtung enthüllt sich das
Ganze dieser Merkmale, wenn wir ihren Umfang und
Bereich selbst in Betracht ziehen. Die Erklärung fängt
mit dem Begriff des endlich Weiten an und schliesst mit
demjenigen des unendlich Weiten. Die mitteninne auf-
tretenden Merkmale müssen den Zweckbegriff fortgesetzt
verengern. Schon der 2. Satz: „Der Zweck erfordert
Entgegensetzung" repraesentirt eine bedeutende Einschrän-
kung, denn hier blicken wir sofort von der immensen
Yielheit des Concreten weg und auf die Entgegensetzung
oder jeweilige Zweiheit hin. Wenn der Zweck dann im
3. Merkmale als {jörf^ov jcqotbqov erhellt, so tut sich
darin eine ganz specifische Exclusivität an ihm kund, und
jemehr demgemäss der Bereich der Causalität vom Zwecke
und seinem Reiche abgelöst w^ird, um so weniger kann
insoweit der Zweckbegriff ausgedehnt sein. Eine weitere
Verengerung entspringt aus der Association von Zweck
und Gedanke, denn so hat der erstere nicht nur an sich,
sondern obendrein von einem Andern her und dies erneut
an sich, also potenzirt, Begrenzung. Die Concentration
der Definition schreitet Aveiter, indem das Wirken des
Gedankens, mit Ausschluss des Quäle auf das Quantum
'^IS 10 Q^
bezogen, allein in Ansehung seiner Macht und diese
wieder nicht als blind in die "Weite und Breite, sondern
ziehvärts wirkende Fornmngskraft, letztere aber wiederum
als activ, mit Weglassung der Indifferenz, gefasst wird.
Ja, immer mehr spannt sich die Definition in ein Mini-
mum zurück, wenn der Zweck dann auch nicht melir als
Quantum, sondern nur noch als Quatenus, nämlich inwie-
weit er der "Welt sich einwirkt, genommen wird, bis
freilich in dem das Ganze krönenden Merkmale der
(endlosen) Zweckreihen die siebenfache Spannung und
Concentration plötzlich über das erste Merkmal hinaus
in's Unbegrenzte sich ausweitet.
Wir schreiten nunmehr zur Einzelbetrachtung der
Merkmale des Zweckbergriffes Tr's.
Nachdem unser Philosoph seinen Gmndbegriff, die
Bewegung im Denken wie im Sein ^), gewonnen und die
Gegenstände a priori aus der Bewegung, nämlich Raum
und Zeit, Materie und Form, Figur und Zahl, extensive
und intensive Grösse ") und ebenso die realen Kategorien
aus der Bewegung, als da sind Causalität und Substanz,
Quahtät und Quantität, Messbarkeit und Einheit im Yielen,
luhaerenz und Wechselwirkung, ^) deduzirt hat, verlässt
er zeitweilig die logische Ableitung und versetzt un;?
mitten in die Gestalten der Natur, da wir so nur erkennen
können, wie weit die schöpferische Bewegung mit den aus
ihr entspringenden Begrift'en ausreiche. Halten wir derart
die Theorie gegen Tatsachen, so begegnen uns sogleich
solche, welche aus Bewegung und Causahtät nicht zu er-
klären sind. Im Gesichte des Menschen — ein ganz
nahe liegendes Beispiel — entsprechen Stoff und Bau
der Medien des Auges (Nerv und Netzhaut, die gewölbte
•) I, 140 £F. 2) I, 233 324. ') I, 325-379.
'^^ 11 QX"
Hornhaut, die wässerige Feuchtigkeit, die sammelnde
Linse, der dünnere Glaskörper) der Farbe und Form der
Aussendinge, so dass die von Einem Puncte kommenden
Strahlenkegel des Lichtes, nach Einem Puncte der Netz-
haut zu gebrochen und hier durch Hornhaut und Linse
in der Ümkehrung dargestellt, im Lichtmeer des Sehnerven
Gestalten ergeben. Zudem wird das unvollständige Ge-
horchen des einen Werkzeuges durch schöpferische Vor-
sicht überwunden, indem das schwarze Pigment der
Augenwände das überschüssige Licht aufschlürft, indem
der Schirm der beweglichen Jris den Rand der sonst das
Bild wieder zerstreuenden Linse deckt, und indem die
Ausgleichung der sammelnden Mittel des Auges die sonst
unvermeidliche Farbenzerstreuung verhütet. ') Dieses
im Verborgenen gebildete, aber, wenn dem Lichte ge-
öffnet, dem Lichte auch entsprechende Auge zeigt über
die mechanische Causalität hinaus und auf den Zweck.
Derselbe erhellt als Tatsache ferner aus den dem je-
Aveiligen Bewegungselement angemessenen Bewegungs-
werkzeugen des Thieres, z. B. entsprechen einander der
luftige Bau des Vogels (fächerartige Flügel, Kraft der
Schwungbewegung, Luft in den Knochen) und die zu
durchschneidende Luft, die festen Knochen der Landthiere
und das feste Land. Ein greifbarer Beweis, ein hervor-
ragender Beleg der auf jedem Schritt in der Natur uns
begegnenden praestabilirten Harmonie (Leibniz) ist der
über die scheinbar unzweckmässige Anordnung der sehr
schief auf ihre Hebel wirkenden Muskeln und über die
einseitige Zweckmässigkeit der Mechanik bester Hebel-
einrichtung triumphirende organische Bau des menschlichen
Körpers nach seiner Uebereinstimmung zwischen seinem
beweglichen Schwerpunct und dem verschiebbaren Unter-
1^ 12 e^
stützungspunct und der von den Sinnen geforderten, aber
auch die Sinne fordernden, mit Richtungen begabten aus-
gleichenden Bewegung der verschiedensten GUeder. Tr.
zieht sodann Cuvier, den mit Meisterhand zeichnenden
Architecten der Natur, heran, insofern er aus dem von
diesem dargelegten Zusammenhang der ganzen Organisation
eines Thieres mit seiner Nahrung, -wie z. B. beim fleisch-
fressenden Thiere die Eingeweide zum Flcischverdauen,
die Kiefer zum Fressen, die Klauen zum Festhalten und
Zerreissen, die Zähne zum Zerschneiden, die Bewegungs-
organe zum Fangen, die Sinnesorgane zur Wahrnehmung
in die Ferne, der Instinct zum Verbergen, Auflauern oder
Ueberfallen eingerichtet seien, die Abhängigkeit der Glie-
der und Teile aus einem Gedanken des Ganzen hervoi-
gehen sieht. Auch W. Tischbein, ebenfalls ein Vertrauter
des Thierlebens, der den Unterschied der Physiognomien
der Thierköpfe, die mutige Kraft oder die friedliche
Ruhe, den durchdringenden Blick und scharfen Verstand
oder die aufgeschüchterte Phantasie und den matteren
Blick aus dem Unterschiede der Fleisch- und Pflanzen-
nahrung vmd aus dieser verschiedenen Weise der Selbst-
erhaltung als des höchsten Thierzweckes herleitet, muss
für die Tatsächlichkeit des Zweckes Zeugnis geben. In
Analogie findet Tr. bezüglich der Nahrung des Menschen,
dass hier zwar der Zweck der Nahrung und die Organe
der äusseren und inneren Aneignung (da zur Erlangung
der Fleischspeise ihm der ganze Apparat der scharfen
Klaue, des gewaltigen Gebisses etc. und zur Assimilation
der Pflanzennahrung der grössere Aufwand thierischen
Apparates und die ganze Vorrichtung zur Verdauung
vegetabilischer Producte fehlt) auf den ersten Blick aus-
einander zu fallen scheinen, dass jedoch der Mensch das
Mangelnde durch die List des Verstandes ersetzt, indem
•>19 13 QX^
er die Waffe statt Klaue und Zahn, das Feuer zum vor-
herigen Kochen der Pflanzennahrung gebraucht, und indem
er mit dem Feuer weiter wuchernd Zeit und Raum be-
siegt und im trotzigen Prometheuswerk der Kultur die
Natur den Zwecken des menschlichen Lebens wachsend
dienstbar macht, wesshalb insgemein jener Widerspruch
unter höherem Gedanken sich aufhebt. Tr. weist ferner
auf die bei den höheren Thieren eng gebundenen und
eng begrenzten Verrichtungen dienenden Sinnesorgane
(das Tastgefühl ist verwachsen mit den "Werkzeugen zur
Bewegung etc., der Geschmack ist bloss prüfend und
warnend, das Auge beschränkt sich auf die Selbsterlialtung),
aber im Menschen sich frei entfaltenden Sinne hin (Künste
aus dem Tastgefühl, Erkennen chemischer Differenzen aus
dem Geschmack, Sprache aus dem Gehör, Erschliessen
der unendlichen Welt durch das Auge). Wenn in letz-
terem Betrachte die Sinne im Dienste des denkenden
Geistes den höheren Zweck kundtun, so ergiebt sich aus
der Zusammenstellung mit dem niederen Zweck die merk-
würdige Tatsache, dass ein in sich Yollendetes, Abge-
schlossenes wieder Glied eines umfassenderen, bedeutsameren
Lebens wird, und dass, wenn die Pflanzenwelt ihre Grösse
und Schönheit dem Thierreiche opfert, das thierische
Sinnenleben dem menschlichen Geistesleben als dem Hö-
heren und Mächtigeren untergeordnet ist. Die schlagendste
Taterweisung des Zweckes aber findet unser Philosoph
im Samen und Keim und seiner Entwickelung. „Der
Same, der sich verändert, giebt sich selbst nicht auf. Das
Ende der Entwicklung bringt den Anfang wieder hervor.
In der Frucht hat sich der Same vervielfacht. — In dem
unterschiedenen Keime liegen die Unterschiede verborgen
und in dem ganzen Kreislauf der Entwicklung regiert
jeder Schritt das künftige Ganze. — Die Macht des
'319 14 <äX^
Ganzen wirkt, ehe es da ist, damit es werde. Der Keim
ist das künftige Ganze in der Möglichkeit und Anlage,
durch die Entwicklung entstehen die Glieder des Ganzen
in der Wirklichkeit." ') Dieser Zweck der fernen Zu-
kunft, kein grösseres Paradoxon als derjenige des fernen
Raumes, wenn das Auge mit der um viele Erdhalbmesser
fernen Lichtesquello harmonirt, stellt einen Gedanken dar,
„der die "Welt beherrscht, indem er sie durchschauet."
Und endlich zeigt neben der gegenwärtigen Natur auch
die unvordenkliche Yergangenheit die Tatsache des Zweckes
auf, insofern als, nach Resultaten der Geologie, über den
Trümmern physikalischer Zerstörungen immer wieder
neues und grösseres Leben sich erhob, insofern als mannig-
fiiltige, physikalisch unerklärte, ja kaum denkbare Pflan-
zen- und Thiergeschlechter aus den herrschenden Kräften
entstanden, und insofern als aus dem Einerlei physikalischer
Bedingungen (Licht und Luft, Wasser und Boden) gleich-
zeitig verschiedene Stufen und Formen eigenen Lebens
auftraten, so dass in dieser Stufenreihe der Wesen der
innere Zweck als Weltbegriff sich erschliesst. Der Zweck
ist also überhaupt „ein Factum der Welt"."')
Erfordert so die Vielheit, die Erscheinungswelt, inwie-
weit sie aus dem Causalcn nicht begriffen werden kann,
den Zweck, so ist hinwiederum der Zweck durch die
Yielheit und Entzweiung -) oder das Relative bedingt. In
der nichts absetzenden, sich nicht differenzirenden Gleich-
gültigkeit des einförmigen Raum-Continuums, des gleich-
massigen Luftmeeres, der nivellirten Wassermasse erscheint
ursprünglich der Zweck nicht. Wo aber wie in obigen
Tatsachen das Thier und sein Lebenselement, Auge und
Licht, Luft und Lunge, Verdauungswerkzeuge und Nah-
rung, Hebel und zu Hebendes, Sprache des Einen und
') II, 14. a») n, 4G4. 2) 11^ 435^ ^^ n^ 162, 440.
nl^ 15 ^-^
Gehör des Anderen sich gegenüberstehen, auf einander
hinweisen und gleichsam sich gegenseitig suchen, kann
Dieses für Jenes sein und Wechselbeziehung beider und
Neubildung unter einem höheren Ganzen d. h. eben der
Zweck eintreten. Während bei der wirkenden Ursache
das gewirkte Einzelding wie ein Stück vom Ganzen sich
loslöst und in sich abschliesst, begrenzt sich auf dem
Zweckgebiete die Substanz nur zwecks der Entgegen-
^tellung. Linie und Kreis, an sich unabhängig bestehend,
bilden, wenn sie in die Beziehung der Gleichheit der
Rechtecke aus den Secantenteilen treten, eine Aufgabe
und ihre Lösung und so ein gegliedertes Ganze. Das
organische Leben, relativ selbständig der Natur gegenüber,
ist dennoch ein Verhältnis des Bedürfens zu ihr, Dem-
gemäss ist die Beziehung ein Wesentliches, die Natur
des Zweckes. Aber „die Entzweiung, die der Zweck
fordert, wird durch den Zweck wieder aufgehoben." *)
Das Entzweite fügt sich in ein neues Ganze zusammen.
Die Vielheit wird zur Einheit. Das Auge, dem Lichte
zustrebend, das Licht, in's Auge strahlend, werden im
Akte des Sehens eins. Die Lunge verlangt nach Luft,
die Luft strömt in die Lunge ein, und sie werden im
Hauchen geeint. Doch überwiegt dort das sehende Auge,
hier die verlangende Lunge, wie denn, immer aber ohne
die Einheit aufzuheben, in diesem Geschehen der Ver-
einigung des Entzweiten der Zweck in dem einen Gliede
besonders seine architectonische Macht, in dem andern
(z. B. dem minder tätigen Lichte) mehr das Ziel der
wirkenden Ursache, das Werkzeug der Verwirklichung
auszusprechen pflegt.
Das Ganze nun, welches der Zweck erstrebt, steht
vom Anfang an (in dem Vorausschauen) fertig da, es ist
») n, 19.
's^ 16 ^^
frülier als seine Teile. Es ist vor den Teilen bestimmt. ')
Die Zukunft ist dabei zur Gegenwart geworden. -) Wäh-
rend in der Causalität die Bewegung blindlings producirt,
Punot nach Punct setzt, Teile auf Teile erzeugt, nach
starrem Gesetze der Succession das Eine aus dem Anderen
hervoi treibt, ist sie gegen die Gesammtentwicklung oder
das Ganze gleichgiltig, und im Causalen ist mithin das
Ganze erst nach den Teilen (an welchem Resultate aus
der Entstehung die Dialektik der Erkenntnirfs : dass die Teile
nur Teile durch das Ganze seien, nichts zu ändern ver-
mag). Es ergeben sonach im Zwecke die Teile sich so,
dass das Ganze sie organisch bestimmt, wogegen bei Ur-
sache und Wirkung das Ganze aus den vorhandenen
Teilen einfach sich summirt. Auch hierin zeugen die
Tatsachen für den Zweck als die kühne l'mkehruug der
wirkenden Ursache und der Zeitfolge. Die Sammlung der
einfallenden Lichtstrahlen, das später zu Erwirkende, be-
dingt als geforderte Zukunft vorher Bau und Function
der brechenden Medien im Auge. Die AVirkung der festen
Widerlage des Muskels bestimmt die entsprechende Festig-
keit des Knochens als die Ursache im Voraus. Der
Same, das Gehcimniss der Entwickelung, die Zukunft des
Organismus in sich bergend, hat in dieser seiner Wirkung
den Grund seiner Eigenschaften und Tätigkeiten. „Die
Natur spricht es hiernach als einfache Tatsache aus, dass
dasjenige, was von Seiten der wirkenden Ursache das
Nachfolgende und Hervorgebrachte ist, in dem Zwecke
gerade das Vorangehende und Hervorbringende ist.'' ^)
Wie derart das Ganze ideell vor den Teilen sei, zeigen die
analytische Lösung einer geometrischen Aufgabe, die aus
dem Grundzuge der ganzen Lebensoekonomie erhellenden
») (^ I, 1. n, 89 R. 2Ü., •-) II, 433. Causalität I, 332 ff. »)U, 23,
29. fxj 2, 344.
nfts 17 '2^
Teile des Baues der Thiere (Cuvier, s. o.), die aus dem
determinirenden Ganzen stammende geheimnissvolle Ueber-
einstimmung der Teile des thierischen Organismus. (Goethe.)
Und real tut es der Same, ^) dies potenzielle Ganze, dar,
wenn er die ganze Entwickelung durchbildet und erst
und allein im Leben des Ganzen den Teilen Bestand
giebt* ebenso der Staatskörper, bei dem ähnlicherweise
das Einzelne, vom Ganzen sich losreissend, in seiner
lebendigen Tätigkeit erlischt. Ja, wie in Anbetracht der
das Ende zum Anfang machenden Umkehrung der Cau-
salität selbst die Möglichkeit der Zukunft die Teile be-
stimmt, so sind im Organischen sogar die Glieder der
Glieder determinirt (nach dem näheren und weiteren
Ganzen).
Wie aber kann die Wirkung zur hervorbringenden Ur-
sache werden? "Wenn das Ganze vor den Teilen ist und
die Teile aus dem Ganzen hervorgehen, so muss dasselbe
vor der Zweckverwirklichung gegeben sein, doch nicht als
ein Reales und empirisch Bestimmtes, sondern als ein in
der Idee, im Vorausschauen, im Gedanken Bestimmendes.
Die Idee (im weiteren Sinne), der Gedanke, ein Denken-
des und Gedachtes, ein trotz fliessender Grenzen in der
vorausgenommenen Zukunft Begrenzendes, ein von unbe-
stimmten Grundzügen zu immer bestimmterer Ausführung
Fortschreitendes^''), Formendes und Bildendes, ist im
Zweckgeschehen wesentlich inbegriffen. Tr. verweist wie-
derum auf sprechende Tatsachen. „Das Auge sieht, aber
das Sehen selbst hat das Auge gemacht. Die Füsse gehen,
aber das Gehen selbst hat die Gelenke der Füsse ge-
richtet.^*)" In der Harmonie dieser und anderer Or-
gane mit ihren Tätigkeiten, in ihrem dem nachherigen
1) ~ R, 26. 'a) I, 315; R, 6. *a) II, 27, 136 ff.
m^ IS Q^
"Wirken adaequaten vorhergehenden Werden liegt ein
Praestabilirendes, eine die Glieder umfassende Macht, der
Gedanke als das A und O im Gmnde der Dinge *^). Nicht
die spätere Einwirkung bildet früher und formt den Or-
ganismus in der Richtung, wie er sich dem Einwirkenden
selbst einwirken, der aeusseren Welt sich einprägen soll,
es schafft das Licht nicht das Auge und der Schall nicht
das Ohr, sondern der einwohnende Gedanke durchdringt
geheimnissvoll das Grundw^erden und schafft das Wunder
der Organisation, Die Macht des Gedankens in den
Dingen, das Ideale in der Natur, ') stellt sich derart un-
widerleglich heraus. Dieser Gedanke als das Erste, kein
blosses Abbild und fremdes Widerspiegeln der Erscheinung,
sondern sie im Grunde bestimmend, als solcher zugleich
das Letzte,*') Tiefste in unserem denkenden Eindringen
in das Sein, er will etwas, sucht und bedarf ein Anderes ^),
hierin nicht der stummen Figur gleichend, sondern über-
all in der siegenden Initiative begriffen. Denn das Ent-
zweite zu einen, Kräften etwas abzugewinnen, Materie
zum Material des Bildens und Bauens zu erheben, dem
Starren das Bewegliche, dem Bedürfniss die Nahrung an-
zupassen, wer vermöchte dies, wenn nicht der erfahrene,
durchschauende, durchdringende und beherrschende Ge-
danke? So ist es denn „ein einfaches, aber bedeutsames
Ergebniss, dass, soNveit der Zweck in der Welt wirklich
geworden, der Gedanke als Grund vorangegangen ist."^)
(s. 0.)
Wenn nun auch dergestalt durch den Gedanken jenes
grosse Hysteronproteron, jene Umkehrung des einleuch-
tenden Causalnexus in dem durch den Zweck bestimmten
wirklichen Geschehen begreiflicher wird, so erhebt sich
a**) (x; R, 25. ') 2, 344. 11, 137. a') I, 88. 322. ■) 2, 347.
^) U, 23. fx; 433.
^x^ 19 6^/.
doch die neue Frage, wie sich der Gedanke zu den
Kräften, die in der wirkenden Ursache erscheinen, ver-
halte. Da der Zweck die Umkehrung von Ursache und
"Wirkung ist, so müssen Zweckgedanke und Causalkräfte
sich treffen. Dem vorgreifenden, das Mögliche aussprechen-
den, das Sein darstellenden oder bestimmenden Gedanken
kann dazu der das Wirkliche erreicht habende feste und
gewordene, der im Materiellen verkörperte Gedanke
hemmend entgegentreten. ') Den regen Kräften dort,
dem erstarrten Gedanken hier kann nun der Zweck-
gedanke nicht begegnen als der überlistende Feind oder
der unliebsame Fremdling, denn alsdann würde er nur
zufällig und von aussen in die Dinge hineinscheinen und
wie durch eine Täuschung an Stelle der gedankenlosen
Ursache dastehen, vielmehr ist er desswegen, weil er im
Grunde der Dinge und das Erste und Letzte ist (s. o.),
nicht zwischen, sondern mitten unter den Dingen als eine
dominirende Macht. Und diese Macht des zwecksetzenden
Gedankens ist keine isohrte, für sich bestehende, im Dua-
lismus und Conflict zur Causalität wirkende, das Sein
spaltende und so endlos negireude, nein, sie eint sich —
und es wird dann der Zweck sozusagen zur Zweckursache
— mit den Kräften der wirkenden Ursache, indem sie
dieselben zielbewusst richtet, und dergestalt kommt der vor-
ausschauende Gedanke im Siege über das Widersprechende
und Widerstrebende zur kraftvollen Darstellung. Wie
im Samen von dem Keime bis zur Blüte und Frucht der
regierende, zusammenhaltende Zweck und die von innen
hervortreibende Kraft identisch sind, so steht im Allge-
meinen nicht nur „die Kraft im Dienste des Zweckes",'-)
sondern es muss sogar obwalten „Durchdringung von
») n, 166 £f. ^) II, 31. I, 99, u. zu A') d. folg. S.
2*
vxc) 20 '^^
Zweck und Kraft, von Denken und Sein" '), ja „Einheit
von Zweck und Kraft. " 2)
"Wo aber der mit der Kraft geeinte Zweck erscheint,
„will er eine Tätigkeit." ^). Ruhe ist Indifferenz, Gleich-
gewicht zusammenwirkender Kräfte, aber der Zweck ist
stets in Differenzirung, Neugestaltung, Regung und Be-
wegung begriffen. Ruhe ist das schlechthin Leidende
und fällt als solches der wirkenden Ursache anhcim,
welche in Gleichförmigkeit und Gleichgültigkeit beharrt."^)
Die Tätigkeiten der Organe (Einzel-Zwecke), das har-
monische Leben des Organismus (Gesammtzweck) bezeugen
die Tätigkeit des Zweckes überhaupt. Ja, der Zweck
ist „der Mittelpunct der Tätigkeiten" , den lebenden
Wesen, wie der Maschine, nicht fremd, sondern grund-
eigen. Der sich verwirklichende Zweckgedanke als die
Seele des begehrten, empfundenen, gedachten und gewollten
Zwecks setzt sich in Tätigkeiten um. Diese Tätigkeiten
beziehen sich nicht so sehr auf ihr Object als ihr Subject,
indem das Wesen in ihnen sich Zweck ist und durch die
Activität des Organes ein geförderter Selbstzweck resultirt.
Insofern kann die Tätigkeit des Zweckes eine reflexive"*)
heissen. So muss das Sehen des Auges zunächst nicht
auf Gruppirung und Sondirung der Phaenomene, sondern
auf die eigene Selbstauswirkung, Darstellung und Erhöhung
seiner Wesenheit, Fähigkeit und Fertigkeit gehen. Ge-
danke, Kraft und Tätigkeit stellen so den inneren Zweck
dar. ^^)
„Wie man den hellen Funken aus dem harten Steine
schlägt, so giebt der Zweck als Tätigkeit durch jS^ötigung
zur Tätigkeit im widerspenstigen Stoff dem Gedanken
*) ir, 30. 130. f^;R, 24. 3) II, 31. c^) II, 162. *) II, S2 ff.
d*) II, 77. 88. 89. f^ R, 40. 42. 48. 67.
nK9 21 ®x^
Dasein." ') Wo weder finale noch neutrale Bewegung,
da ist pure Materie, gebundene Bewegung, ^j Einheit des
Intensiven und Extensiven, ^) Die Materie, von innen
sich dehnend und Mass und Grenze in sich habend, ■*)
artet durch die erzeugende Bewegung in den Stoff ^}, und
letzterer wird durch immer neu durchdringende Bewegung
und Gegenbewegung Begrenzung oder Form erlangen.
In die eigenste Natur des Stoffes nun dringt der Ge-
danke des Zweckes, als organisirende Bewegung in die
erzeugende, ein. (Der Begriff überredet die Notwendig-
keit. Plato). Und umgekehrt wird der Zweck als Vor-
aussetzung von Kräften des Stoffes zur Erreichung eines
notwendig Bestimmten erfüllt. Diese mit Notwendigkeit
bestimmende Durchdringung und Bewältigung '''') des
Stoffes durch den Zweck ist sogar derart, dass Ein Zweck
in den verschiedensten Gestaltungen und mannigfaltigsten
Formungen sich vollzieht, bei aller Flächenvermehrung
die Einheit des Gedankens wahrend, die zerstreuten
Kräfte des Stoffes der Forderung eines näheren und
weiteren und immer höheren Ganzen einheitlich dienstbar
machend. Die Notwendigkeit des Construirens z, B. einer
Säge entspringt aus der Voraussetzung des Zerschneidens
durch Keibung. Da zwecks des Austausches zwischen
Sauerstoff und Kohlensäure das Medium der Berührung
zwischen Luft und Blut möglichst weitreichend sein soll,
so hat die Lunge in ihren zahllosen Zellen eine unge-
heuer grosse Oberfläche. Der Eine Zweck der Beweg-
lichkeit findet sich in den Thiergeschlechtern auf das Ver-
schiedenste angelegt und gestaltet. Offenbar zeigt sich
in dieser Ergreifung und Durchwaltung des Stoffes —
so lautet das hierher gehörige Endurteil Tr.'s — eine
1) U, 32. 137. 2) I, 306, 251 fi'. ^) I, 293. *) I, 275. ') I
354. "&) II, 193.
'^is 22 "S^
(tiefgehende und umfassende) „Durchdringung von Zweck
und Kraft""'), von denen jener ohne Kraft (des Stoffes)
leer, diese aber ohne den Gedanken blind ist. In solcher
Dienstbarkeit unter dem Zwecke wird der Stoff zum
Mittel.'^) Zu dem Gedanken werden die Elemente der
Verwirklichung gesucht. Diese Elemente müssen sich
fügen und dem gedachten Ganzen genügen. Wo letzteres
nicht der Fall sein würde, könnte der ergriffene Stoff
nicht Teil zum Ganzen, Glied zum Organismus werden.
Der Mensch hat häufig zuerst die gegebenen Teile, die
Mittel, bereit liegende Factoren vor sieh, aus welchen er
dann das Ganze, den Zweck, ersinnt oder erfindet. Allein
beim höchsten menschlichen Schaffen, in der Kunst, erzeugt
das Reifen des Gedankens das Wachsen der ausführenden
Mittel.
Das von dem Zwecke im Mittel geforderte Notwendige
wird, wenn es selbst erst gesucht bez. ausgesucht werden
muss, ein anderes Notwendige fordern. Das einem Zwecke
dienende Glied wird herrschend und unterwirft sich ein
Neues. Der verwirklichte Zweck wird wieder Mittel. ^)
Die mittlere Proportionale zwischen zwei gegebenen Linien
zu finden als Hauptzweck bringt die Abzweckung
eines rechtwinkligen Dreiecks, diese sodann das Fällen
eines Perpendikels aus der Dreiecksspitze, und letztere
Bezweckung hinwiederum die Construction eines Halb-
kreises über der Basis der vereinten Linien notwendig mit
sich, so dass sich hier eine Tätigkeit in die andere ein-
renkt. Eine ähnliche Ineinandorschiebung zeigt sich in
der Erweiterung eines einfach nackten Satzes durch Aus-
prägung seiner ursprünglichen Begriffe in den zugehörigen
Nebensätzen, welche letztere, vom Ganzen gefordert und
a*) II, 34. "^j Die Materie wird insoweit Material. (Hegel) II,
55. fv) 11, 191. ') II, 12.
'>^ 23 ö^
getragen, Glieder zum Ganzen und darin zugleich engeres
Ganze und engere Glieder stufenweise unter sich bilden.
Es dient ferner die Feuchtigkeit der Zwecktätigkeit der
Linse, die Linse wieder der Strahlenbrechung, das Auge
endlich dem Organismus (zwecks der Ortsbewegung) im
Ganzen. Im Ethischen steht die Kunst des Sattlers unter
der sie fordernden Kunst des Reiters, diese unter der-
jenigen des Feldherrn, letztere wieder unter der Kunst
des Staatsmannes (Aristoteles). „So stellt sich eine Un-
terordnung, ein System von Zwecken dar." ^) "Wir
haben hier Zweckreihen vor uns, welche über die Gattung
hinaus in's Ueb ersinnliche reichen müssen. Li solcher Un-
terordnung aber offenbart sich zugleich noch die Con-
sequenz des herrschenden Gedankens. Die blosse Kraft
stirbt in der Ursache als "Wirkung ab. Die Ursache ist
mit der "Wirkung nicht mehr Ursache. In der erzeugten
Linie, im wirkenden Stosse endet die Ursache. Im Zwecke
dagegen behauptet sich die "Wirkung als Ursache (das
Sehen baut das Auge) in der Ursache als Wirkung (im
Sehen betätigt sich das Organ des Auges). Die Ursache
erhält sich in ihrer Selbstfolge und schliesst sich in dem
Andern mit sich selbst zusammen (Hegel). Wie Organe
ohne den bildenden und zusammenhaltenden Zweck un-
möglich sind, so können die Dinge im Allgemeinen ledig-
lich im Zwecke, welcher in seiner Consequenz und so
zusagen sich selbst getreu die wesenscongruente Ent-
faltung und gemäss seiner Unterordnung wechselseitige
Förderung, ausgleichende Gliederung und zielbewusste
Eegierung verbürgt, ihren wahren Bestand haben. „Der
Zweck (die Ursache) ist die bleibende und inwohnende
Seele des Organs (der aus dem Zweck hervorgegangenen
') U, 35 u. 36. cxj R, 45.
'7K9 24 G?r
"Wirkung", ^) ja, er ist das Leben der Dinge, das Gött-
liche in den Dingen (Plato) überhaupt.
Die Einzclbctrachtung der Merkmale des Zweck-
begriffes Tr.'s ist hiermit beendet. Wir erkannten also näher
und genauer des Zweckes Tatsächlichkeit, sein "Wesen
als Umkehrung und zugleich Yertiefung der Causalität,
das Ideale und Potentiale des Gedankens und das Pieale
des Mittels. Diese Zweckdefinition Tr.'s, aus der Analysis
des Tatsächlichen fliessend und in der Wirklichkeit stets
auch ihr Correctiv suchend, ist von solcher Weite und
Tiefe, dass wir in ihr sogar eine bedeutsame Vorarbeit
zum Folgenden zugleich erkemien können.
Die Begründung^) des Setzens des Zweckes, die
Entwickelung der Gründe, aus welchen die Tatsächlich-
keit des Zweckgeschehens zwingend hervorgeht, diese
naturgemässe Folge der Begriffserläuterung, könnte also
aut's Erste in dem tatsächlichen Hervortreten, in der
Phaenomenalität des Zweckes beschlossen sein. Tr. legt
sich den Satz nahe : Der Zweck offenbart sich selbst und
das ist sein eigentlicher Beweis^). Die folgerichtige Ent-
wickelung der obigen Merkmale des Zweckbegriffes, was
war es anders als ein Herauslesen aus des Zweckes
Selbstoffenbarung ?^) „Zwar kann der Zweck als der
unsichtbare Gedanke nicht beobachtet werden, wie die
äussere Erscheinung, aber er ist dessenungeachtet in dem,
was beobachtet werden kann,' gegenwärtig wie die Seele
der Erscheinung."^) Er wird uns in der organischen
') II, 37. 2) spcciell H, 66—76. ') fv; II, 71. *) (%.- H, 86.
^) U, 72.
'^19 25 2^
Einheit, im organischen Wesen zuhöchst dargestellt^) und
gleichsam entgegengetragen. 2) Die den wirkenden Kräften
parallele oder überlegene, weil übergreifende und einheit-
lich richtende Tätigkeit des Zweckes tritt in der strengen
Unterordnung der Functionen, in der kräftigen Selbst-
erhaltung, in der geheimnissvollen Weiterzeugung, in der
weitgreifenden Fürsorge unwiderleglich zu Tage.^) Dass
das Organ seinen specifischen, vorherbestimmten Zweck
(das Auge das Sehen) vollziehen muss *), und dass umge-
kehrt die eigenartig wirkenden Glieder nur im Leben
des Ganzen Bestand haben, spricht Bestimmung, Zu-
sammenfassung und Leitung durch den Zweck aus. Wir
haben hierin den directen Beweis. Quod exsistit, est.
Das Erscheinende drängt sich dem denkenden Geiste auf,
es projicirt sich in unsere Yorstellungen, dieselben er-
füllend und bestimmend, es dringt in unser Erkennen ein
und wird Teil desselben. Eines anderen Dartuns weder
fähig noch bedürftig, ist es durch sich selbst Beweis.
So enthüllt sich in völliger Unmittelbarkeit das Zweck-
geschehen, und wir müssen es, und träte es auch nur in
Einem Falle an's Licht, ohne Weiteres zugeben, wie auch
das unbefangene Urteil der Jahrhunderte es längst getan
hat. Der Zweck ist sonach im Leben der Natur und in
der Welt der Individuation ein Objectives '") und Reales.
Indem er sich verwirklicht, bejaht er sich, und indem er
sich bejaht, beweist er sich. ^) Der Zweck hat, zumal
in der in ihm beschlossenen Wechselwirkung zwischen
dem Ganzen und seinen Teilen, eine sich selbst verkün-
dende Klarheit)
Zu dieser Logik der einfachen, unwiderleglichen Tat-
sache fügt Tr. die Beweisführung aus der Ohnmacht der
') II, 127. 2) n, 38 f. 3) 11^ 28. '') II, 124. ^) II, 77. 91.
«) U, 82. ') 11, 71.
'j^ 26 sx>
wirkenden Ursache, aus ihrem tatsächlichen Unvermögen,
eine zureichende Erklärung von Erscheinungen, wie von
denen des organischen Lebens, zu geben.') Es ist dies
eine mächtige Notwendigkeit, die blind wirkende Ursache
einem Höheren d. i. dem Zwecke zu unterwerfen. In der
Causalität laufen die Tätigkeiten auseinander, sie strahlen
vom Kraftpunkte aus, ihre Richtungen sind bis zur Ent-
zweiung mannigfaltige, bunte und verschlungene, und in
diesen Richtungen wieder ist jedes Erreichen und jedwede
Wirkung ein Absetzen und momentanes Ruhen, ein Dis-
continuum, ja, die im Gewirkten gebundene und erschöpfte
Kraft muss einer neuwirkenden stärkeren weichen und
die ursprüngliche Richtung abbrechen, wie dies eine Folge
des überall gegenwärtigen Widerstandes der Gegenkräfte
überhaupt ist. Aber sind im Organischen nicht nach
Einem Puncte zusammenstrebende Tätigkeiten, conver-
girende Richtungen, continuirliche Entwickelungen ? Diese
„überraschende Verknüpfung"-) zeigt den Zweck auf.
„Dieser Punct, in vielen Fällen nur ideal, aber durch den
Gang und die Ordnung der Kräfte angedeutet und not-
wendig gesetzt, bezeichnet der Anschauung die Einheit
des Zweckes in der Fülle der dienenden Kräfte." „Diese
Convergenz der Richtungen begleitet den Zweck der-
gestalt, dass, wo sie in der Erscheinung nicht nachge-
wiesen werden kann, auch der Zweck nicht zu erkennen
ist." ^) Und die der stetigen Entwickelung gleiche unend-
lich kleine Differenzirung des Organischen in Keim, Zelle
und Glied tut den durchwaltenden praeformirenden Ge-
danken, eben den Zweck, kund. In diesem Betracht
sind wir also genötigt, die Fährte der wirkenden Ursache
zu verlassen, und wir müssen einen anderen Weg ver-
>) n, 70 £F. ^) n, 70. ') II, 73.
019 27 SV
suchen. So ist das aus der Finsteraiss nicht begreifliche
Licht als eigene Tätigkeit zu setzen.
Der Zweck ist ein Uebergreifendes, ein Höheres, schon
im Mechanischen z. B, in der Maschine. ') Bewegende
Ursache (Kraft), das zu Bewegende (Stoff, Last ect.),
die Art des Bewegens (Construction, Form) stehen im
Dienste des bauenden und lenkenden Zweckes, der hier
freilich wie von aussen und fremd eingreift. Im Or-
ganischen vollends, in dieser Ordnung zusammenstimmen-
der Elemente, in dieser von innen geschehenden einheit-
lichen Entwickelung ist die Causalität weit überschritten.
Die erzeugende Bewegung, die das "Wesen der wirkenden
Ursache ausmacht, sie, die in der Wirkung als der dar-
gestellten Ursache und so in ihrem eigenen Anhalten sich
in sich bestimmt und individuirt, und hierin, das Starre
der Materie treibend, das Elastische in sich verschiebend,
ihren Sieg zum Ausdruck bringt,"'^) geht im Organischen
auf in die Zwecksetzung, durch welche nicht blos pro-
ducirt, sondern auch potenzirt, mehr von innen entwickelt
als von aussen zusammengesetzt, und der Form zugleich
die Il^orm gegeben wird. Und weiter! Die organischen
Tätigkeiten, sind sie nicht mehr als die aus der wirkenden
Ursache an der Substanz (des aus Materie und Form in
sich Selbständigen) hervortretende Qualität? Wenn ich
sage: „das Auge sieht" und dagegen: „Das sehende
Auge ist des Leibes Licht", so ist dort ein gegen Anderes
in Gleichgültigkeit Verharrendes, lediglich Qualitatives,
hier aber ein im Dienste eines höheren Granzen Stehendes
und darum selbst Höheres gesetzt. Ferner, es strömen
die organischen Tätigkeiten zum Leben des Ganzen,
von welchem sie ausgehen, zurück, sie vollziehen sich so
sehr für als durch das Ganze, ^*) was ihr Gmnd, ist
Ö~nri24 ff. 2j I, 332 ff. 2») n, 170. 191.
'^^ 28 (s^
ihnen zugleich Ziel, aber in der wii-kenden Ursache ist
nur die durchgehende Tat des in Bezug auf woher? und
wohin? neutralen An- und Absetzens, des weder vor-
noch rückwärts schauenden steten Neuerzeugens, und ihre
etwaige Rückkehr in sich wäre nichts als ungewohnter
Rückschlag aus fremder Rückwirkung. ')
Auch ist aus der Causalität nicht zu erklären, wie
es Kräfte geben könne, welche nach ihrer Ergänzung,
nach der Erfüllung ihrer Bedingung verlangen, wie dies
geschieht, wenn z. B. die Kraft des Auges nach der
Erregung durch das Licht verlangt. Die Kraft in der
wirkenden Ursache, als Resultat der Wechselwirkungen
zwischen äusseren und inneren Tätigkeiten aus den
Wechselbeziehungen des Ganzen und seiner Teile, hat
nicht die Tendenz und das Streben zur künftigen
Wechselwirkung. Nur die bereits vorhandenen Um-
stände und die gegebenen Bedingungen ihres Tätigwerdens
sind für sie von Belang und zugleich von Zwang. ^)
Ueberhaupt weist die wirkende Ursache nur Tätig-
keiten und ihre Wechselwirkung, die allgemeine Actuali-
tät, auf, aber der Zweck zeigt zugleich Herrschaft und
Ziel. ^) In ihrer Tätigkeit gestaltet jene zwar den Stoff,
sie macht in der Materie Gebundenes frei, bringt die
Indifferenz des Intensiven und Extensiven zur Differenz,
allein wie mag dies an den Zweck hinanreichen, der im
Ergreifen des Stoffes sich selbst darstellt und gliedert ? *)
Wenn dazu der Zweck mit Einem Schlage viele Ver-
bindungen anregt und mit seiner Einheit in der Yerwirk-
lichung die Mannigfaltigkeit zu seinem Dienste fordert, ^)
wie sehr unmöglich wäre dies aus dem Causalen, welches
in unwandelbarer Succession das Eine aus dem Andern
') n, 130 f. 2) n, 132. I, 357 ff. 3) n, no. ') ii, i8i.
») II, 183.
