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Full text of "Deutsche geographische blätter .."

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Deutsehe 




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Herausffeffebeu von der 



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durch Dr. M. Lindeman. 



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Band IX. 



Neue Folge der Mitteilungen des früheren Vereins für die 

deutsche. Nordpolarfahrt. 



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BREMEN. 

Kommissions -Verlag von G. A. v. Halem. 

1886. 






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^fZ/og Gröfsere Aufsätze: 

1. Islands Natur und ihre Einflüsse auf die Bevölkerung. Von Dr. Konrad 
Keilhack in Berlin. Mit zwei Karten und zwei Lichtdruckbildem . . 1 

2. Eine Reise in das Gebiet nördlich vom Kamerungebirge. Von G. Valdau. I. 30 

3. Dänische Untersuchungen in Grönland. Von Premierleutnant C. H. Ryder 49 

4. Die Erforschung der Neu- Sibirischen Inseln 53 

5. Der Kongo und sein Gebiet. IL Von Dr. A. Oppel 89 

6. Eine Reise in das Gebiet nördlich vom Kamerungebirge. IL Von 

G. Valdau. Mit Karte 120 

7. Das hannoversche Wendland. Von H. Steinvorth 141 

8. Die chilenische Provinz Tarapaca. Von F. C 154 

9. Das Quellgebiet des Rio Chubut. Von A. Seelstrang 166 

10. Reiseeindrücke aus Sizilien. Von W. 0. Focke 193 

11. Ethnologische Beiträge: 

1. Die Atnatänas oder Anwohner des Kupferflusses. Von Henry 

T. Allen 216 

2. Die Ostgrönländer in ihrem Verhältnisse zu den übrigen Eskimo- 
stänunen. Von H. Rink 228 

3. Der Indianerstamm der Odjibways in Nordwest -Kanada. Von 
Charles N. Bell 239 

4. Zaubereiprozesse und Gottesurteile in Afrika. Von Dr. Alb. 
Herm. Post 300 

12. Die brasilianische Provinz Matto Grosso, nach der Schilderung von 
von Dr. J. Severiano da Fonseca. Von Dr. H. von Ihering 265 

13. Vom Niger - Benuege biet und seinen Handelsverhältnissen. Von 
Ernst Hartert 320 

14. Der Ausbruch des Ätna vom Mai 1886 331 

15. Die Ergebnisse der Untersuchungsfahrten des deutschen Kriegsschiffes 
„Drache*^ in der Nordsee. (Sommer 1881, 1882 und 1884.) Von 
Professor Dr. 0. Krümmel in Kiel 335 

16. Vorläufige Mitteilung über die wissenschaftlichen Ergebnisse der 
deutschen Polarstationen 341 

Kleinere Mitteilungen: 

1) Programm des 6. Deutschen Geographentages in Dresden. Ostern 
1886, 62. 2) Aus der geographischen Gesellschaft in Bremen, 63, 172, 244, 
346. 3) Polarregionen, 67, 175, 245, 347. 4) Alaska, 70, 248. 5) Die Fä- 
ringer, 71. 6) Die lappländischen Alpen, 74. 7) Neu -Guinea, 75, 249, 348. 
8) Pondich6ry, 71. 9) Die Christian Rutenberg - Stiftung in Bremen, 78. 
10) Die Elizabeth Thomson wissenschaftliche Stiftung in Boston, 79. 11) Geo- 
graphische Litteratur, 79, 178, 259, 361. 12) Der sechste Deutsche Geo- 
graphentag, 173. 13) Die Neu -Guinea -Ausstellung des Dr. Finsch in Berlin, 
175. 14) Robert Flegel f, 253. 15) Das englische Nigergebiet, 254. 16) Alpen- 
wirtschaft in Wallis, 257. 17) Von der Insel R^union, 349. 18) Die Insel 
Barbados, 353. 19) Britisch Guiana, 354. 20) Die nordfriesischen Inseln, 356. 
21) Aus Sibirien, 357. 22) Dr. G. Adolph Fischer f, 358. 23) Die Berri- 
Berri-Krankheit, 360. 24) Dampferlinien zwischen Europa und dem Kongo, 360. 



Karten, Ansichten und Plan: 

Tafel I. Übersichtskarte von Island mit Angabe des bewohnten und unbe- 
wohnten Landes, sowie der Gletscher. Mafsstab 1 : 1 920 000. 

Oeologisches Übersichtskärtchen des Heklagebietes. Mafsstab 1:480000, 
(Im Text S. 4.) 

Tafel II. Karte des Gebiets um das Kamerungebirge, nach Skizzen und 
Tagebuchaufzeichnungen von G. Valdau und K. Knutson, entworfen in 
der litographischen Anstalt des K. Schwedischen Generalstabs von 
A. H. Byström, Unterleutnant. Mafsstab 1:500000. 

Die Farm Kollafjördi* am Fufs des Esja. Lichtdruck. (Im Text S. 11.) 

Der Handelsplatz Bildudalr am Arnarfjördr an der nordwestlichen Halbinsel. 
Im Text S. 11.) 

Orundrifs einer isländischen Farm. (Im Text S. 11.) 



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»'" •• Deutsche '^''* '^ 

Geographische Blätter. 

Herausgegeben Yon der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 

Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse: 
Dr. M. Lindeman, Bremen, Mendestrasse 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten 
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit 

der Redaktion gestattet. 



Islands Natur und ihre Einflüsse auf die Bevölkerung. 

Von Dr. Koorad Keilhack in Berlin. 



Hierzu Tafel I. Obersichtskarte von Island mit Angabe des bewohnten 
und unbewohnten Landes, sowie der Gletscher (Mafsstab 1:1920000), ferner 
zwei Illustrationen (Lichtdruck): die Farm KoUafjördr am Fufse der Esja und 
der Handelsplatz Bildudalr am Arnarfjördr an der nordwestlichen Halbinsel; 
endlich ein geologisches Übersichtskärtchen des Heklagebietes und Grundrifs 
einer isländischen Farm (Zinkographie). 



Grofsartiger, aber unfreundlicher erster Eindruck des Landes im Süden. An- 
sprüche der Isländer an bewohnbares Gebiet. Unbewohnbare Flächen: Gletscher, 
vegetationslose Hochebenen des Innern, Yulkanengebiete und Lavaströme. Ausnahmen : 
präglaziale Lavaströme, Seisund an der Hekla, der Lavastrom im Thale der HvitÄ i Bor- 
garfirdi. „Sandr", ältere und jüngere. Bewohnbare Gebiete: der Küstensaum, die 
Flafsthäler, die Tiefebenen. Nutzbare Mineralien und Gesteine: Schwefel. Mangel an 
abbauwürdigen Kohlen ; als Ersatz dafür : Steinkohlen, Torf, Holz, Dünger, Treibholz, 
Knochen, Tang, Schwämme, getrocknete Vögel. Bausteine. Mangel an Kalk zum 
Mörtel und dadurch beeinflufste Bauart; Stein-, Holz- und Torfbauten. Verwendung 
von Brettern beim Haus- und Kirchenbau. Kirchhöfe. Nutzbare Tiere: Eisfüchse, 
Seehunde, Eidervögel, Seepapageien, Schwäne, Enten, die Bewohner der Vogelberge, 
Schneehühner. Dorsche, Eishaie, Heringe, Lachse, Forellen. Allmählicher Aufschwung 
der isländischen Fischerei. Nutzbare Pflanzen: Wiesenvegetation, Grundlage der 
Landwirtschaft. Tun, Uteng, Afröttir. Auf letztere die Schafzucht basirt. Aus der- 
selben resultierende Exportartikel. Heugewinnung und ihre Schwierigkeiten. Bedeutung 
der Moore für die Zukunft. Sennereiwirtschaft. Andere Nutzflanzen. Kulturgewächse. 
Nutzbare Meerespflanzen. Treibholz. Treibeis und seine Einflüsse. Die vulkanische 
Thätigkeit. Schädigende Wirkungen: Aschenregen, Lavaergüsse, Jökulhlaap, Flugsand, 
Erdbeben. Nützliche Wirkungen : Thermenreichtum. Verwendung der heifsen Quellen 
zum Waschen, Kochen und Baden. Technische Verwendung mangelt, früher zum Salz- 
sieden. Schlafs. 

Wer von der Südostseite her zuerst Island sich naht, empfängt 
einen grofsartigen und schauerlich schönen ersten Eindruck: hinter 
Kap Ingolfshöfdi erhebt sich der 150 Q M. grofse, im 6000 Fufs hohen 
Öraefa-JökuU dominierende Vatna-JökuU, einem ungeheuren, schnee- 
weifsen Leichentuche vergleichbar, welches eine Riesenhand in 
leichten, anmutigen Linien über eine gewaltige Gebirgslandschaft aus- 
gebreitet hat. An ihn schliefst sich nach Westen hin, durch eine 

Geogr. Blätter. Bremen, 1886. \ 



weite, halbkreisförmige, vom Meere aus nicht sichtbare Tiefebene 
getrennt, deren Hintergrund flachere Schneeberge bilden, der mittlere 
südisländische Gebirgsstock des vereinigten Eyjafjalla-, Godalands- 
und Myrdals-Jökull. Schroff erheben sich schwarze, düstere Berg- 
massen scheinbar direkt aus dem Meere, denen in Form sanft ge- 
wölbter Kuppen die Eis- und Firndecke sich auflegt. Ungeheuren 
Heerstrafsen vergleichbar, ziehen einige breite Gletscher von den 
eisigen Höhen nieder zum Meere und an verschiedenen Stellen brausen 
gewaltige Wasserstürze in 200 — 300 Fufs hohen Fällen von senkrechter 
Felswand hernieder ins Thal. So schön und grofsartig diese Land- 
schaft auch ist, die wie ein Panorama vor des Seefahrers Auge 
vorüberzieht, so wenig mag sie beruhigend und erheiternd auf das 
Gemüt einzuwirken: ihr fehlt alles Lebende. Vergebens spähst Du 
an den schneefreien Stellen des schwarzen Gebirges nach jenem 
jungen Grün, mit dem vor wenigen Wochen der erwachende Frühling 
in Deutschlands Wäldern Dein Auge erquickte. Vergebens sucht 
Dein Blick die Wohnsitze der Menschen und Du fragst Dich umsonst, 
wo in aller Welt denn die Häuser und Kirchen und Farmen liegen, 
die Deine Karte für dieses Gebiet angiebt. Erst das bewaffnete 
Auge zeigt Dir, dafs ein sehr schmales, ebenes, fast im Meeresniveau 
gelegenes Tiefland die steilen Felsen vom Gestade trennt und nun 
erblickst Du auch kleine regelmäfsige Erhöhungen, Häuser und 
Hütten und nimmst sogar ein kleines, schwarz geteertes Holzkirchlein 
dicht neben dem herrlichen Wasserfalle von Skögar, dem Skögarfofs, 
wahr. Aber erst, wenn zwischen den kühngeformten, mövenum- 
schwärmten Klippen der Westmänner-Inseln, die Dein Dampfer durch- 
fährt, gebrechliche Nachen, das stürmische Meer durchschneidend, zum 
Empfange der Post sich nahen und Du mit eigenen Augen die Menschen 
siehst, die ein herzlich elendes Dasein hier führen, erst dann magst 
Du es glauben, dafs Gewohnheit und Genügsamkeit selbst an diese 
kalte, tote, öde Scholle Menschen zu fesseln vermochte. Denn hart 
ist der Kampf, den sie mit der umgebenden Natur zu führen haben, 
und mannigfach sind die Einschränkungen und Entbehrungen, die 
letztere ihnen auferlegt. 

Welche Bedingungen hat in Island der Mensch an ein Gebiet 
zu stellen, welches ihm als Wohnsitz dienen soll? Die Frage ist 
einfach genug zu beantworten. Die niedere mittlere Jahres- 
temperatur verbietet bereits jeden Ackerbau und die Bevölkerung 
ist infolgedessen auf zwei Erwerbszweige angewiesen, die Fischerei 
und die Viehzucht Aufser den berufsmäfsigen Fischern, deren Zahl 
etwa zwölf Prozent der Bevölkerung beträgt, ist ein grofser Teil der 
Landwirtschaft treibenden Bevölkerung während eines Teiles des 



Jahres gleichfalls beim Fischfange thätig. Da nämlich der Haupt- 
fang in den letzten Wintermonaten stattfindet, wenn alle anderen 
Geschäfte ruhen, so begiebt sich ein grofser Teil der ledigen jungen 
Männer und des Dienstpersonals in die Fischereiplätze und ver- 
mietet sich hier an die eigentlichen Fischer. 

Da die unmittelbare Nähe der Küste dem isländischen Farmer 
nicht Bedingung ist, so stellt er an das Gebiet, das ihm als Wohn- 
sitz dienen soll, nur noch einen einzigen Anspruch: es mufs ihm 
genügend grofse Weideflächen für sein Vieh bieten und hinreichendes 
Heu liefern, um dasselbe durch den langen, aber verhältnismäfsig 
milden Winter durchzubringen. Im Mittelpunkte eines Gebietes, 
welches diesen Bedingungen entspricht, wird dann an möglichst 
geschützter Stelle die Farm gebaut. 

Was für gewaltige Flächen erkennen wir nun plötzlich 
als völlig unbewohnbar, wenn wir unter diesem Gesichtspunkte 
das Land Island betrachten! Da sind zunächst jene 270 QM., 
fast Vt des ganzen, ausgeschlossen, die mit gewaltigen Binnen- 
eismassen bedeckt sind. Dazu kommt sämtliches über der Grenjse 
des Weidegebietes gelegene Land, das heifst mit anderen Worten 
ganz Inner-Island und die ganze nordwestliche Halbinsel mit Aus- 
nahme eines schmalen Eüstensaumes. Beide Gebiete sind bedeckt 
mit den Moränen und Schmelzwasserabsätzen der heutigen und der 
diluvialen Gletscher Islands, welch letztere nachgewiesenermafsen 
die ganze Insel dereinst bedeckten. Es sind schauerlich öde, steinige 
Wüsten mit höchst ärmlicher und spärlicher Vegetation, die fast 
jedes Tierlebens entbehren, nur dafs bisweilen ein Schneehuhn am 
Rande der Wüste auffliegend im Innern Schutz sucht, oder dafs ein 
dreister Schneeammer den Reisenden mit seinem munteren Liedchen 
begrüfst. Von Säugetieren sucht nur der Polarfuchs hier eine Zu- 
flucht vor den Nachstellungen, die mit Fallen und Flinten seinem 
wertvollen Winterpelze bereitet werden. Wenn man aber glaubt, 
dafs nun die Gebiete, die zwischen dem Meeresniveau und der 
oberen Grenze des Wiesen und Weiden tragenden Landes liegen, 
überwiegend bewohnbar sind, so ist das eine durchaus irrige An- 
sicht. Unbewohnbar, kahl und öde sind auch in diesem Gebiete 
zunächst alle vulkanischen Distrikte. Alle gröfseren isländischen 
Vulkanengebiete, so der GuUbringusysla von Kap Reykjanes über den 
Thingvalla-See zum schöngeformten Vulkane Skjaldbreid, so ferner 
das durch die Einfachheit und Grofsartigkeit seines Aufbaues impo- 
nierende Heklasystem (siehe die folgende Kartenskizze), sowie end- 
lich Islands gröfstes Vulkanengebiet, die kolossale Fläche zwischen 
den beiden gewaltigen Strömen Skjälfandafljöt und Jökulsä i Axarfirdi^ 



Deutsehe 




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Herausgegeben von der 




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durch Dr. M. Lindeman. 



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Band IX. 



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Neue Folge der Mitteilungen des früheren Vereins für die 

deutsche Nordpolarfahrt, 






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BREMEN. 

Kommissions -Verlag von G. A. v. Halem. 

1886. 



cS^S'/ä, GröTsere Aufsätze: 

1. Islands Natur und ihre Einflüsse anf die Bevölkerung. Von Dr. Konrad 
Keilhack in Berlin. Mit zwei Karten und zwei Lichtdruckbildem . . 1 

2. Eine Reise in das Gebiet nördlich vom Kamerungebirge. Von G. Valdau. I. 30 

3. Dänische Untersuchungen in Grönland. Von Premierleutnant C. H. Ryder 49 

4. Die Erforschung der Neu-Sibirischen Inseln 53 

5. Der Kongo und sein Gebiet. IL Von Dr. A. Oppel 89 

6. Eine Reise in das Gebiet nördlich vom Kamerungebirge. II. Von 

G. Valdau. Mit Karte 120 

7. Das hannoversche Wendland. Von H. Steinvorth 141 

8. Die chilenische Provinz Tarapaca. Von F. C 154 

9. Das Quellgebiet des Rio Chubut. Von A. Seelstrang 166 

10. Reiseeindrücke aus Sizilien. Von W. 0. Focke 193 

11. Ethnologische Beiträge: 

1. Die Atnatänas oder Anwohner des Kupferflusses. Von Henry 

T. Allen 216 

2. Die Ostgrönländer in ihrem Verhältnisse zu den übrigen Eskimo- 
stämmen. Von H. Rink 228 

3. Der Indianerstamm der Odjibways in Nordwest -Kanada. Von 
Charles N. Bell 239 

4. Zaubereiprozesse und Gottesurteile in Afrika. Von Dr. Alb. 
Herm. Post 300 

12. Die brasilianische Provinz Matto Grosso, nach der Schilderung von 
von Dr. J. Severiano da Fonseca. Von Dr. H. von Ihering 265 

13. Vom Niger - Benuegebiet und seinen Handelsverhältnissen. Von 
Ernst Hartert 320 

14. Der Ausbruch des Ätna vom Mai 1886 331 

15. Die Ergebnisse der Untersuchungsfahrten des deutschen Kriegsschiffes 
„Drache** in der Nordsee. (Sommer 1881, 1882 und 1884.) Von 
Professor Dr. 0. Krümmel in Kiel 335 

16. Vorläufige Mitteilung über die wissenschaftlichen Ergebnisse der 
deutschen Polarstationen 341 

Kleinere Mitteilungen: 

1) Programm des 6. Deutschen Geographentages in Dresden. Ostern 
1886, 62. 2) Aus der geographischen Gesellschaft in Bremen, 63, 172, 244, 
346. 3) Polarregionen, 67, 175, 245, 347. 4) Alaska, 70, 248. 5) Die Fä- 
ringer, 71. 6) Die lappländischen Alpen, 74. 7) Neu -Guinea, 75, 249, 348. 
8) Pondichery, 71. 9) Die Christian Rutenberg - Stiftung in Bremen, 78. 
10) Die Elizabeth Thomson wissenschaftliche Stiftung in Boston, 79. 11) Geo- 
graphische Litteratur, 79, 178, 259, 361. 12) Der sechste Deutsche Geo- 
graphentag, 173. 13) Die Neu -Guinea -Ausstellung des Dr. Finsch in Berlin, 
175. 14) Robert Flegel f, 253. 15) Das englische Nigergebiet, 254. 16) Alpen- 
wirtschaft in Wallis, 257. 17) Von der Insel R6union, 349. 18) Die Insel 
Barbados, 353. 19) Britisch Guiana, 354. 20) Die nordfriesischen Inseln, 356. 
21) Aus Sibirien, 357. 22) Dr. G. Adolph Fischer f, 358. 23) Die Berri- 
Berri-ICrankheit, 360. 24) Dampferlinien zwischen Europa und dem Kongo, 360. 



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trocken geworden ist, wird er wieder gesammelt und ins Haus ge- 
bracht. Der Schafmist wird in den Ställen gesammelt, wo er unter 
den Fiifsen der Tiere zu einer dicken, festen Kruste geworden ist; 
diese wird aufgebrochen, in viereckige Stücke zerschnitten und auf 
dem Felde zum Trocknen ausgebreitet. Dieses eigentümliche Brenn- 
material, welches sehr salpeterhaltig ist, giebt ziemlich starke Wärme, 
verbreitet aber häufig auch keinen geringen Geruch, da es mit 
Stückchen von Schafwolle vermischt ist. Aber auch dieses Wärme- 
mittel steht nicht jedem Isländer zu Gebote, und namentlich die 
armen Fischer, welche nur wenige oder gar keine Tiere besitzen, 
müssen auf dasselbe Verzicht leisten. Es wird deshalb in den Küsten- 
gegenden, abgesehen von dem TreibhoUe, von dem später die Rede 
sein wird, alles mögliche gesammelt, was nur irgendwie zur Feuerung 
benutzt werden kann, als Fischgräten, besonders von Dorsch, Schaf- 
knochen, Walknochen, getrockneter Tang, verschiedene Arten von 
Schwämmen u. a. Nirgends aber ist es mit dem Brennmaterial 
so schlecht bestellt als auf den Westmänner-Inseln, südlich von Island. 
Aufser den zuletzt genannten Substanzen gebraucht man hier vor- 
nehmlich getrocknete Vögel zur Feuerung, ein übrigens auch auf 
Island selbst in der Not nicht verschmähtes Wärmemittel. Man ver- 
wendet hierzu besonders die auf diesen Inseln in überaus grofser 
Anzahl vorhandenen Sturmvögel und Seepapageien. Von dem letzteren 
Vogel wird das Bruststück weggeschnitten und eingesalzen, der 
übrige Teil des Körpers jedoch samt den Eingeweiden und Flügeln 
wird getrocknet und dann verbrannt. Vom Sturmvogel werden Kopf, 
Füfse, Eingeweide und Flügel mit Kuhmist vermengt, getrocknet und 
ebenfalls verbrannt. Man kann sich denken, was für einen Gestank 
dieses Brennmaterial verbreitet." ^) 

Aufser spärlichem Schwefel und Braunkohle liefern Islands Ge- 
birge eigentlich nur noch ausgezeichnete Bausteine, aber deren aus- 
gedehnte Benutzung hindert der Mangel eines anderen Naturproduktes, 
des Kalksteines. Wohl findet sich kohlensaurer Kalk in Form von 
Kalkspath in zahllosen Drusensäumen des isländischen Basaltmandel- 
steines, so im Ostlande am Reydarfjördr jene weltberühmte 
Doppelspathmandel, die sämtliche Polarisationsapparate der Welt 
mit den doppeltbrechenden Nicoischen Kalkspathprismen versehen 
hat, aber eigentlicher Kalkstein und damit Material zur Mörtelberei* 
tung fehlt im Lande völlig, und wir werden sehen, wie grofsen 
Einflufs dieser Umstand auf die Art des Häuserbaues in Island aus- 
geübt hat. Wohl hat man im Esjagebirge, drei Meilen entfernt von 
Reykjavik, einige Kalkspathgänge im Basaltgebirge gefunden und 

^) Aus Poestion, Island, nach Rosenberg, Island i Nutiden. 



Deubche Gsographlsche BllHer, Band IX. 1886. 




Handelsplatz Bildudalr an der nordwestl. Halbinsel 




Llcbtdrack Ton fiemmler & Jonu, Drrs 



Farm Kollafjördr am Fusse der Esja. 



CommlBKins -Verlig von O. A. 



11 



nimmt aus ihnen etwas Kalk, der in einem kleinen Kalkofen am 
Strande des Reykjaviker Hafens gebrannt wird, aber dieselben vermögen 
noch nicht einmal für die Hauptstadt hinreichenden Mörtel zu liefern. 
So findet man denn auch dort nur wenige Gebäude, die in rein 
europäischer Weise erbaut sind. Dahin gehört das trotz seiner Ein- 
fachlieit wirklich schöne Parlamentsgebäude, aus bearbeiteten Bau- 
steinen, und zwar aus der lichtgrauen, festen, olivinreichen Reykja- 
viker präglazialen Lava, zweistöckig aufgeführt. Die weitaus meisten 
anderen Gebäude der Stadt aber und des ganzen Landes sind ent- 
weder reine Holzbauten, natürlich sehr teuer, weil jedes Brett dazu 
aus Europa importiert werden mufs, oder es sind Steinbauten, bei 
denen Torfschollen den Mörtel bilden, oder reine Torfhütten. 

Betrachten wir uns an der Hand unserer zweiten Abbildung, 
welche die Farm Kollafjördr am FuTse der Esja darstellt, die An- 
lage und Bauart einer isländischen Durchschnittsfarm, so überzeugen 
wir uns bald, dafs nicht leicht eine den gegebenen Baumaterialien 
und physikalischen resp. klimatischen Verhaltnissen des Landes zweck- 
mäfsiger entsprechende Methode des Häuserbaues hatte erdacht 
werden können. 

Das mangelnde Heizmaterial, das Fehlen des Mörtels, die Kost- 
spidigkeii des Bauhohes sind bei der Anlage einer Farm zu berück- 
sichtigen. Der folgende Holzschnitt gibt den Grundrifs der abge- 
bildeten Farm. Jedem der einzelnen Räume entspricht ein beson- 




Grund nß einer islajidiechen Farm. 

deres Gebäude mit eigenem Dache Nur em oder zwei der be- 
wohnten Häuser haben noch eui Stockwerk aufgesetzt und enthalten 
einen vom Giebel her belichteten Dachraura die Badstofa, das Schlaf-, 
£fs- und Arbeitszimmer meist sämtlicher Benohner einer Farm. 
Die Wohnhäuser einschliefshch der Küche haben einen gemeinsamen 
Eingang, der gewöhnlich zwischen zvkei Häusern liegt Man gelangt 
zuerst in einen Gang, der bis an die hintere Wand der HB.^u«t. 



— 12 — 

reicht ; entlang der letzteren verläuft ein Querkorridor, an welchen 
die Thüren der einzelnen Zimmer und der Küche, sowie die Leiter, 
auf der man zur Badstofa emporsteigt, sich befinden. Dadurch 
werden die Wege, auf denen die Winterkälte in das Innere der 
Häuser eindringen könnte, auf ein Minimum reduziert. Dieselbe 
Scheu vor kalter Luft hat auch die Bauart der Fenster beeinflufst. 
Als primitivste LichtöfFnung in einem bewohnten Räume sah ich in 
einigen Farmen in das Dach eingelassene Tonnenreifen, die mit 
Fischblase überzogen waren. Jeder nur irgend pekuniär dazu Be- 
fähigte sucht sich indessen in den Besitz richtiger Fenster zu setzen, 
die von den unsrigen freilich sich sehr unterscheiden. Sie sind 
nämlich ohne Riegel und Angeln fest in die Wände eingelassen 
und auf der Farm Thingnes an der Hvitd i Borgarfirdi, wo die Angeln 
vorhanden waren und ich mich freute, frische Luft in das Zimmer 
einlassen zu können, waren die Fenster von dem vorsorglichen Be- 
sitzer von aufsen sorgfältig zugenagelt worden. Man kann daraus 
schon ungefähr ersehen, dafs die Liebe des gewöhnlichen Isländers 
zu reiner frischer Luft nicht weit her ist und in der That haben 
wir uns oft genug wundern müssen, wie die Leute an den wahren 
Pestgestank in ihren nie gelüfteten von 15 — 20 Menschen zum 
Schlafen benutzten Dachräumen sich haben gewöhnen können, und 
nicht nur einfache Bauern, sondern in einzelnen Ausnahmefällen 
selbst wohlhabende Pfarrer. 

Die Abwehr der Kälte, das Festhalten der ausstrahlenden 
Körperwärme innerhalb der Wohnräume war und wird auch bei dem 
eigentlichen Hausbaue in erster Linie beabsichtigt. Bis zur Höhe 
der Decke des Erdgeschosses — was freilich nicht viel sagen will, 
da die Zimmer meist nicht 2 m Höhe erreichen — werden für jedes 
einzelne Haus, also für jedes Zimmer auch, aufserordentlich starke 
Umfassungsmauern aufgeführt, die aus abwechselnden Lagen von 
plattiger Lava oder Basalt und grofsen etwa Fufs dicken Torf- 
schollen bestehen. Der Torf mufs ganz dicht und fest sein, so dafs 
guter Grünlandstorf sich viel besser dazu eignet, als der Erikatorf 
der Hochmoore. Er wird mit seiner Vegetationsdecke ausgestochen 
und bei dem Baue der Mauern werden die Torfstücke so gelegt, 
dafs die grüne Fläche nach aufsen kommt. Da der Torf als Bau- 
material quantitativ bei weitem überwiegt, so überwächst die Rasen- 
decke nach einiger Zeit die dünnen Steinplatten und eine Hausmauer 
sieht dann nicht anders aus, als ein Stück beinahe senkrecht ge- 
stellter Wiese. Dank der Feuchtigkeit der Luft in Island vermögen 
die meisten Pflanzen diese Platz- und Lageveränderung gut zu über- 
stehen und gedeihen als Hauspflanzen fröhlich weiter. 



— 13 — 

Sind die Grundmauern aufgeführt, so kommt das möglichst 
einfache Dachbalkengerüst darüber. Einen grofsen Luxus mit Bau- 
holz können sich die Isländer nicht gestatten, da dasselbe mit Aus- 
nahme des von Jahr zu Jahr spärlicher sich einstellenden Treibholzes 
aus Europa, meist aus Schwedens reichen Nadelwäldern, importiert 
wird und zu den Kosten des Schifftransportes noch die Mühselig- 
keiten und Umständlichkeiten der Überführung der Balken und 
Bretter vom Hafen ins Innere, oft mehrere Tagereisen weit, aus- 
schliefslich auf dem Rücken der kleinen Pferde, sich hinzugesellen. 
Aus diesem Grunde findet man auch unsere, die Ziegelsteine tra- 
genden Dachlatten nicht verwendet, sondern als Ersatz dafür Birken- 
reisig. Die langen, zähen Zweige der Polarbirke (Betula pubescens) 
werden zwischen die einzelnen Dachbalken so eng hineingeflochten, 
dafs eine hinreichend dichte Unterlage für das sehr gewichtige 
eigentliche Dachmaterial geschaffen wird. Als solches aber dienen 
weder Schiefer noch Ziegeln, noch steinbelastete Schindeln, sondern 
abermals grofse, bewachsene Torfstücke, die sich gleichfalls bald zu 
einem Ganzen zusammenschliefsen und ein aufserordentlich dichtes, 
wasserundurchlässiges Dach bilden. Natürlich stellen diese im 
Sommer ebenfalls grünen Dächer gleichzeitig schwebende Wiesen 
dar und werden wie jene mit Sicheln abgemäht; auf den Färöern, 
wo man fast denselben Baustil, nur etwas flachere Dächer findet, 
werden letztere sogar als Weiden benutzt und von am Schornsteine 
mit Stricken angebundenen Schafen abgeweidet. 

Reichlichere Verwendung von Brettern hat im Innern der Häuser 
statt, indem nicht nur die vier Wände, sondern auch die Decke 
und der Fufsboden der zum Bewohntwerden bestimmten Räume voll- 
ständig mit ineinander gefugten Brettern verkleidet sind; weder 
Tapete noch farbiger Anstrich verdeckt das glatt abgehobelte Holz. 
Auch die Giebel der Häuser tragen eine Verkleidung aus Holz. 
Dagegen sind die für das Vieh bestimmten Räume rein aus Steinen 
und Torf in wechselnden Schichten erbaut und Licht und Luft haben 
keinen andern Zugang, als durch die Ritzen der schlecht schliefsenden 
Thüren oder durch die Löcher, die Regen, Schnee und Wind in die 
wenig solide gebauten Torfdächer hinein gearbeitet haben. 

Rein aus Holz wiederum sind die meisten Kirchen gebaut. Vier 
Holzwände umschliefsen einen rechteckigen Raum von der Gröfse 
eines mittleren Wohnzimmers (nach unseren Begriffen); im einen 
Giebel die Eingangsthür, im andern der Altar; einige Reihen zwei- 
sitziger Bänke an den beiden Längswänden, zwischen denselben, um 
eine Stufe erhöht, ein als Kanzel dienendes Pult ; über dem Ganzen 
ein meist spitzes Dach, welches einen Bodenraum abschliefst, in 



— 14 — 

welchem neben einigen kirchlichen Gegenständen allerlei Hausgeräte, 
Wolle, Heu u. a. aufbewahrt wird. Unmittelbar an das meist schwarz 
geteerte Kirchlein mit seinem kleinen, ein Glöckchen tragenden 
Giebeltürmchen, zieht sich der Kirchhof herum, eingehegt zum 
Schutze gegen weidendes Vieh durch einen etwa meterhohen Erd- 
wall. Die einzelnen Kirchspiele sind ziemlich grofs und die Leichen 
haben daher oft einen recht beträchtlichem Weg zurückzulegen, bis 
sie ihre letzte Ruhe finden. Der Sarg wird auf zwei neben einander 
gehenden Pferden festgebunden und das Leichengefolge legt gleich- 
falls beritten den oft meilenweiten Weg vom Trauerhause zur Kirche 
zurück; man glaubt eher einen Kavallerietrupp als einen Leichenzug 
zu sehen. Der Gräberschmuck ist primitiver Art : ein grüner, hoher 
Hügel, wie bei uns, bisweilen ein Kreuz aus Holz, auf dem die 
Schrift bald vom Wetter zerstört ist. In der Nähe der Baula sieht 
man mehrfach die prächtigen fünfseitigen Säulen des Baulaliparites 
als Grabstein benutzt, und früher bediente man sich ihrer in noch 
ausgedehnterem Umfange zu Runen-Inschriften. In der Nähe des 
Meeres, so z. B. in Reykjavik, sind viele Gräber, eine auch an 
unserem Ostseestrande viel verbreitete Sitte, mit gebleichten Muschel- 
und Schneckenschalen dicht bedeckt; dient dieser Brauch nur für 
solche, die im Meere ihr Ende gefunden haben? Ein schönes Denk- 
mal haben auf dem Reykjaviker Friedhofe die Isländer ihrem hoch- 
verdienten patriotischen Landsmanne Jon Sigurdsson errichtet: ein 
Granitobelisk trägt die eingelassene Medaillonbüste des Mannes und 
darunter seinen und seiner Gattin Ingibjörg Einarsdottir Namen, 
Geburts- und Todesdaten. Der Sockel selbst trägt die Worte : Steinn 
Denna Reistu Honum Landar Hans. 1881. (Diesen Stein errichteten 
ihm seine Landsleute.) 

Wir haben gesehen, dafs die anorganische Natur in Island dem 
Menschen nur sehr wenig zu bieten vermag ; der Schlufs liegt nahe, 
dafs ein tüchtiges Volk nur dadurch in der Lage war, sich auf der 
rauhen Insel zu halten und es daselbst zu einer gewissen Blüte, in 
bezug auf die Dichtkunst sogar zu hoher Entwickelungsstufe zu 
bringen, dafs die organische Natur ihm weniger kärglich ihre Gaben 
gewährte. Dem ist in der That so: der Reichtum des Landes an 
üppigem Graswtichs, der Gewässer an Fischen und nützlichen Vögeln, 
ist die Grundlage der Erwerbsthätigkeit der Isländer, ohne diese 
Gaben würde das Land noch heute so unbewohnt sein wie vor tausend 
Jahren, wo zuerst Normännerschifife seinen klippigen Gestaden nahten. 

Vou den verschiedenen Klassen des Tierreiches kommen als 
nutzbringend, wie erwähnt, nur die Fische und Vögel in Betracht; 
Reptilien und Amphibien fehlen ganz, und eigentlich endemische 



— 15 — 

Landsäugetiere mangeln gleichfalls. Dem durch grönländisches 
Treibeis seit unbekannter Zeit eingeführten Eisfuchse wird zwar 
wegen seines kostbaren Pelzes eifrig nachgestellt, doch ist der 
Schaden, den er unter den Lämmern anrichtet, gröfser als sein 
Nutzen, und das seit hundert Jahren aus Lappland eingeführte und 
völlig wilde Bentier lebt, scheu und flüchtig, in den unzugänglichen 
Lavawüsten des Innern. Nimmer hätte auch das Rentier dem 
sefshaften Volke der Isländer solch hohen Nutzen bringen können, 
wie dem um seinetwillen nomadisierenden Lappen. Von den zahl- 
reichen Meersäugetieren aus den Familien der Wale, Delphine und 
Seehunde sind nur die letzteren von einiger Bedeutung, besonders 
für den Nordwesten des Landes; zumal den Jungen wird um des 
wohlschmeckenden Fleisches und des Felles willen eifrig nachgestellt. 
Dagegen beschäftigen sich die Isländer so gut wie gar nicht mit 
dem Fange der in ihren Meeren immerhin noch verhältnismäfsig 
häufigen Wale und ziehen nur ab und zu von gestrandeten Wal- 
kadavern Nutzen. 

Unvergleichlich viel gröfsere Vorteile haben sie von den Vögeln 
und zwar von den in beispielloser Menge vorhandenen Wasservögeln, 
die in faunistischer Hinsicht dem Lande sein Gepräge geben. Die 
zerrissenen Küsten, die zahllosen grofsen und kleinen Inseln und 
Klippen in den Fjorden und breiten Busen, die unzugänglichen steil 
zum Meere abfallenden, terrassierten Küsten vieler Teile des Landes 
machen dasselbe zu einem bevorzugten Wohn- und Brutplatze der 
reichen nordischen Vogelwelt. Der für die Isländer wichtigste und 
gewinnbringendste Vertreter derselben ist ohne Zweifel der Eider' 
vogd (Somateria moUissima), der durch Eier und Dunen nützlich 
wird und eine eigentümliche Zwischenstellung zwischen einem wilden 
und einem Haustier einnimmt. Die grofse Mehrzahl seiner Brut- 
plätze steht unter der speziellen Aufsicht und dem Schutze der 
Menschen und befindet sich in festem Besitze. Meist sind Inseln die 
Brutplätze, und das Betreten derselben von jemand anderem als dem 
Besitzer ist streng verboten. Die Tötung der Vögel wird wie 
Diebstahl bestraft. Die Nester bestehen aus Vertiefungen im be- 
rasten Boden, die weich und dicht mit den köstlichen Dunen aus- 
gepolstert sind. Die erste Dunenauskleidung wird mit den 
4 — 6 Eiern fortgenommen, wenn das Gelege vollzählig geworden 
ist; der Vogel beraubt sich des Restes seiner Dunen und legt 
zum zweiten Male; jetzt läfst man ihn ungestört brüten, 
markiert die Stelle des Nestes durch ein in den Boden gestecktes 
Stück Holz und nimmt diese Dunen erst, nachdem die Jungen aus- 
gebrütet und zum Meere geführt sind. Die Dunen werden jetzt 



— 16 — 

aosschlielslich in gereinigtem Zustande exportiert. Wie grob 
ans den grauen, schmucklosen Vögeln resultierende I nnahme i8t| 
zeigt am besten der Umstand, dafs im Jahre 1880 der Export 7000 
Pfund im Werte von 120—140 000 Jt. betrug. Federn zur Ausfuhr 
liefern aufserdem noch zwei Vögel, der Seepapagei und der SAwam. 
Die des ersteren werden systematisch gewonnen, indem man die, 
hauptsächlich im inselreichen BreidiQördr und auf den Westm&nner- 
Inseln in selbstgegrabenen Höhlen nistenden Vögel mit einem Stocke 
herauszieht und totschlägt Wie bereits oben erwähnt, dient die 
Brust dieses Vogels in eingesalzenem Zustande als Nahrungsmittd, 
während der übrige Teil des thranreichen Körpers getrocknet und 
als Brennmaterial benutzt wird. Der Export von Seepapageienfedem 
betrug 1872 gegen 25 000 Pfund, der von Schwanenfedem im gleichen 
Jahre 20000 Pfund. Die des letzteren Vogels werden im Innern 
des Landes in den seenreichen Gebieten gesammelt, in deren ti^e 
Einsamkeit das scheue Tier sich zur Zeit der Mauser zurückzieht. 
Eines der wichtigsten Nahrungsmittel liefert den Isländern gleichfalls 
die Vogelwelt, nämlich Eier. Als Lieferanten derselben kommen 
hauptsächlich die zahlreichen Entenarten in Betracht, die vor alloi 
Dingen den Myvatn (Mückensee) im Nordosten des Landes in ebenso 
grolser Artenzahl wie Individuenreichtum bewohnen. Auch die 
außerordentlich wohlschmeckenden, an unsere Kiebitzeier er- 
innernden Eier der arktischen Seeschwalbe, die in sehr groCser 
Menge in allen Teilen des bewohnten Landes sich findet, werden 
viel gesammelt und verspeist. Eine reiche Ernte gewähren femer 
die mövenbewohnten Vogdberge, die an vielen isländischen Küsten 
und auf steil abstürzenden Inseln, wie den mehrfach genannten 
Westmänner-Inseln sich finden ; deren Bewohnern wird nicht nur um 
der Eier, sondern auch um des Fleisches und der Federn willen 
nachgestellt. Einer der interessantesten Vögel Islands ist den Nach- 
stellungen vor bereits 40 Jahren erlegen: 1842 wurden auf den 
Geirfuglasker (Geir vogelschären) im Südwesten von Reykjanes die 
letzten Exemplare der Älca impennis, des nordischen Riesenpinguins, 
erschlagen und damit diese seltsame Tiersjiezies von der Erde vertilgt. 
— Von Landvögeln gewährt wohl nur das Schneehuhn (wahrscheinlich 
eine vom norwegischen unterschiedene Art) direkten Nutzen. Der 
Fang findet hauptsächlich im Herbst mit Schlingen und Schufswaffen 
statt; 1878 kamen 30000 Schneehühner auf den Markt nach Reyk- 
javik, und wurden zur Ausfuhr hauptsächlich nach Dänemark durch- 
schnittlich mit 46 /Sj bezahlt, repräsentierten also immerhin einen Wert 
von 13 — 14 000 A Die grofse und weit verbreitete Sippe der Regen- 
pfeifer und Brachvögel ist ohne jede nationalökonomische Bedeutung. 



^ 11 — 

Ebenso reich an Lebewesen, wie die düstern Klippen und 
Inseln, ist das Meer, welches mit donnernder Brandung den Fufs 
derselben bespült. Ganz unglaublich ist die Menge viel gesuchter 
nutzbringender Fische, die es beherbergt. Des Herings dichtgepackte 
Schwärme ziehen in die schmalen, tiefen Fjorde hinein; Islands 
Wappentier im dänischen Reichswappen, der Dorsch, bewohnt in 
unerschöpflichen Mengen alle Meere um das Land ; räuberische Haie 
durchfurchen beutesuchend die von der Küste entfernteren Teile des 
Meeres: schiefmäulige Flundern und Schollen, unter ihnen den rie- 
sigen Heilflunder (Hippoglossus maximus), bringt in Menge des 
Fischers Netz zu Tage ; silberschuppige Lachse wandern in alle islän- 
dischen Ströme hinein und liefern eines der wichtigsten Nahrungs- 
mittel ; und in allen Süfswasserseen und Bächen wimmelt es von den 
köstlichsten Lachs- und Bachforellen. Unter allen diesen Nutz- 
fischen aber besitzt keiner eine gröfsere Bedeutung als der Dorsch, 
der entweder frisch gegessen oder als Stockfisch oder Klippfisch 
zubereitet und exportiert wird. Stockfisch ist bekanntlich der 
an der Luft getrocknete, ungesalzene Dorsch. In dieser Form 
wird der Fisch hauptsächlich von den Isländern verspeist, und 
zwar wird er entweder aufgeweicht und gekocht oder auf 
einem Steine mürbe geklopft und dann längs der Faser zer- 
rissen und mit Butter bestrichen wie Brot gegessen. Im Innern 
der Insel werden namentlich die getrockneten Dorschköpfe als 
Nahrungsmittel benutzt. Der Klippfisch, ein erst gehörig durch- 
gesalzener und dann getrockneter Dorsch, dient hauptsächlich dem 
Exporte, vornehmlich nach Dänemark und Spanien; in letzterem 
Lande werden grofse Mengen desselben als Fastenspeise ge- 
nossen. Die aufserordentliche Wichtigkeit dieses Fisches zeigt 
der Wert der Ausfuhr: derselbe betrug im Jahre 1879 IV* 
Millionen Mark. Auch der eingesalzene Rogen und die Schwimm- 
blasen des Dorsches bilden einen beträchtlichen Ausfuhrartikel. 
Nächst dem Dorsch wird im Meere dem Eishaie am meisten nach- 
gestellt wegen seiner einen vorzüglichen Thran liefernden Leber, 
Dem Hering stellen die Isländer dagegen fast gar nicht nach, ob- 
wohl sein Fang in den engen Fjorden aufserordentlich bequem ist; 
derselbe liegt zumeist in den Händen der Norweger, die, um 
innerhalb der den Isländern reservierten Territorialgrenze fischen 
zu können, alle das isländische Bürgerrecht erworben haben. Wie 
bedeutend die Menge der jährlich gefangenen Heringe ist, zeigt die 
Höhe der dem Staate zu zahlenden Abgabe, die bei einer Steuer 
von 28 Pfg. pro Tonne 45,000 Mark, ein Zehntel der gesamten 
Staatsausgaben Islands, beträgt. — Einen aud^x^M^ ^xss. ^^^ Y^^^x^^. 

Oeogr. Blätter. Bremen. 1886. ^ 



— 18 — 

herrührenden wertvollen Handelsartikel bildet der Thran, gewonnen 
aus Walen und Seehunden, Eishaien und Dorschlebern; der Wert 
der etwa 10000 zum Export gelangenden Tonnen beläuft sich 
auf etwa 600000 Mark. Eine steigende Wichtigkeit unter den 
Ausfuhrartikeln besitzt der Lachs, der in fast allen isländischen 
Gewässern in ausgezeichneter Güte sich findet und auf viele Arten, 
mit Angeln, Netzen, Gabeln, Bretterverschlägen unter künstlichen 
Wasserfällen und selbst durch Abdämmen ganzer Flüsse gefangen 
wird. Nur für den Hausgebrauch werden die verschiedenen Forellen- 
arten gefangen, von denen alle Süfswasserseen des Landes wimmeln ; 
ich mufs allerdings sagen, dafs ich eine ein halbes Jahr alte, an 
der Luft getrocknete und dann zum Genüsse gekochte Bachforelle, 
wie ich sie mehrfach vorgesetzt erhielt, nicht für einen Hochgenufs 
halten kann. 

Für alle Zweige der Fischerei (welche 12 ^/o der Bevölkerung 
beschäftigt) gilt der oft wiederholte Ausspruch, dafs die Isländer 
die reiche Ernte, die in ihren Meeren reift, nur sehr unvollkommen 
zu gewinnen verstehen; freilich liegt die Ursache davon zum grofsen 
Teile in den unglücklichen handelspolitischen Mafsregeln Dänemarks 
im vorigen Jahrhundert. So durften die Isländer nicht mit grofsen 
Deckfahrzeugen, die ihnen den Aufenthalt weit draufsen im Meere 
gestattet hätten, fischen, sondern mufsten sich auf offene Böte be- 
schränken; so konnten sie den von ihren Regierungen begünstigten 
Fischerbootsflotten fremder Völker, namentlich der Holländer, Fran- 
zosen und Engländer, die Jahr aus Jahr ein die Meere um Island, 
zum Teil unter dem Schutze von Kriegsschiffen, besuchen, keine 
erfolgreiche Konkurrenz machen. Heute, wo sie fischen können, 
wie sie wollen, fehlt es an Kapitalien zum Baue von Deckfahrzeugen, 
und nur sehr langsam vermehrt sich die Zahl derselben. Auch die 
Methoden der Zubereitung und die landwirtschaftliche Verwertung 
der Abfälle bedürfen noch gar sehr der Vervollkommnung. So 
könnten die reichen Forellenschätze des Binnenlandes in Form von 
Fischkonserven sehr wohl für den Export hergerichtet werden, und 
die Ausfuhr des Lachses in geräuchertem oder eingemachtem Zu- 
stande wäre gleichfalls einer beträchtlichen Steigerung fähig. Anderer- 
seits läfst sich nicht verkennen, dafs sich in bezug auf alle Er- 
werbszweige das Land in einem langsamen aber stetigen Aufschwünge 
befindet. 

Drei Vierteile der Bevölkerung Islands sind mit ihrer Erwerbs- 
thätigkeit mehr oder weniger direkt auf das Pflanisenreich und seine 
Produkte angewiesen; auf ihm basiert die gesamte isländische 
Laidwirtschaß, die, weil der Anbau der Cerealien nicht mehr mög- 



— 19 — 

lieh ist, sich auf Viehzucht und Wddewvrtschaft zu heschränken 
hat. Die Wiesenvegetation besitzt in Island eine aufserordentliche 
Üppigkeit und ist darin, bis auf die Art der sie zusammensetzenden 
Pflanzen, nahe mit derjenigen der Almen unserer Alpen verwandt, 
die ja auch durch ihre Kräftigkeit und Nahrhaftigkeit ihrer Bestand- 
teile bekannt ist. Da aufserdem auch die äufseren Verhältnisse 
bezüglich des Klimas und der Oberflächenformen in beiden Gebieten 
viel gemeinsames zeigen, so ist es erklärlich, dafs auch der land- 
wirtschaftliche Betrieb in beiden mancherlei Übereinstimmung zeigt. 
Der Isländer unterscheidet dreierlei Arten Wiesen- und Weide- 
landes : 

1. Dm Tun, d. h. dasjenige Wiesengebiet, welches unmittelbar 
an seinen Hof sich anschliefst, mit einem Walle oder einer Stein- 
mauer umgeben ist, gedüngt wird, und nur zur Heugewinnung, nicht 
als Weide benutzt wird. Die bei jedem Hofe sich findenden Hunde 
sind darauf dressiert, die vorlauten Schafe, die gar zu gern die 
Tünmauer überklettern, um am üppigen Grase zu naschen, fort- 
zujagen. 

2. Aufserhalb der Tiinmauer liegen die jUengy äu/sere Wiese, 
genannten Grasländereien, die teils Wiesen und Moose, teils gras- 
bewachsene Schuttkegel, teils mit Heidekraut und spärlichem Grase 
bestandene Heiden sind. Sie dienen ebenfalls zur Heugewinnung, 
sowie als Weide für die Rinder, die man um des Melkens willen 
nicht zu weit vom Hause sich entfernen lassen will. 

3. Die weit von den Höfen entfernten, nach dem Innern des 
Landes zu gelegenen Hochweiden^ die meist gemeinsames Eigentum 
mehrerer Bauern sind, entsprechen den eigentlichen Almen der 
Alpen und bilden hauptsächlich die Grundlage der Schafzucht. Diese 
genügsamen Tiere werden im Mai, wenn die Lämmer entwöhnt sind, 
in diese menschenleeren Einöden, die sogenannten 4A^^*^ getrieben und 
nun während des Sommers beinahe ganz sich selbst überlassen. Im 
Herbste werden sie dann eingetrieben und den verschiedenen Be- 
sitzern nach den meist in die Ohren eingeschnittenen Erkennungs- 
zeichen wiedergegeben. Natürlich gehen viele Tiere im Sommer zu 
Grunde, sie versteigen sich in den Bergen, fallen den Schneestürmen 
oder dem räuberischen Polarfuchse zum Opfer. 

Aus der Schaf ^tccM stammen die wichtigsten und bedeutendsten 
Einnahmen der Isländer. Diese nützlichen Tiere liefern ihnen Milch 
und Fleisch für den eigenen Gebrauch, Tcdg und Felle für die Aus- 
fuhr. Das wichtigste aber ist die Wolle, die durch Glanz und 
Weichheit sich auszeichnet und viel in England gekauft wird. Die 
Ausfuhr betrug 1883 13 000 Zentner, die an Talg 4000 Zent 



- 2Ö 

an Schaffellen über 50 000 Stück. Ein grofser Teil der Wolle, die 
übrigens nicht durch Scheeren, sondern durch Abrupfen gewonnen 
wird, gelangt im Lande selbst zur Verarbeitung zu Kleiderstoffen, 
Strümpfen, Handschuhen und anderen Dingen, die gröfstenteils im 
Lande selbst verbraucht, und in immer geringer werdenden Mengen 
exportiert werden. Und doch sind namentlich die Strümpfe und 
Handschuhe der Isländer von aufserordentlicher Weichheit und 
Dauerhaftigkeit, halten sehr warm, sind sehr undurchlässig gegen- 
über dem Wasser und aufserdem unglaublich wohlfeil. Ich kaufte 
in Akureyri eine Anzahl Paare Handschuhe vor 2^/2 Jahren für den 
Spottpreis von 45 Pfennigen pro Paar und trotz vielfachen Gebrauches 
sind sie noch heute in gutem Zustande. 

Vom gröfsten Einflüsse auf das Wohl und Wehe des isländischen 
Farmers ist der Ausfall der Heuernte, weil es davon abhängig ist, 
ob er seinen Viehstand durch den langen Winter hindurchbringen 
kann. Ein Mifsjahr für die Heugewinnung ist deshalb ebenso ver- 
derblich für ihn, wie eine Mifsernte für unsere Landwirte. Die 
Gewinnung des Heues ist mit vielen aus der Eigentümlichkeit des 
Landes und der ganzen Verhältnisse sich ableitenden Schwierigkeiten 
verbunden. Die Gewinnung des Heues im Grasfelde, dem Tun, die 
noch am bequemsten ist, wird durch eine merkwürdige Eigen- 
schaft des isländischen Wiesenlandes sehr erschwert ; dasselbe 
ist nämlich bedeckt mit unzähligen, etwa fufshohen kleinen Erd- 
höckern und Erdrücken, die durch die Zusammenwirkung von Frost 
und Regen entstanden sein mögen und den Versuchen, sie einzuebnen, 
einen äufserst hartnäckigen Widerstand entgegensetzen. So kommt 
es denn auch bei der Allgemeinheit dieser Eigenschaft, dafs Sensen 
verhältnismäfsig selten im Lande sind, dagegen das Gras allgemein 
mit Sicheln geschnitten und dann mühsam zusammengesucht wird. 
Andere Schwierigkeiten stellen sich der Heugewinnung in den aufser- 
ordentlich grofsen Moor gebieten entgegen. Einmal wächst hier, 
besonders bei grofser Feuchtigkeit des Grundes, das Gras mehr 
büschelweise, dann aber versinken die Schnitter oft tief in dem 
schlammigen Grunde. Auch das Trocknen des Grases mufs dann 
an anderer Stelle geschehen und findet wegen der aufserordentlichen 
Menge der atmosphärischen Niederschläge oft nur recht mangelhaft 
statt. In den fernen Gebirgsweiden, den Affrettir, ist wieder der 
Transport des gewonnenen Heues zur Farm unbequem, da derselbe 
völlig durch die Pferde besorgt werden mufs. Das hat Veranlassung 
zu einer eigentümlichen Quantitätsbezeichnung bei dem Heue gegeben: 
man nennt ein Heupferd die Menge Heu, die man im Mittel einem Pferde 
aufladen zu dürfen glaubt, gewöhnlich ein Quantum von etwa 70 kg. 



— 21 - 

So mangelhaft und schwierig auch die Heugewinnung aus den 
Mooren ist, und so wenig Nutzen die Isländer daraus ziehen, so 
liegt doch in ihnen, nach der Ansicht sachverständiger Männer, die 
Zukunß Islands verborgen, ja man meint, dafs bei einer Umwandlung 
der gesamten, heute eigentlich nur als Verkehrshindernis unange- 
nehm sich bemerkbar machenden Moore in ertragreiche Wiesenflächen 
durch Entwässerung und geregelte Berieselung, die allerdings be- 
trächtliche Kapitalien verlangen würde, die Insel Island die doppelte 
Zahl der gegenwärtigen Bewohner zu ernähren im stände sein würde. 
Wie in den Alpen führt auch in Island die Abgelegenheit und 
Entfernung der Bergweiden zu einer Art Sennerwirtsehafl auf den 
besseren derselben. An geschützter Stelle wird für den Sommer- 
aufenthalt einiger Mädchen ein einfaches Häuschen aus Steinen und 
Torf errichtet, mit einem Herde, sowie einem anstofsenden Schaf- 
stalle. Unter dem Schutze dieser Sennerinnen weidet hier oben in 
weltabgeschiedener Einsamkeit ein Teil der Milchschafe und der 
Kühe, aber man vernimmt hier weder das melodische Läuten der 
Kuhglocken, noch das freudige Jauchzen und Jodeln alpiner Senne- 
rinnen. Nur das Rauschen der Wasserfälle, das Brausen des Windes 
um steile Felsenklippen oder den Schrei des beutesuchenden Adlers 
vernimmt hier oben das Ohr. 

Noch aus vielen anderen Kindern Floras weifs der genügsame 
Isländer Nutzen zu ziehen, die Birken liefern ihm BrennhoU und 
Dachbaumaterial, viele Zwergsträucher der Heide schmackhafte 
Beeren (Vaccmium MyrtiUus und uliginosum, Empetrum nigrum, 
Fragaria vesca, Bubus saxatüis, Juniperus nana)^ die Wurzeln und 
Stengel der mächtig grofsen Archangelica ofßci/nalis werden eifrig 
gesammelt und als beliebtes Gemüse verspeist, die Samen des Sand- 
Iia/ers liefern ein Surrogat für den Roggen zum Brotbacken, in 
gleicher Weise dienen das berühmte isländische Moos, Cetraria is- 
lamlica und einige andere Flechtenarten, als Nahrungsmittel eifrig 
gesammelt, und die Bi/nde von Salix herbacea sowie der Saß von 
Geranium silvaticum liefern Farbstoffe, Auch ist das Klima nicht 
so rauh, dafs es den Anbau von Nutispflanisen gänzlich hinderte, die 
eigentlich Kinder einer wärmeren Sonne sind. Auf ihrem welt- 
erobernden Zuge ist die Kartoffel auch in Island bis zum Polarkreise 
vorgedrungen und wird in vielen kleinen, sorgfältig gepflegten Haus- 
gärtchen, namentlich der Küstenorte, mit Kohl und Bhabarber zu- 
sammen gezogen. Dafs sie es im Norden zu besonderem Wohl- 
geschmacke brächte, kann ich nicht behaupten, ebenso läfst die 
Gröfse der geernteten Knollen manches zu vmnschen übrig. Mehr- 
fach haben kühne Kaufleute versucht, an geschützten Stellen des 



— 22 — 

Blumenkohls krause Häupter zu ziehen und der Versuch ist gut 
gelungen. In den Reykjaviker Hausgärten sah ich Johannisbeer- 
sträucher Ende Juni in voller Blüte und hörte, dafs im Herbste die 
Früchte sich röten und, für bescheidene Ansprüche, geniefsbar werden 
sollen. Vielleicht liefse sich noch manche andere unserer Gemüse- 
pflanzen hier bauen. 

Auch das Meer bietet in Form verschiedener Tangarten dem 
Isländer vegetabilische Nahrung. Dieselben werden gewässert, ge- 
trocknet und in Tonnen einige Monate geprefst ; dann verspeist man 
den ;,Söl" entweder roh oder kocht ihn zu Brei, der häufig auch dem 
Brotmehle beigemischt wird. 

Eine andere, noch willkommenere Gabe des Meeres ist das 
Treibholz, welches teils den üferwäldern des Mississippi und Ori- 
noko entstammt und durch die breite, warme, von Süden kommende 
Drift an die Küsten Islands geführt, teils, wie behauptet wird, durch 
die arktischen Strömungen von den Mündungen der sibirischen Eis- 
meerflüsse herbeigeführt wird. Palmen, Mahagoni und andere edle 
Hölzer sollen ersteren, Zirbelkiefern, Tannen, Lärchen und Pappeln 
letzteren Gebieten entstammen. Der Rinde beraubt, gebleicht, von 
Pholaden durchbohrt, mit allerlei Seegetier bedeckt, kommen hier 
am gleichen Gestade Kinder der Wälder zweier Erdteile zusammen ; 
unter dem Schatten der einen jagten die Rothäute Venezuelas den 
Puma, schwangen sich zierliche Aflfen von Ast zu Ast, — in den 
anderen verfolgte der sibirische Pelzjäger das blaue Eichhörnchen 
und den scheuen Hermelin. Wer denkt hier nicht an Heines Fichten- 
baum und Palme? 

Der hohe Wert von Bauholz überhaupt und die besondere 
Dauerhaftigkeit dieser Fremdlinge im besonderen, die in der langen 
Meerfahrt vielleicht eine Erklärung findet, sichern ihnen eine will- 
kommene Aufnahme bei den Isländern, die sie zu allerlei Hausgerät 
und für diejenigen Zwecke verwerten, wo Widerstandsfähigkeit gegen 
Erdfeuchtigkeit erwünscht ist. 

Noch andere Grüfse aus den Tropen bringt der Golfstrom: die 
vom Aberglauben mit wunderbaren Heilkräften ausgestatteten harten 
Früchte der Entada Gigalobium, seltsam gestaltete Flaschenkürbisse, 
Akajounüsse (westindische Elefantenläuse), Kassiensamen und Kokos- 
nüsse kommen mit der gleichen warmen Strömung vor allem an die 
nordöstlichen Gestade. 

Doch nicht blofs so gern gesehene Dinge, wie das Treibholz 
bringen die Ströme des Meeres herbei; die arktische Drift führt 
vielmehr auch höchst unangenehme, gefahrdrohende Treibeisma^sen 
mit sich, die in ihren Wirkungen schon oft unsägliches Unheil über 



— 23 — 

die armen Bewohner gebracht haben. Wenn im Frühjahre das an 
den Küsten des arktischen Kontinentes gefrorene Meer aufbricht, so 
wird das Eis in gewaltigen, viele Meter dicken Schollen von den 
arktischen Strömungen nach Süden geführt. Dieses Eis ist es oder 
auch dasjenige der ostgrönländischen und spitzbergischen im Meere 
kalbenden gewaltigen Gletscher oder beide zusammen, das fast jährlich 
an Islands Küsten getrieben wird. Dieses Eis hat eine weifse 
Kappe, herrührend von zahlreichen Luftbläschen im obersten stark 
zerfressenen Teile der Schollen, unter dieser bis zum Meeresspiegel 
hat es eine schön blaue Farbe, ganz derjenigen des Gletschereises 
in den Spalten gleichend, der Teil des Eises, der im Meere liegt, 
also der weitaus gröfste, hat durch Brechung des Lichtes eine schön 
smaragdgrüne Farbe. Die Schollen, die ich sah, erhoben sich etwa 
1 — 4 m über die Oberfläche des Meeres, während ihr Durchmesser 
bis zu 40 — 60 m stieg. Nur wenige darunter waren von mit- 
geführtem Sande auf ihrer Oberfläche schmutzig. Nach starken, 
lang andauernden nördlichen Winden erscheint, gewöhnlich im Mai, 
das Eis an den Küsten Islands vom Gräfjördr bis zum Ostlande 
alle Fjorde erfüllend und um das ganze Land herum ein meilen- 
breites Band bildend. Nur bei ruhiger See können kleine Böte es 
wagen, zwischen diesen Eisschollen die Fjorde zu kreuzen, dagegen 
ist für gröfsere Schiffe und Dampfer der Zugang zu den Häfen 
gänzlich versperrt und, da das Eis meist ganz plötzlich und uner- 
wartet kommt, sind schon öfter die Dampfer in den Häfen des 
Nordlandes von ihm überrascht und festgehalten worden. 

Das Eis bleibt nun in den verschiedenen Jahren ganz verschieden 
lange liegen. Bisweilen führt schon nach wenigen Tagen günstiger 
Südwind in einigen Stunden alles wieder fort, und dann ist 
es, abgesehen von der Verkehrshinderung, ohne Bedeutung. Aber 
in manchen Unglücksjahren bleibt es wochen- und monatelang 
liegen und dann wird es in hohem Grade für die arme Nordlands- 
bevölkerung verderblich. So blieb beispielsweise im Jahre 1882 das 
Eis bis tief in den August hinein bei meist nördlichen Winden liegen. 
Infolgedessen herrschte ein so kalter Sommer, dafs die Wiesenvege- 
tation nur zu höchst unvollkommener Entwickelung gelangte, das Vieh 
keia Futter auf der Weide fand, die Heuernte völlig mifsglückte und 
eine Überwinterung des Viehstandes ohne fremde Hülfe unmöglich 
war. Trotz der ausgedehnten Unterstützung, die in dieser Zeit den 
notleidenden Isländern aus allen Teilen Europas, namentlich England 
und Skandinavien, zu Teil wurde, und die hauptsächlich in der 
Zufuhr von Heu bestand, gelang es doch nicht, den Notstand ganz 
zu beseitigen ; viele Farmer mufsten aus Futtermangel den gröfsten 



— 24 — 

Teil ihres Viehstandes verkaufen und Tausende von Pferden, Rindern 
und Schafen wanderten nach England. Möglicherweise war diese 
trübe Zeit auch Ursache der starken Auswanderung 1883, die im 
Nordlande ein Prozent der Gesamtbevölkerung betrug. Glücklicher- 
weise sind solche Unglücksjahre verhältnismäfsig selten. 

Mit dem Eise kommen verschiedene * Fremdlinge ins Land: 
Eisbären werden von Grönland herübergetragen und von den um 
die Sicherheit ihrer Herden besorgten Isländern gleich bei der An- 
kunft, wenn sie noch matt und erschöpft sind, mit Knüppeln tot- 
geschlagen. Ebenfalls mit dem Eise ist der Polarfuchs ins Land 
gekommen und hat sich leicht akklimatisiert. Eine Robbenart 
(Phoca grönlandica) wandert gleichfalls mit dem Eise und wird von 
den isländischen Fischern eifrig gejagt. 

Noch erübrigt eine Besprechung einer der gewaltigsten Natur- 
kräfte, die gerade in Island einen der Hauptschauplätze ihrer 
Thätigkeit aufgeschlagen hat, des Vulkanismus und semer Einflüsse auf 
die Bevölkerung. Kein Teil des Landes ist diesem Einflüsse völlig 
entrückt, überall machen sich teils in verderblicher, teils in nutz- 
bringender Weise die Wirkungen und Äufserungen der vulkanischen 
Thätigkeit geltend. Während die Aschenauswürfe und Lavaergüsse 
der vorhistorischen Zeit nur insofern schädlich gewirkt haben, als 
sie grofse Strecken Landes öde gelegt und für alle Zeiten der 
Besiedelung entzogen haben, verwüsteten und verheerten die Erup- 
tionen der letzten tausend Jahre seit der Kolonisation des Landes 
in vielen Fällen blühende Ansiedelungen und hatten unsägliches 
Unheil nur zu oft in ihrem Gefolge. Es ist an dieser Stelle 
unmöglich, näher auf die zahlreichen Eruptionen der Katla, der 
Vulkane unter dem Vatna JökuU und im Gebiete des Myvatn einzu- 
gehen, die in der angedeuteten Weise wirksam waren und ich mufs 
mich auf eine allgemeinere Darstellung der verderblichen Wirkungen 
der vulkanischen Aktionen beschränken. 

In der Regel gelangt bei den isländischen Vulkanen der gröfste 
Teil des ausgeworfenen Materiales in Form von Asche an die Ober- 
fläche. Dieselbe wird mit Wasserdämpfen gemischt hoch in die 
Lüfte geführt, schwebt über dem Vulkane als Wolke und wird von 
den Winden oft weit fortgeführt. Bei manchen besonders heftigen 
Eruptionen, namentlich der Hekla, wird die Asche über das ganze 
Land ausgebreitet und bedeckt dasselbe in einer Schicht, die an 
Mächtigkeit mit der zunehmenden Entfernung vom Vulkane abnimmt. 
Mannigfachen Schaden richten diese gewaltigen Aschenergüsse an: 
sie versengen die ganze Grasvegetation in dem Gebiete, in dem^ie 
»u Boden fallen, dadurch wird dem Vieh die Nahrung entweder ganz 



— 25 — 

entzogen oder verdorben. Das Vieh, welches längere Zeit von den 
vergifteten Weiden zu fressen gezwungen ist, wird von Seuchen 
befallen, denen die Mehrzahl der Tiere erliegt. Unter den Menschen 
bricht Hungersnot aus, die sie zwingt, jene gefallenen Tiere oder 
andere widerwärtige Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, die dann 
Skorbut und andere Krankheiten in ihrem Gefolge haben. So 
starben infolge des furchtbaren Ausbruches am Skaptär Jökull im 
Jahre 1783 9000 Menschen, 28000 Pferde, 11000 Stück Rindvieh 
und 190000 Schafe im kurzen Zeiträume von 2 Jahren, nach offi- 
ziellen Berichten. Die in die Flüsse fallende Asche füllt dieselben 
oft vollständig aus, staut sie auf und tötet die Fische. Unterseeische 
Ascheneruptionen haben oft im weiten Umkreise um den eigentlichen 
Herd des Ausbruches dieselbe Wirkung. 

Noch lange Jahre nach Beendigung der vulkanischen Thätigkeit 
können die nackten, vegetationslosen Aschenmassen unter Mitwirkung 
des Windes grofsen Schaden anrichten, indem sie aus dem unbe- 
wohnten Innern in gewaltigen Wolken von den Staubstürmen, den 
berüchtigten ^Mistur^ hineingeführt werden in bewohntes Land. 
Im Heklagebiete schaute ich selbst an zwei Stellen die Zeichen 
beginnender und das traurige Bild vollendeter Zerstörung blühender 
Gegenden durch windverwehte vulkanische Aschen. (S. das Kärtchen 
S. 4.) Zwischen der Thjorsä bei Störinüpr und der Ytri Rängä bei 
Svfnhagi dehnt sich ein Gebiet aus, welches noch vor wenigen Jahren 
eine gröfsere Anzahl Farmen, sowie mehrere Kirchen und Pfarren 
trug. Da wurden von Nordosten her gewaltige Aschenmengen 
über die blühenden Fluren getragen, die Weiden vernichtet, 
alle Vegetation zerstört. Die Bewohner zogen alles Holzwerk 
aus ihren Gebäuden heraus und wandten der verödeten Heimat 
den Rücken. Nur nackte Stein- und Torfwände inmitten 
schauriger schwarzer Sandmassen, denen hier und da ein starrer 
Sandhaferhalm entragt, erinnern an die Vergangenheit dieses Platzes. 
Reitet man von der Hekla gen Süden auf die Eystri Rängä zu, so 
kommt man zwischen Seisund und Keldur abermals in wüste, pflanzen- 
leere Aschenfelder; so leicht beweglich ist dieser Sand, dafs der 
Rosse Hufspur keinen dauernden Weg zu schaffen vermag; die 
Spuren einer Karavane, die gestern diese Strafse zog (wenn man 
so sagen darf), hat heute der Wind völlig verweht. Um bei trübem 
Wetter die Richtung nicht zu verlieren, haben sich die Bewohner 
dieses Gebietes in Abständen von einigen hundert Metern hohe 
Steinpyramiden erbaut, die wie Leichensteine auf diesem Grabe 
alles Lebens sich erheben. Die an diese Wüste angrenzenden Farmen 
am Reydarvatn und im grünen Rängäthale scheinevv 4»xdoL ^^^^ 



— 26 — 

Flugsande in grofser Gefahr zu schweben. Als wir bei dem freund- 
lichen Keldur in letzterem Thale rasteten, sahen wir, wie an vielen 
Stellen der Wind gelbbraune Sand- und Staubwolken aufwirbelte, 
eine Strecke weit fortführte und wieder zu Boden fallen liefs. Schon 
war direkt und an der Vegetation zu sehen, dafs die Weiden der 
Farm durch Versandung arg gelitten hatten, die süfsen Gräser 
waren zum gröfsten Teile bereits von Riedgräsern und Schachtel- 
halmen verdrängt. Vielleicht haben heute auch dort schon die 
armen Bewohner den unfreundlichen Gewalten der Natur das Feld 
räumen müssen. 

Auf kleinere Flächen sind die durch Lavaströme angerichteten 
Verheerungen beschränkt, obgleich vielleicht in keinem Lande der 
Erde die Oberflächenverbreitung von Lava eine so ungeheuere ist 
wie in Island. Dehnt sich doch zwischen dem Vatna JökuU und 
dem Myvatn eine fast 100 QM. grofse, zusammenhängende Lavawüste, 
der Odadahraun, das Lavafeld der Missethaten, aus ; liegt doch hier 
der längste Lavastrom der Erde, der sich vom Skjaldbreid im Thale 
des Skjälfandafljöt abwärts erstreckt bis zum Ljösavatn, in einer 
Länge von ungefähr 120 Kilometern. Dennoch sind die Fälle, in denen 
Farmen durch Lavaströme verwüstet wurden, nicht zahlreich, 
weil die Vulkane zumeist in unbewohnten Gebieten liegen und 
die Lavamassen nur dann schaden können, wenn entweder neue 
Vulkane mitten im bebauten Lande sich bilden, oder wenn die Masse 
der ausfliefseuden Lava so grofs ist, dafs die Ströme das öde Gebiet 
überschreiten und über die bewohnten Thäler und Tiefebenen sich 
verbreiten. Für beide Fälle finden sich Beispiele. Die erste Eruption 
nach der Besiedelung des Landes durch die Norweger fand gegen 
Ende des neunten Jahrhunderts an der Kaldä im Hnappadalssysla 
im Westlande statt. In der Tiefebene bildete sich der Krater Eid- 
borg, der einen mächtigen Lavastrom von 3V2 Meilen Länge über 
dem bebauten Lande ausbreitete. Auch die Hekla hat zu ver- 
schiedenen Malen durch Lavaströme Farmen verwüstet. In den 
Jahren 1724 — 30 ergossen sich aus den Vulkanen Krafla und 
Leirhnukr gewaltige Lavaströme, die das ganze Gebiet nördlich vom 
Myvatn, einst fruchtbare, grasreiche Triften, furchtbar verwüsteten, 
Gehöfte zerstörten, in den Mückensee hineinflössen, alle Fische durch 
Erhitzung des Wassers töteten und schliefslich den See so aus- 
trockneten, dafs er sich erst nach acht Monaten wieder füllte. Die 
furchtbarsten Verheerungen aber richtete eine Eruption im Jahre 
1783 an, die gröfste, in der Geschichte des Vulkanismus bekannte. 
Sie fand statt im Südosten des Landes in der Gegend der Quellen 
der Skaptä. In den Thälern dieses Flusses und des Hverfisfljöt gingen 



— 27 — 

Lavaströme nieder, die die Thäler völlig ausfüllten und so bis zu 
200 m Mächtigkeit erlangten, in der Ebene aber sich ausbreiteten und 
in 10 — 30 m dicker Lage viele Quadratmeilen Landes bedeckten. 
Man hat die Menge der in diesem einen Jahre an dieser Stelle aus- 
geflossenen Lava auf einen Kubikinhalt gröfser als denjenigen des 
ganzen Berges Mont Blanc veranschlagt. Durch den Ausbruch 
wurden 8 Farmen völlig verwüstet und yerbrannt, 29 mehr oder 
minder beschädigt, und zwei Kirchspiele, Kälfafell und Skälar, waren 
während zweier Jahre unbewohnbar. 1793 waren im ersteren bis 
auf zwei alle Höfe wieder bewohnt, im letzteren dagegen nur zwei. 
Die meisten der mehr oder minder beschädigten Höfe sind jetzt 
wieder bewohnt, aber haben sehr an Wert verloren. Vor dem Aus- 
bruche wohnten im ganzen Vesterskaplafellssyssel 289 Bauern, zwei 
Jahre später nur 190.^) 

Auch durch zahlreiche Erdbeben, die bisweilen für sich allein, 
meist aber als Begleiter vulkanischer Aktionen auftreten, ist grofser 
Schaden im Lande angerichtet worden. So wurde durch furchtbare 
Erdbeben im Jahre 1784 im August im südwestlichen Island aufser- 
ordentlicher Schaden angerichtet ; Farmen wurden ganz zerstört 
oder beschädigt, Menschen unter ihren Trümmern begraben, Vogel- 
berge verwüstet, warme Quellen versiegten, neue bildeten sich, so 
am Geysir allein 35, Sümpfe wurden ausgetrocknet oder in Seen 
verwandelt und vielerorts bildeten sich tiefe Spalten in der Erde. 
Ähnliche Erscheinungen haben sich auch bei mehreren anderen is- 
ländischen Erdbeben wiederholt. 

Mehrere und zwar gerade besonders oft thätige Vulkane liegen 
unter gewaltigen Gletschereisdecken, so der Eyjafjalla JökuU, die 
Katla, die Vulkane an der West- und Südseite des Vatna JökuU. 
Dieser Umstand ist für das Südland oft verderbenbringend gewesen, 
indem durch die gesteigerte Wärme vor und während der vulkanischen 
Thätigkeit die Hunderte von Metern mächtigen Eismassen mit rapider 
Geschwindigkeit abschmelzen und unwiderstehliche alles verheerende 
Wasserfluten zu Thale senden, den sogenannten „Jokulhlaup^, Bei allen 
Berichten über die Thätigkeit der Vulkane des Südlandes finden wir 
daher die gröfsten Verheerungen immer durch das Wasser angerichtet. 
Diese hochaufgeschwollenen Fluten führen gleichzeitig aus dem 
Moränenmaterial der Gletscher ungeheuere Schlamm- und Sand- 
mengen, bis hausgrofse Felsmassen und ungeheuere Eisberge mit 
sich ; sie zerstören alles, was sie auf ihrem Wege vorfinden, breiten 
wüste Gesteinsschuttmassen über Wiesen und Weiden aus und sind so 



') Th. Thoroddsen, Oversigt over de islandske YulkabTxi^T^ ^SsKätä. '^. ^^« 



— 28 — 

die furchtbarsten Begleiter der an sich schon so schrecklichen und 
verderblichen vulkanischen Thätigkeit. 

Fast könnte es scheinen, als vermöchte der Vulkanismus über- 
haupt nur schädlich zu wirken; doch hat er auch eine Äufserung, 
in der er Nutzen und Segen spendend wirkt: das sind die heissen 
Quellen. 

Island ist vielleicht ^as thermenreichste Land der Erde, da es 
auf einem Gebiete von 1900 DM. nicht weniger als 120 Lokali- 
täten enthält, an denen heifse Quellen entweder einzeln oder in 
Gruppen auftreten. Die Nähe einer Therme war daher für die 
ersten Ansiedler eine angenehme Beigabe und die zahlreichen Orts- 
namen mit den Silben reyk-, laug- und hver- weisen alle auf die 
Nähe einer heifsen Quelle hin ; aber doch benutzen die Isländer den 
reichen Schatz, den ihnen die Natur in ihren zahllosen Thermen gab, 
bei weitem nicht so sehr, wie derselbe es verdiente. Während man 
von vornherein erwarten sollte, dafs jede Quelle oder Quellengruppe, 
falls nicht in absolut unbewohnbarem Gebiet gelegen, eine Ansiede- 
lung in nächster Nähe hätte veranlassen müssen, ist das bei weitem 
nicht der Fall, und die in einem so holzarmen und der Kohlen fast 
ganz entbehrenden Lande doppelt wertvolle natürliche Wärmequelle 
bleibt in den weitaus meisten Fällen völlig unbenutzt. 

In dreifacher Weise verwendet der heutige Isländer seine Fu- 
marolen : zum Waschen, Kochen und Baden. Die kleinen Kochquellen 
von Laugarnes bei Reykjavik dienen zum Waschen der Wäsche fast 
für die ganze Stadt und ununterbrochen findet man die Weiber dort be- 
schäftigt, die sich gleichzeitig in der heifsesten der dortigen im kalten 
Bache emporsprudelnden Quellen ihre Fleischspeisen kochen. In be- 
schränkterem Umfange, das heifst von den nächstgelegenen Farmen, 
werden auch andere Quellen zum Waschen benutzt. Die Verwendung zum 
Kochen ist natürlich auf die in nächster Nähe einer Farm gelegenen 
Quellen beschränkt. Entweder wird den Kochquellen direkt das 
siedende Wasser entnommen oder die zu bereitende Speise in einem 
verschlossenen Topfe über die Quellenöffnung gesetzt. Davon aber, 
dafs ein Gebäude über einer Quelle errichtet und rationelle Vor- 
kehrungen zur Ausnutzung der Wärme getroffen würden, ist nirgends 
die Rede. Am häufigsten wird noch in den Abflufsbächen der 
Quellen oder in eigens dazu her gerichteten, primitiven, roh ausge- 
mauerten, kesselartigen Vertiefungen gebadet, aber da der Isländer 
im allgemeinen der Reinlichkeit und äufserlichen Anwendung des 
Wassers nicht gerade sehr geneigt ist, so ist auch diese Art der 
Quellenbenutzung etwas spärlich. Noch im vorigen Jahrhundert war 
es, wie Uno von Troil uns berichtet, verbreitete Sitte, dafs die 



- So -^ 

jungen Männer eine heifse Quelle reinigten und zum Bade herrich- 
teten und dieselbe dann ihrer Geliebten gewissermafsen zum Ge- 
schenke machten. Bei der Einführung des* Christentums dienten 
einige Quellen dazu, die Bekehrten, die sich weigerten, in kaltes 
Wasser zu gehen, zu taufen. So wurden die Nord- und Südländer 
beim Heimritte vom Althing in der Quelle ßeykjalaug im Laugar- 
dalur in Grrimsnes getauft, die Bauern der nordwestlichen Halbinsel im 
Krofslaug (Kreuzbad) im Lundareykjadalur in der Borgarfjardar-Sysla. 
Das bekannteste Bad auf Island ist das Snorralaug, Snorris Bad, dessen 
Erbauung dem bekannten Dichter der Edda und Heimskringla-Saga, 
Snorri Sturluson, zugeschrieben wird. Dasselbe liegt unmittelbar 
neben dem heutigen P/arrhofe Reykholt im Reykholtsdalur, dem 
ehemaligen Wohnsitze Snorris. Dicht neben dem Gehöfte ent- 
springt die kochende Quelle Skrifla, deren Wasser Snorri in einer 
ausgemauerten Rinne einige zwanzig Schritte weit zu dem Bade leitete, 
einer Art Brunnenschacht von 1 m Tiefe und 2 m Durchmesser, 
der mit dem siedenden Wasser gefüllt und nach genügender Abküh- 
lung zum Baden benutzt wurde. 

Für die Fischer sind einige im Meere im Breidifjördr bei den 
Oddbjarnasker entspringende Quellen von Nutzen, da sie aus den- 
selben sich mit dem sonst in weitem Umkreise fehlenden Trink- 
wasser versehen können. 

Die einzige technische Benutzung einiger heifser Quellen war 
die zum Salzsiedm aus dem Meerwasser, Dazu dienten natürlich 
einige in nächster Nähe des Strandes gelegene Thermen. „Man 
setzte die Kessel mit dem Seewasser in das unablässig kochende 
Becken und liefs das Wasser mittels der Hitze der Quelle ver- 
dampfen. Ein Salzwerk dieser Art wurde bei Reykjanes in der 
Isafjardar-Sysla im Jahre 1773 eingerichtet und hat mehrere Jahre 
hindurch ausgezeichnet gutes Salz gegeben. Das Meerwasser wurde 
durch Pumpen in Rinnen und vermittelst dieser nach einem gröfseren 
Reservoir geleitet, das sich unter Dach befand. Von hier aus 
wurde es dann in die einzelnen Sudpfannen geleitet, die in Häusern 
errichtet waren, wo das heifse Wasser aus 30 Öffnungen hervor- 
sprudelte. Diese Saline umfafste nicht wenige Gebäude, wurde aber nach 
dreizehnjährigem Betriebe wieder aufgelassen, weil das Unternehmen 
nicht rentierte. Eine andere Saline hat man bei Reykhölar in der 
Bardatranda-Sysla (auf der Nordseite des Breidifjördr) errichten 
wollen, da die heifsen Quellen hier so zahlreich sind, dafs man 
meinte, 24 Pfannen errichten und 125 Tonnen Salz monatlich ge- 
winnen zu können; der Versuch mufste jedoch wieder aufgegeben 
werden, da nicht nur der Transport des Salzes von der Saline bis 



-^ 30 — 

zum Meeresstrande, sondern auch die Weiterbeförderung des Salzes 
zu Schiffe mit zu grofsen Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre. 
Es ist im Interesse der Isländer um so mehr zu bedauern, dafs 
solche Unternehmungen an Transportschwierigkeiten scheitern, als 
das darauf verwendete Kapital reichlichen Gewinn abwerfen müfste, 
da ja die eigentlichen Betriebskosten verhältnismäfsig sehr gering, 
der Verbrauch an Salz aber in Island selbst ungemein bedeutend 
ist, nämlich nicht weniger als 30-40000 Tonnen jährlich.«*) 

Es ist ein vorherrschend trübes Bild, welches ich entworfen 
habe. Wir sehen ein tüchtiges uns stammverwandtes Volk in 
hartem Ringen mit einer kargen Natur, bedroht von vielen finsteren 
Gewalten, der Kälte des ewigen Eises und ^er Glut des Erdinnern ; 
aber wir sehen auch mit Stolz, wie die zähe germanische Art allem 
Hemmnis zum Trotz sich eine Heimat und ein blühendes Gemein- 
wesen selbst inmitten des arktischen Meeres zu schaffen verstand. 



Eine Reise in das Gebiet nördlich vom Kamerungebirge. 

Von G. Valdau. 

Mit Karte, ö) 

I. 

Vorbemerkung. Reise nach Balombi-ba-Mbu. Träger -Ausrüstung. Aufbruch. 
König Mosinge. König Boloe. Soffo. Ein starker Esser. Wasserarmut und Wasser- 
reichtum. Das Dorf Dievo. Elefantenspuren. Der Richard-See. Insel und Dorf 
Balombi-ba-Kotta. Tanz und Spiel der Eingeborenen. Papageienschwärme. Aussicht 
auf den Kamerunberg. Kein Abflufs des Richard-Sees. Eine angebliche Kindesmörderin. 
Ihre Verurteilung durch die Unschuldsprobe des Trinkens von Sassawood. Vergeb- 
licher Versuch, sie zu retten. Die Sklavendörfer der Bakundu. Gute Behandlung der 
Sklaven. Mais- und Bohnenkulturen. Nächtliche Wacht gegen Elefanten. Ankunft 
im Dorfe Bakundu-ba-Bakäa. Der König. Die Eingeborenen wünschen die Nieder- 
lassung von Weifsen. Günstige Verhältnisse für die Errichtung einer Missionsstation. 
Palaver. Billige Preise der Lebensmittel. Die Götzenhäuser und deren Ausstattung. 
Tanz. Niengbe, der Gott der Wöchnerinnen und Jäger. Das Dorf Ekumbi-ba-Bänschi. 
Urwald und Elefanten. Wildheit der letzteren. Der Missionar Thomson und sein 
Abenteuer mit Elefanten. Elefantenfurcht. Führer nach Mbu. 

Vorbemerkung. 

Im November 1883 reisten der Student Georg Valdau, 21 Jahre 
alt, und der ehemalige Gutsbesitzer Knut Knutson, von 26 Jahren, 
nebst zwei schwedischen Begleitern von Schweden mit der Absicht 
ab, sich auf dem Kamerunberge niederzulassen, um daselbst und in 
der Umgegend naturwissenschaftliche und anthropologische Samm- 
lungen anzulegen, zu jagen u. a. Gegen Schlufs des Jahres an 
Ort und Stelle angekommen, begaben sie sich unverzüglich nach 

*) Nach Poestion, Island. 

*) Diese Karte wird mit dem im nächsten Hefte folgenden zweiten Teü 
des Aufsatzes veröffentlicht werden. Die Eed. 



— 31 — 

Manns Quelle, 2200 m über dem Meeresspiegel belegen, bauten dort 
ein paar Hütten, legten einen kleinen Garten an und richteten sich 
darauf ein, an dieser Stelle, als der voraussichtlich am wenigsten 
ungesunden der ganzen Gegend, zu verbleiben. Allein jede Wanderung 
um den Berg herum, der Jagd oder des Studiums von Volk und 
Natur wegen, vor allem das Hinabsteigen nach dem englischen 
Handelsplatze Victoria an der Meeresküste, rief Anfälle des Klima- 
fiebers hervor. Manns Spring war ein sehr kalter Platz, schädlich 
durch die häufigen und dichten Nebel auf dem Gipfel des Berges; 
grofse Schwierigkeiten brachte die Proviantbeschaffung mit sich, das 
mitgenommene Kapital ging zu Ende und trotz energischer An- 
strengungen trat eine Zeitlang wirkliche Not ein. 

Da entdeckten sie, dafs gewisse Schlinggewächse in den pracht- 
vollen tropischen Urwäldern des Berges Kautschuk lieferten, sie 
begannen selbst und lehrten die Eingeborenen, diesen Stoff zu sammeln, 
mit welchem sie dann Handel zu treiben anfingen; dies brachte ihre 
Finanzen in bessere Verfassung, sie kauften an mehreren Stellen 
Grund, unter anderem Besitzungen in Mapanja, nach welchen sie 
jetzt hinunterzogen. Sie hatten nunmehr besser Gelegenheit zu 
wirken und unternahmen weitere Expeditionen. 

Als dann Ende 1884 die Deutschen ihre Annexionen in der 
Gegend begannen, denen die zu England angehörenden Einwohner in 
Victoria entgegenarbeiteten, schlössen sich die eingeborenen Berg- 
bewohner in ihrer Ratlosigkeit den Schweden an, die jetzt ihre 
Sprache verstanden und sich durch ihr Verhalten unbegrenztes Ver- 
trauen erworben hatten ; es ging dies soweit, dafs man den Schweden 
ohne Ersatz grofse Strecken Landes schenkte. Diese ihrerseits 
stellten sich und das Ihrige unter den Schutz der Deutschen und 
waren ihnen bei der Gewinnung des Protektorates über gröfsere 
Teile des Berges behülflich. Im vorigen Jahre wurden die Schweden 
von dem deutschen Gouverneur in Kamerun, von Soden, ermächtigt, 
die Bergbewohner zu überwachen, im Zaum zu halten, sowie Streitig- 
keiten unter ihnen zu schlichten, um auf solche Weise Krieg und 
Blutvergiefsen zu verhüten. 

Die veränderten ökonomischen Verhältnisse haben den Herren 
Valdau und Knutson nunmehr Gelegenheit verschafft, ihre Absichten 
besser, als dies in den verflossenen Jahren möglich war, zu ver- 
folgen. Knutson hat ausgedehntere Jagden auf Elefanten unter- 
nommen; der eine oder der andre hat Geschäftsreisen zwischen den 
Volksstämmen im Norden und Osten gemacht, zusammen haben sie 
die im folgenden von Valdau geschilderte Reise nach dem Mbu oder 
Elefanten-See unternommen. Valdau hat auch vorher in der von der 



- 3ä -- 

schwedischen Gesellschaft für Anthropologie und Geographie heraus- 
gegebenen Zeitschrift „Ymer" die Bergbevölkerung Bakwileh aus- 
führlich beschrieben 1885, S. 163 und ff. 



Schon lange hatten Knutson und ich beabsichtigt, eine Reise 
nach Balombi-ba-Mbu und anderen Plätzen nördlich vom Kamerun- 
berge vorzunehmen, waren aber bald durch das eine bald durch 
das andre daran behindert worden; erst im Mai 1885 bekamen 
wir freie Hand, die Expedition ins Werk zu setzen. Jetzt entstanden 
indessen, wie stets in Afrika, neue Schwierigkeiten: es handelte 
sich um die wichtige Frage, Führer und Träger zu bekommen. Die 
Bonjongoleute waren am passendsten dazu; mehrere waren nach 
Bakundu-ba-Nambeleh gewesen und fürchteten sich deswegen nicht 
so sehr, und einer von ihnen, unser erster Kaufmann, Ndibe Ekoa, 
hatte den Missionär Thomson auf einer Expedition nach Mbu be- 
gleitet. Sobald es in Mapanja bekannt wurde, dafs wir unsre Leute 
aus Bonjongo zu nehmen beabsichtigten, fand sich eine Menge junger 
Leute ein, die sich alle bereit erklärten, uns zu begleiten. Wir 
seien ihre weifsen Männer und sie müfsten sich schämen, wenn wir 
genötigt wären, unsre Begleiter auf der Reise aus einem anderen 
Orte zu nehmen; wir könnten hier in Mapanja so viele Leute erhalten, 
wie wir nur wünschten, sie seien durchaus nicht bange, sie fürchteten 
nichts — so prahlten sie in der bei Negern gewöhnlichen grofs- 
sprecherischen Weise, als aber der Tag der Abreise kam, fand sich 
nur ein Mann, namens Sam, ein. Die grofssprecherischen Helden 
hatten nämlich zu wissen bekommen, dafs die Einwohner jenes weit 
entfernten Landes schreckliche Kannibalen sein sollten, für welche 
ein Fremdling ein willkommener Zuwachs für den Fleischtopf sei. 

Da wir uns nun von unsren lieben Mapanjafreunden angeführt 
sahen, ging ich gleich nach Bonjongo und schlofs mit Ndibe Ekoa 
ab. Zwei Tage darauf wurde der Kontrakt unterzeichnet und am 
folgenden Tage, den 20. Mai, begaben wir uns auf den Marsch. 
Unsre Leute bestanden aus dem Anführer der Träger, Ndibe Ekoa, 
und ,den Trägern Nbome, Molue, Wokomia, Bello und Malumbe, alle 
aus Bonjongo, sowie aus Sam, Njie und Mbua aus Mapanja; von 
denselben konnten Ndibe Ekoa, Nbome, Molue, Wokomia und Sam 
englisch sprechen. Jeder Träger hatte eine Last von 19 kg, sowie 
ein Gewehr und 12 Patronen. Alle Sachen waren in dichte Blech- 
kasten mit sichern Schlössern verpackt. Die Gewehre bestanden 
aus Sniders, Doppelbüchsen und aus einem Winchestergewehr zu 
acht Schüssen, aufserdem hatten Knutson und ich jeder einen sechs- 



— 33 — 

läufigen Revolver, so dafs wir eine recht bedeutende Macht hätten 
entwickeln können, wenn es zu Feindseligkeiten gekommen wäre. 

Am ersten Marschtage ging die Reise über Lekumbi, Bwassa 
und Jtfimbia nach Soffo, wo wir über Nacht blieben. Soffo ist ein 
grofses Dorf, welches gleich südlich von Bwea liegt und in drei, 
weit von einander getrennte Teile zerfällt, von denen jeder natürlich 
wieder seinen König hat. Wir kehrten ein bei König Mosinge in 
Soffo-Bonganga, einem der Soffodörfer, von welchem Soffo-Boteke 
ungefähr in S. 10^ 0. und Soffo - Mokängo in N. 80 ^ 0. liegt. 
Der König wies uns ein Haus zum wohnen an und bewirtete uns 
mit Fleisch und Koko, in Palmöl gekocht, wofür er vor unserer Ab- 
reise am folgenden Tage ein passendes Gegengeschenk erhielt. Der 
Gebrauch, bei Reisen in diesem Lande in dem Dorfe, welches man 
erreicht, bei dem Könige einzukehren, ist der gewöhnliche, denn man 
erzeigt ihm damit eine Ehre, während man zugleich aller Mühe, 
Proviant und dergleichen zu beschaffen, überhoben ist, indem der 
Wirt die Pflicht hat, dieselben zu liefern. Mitunter kommt man 
freilich in Dörfer, wo die Einwohner infolge ihrer Faulheit sich in 
halbverhungertem Zustande befinden und in solchen kann nicht ein- 
mal der König, der doch gewöhnlich die gröfsten Plantagen besitzt, 
eine Gesellschaft Reisender mit Nahrung versehen. Bei der Ankunft 
an einer solchen Stelle wird das Volk zusammengetrommelt und die 
Leute aufgefordert, herbeizubringen, was sie zu verkaufen haben, 
und man kann dann selbst kaufen und kochen. 

Auf dem freien Platze vor dem Hause des Königs standen zwei 
ungefähr 8 Fufs hohe Pfähle, am oberen Ende gespalten und mit 
verschiedenen Zierraten versehen, in der Mitte des einen waren 
zwei nahezu drei Fufs hohe Götzenbilder — ein männliches und ein 
weibliches — ausgeschnitten. Dieselben waren jedoch nicht der 
Gegenstand einer Anbetung. Die Pfähle standen nur als Kuriosum 
da und wurden benutzt, Kühe und Ziegen daran fest zu binden. 
Man sagte, sie seien aus dem Bakunduland dorthin gebracht worden, 
wo wir auch später während unserer Reise ähnliche in jedem Dorfe 
vorfanden. 

Frühzeitig am folgenden Tage brachen wir auf und nach einem 
Marsch von 3,6 Kilometer, gröfstenteils auf dem Boden eines aus- 
getrockneten Flufsbettes, über welchem die Bäume ein dichtes und 
schattiges Gewölbe bildeten, kamen wir in Soffo Mokongo an. Auf 
einem sehr grofsen, ebenen und gut gesäuberten Platze standen hier 
zwei Reihen teils fertiger und teils im Bau begriffener Häuser ein- 
ander gegenüber. Alle diese fertigen und nicht fertigen Häuser ge- 
hörten dem wegen seines Reichtums berühmten Könige ßoloe. Der- 

aeogr. Blfitter. Bremen. 1886. ^ 



— 34 — 

selbe ist sehr alt und wird für den reichsten Mann des Bakwileh- 
volkes angesehen, was er auch wohl ist, wenn es auf Wahrheit be- 
ruht, dafs er 3—400 Kühe und zwei- bis dreimal so viele Ziegen 
und Schafe besitzt. Er hatte sich erst vor kurzer Zeit an diesem 
Platze niedergelassen, nachdem er während mehrerer Jahre weit weg 
als Flüchtling gelebt. Im Komplott mit den Mokundaleuten hatte 
er nämlich König William in Bimbia getötet und aus Furcht vor 
Rache die Flucht ergriffen. Nachdem es jedoch den Söhnen des 
Ermordeten geglückt war, mehrere ihrer Feinde zu töten, wurde 
die Rache schliefslich als ausgeübt angesehen und Frieden ge- 
schlossen, worauf Boloe in sein Dorf zurückkehrte. 

Als wir seine Wohnstelle passierten, bettelte er natürlich, trotz 
seines Reichtums. Wir hatten absichtlich nicht die Nacht dort zu- 
gebracht, weil Ndibe ihn mit ;,He beg too much" charakterisiert 
hatte. Diese wenigen Worte sind vielsagend für den, der die Leute 
hier kennt. Sie besagen, dafs der betreffende Mann ein sehr rekJier 
König oder, was auf dasselbe auskommt, ein besonders gro/ser Bettler 
ist; alle Reichen werden Könige genannt und ihr Bettelgenie steigt 
mit ihrem Reichtum. 

Von Soffo führte der Weg abwärts durch ein schönes offenes 
Land, bedeckt mit Plantanen- und Kokosanpflanzungen, über welche 
sich überall zahlreich die Ölpalmen erhoben und hier und da förm- 
liche Wälder bildeten. In kurzen Zwischenräumen wurden die 
Dörfer Bokokko, Molykko-mo-Lelo (Ober-M) und Molykko-mo-Benge 
(Unter-M) passiert. In der Nähe des letzteren kamen wir über 
einen kleinen Flufs, Kokke, nach S. 80^ 0. fliefsend, der sich, wie 
behauptet wird, in die Bucht an der Mündung des Mungo ergiefst. 
Nachdem sich die Leute im Bache gebadet hatten, wurde der Marsch 
über Mangao und Bokakka nach einem grofsen Dorfe, Momange 
oder Lisoka, wie es auch heifst, fortgesetzt, wo wir die Nacht zu- 
brachten. Das Volk ist hier sehr schlecht, es sind die unver- 
schämtesten Bettler und grofse Diebe. Uns zu bestehlen wagten 
sie freilich nicht, suchten uns aber auf alle erdenkliche Weise zu 
prellen und drohten sogar damit, Ndibe zurückzuhalten, als wir 
uns weigerten, ihnen zu geben, was sie forderten. Jetzt ging uns 
aber die Geduld aus und wir verbaten uns diesen Ton, sonst solle 
es ihnen schlecht gehen, — dabei machten wir eine kleine Andeutung 
in bezug auf unsere Gewehre. Das wirkte; sie schwiegen still 
und wir zogen ohne ferneres „Palaver" ab. Unsre Leute thaten 
stets ihr Bestes, den Einwohnern an allen Stellen, wohin wir kamen, 
die vortrefflichen Eigenschaften der Gewehre zu erklären — die 
vielen Schüsse, die damit, ohne erst wieder zu laden, abgefeuert 



— 35 — 

werden könnten, die schreckliche Wirkung der letzteren, selbst auf 
die gröfsten Entfernungen hin und ganz vor allem, dafs es Hinter- 
lader seien, „Metongo", wie sie dieselben nennen. Diese Art Ge- 
wehre ist unter allem Volk hier und im Lande als gefährlich 
berühmt, wie dieselben auch zugleich selten und teuer sind. 
Schon die Erwähnung, dafs alle unsere Gewehre „Metongo" seien, 
veranlafste die Eingeborenen, uns mit weit gröfserem Respekt und 
mehr Ehrerbietigkeit zu betrachten. 

Momange liegt ungefähr 600 m über dem Meere und östlich 
vom grofsen Pik. Hiervon ging der Weg fast gerade nach Norden 
über das Dorf Moeta nach Masuma, wo wir zum ersten Male auf 
dieser Reise auf die Bombokosprache stiefsen, die sich, wie auch das 
Volk wenig von derjenigen der Ba-kwilehs unterscheidet. In Masuma 
konnte uns unser Wirt, der sogenannte König, nicht mit Lebens- 
mitteln versehen, weshalb wir selbige selbst kaufen mufsten ; nichts- 
destoweniger war er ein unverschämter Bettler und forderte grofse 
Geschenke. Nur Regenwasser war zu haben und auch das mufsten 
wir kaufen und noch dazu sehr teuer. Wegen Regenwetter mufsten 
wir hier über einen Tag liegen bleiben. Vor dem Dorfe stand ein 
kleines Haus, bestehend aus einem auf vier Stangen ruhenden Dache, 
einem 1 m über der Erde angelegten Fufsboden und Wänden von 
grofsen hübschen Stücken Zeug. Ein hervorragender Mann im Dorfe 
war gestorben und seine Verwandten hatten ihm dieses Haus er- 
baut, in welchem er auch, wie man annahm, wohnte, obwohl unsicht- 
barerweise. Auf dem Fufsboden im Hause standen ein Holzschrank, 
Porzellangefäfse, Krüge und andres Hausgerät, welches dem Toten 
gehört hatte. Derartige Häuser, „Libälä" genannt, sind in Bomkoko 
gewöhnlich. Wenn ein Bruder oder ein andrer teurer Anverwandter 
stirbt, erbaut ihm der Überlebende bisweilen ein „Libälä", um ihn 
auch ferner in seiner Nähe zu haben. Wie sie früher alles teilten, 
soll solches auch jetzt noch geschehen. Bevor der Überlebende von 
einem guten Gerichte ifst oder Wein trinkt, trägt er etwas ins 
„Libälä" und bittet den Bruder, damit vorlieb zu nehmen. Wenn 
er Schnupftabak bereitet hat, giebt er erst dem Bruder davon, 
bevor er selbt eine Prise nimmt. 

Gegen einen unsrer Träger, Wokomia, der ein richtiger Viel- 
frafs war, erhoben die andern bald Klage. Schon in Momange 
hatten sie sich über seinen grofsen Magen und die gewaltigen 
Mengen Essen, womit er denselben füllte, beschwert. Nun kamen 
sie und sagten: Wokomia nicht gut, nimmt gröfstes und bestes 
Stück Fleisch, ehe sonst jemand etwas bekommen. Wokomia nicht 
guter Mann 1 ^ Ndibe pflegte stets das Fleisch zu zerlegen und zu 



— 36 — 

verteilen; nun hatte sich Wokomia vor der Teilung ein grofses 
Stück angeeignet, was freilich ein Vergehen war. Aus Rache nannten 
sie ihn einen Hund und suchten nach irgend einem passenden Namen, 
als ein Witzbold auf den Gedanken kam, ihn nach einem grofsen 
und sehr gefräfsigen Hunde, den Knutson mit von Hamburg gebracht 
hatte, Hektor zu nennen. Wokomia war jedoch kein schlechter 
Kerl; im Gegenteil, er war der beste Träger, ging stets an der 
Spitze und beklagte sich nie über die Schwere der Bürde. Sodann 
hatten alle grofsen Nutzen von ihm bei her Bereitung des Essens. 
Sollte eine Ziege, ein Küchlein oder ein andres Tier geschlachtet 
werden, so war er stets der Exekutor, wobei ihm die Augen vor 
Freude glänzten, bei dem Gedanken an den prächtigen Braten, den 
es geben werde. Wenn Plantanen oder Koko von den Frauen im 
Hause, wo wir eingekehrt waren, zubereitet wurden, wachte er 
stets darüber, dafs dies richtig gemacht und nichts von dem einen 
oder dem andern entwendet wurde. Dafs die Kameraden ihn auf- 
zogen und ihn Hund oder Hektor nannten, verdrofs den gutmütigen 
Mann nicht; er war. statt dessen so klug, Nutzen daraus zu ziehen. 
Wenn Knutson oder ich einen Knochen abgenagt hatten, rief er 
immer: „Hunde essen Knochen!" wofür er dann natürlich stets den 
Knochen bekam, zum nicht geringen Neide der andern, die ihn 
selbst gern gehabt hätten. 

Am 24. verliefsen wir Masuma und nach einem Marsche 
von 6 km gegen Norden in etwas östlicher Richtung kamen 
wir nach Babinga. Bis hierher war der Weg mehreren unsrer 
Leute bekannt, die ihn mit den Missionären nach Bakundu-ba- 
Nambeleh gegangen waren, wohin ein Weg über Ikata von diesem 
Platze aus führt, allein den Weg nach Balombi-ba-Kotta kannten sie 
nicht, weshalb wir hier einen Führer zu erhalten suchten. Dies 
glückte auch schliefslich nach vielen Mühen mit dem elenden Ba- 
binga = „Könige", der, obwohl er aus Angst am ganzen Körper 
bebte, doch erst ein langes „Palaver" über die Bezahlung des 
Führers hielt und, geizig und habsüchtig, wie alle seine „Vettern", 
selbst Anspruch auf ein grofses Geschenk dafür erhob, dafs er uns 
den Mann lieferte. Alles geht jedoch mit Geduld und wir setzten 
uns schliefslich in Marsch. Nach einer beschwerlichen Reise auf 
einem schlechten, wenig gebahnten Wege kamen wir in Baffia an, 
einem kleinen, aber hübschen Dorfe, wo das Volk nicht so hab- 
süchtig und unverschämt in seinen Ansprüchen auf Bezahlung für 
seine Produkte war, wie dasjenige in den früher passierten Dörfern, 
und dazu war der König, wunderlich genug, kein Bettler. Das 
Volk zeigte sich besser, nachdem wir von dem gewöhnlichen 



— 37 — 

Wege der Missionäre abgewichen waren — ein Umstand, auf den 
wir infolge früherer Erfahrung gerechnet hatten. Die Missionäre, 
welche Geld in Überflufs haben, verwöhnen die Leute mit unbe- 
gründet hoher Bezahlung für alles und mit grofsen Geschenken. 
Obwohl Lebensmittel ziemlich knapp im Dorfe waren, schaflEte der 
König so viel herbei, dafs unsere Leute sich nahezu krank bei der 
reichen Bewirtung afsen. Auch hier gebrach es an Wasser. Am 
folgenden Tage wurde die Reise mit einem neuen Führer fortge- 
setzt. Auf dem Wege trafen wir den Bruder des Baffia-Königs, 
der von Dievo kam, wo er am Tage zuvor von unsrer Ankunft 
gehört hatte; er eilte jetzt nach Hause mit mehreren Lasten Plan- 
tanen und einigen Hühnern, womit er uns ein Geschenk zu machen 
beabsichtigte. Er wollte durchaus, wir sollten umkehren, da sich 
dies aber zu seinem grofsen Leidwesen nicht thun liefs, gab uns 
der wohlmeinende Mann die Hühner, für welche er ein anständiges 
Gegengeschenk erhielt. 

Wir gelangten jetzt in einen Distrikt, der ebenso reich an 
Wasser, wie der vorige arm daran war. Im Laufe des Tages 
passierten wir nicht weniger als vier Flüsse. Der erste, Jongonde, 
war klein und flofs ostwärts; der andre etwas gröfsere hiefs Jangi 
und flofs in nördlicher Richtung. Ein paar tausend Fufs weiterhin 
passierten wir ihn wieder; er hatte während der Zeit einen Neben- 
flufs aufgenommen und strömte jetzt nach OSO. in einer Breite 
von ungefähr 45 m. Es lagen viele grofse Steine und umgestürzte 
Stämme -darin, so dafs die Neger uns nicht hinüber tragen konnten ; 
wir mufsten deswegen selbst ins Wasser gehen und hindurchwaten, 
wobei uns letzteres an den tiefsten Stellen bis ans Knie reichte. 
Hier und da war der Boden mit weifsem Sande bedeckt, der sich 
bei genauerer Untersuchung als Quarz herausstellte und welchen 
letzteren ich nun zum ersten Male in diesem Teile Afrikas sah. 
Unsre Leute berichteten jetzt, dafs der Boden in Ikata überall 
damit bedBckt sei, so dafs er „weifs wie Salz" erscheine. Etwas 
weiter trafen wir auf einen kleinen Bach, Besonge, nach SSO. 
fliefsend, auch dessen Grund war mit Quarzsand bedeckt. Der 
Wald war hier sumpfig und der Weg lehmig und schwer zu passieren. 
Nach einem Marsch von 15,7 km von Baflfia gelangten wir an einen 
ziemlich wasserreichen, kalten und klaren Strom, Kokke, mit Nordost- 
lauf. An der andern Seite desselben lag ein kleines Dorf, Dievo, 
das erste, welches wir antrafen, in dem die Häuser an einer Strafse 
erbaut waren. Diese Strafse war breit, gut reingehalten und be- 
stand aus hartgetretenem Lehm; an den beiden Seiten standen die 
16 grofsen, wohlgebauten Häuser des Dorfes. Die Wände waren 



— 38 — 

inwendig sehr eben und mit grofsen Stücken Rinde bekleidet; sie 
sahen dadurch wie Bretterwände aus. Bemerkenswert ist, dafs in 
dem Hause, in welches wir eingekehrt waren, sich ein auf vier 
Stangen ruhendes Gestell für die Wasserkrüge vorfand, die sonst 
an beliebiger Stelle auf dem Fufsboden zu stehen pflegen; oberhalb 
dieses Gestelles war ein Haken zum Aufhängen der Trinkgefäfse 
angebracht. Diese Gefäfse macht man hier, wie in Ba-kwileh, aus 
dem harten Kerne der Kokosnüsse und versieht sie mit einem Griffe 
mit Haken. Hinter den Häusern lagen Höfe, umgeben von Plan- 
tanen- und Palmhainen. Auch hier gab es Lebensmittel im Über- 
flufs zum grofsen Entzücken unserer Träger. Unter anderm be- 
kamen wir Perlhühner und getrocknetes Fleisch von einer Art 
kleiner Antilope, die die Eingeborenen „Jumbe" nennen.^) 

. Prüh morgens am 26. nahmen Knutson und ich ein erfrischendes 
Bad im Strome und begaben uns darauf auf den Marsch, um die 
nächste Nacht in Balombi-ba-Kotta zu schlafen. Wir befanden uns 
jetzt auf einer Höhe von ungefähr 240 m. Den Berg hatten wir 
hinter uns gelassen und zogen jetzt auf einem lehmigen, aber harten 
und ebenen Wege dahin. In der Nähe von Dievo passierten wir 
einen Bach, Loonde, und gleich darauf einen freien Platz im Walde, 
Basonga genannt, der zu irgend einer Art Zauberei benutzt wird. 
Nachdem wir ferner ein paar Bäche und das Dorf Monjange passiert 
hatten, langten wir nach einem Marsche von 10,5 km in Mesambe, 
dem letzten Bombokodorfe auf dem Wege nach Norden, an. Wir 
ruhten uns eine Weile aus, erfrischten uns mit einigen Kokosnüssen 
und begaben uns dann wieder auf den Marsch. Bis hierher war 
der Weg von Dievo aus horizontal gewesen, allein jetzt ging es 
wieder bergab. Unmittelbar jenseits des Dorfes passierten wir den 
Bach MesäUälli, worauf der Zug durch dunklen, teilweise sumpfigen 
Wald ging, was den Weg sehr schlecht machte, hier und da war 
er auch von Elefanten zertreten. Wir fanden jedoch die Spuren 
dieser Tiere bei weitem nicht so zahlreich, wie man nach den Be- 
richten von Comber und andern Reisenden über diese Gegend hätte 
erwarten sollen. 

Um 3 Uhr nachmittags kamen wir am südlichen Strande des 
Richard-Sees an, nachdem wir kurz vorher einen kleinen Bach, Mana- 
tunge, der sich in den See ergiefst, gekreuzt hatten. Vor uns lag 
die kleine Insel Balombi-ba-Kotta mit dem Dorfe gleichen Namens. 
Es dauerte ziemlich lange, bevor jemand kam, um uns überzusetzen. 



^) Naeh der Behauptung der Neger sollen sowohl Männchen wie Weib- 
chen der „Jumbe'' Homer haben, sie halten dieses Tier daher für eine wilde 
Ziege. 



— 39 — 

Hier und da war ein Fischer auf dem See mit seinen Netzen 
beschäftigt und zuweilen kam ein Weib in seinem äufserst kleinen 
Kanoe, um Plantanen von den Anpflanzungen rund um den See oder 
Wasser von der Bachmündung nach der Insel zu bringen. Das 
Wasser des Sees ist nämlich trübe, halb faul und vollkommen un- 
geniefsbar, weshalb alles Wasser von dem kleinen Bache Manatunge 
nach der Insel gebracht werden mufs. Nach langem Warten kamen 
schliefslich mehrere Kanoes, um uns zu holen, und bald wehte die 
schwedische Flagge auf dem Richard-See, bei der Fahrt nach der 
Insel, wo eine grofse Menge Menschen stand und uns angaffte. Wir 
wurden zuerst in ein Haus in der Nähe des Sees einquartiert, allein 
da wir im Hause daneben Jammer und Trauergesänge hörten und 
bei der Frage nach der Veranlassung erfuhren, dafs dort soeben 
ein Mann an einer Art Ausschlagskrankheit gestorben sei, die uns 
nach der Beschreibung die Blattern zu sein schien, erklärten wir, 
dort nicht bleiben zu wollen und erhielten nunmehr weiter im 
Innern des Dorfes ein grofses Haus, welches, um so besser, zufällig 
leer stand. Anstatt des Überflusses an Lebensmitteln, den Comber 
hier fand, war es jetzt so knapp damit bestellt, dafs keiner der 
vielen sogenannten Könige uns mit solchen versehen konnte. Einer 
von ihnen bot uns allerdings einen fetten Hund an, allein da weder 
wir noch unsre Leute Hundebraten afsen, entging das Tier noch 
dieses Mal dem Schlachtmesser. Zu unverhältnismäfsig hohem 
Preise gelang es uns, Plantanen und Fische für einen Tag zu kaufen. 
Die Fische, eine Art Barsch, waren klein und grätig, mit losem, 
schlechtem Fleisch. 

Das Dorf wird durch einen Hügel in zwei Teile geteilt, von 
welchen der gröfsere zwei ziemlich lange Strafsen hat, die fast in 
rechtem Winkel auf einander treffen. Der andre Teil des Dorfes 
hat nur eine Strafse. Die an den Strafsen liegenden Häuser sind 
im allgemeinen sehr grofs und hinter den meisten liegt ein enger, 
von sehr kleinen Häusern umgebener Hof. Diese Häuser dienen zu 
Vorratskammern und Schlafräumen (^ekula") für die Weiber und 
Kinder, während die Männer gewöhnlich in dem grofsen Hause 
schlafen, wo sich auch Ziegen und Schafe aufhalten. Verschiedene 
Häuser, besonders die der Könige, waren sehr grofs und wohlgebaut, 
sowie mit einer Thür oder Doppelthüren in ordentlich zugehauenen 
Thürrahmen versehen. Die von dünnen Sprossen gemachten Thüren 
waren sehr dicht und leicht und hingen in Angeln aus Schling- 
gewächsen. Eine Art Klappstühle mit Sitzen von Antilopenfell war 
sehr gebräuchlich. Dieselben Gestelle für Wasserkrüge und Trink- 
gefäfse, wie in Bomboko kamen auch hier vor, dazu gab es noch 



— 40 — 

Tische, einfach wohl und primitiv, die aber doch einen ferneren Be- 
weis von der Überlegenheit dieses Volkes über seine Nachbarn in 
Bomboko und Ba-kwileh lieferten. 

Die Bevölkerung, die sich auf ungefähr 400 Seelen beläuft, ge- 
hört dem Bakundustamme an, welcher sich, besonders was die 
Sprache betrifft, von Ba-kwileh unterscheidet. Ndibe verständigte 
sich recht gut mit den Leuten, die Träger verstanden aber oft nichts 
von dem, was gesprochen wurde. Viele Wörter sind jedoch in beiden 
Sprachen gleich, so dafs man sich gegenseitig leidlich, wenn auch 
mit einigen Schwierigkeiten, verständlich machen kann. Die Haut- 
farbe ist die nämliche wie bei Ba-kwileh, mit Ausnahme der sehr 
hellen, gelben Farbe, die unter den letzteren vorkommt und den 
Bergbewohnern eigentümlich zu sein scheint. In den Gesichtszügen 
unterscheiden sich beide Völker wenig. Bei einem Teile der Ba- 
kundus ist die Unterlippe sehr grofs und steht weit über die Ober- 
lippe hervor. Manche haben stark markierte Züge und gleichen sehr 
den Haussas. 

Die Leute sind sehr dem Tanz und Spiel ergeben. Hier in 
Balombi-ba-Kotta wurden wir Zeugen eines sehr gebräuchlichen 
Spieles, „Ekal6^ genannt. Einer, der in ein vom Kopfe bis zu den 
Füfsen reichendes Kostüm aus Gras gesteckt war, lief die Strafse, 
soviel er nur konnte, auf und ab, gefolgt von einem Haufen lärmender 
und trommelnder Männer, die mit langen Peitschen versehen waren, 
womit sie alle schlugen, die ihnen in den Weg kamen. Es kam je- 
doch selten vor, dafs sie jemanden trafen, denn alles eilte in die 
Häuser, sobald sich in der Ferne das Trommeln hören liefs. In fast 
jedem Bakundudorfe ist mitten auf der Strafse ein Tanzplatz, der durch 
zwei an den Spitzen ausgeschnittene und gemalte Stangen, so wie durch 
einen vor der gröfseren derselben liegenden Stamm bezeichnet ist ; bei 
dem letzteren hat die Musik ihren Platz. Am Tage nach unsrer 
Ankunft in Balombi-ba-Kotta arrangierte man einen Tanz, bei dem 
die Musik aus zwei grofsen und fünf kleinen sehr hübschen Trommeln 
bestand. Eine der grofsen war ganz aus Holz und wurde von zwei 
Leuten mit dicken Holzschlägeln bearbeitet, die übrigen Trommeln 
waren mit Häuten überzogen und diese schlug man lediglich mit 
den Händen. Nachdem die Musik eine Weile ihren Fortgang ge- 
nommen hatte, kamen aus dem Volkshaufen zwei Jünglinge hervor, 
die ein weites Stück auf die Strafse hinausliefen, dann umwendeten 
und Seite an Seite auf die Musik zu tanzten. Der eine war der 
eigentliche Tänzer, der andre der Schüler, dessen Aufgabe es zu 
sein schien, den Bewegungen des andern so genau und gleichzeitig 
wie möglich zu folgen. Der Lehrmeister oder Vortänzer änderte 



— 41 — 

unaufhörlich seine Tanzweise, wendete plötzlich, lief zurück und 
fing den Tanz wieder an. Oft geschah es, dafs der Schüler bei 
einer Wendung oder Veränderung in der Tanzart zurückblieb, was 
dann immer viel Heiterkeit bei den Umstehenden erregte. Nachdem 
dieses Paar fertig war, trat ein andres vor und tanzte ebenso wie 
das erste. Durch diesen Tanz hatten mehrere der Jünglinge eine 
solche Fertigkeit in schneller und sicherer Auffassung gewonnen, 
dafs sie fast nie Fehler machten. Für die kleineren Jungen gab 
es auch ein Spiel, welches dazu bestimmt war, deren Gedächtnis 
und Auffassungsvermögen zu schärfen. Von vielen verschiedenen 
Stellen trugen sie Holzscheite zusammen und warfen sie durchein- 
ander auf einen grofsen Haufen mitten auf der Strafse. Ein älterer 
Mann hatte die Aufsicht über das Spiel und auf ein Zeichen von 
ihm stürzten die Jungen auf den Holzhaufen los, wobei jeder die 
Stücke, die er auf denselben geworfen hatte, herauszuziehen suchte ; 
der, welcher nicht die rechten Holzscheite nahm, wurde von den 
übrigen unbarmherzig durchgeprügelt. Nach Sonnenuntergang nahm 
der Tanz wieder seinen Anfang. Die Musik war dieselbe wie vor- 
her und die Tanzenden schlössen einen Kreis rings um ein grofses 
Feuer mitten auf der Strafse. An dem Tanze beteiligten sich 
Männer und Knaben von jedem Alter, jedoch keine Frauen. Der 
Tanz glich dem der Ba-kwilehs, war aber einförmiger, die Be- 
wegungen schneller und weniger markiert, dagegen bot der Gesang 
mehr Abwechselung und hatte bisweilen einen recht hübschen Re- 
frain. Dieser war jedoch nicht so stark und weit schallend wie 
derjenige der Ba-kwilehs, der etwas von der Kraft der Berge an 
sich zu haben schien. Den Tanz führte ein Mann mit einem langen 
Fliegenwedel in der Hand an, ihm folgten die Männer, dann kamen 
die Jünglinge und zuletzt die kleinen nackten Jungen. Alles, was 
der Vortänzer that, wurde von den übrigen nachgemacht; mitunter 
lief er in den Ring hinein, um die Jungen bange zu machen, wenn 
sie Fehler begingen. 

Überall auf den Strafsen schwärmten grofse Haufen von Jungen 
unter mutwilligem Spiele herum; auf sie deutend sagte einer der 
Könige zu mir: „Hier sind viele Knaben, du mufst Schule machen 
und sie Buch lehren". Auf allen Stellen, wo der Missionär Thom- 
son vorher gewesen war, hielten mich die Einwohner für ihn. 

Einige grofse Bäume im Dorfe und die ganze übrige Insel 
bilden das Nachtquartier für Millionen Papageien aus dem umliegenden 
Lande. Ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang beginnen sie 
von allen Richtungen her einzutreffen und bilden bald einen ununter- 
brochenen, immer dichter und dichter werdenden Flug. In kurzer 



— 42 — 

Zeit sind alle Bäume derartig von ihnen besetzt, dafs auch nicht 
ein kleiner Vogel sich dort setzen könnte, ohne Verwirrung hervor- 
zubringen. Unter betäubendem Lärm und Geschrei drängen und 
schlagen sie sich hier um die Plätze. Bisweilen kommt ein grofser 
Schwärm und läfst sich auf einen schon besetzten Baum nieder, was 
zur Folge hat, dafs ein paar Hundert von ihren Plätzen herabfallen. 
Nach einem kleinen Ausflug zum See kehren diese zu demselben 
oder einem benachbarten Baum zurück, um dort wieder dieselbe 
Verwirrung anzurichten. Erst mit Einbruch der Dunkelheit tritt 
Ruhe unter der bunten Menge ein, allein beim ersten Tagesgrauen, 
bevor noch die Sonne über dem Horizont erschienen ist, geht der 
Lärm von neuem los. Jetzt müssen sie an ihre Tagesarbeit, sich 
Futter zu schaffen. Bald erhebt sich eine Wolke, dicht genug, die 
Sonne zu verdunkeln, wenn diese schon so frühzeitig aufgegangen 
wäre. Die Wolke teilt sich jedoch schnell nach allen Richtungen 
der Windrose und zu der Zeit, wenn die Menschen aus ihren 
Wohnungen blicken, ist gewöhnlich keine Spur mehr davon zu sehen. 
Die Papageien werden von den Bewohnern der Insel für heilig ge- 
halten und deswegen nie gestört. 

Am Morgen des 28., als die Luft noch klar war, zeigte der 
Kamerunberg seine ganze gewaltige, imposante Masse in der Ferne. 
Da auch die Spitze selbst, Mongo-ma-Lobah, nicht, wie sonst ge- 
wöhnlich, unklar und verhüllt war, konnten wir die Richtung von 
derselben nehmen und erhielten diese mit 43® 56' W. ohne Ab- 
weichung, die hier ungefähr 17® beträgt. 

Die Insel ist hoch und aus Lava gebildet, wie auch eine andre 
kleine Insel, die nördlich von dieser liegt und mit Kokospalmen be- 
pflanzt ist. Die Ufer des fast kreisrunden Sees sind ebenfalls an 
verschiedenen Stellen sehr hoch. Wie der See entstand, ist Sache 
der Geologen zu entscheiden, mir kam er wie ein ehemaliger, jetzt 
mit Wasser gefüllter Krater vor. Da er schon vorher von mehreren 
Reisenden besucht worden war und da der Entdecker Comber ihn 
so genau (?) erforscht hatte, indem er in einem Kanoe den Ufern 
folgte, unterliefsen wir es, eine weitere Untersuchung anzustellen, 
was wir jedoch bald bereuten. Comber sagt in seiner Beschreibung 
des Sees, dafs derselbe durch einen kleinen Bach in den Mungo 
abfliefse. Schon die Beschaffenheit des Seewassers liefs die Richtig- 
keit dieser Angabe als zweifelhaft erscheinen. Als wir am 28. die 
Insel verliefsen und gerade an dem Punkte ans Land gingen, der 
auf Combers Karte als der Anfang des Ablaufflusses bezeichnet ist, 
wünschten wir die Richtung desselben zu erfahren, allein alle Balombi- 
bewohner erklärten einstinunig, dafs der See keinen Abfiufs habe, 



— 43 — 

weder hier noch an irgend einer anderen Stelle. Wir fanden hier 
nur eine lange schmale Bucht, aber keinen Strom. Comber besuchte 
den See im November beim Schlüsse der Regenzeit, wo der Wasser- 
stand am höchsten ist, und es ist möglich, dafs er dann einen Abflufs 
für sein überflüssiges Wasser hat. Wie es aber auch damit sein 
mag, gewifs ist, dafs der See jetd am Schlttsse der trocknen Jahres- 
zeit kernen Ahflufs hesafs. Das wenige Wasser, welches ihm durch 
den Manatunge zugeführt wird, macht nicht mehr aus, als- was an 
der Oberfläche des Sees wieder verdunstet; das Wasser im See ist 
sehr warm. 

Unser Weg vom See führte in nordöstlicher Richtung durch 
dichten Wald, wobei wir einen Flufs, Nianjo, lind mehrere Bäche 
passierten, bis wir im Dorfe Baji ankamen. Die Häuser in dem- 
selben, wie in allen andern Bakundudörfern, waren an beiden Seiten 
einer Strafse erbaut. Bei unsrer Ankunft stand ein Weib, an 
einen Pfahl gebunden, mitten auf der Strafse und wehklagte. Wir 
gingen zu ihr und erkundigten uns nach der Ursache, worauf sie 
berichtete, dafs eines ihrer Kinder, einige Tage alt, gestorben sei 
und dafs man sie angeklagt habe, es getötet zu haben, was sie 
natürlich in Abrede gestellt hätte. Um die Wahrheit herauszu- 
bekommen, war zu dem in allen diesen Ländern gebräuchlichen 
Mittel gegriffen worden: sie mufste „Sassawood^"') trinken. Dieses 
war nun nicht wieder heraufgekommen, sie war also schuldig und 
war gebunden worden, um am nämlichen Abend hingerichtet zu 
werden. Während wir uns hierüber erkundigten, sammelte sich 
eine grofse Menge Volk um uns, allein alle waren sehr furchtsam, 
die Frauen und Kinder liefen schon, wenn man sie nur ansah. Wir 
erklärten, dafs die gemachte Probe nicht die Schuld der Frau er- 
wiesen habe, weshalb es unrecht sei, sie zu töten. Sie wurde 
darauf von Ndibe losgemacht und in das uns als Quartier ange- 
wiesene Haus geführt. Nun gab es grofses ^^Palaver^. Wir forderten, 
dafs der König der Frau gestatten solle, uns bis zu ihrer Heimats- 
gegend zu begleiten, die in der Richtung lag, wohin wir wollten, 
oder auch mit der Hand auf der Bibel versprechen möge, sie nicht 
zu töten.®) Er wollte jedoch weder auf das eine, noch auf das 
andre eingehen und die Beratung wurde sehr langwierig. Ndibe 



^) Wasser mit einem Zusatz eines bittern Saftes, der aus der Wurzel 
eines in den Wäldern überaU wachsenden Busches gewonnen wird. 

®) Die Furcht der Küstenneger vor Büchern, besonders der Bibel, hatte 
sich sogar bis hierher verbreitet. Sie glauben, sicher sterben zu müssen, wenn 
sie mit der Hand auf der Bibel lügen oder etwas versprechen und es nachher 
nicht halten. 



— 44 — 

verfocht die Saclie der Frau mit grofsem Mute und vielem Eifer, 
so dafs ich einen Augenblick glaubte, dafs er es, trotz seiner schwarzen 
Haut, der guten Sache wegen und aus Mitleiden für das Weib thue, 
allein bald trat seine echte, habsüchtige, durch und durch gemeine 
Negernatur zu Tage, als er sagte, er wolle die Frau gegen Über- 
lassung von zwei grofsen Ziegen zurückliefem. Als wir hinter diese 
Gemeinheit kamen, brachen wir jede fernere Unterhandlung mit der 
Erklärung ab, dafs wir die Frau mit uns nehmen würden. Kurz 
vor der Zeit, da wir am folgenden Tage abreisen wollten, kamen 
viele Leute in das Haus, in dem wir waren, und die Frau, die sich 
in einem kleinen Seitenraum aufhielt, wurde wohl nur einige Minuten 
ohne Aufsicht gelassen; es gelang ihnen, sie fortzuführen, ein 
Loch in der Wand zeigte den Weg, welchen man genommen hatte. 
Es ist jedoch wahrscheinlich, dafs einer oder einige von unsren 
Leuten hülfreiche Hand bei diesem Streich geleistet hatten, der 
sonst wohl nicht gelungen wäre. Ndibe und die Träger griffen in- 
dessen zu den Gewehren und stürzten auf die Strafse hinaus, um 
das Weib wiederzuerlangen, was jedoch nicht glückte; sie war und 
blieb verschwunden. Alle Einwohner zerstoben wie Spreu vor dem 
Winde, als sie unsre Leute mit den Gewehren in der Hand erblickten. 
Auch unsre Führer aus Balombi-ba-Kotta verschwanden, als sie 
diese drohende Demonstration sahen. Mit einiger Schwierigkeit er- 
hielten wir einen Führer von unserm Wirte und setzten uns in Marsch. 
Bald kamen wir nach dem „Batanga" (Sklavendorf) von Baji. 
Bei dem Bakunduvolk findet man nämlich Sklaven in grofser Zahl 
und diese wohnen gewöhnlich in einem besonderen Dorfe, Batanga 
genannt, beisammen, welches in der Nähe desjenigen liegt, das von 
ihren Herren bewohnt wird. Im allgemeinen haben die Sklaven es 
recht gut. Die ihnen obliegende Arbeit, die Anpflanzungen zu be- 
sorgen, ist nicht sonderlich drückend und von ihren Herren werden 
sie mit Frauen und allem, was sie gebrauchen, versehen. Was ihre 
Lage jedoch weniger beneidenswert macht, ist der Umstand, dafs 
ihre Kinder auch wieder Sklaven werden, und dafs sie ihren Herren 
gegenüber rechtlos dastehen, die ihnen ohne weiteres das Leben 
nehmen können, wenn sie wollen. Es kommt indessen äufserst selten 
vor, dafs letztere sich dieses Rechtes bedienen, oder dafs die Sklaven 
mifshandelt i)der zu ihre Kräfte übersteigenden Arbeiten gezwungen 
werden. Es würde dies auch sehr unklug sein, denn in solchem 
Falle würden sie entlaufen. Im Interesse ihrer Herren liegt es daher, 
sie durch möglichst gute Behandlung an sich zu fesseln. Sie führen 
denn auch ein so glückliches Leben, wie es für Sklaven nur möglich 
ist. In ihren eigenen Häusern wohnend, von ihren Familien umgeben 



— 45 -^ 

und von ihren Herren getrennt, haben sie in den Plantagen eine 
fast unabhängige Existenz. Sie sehen auch gewöhnlich froh und 
zufrieden aus und man findet bei ihnen oft mehr Trommeln, Ekalft- 
peitschen und dergleichen, auf Tanz und Spiel hindeutende Sachen, 
als bei ihren Herren. In der Nähe des Sklavendorfes fanden wir 
einen hübschen Beweis von der Thätigkeit der Sklaven; aufser den 
gewöhnlichen Anpflanzungen von Plantanen gab es hier grofse Felder, 
die mit Mais und Bohnen besäet waren. Jedes Beet war mit Stangen 
versehen und etwas erhöht; zwischen den Beeten führten oft kleine 
Gänge entlang, alles war geordnet und sauber, Unkraut war nicht 
zu entdecken, es war, als ob man plötzlich in einen wohlgepflegten 
europäischen Garten versetzt worden wäre. Nachdem wir diese 
Anpflanzungen passiert hatten, trafen wir hier und da zwischen den 
Plantanenbäumen kleine Häuser an, in denen die Sklaven des Nachts 
ihre Plantagen gegen die Elefanten bewachen, die mit Trommeln 
und Lärm empfangen werden. 

Nach einem kurzen, aber schnellen Marsch kamen wir in 
Bakundu-ba-Bakää an, einem ausgedehnten, aus grofsen, prächtigen 
Häusern bestehenden Dorfe. Das Haus des Königs, das uns zum 
Quartier angewiesen wurde, war mindestens 20 m lang. Der König 
gilt als sehr reich, u. a. ist er Eigentümer von 23 Sklaven. An der 
Decke seines Hauses hing zwischen Trommeln und Tierschädeln 
auch der Schädel eines Sklaven, an jeder Seite mit einem weifsen 
Flecke bemalt. Die Einwohner schienen im Anfange zurückhaltend 
und mifstrauisch, wurden aber bald vertraulich und sehr freundlich. 
In der Nähe des Dorfes strömt ein Flufs, der Byle, der kleine Fische 
enthielt, welche von dem Volke mit einer Art Hamen gefangen 
wurden. Knutson und ich nahmen hier ein erfrischendes Bad. Am 
Abend brach ein heftiger Tornado aus. Am folgenden Morgen 
verehrte uns der König ein prächtiges fettes Schaf, das sofort von 
Wokomia expediert wurde. Später am Vormittag wurde das Volk 
zu einem Palaver zusammenberufen, und nach einiger Beratung 
erklärten die Versammelten, dafs sie alle viel auf weifse Männer 
gäben und wünschten wir möchten uns bei ihnen niederlassen. Als 
wir erklärten, dies nicht thun zu können, wünschten sie, wir möchten 
ihnen sonst jemanden schaffen, und ihnen zu diesem Zwecke eine 
schriftliche Empfehlung geben, die sie dem ersten Weifsen, der 
etwa nach uns das Dorf besuchen würde, zeigen könnten — wir 
sollten sodann nach unsrer Rückkunft versuchen, jemanden aus 
unserm Lande zu veranlassen, zu ihnen zu kommen. Da das Dorf 
grofs ist — es hat ungefähr 1200 Einwohner — und Überflufs an 
Lebensmitteln und gutem Wasser besitzt, kann es recht geeignet zur 



— 46 — 

Anlage einer Missionsstation sein. Mit einem Flufsdampfer kann 
man von Kamerun aufwärts nach Bakundu-ba-Nambeleh kommen 
und von da sind es nur zwei Tagesmärsche bis Bakundu-ba-Bakäa. 
Um den Leuten den Willen zu thun, schrieben wir ihren Wunsch, 
einen weifsen Mann zu bekommen, sowie die Preise auf, zu 
welchen sie sich bereit erklärten, demselben Lebensmittel liefern 
zu wollen. Das „Aktenstück" wurde in zwei Exemplaren auf- 
gesetzt, die der König und die Häuptlinge unterschrieben. Der 
König bekam das eine, während wir das andre behielten. Als Be- 
weis, wie billig hier alles ist, mag erwähnt werden, dafs der Preis 
für ein grofses Bund Plantanen 10 Blätter Tabak oder einen Faden 
schmalen Zeuges beträgt, 2 Eier oder 3 Kokosnüsse kosten ein Blatt 
Tabak, eine ausgewachsene Ziege 8 Faden Zeug und eine ebensolche 
Kuh 32 Faden. Bakundu-ba-Bakäa produziert viel Öl und die 
Aufkäufer dieses Artikels kommen sowohl von Bakundu - ba - Nam- 
beleh, wie auch von Old Calabar, für welchen letzterwähnten Platz das 
Dorf den entferntesten Handelsort nach dieser Richtung bilden dürfte. 
Mitten auf der langen und breiten Strafse lagen drei Götzen- 
häuser in gleichem Abstände von einander. Dergleichen finden sich 
in allen Bakundudörfern ; sie sind lang und breit, haben aber niedrige, 
oft mit Mörtel beworfene Wände. Im Hause stehen ein bis zwei 
Stangen, denjenigen auf der Strafse bei den Tanzplätzen ähnlich und 
mitunter mit breiten schwarzen und weifsen Gürteln bemalt. In 
einigen der Häuser finden sich auf den Stangen ausgeschnittene 
Menschenfiguren, sowie ^diejenigen in Soflfo; in andern dergleichen 
Häusern kommen selbständige menschliche Bilder von ungefähr 
1,5 m Höhe vor, die in eine Tracht, ähnlich der, die beim ;,Ekal6" 
getragen wird, gekleidet sind. Diese Tracht besteht hier und in 
den übrigen Bakundudörfern, die wir besuchten, nicht wie in 
Balorahi-ba-Kotta, aus Gras, sondern aus einer Art losem Trikotge- 
webe, das aus den Blattfibern der Kokospalme gemacht wird. Eine 
in diese Tracht gekleidete Person hat nur Hände und Füfse blofs. 
Dasjenige Stück davon, welches den Kopf bekleidet, kann aufgenommen 
und zurückgeschlagen werden. An diesem sitzen im Nacken ein 
Paar geschickt nachgemachter Schmetterlingsflügel und ein dicker, 
bauschiger Kragen; kleine derartige Kragen befinden sich auch an 
den Hand- und Fufsgelenken. Die Tracht ist gewöhnlich in zwei 
verschiedenen Farben bemalt, wie schwarz und weifs oder roth und 
gelb u. a. Zu der Ausrüstung gehört, aufser der unentbehrlichen 
Peitsche, auch eine grofse Glocke, die nach hinten zu befestigt ist 
und mit welcher dann und wann während des Tanzes oder Spieles 
geläutet wird. Wenn die Sache anständig sein soll, wie hier in 



_ 47 — 

Bakundu - ba - Bakäa , wird ein Vortänzer angewendet, dessen Be- 
wegungen sämtlich vom „Ekalö^ genau nachgemacht werden. Beide 
legten grofse Geschmeidigkeit und Schnelligkeit in allen ihren Be- 
wegungen an den Tag. Ein paar Dutzend Männer sangen zum 
Tanze, der zuerst vor uns im Hause des Königs veranstaltet wurde. 
Nachdem dieselben hier eine ziemliche Zeit lang ihre Leistungen ge- 
zeigt hatten, eilten sie auf die Strafse und setzten den Tanz durch 
das ganze Dorf fort, gefolgt vom Chore. 

Der oben erwähnte Gott, dessen Name Niengbe ist, scheint sich 
hauptsächlich mit Wöchnerinnen und mit Jägern zu befassen. Wenn 
ein Weib unfruchtbar ist, geht sie zu Niengbe und bittet ihn um 
Kinder; ein Jäger der „nichts bekommen" hat, bittet ihn um besseres 
Glück für das nächste Mal und der Bittende kann der Erhörung 
sicher sein, wenn er oder sie sich nicht an dem Gotte durch Ver- 
nachlässigung gewisser Formalitäten versündigt hat, in betreff welcher 
er es sehr genau nehmen soll. In dem Hause eines jeden Bakundu- 
Königs oder -Häuptlings findet man unter der Decke ein grofses 
rechtwinkeliges Gestell von dünnen Sprossen, von dessen Aufsenkante 
mehr als fufslange Fransen von Palmblattfibern herabhängen. Diese 
Einrichtung wird nach Niengbe benannt und zeigt, dafs das Dorf 
Gesetze hat, die unter dem Schutze des erwähnten Gottes stehen, 
und welche gegen Diebe und andre Schelme gerichtet sind. Das 
Gesetz wird, wie man sagt, vom Volke genau befolgt und ist sehr 
strenge; so wird z. B. derjenige, welcher stiehlt, als Sklave in ein 
andres Dorf verkauft. 

Am 31. verliefsen wir das gastfreie Dorf und passierten ein paar 
km davon dessen „Batanga'' oder Sklavendorf, das 14 Häuser zählte. 
Drei und einen halben km weiter kamen wir an ein andres aus 
22 Häusern bestehendes Sklavendorf, welches zu einem Dorfe, Ekumbi- 
ba-Bänschi gehörte, das wir auch bald erreichten, nachdem wir vor 
demselben den Byle passiert hatten, der an dieser Stelle seinen Lauf 
nach Osten hat. Ekumbi-ba-Bänschi ist eines der grölsten Dörfer, 
die wir während unsrer Expedition besuchten: die Strafse hatte 
eine Länge von ungefähr 700 m. Wir sahen hier mehrere Frauen 
und Kinder, die am ganzen Körper rot bemalt waren. Es ist nämlich 
in dieser Gegend Sitte, dafs, wenn eine Frau ein Kind bekommen 
hat, sie und ihre ältere Nachkommenschaft sich rot anmalen, um 
allen Menschen das grofse Glück zu zeigen, welches ihrem Hause 
widerfahren ist. 

Von diesem Dorfe bis nach Mbu erstreckt sich ein ununter- 
brochener Urwald, in dem viele Elefanten vorkommen, die ungleich 
ihren Verwandten auf dem Berge, jeden Menschen, sobald sie ihn 



— 48 — 

nur sehen, wie unsinnig anfallen. Am Morgen des Tages, an welchem 
wir ankamen, waren einige Männer im Walde gewesen, um Bau- 
material zu einem Hause zu fällen, hatten aber Elefanten getroffen 
und nach dem Dorfe umkehren müssen. Den Weg, welchen wir 
bis hierher verfolgt hatten, hatte einige Jahre zuvor der Missionar 
Thomson auf seiner Reise nach Mbu eingeschlagen, dessen Entdecker 
er ist. Bei seiner Ankunft hier hatte man ihm auf das Eifrigste 
von einer Fortsetzung seiner Reise abgeraten; er liefs sich aber 
nicht abschrecken. Nachdem er seinen Weg ein gutes Stück verfolgt 
hatte, geriet er jedoch mitten in eine Elefantenheerde hinein, wobei 
alle seine 30 Träger ihre Last von sich warfen und in Todesangst 
davon liefen, — Thomson hinterher. Eine Frau, die ihnen vom Dorfe 
aus gefolgt war, wurde von den Elefanten eingeholt und getötet. 
Am nächsten Tage wurden die im Stiche gelassenen Sachen von 
einer grossen Menge Leute aus dem Dorfe zurückgeholt, die mit 
Gewehren und Trommeln versehen waren und damit einen furcht- 
baren Lärm machten, um die Elefanten zu verscheuchen. Thomson 
liefs seine Träger und seine Sachen im Dorfe und ging, nur von 
einem Victoriamanne und einem Führer aus dem Dorfe begleitet, 
nach dem See. Ndibe, der Thomson auf dieser Reise begleitet hatte, 
war nun von dem gröfsten Entsetzen vor Elefanten erfüllt und setzte 
durch seine Erzählungen auch die Träger in Schrecken. Man riet 
uns, es ebenso wie Thomson zu machen, unsre Sachen im Dorfe 
zu lassen und nur einige mit Gewehren versehene Leute mitzunehmen. 
Da wir jedoch hofften, von Mbu aus in nördlicher oder westlicher 
Richtung nach von Weifsen bisher unbesuchten Gegenden vordringen 
zu können, mufsten wir alle Leute und alle unsre Sachen mit uns 
haben und mit grofsen Schwierigkeiten glückte es uns schliefslich, 
Führer zu bekommen. Am Abend, nach Sonnenuntergang, wurde 
uns zu Ehren ein Tanz veranstaltet, an dem nur Frauen und Mädchen 
teilnahmen. Alle gingen hintereinander her im Kreise herum und 
schlugen mit den Händen den Takt zum Gesänge. Die Tanzenden 
wurden von einer Öllampe beleuchtet, die an einer Stange in der 
Mitte des Ringes befestigt war. 

Früh am folgenden Tage brachen wir nach Mbu auf. 



49 



Dänische Untersuchungen in Grönland. 

Von Premierleutnant C. H. Ryder. 



In Heft 4, Band Vin. dieser Zeitschrift brachten wir aus der 
Feder des ausgezeichneten Grönlandskenners Herrn Justizrat Rink einen 
Bericht über die neueste dänische Expedition nach Ost-Grönland. In 
nachstehendem können wir nun einen Überblick über jene für die 
arktische Forschung so hoch bedeutenden Unternehmungen über- 
haupt und insbesondere über die neuesten Forschungen in West- 
Grönland aus der Feder eines Teilnehmers geben. D. Red. 

Im Jahre 1875 reichte Professor Johnstrup einen Vorschlag, in 
Grönland wissenschaftliche Beobachtungen und Untersuchungen vor- 
zunehmen, an das Ministerium des Innern ein und die Regierung 
bewilligte auch die zu diesem Zwecke notwendigen Gelder. 

Infolgedessen wurde 1876 eine Expedition ausgesandt unter der 
Leitung des Assistenten Steenstrup, welcher schon früher 1871, 1872 
und 1874 geognostische Untersuchungen in Grönland ausgeführt hatte. 
An der Expedition nahmen ferner der damalige Premierleutnant der 
Marine G. Holm und Kandidat poly t. Kornerup teil und wurde in diesem 
Jahre der gröfste Teil des Julianehaab-Distrikts von 60 ^ 40 ' bis 61 ^ 
nördl. Br. untersucht und kartographisch niedergelegt. 

Im nächsten Jahre untersuchten Steenstrup und der Premier- 
leutnant der Marine J. A. D. Jensen Teile des Frederikshaab- und 
des Julianehaab-Distrikts. 

Zur Leitung der Untersuchungen in Grönland wurde 1878 eine 
Kommission ernannt, bestehend aus Professor Johnstrup als Vor- 
sitzenden, Marineminister Ravn und Dr. Rink. Diese Kommission hat 
alle spateren Expeditionen entsendet und deren Resultate in den „Med- 
delser om Grönland" (Mitteilungen über Grönland) veröffentlicht. 

In demselben Jahre wurden zwei Expeditionen ausgesendet. Die 
eine, unter Leitung von Leutnant Jensen und Teilnahme seitens des 
Kandidat Kornerup und des Architekten Groth unternahm die bekannte 
Wanderung auf dem Inlandseise beim Frederikshaab-Gletscher bis zu 
den etwa 10 Meilen vom Eisrande liegenden Nunatakker, und es 
wurde ferner eine Karte über die Strecke von 64® bis 62® 30' 
aufgenommen. 

Die andre in diesem Jahre ausgesandte Expedition stand unter 
d^ Leitung von Kandidat Steenstrup. Er überwinterte während zweier 
Jahre in der Kolonie Umanak in Nord-Grönland, und untersuchte 

Geogr. Blfitter. Bremen. 1886. \ 



— 50 — 

und vermafs die Strecke von 72^ 30' bis 70^ 30' nördl. Br. Von 
dieser Reise brachte Steenstrup die berühmte Sammlung von 
Pflanzenversteinerungen heim, welche später von Professor Oswald 
Heer in Zürich bearbeitet worden ist. 

Im Jahre 1879 wurde eine Expedition unter der Leitung von Leut- 
nant Jensen mit Kandidat Kornerup und Leutnant Hammer entsandt. 
Die Herren bereisten und lieferten eine Karte über die Küstenstrecke 
zwischen den Kolonien Egedesminde und Holstensborg von 68® 30' 
und 67® nördl. Br. 

Leutnant Hammer führte im Winter 1879 — 80 die Vermessung 
zwischen den Kolonien Christianshaab und Jacobshavn, sowie Unter- 
suchungen über die Bewegungen des Eises in dem . Jacobshavn-Fjord 
aus. Er kam hier ebenso wie Steenstrup bei den Gletschern des 
Umanak-Fjords zu dem interessanten Resultat, dafs die tägliche 
Bewegung sich bis zu 50 Fufs steigern könne. Im Sommer 1880 
arbeiteten Steenstrup und Hammer gemeinschaftlich, umsegelten die 
Disko-Insel und lieferten eine Karte derselben wie auch der Küsten 
des Waigats. 

Leutnant Holm, begleitet von Architekt Groth und Kandidat 
C. Petersen, untersuchten im Laufe desselben Jahres die Ruinen der 
Wohnplätze der alten Nordmänner im Julianehaab - Distrikt, das 
Öesterbygd der Alten, und sammelten, besonders durch Unterredungen 
mit einem Eingeborenen der Ostküste „Junk", der Handels halber 
nach der Ausliegerstelle Pamiagdluk gekommen war, wichtige Auf- 
klärungen über die Ostküste ein. Junk erklärte sich bereit an einer 
eventuellen Weiberbootfahrt längs der Ostküste teilzunehmen. 

1881 reiste Leutnant Holm, begleitet von Kandidat Sylow, von 
Pamiagdluk um Kap Farvel herum an der Ostküste hinauf bis 
Kangerajuk (60^ 15' nördl. Br.) an der Mündung des Lindenow- 
Fjordes. Die Absicht bei dieser Reise war wesentlich Erkun- 
digungen einzuziehen und die Expedition vorzubereiten, welche nach 
2V2Jährigem Aufenthalt dort oben voriges Jahr heimgekehrt ist. Er 
traf dort auch zusammen mit 4 Böten der Heiden mit einer Be- 
satzung von etwa 50 Menschen, Erwachsene und Kinder. Indem er 
diese ausfragte, erhielt Leutnant Holm viele gute Beiträge zu der 
Kenntnis ihrer so wenig bekannten Heimat. 

Die eigentliche Expedition hätte nach der Bestimmung im 
Jahre 1882 von Dänemark abgehen sollen, sie wurde jedoch wegen 
Erkrankung des Leutnants Holm um ein Jahr verschoben. 

1883 untersuchte Leutnant Hammer im Verein mit Kandidat 
Sylow und Reserveleutnant Larsen die Strecke zwischen Christians- 
haab und Egedesminde. In demselben Jahre wurde nun auch 



— 51 — 

Leutnant Holm als Chef einer gröfseren Expedition nach der Ost- 
küste ausgesandt. 

Im Jahre 1884 besuchte der dänische Kriegsschuner ;,Fylla^, 
Kapitän C. Normann, die grönländische Küste von 64 ^—69 ® n. Br. 
und nahm Tiefen- und Temperaturmessungen in der Davis-Strafse, 
sowie Untersuchungen mit Schleppnetz vor. 

Leutnant Jensen bereiste in demselben Jahre mit dem Marine- 
maler Riis Carstensen das breite Land, welches sich zwischen 67 ^ und 
65^ 30' zwischen dem Inlandseise und der Küste findet, und diese 
Untersuchungen wurden 1886 bis hinunter auf 64 ® von einer Expe- 
dition fortgesetzt, welche unter der Leitung von Leutnant Jensen, 
Kandidat Hansen und Schreiber dieses bestand. 

Die Expedition ging von Kopenhagen in der Bark ,,Thorvaldsen** 
des Königlich grönländischen Handels am 24. März ab und^passierte 
Fair hill am 3. April morgens. Mit frischen bis steifen östlichen 
und nordöstlichen Winden segelten wir über den atlantischen Ozean 
uÄd waren schon am 11. auf der Länge von Kap Farvel. Der 
frische östliche Wind war mittlerweile in einen Sturm übergegangen, 
so dafs wir beidrehen mufsten. Am 16. April auf 58 ^ 4ä' n. Br. 
und 50^ 8' w. L. erreichte der Sturm orkanartige Stärke, hatte 
aber damit~auch ausgerast und am Nachmittag des 17. war wieder 
segelbares Wetter. Wegen Windstillen und schwachen nördlichen 
Winden erreichten wir jedoch erst am 26. die Kolonie Godthaab. 

Auf der ganzen Reise sahen wir nur einzelne Eisschollen, aber 
keine Spur von Grofseis, wie auch die verschiedenen Grönlands- 
fahrer im Laufe des Sommers in der Davis-Strafse so gut wie gar 
kein Eis angetroffen haben. Kapitän Holm berichtet ebenfalls, dafe 
die Ostküste von 66^ nach Süden so ziemlich eisfrei gewesen ist, 
und dies stimmt gut zu dem vorjährigen Bericht des Kapitän Gray 
von Peterhead an Dr. Lindeman, dafs die Ostküste von Shannon- 
Insel bis 66^ Br. im Sommer 1884 beinahe eisfrei gewesen sei. 

Der Winter war in Godthaab ziemlich milde gewesen, aber 
schwache Winde in Verbindung mit gleichmäfsigem Frost im März 
hatten die Bildungfeiner Menge Eis erlaubt, welches an mehreren 
Stellen dem Seehundfang Hindernisse bereitet hatte. 

Nachdem das Schiff bei Godthaab gelöscht und geladen hatte, 
gingen wir am 7. Mai weiter nach Norden, nach der Kolonie 
Sukkertoppen, wo wir am 9. ankamen. 

Sturm aus Südwest mit Schnee und die hohe Eiskante be- 
wirkten, dafs die Expedition erst am 26. Mai die Kolonie auf ihrer 
Beise nach Norden im Weiberboot verlassen konnte. 



— 52 — 

Die Untersuchungen erstreckten sich dieses Jahr von dem 
südlichen Ström-Fjord auf etwa 66 ^ n. Br. bis nach 64 ^ hinunter. Bis 
Mitte Juni lag noch das Winter eis im Innern der Fjorde und ver- 
hinderte uns, bis ganz an ihr Ende vorzudringen. 

