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Zweite Auflage.
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Die Drefteia, beftebend aus dem Ugamemnon, den Srabes-
fpenderinnen und ben Enmeniden, denen als Satpripiel der Pro:
tens beigefügt war, wurde unter dem Archon Philofles DI. 80, 2.
(459 vor Ehriftus) aufgeführt. Aifchnlos gewann den Preis,
der Aphidnaier ftellte den Chor.
Xenokles
UNIVERSITY
of
Ca:
IFCENIK.
Einleitung.
Die vorliegende Trilogie hat eine fo entſchiedene politifche
Tendenz, daß fie ohne Berüdfihtigung der Bewegungen, in
die fie mit einzugreifen beftimmt war, der ftaatlihen Verhaͤlt⸗
niffe, um deren Umgeſtaltung es fid) handelte, in wefentlichen
Punkten unverftanden bleiben würde. Zugleich giebt fie, und
von ihr aus, ein Rüdblid auf das Leben des Dichters über
den perfünlichen und Tünftlerifhen Charakter defielben mehr
Aufſchluß, als die dürftigen biograpyifchen Notizen, die ans dem
Alterthum überliefert find.
Nicht mit Unrecht wird Athen der erſte politifche Staat
genannt. Während in Eparta und in den, unter fpartanle
fhem Einfluß fichenden Staaten jede volksthümlihe Ent⸗
wicelung verfagt war, oder, wo fie ſich geltend zu machen ver⸗
fuchte, gewaltſam durd neue Formen ariftofratifcher Ausfchließ-
lichkeit verdrängt wurde, erhielt diefelbe in Athen Anerkennung
und die Möglichkeit großartigfter Geftaltung. Iſt es überhaupt
das Wefen einer politifchen Staatsform, daß fie nicht bloß
fhüge, fondern fürdere, nicht die aufgeregten Kräfte hemme,
fondern lenke, nicht der öffentlichen Meinung mit willkührlichen
4 Einleitung.
Entfhließungen entgegen trete, fonbern dem Widerfpruch ſelbſt
verfaffungsmäßig Recht und Stimme einräume, fo darf man
behaupten, baß die folonifhe Gefeggebung, wenn nicht der
glücklichſte, doch der folgenreichfte Verſuch geweſen if, die Ele:
mente der Bewegung mit den Bedingungen zeitlichen Beſtehens
zu vereinbaren.
Sie war aus einer Reihe innerer Kämpfe hervorgegangen,
deren Verlauf man ans vereinzelten Spuren nur noch ungefähr
zu erkennen vermag. Schon hatte der jonifhe Kriegeradel
Athens, der ähnlich dem dorifchen in Sparta ausſchließlich ge
herrfcht hatte, fi bequemen müſſen, dem Adel der drei anderen
altbeimifchen Stämme, welcher bis dahin nur in den Naukra⸗
rien zur Theilnahme an den öffentlichen Leitungen hinzugezogen
worden war, gleichen Antheil an der Herrfchaft zu geben; fort:
an leitete den Staat nicht mehr die Gerufia auf dem Areiopag,
fondern die Epheten, die Bertr.ter jener Naukrarien, welche
die Eupatriden der vier Stämme umfaßten. Aber ſchon be:
gannen auch die niederen Stände fich zu fühlen, und die von
der aufftrebenden Menge durchgefegte Aufzeichnung der Geſetze
durch Drakon konnte nur dazu dienen, die nun legalifirte
Härte des richtenden Adels defto empfindlicher zu machen. Im
Bertrauen auf diefe Stimmung der Menge wagte Kylon den
Verſuch, eine Tyrannis zu begründen; aber in Maſſe kam der
Adel nach Athen hinein, ihn in der Akropolis zu belagern; er
flüchtete, feine Genoſſen ergaben ſich gegen das Verſprechen
fiheren Abzuges von Seiten der Naufrarienführer; die Abzies
benden überfiel der Archon Megakles, aus dem altionifchen
Geſchlecht der Alkmaioniden, und erfhlug fie Alle. Dies
it die Idnge nachwirkende kyloniſche Blutſchuld des „tollkühn
Wagenden voll Kriegsmurh wilder denn gerecht
war, voll Hochmuth überſtolzen Glüdes, im Ueber:
maaß ſchuldig“ (Agamennon V. 465); durch diefe That
Einleitung. 5
wurde der Zwieſpalt im Lande nur noch ärger, es mehrte ſich
der Haß gegen die gewaltfamen Alkmaioniden, das ganze Bolt,
fagt Plutarch, nahm Parthei. Kriege mit Nachbarſtaaten machten
die Lage Athens nur nod) gefährlicher.
Hier trat Solon verfühnend und ordnnend ein. So eben
hatte Megakles Sohn Alkmaion einen Kampf für das delphifche
Heiligthum glorreich hinausgeführt; auf Solon's Rath wurde
ein Gericht von dreihundert Eupatriden beitellt, über das blut:
fchuldige Geſchlecht zu richten, und die Eupatriden opferten
ihre Standesgenoffen, oder richtiger, verbannten die zu mädh:
tigen, von denen fie Begründung oligarchiſchen Regimentes
fürchten mochten.
Nachdem Solon das attifche Yand durch Epimenides von
Kreta hatte fühnen laſſen, begann er die Umgeftaltung der ſtaats⸗
rehtlihen Formen und Berhältniffe; es war eine Fortbildung
des Inſtituts der Naukrarien; der Grundbefig wurde als Maaß⸗
ftab für Recht und Pflicht gegen den Staat befiimmt. Nur
in der Volksverſammlung zur Wahl der Beamteten und in den
Gerichten waren alle Bürger thätig; Beamtete konnten nur
aus der höchftbegüterten Klaffe gewählt werben, nur aus den
drei erfien Klaffen wurde der Rath der Bierhundert entnom:
men, welcher als ſtehende Deputation des Staates mit jerien
die Iaufenden Gefchäfte zu ordnen hatte. Den Schlußſtein der
Verfaſſung endlich bildete ein Rath, der auf dem Areio:
pag, wie ehedem die Geruſia des herrſchenden SKriegeradels,
feinen Plag nahm; er follte in fi das Ausgezeichnetfie, was
Athen hatte, vereinen; wer zum Archonten gewählt war umd
fih in feinem Amte bewährt hatte, trat dann für Lebenszeit
in diefen hohen Rath, den fomit nur bewährte, gefchäftskun:
dige Männer von der erften Vermögensklaſſe bildeten. Er er:
hielt nicht bloß das an diefe Mahlftätte in der Nähe des Erin:
nyenheiligehums deknüpfte Gericht über unfühnbaren Mord,
6 Einleitung.
fondern vor Allem die Gefammtanffiht über alle öffentlichen
Berhältniffe, über Gefege und Verfaſſung, über Zucht und
Sitte, über alles Neligiöfe, Turz, das Geſammtleben des Staats
und Bolfes follte von feinem Einfluß durhdrungen und gehal-
ten werden, er follte „ein rechtes Bollwerk für das
Land“ fein „zur immerwahen Hut des Volks, wenn
alles ſchläft.“ (Eumeniden B. 670 ff.)
So die Grundzüge der in der That Funfivoll combinirten
Splonifhen Berfaffung; eine allgemeine Amneftie, weldhe auch
die verwieſenen Altmaioniden zurückführte, vollendete das Wert
allgemeiner Verfühnung. Aber in dem Neuen felbft lag bie
Nothwendigkeit weiterer Bewegungen. Die neue Berfaffung
hatte die politifchen Unterfchiede der Geburt aufgehoben, ohne
ihren Einfluß und ihre Anſprüche zu brechen; fie hatte den
Hermeren Stimmrecht gegeben, ohne fie von dem Reichthum
unabhängig oder durch Theilnahme an den Ehren des Staats
ſelbſtſfändig zu mahen, und die Unterfhiede des Vermögens,
die ja der Maaßſtab ftaatlicher Berechtigungen geworden waren,
erfhienen, wenn nicht fo zufällig wie die der Geburt, doc
wenigftens willkührlich und ohne tiefere Begründung. Es mußte
ein wefentliches und allgemeines Princip gefunden werden, und
durch merkwürdige Revolutionen follte fid) Athen zu demfelben
bindurcharbeiten.
Segen einander ftanden die Partheien des Adels und des
Mittelftandes; das Geſchlecht der Altmaioniden, von feinen
Standesgenoffen früher preisgegeben, hatte fih an die Spitze
feiner Gegner geftellt. Gegen beide bildete Peififtratos eine
dritte Parthei; er fangmelte die Armen um fi ber, und gern
vertraute fi) die Menge dem Schutz und der Leitung des ge:
wandten Eupatriden; ihn vor den Anfeindungen der Gegner
zu ſchützen, war flets eine Echaar mit Knütteln bewaffnet in
feiner Nähe, die fehle Burg nahm er zu feiner Wohnung, durch
Ginleitung. 7
feinen Anhang beherrichte er die Volksverſammlung; bie &eg-
ner zogen fich vor der aufgeregten Maffe beforgt zurüd. Co
war die fogenannte Tyrannis des Peififtratos begründet. Zwar
gelang es den Gegnern zweimal, ihn zu vertreiben; aber theils
die Intriguen der Altmaioniden, theils der große Anhang, den
Peififtratos in Arhen und in auswärtigen Staaten hatte, Tießen
ihn zweimal die Rüdkehr erzwingen und feine Macht deſto fefter
begründen. Es blieb die Solonifche Berfaffung; Peiſiſtratos
forgte, daß ftets einer feiner Familie unter den Archonten
war; fo herrfchte fein Einfluß, getragen durch ungeheure Reich⸗
thümer. Naxos, Gretria, das Land am Strymon, am Helles:
pont gehörte ihm; der Adel des Landes war theils geflüchtet,
theils wurde er mit Grundftenern befaftet. Unter Peiſiſtratos'
Einfluß begann Arhen, fih mit Prachtbauten zu ſchmücken, die
neue tragifhe Kunſt fand durch ihn die lebhaftefte Förderung;
er verſammelte um fi jenen merkwürdigen Kreis orphifcher
Männer, durch welche die homerifhen Gedichte gefammelt, die
Drafel des Muſaios niedergefchrieben, dyonififchsorphifche Culte
geordnet, orphifhe Weihgefänge verfaßt wurden; — neue und
bedentungsvolle Formen, mit denen die eigeuthümliche litera⸗
rifhe Thätigkeit Athens begann.
Peififtratos’ Soͤhne erbten die Reichthümer und den Ein⸗
fluß des Vaters, feine Prachtliebe, fein lebhaftes Intereſſe für
Dichter und Künſtler. Das geiftige und materielle Wohl der
Menge zu fördern, mochte als die befte Sicherung ihrer Stel.
lung erfcheinen; der Wohlftand, das Behagen, die Bildung in
Athen mehrte fi) auf die unzweideutigſte Weiſe; unter dem
Schutz der folonifchen Sefege und im Genuß aller verfaſſungs⸗
"mäßigen Nechte, innerhalb deren die Tyrannis felbft nur der
mächtige Einfluß eines überreichen, einfichtsvollen, energifchen
Geſchlechtes war, wurde das Bolt durch fie felbft, freilid wider
ihre Abficht, zum Bedürfniß der Freiheit, ber fteten Folge wach⸗
8 Einleitung.
jenden Wohlſtandes erzogen und für ein politifches Leben reif.
Eine ſchmutzige Liebesgefchichte gab Anlaß zu einer Verſchwö⸗
zung, als deren Dpfer Hipparchos fiel; weiteren Folgen wußte
Hippias mit Strenge und Gewaltfamkeiten vorzubeugen; es
folgten mehrere Ermordungen; es murde ein Bündniß mit den
theffalifchen Herren, mit dem Fürften von Lampfalos gefchlof:
‚fen, der bei dem perfifhen Großkonig in hohem Anfehen ftand.
(514 v. Chr.) |
Dem Volke ſchienen fich plöglicd die Augen zu öffnen;
man überfah es, daB die Mörder des Tyrannen in rein per:
fönlihem Intereffe gehandelt hatten, man pries fie als Mär:
tyrer der Freiheit. Deit dem Drud wuchs das Mifvergnügen,
das gewaltfam zurüdgedrängt nur deko tiefer Wurzel fchlng.
Unter den von Peiliftratos Bertriebenen waren die Alkmaioni⸗
den gewefen; von einer Burg auf der attifchen Gränze aus
batten fie fchon einmal die Rückkehr zu erzwingen veriucht.
Run von den Borfällen in Athen unterrichtet, becilten fie ſich,
durch Verwendung der delphiſchen Priefterin, die beftochen
wurde, den Beiftand der Epartaner zu gewinnen. Bon diefen
unterftügt, verfuchten fie unter Kleiſthenes“ Führung nad
Attika zurückzukehren, eine Niederlage trieb die Spartaner, durch
bedeutendere Anftrengung die Ehre ihrer Waffen zu retten.
Die taufend theffalifchen Nitter, die Hippins herangezogen, wur:
den gefhhlagen, er felbf auf der Burg eingeichloflen, endlich
gezwungen, ber Herrfchaft zu entfagen und für ewige Zeit das
attifhe Gebiet meiden zu wollen (510).
Sofort begann neuer und wilderer Streit über die neue
Drdnung der Dinge. Die Einen verlangten Herftellung des
alten Herrenthums; fie konnten ſich auf die nächſte Vergangen⸗
heit berufen, die ja gezeigt hatte, wie demokratiſche Freiheit
zur Tyrannis führe. Die Anderen durften mit Recht dagegen
einwenden, daß die Tyrannis ſelbſt nur durch die Zurückſetzung
Einleitung. 9
der Aermeren entflanden war, daß das gefammte Bolt an polis
tifher Einfiht und Selbfiitändigkeit zu viel gewonnen habe,
um fi je wieder der Willkühr Einzelner preiszugeben, daß die
Demokratie dem attifhen Volke nothwendig und den edlen
Geſchlechtern felbft die einzige Sicherung für ihren Ruhm ımd
ihren Reichthum fei. Kleifthenes, dem der Adel wegen, der
Erinnerungen feines Gefchlechtes nicht traute, ftellte fih an die
Spitze der demokratiſchen Partei, und trug über die Dligarchie
den Sieg davon. Er eilte, der folonifhen Berfaflung weitere
Entwickelung zu geben, indem er zur Grundlage der flaatlichen
Berhältniffe flatt der altherfümmlichen Theilung in Stämme
und Gefchlechter eine freiere, rein topographifche machte, und
mit den alten gefchlechtlihen Berbindungen den unmittelbaren
Einfluß des Herrenftandes erfchütterte, indem er ferner flatt
duch Wahl, durch das Loos über Befetung der Effentlichen
Aemter entfcheiden ließ, indem er endlich in dem jährlich zu
wiederholenden Oſtrakismos oder Scherbengericht dem Gefammt:
volk das Recht gab, Männer von zu großen: Anfehen oder zu
Tühnem Streben ohne weiteren Grund, als den der öffentlichen
Meinung, des Landes zu verweifen. Sp waren in der Der:
faffung Athens Brincipien durchgefegt, wie fie noch Tein helle
zifher Etaat darzuftellen gewagt hatte.
Die oligarchiſche Parthei ihrerfeirg, weit entfernt, fich dem
gemeinfamen Willen des Volkes zu fügen, verfuchte die gewalt:
famften Mittel, ihre Anſprüche durchzufegen. Der Archon des
nächſten Jahres (508) war Iſagoras, einer diefer Parthei,
dem Epartanerfönige Kleomenes nahe. befreunder; diefen rief
er zu Hülfe Und kraft der Vorſtandſchaft in Hellas, bie
Sparta in Anfpruh nahm, forderte Kleomenes durch einen
Herold die Ausweifung des Kleiſthenes und der übrigen vom
Blut des kyloniſchen Frevels Beflediten; und man wagte nicht,
fih dem Befehl der übermähtigen Epartaner zu meigern.
10 Ginfeitung.
Dennoch Fam Kleomenes mit einem Heere nad Athen, verjagte
fiebenhundert Familien, bie Sfagoras angab, befahl dem demo:
kratiſchen Nathe, anseinanderzugehen und dreihundert Männern
der Dligarchie das Regiment zu überlaffen, beſetzte beider Wei⸗
gerung des Nathes die Akropolis. Da erhob fih das Volk in
Maſſe, Kleomenes wurde in der Burg eingefchloffen; er mußte
froh fein, freien Abzug zu erhalten; mit ihm ging Iſagoras,
die übrigen Dligarchen in der Burg wurden in ewige Bande
geworfen, Kleiſthenes und die verjagten Familien zurüdgerufen.
Man rüftete fih, die junge Freiheit mit den Waffen zu fchir-
men. Denn fchon zog Kleomenes die Heere der peloponnefifchen
Bundesgenoffen zufammen, feine Schmach zu rächen, Iſagoras
ale Tyrannen nach Athen zu führen; auch heben rüſtete fich
gegen Athen, aud) das euböiſche Chalkis drohte einen Angriff
von der See her; auch von Aegina fürdtete man Feindfelig:
feiten. In folher Bedrängniß, ohne irgend einen Bundes:
genoffen, fchickte man Geſandten zum perfiihen Eatrapen von
Sardes; aber daß fie „Erde und Waſſer“ zufagten, ward ihnen '
daheim nicht verziehen; man verfchmähte es, um folchen Preis
Rettung zu erfaufen. In gleicher Zeit brachen die Feinde von
Megara, von Afopog, vom Meere her in Attila ein; die Athener
eilten gegen die Peloponnefier, die fhon Elenfis befegt hatten.
Aber eben da löfte fi jenes Bundesheer auf, der trogige Ueber
nıuth des Kleomenes und die kluge Mäßigung der Korinthier
rettete Athen. Yun war es ein Leichtes, die TIhebaner, bie
Chalkidier von dannen zu jagen; die Athener brachen in Boiotien,
in Enboia ein, und reiche Beute, bleibende Eroberungen, küh—
nes Gelbfivertrauen war ihr Gewinn aus einem Sriege, der
das nene demofratifdye Leben mit dem alten Wuft der Dligar«
chie hatte überdecken und erfticken follen. Vergebens confpirirte
Theben mit Aegina, um die Niederlage zu rächen, um den
fchnell emporwachfenden Handel Arhens zu vernichten. Der
Einleitung. 1
°
gebens feste Sparta Alles daran, durch einen neuen Heereszug
dem aus Afien berufenen Hippias die Tyrannis über Arhen
wieder zu erwerben. Die athenaifche Demokratie ftand uner:
fhütterlih, und jede Gefahr, jeder Eirg ließ fie an innerer
Kraft und äußerer Leberlegenheit, an Zuverſicht und Freiheits.
luſt gewinnen.
In diefe Jahre ciner höchſt bewegten inneren Geſchichte
faͤllt Aiſchylos Jugend. Er war aus attiſchem Eupatriden-:
geſchlecht, das unter ſeinen Ahnen einen der alten Landeskönige
zaͤhlte, im Jahre 525 zu Eleuſis geboren. Vielleicht daß ſein
Geſchlecht in prieſterlicher Pflicht an den Tempeldienſt der Efeu:
ſiniſchen Göttin geknüpft war, wenigſtens läßt Ariſtophanes
den Dichter die Göttin „einſt ſeines Geiſtes Nährerin“
nennen. Euphorion war ſein Vater; zwei Brüder, Kynegeiros
und Ameinias *) und eine Schweſter wuchſen mit ihm auf.
Um die Zeit des Aufitandes gegen Hippias war er in dem Alter,
das den reifenden Geiſt die erften bleibenden Eindrücke bedeu:
tender Borgänge zu empfangen fähig macht; je vornehmer das
Gefchleht war, dem er angehörte, deito näheres Intereſſe mochte
er für jene Bewegungen, defto entfchiedneren Ginfluß fie auf
die Entwidelung feines Charaktere haben. Es läßt ſich ang
mehreren Andeutungen in ben aifchpleifchen Dramen und eini:
gen hiftorifchen Notizen fchliegen, daß Euphorion’s Gefchlecht
nicht zu der Parthei der Oligarchen gehörte, daß es vielmehr
*) Ameinias wird von Herodot als Pallenäer bezeichnet; man hat
darum gemeint, er Lönne nicht des (Steufiniers Bruder fein, während es
doch alte Angaben verficern. Andere Möglichfeiten zn übergehen, konnte
ja der Eleufinier durch Adoption, die bei der Ängftlihen Sorgfalt für
Erhaltung des Haufes in Attita häufig genug war, zu einem Pallenäer
geworden fein. Vielleicht bezieht fih eine auffallende Stelle in den Per⸗
fern (3. 401) nicht auf Lufomedes, den Sohn ded Aischraios, fondern
gewinnt als ruhmvolle Erinnerung an den tapferen Bruder des Did)
ters neuen Neiz.
”
12 Einleitung.
der kleiſtheniſchen Demokratie anhing, deren Vertreter bald in
Aifchylos einen treuen und einflußreichen Anhänger finden ſoll⸗
ten, als das Bolt nad) immer freieren Formen firebte.
Die Geſchichte zeigt nicht viele fo heile und erfreuliche
Bilder als dies fchnelle Emporblühen der athenäiſchen Freiheit.
Schon begann fie über die heimifchen Gränzen hinauszufchanen,
Gefahr und Arbeit zu fuhen um des Ruhmes Willen. In
fhnellen und furchtbarem Umfichgreifen mehrte fih die Macht
Perſiens in Aften; wohin fie trat, erfiarb der Wohlftand, die
Bildung, das nationale Leben der Bölker; wie eine Seuche
unentrinnbar hatte die Verknechtung auch die blühenden Grie
chenſtädte Aſiens ergriffen, ſchon war fie über den Hellespont
nah Thracien, nach Macedonien gedrungen, ſchon wehte der
Peſthauch zu den Infeln, zu den Staaten der heilenifchen Hei⸗
math herüber, da verfuchten die Jonier mit den letzten Kräften
fih aufzuraffen; bülfeflehend wandten fie ſich an den herrfchen-
den Staat des Mutrterlandes, aber Sparta wies fie zurüd.
Richt fo Athen; zum Satrapen von Sardes war Hippias ge
flüchtet, atheniſche Gefandte forderten feine Verweiſung, der
Sctrap gebot, ihm die Herrfchaft zurückzugeben; mit Freuden
gewährten die Athener den Stammgenoſſen in Aſien Beiftand.
Aber der Aufftand mißlang vollfommen, die graßlichfte Rache
wurde über das ſchöne Jonien verhängt, auch die Inſeln ver
knechtet; auch Aegina gab die Zeichen der Unterwürfigkeit; die
Arhener meinten, aus Haß gegen fie gefchehe es, und verflagten
Yegina bei Sparta, und bis zum offenbaren‘ Kriege war es
zwiſchen den Nachbarſtaaten gekoömmen, als cin perfifhes Ge
ſchwader unter Datis und Artaphernes auf Euboia landete, um
nach fchneller Verknechtung der Inſel, von Hippias geleitet ſich
anf Arhen zu werfen. Die Athener eilten, Sparta’s Hülfe an⸗
zurufen; fie erwarteten fie umfonft, fhon waren die Barbaren
auf dem Strande von Marathon gelandet, des Sieges gewiß.
o
“Einleitung. 13
N
Nur von taufend Plataiern unterftägt, fellten fich ihnen die
Arhener entgegen; unter den Feldherren war Kynegeiros, unter
den Kämpfenden fein Bruder Aifchylos. Miltiades hatte die
Führung am Tage der blutigen Schlacht; mit trogiger Kühn⸗
heit warfen fih die Hellenen auf den Feind, bald wichen die
Flügel feiner Schlachtlinie, bald floh Alles in wilder Unord»
nung zu den Schiffen zurück; Kynegeiros war unter den Ber:
folgenden, fprang nach in die Brandung, ergriff mit der Hand ein
Fahrzeug, fiel von cinem Beilbieb, der ihm den Arm abfching.
Das war der herriihe Sieg der Athener, ver die beilenifche
Heimath vor dem Joche der Barbaren fehligte (490).
Aber bald drohete gröfiere Gefahr; mit einem Völkerhter
aus allen Theilen des ungebheuren Reiches brach Kerres in Eu:
ropa ein, feine Flotten überihwemmten das heileniihe Meer
(480). Umſonſt fielen dreihundert Spartaner in den Thermopy⸗
en, die Barbaren drangen verwältend bis Delphi, bis Athen.
Auf Themiftofles’ Rath, nach dem Willen des hohen Rathes im
Areiopag, hatten die Arhener ihre Heimath verlaffen mit Weib
und Kind, fie waren auf die Schiffe gegangen, der feindlichen
Flotte zu begegnen. Pei Artemiſion fhon hatten die Perfer
gefämpft ohne zu fiegen; Themiſtokles' Liſt lockte fie nun in die
falaminifhe Bucht, und zwang die peloponuefifhen Schiffe,
die fich fo eingefchloffen fahen, zu kämpfen ftart zu fliehen. Die
beften und meiften Schiffe hatte Athen geftellt unter Themiftokles’
Führung; unter deu ZTrierarchen war Ameiniad, des Aifchylos
- Bruder; er wagte den erfien Angriff auf ein mächtige Sido—⸗
nierfhiff. Bald ward der glorreihe Sieg erfochten, der Feind
verfolgt, die ſtolze Karierkönigin faft des Ameinias Gefangene;
er erhielt unter den Athenern den Preis der Tapferkeit für dem
fhönften Sieg, ven Hellas je gefehen. — Aber noch flanden bie
Hunderttanfende des Mardonios in dem Lande der treulofen
Boioten, die Flotte der Perfer an den jonifchen Küſten. Rah.
14 Einleitung.
dem Rath der Thebanes überfiel Mardonios von Neuem Attika,
und die Arhener flüüchteten ‚zum zweiten Male nah Ealamis.
Bergebens harrte man auf die Epartaner, fie hatten ihre Ders
ſchanzungen am Iſthmos vollendet, fie meinten nun Attila preiss
geben zu Tönnen; erft die Drohung der Athener, fich mit den
Barbaren zum Angriff auf den Peloponnes vereinen au wollen,
bewog fie, ihr Heer mit dem attifchen zu vereinen. Auf dem
Felde von Plataiai wurde das Landheer der Perſer ver«
nichtet, und zum dritten Male zeichnete fih Aifhylos unter
den Kämpfern Athens aus. Deffelben Tages trieb bei der Hel⸗
lenenflotte vor Mykale ein Heroldftab mit den Wellen heran;
man erfannte das frohe Zeihen der Götter; unter Leotychides,
dem Spartanerfonig, und Dem Athener Zanthippos wurde ge
fänıpft und gefiegt,, die helleniſchen Gewäſſer der perfifchen
Seemacht frei (479).
Der gewaltigfte Umſchwung in allen griechifchen Verbält:
niffen war die unmittelbare Folge diefer Siege. Bisher hatte
das oligarchiſche Sparta die Hegemonie der Hellenen gehabt,
mit eiferfüchtigen Blicken die demokratiſchen Negungen aller
Drten überwacht nnd nur in Achen nicht zu erſticken vermocht;
die Perſerkriege offenbarten von Neuem die Engherzigkeit und
Selbſtſucht dieſes Staates, der, ftatt die rechte Stüge und Zus
flucht Aller zu fein, feiner Rettung willig Alle geopfert hätte.
Sparta fürchtete die ungehenre Aufregung, die der Kanıpf für
die Freiheit aller Orten hervorgerufen; 35,000 Heloten hatten
bei Plataiai für die Freiheit gefänpft, an der fie feinen Ans
theil hatten; nur härtefter Druck Tonnte fie in Gehorſam, konnte
die Berfaffung erhalten, die dem nicht zahlreichen doriſchen Adel
die rückſichtsloſeſte Herrfchaft über Hunderttaufende gab. Eparta
mußte fein Gebiet abfperren, damit nicht das lockende Beifpiel
der attifhen Demokratie int eignen Lande Nahahmung fünde,
mußte jede Fortfeßung der zur Rettung aufgernfenen Aufregung
Einleitung. 15
zu hindern ſuchen; darım wurde die VBerpflanzung der Hellenen
in Afien und den Inſeln nach dem Weiten verlangt, damit
jeder weitere Anlaß zum Kampf mit den Perfern gehoben wäre.
Diefe eben fo engherzige als kurzſichtige Maaßregel ging nicht
durch, anf Athens Antrag wurden die Infeln und die aflatis
fhen Erädte in die Eidgenoffenfhaft mit aufgenommen, die
zum Kampf gegen die Perfer gefchloffen war. Eie fland unter
fpartanifcher Hegemonie, aber der Spartauer Panfanias, der die
cidgenöffifhe Flotte befehligte, knüpfte verrätherifche Verbindung
mit dem Barbaren an, vermählte ſich mit der Tochter eines
Achaimeniden, umgab fi mit perfifchen und ägyptiſchen Tra-
banten, durch Perferhülfe gedachteer Tyrann in Hellas zu werden;
fhon benahm er ſich wie ein Tyraun gegen die ihm uutergebe-
nen Gefchwader. Seine brutale Härte empörte die Seeſtaaten,
vergebens riefen die Spartaner ihn zurüd; fie mußten es ge«
fchehen Iaffen, dag Athen zur Hegemonie der Eidgenoffenfchaft
berufen wurde. So trat Athen durch feine Freiheit fiegreich
und doppelt frei und freifinnig durch diefe Siege an die Epige
einer Verbindung, die der peloponnefifhen Bundesgenofienfchaft
das Gegengewicht halten konnte, an die Spitze der fortfchret:
tenden Bewegung und der neuen Zeit. Meächtig genug, den
Kampf gegen die Barbaren allein fortzufegen, geilattete es dem
Heineren Staaten gern, flatt Schiffe und Mannfchaft fortlan-
fende Subfidien zum Perferfriege zu zahlen, und während alles
andere helleniſche Land in tiefem Frieden die Früchte der glor
reihen Freipeitsfriege genoß, erfämpften die arhenäifchen Flote
ten an den thrakiſchen und afiatifhen Küften neue Siege und
nene Befigungen. Diefer fteten Rüftigkeit und Kampfluft ent:
fprad) im Innern die höchfte Lebendigkeit, die glücklichſte Ein-
tracht des politifchen Lebens; felbft die Meinungsverfchiedeuheit
‚ ber Führer fchien nur eine defto kräftigere und allfeitigere Ein-
heit des Wirkens bervorzubringen; in Themiſtokles und
16 on Einleitung.
Ariſteides war Raſchheit und Borficht, Verſchlagenheit und
Rechtlichkeit, Thatendurft und Ehrfurcht gegen das Alte durch
dem gleichen Patriotismus verfühnt; und das Volk folgte den
Siegern von Ealamis und Plataiai mit der Hingebung und
Begeiſterung, die die [hönfte Blüthe der Freiheit find.
Diefer Zeit des rüftigen Kampfes und des kühn empor:
firebenden neuen Lebens gehören die fhönften Jahre in Aiſch y⸗
108’ Eeben, die erfien Siege feiner dramatifhen Kunf. Er
ſelbſt pflegte zu erzählen, als Jüngling habe er einft im Wein-
berge feines Vaters gefchlafen, im Traume fei dann der Gott
Dionyſos zu ihm getreten und babe ihm aufgetragen, Tragödien
zu fchreiben; dann fii er erwacht und habe dem Geheiß des
Gottes gemäß zu dichten begonnen. Und fchon zehn Sabre
vor der Marathonifhen Schlacht trat er im tragifhen Wett-
Tagepf gegen den jubelnden Pratinas und die ſüßen Geſänge
des Phrynichos auf; aber erft nach jenem großen Tage trug er
einen erften Preis davon. Bedeutfam genug; das eben ift das
Eigenthümliche der griechifchen Freiheitskriege, nicht ermatter,
fondern gekräftigt zu haben, nicht einer Menge Lleiner wohl⸗
meinender Talente zerfplittert und verkommen zu fein, ſondern
fih in den tieffinnigen Geift eines großen Dichters verfenkt
zu haben, um wie eis theurer Schag aller Zukunft aufbewahrt
zu bleiben. Wie fich fortan die Geſchichte des athenäifchen
Bolfes auch geftalten mochte; der große Dichter trat wieder
und wieder auf als ein Zeuge der Marathonifhen Zeit, der
das Vaterland feine Größe dankte, als Vertreter der Frömmig:-
feit, Mäßigung und Selbſtverleugnung, in Dersdas Volk das
Sröfefte befanden und das Glorwürdigſte vollbradit hatte.
Unabläffig drang er darauf, Gerechtigkeit und Befonnenheit als
die flete Richtſchnur des öffentlichen Lebens zu bewahren, nicht
durch den Iodenden Schein der Macht. fih den Blid der. Bor:
fiht und Tugend bienden zu Jaffen. Weit entfernt mit The
Einleitung. 17
miftofles, dem kühnen Schöpfer der attifhen Seemacht, die
Siege über Perfien nur für einen Anfang zu halten, zu beffen
weiterer Entwidelung alle Kraft des Volkes, alles Streben
der Einzelnen zu vereinigen fei, ſprach er wiederholentlich die
Anficht aus, daß dies raftlofe Hinausftreben über den friedlichen
Genuß der Gegenwart nicht frommen werde, daß es felbft das
fhon Errungene gefährden und den ‚gerechten Ruhm befledien
könne. _ Diefe Anfiht, obſchon fie den Charakter der athenäi- -
ſchen Geſchichte verfannte, bat vielleicht einen ethifch höheren
Werth, wenn nicht des Dichters eigenes Bekenntniß wahr ift,
daß höhere Pflichten als die perfünlichen, höhere Tendenzen als
die moralifhen des Menfhen Werth und Wirken beflimmen;
ben frommen Wunfch, eine begonnene Entwidelung in irgend
einem Punkte gehemmt und zu einer glüdfeligen Zuſtändlichkeit
ausgebreitet zu fehen, widerlegt jedes Drama des großen Dich
ters felbit und nicht minder das große Drama feiner vaterlän-
difchen Gefchichte. Aus dem Gegebenen alle Folgerungen, alle
Möglichkeiten zu entwideln, ift die verhängnißvolle Nothwen⸗
digkeit des gefhichtlihen Lebens.
ü Sechs glorreihe Jahre hindurch hatte Themiftofles das
athenäifhe Volk geleitet, hatte den fpartanifhen Einfluß auf
den Peloponnes zu befchränten, den der Uthener über die Hüften
und Inſeln auszubreiten gewußt, hatte im Einverfländniß mit
Arifteides durch Berufung auch der armen Bürger zur Looſung
um die Ehren und Nemter des Etaates der Demofratie eine
neue Stüge, dem Einfluß der Volksredner ein neues Feld ges
geben, hatte die von ihm begründete Seemacht fihnell empor
blühen, Athens Seeherrfhaft fi fchnell und weit ausbreiten
fehben. Da vereinte fih fpartaniihe Mißgunſt und ariftofra-
tifcher Standesgeift, ihn zu flürzen. Gegen ibm trat Kimon
auf, der Sohn jenes Marathonifchen Sieger, der einft Tyrann
im Cherſones gewefen war, der nad jenem Eiege die Macht
I. 2
18 Einleitung.
Athens zur Ausführung einer perfünlichen Race zu mißbrauchen
verfucht hatte. Darüber von Kanthippos verklagt, war Mil
tiades im Gefängniß gefiorben, aber fein Sohn zahlte die un-
geheure Buße von fünfzig Talenten; feine glänzenden Seezüge
nach den afiatifhen Küſten brachten ihm neue Echäge, unend⸗
lichen Ruhm; fein vertrauliches Berhältnig mit dem glorreihen
Adel von Sparta fhmeichelte der Eitelkeit des athenäifchen
Demos. So gelang es ihm und den Männern feiner Parthei,
Themiftofles’ Verweiſung durch den Oſtrakismos durchzufegen
(474). Bald erneueten fie mit Sparta vereint ihre Verfolgun⸗
gen: er habe die Verbindung mit dem Perferkönige, die zwei⸗
deutig genng fchon zur Salaminifhen Zeit angeknüpft gewefen,
in Einverfländnig mit Panfanias, dem Berräther, fortgefegt;
er ward vogelfrei erflärt und entfloh mit Mühe dem Haß feis
ner Widerfacher (473). So trat neben dem alternden Arifteis
des Kimon an die Spige der Angelegenheiten, binneigend zu
jener Weife der Bolksbevormundung, die er in der fpartanifchen
Berfaflung fo vollkommen ausgebildet bewunderte; Athens Ei:
ferfucht gegen Sparta, die Themiftofles eifrigft und erfolgreich
genährt harte, fuchte er auszugleichen, fuchte eine Annäherung
zwifchen den beiden Etaaten zu bewirken, über deren bereits
bis zum entfhiedenen Gegenſatz ausgebildetes Verhältniß ihn
nur feine ariftofratifhe Gefinnung täufhen konnte. Je ents
fhiedener fein Anhang unter den Bornehmen, je deutlicher fein
Streben, durch gnädige Freigiebigfeit und vornehme Herab⸗
laſſung das andere Volk für ſich zu gewinnen hervortrat, deſto
mehr gewann eine volksthümliche Parthei an Einfluß, die be⸗
ſonders von der jüngeren Generation vertreten und im vollen
Gefühl ihrer Rechte und ihrer Macht mit Unwillen den Eu:
patriden hemmen — oder fürbern fah, wie es dem Intereſſe
feines Standes entfprach, die es mit Recht für dem gefährlich:
Ken Rüdihritt erklärte, wenn Kimon und feine Partei noch
Ginleitung. 19
jegt, nachdem die Zeit fo bedeutende Veränderungen geboten
und gebracht hatte, Kleifihenes’ Verfaſſung und nur fie feflge-
halten wiffen wollte, die endlich, wenn Themiftofles trog feiner
hohen Verdienfte dem Dftrafismos erlag, weil er zu hoch ges
ftanden, mit doppeltem Eifer diefem Kimon, dem fortwährenden
Strategen, dem Freund der ſpartaniſchen Dligarchie, dem Sohne
des einftigen Tprannen entgegenzuarbeiten bemüht war. Um
diefe Zeit begann Perikles feine große politifhe Laufbahn;
fein Bater war Tanthippos aus dem altheimifchen Eupatriden⸗
gefchlecht der Buzygen, feine Mutter Agarifte, die Nichte des
Allmaioniden Kleiftbenes. Herrfcher durch die Ueberlegenheit
feiner Willensfraft und feiner Einfiht, durch feine Gefinnung
und durch die Verhältniffe durchaus demokratiſch, vollbrachte
er, was nur feinem außerordentlihen Geifte und nur im athes
näifhen Volk möglich war, die Vereinigung der höchften repu⸗
blitanifchen Freiheit mit einer Monarchie, der nichts als der
Königliche Titel fehlte. Ale Elemente des Volkslebens, wie
fie nur die Demokratie zu entwideln vermag, ohne Rückhalt
frei zu geben, alle Kühnheit und Begier, alle Leidenfhaft und
Kraft in der höchſten Ungebundenheit allein durd die ernfte
Ruhe und Sicherheit feines hohen Geiftes zufammen zu halten
und zu der höchften Energie des Wollens und Könnens zu ver⸗
einen, das war der große Gedanke eines politifchen Charakters,
deffen Gleichen Griechenland nicht wieder gefehen hat.
Zunähft galt es, den ärmeren Bürgern den vollen Genuß
der Rechte, die ihnen die Verfaſſung gewährte, zugänglich zu
machen. Perikles' Einführung eines Soldes für die Theil:
nahme an den Gerichten, für den Befuch der Volksverſamm⸗
‚ Jung, die Geldvertheilungen für Feftfeier und Theater hatten
* den großen Erfolg, daß auch die ärmften Bürger, welche bisher
. die Arbeit um das tägliche Brod von der Prayer und den Ge
richten, vom Theater und den glänzenden Feſtopferzügen ent-
30 Einleitung.
fern halten mochte, fortan mitfeiernd und mitfchauend an der
Blanzfülle varerländifcher Feftfeier ihr Selbftgefühl, an den
vollendetſten Tünftlerifhen Geftaltungen den Sinn für das
Große und Schöne bildend nähren konnten, daß fie fortan
ihre faatlihen Pflihten und Nechte auszuüben vermocten, ja
eben darin einen hinreichenden Unterhalt finden konnten, daß
ſich fo die Gerichte und die Verſammlung mit der Menge füllten,
die, rafch, erregbar, vorwärtsdrängend wie fie war, allerdings
den großartigen und Tühnen Plänen eines Perikles eher zu-
jauchzen mochte, als den berechneten, rüdhaltigen und meilt hal⸗
den Maafregeln der wohlmeinenden Ariftofraten.
Sp wurde der Einfluß des Olympiers, wie ihn das be:
geifterte Volk nannte, ftets mächtiger und entfchiedener; die
Pracht der öffentlihen Spiele und Bauten, die firenge Würde,
die er Athen gegen die Bundesgenoffen zu behaupten lehrte,
die ruhige Sicherheit gegen gefährlihe Feinde, die ftolze Rück⸗
fichtslofigkeit gegen mächtige Freunde, das Alles entſprach der
eigenthümlihen Einnesart der Athener vollkommen und fleis
gerte ihre Thatkraft, indem es ihrem Selbftgefühl fchmeichelte.
In der That, die Zeit der Marathonifhen Kämpfer war
yon einer jüngeren Generation, von anderer Gefinnung und
von anderen Anforderungen verdrangt. An die Stelle der
ſchweren Kämpfe für die Eriftenz, für Heerd und Heimath,
trat ein thatlufiiges Seemannsleben, Tühn über die Hoffnung
hinaus zu wagen, in Gefahr noch voll kecker Zuverficht, ſtets
mit immer neuen Plänen der Gegenwart voraus, unermüdlich
mit Mühfal und Gefahr Weiteres zu erringen; Die einfache,
ernft befcheidene Weife des früheren Bürgerthums begann fi)
mit den gewählten Genüflen freierer Bildung und der heiteren
Pracht, die der Staat in feinen Bauten, feinen Feſten, feinen
Sendungen entfaltete, zu bereichern und in der wachfenden
Menge von Bedürfniffen und Erzeugniffen aller Art fi) feloft
Einleitung. q
gleihfam zu vervielfältigen. Auch die dramatifche Kunft, dies
fiete Spiegelbild des athenäifchen Lebens, mußte fich diefer
neuen Richtung entfprechend geftalten; in Sophofles fand
fie ihren großen Vertreter. Es war in den Dionnfien des
Jahres 468, ald gegen den fait fechzigiährigen Marathon:
fämpfer der Tüngling von Kolonos auftrat; unter der heftigs
fien Aufregung des Volks ward dem jüngeren Dichter der Sieg
zu ‘Theil, für die Nichtung in der Kunft und im Staat, die
Aiſchylos vertrat, eine entfchiedene Niederlage Er verließ da-
mals Athen und ging auf Einladung des Könige Hieron nad
Syratus. Wie lange er dort blieb, ift nicht überliefert; ge⸗
wiß nur ift, daB er einige Jahre fpäter wieder in Athen war,
An Athen hatten ſich indeß die Verbältniffe ſchnell und
gewaltfam geändert; im Innern wie nad Außen bin hatten
fi die Gegenſätze zur fchroffiten Entſchiedenheit entwidelt; der
Verſuch, fie auszugleihen, brachte den Kampf zum Ausbruch. —
Mit dem Doppelfiege am Eurymedon (469) war die letzte bes
deutende Macht, die Perfien gegen Athen aufgebracht hat, vers
nichtet; der Machtbereich Athens über die Inſeln und die afla-
tifhe Küſte begründet; cine Herrfchaft, die für Sparta ein
Gegenftand des bitterften Neides, für die Bundesgenoffen felbft
Höhft drüdend zu werden begann. So wagte 467 die Inſel
Thafos den Abfall und wandte fich hülfebittend an Sparta.
Und fhon war die Hülfe zugefagt, ein fpartanifches Heer follte
in das Gebiet von Attila einfallen; da brach im Iakonifchen
Lande eine furchtbare Empörung aus. Die unglüdlichen He
Ioten, unter ihnen befonders die feit zwei Zahrhunderten vers
knechtete Bevölkerung Meffeniens, waren feit den Perferfriegen,
in denen fie mitgefämpft, nicht mehr in der alten Weiſe ſtum⸗
men Gehorfams; fie fehnten fih nah Erlöfung ihres unwür⸗
digen Joches, Pauſanias hatte mit ihrer Hülfe die fparta-
nifche Berfaffung umzuſtürzen beabfichtigt und fie mis dem Ber
33 Einleitung.
forechen der Yreiheit gewonnen. Seine Pläne wurden ver:
eitelt, der Drud gegen fie mehrte fich, feld am Altar des Tem:
pels zu Tainaron wurden fie ermordet. Da zerftörte cin furcht⸗
bares Erdbeben das Epartanifhe und vor Allem die Haupt:
ſtadt, und fofort erhoben ſich die Heloten in Maſſe, fegten fich,
da ein Angriff auf Sparta mißlang, auf Ithome im mefleni
ſchen Lande feſt, ſchlugen glücklich alle Angriffe der Epartaner
zurüc (466); die Spartaner- Macht drohte zu zerfallen.
Ohne Unterfiügung von Sparta vermochte Thafos fich nicht
zu behaupten. Kimon unterwarf die Inſel (464); heimgekehrt
ward er verklagt, von dem Makedonierkönig beftochen, die Un⸗
terwerfung feines Laudes unterlaffen zu haben. Er wurde frei-
geſprochen; bald ergab fid) Gelegenheit, feinen Einfluß im Bolt
zu bewähren. Die Spartaner vermochten Ithome nicht zu er-
obern; die Aufregung, welche die freien Unterthanen ergriffen,
mochte fie hindern, hinreichende Macht aufzubringen; überdies
waren fie im Belagerungstriege nicht eben erfahren; fie fuchten
auswärtige Hülfe, fie überwanden fi auch in Athen um Bei:
fland zu bitten. Vergebens widerfegte ih Ephialtes, der
edle Genoſſe des Peritles, dem Anfinnen, das chen fo fehr gegen
die Politik wie gegen die Demokratie Athens zu ftreiten ſchien;
Kimon beredete das Bolt zu-einer Sendung von viertanfend
Hopliten, die er ſelbſt führte (463). Uber eben diefe Verbin⸗
dung mit Sparta offenbarte, bis zu welcher Feindfeligkeit es
fhon zwifchen beiden Staaten gekommen fei; da die Erftürmung
der Feſte nicht fchnell erfolgte, argmöhnten die Epartaner, die
Kühnheit und den rafchen Unternehmungsgeift der Athener
fürdtend, fie möchten mit den Meffeniern Berbindung anknü⸗
pfen, fie entließen unter allen Bundesgenofien allein Die Athener:
man bedürfe ihrer nicht mehr. Für Kimon und feine Parthei
die empfindlichfte Niederlage; für Athen die ſchimpflichſte Be⸗
leidigung und ein Beweis, daß man mit Sparta nimmermehr
Einleitung. 3
in Verhältnis fein könne. Sofort hoben die Arhener das- feit
den Perferkriegen mit Sparta beftehende eidgenöfüfche Verhält⸗
niß anf, ſchloſſen mit Argos, der erbitterten Feindin Sparta’s,
ein Schutz⸗ und Trutzbündniß, zogen auch die Theffalier zu
demfelben; ja auf Perikles Antrag wurde zu allen Hellenen
Aliens und Europa’s gefandt, man möge fich zu einem Geſand⸗
tentage in Arhen vereinen, um über den Wiederaufbau der im
Perſerkriege niedergebrannten Tempel, über die Löfung der da⸗
mals gemachten Gelübde, über die allgemeine Sicherheit der
Meere, über den Frieden zu berathben. Mißlang auch biefer
große Plan durd den überall gegenarbeitenden Einfluß der
Spartaner, fo zeigte er doch die bis zu den kühnſten Maaßnah⸗
men gefleigerte Erbitterung Athens, gleich als habe der füh-
rende Staat die gemeinfamen Intereſſen der Hellenen verrathem,
als fei Athen, nachdem es das Aeußerſte von Selbftverleugnung
gezeigt, endlich jeder weiteren Rückſicht überhoben, und ent:
ſchloſſen fi an die Spipe des hellenifchen Lebens zu ſtellen
und das Weitere glänzend hinauszuführen.
Eben da (462) hatten fih die in Ithome unter der Be
dingung freien Abzuges ergeben, und die Athener fiedelten die
Meffenier in dem ihnen gehörigen Naupaktos an. Die Me:
garer, von den Korintbiern in ihren Gränzen gefährdet, fagten
ſich vom peloponyefifhen Bunde Ios und die Athener nahmen
fie mit Freuden auf, befeftigten ihre Stadt, ihren Hafen, ſicher⸗
tem fie durch eine Beſatzung.
Es ift begreiflih, daß in demſelben Maaße, als fich die
äußere Politik Athens in fehrofferen Gegenfag gegen Sparta
ftellte, im Innern fih der demokratifhe Eifer mehrte; man
mochte fi überzeugen, dag nur in der vollen Demokratie, in
der Aufhebung jedes Neftes ariftofratifher oder hemmender
Berhältniffe die wahre Sicherung des Staates und feiner Macht
zu finden ſei. Noch befand der hohe Rath auf dem Areo⸗
24 Einfeitung.
pas; da feine Mitglieder, geweiene Archonten, auf Lebenszeit
in demfelben faßen, fo mußte er noch aus der Zeit, wo nur
der erfie Stand zur Archontenwürde berechtigt gewefen war,
zahlreiche Mitglieder aus den Eupatriden haben; auch feit
Arifteides Einführung allgemeines Looſens⸗konnten ſich wohl
nur Wohlhabende zu der Loofung um Aemter melden, die nichts
als die Ehre einbrachten. So war der Areopag mit Vorneh⸗
men, mit Männern der Marathonifchen Zeit beſetzt; ihr Alter,
ihre Erinnerungen und Gewohnheiten, die ganze Stellung des
hohen Rathes felbft mußte ihn als der demofratifchen Bewegung
entgegenfiehend erfcheinen laſſen. Er entfchied nicht bloß über
die unfühnbaren Mordfachen, fondern in feinen Händen lag
eine Gefammtanfficht, eine Staatscontrolle von folchem Umfang,
wie fie mit dem Wefen der Demokratie unvereinbar zu fein
fhien; er überwachte die Thätigkeit des Volksrathes und der
Volksverſammlung als Hüter der Gefege, er that Einfprud)
gegen die Volksbeſchlüſſe, die wider Gefege verfließen, gegen
Anordnungen, die das Wohl des Staates zu gefährden fchienen;
die Beamteten fanden unter feiner Aufficht; er hatte die Bes
fugniß, wo er Sittenlofigkeit, Mißachtung der Religion, Ber:
fhwörung, verbrecherifhe Abfichten gegen Einzelne oder gegen
den Staat fand, kurz, wo es ihm nöthig fchien, als höchfte
Polizei einzufchreiten; fein Macdtbereih war duch Feine Ge:
fee vorgezeichnet; das Gewiſſen der würdigen, geprüften, ges
fchäftstundigen Männer und die Heiligkeit des mit dem Dienft
der Pallas Athene und der Eumeniden eng verknüpften JInſti⸗
tutes war die einzige Richtſchnur, die einzige Gewähr gegen
den Mißbrauch fo hoher Machtvollkommenheit. Der Areopag
war das flabile Element in der Demokratie und über der:
ſelben.
Perikles herrſchte in der Volksverſammlung und durch ſie;
er mußte eine Behörde, die deren Souverainität beeinträchtigte,
Sinleitung. 25
am jeden Preis bredien; es mußte dem Volk, das fih muͤndig
fühlte, die Tegte Felfel der Bevormundung gelöft werden; es
mußte an die Stelle wohlgemeinter Willführlichkeiten Weniger,
gefeglihe Abgränzung der Befugniffe und der entfheidende
Wille der Gefammtheit treten; Geſetz und Berfaffung mußte
der unmittelbare Ausdruck des ſich im Fortfchrirt immer neu
und immer herrlicher geftaltenden Volksthumes fein. So be:
antragte denn des Perikles hochherziger Freund Ephialtes, daß
dem Areopag alle weitere Befugniß außer dem Blutbann ges
nommen, und an anderweitige verantwortliche Behörden oder
an die Bolksgerichte übergeben, ingleichen daß die Gefepestafeln
des Drakon und Solon von der Burg herab auf den Markt
gebracht würden. Dies gefchah, wie es feheint, im Jahre 461,
als Kimon auf einem Seezuge abwefend war. Mit diefer Um⸗
geftaltung der Berfaffung war die Demokratie Athens vollendet.
Aber keinesweges ohne Widerſpruch; Manchem mochte diefe
Neuerung „ein ſchlechtes Zeugniß“ erfheinen; „ber klare
Duell der Geſetzlichkeit war j mit Shlamm verunreint;
nicht mehr geeignet, den Dürſtenden zu laben“ (Eume
niden B. 665); „der Altar des Rechtes war ja zertreten“
(der Heimath bittren Schimpfes Anfang, Agamennon B.370 ff.);
man hatte die glüdlihe Mitte, nicht unregiert und
niht gewaltbeherrfchr zum fein, aufgegeben. (Gumeniden
BD. 668. 570.) Die Unzufriedenen mußten in Kimon ihre leßte
Hoffnung fegen, mit feiner Rückkehr begann eine Gegenbewe-
gung, die die gegenfeitige Erbitterung nur fleigerte. Kimon
bemühte fih, dem Areopag feine Befugniffe zurüdzugeben, ja
«die Geſammtverfaſſung auf die Formen, die ihr Kleiſthenes ge:
geben, zu befchränten. Was im Einzelnen vorging, wird nicht
überliefert; daß aber Kimon nicht auf dem verfaffungsmäßigen
Wege durch Einbringung eines umgeftaltenden Gefeges feine
Abſicht durchzuſetzen fuchte, fheint aus der Form der Klage,
26 Einleitung.
die gegen ihm gerichtet wurde *), hervorzugehen; nur eine Ma⸗
jorität von drei Stimmen rettete ihn von dem Tode; er mußte
fünfzig Talente Strafe zahlen. Es blich bei der neuen Berfaflung,
und bald genug follte die vollendete Demokratie Gelegenheit
finden, in einer Weberfülle von Kämpfen und Gefahren den
ganzen Reichthum ihrer Kräfte und ihres Muthes zu bewähren.
Mit dem Fahre 460 waren zweihundert athenäifhe Schiffe
gen Cypern gefandt; da bat Aegypten, das ſich gegen die
perfifhe Herrfchaft empört hatte, um Beiftand, und die Athener
fänmen nicht, ſich in diefen fernen und fchwierigen Krieg ein⸗
zulaffen, der ja unendlihe Bortheile in Ausfiht ſtellte. Es
wurden andere dreißig Schiffe, wie es fcheint unter Ephialtes
Führung gefandt, bie phönicifhe Küſte anzugreifen. Zu⸗
gleich entbrannte ein Krieg mit den Korinthern, Die wegen ber Bes
fegung von Megara erbittert waren; mir den Epidauriern ver:
einst, fiegten fie bei Halini. Nun brachten die Peloponnefier
- eine große Flotte zufammen, auch ber noch immer mächtige
Seeſtaat Aegina rüftete zum Kriege; auf den Untrag ber Sa
mier wurde der gemeinfame Schat der athenäifhen Bundes:
genofienfhaft von Delos nah Athen gebracht. Dann fiegten
. die Athener bei Kekryphaleia über die peloponnefifche Flotte;
fie warfen fih auf Aegina, fie fiegten von Neuem, fiebzig
Schiffe eroberten fie, Iandeten, begannen die Stadt zu belngerm.
Die Deloponnefier fandten ihr dreihundert Hopliten zu Hülfe,
die Korinthier machten einen Einfol nah Megara, in der
Hoffnung, den Feind zum Abzug von der Inſel zu bewegen;
aber aus Athen zogen die Aelteften und Tüngften ben Feinden
entgegen nnd in wiederholten Kampf fiegten fie volllommen.
) Es war nicht Klage wegen Paranomie, fondern wegen Umſturzes
der Berfaffung, wenn anders die einzige darüber vorhandene Angabe
gen ift. Unwahrſcheinlich ift die Notiz bei einem fpäteren Autor, daß
leon der Kläger geweien fei.
⸗
Einleitung. 27
Man würde dies Uebermaaß von Anftrengungen in Zweifel
zu ziehen geneigt fein, fände es nicht in einer alten Todten⸗
infchrife feine Beftätigung: Bon der Erehthäifhen Phyle
im Kriege gefallen in Cypern, in Aegypten, im
Phönicien, in Haliai, in Aegina, in Megara defs
felden Zahres find folgende. Folgt dann ein Verzeich⸗
niß von mehr als 160 Namen. So viele waren aus einer der
sehn Phylen gefallen; der Verluſt Athens in dieſem einen Tahre
mochte fi auf 1500 Bürger belaufen und die Gefammtbürger:
fchaft war nicht 30,000! Das mag freilich eine ernfte Leichen⸗
feier im Kerameikos geweſen fein, von der jener Stein mit fei-
ner Inſchrift ſtammt, die Leichenfeier für die, „die fern im
feindlihen Zande gefallen” und an deren Statt „ein
tleines, trübfeliges Weberbleibfel, mis Staub gefüllt
der ſchön verzierte Aſchenkrug heimgelommen.“ (Ugamemnon
9.420 ff.)
Die Athener hatten im Laufe diefes Krieges Gelegenheit
gehabt zu fehen, wie leicht fie durch eine Invaſion vom Iſth⸗
mos her gefährdet werden könnten; fie mußten einfehen, daß
fi Sparta, wenn e6 fi nur einigermaaßen wieder ftreitbarfühlte,
von diefer Seite her gefürchter werden müſſe; für den Fall galt
es, eine fichere Verbindung der Stadt mit den Häfen herzuftel-
Ien. Noch im Laufe des Tahres 460 wurde der Bau der lan⸗
gen Mauern begonnen, und Kimon war es, der namentlich
mit größtem perfönlihen Aufwand das Unternehmen förderte.
War es ehrliher Patrivtismus, war es ein Verſuch, die Volks⸗
ſtimme wieder zu gewinnen, Kimon wurde mit dem Anfang des
Sahres 459 durch den Oſtrakismos aus Athen verwiefen.
Man vergegenwärtige fiih wohl die Lage, die Stimmun⸗
gen des Volks in jener Zeit. Es Wwährten die Kriege aller
Drten, fie forderten nach fo ſchweren Verluſten neue und nene
Anfirengungen; man war in fieter beforglicher Spannung, je:
28° Einfeitung.
ber Tag konnte niederfhmetterndes Unglüd bringen! Wie far
mußte der Segendrud fein, wenn das Bertrauen der Menge
niht von Bangigkeit und Unmuthigkeit überwältigt werben
follte; e8 waren Perikles und feine Genoffen, die das Volk zu
immer Tühneren Wagniffen begeifterten, jede Leidbenfchaft bis
zur höchſten Steigerung der Kraft und der Setbfiverleugnung
entzündeten, bis zur Schwindelhöhe des Wollens und Wün⸗
fhens mit fih fortriffen. Und das Volk verfagte den Führers
nicht, es vergaß den Bortheil fo wie die Mühfal des Augen:
blids um der Zukunft vol Ruhm und Macht Willen, durd
fo ungeheure Wagniffe und Aufopferungen nur noch hartnäfs
figer, den Spartanern nur noch erbitterter, den heimlichen Spar»
tanerfreunden daheim unverfühnlih. Und nun diefe felbit, von
altem Adel und altem Reichthum, einft Herren im Staat, wie
waren fie nun aller Drien verkürzt und gefchlagen! Auf ihnen
laftete der Druck der Trierarchien, des Mauerbaues, vieler Leis
fiungen fonft, ohne daß fie ein ſtaatliches Vorrecht entichädigte;
gegen fie ſprach fih das Mißtrauen und die Scheelſucht der
num berrfhenden Menge in Volksverſammlung und Volks—⸗
gerihten aus, ohne daß der Areopag fie noch zu ſchützen ver-
mochte; jedes gefetliche Mittel ihre einftigen Rechte zu fchügen
oder dem Staat die Verfaffung zu geben, darin fie allein Heil
fahen, war geſcheitert; fie hatten nichts davon getragen als dem
Borwurf, Freunde Eparta’s, Feinde des Baterlandes und der
Demokratie zu fein. Run war auch Kimon, der ruhmreiche,
der einft fo volfsbeliehte, ihr Führer, verwiefen; nun hatten
fie feine Stüge, feine Hoffnung, wenn nicht außerhalb der Hei«
math, wenn nicht im Zerfprengen der herrfchenden Parthei.
Epbialtes, Sophonides Sohn, war arm, aud nachdem
er Aemter des Staates verwaltet, eine Flotte an den reichen
Küften Aiens gefüprt hatte; feine erprobte Neblichkeit, feine
ächt demokratifche Geſinnung, fein glücliches Ankämpfen gegen
Einleitung. 29
den Areopag, mußte ihm in der Neigung des Volks eine Stelle
neben Perikles erworben haben. An ihn machten ſich die Oli⸗
garchen; war ſein Verhältniß mit Perikles etwa nicht mehr
das alte, daß fie es wagen konnten? fie boten ihm zehn Ta⸗
Iente, er wies fie zurüd; fie hatten fih bloßgeftelt. Da fand
man eines Morgens den Waderen ermordet! Man fuhte und
forfhte nah dem Mörder vergebens. Die neuen Behörden
ohne hinreichenden polizeilihen Machtbereih und ohne Ges
fhäftsgewandtheit waren nicht im Stande, dem furdtbaren
Verbrechen auf die Spur zu fonımen. Der Areopag war ja
nicht mehr in feiner einftigen Befugniß, Epbialtes felbit hatte
ſich ja feiner beraubt, man mochte gar wohl an die wunder:
bare Fügung der Erinnyen denken. Ze bartnädiger fih der
Zuſammenhang des Verbrechens verbarg, deito ärger fteigerte
fih Die Aufregung, das Mißtrauen, die gegenfeitige Befchul-
digung. Die Dligarchen, die Freunde Kimons, traf der näch—
fie Verdacht; fie wieder höhnten, Perikles fei vol Neid auf
Epbialtes Ruhm und Anſehen gewefen, und er fei ja ans dem
blutbefleckten Geſchlecht der Allmaioniden, „von dem Schat«
ten, der durch fein Geſchlecht hingehe, rede ja tau—
fendfahet Mund“ (Gumeniden B.355ff,Jund „gern zeuge
alte Schuld Frevelfhuld fort und fort, bald da,
bald dort, wenn’s ihre Zeit" (Agamemnon B.740 ff.).
Es muß eine Zeit der gräßlichſten Anfeindungen gewefen fein;
es hieß, das fei mehr denn ein Mord, fei ein Verſuch, die
Denofratie zu ſtürzen; Tyrannei, Dligarchie, Verknechtung des
Volkes, — daranf fei es abgefchen.
Und gerade jest fanden die Spartaner in der Nähe
von Attika. Sie waren vor Kurzem (Herbſt 459) ihren Stamm:
genoffen in Doris zn Hülfe geeilt gegen die Phofier; es war
ihnen wichtig, einen fetten Punkt jenfeits des Iſthmos zu ges
winnen, ihren Einfluß in Boiotien zu fihern, den Männern
oo. Einleitung.
der oligarchiſchen Parthei in jenen Gegenden Vorſchub zu ge-
währen. Nachdem fie die Phokier bewältigt, wollten fie heim:
Tehren; aber eine attifhe Flotte fperrte ihnen den Weg über
den forinthifhen Bufen, und die Straßen zum Iſthmos "waren
ebenfv mit attiihen Poſten befegt, fo gaben fie die Rückkehr
auf, um fo bereitwilliger, da bereits mit den Oligarchen Athens
eine vielverfprechende Verbindung angelnäpft war. Diefe hats
ten fih an fie gewandt, in der Hoffnung, mit ihrer Hülfe die
Demokratie zn ftürzen, den Ban der langen Mauern zu hem:
men. In der That, es war die höchfte Gefahr; man durfte
da nicht länger die Nähe des feindlichen Heeres dulden, das
fih bereits hart an der attifchen Grenze bei Tanagra gelagert
hatte; es mußte ein entfcheidender Schlag gewagt werden,
wie ſchwer auch bei der gegenwärtigen Verwendung der Streit
kraͤfte die Aufftellung eines neuen Heeres fein mochte.
Mit dem Frühling des Jahres 458, bald nach der Aufs
führung der Aifchpleifchen Oreſtea, rüdte das Heer der Athe:
ner, von Argeiern und Theſſaliern verſtärkt, gegen den Feind.
Kimon fam zum attifchen Heere, er erbot fi, in den Reihen
der Schwerbewaffneten mitzufänpfen; aber er ward zurücdges
wiefen; fo befhwor er denn die Männer feiner Parthei, tapfer
kämpfend, den Vorwurf, daß fie den Spartanern anbingen, zu
widerlegen; ihrer hundert fielen in der blutigen Schlacht von
Tanagra; durch din Berrath der theffalifhen Ritter verlos
ren die Athener den Sieg; aber auch die Spartaner hatten
bedeutenden Berluft, ihre Hoffnung auf Ummälzung war ver«
eitelt, fie Tehrten nah Abfchluß eines Waffenſtillſtandes in den
Peloponnes zurück.
Es iſt nicht nöthig, die weiteren heldenmüthigen Anſtren⸗
gungen der Athener, ihre Siege über Theben, die Eroberung
Tanagra's, Boiotien's, des Phokier⸗ und Lokrierlandes bis nach
@inleitung. 31
Theſſalien hinein zu berichten. *%) Die Demokratie Athens hatte
fi glänzend bewährt, hatte die Gefahr des Bürgerkrieges glück⸗
lich überftanden. Die Hoffnungen und Anftrengungen ber Oli⸗
garchie waren vollkommen gefcheitert. Noch mehrere Jahre
währten die Kriege; fo ungeheure Dpfer fie —— Athen
hielt doch das Feld.
Inmitten dieſer Bewegungen und Verhaͤltniſſe hat Aiſchy⸗
los ſeine Oreſtestrilogie gedichtet. Faſt ein ſiebzigjähriger
Greis, ſteht er, der Eupatride, unter dem Geſchlecht der Spät-
geborenen; er hat die fchlimmften Fahre der Tyrannis, die Um⸗
wälzungen der leifthenifchen Zeit mit durchgelebt, in den drei
herrlihften Schlachten für die Freiheit und den heimarhlichen
Ruhm gefämpft; an den fchönften Feſten des athenäifhen Got:
tes hat er Tugend und Weisheit und Mäßigung gelehrt, und
im heiligen Prieſterthum des Gefanges des Volkes Gefinnung
geläutert und gehoben; er weiß, wie hoch er gechrt ift, wie
mächtig fein Wort, wie erfchlitternd feine Kunft zu wirken ver:
mag. Noch einmal will er auftreten, feine Kunſt und feinen
Ruhm verwenden zum Schug des vaterländiihen Wohles, das
er gefährder jicht; ihm weiht er das letzte, das herrlichfte Werk
feiner riefigen Kunſt.
Sp dichter er den Mythos vom Drefles des Muttermör⸗
ders Flucht nad Athen, von der Stiftung des Areiospagos
durch Pallas Athene, von der Begründung des erniten Dienftes
der Eumeniden, die am Fuße des Aresberges weilen, den Fries
den im Lande zu hüten. Und diefer Friede ift nun durch
Epbialtes’ Mord zerbrohen, der Areopag nicht mehr in alter
Kraft, ihn zu hüten; die Erinnyen fingen ihren Feſſelhymnus
*) Kimon’s Rückkehr nad Athen ift Feinesweges unmittelbar nach
der Schlaht von Tanagra, wie es Plutarch um eines moralifchen Effec«
tes Willen ungründlich darftellt, fondern erft 454, da die Athener nad
Ausgang der ägpptifhen Erpedition Frieden wünſchen mußten, erfolgt.
au
N
. Of ”
33 Ginleitung.
zu der Menge umber, in deren Deitte der Mörder weilen mag!
Eie fingen (Eumeniden DB. 308):
— Wer frevelbewußt
Die blutigen Hände verheimlicht,
Da treten wir laut als Zeugen der Schuld
Dem Grfchlagenen auf und erweilen uns ihm
Als die vollen Bergelter der Blutſchuld.
Aiſchylos Taßt wohl erkennen, wen er für den Mörder bält
(B. 346):
Mannes Hoffahrt, prunfe fie droben auch preislich,
Nieder zur Erde hin finkt fie, verfümmert fie Elend —
Hingeflürzt nicht ficht er’s in feiner Bethörung ;
Alfo ein irrendes Dunkel umnachtet die Schuld ihn
Und von dem Schatten, der finfter durch fein Geſchlecht
Hingeht, redet tauſendfacher Mund.
Das ift der, welher „binreißt mit feiner Rede Zauber,“
der „glückesgefättigt frech zertrat der Gerechtigkeit Altar.“
(Agamemnon DB. 375.) Und fo fingen denn die Rachegottin⸗
nen (Eumeniden B. 523): R
Doch ſag' ich Taut: Uebertreter, Trotzes, frech,
Was wider Recht zufammen fie gewirrt,
Gewaltfam werben fie’s verfenfen
Einf, wenn der Segel Bruch und Sturz
Faßt den zerfchellten Maften —
Sein Hülfefchrei, wenn er gegen Strubels Wuth
Ringt, erhöret Niemann;
Einleitung. 3
Es lacht der Gott ob des heißen Eifrers,
So ihn, der ſtets Rath zu wiflen fick berühnt,
Rathlos zu fehn — aufzutauchen nur, zu ſchwach!
Zuletzt ſammt feinem einftgen Reichthum
Strandend am Feld des Rechts verfinft er;
Steiner beweint, vermißt ihn!
Denn es wird fhon zu Tage kommen, wer jenen Mord beging,
dann wird er, „stark wie er iſt“ (V. 335), doch dem Blutge⸗
richt anf dem Areopag verfallen und feinen Lohn finden. —
Und furchtbaren Zwiefpalt bat jener Mord im Laud ermedt;
die Erinnyen des vergoffenen Blutes find wach, Palles Athene
fucht fie zu verfühnen (Eumeniden DB. 820):
— So fehleudert nicht in unferm Land umher
Den blutgewegten Haber, Haßverwilderung
In's Herz der Jugend, Trunfenheit weinlofer Wuth;
Noch Trutz entzündend wie in Hahnes Herzen laß
Im meinen Bürgern Stätte du dem Ares fein
Des Bürgerfrieges und des wechfelfeitigen Grimms;
Nein außer Landes fei der ganz fchon nahe Krieg,
Drin edler Wettkampf wird des Heldenruhmes fein,
Doch Kampf von eines Hof's Geflügel mein’ ich nicht.
Sp nahe bevor fieht der Kampf von Tanagre, zu dem aud) das
Argeier Hülfsheer fommt, deffen „Bundestreuen Speer’ (Eu:
meniden V. 744) Dreftes noch in feinem Grabe zu fegnen ver:
fpricht. Und der verfühnte Eumenidenchor fingt (B. 933):
Mag des Aufruhre Wuth, Leides nimmerfatte Wuth
Tofen nie in diefem Land,
Nimmer der Staub mitdem Blute der Bürger getränft, rachedürſtend
Wechſelmordende Blutſühne
Heiſchen, Vernichtung der Stadt.
*
34 Einleitung.
Taufche man Freuden um Freuden,
Eins in der Liebe zum Ganzen,
Auch im Haflen eines Sinus;
Das heilt vielen Gram der Sterblichen.
Und das Schlußwort der Verſöhnten an die Bürger it (DB. 972):
Menn ihr mich, die mit euch wohnt,
Fromm verehrt, fo follt ihjr nie fchelten eures Lebens Loos!
Sp hat Aifhylos in feiner Trilogie gleihfam ein: Sühne⸗
feier für die auf dem Lande Taftende Blurfhuld gedichtet, eine
Berföhnung zugleich zwiichen den wilden Partheien, die den
Staat zn vernichten drohen, die alle eines Einnes fein fellen,
um den nahen Feind abzuwehren. Aber den einzigen wahren
Schutz findet er in der Wiedererhebung des geſtürzten Areopag:
„nicht unbeherrfcht, nicht gewaltgeknechtet zu fein ift das Rechte;
jegliher Mitte gewähren die Götter den Preis.“
(Eumeniden B. 500 u. V. 510):
Doch zumeift rühm' ich dies:
Scheu’ den Altar ſtets des Mechts,
Nimmermehr
Tritt ihn, Gewinn zu erfpähen, mit frevlem Fuß!
Palas Athene felbft fept dies Tribunal ein, „daß cs für alle
Zukunft bleibe und befiehe” (Gumeniden B. 664):
— — Es wird gefnüpft
An ihm des Dolfs Ehrfurcht und ihre Schwefter Furcht
Dem Brevel wehren, beides Nächtens und am Tag,
Wenn nicht die Bürger felber neuern mein Gefeß
Mit fchlechtem Suguß. Doch fo du den Elaren Duell
Mit Schlamm verunreinft, Tabt er nicht den Durfl’gen mehr.
Nicht unregiert und nicht gewaltbeherrfcht zu fein,
Ginleitung. . 3
Das fei dem Volk, fürforgend rath’ ich's, hoch und werth,
Und nicht entfernt euch alles Furchterweckende,
Denn welcher Menſch bleibt, wenn er nichts mehr fcheut, gerecht ?
Wenn folcher Ehrfurcht frommen Sinn ihr redlich hegt,
Ein rechtes Bollwerk für das Land, ein Heil des Volks,
So wie's der Menfchen Feiner hat, der Scythe nicht
Noch auch des Pelops nahe Landfchaft, Habt dann ihr
In diefem Rathe, unbeftechlich, ehrenhaft,
Dem Frevel zornig, wie ich ihn beftellet hab’
Zur immerwachen Hut im Land, wenn Alles fchläft.
Man ſieht wohl, Aifchylos fpriht mit der ganzen Weihe
feiner Kunſt und mit der eindringlichftien Bedeutſamkeit einer
feierlich erniten Situation feine Anfiht aus, die den Neigun⸗
gen der Menge Teinesweges entfprechend ift. Er ift feft in fei-
nem patriotifhen Glauben an die Tüchtigfeit, den guten Sinn,
den hohen Beruf feines Baterlandes; freilich ſchon einmal if
von Kimon die Wiederherfiellung der alten gemeßneren Ber:
faſſung erfolglos verfucht worden, aber wie anders find num
auch die Verhältniffet Der Zwiefpalt zwifchen Bolt und Adel
it zum Wenperftien gekommen und droht die Auflöfung des
Staates; die neuen Formen haben ji unthätig gezeigt, dem
furchtbarften Frevel auf die Spur zu kommen, gefhweige denn
zu wehren (ſ. Agamemnon B. 1320— 1344); das Kriegsgräuel
rapt weit und weiter, an den Gränzen ſchon ſteht der Feind;
es int die höchfte Zeit zur Verfühnung, zur Einigung aller Kraft
für die Nettung des Landes. Aiſchylos mochte hoffen, mit fei-
nem ernſt mahnenden Wort Eindrud auf das Bolt von Athen
zumachen, es zu Nachgiebigkeit gegen die Parthei, deren Lieber:
gewicht ja gebrochen war, zu Zugefländniffen bewegen zu Tün-
sen, die nun nicht als ein Zeugniß von Schwäche oder Furcht,
fondern als ein freies Geſchenk und ein Beweis edelſter Ber:
36 Winleitung.
fühnlichteit erſcheinen mußten; dann wird man „einig in der
Liebe zum Ganzen, aud im Haffen eines Sinnes“
mit neuer Kraft, mit Begeiſterung känppfen und fiegen, dann
wird Kimon wieder feinem Vaterland angehören, daun ber alte,
neugefhmücte Areopag im Sinne der Marathonifhen Helden:
zeit des Volkes Ruhe fihern, deffen Heftigkeit zügeln, zu allem
Würdigften voranfchreiten, der Segen der Götter überfchweng-
lich fein, — er felbft, der greife Marathonkämpfer, wird den
Neft feiner Tage friedlich und vielgeehet unter dem nachgebore:
nen Gefchleht der Seinen leben, die deu edlen Ruhm, den er
miterfämpft, treu gewahrt und würdig gemehrt haben!
So mochte er hoffen; und mit lauteftem Beifall wurde
fein herrliches Wert gepriefen; ihm ward im tragifchen Wett:
fampf der erfte Preis zuerkannt. Doc, was er gewollt, er:
reichte er nicht; der Beifall hatte feiner Kunft gegolten; der
höchſte Zwei, dem er fie geweiht, war verfehlt; Die einzige
Frucht eines Lebens voll Ernft uud Arbeit war dies ſchmerz⸗
lihe Bergebens; feiner Kaſſandra gleid hatte er umfonft ge
warnt und die Zukunft gefchaut.
O dieſes Menfchenleben — wenn es glüdlich ift,
Ein Schatten kann es flürzen; ifl’8 voll Keid, fo liſcht
Ein feuchter Schwamm dies Bild hinweg — vergeflen iſt's.
Und mehr denn jenes fehmerzt mich dies DVergeffenfein!
Afhylos mochte nicht mehr Tragödien aufführen, noch in
der Heimath bleiben; feine Zeit war vorüber. Einſt bei den
Iſthmiſchen Spielen, als ein Kämpfer bewältigt zu Boden ſtürzte,
und dann ſchweigend, wahrend das Volk jubelte, den Kampf:
plag verließ, hatte er zu einem Züngling, dem blonden Son
von Chios, gefagt: „Du ſiehſt, o Sohn, wie es mit dem Wett
kampf ift; der Beſiegte ſchweigt, und die Zufchauer jauchzen!“
Sp verließ er nun felbit fein Baterland und ging nah Bela
Einleitung. 37
in Sicilien, den Abend feines Lebens in Einſamkeit zu ver:
trauern. Und als er einft vor den Mauern der Stadt faß, die
greifen Glieder zu fonnen, flog über ihn hin ein Adler, der die
Schildkröte, die er in den Krallen trug, um fie zu zerfchmettern,
auf die Stirn des Dichters fallen ließ. So ftarb Aifchylos,
indem das Drafel erfüllt wurde, ein himmlifches Geſchoß werde
ihn tödten. Ehrenvoll beftatteren ihn die Geloer und ſchrieben
auf fein Grab die Inſchrift, die er fich felbft gedichtet hatte:
Aifchylos ruht allhier, des Euphorion Sohn, der Athener,
Welchen der Tod in der fornprangenden Gela bezwang;
Seine, vesruhmvoll Kämpfenden Kraft nennt Marathon’s Hain dir,
Nennt dir der Meder der vichtlodige, der fle erprobt.
Erſte Tragödie. '
Agamwennon.
Perſonen.
Mächter.
Klytaimneftra.
Herold.
Agamemuon.
Kaffandra.
Aigifthos.
Chor argeiiſcher Greife.
Scene. Königspadaft zu Argos, vorn mit Götterfiatuen und Sig:
plägen in Niſcher geſchmückt. Auf dem Vorplag der Ultar des.
Apollon; über dem Gebäude die Ausfiht auf die Stadt, die Berge,
| dag Meer. Die DOrcheftra bezeichnet den Markt der Stadt und if
mit den Statuen des Zeus Hypatos, des Apollo, des Hermes, ans
derer Götter und Heroen gefhmüdt.
Wenn der Borhang finkt, fieht man auf dem flahen Dad
eines Seitengebäudes des Pahaftes den Wächter liegend aufgeftügt
hinausſpähen.
Wächter.
Die Götter bier ih um Erlöfung diefer Müh'n
Der lange Zeit num jähr’gen Wacht ſchon, die ich hier
Vom AUrreusfhloß aus, wie ein Hund richtaufgeügt
Hab? kennen lernen al’ der nächt'gen Sterne Heer
‚ Und die den Menfhen Sommer bringen und Winterzeit, 5
Die lichten Herefcher, die im Werber ftrahlenden ©
Gefirne, wann ihr Unfgang ift, ihr Niedergang.
Und wieder ſpäͤh' ih nad) des Flammenzeichens Schein,
Dem Strahl des Feuers, der von Troja Kunde bringt
Und Siegesruf; nur den zu hören denket fich 10
In fihrer Hoffiiung meiner Herrin männlid Herz.
und lieg’ ich fo auf meiner nahtdurdirrten Streu,
Der thaugenäßten, nimmer traumumgantelter, —
Es ſteht ja flatt des Schlafes neben mir die Furcht,
Zufallen im Schlafe koͤnnte gar mein Augenlied, — 15
Und wenn id) ein Lied mir fingen oder pfeifen wi,
42 Erfte Tragödie.
Den beften Sclaftrunt für den Wacheſtörer Schlaf,
Sp wein’ ich feufzend über diefes Haufes Loos,
Des nicht wie vordem löblich mehr beftelleten.
So käm' erwünfcht mir meiner Müh'n Erlöfung jebt, 20
nn des nächt’gen, botenfrohen Feuers Schein.
(Auf den Bergen fleigt eine Flamme auf.)
O ſei gegrüßt mir, Licht der Nacht! taghelle Luft
Wet du in mir, erweckſt in Argos weit und breit
Feithorgefänge, diefem Glück zu frobem Dank!
Fo! Fo! 25
Agamemnons Gattin will ich es laut verfündigen,
Daß fchnell ihr Lager fie verlaffe, im Pallaſt
Den freudenhellftien Jubel dieſem Feuerſchein
Entgegenjauchze, da die Troerfeſte nun
Gefallen iſt, wie dort der Schein es leuchtend ſagt! 30
Dann will ich ſelbſt beim Feſt den Vortanz halten; denn
Von meiner Herrſchaft gutem Wurf nehm' ich ja auch
Mein Theil, da mir mein Spähn die beſten Augen warf. —
O ſei's gewährt mir, meines heimgekehrten Herrn
Geliebte Hand zu faffen hier mit diefer Hand! 35
Dom Andern ſchweig' ih; mir verfchließt ein golden Schloß .
Den Mund das Haus felbft, wenn es fpredhen könnte, wird’
Am beſten ihm erzählen. Denn, der’s weiß, mit dem
Beſprech' ich's gern; fiir den, der's nicht weiß, weiß ich’s nicht!
(Wächter ob.)
(Auf der Straße der Heimath kommt der Chor argeiifcher Breife
hereingezogen.)
Chor.
(Es fingen abwechſelnd die drei an der Spige des Chors Einzichenden.)
Zehn Jahre nun find’s, 40
Seit rächend des Priamos mächtiger Feind
Agamemnon. 43
Menelaos der Fürſt, Agamemnon mit ihm,
Mit gedoppeltem Thron, mit gedoppeltem Stab
Vom Kroniden geehrt, das gewaltige Paar
Der Atriden von hier mit gewappneter Macht 45
Fortzogen zum Streit
Mit den taufend argeiifchen Segeln.
Boll Zornwuth fchrien fie gewaltigen Kampf
Wie der Weih’ des Gebirge in verwildertem Schmerz
um die Brut hochhin fein einfam Neſt 50
Unermüdlich umtreift
Bon der Fittige ruderndem Schlage gewiegt,
Der in’s Neft bannenden,
Der Sorge verwaift um die Zungen.
Doch droben ein Bott, ob es Pan, ob es Zeus, 55
Ob Apollon if, er vernimmt des Gefchreis
eithallenden Schmerz um die fehlende Brut,
Die Vergelterin fchickt
Die Erinnys er dem Berruchten.
Arfo zum Gericht Aleranders hat Zeus, 60
So des Gaſtrechts Hort die Arriden gefandt,
So läßt um das männerumbuhlete Weib
Unabläffigen, gliederzerfchmetternden Kampf,
Daß ermattend das Knie an den Boden fih ftemmt
Und die Lanze zerfcheilt vorfämpfender Reih'n, 08
So laßt er die Danaer dulden
V. 62. Das männerumbublete Weib wird Helena genannt;
(don als Kind entführte fie Theſeus mit Peirithoos und verbarg fie in
Aphidnä, bis die Dioskuren, ihre Brüder, fie wieder raubten; dann wie
der „ummorben ausgefuchter Heldenſchaar“ wagte fie ſich für keinen au
41 j Erſte Tragoͤdie.
Und die Troer zugleich! Steh's jetzt, wie es ſteht;
Es erfüllet ſich doch dem Verhängniß nach.
Ob er Gaben auch bringt, ob er ſpendet, ob weint
Doch liſcht er den Zorn, den entflammeten, nie 70
Um das nimmer entzündete Opfer.
Doch wir, die der ſchon hinalternde Leib
Damals ausſchloß von.der Ehre des Zugs,
Wir weilen daheim, ,
Die kindiſche Kraft mit dem Etabe geftüht; 75
Denn das jugendlich rüftige Mark in der Bruft,
Das zur That anfaht, alt iſt's; nicht wohnt
Hier Kampfluft mehr.
Wer dem Alter erliegt, wenn herbſtlich die Stirn
Sich entlaubet, er wankt dreifüßigen Gang, so
Richt Fräftiger mehr denn ein kraftlos Kind,
Ein tagumirrendes Traumbild.
(Während deſſen ift aus der Töniglihen Pforte ein feſtlicher Zug von
Dienerinnen mit Schaalen und Krügen auf die Bühne getreten,
der fih um die Altäre fhaart; dann erfcheint im hohen Schmuck
die Königin Klpytaimmeftra, das Dpfer zu rüften und die Gaben
für die verfhhiedenen Altäre zu vertheilen.)
&hor.
Do, Königin ſprich,
Du des Tyndaros Kind Alytaimneftra, was if?
Was Neues geihah? 85
Auf welches Gerücht, auf weſſen Bericht
entfchelden. Die Freier ſchwuren, den in ihrem Beflg au ſchützen, welchen
ide Bater sum Eidam wählen würde, und Tyndaros gab fie an Mene⸗
laos, dem fie Yaris entführte.
—
Agamemnon.
Iſt's, daß du umher Weihgaben vertheilft?
Und den Göttern zumal, den Beichirmern der Stadt,
Himmlifhen, Unteren,
Den Behütern des Markts, den Diympiern flammt's
Bon Geſchenken auf jeglihem Altar!
Und hüben und draben zum Himmel empor
Steigt fladernde Gluth,
Bon des heiligen Krug’s füßtriefenden Guß
Mit der Kraft untüdifchen Zaubers getränkt,
Mit der Hoffnung köſtlichſtem Weihol.
So fage davon, was fund fhon thun
Du mir willft, du mie kannt,
So werde du mir der Beforgniß Arzt,
- Die jegt mir das Herz bald tückiſch befchleicht,
Bald wieder erhellt von dem Dpfer, mir lacht,
Mir als Hoffnung lacht und die nagende Pein
Fortfheucht unerfättlihen Sinnens.
100
(Bährend des folgenden Befanges der drei Führer opfert Klytaimneſtra.)
"Strophe.
Singen nody darf ich der rüftigen, jeichenbegünftigten Helden
Südliche Fahrt, — denn es hauchet mir göttergemährt noch 105
Liedesfrendigkeit
Ein ihr rüftiges Kämpfen, —
Wie einft die zwierhronige Kraft der Achäer, hellenifcher Jugend
Ginige Feldherren
110
Fort mit Speer und mit rähendem Arme der thurfiige Vogel
Troiſchem Land zu,
Luftreichs König den Kön’gen des Schiffe zu
46 Erſte Tragödie.
Sandte, der Adler der ſchwarze und hinter ihm
Ein weißer Aar, zeigend fih nah bei der Burg an der 115
Lanzenfeite;
Auf weitfhauendem Horſte
Saßen fie, weideten fie vom Geweide der tragenden Häfın
Im letzten Lauf zum Tod erhaſcht.
Ailinon, Ailinon ruft! Doch das Gute ſiege! 120
Ebor.
Ailinon, Ailinon! Das Gute fiege!
Gegenftropbe.
Und der erfahrene Seher, der beiden Atriden verfchiedne
Weifen erfennend, erkannte die Hafenverfchlinger
In des Zuges Fihrern;
Alſo ſprach er die Deutung:
Wohl wird dereinft Priamos Fefte die Beute der Heerfahrt; 125
Alle des Schloſſes,
Alle des Volkes gefanımelte Schäge, fie wird mit Gewalt einft
Rauben die Moira;
Daß nur Neid von den Ewigen früher nicht 130
Treffe die mächtige Geißel der Troerſtadt,
Sie tilg' im Kampf! Wahrlich, die Tautere Artemis zürner daheim
Den Flugdienern des Baters,
Weit mit der Frucdt fie die Arme, bevor fie geboren, zer:
fleifchten;;
Sie haßt der Adler arges Mahl! 135
Ailinon, Ailinon ruft! Doch das Gute fiege!
Chor.
Yilinon, Ailinon! Das Gute fiege!
Epobe.
So treuen Einnes ſchirmt die Holde
Des wilden Leun Ingeborene Zungen,
Schirmt des haidegewohnten Wildes 140
Agameninon. 47
Mithlüfterne Brut im Lager.
Ihren Freund zu erfüllen heifcht fie ,
Alſo erfrenliches, alfo dränend:s Zeichen.
Dem Helfer will ich, dem Paian rufen,
Das fie den Danaeın nimmer ermüdender widriger Winde 145
Sahrıhemmung fende, .
Nüftend ein anderes Opfer, gefeglos, mahllos, ruchlos,
Anfang bitterften Haffes daheim, manntrogenden Grolls; denn
ö ed harret
Sein ja die arge, empörte
Tüdifhe Herrin im Haus, 150
Harrt kindesgedenke Rachgier!“
Alſo geweiſſagt wurde von Kalchas zu freudigſtem Glücke
Böſes aus fahrtvordeutendem Aar dem Hauſe der Fürſten.
Dieſem ein gleiches
Ailinon, Ailinon ruft! Doch das Gute ſiege!
Chor.
Ailinon, Ailinon! Das Gute ſiege.
(Während des Gebetes der Königin ſingt der Chor den folgenden Geſang.)
Wechfelgeiang des Chors.
Strophe 1.
Zeus, wer Zeus aud) immer mögefein, ift er diefesRamens froh, 155
Will ich gern ihn nennen fo;
Ihm vergleichen kann ich nichts, wenn ich alles auch erwaͤg',
Außer ihm ſelbſt — wenn des Denkens vergebliche Qualen 160
Ich in Wahrheit bannen will!
B. 144. Paian iſt Apollon, der Helfende und Heileude, der dem
Böfen wehrt.
V. 162. Der altberrfchende Hranos ward von Kronos, Kronos von
Zeus bewältigt; an jene geftürzten Götter Tann ſich das Gebet nicht
mehr wenden.
48 Erfte Tragödie.
Gegenftrophe 1.
Ep, wer ehedem gewaltig war, allbewehrten Troges hehr, —
Was er war, nicht gilt es mehr;
Der darauf erftand, dem Allfieger unterlag auch der;
Aber den Zeus im Gefange des Sieges zu preifen,
Alles Denkens Frieden iſt's!
Strophe 2.
Ihn der uns zum ernſten Nachfinnen leitet, uns in Leid
Lernen läßt zu feiner Zeit;
Drum weint auch im Traum im Herzen noch
Kummer leideingedent, und es keimt
Mider Willen weifer Einn.
Wohl Heißt fireng und fhonungslos der ew’gen,
Hochgethronten Götter Gunſt!
Gegenſtrophe 2.
Alſo jenes Griechenzugs ältrer Führer kummervoll,
Seinem Seher ſonder Groll,
Schwer andräuender Schickung ernſt bereit,
Als in ruhmloſer Raſt fahrtgehemmt
Schwierig ſchon das Griechenheer
An dem Aulisſtrand gelagert rückwärts
Chalkis Brandung ſtrömen ſah —
Strophe 8.
Vom Strymon her wehten ſchlimme Winde
Raſtloſer Raſt, hafenloſen Treibens,
Des Zug's Verzug,
Für Tau und Kiel immer nen Gefährde;
In troftlos Sanger Säumniß weltend
Schwand fhon dahin Hellas blühnde Jugend; —
Und als ein Mittel nun
165
170
175
180
190
Aerger den Fürften felbft_ ale ärgfien Verzug der Seher
Agamemuon. 49
Artemis Zorn deutend erfand, umd fie deu Stab tief in '
den Sand 195
Stießen und felbft Thränen fie nicht hemmten, des Atreus
Söhne,
‘
Gegeuftrophe 3.
Da alfo ſprach diefes Wort der Hehre:
Ein hartes Loos ift es, nicht zu folgen,
Und hart, daß ich 200
Soll ſchlachten mein Kind, des Haufes Kleinod,
Am Altar tauchen meine Hand foll, z
Die Vaterband in.der Tochter DOpferblut!
Was ift da fonder Schmerz?
Wag' ich das Heer zu laffen, heiliges Bündnis täufchend? 205
Daß fie das mwindftillende Sühnopfer, das jungfräuliche Blut
Heifchen und fchrein, ift es denn recht? nein ficg’ das Gute! 210
Strophe 4.
Doch als dem Joch Er der North fich beugte, _
Als er der nufrommen Sinneswandlung
Nachdachte, der arg unhei’gen, da
Verwarf er’s kühn, Alles ch’r zu wagen.
So freveltühn macht ein erfies arges 215
Verirren, fianeverftört, Jammers Urquell!
Er trug’s nun, die Hand ‚zu legen
An das eigne Kind, — zu Frommen
Weibrächender Meerfahrt, —
Dpfer der Schiffesweihe!
Gegenftrophe A.
Ihr Birten nicht, nicht ihr Daterrufen 220
Richt ihre jungfräulih ſüße Tugend
Erbarmte der Feldheren wilden Muth.
Der Bater ſprach fein Gebet, gebot dann
Dem Opferknecht, einer Ziege gleich fie
50 Erſte Tragödie.
Zum Altar niedersuziehn, tuhumfaltet, 225
Eie vorbeugend, — feſten Muthes —
Und den fhönen Mund zu hüten,
Daß er nicht zum Fluchſchrei
Wider das Haus fih öffne; —
Stropbe 5.
Mit harter Fauft, Enebelfeit zugefchnürt! 230
Ihr Safrankleid ließ fie niederfließen
Und warf des Mitleides Blicpfeil
Auf jeden ihrer Dpfrer flebend, —-
Gleich einem Bild ſchön und ſtumm, ale wollte fie
Anreden, die fie fonft daheim oft genug
Begrüßt im mahlreihen Saal des Baters. 235
Doch frommen Mund’s ehrte ſtumm die Tungfrau
Liebevoll des lieben Vaters
EC huldungeflörte, fegenerflehte Zukunft!
Gegenftropbe 5.
Was drauf gefhah, ſah ich nicht, ſag' ich nicht.
Doch unerfüllt bleibet Kalchas Kunſt nicht! 240
Wohl wäget dem, welcher leidet,
Zu Iernen Dike zu. Die Zukunft, —
Sobald fie ward, weißt du fi, — fie fahre wohl — !
Dem wär voraus trauern gleich.
Denn tommen heil, gleich dem Morgen, wird fi! 245
D gäb' es dann fort und fort frohes Heil,
Wie's dort die nächfte feinem Herzen
Wünſcht, die allein in Apia jegt hütender Herr und Hort ift!
R Ehorführer.
Ich kam zu huld’gen, Kiytaimneftra, deiner Macht;
B. 242. Dike „des Zeus wahrhaftes Kind, Gerechtigkeit nen-
nen wir Menſchen fie, und nennen recht ihren Namen.’
B. 248. Apia ift der alterthümliche Name für den Peloponnes.
Agamemnon. 51
Es iſt ja Pflicht, zu ehren feines Königes 250
Gemahlin, wenn verwaift der Thron ift feines Herrn.
Doch ob du nun Glaubwürd'ges hörteft, oder nicht,
Daß du in borfchaftsfroher Hoffnung opferteft,
Das gern erführ’ ich; aber ſchweigſt du, kränkt's mid nicht.
Klytaimneſtra.
Mit froher Kunde, wie's im Sprüchwort heißet, ſei 255
Das Morgenroth uns von der Mutter Nacht geſandt!
Ja, Freude höret über alle Hoffnung groß:
Die Achäer nahmen ein die Stadt des Priamos!
Ehorführer.
Mas it? Das Wort entging mir aus Unglaublichkeit!
Kiytaimneftra.
In der Griechen Hand iſt Troja! Sprach id nun es Far?
Chorführer.
Es ergreift mich Freude, Thränen ruft fie mir hervor!
Klytaimneſtra.
Daß du es wohl meinſt, zeigt dein Aug' mir unverſtellt.
Ehorführer.
Was haſt du Zeugniß deſſen, ſicher und gewiß?
Kiytaimneftra.
Gewiß, wie font denn? wenn ein Bott mich nicht beirog.
Chorführer.
Du ehrft vielleicht ein überredend Traumgeficht? 265
Klytaimneftra.
Nie würd ih Glauben fhlafestrunfnem Sinne leihn.
Ehorführer.
So macht ein ſchnellbeſchwingt Gerücht dich wohl fo froh?
Klytaimneſtra.
Als wär' ich ein kindiſch Mädchen, ſo verhöhnſt du mich.
Ehorführer.
Seit welcher Zeit iſt's, daß die Stadt vernichtet ward?
523 Erſte Tragödie.
Klytaimneftra.
Seit diefer Nach ift’s, welche diefen Tag gebar.
&horfährer.
Doch welcher Bote mochte fi fo fhleunig nahn?
Klytaimneſtra.
Hephaiſtos, der vom Ida hellen Strahl geſandt!
Denn her geſchickt hat in der Feuer Wechſelpoſt
Ein Brand den andern, Ida ſelbſt zum Hermesfels
In Lemnos. Von der Inſel her zum dritten nahm
Den breiten Lichtſtrahl auf des Zeus Athosgebirg.
270
275
Hochleuchtend, daß der Wanderin Flamme mächt'ger Schein
Weithin der Meerfluth Rücken überflog, ein Brand
Der Freude, ward goldſtrahlend, einer Sonne gleich,
Zur Warte von Makiſtos dann das Licht geſandt.
Die ſchürte weiter, ſäumig nicht, noch unbedacht
Vom Schlaf bewältigt, ihren Botentheil hinaus.
Und wieder fernhin eilend gen Euripos Fluth
Rief auf der Strahl die Wächter, auf Meſſapios.
Die dann entbrannten und entſandten neuen Schein,
Der Graias Haufen Heidekraut anzündete.
Die rüſt'ge Flamme, nicht ermüdet noch geſchwächt,
Sie eilte weithin über Aſopos Ebene,
Gleich hellem Mondlicht, gen Kithaixons Felſenſtirn,
Und weckte ſchnell der Fammenboten Wechſel auf.
Fernhinerkennbar neues Feuer ſchürte dort
Die Wache; aufſchlug's höher hier denn irgendwo,
Und warf den Glanz weit über den Gorgopis See.
Auf Aigiplanktos Scheitel treffend trieb es an,
Des Fanales Lichtbahn nicht zu ſtören; ſchnell geſchah's;
Sie ſandten gluthanſchürend wolkenglüh'nden Scheins
Den mächt'gen Schweif der Flamme, daß er fernhinans
Die weite Spiegelflähe des Saronifhen —
285
290
295
Agamemnon. 53
Meerbuſens leuchtend uberftrahlte, bis er kam
Zu Arahnaions Gipfel nah bei unſrer Stadt. 300
Bon dort ergoß dies Feuer ſich in diefes Schloß
Der Atriden, ächter Enkel der Idaͤiſchen Gluth. —
Sp war die Drönung diefes Fadellaufs beſtimmt,
Und fo mit Flamme Flamme wechfelnd, ſchnell erfüllt;
Im Flammenlanf die erſt' und lebte bat den Preis. 305
Ein ſolches Zeugniß, folhes Zeichen nenn’ ich Dir
Aus Troja mir voraus von meinem Mann gefandt. —
Ehorführer.
Die Götter, Herrin, preifen will ich fie fogleidy;
Doch anzuhören, anzuftaunen jenes Wort
Bon Neuen, möcht ich, dag von Neuem du es fprädii. 310
Elvtaimnm eſtra.
’8 iſt Ilion der Griechen Beute dieſen Tag!
Ich glaub', ein unvermiſcht Geſchrei durchhallt die Stadt;
Gießt Del und Effig du in Einen Krug, fo ſiehſt
Du fie gefchieden fort und fort, einander fremd,
Sp wird der Sieger, fo der Befiegten Nufen dort 315
Geſchieden, fo zwiefahen Schidfals Zeichen fein.
Die einen tiefgebeuger bei den Leichen der
Erfhlagnen Männer, der Gefchwifter, und das Kind
Beim greifen Bater, fie beflagen nimmer mehr
Mit freier Kehle dies Geſchick der Theuerſten. 330
Die andern, nachtdurshirrend hungermatte Gier
Hat fie zum Imbiß, wie und mo die Stadt ihm beut,
Berwildert, reihlos Reih und Glied, umber zerfireus;
Wie jeder je das Loos des Glückes fih gewann,
Sp hanfen fie in Trojas fpeererrungenen 325
Palläften, für des freien Feldes Lagerplag
Und Falten Than ein guter Tauſch; — die Glüclichen!
Die ganze Naht durch fchlafen fie nun unbewadt. —
%ı
54 Erfte Tragödie.
Und ehren jegt fie jenes Landes, jener Stadt,
Der Befiegten Götter und der Götter Tempel, dann - 330
Vielleicht erliegt der Sieger nicht dem eignen Sieg.
Doch reise nicht Begier zu früh das Heer, befiegt
Bon fehnöder Habfuht mehr zu wollen, als es darf;
Es braucht zur Heimkehr noch zurüd die zweite Fahrt,
Bevor des Seezugs Doppelbahn vollendet if. 335
Doch käme wider die Götter fündig heim das Heer,
Wach würde dann wohl werden der Erfchlagnen Blut,
Geſchäh' hinfort auch Feine neue Frevelthat. —
Von mir, von einem Weibe, habe das gehört!
Das Gute fiege, fonder Schwanten voll und Klar. 3410
Mit theuren Dpfern hab’ ich folhen Wunſch erfauft!
Ehorführer.
Du ſprachſt, o Herrin, würdig eines würd’gen Manns;
Ich aber will den Göttern, da mich überzeugt
Dein früher Zeugniß, fingen meinen frohen Dank;
Denn bober Lohn gewähret ward für viele Müh! 315
x EChorführer.
(Während fih der Chor, die Thpmele ummandelnd, zum Wechſelgeſang
" ordnet.)
Allherrfhender Zeus und du freundliche Nacht,
Du Spenderin fhmüdendften Ruhmes,
Die du feſt anzogft um Ilions Burg
Dein fangendes Garn,
Und feiner entkam, nicht klein, noch groß, 350
Dem gewaltigen Nepe der Dienftbarfeit,
Dem Alles erfaffenden Unheil!
Did, gaftliher Zeus, hoch chr’ ich auch dich,
Der du das zu erfüllen an Priamos Sohn
Agamemnon. 55
Längſt bielteft den Bogen der Rache gefpannt, 355
Daß weder zu früh, noch in’s blaue Gewölk
Ein eitel Geſchoß hinfhwirrte!
Wechfelgefang des Ehors.
Strophe 1.
Wie Zeus trifft, können jest fie fagen.
Und wohl vermag man aufzufpüren:
Sein Weg war, wie fein Ziel war! — 360
Frgend wer leugnet, daß die Götter
Hinzufehn würdigten,
Wenn auch ein Menſch Heiligftes
Mir Füßen trat; — gottlos Wort!
Das zeigt ja Kindes Kind
Des tolltühn wagenden, 365
Boll Kriegswuth wilder denn gerecht war,
Bon Hochmuth überſtolzen Glückes,,
Im Uebermaaß ſchuldig!
Sei mein Geſchick niedrig, ſei der Armuth
Reines Gewiſſen g’nug mir! 370
Schutz nicht bietet der Reichthum
Dem, der Glückes geſättigt
Frech zertrat der Gerechtigkeit Altar bis zur Bernichtung!
Gegenftrophe 1.
Doch binreißt feiner Rede Zauber, 375
Berhörend emfig Kind des Unheils;
»s iſt Rettung allvergeblich!
Nie verglimmt, heil, ein lodernd Fener,
V. 361. Irgend ein Demofrit oder Anaxagoras.
V. 365. Perikles ift ein Nachkomme der Altmaioniden.
56
Erſte Tragödie.
Graufig hell währt die Schuld!
Gleich ſchlechter Goldmünze nützt 380
Gebrauch und Zeit prüfend ab
Den Goldſchein falſch gemünzt!
Denn nachlief knabenhaft
Berhört der ſchnellbeſchwingtem Vogel,
Der Heimath ſchlimmſten Schimpfes Anfang!
Sein Jammern hört keiner 385
Der Götter an, fondern zürnend trifft er
Den, der ihn ruft, den Frevler. —
Alfo Paris, der damals
Gaſt im Hauf der Atriden
Frech den gaftlichen Tiſch entweiht, der die Gattin entführt
hat. 390
Strophe 2.
Dem Volk daheim ließ fie kriegsrüſt'gen Lärm
Und Schildesklang, „Speergedräng, Schiffsgefhrei am
Strande,
Rahm Zlions Berderben mit als Brautgefchent;
So floh fie dur die Pforte dahin, 395
Verwegnes wagend. Und es fchrieen laut, Ä
Wehllagten Iaut ihres Haufes Seher:
D Haus! o Hans! wehe, weh dir Fürftenftamm'!
Weh brantlih Bett! Spuren ihr verbuhlter Flucht! weh!
Dort er, befhimpft fchmweigend, fonder Zorn und Groll, 400
Süßträumend, die er verlor, zu ſchauen,
Er wird voll Sehnfucht der Meerentflohnen
Geiſt im Hauf walten zu fehen glauben;
Schöngemeißelter Bilder 405
Anmuth if ihm zuwider,
Ihres Auges verlorne Luft aller Liebe Berluft ihm!
Agamemnon. 57
Segenſtrophe 2.
Und traumverwebt, trauerreich umſchweben
Geſtalten ihn, feines Grams wunderholdes Trugipiel. 410
Sp trugbaft, wenn du Liebftes wähnit zu ſchaun,
So flühtig deinen Händen entflohn
Berfliegt, verfehwindet dir mit leiſem Flügel
Dein Traumgeficht weit in Schlafes Weiten.
Alfo der Sram an des Fürftenhaufes Heerd; 415
Schon der fo groß — aber andrer größer noch!
Denn wer aus griehiihem Lande mitgezogen ift,
Endlofes Grämen weilt daheim ®
In feinem Hauf Tag und Nacht; 420
Bieles nagt tief am tiefiten:
Denn wen jeder. dahin gab,
Weiß er; aber zurückkehrt
Statt des Mannes in jeglih Haus fein Gewaffen und? 425
Aſche..
Strophe 3.
Ares der Leichname Goldwechsler iſt's,
Im Kampf des Speers blut'ger Todeswäger,
Von Troja heim ſendet er den Lieben
Ein Meines tpübſel'ges Ueberbleibſel, 430
An Mannes Statt mit Staub gefüllt ſchönverzierten Aſchenkrug!
Drum jammern fie, bochpreifend den als des Kampfes Tun-
digften,
Und jenen, daß er herrlich fiel, kämpfend um fremden 435
Mannes Weib fiel!
Sp im Stillen wird gemurrt,
Und es befchleicht des Kampfes Urheber der — des
Haſſes.
Aber wer in der Schlacht fiel, 440
Ruht dort unter den Mauern,
58 j | Erſte Tragödie.
Ruht im Troifhen Grabe; fern dedt ihn feindlidher
Boden!
Gegenftropbe 3.
Es laſtet ſchwer Volkes Stimme grollgemifcht, 445
Zahlt zurück voltentpreßter Flühe Schuld;
Zu hören bangt meine Sorg’ ein Ende
Endlofer Naht! Unerfpäht den Göttern
Bleibt nimmermehr, wer Blut vergoß, und der Erinnyen ſchwarze
Schaar
Quält der glücklich wider Recht iſt, einſt mit glückver⸗
dorrter Friſtung
Des — todt; dem fo dahinwelkenden bleibet keine Rettung.
Und des Ruhmes Uebermaaß 455
Laſtet ja ſchwer; denn ſeinen Blitz ſchleudert des Donnrers
Neidblick!
Mein mag mäßiges Glück ſein,
Nicht als Städtezertrümmrer
Moͤcht' ich, aber in Feindes Hand auch mich nimmer er⸗
bliden! 460
Einzelne.
Das botenfrobe Feuer ließ
Durch unfere Stadt fhnell Gerücht
Gilen; aber ob es wahr, wer weiß e8?
Wahrheit wahrlich ift der Götter nur! 465
Wer wird fo Tindergläubig, fo verbiendet fein,
An diefes Scheins neuer Kunde fein Gemüth
Erſt zu wärmen, dann enttäufcht bittren Taufches fiech zu fein?
Für Weibes Wig paßt es, ch’ fie offenbar, 470
Schon zu preifen Glückes Gunſt!
Leichtgläubig zu Teicht verbreitet ſich Frauengeſchwätz
Agamemnon. 59
Wie Windeswehn; doch windverweht
Verſinkt zu Nichts weiberauspofaunt Gerücht! —
Kliytaimneftra.
Bald offenbart ſich's, od der Botenfadellauf, 475
Die Wachtfanale meiner Fenerwechfelpoft,
Wahrhaftig waren, oder ob nach Traumes Art
Mit füßer Täuſchung meinen Sinn das Licht befchlich.
Sch feh’ den Herold vom Geſtade fhon fih nah’n,
Das Haupt vom Delzweig überfchattet; ſchon bezeugt's 480
Des Kothes Zwillingsbruder euch, der durſt'ge Staub,
Nicht werde lautlos, nicht von Feuern hochgeſchürt
In des Berges Waldung ferner Rauch euch Bote fein;
Kein Haren Worts bringt uns entweder fein Bericht
Mehr Freude — was.entgegen dem, verfchweig’ ich gern; 485
Mag gut zum ſchon gewährten Guten fein der Schluß.
Ehorffhrer.
Wer jenes andre diefem Lande gönnt und wünſcht,
Der ärndte ſelbſt einſt ſeiner Mißgunſt ſchnöden Wunſch!
(Der Herold kommt von der Fremde herein.)
1
Herold. g
O thenrer Heimathboden, mein argivifh Land!
Mit diefes zehnten Tahres Sonne kehr' ich heim, 490°"
Zwar mancher Hoffnung ärmer, doch in einer reich:
Denn nimmer glaubt’ ich, daß in Argos Erde noch
Des liebſten Grabes Stätte mir befchieden fei.
Nun fei gegrüßt, Land! fei gegrüßt, du Sonnenlicht!
(Bei den folgenden Verſen begrüßt er die Bötterftatuen
in der Orcheſtra.)
60 Erſte Tragoͤdie.
Und du des Landes Walter Zeus! du Pythiſcher &ürf, 495
Mit feindlidem Bogen fürder ung nicht pfeilgewiß,
— Entgegen g’nug erfhienft du am Stamander ung —
Nun wieder fei uns Helfer, fei uns Streitgenoß,
Du Fürft Apollon! Euch ihr kampfbeſchirmenden
Gottheiten alle ruf ich, meinen Schützer aud 500
Den theuren Herold Hermes, der Herolde Zier!
Und ihr Heroen, die ung leitetet, gnädig wollt
Das Heer empfangen, das der Lanzen Wurh verfchont!
(er wendet fih zur Bühne.)
Jo, du meiner Fürften Palaft, liebes Hans!
Ehrwürd'ge Sige! Götter ihr im Sonnenlicht, . 503
Wenn irgend je, empfanget heitren Auges jegt
In Würden unfren König nad fo langer Zeit;
Denn heimgekehrt ift, euch und diefen allen Richt
Nach trüber Nacht zu bringen, Agamenmons Macht!
Ihr werdet feitlih ihn empfahn, wies dem gebührt, 510
Der Ilion zerftörte mit des Rächer Zeus
Grabſcheit, von der dort umgeftürzt der Boden liegt.
Verſchwunden find der Götter Tempel und Altar
Und allvernichter alles Feldes Saar umber.
Der folhes Joch anfhirrte Priams fiolger Stadt, . 515
Der hehre Fürft Atride, der allglückſel'ge Held,
Er kommt, vor Allen höchfter Ehre werth, fo viel
Jetzt leben. Paris noch die mitgeftrafte Stadt
- Berühmen fürber größrer That ale Buße fi;
Denn er, des Raubes, der Entführung fhuldig, fand 520
Sich keinen Retter; fein zum Tod gezeitigter ”
Vreingeborner Fürftenftamm, er riß ihn aus!
So ward der Priamiden Doppelihuld gebüßt!
EChorführer.
Achäerherold, Freude dir! fei froh begrüßt!
Agamemnon. 61
Herold.
Fa Freude; gern jetzt ſtürb' ich; nichts verlang' ich mehr! 525
Ehorführer.
Berlangen wohl nad) deiner Heimath quälte dich?
Berold.
So daß die Freude Thranen meinem Aug” entlockt!
Ehorführer.
Gekranket habt auch- ihr an diefem ſüßen Weh?
- Derolb.
Auch ihre? belehrt erit werd’ ich deines Wortes Herr!
Ehorführer.
Getrauert voll Verlangen nah Berlangenden? 530
Herold.
Hat heim das Land ſein heim ſich ſehnend Heer geſehnt?
Chorführer.
So daß ich oftmals tief geſeufzt in tribem Sinn!
Herold.
Was ward dem Volke ſolches böfen Grames Schuld?
Ehorführer.
Längſt heißt mir Schweigen alles Grames einz’ger Arzt!
Herold.
Der Fürſten Fernſein, machte dich's vor wem beſorgt? 535.
Ehorführer.
„Bern ſtürb' ich“ war damals mein Wunſch, wie deiner jeyt!
Herold.
Ja ſchön vollbracht iſt's! freilich in ſo langer Zeit,
Fügt, mag man ſagen, günſtig wohl ſich dies und das,
Doch andres wieder übel. Doch, wer außer Gott
Iſt fonder Leiden fort und fort fein Lebelang? 540
‚Wollt unfre Mühfal ich erzählen, — fchwere Wacht
Und felten Ruhtag, fchlechtes Lager, und des Tags
Bann je von Schiffsdienft und Gefährde war man frei?
62 Erſte Tragödie.
Gar auf dem Feſtland kam dazu noch neue North;
Denn unfre Zelte lagen hart an Feindes Wall, 545
Vom Himmel.oben, und vom Wiefengrund herauf
Durchnäßte Falter Than ung, fog verderbend fi
In unfre Kleider, unfer Haar verwildernd ein.
Spräch' ih vom Winter, jenem Vogeltödter, gar,
Wie unerträglich den des Ida Schnee gebrant, 550
Gar von der Hige, wenn um Mittagszeit die See
In wellenlos windſtiller Ruh fi legend fchlif — =
Wozu es Hagen? ’s it vorüber alle Müh,
Vorüber nun auch denen, die gefallen find, -
So daß fie nimmer wieder aufzuftehn verlangt. 555
Was foll ich euch herzählen die Gebliebnen, und
Mich, der ich Tebe, kränken um ihr traurig Loos?
Nein allen überfiandnen Leiden Lebewohl!
Denn ung, die wir vom Griechenheer noch übrig find,
Siegt doc) der Bortheil, und das Leid nicht wiegt’s ihn anf. 560
Wer heimgezogen über Land und über Meer,
Darf fo fih rühmen vor der Eonne heil’gem Licht:
„Rah Ilions Einnahme hat der Danaer Heer
„Geweiht den Göttern feine Beute, aufgehängt
„In allen Tempeln Griechenlands den theuren Schmuck!“ 565
Die ſolches hören, preifen müſſen fie das Bolt
Und feine Feldheren; hoch gelobt fei aber auch
Zeus Gnade, dies vollbrachte! Alles weißt du nun.
Ehorführer.
Von deinem Wort bekenn' ich gern mich überzeugt;
Zum ſteten Lernen bleibet auch das Alter jung. 570
Dies Haus und Klytaimneſtra mögen freilich drum
Vor Allen froh ſein, aber ich darf mit mich freun!
Kiytaimneftra.
Laut aufgejauchzet hab’ ich Tängft in heller Luſt,
Agamemnon. 63
Als meines Feuers erſter nächt'ger Bote kam,
Daß eingenommen Troja und verwüſtet fei. 575
Zwar mancher fagte fpottend: „Solchem Yenerfchein
„Bertrauend glaubft du, Ilion fei nun zerftört?
„Doch Weiberart iſt's, außer ſich gar bald zu fein!“
Nach ſolcher Ned’ erichien ich als ein. thöricht Weib;
Jedennoch opfern ließ ich und den Jubelruf 580
Erhuben gellend Weiber, andre anderewo,
In der Stadt umber frob lärmend, in der Götter ei
Weihrauchgeſättigt duft’ges Feuer fanftigend.
Und nun was braudht’s noch, daß du mir das Weitre ſagſt?
Die ganze Kunde hör’ ich bald vom Fürften felbf; 585
Drum eil’ ich meinen erlauchten Herrn aufs Herrlichſte
Bei feiner Ankunft bier zu empfahn. Was gäb' es auch
Für eine Gattin füßeres, als den Tag zu ſchaun,
Wo ihrem Mann, der glücklich heimkehrt aus dem Feld,
Das Thor fie aufthut! Alſo forich zu meinen Herrn; 590
Zn kommen mög’ er eilen, vielerfehnt der Stadt;
Sei treues Weib im Haufe find’ er heimgekehrt
Wie er’s verlaffen, als des Hauſes Wächterim,
Ihm edlen Sinnes, allen Bösgefinnten feind,
In allem andern noch fid) gleich, von ihrer Hand 505
Kein Siegel drinnen während all der Zeit verlegt,
Noch weiß von Wolluft, von verbotner Heimlichkeit
Mit fremden Manne mehr ic denn von Bad des Stahls!
(Rlptaimneftra ab.)
Herold.
Ein ſolcher Selbſtruhm, ſeiner Wahrheit voll und werth,
Iſt tadellos zu ſprechen für ein edles Weib! 600
Ehorführer.
Sie fagt es ſelbſt dir, und du hörſt es von ihr ſelbſt,
Vom beften Dollmetſch, durch ihr eignes Tlares Wort!
64 Erſte Tragoͤdie.
Doch ſag' mir, Herold, iſt Menelaos auch mit ench
Heimwaͤrts geſegelt, iſt er wohlbehalten auch
Zurückgekommen, unſres Landes lieber Herr? 605
Serolb.
Nicht ift es möglich, daß ich frohe Kunde Dir,
Der du dich lange könnteft freun, erheuchele!
Chorführer.
Wie trafft du denn das Wahre, wenn du Frohes fagft ?
Daß das fi feheider, unverborgen ift es ja.
Herolb.
Der Held, er iſt verſchollen im Hellenenheer, 610
a ſelbſt und feine Schiffe. Falfches hört du nicht!
Chorführer. ⸗
und war er von Troja abgeſegelt ohne euch?
Verſchlug ein Sturm ihn, euch und ihm zugleich verhängt?
Herold.
Recht trafſt du wie ein wackrer Bogenſchütz das Ziel;
Du ſprachſt ein langes Leiden aus mit kurzem Wort! 615
Chorführer.
Ob er ſelbſt noch lebe, ob er umgekommen ſei,
Kam's durch Berichte fremder Schiffer nicht umher?
Herold.
Wohl keiner weiß es, der es nacherzählen Tann,
Als, der der Erde Leben naͤhret, Helios!
Chorfiübhrer.
Wie aber, fag’ uns, ift den Schiffen jener Sturm 620
Gekommen und Dalendeh durch der Götter Zorn? |
Herolb.
Mit böfer Botſchaft ſoute man den frohen Tag
Niemals entweihen; deß' enthalt ſich Gottesfurcht;
Bringt aber heim ein Bote der gefallenen
Heerſchaaren unausſprechlich Leid, mit trüber Stirn 625
Agamemnon. 65
Die Wunden beim, die eine des geſammten Volks,
Und andere viele, weil aus vielem Haus den Man
- Hinausgepeitfchet Ares Doppelgeißel hat,
— Zweifchneid’ges Unheil, blut'ge Gramverfhwifterung —
Ja men ein folder Kammer aufgebürder if, 630
Den fol! man nennen der Erinnyen Ehrenhold,
Doch „Freudenbote glücklich überfiandner Norh“
Den, welcher heimkehrt froh zur frohen Vaterſtadt.
Wie miſch' ich Liebes Boͤſem bei, wenn ich vom Sturm,
Den Götter uns Achäern zürnten, ſprechen ſoll? 635
Denn da verſchwur ſich, was ſich ſonſt das feindlichſte,
Meerfluth und Feuer, ſie bewährten ihren Bund
Vernichtend der Argiver unglückſelges Heer.
Es erhob zur Nachtzeit ſich der empoͤrten Fluthen Sturz,
Aneinander jagte die Schiffe wilder thrakiſcher 640
„Orkan; fie ſelbſt im Ungeſtüm des Schloſſenſturms,
Des Typhoiſchen Wetters, wild vom Horn des Kiels zerfleiſcht
Verſchwanden ſpurlos unter des Treibers Wirbelſturz.
Als dann das Frühlicht tagend endlich wieder ſchien,
Da ſahn wir rings des ſtillen Meeres Spiegel blühn 645
Von Griechenleichen, von zerſchellter Schiffe Wrack.
Uns aber hat und unſer unverſehrtes Schiff
Entwendet, glaub' ich, oder bittend frei gemacht
Ein Gott, — ein Menſch nicht, — der das Fahrzeug uns gelenkt.
Dann ſaß am Steuer gnädig Tyche Retterin, 650
So daß den Kiel am Ankerplatz nicht böſe Fluth
Erfaßte, noh am Klippenftrand er fcheiterte.
Alſo dem Hades des empörten Meers entflohn,
Mißtrauten unfrem Glück wir auch am heitren Tag,
Und ließen weiden unfren Gram das neue Leid. 655
Des mühbeladnen, jammervoll zerfiäubten Heers.
Und freut von jenen einer noch des Athens fid),
T. 5
66 Erſte Tragoͤdie.
So redet auch von uns er wie von Todten; denn
Wir wieder meinen, ihnen ſei es ſo geſchehn.