'^^ 29 9^
und dabei lediglich Gleiches aus Gleichem, Aehnliches
aus Aehnlichem stetig und langsam hervorbringt! ^) Es
scheiden sich auch bezüglich der Notwendigkeit wirkende
Ursache und Zweck. „Beide fallen der Notwendigkeit
anheim, aber geradezu entgegengesetzt. In der wirkenden
Ursache ist das Sein das Erste und wird vom Denken
nachgebildet. Wenn es erreicht ist, so ergiebt sich die
Notwendigkeit. In dem Zwecke ist umgekehrt das Denken
das Erste und fordert die Gestaltung des Seins. Wenn
sich der Zweck in der Erscheinung offenbart, und sich
diese dadurch zu einem notwendigen Ganzen zusammen-
fasst, so ergreift das erkennende Denken das Denken im
Ursprünge und geht in den Erscheinungen in sich selbst
zurück. Daher versöhnt die Notwendigkeit des Zw^eckes
den freien Geist" ^). Aber ein ungelöster AViderspruch
entspringt aus dem Causalen, in welchem das Sein als
das Erste vom Denken nachgebildet wird, da nämlich
dann die Grundfrage sich auftut, ob dem Sein das
Denken im Ursprünge zu Grunde liege. Die Superiorität
des Zweckes erhellt ebenso aus dem das Notwendige
constituirenden Möglichen. „In der wirkenden Ursache
erheben sich aus demselben Dinge verschiedene Möglich-
keiten, es wird etwas Anderes, je nachdem dies oder
jenes hinzutritt. Sie erwartet als ruhend und leidend
die Bestimmungen fremd von aussen her. Der Zweck
findet oft mehrere mögliche Wege zu seinem Ziele. In-
dem er sich indessen selbst näher bestimmt und neue
Rücksichten als Zwecke des Zweckes in sich aufnimmt — :
werden darnach die Mittel gemessen und die minder
entsprechenden Möglichkeiten ausgeschlossen." ^) Dieses
innere Entwerfen und Entscheiden aber lässt jenes aeusser-
liche Bestimmtwerden weit hinter sich. Auch das an
1) II, 162 f. ^) II, 185. 3) U, 169.
^9 30 ^^
dem Notwendigen zu messende, weil als das vom Not-
wendigen nicht Mitbefasste, aber doch mit dem Not-
wendigen in Berührung Tretende, Zufällige giebt in seiner
Doppelbildung nach Ursache und Zweck dem letzteren
den Vorzug. Das Gesetz der wirkenden Ursache wird
aus und mit Bedingungen. Diese bestimmen und be-
wirken das Gesetz, nicht aber das Gesetz jene. Insoweit
haben wir im Causalen freie Bewegung indifferenter
Elemente, welche innerhalb des Gesetzes nach freier und
fremder Bestimmung variiren können. Anders im Zwecke.
Hier erlangt der Zufall eine selbständige Stellung und
grössere Wichtigkeit. Der voraussehende bestimmende
Gedanke findet im Concreten immer ein Undurchdringliches,
nicht Heranziehbares. "Wirkt dieses zur Förderung oder
Hemmung des Zweckes oder zur Eigenbildung, so ent-
steht das Zufällige, ^) hier also das schwerer wiegende.
Tr, hat uns so auf schlagende Weise das in unüber-
sehbar vielen Erscheinungen auftretende Minus des Cau-
salen und das Plus des Finalen gezeigt. Der plötzliche
Sprung der Erscheinungen verlässt den ruhigen Ablauf
der wirkenden Ursache und zwingt uns zum Setzen des
Zweckes. Der Faden der physischen Tätigkeit, sonst
ruhig sich fortspinnend, reisst in solchen Erscheinungen
— so viel wir jetzt zu erkennen vermögen — ab. Hier
drängt sich uns eine neue Theorie auf, welche mit der
Erscheinung sich decken muss. Wenn die causale Er-
klärung nicht mehr zureicht, geht die Einheit der Welt
verloren, und sie kann nur durch den Gedanken des
Zweckes wieder gesucht und gefunden werden. 2) Da
das Organische offenbar die Ausprägung eines Sehenden^
Vorausschauenden, Vorherbestimmenden, nämlich des Ge-
1) li, 190. 2) n, 72 f.
'^ 31 s^""
dankens ist, so muss das Eeich der blinden Kräfte ^)
daran seine Grenze haben. Beachten wir die Sorgfalt
und das Zarte, die klare Intention des organisirenden
Schaffens, so müssen wir das Ungestüm ^) unbeherrschter
Kräfte hiervon entschieden abweisen.
Aber auch auf die düstere Kehrseite weist uns Tr.
hin. "Wenn immer und überall nichts als treibende Ur-
sache und "Wirkung, dann hätten wir um uns nur ein
immerwährendes, das Einzelne als losgerissenes Stück des
Ganzen mit sich reissendes "Weiterfliessen, ein endloses,
unheimliches Meereswogen, und war selber wären darin
nicht mehr als der Schein eines in übermütiger Kraft
von der Substanz sich lösenden, doch ihr wieder ver-
fallenden Lebens. Materie und Bewegung als die alleinigen
Factoren aller Erscheinung wären dann das Erste und
Letzte, der Gedanke würde den Dingen nicht zu Grunde
liegen, sondern erst aus der physischen Ursache erzeugt
werden. Das Organische entstammte so nur der Not-
wendigkeit, und der nach dem Geiste fragende Geist
müsste diese wieder als Zufall erklären. Einen Zweck
anzunehmen, würde hiernach eitel Täuschung sein. Alles
Grosse wäre dieserart nur im glücklichen Zusammen-
wirken zurechtgestossen. 2) In der Geschichte, 2*) welche,
Freiheit in die Notwendigkeit fassend, in besonnenen
Individuen mitten in den Begebenheiten ihre grossen
Triumphe feiert (wie in Luther's Wort und Tat zu
"Worms: „ich kann nicht anders"), müsste eine solche
Notw^endigkeit zur Hungersnot führen, darin man das
Erste Beste gierig ergreift und verschlingt. Und ebenso
würde, wenn man nur die äussere Notwendigkeit sehen
und die Ausgleichung mit der Freiheit des Inhaltes nicht
gelten lassen wollte, Gottes Schöpfung zu einem unver-
Ö^^iTäiS. 2) II, 459. 2») f^ II, 361.
^9 32 GX^
meidlichen Fehler. ^) Mithin reicht die Annahme der
blossen Causalität nicht nur nicht zu zur Erklärung der
Welt, sondern sie häuft Dunkel auf Dunkel und führt
zur endlosen Nacht des unentwirrbaren Rätsels. Somit
aber ist der Zweck im Verhältniss zur Causalität ein
Uebergreifendes und Ueberwirkendes, Vertiefendes und
Vollendendes,
Und doch wird durch den Zweck die wirkende Ur-
sache auch nicht aufgehoben. "Wir erkannten ja oben,
dass der Gedanke des Zweckes mit der Kraft der
■wirkenden Ursache eins wird. Die Zwecktätigkeit fixirt
sich in einer wirkenden Ursache, ihr Bildungsgesetz wird
so höher bestimmt, der Zweck nimmt sie in Besitz
und eignet sich dieselbe an. Im Mechanismus findet
zwar nicht diese Uebertragung Statt, aber doch eine
tätige, in der Tätigkeit beruhende Verbindung, indem
die bewegende Ursache sammt Stoff und Form mit dem
den Stoff wählenden, die Form entwerfenden, also aus
dem physisch Allgemeinen in die Teile aus dem Ganzen
determinirendcn Zwecke zur Einheit combinirt wird. Im
Organismus aber sind Stoff, Form, bewegende Ursache
und Zweck (gleichsam) miteinander und durcheinander,
der innewohnende Zweck eignet den fremden Stoff sich
specifisch an, erzeugt die äussere Form von innen und
bildet so durch die Kraft der bewegenden Ursache, aber
sie beherrschend. -) Desshalb ist die wirkende Ursache
im Zwecke noch enthalten, ^) das Niedere ist im Höheren
beschlossen. ^) Ist der Zweck im Verhältniss zur be-
wegenden Ursache ein Ueberwirkendes, so darf diese doch
als Seitenwirkung gelten. °)
Dieser zweite, Yon Tr. vorgezeichnete Weg der Be-
gründung des Zweckbegriffes ist der indirecte. In solcher
'Hl, 187.' 2) II, 124 ff. ') n, 129. *) II, 412. ') U, 462.
'^^ 33 e^
Beweisfühmng ^) wird aus der Zurückweisung des Un-
möglichen das Nohvendige bewährt. Das Causale kann
den Organismus unmöglich erklären, somit ist die An-
nahme des Zweckes als eines Anderen und zwar Höheren
notwendig. Soll indirect ein Bejahendes begründet werden,
so ist das Gegenteil in seiner ganzen Ausdehnung darauf-
hin zu prüfen, ob es sich in diesem Zusammenhange
halten könne, wie wir denn die ünhaltbarkeit der einmal
als ausschliesslich herrschend angenommenen Causalität
erkannten. Zur indirecten Begründung eines negativen
Urteils ist das positive Gegentheil mit der aus ihm ent-
springenden Gedankenreihe zu setzen, mit deren Herrschen
oder Unterliegen jenes besteht oder fällt. Hierher gehört
unsere Ausführung, dass die wirkende Ursache im Zwecke
nicht auJ'gchobeu sei. Obschon nun der indirecte Beweis
der eigentliche Beweis der Yerneinung ist, kann er doch
in Verbindung mit einem die möglichen Fälle neben-
einander stellenden disjunctiven Urteile eine Bejahung
begründen. Diese möglichen Fälle hat Tr. umfassend
bestimmt und ihre Folgerungen streng gezogen. Wenn
so das zu Erklärende aus der Summe der Erscheinungen,
soweit sie uns zugänglich sind, = n, ihre Erklärbarkeir
aus der wirkenden Ursache aber = 1 gesetzt wird, so
muss n — 1 das nur durch Weiteres oder Höheres d. i.
den Zweck zu Erklärende und Begreifbare zwingend
darstellen.-) Notwendig ist für den denkenden Geist,
die Welt zu enträtseln, in sie erkennend einzudringen.
Notwendig müsste dies die Causalität, wenn allein
herrschend, leisten, doch ist dies als vermessen zu ver-
neinen. ^) Der Bereich der wirkenden Ursache ist also
zu begrenzen, und der Zweck muss ihr übergeordnet
werden.
') II, 396 ff. 2j .^ II, i(j8, :i) u, 16G.
oi9 34 Gx^
Wir gehen nunmehr zur weiteren Argumentation
über. Dass der Zweck ist, ^vurde logisch direct und
indirect gezeigt. Es stellt sich uns jetzt die Aufgabe zu
erforschen, wie wir den Zweck erkennen, in welcher
Bahn er sich uns erschliesse, nach welcher Art und Be-
stimmtheit seiner selbst der Geist ihn finde und ergründe. ')
Es würde dies der allgemein logische Beweis sein. Tr.
führt darin seinen ersten Stammbegriff, die Bewegung,
in's Feld und stützt sich auf die Position, welche er in
der aus der Bewegung ihm sich ergebenden Bestimmung
des Seins und Denkens gewonnen hat.
Nachdem Tr. die formale Logik "^j als in ihrem Ziele, den
fertigen Begriff sich selbst gleich zu setzen, jede Entwicke-
lung und Begründung abschneidend, und die dialektische
Methode ^), als in ihrem Wollen, nur aus sich selbst zu
schöpfen und das Denken gleichsam sich selbst bebrüten
zu lassen, in Yermessenheit endend, der Leerheit und des
Anschauungslosen überführt hat, ^) schreitet er zur positiven
Folgerung, dass das Erkennen, wenn es sich in sich selbst
zurecht finden soll, in subjectiver Bedingtheit, aber mit
Beanspruchung des Objectivcn, alle seine Elemente vor-
aussetzen muss. Nun heisst Erkennen immer ein Seien-
des erkennen (Plato), zunächst das nach aussen gleichsam
ausgegossene, aeussere, dann aber, wenn das Erkennen
seiner selbst bewusst wird, zugleich ein in sich Gespanntes,
Inneres, das Denken, das gedachte Denken. ^) So treten
im Erkennen Denken und Sein auseinander und bilden
einen schwer zu vermittelnden Gegensatz. Da jede Er-
klärung eines jeden dieser Unterschiedenen den Bezug
auf das andere in sich birgt, und dies sogar, indem jed-
wedes sich selbst voraussetzt, so dass z. B. Herbart's
Definition des Seins als der absoluten Position nicht frei
') 11, 66. 2) i^ 15-35. 3) I, 36-130. *) I, 130. '^) I, 131 ff.
-^19 35 SV
ausgeht, und zumal, wenn man im weitereu Blicke das
Denken als das höchste Organ ^) oder die höchste Blüte 2)
der Tätigkeiten zu bezeichnen sich principiell begnügen
wollte: so muss es damit sein Bewenden haben. Denken
und Sein als die auf einander hinweisenden Glieder des
höchsten und letzten Gegensatzes zu begreifen, wozu
übrigens kommt, dass beide im Laufe der Untersuchung
sich selbst mehr und mehr erschliessen und bestimmen
werden. Dagegen ist es um so not^vendiger, die gegen-
seitigen Relationen aufzuhellen und Antwort zu geben
auf die Fragen: „Wie kommt das Denken zum Sein?
Wie tritt das Sein in das Denken?"^), welche Fragen
schon aus der logischen Bezogenheit und wechselseitigen
Abhängigkeit von beidem hervorgehen, und die zudem
ip ihrer besonderen Lösung in dem das Denken \de das
Sein vermittelnden Acte des Erkennens (wie denn im
Acte des Sehens die Energie der Farbe und des Auges
zusammengehen) auf generelle Beant^'ortung hindrängen.
Soll nun eine Beziehung nicht in der Luft schweben, so
muss sie zur realen Beeinflussung sich verdichten, diese
aber schafft, indem sie Berührung erfordert, in dem Be-
reiche der Berührung ein Gemeinsames des Entgegen-
stehenden, (wider A. Geulinx). Dies Gemeinsame aber,
wenn es den Gegensatz vermitteln soll, kann keine ruhende
Eigenschaft, es muss vielmehr eine Tätigkeit sein. Damit
diese in den vielverschlungenen, dichtverwachsenen Ge-
stalten des Endlichen überall durchgreifen, bedingen und
vermitteln könne, eignet ihr notwendig das Elementare.
Als elementare Tätigkeit darf sie nicht in Fremdem, son-
dern nur in sich Anfang haben, und so resultirt ihre
Ursprünglichkeit. Als solche muss sie endlich die allge-
meinste und dazu unteilbare oder einfiiche Tätigkeit sein.
') I, 17. 2) i^ 154. 3_) X, 135.
3*
^9 36 a^<^
Eine solche Tätigkeit nun ist die Bewegung. ') Die
Bewegung ist bereits das unentbehrliche Vehikel des
dialektisch erzeugenden Gedankens, die unvermeidliche
Voraussetzung der vermeint voraussctzungslosen Logik,
und noch mehr waltet sie in der formalen Logik,
wenn diese aus dem gegebenen Begrift' Folgerungen
zieht. '■^) Aber wir sehen von diesen gesonderten Gebieten
ab und richten den Blick auf Denken wie Sein über-
haupt. Zunächst die aeussere Welt! In ihr sind alle
Tätigkeiten (mechanische Eindrücke, chemische Erregun-
gen, organische Verrichtungen) mit Bewegung verknüpft,
Bewegung ist die verbreitetste Tätigkeit im Sein, die
durchgehende Tat der Natur; ^) alle Tätigkeiten der Welt
durchwaltet sie, ^) selbst eine Tat und kein festes Ding ; ^)
sie ist erste Energie des Seins, ^) erste Tat der Dinge, ^)
Tat der erzeugenden Natur. *") Dagegen ist nirgends in
der Natur ursprüngliche Ruhe. Das scheinbar Ruhende
ist in der Tiefe dennoch von der Bewegung ergriffen,
nämUch es ist nur das Gegengewicht der Bewegungen,
die Wechselwirkung der entgegengesetzten Bewegungen,
also lediglich ein Erzeugtes, aber kein Erzeugendes, sie
ist im Bilde des zusammenhaltenden Ganzen gegeben,
und mithin allein aus der Bewegung, '*) aber die Bewegung
nicht aus ihr begreiflich. Aber auch in der inneren Welt
ist durchweg Bewegung, ein Gegenbild der aeusseren Be-
wegung, innere ist im Vorgang des Anschauens, in der
Tätigkeit des Verstandes (dort Succession des Zusammen-
fassens der Hauptmerkmale des Angeschauten, hier Unter-
scheidung und Verbindung des Begrifflichen), Bewegung
ist in der logischen Folgerung (s. o.), Bewegung ist im
zweckmässigen Richten und Berechnen (in jener die
1) I, 141 ff. 2) I, 30. ^) I, 290. *) I, 310. '") I, 333. «) I, 3G0.
') I, 336. *) I, 317. •') I, 273 f.
'3^ 87 ex^
Itichtung woher, in diesem die Richtung wohin). Auch
diese innere Bewegung ist ein Erstes und dies als Tat
der Imagination, die aus Receptivität und Spontaneität ^)
ein Ganzes der Anschauung ermöglicht, sie ist gleicherweise
Anfang und Bedingung des Denkens. '") Ob zwar der
Unterschied obwaltet, dass die aeussere Bewegung schaffend
und erzeugend, -) die innere nachbildend und constructiv ^)
ist, ob erstere im aeusseren, diese im inneren Raum der
Vorstellungen sich vollzieht, wenngleich ferner jene, Raum
und Zeit aus sich gebärend *) und constituirend, letztere
in diese Form des Anschauens zwingt, ^) so ist dennoch
weiterhin in der Natur wie in der Welt des Geistes die
Bewegung das Elementarste, '^) das Grundgeschehen, sie
repraesentirt sodann, ob gebunden (Materie ) oder frei ')
(Geist) gleicherart ein Wirkendes, im Erzeugen (Stoff aus
der Materie), Hemmen (Form aus dem Stoff ''*), Zusammen-
halten (Mechanismus und Organismus, **) im Aufnehmen,
Empfangen, Erfahren,^) Urteilen' °) und Schliessen. ' *) Und
wie sie als durchgehende Tat der Natur vor der Erfah-
rung '-) und somit ursprünglich ist, so ist sie auch aprio-
rische, erste Tat des Denkens. ' ^) Da ferner die reale
Bewegung dort und die ideale '^) hier Alles umfassen und
in sich begreifen, was je als Erscheinendes eintritt und als
dessen Grund gelten kann, so ist sie zugleich das All-
gemeinste. Obwohl sie endlich als Letztes in der Fülle
ihrer concreten Gestaltung unermesslich reich ist, so hat
sie zugleich als das Erste beiderseitig völlige Leere ' '")
und Unbestimmtheit bezüglich des aus ihr zu Erzeugenden
und somit Unteilbarkeit und Einfachheit. „So wird um
'^') I, 235. \) I, 317. -) I, 322. ^) 1, 283. 359. 366. 370. 37J.
*) I, 321. 332. 155 ff. ^) I, 223. «) I, 197. ^) T, 30Ö. H, 484.
fv; I. 251 f. (Kant). '■^) I, 266. «) I, 274. «) I, 235. '«) H, 206 ff.
") II, 298 ff'. '■') 1, 233, 235. '') I, 310. ») I, 307. '') H, 31.
-j^ 38 «2^
dieser Allgemeinheit willen" — und ebenso wegen der
gleichen Ursprünglichkeit und Einfachheit — „die Bewegung
dem Denken und Sein gemeinschaftlich angehören." ')
Nun haben wir es wiederholt berührt, dass die
wirkende Ursache in die Bewegung einbegriffen ist. Ihr
Gesetz : Ex hoc, ergo post hoc"^) spricht offenkundig
eine Fortbewegung von dem Wirkenden zu dem zu
Wirkenden, also insgemein Bewegung aus. Was ist
leichter zu beweisen? Jedes Produciren und jedwedes
Product der Causalität bezeichnet nichts als Bewegung, ^"j
„Die wirkende Ursache erstreckt sich soweit als die Be-
wegung. " ^*)
Ist aber, wie dargetan, Bewegung dem Denken und
Sein gemeinsam, so hält sich die Causalität nicht allein
im Sein, was ohne Weiteres aus dem Früheren und über-
haupt einleuchtet, sondern auch im Denken. Hierbei mag
es auffallen, auf dies Gebiet der Freiheit die wirkende
Ursache zu beziehen. '^) Und dennoch, sie ist „notwendig
für das Denken gesetzt." ^) Denn da der Gedanke
die äusseren Dinge nachbildet, diese aber, soweit sie
nicht auf den Zweck hinweisen (s. o.), in der wirkenden
Ursache bestehen, so muss erdemgemäss thätig sein und
unser Denken wird insoweit causal, (so in der Ideen-
association, im Denken nach der Folge der Zeit oder
dem Gesichtspunct der Aehnlichkeit). "^j
Es ist im Sein, inwiefern es aus dem Causalen nicht
erklärbar ist, auch das Zweckgeschehen und dies als das
Höhere. Der Vorgang der Zweckverwirklichung, das
Aufkeimen des idealen Prius, die Ergreifung des Stoffes
als des Mittels und die Darstellung der Teile aus dem
Ganzen ist nicht minder Bewegung, also vom Prius durch
1) I, IsiT ^) I, 337. 3) <^ I, 334. 3a) I, 333. *) n^ 66 ff.
5) I, 383.
^5^ 39 ö^
das Medium zum Posterius, hier sogar dreifach gegliederte,
aber dazu einheithch geleitete.
Wiederum aber, da die Bewegung dem Sein und
Denken gemeinsam ist, und also im Sein der Zweck
herrscht, muss das Denken in der Analogie des Zweck-
geschehens den Zweck im Sein erkennen und verstehen,
ja selbst Zwecke entwerfen können.
Und noch mehr! «Wie wir die äussere Bewegung
nur durch die eigene Bewegung des Geistes erkennen"
(im Anschauen, Trennen and Yerbinden, Urteilen und
Schliessen), „so erkennen wir auch den äusseren Zweck,
den die Natur verwirklicht hat, nur weil der Geist selbst
Zwecke entwirft und daher Zwecke nachbilden kann." ^) Es
ist somit die eigenste "Wesenheit des Geistes, Zwecke aus
sich in's Aeussere und aus dem Aeusseren in sich zu
projiciren, dort schöpferisch-) thätig, hier aus dem Ge-
gebenen schöpfend.
Die durchgehende Bewegung, die Kraft des Denkens
wie Bildnerin des Daseins ^), die Trägerin der Causalität ^)
und als causale auch durch die Seelenzustände hindurch
sich fortsetzend ^), wird demnach hier als entwerfende
und wiedererkennende evident. „Weil der Geist Zwecke
entwirft und ausführt, vermag er rückwärts die ent-
worfenen und ausgeführten zu verstehen. " ^) Der Zweck,
dem das Bichtende einwohnt, begreift ki'aft dieser Eigen-
schaft das ausser ihm einheitlich Bewegte und Gerichtete.
Er durchdringt als Prinzip im Geiste das Besultat in der
Natur. Stösst er auf ein Chaos blinder Kräfte, so ist ihm
dies völlig incongruent, und er muss es unmittelbar ver-
werfen. Trifft ihn aber z. B. die schön geschwungene
mächtige Linie und das wunderbare Farbenspiel des plötzlich
') II, 69, 178. f^ 453. -) I, 289. 300. =») I, 329. *) I, 333-
") I, 334. «) II, 70. 75.
-Ä^ 40 Q^
sich aufbauenden Regenbogens, so gerät er in Staunen
über diesen herrliclicn Ausdruck causalen Werdens, und
er fühlt sich angespornt, den hervorbringenden Grund zu
lesen und aus ihm die Erscheinung yax reconstmiren. ')
Wenn der Geist aber vollends in der Pflanze die Ver-
wandlung des Unorganischen in Organisches, den Plan
des Typus, die Fortpflanzung der Gattung, am Thiere die
vielgliederigen Werkzeuge, in ihm Steigen des Empfindens
und Begehrens und insgesammt die centrale Bildung,
im Menschen die hohe Geistesblüte des Denkens in
Errungenschaften der Wissenschaft und Werken der Kunst
und die erhabene ethische Bestimmung-) bemerkt und
betrachtet, so ergreift ihn Entzücken über den in alledem
wunderbar sich verwirklichenden Zweckgedanken, und es
ist ihm zufolge dieser homogenen •^) Zwecktätigkeit
grosse Befriedigung, weil congruonte Darstellung seiner
selbst, darüber nachzusinnen und nachzuforschen und den
Zweckgedanken in seinem tiefsten Wollen und geheimsten
AVerden zu erkennen.
Behufs völliger Aufklärung dieses Sachvei'haltes stellt
Tr. scharf und durchschlagend noch die Antithese zwischen
dem Werden und Wesen des CäUsalen und finalen Er-
kcnnens (causa cognoscendi und causa finalis) auf. Er
sagt :
„Im ersten Falle wird die Wii-kung des realen Pro-
cesses zur Ursache des logischen. Zu dem, was in dem
Sein das Spätere ist, stellt der Gedanke das Frühere
her; und es ist wenigstens die Absicht, den Vorgang des
Seins im Denken zurückzutun, und dann geistig aus
dem hervorbringenden Grunde die Thatsache noch ein-
mal werden zu lassen.
0 II, 68. -■) 11, 79. \) II, 485.
'■519 41 5l?r
Im zweiten Falle wird die Tätigkeit des logischen
Processes zur Ursache des realen. Das Denken, bereits
von den Erscheinungen erfüllt, setzt eine Wirkung und
fragt, soweit es Einsicht des realen Processes hat, wie
diese zu erreichen ist. Die Wirkung ist das Gewollte,
unl dieser Wirkung halber wird die Ursache gewollt,
aus der sie hervorgeht.
In dem ersten Falle ist die von aussen erregte nach-
bildende Bewegung, im zweiten die vorbildende das
tätige Mittelglied. Dort entsteht aus der Realität des
Consequens die Vorstellung des Antecedens, hier aus der
Vorstellung des Consequens die Realität des Antecedens
und dadurch ebenso des Consequens. Dort geht der
Gedanke rückwärts, hier greift er vorwärts." ')
Derart dringt der Geist in das Seiende ein. Inwieweit
er es so ergreift, führte er es in das Denken über und
verwandelt es in letzteres. Hierin erkennt er Ursache
und Wirkung des realen Processes. In dieser Erkennt-
niss erwirbt er Macht über die Wirkung. Und so kann
er unterwerfend, regierend, bestimmend eingreifen.
Sehen wir nunmehr nicht abermals den Zweck vor
uns aufgeschlossen ? Der Zweck aus dem Sein im Denken
und durch das Denken im Sein: das ergiebt auf's Neue
Kunde und Beweis des Zweckes überhaupt.
Doch noch ein Letztes! Zur Vollendung dieser Be-
weisführung muss noch diejenige von der metaphysischen
Seite her angestellt werden. Wir erkannten zwar, dass
der Zweck ist, und wie er dem Denken sich auftut,
allein es erübrigt noch zu wissen, „wie überhaupt der
Zweck im Sein werde."-) Es darf hiernach gefragt
wertlen, da der Zweck die in der wirkenden Ursache
tätige Bewegung voraussetzt, während dieselbe Frage
') n, 68 f. -) II, 74 f.
'^^ 42 ex^
gegenüber der sich selbst voraussetzenden Bewegung kein
Recht hat. Zuvor erinnern wir uns dessen, dass wir an
das Transcendente bereits streiften, dass wir, die Fort-
setzung der Zweckreihen über die Gattung hinaus an-
deutend, letztere als den Zweck ins Transcendente ein-
leitend hinzustellen Anlass fühlten. ') Auch „liegt in der
Gewissheit, dass der Zweck ist, schon eine metaphysische
Erkenntniss"-), denn das Metaphysische stellt das Ur-
sprüngliche, Urbegründende im Sein dar ^), und da der
Zweck ein Tatsächliches im Sein ist, so muss auch seine
"Wurzel in den Urgrund des Seins hinabreichen. Doch
da dieS^ Argumentation die allgemeinste ist, so kann sie
den besonderen Yorgang des Zweckes nach seinem
"Werden und Eintreten nicht zureichend dartun. Und die
Vernunft^ welche überall die Einheit sucht, *) will keine
Dunkelheit dulden, da diese das Eine wieder entzweit.
Also drängt sich unerbittlich die Frage auf, wie denn
das Ideale des inneren Zweckes in das Reale der äusseren
Gestaltung komme? Aber in welchem Vorauswissen
können wir uns Stufen in's Metaphysische bauen? Wir
kennen des Zweckes ideale Praemissen, vor allem die
A^orausnahme des Ganzen, die Coincidenz von Gedanke
und Kraft, die Wirkung vor der Ursache, die durch den
Gedanken mögliche Consequens in der Forderung der
Mittel. Auch sahen wir, wie unser Zwecke entwerfender
Gedanke die im Sein verwirklichten Zwecke versteht.
Aber wo zeigt uns die Speculation den Punct in der
Natur, an welchem der Zweckgedanke die Kraft ergreift?
Gleicht der Zweck hierin nicht dem Helios, der, kühn
auf flammendem Wagen thronend, die Somienrosse mit
der Hand lenkt, aber mit der Hand, die keine Zügel
besitzt? Indess so wunderbar es scheint, dass der Ge-
1) II, 37. ^) U, 66. ^) I, 339. ^) II, 425.
^si9 43 ^^^
danke des Zweckes die wirkenden Kräfte mit unsichtbaren
Zügeln regiere, so ist dies doch nicht das alleinige
Wunder. „Es ist zu bewundern, wie die ursprüngliche
Bewegung, welche doch kein Anhänger der blind wirken-
den Ursache leugnet, in dem Menschengeiste dergestalt
frei und bewusst wird, dass er mit ihr die äussere Be-
wegung nachbildet und sich aneignet und die Geometrie
schafft — und doch geschieht es. Es ist ebenso die Ueber-
einstimmung zu bewundern, wenn die zusammengesetzte
Organisation dazu hilft, dass das einfache Princip im
Grunde der Dinge erkannt werde und der menschliche
Gedanke den Gedanken im Sein erreiche — und doch
geschieht es." ^) Die praktische Yemunft kann zufolge
dieser Uebereinstimmung, des höchsten Erfolges des
inneren Zwecks, das metaphysische Werden dieser unbe-
greiflich grossen, hinter ihren Formen liegenden Kunst
nicht bezweifeln. Wir werden dabei immer weiter hinan-
kommen, den Quellpunct des Eintretens des Zweckes
näher bestimmen und seine Beziehungen aus dem Unbe-
dingten in das Bedingte^) vermehrt bezeichnen zu können,
wenn wir umgekehrt in stetigem Fortschreiten die aus
dem Gegebenen, aus der empirischen Welt des Zweckes
in seine Transcendenz führenden oder doch dahin zurück-
weisenden Beziehungen^) auffinden. Aus diesen Hin-
weisungen des Endlichen zum Unendlichen^) wird
hervorgehen, dass dasjenige, was der innere Zweck, das
Wesen der Dinge, als Soll im Bedingten ausspricht, dem
Inhalte nach der Wille im Unbedingten ist.*) Gründet
man aber so den Zweck als das aus der Voraussetzung
Notwendige in das Unbedingte, so muss, da im Bedingungs-
losen Voraussetzung nicht Statt hat, das Notwendige durch
den absoluten Willen in einen grösseren Zusammenhang
1)11,75. 2)^^11,442. =>) cxj II, 474. *) II, 442. ^) II, 441.
i>''3 44 ^^
eintreten ^) und, an sich transcendent, noch immanent
werden. Endlich dürfen wir, in Anbetracht des hiernach
eine immer grössere Sphäre seiner Offenbarung sich
schaffenden Willens des Unbedingten, und auf Grund
unserer Erkenntniss, dass der Zweckgedanke eine Macht
in den Dingen sei, dies metaphysische Werden des
Zweckes noch als Macht des Idealen zum Realen fassen.
Freilich wenn schon die Fläche des empirischen Daseins
des Zweckes unübersehbar gross ist, und bietet es nicht
geringe Schwierigkeiten, den Inhalt des erscheinenden
Zweckes, zumal in seiner Hegemonie bezüglich der
wirkenden Ursache, darzutun, um wie viel weniger
zureichend muss er darstellbar sein nach der Tiefe seines
Werdens !
Nachdem im Seitherigen durch die Entwickelung des
Inhalts und im Gange der Begründung des Zweckbegriffs
Tr.'s ein Positives vor uns sich aufgebaut hat, betrachten
wir auch die Theorie derer, welche den Zweck ein-
schränkten oder läugneten. Indem wir so auch die
Gegeiigrüiide sprechen lassen, üben wir nicht nur Ge-
rechtigkeit und entgehen wir nicht allein der Gefahr der
Einseitigkeit, sondern wir schaffen durch die Wider-
legung jener wiederum zugleich ein Förderndes und
Positives. -)
Den ältesten Versuch, den Zweck für nur subjectiv
und alles Geschehen aus der blind wirkenden Ursache
') n, 442. -) II, 39 ff.
'319 45 ^^
zu erklären, ^) erkennen wir aus den in Aristoteles -) uns
aufbewahrten Elementen der Philosophie des Empedocles.
Dieser Yor-Atomistiker lässt im Streit der Liebe und
dos Hasses, der verbindenden und scheidenden Kräfte
Elemente und Gestalten zufällig (ünas av tviif) sich
treffen, in diesem, wenn ungenügenden Zusammentreffen,
sofort wieder untergehen, wenn aber in der Ueberein-
stiramung genügenden, sich behaupten und in der Form
eines scheinbaren Zweckes sich erhalten. Gegen diese
Anschauung wendet schon Aristoteles ein, dass diells'atur-
erscheinungen ein Constantes seien {asl ovtag), das zu-
fällige Zusammentreffen aber ein Beständiges nicht ergeben
kijnne, ein Einwand, der nicht wegzuräumen ist, zumal
da die Widerrede der Gegner, aus tausend und aber
tausend sogleich wieder vergehenden Entstehungen stelle
sich dennoch eine beständige Bildung oder eine Mehrzahl
derselben heraus, desswegen hinfällig ist, weil wir die
etwa ungefügigen, im Auftreten sofort wieder unter-
sinkenden Bildungen bez. Bildungsansätze gar nicht
kennen. Ueberdies vereinigen sich die zahllosenElemente
des Möglichen in zahllosen Möglichkeiten nach bestimmten
Verhältnissen (z. B. in Quoten der einen Körper oder
einen Stoff bildenden chemischen Elemente), wie denn
Buchstaben aller Art, zusammengeschüttet und etwa durch-
einander gerüttelt, nie z. B. ein Gedicht, also aus dem Sinn-
losen ein Siimvolles, ergeben werden, sodass mithin das Yer-
hältniss der Mischung und die Art der Vereinigung ein
ursprünglicher, mitgebrachter Plan d.h. Zweck ist. „Dieser
Weg desUngefährs giebt uns keine Hoffnung zu der Einsicht,
wie aus dem Blinden das Sehende, aus dem bunten wirren
Durcheinander die Praecision des Organischen, der Be-
stand des Uebereinstimmenden, die Befriedigung des Le-
yiiTesli. (c^ I, 262 ff.) ^) Phys. U, 4. 8.
'^19 46 t^x^
bens und gar der selbstbewusste Gedanke entstehen könne.
Die unendlich wachsende Unwahrscheinlichkeit kommt
der Unmöghchkeit gleich". ')
Nachdem hierauf Plato, indem er Denken und Sein
in der Idee als einem Gemeinsamen gipfeln, Wirklichkeit
des Werdens wie Wahrheit des Erkennens in den Ideen
wurzeln und die höchsten Begriffe die höchsten Formen
sein lässt, '^) in den Ideen als den aus der göttlichen Ver-
nunft stammenden, dem Stoffe sich einbildenden, den
Zwang (Kvayxalov) der Materie durch die verständige
Beredung zur Mittelachaft und Mitursache (övvainov)
überwindenden ^) und so in Freiheit formenden ewigen
Urbildern den inneren Zweck stillschweigend gesetzt ^),
Aristoteles aber in scharfer Durchbildung ihn zum herrschen-
den Princip, so dass von allem, was geschehe, das Eine offen-
bar, das Andere jedoch implicite und doch zwecks der
Verneinung einer Vorausnahme zweckmässig, ja alles
durch Denken oder Natur («jro diavotKg xcd anb q)v6SG)s)
Vollbrachte um eines Zweckes willen {av£cc rov) ge-
schehe, ^) erhoben hatte ; nachdem ferner von der Stoa,
um Freiheit des Weltganzen und Notwendigkeit der
Teile (im Fatum) zu einen, ein umfassendes organisches
d. i. zwecksetzendes Göttliches gelehrt, ^) zumal aber von
der patristischen und scholastischen Philosophie der Zweck
als integrirender Begriff des Ileilsplanes angenommen
worden war: versuchte zuerst wieder Baco von Ve rulara
dem Zweckbegriff eine einschneidende Beschränkung auf-
zuerlegen. '') Er unterscheidet zunächst Causalität (Effi-
1) II, 65. 2) 1, 205 ff. 3) 2, 127 ff. Tim. ■*) II, 39. 112.
fxj 473. Phaed. ^) Phys. II, 5. «) 2, 134. Phaedr. fragm. vol. 2.
zbv .dia.. Kixi ElficiQ^svTjv kuI 'AväynTjv >ial ttjv avrijv ftvcti.
2, 162. Plut. de fato :. M. : tu iirjölv dvaizicos yiyvea9ai kXXcc
Kurä itQorjyovfisvccg aitiag. '') 11 39 ff.
T>iD 47 s^
ciens) und Materie von Finalität (Finis) und Form. Er-
steres weist er der Physik zu und teilt diese in die
Lehren von den internen Weltprincipien (Principia Rerum),
vom externen Weltganzen (Mundus sive Fabricatio Kerum)
und vom Einzelnen des Erscheinenden (Xatura sparsa
sive fusa). Der Metaphysik aber soll die Untersuchung
der Formal- und Finalursachen zukommen. Während
nun die Auffindung der physischen Ursache Licht und
Handhabe darreiche, sei die Erforschung der Form weder
leicht noch nützlich, und vollends die L^ntersuchung der
Zweckursache vertreibe und stürze die Prüfung und Er-
gründung des physisch Realen und wiege die Menschen
mit den glänzenden, aber zugleich verschwommenen Resul-
taten, welche sie zeige, in Ruhe und Untätigkeit. ') Aber
da das Metaphysische als ein Irrationales dem Physischen
stets immanent ist, kann beides so scharf nicht, ja über-
haupt nicht völlig getrennt werden, und der Zweck,
dem Physischen entrückt, ist leer, des Fleisches und
Blutes beraubt, ausserhalb der lebendigen Yerbindung
mit dem Leben der Natur erstorben. Und wie kann
Baco dann noch annehmen, dass Gottes Weisheit
aus dem weit anders als im Schema des Natürlichen
wirkenden Zwecke um so wunderbarer und die Natur ver-
klärend hervorleuchte? Ausserdem ist es falsch, dass
die Erforschung des Zweckes unfruchtbar sei und zur
Erkenntniss der Natur wie zur Herrschaft über sie nichts
beitrage. Eben der Zweck löst den Bann, der aus der
Unerklärbarkeit durch die wirkende Ursache über zahl-
lose Erscheinungen sich legt. Und er treibt überdies
geradezu dahin, aus vorhandener Zweckverwirklichung in
neuer Zwecksetzung, im Suchen und Anwenden von Mitteln
Ungeahntes zu entdecken, Ueberraschendes zu erfinden.
') De augm. scientiai'um lib. III, cap. IV.
-j^ 48 Q^
So handelt der geniale, auf Heilmittel zu einem neuen Heil-
verfahren sinnende Arzt, so der umsichtige, aus erkannten
paedagogischen Maximen und ihrer Weiterentwicklung
das Bildungsziel anstrebende Erzieher, Edison calculirte:
Da das menschliche Stimmorgan zumeist eine vibrircnde
Membran ist, so ist eine ähnliche Membran herzustellen,
damit ich die durcli das Einsprechen in den Schallwellen
bestehende LuftbeAvegung dem vibrirenden Stimmorgane
in der Membran und ihren Schwingungen nachbilden,
fixiren und wiedergeben kann, und er erüinil in diesem
Zw^ecksetzen den Phonograph.
B. Spinoza's stricte Ableugnung des Zweckes fliesst
zunächst aus seiner Metapliysik. Er setzt die l'r-Eine,
von einer anderen Substanz nicht abzuleitende, ') in Den-
ken und Ausdehnung, ihren Attributen, ^) nur durch sich
selbst begreifliche ^) Substanz (Gott), Die beiden Attribute
begrenzen und bestimmen sich in die endlichen Dinge,
und diese sind Modi der Determination der res cogitans
sive res extensa, '*) Alle solche Weisen des Denkens
wie der Ausdehnung haben die Eine Substanz identisch ^)
zur Ursache. So laufen in beiden Attributen die Modi
einander parallel, und es kann das Denken nicht auf die
Ausdehnung (wie die Ausdehnung nicht auf das Denken) ')
wirken. So aber folgt, dass der Zweck, der die Ge-
staltung d. i, die Ausdehnung durchdringende Gedanke,
nicht !:ein kann, es giebt hiernach kein Organisches,
sondern lediglich ein Mechanisches aus dem Wesen der
wirkenden Ursache, noch weniger kann das Ethische als
Freiwerden des Organischen Statt haben, äussere Ordnung
wie innere Uebereinstimmung der Dinge beziehen sich
1) Kih. I, G, (edd. Paulus). ""} ib. IL 1 u. 2. ^j ib. I, 10.