Die westliche Grenze des Inlandseises liegt durchschnittlich in 
einem Abstände von 12 — 15 Meilen von der Küste, ausgenommen 
etwas nördlich von Sukkertoppen, wo das Eis einen langen Arm 
aussendet. Nördlich von 65 ® besteht das Land aus wilden zerrissenen 
Bergen, welche sich bis zur Davis - Strafse erstrecken und binnen 
im Ewigkeits-Fjord ihre gröfste Höhe von 5000 — 6000 Fufs erreichen. 
Der Fjord, welcher nördlich von dem eben erwähnten Arm des 
Inlandseises liegt, empfängt von diesem eine Menge gröfserer und 
kleinerer Eisberge liefernde Gletscher. Südlich von 65^ ziehen 
sich die hohen Berge weiter von der Küste zurück und geben Raum 
für ein verhältnismäfsig niedriges und ebenes Vorland, welches 
erfüllt ist von vielen gröfseren und kleineren Seen; dieses Vorland 
wird gegen Osten von dem grofsen Godthaab-Fjord (ßaars Revier) 
begrenzt. Aufserhalb des niedrigen Landes wird die Küste von 
einer unzähligen Menge von Inseln umsäumt, welche Myriaden von 
Vögeln Unterkunft gewähren. 

Im Godthaab-Fjord hielten wir uns^ von Anfang August bis in den 
September hinein auf und wurden von seinem inneren Ende aus ver- 
schiedene Touren ins Innere des Landes nach Norden zu ausgeführt. 
Auf einer dieser Exkursionen gelangte die Expedition, indem sie 
einen grofsen Bach hinaufging und das Weiberboot über ein paar 
Stellen hinwegtrug, in einen grofsen See, „Tasersuak^, von dessen 
nördlichem Ende aus über Land ungefähr die Breite von Sukker- 
toppen erreicht wurde. 

Am Ende der innersten Arme des Godthaab-Fjords wurden eine An- 
zahl Ruinen des alten Vesterbygd untersucht. Diese sind durchgehends 
sehr klein und die meisten Punkte so mit Heide und Moos über- 
wachsen, dafs sie ohne einen grönländischen Wegweiser sehr schwer 
zu finden sein würden. Wenn man den südlicher gelegenen Ameralik- 
Fjord mitrechnet, dessen innerstes Ende sich bis nahe zum Godt- 
haabs-Fjord erstreckt, so finden sich in diesem Distrikt etwa 40 Punkte, 
wo Ruinen der Wohnstätten der alten Nordmänner vorhanden sind. 

Wir fanden durch Lotung im Godthaabs-Fjord die gröfste Tiefe 
zu 267 Faden, was sicher die ungefähre Maximaltiefe der Fjorde 
auf der Westküste ist, da die grösfte Tiefe, welche Leutnant Jensen 
auf früheren Reisen in anderen Fjorden gefunden hat, eine ähnliche ist. 

Der Sommer war in der Gegend, wo sich die Expedition auf- 
hielt, durchweg für Reisen und Vermessung günstig und nur wenige 



— 53 — 

Regen- und Sturmtage, besonders Anfangs Juli und August, hinderten 
die Arbeit. 

Am 20. September verliefs die Expedition Grönland und kam 
nach^einer glücklichen unter andauerndem westlichen Winde zurück- 
gelegten Reise über den atlantischen Ozean am 16. Oktober 1885 
in Kopenhagen an. 



Die Erforschung der Neu^Sibirischen Inseln. 



Einleitung. Frühere Bereisungen der Neu-Sibirischen Inseln: Wagin, Ljachof, 
Ssannikof, Wrangel-Anjou. Die Schiffbrüchigen von der „ Jeannette ". Beschreibung 
der Neu-Sibirischen Inseln. Motive und Aufgaben der Expedition des Dr. Bunge. 
Plan der Ausführung. 

Während die Polarforschung fast überall sonst an einem Ruhepunkt 
angelangt zu sein scheint, steht durch eine unter der Ägyde der 
Kaiserlich russischen Regierung von der K. Akademie der Wissenschaften 
in St. Petersburg veranstaltete Expedition eine Bereicherung unsrer 
Kunde der Polarregionen nach einer Richtung hin zu erwarten: 
es ist die gegenwärtig bereits in der Ausführung begriffene Ex- 
pedition des Dr. med. Alexander Bunge nach den Neu-Sibirischen 
Inseln und dem Jana-Lande. Auf Grund eines Vortrags, welchen 
der Akademiker Professor Leopold von Schrenck am 11. Januar 
d. J. in der Akademie der Wissenschaften hielt, unter fernerer Be- 
nutzung einer von diesem Gelehrten vor kurzem veröffentlichten 
Schrift über den Gegenstand^) und mit Zuhülfenahme andern Ma- 
terials sei zu dieser wichtigen Unternehmung einleitend und vor- 
geschichtlich das Nachfolgende bemerkt. 

Die Neu-Sibirischen Inseln im Norden von Sibirien zwischen 
74 und 76 <> nördl. Br. und 138— 152 <> östl. L. Gr. gelegen, sind 
uns vornehmlich durch die in den Jahren 1821 — 23 ausgeführten 
Schlittenfahrten der Wrangel-Anjouschen Expedition bekannt. Die 
Aufgabe dieser Expedition war die genaue Aufnahme der sibirischen 
Eismeerküste östlich von der Lena und die Aufsuchung eines im 
Norden von Sibirien vermuteten Landes. Die Expedition wurde in 
zwei Partien, eine westliche und eine östliche, geteilt, die erstere 
wurde der Führung des Leutnants Anjou anvertraut und dieser 
unternahm mit seinen beiden Steuerleuten Bereshnych und Djin 



*) Zur Vorgeschichte der von der Kaiserlichen Akademie der Wissen- 
schaften ausgerüsteten Expedition nach den Nen-Sibinschen Inseln nnd dem Jana- 
Lande von Leopold von Schrenck, Mitglied der Akademie. Mit einer Karte. 
Si Petersburg 1885. 



— B4 — 

and dem Arzt Figurin drei Jahre hintereinandier, in den Monaten 
Februar, März und April, Schlittenreisen nach den Neu-Sibirischen 
Inseln und von dort in das nordwärts gelegene Eismeer zum Zweck 
der^Entdeckung etwa weiter polwärts gelegener Länder. Auf diesen 
Reisen wurden alle Neu-Sibirischen Inseln ringsum und manche ihrer 
Eüstenstrecken sogar mehrfach befahren und eine grofse Anzahl 
von Punkten astronomisch bestimmt.] 1 

Das geographische Ergebnis war die Karte der Inseln, welche 
wir jetzt haben. Den Verlauf dieser Reisen wie überhaupt J^die 
Entdeckungsgeschichte der Nordküste Sibiriens zwischen den Lena- 
mündungen und der Berings-Strafse hat Verfasser dieses in einem 
längeren, von zwei trefflichen Karten des Herrn B. Hassenstein be- 
gleiteten Aufsatze in Petermanns Mitteilungen, Band 25, 1879, S. 161 
u. flf. auf Grund des ihm damals zugänglichen Materials skizziert. 
Indem wir auf diesen Aufsatz verweisen, möchten wir bezüglich der 
Vorgänger dieser Expedition noch die Bedeutung der Ssannikofschen 
Bereisungen der Inseln in den Jahren 1809 — 11 hervorheben. Aus 
Professor v. Schrencks Darstellung erhellt, dafs es nicht sowohl 
Hedenström, sondern hauptsächlich seinem Begleiter, dem Klein- 
bürger und Arteloberhaupt Ssannikof aus Jakutsk zu danken ist, 
wenn durch diese Expeditionen ein erstes, immerhin anschauliches 
Bild von der Lage und Konfiguration, den oro- und hydrographischen 
Verhältnissen, ja in einigen dürftigen Zügen auch von der übrigen 
Naturbeschaflfenheit der Neu-Sibirischen Inseln gewonnen wurde. An- 
jou unternahm seine Expeditionen in den Wintermonaten, Ssannikof 
verbrachte die Sommer der Jahre 1809 — 11 auf den Inseln und es 
ist namentlich seine mit vom Festlande herübergebrachten Ren- 
tieren unternommene Reise durch und um die Insel Kotelnyi be- 
merkenswert. 

Die Entdeckung der Neu-Sibirischen Inseln verdanken wir 
russischen Kasaken und Händlern. Wie sie der Zobel in die sibirische 
Taiga, das waldbedeckte südliche Sibirien lockte, so veranlafsten 
sie Mammutzähne, welche erfahrungsgemäfs um so kompakter und 
weifser waren, je nördlicher sie gefunden wurden, in die Tundra 
zu dringen. Die gröfste und in meridionaler Richtung längste 
Insel, Kotelnyi, liegt ungefähr unter gleicher Länge mit der nörd- 
lichsten Spitze des Kontinentes im Osten von der Lenamündung, 
dem Swjatoi Nofs (Heiliges Kap) ; zwischen beiden liegen die grofse und 
die kleine Ljachofsche Insel. Im Jahre 1710 berichtete der ustjansker 
Kasak Yakof^Permjakof, dafs er gegenüber dem Swjatoi^Nofs eine Insel 
gesehenhabe. Derjakutische Wojewoda Trauernicht sandte infolgedessen 
elf Kasaken unter Wagins Führung dahin aus. Die Insel wurde zwar 



— 65 — 

entdeckt und auch eine andre hinter ihr sichtbar, indessen ver- 
ursachte der Mangel an Nahrungsmitteln (welcher sogar die Zieh- 
hunde aufzuessen veranlafste) eine Unzufriedenheit, welche eine 
Katastrophe zur Folge hatte. Als die Kasaken Wagins Absicht, die 
Inseln im Winter zu erreichen, merkten, erschlugen sie ihn, 
seinen Sohn und Permjakof und kehrten nach Ustjansk zurück. 
Später wurde sogar die Existenz der Inseln in Zweifel gezogen, 
obwohl im Jahre 1760 der Jakute Eterikan von neuem eine der- 
selben entdeckte. Im Jahre 1770 erblickte der jakutische Händler 
Iwan Ljachof eine in südlicher Richtung ziehende, offenbar über 
das Meer gekommene Bentierherde und beschlofs zu ermitteln, 
woher sie kam. Er ging den Fufsspuren nach und erreichte am 
Abend desselben Tages eine Insel, darauf auch eine zweite. Es 
waren die nach ihm genannte grofse und kleine Ljachofsche Insel. 
Er beanspruchte für sich das ausschliefsliche Recht, die Mammut- 
zähne auf den Inseln zu gewinnen und dieses wurde ihm auch von 
der russischen Regierung erteilt. 

Im Jahr 1773 ging Ljachof mit fünf Mann von neuem aus und 
zwar zu Boot, er entdeckte nun die gröfste der Neu-Sibirischen 
Inseln; sie wurde, da einer der Leute Ljachofs einen Kessel dort 
zurückliefs, Kessel-Insel (Kotelnyi-Ostrow) genannt; Ljachof brachte 
den Winter 1773/74 in einer aus Treibholz erbauten Hütte auf der 
grofsen Ljachof sehen Insel zu. Im Jahre 1805 wurde durch den 
Elfenbeinjäger Fadejef die nach ihm benannte Insel und ferner im 
Jahre 1806 durch Leute von Ssannikof oder diesen selbst die Insel 
Neu-Sibirien, im Jahre 1808 durch Beljkof die nach diesem benannte 
kleine Insel im Westen von Kotelnyi entdeckt. Es folgen die Heden- 
ström-Ssannikofschen Reisen 1809 bis 1811 und die Expedition 
Wrangel-Anjou 1821—23. Seitdem sind die Inseln nur von Elfen- 
beinjägern besucht worden, mit einer Ausnahme: in den ersten 
Tagen des Septembers 1881 nahmen die unglücklichen SchiGFbrüchigen 
der ;, Jeannette"-Expedition von der durch sie entdeckten Bennett-Insel, 
— jenem hohen Lande, das Ssannikof nach seinem Bericht im Jahre 1811 
von Neu-Sibirien aus sah, — herkommend den Kurs mit ihren 
Böten zwischen Fadejef und Neu-Sibirien und um die Südküste von 
Kotelnyi nach dem sibirischen FesÜande. Sie übernachteten sowohl 
auf Fadejef, wie auf Kotelnyi und wenn es auch nicht gelang. Ren- 
tiere, deren Spuren zahlreich, zu schieisen, so spendete doch ein aus 
den mächtigen Treibholzbergen auf Kotelnyi genährtes Feuer den er- 
starrten Gliedern Wärme. Bekanntlich war die Erforschung der 
Neu-Sibirischen Inseln eine der Aufgaben der „ Vega"-Expedition. Am 
30. August 1878 befand sich die „Yoga" in der Nähe der grofsen 



— B4 — 

aud dem Arzt Figurin drei Jahre hintereinander, in den Monaten 
Februar, März und April, Schlittenreisen nach den Neu-Sibirischen 
Inseln und von dort in das nordwärts gelegene Eismeer zum Zweck 
der^Entdeckung etwa weiter polwärts gelegener Länder. Auf diesen 
Reisen wurden alle Neu-Sibirischen Inseln ringsum und manche ihrer 
Eüstenstrecken sogar mehrfach befahren und eine groüse Anzahl 
von Punkten astronomisch bestimmt.] 1 

Das geographische Ergebnis war die Karte der Inseln, welche 
wir jetzt haben. Den Verlauf dieser Reisen wie überhaupt^die 
Entdeckungsgeschichte der Nordküste Sibiriens zwischen den Liena- 
mündungen und der Berings-Strafse hat Verfasser dieses in einem 
längeren, von zwei trefflichen Karten des Herrn B. Hassenstein be- 
gleiteten Aufsatze in Petermanns Mitteilungen, Band 25, 1879, S. 161 
u. ff. auf Grund des ihm damals zugänglichen Materials skizziert. 
Indem wir auf diesen Aufsatz verweisen, möchten wir bezüglich der 
Vorgänger dieser Expedition noch die Bedeutung der Ssannikofischen 
Bereisungen der Inseln in den Jahren 1809 — 11 hervorheben. Aus 
Professor v. Schrencks Darstellung erhellt, dafs es nicht sowohl 
Hedenström, sondern hauptsächlich seinem Begleiter, dem Klein- 
bürger und Arteloberhaupt Ssannikof aus Jakutsk zu danken ist, 
wenn durch diese Expeditionen ein erstes, immerhin anschauliches 
Bild von der Lage und Konfiguration, den oro- und hydrographischen 
Verhältnissen, ja in einigen dürftigen Zügen auch von der übrigen 
Naturbeschaffenheit der Neu-Sibirischen Inseln gewonnen wurde. An- 
jou unternahm seine Expeditionen in den Wintermonaten, Ssannikof 
verbrachte die Sommer der Jahre 1809 — 11 auf den Inseln und es 
ist namentlich seine mit vom Festlande herübergebrachten Ben- 
tieren unternommene Reise durch und um die Insel Kotelnyi be- 
merkenswert. 

Die Entdeckung der Neu-Sibirischen Inseln verdanken wir 
russischen Kasaken und Händlern. Wie sie der Zobel in die sibirische 
Taiga, das waldbedeckte südliche Sibirien lockte, so veranlafsten 
sie Mammutzahne, welche erfahrungsgemäfs um so kompakter und 
weifser waren, je nördlicher sie gefunden wurden, in die Tundra 
zu dringen. Die gröfste und in meridionaler Richtung längste 
Insel, Kotelnyi, liegt ungefähr unter gleicher Länge mit der nörd- 
lichsten Spitze des Kontinentes im Osten von der Lenamündung, 
dem Swjatoi Nofs (Heiliges Kap) ; zwischen beiden liegen die grofse nnd 
die kleine Ljachofsche Insel. Im Jahre 1710 berichtete der ustjansker 
Kasak Yakof^Permjakof, dafs er gegenüber dem Swjatoi^Nofs eine Insel 
gesehenhabe. Derjakutische Wojewoda Trauernicht sandte infolgedessen 
elf Kasaken unter Wagins Führung dahin aus. Die Insel wurde zwar 



— 65 — 

entdeckt und auch eine andre hinter ihr sichtbar, indessen ver- 
ursachte der Mangel an Nahrungsmitteln (welcher sogar die Zieh- 
hunde aufzuessen veranlafste) eine Unzufriedenheit, welche eine 
Katastrophe zur Folge hatte. Als die Easaken Wagins Absicht, die 
Inseln im Winter zu erreichen, merkten, erschlugen sie ihn, 
seinen Sohn und Permjakof und kehrten nach Ustjansk zurück. 
Später wurde sogar die Existenz der Inseln in Zweifel gezogen, 
obwohl im Jahre 1760 der Jakute Eterikan von neuem eine der- 
selben entdeckte. Im Jahre 1770 erblickte der jakutische Handler 
Iwan Ljachof eine in südlicher Richtung ziehende, offenbar über 
das Meer gekommene Bentierherde und beschlofs zu ermitteln, 
woher sie kam. Er ging den Fufsspuren nach und erreichte am 
Abend desselben Tages eine Insel, darauf auch eine zweite. Es 
waren die nach ihm genannte grofse und kleine Ljachofsche Insel. 
Er beanspruchte für sich das ausschliefsliche Recht, die Mammut- 
zähne auf den Inseln zu gewinnen und dieses wurde ihm auch von 
der russischen Regierung erteilt. 

Im Jahr 1773 ging Ljachof mit fünf Mann von neuem aus und 
zwar zu Boot, er entdeckte nun die gröfste der Neu-Sibirischen 
Inseln; sie wurde, da einer der Leute Ljachofs einen Kessel dort 
zurückliefs, Kessel-Insel (Kotelnyi-Ostrow) genannt; Ljachof brachte 
den Winter 1773/74 in einer aus Treibholz erbauten Hütte auf der 
grofsen Ljachof sehen Insel zu. Im Jahre 1805 wurde durch den 
Elfenbeinjäger Fadejef die nach ihm benannte Insel und femer im 
Jahre 1806 durch Leute von Ssannikof oder diesen selbst die Insel 
Neu-Sibirien, im Jahre 1808 durch Beljkof die nach diesem benannte 
kleine Insel im Westen von Kotelnyi entdeckt. Es folgen die Heden- 
ström-Ssannikofschen Beisen 1809 bis 1811 und die Expedition 
Wrangel-Anjou 1821—23. Seitdem sind die Inseln nur von Elfen- 
beinjägem besucht worden, mit einer Ausnahme: in den ersten 
Tagen des Septembers 1881 nahmen die unglücklichen Schiffbrüchigen 
der ^ Jeannette"-Expedition von der durch sie entdeckten Bennett-Insel, 
— jenem hohen Lande, das Ssannikof nach seinem Bericht im Jahre 1811 
von Neu-Sibirien aus sah, — herkommend den Kurs mit ihren 
Böten zwischen Fadejef und Neu-Sibirien und um die Südküste von 
Kotelnyi nach dem sibirischen Festlande. Sie übernachteten sowohl 
auf Fadejef, wie auf Kotelnyi und wenn es auch nicht gelang. Ren- 
tiere, deren Spuren zahlreich, zu schieisen, so spendete doch ein aus 
den mächtigen Treibholzbergen auf Kotelnyi genährtes Feuer den er- 
starrten Gliedern Wärme. Bekanntlich war die Erforschung der 
Neu-Sibirischen Inseln eine der Aufgaben der „ Vega"-Expedition. Am 
30. August 1878 befand sich die „Vega" in der Nähe der ^^fe^^ 



— 56 — 

Ljachofschen Insel, an welcher Nordenskjöld zu landen beabsichtigte. 
Die Nord- und Ostküste der Insel zeigte sich eisfrei, an der West- 
seite war Eis angehäuft; bei der ziemlich weiten Entfernung der 
Insel vom Schiff wurde eine Bootfahrt durch das seichte Meer dahin 
in Rücksicht auf möglicherweise plötzlich eintretenden Frost oder 
Sturm zu riskant gegenüber der Hauptaufgabe der Expedition be- 
funden, 

So haben wir denn erst von der Bungeschen Expedition eine 
vollständige geographische und naturwissenschaftliche Erforschung 
der Neu-Sibirischen Inseln zu erwarten. Wie bereits bemerkt, be- 
stehen sie aus drei gröfseren, — Kotelnyi, Fadejef und Neu-Sibirien, — 
und zwei kleineren Inseln, Beljkof und Figurin. Die Westseite der 
Insel Kotelnyi ist felsig, die Ufer haben hier meist eine Höhe von 
6 — 8 Faden, nur an dem hier gelegenen Landsee ist das Terrain 
niedrig und sandig. Nicht weit vom Ufer ziehen Bergketten hin. 
Die Insel hat zahlreiche Flüsse, unter welchen der bedeutendste die 
fischreiche Zarewa ist. Im Ssotnikof-Flufs (Balyktach) wurden von den 
Promyschleniks (Jägern) Coregonen und Lachsarten gefangen. An der 
Dragojzenna, — dem Schatz führenden Flufs — werden zuweilen Ammo- 
niten gefunden, welche in Thonkugeln eingeschlossen sind und einen 
perlmutterartigen Glanz besitzen, daher von den Promyschleniks als 
wertvoll gesammelt werden. Anjou giebt drei Stationen der letzteren 
auf Kotelnyi an. Nach Erkundigungen aus neuester Zeit, die für 
die Bungesche Expedition bei den Promyschleniks gesammelt wurden, 
hausen die letzteren bei Ankunft auf der Insel in ihren Rentierzelten, 
doch finden sich auch etwa fünf halbverfallene Jurten. Treibholz 
lagert an der Westküste. Auf dieser Küste der Insel fand 
Ssanniköf im Jahre 1811 ein Grab, eine Narta (Schlitten), sowie 
allerlei Waffen und Geräte und es ist hiernach anzunehmen, dafs die 
Insel schon in einer weit zurückliegenden Zeit, als die ersten russi- 
schen Einwanderungen nach dem Norden Sibiriens erfolgt waren, be- 
sucht worden ist. 

Fadejef, zwischen Kotelnyi und der östlichsten Insel, Neu- 
Sibirien, gelegen, steigt vom Meer in Terrassen bis zu 8 Faden Höhe 
auf; die Ufer bestehen aus Thon und Torf, nach Nordwest läuft die 
Insel in eine schmale Landzunge aus, die in dem felsigen Kap 
Bereshnych endigt. Auch hier befinden sich Jurten, die Amerikaner 
fanden 1881 einige in halb verfallenem Zustand ; Treibholzlager sind 
an der Südwestküste bei dem Flüfschen Tachjurach. 

Die Blagowestschenskische Straf se trennt Fadejef von Neu- 
Sibirien. Das Nordufer dieser Insel wird durch 8 — 15 Faden hohe 
Dünen aus Treibsand gebildet, die Süd- und Ostufer sind ebenfalls 



— 57 — 

gröfstenteils hoch, nur zwischen den Flüssen Nadjeschnaja undAbu- 
chowa senkt sich das Terrain. Vor 18 Jahren errichtete der Pro- 
myschlenik Michael Muchopljof auf Neu-Sibirien ein Blockhaus ; auch 
giebt es aus älterer Zeit noch einige verfallene Hütten (Jurten). 
Treibholz ist in Menge vorhanden. Eine besondere Eigentümlich- 
keit von Neu-Sibirien sind die „Holzberge" an der Südküste. Sie 
sind 64 m hoch und bestehen aus dicken horizontalen Sandstein- 
lagern mit splitterholzartigen, bituminösen Baumstämmen abwech- 
selnd, welche bis an die Spitze des Berges hinauf aufgehäuft sind. 
An dem untern Teile des Berges liegen die Baumstämme horizontal, 
während sie in den obern Teilen aufrecht, obgleich vielleicht nicht 
eingewurzelt stehen. Das Holz dieser Stämme sieht glänzend 
schwarz aus, ist bröcklich und giebt beim Brennen einen harzigen 
Geruch. 

Die Ufer der westlichsten Insel der Gruppe, Beljkof, sind 
gröfstenteils felsig, nach Westen ergiefsen sich eine Anzahl Bäche 
und nördlich von der Insel ragen Klippen bis zu 14 Faden aus dem 
Meere empor. Die kleine Insel Figurin nördlich von Kotelnyi hat 
die Gestalt ieines Trapezes, dessen Parallelseiten in der Bichtung 
West-Ost liegen. 

Hinsichtlich der Tier- und Pflanzenwelt wurde 1883 demVize- 
gottvemeur von Jakutsk folgende Auskunft der Promyschleniks be- 
richtet : „Die Vegetation ist auf allen drei Inseln eine sehr dürftige : 
nur stellenweise findet man eine dünne Moosschicht oder ein spär- 
liches, dabei so kurzes Gras, dafs es sich kaum pflücken läfst." 

;,Auf Kotelnyi haben die Promyschleniks Fische gefangen, in 
einem Flüfschen, das sie selbst Balyktach nennen (auf der Karte 
trägt es den Namen Ssotnikof-Flufs) ; doch war der Fang nur dürftig. 
Die Fische gehörten den Arten „Kundiwei^ (Hering), „Ssawatka und 
Keta" an. Schneehühner giebt es auf Kotelnyi nur wenige. In 
manchen Jahren kommen Rentiere nach dieser Insel. Auch Eis- 
baren kommen vor: einmal wurde ein Tier von den Promyschleniks 
erschlagen und an die Hunde verfüttert. (Selbst davon zu essen 
halten sie für sündhaft, — die Priester, sägen sie, verböten es.) 
Auf der Fadejef-Insel und Neu-Sibirien giebt es keine Fische ; Schnee- 
hühner nur wenige. Rentiere kommen auf der ersteren Insel zahl- 
reicher als auf der letzteren vor, wo es deren nur ganz wenige giebt. 
Auf Kotelnyi und der Fadejef-Insel mausern alljährlich Gänse, auf 
Neu-Sibirien hingegen nur in manchen Jahren. Eisbären giebt es 
auf Neu-Sibirien mehr als auf jenen beiden Inseln; bisweilen ist 
deren Zahl dort, nach Angabe der Leute, Legion.^ 

Über die Hauptmotive und Hauptaufgaben der Expedition des 



— 58 — 

Dr. Bunge äufsert sich Professor von Schrenck in der genannten 
Broschüre wie folgt: 

^Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Land- und Wasser- 
verteilung in der nördlichen Hemisphäre, dafs, während das in 
Meridianrichtung lang gedehnte Festland Amerikas in den polaren 
Breiten in eine Menge grofser Inseln und Inselgruppen sich auflöst, 
dem Festlande der Alten Welt und namentlich dem in der Richtung 
der Breitengrade so mächtig entwickelten Asien polwärts nur wenige 
Inseln von irgend erheblicher Gröfse vorliegen. Sieht man von den 
noch problematischen Ländern, wie Bennett- und Ssanikof-Land, ab, 
so sind hier als einzige Inseln der Art die Neu-Sibirischen und das 
in der Breitengradrichtung an dieselben sich anschliefsende Wrangell-^®) 
Land anzutreffen. Da aber letzteres vor ein paar Dezennien (1867) 
entdeckt wurde, so waren über anderthalb Jahrhunderte hindurch 
die Neu-Sibirischen Inseln die einzigen der Art, von deren Existenz 
man wufste. Kein Wunder daher, dafs sie seit lange den Forschungs- 
trieb der Gelehrten reizten, und dafs namentlich der Akademie der 
Wissenschaften, die der Durchforschung des asiatischen BuTslands 
bis zu seinen äufsersten Nord- und Ostgrenzen seit je eine besondere 
Aufmerksamkeit geschenkt hat, eine allseitige wissenschaftliche Unter- 
suchung dieser Inseln in hohem Grade wünschenswert erscheinen 
mufste. Drängte sich doch von selbst die Frage auf, wie sich dieselben 
in physikalisch-geographischer und naturhistorischer Beziehung zu 
dem Festlande verhalten mögen, dem sie in nicht allzu grofser Feme 
polwärts vorliegen. Da diese Inseln, besonders Kotelnyi und Neu- 
Sibirien, wie man seit der Hedenströmschen Expedition weifs, von 
bergiger Beschaffenheit sind, so bieten schon die orographischen 
Verhältnisse derselben, im Vergleich mit denen des Kontinents, ein 
Interesse. Mehr noch die geologischen, zumal man mit denjenigen 
des sibirischen Festlandes an oder nahe der Eismeerküste gegen- 
wärtig schon an verschiedenen Orten mehr oder weniger eingehend 
bekannt ist und an diesen somit eine geraume Basis zur Verglei- 
chnng besitzt. 

Es kann femer kaum einem Zweifel unterliegen, dafs der 
Vorgang säkularer Hebung, in welcher, wie man aus mancherlei 
schon seit Gerh. Müller beobachteten Thatsachen gefolgert hat, die 



^^) Herr Professor von Schrenck schreibt, wie viele andre: Wrangell. 
Dagegen lesen wir in der kürzlich erschienenen Biographie des grolsen Polar- 
reisenden überall Wrangel. Namentlich heilst es vorne in der Widmung: 
„Meinem geliebten ältesten Bruder Baron Wilhelm von Wrangel gewidmet. 
Wlnterthur Dezember 1884. Lisa von Engelhardt, geborene v. Wrangel." Dem- 
nacli ist die richtige Schreibweise doch woM Wrang&l. 



— 59 — 

Eismeerkttsten des sibiris.chen Festlandes begriffen sind, auch auf die 
Neu-Sibirischen Inseln sich erstreckt. Einen Beweis dafür liefern 
auch die oben erwähnten, nach Hedenström schon von weitem sicht- 
baren Holzberge Neu-Sibiriens, jene mehr oder weniger senkrecht 
abfallenden Meeresküsten, aus denen die Enden zahlreicher, hori- 
zontal abgelagerter Baumstämme hervorragen, die von Erdschichten 
überdeckt sind oder auch mehrfach mit solchen wechsellagern. Da 
nun diese Baumstämme altes, einst an niedriger Küste im Niveau 
des Meeres abgelagertes Treibholz sind, so giebt ihre gegenwärtige 
Höhe über dem Meere einen Mafsstab für die im Laufe der Zeit 
erfolgte Hebung der Inseln ab. Noch ist uns aber das Mafs dieser 
Hebung auch auf den Festlandsküsten nicht bekannt, geschweige 
denn auf den Inseln, ja, zur Zeit fehlt es auch noch an den zur 
Bestimmung desselben an verschiedenen Orten erforderlichen An- 
haltspunkten. 

Selbstverständlich können mit dem alten Treibholz auch Knochen 
ausgestorbener Tiere abgelagert sein. Von dem Knochenreichtum 
der Neu-Sibirischen Inseln und der Rolle, welche speziell das Mammut- 
bein in der Geschichte ihrer Entdeckung gespielt hat, ist oben viel- 
fach die Bede gewesen. Ungemessene Zeiträume hindurch haben 
die grofsen Flüsse des gegenüberliegenden sibirischen Festlandes 
Tierreste, die durch Unterwaschung und Absturz der Ufer in die- 
selben gerieten, mit dem Eise ins Meer hinausgetragen, wo sie teils 
über den Meeresboden verstreut und zumal auf den Untiefen ange- 
häuft, teils durch Wind und Strömungen weiter getragen und an die 
Küsten der Inseln geschwemmt wurden. Gleich wie daher in der 
Endmoräne eines Gletschers sich Bruchstücke von den im Gesamt- 
gebiet desselben anstehenden Gesteinen ansammeln, so dürften auf 
den Neu-Sibirischen Inseln Knochenreste sich finden, die durch die 
grofsen sibirischen Ströme von einem weiten Baume des gegenüber- 
liegenden Festlandes zusammengetragen und dort aufgespeichert 
worden sind. Hier liegt also eine reiche Fundgrube für die Erfor- 
schung dieser untergegangenen Tierwelt vor, und sicherlich kann 
eine genaue Untersuchung dieser Knochen nicht blofs bereits be- 
kannte ausgestorbene Tiere näher kennen lehren, sondern auch zur 
Entdeckung mancher neuen Tierart führen. 

Von nicht geringerem Interesse als in geologischer Beziehung 
dürfte das Verhalten der Neu-Sibirischen Inseln zum Kontinent in 
meteorologischer Beziehung sein. Zwar ist bei ihrer nicht allzu 
grofsen Entfernung vom Festlande und der mächtigen Ausdehnung 
dieses letzteren kaum zu zweifeln, dafs die Inseln in. klvssÄr 
tischer Beziehung wesentlich und zu aWetmmX. NOti ^<«sx ^^^^äikää 



— 60 — 

beeinflufst werden. Nichtsdestoweniger darf man mit Recht ver- 
muten, dafs auf denselben eine nicht unbeträchtliche Modifikation 
des exzessiven Kontinentalklimas Sibiriens sich geltend machen 
dürfte. Dafür spricht schon der Umstand, dafs auch auf dem Fest- 
lande mit der Annäherung zur Eismeerküste, so zum Beispiel beim 
Vorrücken von Werchojansk nach Ustjansk, der streng kontinentale 
Charakter des Klimas abnimmt, dafs ferner an der Küste die Nord- 
winde im Winter nicht eine Erniedrigung, sondern eine Erhöhung 
der Temperatur hervorbringen, sowie endlich das Faktum, dafs 
man nördlich von den Neu-Sibirischen Inseln und ebenso weiterhin 
im Osten, nördlich und nordöstlich von der Kolyma, auf den pol- 
wärts unternommenen Schlittenfahrten stets auf eisfreie Stellen und 
Streifen im Meere stiefs. Es fragt sich nun aber, wie grofs der 
Einflufs des Meeres auf das Klima der Neu-Sibirischen Inseln ist, wie 
sich seine einzelnen Elemente im Vergleich mit denen auf dem Fest- 
lande gestalten, ferner, von welcher Wirkung sie auf die geother- 
mischen Verhältnisse sind, ob und von welcher Tiefe ab es auf den 
Inseln einen beständig gefrornen Boden giebt, und dergleichen mehr. 

Lassen sich bei der gleichen Entfernung aller drei Inseln vom 
Festlande und ihrer im ganzen doch nur geringen Höhe keine sehr 
erheblichen klimatischen Differenzen zwischen ihnen erwarten, so 
kann es doch immerhin welche zwischen den nach verschiedenen 
Seiten gekehrten Küsten derselben geben, vielleicht infolge ver- 
schiedener herrschender Windrichtungen und Meeresströmungen, 
worauf das an den verschiedenen Küsten sich vorfindende Treibholz, 
an welchem alle drei Inseln und insbesondere die Westküste von 
Kotelnyi sehr reich sein sollen, Licht werfen dürfte. 

Von besonderem Interesse ist natürlich, in Verbindung mit 
den klimatischen Bedingungen, die Entfaltung des organischen Lebens 
auf den Neu-Sibirischen Inseln, die Zusammensetzung und der Cha- 
rakter ihrer Flora und Fauna im Vergleich zu denjenigen des 
Festlandes, etwaige lokale Eigentümlichkeiten der Nahrung, Lebens- 
weise und Verbreitung der Tiere, sowie der zwischen dem Fest- 
lande und den Inseln stattfindende Austausch an Tieren, wie er 
sich im Hin- und Herwandern nicht etwa blofs der Vögel, sondern, 
nach den oben erwähnten Angaben, auch mancher Säugetierarten 
bethätigt. 

Obgleich endlich die Neu-Sibirischen Inseln keine Bevölkerung 

besitzen, so bieten sie doch ein ethnologisches Interesse dar, indem 

im 17. Jahrhimdert die Jukagiren, ein paläasiatisches Volk, das 

gegenwärtig auch auf dem Festlande beinahe ausgestorben ist, vor 

dem Andränge der Tangusen und Jakuten und nach ihnen der 



— 61 — 

Russen nordwärts flüchtend, eine Zufluchtsstätte auf den im Eismeer 
gelegenen Inseln suchten und dort Spuren ihres Daseins hinterlassen 
haben müssen.^ 

In der Person des Dr. med. Bunge scheint in der That der 
rechte Mann zur Lösung der Aufgabe gefunden zu sein. Dr. Bunge 
hat sich auf der Polarstation an der Lena als tüchtiger Beobachter 
und Sammler bewährt, er besitzt die Erfahrungen eines mehrjährigen 
Aufenthalts im nördlichen Sibirien und scheint für seine neue wissen- 
schaftliche Mission mit wahrer Begeisterung erfüllt zu sein. In der 
Person des Barons Eduard Toll, Kandidaten der Naturwissenschaften, 
ist eine zweite tüchtige Kraft gefunden und hat sich als Gehülfe 
dem Dr. Bunge angeschlossen. Auf Empfehlung des Präsidenten 
der Akademie, Grafen Tolstoi, bewilligte die Kaiserlich russische 
Regierung die zur Ausführung der Expedition erforderlichen Mittel. 
Zur nähern Präzisierung und Regelung des ganzen Unternehmens, 
zur Abfassung der Instruktion für die Reisenden, wie überhaupt 
zur Leitung der Expedition und fernem Vermittelung aller bezüg- 
lichen Fragen bei der Akademie, würde innerhalb der letzteren eine 
aus den Herren Wild, Maximowicz, Strauch, Fr. Schmidt und Schrenck 
gebildete Kommission ernannt. 

Sommer und Herbst 1885 wurde von den Reisenden laut ihren 
Berichten zu Forschungsreisen im Janagebiet, welches zu den wis- 
senschaftlich am wenigsten bekannten Teilen Sibiriens gehört, und 
zu den Vorbereitungen für die im zeitigen Frühjahr 1886 anzutretende 
Reise nach den Neu-Sibirischen Inseln benutzt. Diese Vorbereitun- 
gen waren von mannigfacher Art: es galt, die zur Reise, zum 
Gepäcktransport erforderliche grofse Anzahl Hunde, sowie die an- 
sehnlichen Futtervorräte für dieselben zu beschaffen; zu dem Ende 
mufsten zeitig Bestellungen an verschiedenen Orten gemacht und 
sodann das Bestellte nach dem Aufbruchsort "gesandt werden. Der 
Aufbruch selbst kann nicht mit einem Male erfolgen, vielmehr mufs 
ein Teil der Vorräte vorausgeschickt und es müssen unterwegs sowie 
auf den Inseln selbst Proviantdepots errichtet werden. Die Schlitten- 
fahrten der Promyschleniks nach den Neu-Sibirischen Inseln gehen 
von Kasatschje an der unteren Jana aus. Von hier fährt man 
bis Swjatoj Nos, mit Nachtstationen, fünf Tage. Von da gehts nach 
der grofsen und kleinen Ljachofschen Insel, zwei Tage. Hier teilen 
sich die Promyschleniks; die einen gel^pn nach Kotelnyi, die andern 
nach Fadejef; jene müssen einmal, diese zweimal auf dem Meereis 
übernachten. Den Weg nach Neu-Sibirien nehmen die Promyschleniks 
über Fadejef. Direkt von der grofsen Ljachofschen Insel nach Neu- 
Sibirien zu gehen, scheuen sich die PromyacMÄuWÄ^ \^^%<KVi ^^x '^^^- 



— 62 — 

lenberge (Torossi), auf die man unterwegs stöfst. Als Pfadweiser 
auf diesen Meereisfahrten dienen die sogenannten Sastrugi. ;,Kamm- 
linien" , oft recht stark erhaben, die der Wind auf der Schneefläche 
hervorbringt und die man, um möglichst geradlinig in einer bestimmten 
Richtung zu fahren, stets unter demselben Winkel kreuzen mufs. 
Ändert sich plötzlich die Richtung derselben, so mufs durch Über- 
tragung des Kreuzungswinkels von den alten auf die neuen Kamm- 
linien oder Sastrugen der für diese hinfort einzuhaltende Winkel 
bestimmt werden. Wenn infolge von Schneestürmen die alten 
Kammlinien unter einer Schneedecke mit neuen Linien verschwinden, 
so gräbt der geübte russische Eisfahrer, um die vor dem Sturme 
von ihm eingehaltene Richtung wieder einzuschlagen, eine alte 
„Sastruga" auf und sucht seinen Kurs durch Vergleichung derselben 
mit den neugebildeten zu bestimmen. 

Es ist anzunehmen, dafs die Expedition des Dr. Bunge, wenn 
sie nur einigermafsen vom Glück begünstigt wird, der Wissenschaft 
reiche Früchte bringen werde. Hoffentlich wird durch ihren Erfolg 
das Interesse für die Polarforschung wieder ein allgemeineres werden 
und diese dadurch überhaupt einen neuen Aufschwung erhalten. Schon 
die dänische Entdeckungsexpedition nach Südost - Grünland und die 
Arbeiten des Dr. Boas auf der Cumberland-Halbinsel dürften letzteren 
vorbereiten helfen. 

Nachschrift. Die letzten Nachrichten von der Expedition 
Bunge sind folgende. Dieselbe verliefs Jakutsk am 7. April 1885 
und kam am 18. in Werchojansk an. Es wurde nun die Exploration 
des Jana-Gebiets vorgenommen und zwischen dem 4. und 24. Mai 
die obere und später die untere Flufsgegend bereist. 



Kleinere Mitteilungen. 

Der sechste dentsehe Geographentag. Aus dem in diesen Tagen auszu- 
gebenden Programm für den in der Osterwoche in Dresden stattfindenden 
sechsten deutschen Geographentag können wir durch gütige Vermittelung das 
Nachstehende mitteilen. Mittwoch, 28. April, morgens, Vorträge: 1. und 2. 
Reichard und Fran^ois: Reisen in Äquatorial- Afrika. 3. Dr. E. Naumann : Über seine 
10jährige topographische und geologische Landesaufnahme von Japan. Nachmittags : 
Direktor H. Motzat aus Weilburg : 1. Das Zeichnen im länderkundlichen Unterricht. 
2. Berichterstattung über ein geographisches Repertorium. — Donnerstag, 29. April, 
morgens: Dr. Leipoldt-Dresden: ÜBer die Erhebung des Meeresspiegels an den Fest- 
landsküsten. Professor Hahn-Königsberg : Küsteneinteilung und -Entwicklung in 
verkehrsgeographischem Sinne. Nachmittags : Besichtigung der Ausstellung in der 
Droguenhandlung von Gehe & Co. und der Fauna von Neu -Guinea (Neue 
Erwerbungen au» dem Owen-Stanley-Gebirge) im Königlichen Museum. — 



— 63 — 

Freitag, 30. April, morgens, Vorträge: Dr. Lehmann - Berlin, Kants Bedeutung 
for die Geographie. J. J. Egli : Entwickelnngsgeschichte der Ortsnamenforschnng. 
Dr. E. Petri: Die Erschliefsung Sibiriens. Nachmittags: Dr. 0. Schneider- 
Dresden: Schärfere Begrenzung geographischer Begriffe. Ruge-Dresden : Bericht 
der Zentralkommission für deutsche Landeskunde. Wahl des Orts für den 
nächsten Qeographentag. — Ausstellung. 1. Dr. A. Stübel, Landschaften aus 
den Anden (Ölgemälde). 2. Ausstellung der Stadt Dresden. 3. Sächsische 
Kartographie vom 16. bis 19. Jahrhundert. 4. Neueste Werke und Karten aus 
dem geographischen Gebiet. 5. Kolonial-Ausstellung von Australien und 
Neu-Seeland. 

§ Ans der Geographisehen Gesellschaft in Bremen. Die im letzten Heft 
erwähnte Abhandlung des Mitgliedes Herrn Dr. Arthur Krause ist im Archiv 
für Naturgeschichte 1885, Band 51, Heft 1, erschienen, trägt den Titel: Ein 
Beitrag zur Kenntnis der Mollusken-Fauna des Berings-Meeres „Brachiopoda 
et Lamellibranchiata'' und ist mit einer Tafel ausgestattet. — Die Yeräufserung 
respektive Schenkung der mitgebrachten Kollektionen schreitet in dem Mafse 
vorwärts, als die bezüglichen Bearbeitungen zum Abschlufs kommen. Neuer- 
dings wurden überwiesen: 1. Vögel an die städtischen Sammlungen für Natur- 
geschichte in Bremen, an das zoologische Museum der Königlichen Universität 
in Berlin, an das Königliche Naturalienkabinet in Stuttgart, an das natur- 
historische Museum in Lübeck, an das Museum Berlepsch in Münden, an das 
Herzogliche Museum in Braunschweig und an einige Private. 2. Konchylien 
an das zoologische Museum der Königlichen Universität in Berlin und das 
National-Museum der Vereinigten Staaten in Washington. — Nach Beendigung 
der Bearbeitungen werden weitere Teile der von den Gebrüdem Dr. Krause mit- 
gebrachten Sammlungen verfügbar und soll darüber, wie bisher unter gütiger 
Vermittelung des Herrn Dr. Spengel, Direktors der städtischen Sammlungen für 
Naturgeschichte in Bremen, disponiert werden. 

Die öffentlichen Vorträge wurden auch in diesem Winter wieder auf- 
genommen und zwar erfolgen die Einladungen dazu gemeinschaftlich von der 
geographischen Gesellschaft und von der bremischen Abteilung des Kolonial- 
vereins. Am 7. und 9. Dezember 1885 sprach Herr Dr. Pechuel-Loesche aus Jena 
über Westafrika und lassen wir hier ein Referat über den Vortrag betreffend 
Walfisch-Bai und Herero-Land folgen. 

Zunächst ging Redner auf die Geschichte der Entdeckungen und Besitz- 
ergreifungen jener afrikanischen Gebiete ein und erinnerte daran, dafs die Eng- 
länder, nachdem gewisse Streitigkeiten mit Portugal im Jahre 1817 auf dem 
Wege des Vertrages ausgeglichen, die Küstenstrecke von der Kapkolonie nord- 
wärts bis zum 18. ° s. Br. als zu England gehörig betrachteten, ohne dafs 
indes eine Besetzung erfolgte, abgesehen etwa von den Inseln in der Bai von 
Angra Pequena, deren Guanolager abgebaut wurden. Er gedachte sodann des 
in die Jahre 1855—58 fallenden Kupfererzminenfiebers, welches viele Leute aus 
der Kapkolonie nach Grofs-Namaqua-Land führte, aber teils wegen Unzulänglichkeit 
der Mittel, teils wegen der Abgelegenheit der Erzstätten und aus andern Um- 
ständen erfolglos endete. Um 1860 traten die verschiedenen Kompagnien die 
von ihnen erworbenen Minenrechte an den Schweden Anderson ab, nicht eingedenk 
des bei den Häuptlingen des Landes geltenden Brauchs, dafs bei Übertragung 
von Konzessionen an andre ein neuer Vertrag geschlossen werden müsse. Das 
Vorgehen Andersons führte daher zu allerlei Mi(shelli%kft\t%xi \>xA ^^^^ i^ 



— 64 — 

Kriegen. Ein anderer Reichtum des Landes, die in grofser Menge vorhandenen 
afrikanischen Jagdtiere : Elefanten, Büffel, Zebras, Antilopen, Stranfse n. a., 
wurden durch die in Menge aus der Kapkolonie hereinströmenden Jäger ver- 
nichtet. Redner legte sodann die weiteren Mafsnahmen und Schritte der eng- 
lischen Regierung und der Kapkolonie, die Besitzergreifung der Walfisch-Bai 1878 
durch die Engländer, die deutschen Erwerbungen und die Verständigung zwischen 
Deutschland und England dar, wonach das deutsche Reich sich verpflichtet 
habe, östlich vom 18.° ö. L. und südlich vom 22.° s. Br. kein Land zu er- 
werben. Der Redner ging nun auf die geographische Beschaffenheit des deut- 
schen Südwestafrikas ein und schilderte, Bezug nehmend auf die im Saal aus- 
gestellten Aquarelle, dessen Sterilität. Die geologische Formation sei Urgneis 
und krystallinischer Schiefer. Das Land steige vom Meere aus sehr allmählich 
bis zur Höhe von etwa 1500 m an und falle dann ostwärts zum Ngami-See 
wiederum ab. Die tischplattenartige Ebenheit werde nur hie und da durch so- 
genannte Kopjes, Felsbergspitzen, die oft unter den Einwirkungen von Flugsand 
und Wind wunderbar gestaltet sind, und vom Wasser ausgewaschene tiefe 
Schluchten unterbrochen; hie und da stehen, Mauern gleich, Basaltgänge an. 
Heifse Quellen, die heilkräftige Wirkung haben, gebe es im Lande an verschie- 
denen Stellen, aber infolge der Trockenheit keine eigentlichen dauernd das ganze 
Jahr hindurch strömenden Flüsse, vielmehr füllen sich die sonst trocknen Flufs- 
betten, ähnlich den Rinnsteinen in unsern Städten, nur nach und bei starken 
Regengüssen. Die Flüsse haben einen kurzen Lauf und ein starkes Gefälle. Bei 
Otyimbingue habe er gesehen, wie der Zwachaub in der Breite von 250 m und 
1 m tief 3 Tage lang dahinflofs, dann aber wieder allmählich versiegte. Aufser- 
dem finde sich in von Schotter überdeckten Mulden, in dem Geklüft der Kalk- 
einlagerungen, den mutmafslichen Becken von ehemaligen Seen, noch Wasser. 
Letzteres sei, wenn es nicht Himmelwasser, salzhaltig. Unmittelbar an der Küste 
sei das Land eine Wüste; weiterhin komme die Region der Welwitchia, die 
rübenartig tief in der Erde stecke und zwei mächtige lederartig zusammen- 
gerollte Blätter aussende. An einzelnen Wasserplätzen erscheinen Bestände von 
Akazien, deren hartes und brüchiges Holz wenig zu verwerten sei; die Graser 
zeigen den Typus der Steppe, seien aber für das Vieh sehr nahrhaft. Dorn- 
büsche seien zahlreich, aber nicht, wie weiter im Innern, zu Dickungen ver- 
einigt. Wie dürftig jetzt, nach den bis in die 70er Jahre dauernden Ausrottungen 
des Wildes durch die Jäger, das Tierleben sei, habe er selbst beobachtet. Dies 
bekunde sich in der Ausfuhr aus Walfisch-Bai, von wo 1875 noch 17 000 kg 
Elfenbein und 3000 kg Straufsenfedern, dagegen in den letzten Jahren durch- 
schnittlich jährlich nur 700 kg Elfenbein und 1500 kg Straufsenfedern ausgeführt 
wurden. Dies ergebe sich ferner aus der durch den englischen Kommissar 
Palgrave in Walfisch-Bai auferlegten Abgabe auf Wagen, die aus dem Innern 
kommen; während früher 90 Wagen gezählt wurden, gab es deren 1880 nur 
noch 12. Redner kam sodann auf die Eingeborenen zu sprechen und führte 
aus, dafs die schwarze Rasse durch Bantu Völker, die Bergdamras (etwa 30000) 
und ihre jetzigen Herren, die Herero (etwa 90000) die gelbe Rasse durch die 
Hottentotten (20 000) und versprengte Buschmänner vertreten sei. Den Wechsel 
der Wohnplätze, die Kämpfe, welche unter diesen verschiedenen Stämmen seit 
Anfang vorigen Jahrhunderts stattgefunden haben, schildert der Redner sehr 
detailliert. Es genügt, daraus die zeitweilige Oberherrschaft der Hottentotten, 
als diese in den 40er Jahren unter Jonker Alexander standen, und sodann den 
Aufschwung der Herero unter ihrem jetzigen Herrscher, dem klugen Maherero 



— 65 — 

(bedeutet so viel als : nicht von gestern) hervorzuheben. Die rheinische Mission 
sei sowohl bei dem Hirtenvolke der Herero, als bei ihren Gegnern, den stets 
nach Viehraub trachtenden Hottentotten, vertreten; sie habe durch Anweisung 
zur Bekleidung, zum Häuserbau, überhaupt zur Arbeit entschieden emen sittigen- 
den Einflufs geübt, bei den Hereros zum Beispiel habe er nicht selten Leute 
gefunden, die gut deutsch sprechen, lesen und schreiben konnten. Was nun die 
zukünftige Verwertung von Deutsch-Südwestafrika betreffe, so sei eine Massen- 
einwanderung schon dadurch ausgeschlossen, dafs infolge der Wasserarmut des 
Bodens Ackerbau nur an wenigen Stellen möglich sei. Hier und da könnten 
sich vielleicht ein paar Hundert Familien niederlassen und Viehzucht treiben. 
Gegenwärtig sei der Export von Vieh aus Walfisch-Bai nicht grofs, die Herero 
verkaufen ihr Vieh in der Regel nicht, und so bestehe die Ausfuhr meist nur 
in geraubtem Vieh. Ferner seien abbauwürdige Kupfererze vorhanden, nament- 
lich in der Nähe von Walfisch-Bai finden sich solche, die 27 Prozent Kupfer 
enthalten. Im Norden von Rehoboth solle sogar Silber vorkommen. Doch habe 
er eine dort gefundene Silbererzstufe im Museum zu Kapstadt nicht zu Gesicht 
bekommen können. Redner kam dann noch auf die von Verschiedenen er- 
worbenen Rechte zu sprechen, die dadurch zweifelhaft geworden seien, dafs die 
Hottentotten dem Anschein nach verkauft haben, was ihnen nicht gehörte. Der 
Reichskommissar in Deutsch-Südwestafrika, Dr. Göring, habe nun die schwierige 
Aufgabe, zu untersuchen, wer das Recht, zu verkaufen, habe. Auch handle es 
sich darum, den zwischen den Bewohnern noch immer fortdauernden Fehden 
definitiv ein Ende zu machen; dazu werden wohl einige 100 Schutz- und Ord- 
nungsmannschaften notwendig sein. 

Am 11. Februar hielt das Vorstandsmitglied Herr Dr. Oppel von hier 
einen Vortrag über das Thema: Die Akklimatisation und Verbreitung der 
Europäer auf der Erde. Zur Veranschaulichung dienten zwei grofse Welt- 
karten, welche eigens für den Zweck nach den Angaben des Vortragenden an- 
gefertigt, die bezüglichen Verhältnisse um die Mitte des vorigen Jahrhunderts 
und jetzt darstellten. Ob der Mensch als Einzelwesen oder als Volk nur in der 
Heimat leben, oder ob er auch in andern Klimaten seine volle körperliche 
und geistige Aktionsfähigkeit sich bewahren könne, das sei der wesentliche 
Inhalt der sogenannten Akklimatisationsfrage. Man könne die Akklimatisation 
in einem engeren und einem weiteren Sinne auffassen ; schon bei der Verlegung des 
Wohnsitzes aus Mittel- nach Norddeutschland z. B. sei erst eine gewisse Ge- 
wöhnung an das Klima erforderlich, um sich heimisch zu fühlen, und der 
Grad der Akklimatisation sei von der geringeren oder gröfseren Entfernung von 
der Heimat abhängig. Die Frage greife in die Entstehungsgeschichte der 
Menschheit ein. Sei die Menschheit nur einem Menschenpaar entsprossen, 
dann habe sie einen riesigen Akklimatisationsprozefs durchgemacht. Denn nur 
wenige Teile der Erde seien völlig unbewohnt, da man auch in den Wüsten 
noch Menschen antreffe und da in den Polargebieten Eskimos noch bis zum 
80. Breitengrade zu finden seien. Wenn nun auch die Meinungen darüber ver- 
schieden seien, ob die Menschen in der That nur von einem Menschenpaar 
abstammen, so stehe doch z. B. fest, dafs die rote, die amerikanische Rasse 
vom Feuerland bis an das nördliche Ende des Weltteils einheitlich sei, also von 
einem Menschenpaar abstamme; sie müsse mithin in ihrer Verbreitung durch 
die verschiedenen Zonen, über Hochebenen und Niederungen einen grofsen 
Akklimatisationsprozefs durchgemacht haben. Gleiches lasse sich von der 
mongolischen Rasse und von den Indogermanen sagen. Die Bevölkerung 

Geogr. Blätter. Bremen. 1886. 5 



— 56 — 

Ljachofschen Insel, an welcher Nordenskjöld zu landen beabsichtigte. 
Die Nord- und Ostküste der Insel zeigte sich eisfrei, an der West- 
seite war Eis angehäuft; bei der ziemlich weiten Entfernung der 
Insel vom Schiflf wurde eine Bootfahrt durch das seichte Meer dahin 
in Eücksicht auf möglicherweise plötzlich eintretenden Frost oder 
Sturm zu riskant gegenüber der Hauptaufgabe der Expedition be- 
funden. 

So haben wir denn erst von der Bungeschen Expedition eine 
vollständige geographische und naturwissenschaftliche Erforschung 
der Neu-Sibirischen Inseln zu erwarten. Wie bereits bemerkt, be- 
stehen sie aus drei gröfseren, — Kotelnyi, Fadejef und Neu-Sibirien, — 
und zwei kleineren Inseln, Beljkof und Figurin. Die Westseite der 
Insel Kotelnyi ist felsig, die Ufer haben hier meist eine Höhe von 
6 — 8 Faden, nur an dem hier gelegenen Landsee ist das Terrain 
niedrig und sandig. Nicht weit vom Ufer ziehen Bergketten hin. 
Die Insel hat zahlreiche Flüsse, unter welchen der bedeutendste die 
fischreiche Zarewa ist. Im Ssotnikof-Flufs (Balyktach) wurden von den 
Promyschleniks (Jägern) Coregonen und Lachsarten gefangen. An der 
Dragojzenna, — dem Schatz führenden Flufs — werden zuweilen Ammo- 
niten gefunden, welche in Thonkugeln eingeschlossen sind und einen 
perlmutterartigen Glanz besitzen, daher von den Promyschleniks als 
wertvoll gesammelt werden. Anjou giebt drei Stationen der letzteren 
auf Kotelnyi an. Nach Erkundigungen aus neuester Zeit, die für 
die Bungesche Expedition bei den Promyschleniks gesammelt wurden, 
hausen die letzteren bei Ankunft auf der Insel in ihren Eentierzelten, 
doch finden sich auch etwa fünf halbverfallene Jurten. Treibholz 
lagert an der Westküste. Auf dieser Küste der Insel fand 
Ssanniköf im Jahre 1811 ein Grab, eine Narta (Schlitten), sowie 
allerlei Waffen und Geräte und es ist hiernach anzunehmen, dafs die 
Insel schon in einer weit zurückliegenden Zeit, als die ersten russi- 
schen Einwanderungen nach dem Norden Sibiriens erfolgt waren, be- 
sucht worden ist. 

Fadejef, zwischen Kotelnyi und der östlichsten Insel, Neu- 
Sibirien, gelegen, steigt vom Meer in Terrassen bis zu 8 Faden Höhe 
auf; die Ufer bestehen aus Thon und Torf, nach Nordwest läuft die 
Insel in eine schmale Landzunge aus, die in dem felsigen Kap 
Bereshnych endigt. Auch hier befinden sich Jurten, die Amerikaner 
fanden 1881 einige in halb verfallenem Zustand ; Treibholzlager sind 
an der Südwestküste bei dem Flüfschen Tachjurach. 

Die Blagowestschenskische Straf se trennt Fadejef von Neu- 
Sibirien. Das Nordufer dieser Insel wird durch 8 — 15 Faden hohe 
Dünen aus Treibsand gebildet, die Süd- und Ostufer sind ebenfalls 



— 57 — 

gröfstenteils hoch, nur zwischen den Flüssen Nadjeschnaja undAbu- 
chowa senkt sich das Terrain. Vor 18 Jahren errichtete der Pro- 
myschlenik Michael Muchopljof auf Neu-Siblrien ein Blockhaus; auch 
giebt es aus älterer Zeit noch einige verfallene Hütten (Jurten). 
Treibholz ist in Menge vorhanden. Eine besondere Eigentümlich- 
keit von Neu-Sibirien sind die „Holzberge" an der Südküste. Sie 
sind 64 m hoch und besteben aus dicken horizontalen Sandstein- 
lagern mit splitterholzartigen, bituminösen Baumstämmen abwech- 
selnd, welche bis an die Spitze des Berges hinauf aufgehäuft sind. 
An dem untern Teile des Berges liegen die Baumstämme horizontal, 
während sie in den obern Teilen aufrecht, obgleich vielleicht nicht 
eingewurzelt stehen. Das Holz dieser Stämme sieht glänzend 
schwarz aus, ist bröcklich und giebt beim Brennen einen harzigen 
Geruch. 

Die Ufer der westlichsten Insel der Gruppe, Beljkof, sind 
gröfstenteils felsig, nach Westen ergiefsen sich eine Anzahl Bäche 
und nördlich von der Insel ragen Klippen bis zu 14 Faden aus dem 
Meere empor. Die kleine Insel Figurin nördlich von Kotelnyi hat 
die Gestalt eines Trapezes, dessen Parallelseiten in der Richtung 
West-Ost liegen. 

Hinsichtlich der Tier- und Pflanzenwelt wurde 1883 demVize- 
gouvemeur von Jakutsk folgende Auskunft der Promyschleniks be- 
richtet: „Die Vegetation ist auf allen drei Inseln eine sehr dürftige: 
nur stellenweise findet man eine dünne Moosschicht oder ein spär- 
liches, dabei so kurzes Gras, dafs es sich kaum pflücken läfst." 

;,Auf Kotelnyi haben die Promyschleniks Fische gefangen, in 
einem Flüfschen, das sie selbst Balyktach nennen (auf der Karte 
trägt es den Namen Ssotnikof-Flufs) ; doch war der Fang nur dürftig. 
Die Fische gehörten den Arten „Kundiwei^ (Hering), „Ssawatka und 
Keta" an. Schneehühner giebt es auf Kotelnyi nur wenige. In 
manchen Jahren kommen Rentiere nach dieser Insel. Auch Eis- 
baren kommen vor: einmal wurde ein Tier von den Promyschleniks 
erschlagen und an die Hunde verfüttert. (Selbst davon zu essen 
halten sie für sündhaft, — die Priester, sagen sie, verböten es.) 
Auf der Fadejef-Insel und Neu-Sibirien giebt es keine Fische ; Schnee- 
hühner nur wenige. Rentiere kommen auf der ersteren Insel zahl- 
reicher als auf der letzteren vor, wo es deren nur ganz wenige giebt. 
Auf Kotelnyi und der Fadejef-Insel mausern alljährlich Gänse, auf 
Neu-Sibirien hingegen nur in manchen Jahren. Eisbären giebt es 
auf Neu-Sibirien mehr als auf jenen beiden Inseln; bisweilen ist 
deren Zahl dort, nach Angabe der Leute, Legion.^ 

Über die Hauptmotive und Haupta\rfga\>eii öäx ^-kö^ö^M^wi ^^'^ 



— 68 — 

Kronen an Robben und Walrossen erzielt. Der Walfang ergab 465 Wale im 
Wert von 969,600 Kronen, der Eishaifang lieferte 88,553 Kronen. 

— Das kürzlich erschienene 5. Heft des Bandes 8, 1885/86, der Zeitschrift 
der dänischen geographischen Gesellschaft enthält einen eingehenden Bericht 
über Kapitän Holms vorigjährige Expedition nach Ostgrönland. Im 
letzten Heft unserer Zeitschrift haben wir ausführliche Mitteilungen über diese 
bemerkenswerte Entdeckungsreise gebracht. Dem Heft ist eine Karte beigefügt, 
welche die Gestaltung der Küste, Lage der Inseln u. a. in dem entdeckten Teile 
zwischen den Danebrogs-Inseln und dem 66. Breitengrade darstellt. Zur Ver- 
gleichung sind zwei ältere Karten von Südost-Grönland reproduziert. Wir dürfen 
nun demnächst wohl einem neuen Bande der „Meddelser om Grönland" entgegen- 
sehen, der die Gesamtresultate der letztjährigen dänischen Forschungen in West- 
und Ost- Grönland umfafst. 

— Das neueste Heft des Bulletins der amerikanischen geographischen Gesell- 
schaft (1885 Nr. 2) enthält unter der Bezeichnung: Life and Scenery in the Far 
North die sehr anziehende Schilderung einer der zahlreichen Polarreisen, welche 
Herr W. Sandford, Zeichner und Photograph, zum Zweck der Aufnahme ark- 
tischer Szenerie gemacht hat. 

— Leutnant A. R. Gordon und Professor R. Bell haben einen kurzen Bericht 
über die Expedition des „Neptune" im Jahre 1884 zur Anlage von Sta- 
tionen im Gebiete der Hudson-Strafse und Hudson-Bai veröffentlicht, 
welcher mancherlei Neues enthält. (Report of the Hudson's Bai Expedition 
under the command of Leutnant A. R. Gordon. A. N. 1884). Die Anregung zu 
der Expedition wurde durch den Plan gegeben, einen neuen Absatzweg für die 
Produkte der nordwestlichen Territorien von Kanada zu finden. Zu diesem 
Zwecke sollte eine Eisenbahn im Thale des Nelson River zur York Factory 
erbaut und eine regelmäfsige Dampfschiffahrt zwischen England und diesem 
Hafen eingerichtet werden. Die Expedition zur Vermessung dieser Linie unter 
Major Jarvis ist am 17. Januar d. J. nach Winipeg zurückgekehrt und giebt 
einen günstigen Bericht über die Ausführbarkeit der Bahn. Die Rentabilität des 
Unternehmens wurde ausführlich in der Schrift „Navigation of Hudsons Bai,, 
(Oktober 1878) von Professor Hind besprochen; zu dem Studium der Eisverhältnisse 
und der Möglichkeit einer sichern Navigation der Hudson-Strafse und -Bai wurden 
die erwähnten Stationen gegründet. Der ^Neptune" verliefs Halifax am 22. Juli 
1884 und gelangte ohne weitere Schwierigkeiten nach Nachvak in Labrador, wo 
er sich bei der Niederlassung der Hudson Bai Company mit einem Dolmetscher 
und mit Pelzen versah. Von hier fuhr er ungehindert nach Norden und legte 
da die erste Station auf C. Chudleigh an. Von dort kreuzte das Schiff die 
Strafse in der Richtung der Lower Savage Islands, wo Gordon die zweite Station 
anzulegen beabsichtigte. Da sich indes kein Ankergund fand, begab er sich 
unmittelbar nach North Bluff (Qeqertuqdjuaq) und errichtete auf der Südspitze 
der Insel die zweite Station. Nahe der gegenüberliegenden Spitze des Festlandes 
im Prince of Wales Sound wurde die dritte Station abgesetzt. Weiter westlich 
traf das Schiff auf Streifen Eises, welche indes keine Schwierigkeiten verursachten, 
da sie sich ost-westlich entwickelten und erst in der Nähe von Nottingham Island, 
wo die vierte Station errichtet wurde, traf man auf dichtgedrängtes Eis, das 
den Ausgang des Stromes füllte. Da die fünfte Station auf Mansfield - Island 
errichtet werden sollte, liefs Gordon auf diese Insel zusteuern, fand indes keinen 
Ankerplatz und segelte nach der südlichen Southampton - Insel weiter. Ver- 
mutlich wurde bei dieser ümsegelung die Lage der Südspitze der Mansfield- 



— 69 — 

Insel richtig gestellt, auf deren Verschiebung schon früher von amerikanischen 
Walern hingewiesen war. Da auch hier kein Hafen gefunden wurde, kreuzte 
der „Neptune" die Hudsons -Bai und ging bei Marble Island vor Anker, 
wo aber weder Waler noch Eskimos angetroffen wurden. Die fünfte Station 
wurde in Ft. Churchill errichtet, während in York Factory für das Meteorologicai 
Office schon seit längerer Zeit beobachtet \Yurde. Am 20. Sept. wurde die 
sechste Station auf Diggs Island, das bei dieser Gelegenheit als eine Insel 
erkannt wurde, abgesetzt und nach einem vergeblichen Versuche auf Resolution 
Island zu landen, die letzte Station auf Nachvak in Labrador errichtet. Zur 
Beobachtung der Eisverhältnisse liegen die Stationen aufserordentlich günstig, 
es ist nur zu bedauern, dafs die Gründung der auf Resolution geplanten Beob- 
achtungsstation nicht geglückt ist. Durch Verwertung der Beobachtungen über 
den Zug des Eises an den drei engsten Stellen der Strafse werden die ver- 
wickelten Strömungsverhältnisse ungemein an Klarheit gewinnen. Um den Eintritt 
des wichtigen Eises des Fox -Beckens zu beobachten, wäre eine Station auf 
Kings Cape sehr erwünscht gewesen. Aus den Berichten Gordons und Beils 
geht mit grofser Deutlichkeit hervor, dafs das schwere Eis der Hudson-Strafse 
aus dem Fox -Becken stammt. Diese Massen erreichen eine Mächtigkeit von 
mehr als 12 m. Ich kann der in dem Bericht ausgesprochenen Ansicht, dafs 
dieses Eis durch mehrjähriges Wachstum festliegender Felder entstanden sei, 
nicht beistimmen. Aus den Logbüchern amerikanischer Waler, welche das Gebiet 
alljährlich besuchen und gelegentlich selbst in das Fox-Becken eindringen, geht 
hervor, dafs das Eis dieses Meeresteiles gewöhnlich Ende August oder Anfang 
September die Hudson-Strafse erreicht und bis zum folgenden Frühling daselbst 
gefunden wird. Es zeichnet sich abgesehen von seiner Mächtigkeit durch schmutzige 
Farbe aus, welche es möglich macht jedes einzelne Stück von dem klaren 
Eise der Hudson-Strafse zu unterscheiden. Es ist fast immer mit rötlichem 
Sande bedeckt, trägt aber mitunter auch grauen Schlamm und, selten, kleine 
Steine. Das Eis ist überall aufserordentlich rauh und trägt vielfach scharfkantige 
Höcker, welche darauf schliefsen lafsen, dafs es heftigen Pressungen ausgesetzt 
gewesen ist. Im Sommer runden die scharfen Ecken sich ab und die Oberfläche 
erscheint mitunter sanftwellig. Dieser Schmelzprocefs wird durch den eingelagerten 
Schmutz wesentlich beschleunigt. Diese Thatsachen im Vereine mit dem Um- 
stände, dafs die Schollen nie mehr als 1 km Durchmesser besitzen, weisen auf 
eine ganz eigentümliche Entstehung hin und die Ursache für die gewaltige 
Schwere derselben dürfte darin zu suchen sein, dafs sie in einem Flachmeer 
gebildet sind. Nach den Beobachtungen Parrys und Spicers sowie nach Halls 
nnd meinen eigenen Erkundigungen ist die ganze Osthälfte des Fox-Beckens 
sehr flach und ausgedehnte Strecken liegen bei Niedrigwasser ganz trocken. 
Hier ist Gelegenheit zur Bildung von Massen grofser Mächtigkeit gegeben, 
welche durch Bodenbestandteile verunreinigt werden müssen. Gordon fand die 
Oberflächentemperatur der Hudson-Bai ziemlich warm (4— 5<> C), doch dürfte 
sein Schlufs auf die Eisverhältnisse im Winter etwas zu weitgehend sein. Aller- 
dings bedeckt sich die Bai nicht mit einer zusammenhängenden Eisschicht, ist 
aber zweifellos vollkommen von Treibeis erfüllt. Wenn, wie er erfuhr, von 
Fi Churchill aus das offene Wasser auch im Winter sichtbar ist, so bedeutet 
dieses nur, dafs das Landeis geringe Ausdehnung hat, und die aus den Spalten 
zwischen den treibenden Schollen aufsteigenden Schwaden vom Lande aus zu 
sehen sind. Bei Landwinden bildet sich an solchen Orten ein breiter Streifen 
offenen Wassers und in diesem Räume bewegen sich die Schiffe im Frühjahr, 



— 70 — 

ähnlich wie die Waler der Baffin-Bai, welche an der Kante des Landeises nach 
Norden fahren, während das Meer noch vollkommen von Eis erfallt ist. Von 
Interesse sind die Mitteilungen über die Handelsverhältnisse in der Bai, indes 
ist der Wert des Walfischfanges entschieden überschätzt worden, da nach den 
Ausweisen der amerikanischen Statistik die Fangresultate in raschem Rückgange 
begriffen sind. Mit Recht wird dagegen die Bedeutung des Walrofsfanges und 
der Salmfischerei hervorgehoben. Obwohl Prof. R. Bell unter wenig günstigen 
umständen die Expedition begleitete und der Instruktion gemäfs ihm wenige 
Hülfsmittel zu Gebote standen, konnte er höchst interessante Aufschlüsse über 
die Geologie der von der Expedition berührten Stellen geben und fand fast 
überall deutliche Spuren einer ehemaligen Eisbedeckung. Als auftretendes Gestein 
fand sich in der Hudson-Bai überall Gneis. In Prince of Wales Sound und 
Mansfield Island wurden Anzeichen fecenter Hebung beobachtet. Die letzt- 
genannte Insel besteht aus Silurischem Kalk, Marble Island auf der Westküste 
der Hudson -Bai aus Glimmerschiefer und Quarz. Die Beobachtungsresoltate 
der Stationen werden gewifs wissenschaftlich höchst wichtig sein, wenn auch 
die hochgespannten Erwartungen, welche die bei der Entwickelung dieses Handels- 
weges beteiligten Kreise hegen, nicht in Erfüllung gehen werden. 

Dr. Fr. Boas. 



Ans Alaska. Über die erfolgreiche Expedition von Leutnant Allen in Alaska 
entnehmen wir der Kansas City Times folgende Einzelheiten. Von der Nuchek- 
Insel im Prinz Wilhelm-Sund, wohin Allen mit dem Kriegsschiff „Pinta" gelangt 
war, begab sich die Expedition im Frühjahr 1884 in Ruderböten nach der etwa 
60 engl. Meilen entfernten Mündung des Kupferflusses oder Ätna. Die Schlamm- 
bänke in der Nähe der Flufsmündung bereiteten selbst den Ruderböten ein 
ernstliches Hindernis. Von hier fuhr man den Flufs 60 engl. Meilen weit hinauf 
bis zu gewaltigen Gletschern, durch welche er sich Bahn gebrochen hat, dann 
noch weitere 90 engl. Meilen bis zur Einmündung des Chitinah (Chechitno (?) ), 
unter 61 V2 ® n. Br. und 145 ° westl. Länge. Von hier folgte die Expedition dem 
Laufe des Chitinah 125 engl. Meilen weit bis zu seinem Ursprung, kehrte alsdann 
zum Kupferflufs zurück, den sie nunmehr gleichfalls, 300 engl. Meilen weit, bis 
zur Quelle verfolgte. Von hier wandten sich die Reisenden nach dem Quell- 
gebiet des Tananah. Derselbe wird als ein dem Missouii ähnlicher Flufs be- 
schrieben, von 950 bis 1000 engl. Meilen Länge, jedoch mit vielen Stromschnellen 
und wechselnder Breite, von 500 Yards bis zu 5 engl. Meilen. An seiner Mündung 
soll er 2 engl. Meilen breit sein und in einem einzigen Bette fliefsen, während 
er an andren Stellen sich in 15 bis 20 Arme teilt. Die Eingeborenen konnten 
nicht dazu vermocht werden, mit der Expedition die Stromschnellen herunter 
zu fahren. Das Quellgebiet des Tananah ist aufserordentlich reich an Seen ; aus 
einem derselben, welcher auf der Höhe der Alaskaberge in einem Längsthaie 
sich findet, soll sowohl der Tananah wie der Kupferflufs einen Zuflufs erhalten. 
Von der Mündung des Tananah ging die Expedition nach Überschreitung des 
Yukon über die Yukonberge zum Koukuk (Koyoukuk). Diesen verfolgte man 
zunächst 175 engl. Meilen aufwärts, aber auch dann noch war man von seiner 
Quelle weit entfernt. Ein Zuflufs hatte hier noch 15 Fufs Wasser und war 
mehrere Meilen aufwärts noch 100 bis 200 Yards breit. Von einem hohen Berge 
in der Nähe konnte man den Flufslauf bis zu einem in gerader Linie wenigstens 
60 bis 80 engl. Meilen entfernten Punkt verfolgen. Von den Eingeborenen erfuhr 
man, dals man noch 15 Tagereisen bis zum nächsten Zuflüsse hätte, und dafs 



— 71 — 

weiter aufmlrts keine Eingeborene wohnten. Die Expedition ging nun den 
Konkuk abwärts bis zu seiner Einmündung in den Ynkon. Anf dieser ganzen 
Strecke von 750 engl. Meilen fanden sich keine Stromschnellen. Das Wasser 
des Flusses war klar und so so tief, dafs Flufsfahrzeuge von mehreren Fufs Tief- 
gang bis zu dem von der Expedition erreichten Funkt hätten fahren können. 
In dem Flufs befinden sich Inseln von 20 bis 30 engl. Meilen Länge. Der Baum- 
wuchs an seinen Ufern ist spärlich und besteht vorzugsweise aus Fichten, Birken 
und Weiden. Der Koukuk mündet in den Yukon bei der Handelsstation Militu 
(Nulato(?)). Von hier aus ging die Expedition den Yukon abwärts bis zu der 
Fortage nach dem Nuklukayet,*) auf welchem Wege sie an den Norton-Sund 
und Port Michaels gelangte. Drei Tage nach ihrer Ankunft daselbst erschien 
der ^Corwin", welcher die Mitglieder aufnahm und nach San Franzisco brachte. 
Die Expedition bestand aufser dem Leiter, Leutnant Allen, aus Sergeant 
Robertson, Fred. Fickett vom ü. St. Signal-Korps, zwei Goldsuchern, Johnson 
und Bremner und einigen Indianern, die als Kundschafter und Quartiermacher 
dienten. Fisch war die Hauptnahrung der Eingeborenen. Gröfseres Wild war 
im Innern sehr selten; südlich von den Alaskabergen gab es viele Hasen. Die 
Eingeborenen leben zertreut in kleinen Banden. Von dem Koukuk führen, wie 
Allen berichtet, 3 Wege nordwärts zum Kowak, welcher Flufs in demselben Jahr 
von Leutnant Cantwell bis zu seinem Ursprünge verfolgt worden war und der 
anf eine beträchtliche Strecke hin dem Koukuk parallel laufen soll. Das Quell- 
gebiet beider befindet sich unter dem Polarkreise. Leutnant Stoney beabsichtigte 
während dieses Winters vom Kowak zum Koukuk und diesen abwärts zum 
Yukon zu gehen. Die AUensche Expedition hatte viele Entbehrungen auf 
ihrem Landwege auszustehen. Einmal gingen die Lebensmittel völlig aus 
und die Polarhasen, welche ziemlich selten waren, bildeten die einzige Nahrung. 
Alle Mitglieder der Expedition wurden vom Skorbut befallen und zwei derselben 
nur durch die gröfste Sorgfalt am Leben erhalten. Auch Leutnant Allen hat 
schwer an den Folgen der übermäfsigen Entbehrungen und Anstrengungen zu 
leiden gehabt. Er ist jetzt in Washington damit beschäftigt, seine Karten zu- 
sammenzustellen und seine Berichte zu schreiben. Im ganzen hat die Expedition, 
abgesehen von der Fahrt auf dem Yukon, eine Strecke von 950 bis 1000 engl. 
Meilen zurückgelegt und dabei den Lauf dreier fast noch völlig unerforschter 
Ströme festgestellt, des Ätna oder Kupferfiusses, des Tananah und des Koukuk. 

A. K. 

Die Färinger. Die „Mitteilungen der geographischen Gesellschaft in 
Lübeck" brachten in Heft 5 und 6 1885 einen bemerkenswerten Aufsatz von 
L. Akerblom über „Land und Leute der Färöer". Besonderes Interesse bieten 
die auf die Bewohner jener Inselgruppe sich beziehenden Abschnitte und wir 
wollen darum einiges daraus mitteilen. Die Bevölkerung der 17 bewohnten 
Inseln ist unvermischt von norwegischer Abkunft; die Sprache ist die alt- 
norwegische und es erscheint seit einiger Zeit in Thorshavn, dem Hauptort 
der Inseln, in dieser Sprache eine Zeitung: Dimmur Laelling, der Zerstreuer 
des Nebels. Die Einwohnerzahl der Inseln wird für 1876 zu 10,600 angegeben 
(nach der Zählung von 1880 war sie 11,220). Unter den Beschäftigungen der 
Bevölkerung: Ackerbau, Vogelfang, Schafzucht und Fischerei ist der erstere 
untergeordnet; von den Getreidearten reift nur die Gerste und wird zu Brot 
verwandt. Kartoffeln und andere Wurzelgewächse geben ebenfalls gute Ernten. 
Die Erde wird nicht mit dem Pflug, sondern mit dem Spaten bearbeitet. An 

*} Soll wohl heifsen „ünalaklik''. 



— 72 — 

den Küsten, Bocbten und Meerengen finden wir nngeföhr hnndert Dörfer 
(Bjgder), jedocb giebt es auch Einzelgehöfte. Der Boden in der Nähe der 
Häaser wird .Bnnshange^ genannt. Hier werden Brenntorf und Rasen zum 
Dachdecken gestochen nnd ebendaselbst weiden auch die Kühe der Dorfbewohner 
im Sommer. Ton dem .Hnnshange" kommt man nach dem ^Fjeldhange'' (Berg- 
geba^e) , welches in unter- nnd Oberhange geteilt wird. Hier schwärmen un- 
zählige Vögel hemm, hier wächst, von zahlreichen Quellen und von den atmo- 
sphärischen Niederschlägen bewässert, üppiges Gras, und hier streifen die Schafe, 
der Reichtum der Färöer, umher. Das Hange ist ein Gemeingut der Dorfschaft, 
welche bestimmt, wie viele Thiere jeder dort weiden lassen darf. Die Wohn- 
häuser sind von importiertem Föhrenholz gebaut und alle inwendig mit 
Brettern verkleidet Das Dach besteht aus Sparren und Brettern und ist 
mit Birkenrinde bekleidet, die zuoberst mit Rasen überdeckt ist. Die Dächer 
sind schwer und an den Häusern wohl befestigt, damit sie in diesen stürmischen 
Gegenden nicht wegwehen. Die Einrichtung der Häuser ist im allgemeinen sehr 
einfach; sie bestehen aus zwei Zimmern, der Rauchslube und der Glasstube. 
Die erste führte früher mit Recht ihren Namen, da es den Häusern an einem 
Schornstein fehlte. Hin ersetzte ein im Dache befindliches Loch, durch welches 
der Rauch von dem in der Mitte der Stube brennenden Feuer hinauszog. Ge- 
dielte Böden gab es gar nicht und auch Glasfenster kamen selten vor. An den 
Wänden befanden sich wandfeste Kojen, in denen die Bewohner des Hauses der 
Ruhe pflegten. Heutzutage giebt es in den meisten Rauchstuben sowohl Fenster, 
wie gedielte Böden. Diese Rauchstuben dienen fortwährend dem ganzen Haus- 
halte als Schlafstelle und Arbeitszimmer, Küche u. a. Die Glasstube dagegen 
wird immer sehr sauber gehalten. Ihr Name stammt aus der Zeit, wo eine 
Glasscheibe noch ein grofser Luxus war. Li diesem Zimmer, in welchem man 
nur bei feierlichen Gelegenheiten sich aufzuhalten pflegt, findet man dänische 
Mobilien, lithographierte Tafeln und andern Putz. Neben den Wohnhäusern 
liegen die Yiehställe, in denen die Kühe während des Winters stehen. Für 
Schafe und Pferde giebt es dagegen keine Ställe. An Speichern fehlt es nicht; 
unter diesen ist der sogenannte „Kjadlur" besonders zu bemerken, in welchem 
Fische und Fleisch getrocknet werden. Unter den Erwerbsquellen nimmt die 
Schafzucht vielleicht den ersten Platz ein und das alte Sprichwort: „Die Wolle 
der Färöer das Gold der Färöer" hat seine vollste Berechtigung. Auf jeden der 
Einwohner kommen angeblich 18 Stück Schafe, was für die ganze Inselgruppe 
eine Zahl von 180,000 macht. 30- bis 40,000 Schafe werden jährlich geschlachtet. 
Die Färöerschafe, welche im Landesdialekt „Söjd" genannt werden, sind klein, 
zottig und abgehärtet. Sie laufen im Sommer und Winter draufsen umher, ohne 
je unter Dach zu kommen. Ist der Winter milde, so können sie dieses Leben 
wohl aushalten. Sie finden ihre Nahrung, indem sie den Schnee hinwegscharren 
und das vergilbte Gras fressen. Während langer und harter Winter kommen 
sie aber in grofser Menge um, teils dadurch, dafs sie sich, wenn der Schnee zu 
tief liegt, auf die schmalen Absätze an den Felswänden hinausbegeben und, da 
diese glatt sind, ins Meer stürzen, oder sie gehen auf überhängende Schneewehen 
hinaus, welche nachlassen und hinunterstürzen. Nicht selten werden sie ein- 
geschneit und müssen alsdann mit Hülfe von Hunden ausgegraben werden. 
Der einzige Schutz, welchen man ihnen gewährt, ist eine Art steinerne Hürde 
oder Einzäunung, welche von einer drei Fufs hohen Steinmauer umgeben ist 
und 50 — 100 Schafe aufnehmen kann. Hierher eilen sie bei ausbrechendem Un- 
gewitter und stehen dicht an einander gedrängt, wodurch sie sich einigermalsen 



— 73 — 

gegen Wind nnd Kälte schützen. Die Wolle wird nicht mit der Scheere abge- 
schnitten, sondern mit den Händen abgerissen, so dafs manches Schaf blutend 
davongeht. Diese eigentümliche Wollernte findet gewöhnlich im Monat Juli statt. 
Alle Versuche, die Schafschere einzuführen, sind an dem Konservatismus der 
Einwohner und dem Wunsch gescheitert, die feine Wolle zu bekommen, welche 
sich dicht über der Haut befindet und die man beim Scheren nicht soll ge- 
winnen können. Von der Wolle werden Kleider verfertigt, besonders Jacken 
und Strümpfe. Im Jahre 1875 wurden allein 51,811 Jacken, aufser vielen 
andern wollenen Waren, verschifft. Der Verbrauch unter den Inselbewohnern 
selbst ist auch sehr bedeutend. Nächst der Schafzucht ist die wichtigste Erwerbs- 
quelle die Fischerei. Dieselbe wird mit Böten, die 8—10 Mann rudern, in den 
Buchten und im offenen Meere betrieben, und zwar mit Angeln und Langleinen ; 
als Köder dienen Schaffleisch oder frische Fische; Gegenstand des Fanges sind 
Kabljau und Leng, Butte und Heringe, welche letztere mit Netzen gefischt 
werden. Wenn der Fang gelandet ist, wird zuvörderst der zehnte abgesondert, 
ebenso der Anteil für die Armen der Gemeinde; das übrige wird unter die 
Mannschaften verteilt, wobei der Besitzer des Botes einen Anteil erhält. Dorsch 
wird als Klippfisch neuerer Zeit in steigenden Mengen nach Dänemark, Irland 
und Spanien ausgeführt. Sehr einträglich ist in manchen Jahren auch- der 
Grindwalfang. Dieser Delphinwal zieht zuweilen in grofsen Scharen in die Nähe 
der Inseln; dieselben werden dann von einer gröfseren Anzahl Böte in eine 
Bucht getrieben und hier getötet. 

Der Vogelfang ist trotz seiner halsbrechenden Gefahren die Lieblings- 
beschäftigung der Färinger. An den steilen, dem Meere zugewandten Felsen- 
wänden nisten nämlich Millionen Seevögel, welche Gegenstand eines lohnenden 
Fanges sind. Es sind fast ausschliefslich die gegen Südwesten gelegenen, von 
den Sonnenstrahlen erwärmten Felsen, die von den Vögeln bewohnt werden, 
und solche Felsen werden Vogelberge genannt. An ihren Abhängen sitzen die 
Tögel auf den Stufen oder Terrassen, welche dadurch gebildet werden, dafs die 
lockeren Teile der Felsenwand sich zerbröckeln und herunterfallen. Überall 
wimmeln befiederte Wesen, in der Luft schwirren die Taucher in so grofser 
Menge umher, dafs man, wenn sie in ihrer Ruhe gestört werden, den blauen 
Himmel gar nicht sehen kann. An den Vorsprüngen sitzen Möven, Alken und 
Taucherenten in langen Reihen, die weifse Brust der See zugewandt. Die Möven 
£iegen scharenweise längs der Felsenwand, wobei sie ein so durchdringendes 
Geschrei erheben, dafs man seine eigenen Worte nicht hören kann. Der Lärm 
ist entsetzlich und scheinbar herrscht die gröfste Unordnung an der ganzen 
Pelsenwand. Bei näherer Betrachtung findet man jedoch, dafs alles an gewisse 
Begeln gebunden ist. Jede Vogelart hat ihren bestimmten Platz und jedes 
Pärchen seine bestimmte Brutstelle. Die meisten bauen aber keine Nester, 
sondern legen ihre Eier auf den blofsen Felsen. Der Vogelfang wird auf eine 
sehr verwegene und waghalsige Weise betrieben; er ist zugleich eine Erwerbs- 
quelle und ein „Sport". Bei dieser Beschäftigung gewinnt der junge Färing 
seine ersten Sporen. Es giebt mehrere Weisen, den Vögeln nachzustellen; ge- 
wöhnlich werden sie aber mit Netzen gefangen. Das Netz ist aus Bindfaden ge- 
bunden, zwischen zwei krummen gebogenen Stecken befestigt und mit einem 
12 Fufs langen Stiel von Fichtenholz versehen. Es ähnelt folglich einem Fisch- 
hamen. Mit diesem begiebt sich der Vogelsteller an einen Platz, wo die Vögel 
vorbeifliegen und packt sie im Fluge. Diese Methode wird »fleyga" genannt. 
Der Vogelfänger mufs sich aber häufig grofsen Gefahren aussetzen, um an den 



— 74 — 

geeignetsten Platz „Fleygasessnr^ zu gelangen. Häufig kriecht er von einem 
Thale ans auf die schmalen Absätze der Berge hinaus ; er mnfs aber schwindel- 
frei sein, denn sonst ist er verloren. Einmal an den rechten Platz angelangt, 
setzt er sich and fangt nach Herzenslust. Unter sich hat er das Meer, über 
sich den Himmel; der Platz, an welchem er sich befindet, ist ein vielleicht zwei 
oder drei Fufs breiter Abhang. Der Färing ist aber an allerlei derartige 
Vorkommnisse gewöhnt und ihn schaudert nicht. Häufig mufs aber der 
Vogelsteller nach dem Jagdplatz („Lunnelandet") hinuntergelassen werden. Fünf 
oder sechs Männer lassen ihn alsdann mit Hülfe eines 400 — 500 Fufs langen 
Seiles hinunter. Wenn der Mann einen passenden Absatz erreicht hat, giebt er 
den Kameraden auf dem Berge ein Zeichen, dafs sie anhalten. Gewöhnlich 
werden auf diese Weise mehrere Männer nach demselben Platz hinuntergelassen. 
Einmal dort angekommen richten sie sich so gut wie möglich für mehrtägigen 
Aufenthalt ein. Sie suchen eine gröfsere Bergkluft auf, wo sie schlafen können, 
müssen sich aber häufig des Nachts festbinden, um nicht ins Meer hinunterzu- 
stürzen. Die Vogelfänger nehmen Speise und Brennmaterial mit sich und bleiben 
mitunter eine ganze Woche auf dem Berge. Der Fang geschieht im Mai, Juni 
und Juli, folglich während der schönsten Jahreszeit. Täglich kommen Kameraden 
auf die Höhe, um zu sehen ob alles gut geht oder ob auch jemand herauf will. 
Unterdessen wird der Fang fortgesetzt, und jeder Mann fängt ungefähr tausend 
Vögel, welche er entweder ins Meer wirft, wo sie von anderen aufgesammelt 
werden, oder er bindet sie zusammen und läfst sie auf den Berg hinaufziehen. 
Mitunter haben die Vogelfänger, wenn sie ihre Lage an der Felsenwand verändern 
wollen, keinen andern Ausweg, als sich selbst an das Seil zu binden und mit 
dem Stiele des Netzes gegen den Felsen zu stofsen, um in eine schwingende 
Bewegung zu kommen und auf diese Weise endlich den erwünschten Platz zu 
erreichen. Zuweilen müssen die Vogelsteller den Fangplatz von unten her zu 
erreichen suchen. Dies ist sehr schwierig und geschieht so, dafs zwei Männer 
einander folgen, wobei der Nachfolgende mit einem am Ende eines langen 
Steckens befestigten Haken in den Gurt seines Kameraden greift, um ihm auf 
diese Weise auf den höher liegenden Absatz hinauf zu helfen. Der glücklich 
Hinaufgekommene zieht nachher *mit dem Seile den andern hinauf. Ein ein- 
ziger Fehltritt würde beiden das Leben kosten, da sie gewöhnlich beide mit 
demselben Seile zusammengebunden sind. Der Vogelfang verlangt viele Opfer; 
ist aber die Gefahr vorüber, dann ist die Freude grofs. Die Erlebnisse des 
Vogelstellers geben Stoff zur Unterhaltung während des ganzen Winters, und er 
gewinnt durch die ausgestandenen Schwierigkeiten an Selbstvertrauen und Kalt- 
blütigkeit. Die Ausbeute des Vogelfanges beträgt jährlich mehrere Hundert- 
tausende Vögel aller Art. Das Fleisch wird eingepökelt, und die Federn bilden 
einen wichtigen Handelsartikel. Im Jahre 1873 wurden 170 Zentner Dunen ex- 
portiert, im Jahre 1875 155 Zentner. 



§ Die lappländischen Alpen. In einer der vorigjährigen Versammlungen 
der schwedischen Gesellschaft für Anthropologie und Geographie machte Dr. 
Svenonius auf Grund seiner in mehreren Reisen angestellten Beobachtungen 
Mitteilungen über die lappländischen Alpen. Nach den Eindrücken des Redners 
ist der Anblick der lappländischen Alpen ein weit grofsartigerer von der schwe- 
dischen Seite her, als wenn man sich ihnen von der norwegischen Küste aus 
nähert. Immerhin mufs man ein grofses Stück in schwedisch Lappland ein- 
dringen, ehe man die höheren Erhebungen zu Gesicht bekommt. Im allge- 



— 75 — 

meinen kann man die Be^gformen der lappländischen Alpen in alpine, mit 
scharfen, zerrissenen Konturen und in grüne oder Weideberge einteilen, welche 
letztere einheitlichere gleichmäfsigere Linien zeigen; sie sind — für die Lappen 
glücklicherweise — die zahlreicheren. Die am meisten zerrissenen und schroffen 
Bergformen findet man in dem schwer zugängbchen Bergmassiv, welches zwischen 
dem Pachthof Aktsik und dem See Vastinjaur um die Quellen des Rapaäder 
gelegen ist. Hier erheben sich die wilden Berge Alkas, Sarves und Parte, ferner 
der Matutuoddar, dessen höchste Spitze, der Sarjektjäkko, eine Zeitlang als die 
höchste Bergspitze in Schweden angesehen wurde. Eine andere alpine Region 
im "Westen des Pajttasjärvi (Järvi-See) ist die bedeutendste Seenquelle des 
Kalikselfs, hier ragen die höchsten Spitzen der schwedischen Alpen, der Keb- 
nekaisse und der Kaskasatjäkko. In diesen beiden Regionen finden sich die 
flauptgletschermassen Schwedens und die erstgenannte Region führt darum mit 
vollem Recht den Namen: die Eisgrube Lapplands. Man hat berechnet, dafs 
etwa 180 qkm oder Vt der ganzen Region mit ewigem Eise bedeckt ist, dessen 
Mächtigkeit stellenweise mehrere hundert Fufs beträgt. Ob die Gletscher Lapp- 
lands zu- oder abnehmen, dies mit Sicherheit zu bestimmen reichen die bis- 
herigen Beobachtungen noch nicht aus. Vielleicht ist die Abnahme auch hier, 
wie bei den übrigen Gletschermassen Europas die Regel. Die Seen nehmen 
einen grofsen Teil der Fläche Lapplands ein und vorzugsweise ist es die breite 
etwa ein Drittel von ganz Lappland einnehmende Zone zwischen der eigentlichen 
Alpen- und der Waldregion, welche durch den Reichtum an grofsen und kleinen 
Süfswasserbecken charakterisiert ist; immerhin giebt es auch einige sehr grofse 
Seen in der Alpenregion, unter den bedeutenden Wasserfällen sind zu nennen : 
der grofse See-Wasserfall, 38,6o m hoch in Luleä-Lappland ; der „grofse Hasen- 
sprung", drei Mal so hoch wie die Trollhätta-Fälle ; die Wassermasse des Hasen- 
sprungs wird in der wasserreichen Zeit auf 500 cbm in der Sekunde geschätzt ; 
ferner die von dem Ängesäelf gebildeten Lina-linka-Fälle u. a. Besonders 
pittoreske kleinere Wasserfälle sind die von Marramakärtje, zwischen Kobdejaur 
und Sitasjaur in Gellivare-Lappland und der prächtige Fall von Rakaskärtje 
am westlichen Ende des Tornioträsk (Tornio-Sees). 



§ Neu-Giiinea. Die Neu-Guinea-Forschung hat in der letzten Jahresreihe 
niemals geruht, doch erst seit den Besitzergreifungen seitens des deutschen 
Reichs und Grofsbritanniens ist dieselbe vielseitiger in Angriff genommen worden. 
In Band VIII. Heft 4. dieser Zeitschrift haben wir den ersten bedeutenden Er- 
folg, die Entdeckungsreisen des Herrn Dr. Finsch an der Ost- und Nordost- 
küste, verzeichnet. Reiche Aufschlüsse über die Völkerkunde jener Teile der 
grofsen Insel eröffnet die von Dr. Finsch mitgebrachte ethnologische Sammlung, 
welche vor kurzem in Berlin im Königlichen Museum für Völkerkunde aus- 
gestellt wurde. Der uns vorliegende „Katalog der ethnologischen Sammlung der 
Neu-Guinea-Kompagnie, ausgestellt im Königlichen Museum für Völkerkunde. 
Berlin 1886. 0. v. Holten" eröffnet uns einen Blick in den Reichtum und die 
Mannigfaltigkeit dieser aus Gebrauchsgegenständen aller Art, namentlich Waffen, 
Schmuck, Kleidung, Geräten, Werkzeugen u. a. bestehenden Sammlung, welche 
aus 26 Örtlichkeiten des Bismarck - Archipels, von Kaiser Wilhelms - Land und 
benachbarten englischen Schutzgebieten stammen. Eine Sammlung von Schädeln 
und Gesichtsmasken liefert wichtiges Material für die Anthropologie. Ferner finden 
wir Naturprodukte : Sago, Mais, Tabaksblätler von mehreren Punkten, Kopra, Jams, 
Perlmutterschalen, endlich Gesteins- und Bodenproben. Wie-uns mitgeteilt wuxdÄ^ 



— 76 — 

ist die Sammlnng in den Besitz des Königlichen Museums übergegangen. — 
Mittlerweile gehen die Arbeiten und Untersuchungen zur wissenschaftlichen und 
wirtschaftlichen Aufschliefsung der neuen deutschen Kolonie : Kaiser Wilhelms- 
Land und Bismarck-Archipel, in greisem Mafsstabe weiter. In dieser Beziehung 
berichtete die „Kölner Zeitung" vor kurzem folgendes: Die am 29. Juni v. J. von 
der Gesellschaft entsandte, aus den Herren Menzel, Grabowski, v. Oppen und 
Schollenbruch bestehende Expedition ist inzwischen mit malayischen Arbeitern 
in Kaiser Wilhelms-Land angekommen, um dort Niederlassungen zu errichten. 
Am 3. Februar brach nun eine gröfsere wissenschaftliche Forschungsexpedition 
von Hamburg auf; Leiter derselben ist Dr. Schrader, der bisherige Assi- 
stent der Sternwarte in Hamburg; er wird gleichzeitig die astronomischen und 
geographischen Aufgaben übernehmen. Begleitet wird er von dem Dr. Holl- 
rung aus Dresden als Botaniker und Agrikulturchemiker, Dr. Karl Schneider 
aus Berlin als Geologen und dem Kaufmann Elias aus Berlin, der in der 
Küstenstation kaufmännisch beschäftigt werden soll. Die vier Herren schifften 
sich am 8. Februar auf dem Dampfer »Quetta" der British India Linie in London 
ein und werden am 31. März in Cooktown eintreffen; dort wird ein ferneres 
Mitglied der Expedition, Herr Hunstein, zu ihnen stofsen, der für die prak- 
tischen Fragen der Expedition, soweit sie die Träger, die Lager, die Verprovian- 
tierung betreffen, bestimmt ist, die er aus seinem langen Aufenthalt in der Südsee 
gründlich kennt. Von Cooktown geht die Fahrt mit einem Dampfer der Neu- 
Guinea-Kompagnie nach Finsch-Hafen. Dorthin sind schon seit Oktober malayische 
Träger aus Surabaja gebracht, ebenso sind kleine Packpferde aus Queensland 
sowie einige zusammenlegbare Dampf barkassen geschafft, da man zuerst auf dem 
neuentdeckten Kaiserin Augusta-Flufs in das bisher noch von keinem Weifsen 
betretene Innere einzudringen versuchen will. Alle Gegenstände der Ausrüstung 
und der Verpflegung sind ausschliefslich in Deutschland gekauft, die Gesellschaft 
hat darauf Bedacht genommen, die Herren mit den besten wissenschaftlichen 
Vorrichtungen reichlichst zu versehen. Ebenso sind die Herren im Samariter- 
dienst ausgebildet worden. Die Dauer der Reise ist auf zwei Jahre in Aussicht 
genommen worden. Man wird von der Küste aus zunächst ins Innere bis zur 
englischen Grenze vorzudringen suchen, dieselbe an geeigneten Punkten festlegen 
und durch schwer veränderliche Zeichen bemerkbar machen, auf einem andern 
Wege unter thunlichster mehrfacher Durchquerung des dazwischen liegenden 
Gebiets zur Küste zurückkehren, dort sich die für Erholung und Wiederaus- 
stattung notwendige Zeit gönnen und dann von einem andern Küstenpunkte in 
ähnlicher Weise nach dem Innern vordringen, um das zwischen dem 148. und 
141.® ö. L. liegende Gebiet möglichst aufzuschliefsen. An geeigneten Plätzen 
sollen Stationen angelegt und der Verkehr mit den Eingeborenen angebahnt 
werden. Aufs sorgfältigste sind die Verhaltungsv9rschriften ausgearbeitet, die 
den Mitgliedern der Neu -Guinea -Kompagnie mitgegeben sind. Besonderes Ge- 
wicht wird in den Verhaltungsvorschriften darauf gelegt, dafs die Eingeborenen 
über den friedlichen Zweck der Expedition und der Kompagnie, über die Macht 
und Bedeutung des deutschen Reichs aufgeklärt werden; jede Gewalt, auch ins- 
besondere der Gebrauch der Waffen gegen sie ist aufser dem dringenden FaU 
der Notwehr ausgeschlossen. Das schon früher ergangene allgemeine Verbot 
ihnen Waffen, Munition und geistige Getränke zukommen zu lassen, gilt selbst- 
verständlich auch für die Expedition. Jedes Mitglied hat ein Tagebuch doppelt 
zu führen und für möglichste Vollständigkeit der wissenschaftlichen Beobach- 
tungen und Sammlungen Sorge zu tragen. Für die meteorologischen Beobach- 



— 77 — 

tnngen sind eigene ausfuhrlicbe Bestimmungen ausgearbeitet, die nicht weniger 
als zwölf gedruckte Quartseiten ausfüllen. — Aber auch die Erforschung des 
britischen Neu-Guinea ist in Angriff genommen. Über den Verlauf der 
von der australischen geographischen Gesellschaft in Sydney unter Leitung des 
Kapitäns Everill im vorigen Jahre nach der Südküste ausgesandten Expedition 
sind vorläufige Berichte eingelaufen, die in dem Monatsbericht von „Petermanns 
Mitteilungen" Heft 2, 1886, S. 61, sowie im „Globus^ veröffentlicht wurden. Diese 
Expedition ist nun zwar, entgegen den Gerüchten, welche ihre Vernichtung durch 
Eingeborene meldeten, wohlbehalten nach Sydney zurückgekehrt, allein ihre 
geographischen Ergebnisse sind gering. Das Hochland des Innern wurde nicht 
erreicht; die Expedition ging den Fly- River und sodann einen von Norden 
kommenden, von d'Aibertis 1876 entdeckten NebenfluTs (Alice -River?) hinauf, 
scheint aber mit dem Rettungsboot, welches an die Stelle des festgeratenen 
Dampfers „Bonito* trat, nicht viel weiter gekommen zu sein, als d'Aibertis am 
6. Juli 1876. Auch die mitgebrachten Sammlungen sollen von geringem Wert 
sein. Dabei hat die Expedition den australischen Kolonien die Summe von 
70000 Mark gekostet! Weit bedeutendere Ergebnisse dürfen wir jedenfalls von 
dem bewährten Reisenden des malayischen Archipels, dem von der Londoner 
geographischen Gesellschaft ausgesandten Naturforscher H. H. F o r b e s erwarten. 
Im Oktober v. J. hatte er von Port Moresby aus den FuTs der Owen-Stanley- 
Keite erreicht und sich dort in dem Dorfe Sogere niedergelassen. Seine Be- 
gleitung besteht aus drei Europäern : dem Topographen Hennessy, dem Botaniker 
Andersson und dem Zoologen und Präparator Lopes, ferner aus zwei Amboinesen 
und 21 Javanern. Die Erforschung der Owen -Stanley -Gebirgskette, die, dem 
Seefahrer sichtbar, sich bis über 13 000 Fufs Höhe erheben soll, hat sich Forbes 
zur Hauptaufgabe gestellt. Vergegenwärtigen wir uns nun, dafs auch die nieder- 
ländischen Forschungsreisen an dem westlichen Teil der Nordküste und von da 
ins Innere fortgesetzt werden dürften, so haben wir in den nächsten Jahren viel- 
seitige geographische Aufschlüsse über Neu-Guinea zu erwarten. 



§ Pondieh^ry. Ober diese an der Ostküste (der Koromandalküste) der 
Yorderindischen Halbinsel, südlich von Madras belegene französische Kolonie 
machte A. Renouard kürzlich in einer Versammlung der geographischen Gesell- 
schaft zu Lille eingehende Mitteilungen. Er giebt den Flächeninhalt des Terri- 
toriums, welches sich in drei Distrikte: Pondich6ry, Bahour und Villemour 
gliedert, auf 29 122 ha und die Einwohnerzahl auf 156 000 an. Acht Flüsse, 
mehrere Ableitungskanäle und zahlreiche Bäche und Quellen bewässern das Gebiet, 
in welchem sich auch noch gröfsere und kleinere Teiche, sowie Reservoire für 
die künstliche Bewässerung der Kulturen finden. Die Hauptprodukte des Landes 
sind: Reis, Indigo, Kokosnufs, Tabak, Rohrzucker, Baumwolle, Sesam, Erdnüsse, 
Südfrüchte, Wein, Betel und Haschisch. Die von der indischen Kompagnie 
zur Zeit Ludwig XIV. gegründete Stadt zerfällt in eine ville noire, die nur von 
Eingeborenen bewohnt wird und eine ville blanche, den an der See gelegenen 
schmucken Stadtteil der Europäer. Die Eingeborenen sind teils Hindus, teils 
Mohammedaner (mapelles), teils Mischlinge (Topas), eine Mischrasse aus Portugiesen 
und Hindus. Diese, die Europäer und einige Paria-Hindus gehören der katho- 
lischen Religion an, im übrigen ist sowohl der Islam als die Brahma- und die 
Buddha-Religion vertreten. Die Industrie von Pondichery ist nicht unbedeutend ; 
sie zählt Baumwollspinnereien von 25000 Spindeln, 5000 Webstühle und 73 
Indigofarbereien, in welch letzteren jährlich 30 000 Stücke (guin^es) Baumwollstoff 



- 78 — 

geförbt werden. Die Rhede von Pondichöry soll sehr schlecht sein; vom See- 
schiff i^ird man in offenen Böten zur Landungsbrücke befördert. Die Lebens- 
mittel sind nach den von Renouard angeführten Beispielen sehr billig. Das 
Klima giebt Renonard als gesund an, bezeichnet dabei aber als die mittlere 
Temperatur 26*^ (R. ?) im Winter und 40" im Sommer, jedenfalls ist es also sehr 
heifs und die Kaufleute haben daher ihre Sommerfrischen in Villen am grofsen 
See (Ussundu), wohin sie sich am Nachmittag aus dem heifsen und ungesunden 
Pondich6ry zurückziehen. Die Sterblichkeit der Europäer war in Pondich^ry 
in der Periode 1856 — 65 geringer als in allen andern französischen Tropen- 
kolonien. Wir finden sie in dem bei Reinwald in Paris erschienenen Werke: 
la Colonisation scientifique, zu 3,14 auf 100 Lebende angegeben. Neben dem 
Sumpffieber, das indes hier nicht so häufig ist als in Bengalen und selbst in 
Bombay, sind es Anämie, Dysenterie, Cholera, Pocken und Schwindsucht, welche 
besonders die Europäer bedrohen. Im Jahre 1877 wurde Pondich6ry durch eine 
Hungersnot heimgesucht. Seit 1863 besitzt die Stadt eine Wasserleitung, aber 
die Ab Wässerung scheint nach dem Zeugnis des Arztes Dr. Follet sehr mangelhaft. 



§ Die Christian Ratenberg-Stiftung in Bremen. In der Versammlung des natur- 
wissenschaftlichen Vereins zu Bremen am 15. Februar d. J. wurde seitens des Vor- 
standes das Statut der reichen Stiftung im Kapitalbetrage von 50,000 Ji vorgelegt, 
welche Herr Baumeister Lüder Rutenberg hierselbst am 8. Februar d. J. dem 
Vereine zur Erinnerung an seinen im Jahre 1878 auf Madagaskar gestorbenen Sohn 
Christian*) übergeben hat. Das Statut bezeichnet als den Zweck der Stiftung: 
Pflege der Naturwissenschaften und namentlich der Lieblingswissenschaften des 
Verstorbenen, der Botanik und Zoologie in unserer Stadt; eine Reihe von Ver- 
wendungen, welche ganz innerhalb der Bestrebungen des naturwissenschaftlichen 
Vereines liegen, werden als dem Stifter besonders willkommen bezeichnet. Das 
Kapital der Stiftung darf nicht angegriffen, soll vielmehr durch allmähliche 
Kapitalisierung zunächst bis auf den doppelten Betrag erhöht werden. Ober einen 
Teil der Zinsen wird vorübergehend zu einem wohlthätigen Zwecke verfügt; der 
Rest — und später der ganze Betrag — steht dem Vorstände des Vereins zur 
Verfügung. Einige notwendige Bestimmungen über Verwaltung sowie über den 
Modus bei etwa nötig werdender Abänderung der Statuten schliefsen das Akten- 
stück. — An diese von der Versammlung mit grofser Befriedigung entgegen- 
genommenen Anzeige knüpfte Herr Professor Buchenau eine längere Ansprache, 
in welcher er einen Rückblick auf die Bestrebungen des Vereins seit seiner im 
Jahre 1864 erfolgten Gründung warf, und hervorhob, welche reiche und dank- 
bare Aufgaben dem Verein auch für sein ferneres Wirken gestellt sind. Zur 
Lösung dieser Aufgaben bedürfe aber der Verein weit gröfserer Mittel, als sie 
ihm bis jetzt durch die Beiträge der Mitglieder und einige Zinsbeträge zur 
Verfügung stehen und es sei daher die fernere Zuwendung von Schenkungen 
und Vermächtnissen an den naturwissenschaftlichen Verein im hohen Grade 
wünschenswert. — Indem wir uns dieser Auffassung vollständig anschliefsen, sprechen 
wir die Hoffnung aus, dafs das von Herrn Rutenberg gegebene Beispiel den 
Anlafs bieten möge, Vermächtnisse und Schenkungen in Zukunft nicht allein 



*) Über die Reisen und Forschungen des jungen Rutenberg in Südafrika, 
auf Mauritius und Madagaskar hat unsre Zeitschrift auf Grund der Tagebücher 
des Reisenden ausführlich und unter Beigabe einer Karte berichtet in BandlU. 
1880 S. 49, 60, 113 u. ff. 



— ?d - 

Wohlthätigkeitszwecken, sondern auch der Förderung von wissenschaftlichett 
Bestrebungen in unserer Stadt zuzuwenden, wir dürfen hinzusetzen nach 
den Vorgängen in vielen andern deutschen Städten. Denn diese Bestre- 
bungen, wenn ihre Erfolge auch, nicht unmittelbar hervortreten, sind recht 
eigentlich gemeinnütziger Natur. Wir denken z. B. auch an die von unsrer Gesell- 
schaft vertretene Förderung der Länder- und Völkerkunde, eine Aufgabe, welcher 
man möchte sagen naturgemäfs eine Handelsstadt wie Bremen reiche Mittel zu- 
wenden sollte. Abgesehen von der Freigebigkeit eines Mitgliedes, welcher die 
vielseitig wissenschaftlich fruchtbare Reiseunternehmung der Herren Dr. Krause 
zu danken war, hat sich unsre Gesellschaft bisher noch keiner Schenkung oder 
eines Vermächtnisses aus Bremen erfreuen können, und doch mufs man sagen, 
dafs nur durch Darbietung der erforderlichen Mittel sich unsre Gesellschaft 
auch ferner im stände sehen wird, die Länder- und Völkerkunde wirksam zu 
fördern und so für Bremen auch auf diesem hervorragenden Gebiete geistigen 
Strebens der deutschen Gegenwart eine ehrenvolle Stellung zu sichern. 



§ Die Elizabeth Thomson wissensehaltliche Stiftung in Boston. Die Ver- 
waltung dieser Stiftung hat uns durch ihren Sekretär Herrn Dr. C. S. Minot in 
Boston (Massachusetts) ersucht, bekannt zu geben, dafs mit den Zinsen dieser 
jetzt über ein Kapital von 25,000 Dollar verfügenden Stiftung wissenschaftliche 
Arbeiten gefördert und unterstützt werden sollen, die den Fortschritt des mensch- 
lichen Wissens im allgemeinen zum Zweck haben. Bereits von diesem Jahre 
an sind die Zinsen der Stiftung für diesen Zweck verfügbar und sind Bewerbungen 
an den Sekretär der Verwaltung, Herrn Dr. Minot in Boston (25 Mount Vernon 
Street), zu richten. ' 

Geographische Litteratur. 
Allgemeines. 

— Lux, A. E , Artilleriehauptmann, Geographischer Handweiser. Syste- 
matische Zusammenstellung der wichtigsten Zahlen und Daten aus der Geo- 
graphie. 5. Auflage. Preis J6l 1.50. Verlag von Levy & Müller. Stuttgart. Dieses 
54 Seiten umfassende Nachschlagebuch enthält in übersichtlicher Form eine 
grofse Zahl der wichtigsten geographischen Daten. Die ersten 15 Seiten bieten 
solche aus der mathematischen und physischen Geographie; so weit es sich um 
Zahlen handelt, findet man hier also Auskunft über Fixsterne, Planeten, Ver- 
teilung von Land und Wasser, Gröfse von Inseln und Halbinseln, Länge der 
wichtigeren Gebirgszüge, Höhe der wichtigsten Berge u. a. S. 15 — 54 behandeln 
die politische Geographie — hier bieten die bekannten Hübnerschen Tabellen 
bedeutend mehr. W. 

— Leunis, Synopsis der Tierkunde. Dritte Auflage von Hubert 
Ludwig, Professor in Giefsen. H. Band, zweite Abteilung. Mit der vorliegenden 
Schrift kommt der zweite Band und damit die ganze Neubearbeitung der 
Synopsis der Zoologie von Leunis zum Abschlufs. Die Schwäche der vorigen 
Auflage, die sich am meisten bei den wirbellosen Tieren von den Krustaceen 
abwärts offenbarte, ist gerade in diesem Teile des Werks zur hervorragenden 
Stärke geworden. Die Klassen und Kreise der Spinnentiere, Krebse, Würmer, 
Stachelhäuter, Coelenterai en und Urtiere (Protozoa), welche bei dem früheren 
Verfasser zu kurz gekommen waren, sind jetzt um so ausführlicher behandelt. 
Der Entwickelung der neueren Zoologie entsprechend, wurden besonders die 



— 70 — 

ähnlicli wie die Waler der Baffin-Bai, welche an der Kante des Landeises nach 
Norden fahren, während das Meer noch vollkommen von Eis erfüllt ist. Von 
Interesse sind die Mitteilungen über die Handelsverhältnisse in der Bai, indes 
ist der Wert des Walfischfanges entschieden überschätzt worden, da nach den 
Ausweisen der amerikanischen Statistik die Fangresultate in raschem Rückgange 
begriffen sind. Mit Recht wird dagegen die Bedeutung des Walrofsfanges und 
der Salmfischerei hervorgehoben. Obwohl Prof. R. Bell unter wenig günstigen 
umständen die Expedition begleitete und der Instruktion gemäfs ihm wenige 
Hülfsmittel zu Gebote standen, konnte er höchst interessante Aufschlüsse über 
die Geologie der von der Expedition berührten Stellen geben und fand fast 
überall deutliche Spuren einer ehemaligen Eisbedeckung. Als auftretendes Gestein 
fand sich in der Hudson-Bai überall Gneis. In Prince of Wales Sound und 
Mansfield Island wurden Anzeichen fecenter Hebung beobachtet. Die letzt- 
genannte Insel besteht aus Silurischem Kalk, Marble Island auf der Westküste 
der Hudson -Bai aus Glimmerschiefer und Quarz. Die Beobachtungsresultate 
der Stationen werden gewifs wissenschaftlich höchst wichtig sein, wenn auch 
die hochgespannten Erwartungen, welche die bei der Entwickelung dieses Handels- 
weges be|;eiligten Kreise hegen, nicht in Erfüllung gehen werden. 

Dr. Fr. Boas. 



Ans Alaska. Über die erfolgreiche Expedition von Leutnant Allen in Alaska 
entnehmen wir der Kansas City Times folgende Einzelheiten. Von der Nuchek- 
Insel im Prinz Wilhelm-Sund, wohin Allen mit dem Kriegsschiff „Pinta^ gelangt 
war, begab sich die Expedition im Frühjahr 1884 in Ruderböten nach der etwa 
60 engl. Meilen entfernten Mündung des Kupferflusses oder Ätna. Die Schlamm- 
bänke in der Nähe der Flufsmündung bereiteten selbst den Ruderböten ein 
ernstliches Hindernis. Von hier fuhr man den Flufs 60 engl. Meilen weit hinauf 
bis zu gewaltigen Gletschern, durch welche er sich Bahn gebrochen hat, dann 
noch weitere 90 engl. Meilen bis zur Einmündung des Chitinah (Chechitno (?) ), 
unter 61 V2 ® n. Br. und 145 ° westl. Länge. Von hier folgte die Expedition dem 
Laufe des Chitinah 125 engl. Meilen weit bis zu seinem Ursprung, kehrte alsdann 
zum Kupferflufs zurück, den sie nunmehi* gleichfalls, 300 engl. Meilen weit, bis 
zur Quelle verfolgte. Von hier wandten sich die Reisenden nach dem Quell- 
gebiet des Tananah. Derselbe wird als ein dem Missouii ähnlicher FluTs be- 
schrieben, von 950 bis 1000 engl. Meilen Länge, jedoch mit vielen Stromschnellen 
und wechselnder Breite, von 500 Yards bis zu 5 engl. Meilen. An seiner Mündung 
soll er 2 engl. Meilen breit sein und in einem einzigen Bette fliefsen, während 
er an andren Stellen sich in 15 bis 20 Arme teilt. Die Eingeborenen konnten 
nicht dazu vermocht werden, mit der Expedition die Stromschnellen herunter 
zu fahren. Das Quellgebiet des Tananah ist aufserordentlich reich an Seen ; aus 
einem derselben, welcher auf der Höhe der Alaskaberge in einem Längsthaie 
sich findet, soll sowohl der Tananah wie der Kupferflufs einen ZufluTs erhalten. 
Von der Mündung des Tananah ging die Expedition nach Überschreitung des 
Yukon über die Yukonberge zum Koukuk (Koyoukuk). Diesen verfolgte man 
zunächst 175 engl. Meilen aufwärts, aber auch dann noch war man von seiner 
Quelle weit entfernt. Ein Zuflufs hatte hier noch 15 Fufs Wasser und war 
mehrere Meilen aufwärts noch 100 bis 200 Yards breit. Von einem hohen Berge 
in der Nähe konnte man den FluTslauf bis zu einem in gerader Linie wenigstens 
60 bis 80 engl. Meilen entfernten Punkt verfolgen. Von den Eingeborenen erfuhr 
man, dals man noch 15 Tagereisen bis zum nächsten Zuflüsse hätte, und dals 



— 71 -^ 

weiter anfwurts keine Eingeborene wohnten. Die Expedition ging nun den 
Konkuk abwärts bis zu seiner Einmündung in den Yokon. Anf dieser ganzen 
Strecke von 7Ö0 engl. Meilen fanden sich keine Stromschnellen. Das Wasser 
des Flnsses war klar nnd so so tief, dafs Flafsfahrzenge von mehreren FuTs Tief- 
gang bis zu dem von der Expedition erreichten Punkt hätten fahren können. 
In dem Flufs befinden sich Inseln von 20 bis 30 engl. Meilen Länge. Der Baum- 
wuchs an seinen Ufern ist spärlich und besteht vorzugsweise aus Fichten, Birken 
und Weiden. Der Koukuk mündet in den Yukon bei der Handelsstation Militu 
(Nulato(?)). Von hier aus ging die Expedition den Yukon abwärts bis zu der 
Fortage nach dem Nuklukayet,*) auf welchem Wege sie an den Norton-Sund 
und Port Michaels gelangte. Drei Tage nach ihrer Ankunft daselbst erschien 
der „ Corwin **, welcher die Mitglieder aufnahm und nach San Franzisco brachte. 
Die Expedition bestand aufser dem Leiter, Leutnant Allen, aus Sergeant 
Robertson, Fred. Fickett vom U. St. Signal-Korps, zwei Goldsuchern, Johnson 
und Bremner und einigen Indianern, die als Kundschafter und Quartiermacher 
dienten. Fisch war die Hauptnahrung der Eingeborenen. Gröfseres Wild war 
im Innern sehr selten; südlich von den Alaskabergen gab es viele Hasen. Die 
Eingeborenen leben zertreut in kleinen Banden. Von dem Koukuk führen, wie 
Allen berichtet, 3 Wege nordwärts zum Kowak, welcher Flufs in demselben Jahr 
von Leutnant Cantwell bis zu seinem Ursprünge verfolgt worden war und der 
auf eine beträchtliche Strecke hin dem Koukuk parallel laufen soll. Das Quell- 
gebiet beider befindet sich unter dem Polarkreise. Leutnant Stoney beabsichtigte 
während dieses Winters vom Kowak zum Koukuk und diesen abwärts zum 
Yukon zu gehen. Die Allensche Expedition hatte viele Entbehrungen auf 
ihrem Landwege auszustehen. Einmal gingen die Lebensmittel völlig aus 
xmd die Polarhasen, welche ziemlich selten waren, bildeten die einzige Nahrung. 
Alle Mitglieder der Expedition wurden vom Skorbut befallen und zwei derselben 
nur durch die gröfste Sorgfalt am Leben erhalten. Auch Leutnant Allen hat 
schwer an den Folgen der übermäfsigen Entbehrungen und Anstrengungen zu 
leiden gehabt Er ist jetzt in Washington damit beschäftigt, seine Karten zu- 
sammenzustellen und seine Berichte zu schreiben. Im ganzen hat die Expedition, 
abgesehen von der Fahrt auf dem Yukon, eine Strecke von 950 bis 1000 engl. 
Meilen zurückgelegt und dabei den Lauf dreier fast noch völlig unerforschter 
Ströme festgestellt, des Ätna oder Kupferflusses, des Tananah und des Koukuk. 

A. K. 

Die Färinger. Die „Mitteilungen der geographischen Gesellschaft in 
Lübeck^ brachten in Heft 5 und 6 1885 einen bemerkenswerten Aufsatz von 
L. Akerblom über „Land und Leute der Färöer''. Besonderes Interesse bieten 
die auf die Bewohner jener Inselgruppe sich beziehenden Abschnitte und wir 
wollen darum einiges daraus mitteilen. Die Bevölkerung der 17 bewohnten 
Inseln ist unvermischt von norwegischer Abkunft; die Sprache ist die alt- 
norwegische und es erscheint seit einiger Zeit in Thorshavn, dem Hauptort 
der Inseln, in dieser Sprache eine Zeitung: Dimmur Laelling, der Zerstreuer 
des Nebels. Die Einwohnerzahl der Inseln wird für 1876 zu 10,600 angegeben 
(nach der Zählung von 1880 war sie 11^20). Unter den Beschäftigungen der 
Bevölkerung: Ackerbau, Vogelfang, Schafzucht und Fischerei ist der erstere 
xmtergeordnet; von den Getreidearten reift nur die Gerste und wird zu Brot 
verwandt. Kartoffeln und andere Wurzelgewächse geben ebenfalls gute Ernten. 
Die Erde wird nicht mit dem Pflug, sondern mit dem Spaten bearbeitet. An 

**} Soll wohl heilsen „Unalaklik". 



— 72 — 

den Küsten, Buchten nnd Meerengen finden wir ungefähr hundert Dörfer 
(Bygder), jedoch giebt es auch Einzelgehöfte. Der Boden in der Nähe der 
Häuser wird ^Huushauge" genannt. Hier werden Brenntorf und Rasen zum 
Dachdecken gestochen und ebendaselbst weiden auch die Kühe der Dorfbewohner 
im Sommer. Von dem „Huushauge" kommt man nach dem „Fjeldhauge" (Berg- 
gehäge), welches in unter- und Oberhauge geteilt wird. Hier schwärmen un- 
zählige Vögel herum, hier wächst, von zahlreichen Quellen und von den atmo- 
sphärischen Niederschlägen bewässert, üppiges Gras, und hier streifen die Schafe, 
der Reichtum der Färöer, umher. Das Hange ist ein Gemeingut der Dorfschaft, 
welche bestimmt, wie viele Thiere jeder dort weiden lassen darf. Die Wohn- 
häuser sind von importiertem Föhrenholz gebaut und alle inwendig mit 
Brettern verkleidet. Das Dach besteht aus Sparren und Brettern und ist 
mit Birkenrinde bekleidet, die zuoberst mit Rasen überdeckt ist. Die Dächer 
sind schwer und an den Häusern wohl befestigt, damit sie in diesen stürmischen 
Gegenden nicht wegwehen. Die Einrichtung der Häuser ist im allgemeinen sehr 
einfach; sie bestehen aus zwei Zimmern, der Rauchstube und der Glasstube. 
Die erste führte früher mit Recht ihren Namen, da es den Häusern an einem 
Schornstein fehlte. Ihn ersetzte ein im Dache befindliches Loch, durch welches 
der Rauch von dem in der Mitte der Stube brennenden Feuer hinauszog. Ge- 
dielte Böden gab es gar nicht und auch Glasfenster kamen selten vor. An den 
Wänden befanden sich wandfeste Kojen, in denen die Bewohner des Hauses der 
Ruhe pflegten. Heutzutage giebt es in den meisten Rauchstuben sowohl Fenster, 
wie gedielte Böden. Diese Rauchstuben dienen fortwährend dem ganzen Haus- 
halte als Schlafstelle und Arbeitszimmer, Küche u. a. Die Glasstube dagegen 
wird immer sehr sauber gehalten. Ihr Name stammt aus der Zeit, wo eine 
Glasscheibe noch ein grofser Luxus war. In diesem Zimmer, in welchem man 
nur bei feierlichen Gelegenheiten sich aufzuhalten pflegt, findet man dänische 
Mobilien, lithographierte Tafeln und andern Putz. Neben den Wohnhäusern 
liegen die Viehställe, in denen die Kühe während des Winters stehen. Für 
Schafe und Pferde giebt es dagegen keine Ställe. An Speichern fehlt es nicht; 
unter diesen ist der sogenannte „Kjadlur'^ besonders zu bemerken, in welchem 
Fische und Fleisch getrocknet werden, unter den Erwerbsquellen nimmt die 
Schafzucht vielleicht den ersten Platz ein und das alte Sprichwort: „Die Wolle 
der Färöer das Gold der Färöer" hat seine vollste Berechtigung. Auf jeden der 
Einwohner kommen angeblich 18 Stück Schafe, was für die ganze Inselgruppe 
eine Zahl von 180,000 macht. 30- bis 40,000 Schafe werden jährlich geschlachtet. 
Die Färöerschafe, welche im Landesdialekt „Söjd" genannt werden, sind klein, 
zottig und abgehärtet. Sie laufen im Sommer und Winter draufsen umher, ohne 
je unter Dach zu kommen. Ist der Winter milde, so können sie dieses Leben 
wohl aushalten. Sie finden ihre Nahrung, indem sie den Schnee hinwegscharren 
und das vergilbte Gras fressen. Während langer und harter Winter kommen 
sie aber in grofser Menge um, teils dadurch, dafs sie sich, wenn der Schnee zu 
tief liegt, auf die schmalen Absätze an den Felswänden hinausbegeben und, da 
diese glatt sind, ins Meer stürzen, oder sie gehen auf überhängende Schneewehen 
hinaus, welche nachlassen und hinunterstürzen. Nicht selten werden sie ein- 
geschneit und müssen alsdann mit Hülfe von Hunden ausgegraben werden. 
Der einzige Schutz, welchen man ihnen gewährt, ist eine Art steinerne Hürde 
oder Einzäunung, welche von einer drei Fufs hohen Steinmauer umgeben ist 
und 50 — 100 Schafe aufnehmen kann. Hierher eilen sie bei ausbrechendem Un- 
gewitter und stehen dicht an einander gedrängt, wodurch sie sich einigermafsen 



— 73 — 

gegen Wind und Kälte schützen. Die Wolle wird nicht mit der Scheere abge- 
schnitten, sondern mit den Händen abgerissen, so dafs manches Schaf blutend 
davongeht. Diese eigentümliche Wollernte findet gewöhnlich im Monat Juli statt. 
Alle Versuche, die Schafschere einzuführen, sind an dem Konservatismus der 
Einwohner und dem Wunsch gescheitert, die feine Wolle zu bekommen, welche 
sich dicht über der Haut befindet und die man beim Scheren nicht soll ge- 
winnen können. Von der Wolle werden Kleider verfertigt, besonders Jacken 
und Strümpfe. Im Jahre 1875 wurden allein 51,811 Jacken, aufser vielen 
andern wollenen Waren, verschifft. Der Verbrauch unter den Inselbewohnern 
selbst ist auch sehr bedeutend. Nächst der Schafzucht ist die wichtigste Erwerbs- 
quelle die Fischerei. Dieselbe wird mit Böten, die 8—10 Mann rudern, in den 
Buchten und im offenen Meere betrieben, und zwar mit Angeln und Langleinen ; 
als Köder dienen Schaffleisch oder frische Fische; Gegenstand des Fanges sind 
Kabljau xmd Leng, Butte und Heringe, welche letztere mit Netzen gefischt 
werden. Wenn der Fang gelandet ist, wird zuvörderst der zehnte abgesondert, 
ebenso der Anteil für die Armen der Gemeinde; das übrige wird unter die 
Mannschaften verteilt, wobei der Besitzer des Botes einen Anteil erhält. Dorsch 
wird als Klippfisch neuerer Zeit in steigenden Mengen nach Dänemark, Irland 
und Spanien ausgeführt. Sehr einträglich ist in manchen Jahren auch der 
Grindwalfang. Dieser Delphinwal zieht zuweilen in grofson Scharen in die Nähe 
der Inseln; dieselben werden dann von einer gröfseren Anzahl Böte in eine 
Bucht getrieben und hier getötet. 

Der Vogelfang ist trotz seiner halsbrechenden Gefahren die Lieblings- 
beschäftigung der Färinger. An den steilen, dem Meere zugewandten Felsen- 
wänden nisten nämlich Millionen Seevögel, welche Gegenstand eines lohnenden 
Fanges sind. Es sind fast ausschliefslich die gegen Südwesten gelegenen, von 
den Sonnenstrahlen erwärmten Felsen, die von den Vögeln bewohnt werden, 
und solche Felsen werden Vogelberge genannt. An ihren Abhängen sitzen die 
Vögel auf den Stufen oder Terrassen, welche dadurch gebildet werden, dafs die 
lockeren Teile der Felsenwand sich zerbröckeln und herunterfallen. Überall 
wimmeln befiederte Wesen, in der Luft schwirren die Taucher in so grofser 
Menge umher, dafs man, wenn sie in ihrer Ruhe gestört werden, den blauen 
Himmel gar nicht sehen kann. An den Vorsprüngen sitzen Möven, Alken und 
Taucherenten in langen Reihen, die weifse Brust der See zugewandt. Die Möven 
fliegen scharenweise längs der Felsenwand, wobei sie ein so durchdringendes 
Geschrei erheben, dafs man seine eigenen Worte nicht hören kann. Der Lärm 
ist entsetzlich und scheinbar herrscht die gröfste Unordnung an der ganzen 
Felsenwand. Bei näherer Betrachtung findet man jedoch, dafs alles an gewisse 
Regeln gebunden ist. Jede Vogelart hat ihren bestimmten Platz und jedes 
Pärchen seine bestimmte Brutstelle. Die meisten bauen aber keine Nester, 
sondern legen ihre Eier auf den blofsen Felsen. Der Vogelfang wird auf eine 
sehr verwegene und waghalsige Weise betrieben; er ist zugleich eine Erwerbs- 
quelle und ein „Sport". Bei dieser Beschäftigung gewinnt der junge Färing 
seine ersten Sporen. Es giebt mehrere Weisen, den Vögeln nachzustellen; ge- 
wöhnlich werden sie aber mit Netzen gefangen. Das Netz ist aus Bindfaden ge- 
bunden, zwischen zwei krummen gebogenen Stecken befestigt und mit einem 
12 Fufs langen Stiel von Fichtenholz versehen. Es ähnelt folglich einem Fisch- 
hamen. Mit diesem begiebt sich der Vogelsteller an einen Platz, wo die Vögel 
vorbeifliegen und packt sie im Fluge. Diese Methode wird »fleyga" genannt. 
Der Vogelfänger mufs sich aber häufig grofsen Gefahren aussetzen^ um ^\^ ^jsö. 



— 74 ~ 

geeignetsten Platz „Fleygasessnr'' zn gelangen. Häufig kriecht er von einem 
Thale aus auf die schmalen Absätze der Berge hinaus ; er mufs aber schwindel- 
frei sein, denn sonst ist er verloren. Einmal an den rechten Platz angelangt, 
setzt er sich und fängt nach Herzenslust. Unter sich hat er das Meer, über 
sich den Himmel; der Platz, an welchem er sich befindet, ist ein vielleicht zwei 
oder drei Fufs breiter Abhang. Der Färing ist aber an allerlei derartige 
Vorkommnisse gewöhnt und ihn schaudert nicht. Häufig mufs aber der 
Vogelsteller nach dem Jagdplatz („Lunnelandet") hinuntergelassen werden. Fünf 
oder sechs Männer lassen ihn alsdann mit Hülfe eines 400 — 500 Fufs langen 
Seiles hinunter. Wenn der Mann einen passenden Absatz erreicht hat, giebt er 
den Kameraden auf dem Berge ein Zeichen, dafs sie anhalten. Gewöhnlich 
werden auf diese Weise mehrere Männer nach demselben Platz hinuntergelassen. 
Einmal dort angekommen richten sie sich so gut wie möglich für mehrtägigen 
Aufenthalt ein. Sie suchen eine gröfsere Bergkluft auf, wo sie schlafen können, 
müssen sich aber häufig des Nachts festbinden, um nicht ins Meer hinunterzu- 
stürzen. Die Vogelfänger nehmen Speise und Brennmaterial mit sich und bleiben 
mitunter eine ganze Woche auf dem Berge. Der Fang geschieht im Mai, Juni 
und Juli, folglich während der schönsten Jahreszeit. Täglich kommen Kameraden 
auf die Höhe, um zu sehen ob alles gut geht oder ob auch jemand herauf will. 
Unterdessen wird der Fang fortgesetzt, und jeder Mann fängt ungefähr tausend 
Vögel, welche er entweder ins Meer wirft, wo sie von anderen aufgesammelt 
werden, oder er bindet sie zusammen und läfst sie auf den Berg hinaufziehen. 
Mitunter haben die Vogelfänger, wenn sie ihre Lage an der Felsenwand verändern 
wollen, keinen andern Ausweg, als sich selbst an das Seil zu binden und mit 
dem Stiele des Netzes gegen den Felsen zu stofsen, um in eine schwingende 
Bewegung zu kommen und auf diese Weise endlich den erwünschten Platz zu 
erreichen. Zuweilen müssen die Vogelsteller den Fangplatz von unten her zu 
erreichen suchen. Dies ist sehr schwierig und geschieht so, dafs zwei Männer 
einander folgen, wobei der Nachfolgende mit einem am Ende eines langen 
Steckens befestigten Haken in den Gurt seines Kameraden greift, um ihm auf 
diese Weise auf den höher liegenden Absatz hinauf zu helfen. Der glücklich 
Hinaufgekommene zieht nachher 'mit dem Seile den andern hinauf. Ein ein- 
ziger Fehltritt würde beiden das Leben kosten, da sie gewöhnlich beide mit 
demselben Seile zusammengebunden sind. Der Vogelfang verlangt viele Opfer ; 
ist aber die Gefahr vorüber, dann ist die Freude grofs. Die Erlebnisse des 
Vogelstellers geben Stoff zur Unterhaltung während des ganzen Winters, und er 
gewinnt durch die ausgestandenen Schwierigkeiten an Selbstvertrauen und Kalt- 
blütigkeit. Die Ausbeute des Vogelfanges beträgt jährlich mehrere Hundert- 
tausende Vögel aller Art. Das Fleisch wird eingepökelt, und die Federn bilden 
einen wichtigen Handelsartikel. Im Jahre 1873 wurden 170 Zentner Dunen ex- 
portiert, im Jahre 1875 155 Zentner. 



§ Die lappländischen Alpen. In einer der vorigjährigen Versammlungen 
der schwedischen Gesellschaft für Anthropologie und Geographie machte Dr. 
Svenonius auf Grund seiner in mehreren Reisen angestellten Beobachtungen 
Mitteilungen über die lappländischen Alpen. Nach den Eindrücken des Redners 
ist der Anblick der lappländischen Alpen ein weit grofsartigerer von der schwe- 
dischen Seite her, als wenn man sich ihnen von der norwegischen Küste aus 
nähert. Immerhin mufs man ein grofses Stück in schwedisch Lappland ein- 
dringen, ehe man die höheren Erhebungen zu Gesicht bekommt Im allge- 



— 75 — 

meinen kann man die Be^gformen der lappländischen Alpen in alpine, mit 
scharfen, zerrissenen Konturen and in grüne oder Weideherge einteilen, welche 
letztere einheitlichere gleichmäfsigere Linien zeigen; sie sind — fär die Lappen 
glücklicherweise — die zahlreicheren. Die am meisten zerrissenen und schroffen 
Bergformen findet man in dem schwer zngänghchen Bergmassiv, welches zwischen 
dem Pachthof Aktsik und dem See Vastinjaur um die Quellen des Rapaader 
gelegen ist. Hier erheben sich die wilden Berge Alkas, Sarves und Parte, ferner 
der Matutuoddar, dessen höchste Spitze, der Sarjektjäkko, eine Zeitlang als die 
höchste Bergspitze in Schweden angesehen wurde. Eine andere alpine Region 
im Westen des Pajttasjärvi (Järvi-See) ist die bedeutendste Seenquelle des 
Kalikselfs, hier ragen die höchsten Spitzen der schwedischen Alpen, der Keb- 
nekaisse und der Kaskasatjäkko. In diesen beiden Regionen finden sich die 
flauptgletschermassen Schwedens und die erstgenannte Region führt darum mit 
YoUem Recht den Namen: die Eisgrube Lapplands. Man hat berechnet, dafs 
etwa 180 qkm oder V? der ganzen Region mit ewigem Eise bedeckt ist, dessen 
Mächtigkeit stellenweise mehrere hundert Fufs beträgt. Ob die Gletscher Lapp- 
lands zu- oder abnehmen, dies mit Sicherheit zu bestimmen reichen die bis- 
herigen Beobachtungen noch nicht aus. Vielleicht ist die Abnahme auch hier, 
wie bei den übrigen Gletschermassen Europas die Regel. Die Seen nehmen 
einen grofsen Teil der Fläche Lapplands ein und vorzugsweise ist es die breite 
etwa ein Drittel von ganz Lappland einnehmende Zone zwischen der eigentlichen 
Alpen- und der Waldregion, welche durch den Reichtum an grofsen und kleinen 
Süfswasserbecken charakterisiert ist; immerhin giebt es auch einige sehr grolse 
Seen in der Alpenregion. Unter den bedeutenden Wasserfallen sind zu nennen : 
der grofse See- Wasserfall, 38,6o m hoch in Luleä-Lappland ; der „grofse Hasen- 
sprung^, drei Mal so hoch wie die Trollhätta-Fälle ; die Wassermasse des Hasen- 
sprungs wird in der wasserreichen Zeit auf 500 cbm in der Sekunde geschätzt ; 
femer die von dem Ängesäelf gebildeten Lina-linka-Fälle u. a. Besonders 
pittoreske kleinere Wasserfalle sind die von Marramakärtje, zwischen Kobdejaur 
und Sitasjaur in Gellivare-Lappland und der prächtige Fall von Rakaskärtje 
am westlichen Ende des Tornioträsk (Tomio-Sees). 



§ Nen-Ouinea. Die Neu-Guinea-Forschung hat in der letzten Jahresreihe 
niemals geruht, doch erst seit den Besitzergreifungen seitens des deutschen 
Reichs und Grofsbritanniens ist dieselbe vielseitiger in Angriff genommen worden. 
In Band VIII. Heft 4. dieser Zeitschrift haben wir den ersten bedeutenden Er- 
folg, die Entdeckungsreisen des Herrn Dr. F in seh an der Ost- xmd Nordost- 
küste, verzeichnet. Reiche Aufschlüsse über die Völkerkunde jener Teile der 
grofsen Insel eröffnet die von Dr. Finsch mitgebrachte ethnologische Sammlung, 
welche vor kurzem in Berlin im Königlichen Museum für Völkerkunde aus- 
gestellt wurde. Der uns vorliegende „Katalog der ethnologischen Sammlung der 
Neu-Guinea-Kompagnie, ausgestellt im Königlichen Museum für Völkerkunde. 
Berlin 1886. 0. v. Holten ** eröffnet uns einen Blick in den Reichtum und die 
Mannigfaltigkeit dieser aus Gebrauchsgegenständen aller Art, namentlich Waffen, 
Schmuck, Kleidung, Geräten, Werkzeugen u. a. bestehenden Sammlung, welche 
aus 26 Örtlichkeiien des Bismarck - Archipels, von Kaiser Wilhelms -Land und 
benachbarten englischen Schutzgebieten stammen. Eine Sammlung von Schädeln 
imd Gesichtsmasken liefert wichtiges Material für die Anthropologie. Ferner finden 
wir Naturprodukte : Sago, Mais, Tabaksblätler von mehreren Punkten, Kopra, Jams, 
Perlmatterschalen, endlich Gesteins- und Bodenproben. Wie^ons mit^etAiSti ^«:^a&!^^ 



— 76 — 

ist die Sammlnng in den Besitz des Königlichen Museums übergegangen. — 
Mittlerweile gehen die Arbeiten und Untersuchungen zur wissenschaftlichen und 
wirtschaftlichen Aufschliefsung der neuen deutschen Kolonie : Kaiser Wilhelms- 
Land und Bismarck-Archipel, in grofsem Mafsstabe weiter. In dieser Beziehung 
berichtete die ^Kölner Zeitung" vor kurzem folgendes: Die am 29. Juni v. J. von 
der Gesellschaft entsandte, aus den Herren Menzel, Grabowski, v. Oppen und 
Schollenbruch bestehende Expedition ist inzwischen mit malayischen Arbeitern 
in Kaiser Wilhelms-Land angekommen, um dort Niederlassungen zu errichten. 
Am 3. Februar brach nun eine gröfsere wissenschaftliche Forschungsexpedition 
von Hamburg auf; Leiter derselben ist Dr. Schrader, der bisherige Assi- 
stent der Sternwarte in Hamburg; er wird gleichzeitig die astronomischen und 
geographischen Aufgaben übernehmen. Begleitet wird er von dem Dr. Holl- 
run g aus Dresden als Botaniker und Agrikulturchemiker, Dr. Karl Schneider 
aus Berlin als Geologen und dem Kaufmann Elias aus Berlin, der in der 
Küstenstation kaufmännisch beschäftigt werden soll. Die vier Herren schifften 
sich am 8. Februar auf dem Dampfer »Quetta* der British India Linie in London 
ein und werden am 31. März in Cooktown eintreffen; dort wird ein ferneres 
Mitglied der Expedition, Herr Hunstein, zu ihnen stofsen, der für die prak- 
tischen Fragen der Expedition, soweit sie die Träger, die Lager, die Verprovian- 
tierung betreffen, bestimmt ist, die er aus seinem langen Aufenthalt in der Südsee 
gründlich kennt. Von Cooktown geht die Fahrt mit einem Dampfer der Neu- 
Guinea-Kompagnie nach Finsch-Hafen. Dorthin sind schon seit Oktober malayische 
Träger aus Surabaya gebracht, ebenso sind kleine Packpferde aus Queensland 
sowie einige zusammenlegbare Dampf barkassen geschafft, da man zuerst auf dem 
neuentdeckten Kaiserin Augusta-Flufs in das bisher noch von keinem Weifsen 
betretene Innere einzudringen versuchen will. Alle Gegenstände der Ausrüstung 
und der Verpflegung sind ausschliefslich in Deutschland gekauft, die Gesellschaft 
hat darauf Bedacht genommen, die Herren mit den besten wissenschaftlichen 
Vorrichtungen reichlichst zu versehen. Ebenso sind die Herren im Samariter- 
dienst ausgebildet worden. Die Dauer der Reise ist auf zwei Jahre in Aussicht 
genommen worden. Man wird von der Küste aus zunächst ins Innere bis zur 
englischen Grenze vorzudringen suchen, dieselbe an geeigneten Punkten festlegen 
und durch schwer veränderliche Zeichen bemerkbar machen, auf einem andern 
Wege unter thunlichster mehrfacher Durchquerung des dazwischen liegenden 
Gebiets zur Küste zurückkehren, dort sich die für Erholung und Wiederaus- 
stattung notwendige Zeit gönnen und dann von einem andern Küstenpunkte in 
ähnlicher Weise nach dem Innern vordringen, um das zwischen dem 148. und 
141.® ö. L. liegende Gebiet möglichst aufzuschliefsen. An geeigneten Plätzen 
sollen Stationen angelegt und der Verkehr mit den Eingeborenen angebahnt 
werden. Aufs sorgfältigste sind die Verhaltungsv9rschriften ausgearbeitet, die 
den Mitgliedern der Neu -Guinea -Kompagnie mitgegeben sind. Besonderes Ge- 
wicht wird in den Verhaltungsvorschriften darauf gelegt, dafs die Eingeborenen 
über den friedlichen Zweck der Expedition und der Kompagnie, über die Macht 
und Bedeutung des deutschen Reichs aufgeklärt werden; jede Gewalt, auch ins- 
besondere der Gebrauch der Waffen gegen sie ist aufser dem dringenden Fall 
der Notwehr ausgeschlossen. Das schon früher ergangene allgemeine Verbot 
ihnen Waffen, Munition und geistige Getränke zukommen zu lassen, gilt selbst- 
verständlich auch für die Expedition. Jedes Mitglied hat ein Tagebuch doppelt 
zu führen und für möglichste Vollständigkeit der wissenschaftlichen Beobach- 
tungen und Sammlungen Sorge zu tragen. Für die meteorologischen Beobach- 



— 77 — 

tnngen sind eigene ausfahrlicbe Bestimmungen ausgearbeitet, die nicht weniger 
als zwölf gedruckte Quartseiten ausfüllen. — Aber auch die Erforschung des 
britischen Neu-Guinea ist in Angriff genommen. Über den Verlauf der 
von der australischen geographischen Gesellschaft in Sydney unter Leitxmg des 
Kapitäns Everill im vorigen Jahre nach der Südküste ausgesandten Expedition 
sind vorläufige Berichte eingelaufen, die in dem Monatsbericht von „Petermanns 
Mitteilungen" Heft 2, 1886, S. 61, sowie im „Globus" veröffentlicht wurden. Diese 
Expedition ist nxm zwar, entgegen den Gerüchten, welche ihre Vernichtung durch 
Eingeborene meldeten, wohlbehalten nach Sydney zurückgekehrt, allein ihre 
geographischen Ergebnisse sind gering. Das Hochland des Innern wurde nicht 
erreicht; die Expedition ging den Fly- River und sodann einen von Norden 
kommenden, von d'Aibertis 1876 entdeckten Nebenflufs (Alice -River?) hinauf, 
scheint aber mit dem Rettungsboot, welches an die Stelle des festgeratenen 
Dampfers „Bonito" trat, nicht viel weiter gekommen zu sein, als d^Albertis am 
6. Juli 1876. Auch die mitgebrachten Sammlungen sollen von geringem Wert 
sein. Dabei hat die Expedition den australischen Kolonien die Summe von 
70000 Mark gekostet! Weit bedeutendere Ergebnisse dürfen wir jedenfalls von 
dem bewährten Reisenden des malayischen Archipels, dem von der Londoner 
geographischen Gesellschaft ausgesandten Naturforscher H. H. F o r b e s erwarten. 
Im Oktober v. J. hatte er von Port Moresby aus den Fufs der Owen-Stanley- 
Kette erreicht xmd sich dort in dem Dorfe Sogere niedergelassen. Seine Be- 
gleitung besteht aus drei Europäern : dem Topographen Hennessy, dem Botaniker 
Andersson und dem Zoologen und Präparator Lopes, ferner aus zwei Amboinesen 
und 21 Javanern. Die Erforschung der Owen- Stanley -Gebirgskette, die, dem 
Seefahrer sichtbar, sich bis über 13 000 FuTs Höhe erheben soll, hat sich Forbes 
zur Hauptaufgabe gestellt. Vergegenwärtigen wir uns nun, dafs auch die nieder- 
ländischen Forschungsreisen an dem westlichen Teil der Nordküste und von da 
ins Innere fortgesetzt werden dürften, so haben wir in den nächsten Jahren viel- 
seitige geographische Aufschlüsse über Neu-Guinea zu erwarten. 



§ Pondieh^ry. Über diese an der Ostküste (der Koromandalküste) der 
Yorderindischen Halbinsel, südlich von Madras belegene französische Kolonie 
machte A. Renouard kürzlich in einer Versammlung der geographischen Gesell- 
schaft zu Lille eingehende Mitteilungen. Er giebt den Flächeninhalt des Terri- 
toriums, welches sich in drei Distrikte: Pondichöry, Bahour und Villemour 
gliedert, auf 29 122 ha und die Einwohnerzahl auf 156 000 an. Acht Flüsse, 
mehrere Ableitungskanäle und zahlreiche Bäche und Quellen bewässern das Gebiet, 
in welchem sich auch noch gröfsere und kleinere Teiche, sowie Reservoire für 
die künstliche Bewässerung der Kulturen finden. Die Hauptprodukte des Landes 
sind: Reis, Indigo, Kokosnufs, Tabak, Rohrzucker, Baumwolle, Sesam, Erdnüsse, 
Südfrüchte, Wein, Betel und Haschisch. Die von der indischen Kompagnie 
zur Zeit Ludwig XIV. gegründete Stadt zerfällt in eine ville noire, die nur von 
Eingeborenen bewohnt wird und eine ville blanche, den an der See gelegenen 
schmucken Stadtteil der Europäer. Die Eingeborenen sind teils Hindus, teils 
Mohammedaner (mapelles), teils Mischlinge (Topas), eine Mischrasse aus Portugiesen 
und Hindus. Diese, die Europäer und einige Paria-Hindus gehören der katho- 
lischen Religion an, im übrigen ist sowohl der Islam als die Brahma- und die 
Buddha-Religion vertreten. Die Industrie von Pondich^ry ist nicht unbedeutend ; 
sie zählt Baumwollspinnereien von 25000 Spindeln, 5000 Webstühle und 73 
Indigofarbereien, in welch letzteren jährlich 30 000 Stücke (guin6es) Baumwollstoff 



_ ?8 — 

gefärbt werden. Die Rhede von Pondichöry soll sehr schlecht sein; vom Sed- 
schiff wird man in offenen Böten zur Landnngsbrücke befördert. Die Lebens- 
mittel sind nach den von Renouard angeführten Beispielen sehr billig. Das 
Klima giebt Renonard als gesund an, bezeichnet dabei aber als die mittlere 
Temperatur 26** (R. ?) im Winter und 40** im Sommer, jedenfalls ist es also sehr 
heifs und die Eaufleute haben daher ihre Sommerfrischen in Villen am grofsen 
See (Ussundu), wohin sie sich am Nachmittag aus dem heifsen und ungesunden 
Pondich6ry zurückziehen. Die Sterblichkeit der Europäer war in Pondich6ry 
in der Periode 1856 — 65 geringer als in allen andern französischen Tropen- 
kolonien. Wir finden sie in dem bei Reinwald in Paris erschienenen Werke: 
la Colonisation scientifique, zu 3,14 auf 100 Lebende angegeben. Neben dem 
Sumpffieber, das indes hier nicht so häufig ist als in Bengalen und selbst in 
Bombay, sind es Anämie, Dysenterie, Cholera, Pocken und Schwindsucht, welche 
besonders die Europäer bedrohen. Im Jahre 1877 wurde Pondich6ry durch eine 
Hungersnot heimgesucht. Seit 1863 besitzt die Stadt eine Wasserleitung, aber 
die Abwässerung scheint nach dem Zeugnis des Arztes Dr. Follet sehr mangelhaft. 