O moͤcht' es froh ſich alles wenden; denn Menelas, 660
Den kaunſt vor Allen du erwarten und zuerſt;
Denn wenn ein Lichtblidt irgend noch des Helios
Ihn Ieben fieht und weben durch Zeus ew’gen Nath,
Der fein Gefchlecht doch nimmermehr vertilgen will,
Sp bleibet Hoffnung, daß er einft noch wiederkehrt. — 665
So viel du Bach wiffe, Wahrheit hörteft du!
(Herold ab.)
Wechfelgefang des Chores.
Strophe 1.
Wer erfand den Namen einft,
Namen alldedeutungsvol —
Wenn nicht einer, welchen wir nimmer ſehn, ahndend, was die
Schickung bringt, 670
Zielgewiß die Zunge lenkt —
Helena deutungsvoll die vielftreitige, fpeererrungne nennend,
Die ein Elend allem Geſchwader und Bolt, aus des Gemahls
Teppihumhüllten Lager floh, fahrend mit fegelblähnden Weſt⸗
wind; 675
Und des Kiels fluthenverwehter Fährte nad
Jagten mit Schild und Speer die Jäger,
Fern gen Simois Uferland fteuernd, dem laubumgrünten, 680
Zu dem erbittertftien Blutkampfe.
Gegenftropbe 1.
Rechte Trauertraue war's,
Die den Trvern Götterzorn
®. 672. Der Rame Helena ift zu ei
fpiel bemugt. | $ ſt zu einem unüberfegbaren Wort
Agamemnon. 67
Endefinnend hat gelandt, ob des Baftifches arge a.
dereinft,
Ob des Heerdbeſchirmers Schmach
Buße vom Frendenfeſt, vom brautfeiernden Hymmns einzu⸗
fordern,
Bon dem Hochzeitlied, das die Schwäger zu froh fangen da⸗
heim. 6“
Doch es verlernte ſolchen Eang bald die ergraute Priamsfefte;
Und in Gramliedern befeufzend- ihre Roth 695
Schrie fie, verfluchte fie Paris Unthat,
Eh’ noch als fie das ganze gramvolle Geſchick des Bolles ſah
In dem entſetzlichen Blutbad!
Strophe 3.
Auf zog alſo ein Mann einſt,
Ein Lömwenjunges der Muttermilch raubend, ſelbſt * den
Rächer; 700
Freilich erſchien's in der Kindheit
Zahm mit den Kindern zu ſpielen,
Treuer Begleiter der Alten,
Ruhete oft in ihrem Arm, 705
Einem gehegten Knäbchen gleich,
Lüſtern blickend zur Hand herauf, am ſich ſchmiegend vor
Hunger.
Gegenſtrophe 2.
Gereift endlich enthüllte
Die Art er feines Geſchlechtes; denn als der Pflege Ver⸗
geltung, 710
Riß er ſich ungeladen
- Schanfe der Heerde zum Mahle,
V. 699. Vor Perifies Geburt träumte die Mutter, fie gebäre einen
Löwen.
S
63 Erſte Tragddie.
Tünchte das Haus mit dem Blute ringe —
Für die Bewohner übergroß 7715
Unverwindbar bittres Leid;
Gottbeſchieden dem Haus erwuchs ſo er ein Unheilsprieſter.
Strophe 3.
In gleicher Art kam gen Ilion, ich möchte ſagen
Gin Sinn wie glanzheitre Meeresſtille, 720
Ein Kleinod wunderholden NReichthums,
Lieblich verſtohlnen Blickes Pfeil,
Herzerſchließende Liebesblüthe.
Wie betrog ſie! wie ſo bald ſchuf ſie der Hochzeit boͤſen Aus⸗
gang, 725
Die verfeindend, die verfiörend in das Haus der Priamiden
Geführt der gaftlihe Zeus,
Die brautbeweinte Erinnys!
Gegenftrophe 3.
Ein greifes Wort, vielberühmt den Menſchen, Tautet alfo: 730
Der große vollreihe Glückesſegen
Gebiert, ſtirbt nimmer Tinderlog;
Und in des Glückes Garten wächſt
Unerſättlicher Jammer wuchernd!
Doch es ſtellt anders ſich mir dar; denn die böfe That zeugt
wuchernd 735
Und erzeugt ſich ein Geſchlecht böfer, dem Vater gleicher Thaten;
Doch frommen Häuſern erblüht
Ein Kinderſegen des Glückes. 740
Strophe 4.
Wohl zeuget gern alte Schuld Frevelſchuld fort und fort, -
Die empor in neuen Sünden wädft,
Bald da, bald dort, wenn's ihre Zeit —
8.7277. Dergaftlihe Zeus ift Zeus als Befchüser des Baftrechtes.
Agamemnon. 69
Ein umnadtend Grawn, 745
Einen unentrinnbaren, unbezwingbaren, unbeiligen Dämon,
Des fhwarzen Fluchs frevelfreudige Frechheit,
Wieder dem Bater ähnlich.
Gegenſtrophe A.
Doch Dike ftrahlt unter armfel’gem, rauchſchwarzem Dad, 750
Ehret frommes Leben hoch;
Wo aber goldgewirkte Pracht
| Mit befledter Hand,
Da flieht des Vaters hehre Tochter, gemandten Blicks, des Reich⸗
thumes Gewalt,
Bon feilem Lob falfch gemünzt, verachtend; 755
Fegliches führt zum Ziel fiel — |
710 Erſte Tragödie.
(Auf der Straße der Fremde fommt Agamemnon’s Siegeszug herein;
Herolde, Lanzenknechte, Saumtbiere mit Beute beladen, Wagen
mit gefangenen ZTroerinnen, mit Trophäen und Waffen; endlich
auf hohem Siegeswagen der König Agamemuon, neben ibm,
fitend, Kaffandra Etwas fpäter tritt Klptaimneftra, von
vielen Dienerinnen begleitet, aus der Föniglichen Pforte.)
Ehor.
Mein König und Herr,
Du des Atreus Sohn, der du Troja beswangfl,
Wie red’ ich Dich an, wie ehr?’ ich dich jetzt,
Nicht überentzäct, nicht niedergedrückt 760
Bon der Fülle des Dante?
Zieht's mancher doch vor zu erheucheln den Schein, .
Ueberfchreitend das Maaß des Gerechten!
Mit dem Unglücfegen zu Hagen ift leicht |
Alljeder bereit, doch die Nadel des Grams, 165
Bis ins Herz nicht läßt er fie dringen.
Und Fröhlihen wieder erfheinet er froh,
Und zwingt nicht Iahende Stirn, daß fie lacht.
Doch wer, wie ein Tundiger Hirte des Volks,
Acht giebt, dem birgt fol Auge fih nicht, 770
Das ein treues Gemüth zu befunden bemüht,
Liebängelt in wäflriger Sreundfchaft!
Du dünkteſt mich einft, da du fort in den Krieg
um Helena zogft — nicht berg’ ich es dir —
Agamemnon. 71
Sehr thöricht zu ſein, und es blieb mir im Geiſt, 775
Daß du nicht recht lenkteſt das Steuer des Sinns,
Unwilligen Muth
Den des Todes Gewiſſen zu wecken.
Jetzt aber erfreut mich im tiefſten Gemüth
Die Gefahr, die ihr glücklich beſtanden. 780
Du wirſt mit der Zeit, wenn du nachforſchſt, ſehn,
Wer löblich, und wer nicht, wie es fich ziemt,
Bon den Bürgern die Stadt dir bewahrt hat. —
Agamemnon. 6
(nachdem fidy die Züge geordnet haben, fpricht er von dem Sieges⸗
wagen berab.)
Zuerſt gebührt fih’s, Argos und die heinifchen
Gottheiten fromm zu grüßen, die zur Wiederkehr, 7185
Zu meinem Recht mir halfen, das ih von Priam’s Stadt
GSefordert habe. Nicht des Streites Richter bloß
Nah Ned’ und Gegenrede, warfen fichtlidh fie
In des Blutes Urne Troja's mÄnnermordende,
Des Todes Kugel; doch zur andern Schaale trat 790
Allein die Hoffnung, alle Hand ſonſt ließ ſie leer.
Am Rauch noch kenntlich iſt die zerſtoͤrte Troja jett;
Noch lebt die Todesflamme; mit ihr ſterbend haucht
Bald Aſche nur des einſtigen Reichthums ſchwülen Qualm.
Dafür gebührt den Göttern vielgedenker Dank, 705
Indem wir unſre hochgethürmte Falle wohl
Zu Stande brachten, und zur Rache für ein Weib
Die Stadt in Staub trat das Argiver Ungethüm,
Des Roſſes Neſtling, unſer ſchilddewandtes Boll,
Das zum Fang hervorbrach um der Plejaden Untergang; 800
Den Wall hinüber fprang der gierentbraunte Leu
Und leckte dürftend fih im Tiyrannenbinte fatt.
72 Erſte Tragödie.
Den Göttern hab’ ich diefen erften Gruß gefagt;
Zu deiner Meinung, der ich wohl gedente, dieß:
Daffelbe fag’ ich und vertrete, was du ſprachſt; 805
Denn wenig Menfchen ift es angeborne Art,
Den hochbeglückten Freund zu ehren fonder Neid;
Das Gift der Mißgunft, feinem Herzen eingeimpft,
Es kränkt mit zwiefach böfem Sram den Kranfenden;
Vom eignen Ungemache wird er fchwer gedrüdt 810
Und beim Betrachten fremden Glückes feufzer er.
Wohl nennen darf ih, — denn ich hab’ es felbft erfannt —
Ein Spiegelbild von Freundfchaft, eines Schattens Bild
Die Treue derer, die mir treu ich fcheinen ſah;
Und nur Odyſſeus, der doch ungern war gefolgt, 815
Trug willig mit mir nnter gleiches Joch gebeugt!
— Db er der Todten einer, ob am euren noch,
Weiß Gott! —
Das Weitre für die Götter und die Stadt
In der Volksverfammlung wird es nach gewohnter Art
Erwogen werden; was fih gut-und tüchtig zeigt, 820
Für deffen Aufrechthaltung wird zu forgen fein;
Doch wo's des Arztes und der Arzenei bedarf, i
Da auch mit Schritt und Feuer, Doch wohlmollend, werd’
Ich folhen Ausfag megzutilgen mic bemühn.
Und nun zum Palaft und zum gottgeliebten Heerd 823
Heimfehrend fag’ ich erft den Göttern meinen Gruß,
Die fern hinaus mich fandten, die mich heimgeführr;
Und, die mir herfolgt, Nike weil’ hier inımerdar!
| Klytaimneftra.
Ahr Bürger, ihr des Argosvolkes Aeltefte,
Nicht fol’s mich fehämen, meine Gattenliebe hier 80
Bor euch zu fagen; denn die Zeit, aus Fifcht fie ja
Die blöde Schen den Menfchen. Nicht von Anderen
Agamemnon. 73
Belchrt erzählen will ich, wie ih kummervoll
Fortlebte, während jener lag vor Ilion.
Schon daß fo weit von ihrem Mann getrennt ein Weib 835
Einſam daheim ſitzt, das iſt unausſprechlich hart;
Gerüchte hört fie, viele, widerfprechende;
Bald daß er komme, bald er bringe mit zurüd,
Was ichlimmer als das ſchlimmſte fey, fo heißt's im Haus.
Und wenn ihm foviel Wunden dort gefchlagen find, 840
Wie das Gerücht uns fort und fort zu Ohren Tam,
Sein Körper wäre wie ein viel durchlöchert Neb;
Und wär er ftets gefallen, wenn gefagt es ward,
Gleich einem zweiten dreigeleibten Geryon
Könnt er im Leben — denn vom Tode red’ ich nicht — 845
Bon Erd’ ein dreifah Leichentuch zu haben ſchon
Sich rühmen, einmal fterbend mit jedweden Leib.
um folcher unglückſel'gen Kunde Willen war's,
Daß mancher Echlinge, hochgeknüpft um meinen Hals,
Mich überrafcht und wider Willen man entriß. 850
Drum fteht mir auch der Knabe nicht, wie's müßte fein,
Er mein und deiner Liebe Liebes Unterpfand,
Dreft mir nicht zur Seite; wundre drum dich nicht!
Dein treuer Gaftfreund zieht ihn dir wohlmollend auf,
Der Phoker Strophiog, der mir viel Bedenkliches 855
Borausgefagt bat, wie in Gefahr vor Ilion
Du ſeiſt, wie, leicht volkswilde Herrfcherlofigkeit
Den Rath zu Boden würfe, ja wie es angeborn
Den Menfchen fey, Geſtürzten doppelt weh zu thun.
Glaub' nicht, es berge dieß Entfchuld’gen dir Betrug! — 860
R. 844. Geryon war ein Riefenkönig im fernen Hesperien, deſſen
Leib aus drei Leidern zuſammengewachſen war; noch in ber Unterwelt
fhredt fein riefiges Geſpenſt.
74 Erſte Tragöbie.
Mir aber ift der Thranen ewig Arömender
Brunnquell verfieger; drinnen if fein Tropfen mehr;
Mein fpätentfchlummernd Auge kränkt und ſchmerzt mich fehr;
Um dich zu weinen, ſaß ih Mitternächte durch,
Bon denen du nichts wußteft; wieder dann im Traum 865
Ließ einer fchwirrenden Mücke Ieifer Flügelfchlag
Mich fhon erwachen, wenn ich deiner Leiden mehr
Gefehen hatte, als des Schlafes Zeit umfaßt.
Nachdem ich alles das ertragen, möcht ich dich
An meiner Freude nennen: Hofes Wächterhund, 870
Ein allerrettend Antertau, des hohen Dachs
Grundfeften Pfeiler, eines Vaters einzig Kind,
Und Land, dem Schiffer wider Hoffnung aufgetaucht,
Ein fhönfter Frühlingsmorgen nah dem Winterſturm.
Dem müden, durf’gen Wandersmann ein frifcher Quell! 875
So felig ift es, aller Noth entflohn zu fein,
und folhen Grußes acht' ich Dich darum mir werth!
Fern bleibe Mißgunſt; haben wir doch Sram gemug
Zuvor erduldet! —
Nun, o du mein theures Haupt,
Steig’ mir von deinem Wagen; auf die Erde nicht 380
Sep’ deinen Fuß, Herr, den Zertreter Ilions!
Was fäumt ihr, Mägde, da euch aufgetragen ift
Die Decken hinzubreiten über feinen Weg!
Se ſchnell ihm purpurüberdedit der Gang zum Haus
Dem ungehofften, daß ihn Dike leiten mag; 885
Das andre wird mein Eorgen, das kein Schlaf bezwang,
Gerecht, fo Gott will, bald erfüllen, wie es muß!
(Die Sclavinnen breiten Purpurteppiche über die Treppe, die Bühne,
bis zum Pallaft.)
Agamemnon.
Du Tochter Leda’s, meines Hauſes Hüterin,
Agamemnon. 75
Du ſprachſt der Zeit, die ich entfernt war, wohlgemäß
In gleicher Tanger Rede; doch ein ächtes Lob, 890
Aus fremden Mund map kommen uns ein fol Geſchenk.
Auch wol’ im Andern nicht mir zärteln weiberhaft,
Noch nad) Barbarengrußes Weife knechtiſch mir
Staubhingefunt’ne Huldigung entgegenfchrei’n,
Noch mache gar mit deinem Purpur meinen Weg . 895
Berhaßt: die Götter nur ift fo zu ehren recht!
Daß ich, ein Menſch, auf bunten Prachtgewanden foll
Hinfchreiten, mir iſt's Grund zu mehr als eitler Furcht;
Ich will geehrt als Menfchen, nicht als Gott mich fehn;
Auch ohne deiner Deden, deines Purpurs Stolz 900
Erhebt der Ruf mich, und es iſt nicht argen Einns
Zu fein, der Götter größt Geſchenk. Den mag beglüdt
Man preifen, der fein Leben fchließt im Tieben Glück;
Wenn mir es flets fo würde, hätt’ ich frohen Muth!
Klytaimmeftra.
Das wolle nicht mir fagen wider meinen Wunſch! 905
i Agamemnon.
Den Wuunſch bewahr ich, glaub’ mir's, unveränderlich!
Klytaimneſtra.
Gelobteſt du aus Furcht den Göttern, fo zu thun?
Agamennon.
Wenn einer, vielgeprüfet ſagt' ich den Entſchluß!
Klytainıneftra.
Mas meint du thäte Priamos, hätt’ er das vollbracht?
Agamennon.
Der, glaub’ ich, wohl beträte deiner Deden Pracht! 910
Klytaimneftra.
Sp ſcheue du doch nicht der Menfchen Tadel mehr.
Agamemnon.
Doch gar gewichtig iſt der Volkesſtimme Ruf.
76 Erſte Tragödie.
Klytaimnefira.
Wer unbeneibdet, iit des Neides nimmer werth!
Agamemnon.
Streit aufzuſuchen ziemet für ein Weib ſich nicht!
Klytaimnefira.
Doch — beſiegt zu werden dem, der glücklich iſt! 915
Agamemnon.
So ſcheueſt du auch wohl den Eieg in dieſem Streit!
Klygtaimneftra.
Sieb. nach; aus freiem Willen thu' den Willen mir!
Agamemnon.
Wohl! willſt du alſo, mag man ſchnell die Sohle mir
Abbinden, meines Fußes treue Dienerin,
Daß nicht mich fernher eines Gottes neid'ſcher Blick, 920
Wenn ich in ihr auf Purpur trete, treffe; denn
Ich fchen’ es fehr, Verfchwender reihen Gut's zu fein,
Dies Prachtgeweb zertretend, filberfchwer erfauft.
Davon genug jetzt. Diefes fremde Mädchen führ'
Ins Haus mir freundlich; wer als Herr fich mild erzeigt, 925
Auf den herab fieht mild und gnadenreich der Gott;
Mit frohem Herzen trägt ja niemand Sclavenjoch.
Aus vielen Beuten als die fhönfte Blume mir
Vom Heer erlefen und gefchentt mir, fam fie mit. —
Doch da ich folgfam deinem Wunfch zn fein verfprah, 930
Wil zum u ih, auf den Purpur tretend, gehn!
(Seht hinauf in den PaHafl.)
Kigtaimueftra.
Es ift ein Meer noch — und das Meer, wer fchöpft es leer? —
Das vielen Purpurs filberaufgewägten Saft
Erzeugt, den immerneuften, prachtkleidfärbenden,
Davon, den Göttern dank’ es, Herr, dein Hans befitt; 935
Zu haben, nicht zu darben hat dies Schloß gelernt.
Agamemnon. 2 77
Und viele Decken hart’ ich zum Zertreten gern
Gelobt, wenn du von Göoͤtterſprüchen wärft genannt,
Für dein gerettet theures Leben Freudendank.
Denn lebt die Wurzel, fo umgrünet Laub das Dad, 910
Und breiter Schatten vor dem heißen Sirius;
Du, heimgekehrt mir an den heimathlichen Heerd,
Mir kündeſt Frühlingswärme du in Winterzeit;
Und wenn in herber Traube Zeus den jungen Wein
Läßt reifen, dann weht labend Kühlung durch das Haus, 945
In dem vollendend alivollendet herrfcht der Mann. —
Zeus, Zeus Bollender, mein Geber vollende jetzt;
Du leite gnädig, was du willſt vollendet fehn!
(ab in den Pallaft.)
Wechfelgefang des Chores.
i Strophe 1.
Warum ift’s, daß immerfort
Jenes Zeichen meinem Blick, 650
Meinem ahndungspollen Geiſte vorfchwebt?
Daß der Gefang ungelohnt, ungeboten mir weiflagt ?
Warum nicht, vergeffend fein,
Sein wie eines dunklen Traums,
Weilt auf meines Gemüths liebem Thron getrofter Muth?
955
Und doch vorbei it Jängft die Zeit, daß Strand entlang
Schiff bei Schiff an den Ankern fe unfre Schaaren
altern fahn,
Ch es fort gen Troja ging.
Gegenftropbe 1.
Eigner Zeuge eignen Aug’s
Sah ich ihre Wiederkehr;
78 Erfle Tragödie.
Dennoch fingt mir ftets den harfenlofen,
Singet mir drinnen den Trauergefang der Erinnys
Meine Seele, rubig nicht 065
Durch der Hoffnung froden Muth!
Ka — dieß Bangen, erwägt’s Talter Ernft, fo taͤuſcht Ach
nicht
Mein Herz, vom Strudel nah’nder Erfüllung miterfaßt!
Möht es anders, wie ich's geahnt, moͤcht' es ewig uns
erfüllt 970
Als ein Nichts in Nichts vergehn!
Strophe 2.
Denn es zerflört, fich felbit verzehrt
Allunerfättlich Gefundheitsfülle; und Krankheit 975
Hauft Mauer an Mauer ihr, ein tüdifsher Nachbar.
Mitten in glücklicher Fahrt
Treibet des Menfchen Verhängniß
Auf verborgene Scheiterklippen;
Wirft Beforgniß einen Theil 980
Dann hinab vom reihen Gut,
Einen wohlgemeßnen Wurf,
Nicht verfinft das Haus dann ganz,
Srambelaftet allaufehr.
Noch verfhlingt die See den Kiel; 985
Wahrlich, reifende, reichlihe Gabe des Zeus in den jährlichen
grünenden Fluren
Sättigt Teicht den Hungernden!
Gegenftrophe 2.
Doch in den Staub hinabgeftrömt, 990
Wenn das erfierbende Blut einmal fih ergoſſen,
Wer ruft es mit Zauber zurück in das Leben?
Agamenmnon. 79
Welcher vor Allen verftand
Todte zu werten, e8 zwang den
Zeus nicht fchonend zur Ruh’ des Todes. 995
Doch wenn fo geboten Loos nicht
Menfchenloos, von Goͤtterhuld
Mehr zu hoffen, hinderte, —
BVorgeeilt der Zunge ſchon
Hätte das mein Herz gefleht. 1000
Aber nun im Dunkel pocht's
Schwermuthbrütend, verzagend, dem Knäuel der Gedanken das
Frommende noch zu entwirren,
Während wild der Geiſt mir flammt!
Kiytaimnefira.
(allein, eilig ans dem Pallaſt tretend, zu Raffandra, die noch auf
dem Wagen Agamemnon’s figt.)
Sp komm' hinein doch! du, Kaffandra, bift gemeint; 1005
Nicht zürnte Zeus dir, daß er in unfrem Haufe dich
Am Opfer Theil läßt nehmen, mit den übrigen
Dienftboten hinzutreten an den heil'gen Heerd.
Sp fieig’ herab vom Wagen! laß den eitlen Stolz!
Denn auch Alkmene's Sohn, fo fagt man, trug es cinft 1010
Berkauft zu leben und gezwungen Knecht zu fein.
Kommt folhes Schidfals Unvermeidlichkeit einmal,
Sp ift ein altbegütert Haus ganz angenehm;
Doch die fi) Reichthum unerwartet ärndteten,
d
V. 993. Asklepios, Apollons Sohn, weckte mit feiner Kunſt
die Todten, bis ihn die Blitze des Zeus trafen.
®. 1010. Alkemene's Cohn Herafles war wegen einer Blut
ſchuld Sklave der Omphale. :
@
80 Erfte Tragödie.
Eind ihren Sklaven immer hart und ohn' Gebühr;
Bei uns erhältft du, was für recht und billig--gilt.
Ehorführer.
Sie hat zuletzt dir recht ein wahres Wort geſagt;
Verſtrickt einmal ins Netz des Schickſals folg' ihr nur,
Wenn du ihr noch mußt folgen; oder folgſt du nicht?
Klytaimneſtra.
Verſteht ſie nicht, gleich Schwalben, unverſtändlicher 1020
Barbarenzunge Rede nur, ſo rath' ich ihr
Mit wohlgemeintem, klarem Worte, daß ſie folgt!
Erſter Halbchorführer.
Geh' mit! ſie räth das Beſte, was dir übrig iſt;
Gehorche! ſteig' aus deinem Wagenfis herab!
Alytaimneſtra.
Nicht hab' ich Muße, lange vor den Thüren hier 1025
Zu weilen; denn in Haufes Mitten am Altar
Steht unfer Dpfer ſchon am Feuer ung bereit,
Die wir ung niemals folhe Luft erwarteten.
Willſt du dabei fein, nun fo zögre länger nicht;
Und kannſt du unvernehmlich nicht mein Wort verftehn, 1030
So fag’s mir flatt mit Worten mit der Barbarenhband!
. Zweiter Salbehorführer.
Ein klarer Dolmerfch fcheint der Fremden Noth zu fein;
Wie eines neugefangnen Wildes ift ihr Thun.
Klytaimneftra. j
Kein, rafend iſt fie, hört nur ihrem argen Iros;
Die zwar verlaffend ihre neugefangne Stadt 1035
Herkam, den Zügel aber nicht zu tragen weiß,
Eh’ nicht gepeitfcht fie blutigen Schaum zu Boden trieft!
Nicht weiter nutzlos fprech’ ich bier zum eignen Schimpf!
(Eilig ab.)
Agamemnon. sl
Chorführer.
Sch aber, — Mitleid fühl ih — zürnen will ih nicht!
Sp fomm’, du Arme; deinen Wagen fteig’ herab; 1040
Dem Zwange weichend weih’ das neue Zoch dir ein!
Kaffanbra.
Dt ot ol o! ad!
Apollon! Apollon!
Erſter Halbchorführer.
Was rufſt du ſolch ein traurig Ach dem Loxias?
Er iſt der Gott nicht, dem des Grames Ruf gebührt! 1045
Kafſandra.
O!: ob o o! ach!
Apollon! Apollon!
Zweiter Halbchorführer.
Von Neuem rief ſie mit entweihndem Schrei den Gott,
Dem nie gerecht iſt, ſolchem Jammer nah' zu ſein!
Kaffanbra.
Apollon! O Apollon! 1050
Du Wegführer! o Abholder mir!
Abhold verdirbſt du gar mich ganz zum zweiten Mal!
Ein Chorente.
Ihr eignes Unheil will fie wohl verfündigen;
Des Gottes Geiſt weilt auch im Sklavenfinne noch! “
Kaffandra.
Apollon! O Apollon! . 1055
Du Wegführer! o Ahholder mir!
Wohin geführt mich haft du, ach in welches Haus!
V. 1051. Apollon bee Wegführer ift der Agpieus, beilen
Altar vor dem Pallaft ſteht.
J. 6
nn. en
82 Erſte Tragödie,
Ein zweiter.
Zum Haufe der Atriden, wenn du nicht es weißt!
Ich fag’ es gern dir, falſch erfindeft du es nicht!
5 Kaffandra.
Ha! götterverhaßtes Haus! du von unzähl’ger Schuld 1060
Zeuge, von Strid, von Wechfelmord,
Don Mannes Dpferbeden, Boden biutbefprügt!
Ein dritter.
Scharffpürend fcheint die Fremde, wie ein Sägerhund,
Zu wittern, weilen Zodesblut fie fpüren mag! 1065
Saffanbra.
Ha! diefe belehren mich, deutlihe Zeugen find’s,
Weinende Kindlein, jäher Mord,
Ihr Fleifh gebraten und vom Vater aufgezehrt!
Ein vierter,
Wir haben fonft fhon viel von deinem Seherruf
Erfahren alle, fuchen jett Wahrfager nicht! 1070
Kaffandra.
D Götter ihr! Weh, was erfinnt fie jest?
Welch unerhörtes, neues Weh
Welch gräßlih Unheil drinnen beginnt die Wilde jegt —
Unfagbar, unfühnbar, ein Fluch allen, ah! und Hülfe von
- keiner Seite! 1073
Ein fünfter.
Mir unbegreiflich ſprachſt du dieß Orakel aus;
Klar war mir jenes; denn die ganze Stadt ja nflis!
Kaffandra.
Unſel'ge du! wehe du führſt's hinaus!
Agamemnon. 83
Der an der Seite dir gerubt,
Den du in’s Bad Iodft, deinen Herrn — wie fag’ ich's
ganz? 1089
Denn gleich iſt's erfüllt — frech hervor redet ah! ſchon haſtig
fh Arm um Arm!
Ein fechöter.
Ich fa’ e8 nimmer, unerklärlich Räthſel birgt
Mir. diefer zufunftihwangren Worte dunklen Sinn!
Kaſſandra.
Ah! ah! o ſchau! o ſchau! wieder was ſeh' ich da? 1085
Iſt's gar ein Netz des Todes?
Die Schlinge Bettgenofün, Blutgenoffin
Des Mordes ift’s! Jauchze, du wilder Haß
Diefes Geſchlechtes, jetzt dieſem Blutopfer zu!
Ein ſiebenter.
Weh! welchen Dämon rufſt du auf, in dieſem Haus 1090
Wild aufzujubeln? fröhlich macht dein Wort mich nicht!
Ein adter.
Nein in das Herz zurück ſtürzt mir in dumpfer Angſt
Das Blut todtenbleih, wie der Verwundeten
Brehendes Auge der Tod tief in Naht hält;
Berderben eilt gar zu ſchnell! 1095
Kaffandbra.
Ah! ah! o fieh! o fieh! halt von der Kuh doch fern
Den Stier! Im weiten Mantel
Fängt fie den fhwarzgehörnterPein mit arger Liſt!
Eie trifft — er finft, fich, in des Bedens Fluth! —
Bon dem Gefhid in mordliſt'gem Bad’ hörteft du! 1100
84 Erſte Tragoͤdie.
Ein neunter.
Nicht großer Kunde rühm ich mich im Deuten von
Drofelfprüchen; doch ein Unglüd ahnd' ich hier!
Ein zehnter.
Wo ift ein freundlih Wort von den Orakeln je
Den Sterblihen geſandt? Im Leid felber erft
Laffen verftehn die vieldeutigen Sprüche 1105
Die gottgeweiffagte Furcht!
Kaffandra.
D mein der Armen gar zu betrübtes Loos!
Denn um mein eigen Leid fing’ ich die Klage mit drein!
Warum denn hieher haft mich Arne du gebracht?
Doch einzig, daß ich mit dir ſtürbe! wozu fonft? 1110
Ein eilfter.
Dich hat ein Gott verwirrt,
Dir dag Gemüth verftört, daß unfel’gen Eang
Du von dir wie die Nachtigall wehllagft,
Die im betrübten Einn, ach des Nufs nimmer fatt,
Itys o Itys! feufst; ewiger Sram umblüht 1115
Ihr Wehklageleben!
Kaffandra.
O felig Schickſal fingender Nachtigall!
Sn den befhmwingten Leib kleideten Goͤtter fie,
Und gaben füße, thränenlofe Tage ihr;
Doch meiner harret Mord von doppelſcharfer Art! 1120
“ Ein zwölfter.
Aber vofwannen kam,
V. 1115. Mit diefem Ramen Itys ruft die zur Nachtigall ver
wanbelte Mutter ihren Sohn, den fie felber umgebradht hat.
Agamemnon, 8
Kam dir vom Gott geftürmt der Angſt eitler Wahn,
Daß du dir die Gefahr fo tief wehklagſt,
Wieder fie jammerlaut, hellen Schmerz gellend ſchreiſt?
Wer hat das Ziel der weilfagenden Klage dir 1125
Das Fluchziel gefegt?
Raffandra.
Du Ehe, Paris Ehe, weh! die du den Freunden Tod ges
bracht!
D du Skamandros, meiner Väter Trank!
An dem Geftade dein lebte ich Arme wohl glüdlihe Tage
fonft! 1130
Nun, glaub’ ich, am Kokytos, an des Acheron
Felsufern werd’ ich fingen meine Sprüde bald!
Erfter Halbchorführer.
Wie du es uns mit dem Wort gar zu verftändlich ſagſt!
Und auch ein Kind verftünde dich; 1135
Mich fchlägt, blutig fchlägt nagender Kummer mid,
Wie dein bittres Loos wiffend umſonſt du beweinft,
Wunden zu hören mir!
Kaffanbra.
Du Sram, o Sram du meiner Stadt, die du zumal * Tod
erlagſt, 1140
O meines Vaters fromme Opfer ihr,
Prangender ven Blut. unferer Stadt zum Heil; aber «8
gab kein Heil,
Daß unfre Stapt nicht Titte, was ihr jest gefchehn! —
Sch aber ſinke bald im heißen Todestanpf! 1145
Zweiter Halbchorführer.
Wie du 'vorher, fo fprichit wieder du gar zu Kar!
Sag’, welcher fohwererzürnte Gott
86 Erſte Tragoͤdie.
Erfaßt überſtark dich, ſtürmt wild dich empor,
Daß Wehklage du, Jammer des Todes du ſingſt?
Wie wird das Ende ſein? 1150
Kafſandra.
Es ſoll von nun an — Schleiern nicht hervor
Die Verheißung blicken gleich der neuvermählten Braut;
Ein heller Frühwind wird ſie wach, dahinzuwehn
Gen Sonnenaufgang, und es rauſcht wie Meeresfluth
Bei dieſer Blutſchuld erſtem Strahl gewaltiger 1155
Empor! Berkünden will ich nicht in Räthſeln mehr!
Und feid mir Zeuge, daß ich, jeder Spur gewiß,
Des allverübten Frevels Fährte wittere.
Denn diefes Haus laßt. nimmermehr ein graufer Chor,
Der, laut und doch mislantig, Frohes nimmer fing; 1160
Denn, voll und trunfen bis zum frechften Uebermuth,
Vom Menſchenblut ein Trinkgelage hauft im Haus,
Der Erinnyen fchwergebannter, blutsvermandter Schwarm;
- Und als ein Trinklied fingen fie an den Heerd geſchaart
Urerfte Blurfchuld, fhmähen und verfluchen dann 1165
Des Bruders Eh’bett, das den Schänder niederfching!
Verfehl' ich's, treff' ich’s, wie Die Jägerin ihr Wild?
Und Lügenfeherin, Bettelprophetin, fprich, bin ich's?
Sp fhwöre mir zu zengen, daß ich klar gewaßt
Bon diefes Hauſes altgeerbten Frevelfchuld! 1170
&horführer.
Wie mag des Schwures fromm gefchlungen Band ein Heil
Gewähren? Doch dich ſtaun' ich an, daß über See
Geboren Alles du uns anders redenden
Kannft naherzählen, gleih als hätten du's gefehn!
Kaffandra. i
Es gab Apollon mir der Seher diefes Amt. 1175
Agamemnon. 8
Chorführer.
Bielleicht, ein Gott er, dir in Liebe doc befiege?
"Kafanbre.
Bor dieſem hab’ id) mich gefchämt, das zu geftehn.
Chorführer.
Zu zart gewöhnt find freilich alle Glücklichen.
Kaffandra.
Mein Buhle war er! Und er bat mich fehr geliebt!
Ehorführer.
‚und bat der Bott in feiner Liebe dich erfannt? 1180
Kaffandra.
Berfprochen hatt? ich’6, und belog den Loxias!
Chorführer.
Da du der gotterfüllten Kunſt ſchon maͤchtig warſt?
Kafſandra.
Ja, ſchon verhieß ich meinem Volke jedes Leid.
Ehorführer.
Ließ ohne Strafe dich der Zorn des Lorias?
Kaffandra.
Es glaubte niemand nichts mir, feit ich das gethan! 1185
‚ Ehorführer.
Uns wahrlich ſcheinſt du gar zu wahr zu prophezein!
Kaffanbra.
D Gott! Weh! Qualen!
Auf reißt mich wieder der Begeiftrung wilder Schmerz!
Am jähen Wirbel ftürmen Sprüche wire hervor!
Ha feht ihr die dort figen vor der Thür, fo fill, 11%
So jung, wie Traumes Truggeftalten nebelhaft,
Zween Knaben, gleich als hätten Freunde fie gewürgt,
Die Heinen Hände mit- des eignen Fleifhes Koſt,
Der eignen Eingeweide jammervollem Mahl
Gefüllt, davon der’eigne Vater geffen hat? 119
88 Erſte Tragödie.
Um diefe finnt jebt auf Vergeltung, ſag' ich dir,
Ein Löwe Feigling, fremdem Bett einliegender
Haushüter, — wehe, deinem heimgelehrten Herrn
und meinem — tragen muß ich ja das Stlavenjoh! —
Der Schiffe König, Ilion's Bewältiger, 1200
Nicht weiß er, wie ihr Willkommen ihm bie Gleißnerin,
Ihr Schmeichelwort ihm bald die Hündin, lauerndem
Verderben gleich vollenden wird „zu argem Glück.“
Sie wagt’s! Das Weib des eignen Mannes Mörderin!
Welch ſcheußlich Unthier Leihet feinen Namen ihr, 1205
Der träfe? Nenne Drachen, nenne Scylla fie,
Sn tiefer Klippenhöhle aller Schiffer Tod,
Wahnwitz'ge Hadesmutter, fühnelofen Krieg
Den Lieben fhnaubend! — wie fie fo laut gejauchzet bat,
Die Allverwegne, gleich als ſchlage fie den Feind, 1210
Sie nennt es: Freude daß er glücklich heimgekehrt! —
Und ob mir niemand glaube, nun gilt's gleih. Wie nicht?
Es tommt die Zukunft; um ein Kleines Zeuge felbft,
Nennſt du mich weinend allzuwahre Seherin!
Ehorführer.
Das Mahl Thyeftens von der eignen Kinder Fleiſch 1215
Erfannt ich und mich fehaudert; Furcht bewältigt mid,
En wahr zu hören, was ich nicht mißdeuten Tann;
Doch für das Andre, da verlier’ ich jede Bahn!
Kaffandra.
Rn Ende, fag’ ich, wirt du heute fehn!
Eborführer.
Kein böfes Wort, Unfel’ge, ſchweige deinen Mund! 1220
Kaffandra.
Und doch erſteht kein Retter dir vor dieſem Wort!
Chorführer.
Ja, wenn's geſchehen iſt; aber nimmermehr geſcheh's!
Agamemnon. 89
Kaffanbra.
Du freilich beteftt jene forgen für den Mord!
Chorführer.
Sprich, weſſen Hand wird folhe Frevelthat begehn?
KRaffandra.
Was ich geweiſſagt, überhört haft dn es fehr! 1225
&horführer.
Nein, doch begreif ich des Vollbringers Ränke nicht!
KRaffanbra.
Verſteh' ich doch der Hellenen Sprache nur zu gut!
Chorführer.
Sp auch die Pythoſprüche, dunkel find fie doc!
? Kaffandra.
Hal welches Feuer! brennend flammt’s an mir empor!
Ha, du Lykeios Apollon! wehe, weh mir! ad! 1230
Da die, die Menfchenlöwin, die geichlafen hat
Beim Wolf, da fern der hochgeborne Löwe war,
Mich Arme will fie tödten, will zu ihrem Haß
Ihm, ah! in den Gifttrank mifchen auch den Lohn für mich;
Sie wegt das Meffer ihrem Herrn; fie rühmt fi laut, 1235
Mord foll es rächen, daß er mich hat mitgebracht!
Was hab’ ich länger mir zum Gefpött den heil’gen Schmuck,
Den Scepter noch, den Seherkranz um meine Stirn!
Fort! eh?’ der Tod mich faflet, brech’ ich dich entzwei!
Euch werf ich bin, verfommt ihr! So vergelt’ ih euch; 1240
Bringt einer andern eures Elends Bertelftolz!
Da fiehb, Apollon ift’s, der mir mein Seherlleid
Nun ſelber auszieht, der auf mich hernieberfah,
Als Freund und Feind mich diefem heil'gen Schmud zum
Trotz
Gar ſehr verlachten, unverhoblen, wahnbethört! 1245
Geſcholten Thörin, Bettlerin, Lügenzauberweib,
0 Erſte Tragöbte.
Wahnwigig, elend, hungerſüchtig — ich ertrug’s!
Kun bat der Seher mich die Seherin beftraft,
Hat mich in dieß Verhängniß, in den Tod geführt!
Statt meiner Väter Altar harret mein der Blod, 12350
Drauf blutig heißer, fharfer Mord bald mich erfchlägt!
Jedoch wir flerben nicht den Göttern ungerädit;
Denn wieder wird einft unfer Rächer nahe fein,
Der Muttermörder, der des Vaters Mord vergilt;
Ein irrer Flüchtling kehrt er aus der Fremde beim, 1255
Und fegt den Schlußftein aller Schuld der Seinigen.
Geſchworen alfo war der Götter höchfter Schwur,
Sie nachzuſtürzen in des erſchlagenen Vaters Sturz! —
Warum erſeufzet wieder mein der Sclavin Mund?
Da ich zum erſten ſah die Feſte Ilion 12600
Wie fie geendet, enden, meines Landes Bolt
Alfo hinweggetilget durch der Götter Spruch! —
Ich geh? zu enden: leiden werd’ ich dort den Tod!
Di, Pforte, gruß’ ich, Pforte mir in's Schattenreid!
Doch Heh’ ich eins, mich treffe gleich der Todesfireih, 1265
Auf daß, wenn mein, fanftfierbend Blut zn Boden fließt,
Sich ruhig ohne Todesfampf mein Auge ſchließt!
(Sie verläßt den Wagen und gebt die Stufen zur Bühne hinauf.)
Ghorführer.
D viel unfelges, wieder auch viel weiſes Weib,
Du fpracheit reichlich. Aber wenn wahrhaftig du
Dein eigen Schickſal weiſſeſt, warum gehft du, gleich 1370
Dem gottgetriebnen Stier, zum Altar feiten Muth's?
Kaffaubra.
Kein Mittel, Freunde, giebt mir mehr jegt denn Verzug.
Chorführer.
Doc wer der legte zögernd bleibt, gewinnet ſchon.
Agamemnon. ° 91
Kaffanbra.
Nein, meine Stund iſt — en frommt wenig mir!
Doc wiffe, leiden wirk — * Eh Muth! 1375
andrea.
Doch rühmlich ſterben iſt ho Menſchen füßer Troſt!
rführer.
Nie ſagen hört man a Bort von Südlichen.
i Kaffandra.
— Mein Bater! über dich und deine Kinder o!
a Ehorführer.
Was it Dir? welch Entfegen ſchrecket dich hinweg?
Kaffanbra.
Weh, weh! 1280
Ghorfübrer.
Was will der Wehruf? ifrs ein Graun, das dich erfaßt?
Kaffanbra.
Mord haucht das Haus mir, blutumtrieften Mord mir zu!
EChorfübrer.
Nicht doch; der Weihrauch auf dem Heerde duftet fo!
Kaffanbra.
Es wehet Dunſt mir wie aus einem Grabe zu!
Chorfährer.
Kein ſyriſch Duftgepraͤnge, das du rühmft dem Haus! 1285
Kaffandra.
So geh’ ich, fo bewein’ ih nodh im Haufe mein
Und Agamemnon’s Ende. Sei's des Lebens g’nug!
D Freunde!
Nicht Magen will ich, wie der Vogel im Gebüſch,
Furchtſam, vergebens. Mir der Todten zeuget einft, 1290
Wenn das Weib an mein bes Weibes Statt erfchlagen Tiegt,
92 Erſte Tragoͤdie.
An des Mannes Statt der fluchgefreite Mann erliegt!
Mit dieſem Gaſtgruß tritt hinein die Sterbende.
Ehorfährer
Wie rührt mid, Arme, dein verhängnißvolles 2008!
Kaffanbra.
Einmal noch fagen will ich letzten Sprud und Gram, 1295
Den eignen meinen: Dich befhwör ich, Helios,
Beim Iegten Lichte, fordern müſſe, wer mich rächt,
Bon meinen Feinden, meinen Mördern gleihen Tod,
Wie mich, die Sklavin, ihre Hand behend erfhlug! —
O diefes Menfchenleben! — wenn es glüdiih iſt, 1300
Ein Schatten kann es wandeln; if’s voll Leid, fo tilgt
Ein feuchter Schwamm dies Bild hinweg; vergefien iſt's;
Und mehr denn jenes fehmerzt mich dies vergeffen fein! —
(Ab in den Pallaft.)
Agamemnon. 93
(Zu den Marſchrhothmen, die die drei Ehorführer nach einander fingen,
ordnet fi) der Chor ummandelnd zu einer neuen Stellung, um die
Thomele.)
Ehorfährer.
Ein beglüdtes Geſchick unerfättlih im Gram
Iſt's jedem, der lebt, und niemand wehrt 1305
Bon dem fingergezeigten Pallaft es zurück,
Wenn er fprähe: du nahe dich nimmer!
. Und diefem gewährt von den Seligen ward,
- Daß er Slion nahm,
Sn die Heimath kam, von den Göttern geehrt; 1310
Und fol der jetzt abbüßen das Blut
Der Erfhlagenen, fol mit dem eigenen Tod
Der Setödteten Tod er entgelten,
Mer rühmte fih noch, ihm bleibe gewiß
Gramloſes Geſchick, wenn er das hört? 1315
Agamemnon (im Pallaft).
eb, bin verwundet! ZTodeswunde, die mich traf!
Ehorführer.
Stille, wer zum Tod getroffen ruft um ſeine Wunde laut?
Agamemnon.
Weh mir noch einmal! bin geſchlagen wiederum!
| Erfter Halbchorführer.
Ausgeführt fchon feheint die Unthat nad des Königs Weheruf!
94 Erfte Tragöbdie.
Zweiter Halbchorführer.
Laſſet ſchnell uns überlegen, was zu thun am fiherfien! 1320
Erfter Choreute.
Eo th’ denn ich euch diefe meine Meinung kund,
Zum. Pallaft her fogleich zu rufen alles Bolt.
Zweiter.
Mir fcheint es beffer, einzudringen jegt und gleich
Und ſchnell zu richten mit dem fchnellgezüdten Schwert.
Dritter.
Auch ich, derfelden Meinung zugethan wie du, 1325
Will, daß man handle; nicht zu fäumen drängt die Zeit.
Bierter.
Das fieht fi Teicht ein; denn ein Borfpiel machen fie,
As folte die Stadt Tyrannenthums Wahrzeichen fehn!
s Fünfter.
Fa, weil wir zögern; aber die des Zögerns Ruhm
Zu Boden treten, Taffen nicht die Hände ruhn. 1330
Schfter. .
Nicht weiß ich, welchen rechten Rath ich fagen fol,
Geſchehnes ift ja über Rathen auch hinans.
@iebenter.
Derfelden Meinung bin ich auch; nicht ſeh' ich ein,
Wie man mit Morten Todte wieder wecken wi.
Achter.
Und follten zur Gefahr des eignen Lebens wir 1335
Des Haufes Schändern weichen, künftig unfern Herrn?
Rennter.
Nein ich ertrag’s nicht; nein der Tod ift vorzuziehn,
Da jedes Schidfal füßer if, denn Tyrannei.
Zehnter.
Doch wollen durd des Wehgefchrei’s Anzeige fhon
Wir überzeugt fein, daß der Fürſt erfchlagen if? 130
Agantemnon. 95
Eilfter
Erſt wenn’s gewiß if, follte man zu Rathe gehn;
Ein andres if} vermuthen, andres, Har an fehn.
Zwölfter.
Dem beizuftimmen bin ich überall geneigt,
Daß man genau forfcht, wie es fleht um Atreus Sohn.
N
(Die Eöniglihe Pforte öffnet fi dur das Enkyklema; dort flebt Kly⸗
taimneftra mit dem Beil über die Schulter; hinter ihr unter rothen
Decken Agamemnon’s und Kaffandra’s Leichen.)
Klytaimneftra.
Wenn vieles fonft ich, wie die Zeit es heifchte, ſprach, 1345
So ſcheu' ich jept das Gegentheil zu fagen nicht.
Wie kann man anders, um den Feinden Feindliches,
Die Freunde ſcheinen, anzuthun, des Jammers Netz
Klug ſtellen, höher als ein leichter Sprung heraus?
Mir brachte den Kampf, längſt ſchon unerwogen nicht, 1350
Der alte Hader; doch die Zeit erft reifte ihn.
Hier ſteh' ich nach dem Morde, wie ich ihn erfchlug;
Ich hab’ es jo vollendet, und befenn’ es laut,
Daß wehren nicht dem Tod’ er konnte noch entfliehn.
Sch hang’ ein endlos weit Geweb' rings über ihn 1355
Gleich einem Fifhneg, argen Faltenüberfluß;
Sch ſchlag' ihn zweimal, zweimal weherufend läßt
Er matt die Glieder finfen; als er niederliegt,
Geb’ ich den dritten Schlag ihm, für des Hades Zeus,
Den Retter der Geſtorbnen, frohgebotnen Dant. 1360
Sp fallend haucht er feinen Lebensathen aus,
8. 1359. Bei Spenden gilt ber dritte Becher dem Erretter Zeus.
96 Erſte Tragöbie.
Und trifft, des Blutes jähen Strahl ausröchelnd, dort
Mit einem dunklen Tropfen mic des blut'gen Thau's,
Mir minder nicht zue Freude, als Zeus Regenſchau'r
Dem Acer, wenn in ber Knospen Mutterfhooß es fhwillt. 1365
Um folhen Ausgang möger ihr, ehrwürd’ge Schaar,
Euch freuen, wenn ihr möget; ich frohlode laut.
Und wär es Sitte, Spenden über Leihen auch
Zu gießen, bier wärs wohl gerecht. Und ganz gerecht
Hat er den Kelch fo vieler fluhgemifchten Schuld, 1370
Den er gefüllt, heimkehrend felber auch geleert.
Ehorführer.
Wir ftaunen deiner Nede, wie du zungenfrech .
Noch ſolche Worte prahleft über dich und ihn!
Kiptaimneftra.
Mich prüfen wollt ihr als ein unbefonnen Weib!
Ich aber fag’ euch fonder Furcht, was jeder ſelbſt 1375
Hier fieht — ob loben du, ob du mich tadeln willft,
Mir gilt es gleih — bier Tiegt Agamemnon, mein Gemahl,
Und zwar als Leichnam, diefer meiner rechten Hand,
Des gerehten Schlächters, Meifterftüd! Sp fteht es jetzt.
Erfter Halbchorführer (Strophe).
Was für ein Gift, o Weib, 1380
Kofteteft du, das dir zu eſſen die Erd’, das dir des grauen
Meers
Tiefe zu trinken bot,
Das du dir folhe Wuth weckteſt und Volkes Fluch?
Die du ihm fingft, die du ihm ſchlugſt, ja dich verjagt die
Stadt,
Did den Bürgern cin Scheufal! 1385
Klytaimneftra.
Nun fagft du mir mein Urthel, aus der Stadt zu ziehn,
Dem Bolt ein Scheufal, von der Bürger Fluch verfolgt;
—
Agamemnon. 97
Und hatteft Doch gar nichts zu ſagen wider dem,
Der ohne Weitres, gleich ald wär’ es nur ein Lamm,
Wie viele feiner reihen Weiden Fülle bot, 13%
Sein eigen Kind doch, meines Schooßes liebſte Frucht,
Lies fchlachten, thracifhe Winde zu befchwichtigen.
Und mußteft den du nicht verjagen aus dem Land,
Den frevelungeftraften? Nun da du vernimmſt,
Was ich gethan, bit dn ein harter Richter. Doc 1395
Sch fag’ dir, und gerüftet bin ich fo zu drohn,
In gleiher Art magit du mich, wenn du mid) befiegft,
Beherrſchen, aber wenn ein Gott es anders fügt,
So lernſt du, wenn auch fpät, mir noch Befonnenheit!
Zweiter Salbehorfährer.
Stolze, wie hoch du prahlſt! 1400
Dereiftefte du, wie du mir drauft! fo frech von dem vergofinen Blut
Raſ't dir der Geiſt noch nad!
Ueber dem Auge glänzt fett dir der Tropfen Blut,
Noch ungerächt; doch es gefchieht, daB du, vom Freunden baar,
Mord mit Mord noch entgelteſt! 1405
Klytaimneſtra.
Vernimm denn dieſen meiner Schwüre heiligſten:
So wahr mir Dike, meines Kindes Rächerin,
Mir Ate und Erinnys, der ich ihn erſchlug,
Mag helfen, niemals hoff’ ich mich. dem Hans der Furcht
Zu nahn, fo lang auf meinem Heerd das Feuer noch 1410
Aigifihos anſchürt, wie bisher mir treugefinnt;.
Der wahrlich ift uns fein geringer Schild des Muths. —
Da liegt er todt, der mein des Weibes Nedit zertrat,
Der Ehrofeiden Augenluſt vor Slion;
V. 1414. Des Apolopriefter Chrofes Tochter war Agamemnon’s
Beutetheil geweien und ihm fo lieb geworden, daß er fid) weigerte, fie
gegen Löfegeld zurüdzugeben.
JI. 7
9 Erſte Tragödie.
Todt da die Lanzenbeute, Wunderjeherin, 1413
Genoſſin feiner Nächte, Zukunftdenterin,
Die treue Buhle, die bei Ruderbank und Maft
Mit ihm umberlag; trieben’s doch nicht ungefiraft!
Da liegt er todt; und fie nachdem fie Schwanen gleich
Sich noch ein letztes Sterbelied gefungen hat, 1420
Zodt neben ihrem Liebften, mir auftifhend fo
Des Ehebruches Beigeriht zu meinem Schmans.
(Die folgenden Gefänge fingen unter mannigfach wechfelnden Bewegungen
_ einzelne &horeuten.)
Erfter und Zweiter.
Ah dag in Eile doch, ohne zu großen Schmerz,
Ohne zögerndes Siechthum
Der Tod ſich uns nahte, ew'gen Schlaf, 1425
Nimmer geweckten zu bringen. Todt liegt,
Der uns der treuſte Hüter war,
Der vieles Weh um ein Weib duldete,
Durch ein Weib nun des Lebens ward beraubt!
Chorführer.
Weh Frevlerin dir, weh Helena dir, 1430
Du allein haſt viel, gar vielen entrafft
Vor Ilion rüſtiges Leben!
®anzer Ehor.
Aber hinzu ließeſt du jetzt noch den Haß erblühn 1435
Um wilde Blutſchuld,
Reichen, vielgedenken Haß
- Hier im Haus, grauſen Mannes-Mordplan! 1440
Kiytaimneftra.
Nicht wünſche das Loos dir des Todes herbei,
Hierüber betrübt,
Agamemnon. 99
Noch werfe den Zorn auf Helena's Haupt,
Als ſei ſie Schuld, als habe nur ſie
So vielen Archivern das Leben entrafft, 1445
Und endlofes Beh dir erzenget.
Dritter und Bierter.
“Dämon, der bligesgleih du in des Tantalos
Stamm und Doppelgesweig flammſt,
Gewaltſamkeit gleicher Weibeswilbheit,
Herz mir zerreißende, offenbarft bu! 1450
Wie ein verhaßter Habe fteht
Sie da an den Leihnamen, gedenkt widerlih
Ihrem Hauf berzujubeln ihren Sang!
Kiytaimneftra.
Kun fpradh dein Mund wahrhafteren Sprud,
Da den mächtigen du, 1455
Du den Dämon genannt haft unfres Geſchlechts;
Der nähret der Frucht in dem hoffenden Schooß
Blutlechzende Gier; ch’ das altende Weh
Noch endet, erneut fih der Mord fchon.
Fünfter und Sechſter.
Fürchterlih rühmft du des Hauſes mächtigen baderempürten
Damon, 1460
Ah traurigen Ruhm des graufen, unerfättlichen Elends,
Ah weh, ach Zeus, durch deinen Rath, 1465
Der alles fügt, der alles ſchafft;
Denn was gefhäh?” den Menſchen ohne dich, Zeus?
Was nicht wäre der Götter Schickung?
Erfter Halbchorführer.
Wie fol ich, ach,
Mein König und Herr, wie weinen um did), |
In der Liebe zu dir wie fpredhen? 1470
Da liegſt du verfirict in der Spinne Geweb,
100
Ach
Du
Erſte Tragoͤdie.
Todt da, gottlos du erſchlagen!
Ganzer Shor.
weh! weh! ſo unwürdige Ruhe dir!
Von der doppelſcharfen Axt
mit der Hand wie ein Knecht erſchlagen! 1475
Elytaimnmeſtra.
Und rühmeſt du nun, mein Werk ſei dies,
So ſage doch nicht,
Ich ſei Agamemnon's Gattin auch; 1480
Denn dem Weibe des Leichnams dort an Geſtalt
Nur gleich, hat den des empörenden Mabla
Alträchender, nimmer vergeffender Fluch,
Ihn des Atreus wüthender Rächer geftraft,
Hinopfernd den Mann für die Knaben! 1485
Siebenter und Achter.
Daß du am dieſem Blut unſchuldig, du blutige, wer bezeugt's
dir?
Wer? Aber dir mochte beiftehn feiner Väter Bergelter;
Er
*
Ach
#-
In Strömen gleich entfprunguen Bluts 14%
Drangt fort und fort der fchwarze Kampf;
füllt, wohin er immer auch fi fortwälzt,
Den Sumpf blutigen Kindermordeg!
Zweiter Halbchorführer.
Wie fol ih, ad,
Mein König und Herr, wie weinen um did, 149%
In der Liebe zu dir wie fprechen?
Da liegſt du verftricht in der Spinne Geweb,
Todt da, gottlos du erfchlagen!
Ganzer Chor.
weh, weh! fo unwürdige Ruhe dir!
Agamemnon. 101
Bon der doppelfharfen Art 1500
Du mit der Hand wie ein Knecht erſchlagen!
F Klytaimnmeſtra.
8 iſt, mein? ich, nicht unwürdiger Tod
Dem worden zu Theil;
Hat denn er nicht blutige Tücke zuerft
In das Haus mir gebracht? ‚Rein, der mein Kind, 1505
Das von ihm ich empfing, das ich ewig bewein',
Sphigenien mir unwürdig erſchlug,
Litt würdiges jetzt; er beflage fi nicht
In des Hades Reich, daB mordender Stahl 1510
Ihn ftrafte für das, was er anhub!
Reuuter und Behuter.
Ich finn’ umfonft, jedes Raths entrachen,
Wo ih der Sorge Steuer
Hin wenden fol, mährend wankt der Pallaft;
Ich fürcht' der hausftürzend wilden Schloſſen, 1515
Der blur’gen, Sturm; auf ja hört's zu tröpfeln!
Ein Recht zu andrer Schadensbuße wetzt ſich ja
Die Moira fhon auf anderm Wepftein.
Chorfäbrer.
D Grab! o Nacht! o bedeckteſt bu mic,
Eh ihn ich geſchaut, in das filberne Earg, 1520
In das Becken des Todes gebettet!
j Beide Salbchorfährer.
Wer gräbt ihm ein Grab? wer meiner ihm nah?
Ha, willit denn noch du ihm, deinem Gemahl,
Den du felber erfhlugft, Grabfeier begehn?
Für die Thaten des Ruhms ihm ein fchnödes Gepräng’ 1525
Lieblofefter Liebe bereiten?
102 Erſte Tragoͤdie.
Ganzer Ehor.
Preiſenden Feiergeſang an dem Grabe, wer wird
Den mit der Thränen Wahrheit
Dem gottgleich hehren Helden fingen?
Elytaimneſtra.
Nicht ziemt es ſich dir, ihm ſolchen Geſang 1530
Zu begehn; durch mich
Sant er und flarb er, ih will ihn beerdigen,
Richt unter Gewein’ im Palaft und Gemad);
Sphigenia kommt, fein Zöchterlein hold, 1335
Liebreich, wie fie muß,
Ihm entgegen dem Bater, zur fchweigenden Fahrt
Auf dem ächzenden Strom,
Umhalſet ihn zärtlich und küßt ihn! 1540
@ilfter und Zwölfter.
Vorwurf erhebt ſtarr fi gegen Vorwurf;
Und zu entfcheiden, ſchwer iſt's!
Wer fälte, fällt; wieder büßt der Mörder!
Das aber doch währt fo lang fih Zeus bewährt:
Daß, wer gethan, leide; Das ift Rechtens! j 1545
Wer reißt des Fluchs Neis von feinem Stamme?
Berzweigt hat ſolch Genift das Schidfal!
Kiytaimneftra.
Ein traf auf den wahrhaftig der Spruch
Der Orakel; doch ich
Bei dem Damon im Pleiftheniadengefchlecht 1550
Schwör' ich's, felbft dies Unerträgliche bin
Ich zu tragen bereit; nur möge fortan
Er verlaffen dies Haus, und ein ander Geſchlecht
Heimfuchen mit wechfelgemordetem Mord!
8. 1550. Pleiſthenes bieß Atreus und Thpeſtes Water.
Agamemnon. 103
Und hätt? ih der Güter ein fpäarliches Theil, 1550
Ganz g’nügte mir’s doch, wenn des wechfeluden Mord’s
Wahnfinn aus dem Haufe verfhwändel
(Aigiſthos von Lanzenknechten umgeben, im Königsmantel, kommt aus
dem Seitengebäude.)
Aigifthes.
D frohes Licht des Tages, der Gericht gebracht!
Nun fag’ ich freudig, Rächer fchaun den Sterbliden 1560
Die Götter hochher auf der Erde Miffethat,
Da den in den prachtgewebten Purpurdeden ich
Der Erinnys, recht zur Luſt mir, todt da Tiegen feh,
Unthat zu büßen, die des Baterd Hand beging.
Denn einft hat Atreus, diefes Landes Fürſt und Herr, 1365
Sein Bater, meinen Vater Thyeſtes, hör’ mich recht,
Den eignen Bruder, der um das Neih mit ihm ſich ſtritt,
Hinausgeftoßen aus der Etadt, aus feinem Haus;
Heimkehrend drauf, am Heerde hülfefuchend fam
Gramvoll Thyeſtes, und erflehte Eicherheit, 1570.
Daß er der Heimath Boden nicht mit feinem Blut
Gemordet tränkte; doch zum Gaftgefchent gereicht
Hat fein verruchter Vater Atreus, eifrig mehr
Denn freundlih meinem Bater, Feftgelag und Schmans
Scheinbar bereitend, Koft von der eignen Kinder Fleifh; 1875
Er ließ die Füßlein und der Hände Fingerfamm
Zerfhlagen, einzeln legen auf je andres Fleiſch.
Der, ohne daß er mußte, was er nehme, nahm
Und aß vom Mahl, du ſiehſt's, dem Fluchmahl des Geſchlechts.
Drauf als ihm klar wird diefer That Enfeglichkeit, 1590
Da ſeufzt er, finff er nieder, fpeiet aus den Mord,
104 Erfte Tragödie.
Flucht den Pelopiden ungemeff’nen Untergang,
Häuft Graunverwünfhung auf die Schmah des fchnöden
Mahls:
Daß ſo der ganze Pleiſthenidenſtamm vergeh'!
Nah ſolchem Fluch kannſt dort du den erſchlagen ſehn! 1585
Ich aber heiße feines Mord's gerechter Schmidt;
Denn mich, den dritten zu den zween, trieb er fort
Mit dem armen Bater, da ich Fein in Windeln lag.
Erwachſen führte Dike wieder mich zurück;
Auch da ich fern war, hatt? an ihn ich mich geknüpft, 1590
Geknüpft die ganze fihre Kunft heimtück'ſcher Liſt.
Sp wäre felbft zu fterben jept mir leicht und lieb,
Nachdem ich diefen in die Schlingen Dites ‚teleb!
Chorführer.
Aigifthos, Frechheit mod zum Frevel hafl ih ganz;
Du fageft, gern ermordet habeft du den Mann, 1595
Allein ihm diefen jammervollen Tod gebracht;
Ich fag’ dir, nicht wird im Gericht dein fhuldig Haupt
Des Volkes Flüchen und der Steinigung entgehn!
Aigiſthod.
Mir redeſt du das, der du der letzten Ruderbank 1600
Der Stadt gehoͤrſt, da unſer noch das Steuer iſt?
Sp lern' als Greis noch, wie in folhem Alter, Freund,
Schwer ift zu lernen, daß man mäß’ge feinen Mund;
Denn Ketten lehren und die Dual des Hungers felbft
Das Alter, Wunberärzte, auserlefenfte 1605
Für jede Thorheit. Biſt du blind mit offnem Aug’?
Nicht wider den Stachel löcke, daß er nicht dich ſticht!
Chorführer.
Weib, der dn ins Haus ſchlichſt, aufzulauern, wenn er heim
Bon Schlachten käme, und zugleich des Helden Bett
Zu fhänden, du fannft Tod dem Fürften meinem Here? 1610
Agamemnon. 103
Yisiftbos.
Anch diefes Wort fcharrt bittrer Thranen Duell dir auf!
Du haft von Drpheus Lippen ganz das Widerfpiel:
Der riß mit feiner Stimme Zauber alles fort,
Empörend du mit deinem Schmähn: die Mildeften,
Wirſt fortgeriffen. Zahmer macht die Zucht dich bald! 1615
Eborfährer. .
und alfo du willſt König mir in Argos fein,
Der, als du Mord fannft, nicht einmal mit eigner Hand
Hinauszuführen du gewagt haft deine That!
Aigiſthod.
Des Weibes war natürlich, ihn in Liſt zu fahn;
Ich aber ſchien verdächtig als ein alter Feind. 1620
Doch jetzt mit ſeinem reichen Schatz verſuchen wir
Das Volk zu knechten; wer mir nicht gehorchen wird,
Ich will ihm ſchon aufpaden, bis ihn gutbejocht
Der Hafer nicht mehr fit; ihn wird des dunklen Lochs
Langweil’ger Wirth, der Hunger, wohl noch rubig fehn! 1625
Ehorfährer.
Warum denn haft mit deiner feigen Seele du
Nicht felber ihn ermordet, fondern ihn das Weib,
Des Landes Abſcheu und der Landesgötter Greuf,
Erwürgt? Dreftes, lebte der noch irgendwo,
Auf daß zur Heimarh einft in Tuhes Schug gefehrt 1630
Er diefer zwei glorreicher Mörder möchte fein!
Aigiſthos.
Daß du alſo wagſt zu ſprechen und zu thun, du büßt es bald!
Chorführer.
Auf denn, liebe Kampfgenofien, ferne nicht mehr ift der Kampf!
Aigiſthos (zu feinen Lanzenknechten).
Rüſtet euch und ſtellt euch zu mir, macht zu Schanden ſolchen
sont |
BR,
„ or EN
VNIVERSITY ;
. or
*
106 Erſte Tragödie.
‘ Ghorfäßrer.
Auf denn! hab’ zum Kampf ein jeder fein entblößtes Schwert
bereit! 1635
Aigiſthod,
Mein entblößtes Schwert in Händen weigr' ich mid dem Tode
nicht!
Cherführer.
Was du vom Tod gefagt, es gelte! Mag das Glück denn Rich:
ter fein!
Klvtaimneſtra.
Nicht doch, liebſter du der Männer, häufen wir nicht neues
Beh!
Nein, auch das noch einzumähen, allzublurge Aerndte wär's!
Nein, genug ſchon if des Zammers; Blut vergießen laß uns
nicht! 1640
Geht, o Greiſe, geht nach Hauſe, eh' in Wunden ihr der That
Straf' und Reue leider; nehmen müßt ihr dies, wie wir's gethan!
Ja wenn einem Leid zu Theil ward, haben wir def’ wohl genug,
Die wir ſchwerſte Wunden leiden durch des Damons harten Zorn.
Dies iſt mein des Weibes Deeinung, wenn mir einer folgen
wii! 1645
Yigifthos.
Aber daß mit frecher Zunge diefe mich ———
Daß fie ſolches Wort mir anſpien, frech verſuchten mit dem Gott,
Jede Mäpigung vergaßen, fich empörten ihrem Herrn —
Eborfübrer.
Einem feigen Mann zu ſchmeicheln, nicht Argiver Sache wär's!
Aigiſthos.
Doch ich denk', in künft'gen Tagen bin ich auch noch unter
euch! 1650
Eborführer
Nimmer, wenn es fügt der Dämon, dag Dreft zurückekehrt!
Agamemnon. 107
Aigitthos,
Ja ich weiß, Vertriebne nähren ſich mit folcher Hoffnung gern!
Ghorführer.
halte, ſchwelge, mach' zu Schanden Fug und Nedt, du darfft
es ja!
Aigiſthos.
Glaub' mir, büßen deine Thorheit ſollſt du mir aufs bitterſte!
Chorführer.
Prahle keck und kühn dem Hahn gleich, wenn er bei der Henne
ſteht! 1655
Klytaimneftra.
Achte nicht ihr eitel Schwägen weiter; ich und du wir gehn,
Machen alles uns im Haufe, da wir Herr find, wunderſchön!
(Beide ab in den Pallaft, der Ehor auf die Straße in die Heimath ab.)
(Der Vorhang hebt id.)
Zweite Tragödie.
Die Grabesfpenderinnen.
— —
Perſonen.
Dreftes.
Pylades.
Elektra.
KKlytaimneſtra.
Kiliſſa.
Aigiſthos.
Knechte. —
Chor der Mäaägde.
Scene ber vorigen Tragödie. Die Thymele in der Orcheſtra ift durch
einen Afchentrug als Agamemnon’s Grab bezeichnet.
Bon der Seite der Fremde her kommen Dreftes und Py⸗
.lades in Wandrerstracht. Sie gehn zum Grabe; Oreſtes fteigt
die Stufen hinauf. -
Dreftes. <
9 Srabeshermes, der dir befhiebnen Macht gedenk
Sei Netter, fei Mitkämpfer mir, dem flehenden!
In diefes Land gelommen bin ich, heimgekehrt,
Und rufe meinen Bater hier an Grabesrand,
Daß er mich anhört, meinen heil’gen Schwur vernimmt! 5
+ Denn dich zu rächen, Vater, bin ich heimgefehrt,
Dein Sohn Dreftes, der ich im fernen Phokerland
Berwaift der. Heimath, durch der Mutter arge Lift
Verftoßen aufwuchs, daß ich dir einft Rächer fei;
Mic aber fender Lorias truglofer Spruch,
Das dir der Mörder wieder, dir die Mörderin,
Dein Blut zu fühnen, fallen muß dur diefe Hand.
So hör’ mich, Vater, ſchaue gnädig auf mich ber,
®. 1. Hermes geleitet die Todten in den Hades; er ift der
Todten Herold wie ber Lebenden.
112 - Zweite Tragödie.
Daß ich erfülle deines Blutes heilig Recht,
Wie mir der Gott ed, Loxias es mir gebent!
Doch heimgekehrt jept laß mich erft die Fromme Pflicht,
Die vielerfehnte hier erfüllen frommen Sinns. }
Anweſend nicht, o Vater, konnt' ich deinen Tod
Bemweinen, noch mit Klageruf, erhobnen Arme
Nachfolgen deiner Leiche, va man dich begrub.
+ Sp weih ich jegt ein drmlich trauerreich Geſchenk
Des tiefften Grames treuen Gruß auf deine Gruft;
Zum erften Male fhnitt ih mir ale Pflegedant
Die Sceitellocde für des Inachos Fluthen ab, 8
Zum zweiten Mal jegt meine Trauerlode dir, ;
+ Daß dir fie Zeugniß gebe, deines Blutes Sohn
Sei heimgefommen, Bater, in dein theures Haus,
Die Miffethat zu rächen, zu erwerben fein
Und feiner Schwefter lang entwöühntes Erb’ und Recht! —
(Auf der Bühne aus der Thür der Frauenwohnung kommt der Eher,
in fhwarzen Kleidern und Trauerſchleiern; in gleicher Mägdetracht
Eieftra die legte bes Zuges.)
Was dort erblid’ ich? was bedeutet jene Schaar 10
Bon Weibern, fhwarzverhüllten, die fich trauernd nahn?
Auf welch Ereigniß rath' ich oder dent’ ich dies?
Betraf ein neuer Todesfall vielleiht das Haus?
Gilt's meinem Vater, daß fie ihrer Spende Guß |
Zu bringen kommen, fromme Todtenfänftigung? 15
Nicht anders ift es; denn Elektra, glaub’ ich, ſelbſt
Seht dort mit ihnen, meine Schwefter, tief gebeugt
Bor Kummer. D Zeus! gieb zu rächen mir den Tod
B. s. JInachos ift ein Fluß in Urges von alter mythiſcher Be⸗
rühmtheit.
Die Grabesfpenderinnen. 113
Des Vaters, fey mir gern ein Helfer meiner That! —
Laß uns zurüdgehn Pylades, damit ich Mar 20
Erkennen könne, was bedeute diefer Zug!
(Beide verbergen ſich.)
Wechfelgefang des Chors.
(Indem der Chor von der Bühne herabfleigt und das Grab um«
wandelt.)
Strophe 1.
Entfandt dem Haufe Fanı ich her,
Geleit der Spende mit der Hände wilden Schlag!
Die Wange biuter heiß in tiefen Riſſen,
Wiedergeriffenen Nägelfurchen mir! 3
Und raſtlos, weh, an Wehklage weid’ ich meinen Sinn!
Zu Fetzen reißt mein Kleid entzwei,
Zu linnezerriffnen in bittrem Schmerz, |
Mein ſchwarz Brufttuch, mein weitfaltiges Kleid, 30
Serfegt in gar unbeitrer Pflicht!
Gegenſtrophe 1.
Denn Furcht, enifärbt, geiträubten Haars,
Des Haufes Träumefpäher, tief und tiefren Graun’s
Sequält im Schlaf, ſchrie mitternährrgen Angitfchrei,
Mordesgefhrei aus dem Schooße der Burg, 85
Ins file Fraungemach taumelwild hineingeftürzt.
Des Traumes Deuter deuteten
und riefen zu Zeugen die Götter an. j
Sehr vol Ingrimm fein dort unten die Todten, 40
Ihren Mördern wildenpört!
Strophe 2.
Und diefe Liebe liebelos, zur Wehre alles Bo
Ä Jo, Erde, Erde!
I. 8
114- Zweite Tragödie.
Spendet, fendet her das gottvergefine Weib! 45
Mich bangt's auszuſprechen jenes Wort! |
Denn welche Sühne giebt es für vergoffen Blut?
Jo, du allbeweinter Heerd!
Jo, du untergrabnes Haus!
Ja graungemieden, ſonnenlos umhüllen Dunkel rings das
u i Haus 50
Seit dem Tode des Herrfchers!
Gegenfrophe 2.
Ehrfurcht, verfagt, verargt, gefährdet nimmer fonft,
Dem Volk eingewohnt fonft
Tief in Ohr und Herzen, jegt empört fie fi! 55
Wer hegt Furcht noch? — Aber glüdtid fein,
Das gilt als Gott den Menſchen, und gilt mehr deun Gott!
Do trifft das Recht — den Einen jäh
In feines Glückes Mittagsglanz,
Dem Andern harrt entgegen noch in Zwielichts Daͤmmrung
Weh auf Weh, 60
Andre birgt ewige Nacht fhon!
Strophe 8. FE
Das Blut, von feiner Amme Erde aufgefahn,
Gerann zum Mahl der Race, nie verfließt es mehr; 65
Doch ſchmerzvoll hinhält Ata noch den Schuldigen, froh
Mit feines Jammers Blüthenpracht!
Gegenftropbe 3.
Wer frech fih fremdes Brautgemach erbrach, gefühnt
Wird nimmer der; und firönte aller Steöme Fluth 70
Alfeits her, binttriefenden Mord
Hinwegzufpülen, doch umfonft Rrömten fie!
Gpobe.
Dog ih, — denn mir wiefen bier Magd zu fein _
Die Götter zu; fortgefchleppt vom Heerd meiner Heimath
Die Grabesſpenderinnen. 115
Ward ich ber ins Loos der Knechtſchaft —
Ich muß, was recht, muß was fchlecht meine Herrſchaft =
gethan,
Ich muß, da mih Gewalt zwingt, es preifen,
Des Herzens bittren Haß bezwingen! —
In's Gewand verhüllt umfonft bewein’ ich
Meines Königs Loos, verftein’ ich 80
Im verhaltnen Herzensgram! —
Ele
Shr theuren Wärterinnen, vielgetrene Fraun,
Mit mir gekommen ſeid ihr, dieſes heil'gen Zugs
Geleiterinnen; drum ſo ſagt mir euren Rath:
Wenn auf das Grab ich gieße dieſen Trauerguß, s5
Wie foll ich freundlich ſprechen? wie zum Bater flehn?
Sag’ ich, von feiner lieben Gattin fei ich ihm,
Dem lieben Mann, von meiner Mutter ich gefandt?
Dazu gebriht’s an Muth mir; und nicht weiß id, wie
Sch beten könnte, wenn ich anf des Vaters Grab 9
Dies fpende. Oder fag’ ich nach dem heil’gen Braud:
Bergelten mög’ er denen, die ihm diefen Kranz
Geſandt, der Böfen bös Geſchenk in gleiher Art?
Soll fhweigend, ſchmachvoll, wie ja einft mein Bater fiel,
Ich gießen diefer Spende grabgetrunfneh Guß, 95
Die Schaale dann, als wär’ fie unrein, gottverflucht,
Wegichleudern abgewandten Blicks, und wieder gehn?
Sp wollt mir rathen, Theure, was ich möge thun;
Iſt ung gemeinfam doch der Haß im jenem Haus!
Nicht bergt's in eurem Herzen, irgendwie beforgt; 100
‚Denn fein Verhängniß harıt des Freien ebenfo
-
186 | . Bweite Tragödie.
Wie des von fremden Siegers Hand geknechteten.
So fprih, wenn du mir Beſſres weißt, als ich gefagt!
Ehorführerin.
Gleich einem Altar ehrend dir des Baters Grab
Sag’ ich, du willſt es, was ich im tiefſten Herzen ben.
Elektra..
So rede, wie du ehreſt meines Vaters Gruft.
Ehorführerin.
Sur Spende fegne, die ihm treu gefinnet find.
Eleftra.
Wen aber von den Seinen * ich nennen ſo?
Ehorfuͤhrerin.
Zuerſt dich ſelbſt und jeden der Aigiſthos haßt.
SESlektra.
So ſoll für dich und mich denn lauten mein Gebet?
Ehorführerin.
Was ich gerathen, denk' es ſelbſt dir weiter nach.
Elektra.
Wen hab' ich ſonſt denn zuzufügen dieſer Schaar?
Chorführerin.
Vergiß Oreſt nicht, weilt er auch im fremden Land!
Elektra.
Vor Allen; du gemahnſt mich an das Theuerſte!
Ehorführerin.
105
110
Und dann den Thätern, wann du an den Mord gedenkſt —
Elektra.
Was dann? belehr' mich, ſag' es mir, ich weiß es nicht!
Ehorführerin.
115
Sag’, ihnen kommen werd’ ein Gott einft oder Menſch —
Elektra.
Meinſt du, der fie richten, oder der ihn rächen wird?
Die Grabesſpenderinnen.
Ehorführerin.
Du fprich es einfach: der den Mord mit Mord vergilt!
Elektra.
Doch iſt es fromm auch, von den Göttern das zu flehn?
Chorführerin.
"Barum denn nicht foll büßen feine Schuld der Feind?
Eleftra.
Du höchfter Herold hier im Licht, im Hades dort,
O Grabeshermes, hilf mir und erwecke mir
Des Schattenreihs Gottheiten, daß fie hören mein
Gebet, die Hüter über meines Baters Haus,
Und auch die Erde, die gebierer alles Ding,
Und mas fie aufzog, wieder deffen Keim empfängt;
Sch gieße diefe Spenden für die Todten aus,
Und rufe dich, mein Bater, mein erbarme dich
Und deines Sohnes Dreftes, daß er wiederfehrt.
Denn fieh, veriioßen leben wir und wie verkauft
Bon unſrer Mutter; denn Aigiſthos bat fie ich
Zum Mann erlefen, der dich mit erfchlagen hat;
Und einer Magd gleich hält fie mich; Dreftes ift
Berjagt aus feinem Erbe; während fie in Prunf
und eitler Wolluft deines Schweißes Frucht verthun!
Daß heim Dreftes gottgeleitet Tehren mag,
Drum fleb’ ih dich an; Vater, du erhöre mich!
Mir aber gieb du, daß ich tugendhafter fei
Denn meine Mutter, reinen Wandels," reiner Hand!
Für uns gebetet hab’ ich dies; den Feinden nun
Erſcheine, fag’ ih, Einer, der did, Vater, rächt,
Auf daß die Mörder wieder morde ihr Gericht;
Alſo vernehmlich fag’ ich's, wie für arge Luft
Ich ihnen wieder fluche diefen argen Fluch!
Du, aber fend’ ung alles Heil empor, mit dir
117
120
125
1%
18
149
145
118 Zweite Tragödie.
Die Götter und die Erd’ und Dike Siegerin!
Für diefe Bitte fpend’ ich diefen heifgen Guß;
Ihr aber flechtet eurer Klage Todtenkranz
Und weihet meinem Vater frommen Grabesgruß! 150
(Während des Gefanges fpendet Elektra auf das Grab.)
©rfter Halbchor.
Weiner die Thräne, die riefelnde, fterbende,
Ihm der uns ftarb, unfrem Herrn,
Zu diefer Spende Born,
Der Böfen nichtiger, fchnöder Beſchwichtigung
Wider der Edlen Zorn!
Höre du, mich höre du, 155
D Herr und Fürf, in deiner grabfiillen Ruh!
Zweiter Balbehor.
Wehe! wehe! Gram, o Gram!
Komm, o komm, du Speceresheld
Ein Erlöfer diefem Hang,
Dem, Skythengleich in des Kampfes wilden Ernſt
Schwirrenden Pfeiles Flug 160
Vom rückſchnellenden Bogen blinkt,
Der griffgefaßt ſein nacktes Schwert blutig ſchwingt!
@lettra.
Mein Bater bat nun Teinen erdgetruntnen Guß; —
Doch fieh! zu diefem neuen Wunder rathet mir!
Chorführerin..
O ſprich! es fliegt mein Herz im Bufen mir vor Angſt! 165
Elektra.
Hier ſeh' ich eine Locke auf das Grab geweiht!
Die Grabesſpenderinnen.
Ehorführerin.
Von va Maune, welchem hochgeſchürzten Weib?
Elektra.
Dentdar für jeden iſt fie, der es deuten will!
Ehorführerin.
& pr mich ältre lernen von der jüngeren.
@lettra.
Ich wüßte niemand außer mir, der’s weihete!
Ehorführerin.
's iſt feind, für wen fih fonft die Trauerlode ziemt!
Glektra.
Und dennoch wahrlich iſt ſo ganz ſie wieder gleich —
Chzorfüh rerin.
Sag weſſen Haaren? hören möcht' ih das von dir!
Elektra.
Ganz meinen eignen ähnlich ift fie anzufehn!
Shorfährerin.
Wär's von Drefies felber heimlich ein Geſchenk?
SElektra.
Mit deſſen Locken ſcheint ſie in der That mir gleich!
Ehorfährerin.
. Wie hätte der hieher zu kommen fi gewagt?
Elektra.
Geſandt dem Vater hat er ſeiner Locke Gruß! —
Ehorführerin.
Was du geſagt, nicht minder wein' ich bitter drum,
Wenn dieſes Land doch nimmermehr ſein Fuß betritt!
Elektra.
Auch mir in’s Herz gießt brandend fi der Galle Fluth;
Es ſchmerzt, als hätte mich ein ſchneller Pfeil durchbohrt;
Ans meinen Wimpern fürzt mir trocken, ungewehrt
Unfägliher Thranen bittre Brandung wild hervor,
119
170
175
180
120 Zweite Tragoͤdie.
Da ich dieſe Locke ſehe! Denn wie hofft' ich wohl, 185
Daß einer unſrer Bürger ſonſt ihr Herr ſich nennt?
Und nimmermehr gab dieſes Haar die Mörderin,
Nein meine Mutter nimmer, die ſtiefmütterlich
Und gottvergeſſen ihren Kindern iſt geſinnt.
Und wieder, daß ich zuverſichtlich ſagen ſoll, 190
Mir ſei ein Kleinod dieß von dem Liebſten auf der Welt,
Sei mir von Oreſtes — doch die Hoffnung lacht mir zu!
Ach!
Daß freundlich ſie mir ſprechen koͤnnte, botengleich,
Damit der Zweifel nicht mich jagte her und hin!
Und doch, gewiß, ich hätte dieß Haar angeſpie'n, 195
Waͤr's abgeſchnitten einem feindgeſinnten Haupt;
Wenn's mir verwandt iſt, durft' es mit mir trauern auch
Des Vaters Todtenfeier und den Grabesgruß! —
Zu den Goͤttern laßt uns rufen, den Allwiſſenden,
In welchen Kreiſelſtürmen gleich den Schiffern wir 200
Verirrt ſind. Dennoch, wenn uns Nettung werden ſoll,
Da wächſt von kleinem Saamen auch eiu großer Stamm! —
(ſie ſteigt die Stufen haſtig hinab.)
Und da, die Tritte, ſieh, ein zweites Zeichen iſt's,
Von gleichen Füßen, ähnlich ganz den meinigen;
Ja ſieh, von zween eingezeichnet iſt die Spur, 205
Hier von ihm ſelber, da von dem, der mit ihm kam;
Der Sohlen Abdruck und der Ferſen, meſſ ich fie,
Zufammen treffen fie genau nut meinem Fuß! —
Angſt übermannt mid; aller Sinn ift mir verrüdt!
Dreftes (ihr ruhig — —
Du bete weiter dein Erfüllungstreffendes 210
Gebet, daß auch das Andre dir beſchieden ſei!
Die Grabesfpenteriunen. ıa
Elektra.
Bas wär's, das jept fhon mir gewährt der Götter Gunft?
Dreftes.
* Dein Auge fieht nun, drum du Tange beteteft!
Elektra.
Und wen der Menſchen weißt du, daß ich gerufen bab’?
Dreftes, -
Ich weiß, Dreftes Namen fprad du flaunend ans! 215
Elektra. |
Und wo und wie denn wär’ erfüllt jebt mein Gebet?
Dreftes.
Ich bin es, ſuch' dir Leinen, der dir theurer iſt!
Elektra.
Du betrügſt mich, a du Ai mich mit if.
So ſtrick' ih wahrlich ſelbe am "ni feld Betrug!
@lettra,
Und lachen willſt du über mih und meinen Gram! 20
Dreftes,
Auch über mich und meinen Sram, wenn über dich}
@leftra.
So red’ ich dich denn, dich Dreftes red’ ih an?
Dreftes.
Da du mid) ſelbſt ſiehſt, jegt erkenneſt du mich nicht;
und da du dieſe Locke ſahſt des Trauerhaars,
Die Locke deines Bruders, deinem Hanpte ‚gleich, 215
Und deinen Fuß einfügend maaßeft meine Epur,
Da flogft du Hoch auf, und du meinteft mich zu fehn!
Eich, diefe Lode lag an diefem Schnitt des Haars,
Sieh dies Gewand an, deiner eignen Hände Werk,
Des Weberſchiffleins Marken bier, der Thiere Bild — 2330
:122 Z3Zweite Tragöbie.
Sec ruhig, wirf vor Freude nicht die Befonnenheit
Dahin; die Liebſten, weiß ich, find ung bitterfeind.
Elektra.
O letzte, liebſte Sorge für des Vaters Haus!
Beweinte Sehnſucht nach der Rettung letztem Reis!
Kraft deines Armes nimm zurück dein Baterhans! 233
D füßes Auge! dein gehört vierfacher Theil
In meinem Herzen; fich doc, nennen muß ich Dich
Run meinen Bater; meiner Mutter Liebe Tommt, —
Denn ganz gerecht haſſ ich fie felbft — dir kommt fie zu,
Dir aud der. Schwefter Liebe, der geopferten; 240
Und treuer Bruder warft du, der mid) wieder ehrt!
Run möge Kraft mir, möge mir Gerechtigkeit
Beiſtehn und Zens zum dritten der allgrößefte!
Oreſtes.
Zeus, Zeus, auf mein Beginnen ſchaue du herab!
Sieh meines Vaters, ſieh des Adlers arm Geſchlecht, 243
Der ſelbſt den Schlingen, dem Umzüngeln unterlag
Der argen Schlange; aber feine verwaifte Brut
Quält nüchtrer Hunger; ihnen fehlt es noch an Kraft,
Des Baterd Beute heimzutragen in das Neft;
So tief befümmert, fo verwaifet fiehft du uns, 2350
Mid und Elektra, ung Geſchwiſter vaterlos,
In gleicher Flucht verftoßen unfrem Vaterhaus!
Und haft du dann des Vaters Kinder, der dich fromm,
Der dih mit Dpfern ehrte, einft hinweggerilgt,
Wer reicht dir dann noch gleicher Hände vollen Dant? 255
Nicht bleibe dir, wenn das Geſchlecht des Adlers du vertilgf,
Zu fenden glaubhaft Zeichen an die Sterblichen,
Noch opfert diefer Königsſtamm, fo ganz verdorrt,
Auf deinem Altar dir am Sefiftieropfertag! on
!
Die Grabesſpenderinnen. 123
Sei unfer Hort! vom Boden richt’ ein hoch Geſchlecht 260
Empor, das jegt gar tief dahingeſunken fcheint !
Ehorführerin.
D Kinder, o Erretter eurem Baterheerd,
Seid fill, daß niemand fonft es hört, ihr Theuerſten,
Und viel gefhmägig alles dies euch nacherzählt '
Bei meiner Herrfchaft, die ich hier hinfterben noch 205
In der Flammen pechgetränftem Qualm einf möchte fehn!
Dreftes.
Nicht mich verrathen wird der allgewalt'ge Spruch
Des Lorias, der diefes Wagniß mir gebeut,
Der laut mich aufrief, Qualen, finrmgegeißelte,
In meinem heißdurchglühten Herzen mir verhieß, 270
Wenn ich meines Vaters Mörder nicht verfolgete,
Zur Rache fie zu morden mit demfelben Mord;
Zerftiört von feinen Strafen, nicht an. Hab’ und Gut,
Nein an der lieben Seele, ſprach er, würd’ ich dann
Drum leiden vieles, unerträglich bittres Leid; 275
Denn als der Zürnenden Sühne hat er allem Boll
Mißwachs verheißen, ſchwere Krankheit aber mir,
Ausfag, der tief in's Fleiſch fich friße mit grimmem Zahn,
Der mir hinwegnagt meiner Schnen einfl’ge Kraft,
Mit greifem Haare meiner Locken Schmuck vertanfht! 280
Und andre Qualen nannte er der Eriungen,
Aus meines Vaters Blut erwachfen, deutlich mir
Zu Shaun im Dunkel, wie er das Auge zürnend rollt.
Denn auch das nächtige Graungefchoß der Unteren,
Bon umgebrachter Biutsverwandten Flehn erweckt, 285
Wahnſinn, Entfesen, nährger Träume hohle Furcht
Sie treibe, verfiöre mich, und verfolg’ aus allet Stadt
Mit eherner Geißel meinen gottverfiuchten Leib!
Wer fo gebrandmarkt, nimmer an der Becher Luft
134 Zweite Tragödie.
Sc dem ein Autheil, noch an heil’ger Spende Guß; 3%
Es ſcheuch' ihn von den Altären unfichtbarer Zorn
Des Baters, daß herbergen, fühnen ihn Teiner darf;
Berarmet, ehrlos, ohne Freund, fo fterb’ er fpät
Elenden Siehtbums, ausgedörrt bis in den Tod.
Solch' einem Ausfprud muß man glauben und vertraun; 295
Und traut ich minder, dennoch muß die That gefchehn;
Vielfacher Antrieb firömt vereint auf mich herein,
Des Gottes Auftrag, meined Vaters große Schmach,
Des eignen Lebens Dürftigkeit, das alles läßt
Mid meine Bürger, aller Zeit berühmteſte, 300
Die Ueberwinder Ilion's in Heldenfraft, ;
Richt länger unterthänig zween Weibern fehn;
Denn weibifh ift er; ift er’s nicht, bald fehen wirst!
(Die folgenden Gefänge fingen unter mannigfach wechſelnden Bewegun:
gen die Gefhmwifter und Einzelne vom Chor.)
Ehorfübrerin.
Ihr gewaltigen Moiren, mit Zeus Beiftand
Werd’ fo es vollbracht, 305
Wie das Necht mitwandelnd den Pfad zeigt!
Erfte HSalbihorführerin.
„Für feindlihes Wort fei feindliches Wort.‘
Alſo ruft Dike, die Tautere, laut,
Wenn die fchuldige Buße fie eintreibt!
Zweite Balbehorfährerin.
„Für bintigen Mord fei biutiger Mord! 310
Wer that muß leiden!“ fo heißt das Gefeg
In den heiligen Sprüchen der Bäter!
2 Die Grabeösfpenderinuen. 135
Dreftes,
(Strophe 1.)
Bater, o Schmerzensvater, was fagen dir, thun dir kann ie, 315
Das tief, wo du in tiefer Ruh ruheſt, hinab dir brachte
Grabdunkel erhellend Licht? Nein es verfchließt zugleich fich
Der Troft feiernder Klage dir, Hort du im Atreushaus fonft!
Erfte und Zweite bes Chorb.
(Strophe 3.)
D Kind, bewältigt 320
Wird des Todten Denken nicht
Durch den blendenden Zahn der Gluth;
Spät einſt zeigt er ſein Zürnen.
Und bejammert wird der Todte: —
Und erkannt wird, der ihn todtſchlug; 325
Um den Bater und Erzeuger
Die gerechte Todtenklage,
Gericht heiſcht fie mit lantem Schmerzfchrei.
Slektra.
Gegenſtrophe 1.)
Höre du, Vater, nun meinen Gram, meinen den thränen⸗
reichen! 330
Die zwei Kinder an deiner Gruft jammern den Klagefang dir!
Schutzflehende ftehn wir zwei, Iandesverjagt zugleich hier!
Bas ift gus da? was Uebel niht? Solches Geſchick erträgt
fih’8? 335
Ghorführerin.
Doch ein Gott wird wohl euch gnädig dafür
Einf froheres Lied noch zu fingen verleihn;
Statt des Klagegefangs, den am Grab’ ihr weint,
330 \ Zweite Tragöbie.
Wirb Jubelgeſang in dem Königspallaft
Dich wiedergefehrten begrüßen. 310
Dreftes.
(Strophe 3.)
Waͤrſt du vor Ilion
Unter Lykiſchen Mannes Speer,
Mein Bater, fterbend hingeſunken,
Du hätteft Ruhm deinem Haus gelaflen,
Den Lebenspfad fhön und gut vorgebahnt deinen Kindern; 345
Ein gehügeltes Grab ragte drüben am Seegeſtad' bir,
Rühmlich daheim den Deinen!
Dritte und Vierte.
(Gegenfirophe 3.)
Der Freund bei Freunden
Lägent du, die im Heldenfampf 350
Sielen, unter der Erde noch
Ihr machtheiliger Führer,
Ein Gefährte du im Hades
Der gewalt'gen Todtenfürſten;
Denn hienieden warſt du König, 355
In der Sand das höchſte Loos Bir,
Der Macht menfhengebietend Scepter!
Elettra.
(@egenftrophe 3.)
Kein, vor den Iliſchen
Mauern mußteft du, Bater, nicht
Bom Speer gleih andrem Volk erfchlagen, 360
Begraben nicht bei Stamander’s Fluth fein;
Eh’r mußten fie, welche dich umgebracht, alfo fierben,
Und die Kunde vom Tod mußte fern man von Ferne hören,
Alle des Grams nutheilhaft! 3665
Die Grabesſpenderinnen. 137
Erfte Salbhorfäbhrerin.
- Was du fagft, Kind, koſtbarer denn Gold,
Glückſeliger iſt's, als feligftes Glück,
Hyperboriſches Glück; denn du klageſt!
Zweite Halbchorführerin.
Doch der doppelten Geißel erſchütternder Schall,
Schon dringt er hinab. 370
Schon hülfreich find ja die Todten bereit,
Und der Lebenden Hände fie find nicht rein —
Der Berruchteiten dort —;
Euch Kindern gebührer die Race!
Elektra.
(Strophe 4.) be
Dringt mir das Wort doc) in’s Ohr,
Scharf wie ein fohneidender Pfeil! 375
Zeus! Zeus! der grabempor fpät du
Strafend Gericht der Ata
Der allfrevelnden, frehen Hand fchickft,
Bleiches erfülle du unfern Eltern!
Fünfte und Sechſte.
(Strophe 5.)
Ein Feftlied fingen möhr ich einft, heil aufjubeln zum
Schein der Fadeln 380
Ueber des Mannes Leichnam,
Ueber des Weibes Bahre! Bergen wozu, wie hochfliegt
Der Geift!- Treibt doc fharfwehnder Zorn in fchneller
Fahrt, 385
In vorauseilender Haft
Gramempörter Haß mid fort! '
V. 368. Hpperborifch heißt es fprüchmörtli nach einem erdichteten
Volke, das fern im Norden wunderbar glücklich und gerecht leben ſoll.
138 Zweite Tragödie.
Oreſtes.
(Gegenſtrophe 4.)
Wann mit der flammenden Hand
Trifft ſie denn Zeus, um ihr Haupt |
Weh! weh! zu fpalten? Eintracht wann 3%
Kehrt fie Dem Lande wieder?
um Recht fleh' ich für freches Unrecht!
Höret, ihr Herrfcher der Ziefe, hört mich!
Ehorführerin.
Und es ift ein Gefeb, daß fterbend der Strom
Des vergoffenen Bluts Blut wieder verlangt, 395
Und es fordert, es fehreit die Erinnys Tod
Für Zeden, der je umkam, Unheil
Das herraufführt anderes Unheil!
Elektra.
(Strophe 6.)
Wo weilt nun ihr, der Nacht Gemwalten, wo?
Chauetbodhihr, der Erſchlagenen vielgewaltige Flüge! 400
Ihr fehet ung, letztes Reis des Atreusſtammes,
Ohn' Rath und Schutz, ehrentblößt
Und heimathlos! Zeus, wohin uns wenden?
Siebente und Achte,
(Gegenftropbe 5.)
Empor kocht wieder mir des Herzens Blut, hör’ ich dich alſo
jammern! 405
Jegliche Hoffnung flieht dann,
Es nachtet in meinem. Bufen, hör' ich auf deine Klage.
Doch dann, ſeh' ich Dich fo beherzt, fo fcheucht mein Geiſt
Hinweg jeglihen Sram, 410
Daß ich es freundlich tagen feh’!
Die Grabes ſpenderinnen. 129
Oreſtes.
Gegenſtrophe 6.)
Was ſag' ich, recht das Ziel zu treffen? Ja,
Was wir geduldet von der, die geboren uns,
Zu ſühnen iſt's; — jenes aber ſänftigt nichts:
Gleich grimmem Wolf ſühnelos 415
Iſt jener Haß, den die Mutter weckte!
Ehorführerin.
(unter lebhafteſter mimiſcher Begleitung des ganzen Chors.)
Ich ſchlag' mich Ariſchen Schlages, nach der Kiſſiſchen
Wehklageweiber Todtenbrauch,
Schlagunabläſſig; im Wechſelſchwunge jaget ſich
Hinabgeſchmettert meiner Arme wildes Spiel 420
Hochnieder, jäh herab; es dröhnet krachend nad
Mein jammerſchlaggetroffen, mein unſelig Haupt!
Elektra.
(Strophe 7.)
Jo! Fo! ruchlos Weib, allfreche Mutter!
Gleich wie der Feind den Feind verſcharrt,
So ohne ſein Volk den Fürſten, 425
So ohne Wehklage den Helden,
Ohn' Grabgeleit thränenlos ſcharrteſt du ihn ein!
| Dreftes.
(Strophe 8.)
's iſt Schimpf und Schmach, was du ſpracheſt, wehe!
Doch Vaters Schimpf, büßen ſoll ſie jetzt ihn,
So Kraft gewährt Gottes Spruch, 430
Und Kraft bewaͤhrt dieſe Hand!
Dann ſterb' ich gern, hab' ich ſie erſchlagen!
V. 417. Die Arier, die Kifſter, Bolker des perſiſchen Oſtens, bei
denen die Todtenklage ganz beſonders heftig ausgeführt werben mochte.
1.
9
150 Zweite Tragödie.
Reunte und Schnte.
(Qegenftropbe 8.)
Es ward fein Leichnam, o denP, verftümmelt,
Begraben nichtswürdig, wie mifhandelt,
Unleidlih Leid ränkevoll
Für dein Sefhid ausgedacht!
Du hörft das ſchmachvolle Weh des Baters!
Elektra.
Du ſagſt des Vaters Leid! mich aber ſchob man fort
Unwürdig, ſchmachvoll, ehrentblößt;
In meiner Kammer, eingeſperrt wie ein böſer Hund,
Vergaß ich das Lachen, brach ich in bittre Thränen aus,
Froh, wenn ich verhehlte meines Grames naſſen Blick!
Was du vernommen, Bruder, ſchreib' es dir in's Herz!
Eilfte und Zwölfte.
(Gegenſtrophe 7.)
Durch's Ohr bohre tief ſich dieſes Wort dir
Ein in des Herzens ſtillen Grund!
Das alles war, wahrlich fo!
Das Andre geh’ felbit zu ſchaun!
Du mußt mit furchtlofer Kraft zum Kampf gehn!
Dreftes.
TH rufe dich, Bater, fei den Deinen nah!
Elektra.
Mit ruf ich dich, Vater, bitterweinend Dich!
Der ganze Chor.
Wir allzumal flimmen lauten Rufes ein!
Erhör' uns, fteig’ an’s Licht empor,
Wider die Feinde hilf du!
Dreftes.
410
450
Sp meſſe fi jegt Stärk' um Stärke, Recht um Recht!
Die Grabesfpenderinnen. 131
Slektra.
D Götter, jetzt endet unſer Recht gerecht! 455
Der gauze Chor.
Mich überfirömt Beben, hör’ ich euer Flehn!
Das Gottverhängte harret längſt;
Flehet ihr drum, fo kommt es!
Oreſtes unb Elektra,
To du Geſchlechtes Fluch!
D des verhängten Mordes fchneidender, biut’ger Wißlaut! 460
Weh, weht gräßlihe Blutverwandtſchaft!
Web, weh! niummergefiillter Kammer!
Der ganze Chor.
Deſſen ein Balſam ift
Eurem Geſchlecht, nicht von Fremden, von euch, euch felbft zu
fchaffen: 465
Verfolgt, endet den blut’gen Hader.
Dies Lied, drunten den Göttern gilt es!
Ehorführerin.
Ihr drunten, vernehmt, ihr Sel’gen des Nacht,
Hört diefes Gebet, o erfüllt's! Beiftand 470
Shit gnädig den Kindern zum Siege!
(Oreſtes und Elektra fegen fi auf die Stufen des Grabe.)
Dreftes.
Mein Vater, der du nicht Töniglihen Todes ftarbft,
Du gieb die Herrfchaft deines Haufes mir zurüd!
@lettra.
Auch ih, o Vater, habe deiner Hülfe Roth,
Zu entfliehn dem Leid, das auf Aigifihos fallen mag! 475
Dreftes.
Es würden dann Feſtmahle von den Menſchen dir
Geweihet; doch wenn nicht, fo bleibft beim Todtenfeſt
„Bon deines Landes DOpferbrand du ungechrt!
132 3weite Tragödie.
Glektra.
Und Spenden will ich dann von meinem Erbe bir
Bei meiner Hochzeit bringen aus dem Vaterhaus, 480
Will fromm vor allem andern ſchmücken dir das Grab!
Dreftes.
O Gaia, fend’ mir meinen Bater, den Kampf zu ſchaun!
SElektra.
O Perſephaſſa, du gewähr' uns frohen Sieg!
Drefted.
Gedenk' des Bades, Vater, drin du umgebradt!
22 Elektra. : |
Geden® des Garnes, drin du eingefangen wardit! „485
Oreſtes.
In eiſenloſe Bande, Vater, ſchlug man dich!
Elektra.
Schmachvoll in liſig umgeſchlungenem Prunkgewirk!
Or eſteð.
Erwachſt du nicht, o Vater, über ſolche Schmach?
Elektra.
er nicht empor, mein Vater, dein geliebtes Haupt?
Drefted.
Sp end’ den Deinen Dike zur Mitfämpferin, 490
Laß' zur Vergeltung jene büßen gleiches Leid,
Wenn du, der einft bezwungne, wieder ſiegen Bi
@leltra.
Bernimm, 0 Vater, diefen meinen letzten Ruf!
Sieh’ deine Küchlein figen bier an deinem Grab!
Erbarme des Grams dich deiner Tochter, deines Sohns; 495
Der Pelopiden edlen Stamın, versilg’ ihn nicht!
Dann bift du nicht todt, ob du aud geſtorben ſeiſt;
Den todten Vätern find die Kinder rettender
Nachruhm; dem Kork gleich führen fie, des Fadens Zug
Die Grabesipenderinnen. 133
Aus tiefem Meergrund tren bewahrend, Garn und Nep. 500
Hör’ mich, um dich ja fag’ ich diefen Klagernf,
Du rette Dich ja, wenn du ehreſt dies Gebet! —
Chorführerin.
Doch nun, denn reichlich fpannt ihr eure Rede fort,
Das Grab zu ehren, das beweint fonft Teiner hat,
Magſt du das Andre, da du im Geift gerüfter bift, 505
Zur That vollenden, magft verfuchen deinen Gott!
Oreſtes.
Ich will's! Doch abwärts liegt es nicht zu fragen noch,
Weshalb die Spenden ſie geſandt, um welches Wort
Sie ſpät geehrt hat dieſes unſühnbare Weh;
. ‚Dem Todten, der das nimmer achtet, ſendet fie 510
Den feigen Grabgruß; nicht zu deuten weiß ich dies
Geſchenk, das weit bleibt hinter ihrer Frevelthat.
Denn wer die Blutfchuld auszufühnen alles auch
Hingöffe, nuslos if die Müh; fo if’s und gilre.
Darum ersähl’s auf meinen Wunfch, wenn du es weißt. 515
Sbhorführerin.
Ich weiß es, Kind, nah' war ich ja; von einem Traum,
Von nachtgeſtörten Grauenbildern aufgeſchreckt,
Hat dieſe Spenden her das arge Weib geſandt.
Oreſtes.
Erfuhrt den Traum ihr, daß ihr ihn erzählen konnt?
Ehorfährerin.
Sie fagt, ihre war's, als ob einen Draden fie gebar. 320
; Oreſtes.
Wohin denn wendet, endet ſich des Traums Verlauf?
Ehzorfuͤhreriu.
Er wand ſich einem Kind in feinen Windeln gleich.
Oreſted.
Nah welcher Rahrung langte die junge Drachenbrut?
134 Zweite Tragödie.
Shorfährerin.
Sie reichte ſelbſt ihm Ihre Bruſt, fo träumte fie.
Oreſted.
Wie? unverwundet ließ das Unthier ihre Bruſt?
Shorfuhrerin.
Nein, mit der Milch aus ſog es dickgeronnen Blut.
Oreſtes
Nicht eitel iſt des Helden Traumborfhaft fürmahr!
Ehorfäbrerin.
Sie aber fhrie hell vor Entfepen auf im Schlaf;
Biel Fadelfchein, erlofchen mit der tiefen Nacht,
Erhellte ſchnell der Königin Gemach und Saal;
Dann ſandte dieſe Trauerſpenden ſie zum Grab,
Wie ſie gedachte, beſten Schutz vor ihrer Angſt.
Oreſtes.
Ich aber fleh' dich, Erde, Vaters Gruft, dich am,
Ausgangentfprechend werde mir dies Traumgeficht;
Ich dent es. wahrlich, daß es wohl eintreffen muß;
Denn wenn demfelben Schooße jener Drach' entfprang,
Als dem ich felbft, in gleiche Windeln lag gehülkt,
Diefelde Bruft fcharfledend, die mich ſtillte, fog,
Der lieben Milch einmifchte friſchgeronnen Blut,
Sie ſelbſt entfegt vor ſolchem Weh aufjammerte,
Da muß fie furchtbar, wie fie die grauſe Brut gebar,
Sp aud den Tod erleiden; drachenwild empört
Will ich fie morden, wie der Traum ihr kund gethan.
Zum Wunderzeugen wahl ich dich für diefen Traum!
ChHorführerin.
Alfo geſcheh's! Doc weiter fag’ uns Freunden num,
Wen wilft du mir die thätig, wen du müßig fehn?
Dreftes
Ich fag’ e6 kurz und. Du, Glektra, geht hinein,
525
535
540
Die Grabesſpenderinnen. 135
Doch mußt du fehr verbergen diefen meinen Plan,
Das, wie fie mit Lift umbrachten den erhabnen Mann,
Mit gleicher Lift fie durch daſſelbe Todesnetz 550
Gefangen fterben, wie's der Seher Lorias
Gebot, der flets noch ohne Trug erfundene.
Bleih einem Fremdling, und in vollem Neifezeug
Komm’ ic) und Pylades an des hohen Haufes Thor
Als alter Gaſtfreund und des Haufes Waffenfreund; 555
Wir beide fprechen in Parnaffier Weife dann
Der Phofermundart fremde Laute täufchend nad;
Doch wird der Thorwart freundlich uns wohl eben nicht
Empfangen, weil das ganze Haus in Freveln raft;
Sp werden wir da warten, bis wir einen fehn, 560
Der dort vorbeigegangen kommt, und fragen ihn:
„Bas läßt Aigiſthos vor der Thür den Flehenden
„Ausfchließen, da anweſend felbft er doch es weiß?"
Wenn ih dann des Schlofthors Schwelle überfchritten hab’,
Und jenen find’ auf meines Baters hehrem Thron, 565
Er auf mih zufonımt und mir gegenüber dann
Erf hebt und dann — hab’ Acht — zur Erde ſenkt den Blick,
Noch ch’ er fragt: von wannen, Fremdling, kommſt du? — todt
Streck' ich ihn nieder mit des Schwertes heißem Echlag.
Sp wird Erinnys, nie des Mordes noch verarmt, "570
Zum dritten Trunk dann trinken ungemifchtes Blut!
Du aber, Schwefter, wah im Haufe mußt du fein,
Daß alles das mir gut zuſammentreffen mag;
Dod euch ermahn’ und bite ich, wahrer euren Mund,
Schweigt, mo es noth ift, fprecher, was fich ziemt und fromnit! 575
Das andre Taffen biefem wir befohlen fein,
Der diefen Blutkampf meines Schwertes mir gebeut.
(Dreftes, der bei deu lekten Worten auf das Grab gedeutet, gebt mit
Pplades auf der Straße der Fremde, Elektra in die Frauenwohnung ab.)
136 Zweite Tragödie: .
Wechfelgefang des Chores.
Strophe 1. ———
Erde wohl nähret manch rieſeugrauſig Ungeheun'r,
Tief in Meer's dunklem Grund wimmelt wohl 590
Man Knäul menſchengier'ger Schenfale,
Es fhweift in Abenddämmrung bin
Dräuend Meteores Schein,
Und das Geflügel der Lüfte, das Wild in der Waldung,
Scheucht der Windsbraut Wolkenjagd ! 585
Gegenftrophe 1.
Aber was gleicht der trogfrechen Hoffahrt eines Manns?
Dder was frevelluſtkecken Weibes
Scheulos ungehemmtem Luftbublen,
Dem Jammersborn der Sterblichen? 590
Solcher Ehe, ſolches Paars
Weibergeherrſchtes, mißliebiges Lieben m. nichts
Ungeheures, Menfchliches!
Strophe 2.
Hört ihr, fo ihr nicht mit Flatterfinn
ü Eitlen Spiels forfchet, 395
Bas einft Theftias, was die Kindesmörderin arg erfann,
Jenen Brand geheimen Mordes!
Sie bat felbft verbrannt ihres Sohnes 600
Zebensfadel, die mit ihm war,
Seit ihre Schooß ihn geboren,
Mit ihm mwährte fein Lebelang,
Bis fein Ende gefommen.
Gegenftrophe '2..
Ihr glei, fei in aller Mund verhaßt, 605
B. 596. Die Theftias ift Althaia, Meleagros Mutter.
Die Grabesfpenderinnen. 137
Skylla binttriefend;
Sie hat Feindes halb einen, der ihr theuer war, umgebracht!
Mit goldgeflohrnem Kreterhalsband,
Minos Brantgefchent, Teicht beftochen,
Schnitt das Haar der Unfterblichkeit 610
Sie dem fchlafenden Nifos,
- Die fhaamlofe, dem Bater ab;
Hinweg raffte ihn Hermes!
Strophe 3.
Gedacht' ich To unerweichbar graufer Wuth,
Doch vaßt dazu nicht der ſchnöde Ehebund, dieſem Haufe gott⸗
verflucht, 615
Die weiberargliſt'gen Ränke wider ihn,
Den Mann im Kriegswaffenſchmuck,
Den Dann, dep Ruhm aller Feinde Echreden war—;
Ich ehre Hoch unentflammten frommen Heerd, 620
Unfühnen, frommen Sinn des Weibes!
| Gegeuſtrophe 3.
Bor allen Unthaten ragt die Lemniſche;
Bejammert noch wird fie dort ale allverrucht; aber diefe Miſſethat
Vergleichen wohl der von Lemnos mag man ſie. 625
Durch gottverabſcheute Schuld
In Schanden ſinkt ſolch Geſchlecht von Menſchen hin;
Denn keiner ehrt, was ein Gott verworfen hat.
Iſt Eins hier, was ich genaunt mit Unrecht?
Strophe 4.
Das ſchon der Bruſt gezückte Schwert, . 630
Hinein bohrt's tief bitterſcharfen Mord unter Dike's Hand;
Denn Rechtes Schändung
B. 633. Die Lemnifhen Weiber erfichlugen in einer Nacht ihre
Männer alle, nur Hppfipple rettete ihren Water.
“
ur” Zweite Tragöbie.
Nieder in Staub getreten, IR Zeus ganze Zier; 635
Dem Frevler iſt er unerbittlich!
GSegenſtrophe 4.
Auf ſeſtem Grunde ſteht das Necht;
Das Nichtſchwert wegt Alfa ſchon die Schwertfegerin; fie führt
Der alten Blutſchuld
Kind in das Haus; und wenn and fpät, es ſtraft das
Graͤul 646
Die wache, liſtkund'ge Nachterinnys!
V. 030. Mila iM die gunſtige Gelegenheit.
—
Die Grabesfpenberinnen. 139
(Dreftes und Pplades mit einigen Begleitern, alle als Wanderer ge:
kleidet, kommen wie aus der Fremde zur Bühne herauf.)
Dreftes
(an die Thür pochend.)
He Burſch! du hörſt, man pocht bier an der Außenthür!
Iſt keiner da? Burſch! heda, Hausburſch! öffne doch!
Zum dritten Dale ruf ich dich mir aufzuthun,
Wenn bei Aigifihos Zeiten ihr noch gaftlich feid! 645
Burſch
(Gorkommend.)
Ja doch, ich höre! Freund, wer biſt du und woher?
Dreftes.
Der hohen Herrfchaft deines Haufes hier beftell’,
Zu ihnen käm' ich, brachte Neuigkeiten mit.
Mach' ſchnell; e6 fährt in ihrem dunklen Wagen ſchon
Die Naht herauf; Zeit wird es, daß ein Wandersmann 650
In feinem Gafthaus Anker wirft, fi auszuruhn.
Es komme jemand, der Gewalt bier hat, die Frau
Etwa des Haufes, doch der Mann if ſchicklicher;
Denn wenn Berlegenheit das Wort nimmt, Freund, fo tappt
140 Zweite Tragödie.
Die Red’ im Dunkeln, aber dreifter fpriht der Mann 655
Zum Mann, und Zeugniß fagt er deutlich und genau.
(Burfh ab. Kfdtaimneftra nnd einiges Gefinde tritt ans dem
Pallaſt.)
Kiptaimnefira.
Fremdlinge, ſagt, was ihr bedürft; euch ſteht bereit,
Mas irgend unfrem Fürftenhaufe ziemen wird,
Ein warmes Bad, und, aller Müdigkeit Entgelt,
Ein weiches Lager, biedrer Wirthe Gegenwart; 060
Und wäre Weitres euch wit mehr Bedacht zu thun,
Sp iſts der Männer Sache; wir berichten’s gleich.
z Dreftes.
Fremd kam ich her, aus Phokis bin ich, ein Danulier;
Als ich, mein eigen Bündel auf den Schultern, her
Gen Argos zuging, wie ich denn hieher auch gewollt, 665
Traf unbekannt mich Unbekannten einer an,
Und fprach, nachdem er meinen Weg von mir erfragt,
— Der Photer Steophios war es, hört ich im Geſpräch —
„Wenn du denn fonft auch, Freund, gen Argos gehen mußt,
„So fage doch den eltern, die du leicht erfragſt, 670
„Dreftes fen geftorben, und vergiß es nicht; .
„Ob dann die Seinen ihn zurückgebracht zu fehn,
„Ob ihn im Ausland und für alle Zeiten fern
„Begraben wünſchen, ſolchen Wunſch fag’ mir zurüd;
- „Denn einer erzgetriebnen Urne Raum verfchließt 675
„Des vielbeweinten, theuren Mannes Afche jet.‘
Was ich gehört hab’, fag’ ich nach; ob ich es nun
Den rechten, die es hören müſſen, fage, nicht
Weiß ich’s, erfahren aber muß fein Vater es.
Ehorführerin.
Beh mir! von Grund aus niederſtuͤrzt uns, was da ſagſt! 680
Die SGrabesfpenderinnen. 141
Du diefes Haufes unbezwinglich grauſer Fluch,
Wie viel erſpähſt du, und mas fchon gerettet fhien,
Zerfiörft du fernher zielgewiß mit deinem Pfeil!
All meiner Lieben mahft du mich ganz Arme arm
Nun auch Dreftes, welcher wohl berachen war, 685
Daß fern den Fuß er aus des Verderbens Sumpf gelentt,
Er, unfrer Hoffuung dei der fhönen Taumelluſt,
Im Haus ein lepter Arzt, verfhwunden macht du fie!
Dreftes.
O mär ich doch Gaſtfreunden, die fo reich und bach,
Durch gute Botfchaft, die ich brachte, heut befannt 690
Geworden und als Freund begrüßt. .Was kann denn and)
Für einen Fremden als ein Gaſtfreund lieber fein?
Doch mir im Geiſt erfhien es als Gottlofigkeit,
Den Angehörigen ſolchen Bericht nicht kundzuthun,
Da ich's verfproden, und als Freund bier ward begrüßt. 695
Klytaimneſftra.
Nicht minder ſoll dir werden, was dein würdig iſt,
Noch wirſt du weniger gelten drum als Hauſes Freund;
Daſſelbe hätt' ein andrer doch uns hinterbracht.
Doch iſt es Zeit. jetzt, daß den Fremden, die den Tag
Hindurch gewandert, was bequem iſt, werd’ geſchafft; 700
(Zu einem der Diener.)
Ihn ſelber führ' zum gaſtlich offnen Männerſaal,
Doch feine Diener, feine Reiſegefährten auch,
Damit fie dort fih finden, was für fie bequem.
Dein if der Auftrag, und du hafteſt mir dafür,
Wir aber werden unfres Haufes Herrn davon - 703
Mirtheilung machen, und au Freunden nicht verarmt
Zu Ratbe gehen wegen dieſes Mißgeſchicks.
(Alue ab.)
142 Zweite Tragöbie.
| Ehorführerin.
Auf, theuere Schaar! auf, Mägde vom Hauf’!
Wann laut denn empor
GSteigt unfer Gebet für Dreftes?
Erfte Salbehorfährerin.
Du beilige Erd’, du der heiligen Gruft
Mahiftätte, die jept du des Meerfeldherrn
Des Gewaltigen Königsleichnam birgft,
Run bör ung, num fei hülfreich!
Zweite Balbehorführerin. j
In den Kampf des Betrugs geb’, Peirho, jeht;
Und der Gruft Hermes, mit tret’ er zum Kampf,
Und der Racht Hermes, er begleite dich treu
Zum vertilgenden Kampfe des Schwertes!
-
(Kiliffa, die Amme, fommt weinend aus der Franenwohnung.)
Chorführerin.
Der fremde Mann bat, fcheint es, Böfes mitgebracht;
Denn weinend ſeh' ich dort Dreftes Amme nahn.
Wohin, Kiliſſa, gehft du aus des Haufes Thor?
Und mit dir kommt ja unbezahlte Traurigkeit!
Kiliffe.
Aigiſthos, fagt die Herrin, fol ich ungefäumt
Den Fremden herbefcheiden, daß er deutlicher
Der Mann von Männern ihre Neuigkeiten mag
Mit eig’nen Ohren hören. Bor dem Gefinde zwar
Berbirgt in finftern Augen fie gefliffentlich
Ihr Lachen; denn num ift gefhehn das Freudigfte
Für fie, fürs Haus ſteht's aber ganz und gar betrübt
Seit diefer Nahricht von den fremden Wanderer!
Ja freilich, er wird herzlich, fi darüber freun,
Wenn er die Zeitung höret. O ih arme Fran!
Iſt doch von alten Zeiten her ſchon vielerlei
710
715
720
725
730
Die Grabesſpenderinnen. 143
Unfäglih Unglück bier in Atreus altem Haus
Bis heut gefchehn, das mir das Herz im Leib’ zerreißt; 735
Doch ſolchen Kummer hab’ ich niemals noch erlebt!
AU andres Leid trug ich geduldig bis an’s End’;
Daß aber mein Dreftes, meiner Seelen Luſt,
Den aus der Mutter Schooß ich nahm umd auferzog
Mit aller Unruh nächtens, wenn das Kindchen fchrie, 740
Und all den vielen Plagen, die ich vergebens nun
Ertrug, — denn Kifßer ohne Nachgedanken muß
Wie's liebe Vieh man ziehe, nicht wahr? mit klugem Sinn;
Da kann es denn nicht fprechen, ſolch ein Windelkind,
Ob's Hunger, ob es Durft hat, oder pinkeln will, 745
Der kleine Magen macht was je nah feiner Roth;.
Das muß voraus man merken, und, glaub’ mir, man irrt
Sich auch, und wäſcht dem Kinde dann die Windeln rein,
- Berfieht zugleich der Wäfcherin und Amme Dienft;
Und ich verfah die beiderlei Geſchaͤfte felbft, 130
Und nahm Dreftes für den Vater aufzuziehn; —
Nun muß id) Arme hören, daß er geftorben ift,
Muß nun zum Herrn gehn, der gefchändet unfer Haus,
Und meine Zeitung froben Einnes hören wird!
Shorfährerin.
In welcher Weife will fie, daß er kommen fol? j 755
Kilifa.
Wie welcher? fag’ noch einmal, daß ich's recht Deren: !
Ehorfäbrerin.
Ob feine Wache mit ihm, oder er allein?