') ib. II, 1 u. 2. s) ib. II, 7, «j <^ ib. III, 2.
r^D 49 2^"
nur auf unser Vorstellen. Dieser Ableitung gegenüber
macht Tr, mit Recht geltend, dass ihr geometrisch-
mathematischer Formalismus für die philosophische Spe-
culation nicht zureiche, 'j dass dieser in vorausgesetzte
Axiome unerörterte Begriffe wie die Causalität aufnehme, ^)
sowie dass ihm zu seinen formalen Definitionen die Mittel
realer Construction fehlen. -) Besonders aber ist zurück-
zuweisen das unvermittelte Aufnehmen und wieder das
willkürlich formale Scheiden von Denken und Ausdehnung,
und hiermit wird Spinoza's Zweckabläugnung hinfällig. ^ ^),
Mit Notwendigkeit bleibt offen, dass jene Attribute mehr
in constitutivem Sinne die Eine Substanz bilden und
schon desswegen, weil sie zur Einheit zusammengehen,
ein Geraeinsames haben. ^) In diesem Gemeinsamen aber
könnte der Zweck inbegriffen sein. Sodann ist unhaltbar
Spinoza's Satz, dass, wenn Gott um eines Zweckes willen
handele, ^) er notwendig ein ihm Mangelndes begehre,
denn, indem Gott Zwecke setzt, ist nicht mit einge-
schlossen, dass ein Anderes ihn dazu nötige oder dass
das zu Bezweckende ein Entbehren ausfüllen soll und
insofern abermals Nötigung sei.
Ebensowenig ist Spinoza's Negirung des physischen
Zweckes stichhaltig. Das Organische als Organisches ge-
langt bei ihm gar nicht zur näheren Erforschung. ^) Da
er das unendliche Denken von der Einwirkung auf die
unendliche Ausdehnung fernhält, so kann sich ihm frei-
lich nicht erschliessen, wie in der Organisation die Not-
wendigkeit des idealen Ganzen die Notwendigkeit der
realen Teile bestimmt. ') „Nirgends beobachtet er die
lebendige Natur, die in jeder Gestaltung dem eindringen-
') Tr., 2, 47 f., u. überhaupt p. 31 ff. ^\ ib. p. 48. a") fv. II,
445 f. ») 2, 53. 108 f. U, 41. *) Eth. I, 36, append. ^) II, 42.
4
'^^ 50 o^
den Beobachter die Tatsache der Zweckmässigkeit ent-
gegenbringt.'^ '•^) Ist das Leben in seiner Fülle der Er-
scheinungen nichts als eine geometrische Fläche von
starrer Ruhe, ein bewegungsloser, blendender Wasser-
spiegel ? Kann die im Organischen nach einem Puncte
convergirende Bewegung nur die einer Linie sein, welche
in der geraden Fortbewegung wieder eine Linie und in
der seitlichen Fortbewegung nur eine Ebene beschreibt?
Wenn Alles in die erliabenc Anschauung der mächtigen
Substanz versenkt werden darf, so bleibt kein Raum für
die Betrachtung des Mikrokosmos. Sind die Einzelwesen
nur Staub, der auf der Einen Substanz herumwirbelt, um
in dies grosse notwendige Grab zurückzusinken, dann ist
die Mühe des Erdenkens und Begründens auch der
Spinozistischen Philosophie dem Urheber selbst nur eine
entsetzlich flüchtige, ungeheuere Täuschung, besonders da
zufolge der Discrepanz zwischen Denken und Ausdehnung
im Absterben des Leibes dem dann ohne Corrclat
bleibenden Geiste sein intelligere gegenstandslos, er selbst
damit wesenloser Schein würde. Merkwürdig! der Mann,
der den Zweck verwirft, entwirft selbst Zwecke, indem
er in Nachbildung des Zweckes des Auges gemäss diesem
optischen Gesetze aus dem verwirklichten Zwecke das
Glas bearbeitet und sclileift, damit und so dass es eine
möglichst zweckmässige Nachahmung der Linse zum
Zwecke der Förderung des Zweckes des Sehens Averde!
Es ist daher nicht nur nicht die Zweckursache eine
menschliche Erfindung (nihil esse praeter ipsuin humanuni
appetitum) ^) aus Trieb oder Verlangen des Menschen,
als erster Ursache — denn dem Triebe liegt die Sehn-
1) 2, 03. '') IJ, 42. ') Eth. IV, Vorr. p. 201.
Ti^ 51 Q^
sucht des unerfüllten Zweckes zu Grunde, wie das Ver-
langen des Auges nach Licht, der Seele nach Erkennt-
niss den innewohnenden Zweck bekundet M — auch nicht
eine Vorspiegelung des Vorstellens, denn letzteres als
Denken soll ja von der Ausdehnung geschieden sein:
sondern es folgt umgekehrt die Erfindung, das Experim?nt,
wie alles zielgewisse Tun und Werden, aus dem Zwecke,
wie denn auch Euler wider Newton aus dem im Auge
ausgeführten Zwecke die Möglichkeit und AusfühiTing der
Abzweckung achromatischer Bilder durch brechende Medien
erfolgreich dargetan und veranlasst hat.
Die Misshandlung des Zweckbegriffes bei Spinoza
rächt sich besonders noch auf dem Gebiete der Ethik. -)
Was heisst nach Spinoza sittlich (ex virtute agere)?
Sittlich, also sittlich gut, handelt der Mensch soweit, als
er darin aus dem, was er erkennt, d. i. vernunftgemäss
determinirt wird. ^) Allein wo ist bei diesem Determinirt-
werden die Freiheit, die freigegebene Beweglichkeit des
ethischen Tuns? wo das ideale Zielsetzen, wenn vorher
das Mass der Erkenntniss causal einengt? wo überhaupt
das Tun, da es doch vielmehr ein Leiden ist, ein Passives
unter dem Drucke der Causalität? Dazu kommt, dass
das intelligere, welches Spinoza übrigens von der
Ausdehnung in den Affecten stark irritirt werden lässt,
Macht in Bezug auf die Ausdehnung in Ansehung der Weite
und Tiefe des sittlichen Handelns oder gar des sittlichen
Reiches aus Grund der Geschiedenheit von Denken und
Ausdehnen gar nicht erwerben könnte. Wenn aber vol-
lends die höchste Stufe des Erkennens gleich sein soll
der adaequaten Idee der Wesenheit der Einen Substanz
und ihrer Attribute und des Wesens der Dinge, *) wie
') Tr. n^ 42 f. "") II, 43 ff. ^) Eth. IV, 23. Tr. U, 43 ff.
*) Eth. II, 40, Schol. 2. (^ Tr. 2, 96 f.
4*
'^9 52 Q^
vermag das Handeln dieser Höhe nahe zu kommen, da
es doch kein Treibendes, Schaffendes, Autonomes, sondern
ein Bewegtes, Erzeugtes und Heteronomes ist? Gesetzt
aber, es würde von dem intolligere das ex virtute agere
nachgezogen, mitgesetzt und mitbewirkt, so wäre es eben-
falls ein Abhängiges, niemals ein Freies. Wenn ferner
der Geist (mens) sich in sich selbst erhalten will, ^) so
muss derart das intelligere, das agere determinirend, zum
Egoismus führen. Auch darin ist Spinoza zu widerlogen,
dass er, den Trieb der Selbsterhaltung über das Eigen-
leben zur Gemeinschaft hinausführend und Macht (])otentia)
der Selbsterhaltung des einen durch die des andern u. s. w.
verstärkt werden lassend, das Recht gleichsetzt der Macht -')
und dadurch das Recht nach dem Nutzen des Einzelnen
Avie des Ganzen privilegirt, zugleich aber auch, mit
Machiavell, einer Macht und also einem Recht durch Un-
recht, List oder Gewalt Bahn gibt, während dagegen nur
durch den göttlichen Zweck das Recht über die flache
und wüste Vorstellung der physischen Macht sich erhebt.
Nicht zu billigen ist daher auch die Definition des Guten
als des gewissen Wissens vom Nützlichen, nämlich von
dem für das handelnde Subject Nützlichen, ^) sowie des
Bösen als des gewissen Wissens des uns an der Teil-
nahme an dem uns Nützlichen Hindernden. Beides wäre
nur intellectuell, und doch ist es in Wahrheit real, ja
jenes substantial, dieses radical (Kant). Hier wie dort
würde Selbstbehauptung, Eigen fördern ng, Eigennutz das
Treibende sein. Ferner ist in Rücksicht auf andere das
Gute (z. B. Rettung aus Lebensgefahr) mir oft schädlich,
dennoch aber muss ich es vollbringen, wie umgekehrt
das Böse mir zuweilen nützlich, ja „allzu schön" wäre,
') Etil. TU, 9. Tr. 2, 87 f. -) Tr. II, 43. 2, 92 ff. R, 13 f.
8) Eth. IV, Praof. Defin. 1.
'^^ 53 <2^
aber ich muss es unweigerlich fliehen. Wenn aber auch
jenes Gute als Zurückstreben in die Eine Substanz, das
Böse dagegen als centrif'ugale Abkehr gefasst würde, so
wäre im ersten Falle jS^egirung des Selbst, (im zweiten
Negirung der Einen Substanz) also ein Negatives, Un-
brauchbares, kein Gut und nichts Gutes. Ausserdem
sind Gutes und Böses als Wissen nur Modi des Denkens,
sie liegen lediglich in unserer Vorstellung. Gerechtigkeit -
und Ungerechtigkeit, Sünde und Verdienst sind äusser-
liche Begriffe; Strebungen aus der Vernunft, Begierden
aus Ursachen sind unterschiedslos Wirkungen der Natur. ')
Wo ist hier der Markstein alles Ethischen, die Verant-
wortlichkeit der sittlichen Person wie Gemeinschaft ? Ethik
ohne Zweck ist hinfällig, Sittliches ohne Freiheit ein
Unding. Was will es schliesslich noch besagen, wenn
Spinoza in der intellectualen Liebe Gottes, wie in der
frommen Begeisterung seiner Weltansicht, ruhen will?
Unsere Erkenntniss, in dieser Liebe die Vollendung
ihrer Freude findend, wie Spinoza lehrt, jauchzt zunächst
da auf, wo ihr die Harmonie gedankenvoller Zwecke
begegnet, ihr Gipfel wird erst mit dem göttlichen Zweck
erreicht, und ihre Liebe zu Gott ist dann eine ganz
andere, als die aus starrem Mechanismus sich erhebende.
So ist Spinoza's System der unerbittlichen Notwendigkeit
„ohne Leben und Liebe", schroff und hart, einseitig und
flach, aber dadurch ein indirecter Beweis für die Bedeu-
tung des Zweckes. -)
Tr. unternimmt hierauf die Zurückweisung der Ein-
schränkung und teilweisen Negation, welche der Zweck
bei Kant findet.^) Kant's Philosophcm über den Zweck
') Tr. 2, 97. Eth. IV, praef. Prop. 37. Schol. 2. ^) Tr. U
44. 3) n, 44 ff.
-a^ 54 Qx^
gründet sich auf sein Unterscheiden der bestimmenden,
unter gegebenes Allgemeine das Besondere unterord-
nenden, und der reflectirenden, zu gegebenem Besonderen
das Allgemeine suchenden Urteilskraft, 'j Es will ihm
Inhalt und Grenze unserer Erkenntniss der springende Punct
auch hinsichtlich des Zweckes sein. ''') Er handelt zu-
nächst von der objectiven Zweckmässigkeit, welche nach
einem einzigen Principe unendlich viele Gestaltungen
in der Geometrie ermögliche, doch eben desswegen nur
formal sei. Weiterhin kritisirt er die relative Zweckmässig-
keit der Natur nach dem Gesichtspunkte der Zuträglich-
keit von Naturdingen als Mitteln für andere Geschöpfe.
Ist diese mehr eine äussere, so haben dagegen die Dinge
als Naturzwecke und organisirte Wesen erfahrungsmässig
eine innere Zweckmässigkeit, deren Beurteilungsprincip
sich freilich dahin klären muss, dasa: „ein Ding seiner
inneren Form halber als Naturzweck beurteilen ganz
etwas Anderes ist, als die Existenz dieses Dinges für
Zweck der Natur halten. '^ -) Nun müsstc der Zweck
der Natur oder der Endzweck uns bekannt sein, doch
dieser liegt ganz ausserhalb der Natur und ihrer physisch-
teleologischen Betrachtung. Das Allgemeine ist somit
nicht gegeben, das Besondere kann darum nicht abgeleitet
werden, folglich aber ist evident: dass dieses Princip des
Zweckes „nicht ein Princip für die bestimmende, sondern
nur für die reflectirende Urteilskraft sei, dass es regulativ
und nicht constitutiv sei." ^) So ist es denn nur ein Leit-
faden, ein neues Princip, eine Maxime mehr, im teleo-
logischen Urteile uns die Natur so vorzustellen, „als ob
1) Krit. der Urteilskraft. 1867, (edd. Hartenstein), §. 61 ff.,
§. 67 und Einl. IV., p. 185 f. >") I, 156. ~ 234. H, 97. ') ebend.,
§. 67, p. 390 (Krit. d. ürteilski-.) ») ebend. p. 391.
'J19 55 Q^
ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen
ihrer empirischen Gesetze enthalte." ')
Hiergegen macht Tr. geltend, dass Kant, gleichwie
er Raum und Zeit zu menschlichen Anschauungsformen-),
die Kategorien zu Stammbegriffen unseres Verstandes ^)
die im Urteile ausgesagte Einheit der Dinge zu einer
Folge der Einheit des menschlichen Selbsbewusstseins ^),
und die Idee des Unbedingten zu einem blossen Sporn
und Stachel des menschlichen Erkennens mache ^'), so
consequenterweise, um durch Anerkennung der Objec-
tivität des Zweckes den seinem Götterbild e, dem „Dinge
an sich", sorgsam übergelegten Schleier nicht lüften zu
müssen, den Zweck zu einem subjectiven Lichtblick
unseres Denkens auf die Dinge herabsetze, während er
doch als das Licht der Dinge selbst hervortrete. Kant
fällt nach Tr.'s Darlegung hier in den nämlichen Fehler
als in seiner Ansicht von Raum und Zeit. Seine scharf-
sinnigen und tiefgehenden Argumente zeigen zwar, dass
Raum und Zeit subjective Bedingungen unseres Wahr-
nehmens vmd Erfahrens sind ^), doch lassen sie die
ausschliessliche Subjectivität jener unbewiesen. Wenn so
auch der Zweck für den Geist notwendig und eine un-
vermeidliche Form des Anschauens ist, und ob er gleich
im Geiste entspringt und durch eine Geistestat erzeugt
wird, so kann, ja muss er doch zugleich auch der Sache,
dem Objecte, der andern Hälfte des Ganzen, der er-
gänzenden Relation, dem mit dem Subject auf das Engste
Zusammenhängenden, angehören ''), wie denn z. B. im
mathematischen Vorberechnen und zielanstrebenden Con-
strairen der Geist nimmermehr ein Reales erreichen
1) eben. Einl. IV., p. 187. ^) I, 158. ^) I, 326. ^ U, 197 ff.
*) I, 352. ex. n, 189, 408 f. ^') II, 426. ») i, 156 ff. «) H, 47.
Ebenso ist ein Objectives auch im Empfinden 11, 478 ff.
-^^ 56 sx>
könnte, wenn die Dinge ihm hierin nicht antworteten
und verwirklichte, objectivc Zweckmässigkeit, die da in
Rechnung und Construction nachgeschafFen wird, auf
keine Weise gegeben wäre. ') "Wenn das Reich der
Möglichkeiten so gespalten werden könnte, dass was sub-
jectiv nicht objectiv, und was objectiv nicht subjectiv
sei, so wäre unser Erkennen Schein und sein Inhalt
Schein des Erscheinenden, da wir ja nie zu wissen ver-
möchten, ob denn auch das zu Erkennende dem Er-
kennenden wirklich entspreche, und es wäre geradezu
unnütz, das Denken derart anzuspannen, denn wir wTrden
einem niemals einzuholenden Dinge nachjagen und schliess-
lich uns selbst einfangen '"), alle Empirie wäre aufge-
hoben ^^) und unser Uns-Selbsteinspinnen in eine kleine
eigene Welt würde -'') sich abschliessen, wenn auch noch die
Empfindung nur subjectiv sein dürfte. Zumal aus diesen
congruenten Folgerungen der Kantischen Zweckerklärung
erhellt zwingend, wie auch im Zwecke „die Grundformen
dergestalt übergreifen, dass die Vorstellung desselben
ebenso von dem Geiste wie er selbst von den Dingen
hervorgebracht wird." ^)
Zudem müsste der Zweck, falls er nur subjectiv und
lediglich eine Kategorie des Erkennens wäre, überall un-
gesucht da sein und sich darbieten, wo und wann und
wie immer unser Denken auf das Sein sich richtet. Er
müsste als notwendiges Gepräge der Begründung, als
immerdar mit unseren geistigen Tätigkeiten verkettete
Notwendigkeit erscheinen. Aber sehen wir nicht an seiner
Statt zunächst die wirkende Ursache reich und gewaltig
auftreten, dagegen den Zweck als übergreifend und er-
') ~ I, 160 f. *) fv. I, 158 f . ~ II, 187. 2«) n, 482. '") II,
480. 3) <^ II, 47.
Ti^ 57 <2x>
gänzend erst da, wo jene abreisst? So wenig hiernach
die wirkende Ursache in Anbetracht der Kraft ihres
Producirens und der Fülle ihrer Producte ein nur Sub-
jectives sein könnte, so wenig auch kann der Zweck, die
Erfüllung des Causalen, pure Kategorie sein. ^Wo die
subjective Regel des Zweckes soll angewandt werden,
das entscheidet das "Wesen der Sache, und sie vermag
sich daher selbst nicht in dem engen Kreise einer bloss
subjectiven Betrachtungsweise abzuschhessen und bestimmt
sich selbst aus dem Object." ') Kant's Ansicht führt so
über sich selbst hinaus, der mit vergeblicher Mühe ein-
geengte Begriff überschreitet die streng gezogene Grenze,
in der treibenden Kraft seiner Folgerungen entwächst
er seiner Beschränkung, und die überstiegene Schranke
ist für den sie überwindenden keine Schranke mehr.
Weiterhin noch zeigt sich das Unzureichende ' dieser
Deduction des Zweckes bei Kant, wenn er die Möglich-
keit der Naturdinge als Mittel zu Zwecken aus der all-
gemeinen Idee der als Inbegriff der Gegenstände der
Sinne genommenen Natur verneint. ^) Denn da die Natur
mehr ist als die Summe des Gegenständlichen und Greif-
baren, schon zufolge ihres verborgenen AValtens, so kann
in ihrer Innerlichkeit wohl auch ein Inneres, der Zweck,
wohnen und wirken. Wäre die Natur aber ein Aeusser-
liches nur und stände ihr der subjective Zweck nur
äusserlich, als reflectirendes Prinzip, gegenüber, so würde
dann als belanglos freigegeben werden die denkende Er-
reichung der inneren Gesetz- und Zweckmässigkeit der
Natur, die diesfalls „ihren allgemeinen Gesetzen nach
eingerichtet sein mag, wie sie wolle." ^)
») II, 51. ') Krit. d. ürteilskr. § 61. ') Krit. d. Urteilslvr.,
Einl. V., p. 192.
'ä^ 58 ex^
Ferner ist Kant's Setzen eines nur reflectirenden
teleologischen Princips, welches darum auch über das
Regulative nicht hinausreichte, darin zurückzuwoison und
zu bekämpfen, insofern als eine regulative Idee in der
Tat nur subjectiv wirkt und in solchem Wirken nichts
anderes vollbringt, als dass sie den Oeist reizt und an-
spornt, nicht im Begrenzten und Einzelnen zu rasten,
sondern von den ergriffenen Teilen her zu den Be-
dingungen fortzuschreiten. Hierin bewegt sie sich in dem-
selben Kreise und dem nämlichen Geleise, denn sie kann
als regulative nicht zugleich constitutiv sein und zum
Objectivcn führen, sondern sie dreht den Yerstand immer
in seinem, vom Sachlichen streng abgeschlossenen Elemente
herum. Aber wie ganz anders doch der Zweck ! Plötz-
lich setzt er die Betrachtung der Dinge um und „zwingt
den Yerstand, der die Dinge aus den Dingen begreifen
will, gleichsam aus seiner Rolle zu fallen." ^) Die be-
tretene Bahn des Causalen wird verlassen, der Kreis des
Regulativen durchbrochen, der Zweck, eine Macht in den
Dingen, in seinem Gestalten die wirkende Ursache weit
überholend, setzt selbst die Wahrheit seiner Betrachtungs-
weise, er ist constitutiv und schöpferisch.
Die gleiche Verwahrung und Abweisung im Verhält-
niss zu Kant's Zwecktheorom ergiebt sich endlich noch
wenn man mit Tr. im Allgemeinen überschlägt, welchen
Wert denn ein bloss regelnder, aber nichts feststellender
Begriff des Zweckes haben würde? Also er hätte nur
die verworrenen Vorstellungen zu ordnen, und dies wäre
ausserdem „nur unsere Ordnung, nicht die WeltoMnung,
nur Aushülfe unseres Verstandes, nicht das Gesetz der
Dinge." '^) Aber gesetzt auch, der Zweck wäre nur Regel
') II, 50. ■') U, 48.
's^ 59 Qx>
des Denkens, welch' eine die regelmässige Aussen-
beziehung des Regelnden völlig ignorirende Regel hätten
wir hier! Denn sie würde also ihren Gegenstand nicht
einmal tangiren, geschweige denn innerlich gestalten, sie
wäre ein Gesetz ohne Gesetzeskraft, ein Herr, dem
niemand Gehorsam zu leisten schuldig ist! Oder sollte
sie Heterogenes eben nur zusammenzwängen, in kurze
Formel widerstrebende, weitläufige Einzelheiten zusammen-
drängen? Dann wäre der Zweck einem Thoren zu ver-
gleichen oder einem Despoten! „Soll der Zweck nur
eine Regel im Erkennen bilden, ohne zugleich die Regel
der Sache zu sein: so ergiebt er statt einer notwendigen
Verkettung der Dinge nur eine zufällige Verknüpfung des
Geistes." *) Und wollte man auch damit sich begnügen,
dass der Zweck wenigstens ein Princip mehr sei, die
Erscheinungen der Natur unter Regeln zu bringen, wo
die Gesetze der Causalität nach dem blossen Mechanismus
derselben nicht zulangten, so hätte man durch dies neue
Princip, welches dem der wirkenden Ursache widerstreitet,
nicht Vereinfachung, sondern Verwickelung der Erkennt-
nisse, und selbst wenn letzteres nicht wäre, doch eben
nur eine neue Anordnung und geänderte Registratur, ein
vorentworfenes Schema eines andersgearteten Inhalts-
verzeichnisses der Dinge, wie sie dem Mens chengeistc er-
scheinen, und gleichsam eine neue Eiguration im Kalei-
doskop der bunten Aussenwclt; eine Begründung und
Ergründung, ein Eindringen in den Zusammenhang des
Weltgeschehens wäre damit aber ausgeschlossen, und das
Princip mehr hat sonach keinen Wert.-)
Mithin ist der Zweck nicht bloss subjectiv, sondern
zugleich die objectiv „inwohnende, gestaltende Seele der
») n, 49. 2) II, 51 i.
'a^ 60 (2^
Dingo."') ,,I)i(> Tat entspricht unserer Vorstellung. Wir
wirken n;ich der autgcfasstcn Zweckmässigkeit auf die
Dingo ein, und die Dinge antworteten dieser Einwirkung
gemäss. Wir wenden hiernach den Zweckbegriff, der nur
regulativ sein sollte, constitutiv an (z. B. in der Ilcnlung,
in der Ausbildung des Leibes, in der Erziehung), und die
Natur der Dinge leidet, fordert und bestätigt dies Ver-
fahren. 2)
Auch gegenüber der von Hegel gegebenen Ent-
wickelung des Zweckbegrift's nimmt Tr. eine abwehrende
Stellung ein. ^)
Hegels Dialektik, welche häufig ein Arabeskenspiel
abstracter Begriffe ist, ') macht ihre Schwäche auch in
der Ableitung des Zweckes kund. Es soll aus dem zum
Schluss sich entwickelnden Begriff Vermittelung und
durch diese Bewegung zugleich Unmittelbarkeit, also Auf-
hebung der Vermittelung, so aber das Für-Sich-Seicnde,
die Objectivität, aus dieser wiederum als selbständiger
Gleichgültigkeit des nur äusserlich geeinten objectiven
Auseinander-Seins der Mechanismus, aus diesem endlich
durch Centralität der Beziehung der gegeneinander ge-
spannten Objectivitätcn der das Object in seiner Existenz
gegen sein Anderes diffcrcnt setzende Chemismus hervor-
gehen. Im Chemismus nun zeigt sich zufolge der
Centralität und TotaHtät der Bestimmtheiten der Trieb,
in der Aufhebung des entgegengesetzten einseitigen
Objectes sich zum realen Ganzen zu machen. So ent-
stehen äusserliche Processe, welche in Productc übergehen,
sie zeigen darin ihre Endlichkeit, zugleich aber auch die
Negirung der Aeusserlichkeit und Unmittelbarkeit des
Begriffes des Objectes. Dieser objective freie Begriff ist
') n, 52 f. 91. 2) II, 53, fx. 433. ') II, 53 fl". *) I, 299,
'■^ftS Ql QX'
der Zweck. Der Zweck als die sich von sich selbst ab-
stossende und darin sich erhaltende Einheit, Ursache
seiner selbst und die Wirkung zur Ursache machend, in
seiner Selbstobjectivirang den Unterschied des Subjeetiven
und Objectivon aufhebend, ist zunächst endlich (Material
der Verwirklichung in der endlichen Weltj und äusserlich
(das gegebene Object ist sein Inhalt) und hierdurch zu-
fällig. Indem aber in der Ausführung der Begriff als
Wahrheit der sich abstossenden, aber in den dadurch
entstehenden Dingen bei sich bleibenden Substanz in der
Macht der letzteren das Mittel sich unterwirft, und indem
der erreichte Zw^eck wieder Material zu anderen Zwecken
wird, entsteht durch diesen Process in's Unendliche, diese
Relativität des ausgeführten Zweckes, diese Idendität des
Zweckes und Mittels, die Idee, die absolute Einheit des
Begriffes und der Objectivität, die Yernuuft, die das
ewige Anschauen ihrer selbst im Andern ist, der Begriff,
der in seiner Objectivität sich selbst ausgeführt hat, das
Object, das innere Zweckmässigkeit, wesentliche Sub-
jectivität ist. — Der so geartete Zweck zeigt sich am
Organischen. Dieses erhält sich selbst in Beziehung auf
ein Anderes, in ihm hat sich die Natur in den Begriff
reflectirt, '") Ursache und Wirkung, Tun und Leiden
sind darin in Eins zusammengenommen. Es ist ein
Sichselbsterhaltendes und Insichzurüekkehrendes, also
Objectivirung zur wesenhaften Subjeetivität.^') Ist so der
Zweck im Organischen die Realisirung des Begriffes, so
beginnt überhaupt im Zwecke das Dasein des Begriffes,
das Freie existirond als Freies, das Subject, Totalität des
Beiöichselbstseins, in der Selbstbestimmung Inhalt, in der
Selbstbesonderung Form. Hierbei ist äussere Zweck-
'«) oo n, 201 f. a») Phaenom. des Geistes. Bd. 11, Berlin 1841,
p. 189 ff.
'^^ 62 '2x^
mässigkeit aus der Mitbezweckung des Mittels, innere
Zweckmässigkeit aber, insofern sie sich selbst Zweck und
Mittel ist. lieber dieser endliclien Zweckmässigkeit steht
die absolute. ')
Doch wie steht es um diese blendende Deduction des
Zweckes? Resultirt so tatsächlich der Sieg des Zweckes
über die AVeit in der unendlichen Objectivimng des Be-
griffes in seine Subjectivität?
Tr. verraisst zunächst im Uebergange des disjunctiven
Schlusses in die Objectivität das nach aussen Treibende,
Objectivirende, er verneint die Möglichkeit des Entzweiens
des Centrums in der Centralität des Mechanismus zum
Chemismus gegenseitig sich erregender Beziehungen (z.
B. üebergang aus der Astronomie in die Chemie); er
legt dar, dass im Chemismus (z. B. 100 Teile Schwefel-
säure verbinden sich mit 71 Teilen Kalk zu Gyps) ent-
weder Causalität in der Wechselwirkung der Kräfte der
Stoffe oder, wenn die Stoffe zur Yerwirklichung ihres
Begriffes und wie für einander bestimmt in bestimmter
Mischung zusammengehen, schon der waltende Zweck zu
statuiren sei. -)
Die unendliclie Negation des Chemismus sodann, wie
sie im Process und Product desselben vorliegen soll,
kann ebensowenig den Zweck ergeben, denn jene aus der
Einbezogenheit in Process und Product sich ergebende
UnSelbstständigkeit ist nur Mangel an Macht, Abhängig-
keit von einer anderen wirkenden Ursache, so dass mit
der Aufhebung dieses Defectivums im Chemismus nichts
als Causalität erscheint. Und weiter, wie kann das im
"Werden und Wechsel beschlossene zufällige, blinde Spiel
der Yerbindungcn den sehenden Zweckgedanken in sich
») Philosophie d. Relig., Bd. XI, IJerlin 1840, p. 27 fi". *) II,
5fi ff.
'V19 63 e^
fassen, und wie vermag der in's Object versenkt ge-
wesene, aber in der Selbstobjectivirung sich befreiende
Begriff, also ein gebundenes Prius, als freier Gedanke
das Posterius vorher zu bestimmen ? Ferner ist im end-
losen Gange der Identificirung von Zweck und Mittel
beides real dennoch auseinanderzuhalten, und nur im
absoluten Ganzen, welches aber im unendlichen Process
weder bedingt ist, noch erzeugt wird, könnte reale
Identität Statt haben; und der Verlauf in's Unendliche
bringt es nicht mit sich, dass die sich ausgleichenden
Functionen Antrieb hätten, die Zwecke, die da gerad-
linig fortschreiten, zu einem Kreislauf umzubiegen, so
aber kann Totalität des Zweckes, die Idee als der
absolute Zweck, der das Dasein der Welt ist, nimmer-
mehr gefolgert werden. ') Auch ist nicht einzusehen, dass
der im Zweck sich reflectirende Begriff, die mit sich
identische Isegativität, und als solche, gleich der Substanz,
ein Unendliches, dem endlichen, äusserlichen Zwecke noch
die Möglichkeit der Yerwirklichung neben sich belasse,
vielmehr muss letzterer in jenem sich aufheben und
negiren. Und wie könnte zur Kealisirung des unend-
lichen Zweckes der Begriff in seiner Selbstbefreiung als
Walirheit der Substanz Macht gewinnen, wenn die
Substanz, in ihrem reinen Wechsel mit sich selbst, durch
ihr Bei-sich-bleiben in den Accidenzen nichts als formale
Identität, bereits für sich selbst ohne Macht ist? wie
vermöchte er vorherbestimmend den Inhalt des Daseins zu
beherrschen, indem er selbst inhaltslos ist?-) Ob auch
endlich der Zweck in der Natur innerlicher und tiefer,
so ist doch im menschlichen Zwecksetzen keine Willkür,
der äussere Zweck ist hier Ausprägung der inneren
geistigen Bestimmtheit. ^)
') II, G2. (^ T, G5 f. -j II, 59 f. 3) ib.
nü^ 64 '^^
Wie Kant's formal subjective, so reicht auch Hegel's
formal objective Zweckerklärung nicht aus, „die innere
Möglichkeit des Zweckbegriffcs zu entwickeln und die
Notwendigkeit seiner Herrschaft zu begründen." ')
Im Bereiche der Ableitung des physischen Zweckes
nicht so sehr, als bei der Aufstellung des ethischen
Zweckes nuisste Tr. hart und entscheidend mit der
Lehre Schopenhauer's zusammentreffen, und es ge-
schieht dies in der Ausführung über den Zweck und
den Willen. --i)
Zwar in Beziehung auf das organische Gestalten der
Natur bereits negirt Schopenhauer den Zweck, denn jenes
sei nur gleich dem nach einem Zweckbegrilf und doch
zugleich ganz ohne denselben. Anscheinend Zweck-
mässiges sei lediglich Ausdruck des mit sich selbst so
weit übereinstimmenden Willens. Dieser Wille ist der
zeitlose und raumesfreie, in der Vielheit und Mannig-
faltigkeit der Zeit- und Raumdinge der Eine, der Be-
dingung der Möglichkeit der Individuation abholde. Er
ist der Wille zum Dasein und die Welt der Erscheinung
als Vorstellung"-) ist seine Objectität. -') Hiergegen
setzt Tr. : Da die Objectität nichts ist als Erkennbar-
keit, so muss der Wille zum Leben nicht nur zu seinem
Uebergeben in die Objectivität mitwirken, sondern auch
vorher in unsere apriorischen Erkenntnisformen des
Raumes, der Zeit und der Causalität sich fügen. In
diesem Anteil des Grundes liegt für den Willen ein An-
weis der Besonderung. Er kann soweit nicht unentwegt
der Eine, ungeteilte bleiben, und insomit auch nicht das
M II, 62. =) II, 77 tt. l(Jl f. "•-) n, 162. 2a) A. Schopen-
hauer, Die Welt als Wille und Vorstellg., Leipzig 1877, Bd. I
§ 28, p. 182 E, und Bd. II, Kap. 26 u. 27, p. 372 flf. [edd. Frauen-
städt, Bd. II u. III.]
nA9 Q^ QX"
Eine d. h. scheinbar Zweckmässige, Harmonische objecti-
viren. Die Uebereinstimmimg im Organischen hat mit-
hin anderen und tieferen Grund. Aber angenommen ein-
mal, das Zweckmässige sei nicht mehr als Ausprägung
des Einen Grundwillens, was würde es denn bedeuten zu
sagen, dass alle Teile der Natur einfach einander ent-
gegenkommen, sich suchen und finden ? ^) Denn tun sie
dies aus sich, so ist der Wille sofort ein Geteiltes, wenn
aber nicht, so ist in dem Einen Willen doch der
Antrieb d. h. er ist causal, was er aber nach seinem der
Individuation Fremdsein nicht sein dürfte. Wenn ferner
durch das einfache Entgegenkommen der Teile ein Ganzes
der Organisation entsteht, so hat dann letzteres als
W^irkung die Ursache des so und so gearteten ausschliess-
lichen Zusammengehens dargegeben; und abermals, ist
diese Umkehrung des Causalnexus als ein Zweites zur
wirkenden Ursache nicht weit mehr als ein Einfaches und
Voraussetzungsloses?-) Auch wenn man das Zweck-
mässige als Abbild des Urbildlichen, als inzeitliche Dar-
stellung des Zeitlosen d. i. der Idee fassen wollte, —
die platonische Idee, das ewige Musterbild, ist der adae-
quate, unmittelbare Ausdruck des Willens zum Leben,
— so bliebe wiederum ein Unerklärliches, nämlich wie
denn das Zeitlose in der Umkehrung der Zeitfolge Sieg
und Herrschaft über die Zeit gewinnen könne? ^) Mit-
hin muss in dieser Uebereinstimmung des Willens mit
sich der consequente Gedanke des objectiven inneren
Zweckes in Voraussetzung und Vorausnahme (wie im
Instincte des Thieres) enthalten sein. „Hiernach zeigt sich
trotz öchopenhauer's Behauptung an seinen eigenen Ge-
danken, dass der Wille, der sich objectivirt, Causalität
») n, 115 f. ^) n, 116. 3) II, 117.
T»^ 66 S30
und Vernunft zumal ist." ') Der grundlose Wille könnte
nicht in Gesetzen und Zwecken erscheinen, der blinde
AVille nicht die platonische Idee wollen.-) In den drei
Stufen seiner Objectivation (Naturgesetz, Organisches und
Mensch) zeigt er sich nicht als Spiel des Würfels von
tausend Seiten und tausend Augen, sondern als Sehendes,
als Vernunft, Grund und Ziel in sich bergend. ^) Und
wie die Vielheit des Erscheinenden kein Gaukelbild und
das vorgestellte Sein kein Schein ist, ■^) so ist der
physische Zweck nicht Reflexion des mit sich überein-
stimmenden Willens, sondern ein mächtiger Gedanke im
Grundgeschehen.
Folgenschwerer ist Schopenhauer's Verneinung der
menschlichen AVillensfreiheit in Ansehung zeitlicher Hand-
lungen. Frei kann — nach Seh. — der Mensch nur in
seinem ganzen Sein und AVesen (existentia et essentia)
als seiner freien ausserzeitlichen Tat sein. Da nun das
inzeitliche Operari des Menschen nur Vielheit und Ver-
schiedenheit des Darstellens der ursprünglichen Einheit
ist, so muss es genau gleichmässig und notwendig be-
stimmt und von jeweiligen Motiven lediglich inscenirt,
also durchweg determinirt, vorsieh gehen. Alle mensch-
lichen Handlungen aus Motiven sind individuell und
casual, weniger zufällig nach der äusseren Einwirkung
als notwendig aus der \'orherbestimmtheit. Das Operari
ist unfrei. In jedem Individuum ist in jedem Falle nur
Eine Handlung möglich. Frei ist nur das Esse, der
intelligible Grund des empirischen Handelns. Jeder ist,
was er ist, gleichwie er tut, was er ist; und in dem, was
er ist, liegt mit der Freiheit auch Schuld und Verdienst.
Da hiernach der Mensch verantwortlich ist nicht für das
') II, 118. ') ^ II, 111. ') ^ II, 112. *) ~ n, 108.
-^9 67 s^
aus dem Eintritt des Tuns in die Motive notwendig sich
ergebende Handeln, sondern dafür, dass eine andere
Handlung möglich war, wenn nur er selbst ein Anderer
gewesen wäre, so trifft der Stachel des Gewissens als des
wachsenden Bekanntwerdens des Menschen mit seinem
wahren Selbst allein das Esse, und höchstens können
rücksichtlich der sittlichen Verantwortlichkeit noch die
drei Grrundmotive Egoismus , Bosheit und Mitleid con-
curriren. ^) Gewichtig und bedeutsam sind die Gegen-
argumente Tr.'s. Die intelligible Freiheit, von Kant für
den vernünftigen Willen und gegen den Determinismus
gesetzt, soll mit dem intellectlosen, unvernünftigen Willen
zusammenstehen und die empirische Notwendigkeit be-
dingen und begründen! Und wie kann jene Freiheit eine
intelligible sein, wenn die Objectität des Willens auch
in unseren Handlungen nichts als Ausdruck der Vor-
stellung, dazu als Intellectuelles aus dem Intellectlosen,
und somit gar kein empirisches Kundwerden der Allge-
meinheit der Dinge und des Seins überhaupt ist!-) Auch
die von Seh. versuchte Subsumtion des Begriffes der
Kraft unter denjenigen des AVillens kann hier nicht
helfen, denn es bleibt dann wieder unaufgehellt, durch
welchen artbildendcn Unterschied aus diesem allgemeineren
Begriffe jener besondere hervorgehe. Und wodurch haben
wir von einem Willen insgemein Kunde ? Ausschliesslich
aus der Analogie unseres eigenen Willens. Da nun unser
Einzelwille im Rahmen der Vorstellung, nach Motiven
und in der Zeit handelt, jener Grundwille jedoch ohne
Intellect, ohne Motive und ausser der Zeit wirken soll,
') n, 101 ö". -; II, 10:). Schopenhauer, Welt als W. u. V.,
s. o. Bd. I p. 178 ff.; 188 ff.; 342 ff.; § 61, p. 391 ff.; Bd. II,
Kap. 19, p. 224 ff. ; p. 868 f. ; Kap. 47, p. 676 ff. cf. et. : „Die Grund-
probleme der Ethik" Leipz. 1860.
5*
^5^ 68 s^
so haben wir hier ein widersprechendes Analogen, das
TtQatov ^'Evdog einer haltlosen Ainphibolie, 'j eine unglück-
selige Metapher!-) Aus diesem in sich unbegreiflichen,
dem menschlichen Willen entgegengesetzten Willen kann
unmöglich die Notwendigkeit unserer Willensäusserung
folgen. Hierzu bedürfte der Urwille durchgehende, zu-
sammenhaltende Kraft und vorausschauende Vernunft, die
beide ihm nicht eignen. Ist es auch Notwendigkeit des
Willens zum Leben, dass der Selbstmörder einen Willen
zum Tode ausführt? oder wäre der Tod nicht Yerneinung
des Lebens, sondern Rückkehr zum Intelligiblen d. h.
aus der Yernunft in die blinde Unvernunft? Der Wille
zum Leben als Princip macht das Leben des Menschen
zum Resultat, das ethische Handeln zum Mechanismus
der Notwendigkeit. Aber das in sich selbst Gewisse im
Menschen, der begehrende, empfindende, denkende, wollende
Zweckgedanke, die Seele, ist nur ihrer Erscheinung, ihrer
Selbstverwirklichung nach Resultat, aber in ihrem Wesen
ist sie Princip, ^) ihre Tätigkeit ist eine reflexive, '^) sie
denkt und will sich selbst, nicht aber eine zum etwaigen
Urwillen regressive; sie hat unveräusserlich das Selbst-
bewusstsein ^) zu eigen, und nicht das Mitbewusstsein
eines Ursprünglicheren; ihre Einheit setzt sich fort durch
Raum und Zeit und unbekümmert um die Vielheit der
Darstellungen des Willens zum Leben; sie erkennt
apriorische Wahrheiten ohne Beihilfe der Objectität
des Willens. Und das sittUche Handeln, dessen
Aufgabe es ist, die Zwecke in ihrer Unterordnung
unter den letzten Zweck, ") nämlich die Erfüllung des
eigentümlichen Menschenwesens, zu wollen, ^) kann nicht
in die Linie starrer Notwendigkeit fallen, da es sinnlichen
1) II, 109 f. ^) IT, 113. ^) ir, 80. ■•) II, 83. ') II, 84 f. •) II,
93. '; II, 91.