§ Die Christian Rutenberg-Stiftang in Bremen. In der Versammlung des natur- 
wissenschaftlichen Vereins zu Bremen am 15. Februar d. J. wurde seitens des Vor- 
standes das Statut der reichen Stiftung im Kapitalbetrage von 50,000 M vorgelegt, 
welche Herr Baumeister Lüder Rutenberg hierselbst am 8. Februar d. J. dem 
Vereine zur Erinnerung an seinen im Jahre 1878 auf Madagaskar gestorbenen Sohn 
Christian*) übergeben hat. Das Statut bezeichnet als den Zweck der Stiftung: 
Pflege der Naturwissenschaften und namentlich der Lieblingswissenschaften des 
Verstorbenen, der Botanik und Zoologie in unserer Stadt; eine Reihe von Ver- 
wendungen, welche ganz innerhalb der Bestrebungen des naturwissenschaftlichen 
Vereines liegen, werden als dem Stifter besonders willkommen bezeichnet. Das 
Kapital der Stiftung darf nicht angegriffen, soll vielmehr durch allmähliche 
Kapitalisierung zunächst bis auf den doppelten Betrag erhöht werden. Über einen 
Teil der Zinsen wird vorübergehend zu einem wohlthätigen Zwecke verfügt; der 
Rest — und später der ganze Betrag — steht dem Vorstaude des Vereins zur 
Verfügung. Einige notwendige Bestimmungen über Verwaltung sowie über den 
Modus bei etwa nötig werdender Abänderung der Statuten schliefsen das Akten- 
stück. — An diese von der Versammlung mit grofser Befriedigung entgegen- 
genommenen Anzeige knüpfte Herr Professor Buchenau eine längere Ansprache, 
in welcher er einen Rückblick auf die Bestrebungen des Vereins seit seiner im 
Jahre 1864 erfolgten Gründung warf, und hervorhob, welche reiche und dank- 
bare Aufgaben dem Verein auch für sein ferneres Wirken gestellt sind. Zur 
Lösung dieser Aufgaben bedürfe aber der Verein weit gröfserer Mittel, als sie 
ihm bis jetzt durch die Beiträge der Mitglieder und einige Zinsbeträge zur 
Verfügung stehen und es sei daher die fernere Zuwendung von Schenkungen 
und Vermächtnissen an den natarwissenschaftlichen Verein im hohen Grade 
wünschenswert. — Indem wir uns dieser Auffassung vollständig anschliefsen, sprechen 
wir die Hoffnung aus, dafs das von Herrn Rutenberg gegebene Beispiel den 
Anlafs bieten möge, Vermächtnisse und Schenkungen in Zukunft nicht allein 



*) Ober die Reisen und Forschungen des jungen Rutenberg in Südafrika, 
auf Mauritius und Madagaskar hat unsre Zeitschrift auf Grund der Tagebücher 
des Reisenden ausführlich und unter Beigabe einer Karte berichtet in BandlU. 
1880 S. 49, 60, 113 u. ff. 



— 79 - 

Wohlthätigkeitszwecken, sondern auch der Förderung von wissenschaffcliclien 
Bestrebungen in unserer Stadt zuzuwenden, wir dürfen hinzusetzen nach 
den Vorgängen in vielen andern deutschen Städten. Denn diese Bestre- 
bungen, wenn ihre Erfolge auch nicht unmittelbar herYortreten, sind recht 
eigentlich gemeinnütziger Natur. Wir denken z. B. auch an die von unsrer Gesell- 
schaft vertretene Förderung der Länder- und Völkerkunde, eine Aufgabe, welcher 
man möchte sagen naturgemäfs eine Handelsstadt wie Bremen reiche Mittel zu- 
wenden sollte. Abgesehen von der Freigebigkeit eines Mitgliedes, welcher die 
vielseitig wissenschaftlich fruchtbare Reiseunternehmung der Herren Dr. Krause 
zu danken war, hat sich unsre Gesellschaft bisher noch keiner Schenkung oder 
eines Vermächtnisses aus Bremen erfreuen können, und doch muTs man sagen, 
dafs nur durch Darbietung der erforderlichen Mittel sich unsre Gesellschaft 
auch ferner im stände sehen wird, die Länder- und Völkerkunde wirksam zu 
fördern und so für Bremen auch auf diesem hervorragenden Gebiete geistigen 
Strebens der deutschen Gegenwart eine ehrenvolle Stellung zu sichern. 



§ Die £Hzabeth Thomson wissensehaitliche Stiftang in Boston. Die Ver- 
waltung dieser Stiftung hat uns durch ihren Sekretär Herrn Dr. C. S. Minot in 
Boston (Massachusetts) ersucht, bekannt zu geben, dafs mit den Zinsen dieser 
jetzt über ein Kapital von 25,000 Dollar verfügenden Stiftung wissenschaftliche 
Arbeiten gefördert und unterstützt werden sollen, die den Fortschritt des mensch- 
lichen Wissens im allgemeinen zum Zweck haben. Bereits von diesem Jahre 
an sind die Zinsen der Stiftung für diesen Zweck verfügbar und sind Bewerbungen 
an den Sekretär der Verwaltung, Herrn Dr. Minot in Boston (25 Mount Vernon 
Street), zu richten. 

Geographische Litteratur. 
Allgemeines. 

— Lux, A. E , Artilleriehauptmann, Geographischer Handweiser. Syste- 
matische Zusammenstellung der wichtigsten Zahlen und Daten aus der Geo- 
graphie. 5. Auflage. Preis J6l 1.50. Verlag von Levy & Müller. Stuttgart. Dieses 
54 Seiten umfassende Nachschlagebuch enthält in übersichtlicher Form eine 
grofse Zahl der wichtigsten geographischen Daten. Die ersten 15 Seiten bieten 
solche aus der mathematischen und physischen Geographie; so weit es sich um 
Zahlen handelt, findet man hier also Auskunft über Fixsterne, Planeten, Ver- 
teilung von Land und Wasser, Gröfse von Inseln und Halbinseln, Länge der 
wichtigeren Gebirgszüge, Höhe der wichtigsten Berge u. a. S. 15 — 54 behandeln 
die politische Geographie — hier bieten die bekannten Hübnerschen Tabellen 
bedeutend mehr. W. 

— Leunis, Synopsis der Tierkunde. Dritte Auflage von Hubert 
Ludwig, Professor in Giefsen. II. Band, zweite Abteilung. Mit der vorliegenden 
Schrift kommt der zweite Band und damit die ganze Neubearbeitung der 
Synopsis der Zoologie von Leunis zum Abschlufs. Die Schwäche der vorigen 
Auflage, die sich am meisten bei den wirbellosen Tieren von den Krustaceen 
abwärts offenbarte, ist gerade in diesem Teile des Werks zur hervorragenden 
Stärke geworden. Die Klassen und Kreise der Spinnentiere, Krebse, Würmer, 
Stachelhäuter, Coelenteraien und Urtiere (Protozoa), welche bei dem früheren 
Verfasser zu kurz gekommen waren, sind jetzt um so ausführlicher behandelt. 
Per Entwickelung der neueren Zoologie entsprechend, wurden besonders die 



^ 80 -- 

Meerestiere berücksichtigt, welche geographische Entdeckungen, Tiefseeforschungen 
und zoologische Stationen in den letzten beiden Jahrzehnten ans Licht gezogen 
hatten. So finden wir hier aufser den häufigeren Arten der Nord- und Ostsee 
auch die Fauna des Mittelmeeres, der Adria und des Golfs von Neapel ein- 
gehender beschrieben, welches Lehrenden und Lernenden gleich willkommen 
sein wird. Das der Schlufslieferung angehängte, 30 Seiten umfassende Register, 
weist die auTserordentlich grofse Anzahl der Tierspezies dieses Werkes nach und 
verleiht demselben erst die rechte Brauchbarkeit. Den Klassen und Ordnungen 
ist eine bis zur neuesten Zeit vervollständigte Litteraturübersicht vorangestellt, 
und aulserdem findet sich am Schlüsse ein Schriftsteller Verzeichnis, das von 
Aristoteles bis auf Ernst Häckel und Huxley nicht weniger als 800 Zoologen 
umfafst. Diese Schar eifriger Forscher hat vom Schimpanse und Gorilla bis zu 
der Amoebe und dem Bathybius über 272000 lebende und gegen 40000 fossile 
Tierarten beschrieben, während Linne, der Vater der Naturgeschichte, um 1750 
nur 1100 lebende Spezies und kaum 100 fossile kannte. Fassen wir unser 
Urteil zusammen, so dürfte sich in keiner Litteratur ein Werk finden, welches 
an Vielseitigkeit und praktischem Nutzen das vorliegende übertrifft. Auch die 
Verlagshandlung hat an der entsprechenden Ausstattung nichts gespart, was sich 
z. B. aus den zahlreichen Holzschnitten ersehen läfst. Man wird immer mit 
Vergnügen solche Abbildungen wie die Anatomie des Blutegels, die verschiedenen 
Taeniaarten oder den Spatangus betrachten. Wir wünschen daher dem Verfasser 
und Verleger für das in verhältnismäfsig kurzer Zeit seinem Ziele zugeföhrte 
Werk ein fröhliches Glückauf! Häpke. 

§ Von der im Verlag des Geographischen Instituts in Weimar, in Heften zum 
Preis von 20/^ jedes, erscheinenden „geographischen üniversalbibliothek* 
liegen uns Heft No. 9/10 und 11/13 vor. Jenes enthält Nachrichten über die 
OzeandampfschifFahrt und die Postdampferlinien nach überseeischen Ländern 
von Ad. Zetzsch, sowie ein Kärtchen, welches die Richtung der Linien veran- 
schaulicht, dieses bringt Mitteilungen über Süd-Afrika, namentlich über das jetzt 
schon beinahe in Vergessenheit geratene Lüderitzland, mit einem Kärtchen, 
welches das Nötigste zur Orientierung enthält. 

Europa. 

§ Die ältesten Ortsnamen des deutschen Nordseeküstenlandes von 
W. 0. Focke. Durch die Güte des Herrn Verfassers liegt uns ein Separatabdruck 
dieser Abhandlung vor,*) welche für die Entstehung und Deutung vieler Ortsnamen 
im deutschen Nordseeküstenlande einen wertvollen Beitrag liefert. Verfasser 
hat, wie er in der Einleitung mitteilt, auf zahlreichen Streifereieu durch das 
niedersächsische Tiefland seine Aufmerksamkeit besonders auf die natürlichen 
Verhältnisse der Gegend gerichtet, wie sie vor dem Eingreifen einer höheren 
Kultur bestanden haben müssen. Fruchtbare Landstriche, welche eine dichte 
Besiedelung gestatten, w^enig bewohnte Wald- und Heidegegenden, sowie öde, 
verkehrshemmende Moorsümpfe wechseln in der nordwestdeutschen Ebene mit 
einander ab und erlauben nach ihrer topographischen Lage zu einander Schlufs- 
folgerungen über alte Wohnplätze und ehemalige Verkehrsstrafsen. Von diesem 
Gesichtspunkte aus gewinnen auch die ältesten geschichtlichen Nachrichten 
über unsre Heimatgegend ein höheres Interesse. Bei seinem Versuch, die 



*) Dieselbe wird vermutlich in den Abhandlungen des hiesigen natur- 
wissenschaftlichen Vereins publiziert werden. 



— 81 — 

ältesten Ortsnamen unsrer Gegend zu deuten, nimmt der Verfasser für einen 
Teil seiner Vermutung, wie er dies näher begründet, einen ziemlich hohen Grad 
von Wahrscheinlichkeit in Anspruch. Er untersucht nun zunächst die Zuver- 
lässigkeit der Angaben des Ptolemäus, der uns die ältesten heimischen Orts- 
namen überliefert hat und hebt sodann die Gesichtspunkte hervor, nach welchen 
er versucht hat, Ptolemäische Ortsnamen in Germanien mit jetzigen Ortsnamen 
zu identifizieren, nämlich: 1) die geographische Position, 2) die Namensähnlich- 
keit, 3) die Nähe von Ortsnamen, welche auf eine Mal- oder auf eine Kultusstätte 
deuten. Wenn derartige Namen nicht vorhanden, untersuchte er, ob die Ortlichkeit 
nach ihrer topographischen Lage ein wichtiger Verkehrsplatz gewesen sein kann. 
Das Ergebnis dieser Untersuchungen fafst er in folgenden Deutungen der von Ptole- 
mäus aufgeführten nordwestdeutschen Plätze zusammen : Siatutanda ? Gegend von 
Emden, Tecelia, Sillenstede bei Jever; Fabiranum, Wremen; Treva, Treya bei 
Schleswig; Leufana, Leda-Wanna im Lande Hadeln; Lirimiris (?), Marionis I, 
Marne in Ditmarschen; Marionis II, ? Ostseeplatz; Teuderium, Detern an der 
ostfriesich-oldenburgischen Grenze; Tulifurdum, Bremervörde; Ascalingium 
(Heslingen an der Oste), Tulisurgium (? Gegend von Sittensen und Tostedt). 
Von diesen Ortschaften sind zwei, nämlich Fabiranum und Marionis I, ausge- 
zeichnet durch ihre Lage an der Mündung der Weser und der Elbe. Beide 
liegen in der Marsch; aber auf den nächsten Geesthügeln, von denen man die 
FIuTsmündungen überblickte, liegen Dingplätze und geweihte Stätten. Gegen- 
über finden sich an der Weser Tecelia, an der Elbe Leufana. Eine geweihte 
Stätte, mitten im Grosschaukenlande, nämlich die von Sittensen, liegt zwischen 
den beiden Ptolemäischen Orten Ascalingium und Tulisurgium. Teuderium und 
Tulifurdum sind Verkehrsplätze, an den natürlichen Pässen durch weitgestreckte 
völlig ungangbare Moore gelegen. Treva vermittelte den Landverkehr über den 
schmälsten Teil der jütischen Halbinsel zwischen Nordsee und Ostsee. Siatu- 
tanda, dessen Lage freilich nicht genauer nachgewiesen werden konnte, mag 
vielleicht für die Emsmündung eine ähnliche Bedeutung gehabt haben, wie 
Fabiranum für die Weser und Marionis für die Elbe. 

§ Das Wissen der Gegenwart. Deutsche üniversalbibliothek für Gebildete. 
43. Band. Die pyrenäische Halbinsel von Dr. Moritz Willkomm 
Leipzig 1885. G. Freytag. Der vorliegende Band der „pyrenäischen Halbinsel^ 
behandelt Ost- und Süd-Spanien, also Navarra, Aragonien, Katalonien, Valencia, 
Murcia, Andalusien, die Balearen und Pithyusen. Der Botaniker Professor 
Willkomm ist als einer der besten Kenner Spaniens bekannt und seiner 
Führung durch die iberische Halbinsel vei*traut man sich um so lieber, als er 
leicht und angenehm, ohne Vorliebe und Abneigung, erzählt. Es sind zahlreiche 
Hlustrationen beigegeben, von denen aber nicht alle gleich gelungen sind. 

— Die Alpen. Handbuch der gesamten Alpenkunde von Professor Dr. 
Friedrich Umlauft. Mit 30 Vollbildern, 7ö Textbildern und 25 Karten. Verlag 
von A. Hartleben. Wien 1886. Dieses Werk soll ein „Handbuch der gesamten 
Alpenkunde'' sein, das im Rahmen eines Kompendiums unser Wissen von dem 
grofsartigen Hochgebirge Europas nach dem gegenwärtigen Stande der Forschung 
und die vielfachen Beziehungen des Menschen zu den Alpen darstellt. Das 
Werk erscheint in 30 Lieferungen, jede zu 60 Pfg. Der Inhalt desselben zerfällt 
in 20 Abschnitte. Die vorliegenden Lieferungen geben zunächst eine allgemeine 
Übersicht und Charakteristik der Alpen und behandeln dann eingehend die 
Grenzen, die Einteilung, den vertikalen Aufbau und den geologischen Aufbau der 
Alpen. Mit dem sechsten Abschnitt beginnt die topographische Schilderung der 

Geogr. Bl&tter. Bremen, 1886. ^ 



— 82 — 

Alpen. Der Verfasser hebt nicht blofs die charakteristischen Züge jeder ein- 
zelnen Alpengruppe hervor, sondern indem er die plastischen Verhältnisse, die 
Bewässerung, Schnee- und Eisbedeckung, Vegetation, Wohnorte und Bewohner 
bei jedem Öebirgsabschnitte gemeinsam behandelt, erweckt er in uns ein lebens- 
volles Bild der verschiedenen Alpenlandschaften. Wenn weitere Lieferungen 
vorliegen, werden wir auf das Werk zurückkommen; aber schon nach der vor- 
liegenden Probe (S. 1 — 192) können wir diese „Alpenkunde" jedem Freunde des 
Hochgebirges empfehlen. W. W. 

Afrika. 

* Forschungsreisen in der deutschen Kolonie Kamerun, von Hugo 
Zöller. Dritter, mit 4 Karten und 18 Illustrationen ausgestatteter Band. Berlin 
und Stuttgart. W. Spemann. 1885. Durch den vorstehenden Band wird die 
Reihe der Bücher, in welchen Hugo Zöller die deutschen Besitzungen an der 
westafrikanischen Küste auf Grund eigner Reisen darstellt, abgeschlossen, und 
es kann das günstige Urteil, welches von mir über die übrigen Bände abgegeben 
worden ist, auch auf diesen ausgedehnt werden. Das mit einer Anzahl meist 
gelungener Holzschnitte und mehreren Kartenskizzen ausgestattete Werkchen 
bezieht sich in der ersten Hälfte auf das südliche Kamerungebiet, während die 
zweite Hälfte die spanischen und französischen Besitzungen südlich des Kamerun, 
sowie den jungen Kongostaat behandelt. Es ist nicht uninteressant das Urteil 
zu lesen, welches Hugo Zöller über den derzeitigen Zustand und die etwaigen 
zukünftigen Aussichten dieses viel angefochtenen Staatengebildes fällt und zum 
Teil zu begründen versucht. Aber da Zöller nur das Gebiet zwischen der 
Mündung des Kongo und der Station Vivi gesehen hat und da bekanntlich das 
innere Kongogebiet als das eigentlich wertvolle zu betrachten ist, so wird man seine 
Aussprüche mit Rücksicht auf diese Thatsache zu erwägen haben. A. p p e 1. 

§ AMadag'ascar Bibliography, including publications in the Malagasy 
language and a list of maps of « Madagascar. Compiled by the Rev. J. S i b r e e, 
F. R. G. S. Missionary of the London Missionary Society. Antananarivo 1885. 
Durch diese Madagaskar- Bibliographie hat sich der bekannte Madagaskar-Forscher 
und Missionar Herr Sibree den Dank aller erworben, welche nach irgend einer 
Richtung hin die Madagaska-Litteratur zu studieren wünschen. Zwar finden sich 
in verschiedenen Reisewerken bibliographische Verzeichnisse, allein das vor- 
liegende gegen 100 Seiten umfassende Heft scheint bei weitem die vollständigste 
Bibliographie zu bieten, zumal auch die in malegassischer Sprache in Madagaskar 
seit Aufstellung der ersten Buchdruckerpresse in Antananarivo 1826 veröffent- 
lichten Werke mit einbegriffen sind. Zuerst finden wir ein alphabetisch nach den 
Autoren geordnetes Verzeichnis. Sodann folgt ein chronologisches Verzeichnis 
nach Materien, nämlich: 1) Madagaskar im allgemeinen, 2) Politische Geschichte, 
Kolonisation, Handel; 3) Reisen, Forschungen, Hydrographie; 4) Topographie, 
Pläne, Ortsnamen; 5) Physische Geographie, Geologie und Meteorologie; 6) Bo- 
tanik; 7) Naturgeschichte (mit 6 Unterabteilungen); 8) Ethnologie (mit 3 Unter- 
abteilungen); 9) Philologie; 10) Christliche Missionen und religiöser Fortschritt; 
11) Biographie und Belletristik; 12) Zeitungen und Vermischtes. Die Liste der 
in malegassischer Sprache gedruckten Werke ist eingeteilt in die von den ver- 
schiedenen Missionen (London, Friends foreign, Medical, norwegisch-lutherische 
und römisch-katholische Mission), femer von der Madagaskar Times und von 
der Druckerei der Königin gedruckte Werke und Schriften. Am Schlufs finden 
wir ein chronologisches Verzeichnis aller von Madagaskar oder Teilen der Insel 
erschJBJiBJien Karten. 



— 83 — 

Australien und Polynesien. 

§ Nederlandsch Nienw Guinea en de Papoesche Eilanden. Histo^ 
nsche Bydrage löOO — 1883, door A. H a g a, Kolonel. In twee Deelen, met eene 
Kaart Uitgegeven door het Bataviaasch Genootschap van Künsten en Weten- 
schappen. Batavia. W. Bruining & Co. Hage, M. Nijhoff. 1884. Der Verfasser 
dieses Werks, das sich durch seine Gründlichkeit würdig an die bezüglichen 
entdeckungsgeschichtlichen Arbeiten von Leupe und Robide van der Aa aus 
ältester und neuster Zeit anschliefst, bemerkt in der Vorrede, dafs er zu diesen 
historischen Studien durch den amtlichen Auftrag gekommen sei, zu untersuchen, 
worauf sich das Besitzrecht der Niederländer auf den westlichen Teil der grofsen 
Insel stütze. £r habe die chronologische Behandlung als die richtige Methode 
erkannt und so habe sich ihm das gewonnene Material mehr und mehr zu 
einer chronologischen Darstellung der Berührungen der Europäer, insbesondere 
der Niederländer mit Neu-Guinea und überhaupt den papuanischen Inseln gestaltet. 
Welche Fülle von Quellenschriften, Aktenstücken, Berichten, Reisewerken der 
Verfasser bei seiner so aufserordentlich fleifsigen Arbeit benutzt hat, geht aus 
der am Schlufs mitgeteilten Übersicht hervor, welche nicht weniger als 5ö7 
Nummern umfafst und bis zu der im Jahre 1884 von Trotter in den proceedings 
veröffentlichten Zusammenfafsung unsrer Kenntnis von Neu-Guinea reicht. Es 
war dem Verfasser hauptsächlich daran gelegen, die in der Geschichte der 
niederländischen Neu- Guinea -Fahrten noch vorhandenen Lücken auszufüllen 
und hierbei kam ihm in hohem Grade zu statten, dafs durch die Neuordnung 
und Katalogisierung des sogenannten „alten Archivs zu Batavia^ die Verwertung 
des darin niedergelegten, bisher wohl gröfstenteils für Publikationen noch nicht 
benutzten .historischen Materials ermöglicht wurde. Der Verfafser betont aus- 
drücklich den historischen Charakter seiner Arbeit, die eben von der Geographie 
und naturwissenschaftlichen Beschreibung Neu-Guineas und von ihren Bewohnern 
nur so viel enthalte, als zum Verständnis der geschichtlichen Darstellung not- 
wendig war. Jedenfalls ist das Werk als ein wertvoller Beitrag zur Entdeckungs- 
geschichte zu begrüfsen; wir ersehen daraus in voUem Umfange, mit welcher 
Ausdauer und mit welchem Aufwand von Kräften und Mitteln, mit denen 
Gteschick und Glück freilich nicht immer auf gleicher Höhe standen, unsre 
Stammverwandten, die Niederländer, ihre Ansprüche auf die westliche Hälfte 
von Neu-Guinea immer von neuem geltend gemacht haben. Dieses Besitzrecht 
ist jetzt allgemein anerkannt, zur Zeit ist es aber nur noch nominell und die 
Zukunft mufs es lehren, ob die jetzt alljährlich erneuerten niederländischen 
Fahrten nach der Nordküste von Neu-Guinea zur Errichtung einer Kolonie 
daselbst führen. 

§New-Guinea. An account of the establishment of the British protectorate 
over the Southern shores of New -Guinea, by Charles Lyne, special commissioner 
for the Sydney Morning Herald. Mit 9 Abbildungen. London, Sampson Low 
1885. Das kleine, anziehend und lebendig geschriebene Buch giebt eine Schilderung 
der Vorgänge bei der britischen Besitzergreifung des südöstlichen Neu-Guinea 
im November 1884 durch den Kommodore Erskine mit dem Kriegsschiff „ Nelson ''. 
Dieses Schiff und vier andre englische Kriegsfahrzeuge kreuzten damals längs 
des ganzen jetzt unter britischer Oberhoheit gestellten Teils der Südküste von 
Neu-Guinea; eine Reihe von Punkten wurden besucht und verweilten die Schiffe 
überall lange genug, um eine Orientierung nicht allein betreffs der Küstengegenden 
und der hier wohnenden Eingeborenen, sondern selbst kleine Märsche ins Innere zu 
gestatten. Herr Lyne begleitete diese Expedition aU B^T\c.\i\.«t^\aiOvKt. ^^^^ ^^^- 



— 84 — 

breitetsten Zeitung Australiens und wenn auch die von ihm besuchten Rüsten- 
gebiete durch frühere Reisen einigermafsen bekannt sind, so wird man doch die 
frischen lebensvollen Schilderungen der Natur, die Erlebnisse und Beobachtungen 
in Beziehung auf die Eingeborenen mit dem gröfsten Interesse lesen. Über die 
Aussichten für eine mögliche Kolonisation des von ihm besuchten Teils von 
englisch Neu -Guinea äufsert sich der Reisende ausführlich. Das Schwierigste 
scheint ihm bei sonst guten Chancen für die Anlage von Plantagen die Beschaffung 
von Arbeitern; denn die Neu - Guineaner sind nicht an stetige, anstrengende 
Arbeit gewöhnt und werden, da sie wenige Bedürfnisse haben, schwerlich sich 
dazu willig machen lassen. Die feindselige Gesinnung der Neu -Guineaner wird 
durch das fortgesetzte Wirken der Missionen, über deren Erfolge wir hier viel 
Günstiges lesen, nach der Meinung des Herrn Lyne mehr und mehr zurück- 
gedrängt werden, besonders wenn alle sich niederlassenden Weifsen ihnen gegen- 
über sich verstandig und freundlich gesinnt zeigen. Die feuchte, dumpfe und 
fieberschwangere Hitze der Küstengegend wird auch hier bestätigt. 

— Ober Bekleidung, Schmuck und Tätowierung der Papuas der Südküste 
von Neu-Guinea. Von Dr. Otto F ins eh. Separatabdruck aus den Mit- 
teilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 1885, mit zahlreichen Ab- 
bildungen. Das in der ethnologisch höchst wertvollen Abhandlung niedergelegte 
Material bildet einen Teil der Ergebnisse, welche die von Dr. Finsch in den 
Jahren 1879 — 82 im Auftrage der Humboldtstiftung in der Südsee ausgeführten 
Reisen geliefert haben. Professor Franz Heger in Wien bemerkt u. a. in den 
von ihm vorausgeschickten einleitenden Worten: „Es ist ein wertvolles Material, 
welches uns hier vorliegt; ja in bezug auf das Detail vielleicht das vollständigste 
und genaueste Material über ein enger begrenztes Gebiet, welches wir aus der 
Südsee kennen. Als solches hat es einen dauernden Wert, umsomehr, als die 
charakteristischen Eigentümlichkeiten der hier geschilderten Gegenstände und 
Verzierungen durch die immer häufigere Berührung mit dem weifsen Menschen 
infolge der in letzter Zeit erfolgten Annexion Neu -Guineas durch England sehr 
rasch verschwinden werden. Fast scheint es, als ob viele der Tätowierungszeichen 
schon einen durch auswärtige Einflüsse veränderten fremden Charakter an sich 
trügen. Leider erfahren wir von Herrn Dr. Finsch sehr wenig über die Bedeutung 
der Tätowierung, und das wenige was er darüber sagt, scheint ungenügend. 
Ich habe mich über diesen Punkt in einem in der Sitzung vom 14. April 1885 
gehaltenen Vortrage eingehender ausgesprochen. Das raubt aber dem thatsäch- 
lichen Material, das uns der verdiente Reisende hier geboten hat, nichts von 
seiner Wichtigkeit; es wäre nur im höchsten Grade zu wünschen, dafs unsre 
Reisenden nach jenen Gegenden die geschilderten Verhältnisse mit demselben 
Eifer und Fleifse, mit derselben Hingebung für die Sache studieren mögen, 
wie es Dr. Finsch gethan hat, ehe die letzten Spuren der originalen Kultur der 
Südseebewohner für immer verschwunden sind.' 

Polar-Regionen. 

§Dr. Franz Boas. Baffin-Land. Geographische Ergebnisse einer in 
den Jahren 1883 und 1884 ausgeführten Forschungsreise. Ergänzungsheft 
No. 80 zu Petermanns Mitteilungen. Gotha 1885. J. Perthes. Mit wahrem 
Vergnügen haben wir diese fleifsige, tüchtige Arbeit gelesen. Sie zeigt uns, wie 
die Bereicherung der Polargeographie nicht allein auf grofse kostspielige Schiffis- 
expeditionen angewiesen ist, vielmehr schon ein einzelner Reisender, tüchtig 
vorgebildet, selbst mit geringen Mitteln, in einem geeigneten Gebiet und ge- 



— 85 — 

stützt auf die Hülfe der Eingeborenen, der Eskimos, vielseitig fruchtbare Er- 
gebnisse zu erzielen vermag! Dr. Boas reiste im Juni 1883 mit der „Germania"' 
nach dem Cumberland-Sund, von wo das Personal der deutschen Polarstation 
abgeholt wurde. Hier, in Kekerten, liefs er sich mit einem mitgenommenen 
Diener nieder und übernahm nun während des Winters und Frühjahrs bis Ende 
April 1884 eine grofse Anzahl (16) gröfserer und kleinerer Reisen, meist mit 
Hundeschlitten. Anfang Mai ging er durch die Cumberland-Halbinsel und an 
deren, der Home-Bai, Davis-Strafse, zugekehrten Küste eine Strecke nordwärts 
und wieder zurück, um von einem Neu-Fundländer Fischereidampfer aufge- 
nommen zu werden, mit dem er nach St. Johns heimkehrte. Wir erhalten von 
Dr. Boas ein nahezu vollständiges geographisches Bild des in seinen Terrain- 
verhältnissen, Gebirgsbildung, Küstengestaltuns; u. a. so vielfach komplizierten 
Baffin-Landes, das er zwar nur zum kleinern Teil durch eigne Anschauung 
kennen lernte, über welches er aber in älteren und neueren Reiseberichten und 
mittelst genauer Erkundigungen die sorgfaltigsten Studien anstellte. Diese Mit- 
teilungen begleiten eine Reihe trefflicher Karten, Kartons und topographischer 
Skizzen. Wir verdanken Dr. Boas ferner eine mit Zuhülfenahme vieler zum Teil 
wenig zugänglicher Quellen verfafste kritische Entdeckungsgeschichte jener Gegen- 
den, in welcher auch eine Darstellung des noch jetzt in jenen Gewässern 
hauptsächlich von amerikanischen Schiffen betriebenen Walfischfangs nicht 
fehlt. Eingehend werden die Eis- und Strömungsverhältnisse der umgebenden 
Meere erörtert. Ganz besonders gelungen scheint uns aber der Abschnitt „An- 
thropogeographie'^, die Darstellung der Beziehungen zwischen der Natur- 
beschaffenheit und dem Leben, Wandern, Thun und Treiben der Eskimos; hier 
hat der Verfasser eine Fülle von Erkundigungen und Beobachtungen nieder- 
gelegt und zu einer lichtvollen Darstellung verarbeitet. Dieser Teil geographischer 
Forschung scheint der Neigung und Begabung des Verfassers, die sich übrigens 
auch in der Naturschilderung bekundet, ganz besonders zuzusagen und man 
xnufe es deshalb bedauern, dafs widrige Umstände die Reise durch Baffin-Land 
nach dem Fox-Kanal oder wie der Verfasser es nennt, Fox-Becken, unmöglich 
machten, da dann das Stück arktischer Natur und arktischen Lebens, welches 
sich dem geistigen Auge des Reisenden darbot, sich noch bedeutend erweitert 
haben würde. Dr. Boas sagt am Schlufs seiner Arbeit, die entschieden eine 
wesentliche und wertvolle Bereicherung der Polarlitteratur ist, sehr richtig: 
^Blicken wir auf die hier gegebenen Resultate meiner Reise im Baffin-Lande 
zurück, so mufs es auffallen, dafs in so leicht erreichbarer Nähe europäischer 
und amerikanischer Häfen noch so viel rein geographische Arbeit ihrer Voll- 
endung wartet; dafs hier, in fast jährlich besuchten Gewässern, sich klaffende 
Lücken in einer nur oberflächlichen Kenntnis der Ländergestaltung finden. Be- 
denkt man zudem noch, wie viel in ethnographischer Beziehung hier zu leisten 
ist, wie drängend gerade diese Arbeiten bei den im raschen Aussterben be- 
griffenen Stämmen sind, und wie viele Erfolge dieselben versprechen, so sollte 
dieses eine Mahnung sein, nicht die Probleme arktischer Forschung allein in 
den höchsten Breiten zu suchen, sondern auch diese Gebiete, die mit ziemlich 
geringen Kosten und Mühen erforscht werden können, einer gründlichen Unter- 
suchung zu imterziehen." — Mit den im Frühjahr von Dundee ausgehenden Wal- 
fingern bietet sich zum Beispiel Gelegenheit, irgend einen Punkt des ameri- 
kanisch arktischen Archipels, der innerhalb der weit nach Norden sich er- 
streckenden Kreuzen dieser Schiffe gelegen, zu erreichen und könnte der Rei- 
sende nach einem Jahre mit eben solchem Schiffe zurückkehren. Oder es liefse 



— 86 — 

sich vielleicht der Führer eines der wenigen Dampfer, die im europäischen Eis- 
meer Walfang treiben, willig machen, eine arktische Forschungspartie mit Böten in 
Ostgrönland, auf der Sabine-Insel zu landen. Durch die letzte dänische Expedition 
wissen wir, dafs die Ansiedlungen von Süden herauf bis zum 66. ® reichen. Die Erfor- 
schung der Küste von dem südlichsten von Scoresby erreichten Punkte (69° 13' 
nördl. Br.) bis Sermiligak wäre an sich schon eine dankbare Aufgabe, doch wären 
auch die Entdeckungen Scoresby zu vervollständigen. Die deutsche Folarexpedition 
hat uns gelehrt, dafs allein die Jagd auf die zahlreichen Moschusochsen die 
nötige Fleischnahrung liefern würde. Auch Boas war auf seinen Fahrten zn 
seiner Subsistenz gröfstenteils auf die Jagd angewiesen und vor allem hat uns 
die Expedition Schwatkas gelehrt, wie viele Strecken man „als Eskimo unter den 
Eskimos" zurücklegen kann. Seit dem Tode P.etermanns fehlt aber leider die 
treibende Kraft für neue Polarunternehmungen und zudem haben die Kolonial- 
erwerbungen die Aufmerksamkeit auf ganz andre Gebiete gelenkt. Immer- 
hin hoffen wir, dafs das von Dr. Boas gegebene Beispiel über kurz oder lang 
Nachfolge finden werde. 

F. Schwatka. Along Alaskas Great River. Newyork, Cassel & Co. 8*. 
Schwatkas Yukonfahrt gehört zu den glücklichst ausgeführten geographischen 
Entdeckungsreisen der Neuzeit. Der, wie der Autor erzählt, anfangs bespöttelte 
Gedanke, in einem Flofs den Strom herunterzufahren, erwies sich als vollständig 
durchführbar; mit einem verhältnismäfsig geringen Aufwand von Kraft und 
Mitteln wurde die ganze Reise im Laufe eines Sommers zurückgelegt, und damit 
der Lauf des drittgröfsten Stromes, der durch das Gebiet der Vereinigten Staaten 
Hiefst, in seiner ganzen Länge festgestellt. Während der Unterlauf, von Fort 
Yukon bis zur Mündung, bereits wiederholt und zuletzt durch Raymond, genauer 
aufgenommen worden, auch der Mittellauf von Fort Selkirk bis Fort Yukon 
seiner allgemeinen Erstreckung nach bekannt war, ist die Aufnahme des Ober- 
laufes vom Lindeman-See bis Fort Selkirk, das unbestreitbare Verdienst der 
Schwatkaschen Expedition. In andrer Beziehung hat dieselbe freilich wenig 
für die Erforschung des durchreisten Gebietes leisten können. Die Schnelligkeit 
und die Art des Reisens bot geringe Gelegenheit zu naturwissenschaftlichen Be- 
obachtungen und Sammlungen, zumal die Expedition wenig für dieselben vor- 
bereitet war. Auch der Verkehr mit den Eingeborenen war sehr beschränkt. 
Im ganzen verlief die Fahrt recht einförmig, wenn nieht Wind und Wetter oder 
Stromschnellen einige Abwechselung hineinbrachten. Als gröfste Widerwärtigkeit 
wurde die Mückenplage empfunden. — Das Buch, im wesentlichen eine nur 
etwas mehr ausgeführte Wiedergabe des auch in dieser Zeitschrift veröffent- 
lichten Reiseberichts Schwatkas, ist mit einer grofsen Zahl von Abbildungen 
ausgestattet, welche von der Natur des durchreisten Gebietes eine gute Vor- 
stellung geben. Die beigegebene Karte des Yukonlaufes ist in drei Abschnitte 
zerlegt worden, von denen die beiden ersten gleichfalls in dieser Zeitschrift, 
Bd. VII. Tafel 1 und 3 publiziert worden sind. A. K. 

— Hoop er, Kpt. C. L. Report of the Cruise of the ü. S. Revenue Steamer 
Thomas Corwin, in the Arctic Ocean, 1881, Washington, 1884, 4^ Die Kreuze 
des „Corwin" vom Jahre 1881 im Berings-Meer und nördlichen Eismeer, deren 
Hauptzweck die Aufsuchung der „ Jeannnette" und zweier vermifster Walfischfanger 
war, hat bekanntlich zu wichtigen geographischen Entdeckungen geführt. Die 
günstigen Eisverhältnisse dieses Jahres erlaubten nicht nur das Betreten der 
Herald-Insel, auch von Wrangel-Land wurde der Schleier gelüftet, und der 
MAnnschaft des ;, Corwin" gebührt dieEhre^ zuerst die amerikanische Flagge auf 



- S1 — 

dieser tnsel entfaltet zn haben, während eine vollständige Aufnahme derselben 
denoi „Rodgers'' vorbehalten blieb. Hooper hatte anfänglich für das von ihm be- 
tretene Land, dessen Ausdehnung er überschätzte, den Namen „Neu-Columbien* 
vorgeschlagen, der jedoch auf den Karten der Hydrographie Office nicht ange- 
nommen worden ist. Über die Gründe, welche ihn zur Aufstellung eines neuen 
Namens bewogen, spricht er sich in dem vorliegenden Bericht ausführlich aus; 
auch entwickelt er aufs neue seine Theorie, nach welcher ein Kontinent oder 
eine Reihe von Inseln sich nordwärts von der Wrangel-Insel bis nach Grönland 
hin erstrecken sollen. Im übrigen ist zu bedauern, dafs auch in diesem Bericht 
eine Anzahl wertvoller Beobachtungen mit unzuverläfsigem und unkritisch zu- 
sammengebrachtem Material durcheinander gemengt sind, wodurch der wissen- 
schaftliche Wert der Arbeit sehr verringert worden ist. Eine hypothesenreiche 
Auseinandersetzung von John Muir über Gletschererscheinungen in den arktischen 
und subarktischen Gegenden bildet den Schlufs des Werkes, welches noch mit 
zahlreichen Abbildungen, meist Lichtdrucken nach Photographien, ausgestattet ist. 
Auch in diesen wäre eine strengere Auswahl geboten gewesen, da einige über- 
flüssig, andre bis zur völligen Unkenntlichkeit mifsrathen sind. Dagegen fehlen 
irgend welche Kartenskizzen, selbst eine Obersichtskarte wird vermiTst. A. K. 

Karten. 

§ Die Goldküste ostwärts vom Flufs Pra, nach den Aufnahmen der Basler 
Missionäre, und das Gebiet des Volta-Stromes von Salaga bis zur Mündung nach 
den Itinerarien (1884) von Dr. E. Mähly, den Missionären J. Müller, G. Zimmer- 
mann, F. Ramseyer und D. Asante. Mafsstab 1 : 800,000. Basel 1885. Diese Karte, 
welche xms durch die Güte des Herrn Dr. med. Mähly vorliegt, wurde einer 
Abhandlung des genannten Arztes und Reisenden beigegeben, welche die geo- 
graphischen und ethnologischen Verhältnisse des Yolta-Gebietes darlegt und 
die in den „Verhandlungen der naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Basel" 
Band VII. No. 3 veröffentlicht wurde. Sie ist eine wesentliche Bereicherung 
unsrer kartographischen Kenntnis der Goldküstenregion. Dr. Mähly wurde von 
der Baseler Mission zum Studium der klimatischen Verhältnisse des Goldküsten- 
gebiets ausgesandt. Er reiste mit seinen Gefährten zu Lande am linken Ufer 
meist in gröfserer Entfernung vom Flufs und drang bis Salaga, 37 km nördlich 
vom Volta, vor. Hier trennte sich der eingeborene Missionar David Asante von 
Dr. Mähly, um auf einem weiten Bogen ostwärts den unteren Volta wieder zu 
erreichen. Rückwärts reiste Dr. Mähly von Akoroso (270 km von der Mündung) 
auf dem Volta. Missionar Ramseyer bereiste von Abetifi aus Gebiete im Westen 
des Volta. Die kartographischen Ergebnisse dieser verschiedenen Reisen sind 
auf der Karte niedergelegt. Während die Veröffentlichung des Berichts von Dr. 
Mähly an die Baseler Mission über seine hygienischen Aufgaben noch zu erwarten 
steht, hat A. Riggenbach in den genannten „Verhandlungen^ eine auf die Beob- 
achtungen Dr. Mählys sich stützende Arbeit „zum Klima der Goldküste" veröffent- 
licht. Berichte über die Reisen der Missionäre Ramseyer und Asante veröffent- 
lichten die Mitteilungen der geogr. Gesellschaft in Jena, Band IV. Heft 1—3. Ein 
gutes geographisches Resüm^ der Ergebnisse dieser verschiedenen Reisen publi- 
zierte nebst Karte das Oktoberheft 1885 der in Genf erscheinenden . Zeitschrift 
„PAfrique explor^e". 

— Debes, E., Physikalische Schulwandkarte der Erde in Merkators 
Projektion. 1885. Verlag von H. Wagner und E. Debes in Leipzig. Die vorliegende 
Wandkarte zeichnet sich zunächst vorteilhaft durch ihre Gröfee a.\3Ä\ ^\^ Vi^^\&\Ä. 



_ BB - 

aus acht Blättern in Farbendruck, deren jedes eine Stichhöhe von 61,5 cm Langes 
und 75 cm Höhe hat, das giebt für das aufgezogene Kartenbild die Länge von 
2,45 m und die Höhe von 1,55 m, also fast die Gröfse von 4 qm. In der Aus- 
führung zeigt die Karte die gröfste Übereinstimmung mit dem Debesschen Alia.s : 
das Meer ist in Blaudruck mit abgestufter Flach- und Tiefsee, rotem Kolorit 
für die warmen und dunkelgrünem für die kalten Meeresströmungen gehalten; 
das Terrain ist in sechs Höhenstufen und die Gebirge in starker Schummermanier 
dargestellt. Die Auswahl des Stoffes, das Zurücktreten der Schrift, kurz die 
ganze Darstellung zeigt den mit den Schulbedürfnissen wohl vertrauten Karto- 
graphen, so dafs die Karte eine wertvolle Bereicherung unsrer geographischen 
Lehrmittel bildet und für alle Schulgattungen die wärmste Empfehlung ver- 
dient. W. W. 

§ Karte der Reiskulturen in Britisch Barma. Mit dem vom 
2. Dezember v. J. datierenden Bericht des hiesigen Reismäklers Herrn Emil 
Lichtenberg über die im v. J. erfolgten Reisabladungen einer Reihe asiatischer 
Häfen nach Europa wurde eine Karte ausgegeben, von welcher wir hier gern 
Notiz nehmen. Dieselbe veranschaulicht in Farben den Umfang des Reisbaus 
in den Distrikten von Britisch Barma. Über 100000 Acres grofs ist das Reis- 
land in den Distrikten Northern Arakan, Kyaukpyu, Thayetmyo, Poungoo, Sando- 
way, Salween, Tavoy, Merqui ; zwischen 100 und 200 000 Acres beträgt das Reis- 
land im Distrikt Shwegyin, zwischen 200 und 400000 in den Distrikten Akyab, 
Prome, Tharawaddy, Henzada, Thongwa, Hanthawaddy und Amherst, endlich 
über 400000 Acres sind in den Distrikten Bassein und Fegu mit Reis bebaut. 



Zur Besprechung liegen der Redaktion noch vor: 

üne mission aux lies Philippines et en Malaisie. 1879 — 81. Par le Docteur 
Montano. Paris 1885. Imprimerie nationale. 

Work and Adventure in New Guinea 1877 to 1885 by J. Chalmers and 
W. Wyatt Gill. London 1885." The religious tract Society. 

Nordenskjölds Vegafahrt um Asien und Europa. Nach Nordenskjölds Be- 
richten für weitere Kreise bearbeitet von E. Erman. Leipzig 1886. F. A. Brockhaus. 

J. C. Heusser. Drei Aufsätze, betreffend die europäische Auswanderung 
nach Argentinien. Zürich 1885. Orell-Füssli. 

Die Besprechung dieser Publikationen wird in einem der nächsten Hefte 
folgen. 



■7^"-^ 



l>ruck vou Carl Sclitluemaiin. Bremen. 



"•'«^- Deutsche ''•"'"^• 

Geographische Blätter. 

Herausgegeben ron der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 

Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse : 
Dr. M. Lindeman, Bremen, Mendestrasse 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original- Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten 
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit 

der Redaktion gestattet. 



Der Kongo und sein Gebiet. 

Von Dr. A. Oppel. 

II.») 



Übersicht der im vorigen Jahre ausgeführten Reisen. Die Landschaft am unteren, 
mittleren und oberen Kongo, im nördlichen und südlichen Gebiete. Das Klima. All- 
gemeines. Wärme- und Regenverhältuisse. Urteile über die Zuträglichkeit des Klimas. 
Notizen über die botanischen und zoologischen Verhältnisse. Ethnographie. Die Batua 
oder Zwergmenschen. Die Bantuvölker. Die Küstenstärame. Die Binnenstämme. 

Gerade ein Jahr ist es her, dafs ich begann, in den „Geo- 
graphischen Blättern" die wichtigsten Thatsachen über die Geographie 
des Kongo und seines Gebietes zusammenzustellen. Damals war ich 
in der Erörterung der einzelnen Teile dieses Themas bis zur Be- 
sprechung des landschaftlichen Charakters gekommen. Ehe ich aber 
den unterbrochenen Faden wieder aufnehme, mag es gestattet sein, 
derjenigen Fortschritte kurz zu gedenken, welche seitdem in der 
weiteren Aufschliefsung und genaueren Durchforschung des gewaltigen 
Gebietes erzielt worden sind ; denn was hier im Laufe eines Jahres ge- 
leistet worden ist, verdient durchaus einer anerkennenden Erwähnung. 

Nach Lage der Sache mufste es in erster Linie darauf ankommen, 
das System der Nebenflüsse des Kongo klar zu stellen, sodann die 
Untersuchung der Landstreifen zwischen den Wasserläufen auf das 
Programm zu setzen, denn zumal in letzterer Beziehung war bis 
zum Anfang des Jahres 1885 herzlich wenig geschehen. Von beiden 
Aufgaben ist aber auch wieder die erste in viel höherem Grade 
gefördert worden als die zweite, und zwar gebührt das Verdienst 
fast auschliefslich den englichen Baptistenmissionaren und den For- 
schungsreisenden deutscher Nationalität. 

Beginnen wir unsre Musterung der wichtigeren Unternehmungen 
mit dem Gebirgslauf des Kongo, so mag erwähnt werden, dafs der 

*) Den ersten Artikel s. in Band VIII. dieser Zeitschrift S. 101 u. ff. 

Oeogr. Blätter. Bremen, 1886. 7 



— 90 — 

bekannte österreichische Geograph Dr. J. Chavanne unter Begleitung 
des Deutschen Dr. E. Zintgraff von Borna (M'boma) aus einen 
Vorstofs bis nach San Salvador unternahm, von wo aus er zwei 
Abstecher machte, den einen nach Ost bis nach Kizulu (6® 18' ö. B. 
u. 15** 20'), den andern nach Süden bis zum 6^ 39' s. B. Seine in 
Petermanns Mitteilungen veröffentlichten Beobachtungen kommen 
hauptsächlich der Kartographie, der allgemeinen Oberflächenkunde 
und der Ethnographie zu gute. San Salvador diente auch den 
deutschen Reisenden Wolff, Kund, Tappenbeck und Büttner als 
Ausgangspunkt für ihre Thätigkeit. Im April 1885 war Wolff bis 
zum Kiamvo (Muene Puto Kassongo) vorgedrungen und durch die 
Landschaften Pombo, Zosso und Damba nach seinem Hauptquartier 
zurückgekehrt, wo er am 15. Mai eintraf. Dasselbe Ziel hatten 
Kund und Tappenbeck zu Wasser mit Hülfe des Dampfers „Peace" 
erstrebt, sich aber dann an den Stanley Pool zurückgezogen, um an 
dessen Ufern eine Station zu gründen. Büttner war im Juli 1885 
nach Kuilu an den Arthingtonfällen des Ambrizflusses gelangt ; später 
ging er nach der durch M. von Mechow erreichten Steinbarre des 
Kuango. Büttner verfolgte von da an den Flufs ein gutes Stück 
nach Norden und führte die Aufnahme der betreffenden Strecke aus. 
Streng genommen müfste nun die Erforschung des Kuango insofern 
vollendet sein, als sich Büttners Reiseweg mit dem des Lt. Massari 
ergänzen müfste. Nach der von R. Kiepert veröffentlichten Karte 
aber (Mitteil, der Afrikan. Ges. 1886 V. 1) macht es den Eindruck, 
als ob der Kuango etwa zwischen Stanley Pool und Msuata un- 
mittelbar in den Kongo münde und nicht, wie man bisher annahm, 
mit dem Kassai und dem Ausflufs des Leopold-See (dem Mfini) zu 
einem Strom sich vereinigte. Weitere Aufklärungen werden also 
nach dieser Richtung noch erwünscht sein. 

Vorzugsweise im Gebiete des Kuango liegt auch das Arbeitsfeld 
des Portugiesen H. de Carvalho, welcher im Januar 1885 den Flufs 
bei 8*^ 47' 15" erreicht hatte. Um von da aus zu dem durch Pogge 
zuerst wieder aufgefundenen Muato Jamvo zu gehen, schlug er die 
durch die deutschen Reisenden bekannt gewordene nördliche Richtung 
ein. Nach der letzten Nachricht war er bis 20^ 42' (unter 8® 24') 
vorgedrungen und hatte am Kuilu die Station Kuilu errichtet. 

Während die ebengenannten Leistungen nur kleinere Lücken 
auszufüllen vermögen, ist es weiter im Innern zu gröfseren Thaten 
gekommen. Das bedeutungsvollste Ereignis auf diesem Schauplatz 
knüpft sich ohne Frage an den Namen Wifsmanns. Diesem waren 
wir im früheren Aufsatz bis nach Muene Tombe gefolgt, von wo aus 
er an den Kassai sich begeben und dessen Lauf entlang nach dem Kongo 



— 91 — 

fahren wollte. Das kühne Unternehmen glückte ! Denn am 1 8. Juli 
1885 meldete Wifsmann, welcher die Station Luluaburg unter 
50 57'_22^ 20' gegründet hatte, von Löopoldville aus : „Von Lubuku 
zu Wasser in Kwamouth eingetroffen, kein Hindernis für die Schiff- 
fahrt. Der Kwa-Mfini ist der Unterlauf des Kassai. Der Sankuru, 
Leopold-See und Kuango sind die Nebenflüsse.^ Nach Wifsmanns 
Karte, welche im Mafsstabe 1:3703000 im Bulletin der Brüsseler 
Geogr. Ges. 1885, 6. Heft erschienen ist, ergiefst sich der Mfini 
nach der Vereinigung des Kassai und Kuango in den gemeinsamen 
Strom Kwa. Wolff, einer von Wifsmanns Begleitern, brachte die 
Balubaleute in ihre Heimat zurück. 

Von ähnlichem Erfolge waren die Unternehmungen des Baptisten- 
missionars GrenfelP) und seiner Begleiter. Zunächst untersuchte er 
auf einer Fahrt nach den Falls die Unterläufe einiger Nebenflüsse; 
er befuhr mit dem ;,Peace" den Ikelemba 190 km weit, den Lubilasch 
bis 1^ 33' s. B., den Mbundgu-Liboko bis 1^ 25' n. B., den Ukere 
(Ngala) bis 2® 6' und den Mburi (Locka) 160 km bis 2® 55'. Auch wurden 
Aufnahmen am Kongo und Kwa gemacht. Eine fernere Reise unternahm 
Grenfell in Begleitung des Deutschen von Frangois, der vorher die 
Kassaifahrt Wifsmanns mitgemacht hatte. Beiden Männern gelang 
es, zwei linksseitige Nebenflüsse des Kongo auf einer Strecke von 
mehr als 600 km zu befahren. Der Lulongo wurde bis 0^ 10' n. B. 
u. 22<> 32', der Tschuapa bis 1^ 1' s. B. 23« 14', der Bussera bis 
1^ 9' s. B. 20** 13' aufgenommen. Weiterhin wurde ein rechtsseitiger 
Nebenflufs, der Mbungu, welcher unter 1« 8' s. B. mündet, 50 km 
weit befahren; Grenfell erklärt ihn für Brazzas Licona. 

Ein wichtiger Vorstofs auf dem Landwege wurde von den 
deutschen Reisenden Kund und Tappenbeck vom August 1885 bis 
Januar 1886 zwischen dem 3. und 4.** s. B. in das unbekannte Innere 
gemacht. Leider sind von dieser beachtenswerten Leistung zur Zeit 
nur einige kurze Angaben zu unsrer Kenntnis gelangt. Diesen 
zufolge überschritten Kund und Tappenbeck, vom Kongo aus nach 
Osten vordringend, eine Anzahl Nebenflüsse des Kassai, so den 
Wambo (18^ L.) und den Saie oder Tschia (18^ 55'), welche mög- 
licherweise in den Kuilu münden. Darauf setzten sie über den 
Kassai, der hier Sankurru heifst, darauf über den Ikata (alias Lo- 
kenje oder Lukata) bei 20^ 10', wurden aber weiter abwärts bei 
21^ 30' L. u. 3<> 20' s. Br. durch unglückliche Kämpfe mit den Ein- 
geborenen zur Umkehr gezwungen. Dabei stellte sich heraus, dafs 
der Ikata mit dem Mfini Stanleys identisch ist. 

*) Eine Übersicht sämtlicher Dampferfahrten des für den Kongo und seine 
Nebenflüsse sehr bedeutsamen Rev. G. Grenfen bietet der „Misaioiwwc^ ^«^^vS^^ 
vom 1. März 1886. 



— 92 — 

Weniger als im Gebiet der südlichen Zuflüsse ist im nördlichen 
Teile des Beckens geschehen. Die Uellefrage z. B. ist noch nicht 
über das Stadium der Vermutungen hinausgekommen. In bezug 
darauf mag erwähnt werden, dafs die Hypothese von Wauters, wo- 
nach der Mobangi der Unterlauf des Uelle sein soll, eine vielfache 
Anerkennung erfahren hat. Sich ihr anzuschliefsen, ist aber deshalb 
nicht nötig, weil der bekannte Afrikareisende 0. Lenz in Begleitung 
Bohndorfifs Stanley Pool kürzlich verlassen hat, um womöglich jene 
Frage thatsächlich zu lösen. 

Schliefslich sind im obersten Kongobecken einige Fortschritte 
zu verzeichnen. Das Gebiet des Luallaba ist nämlich von Osten her 
von den deutschen Reisenden P. Reichard und Böhm besucht worden, 
während von Südwest aus die Portugiesen Capello und Ivens in dieselben 
Gegenden kamen. Den Bemühungen der Portugiesen gelang es, die 
Quellen des Luallaba und des Luapula aufzufinden, sowie nachzu- 
weisen, dafs an Stelle des Bangweolo zwei Seen bestehen, der Bang- 
weolo im Norden und der Bemba im Süden, welche durch eine Sumpf- 
region miteinander in Verbindung stehen ; endlich vermochten sie zu 
zeigen, dafs die Wasserscheide zwischen den Kongohauptquellflüssen 
und dem Zambesi kein Gebirge, sondern ein Plateau ist, welches 
den Namen Muschinga führt. 

Ist also erfreulicher Weise in dem verflossenen Jahre die Er- 
forschung mit Eifer und Erfolg fortgeführt worden, so bleibt nur 
das eine zu bedauern, dafs nämlich über die meisten der genannten 
Reisen nur kurze Berichte veröffentlicht worden sind. Immerhin 
eignen sich auch diese dazu, den Umfang und die Intensität unsrer 
Vorstellungen von der Beschalfenheit von Land und Leuten zu ver- 
mehren. Bei der nun folgenden Erörterung des Landschaftscharakters 
des Kongogebietes wird sich Gelegenheit ergeben, die neuesten Mit- 
teilungen, wenn auch nur in gröfster Kürze, zu berücksichtigen. 



Beschäftigt man sich mit dem Landschaftscharakter eines Ge- 
bietes, so kann man diesen in doppelter Weise darstellen, einmal 
kann man die sämtlichen Teile, welche eine Landschaft ausmachen, 
beschreiben und ihr Wesen daran erläutern, das würde eine objektive 
geographische Methode sein, oder man kann mehr den Eindruck 
darstellen , welchen, eine Landschaft auf den Beschauer macht , das 
würde eine Art subjektiv-ästhetischer Methode sein. Bei der gegen- 
wärtigen Besprechung mag gestattet sein, vorzugsweise die letztere Art 
zur Anwendung zu bringen, einmal weil die Hauptgrundlagen, soweit 
es sich um die Oberflächengestalt und Bodenzusammensetzung handelt. 



— 93 — 

schon in dem ersten Aufsatz gegeben sind, sodann weil die subjektive 
Behandlungsweise ohne Zweifel die allgemein verständlichere und 
anschaulichere ist. 

Im allgemeinen mufs gesagt werden, dafs, wie sich aus den 
Beschreibungen gewisser Gebiete ergiebt, die Landschaft im Kongo- 
gebiete vielfach den Eindruck der Enttäuschung macht. 

Dieses Gefühl macht sich nämlich bei allen denjenigen geltend, 
welche in der Meinung an den Kongo gekommen sind, dafs, da das 
ganze Gebiet in den Tropen liege, auch die Landschaft eine tropische 
sein, d. h. die Eigenschaften der Fülle und Mannigfaltigkeit der 
Pflanzen- und Tierwelt darbieten müsse. Diese Enttäuschung hat 
ohne Zweifel manchen Reisenden veranlafst, die Kongolandschaft 
ungünstiger zu beurteilen als sie es verdient; daher liegt um so 
mehr Veranlassung vor, das Verhältnis richtig zu stellen, als sich 
wenige bei der Berichterstattung, noch wenigere aber beim Lesen 
der Berichte vor Generalisierungen hinreichend gehütet haben. 

Obgleich, wie gesagt, das ganze Kongogebiet in den Tropen 
liegt und die Bodenerhebungen nur im Quellgebiete des Haupt- 
flusses einigermassen über 1000 m aufsteigen, nirgends aber die 
Schneegrenze erreichen, so sind doch auch in landschaftlicher Be- 
ziehung verschiedene Varietäten zu bemerken. Im grofsen und 
ganzen schliefsen sie sich an die hauptsächlichsten Terraiuabschnitte 
an; diese aber sind das Vor- oder .Mündungsland, die westliche Ge- 
birgsstrecke, das innere Becken und das Quellgebiet. 

Am besten ist naturgemäfs das Kongovorland bekannt. Hier 
aber entspricht die Landschaft weder dem tropischen Charakter, 
noch macht sie, etwa abgesehen von dem breiten Strome des Kongo, 
irgendwie den Eindruck der Grofsartigkeit. Über den Mangel an 
Reiz und Eindrucksfähigkeit stimmen alle Berichterstatter über- 
ein, mögen sie Stanley oder Pechuel-Lösche, Zöller oder Wolfif 
heifsen. ^) 

WolflF z. B., der jüngst vom Kongogebiet zurückkehrte, sagt 
ebenso kurz als treffend: ;,Ich kann nur bestätigen, dafs das Land 
zu beiden Seiten des Kongo trostlos ist.^ 

Kaum erfreulicher gestaltet sich das Landschaftsbild an dem 
sogenannten Gebirgslauf des Kongo zwischen Boma und dem 
Stanley Pool. Hier treten zwar an Stelle des bisher flachen oder 
nur wenig erhöhten Ufers steilere Formen und gebirgige Er- 



^) Die bezüglichen SteUen über die Landschaft sind: Stanley, der Kongo 
I. 572 ff. Pechuel-Lösche, über den Gebirgslauf des Kongo. H. Zöller, For- 
schungsreisen in der deutschen Kolonie Kamerun, IIL "Wolff. Verhandlungen 
der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. XIII, No. 1. 



— 94 — 

hebungen; die breite, träge und mit häfslichen Maügrovesümpfen 
garnierte Wasserfläche gerät von Zeit zu Zeit, durch Riffs in un- 
ruhige Bewegung. Aber die Gestaltung der Landschaft bleibt doch 
weit entfernt von Schönheit oder Lieblichkeit, Grofsartigkeit oder 
Erhabenheit. Die Ursache dieser Erscheinung liegt einmal in der 
monotonen Gleichartigkeit der Uferhügel, welche sich, selbst in der 
Höhe wenig unterscheidend, auf der fast 386 km langen Strecke 
einer neben dem andern erheben, anderseits liegt jene Erscheinung 
begründet in der eigentümlichen Gestaltung der Pflanzendecke. 
„Alsbald oberhalb Boma", sagt Wolff, „hört sozusagen jede Vege- 
tation auf, nur an den Wasserläufen sieht man einige Bäume, die 
übrigen Flächen sind für afrikanische Verhältnisse spärlich mit Gras 
bedeckt." Selbst Stanley vermag sich für seinen Kongo nicht zu 
begeistern. So sagt er : ;, Wer die Landschaft bei Isangila, den dortigen 
Katarakt und die ewigen kegelförmigen Hügel des rostfarbenen 
Felsens, der einsam, still und verlassen am südlichen Ufer steht, 
einmal gesehen hat, wird es kaum für der Mühe wert halten, viel 
über diese Gegend zu schreiben." Und an einer andern Stelle heifst 
es: „Die Hügel, welche das Bett des Kongo einfassen, bei den 
Nsambi-Schnellen, sind allmählich näher an den Flufs herangetreten, 
doch fehlt es ihnen vollständig an Grofsartigkeit und Schönheit. 
Die ganze Szenerie ist fast eine einzige Reizlosigkeit und Nacktheit, 
gepaart mit Zerrissenheit; kahle Felsen und breite Flecken eines 
rötlichen Bodens sind mit dem dunkeln Grün einzelner niedriger 
Dickichte vermischt." 

Die Beurteilungen andrer Kenner des Gebirgslaufes stimmen 
im wesentlichen mit Stanley überein. Nur Johnston gewann einen 
teilweise günstigeren Eindruck. „Die Gegend zwischen Vivi und 
Isangila", sagt er (vgl. Ausl. 1883, S. 855), ^ist in manchen Partien von 
wirklicher Schönheit; grüne Hügel wechseln mit dicht bewaldeten 
Thälern ab, welche von rauschenden Bächen durchströmt werden. 
Zwischen Isangila und Manjanga gestaltet sich die Szenerie dürftig 
und langweilig. Zwischen Manjanga und Stanley Pool gewinnt sie 
wieder an Reiz." 

Den gleichen Landschaftscharakter — monotone, spärlich mit 
Gras bedeckte Hügel, etwas Baumvegetation in den Thälern — hat 
auch das Muschikongogebiet. ^^Es läfst sich", sagt Chavanne, „that- 
sächlich keine schärfere Negation der landläufigen Vorstellung 
tropischen Landschaftscharakters denken, als eben das Lateritgebiet 
zu beiden Seiten des unteren Kongolaufes bis in die Nähe von Stanley 
Pool, Wenn nicht die Vegetationsformen der Palmen und Baobabs 
und der Rassentypus der Eingeborenen an das äquatoriale West- 



— 95 — 

afrika mahnen würden, dürfte man sich in die südliche Eandzone 
des Atlasplateaus versetzt denken, wo überdies die Bodenbedeckung 
mit Haifa übereinstimmend wirkt." 

Mit dem Stanley Pool, der mit seinen bewaldeten Inseln, 
den steilen, felsigen Ufern und den Bergen im Hintergrunde einen 
sehr erfreulichen Anblick darbietet (Johnston, Ausl. 1883. 854; vergl. 
auch Stanley und 0. Lenz' Berichte), beginnt die Landschaft ein 
andres Gepräge anzunehmen. Die breite niedrige Ebene am Südufer 
des Pool hat nach Stanley (I, 417) sogar ein fast idyllisches Aussehen, 
da aufser den hervortretenden Grashütten von Kintamo alles übrige 
buchstäblich eine einzige Wildnis von Gras, Gesträuch und Laubwerk 
ist. Aber noch ist der Charakter kein ausgesprochen tropischer. 
Dieser beginnt noch erst weiter stromaufwärts; zunächst auf der 
Strecke bis Msuata. Hohe Bergketten steigen da in erhabener 
Majestät aus der breiten, braunen Flut, das dunkle grüne Laubwerk 
des Gujakbaumes kontrastiert mit dem zarten Grün des Wollbaumes, 
dessen silbergrauer Stamm zwischen dem grünen Laub einer Marmor- 
säule ähnlich sieht. Bemerkenswert sind auch die kleinen Details 
der dschungelartigen Dickichte, sowie die mannigfachen Farben des 
Waldes „von der hochroten Pracht der gemeinen Waldrebe bis zur 
gelben Blüte der Akazie.^ Jenseits der Felsenspitze, oberhalb 
Tschumbiri, gelangt man in eine zweite seeartige Ausweitung, um- 
geben von niedrigem Vorlande und Ebenen, die sich ohne irgend 
welche wahrnehmbare Erhöhung oder Hügelbildung nach beiden Seiten 
weithin ausdehnen bis an die Mündung des Bijerre. Jenseits Bolobo 
ist der Kongo selbst aufserordentlich breit und teilt sich in fünf bis 
acht verschiedene Arme, welche von mehreren Inselreihen gebildet 
werden. Auf diesen steht wirklicher Tropenwald, denn Kaut- 
schukpflanzen, Tamarinden, Affenbrotbäume, Wollbäume, Rotholz, 
Elaeis guineensis, Palmen, wilde Dattelpalmen, Calamus indicus und 
der zähe Stinkbaum bilden ein undurchdringliches Dickicht von 
Stämmen und Schlinggewächsen. Doch ist die Szenerie am oberen 
Kongo im allgemeinen uninteressant, wie Stanley ausdrücklich sagt. 
Die Fahrt führt vorbei an kleinen Inseln, niedrigen Ufern, mit 
Gras bewachsenen Ebenen oder mit Wald und dichter Vegetation 
bedeckten Geländen. Trotzdem glaubt Stanley auch in landschaftlicher 
Beziehung dem Kongo den Vorzug vor allen bekannten Flüssen geben 
zu dürfen, ein Urteil, welches allerdings zunächst in bezug auf den 
Rhein stark anfechtbar sein dürfte. Mississippi, Wolga, Ganges uad 
andre grofse Ströme, welche Stanley in Vergleich zu seinem Kongo 
setzt, sind allerdings, das mufs man dem berühmten Reisenden zu- 
geben, auf einmal befahren noch langweiliger als dieser; denn jede 



— 96 — 

Gleichförmigkeit, in ästhetischem Sinne gesprochen, ermüdet und 
erzeugt das Gefühl des Überdrusses. Ohne Zweifel hat aber der 
Kongo vor dem Ganges, besonders aber vor dem Mississippi den 
Vorzug einer gröfseren Abwechselung voraus, da eben durch die 
verschiedene Gestaltung sowohl des Flufsbettes (Katarakte und 
Inseln) als der Ufer doch eine gewisse Abwechselung hervorgerufen 
wird. Wirkliche Grofsartigkeit wird man aber am oberen Kongo 
vergebens suchen; weder die „Falls" bieten sie, da sie doch nur 
Stromschnellen von geringer Höhe sind, noch auch das eigent- 
liche Quellgebiet enthält bedeutende Szenerien, da es eben an hohen 
Gebirgen fehlt und selbst die Seen des Luallaba und des Luapula nicht 
den Eindruck von alpinen Wasserspiegeln macheu. Allerdings ist das 
Gebiet zu beiden Seiten des oberen Kongo jenseit Njangwe in land- 
schaftlicher Beziehung — wenn man vom Tanganika absieht — 
das mannigfachste und anziehendste im ganzen Kongobecken. 
Von Uhombo z. B. sagt Stanley (durch den dunkeln Erdteil): „Es 
war die entzückendste Landschaft, die wir zu sehen bekamen 1" 
überhaupt bemerkt derselbe von der Wasserscheide, welche die 
Zuflüsse des Tanganika von den Quellgewässern des Luama trennt, 
eine allmähliche Zunahme in der Pracht der Natur. ;,In stufenweisem 
Fortschritt entfaltet sie mehr und mehr ihre seltensten Schönheiten, 
ihren Reichtum und ihre üppige Verschwendung. Das Terrain ist 
wie nach einem reizenden Plane in geraden und krummen Linien 
geformt; Bergrücken schwellen auf und trennen Thal von Thal; 
Hügel heben ihre Gipfel in der Mitte von Thalbecken empor und in 
gröfserer Entfernung abgesondert sich zustrebende Bergreihen be- 
grenzen weite Fernsichten, innerhalb deren die kleinen Ketten, ob- 
wohl von ganz ansehnlichen Verhältnissen, nur wie angenehme, die 
Szenerie belebende Abwechselungen erscheinen.^ 

Auch die von P. Reichard jüngst durchzogenen Gebiete sind 
nicht ohne landschaftliche Reize; dieser Reisende äufsert sich 
wie folgt: 

„Marunga ist ein Hochland mit einem den Seeufern parallel 
ziehenden Gebirgsstocke von etwa 3000 Fufs und aufserordentlich 
wasserreich. Das Gebirge, steil nach dem See abfallend, dacht sich 
sanft nach Südwest und Nord ab. Die Höhen haben nach dem Innern 
zu einen hochplateauartigen Charakter, weisen eine Art alpiner Flora 
auf und sind zunächst mit niederem Grase bestanden. Die zahlreichen 
Rinnsale sind mit üppiger Tropenvegetation bestanden, darunter 
hauptsächlich Pandanus, Bombaceen, Baumfarn, Bambu, draceen- 
artige Gewächse und Lianen. Auf und an einigen hervorragenden 
Gipfeln kommen gröfsere ürwaldparzellen vor. ^ 



— 97 — 

Den Luapula nennt Reichard einen mächtigen Strom, dessen 
paradiesische Landschaft jeder Beschreibung spottet. Hunderte von 
Inseln ragen mit üppiger Tropenflora bestanden aus dem dunkeln, 
klaren Wasser, das umrahmt ist von geheimnisvollem Uferurwalde 
mit Palmen, Rotang, Pandanus und Riesenstämmen von Lianen, 
zu oft undurchdringlichem Dickicht verflochten. Der Luapula 
durchbricht von seinem Ausflufs aus dem Moero ein Tafelsandstein- 
gebirge, durchzieht auf kurze Zeit eine Niederung und bricht 
sich dann bei den Tafelbergen Kivele und Mloväloa seinen Weg durch 
die Mitumba- und Vianoberge. 150 m breit bildet er auf der 
ganzen Strecke eine ununterbrochene Reihe von Stromschnellen und 
Katarakten. 

Die Vianoberge, welche Reichard überschritt, bilden einen 
hohen von Südwest nach Nordost streichenden Gebirgsstock (vom 
Quellgebiet des Luallaba bis Tanganika). Nach Nordwest ziemlich 
steil abfallend dachen sie sich fast unmerklich nach Südost ab. 
Der Fufs ist mit lichtem Wald überzogen, während der sehr breite 
Rücken völlig baumlos und steppenartig ist; zahlreiche mit Urwald 
bestandene Rinnsale sind eingesenkt. Die tieferen Thäler sind aufser- 
ordentlich fruchtbar und mit üppigen Bambuswäldern bestanden. 

Wenden wir uns von dem Hauptstrom zu den Seitengebieten, 
so ist leider über das nördliche zur Zeit recht wenig bekannt. 
Denn bisher hat man sich der Hauptsache nach auf die Erforschung 
der Flufsläufe beschränkt und auch in dieser Beziehung bleibt, wie 
aus früheren Bemerkungen ersichtlich ist, noch recht viel zu thun 
übrig. 

Von den nördlichen gröfseren Zuflüssen sind ja zur Zeit nur 
Alima und Lefini durch Brazza und seine Leute (und neuerdings 
durch Massari) bis in das Quellgebiet erforscht worden. Aus dessen 
Mitteilungen ergiebt sich als allgemeines Resultat, dafs die Land- 
schaft auch hier hinter wirklich tropischer Gestaltung mehr oder 
weniger weit zurückleibt. Die Wasserscheide zwischen dem Kongo 
und dem Ogowe z. B. ist sandig und waldarm, nur hin und wieder 
zeigen sich in der Nähe der spärlichen Batekedörfer einzelne Palmen. 

Von der sterilen Beschaffenheit des letzteren Gebietes darf man 
aber keinen Analogieschi ufs auf das nördliche Binnenbecken des 
Kongo ziehen. Vielmehr es ist nicht unwahrscheinlich, dafs auch 
im Norden das innere Gebiet wesentlich günstiger gestaltet ist als 
die westlichen Randgebirge. 

- Vom Süden jedenfalls ist es erwiesen, dafs die Landschaft an 
vielen Stellen eine rein tropische ist. Das darf man den Mit- 
teilungen sowohl Wifsmanns als von Frangois entnehmen. 



— 98 — 

Wifsmann sagt: „Die Gallerie-Ürwälder sind bei der kolossalen 
Bewässerung vielfach so häufig und so breit ausgedehnt, dafs sie, 
wie in dunklem Marmor, starkem Geäder gleich, das Gelände durch- 
ziehen, ja sich oft auf den zwischen zwei Wasserläufen stehen 
gebliebenen Plateauresten begegnen. Auch die Regenwälder — 
das sichere Zeichen natürlicher Fruchtbarkeit, — existieren in 
grofser Ausdehnung. Stundenlang zu durchwandernde Urwälder 
trifift der Reisende häufig zwischen dem Kassai und Tanganika, 
tagelang den Reisenden beschattende Urwälder sind nachgewiesen. 
So fand Pogge zwischen dem Lulua und Kassai wohl den westlichen 
grofsen Urwald in dieser südlichen Breite. Auf dem ganzen Plateau 
zwischen Lubi und Lubilasch durchwanderte ich einen ununter- 
brochenen Urwald. Der ganze untere Lulua und der Kassai von 
der Luluamündung bis weit abwärts der Sankurrumündung sind 
von ununterbrochenen, unabsehbar weit ins Land gehenden Urwäldern 
eingefafst. Das ganze nördliche Manjema ebenso wie Uregga wird 
als ununterbrochenes Urwaldgebiet geschildert." 

An Wifsmanns Äufseruugen schliefsen wir eine Stelle aus 
Leutnant vonFrangois' Bericht. „Die Pflanzendecke, ausgezeichnet 
durch Üppigkeit und Massenhaftigkeit, zeigt einen durchaus gleich- 
artigen Charakter. Grasflur, bebuschte Grasflur, Grasflur mit 
Baumgruppen, Galleriewaldungen und ausgedehnter Urwald sind 
die stets wiederkehrenden Typen, die nur in dichten bevölkerten 
Strichen durch die Kulturen der Eingeborenen unterbrochen werden. 
Unter den Pflanzenformen fallen besonders die Palmen durch ihre 
grofse Zahl und Mannigfaltigkeit auf. Am Lulua sieht man tage- 
lang nichts wie Palmen und Paudanus ; am Kassai treten neben den 
Palmen Grasarten in den Vordergrund und am Tschuapa, Bussera 
und Lulongo herrschen die Kopalbäume vor." 

Diese Berichte lassen wohl keinen Zweifel mehr darüber, dafs 
der nördliche Teil des südlichen Kongobeckens der Hauptsache nach 
echt tropisch ist, denn die beiden vornehmsten Formationen der 
Tropen, Urwald mit Palmen und die Savanne, bedecken den gröfsten 
Teil des Bodens. 

Im südlichen Abschnitt des Südkongobeckens, jedenfalls vom 
7. Breitengrade, treten die Tropenurwälder mehr und mehr zurück 
und der Savannen- resp. steppenartige Charakter gewinnt die Ober- 
herrschaft. Die Periode der Trockenheit vollends entkleidet das 
Land fast völlig der tropischen Attribute. Von der Höhe des Bango- 
berges bei Malandsche (Ausl. 1883, S. 847) breitet sich, sagt Buchner, 
unter dem wolkenlosen Blau zum duftig verschleierten Horizonte 
hin eine strohgelbe Reliefkarte aus, durchzogen von zahllosen 



— 99 — 

Windungen hellgrüner Papyrusbänder. Die Landschaft zwischen 
dem 7.^ und 10.^ südlicher Breite ist nach Buchner durchaus 
stereotyp und wo sich Abweichungen von dem herrschenden halb- 
savannen- und halb steppenartigen Typus vorfinden, da sind sie 
hervorgebracht durch die graduell verschieden weit vorge- 
schrittene Erosion. Die Attribute der Südkongolandschaft sind 
vereinzelte Termitenhügel , vereinzelte , Bäume und Gebüsche, 
deren Zwischenräume mit hohem derbhahnigen Grase ausgefüllt 
sind, doch so, dafs rings um die mächtigen Büschel immer etwas 
nackte rote Erde hervorleuchtet. Der knorrige Baumwuchs, den man 
findet, gehört vorwiegend den Leguminosen an, welche hier zu 
gröfster Mannigfaltigkeit sich entwickelt haben. 

Noch weiter im Süden, nahe der Wasserscheide der südlichen 
Zuflüsse, verändert sich der Landschaftstypus noch einmal. Hier 
nämlich liegen die Gewässer mehr oder minder flach auf dem Grenz- 
plateau und da es häufig an der nötigen Neigung des Bodens fehlt, 
so stauen sich die Gewässer vielfach zu Seen auf und besonders 
zur Zeit der Regen sind weite Flächen überschwemmt. Den ver- 
änderten Naturbedingungen entsprechend, mufs auch die Pflanzen- 
decke andre Formen annehmen, doch bin ich nicht in der Lage, 
darüber spezielle Angaben zu geben. 

Der landschaftliche Charakter oder die Physiognomie eines 
Landes, welche dem Beschauer in so vielseitigen Formen entgegen- 
tritt, ist das Ergebnis des Zusammenwirkens mehrerer, verschieden- 
artiger Kräfte und Bedingungen, unter denen das Klima eine 
besonders bedeutsame Rolle spielt. Ja, „cum grano salis" kann 
man sagen, dafs das Klima die Hauptquelle aller Veränderungen auf 
der Erdoberfläche ist, selbst die geologischen Vorgänge nicht aus- 
genommen. Denn in letzter Linie sind es doch klimatische Ursachen, 
welche das Heben und Senken der Landmassen herbeigeführt haben. 
Der tropischen Pflanzendecke gegenüber jedenfalls gebührt dem 
Klima die entscheidendste Stellung, wobei es hauptsächlich auf die 
Menge und Verteilung der atmosphärischen Niederschläge ankommt. 
Dafs davon die Fruchtbarkeit des Bodens in allererster Linie ab- 
hängt, sei nur nebenbei erwähnt. Mit der Kenntnis des Klimas im 
Kongogebiet steht es nun leider noch sehr schlecht. 

Die einzige wirklich plan- und sachgemäfs angestellte und der 
Öffentlichkeit übergebene Beobachtungsreihe ist das Memoire sur 
les observations metöorologiques faites ä Vivi u. a. par A. von 
Danckelman (Berlin, A. Ascher & Co. 1884). Alles übrige zur Ver- 
fügung stehende klimatologische Material ist nach Zeit und Raum 
sporadisch und hat daher für die Beurteilung des Klimas einen nur 



— 100 — 

untergeordneten Wert. Denn auch in den Tropen vollziehen sich 
die meteorologischen Vorgänge, zumal was die Niederschläge anbe- 
langt, keineswegs mit strenger Regelmässigkeit, sondern die Ver- 
hältnisse ändern sich von Jahr zu Jahr in erheblichem Mafse. Wer 
allerdings gewisse Handbücher und Atlanten zur Hand nimmt, der 
kann zur Meinung kommen, als sei die Hauptsache schon gethan, 
denn er wird auf den Temperatur- und Regenkarten auch das 
Kongobecken mit ganz bestimmten Bezeichnungen eingetragen 
finden. Das ist auch z. B. aus Hanns Karte der Jahresisothermen, 
welche sich in dem ersten Hefte der zweiten Ausgabe von Berghaus 
physikalischem Atlas befindet, zu ersehen. Wäre die dort gewählte Be- 
zeichnung vollständig richtig, so würde das Klima des an 2 Mill. nk^i 
grofsen Kongogebietes ein aufserordentlich gleichmäfsiges sein, 
wenigstens was die durchschnittliche Jahreswärme anbelangt, denn 
das ganze Binnenbecken etwa von Stanley Pool an liegt zwischen 
den Isothermen 28^ und 26^ C, der Gebirgslauf hat die Isothermen 
26<>-24<> C. und die Mündung etwa 23^. 

Was die Regenmengen anbelangt, so findet man eine Darstellung 
auf A. Supans Regenkarte. Dieser rangiert den gröfsten Teil des 
Kongogebietes unter diejenigen Gebiete, welche zwischen 1000 und 
2000 mm Regen haben, obgleich keine einzige volle Jahresbeobachtung 
vorliegt. 

Bei der grofsen Wichtigkeit, welche dem Klima ganz besonders 
in tropischen Ländern gebührt, wird es erlaubt sein, die detaillierteren 
Angaben, soweit mir solche zugänglich wurden, etwas näher anzu- 
führen. Doch beschränke ich mich dabei der Hauptsache nach auf 
die Wärme- und Regenverhältnisse. 

Für das Mündungsgebiet sind meines Wissens meteorologische 
Beobachtungen bisher nicht veröffentlicht worden. Indes wird man 
doch im stände sein, auf indirektem Wege eine allgemeine Vor- 
stellung von der Wärme und den Regenverhältnissen zu gewinnen, wenn 
man die Beobachtungen, welche etwas nördlich von der Mündung in 
Chinchoxo an der Loangoküste und südlich in S. Paolo de Loanda 
gemacht wurden, mit einander vergleicht. Die Ergebnisse auszugs- 
weise mitgeteilt sind folgende. 

In Chinchoxo betrug nach zweijährigen Beobachtungen die 
mittlere Jahrestemperatur 24,4, in den kältesten Monaten Juli — August 
21,7, in den wärmsten Monaten Februar — März 26,3. In Loanda 
nach dreijährigen Beobachtungen war die mittlere Jahrestemperatur 
23,0, in den kältesten Monaten Juli — August 19,i, in den wärmsten 
Monaten Febr. — März 25,5. 



— 101 — 

Die durchschnittliche Regenmenge ergab in Chinchoxo 963 mm 
und zwar 221 im Nov., 189 im Januar, 186 im März, 120 im 
Februar, 104 im April, 54 im Mai, 53 im Dezember, Juni Juli, 
5 August, 8 September, 23 Oktober, in Loanda für das Jahr 
318 mm und zwar 85 April, 64 November, 62 Januar, 31 Dezember, 
29 Februar, 34 März, Juni, Juli und August, 2 September, 
4 Oktober, 7 Mai. 

Aus diesen Zahlen geht hervor einmal, dafs die durchschnitt- 
liche Wärme in der Richtung von Nord nach Süd etwas abnimmt, 
sodann, dafs im Küstengebiet des Kongo eine sehr deutlich ausge- 
drückte regenarme Zeit vorhanden ist, welche von Norden nach 
Süden in sehr entschiedener Weise zunimmt, denn während sie in 
Chinchoxo 4V2 Monat währt, dauert sie in dem etwas über 400 km 
entfernten Loanda 6 volle Monate. Ferner ergiebt sich, dafs die 
Regenhöhe von Norden nach Süden hin sehr schnell abnimmt, indem 
Loanda 3 Mal weniger Regen hat als Chinchoxo. Die ergiebigen 
Regen fallen fast nur bei Gewittern, welche hier wie auf der ganzen 
Westseite Afrikas aus dem Innern kommen. Die Taubildung ist 
während der Trockenheit aufserordentlich stark. Da nun die 
Kongomündung näher an Loango als an Loanda liegt, so werden 
möglicherweise die Wärme- und Regenverhältnisse derselben sich 
mehr nach dem erstgenannten Bezirke richten. Doch soll ausdrück- 
lich hervorgehoben werden, dafs die bisher angestellten Beobach- 
tungen einen festen Analogieschlufs nicht zulassen, zumal was die 
Regenmenge anbelangt, denn diese ist je nach den Jahren recht 
verschieden. Auf die grofse Veränderlichkeit der Niederschläge 
macht auch Herr von Danckelman aufmerksam. Darnach betrug in 
Loanda die Regenmenge im Jahre 1879: 570 mm, im Jahre 1881 
134 mm. Dasselbe bestätigt Herr Pechuel-Lösche von der Loangoküste, 
wo 1874/75 1579,9 mm Regen fielen, dagegen 1875/76 nur 541,8 mm. 
An der Küste also zerfällt das Jahr in je zwei trockene und zwei 
regenbehaftete Zeiten, von denen aber nur die Haupttrockenzeit eine 
gewisse Beständigkeit im Laufe der Jahre zeigt, während die kleine 
Trockenzeit bald länger bald kürzer ist, mitunter auch ganz fehlt. 
Die Regenzeit ist nicht zusammenhängend, sondern zeigt eine 
Abwechselung zwischen regnerischen und regenlosen Tagen. Der 
Regen hat in der Regel nur kurze Dauer und ist von Gewittern 
begleitet. Die Gewitter begleiten zahllose Blitze, von denen aber 
verhältnismäfsig wenige einschlagen. 

Über die Temperatur und die Regenverhältnisse von Borna 
hat Dr. Allard, der ehemalige Vorstand des Sanatoriums der Kongo- 
gesellschaft, im „Mouvement g6ographique^ vom 17. März 1886 



102 — 



einige Beobachtungen veröffentlicht. Danach dauert die warme und 
zugleich regnerische Periode vom 16. Sept. bis 15. Mai (8 Monate), 
die kühle und regenarme Periode vom 15. Mai bis 15. Sept. (4 Monate). 

Die erstgenannte zerfällt wieder in mehrere Unterabteilungen. 
Zuerst kommt die Zeit der kleineren Regen von Mitte September 
bis Ende Dezember, wobei der November den meisten Regen hat. 
Darauf folgen wieder 6 Wochen Trockenheit von Anfang Januar 
bis Mitte Februar und darauf wieder die Regen. 

Die Verhältnisse — Maximal- und Minimal-Temperatur und 
Regenfall — gestalteten sich in Roma und Vivi wie folgt: 



Borna 



Vivi 



Monate 



Maxi- 
mum 



Mini- 
mum 



Regenfall 



mm 



Maxi- 
mum 



Mini- 
mum 



Regenfall 
mm 



Juni 

Juli 

August . . , 
September 
Oktober . . , 
November , 
Dezember . 
Januar. . . 
Februar . . , 

März 

April 

Mai 



29» 


16» 


26» 


12° 


28» 


15» 


28» 


19» 


32» 


20» 


33» 


21» 


33» 


21» 


34» 


22» 


34» 


22» 


34» 


22» 


34» 


22° 


31» 


21» 



3 

10 







1- 

8- 

240-270 

150-200 

80-100 

30- 40 

150-200 

260-280 

30- 40 



30,3» 

28,8» 
29,6» 

31,5» 
33,9° 
36,2» 
32,6» 
32,2» 
34,5» 
33,5» 
33,9» 
34,4» 



15,7» 
13,0° 
13,2» 
19,1» 
20,2» 
20,5» 
20,8» 
21,1» 
19,7° 
20,7» 
19,9» 
19,6° 




1 




13 
288 
227 

92 

36 
144 
231 

51 



1083 mn 



939-1143 

Obgleich wie man sieht es an Unterschieden im einzelnen nicht 
fehlt, so läfst sich doch eine Analogie im Verlaufe der Temperatur- 
maxima und minima nicht verkennen. Dasselbe gilt auch von dem 
Regenfall. Auch Vivi hat vier völlig trockene Monate und zwei halb- 
trockene. Zwischen vier regnerische Monate sind zwei mäfsig feuchte 
eingeschoben. Man sieht, dafs bezüglich der Regenzeiten in Vivi 
ähnliche Verhältnisse herrschen wie in Chinchoxo, nur sind die Regen 
in Vivi um etwa 12 »/o reichlicher. Etwas anders gestalten sich die 
Verhältnisse in San Salvador, wie sich aus den Regenmessungen der 
katholischen Mission in San Salvador ergiebt (von Danckelman, in 
den Mitt. der Afrikan. Ges. IV, 395). 

Danach hatte der 

Januar 114 mm April 194 mm 

Februar 124 „ Mai 23 „ 

März 120 „ Juni 17 „ 



— 103 — 

Juli mm Oktober 4 mm 

August jj November 11 „ 

September „ Dezember 7 „ 

614 mm 

an 63 Tagen. Also gab es eigentlich nur vier volle Regeumonate. 

Nach H. IL Johnston verändert sich die relative liänge der 
Regenzeit in dem Mafse, als man von der Mündung des Kongo sich 
dem Äquator nähert. Wahrend es nämlich in der Nähe des Meeres 
nur vier Regeumonate — November, Dezember, Februar, März — 
giebt, bemerke man beim Hinauffahren auf dem Flusse fortschreitende 
Veränderungen und am Stanley Pool beginnen die Regen schon im 
Oktober und dauern bis zum 20. Mai. Die Pause im Januar, die 
sogenannte kleine Trockenzeit, falle hier weg. Noch höher den 
Flufs hinauf, in der Nähe der Linie, soll es nach Aussage der 
Eingeborenen im Juni, August und September häufig regnen. Diese 
Aussage wird bestätigt durch die Bemerkungen, welche Leutnant 
von Frangois in den „Verhandlungen" macht. Derselbe sagt, dafs 
die von ihm durchreisten Gegenden im Vergleich zur Küste bevorzugt 
erscheinen. Nach längerer Hitze bringen Regen, die nicht als Gewitter 
auftreten, angenehme Abkühlung. „Von einer eigentlichen Regen- 
zeit kann nördlich des 6® nicht gesprochen werden. Nur etwas 
regnerischer ist die Zeit, an welcher die Sonne südliche Deklination 
hat.*^ . In ähnlichem Sinne äufsert sich auch Wifsmann. Was die 
Wärme des inneren Beckens anbelangt, so sagt Tisdel, dafs sie 
durchaus nicht so grofs sei, wie unter den gleichen Breitengraden 
in Südamerika, mit Ausnahme der Küste, wo das Thermometer zu 
26,6 und 40,5 C. im Schatten zeigt, während es am Stanley Pool 
selten über 29,4 im Schatten zeigt. In Msuata schwankt die 
Temperatur (nach H. H. Johnston) zwischen 31 ^ C. um Mittag im 
Schatten und 16^ 0. um 2 Uhr morgens, und zwar sowohl in der 
heifsen als in der regnerischen Zeit. 

Über das Klima von Marungu, im Luapulagebiet, äufsert sich 
P. Reichard (Verh. 86, S. 111), dafs es sehr zuträglich sei und Fieber- 
erscheinungen selten vorkommen. ,,Die Temperatur beträgt am 
Tage 30 — 32 ^ C, während sich die Nächte bedeutend abkühlen und 
Temperaturen bis + 3^ C. gemessen werden." In einem Bache mafs 
Reichard noch um 11 Uhr mittags nur + 3^ C. In den Vianobergen 
fegte ein kalter, feuchter Wind brausend über die Flächen, über- 
haupt herrscht daselbst eine Kälte, welche die an die Heimat erin- 
nernde Gebirgsluft erzeugt. In Katanga konstatierte Reichard als 
niedrigste Temperatur auf der ganzen Reise + 0,5^ C. und soll es 



— 104 — 

nach Aussage der Leute zuweilen gefrieren. Dafs ähnliche Er- 
scheinungen^ wie Reichard sie beobachtete, auf dem binnen-afrikani- 
schen Plateau nicht selten sind, beweist auch der Bericht L. Camerons; 
derselbe sagt, dafs eine starke Abkühlung bis auf + 6 ^ R. stattfand 
und teilt mit, dafs in Soma Bagh (11« 5' südlicher Breite, 20<> 50' 
Länge) der niedrigste Thermometerstand 2,7« R. betrug; dabei war 
der Boden gefroren und die Wassertümpel eisbedeckt 

Mit der Erwähnung von Camerons Beobachtungen sind wir 
bereits in das südliche Gebiet des Kongo übergetreten. Die starken 
nächtlichen Abkühlungen dürfen nicht wunder nehmen, da sie eben 
im allgemeinen Attribute steppenartiger Plateaus sind. Für das 
Gebiet des Kuango (7 — 13« südlicher Breite) liegen die Beobachtungen 
der Portugiesen Capello und Ivens vor. Danach fällt die Haupt- 
regenzeit in die Monate Februar, März und April ; darauf folgt eine 
Trockenheit (Oacimbo) bis September, an welche sich eine zweite 
Regenzeit anschliefst mit dem Hauptbetrag im November. Während 
der Trockenheit ist die tägliche Wärmeschwankung sehr grofs, die 
Nächte sind auf den Plateaus sehr kühl, die Tage aber heifs. 

Zur Ergänzung dieser Angaben mögen die Beobachtungen dienen, 
welche Leutnant Wifsmann während dreier Monate in Malandsche 
anstellte (Mitt. der Afrikan. Ges. IV, 266). Diese ergaben: 

als als als 

mittlere geringste höchste Temperatur Regenmenge 

für den Februar... 22,6 «C. 16,9« C. 30,o« C. 64,o 

„ „ März..... 21,9^0. 15,1« C. 29,9« C. 104,8 

„ „ April 21,4« C. 12,8« C. 30,2« C. 125,8 

Als Wind der Regenzeit wird der Westwind bezeichnet, während 
in der Trockenheit Ostwind herrschte. Die Regenmenge war in jenen 
Monaten nach Aussage der Einwohner ausnahmsweise gering für die 
grofse Regenzeit, auch setzte sie gegen frühere Jahre früher ein 
und hörte vorzeitig auf. Dagegen soll die kleine Regenzeit, welche 
in die Monate Oktober, November und Dezember filllt, ungewöhnlich 
gewesen sein. 

Von Station Mukenge berichtete Pogge unter dem 27. Septem- 
ber 1882, dafs die Regenzeit mit dem 16. August begann. Doch 
ergaben die von da an fallenden Niederschläge, die in der Regel 
von Gewittern begleitet waren, nur geringe Beträge. Die Temperatur 
betrug bei Sonnenaufgang 19—21« C, mittags 2 Uhr 31—32«; 
abends gegen 6 Uhr dagegen 24—27 «. Das Maximum betrug 34,5 «, 
das Minimum 18«. 

Aus Wifsmanns Beobachtungen glaubt von Danckelman mit 
Wahrscheinlichkeit in den Landschaften Manjema und Ubudschwe 



— 105 — 

einen Teil der Grenze erkennen zu können, welche das südäqua- 
toriale Afrika meridional in zwei Teile zerlegt. Der westliche Teil 
stimmt mehr mit der Südwestktiste des Erdteils überein, der östliche 
harmoniert mehr mit den klimatischen Verhältnissen der Ostküste. 
Aus Pogges Beobachtungen ferner geht die Thatsache klar hervor, 
dafs in Stidwestafrika die Regen sowohl nach Norden als nach dem 
Innern an Regelmäfsigkeit und Häufigkeit zunehmen. In Mukenge 
beträgt demnach die Trockenheit, welche am untern Kongo 4 bis 
5 Monate ausmacht, nur 1 — IV2 Monate, Juni und Juli. 

Am Schlufs der Rundschau über die positiven klimatischen 
Beobachtungen angelangt, darf man wohl wiederholen, dafs für die 
Erforschung des Kongoklimas noch das meiste zu thun übrig bleibt. 
Indes läfst sich aus dem Vorstehenden wenigstens die Thatsache ab- 
leiten, dafs das Binnenbecken einmal regenreicher ist als die Küste, 
zumal in der Umgebung des Äquators, sowie dafs die Gegensätze 
der Temperaturen bedeutend weiter gespannt sind. Das allergröfste 
Interesse gewährt nun aber die Frage nach den Wirlcungen des 
Klimas auf die Menschen, in erster Linie auf die Europäer. In dieser 
Beziehung liegen eine Anzahl von Äufserungen von Afrikareisenden 
vor, bei denen man jedoch nicht vergessen darf, dafs derartige Mit- 
teilungen stets mehr oder weniger subjektiv sind und nach Lage der 
Sache auch sein müssen. Trotzdem fügen wir im folgenden einige 
solcher Beurteilungen bei ; dieselben rühren ausschliefslich von solchen 
Leuten her, welche an dem bekannten Kongostreite nicht beteiligt sind. 

Die Frage nach der Zuträglichkeit des Klimas am unteren 
Kongo glaubt Zintgrafif (Verh. 86, S. 83) dahin beantworten zu können, 
dafs jeder Europäer als von Fieberkeimen infiziert anzusehen ist; 
dafs der Ausbruch des Fiebers aber abhängt von der Konstitution 
und dem Komfort. Je gesunder und kräftiger die Konstitution, je 
gröfser der Komfort in den Lebensbedürfnissen, desto begründeter 
sei die Aussicht, in ziemlichem Wohlsein in diesem Lande leben zu 
können. In den Gegenden, wo Lebenskomfort genügend vorhanden 
ist, schätzt man die Todesfälle aller Art auf 2 oder 1^/2 ^/o. 
Die bedeutend höhere Sterblichkeit unter den Forschungsreisenden 
und Missionaren glaubt Zintgraff auf Rechnung der Ausnahme- 
zustände setzen zu müssen, in denen sich diese Leute befinden. 

Demnach gehört das Klima am unteren Kongo nicht zu den 
schlechtesten Tropenklimaten. Auch H. H. Johnston erklärt das- 
selbe für entschieden besser, als es am Niger oder an der Goldküste 
ist. Der Strom, fährt er fort, ist vielleicht zwischen Boma und 
dem Meere am wenigsten gesund infolge der Mangrovesümpfe, Boma 
selbst ist entschieden ungesund. Nach Vivi zu aber wird es merklich 

Geogr. Blätter. Bremen, 1886. g 



— 106 — 

kühler wegen der gröfseren Meereshöhe; das Klima wird überhaupt 
gesunder, je höher man den Flufs hinaufgeht. Der amerikanische 
Kommissar Tisdel dagegen bezeichnet das Klima, vornehmlich des 
Gebietes unterhalb Stanley Pool, als schlecht, nur wenige Weifse 
seien im stände, für einen längeren Zeitraum in demselben zu ver- 
weilen, ohne sich eine oder mehrere der vorherrschenden schrecklichen 
Krankheiten zuzuziehen. ;,Ein Gallen- oder perniciöses Fieber ist am 
meisten zu fürchten und sein Ausgang in den meisten Fällen ver- 
hängnisvoll. Die Sterblichkeit unter den Weifsen ist entsetzlich." 

„Jenseits des Stanley Pool*, sagt Johnston, „kann ich die 
Temperatur nur angenehm nennen". Damit stimmt, was Leutnant 
van Gele über die Äquatorstation sagt: ;,Das Klima des oberen 
Kongo ist gesund. Die Temperatur ist im allgemeinen gleichmäfsig ; 
schroffe Übergänge giebt es nicht. Die Hitze ist erträglich und 
das Sumpffieber hat auf dem hohen Plateau nicht den gefährlichen 
Charakter wie am Unterlauf.* Günstigere Verhältnisse scheinen 
auch in den von Leutnant von Frangois besuchten Gegenden zu 
herrschen. „Klimatisch erscheinen*, sagt er, „die durchreisten Gegen- 
den im Vergleich zur Küste bevorzugt. In den Grastunnels und im 
Urwalde herrscht häufig eine unangenehme Schwüle. Dann aber 
bringen nach längerer Hitze Regen angenehme Abkühlung. Gesund- 
heitsschädlich sind die Ausdünstungen der verwesenden Stoffe in 
Wald, Sumpf und Grasflur, die zwar der Angesessene, aber nicht der 
Forschungsreisende vermeiden kann.* „Meine Erfahrungen*, heifst 
es weiter, ;, haben mich zu der Überzeugung gebracht, dafs Arbeit 
und Bewegung auch in Afrika Grundbedingungen für die Gesundheit 
sind, und glaube ich, dafs Europäer im Innern sehr gut einige 
Stunden Feld- und andre Arbeit leisten können." 

Aus dem obersten Kongogebiet liegt nur die Äufserung 
P. Reichards . vor. Dieser erklärt das Klima von Marungu für ein 
sehr zuträgliches ; Fiebererkrankungen seien selten. Über die Viano- 
berge heifst es bei ihm: „Ein kalter, feuchter Wind fegt brausend 
über die Fläche und macht die spärlich gekleideten Menschen zu- 
sammenschaudern. Unwillkührlich hat man oft das Gefühl, als ob 
es hier oben gesund sein müsse und angenehm berührt läfst man 
sich von der Kälte durchschauern, welche die an die Heimat erin- 
nernde Gebirgsluft erzeugt." 

Ursprünglich hatte ich die Absicht, an die Betrachtung des 
Klimas einige botanische und /zoologische Einzelheiten anzuknüpfen, 
indes ist die Ausbeute an wirklich gut beglaubigtem Material aus 
dem Innern Kongogebiet, zumal in den neubesuchten Gegenden, sehr 
gering; allzubekanntes sollte hier aber nicht wiederholt werden. 



— 107 — 

Hinsichtlich der Pflanzen sei nur bemerkt, dafs eine Zusammenstel- 
lung der Pflanzen des untern Gebietes sowie des Gebirgslaufes sich 
bei H. H. Johnston befindet.*) Was die Tierwelt anbetrifft, so mögen 
die Äufserungen einiger Reisenden hier Platz finden. 

^Der mangelnden Übersicht wegen^, sagt von Frangois, „sieht 
man selten Wild, doch ist die Artenzahl der in Freiheit lebenden 
Tiere sehr grofs. Besonders grofse Herden von Flufspferden, sowie 
zahlreiche Elefanten und Büffel sah ich am Kassai. Die meisten 
Antilopen fand ich im Walde von Kundungulu. Schlangen waren 
am häufigsten bei Mukenge. In sämtlichen Flüssen waren Krokodile 
und ein grofser Reichtum von Fischen. Die Insekten waren am 
lästigsten im Thale des Lulua." 

;,Das Tierreich", bemerkt Reichard, „ist besonders durch einen 
merkwürdigen anthropomorphen Affen, eine wahrscheinlich zwischen 
Schimpanse und Gorilla stehende Art, vertreten, welche Nester bauen, 
auf welchen die Tiere schlafen. Paviane und Meerkatzen, sowie eine 
schwarte Meerkatzenart verwüsten die Felder. Aufserdem kommen 
noch zwei Nachtaffenarten vor. Aus der Vogelwelt sind besonders 
zwei schöne Pisangfresserarten zu erwähnen. Wild und besonders 
eine rotbraune Antilopenart von der Gröfse unsres Damwildes fand 
sich in grofser Menge". 

Auf etwas festeren Boden kommen wir, indem wir zur Be- 
sprechung der eingeborenen Bevölkerung übergehen. Nach Lage der 
Sache vermochten die Reisenden über sie die meisten und bequemsten 
Beobachtungen anzustellen, und wenn auch der wissenschaftliche 
Wert derselben ein recht verschiedenartiger, zuweilen zweifelhafter 
ist, und noch die zahlreichsten Lücken und Unsicherheiten vorhanden 
sind, so liegt es doch nicht aufser dem Bereich der Möglichkeit, aus 
dem vorhandenen Stoff eine allgemeine Vorstellung von dem Wesen 
und der Lebensweise der Kongogebietbewohner zu gewinnen. 

Die gegenwärtige Bevölkerung des Kongogebietes zerfällt in 
drei verschiedene Abteilungen. Die erste enthält die Europäer (und 
Amerikaner), welche als Kaufleute, Missionare, Forschungsreisende 
und Beamte des Kongostaates nicht eigentlich ansäfsig sind, sondern 
nur sich einige Zeit hier aufhalten. Ihre Zahl läfst sich leider für 
den Augenblick nicht genau angeben, doch wird sie wohl kaum 
600 übersteigen. 

Die zweite Abteilung stellt die ardbischen Händler dar, welche 
von der Ostküste aus durch die Region der Seen bis an den Kongo 

^) Die neueste Nummer des „ Ausland '^ enthält einen Aufsatz über die 
Vegetation des mittleren Kongo von Pechuel-Lösche, der leider hierfür nicht 
mehr benutzt werden konnte. 

8* 



— 108 ~ 

gelangten und bekanntlich in Njangwe ihren äufsersten Hauptposten 
aufschlugen, wo der bekannte Tippo Tipp den europäischen Forschungs- 
reisenden, besonders aber Stanley, wesentliche Dienste leistete. Über 
das Vordringen der Araber macht Stanley in seinem Werke 
;,Through the Dark Continent" einige Mitteilungen, die wir indes 
hier nicht wiedergeben wollen. Die Macht- und Interessensphäre der 
Araber hat sich seitdem nicht wesentlich über Njangwe und einige 
südlich davon gelegene Gebiete ausgedehnt. Über die Zahl der im 
Kongogebiet sich aufhaltenden Araber vermag ich keine genaue 
Angabe zu machen, ja selbst eine oberflächliche Schätzung scheint 
zur Zeit unausführbar. 

Über die eingeborene Bevölkerung, welche die dritte Abteilung 
ausmacht und welche uns im folgenden ausschliefslich beschäftigen 
soll, läfst sich gleichfalls keine genaue zahlenmäfsige Angabe 
machen. Dafs sie von Stanley auf 25 Millionen geschätzt wurde, ist 
bekannt, indes geschah dies nach einer so anfechtbaren Methode, 
dafs es besser ist, einstweilen darauf zu verzichten. Die eingeborene 
Bevölkerung ist sowohl in anthropologischer als in ethnographischer 
Beziehung, abgesehen von einer einzigen Ausnahme, eine einheitliche. 
Diese Ausnahme bezieht sich auf die Batua, welche Wifsmann vom 
Lubi bis zum Tanganika antraf und welche er als Völkerrest 
„scheinbar die Urbe wohner" der betreffenden Gebiete bezeichnet. 
Bekanntlich hörte auch Stanley auf seiner ersten Kongoreise von 
einem am linken Ufer des Lomami wohnenden Zwergvolk, den 
Watwa; er sah aber nur einen einzigen Vertreter desselben, 
welcher nahe bei dem grofsen Marktplatze Ukongeh im Busche 
festgenommen wurde. Er trug sehr kleine Wafifen, war 1,38 m hoch 
und hatte einen Brustumfang von ^/4 m, einen Leibumfang von ^Is m. 
Er hatte einen grofsen Kopf, einen dünnen zottigen Backenbart und 
eine hell-chokoladenfarbige Haut, sehr krumme Beine und dünne 
Schenkel. Auch H. H. Johnston sah zwei Vertreter einer Zwergrasse, 
die als Sklaven unter den Bajansi wohnten und sich in ihrer äufsern 
Erscheinung von ihren Herren in jeder Beziehung unterschieden. 
Füglich glaubt Wifsmann Schutts Berichte über das zwerghafte 
Jägervolk der Zuata-Ohitu im Osten des Mukamba-Sees auf die Batua 
beziehen zu dürfen. Die von ihm selbst gesehenen Batua bezeichnet 
Wifsmann als kleine, häfslich gewachsene, magere und schmutzig 
aussehende Leute, welche von den Balubaleuten verachtet, einzelne 
Gehöfte oäer kleine Dörfer mit kleinen liederlichen Strohhütten be- 
wohnen. Sie bauen nichts, halten nur einige Hühner, leben von 
Jagd und wilden Früchten. Sie haben eine besondere Sprache und 
sehr schlechte Waffen und Werkzeuge. Nur eiserne Pfeilspitzen 



— 109 — 

sieht man hier und da, jedoch ziehen sie eine bessere windhund- 
ähnliche Hunderasse für die Jagd. 

Die Zwergmenschen sind bekanntlich nicht auf das Kongogebiet 
beschränkt. Ohne auf diese interessante Angelegenheit näher einzu- 
gehen, will ich nur daran erinnern, dafs auch von andern Reisenden 
derartige Leutchen gesehen wurden, von Serpa Pinto die Mucassequere, 
von Du Chaillu die Obongo, von Krapf dieDoko und von G. Schweinfurth 
die Akka. 

Abgesehen von den Batua gehören die Eingeborenen des 
Kongogebietes ein und derselben Rasse an, welche nach der Sprache 
als die der JBantuvölJcer bezeichnet werden. Eine Art sekundärer 
Unterscheidung läfst sich jedoch auch unter ihnen insofern feststellen, 
als die Küstenstämme in manchen Beziehungen von der Binnen- 
bevölJcerung abweichen.. Nach H. H. Johnston verlieren nämlich die 
Kongostämme, je näher sie der Küste kommen desto mehr ihren 
Bantucharakter, wahrscheinlich wie er meint, weil sie mit einer von 
früher her an der Küste angesiedelten anders gearteten Neger- 
bevölkerung sich vermischten. Bei den Kabindaleuten sollen daher 
noch heute zwei Rassentypen deutlich hervortreten. Die einen 
nämlich, welche als die Vertreter der früheren Bewohner anzusehen 
wären, haben eine mifsgestalte, lockergebaute Figur mit einwärts 
gestellten Füfsen, hohen Waden, zurücktretendem Kinn, wulstigen 
Lippen; sie sind haarlos im Gesicht und haben eine dicke uud 
kraus geringelte Wolle auf dem Kopf. Die andern dagegen, die 
Vertreter der eigentlichen Bantu, sind schöne, grofse, sich gerade 
haltende Menschen mit zierlichen kleinen Händen und wohlgestalteten 
Füfsen, feinen Gesichtszügen, hoher dünner Nase, Backenbart, 
Schnurrbart und reichlichem Kopfhaar. „Je weiter man aber in 
das Innere dringt, desto schöner wird auch der Schlag. Menschen 
wie die Bajansi von Bolobo sind in der Entwickelung und dem Eben- 
mafse der Glieder vollkommen griechische Statuen*^ und unterscheiden 
sich von den meisten Küstenrassen durch ihre hellere Hautfarbe — 
gemeiniglich eine warme Chokoladenfarbe — und durch die Abwesen- 
heit des bekannten widerlichen Geruchs. Ähnliche Unterschiede 
werden auch von andern Beobachtern hervorgehoben. So traf Ohavanne 
in Ngulungu, einem Muschikongodorfe, wie an der Loangoküste, 
„die durch ihren offenkundigen semitischen Typus ausgezeichneten 
Mavumba." Die am untern Kongo stattgefundene Rassenmischuug, 
wird auch von Zintgraflf bestätigt. 

Die Bantustämme des Kongogebietes ^) zeigen, trotzdem sie 

*) Bei der folgenden Beschreibung werden vorzugsweise diejenigen Stämme 
berücksichtigt, welche erst in neuester Zeit bekannter geworden sind. Wem 



— 110 — 

einer und derselben Rasse angehören, in gewissen Einzelheiten, 
namentlich in bezug auf Gesichtsbildung, Hautfarbe und Wuchs 
recht mannigfache Schattierungen. Auch F. Ratzel, welcher in seiner 
Völkerkunde die allerneueste Litteratur nicht verwertet hat, hebt die 
Thatsache hervor, ;,dafs im innersten Zeutralafrika hell- und dunkel- 
gefärbte Menschen angetroffen werden" und dafs die äufsere Er- 
scheinung derselben von den Reisenden bald als grundhäfslich — 
z. B. die Amu Njam am mittleren Kongo — geschildert, bald als 
schön — die Bewohner von Manjema — bezeichnet wird. Weitere 
Beispiele wollen wir im folgenden anführen. Die Bakongo und Ba- 
zombo erscheinen Stanley wegen ihres hübschen Aussehens und ihrer 
hellbraunen Hautfarbe besonderer Studien wert; sie sind aber von 
kleinerer Statur als die Babwende, Basesse und Bateke. Die letzteren 
nennt Stanley hübsche Leute, die sich aber durch gelbe, weifse und 
schwarze Kleckse und durch dickere und feinere Linien im Gesicht 
und auf dem Körper ein abscheuliches Aussehen geben. Von den Bateke, 
Wabuma und Bajansi hebt H. H. Johuston die chokoladenähnliche 
Hautfarbe und den üppigen Haarwuchs hervor ; Bart, sowohl Backen- 
ais Schnurrbart, fehlt nie bei ihnen, ist aber gewöhnlich ebenso wie 
die Haare der Augenlider und Augenbrauen ausgerupft. Die Bangala 
sind nach Stanley ein schöner Menschenschlag, breitschulterig, mit 
starken Muskeln, hochgewölbter Brust, zarter Taille und von ziemlich 
bedeutender Gröfse. Während einige von denen, die Stanley sah, eine 
sehr schwarze Hautfarbe hatten, waren die meisten kupferfarbig und 
einzelne sogar hell wie Araber. Auch von den Bakumu in der Nähe 
der Fälle wird gesagt, dafs sie eine lichtere Hautfarbe als die Wana- 
Rukura Insulaner haben. An den Muschikongo rühmt Zintgraff 
kräftigen Muskelbau und hohe Gestalten. ,,Man findet'', sagt er, 
„hier wirklich schöne, imposante Negerfiguren, die absolut nichts 
mit der landläufigen Vorstellung von wadenlosen und dickbäuchigen 
Individuen gemein haben." Auch die Leute des Kiamvo, die Muete 
Kiamvo, wie sie sich selbst nennen, sind nach Wolflf ein grofser, 
kräftiger, muskulöser Menschenschlag, dazu streitbar und mutig. Das 
Gleiche berichtet Wifsmann von den Bassonge. Die Waubire da- 
gegen, ein Zweig der Warna, sind nach P. Reichard von kleiner, 
zarter Gestalt. Aus Furcht vor den kriegerischen Wasumba haben 
sie sich ganz in die Berge zurückgezogen, wo sie ein kaum menschen- 
würdiges Dasein führen. Auch die Bewohner von Marungu, die 
Waujamarungu, sind klein, aufserdem aber muskulös und häfslich. 

es daran liegt, Näheres über die Lunda und andre Stämme nachzulesen, den 
verweisen wir auf die reich illustrierte Völkerkunde von Fr. Ratzel. (Leipzig, 
Bibliographisches Institut. 1885.) 



— 111 — 

Die Warua dagegen sind nach Reichard wieder grofse kräftige 
Menschen mit auffallend breiter Schulter und Brust, jedoch ver- 
hältnismäfsig kurzen Beinen. Ihre Hautfarbe ist dunkelbraun mit 
einem Schimmer ins rötliche. Die Züge haben etwas weibisches, 
die Augen sind leicht geschlitzt und sieht man viele schöne 
Physiognomien. Die Weiber haben, im Gegensatz zu den meisten 
andern Stämmen, gut entwickelte Brüste. 

Eine Eigentümlichkeit der Kongolandbewohner, welche man 
bei den übrigen afrikanischen Negern selten trifft, besteht in der 
Tätowierung, Die Rubunga am mittleren Kongo z. B. sind „von den 
Haarwurzeln bis ans Knie^ tätowiert. Einschnitte im Gesicht dienen 
bisweilen als Stammeszeichen. Von den Bangala z. B. berichtet 
Stanley, dals sie leichte Einschnitte auf der oberen Hälfte jeder 
Wange und drei fleischige Klumpen mitten auf der Stirn hätten. 
Nach Leutnant von Frangois (Verh. 86, 154) endlich findet sich 
Tätowierung bei allen Stämmen am Kassai, Kongo, Tschuapa und 
Lulongo, in besonders schönen Mustern bei den Baschilange, die auch 
Wifsmann als „prachtvoll wild bemalt" bezeichnet. Die Tätowierung 
ersetzt bei den Bangombeweibern , die vollständig nackt gehen, 
gänzlich die Bekleidung. 

Auch das beliebte Ausfeilen der Zähne findet sich. Die Leute 
von Damba, Madimba und Kusso brechen die beiden oberen mittleren 
Schneidezähne ab oder feilen sie aus, so dafs nur die beiden äufseren 
Kanten stehen bleiben. 

Dafs die Neger einen hohen Wert auf kunstvolle — wenn auch 
vielfach bizarre — Frisuren legen, ist eine bekannte Sache, die 
auch im Kongolande Bestätigung findet. Die Muster sind zahllos. 
Die westlichen Babwende z. B. gehen zottelköpfig einher und durch- 
bohren sich dazu die Ohrläppchen wie die im Osten wohnenden 
Wasagara und Wagogo. Die meisten Männer im Volke des Kiamvo am 
Kuango, bisweilen auch ihre Weiber tragen nach Wolflf eine Haartour, 
die ähnlich aussieht wie der Helm eines bayerischen Infanteriesoldaten. 
Hinten stecken sie dann noch einen kleinen Federbusch in das Ohr. 
Die Waubere und Warua verwenden auf die Frisur aufserordentliche 
Sorgfalt. Die Bateke tragen nach Stanley einen Kopfschmuck, der 
entweder aus Palmenfasern geflochten oder aus Affen- und Antilopen- 
fell angefertigt ist. 

In bezug auf die Bekleidung herrscht eine gewisse Mannig- 
faltigkeit und wie das Beispiel der eben erwähnten Bangombefrauen 
beweist, fehlt sie mitunter vollständig, während andre den ganzen Körper 
mit Kleidungsstücken und Schmuckgegenständen bedecken. Das 
letztere geschieht hauptsächlich da, wo sich europäischer oder 



— 112 — 

arabischer Einflufs geltend macht. In San Salvador z. B. besteht 
die Kleidung der Weiber aus einem Stück Zeug, das um die Hüften 
gebunden wird und entweder nur an einer oder an beiden Seiten 
schlitzartig offen ist, am unteren, bis an die Knie reichenden Rande 
gewöhnlich Fransen hat und am oberen Rande durch Glasperlen- 
schnüre verziert wird. Die verheirateten Frauen tragen vielfach 
noch ein Taschentuch von der Brust herabhängend. Durch die Ohr- 
läppchen stecken sie einige fingerdicke Stäbchen, den Unterarm ver- 
zieren sie durch viele schmale eiserne und messingene Reifen, die 
Brust mit Perlenschnüren, die Unterschenkel endlich mit fünf bis 
sechs mehrere Pfund schweren Messingringen, die in San Salvador 
selbst gegossen und poliert werden. Es giebt Weiber, welche stets 
50 Pfund Messing mit sich herumschleppen. Einfacher ist die Tracht 
der Männer in San Salvador; sie besteht in dem üblichen Hüften- 
schurz und je nach der Wohlhabenheit des Mannes in einem 
Stück Zeug, das malerisch um die Schultern geschlagen wird. Die 
Tracht der Warna ist dagegen originell; so sagt Reichard 
(Verh. 86. S. 117), dafs ihre Kleidung aus Palmblätterfasern hergestellt 
und meist sehr geschmackvoll im Muster zusammengestellt ist; gelb, 
rot und schwarz gefärbt mit schön geflochtenen Fransen sowie schönen 
Wülsten und Puffchen an den Borden. Die Weiber tragen über 
dem Gesäfs mit Einschlufs der halben vorderen Oberschenkel ein 
spannenbreites Stück Zeug. Vorne hängt eine spannenbreite Schürze 
mit sehr langen, weit bis unter die Knie reichenden Fransen. Der 
ganze übrige Körper ist nackt. Die Männer tragen an einem aus 
Büffelfell oder Elefantensohle zusammengedrehten Riemengurte 40 bis 
75 cm breite aus Palmenfasern gewebte Lendentücher, welche oft bis 
20 m lang sind und vorne zu einem riesigen Wulste zusammengerafft 
werden. Die Stämme, welche von Frangois sah, trugen das gewöhn- 
liche Hüfttuch, das bei den Männern durchgängig reichlicher 
bemessen ist als bei den Frauen. „Höchst eigentümlich waren die 
Queus der Balobofrauen am Tschuapa, die gestutzten roten Pferde- 
schwänzen nicht unähnhch sahen." 

Wenn die Neger in der Herstellung von Körperschmuck und 
Bekleidung einer gewissen Formenbegabung und einer Art Kunst- 
sinn nicht entbehren, zeigen sie dagegen für Ausführung von JBau- 
werlcen nur geringe Fähigkeiten. Dieselben liegen durchaus innerhalb 
des Bereiches des Hüttenstiles, wofür fast ausschlief slich Pflanzen- 
stoffe Verwendung finden. Wo man dagegen bei ihnen kompliziertere 
Anlagen oder mannigfaltigere Formen findet wie im Sudan und im 
Osten, da ist überall fremder, das heifst in diesen Fällen arabischer 
Einflufs nachgewiesen. Jener Hüttenstil spaltet sich nun in zwei 



— 113 — 

Arten, nämlich in Hütten mit rundem und in solche mit recht- 
eckigem Grundrifs. Doppelt ist auch die Form des Daches; bei 
diesen in der Regel von m<äfsig schräger Neigung, bei jenen 
kegelförmig. 

Einige Varietäten sollen hier Erwähnung finden. Solchen 
begegnet man schon im Westen ziemlich nahe der Küste. Am 
Kainsaplateau z. B. tritt an die Stelle der spitzen Kegeldächer bei 
den Hütten der Bakongo das bogenförmig gewölbte Dach und der 
Lehmanwurf der Hüttenwände, wie er die Wohnplätze der Muschi- 
kongo charakterisiert. In San Salvador w^ohnen die Eingeborenen 
(Wolflf, Verh. 86. S. 48) in umzäunten Gehöften, die gewöhnlich aus 
einem kleinen Garten, einem Hause für den Besitzer und mehreren 
Hütten für seine Frauen bestehen, von denen jede eine solche für 
sich beansprucht. Die Baschilange leben nach Wifsmann in geräumigen 
netten Häusern, die von eingezäunten Gärtchen umgeben, sich in 
schnurgeraden Strafsen an einanderreiheii, überschattet von Ölpalmen 
und Bananen. 

Besondere Erwähnung verdienen die Höhlenwolmungen an 
den Abhängen der Mitumba und Kunde Irundeberge, deren In- 
haber sich vor dem grausamen Msiri dahin geflüchtet haben. Reichard 
sah nur einige verlassene Höhlen, konnte aber in keine der- 
selben eindringen, da sie teils unter Wasser standen, teils ver- 
schüttet waren. Entsprechend ilirem geselligen Charakter wohnen 
die Eingeborenen in Dörfern, w^elche von verschiedener Gröfse 
sind, in der Regel aber in der Nähe der Wasserläufe liegen. 
N'gulungu, eines der gröfsten Dörfer der Muschikongo, besteht 
nach Chavanne aus 80 Hütten, welche zu 15 von Mingengezäunen 
umfriedigten Gehöften vereinigt sind. San Salvador zählt 212 Hütten, 
welche in zwei Längs- und mehreren Querstrafsen angeordnet sind 
und eine sefshafte Bevölkerung von 600 — 700 Eingeborenen haben. 
In einiger Entfernung von San Salvador liegen Dorfkomplexe, von 
denen einzelne, z. B. Banza Khonko, aus je 30, über eine Fläche von 
4 Dkm verstreuten Dörfern bestehen. Doch bilden im Muschikongo- 
gebiete die gröfseren Dörfer die Minderzahl, die meisten enthalten 
nur 20—30 Hütten mit einer von 60 — 100 schwankenden Bewohner- 
zahl. Die gröfsten Dorfkomplexe scheinen sich an den Ufern des 
Kongo zu befinden. Das behauptet nicht blos Stanley, sondern wird 
auch bezüglich der Bangala von Leutnant Coquilhat, der längere 
Zeit Vorsteher der dortigen belgischen Station war, bestätigt. Die 
Niederlassung Iboko z. B. zieht sich 25 km weit dem Kongoufer 
entlang und hat eine Bevölkerung von 17000 Seelen, diejenige von 
Mabali schätzt Coquilhat auf 8—9000, die des im Innern gelegenen 



— 114 — 

Ngombe auf 3000. Von Frangois fand die Bevölkerung am dich- 
testen am Tschuapa und Bussera, ohne freilich irgendwelche zahlen- 
mäfsige Angaben zu machen. 

Die Dorfbewohner gewinnen ihren Lebensunterhalt vorzugsweise 
durch Bodenanhau. Die gepflanzten Früchte sind fast überall die- 
selben, am mannigfaltigsten wohl bei den Muschikongo. Da umgeben 
wohlgepflegte Pflanzungen die Dörfer und neben Maniok, Erdnüssen, 
Mandubohnen trifft man auch Tabakfelder. Von gröfseren Gewächsen 
werden wohl am häufigsten Ölpalmen und Bananen kultiviert. Die 
Wanjamarunga pflanzen hauptsächlich Mais und Jams oder Mhogo- 
wurzeln. Die Warna kultivieren nur Mais und Gemüse, welche sie 
mit Palmöl zubereiten. Solche Speisen schmeckten Reichard so, als 
wären sie mit Seife hergestellt. 

Wenn nun auch der Bodenanbau stark im Vordergrunde steht, 
so lassen sich die Kongolandbewohner den Reichtum ihrer Gebiete 
an jagbarem Wild und Fischen nicht entgehen. Immerhin kommt 
es nur vereinzelt vor, dafs Jagd oder Fischfang die einzige Be- 
schäftigung eines Stammes bildet. Das berichtet z. B. Stanley 
(K. II, 160) von den Wenja an den Fällen, deren Reichtum allein 
in Fischen bestehe. „Was die Wenja nicht verzehren oder an die 
Bakumu gegen Gemüse vertauschen, wird geräuchert; sie besitzen 
grofse Vorräte geräucherter Fische, wofür sie von den Bakusu und 
den Stämmen am Tschofu Frauen, Sklavenkinder, Kanoes und Wafl^en 
kaufen. Tüchtige Fischer sind auch die Uferbewohner des Gebirgs- 
laufes, deren strenge Fischereigesetze Stanley schon auf seiner ersten 
Kongoreise kennen gelernt hatte. Nach Leutnant von FranQois be- 
treiben die Stämme am Tschuapa und Kassai neben dem Bodenanbau 
auch Fischerei mit zweckmäfsigen Anlagen. Als gute Jäger sind die 
Kioko und Batua bekannt. Nach Kund und Tappenbeck sind auch 
die Bavumbo an den Ufern des Lokenje Jäger und zugleich ausge- 
zeichnete Schützen, welche mit Speeren, Bogen und Pfeilen bewaffnet, 
die 1 6 Zündnadelgewehre und 60 Musketen der Expedition durchaus 
nicht fürchteten und mit bewunderungswürdiger Sicherheit trafen. Mit 
dem Ackerbau verbindet sich bei den Negern in der Regel auch 
etwas Viehzucht. Bei den Binnenstämmen, welche von Frangois sah, 
wurden überall Ziegen, Schafe, Schweine und Hühner gehalten, Rind- 
vieh aber erst seit einiger Zeit bei den Baluba. 

Dafs die Neger ebenso passionierte wie geschickte Händler 
sind, ist eine allbekannte Thatsache. Die Fähigkeit zu handeln und 
zu schachern bildet wohl die ausgezeichnetste Naturanlage dieser 
Leute, welche sie nirgends verläugnen. Daher mag hier nur erwähnt 
werden, was von Frangois von den neu entdeckten Binnenstämmen 



— 115 — 

sagt. ^Als Händler besonders hervorzuheben sind die Kioko, welche 
vielleicht die geschicktesten Kaufleute Afrikas sind." 

Neben den zum Teil noch rohen Grundlagen der Kultur, dem 
Bodenanbau und Handel, werden auch eine Anzahl Handwerke und tech- 
nische Kunstfertigheiten betrieben, manche davon mit beachtenswerter 
Geschicklichkeit und nicht ohne Geschmack. Die herkömmliche An- 
sicht von der Faulheit der Neger erfährt dadurch eine gewisse Ein- 
schränkung, zumal bezüglich der Binnenstämme. Die verschiedensten 
Materialien werden verarbeitet; so werden von den Stämmen am 
Tschuapa, Lulongo und Bussera Thon, Holz, Pflanzenfasern, Stein, 
Eisen, Messing, Kupfer und Elfenbein mit bemerkenswertem Geschick 
zu Gebrauchsgegenständen umgewandelt. Bei den Bangala fand 
Stanley hübsche Ruder, Messer und Speere. „Die Ruderblätter sind 
mit einer unendlichen Menge von Schnitzereien verziert, deren rohe 
Zeichnungen grofse Ähnlichkeit mit Eidechsen, Krokodilen, Kanoes, 
Fischen, Büffeln u. a. haben; ihre Messer sind ihrer Gröfse und 
Form nach wie breite Schwerter und so blank wie Rasiermesser 
geschlififen, während ihre Speere so scharf und glänzend sind, wie 
wenn sie soeben die Fabrik in Sheffield verlassen hätten. " Überhaupt 
erklärt Stanley die Bangala für die fleifsigsten Leute, denen er in 
Afrika begegnet sei. Ihre Fischerböte kamen und gingen beständig, 
und selbst während sie mit Stanleys Leuten handelten, arbeiteten 
sie beständig und flochten Proviantbeutel, Hüte, Fischnetze oder 
drehten Bindfaden. 

Auch die Wenja rühmt Stanley wegen ihres Fleifses und ihrer 
Erfindungsgabe. In den Dorfstrafsen werden Fische geräuchert; die 
älteren Leute machen Beutelnetze und Siebe, die kräftigen Männer 
flechten Körbe oder Taue aus Rohr, die Frauen bereiten Brot, 
mahlen Rotholz, sieben Mehl, zerstofsen Korn oder verfertigen Töpfer- 
waren; am Ufer sieht man die Kanoebauer beschäftigt. Die Leute 
besitzen eine Menge Speere und Eisenwaren jeder Art, Messer, 
Hämmer, Beile, kleine Zangen, eiserne Ambosse, Bohrer, Pfahlbrenner, 
Angeln, Wurfspiefse und Eisenstäbe. Die Messer trägt man in 
hölzernen Scheiden, welche mit Ziegenfell überzogen und mit polierten 
Eisenringen verziert sind. Ferner besitzen die Wenja eiserne Glocken, 
künstlich geschnitzte Pfeifen, hölzerne grell bemalte Fetische von 
menschlicher Form, Eisenringe für Arme und Beine, zahlreiche 
Schutzkästchen u. a. Aufser den schon erwähnten Messern und 
Speeren findet man bei manchen Stämmen auch noch primitive 
Waffen. Diejenigen der Waubire bestehen nach Reichard nur aus 
vergifteten Pfeilen and Bogen, deren Sehnen aus einem Rotangstreifen 
hergestellt werden. Bei den Warna kommen dazu noch leichte Speere 



— 116 — 

und Schilde. Beim Schiefsen halten sie den Pfeil 45® nach oben 
und überlassen das Treffen dem Zufall. 

Wie den meisten Naturvölkern, geht auch den Negern die 
Fähigkeit gröfserer Staaten su organisieren ab. Der Hauptsache nach 
leben sie in ihren Dörfern unter Häuptlingen und nur hier und da 
gelingt es einem derselben durch blutige Grausamkeit und barbarische 
Strenge sich gröfsere Gebiete zu unterwerfen, deren Häuptlinge 
dann zu dem Oberhaupt in ein gewisses Vasallenverhältuis treten. 
An feste Grenzen und stramme Organisation ist freilich auch dann 
nicht zu denken. Für diese Art feudaler Despotie bietet das südliche 
Kongoland einige Beispiele. Das bekannteste und gröfste ist das 
Lundareieh des Muata Jamvo („Meister Jamvo^), das nach M. Buchner 
etwa so grofs wie das deutsche Reich ist und gegen 2 Millionen 
Bewohner zählt. Im Westen reichen seine Vasallenstaaten fast bis 
an den Kuango, im Süden ungefähr bis an den 12® südl. Br., im 
Norden ist die Grenze „flüssig^, im Jahre 1880 lag sie im Nord- 
westen etwa bei 5®, im Nordosten etwa bei 8® südl. Br. Im Osten 
ist sie völlig unklar, da hier die Reiche des Muata Kasembe und 
des Kasongo liegen, die beide als Stammverwandte der Muatafamilie 
gelten. Das Lundareieh kann man als einen vollständigen Lehens- 
staat bezeichnen, in dessen einzelnen Abteilungen die Häuptlinge 
(Muata, Mona, Munene) alle inneren Angelegenheiten selbständig 
verwalten, solange es dem Muata Jamvo nicht gefällt einzugreifen. 
Letzterer verlangt von den Unterhäuptlingen jährliche Tribute und 
Heeresfolge und besitzt zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft eine 
gefürchtete Polizei. Auch müssen Verwandte der Einzelfürsten 
gewissermafsen als Unterpfand von deren Treue, an seinem Hofe 
verweilen. Sehr merkwürdig ist in dem Lundareiche die Einrichtung, 
dafs neben dem Oberhaupt als oberste Würdenträgerin ein un- 
verheiratetes Weib steht, die Lukokescha; sie gilt als Mutter aller 
Muata Jamvo, hat ihren besonderen Hof und ihre besonderen 
Tributfürsten und giebt die Entscheidung bei der Wahl eines neuen 
Muata Jamvo. Der äufserste nur lose abhängige Vasallenstaat der 
Lunda im Osten ist das ähnUch eingerichtete Reich des Kasmnbe, 
der seinen Regierungssitz in der flachen Niederung zwischen dem 
Bangweolo und Moero hat. 

Zwischen dem Moero-See und dem mittleren Luallaba liegt 
Msiris Eeich, welches nach Reichard die Länder Südurua, Uquäsi, 
Nordiramba, Usanga, Katanga und Unkäa umfafst. Msiri ist ein 
Msumboa, der aus Usumboa stammt, den nördlichen Ländern in 
Unjamwesi. Nur zuweilen noch sendet er Geschenke, nicht Tribut, 
an Muata Jamvo, um sich dessen Freundschaft zu einhalten. Msiri 



— 117 — 

besitzt jetzt eine Macht von 2—3000 Feuersteingewehren und viel- 
leicht drei Mal soviel Bogenschützen. Von Reichard als grofs, 
kräftig, abschreckend häfslich und von boshaften Zügen geschildert, 
hat er 2—3000 Weiber, von denen ihn immer mindestens 400 — 500 
auf seinen Kriegszügen begleiten. 

Nördlich davon folgt das Eeich Kassongo, welches in seinem 
westlichen Teile von L. Cameron durchzogen wurde. Den Hauptstock 
desselben bildet Urua; aufserdem beansprucht Kassongo noch die 
Herrschaft über mehrere Stämme um Tanganika mit Einschlufs der 
Waguhha. Kasongos Reich ist in viele Distrikte geteilt, deren jeder 
von einem Kilolo regiert wird. Einige Kilolo sind erblich, andre 
werden auf vier Jahre ernannt. Die Grausamkeit der von Kasongo 
und seinen Vasallen verhängten Strafen ist bemerkenswert. Die 
Nase, ein Finger, eine Lippe, ein halbes oder ein ganzes Ohr werden 
wegen eines leichten Fehltrittes abgeschnitten, ernste Vergehen werden 
mit dem Verluste der Hände, Zehen, Ohren und des Lebens geahndet. 
Nach Camerons Schilderung zeigt Kasongos Staat noch bizarrere 
Einrichtungen als das Lundareich. 

Wesentlich kleiner als die genannten staatlichen Gebilde sind 
die Despoten am Kuango, nämlich Schingas Reich am Westufer des 
Flusses auf gleicher Breite mit San Paolo de Loanda und das Reich 
des Munene Puto Kassongo, dessen Residenz ganz neuerdings von 
Büttner und Wolff aufgesucht wurde. Auch er hält sich eine zahl- 
reiche bewaffnete Macht, mit der er je nach Laune seine Unterthanen 
terrorisiert und europäische Reisende chikaniert. 

Alle übrigen Stämme des Kongolandes leben, wenn man von 
dem dürftigen Reste des ehemals mächtigen Königreichs in San 
Salvador absieht, dorfweise unter Häuptlingen. Zuweilen kommt es 
vor, dafs sich mehrere Dörfer oder Dorfkomplexe auf kürzere oder 
längere Zeit unter einem gemeinsamen Oberhaupte vereinigen. Das 
ist z. B. der Fall bei den Bangala mit den drei bereits erwähnten 
Distrikten Iboko, Mabali und Ngombe, welche ihr gemeinsames 
Haupt in dem Monanga Monene Mata Buyke von Iboko haben. 
Beachtenswert sind nach Coquilhat auch die sozialen Unterschiede 
bei den Bangala; sie zerfallen nämlich in Vornehme (mukunzi), 
Freie (somi) und Sklaven (muntamba). Der Häuptling (Monanga) 
eines Dorfes ist in der Regel der reichste von den Mukunzi; als 
Distriktshäuptling (Monanga Munene) fungiert der angesehenste 
Monanga. 

Übergehend zu dem moralischen Zustande der Bewohner des 
Kongogebietes kann man wenig erfreuliches berichten. Von Hause 
Fetischanbeter, sind sie es zum allergröfsten Teile bis auf den heutigen 



— 118 — 

Tag geblieben, wenn auch von zwei verschiedenen Seiten andre 
Anschauungen sich zu verbreiten angefangen haben. Von Osten her 
kamen die arabischen Händler und brachten ihre Religion bis zu 
ihrem westlichsten Hauptvorposten Njangwe ; doch scheint, nach dem 
Stande der Kenntnis, eine religiöse Propaganda von dieser Seite aus 
nicht stattgefunden zu haben. Von Westen her suchte die christ- 
liche Mission einzudringen, und zwar seitens der Portugiesen sehr 
frühzeitig. 1590 kam die erste Mission und der König von Kongo 
bekehrte sich. Nach Aufhebung der Jesuitenorden 1773 hörte die 
Kongomission auf und wurde erst 1866 unter dem apostolischen 
Präfekten Schwindenhammer erneuert. 1878 erschienen die Baptisten, 
deren Vertreter Comber sich in ^ San Salvador festsetzte. Von einem 
andern Baptistenmissionar, Rev. Grenfell, war schon mehrfach die 
Rede, ebenso von den andern Missionsunternehmungen. Die Resultate 
derselben sind freilich äufserst bescheidene und von einem wahr- 
nehmbaren Einflüsse des Christentums auf die Neger des Kongo- 
gebietes kann zur Zeit durchaus keine Rede sein. In San Salvador 
bestehen sogar zur Zeit eine katholische und eine evangelische 
(Baptisten)station. Chavanne bezeichnet dies als einen grofsen Übel- 
stand; derselbe fördere nur die egoistischen Zwecke des Königs, 
welcher mit der dem Neger angeborenen Schlauheit vortrefflich eine 
Mission gegen die andre ausspielend, die ausgedehntesten Vorteile 
daraus zieht. Dafs es Leute giebt, welche von einem nachteiligen 
Einflufs der Mission auf die Neger sprechen, darf hier nicht unerwähnt 
bleiben. Wolff z. B. sagt bezüglich seines Aufenthaltes in San 
Salvador: „Weder ein Kaufmann noch ein Forscher wird gern einen 
Schwarzen in seine Dienste nehmen, der vorher irgendwie in einer 
Mission thätig war, diese Leute sind meist lügenhafter und fauler, 
als noch nicht von der Kultur beleckte Neger." 

Anderseits eröffnet sich den Missionen, wenn sie ihre Auf- 
gabe recht erfassen, im Kongogebiet ein weites Feld der Thätigkeit, 
denn schwere moralische Übelstände sind hier zu beseitigen. Ich 
nenne, die Sklavenfrage bei Seite lassend, nur zwei, die Polygamie 
und die Anthropophagie. Welche Zustände herrschen da! Ein Msiri 
hat gegen 3000 Frauen, und Kasongo nimmt, wie Cameron (IL 60) 
erzählt, jede Frau für sich in Anspruch, die auf seinen Reisen im 
Lande seine Begierde reizt. Die Anthropophagie ferner ist im 
südlichen Kongogebiete weit verbreitet; so huldigen alle Stämme 
am Tschuapa, sowie die am Kassai wohnenden dieser abscheulichen 
Sitte. Ob dieselbe in früherer Zeit eine gröfsere Verbreitung 
als jetzt gehabt hat, dafür fehlt es an wohlverbürgten Angaben. 



— 119 — 

Dafs die Wohnsitze der Stämme nicht immer dieselben waren 
wie jetzt, wurde schon angedeutet bei Erwähnung der Wanderungen 
vom Innern nach der Westküste. Doch auch im Innern haben 
beträchtliche Verschiebungen stattgefunden. So bewohnten nach 
Coquiihat die mehrfach genannten Bangala einst den Distrikt Ibinza, 
welcher auf der vom Zusammenflufs des Kongo und Mobangi gebildeten 
Halbinsel liegt. Auch die Bateke des Stanley Pool sind nach 
H. H. Johnston erst neuerdings aus dem Ogowegebiet eingewandert. 
Die Wenja, jetzt an den Fällen sefshaft, waren nach Stanley die 
ürbewohner von Njangwe, von wo sie durch die Banden des arabischen 
Händlers Muini Dugumbi vertrieben wurden. 

Soviel wollte ich über die eingeborene Bevölkerung des Kongo- 
gebietes mitteilen. Dieselbe erregt ja das Interesse nicht nur durch 
ihre eigenen Zustände, sondern auch dadurch, dafs sie im Laufe der 
Zeit in ein bestimmtes Verhältnis zu den mehr und mehr in ihre 
bis vor kurzem verschlossenen Wohnsitze vordringenden Europäern 
treten müssen. Was diese, im speziellen die Belgier, in den letzten 
Jahren geleistet haben und welche Aussichten sich ihnen an dem 
grofsen Flusse eröffnen, das zu betrachten, wäre an sich eine an- 
ziehende und lehrreiche Aufgabe, der ich mich gar zu gern unterzogen 
hätte. Nach Lage der Sache scheint es mir aber geraten, davon abzu- 
stehen, hauptsächlich deshalb, weil, wie bekannt, gerade diese Ange- 
legenheit in einen unerfreulichen persönlichen Streit mit hineingezogen 
worden ist. Dadurch sind die bezüglichen Verhältnisse aber dermafsen 
getrübt worden, dafs derjenige, welcher nicht an Ort und Stelle ge- 
w^esen und die Vorkommnisse persönlich gesehen hat, es nicht wagen 
kann, ein bestimmtes Urteil zu äufsern, ohne sich auf den Boden 
des Parteihaders zu begeben. Das zu thun, erscheint mir aber 
sachlich nicht gerechtfertigt. Wie so vieles andre, mufs man daher 
auch diese Angelegenheit der Zeit überlassen; sie wird die Ent- 
scheidung über die Streitfrage herbeiführen, ob alle bisher 
gebrachten Opfer an Geld, Arbeit and Menschenleben vergeblich 
sind, oder ob sie gedient haben als ein Same, dem eine befriedi- 
gende Ernte früher oder später folgt. Dafs das letztere eintreten 
möge, nur das können wir wünschen! 



— 120 — 

Eine Reise in das Gebiet nördlich vom Kamerungebirge^ 

Von G. Valdau. 

Hierzu Tafel IL : Karte des Gebietes um das Kamerungebirge, nach Skizzen unc^ 
Tagebuchaufzeichnungen von G. Valdau und K. Knutson, entworfen in deiz 
lithographischen Anstalt des K. schwedischen Generalstabs von A. H. Byström — : 

Unterleutnant. Mafsstab 1:500000. 

Elefantenherden. Auf einem andern Wege nach Mbu. Dorf und See von Mbo— 
Fische. Thonarbeiterinnen. Umfahrung des Sees. Westwärts in unbekanntes Gebiet=^' 
Der Klaveflufs Der Palmölhandel. Audienz beim Calabarköuig. Die angeblichere 
Rumbyberge. Der Sohn des Calabarkönigs. Weiterreise bis zur See. Der Garnelen — 
fang. Moskitoplage. Seefahrt. Küstendörfer. Die Bakingi-Bucht Landung. Wohl- 
behaltene Eückkehr nach Mapanja. Nachschrift und Berichtigung der Karte. 

II. 

Im Walde sah man tiberall zahlreiche Spuren von Elefanten und 
wir zogen still und vorsichtig in der gewöhnlichen Marschordnung, 
Knutson voran und ich am Schlüsse des Zuges, dahin. Nachdem wir 
etwa 4 km vom Dorfe aus zurückgelegt hatten, sah ich die Träger 
plötzlich Halt machen, dann umkehren und mit allen Zeichen des 
Schreckens anfangen zu retirieren, erst langsam, dann aber schneller 
und schneller, bis sie schliefslich in wilder Flucht von dannen 
stürzten und Knutson und mich in einem Augenblick allein auf dem 
Platze liefsen. Wir folgten ihnen, obwohl etwas gemächlicher — 
zurückzubleiben wäre Thorheit gewesen, denn wir waren fast von 
Elefanten umringt, deren tiefes Schnauben ganz nahebei zu hören 
war, sowohl vor uns, wie seitwärts. Erst in der unmittelbaren Nähe 
des Dorfes fanden wir unsre Träger wieder , die auf unser Kommen 
warteten. 

Da es hiernach unmöglich gewesen wäre, mit unsern Leuten 
auf diesem Wege nach Mbu vorzudringen, beschlossen wir, ohne 
Aufschub einen andern einzuschlagen, auf welchem weniger Elefanten 
vorkommen sollten. Wir brachen daher schleunig auf, zogen durch 
das Dorf, überschritten den Byle und wichen darauf von unserm 
früheren Wege ab, indem wir unsern Kurs westlich nahmen. Bald 
wurde ein nach Südsüdost fliefsender Strom, Mada, passiert und gleich 
darauf zogen wir in ein grofses Dorf, Bakunda-ba-Bakänbäne, ein, 
in dem wir als die ersten Weifsen erschienen. Im Hause des Königs, 
in dem wir, wie gewohnt, einkehrten, fanden wir zu unserer Über- 
raschung einen europäischen Holzstuhl, sowie grofse eiserne Töpfe 
und Messingeimer, alles von Old-Calabar gekommen, wohin auch 
alles Öl aus dieser Gegend geht. Auf dem Hofe hinter dem Hause 
stand ein kleines, auf vier hohen Stangen ruhendes Hühnerhaus, zu 
welchem, zur Bequemlichkeit seiner Einwohner, eine kleine Treppe 



— läl — 

fährte. Am Abend brach ein Tornado aus und der Regen hielt einen 
längeren Teil der Nacht an. 

Tags darauf hatten wir einen kurzen Marsch durch ebenes und 
l;)ebautes Land nach Bakundu-ba-Boa, durch welches ein Bach fliefst. 
Das Dorf kann sich mit Ekumbi an Gröfse messen und bringt grofse 
Mengen Öl hervor. Wir sahen daselbst viele Calabarmänner in ihren 
mehr oder weniger eigentümlichen Trachten. Aufser der gewöhn- 
lichen Hüftenbekleidung trug man eine Weste, ein sogenanntes Singlet, 
ein feuerrotes Hemd oder dergleichen. Einige hatten ihre Frauen 
mit sich, und zwar jeder nur eine, mit welcher er ordentlich verheiratet 
war. Diese gingen, ebenso wie die Frauen in Victoria, in eine sack- 
artige Tracht gekleidet, die vom Kopf bis zu den Füfsen reichte. 
Alle diese Kaufleute waren höchst argwölmisch gegen uns, weil sie 
befürchteten , dafs wir in Handelsgeschäften ausgezogen seien. Hier 
fand sich noch mehr von den europäischen Artikeln vor, die wir in 
dem vorigen Dorfe gesehen hatten. Wie gewöhnlich bei der Ankunft 
in einem Dorfe, wollten wir Kokosnüsse kaufen, deren Saft gesunder 
zum Trinken ist als gewöhnhches Wasser, konnten aber infolge 
eines strengen Verbots für alle, in die Kokospalmen zu klettern, 
keine erhalten. Das Verbot war dadurch veranlafst worden, dafs 
ein Knabe einige Tage vor unsrer Ankunft von einem derartigen 
Baum herabgestürzt und totgefallen war. Moschusenten kamen in 
grofsen Scharen überall im Dorfe vor. Viele Häuser hatten mit 
Mörtel beworfene Wände und bei einem Teile derselben 4'agte das 
Dach weit hervor und wurde von starken Pfeilern getragen. Die 
Wand eines solchen Hauses, welches ein Calabarmann bewohnte, 
war weifs mit drei schwarz gemalten Blindfenstern, so dafs man in 
einiger Entfernung glauben konnte, ein mit Fenstern versehenes 
- Steinhaus zu erblicken. Hinter dem Hause des Königs lag ein kleiner, 
von kleinen mit Mörtel beworfenen Häusern umgebener Hof, mit 
einem rund herum reichenden Pfeilergang. Aus diesem gelangte 
man in die Häuser, die trotz ihrer unbedeutenden Dimensionen, nach 
europäischem Vorbilde in mehrere äufserst kleine Räume mit mörtel- 
beworfenen Zwischenwänden eingeteilt waren. Diese kleinen, dunklen 
Löcher konnten nicht anders als ungesund sein, so eingeschlossen 
und heifs, wie sie waren. Der Hof hatte einen Rinnstein zur Ab- 
leitung des Regenwassers und erinnerte im kleinen an einen Hof 
in einer alten europäischen Stadt. Durch einen schmalen bedeckten 
Gang kam man hinter den kleinen Häusern heraus. Hier stand ein 
Haus, das gerade übertüncht wurde. Der Mann, der damit beschäftigt 
war, nahm den Thon mit einer Art Mauerkelle, schlug ihn an der 
Wand fest und glättete ihn dann mit der Kelle, gerade so, wie ein 

Qeogr. Bl&tter, Bremen, 1886. q 



— 122 — 

Mauror daheim in Schweden. Die eine Langwand, die fertig geworden, 
war mit grofsen, abwechselnd weifsen und schwarzen Dreiecken 
verziert; in den weifsen sah man zwei schwarz gemalte Figuren, 
die Leoparden vorstellten. Am Nachmittage des Tages, an welchem 
wir angekommen waren, traf ein kleiner Sklaventransport ein, 
bestehend aus 3 bis 4 bewaffneten Männern, die aus einem Dorfe 
im Innern des Landes zwei vom Könige gekaufte Sklaven mitbrachten, 
einen männlichen und einen weiblichen. Dieselben gingen ungefesselt 
und sahen keineswegs betrübt aus. Der Preis für einen Sklaven 
ist hier derselbe wie für eine grofse Kuh, d. h. ungefähr 2 £. 

Von hier geht ein Weg nach Mbu, den Rogozinskis Begleiter, 
der Geologe Tomczek, 1883 passiert hatte. Da es auf demselben 
in dieser Jahreszeit ebenfalls sehr viele Elefanten geben sollte, konnten 
unsre heldenmütigen Begleiter nicht dazu vermocht werden, ihn 
mit Gepäck zu passieren. Wir nahmen deswegen drei Bakundu- 
leute, um unsre Sachen zu tragen und drei von unsem eigenen, 
Wokomia, Nbome und Molue, den Schlachter, den Dolmetscher und 
den Koch, die nur ihre Gewehre trugen. Die übrigen Sachen und 
die Träger, sowie Ndibe, den Furchtsamsten unter den Furchtsamen, 
liefsen wir im Dorfe zurück, als wir uns am folgenden Tage, den 
3. Juni, in Marsch nach Mbu setzten. 

Der Weg ging hauptsächlich in nordöstlicher Richtung und 
war sehr lehmig und schlüpfrig, sowie teilweise von Elefanten aus- 
getreten, ^ deren Spuren immer zahlreicher wurden, je weiter wir 
kamen. Acht km vom Dorfe tiberschritten wir einen Bach, Kongo, 
der nach Südsüdwest flofs. Etwas weiter hin ging es steil abwärts, unge- 
fähr 90 m, dann passierten wir einen kleinen Bach, Akätäme, und 
gleich darauf unsern alten Freund Byle, der sich hier als ein grofser, 
schöner Strom mit südlichem Laufe präsentierte. Wir mufsten jetzt 
eine steile, von Lehm schlüpfrige Höhe hinan klettern, welche hinab- 
zusteigen ganz kurze Zeit vorher einige Elefanten unternommen 
hatten; dabei waren sie 6 bis 10 m abwärts gerutscht und hatten 
grofse Massen Erde vor sich her geschoben, die, wo sie zum Stehen 
gekommen war, Absätze oder Terrassen gebildet hatte. Bald erreichten 
wir den Ekumbiweg, auf welchem wir vor einigen Tagen die 
Elefanten getroffen hatten. Man konnte hier keinen Schritt thun, 
ohne auf fast frische Spuren derselben zu stofsen, und hier und da 
war das Gebüsch auf weiten Strecken von den Tieren niedergetreten. 
Unsre Leute, deren Angst nun ihren Höhepunkt erreichte, krochen 
vorwärts wie Schlangen, und steigerten ihre Gangart hier und da 
zu einer Art von Halblauf, um so schnell wie möglich über eine 
gefährliche Stelle wegzukommen. Die unaufhörlich wiederkehrenden 



— 123 — 

Observationen über die Richtung und Beschaflfenheit des Weges waren 
ihr Entsetzen. Wir sahen jedoch von den Tieren selbst nichts, obwohl 
sie zuweilen recht nahe waren ; an einer Stelle fanden wir das Wasser 
auf dem Wege noch trübe und in Bewegung von ihnen. 