Kim
umringt von Lanzenknechten will, fie, daß er Tommt.
GShorführerin.
Das aber fag’ dem Feinde deines Herren nicht.
Allein erfcheinen mög’ er, hören ohne Furcht; 760
144 Zweite Tragödie.
Das geh’ und meld’ ihm ungefänmt, und freue did;
Bei mancher Botſchaft müger ein verheimlicht Wort!
Kiliffa.
Biſt gar du froh noch über ſolche Reuigkeit?
Ehorführerin.
Abwenden wird Zeus Willen einſt noch allen Gram!
Kiliffa. ;
Wie das? Oreſtes, unfres Hanfes Hoffnung, farb! 163
Ehorführerin. +
Nicht doch; ein fhlechter Seher ſchon erkennte das!
Kilifa.
Bas fagft du? weißt du-andres, als berichtet —
Ehorführerin.
Geh' hin und melde! mach’ es, wie ich’s Dir aan:
In Gottes Hand liegt, was gefchehen muß und wird!
Riliffa.
Ich geh? und führ' es ganz nad deinem Willen aus; 770
O daß es glüdlich ende mach der Götter Gunſt!
Ab.)
Eher.
(Strophe 1.)
Jetzt nur fern — fleh’ ih laut, du der hochiegen Götter
Bater Zus —
Sept nur fern bakte fie!
Zap zugleich das Richtige uns forglicden Blicks erfpähn! 775
: Wie es gerecht, ſprach ih ja - -
Teglihes Wort; — Zeus, du wollt ihn ſchüßen!
Erfte Halbchorführerin.
Im Pallaſt dort feine Feinde, Zeus, o Zeus,
Sieb fie ihm Preis! Wenn du ihm Sieg giebft, 780
Doppelte Buße wirft
Und dreifahe da gern empfangen!
Die Srabesiyenderinnen. 143
Ehor.
(Gegenftrophe 1.)
Denk' es wohl, unfres vieltheuren Herrn Waife ward in’s
Leidensjoch
Eingeſchirrt; gieb ein Maaß 785
Seinem Lauf! Wer hielte leicht, Täuft er in dieſem Feld,
- Richtig Maaß, fihres Ziel,
Während des Schritts Wecfelhaft ihn hinreißt!
Ebor.
(Strophe 2)
Hüter ihr drinnen vielreihen Horts, die ihr in Schlofles
Schooße weilt, 790
Treue Götter, höret uns!
Auf, und der einit verübten Frevelthat
Blutſchuld, fühnt fie durch ein neu Gericht;
Der greife Mord zeuge weiter nicht im Haug!
Ghorführerin.
Aber gemorder er — herrliche That! 795
Herr du in tieffündender Kluft,
Laß du das Haus wieder des Helden beglüdt mich,
Laſſe du frei mich und heil
Es fchn, befreundeten Auges nach der entfeglihen Gramum⸗
nachtung!
Ehor.
(@egenitrophe 3.)
Rechtgemäß beifen mag Maia's Sohn, fchnell in ſchnellſter
Förderung 800
Wo er will, zu gutem End,
Heimlich, unerfpählih, wo er ſpricht,
2. 800. Maia's Sohn ift Hermes.
1. 10
146 Zweite Tragödie.
Gießt er nächtens Dunkelheit uns Aug’,
Am hellen Tag heller nicht noch kenntlicher. 805
Ehor:
(Strophe 3.)
Bieler Sang, fühnender,
Sol dem theuren Haufe danın,
Weiblich fromm gefüngener 5
Zur Either, jeglihe Schuld zu bannen,
Tönen durch die Stadt. — Geſchäh's! 810
Mein, ja mein blüht dann alles Glücks Gewinn,
Und Ata weicht den Theuren fern!
Zweite Halbchorführerin.
Doch getroft dann, wenn du hintrittſt und es That wird,
Bei der That „Sohn“ fie dich anruft, SI5
Dann rufe ihr zu mit des Baters Stimme,
Dann vollende die tadellofe Blutthat.
Ehor.
(Gegenfteophe 3.)
Dann binwegblidend, Sohn,
Dann wie Perfeus, unerfchredt - i
Mut den Deinen, die das Grab dedt, 820
Du den Deinen bienieden erfüllen |
Der Liebe grambittern Haß!
Führe fo drinnen aus dein blutig Amt,
Den Mord der Mordesichuldigen.
(Aigifthos kommt ohne Gefolge.)
Nigifthos.
Nicht ungerufen komm ich, Boten fandte man; 825
Denn fremde Männer, hör’ ich, kamen, brachten uns
Biel Neuigkeiten, aber nicht erfreuliche,
Die Grabesipenderinnen. 147
Den Tod Dreftens. Aufgebürdet dieß dem Haus,
Erwedt entfegentriefend Mordesgraufen mir,
Der noh an alten Wunden krankt und altem Schmerz. 830
Sol ih es wahr und wirklid nennen? oder ifl’s
Ein weiberhaftes, furchtgehornes Truggeſchwätz,
Das durch die Luft hin eitel fliege und eitel ſtirbt?
Weißt du vielleicht mir irgend drüber Sicheres?
Chorfübrerin.
Wir hörten’s freilich; aber drinnen frage felbft 88
Die fremden Männer; wenig Werth hat Botenwort,
Da du felbft von ihnen felber alles hören kannſt.
Aigiſthos. *
Selbſt ſehn und fragen will ich denn den fremden Mann,
Ob er bei ſeinem Tod geweſen, oder nur
Aus dunklen Reden ſo erfuhr und weiter ſpricht; 840
Denn meines Geifte® ſcharfen Blick betrügt man nicht.
(Ab zum Pallaft.)
Ehorführerii.
Zeus, Zeus, was fag’ ich? was nenn’ ich zuerſt
Im heißen Gebet, im brünftigen Wunſch?
Wie fprech’ ich es aus,
Daß es gleich kommt unferer Treue? 845
Erfte Halbehorführerin.
Sept muß es gefchehn, daB des mordenden Schwert’s
Kühnmagende, bintig begonnene That
Entweder hinweg von der Erde vertilgt
Das theure Geſchlecht Agamemnon's. —
Zweite Halbchorführerin.
Oder ſelbſt er die Flamme des Altars fhürt " 850
‘
148 Zweite Tragödie.
‘
An dem Freiheitsfeh, und der Stadt Herrſchaft
Einnimmt, fein väterlih Erbtheil!
Shorfährerin.
Sp tritt er allein zwei Feinden zugleich
Zum entfheidenden Kampf, der erhabne Drei,
In die Schranken; geihäh’ es zum Siege! 855
Aigiſthos.
(Hinter der Scene.)
Ah! Weh mir, wehe!
Shorführerin.
Horh doch! weh, o hard!
. Erfte Halbchorführerin.
Weh! was if?
Zweite Salbchorführerin.
Was geſchieht im Palaſt?
Ehorführerin. ®
Laßt uns hinweggehn, denn das Werk wird nun vollbracht,
Auf daß wir ſchuldlos ſcheinen mögen diefer That; 860
Denn ſchon erreicht iſt dieſes Kampfes Ziel und Schluß.
Der Chor ſetzt ſich auf die der Bühne abgewandte Seite des Grabes.
— Pauſe.)
Knecht.
(aus dem Palaſt hervorſtürzend.)
D meh des Mordes! todtgeſchlagen iſt der Herr!
D weh nocd einmal! und zum dritten Male weh!
Aigifthos ift nicht mehr! O öffnet, Öffnet doch
(poht an die Thür des Frauenhaufes)
Sp fhnell wie möglih! Schlieper, brecht die Riegel auf S65
Im Weiberhanfe; ja es braucht da große Kraft,
. Die Grabesipenderinnen. 149
Richt ihm zu Helfen, der ift todt. Was iſt es mehr!
Ho! heiho!
(wiederholtes Pochen)
Zu Tauben ſchrei' ich, und zu eitel Schlafenden
Umſonſt. Wo iſt Klytaimneſtra? auf! was ſäumt ſie noch?
Wohl ſcheint's, daß um ein Kleines nun von Henkers
Schwert 870
Ihr eigner Nacken im Gericht hinſinken wird!
Klytaimneſtra.
(tritt ſchnell, unbegleitet, ohne Schmuck heraus.)
Was iſt geſchehn? was weckſt du ſo mit Geſchrei das Haus?
Knecht.
Der Todte, ſag' ich, mordet die Lebendigen!
Kiytaimneftra.
Weh mir! Im Raͤthſel auch verſteh' dein Wort ich wohl!
Liſt fänger ung jept, gleich wie wir einft mordeten! 875
Ein fharfes Mordbeil reihe ſchnell man ung hervor!
(Knecht ab.)
Laß fehen, ob wir fiegen werden, ob befiegt!
Dahin gekommen ift eg nun in meinem Leid!
(Dreftes und Pylades treten aus dem Palaſt, deſſen Thüren offen
bleiben.)
Dreftes.
Sch fuhe dich auh! Er erhielt fein volles Theil!
Klytaimneſtra.
Weh mir! erſchlagen, du Aigiſthos theure Kraft? 880
Dreftes.
Du liebſt den Mann? fo liege den in einem Grab
Mit ihm; verrath’ du doch den Todten nimmermehr!
Klytaimmeftra.
Halt ein, o Sohn! nein, fheue diefe Bruft, o Kind,
150 Zweite Tragödie.
Die Mutterbruft, an welcher du einfchlummernd oft
Mit deinen Lippen fogft oe füße Wuttermild! 885
reftes.
Was thu' ich, Pylades? (den ih meiner Mutter Blur?
Pylades.
Wo bleiben dann die andren Gottverheißungen
Des Pythotempels, wo der eignen Eide Band?
Hab’ alle lieber, als die Götter dir zu Feind!
Dreftes.
8 ift wahr, du fiegeft und gemahnft an's Rechte mich! 890
So folg’ mir, tödten will id) neben jenem dich;
Im Leben auch war der dir vor dem Vater werth.
Du ſollſt im Tod and bei ihm fchlafen; denn du liebſt
Den Menfhen; den du Lieben mußteſt, haſſeſt du!
Klytaimm eſtra.
Ich zog a groß, Kind, altern laß du mich nun audh! 893
Dreftes.
Du mit mir wohnen, meines Vaters Mörderin?
Klytaimnuefira.
Es ift die Moira, liebes Kind, al’ deſſen Schuld!
Dreftes,
Sp hat die Moira auch verfchulder diefen Mord!
Kiytaimneftra.
D Sohn, und fheuft du deiner Mutter Flüche nicht?
Oreſtes.
Die du mich gebarſt, verſtoßen haft du mich in's Wehl 900
Kiytaimneftra.
Dich nicht verftoßen hab’ ich in des Freundes Haus!
Dreftes.
Zwiefach verkauft ward ich, des freien Vaters Sohn!
Kiytaiıneftra.
Wo iſt der Kaufpreis, dem ich je für dich empfing?
Die Grabesfpenderinnen. 151
Dreftes.
Die Schaam verbeut mir, auszufprechen deinen Schimpf!
Kiytaimneftra.
D nein! doch fag’ aucd, was gethan dein Vater hat! 0905
Oreſtes. |
Wenn du daheim biiebft, richte nicht mit dem, der kämpft!
Kiytaimneftra.
Bom Gatten fern fein, Kind, es fhmerzt die Gattin fehr!
Dreftes.
Des Mannes Mühfal nährt die ftillheimfigende!
. Kigtaimneftra.
— So willſt du mich umbringen, deine Mutter, Sohn!
Oreſtes.
Mit Nichten ich; nein, du ermordeſt ſelbſt dich ſelbſt! 910
Klytaimneſtra.
Du! vor der Mutter grimmen Hunden hüte dich!
Dreftes.
Die meines Vaters, laß' ich dich, wie meid? ich die?
Klytaimneftra.
Sp wein ich lebend an dem Grabe denn umfonft?
Oreſt es
Des Vaters Schickſal ſtürmet auf dich dieſen Tod!
Kiytaimneftra. :
Weh' diefen Drachen, den ich geboren und genährt! 915
Drefte.
| Ein rechter Seher war dir deines Traumes Ang!
Du erfchlugft, den du nicht mußteft; gleiches leide jetzt!
(Beide ab.)
Chorführerin.
Laßt ung beweinen beider Doppelt Mißgeſchick;
152 Zweite Tragoͤdie.
Und weil Oreſtes traurig jetzt zum Gipfel führt 920
Die viele Blutſchuld, laſſet beten uns zugleich,
Daß dieſes Hauſes Auge nicht ganz ˖brechen mag!
Wechſelgeſang des Chors.
Strophe.
Herein brach Gericht in's Priamidenhaus,
Die ſtrafwilde Rache;
Herein brach empört in Agamemnon's Haus 025
Zwiefacher Leu, zwiefaher Kampf.
Hinaus führrs. zum Ziel
Der gottgefandt Flüchtige,
Der mit des Gottes Rath getroft geht zur That.
Jauchzet, o jauchzet laut, daß dag erlauhte Haus 930
Endlih dem Weh entflieht, endlich des Frevlerpaars
Schnödem Berthun fo reicher Habe,
Dem ſchmachvollſten Schimpf!
Gegenftropbe.
Herein brach, bedacht auf unerkannten Kampf
Die liſtſinnige Rache; 935
"Mit Hand angelegt hat in dem Kampf, des Zeus
Wahrhaftes Kind: Gerechtigkeit
Rufen wir Menfchen fie,
Und nennen recht ihren Namen,
Die mit Berderbens Zorn den Feind niederftürmt! 940
Alfo hat Loxias der Gott Delphi’s ſich,
Welcher die tiefe Kluft inne der Erden bat,
Mit truglofem Trug genaht, 950
Der fpätftrafende!
Epode.
Die Gottheit überwindet! wohl gebührt’s
Fromm zu fheun der Himmliſchen Gericht;
Die Grabesfpenderinnen.
Wieder erfcheinet Licht!
Seines gewalr’gen Joch's feh’ ih das Haus frei!
Wieder erfteh? du Haus, das du fo Tange Zeit
| Im Staub geftürzt darnieder Tagft!
Und einzieht die Allenderin bald, die Zeit,
In des Palaftes Thor, wenn von dem heil’gen Heerd
Geſcheucht jeglihe Schuld
Durch fluchbannendes Eühnen und Reinigen if.
Das Glück, liebe Ruh im Antlig,
Uns zitternden froh zu fhaun, —
Die in's Haus fich eingenifter, hat es geſtürzt!
Wieder erfcheiner Licht!
960
065
154 Zweite Tragödie.
(Die Pönigliche Pforte öffnet fi durh das Enkyklema; dort fleht
Dreftes mit bluttriefenden Händen, neben einer Bahre, drauf
halbverhült die Leihen von Aigiftbos und Kintaimnefira
liegen.)
Dreftes.
Da feht ihr diefes Landes Doppeltyrannei,
Des Baters Mörder, reihfien Guts Berfchleuderer!
In ſtolzer Hoheit faßen font fie auf dem Thron,
Und jegt vereint fie Liebe noch, wie dort ihr Loos 970
(58 zeigt, und tren bleibt altem Schwure noch ihr Bund.
Vereint den Vater umzubringen, ſchwuren fie,
Vereint zu fterben; nun gefhah’s nach ihrem Schwur.
Ihr aber alle, dieſer Leiden Zeugen, feht
Dieß Truggewirk an, meines armen Vaters Garn, 975
Die Feffel feiner Hände, feiner Füße Zwang!
Spannt ihr es weit aus, zeigt im reife rings umher
Des Helden Fangnetz, daß es fehn der Vater mag;
Richt meiner, fondern Helios, der alles dieß, :
Der meiner Mutter gortverfluchte Thaten fchaut, 980
Auf daß er einft mir im Gericht kann Zeuge fein, '
Wie ganz gerecht ich diefem Morde nahgejagt
Die Grabesipenderinnen. 155
Der Mutter; denn Wigifihos Tod ift tadelfrei;
Er fand, des heil’gen Rechts Verleger, fein Gericht.
Doch wenn ein Weib fo argen Haß fann ihrem Mann, 985
Bon dem fie Kinder doch im eignen Schooße trug,
Einft theure Laſt, jekt offenkundig aͤrgſten Feind, —
Was meinft du? Giftaal, Viper wurde fie erzeugt,
- Daß, wen fie anrührt, ungebiffen der verfault .
Ob ihrer Frechheit, ihres Sinns Ruchloſigkeit. 990
Wie nenn? ich dieß gar, ſprech' ich auch befchönigend?
Fangzeug des Wildes, fußumfchlingend Leichentuch,
Des Bedens Mordgeselte? ja ein Mördernes
Heimtückiſch Stellgarn, fußverfangend Fluchgewirk!
Ein Straßenräuber finde ſich desgleihen aus, 995
Der feinen Gaſtfreund tüdiich fängt, in Raub und Mord
Sein Leben hinbringt; viele dann mit folcher Lift
Zu morden, das fei feines Lebens rechte Luft!
Mir aber werde folhe Hausgenoffin nie, &
Eh'r wollt mich, Götter, fterben laſſen kinderlos! 1000
Erfte Salbehorführerin.
Weh weh! weh weh! der entfeglichen That!
Wie gräßlihen Todes du umkamſt!
Weh weh! weh weh!
Weh blüht auch dem, der zurudbleibt!
Dreftes,
That er es? oder that er’s nicht? Da dies Gewand 1005
Bezeugt's ja, daß Aigiſthos Schwert mit Blut getränft;
Des Mordes Blutfled ſtimmt zu feinem Alter wohl,
Sp weggefreffen hat er Purpurs Farbe ganz.
Nun preiſ' ich mich, nun jammr' ich laut auf, hier zu ftehn
Und anzureden meines Vaters Mordgefrinnft; 1010
Es quält mich meine That, mein Leid, al’ mein Geflecht,
Mir diefes Sieges reiher Echuld verflucht zu fein!
156 Zweite Tragödie.
Zweite Halbhorführerin.
Kein Sterblicher ift, der das Leben in Ruh
Hinbringt und jegliher Schuld frei!
D Sohn, bald blüht 1015
Dieß Leid, bald fehwindet ein andres!
Dreftes.
Nein, wiſſ' es wohl, wohl feh’ ich, wo dieß enden wird;
Gleich wie mit Noffen ans der fliegenden Wagen Bahn
Rap ich hinaus; Fort reißt mich zügellos der Geift
Unwiderfiehlih. Meines Herzens Entjegen will 1020
Sein Leid beginnen, feinen Tanz zum Schall der Wuth! —
So lang’ Bemwußtfein noch mir bleibt, hört Freunde mich!
Die eigne Mutter ſchlug ich todt mit Fug und Nedt,
Die Gottverhaßte, mir um Vatermord verſlucht;
Und meiner Kühnheit Liebestrant, ihn mifchte mir 1025
"Der Phythoſeher Loxias duch feinen Spruch:
Daß, penn ich's thäte, fonder Schuld ich follte fein,
Wenn ich es ließe, — meine Strafe nenn’ ich nicht,
Mit feinem Pfeil reicht keiner ab ein folhes Leid! —
Und jet, ihr feht mich, wie ich will, fronm gngethan 1030
Mit diefem Delzweig, diefem Kranze, bittend ziehn
Zum Heiligtum der Mitten, Loxias Gefild,
Sum Licht der Flamme, die die ew'ge wird genannt,
um dieß verwandte Blut zu fliehn; denn Loxias
Gebot mir, feinem andern Heerde mich zu nahn. 1035
Dieß aber, ſag' ich, fol mir Argos ganzes Bolt
Dereinft begengen, welches Weh mir war gefhafft!
Doc ich, der Heimath flüchtig, irr’ in fremdem Land,
Leb' ich und ſterb' ich, diefen Ruhm laß ih zurück. —
Chorführerin.
Du thateft rühmlich; drum zu böfem Worte nicht 1040
Schließ' deinen Mund auf, noch ein ſchlimmes Zeichen ſprich;
Die Orabesfpenderinnen. 157
Du gabft der Freiheit unfre ganze Etadt zurüd,
Da beide Drachen mächtig du zu Boden fchlugn!
Dreftes,
(im Hintergrund der Orcheftra die auffleigenden Erinnyen erblidend.)
Ach! Ach!
Getreue Frauen, ſeht ſie dort, Gorgonen gleich,
Die faltig ſchwarzverhüllten, haardurchflochtenen 1045
Mit dichten Schlangen; bleiben nicht mehr kann ich hie!
Ehorführerin.
Was für ein Wahnbild, du des Vaters liebſtes Kind,
Scheucht dich empor? bleib, fürchte nichts, du, Sieger oft!
Dreftes,
Nicht its ein MWahnbild, was mic dräuend dort entfegt,
Nein meiner Mutter blutempörte Hunde find’! 1050
Ehorführerin.
3 it frifhes Blut dir, Kind, an deinen Händen nod,
Daraus Berwirrung deinen Geift dir überfällt.
Dreftes,
O Fürft Apollon! wuchernd mehrt fi ihre Schaar!
Aus ihren Augen triefen fie graufenhaftes Blut!
Eborführerin.
Du weißt, wo Sühnung! Wenn du Lorias berührt, 1055
Sp wird er huldreich diefer Qualen dich befrein!
Dreftes.
Ihr freilich ſeht fie nicht; ich aber ſehe ie!
Mich jagt's von binnen! Bleiben nicht mehr kann ich hie! —
(ftürzt wach der Fremde hinaus.)
EhHorführerin.
Ar Glück geleir dich; gnädig auf dich ſchauend mag
Ein Gott dich treu bewahren vor Gefahr und Tod! 1060
(Der Chor geht mit den folgenden Anapäften auf die Bühne und a
den Palaft zurück.
158 Zweite Tragödie.
ı Eborführerin.
Sp ward in den Hauf denn der Könige nun
Dreimaliger Sturm
Dreifahen Geſchlechte vollendet.
Zum Erſten begann Tindfreffendes Greul
Die entfeglihe Schuld; 1065
Zum Zweiten des Herrn unköniglic Loos,
Denn im Beden erwürgt kam um der Achä'r
Kriegsherrliher Fürſt;
Zum Dritten erfhien — nenn’ Heiland ic,
Nenn’ Mörder ich ihn? 1070
Wo endet es je? wo findet noh Ruh
Die befänftigte Macht des Verderbens?
(Der Vorhang hebt fidh.)
Dritte Tragödie.
Die Eumeniden.
ui
Berfonen.
Die Pythiſche Seherin.
Ayollon.
. Dreftes.
Klytaimneftra'’s Schatten,
Chor der Sumeniden.
Athene.
Geleitende Schaar.
Dorifher Tempel des Apollo zu Delphi; Stiulenhallen 3u beiden Sei⸗
ten, mit Statüen und Laubgewinden geſchmückt; über bem Gie⸗
bel ſieht man den zweigipfligen Parnaß und an feinem Fuß die
Stadt und die Kriffäifhen Wiefen.
Aus den Hallen hervor tritt die greife Seherin.
Seherin.
Mir erſtem Anruf ehr’ ich aus der Götter Kreis
Die Urprophetin Gaia, Themis ihr zunächſt, F
Die nach den Sagen hier am Seherheerde ſaß,
Die zweite nach der Mutter; daun zum Dritten ward
Mit. ihrem Willen, nidjt von fremder Macht beftimmt, 5
Ein andres Kind der Sala Herrin diefes Orts,
Titanis Phoibe. Zum Geburtsgefchente gab
Die ihn dem Phoibos, der fih drum nah Phoibe nennt;
Bon Teiche z0g er und der Delifhen Klippe fort,
Fuhr hin zu Pallas fchiffumkreiftem Buchtgeftad’ ; 10
Und kam in diefe Gauen, zum Parnaſſos Sit;
Und ihn geleiten, frommen Dienftes ehren ihn
Hephaiſtos Kinder, Wegebahner ihm, die rings
Des Landes Wildniß feinem Zug entwilderten.
Drauf als er einzog, feitlih malt’ entgegen ihm 15
"8. 13. Des Hephaiftos Rinder find die Attiker.
1. 11
162 Dritte Tragidie.
Das Bolt und Delphos, diefer Gegend hehrer Fürſt;
Zeus aber gab ihm ew’gen Rathes Wiſſenſchaft,
Den vierten cher fegt er ihn auf diefen Thron,
Und feines Baterd Zeus Prophet ift Loxias.
Zu diefen Göttern bitt' und ber’ ich feierlich! — 2
Dem Gruß die erfte mag Pronaia Pallas fein,
Gruß auch,den Nymphen drüben, wo Korylis Fels,
Hohl, vogelheimifch, und der Götter Ruheplatz;
s iſt Bromios jener Gegend ‚Herr, dep’ denk’ ich wohl,
Seitdem die Bakchen fiegend hergeführt der Gott 235
und Tod dem Pentheus einem Häslein gleich gewirkt.
Auch Pleiftos Quellen und Poſeidons heil’ge Kraft
Begrüßend und Allhöchſten dich, Vollender Zeug,
Sch ih Propherin mich zu fegen auf den Thron; '
Huldreich gefeguen wollt vor jedem anderen 30
Mir diefen Eingang! Sind Hellenen bier zur Stund’,
So treten nah dem Loos fie ein, wie's braͤuchlich iſt;
Denn ich verkünde, wie der Gott ‚es mir gebeut!
(Sie öffnet den Tempel, gebt hinein; Purze Yaufe. Dann
kommt fie in Eutiegen auf die Bühne zurückgewankt.)
Ha, Gräul zu rennen, Gräul den Augen anzufhaun,
Mich jagt es rückwärts aus dem Tempel Lorias, 35
Sp daß ich Kraft nicht, nur mich empor zu haften hab’; -
Die Hände laufen, nicht des Fußes nicht'ge Haft!
In Angſt if eine Greifin nichte, it wie ein Kind! —
Zum vielbefrängten Heiligthume ging ich ein,
Und figen feh’ ich einen gottverfluhten Mann 40
Am Erdennabek, fhusgewärtig, frifh von Blut
8.21. Pronaia, weil fie vor dein Tempel Apollon's ihren Aitar hat.
B. 33. Korpkis ift eine Schlucht am Parnaß, von deffen zwei
@ipfeln den einen feit dem Siege über Pentheus Dionnfos befekt hält.
Die Eumeniden. 163
- Die Hände triefend, noch das entblößte Schwert zur Hand,
- Zugleich des Oelbaums einen hochentfproffuen Zweig
Mit dreitgewund’ner Flocke rings forgfam befränzt
Der weißen Wolle; fo befchreib’ ich es genan. 4
Um diefen Mann ber eine wunderbare Schaar
Bon Weihern fchlafend anf die Seſſel hingeftredt;
Doch nit von Weibern, — nein, Gorgonen nenn’ ich fie,
Und wieder nicht den Bildern der Gorgonen gleich;
Einſt ſah ich die gemahlet, weldhe mir Phinens Mahl 50
Bon dannen fliegen; aber ungeflügelt find
Die dort und ſchwarz und völlig efelhaft zu fchaun;
Sie ſchnarchen unnahbaren Ddems lauten Haud);
Aus ihren Augen trieft ein grauſenhaft Getropf;
Ihr Putz, zu ſcheußlich it er, um den Göttern je, 55
Der Menfhen Wohnung tranfich jemals fih zu nah’n.
Sch hab’ ein Volksthum folder Wefen nie gefehn,
Noch rühmet irgendwo ein Land fi, dies Geſchlecht
Gramlos zu nähren, ohn’ Bereuen feiner Müh! —
Das Weitre fei dent Herren dieſes Heiligehume, 60
Dem Loxias befohlen, dem großmächtigen;
Denn Seherheiland ift er, Zeichenkündiger,
Und allem Haufe jeder Schuld Entfündiger.
(Ab in die Halle. Das Eutoflema zeigt das Innere des Tempels.
Dreftes hält den mit Bändern geichmücten Erduabel um⸗
fhlungen. Umher liegen die fchlafenden Erinnnen. Bann
tritt Apolton von Hermes begleitet zu Dreftes, der zwi⸗
fchen beiden, bang’ umberfchauend, hinaus auf die Bühne tritt.)
— Apollon,
Dich werd' ich nicht verrathen; treu dir immerdar
V. 30. Gemeint find die Harppien.
164 Dritte Tragödie.
Als Hüter nahe, bin ich weit dir auch entfernt, 65
Werd’ deinen Feinden nie ich freund und gnädig fein!
Sp jett gefangen fiehft du dieſe Wüthenden; 2
Bom Schlaf bewältigt ift die gottverhaßte Brut,
Der Naht ergraute Kinder, Dirnen, welche nie
Der Götter einer, nie cin Menſch, noch Thier umarmt; 70
Des Böfen wegen find fie da, fie haufen drum
Im böfen Dunkel unten tief im Tartaros,
Der Menfhen Abſchen uud der Götter im Diymp. —
Dennoch entflich du und ermatte weichfich nicht!
Sie jagen durch das weite Feſtland dich verirrt 75-
Der wegewirren Erde Plan durchſchweifenden,
Dich über Meer und meerumraufchte Inſeln bin.
Und nicht zu früh ermüde, weit umbergefcheucht
In folder Mühſal. Ziehe daun gen Pallas Stadt,
Sep’ an ihr altes Bild dich, und umfhling’ cs fromm. 80
Und da, — denn Richter folder Schuld und mildernd Wort
Gewährt man dort und, — werben Wege wir erfpahn,
Daß frei und 193 du gänzlich werdeſt diefer Müh'n;
Denn ich gebot's, daß deine Mutter du erſchlugſt!
Dreftes.
Du weißt, o Fürft Upollon, Unrecht nie zu thun; - s5
Drum zeige, daß du meiner nicht vergeffen willft;
Und deine Kraft ift mir zu helfen vollgenug.
Apollon.
Vertraue, Faß nicht Furcht bewaält'ge deinen Geiſt! —
Du meines Blutes Bruder, gleichgezeugter mir,
Hermes, bewahr' ihn; ſei Geleiter recht mit Recht 90
V. 90. „Der Geleitende“ iſt ein beſonderer Beiname des Hermes.
-
Die Eumeniden. 165
Zu nennen, meinen Schützling wie ein treuer Hirt
Behütend. — Zens ſchützt wahrlich dein fchugheilig Flehn,
Das alfo wohlgeleiter fi den Menfchen naht!
(Bermes ımd Oreſtes nach der Fremde ab. Apollon geht zurück in
den offnen Tempel nnd fegt ſich dort auf feinen Thron.
Der Schatten Klytaimneſtra's fteigt aus der fingifchen Pforte,
ſchwebt zur Thomele, und ſpricht vor dort zu ben —
im Tempel.)
"Rigtaimneftra.
Schlaft, ſchlaft nur, wehe! was auch braucht's der Schlafenden?
Ich aber, alſo vor den andern Todten ganz 95
Bon euch mißachtet — weil ih ja gemordet Hab’,
Verläßt mih Schande nimmermehr im Todtenreich,
Umirr' ich ſchmachvoll; aber wißt, ich fag’ es emch,
Die größte Urfach hab’ id) wider jene doch —;
Doc die ich litt furchtbarſtes von den Theuerften, 100
Bon allen Göttern Feiner ift erzürnt für mich, —
Von Muttermörders Händen doch ermordete!
Da ſieh doch dieſe Todeswunden an von ihm;
Denn wAn ihr ſchlafet, iſt der Geiſt euch heilen Blicks,
Doch über Tag Rumpf, träg den Menſchen nachzufpähn. 105
Und vieles ‚habt ihr doch von mir wohl eingeſchlürft,
Weinloſe Spenden, nüchternen Labſals Huldigung,
Und mitternäctig files Mahl an Heerdes Gluth
In eurer Stunde, keinem Gott. mit euch gemein.
Das alles, feh’ ich, fhnöd’ in den Staub getreten wird’s. 110
Doch er — entwiſcht euch flieht er einer Hindin gleich;
Sa leichten „Fußes mitten aus dem Fägerneg
Entfprang er, fah hohnlahend noch zurücd auf euch!
Bernehmt, um meiner Seele Willen fprady ich ja!
166 | Dritte Tragödie.
Befinner euch, Söttinnen ihr des Todtenreiche! 115
Ein Traum ja ruf ich Klytaimneftra jegt zu euch!
(Stöhnen des Chorea.)
Wohl ftöhnt ihr; jener fliehet fern und ferner ſchon;
Den Meinen find ja, mir nur nicht, Vertreter nah!
(Stöhnen des Ehors.)
Du ſchlaͤfſt fo feſt noch, dich erbarmt nicht meine Dual, j
Und mein, der Mutter, Mörder Dreftes, er entilieht, 120
i@ehen! des Ghore.)
Du heulſt? du ſchläfſt noch? raffft dich eilig nicht empor?
Was anders in als Jammer fchaffen deines Amts?
(Geheul des Chores.)
Mühfal und Schlaf, zu ſtarke Verſchworne, haben wohl
Der grauſen Dradin aud die legte Kraft gelähmt?
Ebor. (doppeltes ſcharfes Stöhnen.)
\ Faß ihm! Faß ihn! Faß ihu! Kap ihn! Hep! 135
Klytaimneftra.
Am Traum verfolgt dein Wild du, fchlägft gleich einem Hund
Laut an, der niemals feines Dienſtes Eorge läßt!
Du fänmft? empor fpring! knechte niht Ermattung dich,
Noch ſchlaferſchlafft Taf deine Arbeit außer Acht! ®
Mit gerechter Neue geißle deine Nieren wund; 130
Denn für Berftändige gilt fie an des Stachels Statt.
Auf! deines Mundes jähen Bluthauch ſtürm' ihm nad),
Hindörr in Gluth ihn, in der Eingeweide Brand,
Nach jag’ ihm, hetz' in wiederholter Jagd ihn todt!
(Berfchwindet.)
Die Erinngen.
(wild durcheinander.)
NErwech, erwecke dieſe du, ich wieder dich! 135
Die (Sumeniden. | 167
Schläfſt du? Erheb' dich! Stoß' den Schlaf von dir hinweg!
Nachfehen laßt uns, ob ihr Neden uns betrog!
(Sie ftürgen nach einander ans dem Tempel bervor in die Orcheſtra
hinab, paarweife, fo dag in der Strophe je eine vom Tem:
pel abgewandt, in der Gegenftrophe je die andre zum Tem:
pel zurückgewandt ſpricht.)
(Strophe 1.)
Erfted Paar.
Hohn! Schweſtern, weh! Müſſen es leiden, o!
Zweites.
So vieles ſchon erlitt ich — alles nun umſonſt!
Drittes.
Müffen erleiden bie Schmähliches, leiden o! ein unfäglic
Weh! 140
Biertes.
Ans fihrem Garn entiprungen, weh, entrinnt das Wild!
Fünftes.
Vom Schlaf erdrückt büß' ich ein meinen Fang!
(Gegenſtrophe 1.)
Erſtes.
Hohn! Sohn des Zeus, biſt cin verſchmitzter Dieb!
Zweiteb.
Uns greife Götter überrennft du junger Gott! 145
Drittes.
Der du dem Flüchtling Schutz, Schutz dem verruchten giebſt, dem
mordblutigen Sohn!
Biertes.
Den Muttermörder ſtahlſt du uns und biſt ein Gott!
Fünftes.
Wer wird gerecht nennen je ſolches Thun?
168 Dritte Tragödie.
(Strophe 2.)
Sechſted.
Es hat der Vorwurf, den der Traum in's Ohr mir ſchrie, 150
Dem Roßlenker gleich mich anfgepeitſcht,
Blutigen Geißelſchwungs!
Siebentes.
Ja mich in Herz und Mark gepeitſcht meiner Ten’ Marterknecht;
MWie er mich trifft, wie er mich ſtäupt,
Durchſchauert mich granfe, die zu graufe Br 155
(Gegenftrophe 2.)
Sech ſtes.
Und das bereiten jene neuen Götter uns,
Die obherrſchen über alles Recht,
Mordesbeſprützten Throns!
Siebentes.
Ja ihm zu Haupt und Fuß beſprützt ward der Erdnabel dort;
Blutige Schuld, ſchuldiges Blut 160
Das verruchtefte nahm, ſich befleckend, er auf!
(Strophe 3.)
Erſte Halbchorführerin.
Mit ſolchem Blutgräul, Seher du, an deinem Heerd
Schändeſt dein Haus du ſelbſtwilligend, ſelbſtberufend,
Der du die Menſchen ehrſt wider der Götter Recht,
Der Moiren Macht, der nralten, brichſt! 165
(Begenftrophe 3.)
Zweite Balbehorführerin.
Mir wird er widrig und erlöft doch nimmer ihn!
Flöh' er zum Hades auch, nimmer doch wird er uns los!
Wie er den Mordfluh trägt, fo einem andern fällt,
Zur Rache fällt fein Haupt dort anheim!
(Apolon tritt aus dem offnen Tempel heraus
anf die Vorbühne.)
Die Eumeniden. 169
Apollon.
Hinaus! befehl' ich; dieſes Tempelhaus verlaßt 170
Sogleich! hinweg zieht ans des Sehers Heiligthum,
Eh' dieſe zifhende ſchnellbeſchwingte Schlange bich
Bon meines Bogens goldgeflochtner Senne trifft,
Bor Schmerz du ansftrömft fhmarzen menfchentfognen Schaum,
Geronnen Blut ausſpeieſt, das du bei Mord geledt! 175
Fort! meiner Wohnung dürfen ihr nicht nahe fein!”
Nein da, wo mörbderföpfendes, augauswühlendes
Gericht, — wo Mordgemegel, jäbe Fehlgeburt,
Entmannung, Schändung, altes Jammers Uebermaaß, —
Wo Aufgefpiepte jammerlaut, Gefteinigte 1890
Verröchelnd wimmern! Habt ihr num genug gehört,
Um welche Ferluf, dran ihr euch erkleckt, verhaßt
Den Göttern ihr feid? Zeigt’ doch euer Aeußres jchon;
Denn ſolche Scheuſal' müſſen in des blutleckenden
Leu'n Höhle hauſen, nicht in dieſem Heiligthum 185
Der Gottorakel weilen ſolch entweihend Gräaul!
So zieht hinaus weitſchwärmend, hirtenlos zerſtreut;
Denn foicher Heerd' iſt keiner hold der Himmliſchen.
Chorführerin.
Du Fürſt Apollon, höre nun auch wieder mich!
Wohl biſt da nicht zu nennen ale Mitſchuldiger, 19%
Rein, du allein ia Altes, du Allſchuldiger!
Apollen.
Wie das? fo lang’ nos fei zu reden dir vergönnt!
Chorführerin.
Du allein gebotft dem Fremdling feiner Mutter Mord!
Apollon.
Ich gebor ihn, Rache feines Vaters heifhend. Nun?
Chorführerin.
Die frifhe Blutſchuld nahmſt du dann in deinen Schug! 195
‘
170 Dritte Tragödie. \
Apollon,
Zur Reinigung fih herzuwenden hieß ich ihm.
Chorführerin.
Und uns derfchmähft du, die ja doch ihn geleiteten!
Apollon.
Euch kommt es nicht zu, meiner Wohnung euch zu —
CEhorführerin.
Und dennoch iſt es unſer Amt und unſre Pflicht.
Apollon.
Welch eine Pflicht denn? rühme doch dein ſchönes Amt! 200
EShorführerin.
Den Muttermörder treiben wir aus Haus und Hof!
Apollon.
Wie denn? auch den des Weibes, die den Mann erſchlug?
SEhorführerin.
Nicht ſoll der ruchlos blutverwandte Mord geſchehn!
Apollon.
So ganz mißehrt wird und gering geſchätzt von dir
Der großen Hera und des Zeus eidheilger Bund, 205
Mißehrt, verworfen Kypris auch mit ſolchem Wort,
Von der doch alles Liebſte kommt den Sterblichen!
Geeint vom Schickſal iſt des Mann: und Weibes Bund, —
Gerecht bewahret, höheren Rechts denn ſelbſt der Eid.
Biſt ihnen nun du, wenn fie ſich morden, lau genug 210
Sie nicht zu firafen, nicht ergrimmat fie aufzufpahn,
Sp leugn' id, daß Oreſtes du verfolgt mit Nedt;
Denn dies, ich weiß cs, fehr erfüllt es dich nıit Zorn,
Doch jenes ftrafit du ſichtlich viel gelaffener.
Dallas Arhene wird erforfchen, was da Nedit. 215
Erfte Salbchorfübrerin.
Bon jenem Mörder la ich nun und nimmermehr!
Die Eumeniden. 17: -
Apollon.
Verfolg' ihn alſo, dir zu mehren deine Müh!
Zweite Halbchorführerin.
Verkürz' mir meine Ehren nicht mit ſolchem Wort!
Apollon.
Böoͤt' man fie mir, als Schande wief ich fie zurück!
Ehorfüh rerin.
Ein Mächt'ger freilich wirſt an Zeus Thron du genannt! 220
Ich aber, — fort treibt Mutterblut mich, zun Gericht
Rachjag' ich jenem, nimmermüde Jägerin!
(Der Chor ab nach der Fremde.)
Apollou.
Ich aber helf' ihm, rette den Hülfeflehenden;
Denn vielgewaltig iſt bei Menſch und Gott der Zorn
Des ————— geb' ich ihn freiwillig Preis. — 225
(ab in den Tempel.)
x
172 Dritte Tragedie.
1
(Tempel ber Pallas Athene zu Athen; vor demſelben tin Altar init dem
Bilde der Böttin; die Ausſicht anf die Akropolis rechts, links
anf die langen Mauern, auf die Häfen und das Meer.
Dreftes, von der Fremde bereinfommend, ohne Hermes, feßt
fih au den Altar der Göttin, und umfaßt ihr Bild.)
Dreftes.
Herrin Athene, auf Des Lorias Geheiß
Komm’ ich; fo nimm du gnädig auf mid Schuldigen,
Nicht mordbefleckt mehr, nicht mit ungefühnter Hand,
Nein abgeftumpft auch und verfchliffen im Verkehr
Auf vielen Wegen und in fremder Menfhen Haus. 230
Sp über Land hin, über See umhergeflohn,
Folgfam der Weifung, die mir Loxias beſchied,
Komm ih in dein Haus, Göttin, und zu deinem Bild;
Hier will id weiten, warten auf des Berichtes Schluß!
(Auf der Straße der Fremde kommt der Chor herein, in jerftreuter,
etwa Feilförmiger Ordnung, tieffuchend.)
. Chorführerin.
Nur weiter! dies ift feine Fährte offenbar; 235
Nah fpürt den ſtummen Rathe der Berräth’rin Spur!
Denn’ wie der Spürhund einem angeſchoſſ'nen Neb,
Die Eumeniven. 173
So mittern, feinem Schweiß und Blut nad, wir ihn aus!
Mir Feucht von diefer menfchenpirfhenden Müh' die Bruſt;
Denn abgetrieben ijt der Erde ganz Revier! 240
Und über Meer hin ſezt' ich AEllofen Flugs
Ihm nach, und nad) blieb hinter mir ein fegelnd Schiff!
Jetzt muß er hier gefegt ſich haben irgendwo;
Der Duft von friſchem Menfhenblute lacht mih an!
Erfte Halbeherführerin.
Sieh’ zu! fieh wieder zu! 245
Spüret genau umber, damir heimlich nicht
Der Muttermörder entkommt!
Zweite Balbhorführerin.
Da ſchau! da fhon zum zweiten Mal in guten Schug,
Der Göttin Bild. angefhmiegt,
Will er, der Thor, den Weg Nechtens für folhe That! 50
\ Erſte des Chor.
Niemals geſchieht das! Niederfloß ja Mutterblut?
Zweite.
Unwiederrettbares Blut, o!
Dritte.
So in den Staub einmal vergoſſen, iſt's dahin!
Vierte.
Nein büßen mußt du's, daß ich dir lebendigem
Ausſaug' aus den Adern das rothe Geblüt! 255
Fünfte.
Mich an dir fart fchlürfen will ich, blutigen Mißtrunkes fate!
Sechſte.
Lebendig ab dich zehrend jag' ich dich hinab!
Siebente.
Wirſt beſeufzen vergeltende Muttermordes Qual!
174 Dritte Tragödie.
Achte.
Dort ſchauen ſollſt du, wer von den Meuſchen übel that!
Reuute.
Frevelnd den Gott, den Gaſthhat verlegt, frevelud der Aeltern
Haupt! 260
Zehute.
Jedweden leidend ſeiner Schuld gerechten Lohn!
Eilfte,
Denn Habdes iſt der große Prüfer der Eterblichen
Unter der Erde tief.
Zwölfte.
Er ſchaut aufſchreibend in feines Geiſtes Buch Allen zu! 265
Öreftes,
Ich weiß, in fohweren Leides Schule wohl belehrt,
Bielfahe Sühnung, weiß auch, wo zu reden recht,
Und wo zu fehweigen. - Aber wie fich jegt es fügt,
Zu fprechen trug mir da ein weifer Lehrer auf;
Nun fchläft die Blurfhuld meiner Hand und trodnet auf; 270
Hinweggewafchen ift des Muttermordes Gräuf;
Auf Phöbos Altar ward das Blut, noch war es frifch,
Bon mir genommen durd der Dpferferfel Blut.
Biel Worte braucht” ich, weun ich alle nennete,
Die mir Gemeinfhaft unbefhadet fhon gegönnt; 275
Es macht die Zeit mitalternd uns von Allem rein.
und fo denn ruf’ ich unentweihend Tautren Munde
Zur Herrin diefes Landes Athenaia; fie _
Noah’ mir zum Beiftand, fonder Waffen wird ‚ie dann
Zu Freunden, kampfverbund’nen, treu bemähreten, 280
Mich felbft gewinnen, meine Etadt und Argos Bolt.
Drum vb im fernen Uferlande Libyas
Die Enumeniden. 175
Am Bufen Triton, ihrer väterlichen Fluth,
Eie ruhig dafteht, oder mit ſchildbedecktem Fuß
Zum Schirm der Ihren, oder ob fie Phlegra’s Feld 285
Gleich rüft'gem Feldherrn fhaarenordnend überfchaut,
Eie komme, — fern auch hört mich doch der Göttin Huld —
Auf dap fie gnädig von mir nehme meine Schuld!
Ehorführerin.
Nicht kann Apollon, nicht Athene's heil’ge Kraft
Did) fchügen, daß du nicht von meiner Wuth verfolgte 290
Verkommſt, vergifieit, wo im Herzen Freude weilt, |
Du meine Weide, Blutes leer, ein Schatten du!
Nicht widerfprihft du, alles Reden wirft du hin,
Für mic, gefüttert, mir anheimgefallen du!
Lebendig mußt du mich laben, nicht geopfert erſt! 295
Hör unfer Bannlied, dich zu feſſeln und zu fahn!
‚Auf! ſchlingen wir unferen Reigen zugleich,
Denn den grauſen Gefang
Zu erheben ihm, billigt ihr alle, —
Zu verkünden das Amt, das unferer Schaar 300
Dbliegt in der Sterblichen Schidfal.
Erfte Salbchorfährerin.
Wir rühmen ung jchnellen gerechten Gerichts;
Denn welcher die Hand fhuldrein fi bewahrt,
Auf den niemals ſtürzt unfere Wuth,
Gramlos durchwallt er fein Leben. 305
B. 283. Unfern jener tritonifchen Gegend in Aegppten kämpften
damals attifche Heere.
V. 285. Welche Kämpfe in Großgriecheniand hiermit gemeint find,
ift unbefannt.
2. 305. Die Anfpielungen in diefem Chorlied find in der Einlel-
tung erflärt.
176 Dritte Tragödie.
Zweite Halborführerin.
Wer aber wie der dort frevelbewußt
Die blutigen Hände verheimlicht,
Da treten wir laut als Zeugen der Schuld
Den Erſchlagenen auf, und erweifen uns ibm
Als die vollen Vergelter der Blutſchuld. 310
Wechfelgefang des Chors.
Stro vhe 1.
Mutter du, die mich gebar, Urnacht,
Mich der lebend'gen, mich der ſtummen Welt Strafgeiſt,
Sieh', es ſchuf Leto's Sohn Spott und Hohn, Schimpf und
Schmach uns,
Raubet uns unſern Fang,
Muttermordſchuldig Wild, rechtes Sühneblut für Blut! 315
(mit wilderem Tauz.)
Drum um den mordtriefenden dort ſchlingt den Gefang,
Verftörung, Wirrſiun, Wahnfiun,
Schlingt Erinnyenfeftgefang |
Harfenlos, den Sinn zu fahn, welt zu dörren Menichenfraft!
Gegenftrophe 1.
Zugefponnen hat ja ung Moira’s 320
Zwingende Macht dies Amt für immerdar: Menfchen,
Deren Haupt felbft fi gottlofen Biutfrevel auflud,
Nachzuſpähn, nachzuziehn
Bis fie birgt Grabes Nacht; todt auch find fie nicht erlöf R
(mit wilderem Tanz.) —
Drum um den mordtriefenden dort ſchlingt den Geſang, 325
Verſtörung, Wirrſinn, Wahnſinn,
Schlingt Erinnyenfeſtgeſang
Harfenlos, den Sinn zu fahn, welk zu dörren Meufhentrft
Die Eumeniden. 177
ö Strophe 2.
Als ich geboren, iſt hiefee Beruf mir geworden,
Aber zugleih den Unfterblichen nimmer zu naben; 330
Ihr Mahl theilen wir niemals,
Und weißgkänzend Gewand
Immer mir iſt es verſaget, gemifgönnt.
Untergang gehoͤret mein,
(mit wilderem Tanz)
Wenn in der Wuth heimifhen Kampfs 335
Freund fih auf Freund mörderifh ſtürzt,
Hinter ihm, ho! jagen‘ wir ber,
Stark wie er if, hinweg ihn tilgen ob frifchen Due: wir —
Gegenftrophe 2.
— Eifrig wir, Anderen diefes Bemühn zu erfparen, 340
Den Söttern ihre Feiern. zu firhern mit unſern Gerichten,
Doch ohn' ung Richtern zu ſtellen:
: Denn uns blutige Schaar
Uns fcheußliche bannete Zeus, fern
Seiner Nähe ftets- zu fein! 345
(mit wilderem Tanz.)
Denn auf ihn zu, jählings herab
Stärmenden Sprungs, nieder in Staub
Reiß' ich dem ſchwerſtürzenden Fuß,
Daß er die Flucht verſagt — unausſprechlich Elend!
Strophe 3.
Mannes Hoffahrt, prunke ſie droben auch preißlichſt, 350
Nieder zur Erde hin ſinkt fie, verkümmert fie ruhmlos
Unferer fchattengewassdigen Beutegier,
Unfrer Sohle neideswildem Tanz!
@egenfirophe 3.
Hingeſtürzt — nicht ßeht er's ie feiner Bethörnug! 355
Alſo ein irrendes Dunkel umnachtet die Schuld ihn;
J. 12
178 Dritte Tragödie.
Und von dem Schatten, der finfter durch fein Geſchlecht
Hingeht, redet taufendfaher Mund! „
Etrophe A.
So bleibt es feſt! Aber wir, liſtenreich zielſicher ſind 360
Eingedenk des Boͤſen wir Hehren;
Aulllunerbittlich jedem Flehn,
Handhaben wir ſchimpflich unglimpfliches Amt,
Den Göttern abgewandt, in fonnenlofen Lichts Daͤmmrung,
” 365
Hfadunerforfhlih dem fehenden Ange
Und dem blöden Blick zugleich.
Gegenftropbe 4.
Wo iſt ein Menſch, welcher nicht erbangt, erbebt,
Wenn er anhört meines Amts Satzung,
Von Moira gortbefchieden mir, 370
Daß ich es völlig erfülle, verhängt.
Das ift mein altes Ehrenamt und Feine Schmach trifft mid,
Haufen wir aud in den Tiefen der Erde,
Und in fonnenlcerer Nacht!
(Athen? kommt body durch die Luft daher mit Schild und Lanze, auf
einen, von Luftroffen befpaunten Wagen.)
Mthene ;
Fernher vernommen hab’ ich einer Stimme Ruf, 375
Da ih Befis nahm von Skamandros Uferland,
Das dort die Fürften der Achäer und Mächtigen
Bon ihrer Speere Beuten einen reihen Theil,
Mit Baum und Grashalm mir geweiht anf inımerdar,
Den Kindern Thefeus zum erlefenen Eigenthum. 3830
Bon dort mit nimmermüdem Fuße og ich her
Ohn' Flügel, meiner Aegis Schooß weit aufgefanft, -
Die Eumeniden. 179
Jungkräft'ge Nofle diefem Wagen vorgefhirrt.
Doch nun, da den Beſuch ich feh’ in meiner Stadt,
So mahrs mich bang’ nicht, aber Wunder nimmt’s den
Blid. 385
Wer feid ihr? beide red’ ih euch mit Einem at,
Did, fremder Flüchtling, der du figft an meinem Bild,
Und euch, Gebornen Feines feienden Stammes gleich,
Göttinnen weder, wie des Gottes Blick fie ſchaut,
Noch auch vergleihbar mit der Geſtalt der Sterblihen. 3%
Doch fhmahn des Nähften wegen Mißgeſtalt, es if
Gerechtem Sinn fremd, nicht der Billigkeit gemäß.
Shorführerin.
Erfahre du, Zeus Tochter, alles kurzgedrängt;
MMir find der Urnacht grauſenvolle Töchter, und
Die Flüche heiße man unten uns im Schattenreid. 395
Athene.
Wohl dein Geſchlecht iſt und Benamung mir befannt.
Ehorfährerin.
Bon meinen Ehren auch vernimm und meinem Amt!
Athene.
Sp laß mich hören, und erflär’ es deutlich mir.
Erfte Srinnys des zweiten Halbchors.
/ Die Menfchenmörder treiben ıyir von Haus und Heerd.
Atbene,
Und wo erreiht der Mörder feiner Flucht ein Ziel? 400
Zweite,
Wo keine Stätte Feiner Freude wird gegönnt!
Athene.
Und gleiches — tobeſt du auch dieſem zu?
Dritte.
Ja, ſeiner Mutter Morder wählte der zu ſein!
180 Dritte Tragödie.
Athene,
War keine Pflicht fonk, deren Zorn er fürchtete?
Bierte.
Bo ift ein Stachel, mächtig bie zum Muttermord ? 405
Athene.
Zwei ſind zu hören; einen Theil vernahm ich erſt.
Fünfte.
Wohl nicht Kamen last er’s mich, noch ſchwört er’s ab.
Athene,
Gerecht genannt fein willſt dus lieber, ale es fein!
Sechſte.
Wie das? belehr' mich; denn an Weisheit biſt du reich.
Athene.
Durch Erde ſieget nimmermehr, was nicht gerecht. 440
Grfte Halbchorführerin.
Ep unterfuch’ es, und entfcheide kurz und gut.
Athene.
Sp übergebt ihr mir das Eudurtheil hiemit?
& Zweite Halbchorflihrerin.
Ra wohl, id) ehre würdig dich mist Würdigen.
Athene.
Was willit du, Fremdling, dem erwiedern deinerfeits ?
Nenn’ deine Heimath, dein. Gefchledt, dein. Mißgeſchick 418
Des Weitren wende folhen Vorwurf ab von dir,
HWofern verizanend deinem Recht, an meinem Bild
Du figft und wacheſt meinem heiligen Heerde nah
Ein heiliger Sühnefusher, wie Irion eink.
Sp gieb mir Antwort und erflär es deutlich mir! 420
Dreftes,
Herrin Athene, aus dem Ichteg, was du ſprachſt,
8. 419. Ueber Jxion f. unten die gleichnamige Trilogie.
Die Eumeniden.
Laß mich zuerft fortwifchen eine große Sorg'.
Richt ſchuldbefleckt mehr fig’ ich hier, nicht haften Blut
An diefer Hand mehr, die an deinem Bilde lehnt;
Ein großes Zengniß deffen will ich fund dir thun:
181
425
Brauch iſt's, daß ſtumm bleibt, wer die Hand in Blut ge
R \ taucht,
Bis daß ein andrer, Biutesfühne Tundiger
Ein faugend Thier ihm opfertödtend binten läßt;
Bntlaftet deifen ward in fremden Häuſern ich,
Auf Land: und Meeereswegen ich feit lange ſchon.
So ſcheuch' ich diefe Sorge fort aus deinem Sinn;
Nun meine Heimath höre noh und mein Geſchlecht:
Aus Argos Hin ich, meinen Vater kennſt du wohl,
Agamemnon, jener Seegefhwader König eink,
Mit dem du Troja's fiolze Feſte niederwarff;
Bei feiner Heimkehr aber kam er traurig um,
Denn meine Mutter, die verderbenfinnende,
Hat ihn erfhlagen unter buntgewirften Netz
Ihn fangend, das ein Zeugniß ift vom Mord im Bad.
Drauf als ich heimkam, denn zuvor war ich verbannt,
Erſchlug ich, die mic geboren, läugnen will ich’s nicht,
Des theuren Vaters Mord mit Mord zu. züchtigen.
Und alles deffen trägt Apollon mit die Schuld,
Der herzzergeißelnd Leiden mir verfündete, _
Wenn ich es nicht vollbrächte an den Schuldigen.
Dir wol entfcheiden, ob gerecht ic oder nicht;
In deine Hand geb’ ich mich ganz; du richte mich!
Athene.
Das Urthel iſt zu ſchwierig, daß es könnt' ein Menſch
Zu fällen meinen; nicht einmal mir ſteht es zu,
Zu fchlichten diefes zornempdrten Mordes Streit,
Zumal da du, zwar fehon gereinigt, dennoch mir
440
450
182 Dritte Tragödie.
als Flehnder naheſt, fromm, gefahrlos meinem Hans,
Somit ih auf dich nehme, da du tadellos.
Doch jenen ward ein fhwerentferndbar Weſen auch,
Und wenn der Richtſpruch ihnen nicht Sieg zuerfennt, 455
Sp bringt der Giftihanm, den ihr Haß zu Boden trieft,
Eirnſt unfrer Landihaft unerträglich graufe Pe; —
So fteht es; beides, wenn ich bleiben laſſe fie,
Hinaus fie weife, leidig iſt's; Wahl weiß ih wicht!
Doch da die Sache fo fih jest gefaltet hat, 40
Sp wähl ih Nichter über Mord, eidpflichtige,
Und fielle diefe Richtung feit für ewge Zeit.
Ihr aber ſchaffet mh Beweis und Zeugniffe
Und Eide, euer Recht zu ftügen, nun herbei;
Ich geh’ zu küren meiner Bürger edelſte, 465
Um dann zu fhlichten diefen Streit gewiſſenhaft
Nach ftreng bewahrtem Eide, ftireng dem echt getren.
(auf ihrem Bagen durch die Luft.)
Wehfelgefaug des Chors.
Strophe 1.
Alles niederflürzen wird neu &efeg,
Wenn des gottlofen Murtermörders Echnid
Bor Bericht fiegen darf! 470
Allzumal lockt die Menſchen dieſer That leichtes Spiel zu
gleicher That;
Offenkundig von Kindeshänden
Drant den Aeltern blutig Leid fürder immer fort und fort.
475
V. 433. Weil fle ihn als Schutzflehenden aufnimmt, iſt fie für ihn
Barthei. : j
Dir Eumenitden. 183
Segenſtrophe 1.
Denn der Blutmänaden Groll nimmermehr
Menfhenfhuldfpähend fchleicht fie nach der Schuld;
Allen Mord geb’ ich frei! i
Hören wird jeder da und dort, indem er des Nachbarn Weh
erzählt, 480
Gleiches Loos, ja Leides Zugift;
Und der geduldet, räth umfonft feine dürftigen Mittel an!
Strophe 2
Kammernd rufe feiner dann, ſchwergetroffen ſchweren Wehs, 485
Fürder keiner ſolchen Ruf:
„O Gericht! o Erinnyen, heil'ge Schaar!“
Alſo wird ein Vater bald,
Eine Mutter, der von dem Sohn
Leid geſchehn iſt, jammernd ſchrein, weil der Heerd des Rech⸗
tes ſinkt! 490
Gegenſtrophe 8.
Wohl zu mancher Zeit zum Heil iſt das Furchterweckende,
Und ein Waͤchter muß fürs Herz
Bleiben flets; Zucht in Ihränen lernen frommt. 495
Aber wer, der nicht das Herz
Hält und nährt in frommer Furcht,
Sei's cin Menſch, ein Volk, ein Staat, ſcheuet fürder noch
das Net?
Strophe 3.
Weder drum unbeherrfht
Noch gewaltgefnechter fein 500
Lobe du! |
Zegliher Mitte gewährte der Gott den Preis; S
Doch Andres leitet er anders.
Und fo fag’ ich gleichen Spruch: 506
Frevler Sinn zenget empörenden Stolz in der That,
184 Dritte Tragoͤbie.
| Doh der Geſuuung
Geſundheit allthenren, allſehnlich erflehten Segen!
Segenſtrophe 3.
Doch zumeiſt rühm' ich dieß: 510
Scheu' den Altar ſtets des Rechts;
Nimmermehr
Tritt ihn, Gewinn zu erſpähen, mit freblem Fuß;
Denn Poina wird dich erfaffen;
Dein, entfcheidend, harrt das End! 515
Jeglicher ehre die Aeltern mit beiliger Shen,
Und die Gemeinſchaft
Am Tifh des Gaftfreundes fei Jeglichem hoch und heilig!
Etrophe 4
Demnach m wer fo fonder Zwang gerecht fich zeigt, 20
Bleibet undeglüdt nicht.
Zu Grunde gehn foll er nun und wimmer!
Doc ſag' ich laut: Uebertreter, Tropes frech,
Was wider Recht zuſammen fie .gemizrt,
Gewaltſam werden fies verſenken 525
Einft, wenn die Segel Bruch und Sturz
Faßt der zerfchellten Maſten! ben
Gegenftrophe 4.
Sein Hülfefchrein, wein er gegen Streudels Wuth
Ningt, erhöret Niemand;
Es lacht der Gott ob des heißen Eifrers, 530
So ihn, der lets Rath zu willen ſich berühmt,
Rathlos zu fehn, aufzutauchen nur, zu ſchwach!
Zulegt ſammt feinem einftgen Reichthum
Strandend am Fels des Rechts, verſinkt er;
Keiner beweint, vermißt ihm! 535
Die Enmeniden. 165
a“ »
(Aus der Stadt Fommt, von einem Herold geführt, ein Zug atheräifcher
Greiſe; Athene tritt aus Ihrem Tempel.)
« Athene.
Verkünde, Herold, daß du Ruhe ſchaffſt im Volk;
Laß himmelauf erſchmetternd die tyrrheniſche
Trompete, deines tiefgeſchöpften Hauches voll,
Mit übertönendem Rufe ſtrahlen durch das Volk. |
Denn da bereits fich füllet dieſes Tribunal, 510
So muß es fill fein und fuwohl die ganze Stadt
Für ew’ge Zeiten hören meine Sazzung jegt,
Wie ihr, damit das Urthel werde recht gefällt.
(Herolderuf; während fich die Richter anf die Stufen des Tempels, die
Erinnyen auf die der Thymele geordnet haben, ift Apollon an Oreſtes
Seite getreten.)
Ehorführeriu.
Du Für Apollon, was dein eigen ift, verfich!
Doch welchen Antheil haft an birfem Streit sur fprih! 545
Apollon.
Sowohl zu zeugen kam ich, denn kraft heilgen Rechts
Iſt dieſer Mann mein Schützling, meines Tempels Heerd⸗
Genoſſe; ich hab' ſeines Mordes ihn entſühnt; —
Dann ſelber mitzurechten, denn ich habe Schuld
Am Morde feiner Mutter. Doch du leit’ es ein, 550
Wie du es weißt, zum Spruch zu bringen dieſen Streit!
Athene.
(die Lanze neigend).
Das Wort iſt euer — alfo leit' ich ein den Streit — |
Der Kläger alfe, dem: zuerft das Wort gebührt,
Mag uns den Hergang fchlecht und recht zu willen thun.
.186 Dritte Tragödie.
Ghorfährerin.
Zwar viele find wir, doch berichten wir gebrängt. 555
Du gieb die Antwort deines Theils uns Wort um Wort!
Erfte Erinunys,
Sag' denn zum erften, ob du die Mutter umgebracht?
Oreſtes.
Ich that es; läugnen hab’ ich das auch nie gewollt!
Zweite. ö
+ Das wäre Ein Kampf von den dreiin der Siegenden!
Dreftes.
Doch fiel ich nicht fhon, daB du alfo BrapIEN darfſt! 560
Dritte.
Angeben mußt du weiter, wie du nah
Dreftes.
SH fag’s: den Naden ſchnitt ich durch mit meinen Schwert.
Bierte.
Bon wen veranlaft warft du und durch weſſen Rath?
Dreftes.
Durch diefes Gottes heil’gen Spruch; er felbft bezeugt
Fünfte.
7 Der Scher hat did) angeführt zum Muttermord? 565
Oreſtes.
Und noch bis jetzt nicht N . über mein Geſchick.
Bald anders wirft du RE Sr das Urthel dich!
Oreſtes.
Ich hoffe; Beiſtand ſchickt mein Vater aus dem Grab.
Eichente.
Hoff anf die Todten, der du die Mutter tödteteh!
Dreftes.
Zwiefachen Frevel Ind fie auf ihr fhuldig Haupt. 570
Die Eumeniden. 187
Achte.
Wie das? helehre deſſen dort die Richtenden.
Oreſtes.
Den Mann erſchlug fie, und erſchlug den Vater mir.
Neunte,
Du aber lebſt noch, während fie frei — durch Mord.
Dreftes.
Warum demm haft im Leben dus fie nicht verfolgt?
Zehnte.
Eie war dem Mann nicht biutsverwandt, dem fie erfhlug. 575
Dreftes.
Ich aber, ſagñ du, bin von meiner Mutter Blut?
Eilfte und Zwölfte.
Trug denn, du Bint’ger, unter ihrem Herzen fie
Dih nicht? Verläugneſt du der Mutter theures Blur?
Dreftes,
Nun wolleft du mir Zeugniß geben, Ichren du
Mich nun, Apollon, ob ich mit Recht fie mordete; 580 -
Denn fhuldig diefer Ihat zu fein, wicht läugnen wirs;
Doch ob gerecht du oder nicht dieß Blut erflärft,
Das wol’ entiheiden, daß ich’s ihnen fagen kann!
® Apollon.
Sp fag’ denn ich euch, Athenaia's hoher Rath,
Gerecht, und täuſch' euch, ich der Seher, nimmermehr; 585
Niemals geweilfagt hab’ ich auf dem Seherthron
Für Mann und Weib, für Stadt und Volk verheißen nichts,
Was Zeus der Vater im Olympos nicht befahl.
Zu lernen trachtet, dieſes Recht wie hoch es gilt,
Und nachzukommen meines Vaters ew’gen Rath; 590
Denn nicht des Eides Heiligkeit gilt mehr denn Zeus!,
Chorführerin.
Zeus hat, ſo ſagſt du, dir geboten ſolchen Spruch,
188 Dritte Tragoͤdie.
Das du Dreftes rierheit, feines Baters Mord
Zu rächen, follte der Mutter Ehrfurcht nichts ihm fein?
Apollon.
Gar anders iſt es, wenn ein hochgeborner Mann, 395
Mit gortbefchiednem Scepter heil'ger Macht belehnt,
Umkommt von einem Weide, nicht etwa im Kampf
Bon einer Amazone ferngefkoffuen Pfeil,
Rein dab du's hören, Pallas, und bie mit Mir ſend,
Mit ihren Etimmen zu enıfcheiden diefen Streit: 600
Als er vom Feldzug Tehrend, froh meift glücklichen
Ausgangs, von ihr mit freundlihen Worten laut begrüßt
Hintritt zum Lager, bietet fie ein Bad Ihm an,
Eie zeltet drüber einen Mantel, fängt ihn ein
Im künſtlich unendlihen Gewirk, und ſchlägt ihn todr! 605
Wie ich erzählt, ſo war des Helden Untergang.
Des allerhabnen Seegeſchwaderkoöniges;
Sie ſtell' ich ſo dar, daß es empören muß den Rath,
Dem übertragen dieſes Streits Entſcheidung iſt!
Chorführerin.
Vorzieht das Loos des Vaters Zeus nad deinem Wort, 610
Und band doch ſeinen greiſen Vater Kronos ſelbſt!
Sagſt dieß du nicht mit jenem klar im Widerſpruch?
Ihr aber hört es und bedenkt's, beſchwör' ich euch!
Apollon.
Ahr ganz verhaßten, gottverfluchten Ungehen’r!
Erzbande kann man löfen, da iſt Hülfe nod), 615
Da zur Befreiung viele Mittel vieler Art;
Do wenn des Mannes Blut der Staub getrunken hat, —
Einmal geftorben, und es fommt fein Auferſtehn;
Dafür erfand mein Bater keinen Spruch noch Kunſt,
Der fonft doch alles allzumal hinab, hinauf, 620
Umfchmwinget, ohne daß er ſchneller athmete!
Die Sumeniden. | 189
Chorführerin.
Verſuche, wie du jenen zu befrein erreichſt!
Der feiner Mutter blutverwandtes Blut vergoß,
Dep’ folle in Urgos fürder fein der Väter Haus?
Zu weichen Bollsaltären wird er opfernd nahn, 635
Bei welchem Weihguß feinem Stamm willkommen fein?
‘ Apollo.
Drauf fag’ ich alſo, merke, wie gerecht das Wort:
56. ift die Mutter deſſen, den ihr Kind fie nennt,
Nicht Zeugerin, nur Pfleg’rin eingefäten Keims;
Es zeugt der Vater, aber fie bewahrt das Pfand 630
Dem Freund. die Freundin, wenn ein Gott es nicht verlegt.
Mit fihrem Zeugniß will ich das beftätigen:
Denn Vater kann man ohne Mutter fein; Beweis
Iſt dort die eigne Tochter des Olympier Zeng,
Die nimmer eines Mutterihvoßes Dunkel, barg, 635
und edler Kind gebar doch feine Göttin je.
Ich aber, Pallas, werde, wie ich's kann und weiß,
Straf mahen Bein Volk, deine Stadt zu aller Zeit;
So fandr ich diefen her in deines Tempels Schutz,
Auf daß er treu bir follte fein für immerdar, 640
Du ihn fo, Göttin, dir gewännft zum Bundesfrennd,
Wie alle nad ihm, und es bleibe. ewiglich,
Daß treu dem Bund fein ale Nadgeborenen!
Athene.
Sp gebt, gebiet' ich, eurer Meinung nad den Stein,
Gerechten Urtheils! deun des Wortes ijt genug! 645
©horfährerin.
Wir felber haben abgefchoilen jeden Pfeil;
Zu hören harr' id, wie der Kampf gerichtet wird!
Athene. '
Wie nun? wie füg’ ich's, daß ich euch fei tadellos?
190 Dritte Tragdbie.
E&hyorführerin.
Ihr hörtet, was ihre mußtet; jept in tiefer Bruſt
Gedenk des Eides, Freunde, gebt eu'r Urthel ab. 650
Athene.
Hört mein Geſetz nun, Männer, Bolt von Attika,
- Der erften Klage Richter um vergoffen Blut!
Es foll des Aizeus Bürgern dieſes Tribunal
Für alle Zukunft fürder bleiben und beftehn;
Denn diefer AressHügel, der Amazonen Drt 655
Und Lager, als fie gegen Theſeus neidempoört
Zu Felde zogen, unfrer neugebauten Stadt,
Der hochgethürmten, gegenthürmten ihre Burg,
Und fie dem Ares weihten, deſſen Namen nun
Der Berg Areiospages trägt — es wird geknüpft 68
An ihm des Volks Ehrfurcht und ihre Schweſter Furcht
Dem Frevel wehren beides Nächtens und am Tag,
Wenn nicht die Bürger felber nenern-mein Geſetz
Mir fhlehtem Zug. Doch fo du den Tlaren Quell
Mit Schlamm verunreinft, labt er nicht dich Durſt'gen mehr. 665
Nicht unregiert und nicht gewaltbeherrfcht zu feim,
Das fei dem Bolt, fürforgend tar’ ich's, hoch und werth
Und nicht entfernt euch alles Furchterweckende;
Denn welcher Menich bleibt, wenn er nichts mehr feheut, ge
recht? \
Wenn folder Ehrfurcht frommen Sinn ihr redlich hegt, 670
Ein rechtes Bollwerk für das Land, ein Heil des Staats,
Ep wies der Menihen feiner hat, der Scythe nicht,
V. 672. Die Sfothen fcheinen feit der Erinnerung an Anadarfis
für befonders gut regiert uud glücklich gegolten zu haben; und im Pe:
Ioponnes bereichen die vielbewunderten Dorifhen Verfaſſungen, na:
mentlich die Spartanifche. :
Die Eumeniden. 19
Roh auch des Pelops nahe Landfchaft, habt dann ihr
In diefem Rathe, unbeſtechlich, ehrenhaft,
Dem Frevel zornig, wie ich ihn beftellet hab’ — 675
Zur immerwahen Hut im Land, wenn alles fchläft.
Nach diefer Weifung, die für alle Zeit hinaus
Gegeben meinen Bolte fei, erhebet euch,
Nehmt euer Steinhen und entfcheider dieſen Streit,
Des Schwurs in Ehrfurdt denkend. Alles wißt ihr nun! 680
(Die zwolf Areopagiten erheben fi) und treten zwiſchen den folgenden
Wechſelreden je einer an ben Altar, um ihre Stimmftelne in die
UUrne zu werfen.)
Ehorfährerin.
Sci’s euch gerarhen, Teinen Schimpf in Teiner Art
Uns graufen Gäſten eures Landes anzathun!
Apollon.
Und ich gebiet' euch, ehrt und fürchtet wohl des Zeus
Und mein Orakel, macht es nicht der Früchte baar!
Ehorführerin.
ws Amt des Bintes drangft du undernfen dich! 685
Richt lauter mehr weiffagen kannſt du, wenn du weilſt!
Apollon.
Mein Bater hat wohl auch gefehlt in feinem Rath,
Als er Zrion erfien Mordes reinigte?
Shorfährerin.
Du fagft es! Und wird unfer Recht uns nicht zu Theil,
Helmfuchen furchtbar werden dann mir biefeo Land! 690
Apollon.
Doch unter allen jung’ und alten Gbttern gif
Du ewig ehrlos; mein gehören wird der Sieg!
198 Dritte Tragödie.
Chorfährerin.
Deſſelben gleichen thateft du in Pheres Haus,
Dar zwangfi der Moira Leben für ſchon Todte ab.
Apollon.
So wär es nicht recht, wohlzuthun Dem, der mich ehrt, GP5
Bor allem aber, wenn des Beiltands er bedarf?
Ehorfüh rerin.
Die Urdämonen freilich haſt mit Wein bethört,
Betrogen du die alten Schickſalsgöttinnen.
Apollou.
Du, bald des Siegs verluſtig in des Streites Spruch
‚Speift eifer deinen Feinden nicht entfeplich mehr! 700
Chorführerin.
Da Züngling du uns Greife Doch zu Boden rennt,
Sp wart ich ab zu hören, wie bas Urthel fällt,
Noch nnentfihieden, ob ich zürnen foll der Stabt!
; Athene.
Mir liegt zulegt Das Urthel abzuſchließen ob.
Zufügen werd’ ich für Oreſtes dieſen Spruch: 705
— Denn feine Mutter war es, welche mich gebar;
Die Männer hab’ ich, abgefehn, von Che, ganz
Bon Herzen lieb; recht bin ich „meines Waters Kind;
Darum des Weines Loos begünft'ges werd’ ich nie,
Die umgebracht hat ihren Mann, des Hauſes Sort: — 710
Es fiegt Dreftes auch bei ſtimmengleichem Spruch! —
So ſchüttet denn die Steinchen aus den Urnen hin,
Wie viel von euch, ihr Nichter, dieſes Amt verſehn!
Drehen.
Phoibos Apollon, wie entfchieden: wird es fein!
V. 693. Apoilon hatte freundliche Aufnahme in Pheres Haus '
gefunden, dafür machte er es möglich, daß Admetos durch feine Ge:
mahlin Alkeſtis vom Zode gerettet wurde.
Die Eumeniden. 193
Erſte Balbihorführerin.
O ſchwarze Nacht, o Mutter, fiehft du, was geſchieht? 715
- Oreſtes.
Nun Tod von Henkershänden, oder Freud' und Licht!
Zweite Halbchorführerin.
Nur ew'ge Ohnmacht oder Ehre fürderhin!
Apollon.
Sorgfältig, Freunde, zühlet beider Steine Zahl,
Umd alles Unrecht ſcheuet bei der Sonderung;
Wenn eine Stimme fehlet, bringt e8 großen Sram, 720
Und wieder ein Stein hebt ein tiefgeftürztes Haus!
Athene.
Du biſt, Oreſtes, frei erkannt im Blutgericht,
Denn gleich in beiden Urnen iſt der Steine Zahl!
Oreſtes.
O Pallas, o du meines Hauſes Retterin!
In meine Heimath haſt mich Heimathloſen du 725
Zurückgeführet! Heißen wird's in Hellas nun:
Der Mann von Argos iſt Argiver wieder, wohnt
In ſeines Vaters Habe wieder, Pallas gab's
Und Phoibos und der dritte allvollendende
Erretter, der vielehrend meines Vaters Loos 730
Wohl ſieht der Mutter Vertreter dort, doch mich bewahrt!
Ich aber, deinem Lande, deinem theuren Volk,
Für aller Zukunft unerkennbar ferne Zeit
Schwör' ich zur Heimath ziehend diefen heil’gen Schwur:
Nie foll ein Heerfürft jenes Landes dieſem Land 7135
Als Feind gewappnet mit gefchärfter Lanze nahn;
Kein ich in meinem Grabe dann, ich felber will
Die Webertreter diefes meines heil’gen Schwurs
Mit unentfliehbar fchwerem Elend züchtigen,
Berzagt ihr Ausziehn, zeichentraurig ihren Weg 740
1. 13
—
194 Dritte Tragödie.
Erſcheinen laſſen, dis fie felbh die Mühe reut.
Dod wenn den Schwur fie halten und die theure Stadt
Der Pallas ehren ftets mit bundestreuem Speer, x
⸗So werd’ ich ihnen doppelt hold und gnädig fein.
Hell dir, Athene! Heil dir, Volk in diefer Stadt. 745
Unüberwindlich fei im Kampfe jedem Yeind
Und allerrettend euer Speer und fiegesftark!
(ab nad ber Fremde hinans; große Bewegung auf ber Bühne, während
welcher Upolion fid unbemerkt entfernt.)
Die Eumeniden. | 195
Ehor.
(inter heftigen und wild dräueuden Tanzbewegungen fingen die Eriunpen,
vielleicht panrweile die einzelnen Säge des folgenden Liedes )
@rfte.
Jo, ihr Götter jungen Stamms, der Urwelt Gefeg
Ihr rennt es nieder, reißt es fort aus meiner Hand!
3Zweite.
Ich bin entehrt, ich unglückſelige, bitterempdrt 750
Im Schmahland hier, weh!
Dritte.
D wehe, weh!
Raͤchend trief ih zum Boden nieder Herzend Gifttropfenſaat.
Bierte.
Draus Flechtenmooſe, nackte, taube,
Ueber die Auen hin ſchleichend, o Rache, weh, 755
Peſtlachen, todesgiftige durch das Land verſtreun!
Jünfte
Ja Wehſchrei! was ſonſt thun?
Schfte.
Man lacht mein! dem Boll rings
Ein wehdräuend Web!
&iebente,
xp, jammerberückte Nachtlinder wir,
Aechzend und fchimpfestraurig! 760
196 Dritte Tragöbie.
Athene.
Folgt meinem Wort; ſchmerzſeufzend tragt — was geſchehn;
Denn nicht verurtheilt ſeid ihr, ſondern ſtimmengleich
Eutſchied der Richtſpruch, wahrlich nicht für euch zur Schmach!
Jedoch von Zeus felbit trat ein Zeugniß leuchtend auf,
Und der’s geboten, eben der war Zeuge ja, 765
Es fei Dreftes für die That der Strafe frei.
Ihr aber wolt nicht ſchweren Haß auf diefes Land
Ausſchutten, wit fo zürnen, nicht Fruchtloſigkeit
Berhängen, Giftſchamm niederfpeiend, ſchenßlichen,
Der grünen Saat zerfreffenden fhonungslofen Brand. 770
Denn ich gelob’ euch und veripreche feierlich,
Das ihr an rechter Stelle Eig und Heiligthum,
An reichem throneshellen Heerd zu weilen bier
Euch follt gewinnen, meinen Bürgern fromm verehrt.
&hor.
(wie oben.)
Erfte.
Lo, ihr Götter jungen Stammes, der Urwelt Gefek 175
Ahr rennt es nieder, reißt es fort aus meiner Hand!
weite.
Ich bin entehrt, ich unglückſelige, bitteremport
Im Schmachland hier, weh!
Dritte.
O mwehe, weh!
Rächend trief ich zum Boden uieher Herzens Gittropfenſaat 780
Vierte.
Draus Flechtenmooſe, nackte, taube,
Ueber die Auen hin ſchleichend, o Rache, weh,
Peſtlachen, todesgiftige durch das Land veritrem!
Die Eumeniden.
Fünfte
Fa Wehfchreit was fonft thun?
Sech ſte.
Man lacht mein! dem Volk rings
Ein wehdräuend Weh!
&iebente,
Fo, jammerberückte Nachtlinder wir,
Aechzend und fchimpfestranrig !
Athene.
Nicht ſeid entehrt ihr, drum ſo macht nicht zu erzürnt,
Göoͤttinnen ihr, den Menſchen unwirthbar ihr Land!
397
185
Auch ich verlaß’ auf Zeus mich und — was ſag' ich's noch — 7%
Den Schlüffel weiß nur ich von den Göttern des Gemachs,
In dem der Bligitrahl fiegeleingefchloffen ruht;
Doch deffen braucht's nicht, aber folge willig mir;
Schütt auf das Land nicht deines Mundes taube Saat
Hinab, die nichts als alles Unwillfonmme trägt;
Bring’ deines Ingrimms ſchwarzen Wogenfiurz in Ruh,
Die ehrenhehr du, ftadtwereint mie werden follf.
Und weun dir einſt Erfilinge diefer weiten An,
Dir Dpfer für der Kinder, für der Ehen Heil
Geweihet werden, loben wirft mein Wort du dann!
Chor, ;
(mie oben.)
Erfte.
Ich das erdulden, o! ich die ergreifete, o!
: Zweite.
Unter der Erden haufen, ich, o entehrtes Gräul!
Dritte.
Bor Wuth glüht die Rruſt, vor endlofem Grimm!
Vierte.
Hohn! Schmach! o!
195
198 Dritte Tragoͤdie.
Yüntfte.
Was für ein Schmerz nagt bier in die Bruft, ach, fih ein?
Schfte.
Hör’ mein Schreien, o Nadıt, Mutter!
Siebente.
Denn mic der Ehren hat, der urheiligen, _
Siegender Göttertrug unrettbar beraubt!
Athene.
Den Zorn verzeih’ ich, denn du bilt die ältere,
Und um fo viel viel weifer bift du wohl denn id;
Doch nicht vergeffen hat auch mich Zeus mit Berftand.
Wenn ihr hinaussieht fern in ferner Menfhen Land,
Herfehnen werdet bald ihr euch, ich ſag's vorher.
In Ehren hehrer wird die Welle nächter Zeit
Mein Volk empormwärts tragen; Preis und Feier dann
Dem Hanf Erechtheus nahe wohnend wirft auch du
Bon Männern fromm und Weiberfeierzug empfahn,
Wie dir zu Theil nie wird bei andern Sterblichen.
Darum fo ſchleudre nicht in unfer Land umber
Den blutgewetzten Hader, Haßverwilderung
Ans Herz der Tugend, Trunfenheit weinlofer Wuth;
Noch Trug eutzündend wie in Hahnes Herzen laß
In meinen Bürgern Stätte du, dem Ares fein
Des Bürgerfrieges und des mechfelfeit'gen Grimms.
Nein außer Landes fei der ganz fhon nahe Krieg,
Drin edler Wettkampf wird des Heldenruhmes ‚fein;
Doch Kampf von Eines Hof's Geflügel mein? ich nich.
Das nun zu wählen laß von mir dich Ichren, daß
Wohithuend, wohlempfangend, wohlgeehrt, du Theil
An meinem Lande nehmſt, dem gottgeliebteſten!
810
820
830
Die Enmeniden. 198
Eher.
(wie oben.)
Erſte.
Ich das erdulden, o! ich die ergreiſete, o!
Zweite. —
A Unter der Erde haufen, id, o entehrtes Graͤul!
Dritte.
Bor Wurh glüht die Bruft, vor endlofem Grimm! 835
Bierte.
Hohn! Schmach! o!
dünfte.
Was für ein Schmerz nagt hier in die Bruſt, ad), ſich ein!
Sechſte.
Hör mein Schreien, o Nacht, Mutter!
&iebente.
Denn mich der Ehren hat, der urheiligen,
Siegender Göttertrug unrettbar beraubt! 840
Atbene.
Nicht müde werd’ ich, was da frommt zu rathen Dir,
Damit du nie meinft, du, die alte Göttin, ſeiſt
Bon mir, der jüngren, und dem Volke meiner Stadt
Ehrlos und gaftlos fortgejagt aus diefem Land;
Nein wenn der Peitho Heiligkeit dir heilig iſt, 845
Dir meiner Rede Sänftigung und füße Kunſt,
Dann wirft du willig bleiben. Uber willſt du nicht,
Sp ift es unrecht, daß du diefe Stadt bedrauft
Mit deiner Wuth, mit deinem Zorn nnd großer North,
Da dir doch freifieht, bier im vielglücfel’gen Land 350
Zu weilen hochehrwürdig ftets und hochgeehrt! —
Ehorführerin.
Herrin Athene, was für Wohnung bieteft du?
.
200 Dritte Zragöbie.
Bene.
Bon allem Kummer ungelört; du nimm fie an!
Chorfährerin.
Wenn ich fie nähme, was fir Ehren blieben mir?
Athene.
Daß fürder fein Haus ohne dich je foll gedeihn!
©horfährrein.
Billit du's erwirfen, daß ich alfo viel vermag?
Athene.
Ja, wer dir fromm dient, dep’ Geſchick will ich erhöhn!
Chorführerin.
Und willſt du Bürgſchaft geben mir für alle Zeit?
Athene,
Wer. heißt mich fagen, was ich nicht erfüllen will?
Eherführerin.
Mich fänftigen wirft du, meines Zorns vergeß' ich fhen! 860
Athene.
Einheimifch hier gewinnft du wahrlich Freunde dir!
Chorfährerin.
Und nun, wie fagft du, daß ich ſegne diefes Land?
Athene.
Was Segen immer, willig fo willkommnem Sieg,
Entfeimet aus der Erden, aus dem Thau der See,
Dem hohen Hinmel und dem fonnigkühlen Wehn
Der Winde, das zufallen möge meinen Land;
Und aller Heerden, aller Fluren frob Gedeihn,
Dem Volk zu Iohnen Heib’ge Muh’, ermüde nicht;'
Des Mutterfhoofes Segen auch fei unverlegt.
Die Frevler aber auszugäten ſäume nicht;
Denn nach des treuen Gärtners Art erfreuet mich
Der Gerechten unverfümmert Blühn. Dep forge du;
Ich aber will mit ſchlachtenkühnen, glänzenden
365
970
\
Die Eumeniden. 2
Heerfahrten ruhn und raſten nicht, vor aller Welt
Mit Ruhuͤ zu ſchmücken dieſe meine Siegesitadt ! 875
Chor.
(Strophe 1.)
Haus. und Dienk neben Pallas nehm’ ich gern;
s Nicht verſchmähn will ich die Stadt,
Die fo Zeus der hehre Allbewält'ger, Ares ehrt als Götterburg,
Als der Griechen altarfhirmend Götterlieblingehans ; 880
Ihr den Segen ſag' ich gern,
Ihr verkünd' ic gnadenmild;
In ſtetem Blühn des Lebens Koſt, ein reich Gedeihn,
Aus Erdnacht aufwaͤrts ſoll 885
Schmeicheln heitrer Sonnenſchein!
Athene.
Wohl hab' ich gethan verſorgend dem Volk,
Daß in unſerer Stadt anſiedelnd ich auf
Die gewaltigen, ſchwer zu verſöhnenden nahm; —
Denn es heiſchet ihr Amt, all' menſchliches Thun 890
Zum Gericht zu erſpähn;
Doch wer Trübſal nicht kennt, weiß nicht
Woher ihm die Schlaͤge des Lebens;
Denn in ihre Gewalt hin treibet ihn Schuld,
Von den Ahnen vererbt; und ein lautlos End', 895
Ob er laut auch prahlt,
Es vergräbt ihn in granſer Vernichtung!
‚Chor.
Gegenſtrophe 1.)
Jochen foll waldverwüſtend Wetter nie!
Das ift mein Geſchenk dem Land,
2302 Dritte Tragödie.
Brand nie, pflanzenaugefengend ſuche diefes Landes Auch
| heim. 900
Nie erftide Mißwachs jammervoll der Saaten Blühn;
Schaafe, froh in Sattigfeit,
Zwillingslämmer um fie ber, 905
Ernähr' dies Feld zu feiner Zeitz des Berges Schaf
Ström' erzreiih Duell anf Duell,
Götter Segen, guter Fund!
Athene.
Ihr habt es gehoͤrt, Obhüter der Stadt,
Was ench ſie verheißt! 910
Denn der hehren Erinnys Wort, es vermag
Bei den Himmliſchen viel, und den Göttern der Nacht;
Und der Menſchen Geſchick, fie führen es Mar,
“ Kraftvoll es hinaus,
Dem frohen Gefang zumeifend, und dem
Ein in Thränen verfümmerndes Dafein! 915
©hor,
(Strophe 3.)
Mannestraft, blühnde Pracht, mähe nimmer jäher Tod,
Und den Menfchen lieb und hold
Rüſtet die brautlihen Freuden, die dep’ ihr Gewalt habt, ihr
Schweſtern,
Urnachtkinder wie wir, Moiren, 939
Drdnende Mächte der Welt, i
Jeglichen Bundes Genoffen,
Fegliher Stunde des Segens
Frommer Einigungen voll,
Allzeit aller Götter theuerſte! 925
j Athene.
Daß diefes dem Land huldreich ihr erfüllt,
Mich erftent's gar fehr,
\
Die Eumeniden. 303
Und ich lobe mit Recht mir Peitho's Blick,
Die fo hold mir das Wort und die Lippe gelenkt,
Daß ich fie, die fich wild mir verfagten, erweiht; 930
Doc gefiegt hat Zeus, der Beredenden DE;
Stets fieget bei ung
Wetteifernd Bemühn für das Gute.
Ehor.
(Begenftrophe 2.)
Mag des Aufruhres Wurh, keidesnimmerfatte Wuth
Toſen nie in diefem Land,
Nimmer der Staub mit dem Blute der Bürger geträntt, rache⸗
dürſtend 935
Wechſelmordende Blutfühne
Heifhen, Vernichtung der Stadt;
Taufhe man Frenden um Freuden,
Eins in der Liebe zum Ganzen, 910
Auch im Haflen eines Sinus.
Das heilt vielen Sram der Sterbliden!
Athene,
Ep findet ihr euch wohlmollend den Pfad
Des erfrenlihen Wort's!
Bon der furchtbaren Schaar der Erinnyen ſeh' 95
Ich erblüben dem Volk vieltheuren Gewinn!
Wenn die frenndlichen ihr mit freundlihem Einn
Stets fromm hochehrt,
So werdet ihr Stadt und Gebiet allzeit
Euch ſchmücken im Ruhm des Gerechten!
Ehor.
(Strophe 2)
Lebet denn wohl in des Reichthums Segen! 950
Lebe wohl, du Bolk der Stadt,
⸗
204 Dritte Tragibdie.
Nah umwohnend Zeus Altar, -
xieb der lieben Parthenos,
Rathbedacht zur rechten Zeit;
Wen Athene's Flügel dedt, den erhöht ihr Vater gern! 955
Athene.
Lebt wohl au ihr! "Doc ich gehe voran,
Zum geweihten Gentady euch zeigend den Weg.
Mit dem heiligen Schein des geleitenden Zuge
Zieht hin; und hinab ſteigt unter die Erd’ 060
Mit dem riefelnden Blut des Geopferten, dort
AU Weh für das Land zu verhalten, enıpor
Was fronmt, ihr zu fenden aum Giege.
So geleitet denn felbit fie, o Kinder der Stadt,
hr Kranaos Stanım, daß fie wohnen bei euch; 065
Stets wahre dem Bolt
Für das Rechte fih rechtes Erkenntniß!
©her.
(Begenftropbe 3.)
Leber denn wohl ihr, fo ruf ich wieder,
In der Stadt ihr allsumal,
Götter, Menſchen, freuer euch, 970
Die ihr Pallas Stadt bewohnt!
Wenn ihr mich, die mit euch wohnt,
Fromm verehrt, ſo ſollt ihr nie ſchelten eures Lebens Loos!
(inter dieſen Geſaͤngen haben ſich aus dem Tempel und ans der
Stadt Prieſterinnen, Mädchen, Mütter, Knaben, Männer,
alle in feftlihen Kleidern mit Badeln im Hintergrunde der
Bühne verfammelt.)
Athene. i
Ich lobe deines Segenswunfces fhönen Spruch. 975
Mit ſtrahlendheller Fackeln Licht geleit' ich dich
Die Bumeniden. 2053
Hinab zum Hades, zu der Todten dunklem Reid)
Mit Tenpeldienerinnen, die in heil’ger Hut
Mein Bild bewachen. Komme denn, du liebſtes Ang’
Des Thefeidenlandes, edefdürt'ge Schaar 80
Bon Mädchen, Frauen, greifer: Mütter wird’ger Zug,
Mit eurer Purpurfeſtgewande Pracht geſchmückt;
(bier fehlen einige Verſe.)
In frommer Ehrfurcht traget vor der Fadeln Glanz,
Daß diefe Mitherrinnen eures DBaterlands
Im Heil des Volks fich gnädig zeigen immerdar! 985
(Unter dem folgenden Gefange geht der ganze feierliche Zug von
Areopagiten, Tempeldienerinnen der Pallas u. ſ. w., in feiner
Mitte die Eumeniden, von Palas Athene geführt auf der
Straße ber Heimath hinaus.)
Ehor der Scleitenden.
Wandert zur Ruh’ ihr Gewaltigen, Hehren,
Greife Kinder der Nacht, im Geleite des Jubels!
Alle.
Andachtfeierlich ſchaut, Bürger!
Chor ber Geleitenden.
Unter der Erd' in der Tiefe der Tiefen
Iſt euch Feier mit Ehren und Opfern bereitet. 990
Alle.
Andachtfeierlich ſchaut rings ihr!
Ehor der Geleitenden.
Huldvoll, unſrer Heimath vielgewogen,
Kommi, o ihr Hehren, wandelt im Lichtglanz
Gern der umſtrahlenden Fackeln dahin.
Alle,
Aufjauchzet in jubelndem Feſtruf! 005
v
Dritte Tragoͤdie.
Ehzor ber Geleitenden.
Stets wahrt Bundesſpend' im Fackelſcheine,
Bürger Athens! Moira ja einte
Alſo es und der allwiſſende Zeus.
Alle.
Aufjauchzet in jubelndem Feſtruf!
Satyrfpiel.
Protens.
In
Nach alten Ueberlieferungen folgte der vorliegenden Trilogie
das Satyrfpiel Proteus. Sowohl aus dem Weſen der Aiſchylei⸗
fhen Kunft überhaupt, als auch nach der erweislichen Compo⸗
fition anderer Tetralogien laßt ſich mit Zuverläffigkeit folgern,
daß das Satyrdrama im unmittelbaren Zuſammenhange mit
der Kabel der Trilogie geſtanden habe.
Es befindet ſich in der erſten Tragödie eine Gpifode, in
der der Herold über Menelaos Schickſale dem Chor mittheilk,
was er weiß, mit diefer Mittheilung felbft aber mehr die Er⸗
wartung ſpannt als beruhigt; es wäre ganz wider die Aiſchyh⸗
leifhe Weife, auf etwas außerhalb des dramatifhen Zufammen-
hanges Liegendes hinzumeilen, und einen Faden auzuknüpfen,
um ithn fogleih fallen zu laſſen; vielmehr macht Ach im ber
Anlage feiner Dramen gerade die größte Bezüglichkeit uud Be⸗
deutfamfeit jedes Zuges geltend, und man würde fehr irren,
wenn man in jener Epifode ein poetifches Spiel oder eine rhe⸗
torifhe Zufälligkeit fuchen wollte. Eben weil fie ein JIntereſſe
I. 14
210 Satyrfpiel.
antnüpft, das fich nicht in dem von der Tetralogie Erhaltenen
erfüllt, ift mit Sicherheit zu fchließen, daß es in dem Satyr:
drama feine Erledigung gefunden hat.
Nun ift die alte Sage, daß Agamemnon's Bruder an die
Küfte Aegyptens verfchlagen worden, daß er dort auf der Inſel
Pharos gelandet fei und Mangel an Allem gelitten habe, daß
dann Eidothea, des Meeergottes Protens Tochter, emporgeftiegen
fei, ihm Troſt zugefprohen und gerathen habe, ihren Bater,
wern er an's Land fliege, zu feſſeln und zum Wahrfagen zu
zwingen; dann fei Menelaos mit drei Gefährten zur rechten
Stunde gekommen, habe fi unter Seehundefellen verborgen,
und als Proteus erfchienen und feine Seehunde zu zählen be-
gonnen, ihn überfallen, gebunden und trog der fchredlichiten
Verwandlungen feftgehalten, bis er das Nötbige in Erfahrung
gebracht. — Hinzufügen darf man eine zweite Sage jüngeren
Urfprungs, die Enripides in feiner oberflählichen Weiſe und
ohne die Spuren einer fehr heterogenen Geftaltung verwifchen
zu Zönnen, in einer Tragödie, die ung erhalten ift, behandelt
bat, und die, wie es fcheint, and) von Sophokles bearbeitet wor:
den. Helena, beißt es, folgte dem Alerandros gar nicht gen
Ilion; während ein Zdol ihn und beim Kalle Troja’s die Achäi-
fen Helden täufchte, hatte Hermes fie felbft auf Hera's Ge:
heiß zum Könige Aegyptens gebracht, daß fie dort einft Mene⸗
laos wiederfände und fie mit ihm, reichbeſchenkt und wunder
vollen Zaubers kundig, heimkehrte zum ſchwanreichen Eurotas.
Bor allem fragt man, wie kounten mit dieſem Spiele Sa:
tyrn in Berbindung treten? Die alten Dichter find unerfchöpflich
in dyonififhen Erfindungen; alles Fantafifche und Seltfame
verträgt fi mit der Iäppifchen Satyrmasfe. Die Einen erzäb:
Ien, Dionnfos ſei einft in feinen jungen Jahren feinen Ammen,
den Waldnymphen, weggelaufen; unter andern habe der dide
Protens. 211
Silen, damals auch noch jünger und behender, ihn wie ein
trener Phlades begleitet; ſie ſeien zum Könige des Aegypter⸗
landes gekommen und dort gaſtlich aufgenommen, bald aber
weiter gezogen; damals konnte mancher arme Satyr auf Pha⸗
ros, dem Robbeneiland, zurückgeblieben ſein. Andere erzählen,
daß einſt die Satyrn, Vater Silen an der Spitze, ausgezogen
ſeien, ihren Gott auf ſeiner Pilgerfahrt aufzuſuchen; auf dem
Meere habe ein Sturm ihre Schiffe verſchlagen, die einen
hiehin, die andern dorthin. Ich glaube, damals ſind von den
lieben Silenskindern einige gen Pharos gekommen, der meer⸗
umrauſchten Inſel, wo es keine Feigen und keinen Wein gab,
und des Hungers mehr war denn der Freude.
Wie dem auch ſei, als Menelaos nach ſiebenjähriger Irr⸗
fahrt, feiner ſchnellrudernden Schiffe beraubt bis auf eines, ohne
Speife und Trank und des Weges nicht Fundig, zur einfamen
Inſel Pharos kam, und keinen Menfhen fand, und die Sei:
nen von Fifchen fih nähren und an Kummer fich weiden ſah,
da ging er tranernd längs dem Stramde, und klagte über fein
Schickſal und das der fehönen Helena, die er nach langen Müs
ben wiebergemonnen, die num, mit ihm verfchlagen, Roth und
Entbehrung Teiden und, ob er ihr auch das Beſte, was man
noch hat, vorfeget, doch kümmerlich und unwürdig ihr Leben
friften muß,
Gefpeift mit einem gar armfelgen Täubelein,
Die Ribben durchgeſchoſſen bei dem Futterkorb.
Und während er fo geht und klagt und hinausſieht über das
weite Meer, rauſcht es in den Büfchen am Strande; es Tudt
bie und da ein Antlik vor und fährt zurüd, wenn es des ge
waffneten Helden anfihtig wird; doc es treibt die Meugier,
und die Furcht feſſelt nicht; fo kommen fie zum. Borfchein,
313 Satyipiel.
bocksfuͤßige Satgrn nad der alte Sifen unter ihnen, fie ver⸗
frändigen fi bald mit dem Helden, er erfährt von ihnen, daß
bier Pharos fei, des Protens Eiland, und fie-in feinen Dien⸗
fien, bie Küſte zu hüten, daß Tein Fremdling nahe; fie aber
feien müde des fhweren Dienfles, wo fie nie mehr des Taf:
lichen Weines froh würden, und wicht mehr ſchwärmten mit
Dionyfos und den Nymphen. Während fie fprechen und ihr
Elend Hagen, und Menelaos über die ungaftliche Küfte und
fein Mißgeſchick feufzet, ſteht Eidothea an feiner Seite, bes
Proteus Holdfelig Kind; fie grüßt freundlih den blondgeled:
ten. Helden, fie tröftet ihn mit lichen Worten: fie wolle den
Fremdling nicht verrathen, fie werde forgen für ihn, er müſſe
des Baters Weiffagung hören, daß er den Weg finde zur Hei:
math; ihr Bater komme zu diefer Stunde, feine Seehunds⸗
heerde zu zählen, fie werde Robbeufelle bringen für ihn und
drei Gefährten, dann fohten fie mit den andern Robben ſich
anf den Strand lagern und, wenn Proteus käme, ihn greifen
und binden und ſich nicht entſetzen vor ſeinen Verwandlungen.
Und fo geſchieht es; der göttliche Held Menelaos verbirgt ſich
mit dreien Gefährten unter übelriechenden Seehundsfellen, das
zauberkundige Meermädchen giebt ihnen Ambrofia, Daß fie des
üblen Geruches nicht achten, umd giebt ihnen Krüge mit Nel:
tar, daß fie ſich laben, wenn alles gethan ifl.
Und fchon kommen die Seethiere in Haufen beran, und
-Jagern fih mit den Achdern anf den Strand; die Satyrn lau⸗
fhen und horchen, und Eidothea, verfchämt ihres Vaters tollen
Spuck zu fehen und den ſchönen Fremdling, taucht wieder
hinab in die feuchte Fluth. Denn fchon naht Proteus, der
Meeresalte, der Robbenhirte Pofeidons, er wandelt durch Die
Reiben feiner Heerde und zählt forgfam feinen Reichthum;
und wie er wandelt und zählt, werfen plöglich, Die Achäer ihre
Vroteus: 213
Hülle hinweg, ſpringen hin, greifen den Greis, und — eine
Schlange windet ſich ziſchend durch ihre Hände, — und wie
der ein Löwe gähnt ihnen brüllend entgegen — und wieder
iſts ein Baum, der in wilden Wachsthum blätterraufſchend
amporſchteßt, iſrs ein ſprudelndes Waſſer, das um fie hin fluthet,
rs ein wehendes Feuer, das flackernd und Tnifternd an ihnen
empor Ledit; die Satyen haben in ihrer Angft fi in den Bü⸗
fen verborgen, und die Robben find hinabgeplumpt in den
ftillen Pontus; aber die hochherzigen Kaämpen halten ungefchredit
und unverwirrt den Zaubrer mir flarten Urmen, bis er er
ſchöpft feine Geftalt wieder annimmt und fi befiegt erflärs.
Run beginnt er die Weiffagung: Agamemnon fei erſchlagen
und feinen Mördern habe Dreftes vergokten, heimkehren müffe
Menelass auf dem Wege, den er ihm nennt, fein und Ge
Ima’s Tochter Hermione folle er vermählen an Drefles, der
eines. herrlihen Geſchlechts Stammvater zu werden beſtimmt
fe; Menelaos aber werde endlich lebend eingehn in Die Ele
feifchen Felder. Und weiter fagt er: es fei das Trugbild He⸗
lena's, das er in Troja geſucht und gefunden, Helena ſelbſt
meile im Aeghptiſchen Lande, und denke trauernd an den Ge
stahl ihrer Tugend. Erfüllt aber fei fein eigen Schickſal, er
werde nie mehr am fonnigen Strande wandeln, er: werde ‚ner
finten in die Tiefe Des Meeres und an den Quellen ber grü⸗
nen Meereswelle einſam mit ſeinem Kinde weilen.
So geht er, ſich in das Meer zu verſenken; die Satyra
aber, entbunden ihres ſchweren Dienſtes, jubeln und jauchzen
und ſchlürfen vom ſüßen Rektor. Und dem Schall ihres Te
beis folgend kommen mit Fadeln in den. Händen bie. andern
Gefährten des Menelaos, ‚die ihn fuchten, wunderbare Mob .
haft zu bringen; verfhwunden fei Helena, wie ein Rauch
derflogen in den Aether. And fiche, Durch bie Luft daher
4
214 Satyrſpiel.
wandelt Hermes, der Goͤtterbote, und führt an der Hand. die
fhönfte der Weiber, Helena’s wahrhaftere Geftalt daher;
Staunen ergreift die Schauenden und die Satyrn taumeln vor
Wolluſt und geblendet von dem firahlenden Lichte ihrer Schön-
beit; fie aber naher holdfelig lächelnd dem Gemahl, deß' fie fo
lange entbehrt, und Tiebfofer ihn und hemmt auch die Thrän⸗
nit; und er vergißt allen Kummer, und al ihr Unrecht ver
zeiht er ihr; mit lautem Jubel ziehn fie hinaus zu dem Schiffe,
heimzufegeln gen Enrotas ſtillem Buchtgeflad, —
Sp das fröhlihe Spiel; bunt und feltfam, wie es if,
ſtimmt es zu der Stille des fintenden Abends, mit dem es be⸗
ginnt; das Abendroth ift fhon erlofchen, mehr und mehr dun⸗
felt es in dem weiten Raume des Theaters, in den die Sterne
binabblicden vom unummöltten Himmel; nur auf dem Wacht:
poften der Satyın, der Thymele in der Reigenflur, brennt ein
Feuer, und ſchwankender Schein fällt ftreifenhaft zu der Bühne
hinüber, zu den weiten Räumen der Schauenden hinauf; im
dänmerbaften Lichte erfennt man den hehren Achäerhelden und
die bocksfüßigen Strandhüter und des Meeres fhöngemandige
Tohter. Und fchon regt fih in dem Schatten ein klumpen⸗
haft fchmärzlihes Gewimmel; es ift die Nobbenheerde, die
plumpe Brut des Weeeres; zwifchen ihr der Weeeresalte, wie
ein riefiger Schatten hoch hinfchreitend wandelt er auf und ab. -
Dann wird er gefaßt, es beginnen die wilden Berwandlungen,
doppelt ſpukhaft in dieſem mehenden, ungewiffen Scheine,
noch verwirrender durch das wüſte Durcheinander flüchtender
Robben und Freifhender Satyrn; plöglich ſchießt jäh Hammend
der biendende Kenerfchein empor, und ſinkt dann fchnell zu⸗
fammen; rings ift’s dunkel und geheimnißvoll; der Zaubrer
wird weiſſagen. IR das alles vorüber, und Proteus zurück
ing Meer, und die Satyrn wieder zur Stelle, fo fieht man
Broteus. 215
von allen Seiten ber Lichtfchein näher und näher fommen, es
find die Gefährten, die ihren Fürſten ſuchen und enblich finden.
Der hellſte Fadelglanz leuchtet durch die weiten Räume in die
Luft empor; und durch die Luft herab fchreitet der Götter:
herold, an feiner Hand die Ledatochter, wie ein Stern leuch⸗
tend in ihrer Schönheit; fingend und jubelnd, die hellen Fadeln
poranf, ziehen fie in die flille Nacht hinaus. —
.
Die Perfen
Die Trilogie der Perfer befand ans dem Phinens, den
Perfern, dem Meerglaukos; als Satprdrama war Prometheus
Feuerzünder hinzugefügt. Sie wurde unter dem Archonten Menon, -
. DI. 76. 4. (vor Chriſtus 473) aufgeführt; Aiſchplos erhielt den erſten
Preis. ;
Erfte Tragödie.
yhınenus.
e
— a —
Die vorliegende Tetralogie iſt ein hiſtoriſches Drama im hoͤch⸗
ſten Sinne des Wortes; den Gedanken, welcher den größten
Bewegungen ber Geſchichte feit Tahrtanfenden zu Grunde liegt,
hat Aifchylos in ihr künſtleriſch gefaltet.
Allen und Europa find die großen Polaritäten der Welt⸗
geſchichte; ſie find zu ewiger Entzweiung, zu ewigem Kampfe
geſchieden; ſtets begierig gegen einander überzugreifen, miſchen
ſie ſich nur, um zu neuem ſchrofferen umfaſſenderen Gegenſatz
zu zerfallen; ihre Kämpfe find die Epochen der Weltgeſchichte.
Der bewußten gefhichtlihen Erinnerung find die erſten
diefer Kämpfe die, welche Perfien und Hellas gekämpft haben.
In ungeheurem Umſichgreifen bat das Neich der Achaimeniden
die alten Staaten Afiens an ſich geriffen, die Völker verknech⸗
tet, Die Länder verödet; unter dem furchtbaren Joch erfticht bie
uralte Bildung Agens; num wälzt fih die continentale Rie⸗
2230 Erſte Tragödie.
ſeumacht dem Meere zu, verfchlingt bie Hellenenflädte der io⸗
nifchen Küfte, greift hinüber nach den fchönen Inſeln des heile»
nifhen Meeres, nad der nahbarlihen Küfe am Hellespont,
nah Macedonien, nah Theflalien, nad) dem Herzen Griechen:
lands. Dort hat fih ein reiches, freies Leben geftalter, Athen
bat feine Tyrannen verjagt und zum erftien Male in der Ge
fhichte einen freien Staat freier Männer gebildet. Auf dem
Felde von Marathon Kegt Athen über die Horden des Groß:
Lönigs. Dann erbt der Züngling Xerxes das Reich; er gedentt
Derfien zu rächen an dem kleinen Bolt der Hellenen, nah un:
geheuren Nüftungen zieht er aus; mit ihm gleichzeitig wirft
fih das afrikaniſche Kanaan Karthago auf Die, Hellenen Sici⸗
lien, und die Siege von Salamis, Plataiai, Mykale, Himera
vernichten gleichzeitig die Feinde des Dftens und ihre Stamm⸗
genofien des Südens. Mit diefem Siege ift Hellas, iſt Eu-
topa an die Spige der Gefchichte getreten, und Freiheit ift fort
an die Form für die Entwidelungen des Menſchengeſchlechtes.
In der Weihe diefer ringenden und ſiegenden Freiheit Bat
Aiſchylos die große Tragödie der Geſchichte, den Kampf des
Oſtens und Weftens gedichte. Mit tieffinnigen Blick faßt er
die Ahnungen diefes Kampfes, die der heilenifche Sagentreis
wicht müde wird zu wiederheien: Sie ſprechen ben gehehuniß-
vollen Zug des innerften Volkslebens von Hellas aus, deunn dem
Morgenlande zu weiſet den Griechen Thal und Gebirg ſeines
heimathlichen Landes; dorthin treibt ihn jene Sehnſucht, der
m der Sage bald ein goldner Hort, bald ein ſchönes Weib den
Numen leiht; doriber entführt Zeus des ſidoniſchen Königs
Tochter, und nennt fein Feflland Europa mit ihrem Namen.
- Das war die erfte That; und der König im fernen Often
zürnte Aber die Schmach, and gebot feinen Söhnen hinauszu⸗
sichen nach dem weRlichen Rande, nnd fein Kind zu fuchen, und
niemals heimzukehren, wenn fle es nicht faͤnden. Unter den
RPhinens. 21
Shhuen war Phinens, begabt mit der Kunſt der Weiſſagung;
der erfaunte, daß von dem Gott feine Schweſter entführt, daß
alles Suchen vergebens fei; er vergaß des Vaters und der Hei:
matb, und bante fih ein Schloß an den Geſtaden des unwirth⸗
baren Pontus. Aber er, ein Menih, hatte das Geheimniß
des Gottes erkannt, er follte die Erkenutniß büßen mit ber
ganzen Dual bedürftiger Endlichkeit; ihm wurden bie Harpyien
gefandt, wilde geflügelte Dirnen, die fort und fort mit lautem
Geſchrei ihn bei Speif und Trank umſchwärmen, und verge:
bens die Hand nach feinem Mahle ausſtrecken laffen,
„und jedes Scheinmahl, wie ihm der Saum auch lechzen
mag, dem Mund entreißen vor des erften Koftens Luft.“
Er weiß, daß diefe Dual währen wird, bis einft die Söhne
des Nordwindes kommen und ihn befreien.
Und es war die Zeit gelommen, daß die Argonauten hin:
auszogen gen Diten, ons dem Walde von Kolchis das Bließ
des golduen Widders, der einft Athamas Tochter, die flüchtende
Hella, über den Pontus getragen, heimzuholen; nun waren fe
hinaus aus den: heimifhen Gewäflern, und Tannten die Ge;
fahren ihres Weges, und Iandeten Rath fuchend an der Hüfte
des umgaftlihen Dieeres. Mit ihnen waren Kalais und Zetes,
die windſchnellen Söhne des Boreas; Phineus erkennt fie, er
flehet fie an, ihn zu retten von feiner Qual; er..allein koͤnne
wieder ihre Fahrt gelingen machen duch feinen Rath und feine
Weiffagung; Dei zum Zeichen wieherholt er ihnen, was fie big:
her gethan und geduldet, wie fie alle in der Thyrrhenerſchlacht
verwundet feien, wie nur Glaufos der Anthebonier in bie Tiefe
des Mieeres verfunten und dort aufgenommen fei in.die Zahl
der Meerdämonen; fortan werde der von Jahr zu Jahr alle
Küften und Eilande befuchen, und Böfes weiflagen, und einfam
Hagen, das er nicht ſterben köͤnne. Daun verkündet er das
229 Erſte Tragoͤdie.
Schickſal der Boreaden, daß fie ſterben müßten, wenn fle bie
Darpgien nicht umbräcten, und das Loos der Argonauten,
daß fie alle die Heimarh nicht wiederfäben, wenn fie dur ihn
nicht hörten, was fie thun müßten. So wird denn verfprocdhen,
dem Willen des pontifchen Fürften zu willfahren, und während
die Boreasföhne hinauseilen, die Harppien zu verfolgen und
zu tödten, bezeichnet Phineus den griechifchen Helden die Wege,
die fie nehmen müſſen, ihr ferneres Geſchick, den erftien Sieg
der Hellenen über das Morgenland; verkündet von den Ama⸗
zonen des Oſtens, die Attika heimfuchen, von Troja, das die
Hellenen zerftören werden; verkündet weiter, wie ein mächtiges
Reich im Dften entftehen, die Länder Afiens alle vereinen werde;
der fechfte König jenes Neiches, ein hehrer Fürſt, werde feine
Diener ſchicken, Hellas zu verfnechten, aber von einer Stadt
werde fein Heer befiegt werden; der Tüngling, der nah ihm
berrfche, werde dann mit ungeheurer Macht heranziehen, den
Pontos überjochen, Das Meer mit feinen Schiffen, Das Land
mit feinen Heeren überfchwenmen und gänzlich erliegen. Jauch⸗
zend hört der Chor der hellenifchen Helden die glorzeiche Ber
Tündigung, und feiert fie im freudigften Chorgefang. Dans -
ehren die Boreasfühne zuräd; ihr Sieg über die Harpyien iſt
der Anfang der Erfüllungen, und mit froher Hoffnung sichen
die Argonauten binaus zum kolchiſchen Lande.
Es ift wahrfcheintih, dap nicht Zafon und Phineus nur
in diefer Tragödie anftraten; aus der folgenden Tragüdie if
man geneigt zu entnehmen, daß auch eine aftatifche Perfon eins
gefiihrt wurde, etwa einer der Borfahren des perfifchen Königs:
baufes; und eine Tochter von Phinens Bruder war Andro:
meda, die Mutter des Perfes, von dem das Königsgefchlecht
der Perfer Namen und Urfprung hat; fie hat ihn von Perfeus
dem goldgegeugten N des Zeus geboren. Jedenfalls war
Phinene. 223
in der Tragödie ausgefprochen, daß den Barbaren für alle Zeit
das Land jenfeits des Meeres gehören folle, daß fie ftark fein
würden in allen Kriegen, die fie zu Lande und befonders in
dem afiatifhen Lande führen würden, daß fie aber niemals
fi dem freien Meer anvertrauen, noch mit den Völkern ſich
meſſen follten, denen das Meer ein Feld des Sieges und Ruh⸗
mes zu werden beſtimmt fei.
Zweite Tragödie.
Die Yerler.
—
Perſonen.
Atoſſa.
Bote.
Chor Perſiſcher Fürſten.
Darius Schatten.
Xerxes.
Prachtvoller Pallaſt der perſiſchen Könige, über dem ſich die Ausſicht
auf die perſiſche Königsſtadt öffnet. Vor dem Pallaſt auf der
Mitte der Bühne der Altar Apollo's; der übrige Raum nach
Art der hohen Pforte zu Perſepolis mit Säulenreihen ausgefüllt,
an denen fi die reihen Sige der Hofleute befinden. Auf der
Straße der Heimath kommt der Chor der „Betrenen” herein,
funfzehn Greife in perfifcher Fürftentracht, die die folgenden Ana⸗
päften mit feierlihem Schritte begleiten.)
Die Berfer. 225
Ehor.
(abwechſelnd ſingen die drei Führer, der des ganzen und die der beiden
Halbchöre.)
on dem Perfifhen Volk, das zumal auszog
Zum Hellenifhen Land, find wir die Getreu'n,
Sind Wächter, der vielglückfeligen und
Goldprangenden Sige, die Kerres feldft
Der Dareiosfohn? mein König und Her, 5
Nah Alter und Würd’
Yuswählte, der Lande zu wachen.
Um die Heimkehr num des erhabenen Herrn,
Goldftrahlenden Heers Heimkehr angftvol
Vorahnend erbebt in der Bruft mein Herz, 10
Bon Bekümmerniß vol.
Denn die Tugend des Reiche, denn Afia’s Kraft
Zog fort; laut jauchzt fie dem Jüngling nad;
und es kommt zu Fuß, und es kommt zu Roß -
Kein Bote zur Perſiſchen Heimath. 15
Und von Sufa fo, von Ekbatana fort
Und vom alten Gemäu’r der Fiffinifhen Stadt
Zogen fie fernhin,
Da Schaaren zu Roß, dort andre zu Schiff,
Und des Fußvolks Neihn,
Die der Kern im Gedränge der Schlacht find. 20
Auszog Amiftres und Artaphernes,
Zug Megabazes und Astaspes -
Mit der Perfier Bolt,
V. 3. „Die Getrenen‘ braucht der Dichter ale officiellen Titel
der höchſten Perfifhen Reichsbeamten.
15
232% Zweite Tragödie.
Könige dienſtbar nur dem Großfönige,
Seldherren von Heeren im Heere des Reichs, 25
Mit dem Bogen der Schlacht, auf ſchäumendem Roß,
Furchtweckend zu fhaun und entfeglid im Kampf
In des Muths vielmagender Hoffnung.
Und der Schlahtroßtummler Artembares auch,
Mafifires auch, 30
Und Imaios der Held, goldbogenbewehrt,
Und Pharandakes,
Und der Roſſe Bewältger Soſthanes.
- Und andre gefandt hat des ſchwellenden Nils
Fruchtüppiges Thal,
Sufisfanes, Pegastagon, 35
Den Aegyprierfohn, und der Fürft Arfames,
Der in Memphis Herr, in der heiligen, if,
Und der uralt herrlichen Thebä Herr
Ariomardos,
Und vom Bruchland her fchiffsruderndes Bolt,
Fahrtkundig, unzählige Menge. 40
Auch des weihlihen Stammes in Ludia folgt
Biel Bolk, dem zumal
Sich des Fefllands Heer ſchaarweiſ' anſchloß;
Die führt Arkteus und Matragathes,
Machtfürſten des Reichs;
Auch Sardes fendet, die goldene, viel 45
V. 43. Das „Feſtland“ im Gegenfag gegen die Infeln der Küfte
umfaßt namentlidy die den Perfern unterworfenen Griechenftädte, bie
meift in der Lpdifhen Satrapie lagen.
n N
Die Berfer.
Kriegsſchaaren, vertheilt in die Wagen der Schlacht,
Die mit Doppelgeſpann, dreifachem Geſpann
Furchtbar toddräuend dahinziehn.
Die vom Tmolosgebirg und den Fluren umher,
Sie bedreun Hellas mit dem kmnechtiſchen Joch;
So ber Speeramboß Tharybis, Mardon,
- Und die Moyfifhen Schleudrer. Bon Babylon auch
Ans goldenem Thor in gefhlängeltem Zug
Zog buntes Gewühl, theils Schiffsvolf aus,
Theils Schügen der Kunſt des Geſchoſſes gewiß;
Was Schwerdt nur trägt in dem ganzen Bereich)
Afiatiihen Stamms, ö
Nad) folgt es den Fahnen des Königs.
Fa die Blüthe des Volks aus Perfifhem Reich
Zog fern in den Krieg,
Und Afias Land, das fie aufzog, ſeufzt,
Und gramt fih um fie von Verlangen gequält;
Und die Mutter, das Weib, die die Tage gezählt,
Sehn bang, wie die Friften ſich dehnen.