-i/^S) 69 ^^
Vorstellungen und Reizen widerspricht, ^*) denn ein Ge-
bundener kann nicht kämpfen. Wenn so aus dem Streite
der Zwecke im Kampfe sittlicher Arbeit das sittliche
Ideal sich herausklären soll, so muss das apriorische Sitten-
gebot Möglichkeit seines Erreichens, Freiheit des Handelns
erfordern. ') Aber im Notwendigen ist kein bewusstes
Ziel, sondern unbewusste Entwickelung, in welcher der
Mensch kein Tuender, sondern ein Getanes wäre, nur
ein Schauplatz des Abspielens fremder Causalität-) und
ihr Canal. Steigerung des geistigen Lebens, Schwung
des idealen Strebens wären hiernach unmöglich, -) wogegen
die Geschichte des Tages und der Jahrtausende Zeugnis
ablegt. In die festgefügte Notwendigkeit der Willensacte
würde fernerhin nicht eintreten können der Zwiespalt und
Widerstreit der Zwecke als Teile und der Zwecke des
Ganzen. ^) Die lebhafte Lust des Sinnhchen in der Be-
gierde und die Idee des Guten, für welche letztere Seh.
auch gar keinen Raum hat ; *) — da aber alles ethische
Leben durch die Antithese zur Synthese schreitet, so würde
mit jener auch diese wegfallen — , jene, sagen wir also,
könnten nimmermehr miteinander in Conflict geraten, es
gäbe nichts als uniformes Objectiviren des "Willens, Gutes
und Böses wären indifferent, Lasterhaftigkeit müsste ir-
relevant sein, ja, womöglich müsste es als intensivere Dar-
stellung des Urbegehrens d. i. des Grundwillens besondere
Geltung erlangen! Hiermit wäre alle Schuld verneint und
jedes Verbrechen sanctionirt, denn dass der fehlende
Mensch nicht anders ist und zumal nicht anders tut, als
er ist, liegt nicht mehr in seiner Macht, sondern in seiner
vorzeitHchen freien Tat, w^elche freilich, in die absolute
Freiheit des Willens zum Leben einbezogen, sofort zur
Notwendigkeit wird.
1») II, 93. ») ib. ^) II, 96. ') II, 90. *) II, 112.
-HO 70 <s^
So ist nicht nur der Wille zum Leben als vor der
Zeit und vor der Yernunft sich selbst Widerlegung,
sondern auch in seiner zeitlichen Objectität als das ethische
Handehi determinirend unlialtbar. öchopenhauer's Lehre
ist leerer Idealismus und zeitigt praktisch den Materialis-
mus. Tr. verteidigt also sachlich und besonnen, aber
dadurch nachhaltig und siegreich den inneren, zuletzt auf
das Göttliche führenden') Zweck.
Es erübrigt noch, die von Charles Darwin auf-
gestellte Theorie durchgehender physischen Causalität in
Entstehung der Thier- und rflanzenarten^) einer Trüfung
und AViderlegung zu unterziehen, und dies eben gemäss
dem von Tr. entwickelten und begründeten Zweckprincip.
Hierbei ist vorauszuschicken, dass Darwin die mensch-
liche Zwecksetzung im Bereiche der künstlichen Züchtung
ohne Weiteres anerkennt, dono er spricht dem Menschen
das Vermögen zu, geringe Artabänderungen durch Aus-
wahl zum Zwecke der Nachzucht herbeizuführen und in
Häufung dieser Abänderungen ein Beträchtliches zu er-
zielen ^), und in dieser Zwecksetzung der Nachzucht, in
der zweckentsprechenden Wahl der Zuchtart, im zweck-
mässigen Wiederholen des Vorganges liegt der subjective,
persönliche, bewusste, die erfuderische Erkenntniss be-
wegende, zu immer vollendeterer Verwirklichung treibende,
das AVissen bereichernde Zweckgedanke des Menschen '),
welchen vorausschauenden, vorherbestimmenden Gedanken
im Menschen wie im Grunde der Dinge insgemein ^)
Tr. so gründlich dargetan hat, offenkundig beschlossen.
Ob aber Darwin die menschhche Zwecksetzung auf das
ganze Gebiet menschlichen Handelns, wie aus diesem
') n, 141. ^) üeber die Entstehung der Arten etc., deutsch
von H. G. Bronn. Stuttgart 1860. ") D, 10, 36, 67, 85. *) Tr. II,
91 u. 77 ff. 5) I, 88. II, 83. 86.
'l^9 71 QX"
Besonderen zu vermuten'), ausgedehnt wissen will, hat
er selbst in diesem AVeike nirgends betont, obwohl es
wichtig wäre zu wissen, wie das von ihm behauptete
stufenweise Erwerben jeder geistigen Fähigkeit^) zu dem
Sittlichen, welches einerseits nicht abzuläugnen ist und
andererseits, wenn in die Causaiität einbezogen, sein
Hauptmerkmal, das Yerantwortliche, verliert, sich ver-
halte, und wiewohl alsdann auch seine Lehre an ihren
Früchten am Besten zu erkennen sein würde. Ebenso
ist im Voraus zu bemerken, dass Darwin, da ihm natür-
liche Uebertragung oder Erblichkeit, natürliche Züchtung
und Kampf um's Dasein als Principien der Naturerklärung
ausreichen, die Frage nach dem metaphysisch Einwirkenden^
wie höherer, aber doch der menschlichen Vernunft analoger
Kräfte^), also nach dem etwa einwohnenden und inne-
wirkenden Zweckgedanken wenig oder nicht beschäftigt,
obgleich schon unsere von ihm zugestandene Unwissen-
heit über die Gesetze der Abänderungen '*), unsere gänz-
liche Unkenntniss der Zwischen- oder Mittelforraen ''),
unser Unvermögen, das Dasein des wunderbaren, ob auch
nach Gelegenheitsursachen abändernden Instinctes der
Thiere'*) zu erklären, die wunderbare und herrliche
Organisation auch der niedrigsten Lebensformen '') ihm es
verbieten sollten, in seinen Untersuchungen weder mit
dem Ursprung der geistigen Grundkräfte noch mit dem
des Lebens selbst etwas zu schaffen haben *") und so das
metaphysische Problem einfach zurückschieben zu wollen.
Wenn nun Darwin solcherart einzig und allein die pure
Empirie, das schlechthin Natürliche, das physisch Reale
») cf. D, 218. 2) D, 493. ») D, 462. *) D, 178. ») d^ 466 f.
Tr. 11 (3. Aufl.), 84 f. «) D, 217 cf. 0. Liebraann, Zur Analysis
der Wirklichkeit, Strassburg 1880, p. 428 f. u. überhaupt p. 313 flf.
'J D, 136. ») I>, 217.
'>^ 72 '^'^
zum Inhalte seiner Forschung wählt, und dazu in Be-
obachtung und Experiment, in eigenem scharfsinnigen
Ergründen wie umfassendem Verwerten der Resultate
anderer Forschungen die materiale Methode, das Son-
diren des existirenden Typus und daraus das Com-
biniren zu erstrebender Varietäten wie erloschener
Arten und zu alledem ein unermüdliches Zusammentragen
einer Fülle von Belegen in Anwendung bringt, so ist
daran zu erinnern, dass nach Kaufs schwer widerleglichen
Ausführungen die Phaenomene mit der wahren Wesen-
heit sich nicht decken und dass unsere Anschauungs-
formen subjectiv bedingt sind, freilich nach Tr. so auch
— aber dies wäre das höchste Zugeständniss — dass
bis zu einem gewissen Grade, aber doch eben nie ganz,
dem Subjectiven das objectiv Reale entspricht. ^) Die
nähere Betrachtung der obigen Principien ergiebt aber zu-
nächst dies, dass wir die Erblichkeit der Charactere der
Arten leichtlich der Causalität zuerkennen können, denn
jene erscheint ja als Gestaltung des j^achfolgenden aus
der Gestalt des Vorhergehenden, als wesenscongruenter
Zusammenhang in Erzeugung, embryonaler Entwickelung,
Geborenwerden und Eigenexistenz beim Thiere und in
Befruchtung, Blüte, Samen und Eigengebilde bei der
Pflanze. Trotzdem ist hierbei zu bedenken, dass erstlich
die Gesetze, welche die Erblichkeit regeln, und zweitens
der tiefere Grund des Vorganges der Vererbung selbst
uns völlig unbekannt sind.-) Die strenge Ableitung der
Erblichkeit aus dem Causalen ist bereits hierdurch ge-
lockert. Wie aber, wenn die Erblichkeit zugleich über
die wirkende Ursache hinausreichte ? Wenn der Trommel-
taube als erbliches Characterstück die Haube zukommt,
>) Tr. I, 168. 368. 370. II, 66 f. =>) D., 19. 0. Liebmann,
s. 0., p. 428 ff.
'Vv9 73 sx'
so rnuss zufolge genetischer Entwickelung die Stamm-
taube dieser Gattung mindestens ein Rudiment dieser
Kaube gehabt haben. Setzen wir dieses Rudiment als
Folge oder Wirkung eines inneren, durch äussere Um-
stände begünstigten Triebes, so liegt im Treibenden der
Zweck beschlossen. AYenn dann die von der ersten ab-
stammende zweite und überhaupt xte Taube die gleiche
Eigenschaft aufweist, so behauptet sich darin der Zweck
in der AVirkung '), und im jedesmaligen Selbstbeliaupten
wird das Gewirkte zum Neuwirkenden, zu neuem Zwecke,
so dass in der Erblichkeit zugleich Reihen von Zwecken'^)
zu Tage treten. Zeigt die Erblichkeit weiterhin Einheit
des Characters, Regel der Fortbildung und lebenskräftige
Wesenserneuerung, so muss ein Einendes, Regelndes,
Kraftgebendes darin walten, und als solches darf der
bildende, bauende, lenkende Zweckgedanke gelten. ^) So
erhält die Erblichkeit aus dem Zwecke, Darwin's Princip
aus Trendelenburg's Zweckprincip eine tiefere Bedeutung
und die Möglichkeit hellerer Einsicht. ^*) Es tritt dies
noch mehr hervor in Beziehung auf das zweite Princip
des Darwinismus, den Kampf u m' s Dasein. Derselbe
soll lediglich durch die Mitbewerbung, die Neigung aller
Organismen zu starker Vermehrung, Nahrung und Klima
bfKÜngt und insoweit causal hervorgerufen sein. Aber
über Wirkung wie Ursache greift hierin offenbar ein
Höheres über, nämlich der Zweck der Selbsterhaltung. ^^)
Tr. führt nachdrücklich aus, dass der Zweck der Mittel-
punct aller Tätigkeiten im lebenden Wesen sei, dass diese
') Tr. II, 37 f. 2) Xr. II, 35 f. ^) Tr. 11. 79. 3a) Tr. selbst
(L. U., II, dritte Auflage, 1870, Anmerkg. p. 79— 93, über die Erb-
lichkeit : „Die Teilung derselben Mateiüe zu andern Individuen
erklärt nicht die Fortpflanzung der die Materie beherrschenden,
sich die künftigen Lebensbedingungen zubereitenden und anpas-
senden Form." (p. 85.) ^b) H, 88.
'■ä^ 74 sx
Tätigkeiten, wiewohl im Anderen eiocheinend, auf das
Wesen, welchem Sie integrircn, als reflexive zurückgehen,
und dass das AVesen, der Organismus, in ihnen sich
selbst Zweck wird. ') Nun denn, wie wird die aus dem
Mit- und IS^ebeneinander der Organismen entspringende
"Wechselbeziehung acut zur Älitbewerhung? Was ist
Mitbewerbung und Kampf um die Existenz anders als
Streben nach Selbstbehauptung und Solbstverwirklichung?
Wäre jeder Organismus in Ijczichung auf sich selbst
gleichgültig, so müsste er es auch im Verhältniss zu den
neben und mit ihm seienden Organismen sein, und dann
könnte niemals ein solcher Kampf auf Leben und Tod
entbrennen. Ebensowenig kann die Annahme dieses
grossen Wettringens alleinig causal aus der starken
Neigung der Organismen zur Vermehrung '^) hergelciiiet
werden. Tr. urteilt mit Recht, dass die geheimnissvolle
Fortpflanzung über die Ohnmacht eines blinden Würfel-
spiels hinausgehe. ^) Die erzeugenden Factoren oder
besser die Factoren der Erzeugung sind mit Nichten in
einem blinden Drang beschlossen, sondern sie stehen in
einem höheren Dienste, nämlich wieder des Selbstzweckes,
in Kraft dessen der Organismus in seiner Vermehrung zu-
nächst nur sich selbst will. Das Gleiche gilt von Nahrung
und Klima. Jene wäre gleichgültig ohne den unmittelbaren
Trieb aller Wesen nach Selbsterhaltung, also nach Ver-
wirklichung des Selbstzweckes. Dieses hätte keinen Be-
lang, wenn nicht der Organismus, eben um sich zu be-
haupten und seinen Selbstzweck auszuführen, hier gegen
Hitze, dort gegen Kälte rcagirte. Hunger dort, über-
mässige Erkältung oder Erwärmung hier sind nicht mehr
als Anzeichen des drohenden Aufhörens der Selbstver-
wirklichung. So aber erscheint uns auch der Kampf
"^TTtTTi, 82 f. 78. ^) D , 68 ff. «) Tr., H, 28.
<xa 75 svt
ums Dasein in einem ganz anderen Lichte. Er ist mit
Notwendigkeit aus der wirkenden Ursache nicht zu de-
duciren. Ist er nicht allgemein notwendig, so ist er auch
nicht überall wirklich, wie das friedliche Zusammenleben
von wilden und zahmen Thicrheerden, das oft beobach-
tete einträchtige Zusammensein sonst einander frindlieher
Thiere, das Zusammenstehen verschiedenster Pflanzen
beweisen. Und überdies sehen wir derart nicht mehr
ein grausames ßingen der Organismen vor uns, sondern
eine Difterenzirung zum Zwecke der Yerwirklichung der
höchsten Gattung, und das in dieser unvermeidlichen
DiÖ'erenzirung Untergehende ist dann nicht nur ein Ent-
gegenstehendes und jS^egatives gewesen, sondern es ward
Mittel zum Zwecke, sein Vergehen i-st nutzbringend und
positiv, wie der Tod des tapferen Kriegers für den Sieg
des Ganzen. In dieser Zweck-Difierenzirung der Selbst-
behauptung der Einzelwesen bemerken wir endlich einen
grossartigen Aufbau der Unterordnung der Einzelzwecke
unter den Gcsammtzweck der allgemeinen, aus dem
jeweiligen Siege der Zweckverwirklichung des Yoll-
kommneren potential resultirenden Vervollkommnung. Tr.
hat es klar hingestellt, dass in dem Lebendigen der
Zweck Mittel und das Mittel Zweck ist '), so dass die
Indifferenz des Untersinkenden Mittel und Anlass der
Differenzirung wird; und dieUntcrordnung der Zwecke unter
einen umfassenden und beherrschenden Zweck "^j i^st gerade
insofern möglich, als der eben verwirklichte, doch zum Mittel
neuen Zweckgeschehens sich begebende Zweck unter eine
neue Einheit tritt, welches denn überall einen beherrschen-
den, zuletzt aber einen allbeherrschenden Zweck ergiebt. -*)
•) Tr. I, 66. ") Tr. II, 35. ^a) Tr. selbst: (II, 3. Aufl.. p. 87.)
„Der Kampf um das Leben ist ein Kampf um Zwecke, denn ohne
solche ist kein Selbst zu denken." (Fortsetzung s. f. Seite.)
'>^ 76 s?«"
Leichter und deutlicher noch erhellt, dass die natür-
liche Züchtung ein Zweckvorgang ist. Natürliche Aus-
wahl oder Züclitung wird von Darwin in die Erhaltung
vorteilhafter und Zurücksetzung nachteiliger Abänderungen
gesetzt.-') Zwar soll dieser Ausdruck zunächst nur bild-
lich zu nehmen sein, doch wird seinem Urheber Avie den
Anhängern desselben das Bild unwillkürlich zur öache.
Hier bringt also nicht der Mensch, sondern die Natur als
natura naturans die Abänderungen hervor. Die Natur
selbst ist wirksam tätig, die bildungsfähige Organisation
zu vervollkommnen. Sie ändert die Larve eines Insectes
nach dem C»c;iichtspuncte des Nützlichen, sie passt das
Gefieder der Wald- und Schneehühner zum Schutze vor
Feinden der P'arbe der Erde an; sie spornt die Männ-
chen zum Kampfe um das Weibchen an und veranlasst
so, im Siege des Stärkeren, sexuelle Veredelung. Die
Arbeit teilend, aber im Endbetracht einend, ungeordnete
Zunahme von Artenformen hemmend, wirkt sie langsam,
aber sicher, dazu täglich und stündlich und allenorts.
Ist in alledem nicht ein zweckmässiges Geschehen kund
und offenbar? Die Natur ^^■ill Arten erhalten, ist soviel
als : Die lebenskräftigen Organismen errtreben ihre fort-
gesetzte Selbstverwirklichung. Wenn zudem nur A'orteil-
haftes erhalten, Nachteiliges aber preisgegeben werden
soll, so ist darin verstärkte Yerwirklichung des Selbst-
zweckes ausgesprochen. Tr. sagt: „Erst mit dem Be-
griffe des Zweckes bildet sich die Möglichkeit von Selbst-
erhaltungen; — vorher giebt es kein Selbst im eigent-
„Dcr Kampf um das Leben, der Erreger der Kraft für den
Zweck des Selbst, ist das Mittel zur Stärkung und Erhöhung des
Selbst" (p. 91).
„Im Ganzen wird auch der Untergang im Lebenskeime seine
Bedeutung haben" (p. 93).
') D, 85 f.
nfis 77 e^""
liehen Sinne, sondern nur Reaction eines Bildungs-
gesetzes." ') Ist es bereits Zweck, wenn die natürliche
Zuchtwahl etwas anstrebt, ^) nämlich Zweck der fernen
Zukunft, wie Tr. es bezeichnet, ^) so ist die Erstrebung
des Besseren ^*) noch intensiver ein Zweckgeschehen,
dessen Wesen auch Tr. in der aufsteigenden Entwickelung
ausgeprägt sieht, ^) Jenem Abändern , Anpassen und
Anspornen, kurz dem Wirken der natürlichen Züchtung
liegt ferner dies zu Grund, dass das Ganze vor den Teilen
gedacht und gewollt ist. Erhaltung und Vervollkomm-
nung insgemein, Nützlichkeit, Schutz etc. insbesondere
sind nichts anderes als das Ganze, zu dessen Eeahsirung
dann die Auswirkung und Modification des organischen
Lebens die Teile hergiebt. So soll die Biene erhalten
und veredelt vf erden. Dies der umfassende Gedanke des
Ganzen. Dazu kommt als näheres Ganze Schutz vor
Feinden. Daher eignet der Biene das aufmerksame Ge-
hör, der scharfe Geruchsinn, der vergiftende Stachel. Dies
aber ist nach Tr. ganz die Art des Zweckes, dass er aus
der vorgedachten Einheit das diese constituirende Einzelne
will und so sich im Naturproduct individuirt. ^) Wenn
die natürliche Züchtung ferner die Arbeit teilt, so direct,
durch Zerstörung von Hemmungen aber indirect ihre
Tätigkeit fördert, so können wir darin auch die Um-
kehrung des Causalen constatiren. Getrennte Geschlechter
bei Pflanzen zur Ueberführung des Pollens durch Insecten
giebt höhere Fruchtbarkeit, Hemmung des ungeordneten
übermässigen Wachstums von Arten gibt die Möglichkeit
grösserer Veredelung einzelner Arten : beides Wirkungen,
die zur Ursache werden, und Trennung dort, Zerstörungs-
>) Tr. II, 82. ^) D., 110. ^) Tr., II, 15. ^a) D, J33 f. *) Tr.
U, 16. 87. 5) Tr. H, 78.
-•^^ 78 öx^
Differenzirung hier bedingen, so dass ohne die Wirkung,
die Ursache wird, auch die Ursache, die zur Wirkung
treibt, nicht zu sein brauchte. Es genügt liier, darauf
zurückzuweisen, dass nach Tr. gerade im Zwecke das
Nachfolgende zum Früheren, das Hervorzubringende zum
Hervorbringenden wird. Da weiterhin die natürliche
Züchtung in langen Zeiträumen in unendlich kleinen Ab-
änderungen oft unter scheinbaren Rückbildungen dennoch
das Ziel der Art- Vervollkommnung im Auge behält und
approximativ erreicht, so ist dies Beweis jener Energie,
welche aus der von Tr. dargelegten Coincidenz von Zweck-
gedanken und Krafc der wirkenden l^rsache hervorgeht
und in ihm Bestand hat, (s. o.)*') Insofern die natür-
liche Züchtung im Organischen überall und jederzeit wirkt,
offenbart sich darin nach Tr. der Zweck, welcher mit
allem Organischen, weil dasselbe von innen bildend, not-
wendig verknüpft ist. Und Darwin selbst kann nicht
umhin, in der Natur und ihrer organischen Differenzirung
den Zweck anzuerkennen! Er setzt, dass im Verhältnis
zur künstlichen Züchtung von Arten durch menschliche
Zwecksetzung der Natur d. i. der natürlichen Züchtung
„unvergleichlich längere Zeiträume für ihre Pläne zu Ge-
bot stehen."') Dcmgcmäss muss durch alle Organisation
doch ein Planen, eine Abzweekung hindurchgehen, und
dies ist nach Tr. der Gedanke als Grundlage des Ganzen -).
Darwin gesteht bezüglich der natürlichen Zuchtwahl in
besonderem Betracht zu: „Bei den Hausthieren passt sie
die Structur eines jeden Einzelwesens den Zwecken der
Gemeinde an", ^) welche von Tr. beschriebene Unter-
ordnung der Zwecke überall bei Individuum und Gemein-
a') cf. f^ Tr. II, 79. ') D, 87, 483. -) Tr. H, 91; <^ ebenda,
3. Aufl., p. 92: „ein Plan ewigen Ursprungs". ') D, 92.
'/vS 79 Q^
Schaft eintritt. Er widerspricht sich daher selbst, wenn
er jetzt Zweck des Organen in Abrede stellt, dann sofort
aber einen Abändemngsplan der Natur annimmt, 'j da doch
in dem Gesammtzweck der Einzelzweck enthalten sein
niuss, ^Yenn die Bienen die Bodenflüche des Zapfens
im Strohkorbe mit concentrischen Kreisen anzeichnen und
in Beziehung dahin dann lotrecht bauen, so ist dieses
allerdings ein erstaunliches Planen, und wenn die Pflanze
Kohlenstüft' aufnimmt undSauerstofi'für thierische Organis-
men, die jene ausathmen, abgiebt, so ist dies eine Har-
monie von Zwecken aus der gegenseitigen Unterordnung.
Da somit der Zweck, wie Darwin wider Willen zugeben
muss, die Organisation und ihre Difi'erenzirung durch-
waltet, so muss er auch in den einzelnen Organen des
Organismus erscheinen. In der Tat erkennt Darwin auch
dies an. Er lehrt, dass die Elügel des Vogels zum be-
sonderen Zwecke des Fluges hoch ausgebildete Organe
seien, -J dass die >Scliwimmblase ursprünglich nur zum
Zwecke des Schwimmeus gebildet sei, ^) dass die natür-
liche Züchtung dabei bald ein zweierlei Verrichtungen
dienendes Organ vorwiegend für einen der beiden Zwecke
ausbilde, 'j bald einen Zweck in einen vollkommeneren
abändere, "j Diese Ausführungen Darwins stimmen wieder
überein mit Tr's. iSatz: „Der Zweck regiert das Ganze
und bev, acht die Ausführung der Teile'". ") Die natürliche
Züchtung muss als in Organisation, Organismus und Organ
sehend, zielsetzend und zweckanstrebend wirksam sein.
Ist sie es im einzelnen Falle, dann muss sie es auch im
Ganzen sein, denn die Natur ist eine unteilbare Ein-
heit. UnvoUkommenheit oder gar Zweckwidrigkeit eines
') D, 483. 2) D, 192. 3)D, 201. *) D, 200. *j D, 201 f. «) Tr.
n, i f.
n^9 so Q^
Organes ist zufolge unserer nicht zureichenden Kenntnis
seines ganzen Haushaltes nur Schein, wie Darwin selbst
sagt, ') oder sie verschwindet in Beziehung auf andere
Zwecke. Darwin steht daher wiederum mit sich selbst
im Widerspruch. Es zeigt sich dies recht drastisch an
einer Stelle seines ^Yerkes, wo er jetzt das Einwirken
und Innewalten intellectueller Kräfte in der Natur in
Zweifel zieht, sofort aber behauptet, duss die natürliche
Züchtung mit nie irrendem Takte Zwecke immer weiterer
Vervollkommnung bis in's Unendliche zu verwirklichen
befähigt sei, ^) worin doch offenbar Intelligenz und Kraft,
die im Zweckgedanken geeint, beschlossen sind.
Wie hoch Darwin die Zweckmässigkeit der Natur
oder der natürlichen Züchtung anschlage, leuchtet aus
seiner Yergleichung letzterer mit der künstlichen Züch-
tung ein. ^) Er lehrt: „Da der Mensch durch methodisch
oder unbewusst ausgeführte Wahl zum Zwecke der Nach-
zucht so grosse Erfolge erzielen kann und gewiss erzielt
hat, was muss nicht die Natur leisten können? Der
Mensch kann absichtlich nur auf äusserliche und sicht-
bare Charactere wirken; die Natur fragt nicht nach dem
Aussehen, ausser wo es zu irgend einem Zwecke nützlich
sein kann. Sie kann auf jedes innere Organ, auf den
geringsten Unterschied in der organischen Tätigkeit, auf
die ganze Maschinerie des Lebens wirken. Der Mensch
wählt nur zu seinem eigenen Nutzen ; die Natur nur zum
Nutzen des Wesens, das sie pflegt. — Wie flüchtig sind
die Wünsche und die Anstrengungen des Menschen! wie
kurz ist seine Zeit! wie dürftig sind mithin seine Er-
zeugnisse denjenigen gegenüber, welche die Natur im Ver-
laufe ganzer geologischer Perioden anhäuft! Dürfen wir
uns daher wundern, wenn die Natur-Producte einen weit
') D., 205 f. •-) D., 199. ') D., 88 ff. u. p. 67.
'■ä^S 81 <2X»
„achteren" Character als die des Menschen haben, wenn
sie den verwickeltsten Lebens -Bedingungen weit besser
angepasst sind und das Gepräge einer weit höheren
Meisterschaft an sich tragen?" Das ist deutlich gesprochen!
Da in der künstlichen Züchtung als dem Niederen die
Zwecksetzung obwaltet, so muss um so mehr in der
Natur und natürlichen Züchtung als dem Höheren der
Zweck wirken ! Und auch hierin stimmt Darwin überein
mit Tr., der da gleichfalls urteilt: „Es wäre leichter ge-
wesen, diesen Begriff (des Zweckes) aus dem Bereiche
des menschlichen Willens herzuholen. — Aber der Zweck
erscheint in der Natur schöpferischer und tiefer."') Nicht
minder aber ist diese Uebereinstimmung ein Gegenbeweis
gegen die von Darwin sonst gelehrte Causalität der
natürlichen Züchtung und des Naturgeschehens überhaupt. ^*)
Ebenso sehr wird schliesslich, wieder aus Tr.'s Dar-
legungen schöpfend, Verwahrung gegen die von Darwin
versuchte lediglich causale Erklärung auch des In-
stinctes'^) eingelegt. Der Instinct, eine wunderbare
Erscheinung des Thierlebens, soll ein vom einzelnen Thiere
ohne Erfahrung, doch Erfahrung forderndes, von vielen
Thieren übereinstimmend, doch unbewusst der Zwecke,
immer aber eine kleine Dosis von Urteil oder Yerstand
offenbarendes Handeln, dazu abänderlich und erblich sein.
Hierbei jedoch ist nur Wirkung, aber nicht Entstehung
erklärt, und ferner, Abänderlichkeit d. h. Aenderung der
') Tr. n, 16. 'a) Tr. selbst: „Der Begriff der Anpassung führt
auf den Zweck; es liegt in ihm nur ein anderer Name für den
bildenden Zweck." „Indem aber die Anpassung erst in langer
Vererbung der Art die beständige Eigenschaft giebt, — so hat
die Anpassung, wo sie positiv wirkliche Werkzeuge schafft und
Mittel erfindet, die Ausführung des Einen durchgehenden Zweckes
nur in kleinste Schritte zerlegt." (U, 3. Aufl. p. 88.) -) D 217 ff.
6
'^^ 82 s^
Richtung des Handelns zuge^fben, die Erblichkeit, selbst
wenn man letztere mit E. Heiing aus dem Gattungs-
gedächtniss erklären AvoUte, immer nur ein Problem, aber
kein Princip. ')
AYenn die Gluckhenne nur an jenem Platze, welchen
sie, noch ohne Eier unter sich zu haben, unter allerlei
Zeichen und Tönen einnimmt, und sei er auch nach
unserem Verstände ein ganz unpassender, vorteilhaft und
emsig brütet; wenn die brütende Gans, das Nest auf
kurze Zeit verlassend, die erwärmten Eier bis zu ihrer
Rückkehr sorgfältig mit Stroh etc. bedeckt; wenn Bienen-
schwärme, bevor sie den Mutterstock verlassen, Spur-
bienen aussenden, welche den Ort des Anlegens aus-
suchen und aufputzen -) : so ist dies mehr als blinde
Causalität; alle diese und ähnliche Vorgänge sind ein ob
auch nur dunkel bewusstes und sei es auch unbewusstes
tatsächliches Zwecksetzeu, wie denn Tr. schliesst: „Der
Instinct beruht auf dem vorausgesetzten objectiven inneren
Zweck des Lebens." ^)
So wird die Causalität in Darwin's Entwickelungs-
theorie, wie sorgfältig auch er dieselbe aufdecken und
stützen will, überall vom Zwecke überholt und ergänzt.
Daher irrt Darwin nicht weniger als sein Vorläufer Bacon
von Verulam, wenn er zu behaupten wagt, dass Schöpfungs-
Plan oder Einheit des Zweckes anzunehmen nichts als
Deckmantel unserer Unwissenheit sei ^), da doch Ver-
wirklichung, Ausprägung, Verzweigung, Steigerung und
anscheinende Verkümmerung, Sieg und Hemmung etc.
des Zweckgeschehens nachzuweisen, nie des Schweisses
des Forschenden unwert sein kann, ja mehr leisten und
') cf. 0. Liebmann, s. o., p. 425 ff. *) L. Huber, Bienen-
zucht, Lahr, 1888, p. 197, 204. ') Tr. IL 118. *) D, 485.
's^ 83 Q^
gelten muss, als die Rätsei der Sphinx „Causalität" ver-
geblich lösen zu wollen.
Endlich wird demgemäss im Rückschliessen Darwin's
Annahme einer gemeinsamen Urform ') erschüttert (nämlich
in Ansehung ledighch causalen Wirkens) und vernichtet,
da dann bereits in letzterer der Zweck wirken und über-
dies in jeder i^^achform sich erhalten musste, so dass dei-
Zweck als weltbeherrschende und durchgehende Tat der
Natur erscheint^), so aber im Endbetracht auf den gött-
lichen Zweck führt. ^)
„Man erkennt das Gröttliche in der Natur, aber nennt
es Beschränkung, das Göttliche durch Gott zu denken.
Sprich ehrlich, der du so sprichst: Kannst du das Gött-
liche ohne Gott, den weltdurchdringenden Zweck ohne
den Geist des Schöpfers verstehen ?" ^)
„Wenn die Materie Princip ist, — so ist es conse-
quent, das Princip als notwendige Energie für ewig zu
halten. Aber wenn die Materie das Princip der Yielheit
ist, so ist ihr gegenüber ein Princip der Einheit ebenso
notwendig, und es ist daher ebenso consequent, das
Princip der Einheit für ebenso ewig zu erklären; und
fragen wir näher, was dieses Princip der Einheit
sei, und wir finden, dass es Begriff oder Idee oder
Zweck sei: so ist es ebenso notwendig, dies Ideale als
das Ewige zu setzen."'*'')
Mit dieser Widerlegung Darwin's sind auch alle
') D, 488. -) Tr. n, 182; ebend., 3. Aufl., p. 89 f. „Das Schau-
spiel der Entwickelung — von der angenommenen Monere bis
zum Menschen — , dem ein Gedanke zu Grunde liegt, ist grösser
geworden, aber der Gedanke herrscht im Zwecke nach wie vor."
(p. 92). ^) II, 141. cf. zum Allgemeinen R. Eucken, Beiträge z.
Gesch. der neueren Philosophie Heidelberg 1886. p. 134. *) II,
467. *a) II, (3. Aufl.), 86.
'ii© 84 Q^
Folgerungen im Darwinismus insgemein modificirt, be-
ziehungsweise negirt. ')
„So ist der Monismus der Materie, die Alleinherr-
schaft der wirkenden Kräfte, die sich auf dem »Sturz des
Idealen aufbauen will, ein zu frühes Siegeslied." ')
Blicken wir zum Jjeschlusse auf die lange Reihe und
reiche Folge der durch und aus Trendelenburg gegebenen
Gegenargumentirung und die tiefgehende und weitgreifendo
Widerlegung der Gegner des Zweckes zurück, so erhellt
Tragweite und Fruchtbarkeit des Zweckprincips in der
Fassung und Begründung Trendelenburg's auch in diesem
Zusammenhang.
Der so eingehend entwickelte, so erschöpfend be-
gründete, so umfassend verteidigte Zweck, wdo weit reicht
er nun? welches ist in Entfaltung und Erfüllung und
Begrenzung sein Reich? Wir ersahen, dass der Zweck
ein umfassender und weltbeherrschender ist. So muss
billig auch nach dem Umfang des reichen Inhaltes, nach
dem Gebiete der Herrschaft des Herrschers gefragt und
geforscht werden. Haben wir zuletzt den Zweck gleich-
sam nach Aussen verteidigt, so geziemt es sich jetzt, in
die sichere Feststellung der Grenzen einzutreten wie im
Ausbau des Inneren fortzuschreiten. Tr. gibt uns auch
hierin lichten Einblick und weitreichenden Ueberblick.
Der Bereich des Zweckes wird aber zuvor an ge-
wisse Bedingungen und Voraussetzungen, an bestimmte
Yerhältnisse und Normen, die sozusagen die Constituanten
») Tr. II (3. Auß.), 93.
nl<3 85 ^^
d.h. Bedingenden und formell Erzeugenden sind, gebunden
sein. Tr. bezeichnet dies als die modalen Kategorien/)
inwiefern, wird sich im Folgenden ergeben. Bei dem
Beweise der Realität des Zweckes aus der Gemeinschaft
von Denken und Sein in der vermittelnden Bewegung
wurde letztere als Form des Denkens und Bestimmtheit
und Wesen des Seins d. h. als Kategorie dargetan, auch
handelten wir bereits von den modalen Kategorien des
Zweckes bei der Abwägung zwischen Finalität und Cau-
salität, doch geschah letzteres nur nach einer Seite und
nebenbei, und ersteres nur allgemein. unter der
Modalität nun verstehen wir diejenigen Kategorien oder
Grundbegriffe, welche im Erkennen an sich Ursprung
und Mass haben,-) hier also gemäss dem Erkennen in
und aus dem Zwecke. Was aber zunächst das Erkennen
des Seins aus dem Zwecke dargiebt, das ist der modale
Begriff des Grundes der Sache, ^j nämlich ob? und
wie? letztere vom Zwecke regiert werde. Erkannten wir
an früherer Stelle z. B., dass der Same die Möglichkeit der
Entwickelung der Pflanze nach Keim, Gestaltung, Blüte
und Frucht in sich trage und dies als ein ideales Prius,
so war dies eine Sach-Erkenntnis aus dem Zwecke.
Suchen wir zu erforschen, wie es mit dem Zwecke der
SelbstverW'irklichung des Organismus der Biene stehe,
wenn doch dessen negative Ausführung d. i. Selbstschutz
durch Gebrauch des Stachels zufolge des Widerhakens
des letzteren der Biene sicheren Tod bringt, so wird
unser Denken insoweit den Modus des Erkennens der causa
hnalis zeigen. Es ist aber ohne Weiteres klar, dass das
Reich des Zweckes um so mehr sich uns erschliessen
muss, je mehr durch diese Modalität des Erkennens das an-
') U, 156 flf. 2) n, 157. ') U, 158 f.
-^2 86 "2^^
scheinend Unzweckmässige, Dunkele, Causale, Noirw^endige
Mögliche und Zufällige in das Zweckgeschehen einbezogen
werden kann. Nichts Geringeres als eine ernstliche An-
gelegenheit aller zur Einheit strebenden Forschung ist es
demnach, in der Fülle der Formen ') des Erscheinenden
dem weitverzweigten Zwecke nachspüren und die Welt
im Grossen und Kleinen aus dem Zwecke erklären zu
wollen. Es muss doch von grossem Gewicht sein, zu er-
kennen, wie der Gedanke des Zweckes in seiner idealen
Grösse gegen die gegebene Materie in ihrer zwingenden
Notwendigkeit ankämpft, wie die kühne Idee durch das
widerstrebende Mittel hindurch zum Ziele dringt, wie der
Sieg des Zweckes über den starren Stoff, der vorerst kein
ganz durchdringender ist, sondern immer ein Eesiduum des
Unbezwungenen, zur Mittelschaft nicht Heranzieh baren
neben sich hat, 2) dennoch fortschreitend die Natur
verklärt. ^) Dabei darf das Zweck-Erkennen vor dem
Rätselhaften und Yerworreneu nicht nur nicht zurück-
weichen, sondern muss um so eifriger in dasselbe ein-
dringen, damit der Zw eck in vermeintlich unzweckmässiger
Anordnung dessenungeachtet offenbar, ja um so durch-
sichtiger werde. ^) Und selbst da, wo zwar die Tätigkeit
vollzogen, aber der Zweck nicht erreicht wird, ■) muss
der Modus des Erkennens aus dem Zwecke insofern
doch zur Anwendung kommen, als Ansatz und Fort-
führung des gehemmten Zweckgeschehens aufzudecken
bleiben. Wie die Wissenschaft zur unerlässlichen Voraus-
setzung hat, dass etwas zu Wissendes sei, und dass das-
selbe gewusst werden könne, so setzt, eineModification des all-
gemeinen Wissens zuerst, dann aber das Wissen x«t l^oxriv
') II, 87. <^ n, 134. ") II, 137. ') ^ II, 38. f^ 135. *) r^ II
8. »; n, 124.
'^(^ 87 Q^
bildend, das Zweck-Erkennen den Zweck voraus, um
dessen Einwohnen und Innenwirken im Denken wie im
Sein wachsend, in immer weiterem Bereiche wie grösserer
Tiefe, zu erreichen. So muss die durchgehende Immanenz
des Zweckes erkannt und dieses Erkennen selbst dann
zum principium rationis sufficientis cognoscendi werden.
Der Zweck als Grund der Dinge zerlegt sich nun in
Momente, die dann Teile des Ganzen sind und zur Ein-
heit einer Tat verwendet werden. Die aus dem ganzen
Grund und allen seinen Momenten verstandene Sache
ergiebt das Notwendige, die Sache aber, welche an dem
Grunde Fehlendes im Gedanken ergänzt, das Mögliche 'j.
Da unser Erkennen leichter und früher die Teile als das
Ganze erfasst, so wird auch bezüglich des Zweckes der
Begriff des Möglichen zunächst hervortreten. Das Mög-
liche ist durch den die Sache vorbildenden Gedanken,
der aber das Wirkliche erreichen und in eme tätige Ein-
heit zusammenfassend besiegen will, und so wird es zur
Modalität des vorauseilenden und ergänzenden Gedankens
des Zukünftigen. Der Zweckgedanke nun, ein Ganzes
vor den Teilen, kann den Stoff mächtiger oder schwächer,
enger oder weiter ergreifen. .„Der Zweck findet oft
mehrere "Wege zu einem Ziele."-) In dieser Yerschie-
denheit der Mittel liegt das Mögliche des Zweckes, Und
insofern erstreckt sich der Zweck soweit als seine Mög-
lichkeit, Er misst aber die Mittel, ergreift immer die
besten und schliesst die nicht entsprechenden aus. Er
bestimmt sich dabei aus sich selbst, entwirft und ent-
scheidet so die Möglichkeiten von innen, z. B. auch indem
er neue Rücksichten als Zwecke in sich aufnimmt (s. o.).
Dieses aber ist die Modalität des Was des Möglichen
») n, 165 ff. ») n, 169.
'ä^ 88 2x^
oder die Wirklichkeit des Möglichen, mehr das aeussere
Geschehen des Zweckes in sich begreifend. Da der Zweck
jedoch zugleich Herrschaft anstrebt, und dazu Einsicht
in die "Wirkungen der Mittel nimmt, um diese zu über-
sehen und zu richten, und indem er derart seine Ver-
wirklichung, die vorentworfene, in ihre Momente zurück-
wirft, so entsteht die innere Möglichkeit. Hier handelt
es sich um die Modalität des Wie des Möglichen oder
um die Möglichkeit des Wirklichen. Werden und Wesen,
Entstehen und Geschehen des Zweckes, die Entwickelung
der Verwirklichung desselben stehen hier im Vorder-
grunde des Erkennens. Es will z. B. das Denken den
Gmnd des zweckmässigen thierischen Instinctes, etwa des
Nestbaues der Vögel, erkennen. Das Ganze ist da, auch
Teile sind erkannt, wie z. B. Schutz der Eier und Jungen.