In der Nähe von Mbu wurde der Weg sehr schlecht und es 
stand viel Wasser auf demselben. Nachdem wir an dem betreffenden 
Tage 24 km zurückgelegt hatten, kamen wir schliefslich bei dem 
See an, dessen Gröfse unsern Leuten einen Ruf der Überraschung 
entlockte. In Wirklichkeit ist er wenig gröfser als der Richard-See, 
scheint aber fast drei Mal so grofs zu sein, weil er eine einzige 
nicht unterbrochene Fläche bildet, während der Richard-See von der 
hohen Insel in der Mitte geteilt ist, so dafs man, am Ufer stehend, 
nur die Hälfte des Sees erblickt. Ein Flufs, Säve, ergiefst sich in 
den Mbu an dessen Nordwestufer. Ein paar tausend Fufs an der andern 
Seite liegt das Dorf Balombi-ba-Mbu ^). Das offene Terrain zwischen 
demselben und dem See war sumpfig und von Kanälen durchschnitten, 
so dafs wir nur langsam aus der Stelle kamen. Dies verschaffte den 
Einwohnern Zeit, sich am Eingange des Dorfes zu sammeln, wo sie 
uns schon aus der Ferne durch laute Freudenrufe und die Arme in 
der Luft schwenkend einen lärmenden, indes wolgemeinten Empfang 
bereiteten. Wir kehrten natürlich bei dem Könige, einem alten 
Patriarchen mit grauem Haare und Barte, ein. Dieser wollte, 
ebenso wie der in Balombi-ba-Kotta, uns einen Hund zum Schlachten 
geben und war sehr erstaunt darüber, dafs wir kein Hundefleisch 
mochten. Statt dessen bekamen wir nun Fische, die etwas gröfser 
und besser waren, als die aus dem Richard-See. 

Das Dorf bestand aus 65 Häusern und war also recht grofs, 
schien aber arm zu sein ; Ziegen nnd Schafe kamen nur sehr spärlich 
vor und es war bemerkenswert, dafs es auch nicht ein einziges Schwein 
im Dorfe gab, dagegen fanden sich Moschusenten in sehr gröfser 
Zahl. Alle Männer und Knaben sind eifrige Fischer; sie fahren 
jeden Morgen vor Sonnenaufgang auf den See hinaus und kehren 
gegen 11 Uhr vormittags zurück. Der Fang geschieht hauptsächlich 
mit Netzen und grofsen Reusen, welche letztere sehr geschickt und 
gut aus Stäben gefertigt sind. Der Fisch ist von derselben Sorte, 
wie der im Richard-Sße, indes gröfser ; aufserdem kommen hier auch 
Welse vor. Die vorzüglichste oder richtiger gesagt einzige Erwerbs- 
quelle des Dorfes besteht in der Anfertigung von Thonkrügen. Diese 
Arbeit wird von den Frauen ausgeführt; das Material holt man aus 



^) Ragozinski nennt in seiner Reisebeschreibung den See Balombi-ba-Mbu 
und das Dorf Mbu; es soU umgekehrt sein. 

9* 



— 124 — 

der oben beregten Sumpfgegend zwischen dem Dorf und dem See. 
In jedem Hause, in welches ich blickte, lag ein grofser Haufen Thon 
mitten auf dem Boden und eine oder mehrere Frauen waren mit 
ihrer Arbeit beschäftigt, bei welcher sie sich nur eines convex 
geschnittenen Holzstückes bedienten, mit dem sie die Aufsenseite 
des Kruges bearbeiteten, während sie die eine Hand inwendig als 
Gegenlager verwendeten. , Es war erstaunlich, einen wie sichern 
Blick für die rechte Form sie. Dank langer Übung, hatten ; kein 
Gefäfs war im mindesten schräge oder schief, sondern alles war völlig 
gleichförmig. Auf Trockengestellen über den Feuerstätten lagen 
grofse Massen Thongefäfse der verschiedensten Gröfsen und Formen 
aufgestapelt. Während der trocknen Zeit zieht man damit zum 
Verkaufe aus und vertreibt sie über das ganze umliegende Land, 
im Süden bis nach Bakundu-bu-Nambeleh. 

Wie erwähnt, war das Dorf arm, was wir gleich bei unsrer 
Ankunft sahen ; wir fragten daher unsern Wirt, ob er uns alle Lebens- 
mittel liefern könne oder ob wir dieselben selbst kaufen sollten. 
Er antwortete, wir seien seine Gäste und er werde uns defswegen 
mit dem Nötigen versorgen. Er that auch sein Bestes, alles zu 
beschaffen, allein schon am folgenden Morgen konnte er nicht mehr, 
als für Knutson und mich eben ausreichend, liefern, wefshalb wir 
unsre Leute ausschickten, Plantanen und Fische zu kaufen, letztere 
gegen Angelhaken, die sehr begehrt waren. Der König genierte sich 
sehr wegen seiner Armut, die ihn aufser Stand setzte, seine Gäste 
zu verpflegen, welche noch dazu weifse Männer waren. 

Er war sehr aufmerksam; sobald wir Miene machten, uns zu 
setzen, war er auch gleich mit einigen der auch hier gebräuchlichen 
Klappstühle bei der Hand. — Die Einwohner waren wohlwollende, 
unverderbte Naturkinder, besser als die meisten andern, die wir 
während der Reise gesehen hatten. Die Heiraten erfolgen gewöhnlich 
unter den Bewohnern des Dorfes, und es ist sehr selten, wenn 
der Mann sich eine Frau aus einem Nachbardorfe nimmt. — Wir 
suchten die Namen von nördlich und westlich vom See belegenen 
Ortschaften in Erfahrung zu bringen, allein man erklärte uns ein- 
stimmig, dafs das bebaute Land hier zu Ende sei und dafs es nach 
jenen Richtungen hin nur Wald gebe, der von Elefanten wimmle. 
Nach vielem Fragen und nachdem wir sie durch Verabreichung von 
Tabak gesprächiger gemacht hatten, erklärten sie, dafs sie von dem 
Lande im Norden nichts wufsten, dagegen rechneten sie die Namen 
einer Menge Dörfer her, die westwärts auf dem Wege nach Old- 
Calabar lägen. Ganz gegen Negergewohnheit sprachen sie die Wahr- 
heit, wie wir nachher fanden, als wir die meisten der von ihnen 



— 125 — 

benannten Plätze passierten. — Während der zwei Nächte , die wir 
hier zubrachten, wurden wir von den frechsten Ratten belästigt, die 
mir je vorgekommen sind. Sie liefen wiederholt über uns weg, eine 
bifs Knutson in die Nase ; Nbome wurde ein grofses Stück der dicken 
Haut unter dem einen Fufse abgenagt , was so unmerklich geschah, 
dafs er nicht erwachte! — die Werkzeuge mufsten also sehr scharf 
gewesen sein. 

Am Tage nach unserer Ankunft nahmen Knutson und ich jeder 
sein Kanu und machten eine Fahrt um den See. Knutson fuhr 
voraus, um Vögel zu schiefsen und erlegte eine Art Fischadler 
und einige Scharben. Auch einen andren Schwimmvogel, nach 
Gröfse, Ansehen und Stimme einer einen Monat alten Ente gleichend, 
sowie einige Sumpfvögel sahen wir. Ich folgte Knutson mit meinem 
Kanu und nahm einige Lotungen vor. In einem Abstände von 
15 m vom Ufer variirte die Tiefe zwischen 9 und 15 m; weiter 
hinaus reichte meine 24 m lange Lotleine nicht mehr bis auf den 
Grund. Der See ist einer der kleinsten, aber zugleich schönsten in 
Afi'ika. Das Wasser ist klar und von hellgrüner Färbung ; die Ufer 
sind an der Mündung der Säve niedrig, werden aber an der südlichen 
Seite des Sees höher und bergig und erreichen in Südsüdost eine Höhe 
von wenigstens 60 m. Hier sind sie von einem ungefähr 90 m 
breiten Pafs mit senkrechten kahlen Felswänden durchbrochen. Durch 
diesen Pafs strömt der Ablaufsflufs des Sees, Mokundu-ba-Mbu (Mbu's 
Schwanz). Auf den hohen und steilen Abhängen am südlichen und 
östlichen Ufer haben die Dorfbewohner ihre Anpflanzungen. Am 
östlichen Ufer kommen mehrere kahle Felswände, in der Art der- 
jenigen im Passe, vor. Überallan den Ufern waren Reusen ausgelegt 
und mehrere wurden von unsern Kanoeleuten untersucht, allein mit 
dem traurigen Resultat, dafs sie nicht mehr als einen Fisch auf je 
8 oder 10 Reusen bekamen. An einer Stelle jagten wir eine ganze 
Herde AflFen in die Flucht, die voraussichtlich an den See gekommen 
maren, um zu trinken. Die Fahrt auf dem schönen See war sehr 
interessant, aber wenig angenehm infolge eines hartnäckigen Regens, 
der uns durchnäfst nach Hause kommen liefs. 

Am nächsten Tage kehrten wir nach Bakundu-ba-Boa , wo wir 
schon um 12 Uhr eintrafen, ohne auch nur dieses Mal etwas von den 
gefürchteten Elefanten gesehen oder gehört zu haben, zurück. Wir fanden 
unsre hier zurückgelassenen Leute im wünschenswertesten Wohl- 
befinden, mit vergnügten und glänzenden Gesichtern, vor, denn nichts 
macht einen Neger so glücklich, als wenn er Essen vollauf und dabei 
nichts zu thun hat. 

Am Tage darauf, den 6. Juni, brachen wir auf und wendeten 



— 126 — 

uns nun westwärts nach einem den Europäern bis jetzt unbekannten 
Teil des Landes. Gleich aufserhalb des Dorfes trafen wir einen 
nach Süden strömenden Flufs, Klave. Hier wurde Halt gemacht und 
zu Ehren des Kronprinzen von Schweden und Norwegen, dessen 
Namenstag war, Salut geschossen. Wir stellten unsre Leute in 
einem Gliede auf und alle feuerten dann ihre Gewehre gleichzeitig 
auf das Kommandowort Monja! (Feuer) ab. Einige belustigten sich 
bei dieser Gelegenheit, ihre Schüsse auf einen gewaltigen Baum in 
der Nähe zu richten und die grofsen Löcher, welche die Kugeln ver- 
ursachten, erweckten lebhafte Bewunderung und Furcht bei unsern 
Bakunduführern. Als wir uns wieder in Marsch setzten, begannen 
unsre vom Salutschiefsen animierten Leute zu singen und gingen 
besser und schneller, als während des ganzen frühern Teiles der 
Reise. Nachdem wir 5 km zurückgelegt hatten, kamen wir an einen 
Flufs, Obe, der mit schneller Strömung nach Süd 75^ West seinen Lauf 
nahm. An der Übergangsstelle war er ungefähr 22 m breit und 
0,6 m tief. Am andern Ufer lag ein sehr grofses Dorf, Bänga Bom- 
banda, durch welches wir ohne Aufenthalt in guter Ordnung zogen, 
während die Träger aus voller Kehle sangen. Die Einwohner zogen 
sich zurück, je näher wir kamen, sammelten sich aber in grofser 
Menge hinter uns und folgten uns, obwohl vorsichtigerweise in der 
Ferne, weit über das Dorf hinaus. Einige Calabarleute schlössen 
sich uns an und begleiteten uns bis zu dem 3 km weiter belegenen 
Bänga Ombele, welches gleichfalls ein grofses Dorf war. Bis hier- 
her hatte der Weg durch ebenes, offenes und kultiviertes Land ge- 
führt, allein jetzt folgte wieder Urwald. Der Weg war jedoch auch 
ferner gut und eben, wir befanden uns nämlich jetzt auf dem grofsen 
Handelswege nach Old-Calabar. Alles Öl, das in dem von uns 
passierten Lande, bis nach Bakundu-ba-Bakäa zurück, produziert wird, 
geht diesen Weg. Einen Beweis von den grofsen Dimensionen dieses 
Handels bekamen wir im Verlaufe unsres Marsches, als wir nicht 
weniger als 200 Bakuuduleute trafen, die nach einem Dorfe, 
Balundu, gewesen waren und Oel verkauft hatten. Jeder trug auf 
dem Rücken in einem geflochtenen Gestell zwei grofse Kalebassen, 
von denen jede wenigstens 20 Liter fafste. Auf unsre Fragen er- 
fuhren wir, dafs sie ihr Öl an einen in Balundu ansässigen König 
aus Old-Calabar verkauft hatten. 

Nachdem wir 60—90 m abwärts gestiegen waren, kamen wir 
an einen wasserreichen Flufs, Meme, der mit starkem Strom süd- 
wärts eilte. Er war ebenso breit, wie der Obe, allein tiefer, besonders 
am linken Ufer, wo es 1,2 m bis zum Grunde waren, weshalb ich 
die Gelegenheit benutzte und ein erfrischendes Bad nahm. Auf der 



— 127 — 

andern Seite des Flusses stieg der Weg ungefähr 60 m steil empor. 
Schliefslich kamen wir in Bäuga Liänni an, einem grofsen Dorfe mit 
66 Häusern an einer Strafse, und verblieben dort die Nacht über. 
Die meisten Häuser waren inwendig und auswendig mit Mörtel be- 
worfen und in kleine Räume mit schmalen Thüren und kleinen 
Fensterlöchern eingeteilt. Der König, bei dem wir einkehrten, hatte 
einen mit Gebäuden umgebenen Hof und die Häuser auf der Hofseite 
waren mit Veranden und Pfeilergängen versehen. In diesen, die 
ebenso wie die Häuser ungefähr V* m über dem Boden lagen, war 
es sehr kühl und angenehm, in den Häusern dagegen, infolge der 
dichten Lehmwände, erstickend heifs. Auf der Veranda des uns 
angewiesenen Hauses standen europäische Holzstühle, darunter ein 
Paar Lehnstühle. Des Abends bekam ich etwas Fieber, das ich 
jedoch durch Schwitzen während der Nacht vertrieb. 

Wir hatten erst beabsichtigt,- uns von hier südwärts nach 
Bakundu-ba-Musaka zu wenden, um von diesem Platze auf demselben 
Wege, den Comber eingeschlagen hatte, nach Hause zurückzukehren, 
und zwar aus dem Grunde, weil unser Vorrat an Zeug und Tabak so 
zusammengeschmolzen war, dafs wir befürchteten, er würde nicht 
bis nach Hause reichen, wenn wir näher nach Calabar und der Küste 
vordrängen, wo alles viel theurer ist als im Lande. Vieles ver- 
lockte uns jedoch, die Reise nach Westen fortzusetzen, nämlich teils 
die Gewifsheit, dafs wir dann noch viele bis jetzt unbekannte Dörfer 
und Wasserläufe, unter den letzteren die Flüsse Rio del Rey und 
den untern Lauf des Rumby, passieren würden, teils, und in der 
Hauptsache aber, dafs wir uns jetzt nur einen Tagesmarsch von dem 
Punkte befanden, nach welchem auf allen Karten über dieses Gebiet 
die sogenannten Rumbyberge verlegt werden. In Bakundu-ba-Boa 
hatten wir uns nach einem Berge in dieser Richtung erkundigt, allein 
zur Antwort erhalten, dafs ein solcher nicht vorhanden sei, weder 
dort, noch an einer andern Stelle im ganzen Lande ; die Leute hatten 
niemals einen solchen grofsen und hohen Berg, wie den, von welchem 
wir sprachen, gesehen und wufsten nicht einmal einen Namen dafür. 
Hier in Liänni behauptete man jedoch, dafs man in Balundu einen 
grofsen Berg in geringem Abstände sehen könne. ;jDas sind natürlich 
die Rumbyberge, dahin müssen wir!" 

Wir verschafften uns gleich Führer und brachen früh morgens 
auf, ohne erst etwas zu essen, denn wir wollten von der kühlen 
Morgenluft profitieren und hatten einen weiten Marsch vor uns. Das 
Land wird hier allmählich, aber beständig höher bis zu dem 6 km 
entfernten Läla Balombi, welches ein recht ansehnliches Dorf ist. 
-An der andern Seite desselben stiegen wir etwa 90 m abwärts, 



— 128 — 

überschritten einen Strom, Mokänä, der nach Süden fliefst, gingen 
darauf wiederum einen steilen Abhang von fast 60 m hinab und 
hatten jetzt den Flufs eine längere Strecke links vom Wege. Schliefslich 
passierten wir ihn zum zweiten Male, an dieser Stelle nach Nord 50® West 
fliefsend, und unmittelbar darauf erreichten wir das Dorf Balombi- 
ba-Mokänä. Dieses hatte 56 Häuser an einer Strafse, die am Ende 
durch eine hohe und starke, mit einem überdachten Thor aus Planken 
versehene Palisade abgeschlossen war. Wir verblieben im Dorfe 
nur wenige Minuten, um neue Führer zu bekommen, und sobald wir 
diese erhalten hatten, ging es weiter. Mehrere Bäche wurden über- 
schritten, darunter einer mit Namen Eleveleve, die alle, wie der 
Mokänä, nach Norden flössen. Im Walde sah man verschiedene Ele- 
fantenspuren und wir stiefsen auch auf einen, der vor Schrecken un- 
bändig trompetete, als er sich davon machte; das Zusammentreffen 
jagte unsern Trägern jedoch eine noch weit gröfsere Angst 
ein, einige von ihnen warfen ihre Bürden von sich und liefen 
zurück, um ihr Leben zu retten. Plötzlich kamen wir an ein seit 
4 Monaten verlassenes Dorf. 50 — 60 Häuser standen hier so wohl- 
erhalten, als wenn sie noch bewohnt seien, allein die auf der Strafse 
und überall üppig emporwuchernde Vegetation bewies, dafs das Dorf 
schon seit einiger Zeit verlassen sei. Die Leute in demselben waren 
nämlich in Streit mit Calabar geraten und hatten einen Mann dort 
getötet, worauf sie aus Furcht vor Rache bis in die Gegend von 
Bakundu-ba-Nambeleh geflohen waren. 

Wir hatten noch ziemlich weit bis Balundu und es wurde ein 
schwerer Marsch für unsre schon ermatteten Leute; dazu begann 
bald ein heftiger Regen, der anhielt, bis wir Balundu erreichten, wo 
wir hungrig, müde und nafs etwas vor Einbruch der Dunkelheit an- 
langten. Wir hatten an diesem Tage 36,2 km zurückgelegt, ohne 
etwas andres als Wasser geschmeckt zu haben. Der Führer 
brachte uns in die Wohnung des Calabarkönigs, die aus einem zwei- 
stöckigen Bretterhause bestand. Wir gingen durch dasselbe und 
kamen auf einen umbauten Hof, wo die Träger ihre Lasten auf eine 
Art Veranda niedersetzten. Die gegen den Hof gerichtete Wand 
eines der Häuser war nämlich fortgenommen, so dafs das ganzf 
Haus eine grofse und breite Veranda bildete, wo die Familie des 
Königs ihre Mahlzeiten einzunehmen pflegte und wo seine Diener 
während der Nacht schliefen. Diese Bauart soll in Calabar allgemein 
vorkommen und ist sehr passend für das Klima. In allen heifsen 
Ländern ist die Veranda der angenehmste und am liebsten benutzte 
Teil des Hauses, mag dieses nun nach Landessitte oder in europäischem 
Stil erbaut sein. Das obere Stockwerk des Bretterhauses, zu welchem 



— 129 — 

Tom Hofe aus eine Treppe führte, wurde vom Köuige selbst bewohnt. 
Eine Menge Diener und andrer Heiducken, die in bunte Zeugstücke, 
Hemden, Westen und andre Garderobestücke gekleidet waren, füllte 
den Hof und die Treppe; mehrere von ihnen sprachen recht gut 
englisch. Nachdem wir eine Weile gewartet hatten, wurde gemeldet, 
der König sei bereit uns zu empfangen. Wir stiegen die Treppe 
hinan und gelangten in ein ziemlich grofses Zimmer mit einigen 
Fenstern nach der Strafse zu und einer Thür auf jeder Seite , die 
in andre Zimmer führte ; ein grofser Tisch, behängt mit einer bunten 
Decke und einige europäische Stühle bildeten das Ameublement. 
Hier wurden wir von Sr. Calabarischen Majestät, einem Neger in 
mittleren Jahren, der die gewöhnliche Hüftbekleidung und einen 
Tuchrock trug, empfangen. Er bat uns, auf den hingestellten 
Stühlen Platz zu nehmen und erkundigte sich in schlechtem Englisch 
nach der Veranlassung unsrer Ankunft, dem Zweck unsrer Reise, 
unserer Nationalität u. a. Wir beantworteten alle diese Fragen 
und sagten, dafs wir von hier nach Hause zurückkehren wollten und 
ihn um Führer für den ersten Tagesmarsch nach Süden bäten. Nach 
langem Zaudern versprach er dieses, nachdem wir mehrere Male 
erklärt hatten, wir seien keine Deutsche, gegen die er sehr un- 
freundlich gestimmt zu sein schien. Er war ein richtiger Grofsprahler 
und wiederholte fortwährend: „Dieses Land ist englisch, es gehört 
Calabar, gehört mir; die Stadt ist mein, das Land gehört mir — 
alles ist mein". Mit gröfster Schwierigkeit das Lachen unterdrückend 
antworteten wir: „Wir wissen es, wir hörten, dafs der grofse König 
von Duke Town sich hier befinden solle und kommen deswegen hier- 
her, um ihn zusehen." Der alte Narr fühlte sich sehr geschmeichelt, 
das Mifstrauen verschwand und er fragte, ob wir „ein Glas nehmen" 
wollten, was wir natürlich bejahten, obgleich wir lieber etwas zu 
essen gehabt hätten. Ein paar aufmerksame und wohl geübte 
Diener erschienen sofort mit einem Präsentierteller mit Gläsern und 
Flaschen und man bot uns nun — Champagner mit Absinth. 

Da unsre Leute müde und wir selbst nafs waren, baten wir, 
man möge uns unser Logis anweisen. Se. Majestät begleitete uns 
in höchsteigener Person schräg über die Strafse nach einem grofsen 
Hause, das uns zum Bewohnen angewiesen wurde. „Alle Häuser in 
der Stadt gehören mir, ich kann Euch also geben, welches ich will^^ 
erklärte er verschiedene Male. Wir fragten nun, ob sich ein grofser 
Berg in der Nähe befinde. „Ja, ein sehr grofser, allein bis zu ihm 
ist es sehr weit — Ihr könnt ihn dort sehen" fügte er hinzu und 
zeigte mit der Hand nach Südsüdost. Es war nun eben vor Sonnen- 
untergang klar geworden und in der angegebenen Richtung sahen 



— 130 — 

wir weit in der Ferne einen grofsen, gewaltigen Berg, in dem wir 
unsern altbekannten — Kamerunberg wiedererkannten. ;,Giebt es 
aber nicht einen andern, kleineren Berg in nördlicher oder andrer 
Richtung?^ „Nein, im ganzen Lande ist nur ein Berg, den seht Ihr 
dort, sonst finden sich nur kleine Höhen und Hügel." Wo waren 
denn die Rumbyberge ? Einen gröfseren Berg, ähnlich dem Kamerun- 
berge giebt es nicht. Die vom Meere aus sichtbaren Berge, die den 
Namen Rumbyberge erhalten haben, bestehen aus der zwischen 
dem Rio del Rey und dem Old Calabar oder Krofsflusse sich er- 
streckenden 350—450 m hohen Wasserscheide mit den sich über 
dieselbe erhebenden Anhöhen, von denen die eine oder andre 300 m 
hoch sein mag. 

Am folgenden Morgen besuchten wir den König, um den ver- 
sprochenen Führer zu erhalten und trafen nun auch seinen Sohn, 
der sich als ziemlich gebildet zeigte. Er sprach fliefsend englisch, 
und war in der Geographie von Europa recht gut zu Hause. Er 
erkundigte sich sehr genau nach unsren Namen, dem Ziel unsrer 
Reise, den Dörfern, die wir passiert hatten u. a., und schrieb sich 
alles genau auf. Nach seiner Angabe sind es von Balundu nach 
Duke Town nur zwei kurze Tagereisen, die erste zu Lande, die zweite 
im Kanoe auf dem Flusse. Bevor wir gingen, wurden wir zum 
Frühstück eingeladen. Der Tisch ward auf europäische Weise ge- 
deckt, dann traten drei oder vier Jungen herein, von denen jeder 
auf dem Kopfe eine grofse runde Holzschüssel, die mit einem hübschen, 
bunten Tuche bedeckt war, trug, so dafs es recht stattlich aussah, 
als sie sich in einer Reihe hintereinander aufstellten. Als man die 
Decken von den Schüsseln abnahm, zeigte es sich, dafs sie einige 
fufslange gekochte Plantanen und Porzellanschüsseln mit Ziegen- 
fleisch enthielten, welches letztere auf englische Manier — das Fleisch 
in der Suppe liegend und stark mit Cayenne gepfeffert — zubereitet 
war. Das Essen stellte man vor den Wirt hin, der jedem eine 
tüchtige Portion davon zuteilte. Bevor die Mahlzeit begann, wurde 
Wasser herumgereicht, mit dem man sich die Hände wusch, um diese 
dann in dem bis zum Boden hinabhängenden Teil des Tisch- 
tuches, das zugleich als Serviette diente, abzutrocknen. Als das 
Frühstück zu Ende war, servierte man ein gewöhnliches englisches 
Getränk, zur Hälfte aus Gin und zur Hälfte aus Wasser bereitet, 
in das man etwas Zucker und einige Stücke Zitrone legte, alles dann 
gründlich umrührte, Muskat hineinrieb und die Mischung mit etwas 
^Bittern" oder Angostura färbte. Nachdem der König aus Er- 
kenntlichkeit für seine Gastfreiheit Knutsons Fernrohr erhalten 
hatte, brachen wir auf. 



— 131 — 

Der Weg von Balundu ging an diesem Tage nach Ostsüdost, in 
vidier Riehtang das Land sich langsam senkte. Wir passierten 
aige Male einen Bach. Komba, der nach Osten fliefst, und gelangten 
\nn in ein grofses Dorf, Balombi - ba - Ngongo. Drei km jenseits 
ssselben kamen wir mitten im Walde dicht an einem sonderbaren 
O — 180 m hohen Felsberge, Likäkki Langanjo genannt, vorbei. 
Le allmählich abfallende südöstliche Seite desselben war bis zum 
ipfel mit Wald bedeckt, die nördliche Seite indessen war kahl und 
J senkrecht ab, wie eine Hauswand. Es war um so überraschender, 
esen Berg hier zu finden, als das Land rund umher wenig koupiert, 
fast eben war. Nach einem kurzen' Marsche kamen wir nach dem 
orfe Nganjo Motikä, wo wir eine kurze Rast hielten. Jenseits des 
orfes überschritten wir einen nach Südsüdost strömenden Flufs, Mo- 
inde, mit müchweifsem Wasser, und 3.5 km weiter den Flufs Mari mit 
Ldsüdwestlichem Lauf und eben solchem Wasser, wie der erstere, 
achdem wir. von Balundu aus trerechnet . 24 km zurück«reletrt hatten. 
amen wir an das Ziel unsrer Tagereise. Bän^e, ein sehr grofses 
►orf, an dessen zwei Straten ich zusammen 8iJ Häuser zählte. 
Tir stiegen bei dem Könige, oder richtiger bei de--en Sohn ab, der 
ier am meisten zu sagen hatte und bei dem ein Calabarkaufmana 
ohnte. Durch den heutigen und beson iers durch den anstrengenden 
[arsch des vorhergehenden Ta^^es hatten uu^re Leute sich einer 
kngeren Rast verdient gemacht, weshalb wir hier einen ganzen 
'ag ausruhten, während dessen sie sich an Zie::enbraten gütlich 
hon konnten. Enntson und ich äfsen an gedecktem Tische zu- 
ammen mit dem Kaufmanne und dem Sohne des Königs. Der Tisch 
tand in einer Verau'ia. die der in Balundu glich und es hing dort 
ogar eine grofee Gl'Xke. mit der zu den E-s«iszeitec geläutet 
rnrde. Diese wie auch die Zubereit mg des Essens waren nach 
^nglisdier Sitte. Die Küche wnrde v^^l der Frau des Kaufmannes 
besorgt 1ES*1 die Speisen wardeü eber.so -»ie in Balundu bereitet 

Wir hatten jetzt 'lie grofs^ Handels -trafte. für welche Balundu 
Icr Xiederlag^latz ist. verlassen, unl wareü iif einen kleineren- 
lach Süden fuhreaien Verkehrrsreg für den öihiiidei nri: Einge als 
^tapeloit. gelangt. Am 10. Juii verliefsen ^ir ia.s Dorf mit ein«n 
Calabarmann als Führer. Der We:? gfüg gerade ii s^üücbex Kiditong 
aber mehrere aatb Stiwest diefsende Bache na^trb eiLesi kJefüieü Dwfe. 
Büro. Der KaiürTULberz war von hier aar s^hr ieotlkrh ^ichtl^ar 
Bid sc^hiea naher gerlrir. zu sein. s^i:des ^:t ^Iz. TrA^\zx tahm. 
Die hodi^te Spitzt war jed-xh von Wolken Tf^rrtü:. s*> dali eine 
gcsiae Oi^ervitivr. zd'ihx z^zuzfzhx werden i'/izr^?. Vt-^r^ifieai wir 
eiae Wtfle *ui eii-er. kr Irkz^r. iH/ia. I-r triri geworden u&l 



— 132 — 
t 

zurückgeblieben war, gewartet hatten, wurde die Reise nach einem 
. sehr grofsen Dorfe, Bavo, wo eine Menge Kaufleute aus Calabar 
wohnten, fortgesetzt. Wir versahen uns hier mit einem neuen 
Führer und marschierten durch einen von Elefantenpfaden durch- 
kreuzten Wald weiter. Mehrere Flüsse und Bäche mit südlichem 
und südwestlichem Lauf wurden auf der 12 km weiten Reise nach 
dem Dorfe Bavonajanga passiert. Hier hörte man das Brausen eines 
grofsen Gewässers und nachdem wir ein paar hundert Fufs steil ab- 
wärts gestiegen waren, standen wir zum zweiten Male am Ufer des 
Meme, der jetzt zu einem grofsen Flusse von wenigstens 30 m Breite 
und 6 m Tiefe angewachsen war. Auch seine Farbe hatte sich ver- 
ändert: anstatt des klaren, durchsichtigen und frischen Wassers, in 
dem wir vor einigen Tagen gebadet hatten, war es jetzt trübe, undurch- 
sichtig und warm. Der Flufs strömte mit noch schnellerem Laufe 
nach Westsüdwest. Die Leute im Dorfe erzählten, im Flusse lebten grofse 
Tiere, die den Menschen töten würden, der sich ins Wasser wagte. 
Dies war jedoch wahrscheinlich eine Fabel, denn niemand hatte die 
Tiere gesehen oder wufste wie sie aussahen.^) Am Ufer lagen mehrere 
Kanoes, die von den Dorfbewohnern dazu benutzt wurden, ihre auf 
der andren Seite des Flusses belegenen Anpflanzungen zu besuchen. 
In einigen der gröfsten Kanus setzten wir über den Flufs. Etwas 
unterhalb der Überfahrtsstelle bildete der Flufs den Fall, dessen 
Brausen wir in der Ferne gehört hatten. Er war nicht hoch, nur 
2 — 2,5 m, allein die bedeutenden Wassermassen, die sich hier hinab 
wälzten, machten ihn zu einem ansehnlichen Fall, dessen Getöse den 
Wald erfüllte und noch bis zu dem 6 km entfernten Dorfe Foe oder 
Baji hörbar war. In letzterem trafen wir eben vor Sonnenuntergang 
ein, nachdem wir an jenem Tage 30 km zurückgelegt hatten, 
Baji ist grofs und reich an Hornvieh und Moschusenten. In nörd- 
licher Richtung strömt bei dem Dorfe ein grofser Flufs, Fäe, vorbei 
und nach dem Meme zu. 

Am folgenden Tage verliefsen wir Baji, durchwateten den Fäe 
und kamen nun in eine für uns neue Landschaft, die einen völlig 
andern Charakter, als die, welche wir bisher gesehen hatten, zeigte. 
Der Wald war plötzlich verschwunden und statt dessen breitete sich 
vor uns eine weite Ebene aus, die mit mannshohem Grase und zer- 
streut stehenden Fächerpalmen bewachsen war. Hier und da hatten 
die Elefanten dieselbe durchstreift und förmliche Wege im Grase 
zurückgelassen. Von der Mitte der 3 km breiten Ebene aus konnten 
wir das Meer und einen Teil der Küste, sowie zuweilen einen 
Schimmer des in Wolken gehüllten Berges sehen. Die Landschaft 

Vergleiche jedoch die Angabe Tomczeks (Peterm. Mitteil. 1885, S. 138). 



— 133 — 

war aufserordentlich hübsch und bildete für uns eine angenehme 
Abwechselung gegen den einförmigen Urwald, der uns bis jetzt vom 
Morgen bis zum Abend umgeben hatte. Bald jedoch lag die Ebene 
hinter uns und der Wald umgab uns aufs neue. Nachdem wir 
mehrere Bäche und Flüsse gekreuzt hatten, gelangten wir an einen 
grofsen Flufs, Sombe, der seinen liauf nach Nordwest hatte. An der 
Übergangsstelle war er ungefähr 20 m breit und 0,5 m tief. Jen- 
seits desselben lag das Dorf gleichen Namens und an dessen Eingang 
ein von Rotholz verfertigtes Kanu, von dem behauptet wurde, man 
könne es während der Regenzeit auf dem Flusse gebrauchen. Die 
Hauser im Dorfe waren wie gewöhnlich an einer Strafse, aber ziem- 
lich unregelmäfsig erbaut. An der fast 900 m langen Strafse zählte 
ich 76 Häuser. Der Boden bestand aus rotem Eisenoker, womit 
auch die Häuser beworfen waren, so dafs sie, von weitem gesehen, 
im Sonnenschein rot leuchteten. Von hier führte ein aus rotem 
Oker bestehender sehr guter Weg nach dem nur 2 km davon ent- 
fernten Dorfe Kooke, wo wir übernachteten. Dieser Platz >var von 
Comber auf seiner Reise nach Balombi-ba-Kotta besucht worden. 
Er hat 40 — 50 Häuser und ist das am weitesten südwärts belegene 
Bakuududorf auf dieser Seite des Berges. Auch hier waren einige 
Calabarkaufleute, die letzten, die wir während der Reise sahen. 

Von diesem Orte führte ein schlechter und hügeliger Weg 
durch ununterbrochenen Wald und über mehrere Flüsse und Bäche, 
darunter einen unterirdischen, die alle ihren Lauf in ungefähr nord- 
westlicher Richtung hatten. Nach einem langen Marsche kamen 
wir an einen grofsen Strom, Oänge, der nach Südsüdwest flofs. 
Ein und einen halben km jenseits desselben lag zwischen ein paar 
Bächen ein Haus, das, wie man behauptete, den Anfang zu einem 
dort bald entstehenden Dorfe bildete. Der Platz wurde Lävalavinge 
genannt und die Einwohner stammten aus einem entfernten Dorfe, 
das im Kriege zerstört worden war. Die Blutrache, die streng aus- 
geübt wird und welche fordert, dafs wenn ein Mann im Streite ge- 
tötet wird, der Thäter oder sonst jemand aus dessen Dorf mit dem 
Leben für das Verbrechen büfsen mufs, bewirkt, dafs das ganze Dorf aus 
Furcht vor der Rache so weit wie möglich entflieht. Die Fliehenden 
werden dabei nach allen Richtungen zerstreut, jedoch halten stets 
einige zusammen und wenn diese in eine Gegend kommen, wo sie 
sich sicher fühlen, lassen sie sich an einem geeigneten Platze im 
Walde nieder. Dies ist der Grund, weshalb man zwischen Bakwileh 
und Bomboko so viele kleine und unbedeutende Dörfer antrift't. 

Vier km von Lävalavinge gelangten wir gerade an dem 
Punkte wieder an den Oänge, wo ein trüber, übelriechender Bach^ 



— 134 — 

Lame, sich in ihn ergielst. Wir gingen über den Bach und fanden 
auf dem andern Ufer das Dorf gleichen Namens, ein kleines elendes 
Bombokodorf. Die Einwohner gingen hier buchstäblich durch den 
Flufs und suchten Wasser, denn wie unreinlich sie auch waren, aus 
dem stinkenden Bache wollten sie doch nicht trinken, sondern wateten 
stets durch denselben, um oberhalb der Mündung desselben Wasser 
aus dem Oänge zu schöpfen. Da es bis zum nächsten Dorfe weit 
war, mufsten wir hier bis zum folgenden Tage bleiben. Auch an 
diesem, dem 13 Juni, ging die Reise durch dichten und dunkeln 
Urwald, auf einem schlüpfrigen und lehmigen Wege. Auf einer 
Strecke von 3 km hatten wir den Oänge zur Rechten und kreuzten 
darauf einen 12 m breiten und 0,5 m tiefen, schnellen Flufs, Ombe, 
dessen kaltes, klares Wasser bewies, dafs er vom Berge kam. Er 
bildet einen der gröfsten Nebenflüsse des Oänge und nimmt selbst 
weiter abwärts einen grofsen Flufs, Longasäki, auf, den wir nach 
einer Weile durchwateten; derselbe ist an dieser Stelle 20 m breit, 
0,2 m tief und reifsend. In kurzen Zwischenräumen wurden die 
Dörfer Lisämbe, Boando und Boma bis Likinge passiert, alle sehr 
klein. Durch Boma strömte ein grofser Flufs, Minde, zum Oänge. 
Vor dem Dorfe stand ein Libälä, das dem bei Masuma glich. In 
Likingi wurde Nachtquartier aufgeschlagen. 

Wir mufsten uns nun beeilen, um sobald wie möglich nach 
Hause zu kommen, denn der Weg über Balundu und Bange hatte 
unsern Vorrat an Zeug und Tabak so mitgenommen, dafs zu be- 
fürchten stand, er werde nicht ausreichen. Am 14. überschritten 
wir den Oänge zum zweiten Male. Durch seine vielen Nebenflüsse 
war er zu einem ansehnlichen Strome angewachsen, der an dieser 
Stelle in einer Breite von 38 m und einer Tiefe von 0,5 m schnellen 
Laufes nach Süd 30 ® West dahineilte. Die Reise ging auch an diesem 
Tage durch den dunkeln unendlichen Wald und über eine Menge 
kleiner Bäche, die alle ihren Lauf nach dem Oänge nahmen. 

Der Weg, der im Anfange eben und lehmig gewesen war, 
wurde bald steinig und stieg allmählich, ging dann ungefähr 90 m 
steil in die Höhe und führte darauf auf schmalen Bergkämmen, mit 
einem Abgrund an jeder Seite, dahin. Auf und ab ging es jetzt; 
bald hinab in ein enges Bergthal mit einem schäumenden Bach auf 
dem Grunde, bald hinauf auf einen neuen Bergkamm. Der Weg 
war auf den Hügeln mit weifsem Quarzgrus bedeckt. Kautschuk- 
gewächse kommen hier sehr zahlreich vor. Auf einer Höhe mitten 
im Walde lag ein neues, sehr grofses Kanu, für welches ein breiter 
Weg ausgehauen worden war. Dieser hatte dieselbe Richtung wie 
der Weg, den wir gingen, gerade aus, unter Vermeidung der 



— 135 — 

Krümmungen des* letzteren. In Zwischenräumen von 1^/4—2 m 
waren Pfähle quer über den Weg gelegt, über welche das Kanu 
den mehr als 7 km weiten Weg nach dem Meere gezogen werden 
sollte. Das Brausen des letzteren drang schliefslich an unsre 
Ohren und bald kamen wir an eine kleine Bucht, wo der Weg zu 
Ende war. Unser Führer aus Likingi stiefs nun einige scharfe, 
durchdringende Rufe aus, auf die er sofort Antwort bekam. Ein 
paar kleine Kanus schössen plötzlich aus einem Arm der Bucht 
hervor, verschwanden aber ebenso schnell wieder in diesem Wasser- 
und Mangrovenlabyrinth. Wir riefen ihnen nach, sie möchten uns 
übersetzen und nach kurzem Warten kam ein grofses Kanu an, 
in dem wir uns alle mit unsern Sachen einschifften. Nach einer 
kurzen, lautlosen Fahrt unter dem Laubdache der Mangrovebäume 
kamen wir hinaus auf eine lange, schmale Lagune, die vom Meere 
durch eine breite Sandbank getrennt war. Am Innern Ufer der 
Lagune, das sich einige Fufs über die Wasserfläche erhob, lag ein 
aus nur neun Häusern bestehendes Dorf, namens Betikka. Die 
Häuser waren auf fufshohen Lehmplatten erbaut und ein Teil stand 
zur Flutzeit halb draufsen in dem graugrünen, übelriechenden Wasser. 
So mufs ein echtes, erster Klasse Fiebernest eingerichtet sein, um 
in möglichst kurzer Zeit mit einem Menschen aufzuräumen. Wir 
waren gezwungen, hier zu übernachten und nahmen deshalb alle des 
Abends Chinin. Unsre Leute hatten grofses Vertrauen zu dieser 
Medizin gefafst, nachdem ein paar von ihnen während der Reise sehr 
schnell dadurch vom Fieber kuriert worden waren. 

Lebensmittel waren hier sehr knapp, weshalb das ganze Dorf 
sein Bestes that, uns Abendessen zu verschaffen. Der eine hatte 
getrocknete Plantanen gekocht, ein andrer kam mit einer Schüssel 
Plantanen und ein paar Fischen, ein dritter mit gerösteten, reifen 
Plantanen u. a., für Knutson und mich wurde ein Küchlein ge- 
schlachtet. Obwohl also das ganze Dorf zur Mahlzeit beitrug, be- 
kamen doch unsre Leute nicht so viel, wie sie zu erhalten pflegten. 
Die Einwohner selbst schienen daran gewöhnt zu sein, bei knapper 
Kost, bestehend aus einigen Plantanen und dann und wann einigen 
Fischen, zu leben. Wenn sie auch am Meere wohnen, haben sie, 
wenigstens zu gewissen Zeiten, sehr wenige Fische. Ihre Haupt- 
beschäftigung besteht im Garnelenfang. Eine Menge kleiner Dörfer 
an dieser Küste, hier unter dem gemeinsamen Namen Colli — auf 
den Karten Rumbi — bekannt, fangen grofse Massen dieser Tiere, 
welche sie trocknen und an Bimbia- und Viktorialeute verkaufen, 
die dann und wann die Küste heraufkommen, um zu handeln. 

Wir hatten hier die schlimmste Nacht auszustehen, die wir 



— 136 — 

auf der ganzen Reise durchmachten, denn kaum hatten wir uns zur 
Ruhe begeben, als wh' von tausenden ausgehungerter Moskitos, 
die sicher niemals vorher frisches Blut gekostet hatten, angegriffen 
wurden. An Schlaf war daher nicht zu denken, ünsre Leute, die 
kein Zeug hatten, das sie über sich ausbreiten konnten, klagten 
laut und schlugen mit Zeugstücken und Laubzweigen um sich, 
zündeten auch grofse Feuer in der Hoffnung an, sich dadurch vor 
den kleinen Plagegeistern retten zu können, allein alles vergebens. 
Gegen Morgen forderte die Müdigkeit jedoch ihr Recht und wir 
bekamen etwas Schlaf, aus dem wir übel zerstochen erwachten. 

Da es so knapp um Lebensmittel bestellt war, beschlossen 
wir, das Dorf früh morgens zu verlassen, ohne zu essen, sahen uns 
jetzt aber genötigt, ein paar Stunden zu warten, bis die Ebbe ein- 
getreten war und den Strand, an dem der Weg entlang führte, 
trocken gelegt hatte. Wir hatten versucht, ein Kanu zu bekommen, 
mufsten aber wegen des unvernünftig hohen Preises, den man 
forderte, davon Abstand nehmen. Als die Stunde der Abreise ge- 
kommen war, setzten wir über die Lagune nach der Sandbank, die 
hart und eben, wie die beste Chaussee war. Eine kühle, erfrischende 
Brise wehte vom Meere her und trug dazu bei, die Reise angenehm 
zu machen. Es ging schnell vorwärts, obgleich mit einiger Schwierig- 
keit für Knutson, der trotz des Chinins etwas Fieber bekommen 
hatte. Als die Sonne höher stieg und es wärmer wurde, nahm das 
Fieber zu, so dafs es ihm schwer wurde, uns zu folgen. Nach einem 
Marsch von 7 km kamen wir in einem kleinen, ebenfalls Betikka 
genannten Dorfe an. Gegen hohe Bezahlung gelang es uns, ein 
kleines Kanu für Knutson zu erhalten. Nachdem wir ferner 8 km 
zurückgelegt und dabei ein unbedeutendes Dorf, Enjänge, passiert 
hatten, erreichten wir die Mündung des Gänge, der hier etwa 30 m 
breit und 1,5 — 2 m tief war. Das Kanu fuhr hier den Flufs hin- 
auf und setzte uns über. Während der Zeit brach ein kurzes, aber 
heftiges Unwetter mit äufserst heftigem Regen aus. 

In Nord 50® West von uns war eine Wasserhose in Form eines 
ungeheuren Palmbaumes sichtbar. Sie schien an einer Stelle still 
zu stehen und zerging allmählich. Bis jetzt war das Meer sehr seicht 
gewesen, so dafs man die Stangen, an denen die Fischer ihre Reusen 
befestigen, auf mehrere km vom Lande aus sehen konnte. Jetzt 
wurde es tiefer, was man auch an dem höheren Wellenschlag und 
dem klaren Wasser sah. Lagunen und Creeks gab es jedoch noch 
immer an der Binnenseite der Sandbank, obwohl dieselben abnahmen, 
je weiter nach Süden und je näher dem Berge wir kamen. Sechs km 
von der Mündung des Gänge verliefseu wir den Strand und gingen 



— 137 — 

l&Dgs einer Lagune, Oänge, die vielleicht mit dem Flusse gleichen 
namens in Zusammenhang steht, nach einem kleinen Dorfe, Livonge. 
Von hier kehrten wir an den Strand zurück und setzten den Marsch 
bis zu einer Landspitze fort, welche die Sandbank an der Mündung 
eines kleinen Flusses, Benkongole, an dem einige hundert m 
weiter aufwärts Bibundi liegt, bildet. An der Stelle, wo der Flufs 
die Sandbank durchbricht, ist er nur ungefähr 12 m breit, aber sehr 
tief; innerhalb der Sandbank hat er eine Breite von ungefähr 35 m 
und da er sodann, selbst bei niedrigster Ebbe wenigstens 1^/4 m 
tief ist, würde er einen vorzüglichen Hafen für kleinere Fahrzeuge, 
als Kutter oder kleine Flufsdampfer abgeben. 

Durch Schüsse und Hornsignale wurden die Leute im Dorfe 

Ton unsrer Ankunft benachrichtigt und bald erschien ein grofses 

und ein kleines Kanoe, um uns nach dem Dorfe zu bringen. In der 

Hannschaft des grofsen Eanoes erkannte ich die flinken Bimbia- 

1)urschen wieder, die ich Anfang Februar bei meiner Kanoefahrt von 

Bimbia nach Kamerun gehabt hatte. Wir kamen bald im Dorfe an 

und wurden im Hause des Königs installiert, wo die Kaufleute aus 

Bimbia eine grofse Menge Waren, u. a. ein ganzes Fafs Rum, hatten. 

Die Bimbia-Leute betreiben hier grofsen Handel mit Palmöl und Palm- 

kemen, die man in recht grofsen Quantitäten erhält, besonders aus 

den oben am Berge liegenden Dörfern, darunter dem grofsen und 

reichen Bomana. Der Platz ist deshalb sehr passend zur Anlegung 

einer Faktorei, besonders da das Meer vor demselben 12 — 14 m tief 

ist, so dafs auch die gröfsten Fahrzeuge dicht unter der Küste liegen 

können, während sie löschen und laden. 

Das Dorf zählte einige dreifsig Häuser, die an einer Strafse 
erbaut sind, was im Bokoko-Lande ungewöhnlich ist. Die Ein- 
wohner beschäftigen sich stark mit dem Fischfange und sind ge- 
schickte und kühne Seeleute, haben aber nur kleine, schlechte 
Kanoes. 

um die Reise zu beschleunigen, mieteten wir am folgenden 
Tage das grofse Bimbia-Kanoe und gegen hohe Zahlung drei Bibundi- 
Leute als Bemannung. Knutson, Ndibe und ich stiegen in dafselbe, 
auch wurden alle Sachen mitgenommen, so dafs unsre Leute nur 
die Gewehre zu tragen hatten, weshalb sie, am Meeresstrande entlang 
gehend, mit Leichtigkeit Bakingi, das Ziel der Tagereise, erreichen 
mnÜBten. Wir fuhren mit dem Kanoe flufsabwärts auf eine Land- 
spitze zu, an welcher sich die Meeresbrandung in hohen, weifs- 
schaumenden Wogen brach. Das Kanoe ging nun schräg gegen die 
Wellen und als ich mich mit dem Befehle umwendete, es richtig zu 
steuern, merkte ich, dafs die Leute unbeweglich dasafsen und dafs 

Oeogr. BlKtter, Bremen, 1886. "VQ 



— 138 — 

wir nur vom Strome vorwärts getrieben wurden. In demselben 
Augenblick kam eine hohe Brechsee, die das Kanoe von der Seite 
fafste, es zur Hälfte mit Wasser fällte und es ein tüchtiges Stück 
zurückwarf. Die Leute fingen jetzt an, als ob es das Leben 
gelte, wieder flufsaufwärts zu rudern. Man hatte offenbar das Kanoe 
mit Absicht so gewendet, dafs es sich mit Wasser füllen sollte, um 
uns dadurch möglicherweise von der Fahrt abzuschrecken und 
erklärte auch laut, es sei jetzt unmöglich, sich hinaus zu begeben, 
die See sei zu hoch, wir müfsten bis zum folgenden Morgen warten. 
Die Schurken hatten sich ausgerechnet, dafs wir auf diese Weise 
mit allen unsern Sachen völlig in ihre Gewalt geraten würden, da 
die Träger ja fort waren und sie deswegen jeden beliebigen Preis 
für das Kanoe erpressen könnten. Obgleich wir für unsre Sachen 
fürchteten, die alle zu Grunde gehen würden, wenn das Kanoe voll- 
schlagen sollte, gaben wir ihnen den Befehl, es sofort auszuschöpfen 
und dann hinauszusteuern, zugleich erhielten sie unser Versprechen, dafs 
wir ihnen Kugeln durch die Köpfe jagen würden, wenn sie nicht 
richtig gegen die Seen an hielten. Das Kanoe wurde nun schnell 
ausgeschöpft und zum zweiten Male trieben wir der Landspitze zu, 
den Wellen entgegen. Die Leute safsen unbeweglich mit erhobenen 
Kudern da, in Erwartung des richtigen Augenblickes zum einschlagen. 
Eine mächtige Woge kam gerade auf uns los, das Zeichen wurde 
den Leuten gegeben, die augenblicklich die Ruder senkten und das 
Wasser zu Schaum peitschten. Das Kanoe schofs vorwärts, sein 
Vordersteven durchschnitt die Woge und liefs sie passieren, wobei 
jedoch der oberste Kamm derselben auf das Fahrzeug nieder- 
stürzte und uns mit Wasser überschüttete, so dafs wir einen Augen- 
blick nichts sahen. Noch ein paar solcher Wellen wurden genommen, 
bevor wir tieferes Wasser erreichten, wo dieselben länger waren. 
Die Fahrt wurde nun ohne weitere Abenteuer fortgesetzt, wenn man 
davon ausnimmt, dafs wir einen auf dem Wasser schlafenden Delphin 
(Tümmler?) überraschten, auf dafs sich einer der Leute vom Kanoe 
aus stürzte. Nach kurzem Kampfe teils über, teils unter Wasser, 
rifs sich doch das starke Tier aus der Umarmung seines Angreifers 
los. Die Sonne schien den ganzen Tag mit aufserordentlicher Hitze 
und machte den Aufenthalt im Kanoe zu einem sehr unangenehmen, 
um so viel mehr, als unsre Kleider beim Auslaufen von Bibundi 
durchnäfst worden waren. Infolge dessen kehrte Knutsons Fieber 
mit erneuter Kraft zurück. 

Der Strand war im allgemeinen niedrig. Hier und da ragten 
die leichten Blattkronen der Palmen über das grüne Laubwerk empor 
und gaben die Nähe eines Dorfes zu erkennen. An den Vorgebirgen 



— 139 — 

waren die Ufer höher und bergig. Kap Debunscha besteht aus einer 
hohen bergigen Halbinsel, deren kahle Felswände 30 — 40 m senk- 
recht aus dem Meere emporsteigen. Erst kurz vor Sonnenuntergang 
liefen wir in die Bakingi-Bucht ein, die tief ist und hohe Ufer hat. 
Nachdem die Sachen ans Land geschafft worden waren, kehrte das 
Kanoe sofort zurück und Knutson, der heftiges Fieber hatte, ging 
mit Ndibe zu dem in einiger Entfernung von der Bucht belegenen 
Dorfe hinauf, während ich bei den Sachen zurückblieb, um sie zu 
bewachen. Nachdem ich lange gewartet hatte, kamen eine Menge 
Bakingi-Leute, um die Sachen zu holen, und ich erfuhr nun, dafs 
onsre Leute noch nicht angelangt seien. Als wir im Dorfe ankamen, 
war es dunkel ; das Haus, wo wir Halt machten, war voll von schreien- 
den, lärmenden Negern und in einer Ecke lag Knutson in heftigem 
Fieber, schwedisch, deutsch und englisch phantasierend. Das erste, 
was ich that, war, die Neger hinauszuwerfen und dann suchte ich 
ein Licht hervor. Ich legte ihm kalte Wasserkompressen auf die 
Stirn, wodurch er wieder zur Besinnung kam, bettete ihn in wollene 
Decken und gab ihm Thee zu trinken, so dafs er in Schweifs gerieth, 
wodurch das Fieber sich mäfsigte. Am folgenden Morgen befand 
er sich besser und bekam eine starke Dosis Chinin. Während des 
Vormittags kamen unsre Leute an, die sich bei Kap Debunscha, 
wo sich zahlreiche Elefantenwege kreuzen, verirrt hatten und im Walde 
hatte schlafen müssen. Am Morgen war es ihnen gelungen, die Küste 
zu erreichen, wo sie einen Fischer trafen, der ihnen den Weg zeigte. 
Am nächsten Tage, den 18., war Knutson wieder soweit herge- 
stellt, dafs die Heise fortgesetzt werden konnte. Dieselbe ging erst 
14 km am Meeresstrande entlang, bis zum Dorfe Batoki. Auf dem 
Wege passierten wir 6 schnelle Bergströme mit kaltem, klarem und 
gutem Wasser, die alle von Etindeh kamen. Von Batoki ging die 
Reise bergaufwärts nach Basse und Etome, beides kleine Dörfer, das 
letztere 6 km von Batoki und etwa 200 m über dem Meere liegend. 
Hier übernachteten wir und trafen dann am 19. über Boando -wieder 
zu Hause, in Mapanja, ein. Vor dem Dorfe wurden* ein paar Salven 
abgefeuert, um unsre Ankunft anzumelden; darauf zogen wir mit 
der Flagge an der Spitze unter Gesang und Hornsignalen durch das 
Dorf, von wohlbekannten, schwarzen Gesichtern begrüfst und sahen 
bald die blaugelbe Flagge über unserm Hause wehen. Angekommen, 
wurden wir zuerst von August Gustafsson*) bewillkommnet, der zu 
unsrer Freude wohl und munter war. 

') Dieser brave Mann, der auch eine kleine RoUe bei der Besitzergreifang 
des Kamenmgebirges for Deutschland gespielt hat, — wie dies aus den lebhaften 
Scliildenuigen Hugo Zöllers hervorgeht, — ist leider am 17. Dezember ^oi:\.^\!l 
Jahres in Mapanja gestorhen. 



— 140 — 

Die also glücklich beendigte Reise war geworden was sie 
werden sollte — ein Ausflug nach dem Balombi-ba-Mba. Unsre 
Mittel hatten nicht die Bildung einer gröfseren Expedition zugelassen. 
Die Ausrüstung war eine kleine und die Reise wurde demgemäfs 
ebenso. Sicher ist jedoch, dafs keine Reise hier in West-Afrika von 
derselben Ausdehnung wie diese, so billig gewesen ist, d. h. mit 
so geringen Mitteln ausgeführt wurde. Sowohl Thomson wie Rogo- 
zinski hatten auf ihren Mbu-Expeditionen, die noch dazu nicht so 
ausgedehnt waren, wie die unsrige, 30 Mann mit sich, während wir 
nur neun, und alles übrige im Verhältnis dazu, hatten. 

Es ist klar, dafs eine so kleine Expedition wie diese keine 
grofsen Resultate liefern kann. Die gewonnenen sind, kurz gesagt, 
folgende : Der Richard-See hat keinen Abflufs, wenigstens nicht während 
der trockenen Jahreszeit. Die „Rumbi-Berge" existieren nicht. Der 
Lauf eines bis jetzt unbekannten, aber recht bedeutenden Flusses, 
des O&nge, ist gefunden. 

Die Reise dauerte 31 Tage ; von denselben waren 25 Reisetage, 
während welcher 500 km oder im Durchschnitt 20 km täglich, 
zurückgelegt wurden. 55 Dörfer wuiden passiert, darunter 27, die 
nie zuvor von Weifsen besucht worden waren. 

Nachschrift. 

Herr Valdau glaubte während seiner Reise gefunden zu haben, 
dafs der Meme-Flufs Rio del Rey und dafs der auf den älteren 
Karten mit dem Namen Rumbi bezeichnete Flufs nur einer der 
Mündungsarme jenes Flusses wäre. Dafs jedoch diese Anschauungen, 
die bei der Konstruktion der Karte berücksichtigt worden sind, 
irrtümlich waren, geht aus einem am 8. März d. J. in Stockholm 
eingegangenen Bericht des Herrn Valdau hervor. Herr Valdau schreibt : 

„Der Meme-Flufs auf meiner Karte ist nicht Rio del Rey, 
sondern Rumbi, und die Wasserscheide, die wir überschritten haben, 
scheidet Rumbi- vom Mokasse-Flufs, welcher in einem Abstände von nur 
einigen km voii dem von uns besuchten Dorfe Balundu vorbeifliefst. 
Während unsers Aufenthaltes daselbst hatten wir jedoch davon keine 
Ahnung, wegen der Abneigung der Eingeborenen uns ihre Handels- 
wege zu zeigen. Das Verdienst, diese Flufsläufe klar gestellt zu 
haben, kommt dem deutschen Gouverneur in Kamerun, Herrn von Soden, 
zu. Er hat nicht weniger als drei verschiedene Reisen zu diesem 
Zweck dahin gemacht. Auf der ersten Reise (16. — 18. Oktober) 
folgte ich ihm. Der Dampfer „Habicht", der uns dahin brachte, 
warf ziemlich flufsaufwärts in 6 m Tiefe Anker, worauf wir mit der 
Dampfschaluppe mehrere englische Meilen flufsaufwärts nach Nord- 



— 141 — 

nordwest gingen. Als wir an einem Kalabar-Dorfe ankamen, be- 
kamen wir Kunde davon, dafs der Creek nach dem Old Kalabar 
leitete. Wir wendeten alsdann um, und verfolgten einen andern 
Creek, der nach allen Zeichen zu urteilen, die wahre Flufsrinne war. 
Nach einer Fahrt von einigen Stunden wurden wir bei der eintreten- 
den Finsternis genötigt umzuwenden, ohne ein lebendiges Wesen 
gesehen zu haben ; die Lotungen während der Flufsfahrt zeigten eine 
Tiefe von 5 — 8 m. Da für die Erforschung des Flusses ein Flufs- 
dampfer sich als unentbehrlich zeigte, gingen wir am folgenden 
Tage nach Victoria zurück. Während seiner dritten Reise bediente 
sich Herr von Soden des Kanonenboots „Cyclop" und des Küsten- 
dampfers „Fan". Er untersuchte dabei den unteren Lauf des Rumbi 
und ging Mokasse hinauf bis in die Nähe Balundus. Mit dem von 
mir erwähnten König in Balundu, „Yellow Duke", wurde ein Ver- 
trag geschlossen, wodurch dieser den deutschen Kaiser als sein Ober- 
haupt anerkannte. Der Rio del Rey wurde vom Kommandanten des 
Kanonenbootes erforscht. Während einer Expedition von 7 Tagen 
drang dieser mit der Dampfschaluppe etwa 200 englische Meilen 
flufsaufwärts, wobei mehrere Stromschnellen und Wasserfälle passiert 
wurden; der kleine Dampfer wurde an diesen Stellen mit Tauen 
hinaufgeschleppt. Während der ersten 100 Meilen sah man kein 
einziges Dorf, später fand man die Ufer dicht bevölkert. Rio del 
Rey wie Old Kalabar fliefsen in einer grofsen Krümmung gegen 
Norden und nähern sich im oberen Laufe dem Kamerun." 



Das hannoversche Wendland. 

Von H. Steinvorth. 



Lage und Grenzen. Bewässerung. Bodenbeschafifenheit Waldangen. Flora 
QesohichtUches. Die Bewohner des Wendlandes: Körperbildung, Kleidung, Wohn- 
weisen. Lob und Tadel der Wenden. Werbung, Hochzeit, Beerdigungsfeierlichkeiten. 
Sonstige Feste. Aberglaube. Sprachliches. 

Der im äufsersten Nordosten von der Elbe und Altmark be- 
grenzte und im Osten von der Jeetzel mit ihren Nebenflüfschen 
dorchflossene Teil des Fürstentums Lüneburg heifst das hannoversche 
WenMcmd, das wegen seiner vorwaltend slavischen Bevölkerung, welche 
sich bis in unsre Zeit zum Teil Sitten, Sprache und andre Eigentüm- 
lichkeiten bewahrt hat, oft genannt wird, und noch immer bemerkens- 
wert ist. Es bildet einen wesentlichen Teil des heutigen Kreises 
Lüchow von etwa 13 Quadratmeilen und mit 30000 Einwohnern. 
Die Jeetzel mit den kleinen Zuflüssen auf ihrer linken Seite und 
dem mit Wiesen, Bruch und Wald besetzten ¥V^^\vew^\\3ccAft., ^'et 



— 142 — 

zwischen Arendsee und Bergen eine Ausdehnung von nahezu 5 Meilen 
erreicht, bildet das in Frage kommende Gebiet. Sie wird bis Salz- 
wedel mit Eibkähnen befahren. Aufser der geringen Eibmarsch 
und dem Torf des Hochmoores an der Dumme besteht der Boden 
aus Diluvialgeschieben mit Sand und Lehm, wenigem Gerolle, Rasen- 
eisen und Dünensand. Andeutungen tertiärer und sekundärer Bildungen 
mit Alaunerde und Salzwasser sind vielleicht Anzeichen eines 
verdeckten Zusammenhanges der bekannten Punkte Stafsfurt, Garde- 
legen, Lüneburg, Segeberg, Helgoland. 

, Der Wald, vorwaltend Nadelholz, ist meistens landesherrlicher 
Besitz und Eigentum des Grafen von Bernstorf-Gartow ; die Dorf- 
schaften haben geringen Holzbestand. K. Hennings giebt 1862 den 
Bestand der Landesforsten auf 10 717 Morgen an; der des Gartow- 
schen Besitzes beträgt mehr als 23 000 Morgen, v. Pape hat in dem 
3. Jahrgange der naturwissenschaftlichen Hefte des Lüneburger 
Vereins ein Verzeichnis der im Wendlande aufgefundenen wild- 
wachsenden Gefäfspflanzen mitgeteilt, welches dasselbe als ein 
anziehendes botanisches Gebiet bekundet. Er zählt dafür 628 Arten 
auf, unter denen sich manches Bemerkenswerte findet. Er schildert den 
Mittelpunkt des Florengebietes alsjene^^Jeetzelniederung, welche sich 
dem Auge nicht als ein Flufsthal, sondern als eine weite Bucht darstellt, 
die tief in das Hügelland der Heide einschneidet. Zunächst der 
Jeetzel breitet sich auf beiden Seiten ein üppiges Wiesenterrain aus, 
dessen Ränder überall von Grünlandsmooren eingefafst sind. An 
diese schliefsen sich auf dem linken Jeetzelufer die gesegneten 
Ackerfluren des eigentlichen Wendlandes, nur unterbrochen durch 
die ^Pretschen" (Bruchholz) und „Priefsing" (Schweineweiden) der 
einzelnen Dorfschaften; während auf dem rechten Ufer die Bruch- 
waldungen der grofsen und kleinen Lucio und des Seibruchs dieser 
Bildung angehören. Nördlich reiht sich daran eine eigentliche 
Marschbildung, welche im Amte Neuhaus auf der ehemals von den 
beiden Eibarmen umschlossenen Insel sich fortsetzt. Die Ränder 
dieser Bucht sind überall durch ein mehr oder weniger mächtiges 
Dünenterrain bezeichnet, das sich im Südosten und Osten an die 
vereinzelten Erhebungen des Lemgow, des Höhbeck, des Alaun- 
berges und des Reuterberges bei Wehningen anlehnt, während im 
Westen der Höhenzug des Drawähns und der Göhrde bis zu einer 
Höhe von etwa 400 Fufs in langgezogenen Hügelwellen ansteigt, die 
durch wenige gröfsere Querthäler und zahlreichere Längsthäler der 
mit jähem Abstürze in die Jeetzel abfallenden Heidbäche durch- 
brochen wird. Besonders ist hervorzuheben, dafs hier sich eine 
reiche Salzflora entfaltet, wie sonst nirgend in der Provinz ; Grofs- 



— 143 — 

Heide^ Klein Gufsborn, Hoyersburg, Blütlingen, Wustrow bezeichnen 
die Verbreitungslinie. Unter den Gewächsen sind vor allem 
bemerkenswert Althaea of&cinalis, Trifolium fragiferum, der Erdbeer- 
klee, Aster Tripolium, Bupleurum tenuissimum, der Sellerie, Arte- 
misia rupestris, das leinblättrige Tausendgüldenkraut, Samolus Yale- 
randi, Glaux maritima, Plantago Coronopus, Saliöornia herbacea 
Meerstrandsampfer, Triglochin maritimum, Scirpus maritimus und 
rufos, Glyceria distans. Dagegen zeigen die Elötzie bei Hitzacker 
und der Höhbeck bei Vietze auf engem Räume eine Ealkflora, deren 
Deutung die Pflanzengeographen schon öfter beschäftigt hat. Dahin 
gehören Glematis recta, Nasturtium austriacum, Erysimum hieraci- 
folium, Dianthus prolifer und Carthusianorum, Cucubalus bacciferus, 
Fragaria coUina, Spiraea Filipendula, Jurinea PoUichii, Xanthium 
macrocarpum, Stachys recta, Plantago arenaria, Allium acutangulum 
und Schoenoprasum. In andrer Hinsicht bedeutsam ist das Vor- 
kommen von Ledum palustre, dem echten Sumpfporst, während der 
Gragel (Myrica Gale), ebenfalls „ Porst ^ genannt und überall in der 
Provinz sehr verbreitet, hier ganz fehlt. Auch Narthecium ossi- 
fragum („Knochenbruchlilie"), welche die westlichen Nachbarmoore 
freundlich schmückt, ist im Wendlande nicht bekannt. 

Dafs in unbekannter Zeit den von Osten her einwandernden 
Kelten und Germanen zuletzt slavische Völkerschaften gefolgt sind; 
— dafs dann infolge der von Norden nach Süden ziehenden Stämme 
der Deutschen, insbesondere aus unsern Gegenden der Longobarden, 
die östlich wohnenden Slaven von den verlassenen Wohnplätzen 
Besitz genommen haben und erst später wieder von der nieder- 
sächsischen Bevölkerung nach harten Kämpfen zurückgedrängt 
worden sind, — wird ziemlich allgemein angenommen und durch 
mancherlei Umstände bestätigt. Fest steht, dafs noch heute bis zur 
Hmenau wendische und sächsische Namen von Ortschaften, sowie 
andre allgemeine Bezeichnungen beider Sprachen sich mischen, die 
Kunde von dem wogenden Durcheinander der feindlich gegenüber 
stehenden Völkerschaften geben. Karl der Grofse verordnet, dafs alle 
Heerbannpflichtige zum Schutze der sächsischen Lande gegen die 
Sorben ausziehen sollen. Unter den Feinden Deutschlands, welche 
Heinrich I. bekämpft, werden auch Wenden genannt. Hermann 
Billong baute auf dem Kalkberge bei Lüneburg eine Feste, welche 
zum Schutze der Sachsen und Christen gegen das heidnische Slaven- 
tum gerichtet war. Er war es, der nach der Sage den Wenden- 
könig „m den Planken^, einem Forste des hannoverschen Wendlands, 
besiegte; in den geöJÖFheten Mund des Fürsten fiel eine Eichel, die 
später zu jenem stolzen Baum erwuchs, der Jahrhunderte lang der 



— 144 — 

Stolz der Umwohner war und das Staunen aller Besucher erregte. 
Noch heute sieht man Gräben und Wälle, wo die furchtbare und 
vernichtende Niederlage der Wenden erfolgte. Solche Kämpfe haben 
erst durch Heinrich den Löwen ihren Abschlufs gefunden. Da sich 
im ;,Wendlande^ Sprache, Sitten und Volkscharakter zäh bewahrt 
haben, während ringsum die Slaven, wie in Mecklenburg und Alt- 
mark, mit ihren Besiegern verschmolzen sind, so ist daraus auf 
einen friedlichen Ausgleich zwischen Siegern und Besiegten geschlossen 
worden. Wenn man sich aber des tief eingewurzelten Widerwillens 
erinnert, den der Sachse gegen den Wenden bis in neuere Zeit 
bewahrt hat, so mag auch dieser Umstand dazu beigetragen haben, 
die dort einmal ansäfsig gewordenen Wenden unvermischt und daher 
in ihren Eigentümlichkeiten treu erhalten zu sehen. 

Ob die Wenden anfangs noch unter eignen Häuptlingen ge- 
standen und diese sich allmählich den Einrichtungen der Sachsen 
anbequemt haben, oder ob sie schon anfangs sächsischen Edelingen 
unterstellt gewesen sind, ist nicht zu ermitteln. Die ältesten Nach- 
richten aus dem zwölften Jahrhundert zeigen schon die Gaueinteilung. 
Unter den Grafen, welche die Gaue hier verwalteten, werden als 
erste die von Lüchow und Warpke, die Edlen von Güstrow und 
Gartow genannt. Der erste Graf von Lüchow (Hermann) tritt 1144 
auf, 1318 stirbt der letzte des Geschlechtes. Die Grafschaft war 
wahrscheinlich zu verschiedenen Zeiten Lehen des Braunschweig- 
Lüneburgischen , des Brandenburgischen, auch wohl des Stiftes 
Verden, ist oft verpfändet gewesen, unter andern auch der 
Stadt Lüneburg und dem Geschlechte von Bülow. 1672 kam 
sie an Herzog Georg Wilhelm in Celle. Eine kümmerliche 
Kuine zeigt noch heute die Stelle, wo einst das Schlofs stand, 
das wiederholt der Witwensitz fürstlicher Frauen gewesen ist, 
bis es 1811 durch Brand gänzlich zerstört wurde. Auch die Grafen 
von Warpke werden schon im zwölften Jahrhundert aufgeführt. Clenze, 
Bergen, Schnega, Disdorf und andre Örter gehörten zu ihrem 
Besitze. Schon 1235, wo Otto das Kind die Herrschaft kaufte, war 
das Geschlecht erloschen ; das Schlofs wurde 1229 zerstört. Herzog 
Julius Ernst hatte hier später ein Jagdschlofs erbaut. Die Edlen 
von Gartow, zuerst 1217 genannt, waren ein reiches Geschlecht, das 
aber ebenfalls oft seine Güter verpfänden mufste. Die Überreste 
ihrer alten Stammburg hat man im Kussebruche wieder zu erkennen 
gemeint; diese soll 1399 als Räubernest nebst andern „Sumpfburgen" 
zerstört sein. Der Edlen von Gartow wird 1225 zuerst erwähnt; 
1360 kam ihr Besitz in die Hand des Johanniterordens ; 1390 wurde 
er als eins der schlimmsten Raubnester von den weifischen Herzögen 



— 145 — 

erstürmt. Nachdem die Besitzung längere Zeit in der Familie 
von Bülow gewesen war, erwarb sie 1644 Gottlieb von Bernstorf für 
34 000«jP. Überhaupt scheint das Raubrittertum auch hier eine 
reiche Ernte gehalten zu haben. Die Überreste und Namen be- 
rüchtigter Burgen bewahrt der Volksmund noch heute bei dem 
Dorfe Flüggen, in der Tibkenburg bei Bergen und anderswo. Das 
Wendland nahm seinen reichen Teil an dem wüsten und rechtlosen 
Treiben jener Jahrhunderte, wo der Fleifs der Städte Reichtum, 
Handel und Kunst zur Blüte brachte. Lüchow heifst schon 1293 
»oppidum", und es wird als das reiche in dem bemerkenswerten 
Spruche zubenannt; „Wustrow de sieke, Lüchow de rieke, Dannen- 
berg de Waterpohl, Hitzacker de — stohl." An Kämpfe früherer 
Zeit, die zum Teil hier ihren Abschlufs fanden, erinnert noch heute 
der Waldemarturm in Dannenberg, der hier 1223 — 1227 dem 
nordischen Könige die gerechte Strafe brachte. Trotzdem zeigte 
auch das Wendland vor dem dreifsigjährigen Kriege eine blühende 
Landschaft; wie anderswo wurde auch hier eine öde, menschen- 
arme Wildnis daraus. Wald und Heide finden wir zum Teil noch jetzt, 
wo damals 70 glückliche Dörfer ihre Ackerfluren hatten. Fast noch 
schlimmer als das zusammengelaufene Gesindel Wallensteinscher 
Heere oder fanatischer Horden Tillys haben die „befreundeten 
Glaubensbrüder^ der Deutschen, die Schweden, gewütet. In wilder 
Verzweiflung hat damals ein Haufen von Bauern beim ^^Lausebusche" 
in der Nähe von Saafse 400 Schweden erschlagen, „deren Gebeine 
und verrostete Waffen in neuerer Zeit" noch gefunden worden. 
Wenn auch die Schmach der Franzosenzeit lange nicht an jenes 
Elend grenzt, so ist doch auch damals der Druck kein geringer ge- 
^v^esen. Das ganze liebe Deutschland weifs davon zu erzählen, doch 
nur die Ortschronik bewahrt die Einzelheiten auf. 

Die alten Wenden hatten Glauben und religiöse Gebräuche mit 
ihren heidnischen Stammgenossen gemein. Unter Leitung eines 
einflufsreichen Priesterstandes verehrten sie ihre Götter an Haus- 
altären, unter heiligen Bäumen und an Quellen. Der Beibog ist 
der gute, Segen spendende höchste Gott; der böse Gisernibog bringt 
Verderben ; der Suatowü ist der Gott des Krieges und reitet nachts 
auf weifsem Rosse stürmend einher. „Sie glaubten an Todes- und 
Wasserfrauen, an Waldmänner, Luft- und Erdgeister, die in das 
Schicksal der Menschen segnend oder fluchbringend eingreifen." Der- 
selbe Aberglauben, wie er sich auch bei der sächsischen Bevölkerung 
zum Teil noch heute findet, trat in Zeichendeutung und Zauber- 
gebräuchen auf. Wie sich in dem Suatowit der Wodan offenbart, 
so hielten sie auch dafür, dafs der im Kampfe G^i^'etÄ \i<6'^W!AKc^ 



— 146 — 

Anspruch auf Glück in der künftigen Welt habe. Nachdem sie — 
wenigstens äufserlich — dem Christentume gewonnen waren, sind sie 
dem Bistume Bardewik unterstellt, das 795 nach Verden verlegt 
wurde. Schon früh war in Lüchow eine Propstei, bei der zahlreiche 
Greistliche thätig waren. Die reichbegüterten Kalandsbrüder haben 
auch hier im Mittelalter anfangs in thätiger Liebe Segen verbreitet 
und ebenso später durch ihr üppiges ^Kalendern" sich berüchtigt 
gemacht. Die Kirche in Lüchow ist schon 1527 durch Ernst den 
Bekenner der Reformation geöffiiet. 

Obwohl sich der wendische Typus der Bewohner nicht für 
alle heutzutage mehr bestimmt kund giebt, so wird man doch die 
folgenden Züge im allgemeinen für zutreffend halten dürfen, welche 
ein guter Kenner des Wendlandes gegeben hat. Der Wende ist 
stark gebaut und sehnig, meist untersetzt, breitschulterig, derb, 
abgehärtet, auch Hühnengestalten sind nicht selten. Den An- 
strengungen gegenüber ist er ausdauernd und zäh, in Gefahren 
kühn und trotzig, im Wechsel des Klimas widerstandsfähig. Die 
Gesichtsbildung des Mannes ist wie das ^ Gepräge der kursierenden 
Münzen nach einem Schnitt und Stempel^, gewöhnlich, nicht schön; 
das Auge meist grau, hell, selten dunkel, braun; das Haar schlicht, 
straff, meist blond, selten schwarz; die Stirn niedrig, der Kopf 
rundschädelig (brachyocephal) ; der Bart meist dünn; der Gang ist 
schwer, bisweilen schlotterig. Auch das weibliche Geschlecht zeigt 
unschöne Bewegung ; der Fufs ist grofs, die Hüfte breit, der Wuchs 
schlanker, die Arme voll und kräftig; die Gesichtsfarbe gesund, 
die Wangen rot, die Haut von feiner Weifse; die Farbe des 
Haares wie bei den Männern. 

In seiner Kleidung liebt der Wende grelle, lebhafte Farben. Der 
Stoff ist vorwaltend Linnen und ein aus Flachs und Wolle gemischtes 
Gewebe „ Beider wand^, beides selbstgewebt und farbig gemustert, 
früher meist schwarz und rot, oder schwarz und grün gestreift. 
Die Männer trugen ehemals als Kopfbedeckung eine blaugestreifte 
Zipfelmütze, wie sie fast überall in Niedersachsen üblich war. Bei 
der Arbeit gehen die Wenden barfufs oder in Holzsohlen, mit 
Lederhut; der Waldarbeiter trägt meistens eine weifse leinene 
Schürze. In der Kirche und bei feierlichen Gelegenheiten hat der 
Wende dunkle Tuchkleidung. Die festliche Kleidung des weiblichen 
Geschlechtes ist gesucht und kostspielig. Rock und Mieder sind von 
feinem Tuche, die buntfarbige Schürze und das vielfach gefaltete 
Tuch von Seide; um den Hals der weifee gefältelte Tüllkragen ; die 
rote Haube im Boden mit Goldstickerei geschmückt und mit lang 
Aerabhängeüäer Bandschleife, Silberne oder goldene Ohrgehänge 



— 147 — 

nnd Ketten oder Korallen fehlen nicht leicht. Anch die übrigen 

Züge in der Tracht, welche wohl angeführt werden, sind nicht 

Eigentümlichkeiten dieser Gegend, vielmehr bis nach Westfalen hinein 

verbreitet, und haben dort wie hier den neuern Moden Platz gemacht. 

— Man sagt dem Wenden nach, dafs er ein starker Esser sei, viel 

bedürfe und viel vermöge, und man hat hinzugesetzt, er könne es 

sich gestatten, er habe es; „Bilder des Jammers und Hungers^ gebe 

es dort nicht. An brechend voll besetzten Tischen zu schwelgen, 

wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, soll noch im besondem 

Mabe eine Leidenschaft des Wenden sein. „Da steht gekochter 

Schinken neben einer Schöpskeule, — ein Kalbsbraten in einem 

Meer von Butter schwimmend, Schweinsbraten, Sülze und Wurst 

aller Art; gekochter Keis neben weifsen Bohnen, gekochte trockene 

Zwetschen neben kaltem Sauerkohl; das beliebte „Gälsner", eine 

Art saurer Brühe, und Meerrettig." Weifsbrot ist fast immer im 

Hause und bei Hochzeiten, Kindtaufen und andern Festlichkeiten werden 

grofse Massen desselben vertilgt. Das alte Honigbier kommt nur noch 

selten vor; „Dickbier ^, der Schnaps, jetzt auch Lagerbier, bilden 

dabei das Getränk. Doch wird behauptet, dafs dort von Jahr zu 

Jahr die Trunkenheit weniger werde (!). Kaffee wird vom weiblichen 

Oeschlechte über alles geschätzt. 

Das alte wendische Wohnhaus ist dem niedersächsischen 
ganz gleich eingerichtet. An der der Strafse zugewandten Giebel- 
ßeite ist die grofse Thür, durch welche der Wagen nach beseitigtem 
;,Dössel** und „Süll", wie sie im Kalenbergischen genannt werden, 
auf die Diele fährt, um durch die „Luke" Frucht und Heu auf den 
Boden zu bringen. An den Seiten sind die Yiehställe, nach der 
Diele hin offen. Am obern Ende ist der Feuerherd. Dann folgt 
die niedrige Wohnstube, „de Döns^, wo alle Mitglieder des Hauses 
nebst Efstisch, Webstuhl und Spinnrad Aufnahme finden müssen. 
An der Seite ist die „Butze^, das durch Thüren schrankartig ab- 
schliefsbare Schlafgemach des Hausvaters. Die sonstige Ausstattung 
zeigt nichts Eigentümliches. Der Schornstein fehlt, der Rauch sucht 
sich durch Thüren und Strohdach den Ausweg. Die Häuser liegen 
in den Dörfern, welche sich die ursprüngliche Bauart bewahrt 
haben, mit ihrer Giebelseite und der grofsen Thür hufeisenförmig 
um einen freien Platz. Das Dorf hat also nur einen Ein- und 
Ausgang; die sächsischen Dörfer haben eine die Ortschaft durch- 
ziehende Hauptstrafse. An den Hofplatz schliefst sich bisweilen 
noch ein kleiner Obstgarten (;,Klantzei^); hinter dem Hause ist der 
„Wischhof^, besonders für die Linnenbleiche benutzt. Nahe dem 
Dorfe ist ein grofser eingefriedigter Kohlgattew, m ^^m \^\«t "^iXjö^- 



— 148 — 

wirt sein Stück hat. Eine gemeinsame Schweineweide mit Wald 
auf bruchigem Grunde bildete den „Priefsing". Die wendischen 
Dörfer liegen meist in Niederungen; die Sachsendörfer lieben frei 
ausschauende Höhen. Gemeinsam ist beiden die Vorliebe für hain- 
artige Umschattung, die fast jedes Dorf zu einem freundlichen 
Landschaftsbilde mit dunkler Einrahmung machen. Wenn aber der 
Charakterbaum der Wendendörfer die Weide ist, so ist es bei den 
Sachsen die Eiche; dort gesellt sich vorzugsweise Ulme und Esche 
hinzu, hier die Buche. Die Eiche ist übrigens auch im Wendlande 
häufig. Überall gehört zu den Bauergehöften der HoUunder (Sam- 
bucus nigra), dessen Blüten und Beeren als uraltes Hausmittel 
gegen alle Krankheiten noch heute in hohem Ansehen stehen, wie 
sich fast überall zwischen Ställen und Zäunen der Wermut (Artemisia 
Absinthium) findet. 

Das Verhältnis des siegreichen Christen zu dem unterworfenen 
Heiden, der nur gezwungen und äufserlich von dem Glauben und 
den Gebräuchen seiner Väter abliefs, wird schon früh bei dem 
Wenden eine Neigung zu Heimlichkeit und Unwahrheit, zu Trotz 
und verbissener Feindseligkeit gegen die sächsischen Eroberer 
herausgebildet, und bei diesem Voreingenommenheit und Verachtung 
gegen die fremden Eindringlinge entwickelt haben. Gewifs ist, 
dafs der Wende bei dem Sachsen in schlimmem Glauben stand, und 
dafs noch heute gewisse Erscheinungen bei den Gerichten gegen ihn 
Zeugnis abzulegen scheinen, obwohl auch seine unverkennbar guten 
Eigenschaften in neuer Zeit willige Anerkennung gefunden haben. 
Di6 Stadt Lüneburg bestimmte 1409, dafs kein wendischer Mann 
Bürger werden konnte, und jeder Bürger mufste eidlich beteuern, 
dafs er nicht wendischer Abkunft sei. Eine Satzung der Stadt 
Ülzen von 1619 warnt die Männer vor Verheiratung mit ;, Weibern 
wendischer Herkömmnis*', schliefst die solcher Ehe entsprossenen 
Kinder von allen Ämtern aus und versagt ihnen sogar die 
;,üblichen Geburtsbriefe". Ebenso hatten die Kinder wendischer 
Abkunft, selbst wenn der Vater Bürger war, in Salzwedel bis 1598 
keinen Zutritt zu den städtischen Zünften. Selbst die Schilderungen 
ihres Charakters und ihrer Sitten aus diesem Jahrhundert (1852), die 
oft genug alte Überlieferungen wiederholen mögen, lauten sehr un- 
günstig. Roh, genufssüchtig, dem unmäfsigsten Trünke ergeben, 
mifstrauisch, streitsüchtig, eigensinnig, schlau, unwahr bis zum 
Meineide, habgierig, rachsüchtig, abergläubisch, — so lautet die 
Musterkarte abschreckender Stammeseigentümlichkeiten, die ihnen 
zur Last gelegt werden. Wenn jene Darstellungen nicht ohne allen 
Grand sein H^erden, so ist doch mit Recht darauf hingewiesen, wie 



— 149 — 

Yiel an dem armen wendischen Bauern gesündigt ist, der oft genug 
als ein rechtloser Leibeigner raifshandelt wurde mit ;, Prügelschief sen, 
Tfl(ycken und Kolaschen^. Wenn der so Gequälte einst als faul be- 
zeichnet wurde, so steht dem jetzt das gröfste Lob des ausdauerndsten 
IFleifses entgegen. „Das hannoversche Wendland ist ein Bienenstock, 
-wo überall der höchst mögliche Fleifs herrscht ; ist ein kleiner, dicht 
"bevölkerter Staat, der in seiner Leistungsfähigkeit alles überragt", 
sagt in etwas hyperbelartiger Weise Hennings. Auch der Vorwurf 
des Schmutzigen scheint ungerechtfertigt. Dagegen beschuldigt man 
ihn noch heute eines ungemessenen „Erwerbssinnes^, der die un- 
sittlichsten Mittel der Selbstsucht nicht verschmäht, ihn zum ge- 
wissenlosen Händler, zum maulfertigen Schachrer, zum zudringlichen 
Bettler macht. Sein unausrottbarer Eigensinn führt ihn zur Streit- 
nnd Prozefssucht. „Mancher Bauer kann seine Prozesse schockweise 
zahlen". Meineid und Brandstiftung sind Verbrechen, die noch heute 
den Wendländer oft vor das Gericht bringen. Er ist jähzornig, 
namentlich bei Zechgelagen, aber doch bald zum Frieden wieder 
bereit; tief gewurzelten Hafs nimmt er mit ins Grab. Über den 
Hang zur „ünmäfsigkeit" lauten die Berichte widersprechend; dafs er 
viel „vertilgt^, namentlich an Bier, bleibt unbestritten. Trotz einer 
angeborenen Knickerigkeit neigt er unter Umständen zu prunkenden 
Gastereien. Spiel um Geld liebt er nicht. Er scheut nicht das 
Verbrechen, aber er fürchtet die entehrende Strafe. Er ehrt die 
kirchliche Ordnung, besucht möglichst regelmäfsig das Gotteshaus, 
geht zweimal zum Abendmahle, — wie es auch in andern Landes- 
teilen Brauch ist. — Fast fürchte ich mich, das harte Wort zu ver- 
zeichnen, welches über das Liebesleben von dem kundigen Verfasser 
der öfter angezogenen Schrift gesprochen ist: ;,Der Wende hat in 
der Liebe kein Reich des Ideals ; er lebt nur dem fafsbaren Genüsse 
und läfst sich durch kein Gebot der Religion in der Fröhnung des 
sinnlichen Triebes stören". Obwohl ich überhaupt die angeführten 
Züge für zutreJÖFend halte, so hat es doch immer seine grofsen Be- 
denken, an sich im einzelnen richtige Beobachtungen zu verall- 
gemeinern; und die letzten Jahrzehnte haben vielfach wohlthuend 
verwischt und gemildert. Das gilt hoffentlich auch von dem dunklen 
Berichte, der über das Verhältnis der Kinder zu den betagten Eltern 
gegeben wird. „Der „Altenteiler" hat selten auf eine gute Behand- 
lung des Sohnes zu rechnen; das Wenige, was er sich zum not- 
wendigsten Unterhalte reserviert hat, sucht man ihm auf alle Weise 
zu verkürzen, und Alte und Junge stehen ungewöhnlich häufig 
profzessierend vor Gericht." 

Die ausführliche Schilderung, welche Hennings von eivvet V<Kt- 



— 150 — 

heiratung im Wendlande giebt, zeigt nach meiner Ansicht nur, dafs 
es dort recht ähnlich wie anderswo in bäuerlichen Verhältnissen 
hergeht. Gröfsere Bedeutung scheinen dort nur die ;,Kikel- 
markte" gehabt zu haben, wo sich die aufgeputzten Mädchen be- 
schauen („bekiken") liefsen ; an den berühmten Schaumarkt Satemin 
erinnert noch der Volksmund mit seinem Spruche: „Up de Markt 
to Satemin Danze ick mit mien Kathrin". Wenn der Freiwerber 
oder ;,de Friwerbersche" die nötigen Einleitungen getroJÖFen hat, die 
gegenseitigen Verhältnisse geprüft und annehmenswert gefunden, so 
wird die „LöflFt" (Verlobung) unter üppiger Gasterei gefeiert und an 
einem verabredeten Tage werden die Verlobungsgaben eingekauft 
und ausgetauscht: für den Bräutigam Ring, Uhrkette, Pfeife, — für 
die Braut Ring, Halsgeschmeide, Gesangbuch, auch bisweilen das 
weifse Zeug zum Abendmahlskleide. Die Zurüstungen zur „Eöst" 
(Hochzeit) sind bei einer ansehnlichen Feier grofsartig, wie sie in 
andern Gegenden nur noch im Hochzeitbittergedichte bestehen. ;,Zwei 
Ochsen, zwei Schweine, mehre Hanunel und Kälber und eine Menge 
Geflügel werden dem Beile überliefert. Zweimal 24 Stunden sind 
nötig, um das Gebäck zu bereiten, 4 — 8 Malter Weizen, 2 Malter 
Roggen werden zu Kuchen, Kubbel, Nüssen und Brot ver- 
backen. Starke Einkäufe an Kaffee, Zucker, Reis, Rosinen und 
Tabak sind besorgt^. Der Koch ist gewöhnlich der Haus- 
schlachter. „Bier und Branntwein wird fuderweise herangeschaift, 
und für den Pfarrer, etwaige Gäste aus der Stadt und für die 
Ehrentänze eine Quantität süfsen Weines, Malaga oder Muskat, bei- 
gegeben. Alle Verwandte mit Zubehör, selbst Knecht und Magd, 
erscheinen zur Hochzeit, welche 3 — 4 Tage dauert und nicht selten 
gegen 300 Gäste sieht, und da nicht an genügende Herberge zu 
denken ist, so bringt jeder sein Kissen zur nächtlichen Ruhe selbst 
mit Am Abend vorher wird „gepoltert"; „je mehr Scherben, 
desto mehr Glück^. Die Hochzeit selbst mit Einholen der Braut, 
dem Kirchgange, der Festtafel, dem Tanze und den Schlulsfeierlich- 
keiten zeichnet sich durch manche Eigentümlichkeit aus, obwohl 
sich die wesentlichen Züge, wenigstens noch vor 50 Jahren, 
überall im deutschen Lande, vielleicht noch weiter verbreitet 
finden. Die Schilderung einer solchen Feier behalte ich einer 
Originalmitteilung vor. Andre Familienfeste finden bei Taufen 
und Beerdigungen statt. Bei jenen sorgen verwandte Frauen während 
der Taufe durch grofse Geschäftigkeit im Hause dafür, dafs das 
Kind fleifsig, — andre durch Lesen im Andachtsbuche, dafs es 
fromm wird; jeder Gevatter legt von jedem Gerichte bei Tisch 
etwas beiseite, damit die Mutter bald wieder erstarke. Vor der Weg- 



— 151 — 

:^hrung der Leiche treten die nähern Angehörigen, zum Teil in 
lange weifse Laken gehüllt, noch einmal zu dem Toten und nehmen 
minter Gejammer und Händedrücken den letzten Abschied. Der 
IBeerdigung folgt ein Leichenschmaus bis zum folgenden Tage, wobei 
^selbst das Kartenspiel bisweilen nicht fehlt. Allgemeinere Festlich- 
S^eiten waren früher nach der Saatzeit — im Frühlinge — das ;,Brau- 
ier**, wie noch jetzt gewöhnlich, im Herbst der ^ Aust^, das Erntefest, 
Winter die ^Fastnacht" („Fafslabend" im Kalenbergischen). Sie 
eigen kaum Verschiedenheiten von den gleichen Festen in andern 
<}egenden Norddeutschlands. Dagegen scheinen das ;,Eranzjagen^, 
"^ÄTobei die Bui'schen auf ungesattelten Pferden nach einem von den 
ISdädchen des Dorfes gewundenen und an einer Stange aufgesteckten 
IKranze um die Wette jagen, — sowie das „Krähenbier", mit dem 
<3ie Jugend des Dorfes belohnt wird für die Vertilgung der Krähen- 
:Kiester und ihrer Brut — Eigentümlichkeiten zu sein. Von den 
asonderbaren Gebräuchen des ersten Viehaustreibens und dem 
XJmtanzen der Maibäume, wie ich sie im Schaumbargischen kennen 
gelernt habe, scheinen in unserm ganzen Fürstentume die Spuren 
asu fehlen. Übrigens treibt der Aberglaube hier, wie überall, bei 
XLohen und Niedern, in Städten und Dörfern, sein heimliches 
TJnwesen. Zur „Naturgeschichte des Teufels" wäre hier überall 
eine reiche Lese zu halten. „Behexen", „bannen" und „besprechen*^, 
^Unt^irdische*^ und ;,Zwerge^, der „böse Blick" und das „Anthun", 
das »Vorlat*' und das „Spuken^, der ^wilde Jäger" und der Teufel, 
der „schwarze Hund" und der „dreifarbige Kater^« das „Leichhuhn" 
und die „gekrönte Schlange^, Zauberbäume und Wunderkräuter, 
Heilige und Unglückstage, Vorschriften für alle besondem Ver- 
hältnisse, geheimnisvolle Gebräuche zur Abwehr des Unglücks, und 
günstige Vorzeichen bei wichtigen Unternehmungen, Wahrsagen und 
Zeichendeuten, — das alles sind wichtige Stücke aus dem Volks- 
buche des Aberglaubens aller Nationen. Neben vielem andern hat 
der Wendländer seine Besonderheiten. Damit der Tote nicht 
wiederkehre, giefst man der Leiche einen Eimer Wasser nach; der 
Name mufs sorgfältig aus dem Totenhemde gelöst werden, sonst 
zieht die Leiche einen Angehörigen gleichen Namens nach. Die 
Mutter darf nichts Spritzendes kochen, weil sonst ihr Kind Mal- 
zeichen bekommt; sie darf keine gelbe Wurzeln schaben, sonst 
bekommt ihr Kind Sommersprossen ; sie darf nicht durchs Schlüsselloch 
sehen, sonst bekommt es Schielen; man darf den Namen des 
nngetauften Kindes nicht aussprechen, sonst wird es stammeln; 
damit das Kind häuslich werde, mufs man beim Taufschmause 
den Hut aufbehalten ; wenn ein Mädchen zugleich mit einem Knaben 



— 152 — 

getauft wird, so bekommt es einen Bart. Die Braut mufs beim 
Einzüge in das neue Haus vom Bräutigam bis zur Feuerstelle 
getragen werden und nicht eher mit dem Fufse die Erde berühren, 
dort beginnt ihre Herrschaft. Dem jungen Paare wird ein Teller 
mit Suppe aus allerlei Kräutern überreicht, allerlei Gesäme wird 
ihnen in die Schuhe gelegt, das bedeutet reiche Ernten. In den 
Myrtenkranz der Braut mufs etwas Flachs eingeflochten, im Halstuch 
des Bräutigams ein feines Stöckchen verborgen sein. Ein Hufeisen 
ist an die Thür des Pferdestalls, eine geschossene Eule an den Giebel 
festzunageln. Man darf keinen Besen, noch weniger HoUunder- 
holz verbrennen ; darf nicht auf Brot treten, an gewissen Tagen keine 
Arbeit beginnen. Bollerndes Feuer bedeutet Streit; man mufs 
dreimal hineinspeien, um den Zauber zu bannen. Man bekommt 
Schwären, wenn man während der letzten sechs und der ersten sechs 
Tage des Jahres Hülsenfrüchte kocht. Bestreichen kranker Stellen 
mit einem Sargnagel macht sie gesund; siechende Leute werden 
frisch, wenn sie mit frisch wachsenden Zweigen berührt werden; 
die „Zehrer*^ vertreibt man durch Zauberreime. Die Hexen treiben 
auf Kreuzwegen in der Walpurgisnacht ihr Unwesen; unter einer 
umgewandten Egge ist man im stände sie zu beobachten. Der 
Wende glaubte durch den ^Kreuzbaum", meist eine hohe mit einem 
Kreuze und darüber mit einem Hahn aus Holz besetzte Eiche, dem 
Schutzgeiste des Ortes, „Stedte" genannt, seine Huldigung zu 
beweisen, ihn sich geneigt zu machen. Nach feierlichen Gebräuchen 
bei der Errichtung des Baumes wurde sämtliches Vieh um denselben 
hergetrieben, das sie nun gegen Seuche gesichert und zum Gedeihen 
gesegnet glaubten. Ähnlich war es mit den „Kronenbäumen". Von 
beiden erzählt Hennings ausführlich. Diese erinnern vielfach an die 
;,Maibäume", deren ich oben erwähnte. Ein ganz abenteuerlicher 
Glaube knüpft sich an zweimal entwöhnte Kinder, die, wenn sie 
sterben, dann als ;, Doppelsäuger** an dem Leben eines Familiengliedes 
zehren, bis es gelingt, der aufgegrabenen Leiche mit einem Spaten 
das Genick abzustossen. Die grofsen Kalendertage und kirchlichen 
Feste sind neben den Mondgestalten die Grundlage zahlreicher 
Wetter- und Verhaltungsregeln bei der Wirtschaft. Die stehende 
Mondsichel bedeutet trocknes, die liegende nasses Wetter. Bei 
wachsendem Monde pflanzt und säet man, was über der Erde Frucht 
bringt, bei abnehmendem, was durch Wurzeln und Knollen unter 
der Erde nützt. Zur Zeit des Neumondes liefert das Zuchtvieh 
schlechte, bei Vollmond fruchtbare und gute Art. Klare Christnacht 
ist ein günstiges Vorzeichen einer guten Ernte, dunkle ein schlimmes. 
Vor dem Eintritt des Weihnachtsfestes mufs alles geordnet sein, 



— 153 — 

^ein Gerät darf im Felde bleiben, alle Thüren müssen geschlossen 
Äein, alles Ausgeliehene wird zurückgefordert. 

Die Mundart der Wenden ist eine Form des Plattdeutschen, 
ie es mit manchen kleinen Verschiedenheiten in ganz Niedersachsen 
^S^csprochen wird. Gewisse Eigentümlichkeiten hat jeder gröfsere 
^er kleinere Bezirk; ja das kundige und feiner gewöhnte Ohr er- 
ennt nicht selten die einzelne Ortschaft. Im hannoverschen Wend- 
ende hat sich nicht nur in den Ortsnamen, sondern auch in manchen 
ndem Bezeichnungen noch ein Rest der alten slawischen Sprache 
rhalten, die vor 1—200 Jahren die herrschende gewesen zu 
«in scheint. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts soll es Bauern 
egeben haben, welche wendisch sprachen. Ein „Vaterunser^ ist 
om Pastor Hennings in Wustrow, eine wendische „Beichte" (?) vom 
miagister Kaspar Wehling, dem ersten deutschen Prediger in Bülitz, 
ufbewahrt. Jenes lautet nach einem von Herrn Prof. LesMen in 
eipzig ein wenig geänderten Texte, und in normale Orthographie 
^umgeschrieben, folgendermafsen : 

Nos holi väder, tö täi jis vä nebes'eu, sötü värdäj 

Unser heiliger Vater, der du bist im Himmel, heilig werde 

*Üji jaimä; tüji rik komäj ; tüja vül'a (mo sä) Küriot 

dein Name; dein Reich komme; dein Wille (hat sich) zu vollenden 

](ok vä nebeseu, tok kak no zemi ; nosä visedänesnä skaibö 

yfie im Himmel, so wie auf Erden; unsre alltägliche Scheibe (Brot) 

doj nam däns, un vütädoj nam nosi grectiy, kok mäi vütädojime 

gieb uns heute, und vergieb uns unsre Sünden, wie wir vergeben 

nosim gresnarem; ni bringoj nos vä värsükög(o), täi losoj nos 

unsem Sündigem; nicht bringe uns in Versuchung, du löse uns 

vüt visokag cHeudag. 

von jeglichem Bösen. 

Die deutschen Wörter sind unterstrichen, ä ist zu sprechen 
wie das niederdeutsche breite a (nach o hin) ; v wie w ; der Strich am 
Konsonanten bedeutet, dafs ein leichtes j danach zu sprechen 
ist; ^ über den Vokalen bezeichnet nasalierte Aussprache; z ist 
gleich dem französischen z. 

Einen bessern Abdruck des Vaterunsers verdanke ich der 
gütigen Mitteilung Prof. Leskiens in Folgendem: 

Ndsse wader, ta toy gis wa nebisgäy, sjung ta woarda tügj 
geim, tia rtk komma, tia willia schinyöt kok wa nebisgäy tok kak 
no sime, nössi wisse danneisna stgeiba doy nam däns, un wittodoy 

Oeogr, Blätter. BremeD, 1886, W 



— 154 — 

n&m n6sse gr^ch, kak moy wittedoyime nössem gresnarim, ni bringoj 
nos ka warslcnya, tay lösoa'y nös wit wissokak chaudak. 

Es ist klar, dalis wir es hier nicht mit reinem Wendisch, sondern 
mit einem Gremisch za thun haben, das vom Deutschen stark durch- 
drangen ist. Dasselbe gilt von der sogenannten Beichte. Bedeut- 
samer mag das von Hennings mitgeteilte Volkslied sein, das noch 
vor einem halben Jahrhundert bei Trinkgelagen als eine Art Wechsel- 
gesang mit übermütigem Gepolter vorgetragen wurde. In auffallender 
Weise zeigt sich beim heutigen Wendländer die allgemeinere Er- 
scheinung der Vertauschung gewisser Laute darin, dals er den H- 
Hauch in den deutschen Wörtern wegläfst und ihn einfügt, wo er 
nicht hingehört „Dieser kleine Ochse hat lange Homer', sprach 
ein Bauer: ^Dis lütte Hols ätt lange Öhren'. Hennings fuhrt an: 
,iEr Hamptmann von Arling hils ihr". (Herr Amtmann von Harling ist 
hier.) Die Ortsnamen, welche noch heute die ehemaligmi Wenden 
im sädisischen Gebiete erkennen lassen, endigen oft auf ^^ow' (au, 
Aue, Wasser), auf .ien« (Dorf?), auf „itz*' oder ,eitz« (Ort, Platz), 
^^ant* (Wiese?). Lüchow, Gluchow, undurdidringlicher, dunkler Ort; 
Luhe, Lüswald, Loh. Wustrow, Lisel. Clentze, Neigung, AUiang. 
Bieese^ Birke; ,imBreez% Birkenwald. Breselenz, Biiitenwiese. Lanze, 
Wiesoiort Trabuhn (TrawungX Grasstelle, Predöhl, G^nze. Priesseck, 
ausgdiaaener Ort Sipnitz, Streustelle. Gedelitz (Jedlica), kleine 
Fkhie. 

Spiachvergleicheiide Forscher werden auf diesem G^iete nodi 
iiiuB«r Anudieiides zu entdeckm hab^t 



Provinz Tarapaca. 






ICt AttSBtlwe des Gto^npheiL dessim Amt ts ist, imd des 
Etalttums. tAei der ZofoU mit de« Ge^enslauiid des Torii^geiid^ 
Ttemas im BikK \>ri»iwhim^ $«^hra<lit buL inerAea nnr ivenige 
AiLsertedoie jpof die Flrt$^ tber die VerikUlnk» der dnleBiaclieB 
Plwraiz Twijiafai «oie $«wQi$eftde Atttw<« gebai kteMB. Und 
AeniMäi luoiMt es <kli lun «iiMi Uraiai Heck wsnor EMriade, 
^Mkflber sD»«t#iUI «B miits)(itiiftlkli<Nr mi^ k 4*«^}<!^i[idciier Hueidit es 



— 155 — 

/'erdient, etwas allgemeiner bekannt zu werden und habe ich des- 
lalb auch keinen Anstand genommen, der freundlichen Aufforderung 
[er Redaktion dieser Zeitschrift nachzukommen und meine während 
dnes 16jährigen Aufenthalts in genannter Provinz gesammelten Er- 
fahrungen zu Papier zu bringen. Meinem Beginnen aber möchte 
eh die Bitte um gütige Nachsicht vorausschicken und niich von 
romeherein dagegen verwahren, als ob es meine Absicht gewesen 
lei, in erschöpfender, schwungvoller, wohl gar wissenschaftlicher 
(Veise den Gegenstand zu behandeln ; dies will ich berufenerer Feder 
iberlassen; meine Aufgabe soll nur sein, in sachlicher und unge- 
ichmückter Weise Thatsachen zu registrieren, welche zum Teil für 
ien Geographen, zum Teil auch für den Geologen, ja selbst für den 
Kaufmann und den Volkswirt nicht ganz ohne Interesse sein dürften. 
Sodann will ich noch bemerken, dafs, wo mein Gedächtnis mich im 
Stich gelassen hat, respektive meine eignen Erfahrungen mir nicht 
iusreichend erschienen sind, ich ein 1860 in London erschienenes 
Werk: ^^Antiquarian, ethnological and other researches in New- 
Grranada, Peru and Chile by William Bollaert", als Quelle benutzt 
liabe, sowie, dafs wir die in dem genannten Werke angeführten 
Daten über Tarapaca zum gröfsten Teil dem verdienstvollen englischen 
Blaufmann und Ingenieur George Smith, welcher von 1826 bis Ende 
ier 50er Jahre in Iquique residiert hat, verdanken. 

Die Provinz Tarapaca, bis zum Frieden von 1884 zur Republik 
Peru gehörend und dann an Chile abgetreten, erstreckt sich von 
ier nördlichen Grenze der Quebrada oder Schlucht Camarones etwa 
19® 16' Süd bis zu dem unter etwa 21 ^ 50' Süd mündenden Flusse 
Loa, grenzt im Norden an das provisorisch unter der Verwaltung 
Chiles stehende Departement Tacna, im Westen an den stillen Ozean 
und im Osten an die Nachbarrepublik Bolivia und mag im ganzen 
von ungefähr 40000 Menschen bewohnt sein, welche zu neun Zehn- 
teilen aus Mischlingen von Weifsen mit Indianern und Negern be- 
stehen und welche auf etwa 1000 deutschen Quadratmeilen hausen. 
Diese ganz enorme Fläche, einige kleine Schluchten im Innern ab- 
gerechnet, wo dünne Rinnsale in ihrer unmittelbaren Nähe einer be- 
scheidenen Vegetation zum Dasein verhelfen, ist ein wasserloses 
Sandmeer, in welchem der gelbe Flugsand mit nackten Felsgesteinen 
die einzige Abwechselung darbietet: ein Bild so öde, so ver- 
zweiflungsvoll und unendlich traurig, dafs sich Einem unwillkürlich 
die Frage aufdrängt, was überhaupt Menschen veranlafst haben kann, 
dort Hütten zu bauen, wo ein Trunk frischen Wassers weder dem 
SchoCse der Erde noch den Wolken entquillt, wo auf dem unend- 
lichen Baume auch nicht eine Spore die Bediug\wv%e\i N^%^\a.\\^^\v 



— 156 — 

Daseins findet, wo selbst noch heute Tausenden von Bewohnern ein 
Baum, ein Strauch Gegenstände der Sehnsucht sind, welche sie nur 
von Hörensagen kennen ! Hierüber läfst uns die jüngste Vergangen- 
heit und die Gegenwart indes nicht lange in Zweifel: seitdem der 
enorme Reichtum an Metallen und Salzen aller Art erkannt ist, 
bedarf es keines weiteren Forschens nach den Ursachen, welche den 
grdlsten Teil der jetzigen Bevölkerung dieser Einöde zugeführt hat. 
Sehr weit zurück reicht eben die Ausbeutung dieser Reichtümer 
nicht und darf man wohl mit Fug und Recht annehmen, dafs erst 
mit der Bearbeitung der reichen etwa zwei deutsche Meilen von 
Iquique entfernten Silberbergwerke von Santa Rosa und Huantajaya 
die gänzlich des Trinkwassers entbehrende Küste dünn besiedelt 
worden ist. Wohl mögen lange zuvor Bewohner des Innern vor- 
übergehend dann und wann ihren Aufenthalt an der Küste zur Be- 
treibung des Fischfangs genommen haben, über eine dauernde 
Ansiedelung berichtet die Geschichte erst seit der Inangriffnahme der 
genannten Minen, Anfang des 18. Jahrhunderts, und jenem Zeit- 
punkte mögen denn auch Iquique und eine Reihe kleinerer benach- 
barter Plätze ihre Entstehung verdanken. Von geschichtlichen Daten, 
welche sich indes zum Teil in die Mythe verlieren, finde ich nur 
folgende: der Distrikt von Iquique gehörte im 12. Jahrhundert zu 
Goya Suya (CoUa suya ?) und wurde durch Aushungerung von Maita 
Gapac, dem vierten Inca, unterjocht. Die Incaarmeen passierten auf 
ihren Märschen nach Atacama und Chile die Provinz und sollen ihnen 
damals schon deren mineralische Reichtümer bekannt gewesen sein. 
Im Jahre 1558 machte Pizarro dem spanischen Hofe die folgende 
Mitteilung : „Bewohner sind der Kazike von Tarapaca, namens Sauja, 
dem auch die Fischerleute der Küste unterthan sind. Die Dorfer 
Pachica, Pinchuca und Guavina im Thale von Cato gehorchen dem 
Kaziken Opo. Im Thale von Carsiva liegt das Dorf Camina, über 
welches Ayvire und Taucari Kaziken sind. Sodann giebt es noch 
eine andere Stadt, Comaguata, ebenfalls unter Ayvire und Diayapo 
mit 900 Indien!.'' 

Im allgemeinen unterliegt es kaum einem Zweifel, dals dieser 
Teil Perus und namentlich dessen Küste während der ersten beiden 
Jahrhunderte nach der Eroberung nur äuüserst selten und inuner 
nur ganz vorübergehend von den Spaniern besucht wurde. Konnte 
Tarapaca die gierigen Eroberer doch zu jener Zeit nicht durch Gold 
und Silber reizen, und kannte man damals doch nicht die Nutzbar- 
machung und Verwendung der reichen Schätze, welche die Gegen- 
wart dem sterilen Boden entnimmt! Erst mit der Entdeckung oder 
richtiger mit der Ausbeutung der reichen Silberminen — über die 



— 157 — 

genaue Zeit habe ich keine zuverlässigen Daten gefunden, man darf 
aber wohl Ende des 17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts an- 
nehmen — treffen wir eine regelmäfsige Verwaltung der spanischen 
Machthaber an, deren Hauptaufgabe es gewesen sein wird, den 
reichlich fliefsenden Zehnten aus den Erträgnissen der beiden Minen- 
plätze Santa Eosa und Huantajaya einzusäckeln. Als Beweis für 
meine Annahme, dafs vorher die dünne Bevölkerung der Küste von 
Tarapaca mit den Spaniern oder überhaupt mit europäischer Kultur 
nur selten und in geringem Grade in Kontakt gekommen sein wird, 
darf ich vielleicht anführen, dafs ich im Jahre 1880 in einigen 
indianischen Gräbern in der unmittelbaren Nachbarschaft Iquiques 
die verschiedensten Gegenstände gefunden habe, welche für diese 
Auffassung sprechen. Dafs diese Gräber nach der Eroberung und 
nachdem die Bewohner oder wenigstens benachbarte Stämme bereits 
mit Europäern in Berührung gekommen, entstanden, erhellt aus der 
Thatsache, dafs sich verschiedentlich bei den Leichen Bruchstücke 
von venetianischen Glasperlen vorgefunden haben, während ander- 
seits der Umstand, dafs neben einigen indianischen Götzenbildern 
auch wieder kleine christliche Kreuze von Holz neben allerlei kleinen 
Gegenständen von Kupfer und Bronze — aber kein Atom Eisen — 
und eine grofse Zahl von Pfeilen mit Steinspitzen auftauchten, dafür 
zu sprechen scheint, dafs die Verbindung mit den Spaniern noch 
lange Zeit nach der Eroberung eine sehr lose und wenig intime ge- 
wesen sein mufs. 

Von dem Reichtum der Huantajayaminen mag die Tradition 
Zeugnis ablegen, welcher zufolge eine Familie Lafuente allein 20 
Millionen Pesos^) an Zehnten an die Königliche Kasse entrichtet haben 
soll. Dieselbe Familie soll dem König von Spanien einen Klumpen 
natürlichen gediegenen Silbers von etwa 33 Zentnern, welcher durch 
Menschenhände an die Küste geschafft wurde, zum Geschenk ge- 
macht haben. Von dem Umfange der im vorigen und bis in das 
jetzige Jahrhundert hinein betriebenen Minenarbeiten, sowie von dem 
Reichtum der Adern zeugen noch heutzutage viele Millionen 
Zentner von Haldenbeständen, welche an 8 bis 15 Mark Silber per 
Kajon von 64 Zentnern enthalten. Diese werden in der neuesten 
Zeit nach der Küste transportiert und vermittelst des alten mexi- 
kanischen Amalgamationsverfahrens zu gute gemacht. Das Silber 
kommt teils gediegen, häufiger aber in Form von Chlor-, Jod- und Chlor- 
jod- und Schwefelverbindungen vor. Bemerkenswert dürfte eine Spe- 



*) Der Peso galt in früherer Zeit bis in die Mitte der 70er Jahre 3S'a— 4 M, 
heute gilt er kaum 2 M 



— 158 — 

zialität sein, welche ausschliefslich in Huantajaya gefunden wird und aus 
diesem Grunde auch unter dem Namen „Huantajayit" den Minera- 
logen bekannt geworden ist. Dies Mineral besteht aus einer Ver- 
quickung von Chlor und salpetersaurem Silber und ist den Einge- 
borenen schon seit langer Zeit als „Lecheador", d. h. „Milcher", 
bekannt; ohne Zweifel so benannt, weil dasselbe bei Berührung mit 
Salzwasser amorphes, milchiges Chlorsilber abscheidet. 

Wenngleich es feststeht, dafs im Laufe des vorigen Jahrhunderts 
ungeheure Quantitäten Silber zu Tage gefördert worden sind, so 
scheint der Segen, welcher der Provinz dadurch zu Teil geworden, 
doch nur ein mäfsiger gewesen und ausschliefslich einigen Plätzen 
im Innern, wo die Erze verarbeitet wurden, zu gute gekommen zu 
sein, während die kleinen Küstenplätze eine höchst untergeordnete 
EoUe gespielt haben. Wie es fast immer bei der Gewinnung edler 
Metalle der Fall zu sein pflegt, wird ein krasser Reichtum einigen 
grofsen Eigentümern, ein bescheidener Wohlstand einer beschränkten 
Zahl Glücklicher geworden sein, während Hunderte oder Tausende 
von leibeigenen Indianern im Schweif se ihres Angesichts die Schätze 
gehoben und dabei gehungert haben. — Wahrscheinlich hat der 
Unabhängigkeitskrieg im Anfang dieses Jahrhunderts den Verfall dieser 
Minenplätze mit verschuldet, anderseits mag aber auch die Be- 
hauptung, dafs die oberste metallführende Schicht, spanisch „Criadero** 
genannt, ausgearbeitet gewesen und die Eigentümer aus diesem 
Grunde die Arbeiten allmählich einstellten, vieles für sich haben. 
Thatsache ist, dafs anfang der sechziger Jahre beide Plätze zeit- 
weilig total verlassen gewesen und dafs erst in neuester Zeit euro- 
päische und chilenische Kapitalisten im Verein mit erfahrenen 
Mineuren die Arbeiten mit Erfolg wieder aufgenommen haben. Ist 
die Annahme, dafs man jetzt in die zweite untere Metall führende 
Schicht gelangte, richtig, so dürften diese Minen einer zweiten Glanz- 
periode entgegengehen. 

Der grofse Aufschwung der Provinz, — ihren Namen erhielt 
sie von der etwa 20 deutsche Meilen vom Meere entfernt gelegenen 
Hauptstadt „Tarapaca", welche zur Zeit ihrer gröfsten Blüte einige 
Tausend Seelen gezählt haben mag — , datiert wohl erst vom An- 
fang der dreifsiger Jahre, wo die ungeheuren Lager von sogenanntem 
Chilesalpeter, richtiger „Salpetersaures Natron'', bekannt wurden und 
anfingen die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu ziehen. Die 
Existenz dieser Läger ist allerdings den Spaniern bereits im Anfang 
dieses Jahrhunderts, wenn nicht schon früher, nicht allein bekannt 
gewesen, sondern dieselben sind auch schon in kleinem Mafsstabe 
behuf Darstellung des Pulvers ausgebeutet worden; ja da man be- 



— 159 — 

reite die Entdeckung gemacht hatte, dafs aus Nitraten dargestelltes 
Pulver leicht durch seine hygroskopische Natur Feuchtigkeit aus der 
Luft anzieht und dadurch unbrauchbar wird, so gelangte man, ohne 
Zweifel auf empirischem Wege, dazu, die Base des Salzes durch Kali 
zu ersetzen, indem man in der Provinz vorkommende holzartige an 
Pottasche reiche Kaktusarten verwandte und durch Kochen derselben 
zusammen mit der Lauge des salpetersauren Natrons, den Kali- 
salpeter darstellte. 

Der bereits eingangs erwähnte englische Ingenieur scheint der 
erste gewesen zu sein, welcher einen Exportversuch mit dem Natron- 
salpeter gemacht hat, leider — . wenn sonst die Berichte aus jener 
Zeit zuverlässig sind — mit einem derartig entmutigenden Resultat, 
dafs man sich nicht hätte wundern dürfen, wenn weitere Versuche 
auf lange Zeit unterblieben wären. Man behauptet, dafs die erste 
kleine Ladung von etwa 100 Tons, nachdem sie nicht allein in Eng- 
land, sondern auch auf dem Kontinent allenthalben vergeblich 
ausgeboten, schliefslich zur Vermeidung weiterer Kosten über Bord 
geworfen worden sei. Ich möchte indes diese Version in das Gebiet 
der Sage verweisen und zwar aus zwei sehr triftigen Gründen: 
Einmal ist es wahrscheinlich, dafs der erste Unternehmer sich erst 
zu einer gröfseren Abladung entschlossen haben wird, nachdem er 
befriedigende Gutachten über nach Europa gesandte Muster erhalten, 
und zweitens klingt es kaum glaublich, dafs, wenngleich die Chemie 
der Zeit auch noch etwas in den Kinderschuhen gesteckt haben mag, 
die Wissenschaft absolut keine Verwendung für einen Stoff gewufst 
haben sollte, der die Salpetersäure unter mindestens ebenso günstigen 
Bedingungen enthält, wie das verwandte teure Kalisalz. — Erwiesen 
ist es, dafs im Jahre 1830 zum ersten Male regelmäfsige Abladungen 
gemacht worden sind. Dafs von da ab die Produktion und die Aus- 
fuhr stetig zugenommen und seit dem Anfang der siebziger Jahre, 
als man anfing, den Artikel seines hohen Stickstoffgehalts (16 Vo) 
wegen in ausgedehnter Weise in der Landwirtschaft als Dünger zu 
verwenden, eine Bedeutung erlangt hat, welche ihm auf dem 
Weltmarkt die EoUe eines Stapelartikels anwies. Ich lasse hier 
das Verzeichnis der Ausfuhr seit dem Jahre 1830 folgen und mache 
besonders darauf aufmerksam, dafs die Zahlen bis zum Ende der 
sechziger Jahre ungefähr in einem der Entwickelung der Technik und 
Chemie entsprechenden Mafse sich vergröfsert haben, während von da 
ab eine rasche und enorme Steigerung den Zeitpunkt kennzeichnet, 
vre die Agrikultur anfing, den Salpeter in grofsen Massen dem 
Acker zuzuführen. 



160 



Die Ausfuhr betrug in spanischen Zentnern = 46 kg: 



1830 


19000 


1849 


430000 


1867 


2 550000 


1831 


40000 


1850 


512 000 


1868 


1907000 


1832 


53000 


1851 


599000 


1869 


2507000 


1833 


93000 


1852 


563000 


1870 


2943000 


1834 


148 000 


1853 


866000 


1871 


3606000 


1835 


140000 


1854 


720000 


1872 


44J?1000 


1836 


154000 


1855 


937 000 


1873 


6264000 


1837 


165000 


1856 


812000 


1874 


5583000 


1838 


130000 


1857 


1096000 


1875 


7191000 


1839 


150000 


1858 


1220000 


1876 


7051000 


1840 


227 000 


1859 


1574000 


1877 


4532 000 


1841 


278000 


1860 


1370000 


1878 


5909 000 


1842 


360000 


1861 


1375000 


1879 


2122 000 


1843 


369 000 


1862 


1629 000 


1880 


2529 000 


1844 


380000 


1863 


1541000 


1881 


4608 000 


1845 


376 000 


1864 


1904000 


1882 


8 282000 


1846 


390000 


1865 


2422 000 


1883 


10 795 000 


1847 


383000 


1866 


2188000 


1884 


10 413 000 


1848 


485000 






1885 


9478 000 



Die Salpeterläger, welche man bis vor kurzem auf die Provinz 
Tarapaca beschränkt glaubte, haben sich inzwischen als viel umfang- 
reicher herausgestellt und erstrecken sich nach neueren Forschungen 
vom 19. bis beinahe zum 25. Grad südlicher Breite. Die Ablage- 
rungen kommen mitunter, ausnahmsweise, in grofser Nähe der Küste, 
etwa 5 bis 6 englische Meilen davon entfernt, auf der ersten 
Abstufung der Kordillera in einer Höhe von etwa 600 m vor, doch 
sind diese fast durchgängig so arm an salpetersauren Salzen, dafs 
deren Abbau und Verwertung sich nicht lohnt. Die Zone, welche 
die reicheren Salze einschliefst, ist überhaupt ziemlich eng begrenzt 
und erstreckt sich in der Breite West-Ost etwa 18 englische Meilen 
von der Küste beginnend bis zu der Pampa Tamarugal — die nörd- 
liche Fortsetzung der Wüste und des Hochplateaus von Atacama — 
demnach in einer durchschnittlichen west-östlichen Ausdehnung von 
10 englischen Meilen bei einer nord-südlichen Länge von etwa 
350 englischen Meilen. Auf diesem Gebiet kommt der Rohsalpeter 
— caliche genannt — nun in der verschiedensten Form, Qualität 
und Mächtigkeit vor, bald auf Höhen, bald in den Bodensenkungen, 
aber bei weitem am häufigsten in den letzteren. Bald findet der- 
selbe sich in ausgedehnten fast ununterbrochenen Ablagerungen bei 
einer Mächtigkeit von einigen Zollen bis zu 4 bis 5 Fufs Dicke, 
bald in vollständig isolierten Nestern — Papas, Kartoffeln genannt — 



— 161 — 

bald tritt derselbe zu Tage und wiederum an andern Stellen ist er von 
Konglomeraten und Schichten von 4 bis 10 Fufs Dicke bedeckt. Die durch- 
schnittliche Tiefe unter der Oberfläche mag gut 3 bis 4 Fufs anzunehmen 
sein. Anhaltspunkte für die Anwesenheit des Salpeters sind an der 
Oberflache durchaus nicht vorhanden und wenn auch die Eingeborenen 
behaupten, dafs gewisse dunkle Flecke des Terrains die Existenz 
von Salpeter verraten, so giebt es doch so viele Ausnahmen, dafs 
schliefslich von einer Eegel nicht die Rede sein und dafs man erst 
durch Bohrungen Gewifsheit erlangen kann. — Der Rohsalpeter 
besteht aus krystallinischen mehr oder minder porösen bis zu stein- 
harten Massen, welche auf einem Lager von mit schwefelsauren Ver- 
bindungen durchsetzter Thonerde (cova genannt) gebettet sind und 
deren Zusammensetzung in der mannigfachsten Weise variiert. Im 
allgemeinen ist der Gehalt des Rohstoffes als aus etwa 20 ^/o Erde 
und unlöslicher Materie, etwa 40 ®/o salpetersaurem Natron, 30 — 35 ®/o 
Chlornatrium, 5^/o Wasser und schwefelsauren Verbindungen be- 
stehend, anzunehmen, variiert aber im Extrem von 10 bis 90 ^/o an 
reinem salpetersaurem Natron. Die Durchschnittsanalyse des raffi- 
nirten Salpeters ergiebt etwa 96 — ^97 ®/o reines salpetersaures Natron, 
1—- 1,60 Chlornatrium, 2— 2,5o Wasser, 0,io— 0,8o schwefelsaure Salze. 
Über die Entstehung dieser ungeheuren Läger, welche wohl 
nur in den Stafsfurter Salzen ihr Analogon haben, sind die maunig- 
faxjhsten und mitunter die abenteuerlichsten Hypothesen aufgestellt 
worden, so lange aber tüchtige Vertreter der Wissenschaft diese 
Formationen nicht einer eingehenden und gründlichen Untersuchung 
unterzogen haben, scheint mir die einfachste und berechtigtste Theorie 
diejenige zu sein, welcher zufolge die Salpeterläger ihren Ursprung 
dem Meere verdanken. Der Vermutung, dafs in einer frühern 
Epoche die Küste von Südamerika 2 — 3000 Fufs niedriger als heute 
gewesen und sich dort ungeheure sumpfige Niederungen und mit 
einer üppigen Vegetation von Fukusarten ausgestattete Deltas be- 
fanden, hat dagegen gewifs nichts Unwahrscheinliches noch Aufser- 
ordentliches und dafür, dafs beim Austrocknen, das vielleicht sehr 
allmählich erfolgte, eine Wechselzersetzung zwischen dem konzen- 
trierten Chlornatrium der Lagunen und dem Stickstoff der Pflanzen- 
welt vor sich gegangen sei, dürfte die Naturwissenschaft bei ilirem 
heutigen Standpunkte leicht eine annehmbare Theorie aufstellen 
können. Eine weitere Thatsache, welche die vorstehende Hypothese 
in eminentem Grade zu unterstützen berufen scheint, dürfte in den 
reichen Jodmengen zu erblicken sein, welche sich bis zu etwa ^h ®/o 
in fast allen Salpeterablagerungen vorfinden. Wenngleich in der 
Provinz Jodmetalle vorkommen, so liegt der G^dÄX&fe^ ^^Ss. ^v^'i^^ \ss^ 



— 162 — 

dem Jod des Salpeters auf einen gemeinsamen Ursprung zurückzu- 
führen, denn doch zu weit, als dafs man ernstlich mit dieser Idee 
sich beschäftigen könnte. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch 
darauf aufmerksam machen, welch eigentümliche Erscheinung uns 
darin entgegen tritt, dafs die südamerikanischen Salzläger aus 
Natronsalzen und Jod mit Spuren von Brom und im Gegensatze dazu 
die Stafsfurter zum gröfsten Teil aus Kaliverbindungen mit Brom 
und nur Spuren von Jod bestehen, zumal doch nicht denkbar ist, 
dafs die Ozeane in der Vorzeit etwa in den äquatorialen Gegenden 
an Jod und in den nördlichen an Brom reicher gewesen sein könnten. 
Von andern mehr oder minder bei den Haaren herbeigezogenen 
Hypothesen will ich nur vorübergehend diejenige erwähnen, welcher 
zufolge — weil man hier und da kleine Nesterchen wahrscheinlich 
sehr modernen Guanos in den Salpeterlagern angetroffen — der 
Salpeter seinen Stickstoff dem Guano verdanken soll, eine Hypothese, 
welche unwillkürlich an den circulus vitiosus der Frage erinnert, ob 
die Henne oder das Ei zuerst gewesen. 

Nachdem die peruanische Regierung seit Mitte der siebenziger 
Jahre die Salpeterfabrikation zu einem Monopol gemacht, eine Mafs- 
regel, welche die Ursache des Jangen und blutigen Krieges mit Chile 
geworden, ist diese Industrie seit der Eroberung der Provinz durch 
die Chilenen allerdings wieder frei gegeben, aber mit einem schweren 
Ausfuhrzoll von 1 Dollar 60 Cents pro 100 kg — zum Kurse von 
38 d. gleich etwa Jb. 4,80 — belegt, welcher dem Staat die Kleinig- 
keit von 10 Millionen Dollar einbringt. 

Da es für den einen oder andern der Leser nicht ganz ohne 
Interesse sein dürfte, etwas über die Salpeterindustrie selbst zu 
erfahren, so will ich hier in Kürze mitteilen, wie das fertige Produkt 
aus dem Rohstoff gewonnen und dargestellt wird. Im Anfange, und 
ich kann hinzufügen, bis zum Beginn der fünfziger Jahre genügte 
es zur Herstellung des bescheidenen Quantums, dessen die europäische 
Industrie bedurfte, bei der althergebrachten primitiven Weise zu 
bleiben und erst dann, als der zunehmende Konsum immer gröfsere 
Anforderungen stellte, sind allmählich alle neuen Hülfsmittel, welche 
die vervollkommnete Technik zur Verfügung stellte, eingeführt worden. 
Nur die ursprüngliche Gewinnung des Rohstoffs selbst, das Heraus- 
brechen und Zutagefördern des sogenannten Caliche geschieht heut- 
zutage noch in derselben Weise wie vor fünfzig Jahren, indem alle 
iieuen Erfindungen auf analogen Gebieten sich angesichts der eigen- 
tümlichen Verhältnisse und Bedingungen, welche bei dem Rohsalpeter 
vorliegen, als unpraktisch erwiesen haben. 

Um den Rohstoff zu gewinnen, werden mit Brechstangen etwa 



— 163 — 

10 Zoll im Durchmesser haltende Löcher bis durch die Salpeter- 
schicht, demnach in eine Tiefe von 5 bis 10 Fufs getrieben, — eine 
äufeerst harte und zeitraubende Arbeit — dann auf dem Grunde 
vermittelst eines langen Löffels eine gröfsere kugelförmige Höhlung 
hergestellt, diese mit etwa 3—600 Pfund aus dem salpetersauren 
Natron hergestellten Pulver beschickt und diese Ladung durch Zünd- 
schnur zur Explosion gebracht. 

Versuche, das primitive im Lande bereitete Pulver durch voll- 
kommenes europäisches Minenpulver zu ersetzen, sind erfolglos ge- 
wesen, denn da man .nur eine lockernde Hebung des Terrains, nicht 
aber eine vollständige Zerstörung und ümherschleuderung der Massen 
wünscht, so ist eben das einheimische Produkt seiner langsamen Ver- 
brennung wegen vorzuziehen. Nachdem nun durch eine solche 
Sprengung der Boden in einer Fläche von 15—25 Quadratmetern 
aufgeworfen und gründlich gelockert ist, geht man mit dem Aus- 
arbeiten der Salpeterschicht laufgrabenartig vor, legt gröfsere Blöcke 
blos, sprengt diese durch Minenpulver oder Dynamit und trans- 
portiert die zerkleinerten Massen auf zweirädrigen Karren nach den 
1 bis 2 km entfernt liegenden Siedereien, den sogenannten ^Oficinas". 
War im Anfang auch der Betrieb auf die bescheidensten einheimischen 
Hülfsmittel, Versiedung in kleinen kupfernen in der benachbarten 
Republik Bolivia mit der Hand gearbeiteten Pfannen beschränkt 
gewesen, und hatte zu jener Zeit ein Etablissement, welches täglich 
60 — 100 Zentner Salpeter darstellte, für ein bedeutendes Werk ge- 
golten, so hat diese Industrie während der 50 Jahre ihres Be- 
stehens doch gewaltige Fortschritte gemacht und sich namentlich 
während der letzten 20 Jahre in rascher Weise jede Verbesserung 
angeeignet, die in Europa und den Vereinigten Staaten auf dem 
Gebiet der einschlägigen Technik zu verzeichnen gewesen ist, so dafs 
man heute wohl behaupten kann, dafs die Salpeterindustrie den in 
heutiger Zeit an sie zu stellenden Anforderungen in vollem Mafse 
entspricht. Bereits seit langen Jahren ist die Versiedung vermittelst 
Dampf in geschlossenen Kochkesseln bei unterbrochener Tag- und 
Nachtarbeit und der Substituierung eines grofsen Teils von Menschen- 
arbeit durch Dampfkraft eingeführt, und in der neuesten Zeit hat 
man wiederum einen grofsen Fortschritt durch die Einführung eines 
der Sodafabrikation entlehnten Auslauge Verfahrens erzielt. Die 
kleineren Officinas sind, weil sie sich den gröfsere modernen 
Etablissements gegenüber als nicht konkurrenzfähig erwiesen, bei- 
nahe gänzlich verschwunden und durch grofse Anlagen im Werte 
von 1 bis 3 Millionen Mark ersetzt, weiche von 1000 bis 3500 Zentner 
Salpeter per 24 Stunden liefern können. 



— 162 — 

dem Jod des Salpeters auf einen gemeinsamen Ursprung zurückzu- 
führen, denn doch zu weit, als dafs man ernstlich mit dieser Idee 
sich beschäftigen könnte. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch 
darauf aufmerksam machen, welch eigentümliche Erscheinung uns 
darin entgegen tritt, dafs die südamerikanischen Salzläger aus 
Natronsalzen und Jod mit Spuren von Brom und im Gegensatze dazu 
die Stafsfurter zum gröfsten Teil aus Kaliverbindungen mit Brom 
und nur Spuren von Jod bestehen, zumal doch nicht denkbar ist, 
dafs die Ozeane in der Vorzeit etwa in den äquatorialen Gegenden 
an Jod und in den nördlichen an Brom reicher gewesen sein könnten. 
Von andern mehr oder minder bei den Haaren herbeigezogenen 
Hypothesen will ich nur vorübergehend diejenige erwähnen, welcher 
zufolge — weil man hier und da kleine Nesterchen wahrscheinlidi 
sehr modernen Guanos in den Salpeterlagern angetroffen — der 
Salpeter seinen Stickstoff dem Guano verdanken soll, eine Hypothese, 
welche unwillkürlich an den circulus vitiosus der Frage erinnert, ob 
die Henne oder das Ei zuerst gewesen. 

Nachdem die peruanische Regierung seit Mitte der siebenziger 
Jahre die Salpeterfabrikation zu einem Monopol gemacht, eine Mafs- 
regel, welche die Ursache des Jangen und blutigen Krieges mit Chile 
geworden, ist diese Industrie seit der Eroberung der Provinz durch 
die Chilenen allerdings wieder frei gegeben, aber mit einem schweren 
Ausfuhrzoll von 1 Dollar 60 Cents pro 100 kg — zum Kurse von 
38 d. gleich etwa Jh. 4,80 — belegt, welcher dem Staat die Kleinig- 
keit von 10 Millionen Dollar einbringt. 

Da es für den einen oder andern der Leser nicht ganz ohne 
Interesse sein dürfte, etwas über die Salpeterindustrie selbst zu 
erfahren, so will ich hier in Kürze mitteilen, wie das fertige Produkt 
aus dem Rohstoff gewonnen und dargestellt wird. Im Anfange, und 
ich kann hinzufügen, bis zum Beginn der fünfziger Jahre genügte 
es zur Herstellung des bescheidenen Quantums, dessen die europäische 
Industrie bedurfte, bei der althergebrachten primitiven Weise zu 
bleiben und erst dann, als der zunehmende Konsum immer grOfsere 
Anforderungen stellte, sind allmählich alle neuen Hülfsmittel, wdche 
die vervollkommnete Technik zur Verfügung stellte, eingeführt wordmi. 
Nur die ursprüngliche Gewinnung des Rohstoffs selbst, das Heraus- 
brechen und Zutagefördern des sogenannten Caliche geschieht heut- 
zutage noch in derselben Weise wie vor fünfzig Jahren, indem aUe 
neuen Erfindungen auf analogen Gebieten sich angesichts der eigen- 
tümlichen Verhältnisse und Bedingungen, welche bei dem Rohsalpeter 
vorliegen, als unpraktisch erwiesen haben. 

Um den Rohstoff zu gewinnen, werden mit Brechstangen etwa 




— 163 — 

10 Zoll im Durchmesser haltende Löcher bis durch die Salpeter- 
schicht, demnach in eine Tiefe von 5 bis 10 Fufs getrieben, — eine 
äufserst harte und zeitraubende Arbeit — dann auf dem Grunde 
vermittelst eines langen Löffels eine gröfsere kugelförmige Höhlung 
hergestellt, diese mit etwa 3—600 Pfund aus dem salpetersauren 
Natron hergestellten Pulver beschickt und diese Ladung durch Zünd- 
schnur zur Explosion gebracht. 

Versuche, das primitive im Lande bereitete Pulver durch voll- 
kommenes europäisches Minenpulver zu ersetzen, sind erfolglos ge- 
wesen, denn da man .nur eine lockernde Hebung des Terrains, nicht 
aber eine vollständige Zerstörung und ümherschleuderung der Massen 
wünscht, so ist eben das einheimische Produkt seiner langsamen Ver- 
brennung wegen vorzuziehen. Nachdem nun durch eine solche 
Sprengung der Boden in einer Fläche von 15—25 Quadratmetern 
aufgeworfen und gründlich gelockert ist, geht man mit dem Aus- 
arbeiten der Salpeterschicht laufgrabenartig vor, legt gröfsere Blöcke 
blos, sprengt diese durch Minenpulver oder Dynamit und trans- 
portiert die zerkleinerten Massen auf zweirädrigen Karren nach den 
1 bis 2 km entfernt liegenden Siedereien, den sogenannten ^Oficinas". 
War im Anfang auch der Betrieb auf die bescheidensten einheimischen 
Hülfsmittel, Versiedung in kleinen kupfernen in der benachbarten 
Bepublik Bolivia mit der Hand gearbeiteten Pfannen beschränkt 
gew^en, und hatte zu jener Zeit ein Etablissement, welches täglich 
60 — 100 Zentner Salpeter darstellte, für ein bedeutendes Werk ge- 
golten, so hat diese Industrie während der 50 Jahre ihres Be- 
stehens doch gewaltige Fortschritte gemacht und sich namentlich 
während der letzten 20 Jahre in rascher Weise jede Verbesserung 
angeeignet, die in Europa und den Vereinigten Staaten auf dem 
Gebiet der einschlägigen Technik zu verzeichnen gewesen ist, so dafs 
man heute wohl behaupten kann, dafs die Salpeterindustrie den in 
heutiger Zeit an sie zu stellenden Anforderungen in vollem Mafse 
entspricht. Bereits seit langen Jahren ist die Versiedung vermittelst 
Dampf in geschlossenen Kochkesseln bei unterbrochener Tag- und 
Nachtarbeit und der Substituierung eines grofsen Teils von Menschen- 
arbeit durch Dampfkraft eingeführt, und in der neuesten Zeit hat 
man wiederum einen grofsen Fortschritt durch die Einführung eines 
der Sodafabrikation entlehnten Auslauge Verfahrens erzielt. Die 
kleineren Officinas sind, weil sie sich den gröfseren modernen 
Etablissements gegenüber als nicht konkurrenzfähig erwiesen, bei- 
nahe gänzlich verschwunden und durch grofse Anlagen im Werte 
von 1 bis 3 Millionen Mark ersetzt, weiche von 1000 bis 3500 Zentner 
Salpeter per 24 Stunden liefern können. 



— 166 — 

bis 4 Pence gesunken war, ist nun von der Kombination auf 9 Pence 
per Unze festgesetzt worden. 

Der Konsum der Welt scheint etwa 3000 Zentner per Jahr 
zu sein und derselbe sich selbst durch sehr niedrige Preise nicht 
ausdehnen zu lassen, weshalb den Produzenten auch eine gewisse 
Berechtigung zur Seite steht, den jetzigen hohen Preis aufrecht zu 
erhalten. 

Der dritte Artikel, welcher Beachtung verdient, und welcher 
aller Wahrscheinlichkeit nach ein Produkt vulkanischer Tätigkeit 
sein dürfte, ist der sogenannte Borax, borsaurer Kalk oder richtiger 
Boronatrocalcit, etwa 25 — 28 ^/o Borsäure enthaltend, welcher seit 
dem Jahre 1850 in sehr variierenden Mengen ausgeführt worden ist. 
Dieser Stoff findet sich in ganz eigentümlicher Weise in einer 
schmalen etwa 40 englische Meilen von der Küste entfernten, am 
westlichen Abhänge der Pampa Tamarugal gelegenen Zone. Die 
Anwesenheit des Borax kennzeichnet sich durch kleine bis zu 1 FuEs 
reichende Erhöhungen des Bodens, welche oft in Zwischenräumen 
Ton einigen Fuls, häufig aber auch weiter auseinanderliegen. In 
diesen Eriiöhungen findet sidi der Boronatrocalcit als drüsenartige 
Gebilde von Vs — 6 Zoll im Durchmesser eingebettet und zwar ähnlich 
verteilt und gelagert wie die Knollen der Kartoffel. — Wie schon 
der Name andeutet, besteht das Mineral aus borsaurem Kalk, bor- 
saurem Natron, etwas Magnesia u. a., ist aber sehr häufig durch 
Erde und andererseits durch kieselsaure Verbindungen verunreinigt. 
Den Boraxablagerungen der Provinz ist neuerdings ein gefahrlicher 
Konkurrent in dem von dem weiter südlich gelegenen chilenischen 
Hafen Caldera verschifiten Borax erstanden, weldier dort im Innern 
am FuEse der Kordillera nicht in kleinen Knollen, sondern in kom- 
pakten Ablagerungen vorkommt. Sowohl die Terrains des Borax 
wie auch die Salpeteriändereien konnten bis vor kurzem gemutet 
werden und gegm geringe Stempel- und Schreibgebühren in den 
Besitz Privater übergehen. Seitdem indes Tarapaca chilenisch ge- 
worden ist, sind s&mtlidie noch herrenlose Ländereien in den Besitz 
des Fiskus übergegangen. Wie und in welcher Weise fortan der 
Staat über dieselben verfügen wird, dürfte wohl von in nädister 
Zeit durch die Gesetzgebung zu erlassenden Vorschriften bestimmt 
werden. 

Ein andrer wichtiger Artikel, welcher in den Annalen der 
Provinz erst in der Neuzeit eine Bolle gespielt hat, ist der Groano. 
Wie im Nordeo, so scheint auch hier im Süden schon in grauer 
Vorzeit, wenigstens lange vor der Eroberung, den Indianeni der 
Wert dieser für den Ackerbau so notigen Substanz bekannt gewesen, 



— 165 — 

ein flüchtiger Stoff sein müsse, dafs Iquique und die übrigen Aus- 
fahrhäfen, sowie alles, was von dort komme und stamme, seinen 
eigentümlich penetranten Geruch dem Salpeter verdanke, und wenn 
allmählich bei den vielen qualitativen Handelsanalysen, welche das 
Salpetergeschäft mit sich brachte, sich auch ergeben haben mochte, 
dab der sonderbare Geruch dem im Salpeter enthaltenen Jod zuzu- 
schreiben sei, so ist man doch erst überraschend spät auf den Gedanken 
gekommen, diesen kostbaren Stoff zu gewinnen und zu verwerten. Erst 
im Jahre 1866 oder 1867 fing ein eingeborener Dilettant auf dem Ge- 
biete der Chemie an, in höchst primitiver Weise und ganz im kleinen 
vermittelst durch Verbrennung von Schwefel dargestellter schwef- 
liger Säure, das in den Mutterlaugen enthaltene Jod zu fällen und 
erlangte derselbe kurz darauf von der peruanischen Regierung ein 
Patent auf sein Verfahren. Wenngleich im allgemeinen selbst heutigen 
Tags die Darstellung des Jods im Prinzip doch immer auf dem- 
^Iben Verfahren beruht — abgesehen davon, dafs man jetzt anstatt 
dm Wasser gelöster schwefliger Säure, an Ort und Stelle herge- 
stelltes schwefligsaures Natron verwendet^) — so hat man in 
iiQchnischer Beziehung doch so grofse Fortschritte gemacht, dafs 
man jeder Konkurrenz die Spitze bieten kann. Ich erwähne noch, 
dals das frisch gefällte Jod durch Filterpressen getrocknet, dann 
sublimiert wird und mit einem Reingehalt von 99 — 100 ^/o in kleinen 
hermetisch verschlossenen Fässern zum Versand kommt. Nachdem 
diese neue Industrie schon nach kurzer Zeit einen bedeutenden Auf- 
schwung genommen, entwickelte sich sehr bald eine erbitterte Kon- 
kurrenz zwischen den peruanischen Produzenten und den Schotten 
und Franzosen, welche bisher aus den heimischen Kelparten*) den 
ganzen Bedaii der Welt an Jod gedeckt hatten. Nachdem die 
Europäer eingesehen hatten, dafs es vergebliches Bemühen sein 
werde, ihre neuen Gegner aus dem Felde zu schlagen, boten sie die 
Hand zur Versöhnung und wenn diese entente cordfale auch mal 
zeitweilig unterbrochen gewesen, so hat das gemeinschaftliche Inter- 
esse diese widerwilligen Faktoren doch rasch wieder zusammen- 
geführt und hat man sich neuerdings dahin geeinigt, dafs Schotten, 
Franzosen und Norweger zusammen STV« ®/o und Chile den Rest des 
Weltkonsums liefert. Der Preis des Jods, welcher bereits auf SV« 



*) Das schwefligsanre Natron wird gewonnen, indem man Salpeter zu- 
sammen mit Steinkohlenstanb verbrennt nnd in das anf diese Weise erzengte 
koblensanre Natron Schwefeldämpfe leitet. 

>) Sodahaltige Asche der Seepfianzen; Kelp in Schottland, Varek in der 
Normandie genannt. 



— 168 — 

Schluchten, die durch die ärmlichen Gewässer, welche die Cordillera 
dem Stillen Ozean zuzusenden beabsichtigt — beabsichtigt, sage ich, 
weil nur im Winter einige wenige kleine Wasserzüge die Küste 
erreichen - befeuchtet werden. Aufserdem werden einige Früchte 
und etwas Wein in Pica, etwa 80—90 engl. Meilen von Iquique, 
gebaut, indes spielen alle diese Produkte für die Ernährung der 
Bewohner gar keine Rolle und fast sämtliche Nahrungsmittel müssen 
der Provinz auf dem Seewege zugeführt werden, wie denn an der 
Küste selbst das Trinkwasser durch Destillation des Seewassers 
gewonnen werden mufs. 

Das Tierreich ist, dem traurigen wüstenartigen Charakter dieses 
Erdstrichs angemessen, aufserordentlich spärlich vertreten und be- 
schränken sich dessen Repräsentanten auf Pferde, Maultiere, Esel, 
Schafe und Lamas, von denen indes nur die Wollträger im Lande 
gezüchtet werden, während die genannten Einhufer aus der argen- 
tinischen Republik eingeführt werden. Sonst kommen von Säuge- 
tieren nur noch vereinzelt ein kleiner Fuchs vor, welcher häufig 
nach der Küste zum Fischen kommt, sowie in der Cordillera das 
Guanaco und Vicuiia, über welchen hoch in den Lüften der Kondor 
und die verwandten kleineren Geierarten kreisen. 

Ein segensreiches Ereignis und für die Entwickelung der Provinz 
Tarapaca von unberechenbaren Folgen ist ohne Zweifel die vor 
kurzem vollzogene Abtretung derselben an Chile und ohne Propheten- 
gabe läfst sich voraus sehen, dafs unter der thatkräftigen Regierung 
und Führung Chiles die Provinz berufen sein wird, eine hervor- 
ragende Rolle zu spielen. Vor allen Dingen handelt es sich um die 
schon seit langem projektierte Bahnverbindung mit Bolivien, um das 
ganze den Desaguadero und den mächtigen Titicaca-See begrenzende 
Hochland dem Verkehr zu erschliessen und mit dem Stillen Ozean 
in Verbindung zu setzen*). Erst damit sind die Bedingungen für eine 
gedeihliche Entwickelung jener grofsen Länderkomplexe gegeben 
und zugleich die so weit ephemere — weil einzig und allein auf den 
vergänglichen Salpeterreichtum begründete — Existenz und Zu- 
kunft von Iquique und zahlreicher kleiner Hafenplätze gesichert. 

Möge Chile seine Mission voll und ganz erkennen und erfÜUen. . 
Dann wird aus der heutigen Wüste Tarapaca, wenn auch kein Para- - 
dies, mit der Zeit doch ein menschenwürdiger Aufenthalt entstehen^« 
können. 



*) Von dem peruanisclien Hafen MoUendo führt schon jetzt eine Oebiigft'' 
bahn bis hinauf nach Pono am Westnfer des Titicaca-Sees; siehe die anziehenden 
Reiseschilderungen des Dr. Copeland in Band VI. dieser Zeitschrift S. 105 a 
^19 a. ff. 



i 



- 169 — 

Das Quellgebiet des Rio Chubut. 

Berichte über Entdeckungsreisen in früheren Jahrhunderten. Fltzroy. Die 
wallisische Niederlassung. Die Reisen von Moreno. Moyano. Palacios. Der erste 
Bericht über die erfolgreiche Reise Foutanas. Günstige Aussichten für Kolonisation. 

Die Gobernacion del Chubut, welche den Strich Patagoniens 
umschrieben vom 42. und 46. Grade Südbreite, dem Atlantischen 
Ozean und der Kordillere einnimmt, war bis jetzt von allen argen- 
tinischen Landesteilen die am wenigsten bekannte. Der Chronist 
ihrer katholischen Majestät Don Antonio Herrera berichtet uns von 
dem kühnen Zuge, welchen der Leutnant Alcazabas, Kodrigo de Isla, 
vom Hafen de las dos Baluces aus jenem Flufs entlang unternahm 
(1535). Schon sah derselbe nach schweren Drangsalen die schneeigen 
Anden in der Feme auftauchen, als Meuterei der Begleiter dem 
Vordringen ein jähes Ende setzte. Alcazaba wurde ermordet, auf 
der Eückfahrt ging das Schiff „Islas" zu Grunde mit allen Papieren 
und Plänen, und nur der kurze Brief eines Augenzeugen, Juan de 
Mori, berichtet von jenem abenteuerlichen Unternehmen. 

Während 300 Jahren blieb seitdem die unwirtliche Küste fast 
unbekannt, so dafs erst die Expedition des Kapitän Fitzroy den 
Chubut wieder entdeckte (1833 — 34), an dessen Ufern sich später 
eine walliser Kolonie niederliefs (1865). Ein hartes Ringen um das 
tägliche Dasein, welches die nur geringe Fruchtbarkeit des besie- 
delten Bodens bedingte, liefs den Einwanderern nicht Zeit zur 
Erforschung des Oberlaufes ihres Flusses und der englische Arzt 
Durnford, welcher in Begleitung eines Herrn Jones den südlichen 
Arm des Chubut, den Senger, bis zu den grofsen Seen Colhu6 und 
Musters verfolgte, war auch nicht im stände, durch verlockende 
Schilderungen dem Forscher- und Wandertrieb der Walliser einen 
Sporn einzusetzen; der ferne Westen bot ihnen keine Reize. Die 
kurze Strecke des Flufslaufes von der Vereinigung des Chubut 
mit dem Senger bis zum Ozean war bekannt, seine Quellen aber 
in das tiefste Dunkel gehüllt, welches selbst der kühne Ritt des 
englischen Marineoffiziers Musters (1869) sehr wenig erhellen konnte, 
da dieser, mit einem Tehuelchenstamme den östlichen Fufs der 
Anden durchstreifend, sich sehr hüten mufste, Instrumente zu besitzen, 
geschweige denn Beobachtungen zu machen. Sein hochinteressantes 
Buch giebt somit geringen Anhalt für die Kartographie, wenn es 
auch den Charakter jener Regionen in grofsen Zügen anschaulich 
schildert. 

Zehn Jahre später (1879—80) unternahm der argentinische 
Forscher Dr. F. Moreno eine Reise südwestlich von Rio Ne?j:ci ^M!Ä. 

Qeogr. Blätter. Bremen, 1886. -^ 



— 170 — 

berührte auf derselben auch einige der nördlichen Quellen des 
Chubut; doch ist leider das Ergebnis dieser gefahrvollen Expedition 
bis jetzt ein negatives für die Wissenschaft, da aufser einem kurzen 
Abrifs, welcher im buUetin de la Soci6t6 de g6ographie de l'Est 
(1880 Nr. 3 und 4) erschien, nichts mehr darüber in die Öffent- 
lichkeit gelangt ist. 

Auch die Eeise des argentinischen Seeoffiziers Moyano (1880) 
trug wenig zur Aufklärung der Gobernacion del Chubut bei. In 
der Absicht, einen zum Viehtransport geeigneten "Weg zwischen Santa 
Cruz und dem Chubut aufzufinden, folgte er von der Mündung jenes 
Flusses aus den Spuren von Musters, bog erst nach dem 46. Breiten- 
grade nach Osten ab, erreichte den Rio Senger bei den grofsen 
Seen und verfolgte denselben bis zur Kolonie Chubut, hatte also 
nur, was den Chubut anbetrifft, die Gelegenheit, die Beobachtungen 
von Durnford und Jones zu bestätigen. 