Wechfelgefang des Ehors.
(Stropbe 1.)
#7
Schon hinein drang ja das burgftürmende Kriegsvolk des
Gebieters
In das Feſtland, in das nachbarliche jenſeits,
Auf der taubandigen Brück' über den Sund dir,
Athamantiſche Hella;
65
70
8. 70. Zerres baute feine Brücke über die nad) der Athamas⸗
tochter Hella genannte Meerenge. :
TRANS
—
UNIVERSITY
* nr
228 weite Tragödie.
Um den Naden ber See ſchlang wie ein Zoch fih der dicht:
balfige Heerweg.
(Begenftropbe 1.)
Denn der vielvolfigen Flur Aſia kampfkühner Gebieter
In das Land trieb er die Heerwolke der Seinen 75
Wie ein Sturm, beides vom Feftland, von der See her,
Sid vertrauend den Tühnften,
Den gewaltigen Feldherrn, er des goldnen Geſchlechts N
Sonne.
(Strophe 2.)
Mit dem gluthſprũhenden Blutblick des zu Fang ſpringenden
Drachen
Jagt er Kriegsvölker und Kriegsflotten und Kriegswagen Aſ⸗
ſyriens
Zu der pfeilſiegenden Schlacht hin auf die lanzenkund'gen
Männer. 85
Gegenſtrophe 2.)
So beherzt zeigt ſich da Niemand bei der anbrauſenden Heer⸗
fluth,
Durch ein Strandwehr die unhemmbare, des Meers Woge zu
dämmen; 90
Denn unnahbar iſt das Heer ja und die ſtarkgemuthen
Perſer.
Meſodos,
Doch wenn Trug ſinnet die Gottheit, wer entkommt ſterblich
gezeugt da?
Wer entrinnt ihr mit dem raſchfliehenden Fuß glückenden
Sprunges? 95
Denn fo ſüß lächelnd im Anfange fie liebkoſ't, fie verlockt
« 85. Bogen und Pfeil ift d
— de Selenen. Pfeil ift die Waffe der Barbaren, Lanze und
Die Berfer. 229
In das Garn, draus nimmermehr 100
Noch binansfchleichend, noch ausweihend der Menſch hat zu
entfliehn!
(Strophe 3.)
Denn ein Gott hat das Geſchick in der Vorzeit ung beftimmt; -
und fein Spruch hieß ja die Perſer
Sich den burgftirmenden Rämpfen, 105
Sich der roßwichernden Feldſchlacht, der Zerſtörung Holzer
Städte weihn.
(Begenftrophe 3.)
Doch das Volk Ternte das finftre, das ſturmſchauererſchäumende,
weitfahrige Meer fehn, 110
Sid der See heiligem Hain naht,
Sih dem leichtbandigen Schiffstau, fi dem menſchengefuͤllten
Bau vertraumn.
(Strophe 4.)
Drum von Angſt zerriſſen iſt
Drinnen mein umnachtet Herz; 115
O Angſt, u;
Daß es nur des Perſerheers
Vaterſtadt, die mannvereinfamte Stadt Sufa nur es nicht
vernimmt.
(Gegenftrophe 4.)
Und der Kifiier hohe Burg
MWiederkallen wird fie dieß 120
D Angſt!
Diefen Wehruf weinend wird
Wieder fchrein der Weiber Schwarm, wird emtzwei reißen
Schleier und Gewand.
(Strophe 5.)
Alles fireitbare Volk z0g zu Roß und zog gu Zuß 125
230 Zweite Tragoͤdie.
Einem Schwarm Bienen gleich ihrem Heerkoͤnig nah dom
Reich hinaus,
Sog fernhin über ringsumjochte, beidem Geſtade zugleich
Ufernahe Borfee.
Gegenſtrophe 5.)
Doqh daheim naßgeweint iſt in Sehnſucht manches Bett; 130
Perſis Fraun, gramerſchöpft, ſich um den Mann jede ſehnend,
den ſie liebt,
Den waffenkühnen, kampfberühmten, welchen ſie gab in
den Krieg,
Wittweneinſam bleibt ſie. 135
Ehorführer.
Ihr Perfer, wohlan
An den hohen Pallaſt hinfisend zumal
Laßt redlich uns jept, tiefforfchenden Sinus
Path pflegen; die Noth fie gebeut es.
Erfter Salbehorführer.
Wie wird es denn jetzt um Terxes ftchn, 140
Den Dareios:Sohn,
Den Erben des Stamms, der den Namen uns gab?
"Hat der Bogen Gefhoß nun den Sieg fi erzielt?
Hat der Lanze Gewalt
Ihn mit eherner Stirn fich ertroget? 145
(Aus der Königlichen Pforte wird Atoſſa im höchſten Schmud der
Königin auf goldenem Thron herausgetragen; großes Gefolge.)
Zweiter Halbchorführer.
Sieh dort! wie in Strahlen der Gottheit naht
Sie, die Sonne, die Mutter des Sonne ung,
Unfere Königin!
In den Staub werf ih mich! Laßt ehrfurchtsvoll
2
Die Berfer. aa
Uns alle zugleich |
Anbetend im Staub fie begrüßen! 150
(Sie fallen nieder und berühren den Boden mit der Stirn.)
Ehor.
Hehrſte du der tiefgefchürzten Perferinnen, Königin,
Greiſe Mutter du des Xerres, Heil dir, Heil, Dareios Weib, '
Gattin einft des Perfergottes, Perfergottes Mutter noch,
Wenn der alte Dämon jept nicht unfer Heer verrathen hat.
Atoffa.
Drum erfchein? ich, drum enteilt’ ich des Pallaſtes goldnem
Thor, 155
Und verließ mein und Dareios einft gemeinfam Schlafgemach;
Und das Herz zerreißt mir Sorge. Aber fagen muß ih ench
Noch ein amdres; ſelbſt um mich nicht, Freunde, bin ich frei
‚ von Furdt,
Ob das Glück nicht, das Dareios einſt der Gottheit voll er⸗
baut,
Unſer Reichthum ſtürzt, der hinzieht ſtolzen Schrittes, ſtaubum⸗
wolkt. 160
Darum quält zwiefache Sorge unausſprechlich mein Gemüth;
Keiner ſcheut Die Macht des Reichthums, wenn ein Mann fie
nicht vertritt,
Noch umſtrahlt den gutentblößten feiner Macht gerechter Glanz.
Wohl genug ift bier des Reichthums, doch um liebſtes Auge
Furdt —
Sa des Haufes Auge heißt mir feines Herren Gegenwart.. 166
Für das alles, falls es fo if, wie ich es fürchte, wollet nun,
Perſer, vielgetrene Greiſe, treulich mir Berather fein;
Denn in euch und eurer Weisheit ruht mir aller befte Rath.
Chorführer.
Wiffe, Herrin dieſes Landes, einer zweiten Mahnung nicht
232 Zweite Tragödie.
Braucht's zu Wort und That, fo weit uns Können treu dem
Wollen bleibt; 170
Denn dir ergebnen Sinnes riefft du uns zu Mitberathern ber.
Atoffa.
Bon vielen Traumen bin ich nächtens fort und fort
Umgeben, feit mit feinem Heer mein Sohn hinaus
Der Jaonen Lande heim zu fuchen zog.
Sp deutlich aber fah ich feinen andern noch, 175
Als in der Tegtvergangnen Nacht; ich fag’ ihn dir.
Mir war's, als ſäh' ich zween ſchöngewandige
Jungfraun, die eine reichgeſchmückt im Perſerkleid,
Die andre nach der Dorer Art vor meinem Blick,
An Geſtalt bei Weitem aller Weiber herrlichſte, 180
Fehllos an Schönheit, beide Schweſtern eines Stamms;
Als ihre Heimath hatte vordem dieſe ſich
Hellas erlooſet, jene das Barbarenland.
Die beide glaubt' ich nun zu ſehn, wie kampfbereit
Sie ſich wild entgegenftanden; doc mein Sohn gewahrt's, 185
Er hemmt fie, er beruhigt fie, fchirrt beide fich
Bor feinen Wagen, wirft um ihren Naden bin
Sein Joch. Die eine hob fi, warf fi im Geſchirr,
Und ließ den Mund fi leicht vom Zügel bändigen;
Unruhig riß die andre, mit empörter Hand 190
Zertrümmert wild fie feinen Wagen, zügellos
Scleift fie ihn gewaltfam mit fi) fort, zerbricht ihr Zoch.
Da ftürzt mein Sohn hin; und es fieht fein Vater nah
Dareios vol Betrübniß; als den Kerres fieht,
Zerreißt er jammernd fi das Gewand um feinen Leib. — 195
Bei Naht im Traume fah ich dies, wie ichs erzählt.
8. 174. Jonier und in frembdartiger Form Jaonen nennt der
Morgenländer die Völker von Hellas.
Die Berfer ‚233
Drauf ale ich anfftaud, und die Hand mit fließendem
Quellwaſſer netzte, dann mit gabenreicher Hand
Hintrat zum Altar, um den gefahrabwendenden
Gottheiten fromm zu fpenden, deren Amt es ift, 200
Da fah ich einen Adler fliehn zu Phoibos Heerd; —
D Freunde, Tautlos fand ich da in meiner Angſt —
Ihm nach geflogen kommt ein Kalt in eigem Flug,
Schießt auf ihm nieder, und zerfragt mit milden Klaun
Sein Haupt, das wehrlos in die Flügel eingefhmiegt 205
Den Leib dabingiebt. Schrecken war es mir zu ſchaun,
Wie euch zu hören; denn ihr wißt, wohl ift mein Sohn,
Denn alles gut geht, ein bewundrungswürd'ger Held,
Doch wenn es mißlingt, — pflihtig Feiner Rechenſchaft
Herrſcht er wie vordem, wenn er heimkehrt, feines Reihe. 210
Shorführer.
Weder allzuſehr bekümmern, Mutter, ſoll dich unſer Wort,
Noch dich unbekümmert machen. Zu den Göttern wende did,
Bete, daß fie von bir wenden, mas du Unheildrohndes ſahſt,
Das fie Gutes allgewährend enden dir und deinem Eohn
und dem Reich und allen Treuen. Und zum Andern fpende
dann 215
Für die Erde, für die Todten, flehe dab auch gnadenreich
Dein Gemahl Dareios, den du heute Nacht im Traum gefehn,
Gutes dir und deinem Sohne aus den Tiefen fend’ an's Licht,
Doch in die Nacht gebannt das Böfe ſchwinden laſſe fehatten- -
gleich.
So des eignen Sinns Prophete rath' ich treuergeben dir; 220
Daß dir — freudiger Ausgang kommen wird, das hoffen
wir.
Atoſſa.
Freundlich haft du erſter Deuter meines Traumgeſichtes, mir,
Meinem Sohn und meinem Haufe wohl den beiten Rath gefagt.
234 weite Tragoͤdie.
Sp geſcheh' uns alles Beſte! Alles dies, wie du es raͤthſt,
Wird den Göttern und den Lieben, die das Grab deckt, gi
geweiht,
Wenn wir zum Pallaſt zurüdgehn. — Aber wiſſen moͤcht Er
wohl,
Wo in der Welt denn, Freunde, ſagt man, daß die Stadt
Athena liegt?
Erfter Greis.
Fern in Weſten, wo der legten Abenddämmterung Untergang.
Atoffa.
Und verlangt .. meinen Sohn Doc, fih zu erjagen dieſe
Stadt?
Zweiter.
Sa, das ganze Hellas würde Dann dem König untertbau. 230
Mtoff
So bedeutend ift der eignen Arieger Zahl in ihrem Bolt?
Dritter.
Sa ein Heer, das vieles Leiden fchon dem Medervolk erſchuf.
Mtoff: ffa.
Und was giebt es dort denn fonft noch? ift der Reichthum dort
ſo groß?
Vierter.
Silber quillt in ihren en ae reicher Schatz.
Führt denn ihre Hand ee Pfeile fennefehwirrenden Bogen
auch? 235
Fünfter
Nein, fie tragen hohe Lanzen, und ein Schild bedeckt den Leib.
BV. 232. Die Schlacht von Marathon meint ber Ebor.
®. 334. Er meint die Silbergruben von Laurion.
\ Die Perſer. 235
Atoſſa.
Aber wer iſt ihr Gebieter und beherrſchet Volk und Heer?
Sechſter.
Keines Mannes Sclaven ſind ſie, keinem Menſchen unterthan.
Atoſſa.
Wie vermögen dann ſie Fremden, die ſich als Feinde nahn,
zu ſtehn?
Siebenter.
Alſo, daß fie einſt Dareios groß und ſchönes Heer vertilgt. 440
Htoffa.
Zraurig Wort, das wohl die Mutter an den fernen Sohn ge
mahnt.
Chorführer.
Doc ich glaube, bald erfährt du alle Nachricht ganz genau,
Denn das Echreiten dort des Mannes zeigt den Perfer dent-
lih an,
Und er bringt uns fiher Neues, mag es gut fein oder fchlimm.
(Ein Bote fommt von der Seite der Fremde.)
Bote.
D weh den Etädten alles Landes Afia! 245
Weh Perferland, dir, alles Reichthums ftolzer Port!
Wie hat hinweg Ein Schlag der Schaͤtze Pracht Be
Dabingefunten ift die Blüthe Perfiens!
Ah! traurig Amt, der Trauer erftier Bote fein!
und doch die Noth will's, Perfer, daß ich alles Leid 250
Auffalte; umkam, web, der Barbaren ganzes Heer!
Erfter Halbchor.
(Strophe 1.)
Sräßliches, gräßliches Weh!
Entiesliches, unerwartetes Weh uns!
D weint, weinet, Perſer, da ihr ſolches Leid hört !
236 Zweite Tragödie.
Bote.
Ja al’ das Unfre gar und ganz iſt's nun dahin;
Mir felbft erfcheint der Tag der Heimkehr unverhofft! 255
Zweiter Halbchor.
(Gegenftrophe 1.)
Wehe, uns währte zu lang
Dies Leben, das fol’ unermeßlich,
Solch' maaflofes Leid uns den Ergreiften anffpart!
Bote.
Und als ein Augenzeuge, nicht auf fremdes Wort
Bericht? ich euch, o Perſer, was wir duldeten.
Erfter Halbchor.
(Strophe 2.)
Weh! umfonft, umfonft entfandte 260
Aſia's weites Reich
Sein zahlloſes Geſchoß und Rüſtung
Dir, du ſiegendes Hellas!
Bote.
Gefüllt mit Leichen elend Umgekommener
Iſt Salamis Felsſtrand, ſind die Ufer rings umher. 365
Zweiter Halbchor.
(Begenftrophe 9.)
Weh! die theuren Leichen fagft du
Freien in brandender See
Todt, durchfeuchtet, ein Spiel der Wellen,
Todt von Ufer zu Ufer?
Bote.
Da half uns Pfeil und Bogen nichts, das ganze Heer, 270
Bon der Schiffe Sturmfoß mirbewältigt ging’s zu Grund.
: Die Berfer. 237
Erfter Halbchor.
(Strophe 3.)
So ſchrei' dem Feind dein Wehgefchrei des Abſchens gram⸗
getränkt,
Der allunſelig Alles uns
Ach mit des Heers Untergang vernichtet! 275
Bote.
O Salamis, fehmöder, allverhaßter Name mir!
Und du, Athen, laut jammr’ ich, wenn ich dein gedenk!
Zweiter Halbchor.
(Begenftrophe 3.)
Arhen du Abfchen deinen Feinden! Dep’ wohl denft man
ſtets,
Wie gar viel Perſerinnen du 280
Beugeteft, num gattenlos und kindlos!
Atoffa.
Schon lange ſchweig' ich Arme, durch der Leiden Laft
Betäubt; denn weit ragt über jedes Wort hinaus
Dies unbefchreibbar, unerfragbar ſchwere Loos.
Und doch es muß fein Leiden, wenn's ein Gott verhing, 285
Der Menfh ertragen. Drum enthüll' das ganze Web,
Und ob vor Gram du fenfzeft, dennoch ſprich gefaßt:
Sag, wer ift nicht todt? wen beweinen wir noch fonft
Der theuren Fürften, der mit dem Feldherrnſtab beiehnt
Hinfintend feine leeren Reihn ohn' Führer lieh? 290
Bote,
Xerxes vor allen lebt und ſchaut der Sonne Lidit.
Atoffa.
Dem Haus der Meinen haft du großes Licht genannt,
Ein fonnenhelles Morgenlicht nach dunkler Nacht.
Bote.
Doch Artembares, der Reutermyriadenfürſt,
338 Zweite Tragoͤdie.
Er treibt am öden Klippenſtrand Silenia. 295
Der Chiliarche Dadakes, durchbohrt vom Speer,
Aufſprang er, rüdlings leichten Sprung in’s Meer hinab.
Der hochgeborne Baktrerfeldherr Tenagon,
In der meerumraufchten Aiasinſel weilt ee nun. -
Lilaios und Argeftes und Darfantes 300
Defiegt zerfchlugen fie in des taubennährenden
Gilandes Brandung ihre Stirn am Felfenriff.
Und fern vom Duell des Niles der Aegyptier
Arkteus, Adenes und der fhildgewappnete
Pharnuchos, aus demfelben Schiffe ftürzten fie. - 305
Der Chryſer Mpriadenführer Matallos,
Der Fürft der drei Meyriaden fehwarzer Nitterfchaft,
Er färbte feinen dichtgelockten, fchattigen,
Goldfarbigen Kinnbart mit des Blutes Purpurroth.
Der Mager Arabos und der Baktrer Artames 310
Einlieger fteinigen Feldes dort verweien fie; |
Dort auch Amiftres und Amphiftreus, der den Speer
Kühn. ſchwang, der edle Ariomardos, deſſen Tod
Sardes beweinet, Saiſames der Myſier.
Tharybis, der fünfmalfünfzig Segel Admiral, 315
Bon Gefhleht Lyrnaier, an Geftalt vor allen ſchön,
Nicht weich gebettet ruhet jegt des Armen Haupt.
Syenneſis auch, der freie Fürſt Kilikia's,
An Muth der erite, der allein fhon größte Noch
Den Feinden fchaffte, rühmlich ſank auch der dahin. 320
Nur dieſe Feldherrn hab' ich dir genannt in Eil;
Es iſt des unzählbaren Leid's ein kleiner Theil.
Atoſſa.
Weh mir, der Leiden Uebermaaß ja hör' ih fon,
V. 295. Silenia ift eine Küftenftrede auf Salamis, einft Aias⸗
infel, wo fpäter das Siegeszeichen errichtet worden.
Die Berfer. 239
Der Perſer Schande, jammerlaute Schmerzenslaft!
Doch fag’ mir das noch, wiederum zurüdgewandt, 325
Wie groß der Griehenfchiffe Zahl zum Kampfe war, .
Daß fie fich erfühnten, mit dem Perferheer den Kampf
Im Teen Schiffſturm anzufangen, wie du fagft.
Bote.
Gewiß der Zahl nah mußte wohl die Flotte der
Barbaren fiegen; denn es war heilenifcher Seits 330
Die ganze Zahl der Schiffe zehnmal dreißig, und -
Ein Geſchwader noch von zehn erlefnen außerdem.
Doch Kerres hatte, weiß ich, eine Macht in See
Bon taufend Segeln, d’runter wegen Schnelligkeit
Bor allen werth zwei hundert ſieben. So die Zahl. 335
- Du glaubft bezwungen ung doch nicht in jenem Kampf?
Es hat ein Damon alles Heer binweggetilgt,
Der unfre Schaale finten Tieß ungleihen Glücks.
Die Götter retten felbit der Göttin Pallas Stadt.
Atoffa.
So fieht der Athenäer Stadt noch unzerfiört? 40
Bote,
Der Muth des Volkes fchüpt fie, eine feſte Burg.
Atofla.
Sprich, welcher Anfang ward den Schiffen zum Gefecht?
Wer fing den Kampf, fing ihn der Hellenen kühne Schaar,
Mein Sohn ihn an, vertrauend auf der Schiffe Zahl?
j Bote.
Anhub, o Herrin, alles Weh ein rächender, 345
Erzürnter Dämon, der woher auch je erfohien.
Denn ein hellenifher Mann vom Arhendervolt -
Kam Hin und fagte deinem Sohne Kerres an,
Eohald das Dunkel völlig fei der ſchwarzen Nacht,
Nicht bleiben würden dann die Hellenen, würden ſchnell 350
-
240 Sweite Tragoͤdie.
An ihre Ruder fpringend, andre andren Weg's
In geheimer Flucht erretten ihres Lebens Heil.
- Kaum daß er dies vernommen, abndend nicht bie Kif
Des fremden Mannes nod) den Neid der Ewigen,
Gebeut er feinen Admiralen allzumal:
Eobald der glüh’nden Sonne zündend Abendlicht
Hinab fih taucht und Dunkel füllt den Hain der Luft,
Sol fih der Flotte Kern zu drei Gefechten reih'n
Und jeden Ausweg hüten, jede Flucht zur See,
Dann andre rings im Kreis um Aias Inſel ziehn,
Daf, wenn die Griechen ihrem böfen Loos entflöh’n,
Sich heimlih Ausgang noch erfpähend irgendwo,
Es allen dennod Leib und Leben Toftete.
So fprad) der König gar zu hochgemuthen Sinns;
Was ihm bevorfiand gottverhängt, er wußt' es nicht.
Doch fie, beftürzt nicht, fondern achtſam des Befehls,
Bereiten erſt das Mahl fich, und der’ Rudersmann
Einfhnallt er feine Stegen an den Ruderſtift.
Als dann der Sonne legter Strahl erlofchen war,
Und Nacht heraufftieg, ging ein jeder Nuderer
An Bord, ein jeder, welcher Wehr und Waffe trug.
Zurufen Schaar um Echaaren fih von Schiff zu Schiff,
Sie fahren jeder, wo er hin beorbert it;
Die ganze Nacht durch ordnen, durch die Bay vertheilt,
Der Schiffe Führer des Gefchwaders ganze Macht.
Die Naht verging, und wahrlich der Hellenen Heer
Es hatte nirgend heimliche Flucht fich ausgeſpürt.
Als drauf der Tag mit feines Wagens Lichtgefpann
Die ganze Meerbuht ſonnenhell beleuchtete,
Da fchallet fernher von den Hellenen freudiger
Gefang herüber, und den Kriegsruf jauchzt zurüd
Des felfgen Eilands taufendftimmiger. Wiederhall.
365
270
375
Die Berfer. 241
Furcht überſchlich jegt uns Barbaren allzumal, |
Die wir getäufcht uns fahen; denn, nicht wie zum Flitchn
Erklang des Griechen feierliher Paian jegt;
Sie fangen fih in den Kampf zu ftürzen frohen Muths;
Trompeten flammten fchmesternd drein mit ihrem Ruf,
Und rings mit raufhenden Nuders gleichem Wechſelſchlag
Ward na des Bootsmanns Nuf die fprübende Fluth getheilt.
Und plöglih waren alle nah vor unferm Blid. | 390
Des Gefhwahers Linie führte feſtgeſchloſſen an
Der rechte Flügel; nach ihm kam der ganze Zug
Heraufgefahren; hören konnte man zugleich
Bielfahes Rufen: „O Hellenenkinder, kommt!
„Befreiet unfer Vaterland! befreiet Weib 395
„Und Kind! befreit der heimifchen Götter Heiligthum,
„Der Väter Gräber! Zegt um alles kämpfen wir!“
Und auch von uns her braufte lant ein perfifches
Gefchrei entgegen; nicht zu fäumen war es Zeit.
Da ſchlug mit Krachen Schiff in Schiff den bohrenden 400
Erzſchnabel; anfing ein hellenifh Schiff den Sturm,
Rip einem Tyrier allen Schmud vom Steuerbord;
Auf andre trieben andre wieder ihren Kiel.
Erft hielt des Perferheeres Strom noch gegen at;
Doch als die Unzahl unfrer Segel in des Meeres 405
Engfahrt fich trieb, war feiner feinem mehr zu Schu,
Und wechfelfeitig mit der eifernen Schnäbel Stoß
Zerfhlugen, zerfchmetterten fie fich der Ruder Doppelreihn.
Der Griechen Schiffe drängten mwohlberechnet nun
Ringsher umzingelnd gegen uns, jäh flürzten nm 410
Der Schiffe Bäuche, nicht zu ſehn mehr war die See,
Mit Wrad und Scheiter und mit Leichen überdeckt,
Bededt mit Leihen Klippen und Geſtad' umber.
In wilder Flucht fortruderud eilte fich jedes Schiff,
16
2423 j weite Tragdbie.
So viel nod übrig waren vom Barbarenbeer.
Doch wie beim Thunfiihiagen oder Treibefang
Bon ziehenden Fifchen, fchlugen, fließen, warfen fie
%
Mit Ruderwrack, Schiffeträmmern aus; dazu erfüllt
Die weite See Wehllage rings und Angfigefchrei,
Bis dab dabin fie nahm der dunkle Bli der Nacht. —
Und doch das Unmaaß unfres Leides, ſpräch' ich auch
Zehn ganzer Tage, dennoch nicht erfhöpft ich es;
Denn Wi? es wohl, daß nimmer noch an einem Tag
Bon Menfhen fo zahllofe Zahl dem Tod erlag.
Atoſſa.
Weh uns! herein brach ein entſetzlich Meer des Grams
Uns Perſern und den Völkern Aſiens allzumal.
Bote.
Und wife, noch ift nicht das halbe Maaß erfchöpft,
So vieles Leides Ueberlaſt brach auf fie ein,
ar wohl es zwiefach das Geſagte überwiegt.
Atoff ffa.
und welches Unheil könnte noch unfel’ger fein?
Sag’, welch ein neues Leiden noch des Heers du meinft,
Das meines Muthes finfende Waage traurig füllt?
Bote.
So viel der Perfer blühten in der Jugend Kraft,
An Muth die kühnſten, an Geſchlecht die herrlichſten,
Allzeit die allertreuſten unſerm Könige,
Sie raffte ſchmachvoll jammervollſter Tod dahin!
Atofſa.
O dies Verhängniß, Freunde! ich unſel'ge, weh!
Und wie geſchah es, daß der Tod ſie uns entriß?
415
420
435
Die Berfer. | 243
Bote.
Es liegt ein Eiland nah dem Geſtad' von Salamis,
Klein, ſchwer zur Landung, wo der reigenliebende Pan 440
Gern weilt und wandelt längs dem ftillen Klippenftrand.
Dorthin befchied fie Kerres, daß, fobald der Feind
Beraudt der Schiffe fih zum Ufer rettete,
Sie leichten Spiels erfchlügen alles Griechenvolk,
Den Unfern aber hülfen aus der Gefahr der See; 445
Der eignen Zukunft fhleht bedacht; denn als ein Gott
Den Griechen gab zu fiegen in der Schiffe Kaupf,
So kamen felb’gen Tages fie, den Leib bededt
Mit eherner Rüftung, fprangen ſchiffhinab ang Land,
Umzogen dann die Inſel rings; nicht fanden fie 450
Den Ort zum Angriff, da die hinabgefchleuderten
Felsſtücke niederriffen, und von der Bogen Schnur
Zahllofe Pfeile niederfchmwirrend mordeten.
Jedoch zulegt aus einer Schlucht hinangeftürmt,
Zerhaun, zerfleifchen fie der Befchlichnen Leider, bis 455
Den Armen allen .aller Lebenshauch entflohn.
Laut fchrie da Xerxes, als er dies endlofe Weh
Anſah; denn weithin überfchauend alles ‚Heer,
Saß er am Strand auf hoher Düne hochgethront;
®. 439. Es liegt ein Eiland ıc. Es ift Pintaleia gemeint,
die Felfeninfel, fünf Etadien von Salamis, einfam und fill, nur von
niſtenden Seevögeln bewohnt, ein rechter Aufenthalt für Pan. Ariſtei⸗
des war es, ber dort mit einer Schaar athenäifcher Hopliten die Perfer
üiberfiel. Richt ohne Bedeutung wird gerade an diefer Stelle Pan er:
wähnt; ſchon während des erften Perferfrieges hatte er ſich den Athes
nern als treuen Bundesgenvfien bewährt, weshalb ihm auf der Akropo⸗
lis eine Statue geweiht war mit folgender Inschrift:
Mich bocksfüßigen Pan, den arfadifchen, der für Athenä
Gegen die Meder gefämpft, ftellte Miltiades auf.
Wahrfheinlih war diefem Pan, dem meerumraufchten, wie ihn Sopho:
kles nenut, das kleine Eiland geweiht.
244 Zweite Tragoͤdie.
Sein Kleid zerriß er, fchrie in hellem Kammer auf, 400
Erließ der Landmacht eilig noch den Heerbefehl
und floh in ordnungslofer Flucht. — Das ift das Leid,
Drum die zu fenfzen noch zum frübern Leibe Lam.
Atoffa.
Verhaßter Dämon, wie bethörteft du des Sinns
Die Perfer! arg vertaufchte meinem Sohne ih _ 465
Die Nahe für Athenä's Stolz; noch g’nügte nicht,
Was von den Barbaren Marathon hinweggerafft!
Mein Sohn gedachte jegt zu rächen ihren Tod,
Und z09 auf fein Haupt diefes Zammers Uebermaaf.
Doch fprich, die Schiffe, die dem Untergang entflohn, 470
Wo haft du fie gelaffen? weißt du's? ſag's genau!
Bote,
Der wenigen Schiffe Führer, die der Kampf verfchont,
Ergaben ordnungslos der Flucht, den Winden fi).
Die andern Schaaren fanden im Boioterland
Ein Häglih Ende, theils am fprudelhellen Quell 475
Bor Durft verfommend, theils erfhöpft und athemlos
Entflohn wir weiter zum Gebiet der Phokier,
Zum Lande Doris, dann zum Malier Bufen, wo
Spercheiog mit gewogner Woge negt die Au;
Bon dort zum Land Achais und zu der Theſſaler 480
Burgftädten, die ung ganz von Speif und Tran? entdlößt
Aufnahmen; dort nun Rarben uns Unzählige
Bor Durft und Hunger, denn vereint war beides ba.
Ins Land Magnefia ging es dann, drauf ins Gebiet
Der Makedoner und zur Furth des Arios, 485
Durch Bolbe's fumpfigen Röhricht, zum Pangaios Berg,
Ins Land Edonis. Doch in diefer Nacht verhing
Die Perſer. 245
Ein Gott zur Unzeit Winterfroft, es ſtarrt in Eis
Des heigen Strymon breites Bett; und mer zuvor
Die Götter nie geglanber hatte, flehte jegt 498
In banger Andacht, betete Erd’ und Himmel an.
Sobald geendet fein inbrünftiges Gebet
Das Heer, fo eilt's eisüberfrorne Furthen hindurch;
Und wer von uns, eb’ feine Strahlen heiß der Gott.
Ausſandte, durchkam, der erhielt fein Leben dort. 495
Denn glüh’nden Blicks durchdrang der Sonne leuchtend Aug’
Des Eifes Decke, ſchmolz fie fort mit hafl’ger Gluth;
Da ftürzte alles durcheinander; glücklich war,
Wen je am fchneliftien feines Odems Kraft erftard.
Wie viele dorther übrig und gerettet find, 500
Die ind durch Thrake faum mit unfagbarer Noth
Hindurchgedrungen, nahn ſich eine Eleine Zahl
Dem Land der Heimath, alfo daß die Perferftadt
In bittrer Sehnſucht nach der theuren Jugend feufzt.
- Das iſt die Wahrheit; aber noch verfchwieg ich viel 505
Des Leides, das den Perfern aufgelegt ein Gott.
" Chorführer.
-D unentfliehbar arger Damon, allzu ſchwer
Tratſt du mit empörtem Fuß zu Boden Perfis Bol.
Htofla.
D weh mir Unglüdfel’gen, daß mein Bolt vertilgt!
Du klar gefchautes Traumgeficht der bangen Nacht, 510
Wie allzudentlih offenbarteft du mir Gram!
Ihr aber harter meinen Zraum mir fchledt erfaunt.
Und dennod will ich, weil fich hierin euer Nath
V. 488. Ein Bott zur Unzeit Winterfroft ı. Die Sala
minifhe Schlaht war gegen Ende Septembers geliefert, fo daß das Heer,
wenn es etwa Anfang Novembers am Strymon ftand, durch ungewöhne
li frühe Nachtfröfte überrafcht worden war.
-
.
246 Zweite Tragödie.
Bewährt, zum erfien uns der Götter Gnad' erflehn,
Sodann den Todten und der Erde fromme Gab’, 515
Aus unferm Pallaft Dpferbrode bringend nahn;
Zwar nun bei ſchon vollbrachtem Leid, ich weiß es wohl,
Doch für die Zukunft, ob es beffer werden mag.
Ihr aber müffet uns in ſolcher trüben Zeit
Als treue Freunde gönnen enren treuen Rath. 520
Doch meinen Sohn, wenn er fi vor mir nabete,
Begrüßt und tröftet und geleitet zum Pallaft,
Daß nicht zum Leide neues Leid fih haufen mag.
(Ab mit dem Boten und Gefolge.)
Ehorführer.
Aliherrfchender Zens, nun haft du hinweg
Das unzählige, ftolz hinziehende Volk 525
Der Perfer getilgt,
Haft Sufa num und Ekbatana's Burg
Mit den Schatten des Grames ummnachtet.
Wohl mande zerreißt mit der rofigen Hand
Sich den Schleier und weint, 530
Und der weinende Blid net Bufen und Schooß,
Denn auch fie hat Theil ja des Grames.
Und die Perfierinnen, die füßklagenden,
Die es nach dem Gemahl, dem fie jüngft ſich vermählt,
Rah dem Schlummer auf duftigem Teppich verlangt, 535
Nah der Tugend Genuß, der verlorenen Luſt,
Im unfäglihen Sram wehllagen fie laut. —
Auch uns fei Drum der Gefallenen 2008
Das betranerte würdig gefeiert.
Die Berfer. 247
(Strophe 1.)
Erfter Halbchorführer.
Nun fenfzt die ganze Aſia, daß fo fie verödet weit und breit; 540
Ah Kerres führte fie —
&hor.
Hinab!
Erfter Halbchorführer.
Ach Xerxes führte fie —
Chor.
Ä Ins Grab!
- &rfter Salbchorführer.
Ah, Kerres ai! mit feinen folgen Meerfhiffen aM dieß Lei-
den ung! 545
Erfter Halbchor.
Barum war Dareios einft’alfo fonder Schaden flets,
Kühn ein König des Bogens,
Sufa’s theurer Gebieter?
(Gegenfteopbe 1.)
Zweiter Halbchorführer.
Das Heer zu Land, das Heer zur See, gleihrudrig flügel:
fhwingende 550
Meesihiffe trugen fie — |
Ehor.
Hinab!
Yweiter Halbchorführer.
Meerſchiffe trugen ſie —
Ehor.
Ins Grab!
Zweiter Halbchorführer.
Meerſchiffe fort zur Schlacht des Untergangs in der Joner
blut'ge Hand! 555
das Zweite Tragoͤdie.
Zweiter Halbchor.
Fa der König ſelber kaum iſt, wie wir gehört, entflohn,
Ueber thrakiſche Heiden
Auf den Straßen des Winters.
(Strophe 2.)
Erſter Halbchorführer.
Aber die erſten des Todes — 560
Ehsr.
O!
Erſter Halbchorfhrer.
Welche dort ihr Geſchick traf —,
CEhor.
Weh!
Erſter Halbchorführer.
Am Kychreiageſtade —
Chor.
Weh uns!
Erſter Halbchorführer.
Fault ihr Leib nunt o weint, o wehklaget, zum Himmel auf⸗
ſchreit
Im tiefſten Gram! 565
Ehor.
Wehe! wehel weh uns!
Erfter Halbchorführer.
Laſſet das wilde, ſchmerzhelle Weh weit und weiter hallen!
(Gegenftrophe 2.)
Zweiter Salbhorführer.
Treibend in einfamer See —
Ehor.
D!
Zweiter Halbchorführer. s
Nast fie zucdend die fumme Brut — 570
Die Perfer. 249
Chor. Weh!
Zweiter Halbchorführer.
Der alllauteren Woge —!
Ehor.
Weh uns!
Zweiter Halbchorführer.
Einſam klagt um den Herrn das Haus, finderverwaifte Aeltern
Im tiefſten Gram.
Ehor.
Wehe! wehe! weh uns!
weiter Salbchorführer.
Klagende Greiſe, wohl allen Schmerz haben wir erfahren? 575
(Strophe 3.)
Erfter Salbehor,
Alias Völker ja fügen
Fürder ſich Perfifher Macht nicht,
Fürder fih Perfiihem Schoß nicht,
Herrifhem Joche gebeuget;
Nicht mehr beten im Staub fie 580
Schweigſam an, da des Königs
Zwingende Kraft dahinſank.
Gegenſtrophe 3.)
Zweiter Halbchor.
Fürder auch hütet der Menſchen
⸗Rede ſich nicht, denn das Volk fühlt
Ftei fich zu freiefter Rede, 585
Weil der Gewalt es ſich frei fühle;
Ja ein blutig Gefilde,
Fa die Inſel des Aias
Det, was Perfien einft war!
-
250 Zweite Tragoͤdie.
(Atoffe, ohne den Eöniglihen Schmud tritt auf, wenige Dienerinnen,
die Krüge und Schaalen tragen, folgen.)
Atoſſa.
O Freunde, wem des Grames bittre Kunde ward, 590
Der weiß es, wie den Menſchen, wann des Mißgeſchicks
Sturzfluth hereinbricht, alles Furcht zu wecken liebt,
Doch wenn das Schickſal ſanfter fluthet, jeglicher
Fortan ſich gleiche, frohe Fahrt hofft bis zum Ziel. |
Auch mir erfcheinet alles jegt erfüllt mit Furcht, 593
Mein Auge fieht Aufruhr der Götter überall,
Sn meinen Dhren gellt ein unheilfam Geſcrei;
Sp quält und ängftigt diefes Herz der Leiden Furcht.
Drum bin ich wieder dieſen Weg, nicht wie zuvor
Sm Glanz der Hoheit, nicht im goldnen Wagenfig, 600
Zurückgekommen, fromm dem Vater meines Sohnes
Aufs Grab zu gießen je der liebſten Spende Guß,
Von junger, unberührter Kuh weißlautre Mil,
Der Blumenfchaffnerin Biene tropfenhellen Seim,
Dazu der jungfräulichen Duelle fühlen Trunk, 605
Und unvermifcht, wie einft der wilden Mutter er
Entfprang, der alten Rebe glühenden Purpurfafts
Dann auch des ftillen, ewig blättergrünenden
Laubdunklen Delbaums, duftigfüße Frucht zugleich
Und Kranzes Blumen, Kinder der verjüngten An. 610
Nun Freunde, fingt denn euer feiernd Todtenlied
Zu meiner Todtenfpende, rufet mir empor
Den hehren Geiſt Dareios, während ich mit Fleiß
Den Göttern jenfeits gieße meiner Spende Gruß.
(Atoffa gebt zu dem folgenden Gefange von der Bühne bie Treppe
herab zum Grabe des Dareios; die Dienerinnen folgen.) -
L
Die Berfer. 2351
EHorführer.
Dun Perſias Stolz, o Königin hebr, 615
Du fpende den Gruß in der Todten Gemach;
Wir wollen dazu mit Sefang laut flehn,
Daß guädig uns fein
Die Geleiter der Todten im Hades.
Ihr heiligen Grabgottheiten zumal, 620
Hermes, Sala, du der Unteren Fürft,
O fendet den Geift nun empor an das Licht;
Denn weiß er dem Land je Rettung noch,
Er allein fagt’s uns, wo ein Ziel ik.
(Atoffa fpendet während des Chorliedes.)
Wechfelgefang des Chors.
Strophe 1.
Hörft du mich and, feliger Geift, hörft du, o gottähnlicher
j Fürf, 625
Die tief ih in Trauer binabfende zu dir den lautjammernd
Ä hallenden Todtenruf?
Schmerzlihes Geſchrei
Will ich zu dir fchreim, 630
Drunten wirft du mich hören?
Gegenſtrophe 1.
Gain und ihr anderen grabwaltenden Gottheiten, empor
Laßt mir von den Tiefen empor fleigen den hehren Geiſt, Pers
ſias Sufageborenen Gott, 635
Schickt ihn mir empor,
Defien Gleichen
Noch Tein Perfifhes Grab barg
352 Zweite Tragoͤdie.
Strophe 2%
Theueres Haupt! theuere Gruft! ach du verbirgſt ein theure;
Kleinod!
Aidoneus, ſo geleit' du ihn aufwärts,
Aidoneus, unſern herrlichen Herrn Dareianas! Oh!
Segenſtrophe 8.
Rimmer in feindtilgende Feldfehlachten dahin gab er Die
Seinen; 645
Gottes Liebling, ſo benannte ſein Volk ihn,
Gottes Liebling war er, fo herzlich er unſer Heer führtel Oh!
Strophe 8,
O Bal, alter Sort,
O Bal, nahe did, nah’!
Steige zu deines Grabes Steinmahl! 650
Sa empor fteig’ in dem Safran der Sandale,
Mit der Königstiara
Um die Stirn geziere!
Rabe dich, Vater du milder, Dareianas! Dh!
Gegenftrophe 3.
Damit ſelbſt du neu
Unfagbares Leid,
König der Könige, hörſt, erfcheine! 655
Da erhebt fihon fih der Styr Nebel, umhüllt mic!
Sn den Tod, Herr, vernichtet
Iſt die Sugend Perfias!
Nahe dich, Vater, du milder Dareianası Oh!
&pobe,
D du, o du, ı 660
Ewig den Deinen im Tode beweint!
Was es ift, o Gebieter, o Gebieter, das p -
- Dir in Roth, dir in Tod dein Reich, dein Wo
Die Berfer. 353
Troſtlos hinſtürzt?
| Hinſank al fein ſtolzrudernd 665
Nun verlorenes, verlorenes Geſchwader! —
(Aus der fingifchen Pforte fleigt der Beift des Dareios empor, ange
than wie der Chor ihn gefchildert; er fchreitet auf die Höhe feines Gra⸗
bes, Atoffa und der Chor find von demfelben berabgeftiegen.)
Dareios.
Ihr meiner Treuen Treufte, Perfias Aeltefte,
Gefährten meiner Tugend, was gefhah dem Neid?
Es jammert, ſchlägt fih, reiße fich blutig alles Land;
Und hier am Grabe fpenden mein Gemahl zu fehn, 670
Mich macht es bang; doch folgt’ ich willig ihrem Ruf.
Ihr aber wehllagt dicht um meine Gruft gedrängt,
Ihr wecktet mich, ihr rieft mit fchattenbannendem
Geſange gramvoll meinen Geift; nicht wiſſet ihr,
Wie traurig aufwärts aller Weg, und wie fo fhnell 675
Die Götter jenfeits fallen, doch freilaffen nie.
Doch über fie auch machtgewaltig noch, erfhien
Ich eilig, eh’ des Säumens Vorwurf mich ereilt. —
Welch neues Web, fpreht, ward den Perſern auferlegt?
(Der Ehor wirft fih in den Staub.)
Ehor.
Ich erbeb’ an dich zu ſchaun, Herr, 680
Sch erbeb’, Herr, wo du nah biſt,
In gewohnter Scheu, zu fprechen!
Dareios.
Doch da ich empor von jenfeits deinem Ruf zu folgen kam,
So berichte nun und fag’ mir alles treu, was euch gefchab,
Richt in weiter Rede, fondern kurz gedrängt und ohne
Shen. 685
254 Zweite Tragödie.
Zweiter Halbchor.
D mid fcheur’s, Herr, dir zu heblen,
Und mich fcheurs dir zu erzählen,
Was dem Freund zu fagen unfagbar.
Dareios.
Hält denn fo die alte Ehrfurcht deines Sinnes dich gebannt,
Du, Genoffin meines Lagers, greifes, hochgebornes Weib, 690
Wolle du denn deine Thränen, deinen Schmerz befhwichtigend,
Deutlich mir erzählen. Menſchlich Leid betrifft den Menſchen
leicht.
Bieles Unheil wird in Meeres, vieles auch im Erden⸗Schooß
Neif dem Meenfchen, wenn zu lang fein überlchend Leben währt.
Ntoffa.
Du vor aller Menfchen Loofe dur ein fchönftes Loos be:
glückt, 695
Daß, ſo lange dich der Sonne Blick geſchaut, du neideswerth
Friedenſel'ge Tage lebteſt, einem Gott gleich deinem Volk,
Doppelt wohl dir, daß du ſtarbeſt, eh' du den tiefſten Fall
geſehn;
Denn, Dareios, allen Jammer ſage dir ein kleines Wort:
Nieder im Staub liegt Perſis Hoheit allzerſtört. Du’ weißt
es jetzt. 700
Dareios.
Wie geſchah's? kam Todesſchauer, kam ——— über euch?
Atoſſa.
Peſt und Streit nicht, um Athen war's, daß dahinſank unſer
Heer.
Dareios.
Wer von meinen Söhnen führte dorthinaus die Völker? ſprich!
Atoſſa.
»s war der kühne FXerxes; alles Land der Feſte leert er aus.
Die Berfer. 255
Dareios.
Hat mit Landmacht oder Seemacht biefe Thorheit er gewagt? 705
Atoſſa.
Beides; doppelt Stirn und Antliß bot des Heeres Doppelsug.
Dareios.
Doch wie gelang fo großem Landheer dorthin auch der Weber
‚gang?
Atoffa.
Brüden ließ er über Hella’s Flurhen jochen feinem Heer.
Dareios.
Und vollbracht er's, und verſchloß er fo den mächt'gen Bos:
poros?
Atofſ
Alſo is; doch feinem Sinnen bat ein Damon fich gefellt. 710
Dareios.
Web, gefellt ein großer Damon, der ihm allen Rath berhört!
Atoffa.
Fa, es lehret jegt der Ausgang, welches Leid er ihm gebracht!
Dareios,
Und was hatten fie zu Teiden, über die ihr alfo klagt?
Atoſſa.
Seine Flotte riß die Landmacht mit in den Untergang hinab.
Dareios.
Gar und ganz hat ſo des Feindes Lanze nun ſein Heer ver⸗
tilgt? 715
Atofſa.
Suſa nun ſieht todt und öde feine Straßen, ſeufzet laut — —
Dareios.
Goͤtter! o ſo herrlich ſKriegsheer, ſo ein koͤniglich Geleit!
Stoffe.
Baktra's Volk vertilgt, dahin iſt's, greifem Alter jeder fern.
2356 Zweite Tragoͤdie.
Dareios.
D des Grames! welche Tugend wackrer Freunde ſank dahin!
Atofſa.
Einzeln fei, verlaſſen, heißt es, XRerxes nur mit wenigen — — 720
Dareios.
Wo und wie denn umgekommen? giebt es Rettung? welche?
ſprich!
Atofſa.
Glücklich kam er ſelbſt zur Brücke, welche Land und Land vereint.
Dareios.
Und zurüd in feine Lande reitet er ſich? itrs gewiß?
Atoſſa.
Sa, es ſagt fo ein Bericht uns, Widerſpruch iſt nicht darin.
Dareiod.
Wehe! eilig kam Erfüllung aller Sprüde; meinem Sohn 725
Schleuderte Zeus der Gottverheißung Ende zul Wohl glaubt,
ih einft,
Fern in ferner Zeit vollenden würde fie der Götter Rath;
Aber wer fie felbft ſich zeitigt, dem gefellt fich fehnell der Gott.
Aufgefunden al’ den Meinen fcheint der Quell des Grames jept;
Aber nicht mein Sohn erfannt’ es, jugendlichen Stolzes voll, 730
Der den heiligen Hellespontos einem Knecht gleich kettenhaft
Wähnte zu umfahn, den mächt'gen Bosporos, des Gottes
Strom,
Der den Weg des Meeres umfhuf, und mit der Feſſeln Ei-
fenlaft
Ihn umgürtend weite Straße feinem weiten Heere fchuf,
Der, ein Menfch, die Götter alle glaubte, böfen Wahns bes
thört, 735
Und Pofeidon felbft zum zwingen. Wars denn möglich, trieb
ihn nicht
Die Berfer. %7
Blind des Wahnfiuns Geift? Sch fürchte, meines Neichthums
viele Muh’
Wird zum fchnöden Raube dem jept, der danach. der erſte greift.
Atoſſa.
Dazu ward durch böfer Männer böſen Rath dein kühner Sohn
Srrgeleitet; denn fie fprahen: großen Reichthum bätteft bu 740
Sonft im Spiel des Kriegs gewonnen, während er muthlos
daheim
Kriege fpiele, nicht das Erbtheil mehre, das er einft empfing.
Hören mußt’ er diefen Vorwurf böfer Männer viel und oft,
Drum befhloß er jenen Feldzug, gegen Hellas auszuziehn.
Dareios.
Alfo zu Ende hat denn er das Werk gebracht, 745
Das größte, nnvergeßliche, deſſen Gleichen noch
Niemals die Zelte Sufa fo verödet bat,
Seit Zeus, der Herrfcher, diefes Amt verordnete,
Daß über Afias heerdenreihe Lande ftets
Ein König richte, mit dem Stab der Macht belehnt. 750
Denn Medos war der erſte Führer unfres Volks,
Doch defien Sohn erft fchuf des großen Werkes Schluß;
Der hehren Weisheit Steuer Jeufte feinen Muth.
Der ‚dritte nad) ihm, Kyros allglückſel'ge Kraft,
Gab, da er herrfchte, Frieden allem feinem Volk, 755
Gewann der Luder und der Phrygier reiches Land,
Und unterwarf fih ganz Jonia mit Gewalt;
-Denn weil er mild war, zürnte nicht auf ihn der Bott.
Des Kyros Sohn dann war der Perfer vierter Fürf,
Der fünfte Mardos, feines Vaterlandes Schmach 760
Und feines angeſtammten Throns. Ihn morbete
Mir Lift der edle Ataphernes im Pallaft
Mit treuen Männern, denen zufiel diefe Pflicht.
Für mich entfchied fi dann das Loos, das ich gewünſcht, 765
17
258 Bweite Tragoͤdie.
Und rüflig focht ich vieles aus mit vielem Bolf;
Solch Leiden aber ſchafft' ich nimmermehr dem Neid.
Doch meinen Sohn Zerres bethörte Zugendluft
Zu Jugendthorheit; nicht gedacht’ er fürder noch
An mein Vermächtniß. Ahr, mir einft Genoflen, wißt, - 770
Bon allen Fürften, die des Neiches wir geherrfcht,
Hat Reiner fo viel Elend auf fein Volk gebradt.
E©horführer.
Doch nun? o Fürft Dareios, wohin wenden du
Des Wortes Ausgang, wie am beften retten denn
Wir Perfifh Volk uns jegt vor diefem Leiden noch? 775
Dareiod,
Wenn nun und nimmer ihr gen Hellas Lande zieht,
Und wär an Zahl auch größer noch das Meder Heer;
Ahr am ja felber kämpft verbündet für fie mit.
Chorfübrer.
Wie fast du, König? wie verbündet kämpft das Land?
Dareios.
Es bringt mit Hunger al’ die aflzuvielen um. 780
Chorführer.
Doch ſchickten wir ein maͤcht'ges wohl verfehnes Heer —
Darecios,
Selbſt aber das Heer, das in Hellas Feldern jept
Noch weilt, der Rückkehr frohen Tag erblickt es nie.
Ehorführer.
Wie fagft du? zieht denm nicht der Perfer ganze Macht
Heimkehrend aus Europa über Hellas Furth? 785
Dareios.
Bon vielen wenige, wenn den Götterſprüchen man,
Die traurig darthun dieß Geſchick der Gegenwart,
Darf traun; und nicht gefchieht das eine, andres nicht.
Und wenn es fo ift, einen beften Theil des Heers,
Die Berfer. "
Auf leere Hoffnung trauend läßt er dann zurüd;
Sie bleiben, wo die Ebene rings Afopos Fluth,
Die liebe Tränkung des Böoterlandes, negt,
Wo alle Leiden fchwerfter Schlag noch ihrer harrt,
Der Lohn des Hochmuths und der Gottesläfterung,
Die in Hellas nicht ſich fcheuten, SGörterbilder frech
Zu plündern, Göttertenipel zu verbrennen. Sa,
Altäre find verfchollen, ew’ger Götter Sitz
Ruchlos von Grund aus umgeftärzt und umgewühlt. |
Drum müſſen Gleiches, die fo übel thaten, jegt
Erwarten und erbulden; noch ift nicht ihr Kelch
Erſchöpft; es bleibt noch eine Neige bittree Schuld.
Das wird des edien Perferblutes Opferguß
Bom Speer der Dorer auf Plataias Felde fein.
und Todtenhügel werden fpät den Enkeln bis
Ans dritte Glied noch ftummberedte Zeugen ſein,
Daß nicht zu hoch fih heben foll des Menſchen Stolz.
Es fegt der Hochmuth aufgeblüht die Achre an
Der Schuld, die bald zu thränenreiher Erndte reift.
Die jept ihr diefe Strafe blinden Stolzes faht,
Gedenkt an Hellas, an Athen, und hütet mh -
‚ Der Gegenwart Genuß verfhmähend, fernen Glücks
Begierig umzuftürzen eignes, größ’res Glück.
Denn Zeus, ein Rächer allzu kühn auffirebenden
Hochmuthes herrſcht er, fordert ſtrenge Rechenſchaft.
Darum ſo lehrt denn ihr, die weiſe wißt zu ſein,
Mit weiſem Rathe meinem Sohn, von ſich zu thun
Des ſtolzen Sinnes gottvergeſſnen Uebermuth.
Du aber, Zerxes hehre Mutter, Theuerſte,
Geh zum Pallaſt, ſuch' einen Schmuck aus, wie er ſich
Geziemt, und eile deinem Sohn entgegen; denn
Im Schmerz des Unglücks riß er zu Fetzen lumpenhaft
28
795
810
815
820
260 Zweite Tragoͤdie.
um Bruft und Nacken feines Kleides Goldgeweb'.
Du, Mutter, mußt ihn freundlich mir befänftigen,
Dich nur, ich weiß es, anzuhören trägt er jegt.
Sch aber geh’ von binnen in des Grabes Nacht; 325
Lebt wohl, o Greife; ob in Leid auch, dennoch gönnt,
So lang es Tag if, eurer Seele frohen Muth,
Beil doc den Todten flirbt die Luft an Gold und Gut.
(Der Schatten des Könige verſchwindet.)
Chorführer.
Wie viel des Leides fchon erfüllt und noch verhängt
Dem Perſervolk if, börr id) mir zum tiefften Gram. 830
Atoffe.
O Dämon, weld ein bittres Leid Fam über mich!
Bor allen aber Richt ins Herz mir diefer Gram,
Das ich die Schande meines Sohnes an feinem Leid,
Des zerrifienen Kleides werbe fehn, das ihm bededit.
Doch eil' und hol' ich aus dem Pallaſt einen Shmud, 835
Und gehe zu begegnen meinem lichen Sohn.
Mein Liebes win ich nicht verlaffen in feiner Notb.
(Die Königin ab.)
Die Berfer. 261
Wehfelgefang des Ehors.
(Strophe 1.)
Wohl ein erhabenes, glüdliches, ftädtebeherrfchendes Leben ge
j nofien wir,
Als der Greis König 840
Schuldlos, nimmer bewältiger, allen ein Hort
Gleich wie ein Gott huldreich Dareios herrfchte.
(Gegenſtrophe 1.
Sonft da erfchienen wir herrlichfien Heeres berühmt, umd es
richtete jede Stadt
Strengen Rechts Drdnung; 845
Mühlos fonder Gefahr von den Kriegen zurück
Brachte zur Heimath glücklich baldige Heimkehr.
(Strophe 9.)
Wie viel Etädte gewann er, und führte Doch nimmer dem
Halys hinüber
Und verließ do nie den Herd: .
Sp viel längs dem Strymoniſchen Meer Mcheloifche
Städte benachbart 850
Thrake's Thälern liegen.
(Gegenfteopbe 2.)
Fern vom Strande die Städte des Landes, die mauernumſchloſſ⸗
nen, gehordhten
Billig feinem Machtgebot,
Auch die prangenden rings an der Hella Geftad, und bie
Baht der Propontis
Und des Pontos Mündung. 855
262 Zweite Tragoͤdie.
(Strophe 3.)
Die Eilande, die wogenumraufchten der Vorſee
Länge den Küften unfres Landes,
Lesbos, Chios und Samos olivenumfriedet Feld,
Mykonos, Paros und Naros und fa anlehnend an Tenos
Andros nah Geſtade. 860
Gegenſtrophe 3.)
So auch dienten ihm zwiſchen die Küſte gefüget
Lemnos und Ikarias See,
Rhodos, Knidos, und Kyprias prangender Städtekranz,
Paphos, Soli und Salamis, deren Gründerin jetzt uns
Alles Grames Schuld iſt. 865
Epode.
So auch alle die glücklichen Städte
Rings im Joniſchen Kreiſe.
Reich von Griechen bewohnt zwang er nach feinem Sinn;
Ihm zu Gebot war ein mächtiges Heer ſtets
Kriegsmwehrhafter
Weither heimifcher Krieger. 870
Doc) jetzt dulden wir deutlich ein göttergewanbeltes Ende der
| Kämpfe,
Allgewaltig gefchlagen durch des Meeres Unheil! —
(Paufe. Man bört von der Straße der Fremde ber ein „Web mir‘;
dann ericheint Zerres mit wenigem Gefolge.)
Kerze.
Beh mir!
Unfeligfter ich, daß fo mein Haupt
Dieb Loos, das verhaßt unerwartete traf!
Sp ſinnlos wild flürze fih der Damon 875
Auf Perfia’s Volk! wie trag’ ich es, o!
Denn es Iöft fi die Kraft mir in Mark und Gebein,
Die Berfer.
Wie ich dort die Getreuen erblicke des Volks!
Zeus, hätte doch fern mit dem anderen Heer,
Mit den Todten zugleich
Mid, begraben des Todes Berhängsiß!
Ehorführer.
eh, weh uns, Herr, um das herrliche Heer,
Um der Perfergewalt allherrlihen Ruhm,
Um die Blume des Volks,
Die der Dämon nieder gemäht hat!
Erſter Halbchorführer.
Laut ſchluchzet das Land
Um die heimiſche Tugend, die Kerres vertilgt,
Für den Hades wohl ein Mehrer des Reichs!
Zweiter Salbchorführer.
Denn die Krieger zumal und der NReifigen Schwarm,
Denn die bogengewaltige Blüthe des Reiche,
Denn all’ mein Bolt, ein unzählig Geflecht
Iſt todt und hin!
Kerres.
Weh mir, weh mir, mein Heer, mein Bolt!
Ghorführer
indem der Chor anbetend fi in den Staub wirft).
Doch Aſia beugt, o König und Herr,
Gramvoll, gramvoll
Bor dir tief fih in den Staub!
(Strophe 1.)
Kerze.
Und ich, web, web, Armfel’ger,
Ich Mitleidswürd’ger, dem Bolte, dan Neid
Zum Verderben ich gezeugt!
Erfter Halbchorführer.
Ag Heimkehrgruß wehklag' ich a
80
2040 Zweite Tragoͤdie.
Unergoͤtzliches Getoͤn,
Unerſättliches Geſtoͤhn!
Mein Mariandyniſches Jammergeſchrei 900
Nimm hin, nimm hin,
Das die Thräne mir erſtickt!
Gegenſtrophe 1.)
Kerzeb.
Troſtlos ausweint, ausjangmert
AP eueren Schmerz; denn die Gottheit felbft
Hat fi wider mid gewandt! 905
- Zweiter Salbchorführer.
Troſtlos laut weinen will id
Um die Leiden in der See,
Un die Zeichen in der See,
. Um bie Kinder der Helmath trauern.
Aufſchrei', aufſchrei'
Sch von Thränen bermannt! 910
(Stropbe 3.) |
Zerxes.
Der Jone bezwang ums,
Des Jonen meermächt'ger Hort Ares verrieth uns,
Er erſchien wie ein Schnitter im Thal
Am Geſtade des Todes. 915
Erſter Halbchor.
Wehe, wehe ruft! erfragt alles Leid!
Einer ber Sreiſe.
Wo denn blieb der getreuen Schaar,
Wo die Wächter deines Throns,
8. 900. Mein Mariandunifhes Jammergeſchrei, nad
dem kleinaſiatiſchen Volk der Mariandyner benannt, das in dem fana«
tifhen Kultus, der jenen Gegenden eigenthämlicd, war, vor allen einen
büftern Rlagegefang zur Flöte zu fingen pflegte.
r
Die Berfer.
Sag mir, wo Pharandakes
Sufas, Pelagon,
Wo Pfammis, Dotamas, Agdabatas,
Sufistanes,
Den Agbatana gefands?
(Gegenſtrophe 2.)
Kerzes,
Ich verließ fie ja todt dort,
Vom Sidonerfhiff gekürzt, Salamis Strande nab;
An dem felfigen Salamisftrand
Zerfhellt von der Brandung!
Zweiter Halbchorführer.
Lehe, weh! wohin denn Fam Pharnuchos?
Zweiter Greis,
Wo blieb Ariomardos, ſprich, e
Wo der Fürft Senaltidas,
Und Lilaios edles Blut,
Memphis, Tharybis,
Und wo Artembares, wo Mafifiras, ach!
Wo Hpftaihmas?
Du verfchweige mir es nicht!
(Strophe 3.)
Zerreb.
Weh, wehe, fhauend |
Zum verhaßten Arhen, dem ogygiſchen hin,
Mit Well' und Welle gegen das Geftad,
Sp treibt, fo treibt fie die Brandung auf und nieder!
Dritter Greis,
O fag’, gar auch dein Liebling,
—
Dein Ang’, dein treufter in Perſia's Bolt,
Zähler der Taufend’ und Tanfende bir,
Batanochos Kind Alpifiog,
920
930
2606 Zweite Tragoͤdie.
Des Seſama Sohn's, des Mygabatas Sohws; 945
/ Sag’ Dibares auch und Parthos? —
Erſter Halbchor.
Du ließeſt fie, ließeſt fie,
O furchtbar Geſchick!
Den ſtolzen Perſern nenneſt zu Leide du Leid!
Gegenſtrophe 3.
Zerxes.
Gramvolle Sehnſucht
Nach den theuren Genoſſen erwecket dein Wort, 950
Das Leid zu Leid, unvergeßliches mir bringt;
Gs ſchreit, es ſchreit in der Bruſt mein Herz vor Jammer!
Bierter Greis.
Und noch nach vielen verlangt's mich,
Nach dem rieſigen Fürſten des mardiſchen Volks, 955
Nach Tanthes, nach Anchares,
Nach Arſakes, Diairis,
Der den Reutern gebot,
Nah Kigdagatas, Lythimnas,
Nach dem kampfunerſättlichen Tolmos. 960
Zweiter Halbchor. |
Begraben, begraben dort,
Dem Königswagerf
Her folgten fie, dem goldüberzelteten, nicht!
Kerzes.
(Strophe 4.)
Gefallen ift, was da Heeres Zierde war!
Fünfter.
Gefallen, ah! namenlos!
Schäter.
Dem Tod, dem Tod! ach weh, ach weh! 965
Die Perſer. 367-
&iebenter.
Ihr Götter, ad), Ihr —— sl ungedenkbares Weh!
Entfeglih hervorſchauet * —
(Gegenſtrophe 4.)
Zerxes.
Geſchlagen wir! Welch ein Wechſel, welch ein Sturz!
Neunter.
Geſchlagen! gar deutlich if’s! 970
Zehuter.
So neu, ſo neu der Leiden Leid!
Eilfter.
Jonia's rudernd Volk, wir ſahn es uns nicht zum Heil!
Zwöltter.
Unfelig zum Krieg fhweigt der Perfer Volk jet!
(Strophe 5.)
Kerzeb.
So ifts! mit fo maͤcht'gem Heer ward ic boch geſchlagen! 975
Erſter Halbchor.
Nur das? dahin ſinkt, was Perſis einſt war!
Te rxes,
Und ſiehſt du hier, was ih behielt von meinem Schmud?
} Erfter Halbchor.
Ich ſeh's, ich feh’s!
Zerzeö:
Hier no den Pfeilebewahrenden —
Erfter Halbchor.
Was nennſt du dir Den gerettet noch 9%
Kerze.
‚Meines Koͤchers Gehäuſe!
Erſter Halbchor.
Ach ein Kleines von vielem!
208 , Zweite Tragöbie.
Zerxes.
Alles Heer es verkam uns!
Erſter Halbchor.
Nicht kampfſcheu war das Bol! Jona!
(Begeuftropbe 5.)
Kerze.
’s war none und kühn; aber ich litt unglanblih Unglück! 085
Zweiter Helbihor.
Die fünöde Flucht deiner en meinft du?
Mein Kleid entzwei riß ich in olgem Mißgeſchick!
Zweiter Halbchor.
O weh, o weh!
Zerxes.
Wahrlich und mehr denn wehe jegt!
Zweiter Halbchor.
Ach doppelt und dreifach fchweres Weh! 900
Kerred.
.. Kammer, Zubel den Feinden!
Zweiter Halbchor.
Nun die Macht dir verftümmelt!
Kerzes.
Baar ich alles Geleites!
Zweiter Halbchor.
Der Treuen durch den Zorn der Fluthen!
(Strophe 6.) j
ri Kerreb.
Mein Leiden beweine, weinend fleig zum Dans Binauf! 905
Erfter Halbchor.
Dein Leid, dein Leid bewein’ ich laut!
Kerze.
Entgegen fehrei zu meinem Schrei!
Die Berfer.
Erfter Halbchor.
Dem Leid des Leides Teid’gen Gruß!
Herzeb.
Wehklagt vereint des Kammers Schrei!
Ganzer Ehor.
Otototoi!
Schwer laſtet auf uns dein Geſchick,
Ach und es ſchmerzt im Tiefſten!
(Gegenſtrophe 6.)
Zerxes.
Zerſchlag', zerfhlag”. dich, jammre mir zu Liebe laut!
Zweiter Halbchor.
Ich wein, ich weine jammerlaut!
Zerred.
Entgegen fchrei zu meinem Schrei!
Zweiter Halbchor.
Du willft es, Herr, ich bin bereit!
Kerzes,
Zum Himmel auf Schrei Schmerzgensruf!
Ganzer Chor,
Dtototgi!
Mit ſchwarzem Blutfirom mifht aufs New’
Weh, fi der laute Schlag drein!
(Strophe 7.)
Kerze.
Die Bruſt gerfleifch? Dir, klag' dazu das Myſierlied!
Erſter Halbchor.
Jammer! Jammer! Janmer!
Berzed.
Auch deines Bartes weißes Haar zerreiße mir!
Erſter Salbchor.
Es bricht, es bricht mir die greiſe Kraft!
269
1000
1005
1010
370
Zweite Tragödie.
Terxes.
So ſchrei laut, lauter! 1015
Erſter Halbchor.
Ach! ich will es!
(Gegenſtrophe 7)
ZXerxes.
Das Kleid zerfez' um Bruſt und Leib mit wilder Hand!
Zweiter Halbchor.
Sammer! Sammer! Jammer!
Kerze.
Und greif in die Locken zum hellen Todtenlied des Heers!
Zweiter Halbchor.
Es bricht, es bricht mir die greife Kraft! 1020
Kerze.
Sp wein’ dein Auge! -
Zweiter Halbchor.
Ach es ſtroͤmt ja!
(Epode.)
Zerxes.
Entgegen ſchrei zu meinem Schrei!
Ganzer Shor.
Oah! Dah!
Terxes.
Wehklagend ſchreite zum Pallaſt! 1025
Erfter Halbchor.
Ro! Jo! Perfis — ie Weg iſt ſchwer!
Jo! ſchreit die —8 durch!
Ganzer Chor.
Jo! freilich! freilich!
Zerzes.
Ihr klagt, zu mweicherem Weg gewöhnt!
+
Die Perſer. 271
Zweiter Halbchor.
Jo! Jo! Perfis Land, dein Weg ift fhwer! 1030
Zerxes.
Weh mir, mit den ſtolzen Geſchwadern,
Weh mir, mit den Schiffen des Meeres getilgt!
Ganzer Chor.
Laut nahjammernd, Herr, geleir ih dich! —
(Zu dem legten Zeilen find alle die Stufen zur Sceue binaufgeftiegen;
der Vorhang hebt fidh.)
*
'
Dritte Tragödie.
Meerglaukos.
— —
Eine der ſchönſten griechiſchen Volksſagen bietet die Situa⸗
tion dieſer Tragödie, die aus dem ſtolzen, goldprangenden
Königspallaft des fernen Perferreichs zurückführt zum ftillen,
friedlichen Meeresufer beim Städtchen Anthedon; die heimi⸗
fhen Fifher nennen die Stelle den Glaukosſprung: bier fei des
Glaukos, des Meergottes Grotte; einmal im Jahre ſchwimme
der Gott mit feinen Genoſſen, bald fifchgeftaltigen Meerwun⸗
dern, umber an allen Seeküften und Infeln, und prophezeie
unfihtbar alles Böfe, und dazu raufche laut des Meeres Bran-
dung; die Fifher aber erwarten ihn naͤchtens, und wenn er
naht, fo fleigen fie hinab in den Schiffsraum, und beten und
opfern Weihrauch, um das DBerderben abzuwehren, das er den
Heerden und Feldern weiſſagt. Er felbft aber wehklagt, daß
er nicht fterben kann, weil er
„vom alllebendigen, allen Tod abwehrenden
Zweiglein gegefien.‘
Und die Gläubigen fehen fo wohl den Gott felbft: der Leib,
durch die Wogen die lange Zeit hindurch gepeitfcht, if zerfal⸗
Meerglaufos. 373
len, Muſcheln, Schilf and Steine hineingewachſen, die Geftalt
fi ſelbſt nicht mehr gleich.
Sp warten wieber Anthebonifche Fiſcher am Straude, fie
haben lange Zeit nicht hinaus koͤnnen im die freie Ser, die
unzähligen Schiffe der Barbaren haben ihnen das Meer ges
ſchloſſen; trauernd figen fie jegt am Ufer, uud warten auf bie
Ankunft des weiffagenden Gottes. Und fehen naht er ud
taucht ans der Fluth empor: "
— „ein menfhgekaltig Wunderbild
son Wafſfer triefend,“
— „ber Lippe dicht und dicht der hohlen Wange Saum
Bartüberſchattet.“
in ſeinen verſchliſſenen Fiſchleib ſind
„Meerſchnecken, Muſcheln, Seetang“
eingewachſen. So erſcheint er, begleitet von einem Chor wun-
derbarer Meerdaͤmonen; fie fingen ein Meerlied, während bie
Bifher auf ber Scene das gebraͤuchliche Opfer barbringen.
Aber nicht wie ſonſt erhebt Glankos Klagen über ſeine Unſterb⸗
lichkeit, noch prophezelet er den bangen Menſchen boſe Zeit,
Mißwachs und Senche; über Hellas iſt große Freude gekom⸗
men, aller Orten ſind die Bardaren beſiegt, es iſt die Freiheit des
Landes, der Meere glorreich errungen. So beginnt er um bie
Erzählung, wie er von Anthedon fortgeſchwommen ſei binanf an
„Euboias Uferbiegung längs des Kenaiſchen Zeus
Geſtaden, unterm Grab des armen Lichas bin.“
„und dann vorüber bei Athenä Diabes“
weiter zwifchen den „meerſchneckennäͤhrenden Inſein“ hindurch,
am Zipherifhen Hafen vorüber, dann zu jener Stadt, wo einſt
vom Feſtlande fih Sicilien losriß, „woher die Stadt ſeibſt
ben Namen Rhegion behielt.“ Und weiter zus Mündung des
Auſſes Himera?
18
374 Dritte Tragöbie.
„Im fhönen Bade ließ ich baden meinen Leib,
Und nabte mich der uferfteilen Himera.“
Bei diefer Stadt nun war ed, wo er mit eigenen Augen die
gewaltige Schlacht zwifchen den ficilianifhen Griechen und bem
karchedoniſchen Barbaren ſah, wie der punifche Feldherr Has
miltar, während er ein großes Dpfer bielt, von den vereinten
Griechen überfallen, feine Flotte verbrannt, fein Beer aufge:
trieben wurde. Wie durch die Salaminifhe Schlacht Hellas, fo
it duch die am Himera Sicilien befreit, nah allen Seiten
die Macht der Barbaren gebrochen, ihr Name kein Schreden,
ihre Macht Fein drohendes Unwetter mehr; alle Bangigkeit lö⸗
fet fih zu lauter Freude; der greife Meergott felbit fehnt fich
wicht mehr nach dem Zode; foldhe Gegenwart, folde Zukunft
zu genießen, will er fort und fort leben,
„will wieder effen von Dem alllebend’gen Kraut‘
will wieder Jahr um Jahr umberfhwinmen an den Küften
des fchönen glückſeligen Griechenlandes. Und von den feiern-
den Sefängen des Chores wiederhallen Die Anthedonifchen Ufer,
fie preifen laut das freudige Roos der freien Hellenen, fie rüh⸗
men ihre Thaten und ihren Muth, fie verheißen eine herrliche,
nimmer geftörte Zukunft und unfterblihen Nachruhm. Und
als fie den Geſang geendet, da begleitet das Bolt von Ans
thedon fie heim mit frommem Gefange:
„Steöme ber Glückwunſch freudigen Wege
von der Kippe zuerſt.“
Sp die Grundlage diefes idyllifch fchönen Dramas. Im:
dep muß es noch einige andere Momente enthalten haben. Das»
reios Geift hat in den Perfern noch die Plataiifhe Schlacht
vorherverfündet; „durch böfer Männer böfen Rath irrgeleitet”
(Perfer B. 740.) bat Kerres den großen Heeresjug unternom⸗
men und eben der Mardonios, der ihn befonders antrieb, iſt
nah der Salaminifhen Schlacht noch in Hellas geblieben,
Meerglaufos. 275
noch einmal zu wagen; umd er if in der Schlacht von Pla:
taiai gefallen, in berfelben Zeit, da auch der Reit der Perfer-
fiotte bei Mykale erlag. Nicht unmöglich wäre, daB Artontes,
Mardonios Sohn, der des Vaters Leihe auf dem Schlacht:
felde beftattet hatte, flüchtend bei den Anthedonifhen Schiffern
erſchien und eben feiner Frömmigkeit wegen, die ihn aufgehal-
ten, von ihnen bindurchgelaffen wurde. Dieß und der Bericht
der Mykaleſchlacht mag. die erfie der drei Ecenen ausgefüllt
haben; die zweite wid dem Glaukos gewidmet geweſen fein;
ob in der dritten noch etwas anderes als die Siegesfeier vor:
fam, ift nie zu erratben.
Satyripiel.
Prometheus Feuerzünder.
Der Inhalt dieſes Satyrſpiels war, wie es ſcheint, die Stif⸗
tung des Fackellaufes im Keramelkos zu Athen, dieſes eigent⸗
lichen Handwerkerfeſtes. Man erkennt von dem Inhalt noch
ſo viel, daß Prometheus auf dem Altar vor dem Eingang des
Athenetempels ein großes Feſtfeuer anzündete, daß der Sathr,
ſobald er dieſe blanke, luſtige Flamme, ein noch nie geſehenes
Wunder, erblickt, daſſelbe küſſer und umarmen will, worauf
ihm Prometheus zuruft:
„Böcklein, du willſt ein Leides anthun deinem Bart?
Es verbrennt dich, wenn du's anrührſt.“
Drauf werden Fackeln bereitet aus „Pech und langen Strei⸗
fen Werg,“ auf dem Altar angezündet und der Fackellauf ſelbſt
um die Thymele in der Orcheſtra gehalten.
„Sp war dieß Stück fehr paſſend für dieſen Tag; denn
er war, obgleich an ſich ſchon feſtlich, durch die Trilogie poe⸗
tiſch gleichſam in ein Siegesfeſt verwandelt worden, und es
mußte daher ſcheinen, als gehöre der Fackellauf, wie fo mande
Prometheus Feuerzünder. 277
gymnaſtiſche Spiele als Volksluſtbarkeiten an den Feſttagen ver-
anfalter wurden, zu bdiefer befonderen Siegesfeier als ein eis
genes, ſehr belichtes Feitfpiel. Dieb Satyrfpiel muß auf die
Adenddämmerung berechnet gewefen fein.” So weit Welder.
Gewiß hat es noch einen weiteren Zufammenbang, daß nach
der Trilogie der Perfifhen Siege gerade diefe Ferlichkeit ger -
wählt wurde. Als Promethens den Menfhen vom Himmel
herab das Feuer brachte, begann eine neue Drdnung der Dinge,
eine neue Entwidelung des geiftigen Lebens und der menfdr
lichen Kraft; und wie fehr auch der Prometheus des Satyrs
fpiels von dem tragifchen verſchieden fein mußte, wenigftens ben
Charakter eines Lehrers und Wohlthäters der Menſchheit durfte
er nicht ablegen, zumal da fi) das Spiel unmittelbar an reli-
gidfe Feier anfchließt. Ob zu dieſer Beziehung, die gleihfam
den Anfang eines neuen Lebens bezeichnen würde, vielleicht
noch eine zweite auf die Klaffe von Bürgern, denen bieß Feſt
angehört, hinfltreten dürfe, ift zweifelhaft; gewiß aber würde
nirgend ein ehrenvolles Hervorheben desjenigen, was dem är⸗
meren Bürger und der Menge werth und eigenthündlich iſt,
mehr an feiner Stelle fein, als gerade nad) der Feier berjeni-
gen Siege, die durch den bewunderungswürdigen Enthuſiasmus
felbft der niedrigften Volksklaſſen errungen find, und duch
welche allen Ständen ein hohes Selbfigefühl und das Bewußt⸗
fein der eigenen Freiheit, der eigenen Anfprüce nnd Rechte
Iebendig geworden if. —
Die Trilogie der Danais beftand aus den Aigpptiern, deu
Schukflebenden, den Danaiden; wahrſcheinlich war als Satyr⸗
drama Ampmone Binzugefügt Die Aufführung Mitt in DI. 79. 2.
oder 3., das ift 463 oder 461.
Erfte Tragödie.
\
| Die Schutzsflehenden.
— |
Derfouen.
Chor der Danniden. .
Danaos.
König der Argeier. P
Gerold. . .
Cufergegend, die See auf der einen, die Stadt Argos‘ auf der andern
Seite; die Thoymele in der Orcheſtra ift geſchmückt mit den Bildern
des Upollon, des Herntes, mit dem Dreisad! Poſeidons. — Bon ber
Seite des Strandes ber kommt ein Bug fremdgekleideter Mädchen
mit den Delzweigen der Schugflebenden in der Hand: es ift der
Ghor der flühtigen Danalden mit ihren Mägden; unter ihnen
ihre Vater, der greife Danaos; fie sieben herein während bes fol«
genden anapäftifhen Gefanges.)
282 Erſte Tragödie.
Ehorführerin.
Deus, Flüchtlingshort,
Schau gnädig herab auf unſeren Zug,
Der zu Meer von des Nilſtroms Mündungen her,
Von den feinſandigen,
Aufbrach; und verlaſſend die heil'ge
Heimath, die an Syria grenzt, flohn wir,
Um Blutſchuld nicht ins Elend zu gehn,
Vom Gerichte des Volkes verurtheilt;
Nein, eigenen Banns, um in Braͤutigamsflucht
Mit Aigyptos Söhnen dem Bund zu entgehn,
Unlauterem Bund; und Danaos felbf,
Mein Bater, mir Rather und Führer zur That,
Er erfann, er gebot
Mit Bedacht dieß rühmlichfte Leid mir:
Raſtlos zu entfliehen durch die wogende See
Und zu Tanden am Argosfirande, woher
Fa unfer Geſchlecht von der fchweifenden Kuh,
Dom Berühren, vom leis anmwehenden Hauch
Des Kroniden fih rühmt zu entflammen.
Drum wel’ Land wohl, Tiebreicher denn dieß,
Könnten betreten wir,
Dieß bittende, wollenummundne Gezweig
Schusflehender fromm in den Händen?
10
15
V. 16. Io, die Stammutter der Danaiden, war aus Argos von
Hera's Haß verfolgt in weiten Iimmegen nad Aegppten geflüchtet
Prometheus 8. 565 ıc.
>
©.
Die Schupflehenven. 283
O droben ihr Himmtlifche, deren die Stadt
Und das, Land nnd die quellenden Wafler, und ihr
Schwerfirafenden drunten im Habdes, 25
Und Zeus, Heiland, der das Haus, das Geſchlecht
Du der Frommen bewahrft, aufnehmet der Frau'n
Schutzflehenden Zug, ſchutzwilligen Sinus;
Doch den männergedrängt frechtrotzenden Schwarm,
Des Aigyptos Geſchlecht, 30
Eh' ihr Fuß dieß ſandige Ufer betritt,
So verſchlagt ſie in jagender Barke hinaus
In die offene See,
Wo die wettergegeißelte Sturmnacht ſie,
Wo fie Donner und Blitz, 35
Wo des regengepeitfchten Orkanes Gewalt
In der braufenden See fie vernichte,
Ch’ das Bett, das Themis Fa ihnen verfagt,
Eh? mit ringender Hand das erzwungene Bett
Der bewältigten Muhmen fie fehänden.
(Strophe 1.)
Erſte Halbchorführerin.
Flehend gewendet zu dir, 46
Sohn des Zeus, du der jenfeit’gen Heimath Hort, der blu:
menweidenden Kuh,
Unferer Ahnin, gezeuget von Zeus Hauch, —
Denn, der fie rührte der Hauch, ihn erfüllte im Namen das
ew’ge Berhängniß, 45
Als fie Epaphos Kraft gebar, glorreich.
2
8. 46. Der Name Epaphos bedeutet ungefähr Berührung.
1) Erſte Tragödie.
(Gegenſtrophe 1.)
Zweite Satbchorfährenin.
Flehend zu Dir denn gewandt
Ri ich jet in dem grasreichen Au'n der hehren Mutter ein-
fige Qual 50
Feiernd, eim unwiderlegliches Zengniß
Sagen, von welchem verſchieden und nimmer erwartet fi al
! es an uns zeigt;
Doch erfindet man bald mein Wort wahrhaft. 55
(Strophe 2.)
Erfte Halbchorführerin.
Stünd' in der Näh' einer der Einheimiſchen febt
.Zu Bogelfang, und hörte diefe Klage,
Würd' er meinen, in mwehllagenden Gram ahnender Angft fei
es der Tereus⸗Gattin Gefang,
Der faltgejagten Nachtigal.
( Gegenftropbe 2.)
Zweite Salbihorführerin.
Die von des Bachs Ufern, den Waldbüfchen verfcheucht
Wehklagt im Sram verlorner Heimatb,
Hinzufinget des Lieblinges Geſchick, welchen fie felbft fchlug mit
‚ der mordesblutigen Hand,
Unmütterliben Zorns verwirrt. 65
(Strophe 3.)
Erſte Salbchorfährerin.
Ehen fo ſchmerzenbefreundet im Sram Jaoniſcher Klagen
Reis IS wund mir die zarte, fonnengebräunte Wange,
Mein thranenunfundig Her; wund,
B. 59. Die Tereus⸗Gattin ift die zur Rachtigal verwandelte Toch⸗
= Re die aus Rache gegen Tereus feinen und ihren Sohn Its«
e.
Die Schutzſlehenden. 385
Des Kummers Blume pflüd® ich mir,
Bor den Meinen in Augſt, ob wir der Flucht aus dem um:
nebelten Land 70
Irgend wer Bertreter ift!
(Gegenftrophe 3.)
Zweite Salbchorfährerin.
Horet mid), Götter ihr unſres Geſchlechts; denn ihr ſchauet,
was Recht iſt.
Oder konnt ihr auch nicht wider Geſchick ganz mir ge
waͤhren, 75
& haft doch treu Frevels Trotzſinn
Und hütet wohl der Ehe Recht.
Kampfesermüdeten auch wird ein Altar, auch den Entflohnen
der Schlacht
Heil'ge Gottesſcheu zum Heil!
(Strophe 4.)
- Erfte Sulbchorfährerin.
Wend’ ein Gott es zum Heil! ja mit Necht heißt es: der Wille
des Zus 80
Schwer if der zu erjagen. nr
Rings ja flammet er hell, -
Hüllt auch Er und Zufall ihn in Nacht
Den Geſchlecht der Menſchen.
(Begeuftrophe 4.)
Bweite Balbchorführerin.
Vorſtürzt fiegend und nicht in den Staub, iſt es im en
des Zeus
Reif, das erfülte Geſchehen.
Denn binzieht fich verftedt
Seines Wollens Pfad und fhattendict,
Zu erſchaun unmöglich.
2 Erſte Tragödie. -
(Stropbe 5.)
Erfie Dalbchorfährerin.
Hinabftürzt hoch von hochgethürmten Hoffnungen Er Men—
ſchenwahn; 90
Gewalt widerrüſtet niemand,
Allunbewehrt gegen die hoch
Droben thronenden. Ein Gedanke ſchon
Dort von den lautren Thronen her läßt ihn zu Schanden
werden. 95
(Gegenftrophe 5.)
Zweite Halbchorführerin.
Herabfieh auf den Frevelmutb, wie jegt dDiefem Stamm üppiger
Entfiprießt, meiner Ehe lüftern,
Frech in bethört rathendenr Trog, 100
Der vom eignen liftgewandten Wahn
Heftig gepeitfcht, betrogen einft tranrigftes Loos beren’n —
(Steopde 6.)
Erſte Salbehorführerin.
Dieß harte Loos, 9 wir fagen, wir klagen es laut,
Dieß bittre, gellende, thränenentquellende Web, 105
weh uns, weh,
Wie Todtenklage jammerlaut!
Lebend bejammr' ich felbit mich!
Erfter Halbchor.
Flehend zu dir, Apiſcher Holm, ruf ich; 110
Barbarenſprache, ja du kenuſt fie!
Und mit geihwinder Hand,
Sieh, zerfeg’ ich das Linnenkleid, fieh, das Sidonerftientudh! 115
.
8. 110. Apia ift der Peloponnes.
Die Schutzllehenden. 287
(Gegenfirophe 6.)
Zweite Salbehorführerin.
Denn Söttern froh ein lauter, ein lautefter Dant
Wenn fern wir dem Tode, dem lauernd umdraunden eutflohn!
Ach web uns, weh!
O ſchwerenträthſelt Wehgeſchick!
Welle, wohin noch treibſt du? 120.
Zweiter Halbchor.
Flehend zu dir, Apifher Holm, ruf ih!
Barbarenfprache, ja du Fennft fie!
Und mit gefhwinder Hand
ieh, zerfet? ich das Linnenkleid, fieh, das Sidonerſtirntuch!
(Strophe 7.)
Erfte Halbchorführerin. .
Das Ruder trug, des Kieles Teingebundenes wellenfichres 98:
Mich trug es rettend her mit frifhem Wind;
Nicht beflag’ ich’s, doch den Ausgang wolle mir einft, 130
Allſchaunder Allvater,
Gnadenreid gewähren!
Erfter Haklbchor.
Wolleſt der vielheiligen Ahnin Kinder
Der Ehe, ad,
Unvermählt, unbeswungen Taffen fliehn! 135
(Gegenftrophe 7.)
Zweite Salbchorführerin.
Schau froh dann wieder auf mich Frohe, Zeus allkeufche Toch⸗
ter ber,
Im Auge treuer Sorge fihren Blick;
Mir vor aller Macht und Noch nie Wankenden fei,
Jungfrau, mir Jungfrau fei 140
Retterin und hülfreich.
B. 136. Zeus keuſche Tochter iſt Artemis.
388 Erſte Tragödie.
Zweiter Balbchor.
Wolleſt der vielheiligen Ahnin Kinder
Der Ehe, ad), .
Unvermählt, unbezwungen laſſen fliehn!
(Strophe 8.)
Erſte Balbchorführerin.
Willſt du nicht, — wir dunkle,
Sonnengluthgewohnte Schaar,
Wir kehren dann
Ein zum erdummachteten,
Ein zum allaufncehmenden
Todes: Zeus mit flehendem Zweig,
Stumm in Schlingen fterbend,
® merhört euch, ihr Götter droben!
2 Erfter Halbchor.
D Zeus, Jo's Geriht geißelt uns auch gettverhangt;
Wohl kenn’ ich deiner himmelbeherrfhenden Sattin Haß;
Denn ein fohwerer Zorn
Wehet mir diefen Sturm zu!
| (Begenfiropbe 8.)
R Zweite Salbehorführerin.
Dann mit böfer Jede
Wird man dein gedenken, Zeus,
Henn du der Kub
Kunäbelein mischreteh,
Das du felbft dir einft gezeugt,
Wenn du von uns Tehretekt
Trog unfres Flehns dein Autlig!
Droben, Zeus! hör in Gnaden unfer Flehn!
= Zweiter BSalbchor.
D Zeus, Jo's Gericht geißelt ung auch gottverhängt;
145
155
160.
165
Die Schubflehenden. 289
Wohl Tenn’ ich deiner himmelbehertfchenden Gattin sah; 170
Denn ein fohwerer Zorn
Wehet mir diefen Sturm zu!
(Während des Gefanges hat Danaos von der Bühne aus die Gegend
— und ſpricht von dort zu den Mädchen.)
Danaos.
Verſtändig, Kinder! denn mit mir verſtändigem
Kamt ihr, dem meerfahrtkund'gen, treuen Vater her.
Sept auf dem Land auch, rath' ich, feid vorfihr’rgen Sinns 175
Und nehmer wohl mein Wort in Acht und praͤgt's euch ein.
Staub, eines Heers lautloſen Boten feh’ ich fchon;
Auch ſchweigt der Naben achfentreibend Eilen nicht;
Und eine lanzentragende, fhildbewehrte Schaar
Seh’ ih mit Roſſen und gebognem Wagen nah. 180
Die Fürften diefes Landes werden wohl, gelocdt
Durch fchnelle Botfchaft, ſelbſt ſich nah'n um uns zu fehn.
Doch mag in Frieden oder voll der ganzen Wuth
Grauſamer Nohheit jener Zug herniederziehn, :
Doch is, o Mädchen, jedenfalls gerathener, 185
An diefer Kampfgortheiten Heerd zu figen. Mehr
Als Thurm und Burgwall fhügt des Altars feſte Burg.
Auf, ſchaaret fchnell euch, fat die weißummundenen
Delzweige, failet Zeus des hochehrwürd'gen Bild
In frommer Demuth an mit ehrfurdtlautrer Hand; 1%
Antwortet fhambaft, rührend, nichts Unnöthiges
Den Herrn in diefem Lande, wie's Fremdlingen ziemt;
Erzählt verftändig eure blutſchuldloſe Flucht;
In eurer Stimme möge ja nichts Freches fein;
Vielmehr ein fittfam Wefen fonder Eitelkeit 195
Aus eurem anfpruchslofen Aug’ ſanftmüthig ſchaun;
Auch weder vorlaut, noch zu breit und fehleppend feld
| 19
290 Erſte Tragödie.
Im Neden. Solch ein Wefen ift gar fehr verhaßt.
Nachgeben müßt ihr, flüchtig, fremd, bedürftig hie;
Denn kecke Nede ziemt den Unglüdfel’gen nie. 200
Führerin.
Berftändig, Vater, ſprachſt du zu uns DBerftändigen,
Sp werd’ ich forgfam deiner tren beforglichen
Weifung gedenken! Vater Zeus, du fieh darein!
Danaos.
Fa, guadenreihen Auges mag er fhaun zu euch!
Sp fäumer nicht mehr! möge glücken diefer Rath! . 205
Erſte bed erfien Halbchoörs. (Yührerin.)
Dir will ih nah mich fegen an > Altares Rand.
Danavs
Erbarm' Did, Zeus, des <ammers, rett ung dor dem Tod!
Zweite.
Wenn er geneigt iſt, endet noch dieß alles froh.
Danaos.
Zeus lichtbeſchwingten Adler rufet betend an.
Dritte.
Anflehu wir, vielerrettend Sonnenauge, dich! 210
Danaos.
Des Himmels Flüchtling Phoibos auch, den lautren Gott.
Vierte.
Des Looſes kundig fühlt er mit ung unſern Grant.
Danaos.
Mitfühlen, mit euch ſtreiten mag er gnädiglich.
Fünfte
Wen ruf ich weiter unter jenen Göttern an?
Danaos.
Ich ſeh' das Dreizack, hehren Gottes Zeichen dort. 215
V. 211. Apollon war eine Zeit lang aus dem HAimmel verwieſen
und lebte im Elend bei bem Könige Admetos.
Die Schupflehenden. 291
Sechdte.
Hertrug's mich freundlich, freundlich nehm' es hier mich auf!
Danaos.
Und da der fremde Hermes nach Hellenenbrauch.
Siebente.
Bol und Befreiten Herold frober Kunde fein!
Danaos.
Begrüßt mit Andacht al? der Hochgemwaltigen
Aleinen Altar, fept euch wie ein Taubenfhwarm 220
An heilger Stätte vor den argen Falken bang,
Den biutverwandten Feinden, ftanımbefudelnden.
Der Vogel, der vom Vogel fraß, wie wär er rein?
Und der ein fi firäubend Weib vom ftränbenden Vater freit,
Der follte rein fein? Nimmer, felbit im Todtenreich 225
Nicht wird, der das that, feiner That Gericht entflichn.
Auch dort, fo heißt es, richter über alle Schuld
Ein andrer Zeus der Todten einft ein jüngſt Gericht. —
Sp feid bedachtſam und verlaßt nicht diefen Drt,
Damit in Freuden eure Sache fiegen mag. — 230
(Die Mädchey haben während diefer Rede fih um die Thymele geſetzt.
Bon der Seite der Heimath tritt Pelasgos, der König von Argos,
im Schmud eines priefterlihen Königs auf; ihn begleitet eine Schaar
Lanzenträger und Kriegsknechte; fie ftellen fi vor der Bühnentreppe
auf, während der König zu den Schusflehenden fpridht.)
König.
Woher gebürtig fol id) die feltfame Schaar,
Ungriehifchen Puges prunfend in Barbarentleid
Und Flechtenhaar, begrüßen? Nicht Argolifch ift
Der Weiber Anzug, noch von Hellener Landen fonft.
Und daß dem Land ihr fonder Herold, führerlog, 235
Niemandem gaftbefreundet bier dennoch zu nah’n
Getroſt gewagt habt, wunderbar erfcheint es mir.
292 Erſte Tragödie.
Zwar liegen nad der Schupgewärtigen frommem Brauch
Delzweige bei euch auf der Kampfgottheiten Heerd;
Dieb einzig kann entziffern ein helleniſch Ang; 240
Auf vieles fonft noch ratben ließe Tracht ünd Art,
Wär’ ung zurecht zu weifen nicht dein Mund bereit;
Darum fo gieb Antwort und fprich getroft zu mir.
Chorführerin.
Bon meiner Kleidung fagteft du kein irrig Wort;
Wie aber nenn’ ich Dich denn? einen Bürgersmann, 245
Des Tempels hütenden Priefter, Dberhanpt der Etadt?
König.
Ich bin Palaichthons Sohn, des erdgeborenen,
Pelasgos heiß’ ich, dieſes Landes Fürft und Her;
Ein Volk, Pelasger nah mir ſelbſt dem Könige
Ruhmvoll geheißen, pflügt di? Fluren meines Neichs; 2350
Und alle Lande, weldhe tränkt der Arios
„Und Strymon, nenn’ ich mein vom fernfien Weften her;
In meinen Marken liegen der Perrhaiber Gau'n,
Liegt Pindos Abhang bis Paionia’s Feldern, liegt
Dodona’s Bergland; Grenze fegt erft meinem Reich 255
Des Meeres Brandung. Dieß zu jenem nenn’ ich mein.
Doc) diefer Landfchaft Boden wird feit alter Zeit
Zu feines Hellands Ehren Apia genannt;
Denn aus Naupaftia war es, daß Apollon’s Sohn,
Der Seherheiland Apis Fam, und unfer Land 260
Bon menfhenmordenden Ungeheuern fäuberte,
Die von alter Blutſchuld graufenhaft der Erde Schooß
Befruchter zeugte, eine fluchempörte Brut,
Ein dradenwimmelnd, allvernichtend Mordgenift.
Daß Apis truglos wider fie ausrottende 203
Und fühnende Mittel diefem Land anmwendete,
Drum feiert dankbar fein Gedächtniß unfer Dienft.
Die Schupflehenven. 293
Nachdem du alfo weiſſeſt, was mich anbetrifft,
Nenn’ dein Geflecht auch, und erzähl’ das Weitere;
Doc lange Neden liebt mau nicht in unfrer Stadt. 270 _
Chorführerin.
Hör's furz und klar. Argiverinnen dürfen wir
Uns rühmen, Enkel jener hochbeglügten Kub;
Das alles läßt dich wahr erfinden mein Bericht.
König.
Unglaublich fagt ihr, unerhört ihr, Fremdlinge,
Daß dieß Geſchlecht von Argos euch fei ſtammverwandt; 375
Den Weibern Libyens feid ihr wahrlich ähnlicher,
Doch nun und nimmer unfren bier einbeimifchen;
Ch’ mag der Nilſtrom nähren folhe Blumenflur,
Der Cypriſche Zug in euer mädchenhaft Geficht
Bon dem Stempel eingepräget fein, der euch gezeugt; 280
Für Inder, die nomadifh auf des trabenden Ä
Kameles Höder reitend, fern das Heideland
Länge Aithiopias Marken fchen durchſchweifen ſoll'n,
Für mannentwöhnte, menfhenbiuteslüfterne
Amazonen würd’ ich, wärt ihr Bogenſchützen, eh’r 285
Euch halten. Wiffen möcht’ ih drum genau belehrt,
Wiefern nach Argos dein Gefhledht und Stamm gehört.
Erfte Salbehorführerin.
Es fol des Heratempels Schlüffelwalterin
In Argos Landen Zo einit gewefen fein,
Die, wie es gleichfalls aller Menfchen Sage weiß — 2%
König.
Und weiter, heißt's nicht, daß fie Zeus umarmet bat?
Ein Mädchen,
3a, ihre Liebe ward vor Hera offenbar.
König.
Und weiches Ende nahm der Götter Zwiſt darauf?
294 Erfte Tragödie.
Zweite.
Es fhuf zur Kuh fie Argos Göttin zürnend um. 295
König.
Nicht wahr, es ging nun Zeus zur fhöngehörnten Kuh?
Dritte.
Sp fagt man; ein kuhbrünſt'ger Stier war's an Geſtalt.
König.
Was that des Zeus Gemahlin drauf in ihrer Macht?
Vierte.
Den allesfhaun’den Hüter fandte fie der Kub.
König.
Wen nennft du denn den allerfpäh’uden Hirten, ſprich? 300
: ' Yünfte.
Argos, den Sohn der Erde, den d'rauf Hermes ſchlug.
König.
Und was verhing fie num der unglücfel’gen Kuh?
Schöte.
Den Stich ber Bremfe, den brennenden, raſtlos jagenden —
König.
Der aus der Heimath weit in weiter Flucht fie trieb? 305
: &iebente.
Fa wohl; du fagft dieß völlig überein mit mir.
König.
Und gen Kanobos floh fie, floh gen Memphis Stadt —
Achte,
Da berührt fie Zeus Hand und erwedt den Saamen ihr.
König.
Wie, rühmt das Kind des Zeus fih, Sohn der Kuh zu fein?
Reunte.
Epaphos, in Wahrheit alles Heiles Hort genannt. - 310
König.
Wer führte weiter fein Gefchlecht? fag’s mir genau!
f
Die Schutzflehenden.
Zehnte.
Er zeugte Libya, weiter Lande Königin.
König.
Wie nennft du wieder ihres Schooßes neuen Sproß?
Eilfte.
Belos, den Vater unſres Vaters, unſres Ohms.
König.
So nenn' des Vaters allenthüllenden Namen mir.
Zwölfte.
Danaos, der Bruder iſt des funfzigſohnigen —
König.
Auch deſſen Namen vorenthalt' uns länger nicht.
Zweite Halbchorführerin.
Aigyptos. — Sp nun kundig meines alten Etamnıs
Gedenk emporzurichten uns Argiverfchaar.
König.
Wohl fheinet ihr urfprünglic Theil an diefem Land
Zu haben; aber was hat euch vermocht, das Haus
Zu fliehn der Väter? welch Geſchick kam über euch?
Chorführerin.
O Fürft, des Grams Geftalten find unzählige,
Und Leiden fiehft du neu und neuen Fluges nahn.
So wer gedachte diefer unerhörten Flucht,
Zu landen einft in Argos urverwandten Land,
In tiefftem AUbfchen beides fliehend, Eh und Bett?
König.
Wie fagft du, warnm flehft du um diefer Götter Schutz,
295
315
320
In der Hand den weißummundnen frifchgepflückten Zweig?
Erfte des zweiten Salbhors. (Führerin.)
Um Magd Aigyptos Söhnen nimmermehr zu fein.
König.
Weil du fie haſſeſt? oder fcheint’s dir mißgerhan?
330
296 Erſte Tragödie.
Zweite.
Wer hat zum Freund den, deffen Eigenthum er ift?
König.
Dann wird en Mächt'gen fehr erhöht die eigne Macht.
Dritte.
Und wird dem Scwaden feine Noth zu enden Teiche!
König.
ie kann ich euch barmherzig mich erzeigen, ſprecht? 335
Vierte,
Sieh, wenn fie es fordern, nicht den Feinden gieb uns preis!
König.
Du forderſt Schweres, daß ich beginne neuen Krieg!
Fünfte.
An deiner Schutzgenoſſen Seite kämpft das Recht!
König.
Wenn's nur von Anfang eures Touns Geleiter war!
Sechs te.
Fürſt ſcheu den ſo umlaubten Altar deiner Stadt! 319
König.
Mich entfegt es, zweisumfchattet diefen Sit zu ſchaun.
@iebente.
Der Zorn des Schützlingshortes Zeus iſt ſtreng und ſchwer.
Ehor.
(Strophe 1.)
Palaichthons theurer Sohn, höre du
Mich mit geneigtem Sinn, Pelasgerkönig;
Sieh mich die flehende, bangflieh'nde, die zitternde, 345
Wie ein weißvließiges Lamm, das um des Felſenhangs
Schwindelnden Scheitel irrt; harrend guf Hülfe blökt es,
Dem Hirten fein Leid zu fagen!
König,
Mit frifhgepflüdten Zweigen fchattig überlaubt
. Die Schußflehenven.
Seh ih der Kampfgottheiten neugefelligen Kreis —
Laßt ung gefahrlos diefer Flüchtigen Nähe fein,
Nicht unerwartet, unvorberbedacht die Stadt
In Fehde fallen, nicht verlangt darnach das Volk!
Ebor.
(Gegenftropbe 1.)
Laß, Themis, frei von Schuld unfre Flucht,
Du ſchutzſichernd Kind des Loosſchüttlers Zeus.
Und von den Jüngeren hör’ du eg, erfahrner Greis:
Wenn du den Fleh'nden ehrft, wird es dir wohlergehn;
Dpfer zu nehmen geneigt ift der Unfterblihen Gnade
Bon jeglihes Frommen Händen! Er
König.
Doch figt ihr nicht am Heerde meines eigenen
Pallaftes; trifft die Stadt gemeinfam jede Schuld,
So forg’ gemeinfam auch das Volk für Sicherung ;
Sch aber darf euch kein Verſprechen geben, eh’
Mit meinem Bolt ich nicht zu Rath gegangen bin.
Chor.
(Strophe 2.)
Du bit die Etadt, du das gefanımte Volt!
Einiger, eigener Herr
Dbmalteft du des Volkaltares auch;
Alleinherr mit dem Auge wenn du wintft,
Alleinherr mit dem Ecepter das du fhmwingft —
Dein ift alles; huͤte dich vor Blurfhuld! —
König.
Mag folhe Blutſchuld treffen meiner Feinde Haupt!
Euch aber beiftehn kann ich nicht ohn' Ungemach;
Und wieder hart wär's, euch zu weigern euern Wunſch.
Ich ſchwauke; gleihe Furcht verbeut mir, fo zu thum,
So nicht zu than, zu wählen, was der Zufall bringt.
350
355
370
375
298 Erfte Tragödie.
Chor.
(B@egenftrophe 2.)
Der hochherab ſchauet, o ſcheue den,
Aller Bekümmerten Hort,
Die gramvoll ihren Nächften ſchutzgenaht
Ihr Recht nicht, nicht des Unglücks Recht empfahn;
Es bleibt dem Zeus des Flüchtlingshortes Zorn, 380
Ben der Angftfchrei nicht erbarmt des Armen.
König.
Wenn Aigyptos Söhne dein fih nun bemädhtigen,
Und nad der Heimarh Eitten ihr Berwandtenrecht
Anfprehen, wer vermöchte wider fie zu fein?
Führ’ deinen Streit durch nach des Vaterlandes Brauch, 385
Daß keinen Rechtsgrund wider dich fie je gehabt.
Chor.
(Strophe 3.)
Nimmer ja würd' ich denn, nein ich der Männer Macht
Nimmer verfallen fein; der Sternkreiſe Bahn
Wies mir in fchrieller Flucht vor liebloſer Ch’
Mein Heil. Treu dem Recht richte nun über mich, 390
Ueber den Schug der Gottheit!
König.
Ein fhweres Richtamt! Wollet mich zum Nichter nicht!
Ich fagte fonft fhon, ohne meiner Bürger Rath
Thät' ich es niemals, dürfe’ id auch; es fage nie
Mein Bolt zu mir, wenn's irgend minder glücklich geht: 395
Fremdliugen hülfreich gabit du preis die Vaterſtadt!
Zweiter Halbchor.
Beiden verwandt mit gleichfehwebender Wage ſchaut
Eorgend uns beide Zeug; gerecht weifet er
Frommes den Fronmen zu, Uebel den Schuldigen;
Die Schutzflehenden. 290
Und du ſäumſt, da gleichſchwebend die Wage ſchwankt, 400
Säumeſt des Rechts zu walten?
König.
Wohl muß in tiefe, vielbewegte Sorge jegt
Gleich einem Taucher fluthhinab verſenken ſich
Der offenſpäh'nde, ſchwindelunverwirrte Blick,
Wie dieß gefahrlos alles meiner Stadt zunächſt, 405
* Sodann für end auch froh und glüclic enden kann,
Und weder Kampf fo heil’'ges Unterpfand entziehn,
Noch wir, die fo dem Götterheerde fich vertraut
Preisgebend, felbft uns einen allvernichtenden,
Den Gott des Zorns uns weden mögen zu Schmach und-
Dual, 410
Der felbft im Hades nimmer frei den Schatten giebt! —
Scheint tiefe Sorge fo dir nicht gerecht zu fein?
(Der König in tiefem Nachdenken.)
Wechfelgefang des Chors.
(Strophe 1.)
Sorge du! werde du
Unfrer Schaar allgereht frommer Hort. |
Nicht verrath' mich Flüchtige, 415
Mich Verſtoßne, die ich zu dir
Floh vor gottlofer Schmach!
- (Begenftropbe 1.)
Fortgefchleppt wolleft ung
Bon des Altard Gott und Bott nimmer fehn,
Landes einiger Herrfcher du! 420
Sieh der Männer Frevelmuth,
Hüte mid vor ihrer Wuth!
(Stropbe 2.)
Duld’ es nie, mich die um Schutz lebende frech,
309 = Erfte- Tragödie.
Mich von den Bildern fort
Geriſſen wie ein Roß, 425
Beim firnumflochtenen
Lockigen Schmud, beim Kleid an mich gepadt zu fehn!
(Gegenftrophe 2.)
Wil es wohl, deinen Kindern, deinem Haus,
- Was bu aud wählen wirft,
Zu büßen für die Ehuld 430
Bleibet ein gleich Gericht!
Drum fo geben? an Zeus ewig gerehte Macht! —
"König.
Sch hab's erwogen; dahin treibt es mich; der Kampf
Mit diefen oder jenen, ein gewalt’ger Kanıpf,
Iſt unvermeidlich. Mein Entſchluß ſteht fet und ſtark 435
In meiner Bruſt Schiffswerften da mit Kiel und Maſt;
Jetzt keine Rückkehr weiter ohne Schmach und Gram. —
Und wer mit Habe, während ſchon fein Haus verſinkt,
Das Boot fih füllt, umladet feines Schiffes Fracht,
Dem bringt der Habe Mehrer Zeus wohl andre Gunſt; 440
Und wenn der Lippe Bogen nicht das Rechte trifft,
Sp mag ein Wort des Wortes Kränkung fänftigen.
Aufregend allerdings ja ift das Echmerzliche,
Doch daß die blutverwandte Blutſchuld nicht gefcheh,
Drum foll man ernftli opfern, vielen Göttern viel 445
Weihopfer ſchlachten, alles Unheils Sühn' und Wehr.
Ja diefer Fehde weich’ ic alles Ernftes ans;
Unkundig lieber denn gewigigt will ich fein
Des Leides. Mag’s denn wider Hoffnung glücklich gehn!
Chorführerin.
Vernimm denn meiner ehrerbietigen Worte Schluß! 450
i König.
Ich höre; fag’ mir's offen; nichts ſoll mir entgehn.
Die Schupflehenden. 301
Ehorführerin.
Ich trage Schnur und Gürtel, Kleides Faltenhalt.
König.
Der Art der Mädchen ziemt und ſchickt fich diefe Trach.
Ehorführerin.
So beut fi, will es, mir ein Werkzeug gut und (hön —
König.
Sag', welch ein Werk ſoll offenbaren dieſes Wort? 45
Chorführerin.
Wenn du ein Pfand uns deiner Treue nicht gewährſt —
König.
Beut welch ein Werkzeug dir ſich in deinem Gürtel, ſprich?
Ehorführerin.
Den Bonemilbern niegefchauten Schmuck zu weihn!
König.
Dein Wort es birgt ein Räthſel; ſag' mir, was du meinſt!
Ehorführerin.
An jenen Göttern aufgeknüpft ſchnell todt zu fein! 460
König.
Ein granfes, herzdurchbohrendes Wort, das du geſagt!
Chorführerin.
Du haſt verſtanden? denn ich ſprach jetzt deutlicher.
König. ss
Bon allen Seiten unbezwingbar drauende Noth!
Der Leiden Unzabl fohwillt, ein Strom, auf mich herein;
In Ates abgrundtiefes, unfahrbares Meer 465
Bin ich, zum Hafen nicht gelangt des Mißgefchicke.
Denn wenn ich euch nicht euren Wunſch gemährr, fo droht
Ihr Gräul, das keines Rathes höchfter Pfeil erreicht;
Und zieh’ ich wieder gegen eure Vettern ang,
Den Streit zu enden nah der Stadt in offnem Kampf, 470
Wie müßte mir nicht fol’ ein Opfer bitter fein, |
t
302 Erſte Tragoͤdie.
Wenn Männerblut für Weiber unſre Felder tränft.
Und doch, ein Zwang ift’s, Zeus des Flüchtlingshortes Zorn,
Dem aller Menfhen höchſte Furcht fich beugt, zu ſcheun! —
Du greifer Vater diefer Zungfraun, fammle denn 475
In deinen Armen fchleunig ihre Zweige auf;
Den Landesgöttern leg’ jie auf die anderen
Altäre, daß die Zeichen eurer Flucht zu ung
Fremd keinem Bürger bleiben, noch fundwerden mag
Mein Wort; denn gern häuft Schuld das Volk auf feinen
Herrn. 480
Vielleicht, daß Mancher auch. bein Anblick eurer North
Den Trog verabfchent jener frchen Jünglinge,
Euch aber deito mohlgefinnter wird das Volk;
Denn jeder hegt Zuneigung für die ——
Danaos.
Mit höchſtem Danke ſoll's von uns geprieſen ſein, 485
Daß wir zum Schutzherrn fanden ſolchen edlen Mann.
So gieb Geleit und Führer mir, die mich des Wegs
Geleiten, wie ich der ſtadtbeſchützenden Götter Heerd
Sm Tempelvorbof, wie der fladtbefchirmenden
Allheilige Zellen finden, fiber durch die Stadt 490
Hinichreiten Fönne; fremd ift meine Tracht und Art;
Der Nil und Inachos nähren nicht ein gleih Geſchlecht.
Du forge, daß ſich mein Vertraun nicht kehrt in Furcht;
Auch ſeinen Freund ſchlug Mancher aus Unkunde todt.
König.
Sp geht denn, Männer; weiſe ſprach der edle Gaſt; 495
Zeigt ihm der Stadt Altäre, unfrer Götter Sig,
Und halter nicht Neugierige vieler Worte werth,
Da ihr den Schugbefohlnen führt zum Götterheerd.
— — (Danaos mit Begleitern ab.)
V. 492. Inachos iſt ein Fluß bei Argos.
Die Schutzflehenden. 303
Ehorfübrerin.
Dem giebft du Weifung; mög? er ungefährder ziehn!
Was fol denn id thun? Schu und Troft, wo find’ ich ihn? 500
König.
Dort liegen Taf die Zweige, Zeugen deiner Noth!
Ehorführerin.
Ich laſſe ſie auf deinen Wink, auf dein Gebot.
König.
Und komm herab jetzt auf Die freie Reigenflur!
Chorführerin.
Wie ſoll mich ſchützen dort der offne Raum der Flur?
König. *
Glaub', Kind, ich ſetz' dich nicht den Geiern aus zum — 505
Chorführerin.
Doch Feinden, grauſiger als der Drachen wilde Brut!
König.
Mit heitrem Wort gebeten ſprich du heiter auch!
Chorführerin.
Kein Wunder, wenn es in meiner Herzensangſt mich kange
König.
Stets ſchützt die Ehrfurcht vor dem Fürſten Jeglichen.
Chorführerin.
Aufheitre meines Herzens Gram mit Wort und That. 510
(Die Mädchen find nach Ainander von der Thymele herabgeftiegen.)
König. —
Nicht lange läßt euch euer Vater mehr allein;
Dod ich berufe meines Neiches Völker jetzt,
Die Volfsverfammlung euch zu ftimmen treu und mild;
Auch eurem Vater fag’ ich, was er fprechen fol.
Sp wartet alfo, und zu den Landesgöttern fleht- 515
Demürhig, ech zu geben was ihr wünſchen mögt.
304 Erfte Tragödie.
Ich aber geh’ von binnen, nützlich euch zu fein;
Sei Peitho mit mir und das Glück, das Alles Ihaffı! —
(Der König mit @efolge ab.)
Wechfelgefang des Chors.
(Strophe 1.)
Du Herr der Herrn, Seligiter du der Seligen, 520
Aller Gewalt Gewaltigfter, Zeus in den Himmeln droben,
Hör’ ung, erhör' ung gnadig!
Wend’ heil’gen Zornes ihre Frechheit vom ung!
Hinabſtürz' in die purpurne Meerfluch
a Diefer Verruchten Fluchſchiff. 525
(Gegeuſtrophe 1)
Und unſerm Flehn gnädig der Mädchen nah erneu'
Unſerem altgefeierten Stamm von der theueren Ahnin
Den Ruhm der einſt'gen Gnade!
Ta treugedenk ſei mein, du Buhle Jo's, 530
Von der unſer Geſchlecht ſich entſtammend —
Heimiſch in dieſem Land nennt.
(Strophe 2.)
Ich find’ hier alte, theure Spuren,
Finde die blumigen Au’n der Mutter,
Das Wieſenbruch hier, von wannen So 535
"Auf von der Bremfe gefheucht,
Flüchtig in irrendem Wahn
Weit in die Lande der Menfchen umber
V. 518. Peitho ift die fleberredung.
Die Schutzflehenden. 305
Schweifte; fie gab der Schickung gemäß
Sweimal zum jenfeitigen Strand flüchtend den Fluththoren des
Meeres Namen. 540
(Begenftrophe 2.)
Sie ſtürmt drauf durch die Phafiswiefe
Phrygias lämmerbedecktes Feld durch,
Durcheilt die Stadt Teuthras Myſiſch Thalland,
Ueber die Lydiſchen Au'n, 545
Durch Pamphylias Volk,
Durch die Kilikiſchen Alpen im Flug,
Weiter die Zwillingsſtroͤme hinab,
Weiter zum ————— Land, weiter zum kornüppigen —
der Kypris.
EGEFStrophe 3.)
Sie flieht, fort jagt mit wildem Stachel ſie
Ihr geflügelter Treiber
Hin zum heiligen Fruchtland;
Den ſchneegetränkten Fluren, über die herein
Bor Typhons Hauch 555
Die Fluch des Nils, jeder Seuche rein, ſchwillt,
Naht fie in ſchmachgehäuftem Schmerz rafend in ln
Dual
Der haßtrunfenen Hera.
(GSegenftrophe 3.)
Wer damals das erlebt in jenem Land, 560
Bleichen Grauſens erfaßt ward
Sein Geift, ihre verftörte
. 540. An zwei Stellen durchſchwamm Jo das Meer, der thra:
fe und kimmeriſche Bosporos oder Kuhfurth heiten nad) ihr.
3. 549. Die Zwillingsftröme find Euphrat und Tigris; Io flieht
durch Syrien gen Babplonien.
20
306 Erſte Tragödie.
Srasweidende, grauſe Menſchenmißgeſtalt zu fchaun;
Ihr Leid, halb Kuh,
Hald Mädchen; anftaunten fie das Wunder. 565
Da wer erfhien zu Troft der unfeligen, irtegetriebenen,
Bahnfinnfhweifenden To?
(Strophe 4.)
Der endlos ew’gen Zeiten Herrfcer,
Zeus erlöfte Die Zungfrau; 570
Bor feiner fchmerzios felgen Kraft,
Seinem göttlichen Athen
Schmilzt ihr Sram, und die Thräne wehmüthiger Scham, fie
entperlt ihr;
Ein Pfand des Gottes, das fie truglos trug im Schooß, 575
Zeugte den hehren Sohn fie:
(Begenftrophe 4.)
Der endlos ew’gen Zeiten Heiland!
Rings drum jauchzten die Lande;
„Dies Iebenfpendende, feige Kind,
Wahrlich des Gottes Sohn iſt's.“ 580
Wer ſonſt hätte der Hera trugſpinnenden Haß bewältigt?
Zeus war's! es darf entſtammt von dir, du Hauches Sohn,
Unſer Geſchlecht ſich rühmen!
EECtrophe 5.)
Drum wen mag, welches Gottes Beiſtand 585
Ich auflehn mit gerechtrer Bitte?
Der theure Sämann, unfres Stammes Vater ift,
Der urgewaltge, wiſſende, —
Ahnherr, der alllautre Born des Heils, Zeus!
(Begenfiropbe 5.)
.. Er, Niemand pflihtgebannt zu dienen, 590
In Allmacht herrſchet Er der Höchſten,
Die Schupflehenven.
Er hat zu Niemand über fih empor zu ſchaun;
Da ſteht mit feinem Wort das Wert;
Was ftill im Geiſt kaum ihm keimt, vollbracht iſts!
(Danaos kommt mit feinen Begleitern aus der Stadt zuräd.)
i Danaos,
Getroſt, o Kinder! glücklich ſteht es in der Stadt;
Vom Volk genehmigt find die Befchlüffe allzumal.
Ehorführgrin.
Willkommen, Bater, liebſter Botfihaft Bote mir!
Nun aber fag’ uns, wie befchieden hat der Schluß,
Dem überſtimmend fih des Volkes Hand erhob?
Danaos.
Es ſtimmten Argos Bürger ungetheilten Sinns,
So daß mir jung und freudig ſchlug dieß greiſe Herz,
Als alles Volkes tauſendfacher Arm empor
Sich hob gen Himmel, Kraft zu geben dieſem Spruch:
Wir ſollen hier im Lande wohnen frank und frei,
Angriffgefichert, unverleglich jeglichen;
Es fol hinweg kein Fremdling, fein Ginheimifcher
Uns reißen; würde je Gewalt an ung verfucht,
Sp follte, wer von den Bürgern nicht zu Hülfe eilt,
Ehrlos erklärt fein und verbannt durch Volksbeſchluß.
Für diefen Borfhlag uns zum Heil gewann das Bolt
Der Fürft Pelasgos, an des Schüglingshortes Zeus
Schwerdräunden Zorn gemahnend, den fich nie die Stadt
Ermweden möchte, warnend dann, dieß Doppelgränl
Zugleich des Gaſtrechts und der Stadt am eignen Thor,
Ein unerfhöpfter Born des Jammers würd’ es fein.
Nah diefen Worten, eh’ der Herold noch gebot,
Hob alles Volk, die Hände fchon: fo fol’ es fein! —
595
605
610
615
808 Erſte Tragoͤdie.
Sein kurzgewendet überredend Reden wohl
Des Volkes Sinn traf's; doc erfüllet hat es Zeus.
Ghorfährerin.
Auf! auf! laßt froh dem Argivifhen Bolt 6230
Uns Segen erflehn, wie wir Segen empfahn.
Du ber Fremdlinge Hort, von der Fremdblinge Wort
Laß Ehren und Wunfh, Zeus, gnaͤdig gedeihn
Zum erfreufihen Ziel der Vollendung !
Wechfelgefang des Chors.
(Strophe 1.)
Fett mid), wenn irgend, je 625
Höret ihr Zeusgebornen! hört dem Geſchlecht mich Heil flebn!
Schleudre der Flammen Brunft nie in Pelasgos Stadt
Ares, der lüſtern un feſtlichen Tobens ift,
Der ſich dee Männer Blutärndte von fremder Flur mäbt, —
Weil fie mein fid) erbarmet, 630
Mein Heil freundlich beſchloſſen,
Zeus Schugflehende gefchew’t in uns neidunwürdiger Heerde.
Gegenſtrophe 1.)
Nicht zu der Männer Gunſt
Gaben fie jenen Spruch, mißachtend den Streit der Mädchen;
Sondern fie fhaun zu Zeus frevelvergeltendem 635
Unüberwindlihen Zorn, deß' Schuldniften fich
Kein Haus auf feinem Dach wünſcht; denn er fipt dort fchwer
auf.
Nein uns, ihre Berwandten,
Zeus Schugfichende fcheun fie, 640
Drum fo wird fie die Gottheit ſtets gern am lautren Altar
fhaum.