Aber die innere Möglichkeit des Vorganges ist im Gan-
zen beschlossen und alle Momente sind daher zu er-
forschen. Da muss denn Ruhendes belebt, Unvollständiges
ergänzt werden, bis das Gesammtgeschehen klargelegt
ist. Je mehr wir aber überhaupt die innere Möglichkeit
der Phaenomene durchschauen, desto mehr erschliesst
sich uns das Reich des Zweckes, welches also jene
aeussere und diese innere Möglichkeit in sich fasst.
Betrachtet man die Möglichkeit im Zwecke als ein
solches organisch Praeformirendes und mechanisch Einen-
des, in welchem Bedürfniss nach einem Anderen, Be-
stimmtheit in Bezug auf noch zu erreichende vollere
Wirklichkeit vorherrscht, so erhellt als weitere Modalität
die Potenz. ') Wir sehen hierbei von den realen Be-
dingungen der Potenz ab und behalten nur die Beziehung
des zukünftig Erfüllenden im Auge. Ein künftiges Dasein
') n, 174 f. 482.
'■ai9 89 Q^
soll eintreten und ist bereits vorherbestimmt. Es soll
aber zugleich ein Gegebenes erfüllen, ein Begonnenes vol-
lenden. Im Zwecke ist hierin gleichsam ein dämmerndes
Vorbilden, ein noch umdunkeltes Vorausschauen, in wel-
ches dann das Licht hineinscheinen soll. Es sind vom
Ganzen erst einige Teile da, aber die fehlenden werden
begehrt, damit aus und in allen Teilen das Ganze sich
vollwahr verwirkliche. Der Zweck determinirt hierbei
nicht Teile für sich, sondern inwiefern sie suchen zur
Einheit eines Actus sich zusammenzuschliessen. Dies
Potentiale am Zweck zeigt abermals weitere Grenzen
seines Reiches, indem es das Bedürftige und Erfüllende,
das Fehlende und Ergänzende mit einbedingt. So ist
der Begriff des Samens eine modale Potenz, die erst in
der Bezogenheit auf Entwicklung des Samens zum Keimen,
Sprossen, Blühen und Fruchten ihre Erfüllung erlangt.
Den Gegensatz zum Möglichen bildet aus dem Unmög-
lichen die Notwendigkeit^) als die Unmöglichkeit des
Gegenteils. So ist das Notwendige das Unvermeidliche
und streng Begrenzte, während das Mögliche die Wahl
frei gibt und die Grenzen offen lässt. Diese mehr aeussere
und secundäre Erklärung wird tiefer geführt, indem man
das Notwendige als das nicht zu Denkende begreift. Ein
solches ist aber die Notwendigkeit erst dann, wenn die Er-
eignisse von dem hinzutretenden Denken gemessen werden.
„Der letzte Punct, auf dem alle Notwendigkeit beruht,
ist daher eine Gemeinschaft des Denkens und Seins." ^)
Diese Gemeinschaft erkannten wir auch im Zwecke, so
dass mithin die Notwendigkeit auch zum Zweck in Be-
ziehung tritt. Im Zwecke nun ist das Denken das Erste
und fordert die Gestaltung des Seins. Offenbart sich in
^) n, 176 ff. =•) n, 178.
'>^ 90 Q^
der Erscheinung der Zweck, so schliesst sich dieselbe zu
einem Ganzen zusammen, welches aus dem Gedanken
und im Zusammenstimmen aller Teile notwendig ist.
Hierbei ergreift das Denken, welches erkennt, das Denken
im Ursprünge, welches erkannt werden soll, es geht in
den Erscheinungen in sich selbst zurück und so ist der
Zweck Notwendigkeit in der Freiheit der Selbstbe-
stimmung. Die Notwendigkeit des Zweckes ist daher
keine starr gebundene oder todte, sondern eine freie,
mit Leben beseelte, und sie versöhnt somit den freien
Geist (s. 0.), Die Freiheit des Zweckes im Notwendigen
zeigt sich auch in Beziehung auf die Unmöglichkeit
des Gegenteils, in dem hierin der hervorbringenden
Tätigkeit die verhütende zur Seite geht. Die menscli-
liche Zwecksetzung erheischt jeweilig bestimmte, zweck-
entsprechende Mittel. In die Wirksamkeit dieser Mittel
können sich fremde Einwirkungen störend oder doch
hemmend einmischen. Desshalb bauet man vor in der
Vorsorge und fortwährenden Wachsamkeit zur Abwen-
dung etwaiger Gegenwirkungen. Auch die Natur trifft
Vorkehrungen wider das unmöglicli sein Sollende. So
im Bau des Auges (s. o.), in welchem Zerstreuung des
einfallenden Lichtes, gleichfalls im Bau des Ohres, in
w^elchem durch seine Krümmung, Erhöhung und Ver-
tiefung, durch Wollhaare und bitterschmeckende Fett-
absonderung das Eindringen von fremden Körpern oder
von Insecten unmöglich w^erden soll. Dergestalt wird die
physische Notwendigkeit im Zwecke „so isolirt und so
gerichtet, dass sie nicht links noch rechts weichen und
ihren Gehorsam nicht versagen kann." ') Auch in dieser
Verhütung desjenigen, was unmöglich sein soll, tritt die
») n, 186 f.
^^19 91 ^-^
Erhöhung der formalen, strengen Notwendigkeit in die
den Zweck ergreifende Freiheit, in das freie Wollen
eines freibestimmten Zweckinhaltes, in den in der Macht
des ZAveckes (s. o.) freien, selbsteignen Sieg der Aus-
führung und Zweckverwirklichung versöhnend zu Tage.
Yon dem Gesichtspuncte aus, gemäss welchem das Not-
wendige als einender Punct im Denken und Sein gelten
muss, ist endlich der Zweck noch in der Modalität des
Allgemeinen inbegriffen, denn das Einende ist zugleich
das Allgemeine der Tatsache, die ein Uebereinstimmen-
des bekundet, der Bewegung der einheitlichen Entwicke-
lung, des alle Bedingungen zusammenfassenden Grundes.
Mit dem Allgemeinen beginnt auch der Yorgang des
Zweckes. Er will sich zunächst nur in die Fläche des
Seins ausbreiten, unterschiedslos und sich selbst gleich.
Hierin zeigt er dort, wo er in das Allgemeine eintritt,
ein besonderes Ergreifen, eine Besonderung desselben.
Durch die Besonderung des Allgemeinen wird er mit
dem Wirklichen eins. In dem Wirklichen stellt er sich
tiefer, doch immer nur nach allgemeineren Factoren und
in umfassenderen Momenten dar. Soweit nun freie Be-
sonderung im Allgemeinen, Verhütung des Unmöglichen,
Durchdringung von Denken und Sein in der Notwendig-
keit reichen, soweit reicht auch der Zweck.
Zeigen sich die einzelnen Ausprägungen des Not-
wendigen, wie sie die Tatsachen durchgehend be-
stimmen, und erzeugt das Allgemeine des Grundes
das Allgemeine der Tatsache, so haben wir weiter-
hin den Begriff des Gesetzes vor uns. Das Ge-
setz stellt sich „als das Allgemeine dar, welches vor
der Erscheinung die Erscheinung bestimmt." ') Allein
») U, 190.
'j^ 92 ex'
bezüglich des Zweckes hat das Gesetz nicht als stabilirte
Form und zwingende Norm Geltung, sondern lediglich
nach der Analogie, „wie es im Geiste des Gesetzgebers
entworfen wird." ') Im Zusammenhange mit dem Gesetze
tut der Zweck nichts, als dass er aus dem zerstreuten
Einzelnen dies oder jenes wählt und bestimmt, das so
Bestimmte einer Ordnung nach dem Ziele hin unterwirft,
das so Geordnete in seinem ganzen Verlaufe sich
dienstbar erhält. Er ist Quelle, nicht Ausfluss des
Gesetzes, nicht ein Anderes ist ihm Gesetz, sondern er
ist sich selbst Gesetz. So beobachten wir im "Werden
des Organischen das Selbst-Gesetz des Zweckes, die
selbsteigene gesetzmässige Entwickelung, welche dem Ein-
fluss einer fremden Gesetzlichkeit, einem äusseren Zwange
Widerstand entgegensetzt. Wir erkennen die Autonomie
des Zweckes noch mehr im Ethischen als der im Selbst-
zweck freien Selbstverwirklichung und in der bewussten
sittlichen Arbeit als in des Selbstzweckes concreter Ge-
staltung der Persönlichkeit.
Eine frappirende Darstellung erfährt die Bedeutung
und der Bereich des Zweckes noch im ZufalP). Das
Fremde, Undurchdringliche, Incommensurabele in Be-
ziehung auf die Notwendigkeit d. h. das Zufällige kann
nicht allgemein, sondern nur ganz im Besonderen und
im Yerhältniss zum Ganzen nur untergeordneter und
lediglich unvorhergesehener Weise mit dem Zweckge-
schehen zusammentreffen. Wenn eine im zartesten Marmor
plötzhch erscheinende Ader das Yollendcn des Werkes
des meissclndcn Künstlers, wenn das aller Vorberechnung
zuwiderlaufende Handeln des Feindes das Schachspiel des
grossen Feldherrn durchkreuzt, so wirkt das Zufällige
>) n, 190.
oi9 93 e^
störend, wie es jedoch auch begünstigend concurriren
kann. Allein es ist und bleibt auch in seiner Ein-
wirkung auf den Zweck ein Seltenes und nur Aeusseres,
immer Accidenz, von welchem die Substanz in ihrem
Innersten nie getroffen wird. Dazu kann der Zweck in
der Aenderung seiner Richtung oder wie auf Umwegen
das Zufällige und anfänglich Hemmende sofort in sich
einbeziehen und mitverwenden, wodurch er sogar im
überraschenden Sieg auftritt.
Nichts liegt nun näher als anzunehmen, dass des
Zweckes Reich weit über das gleichsam flache Modale auch
in die Tiefen des Realen sich erstrecke. Tr. sagt
wiederholt, dass dem Modalen das Reale unmittelbar ent-
spreche. Die Voraussicht in der Möglichkeit und der
Abschluss des Ganzen in der Notwendigkeit sind zwar
vorerst ein Logisches im subjectiven Denken, allein es ist
beides doch zugleich auch in die Sache, das Objective
und Reale gelegt, ohne welches Möglichkeit und Not-
wendigkeit gegenstandslos, ohne Inhalt und Erfüllung
wären'). Die modale Potenz trägt von der anderen Seite
ein Reales in sich, inwiefern in ihr ein Teil realer Be-
dingungen zum Ganzen eines Daseins gegeben ist-). Und
der Zweck kommt zu allererst als Realität, als Tatsache
und Factum zur Ersclieinung. In der Zergliederung eben
der aus der Causalität nicht zu erklärenden Tatsache
offenbaren sich die Seiten seines Wesens^). Jede Aus-
sage und Kundwerdung des Zweckes hat in der Tat-
sache ihren Grund, jede Aussage über den Zweck an der
Tatsache ihr Correctiv. Erkannten wir bis jetzt in diesem
Abschnitte das modal Bestimmende des Zweckreiches,
so fragen wir nunmehr nach dem real Erfüllenden des-
') II, 263. 2) n, 174. 3) 11^ 16 s.
n/13 94: ^^
selben. Da der Zweck die Bewegung des Gedankens in
sich fasst, so werden die früheren Ortes bezeichneten
Grundbegriffe der Bewegung vom Zwecke näher bestimmt,
durchdrungen und um ein neues, tieferes Centrum ge-
sammelt. Sind bereits die Kategorien der Bewegung
durch die unermessliche Möglichkeit der sie erzeugenden
Tat von dem weitesten Umfang, um wie viel weiter
müssen die realen Kategorien aus dem Zwecke, welche
Tr, klar und umfassend darlegt^), reichen! Die erste Re-
alität des Reiches des Zweckes aber ist das Mittel"').
Der Zweck wird real, indem er die Welt ergreift, welche
dann, soweit sie ergriffen wird, zum Mittel wird. Im
Allgemeinen nun fordert der Zweck die Materie zu seiner
Verwirklichung, entwirft er die Form behufs seiner Aus-
prägung, im Besonderen dagegen — und dies ergiebt den
engeren Begriff des Mittels — macht er die wirkende Ur-
sache, indem der Zweckgedanke mit den Kräften derselben
eins wird, sich dienstbar und richtet sie. So tritt er im Or-
ganischen als Zweckursache zu Tage. Die wirkende Ur-
sache wird Mittel des Zweckvollzuges. Daher kann der
Organismus nicht umhin, seinen Zweck auszuführen, wie
denn das Auge sehen, das Ohr hören, die Lunge atmen
muss. Diese Dienstbarkeit der wirkenden Ursache bildet
einen Grundpfeiler des Reiches des Zweckes. Und die
Organisation'^) ist das Hauptgebiet seiner Herrschaft.
Durch den Zweck wird im Organismus der Stoff specifisch
assimilirt, die Form von innen erzeugt, die bewegende
Ursache zur bildenden Kraft umgewandelt. Die Teile sind
durcheinander und mit dem Ganzen, letzteres aber durch-
waltet jene, so dass eine Einheit der Entwickelung aus
dem Ganzen in den Teilen zum Ganzen entsteht. Der
1) II, 123 fi'. a>) II, 137. -) II, 124 f.
T^ 95 (^x^
Zweck ist somit das eigne Leben des Organismus. Er
bildet und entwickelt zum Organischen gemäss einer Ge-
setzlichkeit, die ihm allein bekannt und mit welcher er
in freier Selbstbestimmung eins wird. In alledem ist der
objective innere Zweck beschlossen d. h. ein solcher?
„welcher die Teile und Kräfte eines Organismus so in
Uebereinstimmung ordnet, dass er dessen Wesen ausmacht
und ihn und die Gattung erhält" '). Da der innere Zweck
aus dem vorgedachten Ganzen Yerwirklichung und Er-
haltung desselben anstrebt, so stellt er sich darin als 'das
individuirende Princip dar. Und im Lebendigen, „wo
bewegende Kraft und innerer Zweck zusammenfallen, wo
dem Tätigen das, was es tut. zu Gute kommt oder zum
Schaden wird"-), kommt so der Begriff des Selbst voll
heraus. Dieses organisch Lebendige aber, dies Ideale
des Selbst in der Natur, welches dem Schein der nackten
Kräfte das Gegengewicht hält^), ist von unsäglichem
Werte.
Mit dem Organischen hat das Mechanische"^) den
Zweck gemein. Auch hier ist das Ganze vor den Teilen
gedacht, doch werden die Teile nicht erst im Ganzen.
Stoff, Form und bewegende Ursache, wiewohl nicht inner-
lich verwachsen miteinander, sondern nur äusserlich zu-
sammengebracht, sind doch in dem Gedanken der zu er-
zielenden Wirkung für einander bestimmt und fügen sich
in genau gegliederte Tätigkeit. Ein Einendes, und sei
es auch nur äusserer Zwang, eine Intelligenz, wiewohl
sie von aussen kommt und fremd bleibt, beherrscht auch
die Maschine. Zwar scheint das Mechanische auf den
ersten Blick hin in sich gleichgültig und leblos zu sein,
jedoch die eindringende Erkenntniss der Harmonie der
') II, 77. ■') II, 79. *) ~ R, 25. ^) II, 124.
'^^ 96 G^
Teile unter sich und im Verliältniss zur Einheit der her-
beizuführenden Wirkung zeigt bald, dass auch hierin ein
Geistiges, Vorausschauendes, einheitlich Bildendes, näm-
lich der Zweck, wirksam ist. Wenn dann in diesem
Ganzen, welches rein und rund abgeschlossen ist'), die
latente Möglichkeit der bezweckten Wirkung durch die
treibende Kraft zur Wirklichkeit frei wird, wenn die
Kräfte des Hebels, des Wellrades etc. sich regen und in
wunderbarem Zusammenwirken sich bewegen und so die
Endwirkung, wie eine vom Menschen selbst ausgeführte,
ergeben : so springt in die Augen, dass in dem ganzen
Vorgang ein Zweckgeschehen, wenn auch kein an sich
einwohnender, so doch einwirkender und jedenfalls be-
herrschender Zweck beschlossen ist"^). Die unübersehbar
häufigen mechanischen Tätigkeiten und Vorgänge, die
unzählbaren Erfindungen, sei es einfachster Mechanik, sei
es complicirter Apparate, zeugen gleichfalls für die weit-
gehende Herrschaft des (hier äusseren) Zweckes.
Insgesammt aber ist das iieich des Zweckes da, wo
die nach ihm sich bildende Einheit einer Vielheit sich
überordnet. Die Einheit im Zwecke ist mehr als fixirte
Bewegung in der Vielheit,-) sie drängt sich in den Ge-
danken als in einen lebendigen Punct zusammen und ist
in dem vorherbestimmenden Gedanken das Frühere und
Ursprüngliche. In ihrer äusserlichen Darstellung zeigt
sie dann die Vielheit, der Gedanke macht Dinge und
Tätigkeiten zu seinem Substrat. So bestimmt die Ein-
heit das Bildungsgesetz der Vielheit und regiert das
Werden der Teile. Sie erzeugt von innen, umfasst das
Hervorgebrachte wesensinnig, spannt die Gestaltung des
Mannigfaltigen in den einenden Ursprung zurück, giebt
^) II, 78. a') II, 391, '') I, 354.
'^^ 97 sx>
dem Yielfarbigen ein Grund- Colorit, dem Vielgestaltigen
die durchgehende Norm und dies immer richtend, re-
gierend und zielwärts führend. Die Einheit bindet, ob-
wohl der Neutralität Raum lassend, die Bildung des
Minerals und leitet den Bau und die Bewegungen einer
Maschine. „So löst sich das alte Problem der Einheit
in der Vielheit auf dem Gebiete des Zweckes durch den
Gedanken selbst, und die organische Einheit ist seine höchste
Darstellung." ^)
Derart werden im Zwecke auch das Ganze imd seine
Teile in reicher Geltung kund. Im Mechanischen bereits
sind die Teile nicht gleichgültig gegen einander, sondern
werden im Zwecke der Wirkung des Ganzen gegenseitig
gefordert. „Im Organismus werden die Teile, die äusser-
lich im Ganzen erschienen, zu Gliedern, die das Leben
des Individuums hervorbringt und die wiederum das
Leben hervorbringen. Der Gedanke des Ganzen bestimmt
die Verrichtungen der Glieder und die Glieder dienen
der Verwirklichung des Ganzen. Die starre Vorstellung
des Teiles steigert sich zu dem geistigen Begriff des
Gliedes d. h. des einen eigentümlichen Zweck vollziehen-
den Teiles. Die Teile werden vom Ganzen umschlossen,
die Glieder vom Leben des Ganzen durchdrungen." ^)
So verwirklicht sich der Zweck des Ganzen als das
Wesen in den Teilen, deren Wesen hinwiederum in dem
Zusammenschluss zum Ganzen liegt. Ist jenes der über-
geordnete, so dieses der untergeordnete Zweck. Dabei
können die Glieder im näheren und notwendigen, das
Ganze unbedingt constituirenden, oder im weiteren, loseren,
unwesentlichen Zusammenhang stehen (Substanz und
Accidenz). Zudem geht es an, dass zu den Gliedern
') II, 127. «) n, 128.
^^ 98 '2x^
wieder Unterglicder treten, wodurch jene einen eigenen
Mittelpunct, ein besonderes Leben, eine gewisse Selbst-
ständigkeit empfangen. Aber in dem Allen waltet eine
innige Inhaerenz ob, eine Congruonz und Concentration
der Tätigkeiten; gleichviel Zusammenstreben in's Cfanze
resultirt aus dem Erheben des Teiles in das Leben des
Allgemeinen wie aus der Darstellung des Allgemeinen
im besonderen Leben der Glieder. So sind im Organis-
mus das Ganze und seine Glieder durch einander, gegen
einander und mit einander.
Die tiefinnerste Verbindung des Ganzen und der Teile
im Zwecke zeigt sich im weiteren Betrachte als organi-
sche Wechselwirkung'). Der Gedanke des Ganzen
durchströmt die Teile als die Träger seiner Selbstdar-
stellung, die Teile streben wiederum in den Gedanken
als die ursprüngliche Einheit zurück. Die Einheit als
Zweck sucht die Vielheit als Mittel ihrer Verwirklichung,
und die Vielheit, welche selbst wieder bezweckt, wirklich
zu werden, sieht im Einenden, welches allein ihr Bestand
gewährt, das Mittel ihrer lebendigen Darstellung. Die
Momente des Eingehens in die Wirkhchkeit sind als
Wirkung zugleich die Ursache im Ganzen des Gedankens,
letztere aber ist in ihrem Werden Mittel der Objectivi-
rung der Teile. Im Miteinander des Organischen ist
weder Unverstand noch Zufall noch blinde Macht, sondern
es wurzelt und gipfelt Alles und Jedes im Medium des
Gedankens -). „Die organische Wechselwirkung hat das
schönste Band, den Gedanken als Herrn der Kräfte. — In
der organischen Wechselwirkung ist der mit der physischen
Ursache eins gewordene Gedanke die innerste Natur des
Dinges." Stehen aber in organischer Wechselwirkung
») U, 129. 2) fv; I, 358.
1/L9 99 Q^
nicht mehr Organe eines Ganzen, sondern sogar Organis-
men, welche dann zur höheren Einheit zusammengehen,
so resultirt ein System (z. B. das Sonnensystem). Der
Zweck waltet mithin da, wo eine innige Durchdringung
vom Ganzen und seinen Teilen, ein tiefgehendes Ver-
schmelzen von Einheit und Vielheit, oder gar eine Con-
centricität von Organismen, und dies Alles als im herr-
schenden Gedanken lebend und webend, offenbar wird und
durchgängig vorliegt.
Der aus der Wechselwirkung unmittelbar entspringende
Begriff der Kraft, ^) nämlich der Erzeugung eines
Neuen aus Berührung, Mischung und Ineinander der
Teile als Eigenschaften, steht im Mechanischen im Dienste
des von aussen kommenden fremden, im Organischen
im Dienste des von innen wirkenden selbsteigenen Ge-
dankens. Nicht Fortwirkung aus dem ersten Anstoss,
auch nicht Mitwirkung oder Gegenwirkung anderer Kräfte
bedingen die organische Kraft, sondern der Zweck des
Ganzen birgt dieselbe in sich und erhebt sie zur Activi-
tät. Sie ist hier nicht allein gegeben und disponibel,
sondern angelegt und disponirt. Sie wirkt weniger in
der Richtung der Linie oder Ebene als in derjenigen der
körperlichen Ecke. Die Kraft an sich ist wirksam nach
der Seite der Einzeldarstellung und Vereinzelung, die
Kraft im Zwecke dient der Sammlung und Abrundung.
lieber der Möglichkeit der blossen Ausbreitung steht hier
die Notwendigkeit der Concentrirung. Sie ist mehr ein
tätig Wollendes als ein stumm Gewolltes. Sie kann sich
zu demjenigen, in welchem sie wirkt, nicht neutral ver-
halten, sondern hat die Tendenz, dasselbe zum Ausdruck
zu bringen. Wenn ich sage: „Der Geist denkt", so
■J II, 132.
nl(3 100 ex^
wird die Geisteskraft schlechthin gesetzt. Dagegen be-
kundet die Kraft sich nach dem Zweck und Ziel, sobald
man sie begreift nach dem Urteile: „Das Denken ist
des Geistes Leben." Es besteht das Reich des Zweckes
nicht zum Wenigsten in der Kraft, welche dem sie be-
herrschenden Ganzen willig dient und in ihm, aus der
Einzelwirkung in den Teilen, Richtung, Sammlung, Ge-
nüge und Erfüllung findet.
Kraft im Verhältniss zu Kraft ist Tätigkeit '). "Wie
tritt an der Tätigkeit der Zweck hervor? Die Qualität
der Substanz, die wirkende Ursache ist ein Tun, welches
an seinem Grunde haftet, doch ohne in diesen einzudringen
oder ihn gar zu bestimmen; es kommt und weiss nicht
woher ? und wirkt und weiss nicht wohin ? Bestimmtheit
und Richtung empfängt die Tätigkeit erst im Zwecke.
Das Auge sieht. Aber wenn es z. B, in die Welt hinein-
stiert, ist dies mehr als Vollzug einer physischen Potenz
und blinde Aeusserung einer sinnvollen Ursache? ^) Darum
muss der Zweck des lichten Erkennens die Tätigkeit des
Sehens regieren. Zu diesem Zwecke, aus ihm und für
ihn, soll die Tätigkeit sich vollziehen. Es erhalten so
die organischen Tätigkeiten nur im Zwecke ihren eigent-
lichen Sinn, allein durch den Zweck ihre zureichende
Erklärung. Ohne den Zweck sind dieselben für sich
dumpf und stumpf, für unser Erkennen dunkel und
rätselhaft. Die Tätigkeiten werden also final gerichtet,
aber auch gesichtet. Eine Tätigkeit kann wie ermattet
sein oder in feindseliger Macht herantreten. Sie wird
ausgeschieden oder abgestossen werden müssen. Die vor-
herbestimmte Norm erheischt den unbestrittenen, unver-
kümmerten Ausdruck ihrer selbst, aus der Ä^egation des
') II, 130 f. 2) n, 124.
'IH9 101 e^
unmöglich sein Sollenden wird die Privation des Mangel-
haften, die Bekämpfung d. i. Differenzirung des Entgegen-
strebenden. Indem ferner die organischen Tätigkeiten
„ebenso für das Ganze geschehen, als von dem Ganzen
getan werden", so strömen dieselben zum Ganzen zurück.
Sie sind in dieser Hinsicht reflexiv (s. o.). So vollzieht
sich das Atmen durch und für die Lunge, das Sprechen
aus den Sprachorganen und zur Bildung derselben. „In
der organischen Tätigkeit ist diese Rückkehr das innerste
Wesen." Da hierin der Grund zum Ziele wird, so ver-
wandelt sich die Ursache in die Wirkung, die Wirkung
aber war Ursache des Grundes der Tätigkeit. Diese In-
version von Ursache und Wirkung ist nun, vne wir sie
oben überhaupt erkannten, auch hier ein gewisses und
sicheres Merkmal des Zweckgeschehens.
Die organische Tätigkeit muss von einem organischen
Substrat getragen werden. Es äussert sich in ihr das
notwendige Glied des Ganzen^). Die Unterschiede des
Wesens erfüllen sich durch den Zweck zu Gliedern der
Einheit. Die Tätigkeit des Ganzen baut sich zweckmässig
aus der Einzeltätigkeit auf. Jedes Glied hat und übt
Besonderung der Tätigkeit, doch nur im Rahmen der
allgemeinen Einheit. Gliederung ist ebensowohl organ-
ische Individuation wie Concentration. Die Tätigkeiten
der Glieder sind geteilt und doch auch geeint. Die
Wesensunterschiede treten am Organismus als Glieder in
scharfer Ausprägung und grosser Selbstständigkeit hervor,
aber sie heben die Einheit nicht auf. Die Glieder führen
zwar den eignen Zweck aus. Dieser aber ist dem Gesammt-
zwecke untergeordnet und in ihm enthalten. Daher voll-
ziehen jene zugleich auch diesen. Die strenge Gliederung
1) II, 131 f. rv) 92.
'a^ 102 2^
und durchwaltende Sammlung der Tätigkeiten im Organis-
mus zeigen die Herrschaft des Zweckes an.
Erhebt so der Zweck die Qualität zur Tätigkeit, so
vollendet er auch die Quantität'), welche dann nicht
länger nur extensive und intensive, continuirliche und dis-
crete Grösse, sondern temperirte Bestimmtheit ist. Der
Zweck erfordert ein Angemessenes und Entsprechendes
auch hier. Er will einen Einklang, bezüglich dessen nichts
abgenommen noch hinzugetan werden kann. Er gleicht
Ueberschuss und Mangel, Plus und Minus gegenseitig aus.
Die organische Grösse weist das Elicnmass des Ganzen auf.
Er schafft beharrende Indifferenz und dauerndes Gleichge-
wicht. Die bildenden Elemente werden hier erweitert,
dort begrenzt, doch immer derr.rt, dass sie zuletzt ein
Harmonisches ergeben. Die verschiedenen Tätigkeiten,
welche auch nach ihrer unterschiedlichen Stärke ausein-
anderzugehen scheinen, w^erden zur Gesammttätigkeit ab-
gewogen. Wie dergestalt das Extensive durch den Zweck
höhere Bedeutung und reicheren Inhalt empfängt, so auch
das in dem Resultate der Umkelirung der Bewegungs-
factoren Raum und Zeit (Bewegunqs-Räume verhalten sich
umgekehrt wie Bewegungs-Zeiten) beruhende Intensive.
Der Zweck erwirkt ein Mittleres zwischen dem Maximum
und Minimum der Intensität. „Was unter dem Minimum
und über dem Maximum liegt, erscheint als monströs."
Jenes wäre ein Unbegrenztes, dieses ein Uebergrenzendes,
die dem Zwecke eigentümliche Formung müsstc hierbei
wegfallen, und somit er selbst seiner Yerwirkliclmng un-
fähig sein. Ebenso würde ein Ueberschreiten des Maxi-
mums wie Minimums jede Normirung vereiteln, weil genaue
Gliederung, feste Fügung, reinliche Abrundung hindern,
») n, 132 f.
mis 103 2^
und doch realisirt sich der Zweck in sicherer Ausprägung
und wesenscongruenter Differenzirung, nach seinem be-
stimmten Typus. In dieser Modification der Grössenver-
hältnisse, in der Verarbeitung derselben aus Einem Sinn,
in ihrer Ausprägung wie aus Einem Guss, im einheit-
lichen Zusaramcnschluss der Elemente wird ein neuer
Markstein des Reiches des Zweckes offenkundig.
Da Qualität (Princip der Bewegung) und Quantität
(Product der Bewegung), welchen der Zweck also eine
höhere Bedeutung verleiht, an der Materie haften als
an dem Substrat des Seins, so muss der Zweck auch die
letztere ergreifen '). Dann ist dieselbe ohne Weiteres als
vom Zweck gefordert und ihm dienend evident, denn
wäre sie fordernd und herrschend gegenüber demselben,
so könnte sie mit Erfolg dem widerstreben , so be-
rührt und beeinflusst zu werden. Diese ihre Dienstbar-
keit ist sogar unerlässlich, wenn der Zweckgedanke leib-
liches Dasein, Halt und Leben, ein ihn Tragendes und
Differenzirendes gewinnen soll. Indem nun der Zweck
in die Materie eingeht, kann er nicht umhin, eine Tätig-
keit zu wollen. Diese Tätigkeit vollzieht sich in leiblicher
oder geistiger Bewegung. Dementsprechend zeigen sich
an der Materie Festigkeit und Beweglichkeit. Jene zu
entbinden, diese zu consolidiren, in der Dienstbarkeit
beider sich darzustellen ist nun seine Aufgabe. In solchem
Einwirken des Zweckes entfaltet sich der unerschöpfliche
Reichtum des materiellen Daseins, das an sich Indifferente
wird in steter Organisation geschieden und immer mannig-
faltiger ausgewirkt. Dadurch dass die Materie, inwiefern
sie den Zweck aufnimmt, Mittel des Organisirens wird,
reift sie selbst zur lebensvollen, vom Gedanken durch-
1) n, 136 f. ■., /,■ -
'v^ 104 G^
drungenen, nach der Vorherbestimmung gestalteten, or-
ganischen Materie. Doch nicht völlig nimmt sieden
Zweck an. Denn zu gross ist der Gedanke, zu kühn
die Idee, zu fern das Ziel und zu einschneidend das
schöpferische "Walten des Zweckes, als dass der Materie
starre Notwendigkeit ganz in freie Hingabe, ihre Mittel-
barkeit ohne Rückstand in unmittelbares Eingehen sich
wandele, und als dass der Stoff ohne Rest aufgehe in
die Idee und das zu Schaffende gleich werde dem Schaf-
fenden ^). Aber ungeachtet dieser Beschränkung bleibt
der weite Bereich des Zweckes in Ansehung der organi-
schen Materie ' (Physikalisches, Chemisches, Plastisches der
Pflanze) unangefochten und hochbedeutsam.
Die äusserste Erscheinung des der Materie sich ein-
bildenden Zweckes ist die organische F o r m. ^) Die Sym-
metrie vollendet sich zur Gliederung. Es harmoniren
hierin nicht etwa nur zwei benachbarte Teile, sondern
unter vielen jeder mit jedem anderen. Die Form aus
dem Zweck ist Gepräge von innen, nicht aber Stempel
von aussen. Ihr Werden ist von einem centralen Puncte
oder von einer Axe aus Entwickelung in die Peripherie.
Dies ihr lebendiges Centrum ist der Gedanke. Darum
mag das Denken auch in der zweckmässigen Formung
culminiren. Die dem Denken Anfangs- wie End-
punct bezeichnende Form kann als Ausdruck des
Gedankens die Symbolik desselben heissen (Schleier-
macher). Das Nachbilden der organischen Form gehört
zum Wesen der Kunst. Auch diese erstrebt reine
Formung des das Ganze vor den Teilen in sich be-
greifenden reinen Gedankens. So ist denn die organische
Form es, welche dem tiefer Blickenden das Geheimniss
1) <^ II, 91. -) II, 138. 87.
'^^ 105 '^^
des schaffenden Geistes verrät und „das durchsichtige
Zeichen des Zweckes ist."
Mit dem Aeusseren gewinnt im Zwecke auch das
Innere 0 eine tiefere Bedeutung. Ist jenes das
Werdende und Gewordene, so dieses dasjenige, was erst
werden soll, hierin nicht inhaltsleere Bezogenheit zum
Gegensätzlichen, sondern Drang des Werdens, Trieb des
Bildens. Aeusseres, immer im Inneren ruhend, und
Inneres, stets im Aeusseren gegenwärtig, sind in dieser
Hinsicht nie geeint, aber auch keinesfalls getrennt, sondern
vielmehr im wesentlichen Einstreben des Idealen in's
Reale, im fundamentalen Hervorgehen des Posterius aus
dem Prius begriffen. Im Inneren ist der Brennpunct des
Seins, die geheime Werkstatt aller Gestaltung, der Thron
des Zweckes. Yon hier aus entknospet alles Zweckvolle
zur wunderbaren Entfaltung.
Es correspondiren mit dem zweckerfüllten Aeusseren
und dem zweckeinigen Inneren Ordnung und Mass.
Die Ordnung^) tritt ein, wenn der Zweck Teile
und Elemente zusammenfügt. Da die Teile aus, in und
zu dem Ganzen sind, so muss ihre Reihenfolge von der
Einheit beherrscht sein. Indem der Zweckgedanke die
Momente seiner Darstellung durchwaltet, sind diese im
Einzelnen und Allumfassenden im Denken beschlossen
d. h. geordnet, wogegen das Ungeordnete darin gerade
als solches erkannt wird, dass es ein innewirkendes
Denken nicht zeigt. Insofern als die Idee mit der Macht
des Causalen eins wird, vermag sie die Teile ihres Er-
scheinens zusammen zu halten, indess aus dem Nichtsein
der sammelnden Kraft das Chaotische entsteht. Nach
Grund und Ziel ist das Einzelne hier gleichgeartet, und
1) n, 136. ^) II, 134. 87.
'^^ 106 2^
so nur kann Ordnung Statt haben, während das Zu-
sammentragen ungleicher Elemente nichts als ein Con-
glomerat ergiebt. Da, wenn zwei Grössen einer dritten
ähnlich, gegenseitige Aehnlichkcit vorliegt, so müssen
alle Teile und Glieder des Organischen, weil dem Ganzen
adaequat, unter sich harmonircn.
Dazu ist die Ordnung zur Anordnung vertieft, jeder
Teil ist in Rück- und Vorbeziehung zum nächsten, alle
Teile sind in aufsteigender Linie in Relation zur Ge-
sammtheit geordnet, jedwedem ist sein Platz, seine
Function angewiesen, und die besondere Wirkung ist
praedisponirt zur Wirkung der Allgemeinheit.
Das Mass') im Zweckmässigen kann nichts Un-
wesentliches sein, da es alsdann der Uebereinstimmung
des Ganzen schädlich zu werden vermöchte. Es muss
daher wesenhaft in dem Zweckgeschehen begrändet sein.
Weiterhin darf es nicht äusserlich herantreten, sondern
muss von innen herauskommen. Denn es ist nicht aus-
geschlossen, dass es in jenem Falle mit der inneren Sache
in Widerspruch geraten könne. Sodann ist zurück-
zuweisen, dass dasselbe aus fremder Berechnung, welche
doch trügen kann, entstamme. Aus der Yernunft der
Sache selbst muss es sich ergeben. Das Mass ist hier
die Norm des Zweckes, das durchgehende Prototypische,
ideal durch die Idee, welcher es integrirt. Inwiefern
dies Mass in einem Vielfachen erscheint, wird es zum
Ebenmass. Mit der Fülle des Erscheinenden wächst die
Macht des Gedankens und die Herrschaft des Masses.
Und dementsprechend tritt die wunderbare Schönheit und
die grossartige Harmonie der Erscheinungen immer deut-
licher in's Licht. „Das plastische Kunstwerk zeigt das
•) n, 134 f.
<^ 107 2x^
Mass in seiner lautersten Vollendung." Ja, es ist das
innere Mass, welches allein durch den Zweck zu verstehen
ist, den Dingen eingeboren. ^) „Das Mass der Glieder
im organischen Leibe, das Mass der Tugenden in der
ethischen Welt, das Mass eines Kunstwerkes und anderes
solches sind Begriffe, die in dem höheren Begriff des
Zweckes wie in ihrer Angel mhen." -) Die reale Aus-
wirkung des Masses der Dinge ist das grosse Werk des
Zweckes.
Wenn in einem Ganzen alle Teile so geordnet sind
und das innere Mass solches Ausreifen erlangt hat, dass
jenes dem Zwecke seiner Gattung durch und durch ent-
spricht, dann offenbart es seine Wahrheit. ^) Das Wahre
besteht hiernach in der vollkommenen Erfüllung der
Teile zum Zweck des Individuums innerhalb der Con-
gmenz zur Gattung als dem höheren Zweck. Ohne
völlige Darstellung der Teile bleibt der niedere Zweck
unerreicht, und das Ganze ist in Rücksicht der Allge-
meinheit, zu welcher es gehört, unvollkommen und un-
wahr. Das nicht bis zur Vollendung herausgebildete
Ganze ist schon an sich unwahr, denn es gebricht ihm
an unverkümmerter Wirklichkeit. Um wie viel weniger
ist es ungetrübte Objectivirung des weiteren Ganzen!
Das objectiv Wahre erfordert also am Individuum die
genaueste Ausprägung des Gattungszweckes. In diesem
Sinne bezeichnet man ein Musterexemplar einer Pflanze
oder eines Thieres, inwiefern es die Gattung rein und
voll darstellt, als wahr. Aehnlich nennt man Socrates
einen wahren Philosophen, Pericles einen wahren Staats-
mann, Caesar einen wahren Feldherrn, Shakespear einen
wahren dramatischen Dichter. Da die Realisirung des
») I, 349 £f. 2) ib., p. 352. ») II, 138. 93
-^ 108 s^
weiteren Ganzen in dem Aufnehmen desselben in den
inneren Zweck des näheren beruht, und da wieder nur
der innere Zweck des erstcren aufgenommen werden
kann, so ist, kurz gesagt, das Wahre der adaequatc Aus-
druck des inneren Zweckes.
Verwandt mit dem Begriff des "Wahren ist derjenige
des Schönen.^) Das Wahrzeichen desselben ist die
Erregung unseres Wohlgefallens durch das sinnlich An-
geschaute. Ihr Mass ist die Uebereinstimmung mit dem
auffassenden Organ. Das Schöne gefällt unmittelbar. Es
antwortet unserem eigensten Wesen. Der innere Zweck wird
in ihm wesentlich auf den Anschauenden bezogen. Unser
Denken will das Gleichgeartete, den Gedanken im Sein, auf-
finden. Gelingt dies beim ersten Wurf, erschliesst sich das
Gegenständliche sogleich als gedankenvolles, vom Denken
durchdrungenes, so erkennen und empfinden wir es als
schön. Derart kann auch die Wahrheit, die Idee, Wohlge-
fallen erzeugen, ja den Geist entzücken. Die in wachsender
Klärung oder blitzschnell erfolgende Conception der er-
habenen Idee begeistert z. B. den Künstler. Der innere
Zweck aber, so in Relation zum Anschauenden, und der
äussere Zweck, in solcher Unmittelbarkeit erkannt, er-
geben die organische Schönheit. Sie sind darin eigen-
tümlich mit einander verschmolzen. Jener realisirt aus
der Idee, dieser idealisirt das Reale. Dort wird das
Erscheinende an sich, hier noch bezüglich dos Organes
der Erscheinung, der Anschauung, geschaffen. Ersterer
bildet, letzterer ziert und verleiht so zu sagen dem Mo-
nument das Ornament. So entspricht die organische
Schönheit auch den Zwecken der Erscheinung. „Indem
ihr Ebenmass nur durch den eigenen Zweck hervorge-
1) II, 139 f. 463. 437 f. (Fries).
^iH3 109 Q^
bracht zu sein scheint, da dieser, in allen Teilen der
Form gegenwärtig, allenthalben durchblickt: scheint sie
wieder nur für die Anschauung da zu sein, die sich in
ihr der eigenen Harmonie bewusst wird. So stimmen
die objective Betrachtung und die subjective Beschauung
in wunderbarer Befriedigung überein."
Im Wahren und Schönen tut sich somit ein neues
grosses Gebiet des Zweckes auf.