Noch eine andre Expedition durchstreifte gerade das Quell- 
gebiet des Flusses; doch sind deren Ergebnisse leider fast unbrauchbar. 
Als der General Villegas im Jahre 1883 das berühmte Dreieck 
zwischen der Kordillere, dem Limay und Neuquen (also die Quellen 
des Rio Negro) in Besitz nahm, dessen Inhaber aber den kriegerischen 
Shayhueque mit seinen Lanzen nach Süden gedrängt hatte, sandte 
er ihm den Oberstleutnant Palacios mit einer leichtbeweglichen 
Schar zur Verfolgung nach. Diese dehnte sich sehr weit aus: vom 
Nahuel-Huapl bis anscheinend zum 48. Grade und zwar stets am 
Fufse des Gebirges entlang, mufs also sämtliche Tributärflüsse des 
Chubut überschritten haben; doch leider waren die schnellen Be- 
wegungen der kleinen Truppe wenig zu geographischen Aufnahmen 
geeignet und das Tagebuch der Expedition ist in dieser Beziehung 
zu dunkel, um als sichere Quelle dienen zu können. 

So ist denn die Forschungsreise, welche der Oberstleutnant 
J. Fontana soeben durch jene Gegenden zu Ende geführt hat, von 
hohem Interesse, und darf die Geographie sich eine schöne Er- 
weiterung ihres wissenschaftlichen Besitzstandes von derselben ver- 
sprechen, wenn auch für den Augenblick nur ein vorläufiger Bericht 
jenes Herrn vorliegt. Zudem ist Fontana kein Neuling weder im 
Reisen, noch in der Ausbeutung und Darstellung seiner Beobach- 
tungen. Als Sekretär des Gouverneurs des Chaco schrieb er mehrere 
beachtenswerte Aufsätze und unternahm zwei wertvolle Expeditionen, 
die eine zu Lande den Rio Bermejo hinauf bis nach Oran (1881), 
wobei er durch eine indianische Kugel den Gebrauch eines Armes 
einbüfste, und die andre an Bord eines kleinen Dampfers auf dem 
Pilcomayo zur Aufsuchung der Reste des verunglückten Crevaux 



— 171 — 

(1882). Seitdem zum Gouverneur des neuerrichteten Territoriums 
Chubut ernannt, dessen wirtschaftliche Verhältnisse energisch eine 
Ausdehnung des Ackerbodens erfordern, war sein Erstes, eine For- 
schungsreise nach den Quellen dieses Flusses vorzubereiten und, 
als die von der Regierung geforderten Mittel zu lange ausblieben, 
allein mit den Kräften seiner Hauptstadt, jener kleinen welschen 
Kolonie, zu unternehmen. Etwa dreifsig junge Ansiedler begleiteten 
ihn auf dem Zuge, den Flufs aufwärts zur schneeigen Kordillere, 
welchen er am 14. Oktober vorigen Jahres antrat. Lautlos schlofs 
sich die Wildnis über der kleinen Schar; und da monatelang keine 
Kunde von ihnen herüberdrang, war die Befürchtung eines Unglückes 
nicht ausgeschlossen, da einerseits die in dieses Gebiet verdrängten 
Indianer der Pampa noch zahlreich genug zu einem erfolgreichen 
Überfalle sind, und aufserdem weite, wasserlose Strecken den des 
Weges Unkundigen sicheres Verderben bereiten konnten. Noch höher 
stieg die Besorgnis, als zwei hintereinander vom Rio Negro abge- 
sandte Streifpartien ohne Nachricht von den Verschollenen heim- 
kehrten, und auch ich war geneigt, den langjährigen Freund zu den 
Toten zu zählen, als kürzlich ganz unvorbereitet (denn noch reicht 
der elektrische Draht nicht zum fernen Chubut) die Kunde von der 
glücklichen Rückkehr Fontanas und ein vorläufiger Bericht desselben 
an den Präsidenten der Republik einlief. Ich entnehme diesem 
Schreiben das geographisch Interessante. 

Die Expedition folgte zuerst dem Laufe des krümmungsreichen 
Chubut bis zu seinen nördlichsten Quellen unter dem 42. Grade und 
kreuzte dann in südlicher Richtung dessen verschiedene Nebenflüsse 
quer über die prächtig bewaldeten Ausläufer der Andes, durch frucht- 
bare Thäler und weite grasreiche Ebenen mit nie geahntem Wasser- 
reichtum. Grofse Seen wurden entdeckt, drei Pässe nach dem chile- 
nischen Gebiet am Stillen Ozean untersucht und die unvermeidliche 
Goldmine gefunden. 

Unter dem 46. Grade, als an der Südgrenze seines Bezirkes 
„löschte Fontana, als erster Europäer, seinen Durst in den Quellen 
des Rio Senger", bog dann östlich ab, folgte diesem Flusse bis zu 
den grofsen Seen, deren Lage sowie die Mündung jenes und des 
Rio Chico (Moyanos Genu6?) er bestimmte, und erreichte am 
8. Februar, also nach fast viermonatlicher Reise, seinen Ausgangs- 
punkt. 

Soweit der Reisende, dessen detaillierter Bericht nebst dem 

Plane seiner Route von grofser Wichtigkeit sein, mir selbst aber 

zur Genugthuung gereichen dürften, da ich schon vor zwei Jahren 

in diesen Blättern auf die Fruchtbarkeit des Landstriches am öst- 

12* 



— 172 — 

liehen Fufse der patagonischen Kordillere hinwies. Von dieser Gegend 
schreibt Fontana : „Während vieler Tagemärsche war die Luft erfüllt 
vom köstlichen Wohlgeruch der Erdbeeren, welche der Rosseshuf 
zermalmte, und am Ufer der Flüsse, die jene Thäler durcheilen, 
finden sich beträchtliche Pflanzungen von kleinen Reben, die schwarze 
und rote Korinthen hervorbringen. *" 

Selbst nach Abzug der Hälfte von dieser und ähnlichen Schil- 
derungen auf Rechnung der Reisebegeisterung und der argentinischen 
Vaterlandsliebe bleibt genug übrig — nämlich: fruchtbarer, reich 
bewässerter Boden in den Thälern, dichte Wälder auf den Höhen, 
nordeuropäisches Klima und verschiedene Pässe, welche die Ver- 
bindung mit den Fjorden des Grofsen Ozeans und dadurch mit dem 
Welthandel ermöglichen — um jene Regionen der Aufmerksamkeit 
unsres Volkes in hohem Grade wert zu machen. 

Cördoba, im März 1886. A. Seelstrang. 



Kleinere Mitteilungen. 

§ Ans der geographischen Gesellschaft; in Bremen. Die GeseUschaft hielt 
am 28. Mai in ihrem Lokale, Rutenhof, unter dem Vorsitz des Herrn G. Albrecht 
ihre Jahresversammlung. Der Vorstand gab einen Rückblick auf die 
Thätigkeit der Gesellschaft im letzten Jahre, wobei des Entgegenkommens 
der hiesigen Abteilung des Deutschen Kolonialvereins in Beziehung auf die 
gemeinschaftliche Veranstaltung von Vorträgen anerkennend zu gedenken war. 
Die Bearbeitung der Sammlungen, welche die Herren Dr. Krause aus Tschuktschen- 
land und Alaska mitbrachten, erfolgte seitens einer gröfseren Anzahl Gelehrter 
und werden die einzelnen Kollektionen, sobald die Bearbeitung abgeschlossen, 
an Museen und wissenschaftliche Anstalten des In- und Auslandes durch gütige 
Vermittlung des Direktors des hiesigen städtischen Museums, Herrn Dr. Spengel, 
abgegeben. Herr Professor Kurtz in Cördoba hat, wie er brieflich mit- 
teilte, den von ihm übernommenen Teil der Bearbeitung der botanischen 
Sammlungen beendet und werden letztere demnächst verteilt werden können. 
Über die fernere Wirksamkeit des Vereins nach verschiedenen Richtxmgen 
tauschte man seine Ansichten aus und werden die in dieser Hinsicht gegebenen 
Anregungen vom Vorstande weiter erwogen werden. Die Rechnung des letzten 
Jahres läfst erfreulicherweise einen kleinen Oberschuls, namentlich deshalb, 
weil die Einnahmen aus dem Verkauf der Krauseschen Sammlungen von dem 
Herrn, welcher die ganzen Kosten der Expedition bestritten hat, der Gesellschafts- 
kasse überwiesen wurden. Der Mitgliederbestand war im März 1885 : 17 Ehren- 
mitglieder, 21 korrespondierende und 317 ordentliche Mitglieder; leider starben 
im vorigen Jahre eine ungewöhnlich grofse Zahl von Mitgliedern, nämlich 14 
20 Herren erklärten ihren Austritt, neueingetreten sind 7 Herren. Die Kosten 
der Vorbereitung der infolge der Erkrankung des Herrn Dr. Gottsche nicht zn 
stände gekommenen Boninexpedition sind der Kasse der Gesellschaft zur Last 
gefallen, nun aber durch die Freigebigkeit einiger Mitglieder gedeckt. Die Kosten 



— 173 — 

derYortrSge auswärtiger Herren wnrden im vorigen Winter, soweit solche 
gemeinschaftlich mit der hiesigen Abteilnng des deutschen Kolonialvereins veran- 
staltet wurden, von dieser letzteren gedeckt. Ein Mitglied überreichte als 
Geschenk ein geschmackvolles Photographiealbam und der Vorstand wird sich 
Dünmehr an seine Frennde nnd Förderer, an bedeutende geographische Forscher 
und Reisende mit der Bitte um Übersendung ihrer Photographie wenden. 
Schlielslich wurde das Vorstandsmitglied, Herr Dr. Otto Finsch in Berlin, in 
Bücksicht auf die Verdienste, welche sich derselbe einesteils durch seine frühere 
im Auftrage der Gesellschaft ausgeführte Reise nach "Westsibirien, wie neuerdings 
dnrch seine so bedeutenden ethnologischen Forschungen und Sammlungen in 
Polynesien, besonders aber durch seine geographischen Entdeckungen in Neu-Guinea 
erworben hat, einstimmig zum Ehrenmitgliede der Gesellschaft erwählt. Von 
Arbeiten der Mitglieder ist zu berichten, dafs nunmehr auch der Schlufs der in 
Heft 1. S. 63 dieser Zeitschrift erwähnten Arbeit des Herrn Dr. Arthur Krause : 
Archiv für Naturgeschichte, Band 51, Heft 3, Gasteropoden, mit drei Tafeln, 
erschienen ist. Femer veröffentlichte das Mitglied Herr Dr. Gottsche, z. Z. 
Privatdozent an der Universität Kiel, den von ihm in der Gesellschaft für Erd- 
kunde zu Berlin im vorigen Herbst gehaltenen Vortrag über Korea, unter dem 
Titel: Land und Leute in Korea (Berlin, Pormetter, 1886). Beigegeben ist ein 
Kärtchen von Korea (Mafsstab 1:4000000), in welches die Reiserouten des Ver- 
fassers eingetragen sind. Am 8. April fand eine gemeinschaftliche Versammlung der 
geographischen. Gesellschaft und der Abteilung Bremen des deutschen Kolonial- 
vereins statt; Herr Dr. W. Breitenbach aus Frankfurt a. M. teilte in einem 
längeren Vortrag seine Erfahrungen und Beobachtungen in bezug auf Süd- 
Brasilien, insbesondere die von Deutschen besiedelten Gebiete in den Provinzen 
Rio Grande do Sul und Santa Catarina mit, wo er vier Jahre lebte. Ein aus- 
führlicher Bericht über diesen Vortrag wurde in Heft 9 der „Deutschen Kolonial- 
zeitnng'* vom 1. Mai S. 257 und 258 abgedruckt. 



§ Der seehste Deutsche 6eo|;raphentag wurde Ende April in Dresden abge- 
lten, allen uns vorliegenden Berichten zufolge ist der Verlauf desselben ein sehr 
^'«friedigender gewesen. Die Beteiligung seitens der deutschen geographischen 
Gesellschaften war eine zahlreiche, das Ausland war durch Delegierte aus Amster- 
<^Di, Budapest, Bukarest, Bern, St. Gallen und Neuenburg vertreten. Die 
^örsammlung wurde am 28. April, vormittags 10 Uhr, im Saale der polytech- 
^chen Lehranstalt am Bismarckplatz, durch Ansprachen des Oberbürgermeisters 
flör Stadt Dresden, Dr. Stübel, und des Professor Rüge, Vorsitzers des Vereins 
™ Erdkunde zu Dresden, eröffnet, späler erschienen König Albert von Sachsen in 
^®§feitung des Kriegs- und des Kultusministers, sie wohnten den Verhandlungen 
f"^^ längere Zeit bei. Den ersten Vortrag hielt Premierleutnant von Franijois 
^"®^ seine B.eisen im südlichen Kongobecken. Der zweite Vortrag, gehalten 
^^^ Dr. Ed. Naumann, betraf die von diesem Gelehrten ausgeführte topographische 
^ geologische Landesaufnahme Japans. Am Nachmittag folgten Mitteilungen 
De^ das Zeichnen im länderkundlichen Unterricht von Direktor H. Matzat, V^eil- 
^S, imd über die Begründung eines fortlaufenden geographischen Repertoriums. 
^ S9. und 30. Aprü wurden folgende Themata verhandelt: 1. die Erhebung 
®Ä Meeresspiegels an den Festlandsküsten (Dr. G. Leipoldt, Dresden). 2. Küsten- 
-T^^^ünng nnd Küstenentwickelung in verkehrsgeographischem Sinne (Professor 
P^^^ Kdnigsberg). 3. Kants Bedeutung für die Geographie (Dr. P. Lehmann, 
^*ii). 4. Die Entwickelungsgeschichte der Ortsnamexvkatv^fe l^tol^^^opt ^^\>» 



— 174 — 

Zürich). 5. Die Erschliefsung Sibiriens (Professor Petri, Bern). 6. Die schärfere 
Begrenzung geographischer Begriffe (Dr. 0. Schneider, Dresden). 7. Die Thätigkeit 
der vom Geographentag gebildeten Zentralkommission für deutsche Landeskunde 
(Bericht des Professor Rüge, Dresden). Die Nachmittagsstunden wurden zu 
einem Besuche des ethnologischen Museums im Zwinger benutzt, wo Dr. Uhle 
die Führung übernahm. Hieran schlofs sich eine Besichtigung der im Magazin 
des bekannten grofsen Handelshauses Gehe & Co. veranstalteten Ausstellung von 
ausländischen Droguen und Begehung der Lagerräume. Im ersten Stock war 
eine Zahl auserlesener Droguen aller Weltteile soweit als thunlich nach ihrer 
Heimat geordnet, und in geöffneten Originalumschliefsungen aufgestellt; bei ein- 
zelnen derselben waren die daraus gewonnenen chemischen Stoffe, sowie seltene 
Schaustücke und Schmuckgegenstände beigefügt. Nachdem man am Eingange 
Erzeugnisse Südeuropas, von den Gestaden des Mittelländischen Meeres, gesehen, 
traf man in der Abteilung Afrika aufser andern Produkten auch solche unsrer 
neuen Kolonien: Erdnüsse, Kolanüsse, Yamswurzel u. a. Es reihten Kollek- 
tionen von Droguen aus Asien, Süd- und Zentralamerika, Australien und 
Ozeanien sich an. In der Mitte des Raumes waren hervorragend kostbare 
Droguen, wie auch eine Anzahl interessanter, derSammlung des Hauses entnommener 
Originalpackungen und andre Gegenstände aufgestellt. — Zum nächstjährigen 
Versammlungsort wurde Karlsruhe gewählt. — Auch der gesellige Teil der 
Versammlung, sowie die Ausflüge in die sächsische Schweiz und nach Freiberg, 
haben den vorliegenden Zeitungsberichten zufolge die Teilnehmer sehr befriedigt. 
Von höchstem Interesse war die von Dr. Alphons Stübel veranstaltete 
Ausstellung von Skizzen südamerikanischer Landschaften und Volkstypen, im 
ganzen 81 Bilder, zu welchen ein von Dr. Stübel verfafster, dem 6. deutschen 
Geographentag gewidmeter illustrierter Katalog in Grofsquartformat verteilt 
wurde. Durch die Güte des Herrn Vorsitzers des Vereins für Erdkunde, Herrn 
Professor Rüge, und des Sekretärs dieser Gesellschaft, Herrn Gebauer, geht uns 
bei Abschlufs dieses Heftes ein Exemplar dieses Kataloges zu. Die Begleit- 
worte zu den nach Federzeichnungen des Herrn M. Vetter in Dresden ausgeführten 
zinkographischen Vervielfältigungen der Originale gewähren treffliche Anhalts- 
punkte für die Topographie der von Stübel und Reifs durchforschten Gegenden 
Südamerikas. Ober Zweck und Erfolge dieser Reisen giebt ein Einleitungswort 
nähere Auskunft. In dieser Einleitung macht Dr. Stübel den Vorschlag der 
Begründung eines geographischen Museums, indem er u. a. bemerkt: „ein 
geographisches Museum müfste in chronologischer Obersicht den Fortschritt 
erläutern, welchen die Erforschung der Erdoberfläche im Laufe der Jahrhunderte 
gemacht hat; es müfste die Kartographie von ihren ersten Anfängen bis auf 
die Gegenwart veranschaulichen; es müfste eine permanente Vorführung von 
bildlichen Darstellungen bieten, welche nach Ländern geordnet, die Vorstellung 
unterstützten." Wir hoffen mit Dr. Stübel, dafs die Begründung eines derartigen 
Instituts bei dem allgemeinen Interesse, welches die Geographie gewonnen hat, 
nur noch eine Frage der Zeit sein werde. Neben den Museen und Gemälde- 
sammlungen, welche der Pflege und Förderung der Künste dienen, hat ein 
geographisches Museum der bezeichneten Art in unsrer mit ihrem Verkehr 
mehr und mehr alle Ländergebiete und Völker der Erde umspannenden Gegenwart 
seine volle Berechtigung. Wir beschränken uns auf diese Notizen und behalten 
uns vor, sobald der Bericht über die Versammlung gedruckt vorliegt, auf 
einzelnes näher einzugehen. 



— 175 — 

§ Dr. FiBsehs Neu-Gdnea-Ansstellang in Berlin. Bereits fm vorigen Hefte 
machten wir unter näherer Besprechung des Katalogs auf diese bedeutende und 
hochinteressante Ausstellung, welche im neuen Königlichen ethnologischen Museum 
in Berlin, Königgrätzerstrafse, gegenwärtig jedermann zugänglich ist, aufmerksam. 
Seitdem hatten wir Gelegenheit der Ausstellung einen wenn auch nur flüchtigen 
Besuch abzustatten und können das früher Gesagte nur vollauf bestätigen. Die 
Ausstellung wurde kürzlich durch eine neue reiche Sendung vermehrt, worüber ein 
zweiter Katalog Auskunft giebt; es sind die von Dr. Finsch im Mai 1885 auf der 
Reise von der Astrolabe- bis zur Humboldt-Bai (vergleiche Bericht und Karte in 
Heft 4, 1885 dieser Zeitschrift S. 354 u. ff.) gesammelten Gegenstände. Diese Küste 
wurde auf der Strecke von der Vulkan-Insel bis zur Grenze von niederländisch 
Neu-Guinea (141<* ö. L.) von Dr. Finsch zuerst befahren. Die Sammlung, welche 
viele nach Form, Arbeit oder Benutzung neue Gegenstände enthält, ist also 
einzig in ihrer Art. Sie stellt den allmählichen Übergang von östlichen zu den 
häufig sehr abweichenden westlichen Formen dar und giebt in Verbindung mit 
den zuerst ausgestellten und in Katalog 1 näher bezeichneten Gegenständen ein 
übersichtliches und lehrreiches Bild der Eigenart der Bewohner der Nordost- 
küste Neu-Guineas, von Milne-Bai und den vorgelagerten Inseln bis zur 
Humboldt-Bai. Die Sammlung aus der bisher unbesuchten Nordostküste umfafst 
673 Nummern von 14 Orten, es sind namentlich "Waffen, Geräte und "Werkzeuge, 
Bekleidungs- und Schmuckgegenstände, Holzmasken, Ahnenfiguren, Idole, Kokos- 
palmblätter als Friedenszeichen u. a. Ferner verzeichnet der Katalog 2 als Nach- 
träge aus dem Bismarck-Archipel und Kaiser "Wilhelms-Land an 30 Nummern, eine 
gröfsere Anzahl Nachträge zu den aus den benachbarten englischen Schutz- 
gebieten ausgestellten Gegenständen, weiter als Anhang 30 Schädel, Haarproben 
und Zöpfe von verschiedenen Punkten der Neu-Guinea- Küste ; endlich Natur- 
produkte: Proben von Tabak, Sago, Nüssen und Wurzeln. Die Reihe farbiger 
Ansichten der Neu-Guinea-Küste, welche nach Skizzen von Dr. Finsch, von 
M. Hoffmann in Berlin ausgeführt wurden, bildet eine Zierde der Ausstellung; 
vnr bedauern, dafs letztere nicht auch in Bremen stattfinden kann! Ein Teil 
der ausgestellten Gegenstände ist bereits in den Besitz des Königlich ethno- 
logischen Museums in Berlin übergegangen, ob dies auch bezüglich der zweiten 
Sendung der Fall, ist uns unbekannt 



§ Polarregionen. Mit grofsem Interesse liest man den in den Mdlanges 
biologiques des Bulletins der Kaiserlichen Akademie in St. Petersburg Band Xu. 
abgedruckten Bericht des Dr. Alexander Bunge aus Sagastyr, September und 
Oktober 1884, über seine ferneren Fahrten im Lena-Delta und die Ausgrabung 
eines angeblich vollständigen Mammutkadavers. Die unverdrossene 
Ausdauer und nie ermüdende Geduld, mit welcher Dr. Bunge trotz aller sich 
wiederholenden Enttäuschungen seine Nachsuchungen und Nachgrabungen 
fortsetzte, ist bewunderungswert und berechtigt zu der begründeten Hoffnung, 
daTs das Resultat der Forschungen Dr. Bunges auf den neu-sibirischen Inseln, 
welche derselbe in diesem Frühjahre hoffentlich zu Schlitten glücklich erreicht 
hat, ein bedeutendes sein werde. Die von Dr. Bunge in der Tundra des Lena- 
Delta nahe den Jurten von Tymastach aufgefundenen Reste von Knochen, wie 
in Spiritus konserviei-te "Weichteile, Darm- oder Mageninhalt des Mammut, dessen 
Kadaver, wie Dr. Bunge feststellte, schon früher von den Jakuten stark ge- 
plündert worden war, wurden nach St. Petersburg gesandt, um dort näher 
untersucht zu werden. 



— 176 — 

In dem neuesten Hett der von Marinekapitän Irminger redigierten 
Zeitschrift der Königlich dänischen geographischen Gesellschaft lesen wir: 
die von der dänischen Regierung seit einer Reihe von Jahren ausgesandten 
Expeditionen zur Untersuchung der geographischen und physischen Verhältnisse 
Grönlands werden in diesem Jahre durch eine Expedition, welche den nörd- 
lichsten Distrikt, üpernivik, untersuchen soll, fortgesetzt werden. Die Leitung dieser 
Expedition ist Herrn Ryder, Premierleutnant der dänischen Kriegsflotte, dem 
wir die in Heft 1. dieses Bandes unsrer Zeitschrift veröffentlichte Mitteilung 
über die vorigjährigen dänischen Untersuchungen in Grönland verdanken, über- 
tragen, femer nehmen Teil Premierleutnant Bloch und Kandidat üssing. Im 
Monat Mai verliefsen diese Herren mit einem Schiffe der grönländischen 
Handelskompanie, der von Kapt. Amondsen geführten Bark „Thorwaldsen*, 
Kopenhagen. Den getroffenen Bestimmungen zufolge wird Kandidat üssing im 
Herbst zurückkehren, während die beiden andern Herren in üpernivik zurück- 
bleiben, um im Laufe des nächsten Winters und Sommers die üntersuchungs- 
arbeiten fortzusetzen und möglichst auch die unbekannte Küste nördlich von 
üpernivik zu erforschen. 

Die von Herrn Dr. Will in Süd-Georgien, während seines einjährigen 
Aufenthaltes daselbst als Mitglied der deutschen Südpolarstation, gesammelten 
blühenden Pflanzen sind jetzt bestimmt, wie eine von erläuternden Bemerkungen 
des Dr. Will begleitete Aufzählung in Englers Jahrbüchern Band VII, S. 281 
ergiebt. Es sind 13, hinsichtlich deren wertvolle Angaben über ihre Ver- 
breitungszonen gemacht sind. Zur Zeit ist die Flora einer Reihe von Inseln 
des antarktischen Meeres noch so gut wie unbekannt. — 

Einem höchst interessanten Vortrag, welchen der Direktor des 
dänischen meteorologischen Instituts, Herr A. Paulsen, 1882/83 Leiter der 
Polarexpedition in Godthaab, in der Geographischen Gesellschaft zu Kopenhagen 
über „Nordlichtbeobachtungen in Godthaab 1882—83" gehalten hat, 
entnehmen wir folgendes : Es wurde in 142 Nächten wahrgenommen, das erste 
am 14. August 1882, das letzte am 30. April 1883. Dann wurden die Nächte 
so hell, dafs das Tageslicht das Sichtbarwerden des Nordlichts verhinderte bis 
zum 1. August 1883, wo es sich wieder zu zeigen begann. 

Das Nordlicht zeigte sich in allen den Formen, welche aus den arktischen 
Gegenden beschrieben werden, jedoch niemals in der Form, in welcher es in 
niedrigeren Breiten aufzutreten pflegt, d. h. in Form eines dunklen Segments, 
welches niedrig am nördlichen Himmel steht und von dessen leuchtendem 
Rande konvergierende Strahlen ausgehen. Die Hauptformen, unter denen man 
die Erscheinungen des Nordlichts, wie verschieden es sich auch zeigen mag, 
gruppiren kann, sind nach Paulsen folgende: 

1) Als einfachste Form ein einfaches, mehr oder minder hervortretendes 
Leuchten des Himmels. Dies kann so schwach sein, dafs man es nur daran 
erkennt, dafs die Stellen des Himmels, wo es sich nicht findet, dunkler 
erscheinen, als die andern, ja es kann häufig nur durch das Spektroskop 
nachgewiesen werden, welches die charakteristische grüngelbe Nordlichtlinie 
zeigt. Öfter beobachtete Herr Paulsen, dafs mitten im Winter, zu Zeiten wo 
kein Nordlicht wahrnehmbar und der Mond unter dem Horizonte stand, doch 
genügend Licht vorhanden war, um nicht nur entfernte Berge zu sehen, sondern 
auch die schneebedeckten und schneefreien Stellen zu unterscheiden; 2} eine 
andre Form, die ebenso wie die ebengenannte sich von den andern, mehr 
explosiven, Formen charakteristisch unterscheidet, ist die, dafs sich das Licht 



— 177 — 

nzelnen leuchtenden Flecken zeigt, die leuchtendem Nebel von unbestimmter 
enzung gleichen ; es kann sich mehrere Stunden halten, wechselt aber häufig 
n Ort ; 3) in einer dritten Form tritt das Nordlicht auf, wenn es mehr oder 
ger regelmäfsige Bogen oder Bänder von unregelmäfsiger Form bildet. In 
äegel geht die Richtung dieser Bänder von magnetisch Ost nach West- 
untere Rand ist immer der schärfste, während der obere im allgemeinen 
irwaschen ist, dafs es schwer ist anzugeben, wo derselbe aufhört. Nur wenn 
Band durch den Zenith geht, sind beide Ränder gleich scharf. Wenn ein 
les Band an Intensität zunimmt, bilden sich von der Oberkante aus nach 

gehende Strahlen und das Phänomen nimmt dann die Gestalt eines 
ichs oder Vorhangs an mit oft zahlreichen senkrecht stehenden Falten. 
) Nordlichtform ist meistens sehr lichtstark und die Lichtwirkung ist 
iders schön an den Stellen, wo die Falten am stärksten entwickelt sind, 
t allein sind die Falten in heftiger Bewegung, als wenn der Nordlichtteppich 
Winde bewegt würde, sondern auch das Licht ist sehr beweglich. Bald 
man Lichtwogen sich von oben nach unten oder umgekehrt bewegen, bald 
n sie horizontal. Die Hauptfarbe dieser Teppiche, wie überhaupt der 
sehen Polarlichter, ist ein glänzendes grünliches Weifs, doch treten an den 
lern, besonders wenn viel Bewegung vorhanden ist, auch andre Farben 
besonders rot und grün und zwar rot unten, grün oben; 4) die gröfste 
ickelung erhält jedoch das Nordlicht, wenn es als aus lauter Strahlen 
mmengesetzt auftritt, die rings um den ganzen Himmel sich ausbreiten, 
[*t, dafs sie gegen denselben Punkt konvergieren, der in der Nähe des mag- 
chen Zeniths oder des Punktes liegt, nach welchem die Inklinationsnadel 
. Vereinigen sich die Strahlen in diesem Punkte, so findet die Bildung 
' sogenannten Krone statt, welche als die prachtvollste Erscheinung 
eten kann, die das Nordlicht bietet. Unzählige Strahlen schiefsen 
. auf einmal gegen den Vereinigungspunkt, um welchen eine starke 
Binde Bewegung stattfindet, während sich an diesem Punkte selbst ein 
ler dunkler Raum findet, der frei von Nordlicht zu sein scheint. 
Sncheinung macht den Eindruck, als wenn man dnrch eine kleine Öffnnng, 
welche die Nordlichtmassen in heftiger Bewegung sind, in den Himmels- 
1 sieht. Die Bildung der Krone ist in der Regel ein sehr kurzdauerndes 
lomen und kommt begreiflicherweise zu stände als Folge einer perspek- 
Dhen Wirkung. Im allgemeinen sind jedoch die Nordlichter, die aus lauter 
blen bestehen, nicht so entwickelt, wie eben beschrieben, man sieht aber am 
mel öfter einzelne Strahlen oder richtiger dünne Strahlenbündel. Diese 
blen-Nordlichter können die prachtvollste Form des Nordlichtes sein, sind 
gerade die am kürzesten dauernden. 

Die Grundfarbe des Nordlichts ist grünlich- weifs, nur ganz vereinzelt trat 
odthaab ein Nordlicht mit rötlicher Farbe auf, die dort bei weitem nicht 
:ark war, wie die prachtvolle rote Farbe, in welcher man in unsem Breiten 
Nordlicht leuchten sehen kann. — Die Dauer der Erscheinung ist sehr ver- 
öden, die ersten beiden Formen können sich mehrere Stunden lang halten^ 
•end die intensiveren und stark veränderlichen Formen viel kürzer, mitunter 
renige Minuten lang andauern. — Aufser durch die Form unterscheiden sich die 
sehen Nordlichter auch durch ihre Beweglichkeit von denen, welche in 
dgeren Breiten sichtbar sind. Wohl schiefsen auch hier von dem im Norden 
nden Bogen in fortwährendem Wechsel und mit grofser Geschwindigkeit 
bleu hier und dort auf, aber der Bogen selbst bleibt unyeia.xvdftxVk.V Q^'st 



wechselt doch nur langsam sein Ansehen nnd seinen Ort. In Gk)dthaab dagegen 
wurde beobachtet, dafs die Bogen vom südlichen (magnetisch gerechnet) Horizont 
aufstiegen, mit groüser Geschwindigkeit durch den Zenith wanderten und auf der 
nördlichen Seite am Horizont Yerschwanden, hierbei das Aussehen bestandig 
ändernd. 

Was die Höhe über dem Erdboden betrifft, in welchem sich das Nordlicht 
entwickelt, so hatte HerrPaulsen Gelegenheit frühere Beobachtungen, nach welchen 
es zuweilen vorkommen sollte, dafs Nordlichtstrahlen in ganz geringem Abstände 
von dem Beobachter zwischen diesem und nahegelegenen Bergen vorbei ge- 
schossen seien, zu bestätigen und sogar diese durch exakte Messungen festzu- 
legen. Es wurde nämlich in einer Entfernung von 5,8 Kilometer eine Neben- 
station errichtet, an welcher gleichzeitig mit der Hauptstation derselbe (im Meridian 
liegende) Punkt eines Nordlichtbogens eingestellt und seine Parallaxe bestimmt 
wurde. Die Gleichzeitigkeit wurde durch Lichtsignale und Notierung der Zeit 
gesichert. Aus diesen Beobachtungen ergaben sich für 32 Nordlichtbänder die 
Entfernung über der Erde, von denen jedoch 10 als zu unsicher ausgeschieden 
wurden. Die übrigen 22 ergaben Höhen über der Erde zwischen 68 xmd 
0,6 Kilometer, womit der Beweis geliefert worden ist, dafs das Nordlicht in den 
arktischen Gegenden in den höchsten und dünnsten und in den niedrigsten xmd 
dichtesten Theilen der Atmosphäre vorkommen kann. Das ist eins der wichtigsten 
und schönsten Resultate, welches von 'der Expedition nach dieser Richtung hin 
zurückgebracht worden ist. 

Wir müssen uns versagen auf die von Professor Edlund in Stockholm 
aui^estellte, in dem Vortrage des Herrn Paulsen dargelegte Theorie, welche diese 
Erscheinung zu erklären scheint, näher einzugehen, wie wir auch aus Raum- 
mangel manche andre interessante Bemerkungen und Beobachtungen des Herrn 
Paulsen hier übergehen müssen. B. 



Geographische Litteratur. 
Europa. 
— Kr. Paa Island sk Grund: Optegnelser fra en Reise 1884, af Arthur Feddersen. 
Kopenhagen 1885. Der Verfasser, der zur Untersuchung der Lachsfischereien 
im Jahre 1884 Island bereiste, giebt uns in der Form von Reisebriefen eine an- 
mutende Schilderung von Land und Leuten. Seinen bezüglichen Angaben über 
Fischerei entnehmen wir folgendes: 1) Süfswasserf ischerei Nicht alle 
Seen und Flulsläufe auf Island sind fischreich; am meisten diejenigen, deren 
Umgebung einen reichen Pflanzenwuchs aufweist, am wenigsten diejenigen, die 
in öden Steinwüsten liegen. Ständige Bewohner der Seen sind Forellen und 
Bergforellen (0rreder und Fjaeld0rreder); erstere nähren sich hauptsächlich von 
den zahllosen Mücken und Fliegenlarven, letztere von Schnecken und jungen 
Forellen. Von grofser Bedeutung sind die kleinen Seen als Laichplätze für die 
aus dem Meer heraufziehenden Lachse; vor allem sind diejenigen bevorzugt, 
die in Lavafeldem liegen, da die Lavaklippeu in ihren zahlreichen Höhlungen 
geeignete Versteckplätze für den laichenden Fisch bieten. Das Aufsteigen der 
Lachse dauert von April bis zum August, die Laichzeit ist im Oktober. Die 
jungen Lachse ziehen wegen der geringen Nahrungsmenge der pflanzenarmen 
Seen wahrscheinlich sehr früh ins Meer hinab. Allzustarker Fang ist nicht die 
Ursache des Rückganges der Lachsfischerei auf Island, der vielmehr in dem 
Nichteinhalten einer vernünftigen Schonzeit zu suchen ist Auch sollten die See- 
hnnde, die sich scharenweise an der Mündung der Lachsflüsse aufhalten, aus- 



— 179 — 

^;erottet werden ; leider sind aber viele Isländer in vollständiger Yerkennang « 
Umstände für Schonung dieser argen Fischränber, von denen sie glauben, d 
sie den Lachs in die Flüsse treiben. Was Island an Lachs ausführt, läfst si« 
xiicht mit Sicherheit sagen, ist jedenfalls nicht beträchtlich. 2) Seefischerc 
Das Meer um Island ist sehr fischreich; geeignete Bänke sind überall an dt 
Küste und ziehen sich meilenweit ins Meer hinaus; es gilt nur. den Fisch zu 
nichtigen Zeit am richtigen Ort zu treffen. — Franzosen, Engländer und Nor 
y/regeT treiben lebhaften Fischfang an Islands Küste, im Jahre 1884 fanden sich 
sogar zwei Amerikaner ein, um Heilbutten zu fangen. A. Der Dorschfang 
ist der wichtigste. Vom März bis Mai steht der Dorsch dicht am Lande, im 
Sommer entfernt er sich auf 4—12 Meilen von der Küste. Es sind dann zum 
I*ang seegehende Deckfahrzeuge nötig, welche die Isländer noch nicht in genügen- 
der Anzahl verwenden. Deshalb bleibt ihre Ausbeute von 22 Millionen Pfund 
liinter der der Franzosen mit 25 Millionen Pfund zurück. Jedes französische 
:Fahrzeug fängt jährlich Fisch im Wert von 24000 Kr. (IKr = 1,125 M) B. Der 
Seringsfang. Heringe wurden früher nur von den Isländern zum eigenen 
Oebranch, als Köder für den Dorsch und um Thran daraus zu kochen, gefangen. 
Dagegen begannen die Norweger schon im Jahre 1868 ihre Fahrzeuge nach 
Xsland zu schicken, um in den Fjorden der Ostküste Hering zu fangen. Die 
xneisten norwegischen Fahrzeuge kommen von Hougesund, die übrigen von 
Sergen, Stavanger und Mandal. Im Jahre 1880 fingen sie Hering im Werte 
^on 2 Millionen Kronen, da sie ungefähr 100000 Tonnen Hering heimbrachten. 
Im Jahre 1883 waren auf 157 Fahrzeugen mit 400 Noteböten nicht weniger 
Sils 1800 Norweger bei der isländischen Heringsfischerei beschäftigt. Das Note- 
"boot führt seinen Namen von dem grofsen engmaschigen Garn, dem Noote, mit 
vrelchem der Heringsschwarm eingeschlossen wird. Einen Heringsschwarm aus- 
zukundschaften, ist Sache eines erfahrenen Schiffers, „Basen", der mit einem 
Xjote den Fisch im Fahrwasser fühlt: oft auch kann der Hering mit Hülfe von 
"Wasserseerohren (Yandkikkert) oder wenn er an die Oberfläche steigt, wahr- 
genommen werden. Ist der Hering gefunden, so geht ein kleines Boot mit dem 
einen Netzende an das Land, während das Noteboot auswärts um den Herings- 
schwarm herum rudert, so weit das Netz reicht, um dann ebenfalls zum Lande 
liinznhalten und sein Garnende einzuholen. Im Sommer wird der eigentliche 
Fetthering, im Herbste der Grofshering gefangen. Rogen und Milch des letzteren 
sind wenig entwickelt, so dafs er wohl nur der Nahrung wegen in die Fjorde 
sieht. Von den auf Island bestehenden Gesellschaften zum Zweck des Herings- 
fanges sind 6 teilweise, 2 vollständig in den Händen der Isländer. C. Fang des 
£ishai (Scynmus microcephalus), Haakal. Der Eishai wird 12 Fufs lang; 
seinem Fange liegen namentlich Isländer ob. Das getrocknete Fleisch des 
Fisches wird zwar auch in Island gegessen, doch wird er nur der Leber 
l^regen gefangen, die 50 bis 66 ^/o Thran liefert. Die Hauptfangzeit ist Jer 
hinter, da er dann in den Fjorden von offenen Böten aus geangelt werden 
l^nn. Im Sommer bis zum August wird der Fang auf offener See von kleinen 
Schunem von 20 — 30 Tonnen mit 8 Mann Besatzung betrieben. Im Jahre 1884 
l)rachten die Fahrzeuge an der Westküste ein jedes nicht unter 600 Tonnen 
lieber ein; die Tonne Leber kostete 25 Kronen, während der Thran mit 42 Kronen 
l>ezahlt wurde, — Die Fangleine ist bis 120 Faden lang; unter dem 8— 10 Pfund 
schweren Lot findet sich eine 4 Fufs lange eiserne Kette, an der der 10 — 12 Zoll 
lange Haken so befestigt ist, dafs er sich frei drehen kann. Als Köder braucht 
man Seehnndspeck und halbverfaultes Pferdefleisch, womit der Ea.k<^\i ^\ü*l ^0:0!^- 



— 180 — 

hüllt wird. Beim Heranfholen leistet der Fisch keinen Widerstand; sobald er 
an die Oberfläche kommt, wird er mit einem ellenlangen Fangmesser, das an 
einem hölzernen Schaft sitzt, abgestochen. Die Leber wird sodann heraus- 
geschnitten und in einen Kübel geworfen, der am Boden Öffnungen hat, so dafs 
Blut und Wasser abfliefsen können. D. Walfischfang. Der Walfischfang wird 
Yon den Isländern nicht planmäfsig betrieben; man macht nur gelegentlich auf 
die Tiere Jagd, die vom Eise in einer Bucht eingesperrt werden. In den letzten 
Jahren haben die Norweger ein Etablissement für Walfischfang im IsaQord ge- 
gründet; 1883 war die Ausbeute nicht gut, 1884 wurden 24—26 Stück erbeutet, 
die einen Wert von 60—80000 Kronen repräsentieren. — Der Walfischfang ist 
in Island nicht populär, weil man glaubt, dafs gerade die Wale den Hering in 
die Fjorde treiben; aufserdem hat man die ebenso ungegründete Befürchtung, 
dafs durch die mit dem Fange verbundene Unruhe der Dorsch aus den Fjorden 
vertrieben werde. E. Heilbuttenfang. Dieser ist für den Export von geringer, 
für die Bewohner Islands von grofser Bedeutung. Getrocknete Heilbutte sind für 
den Isländer das Weifsbrot, während der gewöhnliche Dorsch sein Schwarzbrot 
ausmacht. 

Interessant sind auch die Angaben des Verfassers über den Nutzen 
der Eiderenten. Man gewinnt auf Island ungefähr 10 000 Pfund Dunen jährlich, 
ä Pfund 16 — 18 Kr., aufserdem eine Menge Eier, da man das erste oder zweite 
Gelege mit den Dunen wegnehmen kann, ohne dadurch den Vogel, der geradezu 
als Haustier anzusehen ist, wegzuscheuchen. Deshalb sucht man auf jedem 
günstig gelegenen Hof Brutplätze für die Eiderente herzurichten, für deren 
Schutz durch strenge Gesetzesbestimmungen gesorgt ist. 

Asien. 

— Rapport ä M. le ministre de Tinstruction publique sur une m i s s i o n aux 
lies Philippines et en Malaisie 1879—81, par le Docteur Montano. Mit 
einer Karte und zahlreichen Photographien. Paris imprimerie nationale. Das 
vorliegende Werk ist das Ergebnis einer der zahlreichen Reisen, welche das 
französische Unterrichtsministerium zur Förderung wissenschaftlicher Zwecke 
veranstaltet. In Verbindung mit Dr. T. Rey begab sich Dr. Montano nach 
Penang auf der Halbinsel Malakka und von da nach den Philippinen, wo haupt- 
sächlich der südliche Teil von Luzon, ferner Mindanao und die Insel Panay 
besucht wurden. Die Forschungen, welche sich auch auf die Nachbar - Inseln : 
Palawan und den Sulu-Archipel ausdehnten, waren hauptsächlich anthropolo- 
gischer Natur. Die Anthropologie, Pathologie und Dialekte bilden den Hauptteil 
des Werks ; die sehr gelungenen 30 photographischen Tafeln stellen Eingeborene 
verschiedener Stämme, sowie Schädelformen dar. Auch der übrige Teil des 
Werkes: Geologie, Meteorologie, politische Geographie, Ackerbau und Handel 
sinJ beachtenswert. 

Amerika. 

— Drei Aufsätze, betreffend die europäische Auswanderung nach den 
argentinischen Provinzen Buenos-Aires, Santa F6 und Entre Rios von 
Dr. J. Chr. Heusser, Orell, Füfsli, Zürich 1885. — Vorliegende Aufsätze ge- 
hören zu dem Besten, was bis jetzt, unter dem Gesichtspunkte der ökonomischen, 
ländlichen Verhältnisse und speziell für die Einwanderung der germanischen 
Rasse, über die argentinische Republik geschrieben worden ist. Der Verfasser, 
den ich nicht persönlich kenne, spricht aus zwanzigjähriger Erfahrung und 
ist, was die Provinz Buenos-Aires anbetrifft, -^oiiknrnm^u Herr seines Stoffes. 



— 181 — 

Oeniefst er doch den doppelten Vorteil, als Feldmesser die aasgedehnte Provinz 
stets von nenem zu durchstreifen und die wirtschaftlichen Verhältnisse derselben 
Jiach allen Seiten hin gründlich zu studieren, und dann, als Besitzer beträchtlicher 
liändereien, das Beobachtete praktisch durchfuhren und den Erfolg beurteilen 
zn können. Aufserdem stellt ihn eine gediegene Bildung hoch über die Reklame- 
Fabrikanten und Einwanderungsagenten bekannten Schlages, und sein nüchternes, 
Uares urteil trifft stets das Richtige, solange es sich um ihm wirklich vertraute 
Zustande handelt. Aus diesem Grunde ist auch der Aufsatz über Buenos-Aires 
^^eithin der vorzüglichere unter den dreien, und fast sein ganzer Inhalt als 
streng sachgemäfs und richtig anzuerkennen, denn dort lag und liegt der 
^VTirkungskreis des Dr. Heusser; während die Schrift über Santa F6 vielfach 
i8chiefe urteile aufweist, da sie hauptsächlich auf den Mitteilungen kurzsichtiger, 
parteiischer Kolonisten beruht, und die Schilderung von Entre Rios nur das Er- 
gebnis einer dreitägigen Postfahrt liefert. Dagegen sind wieder die Ansichten, 
'vrelche der Verfasser über das untere Thal des Rio Negro entwickelt, höchst 
sschätzenswert, weil er dasselbe mit der Masskette in der Hand und unter gewifs 
xaiclit geringen persönlichen Strapazen kennen lernte. Hier gerade ist auf ihn 
sel^t das Urteil anzuwenden, welches er bei Gelegenheit eines Zeitungsartikels 
Herrn G. Rhode über die Vegetation des Rio-Negro-Thales ausspricht (Seite 169) : 
er hat das Land bereist, wie man es bereisen mufs, um es kennen zu lernen, 
ist nicht von Poblacion zu Poblacion (menschliche Wohnung) gereist, um auf 
europäische Art zu essen, zu trinken und zu schlafen, und von der letzten 
^VTolinnng, oder auch schon vor derselben wieder umzukehren; sondern er ist 
'^reit über dieselbe hinausgereist nach Landessitte, d. h. mit dem Sattel als 
Sett unter freiem Himmel und mit den Tieren des Campes als einzige Nahrung/ 
'Öbrigens sei es im Vorbeigehen bemerkt, dafs auch mir eine 23jährige Kenntnis 
d.er hiesigen Verhältnisse zur Seite steht und dafs, wenn ich auch nicht Gelegen- 
heit hatte, eine einzige Provinz so gründlich zu studieren wie Dr. Heusser, auf 
der andern Seite der Beruf als Feldmesser und Ingenieur mich so ziemlich 
xxiit allen den 14 argentinischen Staaten bekannt gemacht hat und zwar auf 
dieselbe eingehende Weise: mit dem Sattel als Kopfkissen. So erlaube ich mir 
denn, den Aufsatz über Buenos-Aires durchgängig allen den vielen oder wenigen 
2ii empfehlen, welche für Argentinien Interesse hegen, und nur bei seltenen 
B^ällen wage ich, eine etwas verschiedene Meinung aufrecht zu erhalten. 

Nach dem gesunden Prinzip, dem Auswanderer nicht blofs eine blühende 
Schilderung der wirklichen Vorteile seines Hierherkommens zu geben, die ja nur 
2X1 leicht in Übertreibung ausartet, sondern auch die Kehrseite der Dinge zu 
Zeigen, entwickelt der Verfasser gleich auf den ersten Seiten die mannigfachen 
Hindernisse, welche sich dem Neuling in den Ackerbaukolonien entgegenstellen. 
t^ie meisten der Übelstände sind vollkommen begründet ; nur der „eingefleischte 
X^aÜB" des Gaucho gegen den Fremden (Seite 19) scheint mir nicht so stark, 
«tls er geschildert wird. Der Gaucho, oder besser der einfache „Landbewohner'^ 
C^enn mit jenem Worte verbindet sich fast stets der Begriff des aufserhalb des 
Oesetzes stehenden Vaganten) ist ein Kind der Natur mit allen entsprechenden 
fehlem und Tugenden, und kann somit unter Umständen zur Erbitterung gegen 
^en einzelnen Fremden, ja zu den schwersten Gewaltthaten getrieben werden, 
Vrozn gewöhnlich die Selbstüberhebung des Einwanderers den ersten Anlafs 
%iebt; doch zähmt ihn ein gleichmäfsiges, freundliches Benehmen schnell genug, 
Xuid im Grunde ist er ein viel zu guter Junge, um seinen Unwillen nicht bald zu 
Vergessen. Im ersten Zorne freilich ist ihm das Messer schnell genug zur Keaid. 



— 182 — 

Es ist nicht zu leugnen, dafs die Nachkommen der Einwanderer unter 
dem moralischen Niveau der Eltern stehen (Seite 26), und diese Erscheinung 
wird überall auftreten, wo sich dem nur halb gebildeten, aber sonst verwöhnten 
Fremden ein freieres, reicheres Leben erschliefst, während zu gleicher Zeit seinen 
Kindern eine geringe und höchst laxe Schuldisziplin zu teil wird. Die Jungen 
wachsen zu dreisten, unwissenden Männern heran. Dies ist ein Übelstand aller 
neuen Länder, und schwer abzuwägen, ob das Verharren in den alten, engen 
Verhältnissen, oder das teilweise Aufgeben der im Laufe der Jahrhunderte ange- 
häuften Kulturschätze unsres Volkes besser. 

Die Ansiedlung gröfserer Familiengruppen auf den Kolonien beschäftigt 
den Verfasser nur in geringerem Grade, da ja Buenos-Aires kaum dergleichen 
aufzuweisen hat; doch gebt er nun zu den Schicksalen der Einzeleinwanderer 
über, von denen er zunächst die Kaufleute absondert, die ja später sich fast 
ausnahmslos wieder der Heimat zuwenden und selten hier feste Wurzeln schlagen, 
und dann beiläufig der Handwerker erwähnt. Handwerk hat auch in Argentinien 
goldenen Boden, obgleich freilich die Zeit der Silberschmiede (Seite 32) längst 
vorüber. Auch ich habe noch Sattel und Zaumzeug des Paisano (Landbewohner) 
von Silber starrend gesehen; doch hat sich selbst unter den primitiven Söhnen 
der Pampa der Gedanke des Zinsverlustes Bahn gebrochen, und oft genug ent- 
deckt der Chafalonia (altes Silber) kaufende Händler, dafs der blitzende Schmuck 
der Rosse geringhaltig, oder gar völlig aus Neusilber besteht. 

Das Kampleben selbst, wie es sich dem Neuling aufthut, der ohne be- 
stimmten, hier gangbaren Beruf sich dem fremden Lande bedingungslos in die 
Arme wirft, ist treu, ja meisterhaft geschildert. Von vornherein soll der Ein- 
wanderer von der Bindviehzucht absehen, wozu aufser Kapital auch grofse 
Abhärtung und Vertrautheit mit den Sitten des Landes gehört, und worin der 
Criollo (Eingeborene) natürlich einen unschätzbaren Vorteil besitzt. Es bleibt 
also die bei weitem vorteilhaftere und europäischen Gewohnheiten näherstehende 
Schafzucht, und auf diese richtet der Verfasser hauptsächlich sein Augenmerk, 
indem er darthut, wie durch FleiTs und Ausdauer selbst der völlig Mittellose in 
wenigen Jahren selbständig werden und bei etwas Glück nach nicht zu langer 
Frist eine geachtete Stellung erringen kann. Hunderte von Beispielen, besonders 
unter den irischen und baskischen Elementen der Einwanderung, sind allgemein 
bekannt. 

Gewöhnlich erhält der Novize zuerst Arbeit als Peon (Knecht) mit gutem 
Lohne auf einer Estanzia, und, wenn er sich hier tüchtig zeigt, vertraut man 
ihm bald eine besondere Herde an, deren Ertrag zum vierten bis halben Teil 
ihm zugesichert wird; auf einer gröfseren V^irtschaft nämlich müssen fast alle 
Jahre neue Schäfereien abgezweigt werden, da die Herden sich schnell ver- 
mehren und die Vereinigung von mehr als 2000 — 2500 Stück nicht rätlich ist. Da 
liegt nun die Gelegenheit zur Gründung des eigenen Wohlstandes, wie der Ver- 
fasser eines weiteren auseinandersetzt. (Seite 76 und folgende.) 

Freilich hat dieses idyllische Leben im freien Kamp auch ganz betracht- 
liche Schattenseiten, zumal im Anfang, wo alles ungewohnt und jedes Versehen, 
bei den geringen Interessen, an denen der Puestero zunächst beteiligt ist, ver- 
hältnismäfsig schwere Folgen nach sich zieht. So kann denn auch der sanfte 
Schäfer recht oft in die schwierigsten Lagen geraten, besonders wenn einer jener 
berühmten Regenstürme aus Südwest losbricht, die Herden weithin zerstreut 
und ohne die angestrengteste Aufsicht den neugeborenen Tieren sicheren Tod 
brin^. Klar ist es also, dass hierin der wetterharte Landmann groüsen Vorteil 



— 183 — 

voiT den stadtiscli gebildeten Elementen voraus hat, welche sich dieser Industrie 
vriclmen sollten; doch ist es gleichfalls sicher, dafs ein wirklich tüchtiger Mann, 
den irgend welche Verhältnisse aus seiner europäischen Laufbahn gerissen, 
sclmell genug dergleichen Schwierigkeiten überwinden wird, während der ver- 
kommene Mensch überhaupt hier wie überall zu Grunde geht. In fremder Erde 
sclilagen eben nur gesunde Reiser Wurzel, die wurmstichigen sterben ab und 
dangen den Boden des neuen Landes. 

Sehr treffend ist die Schilderung des „belesenen'' Schäfers (Seite 77) und 
bildet einen komischen Gegensatz zur Lebensweise der würdigen Männer, die in 
der fieimat strumpfstrickend und wurzelkundig hinter ihrer Herde einherwandeln. 
Natürlich hütet der Verfasser sich wohl, dem Auswanderungslustigen eine 
Yollig gesicherte Zukunft bei der Schafzucht zu versprechen, die jedenfalls den 
Hetnptproduktionszweig des heutigen Argentiniens bildet; doch zeigt er überzeugend, 
wie ein geistig und körperlich kerniger Mann, welchem die überfüllten Städte 
keinen genügenden Wirkungskreis bieten (und dieser wird hier selbst für Kauf- 
lente und Handwerker immer enger), sich auf dem offenen Lande nicht unschwer 
gen^ende und sogar reichliche Lebensbedingungen verschaffen kann. 

Neben den gediegenen Ansichten über die ländlichen Verhältnisse der 

Provinz Buenos-Aires sticht die Schilderung der Nachbarstaaten, Santa Fe und 

Entre Bios, beträchtlich ab. Schon ist angedeutet, wie Dr. Heusser sich dort auf 

unbekanntem Boden bewegt, und da£s er „das Land des Weizens", wie Dr. 

Zeballos, ein klarsehender argentinischer Schriftsteller und Staatsmann, es mit 

Becbt nennt, nach dem befangenen Urteil einiger Kolonisten beurteilt, die, von 

der europäischen auf die amerikanische Scholle versetzt, jedes freien Überblickes 

^ den neuen Verhältnissen entbehren. Dazu kommt noch das Vorurteil des 

Poxtefio (Bewohner des Puerto, d. h. der Hafenstadt des ganzen Landes, und 

dann der Provinz Buenos-Aires im allgemeinen) gegen die Provinzianos, dem 

selbst ein gebildeter Mann, wie der Verfasser, nach 20 jährigem Aufenthalt in 

jenem Staate sich nicht zu entziehen vermag. Auch hier schaut die Hauptstadt 

hinab auf das übrige Land. 

Es würde zu weit führen, die verschiedenen Lrrtümer des Verfassers zu 
berichtigen. Weiden, Pappeln und Paraisos gedeihen in Santa Fe, besonders 

• _ 

^ Süden, ebensogut als in Buenos-Aires, und der üppige Waldbestand des 

ii5rdKchen Teiles fehlt bekanntlich ganz in jener Provinz. Luzerne (alfalfa), das 

Lieblingsprodukt der letzteren, mag ihm nicht so üppig erschienen sein; doch 

709 092 hl Weizen und Mehl, welche nach der Statistik von 1883 (also desselben 

Jahres, wo Dr. Heusser die Kolonien besuchte) aus Santa F6 ausgeführt wurden, 

^^chen genugsam für die Fruchtbarkeit des Bodens. Und dabei ist in Betracht 

^ ziehen, dafs von der damals existierenden Ackerbau treibenden Bevölkerung 

von etwa 55000 Seelen noch 7500 neu angelangter noch nicht produzierender 

^^'Wanderer abgerechnet werden müssen, so dafs also jener schöne Überschufs, 

^ dem noch 85 900 hl andre Cerealien kommen, von etwa 47 500 Köpfen = 

^ OOO arbeitsfähigen Männern erzielt wurde. 

Heuschrecken endlich sind eine Plage der ganzen Bepublik, und werden 

^ ^leiben solange nur ein verschwindend kleiner Bruchteil ihrer Oberfläche sich 

^t^r dem Pfluge befindet. Übrigens scheinen dieselben einem gewissen Turnus 

^^tk 3 — ö Jahren zu unterliegen, da die Zuzügler aus dem Ödland den 

.^i»i des Todes für die späteren Generationen schon in sich selbst führen, und 

^^ %md in der letzten Zeit wenig lästig gefallen. 

Um zu zeigen wie redliches Wollen und Schaffen auch in Santa Fe^ 



— 184 — 

welchem Verfasser schliefslich seine Anerkennung nicht versagt (Seite 113), mit 
Erfolg gekrönt ist, diene das Beispiel eines Bemers, der nicht einmal mit den 
Erfahrungen des Landwirtes (er war Tapezierer) vor 18 Jahren einwanderte und 
gerade die übliche „Konzession" von 20 Quadratquadem = 33,76 ha in der 
Kolonie San Carlos erstehen konnte. Eine seiner Töchter war seit jener Zeit 
als Magd in meiner Familie und, kürzlich zu den Eltern zurückgekehrt, teilte 
sie mir mit, dafs ihr Vater jetzt 10 solcher Parzellen in der blühenden Kolonie 
Grütli besitze und mit eignen Mäh- und Dreschmaschinen arbeite. Er ist also 
jedenfalls ein wohlhabender Mann geworden und sein Töchterlein ein begehrens- 
wertes Fräulein. 

Einen schlagenden Beweis, wie selbst ein klardenkender Mann fremden 
Einflüsterungen nur zu leicht geneigtes Ohr leiht, sobald er sich nicht mehr 
auf bekanntem Boden bewegt, bilden die düsteren Befürchtungen für die 
Besitzrechte der santafeziner Kolonisten, welche auf Seite 125 — 27 verzeichnet 
sind. Das Areal jener alten Kolonien, Esperanza, San Carlos und San Jerönimo 
wurde seiner Zeit den Unternehmern von der Regierung geschenkt beziehangs- 
weise zu billigen Preisen verkauft, und übernahm dieselbe hierdurch 
selbstverständlich die Verpflichtung, die veräufserten Besitzrechte aufrecht zu 
erhalten für den unwahrscheinlichen Fall des Auftauchens älterer Ansprüche. 
Freilich ist das nicht völlig unmöglich, da die Stadt Santa F6 zu Ende des 
vorigen Jahrhunderts wohl 30 Meilen nord- und westwärts von Estanzien um- 
geben war, deren Besitzer erst während des Unabhängigkeitskrieges 1816 — 20 
von den Indianern wieder verdrängt und teilweise ausgerottet wurden. Doch 
springt auf der andern Seite in die Augen, dafs selbst die schlechteste Ver- 
waltung (und jeder argentinische Machthaber leidet stets an einem „ring*^ höchst 
zweifelhafter Elemente, denen er klingenden Dank schuldet für im Wahlkampfe 
erwiesene Dienste) sich wohl hüten wird, das Huhn mit den goldenen EÜem zu 
töten. Die Herren in Santa F6 wissen ebensogut als jene in Buenos-Aires, , 
dafs der Wohlstand der regierten Provinz und somit deren Einkünfte zum gute: 
Teile von den Kolonien abhängen, und täglich verkünden die Zeitungen de 
erfreulichen Aufschwung der Einwanderung (im Jahre 1885 nicht weniger 
108000 Seelen). Mehr als gewagt also wäre es, wenn irgend welche 
den so schön rinnenden Zuflufs der Steuerzahler mit einem Federstrich ab — 
schneiden wollte, einzig um den Parteifreunden ein niedliches Qeschäftchen zu — 
zuwenden. Sollte mithin ein rechtskräftiger Besitztitel über jene alten Kolonien 
oder selbst über seither besiedeltes Land, auftauchen, so liegt es im allgemeine 
Interesse, denselben anderweitig zu entschädigen ; und alle Landhaie der Republi 
werden daran nicht rütteln können. Auch im gepriesenen Buenos-Aires sini 

vor wenigen Jahren Privatansprüche auf den Potrero de Nievas, welchen russisch *" 

deutsche Kolonien okkupieren, erhoben, aber auch glänzend, oder wenn man wil^CI^ 
schnöde zurückgewiesen worden. Das wufste Dr. Heusser ganz gut, und hattc^^ -® 
diese Erfahrung ohne Schaden auf die santafeziner Verhältnisse anwende 
können; es ist somit zu bedauern, dafs er sich so leicht zum Echo eine^^ 
thörichten Bauernklatsches hergab. 

Die Parallele, welche der Verfasser zum Schlufs zwischen Buenos-Airess» "^^ 
und Santa Fe zieht (Seite 149 und folg.) ist eigentlich zwecklos ; denn die be — ■ ' 
hauptete gröfsere Fruchtbarkeit jener Provinz ist nur problematisch, solang' 
dieselbe keine praktischen Erfolge im Mafsstabe dieser aufzuweisen hat; un< 
was die gröfsere Sicherheit der Person und des Eigentums anbetrifft, so stehe 
beide Staaten auf gleicher Stufe, d. h. die ländlichen Behörden dienen finst 






— 185 — 

«cblieCBlicli poHtischen Zwecken und geben, zumal in den Epochen der Wahl- 
«gitatioii, r&cksichtslos und meist auch straflos über den Einzelnen binweg, der 
ikren Interessen im Wege steht. Dergleichen Zustande sind in dem neuen, 
spärlich bevölkerten Lande unvermeidlich, und lasten überall gleich schwer 
räf dem unbeholfenen Neuling, für den gerade deshalb die dicht geschlossenen 
Ansiedelungen von Santa F6 vorteilhafter sind. Dies giebt der Verfasser auch 
ausdrücklich zu auf Seite 160 — 61. 

Nattbrlich werden die angeführten Mifsstände durch grofse Gesellschaften 
Eom guten Teil vermieden werden, wenn solche neben ihren pekuniären Interessen 
auch das wahrhafte Wohl ihrer Landsleute ins Auge fafsten. Die Kapitalanlage 
ist zweifellos eine gute und der Vertreter einiger Millionen Mark schafft sich 
überall leicht das Ansehen, welches dem einzelnen Ansiedler naturgemäfs abgeht. 
Doch liegt das Hauptgewicht in der geschickten Leitung. Die menschenfreund- 
lichen Herren Beck und Herzog, Gründer des wohlhabenden San Carlos (Seite 162) 
&Uierten, während ihr Verwalter reich wurde. Das schreckte damals in den 
60ger Jahren ab, und man zog es seitdem vor, das Land im kleinen Mafsstabe 
aoBzaschlachten, um den Eunstausdruck anzuwenden, was sich als höchst vor- 
teilliaft herausgestellt hat, da dies Verfahren erlaubte, beim Verkauf der Parzellen 
an Stelle humanitärer Grundsätze kurze Wechsel mit 12 bis 18 Prozent zu 
letsen. 

Erst vor kurzem hat eine englische Gesellschaft unter der Leitung des 
Londoner Bankhauses Murietta & Co. den Gedanken einer Kolonisation im 
grofeen Stile wieder aufgenommen und zu diesem Zwecke sehr bedeutende 
Lindereien im Norden von Santa F6 erstanden, (wenn ich nicht irre sind es 
180 Qnadratleguas = 486000 ha); doch ist die Sache noch zu jung, um ein 
urteil zu' erlauben. Unterdessen ist ja auch der Wunsch des Verfassers nach 
einem derartigen Unternehmen deutscher Zunge in Erfüllung gegangen. Freilich 
lichtet sich dasselbe zuerst nach Südbrasilien, was füglich Wunder nimmt, denn 
wo Wein und Weizen nicht mehr gedeihen, schwindet die deutsche Volkskraft, 
und gerade diese wollen doch jene Herren zum Vorteile des Mutterlandes und 
ihrem eigenen aufrecht erhalten. Aber es ist ja nicht unmöglich, dafs, wenn 
einmal die Bahn gebrochen ist, fernere Gesellschaften ein klareres Auge haben 
werden. 

Im dritten Aufsatze wird das Thal des Rio Negro, welches augenblicklich 
zu manchen hochfliegenden Kolonisationsplänen Anlafs giebt, mit klarem nüchternen 
Blicke geschildert und gerichtet in der Ausdehnung, welche Dr. Heusser persönlich 
kennen lernte, d. h. bis hinauf zur grofsen Insel Choele-Choel. Hier ist er 
wieder vöUig zu Hause und sein Urteil treffend; denn während seiner Reise 
übernachtete er wohl stets „unter den Sternen ''. Kühl genug weist er die rosigen 
Schilderungen jenes schon erwähnten Herrn Rhode zurück und zeigt deutlich, 
dals die allerdings fruchtbare Thalsohle des Flusses wegen zu häufiger Über- 
schwemmungen nicht für rationellen Ackerbau geeignet ist, während die sich 
darüber ausdehnende Ebene ohne Wasser und steril, nur einen geringen Viehstand 
su ernähren im stände ist, soweit eben die Tiere noch täglich zur Tränke an 
den Flnüs gelangen können. Domiges Gebüsch bedeckt jene trostlosen Strecken. 

Unter solchen Umständen bietet das gepriesene Rio Negrothal weder Aus- 
wanderern lateinischer Rasse, noch solchen deutscher Zunge eine glänzende 
Zukunft, gleichviel ob dieselben in bedeutender Anzahl sich dort vom Staate 
unterstützt oder selbständig ansiedeln sollten (Seite 194). Zudem sind die 
Begierangskolonien in Argentinien ausnahmslos schlecht ^<&i'dAiT^\i, ^^^^ ^\s^fö«r 

Qwgr, Blätter. Bremen, 1886, \'^ 



— 186 — 

teils die Elemente leichtsinnig ausgewählt werden, — die bei dem Paebla Boca 
an der Gabel des Limay and Neuquen im vorigen Jahre mit deutschen Ein- 
wanderern bestockte Kolonie hatte keine 5 Prozent Ackerbauer und lief nach 
wenigen Monaten auseinander — und weil zweitens die Regierung langsam in der 
Erfüllung der verheifsenen Vergünstigungen ist, der Kolonist aber keine Zeit 
zum Warten hat bis die Saatzeit vorüber oder seine Familie verhungert ist 
Wer sich im fremden Lande ein gesichertes Leben erringen will, soll sich auf 
die eigenen Füfse stellen; dabei kommt es auf die Thatkraft des Mannes und nicht 
auf seine Abstammung an, wie Verfasser sehr richtig bemerkt, und solche Leute 
finden wohl auch anderswo am La Plata geeigneteres Land, als das sumpfige 
Thal oder die öden Hochflächen des Rio Negro. 

Der Abstecher über den Weinbau in Bahia Bianca (Seite 195 und folg.) 
ist Herrn Dr. Heusser zu verzeihen, obgleich er nicht recht in den Artikel über 
den Rio Negro hineingehört ; scheint doch die Zucht der Rebe sein Steckenpferd 
zu bilden. Der fröhliche „Chocoli^ mag recht gerne dem berühmten „Gron- 
berger'' meines engeren Vaterlandes oder auch den Aarweinen zur Seite stehen; doch 
hat er zweifellos für die nächsten 50 Jahre nur die Zukunft des schlichten 
Landweines, der, vorzüglich zum Kochen und Essigbereiten, sogar vom eignen 
Erzeuger mit Vorsicht genossen wird. Auch bricht der Verfasser selbst den Stab über 
die Aussichten dieser Industrie, indem er (S. 193) die Vorliebe der Argentiner, wie aller 
südlichen Nationen, für starke, feurige Weine hervorhebt. Aus diesem Grunde dürfte 
fürs erste der Absatz dieses Produktes im eignen Lande gering sein, und auf 
Versendung desselben nach Europa ist wegen der hohen Herstellungskosten und 
der verhältnismäfsig geringen Güte noch für lange Zeit keine Hoffnung. 

Auf Seite 206 — 7 findet sich noch ein entschieden absprechendes Urteil 
über das patagonische Hochland, welches als jeder Kultur unfähig hingestellt 
wird gegenüber den verschiedenen Kolonisationsprojekten, die letzthin auftauchten. 
Verfasser spricht jedoch einzig von den Küsten des ausgedehnten Territoriums 
und soweit will ich sein Urteil gern unterschreiben; doch weise ich in bearag 
auf das Innere des Landes, welches sich am östlichen Fufse der Kordilleren 
hinzieht, auf meine Schriffc .Patagonien und seine Besiedelung', welche in diesen 
Blättern Aufnahme fand (Band VII, Heft 3) und allerdings ein ganz verschiedenes 
Bild entrollt. 

Fassen wir nun den Inhalt der interessanten Aufsätze zusammen, so zeigt 
sich, bei allem Bestreben des Verfassers die Hindemisse klar zu schildern, 
welche dem Ansiedler am La Plata entgegentreten, dennoch die unbestreitbare 
Thatsache,dafs unter den wenigen Erdstrichen,welche heutzutage noch der deutschen 
Auswanderung offen stehen, Argentinien einen hervorragenden Rang einnimmt 
In den Ver. Staaten verliert sich unsre Volkskraft, ja wird zur wirtschaftliehen 
Nebenbuhlerin der eignen Heimat, und Kamerun, Ostafrika, Neu-Guinea, und 
wie die jüngsten deutschen Errungenschaften alle heüüsen mögen, sind reckt 
schön zur Erzeugung von Kolonialwaren mit Hülfe der Landeseingeborenen, doch 
jedenfalls nicht als Ziele für eine Massenauswanderung, bestimmt deutche Sitte 
und Kultur in ferne Lande zu verpflanzen und auch zu erhalten zum Schutz 
und Frommen des Mutterlandes. Wenn wir also nicht etwa Alaska oder das 
nördliche China ins Auge fassen wollen, bleiben wenige Regionen übrig für^eine 
folgenreiche, beiden Teilen segensvolle Ansiedelung der überquellenden Bevölkerong 
Deutschlands, als eben dieses Argentinien und das Innere Patagoniens (was noch 
selten dazu gerechnet wird), dessen Vor- und Nachteile der Verfasser so treffend 
&h zinparteiisch schildert. 

Cördohsk, im Januar 1886. k. BeeLstrang« 



— 187 — 

— Breyes apnntes sobre las regiones amazonicas. Por el Doctor 
Don Mariano Martin Albornoz, Presidente de la Sociedad „Obreros del 
Porvenir de Amazonas, '^ y Miembro del Ateneo de Lima. — Lima 1885. In der 
Stadt Ghachapoyas, der Hauptstadt des Departements Amazonas, in der Republik 
Fem, wurde im Dezember des Jahres 1858 auf Anregung des damaligen Bischofs, 
Dr. Don Pedro Ruiz, die ,, Gesellschaft; der Patrioten von Amazonas^ gegründet, 
Mitglied dieser Gesellschaft konnten alle Leute irgendwelcher Nationalität werden, 
welche „die Industrie, den Handel und die Zivilisation in den Gegenden am 
Amazonas fordern helfen wollten.'' In erster Linie hat sich die Gesellschaft: mit 
der Auffindung guter Handelswege von und nach dem Innern beschäftigt, und 
zu diesem Zwecke wurden eine Anzahl von Expeditionen ausgesandt. Diese, in 
Deutschland wohl kaum bekannt gewordenen Expeditionen sind wohl das einzig 
Interessante an der sonst sehr schwülstig geschriebenen und ziemlich wertlosen 
Broschüre und deshalb mag es sich immerhin verlohnen, über diese peruanischen 
Expeditionen einige Notizen zu geben. Die erste Expedition wurde im Jahre 1859 
organisiert und der Bischof selbst stellte sich an die Spitze derselben. Man 
wollte versuchen, in nördlicher Richtung zum Maranon vorzudringen, wurde aber 
an der Ausführung dieses Planes durch den feindlich gesinnten Stamm der Agua- 
runas gehindert. Nun versuchte man auf dem Rio Aichayaco, einem Beifiusse des 
Rio Nieva, eines südlichen Nebenflusses des Maranon, vorzudringen. Die Expe- 
dition mufste aber aufgegeben werden, da die Mittel erschöpft waren. Man 
wandte sich nun an die Regierung und erhielt 3000 Süberpesos, einen Ingenieur 
zur Leitung der Expedition und 25 Soldaten zum Schutze gegen die Indianer 
Diese zweite Expedition ging im Jahre 1860 aus, kehrte aber nach 11 Monaten 
nnyerrichteter Sache, d. h. ohne den Maranon erreicht zu haben, zurück, nach- 
dem man auf einem Flusse, dessen Name nicht angegeben wird, Schiffbruch 
gelitten hatte. Im Jahre 1862 rüstete der Bischof Ruiz eine dritte Expedition aus, mit 
welcher er zum Rio Cahuapanas vordringen wollte, unterwegs wurde der Bischof 
schwer krank, so dafs man ihn zurücktragen mufste. Der Bischof starb leider 
bald nachher und mit seinem Tode stockte das ganze Unternehmen lange Zeit. 
Im folgenden Jahre rüstete der Präfekt Don Federico de la Fuente eine Expedition 
aas, die von dem Major Don Pedro Ruiz geführt wurde. Die Expedition sollte 
von Chisquilla aus in das Gebirge vordringen und den Rio Cahuapanas zu er- 
reichen suchen, was denn auch gelang. Zwei weitere Expeditionen wurden 
gef&hrt von Don Felipe Torres und von dem Ingenieur Arthur Wertheman 
(einem Deutschen?). Ersterer hatte folgenden Auftrag: er sollte bis zu dem Flufs 
▼orracken, auf dem eine frühere Expedition Schiffbruch gelitten hatte und 
dem Lauf des Flusses folgen, um zu entdecken, wo er münde. Die Expedition 
fsad, dafe der fragliche Flufs der Aichayaco war, der in den Rio Potro fllefst, 
ein Nebenflufs des Maranon. Die andre Expedition bestand, Dank der Frei- 
gebigkeit des Don Baltazar Eguren, aus zwei Sektionen : Don Wertheman sollte 
den Bio Utcubamba explorieren, bis an die Mündung desselben vordringen und 
dann den Maranon hinuntergehen ; an der Mündung des Rio Potro sollte er dann 
mit der zweiten Sektion zusammentreffen. Bei dieser Flufsfahrt hatte die Sektion 
Wertheman viel Unglück; sie erlitt mehrere Male Schiffbruch, die Indianer über- 
fielen sie oft, die Instrumente, die Lebensmittel, alles ging verloren und gänzlich 
mittellos kam sie in Borja an. Herr Wertheman fand reichliche Unterstützung 
bei dem Prafekten des Departements von Loreto. Dann setzte Wertheman die 
Eeise fort, fand aber die andre Sektion an der Mündung des Rio Potro nicht 
Tor. Wertheman ging nun den Rio Potro hinauf, untersuchte seine und «A.\\\&'«k 



— 188 — 

Nebenflusses Aichayaco Schiffbarkeit nnd kehrte dann über Moyobamba nach 
Chachapoyas zurück. Die zweite Sektion unter Torres hatte bald nach ihrer 
Abreise feindliche Zusammenstöfse mit den Aguarunas ; dann bekam Torres Streit 
mit dem ihn begleitenden Kaplan Manuel Melendez, infolge dessen sich die 
Expedition in zwei Teile trennte. Torres wollte genau seinen Instruktionen gemäfs 
den Aichayaco und Potro hinunter gehen, um mit Wertheman zusammenzutreffen. 
Unterwegs aber wurde er mit seinen Begleitern von den Indianern getötet. 
Die nächste Expedition wurde erst im Jahre 1881 unter der Leitung des Don 
JosS A. Obando ausgeschickt. Man folgte diesmal den von Don Wertheman 
gegebenen Instruktionen und es gelang, in vier Monaten einen Weg von 10 Leguas 
in nordwestlicher Richtung herzustellen. Dann war die Expedition gezwungen, 
wegen Mangels an Lebensmitteln zurückzukehren. Die letzte Expedition war die 
des Jahres 1883, unter Leitung des Don Jos§ Gonzalez Cordova, des früheren 
Präfekten von Loreto, der mit 12 Genossen das angefangene Werk fortsetzte. 
In 110 Tagen wurden 10 Leguas des vorgenannten Weges fertiggestellt, so dafe 
jetzt ein Weg von Chisquilla bis nach einem Punkte des oberen Laufes des Bio 
Cahuapanas fertig ist. Das sind die einzigen Mitteilungen, die aus der vor- 
liegenden Broschüre unsre Leser interessieren dürften. Es folgen dann noch 
allerlei nicht kontrollierbare Angaben über den Reichtum des Landes an den 
verschiedenartigsten Produkten, Vorschläge zur Kolonisation und Heranziehung 
von Einwanderern u. a. Mir ist beim Durchblättern dieser kleinen Schrift ein 
alter Lieblingsgedanke wieder lebhaft vor die Seele getreten: Ob es nicht ein 
ebenso verdienstvolles als lohnendes Unternehmen sei, einmal eine wissen- 
schaftliche Expedition in diese noch so wenig bekannten 
Gegenden des oberen Amazonen Stromes auszusenden, die gewifs noch 
sehr viel Neues und Interessantes für die Wissenschaft bieten? 

Frankfurt a. M. Dr. W. B. 

— Commission GSologique, d^histoire naturelle et de mus6e 
du Canada. Alfred R. C. Selwyn, Directeur. Rapport des Operations. 
1882 — 1884. (Traduction). Publie par autorit6. Der obige Bericht über die 
geologische Erforschung von Canada bildet wieder einen stattlichen mit Illu- 
strationen und Karten reich ausgestatteten Band. In der Einleitung giebt Sel- 
wyn eine kurze Übersicht über die Arbeiten in den Jahren 1883 und 1884. 
Dann folgt eine ältere, aber jetzt erst veröffentlichte Abhandlung von Bauermann 
über die Geologie des 49. Breitengrades westlich vom Felsengebirge. Eine 183 
Seiten lange Abhandlung von Dawson über das von der kanadischen Pacificbahn 
durchschnittene Gebiet des Bow- und Bellyflusses macht uns mit den aufser- 
ordentlich reichen, teils der Kreide-, teils der Tertiärzeit angehörenden Kohlen- 
lagern und den guten Weideländereien dieses Distriktes bekannt. Robert Bell 
hat die Petroleumquellen am AthabaskafluTs untersucht. Derselbe giebt dann 
noch einen Bericht über die naturhistorischen Beobachtungen, welche er bei 
Gelegenheit der zur Untersuchung der Hudson-Bai ausgesandten Expedition ge- 
macht hat. Laflamme veröffentlicht die Resultate sehier Studien im Gebiete 
des Saguenay. Ells und Low liefern Beiträge zur Geologie der Halbinsel Gasp^ 
und der Prinz Eduard-Insel. Bayley und Chalmers berichten über die geo- 
logischen Verhältnisse eines Teiles von Neu-Braunschweig, Fletcher über die 
von Kap Breton. Ferner beschreibt Torrance die Apatitlager von Ottawa, Costa 
die Goldlagerstätten am lac des bois (lake of the woods), Willimott das Vor- 
kommen und die Gewinnung nützlicher Mineralien in den Provinzen Ontario, 
Quebec und Neu-Schottland. Zwei Arbeiten von Hoffmann, enthaltend chemische 



— 189 — 

Analysen von zahlreichen Kohlenproben aus dem Nordwestgebiet nnd verschiedene 
Mineral- und Gesteinsnntersnchungen beschliefsen den Band, der nnsre Kennt- 
nis von dem geologischen Bau des britischen Nordamerika wieder in erheblichem 
Mafse fördert. A. K. 

Australien und Polynesien. 

— Work and Adventure in New Guinea 1877 to 1885, by J. Chalmers 
and W. W. Gill, London 1885. Religious tract society. Mit zwei Karten und 
zahlieichen Abbildungen. Deutsch bei F. A. Brockhaus in Leipzig unter dem 
Titel: Neu-Guinea, Reisen und Missionsthätigkeit während der Jahre 1877 bis 
1885 von J. Chalmers und W. W. Gill, mit einem die Entdeckungsgeschichte 
von Neu-Guinea betreffenden Vorwort des Obersetzers Herrn H. Lesser. Diese 
englische und deutsche Herausgabe der Reiseberichte und Reiseergebnisse der 
mutigen und unermüdlichen Missionare der Londoner Missionsgesellschaft ist 
sehr verdienstlich. Bisher waren diese Berichte in allerlei Zeitschriften zerstreut ; 
gegenwärtig fesselt Neu-Guinea nicht blofs, wie bisher, das Interesse der Geo- 
graphen, sondern die dort im deutschen Teil begonnenen Kolonisationsversuche 
werden den Mafsstab für den wirtschaftlichen und kommerziellen Wert der 
grofsen Insel bieten. Die Berichte betreffen die Küsten und Inseln, sowie einige 
Streifzüge in das Innere des jetzt unter englischer Oberhoheit stehenden süd- 
östlichen Neu-Guineas. 

Polarregionen. 

— Report of the international Polar Expedition to Point 
Barrow, Alaska, by Leutnant P. H. Ray. Washington. Gov. Print. Office. 1885. 
Der vorliegende Bericht der internationalen Polarexpedition, welche von der Re- 
gierung der Vereinigten Staaten nach Point Barrow ausgesandt wurde, füllt einen 
starken Quartband von 695 Seiten. Aus dem Überblick, welchen Leutnant Ray, der 
Leiter der Expedition, über die äufseren Schicksale derselben giebt, entnehmen 
wir, dafs die aus 10 Mitgliedern bestehende Expedition am 18. Juli 1881 San 
Francisco verliefs und am 8. September desselben Jahres ihren Bestimmungsort 
erreichte. Jedoch erst am 18. Oktober 1881 konnte nciit den regelmäfsigen 
meteorologischen Beobachtungen begonnen werden, nachdem die für die 
Station erforderlichen Baulichkeiten in der Nähe des südwestlich von 
Point Barrow gelegenen Eskimodorfes üglaamie errichtet worden waren 
Im folgenden Jahre wurde die Expedition durch drei neue Mitglieder verstärkt, 
während einer der ersten Teilnehmer abgelöst wurde. Die übrigen harrten 
noch ein weiteres Jahr aus. Am 29. August 1883 traten auch sie die Rückreise 
nach San Francisco an, woselbst sie am 7. Oktober desselben Jahres anlangten. 
Der Gesundheitszustand war während der ganzen Dauer der Expedition ein 
vortrefflicher gewesen ; nicht eine einzige Erkrankung kam unter den Mitgliedern 
vor. Aufser den regelmäfsigen Arbeiten der Station wurden von Leutnant Ray 
zwei gröfsere Schlittenreisen zu geographischen Forschungen unternommen, die 
eine im Frühjahr 1882 entlang der Küste nach Osten, die andre im Frühjahr 
1883 in das Innere. Die topographischen Ergebnisse dieser Reisen sind auf 
einer dem Bericht beigegebenen Karte eingezeichnet. Gleichfalls von Ray er- 
halten wir eine mit mehreren Abbildungen ausgestattete ethnographische 
Schilderung der Eingeborenen von Point Barrow, welche ein getreues Bild von 
den physischen Eigentümlichkeiten und den Lebensgewohnheiten des dort 
lebenden Eskimostammes liefert. Nach Rays Angaben ist die Bevölkerung im 
raschen Hinschwinden begriffen, wofür er den Grund wohl nicht mit unrecht 
in der durch die Walfischfänger herbeigeführten Verminderung der Wale ^xjLd. 



— 190 — 

dadurch Tenmacliten Nahmngsnot sieht Währenddes zweijährigen Aufenthalts der 
Expedition zählte man unter einer Beyölkerong von 130 Seelen 18 Sterbefalle 
nnd nur 2 Geburten. Das beigefagte ziemlich umfangreiche Vokabular ist für 
die Kenntnis der westlichen Eskimodialekte von um so gröüserer Bedeutung, 
als das bisher zu Gebote stehende Material sehr durffcig war. — Hieran schliefst 
sich eine von John Murdoch mitgeteilte Aufzählung der von der Expedition för 
das U. St. National Museum erworbenen ethnologischen Gegenstände, die von 
fünf Tafeln Abbildungen begleitet ist. Noch heute bedienen sich die Eskimos 
von Point Barrow zahlreicher Stein- und Knochengerätschaften, namentlich bei 
der Jagd xmd beim Fischfang. Murdoch giebt dann noch einen ausfuhrlichen 
Bericht über die naturhistorischen Sammlungen und Beobachtungen der Expedition 
mit 4 Tafeln Abbildungen. Die Mollusken sind von Dali bearbeitet worden 
(hierzu eine Tafel). Über die wenig umfangreiche botanische Sammlung macht 
Asa Gray eine kurze Mitteilung. Den gröfsten Raum nimmt natürlich der Be- 
richt über die meteorologischen Beobachtungen ein. Aus den in extenso mit- 
geteilten Tabellen ergiebt sich als Maximum der beobachteten Temperatur 
65,6 Grad F. (18,6 Grad C), als Minimum - 52,6 Grad F. (— 47 Grad C.) und 
als Jahresmittel 8,83 Grad F. (— 13 Grad C). Auf dem Grunde eines 37' 6" tief 
in die Erde gegrabenen Schachtes wurde eine konstante Temperatur von 12 
Grad F. (-— 11 Grad C.) beobachtet. Über die von der Expedition angestellten 
magnetischen Beobachtungen folgt ein ausführlicher Bericht von Schott. Dem 
Mangel an den erforderlichen Instrumenten und an für diesen Zweck geschulten 
Beobachtern ist es zuzuschreiben, dafs die Beobachtungen des ersten Jahres 
den von der internationalen Polarkonferenz gestellten Anforderungen nicht ent- 
sprachen. Im zweiten Jahre wurde diesem Mangel abgeholfen. NordUcht- 
erscheinungen waren sehr häufig; sie erfolgten bei einer mittleren Dauer von 
6Vs Stunden an 414 Tagen binnen 22V2 Monaten. Die Beobachtungen der Ge- 
zeiten ergeben eine tägliche Periode von 6" — 1". A. K. 

— Nordenskjöld, A. E. Den andra Dicksonska Expeditionen 
tili Grönland, dess iure isöken och dess Ostküst, utförd &r 1883. Stock- 
holm, F. d G. Beijers Förlag. Autorisierte deutsche Ausgabe: Grönland, 
seine Eiswüsten im Innern und seine Ostküste. Schilderung der zweiten 
Dicksonschen Expedition, ausgeführt im Jahre 1883 von A. E. Freiherrn von 
Nordenskjöld. Mit über 200 Abbildungen und 6 Karten. Leipzig. F. A. Brock- 
haus. 1886. Die gleich anderen arktischen Reisen Nordenskjölds auf Kosten 
des nordischen Mäcenas, des Göteborger Grofshändlers Dr. Oscar Dickson, 
ausgerüstete zweite Grönlandexpedition vom Jahre 1883 hatte hauptsächlich 
zwei Ziele, einmal Aufschluls zu erlangen über die Beschaffenheit des 
unbekannten Innern, dann die noch immer umstrittene Frage nach der 
Lage der ältesten normannischen Ansiedlungen, des alten „Österbygden^, einer 
neuen Untersuchung zu unterwerfen. In beiden Punkten waren Nordenskjölds 
Mutmafsungen von den Ansichten der meisten übrigen Grönlandforscher ab- 
weichend. Nordenskjöld glaubte nicht an ein zusammenhängendes Inlandeis. 
Verschiedene Gründe liefsen ihn annehmen, dafs jenseits des Küstensaumes sich 
gröfsere Gebiete eisfreien Landes befinden müfsten, welche mit einer Pflanzen- 
decke versehen, Weideplätze für die Rentiere darböten. Die Lage von „Öster- 
bygden" femer suchte Nordenskjöld nicht wie Rink und andere auf der ösi 
liehen Hälfte der Westküste, sondern an der eisumwallten Ostküste, indem 
sich auf die bisherige mangelhafte Erforschung derselben und den Wortlaa^^ 
der Qaellen&Bgaben berief. Die Ergebnisse der Reise haben Nordenskjölds An — 




- 1dl — 

sichten niclit bestätigt. Er selbst drang nnter 68Vs Grad nördl. Breite 120 km 
weit in das Innere von Grönland vor, die beiden ihn begleitenden Lappländer 
noch etwa 230 km weiter, bis in die Mitte des Landes, aber die erwarteten Lücken 
im Binneneise fanden sich nicht; ebensowenig gelang es bei einer Landung an 
der Ostküste Spuren normannischer Ansiedlungen zu finden. Deswegen war 
jedoch die Expedition selbst keine verfehlte. Sie hat nicht minder als die 
früheren wichtige Beiträge zur Erforschung der Folarländer geliefert und ein 
Beobachtungsmaterial gewonnen, das für die Lösung zahlreicher wissenschaft- 
licher Fragen von höchster Bedeutung sein wird. Ist doch die Eiswüste, 
welche das Innere Grönlands einnimmt, das einzige Beispiel für eine so mächtige 
und zusammenhängende Eismasse, wie sie nach Ansicht der meisten Geologen 
während der Eiszeit die nördlichen Länder Europas und Amerikas bedeckte ! 
Somit gewähren uns auch die Aufschlüsse, welche wir durch Nordenskjöld über 
Ausdehnung und Natur des grönländischen Binneneises erhalten, einen Einblick 
in eine der merkwürdigsten geologischen Epochen, welche nicht nur auf die 
jetzige Gestaltung der norddeutschen Tiefebene bestimmend eingewirkt hat, 
sondern auch für die gegenwärtige Verbreitung der Pflanzen- und Tierwelt von 
hohem Einflulis gewesen ist. — In eine noch fernere Zeit der Erdgeschichte 
fahren uns die Untersuchungen von Nathorst, eines der wissenschaftlichen Be- 
gleiter Nordenskjölds auf dieser Reise, in eine Zeit, da an Stelle der jetzigen 
spärlichen arktischen Vegetation, welche auf dem schmalen eisfreien Küstensaum 
ein kümmerliches Dasein fristet, Wälder von Tulpenbäumen, Feigen, Magnolien 
und andern südlichen Pflanzenformen sich fanden. Eine kurze Analyse des 
mit Karten und Illustrationen reich ausgestatteten Werkes zu geben, ist schwierig, 
da der Verfasser auch hier wie in der Schilderung seiner Vegareise es liebt, 
durch ausführliche mit längeren Citaten belegte historische Abschweifungen den 
fortlaufenden Gang der Darstellung zu unterbrechen. Der Leser muTs ihm hier^ 
far Dank wissen, da ohne Kenntnis von der historischen Entwickelung der An- 
sichten, wie sie sich in einer umfangreichen und schwer zugänglichen Litteratur 
kundgiebt, ein volles Verständnis der jetzigen Anschauungen nicht möglich ist. 
Hervorzuheben ist noch, dafs Nordenskjöld auch nach den Erfahrungen dieser 
Reise an der Möglichkeit des Vorkommens eisfreier Gebiete im Innern von 
Grönland festhält, auch in betreff der Lage der alten normannischen Kolonien 
ist er bei seiner Ansicht geblieben, die inzwischen freilich durch die Unter- 
suchungen der letzten dänischen Expedition nach der Ostküste (vergL diese 
Ztschr. Bd. VIII, S. 341) wohl endgültig als irrig erwiesen worden ist. 

A. K 
Ethnologie. 
— Dali, William Healey: Masks, labrets and certain aboriginal customs 
with an inquiry of their geographical distribution. Extract from the third 
annual report of the bureau of ethnology. Washington, Government Printing 
Office, 1885, 4 ^ Der Verfasser ist , wesentlich auf Grund seiner genauen Be- 
kanntschaft mit den eingeborenen Völkern der Nordwestküste von Amerika, zu 
der Oberzeugung gelangt, dafs ein eingehendes, vergleichendes Studium der 
mannigfachen Maskenformen, welche bei diesen und andern Naturvölkern in 
Gebrauch sind, für das Verständnis der religiösen und sozialen Verhältnisse von 
grofeer Bedeutung sein müsse. Die vorliegende Arbeit jedoch macht nicht den 
Ansprach darauf, eine erschöpfende Behandlung des Gegenstandes zu geben; sie 
wül nur einige vorläufige Gesichtspunkte aufstellen, um zu weiteren Studien 
uzoregen und eine Grundlage für dieselben zu geben. Dali uutAi%cl;ift\<i^l^ ks\KQk 



_ 192 — 

von Masken; die eigentlichen Masken „masks'', welche zum Schutz oder zur Ver- 
hüllung des Gesichtes getragen werden und gewöhnlich mit Athem- und Sehöffiinngen 
versehen sind, femer die „maskettes'', maskenähnliche Gegenstände, welche ober- 
oder unterhalb des Gesichtes getragen werden und nicht durchbohrt sind, schliefs- 
lich „maskoides'', maskenähnliche Gegenstände, welche gar nicht getragen werden. 
Der ursprüngliche Zweck der Masken war nach Dalls Ansicht der eines Schutzes 
für das Gesicht. Mit gewohnter Klarheit und Gründlichkeit beschreibt er dann 
im speziellen Teil verschiedene Maskenformen, welche in der Südsee und an 
der Westküste von Süd-, Mittel- und Nordamerika in Gebrauch sind. Aus der 
typischen Übereinstimmung derselben bei aller Mannigfaltigkeit im einzelnen 
schliefst er auf den einheitHchen Ursprung des Gebrauches; seine Ansicht ist, 
dals sich derselbe, ebenso wie der Gebrauch das Lippenpflocks von Melanesien 
aus über die Südsee-Inseln nacb Südamerika verpflanzt und von hier nordwärts 
der Westküste entlang bis zum äufsersten Nordwesten von Nordamerika ver- 
breitet habe. — Die sehr wertvolle Arbeit ist von 24 Tafeln begleitet, welche 
eine grofse Zahl der beschriebenen Masken zur bildlichen Darstellung bringen. 

A. K. 



Zur Besprechung wurden der Redaktion ferner übersandt: 

Ein zweites Eeisejahr in Süd-Afrika von D. Wangemann, Missionsdirektor. 
Berlin 1886. Verlag des Missionshauses. 

H. H. Johnston, the Kilima-Njaro-Expedition, with 6 maps and over 80 
illustrations. London, Kegan Paul 1886. 

Le Canal de Panama, var L. Wyse, mit Karten, Plänen und zahlreichen 
Ansichten. Paris, Hachette & Cie. 

H. F. Balmer, Studien über den Seeweg zwischen Europa und West- 
Sibirien (Inaugural-Dissertation). Hamburg, Friederichsen 1886. 

Der Einflufs der Gebirge auf das Klima von Dr. R. Assmann. Stuttgart, 
Engelhorn 1886. 

Geological and natural history survey of Canada. Part III. 1885. 
Ottawa 1886. 

0. Krümmel, der Ozean. Mit zahlreichen Abbildungen. Leipzig und Prag, 
Freytag und Tempsky, 1886. 

P. F. Richter, Verzeichnis von Forschem in der Landes- und Volkskunde 
Mittel-Europas. Herausgegeben vom Verein für Erdkunde zu Dresden. Dresden, 
A. Huhle, 1886. 

Karte der Provinz Hannover, von Dierks u. Gabler. Mafsstab 1 : 1 000 000. 
Hannover, C. Meyer. 



— -*=>g>J®ö<So- 



■t t — ■ , , ... 



Druck Yon Carl SchUnemann. Bremen. 



*•* *• Deutsche ^^ '^• 

Geographische Blätter. 

Herausgegeben von der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 



Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse: 
Dr. M. Lindeman, Bremen, Mendestrasse 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original- Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten 
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit 

der Bedaktion gestattet. 

Reiseeindrücke aus Sizilien. 

Von Wilhelm Olbers Pocke. 



Vorbemerkung. 1. Gesamtbild. 2. Palermo. 3. Girgenti. 4. Syrakus. 5. Der 
-^tna und seine Umgebungen. 

yorbemerknng. 

Die Insel Sizilien ist eins der ältesten Kulturländer Europas; 
aale ist auch im Laufe der Zeiten niemals so vollständig in Barbarei 
zurückgesunken, wie manche Gegenden des Orients. Es ist daher 
nicht möglich, der Welt etwas wesentlich Neues über die Insel mit- 
zuteilen; was ich den Lesern dieser Blätter bieten kann, sind eben 
nur Reiseeindrücke, wie sie sich bei einem kurzen Ausfluge ge- 
winnen lassen. (Eine ausführlichere gute Schilderung von Land uud 
Leuten aus neuester Zeit findet sich in der französischen Zeitschrift 
„Revue des deux mondes", Jahrgang 1884.) Es ist meine Absicht, 
mich in den folgenden Aufzeichnungen im wesentlichen auf persön- 
liche Eindrücke und Beobachtungen zu beschränken; statt einer 
gewissenhaften chronologischen Reisebeschreibung will ich aber ver- 
suchen, zunächst ein Gesamtbild und dann Skizzen einzelner be- 
merkenswerter Örtlichkeiten zu liefern. 

L Allgemeines über Land nnd Leute. 

Als ich am Morgen des 22. Mai an Bord des Dampfers er- 
wachte, welcher am vorhergehenden Nachmittage von Neapel abge- 
gangen war, erblickte ich durch das Fensterchen der Kabine in der 
Ferne zackige Berge. „Früh aufstehen^ empfiehlt Bädeker, damit 
man die Liparischen Inseln nicht versäume. Ich begab mich also 
auf Deck und sah nun in der Ferne eine langgestreckte, teils von 
Dunst halb verschleierte, teils von den Strahlen der aufgehenden 
Sonne hell beleuchtete Berglandschaft vor mir. Dafs dies die Nord- 
kttste Siziliens war, konnte keinen Augenblick z.^^\fe\!cÄi\» '^äxss.*^ \^^ 

Oeogr. Blätter. Bremen, 1886. -^f^ 



— 194 — 

schöne neue Dampfer, welcher mich führte, hatte die Fahrt bedeutend 
schneller zurückgelegt als seine Vorganger, über deren Reisen 
Bädeker berichtete. Allmählich kamen die Berge naher; die Umrisse 
der an der Küste gelegenen Gipfel hohen sich immer bestimmter 
gegen die binnenländischen Gebirgsmassen ab. Bei der Einfahrt in 
die Bucht von Palermo sieht man westlich den mächtigen Monte 
Pellegrino, jene von Oswald Achenbachs Bildern wohlbekannte Berg- 
gestalt, östlich den Monte Catalfano mit dem weit vorspringenden 
spitzen Kap Zaffarano, dazwischen das flache Ufer mit dem weii^n 
Streifen der Häuserreihen. 

Der Anblick dieser von der südlichen Morgensonne scharf 
beleuchteten Landschaft ist für den Bewohner Mitteleuropas um so 
fremdartiger, als das Auge zwischen all den gelblichen, violetten und 
grauen Farbentönen vergebens nach Grün ausspäht. Die Berge 
scheinen vollständig kahl zu sein, nur die weifsen Häuserreihen der 
Stadt werden hier und da durch dunkle Partien unterbrochen, die 
wie Baume aussehen. Auch wenn man gelandet ist, begreift man 
bei dem Anblicke der nackten Felsen und Berge zunächst gar nicht, 
wie überhaupt eine dichte Bevölkerung hier ihren Unterhalt finden 
kann. Mit Ausnahme weniger Landstriche bietet nicht allein die 
Umgegend von Palermo, Hondern überhaupt ganz Sizilien dem Aug 
während des Sommers nur vereinzelte grüne Flächen; im Wint«^ 
wenn das junge Getreide spriefst, mag es namentlich in den Weiß 
hauenden Gegenden anders aussehen. 

Man ist bei uns in Deutschland gewöhnlich der Meinung, da 
man Süditalien und namentlich Sizilien im Winter besuchen müa 
weil es dort im Sommer zu heifs sei. Wer nicht ans Mittelrai 
reist, um dem rauhen nordischen Winter zu entgehen, sondern i 
Land und Leute kennen zu lernen, der thut entschieden besser, dx 
Frühsommer zu wählen. Ln Mai und Juni ist es in Sizilien 
dings warm, aber die Hitze ist nicht gröfser als bei uns im S'n 
dabei ist die Witterung sehr beständig, die Luft rein 
schwül, die vormittags wehende Seebrise angenehm arfrii 
Tagesiänge ist erheblich geringer als bei uns. 3 
betragt nachts etwa 16—18", bei Tage 21—22" II. 
um diese Jahreszeit fast nur noch in den Berge» tn 
mal in der Umgegend des Ätna ror. — Eii»»i"t"' 

I im Vergleich zu,iy;mß)i''n**' *''"■' 

I gröfseren Starke" 

1 die Soo«' 




Madonfe seine höchste Ent- 

2000 m, wird dann aber durch 

das ganze westliche Sizilien aV 

von der die im Altertume als 

h nach Norden und nach Süden 

läfeigen Bergzügen und einzelnen 

iche sich noch über 1000 m er- 

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voU ^dig von demselben getrennt, der 

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c\ li.il im Innern sein besonderes Bergsystem. 

'H Mineralreichs hat eins für Sizilien 
II ', Dämlich der Schwefel, der in einem 
r SQdkilste und nahe der Mitte der 
wird. Die Ausfuhr erfolgt vorzüglich 
und Porto Empedocle bei Girgenti, zum Teil 

1. Siziliens hat das charakteristische Gepräge der 

ii lusel liegt so ziemlich in der Mitte des ganzen 

^wiächen Alpen und Sahara einerseits, der Strafse 

. dcu) Libanon anderseits. Heifse trockne Sommer 

, icühle, aber in den milderen Küstenstrichen fast 

E sind für das Klima charakteristisch. Die Pflanzen- 

»urhältnissen angepafst ; das Gedeihen der eigentlichen 

j wird durch die kühlen Winter verhindert, während 

Ischen Pflanzen zum Teil durch die Kürze der Ruhe- 

fclich jedoch durch die Sommerdürre leiden. Auf den 

i Baude der Gewässer sieht man daher am meisten 

! Formen auftreten. Der Gesamteindruck, den die 

y Siziliens hervorbringt, mufs übrigens in der Urzeit 

l- andrer gewesen sein als gegenwärtig. Die Vegetation 

unstreitig weit mehr Ähnlichkeit mit derjenigen des 

Mitteleuropa. Sizilien war ursprünglich mit dichten 

^•••Miedeckt und der eigentliche Waldbaum der Insel ist noch 

gewöhnliche Eiche. Unter den laubwechselnden Eichen 

H ein dichtes Unterholz von immergrünem Buschwerk, ahnlich 

li jetzt an der deutschen Nordseeküste Eichenwald finden, 

ten dichtes Unterholz von immergrünen Hülsen gedeiht. 

[nterschied zeigt sich aber darin, daXs in Sizilien eine 

von kleinen Laubbäumen und grofsen Sträuchern 

jl^bt, w&brend bei uns an dw 'Soiis.eft V*-''^^'^ ^'^^'''^ 




^ 196 -^ 

jetzt sieht man noch, dafs nicht jeder dem Frieden unbedingt trau 
Auf dem Lande geht fast jedermann bewaffiiet, angeblich der Jag 
wegen; die Gendarmerie ist sehr zahlreich und namentlich 2 
einsameren Stellen der besuchten Landstrafsen findet man häuf 
Doppelposten aufgestellt ; angesehene und reiche Leute reisen \mU 
bewaffneter Bedeckung. Diese Sicherheitsmafsregeln scheinen jet 
vollständig zu genügen, aber anderseits auch noch nicht entbehrlic 
zu sein. Noch 1882 wurde ein wohlhabender Mann in der Nal 
von Palermo durch eine Bande als Gendarmen verkleideter Fre 
beuter aufgegriffen, nach Landessitte ins Gebirge geschleppt ui 
nur gegen hohes Lösegeld frei gegeben. Als der Fall 1885 zi 
gerichtlichen Verhandlung kam, hob der Staatsanwalt hervor, ( 
gereiche ihm zur Befriedigung, dafs man sämtliche Teilnehmer a 
dem Verbrechen, Thäter wie Hehler, mit einer einzigen Ausnahn« 
ergriffen habe. Der einzige Schuldige, der leider noch fehle, se 
der Schneider in Palermo, der die Uniformen geliefert habe. E 
galt in Sizilien als selbstverständlich, dafs diese Uniformen in einen 
Kloster angefertigt waren, aber die frommen Schneider hatten es 
wohlweislich verstanden, sich allen Nachforschungen zu entziehen. 
Die Klöster sind auf den Aussterbeetat gesetzt und mit ihnen wird 
in Sizilien auch eine der kräftigsten Wurzeln des Räuberwesens zu 
Grunde gehen, da die klerikale Partei das nationale Brigantentnni 
als ein legitimes Kampfmittel gegen die Freigeister und die frei- 
geistigen norditalienischen Eroberer benutzt hat. Fremde, die dei 
inneren Streitigkeiten fern standen und deren Vermögensverh&R- 
nisse man nicht kannte, sind im ganzen wenig von den sizilianischen 
Räubern belästigt worden, wenn auch hier und da einmal, so lange 
die Regierung noch schwach war, einige Strolche die Wertgegen- 
stände, welche Reisende bei sich führten, konfisziert haben. Diese 
Zustände gehören aber jetzt der Vergangenheit an; die Erziehung 
des Volkes durch Schule und Militärdienst wird hoffentlich bald 
dahin führen, ihre Wiederkehr unmöglich zu machen. 

Sizilien ist in seinem ganzen nördlichen Teile ein gebirgiges 
Land, während der Süden mehr hügelig und wellig erscheint. Ebenen 
sind wenige vorhanden und haben meistens nur eine geringe Aus- 
dehnung; die einzige bedeutendere ist die schöne, fruchtbare, gut 
bewässerte Ebene von Catania im Süden des Ätna; bekannt ist 
ferner die Conca d'oro, die goldene Muschel, von Palermo. Das 
Hauptgebirge erstreckt sich von Messina längs der Nordküste nach 
Westen; es ist eine Fortsetzung der neapolitanischen Apenninen, 
wird von den Geographen „Nebroden" genannt, führt aber keinen 
einbeitlichen einheimischen "Namen, ^Ä\ve Ast Mitte der Nordkflste 



~ 197 — 

erreicht es in der Berggruppe der Madonfe seine höchste Ent- 
^ckelung und eine Höhe von fast 2000 m, wird dann aber durch 
eine Senkung unterbrochen, welche das ganze westliche Sizilien ab- 
schneidet. Jenseits dieser Senkung, von der die im Altertume als 
Simera bekannten beiden Flüsse sich nach Norden und nach Süden 
ergieüsen, ist die Insel von unregelmäfsigen Bergzügen und einzelnen 
Gipfeln bedeckt, unter denen manche sich noch über 1000 m er- 
heben. Im Osten lehnt sich an den Südfufs des nördlichen Küsten- 
gebirges (Nebroden), aber vollständig von demselben getrennt, der 
gevraltige Vulkankegel des Ätna an. Auch der im allgemeinen mehr 
hügelige Südosten der Insel hat im Innern sein besonderes Bergsystem. 

Unter den Produkten des Mineralreichs hat eins für Sizilien 
eine aufserordentliche Bedeutung, nämlich der Schwefel, der in einem 
gröfeeren Bezirke unweit der Südküste und nahe der Mitte der 
Insel bergmännisch gewonnen wird. Die Ausfuhr erfolgt vorzüglich 
über die Hafen Licata und Porto Empedocle bei Girgenti, zum Teil 
auch über Palermo. 

Die Vegetation Siziliens hat das charakteristische Gepräge der 
Hittelmeerflora. Die Insel liegt so ziemlich in der Mitte des ganzen 
gro&en Beckens zwischen Alpen und Sahara einerseits, der Strafse 
▼on Gibraltar und dem Libanon anderseits. Heifse trockne Sommer 
^uui regenreiche, kühle, aber in den milderen Küstenstrichen fast 
frostfireie Winter sind für das Klima charakteristisch. Die Pflanzen- 
^^ ist diesen Verhältnissen angepafst ; das Gedeihen der eigentlichen 
l^pengewächse wird durch die kühlen Winter verhindert, während 
die mitteleuropäischen Pflanzen zum Teil durch die Kürze der Ruhe- 
P^anode, vorzüglich jedoch durch die Sommerdürre leiden. Auf den 
Bergen und am Rande der Gewässer sieht man daher am meisten 
Biitteleuropäische Formen auftreten. Der Gesamteindruck, den die 
^Pflanzendecke Siziliens hervorbringt, mufs übrigens in der Urzeit 
^iix wesentlich andrer gewesen sein als gegenwärtig. Die Vegetation 
^^tte damals unstreitig weit mehr Ähnlichkeit mit derjenigen des 
^^fitlichen Mitteleuropa. Sizilien war ursprünglich mit dichten 
^^fildern bedeckt und der eigentliche Waldbaum der Insel ist noch 
meiner die gewöhnliche Eiche. Unter den laubwechselnden Eichen 
^^Äid sich ein dichtes Unterholz von immergrünem Buschwerk, ähnlich 
^i« wir noch jetzt an der deutschen Nordseeküste Eichenwald finden, 
^^ dessen Schatten dichtes Unterholz von immergrünen Hülsen gedeiht. 
^^n grosser Unterschied zeigt sich aber darin, dafs in Sizilien eine 
^^>ciaehnliche Zahl von kleinen Laubbäumen und grofsen Sträuchern 
^'^laorgrfin Weifet, während bei uns an der ^otds»^^ ^^\äsä\ 5ä\s!l 



— 198 — 

kletternden Epheu) nur eine einzige einheimische Art auch im Winter 
ihr grünes Laub behält. 

Immerhin mufs Sizilien in der Urzeit durch seine Vegetation 
vielfach an das westliche Mitteleuropa erinnert haben. Nach der 
Ausrottung der Wälder mufsten dagegen solche Gewächse sich aus- 
breiten, welche befähigt sind, dem Sonnenbrande und der Sommer- 
dürre zu widerstehen. Sie bilden jetzt auf einem grofsen Teile der 
Insel das einzige Grün, aber sie erscheinen nicht in einer so 
beträchtlichen Mannigfaltigkeit von Arten, wie in Spanien oder im 
Orient, wo schon in der Urzeit viel mehr waldloses Steppenland 
vorhanden gewesen sein wird. 

Unter den einheimischen Gewächsen sind übrigens manche 
Formen vertreten, welche entschieden auf ein subtropisches Klima 
hinweisen. Überall auf dürren steinigen Berghängen sieht man die 
kurzen steifen Wedel der Zwergpalme (Chamaerops humilis), welche 
in Sizilien ganz allgemein zu Besen gebraucht werden, wie bei uns 
Heidekraut und Birkenreiser. An feuchten, etwas schattigen Stellen, 
wo unter Buschwerk Spuren von Quell wasser her vor sickern, erblickt 
man die klassischen Formen der Acanthusblätter, die einen kurzen, 
mit grofsen bläulichen Blumen geschmückten Stengel umgeben. An 
den Felsen und sonnigen Hängen klettern die Kappernsträucher mit 
ihren schönen, grofsen, zart violett angehauchten Blumen; im Kiese 
der Flufsthäler oder auch an feuchten Felswänden erblickt man die 
Blütenpracht der Oleanderbüsche, welche auf weite Entfernung schon 
bei der Eisenbahnfahrt sichtbar sind. Die genannten Pflanzen tragen 
sämtlich ein südländisches Gepräge; ihre nächsten Verwandten sind 
in den Tropen zu Hause. 

Der Anbau hat der Insel mancherlei subtropische und tropische 
Pflanzenformen zugeführt, die jetzt eine grofse Verbreitung gewonnen 
haben. An Wasserläufen ist der Papyrus der afrikanischen Strom- 
ufer heimisch geworden, hier und da auch die amerikanische Canna. 
Das Zuckerrohr hat einst seinen Weg von Indien über Sizilien nach 
Spanien und Amerika genommen; jetzt wird es kaum noch auf der 
Insel gebaut. Auch für Reisfelder besitzt die Insel nicht viele 
geeignete Gegenden ; öfter sieht man Baumwollpflanzungen. In grofsem 
Mafsstabe haben aber die Haine von Ölbäumen, Zitronen und Apfel- 
sinen, die zerstreut darüber hinausragenden Dattelpalmen, sowie 
endlich die 3 m hohen dichten Zäune des Feigenkaktus den land- 
schaftlichen Charakter Siziliens verändert; gerade diese Pflanzen- 
gestalten haben ein so eigenartiges Gepräge und man sieht sie so 
häufig, dafs sie gegenwärtig in dem Gesamteindrucke, welchen die 
Insel binterläfst, eine wichtige RoWe emu^\miev\. k\3Ä iieuester Zeit 



— 199 -- 

kommen zu den fremdländischen Baumformen noch die zahlreichen 
'txefflich gedeihenden Eucalyptuspflanzungen hinzu, die namentlich 
stn fast allen Bahnhöfen angelegt sind. Längs der Bahndämme 
leuchten auch manchmal in langen Reihen die Blüten der südafri- 
kanischen Scharlachpelargonien hervor, denen das Klima aufser- 
ordentlich zusagt, die daher massenhaft gezogen werden und halb 
verwildert vorkommen. 

unter den pflanzlichen Produkten der Insel ist in erster Linie 
der Weizen zu nennen, welcher seit den ältesten Zeiten in grofser 
Ausdehnung gebaut wird. Während der feuchten Winter Siziliens 
'Wächst das Getreide auf einem Boden heran, der im Sommer als 
ausgedörrte Wüste erscheint. Die Wärme des April und Mai genügt, 
um das Korn zur Reife zu bringen; die Dürre der letzten Mai- 
wochen schadet nicht mehr. Gegen Ende dieses Monats und zu 
Anfang Juni findet dann die Ernte statt, während welcher man im 
Klima Siziliens kein schädliches Regenwetter zu befürchten braucht. 
Der Weinbau spielt in Sizilien eine bedeutende Rolle. Unter den 
übrigen Produkten sind namentlich Baumfrüchte von Wichtigkeit. 
In manchen Gegenden sieht man in den Getreidefeldern zahlreiche 
Mandelbäume stehen, deren Schatten dem sonnigen Lande eher 
nützlich als schädlich sein dürfte. In den warmen tiefgelegenen 
Thälern werden die Agrumen in grofsem Mafsstabe gebaut, und 
zwar in einigen Gegenden mehr Zitronen, in andern besonders 
Apfelsinen (süfse Orangen). Aufser Feigen- und Ölbaum sind ferner 
zwei Fruchtbäume zu nennen, welche bei uns weniger bekannt sind, 
nämlich der zahme Vogelbeerbaum (Sorbus domestica) und die 
japanische Mispel, welche den Vorzug besitzt, schon früh im Jahre, 
n&mlich im April und Mai, ein sehr angenehmes Obst zu liefern. 
Die Früchte dieser Pflanze ähneln äufserlich in Grösse und Farbe 
den Aprikosen; sie enthalten einige sehr grofse Kerne, welche von 
saftreichem Fleisch umgeben sind. Diese Mispeln werden in Menge 
mit dem Dampfboot von Palermo nach Neapel gesandt; durch jeden 
längeren Landtransport, bei welchem ein Schütteln und Stofsen nicht 
2a vermeiden ist, würden sie jedoch leiden und unansehnlich werden. 
In Norditalien sind diese Früchte kleiner, saurer und minder saftig. 

Auf ganz trocknem und steinigem Boden gedeihen immer noch 
zwei Kulturpflanzen: Feigenkaktus und Sumach. Die grotesken 
Gestalten des Feigenkaktus benutzt man ziemlich allgemein zu 
undurchdringlichen Hecken; die Früchte, die sich nicht konservieren 
lassen, müssen im Herbste in unglaublichen Mengen genossen werden. 

Die Viehzucht spielt in Sizilien keine hervorragende Rolle, da 
die Tiere sich mit dem spärlichen Fullei öiet ^xi^öcÄ\SÄXÄL %^skl 



— 200 — 

kahlen Berghänge begnügen müssen. Kräftige schlanke Ziegen von 
hellbräunlicher oder weifslicher Färbung sieht man in gro&en 
Herden; ferner kleine rotbraune, lang gehörnte Rinder, ziemlich 
kleine Pferde und Maultiere, seltener schwarze Schafe. 

Gröfsere wilde Tiere trifft man natürlich in dem entwaldeten 
und seit alten Zeiten hoch kultivierten Lande sehr selten an. Auch 
die Vögel sind wegen der allgegenwärtigen Jäger sehr scheu. Gut 
vertreten ist die niedere Tierwelt; bunte Insekten sind zahlreich 
und auch die Schnecken fallen mitunter durch ihre grofse Menge 
auf. Bei Girgenti fand ich auf dürren Pflanzenstengeln weifse 
Klumpen, die aus einiger Entfernung wie maiskolbenähnliche Frucht- 
stände aussahen. Bei näherer Betrachtung bemerkte ich, dafe diese 
Scheinfrüchte aus gedrängt bei einander sitzenden Schnecken (Helix- 
und Bulimusarten) bestanden, die sich auf die Spitze trockner 
Meerzwiebelstengel zurückgezogen hatten. Der Sonnenbrand mochte 
auf solch luftigem Sitze erträglicher sein als in den Spalten des 
nackten Felsbodens. 

Um über die Bewohner Siziliens ein begründetes Urteil aus- 
sprechen zu können, dazu würde ein viel längerer Aufenthalt und 
ein genauerer Verkehr mit dem Volke erforderlich sein, als mir 
beschieden war. Durchschnittlich sind die Sizilianer von untersetzter 
Statur, aber kräftig ; Frauenschönheit ist wenig vertreten. Von dem 
Charakter der Leute erhält man im allgemeinen einen entschieden 
vorteilhaften Eindruck; sie scheinen zuverlässig, arbeitsam und 
nüchtern zu sein, ganz besonders zeichnen sie sich durch eine rasche 
Auffassungsgabe aus. Die Frauen scheinen, wenigstens in den 
Städten, in ihrer Freiheit ziemlich beschränkt zu werden ; es ist als 
ob auch in dieser Hinsicht ein Anflug orientalischer Sitte bis nach 
Sizilien gedrungen ist. Eigentümliche Volkstrachten sieht man 
nirgends mehr; nur bei einer Gelegenheit begegnet man einem 
besonderen, allerdings sehr auffälligen Kostüm: es ist das der voll- 
ständig vermummten, in ganz weifse Gewänder gehüllten Begleiter 
von Leichenzügen. Übrigens ist in Neapel dieselbe Tracht gebräuchlich. 
Das landesübliche Gefährt sind zweiräderige Karren, wie sie 
vielfach auch auf dem süditalienischen Festlande benutzt werden. 
Sizilien eigentümlich ist aber die bunte Bemalung dieser Karren; 
die Grundfarbe pflegt gelb zu sein ; auf den Seitenbrettern des Karrens 
sind dann in lebhaften Farben allerlei Heiligengeschichten u. a. 
dargestellt, ganz im Stile der Bänkelsänger- und Mordgeschichten- 
bilder. Wenn diese bunten Karren in voller Gala erscheinen, so 
gehört dazu auch ein eigentümlicher bunter Pferdeschmuck mit einer 
Art von hohen Federbüsr»>iAn 






— 201 -- 

Von Geräten sieht man in Sizilien noch manche altertümliche 
Formen; in manchen Gegenden sind noch die antiken Thonkrüge 
(Amphoren) im allgemeinen Gebrauch. 

Die Bevölkerung wohnt durchgehends in Städten oder städtisch 
gebauten Ortschaften; einzelne Gehöfte oder Dörfer mit zerstreut 
liegenden Häusern trifft man nur selten an. Merkwürdig sind die 
uralten Felsennester, die sich auf der Insel erhalten haben, nament- 
lich die auf isolierten Bergkegeln gelegenen Städte des Innern, die 
zum Teil ziemlich volkreich sind. Das Schutzbedürfnis hat diese 
Bauweise veraulafst und man hat noch immer nicht von der alten 
unbequemen Gewohnheit gelassen, durch welche die Bewohner, die 
doch gröfstenteils Ackerbürger sind, zu weiten und mühsamen Wan- 
derungen gezwungen werden, um ihre Ländereien zu bestellen. In 
den Umgebungen einer solchen Bergstadt sieht man dann weit «nd 
breit bis in grofse Entfernungen keine Ortschaft und kein Haus. 
Das Innere der sizilianischen Wohnungen ist im allgemeinen eben so 
wenig freundlich, wie das Innere der Städte. In einzelnen Beziehungen 
zeigt sich übrigens die uralte sizilianische Kultur noch immer unsrer 
jetzigen nordwesteuropäischen überlegen. Dies gilt z. B. ganz un- 
bedingt vom Strafsenpflaster, welches in Städten und Dörfern über- 
all aus mächtigen, ganz regelmäfsig behauenen und sehr genau 
zusammengefügten Quadern besteht. 

Zu den vorzüglichsten Reizen Siziliens gehören die geschicht- 
lichen Erinnerungen und namentlich die Denkmäler aus der grofsen 
Zeit des griechischen Altertums. Wenn auch die umfangreichsten 
und merkwürdigsten Ruinen sich nur an vier oder fünf Plätzen 
finden, so sind doch an vielen andern Stellen einzelne Reste alter 
Kultur oder irgend welche Anknüpfungen an die Vorzeit vorhanden. 
Auch die Sarazenen haben in Bauwerken, Ortsnamen und Gebräuchen 
mancherlei Spuren ihrer Herrschaft hinterlassen. 

Was Sizilien so anziehend macht, ist die Mannigfaltigkeit der 
verschiedenen Eindrücke, welche man dort empfängt. Über die 
Schönheit des Innern der Insel besitzen wir begeisterte Schilderungen 
aus dem Altertum, aber die herrlichen Waldungen, die rauschenden 
Bäche und Quellen, die üppige Pflanzen- und Tierwelt sind ver- 
schwunden — so dafs gegenwärtig das kahle, bäum- und wasserarme 
Innere trotz der mannigfaltigen Berglinien keinen allzugrofsen Reiz 
ausübt. Aber an den Küsten, wo sich Land und Berge von der 
ruhigen tiefblauen Meeresfläche abheben, gewinnt die Gegend auch 
mit wenig Pflanzengrün Leben und Farbe. Nimmt man dazu den 
gewaltigen Ätna, die fremdländische Vegetation, die modera^\i. S^äÄ^Ä.^ 
die altgriechischen und mittelalterlicilen Ei™v^i\m%^w^ 's*^ ^\a ^\^^^^^ 



— 202 — 

das schöne milde Klima — so hat man wohl die wichtigsten Be- 
standteile hervorgehoben, aus denen sich die Anziehungskraft Siziliens 

zusammensetzt. 

2. Palermo. 

Unter allen Grofsstädten Europas giebt es kaum eine, welche 
an sich, als Stadt betrachtet, so wenig Anziehendes bietet wie Neapel. 
Der naheliegende Vergleich zwischen der süditalischen und der 
sizilianischen Hauptstadt fällt entschieden zu gunsten der letzten 
aus. Aber anderseits giebt es keine europäische Stadt, welche sich 
irgendwie mit Neapel vergleichen läfst im Hinblick auf die wunder- 
volle liage und die mannigfaltigen Reize der Umgebungen. In dieser 
Beziehung steht Palermo bedeutend zurück ; einen Vesuv, ein Capri, 
ein Pompeji und Puzzuoli vermag es nicht zu bieten. Aber dennoch 
ist 4ie Lage Palermos eine vorzüglich schöne. Insbesondere sind es 
die charaktervollen Umrisse des mächtigen Monte Pellegrino, welche 
dem Platze sein besonderes landschaftliches Gepräge verleihen. 
Einerseits vom Meere bespült, anderseits von einem völlig ebenen 
Thalgrunde, der berühmten Conca d'oro, umgeben, steigen die nackten 
Felswände, Grate und Zacken des Berges von allen Seiten frei empor. 
Am Fufse dieser Felsmasse, da wo die Ebene in breiter Front das 
blaue Meer berührt, dehnt sich die sizilische Hauptstadt aus, an der 
Landseite rings von grünen Zitronenhainen umkränzt. Am schönsten 
überblickt man Palermo und seine Umgebungen von den Abhängen 
des Monte GriflFone aus, der dem Pellegrino gerade gegenüber liegt ; 
mit Vorliebe haben Maler diese Stelle für ihre Landschaften gewählt 
und zwar vorzüglich einen Punkt, an welchem die Klosterkirche 
S. Maria di Gesü den Vordergrund einnimmt, während sich weiter 
entfernt in der Mitte die vom Monte Pellegrino überragte Stadt 
ausbreitet, rechts das Meer, links die fruchtbare Ebene, umrahmt 
von Bergen, über welche zahlreiche entferntere Gipfel, Kämme und 
Spitzen emporsteigen. 

Palermo zählt jetzt etwa eine Viertelmillion Einwohner. Zwei 
rechtwinklig sich schneidende schnurgerade Hauptstrafsen teilen die 
Stadt in vier ziemlich gleich grofse Viertel ein ; von Bedeutung sind 
ferner noch einige öffentliche Plätze und breitere Strafsen, die als 
wichtige Verkehrswege dienen; im übrigen besteht das Innere der 
einzelnen Quartiere aus jenem Gewirr enger Gassen und Gänge, 
welches man in so vielen italienischen Städten anzutreffen gewohnt 
ist. Die Häuser sind nicht übermäfsig hoch und ihre Architektur 
ist im allgemeinen einfach und einförmig; jedes Fenster hat einen 
mit Eisengittei umgebenen Balkon, wodurch wenigstens die Gleich- 
förmigkeit der Mauerflächen etwas unUi^iTodttevi mx^, Schornsteine 



— 203 — 

kennt man kaum, der Rauch des Herdes entweicht aus dem Fenster. 
Eine namhafte Zahl bedeutender mittelalterlicher Bauwerke verleiht 
übrigens der Stadt ein gröfseres architektonisches Interesse; in ihrem 
Innern enthalten diese Gebäude interessante Kunstschätze. Besonders 
ausgezeichnet sind die herrlichen Goldmosaiken, welche sich in 
mehreren ' Kirchen und Kapellen erhalten haben. Das prächtigste 
Baudenkmal steht freilich nicht in Palermo selbst, sondern in der 
etwa eine deutsche Meile entfernten Stadt Monreale ; es ist die dortige 
erzbischöfliche Kathedrale, welche durch Architektur, Goldmosaiken 
und herrliche Lage höchst bemerkenswert ist ; daneben befindet sich 
ein Kreuzgang, dessen 216 Säulen auf serordentlich zierlich und 
sämtlich verschieden gearbeitet sind. 

Das kulturgeschichtliche Interesse, welches Baudenkmäler aus 
der griechischen und römischen Zeit so manchen Plätzen des Westens 
sowie der Süd- und Dstküste Siziliens verleihen, fehlt dem Norden 
fast ganz. Was in Palermo an römischen Resten entdeckt wurde, 
ist von geringer Bedeutung. Wohl aber finden sich im dortigen 
Nationalmuseum zahlreiche antike Gegenstände, welche in andern 
Teilen der Insel gesammelt sind, namentlich die berühmten Metopen 
von Selinunt, die einer sehr frühen Periode der griechischen Kunst 
angehören. 

Einen besonderen Reiz erhält Palermo durch seine schönen 
Parkanlagen und Gärten mit ihren zahlreichen fremdartigen Gewächsen 
aus der subtropischen Zone. Bei allen diesen Anpflanzungen handelt 
es sich vor allen Dingen um das Wasser. Wo es Süfswasser giebt, 
da herrscht um Palermo die gröfste Üppigkeit der Vegetation, wo 
es fehlt, da ist auch für den Gärtner wenig zu machen. Die herr- 
lichen Zitronenhaine der Conca d'oro sind abhängig von der 
Bewässerung ; wo diese nicht zu beschaffen ist, da gedeihen nur noch 
Sumach und Feigenkaktus. Grofse Grasflächen, die im Winter 
grün gewesen waren, lagen in der zweiten Hälfte des Mai voll- 
ständig verdorrt da ; der Boden war dicht bedeckt mit den Früchten 
der Schneckenkleearten und andrer einjährigen Gewächse. Und 
nach dem Mai folgen noch drei heifse regenlose Monate ! Es versteht 
sich von selbst, dafs unter diesen Verhältnissen solche Gewächse 
besonders wertvoll sind, welche wenig Wasser bedürfen. Als Rasen 
verwendet man die Blätter der japanesischen Maililie. In den 
Baumpflanzungen und Alleen zu Palermo hat man namentlich viel 
Gebrauch gemacht von dem mexikanischen Pfefferbaum (Schinus moUe), 
der mit seiner feinen hängenden Belaubung eine der graziösesten 
Pflanzengestalten ist, die es giebt. Ebenso widerstandsfähig ^cJAftv&K^ 
die ErythrJnabäüjne zu sein, welche zYiai ^^I!l\?>^x iXet^^vOö. i\\A^ ^^^ 



— 204 — 

durch ihr dunkles massiges Laubwerk vortreflFlich schatten. Die 
meisten sonstigen Baumarten erfordern mehr oder minder Wasser, 
so namentlich die Palmen und Araucarien, jene so regelmäXsig ge- 
wachsenen Nadelholzbäume, die wir als kleine Exemplare in unsern 
Kalthäusern bewundern. Bei Palermo sieht man sie am schönsten 
in dem wohlbewässerten Garten des Grafen Tasca. Auch die tropischen 
Bananen mit« ihren mächtigen breiten Blättern halten in Sizilien an 
geschützten Stellen ganz gut im Freien aus, bringen aber keine 
Früchte. Einen eigentümlichen Eindruck macht es, wenn man gegen 
Ende Mai in einer Landschaft, die auf den Nordeuropäer einen 
hochsommerlichen oder selbst herbstlichen Eindruck macht. Bäume 
aus einer wärmeren Heimat antriflft, welche zu derselben Zeit ihr 
erstes Frühlingslaub entfalten. Es thut dies z. B. der Jakarandabaum, 
der mit den ersten Blättern auch seine prächtigen satt violettblauen 
Blumen erschliefst. 

Es würde zu weit führen, hier auf mehr Einzelheiten einzu- 
gehen, doch mag noch erwähnt werden, welche Rolle die Gärten im 
Leben der Palermitaner wie andrer italienischen Stadtbewohner 
spielen. Die gleichmäfsig stillen, heiteren und vollkommen dunklen 
Sommerabende gestatten es ganz regelmäfsig. Feste zu feiern mit 
Musik, Gasbeleuchtung, bunten Papierlaternen, Feuerwerk, kleinen 
brennenden Luftballons u. dergl. Vor allen Dingen eignen sich die 
öffentlichen Parks und die am Meeresufer gelegenen Promenaden 
für die Entfaltung dieses eigenartigen südländischen Treibens mit 
seiner glänzenden sinnenberauschenden Poesie. 

Die Umgegend von Palermo gewährt aufser den mannigfalti- 
gen Ausblicken auf Meer, Thäler und Berge auch einen Begriff 
von der Beschaffenheit und der Bebauung des Landes. Die Ertrag- 
fähigkeit hängt, wie gesagt, vom Wasser ab und der Wassermangel 
ist offenbar zum Teil durch die Entwaldung bedingt. Kleine Ver- 
suche zeigen, dafs eine allmähliche Wiederbewaldung nicht unmöglich 
ist; freilich darf man nicht an den dürrsten und wertlosesten 
Stellen anfangen wollen. Höher auf den Bergen ist Weideland vor- 
handen, welches dem Vieh auch im Sommer Nahrung spendet. 
Zuweilen bekommt man den Eindruck, als ob noch in einer nicht zu 
fernen Vergangenheit die Dürre des Landes geringer gewesen sein 
müsse. Zu Bagheria, östlich von Palermo, giebt es grofsartige 
Gartenanlagen, die tiicht bewässert werden können, mit Schlössern, 
welche von dem Reichtum ihrer Erbauer Zeugnis ablegen. Man 
sah schon Ende Mai, wie sehr dort die Bäume und das Buschwerk 
mit der Dürre zu kämpfen hatten ; man begreift kaum, wie man an 
solchen Stellen einst kostspielige Anpflanzungen machen konnte. 



Sollten die Verhältnisse nicht ehemals günstiger gewesen sein? 
Die Schlösser Bagherias enthalten übrigens einige kulturhistorische 
Wunderlichkeiten ; in einem ScUofshofe finden sich ebenso geschmack- 
lose wie phantastische Tier-Mensch-Üngetümfiguren in grofser 
Zahl ; an einer andern Stelle wird man in ein als Kloster eingerich- 
tetes Gebäude geführt, in dessen Zellen lebensgrofse als Mönche 
oder Nonnen gekleidete Figuren mit klösterlichen Verrichtungen 
beschäftigt angebracht sind. 

Noch eine andre kulturhistorische Absonderlichkeit Palermos 
mag hier erwähnt werden. Manche der wohlhabenden Einwohner 
der Stadt pflegen den Gebrauch, die Leichen ihrer Angehörigen nicht 
etwa bestatten oder verbrennen, sondern trocknen zu lassen. Und 
dabei wird dies Trocknen ohne jegliche Benutzung der neueren 
wissenschaftlichen Hülfsmittel in ganz roher Weise und mit recht 
mangelhaftem Erfolge ausgeübt. Die getrockneten Leichen werden 
in grofsen unterirdischen Korridoren aufbewahrt. Sie ruhen da nun 
nicht etwa, wie es im Bremer Bleikeller der Fall ist, sämtlich in 
einer Art von Särgen oder Sarkophagen, sondern teils kauern oder 
liegen sie über einander in Wandnischen, teils sind sie an den Wän- 
den aufgehängt. Sie sind auch nicht wirklich getrocknet wie die 
Bleikellerleichen, sondern sie stellen eigentlich nur Gerippe vor, an 
denen noch Fetzen der Weichteile hängen und die oft nur mit dürf- 
tigen Gewändern bekleidet sind. Da das Trocknungsverfahren trotz 
seiner Mangelhaftigkeit ziemlich kostspielig ist, können sich nur 
Wohlhabende diesen Luxus erlauben. Wenn man durch die mit 
trocknen Leichen angefüllten Grüfte geht, glaubt man unter einem 
halb wilden Volke zu weilen, und man mufs sich immer wieder 
durch das Lesen der Inschriften überzeugen, dafs es Palermitaner 
der letzten Jahrzehnte sind, deren irdische Reste hier zu Tausenden 
herumliegen und hängen. 

Des kulturgeschichtlichen Gegensatzes wegen mag hier erwähnt 
werden, dafs eine andre sizilische Stadt, nämlich Messina, einen 
Friedhof besitzt, dessen herrliche Lage schwerlich irgendwo in 
Europa ihresgleichen findet. Die Baulichkeiten ahmen denen Mailands 
und Genuas nach, sind jedoch noch zu neu, um gleich zahlreiche 
Kunstwerke und Denkmäler zu enthalten. Man hat dort einen 
Ruheplatz für die Toten geschaffen, in dessen ganzer Anlage sich 
moderne Anschäuungs- und Empfindungsweise ausspricht. Man kann 
sich kaum einen gröfseren Gegensatz denken, als den zwischen 
Palermos schauerlichem Leichenkeller und Messinas friedlich 
schönem Totengarten. 



-. 206 ^ 

3. Crirgenti. 

Der Raum, welchen die alte Grofsstadt Akragas oder Agri- 
gentum bedeckt hat, wird jetzt grofsenteils von Äckern und Frucht- 
pflanzungen eingenommen; die dürren höher gelegenen Stellen sind 
völlig wüst ; ihre winterliche Pflanzendecke ist im Sommer versengt. 
Die nördlichste Ecke des alten Stadtgebietes wird ausgefüllt von dem 
heutigen Girgenti mit seinen hohen Häusern und engen, meist steilen 
Gassen. Die Grenze der alten Stadt wird bezeichnet durch schroff 
abstürzende Abhänge, die meistens von der Natur gegeben, zum 
Teil aber auch absichtlich steiler gemacht sind. Tief unterhalb des 
jetzigen Girgenti, am Fufse des Abhanges, oder eigentlich schon 
an der jenseitigen Thal wand, liegt der Bahnhof, von welchem aus 
die Bahn einerseits nordwärts ins Innere der Insel, andrerseits in 
weitem Bogen an die Küste, an den Hafen von Girgenti führt, 
der neuerdings zum Andenken an den berühmtesten Bürger Agrigents 
den Namen Porto Empedocle empfangen hat. Das neue Girgenti 
mag etwa 25 000 Einwohner zählen ; es bietet nicht viel Bemerkens- 
wertes. Was die Fremden an diesen Ort lockt, das sind die 
merkwürdigen Reste aus dem Altertume. Die schönsten antiken 
Bauwerke liegen längs der alten Ringmauer an der Südseite Agrigents, 
fast dreiviertel Stunden von der heutigen Stadt entfernt. Da finden 
sich die gewaltigen Trümmer des Zeustempels, der übrigens nie 
ganz vollendet gewesen ist. Ein freundlicher Kustode führte mich 
umher und gab mir in geläufigem Französisch die notwendigen 
Erklärungen ; als dann aber das Gespräch auf andre Dinge abschweifte, 
verfiel er in ein höchst spafshaftes, aber ganz gut verständliches 
galloitalisches Messingsch, dessen er sich übrigens in vollster 
Unbefangenheit bediente. Ähnliches begegnet übrigens dem Fremden 
im südlichen Italien nicht selten. Noch weit anziehender als die 
Trümmerfelder sind die beiden in der Nähe gelegenen Tempel der 
Juno und der Konkordia, weil sie noch grofsenteils erhalten sind. 
Gepriesen sei jener mittelalterliche Pfaffe, welcher den glücklichen 
Gedanken hatte, den herrlichen Konkordiatempel dem Schutzpatrone 
aller Rüben zu weihen. Von nun an war das schöne Bauwerk vor 
den Angriffen roher Menschenhände sicher, denn niemand wollte es 
mit einem so einflufsreichen Heiligen verderben und dadurch vielleicht 
seine ganze Rübenernte aufs Spiel setzen. Erdbeben und Scirocco 
haben sich freilich nicht abhalten lassen, ihre zerstörende Thätigkeit 
auszuüben, aber sie arbeiten minder rasch und gewaltthätig als die 
Menschen. Von den Vorstufen, den Säulenreihen, Mauern und selbst 
den Giebeln der beiden Tempel ist noch so viel erhalten, daXs man 
den vollen wirklichen Eindruck altgriechischer Monumentalbauten 



— 207 — 

von ihnen empfängt. Kein Kustode und kein Bettler stört die 
Erinnerungen an das Altertum und den herrlichen Ausblick in die 
sonnige wellige, teils wohl bebaute, teils felsigöde Landschaft. Unter 
der Stadtmauer, auf der die Tempel stehen, senkt sich der Abhang 
in das Thal eines ausgetrockneten Flüfschens hinab, an dessen naher 
Mündung der versandete Hafen von Agrigent lag ; der Blick schweift 
von dort über die ruhige sattblaue Meeresfläche hinweg in die endlose 
Ferne. Ein frischer Ostwind kühlte zur Zeit meines Besuches die 
Luft so weit ab, dafs ich nicht im mindesten von dem Sonnenbrande 
belästigt wurde ; um so mehr empfand ich aber die Hitze, als ich mich 
endlich von den Tempeln trennte und auf der staubigen, von Mauern 
und Kaktushecken eingeschlossenen, vor jedem Luftzuge geschützten 
Strafse bergaufwärts nach Girgenti wanderte ; die Mittagssonne stand 
so hoch, dafs die Schatten fast unmerklich kurz wurden. Auf halbem 
Wege zur Stadt quillt frisches Wasser aus einer antiken Leitung. 
Hier sammeln sich jetzt, wie es im Altertum der Fall war, die 
Wasserschöpfer. Maultiere und Esel, über deren Rücken jederseits 
ein grofser Thonkrug, eine Amphora von echt klassischer Gestalt, 
herabhängt, gehen und kommen von der Stadt, um das unentbehrliche 
Nafs zu holen. Die begleitenden Jungen riefen mir einmal über 
das andre ein ;,vole bibere?" (wollen Sie trinken?) zu, eine Frage, 
welche in ihrer mehr lateinischen als italienischen Form dazu beitrug, 
die durch Landschaft, Tempel, Amphoren und Brunnenszenen geweckten 
altklassischen Eindrücke nur noch lebendiger zu gestalten. 

Eigentlich modernes Leben zeigt sich mehr in Porto Empedocle 
als in Girgenti selbst. Weizen und Schwefel sind die vorzüglichsten 
Ausfuhrprodukte der südsizilischen Häfen. Und so sind es denn 
namentlich die mächtigen Haufen der gelben Schwefelbarren, welche 
Porto Empedocle sein besonderes Gepräge verleihen. 

4. Syrakns. 

Der alte Ruhm von Agrigent wird noch überboten durch den 
von Syrakus. Einst ging die in den Perserkriegen errungene Be- 
deutung Athens vor den Mauern von Syrakus verloren, um niemals 
wieder zu dem früheren Glänze zu erstehen. Wie viele Erinnerungen 
knüpfen sich nicht allein an die Namen Dionys und Archimedes! 

Die älteste Stadt wurde auf der kleinen Insel Ortygia be- 
gründet, deren Wichtigkeit namentlich auf der berühmten Quelle 
Arethusa beruhte, welche die Einwohner unter allen Umständen vor 
der Gefahr des Trinkwassermangels schützte. In der späteren Grofs- 
stadt Syrakus bildete die Insel nur einen kleinen, wenn auch bed< ' 



— 208 — 

gämen Stadtteil; das moderne Siracusa hat wieder Raum genug auf 
der alten Stelle, der Ortygia, gefunden. Im Norden ist die Insel von 
dem sizilischen Hauptlande nur durch einen schmalen Kanal getrennt, 
der durch Festungswerke grabenartig eingeengt ist. Die Quelle 
Arethusa ist neuerdings neu gefafst; ihr von Papyrus umstandenes 
klares Becken liegt in einer kleinen Anlage am westlichen Ufer der 
Insel ; ihr Abflufs ergiefst sich nach einem Laufe von wenigen Metern 
und einem Gefälle von einigen Zentimetern in die ostwärts durch 
die Ortygia begrenzte nur nach Süden zu offene Meeresbucht, welche 
einst den grofsen Hafen von Syrakus bildete. Im Norden dieser 
Bucht und der Insel lag die ehemalige Grofsstadt, deren äufserste 
Punkte innerhalb der Ringmauer sowohl in ostwestlicher als auch 
(einschliefslich der Ortygia) in nordsüdlicher Richtung eine deutsche 
Meile von einander entfernt lagen. Wenn der Blick auf diesem 
weiten Räume nach den Ruinen von Syrakus sucht, so findet man 
sich zunächst vielleicht durch nichts mehr überrascht als durch den 
Umstand, dafs solche Ruinen kaum vorhanden sind. Überall sieht 
man in dem Felsen die geebneten viereckigen Hausplätze und andre 
Zeichen einer einstigen dichten Bewohnung, aber vergebens forscht 
man nach dem Verbleib der Steine, aus welchen die Häuser gebaut 
waren. Ein kümmerliches noch aufrecht stehendes Säulenbruchstück 
und einige von der alten Ringmauer stammende Steinhaufen: das 
ist so ziemlich alles, was an oberirdischen Resten von dem alten 
Syrakus noch übrig ist. Die Merkwürdigkeiten, welche die antike 
Riesenstadt uns hinterlassen hat, bestehen in Höhlungen und Bau- 
werken, welche die griechischen Architekten und Steinhauer einst in 
den Felsen eingehauen haben. Dahin gehören namentlich die grofsen 
Steinbrüche oder Latomien, welche in der athenisch-syrakusanischen 
Geschichte eine bedeutende Rolle spielen. Der Grund dieser tiefen 
schattigen und kühlen Gruben bleibt stets einigermafsen feucht und 
gestattet die Entwickelung eines üppigen Baumwuchses, wie man 
ihn in Sizilien sonst seilen sieht. In dieser Beziehung ausgezeichnet 
ist namentlich die bei einem ehemaligen Kapuzinerklöster gelegene 
und darnach benannte Latomie, welche eine mehrfach gewundene 
und verzweigte, von senkrechten Felswänden eingefafste enge Schlucht 
darstellt, in welcher eine Art von Garten mit hohen Bäumen und 
tiberall wucherndem Grün angelegt ist. In der Wand eines andern 
Steinbruches befindet sich eine eigentümlich gewundene Höhlung 
mit einem merkwürdigen Echo. Die Höhle wird als Ohr des Dionys 
bezeichnet, in der Annahme, der Tyrann habe jedes von den im 
unteren Teile des Raumes eingesperrten Gefangenen gefiüsterte Wort 
oben belauscht. 



— 209 — 

Aufser den Latomien sind in dem alten Syrakus noch Festungs- 
ben und ausgedehnte Katakomben, namentlich aber ein Theater 
l ein Amphitheater besuchenswert ; beide sind unter Benutzung 
ürlicher Vertiefungen in dem Felsen ausgehöhlt. Die Sitzreihen 
Theaters steigen im Bogen ain drei Seiten empor, am höchsten 
der Nordseite, während die offene Südseite einen freien Blick 
r die Bucht des gprofsen Hafens gewährt, östlich von der jetzigen 
ölstadt, westlich von Anhöhen begrenzt, auf deren einer noch 
d einsame Säulen emporragen, die letzten Reste des berühmten 
äerhalb des alten Syrakus gelegenen Olympieion. Die Aussicht 
. der Höhe des Theaters ist eine entzückende; die Wahl des 
tzes liefert einen glänzenden Beweis des feinen Gefühls für Natur- 
önheit bei den alten Griechen. 

Eine Merkwürdigkeit von Syrakus ist noch die südwestlich 

der alten Stadt nahe bei dem genannten Olympieion gelegene 
ühmte Quelle Kyane, ^die kornblumenblaue*. An der Westseite 

grofsen Hafens, gegenüber der Arethusa, mündet das Flüfschen 
ipo, nachdem dasselbe einige tausend Schritte weiter oberhalb 

kristallhelle Wasser des schnellströmenden Baches Ciani auf- 
ommen hat. Wenn man nur einige Wochen in dem dürren 
ilien gelebt hat, so versteht man den mächtigen Eindruck, welchen 
3e Fülle fliefsenden blauen Süfswassers auf die alten Griechen 
vorgebracht hat. Die Quelle, der dies Wasser entströmt, liegt in 
npfen nahe dem Olympieion und an ihr befinden sich die be- 
mten Papyrusstauden. Diese entschieden tropischen Pflanzen- 
talten gedeihen hier vortrefflich, sind aber gewifs von Ägypten 

nach Sizilien verpflanzt, obgleich einige patriotische italienische 
ianiker sich eifrig bemüht haben nachzuweisen, dafs die merk- 
rdige Pflanze hier ursprünglich einheimisch sei. — Man kann in 
inen Böten auf dem Anapo und Ciani bis zu den Papyrus- 
aden vordringen. 

Hier und da sieht man um Syrakus auch vereinzelte Dattel- 
men mit so hohen und schlanken Stämmen, wie sie bei Palermo 
lit vorkommen, wie wir sie aber als Charakterpflanzen von allen 
dafrikanischen Landschaftsbildern kennen. Beim Anblicke solcher 
imgestalten sucht man unwillkürlich nach Kamelen und Beduinen ; 
a kann beinahe vergessen, dafs man sich noch in Europa befindet, 
r freilich in einem Lande, welches in früheren Perioden der 
ichichte vielfach von orientalisch-afrikanischen Mächten, Kartha- 
n und Arabern, den Europäern streitig gemacht ist. 

Oeogr. Blätter. Bremen, 1886. \^ 




— 210 — 

5. Der Ätna und ümgebangeii. 

Einige einfache Striche umschreiben auf japanesischen Bildern 
die Gestalt des Fudzi-Yama und damit auch aller typisch aus- 
gebildeten Vulkane. In Europa haben wir nur einen einzigen solchen 
Mustervulkan, der in regelmäfsiger Kegelform unmittelbar vom Meere 
und von der Ebene aus bis zu einer Höhe von 3000 m ansteigt; 
es ist dies der Ätna, der sämtliche andern Berge, die sich in dem 
weiten Mittelmeerbecken erheben, ansehnlich überragt und nur von 
einigen Gipfeln der Randgebirge, insbesondere der Alpen, an Höhe 
tibertroffen wird. Ewiger Schnee deckt seinen Gipfel, während die 
warmen Hänge an seinem Fufse eine subtropische Vegetation gedeihen 
lassen. Im Norden und Westen wird der Ätna durch eine tiefe 
Furche von der nordsizilischen Bergkette getrennt, während er im 
Süden und Osten ganz frei von der catanesischen Tiefebene und vom 
Meere aus ansteigt. Die regelmäfsige, ziemlich flache Eegelform 
des Berges tritt auffallend hervor, von welcher Seite man ihn auch 
betrachten mag ; seine Höhe erscheint in gröfserer Ferne imposanter, 
weil man dann erst ermifst, um wie viel er die andern Berge über 
ragt. Die Entfernung vom Gipfel bis zum Fufse des Berges beträgt^^^ 
nach den verschiedenen Richtungen in gerader Linie 18 — ^30 km 
am gröfsten ist sie nach Süden, nach Catania zu. Von hier au 
erfolgt demnach das Ansteigen am langsamsten. An den Abhänge 
des Berges und zwar ausschliefslich in der unteren bis zu 800 
Meereshöhe reichenden Zone, wohnen über 300000 Menschen, von 
denen etwa 85 000 auf die Stadt Catania zu rechnen sind; di 
übrigen verteilen sich auf 15 Ortschaften mit mehr als 5000 Ein 
wohnern und auf 23 kleinere Gemeinden. Alle diese Plätze sin 
der Gefahr ausgesetzt, gelegentlich einmal durch Lavaströme zerstör 
zu werden. Der ganze Ätna bedeckt einen Flächenraum von etw 
22 deutschen Quadratmeilen. 

Catania ist eine uralte Stadt, die aber niemals eine so bedeutende 
Rolle gespielt hat wie etwa Agrigent oder Syrakus. So oft sie aucL 
in den zahllosen furchtbaren Kriegen, die im Altertum und Mittel- 
alter Sizilien heimsuchten, zerstört wurde, so vielfach sie auch durch 
Lavaströrae und Erdbeben litt, so ist sie doch stets wieder empor- 
geblüht, weil sie der natürliche Handels- und Hafenplatz für eine 
aufserordentlich fruchtbare Gegend ist. Die gut bewässerte Ebene 
von Catania und die Thäler, welche in dieselbe münden, sowie die 
reiche Gegend am Fufse des Ätna sind auf Catania als Ausfahrplatz 
angewiesen; nordwärts liegt der Ätna, südwärts das Marschland, 
welches auf eine weite Strecke hin jede gröfsere Ansiedelung wegen 
der Sumpfßeber unmöglich macht. 





— 211 — 

Die Reste aus griechisch-römischer Zeit, welche in Catania 
vorhanden sind, liegen mehr oder minder vollständig unter Lava 
verschüttet und bieten nur für den Spezialforscher Interesse. 1693 
wurde die Stadt durch Erdbeben völlig zerstört, so dafs das jetzige 
Catania ein ziemlich neuer Platz mit geraden Hauptstrafsen ist; zum 
Teil ist es auf dem Lavastrom erbaut, welcher 1669 neben der 
Stadt und unter Zerstörung eines Teils derselben ins Meer stürzte. 
Eigentümlich ist eine grofse öffentliche Gartenanlage mit ihren zwei 
Lavahügeln, auf denen abends häufig Musikkapellen Konzerte geben. 
Catania feiert besonders musikalische Erinnerungen: einer der 
gröfsten Tonkünstler des Altertums, Stesichoros, ist hier gestorben, 
ein hervorragender moderner Meister dagegen, Bellini, hat hier das 
Licht der Welt erblickt. 

Die Strafse, die von Catania allmählich steigend auf den Ätna- 
gipfel zufahrt, erreicht in etwa 700 m Meereshöhe das letzte Dorf, 
Nicolosi. Die Abhänge eines Vulkans unterscheiden sich sofort 
von denen eines gewöhnlichen Gebirges durch das gleichmäfsige 
Ansteigen und das Fehlen bedeutenderer Bergkämme, Thäler und 
Schluchten. Bis auf das an der Ostseite des Berges befindliche 
grofse kraterartige Valle del Bove, welches den Geologen so viel zu 
denken, zu vermuten und zu raten gegeben hat, giebt es am ganzen 
Ätna kein einziges wirkliches Thal; es giebt auch an seiner Ober- 
fläche keine Quellen und kein fliefsendes Wasser. Die Rinde des 
Berges besteht aus Lavaströmen, die sich über einander ergossen 
haben, und aus der sandigen ausgeworfenen Asche, welche sich vor- 
züglich in allen Vertiefungen angehäuft hat. Der poröse Grund 
läfst alles Schneeschmelz- und Regenwasser in die Tiefe versickern. 
Die regelmäfsige Abdachung des Berges wird aber unterbrochen 
durch die grofse Zahl von Eruptionskegeln oder kleinen Einzel- 
vulkanen, welche sich an seinem Abhänge erheben. Man zählt im 
ganzen 900 — 1000, darunter über 100 namhaftere Kegel, die vom 
Volke „Kinder des Ätna^ genannt werden. Zu den ausgezeichnetsten 
dieser kleinen Vulkane gehören die weithin sichtbaren Monti Rossi 
bei Nicolosi, welche 1669 entstanden sind. Sie bilden einen spärlich 
bewachsenen Doppelberg mit zwei Kratern ; ihr Gipfel, 950 m ü. M. 
und fast 250 m über Nicolosi gelegen, bietet eine prachtvolle Aus- 
sicht auf den Fufs des Ätna mit seinem grünen Kulturlande, seinen 
zahlreichen Ortschaften und seinen wüsten, zahlreichen Lavaströmen ; 
in etwas gröfserer Ferne erblickt man Catania und links das Meer, 
rechts die von kahlen Hügeln umsäumte Tiefebene. Die Küstenlinie 
mit einem schwachen Brandungsstreifen läfst sich bis in die Nähe 
von Sjrrakus verfolgen. Der Vordergrund \^\töl \)Jat\%^\Ä %^ ^^'^- 



— 212 — 

wiegend von Lavaströmen, namentlich dem von 1669, eingenommen, 
dafs die nähere Umgebung einen wüsten und wilden Eindruck macht. 