(Strophe 2.)
Drum von dem frommen, Iaubfchattigen Mund empor
Die Genpflehenden.. ‘309
Flieg’ ein Gebet der Ehren.
Mögen dem theuren Volk nie 645
Senden die Stadt verheeren,
Nie der Empörung wilde Wuth
Blutig ihre heimiſch' Gefild befaen,
Ungebrochen der Jugend
Blüthe blühn, Aphrodita’s 650
Menſchenmordender Buhle nie, Ares dieſes Gefild mähn!
(Gegenſtrophe 2.)
Greifen vertraut zur Hut, flammend in froher Glut
Möge des Landes Heerd fein
Für der Gemeinde Wohlfahrt, 655
Zeus der Erbabene geehrt fein,
Aber zumeift der Fremden Hort,
Der die Gefchide nach hehrem Gefeß lenkt;
Mag der Führer Gefchledht flets
Führer wieder erzeugen, 660
Saite Artemis nah den Frau'n fein in der ——
ſtunde.
(Strophe 2.)
Nimmer ein menſchenhinraffender Schwindel mag
Spaltend ſich auf fie werfen,
Thraͤnenerzeugenden Kampf fondern Gefäng’ und Gepräng 665
Und Brudermordes Schwert zu fchärfen;
Der Schwarm frevler Begier laß
Fernab fih machtlos nieder;
Guädig fei der Lykeier Gott aller Tugend bes Landes! 670
(Begenftrophe 3.)
Neifende Frucht im Feld, jede zu ihrer Zeit
Zeitige Zeus zur Reife,
Mehr’ in den Triften umber fegnend der Heerden Gedeihn;
Die Gottheit euch gewähr’ fie alles!
310 Erſte Tragoͤdie.
Drein jauchz' hellen Geſanges 675
Der Sötterhor der Mufen,
Lautren Lippen entſchweb' ihr Lied leierbeſchwingten Klanges.
(Strophe 4.)
Dem Würd’gen wahre feine Würde
Das freie Bolt, def’ Geheiß die Stadt lenkt 680
Behutfam willengleiher Lenkung;
Den Fremden gönnt wohlbedacht,
Bevor zum Speer Ares greift,
Ihr gutes Necht fonder Schmach und Kräntung!
(Gegenſtrophe 4.)
Der Heimath Götter immer ehre, 685
Wer wohnt im Land, nah dem Brauch der Bäter
Lorbeergeſchmückt im Dpferfticrgeleite.
Der Neltern Furcht fort und fort
- Das ift der drei drittes Wort,
Die Dike vorfchrieb, die hochgeweihte! — 090
" Danaod.
So weiſe Wünſche, lieben Kinder, lob' ich ganz.
Ihr aber müßt nicht bange werden, wenn ihr jetzt
Ein unerwartet neues Wort vom Vater hört.
Von dieſer flüchtlingſchützenden Warte ſeh ich dort
Ihr Schiff — denn nicht trügt's, leicht erkennbar, meinen
Blick, — 695
Der Segel Flattern und das ſtolze Doppeldeck,
Die Stirn des Kiels, fernher den Blick auf uns gewandt,
Des Steuerruders allgewalt'gem Machtgebot
Nur zu gehorſam, aber gar feindſelig uns.
Schon iſt die Mannſchaft kenntlich, ihre ſchwärzlichen 700
Geſtalten blicken unter weißen Hemden vor,
Schon auch die andern Schiffe dort, der Verbündeten,
Geſchwader; jetzt das Vorſchiff unterm Ufer zieht
Die Schupflehenven. : 311
Das Segel ein, fährt vollen Ruderſchlags an's Land.
Jetzt mögt bedachtſam, ungeitörten Ernftes ihr 705
Den Blid zum Ufer unverwandt zu den Göttern flehn.
Sch aber will euh Hülf und Schug zu hohlen gehn.
Chorführerin.
Doh konnt ein Herold oder Bote leicht fih nahn,
Der uns zurücheifcht, mit ſich uns als Sclavin reißt!
Danao3. ’
Kein, das gefchieht nicht, Kinder, zittert nicht BeuE 710
Ehorführerin.
Doc befler, aufzufhieben noch den Hülferuf,
Um deiner Hülfe, Vater, nicht entblößt zu fein.
Danaos.
Habt Muth; es muß ja doch am rechten Tag dereinſt
2m Frevel büßen, wer die Gottheit frech verlegt.
Erfte Salbehorführerin.
Ich Vater! ihre Schiffe ſchnellbeſchwingt 715
Sie nahn! dahin fliegt ſchnell die allzukurze Zeit!
Erſter Halbchor,
Fa, und es hält mich bangzweifelnde Angſt gebannt,
Ob mir ein Heil nicht fernbergende Flucht noch beut!
3a laß es mir entfliehn ach vor Furcht!
Danaos.
Weil Argos Ausſpruch feſt und abgeſchloſſen, Kind, 720
Sei ruhig; kämpfen, weiß ich, werden ſie für dich.
Zweite Halbchorführerin.
Entſetzlich ſind Aigyptos Söhne, frevelkühn,
Kampfumerfättlih, Vater, ach, du weißt es ja!
Zweiter Halbchor.
Und in den Schiffen fchwarzbordig umd weitgebaucht
Schifften fie ber in fühn glücendem Frevelmuth, 735
Ein ungezählt, ein ſchwarzwimmelnd Heer!
318 Erſte Tragödie.
Dauaos.
Und viele gleichfalls finden fie hier, die fampfgeübt
Im Schweiß des Mittags abgehärtet Bruft und Arın.
Erfte Halbchorführerin.
Kur lag allein mich, Bater, nicht; ich bitte Dich!
Allein vermögen Mädchen nichts, uns fehlt der Much. 730
Erſter Halbchor.
Niedrigen Sclavenſinns, niedrigen Truges voll
Werden ſie Raben gleich im ruchloſen Geiſt
Nicht des Altares achten!
Dauaod.
Gar fhön, o Kinder, wird es uns zu Nupe fein, :
Henn euch und die Gottheit fie zugleich anfeindeten. 735
Zweite Halbchorführeriu.
Richt diefes Dreigad, nit der Götter Heiligehum
Scheun, Vater, die, nicht laſſen fie von uns die Hand.
Zweiter Halbehor.
Jene zu ſtolz bewußt ihrer verruchten Macht,
In wahnſinniger Gier hündiſchen Blickes frech
Scheuen die Götter nimmer! 740
Danaos.
Es heißt das Sprüchwort: Wölfe ſeien mächtiger
Denn Hunde; Byblos Schilf bezwingt die Aehre nicht.
Ehorführerin.
Es nährt ihe Sinn graunbafter, allentfeplicher
Schenfale Wuth; drum mußt du hüten ihre Macht.
Danaos.
Kein fo geſchwind iſt nicht Dee Schiffsgefhwader Fahrt 745
Und Landung, nicht der Taue fihrer Halt fo ſchnell
Ans Land zu bringen, noch vertraun dem Untergrund
Der Schiffe wohlbedächt'ge Hirten‘ fich fogleich,
Zumal da bier fie bafeniofen Ufern nahn.
Die Schutzflehenden. 313
Die Nacht, zu der ſchon Helios niederfteigt, fie pflegt 750
Verſtänd'gem Bootsmaun gern zu bringen Sorg’ und Roth;
So wäre ſelbſt, ſich anszufchirfen, nicht dem Heer
Rathſam, eh’ gut gerebdet. Habe du nur Acht,
In deiner Angſt die Götter nicht zu laſſen, bang
Nah Hülfe. Recht der Stadt als Bote werd’ ich fein, 755
Obſchon ein Greis, doch Züngling noch an Geift und Wort. —
(Danaos mit Befolge ab zur Stabt surüd.)
Wechfelgefang des Chores.
(Strophe 1.)
O holmreih Land du, theures Heiligthum!
Was werd’ ich dulden, ach in Apia wohin
Entfliehn, wo dunkle Stätte finden, auszuruhn?
Ein fhwarzer Rauch möcht’ ich fliehn, 760
Zeus Wollen nah von binnen ziehn,
Lautlos verfhwinden, |
Möhr ein Ieifer, leichter Staub
Emporgeweht flügellos verfliegen!
(Segenftropbe 1.) ;
Beſtürzt nicht, weſſen Sinn wohl wär’ es jept? 165
Ja dunkelwogend pocht das Herz in meiner Brut!
Des Baters Wort es traf mich, ich vergeh’ vor Angſt! —
So werd’ der Tod ch’ mein Theil,
Im bitteen Seil hochaufgeknüpft;
Eh' dieſen Bufen 770
Rührt der Gottverfluchten Hand,
Eh’ will ich todt, will ich des Todes Hand fein!
(Strophe 2.)
Wo find’ Ih einen Ort mir hoch in luft'ger Hoh',
314 Erſte Tragoͤbie.
um den die nebelfeuchte Wolle wird zu Schnee,
Ein files, jähes, gemſeneinſames, abgrundſchwindelndes, 775
Adlerniftendes Felsgehäng,
Tiefen Sturges Zeuge mir,
Ch’ diefer Brautnacht dunfelem Fluch mein brechend Her; an⸗
heimfällt? 780
(Gegenſtrophe 2.)
Dann auch der Hunde Beute, dann der nagenden
Raubvögel Mahl zu werden, ich erduld' es gern!
Her Tod allein, er macht von wehllagebittrem Jammer frei!
Komme Tod denn! komm' herbei, 7185
Bor der Brautnaht mach’ mid frei!
Wo kann ich einen Weg mir erfpähn, wo dieſer Banden 2b:
fung? =
. (Strophe 3.)
D jammert, Taut, zum Himmel laut empor
Den Ewigen flebenden Geſang, 79
Allendenden mir, zumendenden mir,
Was mir fehlt; was mich quält, o Bater du ſieh's! —
Gewalt zu fhaun, dein allgeredht
Ange begehrt es nicht; zu ung ſchaue; wir flehn 795
Zu dir Zeus, Walter der Welt, Allmächt'ger! —
Gegenſtrophe 3.)
Aigyptos Söhne, freventlich erfrechte
Zu unerträglihem Gelüft,
Nachſtürmend in wilder Jagd mich zu fahr,
Mich Schene fheuchen fie wilden Geſchrei's,
Gewalt bereit mir anzuthun.
Dein ift der Wage Zünglein; was Tönute der Meuſch,
Wenn du, Zeus, nicht es erfüllt, erfüllen? —
(Lautes Schluchzen der Mädchen; die yührerin zeigt nad bem Strande
bin, im höchſten Entfegen drängen fich die Mädchen zu einer.
jammernden Maſſe zufammen.)
Die Schupflehenden. 315
Jübrerin.
Da der Räuber, nun vom Schiff an den Strand! 805
Sanzer Chor.
Ränder, eh’ verfinke!
(Geſchrei der Schiffsleute drangen. „Hoiho! Hoiho!”)
a Führerin.
Neue landen jetzt!
Ehor.
Sch erhebe lauten Angſtruf!
Jührerin.
Sie rüften, ich ſeh es genau, ſchon zu unſerm Unheil Gewalt!
810
Ehor.
Weh uns! weh uns!
Führerin.
Flüchte dich ſchnell zum Altar!
Wildes Gewimmel draͤuet, grauſiges im Schiff, am Ufer!
Ebor.
Fürſt! Für! Befchirm ung! — ' 815
(Sin Aigpptiſcher Herold mit dem Stabe fommt vom Strand her;
mit ihm duntelfarbige Sclaven, mit Stangen, Bellen und
Peitſchen bewaffnet.)
Derolb.
Zort nun, fort in die Batken gefchwind! gefhtwind!
hr ſäaäͤumt? ihre ſäumt? fortreißt, fortfchleift,
Peitſcht fie fort, mit dem Blutbeil 8230
Schneidet das bintende Haupt vom Rumpf! —
Fort ihr, fort in das Verderben, Verderben, fort an Bord!
Fort, an das Ufer hinab,
Da zum Geftade den Weg,
Herrifhen Hohnes verladt, 825
Während des Wegs mit gefnotetem Riem
316 Erſte Tragoͤdie.
Blutig gepeitſcht, fo figet an Bord,
Sclavinnen jegt und allegeit;
Ich gebiet euch ber Macht zu weichen!
Es betrog euch Wunſch und Schidfal. 830
Eher.
Web uns! Weh ung! .
Gerolb.
Fort von den Sigen, in die Barken ſchnell,
Du der heimifchen Weihen Entweiherin!
Chorführerin (mit Hoheit vortreteud).
Nie feh ich wieder den fruchtüppigen heimifhen Strom,
835
Der ein verführeriih Blut
Liebesempfängliher Luft entzündet!
Ich Ahnenerlauchte bin hehrer j
Denn Knechtſchaft, denn Knechtſchaft, o Greis!
Serold.
In das Schiff, ins Schiff gleich wirft du gehn! 840
Ob du magft, ob verfagft,
Mit Gewalt, mit aller Gewalt hinweg jept!
Nun fo geht, ch’ ihr Schlimmeres leider,
Nieder mir ſinkt vor der Fauſt! | 845
Erfte Salbchorführerin.
(Strophe 1.) s
Wehe! Wehe!
Sinken möge du felhft unrettbar
In die peitihende Meerfluth,
3m den vielfandigen Untiefen Sarpebons hinaus,
Bon den Stürmen der Nacht verfhlagen. 850
®. 849. Sarpedon, ein Drt der Kilikifchen Küſte mit gefährlichen
Untiefen.
Die Scupflchenden. s17
Herolb.
Wehlag' und ſchrei' und jammre nach der Götter Schutz,
Du kommſt mir über Aigyptos Schiff doch nimmer weg.
Wehklag' und fchrei’ noch jammerlauter deinen Schmerz !
Zweite Salb&horführerin.
(Gegenſtrophe 1.)
Greuel mir heulet der Spuk,
Und zum Ekel mir geilt er 855
Mit dem Gierblid. Dich hinweg tilge der heilige Ri
Und vernichte dein frevles Lüſten!
Serolb.
Fort! fort! gebiet’ ich! fort zum Schiff, ſchon ſteht's gewandt!
Sort! fort! beeilt euch! ſäume länger Feine bier! 860
An den Haaren fortzeriffen zwingt man fonft fie leicht.
Erfte Halbchorführerin.
(Strophe 2.)
Beh Vater! Fluh war mir der Schuß des Altars!
Langſchreitend, fpinnegleich,
Geſpenſt, Geſpenſt, fo ſchwarz! — 865
Erfter Salbihor,
Sal Sa! Gnad’ uns!
Wend’ ab diefes entfeglihe Graun!
D Zus, Ga's Sohn, hilf!
Herold,
Ich fürchte nicht die Götter diefes fremden Volks, 870
Die nicht mid nährten, nicht mich ſchütend altern fahn!
SErſte Balbchorführerin.
(Begenfirophe 2.)
Zweifäfige Schlange, fchleicht es, züngelt's
Wuthzifhend, viperngleich,
Gift beißt es, beißt es ein!
4
318 Erſte Tragöbie.
Zweiter Halbchor.
Ga! Ga! Gnad’ uns! ® 975
Wend' ab diefes entfegliche Graun!
D Zus, Ga's Sohn, hilf! —
Herold (den Stab fhwingend).
Und geht du nicht zum Schiffe, fo erprobft du den!
Kein Fetzen foll uns dauern an deinem Pruntgewand! 880
Ehor.
(Strophe 3.
Ihr Herrn in der Stade!
Ihr Fürften! helft! helft! Gewalt!
; Herold,
So reif ich endlid, euch denn bei den Haaren fort,
Da ihr von felbft nicht folgen mochter meinem Wort!
Chor.
(Gegenftrophe 3.)
Mir find verloren! 885
Herr! Herr! Gewalt dulden wir!
: Serold,
Ja viele Herrn, Aigyptos Söhne, habt ihr gleicht
Fort! nicht um Herrenlofigkeit beflagt ihr euch.
(Während der legten Worte ift der König mit Gefolge aufgetreten.)
König.
Hola! was machſt du! weiche Frechheit kommt dir bei,
Daß du pelasgifher Männer Land alfo entweihft! 890
Was! dachteſt du in einer Weiberſtadt zu fein?
Barbar du, vor Hellenen trogeft du fo frei?
Trog aller Frechheit richtet Doch nichts aus dein Wip!
Serolb.
Was nennft du Frechheit? was beging ich fonder Net?
König.
Als Fremder ſelbſt nur dich zu nahn verfiehfi du nicht. 895
\
Die Schußflehenden. 319
5 Derolb.
Wie das? da ich verlornes aufzufuhen her —
König.
Auf welchen Schugheren hier im Land berufſt du dich?
. Serolb.
Der größte Echugherr, Hermes Allerforfcher iſt's.
. König.
Du fprihft von Göttern, die du ja ſelbſt nicht ſcheuen willſt.
Herold.
Die Götter an des Niles Ufern-ehren wir. 900
König.
Doch nicht die unfern, chen hört ich’s felbft von dir.
Herold.
Ich will fie achten, falls mir niemand diefe raubt.
König.
Du ſollſt's beweinen, wenn du fie anrührft, und dag gleich).
" Herold.
Daß heiß ich Fein gafifreundlih Wort, das du mir fagft.
fiönig.
Auch bin id) Gaftfreund Heiligthumesfhändern nicht. 905
Herold.
So komm und thw das ſelbſt Aigyptos Söhnen kund.
König. i
Dafür zu forgen wäre meines Amtes nicht.
Herold.
Damit ich deffen kundig beffer fagen kann —
Denn freilich Pflicht iſt's, daß der Herold alles Far
Berichte — wie, von wen beraubt denn nenn’ ih uns 910
Der blutverwandten Mädchen, dort zurückgekehrt?
Glaub' nicht, mit Zeugen oder Sprud wird Ares hier
Entfheiden, nicht pflegt ſolchen Streit Vertrag und Gold
320 Erſte Tragdbie.
An Frieden enden; nein es muß entfchieden fein
Durch manches Tapfern Ende, manches Lebens Tod. 915
König.
Wozu die meinen Namen? wenn du einft ihn börft,
Wirft du ihn kennen und die mit dir hergefchifft.. —
Mit ihres Herzens Wunſch und Willen magft du die
Heimführen, falls dein ehrerbietig Wort es Tann.
Bom ganzen Bolt einfimmig ward auf vollem Markt 920
Beichloffen, niemals auszuliefern Feiner Macht
Die Mädchen; feſt und unverrüdt an feſtem Stift
Wahrt diefes Volksbeſchluſſes Täflein jede Bruft,
Der nicht in ehernen Tafeln eingefchrieben ſteht,
An. Pergamentes Falten nicht verfiegelt: fehweigt, 935
Rein Mar von meines Mundes unverholnem Wort
Haft dus gehört. Jetzt fehnell aus meinen Augen fort!
Deroib.
Dieß eine hör’ noch: du entflammft die ſelbſt den Krieg
Zu uns den Männern wird fih wenden Sieg und Macht!
König.
Als rechte Männer follt ihr diefes meines Neichs 930
Bewohner fehn, niht ärmlih, gerfienmoftberaufeht. —
(Herold nnd Begleiter ab).
Ihr aber alle nebft den treuen Mägden geht
Getroſten Muthes nach der wallumfchirmten Stadt,
Die fiher zufchließt ihrer Thürme hoher Ban.
Da ift ja mandy? Gebäude, das der Stadt gehört, 935
So wie id felbft auch nicht mit karger Hand gebaut.
Erfreulich if’s, in einer Wohnung groß und reich
Zu fein mit vielen andern; doc gefällt's euch mehr,
. Sp fichn zerfireute Häuschen auch für euch bereit.
Bon alle dem das Befte und Behaglichfte 940
Steht end zu Dienften. Wähler! Euer Schtem bin ich
Die Schutzflehenden. 321
Und alle Bürger, welche jenen Schluß gefaßt. -
Erwartet nun. ihr befire Freunde noch denn uns?
Ehorführerin.
Was an und du gethan, reich lohn' es fih Dir,
Dun Pelasgierfürf! - 945
- Sp fend’ huldreih uns unſeren teen
Boriorgenden Bater zurüd, def’ Rath _
Und Gebot uns führt; der muß es zuvor
Nod bedenken, wo ung es zu wohnen fi) past.
Denn an jeglihem Drt, wie er gaflich auch fei, 950
Sind Fremdlinge bald
Zum Geſpött; doc es ende zum Beſten! —
| (König mit Gefolge ab.)
Erſte Halbchorführerin.
Mit der Feier des Ruhms, mit dem Gruß des Geſangs
Für des Volks Heil wollen wir einziehn.
Zweite Halbchorführerin.
Schaart theuere Mägde zu. uns euch fo, 955
Wie Danaos einft euch jeder von uns
Als Dienerin ſchenkte zur Mitgift.
(Zu den Halbhören der Danaiden fchaaren fih die Mägde m zwei
Halbhören, um im feierlihen Zuge zur Stadt einzuziehen. Während
defien kommt Danaos mit Geleit aus der Stadt zurück.)
Danays.
D Kinder, Argos Bürgern müßt ihr weihn Gebet
Und Dank und Dpfer und wie Göttern im Olymp
Gelübde; wahrlich eure Netter nennt ihr fie. 960
Was uns von unfrer übermürhigen Vettern Stolz
Geſchehn, fie Hörtens mit gerechtem Zorn von mir;
Mein greifes Haupt zu ehren, gaben fie ſodann
Mir diefe Lanzenknechte und Geleiter mit,
21
323 Erſte Tragödie.
Daß unerwartet wicht ein feinbliher Speer den Tod 965
Mir brachte, Blutſchuld nicht ihre Land befudelte.
Nach folder Güte ift es Pflicht verfiänd’gen Sinns,
Daß ihr fie ehrerbietiger ehrt zum Dank denn mid. -
Drum fchreibet dieß euch ins Gedäaͤchtniß forglich ein
Zu eures Vaters andern Sprüchen, und bedentt, 970
Daß neue Freundfchaft erft die Zeit bewähren muß.
Denn Schugbedürftigen wird behend ein jeder Mund
Leumund, Gerücht macht leicht berüchtige und verhaßt.
Euh drum ermahn’ ich, nicht zur Schande werdet mir .
Erblüht zum Alter, das der Männer Blide lodt; 975
Richt leicht zu hüten iſt der reifen Frucht Genuß;
Gar gern verlegt und Toftet fie Gethier und Menſch
Und was die Luft durchflieget, was am Boden fchleicht.
Kypris ift Herold, wie die Traube faftig reift,
So hüte du dich fein vor jedem Traubendieb; 980
Denn nad der Zungfraun liebefüßem Blumenflor
Pflegt jeder Wandrer jenen zaubermächtigen Pfeil
Des Blicks zu fenden, von Berlangen füß berauſcht.
Drum dulder jett nicht, dem zu entgehn fo viel Gefahr,
Sp weiten Meeres ferne Bahn ihr duldetet; 985
Laßt uns Beihimpfung, unfrer Feinde Luft und Spott,
Bermeiden. Wohnung ift ja zwiefach uns bereit,
Die ung Pelasgos, die die Stadt ung geben will,
Bon Laft und Pflicht frei. Wohl zu Statten kommt es ung.
Was trem der Vater jegt dir rieth, bewahr’ es treu; 990
Verſchämtheit laß dir theurer als das Leben fein. —
| Chorführerin.
In Allem fonft fei mein der ew’gen Götter Schup,
Um meine Jugend, Bater, fei du unbeforgt.
Denn bat mir Andres nicht verhängt der Götter Kath,
Ich laſſe niemals meines Sinnes alten Pfad. 995
Die Scußflehenben.
Gefang der hinausziehenden Chöre.
Erſte Halbchorführerin.
(Strophe 1.)
Run hinabzieht mit dem Grußlied
An die Gottheiten der Burg dort.
Und der Stadt da und an alle,
Die ummwohnend
Erafinos alter Strom negt.
3Zweite Halbehorführerin
(an die Spike der Mägde tretend.)
. (Gegenſtrophe 1.)
Und Gefährtinnen, ihr nehmt dann
Den Gefang auf; und ein Roblied
Für die Stadt fingt des Pelasgos,
Für den Nil nicht
Sich erhebe noch ein Hymnus!
Die Danaiden.
(Steophe 2.)
Für bie Baqlein, die das Land hier
Mit dem Trank laben der Kühlung,
Die Befruchtung und Erquidung
Durch die Kornflur
Durch die Au'n hin Tachend firmen.
Die Mägbe,
(Gegenfirophe 3.)
. 08 8 8 8 2 46
(E8 fehlen bier zwei oder mehr Strophen.)
Die Danaiben.
(Mefodos )
D fo wol’ Artemis Jungfrau
Du in Mitleid zu uns herſchaun!
1000
1005
1010
324 Erſte Tragsdie.
Mit Gewalt nicht fei geführt ich
In das Brautbett;
Mir ein Gräul ift Liebes: Luitlampf. 1015
Die Mägbe,
(Strophe 4.)
Doch der Kypris ungedent nicht jei das Lied ung,
Denn mit Hera, denn mit Zeus berricht fie an Macht gleich;
Und um ehrwürdige Pflicht preift man die liſtkundige Göttin.
1020
Die Dauaiben.
(Stropbe 5.)
Doch zugleich naht mit der holdläcdeluden Mutter
Sich die Sehnfuht — der bu nichts weigerft, die Schmeich⸗
lerin Ueberredung —
Sich die anſchmiegende Hingebung, die Thörin, — 1025
Und Verlangens gramvoll Harren.
Gegenſrrophe 4.)
Ja in Flucht hier — das Heranbrauſen des unheils
Und des Weh's Fluch und des Krieg's Blut mich entfegt es!
Ah warum glüdte die Meerfahrt der zu ſchnell nahnden Ver⸗
folgung ? 1030
Die Mägbe.
(Begenfirophe 5)
Wie vom Schickſal es verhängt. ift, fo gefcheh’ es
Unumgehbar ift des Zeus ewiger, nie wankender Rahſchluß.
Doch in alljeglicher Eh’ zeige ſich dieß End’, 1035
Daß des Weibes fei die Herrfhaft.
(Strophe 6.)
Die Danaiben.
= Wenn der Eh’ Zeus mit den Söhnen
Des Aigyptos mich befreite,
Sp geſchäh' wohl mir das Liebſte! 109040
Die Schutzflehenden. 325
Die Mägbde,
Doch du rührf nicht den unrührbaren!
Die Danaiden.
Dod du weiße nicht, was gefchehn wird!
(Gegenftrophe 6.)
: Die Mägde.
Wie vermöchr aud) ich bes Zens Nath,
Ich den Abgrund zu ergründen?
Was du flehft, fei es befcheidner! 1045
Die Danaiden.
Sp belehr' mich, was ich ſlehn fol.
Die Mäsde.
Zu verſchmähn nicht, was ein Gott giebt.
Die Danaiden.
(Strophe 7.)
Wende Zeus, mir diefer Ch bräutigamverhaften Bund;
Wie du in Fo huldreich 1050
Alles Herzeleid geftilit, rührend fie .
Sanft mit heilend fanfter Hand,
Saamen wedend mit füßem Zwang,
(Begenftropbe 7.)
Sieb Gewalt den Fraun! denn wird beſſer nur denn fchlecht
mein Loos, 1055
Gut nur, wie ſchlecht, fo lob' ich's.
Und es folge Recht um Recht. Schon bereit
Iſt zu meinem Flehn um Schug
Einer Gottheit fihre Lift.
——
Zweite Tragödie.
Die Aigyptier.
—
P llasgos hat unter Beiſtimmung des Volks, deren er ſich
vorſorglich vergewiſſert hat, Danaos und feine Töchter in Ar⸗
gos eingeführt und ihnen dort Wohnung gegeben; das gerade
in der Zeit, wo Aigyptos Söhne gelandet ſind, ſich der flüchti⸗
gen Mädchen mit Gewalt zu bemächtigen. Nur zu bald erfüllt
ſich die Drohung ihres Herolds; ſie greifen die Stadt an, ver⸗
wüſten ihre Felder, bedrängen fie nachdrücklichtt. Und Pelas⸗
gos vermag ſich ihrer nicht zu erwehren; ſchon mag er bereuen,
den Fremdlingen Schutz und Beiſtand verſprochen zu haben;
er mag daran denken ſie Preis zu geben, um nicht gar ſein Ar⸗
giviſches Reich auf das Spiel zu ſetzen. Und gerade dadurch
verliert er es. Die Stadt will nicht die einmal zu Schutz
aufgenommenen ausweiſen, um nicht der Götter Zorn zu wel
Ten, und Danaos, dem ſchon Trabanten gegeben find, gewinnt
fih leicht eine Parthei. Und da der König den Göttern Op⸗
fer rüftet zur Abwehr des Webels, gefchieht ein feltfames Zei:
hen, ein Wolf hat fih auf den Stier, der die Heerde führt,
Die Aigyptier. 327
geftürzt und ihn bewältigt; Artemis ſelbſt, heißt es, die jungfräu«
liche, die die Danaiden ſchon daheim als Demeters Tochter
verehrten, hat den tödtenden Stein gefchleudert. Und die Se
ber deuten, daß nad) der Gottheit Willen der Fremdling an-
fatt ‚des heimathlihen Fürften in. Argos herrfchen fol. So
geht der König Pelasgos mit feinem Gefchlecht fern in fein
nordifhes Neih und Danaos berrfht in dem ihm ſtammver⸗
wandten Bolt von Argos.
Als Fürſt in Argos hat er nun eine fehr andere Stellung
als früher, da er nur für feine Töchter zu forgen hatte; er
muß num diefelbe Sorge für fein neues Reich hegen, wie Pes
lasgos, der darum fein Neich verloren, und wieder fcheint Feine
andere Hülfe zu fein als wenn er die Töchter der Verbindung
Preis giebt, um deren Willen er fie aus der Heimath zu flie-
ben veranlaft hat. -
Hier mag die Zweite Tragödie begonnen haben. Im Pro:
log, der etwa den neuen König vom Volk umbrängt zeigen
mochte, erfährt man die veränderten Berhältniffe, die Noth
der Stadt, das Verlangen des Bolfes, daß endlich entweder
dur) einen Sieg oder durch Uebereinfunft der Noth der Stadt
ein Ende gemacht werbe. Der Chor der Mägde veranſchau⸗
licht des Weiteren was gefchehen, mahlt den wieder aufgenom⸗
menen Kampf, defien unglücklichen Ausgang. Und wieder bie
ten die Aignptosfühne Frieden an, wenn ihnen die begehrte
Ehe zu Theil wird; Danaos vermag fie nicht mehr zu weigern.
Aber er ſieht fo nicht bloß feiner Töchter Geſchick Preis gege:
ben, bei der -trogigen Keckheit der Gegner ift er auch für feine
nene Herrſchaft beforgt:
Denn Ränke find zu fpinnen die Wigyptier
Gar fehr gewandt.
Ans folhen Sorgen hilft „der Gottheit erlöfende Lift‘
Schutzflehende V. 1059.)
328 Zweite Tragöbie.
deun „Gerechte Tänſchung if den Göttern nicht verhaßt.“
Es mird die jungfräulihe Artemis fein, die dem Könige
jene Lift an die Hand giebt: jede der Töchter ſoll ihren Braͤu⸗
tigam in der Brautnacht erdolchen. (Bgl. Prometheus B. 835.)
und num kommen die Aigyptosſohne in Luft und Uebermuth
daher, jeder feine Braut in Empfang zu nehmen und „berhbrt
in ihrem Sinn” (Prometheus B. 858) zu Dem Brautgemad
zu führen, das ihre Todeskammer fein wird.
Mean wird nicht läugnen, daß hier bedeutende dramatifche
Momente gu geſtalten vorlagen; die ſtarken Eontrafte der Schluß⸗
fcene, in der die Menvermählten mit dem Hymenaios bes mit⸗
soiffenden Chores, ſelbſt mir drein fingend, geleitet werben,
Tonnte zur fchönften dramatifhen Wirkung ausgearbeitet fein.
Es iſt wahrfheintih, das Lynkens und Hypermneſtra, bie
ältefte der Schweitern, ſchon irgendwie bedeutſam gegen bie
übrigen hervortraten: diefe vielleicht, indem der Vater von ihr
das von Artemis gefandte Traumgeficht erfuhr und mit ihr
guerft die Lift befpradh, jener indem er Namens ber Brüder
zu unterhaudeln kam, und nad) der alten Sage wählte Da:
naos Lynkeus für Hypermneſtra, während die anderen nad
dem Looſe zufammengefügt wurden. Wäre eine dazu paffende
Eombination gu erfinnen, fo würde man die Aignptier, nad
denen das Stüd genannt ift, gern als Ehor gedacht haben;
die Danaiden ſelbſt oder Argivifhe Greiſe ſchienen unbrauch⸗
bar; der Schluß der Schugflehenden führte auf die Maͤgde.
—
Dritte Tragödie.
Die Danaiden.
ne
Aus dem Prolog der dritten Tragödie iſt ein Fragment
erhalten, das die Situation erkennen läßt:
Da jegt empor der Sonne leuchtend Auge fleigt,
So wel’ ich freundlich wohl die Bräntigame auf,
Mit frohem Knab’- und Mädchenhor erfreuend fie.
Wer dieß ſprach, ift nicht Ddeutlih; Danaos wohl kaum,
eher eine Priekerin, etwa der Göttin, durch deren Segnung
aller Hader anf fo freundliche Weife gefchlichter ſcheint; es ift
an demfelben Morgen, der die furchtdare That enthält zeigen
wird. Und ſchon brechen aus den Thären „der zerftreuten
Häuschen" (Schutzflehende B. 939) die Bräute mit biutenden
Dolchen hervor; beraufcht vom Grauſen ber bintigen That
die fie nach des Vaters Geheiß vollbracht fingen fie, zugleich
ihres Sieges ſtolz und die jungfräulihe Göttin preifend, die
dem Weibe die Herrfchaft gab So findet fie der Vater; nar
eine unter ihnen, Hypermneſtra, hat den Bräntigam nicht er,
mordet, fie bat lieber ſchwach als biutbefledit erfcheinen wollen,
330 Dritte Tragödie. ,
der Liebe Pfeil hat fie gerührt. (Prometheus V. 867.) Sie
wird bervorgeholt, mänadengleih umtoben fie die Schweftern.
Danaos läßt fie in den Kerker werfen. _ Einer von jenen, die
ihn für feine Herrfhaft fürchten machten, ift gerettet, und dop⸗
pelt gefährlich; die Blutthat hat für ihn nicht den gewünſch⸗
ten Erfolg.
Die alte Sage berichtet: „Danaos führte Hypermneſtra
vor Gericht, indem er die Nettung des Lynkeus für nicht ges
fahrlos hielt, und weil fie, an dem Wagniß mit ihren Schwe⸗
ſtern und ihm dem Anftifter nicht Antheil nehmend, den böſen
Leumund mehrte;“ ferner „Hypermneſtra habe ein Bild der
Aphrodite der überredenden geweiht, für den Sieg den fie in
dem vom Vater gegen fie gemachten Proceß davon getragen.“
Diefen Procep ftellt Aifchylos ausführlich dar, Aphrodite ſelbſt
erfchien als Anwalt der Fiebenden Braut, von ihrer Macht zu
fprechen:
Es fehnt der keuſche Simmel fi, zu umfahn die Erd’;
Sehnſucht ergreift die Erde fih zu vermäblen ihm;
Vom fhlummerfillen Himmel firömt des Negens Guß;
Die Erd’ empfänger und gebiert den Sterblichen
Der Lämmer Grafung und Demeters milde Frucht;
Des Waldes blühnden Frühling läßt die regnende
Brautnacht erwachen: Alles das, es kommt von mir.
Darum wird die liebende Braut nicht verurtheilt, fondern ihr
Bund mit Lynfens fol in glorreichfier Hoffnung gefegnet fein.
Diep find diejenigen Momente der Tragoͤdie, die ſich mit
einiger Sicherheit beftimmen laſſen; vieles andere bleibt den
Bermuthungen frei. Daß die Mörderinnen gefichert werden
mußten, verfteht fih von felbft; nad alter Sage vollbrachten
Athene und Hermes die Sühne; es fheint, in der Tragödie
niht fo. Nah anderer Sage ging Danaos Herrfhaft auf
Lynkeus über. Ihm freilich mußten die Bürger geneigt fein,
Die Danaiden. 331
„die ja im der Verbindung, die nur ihm nicht das Leben raubte,
die alleinige Rettung der Stadt gefunden hatten. Wohin nun
wandte er fich, nach der Einkerkerung Hypermneſtras? Nuran
einem Altar oder in Flucht mochte er Schug finden vor dem.
Tprannen, der nun fein eigen Kind dem Tode hinzugeben bes
teit war; warum verließ er die Braut, die ihn liebend geret-
tet hatte? Gewiß nur um auch fie zu retten. Danaos war im
dem Proceh Kläger; felbft Parthei, Tonnte er nicht die Leitung
des Gerichtes haben; Aphrodite Tonnte es eben fo wenig, da
fie als Anwalt für die Liebende auftrat.” Es mußte ſich in
diefem Gericht die ganze fittlihe dee, die der Trilogie zum
Grunde liegt, zuſammenfaſſen. Die Argivifhe Göttin, Hera
felpft wird das Gericht berufen und geleitet haben.
Wie dieß Zwifchentreten Heras eingeführt wurde, ift nicht
mehr zu erkennen; aber nur fo wird es möglich, daß fich der
Ausgang der dritten Tragödie richtig entwidelt. Nach der alten
Sage war Lynkeus nah der Anhöhe von Lyria geflüchter und
ließ dort nach der Berabredung mit Hypermneſtra eine Fackel
anflodern, zum Zeichen, daß er gerettet fei. Die Danaiden hats
ten nach dem Willen des Vaters die That gethan, er fie nad
der Weifung der jungfräulichen Göttin aufgetragen; aber doch
war das Land durch fie befledit, die, wenn fie auch gefühnt wers
den konnte, es doch unmöglich machte, daß Danaos ferner das
Negiment der Stadt führte. So mag es ‚Hera geordnet has
ben: nicht entehrt fol der greife Danaos fein, das Bolt foll
uach ihm für alle Zeit den Namen haben, aber die Herrſchaft
fol übergehen an Lynkeus und Hypermneſtra, in ihnen und
ihrem Geſchlechte fol das Land gefeguet fein, fie werden die
Schweftern des Blutes reinigen; die Häupter der Erfchlagenen
follen, zum Segen des Landes in eben fo viele Quellen vers
wandelt, die Flur von Argos tränten. Mit dieſer Berfühnung
fließt die Tragödie.
[1
333 Dritte Tragoͤdie.
Aber ſie enthält noch eine höhere Berſohnung; demm kei⸗
wesweges ift diefe Trilogie ohne eine ſittliche Idee, nnd nur
in der politifchen, der Gründung des Danaervolles zuſammen.
‚gehalten. Auf dem Geflecht der Fo ruhte Heras Fluch; Hera,
die firenge Hüterin der Ehe, bat unabläffig ihres Olympiſchen
Gemahls Liebe verfolgt nnd dann ihren Haß, vor dem So
geflohen, auf deren Geſchlecht übertragen; fie Has ihn lange
verborgen, bis nun das Geſchlecht in herrlichſter Blüthe dem
nahen Untergang zureift. Der Jünglinge wilde Begier und
der Mädchen Abſcheu gegen die Ehe ift Heras Werk; ibr Haß
Tann nur durch tree redliche Liebe verfühnt werden, nnd ums»
berührt in jener Brautnacht hatte Hypermneſtra ihren Bräu-
tigam gerettet; er ließ bie wilde Begehrlichkeit feiner Brüder,
fie die unweiblide Spsödigkeit ihrer Schweſtern, es war ein
Bund, wie ihn die Häterin der Che Toben mußte. In ihnen
alfo if Heras Haß gegen Jo's Geſchlecht verfühnt, in ihnen
ſoll es fortblühen zu jenem Helden bin, der, der Goͤtter Lieb»
ling -und der große Befchüiger des Menfchengefchledhtes, nad)
viefen uud herrlichen Thaten zur Gemeinſchaft der Götter im
Dinmp wird erhöht werden. So ſchwindet Jo's unb ihres
Geſchlechtes Leiden in der frohen Ausfiht auf Herakles Hel⸗
denkraft.
Satyrfpiel
Aumuymone
— —
Sa weiß nit, ob am Schluß der Trilogie auch das nod)
erwähnt wurde, was in alten Eagen vorfam, daß Danaos
Wettſpiele angeftellt und den Männern, die feine Töchter im
Nennen überwanden, fie zu Frauen gegeben babe. Wenn nit -
bei allen, wenigftens bei einer der fpröden Schweftern zeigt der
Dichter das weitere Schidfal der Fungfräulichkeit. Die Amy»
mone war ausgegangen eine Duelle zu fuchen und ermiüdet
eingefhlafen. Da kamen denn Satyen, das ſchöne Mädchen
gefiel ihnen gar wohl, in ihrer Lüſternheit hätten fie gern fo
füße Frucht gefoflet; aber das Mädchen erwacht und fchreit
vol Entfegen über die frehen Bodsfüßler um Hülfe Der
Gott des Dreizads erfcheint auf ihr Nufen, verweiſet die
Bodsfüßler, „Ungeheuer befpringend” möchten fie ihre Luft füs
hen. So befreit er fie, aber "
Gefreit zu werden hat das Schicfal dir beftimmt,
Mir, dich zu freien —
und das lachende eben nicht fpröde Mädchen geht mit dem
Bott in das Didiht; die Satyrn haben das Nachſehen. —
334 Amymone.
Sn diefer factifhen Ironie über die Tungfränlichleit der Da-
naiden liegt der ficherfte Beweis für die Nichtigkeit der Ans
nahme, daß eben dieß Drama zu diefer Trilogie gehört hat.
Der Dichter Ton von Chios hatte Recht mir feinem Worte,
daß es fi ähnlich verhalte mit der Tugend wie mit der Tras
gödie: bei beiden käme binterdrein das Satyrifhe als ein
notbwendiges Ingredienz.
Die Thbebais,
—
Die Didasfalie der Thebais tft unſicher. Welder Felt die Ne:
meen, die Sieben gegen Theben und die Phöniffen, Andere
dagegen die Hhöniffen, Sieben gegen Theben md Epigonen
zuſammen; dad Satprdrama ift unbefaunt. Die Thebats wurde wahr:
fheinlih DI. 77. 1. oder 2. (471. oder 470. vor Ehriftus) aufgeführt.
Erſte Tragsdie.
Die Phoiniſſen.
Kein Geſchlecht iſt durch Frevel und Strafe berühmter ge⸗
worden, als das des Oidipus; Gottloſigkeit, Vatermord, Blut⸗
ſchande, Bruderkrieg, jeder denthare Frevel iſt in dieſem Hauſe
heimiſch; der furchtbarſte Vaterfluch, das Vermaͤchtniß blinder,
unerſchoͤpflicher Wildheit, wüthet fort und fort gegen den eige⸗
nen Stamm, bis der letzte Zweig verdorrt, bis das legte Ges
dächtniß feines unfeligen Dafeins binmweggetilgt if, und ein
nenes,. milderes Geſchlecht glücklicher herrſcht in dem Pallaſt
der Kadmea.
Das if der Hauptinhalt einer Trilogie, die, wie es aus
der Strenge und Heftigkeit ihrer Charaktere wohl begreiflich
ift, su den fchönften des Aiſchylos gehört hat; und dod find
swei ihrer Tragoͤdien faft fpurlos untergegangen; felbi ihre
Namen, ihre Argumente, wie fie gewöhnlich angegeben worden,
find nichts weniger als gegen jeden Zweifel ficher.
Nach Aiſchylos Weife beginnt das Drama, wenn in dem
23
338 Erſte Tragödie.
großen Neg des Schickſals die Teste Mafche gefchürzt if: Oi⸗
dipus Schuld war offenbar geworden, in frecher Wildheit harte
er gegen ſich felbft gewüthet, fein eigen Auge mit der goldnen
Spange durchhohrt. Noch blieb er Herrfcher, aber blind und
jammervoll wie er war, mußte er im eigenen Haufe fchwere
Unbilde erfahren, da feine Söhne erwachfen waren. Denn
Polyneites der blonde fchente nicht die verſchloſſenen Ehren:
Heinodien, und fegte beim Mahl dem Vater den filbernen Tifch
und den Goldpokal des Kadmos vor; da erzürnte der Bater
und verfluchte die Söhne zum erften Dal, daß fie nimmer in
Frieden das Reich theilen follten. Als fie darauf gar fatt
der Ehrenftücen vom Opfer ihm Hüfte und Knochen ſchickten,
da hatte er fie zum zweitenmale verfluht, daß fierum ihr Erbe
Tampfen und im Wechfelmorde des Zweilampfes fallen follten.
Nach der älteren Sage farb dann Didipus in Theben und zur
Reihenfeier kam Polyneikes, der nach Argos gegangen war,
mit feiner Gemahlin Argeia, des Adraftos Tochter, gen Theben.
Eteokles aber bot, um allen Streit forgfam zu meiden, dem
Bruder Theilung des Erbes an, daß der eine die Herrfchaft,
der andere die Schäge des Vaters, darunter Harmonias Kleid
und Halsband erhalten folle; und Polyneikes wählte die Schäge.
Bald Tam er, obſchon mit den Göttergefchenten, die er ge
wählt, adgefunden, fih auch Antheil an der Herrfhaft zu for
dern. Da vertrieb ihn Eteokles mit Gewalt und Polymeikes
rücte mit mächtigem Heere heran, Theben zu erobern. —
Herr Welder hat für diefe Trilogie die Tragödien Ne-
mea und Eleufinier den Sieben gegen Theben beigefügt,
in der Anficht, daß in der erften der Auszug der fieben Helden,
in der dritten, den Eleufiniern, die Befiegung und Beftattung
derfelben dargeftellt worden. Die vorliegende erhaltene Tra⸗
gödie beweift ungweideutig die Unmöglichkeit diefer Annahme;
fie fordert, daß ſich die Trilogie ganz um die Schickſale des
m
=
Die Phoinifien. ' 339
Didipushanfes und den mit dem Oidipusfluch bedingten Un⸗
tergang der Stadt bewege.
Aber wie fol man fih die erſte Tragödie gefaltet denken?
Die Sieben beginnen inmitten der Belagerung der Stadt, die
erfte Tragödie muß diefe in Ausficht geftellt haben. Die aus—⸗
führlihe Befchreibung der fieben- Helden ſcheint zu beweifen,
daß diefe nicht vorher ſchon gefehen worden find, und doch ift
(B. 50.) von Adrafios und feinem Wagen fo die Rede, daß
man erfeunt, der Zufchauer muß ſchon von beiden wiffen. Daf-
felbe ift e8 mit dem Scher Teirefiad (DB. 25.), der unzweifel-
haft in der vorhergehenden Tragödie auftrat. Eteokles fpricht
im Anfang ver „Sieben wie ein treuer und verftändiger Lei:
ter des Volks, und wie wenn man fhon gewohnt wäre, ihn
ale folchen zu fehen; er fpriht (B.692.) von einem „Traumes⸗
bild, das blutig theilte des Vaters Reich;“ auch von dieſem
Traum muß ſchon die Nede gewefen fein. Endlich vergeht faſt
die volle Hälfte der zweiten Tragödie, che der Fluch des Va⸗
ters erwähnt wird; deſto gewiſſer ift die Seele der Zufchauer
von der erften Tragödie her mit diefem Gedanken erfüllt.
Wie nun alle diefe verfhiedenartigen Motive vereinigen?
So viel fieht man, in der erften Tragödie müflen beide Brü-
der aufgetreten fein, man muß durch unmittelbare dramatiſche
Anſchauung den Tebendigften Eindrud von ihrem Haß erhalten .
baben. Kein Moment ift dazu geeigneter, ale der, wo Poly:
neikes nad Theben kommt, aud von der Herrfhaft Antheil
zu begehren; Aifhylos wird vermieden haben, ihn als entfchies
den Unrecht thuend darzuftellen; er wird die vorgängige Theis
Jung des ſämmtlichen Erbes anders motivirt haben, als die
oben wmitgetheilte Sage. Polyneiles mußte auch fein Recht für
fi haben (B. 1040.), von gerechter Forderung mochte er fort
fhreiten zur Drohung, mochte berichten, daß er fich bereits den
. mächtigen König Adraftos zum Freunde, daß er fieben edelfte
340 Erſte Tragödie.
Helden zu Mitlämpfern gewonnen habe, daß er kommen werde,
fein väterliches Erbe mit Gewaltzu nehmen. Eteokles wird
heftig und heftiger widerfprochen haben, von Gewaltſamkeit
wird ihn nur die Schen, bes Vaters Fluch zu erfüllen, zurück⸗
gehalten haben.
Dies führt zu einer anderen vorangehenden Scene. Die
ganze Gewalt des Baterfluches muß dem Eteokles wieder vor
die Seele getreten fein, da er fhon im ruhigen Befig der Herr:
ſchaft ift umd ſich fiher glaubt. Der Traum von der Theilung
des Meichs iſt es, der ihn im Innerſten erfchüttert und der ich
fo bald erfüllen wird. Ich weiß nicht, ob ZTeirefias kam, ihn
zu deuten, oder mit anderen Zeichen und Bordentungen ihn zu
befräftigen und die Beſorgniß noh höher zu fleigern. Biel
Teicht ließ fich Eteokles gerade daburch bewegen, den Bruber
einzuladen, daß er heimkehren und friedlich mir ihm in Theben
wohnen möchte, in der Hoffnung, fo am beiten jedem Streit
Horzubeugen; und der Bruder Tonnte dann gerade darin einen
Beweis mehr finden, daß Gteolles fih des eigenen Unrechts
wohl bewußt fei und, um ihm felhft fein Necht -vorzuenthalten,
den Verfoͤhnlichen ſpiele. Er wird zur Verföhnung und fried-
lichen Ausgleihung bereit gefommen fein, umd irre ich nicht,
fo find eben in diefer Scene aud die Schweftern aufgetreten,
and haben ihre Vorliebe, die ſich bei der Todtenklage um die
Brüder fo entfhieden ausfpricht, Antigone für Yölyneifes, JIs⸗
mene für Eteokles gezeigt und in irgend welcher Art der Theil:
nahme bewährt. i
Nah Aiſchyleiſcher Weife fordert das Drama noch ein
Drittes Motiv; nach der erneuten Vergegenwärtigung des Ba:
serfluches und nach dem Ausbruch des Haffes der Brüder muß
ein Verſuch zur Verführung folgen, der das Schickſal nur defto
ſchneller zur Erfüllung drängt. In Euripides Schugflehenden
fagt Adraftos, daß Eteofles noch einen Vergleich zur Beilegung -
Die Phoiniſſen. 341
des Krieges vorgeichlagen babe, und in der Ilias wird mehr
fach erzählt, daß, da bie Argeier bereits am Afopos fanden,
fie Tydeus als Boten nad Theben gefandt Hatten, noch ein
mal gutmwillige Abtretung der Herrfchaft zu fordern. Den Ty:
dens nennt in den „Sieben“ der Bote zuerft, ihn kann As
phiaraos vom Uebergang über Ismenos Furth Taum zurück⸗
halten, fo Tampfwild ift er. Der wird in der Schlußfceene der
erſten Tragödie als Bote der Feinde aufgetreten fein, gerade
da, als Eteokles noch einmal gütlihen Vertrag anbieten will,
und fein wilder Zroß wird gar alle Berfühnung unmöglich gemacht
haben. In Homer wird erzählt, wie Tydens ohne Beben in
Mitten des Saales getreten fei und mit unbändigem Muthe
die Kadmeier zum Wettlampf herausgefordert und befiegt habe;
and dem Heimkehrenden hätten fie einen Hinterhalt gelegt,
aber er habe fie gefchlagen und mehrere getödtet. Es in wicht
wahrfheinlih, daß auch dieß in der Tragödie benugt war.
Auf die Frage nach dem Chor und dem Zitel diefer Tra⸗
gödie baden wir durch die gewählte Weberfchrift bereits geant⸗
wortet. Auch Euripides hat in der Tragödie, die zum größe
ren Theil ben Stoff diefer Trilogie behandelt, einen Chor vom
Phoͤnizierinnen. Cie find als beſter Benterheil von Sidon,
der Heimath der Kadmer, gefandt, dem delphiſchen Tempel im
heiliger Leideigenfchaft zu dienen und fprechen im Auftrage des
Sidonifhen Königs im verwandten Haufe des Oidipus an.
Barum Aifchnlos gerade dieſen Chor wählte, ift nicht wohl zu
erweifen; es hatte vielleicht im politifchen Bezüglichleiten mit
feinen Grund. Jedenfalls eignete fib der Chor zu diefem
Stück in vielfaher Beziehung: gerade die Sprüche des delphi⸗
fhen Gottes hatte Laios übertreten und die ganze weitere Ber:
wirrung des unfeligen Gefchlechtes ift durchzogen von den vers
geblihen Warnungen des Acht heilenifhen Gottes; das Kad—⸗
meier⸗Geſchlecht aber ift feinem Urfprung nach ein barbarifches.
312 Erſte Tragoͤdie.
Ausdrücklich glaubt es Eteokles, (V. 73. vergl. B.250.) wenn
er die Götter um Grrettung der Stadt anfleht, fagen zu müſ⸗
fen, daß fie der Griechenſprache angehöre.
Apollon felbft, heißt es in den „Sieben“ (B. 783.) trat
am fiebenten Thore, wo die beiden Brüder fämpften, ein, „das
mit des Laios alte Schuld an dem Gefchlecht des Didipus er-
füllt würde.” Die ganze Trilogie muß ſich in diefen Gedan⸗
ten gipfeln, daß die Misachtung des deiphifchen Gottes und
feines Orakels fih bis zum vollen Untergang der Verächter
raͤche; er ruht nicht, bis auch die Stadt und das Volk vertilgt
ift und von der Bente der fchönfte Theil gen Delphi wandert.
Es ift poetifch ergreifend, daß der Chor der erftien Tragödie
eben zu des Gottes Dienft und Pflicht wandert, dem fich das
fiolze, ſſammverwandte Geflecht in thörichter Berblendung zu
entziehen fucht, um ihm defto ficherer zu verfallen; daß jener
Chor den Weg voranzieht, dem bald der traurige Neft des eben
noch blühenden und berrlihen Volles nachgehen wird. — Wie
bedeutſam und ergiebig übrigens die Anwendung eines Chores
von Fremden und Doch nahe Theilnehmenden if, um die ganze
graufe Verkettung von Schuld und Fluch in Didipus Ge:
fchlecht zur Anſchauung zu bringen und das böfe Berbältniß der
Brüder, in die Mitte tretend umd begütigend, noch zu fleigern,
am zu warnen und die Hoheit des Gottes, dem fie felber zu
Pflicht fein werden, geltend zu machen, erfennt man leicht.
Das einzige Bruchſtück aus diefer Tragödie: „fie haben
Shreitbinden au ihren wohlanpaffenden Schuhen“ ift aus der
Beſchreibung des fremdartigen Aufzuges der Phoiniſſen.
*
— —
Zweite Tragödie.
Die Sieben gegen Theben.
u
Derfonen.
Eteokles.
Bote.
Chor von Jungfrauen.
Jsmene.
Antigone.
Serold.
(Die Bühne zeigt Pallaſt und Tempel ber Kadmea und bie Ausſicht
auf die Stadt und ihre Iimgegend; der Raum vor der Bühne ift
mit Altären und Statuen geſchmückt, unter diefen namentlich Pal⸗
las Athene die Stadtfhhirmende, Pofeidon mit erhobnem Trident,
Kypris und Ares, Apollon und Artemis.
Sobald der Vorhang finft, drängt Mich Thebanifches Bolk zur
Verſammlung auf dem Raum vor der Bühne zuſammen; dann tritt
Eteokles mit feinem Gefolge aus dem Pallaſt, und ſpricht zum
Volke binab.)
344 Zweite Tragödie
L
Eteokles.
Ihr Kadmosbuͤrger, ſagen, was bie Zeit gebent,
Muß, wer am Ruder wacht des Staates, Wohl und Weh
Bedenkend, niemals ſchlafberückt ſein wachend Aug';
Denn wenn es wohl uns ginge, wärs der Goͤtter Werk;
Doch träfe je ung, nie gefcheh’ es, Mißgeſchick, 5
Eteokles einzig würde dann von allem Bolt .
Geſcholten werben vielgelärmten Tadelworts
Und Trauerfeufzens, deffen Zeus der Schügende
Nach feinem Namen recht ein Schug uns möge fein.
Ihr -aber müßt nun alle, auch wen noch die Kraft 10
Des Mannes mangelt, auch die fhon Grgreifeten,
Erſtärkend reichlichſt feines Leibes Tüchtigkeit,
‚Ein jeder forgend, wie's für ihm ſich ziemt, zn Schuß
Der Stadt, den Tempeln, unfres Landes Göttern fein,
Daß ihre Ehren nimmermehr vergehn, zn Shug 15
Den Kindern und der liebſten Amme Mutterland.
Denn als ihr Tlein noch fpieltet. auf dem weichen Gras,
Da hat fie tren, al? auf fi nehmend alle Laſt
Der Wartung, euch erzogen fo zu rüftigen
Getreuen Bürgern, diefen Dienft ihr einft zu wein. — 20
Gewogen war uns bis an diefen Tag ein Gott.
Denn find wir ſchon belagert eine Tange Zeit,
Doch war der Kampf meiſt glücklich durch der Götter Rath.
Dog fagt der Seher jegt, der vogelhütende,
Der fromm in Ohr und Sinnen, nicht der Flamme Blick, 25
Des kund'gen Bogels Flug belanfcht teuglofer Kunf, —
In diefer Zeichendentung Meiſter kinder er:
Ein größter Angriff drüben im Achaierheer
Sc Nachts erfonuen, und bedrohe diefe Stadt.
Die Sieben gegen Theben. 345
Drum auf die Mauern, an die Thore rings vertheilt 30
Euch, Bürger, alle, vollgerüſtet eilt hinaus,
Beſetzt die Bruſtwehr, ſtellet an die Zinnen end)
Der Manerthärme, an den Thoransgängen wacht
Getroften Muthes; feid dor jenem Fremdlingsſchwarm
Nur nicht zu bang; nein glücklich wenden wird’s bee Gott. 35
Kundfchafter auch und Späher hab’ ih ausgefandt,
Die nicht vergebens, hoff ih, machen ihren Weg;
Wenn fie mir berichtet, fol mich tänfchen Teine Liſt.
(Das bewaffnete Volk drängt nad) der Seite ber Heimath hinaus. Dann
kommt von der entgegengefehten Seite ein Bote herein.)
Bote.
Eteokles, theurer König unfrer Kadmosftadt,
Vom Lager drüben bring’ ich fichre Runde dir, 40
Ich ſelbſt ein Augenzeuge deſſen, was geſchah:
Wie ſieben Feldherrn, kampfgewaltig, muthentflammt,
Stieropfer ſchlachtend auf den ſchwarzgebundnen Schild,
Und dann mit Stierblut jeder netzend ſeine Haud,
Bei Ares, bei Enyo, beim bluttrunknen Gott 45
Des Schreckens ſchwuren, unſre Stadt bewältigend
Des Kadwmos Feſte ganz zu verwüſten, oder ſelbſt
Im willigen Tod zu tränken unſer Feld mit Blut.
Andenken dann daheim den Aeltern hingen ſie
Mit eigner Hand rings an Adraſtos Wagen auf, 50
Im Auge Thränen, ſonder Klage jeder Mund.
Ihr eiſenherz'ger, heiß in Kriegsluſt glühnder Muth
Schnob gleich den blutdurſtblickenden, raubgereizten Leu'n. —
Und unverzüglich wird Gewißheit deſſen dir;
Deun als ich fortging, looſſten fie, daß feinem Loos 55
-
DB. 45. Endo, etwa wie Bellona ber Römer, die Kriegswuth.
“
346 Zweite Tragödie
Gemäß an ein Thor jeder führte feine Schaar.-
Drum ftelle du, Herr, unfrer Stadt erlejenfle
Kriegemänner eilig bei den Thorausgängen auf;
Denn Argos Kriegsvolk, vollgerüftet, nahe fhon -
Anrückt's, heranſtäubt's, und das Gefild rings überwirft 60
Der Roſſe Schnauden tropfenhaft mit weißem Schaum.
Du aber, König, gleich dem weifen Steuermann
Beſchirm' die Stadt dir, eh? fich auf fie flürzt der Sturm
Der Schlacht; denn berbrauft rings des Heers Landwelle ſchon.
Sp ſchnell wie möglich nuge jegt die rechte Zeit; 65
Auch ich bewähre ferner dir ein eifrigeg,
Treuſpähndes Auge, daß du, durd, mein Wort belehrt
Was draußen vorgeht, ungefährbet Tönneft fein.
| (Ab.)
Eteokles.
O Zeus und Gaia, und ihr Götter dieſer Stadt!
Erinnys meines Vaters, allgewalt'ger Fluch! 70
Nicht tilgt mir ſo die wurzelaufhinſterbende
Kadmeerfeſte feindvertilgt, die doch gewohnt
Der Griechenſprache, nicht der Heimath Heerd hinweg!
Dieß freie Land darf, dieſe theure Kadmosburg
Das Joch der Knechtſchaft nun und nimmermehr umfahn; 75
Sönnt Rettung; beiden, uns und euch frommt, was ich bat,
Des Glüdes froh ehrt ihre Götter auch die Stadt! —
(Ab.)
(Auf der Straße der Heimath eilt der Chor der Jungfrauen herein.)
Chor.
Mich entfegt graufig, unermeßliches- Weh!
Zührerin bes erften Salbchors.
ne das Heer aus den Gezelten ſchon.
n nugezählter Schwarm Reiſige firömt voraus; 80
Die Sieben gegen Theben. 847
Im Feld himmelan wolliger Staub bezeugt’s,
Ein Tautlofer, lautkündender Bote mir!
Führerin des zweiten Halbchors.
Furcht überfchlic mein Herz. Waffengetöfe ringe
Heran wälzt es ſich.
Durch's Feld ſchweift Gefchrei und soft braufend ber,
Unwiderſtehlichen, felspeitfchenden Waflern gleich. 85
Ehor.
Weh! Weh! Weh! Weh!
O Götter, Göttinnen, hinweg ſcheucht das empörte Weh!
Führerin des erſten Halbchors.
Schreiend die Gräben durch wider die Mauer ſtürmt das weiß⸗
ſchildige Heer!
Eine _
Ah wer rettet uns! : 90
Zweite.
ach wer erbarmt ſich mein? Gott, Goͤttin, wer?
Dritte.
Nieder zu welchem Bild ſoll ich den Ew'gen jetzt —— knien?
Vierte.
Jo, —— Himmliſche!
Fünfte.
8 iſt Zeit jegt, zu umfahn die Bilder!
Schöte.
Bas ſäumen wir in unſrer Angſt? 95
Siebente.
Mit Weihtkleidern und Kränzen wann, wenn nicht jetzt,
Flehen um ihren Schup?
Achte.
Gerös, ih hör’ es! Ah unzähl'ger Lanzen Kliren.
Neunte.
- Bas thuft du? dahin giebſt du, Ares, dein alt Weiheland? 100
348 Zweite Tragödie.
. Schute.
O goldgehelmte Göttin, fieh, fieh an die Stabt,
Die ja fonft dir viel theuer war!
Tührerin des erſten Balbchors.
Götter, Landeshüter ihr, |
Sehet der Mädchen fchugflehende Schaar, fie flehn bang vor
Sclavenjoch 105
Führerin des zweiten Dalbchors.
Helmbufhmwogend um die Stadt
Brandet der Feinde Meer, tofend und finrmgepeitfcht, wehe! von
Ares, Zorn! 110
(Die Mädchen ſchaaren fi zum Gebet.)
Ehor.
Du Allvater Su: Herr des AUS,
Den Fall der Stadt wend’, Allbehäüter, don ung;
Denn rings fhlieft Argos mächtig Heer Kadınos Burg ein.
Führerin bes erften Dalbchors.
Entfegen! Kriegswaffen rings!
In dem Gebiß der Schlachtroffe Kettenzann, 115
Mir Mord zu klirrt er allentfeglich!
FJührerin bes weiten Balbchors.
Sieben Gemalt’ge, fieh!
Sm Schlachtſchmucke ſpeerhemmender Schilde vorleuchtend, fie
ſtellen ſich
Dem Loos nach bei den ſieben Thoren!
Einige.
Und du, Tochter des Zeus, 120
Du ſchlachtfreudige Macht Pallas befchirm’ die Stadt!
Und du, roßgewandser, du meermaltender Zürf,
B. 101. Die goldgehelmte Göttin iR Athene.
Die Sieben gegen Theben.
Du mit dem Fiihjagdirident, Poſeidon,
Run zu erlöfen uns, fomm zu erlöfen uns!
Andere.
Und du, Ares, weh, wache der Stadt; ſie trägt
Ja Kadmos Namen; offenbar' dich hülfreich!
Und Kypris, du des Geſchlechtes Urmutter, rett' uns!
Aus deinem Stamm, deinem Blut ſind wir gezeugt.
In gottvertraunder Demuth nahn wir deinem Bilde!
Andere.
und du, Lykiſcher Fürſt, Lykiſchem Wolf ſei gleich
Dem Heer meiner Feinde! hör’ mein Jammern!
Und du, letogeborne Jungfrau,
Wappne dein Geſchoß jegt,
Theuere Artemis! |
(Pauſe, Schluchzen.)
Führeriu bes erſten Halbchors.
Wagengeraſſel hört! ach um die Mauern rings!
Erfter Halbchor.
-D hehre Hera!
Führerin des erſten Salbchors.
Ah in den Naben Tracht Faftender Achfen Lärm,
Lanzengeſchlagen raft fanfend der Aether drein!
Erſter Salbchor.
125
130
135
140
Weh! was erträgt die Stadt! was wird werden aus ihr!
Wohin wendet ihr der Gott noch ein Ziel!
(Schluchzen.)
Führerin des zweiten Halbchors.
Horch! an die Zinnen ſchlägt ein Steinregen empor!
N. 125. Ares und Kypris find durch ihre Tochter Harmonia, Kad⸗
mos Gemahlin, den Kabmeiern verwandt.
3. 131. Der Lokiſche Fürft it Apollon.
860 Zweite Tragoͤdie.
Zweiter Halbchor.
Theurer Apollo!
Führerin bes zweiten Halbchors.
Wild in den Thoren klirrt eiſerner Schilde Gedraͤng! 145
Aber bei Zeus iſt heiliges, ſchlachtenentſcheidend End’ alles
Kampfs!
Zweiter Halbchor.
Selige Fürſtin Onka draußen am Thore bilf
Dem fiebenthorigen, deinem Sig!
Ehor.
(Strophe.)
O Goͤtter ihr, machtbewährt, 150
Ihr Götter, Göttinnen, allſiegende!
Ihr Wall und Burg beſchirmenden!
Die ſpeerzitternde Stadt gebet nicht hin an ein fremdſprechend
Volk!
Höret der Mädchen Flehn, hört ihr gerechtes, händeringendes
Flehen an! 155
(Gegenftrophe.) "2
Dämonen ihr, treu und hold.
Ihr fchugbereit um die Stadt wandelnden,
Zeiget jegt, wie lieb fie euch!
Grbarmt euch um des Volks Weihn, erbarmt meines Gebets
euch! ſendet Schutz! 160
Seid mir der opferkundigen, der heiligen Orgien mir gedenk! —
Eteokles.
Euch Weiber frag' ich, unerträgliche Weſen ihr,
Iſt dieß das Beſte, dienet dieß der Stadt zum Heil, 165
Und zur Ermuthigung unſrem eingeſchloßnen Heer,
Daß vor der Schutzgottheiten Bilder hingeſtürzt
B. 147. Onka iſt der Name der Thebaiſchen Athene.
Die Sieben gegen Theben. 351
Ihr fchreit und wehklagt, ihr dem weifen Dann ein Greul!
Niemals im Unglüc, noch der liebren Zeit des Glückz,
Möhr ich Gemeinfhaft haben mit dem Weiberoolf. 170
Ein Weib, das herrfcht, vor Frechheit iſt's nicht auszuftehn;
In Angſt gar ift fie ein doppelt Kreuz für Haus und Stadt.
Auch jet erweckt ihr mit dem Geſchrei der zitternden
Berwirrten Flucht ruhmlofe Feigheit unfrem Bolt,
Und helft dem Feinde draußen auf das Zrefflichite, 175
Indeß wir felbft ung felhr vernichten in der Stadt.
Das hat zu hoffen, wer Verkehr niit Weibern hat! —
Wenn irgend jemand meinem Willen nicht gehorcht,
Co Maın wie Weib und jeder andre wer es fei,
Das Todesurtheil fol für den geſprochen fein; 180
Nicht mehr entfommt mir der der Steinigung des Volks.
Es liegt dem Mann nur, nicht zugleich den Weibern ob,
Was draußen vorgeht; fehade fie nur drinnen nicht.
Hörft du? du hörft nicht? fprech? ich tauben Dhren? wie?
Führerin 1.
(Strophe 1.)
O du des Didipus 185
Theuerer Sohn, voll Angft hörr’ ich der Wagen beranraflelnd
Getös, Getös,
Da von den radrollenden Naben es laut hieher,
Laut vom ruhloſen Steu'r in dem Gebiß der Roſſe klang,
Dem feuergebornen Zügel!
Gteofles.
Und daun? Gewinnt der Schiffer wohl, der bang vom Sten’r 190
Zum Borderded flieht, ficd der Errettung fihren Weg,
- Wenn ihm der Kiel ankämpfet gegen wilde Fluth?
Führerin 2.
(Gegenſtrophe 1.)
Aber ich kam beforgt
852 Zweite Tragoͤdie.
Zu den uralten Bildſaͤulen dee Goͤtter ber, tranend den Ewigen;
Da das Gerös des Steinhagels die Thore [hlug, I
Da beswang uns die Angſt, und zu den Böttern fleh-
tem wir,
Das fie ſich der Stadt erbarmten.
Eteokles.
Ruft Wall und Thurm an, vor dem Geſchoß zu decken uns;
Das freilich nicht liegt bei den Göttern; doch es heißt,
Die Götter zögen von der bezwungnen Stadt hiuweg.- 200
Juhrerin 1,
(Strophe 2.) 5
Rimmer, fo lang ich leb', möge verlaffen fie:
Unferer Götter Chor; mögen wir nimmermehr
Feindedurchſtürmt die Stadt, nimmer der linfern Bolt
Feindlihen Feuers bewältigt fehm.
Eteofles.
Mit deinem Beten werde felbft uns nicht zum Zeind; 205 _
Es iR Gehorſam alles glüderrettenden
Erfolges Vater; Mädchen, das bedenket wohl!
Führerin 2.
(Gegenftrophe 2.)
Aber darüber hoch ift noch der Götter Macht;
Dft in der Zeit der Noth, wenn dem Verzweifelnden
Wolfen des Grams das Aug’ in Nacht hüllen, fie 210
Richten ihn auf in des Unglüds Laſt!
Steokles.
Zukommt's den Männern, heil'ges Opfer und Geſchenk
Den Göttern darzubringen, wenn bie Feinde dräun,
Doch dir zu fchweigen, und zu harren ſtill im Haus.
Führerin 8,
(Stropbe 8.)
Nur mit der Götter Gunſt bleibt unbeflegt die Stadt, 215
Die Sieben gegen Theben.
353
Bleiben die Mauern uns gegen den Feind ein Schuß;
Wie mag ein Tadel mic treffen drum? _
Eteokles.
Nicht neiden will ich's, daß du hoch die Götter ehrſt;
Indeß damit du nicht das Volk feigherzig machſt,
So bleibe ruhig, fürchte nichts ſo ſehr voraus.
Führerin 9,
(Gegenſtrophe 3.)
Da ich ſo neues, kampfwildes Getös vernahm,
Bin ich in ſcheuer Flucht her zu der hohen Burg
Kommen, dem götterbewachten Sitz. —
Eteokles.
Nicht jetzt, wenn Manchen man derwundet oder todt
Euch nennt, empfangt ihn laut mit wildem Klageruf;
Denn Ares weidet gern an ſolchem Morde ſich.
Erſte.
Sch höre deutlich auch der Roſſe Wiehern ſchon!
Eteokles.
Doch höre jept nicht allzudeutlich, wenn du hoͤrſt.
Zweite -
Es ſeufzt von Grund auf feindumgingelt unfre Stadt.
, Eteokles.
Und nicht genügt dir's, daß ich vorgeſorget hab’?
Dritte.
Ich zittre! web, das Zofen an ben Thoren wählt!
Eteokles.
So ſchweige! nicht verlauten darfis in die Stadt hinab.
Bierte.
Ihr Goͤtter alle, nicht verrathet dieſe Burg:
Gteofles,
Tod dir! vermagft du nicht zu händigen beinen nn
225
230
354 Zweite Tragöbie.
Yänfte. R
Ihr heimiſchen Götter, nur in Knechtſchaft ſtoßt mich nicht!
Eteofles. en
Du felber Tnechteft dich und mich, die ganze Stadt.
Sechdte.
Allmachtger Zeus, wirf auf die Feinde dein Geſchoß!
Eteokles.
O Zeus, zu was erſchufeſt du das Weibervolk?
Siebente.
Zu leiden gleich den Männern, deren Stadt beſiegt —
Eteofles.
Mit böfen Worten wieder nahft den Bildern du! 240
x Achte.
Es reißt in Ohnmacht meine Furcht den Mund dahin.
Eteofles.
Ein Kleines bite ich; gönnten du mir doch Gewähr!
Reunte.
So fag’8 gefehwinde, und ich weiß und will es gleich.
Eteokles.
Sp ſchweig, du Unglückſelige, ſchreck' die Unſern nicht.
Zehnte.
Ich ſchweige; mit den andern trag' ich mein Geſchick. 245
Eteokles.
Ich nehme dieß Wort flatt der früheren gern von dir;
Sodann hinweg von diefen Bildern tretend fleht
Das Bere, daß Mitfireiter ung die Götter fein.
Wenn ihr vernommen mein Gelübde, feierlich
Beginner dann der Weihe heil’gen Feſtgeſang 250
Sn der opferweihnden Weife des Hellenenvolts,
Den Unfern Muth anfachend, felber frei von Angſt. —
Euch Göttern meines Landes, euch Stadtfhirmenden,
Euch Feldeswaltenden, euch den Hütern diefes Markts,
Die Sieben gegen Theben. 355
Euch Dirke's und Ismenos Quellen, gelob’ ich Taut, 255
Wenn alles wohl geht und die Etadt gerettet wird,
Zu tränten euren Götterheerd mit Lammesblut,
Feftfliere dankbar euch zu opfern, wenn des Siege
Trophä'n wir einweihn, und das zerſchlagne Waffenzeug
Aufhängen rings an euren Tempeln, euch zum Schmud. — 260
Du bete nun daffelbe, doch mit Seufzen nicht,
Und nicht mit nuplos ungeftümen Schluchzen; denn
Nicht wirkt du darım deinem Loofe mehr entfliehn.
Ich aber will fehs Maͤnner, felbft der fiebente,
Zum Widerftand den Feinden die bewährtefiten 265.
An die fieben Thore unfrer Stadt zu ordnen gehn,
Eh’ falfchberichtend flüchtiges, fehnellverbreitetes
Gerücht fih naht, Teicht. zündend bei des Volkes Noth. —
(Eteokles mit feinen Begleitern gebt auf der Straße zur Heimath ab.)
Wechfelgefang des Chors.
i (Strophe 1.)
Ich will's; doch Angft läßt der Bruft Feine Ruh';
Meines Herzens Nachbar, die Sorge, | 270
Weder mein Berzagen.
um Wal und Thor Feinde rings, fie fürcht' ih Giftſchlangen
gleich,
Die bang die Taube brütend im Neſt zu Raub nahen ſieht, 275
Zitternd für die Jungen. —
Sieh und dort zu den Thürmen
Weithin Schaaren zu Schaaren
Nahn ſchon! Was mir erwarten?
Sieh! dort ſchleudern fie ringsher - 280
Empor gegen die linfern
Kantig Geſtein zerfchmetternd!
Wie ihr es Fünut, Himmlifche ihr,
356 Zweite Tragoͤdie.
Zeus Geſchlecht, fehirmt die Stadt,
Schügt das Geſchlecht der Kadmos!
(Begenftrophe 1.)
In welch' Gefild' Fönnt ihr ziehn, herrlicher
Denn dieſe Au'n, die tieffurchengrünen,
Wenn ihr fie Preis dem Feind gabt?
Und Dirke's vielflarer Quell, vor allem Trank labefüß,
So viel Poſeidon ſenden empor der Erdgürter mag
Und die Tethyskinder?
Darum Götter, Behüter
Der Stadt, wollet in Gnaden
Vor den Thoren den Feinden
Männermordend Verderben,
Wehrhinraffend Verderben
Niederſenden, den Meinen
Sieg und Ruhm zu bereiten!
Netter der Stadt, Hüter treu
Eurer Burg zeiget euch
Meinen den flehnden Klagen!
(Strophe 2.)
Gräul wärs, ſtürzte bie Stadt ältefien Ruhms in den Hades
hinab, afcheverweht,
Blutig fiegender Speere Raub,
Bon Achäiſchem Kriegsvolke mit Zeus Willen vertilgt in
Schanden;
Würden wie Sfavinnen fortgeriffen,
Ach! ad!
Alle, Zung’ und Alte,
Wie Roſſe beim Haar, ihr Kleid ah um die Bruft frei zer⸗
fegt;
Dann halt weit die menfchennde Stadt
310
Die Sieben gegen heben. 357
Bon der Gefangenen binfterbenden Aufl —
Sa hart iſt's, was ich zitternd nahn feht
(Gegenſtrophe 3.)
Graäul wärs, müßte die füßblühende Braut vor der Weihe der
frübpflüdenden Brautnacht 315
Gehn vom Haus dent verhaßten Weg;
Ja welche dahinraffte der Tod, glücklicher nenn ich die dann!
Vieles, wenn feindunterjocdht die Stadt finkt, 320
Ach! ad!
Arges leiden muß fie;
Hinweg reißen fie, morden wild, ftedden in Brand da und dort;
Mit Rau fehwärzt ſich rings die ganze Stadt;
Toſenden Sturmes und alltilgend hinein 325
Weht Ares, heiliger Stätte Schänder! |
(Strophe 3.)
Dumpf in den Straßen Kriegslärm;
Zur Burg empor rings ein Hag von Flammen;
Und todt fhlägt den Mann mit wilden Speer der Mann;
Drein fhallt biutiges Wimmern 330
Schaurig von fterbenden Säuglingen, den kaum gebornen.
Wüfes Schweifen, freches Rauben blutvereint.
Und der Plündrer ſtoͤßt zum Plündrer,
Und der Leere ruft den Leeren, 335
Zum Genoffen will er ihn. i
Tod nicht mindres, doch nicht gleiches ſcheint ihm guug! —
D wie noch ender uns fi diefer Tag?
(Gegenftrophe 3.
Seglihe Frucht des Feldes
Am Boden verfirent kraͤnkt den Schaffnerinnen 340
Den gramvollen Blick, daß fo fie es müflen ſehn;
Biele Gaben der Erde
Schlemmt durcheinander gemengt eitel die träge Fluth fort.
358 | weite Tragoͤdie.
Keiden müſſen neue Mägde leidesnen 345
Speererrungne Luft des Lagers, ,
Siegesſtolzen Mannes Wolluft.
So dem Feind in Dienften bleibt uns
Nur die Hoffnung, daß zu Nacht eink führt der Tod,
Zur Löfung aller allbeweinten Roth! — 350
MPauſe.)
Die Sieben gegen Theben. 359
Erfte Salbehorführerin.
Seht dort den Späher! wie es feheint, fo bringt er uns,
Ahr Lieben, neue Kunde mit vom Feindesheer;
Sp eilen radgleih, feht, die Speichen feines Schritts!
Zweite Halbchorführerin.
Und auch der König felbft, der Sohn des Didipus,
Kommt ber zu hören feines Boten neue Mähr; 355
Die Eile läßt auch feinen Fuß nicht eben ruhn.
- (Der Bote und Eteokles mit großem kriegeriſchen Gefolge.)
Bote.
Wohl unterrichtet fag’ ich an, was bei dem Feind
Gefhehn, wie jeder eins der Thore fih erlooft.
Schon wüthet Tydeus voller Trog an Proitos Thor;
Jedoch der Seher läſſet durch Ismenos Furth 360
Ihn nicht hindurchgehn; günſtig ſei das Opfer nicht.
Doch Tydeus tollkühn und des Kampfes gierig tobt,
Wie wenn ein Drache wild in Mittagshitze ziſcht,
Und ſticht mit Schmähwort des Oikles weiſen Sohn:
Mit feiner Feigheit ſchmeichl' er Kampf fort und Gefahr. 365
So fhmäht er, ſchüttelt feine drei hochfchattenden
Nopfhweif, des Helmes Mähnen, und an feinem Schild
Die ersgetriehnen Schellen, Schredden lärmen fie.
Auf feinem Schild prangt diefes folge Wappenbild:
Bon Sternen glühend ift ein Himmel dargeftellt, 370
Der helle Bollmond, aller Geftirne fchönftes, ſtrahlt
In Mitten feines Schildes hell, ein Aug’ der Nacht.
Sp frech in feinen allzuftolzgen Waffen tobt
8. 360. Der Seher ift Amphiaraos, Oikles Sohn.
860 - Zweite Tragoͤdie.
Er an dem Geſtad des Fluſſes voller Kampfbegier,
Gleichwie ein Streitroß fein Gebiß gufchnaubt und ſchäumt,
375
Wenn’s auf die Schlachttrompete harrend ſtampft und baumt.
Wen ftellft du dem entgegen? wer wird Proitos Thor
Menn’s aufgethan ift, recht zu ſchirmen tüchtig ſein?
Eteotles, 2
Ich bin um den nicht bang mit allem ſeinen Prunk;
Denn Wunden ſchlagen können jene Bilder nicht; 380
Helmbuſch und Glöcklein rigen auch nicht ſonder Speer;
Und jene Nacht, die, wie du fagft, auf feinem Schild
Im Funtelfpiel der Himmelsfterne gleißt und bligt,
Gar leicht prophetifch kann ihm diefe Thorheit fein.
Denn fentet Nacht fi) nieder auf fein fterbend Aug’, 385
Dem Wappenträger wär das flolze Wappen dann
In Ernft und Wahrheit als bedeutungsvoll erprobt,
Und feinen Hochmuth legt' er felbft fich felber aus.
SH will dem Tydeus Aſtakos erlauchten Sohn
Entgegenftellen als Befchirmer jenes Thors, 390
Den hochgebornen, der, dem hehren Thron der Scham
Stets nah in Ehrfurcht, übermüth'ger Nede feind,
Zum Schlechten langfam, gern fi doppelt brav bewährt,
Der erdentfproßnen Sparten, die der Kampf verfchont,
Berühmten Sprößling, wahrlich recht ein Landesfind, 395
Melanippos: jept entfcheidet Ares Würfel nur;
Und gleich des Blutes heilgen echt treibt’s ihn hinaus
Zum Schug der Muttererde gegen Feindesfpeer.
(Melanipp ne mit Gefolge ab.)
®. 394. Sparten find die aus den von Kadmos gefäeten Zähnen
des Drachen erwachfenen Männer.
Die Sieben gegen Theben. 361
Chor.
(Strophe 1.)
Daß mein Kämpfer heut glücklich im Kampfe ſei,
Gewäahrt's Götter! ja, gerecht zieht er hin, 400
Unſerer Stadt zum Schirm. —
Und doch fürcht' ich fehr, zum Heil der Seinen fterben ihn
Blutigen Tod zu fehn. —
Bote,
Ihm mögen alfo Sieg verleihn die Ewigent:
Das Thor Elektra ferner looſte Kapaneus, 405
Ein zweiter Niefe, mächtiger als der erfte noch;
Sein ftolzes Trogen finnet mehr denn Menfchliches;
Er droht den Mauern, Bott behüt' fie, Gräßlicdhes;
Denn feirs mit Gottes Willen oder nicht, die Stabt .
Zerftören wol? und müff’ er, nicht abhalten werd’ 410
Ihn ſelbſt des Zeus Zorn, fhlüg auch rings fein Wetter ein;
Ja, allen Bligfirahl und des Donners glühnden Pfeil
Nennt er des Mittags warmen Sonnenftrahlen gleich.
Als Wappen trägt er einen nadten Feuerknecht,
Der, einer Fackel drohnden Brand in feiner Hand, 415
Mit goldner Inſchrift kinder: Sch zünd' an bie Stadt!
Sp kühnem Kämpfer fende — wer mißt fih mit ihm?
Wer fteht des Mannes kühnem Trotze fonder en: —
Eteokles.
Auch dieſer Vorzug uns ein Vorzug wird er gleich;
Denn gegen Prahler tritt des eitlen Uebermuths 420
Wahrhafter Kläger auf ſogleich, fein eigner Mund.
Sp droht in Waffen Kapanens, indem er frech
Die Götter mißehrt; und ermüdend feinen Mund
Mit eitler Siegstuft fender er, ein Sterblicer,
Dir, Zeus, gen Himmel feiner wilden Worte Fluth. 425
363 Zweite Tragöbie.
Sch weiß es, ihn wird nieberichmettern und mit Recht
Ein glühnder Blisftrahl, welcher dann mit Nichten gleich
Dem warmen Mittagfonnenftrahl ihm möchte fein.
Als Gegner fteht ihm, ob er keck auch prablen mag,
Ein Mann von glühndem Murhe, Polnphontes Kraft, 430
Ein großes Bollwerk, durch der Schützerin Artemis
Huldreihen Beiftand und der andern Götter Gunft.
Nenn' einen anderen, anderem Thore zugetheilt.
(Bolppbontes mit Gefolge ab.)
Ehor.
(Gegenſtrophe 1.)
Tod dem, der ſich ſo uns zu bedrohn vermaß.
Des Blitzzſtrahles Pfeil hemme des Freblers Fuß, 435
Eh’ er in’s Haus mir dringt,
Ch’ wild fort er uns, aus mädchenhafter Kammer fort
Treibt mit der frechen Lanze. —
Bote. ”
So fag’ ich weiter, wer das nähfte Thor erlooft.
Dann als dem dritten fiel des dritten Looſes Stein 440
Für Eteoflos aus dem umgefürzten Eiſenhelm,
Der Seinen Schaar zu werfen aufs Neitifhe Thor.
Fu weiten Kreifen jagt er fein zaumknirſchendes
Gefpann, das thorwärts durch das Feld zu fliegen drängt;
Durch ihr Gebiß zifcht wie Barbarenmundes Laut 445
Des nüfternftolgen Wieherns dampfgefchnaubter Hauch.
Kunftreih gemahlt glänzt auf dem Schild fein Wappenfchmud;
Ein Mann in Waffen fleigt an einer Leiter jäh
Zu Zeindes Thurm aufwärts, zu zerſtören ihn gewillt;
Nach feiner Inſchrift golden Zeichen ruft auch er, 450
Daß Ares ſelbſt ihn nicht vom Thurme flürzen fol.
Auch diefem fell’ entgegen einen Tüchtigen,
Um das Zoch der Knechtſchaft abzuwehren von der Stadt.
[4
Die Sieben gegen Theben. 363
Eteokles.
Den neöchr ich ſchicken, und vielleicht mit beſtem Glück —
Sa wohl, ich ſchick' ihn, deſſen Schild nichts prahlend trägt,
| | 455
Bom Stamm der Sparten, Megareus des Kreon Sohn,
Der nicht, vom wilden Noffewiehern eingefchredt, a
Aus feinem Thor wird weichen, nein, entweder treu
Dem Wohl der Heimath dienend falftn, oder feldft
Die Männer beide fangen und des Schildes Thurm, 460
Mit Siegesbente fhmüden wird fein Vaterhaus. &
Sp Reale mit andren, nichts verhehl uns dein Bericht!
(Megareus mit Gefolge ab.)
Ehor.
(Strophe 2.)
Laut fleh' ih, dir gedeihn mag das Glück, o Vorkaͤmpfer
du unſrer Stadt!
Doch Unglück dem Feind!
Wie ſie mit frechem Muth gegen die Stadt in wahnſinnigem
Stolz gedräut, alſo 465
Schaue ſie Zeus der Vergelter zürnend.
Bote. n
Ein andrer vierter fleht am naͤchſten Thore, dem
Der Pallas Onka, wieder flolz in wilden Lärm.
Es ift Hippomedons hehre Kraft und Niefenleib. 470
Den weiten Mondhof, feines Schildes Rieſenkreis,
Sah ih mit Entfegen ſchwingen ihn; ich läugn' es nicht.
Sein Wappenbildner war von nicht geringer Kunft,
Der fol ein Kunftiwert ihm in feinem Schild gemahlt,
Wie eben Typhon aus dem fenerfprühnden Mund 45
B. 475. Tpphon f. Promethens V. 354.
364 Zweite Tragsdte.
Den ſchwarzen Qualm, des Feuers flücht'gen Bruder, blaft;
Mir verfhlungnen Schlangen drauend rings umrandet wird
Gehalten feines hochgewölbten Schildes Bauch.
Er beginnt den Schlachtruf, ftürzt des Ares trunken ſich
Gleich einer Thyas, Tod im wilden Blick, zum Kanıpf. —
480
Mit folhem Mann zu wagen, heifht vorfihtigen Muth;
Denn Angft und Zagen weckend prahlt er ſchon am Thon
Eteokles.
Zuerſt die Stadtnachbarin Pallas Onka wird,
Die nah am Thor weilt, Feindin alles Uebermuths,
Gleich wilden Drachen wehren ihn von ihrem Volk; 485
Dann iſt in Oinops edlem Sohn Hyperbios
Dem mächt'gen Feind ein gleicher Feind erwählt, der kühn
Im Ernft des Schidfals fein Geſchick erproben will,
Richt an Geſtalt und nicht an Muth noch Waffenſchmuck
Berwerflih; wohl hat Hermes fie zum Kampf gepaart; 490
Denn feindlich tritt hier gegenüber Held und Held,
Auch tragen beide feindliche Götter auf dem Schild;
Denn jener führt des feuerfpeienden Typhon Bild,
Und auf Hyperbios Schilde figet Vater Zeus,
Erhaben thronend, flammenden Blig in feiner Sand; 495
Und überwunden fah den Zeus doch Feiner noch.
Sp offenbart fih beider Götter Ehug und Gunſt:
Wir auf des Siegers Seite, auf des Befiegten die;
Und gleiches Loos muß werden beiden Kämpfenden,
Wenn Zeus den Typhon je im Kampf bezwungen hat, 300
Und für Hyperbios nad) des eignen Schildes Bild
Der Zeus in feinem Wappen ein Befchüger iſt.
(Hpperbios mit Gefolge ab.)
Die Sieben gegen Theben. 365
Ehor.
(Begeuftrophe 2.)
Ich glanb' es feſt, der den verhaßten Feind des Zeus trä⸗
get in ſeinem Schild,
Des Unholdes Leib,
Scheußliches, Menſchen und ewigen Göttern grauenhaftes
Damonenbild, 505
Wird fih am Thor das Haupt zerfchmettern.
Bote.
Sp mag es enden; doch den fünften nenn’ ich num,
Der. bei dem fünften, dem Borrheifhen Thore fteht,
Dem Grab Amphion's nah, des Zeusgeborenen, 510
Bei feiner Lanze ſchwört er, die dem Vermeſſenen
Mehr denn ein Gott gilt, theurer als fein eigen Aug’,
Furchtbar zerfiören wol? er Kadmos hei’ge Stadt
Trotz Zeus. Sp jauchzt der Sohn der Bergwaldjägerin,
Holdfelig Hlühnden Angefihts, ein Züngling Mann; 515
Der weiche Flaum fprießt eben ihm um Wang’ und Kinn,
Der blüh’nden Tugend erftes dichtvorfeimend Haar.
Niht-aber, wie fein Name lügt, jungfräulich fchen,
Nein rohen Muthes, wilden Blickes ſtellt er fih
In frechem Hochmuth tobend dort an unfer Thor. 520
Denn jenes Scheufal unfrer Stadt an feinem Schild,
Dem erzgefügten, Treisgeftalt’gen Schirm der Bruft,
Mir Nägeln funftreih angefügt, ſchwingt er, ber Sphinx
Der blutgenährten heil in Erz getriebnes Bild;
Und vor fich trägt fie einen Mann von Kadmos Bolt, 525
Sp daß zumeift den al’ Geſchoß verwunden muß.
Gekommen ſcheint er nicht, zu markten mit Muth und Blut
Und nicht zur Schande diefes weiten Weges. So
814. Parthenopgios d. i. Jungfraungeficht, it ber Sohn ber Atalante.
306 gweite Zragäbie. =
Steht Parthenopaios aus Arkadia Tamıpfbereit,
Der zweiten Heimath Argos feinen Dank zu weihn, 530
Der Feſte dräuend, was ein Gott verhüten mag.
Eteokles.
Ja ließ an ihnen, was ſie dräun, der Götter Zorn
Um ſolch ein heillos freches Prahlen ſelbſt geſchehn,
Dann würden hülflos, gnadenlos ſie untergehn.
Doch ſtellt ſich jenem Arkader auch, den du genannt, 535
- Ein Mann, der nicht prahlt, deſſen Hand nur Thaten will,
Arkteus, der Bruder deffen, der fo eben ging;
Nicht wird er dulden, daß ein thatenlos Gefchrei
Durchs Thor daherſtrömt, frech zu mehren unfer Leid,
Noch daß er eindringt, der im allverhaßten Schild 510
Des fluchgenannten Ungeheuers Zeichen trägt.
Bon uns zu ihm bin wird fie wenden ihren Zorn,
Wenn dichte Lanzen auf fie firmen vor der Stadt;
Mit Gottes Beiftand wird fih bewähren, was ich fprad).
(Arktens mit Gefolge ab.)
Ehor.
(Strophe 3.)
Es dringt diefes Wort mir tief ein in's Herz, 545
Des Haares Locke firäubt fich mir entfegt empor,
Da ich von den verruchten Prahlern hören ihr Prahlen muß!
Wollt, o Götter, Götter, fie tilgen in dieſem Laube!
Bote.
Den fehsten Kämpfer nenn' ich nun, dem edelften, 550
Den Tühnften Mann, des Schers Amphiaraos Kraft;
An’s Homoloifhe Thor gefendet tadelt er
Mit Iautem Scheltwort franf und frei des Tndeus Kraft,
Rennt blut'gen Mörder und Zerrütter feiner Stadt,
Nennt aͤrgſten Leides Lehrer für's Argivervolk, 555
Die Sieben gegen Theben.
Der Bluterinnys Schergen ihn nnd Knecht des Bluts,
Dem allen Unheils böfen Rath Adraftos dankt.
Zu deinem unglüdfelgen Bruder blidt er daun
Zurückgewandt das Auge, zu Polyneikes Kraft,
Ruft endlich zweimal feinen Namen kummervoll;
Dann fpriht der Seher diefe Worte wider ihn:
„Ja wohlgefällig it den Göttern folh Bemühn,
Am Mund der Nachwelt vielbemundert, vielgerühmt,
Die Stadt der Bäter und der Heimarh Götter fo
"Hinwegzutifgen, fremden Heeres überflürmt !
Der Mutter Thränen, welches Recht denn trocknet fie?
Das Baterland, von deiner Wildheit unterjocht
Mit blut'gem Speer, wie wird es zugethan dir fein?
Sch aber muß bald felber Dingen dieſes Feld,
Der Seher, unter feindlih Land gebetter ruhn.
Zum Kampfe! nicht ruhmlofer Tod erwartet mich!‘
So fprad der Seher, feinen erzgediegnen Schild
Im Kreife fhwingend, defien Rund Fein Zeichen trug.
Denn nicht gerecht nur fcheinen will er, fondern fein,
Aus tiefen Furchen ärndtend feiner treuen Bruft,
Draus ihm hervorfprießt viel bewährten Rathes Frucht.
Dem rath' ich einen, weifen, edlen Widerpant -
Su fenden; ſtark ift, wer die Götter fcheut un ehrt. '
Eteokles.
Weh dieſes Unſterns, welcher den Gerechten uns
Mit jenen ganz gottloſen Menſchen einigte!
Sn allem Thun iſt aber ſchlimme Genoſſenſchaft.
Das Schlimmfte, freudlos einzufammeln ihre Frucht; —
Denn auf des Frevels Feldern ärndtet man den Tod.
"Und wenn in ein Schiff ſteigt der wackre, fromme Mann
Mit wilden Schiffsvolf, mit Verworfenheit und Trug,
Sp kommt er felbft um, fammt den gottverfluchten Volk.
367
575
585
968 Zweite Tragoͤdie.
Sp wer mit feinen Landesbrüdern, felbit gerecht
Mit böfen, gaftrechtfchändenden, gottvergeflenen,
Defielden Fanges mitgefangene Beute wird,
Erliegt der Gottesgeißel mit, die alle trifft. 50
Auch diefer Seher, des Dikles weiſer Sohn,
Ein gerechter, weifer, tapfrer, gottesfürdt’ger Mann
Und großer Zeihenfünd’ger, da er den Frevlern fich,
Den frechen Prahlern trog des eigenen Sinns gefellt
Zu flolger Heerfahrt, nach der fernen Stadt zu ziehn, — 595
Er wird, fo Zeus will, mit in den Tod hinabgeſtürzt.
Zwar glaub’ ich, nicht angreifen wird er jenes Thor;
Nicht daß er feig it, noch Verrath im Sinne trägt,
Nein weil er einfiebt, daß er fallen muß im Kampf,
Wenn nicht in Nichts zerfallen foll des Phoibos Spruch, 600
Ders liebt zu ſchweigen oder das Rechte kund zu thun.
Doch mag fih ihm auch diefer, Laſthenes Gewalt,
Dem Feind ein gar unfreundlicder Pförtner ftellen, der,
Ein Greis an Einficht, doch in Jugend Eräftig blüht,
Der, flüchtigen Auges, doch die Hand nicht fäumen läßt, 605
Hinaussufhwingen vor den Schild den entblößten Speer.
Doch Goͤttergunſt is, was von Glück den Menfhen wird.
(Laftbenes mit Gefolge ab.)
Chor.
(Gegenftropbe 3.)
Erhört, Götter, uns! erfüllt guadenreich
Unfer gerechtes Flehn, glücklich Gedeihn der Stadt!
Den uns mit der Gewalt des Speeres dräuenden Fremd⸗
ling hinaus 610
Welt ihn, tief vom Wal hinab ſchleudre zum Tod
ihn Zeus Blig!
®
Die Sieben gegen Theben. 38
Bote.
So höre nun vom Siebenten, der am Iehten Thor
Sich aufgeftellt hat, deines Bruders feindlih Haupt,
Zu welchem Schidfal der die Stadt verwünſcht, verflucht. 615
Am Wal empor fih fhwingen, und, der Geächtete,
Den Schlahtgefang anſtimmen will ex, felbf mit dir
Zum Kampf fi treffen, dich, erfchlagen, neben dir
Selbſt fallen, oder lebſt du, ſelbſt dich, der ihn zur Schmach
Verbannt, verbannen, rächen fo durch gleiche Schmach. 620
Sp draut Polyneikes, und die Götter feines Volks
Und Baterlandes ruft er an, daß gnädig fie
Auf feine Bitten und erhörend niederfhaun. —
Und einen Erzſchild trägt er, nen und feflgebaut,
Und drauf befeftigt glänzt ein doppelt Wappenbild; 625
In Gold getrieben führt ein Weib dort einen Mann
In voller Rüſtung, leiter ihn mit klugem Maaß;
Sie heiße Dike, fagt fie, wie die Schrift befagt,
„Heimführen will ich diefen Mann, die Vaterſtadt
Soll er befigen und des Baterhaufes Macht.“ — 630
«Dieß alfo iſt es, was erdacht von jenem ward;
Du aber feldft bedenke, wen du zu ſchicken meinft.
Mich (hilft du forglos meines Botenamtes nicht;
Es bleibt das Steu’r der Stadt zu lenken deine Pflicht!
® (Bote ob.)
Eteokles.
O gottverblendetes, o du gottverworfenes 635
Und allbeweintes, mein Geſchlecht des Didipus!
Weh mir! des Vaters Flüche werden jegt erfüllt.
Doch nicht zu weinen und zu jammern ziemt fich mehr,
Auf daß erzeugt nicht werde noch unſel'grer Gram!
Mit rechten Namen Neid: und Haderreich genannt, 640
Wird Bald erkannt fein, wo hinaus ſein Wappen zielt
—A 24
379 . Bweite Tragoͤdie. ;
Und ob ihn heimführt jene geldgeprägte Schrift,
Die mit dem Wahnmwig feines Sinns im Schilde prahlt.
Ka wenn ihm Zens jungfraulich Kind, wenn Dike ihm
Gedank' und Thaten Ienfte, dann vielleicht gefhäh’s; 645
Doc nicht, da er des Mutterfchooßes Nacht verließ,
Nicht feiner Kindheit, noch da er zum Züngling wuchs,
Nicht als der Wangen erfted Haar ſich Dichtete,
Niemals hat Dike fein geachtet noch gehört.
Und jegt zum Elend feines DBaterlandes gar 650
Wird fie, ich weiß es, nimmermehr ibm nahe fein;
Nein, eine Lüge wahrlich wär’ ihr Name dann
Gerechtigkeit, und frechftem Frevler beigefellt.
Darauf vertrauend geh’ ich, ftelle gegen ihn
Mich ſelbſt; wer anders könnte mehr gerechter gehn? 655
Sp Fürft dem Fürften, Bruder meinem Bruder, Feind
Dem Feind entgegen geh? ich. — Neicht mir ſchnell den Speer,
Die Doppelfhienen und des Steinwurfs fihre Wehr!
Chorführerin.
Nicht, theurer König, Sohn des Didipus, im Zorn A
Nicht werde dem gleich, der das Aergſte arg gewagt. 660
Nein fhon genügt's, daB Kadmos Bürger aus zum Kampf
Mit Argos Volk ziehn; fühnen läßt fich deren Blut;
Allein von Bruderhänden blurggg Wechfelmord, —
Nein, ſolche Blutſchuld altert nun und nimmermehr!
Eteokles.
Wenn Böſes jemand ſonder Schmach zu tragen weiß, 665
So ſei's; denn einzig bleibt im Tode noch Gewinn;
Wer aber feig und fchuldig, dem gieb Teinen Ruhm!
Erfte Salbehorführerin.
‚(Strophe 1.)
Und du beharrſt no, Kind!
Die Sieben gegen Theben. 371
Laß dich von Ates Tampfwilden Gelüſt nicht hinreißen im
Zorn;
Den Keim böfer Begier, erftih ihn! 670
Eteokles.
Weil doch den Ausgang ſehr der Gott beſchleuniget,
So fahr' zum Strom Kokytos, ſeinem Theil, der Stamm
Des Laios ganz hin, den Apollon's Haß verfolgt.
Zweite Halbchorführerin.
(Gegenſtrophe 1.)
Allzuergrimmter Sinn
Reizet dich auf, den Mord ſelbſt zu begehn, die fruchtbittere
Schuld 675
Nimmer geſühnten Blutes!
Eteokles.
Es ſteht ja meines lieben Vaters voller Fluch
Mit trocknem, thränenloſen Auge neben mir,
Und zeigt und nennt mir letzte Luſt vor letztem Schmerz.
Erſte Halbchorführerin.
(Strophe 2.)
Laß dich bethören nicht! 680
Nein, du erſcheinſt nicht feig, ſo du dein Leben wahrſt;
Und es beſchleicht der ſturmnächt'gen Erinnys Fuß
Nimmer das Hans, drin fromm Opfer empfahn die Götter!
Eteokles.
Längft ſchon vergeſſen haben auch die Götter mein;
Nur unſres Todes Opferblut erfreuet fie; 685
Warum denn jept uns bittend weigern noch dem Tod?
Zweite Halbchorführerin.
(Gegenſtrophe 2.)
Thu's, da er jetzt ſich dir
Nahete, weil vielleicht bald mit des dunklen Zorns
Schwindendem Wetter ſanftwehend der Dämon dir
373 Zweite Tragödie.
Wieder erfheint; doch jegt flürmt er in wildem Wüthen!
690
&teotles.
Wohl flürmer furchtbar jegt der Fluch des Oidipus,
Und allzuwahr wird meiner Träume nächtiges
Gebild, das bintig theilte meines Vaters Reich.
Ehorfuührerin.
Uns Mädchen folge, wenn auch ungern, thu' es doch.
Eteokled. A
Berlangt, was ich zu thun vermag; doc fagt es fur. .695
Ehorfährerin.
Seh nicht den Weg, Herr, nicht zum fiebenten Thor hinab!
@teofles.
Des Zornes Schneide ſtumpft ein Wort jegt nicht mehr ab.
Chorführerin.
KRampflofen Sieg auch ehren dir die Himmliſchen.
- Eteokles.
Der Krieger darf ſich nicht getroͤſten dieſes Worts.
CEhorführerin.
Du willſt vergießen deines eignen Bruders Blut? 700
Eteofles. =
Mit Gottes Hülfe flieht er nicht mehr feinem Tod!
(Der König mit Gefolge ab.)
Die Sieben gegen Theben. 373
Wechfelgefang des Chors.
(Strophe 1.)
Mich graufts! die Rammtilgende Zorngöttin fie naht,
Die Götterungleiche, die wahrhaftige Schulddeuterin,
Flucherinnhs, zornmächtig in wuthblinden Verwünſchungen des
Wahnſinns, 705
Oidipus graͤßlicher Fluch;
Brudervertilgend empört ſich Haß jeßt.
Gegenſtrophe 1:)
Ein Fremdling jetzt würfelt ihr Loos draußen im Feld;
Vom Skythenlaud Fam er, ein vieltrauriger Erbtheiler
wohl; 710
's iſt ſcharfſchneidiger Stahl, welcher ihr Land blutig vertheilt,
jedem wieviel ihm
Fallend zum Grabe genügt,
Seines, des größeren Reichs verarmet. 715
(Strophe 9.)
Erſchlügen jetzt beide Brüder,
Fielen ſie beide wechſelmordend,
Traͤnke der Erde trockner Staub
Der Leichname ſchwarzgeronnen Blut,
Wer wüßte dann Sühne noch? 720
Wer wüſche dann je ſie rein? —
O er Weh der alten Schuld ihres Haufes beigemifcht !
" (Gegenftropbe 2.)
Aus alter Zeit wohl gemahnt mid
Granfige Schuld, ſchnell geftrafte, 725
Sie mwähret fort in’s dritte Glied; —
Denn Er, Laios — trotz dem Loxias,
Obſchon ihn dreimal gewarnt
374 Zweite Tragoͤdie.
Der Pythiſchen Weltmitte Spruch,
Das wenn er ſtürbe Finderlos, feine Stadt er rettete — 730
(Strophe 3.)
Bethört doch durch der Freunde böfen Rath
Erzeugte ſich felbft er das Unheil, |
Den Mörder, ben Didipus ſich — der das heilge Saatfeld 735
Des Mutterfhooßes, der ihn gebar,
Mit blutſchuldigem Saamen
Beſaͤ't; — die verworfene Brautnacht
Weihte blinder Wahnfinn.
(Gegenſtrophe 3.)
Ein Meer von Schuld brandet Wog’ um Woge ber, 740
Sie ſenkt fih, fie hebt fih, emporbrauft
Die dritte, die wildefte; ſchon peitfcht fie auch der Stadt Bord,
Indeß die Mauern wenige Frift
Zum Bollwerfe ſich breiten; 745
Bald, fürcht' ich, zugleich mit den Fürſten
Seht die Stadt zu Grunde.
(Strophe 4.)
Erfüllt jetzt wird der alterbenden Flüche Laft, ſchweren Endes
wahr;
Der emporſteigende Sturm zieht nicht Hoden, 750
Und über Bord ins Meer verfinkt
Manch Kleinod bald des allzubeglückten Mannes.
(Begenftrophe 4.)
Denn wer nod haben fo Götter, Freunde, Mitbürger hoch:
geehrt, 755
In der heimathlihen Stadt wen alles Bolt,
Wie Didipus, der unfrem Land
Die Mannränberin tilgte, das bintige Scheufal?
Die Sieben gegen Theben. 373
(Stropde 5.)
Sobald enträthſelt 760
Die entſetzliche Ehe der Elende,
Da trug er nicht mehr ſeinen Schmerz,
Irrenden Geiſtes erſann er ein doppeltes trauriges Weh,
Schlug mit der Hand ſich des Vatermordes 765
Das Auge, lieb wie Tiehfte Kinder.
(Gegenftrophe 5)
Bot feinen Kindern
Die zorngetränkte Speife dar,
Weh, weh! das bittre Wort des Fluches,
Das mit bemwaffneter Hand um das Erbe fie blutig dereinſt
Looſeten; — und es vollendet, fürcht' ih, 771
Die ſchnelle Flucherinnys jegt ſchon!
(Bote tritt anf von der Seite ber Fremde.)
Bote.
Getroſt, o Mädchen, ihr der Mütter liebſte Sorg’,
Dem Zoch der Knechtſchaft ift die Theberftadt entflobn, 775
In Nichts zurückſank unfrer Feinde flolges Drohn;
In heitrer See ſchifft jetzt die Stadt, trog allem Schlag
Der empörten Wogen hat fie fein gefährdend LE;
Rings ſchützt die Mauer, und die Thore find zumal
Mit vielbewährten Heldenfämpfern wohl verwahrt. 78
Es fteht an ſechs der Shore jeßt das meifle gut,
Jedoch das fiebente nahm der hehre Siebenfürfkt
Phoibos Apollon, daß Des Laios alte Schuld-
Bollendet würde an dem Gefchleht des Didipus.
Yührekin bed erften Balbchord,.
Welch neues Unheil brach herein a unfre Stadt? 785
Bot
Die Männer beide flug in afdem Wechſelmord —
376 Zweite Tragödie.
Yührerin des zweiten Halbchord.
Be er fiel? wie fagft du? mich übertäubt dein Wort mit Angſt!
Bote.
Se rubig, hoͤr' mid ruhig; Didipus Geſchlecht —
Yührerin deö erfien Halbchors.
Ah weh mir Armen, alles fab ich wohl voraus! 70
Bote.
Kein Zweifel bleibt mehr; ja, fie beide ſanken hin.
Zührerin des zweiten HSalbchord.
Und kam es dahin? hart, o hart iſt's! Aber ſprich!
Bote.
Ja, fo erfhlugen beide fih mit Bruderhand.
Jührerin des erfien Halbchors.
ga, fo gemein war beiden eo Damons Zorn!
Ganz tilgen mag er jet den unglüdfergen Stamm. 785
- Yührerin bed zweiten Halbchord.
Wohl froh darüber magft du fein und meinen auch.
Bote.
Daß unfre Stadt fich rettet. Doch die Heren der Stadt,
. ‚Die beiden Feldherrn theilten mit dem Stothifchen
Beftählten Eiſen ihres Reichs Geſammtbeſitz;
Wie viel ein Grab deckt, bleibt des Laudes denen noch, 800
Die durch des Vaters argen Fluch erſchlagen ſind.
So ward die Stadt frei; doch der Bruderkönige Blut
Im Wechſelmorde trank es ein der Erde Staub.
> (Bete ab.)
- Beide Balbhorführerinnen.
Du gewwaltiger Zens und ihr Götfer, der Stadt _
Schutzwehr, die getreu ihr die Zinnen bewacht 805
Der Kadmeifhen Burg,
Ad, fol ich mich frenn und. dem Metter der Stadt,
Die Sieben gegen Theben. 377
Der des Grams fie befreit, Dank jauchzen?
Soll ich die gramreich, ſchuldreich, kindlos
Hinſterbenden Fürſten beweinen? 810
Sie in Wahrheit, wie es der Name verhieß,
Sind zwietrachtreich
In des Wahnſinns Frevel erſchlagen!
Chor.
Strophe.)
Finſtrer Fluch, du zornerfüllter an dem Geſchlecht des Oidi⸗
815
Eiskalter Schauer rieſelt mir in re bange Herz;
Den Grabgeſang ftimm’ ih an,
Der Thyas gleich, da todt ich fie,
Sie blutig todt und morbbefledt ich hören muß; wohl trau⸗
rig war - 820
Dieb Berbrüdern ihres Speers.
(Gegenſtrophe.)
Richt verſagt hat, laut bekundet hat ſich des Vaters grauſer
Fluch,
Und fortgewuchert Laios unbeugſamkr Sinn.
Und meine Sorge endet nicht, 825
Der Götter Sprüche ruhen nicht!
Ihr vielbeweinten, ach von euch ward ſo vollbracht uUnglaub⸗
liches,
Ach ein unausſprechlich Leid!
Führerin des erſten Halbchors.
Dort naht es ſichtbar, dort erfüllt des Boten Wort! 830
(In — Trauerzuge werden die Leichen der Brüder gebracht.)
Einige.
Zwiefacher Jammer!
Andere.
Zwiefältiger entſetzlicher Wechſelmord!
378 Zweite Tragoͤdie
Andere
Zwiemordend Verhängniß blutig erfüllt, wie wenn’ ich’s?
Andere,
Wie anders wohl denn Leides Leid, Haufes Heerdgenoß! 835
Beide Führerinnen.
Weh! zu der Wehllage Wehn, o Mädchen,
Schlagt Haupt und Bruft mit Gramgeleites Ruderſchlag,
Mit dem dahinfährt über des Acheron öde Fluth
Der jammerreiche, ſchweigende, Ä
Schwarzbewimpelte Trauerfabn, 840
Der fonnenlofe, Phoibosunbetretene, \
Alfahrende tief in das Reich der Dämmerung.
(Der Trauerzug ift fort und fort hereingesogen; es kommen tief ver
hält die Schweftern der erfhlagenen Brüder aus dem Pallaft von
der Bühne herab.)
Beide Führerinnen.
Und es nahn gramvoll zu der traurigen Pflicht
Sid) Antigone und Ismene dort.
Und den Klagegefang, Nie fingen ihn ſelbſt 843
Bald aus tiefbufiger Fiebender Bruſt,
Wie es fromm fich gebührt um der Theuerſten Tod.
Uns aber geziemt's vor ihrem Gefang
Der Erinnys troſtlos Klagegefchrei
Und dem Hades dann 850
Helljammernde Hymnen zu fingen.
(Die beiden Leichen find vor der Bühnentreppe niebergefegt, die Schwe⸗
ftern an fie bingetreten, und figen während des folgenden Geſanges
Antigone bei Polpneites, Ismene bei Eteokles Leiche.)
To!
Unfelige, Bruderunfeligfte ihre
Bon allen, die je fih umgürtet das Kleid,
Die Sieben gegen Theben.
Bir weinen, wir jammern, und Trug if’s nicht,
Wie wir mit euch bitterlich weinen!
(Strophe 1.)
Erfter Halbchor.
Jo! Jo! Thoren ihr, den Lichften lieblos,
Alles Leides ungeſchreckt, Unſelige,
Das Baterhaus wolltet ihr im Kampfe fahn!
Zührerin des erſten Halbchors.
Unfelige wohl! unfeliger Tod
Ward ihnen im Sturz des Gefchlechtes.
N (Gegenftrophe 1.)
Zweiter Halbchor.
Jo! Jo! Vaterhaufes ihr Zerflörer, _
Bittrer Einzeleigenmacht begierig,
Run ausgefühnt feid ihr durch den Blutflahl!
- Führerin des zweiten Halbchoro,
Ja wahrlih, es hat jegt Didipus Fluch,
j Sich vollendet die hehre Erinnys!
Erfter Halbchor.
Durchbohrt beiden ſieh die linke Bruſt!
Zweiter Halbchor.
D wohl durchbohrt jammervoll
Von Bruderhand Bruderbruſt!
Erſter Halbchor.
Weh euch, Brüder des Wahnſinns,
Weh euch, Flüche zu wechſelndem Mord um Mord!
Zweiter Halbchor.
Todtwunde — nennſt du wohl, was ihren Leib,
Ihr Geſchlecht zugleich erſchlug —
Erſter Halbchor.
In unſagbarer Wuth,
379
855
860
865
870
875
880 Zweite Tragoͤdie.
In zwietrachtblutigem Mord 880
Schlug mit des Baters Fluch!
Zweiter Halbchor.
Geſeufz hallet weithin dur die Stadt!
Erſter Halbchor.
Es ſeufzt der Wall, rings erſeufzt
Die Flur des Feldes!
3weiter Galbchor.
Den Nachgebornen bleibt der Beſitz, 885
Drum dich, arges Gefchlecht,
Drum euch Hader und Hab in den Tod geftürzt!
Erfter Halbchor.
Ihr Erbiheil, Haß im Herzen theilten ſie's,
Jedem gleich ein gleicher Theil. 890
Zweiter Halbchor.
Doch ihr Erbtheil war
Zur Luft ihren Freunden mit, 3
Nicht freundlich Ares.
(Stropbe) .
" Erſter Halbchor.
Durchbohrt vom Blutſtahl ſo liegen beide, —
Zweiter HSalbchor.
Durchbohrt vom Blutſtahl, fo harrt auf beide — 895
Du weißt es wohl, fag’ mir, wer?
Erſter Halbchor.
Der Bäter Grabflätte harrt!
Zweiter Halbchor.
In Wehllagen ihres Stamms halt
Des Grames Grabgeleit jammergefeufzt, thräuenreich, herzzer.
Erfter Halbchor.
Jammererſtickt, freudeverwaift, weinend im trugloſeſten Schmerz,
Die Sieben gegen Theben. 381
Daß in der Bruft, ach wie ich weine,
Mir das Herz bricht um die Fürſten beide!
Gegenſtrophe.)
Zweiter Halbchor.
Wohl mag man gramreich begrüßen beide! 905
Erſter Salbchor.
So viel ſie Gram reichten ihrem Volke
Und Schaar um a. allem Feind!
| Salbchor.
Ihr —RR — Kampf!
Erſter Halbchor.
Gtaureich gar vor allen Weibern,
So viel Kinder je trugen im Schooß, war die geboten euch
—
hat! 910
Zweiter Halbchor.
Welche den Sohn, ſelbſt zum Gemahl ſelber erfor, dieſe zebar,
Daß ſie ſich ſo mußten erſchlagen,
In dem Mordtauſche der Bruderhaͤnde! 915
| (Stropbe.)
Erfter Halbchor.
Fa Bruderhand, gar und ganz vertilgende,
In dem Gericht der Wuth,
In dem verwilderten Haß,
Sept zum Beichluß der Zwietracht.
Zweiter Halbchor.
Run ruht ihr Haß, in blut'ger Erde 920
Vermiſcht num fi ihr Leben; gang find jegt fie eines Blutes!
Erſter Halbchor.
Der Arenge Kampffchlichter iR der Pontifche,
Heißer Glut entflürzte Feind —
weiter BSalbchor.
Zweifchneidiger Stahl; Erbes firenger Theller iR 925
382 Zweite Tragödie.
Des wilden Blut⸗Ares Wuth, der wahres End’
Schuf des Vaters Flüchen.
(GGegenſtrophe.)
Zweiter Halbchor.
Ihr Theil erlonft haben ach die Schuldigen
In dem verhängten Web;
Unter den Leichen hinab 930
Dehnt ſich ein endlos Erdreich!
Erfter Halbchor.
Mit wehreich blühndem Jammer haben
Getrangt nun fie ihr Haus, ein Feſtlied jauchzen laut zum,
Schluſſe — 935
Zweiter Halbchvr.
Die Flüche, wildgellend Lied vom ſinkenden,
Allgeſchlagnen Heldenſtamm!
Erſter Halbchor.
Im Thor erhoͤht ſtanden Ata's Siegestrophä'n,
Wo beide Tod fanden, wo nach beider Tod
Müde ſchwieg der Dämon!
(Die Halbchöre ſtellen fi, der eine zu Antigone nm Polyneikes Leiche,
der andere zu Ismene um Eteokles Leiche.)
Antigone.
Getroffen trafft bu! | 940
Jsmene.
Mordend ſankſt “ug du dahin!
Autigone.
Mit dem Speer erſchlugſt du!
Jsſsmene.
Von dem Speere — du!
Antigone.
Weh ſinnend du!
Die Sieben gegen Theben. 383
Tömene.
Weh duldend du! 945
Antigone.
O ſtrömt ihr Thränen!
Jsſmene.
O ſtrömt ihr Klagen!
Anti :
Todt liegſt Du! —
Ismene.
Ein Moͤrder!
Autigone.
In — 7 — Buſen wühlt der Schmerz! 950
Ismene.
Es bricht in meiner Bruſt das Herz!
Antigone.
Ach wehe, * Vielbeweime du!
Jsmene.
Und wieder ganz unſel'ger du!
Antigone.
Durd den Freund kamſt du um!
Jsſsmene.
Und den Freund ſchlugſt du todt! 955
Antigone.
Zwiefacher Sammer!
Jomene.
Zwiefache Klage!
Antigone.
Und wir nun dieſem Jammer nah!
Jamene.
Wir ihre Schweſtern den Brüdern nah!
(Während die Schweſtern ſich ſtumm umarmen, wechſeln die Halbchöre
ihre Stelle.)
384 Zweite Tragödie.
Ehor.
Jo! Moira, näachtige Gramesſpenderin! 960
Heiliger Schatten Dibipus!
Und du Flucheriunys,
Allgewaltig nahte du!
(Die Schweitern ſteben zwiſchen beiden Leihen.)
Antigone.
Weh, weh mir! bittren Leides bittre Schau!
Isſsmene.
Die er mir reichte heimgekehrt!
Antigone.
Nicht kam er heim zu tödten ihn! 965
Ismene.
Gerettet ſelbſt opfert er ſein Leben doch!
Antigone.
Opfert er ſein Leben ſelbſt!
⸗
Ismene.
Und entriß es dieſem auch!
Antigone,
Trauriges Geſchlecht! —
Jemene.
Trauriges ertrug’s! 970
Antigene. -
Doppelte Trauer des gleichen Grames!
Aamene.
— Doppelt beweint in unendlichem Gram!
Antigone.
Troftlos ſag' ich's!