Als besonders mächtig aber ist der Zweck endlich
noch im Ethischen zu erkennen. Was in der Maschine
die letzte Einheit, im Organismus lebendiger Mittelpunct
ist, wird im Menschen zum Selbstdenken und Selbst-
wollen, ^) Die Empfindung der Lust als geförderter
Zweck, diejenige der Unlust als gehemmter Zweck bilden
in uns ein Eigenes in sich. ^) Mitteninne zwischen sol-
cher Mehrung oder Minderung des Daseins ist stets und
als ein Constantes das einheitUche Selbstbewusstsein. ^)
Höher stehend als die Selbstempfindung, ist es dem in
stetem blinden Kreislauf befangenen Materiellen entrückt
und überlegen. In ihm erzeugt die Einheit als das Erste
die Yielheit, das Ganze die Teile, wie Tätigkeiten, Yor-
stellungen. Zustände, allein in diesem endlosen Wandel
und Wechsel des Erzeugten „verliert sich das Selbstbe-
wusstsein nicht; sondern sich selbst gewiss schwebt es
frei und rein darüber." ^) Das Selbstbewusstsein, aus
keiner äusseren Erfahrung abzuleiten und Begriffe a priori
in sich tragend, ist nicht Resultat, etwa electrischer Kräfte
der Nerven, die doch nimmermehr etwas von sich wissen
können, sondern Princip, Ursprüngliches, Erstes, funda-
mentale Einheit des Lebens, aus dem zufälligen Zu-
sammentreffen der Yielheit nicht nur nicht entstanden
•) II, 82 f. 91 f. 2) 11^ 83 f. R, 27 f. ^) II, 84 f. *) H, 85.
G^ 110 e^^
und dadurcli bedingt, sondern von Anfang an in ruhiger
Freiheit über dieselbe herrschend. Die so beschaifeue Wesen-
heit des Menschen geht über das Organische, welches
zwar auch ein Selbst ist und dessen Ausprägung erstrebt,
wie über das Thierische, in welchem der innere Zweck
im Grundbegehren der Selbsterhaltung des Lebens auf-
geht, weit hinaus. Der Mensch denkt und sein Denken
durchdringt seine Zwecke. Der richtende Zweck in ihm,
die innere Bestimmung, der Gedanke des Wertes seines
Lebens ist ihm bewusst. Durch das Denken ist er
einerseits des Allgemeinen fähig, andererseits der Be-
stimmung und Durchsetzung des Besonderen (der Teile)
mächtig. Der Geist, im Organischen wie gebunden, ent-
faltet dann seinen Reichtum und all' seine Herrlichkeit. ')
Er treibt zur weitgehenden Verzweigung des inneren
Zweckes im Handeln, zur Ausdehnung des Wissens, zur
Allseitigkeit des Wollens, aber immer die Einheit wahrend.
Er ringt nach zunehmender Befreiung des inneren Zweckes
von Hindernissen und Hemmungen, da letztere die Ein-
heit gefährden. Zumal aber erstrebt er die Ueberwindung
des Zwiespaltes, welcher entspringt, wenn der Zweck des
Eigenlebens als die Zwecke des Ganzen fliehend oder
als von ihnen eingeengt erscheint, und wenn in ihm
selbst die Zwecke des Sinnlichen und Vernunftlosen als
Teile dem Ganzen und Höheren, Vernünftigen zu wider-
streben drohen.-) In alledem ruht das Ethische, sei
es des einzelnen Menschen, sei es der Gemeinschaft. ^)
Der Zweck, in der Natur objectiv, wird im Menschen
subjectiv, ja gleichsam persönlich im Willen. Hierbei
sind Wille und Freiheit des Willens Hauptbestimmungen
des Ethischen. Das sittHche Wollen hat jedoch nur
') (x; I, 820. 2) B., 70 f. 3) R, 43 f.
dann Platz, wenn es vermag, auf das Motiv des Ge-
dankens der Idee des menschlichen Wesens als des End-
zweckes ' ") zu handeln. Und die Freiheit besteht darin,
„im "Widerspruch mit den Begierden und unabhängig
von sinnlichen Motiven das nur im Gedanken erfasste
Gute (d. h. jenen Endzweck) zum Beweggrund zu haben"*^),
und im Vermögen, der inneren Hindernisse, welche dem
unbedingten Gebote der jederzeitigen Erfüllung des
menschlichen Wesens widerstreiten, Herr zu werden.
Auf solche Weise wird der Zweck im Ethischen „frei
empfangen, eigentümlich gestaltet und be\Yusst voll-
zogen." ^) Es zeigt darum die ethische Geschichte des
Menschengeschlechtes den Zweck des Erkennens in Er-
weiterung und Vertiefung der Erkenntniss, den des
Wollens in Mehrung und Steigerung der Organe des
Willens und in wachsender Bestimmung des Willens selbst
aus der Macht der Vernunft ^), die Freiheit der Zweck-
setzung, die aus der Begrenzung sich erhebend, erhabene
Triumphe feiert ^), und den Sieg des Zweckes überhaupt.
Alles Sittliche aber, das gewordene wie das noch wer-
dende, hat die sittliche Person '") des Einzelnen oder, in
weiterem Sinne, der Gemeinschaft zum Anker und Stern.
Das Ich, ein sich zusammennehmendes Ganze, strahlt in
seinen Zwecken selbstbewusst aus. Was seinem Wesen
als dem inneren Zwecke entspricht oder widerspricht,
wird durch die Freiheit Gesittung zum Guten oder Ent-
sittlichung zum Bösen. Es liegt in der Macht der Per-
sönlichkeit, der Selbstsucht des Teilzweckes zu wehren
und die Erfüllung des Zweckes der ganzen Wesenheit
dadurch zu mehren, "^j Es ist ihm die Möglichkeit der
Realisirung des im unbedingten Gebote des letzten
1") R, 41. »1) n, 93. fv; R, 48 f. ^) II, 435. ex; 229. ») n, 122.
*) n, 187. ^) II, 14Ü f. «) II, 91.
Zweckes gegebenen Notwendigen verliehen. "Wird nun
der Zweck in allen seinen Beziehungen, in der ganzen
Harmonie seiner Erscheinung, im umfassenden Durch-
walten seines Principes erkannt und für das ganze
menschliche Leben anerkannt und im Gebiete des Han-
delns jederzeit angestrebt, so reift die "Weisheit, Die
tätige Hingabe sodann an den allseits erkannten Zweck,
der nie ruhende Eifer, ihn zu verwirklichen, die rastlose
Bemühung im Aufsuchen aller erdenkbaren Mittel, die an-
dauernde Unverdrossenheit in der Bearbeitung und Verwen-
dung der Mittel, die Aufopferung womöglich des eignen Seins
zum Heile eines anderen oder zum Wohle der Gemeinschaft
ist die L i e b e. ^) Ferner ergiebt das lebendige persönliche
Mass, in welchem sich die inneren und äusseren Elemente aus-
gleichen, die Abkläi-ung der Vollkommenheit des Wesens im
entsprechenden Wirken, die harmonische Darstellung des
inneren Zweckes in den äusseren Handlungen, das Vor-
ausschauen der Teile, die vollwerte Einbeziehung der
Wirkung in die Ursache, die Durchsetzung des zu Voll-
ziehenden mit dem Ganzen als dem permanenten Correc-
tiv, das Meiden des Zuviel als eines zweckstörenden,
die Besonnenheit, Wo aber Intensivität des Werk-
zeuges für den Zweck obwaltet, wo die Schneide des
Mittels geschärft, die Kraft der Einwirkung vervielfacht
und die Materie mit aller Spannkraft des Gedankens
bearbeitet wird, wo die Kühnheit der Idee wächst und
ihre Siegeslust mit dem Widerspruch steigt und so das
Ich mit allem Nachdruck und unentwegt seiner Selbst-
verwirklichung obliegt, da und dann offenbart sich die
Beharrlichkeit. Inwiefern weiterhin das Glied dem
Ganzen sich willig unterordnet, seinen Zweck nur auf der
Basis des allgemeinen erstrebt, des Eigenwillens sich soweit
') ,^ II, 435,
'V^ 113 (sx^
begiebt, als der höhere es erheischt, ja nur dann seines
Daseins froh wird, wenn durch seine Dienstwiiligkeit das
Ganze gedeiht; inwiefern also der Mensch als Glied
häuslicher, kirchlicher oder staatlicher Gemeinschaft sich
gerne unterordnet, freudig einordnet, und wenn nötig
lieber Einbusse vom eignen Sein erleidet, als Zerstörung
der übergeordneten Zweckverwirklichung duldet: zeigt
sich der Gehorsam. Die Wechselwirkung aber,
welche die Glieder unter einander und innerhalb des
Ganzen so ausüben, dass eines das andere fördert, keines
dem andern schadet, dass im Mitseienden und Beigeord-
neten die gleich volle Darstellung des Allgemeinen vor
sich geht, ja sogar jedes das Mass eines jeden wird, er-
giebt die Gerechtigkeit. Wenn nun endlich das
ethische Subject in solcher persönlichen Auswirkung des
selbsteigenen Zweckes wie desjenigen einer Gesammtheit,
zu welcher er zählt, Harmonie des Erkennens und
Wollens, Uebereinstimmung der Entfaltung seines Wesens
aus der inneren Freiheit gewinnt, so tritt an ihm, höher
als die organische Schönheit und „schöneren Antlitzes als
jede andere,"^) die sittliche Schönheit (xakoxaya^ta)
hervor. So erfährt der Zweck im Ethischen die höchste
Steigerung und sein Reich die gewaltigste Mehrung, und
es bleibt nur beklagenswert, dass Tr. eine systematische
Darstellung der Ethik gemäss dem zumal in ihr macht-
vollen Zweckprincip nicht gab, wodurch das Intensive
und Weite des Zweckes zweifelsohne zur noch helleren
Einsicht gebracht worden sein würde. * ^) Insgesammt aber
kam in diesem ganzen Abschnitte unserer Untersuchung
die mächtige Tiefe und die grossartige Ausdehnung der
Herrschaft des Zweckes in ungeahnter Fülle zu unserer
staunenden Erkenntniss.
^) II, 141 und 52. ''^} cf. R. Eucken, Beiträge etc., s. o., p. 135.
8
^7^9 114 QX^
Was will es dagegen bedeuten, wenn an äussersten
Puncten dieses umfassenden Zweckbereiches relative Be-
schränkungen eintreten? Zwar ist schon das dem Zweck-
geschehen zunächst Liegende, das Materiale aus der Materie,
in etwas begrenzt, da der Stoff, der fremde und unheim-
liche, den Zweck beengt, die Materie ihn kränkt, die
Natur denselben hemmt ^), indess der Sieg der Ver-
geistigung des Materiellen durch den Zweck ist dennoch
nicht aufzuhalten, da das Beschränkende nicht inneliegt,
sondern nur anliegt, nicht vor-, sondern nachwirkt,
concurrirt, aber nicht durchwaltet, ein Residuum nur,
doch kein Nerv der Sache selbst. Eine andere Be-
grenzung des Zweckvollzuges entspringt aus der Not-
wendigkeit, falls man dieselbe nur äusserlich, als starre
und formale fasst. ^) Allein dieselbe ist mit Nichten der
feste Punct des Gegenstosses , sondern vielmehr das
Punctum saliens der Gfemeinschaft zwischen Denken und
Sein. Sie hat somit einen realen Inhalt, einen flüssigen
Kern in harter Schale. Obwohl die erste Strenge des
Zweckes im Notwendigen leiden muss, so lässt er doch
in seiner Energie, die aus der Coincidenz mit der wir-
kenden Ursache fliesst, nicht ab, die Notwendigkeit mit
dem Leben des Geistes zu beseelen ^), und die Ueber-
legenheit muss schliesslich auf seiner Seite sein. Der
fremde Zwang, die ferne Gebundenheit wird von der
vorwärtsdringenden Freiheit des Gedankens immer weiter
zurückgetrieben. Auch das in die Dinge gegossene Ge-
setz *), die stabilirte Form, das festgefügte Allgemeine
kann dem Zwecke zur Schranke werden. Es ist jedoch
nicht ausgeschlossen, dass der Zweckgedanke, wie um
eine Kette an sicherem Puncte aufzuhängen, um ein Ent-
») n, 91, 137, 193. 2) n^ 187 f. 3) jj^ i85. ex. 411. *) II, 190.
r!H3 115 QX'
schwebendes zu binden, ein Festes zu brechen, gerade
das Gesetz zum Mittel seiner Verwirklichung erhebt, und
wenn auch nicht neben, so doch innerhalb und überhalb
desselben frei waltet. Ingleichen wäre das spielende
Zufällige, dies halb Bedingte und endlos Variirende und
durchweg Relative ^), geeignet, dem Zwecke verhängniss-
Yoll zu werden. Doch, da es Bestimmtheit im Sein und
der Zweck Grundlage des Seins ist, so muss es mit wach-
sender Wahrscheinlichkeit, ja zuletzt notwendig mit dem
in seiner Yerwirklichung immer weiter vorrückenden
Zwecke einmal zusammentreffen, worin es aber von diesem
sogleich zur Mittelschaft verwandelt wird. Weiterhin
dürfte das Finale, dies Vorausschauende und Vorher-
bestimmende, vom blinden Causalen, der ehernen Form
unbewusster Consequenz, auf den ersten Blick gänzlich
zu scheiden und in diesem eine unüberschreitbare Grenze
für jenes zu statuiren sein. Indess ist hier wieder ein-
zuwenden, dass der Gedanke, mit der Kraft der wirkenden
Ursache sich erfüllend, in ihrem Fliessen ^) sich fixirend,
ihr Bildungsgesetz bestimmend und sich aneignend ^),
diese Schranke in sich fasst, dadurch aufhebt und so-
zusagen darüber zur Tagesordnung übergeht. Wie
namentlich in der organischen Wechselwirkung das Wech-
selverhältniss der wirkenden Ursache völlig enthalten
ist ^), so vollzieht sich insgemein der Zweck durch die
wirkende Ursache ^) und dies zudem derart, dass er ihr
unwandelbares Gesetz der Succession umkehrt. So geht
die Causahtät in's Zweckgeschehen auf und • der Zweck
wird zur Zweckursache ^■'') (s. o.). Endlich kann als
Grenze des Reiches der Zwecke dies bezeichnet werden,
dass er in seinem innersten Wesen im Metaphysischen
^) II, 192. 2) n, 162. 3) II, 124. ") II, 129. *) ib. ex; 462.
5") <xj II, 472.
8*
1/13 116 <3ßc
wurzele. Und fürwahr, es könnte der Zweckgedanke im
Grunde der Dinge nicht sein, geschweige denn schöpferisch
walten, wenn er nicht im schaffenden göttlichen Denken ')
basirte. Ja, der Zweck, der das Ganze vor den Teilen
bestimmt und diese in jenem determinirt, ein Prius des
Idealen, ist in das absolute Prius der Idee '") gegründet;
er, als Eegierer der Weltbildung, ruht in Gott ''^), dem
grossen Geist, der Zeit wie Ewigkeit schauet ^% alles Ge-
schehen, auch dasjenige des Zweckes, in Einem durch-
dringt und überblickt; so im Ewigen inbegriffen wird er,
in seinem lichten Praestabiliren zukünftiger Harmonie,
in der Ueberwachung des Werdens der Teile, in der
Verhütung des unmöglich sein Sollenden gleichsam pro-
videntiell, ja die Providenz selbst. ^) Doch erkennen wir
im metaphysischen Wesen des Zweckes nicht nur keine
Begrenzung desselben, sondern dagegen eine unendHche
Entschränkung ; gleichwie das Meer den Wassern des
einmündenden Stromes weitesten Raum gewährt, so findet
das schon endlich unübersehbare Reich des Zweckes die
höchste Erweiterung und grösste Vertiefung im Gött-
lichen. Tr.'s meisterhafter und glanzvoller A.ufbau des
Reiches des Zweckes bleibt hiernach unerschüttert und
immer gleichen Rühmens wert.
Man darf nunmehr darauf gespannt sein zu erfahren,
wie dieser so inhaltsvolle, dazu tief begründete, freilich
viel umstrittene, aber doch ein mächtiges Reich consti-
tuirende und erfüllende Begriff des Zweckes im Zusammen-
hang des ganzen Systems Tr.'s sich verhalte. Hierzu
') I, 99. (x; n, 467. \) II, 462. ^) II, 136. ^) I, 229. •») 11, 144.
"^^9 117 <2X^
bemerken wir zunächst, dass Tr. das Systematische seiner
Forschung, Princip wie Resultat derselben, nicht ohne
Weiteres greifbar dargelegt hat, ja dass die Benennung
„Logische Untersuchungen" eher eine Vielheit als Einheit
anzudeuten scheint, wogegen es allerdings wirksamer ge-
wesen wäre, für jene Bezeichnung vielleicht die Aufschrift :
„Bewegung, Ursache und Zweck" zu wählen. Es liegt in
der Eigenart unseres Philosophen, in objectiver Zerglie-
derung des Objectes der Tatsache im Denken und Sein
einfach der logischen Entwickelung, die, wenn in richtiger
Bahn, unfehlbar die Einheit finden und darstellen muss,
zu vertrauen, wie er denn bezüglich der Deduction des
Zweckes sagt: „Die Untersuchung nimmt, von der Sache
selbst geführt, einen eigenen Weg. " ^) In dieser Methode
streng sachlichen Forschens gewinnt er indertat die Er-
kenntniss der Einheit, nämlich der Denken und Sein ver-
mittelnden Bewegung (s. o.). Letztere wird ihm durch-
waltendes Grundprincip. Die Beziehung des Bewegenden
zum Bewegten ergiebt die Causalität ^), diejenige des zu
Bewegenden zu dem Bewegenden die Finalität ^). Hierin
aber sind bereits die Grundmauern des gesammten Denk-
gebäudes erkennbar. Tr.'s System, von ohnehin wertvollen
scharfsinnigen logischen Erörterungen vorbereitet, rings um-
geben und zuweilen wie verhüllt, wird und reift ihm der-
gestalt ungesucht, und klärt sich für uns immer lichtvoller
ab, bis es zuletzt in reinster Schönheit sich völlig enthüllt.
Da nun der Zweck ein wesentlicher Teil desselben ist,
so muss der Zweckbogriff in inniger Verknüpfung mit
dem Zusammenhang des Ganzen stehen.
Das Systematische der Philosophie Tr.'s erhellt weiter,
wenn wir mit ihm selbst erwägen, was System heisse ^)
') n, 30 f. 2) fvj I, 332. ') fx.. II, 31. *) II, 408 f.
riK3 118 av
und darauf hin seine eignen Ausfühmngen prüfen. Das
Gemeinsame in den jeder Wissenschaft, zumal aber in
der Philosophie vorliegenden Problemen ist das Metaphy-
sische. Dasselbe muss als letzter Grund ungeteilte Einheit
sein. Dementsprechend wird die metaphysische Betrachtung
fortschreitend der Einheit sich nähern. Auch die dieser
Betrachtung zugewendete Methode, die Logik, zeigt Ein-
heit auf, insofern sie auf ihren verschiedenen Wegen und
in ihren immer neuen Antrieben stets die Eine Kunst,
ihr sich selbst getreues Wesen, strenge Notwendigkeit
der Folgerung im Aufsuchen des Notwendigen unausgesetzt
kundgiebt^). Auf eine Einheit des Ganzen der Erkennt-
niss, eine Zusammenfassung und Zusammenhaltung von
Denkmomenten unter einen letzten Gesichtspunct in Kraft
eines ersten Principes ist auch das System gerichtet. Es
ist die Einheit Eines erweiterten, umfassenden Gesammt-
urteiles, wie schon im einfachen Urteil Einheit zwischen
Substanz (Subject) und Tätigkeit (Prädicat) hergestellt
wird-). Die Einheit des Systems entsteht aber entweder
durch Anordnung, Verwendung von Fertigem, Yerbindung
des Verwandten, durchsichtige Einteilung, übersichtliche
Gruppirung (descriptiv) oder durch Entwickelung, Er-
zeugung aus, Gestaltung nach einem Princip und Werden
aus den inneren Gründen, überhaupt Entfaltung von innen
(genetisch). Das System sammelt, sichtet, richtet und
besonders es gliedert Gewordenes oder Werdendes; es
will dabei ein Gebiet von Erscheinungen decken, Tatsachen
erklären, Vorgänge aufhellen. Die einzelnen wissenschaft-
lichen Systeme streben zu Einem grossen System des
Weltgegenbildes oder der Wcltansicht zusammen^). Mit
diesen Merkzeichen eines Systems der Darstellung har-
') I, 7 flf. ^) II, 208. 3) 11^ 29.
's^ 119 '^^
monirt diejenige Tr.'s voll und ganz. Das metaphysisch
Eineist die Bewegung als „das Ursprünglichste"^), das
in uugekannter grauer Vergangenheit hinter ims liegende
Uranfängliche wie fort und fort, doch verborgener Weise,
Erhaltende"-). Das logisch Eine ist das zielbewusste,
entwickelungscongruente, streng folgerichtige Erforschen
der Wirklichkeit im Denken und Sein und das durch-
greifende Streben, diese Wirklichkeit zum Notwendigen
zu erheben ^). Wir erkennen in Tr.'s Gedankenbau ferner
ein erstes Princip sowie einen höchsten Gesichtspunct, Be-
wegung und Zweck. Das Ganze legt Eine Generalidee
an den Tag, nämlich dass ein Gedanke sei im Grunde
der Dinge, darum Denken im Sein wie auch Sein im
Denken. Die Art des Werdens des Systemes ist vor-
wiegend die genetische, die objective Zergliederung des
Tatbestandes, dadurch die Aufdeckung des Principiellen,
die Verwendung und Verwertung desselben, allseitige
Fortführung des jeweilig Erreichten, Durchdringung auch
der formal logischen Partien mit dem Grundbewegenden,
in Allem aber zielgewisser, weil auf richtiger Basis be-
ruhender, in fester Ordnung beschlossener architectonischer
Aufbau des Ganzen. Doch erfährt auch das Descriptive
Beachtung, wenn Reihen von Tatsachen und Belegen an-
geführt, einbezogen und eingeordnet werden. Hervor-
ragend aber ist die genaue Gliederung, die sorgfältige,
doch geniale Abstufung der Grundbegriffe, die wir als-
bald näher erwägen werden. Dass aber die Bewegung
Alles, die wirkende Ursache eine Menge von Erscheinungen,
der übergeordnete Zweck das aus jener nicht Deutbare
erklärt und allgemeine wie besondere Bewegung durch
den Gedanken erfüllt, steht nach dem Seitherigen eben-
') I, 200. ^) <xj I, 218. 3) I, 13.
n?^ 120 <^^
falls fest. Und so geht schliesslich aus dem, was Tr. so
schlicht und besonnen ausgeführt hat, die harmonische
"Wahrheit und Schönheit der oi-ganischen Weltanschauung*)
hervor. Daher ist in Berücksichtigung dieser Momente
die Trendelenburgische Philosophie tatsächlich und voll-
wahr als System zu begreifen.
Der bisher im Allgemeinen gezeichnete Character dieses
Systems wird nebenher zugleich noch schärfer sich heraus-
stellen, wenn nun nicht sowohl das Durchgreifen des
Principes der Bewegung oder des Causalen, welches dar-
zutun aber entschieden gleichfalls von Pieiz und Nutzen wäre,
als das Durchwalten des Zweckprinoipes im tieferen Betracht
aufgehellt werden soll. Wir fragen hier zunächst: Wo
trat der Zweck ein, wann wurde und wenn wird er als
Princip der Welterklärung unabweisbar nötig? Es ge-
schah dies mit dem Unvermögen der Causalität, einer
unermesslichen Fülle von Erscheinungen Deutung zu
werden.
Hiernach hat der Zweck als das Höhere unter sich
ein Niederes. Das Sein muss in jenem eine Grenzlinie
zeigen und nach oben wie unten, den Farben des Spec-
trums ähnlich, sich abstufen. Das von ihm abstehende
Inferiore aber ist das physicalische und weiterhin das
mathematische, das mit ihm anhebende Superiore dagegen
das organische und ethische Sein'-J. Das Mathematische,
nicht nur als Gegenstand der Abstraction, des Wegsehens
von den physischen Eigenschaften eines Körpers „aus der
Vorausnahme entsprungen" (Aristoteles), auch nicht allein
aus dem Uebergang des Punctcs in die Linie, der Linie
in die Fläche, der Fläche in den Körper entstanden, ist
Intention und gleichsam Ideal der Natur, welche zwar
') U, 462 flf. R, 23 ff. ^) II, 144.
nicht die reine Linie, den strengen Kreis, die völlige
Kugel, aber doch das approximativ Gleichgeartete hervor-
bringt, und es ist zudem vollendende, das Unvollkommene
ergänzende, das Mangelnde erratende apriorische Tat des
Geistes'). Im Unfertigen nun fehlen Teile. Sind solche
hier nicht dargestellt, so ist das Ganze nicht da. Aber
dass das Ganze zu, in und aus den Teilen sei, ist des
Zweckes Grundwesen. Insoweit ist darum das Mathe-
matische nicht Ausdruck, sondern, wenn es hochkommt,
nur Ahnung eines Zweckes. Dasselbe gilt, wenn man
das Mathematische nach den in ihm wirkenden Tätigkeiten
der Bewegung beurteilt. Ein innerhalb der Bewegung
Liegendes, vom betrachtenden Geist Fixirtes, aber weder
im Aufhören noch im Neuansetzen der Bewegung zu
Fassendes ist der Punct^). Die unveränderte Richtung
der Bewegung desselben ergiebt die Linie, die Bewegung
letzterer nach einem Aussen- (ausserhalb gelegenen) Puncto
die Fläche, das Abbrechen dieser Bewegung die Figur,
das Abbrechen der Bewegung der Figur den Körper. Da
das jeweilige Abbrechen das jedesmalige Resultat liefert,
da es zu diesem Behufe beliebig und blindlings geschehen
kann, so ist Yorherbestimmen durch den Zweck nicht ge-
boten. So wenig endlich dort in den Gebilden der Natur
die wunderbaren Zahlenverhältnisse (z. B. z/ = y^) genau
und vollkommen dargestellt sind und also Teile vermissen
lassen, so wenig ist die ZahP) als zeitliches Nacheinander
aus dem Eins dem Zwecke, der in der Priorität des
Ganzen und Umkehrung der Causalität des festgefügten
Nacheinander spottet, zu subsumiren, wiewohl auch die
Ordnung und Verbindung, das Mit- und Ineinander, Mehnmg
und Mindemng, Vervielfältigung und Teilung, Combination
1) I, 266 f. -) I, 269 f. 3) I, 276 flf.
"^/^ 122 '2^
und Permutation, Potcnzirung und Differcntialfunction der
Zahlen, wie insgemein ihre niedere rechnerische oder
höhere arithmetische Verwendung auf das Zweckmässige
hindeuten. Das Physikalische, zuvor gleichfalls Be-
wegung in die Ausdehnung und Fläche, besitzt überdies
ein Neues, und zwar Bewegung in die Tiefe und Inten-
sivität; es wird das neutrale Fortschreiten der Bewegung
dort zur erzeugenden Kraft hier*). Dies inhaltsvollere Sein
hat den Reichtum der Producte des Extensiven aus der
Productivität des Intensiven. Da wird das in der Be-
wegung formal Fixirte zum springenden Punct, die Figur,
bislang kahle, todte Fläche, belebt sich mit Farbenfülle
und bunter Gestaltung, die Linie wird zur fortlaufenden
Kraftwirkung, das mathematische Körpergcbilde erlangt
sozusagen Fleisch und Blut. Nun wirken Kräfte mit
und gegen einander, Stoss und "Widerstoss, Druck und
Gegendruck, Erwärmung und Erkaltung treten ein, Hellig-
keit und Finstemiss wechseln, Tonschwingungen und
Schallwellen umwogen uns, die Erregungen des Magnetis-
mus werden sichtbar, electrische Funken blitzen, electrische
Ströme kreisen wundersam, kurz überall regt und bewegt
es sich lebensvoll. So sehr nun auch das physische Sein
Gesetzen, wie dem des Kräfteparallelogramms, des Hebels,
der Welle, der Veränderung des tropfbar Flüssigen (Ge-
wichtsverlust im Wasser etc.) der ausdehnsamen Flüssig-
keiten (Absorption, Diffusion etc.), der Fortpflanzung der
Schallwellen, der Geschwindigkeit des Lichtes u. a. ent-
sprechen mag, so ist es dennoch in dieselben nur ausge-
gossen, nicht der Gesetzgeber, wie der Zweck es ist,
sondern Untertan. Ob ferner auch die Wirkung der
Kräfte zu berechnen ist, so fehlt doch viel, dass darin
') n, 291 f.
'^^ 123 '^^
die Kräfte selbst sich gesetzmässig determiniren, während
sie im Zweckvolien abgewogen und differenzirt sind aus
dem Zweck, in welchem Gedanke und Kraft coincidiren.
Alsdann bleibt nicht verborgen, dass im Physicalischen die
Kräfte zwar nach aussen gehen, allein nicht in den An-
fang zurückkehren, aber dem Zweckmässigen kommt
speciell die reflexive Tätigkeit zu. Das Physicalische
enthält höchstens eine Anbahnung des Zweckgeschehens.
Die Erfüllung dieser Ahnung, der Vollzug des so An-
gebahnten findet durch den Zweck zunächst im Orga-
nischen Statt. Hier ist dann eine innere Berechnung der
Kräfte, ein Bestimmen der Qualität, eine Begrenzung der
Quantität, inneres Mass, innige Verknüpfung des Ganzen
und der Teile, Erzeugung des Ganzen in den Teilen, der
Teile zum Ganzen, Werden der Form von innen, Ver-
tiefung des Causalen, Beseelung der starren Materie, Ver-
geistigung der blöden Natur, und dies Alles aus dem Ge-
danken. Die Bewegung im Organischen ist nicht eine
von einem Anderen gerichtete, sondern ein Anderes (die
Teile) richtende, keine von aussen kommende und fremde,
sondern eine innere und selbsteigne, sie ist sehend und
bewusst. Die organische Bewegung erreicht, wenn unge-
hemmt, immer und ganz ihr Ideal. Zum Zwecke der
Lichtempfindung sind im Auge der höheren Thiere
teils brechende, teils sammelnde Medien; die vereinte
Wirkung beider ermöglicht vollständige Zweckdarstellung.
Fehlte eines der Medien, so wäre das Ziel nicht erlangt.
Ferner erzeugt diese Bewegung nicht, indem sie blindlings
abbricht, sondern sie ist Mittelpunct '), von welchem das
Gestalten ausgeht, und zugleich Höhepunct, zu welchem
jenes so zurückkehrt, dass ohne Abbrechen und Unter-
') <xj n, 207.
'VIS 124 '5^
brechung die bewegende Kraft, der bildende Gedanke,
der dctcrminirende Zweck dem Organismus einwohnt, so
dass ein Abbrechen und Innehalten die Zweckverwirk-
lichung geradezu stören würde. Die Zwecktätigkeit der
Atmungswerkzeuge, stets aus und zu dem Zwecke des
Atmens, darf nicht durchbrochen werden und kann selbst
nicht aussetzen, wenn die Erreichung des Zweckes nicht
gehemmt oder gar vernichtet werden soll. Ferner ist
auch im Organischen allseitig Regung und Bewegung,
Wirken physischer Kräfte, Strom des Lebens, allein
wiederum in höherem Sinne, denn „mit dem Begriff des
Lebendigen geht der Begriff des Beseelten Hand in Hand" ')
hier, wo der Gedanke richtet und regiert, vorherbestimmt
und dann ausführt, durchdringt und verschmelzt, fördert
und bewacht, bildet, baut und lenkt. Der innere Zweck
ist die Seele des Organischen, dies selbst der Ausdruck
eines Beseelenden, das Substrat eines Geistigen, die Selbst-
ausprägung eines Denkendon, Die höchste Stufe aber
zeigt durch den Zweck die Sphäre des Ethischen. Ob
auch, ähnlich dem Mathematischen, die begründende Ge-
sinnung die wandellose Bestimmung zum Göttlichen hat,
das selbst ewig ist, und wenn schon fernerhin die zu
erkennende Sache gleichsam physicalisch festgefügten,
objectiven Character hat'^), so ist nicht nur die Aneignung
der Gesinnung und das erkennende Durchdringen des
Objectes ein organisches Bilden, ein zweckmässiges Aus-
reifen, eine zweckerfüllte Selbstvervollkommnung des Ichs,
sondern auch freie Betätigung, im freien Raum des
Mittels und Masses sich vollziehende Verwirklichung der
Persönlichkeit. So erhebt sich eine neue Welt, an Schön-
heit ohne Gleichen. Das SittUche ist „eine ursprüngliche
0 II, 77. ') II, 229.
'j^ 125 <^^
Tat, die der Mensch aus seinem eigenen Busen nimmt" ^).
„Der Greist kommt der äusseren Welt zuvor und bildet
sich ihr schöpferisch ein", und bildet darin sich selbst
nach freier Zwecksetzung, als Ganzes zum Ganzen, das
Theoretische der Erfahrung practisch gestaltend, am Stoff
den Selbstzweck vollziehend, äussere Zwecke ordnend,
Gegebenes umformend, ja die ganze Welt zum Materiale
der Pflicht''') (Fichte), zum Antrieb der Tugenden erhebend.
Entsprechende Abstufung nach dem Zwecke hin weisen
auch die Grundbegriffe des Seins aufJ'') Der Begriff
des Ganzen ist im Mathematischen (Figur und Zahl) nur
im abstracten Sinne Substanz. Die geometrische Einheit
ist nichts als das Bild der die erzeugende (Stoff) und
gestaltende (Form) Bewegung zusammenhaltenden Be-
wegung, welche letztere lediglich auf den Act der Ein-
heit bezogen ist und das in jenem Erst- und Zweitbe-
wegenden zufolge des Flusses der Bewegung im Ent-
stehen sofort wieder dem Vergehen Zuneigende gegen-
wärtig erhält. -) Das arithmetische Ganze vollends, die
Zahl, aus der absetzenden Tätigkeit in der Zeit ent-
springend (übrigens auch aus räumlicher Begrenzung er-
klärbar), in diesem Absetzen das absolute Eins dar-
stellend, ist durch Wiederholung des abgesetzten Eins
und wird eben ein Ganzes, indem sie das Wiederholte
zusammenfasst, insofern sogar bildlos, daher noch ab-
stracter als die Einheit der ßaumgrösse.
Im Physischen, in der Natur, wird das Ganze materiell
dicht und concret. Die Bewegung ist hierin nicht mehr
durchgehend, sondern lixirt, nicht allmomentlich offen,
sondern geschlossen, ihr Erzeugniss ist aus dem Bilde
zur Substanz verdichtet und zur realen Yerkörperung
') I, 320 f. 1^ fxj II, 43G. "^) rv; n, 439. -) I, 274 f.
'y.9 126 2>^
schritt so in ihr die Idee fort. „Real erzeugt sich die
materielle Gestalt und Grösse." ^) Nun giebt es greif-
bares Quantum, messbares Quäle, wägbare Masse. Die
Einheit ist flüchtig, fliessend, leer und verblasst im Ma-
thematischen, doch bleibend, festbegrenzt, vollinlialtlich,
scharf herausgestellt im Physicalischen. Indess das in
der Einheit Herrschende, das Ganze Praeformirende, die
Teile Determinirende erscheint erst im Organischen durch
den Zweck. Es tritt nunmehr jene wesensinnige Wechsel-
wirkung ein, von welcher man die Regel aufstellen kann :
Eines für Alle, Alle für Eines, Das Ganze ist nur durch
die Teile, die Teile sind nur in dem Ganzen. Diese
Harmonie der Wechselwirkung bestätigt und verwirklicht
die Idee des Ganzen. Jedoch die Verklärung der Yer-
geistigung des Grundbegriffes der Einheit im Organischen
kommt allein mit dem Ethischen zum Durchbruch. Ein
freies Ganze ist die sittliche Person, ein Ganzes ihr in
der Selbstbestimmung freies sittliches Handeln. Der
innere Zweck wird als Einheit frei erkannt und gewollt.
Da ist Einheit des Selbstbewusstseins inmitten wechseln-
der Vorstellungen, Wahrung der Einheit gegenüber dem
Zwiespalt zwischen dem Zweck des Ganzen und der
Teile. — Aehnliche Fortfühmng zum Zwecke erfährt der
Grundbegriff des Teiles. Im Mathematischen ist der
Teil nur ein Quantum der Bewegung, ein Moment des
Punctuellen, ein Ansetzen der Linie, Stück einer Fläche etc.,
Element des Absetzens zeitlicher Tätigkeit in der ab-
stracten Eins oder Bildungsfactor der Eins in jeder
weiteren Zahl. Im Physischen hat der Teil bereits
reichere Bedeutung, nämUch einer Qualität der Bewegung)-;
er wird kraftbegabter Seiuspuuct, da die Qualität Princip
') I, 340. 2) oo I, 344.
019 127 Q^
der Bewegung, Kraft und Tätigkeit ist ; aus einem todten
Merkmale reift hier der Teil zur lebendigen Constituante
der Eigenschaft. Organ und Organismus aber haben den
Teil zum Glied. Er ist demgemäss Notwendigkeit aus
und zu dem Ganzen, von ihm durchdrungen, zu ihm
dringend, Tätigkeit im Gesammttun, "Wirkung innerhalb
des zu Wirkenden, Blick des durchschauenden Gedankens.
Im Ethischen endlich kehrt er durch den freigewordenen
Zweck in der Bestimmung des Menschen als Glied einer
ethischen Gemeinschaft freier und in höchster Fülle wieder.
Die sittliche Person ein Glied des sittlichen Reiches, ihm
ein- und untergeordnet, in ihrer Selbstverwirklichung
zugleich das Allgemeine darstellend, welch' erhabener
Gipfel des Zweckgeschehens! — Ebenso vollendet sich
im Zwecke die Kategorie des Masses. Im Mathematischen
entspringt das Mass aus der äusseren Yergleichung der
tätigen Bewegung. „Das grössere Quadrat weist auf
eine grössere Bewegung hin, die es construirte, die vollere
Zahl auf eine intensivere Kraft, welche die grössere
Masse der Eins gesetzt und zu einer Einheit zusammen-
gefasst hat." i) Die Messbarkeit kommt durch die Be-
wegung auch den materiellen Gestalten zu. Doch wird
hierbei nicht sowohl Aeusseres an Aeusserem, als Inneres
an Aeusserem gemessen. Das Mass im Physischen ist über-
haupt ein inneres, den Dingen eingeboren. Nur bei be-
stimmten Massen (wie in den Zahlenverhältnissen chemi-
scher Zusammensetzungen deutlich wird) behalten die Ge-
staltungen des Natürlichen ihre Eigenschaften bei. Allein
im Organischen wird das Mass ein inneres in der höheren
Bedeutung des Zweckgemässen, nämlich inwiefern es dem
"Wesen und Zwecke dessen entspricht, welchem es ein-
') I, 348.
'5^ 128 G^
wohnt und in welchem es ausgeprägt wird. Das reale
Mass des Physischen wird hier zum idealen Mass und in
der Durchführung des letzteren zum Ebenmass. Im Sitt-
lichen endlich wird es in der persönlichen Tugend der
Besonnenheit frei, ja, in der umfassenden Schönheit des
Ethischen, in der harmonischen Darstellung des Tugend-
haften insgemein, des Endzweckes überhaupt, wird das
Ebenmass in seinem Vollglauz und Grundwert offenbar,
— Aufeinander hinweisende, zum Zwecke emporführende
Stufen treten schliesslich auch am Grundbegriffe der
Eigenschaften zu Tage, Die mathematische Eigen-
schaft beruht in der Möglichkeit neuer Bewegung des
eben bewegend Erreichten, z. B. der Zahl zu neuen Ver-
bindungen, der Figur zu weiterer Figurenbildung'). Die
physische Eigenschaft ist an der Substanz haftende Cau-
salität. „Wie jedes Gemälde Ton, jeder Stil Farbe, jeder
Character Physiognomie hat, so hat überhaupt jedes Ding
Qualität"^), Dazu werden die Qualitäten des Physischen
durch die AVechsel Wirkung mit Kraft erfüllt. Dies inne-
haftende und nach aussen wirkende Dynamische erhebt
sich im Organischen zur reflexiven Tätigkeit, Sie geht
vom Ceutrum zur Peripherie, von der Peripherie zum
Centrum. Anfang und Ende, Ursprung und Ausgang sind
in ihr zu Einem verschlungen. Der Selbstzweck des
Organismus spannt sie in sich selbst zurück. Im Ethischen
gar werden die Eigenschaften in Kraft des freien Zweckes
zu frei erstrebten, frei erworbenen Tugenden, von denen
wir oben die Weisheit, die Liebe, die Besonnenheit, dio
Beharrlichkeit, den Gehorsam und die Gerechtigkeit be-
zeichneten. — In diesen sämmtlichen Abstufungen auch
der Grundbegriffe ist der Begriff des Zweckes Ziel und Krone.
') I, 312 f. 343. 2) I, 347.
n^ 129 Q^
Gleichwie derart die Stufen des Seins und die Ab-
stufungen seiner Grundbegriffe auf den Zweck hinführen,
so erfüllt sich das Princip des Seins, die Bewegung, fort-
schreitend nach dem Zwecke hin. In ihrem allgemeinen,
umfassenden, voraussetzungslosen, unbestimmten Wesen
ist die Bewegung das ursprünglichst Reale ^), die ver-
breitetste und elementarste Tätigkeit-), das frei und
apriorisch Erzeugende^). So erweist sie sich als das schlecht-
hin Erste. Und als solches erscheint sie „einfach und
fast leer"**), weil in die Vielheit des Empirischen noch
nicht sich individuirend. Sie ist insoweit erste Energie
des Denkens und Seins ^), der begiündende Anfang, der
allgemeine Ursprung, der erste fortwirkende Anstoss, einer
Ursache nicht bedürfend^). In diesem Uranfänglichen der
Bewegung liegt zugleich ihre Freiheit, in unendlichen
Richtungen tätig zu werden";. Als das reine Absolute
gebiert sie nun Raum und Zeit^), wodurch dem Ersten
ein Zweites folgt, innerhalb des Raumes und der Zeit
aber erzeugt sie dann Figur und ZahP), Gestalt und
Grösse, Eigenschaft, Wechselwirkung und Kraft ^°).