Die kleinen Eruptionskegel des Ätna erinnern auf das lebhafteste 
an die Vulkane der Eifel. Einige der älteren zeigen auch eine 
üppige Vegetation, grünen Eichenwald mit dichtem üntergebüsch. 

Die Lavaströme bieten in der ersten Zeit nach ihrer Ent- 
stehung das Bild der äufsersten Öde dar. Die Schlacken, welche 
schollenartig die flüssige Steinmasse bedecken, schieben sich vielfach 
über einander, so dafs eine äufserst unebene, von zahllosen rauhen, 
durch einander geworfenen scharfkantigen Blöcken gebildete Ober- 
fläche entsteht. Die letzten Schollen, welche der erkaltende Strom 
vor sich herschiebt, strahlen keine erhebliche Hitze mehr aus; 
Bäume, welche vor zwei Jahren von den letzten Ausläufern eines 
Lavastromes umschlossen wurden, sah ich unbeschädigt fortgrünen. 
Vereinzelte Pflanzen siedeln sich schon in den ersten Jahren in den 
Spalten eines Lavastromes an; wenigstens ist dies in einer Meeres- 
höhe von 1200 m und mehr der Fall, wo die Luft auch im Sommer 
feuchter ist als unten. Allmählich werden die Pflanzen zahlreicher, 
namentlich sind es, abgesehen von mancherlei krautartigen Gewächsen, 
zwei gelbblühende Ginsterarten, die sich auf der Lava heimisch 
machen, nämlich der gewöhnliche, am ganzen Mittelmeer verbreitete 
Pfriemenginster (Spartium junceum) und der dem Ätna und wenigen 
andern Bergen eigentümliche Ätnaginster (Genista Aetnensis). Vor 
Beschädigungen durch Menschen und Vieh geschützt, entwickelt sich 
diese letztgenannte Pflanze zu einem mäfsigen Bäume von höchst 
eigentümlicher Tracht, dessen grüne, fast laublose Zweige sich 
graziös abwärts neigen, so dafs sie an neuholländische Kasuarinen 
erinnern. Wenn man diese merkwürdigen Bäume bei Nicolosi 
gesehen hat, begreift man nicht, weshalb man sie nicht auch an- 
derswo kultiviert. Ob sie die Winter Mitteleuropas oder das feuchte 
Klima Englands ertragen würden, mag zweifelhaft sein, wenn auch 
weder die wilde Vegetation, noch die Kulturpflanzen ihrer Umgebung 
auf ein besonders mildes südliches Klima hinweisen. Es wird aber 
doch gewifs in Italien viele Plätze geben, wo sie gut gedeihen würden. 

Trotz der Ginsterarten und der andern zwischen den Blöcken 
wachsenden Pflanzen machen die Lavaströme noch Jahrhunderte 
lang einen äufserst wilden und öden Eindruck ; aus der Ferne gesehen 
erscheinen sie völlig schwarz. Erst wenn der Boden zwischen den 
Felsstücken mehr verwittert ist, kann er dem Anbau gewonnen 
werden. Wo am Fufse des Ätna der Untergrund mehr Feuchtigkeit 
enthält, hat man oft eine Bebauung versucht, und dann gewährt ein 
solcher kultivierter Lavastrom einen höchst eigentümlichen Anblick. 



— 213 — 

In den Rillen und Furchen hat man Weizen gesät ; dazwischen stehen, 
zum Teil als Schutz gegen Sonnenbrand dienend, Fruchtbäume, 
wie Mandeln, japanische Mispeln und efsbare Vogelbeeren; an den 
trockneren Stellen, auf den unteren Felsblöcken, sind Ölbäume, Feigen 
und Maulbeeren angepflanzt, während an den dürrsten Plätzen 
Feigenkaktus, zuweilen auch Sumach, stehen. Dazwischen ragen nun 
überall zahllose schwarze, völlig kahle Blöcke empor. Alles auf 
diesen kultivierten Lavafeldern ist rauh und regellos ~ steinig, kein 
Quadratmeter ist eben und mit der gleichen Frucht bestellt; auf 
einem ganz kleinen Raum findet man oft ein Dutzend verschiedener 
Kulturpflanzen nebeneinander gebaut. 

Nicolosi ist ein ansehnliches Dorf mit soliden niedrigen Stein- 
hänsern, geeignet mäfsige Erdbebenstöfse unbeschädigt zu ertragen. Es 
bietet dem Fremden gute Unterkunft, sowie die Hülfsmittel zu einer 
Ätnabesteigung. Der Reisegefährte, mit dem ich am Ätna umher- 
streifte, war schon mehrmals oben gewesen und weigerte sich 
entschieden, nur um einer Idee willen bei ungünstigem Wetter 
nochmals den Gipfel zu erklimmen. Jedenfalls wollten wir aber über 
die Waldregion hinaus bis in die obere kahle Zone des Berges 
vordringen. Mit einem Führer, zwei Maultieren ujid Mundvorrat 
zogen wir aus; Wasser and Wein führten wir in kleinen thönernen 
Amphoren von klassischer Form mit uns. Der Weinbau hört bald 
oberhalb Nicolosi auf; man sieht dann nur noch zerstreute Roggen- 
felder zwischen den Lavaströmen. Kleine Flecke natürlicher 
Eichenwaldung bemerkt man zuweilen in den alten Kratern, weiter 
oben gelangt man in den zusammenhängenden Waldgürtel, in welchem 
aber die einheimischen Baumarten durch gepflanzte Kastanien verdrängt 
sind. In einer Höhe von 1428 m liegt hier im Schatten hoher Bäume 
eine Schutzhütte für die Waldarbeiter, casa del bosco genannt ; neben 
ihr befindet sich der oberste Brunnen des Berges. Für die Ätna- 
reisenden bildet diese Hütte eine Station; den Arbeitern, welche 
man gelten dort antrifft, hinterläfst man für Benutzung der Hütte 
ein kleines Trinkgeld. Hat man den Wald durchschritten, so 
gelangt man in den oberen Gürtel, die regione scoperta, in welchem 
der nackte oder wenig bewachsene Fels vorherrscht, während die grünen 
Flecke nur einen beschränkten Raum einnehmen. Ln unteren Teile dieser 
Steinregion findet sich vielfach ein niedriges domiges Buschwerk. Hier 
ist namentlich ein dem Boden angeprefster Zwergstrauch (Astra- 
galus Siculus) verbreitet, dessen dornspitzige Zweige igelartig abstehen, 
das tiefere feine Laubwerk und die blafs rosenfarbenen Blüten vor 
den Angriffen der Ziegen schützend. Etwas ansehnlicheren Wuchs. 
zmgen eine stachlige Berberitze (Berb. Aeltv^m^, öcvfö m ^^Äsv^ös^ 



— 214 — 

gelben Blüten bedeckt war, sowie niedrige Wacholdersträucher. 
Krautige Pflanzen finden sich in der ersten Strecke oberhalb des 
Waldgürtels noch in ziemlicher Zahl; einige darunter erinnern an 
die höheren Yoralpen, so z. B. ein prächtig blaues Stiefmütterchen 
(Viola calcarata). In einer Höhe bis zu 1800 m findet man 
schon alle pfianzlichen Ätnabewohner vor; weiter nach oben zu 
wird die Vegetation immer spärlicher und ärmer, aber es kommt 
keine einzige Art hinzu. Wie ganz anders ist dies in den Alpen 
und Pyrenäen! Erst in einer Höhe von 2000 m beginnt dort die 
eigentliche Hochgebirgsflora; erst dort treten jene gedrungenen 
zwergigen Pflänzchen auf mit ihren oft so farbenprächtigen Blumen. 
Dergleichen ist auf dem Ätna nicht zu sehen. Man hat den Grund 
davon oft in der Isolierung des Berges gesucht, welche es verhinderte, 
dafs er von den Hochalpenpflanzen auf ihren Wanderungen erreicht 
wurde. Nachdem ich die örtlichen Verhältnisse kennen gelernt, 
zweifle ich an der Richtigkeit dieser Erklärung; die physikalischen 
Verhältnisse sind dem Gedeihen der Alpenpflanzen auf dem Ätna 
zu ungünstig und ich glaube kaum, dafs es gelingen würde, dort die 
Gewächse der Hochalpen auch nur zu kultivieren. Der schwarze 
vulkanische Sand wird nach dem Schmelzen des Schnees viel zu 
schnell trocken, läfst alle Feuchtigkeit in die Tiefe versinken und 
erhitzt sich zu stark durch die Sonnenstrahlen. 

Meine Ätnabesteigung endigte, als wir an die Grenze der 
Wolken gelangt waren, in einer Höhe von wenig über 2000 m. Nach 
den Erfahrungen der vorigen Tage war weiter oben kaum mehr zu 
erwarten, als Nebel, Nässe und Kälte. Freilich steht unter dem 
Aschenkegel in einer Höhe von fast 3000 m die bekannte Casa 
Inglese, welche dem Reisenden ein Obdach während der Nacht bietet ; 
aber auch für den nächsten Morgen war wenig zu hoffen. Wir traten 
daher den Rückweg an, der Regen senkte sich gleichzeitig tiefer 
herab, so dafs wir die casa del bosco schon ziemlich durchnäfst 
erreichten. So sehr man sich auch nach dem sizilischen Sonnenbrande 
der Kühle freute, so hörte doch eine Temperatur von 8 ® R. allmählich 
auf angenehm zu sein, wenn man sich ihr in nassen Kleidern und 
ruhend ausgesetzt sah. Halbwegs Nicolosi waren wir übrigens wieder 
völlig warm und trocken geworden. Nach den Berichten von 1886 
hat sich in diesem Jahre ein Lavastrom über den Ätnaweg ergossen 
und erst dicht vor Nicolosi Halt gemacht. Ein kleiner Vorläufer 
desselben aus dem Jahre 1883 lag neben dem Wege; mehrere winzige 
Eruptionskegel liefsen aus den Spalten ihrer Krater noch heifse 
Dämpfe entweichen. 

Eine Eigentümlichkeit Siziliens sind auch die Schlammvulkane, 



— 215 — 

welche zum Teil weit entfernt vom Ätna liegen. Einer derselben 
befindet sich indes am südwestlichen Fufse des Berges bei dem Orte 
Faternö. Gleich beim Ausgange aus der Stadt trifft man auf ein 
YöUig pflanzenleeres Schlammfeld, welches einigermafsen an die zur 
Ebbezeit trocken gelaufenen Schlickwatten unsrer Nordseeküste 
erinnert. In der ScUammwüste erheben sich einige sehr flach an- 
steigende Schlammkegel, welche oben ein seichtes trocknes Becken, 
eine Art Krater, tragen. Zur Zeit meines Besuches ruhte die Thätig- 
keit dieses Schlammvulkans vollständig ; nur im Grunde einer engen 
Spalte sah man einen kleinen Bach schlammigen Wassers strömen. 
Am Bande der Schlänmiwüstenei entspringt ein klarer Kohlensäuer- 
ling ; von dem nach dem Flusse Simeto geneigten Abhänge unterhalb 
der Stadt und des Schlammes quillt an vielen Stellen salzhaltiges 
Wasser hervor, so dafs man hier mancherlei Küstenpflanzen an- 
treffen kann. 

Die wissenschaftliche Kenntnis des Ätna gründet sich im wesent- 
lichen auf die Forschungen eines deutschen Gelehrten, des Göttinger 
Professors Sartorius von Waltershausen, der 1836 bis 1843 in den 
Umgebungen des Berges zubrachte. In neuerer Zeit ist es vorzüg- 
lich Professor 0. Silvestri in Catania, welcher sich das Studium des 
Ätna und seiner Ausbrüche zur Aufgabe gemacht und auch einen 
sehr brauchbaren Führer (Un viaggio all' Etna) herausgegeben hat. 

Schliefslich kann ich mir nicht versagen, einen Punkt zu nennen, 
der zwar nicht mehr eigentlich zum Ätnagebiete gehört, demselben 
aber sehr nahe liegt, so dafs Sartorius von Waltershausen, als er 
einmal einen Vortrag über den Ätna hielt, in seinen Schilderungen 
von diesem Punkte ausging: es ist Taormina. An der Bahn von 
Catania nach Messina, die längs der Küste hinführt, liegt die 
Station Giardini, etwas nördlich des Alcantarathales, welches 
den Ätna von der nordsizilischen Bergkette trennt. Über dem 
Bahnhofe von Giardini erhebt sich eine von ansehnlichen Häusern 
gekrönte Felswand : , es ist das Städtchen Taormina, welches dort 
oben thront. Überall auf den Vorsprüngen der steilen Berglehnen 
der Umgegend geniefst man die herrlichsten Aussichten auf das 
Meer, die kalabrische und sizilische Küste. Man hat die weite blaue 
Wasserfläche vor sich, die nach Norden hin einen sich mehr und 
mehr verengenden Arm zwischen die sich nähernden Bergketten 
Siziliens und des italischen Festlandes hineinstreckt, der allmählich 
in die Meerenge von Messina übergeht. Nach den andern Seiten 
zu steigen Bergwände und Felsen in die Höhe; auf einem derselben 
liegt das Felsennest Mola gerade oberhalb Taormina, noch höher 
zieht sich der zackige Kamm der BergkelU \im^ ^^öcä. \si "iss^i^^ö. 



— 216 — 

jenseitigen Abhänge zur Nordküste Siziliens abfällt. Für den Aus- 
blick nach Süden giebt es aber keinen schöneren Punkt als die Höhe 
des altgriechischen Theaters von Taormina, dessen Lage gleich der 
des Theaters zu Syrakus für das feine Naturgefilhl der Erbauer Zeugnis 
ablegt. Von jenem Punkte aus überblickt man zunächst die im 
Halbkreise aufsteigenden Sitzreihen des Theaters, welches an der offenen 
Seite des Bogens durch teilweise verfallene Mauern, Portale und Säulen- 
reihen geschlossen ist. Zwischen und über diesen Besten griechi- 
scher Baukunst blickt man hinaus auf das blaue Meer und die auf 
der Felswand gelegene Stadt; den Hintergrund des Gemäldes schliefet 
aber der in sanften Böschungen zu gewaltiger Höhe ansteigende 
Ätna mit seiner schneeigen Kuppe und seinem rauchenden Schlote. 
Und vom Fufse des Berges schweift der Blick längs der Küstenlinie 
in weite Feme südwärts nach Syrakus zu. 

An dieser Stelle sammelt man noch einmal die bedeutendsten 
Eindrücke, welche man in Sizilien empfangen hat, und fafst sie in 
ein Gesamtbild zusammen. Und wenn vor 30 Jahren Sartorius von 
Waltershausen am Schlüsse seines oben erwähnten Vortrages, nach- 
dem er mit Begeisterung der griechischen Blütezeit gedacht hatte, 
auf ;,eine trübe verschuldete Gegenwart und eine ungewisse Zukunft" 
Siziliens hinwies, so können wir jetzt mit freudigeren Aussichten 
der Geschicke des schönen Eilands gedenken. Die Norditaliener 
haben den Fluch der Pfaffenherrschaft von dem Lande genommen; 
möge es ihnen gelingen, seine Bewohner zu freier und vernünftiger 
Selbstbestimmung zu erziehen! 



Die Atnatänas oder Anwohner des Kupferflusses. 

Von Henry T. Allen. 



Körperbeschaffenheit. Fruchtbarkeit der Ehen. Lebensalter. Krankheiten. Ein- 
teilung in Stämme und Gesamtzahl. Hervorragende Häuptlinge. Wohngebiete der 
Atnat&nas. Pflanzen- und Tierleben. Fischerei. Die Nahrungsmittel der Eingeborenen. 
Efsgier. Heilmittel. Wohnwesen. Sommer- und Winterwohnungen. Dampfbad. Jeder 
Luxus fehlt. Kleidung und Schmuck. Waffen und Werkzeuge. Reisen zu Flusse. 
Hunde als Lasttiere. Sangeslust. Sprachliches. Stellung der Frauen. Soziale Or- 
ganisation. Schamanentum. Gesinde. Heitrat und Beerdigung. 

Als Kegel kann man annehmen, dafs die Atnatänas, die An- 
wohner des Kupferflusses, zwischen 5 Fufs 6 Zoll und 5 Fufs 8 Zoll 
(englisch) grofs sind, wenn es auch gelegentlich Männer giebt, die 
volle 6 Fufs Höhe haben; ihr Körpergewicht ist etwa 140 Pfund, 
ihre Hautfarbe ein kupferfarbenes braun, erheblich dunkler als die- 
jenige ihrer Küstennachbarn n«« Waor igt jm allgemeinen straff, 



— 217 — 

gelegentlich gewellt, die Augen sind durchweg schwarz oder beinahe 
schwarz. Der Gesichtsausdruck ist aufserordentlich verschieden; 
einige Gesichter drücken die Geistes- und Gemütsstimmung in der- 
selben Weise aus, wie man dies bei zivilisierten Völkern findet, die 
Gesichter andrer sind und bleiben unverändert ausdruckslos. 

Ihre Muskelkraft ist nicht so bedeutend, als ihre Fähigkeit 
grofse Strecken bei schmaler Kost auf Reisen zurückzulegen. Ich 
hatte reichliche Gelegenheit, ihre Kraft und Ausdauer mit derjenigen 
meiner Leute zu messen; in den ersten Tagen stellte sich der Ver- 
gleich zu ihren gunsten, später aber immer auf unsre Seite, wobei 
ich allerdings hervorheben mufs, dafs meine Leute besonders mit 
Rücksicht auf ihre physische Ausdauer auserwählt worden waren. 

Selten findet man, dafs ein Ehepaar mehr als drei Kinder hat ; 
ich vermag nicht zu sagen, ob diese geringe Kinderzahl eine Folge 
der Kümmerlichkeit in der Gewinnung des Lebensunterhalts oder 
schlechten Gewohnheiten zuzuschreiben ist. Thatsächlich sind gerade 
arme Ehepaare mit Kindern gesegnet, eine jede der ärmsten Fami- 
lien hatte vier Kinder, deren einzelnen freilich der Hunger aus 
den Augen sah. Die Beschaffenheit ihrer Nahrung bewirkt eine 
solche Abnutzung der Zähne, dafs man Kinder sieht, deren erste 
Zahnreihe fast bis auf das Zahnfleisch abgenutzt ist. Auch bei 
Leuten in jugendlichem Alter findet man diese Erscheinung. 

Die Gesichter zeigen den Ausdruck harter Entbehrung und 
Anstrengung, lange bevor die Haare ergraut sind. Infolge der 
Unfähigkeit zur Berechnung der Zeit konnte das Alter bei keinem 
der Leute dieses Indianerstammes mit einiger Gewifsheit bestimmt 
werden. Messala aber, der auf dem linken Ufer des Kupferflusses 
eine Tagereise von Taräl lebt und wahrscheinlich seiner Zeit, 1848, 
den mörderischen Angriff gegen die Russen geleitet hat, mufs da- 
mals schon ein Mann in reiferen Jahren gewesen sein. 

Die einzige bei den Atnatdnas bekannte Krankheit aufser den 
Folgen vom Hunger, entstand durch Verstopfung ; ohne Zweifel ver- 
schwindet sie während des Lachsfangs. Nur eine natürliche De- 
formität, ein verkümmertes Bein wurde bemerkt; alle haben aber 
stark zusammengekrümmte Zehen, vom Gebrauch der Schneeschuhe 
auf Reisen. 

Ihr Scharfsinn in Verfolgung von Spuren oder Wild ist ver- 
mutlich nicht gröfser, als derjenige andrer Stämme der Tinneh- 
familie, mufs aber den, der die Fähigkeiten der Eingeborenen in 
dieser Richtung nicht kennt, in Erstaunen setzen. 

Die ganze Bevölkerung der Kupferfl\ife?,e?,^\idi X^aäI^ ^^^'v ^^\!^ 
Bussen Midnüskies (oder genauer Mednövlsi) wwöl ^XV^, ^m^%^^^<otäök^ 



— 218 — 

die an der Mündung des Russes Wohnenden, gehören zu der grofsen 
Tinnehfamilie, welche das Innere von Alaska bewohnt. Diejenigen 
unterhalb des Tezlinäflusses haben durch ihre Verbindung mit den 
Bussen eine abgekürzte Form dieses Wortes : Minusky, Mnusky oder 
ähnlich, angenommen, während die oberhalb Wohnenden sich Tat- 
latans nennen. Ich denke der Name Atnatäna, der indianische 
Name für einen Bewohner des Ätna- (Kupfer-) Ruisgebietes würde 
ein geeigneter Name für das Volk beider Stämme sein, die sich sehr 
wenig von einander unterscheiden. Der genaueren Unterscheidung 
halber habe ich das Wort Midnusky für das Volk südlich vom Tezlinä 
gewählt, einschliefslich derjenigen, die am Chittynä leben und Tatlatan 
für diejenigen, welche nördlich vom Tezlinä und südlich von den 
Alaskabergen leben. 

Die Gesamtzahl der Bewohner am Flufs und seinen Neben- 
gewässern ist etwa 366, sie verteilt sich wie folgt: Männer 128, 
Frauen 98, Kinder 140. Zwischen Alagänik und Woods Canon, eine 
Strecke von 110 miles, giebt es keine Niederlassungen, doch geht 
gelegentlich eine Gesellschaft zum Bremnerflufs hinab, um Elenne 
zu jagen. Am Chittynä und seinen Zuflüssen leben etwa 30 Seelen, 
an den Qu^llflüssen des Tezlinä und Lake Plaveznie ungefähr 20. 
Die Tatlatans, einschliefslich der in der Niederung am Suslöta-See 
zählen 117. Am Kupferflufs zwischen Taräl und dem Tezlind sind 
209, die Gesamtzahl der Midnuskies. Nicolai ist Selbstherrscher der 
Chittynä und Taräl Fischereistation; zwischen dem letzteren Platz 
und dem Tezlinä haben dieses Privilegium Liebigstag und Goneguanta ; 
der erstere kontrolliert den unteren Teil, der letztere, mit dem 
gröfsten Anhange unter allen Atnatänas, den oberen. Der einfluls- 
reichste Mann unter den Tatlatans ist Babzuln^ta, ein Schamane. 

So weit ich nach den dürftigen Berichten der Bussen und 
meinen eignen Beobachtungen urteilen kann, möchte ich glauben, 
dafs der ziffermäfsige Bestand der Leute lange Jahre sich wenig 
verändert hat. Ihre Geschichte, so weit sie auf ihren eignen Über- 
lieferungen beruht, wird wohl immer ein versiegeltes Buch bleiben. 
Auf beiden Ufern des Flusses zwischen Chittynä und dem Klawa- 
tsinaflusse, besonders auf dem linken Ufer, findet man häufig 
2 — 4 Fufs tiefe Aushöhlungen, welche die Lage der Häuser anzeigen. 
Die neueren derselben zeigen Spuren, dafs Badhäuser mit ihnen 
in Verbindung standen. In einigen der älteren Aushöhlungen 
wachsen hohe Fichten. 

Das Gebiet der Atnatänas liegt zwischen dem 145. und 147. 
Meridian und zwischen dem 6OV2 und 63. Breitengrad und ist unge- 
fähr 25,000 engl. Quadrati"*^" '•'^fs: das ganze Gebiet wird durch 



— 219 — 

den Kupferflufs und seine Nebenflüsse entwässert. Thatsächlich sind 
sie von dem Verkehr mit der übrigen Welt ausgeschlossen und so 
ist es erklärlich, dafs sie ein konservatives Volk sind. Und da 
Berge auf allen Seiten sich erheben, so beschränken sich ihre Reise- 
routen des Winters wie des Sommers hauptsächlich auf die Wasser- 
wege. Wäre es ausführbar, von Taräl nach den oberen Gewässern 
des Kupferflusses dadurch zu gelangen, dafs man ungefähr gerade 
nordwärts zöge, so würde die Hälfte der Entfernung der Flufsroute, 
welche notwendig eingeschlagen werden mufs, vermieden werden. 
Zwischen diesen Örtlichkeiten erheben sich einige der höchsten Berge 
des Kontinents, sicher der höchste Vulkan (Wrangell) ; weiter unten sind 
es mächtige Gletscher (Miles und Childs), welche den Flufs besäumen 
und die Schiffahrt äufserst gefährlich machen. Aufser diesen geogra- 
phischen Momenten beeinflufst das Klima, — thatsächlich 7 Monate 
strenger Winter, — in hohem Grade die Gewohnheiten des Volkes. 
Die Pflanzenerzeugnisse sind beschränkt sowohl in Arten als 
in Mengen. Aufser den Moosbeeren, Blaubeeren, einer kleinen 
roten Beere, die sie ginifs nennen und einer kleinen schwarzen Beere, 
gizneh, die der roten sehr ähnelt, giebt es eine tombä genannte auf 
einem mehrere Fufs hohen Strauch wachsende Frucht, Sie hängt 
den Winter durch an den Büschen und kann im Frühjahr und selbst 
im Sommer, wo sie sehr trocken und fast geschmacklos ist, gegessen 
werden. In Form und Art ähnelt sie sehr der schwarzen Mehlbeere, 
doch ist die Farbe gelblich weifs. Die Eingeborenen backen sie in 
Elenn- oder anderem Fett, indem sie dabei die Beere mit einem 
Stäbchen oder einer Gabel zu Brei zerdrücken; es giebt eine recht 
wohlschmeckende Speise. Ihre hauptsächlichste Pflanzennahrung ist 
jedoch eine in der Form der Pastinak ähnliche aber längere Wurzel, 
welche sie Chafs nennen. Der aus der Erde herausragende Teil 
derselben ist nicht länger als 6—12 Zoll hoch und einem Büschel 
kleiner Weiden nicht unähnlich; die Wurzel ist oft mehrere Fufs 
lang. Die Wurzel wird nicht eingemacht, sondern roh, gekocht 
oder gebraten besonders im Frühjahr gegessen. Den Hauptbestand- 
teil der Nahrungsmittel liefern Fische, Kaninchen, Elenn, Bergschafe, 
Bentiere, Bären, Bergziegen, Stachelschweine, Biber, Luchse, Moschus- 
ratten, Gänse, Enten und Wildhühner. Fische ist die wichtigste 
Speise, nächst ihnen sind es Hasen. Die Fische werden nicht 
gesalzen, sondern an der Sonne gedörrt. Das Fett des Elenn wird 
geschmolzen und in den Gedärmen bewahrt ; das Blut wird im Wanst 
gesammelt. Es scheint den Eingeborenen gleichgültig zu sein, ob sie 
das Fleisch roh oder gekocht geniefsen, selten laÄ^e^v %\^ 4a.^^\^\^0«s. 
gar kochen. Die Eingeweide der Hasen \teiÖLe,w tajc^^'^^^ "kc^» ^^s^ 



— 220 — 

Tieren selbst gekocht oder auch mit anderm Fleisch, es ist dies 
ein sehr wirksames Mittel gegen den Skorbut. Das beste Fleisch 
kochen die Männer für sich und überlassen den Rest den Frauen; 
ein 5 oder 6 Jahre alter Knabe geht bei den Mahlzeiten seiner 
Mutter vor. Es scheint beinahe unbegrenzt, was ein hungriger 
Eingeborener verzehren kann. Ein einziges Nahrungsmittel mufs 
sehr reichlich vorhanden sein, um die nötigen Elemente zur Er- 
nährung zu gewähren, dagegen genügen bei verschiedenen Nahrungs- 
mitteln geringere Mengen. Wie die meisten andern Indianer, so 
scheinen auch diese, wenn hungrig, ohne Rücksicht auf bestimmte 
Essenszeiten ihren Hunger zu befriedigen. Das einzige Getränk, 
welches ich bei den Eingeborenen sah, — ausgenommen den bei ihnen 
sehr beliebten Thee und die Flüssigkeiten, in welchen die Speisen 
gekocht werden, — wird aus einer Pflanze (Lammtod, Kalmia augusti- 
folia) bereitet; es ist bei allen Tinnehs von Alaska, sowie bei den 
Eingeborenen des Hudsons -Bai -Landes und Labrador in Gebrauch, 
keine besondere Vorbereitung, nicht einmal ein Dörrprozefs ist vor 
dem Gebrauche notwendig. 

Irgendwelche medizinische Mittel, wenn sie deren besitzen, sind 
in den Händen der Schamanen, welche sie sorgfältig geheim halten. 
Die Berührung mit den Russen und Amerikanern, obwohl sie nur 
eine oberflächliche war, hat sie doch die Wohlthaten zivilisierterer 
Mittel kennen gelehrt und sie werden irgend welche ihnen voa 
Weifsen gebotene Medizin willig annehmen. 

Die Häuser der Atnatanas sind zweierlei Art: ständige und 
zeitweilige. Jene sind für die Benutzung im Winter bestimmt und 
werden alljährlich in dieser Zeit bezogen, die letzteren werden 
schnell an beliebigen Plätzen, wo Wild angetrofi'en wird, hergestellt. 
Ein ständiges Haus ist 18 Fufs im Quadrat, aus Tannenpfählen und 
-planken lose errichtet und mit Tannenrinde bedeckt; mehrfach 
wird Moos zum dichten verwendet. Die Wände sind ungefähr 4 Fufe 
in den Boden eingesenkt und ragen ungefähr 3 Fufs über demselben 
hervor. Inwendig geht rund um eine 4 — 5 Fufs breite Bank, die 
als Sitz am Tage und als Lager für die Nacht dient. Der durch 
senkrechte Stäbe abgeteilte Raum unter der Bank dient den Frauen, 
Kindern und Hunden als Schlafstätte. Das Dach hat in der Mitte 
eine weite Öfihung, durch welche der Rauch des auf dem Fufs- 
boden unterhaltenen Feuers entweicht. Der Eingang ist durch 
einen kleinen als Sturmfang dienenden Vorbau von etwa 2 Fufs 
Breite und 3 Fufs Länge, der auf der Aufsenseite durch ein 
Schaf' oder Ziegenfell gedeckt ist. Dem Eingang gegenüber ist ein 
rundes, etwa 15 Zoll im DurcTime^^ex \iÄ\.^\iÖÄÄ \äöcl^ ^^\ Ein- 



— 221 — 

gang zum Schlaf- und Baderaum. Dieser hält 10 oder 12 Fufs 
Quadrat, ist 4 oder 5 Fufs hoch; der gröfste Teil dieses Raumes 
ist unterirdisch und erhält derselbe sein Licht durch eine schmale 
Öffnung, über welche die Eingeweide eines Bären gespannt sind. 
Das Schwitzbad ist so beliebt, dafs jedes Winterhaus der Midnuskis 
und die meisten bei den Tatldtans mit einem solchen versehen sind. 
Die Erwärmung geschieht auf sehr einfache Weise: in dem Haupt- 
raum des Hauses wird ein auf einem Holzstofs gelagerter Haufen 
Steine wie in einem altmodischen Kalkofen erhitzt und mit Hülfe 
von zwei Stöcken sodann in die Badestube getragen. Mit einer Art 
Deckel wird darauf die kreisrunde Öffnung geschlossen und auf die 
Steine so lange Wasser gegossen, bis sie den erforderlichen Dampf 
entwickeln. Der Gedanke der Anlage dieses Badehauses entsprang 
aus dem Verkehr mit den Russen, bei denen das Dampfbad sowohl 
ein Gesundheitsmittel als ein religiöser Brauch ist. Man findet das 
Dampfbad so weit nördlich, als die Alaskaberge reichen, weiter hinauf 
findet man es nicht, bis man zum unteren Yukon kommt. 

Das zeitweilige oder Jagdhaus ist immer aus tannenen und 
Pappelpfählen und Ästen errichtet, in rechtwinkliger Form; ein 
Gang führt mitten durch; nur zwei Seiten werden benutzt, die 
Enden und der obere Teil sind dürftig bedeckt. Ein auf das Feuer 
geworfenes Stück Holz ragt oft aus beiden Enden des Hauses heraus. 

Eine Elenn- oder Rentierhaut wird oft — an Stelle des 
Baumwollenzeugs bei den zivilisierteren Brüdern — dazu verwendet, 
das Haus über der Schlafstelle wasserdicht zu machen. Zelte findet 
man noch nicht bei den Eingeborenen, auch wird Metall noch nicht 
zum Zusammenhalten der einzelnen Teile des Hauses verwendet; 
Weidenzweige und Tierhautstreifen leisten den beanspruchten Dienst 
des Verbindens und Festhaltens. Das Winterhaus liegt am Strom 
und wird während der Lachssaison benutzt, etwa bis zum Februar; 
um diese Zeit verlassen es die Insassen und ziehen nach den Quell- 
gebieten der Ströme, wo sie sich in den Sommerhäusern niederlassen, 
um Wild zu jagen oder in Fallen zu fangen. 

Nie sah ich Indianer, die so sehr aller Luxusartikel entbehrten, 
als die Atnatänas. Die wohlhabendsten hatten nur die folgenden 
Hauptgegenstände und Geräte in ihren Vorratskammern: einen bis 
drei grofse Kessel, einen Theekessel, eine Bratpfanne, ver- 
schiedene hölzerne Mulden, — Arbeit der Eingeborenen, — mehrere 
Messer, auch gewöhnlich von eigner Arbeit, Hornlöffel und zwei oder 
drei Näpfe. Nur an einem Platze sah ich eine Art Möbel, einen Kasten, 
auf welchem die Theenäpfe gesetzt wurden. Durchschnittlich hat 
das Haupt einer Familie nur einen Kessel, div^ qöl^\ 7*^^\ \tf\TÄt\Ä 



— 222 — 

Mulden, ein oder zwei Messer und vielleicht einen kleinen Napf, 
den er auf Reisen immer mit sich führt. Behälter zum kochen oder 
zum aufbewahren von Wasser, die vor der Einführung modemer 
Gefäfse dieser Art in Gebrauch gewesen wären, fand ich nicht. 

Die Kleidung besteht gewöhnlich aus zwei Teilen: Hosen und 
Stiefeln sind der eine, Rock oder Parka der andre Teil. Im Winter 
kommt zuweilen noch ein Hemd aus Kaninchenfellen hinzu. Der 
Rock ist gewöhnlich nicht mit einer Kappe verbunden, während dies 
bei den Eskimos gebräuchlich. Die Kopfbedeckung besteht 
Murmeltier- oder Eichhömchenfellen. Der wichtigste Schmuck sin 
Perlen, die heliebtesten sind solche, welche Vs bis V* Zoll Durch 
messer haben. Sehr selten werden die Stacheln des Stachelschwein: 
zur Zierrat benutzt. 

Die Männer hahen durchstochene Ohren und Nasen, bei denc:s:< 
Frauen sind nur die Ohren durchstochen. In der Nase werdencs:^ 
Ringe aus Muschelschalen oder Metall bis zum Durchmesser vo 
IV2 Zoll getragen. Der Ohrschmuck, verlängerte Perlen, wird 
Sehnen getragen. Zur vollständigen Ausstaffierung des Kopfes ge 
hört noch ein wenig im Gesicht angebrachte rote Farbe, besonder! 
bei den Frauen und Kindern. Unerläfslich für einen gut ausge 
rüsteten Atnatdna ist das in einer perlenverzierten Scheide um de 
Hals gehängte Messer, er legt diesen Schmuck auch bei Nacht nichtS" 
ab. Ferner tragen die Häuptlinge und wohlhabenden Leute ein^ 
mit Perlen besetzte Munitionstasche. Arm- und Fingerringe, wie 
Tättowieren, sind beinahe unbekannt. Einige haben Kämme aus 
den Hufen des Elenns, andre suchen ihr Haar durch geschickte 
Behandlung mittelst ihrer Hände in Ordnung zu halten. In bezug 
auf die Coiffure sind sie sehr eigen, immer ist sie in guter Ordnung, 
ausgenommen beim Schamanen. Die Schamanen wie die Frauen 
tragen ihr Haar lang, dagegen scheren sich die Männer die Haare 
im Frühsommer bis zur Hälfte des Halses ab. Das Einheitsmafs 
bei den Atnatänas ist die Entfernung zwischen den Fingerspitzen, 
wenn die Arme horizontal ausgestreckt werden. Ich war oft Zeuge, 
wie sie in dieser Weise Holz für eine Baidare, oder Taue, oder 
Riemen mafsen. Perlen und Munition sind die Tauschmittel, gegen 
welche die Zwischenhändler Pelze erhalten, die nach den Handels- 
stationen gebracht werden. Nicolai läfst in seinem Hause am Chitty- 
stoneflufs während seiner Abwesenheit in Taral Perlen, Schalen und 
Pulver für die Colcharnies *), welche sich einfinden und eine Anzahl 

*) Der Ausdruck Colcharny oder Eolschina stammt aus dem russischen 
und bezieht sich bei den Midnuskies auf alle nicht zu ihrem Stamm gehörenden 
Leate. 



— 223 — 

Pelze deponieren; eine Thatsache, die einesteils den festen Preis 
gewisser Verbrauchsgegenstände und anderseits das gegenseitige 
Vertrauen beweist. 

Bogen und Pfeil der Atnatänas ähneln sehr den früher bei den 
Yukoneingeborenen gebräuchlichen. Beide werden aus Birkenholz 
gefertigt, das zu dem Zweck einem besondern Bereitungsverfahren 
unterworfen wird: mit der Axt, welche so ziemlich alle Eingeborenen 
fahren, hauen sie aus dem grünen Birkenstamm ein etwa 5 Fufs 
langes Stück Holz heraus, das nun mit dem Messer bis auf eine 
Stärke von 1 bis IV2 Zoll Durchmesser verschmälert ^ird. Darauf 
legt der Mann den Stab für einige Sekunden ins Feuer. Letzterer 
wird nun von neuem mit dem Messer bearbeitet, bis er die ge- 
wünschten Dimensionen erlangt hat; endlich wird er für einige 
Wochen dem Rauch ausgesetzt, um schliefslich noch einmal mit 
Hülfe von Feuer und Messer bearbeitet zu werden. Der aus diesem 
Prozefs fertig hervorgehende Bogen erfordert einen starken Arm 
zum spannen. 

Noch immer sind Bogen und Pfeil bei den Eingeborenen stark 
in Gebrauch, obwohl sie zusehends durch eine kleine doppelläufige 
Vorderladeflinte überflügelt werden, deren man zwei Sorten findet: 
eine minderwertige und eine gute mit Stahlläufen. Beide Sorten 
wiegen nicht mehr als 5 — 6 Pfund. Die Eingeborenen laden diese 
Gewehre mit Kieselsteinen, Blei- oder Kupferkugeln. Die letzteren 
ziehen sie für die Erlegung gröfseren Wildes, wie Elenn und Bären 
vor, weil, wie sie sagen, die kupfernen Kugeln allein die Knochen 
zerschmettern, während die Bleikugeln das nicht thäten. Die am 
Chittynäfluls gebräuchlichen Kupferkugeln werden mit dem Hammer 
zurechtgearbeitet. 

Darf man nach den bei diesen Eingeborenen gebräuchlichen 
Waffen und nach ihrem lenksamen fröhlichen Wesen urteilen, so 
sollte man meinen, dafs es kein besonders kriegerisches Völkchen sei,*) 

Beim Bau ihrer Häuser bedienen sich die Eingeborenen aufser 
Axt und Messer einer Krummhaue, indem sie an einem hakenförmigen 
Stock mittelst Hautstreifen ein flaches von ihnen selbst gehärtetes 
Stück Eisen befestigen. 

Erfindungsgeist ist den Atnatänas durchaus nicht eigen; 
vfele verschaffen sich ihre Schneeschuhe in Tausch von den Col- 



*) Nachdem ich dies geschrieben, ist leider die Nachricht gekommen, dafs 
sie den einzigen weifsen Mann, der auf 2-— 300 mües in ihrem Gebiet lebte ^ 
den Händler Holt auf Nnchek-Insel, ermordet haben. 



— 224 — 

charnies; indessen fertigen sie sich ihre Toboggans*) und Schlitten 
selbst ; dieselben besitzen zwei wertvolle Eigenschaften : Leichtigkeit 
und Dauerhaftigkeit, 

Wie schon erwähnt sind die Reisewege der Atnatänas auf 
oder nahe den Wasserläufen. Wenn eine längere Reise strom- 
abwärts geplant wird oder eine Fahrt nach Nuchek beschlossen ist, 
wird ein Fellboot gebaut; ist aber die Reise eine kürzere, so wird 
aus vier Balken, die untereinander mit Weidenzweigen verbunden, 
ein Flofs gezimmert. Bei Bootreisen stromaufwärts kann nur eine 
Methode zur Anwendung kommen, die des Ziehens. Eine Partie 
Tatlatans wurde oberhalb des Chitsletchinaflusses passiert, sie waren 
in einer Baidare unterwegs nach Taral zur Fischerei. Dort ange- 
kommen, wollten sie aus der Fellhaut des Bootes Kleidungsstücke 
anfertigen und erst dann zurückkehren, wenn die Eisdecke des Stromes 
ihnen eine Rückkehr zu Schlitten ermögliche. Längs des Flusses lauft 
ein Fufspfad von Taräl zur Mündung des Slanäflusses, freilich nicht 
immer auf demselben Ufer und mitunter 2 — 3 miles vom Flusse. 

Im Durchschnitt gehören jedem Mitglied einer Familie drei 
Hunde, welche zur Elenn- und Bärenjagd, wie auch zum Transport 
von Packereien benutzt werden. In der Nähe von Hasenschlingen 
können sie sehr lästig werden, wenn sie nicht im Hause fest an die 
Wand gebunden werden. Als Packtiere sind sie sehr wertvoll. 
Obgleich sie in der Regel nicht höher als 18 — 20 Zoll sind, ver- 
mögen sie doch für kurze Strecken Lasten im Gewicht von 30 bis 
35 Pfd. und Tag für Tag solche im Gewicht von 25 Pfd. zu tragen. 
Eine solche Hundekarawane zum tragen von Gepäck ist entschieden 
für solche Reisen anzuraten, wo es wünschenswert ist, mit einer 
möglichst leistungsfähigen lebendigen Tragkraft einen thunlichst 
geringen Verbrauch von Lebensmitteln zu verbinden. Diese Hunde 
werden niemals an die Schlitten geschirrt, welche letztere die Ein- 
geborenen ziehen und schieben, sie tragen ihre Last direkt auf 
dem Rücken. Die Leute selbst tragen sehr selten mehr als ihre 
Waffen und Decken, im übrigen ist der Transport des Gepäcks 
Sache der Frauen und Hunde. Transport von Gepäck in Kanus 
wird auf dem Kupferflufs oder seinen Nebengewässern in keiner 
Weise unternommen und zwar wegen des reifsenden Stromes, der 
auf einer Strecke von 330 miles 3260 Fufs fällt. 

Die Hauptunterhaltung der Atnatäner aufser dem Essen besteht 
im Singen. Ungefähr alle singen, besonders unter Führung der 

*) l'oboggan, tobogan oder tarbogan ist ein in den Hudson -Bai -Ländern 
benutzter aus Brettern gezimmerter 10 — 12 Fufs langer und 12 — 15 Zoll breiter 
SchJJtien. 



— 225 — 

jungen Leute und Knaben, ohne Begleitung irgend eines musika* 
lischen Instruments, nicht einmal eines Tam-Tam. Die Gesänge 
sind zahlreich und sehr mannigfaltigen Charakters, die Liebeslieder 
Yreich, die epischen Gesänge erhebend. Oft wird beim Mahle ge- 
sungen; die Kinder lernen das Singen fast ebenso früh als das 
Sprechen. Wenn zum Tanz gesungen wird, folgt die Stimme in 
ihrer Kraft der Lebhaftigkeit der Bewegungen. Die gesprochene 
Sprache ist scharf accentuiert und selten werden mehr als drei auf 
einander folgende Worte mit der gleichen Betonung gesprochen. 
Die meisten zweisilbigen Wörter und viele Adjektiva werden auf 
der letzten Silbe betont. Der Gebrauch des Reden haltens ist eben 
so häufig bei den Atnatdnas als bei den Siouxs und Cheyennes. 
Das nachfolgende kleine Vokabular möge dem Leser wenigstens 
eine schwache Vorstellung von der Atnatänasprache geben. Die 
angefügten Zahlwörter der Apachen in den „weifsen Bergen *', ge- 
sammelt von Leutnant J. B. Du^an von der Ver. St. Armee, 
welcher 10 Monate auf der San Carlos-Reservation war, zeigt eine 
auffallende Ähnlichkeit der bezüglichen Wörter bei den Atnatdnas 
und wird dies hoffentlich weiter nachgeforscht werden.*) Bei weite- 
rer Vergleichung unserer kleinen Vokabularien wurden einige wenige 
in Klang und Bedeutung gleiche Wörter gefunden. 

Mann Keek Murmeltier Chil6ss 

Frau Sekdi Ebener Boden .... Neut 

Kind Skunkdi Berge TroUdi 

Hund Sklekäy Wald Chitz 

Silberlachs (kleiner) Slukkiy Eis Tin 

Königslachs(grofser) Sukachdy See Bin 

Elenn Tendyga Wasser To 

Bentier Honndi Flufs Na 

Schaf Tebdy Sonne Nidi 

Ziege S'bai Nahrung Kuchin 

Wolf Tekdut Haus Hoondk 

Fuchs Nukleksy Dampfbad Sayzill 

Luchs Nöoteay Fett Dalkdk 

Marder Chöoga Heute Titagin 

Schwarzer Bär . . . Noildy Morgen Minta und Se 

Brauner Bar Chdhny Ihr Nin 

Hase Gak Kein, nichts, wenig T'Kwully 

*) Seitdem ich dies schrieb, habe ich von Herrn 0. J. Mason, Direktor 
des ethnologischen Departements in Washington, gehört, daDs die Verwandtschaft 
der Tinnehfamilie mit den südlichen Indianern schon vor einer Beihe von 
Jtihnsk durch Herrn Turner aufgefunden wurde. 

Qeogr, Blätter. Bremen, 1886, Y (^ 



226 



Weit, eine grofse 

Strecke Kooteshit 

Eine lange Zeit . . . Siyü 

Eine kurze Strecke Guttlest^e 

Gut Wallay 

Schlecht Eatähwat 

Grofs Träykcha 

Klein Tulchone 

Viel Keelan 

Heifs Hebdy 

Midnusky Apache 

Eins . . . Tuskdi Daschläi 

Zwei . . . Naytäyky Nak6e 
Drei ,., T4gy Tägy 

Vier . . . Dinky Dingy 

Fünf . . . Ahtziinny Schlai 



Kalt 

Müde Taz6e 

Hungrig Deschäne 

Gehen Höona 

Kommen Ahny 

Schlafen NastaU 

Wie viele? Dönnakeelan 

Gieb mir etwas 

Wasser To nuto 

Berg Wrangeil . . . Keünchilly 

Midnusky Apache 

Kistäu 
Konsarry 
Klahfnky 



Sechs . 
Sieben . 
Acht , . 
Neun . . 
Zehn . . 



Goostdu 
Goos61ty 
Sayb6e 
Zutlakwdlo Goostäi 
Lahzün Gooneznün 



Obwohl die Frauen bei den Atnatänas entschieden in der 
Minderheit sind, findet bei ihnen doch Vielweiberei in beschränktem 
Mafse statt. Inwieweit sie die Gebote der Blutsverwandtschaft bei ihren 
Heiraten achten, weifs ich nicht; es dürfte aber wohl aus dem Wunsch, 
Verwandtenheiraten zu vermeiden, zu erklären sein, dafs gelegentlich 
ein Midnusky eine Tatlatdn heiratet. Im allgemeinen geniefsen die 
Frauen bei den Männern keine besondere Achtung, ihre Wertschätzung 
richtet sich hauptsächlich nach ihrem Geschick zu packen und sonstige 
Arbeiten zu verrichten. Bei dem Tode des Mannes, mag er auch 
noch so wohlhabend gewesen sein, bleiben die Frau und die 
Kinder stets in dürftigen Umständen . zurück. Das kommt daher, 
dafs es Gebrauch ist, das Eigentum des Verstorbenen unter die 
Stammesgenossen zu verteilen. Je mehr er Habe und Vermögen 
hinterlassen hat, desto grofsartiger sind die Beerdigungsfeierlichkeiten. 
Der älteste Sohn, sei er auch noch so jung, wird das Haupt der 
Familie; adoptierte Kinder werden übrigens nicht anders behandelt, 
als die rechten. Ganz kleine Kinder erhalten ihren Platz in einer 
Art Stuhl aus Birkenholz, ältere finden auf Beisen ihren Platz auf 
dem Gepäck bei der Mutter. 

Die soziale Organisation dürfte sich in folgenden Klassen dar- 
stellen: Tyones, Skillies (nahe Verwandte eines Tyone), Shamans oder 
Medizinmänner und Vasallen in verschiedenen Graden der Dienst- 
barkeit. In allen Versammlungen werden Sitze streng nach dem 
sorgfältig beachteten Rang angewiesen. Die Tyones würden sich 
schwer dazu verstehen, jemanden von uns als ihnen gleichstehend 
zu betrachten und erschien e& \\iiv^\i NOiächtlich^ wenn sie sahen, 



— 227 — 

dafe einer von unsrer Gesellschaft Gepäck trug oder ein Tau 

anfafste. Bei den Midnuskis ist der Einflufs des Schamanen erheblich 

geringer als bei den Tatlatäns, ein Umstand, der wohl der Berührung 

mit den Russen zuzuschreiben ist. Nicolai, ein einflufsreicher 

Häuptling, litt ihn nicht, obwohl er seinerseits sich zu wundervollen 

Kuren befähigt hielt und sicher waren hiervon auch viele Eingeborene 

nah und fern überzeugt. Seine Macht, glaubt man, sei ihm von der 

griechischen Kirche, deren Apostel er ist, verliehen. Auf seinem 

Hute trägt er als Talisman ein griechisches Kreuz, er führt etwas 

Papier und einen Bleistift bei sich, um alles, das für sein Volk, von 

Bedeutung ist, aufzuzeichnen. Es ist nichts auffallendes, dafs er mit 

Hülfe seiner Fähigkeit weitausschauender Erkenntnis seine Nachbarn 

täuscht, wie dies folgendes ergiebt: in Khiltäts, etwa 350 miles 

vom Tardl, sahen wir auf unsrer Reise einen Eingeborenen, der ein 

wertvolles kupfernes Kreuz mit einigen Hieroglyphen trug. Beides war 

das Werk von Nicolai, der dafür ohne Zweifel eine reichliche Anzahl 

Felle empfangen hat. Einige haben ein so festes Vertrauen in die 

Heilkraft Nicolais, dafs sie ihm viele miles weit das Kleid eines 

kranken Kindes zusenden, damit er darauf schlafe. Liebigstag, ein 

Tyone, zu dessen Gefolge mehrere Schamanen gehören, veranlafste ihre 

Entfernung aus seinem Lager, als er von unsrer Annäherung hörte. 

Weiter stromaufwärts sind sie zahlreicher ; man erkennt sie daran, dafs 

sie ihr Haar frei und unbeschnitten tragen. Sie ai'beiten nicht, ihr 

Beruf ist der eines Priesters und Propheten im primitivsten Sinne. 

Die Skillies (Adlige) sind zahlreich und nicht wenige haben Va- 
sallen, die auf ihren Wink und Ruf Folge leisten. Ich habe gesehen wie 
ein Knabe im Alter von 14 oder 15 Jahren, wenige Fufs vom Flufs 
sitzend, einen 6 Fufs hohen Mann, Vasallen, beorderte, ihm Wasser 
zu bringen. Dieses Gesinde wird zu allen Arten von Arbeiten benutzt 
und steht vollständig unter der Kontrolle seiner Herrschaft, doch 
hörte ich niemals davon, dafs es eine körperliche Züchtigung hätte 
über sich ergehen lassen müssen. Die Annahme ist gewifs berech- 
tigt, dafs die Androhung der Entziehung von Lebensmitteln oder 
der Unterkunft sie bei ihrem hülflosen Zustande zu widerspruchs- 
losem Gehorsam nötigen mufs. 

Die Toten werden zur Erde bestattet und das Grab durch ein darauf 
angebrachtes Holzgestell von 4 zu 5 Fufs bezeichnet. Besondre Heirats- 
gebräuche bestehen, so scheint es, nicht; ein Mann, der einige Kessel 
und ähnliches besitzt, gilt stets als gute Partie, er trifft mit der Er- 
korenen zusammen und durch Ansprache erfolgt das Verlöbnis. 

Fort Walla Walla, Washington-Territorium, den 3. August 1886, 



— 228 — 

Die J)8tgrönländer in ihrem Verhältnisse zu den 

übrigen Esiümostämmen.'^) 

Von fl. Rink.**) 



Einleitang. Die wahrscheinliche Heimat des arktischen Volkes. Wanderungen 
von Westen nach Osten. Sociale Ähnlichkeiten unter allen Eskimos. Kulturverände* 
rnngen auf dem Wege von Westen nach Osten nachgewiesen am Kajak und dessen 
Ausrüstung, am Lippenschmuck, an der Wohnung u. A. Das Band der Sprache. 
Eigentümlichkeiten der Ostgrönländer gegenüber den Westgrönländern im Bau und in der 
Beschaffenheit des Kajaks und der Fanggeräthe. Gewerbe, Kunstindustrie, Wohnungen, 
Sitten, Sage und Sprache bei den Ostgrönländern. 

Man hat bekanntlich in Nordamerika in den letzten Jahren mit 
erhöhtem Eifer die Kulturentwickelung der Ureinwohner zur Aufgabe 
gründlicherer Forschungen gemacht, bevor diese Nationen entweder 
ganz verschwinden oder sich mit ihren neuen Umgebungen assimi- 
lieren. Die nähere Betrachtung derselben hat zu einer Klassifi- 
zierung geführt, indem man zugleich mit Recht angenommen hat, 
dafs ihre verschiedenen Kulturstufen die Alter bezeichnen, welche 
mehr oder weniger auch die jetzt am höchsten unter ihnen stehenden 
durchgangen haben. Insofern als gewisse Merkmale auf dem 
Gebiete des Gewerbfleifses, und darunter besonders die ersten Zeichen 
von Pflanzenkultur dabei als die entscheidenden angesehen werden, 
geraten wir in Beziehung auf die Eskimos etwas in Verlegenheit. 
Allerdings mufs ihnen ja jeder Gedanke an Gartenbau fern liegen, 
aber anderseits dürfte die aufserordentliche Erfindungsgabe, mit 
welcher sie einer kärglichen Natur ihren notwendigen, ja gewisser- 
mafsen reichlichen Unterhalt abgewonnen haben, für diesen Mangel 
entschädigen und billigerweise zu den Gründen für eine Ranges- 
erhöhung zählen. Wie dem nun auch sei, so kann man jedenfalls 
mit Recht behaupten, dafs sie sich durch eine scharf ausgeprägte, 



*) Die vor- und nachstehenden dankenswerten Mitteilungen werter Freunde 
nnd Mitglieder nnsrer Gesellschaft bilden eine Fortsetzung von in früheren Bänden 
veröfFentlichten ethnologischen Beiträgen Der obige Gegenstand ist inzwischen 
von unsrem verehrten Mitarbeiter, Herrn Justizrat Rink in Kopenhagen, in 
einem noch ausführlicheren Aufsatz behandelt worden, welchen die Zeitschrift 
der Königlich dänischen geographischen Zeitschrift in Heft YUI. 1885—86 
veröffentlichte. D. Red. 

**) Die nächste Veranlassung zu dieser Mitteilung war, dafs ich mit dem 
Kapitän Holm zusammen seine reiche Sammlung aus Ostgrönland genau hatte 
durchgehen können. Dazu kam, dafs ich ebenfalls Gelegenheit gehabt hatte, 
aber die Eskimos des äufsersten Westen von den Brüdern Krause, sowie noch 
zuletzt von A. Jakobsen, und über die der mittleren Regionen von F. Boas 
persönlich mich belehren zu lassen. R. 



~ 229 — 

wenn auch in enge Grenzen beschränkte und höchst einseitige 
Kulturentwickelung von ihren indianischen Nachbaren unterscheiden. 
Hieraus folgt denn auch allerdings, dafs ihre Stämme unter sich 
einander ungewöhnlich gleich sind. Allein dieses gilt doch auch nur 
im Vergleich mit den übrigen nordamerikanischen Nationen im all- 
gemeinen, bei genauerer Betrachtung entdeckt man doch Verschieden- 
heiten, die nach ihrer Auswanderung aus einer ursprünglichen engern 
Heimat und während ihrer Verbreitung über die jetzt von ihnen 
bewohnten Küsten eingetreten sind und also auch beweisen, dafs 
ihre scheinbare Stagnation jedenfalls in einem langen Zeiträume 
keine absolute gewesen ist. 

Grönland kann ja nur von Westen her seine eskimoische Be- 
völkerung empfangen haben. Dasselbe läfst sich mit Wahrscheinlichkeit 
auch von den nächsten Nachbarländern jenseits der Davisstrafse 
annehmen, und wenn wir diese Vermutung weiter erstrecken, 
gelangen wir zum Alaskaterritorium als der wahrscheinlichen Heimat 
des jetzt so weit zertreuten arktischen Volkes. Zunächst findet diese 
Annahme eine Bestätigung darin, dafs die Eskimos hier nicht auf 
die Küste beschränkt, sondern auch längs der Flüsse ins Binnenland 
verbreitet sind, nur dafs der ungeheure Fiscbreichtum dieser Flüsse 
es möglich gemacht haben kann, dafs hier ursprünglich eine noch 
viel gröfsere Bevölkerung, als jetzt, sich sammelte, welche durch 
Auswanderung das notwendige Kontingent zur Entstehung der auf 
die Meeresküste beschränkten Stämme geliefert haben kann. 

Unter der hier ausgesprochenen Voraussetzung können wir 
passend die Bewohner der Insel Kadjak in Alaska und die Ang- 
magsalikker in Ostgrönland als Repräsentanten des Eskimovolkes im 
äufsersten Westen und Osten oder des Anfanges und Endes seiner 
Wanderung betrachten. Zwischen beiden ist die Entfernung nach 
grönländischer Beiseart zum wenigsten 1600 Meilen, und während 
das Klima von Kadjak sich dem gemäfsigten nähert, führt der Weg 
von da nach Augmagsalik durch Länder, deren jährliche Mittel- 
temperatur den äufsersten Grad erreicht, in welchem Menschen über- 
haupt haben existieren können. 

Die soziale Organisation der Indianerstämme, sowie man sie 
jetzt in Amerika durch Verteilung in Familien, Geschlechter (gentes), 
Phratries, Stämme (Confederacies) und Nationen festgestellt hat, läfst 
sich allerdings nicht mit irgend einer Schärfe auf die Eskimos 
anwenden; doch scheint es, als ob die Grundbedingungen zu einer 
solchen Ordnung vorhanden sind, und dafs nur die grofse Zerstreuung 
und Dünnfaeit der Bevölkerung sie nirgends zur Vollkommenheit 
gelangen läfst. Doch trifft man gewisse y^e^^viWVäi^ ^<^\£fia.^\Sc^ss<\ 



— 230 — 

der gentes, namentlich Beschränkungen in der Wahl der Ehegatten^ 
sowie auch Verpflichtung zu gegenseitiger Hülfe u. a. unter allem. 
Eskimos. Auch wird in den meisten Schriften, gewifs nicht ohne 
Grund, eine Einteilung in Stämme vorausgesetzt. Selbige werdea 
gewöhnlich durch die Endigung — mut oder — mint (Bewohner 
von — ), zu einem Ortsnamen gefügt, bezeichnet. Ohne Zweifel 
haben wir in den Angmagsalingmiut einen solchen Stamm. Für 
unsern Zweck dürfte hier eine Einteilung in folgende Gruppen genügen: 
die des Alaskaterritoriums oder westlichen Eskimos, welche wiederum 
in die südlichen und nördlichen zerfallen, die Mackenzieeskimos, die 
Bewohner der mittleren Regionen, die Labradorer, Westgrönlander 
und Ostgrönländer. Betrachten wir hier denn näher, wie man gewisse, 
wenn auch an und für sich geringe, so doch deutliche Kultur- 

« 

Veränderungen auf dem Wege von Westen nach Osten verfolgen kann. 
Erstlich was die, man darf ja sagen, berühmte Erfindung, den 
Kajak betrifl*t, so läfst sich die Entstehung und Vervollkommnung 
desselben mit seinen zugehörigen Gerätschaften, wie es scheint, 
ganz natürlich vom Birkenkanu der Indianer Alaskas ausgehend 
nachweisen. Die Binnenlandeskimos an den bewaldeten Ufern des 
Flusses Kuskokwim betreiben ihre Fischerei in solchen Kähnen ganz 
wie ihre indianischen Nachbaren. An der Mündung des Flusses aber 
findet man die Fahrzeuge mit Fell statt mit Birkenrinde bezogen 
und zugleich überdeckt. Die übrige Ausrüstung der so entstandenen 
Kajaks finden wir nach und nach hinzugefügt, indem wir von der 
Insel Kadjak aus die Küste nach Norden und Osten verfolgen. Man 
bedient sich im Süden nur noch des Kanuruders, mit einem Blatte, 
oder auch zweier kleiner derselben Art. Erst später tritt das 
eigentümliche doppelte Kajakruder an die Stelle. Die Wurfspiefse 
sind auch erst nach Art der Bogenpfeile für Landjagd, mit Vogel- 
federn versehen. Ja man hat auch noch Bogen und Pfeil auf dem 
Kajak benutzt. Für die Vo«:eljagd im Kajak genügte demnächst ein 
Wurfspiefs mit grofsem Widerhaken auf der Mitte des Schafts. Die 
ähnliche Waffe mufste aber, um auf Seetiere anwendbar zu werden, 
mit einem Mittel versehen sein, welches den getroffenen Tieren das 
Untertauchen erschweren könnte. Dieses wurde durch eine, an den 
Schaft geheftete Blase bewerkstelligt. Auf diese Weise entstand 
also der „Vogelpfeil" und der „Blasenpfeil". Wiederum mufste 
aber die eben genannte Blase nach und nach für die erweiterte An- 
wendung vergröfsert werden, und da dieses den Flug der geworfenen 
Waffe zu sehr hinderte, trennte man sie von derselben und erfand 
die grofse, nur durch eine Leine mit der losen Fangblase verbun- 
dene Harpune, während der Blaseiißfeil docU zugleich beibehalten 



— 231 — 

wurde. Auf ähnliche Weise erscheinen, wenn man vom Süden nach 
Norden und Osten geht, nach und nach die sinnreichen Vorkehrungen, 
durch welche das äufsere Ende der Waffe sich umbiegen läfst und 
die Spitze der grofsen Harpune nebst der Fangleine und Blase sich 
ganz vom Schafte lösen kann. Das biegsame Ende wurde auch auf 
die „Lanze*^, die nur zum töten des bereits getroffenen Tieres 
bestimmt ist, angewendet. Dann aber endlich gilt die gradweise 
Entwickelung auch für die Form und die Dimensionen des Kajaks und 
die davon ebenfalls abhängige Fertigkeit in der Manövrierung des- 
selben. John Murdoch, Teilnehmer der meteorologischen Expe- 
dition auf Point Barrow, hat mir auf nähere Vorfrage gütigst fol- 
gendes mitgeteilt: abgesehen von den Aleuten ist das Kajakruder 
mit doppeltem Blatte den Eskimos im Süden von Pastolik, einem 
Dorfe eben nördlich von der Yukonmündung, unbekannt, und selbst 
ganz bis Point Barrow wird das einfache Ruder noch immer für 
gewöhnliche, das doppelte für besondere Zwecke benutzt. Nach 
Modellen zu urteilen geht dieser Gebrauch noch sogar bis zum 
Flusse Anderson. Von der losen Fangblase hat man freilich schon 
eben nördlich von der Halbinsel Alaska Proben gesehen. Sie 
erscheint aber erst nur ausnahmsweise, man begnügt sich in der 
Regel mit dem Blasenpfeil, und selbst auf Point Barrow dient die 
lose Blase nur für Walrofs- und Walfischfang. Schon auf Kadjak 
hat man freilich eine Harpune mit loser Spitze, aber die Weise, in 
der diese sich ablöst, wird vollkommener, je weiter nach Norden. 
Die Kunst, im Kajak umzuwerfen und durch Hülfe des Ruders sich 
wieder aufzurichten, ist in Alaska überhaupt nur als Seltenheit, auf 
Point Barrow insonderheit gar nicht bekannt. Die dafür notwendige 
wasserdichte Bekleidung des Kajakfahrers ist auch noch sehr mangelhaft. 
Zu diesen Bemerkungen Murdochs dürfte noch hinzugefügt werden, 
dals der Kajak, bis auf einzelne Ausnahmen, nicht allein in Alaska, 
sondern ganz bis Labrador in der Regel für die eben genannte 
Kunst zu breit und schwerfällig gebaut ist. Während man also 
wohl vom Mackenzie an die normalen grönländischen Kajakgerät- 
schaften: Doppelruder, Vogelpfeil, Blasenpfeil, grofse Harpune mit 
Blase und endlich Lanze als festgesetzt betrachten kann, erlangt 
erst in Grönland die bewunderungswürdige Festigkeit des Kajak- 
fahrers ihre Vollkommenheit, und der Kajak selbst den dafür not- 
wendigen schlanken und zierlichen Bau. 

Eine merkwürdige Sitte, welche die westlichen Eskimos mit 
den südlichen Nachbarindianern der Küste gemein haben, ist die 
Durchbohrung der Unterlippe und Anbringung des aus Knochen oder 
Stein gebildeten Schmuckes in derselben, üe^i "VixiXÄX^öKÄ^^ ^^j&s. 



— 232 — 

die Eskimos zwei kleine Zierraten dieser Art unter den Mundwinkeln, 
die Tlinkits aber einen grofsen in der Mitte tragen, scheint durch 
das strengere Klima hervorgerufen zu sein. Dennoch mufs man 
sich wundem, mit welcher Treue diese, mit der arktischen Winter- 
kälte so schlecht harmonierende Sitte um Point Barrow herum bis 
zum Mackenzie beibehalten ist. Weiter nach Osten und Norden hin 
scheint sie aber ganz zu verschwinden, sicherlich ist das Ungemach, 
welches sie mit sich führte, zu überwiegend geworden. 

Auch die Wohnungen der Eskimos schliefsen sich im südlichen 
Alaska, namentlich durch das Vorhandensein eines Feuerherdes in 
der Mitte der Diele, denen der Indianer an. Im Norden mufs aber 
die Feuerstelle aus Mangel an Holz der Thranlampe weichen, worauf 
auch nach und nach Schneebütten an die Stelle der Häuser aus 
Holz und Erde treten, bis wiederum in Grönland Erde oder Rasen 
und Stein nebst Treibholz die Baumaterialien abgeben. Hierbei ist 
als wesentlicher Unterschied zu bemerken, dafs es in Alaska, eben- 
falls nach indianischer Sitte, öffentliche Gebäude, sogenannte Kagsen 
oder Kashim giebt, welche als Ärbeitslokal für die Männer, für 
Ratsversammlungen , Vergnügungen, religiöse Feste und endlich 
für Schwitzbäder benutzt werden. In den östlichen Eskimoländem 
werden diese Gebäude teilweise durch eine Art grofse Schneehütten 
ersetzt, wogegen sie, wenn sie in Grönland überhaupt existiert 
haben, daselbst jedenfalls nur ausnahmsweise vorgekommen sind. 
Gleichzeitig nehmen aber die Wohnhäuser, welche bis hierher 
mehr oder weniger quadratisch oder rund gewesen, in Grönland 
eine Form an, die jede beliebige Erweiterung der ^Länge nach 
zuläfst. Die Länge wird nach der Zahl der Hausgenossen bestimmt, 
und bis zu einem gewissen Grade giebt diese Bauart einen Ersatz 
für die fehlenden öffentlichen Gebäude, indem Versammlungen in 
den Häusern gehalten werden können. Was speziell die festlichen 
Versammlungen für religiöse Zwecke, entweder zu einer bestimmten 
Jahreszeit oder auf sonstige Veranlassung betrifft, so sind diese 
hauptsächlich in Alaska vorherrschend, wo sie mit den bekannten Masken- 
tänzen sowie mit Opfern und Verteilung von Gaben verbunden sind. Je 
weiter nach Osten, desto mehr verlieren diese Festlichkeiten an 
Bedeutung und zwar, wie es scheint, in demselben Mafse, als der 
Einflufs der Angakoks zunimmt. Die Maskentänze scheinen sich 
jenseits der Mackenzie zu verlieren, und jährliche Feste in Grönland 
sehr wenig gefeiert gewesen zu sein, während die Angakoks mehr 
und mehr die ganze Wirksamkeit der Vermittelung zwischen den 
Menschen und den unsichtbaren Mächten übernommen hatten. 

Bei aller übrigen Ähnli^hkpit Hpt Eskimostämme unter sich 



— 233 — 

bleibt doch die Sprache, wie anderswo, so auch hier das allgemein 
gültigste Zeichen der Nationalität. Nur die Aleuten bilden hier bis 
zu einem gewissen Grade eine Ausnahme und müssen als ein abnormer 
Seitenzweig aufgestellt werden. Anderseits berechtigt aber denn doch 
auch auf eine einfache und entscheidende Weise eigentlich nur das 
Band der Sprache zur Anknüpfung der sogenannten Binnenland- 
eskimos an das so gänzlich als Bewohner der Meeresküste ausgeprägte 
arktische Volk. Das Eskimoische zeichnet sich bekanntlich, wie die 
meisten amerikanischen Sprachen, durch den künstlichen Bau der 
Wörter aus. Die Grundlage der langen, abgeleiteten Wörter sind 
die sogenannten Stammwörter, welche deshalb für das Wörterbuch 
von grofser Wichtigkeit sind. Ein loser Überschlag nach dem vor- 
liegenden Material hat das Resultat geliefert, dafs die Zahl der 
Stammwörter in den andern Dialekten des Eskimoischen, die sich 
vom Westgrönländischen unterscheiden oder in dieser Beziehung 
unsicher sind, im Labradorischen 15®/o, in den mittlem Regionen 
20%, am Mackenzie 31%, und in Alaska 58% ausmachen. Aus 
verschiedenen Ursachen kann man nun allerdings hieraus bei weitem 
nicht schliefsen, dafs die Sprache im allgemeinen in den ver- 
schiedenen Gebieten Unterschiede darbietet, die diesen Zahlen 
proportional wären. Im Gegenteil kann man wohl annehmen, dafs 
Einwohner Ostgrönlands und Alaskas, wenn ihnen bei einem zufälligen 
Zusammentreffen nur Zeit gelassen würde, sich recht gut gegenseitig 
würden verständlich machen können. Aber in Verbindung mit andern 
sprachlichen Eigentümlichkeiten deuten die genannten Unterschiede 
doch darauf hin, dafs, abgesehen von einer noch viel altern Trennung 
von den Aleuten, erst die südlichen, dann die nördlichen Alaskastämme, 
die Mackenzie- und die mittlem Stämme ausgeschieden wurden, und 
endlich Zweige der letztern Labrador und Grönland bevölkert haben. 

Gehen wir denn von diesen Betrachtungen der Eskimostämme 
im allgemeinen zu den Eigentümlichkeiten der Ostgrönländer ins- 
besondere und namentlich ihrem Unterschiede von den West- 
grönländem über, indem wir als Regel uns letztere in dem Zustande 
denken, in welchem Egede sie vorfand, als er sich unter ihnen 
ansiedelte. 

Was die Kajak- oder Fanggeräte überhaupt betrifft, so treffen 
vnr selbst auf diesem, übrigens vom Mackenzie an ja so konstanten 
-Gebiete, ein paar verhältnismäfsig nicht unwesentliche Abweichungen. 
Erstlich ist an den Harpunspitzen ein Zapfen angebracht, um welchen 
sie sich drehen können, so dafs sie, in den Körper des Tieres ein- 
gedrangen, sich in die Quere stellen und dadurch iirL%^^öb»i\^ i^^^^ 
Widerhaken abgeben. Diese Vorrichtung \«»\. äaxöö. \i^\ ^^xi^^i^^^- 



— 234 — 

ftngem gebrftuchlich und die Möglichkeit ist denn allerdings vorhanden, 
dafs die Elrfindung aus angetriebenen Schiffstrümmem erlernt worden 
ist; allein dann bleibt es doch auffallend, dafs man sie nicht auch 
auf der Westküste aufgenommen hat. Die zweite Abweichung besteht 
darin, dafs die Fangblase verdoppelt, d. h. durch zwei zusammen- 
hangende kleinere ersetzt worden ist. Wenn man bedenkt, dafs der 
Fanger so gut wie den ganzen Fang und die oft sehr schwierige 
Befestigung des getöteten Tieres mit der einen Hand ausführen 
mufs, indem die andre nicht das Ruder fahren lassen darf, so läfst 
es sich wohl einsehen, dafs die doppelte Blase mit ihrem festeren 
Stütz- und Haltepunkte mehrere Vorteile gewährt. Sie wird auch 
als notwendiger Bedarf, und ihr Mangel, oder die einfache Blase als 
Zeichen von Armut angesehen. Recht merkwürdig ist es aber, hier 
die durch Anwendung der SchiefswaflFeh auf der Westküste ganz 
verdrängten alten Gerätschaften wiederzufinden, die zum Fang im 
Frühjahre auf dem Eise angewendet werden. Dafs Bogen und Pfeil 
nach altem Muster nicht mehr gekannt sind, wird dem Verschwinden 
der Rentiere zugeschrieben ; höchst auffallend ist es aber zu erfahren, 
dafs die Konstruktion der Armbrust den Eingeborenen bekannt ist. 
Sie wird zwar nur sehr wenig, wie es scheint nur zum Spiel oder 
höchstens zur Vogeljagd benutzt. Ihr Vorkommen hier ist aus 
kulturhistorischen Gründen ja so merkwürdig, dafs man jedenfalls 
geneigt sein mufs, sie von einem fremden Einflüsse herzuleiten. 
Eine scheinbar ganz vereinzelte Tatsache ist der völlige Mangel 
irgend einer Art von Angel oder Fischhaken, indem die Fische üur 
gestochen oder mit Netzen aufgeschöpft werden. Für Lachse werden 
zwei dreizackartige Stecher gebraucht, der eine in Spalten auf dem 
Eise, der andre, in seichtem Wasser der Flüsse mit steinigem Grunde 
benutzt, ist mit einem im brittischen Columbien vorkommenden 
identisch. 

Die von der Ostküste mitgebrachte ethnographische Sammlung 
giebt einen lebhaften Einblick in den Eulturzustand dieses kleinen 
Volksstammes. Wir müssen den Fleifs, die Fertigkeit und Erfindungs- 
gabe, mit welcher die verschiedenen Gegenstände konstruiert, und 
die Materialien: Holz, Stein, Knochen, Metall und Fell bearbeitet 
sind, bewundern. Was aber ohne Zweifel die Aufmerksamkeit der 
meisten Beschauer zunächst fesselt, ist der Kunstsinn, welcher sich 
darin offenbart. In Reisebeschreibungen ist öfters des Fleifses Er- 
wähnung geschehen, mit welchem die Alaskaeskimos Schnitzereien in 
Elfenbein und Knochen ausführen und ihre Waffen und Hausgeräte 
durch bildliche Darstellungen schmücken. Nach den Abbildungen 
und Beschreibungen ethnog^ar^ ^«*ände aus den übrigen 



— 235 — 

eskimoischen Ländern zu urteilen, verliert dieser Kunstfleifs sich 
aufserhalb Alaskas, und in Westgrönlaud scheint er fast nur auf 
Verzierungen der Kleider beschränkt gewesen zu sein. Umsomehr 
wundert es uns, in der Sammlung aus Ostgrönland den Kunstsinn 
gleichsam auf einmal wieder erweckt zu sehen, so dafs die Produkte 
desselben recht gut mit jenen aus Alaska verglichen werden können ; 
nur ist die Art etwas verschieden. In Alaska bestehen die Ver- 
zierungen hauptsächlich aus eingeritzten Zeichnungen, welche Szenen . 
aus dem Leben der Einwohner, sowie aus der Sagenwelt darstellen. 
In Angmagsalik dagegen treffen wir kleine, aus Knochen oder Wal- 
rofszahn geschnittene Reliefs, die mit knöchernen Nägeln an hölzerne 
Flächen geheftet sind. Diese kleinen Platten repräsentieren teils 
jeder für sich das Bildnis eines natürlichen oder phantastischen 
(regenstandes, teils bilden sie, näher aneinander gerückt, scheinbar 
nur linienartige Ornamente. In jenen Bildern sehen wir dargestellt: 
zwei halbmystische Tiere, Tornarsuk und Erperketerp (?) nebst 
andern mystischen Figuren, die bekanntesten Seehundearten, Del- 
phine, Narwal, Vögel, Fische, Bären, Männer und Kajakke. Trotz 
ihrer Kleinheit soll die Art der Seehunde für Kennerblicke deutlich 
genug ausgedrückt sein. Auf einem „Wurfbrett" (Unterlage der 
Harpune beim Werfen) enthält die 290 qcm grofse Rückseite 57 
solcher Bilder, ein Becher hat 116 derselben auf 176 qcm, und eine 
kleine Schachtel, scheinbar nur als Spielzeug dienend, hat 96 Bilder 
auf 55 qcm. Diejenigen Ornamente, deren Form scheinbar nur aus 
der Phantasie entstanden ist, scheinen doch bei genauerer Unter- 
suchung ihren Ursprung aus denselben Gegenständen, als denen der 
eben genannten Platten, namentlich Seehunden, zu verraten. Man 
findet nämlich Übergänge, an denen Kopf und Extremitäten nach 
und nach durch Abrundung verschwinden und einfache Ovale 
zurückbleiben. 

Aufser diesen Reliefs auf Holz zeugen vielfache andre 
Schnitzereien von gleichem Kunstsinne. Fast jede Gelegenheit ist 
benutzt worden, um dieselben am knöchernen Besatz der Kleider 
oder ledernen Gerätschaften anzubringen. Endlich gehören auch 
die merkwürdigen geographischen Bilder hierher, durch welche 
Teile der Küste nach Art der Landkarten dargestellt sind. Sie 
sind aus Holz geschnitten, indem auch die Erhöhungen des Landes 
in groben Zügen wiedergegeben sind. Das feste Land bildet Stücke 
für sich, die Inseln ebenfalls Stücke für sich, die aber durch einen 
Biemen mit einander verbunden sind, so dafs sie jedesmal bei der 
Benutzung, in passender Entfernung von der Küste hingelegt '^<et^<B«2i.. 
Im „Compte rendu de la Soci6t6 de Gfeogia.iglVÄ^'' iüt Yft»& ^^* ^ 



— 236 — 

erschien ein Artikel, dessen Verfasser die Verfertigung dieser Bilder 
durch „Wilde ohne irgend eine Zivilisation^ für so unwahrscheinlich 
ansah, dafs er die Vermutung aufstellte, dafs Personen von dem 
im Jahre 1833 verschwundenen Schiffe „Lilloise^ die Küste erreicht 
haben könnten, und dafs also jene eigentümliche Kartographie fran- 
zösischen Ursprungs sei. Kapitän Holm selbst (Geografisk Tidsskrift) 
sowie auch H. Holst (Nationaltidende) haben deutlich genug bewiesen, 
wie unnötig und unwahrscheinlich diese Hypothese ist. 

Der Fleifs und Geschmack, den die Angmagsalikker Näherinnen 
besonders in den Stickereien an den Tag legen, erregt unsre Be- 
wunderung, wenn wir bedenken, dafs die Arbeit bis zur Ankunft 
unsrer Reisenden mit selbstgemachten Nadeln ausgeführt wurde. 
Diese Nadeln waren aus altem, von SchiflFstrümmem herrührenden 
Eisen ausgehämmert und geschnitten, viereckig geschliffen und für 
das Nadelöhr aufs feinste durchbohrt. 

Die mit dem Eigentumsbegriff so nahe in Verbindung stehende 
Ordnung der Winterwohnungen hat, selbst den Westgrönländem 
gegenüber, bei den Angmagsalikkern ihre Eigentümlichkeit. Man 
hat aus dem Beispiele der Ureinwohner Nordamerikas nachgewiesen, 
wie langsam der Begriff des individuellen Eigentums sich durch die 
verschiedenen Kulturstufen entwickelt, und wie ein gewisser Grad 
von Gemeinschaft unter der Form von „communism of large house- 
holds" und „law of hospitality^ nicht allein in den Klassen der 
„savagery^, sondern auch des ^barbarism^ vorherrschend ist Der 
Grund ist ja, dafs die Familien vereinzelt sich zu schwach fühlen, 
des Unterhalts und Schutzes für mögliche Fälle gesichert zu sein. 
Daher denn auch bei den Eskimos die Sitte, dafs die Familien, ob- 
gleich im Sommer mehr abgesondert nomadisierend, für den Winter 
in gröfseren oder kleineren Genossenschaften auf bestimmte Plätze 
sich zurückziehen. Es ist schon oben erwähnt, wie sich hierbei in 
Beziehung auf Gröfse der Häuser und das Vorhandensein öffentlicher 
Gebäude, zwischen den westlichem Eskimos und den Grönländern ein 
Unterschied kund thut. Nun zeichnen sich aber unter den letztem 
die Angmagsalikker besonders aus. In Westgrönland hat es nämlich 
am häufigsten mehr als ein Haus auf demselben Platze gegeben, 
während es im Osten die Regel zu sein scheifit, dafs alle Bewohner 
eines Platzes auch ihr gemeinschaftliches Haus haben. Auf eine 
Weise ist also der „comraunism of large households" hier nachdrück- 
licher durchgeführt. Insofern aber das Gesetz der „hospitality" 
speziell durch die allgemeine amerikanische Sitte bezeichnet wird, 
daSs jedem in ein Haus eintretenden Fremden zuvörderst Speise 
geboten werden soll, finden wir dassÄla^ aui ^\xä TSi^Ykwürdig über- 



— 237 — 

emstimmende Weise von alters her in den grönländischen Sagen 
im allgemeinen ausgesprochen. 

In Angmagsalik repräsentiert aber jedes Haus zugleich einen 
Wohnplatz. Das gröfste zählte 58 Bewohner. Um uns von dem 
Zusammenleben in dem einzigen Räume, den jeder dieser Häuser 
darbietet, eine Vorstellung zu machen, wählen wir das von dem 
Beisenden genauer beschriebene neben ihrer eignen Winterwohnung 
zum Beispiel. Es hatte 38, auf 8 Familien verteilte Bewohner. Die 
Pritsche war 27 Fufs lang, 6 Fufs breit und durch niedrige Vor- 
hänge in 8 Räume geteilt. Diese Abteilungen waren von ungleicher 
Breite, je nach dem Bedürfnisse der einzelnen Familien, aber durch- 
schnittlich kamen also nur SV» Fufs auf jede. Der übrige Flächen- 
raum, also die 26 Fufs lange und 8V2 Fufs breite Diele mufste doch 
auch noch Platz für eine Bank unter den Fenstern und für Er- 
höhungen abgeben, auf denen Wasserkübel und Speckschalen Platz 
hatten. Man bedenke nun, was alles in diesem, im ganzen 27 Fufs 
langen, 14 V» Fufs breiten Räume, dessen gröfste Höhe 6Va Fufs 
betrug, ausgerichtet werden sollte! Hier sollen die Frauen für 
38 Personen Essen kochen, Felle bereiten, Kleider nähen und Kinder 
warten, während die Männer an ihren Gerätschaften arbeiten. 
Nebenbei darf es ja auch nicht an Unterhaltung und Belustigung 
fehlen, ein Tanz wird aufgeführt, man trommelt und singt, man 
rühmt die Thaten der Vorfahren, und während der Mahlzeiten er- 
zählen die Männer ihre letzten Jagderlebnisse und unterrichten die 
Jagend in den Regeln des Fanges. Endlich wird dann ab und zu 
ein Angakok engagiert, er erschüttert durch seine Geistermahnungen 
die Nerven seiner Zuhörer. 

Man sieht also, dafs in der That mancherlei, sowohl Arbeit 
als Zeitvertreib in diesem engen Räume vor sich gehen soll, in 
welchem die Kälte und Dunkelheit der langen Winternächte so viele 
Menschen zusammengeführt hat. Und doch herrscht Ruhe und 
Ordnung, Wortstreit wird als ein Verbrechen angesehen, wenn er 
nicht in gesetzmäfsiger Form beim sogenannten Trommeltanze vor- 
gebracht wird. Die Aufrechthaltung eines solchen Hausfriedens 
setzt oflFenbar zwei Bedingungen voraus: erstlich herkömmliche 
Regeln oder Gesetze, und zweitens Oberhäupter, welche die Be- 
folgung derselben überwachen und zweifelhafte Fälle entscheiden. 
Dafs die erste Bedingung überhaupt auch auf primitiven Kultur- 
stufen vorhanden ist, fängt man jetzt ja nachgerade an einzusehen. 
Die zweite wird von Schriftstellern über die ursprünglichen Grön- 
länder nur schwach angedeutet, die gewöhnliche Anschauung ist ja, 
daÜB volkkommene Gleichheit unter ihnen heTT&e\i\.^ mtA n^w\^\^S^^^^ 



— 238 — 

und gehorchen nicht die Eede sei. ünsre Reisenden sind aber auf 
das Entschiedenste von der Irrigkeit dieser Meinung überzeugt 
worden. In jedem Hause befindet sich ein Hausherr, der in der 
Benutzung und Verteilung des Raumes und gemeinschaftlichen Eigen- 
tums entscheidet und dem gehorcht wird. Der Hausherr wird durch 
eine, wie es scheint stillschweigende Übereinkunft gewählt, und 
wenn man früher geglaubt hat, dafs keine Befehle ausgeteilt würden, 
so ist dieses wohl eine Folge der gelinden Form, in welcher die 
Befehle formuliert, zum Teil wohl auch nur stillschweigend ange- 
deutet werden. 

Es wurden doch von den Reisenden Fälle erlebt, in denen der 
Hausherr auch nach europäischen Begrififen als befehlend auftrat. 
Dieses geschah erstlich beim Umziehen von den Zelten in die Winter- 
wohnung, als die 8 Familien sich um den Platz auf der Pritsche 
einigen, die Lampen überall angezündet und die Fenster geschlossen 
werden sollten. Ein andres Mal wurde ein junger Mensch mitten 
im Winter zur Strafe aus dem Hause verwiesen und mufste selbst 
suchen, anderswo unter Dach zu kommen. 

Möchten denn auch diese Beobachtungen dazu beitragen, die 
Irrigkeit der Meinung zu beweisen, als ob die sogenannten „wilden** 
Grönländer keine soziale Ordnung hätten I 

Unsre Reisenden benutzten auch ihren Winteraufenthalt und 
die vorzügliche Hülfe, die sie in dem Katecheten Hans und dem 
Dolmetschen Johann Petersen besafsen, um ein bedeutendes Material 
zur Beurteilung der Sagen und des Dialektes der Angmagsalikker 
zu sammeln. Die Bearbeitung dieser Aufzeichnungen hat eben erst 
begonnen und so läfst sich nur von dem, was ein flüchtiger Durch- 
blick hat zeigen können, hier ein geringes mitteilen. 

Die Sagensammlung enthält 57 Nummern, von denen 6 jedoch 
Wiederholungen sind. Von den 51 sind 13 offenbar identisch 
mit Sagen andrer Eskimos, namentlich der Westgrönländer; in 
andern 13 erkennt man wiederum gewisse, ähnlich verbreitete 
Sagenelemente, d. h. Bruchstücke, die ab und zu, als in die ver- 
schiedensten Erzählungen eingeschalten vorkommen. Dagegen sind 
16 als früher unbekannt zu betrachten, und 7 Nummern enthalten 
teils nur Gesänge, teils mehr beschreibende Darstellungen. Es leidet 
keinen Zweifel, dafs die eskimoischen Sagen und besonders ein 
Vergleich der Sagen aus verschiedenen Gegenden auf indirekte 
Weise Aufschlüsse über die frühere Geschichte und namentlich über 
die Wanderungen des Volkes geben wird. Zu dem, was wir von 
früheren Jahren besafsen, hat Dr. Boas einen wesentlichen Beitrag 
vom BaäjDS'Lande gebracht. Recht meiksNürdig wird unter andern 



— 239 — 

durch denselben die Mythe von der Entstehung der Meerestiere und 
der Beherrscherin derselben, sowie die Fabel vom Hunde als Stamm- 
vater der Indianer und Europäer. Noch fehlen so gut wie ganz 
Beiträge vom äufsersten Westen; sie werden aber jetzt gewifs nicht 
lang« mehr auf sich warten lassen, und dann trifft es ja sehr gelegen, 
dals eben noch jener vom äufsersten Osten erlangt worden ist. 

Was endlich die Sprache betrifft, so ist die westgrönländische 
jetzt bekanntlich als Schriftsprache entwickelt. Man hat dabei 
nur sehr wenig den möglieben Unterschied derselben in verschiedenen 
Gegenden berücksichtigt. Was die Ostküste betrifft, so ist diesem 
Mangel jetzt hinlänglich abgeholfen. Nach den vorliegenden Proben 
zu urteilen, scheint es vorläufig jedenfalls, als ob in Grönland ein 
gröfserer Unterschied der Sprache zwischen Ost und West, als 
zwischen Süd und Nord stattgefunden hat. 

Wenn es nicht übereilt wate, aus den vorliegenden Thatsachen 
jetzt schon einen allgemeinen Schlufs zu ziehen, möchte ich mit 
Kapitän Holm annehmen, dafs die Angmagsalikker Norden um 
Grönland eingewandert sind, die Westgrönländer aber von der 
Baffins-Bay aus den Weg nach Süden genommen haben, und dafs an 
der Südspitze Grönlands eine Mischungsrasse sich gebildet hat. Die 
im Vorhergehenden angedeuteten Verschiedenheiten scheinen mir 
für eine solche Annahme genügend zu sein. Ich möchte nur noch 
hinzufügen, dafs die Mischungsrasse aller Wahrscheinlichkeit nach 
auch altskandinavische Elemente in sich schliefst, obgleich im Kultur- 
zustande auch nicht die geringste Spur davon zu entdecken ist. 



Der Indianerstamm der Odjibways in Nordwest-Kanada. 

Von Charles N. Bell in Winnipeg, Manitoba. 

Gebiet der Odjibways in Kanada westlich vom Oberen See. Näheres über den 
Namen Odjibway. Swainpies sind Wald-Indianer. Jäger und Fischer. Sorglosigkeit. 
Die schlimme Winterzeit. Die Indianer in den Reserven. Kleidung. Schmuck. 
Nahrung. Tauschhandel mit weifsen Händlern. Stellung der Frauen. Indianerfehden. 
Verträge mit der kanadischen Regierung. Gute Leistung indianischer Arbeiter. 
Gerechte Behandlung der Indianer seitens der kanadischen Regierung. 

Die Odjibway - Indianer sind weit östlich vom Ufer des 
Oberen Sees zerstreut ; die nachfolgenden Mitteilungen beziehen sich 
niir auf den Teil derselben, welcher auf kanadischem Territorium 
westlich von dem genannten See haust. Kurz angegeben sind die 
Grenzen die folgenden: vom Oberen See südlich die internationale 
Linie zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada bis zum Nord 
Red River und diesen Strom hinab bis zu der Stelift^^^ ^^x k^ixsÄr 



— 240 — 

boineflufs sich mit ihm vereinigt; von da geht die Grenze in einer 
unregelmäfsigen Linie westlich vom Manitobasee zum grofsen Saskat- 
chewanflufs und diesen aufwärts bis zur Vereinigung seiner beiden 
Arme, dann östlich, indem sie sich einen halben Grad nördlich vom 
Flusse hält, bis znm Winnipegsee. Die Grenze schliefst den ganzen 
See ein, läuft vom Nordende längs des hohen Landes hin, welches 
die Wasserscheide der zur Hudsons-Bai und der zum Winnipegsee 
fiiefsenden Gewässer bildet und wendet sich dann südöstlich zum 
Oberen See. 

Zwischen dem Winnipeg- und dem Oberen See befindet sich 
ein von Seen, Flüssen und Wäldern durchsetztes Gebiet. Das 
Gestein ist laurentinisch, in seinem Boden wurden ausgedehnte Lager 
wertvoller Mineralien, als : Eisen-, Kupfer-, Gold-, Silber- und Bleierze 
entdeckt; ein bergmännischer Betrieb mit den günstigsten Ergeb- 
nissen ist im Gange. Die Ausbeute trefflichen Nadelholzes versorgt 
den Markt der westlichen Präriedistrikte. Ackerbauer lassen sich 
an den Ufern einiger dieser Flüsse nieder, die kanadische Pacific- 
eisenbahn transportiert täglich mitten durch den Distrikt Personen 
und Güter. Dabei ist die Zivilisation so plötzlich gleichsam herein- 
gebrochen, dafs wenige miles vom Schienenweg entfernt der Odjib- 
way sich nach wie vor in seinem Birkenkanu tummelt. Westlich vom 
Red River und vom Winnipegsee erstrecken sich ausgedehnte frucht- 
bare Prärieländer, ihr Boden eignet sich zum Anbau von Weizen 
und andern Gerealien. 

Die Odjibways heifsen auch Saulteans oder Chippewa, der 
Name Odjibway kommt wahrscheinlich von einem Wort in der 
Sprache des Stammes, das ^aufgesammelt" (puckered up) bedeutet 
und Bezug hat auf die Gewässer des Oberen Sees, die sich bei 
Sault St. Marie River aufsammeln. Hier trafen die Franzosen den 
Stamm zuerst, daher der Name Saulteans. Chippewas oderChippe- 
way ist nur eine Korruption von Odjibway. Mit den Odjibways 
treten kleine Banden von Indianern auf, welche man Swampies 
oder Swampy Crees nennt, weil sie öfter in den Sümpfen und 
niedrigem Lande hausen, die sich beim Winnipegsee und weiter nord- 
wärts von demselben erstrecken. Sie sind eine Abzweigung der 
Wood Crees, ihre Sprache ist ungefähr dieselbe, wie die der Odijib- 
ways, mit denen sie in völligem Frieden leben. 

Man schätzt die Zahl der in dem oben angegebenen Gebiet 

wohnenden Odjibways auf 8500, die der Swampies auf 7500. Alle 

nachfolgenden Bemerkungen über Leben und Sitten der Odjibways 

gelten auch für die mit ihnen lebenden Swampies. In den letzten 

andertbalb Jahrhunderten drangen die ersteren westlich vom Obwen 



— 241 — 

See vor, während die Swampies das in Bede stehende Gebiet seit 
undenklichen Zeiten bewohnen. Beide Stämme gehören der grofsen 
Algonquinrasse an. 

Sie sind Waldindianer, leben ausschliefslich im Wald- und See- 
gebiet, selten wagten sie sich westwärts auf die grofse Ebene west- 
lich vom Red River und südlich vom Saskatchewan, vor, um Büffel, so 
lange es solche noch gab, zu jagen. Ihre Nahrung besteht aus 
wilden Beeren, wildem Reis, Fischen, Wassergeflügel, Hühnern, 
Bären, Hirschen und anderm Getier des Waldes. In Fallen fangen 
sie den Biber, mink, Fische verschiedener Art, den" Marder, die 
Moschusratte, den Wolf, Fuchs, den skunk, Vielfrafs (Gulo luscus), 
Dachs, Luchs, die Otter und das Hermelin. Besonders sind verschiedene 
Hirscharten, das Elenn und der Rothirsch in Menge vorhanden. 
Der ganze Distrikt ist von einem Netz von Seen und Wasserzügen 
durchsetzt und diese Gewässer sind reich an einer Störart, Lachs- 
forellen, Weifsfischen u. a. Verschiedene Entenarten, Gänse und 
Schwäne finden sich in dem Gebiet. Die Indianer haben teils 
Vorderladervogelflinten, teils bedienen sie sich noch der alten von 
der Hudsonsbaikompagnie eingeführten Steinschlofsflinten. Die 
meisten Pelztiere werden mit Hülfe stählerner Fallen gefangen. Die 
Indianer leben auf den Reserven in gutkonstruierten Blockhäusern, 
auf der Reise oder Jagd in den Wäldern nächtigen sie in ihren 
über Pfählen ausgespannten Wigwams aus Birkenrinde. In den 
Sommermonaten sieht man den Indianer in seinem leichten graziös 
gebauten Birkenrindekanu; im Überflufs denkt er nicht an die 
Bedürfnisse, welche der kommende Winter ihm bringen wird. Wie 
die meisten Naturvölker denken und sorgen auch die Indianer in 
keiner Weise für die Zukunft. Kaum, dafs sie etwas wilden Reis 
aufbewahren, um sich durch den Winter zu bringen, obwohl sie eine 
reiche Ernte davon einheimsen könnten. 

Ist der schöne aber kurze Sommer vorüber, werden die Nächte 
kühl, färben sich und fallen die Blätter, so zieht sich der Indianer 
zu einer dürftigen Existenz in die Wälder zurück. Hier deckt im 
Winter hoher Schnee den Boden, getretene Pfade giebt es nicht und 
der Indianer nimmt, um vorwärts zu kommen und zu jagen, seine 
Zuflucht zum Schneeschuh. Manche haben thörichterweise die von 
ihnen erbeuteten Pelze dem Händler für Geld verkauft, sie leiden 
nun sehr unter dem Mangel warmer Kleidung und Decken. Zum 
Schlittenzug haben sie Hunde. Die Schlitten haben lange, dünne, 
flache, vorn aufgebogene Kufien und bewegen sich, ohne tief einzu- 
sinken, leicht über und durch den Schnee. Ein ;^ Flachschlitten" 
(flatsled) wird mit einem bis fünf Hundeu b^^i^^YcsiV.. \^^^ ^^fä^x 

Oeogr. Blätter. Bremen, 1886. Y\ 



— 242 — 

wird den Hunden um den Hals gelegt und einer hinter den andern 
gespannt. Der indianische Hund dieser Gegenden ist ein wolüs- 
ahnlicher Bastardhund. Diese Hunde sind sehr gefräfsig und kauen 
unter Umständen selbst ihr Geschirr. Jeden tierischen StoflF ver- 
schlingen sie gierig. Zu jedem Indianerlager gehört eine Anzahl 
Hunde, die man im Sommer sich völlig selbst überläfst; sie nähren 
sich dann von Kaninchen und am Ufer der Seen erbeuteten Fischen. 

Die Indianer, welche sich auf den von der Regierung ihnen 
angewiesenen Reserven niederliefsen , haben sich schnell an den 
Ackerbau gewöhnt, finden in diesem ihre Existenz und liegen nur 
gelegentlich der Jagd und Fischerei ob. 

Die Kleidung der Indianer ist verschieden, je nachdem sie in 
den Reserven sefshaft und zivilisiert leben oder in der Jagd und 
Fischerei jahraus jahrein ihre Existenz suchen. Das Hauptkleid des 
Jägers ist im Sommer eine wollene Decke. Die Frauen tragen 
Tuchröcke, die bis unter die Kniee reichen, eine Art perlengestickter 
Gamaschen und einen Shawl oder Decke. Mokassins oder weiche ans 
Hirschfell zierlich gefertigte Schuhe umschliefsen die Füfse. Perlen, 
Federn, bunte Farben werden vielfach zur Ausschmückung benutzt 
Das Küchengeschirr, in welchem sie sich Thee und sonstige Nahrung 
bereiten, besteht aus kupfernen Kesseln und Töpfen. Das Fleisch 
wird auch am Spiefs über hellem Feuer gebraten. 

Die Indianer verhandeln die Ausbeute ihrer Jagd gegen Thee, 
Mehl, Zucker, Tabak und Kleiderstoffe, wollene Decken, Fallen und 
Munition; entweder werden sie zu dem Zweck von den Händlern 
aufgesucht oder die Indianer kommen selbst zu den Handelsposten, 
welche über das ganze Gebiet zerstreut sind. Vielweiberei ist bei 
den Indianern nichts seltenes, immer aber behandeln sie ihre Frauen 
gut. Die Beschäftigung der Männer besteht nach dem oben gesagten 
in Jagd und Fischerei, sie rauchen, spielen und schwatzen. Die 
Frauen kümmern sich um ihre Kinder, sägen Holz, holen Wasser, 
kochen, bedienen ihre Männer und folgen ihnen, wenn sie ausziehen, 
indem sie ihnen Lasten tragen oder die Kanus mit rudern helfen. Die 
Männer sehen im allgemeinen gut aus, sind schlank und kräftig, 
dabei thätig; manche haben durch das häufige Sitzen im Kanu an 
ihrer Haltung etwas verloren; die Frauen haben ein robustes Aus- 
sehen, doch durch das häufige Tragen von Lasten ist ihr Oberkörper 
etwas vorgebogen. Die Sitten der Frauen sind nicht die reinsten, 
obwohl Untreue der Frauen schwer bestraft wird. Männer wie Frauen 
sind eingefleischte Raucher, in den Tabak mischen sie Blätter der 
roten Weide. 

Eia prahlerischer Zug ist allen nordamerikanischen Indianern 



— 243 — 

eigen, so auch den Odjibways, einige von ihnen sind grofse Redner 
und besitzen einen ungewöhnlichen Scharfsinn. Bis beinahe in die 
neueste Zeit lagen sie in scharfer Fehde mit den Sioux im Süden 
und Westen und sie trieben sie weit westlich vom Oberen See in 
die grofsen Ebenen westlich vom Red River. Seitdem jedoch die 
Vereinigten Staaten- Regierung die Sioux in weitab gelegene Reserven 
gebannt hat, haben die Odjibways keine Ursache, sich ferner auf 
dem Kriegsfufs zu halten. Gleichwohl tragen noch viele ihrer alten 
Krieger lange Federn im Haar, um damit die Zahl der von ihnen 
skalpierten Feinde anzuzeigen. In den letzten zwei Jahrhunderten 
sind die Odjibways stetig westwärts vom Osten des Oberen Sees 
gewandert, sie trieben dabei die Sioux süd- und westwärts und nahmen 
im Westen und Norden die Stelle der Assiniboins ein, als diese 
Stämme in das Land der Blackfoots, die grofsen Ebenen, zogen. 
Als zwischen der kanadischen Regierung und den Grees in Fort 
Pitt im Jahre 1876 Verträge geschlossen wurden, traf man dort noch 
Banden von Odjibways über 1000 miles weit westlich vom westlichsten 
Teile des Oberen Sees an. In jener Gegend, halb Wald, halb offene 
Ebene, vermischten sie sich vielfach mit den Grees. Die Sprache 
der Odjibways ähnelt sehr der der Grees, thatsächlich ist sie eine 
Art Patois des Algonquin. 

Westlich vom Manitoba- und Winnipegoosis-See finden sich 
Odjibways und Swampies auf beiden Ufern des Saskatchewan bis zu 
der Vereinigung der beiden Arme, jedoch nicht weit landeinwärts. 
Niemals waren sie Jäger in den Ebenen, sie lebten nie von der 
Bflffeljagd, hatten niemals Pferde. Der Büffel ist jetzt im kana- 
dischen Gebiet ausgerottet ; vor 12 Jahren sah ich noch BüfFelherden 
bei zehntaiisenden von Köpfen weit nördlich von der internationalen 
Grenzlinie. 

Alle diese Indianer haben ihre Rechte auf das Land an die 
kanadische Regierung unter folgenden Bedingungen abgetreten: 

Seitens der Regierung jährliche Zahlung von fünf Dollars für 
jedes Individuum und gewisse jährliche Geschenke an Garn für Fisch- 
netze und Munition; ferner Überweisung von 160 acresLand an jede 
Familie von fünf Personen, sowie Ackprbaugerät und Vieh, sobald 
sie bereit ist, sich zum Betrieb von Ackerbau anzusiedeln. Die 
Indianer erklärten sich damit einverstanden, alle ihre Rechte auf 
das Land abzutreten und sich in Reserven zurückzuziehen, sie 
behielten sich aber das Recht der Jagd und Fischerei in allen nicht 
von Ansiedlern besetzten Gebieten vor. Jeder Häuptling erhält 
25 Dollars jährlich und es wurde die Lieferung einer Uniform zur 
Auszeichnung, alle drei Jahre, zugesagt. Be\ diOTx "^ ^x\x^%^^ö«äi^J2Ss. 



— 244 — 

erhielt überdem jeder Häuptling eine britische Flagge und eine Silber- 
medaille. 

Die Bedingungen der 1871 und 1873 mit den Odjibways 
geschlossenen Verträge wurden getreulich von beiden Parteien 
gehalten, auf einigen Reserven giebt es schon Schulen und landwirt- 
schaftliche Lehrer unterweisen die Indianer in den Elementen prak- 
tischer Ackerbaukunde. Beamte haben den Anweisungen der Regie- 
rung zufolge sich um die Bedürfnisse der Indianer zu kümmern 
und dafür zu sorgen, dafs ihnen alle vertragsmäfsig ausbedungenen 
Lieferungen auch gehörig zu teil werden. Genaue Vorschriften 
und strenge Strafen bestehen hinsichtlich des Verkaufs berauschender 
Getränke an die Indianer. Viele derselben werden von Weifsen 
beschäftigt, sie arbeiten in Bergwerken oder als Holzschläger. Beim 
Bau der kanadischen Pacific-Eisenbahn wurden viele Indianer als 
Arbeiter verwendet ; im allgemeinen war man mit ihren Leistungen 
sehr zufrieden. Nur eine kleine Bande am Saskatchewan nahm an 
der kürzlichen Rebellion der Mischlinge Teil. 

Die wohlwollende Behandlung, welche die Indianer seitens der 
Hudsonsbaikompagnie erfuhren, ermöglichte es auch der kanadi- 
schen Regierung, sie in gleich wohlwollender gerechter Weise zu 
behandeln und man darf sagen, dafs die Weifsen, indem sie von den 
Jagdgründen Besitz nahmen, doch den bisherigen Eigentümern der- 
selben jede billige und gerechte Entschädigung zu teil werden liefsen. 



-S®S-<^o- 



Kleinere Mitteilungen. 

§ Ans der geograpliisebeii Gesellschaft in Bremen. Wie in frühem 
Wintecn, so soUen auch in diesem Winter im Kreise der Gesellschaft und ihrer 
Freunde populäre Vorträge aus dem Gebiete der Länder- und Völkerkunde ge- 
halten werden. 

Unter der Überschrift: Echinodermen des Beringsmeeres veröffentlicht 
Herr Professor Dr. H. Ludwig in Giefsen in den zoologischen Jahrbüchern 
die Ergebnisse seiner Untersuchung einer Anzahl Echinodermen, welche die 
Herren Dr. Arthur und Aurel Krause von der Plover-Bai und Lorenz-Bai, sowie 
mehreren bei der Tschuktschen-Haflbinsel gelegenen kleinen Inseln mitbrachten. 
Wie aus der Abhandlung des äerrn Professor Ludwig hervorgeht, hat die Unter- 
suchung ergeben, dafs die Echinodermenfauna des Beringsmeeres sich eng an 
die arktische Fauna anschlieüst, wie solche besonders durch die Vega-Expe- 
dition erforscht und von A. Stuxberg näher geschildert worden ist. Unter den 
fünfzehn in der Abhandlung aufgeführten Arten befinden sich nicht weniger als 
neun, welche von der „Vega^ als Bewohner des nördlichen Eismeeres nachgewiesen 
sind; von den sechs übrigen sind zwei bis jetzt nur von der Beringsstrafse 
bekannt gewesen, die vier andern sind uevi. 



— 245 — 

Den letzten bei der Gesellschaft eingegangenen Nachricliten zufolge, steht der 
Abschlols der von Herrn Professor Enrtz in Cordoba übernommenen Bear- 
beitong des gröfseren Teils der von den Herren Dr. Krause mitgebrachten bota- 
nischen Sammlungen in nächster Zeit bevor. 

Einem an ein Mitglied der Gesellschaft gerichteten Brief des Herrn Pro- 
fessor Seelstrang in Cordoba, Ehrenmitgliedes der Gesellschaft, ist zu entnehmen, 
daÜB derselbe kürzlich zum zweiten Chef der brasilianisch-argentinischen Grenz- 
kommission ernannt ist und sich im März k. J. nach den Misiones begeben wird. 
In nächster Zeit wird die erste Lieferung des Atlas von Argentinien, welchen 
Herr Professor Seelstrang im Auftrage der argentinischen Regierung herausgiebt, 
erscheinen. 

— Polarregionen. In einer Abhandlung :Über die„Österbygd*, hat der 
bekannte Grönlandsforscher K. J. Y. Steenstrup in den Mitteilungen der Kommission 
für die dänischen Untersuchungen in Grönland geschildert, wie die Vorstellungen 
von der Lage der alten isländischen Kolonien und Grönland im Laufe der 
Jahrhunderte bis zur jüngst abgeschlossenen Expedition unter Kapitän Holm 
gewechselt haben. Er stützt seine Ausführungen auf eine genauere Untersuchung 
der, teils in Dänemark, teils in England und Schweden vorhandenen, diesen 
Gegenstand betreffenden Karten und Urkunden. Es sind 11 Karten, teils in den 
Text gedruckt, teils auf Tafeln beigegeben. Diese gründliche und interessante 
Arbeit zeigt auf eine höchst überraschende Weise, wie man noch über 200 Jahre 
nach dem Abbruche der Verbindung mit den alten Kolonien, im Mutterlande 
eine völlig richtige Vorstellung von der Lage derselben und dem Wege dorthin 
bewahrt hatte, und dafs erst später der Umschlag eintraf, der nach und nach 
zu den vergeblichen Versuchen führte, die „Osterbygd* auf der Island gegen- 
über liegenden Küste anstatt westlich vom Kap Farewell zu suchen. Die 
Entstehung dieses Irrtums stammt nämlich aus der Mitte des 17ten Jahrhunderts. 
Der Verfasser zeigt uns, wie zuerst zuföUige Umstände, besonders die Entdeckung 
der Frobisherstrafse dazu Veranlassung gaben, und später die Meinung, dafs 
noch Nachkommen der alten Kolonisten am Leben sein müfsten, die irrige 
Vorstellung vollends befestigte. Erst ums Jahr 1792 wurde ein ernster Zweifel 
gegen dieselbe erhoben, und auch dann sind noch gegen 100 Jahre verflossen, 
ehe die Untersuchungen Graahs und Holms endlich den alten Kolonien ihren 
Platz westlich vom Kap Farewell zurückgegeben hatten. Schon Erik der Rote 
mufs ja seinen Landsleuten eine so genaue Schilderung der Lage seiner im 
Jahre 986 gegründeten Kolonien gegeben haben, dafs sie allein danach den Weg 
dahin zu finden wufsten. Dieses sieht man ja schon aus der Saga, nach welcher 
einige Jahre später Bjarne Herjulfsen seinen Vater dort aufsuchte, obgleich weder 
er noch irgend einer seiner Mannschaft jemals das grönländische Meer befahren 
hatte. Diese mündlichen Erklärungen haben denn wohl auch fortan den 
Qrönlandsfahrem jener Zeiten genügende Anweisung gegeben. Die in den Sagas 
aufbewahrten Kursvorschriften wurden etwas nach dem Jahre 1500 vom Erzbischof 
Valkendorf gesammelt, da er den Plan hegte, Grönland wieder aufzusuchen und 
dem Bischöfe von Drontheim zu unterstellen, welches indes nicht zur Aus- 
führung kam. Aufserdem giebt auch noch der, wahrscheinlich ums Jahr 1400 
verfafste Bericht Iwan Baardsens, neben einer Beschreibung der Kolonien, eine 
Andeutung des Weges von Norwegen aus dorthin. Es mufs vor allem daran er- 
innert werden, dafs diese alten Kursvorschriften nicht darauf berechnet waren, 
den Weg unmittelbar bis zu den grönländischen Hafenplätzen, sondern nur die 
Stelle anzudeuten^ wo man erst Land zu sucliexi W\)ö, "am ^"wwml^^ ^«^ '^ä^'^ 



— 246 — 

folgend, die Wohnsitze anfznsnchen. Nun zeigt es sich aber, dafs sie alle 
mehr oder weniger deutlich darauf ausgehen, dafs man von Norwegen ans gerade 
nach Westen zu segeln, und sich in einer gewissen Entfernung (12 Meilen) 
südlich von Island zu halten, und nachdem man dann Grönland in Sicht bekommen, 
nach Südwest um die äufserste Spitze des Landes zu fahren habe. Höchst 
treffend ist es, dafs sieden geraden Weg nach Grönland, als von dem über Island 
nach Grönland verschieden beschreiben; im allgemeinen scheint nämlich Island 
als Mittelstation auf diesen Reisen eine gewisse Anziehungskraft gehabt zu haben. 
Die ältesten Kartenskizzen bestätigen die Angaben der Kursvorschriften, und haupt- 
sächlich interessant für die ganze Frage ist die vom Verfasser hervorgehobene 
Instruktion, welche König Kristian IV. im Jahre 1607 für eine Expedition nach 
Grönland ausfertigte. Auch er giebt den Reisenden die Anweisung, erst die Südost- 
spitze des Landes zu umfahren, und dann jenseits derselben, zwischen 60^ und 
61 ^ n. B. den Eriksfjord aufzusuchen. Nicht lange nachher aber begann nun die 
Verwirrung einzutreten. Der tiefere Grund zu derselben war wohl die einmal ein- 
gewurzelte Meinung, dafs noch Nachkommen der alten Skandinaver im Lande leben 
müfsten, während man doch auf der Westküste nur Eskimos getroffen hatte. Die 
näheren Veranlassungen waren teils, dafs man auf den Kaiten Grönland durch eine 
Frobisherstrafse gewaltsam zerstückelte, teils die verworrenen Resultate der 
Reisen Danells 1652- 54. Endlich bildete eine vom Bischof Theodor Thorlacins 
im Jahre 1606 gezeichnete Karte den eigentlichen Wendepunkt, indem er 
nämlich auf dieser ausdrücklich die Österbygd nach der Ostküste verlegte. 
Dennoch blieb ihr Platz so nahe der Südspitze des festen Landes, dafs an und 
für sich die Veränderung keine entscheidende geworden wäre, wenn nicht zugleich 
zwei grofse Inseln, und auf einer derselben das Kap Farewell vor dem Südende 
hingelegt wären. Die Frobisherstrafse der holländischen Karte hatte diese 
Inseln gebildet, die Kolonie lag jetzt östlich vom Kap Farewell und war damit 
von der Westküste vertrieben. Die Versuche auf der Ostküste zu landen mife- 
langen bekanntlich. Hypothesen traten an die Stelle lokaler Untersuchung und 
so sah man jetzt den Eriksfjord auf den Karten vom obengenannten Südende 
allmählich nach Norden verschoben. Denn auch die Phantasie der Holländer 
behielt hier ja einen freien Spielraum, es knüpfte sich für sie kein andres 
Interesse an die Frage, als die offenen Stellen ihrer Karte mit bekannten Namen 
zu schmücken. Auf diese Weise erklärt es sich dann, dsflTs man die von 
Thorlacins als Österbygd entworfene Fjordgruppe auf holländischen Karten Island 
gerade gegenüber angebracht findet Nur einem sonderbaren Spiel des Zufalls 
mufs es zugeschrieben werden, dafs diese Schöpfung der Phantasie wirklich mit 
der vom Kapitän Holm entworfenen Karte derselben Gegend eine gewisse 
Ähnlichkeit zeigt. H. Rink. 

Über die niederländische Expedition, welche unter Oberbefehl des 
Königl Marineleutnants L. A. Lamie am 5. Juli 1882 auf dem gecharterten 
Dampfer „Varna" von Ymuiden in See ging, um die den Niederlanden im Kreis 
des Polar -Beobachtungswerks zugewiesene Station auf Dicksons Hafen, vor der 
Mündung des Jenissej, zu erreichen, jedoch nicht an ihr Ziel gelangte, vielmehr 
im Eis der Kara-See stecken blieb, ihr Schiff verlor, auf dem gleichfalls 
vom Eis eingeschlossenen dänischen Dampfer „Dymphna«" überwinterte, im 
Sommer 1883 sich in Böten nach der Insel Waigatsch rettete und hier von den 
Dampfern „Louise" und „Nordenskiöld'' aufgenommen und nach Norwegen 
gebracht wurde, hat der wissenschaftliche Chef der Expedition, Professor 
Dr. Moritz S n e 1 1 e n , Mitglied des ILöm^^cV^n m^VfeöTcAö^'e»0öÄXLl\i^titat8 zu Utrecht, 



— 247 — 

ein in gutem Sinne populäres, prächtig mit einer grofsen Anzahl Illastrationen 
ausgestattetes Werk verfafst, das über den Verlauf des ganzen von den leb- 
haftesten Sympathien der niederländischen Nation getragenen Unternehmens vor 
dem grofsen Publikum Rechenschaft giebt. Das in grofs Quart erschienene 
Werk enthält 23 Illustrationen, der 164 Seiten zählende Text ist in 7 Kapitel 
geteilt. Die Entstehung des Plans der Errichtung von Polarbeobachtungsstationen 
und die damit verfolgten Ziele, die Vorbereitungen für die Expedition, sodann 
und hauptsächlich der Verlauf der ganzen Reise in ihren verschiedenen Phasen, 
besonders die gefahrliche Oberwinterung in der Kara-See und der glücklich 
über und durch das Eis bewerkstelligte Rückzug zu den rettenden Schiffen 
bilden den Hauptinhalt der anziehenden Darstellung. Als Titelbild ist dem 
Werke die Photographie des Professors C. H. D. Buys Ballot, Direktors des 
Königlichen meteorologischen Instituts in Utrecht, vorangestellt. 

§ Die auf zwei deutschen Geographentagen, in München und in Hamburg, 
vielseitig erörterte wissenschaftliche Bedeutung der Südpolarforschung 
legte kürzlich den zu Berlin versammelten deutschen Naturforschern ein Vortrag 
des Geheimen Admiralitätsrats und Direktors der Seewarte in Hamburg 
Dr. Neumayer von neuem ans Herz, indem er übersichtlich darlegte, welche 
reiche Früchte für die physische Geographie, die erdmagnetische und besonders 
die Entwickelungsgeschichte unseres Planeten zu erwarten seien. Unterdes 
bereitet man in England ernsthaft die Ausführung einer Forschungsexpedition 
nach dem Südpol vor. Den ersten Anstofs gab für England ein BeschluTs der 
geographischen Gesellschaft in Sydney. Es folgten zustimmende Voten der 
Königlichen Gesellschaft und der schottischen geographischen Gesellschaft in Edin- 
bnrg. Im Septemberheft des schottischen geographischen Magazins giebt John Murray 
von der Challenger-Expedition einen guten Oberblick über die jetzige Kunde von 
den Südpolarregionen, indem er die wichtigsten dahin gesandten Expeditionen 
aufzählt und ihre Erfolge näher darlegt. Das Gutachten der Königlichen Gesell- 
schaft präzisiert näher die mannigfaltigen Forschungsaufgaben, welche südlich 
vom 50^ südl. Breite zu lösen sein würden und enthält eine Reihe von An- 
deutungen über die zweckmäfsigste Art der Ausführung des Unternehmens, 
welches zwei kräftige Dampfer erfordern würde. Eines dieser Schiffe müfste an 
der Südpolarküste überwintern. Die Kosten würden, wie Murray meint, am 
zweckmäfsigsten in der Weise zu beschaffen sein, dafs zunächst jede der englisch- 
australischen Kolonien 10 000 & hergäbe, in welchem Falle man vom englischen 
Parlament die Summe von 150 000 & bewilligt zu sehen hofft. 

In Amerika plant man neue Entdeckungsreisen in die arktischen 
Regionen : W. G. Gilder, Korrespondent des „Herald* und Teilnehmer mehrerer 
amerikanischer Polarexpeditionen der letzten Jahre, will sich von einem Walfang- 
schiffe nach Cumberland-Sund bringen lassen und von da weiter nach Norden vor- 
dringen. Ingenieur Peary will den Versuch Nordenskjölds, das eisbedeckte Innere 
Grönlands von Westen nach Osten zu durchwandern, erneuern ; er gedenkt von der 
Westküste bei der Insel Disko auszugehen und hofft den von der deutschen 
Expedition 1870 an der Ostküste von Grönland entdeckten Franz-Josephs-Fjord 
zu erreichen. Gilder hat seine Reise bereits angetreten, er begab sich im 
September nach Winnipeg und von da nach dem nördlichen Ende des Sees, um, 
wie es scheint auf dem Nelsonflufs, die Hudsons-Bai zu erreichen. 

Der Walfischfang in der Davisstrafse lieferte ungünstige Ergebnisse 
und gingen von der Dundeerflotte drei Schiffe verloren. 



— 248 — 

Alaska. Leutnant Fred. Schwatka hat eine zweite Expedition nach Alaska 
unternommen, diesmal im Auftrage der „Newyork Times". Das Ziel der Expedition 
waren, wie ein Artikel in der „Science" vom 25. Juni 1886 berichtet, die St. Elias- 
Alpen, jenes noch gänzlich unerforschte gewaltige Küstengebirge, welches sich 
vom Crofs-Sunde in nordwestlicher Richtung bis zur Halbinsel Alaska hinzieht 
und in seinen höchsten Erhebungen bis zu 6000 m emporragt Es sollte der 
Versuch gemacht werden, einen oder den andern der von ewigem Schnee und 
von mächtigen Eisfeldern umhüllten Gipfel dieser Kette, womöglich den St. Elias- 
berg selbst, zu ersteigen; doch galt dies nicht als der eigentliche Zweck der 
Expedition, die vielmehr ganz allgemein die wissenschaftliche Erforschung des 
in jeder Beziehung noch jungfräulichen Gebietes anbahnen sollte. Begleiter 
Schwatkas war Prof. Libbey, der sich speziell mit den topographischen und 
hypsometrischen Arbeiten beschäftigt hat Die Expedition brach bereits am 
14. Juni d. J. mit dem Alaskadampfer „Ancon" von Port Townsend, Wash. Terr., 
auf Summarisch wurden kürzlich die Ergebnisse der Expedition, welche wohl- 
behalten lurückkehrte, in der ,Newyork Times" wie folgt gemeldet: Auf dem 
Wege nach dem St Eliasberge setzte die Expedition über einen Fluläs, dessen 
Dasein bisher unbekannt gewesen war. In einer flntfemung von acht miles von 
der Mündung ist er eine mile breit und seine Strömung fliefst mit einer 
Schnelligkeit von 10 miles in der Stunde. Dies ist, wie man glaubt, der grölste 
Flnfs, der sich in den Stillen Ozean ergiefst, und der Gletscherkot, den er mit 
sich herabbringt, färbt die Gewässer von Ley Bai auf Meilen in das Meer hinaus. 
Der Flnfs ist nach Herrn George Jones in Newyork, einem der Urheber der 
Expedition, Jones River benannt worden. Nach Osten zu sahen die Forscher 
einen 20 miles breiten Gletscher, der sich auf 80 miles längs des Fufses der 
8t EUas^Alpen ausdehnte. Angenommen, daCs das Land darunter flach ist, ist 
dieser Oleischer etwa 1000 Fufs dick. Er wurde nach Professor Aga^^ gx and ein 
andrer Gletscher im Westen nach Professor Guyot benannt Nach dreitägigem 
Marsche gelangte die Expedition zu einem dritten Gletscher, dem sie den 
Kamen des britischen Gelehrten Tyndall beilegte. Ton diesem Punkt ans beschlols 
«ie, soweit wie möglich in das Hers dieser groisartigen, öden Eisregion vor- 
Kudhngea. Der beschlossene Plan bedingte einen ununterbrochenen 4Qstaxidigen 
Marsch. Der gröfste Teil der Vorräte wurde als hinderlich zurückgelassen und 
mit einett fär ihren Unterhalt notwendigen Best trat die mutige kleine Schar 
den letalen Abschnitt ihrer abenteuerlichen Heise an. Nach dOstundiger Arbeit 
erblickten sie die S&dseite des grofsen Beides, zu welchem die Eiszone gehört, 
l&ngs welcher sie gereist waren. Sie sahen Gletscher vor sich, die sich, Kuweikn 
{»enkrecht, bis zu Höhen von 300 bis 3000 Fuis ei^oben. Der bisher Terliiltnis- 
m&£sig gefahrlose Tyndall-Gletscher begann jetzt gefährlich zu werden. GroÜBe 
Risse, einige 30 FuIs breit, wurden häufig und die Eisgurtel zwischen ihnen 
waren so schmal, dafs es den Forschem vorkam, als ob sie auf einer Bracke 
von der Breite eines Bausdaches mit einem viele hundert FuIs tiefen Abgrunde 
KU jeder Seite gingen. Endlich hatte man eine Böhe von 7200 Fxüjs ober der 
Meeresflftche erreicht. Da nahezu die ganze Beise oberhalb der Schneegrenze 
vor sich ging, reiht sich dieselbe den besten Ersteigungen an, die man kennt Auf der 
erwähnten Höhe erkl&rte Herr Seton Karr, ein Engländer von alpiner Erfahrung, 
welcher der Eicpedition angehörte, dafe ein Weitermarsch unmöglich sei Dicäiter 
Nebel, der vier Tage anhielt, trat ein und brachte die tapfere kleine Schar in 
eine höchst unbehagliche, nicht gefahrlose Lage. Als der Nebel sich legte, 
stiegen sie nach dem Punkte lunab. wo »^ litr^ "Vorräte gelassen luctten. Lest- 



— 249 — 

naot Schwatka telegraphierte, er hoffe darch Erneuerung seiner Versuche, den 
Berg auf seiner Nord- und Ostseite zu besteigen, weitere Beiträge zur geo- 
graphischen Wissenschaft zu liefern und vielleicht den Berg bis zu einer gröfsern 
Höhe zu ersteigen ; aber wahrscheinlich wird der St. Eliasberg noch lange einen 
jungfräulichen Gipfel behalten. Aufserdem entdeckten die Reisenden drei Berg- 
gipfel von 8000 bis 12 000 Fufs Höhe, die nach Präsident Cleveland, Sekretär 
Whitney und Kapitän Nicholls benannt wurden. 



§ Neil-Guinea. Der englische Naturforscher H. 0. Forbes unternahm be- 
kanntlich im vorigen Jahre eine Reise nach Neu-Guinea mit der Absicht, den 
englischen (südöstlichen) Teil der Insel zu durchforschen und namentlich das 
Owen-Staniey-Gebirge zu erreichen. Durch verschiedene Umstände aufgehalten, 
traf er erst Ende August in Port Moresby ein, zu einer Zeit, wo es wegen der be- 
vorstehenden Regensaison nicht möglich war, den Zug nach dem Gebirge noch zu 
unternehmen. Er errichtete eine Station in dem zwei Tagereisen landeinwärts 
belegenen Dorfe Sogeri und verbrachte hier den Winter bis April. Leider fehlten 
ihm zur Zeit die Mittel, um in der nunmehr beginnenden Reisezeit den Marsch ins 
Gebirge und von da bis zur Nordostküste, der Holnicote-Bai, zu unternehmen. 
Er kehrte im Mai nach Cooktown zurück und berichtete hier in einem Vortrag über 
seine bisherigen Erlebnisse und seinen Reiseplan. Die zur Ausführung desselben 
erforderlichen 2000 £ sollten auf Vorschlag des Spezialkommissars für Neu- 
Guinea von den englisch-australischen Kolonien bewilligt werden; ob dies ge- 
schehen und Forbes wieder nach Neu-Guinea zurückkehrte, darüber fehlen noch 
nähere Nachrichten. Über seinen Aufenthalt in Sogeri im Winter 1885 '86 teilte 
Forbes in jenem Vortrag Näheres mit. Es wurden über 1000 Spezies Pflanzen 
gesammelt und dem bekannten australischen Botaniker Baron von Müller über- 
mittelt. Er führte eine sorgfältige Triangulation der Gegend bis zum See 
Meroka aus und stellte täglich 6 Mal meteorologische Beobachtungen an. Die Ein- 
geborenen fand er freundlich, harmlos und furchtsam ; die von Forbes mitgebrachten 
Malayen akklimatisierten sich schnell und das anfänglich zwischen ihnen und 
den Eingeborenen auftauchende Mifstrauen schwand bald. Während des Auf- 
enthalts Forbes im Innern brach unter den Eingeborenen eine ansteckende 
Krankheit aus, viele verliefsen ihre Hütten und liefsen, landeinwärts fliehend, 
ihre Familien zurück. Es gelang Forbes die Heilung eines Häuptlings; die Folge 
war, dafs alle Kranke zu der Niederlassung Forbes strömten, die nun einige Zeit 
einem Hospital glich. Da die Eingeborenen sich scheuten zur Küste zu gehen, 
von wo die Krankheit eingeschleppt war, herrschte in der Niederlassung von 
Forbes eine Zeitlang ein empfindlicher Mangel an Lebensmitteln. 

Etwas ausführlicher äufsert sich Forbes in einem an die Londoner 
geographische Gesellschaft gerichteten, in der Oktober-Nummer der „Proceedings" 
veröffentlichten Biief. ü. a. heifst es da: In Sogeri hatte ich freundliche Be- 
ziehungen mit den Stämmen des Innern angeknüpft und meine amboynesischen 
Begleiter veranlafst, die Sprache derselben zu erlernen. Mitte April trat ich 
mit Herrn Chalmers die Expedition nach dem Owen Stanley-Gebirge an, mit leider 
ungenügender Ausrüstung, weil es mir an Vorräten und Mitteln fehlte. Wir 
kamen in das Gebiet der kriegerischen Ehe- und Bereka-Stämme, mit denen wir 
uns bald befreundeten und sahen uns nun am FuTse des an schroffen Klippen und Ab- 
hängen reichen Gebirges. Die Eingeborenen konnten wegen ihrer abergläubischen 
Furcht vor dem Gebirge nicht bewogen werden, die EiLpeditiQXL tsql Vi^-^^^^^« 
Die Gegend w»r menschenleer, Nahrungsmittel \>oteu svci\i taOcä.. \i^^ ^^^-ä^j^ 



— 250 — 

^/AA^And AH« «ln«r ununterbrochenen Kette von Abgründen und steilen Hängen, 
WitU'UM voll dfcbti^n Ge»trüpp8 und pfadlos waren. Eine magnetische Stömng machte 
unurtt KornpaiHie unzuverlässig. Um vorwärts zn kommen hätten wir uns durch die 
Wildnis tfdnen Weg bahnen und etappenweise nnser Lager vorschieben müssen.' 
hühnmU glaubt Forbes, dafs es ihm möglich gewesen wäre mit seinen 20 
Ituui^n das Gobirge zu erklimmen, wenn er noch Mittel gehabt hätte sie zu 
b<t/ahl«n, DI« Z»it, für welche sie sich verpflichtet hatten, lief am 1. Mai ab. 
Ho kHhrio er Anfang Mai nach Port Morosby zurück. — Den letzten Nachrichten 
Kufolga ist Forbes zum Kommissar für Südost -Neu -Guinea ernannt, mit dem 
Aufduihf^ltsort auf Dinnor-Island. (Diese Insel liegt nahe der durch die Milne-Bai 
geteilten Osispitee der Hauptinsel Neu-Guinea und zwar südlich von derselben.) 

Ober den Verlauf der unter Führung des Kapt. Everill von Australien aus 
den Fly-Hiver aufwärts ins Innere von Neu-Guinea gesandten Expedition wurde 
bereits in Heft, ä dieser Zeitschrift S. 77 vorläufig berichtet und lassen wir hier 
uooh einige weitere Mitteilungen folgen. Der Dampfer •Bonito' fuhr 320 km 
weit den Fly-Uiver hinauf, bis zu einem Nebenflusse, der nach dem Präsidenten 
der a\iitraliHohen geographischen GeselUchaft Strickland-FluDs getauft wurde. 
Pie llf^r wawn (^t überall mit dichtem Wald bedeckt Der starkstromende 
StrioklandHut^ wunle mit dem Dampfer noch 483 km und sodann eine 
Sti^eoke mit dem Boot befahren, angeblich bis 5^ 10' s. B. und 142* 10' ö. L. Gr. 
Hiev evbliokte umn in der Ferne eine mit Schnee bedeckte hohe BeigspitR. 
l^e »it«e im Innern war «war nicht übermäTsig, wirkte aber entkräftend und 
ertev^t«^ Fieber und Hitxaasschläge. Die Eingeborenen zeigten sich nnfirenndliek 
uud be^ichvvuiten angeblich den Dampfer mit Speeren und Pfeilen. A]s der 
l>«m|40r au einer Vfert^telle vor Anker lag, führten Eingeborene am Strande 
Kri^j^tj^t^uat^ auf. Leider genilgte dies der Expedition» um sie vom Dampfer wm 
au W^chieJWtt uikI einige Eingeborene zu toten, ein vorschnelles ffandrlii, d« 
^>ÄWnM l^pedUi«>nen wahrlich mcht zum Vorteil gereichen wird; da 
()<jt d\M'h M\>rn^i$^by anders. Am :^ November kehrte die Expcdxtioit 
A^i^UK^n zuriick. Hoffentlich werden genaue Berichte über die 
dW«^r ^bri^iit^ wie wir bereits firikher bemei^ten, sehr ko6t:^ieIige& 
>t^MS>d9^tUcht werden. 

A«» Veuti^ch^N<^u-iiuinea (Kaiser WiIhelms^Land} ist zu 
Kii^^jlu» Otj^Uttnann. welchier v^r kTxrsem nach Deutschlaod zarockkidbrtt^ am 
4 ijfcttd ^ April vi J. dem vca Dr. Hnsch entdeckten Kaiserin Angnstaftafe mä 
eaMtr l)ttitt^£b<jürkaä:$^ aoüf einer Strecke tqh 40 ntiles stromaufwärts Mnkr; 
eiti«Nr K^N^ükrun^ vie^ Ftusse« mit Dampfern nock weiter landemwarta 
k^ Kindernii^ en^^jpe^n su ^teh^^o. Den durdt Hefk IL ISSiS <fas 
rWhfien vj^ Neu - i.>utnea ^ SL^^mpiuüe 2Tt Berün*^ Teroffismüchcmi Baxnc&t 
IkiH^dJi Dnulmantt lassiNt wir weiter oncen folgen. Dia 
^V^^htut^E^^^»^tt^it lutt^r Dr. Sckrader nzaf am I^. A^cd tn 
^^ unceruiijkhm itutiWhäC kleuwr^ Sia^kitr^oiien. namendick oadi (iana 
lluijs. v)der t^umbt und aactt iur L.iagemak-^uchc Dahei 
U> CiuneeiMi, weiche :nan ^fon Co^^ktiown sohl Xragiorditfnse 
dir :$«>^cjleit wem^ tanguca. Der ^rste gjröisere Yofscoia ins Innan 
gä:*Uett Wu^^ihr «ie«s Hai Ttnc«ra«^mmen werden, ^wei aeaa S 
:$,£iuiui^äaieit ^tnd ^m BacsKid^Uafön wurden errtchcec üia 
Daak. tüiMr ^«iMigaiiKea Seöaodlnn^ jümaünicii so. aramritfiaren 

sur .irisu( ie^. ^ittäteikdos^ "»tm Act&artaad« ^BjamvlSAwu "^^sssBsaiQaL 




• ■ 1 1 l>-U.. i • . 1 1 I I • 



— 251 — 

qnemen ; doch ist ihre Arbeit keine bestandige, sie arbeiten, wenn sie ein Stack 
Ki (Bandeisen), Taschentücher oder Perlen (Schmuck der Frauen) haben wollen 
xuid setzen dann wieder eine Zeitlang aus. In dem Bericht des Vorstehers der 
auf der Insel Tschirimotsch in Hatzfeldt-Hafen errichteten Station über eine von 
ihm am Festland unternommene gröfsere Exkursion heifst es u. a. : „Der Tabak, 
der hier um Hatzfeldt-Hafen gebaut wird, hat einen ganz vorzüglichen Geruch; 
die Blätter sind dünn und dehnbar, bei rationeller Behandlung würde hier ge- 
bauter Tabak gewifs ein gutes Produkt für den europäischen' Markt liefern." 
"Wir drucken diese Stelle wörtlich ab. Wenn es gelänge, in Kaiser Wilhelms- 
Land die Tabakskultur in gröfserem Mafsstabe einzuführen und das Produkt 
sich in Deutschland neben den Java- und Sumatratabaken als konkurrenzfähig 
erwiese, so wäre die Zukunft der Kolonie als finanziell gesichert anzusehen. 
Die Tabaksemte von Sumatra hatte im Jahre 1884 einen Wert von 27,650,000 
Gulden und diejenige von Java im selben Jahre einen solchen von 7,820,000 Gulden, 
nnd Deutschland ist zur Zeit der Hauptabnehmer dieses Produkts auf den 
holländischen Märkten. 

Der zum obersten Vertreter der deutschen Neu-Guinea-Kompagnie in 
Kaiser Wilhelms-Land und Bismarck- Archipel mit dem Titel Landeshauptmann 
ernannte Kaiserliche Vizeadmiral a. D. Freiherr von Schleinitzist am 10. Juni d. J. 
in Finsch-Hafen eingetroffen. — Auf einer Hamburger Schiffswerft ist gegenwärtig 
ein neuer Dampfer, der dritte für die Kompanie, im Bau. Die Tragfähigkeit 
ist 600 Ton und soll das Schiff im November geliefert werden. Eine Firma in 
Brake an der Weser hat die Lieferung einer gröfseren Anzahl Holzhäuser über- 
nommen, welche im November nach den Stationen der Kompanie transportiert 
werden sollen; es sind 4 Wohn-, 4 Lagerhäuser, 1 Koch-, 1 Badehaus und 
kleinere Bauten. 

Über die Fahrt des Kapitän Dallmann mit D. „Samoa'^ auf dem 
Kaiserin Augustaflufs, berichten die „Nachrichten'' der Kompanie in Heft II. 
1886, S. 67-69 wie folgt: 

„Eine interessante und in ihren Folgen voraussichtlich wichtige Rekognos- 
zierung ist Anfang April auf dem Kaiserin Augustaflufs (an der Ostseite des Kap 
della Torre) von Kapitän Dallmann, dem Stationsvorsteher Mentzel, Dr. Schellong 
und denv Stationsbeamten Hunstein ausgeführt worden. 

Die Expedition kam am 4. April in die Mündung des Flusses, wo die 
,Samoa« in 5 Faden Tiefe (annähernd S^öl' s. Br. undl44o 32' ö. L.) vor Anker 
ging. Die Eingeborenen kamen alsbald an Bord und brachten Waffen, Schmuck- 
sachen und hauptsächlich viele Fische (Aale) zum Verkauf. Am Vormittag des 
6. April wurde mittels der mitgeführten Dampfbarkasse die etwa 4 Seemeilen 
breite Bucht sorgfältig ausgelotet und dann nachmittags in der Barkasse die 
Fahrt stromaufwärts, vom schönsten Wetter begünstigt, angetreten. 

In der eigentlichen Mündung an der Südspitze der Bucht zeigte sich der 
Flnfs etwa 1,6 Seemeilen breit und betrug die Stromschnelligkeit etwa 3V2 See- 
meilen per Stunde, eine Schnelligkeit, die auf das durch die Regenzeit bewirkte 
starke, auf 1,5 bis 2 m geschätzte Anschwellen des Flusses zurückzuführen 
war. Diese Schätzung fand einen Anhalt darin, dafs Kokospalmen und andre 
Bäume, die nur auf trocknem Lande keimen und gedeihen können, so tief im 
Wasser standen. Die starke Strömung in der Mitte des Flusses erschwerte 
die Fahrt und nötigte an den Ufern zu halten, wo auch in Entfernungen von 
4 — 6 Fufs noch wenigstens 2 Faden Tiefe blieben. 

Die Ufer des Flusses zeigten sich auf der der ^tromuii% ^x^V^^^^t^^^sÄhaöuKö. 



— 252 — 

Seit« mit hohem Schilf besetzt, in welches dae Wasser noch 50 — 300 m sich 

fortsetzte; erst dahinter begann mit der Waldlinie das feste Land; auch auf d«[ 
Stromseite standen die Bäume des Urwaldes in 3—3 Faden tiefem Wasser nnd 
noch meilenweit hinein war Wasser zwischen den Waldbänmen sichtbat. 

In der Hanptrichtung kommt der Flnfs von Südwest, macht jedoch, soweit 
die Beobachtang reicht, starke Biegungen nach West, Nord nnd Ost, so dab sein 
Lauf, zumal in der Nähe der Küste, ein mehrfach genandener ist. 

Am ersten Tage dampfte die Barkasse etwa 6 Seemeilen aufwärts und 
«arde am Abend gegenüber einem kleinen Dorfe vor Anker gebracht, ohne da& 
es wegen der starken Strömung möglich war, das letztere zu erreichen. 

Am folgenden Tage (6. April) wurde vor Tagesanbruch aufgebrochen und 
die Fahrt flofsaufwärts fortgesetzt, bis um Mittag etwa 35 Seemeilen znrück- 
gelegt waren. Das Bild des Flusses war im wesentlichen unverändert; die Breite 
betrug eine Heile, oft etwas mehr, bisweilen weniger; die StrÖmnng war die 
gleiche wie an der Mündung. Nur die Flora an den Ufern änderte sich mit dem 
weiteren Vordringen. 

War anfangs die Areca nissa nnd Areca nibnng — palmenartige Snmpf- 
gewächse — und die weifse Mangrove häufig in dem Gemisch YOn Flnfs- nnd 
Salzwasser, so wurden dieselben immer seltener nnd an ihre Stelle traten einzelne 
Kokospalmen, Kasuarinen, Brodfruchtbäume und namentlich viele Sagopalmen. 
Hohes Scbiifgras bedeckte, strichweise abwechselnd mit dichtem Gebüsch und 
Urwald, die flachen, weit überschwemmten Dfer. Das ganze Flufsgebiet, soweit 
das Auge reichte, war ebenes Land. Bedauerlicherweise war es bei dem hoben 
Wasserstande nicht möglich gewesen, einen Landungsplatz zn finden oder mit dem 
Boote das dichte Schilfgebnsch nnd den überschwemmten Urwald zu durch brechen. 

Gegen 1 Uhr mittags wurde endlich eine Ansiedlung von einigen Hütten 
am rechten Dfer des Flusses erreicht, die zweite, welche auf der Fahrt sichtbu 
geworden war, so dafs die Ufer des Flusses nur schwach bevölkert scheine!. 
Die Hänser standen in 2 Faden tiefem Wasser auf hohen Pßltlen und waren ia 
schlechtem Zustande. Zunächst war von Menschen nichts zu sehen ; bald jedocb 
kamen acht grofse, schön geschnitzte und breite Kanus stromabwärts, alle mit 
Männern stark besetzt, welche viele Waffen — Speere, Pfeüe nnd Bogen — mit 
sich führten. Anfangs waren dieselben scheu und paddelten möglichst schnell 
wieder zwischen die ürwaldbäume hinein; bald aber kamen sie zurück, gefolgt 
von kleineren Kanus mit Frauen und Kindern, die sich beim Herannahen der 
Barkasse gefürchtet hatten und nun durch das Anbieten von Glasperlen, rotem 
Zeug und dergleichen angelockt wurden. Es waren alle grofse kräftige Menschen, 
sehr laut in ihren Änfsemngen über die Ankömmlinge nnd in knizer Zeit 
zutraulich, allerdings auch, wie Kapitän Dallmanu bemerkt, diebisch. Hu« 
Kanus hatten keine Ausleger (oatrigger), anscheinend um damit bei Hocb- 
wasser besser zwischen den Bäumen heramfabren zu können. 

Da die Kohlen zur Neige gingen und die starke Strömung ein weiteres 
Vorwärtskommen .■»usschlofs, trat die Expedition am Nachmittag den Bückweg 
an. Von der Ansiedlung aus konnte man den Flute aufwärts noch etwa ö See- 
meilen übersehen, welche er ziemhch gerade in wcstsüd westlich er Bichtoog 
durchläuft. Das Land erschien in dieser Bichtung als miab^ebbare Ebene n 
die Flufsnfer boten nahezu gleichen Anhhck wie biah" rr - 

Fahrt nnd auch von der Ansiedlung aus nicht 

An Tieren waren während der Fkh 
Beiber, Tauben nnd andre \ertai '. i 




— 253 — 

Sehr grofs scheint der Fischreichtum, besonders von Aalen. Die Eingeborenen 
hatten mit ihren primitiven Fischspeeren deren viele gefangen und boten sie 
teils lebend, teils geräuchert, zum Tausche. Auf der Rückfahrt wurde die Flufs- 
mitte genommen und fortgesetzt gelotet. Bei der Ansiedlung fanden sich 
6V2 Faden Tiefe; abwärts wechselte die Tiefe von 7V2 bis 11 Faden. Der Flufs 
ist von Ufer zu Ufer tief und soweit sich wahrnehmen liefs, ohne Sandbänke; 
kleine Inseln, welche das Hochwasser vom Schilfufer abgerissen hatte, trieben 
stromabwärts, dagegen zeigte sich wenig Treibholz. Die Mündung hat keine 
Barre, wohl aber seichte Sandbänke an beiden Seiten, mit einem Kanal dazwischen, 
in welchem 15 Faden Tiefe gefunden wurden. 

Nach dem Ergebnis der Rekognoszierung scheint es, dafs der Kaiserin 
Augustaflufs auch bei normalem Wasserstande weit hinauf mit Dampfkraft 
befahrbar ist, so dafs er einen wichtigen Zugangsweg in das Innere des Landes 
darstellt, von welchem die Errichtung von inneren Stationen zunächst angänglich 
sein wird." 

§ Robert Flegel t» ^^^ H- September d. J. starb in Brass an der 
Nigermündung Robert Flegel, der verdienstvolle Erforscher des Nigergebiets im 
noch nicht vollendeten 31. Lebensjahre. Welche Teilnahme diese neue Todes- 
nachricht aus Afrika in der deutschen Heimat hervorrief, wie hoch man den 
Verlust schätzte, welchen die Wissenschaft durch dieses unerwartete Hinscheiden 
des ihrem Dienste voll Aufopferung ergebenen Mannes erleidet, das bewies die 
jüngst in Berlin stattgehabte Trauerversammlung. Flegel war, wie Schweinfurt, 
ein Deutsch -Russe. In Wilna von deutschen Eltern geboren, erlernte er in 
Riga den Buchhandel und bereitete sich sodann als Zögling der Handelsschule 
in München für den Kaufmannsstand vor. Im Dienste des Hamburger Handels- 
hauses Gaiser ging er nach der Westküste von Afrika, nach Lagos. Nach drei- 
jährigem Aufenthalt hier unternahm er als Mitglied einer englischen Expedition 
auf dem der Church Missionary Society gehörenden Dampfer „Henry Venn^ 
Fahrten auf dem Niger, die ihn in bisher noch nicht bekannte Gebiete Ada- 
manas führten. Flegel, dessen Reisen und Entdeckungen nunmehr die Aufmerk- 
samkeit der wissenschaftlichen Welt auf sich gezogen hatten, kehrte für kurze 
Zeit nach Deutschland zurück und erlangte von der deutsch - afrikanischen 
Gesellschaft die Mittel zu neuen Unternehmungen, denen er sich in den 
Jahren 1881—83 unter grofsen Anstrengungen und bedeutenden Erfolgen wid- 
mete. Es waren die Reisen nach Nupe und Sokoto, nach Loko am Binue und 
in das Gebiet zwischen dem letzteren Flufs und dem Schari. Im März 1884 
nach Lagos zurückgekehrt, entschlofs er sich, für kurze Zeit wieder Deutschland 
zu besuchen, wo inzwischen die Bewegung für deutsche Kolonien in Flufs 
gekommen war. Flegel war von dem Gedanken beseelt, deutsche Handels- 
stationen am Niger und besonders am Binue zu errichten und dadurch eine 
Handelsverbindung mit dem reichen Innern, besonders Adamaua, zu eröffnen. 
Ihm wurde in der Heimat ein glänzender Empfang zu teil; die von ihm mit- 
gebrachten zwei Haussahäuptlinge waren die Löwen des Tages; dagegen war 
die Aufnahme seines Projektes deutscher Handelskolonien am Niger seitens der 
deutschen kaufmännischen Welt eine kühle. Zwar gelang es einen Plan und 
einige Zeichnungen für eine deutsche Niger - Handelsgesellschaft zu stände zu 
bringen, leider wurde aber durch die Indiskretion eines deutschen Prefsorgans 
die Sache vorzeitig an die Öffentlichkeit gebracht und die englische afrikanische 
Gesellschaft hatte um so mehr Mufse, wirksame Vorkehrungen. ^<^^<wc^ ^\& ^N&sä 
Flegels durch Besitznahme aller geeigneten Platze am. 'Ä\%«t -wA voi '^\»53ä 1». 



— 254 — 

treffen, als Fl^el im Winter 1884 — 85 in Berlin ernstlich erkrankte und damit 
die Ansfohrong seines Projekts noch weiter Terzögert wurde. Er graas g^ücklicli 
wieder, liels sich aber nicht die Zeit, seine bisherigen Reisen, wie er anfimg^eh 
beabsichtigte, in einem gröfiseren Werke za bearbeiten, Yielmehr war sein 
Thatendrang auf nene Reisen gerichtet Ausgerastet mit Mitteln seitens der 
dentschen afrikanischen Gesellschaft, nahm er Ostern 1885 in Hamburg auf 
dem Geographentage ¥on seinen zahlreichen Freunden Abschied, um Ton nenem 
mit zwei wissenschaftlichen Begleitern das Nigergebiet aufsusuchen. Noch 
immer hoffte er auch für Eröffnung deutschen Handels mit dem Niger thätig 
sein zu können; der deutsche Kolonialverein hatte einige Mittel zu dem Zweck 
zur Verfügung gestellt. Für den Sultan Yon Sokoto nahm Flegel wertvolle 
Geschenke Kaiser Wühelms mit Ein Unstern scheint über dieser letzten Unter- 
nehmung Flegels gewaltet zu haben : die beiden Begleiter erkrankten und mu£sten 
durch andre ersetzt werden und überall trat in der schroffsten Weise der 
Widerstand der National African Company entgegen, allerlei kleinere Unfälle 
kamen hinzu, doch lauteten die letzten vom Dezember 1885 vom Binue datierten 
Briefe Flegels noch immer entschieden und veitrauensvolL Das Nähere über 
Krankheit und Tod Flegels ist noch nicht gemeldet. Mitten aus einer groDsen 
und bedeutenden Wirksamkeit, deren Früchte zum teü erst noch von der Zu- 
kunft zu erwarten waren, hingerafft, reiht sich Flegel der langen Reihe edler 
deutscher Männer an. die für die Afrikaforschung ihr Leben gaben; unter ihnen wird 
er stets in erster Linie genannt werden! — Mit Flegel geht hoffentlich nicht auch 
der fhichtbare Gedanke, dem deutschen Ein- und Ausfuhrhandel in den Gegenden 
des oberen Niger und des Binue ein neues Feld zu eröffnen, zu Grabe, wenn auch 
das von Flegel für die deutschen Handelsstationen in Aussicht genommene 
Gebiet kürzlich definitiv an England überlassen worden ist 



§ Das englisehe Nigergebiet. Vor wenigen Monaten wurde der 
National African Company in London eine Charter verliehen, wodurch dieselbe 
im ganzen Bereich des Niger- und Binue-Gebiets unter näherer Bestimmung 
Namens der englischen Regierung Hoheitsrechte auszuüben befugt ist. Ur- 
sprünglich bestanden vier englische Gesellschaften am Niger, später bildete sich 
eine französische Handelsgesellschaft, welche indes vor einigen Jahren ihre 
sämtlichen Rechte und Besitzungen an die inzwischen zu einer, der oben ge- 
nannten Kompanie, vereinigten Gesellschaft käuflich abgetreten hat Durch 
eine Anfang August d. J. auf Vorschlag der Kaiserlich dentschen Regierung 
getroffenen Vereinbarung ist die Grenze zwischen dem deutschen Kamemngebiet 
und dem englischen Nigergebiet weiter ins Innere verlängert worden, der Art, 
dafs auch das ganze Binue-Gebiet bis östlich von Yola nunmehr unter britischer 
Hoheit steht Die englische Regierung hat bei dieser Gelegenheit erklärt, daCs 
die Handelsfreiheit und andre Vergünstigungen fremden Nationen gegenüberi 
wie solche von England durch die Erklärung vom 16. Mai 1885 zugesichert, 
auch auf diese neuen Gebiete erstreckt werden sollen. Wie freilich die genannte 
englische Gesellschaft in der Praxis die Handelsfreiheit versteht imd durch 
ihre Agenten am Niger auslegen läfst, das haben die letzten Berichte Robert 
Flegels nur zu klar bewiesen. 