Jomene.
Troſtlos ſeh' ich's.
(Die Schweſtern umarmen Ah, während die Halbchöre ihre Stelle
wechfeln.)
Die Sieben gegen Theben. j 385
Eher.
391 Moire, nächtige Bramesfpenderin! 975
Heiliger Schatten Didipus!
| Und du Flucherinups,
f Allgewaltig nahteft du!
(Antigone tritt wieder zn Polpneifes, Jsmene zu Eteofles Leiche.)
Yntigpme,
Du kennſt fie nun hinabgefande!
Jamene.
Nicht fpäter ſahſt auch du ſie da!
Autigone.
Sobald du hintratſt gegen ihn! 980
Fömene.
Den Speer emporhobft gegen ihn!
Antigone.
Troſtlos ſag' ich's!
JIdmene.
Troſtlos feh’ ich's!
Antigone.
Jo! Jo! Schmerz! o Schmerz!
| Ismene. |
Jo! Jo! Sram! o Sram! 985
Antigone.
Dem Haufe, dem Land!
Ssmene,
Doch vor allen mir!
Autigone.
So! Jo! und drüber mir noch!
Jsmene.
Jo! Fo! des grimmen Grams —
Anutigone.
Fo! Jo! Fürſt Eteokles, Stifter but 230
i 25
336 weite Tragödie.
Jomene.
Jo! allen Jammers Stifter ihr!
Antigone.
Jo! Tanmelrafend in Unheil!
Ismene.
Jo! Jo! wo begraben wir fie hin?
Antigone.
Jo! wo zumeift es ehrenreich!
Jamene.
Beim Vater, Jammer zu Jammer! 995
(Ein Herold kommt auf der Straße der Heimath herein.)
Herold.
Verkünden muß ich, was des Volkes hoher Rath
Der Stadt des Kadmos hat geboten und gebeut.
Eteokles, weil ex treuen Sinn dem Land bewährt,
Soll feiner Heimarh liebes Grab zur Ruh’ empfahn;
Denn ihren Feinden wehrend fand er feinen Tod, 1000
Den heimifchen Tempeln treu ſich weihend fiel er da,
Wo jedem Züngling fchöniter Tod zu finden if;
Das über jenen heißt mein Auftrag Fund zu thun.
Doc feines Bruders Polyneikes Leiche fol
Grablos zum Raub den Hunden dahingeworfen fein, 1005
Bon dem verwüſtet läge dieß Kadmeierland,
Wenn feiner Lanze nicht ein Gott entgegenfland;
Auch noch im Tode foll er drum verworfen fein
Den Göttern feiner Väter, die er fo mißehrt,
Das er mit fremden Volk die Stadt zu nehmen kam. 1010
So denn von raubeinfamen, ſcheuen Vögeln wird
Ehrlos begraben würd’ger Ehren er fi freun,
Doc keine Hand ihn finden, die ihm ein Grab erhöht,
Und Feines Grablieds heil’ge Klagen ihm ſich weihn,
Die Sieben gegen Theben. 387
Vergeſſen aller Pflicht er, allen Freunden fein. 1015
Alfo geboten hat des Volkes hoher Rath. ;
Antigone.
Ich aber fage dieß des Volkes hohem Rath:
Wenn diefen denn Fein andrer mirbegraben will,
Will ich ihn doch begraben, will die Gefahr verſchmähn,
Su begraben meinen Bruder; nimmer ſcheu' ich mich, 1020
Sp ungehurfam mich zu weigern Des Gebots.
Ein Großes ift’s, geboren fein von einem Schooß
Der armen Mutter, eines fchuldigen Baters Blut!
Drum, meine Seele, gern dem Ungernfreveinden
Weib’ lebend dich dem Todten treu und ſchweſterlich! 1025
Kein, diefen Leichnam fol der hungerwilde Wolf
Mir nimmermehr zerfleifhen; hoffe Feiner das!
Rein, felbft bereiten will ih, ob ein Mädchen aud,
Die fromme Grabesweihe und ein frommes Grab,
Will tragen ihn in meines Byſſoskleides Schoof, 1030
Ihn felbit beftatten. Wehren foll es Feiner mir.
Wohl wird zur That fih einen Weg mein Muth erfpähn.
Derolb,
Doch ich ermahn’ dich, troge nicht dem. ganzen Bott!
Antigone.
Doch ich ermahn dich, nicht verfünd’ Unnützes mehr!
Serold,
Streng pflegt ein Volk fein, wenn es dem Untergang entlam.
| 1035
Antigone.
Streng fei es, der bleibt nun und nimmer ohne Grab!
Serold.
- Und den die Stadt haßt, ehrteft du des Grabes doch?
Antigone.
Roh war an ihm nichts baffenswerth den Ewigen. -
388 Zweite Tragödie.
Serold
Nichts, bis in Gefahr ex ſtürzte diefes theure Land.
Autigeue
Als Feind verfioßen nur vergalt er ſeinem Feind. 1040
Werold.
Doc hatt des einen büßten alle feimen Haß.
- | Untigone.
Begraben dennoch werd' ich ihn; ſprich weiter nicht.
Seroß. -
Doc eigenmälhtig! will’ es wohl, ich fage mein!
(Der Herold ab; es feßen fich dte Züge der beiden Leichen in Bewegung,
der des Eteokles wird nad) der Heimath, der des Polpueites na der
Fremde binamegetragen; biefem folgt Antigone, jenem Iemene)
Beide Halbhorführerinnen.
Web, web dir! 1045
Trotz finnende, ftammaustilgende Wuth
Der Erinnys, die fo jegt Oidipus Stamm
Bis zur Wurzel hinab graunvoll austilgt!
Mas will, was ſoll ih? wie rath ich mir recht?
Wie ertrag’ ich es gar, zu beweinen dich nicht, 1050
Dich nicht in die Gruft zu geleiten?
Doch ach, es erfchredt mich, es ſcheucht mich zurück
Die Furcht vor dem Volk.
Dich freilich erhebt viel feiernder Schmerz,
Doch der ſoll ſrill, ohn' klagend Geleit, 1055
Bon dem einfamen Sram nur der Schwefter beweint
Hingehn? wer fünnte gehorchen?
(Der Chor heilt fih in feine zwei Halbihöre, von denen ber erfie dem
Polpneifes, der audese dem Eteokles Folge)
Erſter Halbchor.
So beſtrafe die Stadt, ſo beſtrafe ſie nicht,
Wer dich, Polyneikes, beweinet;
Die Sieben gegen Theben. 389
Mit wollen wir gehn, ihn begraben mit Dir, 1060
Ihn geleiten zur Ruh; deun das Volk auch bat
Antheil an dem Sram. Und zu andrer Zeit
Wird ein andres dem Volke gerecht fein.
Zweiter Halbchor.
Wir aber, wir gehn mit dir, wie die Stadt,
Wie ein heiliges Recht es geboten. 1065
Nach der Ewigen Schutz, nach Zeus Allmacht
Hat der ja zumeiſt die Kadmeia geſchützt,
Daß fie nicht hinſchwand,
Daß fie niche vor den Fluthen des feindlichen Heers
In den Abgrund ſauk der Vernichtung. — 1070
(Der Vorhang hebt ſich.)
Dritte Tragödie.
Die Epigonen.
nn
Done fehr bezeichnende Andeutungen würde man es nicht wa⸗
gen, in diefem Zitel das dritte Drama der Trilogie zu erken⸗
nen. Aber nicht bloß wiederholt fi in den bangen Chorge⸗
fängen der „ Sieben” die Vorftelung von der Einnahme und
dem Untergange der Stadt, fondern ausdrüdlich heißt es (8.
885.) „den Spigonen, den Nachgebornen bleibt der Befig;‘ der
Chor meint nicht etwa, dem Sohne des Etegfles; denn nad)
Aiſchylos Herben beide Brüder kinderlos (B. 809.).
Die Schwierigkeit, in der Tragödie von den Epigonen den
Schluß der Zrilogie zu finden, beruht darin, daB nach der
Veberlieferung einige Jahre nach dem Untergang der fieben Hel⸗
den vor Theben verflofien, ehe ihre Söhne auszogen, die Stadt
zu zerfiören, — in dem Schluß der „Sieben“ aber Antigone
gegen das ausdrückliche Verbot den Bruder zu beftatten gebt,
begleitet von der einen Hälfte des Chors; dieß mußte fofort
beim Beginn der folgenden Tragödie zur Sprache fommen,
diefe fomit, wenn fie mit dem Siege der Epigonen ſchloß, die
Einheit der Zeit merklich verlegen.
Die Cpigonen. 391 ,
Die Schwierigkeiten zu mehren, bietet fi ein Fragment
aus den Epigonen dar, weldhes von Hochzeit handelt:
Für Zeus: zuerft und Hera meiner Spende Guß
Zu guter Hochzeit,
dann:
Den zweiten Becher bring‘ ich den Heroen dar.
dann:
Für Zeus den Retter drittene flehentlihen Guß.
Weiche Hochzeit Tann bier gemeint fein? wer Tann die Verſe
fpreden und in welder Situation ?
Die einzige Brautfhaft, die in diefem Kreife der Sage
vorkommt und von den Dichtern fo bedeutfan ausgebildet if,
it die der Antigene mit Areons Sohn Haimon aus dem Ge⸗
fhledht der Sparten. Antigone wird: jene Berfe wohl nicht ges .
ſprochen haben; denn zunächſt erfüllt ihren Sinn ganz der Tod
und die Beftattung des Bruders, damit wird fie fhuldig und
verfällt dem Gericht der Stadt; „das Bolt aber pflegt fireng
zu fein, wenn es eben dem Untergang entkam“ (B.1035.); es
wird nicht gefäumt haben, an Antigone mit zu hartem Sprud)
das Schickſal zu erfüllen, zu dem des Vaters Flüche das ganze
Geſchlecht drangen. So Tann nur Kreon oder Hamion jene
Verſe fprechen, und smar nur vor den Befanntwerden von Aus
tigones That, ſomit im Anfang der Tragödie. Sie fcheinen
aber bei feierligem Anlap, einem Opfer oder Rage gefprochen
zu. fein.
In der That, die Kadmeer hatten glänzend gefiegt über
die Argivifhen Helden; diefe waren fämmtlih umgelommten,
ihre Leihen waren gütig genug zur Beitattung ausgeliefert.
Nun mochte es an der Zeit fein, ein frohes Siegesmahl zu
feiern. Der nächfte dem Töniglichen Befchlecht if Kreon, Jo⸗
Taftens Bruder; er erbt die Herrfhaft Thebens, er will feinen
Sohn mis der Dibipustochter vermählen; fein, glaube ich,
3923 Dritte Tragödie.
find die erhaltenen Berfe. Es mochten in jener Einleitung des
dritten Stückes and die Helden, die glorteich vertheidigend an
den Thoren gekämpft baren, gegenwärtig fein beim Sieges⸗
mahl, und der Chor, wohl aus Thedanifhen Mädchen, viels
leicht priefterlichen, beſtehend, wird in feiernden Geſängen ben
Sieg Über die Argeier und den Untergang jedes der ſechs feind⸗
lihen Helden gefungen haben.
Bedeutſam würde fi bier das Auftreten des blinden, von
feiner Tochter Manto geführten Teireflas anfchließen. In Belt:
ten des Jubels und der Siegesfreude bringt er böfe Kunde von
den Zeichen der Götter: die Stads befisdele ſich durch ein ſchwe⸗
ses Gericht und rufe gegen fih ein gleich ſhweres Gericht auf;
ein Feind komme, dem man nicht Rn werde, ihm rein
auch werde es den Tod bringen. -
und ſchon erfüllt es ich; Antigene ir von Nath der Stadt
dem Tod fberantworter, weil fie den Bruder beflatte Ob
Kreon dieß als Eingriff in feine Herrſchertechte angefchen?
od in der Stadt Zwieſpalt und Aufruhr begann, die Noth,
die ſchon nabe if, zu mehren?
Denn eben jet rückt ein neues Argeierheer heran, es find
die Söhne der erihlagenen Helden, die Epigonen; ſchon haben
fie, fo berichtet ein Bote, Antigones Schweſter Jsmene, da fie
vor den Thoren am Brunnen fland Waſſer zu fhöpfenr, er⸗
mordet, mit ihre num ift Oidipus Geſchlecht ausgetilgt; das Feld
um Theben her haben fie verwüſtet, die gefüllten Schenten zet⸗
ftört und „die Frucht des Feldes auf den Boden verſtreut.“
(B. 337.) Seo heeten fie furchtbar. —
her wie nun weiter? Biele von einander in Heinen Um:
Händen abweichende Sagen. berichten den weiteren Werlauf des
Epigonentrieges. Für unfere Tragoͤdie fcheint folgendes zum
Grunde zu liegen. Die Kadmeier zogen gegen den Feind ans
und kaͤmpften bei Gliſas, aber unglädtih; kaum Tonnten fie
Br En FT en
nm
| Die Splgonen. | 303
üb noch in die Stadt Räcten. Da ſchickte man nad Teirehas
Weifung Herolde an die Feinde, Ansgleidung zu bieren, und
während deflen zog ein Theil des Volkes mit Hab’ und Gut,
Weider und Kinder auf Wagen, mit fi führend, hinaus in die
Bere, ſich eine nene Heimash zu fuchen. Die anderen aber
fachten die Stadt noch zu halten; aber die Feinde drangen bald
in: die Stadt ein, riffen die Mauern nieder, fchichten, wie fie
gelobt hatıen, das Schönfte von der Beute, Teirefias Tochter
Manto, dem beiphifhen Gott. Dder nad anderer Angabe, fie
ſchickten außer anderer Beute den Seher Zeirefias ſammt fei«
wer Tochter Manto; Teireſias aber fiarb anf dem Wege, da
er aus dem Tilphuſiſchen Brunnen getrunken hatte.
Wenn wir recht gemuthmaßt, daß Zwielpalt in der Stadt
entſtand, fo wird Die Parthei, welche die Beerdigung des dem
Feinde verbündeten Polyneikes fo hart beftrafte, am wenigften
die Borfhafı um Ausfühnnung zu den Feinden geſchickt haben,
und mit dem zu harten Spruch gegen Antigene haben jie ihre
und der Stadt Rettung verwirft. Mag Kreons Sohn nad
dem Tode feiner Braut den Untergang in der Schlacht geincht
und gefunden haben, der Bater wird nicht das Schickſal derer
gu theilen bereit fein, deren Verſchulden gegen Antigene er ge
mißbilligt hat; er folge den Rath des Schere, um Ausgleis
Hung unterhandeind die Stadı zu verlaffen. Der Scher ſelbſt
aber, nach dem ſchweren Geſchick derer, die die Wiſſenſchaft der
Zukunft haben, weiß fein (Ende voraus, ohne es meiden zu
Tonnen; er, der dem unfeligen Königshaufe fo oft die Orakel
des Gottes vergebens gedeutet hat, muß nun, da fie fi er
füllen, die fhmerzlihe Genugthuung anf fih nehmen, fie ſich
bis auf den Untergang feiner Heimath und feines Volkes ers
füllen zu feben.
-— Dann erflürmen bie Feinde die Stadt, reißen die Mauern
wieder, ſchleppen die Bente zuſammen, ſtecken die Burg in Brand
394 Dritte Tragödie.
(B. 325 2c.); in dem allgemeinen Morde wird niemand erhal
ten, al& Zeirefias und feine Tochter Manto nebit dem Chore
der Mädchen, die als Siegesbente bingefandt werden gem
Delphi. — Natürlid muB von den Epigonen einer und der.
andere in diefer legten Scene als Führer, als Vertreter der
Anderen fprechen und handeln. Nah der Aeußerung am Schluß
von Euripides Schugflehenden darf man vermuthen, daß dieß
Aigialeus, Adraftos Sohn, und Diomedes, Tydens Sohn, war. —
So, glaube ich, ift der ungefähre Verlauf diefer Tragödie.
Die Schwierigkeit wegen Einheit der Zeit, die wir obem bes
zeichneten, ift eine illuforifche; die Aiſchyleiſche Tragik ift fo
weit entfernt, fih durch die ängftlihe und rationelle Beachtung
der Wirklichkeiten zu binden, daß fie vielmehr in der höheren
Einheit der Poefie die hronologifchen Unterfchiede zu einer blo⸗
Ben Nacheinanderfolge aufhebt. So if fie ohne Bedenken, Aga⸗
memnon fofort nach dem Feuerzeichen, das vom Kal Trojas
Kunde bringt, auftreten zu laffen, wenn ſchon der Herold aus⸗
führlid berichten, wie vieles Unheil Tage lang die heimkehrende
Flotte auf der Eee erlitten. Eben fo gleihgültig und pro⸗
ſaiſch it das Bedenken, dab ja erft die Söhne der gefallenen
Helden heranwachfen. müffen, ehe fie zu neuem Kampf kommen,
während doch Antigones Strafe zeige, daß das Drama fi
hronologifch unmittelbar an die „Sieben“ anfchließt; für den
poetiſchen Zuſammenhang ift der Epigonenkrieg die unmittel⸗
bare Folge des Todes der ſieben Helden und der Strafe au
Antigone. —
Ariſtophanes läßt in den Fröſchen un gegen Euri⸗
pides ſagen:
Ich ſchuf ein Drama des Ares voll.
Welch Drama?
Die Sieben vor Theben,
Aljegliher Dann, der es fehauete, ward durchglüht vom
turfliger Kampfluſt.
Die Epigonen. 305
&r hat vielleicht die ganze Trilogie mit diefer Bezeichnung ges
meint, denn duch und durch ift fie vol Kampf und geeignet
mit Kampfluft zu durchglühen.
Deutlich iſt es, wie die ganze lavinengleich ſich fortwäl-
zende Gewalt der Schidfale bedingt it durch „die Frevelfhuld
alter Zeit, die fort und fort währt, daß Laios trog dreimalis
ger Warnung des delphifchen Gottes zeugte, verleitet durch der
Freunde böfen Rath," (Sieben DB. 735 20.) Die Brüder fü-
chen fi) wieder und wieder zu verfühnen, aber der finftre Fluch
des Vaters fteht zwifchen ihnen, umd jede Annäherung führt zu
ärgerem Zwiefpalt; in offenen Feld treten fie einander gegen»
über und morden fih im Wechfelmorde, nnd um dem harten
Verbot der fchwefterlichen Liebespflicht zu genügen, nimmt die
ganze Stadt Antheil an der Schuld; da fie gefiegt hat und fi
gerettet glaubt, ift ihr und des Volks Untergang ſchon da und
von dem Gefchlecht, dem Volk, der Macht des Labdakidenhau⸗
fes bleibt nichts als jenes Dpfergefchent des Sehers und feis
ner Tochter an eben den Gott, defien Sprühe man nicht bat
achten wollen. —
Man mus fid erinnern, daß diefe Trilogie etwa zehn Jahre
nah den Berferfriegen aufgeführt wurde. heben batte dem
Barbaren Erde und Waller gegeben, während die anderen Hels
lenen ſchwuren, wer fich den Perfern bei gutem Stande ergebe,
folle dem delphiſchen Bott gezehntet werden. Nur gezwungen
ſchickte Theben Truppen in die Thermopylen, die dann ſchleunig
übergingen und dem zum Lohne mit einem Brandmahl von
ihren neuen Herren gezeichnet wurden. Dann nahmen fie die
Derfer freundlich in ihrer Stadt auf, während ein Schwarm
Barbaren, der fih auf Delphi warf, dort die reihen Tempel:
fhäte zu plündern, durch eim fichtlihes Wunder des Gottes
jurüdgefchlagen wurde. Bei Plataini Fämpften die Thebaner
anf Seiten der Perfer gegen die Hellenen und nad) der Nies
396 Dritte Tragödie.
derlage und Flucht der Barbaren traten fie noch nicht zu den
Stammgenoflen über, fondern erwarteten in ihrer Stadt dexen
Angriff, ließen fich einen Monar belagern, dann endlich, ba
Zerftörung der Stadt gedroht wurde, umterhandelten fie und
lieferten diejenigen aus, die fie ale Echuldige für den gemeint
famen Berrath Aller angefehen willen wollten. —
Die Prometheia.“
— ——
Die Trilogie Prometheia befigud aus dem fenerbringenden
Prometheus, dem gefeffelten Prometheus, dem gelöften
Brometbens; das Satyrdrama if unbefannt; die Zeit der Auffüh⸗
rung ift wahrſcheinlich DI. 76. 2. (475 oder 474 vor Chriſtus.
x
Er ſte Tragödie.
Der fenerbringende Prometheus.
— —
Die Prometheusſage iſt vielleicht die tiefſinnigſte des griechi⸗
ſchen Alterthums; mehr als irgend eine andere umfaßt ſie die
höchſten JIutereſſen der Menſchheit; fie ſucht nach einer Verföh⸗
nung der Widerfprüche, in denen ſich der endliche Geiſt bes
fangen fühlt, fie erringt Frieden und Sicherung heiligſter Er⸗
rungenfhaft und die Grundlage einer Frömmigkeit, weiche ſelbſt
fhon hinaus ift über den Boden, auf dem fie urfprünglich er:
wuchs.
Die Promethensſage knüpft an bei jener dunklen Urzeit,
in der der dichtende Sinn ſich die Anfänge alles Seins bei ein«
ander denkt. Da lag noch die Dämmerung des Werdens anf
Sand und Meer, und Im wilden Kampf rangen die elementas
riſchen Maſſen und Mächte zum Dafein hervor. Das find bie
Titanen, die Riefen der Urwelt, die fich empören gegen ihren
Erzenger, gegen die Stille des ungefihaffenen. Anfangs; und
jener Kronos, der den Vater mit diamantner Sichel ſchlägt,
der die eigenen Kinder verfchlingt, ift die fruchtlos zeugende
40 Erſte Tragödie.
Zeit, das jüngfte und gemwaltigfte vom dem Kindern Himmels
und der Erden.
Aber auf ben Titanen laftet der Fluch des Vaters. Berge:
bens verfhlingt Kronos die Kinder, die ihm" Rhea geboren;
fie rettet das jüngfte, das die ewigen Moiren beftimmt haben,
Uranos Fluch zu erfüllen. Vergebens warıt Prometheus, der
fhidfalstundigen Themis Sohn, die Titanen vor dem Unter
gang, der ihnen droht, vergebens fucht er den fhon erwachen⸗
den Hader der bimmlifchen Mächte zu befchwichtigen; die Ti⸗
tanen trotzen voll blinden Stolzes auf ihre alte Macht und
verhöhnen ſeinen Rath; fie verachten deu Feind, der ſchon ge
gen fie anfämpft, den Kroniden Zeus: und die jungen Götter.
Prometheus aber, der vorbedächtige, verläßt mit feiner
Mutter die Sache der Titanen, die nach dem ewigen Verhäng⸗
nis, wie e8 Themis ihm offenbart hat, ſo gut wie verloren if;
er verbindet fih mit Zeus, und Zeus eilt bem, beffen Lift al
kein fein neues Megiment fihern kaun, freundlichft entgegen gu
Tonmen. Es beginnen die ungeheuren Kämpfe der neuen Göt⸗
ver gegen die Titanen, nad Prometheus Rath merben die Rt
Hopen aus dem Kerker im Abgrund befreit, den Göttern die
Baften zu geben, mit denen fie ſiegen follten; nach feinem Nash
werden die Bewältigten in das Dunkel des Tartaros hinabge⸗
ſtürzt. Aber im Sturz ſpricht Kronos über feinen Sohn ben
gleichen Fluch, mit dem ein Uranos Don ihm geſchieden ift.
Run berrfchen die neuen Götter nach neuem Geſetz; nad
Promethens Math vertheilt Zeus umter fie bie Drbmmg Der
Ber, er behält für fi die Herrfehaft über alle. Aber aud
die legte Spur. der alten Weltordnung will er vernichten; die
ans dem Geſchlecht der Titauen fi für ihn entfchiehen, werben
verdrängt und übergeben ihre Pflicht an die neuen Götter; fo
verläßt Themis ben Beiphifhen Dreifuß und Okeanes wandert
seen bin au ben Saum der Welt. Auch das alte Geſchlecht
Der feuerbringende Prometheus. | 401
der Sterbliden will Zeus vertiigen, will ein anderes neues
(haften, das vol Demuth und Schweigen fi ihm denge. Da
tritt feiner von allen Göttern für Re auf, nur Prometheus ver⸗
tritt fie, erringt es, daß fie nicht der Hades verfchlingt; er ver⸗
beißt bem Herrfcher des Himmels eine Zeit, wo
aus ſtaubgebornem Saamen einf ein fierblih Weib
den Helden bes Bogens, des Gottes Liebling gebären wird,
wo ein Sterblicher allein Zeus Herrſchaft reiten wird vor dem
ewigen Fluch des Vaters.
Ep leiſtet Promerheus dem neuen SHerrfcher vielfachen
Dienft und forget für ihn, wo ihm beffer wäre zu ſchweigen
und für fh zu forgen. Zens aber haſſet den Abermächtigen
Freund, er fürchtet dem legten Gewaltigen aus der verhaßten
Kronoszeit; er fucht Urſach am ihm, aber wagt nicht ihn ohne
Schuld zu ſtrafen. Es if wicht Liebe zum ueuen Herrn der
Bötter, die den Themisſohn dieſem zugeführt hat? alle feine Sorge
and Liebe gehört dem Geſchlecht der Sterblihen, das er vor
dem Untergange gerettet. Aber diefe Menſchen find ohnmäch⸗
tige, traurige Weſen; ohne Gedanken, ohne Heimath, ohne
Hoffnung Acben fie ein zeitloſes, fremdiofes, hülfloſes Dafein.
Ihres Elendes erbarmt ſich Prometheus; er nimmt von He⸗
phaiſtos Flamme einen Funken, birgt ihn in die Ferulſtaude,
bringt ihm den Menſchen, daß ſich ihnen daran ein neues, glück⸗
licheres Leben entzünde; er lehrt fie alle Kunſt und Wiſſen⸗
ſchaft, durch die das Daſein erſt zum Leben wird. — So iſt
durch Promethens Weisheit das Reich des Kroniden gegründet,
ſo durch feine Menſchenfreundlichkeit der Menſchheit Der Weg
zu allem Edelſten und Würdigſten geöffnet; fein Werk if ges
than, ſeine Zeit iſt vorüber. —
Sp im Allgemeinen der Inhalt einer Tragoödie, deren
Sandlung, deren Perfonen, deren Geſtaltung im Einzelnen wie:
der zu erkennen fchwer, wenn nicht unmöglich iR. Die Beni:
26
N
4023 Erſte Tragoͤdie.
hungen gelehrier Männer haben kein entſchiedenes und über
zeugendes Reſultat herbeizuführen vermocht, obſchon der Kreis
der Möglichkeiten faſt erſchöpft iſt; je inhaltsſchwerer der My:
thos, je tiefſinniger die Compoſition, je typiſcher uſid bezie—⸗
hungsreicher jeder Charakter, deſto gewagter iſt jeder Verſuch,
das Verlorne zu ergänzen; und eine neuſte, ſehr zuverſichtlich
geltend gemachte Reſtauration beweiſet nicht viel mehr, als daß
man auf rationellem Wege zu baarer Abgeſchmacktheit kommen
und auch die Nichtigkeit des Unſinns noch mit guten Gründen
erweifen Tann.
Eine nähere Beobahtung Aiſchyleiſcher Trilogien zeigt,
daß der Dichter in zufammenhängenden Dramen das ausführ
lichſt als gefhehen oder bevorfichend erzählt, was nicht zur un⸗
mittelbar fcenifhen Darftelung gekommen ift oder kommen wird,
dagegen in kurzen und flüchtigen Andeutungen uns erkennen
laßt, was feine Zufchauer in vollftändigfter Ausbreitung fahen.
Wenn daher im gefeflelten Prometheus in großer Bollftändig-
keit berichtet wird, welche Künfte und Förderungen Prometheus
den Menfchen gewährte, foifteben dieß nicht innerhalb der fcenifchen
Darftellung vorgekommen; eben fo, wenn genau erzählt wird, auf
welche Weife Prometheus und feine Mutter die Sache der Tis
tanen verlaffen und fih mit Zeus vereint haben. — Dagegen
eine Andentung, die im Früheren ihre Ergänzung haben mußte,
enthält des Promerheus Wort (B. 219), durch feinen Rath fei
"8, daß nun Kronos und die Titanen im Tartaros lägen. Eben
fo (B.. 230 und A438), daß Zeus nad feinem Rath den Göt⸗
tern die Ehren und Uemter vertheilt habe; doch, fagt er zum
Chor, davon wolle er nicht weiter fprechen, weil fie es ja ſchon
ſelbſt wüßten, — die fiherfte Bezeichnung, daß dieß in ber vorher:
gehenden Tragödie zur Darftellung gekommen (vgl. V. 978).
Bon derfelben Art ift es, wenn Prometheus fagt, er habe, da
Zeus die Menfchen vertilgen wollen, allein fie vor dem Un:
Der feuerbringende Prometheus. 403
tergang gerettet; gerade da ift man begierig das Wie genau zu
erkennen, und der Dichter durfte nicht fo Feicht darüber hin-
gehen, wenn er nicht bloß an ein bereits Gefchautes erinnerte.
Diefe und ähnliche Andeutungen, die dem aufmerffamen
Lefer nicht entgehen werden, geben, nah Analogie Aiſchyleiſcher
Compoſitiouen benugt und vertheilt, für die verlorene Tragödie
‚etwa folgende dramatifche Hauptpunkte:
„Durch Prometheus Rath ift es, daß den Kronos und def:
fen Genoſſen der Abgrund des Tartaros birgt.” Umfonft bat
Zeus fhon lange gekämpft, dann befreit er nach Promerhens
Rath die Kyklopen und diefe geben ihm den Blitz, dem Pofei-
don den Trident, dem Pluton den bergenden Helm, fo lautet
die alte Sage; vielleicht hat ſchon Aiſchhlos die Kyllopen als
Dämonen der Schmiede dargeftellt, fie bilden den Chor der
Tragödie. Bon ihnen mit Waffen verfchen fiegen die Götter,
und die bewältigten Titanen, Die in der dritten Tragddie als
Chor erfheinen, mögen den Siegeszug der Götter geſchmückt
haben. Die erfte der drei Scenen des Stüds enthielt alfo den
Ausgang der Titanomachie. Nicht unwahrſcheinlich ift es, daß
Kronos ſelbſt hier auftrat, und jenen Fluch ausführlich ſprach,
der im gefeffelten Prometheus V. 912. nur angedentet wird.
In diefer Scene muß denn vor. Allem die Berechtigung der
Sieger deutlihft hervorgehoben fein, und der Chor der Kyklo⸗
pen konnte es um fo eher, da fie, obfhon fie dem Kronos im
Kampf gegen Uranos den Sieg mit errungen, von ihm aufs
Neue in den Tartaros geftürzt waren.
Die zweite Scene wird die Bertheilung der neuen Him⸗
melsämter umfchloffen haben, wie fie Zeus unter Promerheus
Mitwirkung vornahm. Darım fagt Prometheus B. 977. er
baffe all und jeden Gott, fo viele zum Dank für Gutes an
ihm übel thäten. Sie alle danken ihm. ja ihre neuen Ehren.
Da ift es denn, wo Apollon das Amt der Weiffagung erhält,
404 Erſte Tragödie.
und Hermes das Amt als Bötterbote; da wirb dem Hephalltes
das übertragen, was er bald als ein ihm hundertfach verhaßt
Bewerb (Bromerheus B. 45.) verwünſchen, von dem er wün-
fchen wird, daß es lieber jedem andern zugefallen fein möge.
(B. 48.) Waren die Kyoklopen dem Dichter das, was oden be⸗
zeichnet vonrde, fo traf ja auch fie eine Beraubung, bie, wenn
fie fie auch erwartet hatten, ihnen doch Anlab werden Tonnte,
in ihren Chorgefängen fi von dem Sntereffe der neuen Herr
fcher abzuwenden. Noch bleibt ein Amt zn vergeben, bie
Sorge für die unfeligen Tagsgeſchöpfe; aber für fie findet ſich
fein Bertreter; Zeus wi, ſtatt für fie zu forgen, fie vernich⸗
ten, mit andern Geſchöpfen die Welt erfüllen. Vergebens und
immer heftiger und doch vergebens wibderfpricht Prometheus
(f. die Scholien zu V. 473.), Zeus bleibt hart und Rreng in
feinem Willen, bis ihm jener den Spruch verkündet, daß
aus ſtaubgebornem Saamen einft ein fierblih Weib
den Helden gebären werde, der ihn vor dem Fluch Des Vaters
allein retten Tbnne. Zens dringt in ihn, das Weitere zu ver⸗
künden; er hält es für Heiler
Zu ſchweigen, wo es noth ik, und, was zeitgemäß,
Zu fügen;
er übericht ja ſchon, daß trog aller feiner guten Hälfe Zeus
ihm nicht freund bleiben wird.. Aber ſchon dieß reizt bes neuen
Herrſchers Zorn wider ihn. Wenn in der zweiten Tragdbie
‚Hermes Tommt zu erfragen, von weldher Ehe, die Zeus ges
fährden werde, Prometheus fpreche, und diefer hartnäckig jede
Antwort weigert, fo antwortet ber Götterbote, mit chen ſolchem
Eigenfinn habe er fi ja alles Unheil bereitet (B. 967). Frei:
kich entſchließt fi Zeus in folher Ausſicht, das Geſchlecht ber
Sterblichen nicht zu vertilgen, aber elend und ohne Bertreter,
‚wie es fei, ſolle es bleiben; und Promerheus nimmt es dam
Der feuerbringende Prometheus. 45
über ſich, unbelünmmert um der Götter Zorn, der Menſchheit
Vertreter zu werden.
Wenn Prometheus (B. 235 2c.) den Okeaniden erzählt has,
daß er es den Menſchen gewonnen, nicht vertilgte zu werden,
und daß er darum al fein Leiden dulde, fo fragen fie ihn, ob
er doch auch nicht weiter gegangen fei, ale er fage; und er aut⸗
mwortet, daß er ihnen für die Kunde der Zukunft die Hoffnung
gegeben, und daß er ihnen das Feuer gebracht habe. Da it
er fhuldig geworden (3.260), da hat er „über Recht hinaus“
feine Menſchenhuld geübt (V. 30.948), er hat, was des Gottes
war, den Menfhen gewährt und fo die neue Weltordnung,
die er felb mitgegründet (V. 305), und deren Ehren und
Pflicht er ſelbſt mitgeordnet, verlegt. Er fagt, germ häbe er
gefrevelt, geru zum Heil der Menſchheit fih dieſes Leid er
zeugt; aber freilich, das habe er nicht erwartet, dafür fo furcht⸗
bare Strafe zus leiden (V. 267). — Dieß wird deu Inhalt der
dritten Scene gegeben haben.
Wenn Promerhens zu Hermes gefagt hat (DB. 975), er
haſſe alte Götter und ihn mit, fo fragt der, ob er ihm denn
auch Schuld an feinem Leiden vorwerfe? Er wirb fi bewußs
fein, daß ihm Prometheus irgend etwas, was er in feinem Pflicht:
eifer für Zens gethan, fo auslegen könne. Und die Exbitterung,
mit der ihn Prometheus anredet ald Götterbuben, ale Zeus
Läufer n f. w. beweiſt eben fo deutlich, daß fie beide bereite
in irgend einer Beziehung dem Zuſchaner vor Augen geflanden.
Bor den Augen der Zuſchaner wird Promerheus an der himm⸗
liſchen Hephaiſtosfſlanme feine Ferulſtaude entzündet haben,
den Funken den Sterblichen zu bringen; Hermes wird der Spä⸗
her geweſen fein, und in diefem „Frohndienk‘ (DB. 968) Pros
metheus beim Feuerraube belaufche, vielleicht nmfonf zu bins
dern gefucht haben. Dann zeigt er es dem Herrfcher Zeus an,
und dieſer fpricht, vielleicht in der Verſammlung bes Götter,
406 Erfte Tragödie.
fein Urtheil über den Frevler; er gebietet feinen Dienern Ge:
walt und Kraft, ihn zu greifen, und dem Hephaiſtos, ihn an-
zufhmieden am fernften Saume der Welt; dort an den Klip-
pen des Kaukafos foll er dreißig Zahrtaufende ſchmachten, es
fei denn, daß er fich füge und verfünde, wiefo einft eines Wei:
bes Sohn ihn, den Zeus, retten werde. —
Dieß etwa find die Punkte, die fih mit einiger Sicherheit‘
berausfiellen, aber es fehlen noch viele andere Momente zu ei«
ner auch nur einiger Maaßen befriedigenden Beranfhaulihung;
es dienen die in der erhaltenen Tragödie befindlichen Anden-
tungen nur dazu, den fuchenden Blid zu verwirren.
Für die im Obigen bezeichneten Vorgänge dürfte Feine
andere Localität ausreichend fein, als die des Olymp ſelbſt,
vieleicht als Königsburg des Zeus dargeftellt (DB. 123. 937).
Selten har Aiſchylos einen Charakter firenger und glück⸗
licher gezeichnet als den des Dfeanos; es wäre befonders Ichr-
reich zu erfennen, wie er ihn in der erften Tragödie eingeführt
hatte. Denn daß es gefcheben, ift aus Dfeanos Neden klar;
er fpricht von Promerheus unbeugfamem Trotz fo, daß man
wohl fiebt, er muß bei jenen Verhandlungen im Olymp zuge
gen gewefen fein. Er erbietet fich zu einem Verſuch, Zeus zu
verföhnen; er hofft, ihm zu Liebe wird Zeus nadgiebig fein; er
muß irgend wodurch ſich Anfprühe auf feine Gunft erworben
haben oder Beweife derfelben zu befigen glauben; freilich bat
er nicht Muth genug, ſtark aufzutreten oder fein gutes Ver⸗
nehmen mit Zeus auch nur im Entfernteften bloß zu fielen.
Und doch nennt Promerheus ihn einen Beneidenswerthen, daß
er frei fei aller Schuld, der doh an Allem Theil genommen
und für ihn gewagt habe (DB. 330). Wie war das nun mo»
tioirt? Die Sage läßt uns im Stich; fie berichtet nur, daß,
als ſich Kronos und die Titanen gegen Uranos empört, Oke⸗
anos ber einzige Titane gewefen fei, ber fih entfernt gehalten
\
Der fenerbringende Prometheus. 407
habe. So mag er denn gegen Kronos mit Prometheus und
Gaia und Themis auf Zeus Seite geftanden haben. Aber es
wird nicht bloß diefer gleiche Liebesdienft fein, um den Prome
theus meint, daß er Zeus gleihen Haß verdient oder zu
fürchten babe. Hat auch er vielleicht, wenn auch nur ganz bes
fheiden, für die Menſchen zu fprechen gewagt? unwahrfcein-
lih, da Prometheus fagt, er von allen allein habe es gethan.
Hat er nach dem Feuerraub den Thäter zu entfchuldigen ver
fucht? er würde nicht noch einmal fih an Zeus wenden wollen.
Dfeanos fagt (DB. 292), er wiſſe niemanden, auf den er mehr
bielte, als auf Prometheus; eine Aeußerung, zu der ebenfalls
in der erftien Tragödie Anlaß geweien fein muß. Kurz. dem
fsuchenden Blick fcheint fih hartnädig jede Spur entziehen zu
wollen. es
Im gefeflelten Prometheus nimmt So eine fehr bedeu-
tende Stelle ein; für den Zufammenhang der Trilogie ift fie
von der bedentendften Wichtigkeit, die eindringlich dadurch ges
macht wird, daß in der dritten Tragödie ihr Nachkomme He:
talles in der entfprechenden dramatifcheg Stelle auftritt, das
Werk zu erfüllen, von dem ihr Prometheus im Voraus gefagt
bat. Es fcheint durchaus wahrſcheinlich, daß bereits in der er-
fien Tragödie auf fie und ihr Geſchick hingedeutet worden, daß
namentlih ihr Vater Inachos dem Zuſchauer vorgeführt war.
Fo gilt, wenn fhon ihe Vater des Okeanos Sohn if, für eine
Sterblihe (B. 739); von einer fierblihen Mutter alfo war
fie geboren; da mochte denn wohl für Inachos, ja für Okea⸗
nos Anlaß fein, als Zeus Vernichtung über das Geſchlecht der
Sterblihen verhängen wollte, bittend entgegenzutreten; da war
es auch für fie, wenn Prometheus die Menfchen rettete, und
Okeanos hatte Grund, auf ihn mehr zu halten, als auf irgend
einen anderen CB. 292).
Vielleicht fchließt fih hieran noch die Erklärung einer an-
408 Erſte Tragödie.
bern Beziehung im gefeflelten Prometheus. Der Chor ber
Okeaniden fagt, gar anders habe das Lied geklungen, das fie
gefungen hätten, als Prometheus ihre Schweſter Hefione heim⸗
führte (V. 557). Man hat geglaubt, das dieß Branttied im
der erſten Tragödie müſſe vorgekommen fein. Es wil fi das
im Beine dramatiihe Combination recht fügen; höchſtens mag
des dankbare und väterlich ſorgſame Okeanos einen bezüglichen
Bers an Prometheus gefagt haben.
Jedoch geung des Vermuthungen. Die wenigen fichren
Spuren find ausreichend, fich die Grundlage der Beziehungen
wiſchen der erſten und zweiten Tragödie vorftellig zu machen.
Sm unklarften iR die GSeftaltung der Schlußſcene; vielleicht be⸗
richtet Hermes nur als Bote den furdtbaren Befehl des Zeus,
defien Ausführung gleih der Anfang der zweiten Tragödie
zeigen wird.
Zweite Tragödie.
Der gefeffelte Prometheus.
— —
Perſonen.
Kraft und Gewalt, Rieſengeſtalten.
Sephaiſtos.
Prometheus.
Chor der Okeaniden.
Okeanos.
Jo, Inachos Tochter.
Hermes.
(Felfiges Meeresufer, linke die offene See, rechts wildes @ellüft. Von
rechts ber kommen Hepbaiftos mit Hammer und Ketten, Rraft
und Gewalt, bie den Titanen Promethens gefeffelt führen.)
410 Zweite Tragöbie.
Kraft.
Zum fernen Saum der Erde find wir nun gelangt,
Zur Skythenſtraße, menfhenöder Wüftenei.
Hephaifos, du wirft eingeben? jept fein des Amts,
Das dir der Vater übertrug, den Frevler hier
In diamantner Felleln unlösbarem Neg 5
Hoch anzufhmieden auf den gipfelfteilen Fels,
Denn deines Kleinods, wunderfünflichen Feuers ſtahl
Er einen Funken, gab ihn bin den Sterbliden.
Den Frevel foll er büßen jeht den Ewigen,
Auf daß er lerne, fih Kronions Herrenthum 10
Zu fügen, feiner Menfhengunft Einhalt zu thun.
Sephaiftos.
Gewalt und Kraft, euch Beiden hat nun Zeus Gebot
Ein Ende; nichts mehr ſteht zu thun euch noch bevor.
Doch ih — der Muth verfagt mir, einen verwandten Gott
Mit Gewalt zu fhmieden hier an unwirthbar Geklüft. 15
und doch den Muth zu haben zwingt Nothwendigkeit;
Des Baters Wort mißachten ift die ſchwerſte Schuld.
Hochſinniger Sohn der weifen Themis, unbereit
Dich unbereiten fol in Eiſenbanden ich
unlösbar fchmieden hier an menfhenöden Fels, 20
Wo nie Geftalt, nie Stimme eines Menfchen dir
Sich naht, vom Maren Strahl der Sonne dir gedörrt
Der Glieder blühnde Kraft dahinwelft; vielerfehnt
Hült dann den Tag dir ein die buntgewand’ge Naht,
Schmilzt dann den Frühreif wieder fort der Sonne Blid. 25
So ſtets von jedem Elend jeder Gegenwart
Wirft du gequält; da if niemand, der helfen kann.
Den Dank gewinnt dir deine Menfchenfreundlichkeit!
B. Die Skothen im fernen Norden haben mehrfach Heeres
züge — "Süden, befonders nach Kleinaflen gemacht.
a ee
Der gefeflelte Prometheus.
Denn unbefümmert Gott du um der Götter Zorn,
Gabſt Ehre du den Menſchen mehr als du gefollt.
- Drum wirft du Hüter diefes öden Felfens fein,
NRichtaufgefeflelt, fchlaflos, ungebeugt das Knie,
Wirſt viele Tammerklage, vieles Weh und Ad
Dergebens fchrein; denn umerbittlich züruet Zeus;
's ift fireng ein jeder, der in neuer Macht regiert.
Kraft.
Auf, auf! was ſäumſt du und bedanerft ihn umfonf?
Wie haſſeſt du nicht diefen gottverhaßten Gott,
Der doch den Menfchen frevelnd dein Kleinod verrierh?
: Sephaiftos.
Ein Großes is, verwandt fein, alt befreundet fein!
Kraft,
Ich glaub's; doch unfolgfam des Vaters Worten fein,
Wie ift es möglich? fcheuft du es nicht um vieles mehr?
Dephaiftos.
Stets ohn' Erbarmen bift du und voll wilden Trotz!
Kraft.
Es hilft ja doch nichts Thränen ihm zu weinen; drum
Muh dich umfonft nicht mit fo ganz Vegenngen
Sephaiftos.
D diefer. Hände hundertfach verhaßt Gewerb!
Kraft.
Warum verhaßt dir? denn mit einem Wort, des Grams,
Der jet dich drück, — deine Kunſt dir keine Schuld.
ephaiftos.
Und doch, o hätte jeder — fie erlooſt!
Kraft..
Es ward den Göttern alles, nur nicht Herr zu fein;
Denn frei und Selbfiherr nennt du niemand außer Zeus.
Hephaiſtos,
Ich ſeh's; entgegen dem zu ſprechen hab' ich nichts!
—— 58
Of THE
uNıVveRsIry
411
35
45
50
‘ 412 Zweite Tragödie.
Kraft.
und eilt dich Boch nicht, gleich mit Feſſeln ihn zu umfahn,
Damit dich fäumig nicht der Bater möge fehn?
Hephaiſtos.
Bereits zur Hand mir ſiehſt du ja die Ketten auch!
Kra
ft.
Um die Hände leg’ fie, ſchmiede fie ihm ans voller Kraft 55
Mit deinem Hammer, nagle fer Ke an den Fels!
j . Sepbaiftos,.
Schon faßt es; nicht ik meiner Arbeit Werk umfon!
Kraft.
Schlag’s mehr, nocd mehr ein! Teil es feſt! laß nirgend nad!
Der weiß fih Rath zu finden, wo’s unmöglich ſcheint.
Oephaiſtos.
gs iſt unerlösbar jetzt geſchloſſen dieſer Arm. 60
Sraft.
Sp ſchmiede fiher auch den andern an, bamit
Er lernt, vor Zeus fei feine Schlauheit eitel Nichts.
Hephaiſtos.
Wohl außer dieſem keiner tadelt mich mit Recht.
Kraft
Des diamantnen Keiles ſchonnngelofen Zahn,
Hier durch die Bruſt Hin treib’ ihm den mit aller Kraft! 65
Hephaiſtos.
Weh dir, Prometheus! ach ich ſeufz' um deinen Schmerz!
Kraft.
Du zögerft nochmals, ſeufzeſt um den Feind des Zeus?
Das nur du ſelbſt nicht um dich felbft einft jammern mußt?
Hephaiſtos.
Du ſiehſt ein Schauſpiel nicht mit Augen anzuſchaun!
Kraft
Des wohlverdienten Lohne Kefchieden feb’ ich ihn. 70
Auf! um die Seiten leg' ihm an den Gifengure!
[
Der gefefielte Brometheus. 413
HSephaiſtos.
Ich muß es thun; befiehl es nicht zum Ueberdruß!
Kraft.
Ja wohl befehlen, an dich treiben obendrein!
Eteig’ nieder, ſchnüre jegt den Schenkel eifern ein!
Sephaiftos.
Gethan if das auch ſonder lange Mühe nun! 75
Kraft.
Fest ſchlage tüchtig ihm der Kette Stift in den Fuß;
Denn deiner Arbeit Richter ift, du weißt es, fireng!
Hephaiſtos.
Dein Reden lärmt entſprechend deiner Troggeſtalt!
Kraft.
Sei du ein Weichling, aber weinen Eigenſinn
Und meines Zornes Streuge mach' mir nicht zur Schuld! SO
Sephaiſtos.
So laß uns gehn; feſt liegt um ihn das Eiſennez.
Kraft.
Hier trotz' und frevle, hier entwend’ den Göttern ihr
Kleinod und bring’ es deinen Tagsgeſchöpfen. Was
Bon deinen Qualen ab dir fhöpfen können fie?
Falſch heißt Prometheus du der Borbedbächtige 8
Den Göttern; felbft braucht einen Vorbedächtigen du,
Mir weiher Wendung diefem Nep du dich entwirrſt!
(Kraft, Gewalt, Hephaiftos ab.)
Brometheus.
(an der Höhe des Felſens angeſchmiedet.)
D heil’ger Aether! ſchnellbeſchwingter Windeshauch!
Ihr Stromesquellen! du im Wellenfpiel ber See
Unzähliges Lachen! Erde, Allgebärerin! 90
Du allesſchauend Sonnenang', euch ruf' ich an!
414 Zweite Tragẽdie.
Seht her, was dulden ich ein Bott von Göttern muß,
Seht her auf mid, wie in Schmach, wie in Qual,
Wie zerbrochen ich hier Sahrtanfende lang
Hinmühen mich fol. Und das hat mir 95
Der Unfterblihen neuer Gebieter erdacht, —
Mir Ketten, mir Schimpf!
Weh! weh! um das Zest, um der Zukunft Dual
Wehklag' ih umſonſt! Wie wird jemals
Denn der Mühfal Ende mir tagen? 100
Und doch, was fag’ ih? klar im Voraus weiß ich ja
Ar meine Zukunft; unerwartet fommen wird
Mir keine Trübfal. Mein Berhängnip muß ih denn,
Sp leicht ich Tann, ertragen, im Bewußtfein, daß
Die Gewalt des Schickſals ewig unbezwinglid if. 105
Und doch verſchweigen mein Geſchick, verfhweigen nicht,
Unmöglich ift mir beides. Weil den Meufchen ich
Heil brachte, Darum trag’ ic) qualvoll diefes Joch.
Sm Ferulftabe glimmend ſtahl ich ja des Lichte
Verſtohlnen Urquell, der ein Lehrer aller Kunft 110
Den Menfchen wurde, neuen Lebens reicher Strom.
Und diefe Strafen büß' ich jegt für meine Schuld,
In Ketten angefchmieder hoch in freier Luft!
Horch! wehe!
Weh! welch Geräuſch, welcher Duft weht mir zu, fremd,
geſtaltlos? 115
Von Göttern? oder Sterblichen? oder beiden zugleich?
Naheten gar ſich zu dem fernen Geklüft
Neugier'ge meines Leides? oder wozu ſonſt?
So ſeht gefeſſelt mich den unglückſel'gen Gott,
Mich Zeus Abſcheu, mic verſtoßenen Feind 120
Der unſterblichen Götter zumal, fo viel
Eingehn in des Zeus goldleuchtenden Saal,
Der gefefielte Prometheus. 415
Weil zu viel Lieb’ ich den Menſchen gehegt!
Weh mir! aufs Neu? tönt her das Geſchwirr
Wie von Vögeln im Wald, und es flüftert die Luft 125
Bon der Fittige leiſ hinfhwebendem Schlag!
Was naht, mir naht es zum Grauſen!
Von der Meeresſeite her ſchweben auf vogelbeſpannten Wagen durch
die Luft die geflügelten Okeaniden vor dem Felſen bes Prometheus
herüber und hinüber, nnd fingen im abwecfelnden Eborliede.)
Ebor.
(Strophe 1.)
Du fürdte nichts; freundlichen Sinns
Iſt unſre Schaar wechfelgefhwinden Flügelfchlags diefem Ges
länd
Eilig genaht; fobald ich 130
Des Vaters Herz endlich ermeicht,
Trugen mich her die gefhmwinden Lüfte.
Des Hammers weithallender Schlag
Durddrang der Meergrotte Gemach, er jheuchte mir
Schenen die blöde Scham fort;
Schuhlos in beflügeltem Wagen kam id. 135
Bromethens.
Weh! weh!
Dem gefegneten Schooß ihr der Tethys erblüht,
Ihr Töchter des rings um die Welt fein Meer
Schlaflos Hinftrömenden Okeanos,
Seht, Mädchen mich an, o ſchauet empor, 140
Wie gefeſſelt ich hier, wie mit Ketten beſchwert
Ich am Felſengeſtad, am zerriſſnen Geklüft
Unbeneidete Wacht muß dulden!
Chor.
(Gegenſtrophe 1.)
Prometheus, wohl ſeh' ich's; erſchreckt
416 Zweite Tragödie.
Ja trübte vorbrechender Thränen Than mir dichtfallend ben
Blick,
Alſo dich ſehn zu müſſen
Qualvoll dahinwelken am Fels
Unter der Laſt diamantner Banden;
Ah neue Herrn find in Olymp
Am Ruder jegt; neuem Geſetz gemäß regiert 150
Ohne Gefepe Zeus jetzt;
Das früher Gewaltige, jegt vertilgt er's!
i Yrometbens.
Hätt' unter die Erd’ in des Hades Reid,
An des todtenbehanfenden Tartaros Nadıt
Er hinab mic geftürzt, mich mit ewigem Erz
Weberlaftend, damit nur nimmer ein Gott, 155
Roh ein anderer je mein lachte zum Spott!
Doh ein Spielzeug jept hie den Lüften erbuld'
Ich den Feinden ergöglihes Elend!
Chor.
(Strophe 2.)
D wer der Götter hegte ſolch' verhärtet Herz, fih dep’ zu
erfreum! =
Wer fühlte nicht mit deinem Leid
Mitleid? nur Zeus nicht, der in Erbittrung fort und fort.
In nimmer gebengtem Uebermuth
Uranos göttlih Geſchlecht knechtet!
Nimmer ruht der, es ermüde das Herz ihm denn, oder ent⸗
riſſen ihm 165°
Werde mit Liſt die verhaßte Gewalt eink.
Bromethens.
Mein, mein no einft, ob in gliedmarternden
- Erzbanden zur Schmach ich verdammt jegt bin,
Mein einft hat Noth der Unſterblichen Herr,
Der gefeffelte Promeiheus. &17
Daß den neuen Verrath ich enthülle, der ihm 170
Sein Scepter und Reich zu entreißen fich nabt.
Dann nit von dem honigfüßen Geſchwätz
Der Beredfamfeit ihm erweicht, nicht bang
Bor dem wildefien Dräun fol je mein Mund,
Was ich weiß, ihm enthül’n, er befreite mir denn 175
: Bon den Ketten den Leib, und bequemte ſich, fo
Unwürdige Schmach mir zu büßen!
" &hor.
(Gegenſtrophe 3.) .
Du biR zu hart und fügeft felb im dieſen bittven Qualen
dich nicht,
Goͤnuſt gar den Mund zu dreiſtes Wort. 180
Doch meinen Buſen zerreißt mir ſchneidende Herzensangſt;
Denn ich fürchte ſehr um dein Geſchick.
Deiner nufäglihen Qual Ende
Bann eriheint’s, wo du den Hafen erreichſt? denn es hegt
ein verſchloſſenes,
Streng nuerbittliches Herz Kronion. 135
Promethens.
Wohl weiß ich, wie hart, wie in Willkühr Zeus
Sein Recht ausübt; und doch wirb fehr
Sanftmuthig dereinft
Er erfheinen, wenn fo er gebrochen ſich fühlt;
Dann tilgend den unnachgiebigen Zorn 1%
Wird wieder zum Bund und zur Freuudſchaft er
Den Bereiten bereiter fich zeigen.
Chortäbrerin.
So offenbar’ ung -alles und erzähl’ es uns,
Um weder Urſach Willen Zeus denn Dich ergriff,
Daß alfo ſchmachvoll und erbittert er dich ſtraft; 195
Belehr' mic deſſen, wenn's dich nicht zu fagen ſchmerzt.
37
418 Zweite Tragoͤdie.
nr Prometheus.
Ja wahrlich ſchmerzvoll iſt's davon zu ſprechen mir,
Schmerzvoll zu ſchweigen, bittrer Kummer überall.
Sobald der himmliſchen Mächte Groll entzündet war,
Und helle Zwietracht wechſeleifernd fid) erhob, .. .
Die Einen Kronos flürzen wollen feines Throns,
Daß Zens hinfort Herr wäre, wieder Andere
200
Sid müh'n, daß Zens der Götter Herrihaft wicht erlangt,
Da rieth ih wohl das Beſte; doch befänftigen
Die Titanen, Gaias Kinder und des Uranos,
Das Tonne ich nicht; fie, meinen friedlich Tlugen Rath
Mit Spott verwerfend in des Muthes wilden Trotz,
Gedachten mühlos fih zu behaupten durch Gewalt.
Doch hatte mehrfach meine Mutter Themis mir
Und Gaia, ‚vieler Namen eine Urgeftalt,
Den Pfad der Zukunft ſchon vorherverkündiget:
Richt durch Gewalt fei, nicht in ſtolzer Uebermacht,
Es fei in Liſt nur fiher der jegt Gewalt'gen Neid.
Und als ich ihnen diefen Ausfpruch deutete, B
Kaum drauf zu hören hielten fie der Mühe werth.
Bon allen Wegen, die ih damals vor mir fah,
Schien mir der befte, daß ich nebft der Mutter mid)
Mit Zeus verband, freiwillig ihm Freiwilligen.
Durd meinen Rath iſt's, daß zur Stund des Tartares
Nachttiefer Abgrund birgt des greifen Kronos Leib,
Mir ihm die Kampfgenoffen. Und alfo von mir
Vielfach gefördert hat des Götterreihs Thrann
Mit diefem Undank bittrer Strafen mir gelohnt;
Denn anzuhaften pfleget aller Tyrannei
Auch dieß Gebrechen, treuften Freunden nicht zu traum.
Doch was ihr fraget, welcher Urfach wegen er
Mich fo Hinansftieß, will ich euch erflären. Denn
J
205
210
220
225
Der gefefielte Prometheus. 419
Sobald’ er feines Baters heil’gen Thron beftieg,
Sofort vertheilt er Ehr’ und Amt den Ewigen,
Je andern andre, und verlchnt des weiten Neiche 230
Gewalten; einzig für die armen Menfchen trug
Er keine Rückſicht; ganz zu vertilgen ihr Geſchlecht,
Ein andres neues dann zu fhaffen, war fein Plan.
Da trat denn niemand ihm entgegen außer mir;
Ich aber wagt’ es, ich errang’s den Sterblichen, 235
Daß nicht zerfchmertert fie des Hades Nacht verjchlang.
Darum belafter ward ich fo mit diefer Qual,
Zu tragen fchmerzvoll, anzufhaun erbarmenswertb.
Und da ih Mitleid hegte den Menſchen, ward id) felbft
Dep’ nicht gewürdigt, fondern unbarmherzig bier 20
Felsangefchmieder, Jammeraublick Zeus zu Schimpf!
Chorführerin.
Der trägt ein Steinherz und die Bruſt iſt ſtarres Erz,
Der dir, Prometheus, nicht im Tiefſten deine Qual
Mitfühlt; denn ih — nie hätten meine Augen dieß
Sehn müffen — da ich's nun gefehm, bricht mir das sen! 215
Prometheus. ;
Den Freunden freilich bin ich jammervoll zu ſchaun.
Chorführeriu.
Du bift doch weiter nicht gegangen, als du fagft?
Prometheus.
Ich nahm's den Menſchen, ihr Geſchick vorauszuſehn.
Chorführerin.
Sag', welch cin Mittel fanden du für diefes Gift?
Prometheus.
Der blinden Hoffnung gab ih Raum in ihrer Bruſt. 250
Ehorführeriun.
Ein großes Gut ift’s, das dur gabft den Sterblihen.
Prometheus.
Und bot zum andern ihnen dar des Feuers Kuuſt.
«20 Zweite Tragddie.
| Chorfahretin.
Die Tageskinder kennen jegt der Flamme Blick?
Prometheus. 2
Der künftig tauſendfache Kunſt fie Ichren wird.
Ehorfübrerin.
um diefen Frevel alfo ift’s, daß Zeus dih fo — 255
Bromethend.
Mir Schmach und Qual firaft und die Dual nie mildern wird.
Eborfäßrerin.
Und aud ein Ziel nicht diefes Leides ſiehſt du je?
Yrometheus.
Kein andres jemals, als wenn ihm es gefallen wird.
Ehorführerin.
Wie wird es? ift denn Hoffnung? ſiehſt du nicht, du Haft
Gefrevelt; wie gefrevelt, das zu fagen ift 260
Mir keine Frende, Kummer dir; fo Taf ich's gern;
Nur find’ Erlöfung irgend dir von Diefer Onal!
Promethenus.
Leicht iſt's, wenn fern dem Leide weilt der eigne Fuß,
Zu warnen, guten Rath zu weih'n dem Leidenden;
Indeß ich wußte ſelber alles das ja auch. 265
Gern, gern gefrevelt hab' ich, gern — ich läugn' es nicht —
Zum Heil der Menſchheit dieſes Leid mir ſelbſt erzeugt.
Doch glaubt' ich das nicht, unter ſolcher Strafe Laſt
Dahinzuſchmachten hoch an luft'ger Felſenſtirn,
Verbannt in dieß einſame nachbarloſe Land. 270
Und ſo beklagt mir meine jezigen Schmerzen nicht;
Kommt, ſteigt hernieder, höret mein zukünftig Loos,
Auf daß ihr einſeht, wie es fich alles fügen muß.
Thut's mir zu Liebe, shut es, theilt mein Leib mit mir
Der gefeftelte Prometheus. 4
Jetzt mühlbeladnem; weit und weiter ſchweifend Täßt 275
So Bram ſich nieder num bei dem, bei jenen dan.
Während des Folgenden fteigen die Dfeaniden hinab auf den fel-
figen Boden nnd ihre Wagen werden von den Rögeln zurückgefahren.)
Ehor.
Nicht unfolgſam dem, was du gewünſcht,
Sind wir, Prometheus;
Leichtfüßlgen Sprungs ſchon laß ich dem ſchnell
Hinſchwebenden Sig und die heilige Luft, 280 -
Für die Bögel den Weg. Dieb rauhe Geſtein
Fühlt wohl mein Fuß; — doch al dein Leid
Bon dir zu vernehmen verlangt mid.
- Bon der Moerfeite ber Tommt ber greife Dteanos auf feluem gan
Peinden Flügelmeerroß durch die Luft herein geritten bie vor Prome⸗
theus Felfen.)
DEcanod,
Bon weither komm' ich gefahren zu bir,
Promerhens, endlich am endliden Ziel, 23
Das der Bogel, behend in der Fittige Schwung,
Vom Gedanken gelenkt ohn' Zügel fih fand.
Dein Schickſal, veiff es, bemitleid’ id;
Denn Verwandfhaft ſchon iR, dent’ ich, ein Grund
Und ein zwingender mir; und dazu nod kommt, 3%
Daß id) niemand weiß, auf welchen ich mehe
Denn auf dich ſtets hielt;
Schn wirft du, wie wahr das gefprochen, wie fern -
Leer frenudlih Geſchwaͤß mir fi. Drum anf :
Und bezeichne, worie ich die beiſtehn fell; - 29:
Deun du follft aıir gefiehn, vor Okeauss fei
In der Welt Ten Freund dir bewährter!
4223 3Zweite —
Prometheus.
Ha ſieh! was iſt denn? Kamſt denn du * meinen Schmerz
Dir anzuſchauen? Wie gewannſt du's über dich,
Von deinem gleichgenannten Strom, vom Felſenbau 300
Der ſtillen Grotte fern zum eiſenzeugenden
Berghang zu fahren? Oder kamſt du, eignen Aug's
Mein Loos zu ſehen, mitzufühlen meine Qual?
Sich dieſes Schauſpiel, ich, Kronions Freund und Rath,
Der ſeiner Herrſchaft mächt'gen Thron ich mitgebaut, 305
Mit welchem Elend ich von ihm belaſtet bin!
Okeanos.
Ich ſeh's, Prometheus, und dir rathen will ich drum
Das wirklich Beſte, biſt du ſelbſt ſchon vielgewandt.
Erkenn' dich ſelbſt, geſtalte neu zu neuer Art
Dich um; denn neu iſt auch der Götter Fürſt und Herr. 310
Doch wenn du ſo wilde, zorngeſchärfte Reden noch
Ausſtößeſt, könnte Zeus dich, ſäß' er höher ſelbſt,
Leicht hören fo, daß deines jegigen Ungemachs
Geſammte Mühfal noch ein Kinderfpiel erſchien'.
Kein laß, du Armer, ab vom Trotze deines Zorng, 315
Und nur Errettung fuche dir-von diefer North. — -
Wie alte Weisheit fcheinet dir mein Wort vielleicht;
Und doch, Prometheus, für des allzuſtolzen Sinns
Zu ftolge Red’ ift aller Zeiten dieß der Kohn. '
Du nimmer dich befcheidend weicht feibft nicht dem Samen, 320
Und wirft dem jegigen neuen noch vereinigen.
Dod wenn du mir und meinem Nathe folgen willſt,
So löde wider den Etachel nicht mehr; denn du fiehfl,
Daß jegt ein ſtrenger Herrfher unumſchränkt gebent.
So geh’ ich feld derm zu ihm und verfuche, Dich, 325
Wenn ich's vermag, zu retten noch aus deiner Onal;
Du bleibe ruhig umd enthale des Tropes di
>
Der gefehielte Prometheus. 423
" Gang. Oder ſiehſt vor Allen. Weifer du denn nicht,
Daß deines Trogens eitler Lärm dir bricht den. Stab?
Prometheus.
Beneidenswerther, daß du frei biſt aller Schuld, 330
Der ſtets du Theil genommen und gewagt für mich!
Auch laß es jetzt nur, laß es unbekümmert gehn;
Du bewegſt ihn doch nicht; unerbittlich kennſt du ihn.
Hab' Acht, daß nicht ſchon dieſer Weg dir Schaden —
Okeanos.
Viel beſſre Lehre weißt du jedem andern denn, 335
Dir ſelbſt; die That, nicht Worte nur bezeugen es.
Doch meinen Eifer hältſt du nimmermehr zurück;
Ich hoffe, ja ich hoffe, mir zu Liebe wird
Zeus leicht gewähren, dich zu befrein von deiner Noth.
Prometheus.
Das werd' ich dir hochpreiſen jetzt und alle Zeit, 310
Denn alles beſten Willens haſt du g'nug; jedoch
Laß deine- Müh'; vergebens wirft du, ohne mir
Zu nügen, Müh' dir machen, falls du dich bemühft.
Nein, bleibe ruhig, bleibe fern von alle dem;
Deun wenn ich felbft muß leiden, wünſch' ich darum nicht, 345
Daß mehr und mehren gleiches Loos begegnen mag;
D nein! — denn fchon aud meines theuren Bruders Loos
Schmerzt mich, des Atlas, der in den Abendlanden fern
Des Himmels und der Erden Säule fteht und ſtützt
Mit feinen Schultern, eine [hmergewalt'ge Laſt; 330
Und auch den Rieſen, der in Kilikias Schlucht gebaut,
Des erdgebornen, hunderthäuptigen wilde Kraft,
Ich fah vol Schmerz gebrochen und bewältigt ihn,
Den mächtigen Typhon, der den Göttern allen ftand,
Aus grauſem Nachen zifhend flammenfpeienden Mord, 355
Aus wilden Auge fehlendernd wuthempörten Blig,
EU Bweite Tragoͤdie.
Als wollt' er Zeus Gewalt vertilgen mit Gewalt;
Da aber traf ihn ſchmetternd Zeus ſchlaflos Geſchoß,
Der niederfahrende, flammenſprühude Wetterfirahl,
Der alles Troges dräunden Uebermuth im ihm 2368
Erfhlug, indem durch“s Herz getroffen feine Kraft
Sn den Staub gefchmettert todte Kohl’ und Afche warb.
Und num ein Eraftlos welkdahingeſtreckter Leib
Liegt er des Meeres uferſteilem Eunbe nah,
Gedrückt vom Fuß des Aetna; anf der wolkigen 363
Bergkuppe fit und haͤmmert fein gluthſprühend Erz
Hephaiſtos; dorther werben Fenerſtröme einſt
Herniederbrechen, rings zerfleiſchen mit wildem Zahn
Die ſaatengrünen, ſel'gen Au'n Sicilias.
So wild hervor wird Typhon toſen ſeine Wuth 270
In des heißen Auswurfs flammenſchloſſenden Gluthorkan,
Ob and von Zeus Blizzſtrahlen ſelbſt ſchon laͤngſt verkohlt. —
Du aber biſt vorſichtig amd bedarfſt von mir
Nicht Rath; errette du dich ſelbſt fo gut du Faunf.
Sch aber werde trinken meiner Leiden Kelch, 375
Bis einft in Zeus Herz Hab nnd Zorn ich loͤſen mag!
Dteauob.
Haft du, Prometheus, nie bemerkt, wie Worte doch
Ein rechter Nest find für eis zorngereiztes Herz?
Prometheuns.
Wenn man zur rechten Stunde fänftigt das Gemüth,
Das fhwellende Herz nicht wider Willen niederdrückt. 380
DFeanob, i
Wenn aber fo Theilnahme fih bemüht, ja wagt,
Siehſt du darin Befahr ber Strafe? fag’ es mir.
Bromethens.
Berlorue Arbeit amd ein leeres gutes Herz!
Der gefeſſelte Beometheus. 425
Oteaunos. —
An dieſer Krankheit laß mich kranken; gern ertraͤgs
Der Treugeſonnene, daß er unbeſonnen ſcheint. 385
Yrometheus.
Es würde mein auch diefe Schuld geheißen fein.
Okeanopos.
Hinweg nad Haufe en mich deutlich dieſes Wort.
zometh eu.
Damit dir dein Mitleid Hi mich niht Haß erzeugt.
keauo%.
Des neuen Königs auf * allgewalt’gen Thron?
Prometheus.
Sehr hüte did, niemals zu kränken feinen Sinw! 390
Okeanos.
Dein Loos, Promecheus, ſoll wir ew'ge Lehre fein!
Prometheus.
Geh! fahre wohl! bewahre — ſo weiſen Sinn!
eanos.
Bereits zur Abfahrt — hör' ich deinen Rath;
Denn des weiten Aethers Pfade ſchlägt mein Vogelroß
Schon wild wit feinen Flügeln; es verlangt ihn auch, 395
Daheim den müden Huf zu ruhn auf weicher Streu.
tDteamos durk bie Luft nach der Meerfeite Bin ab.)
Wechſelgeſaug bes Chors.
(Strophe 1.)
Ich klag' um dein traurig Geſchick,
Prometheus, vorperien mir Thränen, meines Augs fenchtem
Geſtad zitternd entſtrömt; 400
Mit reichem Oueli nen’ ich die Flur
436 Zweite Tragoͤdie.
Der Wange; das fieht mir ja frei. Denn ad, in willkürlicher
Satzung herrſchet Zeus,
u u ‚zeigt er fein Ecepter der: Urzeit hehren
Göttern!
(Begenftrophe 1.)
Schon hallt von Wehklagen die Welt; 405
Der riefgen Urzeiten gedenk beweint fie dein, deines Geſchlechts
Ehrwürdig Neid, fummererfüllt;
So viele nur rings in der heiligen Aſia weitent Gefild woh⸗
nen, dein 410
Jammergeſättigt bittres Roos fühlen fie laut wehklagend
mit dir!
(Strophe 2.)
Kolchis Volt, die kampfgeſchürzten
Schlachtenkühnen Waffenjungfraumn,
Und die Skythen, deren Horden 418.
Rah dem fernften Geländ der Welt haufen am Ste Maiotis.
Gegenſtrophe 2.)
Und Arabias Heldenblüthe
Und die rings die ſteile Felsburg
Nah am Kaukaſus umwohnen, 420
Wilde Schaaren im Lärm der erzklirrenden Lanzen furchtbar.
(Epode.)
Nur einmal ſah' ich ſo noch einen Gott
Im Fluch diamantener Banden dulden,
Atlas ſo den Titanen nur, 425
Der ewig auf ihn gewälzter Weltenlaſten Unmaaß,
Ewig des himmliſchen Pols Laſt trägt mit ſeinen Schultern.
V. 414. Die Waffenjungfraun flud die Amazonen.
Der gefrfielte Prometheus. 427
Und klagend rauſcht der weiten See Wogenfihlag, die =
feufst,
Fern nachhallt Aides düfterer Abgrund,
Der heil’gen Steöme riefeinde Quell'n beweinen deine Trübfal.
® (Paufe.)
Bromethens.
Glaubt niht, Behagen oder Hochmuth Taffe mich
So fhweigen; tief nachfinnend nag’ ich wund mein Her, 435
Daß ich mich ſelbſt muß alfo tief erniedrigt fehn.
Und diefe neuen Götter fammt al? ihrer Macht —
Wer font denn ich hat ihnen alles ansgerheilt?
Doch ſchweig' ich davon, da ich, was ihr felber wißt,
Euch fagen würde; aber hört, was meine Schuldd 440
An den Menihen in, die, Träumer fon und ſtumpfen Sinns,
Des Geiftes mächtig und bemußt ich werden ließ;
Nicht einer Schuld zu zeihn die Menſchen, fag’ ih das,
Nur um die Wohlthat meiner Gabe darzuthun.
Denn font mit offnen Augen fehend fahn fie nicht, 445
Es hörte nichts ihr Hören, ähnlich eines Traums
Beftalten mifchten und verwirrten fort uud fort
Sie alles blindlings, kannten nicht das fonnige
Dachüberdeckte Hans und nicht des Zimmrers Kunft; :
Sie wohnten tief vergraben gleich den winzigen 450
Ameifen in der Höhlen fonnelofem Raum;
Don keinem Merkmal wußten fie für Winters Nahn,
Noch für den blumenduft'gen Frühling, für den Herbfl,
Den erntereihen; fonder Einſicht griffen fie
Alljedes Ding an, bis ich ihnen dentete 455
Der Sterne Aufgang und verhüllten Niedergang;
Die Zahlen, aller Wiffenfchaften trefftichfte,
16 Zweite Txagäbie.
Der Schrift Sehrand erfand ih nud die Erimuerung,
Die fageufundige Auıme aller Mufentunf.
Daun fpaunt’ in's Zugjoch ich sum erßen Wal deu Ur, 460
Des Pinges Sclaven; nud damit dem Mexſchesleib
Die allzugroße Bürde abgemonımen fei, .
Schirrt' ih das zügelſtolze Roß dem Wagen vor,
Des überreichen Pruntes Kleinod und Gepräng.
Und auch das meerdurchfliegend leingeflugelte 465
Fahrzeug des Schiffers ward von niemand eh’r erbant.
So mir sum Elend vieles Rathes vielgewandt
Den Reuſchen, bin ich alles Rathes baar unb bloß,
Mir jegt zu Iöfen dieſer Qual ſchmachvolles Loes.
Ehorfährerin.
Du trägfi ein ſchmachvoll Leid, entratben alles Rathe; 470
Du ſchwaukſt; dem ſchlechten Arzte gleich jept felbft erframlt
Berzagft du muthlos nud vermagk dir ſelbſt deu Zrant
Richt mehr zu finden, welcher dich gefunden Jäft.
Promethenus.
Laß dir das Weitre ſagen und erßaune macht,
Wie große Mittel, weiche Künſte ich erfand. 475
Das größte war’s, daß, wenn fie Krankheit nieberwarf,
Kein Mittel da war, feine Salbe, fein Bebräm,
Kein Brod ber Heilung, fondern aller Arzemei
Entrathen fie verfamen, bis fie daun yon mir
Belernt die Miſchung fegeusreicher Arzene, 489
Die aller Krankheit wilde Kraft zu fillen weiß.
Dann gas ich viele Weiten au der Seherkunſt,
Und ſchied zuerfi aus, was von deu Träumen als Geßcht
Zu nehmen, that dann alles Tone geheimen Sinn
Und aller Fahrt Vorzeichen forgfam ihnen fund, : 488
Beſtimmte deustih jedes krummgeklaueten
Ranbvogels Aufflug, weicher sraneig, welcher froh
Der gefefielte Prometheus. 48
Nach feiner Art fei, welches Ganges jegliche
Stch nähren, welcher Weife gegenfeitig fie
Freundſchaft und Feindſchaft Halten und Gefelligkeit; 40
Wie des Eingeweides Ebenheit den Emwigen,
Wie der Milz und Leber adernbunte Zierlichkeit
Und welche Farbe recht und wohlgefällig ſei.
JIndem zulegt ich dann ein Hüftbein opferte,
Dazu ein Nüdtheil fettumwickelt, ward ich felbft 495
Der fhweren Kunit Lehrmeifter, nahm vom Scherblid
Der Flamme fort die Blindheit, bie fie zuvor verbarg.
Sp weit von biefem, aber die im Erdenſchooß
Berborgenen Schäge, welche fein jept nennt der Menſch,
So Eifen, Erz, Gold, Silber, wer mag fagen, daß 500
Er diefe vor mir aufgefunden und benugt?
Niemand, ich weiß es, wenn er ſich lügend nicht berühmt.
So ift mit einem Worte, daß ihr furz es hört, N
Den Menfhen von Prometheus alle Kunft gelehrt.
Chorfährerin.
Nicht Hilf den Menſchen färder über alles Maaß, 505
Des eignen Unheils unbekümmert; denn ich bin
Der feiten Hoffnung, daß du einft noch diefer Qual
Entfeffeft, nice von mindrer Macht wirft fein denn Zeus.
Prometbeud.
Richt fo har Moira mir die Allvollenderin
Mein Loos gefponnen. Nein, in tanſendfachem' Schmerz 510
und Bram gebengt, fo geh’ ich einft aus diefer Haft, —
Und keine Lift beswingt des Echidfals ew’ge Kraft!
ein.
enn in feiner Hand?
Promethens.
Die Moiren und die allgedenken Erinuyen.
| Ehortähre
Wer lenkt bes Schickſals Nuder d
439 3Zweite Tragödie.
"&horfäübrerin. ;
Und Zeus if felbit ohnmächtig gegen ihre u! . 55
Yrometheus.
Dem verhängten Loofe kann er nimmermehr entflichn.
Ehprfähreriu.
Was fonft ift Zeus 2008, als zu herrſchen fort und fort? _
Sromethen®.
Das wolle nicht mich fragen, dringe nicht in mid).
Eborführerim.
»s ift wohl ein Heil'ges, was du fo bei dir verſchließt.
Prometheus.
Sprecht andre Dinge; das zu fagen iſt die Zeit 520
Noch nicht gekommen, fondern bergen muß ich es,
So tief wie möglih; denn bewahr’ ich dieß getreu,
So werd’ ich einſt nody meiner Qual und Banden frei! —
(Pauſe.)
Wechſelgeſang des Chors.
(Strophe 1.)
Nimmer erkühre ſich Zeus
Allgewalt mein Herz zu empörendem Trotze, - 53
Noch ich ſelbſt fei läſſig, mit heiligen Feſtſtieropfern den Goͤt⸗
tern zumal:
Fromm zu nahn bei Bater Dfeanos allraftlofem Strom; 530
Nimmer mir frevle der Mund,
Sondern dieß fei fe im mir, und jhwinde nun und
nimmer!
Gegeuſtrophe 1.)
Seliges Loos, wenn ich ſtill
Dürfte fernhin leben der freudigen Hoffnung, "535
Mein Gemüth zu weiden in fonniger Luft; doc faßt mid, ein
Graun, wie ih did
Der gefeſſelte Prometheus. 4
So in un ausſprechlichen Dualen erdrückt muß dulden fchn,
Weil du nad) eignem Nath 540
Sonder Furht vor Zeus zu hoch die Menſchen ehrſt,
Prometheus!
(Strophe 2.)
Wie verlaſſen die Liebe der Liebe, du Theurer! wo iſt Heil,
ſprich? 545
Von den Kindern des Tages welches Heil? du ſahſt nicht
Die verkümmerte, blöde Ohnmacht,
Die wie Traumgeftalten hinſchwankend das blinde Geſchlecht
Ueberneget der, Sterblihen! niemals wird von der menfchlichen
Kraft 550
Zend ew’ger Fügung vorgegriffen!
(Gegenfttophe 2.)
Ich erkenn' es in deiner unendlichen Schmerzenslaſt, Bro:
metheus!
Wie ſo anders erſchallt jetzt dieſes Lied denn jenes,
Das herüber von eurem Brautbad, 555
Eurem Brautdett klang⸗in hochzeitlicher lachender Luſt,
Da du unſere Schweſter im Brautſchmuck freudig die freu⸗
dige dir
Heimführteſt, Heſionen! —
438° BZweite Zragdbie.
In wilder Heftigkeit Tommt Io, bes Inachos Tochter, dahergeſtürmt;
die Hörner an ihrem Hanpt bezeichnen ihre Verwandlung zur Kub.)
Io, a
Welch' Land? welch' Volt? wen feh’ ich da hoch 560
In die Feffeln gebannt an dem hoben Geklüft,
Wie den Wettern zum Spiel? Um welch' Unrecht
Sollſt fo du vergehn? Gieb Kunde, wohin
Ich heimathlofe verirrt bin?
Weh mir! weh mir! 565
Es ftiht mich Arme, mich die Bremfe wieder! ;
Gefpenft, des Argos Niefenbild,
Bchrt ihm! huh! Entfegen! -
Den taufendaugigen, meinen Hüter feh’ ich!
Und er umfdhleicht mich fchon tückiſchen Haß im Blick,
Den auch erichlagen nicht dee Erde Gruft birgt! 570
Rein, von den Tiefen aufwärts wider mid Arine ſteigt er,
und feucht mich, jagt mich lechzende fort über dem fandigen
Strand einfam;
Zu mir herüber trägt der wachsgefügten Rohrflöte Shall
Sen Schlaflied fo ſüß! 575
Web, weht wohin, wohin fhweif ich, irr' ich fern in bie
Ferne fort?
Was denn an mir, 0 Kronos Sohn, was denn an mir
Haft du Urſach erkannt, daß du fo ſchwerer Dual Jod mir
auflegft, wehe, 580°
®. 567. Argos ift der von Hera beftellte taufendaugige Niefe, den
Hermes der Argostödter erfchlagen.
Der gefeflelte Prometheus. 433
Mit diefer wahnfinngeißeluden Angſt mid Angſtzerrüttete alſo
| marterft?
Sieh mir der Flammen Tod, birg in ein Grab mich tief, tief
ins Mer
Wirf mi dem Hay zum Raub!
Kein verfag’ nicht, Herr, mir dieſen einen Wunfc ! 585
Mein Schweifen fern in die Ferne hat ;
Mid g'nug gequält; nicht weiß ich mehr, auf welchem Pfad
Diefer Dual ich fliehn fol!
Du börft der fierhörn’gen Jungfrau Gefang? 590
Prometheus. —
Wohl ſchallt der wahnſinuſchweifenden Jungfrau Ruf herauf,
Des Inachoskindes, welche Zeus Herz einſt getränkt |
Mir füßer Liebe, jegt in endlos irrem Lauf
Bon Hera’s bittrem Haß verfolget und gequält!
Io,
Wie denn erfuhrft du meines Baters Namen fchon, ſag' es mir, 595
Mir der Gequälten? wer,
Dulder, wer bift du ſelbſt,
Daß du fo gar zu wahr mid Dulderin ſchon begrüßeft,
Und mir den gotträchenden Jammer benennft,
Der. mid) aufzehrt in Gluth, der mich aufpeiticht in ſchmerzglühn⸗
dem Wahnfinn! wehe! 600
Raſtloſen Schweifens ſtürmt' ih daher ohn' Trauk und Speife,
geſcheucht von Hera,
In der Verfolgung Haft fo überwältigt! Wer iſt gottverſtoßen
wie ih? wehe! wehe!
Wer wie ich gemartert? Dffendar’ du mir,
Was fürder mir zu erdulden bleibt,
Was fürder nicht mehr, wo ein Balſam meinen Schmerz?
Sag’ mir's, wenn du's weißeft. 610
O fag’s, gieb der irrfel'gen Jungfrau Beſcheid!
28
434 Zweite Tragödie.
Srometheus.
Ich will dir alles fagen, was du hören will,
Nicht rärhfeleingefchleiert, mein mit fchlichtem Wort,
Wie recht den Freunden fich des Freundes Dennd erfchließt:
Der den Menfchen Licht gab, 's ift Promethens, den du fiehft. 615
So.
D du den Menfchen allgemeinfam theurer Hort,
Sag' an, Prometheus, weilen wegen duldeft du?
Prometheus.
Kaum hört' ich auf zu klagen meinen ganzen Gram.
Jo.
Und du gewährteſt dieſe kleine Gunſt mir nicht?
Prometheus.
So fprid, was meint du? fagen will ich alles dir. 620
50.
So ſag' mir, wer dich an den Fels gefchlagen hat?
Promethens.
Des Zeus Gebot war's, a zu Hand gefhah’s.
Doch welches Frevels RN ot du Teiden bie?
Prometheus.
O laß genug ſein, daß ich dieß dir nur geſagt,
Jo.
Dann aber weiter, meiner Irrfahrt Ende, ſprich, 625
Wann wird es jemals nahn mir Unglüdfeligen?
Prometheus.
Daß du es nicht weißt, dir mehr, als daß du weißt.
Verbirg' mir nicht mehr, was 7— doch ertragen muß.
Prometheus.
Ich, glaub’ es mir, mißgoͤnne nicht dir dieſe Gunſt.
Der gefeflelte Prometheus. 435
Jo.
Was ſäumſt du dennoch, alles das mir kund zu thun? 630
Prometheus.
Mißdeut' es nicht; bein Herz zu betrüben ſäum' ich gern.
Jo.
Nicht ſorge du mein weiter, als mir ſelbſt erwünſcht.
Prometheus.
Weil du es wünſcheſt, muß ich ſprechen; höre denn.
Chorführeriu.
Noch nicht! des Wunfches gönnet mir auch einen Theil;
Zuvor erfahren laß mich diefes Mädchens Leid, 635
So daß fie felbit nennt ihr verderbenreich Geſchick
Und dann von dir hört ihrer Mühſal andren Theil.
Prometheus.
Recht wär’ es, To, daß du ihnen ſchon zu Lieb’
Dieß thuſt, die dann auch deines Vaters Schweftern find.
Und da zu Magen, auszuweinen feinen Sram, 640
Wo man des Mitleids Thräne von den Hörenden
Sich darf erwarten, das iſt wohl des Weilens werth.
Jo.
Auch weiß ich nicht, warum ich euch es weigern ſoll;
In klaren Worten ſollt ihr alles, was ihr wünſcht,
Vernehmen. Freilich auch zu ſagen ſchäm' ich mich, 645
Von wannen dieſes gottverhängte Wetter mir,
Der einſt'gen Schönheit grauſer Tauſch mir Armen kam.
Denn immer ſchwebten nächtige Traumgeſtalten ſtill
Herein in meine Kammer, und liebkoſ'ten mich
Mit leiſen Worten: „o du vielglückſel'ge Maid, 650
„Was bleibſt du jetzt noch Mädchen, da dir werden kann
„Die hoͤchſte Brautſchaft; Zeus erglüht in Liebe Dir
„Bom Pfeil der Sehnſucht; nad der Kypris füßem Kampf
„Berlangt’s ihn; du, Kind, weife von dir nicht den Kuß,
436 Zweite Tragoͤdie.
„Kronion’s; geh’ nun nad der tiefer Wiefenau,
„Ben Lerna, nad bes Baters Heerden und Gehöft,
„Daß feiner Sehnſucht ruhn des Bortes Auge mag.“
Und ſolche Träume Tamen mir vieltraurigen
In allen Nächten, bis dem Vater ich zulegt
Zu fagen wagte meine Traͤume, meinen Sram. 669
Der fandte nun gen Pytho, gen Dodona’s Wald
Vielfahe Frage, gu erfunden, was er thun,
Was fagen müßte, das die Götter gerne fäh'n.
Bald kamen feine Boten mit vieldeutigen, oo
Mit unerklärlih räthfeihaften Sprüchen heim; 665
Dann aber endlich kam an Inachos ein Spruch,
Der unverkennbar ums gebot und anbefahl,
Mich auszuſtoßen aus dem Haus, dem Vaterland,
Daß ich verftoßen ſchweifte bis zum Saum der Welt;
Und wollt’ er wicht, gluthzüdiend fahre dann bes Zend 670
Bligftrahl herab, all’ fein Geflecht hinwegzuthun.
Bon diefen Eprücen fo belehrt des Loxias
GStieß er mich von fi, fhloß des Baterhauſes Thor
Mir zögernden zögernd; doch es zwang allmächtig ja
Ihn wider Willen Zeus Gebot zu ſolchem Then. 673
und alfobald war Leib und Seele mir verkehrt;
Die Stirn, ihr feht es, ſtiergehörnt, endlos gequält
Vom Stich der Bremfe, irren Sprungs, wahnfinnoermwirtt,
So floh ih raſtlos gen Kechreias klaren Quell,
Zum Hügel Lerna. Und es Fam ein Rieſenhirt, 680
Der erdgeborne, wilde Argos hinter mir,
Zahllofen Auges fpähend, hütend meine Spur;
Doch unerwartet eines fohnellen Todes Raub
Sant Hin der Leid des Riefen. Wahnſinnaufgepeitſcht
Jagt ann der Böttin Geißel mich von Land zu Laud. — 685
Du haft vernommen, wie's gefhehn; doch fo du weißt,
es
ot
ot
Der gefeflelte Prometheus. 497
Bas mein noch wartet, fag’ es mir, verfüße nicht
Mitleidig mir mit falfhem Wort, was doch mid trifft;
Denn Unggewandie Worte find das fchlimmfte Gift.
©hor.
O laß! o laß! halt ein! wehe! 690
Nimmer, nimmer drang, fo ins Ohr mir drang
Noch nie fremdes Klagewort,
Nie mir fo unerträglihe, fo unfägliche
Marter und Qualen und Angft mit zweifchneid’ger Wunde
Eistalt in's tieffte Herz! 695
Weh Moira, Moira! /
Ein Braun faßt mich, Jo's Qual zu ſchauen!
Prometheus.
Du klagſt im Voraus, dich erfüllt Bekümmerniß;
Hals ein, bis du vernommen, was noch übrig iſt.
Ehorführerin.
Sprich, ſag' ihe alles; allen Kranken ift es Troft, 700
Was übrig noch des Leides, Mar voranssufehn.
Prometheus.
Was ihr vorher euch wünſchtet, habt ihr leicht von mir
Erreicht; denn hören wolltet ihr zunächſt fie ſelbſt
Von ihrer Trübſal ſprechen, ihrer Seele Gram.
Nun aber böret, welche Leiden weiter noch 705
Das arme Mägdlein dulden muß von Heras Zorn;
Du aber, Kind des Inachos, ſchließ' treu in's Herz
Mein Wort, damit du wiffeft deines Weges Ziel.
Zuerft von bier aus mußt du wenden deinen Fuß
Sen Sonnenaufgang, über ungepflügt Gefild. 710
Du kommſt zu Skythenhorden, die in geflochtenen
Korbhütten wohnen hoch auf Rädern magengleich,
Ferntreffende Bogen ihren Schultern umgehängt;
Nicht nah? dich ihnen, fondern fchen den Fuß gewandt
438 Zweite Tragödie.
-Zum meerumrauſchten Klippenftrand durcheil’ ihr Land. 715
Landein zur Linken wohnen dann die Chalyber,
Die Eifenfchmiede; hüte dich vor ihnen, fie
Sind wild und roh; Fein Fremdling kehrt zu ihnen ein.
Und weiter kommſt du an des Hybriftes wilde Flush;
Seh nicht hinüber, denn er bietet Feine Fubrt, 720
Bevor du Kaufafos höchſten Gipfel fiehft und dort
Ankommſt, wo braufend aus des Felfens dunkler Schlucht
Der Strom hervorflürzt. Diefe fterngenahten Höh'n
Dann überfchreitend mußt du mittagwärts den Weg
Hinunterfteigen, wo du der Amazonen Volk, 725
Der männerfeindlihen trifffi, die Themiskyra einft
Bewohnen werden beim Thermodon, wo im Meer
Die falmydeffifhe Klippendbay die Sciffenden
Ungaftlih aufnimmt, allem Schiff fliefmütterlich;
Eie werden ſelbſt dir freundlic, zeigen deinen Weg; 730
Zum timmrifhen Iſthmos dicht am engen Thor des Sees
Gelangſt du fo; geftählten Muthes mögeft du
Den Drt verlaflen, durh Maiotis Eund zu gehn;
Dort foll den Menſchen großes Zeugniß immerdar
Don deiner Wandrung bleiben, Bosporos der Sund 735
Nach dir genannt fein. Sceidend aus Europas Flur
Kommft du zum Fefland Aſia. — Wahrlich, fcheinet euch
Nicht aller Drten diefer Fürſt der Götter gleich)
Grauſam? denn weil ein Gott er diefe Sterbliche
Umarmen wollte, Iud er dieß Irrſal ihr auf. 740
Dir, armes Mädchen, ward ein arger Bräutigam;
Denn fieb, die Kunde, welche du bis jebt gehört,
Mag kaum ein Borfpiel dir erfheinen deines Grams.
Weh mir! weh mir! *
Der gefefielte Prometheus. 439
Prometheus.
Du jammerft laut und weineft! was gar wirft du thun, 745
Wenn du die andern Leiden alle noch erfährft!
Ehorführerin.
Sp wilft du mehr noch Fund ihr thun von ihrem Leid?
Prometheus.
Ein fiuemgepeitfchtes, Hdes Meer graunhafter Qual!
Jo.
Was fol das Dafein mir noh? warum flürg’ ich nicht
Mich ſchnell von diefem jähen Felsgeländ’ hinab, 750
Daß ich zerſchmettert drunten los fei aller Dual;
Denn beſſer ware fo mit einem Mal der Tod,
Als aller Tage dulden meine Dual und Notb!
Prometheus.
Dir müßte troftlos mein Geſchick zu tragen fein,
Dem auch der Tod nicht vom Verhängniß ward gegönnt; 755
Es wäre das doch noch Erlöfung meiner Qual;
Nun aber tagt Fein Ende mir zu Feiner Zeit,
Es ſtürze Zeus denn felbit hinab von feinem Thron.
Jo.
Geſchieht es je? ſprich, ſtürzet Zeus von feinen Höh'n?
Prometheus.
Froh, glaub' ich, wärſt du, ſähſt du ſelbſt einſt ſeinen Sturz!
Jo.
Wie könnt ich anders, ich die von Zens verſtoßene? 761
Prometheus.
Daß dieß in Wahrheit fo > wird, glaub’ es mit.
Wer wird der Herrfhaft ei ihm entreißen, fprich?
Prometheus.
Er ſelbſt ſich ſelbſt durch ſeines Raths Leichtſinnigkeit.
440 Zweite Tragäbie.
F Jo.
Auf welche Weife? fag’ es, wenn's ohn' Echaden if. 765
Bromethens.
Ein Ehebündniß ſchließt er, das ihn wird gerenn.
Jo.
Mit einer Göttin, einem Weib? ſprich, ſo du kannſt!
Brometheus.
Was fragft du? noch darf's nicht geoffenbarer fein!
30.
Und iſt's die Gattin, die ihn vom Throne flürzen wird?
Brometbens.
Eike zeugt ein, Rnäblein, mächtiger als ber Vater fehl. 770
Jo.
Wird keine Rettung ihm vor dieſem Looſe ſein?
Promethensd.
Nein keine, ich ſei meiner Banden denn erlöft!
Jo.
Wer aber wird dich löfen wider Zens Gebot?
Prometheus.
Bon deinem Schooß wird — der es enden muß.
Wie ſagſt du, mein Kind wird Nie deiner Qual beffein? 775
Prometh heud.
Dein Enkel nach zehn a ſelbit das dritte Glied.
Roh wird mir nicht verfändtig, was du prophezeifl.
Prometheus.
Auch forſche nun nicht weiter deinem Leide nach.
Jo.
Was du dem Wunſche boteſt, nimm es nicht zurück!
Promethens.
Zwiefacher Kunde ſei denn eine bir gewährt. 780
Der gefeffelte Prometheus. | 441
530.
Sag an die beiden, und vergönne mir die Wahl.
Prometheus.
So ſei es; wähle, ob ich dir dein ferneres Leid
Sol offenbaren, oder wer mich loͤſen wird.
Chorführerin.
Das eine wolle dieſer, mir das andere
Gewähren, nicht mißgönne deines Wortes uns! 785
Und ſage dieſer ihrer Irrſal weitren Weg,
Mir aber, wer dich rette; darnach ſehn' ich mich.
Promethens.
Da ihr es wünſchet, will ich nicht entgegen ſein,
Zu offenbaren alles, was ihr gern vernehmt.
Erſt dir denn, Jo, deinen vielverwirrten Weg, 790
Und zeichne treu ihn auf im Zäflein deines Sinns.
Sobald der zwei Feitlande Grenzfirom hinter dir,
Zum morgenflammenden, fonnenbahnumfreiften Oſt
+Geh deines Weges weiter durch der Phryger Land,
Durchs Thal von Teuthras, über Lydiens Wieſenau'n,
Zur waldumfrängten Bergeshöh' Kilikias.
Zwei Ströme gießen ihre Wafler dort hinab
In Aphroditas waizenreihe Niederung;
An ihren Ufern geh’ entlang. Dann hüte Dich, +
Daß dich der Humderslöpfigen, der Einängigen,
Der Bruftbeaugsen grinfend Wolf nicht ſchrecken mag.
Dann fern und ferner unermübdet deines Wegst
Durchſchreit' des fühlen Meeres Brandung, bis du kommſt
Zu den Gorgoneifhen Feldern von Kifihene, wo 795
Die drei Phorkiden wohnen, fhwangeftaktige
2. 793. Der zwei Feſtlande Grenzftrom ift der Bosporos bei
Bozanz.
442 Zweite Tragödie
Vergreifte Jungfraun, angethan mit einem Aug’
Und einem Zahne, die des Helios Strahlenblick
Niemals erreicht hat, noch des Mondes nädhtig Aug’;
Drauf ihre Schweitern, jene drei geflügelten 800
Borgonen, ſchlangenhaarig, menfhenhafgeträntt,
Bor deren Anblid jedem ftirbt des Lebens Hauch.
Dies hab’ ich fo dir ausgeführt zum eignen Heil;
Doch höre weiter deine traurige Pilgerfchaft.
Sei wohl vor Zeus fharfzahnigen, ſtummen Hunden danıt, 805
Den Greifen achtſam und dem roßgewandten Bolt
Einäugiger Arimaspen, welche weithinaus
Am flilen Goldftrom haufen bei Pluton's Geftad;
Vermeide fie. Drauf wirft du fern im fernſten Land
Zu einem ſchwarzen Volke fommen, das am Duell 810
Der Sonne wohnet, längs dem Aithiopenſtrom;
An ſeinen Ufern ſchreite fort, bis daß du nahſt
Dem Felſendurchbruch, wo von Byblos Bergen her
Der Nil hinabgießt feines Stroms fruchtbare Fluth;
Der wird den Weg dir weifen in’s dreiedte Land 815
Neilotis, wo ein neues Heimathland du fern,
Jo, für dich und deine Kinder finden wirſt. —
Scheint ſchwankend dir, ſchwer aufzufinden irgend was,
So wiederhol mir’s, und vernimm es deutlicher;
Denn reihre Muße hab’ ih, als ich wünfchen mag! 820
Chorführerin.
Wenn du ihr Weitres, oder was du noch verfchwiegft,
Bon ihrer mühfalreihen Fahrt zu fagen haft,
So fag’s; doch haft du alles angeführt, fo thu'
Auch uns nad) unfrer Bitte und vergiß es nicht!
Prometheus.
All' ihrer Irrfal Ende hat fie nun gehört; 825
Doch daß fie ſehn mag, wie fie mich nicht nutzlos gehört,
Der gefeflelte Prometheus.
So will ih fagen, was fie, eh’ fie hergelangt,
Ertrug, um Zeugniß fo zu fielen meinem Wort;
Doh laß ich jener Kunde größten Theil hinweg, -
Und wende mid zum Ziele deines Schweifens felbft.
Denn als du ankamſt auf Moloſſa's Ebene
. Und bei Dobona’s rüdenfteilem Bergeshang,
Wo Zeus Thesprotos Tempel und Orakelort
Und der redenden Eichen vielbeflauntes Wunder ift,
Bon denen deutlich, alles Räthſels unverhüllt,
Du felbft begrüßet wurdeſt, Zeus vielfel’ge Braut
Dereinft zu werden — lächelſt du? du freueft ih? —
Damals von Wahnfinn aufgeftachelt flohft du wild
Den Weg am Strand hin bie zu Rhea's weiter Bucht,
Bon der hinweg du flürmteft rüdgewandten Laufs;
In aller Zukunft wird der Bufen diefes Meers
Geheißen fein der Joniſche — merkt es euch genau —
Zu deiner Fahrt Gedächtniß bei den Sterblichen.
Das fei ein Zeichen meines Sehergeiftes dir,
Daß ich zu fehn mehr als das Offenbare weiß. —
Vom Weitern hört jegt beide, du und ihr, Beicheid,
Eindiegend fo zu meines Wortes eritem G'leis.
8 ift eine Stadt Kanobßs fern am Uferland
Dicht bei des Niles Mündung und erhöhten Dei;
Dort giebt dir Zeus des Geiftes Mare Kraft zurüd,
Berührend nur, lieblofend dich mit Finder Hand;
Dort wirft du den fhwarzen Epaphos gebären, ber
Nah Zeus geheimer Kraft genannt, die ihn gezeugt,
So weit der flurentränfende Nil fließt, ärndten wird.
Nah ihm das fünfte, fünfzigfinderblühende
Geſchlecht, es wird ungern gen Argos flichn zu Eee,
Die fünfzig Jungfrau, vor der Blutverwandten Eh’
Der Bettern flüchtig, die, beshört in ihrem Sinn,
443
830
840
850
4a Zweite Tragoͤdie.
Gleich Falken wild nachfegen der Tauben ſcheuem Flug,
Und diefer Hochzeit Höfe Jagd fich felbft zum Gram 860
Eriagen; ihres Leibes hütet fie ein Gott.
Delasgia nimmt fie, wenn die nachtverſtohlue Liſt
Des madchenkühnen Kanıpfes überwunden, auf.
Denn jede bringt um's Leben ihren Bräntigan,
Im beißen Blute Tühlend ihr zweifchneidig Schwert. 865
Sp möge Kypris meinen Feinden blutig nahm!
JIndeß der Zungfraun eine rührt der Liebe Pfeil,
Den Schlaf des Lieblings nicht zu morden; gramerweicht
Läßt fies, und wählt von zweien Wegen dieß Vergehn,
Ehr ſchwach genannt zu werden, als blutſchuldbefleckt. 870
Eie iſt's, die Argos Königsſtamm gebüren wird;
Biel Worte würd’ es brauchen, klar dieß darzuthun;
Doch diefem Stamm entfprießen wird ein kühner Held,
Der Held des Bogens, der mich felbft ans diefer Qual
Wird retten; meine urgeborne Mutter hat 875
Titanis Themis dieß Orakel mir gefagt;
Doch wie und wo zu fagen brauchte lange Zeit,
Und wäre doch nicht, wenn du's wüßteſt, dir zu Nutz.
Eleleu! Elelen!
Wie mich wieder der Krampf, bes zerrütteten Sinne 8830
Wahnwig mich durchzuckt! wie die Bremfe wich ficht
Mit dem Stachel der Gluth!
Es zerfprengt mein Herz in Entfegen die Bruſt!
Und im Kreif ſchweift wild der verwilderte Blid!
Bon der Bahn mich hinweg reißt taumelgepeiticht, 865
Ohnmächtig des Worts mich des Wahnfinns Sturm!
Mein wildes Gefchrei, es verhallt mir umfonft
In des Unheils tofender Brandung! —
(Mit diefen Verfen ſtürzt Io binaus in die Ferne. Nac einer Pleinen
Stille beginnt der Chor feinen feierlihen Wechfelgefang in dorifcher Weife.)
x
Der gefeflelte Prometheus. 415
MWechfelgefang des Chors.
(Stropbe.)
Weife, ja weile gewiß
War, wer zuerft ſich Dich in Gedanken erfann und Ichrenden
Wortes es ausſprach, 600
Das die Brautwahl paffend dem eigenen Stamm den Preis
verdient.
Nie mag des Reichthums üppig vermweichlichender,
Nie des Adels ahmenverberrlichender
Ehe nachgehn, wer um Lohn arbeiten muß! 395
(Gegenftropbe.)
immer, ja nimmer geſcheh's,
Dap ihr, o Moiren, mich in dem Lager des Zeus je fäht zur
Genoffin erkoren;
Nahe niemals einer der Himmlifchen mir ale Bräutigam!
Mich graufts, der fcheuen, bräutigamflüchtigen Braut, 900
Jo's hochzeirweltende Tugend zu fhaun,
Ihrer Irrſal arge Dual buch Hera’s Haß!
Epode.
Doch ih, wenn ich in ruhiger, glücklicher Ehe bin, fürchte
mich nit; j
Nimmer mag zu Liche mich der hohen Götter nnentflichhar
Yug’ erfehn; 8905
Denn das iſt ein Kampf zu bekämpfen, zu leiden, zu mei⸗
den nie!
Weiß ih dan, was mir gefchähe?
Wieih Zeus Gericht entfliehn Fünnte, nimmer weiß ich's! —
446 Zweite Tragoͤdie.
Bromethens.
Zeus felbft erfcheint noch trog des ftolsen Eigenfinns
Einf tief erniedrigt; alfo knüpft er felbft zum Netz 910
Sein Ehebündniß, welches ihn aus feiner Macht,
Bon feinem Thron ihn tief hinabflürzt. Dann erfüllt .
Alloffenbar fi, feines Vaters Kronos Fluch,
Den feines ew'gen Throns entſtürzend der geflucht.
Wie diefes Unheil abzuwenden, das vermag 915
Der Götter niemand ihm zu fagen außer mir.
Sch aber weiß es, weiß den Spruch; drum mag er jeßt
Krafttrogend thronen, feines luft'gen Donners ſtolz,
Dom Flammenpfeil des Bliges hell die Hand umfprüht;
Denn alles das wird nichts ihm helfen, nicht hinab 920
Zu fürzen ſchmachvoll unerträglich bittren Fall!
Und ſolchen Gegner rüfet er und wappnet er
Sid feibft, ein allunüberwindbar Wunder einft,
Der heißre Flammen als den Blipftrahl finden wird
Und lautre Stimme, daß des Donners Macht verfiummt, 925
Der auch des Meeres wilden, erderfchürternden
Trident, Pofeidons Scepter, gar zerfchmertern wird!
Kommt die Verhängniß über ihn, dann fieht er ein,
Wie gar verfchieden Herrfhen ift und Sklave fein!
Chorführerin.
*
Du drauft, fo dünkt mich, was du gern fühlt, gegen Zeus! 930
Prometheus.
Was einſt erfüllt wird, was ich ſehr ihm wünſche, war's!
Chorführerin.
Und darf fih jemand träumen, Zeus zu bewältigen?
Prometheus.
Surhtbarer Unheil muß er leiden noch, denn dieß!
Der gefeffelte Prometheus. | 447
Ehorführerin.
Und bit du bang nicht, auszufprechen diefes Wort?
Prometheus.
Was follr ich fürchten, dem zu ſterben nicht verhängt? 935
Chorführerin.
Den er vielleicht qualvoll're Dual noch dulden heißt.
PBromethens.
So mag er; alles feh? ich und erwart ich dreift!
Ehorführerin.
Bor Adrafteia beugt fich finmm Des Weifen Geiſt!
Brometheus.
Ber an, verftunme, beuge dich den Herrſchenden; |
Mich aber kümmert minder diefer Zeus, denn nichts! 940
Er fhalr und walte diefe Meine Spanne Zeit,
Wie's ihm gefällt; lang bleibe er nicht der Götter Herr! —
Doc feh’ ich dorther feinen rafchen Läufer ſchon,
Des neuen Königs neuen Boten eilig nahn;
Gar neue Dinge kommt er wohl uns fund zu thun! — 95
(Während deffen kommt durch die Luft daher Hermes mit dem Herold»
ftab und Flügelfhuhen; die Mafchine, die ihn trägt, hält etwa vor
der Mitte der Bühne fchwebend in der Luft.)
Hermes.
Dich, Ränkeſpinner, allen allunleidlichſter,
Der du an den Goͤttern für der Tagesmenſchen Heil
Gefrevelt, frecher Feuerdieb, dich red’ ich an.
Der Bater heißt dich, was du prahlſt von einſt'ger Eh’,
Und wer vom Thron ihn flürzen würde, fund zu thun; 950
- Das alles ſollſt du fonder Räthſel und Betrug
Beftimmt und einfach fagen; nicht zwiefahen Weg
Laß mich, Prometheus, machen; denn das fiehft du wohl,
Zeus wirft du Damit nimmermehr beſänftigen!
448 weite Tragödie.
" Yrometheus.
Vornehm und prunkvoll, ftolzen Muthes ſtrotzend lärmt 955
Dein Wort, wie freilich dir dem Goͤtterbuben ziemt!
Nen herrſchet ihr Neulinge, und gedenket ſchon
Gramlos in goldner Burg zu ſchwelgen! Hab' denn ich
Nicht dorthinab ſchon zween Herrſcher ſtürzen ſehn?
An dieſem dritten, deinem Herrn ſeh' ich es bald 960
Geſchehn, am ſchnellſten, ſchmaͤhlichſten — oder wähneft du,
Den neuen Göttern zittert' ih und beugt' ih mich?
Drran fehler viel und alles! Du un aber magſt
Deifelden Weges, den du kamſt, heimeilen; denn
Bon jenem allen, was du fragft, erfährk du nichts! 965
Hermes.
Du weißt, mit dieſent Eigenſiun haſt du dich einſt
In diefen Port gelootfet deiner bittren Quali
Prometheus,
Mit deinem Frohmdienft möchr ich dDieß mein Jammerloos,
Das du es wiſſeſt, nimmermehr vertanfchen; nein,
Mir ift es füßer, dieſem Fels frohnbar zu fein, 970
Denn fo dem Vater Zeus ein Bote treu und fein!
So muß getrogt fein gegen euch Alltrogende!
Hermes.
Behaglich fiheint es dir in deinem Loos zu fein!
Prometheus.
Behaglich! möcht’ ich folh Behagen kommen fehn
An meine Feinde! Und du ſelbſt gehörſt dazu! 975°
Hermes.
Sp wirft du mir auch Schuld an deinem Leide vor?
Brometbeus,
Mit einen Wort, ganz haſſ' ich al’ und jeden Gott,
So viel zum Dauk für Gutes Uebel shun en mir!
Der gefefielte Prometheus. 449
Hermes.
Wohl ſeh' ich, wie du an — Geiſtzerrüttung kranukſi.
Prometheus.
3a Trank, wenn Krankheit feine Feinde haffen heißt! 980
Sermes.
Zu ertragen nimmer wärft du, ginge dir es wohl!.
Ach — Prometheus.
Sermes,
Diefen Laut hat Zeus von dir fon nicht gekannt!
Prometheus.
Die Zeit fie lernt und lehret alternd alles Ding!
Sermes,
Du aber haft od nicht verkändig fein gelernt!
Bromethens.
Sonft hätt’ ich dir, dem Götterfnect, Fein Wort gegönnt! 985
Hermes.
Es fcheint, du willſt nicht fügen, was dir Zeus gebent?
Prometheus.
Wohl gar ein Schuldner ſoll ich vergelten feine Lich’?
Hermes.
Wie einen Kuaben höhnſt du mich mit deinem Spott!
Bromethen®.
Und bift du ein Kind nicht, und befchräufter als ein Kiub,
Dir einzubilden, daß von mir du’s hören wirft? 990
s ift feine Marter, feine Liſt, mit der mich Zeus
Bewegen Tönnte, das zu offenbaren ihm,
Es fei zuvor denn dieſer Feſſeln Schmach gelöft!
Darum ſo fahre nieder ſein blitzzuckender Strahl, |
Im weißgeflügelien Schneegeflöber, im donnernden 995
Erdbeben ſchwindle, ftürze das AU rings wild gemifcht,
Er fol mich doch nicht beugen, je ibm Fund zu thum,
Wer ihn hinab einft ſtürzt von feinem Königthum!
* 29
450 Zweite Tragödie.
Hermeb.
Bedenk', ob dieß dir je zum Heil gereihen Tann!
Brometheus.
Schon längft bedaht und feftbefchloffen bab’ ich fo! 1000
Sermes.
So wag’ es, o Bethörter, wag’ es endlich doch,
Des eignen Elends Fülle ganz zu überfhaun!
Prometheus.
Du machſt mir Ekel mit der Worte leerem Schwall;
Das komme niemals dir in den Sinn, daß id) in Angſt
Um Zeus Belichen weibifch feig gebärden mid), 1005
Anflehen Tönnte jenen Allhaßwürdigen
Mit weiberhaftem, armemporgehobnem Flehn,
Zu befrein mich diefer Banden! Nun und ninmermehr!
Hermes,
Zu fprechen jchein? ich viel vergeblih und umfonf;
Denn dich befänftigt, denn dich rühret nimmermehr 1010
Mein Flehn; den Zügel gleid dem junggesänmten Roß
Zerkuirfchend, reißend bäumſt du wild did noh im Joch.
Und doch — mit der Ohnmacht Stolz berühmſt, beräubft du Dich!
Denn Eigenfinn Tann ohn’ Verſtändigkeit und Maaß
Für fish allein Niemandes Meifter fein im Streit. 1015
Bedenke, wenn du meinen Worten nicht gehorchft,
Welch' ein Orkan dich, welcher Qualen Brandung did
Fluchtlos zerfhmettert. Denn es wird dieß Felsgeklüft
Mit feinen Donnern, mit des Wetterfirahles Keil
Des Vaters Zorn zerreißen, deinen eiguen Leib 1020
Verſenken, rings umfchloffen von des Geſteines Arm.
Wenn dann der Zeiten weites Maap vollendet iſt,
So kommſt du aufwärts an das Licht; es wird dir dann
Zeus Hügelwilder, mächt’ger Aar in heißer Gier
Zerfleiſchen deines Leibes großes Trümmerfeld, 1023
Der gefefielte Prometheus. 451
Wird Gaft dir ungeladen, Gaft den langen Tag,
Ausweiden deiner ſchwarzbenagten Leber Reſt.
Und diefer Mühſal Heil erwart' dir nimmermehr,
Es erfcheine dir als deiner Dual Vertreter denn
Ein Gott, bereit hinabzufteigen in die Nacht 1030
Des Hades, in die dunkle Tiefe des Tartaros!
Demnach beden® dich; denn erdichtet keineswegs
Iſt diefe Drohung, fondern nur zu ernft gemeint.
Denn Lügen reden, das verfieht Zeus heil’ger Mund
Nicht, fondern all’ fein Wort erfüllt er; aber du 1035
Betracht’ es, überleg’ es dir, und halte nicht
Den Eigenfinn mehr beffer als Befonnenheit! —
EHorführerin.
Uns fheinet Hermes wahrlich Fein unzeitig Wort
Zu fagen; denn er rieth dir an, den Eigenſinn
Zu laſſen, dich zu wenden zur Befonnenheit; 1040
Foig' ihm, denn unrecht handeln, ift den Weifen Schmach.
Prometheus.
Was zuvor ich bereits Tängit wußte, das thatſt
Du als Bote mir fund! Bon dem Feinde der Feind
Solch Leid zu empfahn, das entehrt niemals! |
So fahr’ auf mich der umloderten Fauit 1045
Haarflasternder Blig denn herab, und die Luft
Eie zerreiße von Krachen des Donners, vom Krampf
Des empörten Orkans, und die Tiefen der Erd’
Bon den Wurzeln empor aufwühle der Sturm;
Es vermifche gepeitfcht in vertoilderter Wuth 1056
Eich die heulende See mit der fhweigenden Bahn
Der Geftirne; hinab in die ewige Nacht,
In den Tartaros ſtürze zerfchmettert der Leib
Mit des Schicfals reißendem Strudel hinab —
Doch, doch nicht wird er mich tödten! 1055
458 Sweile Tragödie.
Hermes.
Wie der Geift, wie das Wort ſich verlehrt, weun ein Wahn
Die Gedanken verſtört, das zeiget ſich Hier!
Was fehlt denn zum Mach ihm des Weahnfinus noch?
Und würd’ ihm gewährt, wie vergäß’ er der Wuth?
Doc ihr, die ihr tief fein qualvoll Loos 1069
Mitfühlt und beweint, gebt, Mädchen, hinweg
Aus diefem Bereich, licht ferne, Damit
Die Befinnung nicht ihr verliere, betäubt
Vom unendlihden Krahen des Donners!
Eyorführerin.
Find’ befferen Rath und ermahne mich fo, 1065
Wie ich folgen dir kann; deun es if in der That
Unerträglich der Rath, der verführen mich fol!
Wie gebieteft du mir, Schandbares zu than?
Keim, dulden mit ihm will ich fein Loos;
Denn ich habe Verraͤther zu haſſen gelerue, 1070
und ich weiß fein Gift
Mir mehr denn diefes verächtlich!
Hermes.
Wohl denn; was ich jetzt euch ſage, bedenkt!
Wenn der lärmenden Jagd ihr des Jammers erliegt,
Klagt euer Geſchick nicht an, ſagt nie, 1075
Euch habe fo Zeus unerwartet hinab
In's Verderben geftärzt; denn wiſſentlich feid,
Nicht eilig verlocdt, nicht heimlich umgernt,
In's unendliche Neg des Berhängniſſes jept 1080
Ihr verfiricht durch enre Berblendung! —
(Hermes ab; mächtiges Tofen in der Luft; Erdbeben.)
Brometheus.
Schon wird es zur That! kein nichtiges Wort!
Es erbeher die Erd’, E
Der gefeflelte Prometheus.
Und der Donner, er brüllt dumpfhallend empor,
Und es zudt und es zifcht der geſchlaͤngelte Blig
Sein Flammengefhoß; aufwirbeln den Staub
Windftöße; Daher, wie im Taumel gejagt,
Raſ't allfeits Sturm; in einander geftürzt
Mit des Aufruhrs Wurh, mit Drfanes Geheul
Sn einander gepeitfcht flürze Himmel und Meer!
Und ſolch ein Gericht,
Mid umtoft, mich umfchlingt es von Zeus mir gefandt
Und erfüllt mid mit Graun!
D Mutter du heilige Macht! der du traͤgſt,
O Xether, der Welt allfegnendes Licht,
Seht, wel Unrecht ich erdulde!
453
1085
1090
1095
(Prometheus Felfen verfhlingt ein Abgrund. Der Vorhang hebt fi.)
—
Dritte Tragödie.
Der befreite Prometheus.
en —
Langſt iſt Prometheus aus der Tiefe, in die ihn und ſeinen
Felſen Zeus Blitze hinabgeſchleudert haben, wieder emporgeho⸗
ben an das Tageslicht; ſeit Myriaden von Jahren liegt er wie⸗
der dort, vom Biß des Adlers zerfleiſcht, in einſamer Qual;
fein Trog iſt verſtummt, feine Kraft gebrochen, ihn verlangt
nah Frieden.
Und die Zitanen fommen, ein greifer, riefiger Chor, fern-
ber aus ihrer Grotte; fie fingen:
„Herlommen wir nun,
Prometheus, dieß dein qualvoll Loos,
Dein Graunſchickſal in den Feſſeln zu ſchaun!“
Sie fehildern ihren Weg, wie fie vorüberfamen
„An dem purpurfandigen heiligen Sund
Des Erythra » Mecers,
An den erzgleihbligenden Waflern des Teiche,
Dem Dieanos nah,
Aethiopia's allesernährendem Teich,
Der befreite Prometheus. 455
Bo Helios ftets
Der Allſchauende ſelbſt den unfterblihen Leib
Und die Roſſe des Laufs fih im lauigen Bad
Süßduftender Fluthen erfriſchen;“
wie ſie zuletzt über den Phaſis kommen,
„Der beides, Curopa und Aſia, trennt,
Das Zwillingsland.“
Auch die Titanen, die bitterſten Feinde des Zeus, ſind laͤngſt
ihrer Feſſeln befreit und mit Zeus und der neuen Weltordnung
verföhnt, längſt vorüber iſt die Zeit, wo Zeus fie fürchtete und
haßte; nur Prometheus dulder noch; er fpricht:
„Seht hier, Zitanen, ihr Genoſſen meines Bluts,
Uranionen, ſeht mich bier am rauhen Fels
Gebannt, gefeflelt; wie im wildenpörten Meer
Der bange Fiſcher nachtgeängftigt feinen Kahn,
So hat mih Zeus hier angelegt in böfem Port,
Auf fein Gebot Hephaiftos Hand an mich gelegt,
In arger Kunft Gelenk und Leib mit Stiften mir
Durchbohrt, gebrochen; fo geübt in bittrer Qual
Bewach' ich diefe Fefte der Erinngen!
Am dritten unglüdfelgen Tage je erfcheint
Mit fchwerem Flug Zeus Bote, fchlägt die Trummeen Klaun
In meine Weichen, nagt an mir mit ſtummer Gier;
GSefättigt dann von meiner Leber leckrem Mahl
Erhebt er feine Stimme, fchlägt die Flügel, träntt
In meinem Blut den trägen Schweif und fliegt empor.
Hat dann die fortgenagte Leber ſich erneut,
Dann kommt er hungrig wieder her zum neuen Wahl.
So nähr ich felbit den Wächter meiner bittren Pein,
Der mid) Lebend’gen ewig nährt mit Zodesqual;
Denn unter diefer Ketten Laft, ihr feht es felbft,
Kann ich den Adler ſcheuchen nicht von meiner Bruſt.
4506 Dritte Tragödie.
Mein ſelbſt verwaift fo, nehm’ ich gern hin jede Dual,
Ein Ziel des Elends fuchend im erfchnten Tod;
Doch weit vom Tode drängt mich Zeus Gewalt hinweg!