Stellen wir uns jetzt in die Empirie des Bewegten,
aus dem Bewegenden Producirten hinein — und wir haben
ja immer zunächst den Fortgang, aber nicht den Anfang
der Bewegung, das Erzeugte, doch nicht so das im
Grunde jeweilig Erzeugende, geschweige denn das Erst-
erzeugende vor und um uns — , greifen wir ferner aus
der Menge der Bewegungsproducte ein beliebiges einzelnes
heraus und betrachten wir die darin anhaltende Bewegung
rücksichtlich der vorangehenden, mit welchem jene —
continuirlichem Erst- und Grundbewegenden eingeordnet
— zusammenhängt, sowie hinsichtlich der folgenden Be-
') I, 197 ff. ») I, 13Sff. ^) I, 234 f. *) II, 31. ") 1,369.
«) I, 107. ') I, 234. «) I, 321. 332. «) I, 267 ff. 289. '">) I, 342ff.
9
'i^ 130 a^
wegung, die wegen des nämlichen Continuums sich an-
schliessen muss, so haben wir lange nicht mehr das ab-
solute Was der Bewegung, sondern vielmehr das Woher
der Individuation derselben darin zu constatiren. In allen
so angeschauten Erzeugnissen der Bewegung ist die be-
stimmende Macht die wirkende Ursache mit dem
Woher'). Hier ist Besonderung des Allgemeinen der
Bewegung: keine umfassende Macht ist darin ihr zuge-
schrieben, sondern es befasst und begrenzt sich dagegen
die Bewegung im engen Producte, Eine Bewegung setzt
dabei die andere voraus, die zweite wird aus der ersten,
die dritte aus der zweiten u. s. w. genauer bestimmt.
Das Product der Bewegung ist ein Zusammengesetztes
und in sich Yolles. Es bietet Gewirktes aus dem Wir-
kenden, Vielheit aus der Einheit dar und beweist endliche
Pixirung der unendlichen Bewegungen. In diesem Zu-
sammenwirken verschiedener Momente reift die Gestaltung,
in der werdenden Bestimmtheit der weiten freien Be-
wegung wird aus dem Abstracten das Concrete erzeugt.
Doch ist die Mannigfaltigkeit aus der Bewegung, so reich
und endlos, zugleich eine gesetzmässige, weil stets im
ursprünglich Bewegenden beschlossen und darum der
Continuität der Entwickeluug unterworfen. Dies gilt auch
dann, wenn das eben Erzeugte ein Neues erzeugt und die
Wirkung in Ursache sich umsetzt. Zunächst ist hier die
Bewegung in demselben Masse tätig als dort, wo sich die
Ursache in Wirkung übersetzt. Und ferner ist hier wie dort
die Ursache nur Ursache, inwiefern die Endursache d. i.
Wirkung ihr entspricht, und die Wirkung ist Wirkung^ in-
wieweit sie die Ursache darstellt. So kann zufolge des Gemein-
samen beider, so muss wegen de8 fortwährenden Flusses
') II, 144.
n^ 131 Q^
der Bewegung die "Wirkung in die Ursache übergehen.
Darum ist im Gesammtbetracht dieser bezeichneten Mo-
mente des sich zum Zweiten, überhaupt Empirischen be-
gebenden Ersten, des Aufnehmens der einen Richtung in
die andere, des fortzeugenden Grestaltens zu setzen: „dass
die Bewegimg die Trägerin der abstracten Causahtät" *)
sei und dass sie im Causalitätsgesetz den Ausdruck ihrer
Macht finde ^). Desshalb aber ist die Causalität nicht
pure Wiederholung (Hume), sondern durchgehende stetige
Bewegung, auch nicht bloss Regel des Erscheinens (Kant),
sondern Wesen der Dinge, ebensowenig nur Zugleichsein
der reellen Wirkung mit ihrer vollständigen reellen Ur-
sache (Jacobi), sondern auch Folge, Fortgang und Ent-
wickelung, endlich auch kein Zusammenschlagen der Po-
sition und Negation in einem Complexe (Herbart), sondern,
ungeachtet des Zusammenfallens von Ursache und Wirkung
in ihrem Berührungspuncte, dennoch ebensowohl vorher
bestimmende Richtung, voraufgehende Bewegung. Und
„wir sind selbst causal — . Wir verändern, wir erzeugen
und fassen uns darin als die Ursache, die früher ist als
die Wirkung"^). Unser Denken bewegt sich auch in der
Bahn von Ursache und Wirkung, Gmnd und Folge. Da-
her ist es uns möglich, die wirkende Ursache in der Be-
wegung und ihrem Producte zu erkennen, nach dem Grund-
gesetz: „Was in der Entwicklung vorwärts geschah, soll
rückwärts gefunden werden"'^).
Wie nun die Leere der Allgemeinheit der Bewegung
auf die Fülle der Besonderung in der Causalität hinweist,
so fordert die in letzterem bestehende Richtung des Wo-
her notwendig ihre Ergänzung in der Richtung des Wo-
h i n. Die ursprüngliche Bewegung geht in unentschiedener.
») I, 333. 2) 11^ 335, 3) i^ 339 jj^ 296. *) I, 334.
9*
'■i^B 132 P-^
bestimmungsloser Richtung in die Weite und Breite. Zwar
wird sie dann im Causalen rückwärts und nach der Tiefe
bestimmt, allein noch nicht vorwärts und nach der Höhe.
Ferner ist in der wirkenden Ursache angehaltene, aber
keine zusammenhaltende Bewegung. Weiterhin ist ihr
Product nur äussere Form und Gestaltung, jedoch mit
Nichten innere Entfaltung und centrale Formung. Sodann
erscheint im causal Erzeugten ein Aneinander und Mit-
einander, aber kein Ineinander und Durcheinander, Coin-
cidenz, doch nicht Immanenz, Succession, jedoch keine
Organisation. Die wirkende Ursache, dies wiederholt von
uns berührte Niedere, besitzt ohnedies nichts als blinde
Kraft zur Bildung der Einheit, spielende Kräfte in der
Wechselbeziehung, blinde Kräfte als qualitative Tätig-
keiten, überhaupt Kräfte ohne Tendenz des Zukünftigen,
blindes Erzeugniss in der Quantität'). Demnach ist es, wenn
die Bewegung sich vollenden soll, zwingendes Erforderniss,
dass ein Bewusstes, der Gedanke, sie nach einem Ziele
richte, und dass dies Richtende dem innewohne, was ge-
richtet wird und sich in ihm mitbewegt 2). Mitteninne
in der rastlos schaffenden Bewegung erheben sich so Teile,
die nicht gleichgültig nebeneinander verharren, sondern
sich zu einem Ganzen zusammenschliessen'). Es wird
dabei der gleichförmige FIuss der wirkenden Ursache
durchbrochen, in dieser Vielheit greift weitere Beziehung
Platz*), der Gedanke richtet und sichtet, und es bildet
sich die schönere Harmonie eines vom Denken durch-
drungenen Ganzen. Dieser „schöpferische Vorblick ''^) des
Denkens im Sein, der die höhere Einheit bewirkt, ver-
wandelt die Wirkung in die Ursache, das Ende in den
Anfang (s. 0.), regiert das Besondere und DifFerente, die
») II, 127 fi'. •-) II, 79. 3) II, 461. ") II, 162. ») U, 351.
'^ 133 ev
Mittel, bewacht das "Werden, behütet die Ausführung, be-
herrscht, mit der Kraft der wirkenden Ursache eins, den
ganzen Vorgang, und fügt so die Teile zum Ganzen kräftig
und innig zusammen. Hiermit entsteht eine specifische
Differenz, ein eigenartig abgeschlossenes Gebilde, welches
in Wechselwirkung mit dem allgemeinen Leben den Cha-
racter ausprägt, und in den Teilen als Gliedern das Ganze
widerspiegelt'). Während im Causalen das Denken dem
Sein nachgeht, muss hier das Sein dem Denken nach^).
In alledem aber ist der Zweck kund und offenbar. Und
darum ist es „die Verklärurig der wirkenden Ur-
sache, dass sie aus dem bhnden Ungestüm in den Dienst
des Gedankens tritt und dadurch eine Bestimmung des
Geistes empfängt"^). Somit aber ist der Zweck der edelste
aller Naturbegriffe ^), ja vielleicht der grösste Begrifft) und
hat überhaupt die grösste Bedeutung'').
Aus diesen Abstufungen des Seins, der Grundbegriffe
sowie des Grundprincipes desselben, zum Zwecke hinan
geht endlich die organische Weltansicht hervor,
und dies so, dass sie von der vorerst ihr feindlich ent-
gegenstehenden physischen^) (oder mechanischen) geradezu
vorbereitet, ja postulirt wird. Wenn in letzterer Hinsicht
causal Unerklärbares und darum über sich Hinausweisendes
eintritt, so ist der Zw'eck als das Höhere gefordert. Nun
soll unter dem Gesichtspuncte des Physischen die ganze
Welt nur als Inbegriff von treibenden Ursachen und
Wirkungen, Materie und Bewegung als Erstes und Letztes,
überall starre Notwendigkeit, unvermeidlicher Zwang zu
begreifen sein. Allein schon die Basis dieser Weltansicht,
das mit der Bew^egung durch die Gesammtheit des Er-
scheinenden sich ergiessende Mathematische, zeigt in den
') II, 373. 375. 2) ^ II, 296. 3) n, 88. ") II, 43. 2, 35.
) I, 70. •) fx; U, 162. ■') n, 458.
n^9 134 s^
von ihm zusammengehaltenen Massen „Mittel für das Da-
sein des Lebens und des Geistes". Und wenn ferner die
Gravitation die erste Bedingung des "Weltganzen ist, so
beweist ihre, sowie jede und selbst die äusserste und letzte
Kraft, dass sie in Ansehung der harmonischen Einheit
ihres Wirkens im Dienste des Gedankens stehen. Das
Physische oder Materielle selbst, durch die Bewegung auf-
geschlossen, an sich gleichförmiger Fluss, blinde Macht,
ein todtes Leben, ein lebendiger Tod, ein Zwittergebild
zwischen Yernünftigem und Unvernünftigem und Zwielicht
zwischen Finsterniss und Licht, erheischt Begeistigung
durch den Zweck ^), Durchleuchtung mit dem Gedanken,
geistige Wiedergeburt aus der Vernunft. Das Organische,
von dieser Anschauung auf das Procrustes-Bett des Cau-
salen gespannt, sprengt die Fesseln solcher Gebundenheit,
indem es einen lebendigen Mittolpunct sonst indifferenter
Tätigkeiten bildet, im Gegensatz zum äusserlich Not-
wendigen und Zufälligen von innen erzeugt, dem L'rtum
des blöden Verstandes dort das Meisterwerk des lichten
Gedankens hier entgegenstellt. Das Ethische zumal, so
gleichsam in die Zwangsjacke gezwängt, durchschlägt die
Schranken, da es die Freiheit des persönlichen Zweckes
in sich aufnimmt, dem Zweckbiklen ungekannte Bedeutung
und ungeahnten Wert verleiht und so eine neue, viel
höhere Welt schafft. Weiterhin kennt die „nackte Ansicht
der wirkenden Ursache" nur dvn Begriff als ein Letztes,
und zwar „insoweit er die Vorstellung ist, die den her-
vorbringenden Grund der Sache in sich aufgenommen
hat" 2). Der Begriff des Kreises, des Falles, des Mag-
netismus etc. verlangt jedoch auch Kunde über das Werden
des zu Begreifenden oder schon begrifflich Fixirten, das
») U, 66. ») n, 466.
'^^ 135 ^^
Werden aber beruht in der Tätigkeit eines Erzeugenden,
das I^achzubildende entspringt aus einem Vorbildenden,
und dies ist hier die Idee, deren Wesen es ist, in Be-
ziehung auf den Gedanken eines Ganzen vor den Teilen
d. i. eines Zweckes zur Wirklichkeit zu reifen. Auch ist
daran zu erinnern, dass die von der blossen wirkenden
Ursache bestimmten Kategorien, wenn sie nicht in sich
fremd und blind bleiben sollen, vom Gedanken durch-
leuchtet werden müssen. Im Allgemeinen aber ist zu
betonen, dass die physische Ansicht einseitig bei der Be-
trachtung des Teiles beharrt. Die einzelnen Wissenschaften
bemächtigen sich des Einzelnen, betrachten es getrennt,
vereinzeln sich und ihrer Erkenntniss Wege und Errungen-
schaften. ^Wenn die Teile, als wären sie unabhängig
und aus sich, auf sich selbst hingestellt werden, so müssen
sie dadurch den Gedanken des umschliessenden und sich in
den Teilen verwirklichenden Ganzen einbüssen. Betrachte
die Hand für sich, und du siehst nur die Strecker und
Beuger, die die kleinen Hebel der Knochen im mannig-
faltigen Spiele bewegen. Aber betrachte das Auge mit,
das die Hand richtet und führt, und es tritt Geist und
Zweck in dies Werkzeug der Werkzeuge; doch stimmen
Auge und Hand nur in der grossen Voraussetzung des
beide umfassenden lebendigen Leibes zusammen. Wie in
diesem Beispiele, geht es mit den Wissenschaften über-
haupt"'). Man blickt zu sehrauf das Besonderte, kommt
so immer mehr in's Stückwerk und sieht schliesslich den
Wald vor lauter Bäumen nicht. Obwohl es den Wissen-
schaften weder verwehrt sein kann, um ihre Königin Streit
zu führen, noch es erlassen werden darf, die Ergründung
im Einzelnen und lediglich aus der Sache zu erstreben,
') II, 461.
^^ 136 G«^
so ist dagegen jederzeit und mit allem Nachdmck nach
einem Ganzen der Erkenntniss zu ringen und zwar in
Gemeinschaft mit den "Wissenschaften insgesammt. Wenn
darin eben der Beruf der Philosophie sich erfüllt, „so
wird sie die organische Weltansicht immer vermitteln".
Im Ganzen wird der aus dem Ganzen stammende, in ihm
lebende und webende Zweck erkannt. In der Erkcnntniss
des Geistigen des Gedankens aber wird die Ansicht der
wirkenden Kräfte und der bewegten Materie andere Be-
leuchtung empfangen oder gar in das höhere Licht auf-
gehen.
Die organische Weltansicht, im Gedanken, der ein
Organon (Werkzeug) sich zu bilden und zu leiten vermag,
begründet, ist „die geistige, die Ansicht des sich verwirk-
lichenden Geistes"^). Der Gedanke ist vor Allem, nicht
nachgeboren, die ewige Macht des Geistes O, über die
Ohnmacht der blinden Ursache weit triumphirend. Im
Gedanken besteht Alles und Jedes, das Ganze wie die
Teile, Umfassendes und Einzelnes, Organismus und Glieder-
„Nichts ist ausser dem umfassenden Ganzen"^), im Ge-
danken nur ist Bestand, Leben, Entfaltung, ohne ihn Ver-
kümmerung, Verderben und To 1. „Die Wahrheit jedes
Dinges ist ein Strahl dieses Gedankens; wie den Dingen
ein Begriff zum Grunde liegt, so sollen sie diesem Begriff
genügen. Die Wahrheit zeichnet sich auf diese Weise
in den Gestalten der Schöpfuni;-, und wir betrachten sie
in ihr andächtig und fromm". Und durch den Gedanken
ist Alles geschaffen. Makrokosmus wie Mikrokosmus,
Nahes und Fernes, Sprödes und Williges sind von ihm
durchdrungen oder doch durchschimmert, zutiefst von ihm
getragen. Er ist das absolute Prius der natürlichen und
») II, 462. •^) n, 467. 3) 11^ 464.
'^^ 137 0^
sittlichen Welt. Lange bevor der menschliche Geist die
Probleme der Physik nur ahnte, geschweige denn, das
Seiende nachdenkend, löste, waren sie sämmtlich uran-
fanglich durch den Gedanken im Bau der Glieder und
Organe gelöst. Und nun ist die menschliche Vernunft
nicht mehr sich selbst Fremdling, sondern in der bewussten
Notwendigkeit, in der das Relative und Endliche durch-
waltcnden Vernunft erkennt sie froh und begeistert sich
selbst wieder. „Sic ist nun nicht mehr wie eine schwäch-
liche Consonanz, die unfehlbar im Brausen des Meeres
und Windes untergeht, sondern wie ein Einklang in eine
grössere Harmonie. Alles Erkennen ist nun die ver-
trauensvolle Tat, die dem Gedanken nachschafft, alles
Wahrnehmen ein Lauschen auf seine Offenbarung, alles
Denken ein Nachdenken" '). Auch ist zu dem Gedanken
Alles geschaffen. Der Gedanke schwebt dem Werden vor.
Zu ihm soll im gedankenvollen Werden das Sein hinan.
Dem idealen Entwürfe soll die reale Nachweisung ent-
sprechen. Die vorleuchtende Einheit wird der zerstreuten
Vielheit Impuls, zu schönerer Einheit der Harmonie sich
zu erheben. Die Welt und was darinnen ist, beginnt und
endet im Gedanken. Die organische Weltansicht läuft
so in die Idee aus. Der Zweck, eine ideale Kategorie^),
sein Gedanke als das ideale Prius führen dahin, den Be-
griff der Sache in der Bestimmung des Organischen, in
der Bedingtheit durch ein Ganzes, in der Beziehung auf
ein Gewolltes, im Streben nach einem Höheren, zuletzt
im Lichte des Unbedingten d. i. eben als Idee zu er-
kennen. Unser Erkennen, nur aus einem Stücklein der
Welt stammend^), dazu in Bezug auf dies Minimum des
zu Wissenden noch Stückwerk, entwirft nun mit der hellen
') n, 463. 2) n, 487. 3) n, 417.
m^ 138 <2x^
Fackel der Anschauung des Ganzen aus dem Teilchen
und Bruchstück die darin bildende Idee. ^Wir schauen
nun die Natur mit aufmerksamerem Auge und lauschen
der offenbarenden Geschichte mit empfänglicherem Ohr.
Das Sein und jede Entwickelung des Seins ist nun ein
Blick des Geistes. Die Dinge oder Wesen sind nun die
in ihren Producten angeschaueten Entwickelungsstufcn der
Einen unendlichen Tätigkeit — die gleichsam aufgehaltene
oder verweilende (ewige) Idee". (Berger)'). Die organische
Weltansicht fasst endlich die Idee in Gott. Der welt-
durchdringende Zweck, der schöpferische Gedanke, all-
mächtig vom Anfangt), die freie Schöpfung aus dem
Zwecke^) ist ohne den Geist Gottes nicht zu verstehen^).
Die Welt, von der Zweckidee durchwaltet, ist ein Bild
Gottes. Das schöpferische Verfahren der Natur ■) tut
göttliche Macht und Weisheit kund. Die Formen des
den Zweck aufsuchenden und den gefundenen entwerfen-
den und durchführenden Gedankens sind die Schriftzeichen
Gottes^). Schon das Buch der Weisheit rühmt: „Du Lieb-
haber des Lebens, dein unvergänglicher Geist ist in allen".
Die Harmonie des Bedingten durch den weltbeherrschcn-
den Zweck ruht im Unbedingten'). Die Zweckbeziehung
im einzelnen Dasein weist auf den unbedingten welt-
durchdringenden Gedanken hin. Die blinde Macht der
Substanz erhebt sich zur schöpferischen Weisheit, indem
an und in ihr die unbedingte Verwirklichung der Ver-
nunft sich vollzieht. „Die Welt ist vernünftig und die
Vernunft ist wirklich". Da der weltbeheri sehende Zweck
nur durch die Einheit von Gedanke und Kraft ist, so
verbürgt das zweckbeherrschte All der Welt den unbe-
dingten allmächtigen Gedanken. Obwohl der Zweck erst
') II, 468. *) II, 262. 3) I, 64. ") II, 467. ») n, 356. «) U, 138.
') n, 433.
'^ 139 e^
im Eelativen und Bedingten, in der Entzweiung zur Tätig-
keit kommt, ist er dennoch insofern auch im Unbedingten,
als letzteres, gleichwie im Ethischen die Substanz zur
Person sich steigert, die absolute Persönlichkeit ist, welche
denkt und will, beides eint, in diesem Geeinten dem Be-
dingten das Soll, den Dingen ihr "Wesen, dem Werden
seinen inneren Zweck giebt (s. o.)^), und welche eben
darin ihre Freiheit in Alles erkennende Weisheit und
allerschaffende Liebe ausbreitet. So offenbart sich uns
die moralische Weltordnung. Das Göttliche der freien,
wenn nötig opferfreudigen Hingabe an den Zweck soll
nun in uns Gestalt gewinnen. Wenn wir nicht blindlings
und im Widerspruch denken und handeln wollen, so muss
unser begreifendes Denken und freies Handeln ganz und
durchaus im Unbedingten ruhen. (Fichte.) Denken wir
dann im Zwecke ethischer Bestimmung den unbedingten
Grund unseres Daseins, so denken wir den göttlichen
Willen. Gott, der den Zweck setzt und erhält und in
dem dieser ruht, ist geistig und frei und Quelle der Wahr-
heit und des Heiles^).
So steht denn der Zweck, im Steigen der Stufen,
welche am Sein, an den Grundbegriffen wie am Grund-
princip desselben erscheinen, immer lichter hervortretend,
aus der Vorbereitung wachsend in die Erfüllung gelangend.,
zuletzt und zuhöchst die organische Weltansicht ergebend,
im genauen Zusammenhang mit dem System Tr.'s, und
gerade dieser Begriff ergiesst über die fernen Anfänge,
den verschlungenen Fortgang, den tiefsinnigen Ausgang
des Ganzen das klärendste Licht.
') n, 441. 2) n, 433 f.
Es muss eine anziehende Aufgabe sein, nunmehr in
einem Resuiii(3 den Ertrag des Ganzen dieser unserer
Teil-Ausführungen aus dem Reichtum des von Tr. Dar-
gelegten zusammenzuschauen. Wir betrachteten aber aufs
Erste den Inhalt des Zweckbegriffes, gaben Analysis
desselben nach seinen Merkmalen, gruppirten diese, aber
untersuchten sie auch im Einzelnen. Da zeigte eich denn
der Zweck zunächst als ein Factum der "VVclt. Er for-
derte in seiner Tatsächlichkeit sodann Vielheit und Ent-
zweiung, das Entzweite zu neuem Ganzen zusammen-
zufügen. Dies Ganze aus dem Zweck erwies sich als
in ihm praestabilirt. Es beruhte dies im Gedanken, der
im Zweckgeschchen wesentlich inbegriffen ist. Der voraus-
schauende Gedanke wird mit den Kräften der im Zwecke
in der Umkehrung erscheinenden wirkenden Ursache eins,
erlangt so Kraft und Macht und wird Tätigkeit. Inso-
weit als diese Tätigkeit die Materie ergreift, besondert
sich letztere zu Stoff und Mittel. Indem der verwirklichte
Zweck wieder Mittel zu frischer Zwecksetzung wird, er-
geben sich Unterordnung, Conscquenz, überhaupt Reihen
der Zwecke. — Wir erwogen hierauf zum Zweiten die
Begründung des Begriffes. Der Zweck bewies und
verkündete sich zuvor selbst. Das Organische ist sein
unumstösslicher Tatbeweis. Diesem directen Beweise trat
der indirecte bei. Es offenbarte sich zwingende Not-
wendigkeit, die blind wirkende, gegenüber Erscheinungen
des organischen Lebens ohnmächtige Ursache einem
Höheren, nämlich dem Zwecke zu unterwerfen. Die
Sorgfalt und das Zarte, die klare Intention des organi-
sirenden Schaffens weisen das Ungestüm unbeherrschter
Kräfte entschieden von sich ab. In der Unmöglichkeit
des Gegenteils, nämlich des hierin zureichenden Causalen,
lag der Nerv und die Stärke des indirecten Beweises.
'H<3 141 ex'
Eine weitere Begründung des Zweckbegriffes wurde im
Logischen des realen Verhältnisses zwischen Denken und
Sein gegeben. Es fand sich ein Gemeinsames beider, die
Bewegung, das Elementarste und Grundgeschehen der
äusseren wie inneren Welt. Da nun der Zweck im Sein,
wie direct und indirect dargetan, da im Sein aber Be-
wegung ist, so haben wir in ihm zweckentwerfende Be-
wegung. Da ferner Bewegung nicht minder im Denken,
welches selbst Zwecke setzt, so kann dieses jenen im
Sein vorbildenden Zweckgedanken nachbilden. Der Ge-
danke hier erreicht das Seiende dort, eben weil letzteres
vom Gedanken getragen und durchwirkt ist. Darum ist
der Zweck aus dem Sein im Denken und durch das
Denken im Sein. — Die vierte Argumentation endlich war
diejenige von der metaphysischen Seite. Wie der Zweck
im Sein werde, ist zwar nicht aufzuhellen, sowenig der
Grund des Gesetzmässigen der Causalität durchsichtig ist.
Allein wir können uns doch dem nähern, den im Be-
dingten erscheinenden Zweck so in das Unbedingte zu
gründen, dass er Ausprägung des unbedingten Willens
und Immanenz des Absoluten wird. — Der dritte Teil
unserer Untersuchung beschäftigte sich mit der Wider-
legung der Gegengründe. Der erste Gegner der Teleo-
logie, Empedocles, konnte das Constanteund das Mass der
Verhältnisse der Bildungen nicht erklären. Bacon, den
Zweck dem Physischen entrückend, beraubt ihn seines
lebendigen Inhaltes, will aber dennoch Gottes Weisheit
aus ihm leuchten sehen, und läugnet mit Unrecht die
Fruchtbarkeit des Zweckprincipes. Spinoza, der im
Absoluten Denken und Ausdehnung statuirt, aber trennt,
kommt in seinem dürren Formalisnms über das causal
Mechanische nicht hinaus ; einseitig mathematisch operirend,
beobachtet er nirgends die lebendige Natur und das Or-
'1^9 142 G^
gallische; indem er das Ethische dem Mathematischen
unterwirft, Gutes und Böses nur intellectuell fasst, hebt
er die sittliche Verantwortung auf. Kant begreift den
Zweck als lediglich Subjectives, während doch die Dinge
selbst in der Fülle ihrer eigentümlichen Gestaltung dem
Zweckbegriff antworten und das Wesen der Sache in ihm
das Entscheidende ist ; er nimmt die Natur äusserlich und
schematisch, verneint desshalb für sie den Zweck, obgleich
die tiefere Innerlichkeit derselben den inneren Zweck wohl
besitzen kann; er irrt weiter, wenn er den Zweck bloss
als regulatives Princip gelten lassen will, da er doch
constitutiv und schöpferisch wirkt; es ist ebenso zurück-
zuweisen, dass der Zweck als ein Princip mehr, als neues
Princip der Naturerklärung beizubehalten sei, da ein neues
Registriren und Verzeichnen der Dinge die Erkenntnisse
nur verwickelt, aber nicht vereinfacht. Hegel will zwar
im Chemismus den Zweck als ein Objectives nachweisen,
jedoch bleibt ungelöst, ob es auch möglich sei, dass in
der Centralität des Mechanismus das Centrum zum Chemis-
mus gegenseitiger Erregungen sich entzweie; sodann kann
die Wechselwirkung der Kräfte der chemischen Stoffe
auch causal sein; weiterhin sind Zweck und Mittel im
Endlichen und real nicht identisch; femer kann der Be-
griff, iu's Object versenkt, nicht das ideale Prius sein, und
ebensowenig vermag er, als Wahrheit der durch ihr Bei-
sich-B leiben in den Accidenzen formal machtlosen Sub-
stanz selbst inhaltsleer, den Inhalt des Daseins zu be-
stimmen; endlich ist der äussere menschliche Zweck, ob-
wohl nicht von gleicher Tiefe wie derjenige in der Natur,
dennoch keine Willkür, sondern Ausprägung der inneren
geistigen Bestimmtheit, so dass insgesammt die Zweck-
deductiun bei Hegel abzulehnen ist. Schopenhauer
lehrt, dass der physische Zweck nichts sei als Ausdruck
mis 143 Q^
des mit sich selbst übereinstimmenden Willens, indess
wäre dieser Wille kein ungeteilter, denn er müsste sich
zum Uebergehen in seine Objectität fortwährend besonderen
und rücksichtlich der Objectität als Erkennbarkeit für uns
vorher insoweit in Raum und Zeit sich fügen, und ein
so Geteiltes kann das Ungeteilte, Harmonische, Zweck-
volle nicht hervorbringen; wenn die Teile der Natur sich
einfach suchen und finden, so ist darin das Treibende
causal, das Verknüpfende final; auch als Abbild der un-
zeithchen Idee kann das im Siege über die Zeitfolge be-
stehende Zweckmässige nicht sein; der Wille, gmndlos
und blind, ist unfähig, Gesetz und Vernunft im Zwecke
zu wollen. Insonderheit aber rücksichtlich des Ethischen
ist Schopenhauer auf verhängnissvoller Fährte. Wenn
nur das Esse frei, das Operari aber unfrei ist, so ist das
sittliche Handeln lediglich Mechanismus der Notwendigkeit,
und da das Esse im Willen zum Leben aufgeht, so ist
das Leben des Menschen nicht mehr als Resultat aus
diesem Princip. Dann ist der Mensch kein Tuender,
sondern ein Getanes, Schauplatz der Causalität. Es wären
so Gutes und Böses indifferent, die Schuld aufgehoben,
das Verbrechen sanctionirt. Aber das sittliche, mit der
sinnlichen Lust Kämpfende, in Zweckunterordnung den
letzten Zweck anstrebende Handeln kann nimmermehr an
die Kette starrer Notwendigkeit geschmiedet und die
Gewissensverantwortung darf nie freigegeben werden.
Darwin endlich gründet seine Theorie physischer Cau-
salität auf Erblichkeit, Kampf um's Dasein und natür-
liche Züchtung, aber die im Grunde ihrer Gesetze uner-
klärte Erblichkeit ist gehalten vom Zwecke, der in der
Wirkung sich behauptet, und setzt sich zusammen aus
Reihen von Zwecken; der Kampf um's Dasein zeigt un-
widerlegUch den Zweck der Selbsterhaltung des Indivi-
1^ 144 Q^
duums wie der Differenzimng der Gattung; er beweist
grossartige Unterordnung der Einzelzwecke unter den Ge-
sammtzweck; in ihm wird der Zweck Mittel, das Mittel
Zweck; es ist daher Differenzimng aus dem Zwecke an
Statt desselben zu setzen; die natürliche Züchtung gar
ist greifbares Zweckgeschehen, denn sie will Verwirk-
lichung des Selbstzweckes durch den Teilzweck des Voll-
kommneren; Abänderung, Anpassung, Bewaclmng und
Bewahren offenbaren das Ganze vor den Teilen; Teilung
der Arbeit zu Förderung und Hemmung, Ausgleichung
übermässiger Vermehrung tun Umkehrung von Ursache
und Wirkung kund; zielgewisse unendhch kleine Mo-
dificationen durch ungemessen lange Zeiträume verraten ein
grossartiges Planen in der Energie der Einheit von Ge-
danke und Kraft. D. giebt selbst zu, dass der Zweck
die Organisation durchwalte. Er erklärt Wirkung, aber
nicht Wesen des geheimnissvollen thierischen Instinctes.
Dem Menschen Zwecktätigkeit zuerkennend, aber sie der
höheren Meisterschaft der Natur unterordnend, steht er
mit sich selbst im grellsten Widerspruch, da er sonst der
natura naturans (welche ihm und seinen Anhängern aus
einem Bilde zur Sache wird) nur Causalität zuspricht.
So weisen seine Principien und auch die Annahme einer
Urform allseitig auf den Zweck, zuletzt auf den göttlichen,
hin. — Zum vierten versuchten wir, Entfaltung und Be-
grenzung des Reiches des Zweckes darzustellen. Es ge-
schah dies zuerst modal, dann real, auf beide Weise aber
zugleich in Ansehung der Zweckbeschränkung. Der Mo-
dalitäten nächste war diejenigees Grün des der Sache,
gemäss welchem das Erkennen der Welt aus dem Zwecke
möglich und von weittragender Bedeutung ist. Hierauf
entwickelten wir, dass das Mögliche, das am Grunde
der Sache Fehlen''-?, als äusseres die Verschiedenheit der
1113 145 '^^
Mittel zu einem Zwecke, als inneres das Werden und
Wesen des (inneren) Zweckes constituire. Das Bedürfniss
im Möglichen nach einem Anderen, Begehren des Ganzen
nach Ergänzung seiner noch fehlenden Teile, ergab die
Potenz. Die Unmöglichkeit des Gegenteils oder das nicht
zu Denkende, die Notwendigkeit, in der Gemeinschaft
des Denkens und Seins beruhend, wird von dem Zweck-
gedanken zur Wirklichkeit seines Reiches insoweit er-
griifen, als in ihm das Denken als Erstes die Gestaltung
des Seins fordert, indem jenes sich frei bestimmt, alle
Mittel verwertet, jeden Teil zum Ganzen völlig ausprägt,
dabei das dem Gedanken Widerstrebende, die Zweckver-
wirklichung Hemmende, d. i. das Gegenteil als Unmög-
liches, zurückweist. Das Allgemeine ferner, aus dem Not-
wendigen als dem einenden Punct im Denken und Sein
hervorgehend^ alle Bedingungen des zusammenfassenden
Grundes bekundend, erscheint am Zwecke vorerst in der
Ausdehnung desselben in die breite Fläche des Seins, führt
aber sodann in die Besonderung und Wirklichkeit des
Zweckgeschehens. Weiterhin baut der Zweck sein Reich,
wenn er das die Erscheinung vor der Erscheinung be-
stimmende Allgemeine, das Gesetz, welches er selbst ist,
in Ordnung, Beherrschung des Geordneten, zielgewisser
Führung der beherrschten Ordnung zum Ausdruck bringt.
Das ganz Besondere, Fremde und Undurchdringliche so-
gar, das Zufällige, muss dem Zwecke dienstbar sein, so-
bald es, überdies unfähig, das Innere des Zweckes zu
stören, von demselben einbezogen und mitverwendet wird.
Nach der Realität aber erschliesst und erfüllt sich das
grosse Zweckreich, insofern der Zweck als Factum die
Welt zum Mittel macht, die Kräfte der wirkenden Ur-
sache in sich aufnimmt, und als Zweckursache das Or-
ganische schafft. Es herrscht der Zweck, wiewohl von
10
'^^ 146 ?-^
aussen kommend, auch im Mechanischen, die unterschied-
lichen Tätigkeiten desselben zur Gesammtwirkung einend,
UeberhauptistdieEinheitinderVielheit,Vorherbestimmung
der Teile, Bindung und Leitung des Werdens, eine be-
deutsame Offenbarung des Zweckgedankens. Im Zwecke
erhöhen sich die Teile zu Gliedern, die aus dem Ganzen
kommen, in ihm bestehen, zu ihm streben. Diese Glieder
stehen in inniger Wechselwirkung zum Ganzen wie unter
einander. Aus der AVechselwirkung, dem An-, Mit- und In-
einander der Teile entspringt die Kraft, Erzeugung eines
Neuen, Activität im Zweckgedanken, mit der Tendenz der
Zweckverwirklichung. Kraft zu Kraft ist Tätigkeit, hier
sinnvolle, gerichtete, temperirte, reflexive, gegliederte.
Wie die Qualität in den Tätigkeiten, so wird auch die
Quantität durch den Zweck vollendet und zwar zur ab-
gewogenen Bestimmtheit, zum Niveau des Mittleren, zur
Modification der Grössenverhältnisse im einheitlichen, ab-
geschätzten Zusammenschluss der Elemente. Quäle und
Quantum, so vom Zweck erhöht, ergeben die organische
Materie, die dem übergeordneten Zweckgedanken leibhches
Dasein leiht und Gefäss seines Inhaltes wird, und welche
steter Differenzirung oder Organisation aus der Indifferenz
gleichkommt. Die äussere Erscheinung der organischen
Materie ist die von innen werdende, vom Gedanken er-
zeugte organische Form. Aeusseres und Inneres werden
so im Zwecke vortieft. Aus dem innewirkenden Denken
entsteht Ordnung, durchgehende Bezogenheit der gleich-
artenden Teile des Ganzen, femer das Mass, die innere
Berechnung, die durchgreifende Norm. Aus Mass und
Ordnung wird die Wahrheit als vollkommne Erfüllung der
Teile zum Zwecke des Individuums innerhalb der Congruenz
zur Gattung als dem höheren Zweck. Ihr verwandt
ist die Schönheit, in der Relation des inneren Zweckes
'V^ 147 '2X--
auf den Anschauenden und im unmittelbaren Erfassen des
äusseren Zweckes bestehend. Ist liiernach bereits das
Reich der Zwecke als gross und mächtig offenbar, so
strahlt es im Vollglanz seiner Herrlichkeit durch das
Ethische, in welchem die letzte Einheit des Mechanisch-^n,
der lebendige Mittelpunct im Organischen zum Selbstdenken
und Selbstwollen in Kraft des frei und rein über Wechsel
und Wandel der Tätigkeiten, Zustände und Vorstellungen
schwebenden Selbstbewusstseins werden. Des Menschen
Denken durchdringt seine Zwecke. Der richtende Zweck
in ihm ist die innere Bestimmung und diese seines Lebens
Wert, Grund und Krone. Der innere Zweck entfaltet sich
in des Geistes Macht zur weitgehenden Verzweigung des
Handelns, Ausdehnung des Wissens, Allseitigkeit des
Wollens. Es wird der Teilzweck des Sinnlichen unter-
worfen dem Gesammtzweck, zumal dem Endzweck. So
wird der Zweck in Wille und Freiheit des Menschen per-
sönlich. Und derart reifen aus dem Zwecke erhabene
Tugenden, als da sind Weisheit, Liebe, Besonnenheit, Be-
harrlichkeit, Gehorsam, Gerechtigkeit, zuletzt alle um-
fassend sittliche Schönheit. {KaXo'Kaya^ia s. Tikuörrig.)
— Verschwindend ist gegenüber diesem grossen und
schönen Reiche des Zweckes die bezügliche Beschränkung,
denn die spröde Materie wird durch den Zweck dennoch
fortschreitend vergeistigt, die starre Notwendigkeit zu-
nehmend mit dem Leben des Geistes beseelt, das unbe-
rechenbare Zufällige wachsend zur Mittelschaft herange-
zogen. Und in die entgegenstehende wirkende Ursache
geht der Zweck ein und nimmt sie in sich auf. Sein
Wurzeln im Metaphysischen endlich, das Ruhen in Gott,
ist vielmehr unendliche Entschränkung , unermessliche
Erweiterung seines Reiches und erhabenste Vertiefung
seiner selbst zum Göttlichen überhaupt. — Der fünfte
10*
nK9 148 QÄ^
Teil unserer Untersuchung bezweckte die Aufhellung des
Verhältnisses, in welchem der Zweckbegriff zum Ganzen
des Systems Tr.'s steht. Wir bemerkten hier zuvor,
dass dies System mit einer Menge von allgemein logischen
Deductionen zunächst zwar wie verhüllt sei, aber dann
im Verfolge der durchgehenden Grundinitiative um so
gefestigter und lichtvoller sich herauskläre. Hierauf er-
kannten wir als Wesen des Systemes insgemein, dass es
nach der Einheit eines Ganzen der Erkenntniss hin
sammle, sichte, richte, gliedere und Erscheinungen decke,
und fanden, dass hiermit im Besonderen Tr.'s Darlegungen
als systematische einstimmen. Das Durchwalten des
Zweckprincipes aber erwies sich aus den Abstufungen
des Seins. Das Mathematische, Figur und Zahl, ist als
in Rücksicht eines vollkommenen Ganzen Unfertiges nur
Ahnung des Zweckes, das Physische, obwohl lebenerfüllt,
gesetzmässig und kraftdeterminirt, ist höchstens An-
bahnung des Zweckes; das Organische aber, Beseelung
der starren Materie, Vergeistigung der blöden Natur,
zeigt den vollen Zweckgedanken; das Ethische zumal
weist eine neue Welt persönlicher Zweckverwirklichung
auf, die der Mensch aus seinem eigenen Busen nimmt.
Aehnliche Stufen zu dem Zweck hinan finden sich an
den Grundbegriffen des Seins, so an dem des Ganzen
(abstract — concret — praeformirend — frei)^ des Not-
wendigen (consequente Bestimmung der Sache — der
Kräfte — des Gedankens — des menschlichen Wesens ^)^
des Teiles (Quantum — Quäle — notwendiges Glied — freies
Glied), des Masses (äusseres — inneres — specifisches —
persönliche Tugend) und der Eigenschaft (Möglichkeit neuer
Bewegung — Causalität — CentraUtät — Tugenden).
') n, 413 ff.