F. Thomson, der bekanntlich im Frühjahr und Sommer vorigen Jahres 

vor der Rückkehr Flegels nach dem Niger, in diesem Stromgebiet namens der 

National African Company eine Reihe von Erwerbungen und Verträgen ab- 

geachloaaen hat, erstattete in einer Nex&^TELToiixm^ ^<&t ^^Q^e»:^hiachen Sektioi 



— 255 — 

der britischen Association für die Beförderung der Wissenschaften, welche ihre 
Jahresznsammenkunft im September zn Birmingham abhielt, einen ausführlichen 
Bericht über seine Reise den Niger aufwärts nach Eabba und von da bis nach 
Gando und Sokoto. Er schilderte das Niger-Delta, die etwa 140 miles lange 
mit flachen Ufern besetzte untere Flufsstrecke, sodann die Bergregion und 
machte nähere Mitteilungen über Land und Leute im Zentral-Sudan, wie sie 
sich ihm auf seiner Reise durch das Reich Sokoto dargestellt haben. Der Vor- 
trag hatte offenbar die Tendenz, die Aufmerksamkeit der Vertreter des englischen 
Handels auf die nunmehr unter englische Oberhoheit gestellten Gebiete am 
Niger zu lenken. Der Zentral-Sudan, so führte er aus, verspreche von allen 
Teilen Afrikas die gröfste Entwickelnng. Fruchtbar und reich an natürlichen 
Produkten erstrecke er sich auf ein grofses von zahlreichen gut bevölkerten 
Städten durchsetztes Gebiet, in welchem kraft der HerAchaft dreier Sultane 
Friede, Recht und Ordnung bestehe. Die Bevölkerung sei in der Zivilisation 
fortgeschritten, habe zahlreiche Bedürfnisse und eine vielseitige Industrie. In 
dem Niger, dem Binue und andern Nebenflüssen bestehen ausgezeichnete von 
der See weit ins Innere reichende Verkehrsstrafsen. Vor allem gebe es schon 
einen entwickelten Binnenhandel, gute Handelsrouten, tüchtige Händler, welche 
die Bedürfnisse der verschiedenen Teile des grofsen Gebiets kennen, seien vorhanden, 
wie nicht minder eine Fülle menschlicher und tierischer Arbeitskräfte. Endlich zählt 
Thomson, wie es s. Z. auch schon Flegel in seinen Berichten that, die Fülle 
von Produkten des Landes auf: Gold, Silber, Blei, Antimon, Kupfer, Elfenbein, 
Gummi, Moschus, Häute, Indigo, Baumwolle, Shea-Butter, Palmöl, Erdnüsse, 
Kautschuk, Arzneipflanzen, Weizen, Reis, Zwiebeln, Südfrüchte u. a. Häute 
liefern die zahlreichen Viehherden in Fülle. Nachdem sich Thomson über das 
günstige Klima ausgesprochen, hebt er zum SchluTs hervor, dafs ein plötzlicher 
Aufschwung des Handels mit dem Zentral-Sudan weder zu wünschen noch zu 
erwarten sei, vielmehr werde auch hier ausdauernde geduldige Arbeit, verbunden 
mit Umsicht, langsam aber sicher zum Ziele führen. 

Die englische Baptistenmission in Viktoria an der Ambas-Bai ist durch 
Kami an die Baseler Missionsgesellschaft übergegangen und damit englischer 
Besitz im deutschen Kamerunlande weggefallen. 



Die Trockenlegung der Znjdersee. Bekanntlich plant man in den Nieder- 
landen schon seit einer Reihe von Jahren die Trockenlegung der Zuydersee. 
Den gegenwärtigen Stand dieses grofsen Unternehmens legt ein Korrespondent 
der „Weser-Zeitung" wie folgt dar: „Seit einer Reihe von Jahren ist eine Ein- 
deichung des südlichen Teiles projektiert (Projekt 1877). Der Deich soll in der 
Richtung von Kampen über ürk nach Enkhuizen verlaufen und eine Länge von 
43 km erfordern. Diesem Plane entgegen steht ein andres Projekt, welches von 
einem Mitgliede der zweiten Kammer der Generalstaaten, A. Buma, im Jahre 
1883 angeregt wurde.' Er schlägt vor, die ganze Zuydersee abzudämmen und 
trocken zu legen mittels Seedeiche zwischen den einzelnen Inseln von Texel bis 
Ameland, sowie von Texel resp. Ameland nach dem Festlande. An der letzteren 
Strecke, der Verbindung von Ameland mit dem Festlande, wird schon seit einigen 
Jahren gearbeitet. Mancherlei Störungen haben dies Unternehmen sehr gehin- 
dert, doch wird die Energie der Unternehmer sämtliche Schwierigkeiten über- 
winden. Jn der ^Beschouwing over de afsluiting en het droogleggen der Zuyder- 
zee* hat A. Buma seine Ansichten über die Art und Weise der Ausführun^^ 
über die Ausführbarkeit des Projekts, sowie über den zu ^T^^xl^xAfcTL ^^sioÄ^^ 



— 256 — 

dargelegt. Durch den Abschlafs der Znydersee von der Nordsee soll zuerst aus 
dem Meerbusen ein Binnenmeer geschaffen werden. Das Binnenwasser, welches 
durch die Flüsse Vechta, Eems, Yssel, Linde und Tjonger einströmt, wird mittels 
Schleusen in die Nordsee abgelassen. Den Wasserstand wird man dann leicht 
auf Nullhöhe des Amsterdamer Pegels halten können, wodurch bedeutende 
Flächen der See, die jetzt bei Niedrigwasser frei kommen, trocken gelegt werden. 
Von der Mündung der Yssel soll durch Baggerung ein tiefer Kanal in direkter 
Linie nach einem Bassin hinter Texel ausgehoben werden. Die Yssel wird dann 
nahezu dasselbe Bett wiederbekommen, das sie vor Entstehung der Zuydersee 
gehabt hat. Die bei der Baggerung gewonnenen Erdmassen können gleich zur 
Herstellung eines Dammes am genannten Kanal entlang dienen. Derselbe braucht 
nicht höher zu sein als die gewöhnlichen binnenländischen Polderdeiche, da ja 
ein besonders hoher Wasserstand nach Abschlufs der Seegaten nicht zu befürchten 
ist. Das Wasser der andern Flüsse wird mittels Kanäle in das neue Ysselbett 
geleitet. Die Trockenlegung der Seefiäche kann nun in einzelnen Parzellen yon 
Gesellschaften oder auch im ganzen von dem Staat geschehen. Immerhin mufs 
letzterer auch im ersten Falle die Oberaufsicht haben, damit das Ganze nach 
einem einheitlichen Plane ausgeführt wird. Was nun die Ausführbarkeit des 
Projekts anbetrifft, so verweist Buma zuerst auf das Projekt 1877, in welchem 
die Staatskommission für Abschiiefsung und Trockenlegung des südlichen Teils 
der See (von Kampen nach Enkhuizen), die Ausführbarkeit als so sicher annimmt, 
dafs sie darüber kein weiteres Wort verliert. Und doch ist die Tiefe der Zuydersee 
gerade an dieser Stelle die gröfste, nämlich 3^2 und 4 m, und wird der Deich 
auf seiner ganzen Strecke dem vollen Wellenschlag, besonders bei Nordwestwind, 
ausgesetzt sein. Die Länge desselben beträgt 43 km gegenüber 19 km des pro- 
jektierten Deiches beim Abschlufs des ganzen Meerbusens. Freilich haben die 
Seegaten eine gröfsere Tiefe, dem gegenüber ist aber zu berücksichtigen, dab 
die einzelnen Strecken viel kürzer sind, das Material zum Zuschütten auf den 
Inseln zu haben ist, dafs sie einzeln und schneller hergestellt werden können, 
also das Risiko, dafs während des Baues das Unternehmen durch Hochfluten in 
Gefahr gebracht werden kann, dabei bedeutend geringer ist. Zweitens erinnert 
er daran, dafs infolge mehrmaligen Antrags der Waterstaatsverwaltung in Noord- 
holiand auf Abschiiefsung des Eierlandschen Gats zwischen Texel und Vlieland 
offizielle Berechnungen und Kostenanschläge gemacht worden sind, ohne auch 
mit einer Silbe die Ausführbarkeit zu bezweifeln. Ist nun die Schliefsung der 
Öffnung zwischen Texel und Vlieland möglich, so liegt kein Grund vor, die 
Möglichkeit des Abschlusses auch der andern Seegaten in Frage zu stellen. Der 
Nutzen, den die Ausführung des Projekts zur Folge hat, ist ein mannigfacher. 
Zunächst wird die Zuyderseegefahr, mit welchem Ausdruck man kurz den ver- 
derblichen Einflufs der Hochfluten der Zuydersee bezeichnet, für die umliegenden 
Provinzen und somit für ganz Niederland aufgehoben. Damit steht im Zusammen- 
hange eine ungeheure Kostenersparnis am Unterhalt der sehr kostspieligen See- 
wehren um die ganze Zuydersee. Der Wasserstand wird ein normaler, für die 
Schiffahrt viel günstigerer, wie denn auch dieUntiefen vor Harlingen und andern 
Seeplätzen durch stets schiffbare Kanäle ersetzt und alle Häfen an der Zuider- 
see eine vorteilhafte Verbindung mit der Nordsee erlangen werden, ohne daSs 
Ebbe und Flut ihren ungünstigen Einflufs ausüben können. Die abgeschlossene 
See wird statt Salzwasser Süfswasser bekommen, die umliegenden Provinzen 
können also in trocknen Sommern durch die Schleusen Wasser einlassen, ohne 
Sorge zu tragen, dafs ihr Besitz durch den verderblichen Einflufs des Salz- 



— 257 — 

Wassers entwertet werde. Endlich wird, am Ziel der Arbeit angelangt, ein 
Gnindgebiet von etwa 500000 ha gewonnen, gleich der Gröfse von zwei Provinzen. 
Rechnet man den Hektar zu 700 Gulden, so wird eine Fläche im Werte von 
350 Millionen Gulden erworben sein, und wahrlich, solches Ziel wird die Sehn- 
sucht nach der „unblutigen Eroberung einer Provinz" stets wach erhalten, bis 
Mittel und Wege zur Realisierung des Projekts gefunden sind. Im August dieses 
Jahres hat sich in Amsterdam ein Verein konstituiert, die Zuiderzeevereeniging, 
anter Vorsitz des Herrn A. Buma. Der Zweck desselben ist, wie § 2 der Statuten 
angiebt, eine gründliche Untersuchung in technischer und finanzieller Hinsicht 
anstellen zu lassen, ob ein Abschlufs der ganzen Zuydersee, der friesischen 
Watten und der Lauwerssee wünschenswert und möglich ist, und im Falle der 
Bejahung, in welcher Weise und durch welche Mittel derselbe herbeizuführen 
ist. Soll der Verein seinen Zweck erreichen, so mufs seine Sache Volkssache 
werden. Deshalb fordert er zum Beitritt auf gegen eine jährliche Zahlung von 
5 Gulden. Es soll dann eine Kommission von Fachleuten berufen werden, die 
genaue Kostenanschläge entwerfen, auf Grund derer provinziale und örtliche 
Behörden, Korporationen und endlich die Regierung um Unterstützung des 
Unternehmens ersucht werden sollen.* 



§ Alpenwirtschaft in Wallis. Dem an andrer Stelle dieser Zeitschrift 
besprochenen trefflichen Werk von F. 0. Wolf über: Wallis und Chamonix 
(Zürich, Orell Füssli & Co.) entnehmen wir folgende Schilderung der Alpen- 
wirtschaft im Eifischthal: „Wir wollen die Anniviarden (Bewohner des Eifischthals) 
bei ihren alljährlichen Beschäftigungen etwas genauer verfolgen. Kaum ge- 
wahren sie im Frühjahr ans ihrem noch mit Schnee bedecktem Thale, dafs die 
Weinberge von Siders schneefrei sind und die Erde aufgetaut, dann steigen sie, 
Ende Februar oder Anfang März, in Scharen hinab, eine Familie nach der 
aadem und mit ihnen sogar der Pfarrer, Richter und die Ortsvorstände, die 
alsdann ihr Amt in Siders ausüben. Bei diesem Auszuge trabt vorauf das 
schwer bepackte Maultier, das in keiner Familie fehlt. Es trägt alles zum 
Haashalt Notwendige und nebenbei die Kinder, welche noch nicht laufen und 
die Alten, welche nicht mehr gehen können. Seit neuester Zeit ist es nicht 
selten, dafs man besonders von Vissoye weg einen leichten Wagen benützt. 
Sonst aber wird das Maultier vom Hausherrn selbst geführt oder, wenn es nicht 
schwer beladen, von ihm geritten. Darauf pflegt die Hausfrau zu folgen und 
hinter ihr die kleinen, mutigen, gut genährten und reinlich gehaltenen Kühe. 
Sie bilden den hervorragenden Teil des Zuges. Nach ihnen kommen die Kinder 
oder die übrigen Familienglieder und hinter diesen der kleinere Viehstand, Ziegen. 
Schafe und Kälber. Den Schlufs aber macht ein kleines Schweinchen, gelockt 
Yon einem kleinen Mädchen oder einem alten Mütterchen. Sie verweilen die 
ganzen Fasten hindurch in ihren Dörfern bei Siders und bearbeiten ihre Wein- 
berge. Unterdessen verspeisen die Kühe das Heu, welches auf den Wiesen des 
Dorfes in dem vorigen Sommer eingeerntet war. In der Woche vor Ostern 
aber kehren alle in die Hauptdörfer des Thaies zurück. Unterdessen ist auch 
hier der Schnee geschmolzen. Die Wiesen werden gedüngt, ebenso die Felder. 
Der Dünger wird auf dem Rücken der Maultiere hinausgetragen. Dann werden 
die Felder mit der Sommersaat bestellt. Es werden Kartoffeln und Grolsbohnen 
gepflanzt, sowie auch Gerste und Hanf gesäet. Das ist eine gar mühsame 
Arbeit! An dem steilen Gehänge kann kein Pflug ang<&^a:ad^^ ^<6 ^^^^^ 
müssen mit der Breitbaue nmgehackt werden, nackd^ia iümi i^xriont ^^ xiSiiysc^vÄ 

OeogT, Blätter. Bremen, 1886, \^ 



— 258 — 

Erdlinie nach oben getragen hat. Nachdem diese Feldarbeiten verrichtet sind, 
geht es in die höher liegenden Mayens (Sommersitze) hinauf, um auch dort die 
Heuvorräte zu verzehren und die Wiesen zu reinigen und zu düngen. In dieser 
Region giebt es keine Äcker mehr, nur noch höchst selten kleine Hausgärten. 

In diese Zeit fallen auch die Gemeindewerke, zu welchen jede Haushal- 
tung eine oder mehrere Personen zu stellen hat. Es gilt, die schadhaft gewor- 
denen Wege auszubessern, die Wasserleitungen zu reinigen und zu befestigen; 
für öffentliche Bauten braucht man Kalk, Steine, Dachplatten u. a. — dies 
alles besorgt der Eifischer selbst und hat hierzu keine Baumeister, Ingenieure 
oder fremde Arbeiter nötig. Auch für seine übrigen Lebensbedürfnisse sorgt er 
meistens selbst; Handwerker in unserm Sinne giebt es nicht. Ein Jeder baut 
sich sein Haus, überall sind die Schneider auch Schuster und daneben auch 
Bergführer und Bauern, während der Hausfrau das Spinnen und Weben, das 
Verfertigen und Ausbessern der Kleider, das Waschen und Backen obliegt. 

So kommt allmählich der Sommer heran. Der Roggen oder Weizen, den 
sie an höheren Stellen im Rhonethale gesäet haben, ist längst reif, und die 
Wiesen müssen gemäht werden. Dieses Mal aber bleiben die Kühe in den 
obem Mayens zurück oder fangen an, auf die Alp zu steigen. Gewöhnlich be- 
ginnt das „Alpen" am Tage vor St. Jean (am 23. Juni). Die Alpenweiden be- 
ginnen unmittelbar in oder über der Holzgrenze (1800 m) und ziehen sich 
meistens über staffeiförmige Abhänge bis gegen 2600 m Höhe hinauf, wo der 
üppige Graswuchs allmählich erstirbt. Auf jeder Alp oder „Montagne* lebt 
während des Sommers eine Viehherde, bestehend aus Kühen, Rindern, Ziegen, 
Schafen und Schweinen. Ihr Weideplatz ist genau abgegrenzt und erstreckt 
sich fast immer vom Walde aufwärts nach der Vegetationsgrenze hin; dadurch 
wird auch bis zur Mitte des Sommers das allmähliche Aufsteigen und gegen 
Ende desselben das Herabrücken der Herde bedingt. Auf der untersten Staffel 
befindet sich das weiTse steinerne Haus zur Aufbewahrung des Käses und der 
Butter: der Käsekeller oder „Cave", wie die Anniviarden sagen. In seiner 
Nähe ist der, mit einer Trockenmauer umgebene und mit Brettern eingedeckte 
Park für die Kühe und an diesen stofsen die Hütten der Hirten und Schweine. 
Höher hinauf findet man einen solchen eingefriedigten und bedeckten Park 
nicht mehr. Hier giebt es nur kleine, meistens steinerne Baracken, welche zur 
Bereitung des Käses und den Hirten zum Schutz dienen; die Kühe hingegen 
schlafen im Freien auf weichem Rasen. Das Reinigen des Parks geschieht noch 
ganz und gar nach Herkules Methode. Es wird ein Bach hineingeleitet, dieser 
führt den Mist hinaus und bewässert und düngt zugleich die zunächst liegenden 
Weiden. 

Einige Tage nach dem Beziehen der Alpe kommt der Cur6 von Vissoye oder 
sein Vicaire, wandert von Alp zu Alp und giebt seinen Segen. Dafür gehört ihm 
die Milch, welche sämtliche Kühe am dritten Tage ihrer Sommerung auf jeder 
Alp geben, und daraus wird ein fetter Käse gemacht. Am zweiten oder dritten 
Sonntag im Monat September trägt ihn der Maitre der Alpe nach Vissoye. 
Vor der Kirche ist der Versammlungsplatz. Nachdem die Messe beendigt, treten 
sämtliche Alpen-Maitres, 25 an der Zahl, in Reih und Glied, ein jeder seinen 
Käse auf der Schulter oder unterm Arm. Derjenige, welcher den gröfsten be- 
sitzt (von der Alpe de Torrent, etwa. 100 Pfund schwer) stellt sich an die Spitze, 
die übrigen folgen, je nach der Grölse und Schwere ihres Käses. Der Kleinste, 
etwa 12 Pfand schwer, schliefst den Zug. So aufgestellt treten sie durch die 
südliche Pforte in die Kirche und marschieTfeii '^ot öi«m KNXax ^Q»TVi^\\ während 



— 259 — 

dem erteilt der CnrS den Segen. Alsdann gehen sie durch die nördliche Pforte 
aus der Kirche ins Pfarrhaus und entledigen sich hier ihrer Bürde im Keller 
des Cur6. Darauf aber steigen sie hinauf in das getäfelte, blau angestrichene 
Grast- und Wohnzimmer des CurS, setzen sich an die schweren Nufsbaumtische, 
laben sich an dem feurigen Vin de Glacier und verspeisen mit ungeheurem 
Appetit das lang entbehrte Schaf-, Rind- und Schweinefleisch. 

Während in Oberwallis meistens das weibliche Geschlecht die Alpen- 
wirtschaft betreibt, sind es im Eifischthal und dem übrigen französischen Wallis 
nur Männer und junge Burschen, welche man zu sehen bekommt. Auf einer 
jeden etwas grölseren Alp befinden sich hier acht Mann. Von diesen führt der 
ältere und zuverlässigste das Kommando. £r heilst „Maitre**, macht aus der 
£nschgemolkenen Milch den fetten, sowie aus der abgerahmten den magern 
Käse, und hat die Aufsicht über das Butter- und Käsemagazin. Ihm zur Seite 
steht der „Patro*^, welcher die Butter und aus der Butter- und Käsemilch den 
^Zeirack" oder Zieger bereitet. Diesen beiden ist noch ein dritter, „L'Amiciy** 
zugesellt, dem das Reinigen der Gefäfse, das Holzfahren u. a. obliegt. Dann 
kommt dem Range nach eigentlich die zweite wichtige Persönlichkeit: der 
Kuhhirt, »Vigly*, unterstützt von einem jungen Burschen, der „Pittovigly* heilst. 
Darauf folgen die drei übrigen : der Rinderhirt „Mosonnie'', der Schafhirt „Bercier** 
und endlich der kleine „Major" oder Schweinehirt. Sie alle haben dem „Pro- 
cnreur de la Montagne'' Rechenschaft von ihren Verrichtungen abzulegen und 
werden, wie dieser, auf ein Jahr von der Urgemeinde gewählt. 

Am Tage vor St. Michael (28. September), bisweilen auch schon einige 
Tage früher, hört die Alpenwirtschaft auf, die Kühe kommen in die Nähe der 
Dörfer zu ihrem Eigentümer zurück, und dieser erhält, je nach der Quantität 
Milch seiner Kühe, Käse, Butter xmd Zieger. 



Geographische Litteratur. 

Europa. 

F. 0. Wolf. Wallis und Chamo nix, I. Band mit 7 Karten und 
120 Illustrationen von Weber, Ritz und Imfeid. Zürich, 1886, Orell Füssli & Co. 
Die vorliegende Arbeit des Professors F. 0. Wolff, früheren Präsidenten der 
Schweizer naturforschenden Gesellschaft, ist ein vortreffliches Handbuch für 
Alpentouristen und Freunde der Alpenkunde. Auf wenigen einleitenden Seiten 
giebt uns der mit seinem Thema gründlich vertraute Verfasser ein Gesamtbild 
des Kantons Wallis, der, von zwei gewaltigen Gebirgszügen eingeschlossen, das 
obere Rhonebecken einnimmt, ^/lo der 94 Quadratmeilen messenden Fläche 
liegen unter Firn und Gletschern begraben und zählt Wallis kaum 100000 Ein- 
wohner. Die verschiedensten Klimate sind im Lande Wallis, das sich von den 
milden Ufern des Lemansees bis hinauf zu den Quellschluchten der Rhone in 
der Nähe des Gotthardmassivs erstreckt, vertreten ; während auf den höchsten Bergen 
ewiger Winter herrscht, reifen unten im heilsen Thalgrunde Wein und Mandeln. 
Die verschiedensten klimatischen Abstufungen kann man in Wallis in einem 
Tage durchwandern. Die reiche und mannigfaltige Vegetation ist das Ergebnis 
der eigentümlichen klimatologischen Verhältnisse. Besonders charakteristisch 
sind die schönen trocknen Herbste und milden Winter. Die Weinkultur zieht 
sich bis zur unglaublichen Höhe von 3100 Fufs (unweit Visperterminen) und der 
Boggenbau sogar, im Findelen ob Zermatt, bis zur Höhe von 6300 Fufs hinauf. 
Sehr reich ist die Alpenflora. Viehzucht, Acker- und Weinbau bilden die haupt- 
sächlichsten Emähmngsquellen des Wallisers, desafeu li^iA xraxv, \ärJö. -^^^'ö. 



— 260 — 

politischen Kämpfen nnd Erschütternngen, einen der französischen Kantone der 
Schweiz bildet. Von der Fnrka, dem höchsten fahrbaren Pafs der Schweiz, nnd 
dem Rhonegletscher beginnend, führt nns der Verfasser nnn in eine Reihe von 
Wanderbildern durch dieses heri'liche Stück der Schweiz, durch die Thäler wie 
zu den höchsten Alpen und Berggipfeln, in die Dörfer, Weiler, Badeorte und 
Städtchen, überall dem Touristen seinen kundigen Rat erteilend und auch der 
Geschichte, der Sitten und Bräuche, der Poesie des Volkes nicht vergessend. 
Die in eine gröfsere Zahl Schilderungen von Touren zerfallenden Hauptabschnitte 
sind: von der Furka bis Brig. Brig und der Simplon. Die Visperthäler (Zer- 
matt). Lötschen und Leukerbad. Die Thäler von Turtman und Eifisch. Den 
einzelnen Abschnitten sind orographische, topographische und naturhistorische 
Mitteilung;en beigegeben. Um beispielsweise einzelnes hervorzuheben, so möchten 
wir auf die Schilderungen von Zermatt und der Monte-Rosa-Gruppe, des Rhone« 
thals, der grofsartigen Rhonekorrektion, endlich der Bewässerungskanäle, welche 
die Walliser vom Fufs der Gletscher, an manchen Orten aus der Höhe von 
8000 Fufs, bis hinab ins Thal zur Befeuchtung ihrer Felder, mitunter in der 
Länge von 8 bis 10 Stunden geführt haben, Werke, deren Anlage grofse Summen 
kostete und deren Unterhaltung und Pflege eine schwierige und gefährliche 
Aufgabe, hinweisen. Dem gehaltreichen Buche entsprechen die klaren Orien- 
tierungskarten und vor allem die trefflichen Illustrationen. Wärme, ja Be- 
geisterung für sein Thema und völlige Beherrschung desselben, beides tritt uns 
beim Lesen des Buches entgegen und fesselt uns bis ans Ende. Eine allge- 
meine Obersichtskarte wird wohl dem II. Bande beigegeben werden. 

Europäische Wanderbilder No. 3 : Montreux von A. Ceresole, Pfarrer in 
Vevey, und No. 103 und 104: Murten von Dr. F. Stock. Zürich, Orell Fufsli & Co. 
Beide durch Illustrationen und Karten reich und gut ausgestattete Schriftchen 
sind von durchaus kundigen Leuten verfafst, die Darstellung ist ansprechend 
und gewandt und es ist wohl nicht zu bezweifeln, dafs sie von den zahlreichen 
Schweizreisenden gern gekauft und gelesen werden, zudem der Preis aufser- 
ordentlich niedrig ist; das Heftchen über Montreux kostet z. B. nur 50 Pf. 

Asien. 
Studien über den Seeweg zwischen Europa und Westsibirien. In- 
augurationsdissertation zur Erlangung der Doktorwürde der philosophischen Fakul- 
tät der Universität Bern, vorgelegt von Hans Friedrich Balmer aus Laupen. Ham- 
burg. L. Friedrichsen & Co. 1886. Der Verfasser dieser fleifsigen, gründlichen Arbeit 
giebt zunächst einen geschichtlichen Oberblick der Nordostfahrten, soweit solche 
für den von ihm behandelten Gegenstand in Betracht kommen, er untersucht 
sodann die Bodengestalt, Tiefen, Temperaturen, Salzgehalt, Strömungen und Eis- 
verhältnisse der in Betracht kommenden Meeresteile, insbesondere der Kara-See 
und wendet sich endlich zu den Bedingungen der Erschliefsung Westsibiriens 
auf dem Nordostwege. Gegenüber den unleugbaren Schwierigkeiten, welche die 
Besohiffung der Kara-See erfahrungsmäfsig hat, würden sich von der Regierung 
vorzunehmende wissenschaftliche und technische Arbeiten, als: meteorologische 
und hydrographische Beobachtungen von bestimmten zu errichtenden Stationen 
aus, Errichtung von Seezeichen, Anlage von Schutzhäfen, telegraphische Ver- 
bindung, yor allem Verwendung von Fahrzeugen, welche eigens für die Passage 
der Kara-See gebaut, als wirksam erweisen. Wie der Verfasser näher mit 
Zahlen begründet, könnte gegenüber der amerikanischen Konkurrenz im 
Getreideimport nach Europa eine südliche russisch -sibirische Oberlandbahn 
wegen der hohen Transportkosten kaum koTiALUTT^i^iäAvv^ sein; ein andres 



— 261 — 

wäre es, wenn, wie Sibiriakoff erstrebt, der Unterlauf des Obj mit der Petschora 
durch eine Bahn oder einen Kanal verbunden würde und das westsibirische Getreide 
von der Petschora ab mittels des billigen Seetransports nach Europa befördert 
werden könnte, wobei freilich noch ehie Verbesserung der Verkehrsmittel auf 
den sibirischen Flüssen vorausgesetzt wird. Der Verfasser spricht sich zum 
SchluÜB, in Obereinstimmung mit Petri, wie folgt aus: „Sibirien hat eine grofs- 
artige Zukunft vor sich, — mit dieser Zukunft verknüpft ist das wohl denkbare 
Bestehen einer regelmäfsigen Verbindung zur See und zu Land mit Europa. 
Bei der gegenwärtig schlimmen Lage Sibiriens in wirtschaftlicher und admini- 
strativer Beziehung dürfte jedoch die Anknüpfung einer derartigen Verbindung 
auf Hindernisse stofsen, welche in der Regel von den Forschem, angesichts der 
großartigen Reichtümer des Landes, unberücksichtigt gelassen werden. Der 
sibirischen Bevölkerung würde es an Spannkraft mangeln, um den stetigen 
Forderungen des nimmersatten Europas entgegenzukommen, und die sibirischen 
Verhältnisse hätten nicht die Anziehungskraft, um eine genügende Menge 
produktiver Kräfte anzulocken. Vorerst mufs Leben aus Europa kommen, erst 
dann wird der Verkehr zwischen Europa und Sibirien eine den Schwierigkeiten 
entsprechende Lebenskraft gewinnen. '^ 

Afrika. 

§ H. H. Johnston, the Kilima-Njaro Expedition, with 6 maps and 
over 80 iUustrations by the author. London, Kegan Paul, Trench & Co. 1886. 
(Autorisierte deutsche Ausgabe in der Obersetzung von W. v. Freeden, erschienen 
bei F. A. Brockhaus in Leipzig.) Die verhältnismäfsig geringen Mittel (1000 £), 
welche die Expedition von H. H. Johnston erforderte, haben zu reichen Ergeb- 
nissen geführt, Dank glücklichen Umständen und den persönlichen Eigenschaften 
des Reisenden, der stets die ihm zur Lösung übertragenen Aufgaben natur- 
wissenschaftlicher Forschung im Auge hatte und sie bis an das Ende treu 
▼erfolgte. Der eigentliche Reisebericht nimmt 321 Seiten, der wissenschaftliche 
Teil 214 Seiten ein; beigegeben ist ein Kapitel über die kommerziellen Aus- 
sichten, welche Ost-Äquatorial-Afrika eröffnet. Der Verlauf der Reise und ihre 
geographischen Ergebnisse sind bekannt. Mitte April 1884 traf Johnston in 
Zanzibar ein, organisierte dort mit Hülfe des bekannten englischen General- 
konsuls John Kirk seine Karawane und segelte nach Mombas; der Marsch ging 
▼on hier ziemlich gerade nach Westen zur Landschaft Teita und zum östlichen 
Fnfis des Kilima-Ndjaro-Gebirges. In der Nähe des berühmten Schneeberges, 
dessen Alpenwelt Johnston erforschen wollte, angekommen, mufste der Reisende 
den Weisungen Kirks gemäfs zunächst wegen seiner Niederlassung am Berge 
mitMandara, dem Fürsten von Moschi, verhandeln. In der Höhe von 1500 m ü. M. 
gründete Johnston seine sehr günstig gelegene Bergstation. Unter allerlei Fähr- 
nissen und Schwierigkeiten, die ihm hauptsächlich Mandara bereitete, führte er 
seine Forschungen und Wanderungen eine Reihe von Monaten hindurch aus. 
Der erste Anstieg zu dem aus zwei Schneegipfeln, dem Kibo und dem Kimawensi, 
bestehenden Zentralmassiv wurde durch einen drohenden Angriff der Wakiboscho 
unterbrochen, die schliefslich nur aus abergläubischer Furcht vor dem zur 
Höhenmessung aufgestellten Theodolithen zurückwichen; die zweite Besteigung 
führte Johnston zunächst zum Fufs des kleineren der beiden Spitzen, zu 
dem Kimawensi, dessen Erklettern wegen eines herrschenden Orkans nicht 
möglich war; die Spitze ist bald mit Schnee massen bedeckt, bald nahezu völlig 
schneefrei. Den Kibo erklomm er bis zur Höhe von 497ä m xrci^ Vk\\^\^ ^^\cc^.^ ^^ 
die ganze Höhe auf 5730 m angenommen wird, nur Te\GVk\ic\i 'l^ xcl t^X.«^ ^««^ 



— 262 — 

Gipfel. (Baron v. d. Decken erreichte 1862 die Höhe von 3200 m, der Missionar 
New 1871 4420 m und Thomson 1873 2750 m). Seinen Rückweg zur Küste nahm 
Johnston über den Jipe-See, durch die Landschaften ügueno, Pare, den frucht- 
baren Distrikt von Gonja, die Hügel- und Thallandschaften von Usambara, 
endlich längs des Rufuflusses und die letzte Strecke im Kanu ^uf diesem Flusse 
bis zur Mündung bei Pangani. Als charakteristisch für die ganze von ihm 
durchwanderte Gegend des östlichen äquatorialen Afrika hebt Johnston die ver- 
einzelt sich erhebenden meist vulkanischen Bergmassen, die geräumigen Hoch- 
flächen und das Fehlen von Sumpfgegenden hervor. Die Regenmenge ist 
reichlich und gleichmäfsig verteilt, doch giebt es nur einen schiffbaren Strom, 
den Tana. Die Hochlande sind waldreich. Die Ebenen und Hochflächen werden 
von den kriegerischen Massai, die Berge von den ackerbautreibenden, als 
besonders kulturfähig bezeichneten Bantus bewohnt; ' die Massai, bisher die 
Geifsel des östlichen äquatorialen Afrika, Viehzüchter und Räuber, werden durch 
Handel und Ackerbau allmählich der Kultur gewonnen werden, wenn dies auch 
nicht mit gleicher Sicherheit behauptet werden kann, wie bei den Bantus, die, 
fleifsig, nachahmungssüchtig und fragbegierig, sich instinktiv zum weifsen Manne 
hingezogen fühlen. Der Wildreichtum des Landes, neuerer Zeit durch Thomson 
auf seinen Reisen durch Massailand nachgewiesen, wird auch von Johnston näher 
geschildert. Büffel, Rhinozeros, Flufspferde, Giraffen, Antilopen, Straufse sind 
zahlreich, besonders aber Elefanten, letztere hausen namentlich in den Wäldern 
am Kilima-Ndjaro und steigen bis zur Höhe von 4000 m am Gebirge auf. 
Ebenso reich ist die Pflanzenwelt, deren verschiedene Entwickelung das mannig- 
faltige Klima, namentlich der gröfsere oder geringere Niederschlag bedingt. Die 
trocknen, fast unbewohnten Ebenen sind, soweit nicht perennierende Gewächse 
eine bessere Vegetation schaffen, mit dürrem gelben Grase und verkrüppelten 
Bäumen bewachsen. Die in Nebel gehüllten hohen Schneeberge schaffen ihrer 
Umgebung weithin ein feuchtes Klima, welches stets einen frischen Pfianzen- 
teppich erhält und prächtige "Wälder ernährt. Von hohem Interesse sind die 
Bemerkungen Johnstons über die je nach der Höhe von den Tropengewächsen 
bis zur Flechte wechselnde Vegetation des Kilima-Ndjaro-Gebirges. "Was das 
Klima betrifft, so hat Johnston in den sechs Monaten der trocknen Zeit, welche 
er im Lande zubrachte, die Temperatur ganz erträglich, ja stellenweise angenehm 
gefunden. In den Regenmonaten soll die Temperatur nur wenig höher steigen. 
In der Nähe der Küste beginnen die Regen im Oktober, setzen von Dezember 
bis März aus und kommen in aller Heftigkeit während April und Mai wieder. 
Die wirklich trockne, oft völlig regenlose Zeit ist vom Juni bis Oktober. — 
Eisen und wie es scheint auch Kupfer wird in ziemlicher Menge im Lande 
gefunden. Salpetersaures Natron bedeckt weite Ebenen im Süden, Westen und 
Norden des Kilima-Ndjaro. Gute Bausteine finden sich in vielen Teilen des 
Landes, Kalkstein tritt öfter auf. — Der letzte Abschnitt des inhaltsreichen 
Werkes : die kommerziellen Aussichten des östlichen Äquatorial-Afrika, wii*d wie 
in England, so auch in Deutschland mit besonderem Interesse gelesen werden, 
da die besprochenen Gegenden grofsenteils zum Gebiet der Deutsch-Ostafrikanischen 
Gesellschaft gehören. 

§ Madagaskar und die Inseln Seychellen, Aldabra, Komoren und Mas- 
karenen von Prof. Dr. R. Hart mann, mit 23 Vollbildern und 28 in den Text ge- 
druckten Abbildungen. Leipzig und Prag, G. Freytag und F. Tempsky, 1886. (57. Band. 
„Das Wissen der Gegenwart, Deutsche Üniversal-Bibliothek für Gebildete.) Das 
150 Seiten zählende Werkchen enthält zunächst auf Grund der neueren Reise- 



— 263 — 

berichte von Grandidier, Mnllens, Sibree, Hildebrandt u. a. eine allgemeine 
Schilderung der Bodenverhältnisse und Produkte von Madagaskar, wobei der 
durch zahlreiche Abbildungen illustrierte Abschnitt über die der Insel eigen- 
tümliche Pflanzen- und Tierwelt besonders ausführlich gehalten ist. Dem folgt 
eine Darstellung des Howa-Reichs und weiter eine solche der bis jetzt von 
diesem noch mehr oder weniger unabhängigen Stämme, der Sakalawas, über die 
wir freilich bis jetzt noch nicht viel wissen. Von den ostafrikanischen Inseln 
wird besonders Mauritius ausführlich behandelt. 

Australien und Polynesien. 

Die Marschall-Inseln in Erd- und Völkerkunde, Handel und Mission. 
Mit einem Anhang : Die Gilbert-Inseln von Carl Hager. Leipzig, G. Lingke, 1886. 
Die kleine Schrift enthält eine fleifsige Zusammenstellung thatsächlicher Mit- 
teilungen über Entdeckung und Erforschung, Klima, Pflanzen und Tierwelt, 
Volk, Mission und Handel dieser Inseln, welche durch die dort blühenden 
deutschen Handelsniederlassungen ein näheres Interesse für gröfsere Kreise im 
Vaterlande gewonnen haben. Das beigegebene Kärtchen veranschaulicht Lage 

und Gröfse der Inseln. 

Ozeanographie. 

Der Ozean. Eine Einführung in die allgemeine Meereskunde von 
Dr. Otto Krümmel, Professor der Geographie an der Universität Kiel. Mit 77 
in den Text gedruckten Abbildungen. Leipzig und Prag, G. Freytag und 
F. Tempsky. 1886. (52. Band des „Wissens der Gegenwart".) Das 242 Seiten 
zählende Buch ist ein gutes, klar und fafslich geschriebenes Kompendium unsres 
hydrographischen Wissens. Verfasser gliedert den reichen Stoff, welchen schon 
jetzt dieser Zweig der physischen Erdkunde, obwohl einer der jüngsten, bietet, 
in vier Kapitel: 1. die Meeresflächen und ihre Gliederung, 2. die Meerestiefen 
(Meeresniveau, Tiefseelotungen, Bodenrelief der Meeresbecken, Bodensedimente), 

3. Meerwasser (allgemeine Eigenschaften, Wärmeverteilung, Eisverhältnisse), 

4. Bewegungen des Meeres (Meereswellen, Gezeiten und Meeresströmungen). 
Die eingedruckten Holzschnitte unterstützen in wirksamer Weise den Text. 



Karten. 

Karte von Zentral -Ostafrika, nach authentischen Quellen und unter Be- 
nutzung des Materials der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft entworfen und ge- 
zeichnet von Dr. Paul Engelhardt und J. von Wensierski. Mafsstabl : 3,000,000. 
Berlin, Engelhardtsche Landkartenhandlung 1886. Den sachlichen Erläuterungen, 
welche die Verleger zu der Karte gegeben haben, entnehmen wir folgendes: 

»Diese Karte umfafst dasjenige Gebiet Zentral-Ostafrikas, welches durch 
den 2 <> 22 " nördl. und den 16 ^ 20 " südl. Br., sowie vom 26 « 20 " und 46 <> 
östl. Länge von Greenwich begrenzt wird, und begreift also in sich das gesamte 
grolse Seengebiet und in der Hauptsache diejenigen Territorien der Deutsch- 
Ostafrikanischen Gesellschaft, welche die Gegenwart so stark beschäftigen und 
von dem Gesamtbesitz dieser weltbedeutenden Kompanie die wertvollsten 
und zukunftsreichsten sind. Obgleich diese Karte aus dem umfangreichen 
Quellenmaterial über diese Regionen neu konstruiert und dabei die nach den 
Berichten der Offiziere der Deutsch - Ostafrikanischen Gesellschaft trotz ihres 
hohen Ansehens in vielen Fällen nicht immer als zuverlässig anerkannte Raven- 
steinsche Karte: Map of Eastern Afrika 1: 1,000,000 teilweise, sowie die Carte 
d^Afrique von R. de Lannoy de Bissy 1: 2,000,000 mehrfach benutzt worden, 
auch die Bearbeitung derselben der ungleichartigen Ergebnisse dieser von ge- 



— 264 — 

bildeten Reisenden und Forschem bereisten Gebiete mit mannigfachen Schwierig- 
keiten verbunden war, so konnte ich mich nicht entschliefsen, dieselbe als 
Spezialkarte zu bezeichnen, da zu einer Karte als solcher, trotz der enormen 
wissenschaftlichen Fortschritte, welche die jüngste Zeit auf erdkundlichem Ge- 
biete in diesem täglich heller werdenden Kontinente gemacht, doch noch gewaltig 
viel fehlt, um diesen Titel zu rechtfertigen. Zwar hat die Karte einen Mals- 
stab von 1: 3,000,000, den gröfsten, der bei Darstellung dieses afrikanischen 
Länderkomplexes in Deutschland bislang zur Anwendung gekommen, aber doch 
konnte das nach den allgemeinen Begriffen geringfügige, für den Eingeweihteren 
jedoch schon recht bedeutende topographische Material über jene Gegenden 
darin nur generell in möglichst eingehender Weise zum Ausdruck gelangen. 
Ganz besonderes Gewicht hat der Autor auf die Topographie des deutschen 
Kolonialbesitzes gelegt und zu derselben das Material der Herrin desselben, der 
Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, soweit es ihm nach den Berichten ihrer 
Offiziere zu Gebote stand, zur Eintragung in die Karte benutzt. ** 

Die Karte unterscheidet in Farben den Besitz und die einzelnen Land- 
schaften der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, das Sultanat Zanzibar und 
das portugiesische Gebiet, das jetzt von Mitgliedern des deutschen Kolonialvereins 
gekaufte, von den Gebrüdern Denhardt im April 1885 erworbene Witugebiet und 
das Gebiet von Paul Reichard; sie bezeichnet die Stationen der Gesellschaft 
wie die Missionsstationen und endlich sind die Routen der sechs von der Ge- 
sellschaft ausgesandten Erwerbungsezpeditionen eingetragen. Die kleine Schrift 
auf der Karte läfst leider hinsichtlich der Deutlichkeit zu wünschen. 

Eduard Gaeblers Eisenbahnroutenkarte des deutschen 
Reichs zur Übersicht sämtlicher Eisenbahnen, der wichtigsten Strafsenver- 
bindungen und Dampferlinien. Malisstab 1:1,750,000. Die in recht deutlicher 
Schrift sauber ausgeführte Karte unterscheidet die Staaten des deutschen Reichs, 
die Orte nach vier Klassen der Einwohnerzahl, Haupt- und Nebenrouten der 
fertigen Eisenbahnen, im Bau begriffene Strecken, Hauptstrafsen und Kanäle. 

Eduard Gaeblers Verkehrskarte des deutschen Reichs. Li 
gleichem Mafsstabe ausgeführt, jedoch verschieden koloriert und mit Gebirgs- 
zeichnung. Beide Karten sind im Verlag von Karl F. Pfau in Leipzig erschienen 
und zeichnen sich durch billigen Preis aus. 



Es gingen der Redaktion femer zu und sollen in einem der nächsten 
Hefte besprochen werden: 

Die Ergebnisse der üntersuchungsfahrten S. M. Kanonenboot „Drache* in 
der Nordsee im Sommer 1881, 1882 und 1884. Veröffentlicht von dem Hydro- 
graphischen Amt in Berlin. 1886. E. S. Mittlersche Hof buchhandlung. 

Ein zweites Reisejahr in Süd- Afrika von Dr. Wangemann, Missionsdirektor. 
Mit 1 Karte von Süd-Afrika. Berlin 1886. Verlag des Missionshauses, im Buch- 
handel J. A. Wohlgemuths Verlag. 

Die ethnologischen Verhältnisse des österreichischen Küstenlandes von 
Karl Freiherrn von Czoernig. Triest 1885. F. H. Schimpff. 

Über den Einflufs der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland von 
Dr. R. Assmann. Stuttgart 1886. J. Engelhom. 



Druck von Carl Bclxliuemaua. BT«m«u. 



"•" *• Deutsche "^^ ^ 

Geographische Blätter. 

Herausgegeben von der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 

Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse : 
Dr. M. Lindeman, Bremen, Mendestrasse 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original- Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten 
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit 

der Redaktion gestattet. 

Die brasilianische Provinz Matto Grosso, 

nach der Schilderang von Dr. J. Severiano da Fonseca. 

Von Dr. H. von Ihering. 

Einleitendes über Fonsecas Keisen und Reisewerk. Lage und Grenzen der 
Provinz. Areal. Bevölkerung. Die Indianer. Topographie. Mangel an Wegeu. 
Überschwemmungen. Vegetation. Salzige Seen. Flüsse. Produkte. WälderverwUstung. 
Flafsdampfschiffahrt. Viehzucht. Sanitäre Verhältnisse und Klima. 

Der Zweck der folgenden Zeilen ist es, die Aufmerksamkeit 
weiterer Kreise auf das wichtigste Werk zu lenken, welches in 
neuerer Zeit über Matto Grosso veröffentlicht wurde, über die zweit- 
gröfste Provinz des Kaiserreiches Brasilien, welche trotz ihrer reichen 
natürlichen Hilfsquellen bisher in Produktion und Verkehr allen 
andern nachsteht und auch geographisch zu den wenigst bekannten 
zu zahlen ist. 

Im Jahre 1875 schickte die brasilianische Regierung auf dem 
kleinen Kriegsdampfer „ Madeira '^ eine Kommission von Ingenieuren 
und Offizieren nach Matto Grosso unter Leitung des Generals Baron 
de Maracajii, welcher die Aufgabe gesetzt war, die Grenzen gegen 
Bolivien endgültig festzustellen und durch Grenzmarken zu bestimmen. 
Zu dieser von 1875 — 1878 thätigen Kommission gehörte als Arzt 
derselben Dr. Joäo Severiano da Fonseca, welcher später in einem 
zweibändigen Werke: Viagera ao redor do Brazil (Reise rund um 
Brasilien) Rio de Janeiro 1881 Typographia de Pinheiro & Cie, 
Rua Sete Setembro No. 157, seine Erlebnisse und Erfahrungen nieder- 
legte. Dem Werke ist eine Karte der brasilianisch-bolivianischen 
Grenze beigegeben, und ferner ist es mit zahlreichen Holzschnitten, 
Plänen u. a. ausgestattet. Jene sind zum Teil gelungene und cha- 
rakteristische Landschafts- und Vegetationsbilder, zum Teil freilich 
sind sie so mifslungen, dafs sie dem Verleget mdcÄ. öö^vi TÄt^SiKt^ 

Oeoffr. Blätter. Bremen, 1886. -^ 



— 266 — 

gereichen. Da dieses i portugiesischer Sprache veröffentlichte Werk 
nur einem beschränkten Leserkreise zugänglich und verständlich 
sein dürfte, so glaubte ich auf die wichtigeren Resultate und Schil- 
derungen aufmerksam machen zu sollen. Es ist jedenfalls kein rich- 
tiges Verhältnis, wenn man jeder von Europäern unternommenen 
Beise in Brasilien allseitige Beachtung schenkt, und von den zahl- 
reichen wichtigen Beiträgen, die gerade auf geographischem Gebiete 
die brasilianische Litteratur und Forschung aufzuweisen hat, keine 
Notiz nimmt. Und doch sollten die Geographen alimählich dahin ge- 
langen oder wenigstens danach streben, die sensationelle flüchtige 
„Forschungsreise^ etwas mehr in den Hintergrund treten zu lassen 
zu gunsten gründlicher Forschungsarbeit, wie sie nur die Station, 
der langjährige Aufenthalt, die liebevolle Vertiefung in das enger 
begrenzte Forschungsgebiet gewähren können. So bedarf denn auch 
wohl der Wunsch, Severiano da Fonsecas gediegene Leistung 
wenigstens teilweise in Übersetzung und Auszug den deutschen 
Geographen bekannt zu machen, keiner Rechtfertigung, eher wohl 
wäre das angebracht, mit Rücksicht auf nötig gewordene Auswahl 
und knappe Beschränkung. 

Zwar ist ein grofser Teil des Werkes Detailangaben über 
Reiseerfahrungen, geschichtliche Daten u. a. gewidmet, deren aus- 
führliche Mitteilung füglich unterbleiben konnte, daneben finden sich 
aber auch zahlreiche Schilderungen und Beobachtungen, die nur des- 
halb unberücksichtigt blieben, weil sie nicht in den Rahmen dieser 
kleinen Arbeit passen. Von besonderem Werte ist namentlich das 
reiche von Severiano da Fonseca gesammelte linguistische Material. 
Besonders sei hier aufmerksam gemacht auf die Vokabularien der 
Sprachen der folgenden Indianerstämme: Layanas, Ouiniquinaus, 
Chiquitanos, Garayos, Palmellas, Baures, Cayoabas, Itonamas. 

Ferner sei hingewiesen auf die Vol. L p. 327 gegebene Ab- 
bildung des Letreiro (Inschriftensteines) do Gahyba, auf welchem sich 
Sonne und Sterne, Füfse oder Tatzen von Tigern (Unzen) u. a. 
eingegraben finden. Meisterhaft ist die Schilderung der bekannten 
Höhle ;,Gruta do Inferno" (Höllengrotte) bei Coimbra. 

Da die Arbeiten der Kommission sich nur im Grenzgebiete mit 
Bolivien bewegten, so ist es zumal diese sumpfreiche Tiefebene und 
ihre Umgebung, deren Kenntnis durch dieses Werk gefördert wird. 
Während die Hinreise von Rio aus den La Plata stromaufwärts ge- 
schah, reiste Severiano da Fonseca später den Guapor6 und Madeira 
abwärts über Belem nach Rio zurück. Diese Reise über die an 
Stromschnellen und Fällen so reiche Marmor6-Madeiraregion in 
schwachen Fahrzeugen ist eine sehr gefährliche und mühsame. Von 



— 267 — 

St. Antonio an wurde der Madeira mit dem Dampfer befahren. 
Wer diese Reisen auf dem Guapor6, Madeira oder Paraguay in 
Aussicht nimmt, wird Fonsecas Werk sehr nützlich finden und 
kaum entbehren mögen. Für die geographische Litteratur aber liegt 
der Hauptwert des Werkes in der genaueren Schilderung eines bis- 
her nur oberflächlich bekannten Gebietes von Matte Grosso und 
Bolivien. Es schien mir deshalb auch am zweckmäfsigsten, mich an 
dieser Stelle auf die Darstellung des Gesamtbildes von Matto Grosso 
zu beschränken, wie es im einleitenden Teile vom Verfasser ent- 
worfen wird, und das ich stellenweise durch hinzunehmen einzelner 
Partien aus dem speziellen Teile ergänzte. 

Gröfstenteils ist die Darstellung wörtlich dem Texte ent- 
nommen, natürlich aber ist die Übersetzung eine ziemlich freie, 
wiewohl sachlich dem Inhalte des Originales völlig entsprechend. 
Etwaige ergänzende Bemerkungen von mir sind in Klammern ein- 
gefügt. 

Matto Grosso gehört im allgemeinen nicht zu denjenigen Teilen 
Brasiliens, denen die nächste Zukunft einen Aufschwung in Aussicht 
stellen könnte. Anziehend wirken namentlich der Mineral- und 
Erzreichtum des Landes, seine reichen ungehobenen Schätze von 
Gold und Diamanten. Doch hat der Verfasser ohne Zweifel recht, 
wenn er im Interesse der stetigen Entwickelung Matto Grossos 
weniger diesen Reichtümern eine Beachtung wünscht, welche doch 
nur zu vorübergehender Blüte der betreffenden Regionen führt, 
als vielmehr auf die zur Viehzucht ungemein geeigneten immensen 
Gampos des Hochlandes die Aufmerksamkeit lenkt. Nach dieser 
Richtung hin verdient jedenfalls Matto Grosso die Berücksichtigung 
seitens des europäischen Kapitales ebensosehr wie Paraguay, beides 
Lander, welche zumal bei den gegenwärtigen Kommunikations- 
bedingungen weniger für Ackerbau und mittellose Auswanderer in 
Betracht kommen als für gröfseres Kapital und rationellen Estanzia- 
betrieb. In dieser Richtung möchte das weiterhin Bemerkte be- 
sonders zu beachten sein. Selbst Landschenkungen sind dort nicht 
ausgeschlossen. Erst kürzlich bemerkte hierüber im Senat in der 
Sitzung vom 11. August Staatsrat Silveira Martins: „An den Gren- 
zen von Matto Grosso z. B. verteilt man Ländereien umsonst, und 
diejenigen, welche in so entfernte Gegenden brasilianische Nationalität 
und Sprache mit sich nehmen, leisten dem Kaiserreiche einen vor- 
trefflichen Dienst." Solche Landschenkungen sind, soweit noch Staats- 
landereien existieren, überall in Brasilien 10 Leguas landeinwärts 
von der Grenze zulässig. In Matto Grosso existieren aber auch i^ail- 
reiche Fazendas nacionaes oder Staatsdom&iveii, v^ä^öcä %^\«*\i^'3^'ö\Äv!Bt^ 



— 268 — 

zur Viehzucht geeignet, vermutlich zu günstigen Bedingungen käuf- 
lich könnten erworben werden. 

Lassen wir nach diesen orientierenden Bemerkungen nun die 
Schilderung Severiano da Fonsecas folgen. Ich habe dabei im wesent- 
lichen alles das als bekannt vorausgesetzt, was in der älteren Litte- 
ratur nachgesehen werden kann und auch in dem Handbuche von 
Wappaeus mitgeteilt ist. 



Die Provinz Matto Grosso liegt zwischen 7 ° 25' s. Br. (in der 
Mündung des Paranatinga oder Tres barras) und 24*^ 3' 31" s. Br. 
an der fünften Cascade des Salto das sete quedas („sieben FäUe^) 
und zwischen den Meridianen 6 ^ 42', gegenüber der Nordspitze der 
Insel Bananal im Araguaya, und 22 ^ 13' 15" an der Insel Confluencia, 
welche beim Zusammenfiufs des Rio Marmor^ und des Rio Beni 
gebildet wird. 

Die weiteren ausführlichen Aufzählungen der Grendinien seien 
hier übergangen, bis auf diejenige mit Bolivien. Dieselbe geht von 
der Mündung des Rio Apa den Paraguay entlang bis zu der Bahia 
negra genannten Lagoa, durch deren Mitte die Grenze mit Bolivien 
hinzieht, welche dann in südnördlicher Richtung durch die Lagoas 
Caceres, Mandiorö, Gahiba grande und Uberaba nach dem Südende 
der Corixa grande do destacamento und von hier weiter, durch das 
uti possidetis das Territorium der Aldea S. Mathias rettend, zum 
Yereinigungsfalle der corixa S. Mathias und Peinado hinzieht und 
dann über den Boa Yista und den Quatro irmäos Berg zum Haupt- 
flusse des Rio Verde geht, um von da ab diesem und dem Rio 
Guapor^ und Rio Marmor^ bis zur Mündung des Rio Beni zu folgen. 

Die Grenze gegen die Provinz Goyaz ist seit 1750 eine noch 
immer offene Frage. Die Angelegenheit wurde endlich vor das 
Parlament gezogen, aber auch da hingehalten. Am 20. Juli 1864 
entschied sich die Kommission zu gunsten der Feststellungen von 

' Dr. Marcos de Noronha, dem ersten Gouverneur von Goyaz, vom 
12. Januar 1750, aber das Parlament selbst traf keine Entscheidung, 
scheint im Gegenteil hinsichtlich der Wahlkollegienabgrenzung die 
Ansprüche von Matto Grosso zu respektieren, zu der jene Gebiete 
zur Zeit effektiv gehören. Und doch ist die Provinz Matto Grosso 
viel zu grofs und zu arm, um eine Verwaltung so weit entlegener 
Teile übernehmen zu können. In gleicher Weise mufsten gewisse 
Teile der Madeiraregion, welche Matto Grosso nicht verwaltet und 
der weiten Entfernung und des Mangels von Wegen halber auch 

nicht verwalten kann, zur Provinz Amazonas geschlagen werden, 



— 269 — 

für welche diese Verwaltung natürlich und leicht ist, ja, von welcher 
selbe bereits thatsächlich durchgeführt wird. 

Das Areal der Provinz Matte Grosso ist nicht sicher bekannt 
Der Senator Candido Mendes berechnete es auf 50,173 Quadratleguas 
(die Legua = 6,6 km), indem er die Ausdehnung der Provinz 
von Norden nach Süden zu 332 Leguas ansetzte. Die Taxierung 
von d'Alincourt zu 310 Leguas für die Breite der Provinz scheint 
treffender als jene von C. Mendes (265). Bellegarde und Conrad 
geben den Flächeninhalt auf 51,000 Quadratleguas an, was der 
Wahrheit ziemlich nahe kommen dürfte. 

Die Bevölkerung dieser riesigen Provinz ist eine sehr geringe. 
Sie beträgt, was den zivilisierten Teil derselben anbelangt, etwa 
50,000 Seelen, welche noch dazu fast ganz und gar auf einige wenige 
Ortschaften konzentriert sind. Des Genaueren verteilt sich dfese 
Bevölkerung, in welcher aber 3500 Sklaven mit inbegriffen sind, in 
folgender Weise: 

Cuyabä 23,500 Einwohner 

Matte Grosso 740 „ 

Poconö 2,060 ;, 

Corumba 11,600 „ 

Miranda ; 5,400 j, 

St. Anna do Paranahyba 3,300 „ 

S. Luiz de Caceres 3,400 „ 

Summa . 50,000 Einwohner. 

Zu diesem zivilisierten Teile der Bevölkerung kann man auch 
die in Dörfer (Aldeas) angesiedelten halbzivilisierten Indianer hinzu- 
rechnen. Die Zahl dieser in mehr oder minder ausgesprochener 
Berührung mit der Zivilisation stehenden Indianer beläuft sich auf 
8 — 9000, die sich folgendermafsen nach Stämmen verteilen: 

Cadiu^os und Beaqu^os, Beste der gefürchteten kriegerischen 

Nation der Guaycunis 1,600 

Guands, Kiniquinaos, Terenas und Layanas 2,200 

Bororös » 600 

Cayapös 400 

ApiacAs 2 600 

Xamococos 100 

Garayos 800 

Palmellas 400 

Dazu kommen noch die Guatos, ein nahezu ausgestorbener Stamm, 
dessen Wohnsitze sich längs des Paraguay und S. Lorenzo erstrecken, 
der allein an den Lagoas Gahyba und X]\)eTa\i^. N\et ^äö^^s» ^'<ä\k^ 



— 270 — 

hat und deshalb die Zahl von 500 Seelen weit überschreiten mufs, 
welche ihm unlängst die Generaldirektion der Indianer der Provinz 
zuschrieb. Im ganzen existieren in Matto Grosso sieben Indianer- 
direktionen, welche dem Generaldirektor unterstellt sind und denen 
hauptsächlich die Fürsorge für die bereits gezähmten Indianer obliegt. 

Die Zahl der wilden Indianer wird von dem Baron von Mel- 
ga(jo auf 24000 — 25000 geschätzt, von denen 18 Stämme bekannt 
sind, nämlich: Araras und Caripünas am oberen Marmore; Jacar^s, 
Cenabös, Pecuhäs und Cautariös am unteren Marmor^; Mequönes, 
Parecis, Maimbar^s und Cabixis am Guapor^; Barbados, Bororös 
da campanha und Bororös caba^als zwischen Guapor6 und Paraguay, 
Coroas im Quellgebiet des Cuyabä am S. LourenQo; Bacauhyris 
und Cayabis in jenem des Saranatinga; Nhambicuäres zwischen den 
Flüssen do Peixe und Arinos, und Cayuas (cayguas in Paraguay) 
in den Wäldern der Gebirgszüge von Anhambahy und Maracajü. 

Wenn man erwägt, dafs schon die halbwilden Indianer von 
Matto Grosso sich so abgesondert halten, dafs man nicht einmal von 
den am Paraguay und S. Louren^o wohnhaften Guatös die Anzahl 
kennt, obwohl sie an der befahrensten Strafse des Landes ange- 
siedelt sind, so kann man die Schwierigkeit würdigen lernen, die 
Zahl jener Wilden zu schätzen, welche nicht nur an den weniger 
befahrenen Strömen hausen, sondern vor allem jener, die den 
Störungen entfliehen, welche die Zivilisation ihren Sitten und Ge- 
bräuchen bringt und sich in jene endlosen unwegsamen Waldungen 
zurückgezogen haben, die bis auf den heutigen Tag nie der Fufs 
eines andern Menschen betreten als jener des Autochtonen, ihres 
wahren und bis heute auch thatsächlich einzigen Herren. 

Die Zählung der Bewohner der Provinz ergab 1862 die Zahl 
von 37,538, worin die Bewohner der Distrikte von Corumbä und Al- 
buquerque nicht mit einbegriffen waren. Im Jahre 1863 schätzte 
Leverges die Bevölkerung auf 35,000 Freie, 6000 Sklaven und 
24,000 Indianer. Eine bedeutende Verminderung erlitt die Be- 
völkerung 1867. Hieran war zum Teil der Krieg Schuld, mehr 
aber noch die Blatternepidemie, welche in den Ortschaften ver- 
heerend wütete und sogar die Wilden dezimierte, so dafs der Ge- 
samtverlust der Bevölkerung auf 12 — 15,000 Seelen taxiert wurde. 

Eine neue Ära für die Provinz begann 1872. Nach dem Ab- 
züge resp. der Verdrängung der Paraguayer reorganisierten sich 
Gorumbä, Albuquerque, Nioac, Coxim, Miranda und Fourados. Als 
der Krieg beendet war, richtete sich ein Einwandererstrom nach 
der Provinz mit den Truppen, welche zu ihrer Besetzung anlangten, 
mit den Abenteurern, welche ihnen folgten und einigen Tausenden 



— 271 — 

Paraguayern, welche ihr Leben den Soldaten dankten und nur von 
ihnen unterhalten wurden, welche ihnen sich anschlössen und mit 
ihnen das karge Brot teilten. Allein von Mai bis Juli 1876 
landete im Hafen von Corumbd ein Bevölkerungszuwachs von mehr 
als 6000 Seelen. In dieser Zeit waren die Arbeiten am Arsenal 
von Ladario in vollem Gange, bei welchen Hunderte von Arbeitern 
Verwendung fanden. Ihre Tagelohne und der Sold der Truppen 
von Corumbä, welche in je einem Regimente und Bataillon Artillerie 
und Infanterie bestanden, trugen dazu bei, dafs der Handel blühte 
und die Städte sich günstig entwickelten. Mit der Verminderung 
der Arbeiterzahl und dem Rückzuge der Truppen verminderte sich 
eben so schnell wie sie gewachsen, die Bevölkerung und der Wohl- 
stand von Corumbä. 

Wir werfen nun einen Blick auf die Topographie der Provinz. 
Der gröfste Teil derselben gehört zu jenem ungeheuren Hochplateau, 
welches das Zentrum Südamerikas einnimmt, und welches in diesem 
Werke als „araxd" bezeichnet ist. Der andre Teil im Westen 
und zumal im Süden der Provinz oft niedrig und sumpfig, zur Zone 
der „Pantanaes** gehörig. Diese Gegenden erreichen nicht eine 
Höhe von mehr als 150 m über dem Meeresspiegel. Auf der Hoch- 
ebene, von den Quellen des Guapor^, Paraguay und Tapajoz bis zu 
denen des Araguaya und der westlichen Arme des Paranä ist die 
mittlere Erhebung 500 m. Dagegen steigt die Höhe auf 1000 m 
an einigen Punkten jenes Kammes, welcher die Wasserscheide der 
beiden gröfsten Ströme der Welt, des Amazonas und La Plata dar- 
stellt und die Provinz quer von Nordwest nach Südost durchzieht, 
von den Stromschnellen des Madeira bis zu den Gestaden des Pa- 
rani. Dies, nach der Darstellung von Melgago, wogegen Castelnau 
(Exp. T. V p. 157) die Quellen des Paraguay über 305 m über 
dem Meeresspiegel, liegen läfst, Cuyabd über 55 m u. s. w. Man 
weils jedoch wie wenig Beachtung die Versicherungen dieses 
Beisenden verdienen, jedesmal sobald sie sich von den Beobachtungen 
seiner intelligenten Begleiter Dr. Wedeil und d'Osery entfernen. 
In seinem Buche Republica del Paraguay giebt Du Graty nach den 
Studien des Kapitän Page von dem nordamerikanischen Kanonenboot 
„Waterwich^ die Höhe einiger Punkte von Argentinien und Paraguay. 
Danach liegt Buenos-Aires 50 Fufs über dem Ozean, Rosario 100, 
La Paz 160, Bella Vista 200, Corrientes 248, Assumpgao 307, 
Forte de Coimbra 383, Corumbä, 396 u. s. w., was ein Stromgefälle von 
8,3 Zoll auf die Legua ergiebt. Für Cuyabä,, welches dem Flusse 
nach gerechnet 720 Leguas vom Ozean entfernt liegt, ergiebt das 
eine Höhe von etwa 500 Fufs oder 152 m über dem Ozean, wobei 



— 272 — 

noch die Voraussetzung zu Grunde liegt, dafs das Gefäll des Flusses 
das gleiche bleibe wie im Paraguay, was aber nicht der Fall ist. 
Die Mitglieder der bolivianischen Grenzkommission von 1878 geben 
für Corumbä. die Höhe zu 400 Fufs an in der Höhe der Stadt (288 Fufs 
am Hafen), 1841 Fufs für den Morro (Berg) da Boa Vista, 1366 Fufs 
für den Morro dos quatro Irmäos. Zu beachten ist ferner, dafs 
Castelnau Tabatinga zu 97,5 m fand, während Spix und Martins 
195,8 m mafsen. Diese deutschen Gelehrten geben die Höhe von 
Obidos zu 137,4 m, während der französische Reisende mit La Con- 
damine sagt, dafs diese Stadt sich kaum 10 Fufs über die Höhe von 
Belem erhebe, von wo sie doch 575 Meilen (milhas) entfernt liegt! 

Ebenso aufserordentlich wie die Niveaudifferenz zwischen der 
Hochebene und den sumpfigen Niederungen ist, welche dasselbe nach 
Süden und Westen umgeben, so leicht ist die Feststellung derselben, 
weil die erstere steil aus dieser Tiefebene sich erhebt, als hohe ab- 
schüssige Serra. Im Gegensatze hierzu setzt sich das Hochland nach 
der andern Seite hin in weite, mehr oder minder wellige Ebenen 
fort, aus denen sich nur in weiten Abständen einzelne niedere Höhen- 
züge erheben. Die ganze Anordnung des brasilianischen Hochplateaus 
ist sehr bemerkenswert. Schon nahe am atlantischen Ozean präsentiert 
die Serra do Mar in treppeuförmigen Abfällen ihre steilen Höhenzüge, 
welche eine Höhe von mehr als 1000 m erreichen, woran sich nach 
Westen mehr oder minder einförmige Campos anschliefsen , aber 
nicht um an den Gestaden des Paranä zu erlöschen, sondern um sich 
von neuem in dem Hochplateau von Matte Grosso zu erheben, stellen- 
weise auf 1000 m. Diese Hochebenen stellen sich bisweilen als 
schöne Campos dar, grün und wellig wie jene von Rio Grande do 
Sul, und in deren Teppich die Dikotyledonen als kriechende Gewächse 
niedrig bleiben, im Wachstum kaum die Gräser und Cyperaceen 
überragend. So sind die Campos, über welche man zu den Kordilleren 
von Maracajü und Anhambahy emporsteigt; ein andermal trifft 
man Einöden, auch wellig aber trocken und sandig, wahre Wüsteneien, 
mit Untergrund von Sandstein, Thon oder Lehm (pigarra), die ver- 
wittert und weich sind wie der Sand. So die Campos dos Parecis 
und diejenigen, welche Taunay in dem Feldzuge von 1865 überschritt 
und in Scenas de Viagem p. 42 beschrieb. 

In solchem lockeren Erdreiche sinken die Tiere bei jedem 
Schritte ein, den sie machen, und sie finden keinerlei Nahrung auf 
dem sterilen Boden. Der Baum wuchs ist spärlich, die Waldungen 
sind niedrig und krüppelig, es sind carrascos oder cerradoes. Hier 
fällt der Unterhalt dem Menschen ebenso schwer wie die Passage. 
Ein andermal trifft man dürre Ländereien, von Flüssen durchschnitten. 



— 273 — 

oder Moore, aus denen zahlreiche Bäche und Flüsse austreten, die 
entweder nach Norden fliefsen, ihr Bett in den Sand oder Lehm des 
Untergrundes aushöhlend oder in grofsartigen Wasserfällen über hohe 
schroffe Abfälle zu den Flufsläufen des Unterlandes nach Süden sich 
wenden. Wo Wasser nicht fehlt, überraschen ausgedehnte mächtige 
Wälder, wobei jedweder Untergrund ihnen dient, wenn die Wurzeln 
nur hinreichend mit Wasser getränkt werden. Man trifft solchen 
Wald auch auf Sand, bisweilen auf rein weifsem Sande, und dann 
ist dieser Wald licht, jenem der Parkanlagen bei grofsen Städten 
ähnlich, von ihnen aber durch den Mangel an Symmetrie und 
geometrischer ßegelmäfsigkeit unterschieden, sowie die grofse Aus- 
dehnung von Dutzenden, wo nicht Hunderten von Leguas. In solchen 
lichten Waldungen kann man ungehindert zu Pferd oder Wagen und 
geschützt vor den Sonnenstrahlen reisen. Wo der Boden fruchtbarer 
ist, wird der Wald schwerer und höher, von Schlingpflanzen reichlich 
umspannt und durchflochten, welche den Eintritt hindern. 

Dabei sind es nicht immer Leguas, bisweilen nur Schritte, 
welche diesen Boden von aufsergewöhnlicher Fruchtbarkeit von jenem 
sterilen trennen, auf dem eine rachitische Vegetation, in weiten 
Zwischenräumen verstreut einen traurigen Kontrast bildet und auf 
welchem das einzige Erfreuliche, das der Reisende antreffen kann, 
der pau d'agua oder Wasserbaum ist, ein mäfsig hoher Baum, welcher 
in seinen bohlen Zweigen fast immer Wasser enthält, selbst dann 
noch, wenn die Dürre bereits lange gewährt hat. In solchen Gegenden, 
deren Vegetation gröfstenteils auf Leguminosen, Myrtaceen und 
Combretaceen besteht, erreichen auch die höheren Bäume, fast immer 
jaboticabeiras und sapötas, nur die Höhe von 4 m. 

Dieser dürftige Boden ruht auf krystallinischem Gestein, zu- 
meist Gneis, welcher durch seinen Metallreichtum bemerkenswert 
ist An manchen Stellen erhebt sich der Fels in steilen Kegeln 
von kapriziöser Form, bald Türme, bald Mausoleen u. a. nachahmend, 
bald einzeln, bald in Gruppen. Diese häufig an der einen Seite 
senkrecht abgestutzten Kegel sind in der Provinz als trombas oder 
mit dem Indianernameu itamb6's bekannt. Ein Teil derselben besteht 
ans härtestem Diorit, der an den Steilseiten frei zu Tage tritt, in- 
dessen der sanfter abfallende Teil noch mit Erde überdeckt ist. 

Bemerkenswert ist der Gegensatz zwischen dieser Region und 
jener der Anden, in welcher letzteren die in Brasilien fehlende 
Thfttigkeit vulkanischer Kräfte sich bis in unsre Zeit erhalten hat. 
Trotzdem fehlt es nicht an einzelnen Behauptungen, welche auch 
far das brasilianische Hochplateau die Fortexisteaz von Vulkanen 
angeben. So versichern die Cayapös, dafe m öl^y '&^x\^ '^i^^^^ ^Be^ 



— 274 ~ 

Berg existiere, welcher Rauch und Feuer mit schrecklichem Getöse 
auswerfe, so dafs noch niemand sich dahin gewagt habe, und die 
gleiche Angabe existiert für die Serra von Napileque in der Nähe 
des Apa. Erdbeben gehören in Matto Grosso zu den seltensten 
Erscheinungen, man erinnert sich an drei oder vier, die aber so 
geringfügig waren, dafs sie zum Teil kaum bemerkt wurden. Die 
vom Hochlande herabkommenden Flüsse bilden zahlreiche Falle, bald 
in einzelnen hohen Kaskaden, bald in Absätzen. Einige stofsen in 
ihrem Verlaufe auf dem Hochlande auf unterminiertes Terrain, in das 
sie sich einwühlen, um dann eine mehr oder minder grofse Strecke 
weit unter einer Kruste von Gneis oder in einem Gewölbe von Kalk- 
tuff weiter zu verlaufen, als sogenannte sumidouros. In ähnlicher Weise 
kommen manche Quellen aus Höhlen; so namentlich diejenige der 
Corixa grande do destacamento. Dieselbe bricht aus dem Innern 
eines isolierten Berges hervor, welcher zur Serra de Borborema 
gehört, einem Ausläufer der Serra do Aguapehy, und verläfst den 
Berg in drei Kanälen, deren Öffnungen an der Basis des Berges 
liegen und schmal und hoch wie Thore sind. Kaum erschienen, ver- 
schwindet der Bach im Boden, um 4 — 5 m weiter wieder hervorzu- 
brechen. An den Felsenthoren hört man den eigentümlichen 
Lärm der Wässer, welche innerhalb der Höhle über Abfälle hinab- 
stürzen. 

In der Serra de S. Vincente, auch Alto de Serra genannt, fanden 
Dr. Alexander und die Astronomen 1789 Höhen von mehr als 1000 m. 
Im Verlaufe der Serra dos Parecis, dem Guapor6 entlang, variiert die 
Höhe von 3—700 m über dem Boden. In dieser Gegend ist der 
Winter kalt und streng, Fröste sind häufig und verursachen selbst 
den Baumwollenstauden Schaden. Man berichtet auch von Leuten, 
die durch Frost umkamen, nicht nur hier, sondern auch auf den 
Plateaus von Guimareas und Gamapuam, wo die Kälte noch 
empfindlicher wird. Letztere liegen 12 Leguas östlich von Cuyabä, 
580 m höher oder etwa 800 m über dem Meere. 

Die genauere Kenntnis des Hochlandes, soweit es bekannt, 
dankt man nächst den älteren goldsuchenden Abenteurern, in erster 
Linie der Grenzkommission von 1781 und der folgenden Jahre, welche 
aus den Ingenieuren Ricardo Franco de Almeida Serra und J. J. 
Ferreira und den Astronomen F. J. de Lacerda und A. Pires da 
Silva Pontes zusammengesetzt war. Ihnen folgte später der bahianer 
Naturforscher Dr. Alexander Rodriguez Ferreira, der brasilianische 
Humboldt, wie ihn F. D^nis, de Osculati u. a. nannten, dessen zahl- 
reiche wertvolle Arbeiten aber zerstreut und grofsenteils wohl ver- 
Joren sind. Nsich ihnen hat die Geschichte der Erforschung von 



— 275 — 

Matto Grosso nur noch zwei hervorragende Männer zu verzeichnen, 
Luiz d'Alincourt und Aug. Leverger, Baron von Melgago. 

Jenseits des Abfalles des Hochlandes und der westlichen Grenze 
der Provinz erhebt sich erst viele Dutzende von Leguas weiter nach 
Westen das Terrain aufs neue, aber nicht als Hochplateau, sondern 
langsam und allmählich gegen die Anden hin ansteigend und in sie 
übergehend. Der ganze Zwischenraum ist so eben und niedrig, dafs die 
Flüsse durch ihren geringen Fall bemerkenswert sind. Kräftige 
Bäche werden, sobald der Flufs, in welchen sie sich ergiefsen, aus 
irgend einem Grunde etwas rascher fliefst, durch Repression gestaut, 
80 dafs man kaum noch etwas von Strömung an ihnen bemerkt. 

Zur Zeit des Hochwassers, welche mit dem Abschmelzen der 
Schneedecke der Anden zusammenfällt, schwellen die Flüsse und 
Bäche an und werden zu riesigen machtvollen Strömen, sie treten 
aus ihren Ufern aus und verwandeln die angrenzenden Campos in 
einen wahren Süfswasserozean m^; einem Umkreise von Hunderten 
von Leguas, welcher in zahllose weite Golfe und Buchten ausläuft 
und mit Inseln durchsäet ist, wahren und falschen, von denen erstere 
aus den sparsamen Anhöhen und Wohnsitzen bestehen, diese durch 
die Spitzen der unter Wasser gesetzten Wälder gebildet werden. 
Man kann als Grenze für dieses riesige Überschwemmungsgebiet 
annehmen die Serra von Abunä im Norden, das Hochland im Osten 
und den 20. Meridian im Westen von St. Cruz de la Sierra, Pucara, 
Padilha, Salina und Oran, da wo die Quellflüsse des Guaporö, 
Pilcomayo und Bermejo hervortreten. Nach Süden dehnt es sich 
aas bis über die Gebirgszüge von Tucuman und Catamarca und die 
Sümpfe von Santiago und Cordova bis zu den so wenig erforschten 
Pampas von Patagonien. 

In diesen Regionen sind nur selten im Jahre längere Beisen 
möglich. Fast nur von September bis Dezember findet man das 
Terrain wegsam, dann aber auch meistens glatt und frei von jeglichen 
Hindernissen wie die beste Strafse. Man hat dann aber unter dem 
entgegengesetzten Extreme zu leiden. Nur nach langen Zwischen- 
r&nmen treten einzelne Wasserläufe auf, die einige Kilometer lang, 
nur wenige Meter breit, Flüssen gleichen, welche keine Quelle, keine 
Strömung und keine Mündung haben. Sie entstammen den höher 
gelegenen Ländereien und sind in dieser Gegend als corixas (sprich 
Eorichas) oder coriches bekannt. So verhalten sich auch zahlreiche 
Flüsse von Bolivien und Argentinien, wie der Dulce, Primero, Segundo 
u. a. oder der Bateies in der Provinz Corrientes, mächtig und reifsend 
in der Regenzeit, stagnierend oder völlig ausgetrocknet in der 
andern Jahreszeit. In die Reihe dieser period\%diew ^\\\si^^ %<ä^<s^^s«l 



— 276 — 

in Brasilien der Jaguaribe, Araeacü, Parnabahy, Chorö u. a. in Ceard 
und Piaiihy, der Turvo in Goyaz u. a. mehr, sämtlich dem Hoch- 
plateau entstammend. 

Est ist begreiflich, dafs in einem so niederen und so aus- 
gedehnten Terrain alle Bemühungen zum Wegebau als erfolglos 
unterblieben. Was man gegenwärtig als Verbindungsstrafsen zwischen 
den einzelnen Ortschaften bezeichnet, sind nichts weiter als geläufige 
Richtungen, die Direktive, welche jeder kennt und einschlägt, die 
aber zum grofsen Teile nicht durch die leiseste Spur angedeutet, 
nicht das geringste Anzeichen eines Verkehres wahrnehmen lassen. 
Mau kennt eben nur die Richtung, in welcher der Weg verlaufen 
mufs. Wenn die zum Reisen geeignete Jahreszeit gekommen, ist 
das Terrain ohne alle Hindernisse und wunderbar eben. Der Boden 
besteht in der Regel aus einer Mischung von Kiesel und Thon, wozu 
sich oft auch noch Kalk gesellt. Wird der Weg benutzt zur Zeit, 
in welcher der Boden noch nafsjist, so bilden sich leicht Pfützen 
und Löcher, welche den Verkehr erschweren und den Reisenden zur 
Verzweiflung bringen. Trocknet der Boden später aus, so erhalten 
sich die tiefen Eindrücke, welche die Hufe der Tiere in ihm zurüd:- 
liefsen, indem der weiche Grund allmählich zu einer steinharten Masse 
eintrocknet. Die Unebenheiten und Löcher in dem harten Stralsen- 
gründe schädigen die Reit- und Lasttiere aufserordentlich. 

Sobald die Wintersaison wieder beginnt, treten rasch wieder 
die Überschwemmungen auf und in derselben Richtung, in der man 
kurz zuvor zu Pferde oder zu Fufs reiste, bedient man sich des 
Bootes (canoa). Auch im Becken des Paraguay kreuzt man von den 
Quellen des Taquary in der Richtung nach S. Lourengo, Corumbi, 
Pocon6 und S. Luiz de Caceres, wenn die Überschwemmung Kamp 
und Wald unter Wasser gesetzt und jenen ungeheuren See gebildet 
hat, der seit langem unter dem Namen der periodischen Seen von 
Xaray6s bekannt ist. 

Ebenso fanden im Gran Chaco Azara, van Eyfel u. a. den 
Pilcomayo in einen Ozean von süfsem Wasser verwandelt. In gleicher 
Weise verkehren im Thale des Marmor6 die bolivianischen Ortschalten 
von S. Miguel, Concei§äö, Trindade, Exalta§ä6, S. Joaquim, Magdalena, 
Reyes u. a. unter sich ; sie sind darin glücklicher als die Ortschaften 
im Süden, St. Anna, S. Raymundo, S. JoaÖ, St. Thereza und St. 
Coragäo, welche zwar in gewissen Jahreszeiten zu Boot nach der 
Stadt Matte Grosso gelangen können, in andern aber aufser Zu- 
sammenhang damit bleiben, indem zur Flufsreise der Wasserstand 
nicht hinreicht, während derselbe für einen Verkehr auf Strafsen 
noch zu hoch ist. Zur Zeit der Überschwemmung erhebt sich der 



— 277 — 

Wasserstand um 20—30 Palmos (1 palmo = 0,22 m) über das ge- 
wöhnliche Niveau. In Corumbä, hat der Paraguay schon eine Höhe 
von 11 m erreicht, in Cuyabä 10 m und ebenso hoch wird auch 
der Guapor6 am Forte do principe da Beira. 

Karten des vorigen Jahrhunderts lassen die periodischen Xaray6s- 
Überschwemmungen von S. Pedro de El-rey (Pocon6, unter 16® 
16') über fast den ganzen Lauf des S. Lourengo und Taquary 
bis südlich von Fecho de Morros (21 ® S.) sich ausbreiten. Ander- 
seits tritt der Paraguay zwischen den Bergen, welche ihn von Jauru 
an längs des rechten Ufers begleiten, hindurch, um mit den westlich 
davon gelegenen Seen, den Bahias de Uberaba, Gahibas, Mandior6, 
Caceres und Negra in Verbindung zu treten, und mit diesen ohnehin 
schon grofsen Wasserflächen vereinen sich dann bei der Über- 
schwemmung die Wassermassen des Paraguay. Und diese enormen 
Fluten dehnen sich immer weiter aus, die Wälder bedeckend, die 
Berge in Inseln verwandelnd und nach Süden sich bis zu den Bergen 
von Salta in Argentinien mit dem Pilcomayo Bermejo, Salado 
und allen dazwischen gelegenen Flüssen und Seen vereinend, wie 
auch mit der weiten Lagoa Ibera, welche sich bald mit 15 Legua 
Breite präsentiert, wie sie Parchappe antraf, bald mit 50 Leguas, 
wie sie Azara sah. Und all diese Wassermengen bilden einen 
wahren Ozean. 

Besonders interessant war für uns der Besuch der Lagoa 
Mandior^ oder Men, einer prachtvollen Bucht von 5 Leguas Länge 
und IV2 Leguas Breite, welche von einem Kranze lachender Wiesen 
und hoher Berge umgeben wird. Fast in der Mitte der Lagoa er-^ 
hebt sich nahe an seinem westlichen Ufer eine Insel, aus einer kleinen 
Bergkuppe aus Sandstein bestehend, welche buchstäblich weifs ist 
von den Entleerungen des Biguä (carbo brasilianus) , der hier zu 
Tausenden lebt. Mau nennt sie Ilha do velho. Wie die andern 
grofsen Seen des Paraguay bietet sie innerhalb weniger Monate die 
gröfsten Niveaudifferenzen. Die Bewohner der Gegend versicherten 
uns, dafs zur Zeit der Überschwemmung jeder starke Wind Wellen 
erzeuge, wie auf dem Meere, während in der trocknen Jahreszeit 
der Wind hier Staubwolken aufwühlt. Wir haben keinen Grund 
hieran zu zweifeln; denn obwohl das Wasser seit mehr als einem 
Monate im sinken war, konnte doch unser Dampfer, ein Kanonenboot 
von 7 Fufs Tiefgang, das Wasser nach allen Richtungen hin durch- 
schneiden und nahe am Ufer anlegen. Dies war am 20. Juli. Als 
wir im nächsten Jahre im September hierher zurückkehrten, konnte 
unser kleinstes Boot nicht bis zur Mitte der Lagoa vordringen, 
deren Ufer in grofser Ausdehnung trocken lag^tv: 



— 278 — 

Am Ufer dieser Lagoa sah ich zum ersten Mal eine kriechende 
Palme von mehr als 200 m Länge, deren dünner Stamm von über 
1 cm Dicke sich den Unebenheiten des Bodens gewunden anschmiegte, 
und dessen Internodien fast 2 m auseinander stehen. Sie heifst 
Urumbamba, ist vielleicht Calamus procumbens. Diese Ufer sind 
voll von Schwärmen von Enten, Reihern, Störchen und andern 
Wasservögeln, aber auch Waldhühner und Fasanen (jacü- Arten) 
erscheinen in grofsen Mengen und laden zur Jagd ein. Gegen die 
Ufer hin dehnt sich ein dicht verwachsener Rasen von Wasserpflanzen 
aus (;,camelotes^, womit zumal Pontederien gemeint sind), der so 
dicht und geschlossen ist, dafs er selbst dem Gewicht ziemlich 
schwerer Tiere widersteht. In bunter Abwechselung sieht man da 
hohe Cyperaceen, sowie Nympheen, deren dicke Stengel und lange 
Wurzeln über grofse Strecken hin sich ausdehnen, durchflochten mit 
tausend Bändern zahlloser Pontederien, Alysmaceen, Najadeen und 
Hydrochorideen. Sie alle überbietet und überragt die Victoria regia, 
deren riesige runde Blätter wie enorme Theebretter auf dem Wasser 
ruhend, einen Durchmesser von Vh m oder mehr haben und deren 
fufsbreite schöne Blüten nicht minder bewundernswert sind, Se 
sind beim aufbrechen weifs mit rötlichem Zentrum, am nächste 
Tage rosafarben, nach 6—8 Tagen, wenn sie verblüt sind, dunkel 
violettrot. Die Blätter, deren Nerven zum Teil armsdick werden, 
tragen Stacheln. Wir trafen sie Ende August in Blüte. 

In diesen Rasen von Wasserpflanzen kann man nur vordringen, 
wenn man mit Messer und Axt sich einen Kanal öffnet. In der 
Lagoa Mandior^ passierte es uns, dafs wir mit dem Dampfer durch 
eine solche Wiese hindurchfahren wollten, aber nur einige hundert 
Meter weit eindringen konnten, bis alle Kraft der Maschine nicht 
mehr hinreichend war, den Widerstand der seilartigen fdschen 
Wurzeln dieser Wasserpflanzen zu überwinden, welche damals mit 
Blüten übersäet waren, die einen lieblichen Gegensatz bildeten za 
dem in ihrer Mitte festgebannten Dampfschiffe. 

Nach Dr. Wedeil hat der Chaco an der bolivianischen Grenze 
eine Höhe von über 160 m, und schon zuvor hatte Häenke für die 
Niederungen von St. Cruz, Chiquitos und Mojos diese geringe Er- 
hebung konstatiert. Dafs ein Teil des südamerikanischen Konti- 
nentes sich in nicht sehr entlegener Zeit aus dem Meere erhoben, 
ist ein durch die Geologie unbestreitbar festgestelltes Faktum. Leider 
jedoch ist im ganzen Gebiete von Matte Grosso noch keinerlei An- 
haltspunkt zur Beurteilung der betreffenden Periode gewonnen, 
noch nichts von Fossilien gefunden. 

Eiü weiterer Beweis dafttr ^iivd die soieigen Seen, die Flüsse 



— 279 — 

und Lagoas mit brackischem Wasser und die salz- oder salpeter- 
führenden Savannen, in denen das Meeressalz mit schwefelsauren 
Magnesien und kohlensaurem Natron auf der Oberfläche zu Tage 
tritt, nicht nur in den Niederungen, sondern auch auf den Höhen, 
nicht nur in trocknem Terrain, sondern auch in feuchtem an den 
Ufern der Ströme. Salzig sind auch die Ufer des Paraguay, an 
denen grofse „salinas^ bekannt sind nahe am Olympo, im Chaco, 
bei Lambar6, bei Assump^ao und deren Salz 92 ^/o reines Chlor- 
natrium enthält. In den argentinischen Provinzen Entrerios und 
Corrientes und in der Republica oriental (Uruguay) ist die Milch der 
Kühe übermäfsig salzig infolge des Salzgehaltes der Campos. In Matto 
Grosso sind die sogenannten barreiros, d. h. salzhaltige Ländereien, 
von den Tieren sehr gesucht und Lieblingsplätze der Jäger für den 
Anstand auf Tapire, sehr verbreitet. Die Salinas sind ebenso häufig 
auf dem Hochlande wie in den überschwemmten Ebenen; sie sind 
zahlreich von Jaurü bis zu den Quellen des Paragahü, wenn nicht 
darüber hinaus, und nach Süden bis zu dem sumpfigen Gampos von 
Uberaba. Am bemerkenswertesten sind die Salinas von Casalvasco 
MercSs, Almeida und Jaurü, alle in einer schmalen Zone zwischen 
dem 15^ und 16^ südl. Br. Aus der ersteren gewann aus zwei 
Alqueires Lauge F. Camargo 1783 bei einem flüchtigen Versuche 
zwei Teller Salz und aus letzterer bereitete 1790 F. L. Diniz viele 
Alqueiras (alqueira, bras. Hohhnafs = 36,86 Liter). Jene der Margem 
formosa, 14 Leguas Südwest von Cuyabä., gaben so vieles und so 
gutes Salz, dafs Luiz Pinto sie von Abgaben befreite. Die Kalk- 
höhlen in der Umgebung von S. Luiz de Caceres, in welchen 
nach der Menge dort angetroffener Camocis zu schliefsen, die 
Bororös ihre Nekropolis hatten, sind so reich an Salz, dafs noch 
1849 nicht weniger als 100 Arrobas (1 arroba = 15 kg) davon in 
ihnen gewonnen und den Paraguay hinabgeschickt wurden. Auf der 
Höhe des Araxä existieren an den Ufern des Xacuruhina so reiche Sa- 
linas, dafs sie nach Ric. Franco hinreichend wären, um die Provinz 
zu versorgen. Selbst von den Quellen des Paraguay sagt Southey, 
sie seien, wenn auch krystallklar, doch scharf und salzig und be- 
decken die Umgebung mit einer dicken Kruste, was den Wurzeln 
der Bäume das Ansehen von Felsen verleihe. Das Gleiche wieder- 
holt sich in der Zone zwischen Taquary und Apa, wo der gröfste 
Teil der Bäche brackisches Wasser führt. 

So ist es wahrscheinlich, dafs dieses enorme Becken zwischen 
den Anden und dem Hochplateau von Matto Grosso ein Denudations- 
thal ist, gebildet durch die Gewässer, welche hier existierten und 
deren Ausflüsse das Erdreich hinweg sch^jemmlekiL, \A^ ^^\s^siSv%^s«k 



— 280 — 

mittelländischen Meere standen unter einander in Zusammenhang 
und Reste dieser Verbindungskanäle haben D'Orbigny und Wedell 
(Exp. VI. p. 109) an mehreren Stellen in Bolivia nachgewiesen. 
Welcher Entwicklung gingen diese Gegenden entgegen, wenn jenes 
Mittelmeer noch heute bestände! Auch so aber gehört Matto Grosso 
zu den reichst bewässerten Gebieten der Erde. Sind ihm doch 
noch geblieben: der Tapajoz und Xingü im Norden, der Araguaya 
und Tocantins im Osten, der Guapor6, Marmor^ und Madeira im 
Westen, alle dem Könige der Ströme zueilend, und der Parana und 
Paraguay im Süden. Man hat vorgeschlagen, die Region zwischen 
Tapajoz, Xingü und Amazonas in Zukunft Tapajonia zu nennen, 
Xingutania jene zwischen Xingü, Amazonas imd Tocantins und Ta- 
piraquia jene zwischen Arinos und Araguaya. Es sind das reine 
Luxusnamen, und wäre es dann nötig, doch auch für die bekannteren 
Regionen entsprechende Bezeichnungen einzuführen, nämlich für das 
Gebiet zwischen Guapor^, Madeira und Arinos, so¥ae für das Thal 
des Paraguay, und müfste dann etwa jenes Parecinia, dieses Para- 
guania heilsen, wenn dazu ein Bedürfnis vorläge. Die Idee stammt 
von Agres de Gasal, welcher zuerst die Capitania von Matto Grosso 
einteilte in Cuyabä, Juruhena, Arinos, Tapiraquia, Bororonia uod 
Camapuania, eine Einteilung, welcher dann Candido Mendes noch 
Cayaponia hinzufugte. 

Die ausführliche Schilderung der Flüsse von Matto Grosso, 
welcher das umfangreiche zweite Kapitel der Einleitung gewidmet 
ist, läfst sich hier nicht reproduzieren. Daher folgende Bemerkungen: 
Den Paraguay kann man per Dampfer bis Herculanea, Cuyabd, 
Diamantino und Registro do Jaurü hinauffahren, und im Boot bis 
zu den äufsersten Quellen des S. Louren^o von Piquiry, bis zum 
Hafen der alten Fazenda de Camapuam, bis Nival und zu den 
Quellen des Cuyaba. Sein Verlauf beträgt etwa 2500 knu Der Gua- 
pore und Marmor6 sind frei in einer Ausdehnung von 1700 km. 
Der Madeira, von der durch Stromschnellen gesperrten Strecke am 
Marmor^ in einem Verlaufe von 388 km ab frei, bietet wie der 
Paraguay von Gahyba abwärts, tiefgehenden Schiffen freien Verkehr 
für den ganzen weiteren Verlauf bis zur Mündung in den Amazonas 
in einer Ausdehnung von 1200 km. 

Von Interesse ist die historische Entwickelung der Schiffahrt 
auf dem Araguaya. 1850 wurde Leopoldina gegründet, an der Ein- 
mündungssteile des Santa Maria und bald darauf Januaria, in der 
Mitte zwischen der Dha do Bananal und S. Joao das duas barras. 
Zwischen beiden Orten wurde 1868 eine Dampferverbindung etabliert 
durcb den Präsidenten Conto de Mio^aUiaea^ welcher 1864 den Ära- 



— 281 — 

guaya in Begleitung des Ingenieurs E. Vall6e in einer Strecke von 
mehr als 2000 km stromabwärts befahren hatte. Dieser energische 
Mann liefs 1868 als Präsident von Matto Grosso den kleinen Dampfer 
„Araguaya" zu Lande über eine Strecke von mehr als 600 km 
schlechtesten Terrains von Cuyabä bis Leopoldina transportieren. 
So etablierte Magalhäes effektiv die Dampfschiffahrt auf dem Ara- 
guaya zwischen Leopoldina und Januaria in einer Strecke von nahezu 
1000 km, anfangs nur mit dem genannten Dampfer, zu welchem 
später zwei weitere, der „Mineiro" und der Schlepper ;,Colombo" 
hinzukamen: 

Ein tragisches Schicksal hatte der Entdecker der Schiflfbarkeit 
des Guapor6, Manoel Felix de Lima, welcher als erster einen Weg 
zwischen den Hauptstädten von Matto Grosso und Pard auffand. 
Im Jahre 1742 fuhr Lima mit wenigen Gefährten und drei Sklaven 
den Guapor6 hinab, passierte glücklich die furchtbaren Stromschnellen 
des Marmor6 und Madeira und durchzog unbehelligt die Jagdgründe 
imzähliger wilder Indianerstämme. Als er glücklich in Belem an- 
langte, wurde er zum Lohne für die ausgehaltenen Strapazen und 
die wichtige Entdeckung, welche er gemacht, ins Gefängnis geworfen, 
wegen Übertretung des Minengesetzes, welches die Reise in die 
kastilianischen Gebiete verbot. Man konfiszierte ihm und seinen 
Genossen ihre Habe und schickte ihn mit einigen derselben nach 
Lissabon. Nach längerer Haft liefs man sie schliefslich frei, wo sie 
dann jeglicher Mittel entblöfst, den täglichen Unterhalt sich erbetteln 
mufsten. In diesen guten alten Kolonialzeiten, in denen die Re- 
gierung die Entdecker neuer Regionen und Wege verhaftete, behielt 
der Staat sich das alleinige Recht vor, zu bestimmen, wohin und 
auf welchem Wege man irgend wohin reisen dürfe. Trotzdem ver- 
kannte die portugiesische Regierung nicht den Wert der Entdeckungen 
Limas und erliefs im November 1752 eine Bestimmung, die freilich 
erst zwei Jahre später nach Matto Grosso gelangte, wonach der 
Handel nach Parä auf dem Wege über den Guapor6 und Madeira 
freigegeben wurde, in jeder andern Richtung aber verboten blieb. 
Seit der Zeit wurde diese Marmor^-Madeiraverbindung oft benutzt, 
so auch von den Ingenieuren Gebrüder Keller und 1877 von einem 
Teile der bolivianisch-brasilianischen Grenzkommission, welcher auch 
der Arzt der Kommission, Dr. Severiano da Fonseca, der Verfasser 
dieses Werkes angehörte. Diese Reise ist daher auch in dem 
speziellen Teile des Werkes genauer geschildert. 

Zunächst begleiten wir den Verfasser auf folgender Rundschau 
über die Produkte von Matto Grosso. Es ist wohl kaum zu sagen^ 
welche unter den Provinzen des KaiserreicYi^& öaä x^VöösXä. '^^^ «x^ 

Qeogr. Blätter. BremeUf 1886. nrv 



— 282 — 

natürlichen Hülfsmitteln, sicher aher gehört Matto Grosso zu den 
begünstigtsten, wenn sie nicht den ersten Rang einnimmt. Im Herzen 
des südamerikanischen Kontinents gelegen, das Quellgebiet der 
gröfsten Ströme der Welt, überraschte Matto Grosso schon die ersten 
Besucher durch den Reichtum an offen zu Tage tretenden Mineralien. 
Der ganze westliche Abfall des Parecis zeigte überall, wo eine Quelle 
erschien, den überraschten Augen der Abenteurer Schätze. Die 
Anziehungskraft des Goldes liefs zahllose Gebäude, Ortschaften, 
Fabriken u. a. an den Bächen und Flüssen entstehen. In dem 
Quellgebiet des Candeias und Jamary explorierten die Jesuiten von 
Madeira goldhaltiges Terrain, aus dem sie grofse Schätze erlangt 
haben sollen. An vielen Stellen wurden auch Diamanten gefunden. 
Die goldhaltigen Ländereien des oberen Paraguay von Diamantino, 
Coxim u. a. wurden dem Minenbetrieb entzogen durch Regierungs- 
verbot, weil sich in ihnen grofse Mengen jener wertvollen Steine 
vorfanden. Zahlreiche Flüsse und Bäche tragen den Namen von 
Gold oder Diamanten. 

Auch die Entstehungsgeschichte der Stadt Guyabä weist hierauf 
hin. Miguel Subtil sammelte am ersten Tage eine halbe Arroba 
Gold und sein Gefährte 400 Oktaven in diesen Minen, welche binnen 
einem Monate 400 Arrobas (ä 15 Kilo) lieferten. Auch heute noch 
kann man ohne Mühe und Arbeit Gold in den Strafsen und Höfen 
finden, zumal nach Regen. Als 1875 das 5. Bataillon an der Prainha 
lagerte, machten sich die Soldaten ihre Herde, indem sie leichte 
Gruben aushoben. Als dann ein starker Regen kam, wusch er die 
Asche aus und liefs Gold zurück, das schon nicht als Flitterwerk, 
sondern als kleine Barren zu bezeichnen war. Ich sah einige derselben 
von 4 — 6 Oktaven Gewicht, doch gab es auch gröfsere. 

Diamanten hat man in reichen Lagern im Diamantino, Burytisal 
u. a. Quellflüssen oder Bächen des Paraguay, aber auch an vielen 
anderen Orten gefunden. Während aber von den Goldminen der 
Staat eine Abgabe von einem Fünftel beanspruchte, reservierte er 
sich das Recht der Ausbeutung der Diamantminen ganz und gar, 
und verbot deren Ausbeutung unter Androhung der schwersten 
Strafen. Auf diese Weise mufsten sehr viele reiche Goldminen 
verlassen werden, weil sich auch Diamanten in ihnen vorfanden. So 
wurden die Minen von Diamantino den Goldsuchern verboten, als 
1748 bei der Vermessung Diamanten gefunden wurden und erst 
1805 wurde dieses Verbot zurückgezogen. Jene Regionen sind so 
reich, dafs vor wenigen Jahren J. P. Antunes dort sich in wenigen 
Tagen ein Vermögen von 200 Contos (etwa A 360000) machte. 

Buritysal, unterhalb des Diamantino, ist heute ein verlassener 



- 283 — 

Ort, wie fast alle älteren Ansiedelungen der Provinz, die Ziegel- 
dächer weisen aber noch auf die ehemalige Bedeutung hin. Die 
wenigen Bewohner verbringen ihre Tage in träger Sorglosigkeit, 
nur dann arbeitend, wenn die Not sie zwingt. Diese Arbeit besteht 
in der Suche nach Diamanten, welche sie vom Grunde des Flusses 
heraufholen. Zu diesem Zwecke gehen immer zwei Genossen mit 
einem baquit6. Dies ist ein Korb, den die Indianerinnen umgehängt 
tragen; er wird an einer Schnur befestigt, welche der eine der 
beiden Gefährten festhält, wogegen der andre mit dem Korbe 
untertaucht und ihn mit Sand und Kies füllt, worauf ihn der andre 
zurückzieht und ausleert. Nachdem dieses Verfahren ein halb 
Dutzend Mal wiederholt ist, waschen sie den Sand aus und das 
Ergebnis ist immer hinreichend, um ihnen zu gestatten, eine oder 
zwei Wochen mit Trinken und Violaspielen in Jubel zu verbringen. 
Für die Aufforderung zu dieser Fischerei gebrauchen sie den Ausdruck 
biguar von bigua, einem Taucher (Garbo brasilianus), welcher unter- 
taucht, um kleine Fische zu fangen. 

Eisen ist überall in Matte Grosso auch in der Nähe der grofsen 
Flufsstrafsen so gemein, dafs es mit gröfster Leichtigkeit exploriert 
werden kann. An den meisten Stellen erscheint es als Oligist, dem 
reichsten der Eisenminerale. Die Analyse desjenigen von den Bergen 
Jacadigo und Piraputangas, zwischen Corumbd und Albuquerque ergab 
69®/o, den höchsten bisher erreichten Satz. Man trifft es nicht 
nur im krystallinischen Zustande, zumal in Form des Brasilien 
eigentümlichen und daselbst entdeckten Oktander, sondern auch in 
Konkretionen und in erdiger Form. Ebenso stöfst man darauf in 
sumpfigen Gegenden, als Limonat. In der Lagoa Uberaba, auf der 
Insel, welche Brasilien und Bolivien zusammengehört, und auf welcher 
die Kommission 1876 die Grenzmarken setzte, ist Eisen in solchen 
Mengen vorhanden, dafs die Bussolen unbrauchbar waren und die 
Arbeiter aus den Kieseln nicht in gewohnter Weise beim Abkochen 
Dreifüfse zusammenstellen konnten, weil die Hitze die Steine 
zersprengte, dafs die Splitter unter lautem Krachen weit umher- 
geschleudert wurden. 

Kupferminen giebt es in Matte Grosso am Jaurü und Araguaya, 
ebenso wird Silber gefunden, wie auch Platin und Palladium. Ferner 
hat man Achate, Kalksteine, Marmor, Gyps und Kaolin angetroffen. 

Überreich ist Matte Grosso an allen Arten nutzbarer Vegetabilien. 
Alle Exportartikel des Kaiserreiches gedeihen hier, einschliefslich 
des Kaffees. Man könnte sagen, dafs es in Brasilien keinen ganz 
andankbaren Boden giebt. Selbst die Sümpfe des Paraguay könnten 
zu einer Quelle des Wohlstandes werden, wenn man den Reis dort 



— 284 — 

kultivierte, welcher dort spontan wächst, und dessen Ertrag einen 
Teil der Nahrung der indolenten wilden und halbwilden Stämme 
bildet, welche an den Ufern der Ströme und Seen leben. Auch 
Baumwolle giebt ohne alle Pflege reichen Ertrag. 

Das Zuckerrohr leistet Wunder, wie sie die Plantagen des 
Nordens nie aufwiesen, indem die beschnittenen Stöcke 10 — 20 Jahre 
lang immer von neuem wieder stark zuckerhaltige Triebe nachwachsen 
lassen, von den 30 — 40 Jahren Dauer, welche ihnen manche Pflanzer 
geben, ganz zu geschweigen. Man hat guten Grund zur Annahme, 
dafs diese Pflanze in der Provinz einheimisch sei. Es wird versichert, 
dafs bald nach Begründung von Cuyaba man Zuckerrohr in den 
Ansiedelungen der Indianer am S. LourenQo (1728) getroffen hat. 
Seit 1758 wird Zucker in der Provinz produziert. Tabak und 
Mandiok gedeihen vortrefflich, ebenso card, inhame und batatas. 
Der Mate, der caa-mi, der Guarany, ist verbreitet in den fruchtbarsten 
Distrikten von Miranda, Nival. 

Die Ipecacuanha ist fast nur in Matte Grosso einheimisch. Ihr 
bevorzugter Standort sind die Ländereien an den Bächen im Westen 
der Provinz, zumal den Quellflüssen des Guapore und des Paraguay 
bis zum Jauru. An den Ufern dieses Flusses und des CabaQal wird 
der gröfste Teil der Ipecacuanha gesammelt, welche auf den Weltmarkt 
gelangt. Die Laubwälder, welche diese Flüsse begleiten, heifsen 
mattas da poaya (Poayawälder), weil in ihrem schützenden Schatten 
diese wertvolle Medizinalpflanze ganz besonders üppig gedeiht. Als 
weitere offizineile Pflanzen jener Gegend sind zu erwähnen Vanille, 
China, Japecanga und Sassaparilha, Jalapa, Jaborandy, Drachenblut, 
Copaiva, Bicuiba und andre Ölpflanzen, ferner Angico, päo-santo, 
Caroba, cainea, jatobä und viele andre. Die Vanille umschlingt starke 
Bäume und besonders Palmen, zumal in den Uferwaldungen des 
Guapor6, Marmor6 und Madeira. China und Barbatimäo, timbö de 
arvore und die Mangaba, so angenehm durch das Aroma ihrer Frucht, 
wie nützlich durch ihren Gummi, trifft man in niederen Terrains 
mit thonigem Boden. Von der China existieren mehrere Arten, 
alle brauchbar, aber nicht von der besten Qualität. Am häufigsten 
sind die roten Arten varicosa und nitida, sowie Chinchona lancifolla 
und microphila. Häufig sind an den Flufsufern auch Sassaparilha, 
Cacao, cravo (Nelken) und Gummibäume, Seringueiras und Tocary, 
von denen letztere sich hoch über die Gipfel der übrigen Bäume 
erheben, der Landschaft einen besonderen Charakterzug verleihend. 

Zum Unglück für Matte Grosso wird sein riesiges Territorium, 

das noch so wenig erforscht ist, auch wenig ausgebeutet, besonders 

wegen der Stromschnellen der ¥Vü&s>e, äJü^t m^.w weifs, dafs nur 



— 285 — 

vom oberen Madeira alljährlich eine Summe von 5 — 6 Contos d. ß. 
(ä etwa 1800 A) dem Provinzialrentamte von Amazonas zugeht, 
welche Provinz thatsächlich dieses Gebiet von Matto Grosso verwaltet. 

Es läfst sich denken, dafs bei so reicher Vegetation die 
Waldungen von Matto Grosso mit dem Besten gesegnet sind, was 
Brasilien an Nutzhölzern besitzt. Unter der grofsen Menge derselben 
seien nur genannt: Jacarandä, Vinhatico, Guatambü, Guarabü, Päo 
Santo (Guayaco), Aroeira, Cedro, Anjico, Pdo d'arco u. a. und im 
Nordosten das Brasilholz. Am Ufer des Paraguay freilich sieht man 
infolge der unsinnigen Waldverwüstung der Holzfäller kaum noch 
eine oder die andre Jacarandä, Vinhatico u. a., welche im 
wesentlichen verschwunden sind, um als Heizmaterial für die Dampfer 
zu dienen, welche den Flufs befahren, ein wertvolles Material, dessen 
Seltenheit man jetzt besonders in der Blütenzeit von Juli bis September 
erkennt, wo diese Bäume das dunkle Grün des Waldes mit enormen 
Blütensträufsen zieren, die prachtvoll in weifs, gelb, rot oder violett 
strahlen. Wenn die durch gleiche Blütenpracht ausgezeichneten Ip6s, 
sowie peuwas (= Cabriuvas? v. Jh.) noch häufiger sind, so liegt 
das nicht daran, weil sie minder gutes Brennholz abgeben, sondern 
weil sie die Axt stumpf machen und den Arm des Holzhauers ermüden. 

Bei dieser Gelegenheit kann ich meine Verwunderung darüber 
nicht unterdrücken, dafs die Provinz so gleichgültig diesen ver- 
beerenden mafslosen Waldverwüstungen zuschaut. So viel ich weifs, 
wiewohl ich dessen nicht sicher bin, sind die wertvollen Nutzhölzer, 
die madeiras de lei (Gesetz) Eigentum der Nation, ja einige der- 
selben darf niemand, auch nicht auf eignem Grund und Boden, 
fällen, ohne dazu eine besondere Konzession erbeten zu haben, in 
der Zahl und Beschaffenheit der Stämme, welche er umhauen will, 
genau angegeben sein mufs. Das Zirkular des Marineministeriums 
vom 5. Februar 1858 verbietet folgende Baumsorten zu fällen: 
peroba, sacupira, pequid, jaguar6, cedro-batata oder angelim do 
Parä, peroba branca, potamujü, itauba do Para u. a., und wenn 
von vielen andern geschätzten und zum Teil wertvolleren Holzarten 
darin nicht die Rede ist, unterblieb das wahrscheinlich nur, weil 
es bereits durch ein andres Gesetz geschah. 

Es ist kaum zu glauben, dafs obwohl die Dampfschiffahrt der 
Provinz schon so lange besteht, die betreffenden Kompanien noch 
keine Steinkohlendepots haben und keinerlei Vorkehrung dazu treffen. 
So brennen sie die wertvollsten Holzarten weg und wenn diese er- 
schöpft sein werden, wird man zu den minderwertigen greifen, bis 
schliefslich die Not sie doch zur Steinkohle greifen läfst. Hier aber 
heilst es : eher spät als niemals. Rette man \^\jl\. ^^\Ä%^\R»a. ^^^^ 



— 286 — 

feinen Hölzer, die dann später als Fracht mit denselben Dampfern 
stromab gehen können, welche jetzt mit Jacarandä, Cedro u. a. 
ihre Kessel heizen. Die Dampfschiffahrt, sowie sie jetzt betrieben 
wird, schadet der Provinz mehr als sie ihr nützt. Die Kompanie 
verfügt nur über drei kleine, fast jeder Bequemlichkeit bare Dampfer, 
von denen einer, der „Coxipö" nicht einmal Kajüten hat. Und diese 
werden noch bei niederem Wasserstande durch Böte ersetzt, welche 
den Rest der Reise von Santo Antonio bis Cuyabd zurücklegen. 
Dabei ist aber diese Gesellschaft seit langen Jahren in weitgehendem 
Mafse subventioniert. Es liegt keinerlei Grund vor zu dulden, dafs 
diese Gesellschaft* unter solchen Umständen noch weiter die natür- 
lichen Hilfsquellen der Provinz erschöpfe. 

Trotz so günstiger Vorbedingungen läfst sich leider nicht ver- 
kennen, dafs in wirtschaftlicher Hinsicht Matto Grosso stationär 
bleibt, ja eher rückwärts geht. Von ihren Produkten ist nichts auf 
dem Weltmarkte bekannt als seine Ipecacuanha, einige als Geschenke 
versandte Tigerhäute und einige Vanilleschoten, die zwar von guter 
Qualität, aber so schlecht präpariert sind, dafs sie wenig geschätzt 
sein können. Diese Misere in der Produktion von Matto Grosso 
trat nirgends deutlicher zu Tage als auf der Ausstellung in Phila- 
delphia. Selbst die durch gröfste Schwierigkeiten im Transporte 
zurückgehaltene Provinz Goyaz stellte gute Lederarbeiten, vor- 
trefflichen Tabak, Spitzen, Hängematten, Droguen und wertvolle 
Mineralien aus. 

In Matto Grosso kennen die gröfseren Grundbesitzer keine 
andre Quelle des Reichtums als die Viehsucht Das Rind wmrde 
in der Provini 1730 eingeführt, hatte sich aber schon nach zehn 
Jahren ebenso stark vermehrt wie in den Campos des Südens. 
Diese Viehzucht ist deshalb so bequem, weil sie dem Besitzer keine 
andre Arbeit verursacht, als das Vieh auf seine weiten Campos 
und angrenzenden Landereien loszulassen. Man weifs weder fär 
Futter zu sorgen, wenn dieses mangelt, noch für Wasser, wenn es 
an Stellen zur Tränke fehlt, obwohl es an vielen Stellen leicht 
wäre dafür zu sorgen, dafs durch Kanalisation das Vieh auch zur 
Zeit der Dürre Wasser hätte ; statt dessen verlaufen sich die Heerden 
in dieWälcter oder nach barreiros und können nur mit Mühe und 
nor teilweise wieder aufgefunden und zurücktransportiert werden. 

Vor einigen Jahren freilich existierte im Delta des Taqnanj dne 
Fazenda, welche ein Musteretablissement für die ganze Provinz zu 
werden verspracht Ihr Besitzer, jung, lutelligent und unternehmend, 
tbat alles zu ihrer Hebung. Neben gut bepflanzten Campos existierten 
weite Luzemefelder und das Vieh brauchte nicht meilenweit nach 



— 287 — 

Wasser zu laufen, da Brunnen und Kanäle es dieser Mühe enthoben. 
Mit Stolz sah der junge Mann seinen Yiehstand gedeihen, wie auch 
seine Gärten, Obstpflanzungen u. a, und er stand im Begriff, die alte 
Lehmhütte durch ein solides komfortabeles Haus zu ersetzen. Da 
setzte das Messer des Meuchelmörders dem Leben dieses schaflfens- 
freudigen Mannes ein Ziel, welcher seiner Provinz sehr fehlen wird, 
für die er ein Sporn und eine Garantie des Fortschrittes hätte 
werden müssen. Mit dem Tode des Baronete, im Juni 1876, ver- 
fiel auch die Fazenda Palmeira und sank rasch auf das Niveau der 
übrigen hinab. Gegenwärtig exportiert Matto Grosso nicht einmal 
Häute mehr. Es gab Zeiten, in denen für jede Ochsenhaut 7 Mil- 
reis und mehr erlöst wurde. Kurzsichtige Gewinnsucht, welche 
nur an das heute, nicht auch an das morgen denkt, bewirkte die 
Vereinsamung der Campos, deren Viehstand schon von den Para- 
guayern war verwüstet worden. Selbst trächtige Kühe tötete man, 
nur um der Haut willen — und es waren Fazendeiros, welche so han- 
delten! Natürlich blieb nicht aus was kommen mufste. Die Fa- 
zenden verarmten, auf einigen wurde der Viehstand gänzlich aus- 
gerottet. Der jährliche Konsum der Provinz beläuft sich, von 
Dörrfleisch abgesehen, auf 15 bis 16,000 Stück Rindvieh. Der 
Handel mit Schlachtvieh nach Rio de Janeiro und Minas hat fast 
ganz aufgehört, von einigen gröfseren Viehzüchtern abgesehen, welche 
etwa alle zwei Jahre 5 bis 6000 Stück Rindvieh exportieren. 

Der Staat hat eine gröfsere Anzahl von Fazenden, fast alle 
in den besten Lagen der Provinz und schon zur Zeit der Kolonial- 
herrschaft ausgewählt. Dieselben haben vortreffliche Campos mit 
gutem Wasser und reiche Waldungen. So z. B, besitzen diejenigen 
von Casalvasco und Salinas die schönsten Wiesen, die ich gesehen 
habe, weit und völlig eben. In früheren Zeiten versorgten diese 
Domänen fast halb Brasilien mit Schlachtvieh, von Bahia bis San 
Paulo. Heute sind sie verlassen; das Vieh hat sich in die Wälder 
verlaufen oder nach den Estanzien, welche die Bolivianer nahe an 
der Grenze etablierten, und deren Campos eine besondere An- 
ziehungskraft auf das Vieh ausüben, weil sie regelmäfsig gebrannt 
werden, um den grofsen nachwachsenden Trieben Raum zu schaffen, 
oder endlich auf die Estanzien der Provinz selbst, deren Besitzer 
wie selbstverständlich jedes Stück Vieh, das sie ohne Marke an- 
treflfen, als ihr Eigentum ansehen. 

Welche enorme Verluste hat Matto Grosso erlitten seit dem 
Eingehen des Betriebes dieser Domänen, und wie leicht lielse sich 



— 288 — 

das wieder ändern^)! Die Nachlässigkeit auf den Domänen geht 
noch über jene auf den Estanzien der Privatpersonen hinaus und 
dient ohne Zweifel auch letzteren als Beispiel! 



Als letzter Abschnitt des allgemeinen Teiles schliefst sich end- 
lich eine Schilderung der sanitärm Verlialtnisse und des Klimas 
von Matto Grosso an, deren wesentlichster Inhalt im folgenden noch 
mitgeteilt sei. 

Wenn das Klima von Matto Grosso vielfach als ungesund und 
ungastlich geschildert wird, so ist das wohl nicht ganz zutreffend. 
Aus zwei grofsen Gebieten, dem Hochlande und der Tiefebene be- 
stehend, hat die Provinz je nach Lage und Bodenbeschaffenheit in 
den verschiedenen Gegenden ganz verschiedenartige Gesundheits- 
bedingungen. Die trockne Luft, die im Verhältnis zur Tiefebene 
etwas niedrigere Temperatur und reines gesundes Wasser machen 
das Klima des Hochlandes zu einem schon nicht einfach gesunden, 
sondern überaus gesunden, indem endemische Krankheiten fast 
gänzlich unbekannt sind und Epidemien selten auftreten. Da nun 
aber diese Hochlandsregion etwa ^/s des ganzen Territoriums der 
Provinz einnimmt, so darf man das Klima von Matto Grosso nicht 
nach jenen des letzten Drittel, d. h. der sumpfigen oft überschwemmten 
Tiefebene beurteilen, indem eine dichte, schwere von Fieberkeimen 
geschwängerte Luft freilich keine günstigen Bedingungen schafft. 
Wenn dies gleichwohl so häufig geschah, so liegt die Erklärung 
nahe. Liegen doch die Ortschaften gröfstenteils in dieser Region, 
wie auch in ihr sich die Hauptstrafsen des Landes, die schiff- 
baren Flüsse, befinden. 

Dafs in solchen feuchten heifsen Sumpfniedeningen auch die 
Neigung zu Sumpffiebem vorherrscht ist begreiflich, aber keine 
Besonderheit von Matto Grosso, sondern kehrt unter gleichen Be- 
dingungen fast in der ganzen Welt wieder. Man braucht nur an 
den Nil und den Ganges und den Mississippi zu denken, ja selbst 
die Rhone, Maas, Seine und der Rhein waren früher ungesund, ehe 



*) Der Erwerb solcher oder andrer zur Viehzucht in grossem Mafsstabe 
geeigneter Güter bildet, wie mir scheint, neben dem Mineralreichtnme des Landes 
das einzige, was nach Matto Grosso europäisches Kapital nnd Untemehmongs- 
lust locken könnte. Nur von solcher Einwanderung würde man eine Besserung 
und den Anslols zum wiitschaftlichen Aufschwünge erhoffen können, für den 
meiner Ansicht nach S. da Fonseca verfehlt erweise an die Regierung appelliert. 
Man ziehe wie in Paraguay europäisches Kapital zum Viehzuchtsbetriebe an 
und die Folgen werden nicht ausbleiben! 



— 289 — 

der Mensch korrigierend eingegriffen. Wie viel mehr erst an den 
Strömen der heifsen Zone, wo eine überreiche Wasserflora weite 
Strecken der Ströme bedeckt und stellenweise das Wasser völlig 
unter einem Teppich von Grün verbirgt, wo Myriaden von Fischen 
und Amphibien, die während der Überschwemmung eindrangen, in 
der Zeit der Dürre und Stagnation verkommen und verfaulen, und 
selbst die Rasen von trocken gelegten Wasserpflanzen vermodernd 
die Luft verpesten. So ist ein perennierender Herd von miasmatischen 
Fiebern und Ansteckungen gegeben, zumal wenn im Sommer die 
übermäfsige Hitze alle diese Prozesse begünstigt und beschleunigt. 

Ohne Zweifel kann in diesen Regionen der Mensch nicht gesund 
bleiben, wenn er sie nicht einigermafsen den Bedürfnissen seines 
Wohnortes angemessen umgestaltet, was freilich nur da zu erreichen 
ist, wo er nicht in einzelnen weit entfernten Gruppen, sondern in 
Masse auftritt. Es rächt sich schwer, wenn er auch unter solchen 
Umständen nichts unternimmt zur Verbesserung der sanitären Ver- 
hältnisse. Wenn die ehemalige Hauptstadt der Generalkapitäne, das 
blühende Villa Bella heute zu der verkommenden Stadt Matto Grosso 
herabgesunken ist und der pestbringenden Umgebung erliegt, so 
geschieht das nur, weil die Bewohner niemals der Verbesserung des 
Bodens die Anstrengungen widmeten, die sie bei seiner Umkehr in 
der Goldsuche aufwendeten. Im Gegenteil schufen sie beim Durch- 
wühlen des Erdreiches neue Pfützen und Kotlachen, thaten nichts, 
um der Überschwemmung Halt zu bieten oder stehendem Wasser 
Abfluls zu schafien. 

Kein Wunder daher, dafs diese Stadt einen so schlechten Ruf geniefst, 
der noch immer schlimmer sich gestaltet angesichts der Lebensweise, 
dei; schlechten Ernährung und den Mifsbräuchen aller Art, welchen 
sich die Bewohner hingeben. Hierhin gehören die häufigen Bäder während 
der ärgsten Sonnenhitze, in oft schlammigem heifsem Wasser, und ohne 
alle Rücksichten auf ihren jeweiligen Zustand, z. B. nach den Mahl- 
zeiten oder abgearbeitet und in Schweifs. Derartige Mifsbräuche 
sind allen verständigen Leuten aufgefallen, welche die Provinz 
bereisten, und schon 1797 von dem gelehrten Naturforscher Dr. 
Alexandro Rodriguez Ferreira in seiner kleinen Schrift „enfermidades 
endemicas da capitania de Matto Grosso" getadelt worden, einem 
Forscher, dessen Autorität man besonders hochstellen mufs, nicht nur 
wegen seiner Erfahrung und guten Beobachtungsgabe, sondern auch 
weil er der erste und vielleicht einzige war, der über dieses Thema 
schrieb. 

Es wäre offenbar absurd das Klima verantwortlich zu machen 
für Krankheiten, welche der Mensch provoziert und welche überall 



— 290 ~ 

auftreten werden, wo die Bewohner in ihrer Lebensweise keinerlei 
Rücksicht nehmen auf die Besonderheiten des Klimas. Diese 
Erwägungen machen auch im Gegenteil geneigt zu der Annahme, 
dafs die Malaria hier viel milder auftritt, als man erwarten dürfte. 
Die wenigen Bewohner, die man in weiten Abständen den Flüssen 
entlang auf den höheren Uferpartien wohnen findet, tragen zwar 
grofsenteils Spuren, wo nicht klare Anzeichen von Malarialeiden, 
aber gleichwohl sind die fast ausschliefslich vorkommenden Tertianas 
von sporadischem Charakter, trotz der zu solchen Erkrankungen 
disponierenden Unregelmäfsigkeiten in der Lebensweise. Wenn selbst 
in den Städten die Subsistenzmittel oft knapp sind, wie viel mehr 
bei diesen Bewohnern, welche der Jagd und Fischerei fast aus- 
schliefslich ihre Nahrung verdanken, die nur durch den wilden Reis 
ergänzt wird, welchen die Sümpfe freiwillig und reichlich erzeugen, 
sowie bisweilen durch Farinha, Mais und Bohnen, aber nicht einmal 
stets Salz. Hierzu liefern dann noch die Wälder, besonders im 
Sommer, eine reiche Auswahl wilden Obstes. Dieses Volk verbringt 
fast den ganzen Tag über auf dem Wasser, mehr aus Gewohnheit 
wie aus Bedürfnis fischend, den versengenden Strahlen der Sonne 
preisgegeben, deren Glut sie sich durch häufige Bäder zu entziehen 
trachten. Unter solchen Umständen mufs man sich weniger über 
das Auftreten als über die geringe Heftigkeit der Malariaerkrankungen 
wundern. 

Natürlich sind es die Fremden resp. Neuangekommenen, welche 
dem Intermittens den gröfsten Tribut entrichten. Trotzdem haben 
wir dutzende von Malen diese Regionen durchkreuzt, in ihr Wochen 
und Monate geweilt, ohne wesentlich dadurch behelligt worden zu 
sein. Unsre regelmäfsige und kräftige Ernährung, unsre Ge- 
wohnheit, das Trinkwasser nicht aus Flüssen oder Sümpfen, sondern 
aus kleinen Bächen oder Brunnen zu schöpfen, die beständige 
Thätigkeit, der GenuCs von Ka£fee und Spirituosen, das Baden während 
der kühlen Tageszeit, besonders in der Morgendämmerung — das 
alles scheinen verständige und zweckmäfsige Mittel gewesen zu sein, 
um uns vor miasmatischer Ansteckung zu bewahren. Und dabei 
verbrachte man doch, sobald es der Dienst mit sich brachte, oft 
lan^ Zeit im Wasser und weilte imter den Strahlen einer glühenden 
Sonne 6, 8 und mehr Stunden auf dem Wasser, wie z. B. im Mandior6, 
als wir die festgefahrenen Dampfbarkassen firei machten, oder zn 
Boot in der Region der Stromschnellen des Madeira, wo die Be- 
mannung der Fahrzeuge grofsenteils im Wasser arbeiten muEste, 
um diese an schlechten Stellen vor dem AuCstoHsen zu bewahren. 
Wenn irgend ein Heberangriff oder irgend ein Unwohlsein, das man 



— 291 — 

auf Malaria beziehen konnte, sich zeigte, so genügte zur Beseitigung 
regelmäfsig eine kleine Dosis Chinin, eine Tasse Kaffee oder ein 
Schluck Branntwein. Und unsre Begleitmannschaft war nicht etwa 
klein. Als wir den Guapor6 hinabführen, waren wir einige 30 Personen, 
und auf den Märschen in den Waldungen an der Grenze von Bolivien 
waren es ihrer mit Soldaten, Arbeitern, Aufsehern, Knechten und 
den dieselben begleitenden Weibern nicht weniger als 200. 

In diesen Gegenden ist die Ernährung der Bevölkerung nicht 
nur eine schlechte und ungenügende, sondern auch zu unregelmäfsige. 
Oft fehlt das Salz und manche Leute ziehen selbst eine Verdauungs- 
störung dem Verdrufs vor, einen reichen Ertrag der Jagd oder 
Fischerei nicht bewältigen zu können. So essen sie, wenn sie etwas 
haben, und wenn reichliche Nahrung da ist, oft unmäfsig. Da sie 
wissen, dafs Spirituosen bis zu einem gewissen Grade den schädlichen 
Einflüssen des Klimas entgegenwirken, so trachten sie nach diesen, 
aus dem Gebrauche aber wird Mifsbrauch und mit solchen Exzessen 
ruinieren sie den geschwächten Körper immer mehr. 

Besonders ungesund ist die Luft in den Waldungen der niederen 
sumpfigen Gegenden, in welche die Sonne nicht trocknend eindringt 
und die Hitze deshalb doch nicht geringer ist. In den berühmten 
Ipecacuanhawäldern (mattas da poaya) an den Ufern des Jaurü, 
Cabagal, Sipotuba und andrer Quellflüsse des Paraguay verweilen 
die Droguensammler nur kurze Zeit, weil sie zu rasch erkranken, 
trotzdem diese Wälder nicht alle überschwemmt werden. Die Aus- 
dünstungen des Bodens in Verbindung mit jenen der Brechwurzeln 
ziehen jenen, die sich zum ersten Male der Arbeit widmen, Magen- 
beschwerden zu, ähnlich denjenigen, die das Tabakrauchen anfangs 
erzeugt. Es ist da eine Spezialneurose, mit Kopfweh, Erbrechen, 
Dyspepsie, wozu sich oft periodische Fieber und sonstige Beschwerden 
gesellen, welche an Ergitismus oder Bleivergiftung erinnernd, als 
eine besondere Form der Vergiftung anzusehen ist und zwar durch 
Ematin, weshalb ich sie in einer kleinen, der K. Akademie der 
Medizin vorgelegten Abhandlung, als Emetismus oder mal cephelico 
bezeichnet habe. 

Es ist wohl unnötig, besonders darauf hinzuweisen, dafs diese 
Symptome nicht immer sich steigern, sondern gewöhnlich sich in 
dem Mafse verringern, als das Individuum sich an die neuen Lebens- 
bedingungen gewöhnt, auch hierin dem Raucher gleichend, der 
ebenfalls nur im Anfange unter den Symptomen der Nikotinvergiftung 
leidet. Von den Phlegmasien des Sumpftypus können in den Tief- 
ebenen der Provinz als vorherrschend angesehen werden Unterleibs- 
leiden und Erkrankungen der Ly mphgef äfse , und zwar in jeder 



— 292 — 

Jahreszeit , wogegen Krankheiten des Respirationsapparates und 
rheumatische Affektionen im Sommer vorherrschen. Hieran tragen 
zumeist plötzliche Witterungswechsel die Schuld, wenn auf eine 
Hitze von 30 — 34 ® C. unvermittelt eine Temperaturerniedrigung von 
20 ® und darüber erfolgt. Die Bronchiten, Pneumonien und Pleuriten 
sind dann um so gefährlicher, als sie die Leute gänzlich überraschend 
mit dem unerwarteten Eintritte der Kälte befallen. Tuberkulose 
dagegen ist nicht häufig genug, um unter den vorherrschenden 
Krankheiten der Provinz aufgeführt zu werden. Leberkrankheiten, 
Nierenleiden, Dysenterien u. a. und Syphilis sind zu allen Jahres- 
zeiten die Krankheiten, welche dem klinischen Studium am regel- 
mäfsigsten entgegentreten. 

Häufig nehmen die ;,phlegmasias palustres^ einen bösartigen 
Typus an und gehen in Typhoide über. Ich mufs hier nochmals 
auf das zitierte Werk des bahianer Naturforschers vom Jahre 1797 
zurückkommen, da es einiges enthält, was man in jener Zeit nicht 
erwartet hätte, nämlich über den vomito preto („schwarzes Erbrechen" 
im gelben Fieber? v. Ihr.) und über Thermoskopie bei fieberhaften 
Erkrankungen. Unter den Heilmitteln bespricht er eine aus dem 
Magen einer Eidechse (lagarto) Senemby gewonnene Arznei, welcher 
die Empiriker besondere Kraft zuschreiben. Über Messung der 
Blutwärme sagt er: „Ein unfehlbares Mittel, um das Fieber zu 
erkennen, ist die Anwendung des Thermometers am menschlichen 
Körper, in den man es auf wenig mehr als eine Viertelstunde 
einführt. Sicher ist, dafs der Puls in den Fiebern immer 75 Schläge 
in der Minute übersteigt, wenn die Temperatur über 80 ® F. steigt.* 
So gehört Dr. Alexander Kodriguez Ferreira zu den ersten, welche 
die Bedeutung der Temperaturmessung beim Studium der Fieber klar 
erkannten. Wenn auch schon 1720 Boerhave die Idee der 
medizinischen Thermoskopie erörterte, so war es doch Currie, der 
sie (1801) praktisch für das Studium der Fieber verwertete und erst 
1837 wurde das Thermometer durch Bouillaud in die Krankensäle 
eingeführt. Das Verdienst des gelehrten bahianer Naturforschers 
ist um so höher anzuschlagen, als er nicht einmal Arzt von 
Profession war. 

Von exanthematischen Krankheiten waren Masern (sarampao) 
und Röteln (roseola) die einzigen, welche man lange Zeit hindurch 
in der Provinz kannte. Erstere grassierten mehrmals mit grofser 
Heftigkeit. Nach Dr. Alexander erschienen sie zum ersten Male im 
September 1789 in Villa Bella, und zwar so heftig, dafs sie 201 
Personen töteten (154 Männer und 47 Frauen) in einer Bevölkerung 
von 2733 Seelen. Im folgenden Jahre trat die Epidemie von neuem 



— 293 — 

auf und erlagen ihr 169 Personen, darunter 59 Weiber. Die dritte 
Epidemie folgte 1813 u. s. w. Es ist bemerkenswert, dafs das portu- 
giesische Wort sarampo aus dem quichua - Worte qualampa zu 
stammen scheint. 

Die Blattern waren in Matto Grosso unbekannt bis zum Jahre 
1867. Zwar waren schon öfters Blatternkranke nach der Provinz 
gekommen, ohne jedoch Ansteckungen zur Folge gehabt zu haben. 
In jenem Jahre aber entwickelte sich eine Epidemie in Corumbä 
und verbreitete sich rasch nach Cuyabd und den andern Orten, 
mit Ausnahme nur von S. Luiz de Caceres, wo eine strenge 
Quarantäne durchgeführt wurde. Flüchtlinge verbreiteten die Krankheit 
weit; nicht nur zu den halbzivilisierten Indianern kam sie, selbst zu 
den wilden, aufser allem Kontakt mit der Kultur stehenden. Es ist 
das eine höchst merkwürdige, wohl zu beachtende Thatsache, dafs 
diese Verbreitung der Epidemien weit über die Grenzen des Kultur- 
und Verkehrseinflusses hinausgeht. Schon bei der Masernepidemie 
von 1789 sah man diese Krankheit die Haustiere, Vögel wie Säuge- 
tiere, mit derselben Intensität töten, wie man auf den Campos und 
in den Wäldern die Wirkung der Epidemie erkannte an der grofsen 
Menge Leichname von Rehen, Tapiren, Tigern, Krokodilen, Tujutujüs 
und Reihern. Die gleiche aufserordentliche Thatsache beobachtete 
man 1867 in bezug auf die Blattern. (An der Richtigkeit dieser 
Angaben zweifle ich um so weniger, als ich selbst ähnliches 
beobachtete, wie z. B. die Erkrankung eines im Hause gehaltenen 
Affen, cebus fatuellus, anläfslich der Masernerkrankung der Kinder. 
Das sonst so mutwillige Tier safs mehrere Tage still und traurig 
mit geschwollenem Gesichte in seinem Winkel, ohne Nahrung zu sich 
zu nehmen, v. Ihr.) 

Fast alle Reisenden berichten über eine in Matto Grosso vor- 
kommende Entero-proctitis, welche zu allgemeiner Dyskresie führt 
und zu einer aufserordentlichen Erschlaffung des Sphinkter. Man 
nennt sie maculo oder corrupgao (Verderbnis), in den La Platastaaten 
aber el bicho. Sie soll auch in Dänemark bekannt sein. (? v. Ihr.) 
Castelnau bespricht sie ausführlich, mir selbst kam kein Fall davon 
zu Gesicht. Als Symptome werden genannt: venöse Stauung in der 
Rectalschleimhaut, Diarrhöen, Fieber, Somnolenz. Die charakteristische 
Dilatation des Sphincter ani steigt bisweilen auf 8 — 10 cm des Durch- 
messers. Gewöhnlich erscheint die Krankheit im Gefolge inter- 
mittierender oder bösartiger Fieber. Man giebt innerlich Genciana, 
China u. a., äufserlich Klystiere von Ipecacuanha, China u. a., sowie 



— 294 — 

vom Infusum der deshalb*) auch Herva do bicho genannten Acataya. 
Ferner verwendet mau aus Charpie gerollte Suppositorien, welche 
in Pfeffer, Calomel, Schnupftabak u. a. gerollt werden. Der Maculo 
befällt vorzugsweise Neger und Indianer, zumal schmutzige. In den 
übrigen Teilen Brasiliens war die Krankheit nur zur Zeit des 
Negerhandels bekannt, zumal bei neuangekommenen Sklaven. 

Ein dem Hochland eigentümliches Leiden ist der Kropf (bocio). 
£r findet sich häufig in jenem ganzen zentralbrasilianischen Hoch- 
lande, das vom Tocantins über Goyaz und Minas bis S. Paulo und 
Parani reicht^ und auch in die Republik Paraguay hineinreicht. 
Anfangs ist er durch innerlichen Jodgebrauch heilbar. 

Schon eine geringe Bodenerhebung übt in Matto Grosso in bezug 
auf die Sumpffieber einen bedeutenden Eünflufs aus. Corumbi z. B. 
liegt inmitten der als periodischer See von Xarayes bekannten Über- 
schwemmungsebene des Paraguay, aber etwa 30 — 35 n^ höher, 
hat daher ein sehr gesundes Klima und ist frei von bösartigen 
Fiebern. 1875 wurde die Stadt von 5000 Menschen bewohnt. Es 
gab keine Beider und die Mortalitätslisten verzeichneten nicht melir 
als 5 — 6 Todes^le monatlich. Als aber ^e brasilianisdieo Okko- 
pationstruppen aus Paraguay zurückgezogen wurden, folgten d^iselben 
nach Matto Grösso Hunderte von Paraguayern, die von ihnen ernährt 
wurden und andre^ welche dem Jammer und Hunger ihrer on- 
gf&ckiichen Heimat sich entzidien wollten. In vi^ Monaten empfing 
Corumbi und seine nach Südwesten gel^eoe Vorstadt Ladario, in 
welcher sich das groüse Marinearsenal d&r Provinz befindet, nicht 
weniger als 3 — 1000 Einwanderer unt^ diesen nnglücksdigei Be- 
dingungen. Dieses WandervoUs einem Hooßchreckimscfawarm gleich, 
wurde 2ur wahren Ealamitlt für das blühende Corumba. Manche 
erhidten Beschäftigung^ liek konnten oder wollten keine Arbdt 
finden« und vorkamen in Hunger und Elend, Trunkenheit und 
Prostitution. Wer 1877 nach Conunbi gekommen wire, hatte wohl 
nidit gezw^äfeit. dafs die Stadt ungesund sei so grofs war die Meige 
der Bettl«', der Kranken und VertomBaenen, l>er Kirdiho£, welcher 
Iti&her nur weauge Male im Monate sich öfEnete. sah bei der 5 — Gmal 
gr5f$(9nen Mortalität täglich Beerdigungen. Ein Ideines Ho^ital, 



-) Pie9^ Assiclit d&nchi mir cmnkhrscli^iiiÜch. äk die Acaiay&, eine brtsilii- 
ni^io^o FA^DZe, is pui£ Bni:sa}]«ii Herv:» do binbo Itedlsi nnd zwar sc^cm seit 
liin^TA. wctshjtib <^ nnwuhTStcbeialich iso. d&fe diKie Kezeäcbinnig mos den La 
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orwühnt ^ V«rw«iidiiii^ cksr Acs^i^jtii od«r il^T Herra do bache. einer PoHygomninart, 
^*i^*i&ii den lidr:al(^, w^r^t Krai^kbeir am Kio S. Franciscx) «o ]a;3^o*'. die Erveifeming 
|!«na])z>t "ik^cirde. t. Dir. 



— 295 — 

das der Wohlthätigkeitssinn der Bewohner ins Leben rief, ging aus 
Mangel an Mitteln wieder ein. 

Heute ist dieser widerwärtige ungesunde Anschein wieder ganz 
verschwunden, und den gleichen guten Ruf geniefsen Ladario und 
Cuyabd, vielleicht auch S. Luiz de Caceres. In der Region der 
Sümpfe ist die Luft in der Höhe leichter und reiner als unmittelbar 
über dem Boden. So erklärt es sich, dafs schon eine relativ geringe 
Erhebung einen grofsen Unterschied bedingt, zumal auch auf den 
Anhöhen durch den frischeren Luftzug günstigere Bedingungen 
gegeben sind als in der dichten stagnierenden Atmosphäre der 
sumpfigen Niederung. 

In bezug auf das Klima von Matto Grosso sind, wie in dieser 
ganzen immensen zentralbrasilianischen Region, zwei Jahreszeiten 
zu unterscheiden, die trockene und jene der Regen. Die letzteren 
fallen in den Sommer und währen gewöhnlich von September oder 
Oktober, wo sie beginnen, bis zum April und Mai. Zu ihnen gesellt 
sich noch das Schmelzwasser von den Anden als Ursache der Über- 
schwemmungen. Diese kleinen Sündfluten, welche in den Tropen 
so gewöhnlich sind, beginnen als Platzregen von kurzer Dauer, 
dieselben wiederholen sich aber immer mehr, so dafs sie schliefslich 
oft wochenlang ununterbrochen anhalten. Dann vereinen sich die 
ausgetretenen Flüsse und Bäche mit den überfüllten Sümpfen und 
Seen zu jenen früher geschilderten unvergleichlichen Süfswasser- 
meeren, durch welche man in allen Richtungen über die über- 
schwemmten Campos, wie über die Gipfel der Waldbäume hinschifft. 
In dieser Zeit darf niemand es wagen längere Reisen anzutreten, 
in der Hoffnung, dafs es noch nicht oder nur wenig regnen werde, 
da er sonst sich darauf gefafst machen mufs, das trockene Erdreich 
über Nacht in Morast sich verwandeln zu sehen, während das Terrain 
der umliegenden Höhen noch dürr und trocken bleibt. 

Wahrscheinlich hat die Provinz noch niemals eiuen Psychrometer 
gesehen, so dafs keinerlei genaue Daten über die Feuchtigkeit 
der Atmosphäre und die Menge der Niederschläge vorliegen. In 
der Zeit von Mai 1875 bis März 1878 war im Mittel die Zahl 
der Regentage jährlich 135. Die jährliche Regenmenge, welche in 
Rio de Janeiro im Mittel 1,80 m, in Pard 2,0 m, in Pernambuco 
2,5 m, in Bahia 2,0 m, in S. Paulo 1,8 m beträgt, wird man 
wohl auf 3 m, wenn nicht mehr, für Matto Grosso schätzen dürfen. 

In bezug auf Hygrometerbeobachtungen kann nur (nach D'Alin- 
court) auf jene der von Langsdorff geleiteten russischen Kommission 
verwiesen werden, welche 1827 Brasilien besuchte. In Cuyaba, 
welches trotz seiner Lage 288 m über dem Ozean noch zum Tieflande 



— 296 — 

gerechnet werden kann, markierte der Hygrometer als Maximum 
des täglichen Mittel 95 ^ als Minimum 46 ® von Februar bis August, 
und auf dem 804 m über dem Ocean gelegenen Hochplateau Gui- 
maräes von April bis Jnni, in der trockenen Zeit, 60 ® des Morgens, 
50 ® mittags und 58 ^ gegen Abend. Bei dem am 16. Juni ein- 
setzenden Frost stieg bei starkem Nebel der Hygrometer auf 97 ^ 
Das Maximum des Barometerstandes (29,6oo) beobachtete Langsdorfif 
am 30. Juli bei heifsem Nordwind, das Minimum (29,4oo) am 
28. Februar. 

Die vorherrschenden Winde kommen von Nordwest und Südost 
(also ganz anders wie in Rio Grande do Sul, wo Nordost und Südwest 
vorherrschen, v. Ihr.). Die Südwinde sind kalt und erniedrigen 
rasch die Temperatur, während jene sie erhöhen. Beide sind er- 
wünscht, wenn sie die Extreme mildern, gefürchtet, wenn sie dieselben 
steigern. Besonders bedenklich ist der Südost, wenn er in der 
kalten Jahreszeit Frost und Eis bringt, oder in der Sommerhitze 
durch plötzliche Abkühlung den Respirationsorganen gefährlich wird. 
Mehr lästig als schädlich wirken die Nordwinde, wenn sie mit ihrem 
Feuerhauche die Atmosphäre noch weiter erhitzen und die ohnehin 
schon unerträgliche Hitze und das dadurch bedingte Mifsbehagen 
noch vermehren. 

Eine Beobachtung machte ich in Matto Grosso, welche ich 
später an andern Orten bestätigt fand, dafs an bestimmten Tagen eine 
übertriebene aufsergewöhuliche Hitze empfunden wurde, während das 
Thermometer eine besondere Erhöhung der Temperatur nicht nach- 
wies, ja an andern Tagen eine absolut viel höhere Temperatur weit 
weniger belästigte. (Ob diese auch in Rio Grande mir aufgefallene 
Erscheinung sich lediglich durch den Feuchtigkeitsgrad der Luft oder 
auch durch elektrische und andre Störungen in der Atmosphäre 
erkläre, scheint wenigstens in Südamerika noch nicht speziell studiert 
zu sein. v. Ihr.) 

Im Sommer sind die Gewitter häufig; fast immer bringt sie 
der Südwest, der Pampaswind, welcher den Thermometerstand in Mi- 
nuten in solcher Weise zu modifizieren vermag, dafs eine Ernie- 
drigung um viele Grade schnell erfolgt. Die Annäherung des Ge- 
witters empfindet man gewöhnlich voraus. Die Temperatur erhebt 
sich, die Luft scheint Feuer. Nicht der mindeste Luftzug weht. 
Die ganze Natur erscheint niedergeschlagen, erschreckt. Die Tiere 
verlieren ihre Munterkeit, die wilden ziehen sich in die Wälder 
zurück, die Amphibien stürzen sich ins Wasser, die Haustiere drängen 
sich in die Nähe der Menschen, als ob sie in dessen Schutz sich 
sicherer fäblten. Nicht einmal die Wipfel der Bäume rühren sich; 



— 297 — 

in einer unheimlichen fürchterlichen Nähe liegen die Wälder wie 
erstarrt. Die Vögel suchen ihre Nester und Schlupfwinkel auf und 
verstecken sich, nur einige, wie die Möven, erfüllen die Luft mit 
ihren erschreckten Klagelauten, später ruhen auch sie. Der 
Himmel wird bleiern, die Luft schwer, die Atmung mühsam. Ein 
eigenes, drückendes Schweigen ruht auf der ganzen Natur, unter- 
brochen nur durch den zunehmenden Lärm der Strömung, was auch 
nicht zur Beruhigung der Gemüter beiträgt. 

Ohne Mühe erkennt man die gesteigerte Ozonmenge, mit 
welcher die Elektrizität die Atmosphäre überladen hat. Wenn ich 
für meine Patienten Lösungen von Jodkali bereitete, so veränderte 
dieses Salz in kurzer Zeit seine Farbe, ohne Zweifel durch die Ein- 
wirkung des Ozones. 

Bei alledem keine Wolke am Himmel. Nur die Sonne ist 
verborgen hinter einem dicken bleiernen Schleier. Jetzt erst steigt 
das eigentliche Gewitter in Süden oder Südwest auf, die Annäherung 
auch durch das ferne Rollen des Donners meldend. Bald zucken die 
Blitze, der Donner steigert sich zu entsetzlichem Krachen. Die 
Temperatur beginnt zu fallen, der Wind wird zum Sturm. Weit 
von einander entfernt fallen einzelne schwere grofse Tropfen zu 
Boden, sie leiten einen Platzregen ein, der wolkenbruchartig oft mit 
Hagelschlag für einige Minuten die Erde peitscht. Eine halbe 
Stunde danach ist der Himmel rein und hell, die Sonne strahlt, die 
Bäume wiegen sich leicht unter dem Wehen einer sanften Brise. 
Die ganze Natur lacht, 'die Vögel schütteln die Tropfen von ihrem 
Gefieder ab und singen. Alle Tiere sind munter, der Mensch fühlt 
sich erfrischt und erleichtert. An das elementare Ereignis erinnern 
nur die niedergedrückten Grasmassen der Campos, die losgerissenen 
Blätter und die abgeschlagenen Zweige, sowie die angelaufenen, 
reifsenden lärmenden Bäche, welche aber auch bald wieder auf ihren 
normalen Stand zurückkehren. Wenige Stunden später könnte nur 
der, welcher dem Gewitter beigewohnt, von dem was geschehen 
etwas wissen. 

In den trockenen Regionen des Hochlandes ist das Klima ge- 
sund und angenehm, ziemlich .heifs im Sommer, ziemlich kalt im 
Winter. Fast jedes Jahr sieht man Reif, bald im Juli und August, 
bald selbst im Juni und September, dann immer zum Schaden der 
ohnehin geringen Bodenkultur. Fröste sind auf dem Hochlande 
selbst im Sommer nichts aufsergewöhnliches. Schon Dr. Alexander 
hob dies hervor ; er erlebte solche am Madeira und Marmor6, welche 
die Leute in der Frühe verhinderten mit den erstarrten Fingern 
die Ruder zu führen, und zwar im Sommer. Ma^dcLm^ '^^aSs. ^^- 

Oeogr. Blätter, Bremen, 1886, ^\ 



— 298 — 

selben so staxk, dafs sie Todesfälle durch Erfrieren verursachen. 
So ein Frost war im März 1822, welcher einer von Rio de Janeiro 
kommenden Expedition grofsen Verlust zufügte, indem dieselbe auf 
der weiten Ebene des Rio Manso auf dem Hochlande über 20 frisch 
angekommene Neger verlor. 

Die tägliche Schwankung des Barometerstandes beträgt im 
Sommer nicht mehr als 5 — 6 mm. In den Jahren 1875 — 1878 war 
das Mittel 761,69 mm in der Tiefebene. 

Der Unterschied der Temperatur im Schatten und in der Sonne 
ist grofs, wenn auch nicht so auf serordentlich als wie nach meinen 
Beobachtungen in Paraguay es der Fall war. In der Morgenfrühe 
ist die Hitze meist 4 — 6 Centigrade geringer als um Mittag, doch 
steigt sie noch bis 4 oder 4V2 Uhr. Indessen giebt es auch Tage, 
in denen das Thermometer von 9 Uhr morgens bis mittags 1 Uhr 
um 12 — 16 ° C. steigt. Das thermpmetrische Minimum fällt auf 
Mittemacht. Für das Hochland mit seiner auf mehr als 1000 m 
steigenden Erhebung stellt sich die Temperatur um 4 — 5 ^ niedriger. 
Während je dreier Jahre verweilte ich sechs Monate in Corumbä, 
das 5 ® weiter gegen den Äquator liegt als Rio de Janeiro und 
153 m über dem Meeresspiegel. Am 21. Oktober 1875 zeigte das 
Thermometer früh 6 Uhr 28 ^ um 2^2 Uhr nachmittags 39,2 ^ C, 
als unerwartet ein heftiger Südweststurm mit Hagel einsetzte, infolge- 
dessen das Thermometer sofort auf 18,7 ° zurückging, resp. abends 
8 Uhr auf 15,5 ® stand. Am 13. Juni fiel es von 23 ® um Mittag 
binnen 11 Stunden auf 11 ^ und bis 2 Uhr nachts auf 7,25 ® im 
geschlossenen Hause. Die höchste beobachtete Temperatur war 
1875 — 39,2 ^ im Oktober, 1876 — 34 bis 37 ^ im Dezember, 1877 
— 35,6 ® im September. Am Morgen des 20. August stand unter 
16 ° 12' s. Br. das Thermometer vor Sonnenaufgang auf ^ 
Die Pfützen im Camp waren mit Eis bedeckt, das noch um 8 Uhr, 
als die Sonne schon sich erhoben und das Thermometer bereits auf 
6,75 ® gestiegen war, einen Millimeter Dicke hatte. Der ganze Camp 
war durch den Reif wie mit einem weifsen Tuche überzogen. 

Die folgende Tabelle giebt die Thermometerbeobachtungen, 
welche in Cuyabd in den Jahren 1876 — 1877 angestellt wurden. 



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— 300 — 

Von einer Mitteilung der übrigen Ortsaufnahmen sehe ich, da 
sie ohne die betreffende B^arte zwecklos wären, hier ab, ebenso von 
Wiedergabe der absoluten Entfernungen der einzelnen Marken. Die 
Karte giebt nur die Grenze zwischen Brasilien und Bolivien im Mafs- 
stabe von 1 : 1,200,000 an, sowie die nächstgelegenen Orte, Flüsse 
u. a., respektive also auch die am rechten Ufer des Paraguay gelegenen 
Seen Mandior6, Gahyba und Uberaba, deren Lage zum Teil aus der 
Tabelle ersichtlich ist. Die Marke an der Lagoa Mandior6 liegt unter 
18<> 13' 05" s. Br. und 14^ 20' 03" W. von Rio, die Lagoa Gahyba 
unter 17® 48' 15" s. Br. und 14® 30' 25" W. von Rio. Beide Punkte 
beziehen sich auf das Südende der betreffenden Lagoas. 

Rio Grande do Sul, 30. August 1886. 



Zaubereiprozesse und Gottesurteile in Afril(a. 

Von Dr. Alb. Herrn. Post. 



AUgemeiner Glaube der Afrikaner, dafs Unglücksfane namentlich Tod und 
Krankheit auf Zauberei beruhen. Allgemeine Institution von Zauberpriestern, um die 
Zauberer herauszufinden. Methode derselben. Befragung der Toten nach der Ursache 
ihres Todes. Die Giftordalien. Die Feuerproben. Das Ordal des siedenden Wassers 
und Öls. Sonstige Ordalien. Einseitige und zweiseitige Ordalien. Ordalien durch 
Stellvertretung. Folgen flir denjenigen, der im Ordal unterliegt. Folgen für den 
Ankläger, wenn der Angeklagte das Ordal besteht. 