Und diefes nralt edle Blut, gerounen ſchon
Seit Säklen, haftet fort und fort an meinen Leib,
Aus dem vom glähnden Strahl des Mittags aufgeweicht
Bluttropfen raftlos niedertriefen aufs Geſtein!“
und ſchon nabt ſich die Zeit der Erlöfung. Es kommt bie
greife Mutter Erde, auch ihrer Seits den hehren miber zu
beklagen und zur Berfühnlichkeit zu mahnen.
Hier begiunt die Führung des Dramas unklar zu werden.
Wohl mochte Baia dem Prometheus melden, daB Zeus von
Liebe zur fhönen Thetis, der Meernymphe, ergriffen, daß er,
fie fih zu finden, zur Erde herabgeſtiegen fei, fie im Kaukaſos
verfolge; aber nicht glaublich ift es, daß fie weiß nud auefpricht,
welche verhängnißvolle Bedeutung diefe Ehe für Zeus haben
wird; denn unter allen Goͤttern weiß das Prometheus allein.
(Gef. Prometh. B.916.) Shen mande Söttin, manche Sterb-
lihe hat Zeus umarmt und noch ift immer nicht die Stunde
für Prometheus Verheißung gekommen; auch jept wird es Pro⸗
metheus trog der theiluehmenden Fragen ber Mutter verfchweis _
gen; der Ehor wird einen Gefang voll des Wunſches, daß num
die Zeit und die Vetheißung ſich fröhlich erfüllen möge, geſun⸗
gen haben.
Prometheus bat mehrfach gefagt (DB. 993. 175), er werde
. den Sprach zu Zeus Rettung nicht eber offenbaren, als bis er
feiner Fefleln gelöft fei. Und Zeus felbft weiß, daß ihm bie
Erfüllung des väterlichen Fluches bevorfteht, wenn Prometheus
nicht rettet; er weiß laͤugſt, daß an ihm feine Gewalt cin
Ende hat; die, rafche despotiſche Gewalt im Anfange feines
Negiments If laͤngſt abgefiumpft durch die Gewohnheit des
Herrſchens; die Höchfte Macht der Welt if ihm ein Beſitz, den er
Der befreite Prometheus. | 457
nicht verlieren möchte; durch wen er zu. retten, weiß er ja feit
Anbeginn; herrlich aufgeblüht ift das Gefchlecht der Sterblidhen,
das er einft vernichten wollen, anfgeblüht durch die überhart
geftrafte Huld deſſen, der noch immer in bitterfien Qualen
duldet. So läßt er denn den erften Schritt zur Verſöhnung
geſchehen.
Es kommt Zeus Sohn Herakles, der verheißene Nach:
komme Jo's, der durch die Welt zieht, Ungeheuer zu vertilgen,
Rieſen zu bekämpfen, allem Leid der Menſchen ein Ende zu
machen; nun iſt er aus, dem Rieſen Atlas die Himmelslaſt von
den Schultern zu nehmen und ihn in den Hesperidengarten
zu führen, er hat des Weges verfehlt: Prometheus erkennt, daß
Zeus milderen Sinnes geworden. — Erſtaunt ſieht Herakles
den Gefeſſelten, fragt, wer er ſei, warum er dulde; Prome⸗
thens nennt ſich, feine Schuld, feine Gaben und Lehren an die
Sterblihen: bald werde der gräßliche Adler kommen, ihm wies
der zu zerfleifhen. Herakles verfpricht ihn zu erlegen, doch trant
jener fo fhöner Ausſicht nicht:
O feindgefinnten Vaters du mir liebſter Sohn!
redet er ihn an; mit heiligem Götterſchwur hat Zeus es gelobt,
dieſer Plage des. Adlers folle er befreit werden, wenn ein Gott
fein Leiden über fih nehmend, in den Tartaros gehen wolle;
und wird ein Lnfterblicher ſolchen LXiebesdienft leiften wollen?
Und gerade dieß bietet ein Zeichen mehr, wie fich alles zur Lö⸗
fung zufammenfindet; Herakles felpft nennt ihm den Vertreter.
Denn er hat wider Willen den Gott Cheiron mit vergiftetem
Pfeil verwundet, und diefer, nufähig, ‘die unfäglihen Schmer⸗
zen zu dulden, fehnt fich, der Unfterbliche, nach dem Tode; den
wird Zens an Promerheus Statt annehmen.
Boller Dank verkündet Prometheus ihm feinen weiteren
Weg zum GHesperidengarten; er möge vorwärts wandern tiber
den Kaukaſos:
458 Dritte Tragödie.
Dann wirft du fommen an das Volk der Gabier,
Bor allen andern gafibefreunder und gerecht,
Wo keine Pflugfchaar, keine Grabfcheit das Gefild
Aufwühlend jemals adert, fondern felbfigefä't
Die Aue reichen Unterhalt den Menſchen beut.
Bon dort weiter
Zum wohlgeordneten Stamm der roßmilcheflenden
Skythen. — — —
Geh’ grades Wegs dann weiter; anfangs, während bu
Dicht unter Boreas Stürmen wanderft, hüte did
Bor feinem nicderfahrenden Wetter, dag es nicht
An branfenden Wirbeln mit fi) empor dich reifen mag.
Dann fol er am Iſtros aufwärts durch das Land der Hyper
border wandern zur Infel des Geryoneus und dort bie Rinder
rauben, von dort feitwärts zum Lande der Ligyer, mo nette
Gefahren feiner warten, endlich über die Meeerenge, die nach
den von ihn errichteten Säulen genannt werden wird, endlich
zum Atlas u. f. w.
So bie Weifung für Herakles; und fhon kommt der Ad»
fer Herangeflogen und mit dem Anruf
Apollon,
Du Gott des Bogens, lenke ſicher meinen Pfeil!
ſchießt der Held das mächtige Geflügel nieder.
Wie nun die Entfeſſelung des hehren Dulders arrangirt
mar, od fie gleich jetzt von Herakles vorgenommen wurde, oder
ob es etwa bes Hephaiftos dazu bedurfte, ift nicht wohl zu bes
ſtimmen. Jedoch das fcheint unzweifelhaft, daß die legte Scene
der Zragddie den Vater Zeus auf die Bühne brachte; er wird
die ſchöne Meernymphe gefunden haben, er wird kommen, des
nun verfühnlihen Prometheus Rath und Weilung zu hören.
Und Prometheus, entweder ſchon vorher oder eben jegt erft
unter Zeus Augen entfeffelt, verkündet, daß wenn Zeus Thetis
Der befreite Prometheus. 459
umarme, fo werde er einen Sohn zeugen, mächtiger als der
Bater, und der ihn feldft vom Throne flürzen werde; er möge
fie dem Achäifchen Fürften Peleus vermählen, fo werde fie den
berrlihften unter allen Hellenen, den Liebling der Götter und
Menſchen gebären.
Und es kommt die Berfühnung zu vollenden, Eheiron, der
verwundete, nach dem Tode fich fehnende Gott, geführt von feis
nem treuen Peleus; er erklärt fich bereit, hinabzufleigen in die
Nacht des Tartaros. Und gern gewährt ihn Zeus feine Bitte.
Sp ift alles vollbracht, Zeus feines Verhängniſſes, Prome⸗
theus feiner Banden frei, beide verfühnt. An Peleus ſelbſt
wird nad dem Willen des Schickſals jene Thetis vermählt wer⸗
den, an deren Sohn Adhillens fi fo wunderbare Ahnungen
der Zufunft Tnüpfen, und in dem fi) das hellenifche Heroen⸗
thum in feiner vollſten Herrlichkeit geftalten wird. Und ſchon
fommt eine Schaar Meermädchen, Bräutigam und Braut zur
Feier der Hochzeit zu geleiten; mit ihmen ziehen Prometheus
und Zeus und die Titanen, im Kreife der Olympiſchen Götter
„Thetis Hochzeit” zu feiern. -
Das ungefähr find die Grundzüge der Prometheustrilogie,
oder wenigftend die Hauptlinien einer Neftauration, durch die
allein jener Torſo des gefeffelten Promerheus in feiner vollen
Bedentung und Gemaltigkeit erfannt werden mürde.
Dean würde dem Dichter Unrecht thun, wenn man, wie
es häufig gefchehen ift, feine Perfonen zu abftraften Begriffen
abklären wollte; gerade die leibhaftige Geſtaltung, die vollen:
dete Menfchwerdung des Gedankens muß als der hohe Vorzug
der griechifhen Sage und Poefie genannt werden; folder Ge
danke ift nicht die Bedentung, fondern der Charakter der Ge⸗
460 Dritte Tragödie.
Ralt, ihr Thum und Leiden nit fombolifh, ſondern typiſch.
&o der Prometheus des Aiſchylos; fein Werk bat darin dem
größehen Vorzug vor den aus demfelben Sagenkreiſe gefchöpf«
sen Gedichten des berühmten demifchen Dichters, der, groß im
feinen Tendenzen, die Geftalten des Mythos zu Symbolen eines
durhaus modernen Bewußtfeins gemacht und is allegorifcher
Weife mit fremdartigen Mythen verfnäpft hat.
Defienungeachter müflen wir bier um fo mehr von der Bes
deutung jener Sage und ihrer Perfonen fprehen, da wir ik
der Skizzirung der verlorenen Tragödien nicht darauf einzn-
gehen wagten. Wir dürfen es, Da die erfie Regung des Bes
wußtfeins in jedem Volke fih als ein Factum geftaltet, das,
von Geſchlecht zu Gefchlecht überliefert, dem gläubigen Gemüth
die gebeimuißvollen Anfänge alles geiftigen Lebens offenbart;
jeder der heiligen Namen wedt ein beftimmtes Bild, beſtimmte
Gefühle und eine Erkenntniß, die unmittelbarer und darum
mächtiger wirkt, als die Metaphyſik ihres Zuſammenhanges.
Erft wenn wir uns in diefen Kreis unmittelbarer Anſchauun⸗
gen bineinzudenten vermögen, werden wir das Werl des Dich:
ters nachempfinden fünnen.
Indeß macht fih an dem Mythos und den mytbifchen Ge:
falten das Recht des Factums, Zufälligkeit in den Thatfachen,
Willkür in den Perfonen, geltend, fo daß im beiden vieles au:
fer dem Bereih des Gedankens und der Deutung bleibt; fie
find feine Symbole. —
Prometheus ift der Urtypus des Menfchengeiftes, der Erde
liebfter Sohn, der Erhabenfte unter den Zitanen, den ringen:
den Gewalten der chaotifhen Urnacht. Und als das Neid, des
Kronos, der zeitlofen Zeit und des vergeblichen Werdens, ent
den, als die neue erhifche Weltordnung des Kroniden Zeus bes
giunen foßte, und die elementariihen Mächte in blinder Wild»
heit fih zu behanpten hofften, da wandte er, der Wiflende, mit
Der befreite Prometheus. 461
feiner Mutter Erde ih von ihnen hinweg, und lehrte fie ums
terwerfen und bändigen; duch Prometheus, durch den Met
ſchengeiſt, ward die Welt deu neuen erhifchen Mächten gewon⸗
nen und vertheilt, durch ihn die neue Ordnung begründet, der
er ſelbſt fortan angehören follte.
Aber der Menfchengeift, ewig und goͤttlich in feinen allge
meinen Geftaltungen, ift eben fo dem Einzelleben, der Endlich
feit des creatürlichen Daſeins verfallen. Diefer Widerſpruch
beginnt zu wirken, wenn fih die Gattung zu Individuen auf:
löſet, wenn die Unfhuld im Willen, wenn bie blinde Selbft-
Iofigfeit des Naturlebens in der heftigen Gentralifation ber
Selbſtſucht und des Bewußtfeins zu Grunde geht; umd dieſem
aromen Sch der Freiheit ſteht die Welt im ihrer ethifhen Ord⸗
nung, fo wie in ihrer todten Maffenheit feindlich gegenüber. —
Darum will Zeus, fobald fein Reich geordnet ift, das Geſchlecht
der Menfchen in ihrem creatärlichen Dafein vernichten; Pro⸗
methens rettet es, und giebt ihm bie Kraft des Widerfiandes,
giebt ihnen die Hoffnung, den lächelnden Wicderfchein ‚ihrer
Wine, giebt ihnen den Heiligen Hephaiſtosfunken mit dem gan⸗
zen Syſtem von Künften und Kräften, die er erweckt, die frens
Dige Entfaltung des engen, im fih unendlichen Ginzellebens.
Durch eigne Kraft foll der Menſchengeiſt Die ihm verloreme.
Welt wieder erringen.
Aber jene Freiheit des Menſchen ift feine Kraft und feine
Schuld; fein Leben Uebung und Büfung; das Ziel erfchöpfte
Kraft, verfühnte Schuld, der Tod des crentärlichen Seins, ein
Untergehen in das unterfhiedslofe Allgemeine. Das if der
Mythos von Promerhens Strafe und Berfühnung. Kur An⸗
laß zu feiner Strafe ift feine Liebe zu dem Geſchlecht ber
Sterblihen; feine Schuld it feine Freiheit und feine Kraft,
gegen fie wendet fih des Kroniden Zorn, der alles Individuelle
vernichten, alles in- das Niveau feiner erbifchen Welt zwingen
J
463 Dritte Tragödie.
wil. So wird die Freiheit durch diefelben Mächte, denen fie
die Gewalt gegeben, in Feſſeln geichlagen. —
Der Grieche Tennt nicht den unveränderlihen, alleinigen
Wort des Morgenlandes; feine Götter find die ethiſchen Mächte,
die im Bewußtfein und im Leben der Dienfchen walten, fle find
die Principien feines geſchichtlichen und perfönlihen Lebens.
Weber diefen aber fiehen die Moiren und Erinnyen, deren Hand
das ewige Schidfal lenket. Jene Erinnyen find der Vater⸗
fluch, der auf dem Kroniden after; denn die erhifche Welt, die
er.regiert, ift gegründet auf dem Umſturz der vor ihr berrfchen-
den Weltorduung, und jedes untergehende Weltalter, jede fin-
tende Epoche der Geſchichte läßt den gleihen Fluch als Erb:
theil feinem Nachfolger in der Herrichaft der Welt. Die Moi-
ten aber find bie Zeit, nicht das todte Hinrollen unterſchieds⸗
lofer Sefunden, ſondern der Rhythmus des Weltgeiftes und
jeiner Entwidelung in der Gefchichte der Meenfchheit, wie fie
präformirt ift in der ewigen Geftalt der Erde. Und die Deut:
test Erde bat ihrem liebſten Sohne verfündet, daß aud dem
Kroniden einft Untergang drohe, wenn er den Sohn zeuge, dem
größer als der Vater zu werden verheißen fei.
Die Gefahr der Erfüllung naht, als das Menfchenge:
ſchlecht, das Zeus einft von der Welt vertilgen wollte, durch
unfäglihe Kämpfe gekräftigt und erhöht, das Heroenthum aus
ſich geseugt hat, als Herakles nad großen Thaten und größe:
ren Leiden, durch den drüdendftien Gehorſam frei, durch frei:
willige Knechtſchaft fchuldrein, auf dem Scheiterhaufen der Eub-
lichkeit ihr Tegtes Anrecht ablauft, um zu den unfterblihen Göt-
teen erhöht zu werden. — Im Heroenthum if jener Gegenfag,
um den Zeus und Prometheus haderten, aufgehoben und ver:
föhnt; trogt Zeus jept länger in feiner despotifhen Gewalt,
fo fürzt ihn der Sohn, den zu zeugen ihm ſchon bevorfieht.
Aber auch Prometheus it müde jenes uranfänglihen, längſt
Der befreite Prometheus. 463
von der Menfchheit überwiindenen Haders. Herakles befreit ihn;
und für den Befreiten ftirbt, wie e8 das Verhängniß gebietet,
der Gentaur Cheiron, die Urgeftalt des creatürlihen Menſchen⸗
lebens, gezeugt in jener wahnfinnigen Brautnacht, da Ixion
fatt der Göttin das Nebelbild feiner freventlihen Begier um⸗
armte; ein Pfeil des Herven bat den Gott verwundet, cr kann
den Schmerz nicht ertragen, er geht in den Hades. — Die ur:
welt ift abgerhan, und flatt des Sohnes, den Zeus zu feinem
Berderben gezengt hätte, gebiert Thetis den herrlichen Peleis
den Achilleus, das unfterblihe Vorbild Griechenlands und Ales
xanders. —
So ber Mythos, deſſen prophetifhe Wahrheit weiter reicht,
als dem Bewußtfein des Dichters felbft offenbar if. Solche
Prophezeinngen eines Volles befunden cin Gefühl des innern
Bedürfniffes und Berlangens, das, weil es da ift, befriedigt
werden muß. Und als das hellenifhe Leben allfiegend und
freudetaumelnd fich über die Länder des Drients ausgebreitet, .
fih mit der Weisheit Aegyptens und den Wundern Indiens,
mit Jehovahdienſt und Mithrasmyſterien vermifcht hatte, als
über dem neuen gährenden Chaos Nacht und Grabesftille angf-
vol lagerte, da ging ein heller Stern im Morgenlande auf,
und leuchtete über der Krippe, und es jauchzten die himmli⸗
fhen Heerfchaaren. —
Es ift nicht zu läugnen, dag wir dem Prometheusmythos
durch dieß Hinüberführen in das -biftorifche Leben der Hellenen
eine zu fehneidende Schärfe feiner Bedeutſamkeit gegeben haben,
indem wir die geheimften Ahnungen des Volkslebens mit den
Refultaten ihrer Erfüllung bezeichnen mußten. Doc ſchien uns
Dieß der einzige Weg, da das Gefühl nur in feiner Verwirk⸗
lichnng erkennbar ift, und die vorliegende Geſtaltung des My⸗
thos einer Zeit angehört, die den erften entfcheidenden Schritt
zu jener Erfüllung gethban hat. Denn das it das Eigenthäm:
464 Dritte Tragödie.
liche des griechtſchen Mythos, daß er, ein befländiges Abbild
der jedesmaligen Gegenwart und ihrer Entwickelung, die Ge
fhichte wie ein Schatten erft is den unbefkimmten Umriffen des
früheſten Tagens, dann in Turzen, fcharfen Linien während der
Mittagshöhe, endlich in fabelhaft vorgezogenen, weit nachichwei-
fenden Umtriffen bei Sonnenuntergang begleitet. —
Aus der obigen Darfielung ergeben ih die Hauptpunkte
für die Betrachtung der Prometheia; nad dem Rechte des Fac⸗
ums, das fich im Mythos geltend macht, Darf man es vou der
Hand weifen, für jede der in der Trilogie auftretenden Perfonen
und jedes Thun oder Laffen derfelben eine allgemeine Deutung
zu geben; deſto weientliher wird ihre fünftlerifhe Bedeutung
fein; beide wiederzuerfennen ift durch den Untergang der zwei
Dramen ausnehmend erfhwert. Wir überlaſſen das Weitere
der finnigen Betrachtung unferer Leſer.
Kur eine Bemerkung möge bier noch ihren Platz finden.
Wir werden fpäter die Vermuthung zu begründen ſuchen, daß
die Promethenstrilogie nicht in und für Athen gedichtet worben.
Am einer dramatifhen Wendung finden wir den fchlagendften
Beweis. Daß die für Zeus gefährliche und auf Prometheus
Rath gemiedene Verbindung die mit Theris war, bezeugt der
wohlunterrichtete Scholieft zu V. 518 und 167. Heſiod aber
fennt eine andere Faſſung der Sage; die Dfeanide Metis war
e8, von der dem Zeus die fhickfalskuudige Gaia fagte, fie
werde ihm einen Sohn gebären, dem mächtiger ale der Bater
zu werden beftiimmt fei; und fo verfchlung er Metis und Die
Tochter, mit der fie fehwanger war, und aus feinem Haupte
dann wurde Diefe als Pallas Athene geboren. Diefe Sage
hätte Aiſchylos nicht bloß fhön und tieffinnig in den Zufam:
menhang feiner Trilogie verarbeiten können, fie wärbe ſich zu:
gieich auf die finnigfte Weiſe an das Auftreten jener Okeaui⸗
ben angeſchloſſen haben, die da fingen, es möge fie niemals bie
Der befreite Prometheus. | | | 465
Moira dem Lager des Zeus als Benoffinnen erkoren fehen.
(DB. 898.) Betrachtet man aber gar, wie gefliffentlich Aifchy-
los in den Eumeniden Athens und Athenes Ruhm erhebt, fo
darf der Umſtand, daB er diefe für Athen tiber Alles ruhm⸗
volle Wendung der Sage vermieden bat, gewiß als fiherfier
Beweis gelten, daß die Trilogie für feine Vaterſtadt nicht ber
kimmt war.
Sragmente,
Sykurgeia
Die Lykurgeia beſteht nad alten Didaskalien aus deu Edo⸗
niern, den Baffariden, den Jünglingen, zu denen Ly-
turgos als Satyrdrama kommt.
Dionyfos iR auf feinem Siegeszuge aus Afien nah Eu
ropa zu den Edoniern am Strymon gekommen. Einheimi—⸗
fhe Edonier, der Chor der Tragödie, befchreiben, indem fie
auftreten, den Aufzug der wunderbaren Fremdlinge, der fo
verfchieden ift von allem, was fie fennen, fo verfhieden von
ihrer Art der Feftfeier, wenn
„die heilige Kotys
In den Zriften des Waldes umherſchweift.“
Sie haben den Zug der Fremdlinge gefehen, ein buntes, fro⸗
bes Gedraͤnge, jauchzend und lärmend, jeder fi) freuend nad
der Luft feines Herzens,
— „der eine, ein Paar
Feſtflöten zur Hand, des Bohrſtahls Werk,
Wild hallt ihm die fingergetanzte Muſik,
Drin des Wahnfinns Jubel mit einftimmt.
Der lärmt mit der chernen Beden Getös —
470 Lyfurgeia.
— — Laut jauchzet das Feftlied;
Stiergleid aufbrült fern, unfichtbar
Ningsher dumpftofendes Rufen dazu;
Wie ein Donner im Grunde der Erden, fo rollt
Wildfchreddend der Thmpana Eturm drein.“
Sp ziehn fie, ein „umberfhwärmendes‘ Bakchanal, den Thyr⸗
fus fchwingend, mit Pantherfellen bedeckt, im wilden Tanze,
„wie im Sturmwind flattert das fledige Fell.“
Und ans dem Pallaſt tritt Lykurgos, der firenge, finftere König
des Edonierlandes; er hört die neue Kunde, bald erfcheint das
gefammite, heilige Bakchanal, der jugendliche Gott an der Spige;
Lykurgos fpricht alfo zu ihm:
„Du unbe, ‚ Süngling, — — —
— — woher,
Du Fremdling, Weib fa? welche Heimath fandte dich?
Wozu der Aufzug? welch Verwirren alles Brauchs?
Wie kommt das Haarband, wie das Safrankleid zum Speer,
Wie Buſengurt und Myrrhen? das paßt nimmermehr.
Wie hat der Spiegel gar Gemeinſchaft mit dem Schwert?
Wer biſt du ſelbſt, Kind? zog man dich als Knaben auf?
So ſchlank geſchenkelt biſt du wohl halb Mann, halb Weib?“
Bald erkennt Lykurgos die Weiſe der Fremdlinge, er verachtet
die Gottheit des weichlichen Jünglings, Bakchen und Satyrn
werden in ihrer ſeligtrunkenen Feier geſtört, ihre Fackeln ge
löfht, ihr Evoe Bakche muß verftunmen, fie ſelbſt flüchten und
fi) verbergen, oder es warten ihrer die „miethsfreien” Ge
fängniffe des Pallaſtes. So hat der König gefiegt über den
alleslöfenden Gott.
Daß im eben diefer Tragödie Orpheus auftrat, lehrt ein
verdorbener Vers, aus dem indeß die Frage: „wer ift diefer
Mufenpropher” ficher if. So tritt für die Trilogie fofort der
Lyfurgeia. 471
Gegenſatz der Dionyſiſchen und Apolliniſchen Religion ein.
Denn Drpbeus, fo heißt es in der nach Aifchnlos berichteten
Sage, wahte Nachts auf dem Pangaiongebirge, um bei erfter
Morgenröthe die Sonne, die er Apollon nannte, zu begrüßen.
Der Tod des Mufenfohnes ift der Inhalt der zweiten Tra⸗
gödie, der Baffariden oder Zerftüderinnen. Denn der Gott,
der in Tethys Arme geflüchtet war, erfcheint vor den Gefäng-
niffen der Seinen; krachend öffnen ſich die Pforten der Kerker,
die Weiber flürzen begeiftert hervor in das Freie; ein wildta-
fendes thyrſosſchwingendes Bakchanal if der Chor. Nach des
Gottes Geheiß ſtürmen fie hinaus ins Gebirge, den Sänger
Orpheus zu fangen; „tings eingeengt“ beim Altar feines Got⸗
te6 greifen fie, zerſtücken fie ihn, bededien die Leiche
„mit altem Neifig und mit Afche vom Altar.“
Die Mufen aber fommen, die Stüde des Leihnams zu fanı-
meln und feierlich zu beftatten.
Wie die ſcheinbare Epifode von Orpheus mit dem wefenf«
lihen Berlauf der Lylurgosgefchichte verknüpft war, ift nicht
mehr zu fehen; jedenfalls war fie mehr als eine bloße Exem⸗
plification für den firengen König. Mit dem dritten Stüd,
ben Jünglingen, fo ſcheint es, ift fein Land in Dürre und
Seuche wegen des Mordes des Goͤtterlieblinges, dem er nicht
gewehrt hat; ein Drafel mag ihm verkünden, daß er die Frev⸗
ler ſtrafen müſſe; und ihm felbft ergreift dionyſiſche Wuth ge-
gen Dionyſos umd defien Gefährten; der Sinn wird ihm ges
bleudet,
„Mitſchwärmend wankt der Pallafl, taumelwild das Haus; "
feinen Sohn Dryas fieht er für einen Weinftod an und in dem
Wahn, das Gewächs des verhaßten Gottes zu treffen, tödtet
er ihn. Den Chor bilden Jünglinge des Landes; felbft ſchon.
mitergriffen von dem neuen Dionnfos und von „kriegswildem
Muth’ Hegeiftert empören fie fich, ergreifen fie den König, brin⸗
413 Lyfurgeia. '
gen Be ihm „ienfeits des Oktopas“ auf dem Berg Pangaiom,
and fperren ihn dort tief im dunklen Walde in eine einſame
Zelfenhöhle, wo
„Gidechfen fchlüpfen durch den fehattigfühlen Spalt,“
Damit er dort verfomme. —
Das Samrfpiel Lykurgos flieht mit den Tragödien in
unmittelbarer Verbindung. Daß nach vollbrachter Strafe das
Land wie in neuer, glüdlicherer Geſtalt wieder aufblüht, und
Rett der altem Unfruchtbarkeit nun durd) das Wunder des Got-
te6 yon Milh und Wein und Honig trieft, giebt dem durſti⸗
gen Satyrchor, der vorher
„Den Wein der Gerſte triufend nah und nad erftarb,
Und bitterernft flug feiner Mannheit durftig Haus,”
in feiner Lüfterubeit und Hersensfröhlichkeit Anlaß genug zu
fhönen Liedern und Flötenfpicl „mit der Lippe Gurten.“ Die
Scene ift in jenem Bergwalde vor der Felfenhöhle, in der Ly⸗
kurgos eingefperrt ſchmachtet, und nur das Zirpen der „Sehe:
rin Gicade” hört, und „unverwundet‘ vor Hunger und Durft
ſterben fol. Die Iahenden Satyrn kommen und fuchen ibn,
um vor feinen Augen zu ſchwelgen:
„De! baft du ein Ohr, fo höre!"
Er kommt und fieht ihre Luft; denn nur fehen läßt ihn feine
verſchloſſene Felſenhöhle, aus der er gern hinaus wäre; es plagt
ihn fehr der Hunger; gern möchte er bakchiſch mitſchwaͤrmen
und zur Flöte tanzen; fie erzählen, wie das ganze Land fo fer
lig it im Genuß des Dionyfos, und begeiftert ſchwelgt in tan:
melnder Zruntenbeit. Das fchwärmende, nächtige Weiterziehen
2 Bakchanals bei lautem Feſtruf und — ſchließt das
piel. —
x ei u s
Perfeis
In der Perfeustrilogie, beftebend aus Danae, Phor-
tiden und Polydektes, halt cs fihwer, fih die zum Theil
Beinlihen Zufammenhänge von Schuld und Strafe unter dem
Geſichtspunkt der großartigen Aifchyleifhen Zrilogie zu vers
knüpfen. —
König Akriſios von Argos ‚hatte, dem Drafel, daß feiner
Tochter Sohn ihn umbringen werde, zu entgehen, Danae mit
ihrer Amme in einen Thurm auf dem Borhofe feines Pallaſtes
eingefperrt, um Fe fo vor jeder Gemeinfchaft mit einem Daun
zu bewahren; aber Zeus nahte ihr ale goldner Regen, und fie
gebar den Perfeus. Des alten Königs blinder Menfchenking:
beit, die zuverſichtlich des Gottes Willen zu täuſchen glaubte,
um felbft getäufcht zu werden, mag wohl die zugleich bräutliche
und traurige Hoffnung der gottvertrauenden Jungfrau ergrei-
fend gegenübergeftanden haben. —
Das zweite Drama zeigt ben Heldenjüngling Perfeus, der
Danae Sohn, in Hermes Begleitung anlangend vor der fon»
nenlofen Höhle der ewig greifen Graien; er raubt ihnen das
eine Auge und den einen Zahn, deflen fie ſich abwechfelnd be:
dienen, um dafür von ihnen den umfichtbar machenden Helm,
die Tartſche, die Flügelfhuhe zu erhalten und die Höhle der
Gorgonen zu erfahren, deren Hüterinnen fie find. Denn Pos
Igdektes, ron dem feine Mutter und er felbit, als Akriſios fie
den Wellen preisgegeben hatte, auf der Inſel Seriphos auf:
genommen waren, bat nach Danaes Schönheit begierig den
474 Berfeis.
Sohn hinausgefandt, ihm das Haupt der Meduſa zu holen:
er werde, wenn es Perfeus nicht bringen, die Mutter zu fei-
nem Willen zwingen; er hoffte, daß Perſeus umkommen werde
auf der gefahrvollen Fahrt. Den Göttern vertrauend hat ber
Jüngling das kühne Unternehmen begonnen, er erhält von den
Graien was er wünſcht, und giebt ihnen dafür das Entwen⸗
dete zuruück; er binder die Flügelfchube an, bangt die Tartſche
am, fegt den Helm auf, und zieht hinaus gegen die Gorgonen,
„wie ein Eher dringt er ein in ihre Höhle,“
mit abgewandtem Haupt naht er den fchlafenden Schweſtern,
and trennt das Hanpt der fchlaugeniodigen Meduſa vom
Rumpf. Bom Zifhen der Schlangen um ihre Stirn erwa-
hen die Schweſtern, fie beginnen den Mörder zu verfolgen,
aber der görttlihe Helm entzieht Perfens ihren Blicken; fie ſu⸗
hen ihn vergebens, bis von ihrem Geſchrei aufgeftört Pofeis
don, der einft Medufen geliebt hat, aus den Tiefen des Mee⸗
res emporfteigt, und die Schweftern heimzukehren bewegt: es
fei ihr alfo gefchehen, weil fie in frevfem Stolz fi) höher umd
fhöner geglaubt ale Athene. — Und an der Hand der Göttin
Dallas Athene erfcheint der fiegreihe Held; fie fagt ihm vor⸗
aus, was fein Geſchick fein, wie er heimkehrend mit dem Me
dufenhaupt den Riefen Atlas verfieinen, im fernen Aethiopen⸗
Sande Andromeda erretten werde. So ſchließt die Tragödie.
Und fhon hat Polydektes feines Truges Frucht genießen
zu koͤnnen gehofft; in der Zuverficht, daß Perfeus nimmer wies
derfehren werde, hat er die ſchöne Danae zu feinem Willen
zu bereden verfucht, zu zwingen gedroht; in ihrer höchften Angft
ift fie zum Altar geflohen, vieleicht daß fich ein Gott noch ih⸗
rer erbarme, — da kehrt Perfeus zurüd, er hört den Frevel
des Könige, und als dieſer von feinen Zrabanten nmringt
fommt, die Danae vom Altar zu reißen, hält der Sohn ihm
das Meduſenhaupt entgegen, davor er und die mit ihn find,
Oidipodeia. 475
zu Felſen erſtarren. Durch irgend eine Verbindung iſt auch
der greiſe Akriſios zugegen, und obſchon Perſeus ihm gern
vergißt, was er an ihm und ſeiner Mutter gethan, ſo muß
ſich doch die Strafe des früheren Unrechtes und das Orakel der
Götter erfüllen, indem bei Polydektes Leichenſpielen zufällig des
Derfeus Diskus Akriſios Fuß trifft, und durch diefe Wunde
‚ der Greis ftirbt. —
Namentlich find in der letzten Tragödie die Fäden des Zu:
fammenhanges ſchwer zu entwirren; es ift eine Verknüpfung
des Serichtes über Akriſios mit dem Tode des Polydeltes nach
den Spuren ber alten Sage nicht mehr aufzufinden. Indeß
kann man vorausfegen, daß in demfelben Maafe, wie das
Mitteldrama heftig bewegt und dur den Phorkidenhor wun⸗
derbar erfheint, die Geſtaltung des Ganzen großartig und tiefe
finnig gewefen if. Die lieblihe Danae, die um des Gottes
Willen, der fie liebt, duldet, die fehwere Waffenprobe des gott
gezeugten Helden, endlich der Sieg der lang gefährdeten, jetzt
durh Kampf und Sram hochberechtigten Herrlichkeit des Hel-
den und feiner Mutter, das mag wohl der allgemeine, ethifche
Zufammenhang der Trilogie gewefen fein.
—
Oidipodeia.
Dieſe Trilogie enthält in den drei Tragödien Laios,
Spbinr und Didipus die finſtere Geſchichte des thebäiſchen
Königshauſes bis zum Ende des Oidipus. Des Labdakos Sohn
Laios harte den fchönen Knaben Chrufippos entführt und zu
fhnöder Woluft mißbraucht; als das des Knaben Vater Per
416 Dibipobeia.
lops erfuhr, verfluchte er den Knabeuſchaͤnder und verwünfcte
ihn zum Tode durch die Hand des Kindes, das ihm einſt würde
geboren werden. Laios hatte fi mit Jokaſte vermählt, und
als er über ihre Kinderlofigfeit bei dem Orakel anfragte, er:
bielt er (nach Enripides) zur Antwort:
„Sä’ kein Geflecht dir trog der Götter ew'gem Rath;
Denn einft erfhlagen wird der Sohn did, den du zeugſt.“
Zange hütete der König fih wohl; aber endlich verführte
srog Zeirefins Mahnung ihn feiner Freunde Nath, den Willen
der Goͤtter zu übertreien. Mit der Geburt des Sohnes be⸗
ginnt die Zragödie; fortan ift Feine Nettung mehr vor ber
vollen Strafe des alten Frevels; und doch wagt der König deu
Willen der Sötter zu täufhen; das Kind, das ihm gebracht wird,
daß er fich deſſen freue, er befchließt es zu verderben, er durch⸗
bobrt die Füße deffelben und binder fie zufammen mit goldenen
Spangen; dann übergiebt er es einem Hirten:
„Im Topf ausfegen wirft du es“ — —
auf dem Kithairon, damit es dort ein Raub der wilden Thiere
werde. So glaubt Laios fich gerettet. —
Lange Zahre find vorüber; Laios ift nicht mehr; von dem
Tode feines Kindes fih zu lberzeugen, war er gen Delphi
zum Orakel gereifet; auf dem Wege hatte ihn ein Fremdling,
der ihm den Weg räumen follte und nicht wollte, erfhlagen;
ſtatt feiner führt nun Jokaſtes Bruder Kreon die Herrfchaft. Aber
vor den Thoren der Stadt ift ein fürchterlihes Ungeheuer
erfchienen; die Sphinz, halb Zungfrau bald Löwin, liegt und
lauert am Wege zur Etadt, fie giebt jedem Wandrer ein Räth⸗
fel zu löfen auf, und flürzt jeden, der es nicht löfet, im den
Abgrund. Das Raͤthſel war:
„Ein Zweifüßiges if vierfüßig, fein Name derfelbe,
Iſt dreifüßig. Es wecfelt allein, fo vieles Geſchöpf aud
Ueber der Erd’, in den Lüften und tief in dem Meere fich
findet.
a
Didipodeia. 5 477
Aber fobald es fih regt von ben meiften der Füße getragen,
Dann am wenigften fhnell find feine verfuchenden Glieder.“
Schon viele Thebäifhe Männer hatten das Räthſel zu
löfen umfonft verfucht und waren der biutdürftigen Sphinx zur
Bente geworden; und ale auch Haimon, des Kreon Sohn,
daſſelbe Schickfal erfahren, da gebot fein Vater durch Herolds⸗
ruf, wer das Räthſel Töfen würde, dem follte feine Schweſter
Jokaſte zur Gemahlin, und das Königthum ale Mitgift geges
ben werden. So fommt ein Forinthifher Fremdling, fein Name
it Didipus, das Orakel hat ihm verboten in feine Vaterſtadt
gnrüdzufchren, oder er werde den Bater ermorden und Blut:
fhande treiben mit feiner Mutter; ex hört das Räthſel und
antwortet der Sphinr:
„Höre, wiewohl unmillig, geflügelte Muſe des Todes,
Wie wir dem Frevel ein Ziel fegen mit unferem Wort;
Wahrlih du meinteft den Menſchen, der, weil anf Erben
er wandelt,
Erft vierfüßig eriheint, Kmäbchen den Windeln entfchlüpft;
Aber den Greis auch flübet der Stab als dritter der Füße,
Wenn ihm vom Alter das Haupt müde barnieder ſich
beugt.“
Die Sphinx ſtürzt ſich vom Felſen hinab, Didipus aber zieht
ein in die Stadt, die jetzt fein gehört; froh' begrüßt man ihm,
der zum Hades hinab
„Sandte die ſchenßliche Sphinx, die bezwingende Hündin;“
Kreon übergiebt ihm das Scepter, und befränzt ion feſtlich;
denn
„für unſern Gaſt ift jetzt der ſtirnumfahnde Kranz
Der Feſſeln ſchoͤnſte, gleich Prometheus Weidenkranz.“
Sp zieht der neue König ein zur Vermählung mit Jokaſte. —
Und wieder eine Zeit ift vergangen, Didipus iſt glüdlic
als König, glücklich als Bater zweier Töchter und zweier Söhne,
478 ' Dibipobeia.
die ihm Jokaſte geboren. Eine Peſt bricht herein uber das
Land; das Orakel wird befragt, es offenbart, daß Laios Tod
noch nicht gerächt ſei. Man foricht, es beginnt ſich der gräß-
lihe Zufammenhang zu enthüllen, dem Didipus zu entfliehen
gehofft hatte. Und als einer von den damaligen Begleitern
des —— erzaͤhlt:
— — „mir fuhren dort den Wagenweg,
Der dreigetheilten Straße Kreuzweg,” — —
wie dort dann ein Fremdling kam und trog des Zurufs des
Wagenlenkers nicht ausweichen wollte, wie der fleigende Zant
endlih zum Morde des Königs geführt hatte, da erkennt fih
Didipus als den Mörder. Und immer neue Zeichen ftürmen
berein, er erkennt auch fein Geſchlecht, er ift nicht des Ko⸗
rinther Königs, er ift des Laios Sohn, und Jokaſte feine
Mutter, das Drakel des Gottes erfüllt. Jokaſte geht und er:
henkt fih, Didipus aber reißt fih die Augen aus, er verflucht
ſich und fein Gefchleht, in Theben ift feines Bleibens nicht
länger; ausgeftoßen von Kreon wandert er, von dem Chore
begleitet, gen Attila; dort im Heiligehum der Demeter, der .
Arhene, des Zens zu Kolonos fegt er fih nieder als Schupfle:
bender. Der König des Landes, Thefeus, kommt und nimmt
ihn freundlich auf; er feiert feine Sühne und weiht ihn ein
in die heiligen Myſterien Attikas. —
Hierher fcheinen die Bruchſtücke 372 und 373 zu gehören;
das eine befchreibt dem blinden Didipus die feierliche Pracht
des Fackelzuges der Geweihten:
„mit Hadernd hellen Bligen flanımt der Fackeln Schwarm,‘
und dem antwortet Didipus:
„mich ergreift ein Schauer; dod verlangt mic IN
Nach diefen heiligen Weihen“ — —
Durch dieſen Schluß wird die Erzählung, daß and im
Didipus Myſtiſches vorgekommen fei, erflärlih. Die Berän-
— — — — WE
Pentheus. 479
derung der Scene darf hier ſo wenig wie in der Oreſteia auf⸗
fallen, da ſie beide Male zur Verherrlichung Athens dient. Zu⸗
gleich aber iſt gerade dieſer Schluß die herrlichſte und feierlichſte
Berfühnung für das viele Leid des Oidipus; mit dieſer Weihe
ift das furchtbare Gefchid feines Haufes zur Ruhe gebracht;
der fromme Theſeus if der Heros einer glüdlicheren, frieden-
feligen Zeit. —
—
Yyenthense.
Schon vor längerer Zeit hatte Herr v. Raumer in einer
trefflihen Abhandlung über mehrere Tragödien des Euripides
auf die Mangelbaftigkeit und willführliche Verftandesanficht in
den Bakchen diefes Dichters aufmerkſam gemacht; er fand vie
les in diefer Tragödie, was, fo wie es daftand, ohne Verbin:
dung und Nothwendigkeit war, und feinen Mittelpunft gleich⸗
fam außer dem Kreiſe des Gedichtes zu baben fchien. Die
Löfung diefes Räthſels war unmöglich, bis Herr Welder chen
fo glücklich wie geiftreich nachgewiefen hat, daß Euripides na⸗
mentlich diefe Tragödie nach einer Trilogie des Aiſchylos bear:
beitet habe, in der ſich dann freilich alle jene Inconvenienzen
zu einer. herrlichen Harmonie vereinten.
Das erfte Stück der Trilogie it Semele oder die
Wafferträgerinnen. Die Hauptperfon ift Semele, des
Könige Kadmos Tochter, die ein Kind unter ihrem Herzen
teägt; der Vater der Götter und Menſchen bat fie umarmt, fie
erwartet ihre Stunde in ſtillſchwärmender, feierlicher Begeiſte⸗
rung: fie iſt des Gottes voll, den fie gebären wird. Aber ihre
430 Benthens.
Schweſtern, vor allen Agane, hat nicht glauben wollen, baß es
Zens fei, ber fie erfannt hat; es ift nicht Beweiſes genug, daB
wer ihren Schooß berührt, ergriffen wird von ber gleichem,
göttlihen Begeifterung. Sie mag nicht länger den Spott hö⸗
ren, ſie fleht zu Zeus, er moͤge ein Zeugniß geben, daß fie
wahr geſprochen; — fie hätte Kil dulden follen, zu fpät beremt
fie ihr Wort, umd geht trauernd zurüc in den Pallaſt; ein ern:
fier Chorgeſang begleitet fie. Und ſchon bewährt ſich des Got⸗
tes Macht, Flammen ergreifen den Pallaft,
„Der weifen Meifter ftolzen Ban bemeiftern fie‘
und verzehren ihm unter gewaltigen Donnerfhlägen; die fterb:
liche Mutter vergeht, das göttliche Knäblein fterbend zu gebären;
der Chor müht fih das Feuer zu löfchen, der Inhalt eines hoͤchſt
belebten und funftreichen Chortanzes. Aber die Flamme felbft
erfheint der Schwefter als ein Zeugniß gegen Semele;
„Zeus, der getödtet diefe”
habe die freventlihe Beſchoͤnigung einer menfchlichen Liebe und
die Entweihung feiner Hoheit an ihr firafen wollen. Und aus
der finfenden Flamme hervor wächſt durch ein göttliches Wun⸗
der Ephen und Wein und rankt fih num das Gemäner und
die verfohlten Pfoften; aus der Weinlaube wird das neuge-
borne Anäblein in einer weinumrantten Schaale gebracht von
dem Dämon Amphidromos und der bakchiſch geſchmückten
Amme; nad alter Hellenenfitte laufen fie mit dem Kinde drei⸗
mal um den Heerd und dann hinaus in die Weite. —
Sn der zweiten Tragödie Penthens (oder die Bakchen)
tritt der enthuftafifch feierliche Chor des neuen Gottes Diony-
ſos auf, zu deffen orgiaftifchem Dienft fhon die Weiber The:
Deus, Kadmos Züchter an ihrer Spige, hinausgezogen find auf
ben Kithairon, dem fich der greife Kadmos felbft, welcher bereits
das Königthum dem Sohn der Agaue, Pentheus, abgetreten
hat, geneigt zeigt; mur Pentbens behauptet die ruhige Befon-
Pentheus. 481
nenheit, die dem Fürſten geziemt; er bat von ber Wilbheit dee
neuen Drgien gehört, und trog dem Rath des Schers Teirefias
befchloffen, ihnen Einhalt zu ıhun. Da führt man einen gefan-
genen Knaben don wunderbarer, weihliher Schönheit baber;
er fagt, er habe des Gottes Siegeszug nah dem fernen Afien
begleitet und feine Wunder gefehen, er fchildert Die unmiders
ftehlihe Kraft bakchiſcher Begeikerung, er ermahnt den König,
willig den neuen, ihm felbft verwandten Gott aufzunehmen,
damit nicht großes Unheil entſtehe,
„daB Ströme Blut dus nicht vergießeſt bier im Land.“
Aber der firenge Penrheus hört ihn micht, er läßt ihm ergreifen
und gefeflelt in den Stall der Rinder führen. Bald aber thut
fih des Gottes Macht fund; nuter lautem Donner Rürzt der
Pallaſt zufammen, und aus feinem Kerker tritt der jugendliche
Bott Dionyfos, mit dem jauchzenden Chor hinauszugichen in
den waldigen Kithairon. —
In der dritten Tragödie, den X antrien ( Zerfleifcherin:
nen), folgt die Strafe des Pentheus durch den Frevel feiner
Mutter Agaue. Pentheus ift hinausgezogen zum SKithairon,
wo die Bakchen in taumelnder Begeiſterung umberfchweifen mit
ihren Thyrſen und Panten,
„mit der flammenumzüngelten Fadel von Kien“
lärmend ihre Drgien feiern: fo wittern fie plöglich ein Wild,
ringe wird es ftill; ade laufchen, alle ſtürzen, Agaue an der
Spitze, auf Pentheus los; umionft nennt er feinen Töniglichen
Kamen, umſonſt fleht er die Mutter an, Die ſchon ihm verfolgt
mit ihrer Schweſter und dem ganzen braufenden Ehwarm der
Bakchantinnen. Während der Chor wit beftig wilden Tang
in der Orcheſtra die Verfolgung des Peutheus uahahınt, bie
indeß draußen von ber Mutter und ihrer Schweſter vollbracht
wird, erfheint die Wuth, eine granfige dämoniſche Geſtalt;
. 91
483 Benihens,
was drangen bereits gefhieht, das mahlt Doppelt furchtbar ihr
aufiagendes, wildes Gebot:
— „von den Sohlen aufwärts Glied um Glied,
Steig’ Wuthzerfleifhung bis zum Scheitel wild empor.
Sei meiner Zunge Geißel Skorpionenſtich.“
Run kehrt die Mutter und Schweher mit dem blutigen Leich⸗
nam zurück, dem fie nach dem Berichte des Boten,
— — „woͤlfiſch wild
Empor a fort geriffen, zwei Wölfinnen gleich,
Die ein junges Reh heimſchleppen.“
Aber die Wuth der Mutter iſt plöglich gefühlt durch des Soh⸗
nes Bint; fie erkennt, was fie gethan;
„ſelbſt ſich dieſes Grames Natherin “
verſinkt fie in tiefſte Trauer; der ganzen Qual des Bewußt⸗
ſeins anheim gefallen, uuoNe fie in die verborgenften Einſam⸗
Reiten fliehn,
„gu denen niemals Helios milder Blick, und nie
Des Letofindos ſternumlächelt Auge dringt.”
Erſchütternd wirkt gegen diefen tieften Sram der Mutter der
wilde Lärm des Bakchanals, das von — neuen Trium⸗
phen weiterzieht. —
In der oben bezeichneten Tragödie des Euripides wird
zum Schluß ohne Zuſammenhang mit der Fabel des Stückes
angeführt, daß der Dionyſoszug weiter gen Argos ziehe, und
anderweitig lieſet man, daß die Weiber in Argos raſend ge⸗
macht ſeien und der eigenen Kinder Fleiſch gegeſſen hätten.
Die Vermuthung liegt nahe, daß getade dieß der Inhalt des
Aiſchyleiſchen Satytſpieles geweſen, es konnte keine luſtigere
und troͤſtlichere Entſchäädigung für Agaues Kummer geben, als
wenn nun bie Mütter in corpore ihre Kinderchen umbräch⸗
ten, recht appetitlich zubereiteten und etwa bei Fadellicht mit
den täppifchen Satyru gemeinfam verzehrten. Wiederholung
Pentheuo. 463
und Maſſe macht iu das Gräßlihe gewoͤhnlich und bald
lächerlich.
uebrigens dürfen wir nicht verhehlen, daß in der —
Zuſammenſtellung des Inhaltes namentlich der zweiten und drit⸗
‚ten Tragödie fih manches findet, das weder dem fcharfen Rhyth⸗
mus der Nifchyleifchen Compofitionen entfpricht noch die tragi⸗
fen Momente ſchlagend genug bezeichnet. Doch dieß fcheint
angenommen werden zu dürfen, daß, wenn die vorfiehenden Alte
nahmen richtig. find, die Mitte des Meitteldramas und fomit
der Trilogie die Erzählung des fhönen verfaunten Zünglings
einnimmt, und daß dem bakchiſchen Enthuſiasmus gegenüber die -
Falte Beſonnenheit des Penthens in der Confeguenz ihrer Eteis
gerung felbft zu einem Enthuſiasmus der Nüchternbeit und Ver⸗
ſtändigkeit führt, dur den er in den Tod geflürzt wird.
Es mag erlaubt fein, bei der dramatifchen Unbehülflichkeit
und Breite, die die mitgetheilte Dispofition unläugbar hat,
eine Vermuthung anfzuftellen, die wenigftens ‚größeren Reich⸗
thum in die Gompofition bringt.
Den Titel „Waſſerträgerinnen“ für den Chor der erſten
Tragödie auf die obige Weile zu nehmen, ift nicht wohl ge:
rathen. Denn jened Semelefeuer war ein heiliges und uns
löſchbares; es würde etwas fatyresfes haben, den Chor einem
fo tragifhen Moment gegenüber mit menfchenfreundlichen Löſch⸗
bemühungen fich erfolglos quälen zu ſehen; endlich erinnert der
Titel Hndrophoren an einen beftimmten religiöfen Gebraud) in
Beziehung auf Todte, denen eine Art Sühnopfer gebracht wird.
Aber welhem Zodten follte hier Sühnopfer gebracht werben?
Das Bruchſtück, welches wir oben mit gewagter Emendation
überfegten „Zeus, ber getödtet dieſe“ heißt eigentlich „Zeus,
der getödtet diefen.” Das Rechte zu-finden, kommt uns Em
tipides in den Bakchen zu Hülfe, der (B. 330 und 1292) ax
Altaion’d Tod erinnert; und Altaion war Autonoe's, ber Se
— —4
284 Pentheus.
mele Schweſter Sohn, und eine alte Sage erzählt, daß er um
Semele gefreit habe; da erflärt fich denn wohl jenes „Zeus,
der getöhter dieſen;“ Zeus hatte Semele für ſich erlefen. At:
taion aber wird ihre Rede, daB fie des Gottes Kind trage, nicht
geglaubt, ja fie als böfe Buhlerin befhimpft haben.
Unter den Aiſchyleiſchen Dramen heißet eines „bie Schäy-
zinnen‘ genannt nad dem Chore von Mädchen „mit hoch⸗
auffhürzenden Gürteln.“ In diefem Stüde kamen ein Paar
Verſe vor, in denen es heißt, „daß nie ein Tag ohne Jagd
den Altaion leer von Muͤhe heim gefendet habe,” wohl Worte,
De er ſelbſt ſprach; ferner if wohl aus demfelben Stüde bie
Angabe, „Aiſchylos nenne fo und fo die vier Jagdhunde Ak⸗
talond‘ und der Vers:
„Die Hunde riffen dann den Hertn in Stücke“
beides aus dem Bericht des Boten von dem duch Zeus vers
hängten Zode Altaions. Außerdem läßt ein Bers deutlich des
Jünglings Anrede an Semele erkennen:
„Ich weiß des jungen Weibes Tiebeflammend Aug’,
Das ſchon genoß des Mannes, zu erkennen wohl
und babe dafür feinen Sinn und Ange troß
Des beiten Roßkamms.“
Man fieht, der Tee Jägersmann, der Liebling der Artemis
quält die holdfelige Zeusbraut, fie wird redlich bekennen müſ⸗
fen und Leinen Glauben finden. Und ungefähr eben dahin
zielt ein andres Bruchſtück, das allzu verdorden if.
Eind die bier angedeuteren Vermuthungen richtig, fo wird
ſich dieſe Trilogie der Werkennungen göttlicher Nähe und Herr:
lichkeit Bezeichnen mit folgenden Ziteln: die Shäginnen,
Semele oder die Hydrophoren, Pentheus oder die
Tantriern. Die dramarifche Geſtaltung ergiebt fi bei nähe:
ter Betrachtung leicht und in der That reichlicher entwickelt,
als in der oben beſprochenen trilogiſchen Form.
X — —
Wish ee
Nach Herrn Welders Anſicht war die Niobetrilogie folgender
Maapen gefaltet. Das erfie Drama, nah dem Chore die
Ammen benannt, zeigt das Haus der Niobe und des Am⸗
pbion in feiner ganzen, wunderbaren Herrlichfeit; er des Zeus
Cohn, König der herrlihen Theben, von den Mufen einft bes
fhentt mit jener Leier, zu deren Zönen fih die Steine ſelbſt
zufammengefügt haben zur Mauer feiner Stadt; Niobe, Toch⸗
ter des reihthumtrogenden Luderfönigs Tantalos, ſelbſt Mut
ter don fieben Söhnen und fieben Mädchen, glücklich und ftolz
auf ihr Glück und ihr Geſchlecht; fie verachtet die flüchtige
Göttin Leto, die kaum einen Ort bat finden können zu gebä⸗
ten: in ihrem mäütterlichen Stolze meint fie ſich herrlicher als
die Mutter nur zweier Kinder, der Artemis und Apollon’s.
Und als nun Manto, Teirefias des Schers Tochter erfcheint
und gebietet, der Göttin Leto und ihren Kindern zu opfern,
fo verbietet Niobe dem Volk die Altäre und ben Dienft ber
armfeligen Gottheiten; ihrer Herrlichkeit folle man fich beugen,
ihren Schutz anflehen, ihr Opfer und Weihrauch fpenden.
Bergebens fleht der Chor der Ammen um Nachgiebigkeit, um
Demuth und Gottesfurcht, damit der Götter Zorn nicht bie
thenren Kinder treffe:
EM „mit unfrer Milch flillten wir fie,”
and weiter: „theuer find fie uns
„wie der gefellig niftenden Schwalbe”
ihre Zungen. Auch Amphions verftändiger Rath bleibt unbe:
achtet; die Königin im höchſten Stolze achtet ſelbſt des Zeus
486 Nioke.
nicht mehr; fie ift Mutter, fie ift göttlichen Urfprunges, was
bedarf fie weiter? mag Zeus ihr alles rauben, fie zieht mit
ihren Kindern ein in Letos Tempel, fie erklärt fich bereit, daß
fie dann ſelbſt
„auch feinen Tempel, auch Amphions Königsburg
Mit Hammenfchleudernden Adlern niederbrennen will.”
Mir einer Prachtſcene, in der die hehre Mutter, von ihren
zweimal fieben Kindern umringt, einzieht in den neuen Tempel,
fhfießt das Drama. —
Die zweite Tragödie heißt bie Geleiterinnen. Die
Gottheit hat den Frevel der Mutter an ihren Kindern ges
ftraft; die Mädchen von Artemis Pfeilen, von Apollons Pfei-
len die Zünglinge getroffen, find alle todt; fie birgt ein ge:
meinfames Grab. Und aus dem Pallaft hervor tritt Niobe
tieftrauernd, tiefverhüllt; Tlagende Weiber geleiten fie von der
Bühne herab zum Grabhügel; und während fie in langen er:
greifenden Gefängen den Tod der Kinder und das verüdete
Königshaus und den Bram des Vaters und die Traner des
Volkes fingen, figt Niobe regungslos, ftummbrütend über dem
©rabe ihrer Kinder. Dann tritt Amphion auf voll heftigen
Schmerzes über den Tod der Kinder, in feiner Verzweiflung
fi felbft zu ermorden entfchloffen; Niobe fit fehweigend und
regungslos über dem Grabe; was noch gefhehen kann, es ge:
het eindruckslos an ihr vorüber; nicht Worte, nicht Thränen,
nur dieß Erftarren, diefer Scheintod des Lebens kann den end⸗
Iofen Berluft der verwaifeten Mutter, den tiefgebrochenen Stolz
der Tantalostochter bezeichnen. — Und in den Tiefen der Erde -
hallt ein rollender Tonner, des Hades Auf; fie erwacht aus
ihrer Erftarrung, fie ſchlägt mit der Hand die Erbe, und
ſpricht:
„ich komme ſchon, was rufſt du!“
Langſam und feierlich erhebt ſich die gramgebeugte, hochragende
Niobe. ı 487
Geſtalt; ihr Schmerz und ihre Kraft ift gebrochen; fie kann
"nicht weilen an diefem Det, der ihres Stolzes Grniedrigung
ſah, fie kann vor Schmerz nicht fterben, wo fie das Grab Der
Kinder fieht, die ihr Schooß geboren; fie will zum Heimath⸗
Iande, zum Lande ihrer Kindheit, zum Vater Tantalod. So
fcheidet fie von dem Grabe; begleitet yon einem thebäifhen
Chor zieht fie fort zur Indifhen Heimath. —
Die Scene der dritten Tragödie, Niobe, ift in Lydien bei
dem greifen Könige Tantalos, der in früheren Tagen, ftolzen
Trotzes voll, ſelbſt der Götter Geheimniffe nicht achtete, ſelbſt
ihrer Allwiffenheit fpottete. In dem flolgen Gefühl der eige⸗
nen Größe fpricht er von feinem weiten Reiche:
„Zwölf Tagereifen Weges wird mein Feld gepflügt,
Das Land Berekynthos, drinnen Adraſteia wohnt.
Vom Stiergebrüll, von meiner Lämmer Blöfen hallt
Der Ida wieder, hüpfend wimmelt alles Feld.”
Ein Bote berichtet feiner Tochter Nahen, ihren Berluft, ihren
Sram, wie fie
— — — ‚fitend auf dem thenren Grab
Stumm über ihre todten Kinder brütete.“
Es if im Tiefften ergreifend, wenn die etnft fo ftolze, fo glück⸗
liche Mutter jegt findlos „gramverwaift” in das Vaterhaus
zurückkehrt; fie hat umfonft geboren, es Tnüpft fie nichts mehr
an das Dafein. So empfängt fie der greife Vater; felbft ſei⸗
nes ftolzen Sinnes Kraft bricht erfhüttert zufammen; er fagt:
„Mein Geift, der fchon im Himmel droben athmete,
Jetzt ſtürzt er tief zur Erden, und gemahnet mid:
Gedeunke nimmer, was des Menfchen ift, au hoch
Zu achten,“
und fpäter:
— — „Den Menſchen fhuldig werden Täßt ein —
Sobald er ſpurlos fein Geſchlecht vertilgen will.“
488 Niobe.
Für Riobe iſt kein Gedanke mehr denn der Tod, der einzig
verſoͤhnen kann ihre Schuld und ihren Schmerz; den Tod zu
finden, will fie in die Einſamkeit geben, wo
— — — „bei des Ida Felfenwand
Einſam der Altar ſteht des väterlichen Zeus.“
‚Der Bater verſucht fie zu tröflen; mande Sorge würde der
Söhne Schickſal, manche ber Töchter viel gefährdete Tugend
ihr gemacht haben, denn
„auf folhe Zungfrauen lauert Liebesbrunft geheim.”
- Cie ahtet auf fein Bitten, auf keinen Troſt; es bewegt fie
auch niht die Erinnerung, daß
„Bon den Göttern einzig nur der Tod Tein Weihgeſchenk,
Kein Dpfer, keine Spend’ im Tempel lächelnd nimmt,
Ihm nie ein Altar, Hymnen niemand weihen darf,
Bon ihm allein fi Peitho traurig wenden muß.”
So geht fie hinaus an den Drt, wo ihr verhängt iſt zu ſter⸗
ben. Wie fie dort wunderbar erfarrt zum einfamen, epheu⸗
umfchlungenen Selfen, von dem raftlos riefelnde Quellen bew
abweinen, deilen Echeitel fich halt im den dichten Schleier
ewigen Schnees, — das etwa erfüllt den Schluß der Tragödie.
Das einftimmige Urtheil der Alten, daß diefe Trilogie zu
den erhabenften des Aiſchylos gehöre, finden wir in Wahrheit
durd) das Wenige, was fich noch -jept wieder erfennen läßt,
beitätigt. Aber es fehlen uns zunächſt für das Endſtück bes
deutende Motive; nur dunkel ahnden kann man jene erſchüt⸗
ternde Zufammtenftelung des greifen Baters und der kindloſen
Mutter, die nicht mehr gebären wird, der feine Liebe mehr
blüht als die längſt vergefiene Kindesliehe ihrer ferufleu Kind-
heit. Wie der ergreifete Götterfrevler Tantalos gefchildert,
was von feiner Schuld und feiner Strafe if die Handlung
verflohten, wie endli bie ganz. vernichtete und in ihrer Kraft
gebrochene Niobe zum Mittelpunkt der Tragödie gemacht war,
Hypfipyle. | 489
das entzieht ſich bartnädig ‚der Moͤglichkeit kritiſcher Nachwei⸗
fung. Endlich fcheint das erfte.Stüd „die Ammen‘ nicht ver
fhieden von „Dionyfos Ammen,“ dem Satyrfpiel, und nidt
recht abzufehen ift, wie jener einfadhe Hergang zu zwei Tragö⸗
dien hinreichenden Stoff follte geboten haben. Faft möchte man
geneigt fein, den Geleiterinnen und der Niobe als dritte Ira:
gödie den Steinwälzer Siſyphos beizufügen; nur reicht
folhes Muthmaaßen über den Bereich Frisifcher Sicherheit ent:
fchieden hinaus. —
|
Hyplipylie
Die griehifhe Sage hat nicht leicht eine furchtbarere That
als die der Lemniſchen Weiber aufzumweifen; fie zeigt, welder
Wildheit das ſchwache Geſchlecht fähig it, wenn es in feinem
Weſen geflört wird.
Die Weiber von Lemmos hatten in perhängnißvollem Hoch⸗
muth Aphrodites Dienſt verſäumt: fie wurden von der Göttin
mit böſem Geruche geſtraft, der die lemniſchen Männer aus
ihren Armen hinwegtrieb, und fie veranlaßte, ſich thraciſchen
Mägden hinzugeben. Die Lemnierinnen, empört über dieſe
Schmach, befhließen fih blutig zu rächen; in einer Nadıt wer-
den ſämmtliche Männer der Inſel umgebracht, nur Hypſipyle
die Rönigstochter wagt es. ihren Vater heimlich gu retten. -
Run Tommen die Argonauten auf ihrer Fahrt an die Sn:
fel; fie wollen landen, aber die Lemnierinnen ftellen fich ihnen
gewaffnet entgegen; fie gewähren endlich, nachdem die Argos
nauten ihnen Nachkommen zu erwecken gefchworen haben, die
u
4% Sypfipyle.
Landung. — Eo Ianden denn die Helden und feiern Hochzeit
mit den fchönen Frauen von Lemnos; nachdem fie ihren
Schwur erfüllt, fegeln fie weiter ihrem Ziel nach Koldis zu. —
Das iſt die Sage, die nach früherer Annahme in der Tri:
Iogie Argo oder die Nuderer, Hypſipyle und die Ka»
biren ausgeführt war; man meint, das erfie Drama habe Die
Abfahrt der Argonauten und ihre Seeſchlacht gegen die Tyr⸗
thener, das zweite der gefcheiterten Helden Ankunft auf Lem⸗
nos, den Kampf und den Vertrag, das dritte die Hochzeitfeier,
bei der die Kabiren von Lemnos die Wirthe machten, und die
Argonauten nicht wenig betrunfen waren, enthalten.
Indeß muß man gefteben, daß nicht recht abjufehen ift,
wie auf diefe Weife Handlung und tragifches Intereſſe im Ai⸗
fchyleifhen Sinn erreiht werden Tonnte. Es liegt am Tage,
daß den Hauptinhalt der Tragödie nieht Jaſon mit feinen Ar:
gonauten, fondern der Lemnifche Mord mit feinen Folgen bil:
den mußte. Es feheint mir wahrfcheinlicher, daß der Name fos
wohl der Trilogie als des erfien Stüds Hypfipnle oder wie
Aiſchylos auch fagte Hypſo war, daß dieſe erſte Tragödie den
Mord der Männer ımter Hypſipyles Führung, die ihren Vater
rettete, enthielt; in bie zweite Tragödie Argo oder die Rus
derer würde dann die Ankunft der mit Rudern verſehenen
Helden, ihr böfer Empfang, endlich der gegenfeitige Vertrag
fallen und der Vers (etwa der Hnpfipyle)
„Bo iſt der Argo fprachbegabter Kiel?‘
. und die Angabe (aus der Hypſipyle, das ift der Trilogie), daß
den gefcheiterten Argonauten die Lemnierinnen gemwaffnet ent:
gegen gefommen felen, gehören. Endlich das dritte Etüd die
Kabiren mußte die Hochzeit der Hypfſipyhyle mit Safon enthal-
sen haben; die Kabiren, die Genoſſen diefes großen Feſtes, ver⸗
hießen folches Webermanß des Weins, daß
Achilleis. 491
„Kein Weinfaß ſoll,
Kein Kübel zu Waſſer im flattlihen Haus,
Kein Schlau Teer bleiben des Weines.”
Sie drohen feherzend, dab an Effig Mangel fein würde des vie⸗
fen Weins wegen. Bon fo reihen Gaben genießen denn die
griechifchen Herven mehr denn genug; fie zerftreuen fich in fü:
fer Trunkenheit zu ihren Bräuten. Daß aud ihre Weiterfahrt
noch in demfelben Stüde war, fiheint aus folgendem Vers zu
erhellen:
„Did mag ic nicht zum Zeichen meines Weg's.“
— —
Adhilleis‘)
Diefe Trilogie, die der große Kenner des Aiſchylos tref-
fend die tragifhe Slias genannt hat, zeichnet wie die homerifche
den Zorn des Peleiden Achilles. Agamemnon hat ihm fein
Ehrengefchent, die fhöne Brifeis, genommen; drum zürnt der
Held, halt fih und die Seinen von allem Kampf fern. Ohne
ihn find die Achaier nicht im Stande den Feinden zu wehren;
und feit diefe nicht mehr Achills Heldenwaffen fehen und Hel:
denarm fühlen, drängen fie dreift umd dreifter gegen das Schiffs:
lager vor. Agamemnon ſchickt eine auserlefene Gefandtfchaft
an Achill, bietet ihm volle Entfhädigung und Genugthuung,
fieht um Erbarmen und Beiftand; der Unerbittliche weifet fie
zurüd, man foll fühlen, was es beißt, den Achill beleidigen, ihn
) Die tiefere Einfidht in diefe poetiſche Eompofltion verdanken wir
Schöll's „Beiträgen zur Geſchichte der griechiſchen Poefie.“ (1. 1. p. 290.)
Mit Recht hat er die Bruhftüce des Ennius zu Hülfe genommen, bie
Aiſchpleiſche Eompofition zu reconſtruiren.
498 Achilleio.
entbehren. Er vergißt in feinem Zorn, daß es nur fein Wille
und fein Zorn ik, wenn fih die Drangfale verlängern und
mehren, daß alles, was daraus hervorgeht — für ihn bald das
Schwerzlihfte — fein Werk und feine Schuld if.
Während in immer furchtbarerer Heftigkeit die Feinde aus
beängen, figt er mit feinem Freunde Patroflos im Zelt beim
Becher und Würfelfpiel. Seine Myrmidgnenihaaren ſammeln
fih, bitten zum Kampf geführt zu werden:
„Da ſiehſt du ja nun, glorreiher Achill,
Die Achaier gewürgt in des Speerlampfs Wuth,
Die du drinnen im Jet — — —
— — — den Feinden Tredenzeft!
Und fhon kommt Odyſſeus verwundet aus der Schlacht.
Er ruft den Helden heraus: für den Augenblid habe Aias den
Feind noch einmal zurückgedrängt, aber es werde nichts helfen;
es fei die hoͤchſte Gefahr; Achill möge retten, da noch zu ret⸗
ten fei. Der Held meint: wir Tenuen ja Odyſſeus Liflen; er
folgt niht. Mit neuen Liedern ſtürmt — denn fchon hört man
den Schlachtlärm deutlich — der Chor auf ihn ein:
„Peleide, Phthiot, fo du hörft die erdröhnende Weordfchlacht,
Wie eileft du nicht zu errettendem Beiftand ?"
Eiligſt kommt Aias Bruder Teufros, fein Bogen iſt zertrüm⸗
mert, er will Schild und Speer holen; ſchon iſt man geworfen,
Aias ſelbſt rückwaͤrts ſchreitend hat ſich über den Graben käm⸗
pfend zurückgezogen, er will an ſeiner Seite den Kampf er⸗
neuen. Solch ein Held in ſolcher Bewegung muß Odyſſeus
Wort mehr als beftätigen; Achill ſieht, daß die Gefahr ernfter
geworden, als ex es erwartet hat. Patroklos hält fih länger
nicht, mit Thränen bittet er den Freund hinauszichen zu dür⸗
fen, und Achill gewährt ihm gern, innerlich ſchon unſicher; er
will dem Unheil, das durch feine Hartnädigkeit Thon zu weit
gekommen, auf das Befte, foweis es feiner Haltung nichts ver⸗
Achilleis. 483
giebt, mehren; er giebt dem Fremde feine Waffen, feine Schaa⸗
ven mit; er übergiebt ihn der Gefahr, die er ſelbſt hervorge⸗
enfen, zu deren Abwehr er fich verpflichtet fühlen muß. Die
herüberleuchtende Flamme - eines ſchon angezündeten Schiffes
verwandelt feine Einwilligung in unwilliges Untreiben. So
geht Parroflos.
Run iſt Achill allein; wit Tantem Gebet ruft er bie uns
fterblihen Götter, daß fie dieß alles zum Heil wenden mögen.
Und anf feinen Ruf erfcheint die Mutter Thetis; forgfam er
funder fie, was gefchehen und wie weit er dem Freunde zu
gehen geftatter; nur abwehren fell er den Feind, micht felber
den Sturm gegen Slion wagen. Und che fie noch die wei:
tere Kunde fagt, kommt ſchon Siegesbotſchaft: eine Schaar
Myrmidonen ift es, die erbeutete Roſſe und Waffen bringen:
beim Anblick der Acilleswaffen feien bie Feinde gewichen,
tühn hade fie Patroflos weiter verfolgt, den Sarpedon, Zeus
Sohn, der firh zu twiderfegen gewagt, durchbohrt; vergebens
habe Hektor, Aineias, Glaukos den Leichnam zu ſchützen, den
Vatroflos zu werfen gefucht, fein feien die Waffen, die Roffe.
So ein frohes Licht dicht vor dunkelſter Naht. Denn
ſchon kommt der Nelcide Antilochos mit straurigfter Runde:
weit und weiter habe Patroflos den Feind verfolgt, fait Die
Troerfeſte erſtürmt, dann habe Zeus ihn in Hektors Hand ge:
geben; von Heftors Speer fei er durchſtoßen. Menelaos babe
ihn zu rächen verfucht, aber vor dem furchtbaren weichen nrüf:
fen, der fofort der Leiche die Achilleswaffen abgezogen, ſich
mit ihnen geſchmückt habe; noch ſchwanke furchtbar der Kampf
um die theure Reiche, "zweimal fei er den Feinden entriffen,
zweimal wieder verloten; man fänpfe noch
„Nur Waffen! Waffen!“
fchreit der Peleide; er will glei hinaus, zu helfen, zu rächen.
"Die Mutter beſchwört ihn: wenn er Hektor treffe zum Tod,
494 Achilleis.
ſo ſei ſeines Lebens Ende nah; oder wenigſtens ohne Wehr
und Waffe nicht ſoll er wider ihn gehn; zum andern Tage
werde ſie von Hephaiſtos neue Waffen ſchmieden laſſen; Hektor
werde ihm nicht entgehen. So geht die Mutter.
Und Achill ſoll der Waffen harren? Dieß Harren und der
herrlichen Waffen Verluſt und des Freundes Verluſt, was iſt
denn Schuld daran, als ſein eigener Wille, ſein zu trotziger
Zorn! nun muß es geſchehen, daß mit feinen Waffen der wü⸗
thende Feind die theure Leiche ‚gewinnt, fie zu mißehren zu fei-
nem Schimpf:
„Ein Libyſch Mährchen wird erzählt von einem Yar;
Der Nar, zum Tod getroffen von des Bogens Pfeil,
‚ ah lang des fihnellen Pfeild Gefieder an und fprad:
Nicht fremde Kraft war's, meiner eignen Federn Schwung,
Der mich erreicht bat.”
Antilochos fucht ihn zu beruhigen, zu tröften, zu erheben mit
der Erinnerung an den glorreihen Kampf des Freundes, der
nun fo klaͤglich erſchlagen fei.
„Antilochos, bejammre mic den Lebenden
Mehr als den Todten; was ich mein genannt, ift hin!“
Aber jede Weife der Betrachtung, jede Klage, jede Erinnerung
wird der Heldenfeele Achills zum Stachel der Rache, zum Durft
nad Rettung des legten, was ihm vom Freunde noch geblies
ben iſt. Die Botfchaft neuen Berluftes der Leiche entfcheidet
ihn; waffenlos wie er ift, eilt er hinaus, duch feinen Anblick
und den Donner feiner Stimme den Feind von der Leiche
zu fcheuchen.
Bald kehrt er zurück an der Spige des Trauerzuges, der
die Iheure Leiche zur Bühne bringt. Da mag der Held: wohl
gefhwiegen haben, während feine treue Schaar Klag’ um Klage
fingt. Dann küßt er und liebkoſt er die theuren Glieder:
Achilleis. 495
„Und deiner Schenkel keuſches Paar, ich netze fie
Mir Thranen:
mit Staub und Blur it der edle Leib beſudelt: |
„O fieb, ih küß' ihn, nehme feinen Abfchen dran!“
er fchilt den böfen Ares, der um feinen Freund fo blutig ge
worden:
„Du haft der Hüften keuſche Reinheit nicht geehrt,
Du grimmer Buhle mit der bittren Küſſe Gier.‘
Unter folchen. Klagen mag.die Tragödie fließen.
Die zweite Tragödie*) können wir nicht fo klar verfolgen;
felbft den Zitel vermögen wir nicht zu beſtimmen. Gewiß er
fchien zunächſt Theris mit ihren Schweftern den Nereiden, dem
Helden die neuen Waffen zu bringen; nod einmal mochte fie
verfuchen, den Sohn von dem Kampf, der feinem Leben frühes
Ende bringen wird, zurüdzuhalten; er will lieber zu den Schats
ten des Hades, ald das Gedächtniß des Freundes ungerächt
und ungeehrt laffen So gebt fie traurig mit den Schweitern
von binnen. Dann erfolgt die Rückgabe der Brifeis; Achill
befommt nun die Genugthuung, die er verfchmäht hatte, als
er noch allen hülfreich und fegensreich hätte fein Lönnen; er
bat fie nun mit der theuerfien Leiche erkauft; fie if für ihn
*) Ich babe meinem Freund Schdl nicht zugeben Fünnen, daß
die Nereiden den Chor für faft zwei Tragddien nacheinander abgeben
ſollten. Ich muß aud jest noch der Anſicht fein, daß es nur eine Tra-
gödie ber Rereiden geb, und dieſe glaube ich anders wohin gehörig;
enn zum Bringen der Waffen paßt nicht das Fragment: „es fährt
der doppeltgefpigte Speer’ — auch eine Emendation, die den gewünſch⸗
ten Sinn gäbe, bietet fih nicht bar. Es fcheint mir auch ſetzt noch
richtig, daB Gefangene, die die Brifeis begleiten, den Chor bilden; Herr
Welder findet zu einer Tragödie, drin Heftors Tod, einen foldhen
Chor nicht geeignet. Wielleicht gerade dba; vielleicht gerade dem Mit
empfinden der Gefangenen für die Ihrigen gegenüber tritt der trogi
Heldenzorn Achills in feiner ganzen verhängnißvollen Härte defto befler
bervor; und irre ich nicht, fo ift gerade fo ein Hinüberleiten in bie
Empfindung der dritten Tragödie ſchön vermittelt. .
498 Achilleis.
werthlos; er hat keinen Sinn mehr dafür, daß Agamemnons
Großmuth ihn beſchaͤmt; des verfühnten Feldherrn wohlwol⸗
lende Reden ſind ihm nur Verzögerung der Rache, nach der
ihn einzig verlangt. Unter ernenten Klagen der ſchönen Bri⸗
feis und des Chors ſtürmt er hinaus, Hektor zu ſuchen. Der
Chor begleitet ihn mit feinen Anfhauungen und Gmpfindun-
gen in die Schredien der Schlacht: — wie anders fliegen nun
die Achaier zur Schlacht — wie mögen die Troer erbeben —
wie wird ber Peleide wüthen — aber Patroklos liegt tobt, Fein
Toben der Sperre, fein Jammern der Troerbräute wird ihn
wiedererweden. — Nun Tehrt eine Schaar von Achills Kriegern
zurück; fie dringen zwölf gefangene Troerjünglinge, die Achill
zu Todtenopfern für feinen Freund beſtimmt har; fie berichten,
wie Achill die Feinde in den Stantander gejagt, den Fluß mit
Blut getränkt, wie der Flußgott ihm vergebens feine Wellen
entgegengebäaumt habe, wie er weiter den fliehenden Hektor ver
folge. Ein neuer, ahnungsvoller Chorgefang. Dann fit es
vollbracht, Ahill hat Patroklos Mörder erjagt, ihn unter dem
Sammern der Eeinen, die von den Zinnen der Burg ber zu:
feben, erfchlagen, er bot den Leihnam an feinem Wagen drei:
mal um Trojas Mauern gefchleift, ihn dann bingeworfen ben
Vögeln und Hunden zum Fraß. Nun fehrt er zurück zur
Freundesleihe, fpricht zu ihr, wie er fie gerät habe, wie er
noch weiter die Rache erfüllen werde, legt dabei feine männer
mordenden Hände anf des erblidhenen Freundes Bruſt. Dann
wird im feierlihden Zuge aufgebrochen zur Beftattung des Hel:
den, die Leiche bedeckt mit Myrmidonenlocken. Achill ſelbſt
ſchneidet fi) das reihe Haar, das er dem Stromgost der Hei⸗
mash für einflige Rückkehr gelobt, ab, es auf die Bahre u
weihen; er verzichtet auf die Heimkehr und legt feine Haupt:
loden in die Hände des Todten als Pfand der Nachfolge —
Die dritte Tragodie Heißt die Phryger oder Hektors
Achilleis. | 497
Ausloſung. Vorüber ift der gewaltige Kampf, Hektor erſchla⸗
gen, die Macht der Feinde vernichtet, Achilles hat ſeine Rache
geſtillt, aber nicht ſeinen Schmerz; ſchlafloſe Naͤchte hat er
durchweint; bis der Tag graut, iſt er umhergeirrt an den ein—
ſamen Ufern des Meeres, hat dann feine Roſſe vor den Was
gen gefhirrt,.und, um felbft Ruhe zu erjagen, Hektors Leich
nam um Patrollos Grab gefchleift; er hat alles erreicht, die
verlorne Brifeis und höchſten Ruhm und den Tod des Feindes,
den der Fall Tlions folgen wird, aber fein Liebling ift todt.
So figt er einfam und tiefverhüllt vor feinem Zelte; da tritt
Hermes zu ihm: nad dem Willen der ewigen Götter werde
Priamos kommen
„‚gleidy einem Krämer, der im reichbelndenen Schiff
aus feiner Heimath bunte Waaren handelnd bringt.”
um feines Sohnes Leichnam einzulöfen. Achilles antwortet we:
nig und verſinkt nad des Gottes Entfernung wieder in tiefes
Schweigen. Da naht fih ein trauernder Zug Phryger, die
den greifen, tiefgebeugten Priamos hergeleiteten; fie beginnen
lange flehende Chorgefänge, begleitet mit entfprechendem, flehen⸗
den Chortanz; in gleichen Abfchnitten werden fie von des grei-
fen Königs beweglichen Bitten an Achilles unterbrochen: fo
fagt er: :
— ‚and magft du Liebes thun
dem Zodten ober Leides, ihm gilt beides gleich,
den weder Freude noch Betrübniß mehr erreicht.
Doch über uns hat Nemefis noch Allgewalt,
und rächend maht noch Dike wahr des Tobten Fluch.“
Achilles bleibt ſtumm und unbeweglich; der Greis umſchlingt
ſeine Knie, weint warme Thränen anf die mordgewohnte Haud,
beſchwört ihn bei dem Namen ber Götter; umſonſt. Daun ers
innert er ihn an den eigenen, greifen Vater in der heilenifchen
Heimath; das eine Wort trifft tief in des Helden Seele, der
. 32
498 Achilleis.
auch ſeinen Tod voraus ſieht; er hebt den Greis auf; er lieb⸗
koſet und tröftet Ihn; und vergißt, was er dem todten Freunde
von weiterer Rache gelobt. Er loͤſet ihm des Sohnes Leich-
nam aus; beide geben in das Zelt, den Leihnam zu bereiten.
Während der Chor nun des ahälfhen Helden und des todten
Königsfohnes Lob fingt, Tonnen die „Königinnen,“ Hektors
Mutter und feine Wittwe Andromade die „Lyrneſierin;“ fie
haben fi) „ohne Geleit” hieher gewagt, um den Todten zu ges
feiten und zu beklagen im traurigen Wechfelgefang; fie fingen
von bes Speeres „Furche,“ drin der Tod gefäet war, von Hek⸗
tors Milde und Schönheit;
„und weicher war er als der Feige füße Frucht.‘
Es ift unmöglich, den Schluß diefer Tragödie wiederzuerfennenz
jedenfalls gehört ihm der Vers des Achilles an:
„du biſt vollbracht, Nachtwache meines Daſeins.“ —
ee
Aithiopis.
Wenn irgend wo, fo hat Aiſchylos in dieſer Trilogie Ge-
legenheit gehabt zu Teen und großartigen Geitaltungen; wir
freilich fehen von dem Slanzbilde kaum noch einen undentlichen
Schimmer. ‚
Die erfie Tragödie enthält Achills Heldenkampf gegen die
fhöne Amazonentönigin Pentheſileia; fie it den Troern zu
Hilfe gekommen; in voller Zugend und Heldenluft verfolgt fie
Achill; endlich Sieger, bringt er fie, die von feiner Lanze die
Zodeswunde empfangen bat, über feine Echultern gelehnt aus
dem Getümmel. Er weigert fie den flebenden Troern nicht
zur Beflattung und Therfites ſchmäht ihn, Liebe zur yeindin
Aithiopis. 499
habe ihn ſo ſchwach gemacht. Er erſchlaͤgt den Frechen dafür,
darüber bricht im Achaierheer ein Aufruhr los, und Achill geht
nad) Lesbos, ſich des Mordes zu reinigen. — Soviel wiſſen wir
aus der Sage, Der lebhaften Fantafie mag es überlaffen blei-
ben, fie ſich dramatiſch zu geitalten; und tragifhen Stoff ent
halt fie hinreichend. Die Nereiden find der Chor und der
Titel diefer Tragödie.
Ä — — „Durchmeſſend
der unendlichen See Delphinengefild"
lautet ein Fragment aus der Parodos. Ein zweites giebt an,
daß Aiſchylos die Speerfpige „Hachel” genannt habe; ein drit-
tes lautet:
„Doch des Speers zweizinkige Zunge, fie fährt‘ —
endlich ein viertes iſt leider fo verdorben, daß nichts daraus zu
machen iſt: das Wort „der Mordbenter“ und „wird zu dem
Feinden gehen‘ ſteht darin.
Die Seelenwägung oder Memnon iſt das zweite
Stüd der Trilogie. Bon Neuem ift ein Held aus dem Diten
den Troern zu Hülfe gesogen, Memnon, der Sohn der Eos;
er kämpft mit furchtbarem Erfolg, denn Achill ift erzürnt und
halt fih vom Heere fern. Nun erfchlägt ihm der riefige Feind
feinen Liebling Autilochos, da vergißt Achill feines Zorns ges
gen die Achaier und zieht zum Kampf wider Memnon. Beide
Helden begegnen ſich, Memnon auf feinem purpurgezäumten,
glöcleinbehangenen Streitroß, fein Helm „ein goldgemähnter
Bogelgreif, feine Kleidung die prunkvolle eines morgenländi-
fhen Helden; Achilles auf feinem Schlachtwagen, in griedis
fhem Kampfſchmuck. Sie nennen fi) gegenfeitig ihr Geſchlecht
und Namen. Memnon ſagt:
„Als meine Heimath rühmen darf ich jenes Land
Der Aithiopen, wo der fiebenarmige Nil
Im Niederftrömen feiner Flush fortſchwemmt das Land,
500 Hithiopie.
Sobald des Hundſterns Hammenaugig Licht erglängt;
Aigyptos heilgen Waflers weit und breit bededt;
Es trieft vom Schnee der Felfen, grünend überall
Sprießt anf Demeters Iebennährend Aehrenfeld.“
Kämpfend mögen fie fih her und hin, endlih von der
Bühne hinweg gedrängt haben, und hoch in den Lüften er
fcheint Zeus mit der Wage des Schidfals, die Geſchicke beider
gegeneinander wägend, die beiden Mütter bebend und fichend
zu feiner Seite. Dann iſt es entichieden, Memnons Schaale
ſchnellt empor. Eos zerreißt ihe Gewand, eilt hin die theure
Leiche zu holen, entführt fie in ihrem Schooß dur die Auft
zur fernen Heimath.
Die dritte Tragödie heißt, wie es fcheint, die Brautfam:
merbanenden. Die Troer fehen, alle Anſtrengungen gegen Achill
find vergebens, num foll der Streit geemdet fein, Priams Tochter
Polyxena wird den fchönften der Hellenen bräutlih umfangen.
Vergebens mag Thetis ihn warnen, ihm fei früh verhängt zu
fierben; der Held wird nicht fäumen, des Lebens und feiner
Heldenjugend fih zu freuen, fo lange noch das belle Sonnen:
licht zu ihm niederblidt. . Schon wird die Brautlammer gebaut
nach Anweiſung eines weifen Meifters:
— — ‚amd feget darauf ein Lesbiſch Kranzgebält
und ſchmücket rings mit dreigefchligtem Zahn den Fries.“
Schon nahet der bräntliche Zug Polgrenens dem Tempel Apolls,
dort das Dpfer zu bringen; da dringt verworrner Ton aus des
Tempels Pforte; todt liegt Thetis großer Sohn: Der trenlofe
Pfeil des Paris von Apollon geleitet hat ihn getroffen, bie
Brautfeier wird zur Todtenfeier. Es kommt jammernd bie
göttliche Mutter mit den Nereiden, den Mufen, bei Achilles
Leihe zu Tlagen. Sie jammert laut um ihr Kind; eiuft bei
ihrer Hochzeit waren alle Götter gekommen, fie reich zu befchen:
ten, auch Apollon war gekommen mit froher Berheißung:
Iphigeneia. 801
„Damals verhieß er glücklich meinem Kind zu ſein,
Frei aller Krankheit, feines Lebens lange froh;
Das alles fagte Paion, nannte mih mit Muth
Zu ftärken, freundlich mein Verhängniß, gottgeliebt;
Und ic gedachte, daß Apollons heilger Mund
Truglos verheiße, kundig aller Seherkunſt.
Er felbfi der Seher, felbft der Hochzeit froher Saft,
Der’s ſelbſt verheißen, ift es ſelbſt jetzt, der zum Tod
Mein Kind getroffen.“
Mit ſolchen Klagen, mit dem Trauerzuge zum Grabe des An⸗
tilochos, neben dem des Helden Grabhügel erhöht fein wird,
ſchließt die Tragödie. j
——
Iphigeneia.
Die Trilogie diefes Namens ift dem Wefentlihen nad ei⸗
nem alten kykliſchen Gedicht, den Kyprien, entnommen. Nach)
Herrn Welders Eombination gehörten zu einander die Braut:
fammerbauenden, Sphigeneia und die Priefterinnen. Sch glaube
eine andere Berbindung verfuchen zu müffen, ba jene nicht bloß
an dramarifhem Leben Weangel leidet.
Für die eröffnende Tragddie halte ih Telephos. Die
zum Troifchen Feldzug vereinten Helden find wieder in Argos;
von Aulis waren fie ausgefahren, Troja zu nehmen, wie es
das Zeichen der beiden Adler, die die tragende Häfin verſchlan⸗
gen (Agamenmon B.105 ıc.) verheißen hatte; aber des Weges
untundig waren fie zur Stadt des Teuthras gekommen, und
hatten diefe, in der Meinung, daß es Troja fei, zerkört; aber
502 Iphigeneia,
Herakles Sohn Telephos, des Königs Eidam, hatte fie zurüd:
gefchlagen, doch war Zelephos im der Schlacht von Achilles im
der Hüfte verwundet worden. Auf der Heimfahrt hatte die
Helden ein Sturm zerfirent, allmählig erſt ſammelten fie ſich
wieder in Argos; dort erfhien mun der verwundete Telephos,
dem verheißen war, feine Bunde könne nur ber heilen, von
dem fie fei. Wir übergehen es, die einzelnen Motive, die Ai⸗
ſchylos aus der dramatiſch oft und bis ins Einzelne entwickel⸗
ten Sage benngt haben wird, hypothetiſch zufammenzuftellen.
Das Welentlihe if, daß dem Feind der Achaier Kintaimmeftra
den Weg zeigt, wie er die Heilung duch Achill ertropen Tann;
fie rarh ihm, ihr und Agamemnons Kind Drefles zu ergreifen
und mit demfelben an den Altar flüchtend alles Schrecklichſte
zu drohen, wenn ihm nicht Hülfe werde; fo weit verleugnet
fie ihr mürterliches Gefühl gegen des Vaters einzigen Eohn.
SHartnädig weigert fich Achill der verlangten Heilung eines Fein-
des, deffen Genefung nur den Feinden zum Heil gereichen werde.
Daß au Menelaos heftiger Streit mit Agamemnon vorlam,
erfennt man aus der von Kalchas gegebenen Deutung des
fhwarzen und weißen Adlers (Agamemnon B. 123) „erfennend
die zwei Atreiden von zweierlei Sinn. Löfung gab endlich
Kalchas Orakel, dag man nur duch Telephos Weifung Troja
erobern fünne, worauf diefer, nah Odyſſeus Rath durch den
Roſt an Achills Lanze geheilt fi erbot, wenn nicht mitzus
kämpfen gegen Troja, doch den Weg dorthin zu zeigen.
Die zweite Tragödie ift Iphigeneia. Wieder ift man
in Aulis, zum zweiten Male gen Troja zu fahren. Aber Ars
temis zürnt dem Feldheren Agamemnon, mit widrigen Winden
hindert fie die Ausfahrt. Der Scher Kalchas nennt Iphige⸗
neias Tod als einzige Rettung; den Bitten der Feldherrn, dem
Murten der Völker weicht endlich der DBater. Unter dem Bor:
wande, die Tochter mit Mchilles vermäblen zu wollen, beſchei⸗
Iphigenein. 503
det er fie und die Mentter zum Lager; ftatt zur Hochzeit wird
fie zum Altar, zum Dpfertode geführt. Da erbarmt fid) Artemis
der Sungfrau; wie der Todesftreich gefallen, liegt ſtatt ihrer
ein Reh auf dem Altar; fie felbft ift wunderbar verfchwunden.
Iphigeneia ift von Artemis nach Tauroi zum fernen Sty-
thenland entführt, dort Dberpriefterin zu fein in ihrem Tempel.
Nun if ber Troifche Feldzug geendet, Agamemnon, Kiytaim:
neſtra todt; Dreftes, von den Furien der Mutter verfolgt, die
er erfchlagen, fucht und findet endlich nach dem Gebot des Lo:
zias den Tempel feiner Tauriſchen Schweſter. Nun folgt die
Wiedererfennung der Sefchwifter, die Rettung des Bruders,
der zum Opfertode beftimmt war, die Heimkehr beider, die Ue⸗
berfiedlung der Zanrifchen Artemis nach Attilu. So der Sn:
halt der Prieſterinnen.
Die aus diefer Trilogie geretteten Fragmente find, wenn
auch unbedeutend, doch bezeichnend. Anus dem Zelephos ift
„Einfach ift der Weg ins Todtenreich.“
ferner:
„Du der Danaer berrlichfier, Atreus Sohn,
Bielherrfchender, höre von mir, Kind!“
Bei eben diefer Anführung heißt es, „die einen wußten nicht,
woher diefe Verſe; einer fage, fie feien aus dem Zelephos, ein
anderer, aus der Iphigeneia,“ beides richtig, da Iphigeneia der
Name der Trilogie war; wie denn auch gefagt wird, in Der
Iphigeneia fei allerlei Myſtiſches vorgekommen, was nicht auf
das Mittelſtück, fondern auf die Priefterinnen gebt. Aus der
zweiten Tragödie ift der Vers: |
„Beſchimpfen niemals fol man Weiber; wie denn auch?“
Endlih aus den Priefterinnen:
— „So ſchnell wie möglich bringen, denn alfo gebent
Des Bater Zeus Drafel cuns) durch Lorias,
504 Odyſſens.
was ſich auf die Ueberſiedelung der Artemis bezieht; ſodaun
ans der Parabos der Tragödie:
„Schweigt rings, fchweigt rings; die Meelifien fie nahn,
Um der Artemis Tempel zu öffnen.”
—
Odyſſenuns.
Die Geſchichte des Odyſſeus glaubt Herr Welcker in zwei
Aiſchyleiſchen Trilogien bearbeitet, von denen die eine Die
KSnohenfammler, die Schmaufenden, Penelope ent:
halten habe, die andere aber nur noch in den zwei Tragödien
Pſhchagogen oder Todtenbeſchwörer und der ſtachelg e⸗
troffene Ddyffens erkennbar ſei. Ich habe gegen dieſe Anord⸗
nung einige Bedenken, namentlich ſcheint der Inhalt der erſten
drei Tragddien für eine aiſchyleiſche Compoſition nicht ausgie⸗
big genug, ſodaun ift weder der ftachelgetroffene Odyſſeus noch
die Schmaufenden als aifchnleifhe Tragödie gewiß. Anderes
übergehe ich.
SH glaube von den Pſychagogen ausgehen zu müflen,
weil diefe eine unzweibeutige Situation darbieten. Auf Kit
tes Weifung ging Ddnffeus, nach der Heimath fich fehnend, fern:
hin, die Zodten aus der Unterwelt, vor Allen den Seher
Teireſias heraufzubefchwören und fein weiteres Schickſal zu vers
nehmen. Daß der Chor diefer Tragödie nicht der war, wel⸗
hen der Titel vermuthen läßt, ergiebt fich aus dem Verſe
‚Hermes ehren wir Bolt an dem Teichlals unferen Ahnherrn;“
ein „ftehend Waſſer“ war diefer Teich genannt. Ferner Tom:
men unter den Fragmenten die Worte „Waffenbehälter und
Odyſſeus. 505
Schiffsträmmer” vor und dag Wifchylos die Perfephone, Daeira
genannt habe. Endlich haben wir ein Fragment, in dem Tei-
tefias zu Odyſſeus fpricht:
„Ein fliegender Neiher wird aus hoher Luft herab
Mir feinem Koth dich treffen, feines Leib's Gefüll,
Darin ein Stachel feiner Meeresfpeife dir
Die alte, haarverwelkte Haut verfaulen läßt.“
Es ift unmöglich fih die Situationen diefer Tragödie aus
der Fantafie zu ergänzen; nur foviel fieht man, die Helden
fehatten, mit denen Odyſſeus in dem homerifhen Gedichte ver:
kehrt, fie find auch bier in unmittelbarer Anfhaulichleit hervor:
getzeten, ähnlich dem, wie die alte Komödie bisweilen Schat⸗
ten großer Männer heraufbeſchwört. Die meiften von jenen
find umgefommen auf der Heimfahrt oder bei den Wiederein-
teitt in ihr heimifches Haus; am ihnen allen bat fih das Ges
riht der Götter für die Frevel bei Ilions Zerſtörnng mächtig
gezeigt, an denen feinen geringeren Antheil Odyſſeus durch lan⸗
ges und jammervolles Umherirren büßt.
So, glaube ich, ift diefer Tragddie eine andere, die die Zer⸗
förung Ilions enthielt und vieleicht Phrygierinnen hieß,
dorhergegangen, die durch ein zuverläffiges Zeugniß des Arifto-
teles fefifieht. Die weiteren Eonfequenzen diefer Vermuthung
übergehe ich bier.
Für das dritte Stück der Trilogie wird man wohl Pe-
nelope, oder auh die Knochenſammler genannt, halten
dürfen. Wir haben daraus zwei Fragmente:
„Der wars, der frech mit vielbelachtem höhnifchen
Schoß, dem übelriehenden Nachttopf gegen mich
Bor Kurzem zielte und mich traf; an meinem Haupt
Schiffbruch erleidend hauchten feine Scherben mir
Gar andern Duft zu als Phiolen Wohlgeruchs.“
%
506 Athamas.
*
ferner:
F nun, Eurymachos, höhnte wieder mein mit nicht
Geringerem Hohn, mit unerträglichem Uebermuth;
Zum Ziele galt mein Scheitel feinem Kottabos.“
Aus diefen Fragmenten fieht man, daß das wüſte Ge:
lag ber Penelope- Freier nicht anf der Bühne vorkam. Das
Drama begann vielmehr mis dem Bogenfchießen, in dem wett-
Fämpfend um Penelopes Befit, die Freier fich vergebens be-
mühten Odyſſeus Bogen zu fpannen, bis bdiefer felbft aus ber
Mitte der Bettler hervortretend ihn durch Telemachos Ber
wendung erhälst und gegen die übermüthigen Freier wendet.
Wenn fo die Strafe vollendet iſt und die Leichen umberliegen,
fagt Odyſſens von der Schmach fprechend, die fie ihm angethan,
jene Berfe. Dann wird die Wiedererfenuung von Eeiten der
Penelope, die Beftrafung der Mägde, die Wiederherftellung der
alten Ordnung gefolgt fein.
FKreilih das Orakel des Teireſias muß fich erfüllen; daß
es aber unmöglih Stoff zu. einer eigenen Tragödie gegeben,
verſteht fih. Hoͤchſtens möchte es zu einem Satyrfpiel verwend:
bar geweſen fein; doch hat auch das feine Bedenken.
— —
Athamas.
Die Trilogie Athamas enthielt in den Tagdnegzie-
bern, dem Athamas und den Iſthmiaſten oder Theoren
den berühmten Mythos von Arhamas und Ino, die den Kna⸗
ben Dionyfos erzogen hatten, der Göttin Hera Haß gegen fie,
ihren bakchiſchen Wahnſinn, den Mord der eigenen Kinder,
Adraftein. 507
endlich die Apotheoſe der Ino und ihres Sohnes Melifertes.
Die nähere dramatifhe Geftaltung diefes fhönen Stoffes ift
unklar. |
—-
Adrasteia.
Adraſtos hat fi gegen den Rath der Götter durch Ty⸗
deus und Polyneikes verblenden laſſen, fie zu feinen Eidamen
gemacht, und ihnen verfprochen, fie in ihr Reich zurückzufüh—⸗
ven; durch jene Halskette, an die fi die traurigen Erinnerun-
gen des kadmeiſchen Gefchlechtes knüpfen, wird Eriphyle bes
ftohen, durch fie ihr Gemahl, der Seher Amphiaraos zur
Genoſſenſchaft des Krieges beredet; ſcheidend gebietet er feinen
Söhnen, fie zu ermorden. So ziehen die Helden aus; der Tod
des Fürftenkindes Archemoros in Nemea, das Hypſipyle ohne
Schutz zurückließ, ift das erſte Zeichen der traurigen Zukunft,
der Todesanfang fo vieler Helden; die Nemeifhen Spiele ver-
mögen nit, das emporfteigende Verhängniß zu beſchwören
oder die Schuld vergeſſen zu machen. — Die zweite Tragö⸗
die, die Argeier, zeigt die verbundenen ſieben Helden vor
Theben kämpfend; der wilde Kapanens und der fromme Se
ber Amphiaraos find die Mittelpuntte der Handlung; die Hel-
den alle fallen, und das Heer der Argeier muß heimkehren,
ohne die theuren Leichen beftatten zu Tünnen, bie Kreon wei⸗
get. — So eilt Adraſtos mit den Angehörigen der Gefalle⸗
nen, des Arhenifhen Königs Thefens Hülfe zu erflehen; diefer
gewinnt durch Weberredung die Auslieferung der Leichen.
Dann folgt das feierliche Begräbniß, der rührende Tod Euad-
508 Alias der Telamonide.
nes und die Klage der Epigonenknaben; bie Elenſinier ſchlie⸗
Sen mit der Erfheinung Athenes; fie verbeißet den Knaben,
dag fie einft die Väter rächen, die Thebanerftadt zerfiören und
fih ewigen Nachruhm erwerben werben. — So die Trilogie;
das ganze Geflecht, das Adraſtos Verblendung mit ins Ber:
derben Iodte, ift dahin; es bleiben die Knaben, ein freieres
glüdlicheres Gefchlecht, die jett fchon die Verheißung des Sie
ges und Ruhmes haben.
Es verfteht fih, daß die Geftaltung diefer Trilogie Adra⸗
fteia von der der Thebais bedingt if, und die Fragmente, na⸗
mentlich der Argeier, möchten einigermaaßen für die Richtig⸗
keit unſrer Aunahme entfcheiden; jener „Abriß” der Mauern
oder der verfehlingenden Erde, jemes „Werfen von Schutt und
Trümmern und Balken," felb jener unverftändlihe GChorfag
über Kapanens Tod fcheinen nur fo ihren Sufanımenhang
zu finden.
——
Alias der Telamonide.
E
Der Streit um die Waffen Adills giebt der erften
Tragödie den Namen, Thetis hatte beftimmt, daß, wer ihres
Sohnes Leiche den Feinden entreißen würde, bie göttlichen
Waffen deffelden erhalten ſollte. Aias hatte fie aus dem Ge
deänge der Feinde auf feinen Schultern zu den Schiffen ges
tragen, Odyſſens den Angriff der Troer abgewehrt. Odyſſens,
ber liſtgewandte, fucht das durch ſchlaue Nedekunſt zu gewins
nen, was Aias durch feine Kühnheit und Stärke verdient hatte;
Thetis endlich,
Aias der Telamonibe. 509
„der fünfzig Nereidenmädchen Königin‘
veranlaßt die förmliche, proceßartige Führung diefes Streites,
in der Odyſſens mit aller Betrüglichkeit und Vorſicht, die feis
nem Charakter eigenthümlich if, gegen den minder gewandten
als geraden und Tampfrüftigen Aias fpricht, der nichts Pit fi
zu fagen weiß, als feinen ehrlichen Bericht:
„denn klar und einfach iR der Wahrheit Bi und Bort. a
Er wird durch die feinen Wendungen des Gegners zu immer
beftigerem Zorne gereist; er wirft dem Laertesfohne feine Bor:
ſichtigkeit, feine Berftändigfeit, fogar feine zweideutige Ge⸗
burt vor:
„Denn näher kam zu Antikfeia Siſhphos;
Ich meine deine Deutter felbft, die dich gebar.‘
Endlich wird entfchieden zu Odyſſens Gunften, für dem ftolzen
Aias die tieffte sea.
— „men ift zu leben denn
Red fhön ein Dafein, welches Schmach nur bringt und
Sram?“
Das zweite Stüd, die Thrakierinnen, zeigt den Hel:
den Aias in feinem tiefgefränften Etols; en hatte dem Odyſſeus,
den Atreiden, dem ganzen Heere Verderben gefchmoren, aber
von Athene getänfht gegen Rinder und Lämmer gewüthet.
Als er drauf zum Bewußtfein zurückgekehrt, macht die Schaam
vor dem fohndden Blut an feiner Hand ihm ein Leben uner⸗
traͤglich, von welchem die Glorie des Heldenthumes geſchwun⸗
den iſt:
— „denn des freien Mannes Seele kann
Kein Leiden fo verlegen als Entwürdigung.
Sch das erdulden! mich bewältigend fort und fort
Reißt tiefe Schmach mich ans des Elends Nacht enıpor,
Bon meines Wahnfinns bittrer Geißel aufgepeitfcht.”
Sp geht er hinaus in die Wildniß; bald berichtet ein Bote
510 j Aias der Telamonibe.
feinen Tod: daß fih das mächtige Echwert umbog an feiner
unverwundbaren Haut, daß endlich eine Göttin erfchlen, und
ihm die Stelle an feinem Leibe zeigte, wo das Schwert ihm
tödtlich treffen werde. Sein Stiefbruder Teukros kommt, dem
Leichnam die Ehre der Beftattung, die bie Atreiden weigern
wollen, zu bereiten, und Odyſſeus ift es, der ihn unterſtüzt. —
Der Chor diefer Tragödie, gefangene Weiber aus Thracien,
war ausgezeichnet durch feine ſchön bargeflellte Sorglichkeit
und Theilnahme für den unglüdlichen Helden.
Die dritte Tragödie, die Salaminierinnen, führt
zur Inſel Salamis, der Heimath des Aias; fie enthält die
Heimkehr des Teukros, den Telamon mit- einer Sclavin ges
zeugt hatte. Telamon, umtröflich über fol ein Ende des
herrlichen Sohnes, klagt den Zeufros heftig an, daß er dem
Bruder nicht beffer vertheidigt habe, und ohme ihn zurückzukeh⸗
ten wage:
„Das fei der Baftard, von der Sclavin ihm erzeugt,
Der babe feig verrathen und unfriegerifch
Did), theurer Aias, truggewandt, damit er bein,
Des Todten Erbreih und Gewalt felbft einft empfing'.“
Sp bezeichnet Sophokles diefe Situation. Und der trefflide
Held Teukros hat des Bruders Knaben Euryſakes bei dem
Sturm, der die Heimfehrenden traf, um ihn nicht bei fich anf
dem führenden Schiffe den größeren Gefahren auszufegen, an
Odyſſeus übergeben und fo verloren; es ift das eine Befätis
gung mehr für Telamons Verdacht, Teukros vermag fich nicht
zu rechtfertigen und der zürnende Königsgreis verbannt ihn für
ewig aus der Heimath. Da eben kehrt der verlorene zurüd,
ein fhönftes Zeugniß für Teukros Nedlichkeit.
Die einzelnen Motive des Schluffes find nicht mehr zu
erkennen; nur wahrfheinlich ift, daß die Trilogie mit der Ein
führung des Yiasfeftes und mit der Anſchließung von Sala:
Die Aitnaierinnen. 811
mis an Athen ſchleß. Vielleicht dab auch Aiſchhlos das Bolt
ſich gegen den zu hart zürnenden König empören, feinen En⸗
tel attifchen Bürger werden ließ und darin die Anläffe zur
Bereinigung von Salamis mit Athen entwidelte.
2
Die Altnaierinnen.
Das Beifpiel der Perfertrilogie hat gezeigt, daß die Eins
beit der Zrilogien nicht norhwendig an ine Perfon geknüpft
ift, daß felbit hronologifch entferntere Beziehungen zu Einem
geoßartigen Gedanken vereint- fein können. Vielleicht, daß
manche der erhaltenen Tragödien- Namen fich zu Trilogien ver-
binden würden, von deren Eriftenz uns nur die entfchiedenfe
Leberlieferung überzeugen könnte; vielleicht auch, daß eine bes
ſtimmtere Kenutniß ihres erhifhen Gehaltes uns Verbindungen
zwifchen unvereinbar fcheinenden Mythen und Ziteln aufweifen
würde.
In der letzten Weife fcheint ſich eine Trilogie zu bilden,
die mit der des Perſerkrieges wenigftens ben idealen Zufams
menhang ihrer Theile, fo wie die Beziehung auf unmittelbar
gegenwärtige VBerhältniffe gemein hat. -
Bon den Aitnaierinnen des Aifchylos ift befannt, daß
fie aufgeführt wurden als Glückwunſch des Dichters für Hier
ton und die neugegründete Stadt Aitna; diefe war durch Auf:
nahme dorifcher Anfiedler bevölkert worden, hatte dorifche Ver⸗
faffung erhalten, und gehörte fortan dem Sohne des Königs
Hieron. Jede dorifhe Verfaſſung ift unmittelbar auf den My⸗
thos des Herakles, des Acht dorifchen Stammheros, gegründet;
513 Die Aitnaterinnen.
nad feinem Sohne Hyllos, nah Dymas und Pamphylos be⸗
zeichnen ſich die freien Geſchlechter einer doriſchen Stadt. So
iſt denn nichts natürlicher, als da, wo die Gründung und der
Ruhm einer doriſchen Stadt zu feiern iſt, an ihre Abſtammung
von Herakles, an das glorreiche Geſchlecht der Herakliden und
deren Verbannung, an ihre Rückkehr und die Eroberung des
Peloponneſos in Gemeinſchaft mit den befreundeten Schaaren
des Pamphylos und Dymas zu erinnern. Der trilogiſchen
Anfchauungsweife des Aiſchylos ein höchſt bequemer Stoff;
das erfte Drama Alkmene beginnt nach Herakles Verklärung ;
die Flucht feines Gefchlechtes nach Athen, der Feldzug gegen
Euryſtheus, defien Tod und der Zorm ber greifen Alkmene,
die mit der Spindel dem todten Haupte die Augen ausfticht,
endlih die Rückkehr der Bertriebenen nah dem Peloponnes
ſos. — Uber es war ihnen noch nicht beftimmt, in dieſem
Lande zu herrfhen; eine Ver verkündet den Zorn der Böt-
ter; auf Heralles Gcheiß wandern fie noch einmal aus. Die
sweite Tragödie, die Herakliden, enthält num jene zweite
Heimkehr des Hervenftammes in Berbindung mit Dymas und
Pamphylos. Endlih die dritte Tragödie, die Aitnaierin⸗
nen, zeigt, man flieht nicht unter welcher mythiſchen Verknü⸗
sfung, den Einzug der Herakfliden zu der neuen Heimath am
Zuße des ſtolzen Aitnaberges. Die Fragmente des letzten
Dramas erwähnen „das Herrenthum,“ „Die herrlichen Heroen,“
endlich die Stelle eines Dialogs:
Der Eine.
„Und welchen Namen legen die Menſchen ihnen bei?
Der Andere.
Paliten will die Hehren Zeus gefeiert fehn.
Der Erfte.
Paliten find, Heimkehrer fie genannt mit Recht?
Irion. 513
Der Anbere.
Heimkehren aus dem Dunkel ſie an dieſes Licht;“
ein Fragment, das zugleich auf eine Vereinigung mit localen
Gottheiten, und vielleicht auf Erneuung eines durch den Wit:
naausbruch unterbrochnen Tempeldienſtes hinweifet.
——
3 rion
‚Der mythiſche Ixion ift eine jerter Urgeftalten, in denen
das Menfhlihe chaorifh ringe und umenbliher Frevel Die
Staffel der Entwidelungen bildet; die zügellofe Wildheit und
felbftfüchtige, gottverhöhnende Lift des creatürlihen Menfchen,
die der Mythos an ihm auszeichnet, macht ihn zum Seitenſtück
des göttertäufchenden Promerheus, ber menſchlichen Urgeftalt
von der Seite des Geifligen ber.
Als Ixion um Dia ward, verſprach er ihrem Vater Deio:
neus herrlihe Brautgefchente; aber er löſete fein Wort nicht.
Dranf jagte Deionens ihm die Roſſe von feinen Weiden als
Unterpfand, und Srion, Nachgiebigkeit heuchelnd, lud ihn ein,
er möge fommen und die verfprocdhenen Geſchenke in Empfang
nehmen. And als der greife Water kam, bereitete Ixion eine
Grube, füllte fie mit glühenden Kohlen, bededte fie mit Teich
tem Geſträuch, und lockte den getäufhten Bater an dieſen
Drt, fo daß er hinabflürzte. und umkam. Das war bie erfle
Blutſchuld auf Erden; Srion felbft ward ergriffen von wil-
dem Wahnfint. — "
Und niemand vermochte ihn zu fühnen von feiner Schuld;
an Dias Hand war er zum Altare des Zens geflohen, und
33
514 ; Sion.
batte fchunflehend defien Bild nuſchlungen; Zeus fah ihn und
erbarınte ich feiner Noth; er verfühnte ihn durch Stähnopfer
mit den zum eriten Male wach gewordenen Grinuyen, und er-
böhte ihn bis zur Theilnahme am Mahl der uniterblihen Göt⸗
ter; und der Geſühnte genoß vom Nektar und Ambrofia der
Goͤtter, er lag beim Mahle an Heras Ceite, in feinem Her:
zen ward flammende Luft wach nah dem Genuß der Himmels⸗
tönigin; — die er umarmte, es war der Göttin Trugbild, eine
Icere Wolfe; in grauſer Verblendung genoß und rühmte fich
ber Betrogene feines ſtolzen Glückes. And Zeus verfludhte
jegt, den er gefühnt hatte; er verdammte ihn zu ewiger
Strafe; Hermes führte ihn zum Hades hinab, daß er auf das
ewig ?reifende Rad der Zeiten geflochten dulde die einfame
Dual des Derlangens und den Geierbiß der Neue.
In jenem frevelnden trughaften Genuß, da der Sterbliche,
an dem des alfühnenden Gottes Narh fich irren follte, die
Görtin felbit zu umarmen wähnte, war das wolluftwilde Halb:
thiergefchleht der Kentauren gezengt worden. Und als der
Sohn, den die fromme, vieltraurige Dia dem Mörder ihres
Vaters geboren hatte, als der glorreihe Held Peirithoos, der
Lapithenkoͤnig, feine Hochzeit mit Hippodameia feierte, waren
als Säfte die Kentauren und Perrhaiber geladen. Schon krei⸗
fen die filbernen Trinkhörner mit füßduftendem Weine gefüllt;
die Kentauren werfen in wilder Luft die Miſchkrüge von den
Zifhen, und trinken lärmend aus den filbernen Höruern;
trunfen von Weinluſt und Wolluß greifen fie die fchönen
Toͤchter der Lapithen, greifen die Brant ſelbſt an, um fie zu
ipree Luſt zu zwingen; es beginnt ein entfeglicher tofender
Kampf. „Geſchleuderte Trinkgefäße, zerfchmetterte Weinkrüge,
eichene Tiſchplatten machen das Vorſpiel, Fackeln das Geſicht
zerſchlagend, in den Gaum gebohrt, Hirſchgeweihe von den
Wänden geriſſen, an deren Zacken die ausgeſtoßenen Augen
—
* — — m — u
Ixion. 515
triefen, Feuerbrände vom Altar geriſſen, die das Haar, die
das Haus entzünden, der. ungeheure Altar ſelbſt, das Gebälk,
die Pfoften, die Balken find die naͤchſſen Waffen. Es fhwillt
der Kampf immer wilder, immer lärmender; Felsblöcke, Eichen:
aͤſte, Fichtenftämme fliegen durch den Saal, ein unendliches
Blutbad. Nur Aphidas fchlaft noch in feinem Weinraufch,
and hält den halbgeleerten Becher noch in der Hand; er fchläft
fo tief, daß er nicht erwacht, als ein Speer ihm den Hals
durchbohrt und das fehwarze Blut in den Becher ſtrömt. Der
legte endlich iR Kaineus, der unverwundbare, dem fi die Erde
öffnet hinabjufinten in den offuen Hades.“ Das ift der Sieg
des gorttgeliehten Helden Peirithoos über das wilde Geſchlecht
der Kentauren.
Durch diefen Sieg erft if die Schuld Srions zu ‚ihrer
Erfüllung und wahrhaften Sühnung gelangt; was in ihm
ſelbſt Unvereinbares vereint war, und ihn zu raftlofem Frevel
‚trieb, hat ſich herausgeftellt zu zwei gewaltigen Partheien, die
durch einen freilich nicht richterlichen, aber darum nicht minder
gültigen Proceß unter fich eutfcheiden. Nur das Heroenthum,
dieß Vorbild des griechifhen Lebens überhaupt, kann den Sieg
über die creatürliche Wildheit, die dem Menſchen angeboren
ift, davon tragen. —
Ueberzeugt von der Eriftenz diefer Trilogie, find wir doc
nicht im Stande, fie vollftändig nachzuweiſen. Namentlih
fehlt uns der Titel der erften Tragödie; es ift nur die äußerfie -
Rathloſigkeit, die uns geneigt machen könnte, für diefe Tra⸗
gödie den Titel der Phthierinnen anzunehmen; vielleicht
gehört hieher das Bruchſtück:
„Bevor mit Dpferferfelblutes Tropfen dich
Zeus felbft, die eigne Hand benegend, reinigte.“
Aus der zweiten Tragddie Jxion find die Berfe:
„Ruhmvoller als ein elend Leben iſt der Tod.”
516 SIrion.
und von feinem zweiten Frevel gegen Hera, ber den erfien ver:
geffen macht, fingt ber Chor:
— „denn der Meineten Flöte Geſang,
Ihn verdedet die größere ſchleunig
Was endlich die ans diefer Tragödie angeführte „ſühnungsbe⸗
dürftige,“ ob fie Ixions freble Hand ober eine neue Perſon
fei, iſt nicht zu erfenuen. In ber dritten Tragödie trat ber
Chor der Perrhaiber mit Bechern im der Hand auf:
— „mit filbernen
Trinkhoͤrnern alle, goldue Mündung dram gefügt.”
Aut die alles zerfhlagende und verwüftende Schlacht drinnen
im Hochzeitſaal besichen fi die Worte:
„Wo find des Saals Kleinodien, wo die Weihgefhent
Und wo die Becher alle, goldne, filberne ?”
Endlich aus der Beichreibung der Schlacht:
„So farb er ſchmachvoll nach der Schäge Untergang.“
Glaukos der Potnier. 517
Glaukos der Potnier.
Eine trilogifche Beziehung diefer Tragödie iſt nicht zu
finden. Sie enthielt, wie es fheint, insbefondere die Leichen:
fpiele des Pelias, in denen Siſhphos Sohn Glaukos feine
Roſſe, damit fie defto higiger würden, mit Menſchenfleiſch füt⸗
texte, wodurch fie in ſolche Wuth gerietben, daß fie deu eige⸗
nen Herren zerriffen; aus dem Herolderuf find die Werte:
„Nicht harrt der Wettlauf Jänger auf die Säumenden.“
ferner aus der Schilderung des unglüdlihen Wettrennens:
„und Wagen über Wagen, Roß auf Roß geſtürzt,
Und Leihen uber Leichen liegen wild gemifcht.“
Wäre die Annahme einer Tragödie Aiolos für Aiſchylos
beſſer unterflügt, fo würde man in ihr wenigßens eine ver⸗
wandtfhaftlihe Beziehung zu dem Glaukos anerkennen, die
in der Tragödie von Glaukos Bater, in „Siſypphos dem
Steinwälzer" ihr beittes Glied fände. Aber eine trilo:
gifhe Verbindung diefer drei it volllommen undenkbar.
518 Die Heliaden.
Die 5eliaden.
Ganz vereinzelt erſcheinen für uns die Heliaden; ſie
- enthielten den herrlichen Mythos von Phaethon. Das empor⸗
ſtrebende Selbſtgefühl diefes Sonnenfohnes, den der Bater
dem Götterſchwur verpfändet bat, was er bitten würde, zu
gewähren, die unfelige Bitte des Fünglings nm den Sonnen:
magen, den er, der Sterblihedurdh den Himmel zu lenken ſich
vermißt, "dann der Weltenbrand, als die flammenden Roffe zu:
gellos durch den Aether rafen, bald der Erde, bald dem Him:
mel zu nah, dann der inbrünſtige Hülferuf der verfhmachten-
den Erde, Phaethon niedergefchmettert durch Zeus Blike, feine
troſtloſen Schwehtern zu weinenden Bernfleinbännen verwan:
delt, — das ift die Fabel, die offenbar dem aifchnleifchen
Geiſte fehr zufagen mußte. Zwei zu Ehorgefängen gehörende
Fragmente des Dramas find erhalten: F
— — „denn der Kahn ſteht
Bo hinabſinkt dein Erzenger
An die Meerfinth, den Hephaiſtos
Ihm gebaut, drin er zurüdfährt
Den umfluthenden vielmogenden Strom,
Wenn er beim in die Sterndbämmrung der heiligen ſchwarz⸗
roſſigen Naht eilt." —_
Und aus der Klage am Schluffe, wenn um den Leichnam ge-
weint wird:
„Und number Adrias Fungfrauen die Wehllage dir weihn.“
Gleichfalls diefem Schluß gehören die „ungehemmten Tropfen‘
der ſchweſterlichen Thränen. —
——
Die Myſier. ö | 519
Die Myſier.