019 149 Q^
Abstufung zum Zwecke ist gleichfalls am Stammbegriff
der Bewegung evident, indem dieselbe, im Anfang ein-
fach und leer, weil die ursprüngliche, verbreitetste und
elementarste Tätigkeit, dann sich besondert und im Pro-
ducte begrenzt, und so die bestimmende Macht der
wirkenden Ursache mit der Richtung des "Woher dar-
stellt, schliesslich aber im Zwecke und in der Richtung
des Wohin die höhere Einheit erstrebt und bewirkt, die
wirkende Ursache umkehrt und verklärt, das Besondere
regirt, das Differente specifisch differenzirt, das "Werden
bewacht, die Ausführung beherrscht, und die Teile zum
Ganzen kräftig, weil in der Kraft des Causalen, und
innig, zufolge des einwohnenden Gedankens, zusammen-
fügt. Derart resultirte nun die organische Weltansicht,
angedeutet, ja gefordert von der physischen, in welcher
das Mathematische in den von ihm zusammengehaltenen
Massen doch Mittel für das Dasein des Lebens imd
Geistes zeigt, das Materielle, gleichförmig fliessend und
blind mächtig, Durchleuchtung mit dem Gedanken er-
heischt, und über welche das Organische, central, inner-
lich, gedankenlicht, hinauswächst, das Ethische vollends,
frei persönlich, weit sich erhebt, und die einseitig in der
Betrachtung des Teiles beharrt; jene also die geistige,
die Ansicht des sich verwirklichenden Geistes, im Ge-
danken, durch welchen, in und zu welchem alle Dinge
sind, wurzelnd und gipfelnd, dann in die Idee sich er-
hebend, endlich aber und zuhöchst wie zutiefst Stern
und Anker gewinnend im Unbedingten, in Gott dem
ewigen Geist, dessen Macht, Weisheit und Liebe und
wesenseiniges Denken und Wollen das Soll des Bedingten,
den inneren Zweck des Werdens, das Wesen der Dinge
setzt und erhält.
Zum Beschlüsse dieser Zusammenfassung characteri-
'i^ 150 Q^
siren wir noch kurz die Stellung Tr.'s zu Plato,
Aristoteles, zur Stoa und zum Neu-Platonisnius, zu Car-
tesius, Locke, Leibniz, Fichte, Schelling, Herbart und
Schleiermacher und dies insgesammt bezüglich der Teleo-
logie, nicht aber in Hinsicht auf die ganzen Systeme hier
wie dort. Plato's Idee nun, von diesem nur still-
schweigend mit dem Zwecke erfüllt '), wird von Tr. aus-
gesprochener Massen und in vorwiegender Weise durch
den Begriff des Zweckes vertieft. „Die Idee ist der
Begriff der Sache, in der organischen Bestimmung eines
bedingenden Ganzen erkannt." Als solche ruht sie in
der ewigen Macht des Geistes, denn die durchgehende
Bestimmung des Ganzen ist ein Geistiges und Göttliches.
So aber sind die Dinge oder Wesen die gleichsam ver-
weilende ewige Idee, die Idee im höchsten und er-
habensten Sinne. -) Aristoteles führt den Zweckbe-
griff als Princip der Philosophie ein ^) (s. o.). Er ver-
sucht, die einzelnen Teile und Tätigkeiten des thierischen
Lebens als aus dem Ganzen notwendig bestimmt dar-
zutun*); er zeigt im Organismus, welcher, in der j^eu-
erzeugung sich teilend, zugleich darin erhöht und ge-
stärkt in sich zurückkehre, das Constante der Gattung
und den Zweck der fernen Zukunft •') ; er setzt das Ganze
als den Teilen voraufgehend '^), er nennt die Wirkung des
Zweckes auf den Stoff das aus der Voraussetzung Not-
wendige ''). Allein er deutet die Grundtatsache der In-
version des Causalen im Zweckgeschehen eben nur an ^),
und zumal der Gedanke, das A und 0 im Grunde der
Dinge, ist von ihm nicht hervorgehoben. Es fehlt die
Durchbildung des Principes in Ansehung der Bewegung im
Allgemeinen wie der wirkenden Ursache in ihr insbesondere,
»> TT, 39. ») IL 466 ff. ^) II, 39. *) II, 8. ») 11,15. ") 11,21.
■') II, 32. «) n, 23.
ferner die Klärung des Verhältnisses zwischen Denken
und Sein, die Aufhellung des Gemeinsamen ; es wird ver-
misst die scharfsinnige Abstufung des Seins nach dem
Zwecke hin aus dem Reichtum der Kategorien. Tr.
knüpft wohl an Aristoteles an — und wo wäre ein
Philosoph unberührt von der geistigen Errungenschaft
vorausgehender Entwickelung? — aber im Grand und
Ziel, im Auf- und Ausbau seines Systemes wahrt er auch
gegenüber Aristoteles seine volle Selbständigkeit. "Wenn
die Stoiker im Zwecke ihre Lehre von der Einheit der
Providenz begründen, so ist unserem Forscher der Ge-
danke als Grundlage der Dinge die Providenz selbst (s. o.),
und indem er den Zweck, der die Kjäfte bindet, das
Werden determinirt, das Geschehen leitet, die Materie
vergeistigt, die Natur verklärt, das Ethische vergött-
licht^), zur organischen Weltansicht durchbildet, wird
letztere ihm „die Yerallgemeinerung dessen, was in der
christlichen Sphäre als in der höchsten Spitze erscheint^)."
Plotin, der Hauptvertreter des Neu-Platonismus, lehrt
zwar, dass die Bewegung des (ruhenden) Seienden der
Gedanke (vorjöug) sei ^), allein er ist weit davon entfernt,
dies im Sinne des Constitutiven und Schöpferischen durch-
zuführen. Cartesius trennt Ausdehnung und Denken,
Leib und Seele, da das jedesmalige Eine dieser Zwei-
heiten für sich klar und deutlich durch logische Abstrac-
tion gedacht werden könne *) ; er verneint daher die Be-
wegung als Gemeinsames im Denken wie im Sein, somit
aber hat in seinem System nicht Raum der Zweck, wel-
cher die Bewegung des Gedankens im Sein darstellt und
in welchem unser Denken dem Sein bewegend sich ein-
wirkt. Die praestabilirte Harmonie, welche nach L e i b -
») II, 436. 2) ex; n, 463 f. ä) ], 236. *) I, 317 f.
'^^ 152 (^
niz das Reich der ]^atur wie der Sitten verknüpft '),
tritt bei Tr. in der Lehre von der Congruenz der Teile
mit dem Ganzen und von der wesensinnigen Inhaerenz
derselben eigenartig auf; und während jener den Zweck
in dem organischen Leib so andeutete, dass er letzteren
auch in seinen kleinsten Teilen als Maschine hinstellte
(machinae naturae h. e. corpora viventia), wobei er frei-
lich zugleich die individuellen Monaden mit im Sinne
hatte ^), erweist Tr. principiell und ist ihm neben dem
Ethischen der Höhepunct seines Forschens, dass im Or-
ganischen insgesammt der Zweckgedanke wohne und
wirke, bilde und baue. Mit Fichte, der wider Hobbes
und Locke das Ethische dem von diesen gelehrten
Parallelismus mit dem Mathematischen in grosser Geistes-
tat entreisst und auf immer entrückt, weiss Tr., im
Ethischen die höchste, weil frei-persönliche Yerwirk-
lichung des obersten Zweckes, nämlich der Idee der
menschlichen Wesenheit, erblickend, sich eins, und mit
unverkennbarer Genugtuung hebt er aus Fichte's Pflicht-
deductionen die vollwichtigen Sätze hervor: „Unsere
Pflicht ist das Gewisseste. Unsere Welt ist das ver-
sinnlichte Materiale unserer Pflicht; dies ist der wahre
Grundstoff aller Erscheinung. Fröhlich und unbefangen
vollbringen, was jedesmal die Pflicht gebeut, ohne Zweifeln
und Klügeln über die Folgen, ist das eigentliche Glau-
bensbekenntniss." In der Vorraussetzung des Göttlichen
wird jede unserer Handlungen vollzogen^); allein die
Culmination des Teleologischen im Sittlichen, wonach es
Zwecke fordert, die es ordne, Verhältnisse, die es ge-
stalte und wodurch es als das bedingte Soll aus dem
Unbedingten, als innerer Zweck aus dem Willen Gottes
') U, 6. M II, 125. =') I, 320 f. n, 435 f.
n^9 153 Q^
sich offenbart: dies dargetan und weithin aufgehellt zu
haben, ist ein besonderes Verdienst Tr.'s. Wenn Schel-
ling in seiner ersten Epoche die Identität von Sein und
Erkennen aus der Selbstbejahung des Seins, welches
letztere dann mit dem Wissen eins ist, in kühner An-
schauung, aber schwacher Begründung behauptete — in
schwacher Begründung, denn Selbstbejahung ist hier nichts
als Metapher, und das Sein aus und an sich kann auch
als blind genommen werden — so folgt, dass jedes Ding,
in seinem wahren Wesen gefasst, mit völliger Gleich-
gültigkeit als eine Weise des Seins und Selbsterkennens
begreiflich würde '), wogegen Tr. nachdrücklich betont,
dass das Identische erst aus der Bewegung, welche dem
Unbewegten, oder aus dem Veränderlichen, das dem sich
selbst Gleichen entgegengestellt werde, entspringe; dass
im Denken und Sein als Gemeinsames die Bewegung,
beides aber unter sich nicht gleich sei, sowie dass das
Soll im Bedingten, der innere Zweck der Dinge, eben
als Differenzirung aus der Indifferenz des Unbedingten
Geltung, Inhalt und Bestand habe, wie denn auch der
spätere Schelling nicht umhin konnte zu lehren, dass
Gott einen Teil von sich (eine Potenz) zum Grunde und
dadurch die Creatur möglich mache, diesem Realen aber
das Ideale übergeordnet behaltend, woraus nun universell
hervorgeht, dass das Ideale Voraussetzung des Realen,
der Gedanke im Grunde der Dinge die Bedingung der
Wirkung in den Dingen, der Wille Gottes der nie ver-
siegende Quell des Gedankens, der die Welt beherrscht,
und an welchem allein unser Geist sich nährt und ent-
zündet, immerdar ist und bleibt. -) Dieser Annäherung
zwischen Seh. und Tr. steht in Ansehung des Sittlichen
') II, 446 flf. *) U, 487 f.
^i^9 154 <2X-
freilich der fundamentale Gegensatz zur Seite, dass jener
platonisirend das Wesen des Menschen als seine eigene
Tat, sein Ur- und Grundwollen setzt, in dieser intelli-
giblen Freiheit jedoch das inzeitliche, in dieser Welt
seinen Boden und Schauplatz besitzende sittliche Handeln
zum blossen Zusehen, zur äusseren ^Notwendigkeit herab-
drückt, Besserung und Verschlimmerung zum Schein
macht, Sinnesänderung, mit dem Ruf zu welcher das
Evangelium anhebt, völlig preis giebt ^), während da-
gegen Tr. es scharf herausstellt, dass wir uns der zeit-
lichen Freiheit des ethischen Tuns bewusst sind mittelst
der Yerantwortuug -) und derselben auf Grund des Sitten-
gebotes auch fähig sein müssen. ^) Herbart kann zu-
nächst bei seiner Construction der Materie des Begriffes
der Bewegung nicht entraten, denn wenn die Materie
auf dem Räume ruht, dieser aber im Zusammen besteht,
wenn sie ferner dann so herauskommt, „dass je zwei
oder mehrere Elemente ein Gleichgewicht der Attraktion
und Repulsion geben müssen," so ist in jenem Zusammen
und in diesem Zusammenhalten Bewegung. '^) Ebenso-
wenig reicht es zu, die praktische Philosophie auf die
Ideen der inneren Freiheit, der Vollkommenheit, des Wohl-
wollens, des Rechtes und der Billigkeit als auf Form-
begriffe, welche harmonische oder disharmonische Ver-
hältnisse der Begehrungen beherrschen, zu gründen, denn
das Harmonische der Erscheinung ist hierbei nicht Ur-
sache, sondern Wirkung und Folge eines tiefer liegenden
Grundes; es „muss im Sittlichen die Form der Harmonie
aus dem Inhalte der Idee entspringen, aber nicht um-
gekehrt der Inhalt der Idee aus der Form der Har-
monie;" das harmonische Aeussere entreift der inneren
») U, 100. 2) II, 105. ') n, 93. ••) I, 260 f.
'^19 155 Q^
Bestimmtheit aus der Zweckbestimmung des menschlichen
AVesens. ') Die Erziehung kann und darf diese edlere
Ethik des inneren Zweckes und die daraus hervorgehende
ideale Bestimmung keinesfalls vermissen lassen. Ge-
nerell aber rügt Tr., dass in Herbarts Metaphysik, welche
das Seiende als schlechthin positiv, einfach, ohne Ver-
neinung und Relation, jede Grössenbestimmung abweisend
und auch die Bewegung ausschliessend fassen wolle, der
Zweck fehle, „der die Vielheit zur Einheit begreift, und
somit der eigentliche Halt für die Einheit sowohl im
Einzelnen als im Ganzen" wird und dass, wie jene fünf
Ideen zuletzt im psychischen Mechanismus wurzeln, so
die angebliche Realität des absolut Gegebenen in idea-
listischem Scheine, weil die Bewegung negirend, endet. ^)
— Schleie rmacher lehrt gleich Schelling Identität
des Denkens und Seins, indem er das Absolute allem
Wissen und Wollen voraussetzt und dasselbe als Subject-
Object nimmt, weil es weder als Wissen das Sein, noch
als Sein das Wissen ausser sich habe; er bezeichnet
sodann dies Absolute, ähnlich wie Herbart, als schlecht-
hin gegensatzlos, weil in ihm reales Ineinander von Wissen
und Sein, Idealem und Realem, Geistigem und Ding-
lichem, Gedanken und Gegenstand beschlossen sei. Allein
dies völlige Gleichgewicht ist kein Punct der Ableitung
und Folgerung und auch kein Ziel des Handelns, ent-
gegnet Tr. ; und weiterhin könnte jenes Ineinander eben-
sogut in der Unterordnung des Realen unter das Ideale
angeschaut werden; die totale Unbestimmtheit und In-
differenz ist nur leere Formel. Das Bedingte als Be-
») n, 89 f. R, 39 ff. 1, 338 ff. ^j II, 475 f. Uebcrhaupt 2, 313 ff.,
besonders p. 341 ff. : Die Isolirung der Vielheit des Realen sei
ebenso unstatthaft und müsse zur Umgestaltung in ein aus der
Einheit des Gedankens entspringendes Ganze fortschreiten.
s^ 156 <2^^
stimmtheit weist auf das Bestimmende, „auf die be-
stimmende Macht des Idealen im Realen hin." ') Das
Teleologische muss Schi, selbst statuiren, wenn er Wissen
und Sein für uns nur in Beziehung auf einander und so,
dass eines des andern Mass ist, statuirt, denn das Ding
am Begriff zu messen, kann lediglich aus dem bestim-
menden Zweck des letzteren möglich sein. Vollends die
eigentümliche Sittenlehre Schleiermacher's kann den Zweck
nicht entbehren. Handeln auf die Natur ist Durchdring-
ung und Einigung von Vernunft und Natur. So aber
wirkt sich eben das Denken ein, und ihm vermöchte das
Natürliche nicht entgegenzukommen oder überhaupt Mög-
lichkeit, Einwirkung in sich zu erfahren, darzubieten,
wenn nicht, wiewohl weniger frei und mehr gebunden,
der Gedanke in diesem waltete; aber dies gerade ist es,
was Tr. so licht darstellt, dass dem Zwecke entwerfenden
Geiste die Dinge, die ihrerseits Zweckmässiges vorbilden,
antworten. Tr. wahrt also allseitig seine eigenartige
Stellung und führt das Zweckprincip überall mit der
ihm eigenen "Weite und Schärfe des Blickes meisterhaft
durch.
Doch nun zum Beschluss des Ganzen ! Haben wir bis-
lang objective Darstellung der Zwecklehre Tr.'s angestrebt,
so darf uns jetzt nicht länger verwehrt sein, in einer
Kritik unserer persönlichen Stellungnahme Ausdruck zu
verleihen. Hierbei ist zunächst daran zu erinnern, dass
wir zu mehreren Malen auf die Wahrheit und Schönheit
der Trendelenburgischen Darlegungen die besondere Auf-
») II, 448 ff.
ni>3 157 "e^
merksamkeit hinzulenken nicht umhin konnten; wovon
das Herz voll war, ging der Mund über. Jetzt betonen
wir speciell und sagen es in Zusammenfassung, dass uns
weitgehende Zustimmung mit Tr. verbindet.
Seine streng sachliche, ernste und besonnene, fein son-
dirende, tiefgehende und Yieles überblickende Methode
zog uns mit wachsender Macht an. Es war uns von
seltenem Reize, im anscheinenden Labyrinth logischer
Deductionen den Ariadnefaden des gesteigerten Principes
der Zweck-Bewegung allerorten schimmern und leuchten
zu sehen. Das den Begriff des Zweckes sowie der wirkenden
Ursache, beide als neue, doch congenuine Principien, er-
zeugende Grundprincip der Bewegung scheint uns vor
Allem wohl begründet zu sein. Denn es muss der ge-
sunden Vernunft das Nächstliegende, Einfachste und Be-
friedigendste sein, aus der durchgängigen Bewegung des
Denkens und Seins auf die Bewegung als erste Tat, als
Grund- und Urtun, Ursprung, Quelle und erhaltende Macht
alles Bewegten zurückzuschliessen. Dagegen ist undenk-
bar, dass aus dem Ersten, wenn es ein absolut Ruhendes
und schlechthin Indifferenz wäre, diese eminente Tätigkeit
des Seeundären, diese endlose Differenzirung und formen-
reiche Gestaltung hervorgehen könnte. Unseren Beifall
findet insonderheit die Erfüllung des Prinzipes der Be-
wegung zu demjenigen der wirkenden Ursache und wie-
derum des letzteren Erhöhung zu dem des Zweckes. Be-
wegung, Ursache und Zweck w^erden jederzeit überwiegend
die Pole aller Weltbetrachtung bleiben, und nur dies
kann die Frage sein, welchem dieser Principien der Vorrang
einzuräumen ist. Bewegung ist leer und neutral ohne die
wirkende Ursache, diese blind ohne den Zweck, und um-
gekehrt ist der Zweck nur, indem er die wirkende Ur-
sache beherrscht, die wirkende Ursache aber hat allein
n/^ 158 ^-^
Bestand in der allgemeinen Bewegung-. Ebenso sehr
sprechen uns die Resultate der Forschung Tr.'s an, vor-
nehmlich die Abstufung der Grundbegriffe nach dem
Zwecke hin, das Reich des Zweckes, die höchste Stufe
des Seins im Ethischen, der Yollendung des Organischen,
offenbarend. Die organische "Weltansicht leistet sonst Un-
erreichtes, in dem sie das Sein mit dem Denken durch-
leuchten lässt und mit dem Sein das Denken erfüllt, so
dass also Denken und Sein weder als völliger Gegensatz,
noch als durchaus Identisches zu fassen sind, woraus die
Möglichkeit unendlicher Durchdringung, endlos vergeistigten
Werdens, endlos werdenden Geistes sich ergiebt. Und
diinn ist gerade sie, wie keine andere neben ihr, Einheit
der Anschauung im höchsten Sinne; sie erklärt und ver-
klärt das Niedere, wirft auf das Fernste aufhellendes Licht
aber auch das Erhabenste darf sie in ihren Bereich ziehen ;
es sind Weltansichten zwar unter, jedoch nicht Eine über
ihr; dagegen ist die physische oder mechanische insofern
und so sehr unvollkommen, als sie weite Gebiete des Un-
erklärbaren vorfindet und so die höhere notwendig fordert.
Gesetzt aber man wollte, wie auch Eucken bemerkt'),
in Zweifel ziehen, ob die Bewegung, im Denken und Sein
gegeben, beiderseits in dem gleichen Sinne zu nehmen
sei, so ist immerhin anzuerkennen, dass Tr. diesellie als
Grundgeschehen, welches niclit weiter zu definiren ist,
gründlich und weitblickend dargetan hat. Wer ferner
der metaphyöischen Begründung des Zweckes, wie sie
Tr. bietet, Bedenken entgegenbringt, kann dennoch nicht
in Abrede stellen, dass Tr. den Zweck als Grundtatsache
in Natur und Geist mit aussergewöhnlichem Scharfsinn,
in eindringender Zergliederung, die dem Tatsächlichen
gerecht werden will, in umfassender Verwendung des der
') Beiträge etc., s. o., p. 117 ff.
n^ 159 Q^
Wirklichkeit abgerungenen Erkenntnisselementes muster-
giltig nachweist. Zwar wäre hierbei noch der Realismus
zu beanstanden, gemäss welchem Tr. das Zweckgeschehen
im Sein unmittelbar erfassen will, — obgleich wir doch
zunächst erst desswegen^ weil wir selbst im Zwecke denken
und handeln, die Dinge auf den Zweck hin prüfen,
dann allerdings so, dass uns in und aus diesen ein Cou-
gruentes antwortet und als Realität entgegentritt — allein
es ist Tr.'s mächtiges und erfolgreiches Ringen nach idea-
listischer Durchdringung des Wirklichen ebenso unver-
kennbar. Man kann auch dem sich skeptisch gegenüber-
stellen, dass, wie Tr. setzt, Sein und Denken zunächst
zwei unterschiedliche Welten seien, ind&>^ bleibt dadurch
Tr.'s Verdienst, ein Geraeinsames beider erstrebt und in
der Bewegung des Seins zum Denken, des Denkens zum
Sein die Durchführung desselben unternommen zu haben,
jedenfalls ungeschmälert.
Unsere Auffassung stimmt nach wie vor mit Tr. darin
überein, dass die Teleologie Brennpunct und Pol aller
Realphilosophie sein müsse. Den Gedanken im Grunde
der Dinge zu erreichen, ein Denken im Sein und zwar
als constructives zu erkennen, dasselbe dann zu recon-
struiren, so ein geistiges Weltbild aus dem objectiv
Geistigen im Menschengeiste nachzuschaffen und in der
letzten und höchsten Idee des allbedingenden Unbedingten
zur Einheit zu führen, dünkt uns die Grundaufgabe philo-
sophischer Forschung. Und die approximative Lösung
dieses durchgreifenden Problems steht und fällt eben da-
mit, ob zwischen Denken und Sein Vermittelung obwalte
oder nicht*).
') 0. Veeck, Darst. und Erörterung der religions-philos. Grund-
anschauungen Tr.'s, Gotha, 1888, p. 32.
's^ 160 ex^
Zu der Art und Weise nun, wie Tr. dies Medium
communicationis feststellt, befinden wir uns doch in einiger
Abweichung der Deduction.
Wir könnten leichter einzelne Hauptthesen angreifen,
z. B. : dass der philosophischen Forschung Ziel der Monis-
mus, d. i. Durchdringimg des Seins mit dem Gedanken,
sein müsse ^), denn im Yerbundenen und noch nicht Iden-
tischen ist immer noch Zweiheit, und real kann Denken
und Sein weder ganz getrennt noch völlig eins, sondern
nicht mehr und nicht weniger als mit, durch und zu ein-
ander sein, wesswegen unsere organische oder ideale Welt-
ansicht zwar den groben Dualismus zum Monismus auf-
klärt, allein im lichtvollen Monismus den abgeklärten
Dualismus beibehält, und so die wechselseitige Immanenz
vertritt.
Auch teilen wir nicht die Ansicht, dass durch die
tiefer erforschte Ursache die Annahme des Zweckwaltens
möglicherweise beseitigt werden könnte-), indem uns um-
gekehrt gewiss ist, dass aus dem fortschreitenden Einzel-
wissen zunehmend ein Ganzes der Erkenntniss reifen wird,
und dass in letzterem der Zweck steigende Anerkennung
erfahren muss. Jedoch wären solche und sonst nur ge-
ringmögliche Ausstellungen an einzelnen Puncten oder
Partien des Werkes Tr.'s bei Weitem nicht bedeutsam
genug, den wohltuenden Einklang der GesammtdarstcUung
zu stören, ihren mächtigen Eindruck zu schwächen. Irr-
tum verlässt uns nie. Die Wahrheit hat den Irrtum, wie
das Licht den Schatten, neben sich. Doch wie im Zenith
des Sonnenstandes der Schatten minimal wird, so geht,
wie hier, der untergeordnete Irrtum in die übergreifende
Wahrheit auf und verhilft ihr derart zu um so schönerem
Glänze.
1) I, 99. n, 464. -) n, 70.
n/is 161 Qx>
Unsere angedeutete Verschiedenheit der Zweckableitung
ist nun zwar gewichtiger und folgenreicher, weil ein
Principielles berührend, nichtsdestoweniger kann dabei die
Trendelenburgische Argumentation intact bleiben. Ob
und in wie weit übrigens unser folgender Yersuch mit
Momenten aus Tr.'s Darlegungen zusamni entreife, dürfte
sich aus den vorangehenden umfassenden Erörterungen
dem aufmerksamen Leser leicht ergeben. Schon desshalb,
aber auch um den einheitlichen Fluss unseres Philoso-
phems nicht zu unterbrechen, versagten wir uns dahin
zielende Bemerkungen.
Die Bewegung soll und muss immerhin als wesenhaft
Gemeinsames des Denkens und Seins ihre Geltung be-
wahren, nur ist sie, im einzelnen Gebiete substantial, auf
beides bezogen modal, zeigt so den Grundcharacter des
Kundwerdens vom Grundgeschehen, die Art der Selbst-
offenbarung, die "Weise der Activität. Demgemäss trachten
Avir darnach, ein solches Vermittelndes aufzufinden, welches
die Substanz dieses anfänglich streng Doppelten unver-
rückt und unverkümmert dartut. Dergestalt wird dem
Zweckprincip noch tiefere Begründung zu Teil werden.
Zu diesem Behufe gehen wir vom Bekannteren, dem
menschlichen Denken, aus. Denken ist Eingehen der
Innenwelt in die Aussenwelt, Einsicht in die Dinge, Ein-
dringen in das Werden, Trennung des Objectes in Teile
(Merkmale), Zurückentwerfen des Ganzen aus den Teilen
(Begriff), Teilung des Ganzen unter ein höheres Ganze,
Reconstruction des letzteren und sofort (Gattung, Idee).
Indem unser Geist in dieser Tätigkeit sich auswirkt, dem
zu Denkenden sich einwirkt, das Gedachte als seinen Be-
sitz erwirbt, ist er Intelligenz.
Diese Möglichkeit, das Sein denkend zu ergreifen, ist
die Vorbedingung aller Erkenntniss und Wissenschaft-
Ohne sie würde die Logik gegenstandslos, die Matlie-
11
T>^ 162 Q^
matik nicht anwendbar, die Physik haltlos, weil des Ge-
setzlichen entbehrend, die Philosophie nur Dialectik sein.
"Wir hätten dann nie zu verwertende, geschweige denn
zu erfüllende "Wisscnsfiihigkeit, niemals zu befriedigenden
Wissensdrang. Wäre es nicht ein masslos Widersprechendes,
stets erkennen zu wollen und keinesfalls erkennen zu
können? Wäre es nicht ein Kreislauf ohne Ende, ein
Irrgang ohne Ausweg? Ein Erkennbares ist unerlässlich,
wenn der Geist nicht an sich selbst verzweifeln soll.
Es ist hierbei ohne Belang, dass wir nicht das Ding
an sich, den tiefsten Grund und vollen Inhalt des Seins
sondern immer nur ein Quotielles und Singuläres, Teile
oder Seiten, Verhältnisse und Beziehungen desselben er-
kennen. So wird uns die Wirkung, aber nicht das Wesen
der Electricität bekannt, doch ist dieses in jener und ge-
stattet erstere Rückschliessen auf das letztere. Allerdings
ist im Geistigen mehr als im Natürlichen die Entfaltung
von innen zugleich denkbar hoclist approximative Wesen-
oftenbarung. Es genügt uns aber zu constatiren, dass
wir das zu Denkende, das Sein, wenigstens teil- und be-
ziehungsweise im Denken zu erlangen vermögen.
Auch das unvollkommene Wie des Erkennens darf
uns nicht beirren. Ich erkenne ein Tönendes, indem ich
es empfinde ; ich empfinde es, indem eine Erregung meinen
der Erregung fähigen Nerven sich mitteilt. Das Em-
pfinden ist nicht dem anfänglich Erregenden, das Erkennen
wieder nicht dem Empfinden congruent. Der höchste der
für das menschliche Gehörorgan vernehmbaren Töne hat
24 000 Doppelschwingungen in der Secunde'). Der sen-
sitive Nerv mag diese ihn treffende ungeheuere Erregung
wiedergeben, allein wir empfinden dennoch den Ton als
Ganzes. Und wollen wir denselben nach seiner Geltung
erkennen, die er in den Tonreihen einnimmt, so wird
') J. Heussi, Lehrbuch der Physik, Leipzig 1871 § 193.
^319 163 Q^
diese Empfindung lediglich in der Vergleichung mit anderen
Tonempfindungen Grund der Erkenntniss werden können.
Obgleich so überhaupt unser Erkennen meistens ein graduell
vermitteltes ist, begnügen wir uns damit, dass insgemein
ein denkendes Erreichen des Seienden angängig ist. Das
obige Beispiel lehrt uns zugleich, dass ein ganz objectives
Erkennen, ein dem Sein schlechthin gleiches Denken für
uns unmöglich ist, weil die Geisteskräfte hier nicht aus-
reichen, den unendlichen Inhalt zu fassen, die unbegrenzte
Weite zu umspannen, das allmomentliche Werden in sich
aufzunehmen.
Dieses adaequato und approximative Denken des Seins,
die Möglichkeit, so ergriffen zu werden, die Fähigkeit,
ein solches Eindringen zu erfahren, ein derartiges Ent-
gegenkommen, wo das Denken sich naht, ein sobeschaffenes
Antworten, wenn der Geist fragt, beweist, dass dem Denken
als der Intelligenz das Sein verwandt ist als das In-
telligibile. Das Sein ist somit Corrclat des Denkens,
ein Abbild des Geistigen, vom Gedanken durchdrungen
und denselben ausprägend.
So erst kann die Wissenschaft suchen und finden, so
nur hat das physicalische Experiment, die mathematische
Berechnung, die logische Analysis Sinn und Bedeutung,
und in dieser Grundtatsache allein kann die Philosophie
ankern, die da über dem Realen das Ideale aufbauen will.
Nun ist unser Geist nicht mehr sich selbst der grösste
Widerspruch, er gewinnt vielmehr in dem zu erkennenden
Geistigen des Seienden die eigene Selbstbcjahung und
Selbstbekräftigung.
Der von hier aus sofort mögliche, ja notwendige Schritt
ist der, zu setzen: dass dem Intelligiblen im Sein die In-
telligenz zu Grunde liegen muss. Das Denken ist in-
telligibcl, die Gedanken des Einen sind dem Andern ver-
ständlich, nur weil das Ich eine Intelligenz. Ist diese»
11*
-VLO 1 64 <2X^
wie im Irrsinn, getrübt und gcliommt, so hört ihre Denk-
tätigkeit und J)enkäu9serung sogleich auf, vernünftig, be-
greiflich oder intelligibel /u sein. Wie die Geistesarbeit
der Jahrlumderte, der Austausch der Gedanken, die fort-
gesetzte Bereicherung und Klärung des Geistesbesitzes
der Menschheit unmöglich wäre, falls das menschliehe Ich
nicht eine Intelligenz wäre und Intelligibles erzeugte, so
könnte die Welt nicht vernünftig sein, wenn sie der Un-
vernvmft entstammte. Auch müsste es zur Unmöglichkeit
gehören, dass die intelligible "Welt sich continuirlich
differenzirc und determinire, wenn sie in einem schlecht-
hin Indcterminirten, welches unfähig wäre zu determiniren,
gegründet sein sollte, wobei jenes Indeterminirte der
Nicht-Intelligenz gleichkommen würde. Darum ist das
intelligible Sein desswegen allein gewordene oder noch
werdende Vernunft, weil dasjenige, was zu diesem Werden
bewegt, Intelligenz ist. Es ist ein geistig Bestimmtes aus
einem geistig Bestimmenden. So aber begegnen sich im
Denken des Seienden aus Grund des seienden Denkens
Intelligenz und Intelligenz. Hierin liegt das Geheimniss
der Freude an glücklicher Forschung, der Quell der Be-
geisterung für den Forschenden, der schönste Preis heiligen
Strobens. Wie wir also dieser Intelligenz uns nähern,
indem wir versuchen, das Sein in Hinsicht seines Werdens
und Wollens zu begreifen, so kommt wiederum diese uns
nahe, wenn sie die Sinne erregt, den Verstand bewegt
und schult (im Mathematischen), mit Inhalt erfüllt (im
Physischen), mit Form, Regel und Anschauung der Ein-
heit durchbildet (im Organischen), und wenn sie schliess-
lich und zuoberst die Vernunft durchleuchtet imd zum
Erhabensten erhebt (im Ethischen und Idealen). — Die In-
telligenz nun ist das Gemeinsame zwischen Denken und Sein.
In der Intelligenz, deren Substrat und Verdichtung
die Mateiie ist, im Geiste, welcher die Natur als seinen
o^ 165 ®^
Leib durchwaltet, liegt die Basis des sogen. Causalitäts-
gesetzes. Die wirkende Ursache besagt wesenhaften
Zusammenhang des Späteren und Nachfolgenden mit dem
Früheren und Vorhergehenden. Nun ist durch die innc-
wirkende Intelligenz jenes wie dieses und Alles durch-
geistigt, beides besitzt ein gemeinschaftliches Band des
Geistigen, im gemeinsam Geistigen herrscht congruente,
geistgetragene Entfaltung. Daher ist das Causale nichts
Geringeres als Connex des Yernünftigen und bei Weitem
nicht blinder Verlauf eines ewig Blinden. Die Welt ist
gleichsam das aufgeschlagene Buch der Weltintelligenz.
So wenig ein Buch nur eine Summe von Buchstaben oder
Gefüge von Sätzen ist, so wenig besteht die Welt bloss
aus Elementen der Materie und Verbindungen stofflicher
Kräfte; sie ist darum ein Ganzes und seine Idee, Geist-
gewirktes und Gcisterfülltes, Planen und Intelligenz. Die
übereinstimmende Entwickelung in ihr, geordnete Folge
des Fortschreitens, der strenge Zusammenhang der Suc-
ccssion ist im Geistigen beschlossen. Stimmte das Zweite
nicht zum Ersten, widerspräche das Gewirkte dem Wir-
kenden, so wäre die Vernunft zur Unvernunft geworden.
So ist die Causalität, oft zur Verneinung der Intelligenz
im Sein missbraucht, gerade Ausdruck, Zeugniss und Be-
weis derselben. Es offenbart sich eben im Causalen das
lichte Sichselbstsetzen der Intelligenz, bewussteEingcistung,
Process der Vernunftincorporation, Logik des Wcltlogos.
Noch mehr aber und übergreifend ist die Intelligenz
im Sein Grundlage des Zweckgeschehens, Denn sie stellt
ein Ganzes und Einheitliches dar, Getciltheit wäre Wider-
spruch, Widerspruch in ihr wäre Selbstverncinung, Selbst-
verneinung müsste zur Selbstvemichtung führen. Ein Ganzes
zu sein, ist tiefste Eigenart der Vernunft, während Ge-
spaltenheit und Zerstückelung nichts als Unvernunft zeigt.
Die Intelligenz als Ganzes muss nun auch in der
-^ 166 (^
Form des Ganzen und in der Norm zum Ganzen d. h.
im Zwecke wirken. In der Erzeugung des Ganzen cul-
minirt der Vorgang der Zweckverwirklichung. In dieser
Macht zum Ganzen wandelt die Intelligenz das causale,
uninteressirte Nebeneinander in das sehnende und suchende
Füreinander. Lichtvoll entwirft sie die Teile und durch-
schimmert dieselben bis in das Kleinste. Sie gruppirt die
zerstreute Vielheit unter die Einheit, sie individuirt sich
aus der endlosen Vielheit in ein harmonisches Zusammen.
Im Organischen hält sie eine Menge von Atomen vereint
und bindet zahllose Kräfte, die sonst auseinandergehen
würden. Im Mechanischen sammelt sie disjecta membra
zur Gesammtwirkung. Im Mathematischen ist sie die
gesetzgebende Macht. Nichts steht ihr besser als das
ideale Prius zum realen Posterius zu sein, denn Voraus-
schauen, Vergegenwärtigung des Zukünftigen ist ihr spe-
cifisch eigen. So besiegt sie Ursache, Raum und Zeit.
Wenn ferner die Mittelschaft am Notwendigen Begrenzung,
im Zufälligen weiten Spielraum findet, so kann die zweck-
setzende Intelligenz jene zunächst umgehen, dieser weise
begegnen. Weiterhin fällt es mit dem Wesen derselben
zusammen, dass der verwirklichte Zweck nicht unfi-ucht-
barer Wert oder todtes Capital sei, sondern Mittel zu
neuem Zweckvollzug werde. Und zumal in Zweckreihen
wird sie ihre Meisterschaft betätigen, einem Hauptzweck
viele Zwecke unterordnen, den Generalgedanken, alles
Wechsels der Mittel ungeachtet, durchführen, Hemmungen
trotzen, an vorübergehender Zweckwidrigkeit nicht schei-
tern, sondern immer neu und erfinderisch und endlos
schöpferisch überall und jederzeit ein Ganzes erwirken,
das erreichte Ganze einem abermaligen und sofort sub-
ordinircn, endlich ein allumfassendes Ganze, in alledem
aber sich selbst verwirklichen.
Doch dazu ist Macht erforderlich. Woher will sie
m^ 167 SV
die Intelligenz entnehmen? Wenn aus einem Andern, so
ist sie im Widerspruch gefesselt, mit jenem und mit sich
selbst uneins. Doch woher sonst? So glatt unsere seit-
herige Argumentation des Intelligiblen, der Intelligenz und
des Zweckes vor sich ging, so gross ist die Schwierigkeit,
die Macht der Intelligenz darzutun. Nur aus sich selbst
also kann die Intelligenz das Vermögen haben, im Zweck-
geschehen sich zu manifestiren. Nun wäre in ihr Wissen
und Nicht-Können, Können und Nicht- Wollen ein Wider-
spruch, Widervernünftiges und Selbstverneinung. Der Ge-
danke ist also zugleich sein eigener Wille, der Wille so-
gleich eins mit seiner Entäusserung und Verwirklichung,
beides wieder desswegen, weil ein Zwiespalt in der In-
telligenz niemals entstehen darf. Wenn sodann Wissen
überhaupt Macht ist, nämlich Macht, das Gewusste dar-
zustellen und das Darstellende nach ihm zu regieren, so
muss gewiss dieser Intelligenz, welche im Fernsein des
Widersprechenden ihre Wesenheit ungetrübt erhält und
die das unermessliche Reich des Intelligiblen schafft, Macht
der Zwecksetzung und Machtwille der Zweckverwirklichung
unanfechtbar zukommen.
Wir krönen unsere Deduction des Zweckes, indem
wir die dem Sein integrirende Intelligenz einfügen in die
absolute Intelligenz. Jene ist in Ansehung des Zweck-
mässigen im Sein gross und erhaben, jedoch rücksichtlich
des relativ Zweckwidrigen, welches doch ebenso wie jenes
phaenomenal ist, noch nicht das Vollkommenste und muss
daher in dieser, als ihrer Immanenz, bemhcn. Das un-
bedingte Agens, das schlechthin Erst-, Mit- und Letzt-
bewegende ist also die absolute Intelligenz. Da in der
relativen Intelligenz das Zweckgeschehen vorliegt und
diese in der absoluten ihren Grund hat, so muss die
Zweckverwirklichung selbst absolut, von endloser Dauer,
allvermögender Macht, alldurchdringender Weisheit
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sein und bleiben. Das Organische ist nur Abbild, das
Ethische nur Abglanz des für uns in seinen letzten Tiefen und
erhabensten Höhen unfasslichen absoluten Zweckvollzuges.
Auf dieser obersten Stufe der eigenen Zwecktheorie
lehren wir zuhöchst, dass die absolute Intelligenz Gott
ist. „Einer ist das Eine" (Jacobi). Als absolute In-
telligenz ist er die absolute Persönlichkeit, in welcher
wie das Wissen, so auch der Wille absolut und jenem
identisch ist. Der absolute Wille ist zugleich die
schrankenlose Macht, denn es darf in der höchsten In-
telligenz um so viel weniger ein Zwiespalt obwalten. Die
ungemessene Macht wird zur ungehemmten Tätigkeit,
und diese ist als Ursprüngliches, Immanentes und Letztes
Zwecktätigkeit. Die absolute Intelligenz als höchste Ein-
heit wirkt nur in und zu der Einheit. Grösstes und
Kleinstes, Fernstes und Nächstes, Sonnenwelten wie
Mikrobioben schaut Gott sub specie aeternitatis (Spinoza)
als Ganzes in Einem Blick. Grund, Mittel und Ziel
ftillen so in Eins zusammen. Gott ist die Pro videnz, die
das Zweckgeschehen behütet und bewahrt, die ewige
Weisheit, welcher auch das scheinbar Zweckwidrige
dienen muss, die allesvcrmögende Macht, deren Sieg im
Zwecke unaufhaltsam ist, die allerbarmende Liebe, welche
im Heilswerk den Zwiespalt des Gesammtzweckes und
Einzelzwcckes ausgleicht.
Und hiermit sind wir am Endpuncte überhaupt ange-
langt. Unsere Ableitung und Begründung des Zweckbe-
griffes will ebensowenig durchaus neu oder völlig zureichend
sein, wie diejenige Tr.'s. Ein unergründlich' Element wird
bei aller menschlichen Forschung, die sich stets nur auf
glcichgcartete d. i. relative stützen kann, immer und ewig
zurüikbleiben. Doch wie dem auch sei, wir stimmen auch,
in der zuletzt entwickelten subjectiven Auffassung darin mit
Tr. überein, dass der Zweck sei weltbeherrschend
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B Liebermann, Bernhard
3158 Der Zweckbegriff bei
L3 Trendelenburg