Die Myſier fcheinen die Sühne des Telephos, nachdem
er die Brüder feiner Mutter erfchlagen, enthalten zu haben;
aus dem Eingang der Tragödie iſt der Vers:
„Gruß dir, Kaikos und ihre Ströme Myſia's.“
und fpäter: |
„Des Stroms Kaikos erſter Priefter, fei gegrüßt;
Mit Gebet und Hymnen Fannft du retten deinen Herrn.“
‚und fpäter: \
„Ihr aber ftellt euch rings um diefes Heerdes Gluth;
Gereih't ums Feuer ſonder Anfang, ſonder End',
Fleht laut.“
Von einer trilogiſchen Beziehung dieſer Tragödie it feine
Spur zu entdeden.
Philoktetes. Palamedes. Kyknos.
Als eben fo vereinzelte Tragödie erſcheint zunächſt der Phi-
loktetes, eins der beliebteften Süjets der alten Dramatik.
Philoktetes behaftet mit der fürcterliden Dual des vom
Schlangenbiß vergifteten Fußes ift die Hanptperfon, um ihn
ein Chor von Lemniern (vielleicht dem zweiten Titel aus der
Trilogie), auf deren Inſel ihn die Atreiden bei der Hinreife
nad) Troja ausgefegt haben. Oft fchreit er laut über
— — „den Brand,
520 Philoktetes. Palamedes. Kyfnos.
Der mir hinwegfrißt meines Fußes Fleiſch und Mark;“
denn
„Aufhört die Schlange nimmer; eingeniſtet hat
Sie ihres Giftzahns ſcheußlichen Duell in meinen Fuß.“
Bei erneuten, heftigeren Anfall fchreit er:
„D Fuß, dein will ich los fein!
D Tod, mein Heiland!
D Tod, warum misgonnft du mir’s, dich mir zu nahn?
Denn du allein bift meiner unheilbaren Qual
Heiland, und fein Echmerz, wenn ich todt bin, trifft mich
; mehr!‘
Und wenn ihn dann der Schmerz für einen Augenblid ver:
läßt, fo denkt er zurück an den greifen Vater, den vielleicht
fhon der Tod hinweggerafft hat, an die eigene Kindheis, an
die theure Heimath:
„D Strom Spercheios, rinderweidender Wiefengrund!‘
In diefem traurigen Zuftande, in dem er dem Eciffer gleicht,
der zur Zeit des empörten Wetters auf der ftürmifchen Rhede
liegt,
„Wo bleiden nicht, ausfegeln nicht ihn läßt der Sturm,”
finden ihn die Boten von Troja, das nur genommen werden
Tann durch die Macht feines Bogens; aber fein tiefer Zorn
läßt es ihn verfchmähen, Ddiefen Aufenthalt, wo „Heufchreden
and wilde Tauben‘ feine Nahrung waren, zu vertaufchen mit
dem Ruhme, Trojas Befieger neben denen zu fein, die ihm die
verhaßteften find; bis endlich die Erfheinung und das aus:
drüdlihe Gebot des Heraflcs ihn dazu bewegt. — Dan kann
es fich nicht verhehlen, daß dieſe Tragödie deutlich die Bezie⸗
hung zu einem vorhergehenden und folgenden Drama fühlen
läßt; aber beide find fpurlos verſchwunden. Freilich willen
Dreithyia. 591
wir, daß Aiſchylos aus dem Troiſchen Fabelkreiſe noch einen
Palamedes, fo wie eine Tragddie, in der Kyknos der rie
fige Pofeidonsfohn auftrat, gedichtet bat; aber fie verbinden
fih mit Philoktet auf feine Weife.
—
Oreithyia.
Eine andere Tragödie heißt nah Oreithyia, des Erech⸗
theus Tochter, um welche der wilde Boreas lange ſchmeichelnd
und bittend, aber vergeblich geworben hat; nun erkennt er die
Thorheit, daß er, der wilde, ungeſtüme Nordwind, von ſeiner
Weiſe gelaſſen habe; er kehrt zurück zu ſeiner früheren Art.
So ſchwingt er den wilden Flügel, ſauſ't über die Haiden her,
und umfängt, ſelbſt in Dunkel gehüllt, das ſchüchterne, am
Jliſſos ſpielende Mädchen liebend mit gewaltigem Arm, fie
fernpin auf feine Burg im Kikonifhen Lande zu entführen.
Aus jener Tataftrophifchen Rede des Boreas it vielleicht fol-
gende, hoͤchſt harafterifiifhe Drohung gegen des Erechtheus
Pallaſt:
Auf eurem Heerd mag ſchwinden alle frohe Gluth;
Denn ſeh' ich dort ein aſcheglimmend Fünkchen noch, —
Mit einem Strohhalm, der hineinweht, ſoll in Brand
Das ſtürzende Dach, ſoll's ſchnell verweht zu Aſche feim, -
Zum Himmel aufſpein fol der Flammen düſtre Gluth.
Noch hab ich meinen rechten Sang nicht vorgeheult!
Aufſpielen wird der wilde Pfeifer jetzt ſein Lied.“
en
523 Atalante. Guropa. Die Kreterinnen.
Atalante.
Bon der Atalante, die den Namen von jener Bergwald⸗
jagerin der Kalydonifhen Jagd trägt, um derentwillen Me-
leagers6 Mutter den lebenrertenden Holsfcheit verbrannte, ift fein
Fragment aufbewahrt, wenn nicht vielleicht ein Wort des ſter⸗
benden Melenger:
„Du haft mich einft geboren, mich zu verbrennen fcheint
Jetzt deine Hand.”
—
Europa oder die Karier.
Die Tragödie Europa oder die Karier bietet ein ſchö⸗
nes, aber nicht charakteriſtiſches Fragment:
„Ares liebt ſich's, ſtets des Volkes beſten Theil hinweg
zu mähn!"
— 9—
Die Areterinnen.
h 2
Endlih die Kreterinnen, deren Inhalt Polyidos Ge
fhichte war; man kann nichts für denſelben folgern aus dem
„pechgetränkten Feuer” und aus dem Gleihniß von einem
Maulbeerbaum:
„Mit weißen Beeren prangt er und mit hwärzlihen
Und honigangerötheten zu derfelben Zeit.“
— —
923
Verſe aus unbekannten Tragödien.
Wir fügen ſchließlich diejenigen Fragmente des Dichters
. binzu, die aus unbefannten Tragödien entnommen find; Die
Zahlen find nad) der Dindorffhen Ausgabe.
Fragm. 209.
Lanılos und blicklos ſiehſt du ſtets nah fein Gericht
Den Menfchen, ob er fchlafen, wandern, ruhen mag;
Hier fchreiter’s ſtumm an feiner Seiten, dort ihm nad,
Und feine Macht birgt, was er Uebles hat gethan.
Drum was du Böfes je beginnft, gedenke ftets,
8 ift einer, der es fiehet!
267.
Denn wer gethan hat, leiden muß der wiederum.
268.
Mit ſchnellem Fuß kommt Misgeſchick dem Sterblichen,
Und ſchnell die Schuld dem, der des Rechtes Pfad verläßt.
(272. bei Schüg.)
Allvater Zeus, ja dein gehört der Himmel Macht,
Du ſiehſt der Menfchen, fiehft der Himmelsgötter Then,
Das allverwegne, fündige; aller Kreatur
Gottlos Verſchulden und Gericht, es ſteht bei dir!
2370.
Gemein ift Glück, Weisheit der Weifen Eigenthunt.
271.
Nur, wer das Rützliche, nicht wer viel weiß, heiße klug.
2375.
Bisweilen irret auch der Weifen Weifefter.
531 Derfe aus unbefannten Tragödien.
272.
Ja ſchwere Laft ift fol ein glüdgewohnter Thor.
2374.
Erz beut der Schönheit, Wein ded Geiſtes Epiegel dar.
273.
NRuslofen Zorns Urheber find die Worte gern.
276.
Nicht macht der Eid den Mann, es macht der Mann den Eid
Verbindlich.
(282. bei Schütz.)
Ein ſichrer Eid ſchon iſt es, wenn ich zugewinkt.
277
Dem Grambeladnen pflegt die Gottheit nah zu ſein.
278.
Es bleibet Weisheit Greiſen auch zu lernen ſchön.
279
Statt ſolcher Worte beiß die Sipe lieber wund.
Zu Haufe bleiben mag der —
Und bleiben auch der Misgeſchickbeladene.
281.
Denn unerträglich find die Frevler gar im Glück.
282.
Der Stunde Raub it, was der blöde Menſch erfinnt;
Und nicht beftändiger als des Rauches Schatten iſt
Gr felbft.
285.
Des Rieſen Atlas fieben Töchter hochberühmt
Beweinten einfam ihres Vaters ſchwere Dual,
Des Himmeltragenden, drum ˖ ſie ftill wie nächtige
Gebilde, gramvoll, Hügellofe Tauben fern
Im Uether fchweifen. ._
Berfe aus unbekannten Tragödien. | 5235
> 988. .
Und träfen viele Wunden feine Bruf, er flirbt
Doch nicht, bevor des Lebens End’ ihn eingeholt;
Und ſäß' im Hauf bei feinem Heerd' er ftill daheim,
Er fliehet dennoch nicht dem Tod, der ihm verhängt.
233.
Das Alter iſt gerechter ale die Jugendzeit.
(29. bei Schütz.)
Zufall, du der Welt ’
Anfang und Ende, du wirfeft den Rath der Weisheit,
Schaffit den menfhlihen Thaten den Kranz des Ruhmes;
Mehr des Erfreulichen zeugft du, denn Trauriges;
Lächelnder Liebreiz ſtrahlt um den goldnen Flügel dir heil,
Alles Gefchen? aus deiner, der wägenden Hand allerfreulich er:
ſcheint's;
Du erfpäßft der Belümmerten Wege zu neuem Heil,
Bringt hellleuchtendes Licht in die Nacht, dus lieblichfte aller
- Götter!
237.
‚ Berbaßt mit Unrecht ift der Tod den Sterblichen,
Der alles Leides befter Heiland ihnen ift:
292.
— Wem die Gottheit Leid verhing,
Dem bleibt des Leides Liebftes Kind, der Ruhm, zum Troſt.
295.
Zeus ift der Aether, Zeus die Erde, der Himmel Zeus,
Sa Zend das A der Welten und was darüber it.
297.
Muth! Muth! der Schmerzen Mittag währt nicht lange Zeit.
298
Denn wo die Kraft fi fo verbindet und das Recht,
Welch andres Bündniß Tann gewalt’ger fein denn dieß?
L
526 Derfe aus unbekannten Tragödien.
i 318.
Du keruſt die bitterſüße Goldgranate aus.
358.
Denn weifen umd gerechten Deännern iſt's gerecht,
Trog allen Leides nie den Göttern feind zu fein.
3186.
Aigina ſelbſt liegt nah dem Südwind zugewandt.
Satyrfpiele
—
Außer den im Verlauf unſrer Darſtellung erwähnten Satyr⸗
ſpielen Proteus, Prometheus, Amymone, Lykurgos,
kennen wir noch folgende Titel: Kirke, die Opferdiener,
Kerkyon, der Löwe, Kalliſto, Siſyphos Ausreißer,
Dionyſos Ammen; mehrere Namen von Satyrſpielen fchei:
nen fpurlos verſchwunden zu fein.
—
Kirke.
Die Kirke enthielt offenbar die lächerliche Verwandlung
der trunknen Gefährten des görtlihen Dulders Odyſſeus; und
diefe Edlen, jeder
„Ein Held, der font wohl niebezwungenen Muthes vol
Sein Rind ins Joch zwingt,”
fie gehen, von der verführerifchen Buhlerin verlockt, ein in den
geheimnißvollen Hof, um dann wieder herauszukommen, eine
Heerde grunzender Säue und blödblidender Ferkel; ich weiß
528 Kerkyon. Die Opferbiener.
nicht, ob fih nun in den bodsfüpigen Satyrn ein gewifles
Mitgefühl regte, oder ob fie lieber aus diefer Tieblichen Heerde
einige Individuen aufgriffen, um fie zu ſchlachten und zu bra-
ten; dann könnte fo einer ans ihrem Neigen gefagt haben:
„Ich will cin Schweindhen, und ein recht appetitliches
In den fenerknifternden Ofen thun; denn welch Gericht
Könnt einem Biedermanne lieber fein denn dieß?“
—
Gerkyon.
Im Kerkyon erſcheint diefer mordlüfterne Niefe, der fhon
fo lange den feigen Satyrn unmöglih gemacht hat, die fchönen
„Bergbänge” zu befuchen, der jeden zwingt, mit ihm zu rin:
gen, um ihn dann fhmählich umzubringen. Jetzt kommt der
Held Thefeus, kämpft mit ihm,- und erfchlägt ihn in feinem
eigenen Gehege. Natürlich find die Satyrn fein Bundesheer;
ihren Anführer, den diden Eilen, unter deffen Führung fie auf
gut Falftaffifh dem attifhen Heros nachziehn, bezeichnet ein
fhöner Vers, das Dokument feiner Tapferkeit:
„Scheuklappen zog er über fein Ohrläppchen dicht.“
—
Die Opferdiener.
Der Inhalt der Dpferdiener ift nicht beftimmt anzu:
geben; aber
Der Löwe, 529
„an feinem Schlafpelz, jener mächt’gen Loöwenhaut,“
an diefen Spolien
„des goldgemähnten Löwen,”
erfennt man ziemlich deutlich den nie. fatten, breitfchultrigen
Herakles, dieſe beliebte Zielicheibe des attiſchen Wiges; das
MWörtlein, das aus diefem Spiele angeführt wird:
„der allzueng gebalfte Krug,“
läßt uns einen tiefen Blick in feine durftige Seele thun. In
feinem gottgefegneten Appetit läßt denn nun der heroiſche Bes
Tämpfer der Ungeheuer und Unordnung, der Eieger der Cry:
mantifhen Sau
„Ein Ferkel opfern von derfelben Mutter Sau,
Die vieles Unheil angerichtet hat im. Haus
Wild auf» und abwärts wühlend, werfend, was fie fand.“
und bald darnach:
„Sp weiß, -o fieh doch, und fo fhön ift abgebrüht
Dies Schweinen! Koch’s am Feuer und verfaum’ es nicht."
und wenn es fertig if:
„Mein Zunge, frifch denn und tranchire meinen Fang!“
Ich weiß nicht, ob anf feinen fehnfüchtig nah dem bratenden
Ferkel gewandten Blick der Ders fich bezieht:
„Gleich einem Thunfiſch blinzelt dahin fein linkes Aug.“
ae
Der Löwe
Ein andres Satyrfpiel war der Löwe genannt, und ob:
fhon nichts über die Fabel diefes Stückes aufgefunden werden
kann, und auch das einzige Bruchſtück:
34
530 Kalliſto. Siſyphos.
„Des Wandrers Tod, der Drache, der im Lande hauſt,“
durhaus nichts erkennen läßt, fo giebt doch eine andre Notiz
eine Andentung, in welcher Weife die Drama luſtig geweſen
il; es gab einen Tanz, der Löwe genannt, ein gräßliches,
lücherlihes Ding, das befonders mit Satyrfüßen aufgeführt,
Iuftig gewefen fein mag.
u
Kallifto
Gewiß von der vorigen Fabel verfhieden war Kalliito,
jene vielduldende Bärin Mutter; denn als fie, fonft der Teus
ſchen Artemis Freundin, fih zu tief mit Zeus eingelaffen hatte,
wurde fie Bärin, und, damit fie nicht einft des eigenen Sohnes
Spieß träfe, von der Erde entrüdt; vorher aber genas fie noch
„in Pans waldigen Gründen“ eines Kuäbleins; wie rührend
muß neben der fhwangeren Bärin der Troſt der ſtüpiden Sa⸗
tyrn gewefen fein.
——
Siſyphos.
Endlich ein Satyrdrama von der ſchönſten Erfindung, der
Ausreißer Siſyphos. Der Chor der Satyrn ſieht ploͤtzlich
den Boden ſich regen; er lauſcht, was für ein Maulwurf dort
kommen werde:
Siſyphos. 531
„Ja, es ift — eine Feldmaus über alle Mäuſe groß!‘
bervorfteigt eine Meenfchengeftalt, bleih wie ein Schatten und
derſtig: man redet ihn an, man frägt ihn aus; woher kommſt
du, was ftöhnft du,
„Was fiehft dich rings, Feldmeifterchen, augenblinzelnd um? Mu
Es iſt Sifpphos, der albetrügliche, der Zeus Lichesgefchichten
verrathen, den Tod, der ihn holen wollte, gebunden und ins
Gefängniß geworfen hatte, bis Ares den Tod befreite, ihm den
Frevler übergab, der ihn num ohne Weiteres binfchleppte. Aber
Siſyphos hatte feiner Gemahlin geboten, feinen Leichnam un:
begraben zu laſſen, fo daß er, fcheinbar empört darüber, daß
ihm nicht die Rechte der Todten und die Standfchaft im Ha⸗
des zufommen konnte, um die Erlaubniß bat, und fie erbielt,
in die Oberwelt zurückkehren, fich felbft begraben, feine Frau
abftrafen und zum Dank mit in den Hades bringen zu dürfen.
En war er jept heraufgefrochen an das fröohlihe Licht der
Sonne, nichts weniger als mit dem Gedanken, zu den finftern
Todten zurückzukehren,
„Die keine Stimme, Feine lebensfrohe Kraft,
Die keiner blutdurchſtrömten Ader Puls belebt.”
Jetzt, meint er, dem traurigen Hades,
— „dem Fanger nun, dem Aller Seelen Wirth
Ein ewig Lebewohl!“
Jetzt ſoll Herrlich und in Freuden gelebt werden;
„Man bring ein Bad fchnell meinem gottheitmüden Fuß!
Wo bleibt die Iöwenfüßige, cherne Wanne nod) ?“
Und als man fchwelgt und trinkt und lacht, da kommt ſchon
der dunkle Todtenhermes daher, ohn' Erbarmen faßt er den
Flüchtling, und führt ihn im den Hades hinab zur ewigen, ſtein⸗
emborwälzenden Verdammniß. Die Satprn aber freuen fid),
daß fie al das fchöne Effen und Trinken nun für fih allein haben.
— —
5323 Satyrfpiele.
Zum Schiufie nniifen wir ein Bruchſtück eines Satyrdra⸗
mas anführen, von dem ſich nicht ermitteln ließ, welcher Fabel
es angehört; es heißt:
„Des eignen Grams Bekuker hat er zum Kuknk ſich
MH bunten Federn ansgepugt, fi) aufgeſtellt
In vollem Harniſch, Felfenvöglein laut und wild.
Doch kommt der Trading, Wiedehopf wirft Denn hinweg
Die Kukunksfedern; dboppelgeflaltig zeigt er ſelbſt
Und feine Iungen Ach, da fie doch eines Eies find.
Wann drauf der neuen Aerndte Korn die Aehren färbt,
Da rauht er wieder, zieht fich neue Federn an;
Die Städte flieht er, fliehet in des Pallenerlande
Einſame Waldſchlucht und verborgnes Felſenthal.“ —
Didaskalien.
—
— —
In der Einleitung zur Oreſteia habe ich die hifiorifhen Be:
ziehungen jener Trilogie und das Verhältniß des Dichters zu
der politifhen Geſchichte feiner Zeit und feines Volks darzu-
ftelfen verfucht.*) In gleicher Ausführlichkeit fein Verhältniß zu
den kunſtgeſchichtlichen und religiöfen Entwidelungen Griechen:
lands nachzuweiſen, verfage ich mir inshefondere aus dem
Grunde, weil derartige Betrachtungen nur auf weiten, meift
noch unwegfamen oder doc, eben erft angebahnten Ummegen zu
dem Dichter zurüdführen und mehr dem Jutereſſe der For:
fhenden als derjenigen Lefer, welche ich meiner Ueberſetzung
wünſche, dienen würden. Somit fcheint es vorzüglicher, nur
die wefentlichen Punkte in Aifchylos dichterifcher Thätigkeit her:
vorzubeben und zu bezeichnen, in welcher ©eftalt etwa er die
Kunft vorfand, die durch ihm zu fo wunderbarer Mächtigkeit
erhoben werden follte.
Ich übergehe es demnach zu befprechen, warum ſich aus den
olterthümlichen, bithyrambifhen Spielen gerade -in Attika, ge:
rabe zur Zeit der beginnenden Demokratie die dramatifche Form
der Poeſie hervorgebildet hat, zu befprechen, warum ſich eben
in dem Auftreten einer felbfibewußten, fachlicheren, rationelleren
Nihtung des geiftigen Lebens, wie es die beginnende Profa
*) Vieles verdanke ic den Mittheilungen meines Freundes Scholl;
er wird feine Beobachtungen über die Drefteia boffentlih bald im zwei:
ten Theil feiner „Beiträge“ veröffentlichen.
536 | Urfprung der Tragöbie.
zeigt, in dem allmäligen Hinfchwinden der naiven, unmittelba-
zen, phantafievollen Weife früherer Zeit, in dieſem zuſammentref⸗
fenden Ausgang und Anfang der beiden großen Entwidelungs-
ſphären des Geiſtes im Griechenthum, ähnlich wie in den Zei:
ten der Reformation, die dramatifche Form der Poefie hervor:
gearbeitet hat.
Es ift die unzweideutigſte Meberlieferung, daß der Ikarier
‚Thespis die Tragödie erfunden, daß fih diefe aus den dithy⸗
sambifhen Feltliedern der Dionnfien entwidelt bat. Er fand
mehrere Arten dionyſiſcher Ferfeter vor. A vielen Dr
ten beitand die alterthümliche Tragödie, das ift der Tanz und
Geſang der als Satyrn vermunmten Theilnchmer der Wein:
fefte; der Führer erzählte fingend von den Thaten umd Leiden
des Gottes und der Chor begleitete feine Etzaͤhlung mit mis
metifchen Tanzen, unterbrad ihn dann und wann mit feinem
Geſang und bem Anruf an den Gott Dithyrambos. Und
fo heißt denn ein alter Bers: |
„Dionys dem Gott ein ſchönes dithyrambiſch Jubellied
Anzuſtimmen weiß ich trefffih, wenn mir Wein deu, Kopf
durchglüht.“
Es war ein Fell der armen Leute, luſtig und bäuriſch. Als
dann ſich an einigen Drten der Herrenftand herabließ, dem
Bauernfefte einige Nüdfiht und den Zutritt zur Herreuburg
oder zur Stadt zu gönnen, geſchah es nicht ohne weſentliche Um⸗
wandlung; der Ehor mußte feine Satyrcoſtüme ablegen, ſich
zu gewmefinerer Bewegung gewöhnen, fi wohl and über deu
Keeis dionyſiſcher Sagen hinaus anf andere Bötter und Herven
wenden. Wenn das Felt fo von der Ternichten und herzerhe⸗
benden Landlidykeit feines Urſprungs vertor, gewann es bafıir
an künſtleriſcher Ausbildung in der Weife, wie fie in den Krei⸗
fen des dorifhen Herrenflandes eigenthümlich war; es entſtand
die Iyrifhe Tragödie, in der die Erzählung. is demfelben
Thespis. ı 537
Maaße zurücktrat, als der Chorgefang überwiegend wurde. Aber
am Hofe des Tyrannen Periandros von Korinth verband fi
‚diefe neue Errungenfchaft mit der alterthümlichen Weife. Arion
änerft behandelte ven alten Satyrndithyrambos in kunſtgerechter
Form; es blieb die Erzählung des Führenden und der unter:
brechende Chorgefang. Es fehlte nur bie Entwidelung ber
mimetifchen Elemente bis zum Dialog hin und die deamatifche
Form war gefunden.
Diefen Fortſchritt ſcheint zumäch der ebenfalls zu der dio⸗
nofifhen Ferluft gehörende Komosgefang gemacht und Thespis
ihn daher entnommen zu haben.
Thespis wird als Erfinder der dramatiſchen Tragödie,
nicht des Satyrſpiels genaunt; er gab feinem Feſtchor ein Ce-
füm nad Maaßgabe des Stoffes, den er behandelte, und ließ
diefem Chor gegenüber eine Perfon auftreten, die mit jenem
in dramatiſche Beziehung trat; er erfand, fagt Ariftoteles, dem
Prolog und die Rede. So wurde aus der Erzählung Hand»
lung und unmittelbare Gegenwärtigkeit. Der ganze Charakter
des Feftfpieles war damit verwandelt; und fo wurden denn auch
die alten Dithyrambenhöre und Dithyrambenmuſik aufgegeben
- — er Phrynichos gebrauchte wieder den Tetrameter, erſt So⸗
phofles die phrygiſche Tonart. Dffenbar nahm Thespis bereits
mwefentlihe Momente ans der dorifirenden Form der Igrifchen
Tragddie auf, wie denn diefe für die gefammte tragiſche Sprache
fortan die Grundlage bildeten.
Es wird angefüher, daß Thespis nene Kunft von Solon
nicht gebilligt, ja unterfagt worden fei; glaubwürdiger ift es,
daß Peififiratos, der prachtlicbende, der Freund ber Poeſie,
Diefe neue und ächt volksthümliche Art yon Feſtlichkeit förderte
und nach Athen überfiedelte; es ift wohl möglih, daß bei der
von ihm veranlaßten Anordnung biosnfifcher Calte durch Ono⸗
makritos gerade die großen ftädtifchen Dionnfien und als «im
[4
53385 Thespie.
Haupttheil diefer Feier die neuen dramatifchen Spiele einge
richtet wurden.
Es iſt nicht wohl zu fagen, in welchen Formen fich die
Kunft des Thespis weiter entwickelt hat. Rur fo viel darf man
behaupten, daß fie Feinesweges fo bäurifh und marionettenhaft
gemwefen, wie man häufig gemeint hat; bie poetifche Kunft war
damals in Griechenland zu hoch entwickelt, der Peififtratiden-
hof zu gebildet und zu ſehr Sammelplag bedeutender Talente,
als daß rohe Anfänge hätten Intereſſe und Fortgang finden
können; es ift vollkommen unmöglich, daß aus einem bunten
Gemiſch von Satyrn und Heroen, von Lyrik und Epos, von
truntenen Späßen und traurigen Mythen fi die heilenifche
Tragödie ſollte entwicelt Haben. Thespis Spiele waren in der
Analogie der fpäteren Tragddien; dieß ficht man aus den we:
nigen Bruchftüden, die von ihm vorhanden find. Denn gewiß
nicht find fie fämmtlich untergefchoben, wie man gemeint bat,
in der Anfiht, er habe feine Spiele aus dem Stegreif aufge:
führt ; konnte doch Sophofles über den Chor des Thespis eine
Abhandlung fhreiden und Chrufippos, der gelehrte Philoſoph
des dritten vorchriſtlichen Jahrhunderts führt in einer rheto-
rifhlogifhen Abhandlung ohne Weiteres einen Vers des Thes⸗
pis an. — Die Titel feiner Stüde, Pentheus, Jünglinge,
Delias Wettkampf, Priefter zeigen das oben Behauptete,
daß er Tragödien, nicht Eatyrfpiele dichtete, wie denn auch
Heraklides, Platons jüngerer Zeitgenoß, nm fich für einen lite⸗
rarifhen Betrug zu rächen, Zragödien auf Thespis Namen
unterfhod. — Es verftebt fih von ſelbſt, daß feine Compo⸗
fition noch fehr einfach war, und fein einer Schaufpieler, der
er felbft war, insbefondere nur darım deu Prolog und die
weiteren Epifoden und Geſpräche fprad, um für den Chorges
fang, der noch lange die Hauptfahe der Tragödie bleiben
folte, die Situation zu bezeichnen nnd zu einer zweiten und
Thespis. Pratinas. 539
dritten hinüberzuführen. Es Liegt in dieſem Berbältniß ein
überaus merkwürdiger und nachwirkender Unterſchied zwifchen
den Anfängen ber heilenifchen und der neuen Dramatik; dieſe
geht von dem Intereſſe für die Handlung, jene von dem der
theilnehmenden Betrachtung aus; die empirifhe Richtung der
einen, die ibeale der andern find in ihren erfien Anfängen
dorgebildet. — ‘
Durch Thespis war den Athenern aus ihren alten lachen⸗
den Dionyfosfeften ein ernfthaftes Spiel geworden. Die Sa«
tyrmaske war durch tragifhe Coſtüme verdrängt, und doch ges
hörte zum Dionyfos wefentlih dir Satyrchor; die Tragödie
‚was bat fie mit dem Dionyſos?“ fo fol damals oft gerufen
worden fein. Indem man nun den alten Satyrnchor mit der
neuen dramatifchen Weife, die alte Luft mit dem nenen Schau⸗
fpieler verband, entftand die feltfame Kunſt des Satyrdra-
ma’s, als deſſen Erfinder flets Pratinas genannt wird.
Prarinas der Phliafier war der jüngere Zeitgenoffe des
Thespis, der ältere des Wifchylos, gegen den er im Fahr 500
im Wertftreit auftrat; denn dramatifhe Wettkämpfe beftanden
bereits feit 535. Pratinas, heißt cs, fehrieb funfzig Dramen,
darunter zwei und dreißig Eatyrfpiele und fiegte einmal. Eine
alte Notiz fagt: „es fei beliebt worden, Eatyrn (oder Satyr⸗
fpiel) mit hinzu auf die Bühne zu bringen, damit die Götter
nicht vernachläffigt zu werden ſchienen; man erfennt daraus wohl,
daß, fobald das neue Epiel erfunden war, es einen integrirens
den Beftandtheil des dramatifchen Hauptfeſtes machte, und daß
zunächft eine Tragödie und ein Eatyrfpiel zufammen aufgeführt
wurden; Pratinas mag außerdem für ländliche Felle einzelne
Satyrfpiele gedichtert haben. Daß er, in Athen ein Frembling,
nur einmal fiegte, mag man den Athenern zu gut halten, die
auch fonft bemüht waren, im Gatyrfpiel ihren Landsmann
Choirilos über den Erfinder defielben zu erheben. Dazu kommt,
540 Bratinas.
daß, wenn wicht alle Spuren trägen, Pratinas die dltere do⸗
rifhe Weife feitsuhalten bemüht war und alles Ernſtes gegen
gewiſſe weitere Intentionen zu Felde zog; er fagt im einem
(drasentifchen) Tanzliede:
„Basi das für .ein wilder Lärm, mas für ein tofemder
Eyorgefang?
Welcher Frevel verdrängt von der Thymele mein Dionyſiſches
seigenbegeiftertes Lich?
Mein, mein ift der Rebengott,
Ihn umjauchzen muß ih, -
Muß feiern mit ihm, muß ſchwärmen und kärmen mit den
Rymphen im Wald,
Führen, ein fingewder Schwan, den buntbefchwingten Feſi⸗
gefang.
Nein, Geſang fei Känig, will die Pieriſche Muſe!
Die Flöte folge nah mit ihrem Schall,
Da fie nichts ift als des Komos Dienerin;
Denkt fie zu thyrſoskämpfendem BUMSUPT.
Der Tünglinge beim Wein
Heeresführerin zu fein,
Schlag’ die Phrygierin, die buntes Getös is die Luft sieht,
Wirf in das Feuer das fpeicheltriefende Rohr,
Deu Schwerlallendgefangestaumelrhnibmentruntenbois!
Du aber wolle dem Tünftlichen Bohrſtahls Sohn, Dienyfor
Du Wehrer des Böfen, wehren!
Du des Freudendithyrambos epheulockiger Fürſt,
Mein Doriſch Feierlied, höre meines Ehors Lied!‘
Es fieht zwar fo ans, als ob er mit dem „thyrſoskämpfenden
Fauſtkampf,“ Stücke wie Thespis Wettkämpfe des Pelias,
Penthens: oder Lykurgosſcenen, wie fie in Thespis „Tüngkin:
gen‘ vorkommen mochten, vor Augen gehabt hat; jedoch iſt der
Tert jener Stelle nicht ſicher. Schließlich Tann noch erwähm
Choirilos. Karfinos. 541
werden, daß don Pratinas angeführt wird: in den Dymainern
oder Karyatinnen habe er das und das gefagt; es ift möglich,
daß mit diefem Titel ein dramatifches Gedicht bezeichnet‘ war,
aber jede beftimmtere Vermuthung ift unmöglich.
Mit Pratinas gleichzeitig war Ehoirilos der Athener,
von dem wir wiffen, daß er unter andern in den Jahren 524,
500 und 482 aufgeführt bat; ja noch gegen Sophofles, alſo
nach 468, foll er aufgetreten fein. Zn einer fo ausgedehnten
fünftlerifhen Laufbahn mag denn immerhin die Zahl von 150
Dramen, die er gedichtet haben fol, und die 13 Siege, die er
erkämpft hat, paffen. Sedenfalls rühmen ihn die Athener als
den ausgezeichnetiten Satyrdichter und fprehen von der Zeit,
wo Choirilos „König in den Satyrn“ war. Nur eines Dra-
mas Titel kennen wir von ihm, die Alope, nach einer rühren:
den Sage Attikas, die auch Euripides und Karkinos in gleichs
namigen Tragödien dargeitellt haben.
Wenn wir bier einen dritten Dichter, den Karkinos,
hinzufügen, fo müffen wir uns befonders auf die Eigenthüm:
lichkeit der griehiihen Kunſt, in Familien förmlich fortzuerben,
berufen. Uebrigens befchranft ſich unfer Willen von diefem
Poeten auf eine Stelle, in der er neben Pratinas, Phrynichos
und Thespis als den älteren, mehr auf den Tanz gewandten
Tragikern genannt zu werden fcheint *).
*) Bereitd in der erften Ausgabe diefer ileberfegung war au biefer
Stelle eine Anmerkung über die merfwürdige tragifche Familie des Kar:
Finos eingefchaltet. Seitdem hat Herr Meinede in der historia critica
p. 505 über diejelbe gefprochen mit dem Bemerfen: in explicanda ©. reini
historia experiri voluisse videntur eruditi, quid in erroribus cumulandis efhci
possit. In den meiften Punften treffen feine Angaben mit dem, was
ich gefagt hatte, überein, in einigen glaube ih auch ihn im Irrthum
zn finden. Seine feltfame Verwirrung der Ramen Philofles und Xeno⸗
Ples übergehbe ich. Daß in der oben benugten Stelle des Athen. I. p. 22.
der Name des Kratinos von Bentlen richtig in Karkinos verwandelt
worden, nimmt auch Meinede an, bält aber fonderbarer Weiſe dafılr,
513 Phrynichos.
Der bedeutendſte unter dieſen älteren Tragikern ſcheint
Phrynichos, der Sohn des Polyphradmon, geweſen zu ſein.
daß dieſer ausdrücklich zu den alten Dichtern gerechnete derſelbe ſei, der
im Schluß der Ariſtophaniſchen Wespen und im Frieden V. 781 noch
als lebend aufgeführt wird. Daß aber jener alte Dichter und Tanzmei⸗
fter Karfinos der Vorfahr, etwa der Großvater, des bei Ariftophanes er⸗
wähnten Karkinos II. geweien, dafür fpricht außer dem Namen die bei
den Griechen fo häufige Erblichfeit der Kunft, — und Karkinos II. mit
feiner Descendenz gebört in den Kreis der tragifhen Dichter und dra⸗
matifhen Tänzer. Der Vater des zweiten Karkinos wird in dem cor⸗
rumpirten Scholion zu Ariftopbanes Wespen B. 1500 Thorpfios ge⸗
nannt; das ift aber ſchwerlich ein attifcher Name, aud beißt Feiner der
Söhne des Karfinos wieder fo, vielmehr wird jener Vater wohl ein
Wis des Komikers Pherefrates fein, der eben da von des Herrn Karki⸗
nos Springerih (Boovxiov) Söhnen fagt, daß fie ale Jungen tanzlu⸗
fig gewefen (Dilopyıxos), nun aber noch tanzluftiger geworden feien;
derartige Wige mit Vatersuamen macht ja die Komödie oft nnd gern,
und wir werden in derfelben Familie noch gleich einen derartigen finden.
Es wäre möglich, daß des Karkinos II. Vater Zenofles, wie einer
unter feinen Söhnen, hieß; früher meinte ich, der Aphldnaier Xenokles,
der Choreg für Aifhplos Dreftein geweſen, könne wohl in diefe Ver⸗
wandtfchaft gehören; ich will hier nicht ausführen, warum es wahr-
fheinlicher ift, daß dieſe Familie der Tragifer in den Kopriihen Demos
gehört. inter den zahlreichen Fragmenten, die mit dem Ramen Karfi-
nos angeführt werden, gehört dem älteren wahrſcheinlich keines, dem
zweiten vielleicht eins, das aus einer Rede des Lyſias bei Harpofration
- angeführt wird. Diefer zweite Karfinos hatte drei oder vier Söhne,
eben die oben bezeichneten tanzluftigen, die fammt dem Vater im Schluß
der Wriftophanifchen Wespen auftreten. Einer unter ihnen war der als
Dichter genannte Zenoflcs, der, da er über Euripides Troadentetra«
logie (415) den Sieg davon trug, doch nicht ganz verädtlich geweſen
fein wird. Er foU in Effectftüden ftarf gewefen fein; die Götter ſtie⸗
gen bei ihm auf und nieder, und Wunder und Kunftftüde jeder Art
kamen bei ihm fleißig vor, daher ihn die Komiker wie jene Buhlerin
Iwdexaurgyevos nannten. Sein Sohn (fpottend fagen die Komiker des
Theodektes Sohn) war der dritte Karkinos, der berühmtefte biefer
Familie, der fi viel in Sicilien am Hofe des zweiten Dionpfios auf:
bielt; ihm gehören unzweifelhaft die meiften Brucdftüce, die unter dem
Kamen Karkinos angeführt werden, und die Titel Semele, Adilleug,
Alope, Nerope, Amphiaraos, Thpeftes, Tereus, Medeia, vielleicht auch
Dreftes, in welcher Tragödie Dreftes feinem Oheim Peirilaos den Mut«
termord rätbfelhaft verhullt erzählt. — Mit Recht versindet mit diefem
Phrynichos. 543
Er wird ein Schüler des Thespis genannt, er trat unter ans
dern in den Dionyfien 511 und 476 auf; fpäter war er wie
auch Aifchylos in Sicilien. Stets it von den Alten die An:
much feiner Gefänge, fo wie feine orcheftifhe Kunſt gerühmt
worden, wie es benn in einem alten Epigramme von feiner
Mufe heißt:
„Gab fo viele Gebilde des Tanzes mir, wie in dem Pontos
Wellen der herbſtliche Sturm wechſelt in fhauriger Naht.“
Außerdem wird angeführt, daß er den Tetrameter wieder auf«
genommen, die weiblihen Rollen (oder Masten) zuerft aufges
bracht habe; Plutarch's Angabe, daß von ihm und Aiſchylos
zuerft Mythen und Leiden auf die Bühne gebracht feien, ſcheint
ein gelehrtes Misverftändnig oder ein unklarer Ausdruck zu fein.
Bon Phrynihos Tragif find wir im Stande, uns noch eine
allgemeine Borftellung zu bilden, wenn wir feine Phoiniffen
näher betradhten. Der Name diefes Stüdes fehlt in dem Ca⸗
talog bei Enidas, ift aber durch eine andere Angabe und durch
einige Citate hinreichend verbürgt. In dem Argument zu den
Perſern des Wifchylos heift es: „Glaukos ... fagt, daß bie
Derfer aus den Phoiniffen des Phrynichos umgebilder feien;
bei ihm ift der Anfang des Drama’s
Das ift der längſt hinausgezognen Perſier ...
nur daß es dort ein Eunuc if, der im Anfang die Niederlage
des Xerxes berichtet und die Ehrenfeffel überbreitet für die Beis
figer (Paredroi) der Herrſchaft.“ Daß diefe Beifiger, wie in Ai:
fchylos Perfern die Getreuen, den Chor bildeten, verficht fich
von felbft; Phrynichos ſelbſt aber hat diefe Paredroi Syntha—
Geſchlecht Herr Meinede das des Feldherrn Karkinos bei Ahufndides
N. 23; deffen Vater Fenotimos war ebenfo wie des Dichters Karkinos Il.
Nater (Tenokles?) ein Sohn jenes alten Poeten; und des Feldherrn
Sohn wieder hieß Kenotimos, unter andern im Corp. Inser. No, 150.
su Phrynichos.
koi genannt, wie dieß Wort unter den Titeln bei Snidas vor:
Tommt „Sunthatoi oder Perſer.“ Daß nichts defto weniger
in diefer Tragödie ein Chor von Phoinicifchen Frauen oder
Mädchen war, lehrt nicht bloß der oben angeführte Titel, fon-
dern and ein Fragment: i
„entwandert Sidonifcher Feſte,“
in dem das Griechifche unzweideutig die Kemininform hat. Es
maren beide Chöre, der Beifiter und der Phoiniffen und zwar
zugleich thätig, denn aus den Pheiniffen werden die Worte von
Männern gefungen angeführt:”
„Den Zithern entgegentönenden Gefang ſingend.“
Natürlich traten deide Chöre nicht zugleich auf, ſondern zuerft
der Chor der Beifiger, dem der Eunuch die Niederlage berich⸗
tete, dann die Phoiniffen, die ihre Heimath verlaifen haben,
zu erfunden etwa, ob von den Ihrigen nicht Nachricht gekom—
men. Wenn nun Aifchylos Perfer nad diefer Tragödie des
Phrynichos gearbeitet fein follen, fo Faun die Achnlichkeit nur in
der wefentlihen Analogie der Motive beftanden haben, und
eben fo liegt es in der Natur der Sache, daß die Niederlage,
von der der Eunuch berichtete, zur unmittelbaren Anſchauung
gebraht worden. Der bei Euidas erhaltene Titel Perfer führt
darauf, daß Xerxes mit dem Reſt feines Heeres, d. h. mit eis
nem Chor Perfer auftrat und fid) damit das Drama erfüllte. —
Wenn diefe Vermuthungen Wahrfcheinlichkeit haben, fo ift für
die Geſchichte der griechifhen Tragödie ein fehr merkwürdiges
Moment gewonnen. Denn da das Stück mit der Anzeige von
der Niederlage begann, fo konnte der weitere Berlauf des Dra: '
mas Feine Verwicelungen bringen, fondern mußte fi) darauf
befhränten, ein Auseinanderlegen der Stimmungen und Si»
tuationen im Berhaltmiß zu diefem Factum zu fein; es war
dramatifirte Lyrik. Dem Prolog des Eunuchen folgte der
Geſang bes Paredroi, zwiſchen dieſem und dem der Phoiniſſen
Phrynichos. 545
mochte cin Auftritt des Atoſſa liegen, das naͤchſte Epeiſodion
mochte Xerxes ſprechen, dem dann der dritte, der. Perſerchor als
Schluß folgte; die Erzählungen der Auftretenden und ihr Dia:
Iog mit dem Chor u. f. w. diente nur dazu, die neuen Stand»
punfte für die Iyrifhen Geſänge anzugeben, die entfchieden die
Hauptfahe waren. Das Ganze war, da e8 nicht neue und
neue Berwidelungen darbot, fondern ein und daffelbe Factum
in feinen verfhiedenen Lichtbrechungen und Reflexen zeigte, we⸗
fentlih Eine Tragödie, die fih aber nah dem Auftreten der
drei verſchiedenen Chöre in eben fo viele Haupttheile fpaltete,
Irre ich nicht, fo ift bier die der trilogifhen Geftaltung
zu Grunde liegende Form zu erfennen; der Dichter nahm von
dem ihm überwiefenen Chor von acht und vicrzig oder funfzig -
Choreuten etwa drei Viertel für die Tragödie und den Reit
für das Eatyrfpiel; und die Choreuten für die Tragödie in
drei Chöre vertheilt ließ er fo nad einander auftreten, daß fie
von der einfahen Entwidelung der nad ihren Hauptinomen:
ten dargelegten Handlung aus ihre ausführlihen lyriſchen Ge
fänge machten. Allerdings ift bier Feine zwingende Nothwern:
digkeit zum Auftreten dreier verfchiedenen tragifchen Chöre
zu entdecken; doch bin ich geneigt zu glauben, daß fich eine der-
artige künſtleriſche Convenienz bildete; wenigſtens ift nur dar-
aus erflärlich, wie fich fobald die entfchiedene Form dreier
Tragddien in jeder Didaskalie durdhfegte. nr
Zugleich aber zeigt eine Vergleichung der Phoiniffen mit
der Perfertrilogie, eine wie große Vertiefung die dDramatifche
Kunft durch Aifchylos gewommen hat, ja wie fie durch ihn ei-
gentlich erit dramatifch geworden it. Bon feiner Erfindung
war nicht blofi, daß dag Drama der Perfer mit der Beforgniß
ftatt mit der Entſcheidung begann, fondern er brachte damit
zugleich Bewegung in die Figuren felbft, einen Fortſchritt in
“ihre Meinungen und Abfichten, ein tragifches Intereffe. Bon
35
'
546 Phrynichos.
ſeiner Erfindung war unzweifelhaft der Schatten des Dareios,
der über den Bereich ber einzelnen Tragödie hinaus ihre Ver⸗
bindung mit dem vorausliegenden und folgenden Stüd machte.
Es muß erinnert werden, daß Phrynichos 476, Aiſchhlos 472
Die Perfertragüdie aufführte. Wenn Phrynichos noch fo ſpät
fo Undramatiſches aufführen Tonnte, fo werden Pratinas, Choi⸗
rilos, Thespis gewiß nicht ihm voraus geweien fein. Man
fieht, wie ungeheuren Fortſchritt Aiſchyſos gemacht hat; zugleich
aber wird es nicht zu bezweifeln fein, daB er feinesweges von
Anfang ber diefe reichere Geftaltung gebracht bat; und fo bes
ſtimmt id) annehme, daß er, wenn er einmal feine Trilogie
(oder Tetralogie) gefunden, nicht mehr in der ungleid, armſe⸗
ligeren Weiſe der älteren Dichter arbeitete, eben fo natürlich
finde ich es, daß er in derfelden begann, und erfläre daraus
den Umſtand, daß unter den überlieferten Namen und Frag:
menten Aiſchyleiſcher Compoſitionen fich einige finden, welche
durchaus feine Möglichkeit trilogiſcher Getaltung zeigen.
Ueber die politifche Beziehung der von Themiſtokles als
Choregen aufgeführten Perfertragödie ders Phrynichos werden
wir fpäter fprechen.*)
Wir müffen uns begnügen, an biefer einen Tragödie die
ungefähre Eompofitionsweife des Phrynichos erkannt zu haben;
des Weberlieferten it zn wenig, als daß wir bei dem Uchrigen
ihre Formung auch nur entfernt ahnden könnten.
Im Katalog dei Euidas nicht genannt wird die „Eins
) Das bei Hephaifton p. 67 aufbewahrte Fragment nahm ich frü«
ber wie nah mir O. Müller zu den Phoiniſſen; aber unmöglich fann ich
die Deutung, die ihm Müller gegeben bat, billigen: nicht von einen
Sprihmort, fondern von einer Sage ift darin die Rede; ob von der
des Derfens, des Stammvatere der Perſer, der bie Burgone getddtet
und ihr das Haupt mit fcharfem Speer vom Rumpf getrenut bat?
Doch ift der Anfang des Bruchſtückes corrumpirt; es wird wohl gar
nicht zu diefem Drama gehören.
N
Bhrynichos. 547
nahme von Miletos;“ aber Herodot erwähnt ihrer. Die
Arhener hatten den Foniern bei ihrem Aufſtande Hülfe geleis
flet, fih Dann zurücgesogen und da Milet hart und härter ber
drangt wurde, feine Hülfe geleiftet; endlih 494 wurde die
Stadt erobert und auf die granfamfte Weiſe zerſtört. Dieß
Schickſal der ſtamm- und bundesverwandten Stadt ftellte Phry:
nichos dramatiſch fo ergreifend dar, dab das Publicum bis zu
Thränen gerührt wurde; aber zugleich firafte nıan ihn um tau-
ſend Drachmen und verbot meitere Anfführung des Stückes.
Man fieht, hier wie in den Phoiniffen hat Phrynichos eine be-
ſtimmte politifche Anficht vertreten; die Tragödie flieht auch
bierin der Lyrik ihrer Zeit fehr nahe; wie Pindar in feinen
Eiegesgefängen die kunſtvollſten und eindringlichfien Paraine-
fien für diefen oder jenen Fürften oder Edlen aufitellt, eben
fo die volksthümliche neue Kunft in ihren Tragüdien, nur daß
es das Bolf, der Staat und feine Politik inshefondere ift, Die
fie ins Auge faßt. Man darf behanpten, daß die griecdifche
Tragödie diefen parainetifchen Charakter eigentlich nie ganz auf:
gegeben hat; doch gehört dieß mir zu den mefentlihen Gigen:
thämlichfeiten des Sophofles, daß er mehr als Aiſchylos und
Euripides aus den Allgemeinen fünftlerifchen Impulſen heraus
gearbeitet hat. —
Sn den „Phoiniffen” fo wie in der „Einnahme Miles”
fehen wir Phrynichos unmittelbar nahliegende Verhältniffe fünfte
lerifh bearbeiten. Nach der Weife der griechifchen Bühne war
dieß nur möglich entweder in der Form dramatifirter Lyrik,
oder in der, die Aifchylos wählte, der Gegenwart felbit einen
weiteren gedanfenmäßigen Zufammenhang in der Form des
Mythos zu ubftituiren. Die Kunf, man fieht es, ift in ihren
erſten Schritten noch unfiher, wählt ihre Stoffe noch nicht
mit dent Bewußtſein ihrer Mittel und Schranken; fie wagt ſich,
auch wo fie Mythiſches wählt, noch nicht an jene Mythen, de
548 Phrynichos.
ren ganze Mächtigkeit in den Perſonen, in dem Anringen heh⸗
rer Heldengefialten gegen die Gewalt des Schickſals beruht;
fie ſucht mehr in Begebenheiten Iyrifh anziehende Eituatio-
nen, als in Thaten den tragifhen Schwerpunft, die Willens:
kraft, zur Darftellung zu bringen.
Unter ſolchen Gefihtspunften wird man die weiteren Tra»
gödien des Phrynihos zu betrachten haben. Eo den Al:
taion, eine Eage, der Aifchylos nur innerhalb eines trilogi-
fhen Zuſammenhangs eine Etelle und damit Bedeutung geben
zu können geglaubt hat; fo die Alkeſtis, aus der ein anapd«
ſtiſches Fragment erhalten it, Worte eines Chores, der von
der drinnen binfterbenden Königin berichtet:
„Dod erhält fie den gliederdurchfchätterten Leib
Dhn’ Zagen,“ —
man fieht, der Chor fommt aus dem Pallaft, wo er dieß mit
angeſehen: eutweder nun trat der Chor gleich nach dem Pro—
log des Stückes mit dieſen Verſen auf, und dann haben wir
ein neues Beiſpiel, wie Phrynichos nicht in dem großartigen
Entſchluß der Königin, ſondern in dem weiteren Verlauf der
Begebenheit fein Süjet fand, es fprah dann der Tod den
Prolog, der angab, dag Alfeftis für ihren Mann ſterben und
er fie darımm holen wolle; — oder, was minder glaublich, die:
fer Chor trat in einem fpäteren Stadium ber Tragödie aus
dem Haufe, fo beweifer er, daß ein anderer für die früheren
Stadien bereits vorhanden war, und wir fehen ein Beifpiel
mehr für das, was wir an den Paredroi, Phoiniffen, Perfern
zu entwiceln verfuchten.
In wie weit des Phrynichos Tantalos Vorbild für die
Aeſchyleiſchen Niobetrilogie und feine Erigone für das gleich—
namige Stüd des Sophofles gewefen fei, ift nicht zu fagen,
aber nach den obigen Geſichtspunkten wohl ungefähr zu ver:
mutben.
Phrynichos. 549
Merkwürdig ſind die beiden Titel Danaiden und
Aigyptier; in ciner Notiz aus letzterem Stücke kann
man vielleicht ſo emendiren, daß von So der Stammmut—
ter jenes Geſchlechtes gefagt wurde: „durchglühen“ in dem
Sinne von erbittern, An Wuth ſetzen. In den Aigyptiern wurde
dann, im Chorgefang unzweifelhaft, das erzählt, was man im
Prometheus des Aifhylos v. 880 unmittelbar fieht. Sch zweifle
nicht, daß in derfelben Tragödie der Chor der verfolgten Da⸗
naostöchter, der verfolgenden Aigygtosfühne auftrat, dap noch
ein dritter Chor von Argeiern oder dergleichen vorhanden war.
Das Weitere mag fih die Phantafie ergänzen.
Wie es fih mit der Tragödie Antaios oder die Bis
byer verhalten hat, ift nicht zu fehen. Etwas deutlicher find
die Pleuronierinnen, über die Herr Welder neuerdings
Iehrreiche Beobachtungen mitgerheilt, auch die beiden. erhalte:
nen Fragmente fcharffinnig erflärt hat.
Nicht unterzubringen ift der Titel „die erehten; "den
Euidas im Katalog ber. Phrynichostragödien aufführt. Nicht
genannt hat er die Tragödie Troilos, die Phrynichos aller
Wahrfheinlichfeit nad ſchrieb. Wir erfahren von ihr bei Ge-
legenheit einer Erzählung des Dichters Ton von Chios, und
ein Meines Bruchſtück daraus zeigt recht deutlich die dem treff-
lichen Poeten eigeuthümliche Zartbeit. Sophokles recitirte es,
da er einft, als Feldherr mit Perikles ausgeſandt, bei einem
Gaſtmahl einen fhönen Knaben, der den Wein fchenkte, bat
ihm den Becher felbft zu bringen, und darin ein Hälmchen
drauf ſchwimmen fah, das der Knabe mit dem Tleinen Finger
wesfhöpfen wollte; Sophokles aber fagte zu dem Tjeinen
Schenten, er möge fid) den Finger nicht benetzen, fondern das
Hälmchen forthauchen; und als ſich der Knabe nun über dem
Becher beugte, fo füßte ihn Sophofles und der Knabe erröthere
über des Dichters Auf; da fagte Sophokles den Bers, den
-
550 Phrynichos.
Phrynichos von dem ſchönen Priamiden Troilos, den Achilleus
liebte, ſagen läßt:
„Auf heimlich erröthender Wange
Leuchtet des Herzens Glühen.“
Endlich wird von Phrynichos ein Wort angeführt, mit
dem er den Stier, der die Europa über Meer trug, bezeich⸗
nete; ich zweifle nicht, daß Phrynichos wie nach ihm Aiſchylos
eine Tragödie Europa gedichtet hat.
Ueberblicden wir jegt noch einmal, was von den Tragifern
vor Aiſchylos Wefentliches für die dramarifhe Kunſt geleifter
ift, fo erfcheint in der That die Ausbeute geringer als man
erwarten möchte. Nicht als ob wir nur die Zeit befchuldigten,
uns die genauere Kenntniß unmöglich gemacht zu haben; viel:
mehr ergiebt ſich als wahrfcheinliches Nefultat obiger Zufanı-
menftellung, daß in den älteren Dichtern noch jene volle Tiefe
tragifcher Tendenzen fehlte, die jich allein eine vollendete dra⸗
marifche Form zu fchaffen vermag.
In der That beginnt mit Thespis formell das Drama;
der Chor bringt muſikaliſche, lyriſche, orcheftifche, die auftres
tende Maske epifche und mimifche Elemente mit herein; ihr
Gegenübertreten bildet den Dialog und, in ſchneller Entwide-
lung, die in ſich gefchloffene Handlung. Man Eönnte finden,
das im SWetteifer der zunächſt mit und nach ihm auftretenden
Poeten die Elemente der neuen Kunſt einzeln befonders gel:
tend gemacht worden feien, baß etwa der eine dem Zanz, ber
andere dem Chorliede, ein dritter den Epeifodien größere Auf:
merkſamkeit zugewandt habe; indeß find das leere Vermuthun⸗
gen, und es gehört zu den Anfängen diefer wie jeder gefchicht«
lichen Erfheinung, daß fie dunkel und ihre Fortſchritte in Ber:
Rückblick. —X
hältniz zu der kommenden Größe unbedentend und oft nn:
merklich find.
Vor Allem wichtig if, daß fid) die dramatiſche Kunft aus
der Lyrik herausgebildet, ſich nur allmäblig herausgelöft hat.
»Ariſtoteles wirft fich die Frage auf, warum Phrynichos mehr
Igrifh war; und er antwortet darauf, weil damals die Ges
fänge in den Tragödien vielfältig und zahlreich waren; und
von Aifchylos heißt es beftimmtt, daß er die Chorgefänge min-
derte. Wie mehrfach erwähnt worden, die ältere Tragödie be:
nugte das Auftreten des Echaufpielers nur, um eben die Si—
tuation für neue lyriſche Ergüſſe zu bezeichnen. Wir glaubten
zu bemerken, daß zuerft nur die Tragödie, dann nad) Erfin-
dung des 'Satyrfpieles, eine Tragödie und ein Satyripiel auf:
geführt wurde; bei Phrynichos fanden wir bereits die Tragö⸗
die reichlicher ausgedehnt, drei Chöre traten durch neue und
neue Epeifodien eingeleitet, nach und zu einander auf und bil-
beten fo die Grundlage zu einer neuen und großartigen dra-
matifhen Form.
So war die dramatifhe Kunft durch Aiſchylos Vorgänger
bis zu dem Punkt gefördert, wo das Genie eintreten muß,
um berfömmlihen Formen Bedeutung, un Beinen Anfängen
Entwidelung, um nenen Gedanken die ihrer würdige Geftalt
zu geben. Und fo beſtimmt gerade Aifhylos Kunſtform aus
dem vorhandenen Gebraud der attifhen Bühne hervorgegan-
gen ift, eben fo wefentlic bat fie durch ihn erſt den höheren
dramatifchen Charakter erhalten, der fih in der trilogifihen
oder tetralogifchen Form anf unvergleichli großartige Weiſe
geftaltet.
Ich habe an einem andern Drte*) nachzuweiſen verfucht,
) ©. den Aufiag. „Phrynichos, Aiſchylos und die Trilogie’ in
ben Kieler pbiloloyifhen Beiträgen 1841.
552 Aiſchyles Kunſtform.
%
wie ſich die tetralogifhe Compofitionsweife der verfchiedenen .
Tragifer zu einander verhielt, wie namentlih Aiſchylos die
vier Stüde einer Didasfalie ftets zu wefentlichem Zufammen-
bang verband, der entweder ein äußerlicher und fo zu fogen
praginatifcher oder ein idealer war, daß aber auch in den Fäl⸗
len, wo die vier Stüde, oder die drei Tragödien nur, fortlau:
fende Geſchichten darftellen, deren wefentlicher Zufammenbang
doc wieder der ideale war. Eben da ift erwiefen worden, daß
die alten Gelehrten wenigftens feit der Alerandrinifhen Zeit
mit dem Namen Trilogie nur diejenigen Tragödien einer Di:
daskalie bezeichnen, in denen jener äußerlihe Zufammenhang
Ratıfand, und eine Zerralogie nur dann anerkennen, wenn auch
im Satyrſpiel noch fid diefelbe Geſchichte fortfegt, wie das
3. DB. in der Lykurgeia der Fall if.
Es lag in der Natur der Sache, dag mit der innern Um⸗
geftaltung der dramatischen Kunft, wie fie von Wifchylos aus⸗
ging, auch ihr Aeußeres fich wefentlic veränderte. Schon an⸗
geführt worden ift, wie er den äußeren Unfang des Spieles
vergrößerte, wie er die Ausdehnung der Chorgeſänge minderte,
um der Handlung defto mehr Raum zu Thaffen. In dem We:
fen der Handlung, wie er fie im Gegenſatz gegen die frühere
Weile zur Darftellung brachte, lag die Nothwendgkeit, Die ge-
geneinander wirkenden Kräfte unmittelbar zur Unfchauung zu
bringen; er erfand, beißt cs, den zweiten Schauſpieler. Doch
drangt fich bier eine nicht unwichtige Beobachtung auf, welche
beweif’t, daß die wefentlihe Bedeutufg des Dialogs bei Al:
ſchylos nur erft der Möglichkeit nach) vorhanden war. Erſt in
der Dreftcia treten die beiden Perfonen, in denen fich die tra
giſch gegen einander wirkenden Kräfte darftellen, alfo Agamem:
non und Kiytaimneftra, Klytaimneſtra und Oreſtes u. f. m. uns
miıtelbar gegen einander auf; in den vier älteren Dranıen ift
ſtets nur die eine in dem Protagoniften dargeftellt, während
Li
Aifchylos Kunftform. i 553
die andere nur in ihren Befehlen, Wirkungen u. f. w. reprä⸗
fentirt wird. Sp erfheint im gefeffelten Prometheus dee ge:
fefielten Zitanen Gegner Zeus nicht perfünlich, fondern in der
Nepräfentation des Hephaiftos, des Hermes u. f. w.; ähnlich
tritt Polyneikes in den Sieben nicht auf, in den Schutzfle⸗
benden werden die Aigypter nur durch den Herold dargeſtellt,
in den Perjern die fiegende Gewalt der Hellenen zur in der
Erzählung des Boten u. f. w. zur Anfhauung gebradt. Sch
muß hinzufügen, daß die Drefteia auch nun eine fcheinbare
Ausnahme von dem Sinn, ter diefer Erfheinung zu Grunde
liegt, madt. Darin liegt der unendliche Fortfchritt der So:
phofleifhen Dramatik, daß dieß Gegeneinantreten der Perfonen
nicht ein änßerliches Nebeneinander bleibt, fondern ihr Spre⸗
hen felbft Handlung, Entwidelnng, gegenfeitige Beftimmung
und gleihfam chemiſche Durhdringung iſt, während die Chas
raftere bei AUifhnlos volfommen fertig und in ſich unverändert
neben einander hingehen. Er hat Handlung, aber fie liegt bei
ihm außerhalb der Darftellung; während bei Sophofles das
Drama eine vollfommene Peripherie ift, in der alle Montente
des zuſammenhängenden, Berlaufes der unmittelbaren und ge⸗
genmwärtigen Anfhauung vorliegen, befteht das Wifchyleifche
Drama nur aus Stüden diefer Peripherie, die den Blig zwin-
gen fih die centrale Kraft zu fuchen und in fie zu verſenken,
um von ihr aus den unvollkommenen Kreis ihrer Aeußerungen
zu ergänzen. —
Namentlich auch in Beziehung auf den Schmuck und die
Würde der Darſtellung verdankt das Theater dem Aiſchylos
viel. Er brauchte zuerſt eine Reihe theatraliſcher Maſchinerien,
um Götter in der Höhe, Geiſter aus der Tiefe, Dämonen auf
geflügelten Noffen und Meerungehenern erfcheinen zu laſſen.
Er war überaus reih in Erfindung von ZTanzbewegungen für
feine Chöre; berühmt ift in diefer Beziehung das wilde Her:
554 Aiſchylos Theater.
porflürmen bes Griungenchores und der kunſtreiche Tanz der
Phrygier, welche die Bitten des Priamos um Hektors Leiche
begleiteten; in den Sieben gegen Theben wußte Teleſtes die
Declamation ſo glücklich und charakteriſtiſch auszuführen, daß
man in ihr wieder zu erkennen meinte, was draußen vor dem
Feldlager der Feinde vorging. Die Scenenmahlerei ſoll zwar
Sophokles aufgebracht haben; doch iſt gewiß, daß ſie auch Ai⸗
ſchylos ſchon für ſein Dramen reichlich anwendete; es iſt über⸗
liefert, daß Agatharchos, der erſte, der die Perſpective theore⸗
tiſch behandelte, für Aiſchyſos DI. SO, alſo wahrſcheinlich zur
Oreſteia die Scene mahlte. Sicher gehört dem Aiſchylos die
Einführung der Fadeljüge am Schluß der Zrilogien; er fcheint
fie mit Borliche gebraucht zu haben, wenn nicht vielmehr der
hereinbrechende Abend die Veranlaſſung geweſen fein follte.
Ferner wird dem Aiſchylos die Erfindung des Kothurnes, der
Maskte,. der prächtigen Coſtüme zugefchrieben, durch welde
erft Die äußere Erfeheinung der auftretenden Perfonen dem bo:
hen Charakter feiner Poefie und den Borfiellungen, die man
fih von der erhabneren Geſtalt der Heroen macht, entfprad.
Es heißt, daß er namentlich die Pracht und feierliche Erhaben⸗
heit diefer Coſtüme fo wie die effectvollen Fackeizüge aus der
Feier der Eleuſiniſchen Myſterien entlehnt habe; und es ift
auf diefes Nachahmen heiliger Trachten und Gebräude bis:
weilen eine Tradition bezogen ‘worden, die zu dem duntelften
gehört, was über Aifchylos erzählt wird.
Die alte, übrigens nicht befonders verbürgte Erzählung
lauter: „Aiſchylvs fei einft auf der Bühne in Gefahr geweſen,
durh Eteinwürfe umzukommen, weil cr einiges Myſtiſche aus:
zubringen gefchienen habe, wenn er es nicht vorausgemerft und
fih zum Altar des Dionyſos geflüchter hätte, worauf der
Areopag die Einfprahe getban, daß ber Dichter zuvörderſt
von ihm gerichter werden müſſe, und derſelbe Iosgefprochen
Aiſchylos Bhilofophie. 555
worden fei, bauptfählih wegen feiner -Thaten und Wunden
in der Schlacht von Marathon, fo wie wegen feines Bruders
Kynegeiros,“ der eben da im Kampfe den Arm eingebüßt hatte.
Diefe Begebenheit it im Alterthum ſehr befannt, und ein bes
liebtes Thema zu Schulreden geweien; daß Wifchylos wegen
Vrofanation gor Gericht gewefen, bezeugt Ariftoteles; aber bei
welcher Tragödie dieß gefchehen fei, fcheint den alten Kritifern
ſelbſt nicht mehr befannt geweien zu fein, fie rathen deshalb
umher: „Aiſchylos fcheine einiges Myſtiſche zu fagen in deu
Schützinnen und Prieſterinnen, im Eifpphos Steinwälzer, fi
der Tphigeneia und dem Didipus; in dicfen allen fiheine er,
von der Demeter fprechend, das Myſtiſchere gefliffentlich zu
berühren.” inzelne nennen auch die Eumeniden des Dich
ters, wahrfcheinlich durch einen Irrthum. Wir find zu wenig
über das Wefen der Myſterien und die Heiligkeit dort übli:
cher Gebräuche und Lehren unterrichtet, als daß es möglich
wäre zu befiimmen, was der Dichter aus den Mpfterien, ob
Gebräuche oder Kehren oder was fonft und in welcher Weife,
in welhen Tragödien profanirt habe; dazu kommt die außer:
ordentlich fchwierige Trennung der mythifhen und religiöfen
Elemente, die bei Aiſchylos oft fich vereinen, um vor der wun⸗
derbaren Zieffinnigkeit feines Denkens zu verichwinden. —
Diefe Tieffinnigkeit des Aiſchylos, fo eigenthümlih fie
ihm if, hat man fhon in Älter Zeit aus fremder Quelle, nas
‚mentlih aus der Pythagoriſchen Philofophie, herzulciten ges
fucht; er ift weit hinaus über diefe Weisheit der geifigen Mecha⸗
nit, über diefe negative, der gefchichtlihen Bewegung gerade
entgegengefegte Ethik; die Eurhythmie feiner Tünftleriihen
Formen in alles cher als eine Anwendung philofophifcher Zah:
lenmyſterien. Neuere Kenner haben auch wohl behauptet, er
verdanke feine tiefſinnigſten Gedanken den Eleufiniihen My⸗
ſterien, von deren Inhalt wir nemlich nichts wiſſen; ſo unbe⸗
—
—
650 Aiſchyles Philofephie.
greiflich ift vielen die fchaffende, autochthoniſche Kraft des dich:
terifchen Geiſtes, daß fie die gedanfenlofe Erklärung eincs tra:
ditionellen Anlernens, die die Frage nur um ein Weniges
weiter zurückſchiebt, und felbit die gedantenlofere Vorausſetzung
von antediluvianifcher Weisheit nicht verfhmähen, um nur
das wahrhaftere Myſterium der geiftigen Größe wicht unbedingt
annehmen zu müffen.
Wohl aber darf man auf die wahrhaft flaunenswerche
Bewegung im Bereich des geiftigen Lebens, die um die Zeit
des Aiſchylos und der Perferkriege das Griehenthum aller Dr-
ten zeigt, hinweifen, um daran zu erinnern, daß eine fo große
Erſcheinung nicht vereinzelt ift, fondern von der mächtig em⸗
porfchwellenden Welle einer hochbewegten Zeit getragen wird.
Aifchylos ift der Zeitgenoife des erbabenen Zenophanes, des
feierlich tieffinnigen Parmenides, jenes Empebdofles, dem die
Riteraturen aller Jahrhunderte vielleicht nur den einen Dante
an die Seite zu fepen haben; man verſenke fih in die Gedichte
diefer Bewunderungswürdigen, um zu erkennen, welch ein geis
ftiges Ningen zu Aiſchylos Zeit das Griechenthum erfüllt,
welche Tiefe von Gedanken und Ahnungen die Poeſie jener
Zeit auszufhöpfen vermochte, mit welcher titanengleihen Mäch—
tigkeit der Geiſt nach Erkenntniß und Selbfigewißheit rang. Wenn
aber irgend einem jener großen Zeitgenoffenfchaft Aiſchylos vers
glichen werden fol, fo nenne ich ihn den Herafleitos der Tragödie;
in der That ihn charakterifirt jene dunkle Dynamik eines fie
ten Ningens und Werdens, das an fih felbft die Schuld
des Dafeins und den Drang der Vernichtung trägt: und
dent „Alles fließt” des Philofophen entfpricht im ethifcher Wen:
dung das Aiſchyleiſche „wer thut, muß leiden“, dieſe tiefe
Erkenntniß, daß ohne Schuld feine That, daß Irrthum das
große Recht des Lebens, ja das Leben felb it. Dichten und
: Denten, die hoͤchſſen Gegenfäge geiftiger Thätigkeit, find eins
Aiſchyles Anfünge. 557
in ihren Nefultaten; die Dichtung wird zum Tebendigen Ge:
danken, und der Gedanke dichter cine Belt, der nur das
fhöne Spiel des Zufalls fehlt.
Aifchylos literarifhe Thärigkeit umfaßt einen Zeitraum
von mehr als vierzig Jahren. Was wir Einleitendes zur Dres
fteia aufzeihneten, Tann einen Beweis geben, wie wichtig es
fein würde, für jede feiner Tragödien die Zeit und die Zeit
umftände zu kennen, für welche fie beſtimmt war. Aber unfere
Kenntniß ift gerade in diefer Beziehung unendlich lückenhaft,
und faum vermögen wir hier nnd da eine einzelne Combina«
tion zu erhafchen.
Schon angeführt worden ift, daß Aiſchylos Zum erften
Male im Jahr 500 zum dramatifhen Wettkampf ge
gen Choirilos und Pratinas auftrat. Daß er fhon damals
in der ihm eigenthümlichen trilogifchen Form dichtete, ift durch
nichts zu erweifen. Jedenfalls falfch aber ift die Angabe, daß
er wegen 'eined Unglücks, das bei diefer feiner eriten Auffüh:
rung ftatt fand, nämlich wegen des Einfturzes der hölzernen
Schaugerüſte, feine Heimath verlaffen habe und nah Eicilien
gemwandert fei. Bielmehr werden ihn gerade bis zu den Per:
ferfriegen poetifhe Arbeiten und Wettkämpfe gegen feine älte
ren Zeitgenoffen befshäftigt und an Athen gefeffelt haben.
Dann folgte der erfte perfifhe Krieg, der mit der Mara»
thonifhen Schlacht für Athen, fo glorreich endete; Aiſchylos
hatte fi in diefem Kampf durch Tapferkeit ausgezeichnet; in
dem Gemälde einer üffentlihen Halle, welches diefe Schlacht
porftellte, glaubte man außer den Feldherren Kallimachos und
Miltiades namentlih auch die Geſtalt des Aifchylos unter den
Kämpfern zu erfennen. Es ift Teicht begreiflich, welche Ber:
558 Aiſchylos Anfänge,
änderungen fich nach diefem Kriege im Athenäiſchen Volke be:
merkbar machen, wie fehr der Dichter durch feine Tapferkeit
und die Heldenthaten feines Bruders Kynegeiros an Popula:
rität gewinnen mußte; mehr aber noch mag durch die Verän«
derung, die in ihm felbft vorging, durd die höhere Epannung
und Kräftigung, die ein folcher Kampf dem inneren Leben zu
geben pflegt, jener firenge Ernft, jene heroiſche Maͤchtigkeit
und Kriegemuthigkeit feiner Poefie hervorgerufen fein, die ihn
fortan vor allen Dichtern auszeichnen follte. Es ift überlies
fert, daß er bald nach der Marathonifhen Schlacht (484) feinen
erfien Steg im tragifchen Wettfampf feierte. — Aber auch von
einer Niederlage wird berichtet, die Aiſchhlos um diefe Zeit
im poetifhen Wettkampf erlitten habe; er und Simonides war-
ben um den Preis für eine Elegie über die bei Marathon
Gefallenen *) und Simonides erhielt den Preis; die Erzäb:
Iung, daß Aifchylos damals, tiber dieſe Niederlage außer ſich,
das Vaterland verlaffen habe und nah Sicilien gegangen fei,
it wieder nachweislich irrig. —
Zehn Jahre nad) der Maratbonifhen Schlacht (480) er⸗
folgte der furchtbare Angriff der Perfer unter Kerres Führung.
Aiſchylos käänpft mit Ruhm bei Artemifion, Salamis und Pla:
taiai. In der Einleitung zur Drefteia find die Hauptzlige ber
”) Richt die betreitenden Elegien, ja auch wohl nidt Bruchſtücke
daraus, find die folgenden in der Anthologie aufbewahrten Verſe:
Simonides:
Heil euch, Helden der Schladht, die unendlihen Ruhm ihr errungen,
Serrlide Finder Athens, roffegewandt und erprobt,
Die ihr die Jugend denn Tod für die flurenumarünete Heimath,
Für des Hellenifhen Volks meifte Geſchlechter geweiht!
Aiſchylos:
Euch auch, ſpeerfurchtloſe Hersen, der heerdenerfüllten
Heimath Netter, auch euch nahte das dunkle Geſchick;
Doch der Gefalleuen Nuhm bleibt leben, wenn längſt ihr geweihtes,
Schlachtengednid'ges Gebein birgt der Oſſaiſche Staub.
un a a En re ige io
Die Berfer. 559
naͤchſtfolgenden politifhen Berhältniffe Griechenlands dargeftellt.
Themiftofles und Arifteides waren die Männer, um welche
fih die Politik Athens drehte; vor der Salaminifhen Schlacht
batte Themiſtokles feines Nebenbuhlers Dftrafismos durchge⸗
fegt, aber zur Zeit der Gefahr ſelbſt deiien Nüdberufung ver:
anlaßt; wenn jener mit dem glorreihen Eiege von Salamis
die helleniſche Freiheit gerettet zu haben fchien, fo hatte Ari:
fteides in eben der Schlacht durch feinen Angriff auf die Inſel
Pſyttaleia dem Eiege erft feine volle Wirkung gefhafft; den
Ruhm von Plataiai 'theilte Themiſtokles mir ihm nicht; dafür
ertroßte dicfer von den Spartanern das lang geweigerte Zus
geſtändniß, Athen und die Häfen zu befefligen. Aber freilich
der durchdringende und entfchicdene Herrihergeift des Themi⸗
fofles mußte bald die Zahl feiner Gegner mehren, während
Arifteides gehaltene Ruhe, das Bertrauen der eben jegt unter
Athens Führung vereinten Bundesgenoffen zu feinem Charaf:
ser, fo wie die deutlich ausgefprochene Bevorzugung, die ihm
und feinen jungen Freunde Kimon Seitens der Spartaner
wurde, ihn in den Augen der Menge als weit geeigneter zur
Führung des Staates, den Themiſtokles als gefährlich und ent⸗
behrlich erfcheinen laſſen mochte. So gelang e8 (Anfang 475)
Themiſtokles Oſtrakismos durchzufegen.
Plutarch berichtet, Themiſtokles habe als Choreg einen tra⸗
giſchen Sieg errungen und dep’ zum Gedächtniß eine Tafel ges
weiht: „Themiltofles der Phrearrhier war Choreg, Phrynichos
Dichter, Adeimantos Archon.“ Diefer Eieg war in den Die:
nyiien 476 errungen und man zweifelt nicht, daß es chen die
Phoiniſſen des Phrynichos waren, die damals aufgeführt war:
den. Eine merkwürdige Feier; der Sieger von Salamis felbft
war es, der die Tragödie von feinem Siege in glänzender Cho⸗
regie dem Volke norführte; und er, deffen That, wie hie Tra⸗
gödie zeigte, das weite Afien durchſchüttert und die Burg von
560 Die Berter.
Suſa mit Sammer erfüllt hatte, er war ſchon nicht mehr der
Dankbarkeit feines Volfes gewiß, er-mußte fhon zu folchem
Mittel greifen, fein wantendes Anfehn zu erueuen. — Lehrreich
ift dieſe Bezüglichkeit zugleich für die Weife des Phrynichos;
feine Tragödie Eyuthofen, Phoiniffen, Perfer begann, wie wir
fahen, mit dem Bericht des Eunuchen von der Niederlage und
fhloß mit den Auftreten der mit Xerres geflüchteten Perſer;
da konnte nur von Themiftokles Sieg bei Salanıis die Rede
fein; die Schlacht von Plataiai, die Arifteides Ruhm war, lag
außer dem Bereich feiner Darftellung. Daß aber Bhrynichog,
den wir bier ganz dem Intereſſe des Themiſtokles hingegeben
fehen, eben der Partheianficht, die diefer vertrat, angehörte, lehrt
ein anderes Beifpiel deutlich genug. Dder in welhem inne
fonft hätte er die „Einnahme Milet's“ Dichten können? war
es im Sinn des Themiftokles gehandelt, wenn man die ftamm:
verwandten Hellenen der. afiatiihen Küfte, denen man anfangs
Beiftand geleiftet, dann verließ und durch vorforgliche und felbft-
füchtige Theilnahmfofigkeit der Wuth der Barbaren überant-
wortete? und welche Parthei beſtimmte damals das Volk, als
es durch Phrynichos erſchütternde Darftellung gerührt dennoch
den hochherzigen Dichter zu einer Geldbuße verurtheilte? The⸗
miftofles wetteiferte bereits in der Marathonifhen Schlacht,
vier Jahre nach dem Fall Milers, mit Arifteides an Tapferkeit,
und gleid nad) derfelben trat gegen den Helden diefer Schladht,
gegen Kimons Bater Miltiades, Xanthippos auf, des Perifles
Dater. Wohl war zur Marathonifhen Zeit fhon cine Pars
thei kühner vorwärtsdrängender Männer da, ber ſich Phrynis
Ho8 anſchließen, von der getragen Themiftofles feinem Volke
die größten Anftrengnigen und Opfer zumuthen Tonnte, um
es zu dem glorreihen Kampf gegen Perfien zu befähigen. Aber
die Entfernung der Gefahr gab der ruhigeren Parthei bald
wieder ein Uebergewicht; Themiſtokles wurde des Landes ver:
Die Perſer. 561
wiefen und Phrynichos verlieh — um in Sicilien den Reſt
ſeines Lebens hinzubriagen; — wann, muß man freilich muth⸗
maßen.
Drei Jahre nach ber Berbannung des Themiſtokles, in den
Diomfien 472, führte Aiſchylos feine Terralogie der Perfer
anf. Man Has neuſter Zeit darauf aufmerkſam gemacht, daß
fie eben fo für Arifteides, wie Phrynichos Photniffen fuͤr The⸗
miſtokles Parthei nehme. Ich glaube, dieſe Anficht if in fol
her Entgegenfielung unrihtig; gründliche Forfchungen über
die fchwierige Ehronologie jener Zeit ergeben, daß Themiſtokles
475 dur den Oſtrakismos verwiefen, im Zahre darnad we⸗
gen angebliher Theilnahme an der Berfämdrung- des Pauſa⸗
nias zum Tode verdammt worden und darauf dus Argos, wo
er bis dahin gelebt, unter mannigfachen Mentheuern in das
Neih des Großkönigs geflüchter fi. Nun war Themiſtokles
für Athen politiſch todt. Allerdings fanden: noch manche feir
ner Frennde mir ihm in geheimer Verdindung; aber Cpikrates,
der ihm Weib und Kind nachgeſandt hatte, wurde von Kimon
verklagk nid zum Tode gebracht. Man ift geneigt zu fragen,
06 deun Das oder andy Die Nachſeudung des Geldes, das The:
miſtokles erübrige hatte, wenn auch fie Epifrates beforgt hatte,
ein: tobtwürdiges Verbrechen war? Es ſcheint uns bier aus
einer großen Reihe von Verhältniſſen nur ein unb. deutendes
Bruchſtück erhalten zu fein; jenes Todesurtheil wird ſtch dar⸗
auf geftügt haben, daß Thentiitofes, mit dem Epikrates in
Berdindung fiche, eben damals dem Perſerkönige einen Plan,
Hellas zu verfuechten, vorſegte, man wird bie altch Freunde
bes Themiſtokles mit in diefen Plan complicirt geglaubt, Ver⸗
rarh im der eigenen Stadt geargwohnt haben. Um die Zeit,
da Themiſtokles nach Aſten kam, war Terxes, der feit der Nies
derlage gegen die Griechen die Achtung der Perfer verlosen
hatte, von perſiſchen Großen ermordet, fein noch junger Cohn
36
662 Die Berfer.
Artaxerxes auf den Thron gehoben worden; was ilt glaublicher
als daß die Perfer vor Begier brannten, die Schmach von Sa-
lamis zu rähen, die verlorenen Länder wieder zu erobern?
Und eben jet Ende 473) Fam, von dem verbleudeten Athe⸗
nern verdanımt, der Held von Salamis gen Perfien, bereit,
den Barbaren den Weg zum Siege zu zeigen; den Arhenern
aber mußten die Vorgänge in Aſien und die Eriegerifhe Stim⸗
mung der perfifhen Großen gar wohl bekannt fein. Run ver
gegenwärtige man fih die Stimmung, die in Athen um die
Zeit der Perferaufführung (März 472) herrfhen mochte. Eben
jegt wandte ſich Themiftofled, dem man. allein die Befreinng
Griechenlands dankte, zu den Perfern, über deren Abficht, von
Neuem einen Einfall nah Griechenland zu machen,“) man nicht
mehr zweifelhaft war; wer wird nun Führer fein? wer wird
gegen Themiſtokles, wenn diefer wie einft Hippias das Barbas
renheer leitet, das Feld zu. halten vermögen? und fchon fiud
die Bündner vieler Orten ſchwierig, die Theffolier, die Theba⸗
ner werden fogleich ihre alte Kreundichaft mir Perfien erneuen;
die Spartaner, auf die raſch emporblühende Macht der attiichen
Demokratie eiferfüchtig, werden ſich noch weniger wie bei Ma⸗
rathon und Plataiai beeifern, Beiftaud zu leilten; Athen wird
allein den Barbaren gegenüberſtehen und dem größten Feld⸗
herru, dem Themiſtokles, gegemüber erliegen.
Wohl mochte es bei fo banger Stimmung in Athen au
der Zeit jein, das Volk an die Herrlichkeit der legten Perſer⸗
friege zu erinnern, darzuſtellen, daß nicht die Zufälligkeit eines
einmaligen Eieges Hellas fhüge, fondern daß die ewigen Be:
*) Das dieß wirklich die Abficht der Perfer war, lebrt die Schlat
von Eurrmedon (Frühling 469) unzweidentig. Bereits bis Pamphalien
war ein großes Landheer der Perſer, von einer eben fo mächtigen Flotte
begleitet, vnrgedrungen, als Kimon ‚beide bemältigte.
Die Berfer. 563.
ſtimmungen des Berhängniffes, die großen allgemeinen Geſetze
der Geſchichte den Barbaren die Herrfchaft über Europa vers
fagten. Diefe ewigen Geſetze, nicht die That des Themiftokies,
fo ſtellt es Aiſchylos dar, haben Griechenlands Freiheit geret-
tet; fie haben in einer Reihe glänzender Thaten und unerwars
teter durch keines Menſchen Klugheit herbeigeführter Ereigniffe
fi) felbft bewahrheitet und bethätigt; nicht bloß den (durch The:
‚ miftofles) erzwungenen Angriff bei Salamis, auch den trefflichen
Kampf (des Artiteives) bei Pſyttaleia, die Hungerd und Wafs
ſersnoth Des zurückfliehenden Heeres, die verrätherifche herbſtliche
Eisdecke über den Steymon, den neuen Sieg (des Ariſteides
und Panfanias) bei Plataiai, dieß alles miteinander haben die
Götter zur Errettung der Hellenen gewährt, mit ihnen verbün⸗
der kämpft ihr Land (Perſer B. 775) Will man da nod)
muthlos fein? Ja die Perfer felbft werden nicht nod einmal
einen Kampf wagen, von dem fie erfannt haben müſſen, daß
er ihnen nimmer glücden wird. Ungeheure Berluite haben fie
erlitten, alle ihre tapferften und edeiften Führer find umgekom⸗
wen, ihre Böllerheere wie Spr’u zerftoben, ihe Muth und ihr
Hochmuth iſt gebrochen, die Völker felbft beginnen fid gegen
das ihnen aufgebürdete Joch aufzulehnen (Perfer V. 578 1c.).
Bor den Perfern ift Hellas ficher.
In diefem Einne, meine ich, hat Aiſchylos feine Perfer-
tetralogie gedichtet; in den verlornen Theilen derfelben mußte
ſich mannigfache Gelegenheit darbieten, eben dieſe Geſichts⸗
punfte noch enrfchiebener hervorzuheben und auf bie betreffen.
den Berhältniffe der Gegenwart beftimmter einzugeben. Nicht
den Gegenfag des Arifteides gegen Themiſtokles hebt der Dich:
er hervor oder berüdiichtigt er auch nur; von beiden ift nicht
die entferntefte Erwähnung in der Tragödie und „der helle
niſche Mann“ B. 347 it nicht Themiſtokles, fondern ein Bote.
364 Die Sichen gegen Theben.
Wohl aber erkennt man, im Sinne welher Parthei der Dich⸗
ter ſpricht.
Sm fünften Fahre nach Themiftofles Verbannung, kurz
vor der Zeit, da Kimon zum Feldang in Pamphylien auszog,
ſtarb Arifteides der Gerehte; das war im Jahr 470. Ein
fonſt forgfältiger Schriftfteller berichtet, daß er in ben Tegten
Jahren feines Lebens wegen Beſtechlichkeit angellagt, ja fogar
verurtheilt und in der Verbannung geftorben feis doch wider:
fprechen dem mehrere andere Berihterflatter, fie verfichern, daß
er den Abend feines Lebens ruhig und im Genuß allgemeins
fier Verehrung in Athen zubrachte. Und als bei der Auffüh⸗
rung der Aiſchyleiſchen Tragöbie „die Sieben gegen Thes
ben’ die Verfe recitirt wurden (B- 574):
Denn nicht gerecht nur fcheinen will er, fondern fein,
Aus tiefer Furche ärndtend feiner treuen Bruſt,
Draus ihm bervorfprießt vielbewährten Rathes Frucht, .
fo wendeten ſich Aller Blide auf Arifteides, dem gerechteften
Mann und treuften Bürger Athens. Verbindet man biermit
eine zweite Angabe, daB die Sieben gegen Theben nad ben
Perfern, alfo nah 472 aufgeführt find, fo erhellt, daß fie ben
Dionyſien des Jahres 471 vder denen von 470 angehören. Bei
der Darftellung des dritten Stüdes der Thebaistrilogie (oben
S.395) iſt bereits auf einige weitere Bezüglichkeiten aufmerkfam
gemacht worden; zu bem, was da in Bezichung auf Thebens
Stellung während und gleich nad den Perferkriegen bemerkt
worden, muß noch hinzugefügt werden, wie Theben nad ber
Bertreibung ber Peiſiſtratiden in offenbarfter Feindfeligfeit ges
gen Athen war, ja fi vor allen Rachbarſtaaten bereit zeigte,
zur Unterdrüdung des jungen demokratiſchen Staates Die
Hand zu bieten. Leider verläßt uns die Weberlieferung ganz
in Beziehung auf die Berbältniffe Thebens und Athens um bie
Zeit der in Frage ſtehenden Aufführung: wir haben Feine Rach⸗
Die Sieben gegen Theben. 565
richt davon, daß ſich Sparta in demfelben Maaße den The
banern näherte, als fih Athen ſelbſtſtändiger erhob, oder
dab um die Zeit, da der von Themiſtokles betriebene Heeres⸗
zug der Barbaren gen Griechenland, zu dem 479 bereits die
Motten wie die Völker zuſammengezogen waren, ſich feiner
Ansführung mäherte, Theben die alten freundſchaftlichen Ver⸗
bindungen wieber angelmüpft babe, um fih mit Perfien an
Athen zu rächen, daß etwa eine rafchere Partei in Athen for:
derte, man müſſe nit das Aeußerſte erwarten, fondern The⸗
ben gleich und jetzt nnfhädlih machen. Nähere Kunde von
allen jenen Verhältniſſen, ich zweifte nicht, würde uns weſent⸗
lihe Beziehungen jener Trilogie anf die Zeitverhältniffe erſchlie⸗
fen. Jedenfalls ähnelte Ariſteides nicht Bloß im jenen drei
fhönen Zeilen dem hehren Seher Umphiaraos, der den wil-
den Tydeus nicht über Ismenos Furth zum Angriff läßt. —
Noch einer Aeußerlichkeit muß bier erwähnt werden. In den
Sieben gegen Theben finden fih in einer Scene drei Perfonen
zugleich dem Chor gegenüber auf der Bühne. Man bat bien
aus den Beweis fchöpfen wollen, daß dieſe Tragödie nad
dem eriten Auftreten des Sophokles (4689) gebichtet feis denn
nach dem Zengniß des Nriftoteles und andrer Schriftſteller hat
Sophokles erft den dritten Schaufpieler, wie fie es nennen,
erfunden. Wenn dagegen der Biograph des Aiſchylos fagt:
„den dritten Schaufpieler erfand er feibit, aber nad des Meſ⸗
feniers Dikaiarchos Zeugniß Sophokles,“ fo hat man darin den
Unverfland des Grammatikers erkennen wollen, der, was er
in den fpäteften Zrilogien nach dem Muſter des Sophokles
angeordnet fand, auf frühere Zeit übertragen babe. Man
braucht weder die Unwahrfcheinlichkeit no den Schematismus
in diefer Angabe, daß Thespis den erfien, Aifchnlos den zweis .
ten, Sophokles den dritten Scaufpieler erfunden babe, bob
anzufchlagen; nimmt man die Frage weniger äußerlich, da es
566 Eophofles. ; -
doch lacherlich iſt, daß Aifchylos nicht über mehr ale zwei
Schaufpieler zu verfügen gehabt haben follte, fo finden wir es
der Ginfachheit der alten Kunftform entfprechend, daß das
Diverbium wirklich nur zwifchen zwei Perfonen wechfelte, und
daß die dritte Perfon, die mit ihnen zugleih auf der Bühne
fein mochte, fhwieg, da ein Zwiegeſpräch zwiſchen Dreien
eigentlich, etwas in ſich Wunderliches iſt. Dieß Vervielfachen
des Jutereſſes, diefe verwidelteren, fih bunt durchkreuzenden
Beziehungen zugleich agirender Perfonen mögen wirklich eine
Erfindung des beweglicheren und reicheren Sophofles ſein.
Richt, daß drei Schaufpieler überhaupt zn einer Tragödie ver
wandt wurden, nicht daß fie zugleich auf der Bühne waren,
fondern daß fie zu Dreien an dem Geſpraͤch und der Hand:
Jung Theil nahmen, fcheint die Erfindung des Sophokles
zu fein. |
Im Zahr 465 trat der jüngere Sophokles zum 'erfien
Male gegen den alten Ruhm umd die fo oft fiegreihe Kunſt
des Aifchylos auf. Da bei diefer Gelegenheit, fo wird erzählt,
unter den Zuſchauern großer Lärm und leidenſchaftliche Par⸗
theilichkeit entſtand, ſo war Aphepſion, der als Archon Kampf:
richten wählen und den Eid der Unpartheilichkeit ſchwören
laſſen mußte, in der größten. Verlegenheit, wie er zu unpar⸗
theiifhen Richtern Tommen werde; ein glücklicher Zufall half
aus und gab zugleich dem Wettſtreit noch größere Bedeutung.
Kinton, fagt Plutard), brachte fo eben einem Orakel gemäß die
Gebeine des Thefeus aus Skyros nach Athen und trat nım
mit den neun andern Feldherrn in den Raum des Theaters,
um nach alter Sitte dem Dionyfos zu fpenden; das habe der
Archon bemugt, die zehn Feldherrn, von denen überdieß jeber
‚aus einem Stamm war, nicht zurüdigehen laſſen, fondern fie
aufgefordert das Richtamt zu übernehmen. Es ift erwiefen,
daß Plutarch in diefer Erzählung die Infel Skyros und The⸗
Aiſchylos in Sieilien. 507
fens Gebeine irrthümlich gefeßt hat; -die zehn Feldherrn Tamen
von dem Siege am Eurymedon zurück. „Einen merkwürdi—⸗
geren Kunſtwettſtreit Hat Griechenland nicht erlebt; zu entſchei⸗
den ift niemals fchwieriger gemwefen. Nicht zwei Kunſtwerke,
fondern zwei Gattungen, zwei Zeitalter Rritten um den Preis;
und wenn die Erfilinge eines Tragöden von dem Adel der
Empfindung, der Anmuth und Feinheit des Sophokles etwas
wunderbar einnehmendes haben mußten, fo fiand ihm der ge:
trade zweimal fo alte, fechs nnd funfzigiährige Meiſter gegen:
über, welcher weder an Größe der Erfindung noch an Geis
ftesgewalt je mehr von einem Hellenen übertroffen werden
konnte. Der durch den Gegner und die Perfonen der Rid)
ter gleich glänzende Sieg ward dem Tüngling zu Theil.” Co
Welcker. Auf diefen Wettkampf mag fi das großartige Wort
des Aiſchylos beziehen: er weihe feine. Tragüdien der Zeit.
Mehrere Angaben des Alterthums fagen, daß Aiſchylos
nach diefem Wettkampfe Athen verlaflen hate. Es iſt gland-
licher, daß ihn Hieron in Syrakus, an defien Hof fi eine
Reihe ausgezeichneter Dichter verfammtelt hatte, zu einem Be
ſuche, zu einer Aufführung der Perfertrilogie, in welcher der
Sieg der Sikelioten über die Barbaren fo herrlich gefeiert
war, eingeladen hatte; gewiß iſt, daß er nad Syrakus ging,
dort die Perfertrifogie aufführte und vielen Beifall ärndtete.
An dieſer Stelle treffen wir auf zwei bedeutende chronds
logiſche Schwierigkeiten. Es if die Aufführung der Aitnäi⸗
fhen Tragödie oder Trilogie und die der Prometheia; er
ftere gehört unzweifelhaft, letztere wahrfcheintih nah Sicilien,
und in der früheren Ausgabe babe ich jene bem Jahr 467,
diefe Dem Jahr 465 zuſchreiben zu dürfen geglaubt. Für bie
Annahme, daß die Prometheia in Syrakus aufgeführt fei,
machte ich geltend: die lebhafte Schilderung des Aetnaausbru⸗
ches (B. 365 ff.) die Anfpielungen auf dorifhe Berhältniffe
508 Aiſchylos in Sieilien.
(B. 890 ff.) und Tyrannis, endlich den ausgedehnten Gebrauch
ſiciliſcher Worte und Formen, wie er nun von meinen Freundbe
- Berg gründlich nachgewieſen werben if. MBeitere Unterfus
dungen aber haben mir ein von meiner früheren Beſtimmung
abweichendes Reſultat gegeben.
Der Ausdrud des Aetna wird von der fehr zuverläffigen
Parifchen Chronik in DI. 75. 2. (47%) gefept, und wenn aus
Thuchdides eine andere Datirung Hervorzugehen fcheint, fo if
fie durch eine leihte Emendation zu überfeitigen. Daß damals
Aiſchylos in Eicilien gewefen, wird nirgend überliefert. Die
neue Stadt Aitna gründete Hieron DI. 76. I. (47%) und zur
Feier der Gründung dichtete Pindar ein Stolion. Hieron
fheint die neue Stade mit befonderer Vorliebe ausgezeichnet
zu baden; bei dem Pythiſchen Siege, den er DI. 76. 3 im .
Herbft 474 gewann, ließ er fih als Aitnäer nennen ; und zur
Feier des Sieges dichtete Pindar die herrliche erfie pythiſche
Dde, in der unter andern auch der Aetnaausbruch ſchon ge⸗
fhildert wird. Nicht Iange vorher Hatte Pindar dem Fürften
Die dritte pythiſche Ode zugefandt (Sommer 474.)
Man muß fih die Berhältniffe in Syrakus vergegenwär⸗
tigen. Als Gelon DI. 75.3. (47%,) ſtarb, hinterließ er feinem
Bruder Hieron die Negentfhaft für feinen jungen Sohn, wäh
rend ein zweiter Bruder Polyzelos die Heerführung überneh-
men und Gelon's Wittwe, die fchöne Tochter des Theron von
Agrigent, zur Gemahlin erhalten follte. Hieron's Charakter
war überall nicht offen und Hochherzig, er war eiferfüchtig anf
feinen Bruder: er fchidte ihn in einen Krieg, deffen unglück—
lihen Ausgang er erwartete. Aber der edle Polyzelos entkam
der Sefahr und bei dem fortgefegten Nachſtellungen feines Bru⸗
ders entfloh er gen Agrigent; mit Theron vereint, rüftete er
offenbaren Kampf gegen Syrakus und nur durch des Dichter
Simonides Bermittelung wurde Hieron und Theron wieder
Brometbens. 569
ausgeſöhnt. Das war DI. 73. 4. (47%,.) Uber Yon welcher
Sefinnung Hieron war, wie mistrauifh, wie sugänglic für
Berläumder, wie umgeben von allzu gefchäftigen Zuträgern und
gefälligen Dienern, das zeigt Pindars zweite pythiſche Ode,
die eben dieſer Zeit (475) angehört. Doc zierten ihn mande
fürklihe Tugenden; trefflich regierte er, er mehrte fein Gebiet,
er befiegte die Etrurier in einer großen Schladt (474), er war
der mächtige helleniſche Fürſt, und obfchon von körperlichen
Leiden geplagt, war er unermüdlich in den Geſchäften der
Herrfhaft. Aber um die Zeit jenes hetruriſchen Sieges traf
ihn ein ſchwerer Schlag; man ſieht dies and der dritten pp»
tbifhen Dde: „Daoß Cheiron noch lebte, ſagt Pinder, einſt
des heilkundigen Asklepios Lehrer; freilich Asklepios Mutter
mußte, ehe ſie ihn gebar, hinab in des Todes Kammer, denn
Apollo zürnte ihr; ihn verachtend hatte ſie ſich ein audres Ehe⸗
bündniß, es verheimlichend vor ihren Vater, erſehen, zuvor
doch dem Gotte ſchon verbunden und in ſeiner Umarmung ge⸗
ſegnet; fern hielt ſie ſich von allen bräutlichen Feſten und Rei⸗
zen, voller Sehnſucht nad dem Entfernten. Dem wiſſenden
Gotte aber entging «6 nicht, und es trof fie Artemis Pfeil‘
n.f. w. Mit Recht finden die Erflärer, daß Hieron nicht
bloß durch feine Krankheit gequält wurde, fonbern noch eine
andere Dual feinen Sinn trübse, daß namentlich ihm eine ge
liebte Tochter eben da geflorben, deren Herzensgeſchichte mit
der der Koronis nur zu große Achnlichkeit gehabt haben wird *)
Und nun leſe man die Prometheia des Aifchylos. Ach
meine nicht, daB fie eine Allegorie zu dem dortigen, Öffentlichen
Berbältniffen fei, fo dichter überhaupt die Tragddie nie: wohl
aber fühlt man überall die lebendige Gegenmwärtigkeit in er-
*) Man denfe nur nicht wegen der Notiz des Stefimbrotos bei
Plutarch Themiſtokles c. 24 an Themiſtokles.
570 Vrometheus.
kennbaren Beziehungen. Namentlich erſcheinen Okeanos und
Hermes in ihrer merkwürdigen und ſtark ausgeprägten Eigen:
thümlichkeit wie Abbilder wirfliher Perſonen; und die Um:
gebung des mistranifchen und harten Hieron mag gar wohl
foihe allzugefhäftigen Diener, ſolche wohlmeinend ängſtlichen
und egoififchen Vermittler zu zeigen gehabt haben. Allerdings
find es, wenn wir die Pronrerheia in Syrakus aufgeführt den⸗
ten, ftarfe Vorhalturgen, die dem Tyrannen gemacht werden;
aber find die Pindarifchen etwa gelinder? Pindar fagt (Pyth.
2. V. 56.) „in allem Staat hat ein gerad fpredhender Mann
den Borzug, in der Tyrannei, und wenn das laute Bolt, und
wenn die Weifen den Staat leiten.“ Und in der That ein
gerad redender Mann wird auch Aifchylos zu nennen fein.
Auch er mag wie Pindar von dem Argwohn des Kürften zu
leiden gehabt und wie jener die Sache des edlen Polnzelos
vertreten zu müſſen geglaubt haben. Er fagt (B. 225.)
Denn anzubaften pfleget aller Tyrannei
Auch diefe Krankheit, treuſten Freunden nicht zu traum,
oder genauer: „den Freunden” mit einem Worte bezeichnet, das
auch die Verwandten, das auch den Bruder bezeichnen Tann.
Sch unterlaffe, andere Beziehungen Jeiferer Art hervorzuheben;
nur eine befonders deutliche wi ich erwähnen. Der Chor der
Dfeaniden fingt, nachdem Jo weiter geflüchtet it (DB. S90): -
‚ wahrlid, weife war der, welcher zuerft gedacht und aus⸗
geipeochen hat, daß ehelihe Verbindung, dem eignen
Stanım paflend, den Preis verdiene; — nie möge nad
einer in Reichthum prangenden oder von Ahnen glors
reihen Ehe ausgehen, wer ein Hundwerker ifl.”
Es iſt unbegreiflih, wie die Okeaniden zu dieſer ſchroffen Wen:
dung kommen follten, wenn nicht eine beſtimmte Abfichtlichkeit
dabei zum Grunde läge. Und diefe, meine ich, ift feine andere,
Die Aitnderinnen. 571
als anf welche Pindar, freilich ungleich zarter in der oben ans
geführten Stelle anſpielt.)
Aber wie? wird das nicht die Aufführung des Prometheus
‚in die Zeit vor dem Sommer 474 verlegen, in jene Zeit, da
Hierond Tochter noch nicht jenen Tod gefunden hatte, noch den
verfhmähend, dem fie beftimmt war, in heimlicher Liebe unter
ifrem Stande, vor Sehnſucht hinſiechte? und damals ſchon
ſollte Aifchylos in Sicilien gewefen fein? ift denn das irgend
wie wahrfcheintich zu machen?
Sch meine, ja. Vorerſt war der Verkehr zwifhen Eici-
lien und Athen nicht fo gar weitläuftig, daß man eine Neife
pon Athen dorthin für etwas fo Großes zu nehmen hätte.
Sodann hatte Wifchylos in feiner Perfertrilogie (472) dem ſicili⸗
fhen Krieg gegen die Punier ausführlich genug und mit ge
noner Bezeichnung der Locale befchrieben, und es dürfte kaum
glaublich fein, daß er ſich anders als durch perfünliche. Kennt:
nißnahme über alle die Dinge unterrichten konnte. Ferner hat
er eine Tragödie oder Trilogie Aitnäerinnen aufgeführt,
„zur Vorbedeutung eines glückfichen Lebens für die Bewohner”;
Yitna wurde DI. 76.1. (47%) gegründet; wenn Aiſchhlos nad)
Sophokles Siege zum erfien Male nad Eicilien kam, fo
würde er diefes Gedicht etwa zehn Tahre nach der Gründung
der neuen Stadt publicirt haben, während es doch nur unmit:
: Leicht irre führen könnte die Stelle aus der zweiten pythiſchen
Dde Pindars V. 34, die von dem Scholiaften unfrer Aifchpleifchen als.
parallel angeführt wird; dort wird von Irion und Hera, die er umars
men wollen, gefprodhen: „es müffe jeder fih nad feinem Maaße bes
ftimmen; verfehrte Verbindungen brächten ftets ein großes flebel.” In«
def ift die Beziehung jener Stelle eine entfchieden andere. Aber merk—
würdig ift, wie fih Pindar und Aifchnlos felbft in den Ausdrücken be«
gegnen. Um anderes zu übergehen, erwähne ich das „wider den Sta»
chel löcken,“ das in Aifhnlos Prometheus V. 324, und in der zweiten
pothiichen: Dde V. 95 vorkommt; vielleicht find tolde Ausdrücke doch
in einer Beziehung.
372 Aiſchylos in Sieilien.
telbar bei der Gründung und Einweihung derfeiben feinen rech⸗
ten Plag haben konnte. Ta noch mehr, in den „Sieben ge:
gen Theben find gleichfalls fichtifhe Ausdrücke in merflicher
Zahl und Schärfe nahgewiefen und auch Biefe Tragödie if
vor ber fieilifhen Reiſe des Aiſchylos, die man jept für die
erfie zu mehmen pflegt. -— So feine denn das Nefnitat ge
wonnen, baß Aiſchylos bdald nach den Perſerkriegen das hoch
gebildete Strakus beſuchte, daß er dort 475 oder Anfang: 474
feine Prometheia aufführte, daß er 475 die nen gegründete
Stadt Aitna befang.*)
Im Sinn ber alten Biographen und ihren Autofchedias.
men wiÄrden wir für diefe erke Neife des Aiſchhlos nah Si⸗
cilien irgend: einen Grund des Jornes ober der Eiferfucht auf-
zufuchen Haben; und ba wärbe der Sieg bed Phrynichos mit
feinen Phoiniffen, (Frühling 476) der ja zugleich ein Triumph
für Themiſtokles und feine Parthei war, einen trefflichen An⸗
knüpfungspunkt darbieten. Aber ich bin eben ſo weit entfernt
das zu muthmaaßen, wie es mir unwahrſcheinkich if, daß dem
Aiſchylos wirfih Sophokles Sieg den Aufenthalt in Athen
verleibet, ihn zu einer zweiten Reiſe nah Sicilien veranlaft
babe; wenigſtens im Ber attifchen Tradition blieb die Vorſtel⸗
Bing. einer würdigen und erhebenden Befreundung zwiſchen bet⸗
ben, wie dieß dic Fröfche des Ariftophanes auf die anmurhigſte
Weiſe veranfhanlihen. —
Ob Niſchylos zweiter Aufenthalt in Sieilien längere Zeit
währre, ob ihn Hierons Tod (467) und bie darauf beginne:
den Empörnugen gegen deſſen Bruder und Rachfolger Thraſy⸗
bulos, die mir deffen Vertreibung endeten, zur Rückkehr nad
Bas—⸗ gie Gruͤndung Aitna's dieſem Jahre und wicht, wie jungſt
— worden, dem‘ Jahre des Archonten Aphepſion Ol. 77. 4. ange⸗
‚ nast fi) auf. hinreichenb gefidderten- Beweis, der mehr gelten mind
ale die Gombinatiouen aus den Angaben des nie ſehr gehameh Diedot!
*
Die Schutzflehenden. 573
Athen veranlaßten, iR durchaus unklar. Wenigſtens wahrſchein⸗
lich machen läßt es ſich, daß er zwiſchen 463 und 460 wieder
in Athen auffüßrte.
Die Wahrfcheinlichkeit, daß die beneffende Trilogie der
Danaiden vor 460 aufgeführt werben, bermbt in der Art
und Weife, wie Aiſchylos in den Schugfichenden von den Ai⸗
gyptiern ſpricht. Gr fagt B. 741:
„Es Heißt das Sprihwort: Wölfe feien mächtiger
Denn Hunde; Byblos Schikf bezwinge die Achre nice.‘
nud ferner DB. 930 fagt der König Pelasgos zum Aigyptierhe⸗
told höhniſch:
„Als rechte Männer ſollt ihr dieſes meines Reichs
Bewohner ſehn, nicht ärmlich, gerſtenmoſtberauſcht.“
Und fo And noch einige Stellen, die mit hoͤhniſcher Verachtung
von den Aigyptiern reden. Gewiß fchrich das der Lichter wicht
zu einer Zeit, wo man mit eben diefen Aigyptiern verbündet
war gegen die Perjer zu kämpfen; und eben in dem Jahre 460
war eine Flotte von 200 attifchen Segeln den Nil hinauf ger
fahren und hatte, mit Inaros von Nigspten verbündet, glikk:
lih zu kämpfen begonnen. — Eine zweite Befimmung für die
Zeit der Danaiden erhält man, wie es fcheint, durch folgende
Ueberfiht der Berhältniffe von Argos. Argos hatte feit alten
Zeiten mit Sparta in der Leitung des Peloponnes rivalifirt,
vermochte aber biefer raſch emporſtrebenden Macht nicht Etand
zu halten. Der Spartanerlönig Kleomenes hatte endlich um
521 einen Sieg über Argos im ſchnödeſter Gewaltſamkeit zur
vollſändigen Vertilgung des Argivifhen Bürgerthums miß-
braucht, hatte den heiligen Hain, in dem ſich Die Argiver ge⸗
flüchtet, von allen Seiten her in Brand ſtecken laſſen; ſechstau⸗
fend Bürger waren fo umgelommen, fo daß die Etadt, die
von ihm micht eingenommen wurde, am freien Männern ver⸗
waiſt, in die Gewalt der Leibeigenen, der Gymneſier, fam;
nd
574 Die Schupflehenden.
diefe bemächtigten Ah der Staatsämter und bie wenigen Reſte
des Alıbürgerthums vermochten zumächft nichts gegen fi. Sie
mußten die Zeit abwarten, wo die Kinder der erfchlagenen
Bürger herangewachſen waren. Un dem Perferkriege nahm
Argos keinen Antheil; das Drafel hatte geheißen „Argos folle
fih RI halten mit eingesogener Waffe und das Haupt behü⸗
ten; das Haupt werde die Glieder erhalten.” In diefem Sinn
ſuchten die Altbürger „das Haupt zu ſtärken,“ indem fie die
Einwohner der ihnen untergebenen Peridfenftädte in die Nähe
der Stadt zogen und fih fo zum Kampf gegen die Gymneſier
verftärften, der bald nad dem Perferkriege begann. Die Gym:
nejier wurden vertriehen und gingen gen Tiryns. Schon Tonn-
ten die Argiver mit Tegea verbünder fih zum Kampf gegen
Sparta ftellen, und wenn fie auch wicht fiegten, fo begannen
fie doch eine Stellung gegen die Spartanifche Uebermacht zu
gewinnen, die, vorfihtig benugt, den Spartanern felbft gefähr:
Th werden mußte. Man erinnere fih, daß Themiſtokles aus
Arhen verwiefen (475) nad) Argos ging, und wie Thukydides
fagt, nicht bloß in diefer Stadt verweilte, fondern mehrere
andere peloponnefifhe Städte befnchte, und daß die Sparta-
ner Gelegenheit nahmen, fein des Verwieſenen Todesurtheil in
Arhen durchzuſetzen; es ſcheint unzweifelhaft, daß Themiftofles
es war, der den Berhältniffen von Argos eine Richtung gab,
weiche die Erbitternng und Beſorgniß Spartas begreiflich
naht; denn auch Kleonai gewannen die AUrgiver zum Bünd—
nis, auch die Arkadier Ichnten fich gegen Sparta auf; und als
die Gymneſier in Tiryns fich, wie begreiflih unter Spartani⸗
fhem Einfluß, von Neuem gegen Argos erhoben, wurden fie,
wenn auch mit Mühe, überwältigt. Diefe Kämpfe mögen bie
nächſten Fahre nah Themiſtokles Verweiſung ansgefüllt ha⸗
ben; Argos mußre ſich natfirlich den Athenern in demſelben
Maaße nähern, als Athen fih mehr und mehr den Sparta:
Die Schutzſlehenden. 375
nern entfremdete und in Athen die Partei des Perikles gegen
die des Kimon an Einfluß gewann. Das Erdbeben in Sparta
und die allgemeine Empörung der Heloten (46) war der
weiteren Geftaltung deg Argivifhen Macht ungemein für
derlih; Mykenai, einft Agamemnons Herrſcherſitz, weigerte
fih von allen Argivifhen Städten allein noch der Macht von
Argos; es hatte fih in dem Perferkriegen bereits an Sparta
angefchlofien und Streiter mit in die Thermopylen gefandt;
die Argiver beforgten ſtets, Mykenai werde von Sparta un
terfiügt fie aus ihrer mühfam errungenen Ctellung wieder
verdrängen. Die Gefahr, in welhe Sparta dur den Helo-
tenaufftand geftürzt war, benugte Argos fofort zum Angriff
auf Mykenai; man fiegte in .ciner Schlacht, man belagerte die
ſtark befeftigte Stadt, man eroberte fie endlich, und die Myke—⸗
ner wurden theils zn Sklaven gemacht, theild wanderten fie aus _
namentlih nah WMacedonien, dent Land am Strymon und
Axiosfluß (464) *). — Indeß mühten fih die Epartaner um⸗
fonft die empörten Heloten in Sthome zu bewältigen; fie
baten in Athen um Hilfe, und Kimon fegte es unter heftigem
Widerſtreben der demokratiſchen Parthei durch, daß fie gewährt
wurde; als er und das Attiſche Heer aber nad) kurzer Zeit
von den argwühnifhen Epartanern heimgefandt murde, da war
es um feinen Einfluß gefchehen, da fchloß mau (Ende 463)
mit Argos ein Schug- und Trutzbündniß. —
Und num betrachte man die Tragödie der Schutzflehenden.
Daß Arhen damals mit Argos in Bündniß geftanden, ficht
man wohl aus dem herrlihen Segenswunſch, den der Chor
(DB. 625. ff.) fing. An den furdrbaren Brand des Argos:
) Die Angabe Diodors, daß Mykenai 468 bewältigt fei, ift wie
feine Chronologie diefer Jahre überhaupt fehlerhaft.
37
se: BE |
576 Die Schutzflehenden.
baines und den Tod fo vicler Bürger erinnern die erſten Verſe:
„möge nimmer die Pelasgerftadt mit Fener Ares verzehren,
der lüſtern unfeſtlichen Tobens if,
der ſich der Männer Blutärndte vgn fremder Flur mäht“
Auch das Nächſte „daß ſie nicht für die Männer ihren
Spruch gaben, mischrend der Frauen Hader, daß ſie den Zorn
des Zeus, des rächenden Wächters, ſcheuten; welches Haus
babe dieſen, den beſudelnden, gern auf feinen Dade; er
late ſchwer dort” — auch dieß ift wicht obne einige Beziehung;
denn da die Stadt von Männern verwaiſ't war und Die Haͤu⸗
fer durch die Gewalt der Leibeigenen befudelt wurden, lag es
vor alten ben Müttern od, die Söhne der Gefallenen zur
Rache zu erzichen und fo die Stadt zu ritten; darum fprach
das Dratel:
Doch zu der felbigen Zeit, wenn die Männin über den
Dann fiegt,
Ihn austreibt und zu Ruhm fih erhebt in dem Volke
von Argos un. f. w.
„vor Allem, fleht der Chor, möge die Stade den Zens Teinos
ehren, der nah altem Geſetz das jeden zugerheilte Schickſal
richtet und lenkt;“ und allerdings it das für Argos Die Haupt:
ſache, im Berhältniß zu dem umgebenden Städten fih nicht im
willführliher Gewaltſamkeit zu überheben, fondern die alten
und chrwärdigen Rechte forgfam zu beachten, um nicht Die
faun begründete Macht wicder zu zerfprengen. Und fo beißt
es denn bald darauf: - -
Den Fremden gönnt wohlbedacdht,
Bevor zum Echwerdt Ares greift,
Ihr gutes Recht fonder Schmach und Kränfung.
Freilich nicht ohne ſtarke innere Spannung ſcheint das innere
Leben der Stadt zu fein; wiederholentlich flcht der Chor, daß
fein innerer Aufruhr entiiche; vielmehr
Die Schutzflehenden. 77
dem Würd'gen wahre feine Würde
Das freie Volk, dep’ Geheiß die Stadt Ienit.
Einen weiteren Beweis, dab die Tragödie nah den Fall von
Mykenai gebichtet iſt, finde ih in folgendem Umſtande. Ai—
ſchylos läßt den König Pelasgos die Ausdehnung feines Rei⸗
ches befchreiben (DB. 250. ff.) und namentlich angeben,
Alle Lande, welche tränft der Arios
Un® Strymon, nenn’ ich mein un. f. w.
und wenn Pelasgos dann dem Danaos die Herrfchaft über
Argos abtreten muß, fo geht er mit feinem Geſchlecht eben in.
jenen nordiſchen Theil feines Neihes. Sch meine, daß chen
dieſe Wendung veranlafit ift durch die Auswanderung der be:
wältigten Mykener, die, ältere Befiger der Argivifchen Land’
fchaft als die ‘Dorier von Argos, fih in ben Verhältniß des
Pelasgos zu dem Stammvater der Danaer fehr wohl abfpiegeln
mochten.
Siernah alfo weiſen wir die Aufführung der Danaidentri-
logie den Dionyfien von 462 oder 461 zu; die Schupflebenden
fichen fomit unter den erhaltenen Tragödien der hoch vollen:
deten Drefiestrilogie am Nähften. Wir haben in der Einlei⸗
tung bereits ber die Drefleia ausführlich gefprochen und Die
Artifhen DBerhältniffe zur Zeit ihrer Aufführung darzuſtellen
verfuht. Hier bleibe uns noch eine Sage anzuführen, die,
vielleicht aus einem Epigramm oder einem Wipwort der Ko«
mödie entitanden, jedenfalls die Trefflichkeit der Aifchnleifhen
Mufe hat bezeichnen ſollen. Es wird erzählt, daß bei ber
Aufführung dieſer Zritogie die Eriheinung des aus dem Tem:
pel hervorftürzenden Eumenidenchores fo furchtbaren Eindrud
gemacht habe, daß Kinder todt hinfanfen und fehwangere Wei—
ber vor der Zeit gebaren; von Anderen wird noch hinzugefügt,
daß bis zu Diefer ‘Zeit der Chor aus fünfzig Perfonen, wie
im Dirbyrambos beftanden habe, vom Volt aber, das den Gin:
578 Aiſchylos Ente.
deu der Maſſe zugeſchrieben habe, befohlen worden ſei, kuͤnf⸗
ig folle der tragifhe Chor nur aus funfzehn Perſonen beite-
ben; endlih, un die Thorheiten vollzäahlig zu machen, haben
alte Schriftſteller die Anſicht geäußert, daß der Dichter wohl
um jenes Efandals willen von Athen nad Syrakus gewandert
fei. Mit der Erzählung feldft fallen auch diefe Rutzanwendnu⸗
gen derfelden, zumal da eine frühere Aufführung der Eumeni-
den nach den Seife der Aiſchyleiſchen Poefie unmöglich, ein
Chor von 15 Perfonen ſchon in früheren Dramen nachweis⸗
bar, und die gemeinte Neife des Dichters zu einer anderen
Zeit anderen Gründen gefolgt if.
Dod liegt auch Hier ein richtiges Moment zum Grunde;
denn in der That hat Aiſchylos, nahdem er mit der Oreſteia
gefiegt hatte, zum dritten Wale Athen verlaffen; früher int
der Zuſammenhang diefer legten Entfernung angegeben, uud
der bald darnach erfolgte Tod des Dichters in der Eicilifchen
Stadt Gela erzählt worden. —
BRAR a
„ or —
u TY
Kin
—
Weidle'ſche Buchdruckerei, Srandauerſtr. 49.
u Ba u Be De Be es es
Verzeichniß der Druckfehler,
16. 3. 14. von unten ftatt nicht einer Jies nicht in einer.
18. 3. 10. von oben ft. 474 I. 475,
25. 2. 17. _ fl. Zeugniß I. Zugquß.
25. 2. 18. _ fl. verunreint; I. vernnreint,,
32. 2. 11. — ft. Elend I. elend.
32. 3. 7. von unten ft. Trotzes, frech I. Troßes frech.
32.2. 3. fl. Faßt den I. Faßt der.
35. 2. 11. . unthätig I. unfähig.
41. 8.13. » franmmmgaufelter I. traumumgaukelten.
45. 9. 96, - Hoffunng I. Hofburg.
47. V. 143. Ihren Freund I. Ihnen freund.
57. V. 421. ö - tiefften 1. tiefiten Herzen.
80. 8.1019 ihre noch 1. ihr doch.
114, 3. 30. . nmbüllen I. umhüllet.
156. 8. 1021.
157. R. 1048,
179. 3.399,
180. V. 410.
» Sein Leid I. Sem Lied.
- &ieger oft I. Sieger fchon.
. treiben mir I. ıreiben wir.
Durh Erde I. Durch Eide.
11111111114311111
PRBPP2PI22 7222727»
190. V. 664. - fhledhten Zug I. ſchlechten Zuguß.
193. ®. 717. Rur l. nun. "
201. ®. 887. . verforgend I. vorforgend.
202. ®. 908, - guter Fund I. guten Fund.
243. V. 418, » ans l. une.
259. V. 793 . alle Leiden I. aller Leiden.
273. 3. 18. die Worte: „begleitet von einem Chor wunderbar:
Meerdämonen, fie fingen ein Meerlied‘ find zu ſtreichen.
V
286. V. a6. — fl. uͤppiger I. üppig er.
2387. 2.116. — fl. Denn I. Den.
805. 8.544. — ft. die Stadt I. ber Stadt.
306. V. 587. — ft. ift, I. in.
314. 3. 790. — ft. erfrechte I. erfrecht.
331. 3. 16. von unten fl. Lpria I. Lyrkeia.
— > Bloco—
.
%
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