Es ist ein ganz allgemeiner Glaube bei den Afrikanern, dafe 
gewisse Menschen Zauberer, d. h. im stände sind, auf eine ge- 
heimnisvolle Weise ihre Mitmenschen zu schädigen. Alle Unglücksfälle, 
namentlich aber Krankheit und Todesfälle werden auf solche Verhexun- 
gen zurückgeführt, und es bestehen besondere Zauberpriester, deren 
Amt es ist, diejenigen Personen herauszufinden, welche einen solchen 
Schaden angerichtet haben. Bei den Bongo stehen im Verdachte 
sich mit bösen Geistern zum Schaden und Nachteil der übrigen 
Menschen in Verkehr setzen zu können ausnahmslos alle alten Leute 
beiderlei Geschlechts, namentlich aber die alten Weiber. Wo immer 
ein unerwarteter Todesfall eintritt, da sind die Alten daran schuld. 
Daher sind Hexenprozesse an der Tagesordnung.^) Auch bei den 
Matabele wird häufig die Anklage auf Hexerei gegen alte Leute ge- 
richtet. Als Grund, weswegen eine solche Anklage gerade gegen 
alte Leute erhoben wird, wird angegeben, dafs dieselben, weil sie 
nicht mehr fähig sind, die Waffen zu führen, den übrigen als eine 
Last ei'scheinen, die man sich auf jede Weise vom Halse schaffen mufs.^) 



*) Schweinfurth im Herzen von Afrika. I. S. 336. 
*) Fritsch, Drei Jahre in Südafrika. S. 391. 



— 301 — 

Geheimnisvoll, wie die Einwirkung des Zauberers auf seine 
Mitmenschen ist auch die Art und Weise, wie der Zauberer der von 
ihm verübten Zauberei überwiesen wird. Allerhand absurde Mani- 
pulationen der Zauberpriester (Ganga, Oganga) dienen dazu, den 
Schuldigen herauszufinden, und dem so bezeichneten bleibt es höchstens 
freigelassen, auf ein Gottesurteil zu provozieren, dessen Ausgang 
wieder vom Willen des Zauberpriesters abhängt. Dessen Gunst durch 
bedeutende Geschenke zu erwerben, ist daher das Ziel desjenigen, 
der einem grausamen Tode entgehen will, und thatsächlich ist das 
ganze Zauberwesen weiter nichts als eine unheimliche Herrschaft 
bestimmter Fetischpriester, welche über Leben und Gut aller der- 
jenigen verfügen, die sich ihnen nicht unterordnen wollen. Dieser' 
Charakter des Zauberwesens tritt überall in Afrika so deutlich hervor, 
dafs man sich nur über eins wundern mufs, nämlich darüber, dafs 
die Völker Afrikas auch nicht den geringsten Zweifel haben, dafs 
es Zauberer giebt und dafs die Mittel sie zu entdecken untrüglich 
sind. 

In Pallaballa am Kongo wird für jeden Verstorbenen, gleichviel ob 
Kind, Mann oder Weib, jemand in Verdacht genommen, als habe er 
den Tod durch übernatürliche Mittel veranlafst, und der Nganga wird 
berufen, die schuldige Person zu entdecken. Gewöhnlich hält derselbe 
sich an die mit weltlichen Gütern gesegneten, damit sie sich von 
der Anklage loskaufen. Kann der Beschuldigte der Beschuldigung 
nicht ausweichen, so mufs er sich dem Giftordal unterwerfen, dessen 
Ausgang der Priester in seiner Hand hat.^) In Calumbo wird eben- 
falls häufig angenommen, dafs der Tod jemandes dadurch herbeigeführt 
sei, dafs ein andrer ihn verzaubert habe. In solchem Falle wendet 
sich der Geschädigte an den Kimbanda oder Zauberdoktor, welcher 
durch verschiedene Zeremonien den Schuldigen herausbringt.*) In 
Angola mufs sich ein Mensch selbst wegen eines Verbrechens, das 
viele Meilen entfernt begangen ist, reinigen, sogar, wenn er sein 
Alibi beweisen kann. Man ist überzeugt, jeder könne einen andern 
den bösen Wind (Geist) zusenden und dadurch dessen Tod verur- 
sachen.*) Bei den Kaffern wird angenommen, dafs Krankheit durch 
Zauberei veranlafst werde. Zur Entdeckung der That bedient man 
sich einer alten Frau, welche nach mancherlei Manipulationen die 
Schuldigen vor dem versammelten Volke bezeichnet. Die Zauberin 



^) Johnston, Der Kongo, übers, v. Freeden. S. 375. 

*) Valdez, six years of a travellers life in Western Africa 1861. IL 
S. 128, sqq. 

*) Degrandepre, Reise nach der westl. Küste von Afrika in den J. 1786 
und 1787. Weimar 1805. S. 30. 



— 302 — 

giebt an, wo der von ihr Beschuldigte seine Zaubermittel versteckt 
habe und bringt dort einen Schädel oder sonst einen angeblichen Teil 
eines menschlichen Körpers zum Vorschein, .womit der Angeklagte als 
des Verbrechens überwiesen gilt.^ Wie man sich diese Zauberkraft 
vorstellt, tritt deutlich bei den westäquatorialafrikanischen Stämmen 
hervor. Bei diesen büfst jemand, der dadurch einen andern tötet, 
dafs er einen Baum fällt, der jenen zufällig erschlägt, oder dafs ihm 
unvorsehends ein Schufs losgeht, mit dem Tode. Dabei wird an- 
genommen, dafs das angerichtete Unglück durch eine dem Thäter 
innewohnende Zauberkraft (Aniemba) erfolgt sei. Es wird darüber 
vom Familienoberhaupt eine Zauberkraftpalaver berufen, und der 
Schuldige mufs sich von dem Verdachte ein Zauberer zu sein, durch 
das Ordal des Mbundutrinkens reinigen.'') 

Die gewöhnliche Veranlassung des Zaubereiprozesses ist ein 
Todesfall. Die Verwandten des Verstorbenen nehmen an, dafs der Tod 
durch den Zauber irgend einer Person verursacht sei und wenden sich 
daher, um Kache für den Verstorbenen zu üben, an den Ganga des Orts, 
den sie durch Zahlung von Geld zur Erhebung einer Anschuldigung 
zu bestimmen suchen. Diese Bemühungen setzen sich so lange fort, 
bis sie am Tode eines Fremden eine genügende Sühne für den Tod 
des Familienmitgliedes erlangt zu haben glauben.®) Die Mpongwes 
schreiben gewöhnlich den Tod junger Leute der Böswilligkeit 
andrer Personen zu. Fällt der Verdacht auf einen Sklaven, so 
wird derselbe sogleich geopfert und nur zuweilen gestattet man 
ihm, sich der Giftprobe zu unterwerfen.^) Bei den Käniba 
nimmt man an, dafs am Tode jemandes eine andre Person schuld 
sei. Die Verwandten des Verstorbenen gehen deshalb zu einem 
Wahrsager. Dieser bezeichnet als Ursache des Todes den, 
dem er oder die Verwandten zürnen, und dieser wird dann vor den 
Häuptling geladen, um sich durch den Bulongotrank zu reinigen.^®) 
Bei den Ganguellas von Caquingue wird allgemein als Ursache von 
Krankheit oder Tod ein Geist aus einer andern Welt oder ein 
lebender Mensch (Zauberer) angesehen. Die Verwandten des Ver- 
storbenen werden herbeigerufen, und man untersucht die Ursache 
des Todes. Die Leiche wird an einem langen Stabe befestigt und 
von zwei Leuten zu dem für die Zeremonie reservierten Orte ge- 
tragen, wo der Wahrsager in Begleitung einer grofsen Volksmenge 



ß) Lichtenstein, Reisen im südl. Afrika. Berlin 1811. I. S. 415. 

') du Chaillu, a joumey to Ashangoland. London 1867. S. 426. 

8) Bastian, Deutsche Exped. IL S. 158, 159. 

^) Hecquard, Reise an der Küste und ins Innere von Afrika. 1854. -S. 8,9. 

10) Magyar in Fetermanns Mittl ' 1857. S. 197, 



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— 303 — 

anwesend ist. Nach langen Prozeduren erklärt derselbe entweder, 
die Seele irgend einer von ihm bezeichneten Person habe den Tod 
veranlafst oder eine lebende Person habe es gethan. Im ersten Falle 
wird die Leiche beerdigt, im zweiten mufs die bezeichnete Person 
den Verwandten des Verstorbenen dessen Wert ersetzen oder sie 
verliert ihren Kopf. Gegen die Entscheidung des Wahrsagers kann 
der Angeklagte auf ein Ordal provozieren. Zu diesem Zwecke wendet er 
sich an einen Medizinmann, der das Gift bereitet. ^^) In einigen Distrikten 
Benguelas ist es ebenfalls allgemeiner Glaube, dafs der Tod eines 
Menschen verursacht werde durch die Seele eines verstorbenen oder 
eines lebenden Menschen. Man versucht daher durch allerlei Mani- 
pulationen sich hierüber Gewifsheit zu verschaffen. ^^) 

Die Manipulationen, durch welche der Zauberpriester den 
Schuldigen entdeckt, sind mannigfaltig. In Calumbo werden vier 
solcher Methoden erwähnt: 

1. Quirigu6 Menä. Der Zauberdoktor giebt eine Flüssigkeit, 
gezogen aus der Rinde der Ensaka, mehreren verdächtigen Personen 
zu trinken. Die Portion desjenigen, den er für schuldig erklären 
will, mischt er mit schädlichen Stoffen, die ihm viel Schmerz ver- 
ursachen. Aus diesen Äufserungen des Giftes wird dann auf seine 
Schuld geschlossen. 

2. Maniängue Ombo. Ein Schaf wird geschlachtet und dessen 
Blut verschiedenen Personen zu trinken gegeben. Wer davon krank 
wird, gilt als schuldig. Zugemischte Ingredienzien erzeugen auch 
hier die vom Zauberdoktor gewünschten Symptome. 

3. Gänanzämbi Mutchi. Ein Fetischstock, an dessen beide 
Enden eine kleine Glocke angebunden ist, wird vom Zauberpriester 
geworfen, um herauszufinden, wo der Schuldige zu finden ist. 

4. Quirigu6 Tubia. Der Zauberdoktor brennt die Verdächtigen 
mit einem glühenden Eisen. Diejenige Person, welche den gröfsten 
Schmerz erträgt, ohne zurückzuweichen, gilt als unschuldig. ^^) 

In Badagry (Benin) wird dem Angeschuldigten eine grofse 
hölzerne Mütze mit drei Ecken aufgesetzt. Sieht man, dafs die 
Mütze auf dem Haupte des Verdächtigen schüttelt, so wird derselbe 
ohne weiteren Beweis verurteilt. Macht sie keine bemerkbare Be- 
wegung, so wird er freigesprochen.^^) Bei den Waswaheli in Mon- 
bassa streicht der Schamane, um Verbrecher zu entdecken, eine 
Schicht Sand oder Holzasche über ein glattes Brett und macht darin 



") Serpa Pinto, Wanderung quer durch Afrika. 1881. I. S. 120 ff. 

*2) Tams, die portugiesischen Besitzungen. 1845. S. 68. 

18) Valdez 1. c. II S. 128 sqq. 

") Lander, Reise zur Erforschung des Niger. 1833. I. S, 47. 



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mit dem Finger Striche und wellenförmige Linien, aus denen er den 
Namen des Schuldigen herauszulesen vorgiebt.^^) 

Bisweilen genügt schon die blofse Erklärung des Ganga, um 
den Beschuldigten einem grausamen Tode zu überliefern. So wird 
in Mussuku die von demselben bezeichnete Person sogleich in Stücke 
gehauen, ohne dafs ihr die Probe des Cassatrinkens gestattet wird.^^) 
Ist bei den Kaffern jemand in einem Kraal verdächtig, ein Umtakati 
zu sein und einen Menschen oder ein Vieh behext zu haben, so 
beschliefsen die Bewohner des Kraals einen Tsanuse (Zauberdoktor) 
zu besuchen, der ihnen mitteilt, wer der Zauberer sei. Derselbe 
wird sofort getötet, bei den Amakosa jedoch nur ausgestofsen und 
für immer geächtet. Sein Vermögen, seine Weiber und Kinder 
werden konfisziert. Bei den Zulus wird nicht allein der Umtakati 
getötet, sondern auch seine Weiber und Kinder. Sein Kraal wird 
zerstört und alle Spuren seiner Existenz vom Angesicht der Erde 
vertilgt. Er wird „aufgegessen".^'') Ist in Unyamwesi ein neuer Mtemi 
(Häuptling) gewählt, so glaubt man, dafs sofort unzählige Mrosi 
aufstehen, welche denselben durch Gift oder Zauberei töten wollen. 
Es wird deshalb vor dem Amtsantritt des Oberhauptes von einem 
Mfumo grofse Ganga (Medizin) gemacht, um diese Bösewichter zu 
ermitteln. Die von der Ganga als schuldig befunden werden, 
werden ohne weiteres hingerichtet.^®) Es kann wohl keinem Zweifel 
unterliegen, dafs dies solche Personen sind, welche dem künftigen 
Herrscher gefährlich werden können. Er entledigt sich in dieser 
Form seiner Nebenbuhler. 

In Angola wird der vom Fetischpriester als der Zauberei 
schuldig erklärte getötet oder in Sklaverei verkauft, häufig seine 
Familie mit, zugleich unter Konfiskation des ganzen Vermögens, 
welches unter die ganze Stadt verteilt wird ; in andern Fällen wird 
eine schwere Bufse auferlegt, an deren Stelle im Unvermögensfalle 
Sklaverei tritt. Dagegen kann der Angeklagte auf das Giftordal 
provozieren.^^) 

Bei Todesfällen ist es sehr gebräuchlich, den Toten selbst um 
denjenigen zu fragen, der seinen Tod verursacht hat. Die dabei 
üblichen Manipulationen ähneln sich vielfach. Bei den Bewohnern 
der Bezirke Arimba, Thunda, SeUez und Assango an der Loango- 
küste wird in einzelnen Fällen dem Toten eine Perlenschnur um 



15) Hildebrandt in der Zeitschr. für Ethnol. X. S. 388. 

1«) Bastian, Deutsche Exped. IL S. 169. 

") Kretzschmar, südafrik. Skizzen. 1853. S. 190 u. 191. 

1») Mittl. d. afrik. Ges. in Deutschi. III. S. 163, 164. 

lö) Monteiro, Angola and the river Congo. 1875. I. p. 61, 



j 



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die Stirn gebunden und ihm dann die Frage vorgelegt, ob er selbst 
ausgehen wolle, den Schuldigen zu fangen. Der Kimbanda fingiert 
auf die Antwort des Toten zu lauschen und erklärt den Willen 
desselben. Lautet der Ausspruch bejahend, so tragen Verwandte 
die Leiche im Dorfe und in den umliegenden Ortschaften kreuz und 
quer umher, bis sie vor einer Hütte stehen bleiben und vorgeben, 
der Tote halte sie fest und lasse sie nicht weiter. Dann dringen 
sie ein, rauben alles, was sie finden, verbrennen die Hütte und über- 
liefern den Besitzer gebunden dem Soba (Dorfhäuptling) ; das übrige 
lebende und tote Inventar wird ihr Eigentum.^®) In einigen 
Distrikten Benguelas wird bisweilen die Leiche des Verstorbenen 
durchs Dorf getragen, bis sie selbst die Hütte des Mörders be- 
zeichnet, indem die Träger behaupten, dafs dieselbe nicht weiter 
wolle. Dann kann der Angeklagte sich nur noch durch das Ordal 
des Bulongotranks retten.^^) In Quoja wurde bei verdächtigen Todes- 
fällen die Leiche oder an deren Stelle ein Stück vom Kleide des 
Verstorbenen mit einigen Schnitzeln seiner Nägel, etwas von seinen 
Haaren und einigen andern Zuthaten zu einem Bündel vereinigt, 
welches an einen Reisstampfer gehängt wurde, dessen Enden 
auf die Köpfe zweier Männer gelegt wurden. Dann wurde der 
Tote gefragt, ob er eines natürlichen oder unnatürlichen Todes 
gestorben sei. Im ersten Falle mufsten die Träger des Stampfers 
nicken, im zweiten Falle mit dem Kopfe schütteln. So wurde 
weiter examiniert, und endlich wurden die Träger von dem ant- 
wortenden Geiste gezwungen, sich nach der Wohnung desjenigen 
zu begeben, welcher den Verstorbenen umgebracht hatte. Der 
so gefundene Thäter wurde sofort festgesetzt, indem ihm ein 
schwerer Block am Beine befestigt wurde, und gefragt, ob er gestehen 
wolle. Wollte er dies nicht, so mufste er sich dem Ordal des 
Kquonytranks unterwerfen. ^2) Bei den BuUamern, Bagos und 
Timmaniern wird ebenfalls der Leichnam von Freunden oder Ver- 
wandten über die Ursache seines Todes befragt, namentlich, ob er 
durch Zauberei oder Gift verstorben sei. Bejaht der Leichnam 
eine Frage, so werden die Träger durch eine unwiderstehliche Ge- 
walt verschiedene Tritte vorwärts getrieben. Die Verneinung ge- 
schieht durch eine rollende Bewegung. Stellt sich der Verdacht 
heraus, dafs der Tod des Verstorbenen durch Zauberei oder Gift 



20) Güssfeld, Falkenstein, Pechuel-Lösche. Die Loangoexpedition i. J. 1873 bis 
1876. 1877. II. S. 75. 76. 

") Tams, a. a. 0. S. 68. 

**) Dapper, naukeurige Beschrijvinge der afrikaansche Gewesten. Amsterd. 
1676. H. S. 34 sqq. 



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verursacht sei, so nennt man dem Leichnam verschiedene Personen, 
denen man dies wohl zutraut. Bejaht er die Frage bei einer Person, 
so wird er ersucht, nach einem Zweige zu schlagen, den man in 
die Höhe hält. Thut er dies mehrere Male, so wird der Schuldige, 
wenn er der Zauberei angeklagt ist, ohne weitere Umstände ver- 
kauft, häufig mit ihm auch die ganze Familie, wenn der Verstorbene 
ein vornehmer Mann war. Schreibt der Verstorbene seinen Tod 
dem Gifte zu, so flüchtet der Angeklagte zur nächsten Stadt und 
bittet ihn zu gestatten, dort das rote Wasser zu trinken.^^) Die 
Susuer nehmen bei dieser Zeremonie die ganze Leiche, die Tirn- 
tnanier und Btdlmner dagegen nur die Kleider des Verstorbenen und 
die Nägel von seinen Händen und Füfsen. ^) Beschuldigt der Tote 
jemanden, ihn durch Zauberei ums Leben gebracht zu haben, der 
wegen seines hohen Alters oder seiner Familie nicht verkauft werden 
kann, so wird dieser gezwungen, sein eigenes Grab zu graben; in 
dies wird er dann hineingestofsen, lebendig begraben und ihm ein 
spitzer Pfahl durch den Leib getrieben. ^^) Au der Goldküste 
nehmen einige Männer in Gegenwart des Priesters den Toten auf 
ihre Schultern und fragen denselben über die Ursache des Todes. 
Will der Leichnam bejahen, so neigt er sich durch eine verborgene 
Kraft gegen die Frager. ^^) In der Stadt Agreffuah an der Gold- 
küste sucht man den Urheber des Todes einer Person dadurch zu 
ermitteln, dafs in der Mitte eines Kreises, den die Einwohner ge- 
bildet haben, ein Pfahl errichtet und mit Blättern bedeckt und 
dann der Leichnam auf den Köpfen der Träger hereingebracht wird. 
Diese Träger führen einen Tanz auf und halten dann plötzlich vor 
einer Stadtkompagnie still, indem sie erklären, sie könnten nicht 
vorwärts. Dadurch steht fest, dafs der Thäter sich unter dieser 
Kompagnie (Stadtviertel) befindet. Dieselbe Manipulation wird 
vor den Häusern der einzelnen Mitglieder dieser Kompagnie 
wiederholt und so das schuldige Haus festgestellt. Ebenso wird 
wieder der einzelne im Hause ermittelt.*'') In Somrai bei Bagirmi 
nehmen zwei weise Männer den Leichnam eines nicht an Alters- 
schwäche gestorbenen vornehmen Mannes auf ihre Köpfe, der 
eine den Kopf, der andre das Fufsende, fordern mit den Angehöri- 



'^^) Matthews. Reise nach Sierra Leone. Leipz. 1789. S. 131. 
2*) Matthews, a. a. 0. S. 136. 
2s) Matthews, a. a. 0. S. 134 ff. 

2ö) Bosman, naukeurige Beschrijving van de Guinese Goud-Tand-en Slave- 
kust. Utrecht 1704. 11. p. 11. 

*^) Cruickshank, ein achtzehnjähriger Aufenthalt auf der Goldküste Afrikas. 
Aas dem Engl S, 241, 



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gen des Verstorbenen diesen laut auf, sie zum Mörder zu führen, 
schwanken scheinbar vom Impulse des Toten getrieben hierhin und 
dorthin, bis sie eine bestimmte Richtung annehmen und endlich vor 
der Hütte des vermeintlichen Urhebers Halt machen. Dieser verfällt 
dem Tode und seine Habe wird teils vom Häuptlinge, teils von den 
Erben des Verstorbenen eingezogen. Die Sara entdecken den schuldi- 
gen Zauberer unter den versammelten Männern einer Ortschaft 
durch ein Bündel eines bestimmten Grases oder Laubes, dafs auf 
den Kopf des inspirierten weisen Mannes gelegt diesen alsbald hin 
und her zu treiben und nach manigfachem Schwanken taumelnd zum 
Schuldigen zu führen scheint, vor dem es zu Boden fällt. ^^) 

Es kann einem Zweifel nicht unterliegen, dafs der Zauberei- 
prozefs häufig gar nichts ist, als ein von Zauberpriestern und Häupt- 
linge geschmiedetes Komplott gegen bestimmte unliebsame Persön- 
lichkeiten, namentlich gegen solche, die mit Glücksgütern gesegnet 
sind, in deren Besitz sich jene zu setzen wünschen. Bei den Balantes 
heften einflufsreiche Persönlichkeiten Nachts an die Thür eines 
solchen Opfers Blumen, rufen dann am andern Morgen die Leute 
zusammen und versichern denselben unter Hinweis auf die Blumen, 
dafs der Bewohner der Hütte ein Zauberer sei und Verbindungen 
mit dem bösen Geiste unterhalte, welcher jede Nacht komme, um ihm 
Geschenke zu machen. Der Unglückliche wird dann gefangen und 
wenn er arm ist, als Sklave verkauft. Ist er reich, so mufs 
er zu den Sonninkes nach Brassu gehen, um sich dort der Gift- 
probe zu unterwerfen, aus welcher er gesund und wohlbehalten 
zurückkehrt, wenn er für Geschenke sorgt, welche zwischen dem 
Priester und dem Ankläger geteilt werden; thut er dies nicht, so 
stirbt er vergiftet und seine Güter werden unter die Häuptlinge 
verteilt. ^^) Bei den Cassangas und Banjims komplettieren die berüch- 
tigten Jambacozes (Zauberpriester) mit den Häuptlingen und Königen, 
um Kapitalanklagen zu erheben, namentlich wegen Zauberei. Wollen 
sie sich einer Person entledigen, so zwingen sie sie rotes Wasser 
zu trinken. Ist dasselbe stark gebraut, so tötet es augenblicklich, 
was als Zeichen der Schuld angesehen wird. Alsdann wird dem 
Gesetze gemäfs die ganze Familie in Sklaverei verkauft und mit 
dem Erlöse bereichern sich die Priester und Häuptlinge.^®) Es 
ist an der afrikanischen Westküste kein bestimmtes Mafs des roten 
Wassers vorgeschrieben. Es hängt vielmehr von der Gesinnung der 
Gemeinde ab, wie viel der Angeschuldigte zu trinken hat. Ist man 

28) Nachtigal, Sahara und Sudan. IL S. 686. 
2») Hecquard a. a. 0. S. 80. 
80) Valdez 1. c, I S. 204. 



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ihm abhold, so bekommt er so viel, dafs er stirbt. ^^) Bisweilen 
geht dem Gottesurteil ein gerichtliches Verfahren voraus. In der 
Gegend von Sierra Leom halten zunächst die alten Männer ein 
Palaver und lassen sich die Anklage nebst Verteidigung vortragen. 
Wenn sie den Ausspruch thun, dafs die Sache durch eine öffent- 
liche Probe der Unschuld bewiesen werden müsse, so macht der 
Angeklagte eine benachbarte Stadt namhaft, wohin er sich begiebt 
und deren Häuptlinge er seinen Wunsch eröffnet, das rote Wasser 
zu trinken. Hierauf wird ein Palaver gehalten und beratschlagt, 
ob ihm diese Bitte zu gewähren sei ; wird sie abgeschlagen, so mufs 
er eine andre Stadt wählen. Wird sie gewährt, so verweilt er 
dort, ohne sich vor fremden Personen sehen zu lassen, oft zwei bis 
drei Monate lang, bis der Tag angesetzt wird.^^) 

Die gewöhnlichsten aller afrikanischen Ordalien sind die Gift- 
ordalien, bei denen Aufgüsse giftiger Pflanzen getrunken werden. 
Aus der Wirksamkeit des Giftes auf die Person, welche dasselbe 
trinkt, wird ein Schlufs auf deren Schuld oder Unschuld gemacht. 
Der Ausgang des Ordals hängt immer vom Zauberpriester ab, welcher 
die verschiedene Wirkung gröfserer oder geringerer Quantitäten 
bestimmter Pflanzengifte genau kennt, sich im Besitz von Gegenmitteln 
befindet, und durch lange Gewöhnung selbst grofse Quantitäten von 
Gift vertragen kann, um sich selbst nötigenfalls von einem gegen 
ihn selbst entstehenden Verdacht reinigen zu können. 

Das gebräuchlichste Ordalgift wird aus der Rinde von Erythro- 
phlaeum Guineense gewonnen. ^^) Dasselbe hat bei den Eingeborenen 
verschiedene Namen. Der gebräuchlichste ist N'cassa.^) Dazu 
finden sich als Nebenformen Cassa, Casca an der Loangoküste,^^) in 
Ängola,^^) am Kongo,^'^) Sascha in Kamerun,^^) Nkazya, IkAzya oder 
Ikäja am Gabun, ^^) in Westäquatorialafrika auch Quai*®), womit 
alsdann möglicherweise wieder zusammenhängt das Kquony in Quoja,*^) 

3^) Wilson, Westafrika. Aus dem Engl, von Lindau. 1862. S. 167. 
^^) Winterbottom, Nachr. v. d. Sierra Leone-Küste. Aus dem Engl, von 
Ehrmann. 1805. S. 173. 

38) Oliver, Flora of tropic. Africa. IL S. 320. 
34) Lenz, Westafrik. Skizzen. S. 184 ff. 

30) Bastian, Deutsche Expedition. L S. 204 ff. 
3«) Monteiro 1. c. L S. 61, 62. 

3') Tuckey, narrat. of an exped. to explore the river Zaire. London 
1818. p. 200. 

3«) Schwarz, Kamerun 1886. S. 175. Lenz, a. a. 0. 

39) Wilson, a. a. 0. S. 296. Burton, two trips to Gorillaland. London 1876. 
L p. 103, 104. Reade savage Africa. Newy. 1864. S. 214, 215. 

40) Reade 1. c. 

*») Dapper 1. c. IL S. 34 sqq. 



— 30Ö — 

das Kwon der BuUamer und das Okwon der Timmanier,^^) Identisch 
mit diesem Gifte ist auch das millee oder melley der Susuer,^^) 
Ebenfalls dasselbe Gift heifst Mbundü, wozu sich als Nebenformen 
finden Imbando, Imboada, Imbunda, Bonda, Bondes, Mbunda am 
Ogowe und in der Gabungegend, sowie an der Loangoküste. ^) 

Um ein andres Gift handelt es sich anscheinend in den Be- 
zirken Ärimba, Thunda, Seilen und Assango an der Loangoküste, 
wo zum Giftordal ein schweres, vielleicht mineralisches Pulver be- 
nutzt wird, welches im Wasser untersinken soll. Meist wird es in 
einer längs durchgeschnittenen Banane gereicht, von der beide Teile 
je eine Hälfte zu verzehren haben. Der Kimbanda teilt der einen 
oder der andern Person das so lange unter dem Fingernagel ver- 
borgene Gift mit und entfernt sich dann schleunigst. Dem Ver- 
gifteten schwillt in kurzer Zeit die Zunge an, die Augen quellen 
hervor u. s. w., während der andre zum Zeichen, dafs er voll- 
ständig wohl ist, ausspuckt.*^) 

Ebenfalls um Gift aus Erythrophlaeum scheint es sich bei dem 
Bulongotrank der Kimbundavolker zu handeln. Das Getränk wird aus 
Maniok und Maisgraupen bereitet und der Kimbanda mischt eine 
bestimmte Portion Gift hinzu. Dieses sehr wirksame Gift wird 
meistens aus den Wurzeln des Ongajebaumes gewonnen*^). 

Endlich bei den Manganja^'^) und Banjai^^) wird zum Giftordal 
das Gift des Muave benutzt, wahrscheinlich ebenfalls dasselbe Gift. 

Die Gifte bewirken entweder Erbrechen, oder sie wirken be- 
täubend oder auch purgierend oder harntreibend. Ganz allgemein 
wird das Erbrechen des Giftes als ein Zeichen der Unschuld ange- 
sehen*^). Ebenso allgemein wird eine narkotische Wirkung des 



42) Winterbottom, a. a. 0. S. 176. 

*^) Winterbottom, a. a. O. Clarke, Sierra Leone. Lond. 1846. S. 59. 

**) Allg. Histor. der Reisen. IV. S. 672. Dapper 1. c. IL p. 152 sqq. du 
Chaillu explor. and advent. in equat. Africa. London 1861. p. 256 — 258, 394. 
Lenz, a. a. 0. S. 188. 

4*) Güfsfeldt, a. a. 0. IL S. 76. 

*«) Magyar, Reisen in Südafrika, übers, v. Hunfalvy. 1859. I. S. 136 n. 28, 30. 

'*') Livingstone, Neue Missionsreisen in Südafrika, übers, v. Martin. 1874. 
I. S. 130, 131. 

4^) Livingstone, Missionsreisen u. Forsch, in Südafrika, übers, v. Lotze. 
1858. IL S. 281. 

*^) Loangoküste, Bastian, a. a. 0. I. S. 204—206. Apingi in Mdyolo, du 
Chaillu Ashangoland. p. 177. Sierra Leoneküste. Winterbottom, a. a. 0. S. 176. 
Matthews, a. a. 0. S. 131 ff. Commi und Bakalai du Chaillu, explor. S. 258, 
394. Fanti Cruickshank 1. c. 132. Benguela Tams a. a. 0. S. 68. Quoja 
Dapper 1. c. IL S. 34 sqq. Bakwiri Schwarz a.a. 0. S. 175. So auch bei dem Gift 
der Muave. Livingstone, Missionsreisen IL S. 281. 



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Giftes als Zeichen der Schuld angesehen; oft aber gilt auch eine 
purgierende Wirkung als Zeichen der Schuld^®). 

Um festzustellen, ob der Verdächtige vom Gifte schwindlig 
geworden sei, findet sich bei manchen Stämmen schon seit Jahr- 
hunderten ein gleichartiges Verfahren. Am Gabun legt man, unge- 
fähr 18 Zoll von einander, eine Anzahl kleiner Stäbe auf den Boden, 
über welche der Angeschuldigte, nachdem er den Trank zu sich 
genommen, schreiten mufs ; ist er schwindelfrei, so gelingt ihm dies, 
schwindelt ihn, so wachsen die kleinen Stäbe vor ihm zu grofsen 
Holzblöcken an und beim Versuch über dieselben hinwegzusteigen, 
taumelt er leicht und fällt zu Boden.^^) Bei den Mpongwe mufs der 
Angeschuldigte über Zweige der Pflanze gehen, von welcher das Gift 
genommen wird. Wird er vom Gifte betäubt, . so hebt er seinen 
Fufs hoch auf, um hinüber zu treten und dies gilt als Zeichen der 
Schuld.^^) Ganz ähnlich wird diese Prozedur von einem andern 
Berichterstatter beschrieben.^^) Nachdem der Angeklagte das Gift 
getrunken, mufs er vorwärts und rückwärts über Baumäste gehen, 
die auf den Boden gelegt sind. Wirkt das Gift als Brechmittel, so 
bleiben seine Sinne intakt, so dafs er dies ausführen kann. Wird 
er dagegen vom Gift betrunken, so erscheinen ihm die Äste wie 
grofse Baumstämme. Er hebt seine Beine so hoch wie möglich, um 
über dieselben wegzukommen und strauchelt schliefslich. Ebenso 
mufs bei einigen Stämmen in Angola der Angeschuldigte, wenn er 
den Trank zu sich genommen, über ein halb Dutzend niedrige Bogen 
gehen, welche dadurch hergestellt werden, dafs man Ruten zu- 
sammenbindet, die an beiden Seiten in die Erde gesteckt werden. 
Strauchelt er über eine derselben, so gilt dies als ein genügender 
Beweis der Schuld, ohne dafs Purgieren erforderlich wäre. Sobald 
er strauchelt, stürzt die ganze Menschenmenge auf ihn los und 
hackt ihn in wenigen Minuten zu Stücken.^) Ein andrer Bericht 
über einige Stämme im westlichen Äquatorialafrika sagt, dafs man 
kleine Stöcke in der Entfernung von zwei Fufs von einander hinlegt, 
über welche fünfmal zu gehen der Angeklagte aufgefordert wird, 
nachdem er den Trank zu sich genommen. Wirkt der Trank harn- 
treibend, so gilt er für unschuldig. Erzeugt derselbe dagegen 
Schwindel, so erscheinen ihm die Stöcke wie grofse Klötze und indem 
er versucht, über dieselben zu treten, stolpert er, fällt und gilt für 



^^) Bastian, a. a. 0. du ChaiUu 1. c. S. 394. Tams, a. a. 0. 

") Wilson a. a. 0. S. 296. 

62) Burton two trips. I. S. 103. 104. 

6ä) Reade, the Afrikan sketchbook London. 1873. p. 50. 51. 

") Monteiro 1. c. I. p. 64. 



— 311 — 

schuldig. ^^) Dieser Brauch scheint mit geringen Varianten in West- 
afrika ganz allgemein zu sein.^^) 

An der Sierra-LeoneJcüste wird das Ordal des roten Wassers 
gegen Frauen angewandt, welche der Untreue verdächtig sind. Das 
Weib mufs eine Gebetsformel hersagen, wonach es ihr schlecht 
ergehen soll, wenn sie nicht die Wahrheit sage, und dann eine 
Kalabasse mit rotem Wasser trinken. Stirbt sie, so ist ihre Schuld 
erwiesen, bleibt sie am Leben, so ist ihre Unschuld festgestellt.^'^) 
In Grofsbassam wird das Giftordal nur bei ganz schweren Ver- 
brechen angewandt. Der Angeklagte wird in ein dichtes Gehölz 
geführt und mufs dort eine zwei Liter haltende bis zum Rande mit 
dem Safte giftiger Pflanzen angefüllte Schale bis auf den letzten 
Tropfen austrinken.^®) An der GoldJcüste in der Gegend von Akkra 
wird ein Ordal erwähnt, bei welchem der Fetischpriester die ver- 
dächtigen Personen von einem Wasser trinken läfst, welches bei 
Schuldigen den Bauch fürchterlich anschwellen läfst, bis der Priester 
durch ein Mittel Erbrechen bewirkt, während den Unschuldigen nichts 
geschieht. ^^) Nach einem älteren Berichte mufste an der Goldküste 
der nicht überwiesene Dieb sich durch einen Eidstrunk reinigen.^®) 
In Äschanti wird bei dem Giftordal die Rinde des sogenannten Schick- 
salsbaumes verwandt, welche man in einem Kürbis voll Wasser aus- 
ziehen läfst. Das Mittel wirkt als heftiges Brech- und Purgiermittel.^^) 
Bei den Kru und Grebo wird das Rotholzordal angewendet zur 
Reinigung vom Verdachte der Zauberei, des Ehebruchs der Frau 
und bei häuslichen Streitigkeiten; das Gift wird vom Dhrrhiu 
(Priester) verabreicht.®^) Am Bio Nunez belegt der Simo oder 
Zauberpriester die eines Verbrechens verdächtigen Personen je nach 
Befund mit einer Bufse. Wer sich für unschuldig hält, kann dagegen auf 
ein Ordal provozieren, welches im Trinken eines Giftes besteht, das aus 
Baumrinde hergestellt wird und mit Wasser eine rote Farbe annimmt. 
Wirkt das Gift so kräftig purgierend, dafs sogleich alles abgeht, so 
gilt dies als Zeichen der Unschuld. Ebenso gilt der Angeschuldigte 



^^) Reade savage Afrika. S. 214. 215. 

ö6) Lenz a. a. 0. S. 186. 187. 

^') Clarke a. a. 0. S. 59. Auch bei Diebstahl und Zauberei ist dies üblich 
Winterbottom. a. a. 0. S. 172. 

^) Hecquard, a. a. 0. S. 48. 

6ö) Monrad a. a. 0. S. 39. 

^°) Bosman 1. c. I. p. 141. 

®*) Bowdich, Mission der engl.-afr. Kompagnie von Cap Coast Castle nach 
Äschanti) übers, v. Leidenfrost, Weimar 1820. S. 398. 

ö2) Allen and Thomson, a narrat. of the exped. sent to the river Niger 
in 1841. Lond. 1848. l. S. 119-121. Wilson, a. a. 0. S. 100. 



— 312 — 

für unschuldig, wenn bei ihm das Gift Erbrechen bewirkt. Gewöhn- 
lich sterben sowohl Ankläger als Angeklagter, welche beide das Gift 
trinken müssen, sofort. Entschliefst sich die Familie des Ange- 
schuldigten die verlangte Bufse zu zahlen, so hört man auf, denselben 
riiehr Gift trinken zu lassen; man bringt ihn dann in ein warmes 
Bad und bewirkt dadurch, dafs er das Gift wieder von sich giebt.^*) 
In PaUabcUla kann sich der vom Nganga als schuldig bezeichnete 
nur durch das Ordal des Cascatrinkens reinigen. Je nachdem der 
Zauberpriester die Stärke des Aufgusses bemifst, giebt der Angeklagte 
das Gift wieder von sich, wo er dann als unschuldig gilt, oder er 
stirbt sofort daran, oder er behält es bei sich, ohne daran zu sterben. 
In den beiden letzten Fällen gilt er für schuldig und im letzten 
wird er von dem anwesenden Volke sofort in grausamer Weise zu 
Tode gebracht.^) In den verschiedenen Distrikten Angolas sollen 
jährlich eine Menge Menschen ihr Leben durch das Ordal des Gift- 
tranks verlieren. ^^) Der Verdächtige mufs sich durch den Fetisch 
reinigen; er geht zu den Priestern und fordert in Gegenwart des 
versammelten Volkes die Giftprobe. Man nennt dies Fetisch ver- 
schlucken (nuam Kissy). Man reicht ihm zu »diesem Zwecke eine 
Kokosschale mit einem heiligen Tranke gefüllt. Äufsert das Gift 
keine Wirkung auf den Angeklagten, so ist er von der Schuld frei. 
Sobald jedoch die erste Spur des Giftes sich zeigt, wird er vom 
Pöbel zerrissen.^®) 

Bei den Banyai giebt es eine Zeremonie „Muavi". Hat jemand 
seine Frauen in Verdacht ihn behext zu haben, so läfst er den 
Zauberdoktor kommen; alle Weiber gehen aufs Feld und fasten, 
bis der Doktor den Trank fertig hat. Dann trinken alle von dem 
Gift, wobei jede zum Zeichen der Unschuld die Hand zum Himmel 
erhebt. Diejenigen, die den Trank wieder ausbrechen, werden als 
unschuldig angesehen, während diejenigen, die davon purgieren, für 
schuldig erklärt .und verbrannt werden. Ähnlich ist es bei den 
Barotse, Baschubia und BatoJcaJ''^) 

Es kommen auch noch anderartige Giftordalien vor. So 
wird an der Goldküste ein Ordal erwähnt, bei welchem der Ver- 
dächtige ein Stück Rinde von einem gewissen Baume kauen und 
dabei ein Gebet hersagen mufs, worin er den Wunsch ausspricht, 



^^) Caillie, Journal d'un voyage a Tembocton et ä Jenn6, Paris 1830. I. 
S. 232. 233. 

ö^) Johnston, a. a. 0. S. 375. 



^^) Livingstone, Missionsreisen. IL S. 82. 

«ö) Degrandepre, a. a. 0. S. 29. 

ö') Livingstone, Missionsreisen. IL S. 281. 



— 313 — 

dafs ihn der Genufs dieser Rinde töten solle, wenn er nicht un- 
schuldig sei.^*) 

Bei den Wanika in Ostafrika giebt es ein Ordal „Kirapo dscha 
Kikahe", Eid des kleinen Brodes. Der Angeklagte mufs ein wenig 
vergifteten Brodes oder Reises essen. Ist er unschuldig, so schluckt 
er es ohne Mühe hinunter; ist er schuldig, so bleibt es ihm im 
Halse stecken, so dafs er es unter grofsen Schmerzen mit Blut- 
verlust ausspeien mufs.^^) 

In Quoja wurde früher zum Ordal ein scharfes Wasser gebraucht, 
welches aus verschiedenen Pflanzenstoflfen hergestellt wurde. Das- 
selbe wurde dem Verdächtigen auf die Haut gestrichen und je nach- 
dem diese dabei verbranntQ oder nicht, galt der Verdächtig« als 
schuldig oder unschuldig. ^^) Ein ähnliches Ordal wird auch von der 
Goldküste erwähnt. Der Fetischpriester bringt ein Becken mit 
Wasser, welches er mit einem Pferde- oder Kuhschwanze rührt. 
Alle Verdächtigen müssen sich darin das Gesicht waschen. Die 
Unschuldigen fühlen nichts dabei. Den Schuldigen schwellen unter 
den heftigsten Schmerzen die Augen an.^^) 

In Bonny wird dem Angeklagten etwas ins Auge gethan, was 
die Sehkraft schwächt; es werden dann einige Pfefferkörner vor ihm 
auf den Boden gelegt, welche er aufsammeln mufs, ohne dafs eins 
dabei fehlen darf. Im Delta des Niger wird dabei die Calabarbohne 
verwandt. ^^) Bei den Aku oder Eyeos in Yarriba (Yoruba) wird 
zur Entdeckung eines Diebes vom Chugughudah (Zauberer) ein 
Pflanzenaufgufs hergestellt, in welchen ein gekautes Pfefferkorn gethan 
wird. Der Beschwörer spritzt etwas von diesem Safte ins Auge des 
Verdächtigen. Erzeugt dies Thränen oder klagt derselbe über 
Schmerz, so gilt er für schuldig.''^) In Benin that man dem An- 
geklagten einen gewissen Saft von grünen Kräutern in die Augen. 
That ihm derselbe nichts, so war er unschuldig. Wurden seine Augen 
davon rot, so mufste er Bufse zahlen. ''*) 

Aufser den Giftordalien ist in Afrika auch die Feuerprobe weit 
verbreitet. Die Berührung eines Körperteils des Verdächtigen mit 
einem glühenden Gegenstande oder mit siedendem Wasser oder Ol, 



««) Winterbottom, a. a. 0. S. 172. 
89) Krapf, a. a. 0. I. S. 342, 343. 
'0) Dapper 1. c. II. p. 47. 
'^') Monrad, a. a. 0. S. 39. 
72) Reade, afric. sketchbook. I. S. 50, 51. 

'^^) Clarke, a. a. 0. S. 152. So insbesondere auch in Abeokuta. Burton, 
Abeoknta and the Camaroons mountains. London 1863. I. S. 204. 
7*) Bosman 1. c. U. (III). S. 240. 

Qeogr. Blätter. Bremen, 1886. 22 



— 314 — 

ohne dafs derselbe dabei verbrannt wird, gilt als Zeichen der Un- 
schuld, während die Verbrennung ein Zeichen der Schuld ist. 

Will man sich bei den JolofFen davon überzeugen, ob ein An- 
geklagter die Wahrheit geredet habe, so berührt man ihm mit 
einem glühenden Stücke Eisen die Zunge; läfst er darüber etwas 
von Schmerz merken, so erkennt man ihn für schuldig, im andern 
Falle für unschuldig.''^) An der Sierra Leonehüste mufs der Verdächtige 
zum Beweise seiner Unschuld ein glühendes Eisen angreifen. 
Verbrennt er sich dabei, so gilt dies als Beweis der Schuld. Bis- 
weilen fährt ihm der Priester dreimal mit einem glühenden kupfernen 
Armringe über die Zunge und wenn ihm dies keinen Schaden thut, 
so gtaubt man, dafs seine Unschuld erwiesen sei.''*^) In Loango wird 
bereits in allen alten Berichten die Feuerprobe erwähnt, die auch 
jetzt noch vorkommt. Der Ganga Bisougo erhitzt ein Messer im 
Feuer, und zieht es über seine Hand, ohne sich zu verletzen. Dann 
wird es an dem Verdächtigen erprobt, um durch Versengen den 
Schuldigen herauszufinden. Den Unschuldigen soll das Messer 
nicht verletzen.") In Kongo findet sich dieselbe Probe des glühenden 
Eisens. Die Priester sollen im Besitze einer Substanz sein, welche 
die Haut gegen das heifse Metall unempfindlich macht.''®) In Angola 
besteht die Feuerprobe darin, dafs man eine glühende Kohle in die 
Hand nimmt. Hinterläfst dieselbe keine Verletzung, so gilt dies 
als Zeichen der Unschuld. Es ist unbezweifelt, dafs die Priester 
die Kunst besitzen, die Haut gegen die Wirkung des Feuers un- 
empfindlich zu machen. Sie haben es daher ganz in der Hand, wie 
das Ordal ausfallen soll. Der von ihnen eingeleiteten Anklage 
entgeht niemand ohne grofse Geschenke.''^) Bei den BaJcalai wird 
ein Kupferring in kochendes Palmöl gethan, und wenn das Öl aus- 
gebrannt ist und der Ring glühend im Topf liegt, mufs derjenige, 
dessen Aussage auf die Wahrheit geprüft werden soll, denselben 
mit den Fingern herausholen ; verbrennt er sich dabei, so ist seine 
Aussage falsch gewesen. ®®) In Benin strich der Priester mit einem 
glühenden Armring von Kupfer dem Verdächtigen über die Zunge. 
Verbrannte dieselbe ihm nicht, so galt er für unschuldig.®^) Bei 
den Somali wird dem Angeklagten ein weifsglühender Eisenstab in 



'^^) Mollien, Reise in das Innere von Afrika. Weimar 1820. S. 52. 

^^) Winterbottom, a. a. 0. S. 172. 

'7) Bastian, Deutsche Exped. I. S. 204. 

'^) Reade, savage Africa. S. 287. 

'9) Degrandepre, a. a. 0. S 30. 

80) du Chamu, explor. p. 269. 

«») Bosman 1. c. II. (III.) p. 240. 



— 315 — 

die Hand gedrückt, bis man zehn zählt. Verbrennt derselbe sich 
die Finger, so gilt er für schuldig.®^) Bei den Wanika fährt der 
Zauberpriester entweder dem Angeklagten zweimal mit einem 
glühenden Beil über die flache Hand, oder der Angeklagte mufs 
aus einem glühend gemachten kupfernen Kessel einen funken- 
sprühenden Stein herausholen, oder der Zauberpriester zieht eine 
glühende Nadel durch die Lippen desselben. Verbrennt derselbe 
sich, so gilt er für schuldig.^^) Bei den Waswaheli in Monbassa mufs 
der Verdächtige dreimal an einem glühenden Beile lecken, was ihm, 
wenn er unschuldig ist, keinen Schaden thut.^*) 

Das Ordal des siedenden Wassers wird bei den Wajs^aramo 
erwähnt und heifst hier Bäga oder Kyapo. Zeigt die hineingetauchte 
Hand eine Verletzung, so ist das Vergehen bewiesen und das Urteil 
wird sofort vollstreckt. Der Ausgang des Ordals liegt in der Hand 
des Mgängä oder Medizinmannes.®^) Bei den Somali mufs der Ver- 
dächtige aus einem Topf mit kochendem Wasser drei kleine Kiesel- 
steine oder drei Erbsen herausholen. Ist er unschuldig, so ver- 
brennt er sich dabei nicht.®®) 

Das Ordal des siedenden Öls findet sich bei Verdacht des Ehe^ 
bruchs oder Diebstahls bei den Kru an der Pfefferküste, indem der 
Angeklagte die nackte Hand in einen Topf siedenden Öls stecken 
mufs. Der Unschuldige verbrennt sich dabei nicht.®''^) An der 
Sierra Leoneküste mufs der Verdächtige mit entblöfstem Arme aus 
einem mit siedendem Öl gefüllten Topfe einen Schlangenkopf, Ring 
oder sonst etwas herausholen.®®) 

Aufser diesen Ordalien kommen in Afrika noch eine Reihe von 
Ordalien vor, welche eine Spezialität bestimmter Völkerschaften sind. 

So findet sich z. B. bei den Marghi zwischen Bornu und 
Adamaua ein eigentümliches Gottesgericht auf den heutigen Granit- 
felsen von Köbschi. Hier hetzen die streitenden Parteien jede einen 
Hahn auf den Hahn des andern, und der siegreiche Hahn macht 
auch die Partei zum Sieger.®^) In Widah wurde der Verdächtige 
in einen Flufs in der Nähe des Hofes des Königs geworfen, welchem 
die Eigenschaft zugeschrieben wurde, dafs er den Schuldigen zu 



82) Haggenmacher in Petermanns Mittl. Erg. X. Nr. 47. S. 37. 

83) Krapf, a. a. 0. 1. S. 342, 343. 

84) midebrandt in der Zeitschr. f. Ethnol. X. S. 388. 

8») Burton, the lake regions of Centralafrica. London 1860. I. p. 114. 
8ö) Haggenmacher in Petermanns Mittl. Erg. X. Nr. 47. S. 37. 

87) Wilson, a. a. 0. S. 100, 168. 

88) Winterbottom, a. a. 0. S. 172. 

89) Barth, Reisen u. Entdeckungen 1857. II. S. 647. 

22* 



— 31« — 

Grunde ziehe.^) Zu der gleichen Probe wurde auch ein bestimmter 
Flufs in Benin benutzt. ^^) 

In Benin gab es ein Ordal, bei welchem der Priester mit einer 
Hühnerfeder durch die Zunge des Verdächtigen stach; ging sie glatt 
durch, so war er unschuldig, blieb sie darin stecken, so war er 
schuldig. ^^) 

In der Stadt Widah werden Schlangen dazu benutzt, um Per- 
sonen zu entdecken, die sich der Zauberei schuldig gemacht haben. 
Beifst die Schlange in der Hand des Priesters den Verdächtigen, 
so gilt dieser als schuldig.®^) 

In Bonny mufs der Verdächtige durch eine Bucht schwimmen, 
in welcher täglich die heiligen Haie gefüttert werden.^) 

Bei den Waswdheli in Monbassa findet sich ein Gottesurteil der 
Brille, bei welchem der Angeklagte seine Hand in die Spalte eines 
Stabes hält. Ist er schuldig, so schliefst sich die Spalte und 
klemmt die Hand. Ferner ein Urteil des gehülsten Reises, bei 
dem der Priester dem Verdächtigten etwas Reis giebt, den der Un- 
schuldige leicht hinunter schluckt, während er beim Schuldigen immer 
mehr und mehr wird. Endlich ein Urteil des Theekessels, bei 
welchem zwei verdächtige Personen die Spitzen der beiden Zeige- 
finger der rechten Hand dicht zusammenhalten und über die Be- 
rührungsstelle ein leichter Theekessel gehängt wird. Dem Schuldi- 
gen soll die Kraft verlassen, so dafs ihm der Kessel vor die Füfse 
fällt. Bei den Wadigo mufs der Verdächtige aus einem Schädel 
trinken. Ist er schuldig, so stirbt er,^^) 

Oft sind die Ordalien zweiseitig, so dafs sowohl der Ankläger 
als der Angeklagte sich der Probe unterwerfen mufs. So wird in 
Unyoro, wenn jemand bestohlen ist, der Gebrauch „madudu" ange- 
wendet. Der Bestohlene führt denjenigen, gegen den er Verdacht 
hat, vor den König, wo beide entweder selbst einen aus rotem 
Holze bearbeiteten Zaubertrank trinken oder ihn zwei Hühnern zu 
trinken geben. Der Schuldige beziehungsweise sein Huhn werden 
schwindlig. Dies ist auch in Uganda gebräuchlich, jedoch im Ver- 
schwinden begriffen. ^^) Am Bio Nunez trinken Angeschuldigter sowie 
Ankläger das rote Wasser undzwar jeder gleichviel.^'') BeidenJKmJwndo 

öo) Bosman 1. c. IL S. 137. 

öl) Bosman 1. c. IL S. 241. 

ö2) Bosman L c. IL S. 240. 

ö8) Wilson a. a. 0. S. 152. 

®*) Reade, afric. sketchbook. I. S. 50. 

«4 Hildebrandt a. d. Zeitschr. f. Ethnol. X. S. 388, 389. 

96) Emin Bey in Petermanns Mittl XXV. S. 392. 

9') CailU^ L c. L S.'233. 



— 317 — 

trinken ebenfalls beide Parteien das Gift. Der Kimbanda giebt aber 
der einen weniger als der andern.^®) In Kämba wird der Bulongo- 
trank von beiden Teilen getrunken. Der Zauberpriester schüttet 
in das Trinkhorn eines jeden aus einem Beutel einen Löflfel weifsen 
Pulvers. In diesem Beutel befinden sich zwei Teile, davon einer 
unschädliches Mossambälamehl, der andre ein stark wirkendes Gift 
enthält.^^) In KidMa wird ebenfalls der Bulongotrank von beiden 
Teilen getrunken. ^^®) Bei den Ganguellas wird das Gift von dem 
Beschuldigten und dem nächsten Verwandten des Verstorbenen ge- 
trunken.^®^) 

Auch eine Stellvertretung beim Ordal findet sich in Afrika. 
Am Gabun wird der Gifttrank oft durch Stellvertreter genommen. ^®^) 
Macht in Loango eine Frau eines Königs sich der Untreue verdächtig, 
so mufs ein Sklave oder sonst jemand sich dem Ordal des roten 
Wassers unterwerfen. Erkrankt oder stirbt der Stellvertreter bei 
dieser Probe, so ist auch das Weib dem Tode verfallen. Es kommt 
auch oft vor, dafs für einen bejahrten oder geachteten Mann, der 
der Zauberei angeklagt wird, ein Sohn oder ein Lieblingssklave 
auftritt, um sich als sein Stellvertreter dem Ordal zu unterwerfen.^®^) 
Von den 'ßanjars wird erwähnt, dafs der Angeklagte die Giftprobe 
sehr oft überstehe, wenn er reich genug sei, einen Vertreter zu 
bezahlen. ^^) Solche Vertreter scheinen also mit dem Zauberpriester 
im Bunde zu stehen. 

Auch Tiere werden wohl zur Stellvertretung benutzt. Bei den 
Batdka wird z. B. bei dem Gottesurteil der Muave wohl ein Hahn 
benutzt. ^®^) Auch die Barotse geben das Gift der Muave einem Hahn 
oder Hunde und urteilen über die Schuld der angeklagten Person 
darnach, ob das Tier bricht oder purgiert. ^®^) 

Wer im Gottesurteil unterliegt, verliert durchgängig Leben 
und Vermögen. Im günstigsten Falle wird er verbannt oder als 
Sklave verkauft. 

In Calumbo kann der Mani ihn zu ewiger Verbannung be- 
gnadigen. Sein Eigentum wird alsdann zu gunsten der Erben des 
Verstorbenen konfisziert und Weiber und Kinder werden- ebenfalls 



08) Magyar a. a. 0. I. S. 136 n. 28, 30. 

90) Magyar in Petermanns Mittl. 1857. S. 197. 
loö) Magyar, Reisen. I S. 122, 123. 
i«i) Serpa Pinto a. a. 0. S. 120 ff. 

102) Wilson, a. a. 0. S. 296. 

103) Dapper 1. c. IL S. 160. Wilson, a. a. 0. S. 229. 

104) Hecquard S. 76. 

loö) Livingstone, Neue Missionsreisen. I. S. 256. 
106) Livingstone, Missionsreisen. IL S. 282. ' 



— 318 — 

Eigentum der Erben. ^®^ In PaUabaUa am Kongo wird der durch 
das Ordal schuldig befundene Angeklagte vom Volke in Stücke 
zerhackt oder über langsamem Feuer verbrannt. ^^) In den Bezirken 
Ärimba, Thunda, Seilen und Assango an der Loangoküste bemächtigt 
sich der Gegner des im Giftordal Unterlegenen mit seinem Anhange 
des Überführten, seiner Sklaven und Güter. Nach mannigfacher 
Peinigung wird er gewöhnlich dem Soba eines entfernten Dorfes 
verkauft, um dort getötet und verzehrt zu werden.^®®) In Angola 
wird derjenige, der beim Giftordal unterliegt, ohne dabei sofort zu 
sterben, unmittelbar vom Volke zerstochen und zerschlagen, sein 
Kopf abgehauen, sein Körper verbrannt^^®) oder die zerstreuten 
Glieder an einem Palmbaum aufgehängt, bis Raubvögel sie ver- 
zehren.^^^) Stirbt an der Sierra Leoneküste der Angeklagte bei 
der Giftprobe oder ist er zu alt, als dafs man ihn als Sklaven 
verkaufen könnte, so wird einer seiner Angehörigen als Sklave ver- 
handelt.^^*) In Kidlcka wird derjenige, der beim Ordal des Bulongo- 
tranks unterliegt, sofort von der Volksmenge auf das Grausamste 
zerstückt ;^^^) in Benguela wird er zu Tode gesteinigt."*) Bei den 
BaJcmri am Kamerungebirge wird derjenige, der im Giftordal unter- 
liegt, vom Volke sofort mit Faschinenmessern niedergehauen."^) In 
ähnlicher Weise wird mit ihm an der ganzen Westküste Afrikas 
verfahren. Er wird von allen Seiten verhöhnt, angespieen und 
manchmal auch an den Füfsen durch Dickicht und über Gestein 
geschleift, bis der Körper zerrissen und zerfleischt ist."^) Bei den 
Ganguellas in Caquingue mufs der im Ordal des Gifttranks unter- 
liegende entweder das Leben des Verstorbenen bezahlen, oder das 
eigene verlieren."') Dagegen gilt derjenige, der das Ordal über- 
standen hat, als vollkommen gereinigt und nimmt alsdann eine ge- 
achtetere gesellschaftliche Stellung ein wie vorher."^) 

Fällt das Gottesurteil zu gunsten des Angeklagten aus, so 
treffen den Ankläger regelmäfsig Strafen. 



^^O Valdez 1. c. H. p. 130. 

10«) Johnston, a. a. 0. S. 375. 

i<») Güfsfeldt, a. a. 0. IL S. 76. 

"0) Monteiro 1. c. I. S. 63. 

"1) Degrandepre, a. a. 0. S. 29. 

"«) Winterbottom, a. a. 0. S. 176.| 

"3) Magyar, a. a. 0. I. S. 122. 123. 

"4) Tams, a. a. 0. S. 68. 

"«) Schwarz, a. a. 0. S. 175. 

"•) Wilson, a. a. 0. S. 167. 

"0 Serpa Pinto, a. a. 0. I. S. 120 ff. 

''^) Wilson, a. a. 0. S. -167. 



— 319 — 

Wird an der Pfefferküste eine Frau auf Anklage ihres Mannes 
der Probe des siedenden Öls unterworfen und besteht .dieselbe, so 
mufs ihr ihr Gatte als Bufse für den ungerechten Verdacht 
ein schönes Geschenk machen. ^^^) Besteht an der Loangoküste 
der Angeklagte oder sein Stellvertreter das Ordal des roten 
Wassers, so hat der Ankläger seine Freiheit verwirkt^^^) oder 
er mufs doch hohe Entschädigung zahlen. ^^^) So hat auch am 
Rio Nunejt der als unschuldig aus dem Giftordal hervorgegangene 
Angeschuldigte gegen den Ankläger einen Anspruch auf Schadens- 
ersatz.^^^) Ebenso ist es bei den BanjarsP^) An andern Teilen 
der Westküste Afrikas müssen die Ankläger eines AngeMagten, der 
das Rotwasserordal überstanden hat, sich derselben Probe unter- 
werfen oder sich durch Zahlung eines ansehnlichen Ersatzes an den 
Gereinigten loskaufen. ^^^) Bei den Ganguellas hat der Ankläger, wenn 
das Ordal des Gifttranks gegen ihn ausfällt, den Angeklagten für die 
Anklage zu entschädigen, indem er ihm sofort ein Schwein schenken, 
die Unkosten für das Aufsuchen und Holen des Medizinmannes bezahlen 
und endlich auch noch hergeben mufs, was der Angeklagte verlangt, 
z. B. ein paar Ochsen, einige Sklaven," einen Packen Stoffe u. a.^^^) 

An der Sierra Leomhüste klagt derjenige, der das Ordal des 
Gifttranks siegreich überstanden hat, gegen die Freunde des Ver- 
storbenen wegen Verunglimpfung seines ehrlichen Namens und wider- 
rechtlich erlittenen Arrestes, worauf dann gemeiniglich durch eine 
der Beleidigung angemessene Bezahlung die Sache abgethan wird.^^^) 

Klagt bei den Somali ein Fremder gegen einen Somali, so 
mufs er vorab, ehe man zur Untersuchung schreitet, eine Summe 
als Ehrengeld deponieren. Besteht der Angeklagte das Ordal des 
siedenden Wassers, so erhält der falsch Angeklagte diese Summe. ^2^) 



Zaubereiprozesse und Gottesurteile sind bekanntlich auf der 
ganzen Erde verbreitet und eine Erscheinung, welche auf bestimmten 
Kulturstufen sich regelmäfsig wiederholt. Auch in unserm germani- 
schen Altertume treten uns diese fremdartigen Institutionen bekannt- 
lich entgegen und sind uns noch heutzutage vielfach ein Rätsel. In 



"9) Wilson, a. a. 0. S. 168. 

120) Wilson, a. a. 0. S. 229. 

121) Bastian, Deutsche Exped. II, S. 158. 159. 

122) Caüüe 1. c. I. p. 233. 

128) Hecquard, a. a. 0. S. 76. 

12*) Wilson, a. a. 0. S. 167. 

126) Serpa Pinto, a. a. 0. S. 120 ff. 

126) Matthews, a. a. 0. S. 131 ff. 

12^) Haggenmacher in Petermanns Mitteilungen. Et^. "X.. ^x. M\. '^.'^, 



— 320 — 

der That sind sie hier Überreste aus einer grauen Vergangenheit, 
deren Denkweise wir uns kaum vorstellen können. In Afrika, dem 
klassischen Weltteile der Gottesurteile existieren sie noch heutzutage 
in ihrer ganzen grausigen Lebenskraft. Hier sind wir im stände, in 
das ganze Getriebe hineinzuschauen, in welches sie gehören, und 
wir dürfen den Schlufs ziehen, dafs auch bei uns dereinst einmal 
eine soziale Organisation geherrscht hat, welche mit der Organi- 
sation des afrikanischen Zauberpriestertums Ähnlichkeit gehabt 
haben mufs. So werfen die Studien über die Sitten der Naturvölker 
glänzendes Sonnenlicht auf das bisher in unheimliches Halbdunkel 
gehüllte ßbich unsrer eigenen Vorgeschichte und gewähren uns 
erst die volle Freude an den mühsam errungenen Schätzen unsrer 
heutigen Kultur. 

Vom Niger -Benuegebiet 
und seinen Handelsverhältnissen. 

Von Ernst Hartert. 



Einleitung. Handel in den Küstengegenden. Brafs. Palmöl. Die National 
African Company. Lokodscha. Die Mission. Ein neuer Nigerdampfer für die eng- 
lische Mission. Eggan. Die Scbibutter. Europäische Waren. Der Branntwein. Der 
Benue, Handelsfreiheit. Menschenopfer. Englische Handelsniederlassungen am Benne. 
Silberminen. Loko und Dagbo. Ruinen. Elfenbeinhandel. Die arabischen Händler. 
Grunderwerbungen Flegels. Buba-n-Dschidda. Palmöl und Palmkernöl. Waffenhandel. 
Mängel des Muschelgeldes. Einwanderung europäischer Ackerbauer nicht ratsam. 
Aussichten für den Handel Verkehrsmittel in Haussa. Eine Elfenbeinkarawane. Eeiche 
Araber. Abnahme des Verkehrs mit Timbutu. Räuberhorden. Wissenschaftliche For- 
schung für deutsche Unternehmungen notwendig. 

Ein grofses, umfangreiches, an Bodenbeschaflfenheit und Pro- 
duktionsfähigkeit vielfach verschiedenes Gebiet ist es, das ich in den 
Jahren 1885/1886 bereiste. Ich zog hinaus mit Robert Flegel, der 
jetzt im Angesichte des Meeres am Eingang jener gewaltigen 
Wasserstrafse in das Innerste des sogenannten dunklen Kontinents, 
in Brafs, dem Ausgangspunkte unsrer Expedition, von seinem be- 
wegten Leben für immer ausruht. Um die Tierwelt der zoologisch 
noch undurchforschten Benueländer kennen zu lernen, hatte ich 
mich der Expedition angeschlossen, übernahm aber dort mit meinem 
treuen Reisegefährten Paul Staudinger den ehrenvollen Auftrag, die 
Briefe und Geschenke Sr. Majestät unsers allergnädigsten Kaisers 
und Königs an die Sultane von Sokoto und Gandu zu bringen, und 
lernte dadurch einen grofsen Teil der reichen, zwischen dem Benue 
und dem Südrand der Sahara gelegenen, gewöhnlich unter dem 
Namen der Haussaländer oder der Fulbestaaten bekannten Gebiete 
kennen. Beide Namen haben ihr^ Be^Tedaiv^viug, denn die Haussa 



— 321 — 

sind die recht eigentlichsten, zahlreichsten gewerb- und handel- 
treibenden Bewohner des Landes, welche uns hier besonders inter- 
essieren, und die Fulbe, Fulde oder Pullo, Fillani, wie sie von den 
Haussa, Felläta, wie sie von den Kanöri, und FuUän, wie sie von 
den Arabern genannt zu werden pflegen, sind es, deren Nachkommen 
seit der grofsen islamitisch-fanatischen Invasion im Anfang des neun- 
zehnten Jahrhunderts die herrschende Klasse einerseits bilden und 
anderseits fast überall den Hauptbestandteil der Viehzucht treiben- 
den Bevölkerung ausmachen, während die Haussa entschieden mehr 
den Handel lieben. Wenn ich auch, wie ich bereits vorhin erwähnte, 
als Naturforscher hinausgezogen war und der Zoologie, zumal der 
Ornithologie, nach wie vor treu geblieben bin, so erlaube ich mir 
dennoch auch über sonstige Verhältnisse der bereisten Länder zu 
sprechen, da ich sehe, dafs dieselben noch sehr wenig bekannt sind 
und vielfach falsch beurteilt werden, und weil ich in der bevorzugten 
Lage bin, ohne eine gefärbte Brille vor den Augen, ohne eine vorher- 
gefafste Meinung, ein unbefangener Beobachter gewesen zu sein und 
die Genugthuung habe, mit meinem Reisegefährten im allgemeinen 
völlig übereinzustimmen. 

Bei Brafs an der Nigermündung gewann ich zunächst einen 
längeren Einblick in die Handelsverhältnisse der Küstengegenden, 
aber hier begegnen wir der interessanten Thatsache, dafs seit kurzem 
die Weifsen sich schon nicht mehr begnügen, sich das Palmöl auf 
langen Kanufahrten von den Schwarzen bringen zu lassen, sondern 
selbst mit kleinen Dampf barkassen den Niger bis Onitscha hinauf- 
fahren und die mit Öl beladenen Böte herabschleppen. Zwar liegt 
dem Neger im allgemeinen nichts ferner, als der Glaube an das in 
Europa so goldene Wort „Zeit ist Geld^, hier aber scheint es fast, 
als ob ein Anfang zum Bessern gemacht sei — aber es scheint auch 
wohl nur so, denn fast möchte ich argwöhnen, dafs nur der Vorteil, 
den die Weifsen hiervon haben, bei den Schwarzen die Bequemlich- 
keit allein, die Gründe davon sein mögen. 

In Brafs lebt eine rohe Bevölkerung, die aber ein tüchtiges 
Handelsvolk ist und sehr wohl ihren Vorteil kennt. Die mehr im 
Innern vorzugsweise beliebten ganz geringen Stoffe werden hier 
schon nicht mehr so viel begehrt, die Preise für Genever, Flinten 
und Pulver sind sehr niedrig, desto höher, im höchsten Grade unver- 
schämt, sind die Preise, die sich die Eingeborenen für Fleisch, d. h: 
für die kleinen Ziegen und Schafe und die ebenfalls kleinen Hühner 
bezahlen lassen; je tiefer ins Innere hinein, desto niedriger werden 
die Preise. 

Palmöl und Pdlmkerne sind die e\iiz\g,ei\i k\i^i>3JKt^^S&J^ ^^^ 



— 322 — 

Brafs und dem ganzen unteren Flufs. In Brafs befinden sich mehrere 
englische Häuser. Wir genossen hier die unvergleichlichste Gast- 
freundschaft des Herrn Townsend, Firma Hatton & Cooksen, und 
wurden nicht minder liebenswürdig aufgenommen von unserm landes- 
kundigen, lebensfrohen Landsmann Herrn Sohnice, Firma Harrison. 
In Brafs befindet sich auch schon eine Fabrik, in der die Palmkerne 
ihrer harten, platzraubenden Hülle schneller und billiger, als die 
Eingeborenen dies vermögen, entledigt werden. Da die Neger für 
ihr Öl ziemlich hohe Preise verlangten und der Markt in Europa 
reichlich mit dieser Ware versehen war, so ging das Geschäft in 
der letzten Zeit nicht besonders gut. 

Im ganzen Flufs bis zur Mündung des Benue hinauf bildet 
Palmöl das einzig bedeutende Ausfuhrprodukt. In Lokodscha, gegen- 
über dem Einflüsse des Benue in den Niger, befinden sich grofse 
Lagerräume der „National African Company". Lokodscha gewährt 
einen prächtigen Anblick, wenn man sich ihm vom Benue her über 
die seeartige Wasserfläche nähert; nicht so schön kommt es zur 
Geltung, wenn man den Flufs heraufkommt. Aus den am Fufse 
des hohen Berges gelegenen Negerhütten erheben sich hellleuchtend 
die glänzenden Wellblechdächer der Lagerräume, der Schule und 
der alten Mission, auch des Hauses eines schwarzen Händlers von 
der Küste her, weiter flufsab die einzeln stehenden grofsen ge- 
räumigen Gebäude der ^englischen ^church missionary society" unter 
dem alten bekannten schwarzen Bischof Crowther, und der neuen 
katholischen Mission der Weifsmäntel von Lyon, die anscheinend 
sehr vernünftig vorgehen, und die sich des entschiedenen Vorteils 
erfreuen, nur weifse, keine schwarzen Missionäre' zu haben. Zur 
Zeit sind dort fünf Weifse tätig und es werden in nächster Zeit eine 
Anzahl Schwestern erwartet. Eine andre katholische Mission der 
„Väter vom heiligen Geist und dem Herzen der Jungfrau Maria^ 
von Paris, fanden wir in Onitscha, wo zwei „Väter" und ein 
^Bruder", alle die deutsche Zunge redend, thätig waren. Ich halte 
die Missionäre als Kulturapostel für wichtig und mufs von diesem 
Standpunkte aus, obwohl selbst ein guter Protestant, hier diesen 
Missionsbestrebungen der Katholiken eher das Wort reden, als den 
schon so lange hier thätigen englischen Bekehrern, die im Hinblick 
auf das viele aufgewandte Geld und die Länge der Zeit recht wenig 
erreicht haben. Ich mufs jedoch bemerken, dafs sich dies nur auf 
diese Missionen im Nigergebiet bezieht, da ich von andern nichts 
eingehendes kennen gelernt habe. Gerade in solchen Gegenden 
kommt es nicht am wenigsten auf die Persönlichkeiten der Be- 
kebrer an, und diese Männer Met, Ä\e u^\i^\ib^i uns in Onitscha 



— 323 — 

mit bewundernswerter Liebenswürdigkeit aufnahmen und uns aus 
dem Innern kommenden/ Keisenden mit für uns köstlichen Speisen 
bewirteten, scheinen mir sehr geeignet für ihren schweren Beruf; 
sie unterzogen sich aufopferungsvoll der Krankenpflege und be- 
pflanzten ihr Land mit einheimischen und europäischen Gewächsen, 
manchen Eingeborenen friedlich zur Arbeit heranziehend! Neuer- 
dings werden von der augenscheinlich mit bedeutenden Mitteln ver- 
sehenen evangelischen „church missionary society" grofse Anstalten 
gemacht. Ein neuer grofser Dampfer mit zwei Hinterrädern, der 
nach dem alten, auf dem Flegel seiner Zeit den Benue befuhr, 
wieder „Henry Venn" getauft wurde, ist erbaut. Wir sahen das in 
That grofsartig aussehende Schiff oberhalb Onitscha mit Crowther 
selbst an Bord an uns vorbei den Niger hinaufdampfen, als wir 
uns im Juli 1886 auf der Thalfahrt befanden. Er kam recht lang- 
sam gegen die Strömung an, was aber kein grofser Fehler sein 
mag, da er wohl nicht als Kurierboot verwandt werden soll, hatte 
aber das Mifsgeschick, etwas oberhalb liegen zu bleiben, weil ein 
Maschinenteil zerbrochen war, was in einigen Wochen, (da wohl 
erst Hülfe oder Material von Akassa geholt werden mufste) repariert 
sein sollte. In Lokodscha waren prächtige neue Gebäude, auch ein 
Kaum für eine Druckerei (die mir ein rechter Unsinn scheint) im 
Bau begriffen, die gesund gelegen, praktisch ausgeführt, viel zu 
versprechen scheinen und die wir mit Vergnügen besichtigten. 

Vom Niger oberhalb Lokodscha kenne ich nur durch Flegels 
Angaben und eingezogene Erkundigungen einiges, da ich alsbald in 
den Benue fuhr. In Eggan am Niger beginnt auch schon der 
Elfenbeinhandel einige Bedeutung zu gewinnen, am wichtigsten aber 
ist für Eggan die Schibutter, sheabutter, le beurre v6getal, die 
aus der Frucht des Butterbaumes, Butyrospermum Parkii, Kad6nja 
der Haussa, Kdrchi der Fulbe, bereitete Fettmasse. Der Schibutter- 
baura wächst von Loko am Benue bis Sokoto hinauf durch fast 
alle Strecken, die wir bereisten, und würde, wenn kultiviert, noch 
ungemein vermehrt werden können. Das angenehm süfs schmeckende 
gelbe, die grofsen braunen Kerne umhüllende Fleisch nebst der 
grünen Schale ist bei den Eingeborenen sehr beliebt. Die Butter selbst 
sah ich im Innern nur in ziemlich geringen Mengen auf den Märkten. 
An manchen Orten fabriziert man sie gar nicht, in Loko z. B., wo 
der Baum, wenn auch nur hier und da im Busche stehend, trefflich 
gedeiht, bereitet man die Butter nicht. In Eggan wird auch noch 
Palmöl gekauft, doch sind die Hauptbezugsquellen dieses Artikels 
im untern Niger. 

Von europäischen Waren sind \oizü%\\c\v Q^^tän^x \». ^*K>s5v55^ 



— 324 — 

und Stoffe, leichte Kattune — eine etwas euphemistische Bezeich- 
nung für die zumeist hier in den Handel gebrachten Gewebe — 
blue-baft, Croydon, Graybaft u. dergl. m., billige Gewehre, Pulver 
und grobe Schrote, besonders auch Tabak, zu erwähnen. Alle die 
andern Artikel sind nicht die recht eigentlichen Tauschwaren, ob- 
wohl manche derselben in kleinen Quanten zu Geschenken an die 
Häuptlinge und zur Zugabe zu den Kaufpreisen in obengenannten 
Gegenständen nötig sind. In Brafs sind schon bessere Liqueure 
beliebt, Seife, unmoderne Hüte, Schirme, cutlas, Streichhölzer und 
tausend andre kleine Dinge sind gern gesehen und von Nutzen, 
doch ist es nicht selten, dafs einige solche Dinge ohne Vorteil weg- 
gegeben werden. Ganz kürzlich schrieb man von England aus, dafs 
der Sultan von Nupe in seiner Kesidenz Biddah das Schnapstrinken 
verboten habe. Ob dies Verbot bestehen und von Erfolg begleitet 
sein wird, mag sich zeigen. Auch im Frühjahr 1886 verbot der 
Sultan von Keffi Ahd-es-Ssenga, in der Regel einfach Keffi, oder 
wie es unrein gesprochen klingt, Kaffi genannt, das Schnapstrinken 
in seiner Stadt, erreichte aber vorläufig nur, dafs der edle Fusel 
nicht mehr auf offenem Markte, sondern heimlich in den Häusern 
verkauft und ausgetrunken wurde. Übrigens habe ich in diesen 
Gegenden noch nirgend so schädliche Einwirkung des Fusels, nirgend 
eine ähnliche Demoralisierung durch Branntwein beobachten können, 
wie sie mir im eigenen Vaterland auf meinen Wanderungen in den 
Hinterwäldern Masurens, Litthauens und Oberschlesiens in erschrek- 
kenden Bildern vor die Augen trat. Es ist ja gewifs sehr lobens- 
wert und schön, darauf hinzuwirken, dafs die „Vergiftung der afri- 
kanischen Eingeborenen durch Branntwein" nicht noch weiter fort- 
schreite, man vergifst aber im übergrofsen Eifer leicht, dafs in den 
Gegenden, wo diese Ware einmal Handelsartikel geworden ist, die 
Kaufleute selbst mit dem besten Willen nicht im stände sind, hier- 
mit plötzlich abzubrechen ; es würde sich die Wut der Eingeborenen, 
die ihres Lieblingsgetränkes beraubt sein sollten, gegen die Weifsen 
kehren, Handel und Verkehr würde stocken. Auch ist es ganz un- 
gerecht, zu verlangen, dafs der wissenschaftliche Reisende keinen 
Schnaps für Neger mitnehmen soll, da er ihm oft von allergröfstem 
Nutzen sein kann. Nur sollte der Forscher ihn nicht in neue Ge- 
genden einführen, wie auch Kaufleute seiner in neu zu erschliefsenden 
Gebieten ohne Zweifel sehr gut würden entbehren können. Wer 
sich zum Humanitätsapostel berufen fühlt, sollte sich doch erst im 
eigenen Vaterlande umsehen, den sich ja auch erfreulicherweise 
regenden Bestrebungen beistehen und den edlen Männern, die auf 
eigene Faust — ich gedenke emigei ¥ox^>iXi^^\o\föö. \iM Ortsvor- 



— 325 — 

Steher, die ich auf meinen Jagden und Sammelreisen kennen lernte 
— sich bemühen, der Fuselsucht im deutschen Osten zu steuern, 
hülf reich zur Hand gehen. 

Wenn ich den Niger verlasse, um auf den Benue einzugehen, 
so kann ich nicht umhin, an dieser Stelle darauf aufmerksam zu 
machen, dafs jetzt das ganze Gebiet des Niger, soweit es von der 
Mündung herauf dem europäischen Handel geöffnet ist, sowie der 
Benue bis gegen Jola hin, den Engländern laut einer Abmachung 
der beiden Mächte zur Agitation überlassen bleibt, während die 
Gebiete süd- und ostwärts einer vom Rio del Rey nach einem kurz 
unterhalb Jola gelegenen Punkte gezogenen Linie der deutschen 
Agitation oflfen steht. Landerwerbungen in den obengenannten Teilen 
des Niger und Benue dürften also wohl von der Regierung nicht 
anerkannt werden, doch können auf den freiem Verkehr geöffneten 
Flüssen private Handelsunternehmungen unbehindert stattfinden. 
Vorläufig herrscht in allen diesen unzivilisierten Gebieten noch das 
Recht des Stärkeren, mit alleiniger Ausnahme der grofsen Haussa- 
Fulbestaaten, wo ein schwacher Schimmer oberherrlicher Gewalt 
über das Land gebreitet ist. In den definitiv unter englischen Schutz 
gestellten Gebieten, wie an der Nigermündung, werden ja wohl binnen 
kurzem die Verhältnisse geordneter werden. Welche Zustände noch 
in einigen Strecken herrschen, das illustrieren am besten die That- 
sachen, dafs gegenüber der Mündung des von Zweifel und Flegel 
zuerst befahrenen Amambaraflusses. in der Nähe von Asaba den 
Göttern alljährlich eine erschreckliche Menge von Menschenopfern 
gebracht werden, wozu die Unglücklichen, möglichst billige Geschöpfe, 
alte, unbrauchbare Leute, kleine krüppelhafte, geschwürbedeckte 
Kinder und dergleichen mehr — wenn es nur Menschen sind, welche 
die den Göttern angenehme Zahl ausmachen — zum Teil auf einer 
Sandbank im Niger gekauft werden. Ferner dürfte es von Interesse 
sein, dafs am mittleren Benue noch vor kurzem vier oder fünf 
Weifse von dem Muntschivolke getötet worden sind, jenem Stamme, 
von dem sehr oft behauptet wird, er habe kannibalische Gewohnheiten, 
was höchst wahrscheinlich aber nicht der Fall ist, während zwischen 
Niger und Benue, mehr im untern Nigergebiete, Kannibalismus 
mannigfach vorkommt. 

Am Benue liegen nun schon eine ganz erkleckliche Anzahl 
englischer Faktoreien, die aber im letzten Jahre aufserordentlich 
wenig eingebracht haben. Der Handel dieses ganzen fruchtbaren 
Benuegebietes hat nämlich seinen Hauptwert bisher nur noch im 
Elfenbein gehabt. Palmöl giebt es nicht viel und auch nicht überall, 
Sesam, benny-seed der Engländer, ridi det Hacos.^^^ \s\säö!t m ^^ss^ 



— 326 — 

obern Gegenden. Die Minen in Dansota ergaben im Anfang viel 
gutes Silber, jetzt aber nur Bleiglanz mit zu wenig Silber, als dafs 
es die Kosten der Ausbeutung deckt. Zudem scheinen gerade die 
Umgebungen dieser Minen vorzugsweise ungesund zu sein. Zu 
bewundern ist der Mut des jungen Charly Mac-Intosh, der ohne 
Bedenken an den durch Menschen und Klima am meisten gefährdeten 
Stellen seine Thätigkeit entfaltet und wie es scheint auch den 
schädlichen Einflüssen des letzteren gegenüber einen hohen Grad 
von Widerstandsfähigkeit besitzt. Es ist sehr wohl anzunehmen, 
dafs sich in den obern Benuegegenden noch gröfsere, der Ausbeutung 
werte Silberlager finden. 

Vom Niger an ist ohne Zweifel zunächst der wichtigste Ort am 
Benue das neue Loko. Der früher hier erwähnte Ort Dagbo, dessen 
Lage mit unserm Loko zusammenfallen soll, ist etwas unklar. Rohlfs 
fand keine Spur von diesem Namen und auch uns ist er niemals 
vorgekommen. Dafs Dagbo eine kleine Strecke flufsab gelegen habe, 
ist sehr unwahrscheinlich. Wir haben unsre Jagdausflüge bis weit 
flufsabwärts hin ausgedehnt, fanden aber nur die Ruinen eines kleinen, 
vom Benue zur nassen Zeit durch einen Sumpf getrennten Farm- 
dorfes, wohl aber traf ich etwa eine deutsche Meile stromaufwärts, 
eine beträchtliche Strecke vom Flufs, auf eine sehr ausgedehnte alte 
Umwallung, die mehrere Thore gehabt hat und innerhalb deren der 
niedere, spärliche Baumwuchs einen völlig andern Charakter zeigte, 
so dafs wohl anzunehmen sein dürfte, hier habe einst ein grofser Ort 
gestanden. Auskunft über einen solchen konnte ich nicht erhalten. 
Es hiefs stets, dafs da, wo jetzt das lebhafte Loko, von weiten 
Feldern umgeben, stehe, früher nur Wald gev/esen sei. Das frühere 
gegenüberliegende Insel-Loko, das zu Rohlfs' Zeit existierte, ist dahin, 
doch befinden sich drüben auf den Inseln einige heidnische Dörfer. 
Dies jetzige Loko nun ist einer der Hauptelfenbeinplätze. Nur in 
dem letzten Jahre hat sich der Elfenbeinhandel wieder etwas mehr 
zu dem altherbekannten Handelswege der Araber gewandt, was wohl 
durch das Auftreten einiger, zum Teil schwarzer Agenten, veranlafst 
ist, aber wahrscheinlich nicht von Bestand sein wird. Man werfe 
nur einen Blick auf die Karte und vergleiche den ungeheuren Weg, 
den die Zähne von Adamaua über Kano und Kukaua (Kuka) durch 
die Wüste zum Mittelmeere nehmen müssen, mit dem kurzen, den 
Benue-Niger hinab zur Küste führenden Wege ! Bei dieser Betrachtung 
drängt sich einem unwillkürlich der Gedanke auf, dafs naturgemäfs 
der Handel mit den Produkten der umliegenden Länder an jene 
grofse Wasserstrafse hingehört, und wenn auch nach langem Ringen 
und leider auch nicht ohne Opfer, wird die vielgerühmte Thatkraft 



— 327 — 

der weifsen Rasse es ohne Zweifel einst dahin bringen, dafs dies 
natürliche Verhältnis früher oder später eintritt. Es ist mir wohl 
bewufst, dafs eine einmal erworbene Menge von Kamelen ein billiges 
Transportmittel ist und dafs die Geschäfte, welche die arabischen 
Händler mit Sudansklaven machen, wohl nicht unbedeutend sein 
mögen, aber trotzdem ist es mir schwer begreiflich, wie die Araber 
ihre meist gar nicht schlechten Waren zu so verhältnismäfsig billigen 
Preisen abgeben können — nach so langer, gefahrvoller Reise. Um 
so gefährlichere Konkurrenten werden sie daher immer den hier mit 
ihnen zusammentreffenden Europäern werden. Bis an den Benue 
erstreckt sich jedoch ihr Einflufs noch nicht eigentlich, worauf ich 
noch zurückkommen werde. 

Es giebt in den nördlich vom Benue gelegenen Strichen eine 
ganze Anzahl Elefanten, selbst ganz in der Nähe von Loko und 
unweit Sokoto, aber die Massen des Elfenbeins, welche in den Handel 
kommen, werden in und südlich von Ädamaua eingehandelt, das hier 
bei Loko und in der Nähe erbeutete macht nur einen kleinen Teil 
desselben aus. Von den in seiner Provinz erlegten Elefanten pflegt 
der Statthalter von Anassarawa je einen Zahn zu erhalten, während 
der andre den Jägern verbleibt. Weiter hinauf haben dann die 
beiden ohne Zweifel wichtigen Plätze Dschibbu*) p,m Benue und 
Bakundi am Tarabba, einem linken Nebenflusse des Benue, wohl die 
gröfste Bedeutung für den Elfenbeinhandel. In beiden Orten hat 
Flegel auf seiner letzten Reise Land erworben und Gebäude er- 
richten lassen, über deren ferneres Schicksal ich noch nichts anzu- 
geben vermag. Bakundi namentlich ist ein sehr wichtiger Elfenbein- 
platz, dort haben auch die Herren der ;,National african Company" 
eine Faktorei, was ihnen in Dschibbu, das sie vor noch nicht langer 
Zeit beschossen haben, nicht sobald gelingen dürfte. Oberhalb Jola, 
also oberhalb des sogenannten „ englischen '^ Gebietes ist nicht zu 
vergessen das reiche Buba-n-Dschidda, wohin man zu einer sehr 
kurzen, nassesten Zeit mit sehr flach gehenden Dampfböten, sonst mit 

*) So möchte ich diesen. Ort schreiben. Ich folge dem Grundsatz, die 
Namen unzivilisierter Länder so zu schreiben, wie man sie dort hört, wozu ich 
die deutsche Sprache für ebenso geeignet halte, als jede andre. Ich schreibe 
also nicht Lokoja, sondern Lokodscha, nicht Zaria, sondern Saria, nicht salla, 
sondern ssalla. Die Flegelsche, von ihm noch überdies ganz inkonsequent ange- 
wandte Schreibweise, sowie die Lepsiussche, die auch Schön u. a. m. anwandten, 
sind unpraktisch und mufs bei ihrer Anwendung jedem Kärtchen, jeder kleinen 
Abhandlung, worin Namen vorkommen, erst eine lange Erklärung vorausgeschickt 
werden, trotzdem werden, wie die Erfahrung lehrt, die Namen oft falsch aus- 
gesprochen ! Dschibbu wird von den Engländern ganz richtig Jebu geschrieben, 
weshalb aber Justus Perthes es Schebu schreibt, verstehe ich nicht, denn so 
wird es nicht gesprochen. Hartert. 



— 328 — 

Kanu gelangen kann. Es ist ein seit dem Einfalle des PuUoeroberers 
Buba hauptsächlich von Fulbehirten bewohntes Ländchen, mit fetten 
Weiden, in dem Milch und Honig fliefst. 

Um noch einmal auf unser Loko zurückzukommen, von wo wir 
die Landreise ins Innere antraten, so möchte ich noch erwähnen, 
dafs hier, wie in vielen Orten des Innern von Haussa aufer dem, 
aus der die Kerne umhüllenden roten Masse bereiteten, eigentlichen 
„Palmöl^ auch noch das „PalmkernöVy das eine dunkle Farbe hat, 
aus den Kernen bereitet wird. Dies ist schon früher von Baikie 
erwähnt, von Kohlfs aber nachher geleugnet worden. Wir benutzten 
das Palmkernöl oft zum Einfetten der Gewehre unsrer Leute, zum 
Putzen der Säbel und dergleichen. Es ist auch geniefsbar, aber 
weniger gut, als das rote Palmöl, das richtig angewandt, zuweilen 
kaum herauszuschm ecken ist, und das ich zu einigen Sachen der 
Konservenbutter entschieden vorziehe. Das in den Handel gebrachte 
Öl ist gewöhnlich verunreinigt und schlecht geniefsbar. Von Loko 
geht eine Menge englisches Salz ins Innere, namentlich in grofser 
Menge nach Keffi. Derr Herrscher von Anassarawa ist in der 
Regel sehr begierig nach Patronen zu seinen verschiedenen Hinter- 
ladergewehren, da er zu seinen fortwährenden Kriegen eine Menge 
Munition gebraucht. Er bezahlt für eine Gewehrpatrone 1000 Kauri, 
doch mufs man sich sehr vor seinen und seiner Boten Betrügereien 
in acht nehmen und nichts weggeben, bevor man die Bezahlung in 
Händen hat, wofern man nicht eben Geschenke oder Abgaben an 
ihn geben will. Hier will ich gleich bemerken, dafs der Hauptreichtum 
dieses und andrer Haussaherren gewöhnlich in Sklaven besteht, während 
sie selten über eine grofse Menge Kaurischnecken, welche überall als 
Münze dienen, verfügen. Man findet überhaupt eine viel zu geringe 
Menge Kauri im Lande. Namentlich in den kleinern, aber auch in den 
gröfsern Orten, wie dem bedeutenden, umfangreicheü Saria (auch Soso 
genannt) mangelt es daran. Das reiche Kano, welches Sokoto, Wurnu 
und Gandu weit an Reichtum und Gröfse überragt, hat eine grofse 
Menge Kauri innerhalb seiner Mauern aufgespeichert. Auch in 
Wurno, der Residenz des Sultans von Sokoto, scheint es mehr zu 
geben. Was aber neben dem langweiligen Abzählen der Muscheln 
sehr lästig wird, ist der Umstand, dafs eine einigermafsen beträchtliche 
Summe sehr umfangreich und schwer ist. Man kann 1000 Stück 
mit dem Werte einer Reichsmark vergleichen, und zum Transport 
von 20,000, also einer Doppelkrone, ist schon ein kräftiger Mann 
erforderlich. Daher ist ein Transport auf weithin in diesen Gegenden, 
wo man Lasttiere nicht mieten, sondern nur kaufen kann*), ge- 

*) Auch das nur an einigen gröfseren Orten. 



- 329 — 

wohnlich nur durch Sklaven möglich, da gelohnte Träger binnen 
kurzer Zeit so viel an Bezahlung erhalten, als der Wert der von 
ihnen getragenen Kauri beträgt. 

Wenn ich die weiten, fruchtbaren Länderstrecken vom Benuä 
bis an den Südrand der Sahara ins Auge fasse, so mufs ich vor 
allem bemerken, dafs ihre in der That grofse Fruchtbarkeit uns vor- 
läufig nur indirekt nützen kann, da wir es nicht verantworten können, 
weifse Ackerbauer in diese Gegenden zu versetzen, also wir vor der 
Hand das nehmen müssen, was die Natur und der geringe Fleifs 
der Eingeborenen uns bietet, während es uns später ohne Zweifel 
gelingen wird, die letzteren zu besserer Thätigkeit heranzuziehen. 
Elfenbein haben wir vom Benue, allenfalls noch von Keffi Abd-es- 
Ssenga, aber nicht weiter vom Norden her. Schibutterbäume wachsen 
wie oben bemerkt im Innern vielfach und von grofser Güte, aber 
das Volk müfste noch mehr auf die Massenbereitung der Butter 
hingewiesen werden. Überall wächst das Guineakorn, Sorghum^ 
däwa der Haussa, und die Kolbenhirse, Fmioülaria, gero der Haussa, 
beides hier in unübertroffener Güte. Beis gedeiht in einer grofs- 
kömigen, sehr guten, und einer etwas kleineren rötlichen Art, wird 
aber nicht überall, wo er wachsen könnte, gebaut. Eine Menge 
Bienen liefern Honig von sehr verschiedener Güte, Bmdviehiauckt^ 
Schafzucht sind nördlich vom Benue ganz vortrefflich. Die stattlichen 
Herden gebuckelter Rinder im Norden machten einen überaus 
wohlhabenden und freundlichen Eindruck. Straufsfedern sind im Norden 
vielfach zu bekommen. Palmöl giebt es nicht genug, um an Ausfuhr 
denken zu können, da die Ölpalme nur wenig im Süden vor- 
kommt, z. B. bei Panda und bei Aribi, bei den Korro- 
und Kadarraheiden. Sesam haben wir hier und dort in grofs- 
kömiger Qualität gesehen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs sich 
unter den Harzen der Waldbäume mancherlei brauchbares finden 
würde, auch Kautschuk kann möglicherweise in einigen Strichen 
vorkommen, sowie höchst wahrscheinlich Copal. Zuckerrohr gedeiht 
vortrefflich, Ingwer (tschitd-afo der Haussa) in Menge, in feuchten 
Gegenden, vortrefflicher roter Pfeffer, eine andre süfsliche scharfe 
Pfeflferart, AUigatorpepper an der Küste genannt, die Xylopia 
a^ethiopka, Kimba der Haussa von noch gröfserer Schärfe, sind über- 
all. Massen von Grundnüssen, Arachis hypogaea, geddd der Haussa, 
mehrere gute Bohnenarten, Maniok oder Kassawa, viele efsbare 
Knollen und Wurzeln liefernde Gewächse, die allerherrlichsten 
Zwiebeln, Knoblauch und Porrey gehören alle zu den Nahrungsmitteln 
des Volkes. Die zu Schwämmen benutzte Luffa, vor allen Dingen 

Qeogr. Blätter. Bi*emen, 1886. 03 



— 328 — 

Kanu gelangen kann. Es ist ein seit dem Einfalle des PuUoeroberers 
Buba hauptsächlich von Fulbehirten bewohntes Ländchen, mit fetten 
Weiden, in dem Milch und Honig fliefst. 

Um noch einmal auf unser Loko zurückzukommen, von wo wir 
die Landreise ins Innere antraten, so möchte ich noch erwähnen, 
dafs hier, wie in vielen Orten des Innern von Haussa aufer dem, 
aus der die Kerne umhüllenden roten Masse bereiteten, eigentlichen 
„Palmöl^ auch noch das „FdlmJcernöl^, das eine dunkle Farbe hat, 
aus den Kernen bereitet wird. Dies ist schon früher von Baikie 
erwähnt, von Rohlfs aber nachher geleugnet worden. Wir benutzten 
das Palmkernöl oft zum Einfetten der Gewehre unsrer Leute, zum 
Putzen der Säbel und dergleichen. Es ist auch geniefsbar, aber 
weniger gut, als das rote Palmöl, das richtig angewandt, zuweilen 
kaum herauszuschmecken ist, und das ich zu einigen Sachen der 
Konservenbutter entschieden vorziehe. Das in den Handel gebrachte 
Öl ist gewöhnlich verunreinigt und schlecht geniefsbar. Von Loko 
geht eine Menge englisches Salz ins Innere, namentlich in grofser 
Menge nach Keffi. Derr Herrscher von Anassarawa ist in der 
Regel sehr begierig nach Patronen zu seinen verschiedenen Hinter- 
ladergewehren, da er zu seinen fortwährenden Kriegen eine Menge 
Munition gebraucht. Er bezahlt für eine Gewehrpatrone 1000 Kauri, 
doch mufs man sich sehr vor seinen und seiner Boten Betrügereien 
in acht nehmen und nichts weggeben, bevor man die Bezahlung in 
Händen hat, wofern mau nicht eben Geschenke oder Abgaben an 
ihn geben will. Hier will ich gleich bemerken, dafs der Hauptreichtum 
dieses undandrer Haussaherren gewöhnlich in Sklaven besteht, während 
sie selten über eine grofse Menge Kaurischnecken, welche überall als 
Münze dienen, verfügen. Man findet überhaupt eine viel zu geringe 
Menge Kauri im Lande. Namentlich in den kleinern, aber auch in den 
gröfsern Orten, wie dem bedeutenden, umfangreichen Saria (auch Soso 
genannt) mangelt es daran. Das reiche Kano, welches Sokoto, Wurnu 
und Gandu weit an Reichtum und Gröfse überragt, hat eine grofse 
Menge Kauri innerhalb seiner Mauern aufgespeichert. Auch in 
Wurno, der Residenz des Sultans von Sokoto, scheint es mehr zu 
geben. Was aber neben dem langweiligen Abzählen der Muscheln 
sehr lästig wird, ist der Umstand, dafs eine einigermafsen beträchtliche 
Summe sehr umfangreich und schwer ist. Man kann 1000 Stück 
mit dem Werte einer Reichsmark vergleichen, und zum Transport 
von 20,000, also einer Doppelkrone, ist schon ein kräftiger Mann 
erforderlich. Daher ist ein Transport auf weithin in diesen Gegenden, 
wo man Lasttiere nicht mieten, sondern nur kaufen kann*), ge- 

*) Auch das nur an einigen gröfseren Orten. 



- 329 — 

wohnlich nur durch Sklaven möglich, da gelohnte Träger binnen 
kurzer Zeit so viel an Bezahlung erhalten, als der Wert der von 
ihnen getragenen Kauri beträgt. 

Wenn ich die weiten, fruchtbaren Länderstrecken vom Benuö 
bis an den Südrand der Sahara ins Auge fasse, so mufs ich vor 
allem bemerken, dafs ihre in der That grofse Fruchtbarkeit uns vor- 
läufig nur indirekt nützen kann, da wir es nicht verantworten können, 
weifse Ackerbauer in diese Gegenden zu versetzen, also wir vor der 
Hand das nehmen müssen, was die Natur und der geringe Fleifs 
der Eingeborenen uns bietet, während es uns später ohne Zweifel 
gelingen wird, die letzteren zu besserer Thätigkeit heranzuziehen. 
Elfenbein haben wir vom Benue, allenfalls noch von Keffi Abd-es- 
Ssenga, aber nicht weiter vom Norden her. Schibutterbäume wachsen 
wie oben bemerkt im Innern vielfach und von grofser Güte, aber 
das Volk müfste noch mehr auf die Massenbereitung der Butter 
hingewiesen werden. Überall wächst das Guineakorn, Sorghum^ 
däwa der Haussa, und die Kolbenhirse, Penicillaria, gero der Haussa, 
beides hier in unübertroffener Güte. Eeis gedeiht in einer grofs- 
kömigen, sehr guten, und einer etwas kleineren rötlichen Art, wird 
aber nicht überall, wo er wachsen könnte, gebaut. Eine Menge 
Bienen liefern Honig von sehr verschiedener Güte, Emdvieh^iucM, 
Schafzucht sind nördlich vom Benue ganz vortrefflich. Die stattlichen 
Herden gebuckelter Rinder im Norden machten einen überaus 
wohlhabenden und freundlichen Eindruck. Straufsfedern sind im Norden 
vielfach zu bekommen. Palmöl giebt es nicht genug, um an Ausfuhr 
denken zu können, da die Ölpalme nur wenig im Süden vor- 
kommt, z. B. bei Panda und bei Aribi, bei den Korro- 
und Kadarraheiden. Sesam haben wir hier und dort in grofs- 
kömiger Qualität gesehen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs sich 
unter den Harzen der Waldbäume mancherlei brauchbares finden 
würde, auch Kautschuk kann möglicherweise in einigen Strichen 
vorkommen, sowie höchst wahrscheinlich Copal. Zuckerrohr gedeiht 
vortrefflich, Ingwer (tschitd-afo der Haussa) in Menge, in feuchten 
Gegenden, vortrefflicher roter Pfeffer, eine andre süfsliche scharfe 
Pfeflferart, AUigatorpepper an der Küste genannt, die Xylopia 
aethiopka, Kimba der Haussa von noch gröfserer Schärfe, sind über- 
all. Massen von Grundnüssen, Arachis hypogaea, geddd der Haussa, 
mehrere gute Bohnenarten, Maniok oder Kassawa, viele efsbare 
Knollen und Wurzeln liefernde Gewächse, die allerherrlichsten 
Zwiebeln, Knoblauch und Porret/ gehören alle zu den Nahrungsmitteln 
des Volkes. Die zu Schwämmen benutzte Luffa, vor allen Dingen 

Qeogr. Blätter. Bremen, 1886. c^ 



— 330 — 

aber Baumwolle und Indigo, abdugo und baba der Haussa, bilden 
einen Hauptreichtum des Landes. 

Der Verkehr in Haussa wird vor allem durch die wandernden 
Händler, Fataki, vermittelt, durch gemietete Lastträger, durch 
Esel, im Norden auch hier und da durch Lastochsen bewerkstelligt. 

Im Norden kommen fremde Stämme in das Haussa-Fulbereich 
hinein, mit schwarzem Blut vermischte Zweige der Tuareg oder 
Imöscharh, aus der Oase Air oder Asben, welche brackich schmecken- 
des Sebchasalz von der Oase Bilma mit ihren unerschöpflichen 
Salzmassen her ins Land bringen. Vom Mittelmeere kommen die 
Araber mit ihren Reichtümern über Kuka nach Kano hin. Kano 
einzig und allein ist der grofse Markt der Araber in Haussalanden, 
denn wenige nur gehen nach Saria, noch weniger bis Kiffi hin. 
Wohl sahen wir im April dieses Jahres hinter Keffi eine bedeutende 
von Arabern geführte Elfenbeinkarawane nach Norden ziehen, die 
in der That grofse Schätze mit sich führte, denn es waren mehr 
als hundert starke Träger mit zum Teil ganz hervorragend grofsen 
Zähnen und eine Anzahl Esel mit Säcken voll kleinerem Bein. Dies 
dürfte indessen wohl eine seltene Ausnahme sein, denn in der Regel 
bringen die Haussa selbst das Bein nach Kano, und das, was man 
von arabischen Waren auf den südlichen Märkten sieht, ist meist 
nur durch haussaischen Zwischenhandel dahin gebracht. Nur in 
Kano selbst sind reine weifse Araber ansässig. Sie wohnen meist 
eine kleine Reihe von Jahren hier und ziehen mit den erworbenen 
Reichtümern immer wieder heim nach den Küsten Nordafrikas, meist 
nach Tripolis und Tunis. Elfenbein ist ohne Zweifel ihr Haupt- 
artikel, nächstdem führen sie Straufsenfedern, Sklaven und gestickte 
Toben aus. Sie sind zum Teil sehr reiche Leute und leben in ihren 
hohen, kühlen Häusern aufserordentlich gut, wovon wir Gelegenheit 
hatten, uns bei einem Gastmahl, das der reichste von ihnen, Alhaddji 
Massaül, uns zu Ehren gab, zu überzeugen. 

Der früher ohne Zweifel lebhaftere Verkehr nach Tumbutu oder 
Timbutu, oder, wie wir es zu nennen pflegen, Timbuktu, ist zur Zeit 
ein sehr schwacher. Einzelne Leute trifft man wohl an, die in 
Timbutu gewesen sind, aber ein regelmäfsiger Verkehr und Waren- 
austausch besteht heutigen Tages keineswegs zwischen Timbutu und 
Sokoto, auch Kolanüsse werden wohl aus dem Hinterlande von 
Accra, aber niemals von Timbutu her nach Sokoto gebracht. Merk- 
würdigerweise besteht ein äufserst schwacher Verkehr zwischen 
Lokoto und den beiden gröfsten ihm unterthänigen Städten, Kano 
und Saria. Nur einmal im Jahre, wenn die Statthalter der Pro- 
vlnzen Tribut und Huldigung dem SwlUtv von Lokoto — gewohnlich 



— 331 — 

nach der Samfardstadt Birnin-Göga oder Kaura — entgegenbringen, 
werden diese Gegenden von grofsen Karawanen durchzogen, denn 
seitab von den Wegen hausen hier in den Tiefen der Wälder zahl- 
reiche unabhängige Heidenstämme, die im Verein mit den Reiter- 
scharen der Warädi und den räuberischen Horden des Aruna, eines 
Freibeuters aus Kano, eine furchtbare Geifsel des Landes sind. 
Zwischen Kano und Saria einerseits und zwischen Sokoto und Gandu 
anderseits besteht ein reger Verkehr und sind auch die Wege, 
einzelne Überfälle abgerechnet, sicher genug. Auch von Kiffi, Saria 
und Gandu nach Nupeland besteht ein leidlich geordneter Verkehr. 
Das mögen im grofsen und ganzen die Gesichtspunkte sein, 
von denen der Kaufmann jene zukunftsreichen Gebiete des Niger 
und Benue zur gegenwärtigen Zeit betrachten mag. Ich miifs nur 
hervorheben, dafs ich eigentlich nur auf flüchtiger Reise als Natur- 
forscher meine Eindrücke empfangen habe und bitte zu bedenken, 
dafs alles in botanischer und geologischer Hinsicht noch fast eine 
terra incognita ist. Welche Schätze mag das Pflanzenreich noch 
in sich bergen, welche Schätze der verschlossene Schofs der Erde! 
Das bleibt eben künftigen Forschern noch zu ermitteln übrig, und 
hoffen wir, dafs deutscher Fleifs und deutsche Thatkraft hier noch 
wirken mögen, dafs deutsche Hände auch mit helfen, die Schätze 
für sich zu bergen! Wenn es mir nicht selbst vergönnt sein sollte, 
noch einmal eingehendere Forschungen in jenen Gegenden anzu- 
stellen, so bin ich überzeugt, dafs mancher andre deutsche Jüngling 
bereit ist, gleich uns, Gut und Blut für die hehre Wissenschaft und 
den Ruhm des Vaterlandes zu wagen! 



Der Ausbruch des Ätna vom Mai 1888. 



Im Mai 1886 hat ein heftiger Ausbruch des Ätna stattgefunden, 
welcher vom 18. bis zu den letzten Tagen jenes Monats dauerte ; 
die Lava kam erst im Juni zum Stehen. 

Ohne Zweifel würde das grofsartige Schauspiel, den Vulkan 
in voller Thätigkeit zu sehen, zahlreiche Fremde aus Süditalien 
herangelockt haben, wenn nicht die Insel Sizilien wegen der Cholera 
durch eine lästige, zeitraubende und kostspielige Quarantäne ab- 
gesperrt gewesen wäre. Die Nachrichten, welche über den Ausbruch 
verbreitet wurden, waren wohl infolge dieser Verkehrsstörung an- 
fangs zum Teil sehr übertrieben; die vulkanische Thätigkeit ist 
allerdings lebhaft genug gewesen, aber sk \i^\. n'käiä^^xjcs.^^^ 



— 332 — 

wenig Schaden angerichtet; jede Strandung eines grofsen Seeschiffes 
pflegt weit beträchtlichere Verluste herbeizuführen. Zuverlässige 
Berichte über das ganze Ereignis sind von Professor Silvestri, dem 
berühmten Ätnaforscher, veröffentlicht worden (Nuova Antologia 
vom 1. Juli). 

Im Septemberhefte des Bolletino della soc. geogr. Ital. findet 
sich ferner eine Mitteilung des Grafen L. dal Verme, der den Schau- 
platz des Ausbruches bald nach dessen Beendigung besucht hat. Er 
hat seine Beobachtungen in so anschaulicher Weise geschildert, dafe 
es sich der Mühe lohnen dürfte, die Hauptstellen daraus auch einem 
deutschen Leserkreise zugänglich zu machen. Der Verfasser erzählt 
zunächst, wie er sich nach der Befreiung aus der Quarantäne ohne 
irgend welchen Aufenthalt sofort nach Nicolosi begeben habe. Ober- 
halb dieses am Südabhange des Ätna gelegenen Dorfes war der 
Ausbruch erfolgt; der Ort selbst war durch die Lava so unmittel- 
bar bedroht gewesen, dafs er von dem gröfsten Teile der Einwohner 
geräumt worden war. Nicolosi, die alten Lavaströme und die zahl- 
reichen kleinen Vulkankegel des Ätna werden dann geschildert; 
es mag hier auf die Beschreibung der Gegend verwiesen werden, 
welche kürzlich in dieser Zeitschriit (Bd. IX. S. 210—214) gegeben 
worden ist. Der neue Ausbruch ist etwas nordöstlich von der dort 
(S. 213 u. 214) erwähnten Casa del bosco und ungefähr in gleicher 
Höhenlage erfolgt. Der Lavastrom hat sich dann über den ge- 
wöhnlichen Ätnaweg ergossen und ist zuerst an dem nahe diesem 
Wege, aber schon an dessen Westseite gelegenen Monte Nocilla auf 
ein Hindernis gestofsen, welches eine Teilung des Stromes bewirkt 
hat. Der östliche Hauptstrom ist dann an dem kleinen Kegel Monte 
Fusaro abermals gebrochen worden und hat nun nicht mehr Kraft 
genug gehabt, die Monti Rossi zu umfliefsen; dicht vor Nicolosi ist 
er zum Stehen gekommen. 

Um an die Ursprungsstelle des Stromes zu gelangen, mufste 
man von Nicolosi aus an der Ostseite desselben hinaufgehen. Nach 
einem wegen schlechter Führung wenig lohnenden ersten Versuche 
machte sich Graf dal Verme in Begleitung eines tüchtigen Führers 
am 13. Juni nochmals auf den Weg. Sie ritten auf Maultieren den 
Berg hinan bis zu einer etwas östlich von dem neuen Kegel ge- 
legenen Schutzhtitte, der Ca' dei cervi. Die weitere Beschreibung 
wollen wir mit wenigen Kürzungen unmittelbar dem Originalberichte 
entlehnen; die wichtigsten Stellen sollen wortgetreu übersetzt werden. 
Der Verfasser erzählt: 

Die Ca' dei cervi, etwas nördlich vom Monte Pinitello gelegen, 
ist eine Lavahütte, die als Obdach für die Waldarbeiter dient. Sie 



— 333 ~ 

ist am Saume einer jungen Kastanienpflanzung erbaut, welche vor 
dem Ausbruche recht üppig gewesen sein mufs, während sie jetzt 
verdorrt und zum Teil vollständig vernichtet ist. 

Es ist nicht die Lava gewesen, welche dieses Zerstörungswerk 
vollbracht hat, sondern jener Regen von Steinen und nachher 
von Schlacken, Sand und Asche, welcher, vermischt mit heifsem 
Wasser, aus dem neuen Krater ausgeworfen und dann während 
zehn Tagen unaufhörlich niedergefallen ist. Je näher man dieser 
Stelle kommt, um so tiefer wird der Sand und um so mühsamer 
der Marsch. Bei der Ca' dei cervi liefsen wir die Maultiere zurück 
und banden sie an die Spitzen der Kastanien. Sie mufsten an die 
Spitzen gebunden werden, weil der übrige Teil der Bäume ver- 
schüttet war. Einen sonderbaren Anblick bot dieser Wald hoch- 
stämmiger Bänme, von denen nur die obersten Zweige aus dem 
Boden hervorragten, und auch diese ohne jede Spur von Blättern, 
geschunden, zerknickt und in jeglicher Weise mifshandelt durch 
jenen Hagel von Steinen, die glühend ausgeworfen und Gott weifs 
aus welcher enormen Höhe heruntergefallen waren. 

Wir wanderten nun zu Fufs dem neuen Berge zu und schickten 
uns an, ihn von der Südseite aus zu erklimmen. Vorher besuchten 
wir aber die an seinem Fufse nach jener Seite zu gelegenen 
Schlünde, aus welchen der Lavastrom hervorgebrochen ist. Was 
dort neuerdings vorgegangen sein mochte, vermag ich nicht zu 
sagen, denn der intelligente Führer, der die ganze Gegend aufs ge- 
naueste kannte, sagte: ;,Es war alles anders, als ich vor vier Tagen 
hier war, und der Ausbruch war damals doch schon beendigt." 
Damals bewegte sich der Strom noch, wenn auch sehr langsam. 
Jetzt war die Lava erkaltet; die Rinne, welche durch diesen Strom 
in die unterliegende alte Lava eingegraben war, lag oflfen da und 
zeigte an den senkrechten Wänden einen regelmäfsigen Aufschlufs 
von dünnen wechselnden Lagen brauner Schlacken und bleigrauer 
Lava. Den Schlund, aus welchem die Lava hervorgequollen war, 
möchte ich am ersten, so gewagt die Zusammenstellung auch scheinen 
könnte, mit jenen Eisthoren vergleichen, aus welchen die Gletscher- 
bäche in den Alpen hervorströmen. Wenige Schritte von dem 
Schlünde erhob sich ein winziger Eruptionskegel, nicht mehr als 
etwa 6 bis 7 m hoch, mit einem Krater von etwa 4 m im Durch- 
messer. Der Kegel, der ausschliefslich aus Schlacken bestand, mufste 
erst ganz kürzlich entstanden sein, viel später als der benachbarte 
neue Berg, denn er war noch ganz heifs und auf den Schlacken 
war keine Spur von jenem schwarzen Sande zu sehen, mit welchem 
die ganze Umgegend, soweit der Blick reichte, bedeckt war. Der 



— 334 — 

Führer versicherte, dafs er diesen Kegel zum ersten Male sehe, nnd 
wollte durchaus, dafs wir die ersten wären, die seine Bekanntschaft 
machten. Wie dem nun auch sei, kaum hatten wir den Rand des 
Kraters erreicht und einen Blick hineingeworfen, als wir auch den 
Kegel schon wieder verliefsen, denn der Rauch, die beifsenden 
Schwefeldämpfe, die hohe Temperatur der Schlacken, auf denen wir 
gingen, und deren unsichere Lagerung flöfsten uns nicht viel Ver- 
trauen ein. 

Wir begannen nun, den neuen Berg zu ersteigen, indem wir 
den Grat verfolgten, welcher an seinem Südabhange vorspringt. An 
dieser Stelle zeigt der Berg nicht die regelmäfsige Kegelform wie 
an den andern Seiten. Vielleicht ist diese Abweichung eine Folge 
der stärkeren unterirdischen Thätigkeit, welche sich durch den am 
Südfufse des Kegels erfolgten Ergufs der Lava bekundet hat; es 
ist dies die von der Hauptmasse des Ätna abgewendete Seite. 

Der Anstieg ist steil, aber nicht übermäfsig; er ist wegen der 
ziemlich festen Beschaffenheit des Bodens nicht besonders beschwer- 
lich. Es sind nur wenig Schlacken vorhanden, aber mehr Anflug 
von Schwefel; auch atmet man hier und da schwefligsaure Gase ein. 
In zwanzig Minuten erreichten wir den Rand des Kraters, so dafe 
ich die Höhe des neuen Vulkankegels über dem alten Boden zu 
etwa 140 m annehme. Den Durchmesser des Kraters schätze ich 
auf 200 m; seine Tiefe mochte, als ich dort war, im Mittel 40 m 
betragen. Ich sage im Mittel, weil der Rand des Kraters nicht 
ringsum gleich hoch ist, sondern ansteigt nnd abfällt. 

Ich war in Versuchung, in den Krater hinabzusteigen, aber 
der Führer hielt mich zurück und die Sache schien mir auch kaum 
rätlich zu sein, weil ich weder mit einem starken Spitzenstocke 
noch mit Stricken versehen war. Der Abstieg wäre kurz gewesen 
und die Abdachung ganz regelmäfsig, aber man hätte offenbar leicht 
ausgleiten können und ich fürchtete namentlich die schwefligen Aus- 
dünstungen. Im Grunde des Kraters konnte man zwei grofse Öff- 
nungen, jede von 3 — 4 m Durchmesser, erkennen. Es kam kein 
Rauch heraus, aber in kurzen Zwischenräumen und mit leichtem 
Getöse etwas Dampf. Von den Wänden des Trichters rollten immer 
Sand und Steinchen hinab, wodurch binnen kurzer Zeit der Grund 
ganz ausgefüllt werden mufs. 

Übrigens ist dieser Krater nicht der einzige. Aufser dem 
kleinen neben dem Schlünde gelegenen, von welchem ich bereits 
gesprochen habe, war noch ein dritter offen geblieben, der etwa 
10 m im Durchmesser hatte und unmittelbar neben dem grofsen 
lag, dessen Südrand er fast berührte. Als ich dort war, stiefs er 



— 335 — 

fortwährend mit grofser Gewalt Dämpfe aus, so dafs es mir unmög- 
lich war, den Grund, ja kaum die sehr steilen Innenwände zu sehen, 
von welchen bei jedem Ausbruch der Dämpfe unaufhörlich Teile mit 
Getöse hinabstürzten. 

So weit die Schilderung des Grafen dal Verme, der nun noch 
auf die Aussicht von dem neuen Berge aufmerksam macht, welche 
im grofsen und ganzen dem Rundblicke, den man von den Monti 
Rossi aus geniefst (s. S. 211), ähnlich ist. Für den neuen Berg 
wird der Name Monte Gemmellaro vorgeschlagen. 

Über den Lavastrom sind viele übertriebene Angaben gemacht 
worden; auf Zuverlässigkeit können nur die Schätzungen Silvetris 
Anspruch machen, welcher berechnet hat, dafs der Strom eine Fläche 
von 5^/2 qkm bedeckt und dafs die ganze ausgeworfene Masse, 
wenn man die mittlere Mächtigkeit zu 12 m annimmt, 66 Millionen 
kbm beträgt. Der Schaden, den der Ausbruch verursacht hat, 
mag zu 500,000 Lire veranschlagt werden; er besteht vorzüglich 
in der Zerstörung der oberhalb Nicolosi gelegenen Weinberge, sowie 
einiger Äcker und Kastanienpflanzungen. Aufser einer vereinzelten 
kleinen Hütte ist kein Gebäude beschädigt worden; auch wurde 
kein Mensch getötet oder verwundet. 

Als dal Verme am Abende von seinem Ausfluge nach Nicolosi 
zurückkehrte, wurde er Zeuge eines frohen Festes. Die geflüchteten 
Einwohner von Nicolosi zogen nämlich wieder in ihre Heimat ein. 
Mit Wagen und Karren, mit Weibern und Kindern brachten sie 
ihren Hausrat zurück, nicht nur Möbeln und Geschirr, sondern auch 
Thüren und Fenster. Mit besonderer Feierlichkeit wurden die 
Heiligen wieder in die Kirchen getragen. Mit welchem Jubel dies 
Fest von allen Einwohnern gefeiert wurde, läfst sich leicht denken. 



Die Ergebnisse der Untersuchungsfahrten des 
deutschen Kriegsschiffes ^^Drache^^ in der Nordsee. 

(Sommer 1881, 1882 u. 1884).*) 

Von Professor Dr. 0. Krttmmel in Kiel. 



Seitdem die bekannte Kieler ;,Kommission zur Erforschung der 
deutschen Meere" im Jahre 1872 an Bord S. M. Aviso „Pommerania" 
eine mehr wöchentliche Kreuztour durch die Nordsee unternommen 

*) Die Ergebnisse der üntersuchungsfahrten S. M. Knbt. „Drache", Kom- 
mandant Korv.-Kapt. Holzhauer, in der Nordsee, in den Sommern 1881, 1882 
und 1884. Veröffentlicht vom Hydrographischen Amt der Admiralität. Berlin 
1886. E. S Mittler & Sohn. (77 S. und 15 Tafeln. 4«). 



— 336 — 

hatte, rnhete die Erforschung dieses Meeresgebietes neun Jahre 
lang, nur an den deutschen Küstenstationen wurden regelmafeige 
Beobachtungen von Wassertemperatur und spezifischem Gewicht ein- 
gerichtet. Erst im Sommer 1881 wurde S. M. Knbt. „Drache" 
beauftragt, für eine kurze Zeit seine Thätigkeit als Vermessungs- 
schiff zu unterbrechen und physikalische Beobachtungen, namentlich 
auch über die Gezeiten, auf der Doggerbank vorzunehmen. Im 
Jahre 1882 wurden diese Forschungen ausgedehnter und systema- 
tischer wiederholt, wobei die subtilere Untersuchung des Seewassers, 
namentlich auf den Gasgehalt, von Herrn Dr. Neumeister aus Rostock 
vorgenommen wurde, der sich zu dem Zwecke an Bord des „Drache" 
einschiffte. Es wurde die Tour Wilhelmshaven-Aberdeen-Lerwick 
(Shetland-Ins.)-Bergen- Wilhelmshaven zurückgelegt und so auch ein 
Einblick in die Verhältnisse in den beiden Zugangsöflfnungen der 
Nordsee zu beiden Seiten der Shetland-Inseln gewonnen. Alle 50 
Seemeilen wurde, wenn es irgend das Wetter erlaubte, stundenlang 
verweilt, meist vor Anker, an einigen Stellen, namentlich in der 
tiefen norwegischen Rinne westlich Bergen, in noch kürzeren Ab- 
ständen. Die Bearbeitung des Materials zeigte, dafs gerade in der 
Mitte der Nordsee und im Südosten der Doggerbank wie im öst- 
lichen Teil der norwegischen Rinne noch empfindliche Lücken der 
Kenntnis vorhanden waren, welche dann im Sommer 1884 ausgefüllt 
wurden. So haben in der That die von dem hochverdienten Vor- 
steher des Hydrographischen Amtes, Freiherrn v. Schleinitz? 
geleiteten und von Kapt. Holzhauer mit ebensoviel Eifer wie 
Sachkenntnis durchgeführten Forschungen, in Verbindung mit den 
regelmäfsigen Beobachtungen der Küstenstationen, den Erfolg ge- 
habt, unsre Kenntnisse von dem deutschen Meere um einen erheb- 
lichen Schritt vorwärts zu bringen. 

Freilich genügen diese doch immer nur flüchtigen, meist nur 
wenige Stunden, ausnahmsweise wohl auch bis zu 80, fortgesetzten 
Messungen sei es der Temperatur oder des spezifischen Gewichtes 
oder der Strömungen des Wassers in keiner Weise, etwa ein ab- 
geschlossenes Bild von den statischen und dynamischen Verhältnissen 
der Nordsee zu geben, und der frühere Leiter des Hydrographischen 
Amtes verkennt am wenigsten gerade die grofse Variabilität aller 
dieser Zustände und Prozesse von einem Jahr zum andern, wie sie 
sich schon herausstellt, wenn nur die Befunde der „Pommerania" 
mit den an der gleichen Stelle wiederholten des „Drachen" ver- 
glichen werden. So fand auf der Höhe des Hardanger Fjords in der 
norwegischen Rinne am Boden in 230 m Wassertiefe 

die ^Pommerania" im Sommer 1872 die Temperatur zu 5^ ®, 
aer .Drache« „ „ 1882 , , „ 7,o»,^ 



- 337 — 

Die Schwankungen des Salzgehalts sind nicht ganz so beträcht- 
liche, kommen aber in den Beobachtungen an Bord des dänischen 
Leuchtschiffes „Horns Rifif^ auf der Höhe von Blaavands Huk doch 
immer noch merklich zur Geltung. So betrug in der dritten Dekade 
des Juli Salzgehalt und Temperatur 

im Jahre 1880 33,5 pro miUe, bezw. 10,8 ®, 
, , 1881 32,7 , , 9,1 0. 

Je nach der Häufigkeit starker Nordwestwinde, welche das 
im Winterhalbjahr wärmere und stets salzhaltigere Wasser des 
Golfstromgebiets von den Shetland-Inseln her in die Nordsee hinein- 
drücken, und je nach der gröfseren oder geringeren Intensität der 
Winterkälte oder Sommerwärme werden diese Schwankungen von 
Jahr zu Jahr merklichere Unterschiede zur Folge haben. Ist doch 
selbst in 40 m Tiefe an einer Beobachtungsstelle, welche etwa 90 sm. 
nördlich von Borkum und ebensoviel westlich von Sylt liegt, 
die Bodentemperatur vom 4. Juli bis zum 15. August von ll,02 ® 
auf 14,88 ® und der Salzgehalt von 34,7 auf 35,o pro mille gestiegen ! 
Daraus ergiebt sich von selbst die Notwendigkeit, diese Unter- 
suchungen noch fortzusetzen und namentlich auch Tage ruhiger und 
beständiger Witterung im Winter zu einigen Beobachtungsreisen 
wenigstens südlich von der Doggerbank zu benutzen. 

Die Ergebnisse der an Bord des „Drache" ausgeführten Beob- 
achtungen sind niedergelegt in Gestalt von ausführlichen Tabellen, 
welche die gröfsere Hälfte des Werkes füllen, und in einem die- 
selben diskutierenden Text, zu dessen leichterem Verständnis eine 
grofse Reihe von eleganten Übersichtskarten und Temperaturprofilen 
u. a. dienen. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir als Verfasser des 
Textes den hochverehrten früheren Vorsteher des Hydrographischen 
Amtes, Herrn Vizeadmiral Freiherrn von Schi ein itz, annehmen; 
wenigstens ist die Vorrede von demselben unterzeichnet. 

Das Bodenrelief der Nordsee, dargestellt auf der ersten Über- 
sichtskarte, zeigt bei aller Flachheit im allgemeinen, doch mehrfach 
abgeschlossene trogartige Mulden, namentlich im Süden und Süd- 
osten von der Doggerbank; wie im grofsen in den Ozeanen, so 
stehen auch im kleinen diese Mulden zum Teil ganz aufser Kommu- 
nikation mit den benachbarten Tiefenbecken. Das Bodenwasser 
wird also namentlich im Punkte der Temperaturen in hohem Mafse 
abhängig sein von den Witterungsverhältnissen, welche die Ober- 
flächenschicht beeinflussen, während der Salzgehalt der Tiefe nur 
sekundär betroffen wird. Ein harter Winter kühlt die Oberflächen- 
schicht erheblich ab, das Wasser sinkt in die Tiefe und gelangt, 
vorausgesetzt, dafs das unterlagernde Wasser nicht durch gröfseren 



— 338 — 

Salzgehalt spezifisch schwerer ist, bis an den Boden. Dort kann es 
sich, nur langsamer Erwärmung unterliegend, bis in den Früh- 
sommer halten. Es wird nun ausdrücklich hervorgehoben, dafs 
durchweg ganz gesetzmäfsig in der Nordsee sich die Wasserschichten 
nach ihrer Dichtigkeit übereinanderlagernd zeigten, wobei eben 
stets im Auge behalten werden mufs, dafs diese Dichte (absolutes 
spezifisches Gewicht) sowohl von der Temperatur wie auch vom 
Salzgehalt abhängt. (Eine einzelne Ausnahme von diesem Gesetz 
steht im Verdacht, auf fehlerhafter Beobachtung zu beruhen). 

Aus den Küstenumrissen wie aus der Bodenkonfiguration ergiebt 
sich, dafs die Zugangsöfifnung zum britischen Kanal von ganz unter- 
geordneter Bedeutung füi' die physikalischen Verhältnisse der Nord- 
see ist: die Nordsee erscheint auf den Tafeln und Karten, welche 
den Salzgehalt, die Temperaturen und die Gezeitenströme dar- 
stellen, durchaus als Dependenz des Nordmeers und des nord- 
schottischen Teils des Golfstromgebietes. Sehen wir z. B. die Ver- 
teilung der absoluten spezifischen Gewichte an der Oberfläche auf 
Taf. C 2. Zwischen den Orkney-Inseln und dem Rande der nor- 
wegischen Rinne überall mehr als 1,0282 und nach dem Befunde des 
„Drache" geht mitten in der Nordsee eine Zunge beinahe ebenso 
dichten Wassers (über . , . . 80) bis in die Breite von Edinburgh 
hinab; die Pommeraniafahrt 1872 ergab beträchtlich weniger, meist 
unter . , . . 73. Es liegt aber jedenfalls in dem nordwestlichen 
Drittel der Nordsee das schwerste Wasser: von hier aus nimmt die 
Dichte nach NO., 0., S. und SW. regelmäfsig ab, so dafs nicht nur 
nahe unter Land, sondern bis 60 sm. davon fast überall weniger 
als . , . . 60 gefunden wird. In der deutschen Bucht erzeugt das 
Flufswasser der deutschen Ströme, an der norwegischen Küste das 
ausfliefsende Ostseewasser eine noch beträchtlichere Erniedrigung 
(nach dem „Drache* bis . , . . 20 und weniger). Konstruierte man 
nach den Daten des „Drache" eine Mohnsche Dichtigkeitsfläche, 
so würde diese, wie es auch Admiral v. Schleinitz ausdrückt, ein 
Stromsystem ergeben, das um das Gebiet gröfster Dichte nach Art 
einer Cyklone zirkuliert. An der englischen Küste setzt der Strom 
nach Süden, an der niederländischen nach Nordost, an der cimbrischen 
nach Nord, an der norwegischen nach Nordwest — allerdings mit 
geringer Stärke, aber doch mufs diese Bewegung erfolgen. Aus 
den Luftdruckverhältnissen jedoch würde sich (wenigstens für den 
Winter) eine ähnliche Richtung der durch den Wind erzeugten 
mittleren Oberflächentrift ergeben, und so wird es verständlich (wie 
die „Gezeitentafeln der Admiralität" berichten), dafs die Flaschen- 
postenj welche von den Feuerschiffen der deutschen Bucht mehrere 



— 339 — 

Monate hindurch täglich über Bord gesetzt wurden, einen deutlichen 
Nordstrom entlang der cimbrischen Halbinsel ergaben (von 244 
wiedergefundenen Flaschen lagen 159 an deren Westküste, 22 an 
der Westküste von Schweden und Norwegen). 

Ein weiterhin von Admiral v. Schleinitz hervorgehobener 
Gesichtspunkt wird vor allem den Praktiker interessieren. Der Salz- 
gehalt des Oberflächenwassers, sagt er, ändere sich in der Küsten- 
zone seewärts stellenweise so schnell, dafs in Aräometerablesungen 
dereinst einmal, wenn die Verteilung des Salzgehaltes in der Nordsee 
genauer bekannt sein wird, ein Ersatz gefunden werden könnte für 
das ja immer in tieferem Wasser sehr umständliche Loten. Ob diese 
Zukunft indes eine sehr nahe gerückte ist? Die Veränderlichkeit 
des Salzgehaltes von Jahr zu Jahr, namentlich in der Küstenzone, 
mag doch wohl eine zu grofse sein, als dafs dem Praktiker mit 
einer Anweisung gedient wäre, dafs z. B. beim kreuzen im Skagerrak 
die Zunahme des Salzgehalts bis auf 34,o bis 34,5 pro mille die Nähe 
der jütischen Küste und eine Tiefe von weniger als 100 m anzeige. 
Denn an derselben Stelle nördlich Hanstholm, wo der ^^Drache" im 
Sommer 1884 den Salzgehalt zu 34,3 pro mille bestimmte, hatte 1872 
die „Pommerania" nur 33,o gefunden! 

Sehr interessant und für die Kenntnis von den Gezeitenströmen 
in der Nordsee geradezu grundlegend sind die Strombeobach- 
tungen an Bord des ;, Drache" südlich und südöstlich von der 
Doggerbank bis in die deutsche Bucht hinein. In der Deutung 
dieser Beobachtungen mufs der Berichterstatter allerdings in einem 
Punkte von Herrn Admiral v. Schleinitz abweichen. Als we- 
sentlich mafsgebend neben einer fortschreitenden Flutwelle erscheint 
diesem nämlich eine sogenannte „stehende" oder Balance welle, welche 
auf der Strecke Flamborough Head-Helgoland mit einer Periode von 
12V4 St. hin und herschwingt. Die Dimensionen des Beckens südlich der 
Doggerbank würden nach der für einknotige stehende Schwingungen gel- 
tenden Formel für die gegebene Entfernung (518,2 km) eine Mitteltiefe 
von 51 m verlangen, was auch ungefähr dem wahren Werte sich nähern 
dürfte. Aber die Folge davon würde sein müssen, dafs an beiden Küsten, 
der ostenglischen und westcimbrischen die Höhe der Gezeiten eine 
auffallend grofse würde, was aber bekanntlich nicht der Fall ist. 
Auch seiner Bodengestaltung nach ist das Becken für die Entfaltung 
einer solchen Schwingung nicht gerade günstig. Die von Baron 
V. Schleinitz für eine solche herangezogenen Indizien lassen sich sämt- 
lich anders deuten, worüber Referent sich an einem andern Orte aus- 
führlicher äufsern wird, als hier möglich ist. Jedenfalls ko™3al\s5&s.V 
meiner Amcht die für die Gezeiten der sÄÄ\\t\x^Tv ^ot^^^^ ^sssä.^- 



— 340 — 

gebende Flutwelle von der schottischen und ostenglischen Küste her, 
südlich von der Doggerbank sich nach Osten wendend, um sich als- 
dann an der friesischen Küste entlang, nach Nordosten und weiter 
nach Norden fortzusetzen. Diese Welle wird nun an der deutschen 
Bucht und im Osten der Doggerbank modifiziert durch den direkt 
von den Shetland-Inseln her quer über die Nordsee auf Sylt zu- 
laufenden Teil derselben schottischen Welle, der etwas früher ein- 
triflft und in Station 7 des „Drache" durch Interferenz mit der 
erstgenannten Welle merkwürdig in ihrer Richtung variable und 
zwar links sich drehende Ströme hervorruft. Diese Natur derselben 
hat Freiherr v. Schleinitz sofort erkannt und so zutreflFend erklärt, 
dafs dieses Beispiel fortan als Muster für andre ähnliche Fälle 
(soweit sie der Airyschen Rotationstheorie nicht folgen, vergleiche 
meinen „Ozean^ S. 202) gelten dürfte. 

Ein weiterer von Herrn Professor Jacobson in Rostock verfafster 
Abschnitt des Berichts behandelt die chemische Untersuchung der 
Seewasserproben, und zwar handelt es sich hauptsächlich um die 
Feststellung des Gasgehaltes im Seewasser. Der Gehalt an Sauer- 
stoff ergiebt sich aus 25 Proben des „Drache" für die Meeres- 
oberfläche im Mittel zu 33,95 Volum-Prozent des gesamten Luft- 
gehalts ; während der Pommeraniafahrt hatte Professor Jacobsen 33,93 
gefunden. Nach der von Dr. Neumeister entworfenen Übersichtskarte 
hält sich der Sauerstoffgehalt in der Mitte und im Norden der 
Nordsee etwas über diesem Wert, in den Küstenzonen unter dem- 
selben. Auch 24 Tiefwasserproben bestätigten die seinerzeit von der 
„Pommerania'^ gewonnenen Resultate, namentlich hinsichtlich der 
gröfseren Variabilität gegenüber dem Oberflächenwasser. Die Be- 
stimmung des Kohlensäuregehalts im Seewasser ist bekanntlich eine 
äufserst schwierige und es mag sachkundigerer Kritik vorbehalten 
sein zu entscheiden, ob das neue von Professor Jacobsen vorgeschlagene 
und von Dr. Neumeister angewandte Verfahren alle Bedenken be- 
seitigt, die seit Tornöes Untersuchungen übrig bleiben. Auch 
zeigten sich die Quantitäten von freier Kohlensäure sowohl wie der 
„neutral" und ;,sauer gebundenen" wieder äufserst variabel, nicht 
nur bei den Proben von Nordseewasser, sondern auch bei denjenigen 
von ozeanischem Wasser, das durch die Gazelle-Expedition in allen drei 
Ozeanen der Erde gesammelt worden war und welches Professor 
Jacobsen nunmehr von neuem untersucht hat. 

Die von Bord des „Drache" gehobenen 35 Bodenproben sind 
ausführlich von Gümbel analysiert und beschrieben. Sie zeigen 
weitaus vorherrschend locker gebundenen Quarzsand: nur wenige, 
meist der norwegischen Rinne entnommene Grundproben bestanden 



— 341 — 

aus thonig-sandigem dunkelgefärbtem Schlick. Der Quarzsand ist 
das Material für künftige Sandsteinbildungen, daneben finden sich 
die Ansätze von thonig oder mergelartig zusammengesetzten Nieder- 
schlägen auf schmaleren örtlich begrenzten Zonen. Beide zeigen 
auch charakteristische Unterschiede in ihren organischen Beimen- 
gungen; auf diese Weise gewinnen wir, sagt Gümbel, aus diesen 
modernen Verhältnissen ein zutreffendes Bild der Entstehungsart 
der auch bei älteren Sendimentschichten so häufig beobachteten so- 
genannten Faciesbildungen. 

In diesem referierenden Überblick konnte nur hier und da ein 
interessanter Punkt herausgegriffen werden; des Werkes reicher 
Inhalt ist damit nicht annähernd erschöpft. Das eine aber darf von 
dieser Publikation gesagt werden: wie sie in jeder Beziehung, nach 
Inhalt und äufserer Ausstattung, würdig ist unsers Hydrographischen 
Amtes, so eröffnet sie aber auch dem Leser auf Schritt und Tritt 
Perspektiven auf neue noch in Zukunft vorzunehmende vervoll- 
ständigende Untersuchungen des deutschen Meeres. Möge diesen 
auch der neue Leiter des Hydrographischen Amtes das gleiche Inter- 
esse entgegenbringen wie sein um die wissenschaftliche Meereskunde 
so hochverdienter Vorgänger! 

Kiel. Otto Krümmel. 



Vorläufige Mitteilung über die wissenschaftlichen 
Ergebnisse der deutschen Polarstationen. 

Die wissenschaftliche Bearbeitung der Ergebnisse der 
deutschen Polarstationen im Kingua-Fjord (Golf von Cumber- 
land) und auf Südgeorgien sind nunmehr abgeschlossen und das 
herauszugebende grofse zweibändige Werk wird schon in aller- 
nächster Zeit bei Asher & Cie. in Berlin erscheinen. Dasselbe 
trägt den Titel: „Internationale Polarforschung 1882—1883. Die 
Beobachtungsergebnisse der deutschen Stationen. Band I. Kingua- 
Fjord und die meteorologischen Stationen II. Ordnung in Labrador : 
Hebron, Okak, Nain, Zoar, Hoffenthai, Rama, sowie die magnetischen 
Observatorien in Breslau und Göttingen. Band II: Süd-Georgien 
und das magnetische Observatorium der Kaiserlichen Marine in 
Wilhelmshaven. Herausgegeben im Auftrage der deutschen Polar- 
kommission von Professor Dr. Neumayer, Direktor der deutschen 
Seewarte in Hamburg, und Professor Dr. Borgen, Vorstand des 
Kaiserlichen Observatoriums in Wilhelmshaven. Nach einem Vor- 



— 342 — 

wort des Herausgebers folgt zunächst im ersten Bande eine Ein- 
leitung, welche Geschichtliches über die Nordexpedition unter Dr. 
W. Giese nach Kingua-Fjord und die Supplementärexpedition nach 
Labrador unter Dr. K. R. Koch, sodann Bemerkungen über die 
Einrichtung der Station, Ortsbestimmung, Nivellement u. a. enthält. 
Sodann folgt der Abschnitt : meteorologische Beobachtungen zu Kingua. 
Sie bestanden in stündlichen Beobachtungen über Luftdruck, Luft- 
temperatur, Feuchtigkeit . der Luft, Richtung und Geschwindigkeit 
des Windes, Menge, Form und Zug der Wolken, Hydrometeore und 
Niederschlagsmenge. 

Aus den Übersichten für die einzelnen Monate, welche die 
Monatsmittel und die beobachteten Extreme enthalten, sind folgende 
Zahlen zu entnehmen: Höchster Luftdruck 779,6 mm, niedrigster 
Luftdruck 724,5 mm, mittlerer Luftdruck 754,? mm; höchste Tem- 
peratur 19,7^ C, niedrigste Temperatur — 48,i ^ C, mittlere Tem- 
peratur — 11,4® C, gröfste Temperaturschwankung im Jahr dem- 
nach 67,8® C, gröfste Temperaturschwankung in einem Monat 
61,8® C, ; mittlere Temperatur im Frühling — 12,4® C, mittlere 
Temperatur im Sommer 5,2 ® C, mittlere Temperatur im Herbst 
— 9,8 ® C, mittlere Temperatur im Winter — 29,s ® C. Wind: 
Häufigste Windrichtung SSW. und SW. 33 ®/o Stillen. Gröfste 
Windgeschwindigkeit: 22 m per Sekunde. Der tägliche und jähr- 
liche Gang der meteorologischen Elemente wird durch eine Reihe 
sehr sauber ausgeführter graphischer Darstellungen zur Anschauung 
gebracht 

2) Meteorologische Beobachtungen auf den Stationen zweiter 
Oniuung in Labrador: (Leiter Dr. Koch), Ho£fenthal (Beobachter 
Missionare Rotter, Dam und Slotta), Zoar (Beobachter Missionar 
Rinderknecht), Nain (Beobachter Dr. Koch und Missionar Weiz), 
Okak (Beobachte Missionar Drechsler), Hebron (Beobachter Missio- 
luure Schulze und Haugk), Rama (Beobachter ^iGssionar Schneider). 
Das Klima hat durchaus arktischen Charakter, die Jahrestemperatur 
liegt überall etwa 4^ unter dem Gefirierponkt uimI die niedrigste 
Temi>eratar föUt auf — 36 ® C. 

ä> Magnetische Beobachtungen zu Kingua-Fjord. Diese um- 
fassen zunächst als GruniUage der Vanaüoiisbeobaehtungen die ab- 
soluten Bestimmungen der Inklination« Hv>rizontalintensitat und In- 
kUoatiou, welche monatlich wenigstens zweimal angestellt wurden. 
l\uiu fol^u die Variationsbeobachtungeo. die in Termin- und stönd- 
Uche Beobachtungen zerfallen. Die ersteren wurd^i, wie int^national 
xereiubart war. am L und 15. jeden Monats abgelialteii und zwar 
wunle» die drei Elemente dft> Erjaua^iiettsiiias 2i Stunden hin- 



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durch jede fünf Minuten abgelesen, und bei jedem Termin eine 
Stunde lang sogar alle 20 Sekunden. Diese Beobachtungen ge- 
schahen, um möglichst gleichzeitige und streng vergleichbare Beob- 
achtungen zu erhalten, an allen 14 internationalen Stationen nach 
Göttinger Zeit, welche man aus Pietät gegen die Begründer der 
modernen erdmagnetischen Wissenschaft, Gaufs und W. Weber, ge- 
wählt hatte. Die stündlichen Beobachtungen geschahen nach Orts- 
zeit, sie bieten das Material für die Ermittelung des täglichen und 
jährlichen Ganges der erdmagnetischen Elemente, während die Termin- 
beobachtungen dazu dienen sollen, die Änderungen des magnetischen 
Zustandes der Erde durch Vergleichung der gleichzeitigen Beobach- 
tungen an den internationalen Stationen zu ermitteln, um dadurch 
vielleicht ihren Ursachen auf die Spur zu kommen. Um diese Ver- 
gleichung zu erleichtern, sind die Terminbeobachtungen, wie es von 
dem internationalen Polarkongrefs in Wien 1884 festgesetzt worden 
ist, graphisch dargestellt und zwar auf 27 sehr schönen sauber aus- 
geführten Tafeln. Den Schlufs dieser Abteilung bilden Ablesungen 
der Instrumente während magnetischer Störungen, die zum grofsen 
Teil in Verbindung mit Nordlichtern eintraten. Alle Zahlentabellen 
sowohl wie die Kurventafeln geben die Werte in sogenanntem ab- 
solutem Mafse. Auch die Störungsbeobachtungen sind zum grofsen 
Teil auf 5 Tafeln graphisch dargestellt. 

4) Erdstrombeobachtungen zu Kingua-Fjord. Diese zerfallen in 
zwei Teile: 1) Beobachtungen in einer geschlossenen Kabelschleife 
ohne Erdverbindung und 2) in zwei Leitungen, von denen die eine 
Nord-Süd, die andre Ost- West geht mit Erdverbindung. Die Beob- 
achtungen sowohl wie die Bearbeitung sind von dem Leiter der Ex- 
pedition Herrn Dr. Giese ausgeführt. 

5) Polarlichtbeobachtungen zu Kingua-Fjord und Nain in La- 
brador von Dr. R. Koch. Diese Abteilung enthält die Beobachtungen 
der Polarlichter an den beiden Stationen in Tagebuchform, Beschrei- 
bung der beobachteten Lichterscheinungen und Messungen der Höhe 
und des Azimuts charakteristischer Punkte in denselben. Beigegeben 
sind eine Anzahl wundervoller Nordlichtzeichnungen, die von Dr. Koch 
herrühren und nach den Originalzeichnungen durch Herrn Strumper 
in Hamburg photolithographisch vervielfältigt worden sind. Dieselben 
bilden eine ganz besondere Zierde des Werkes. Es folgen nun ein 
paar Spezialarbeiten, die sich bei der Reduktion der Beobachtungen 
ergeben haben: die wesentlichsten Resultate der meteorologischen 
Beobachtungen und eine spezielle magnetische Untersuchung. Da 
die in den Polargegenden angestellten Beobachtungen erst dann 
ihren vollen Wert erhalten, wenn sie durd\ ^öVd\^ ^\ys. \sC\\Ääx^>\ 



— 344 — 

Breiten ergänzt werden, so hatten sich eine Anzahl von magnetischen 
Observatorien bereit erklärt, nach dem internationalen Programm 
an den Termintagen zu beobachten. In Deutschland waren dies die 
Observatorien in Breslau, Göttingen und Wilhelmshaven. 

Es entspricht der Wichtigkeit der Sache, dafs diese Beobachtungen 
in dem Polarwerk Aufnahme gefunden haben und so finden sich am 
Schlüsse des ersten Bandes die während der Polarepoche in Breslau 
und Göttingen angestellten Beobachtungen, während, wie hier gleich 
erwähnt werden mag, die magnetischen Untersuchungen auf dem 
Marineobservatorium zu Wilhelmshaven am Schlüsse des zweiten 
Bandes angereiht worden sind. In Breslau wurden nur die Dekli- 
nationsvariationen beobachtet, während in Göttingen alle drei Elemente 
an den Termintagen und auch während des ganzen Jahres dreimal 
täglich aufgezeichnet wurden. 

Band II. betrifft Südgeorgien und das magnetische Obser- 
vatorium der Kaiserlichen Marine in Wilhelmshaven. Folgendes ist 
über den Inhalt des Bandes mitzuteilen : Einleitung : Ortsbestimmun- 
gen, Ebbe und Flut, Geschichtliches, Bemerkungen über die Station, 
geognostische und botanische Notizen u. a. 

1) Meteorologische Beobachtungen. Gegenstände der Beobachtung 
wie bei Kingua-Fjord. Aus den Übersichten für die einzelnen Monate 
entnehmen wir folgende Daten von allgemeinerem Interesse : Höchster 
Luftdruck 769,7 mm, niedrigster Luftdruck 706,o mm, mittlerer 
Luftdruck 745,8 mm. Höchste Temperatur 17,8® C, niedrigste 
Temperatur — 12,3 ® C, mittlere Temperatur 1,4 ® C. Gröfste Tem- 
peraturschwankung im Jahre 30,i ® C, gröfste Temperaturschwankung 
in einem Monat 25,8 ® C. Mittlere Temperatur im Frühling l,i ® C, 
mittlere Temperatur im Sommer 4,6 ® C, mittlere Temperatur im 
Herbst 1,3 ®C., mittlere Temperatur im Winter — 1,8^0. Wind: 
Häufigste Windrichtung WSW. und W. 0,4 «/o Stillen. Gröfste Wind- 
geschwindigkeit 26,4 m pro Sekunde. Wie bei Kingua-Fjord sind der 
tägliche und jährliche Gang der meteorologischen Elemente auf einer 
Reihe von Tafeln graphisch dargestellt. Von besonderem Interesse 
unter diesen graphischen Darstellungen ist eine Kopie der von dem 
Sprungschen Barographen aufgezeichneten Kurve vom 27. bis 29. August 
1883, welche die durch den Ausbruch des Krakatoa hervorgebrachte 
Luftwelle in ausgezeichneter Weise zur Darstellung bringt. Eine 
andre auf diesen merkwürdigen Vulkanausbruch bezügliche graphische 
Darstellung finden wir am Schlüsse der Einleitung, wo die von dem 
selbstregistrierenden Flutmesser aufgezeichneten Kurven vom 26. August 
bis 2. September in einer genauen Kopie wiedergegeben sind. Diese 
Kurven enthaiien die von dem ^lakaX^o^^xisferuch hervorgerufenen 



— 345 — 

Wasserwellen, die sich auch an allen indischen und südafrikanischen 
Flutmessern geltend gemacht haben. 

2) Magnetische Beobachtungen. S. Kingua-Fjord. Doch ist zu 
bemerken, dafs in Südgeorgien, ebensowenig wie auf der französischen 
Station am Kap Hörn, Polarlichter beobachtet wurden. Auch sind 
die magnetischen Verhältnisse, besonders im Vergleich mit denen 
von Kingua-Fjord, aufserordentlich ruhige, was auch ganz begründet 
ist, da Süd-Georgien seinem magnetischen Charakter nach den mittleren 
Breiten angehört. Auch hier sind die Termin- und ein Teil der 
Störungsbeobachtungen durch graphische Darstellungen wiedergegeben. 
Aus der zweiten der nun folgenden Spezialarbeiten : Über Gletscher- 
bewegung auf Südgeorgien, entnehmen wir die Beobachtung, dafs 
sich für den grofsen Rofsgletscher eine tägliche Bewegung von 
0,38 m ergeben hat. 

3) Magnetische Beobachtungen auf dem Marineobservatorium 
in Wilhelmshaven. Wie schon erwähnt, sind die magnetischen 
Beobachtungen zu Wilhelmshaven diesem Bande angehängt, wie die 
von Breslau und Göttingen dem ersten Bande. Sie zerfallen in 
zwei Teile, in die Terminbeobachtungen, welche an den altern 
Lamontschen Instrumenten angestellt wurden und in stündliche, den Zeit- 
raum von Dezember 1882 bis Schlufs 1883 umfassende Beobachtungen. 
Diese letzteren sind den durch photographische Registrierung er- 
haltenen Kurven entnommen, zu denen das astrophysikalische Obser- 
vatorium in Potsdam die Instrumente hergeliehen hatte. Als Anhang 
hierzu finden wir eine Spezialarbeit von Herrn Dr. Eschenhagen 
über gewisse bei magnetischen Bestimmungen gebrauchte Konstanten. 
Auch das astrophysikalische Observatorium in Potsdam hat einen 
Beitrag geliefert, indem es eine Zusammenstellung der von August 
1882 bis August 1883 auf der Sonne eingetretenen Vorgänge 
(Flecken und Fackelbildungen) giebt. Den Schlufs des ganzen 
Werkes bilden die Terminbeobachtungen der Erdströme in den 
deutschen Telegraphenleitungen. Durch das bereitwillige Entgegen- 
kommen des Staatssekretärs Dr. von Stephan wurde es ermöglicht, 
an jedem Termintage (1. und 15. jeden Monats) während einer 
Reihe von Stunden in den unterirdischen Leitungen: Berlin-Thoru 
und Berlin-Dresden, Registrierungen der in denselben auftretenden 
Erdströme vorzunehmen, die zu sehr bemerkenswerten Resultaten 
geführt haben. Aufser den Beobachtungen an den magnetischen 
Termintagen ermöglichte die Munifizenz des Herrn von Stephan 
noch eine Reihe von wichtigen Beobachtungen in metallisch ge- 
schlossenen Schleifen, eine unterirdische : Berlin-Stettin-Danzig-Thorn- 
Berlin und eine oberirdische: Berlin-Danzig-BxomXi^x^r&^^wi. "^"ä 

Geogr. Blätter, Bremen, 1886, *Ä^ 



— 346 — 

Beobachtungen wurden ausgeführt unter Leitung des Erdstrom- 
komitees des elektrotechnischen Vereins. 

Unter den Beilagen sind besonders hervorzuheben die An- 
sichten der Stationen (die von Süd-Georgien nach der Zeichnung 
von E. Mosthaff, Mitgliedes der Expedition), Polarkarte, Karte vom 
Cumberland - Golf , eine ausgezeichnete Karte der Royal -Bai auf 
Süd-Georgien im Mafsstab von 1 : 50,000 von E. Mosthaff, Situations- 
pläne, Karten über Schlittenreisen am Kingua-Fjord. 

Druck und Ausstattung des Werkes sind mustergültig schön 
und gereichen der Verlagshandlung: A. Asher & Co. in Berlin, 
sowie dem Drucker Herrn Herrmann daselbst bezüglich des Textes, 
und Herrn Strumper in Hamburg bezüglich der photolithographischen 
Reproduktion der Kurventafeln, Abbildungen und Karten zur 
grofsen Ehre. 

Neben den grofsenteils noch erst zu erwartenden Veröffent- 
lichungen der Stationen der andern Staaten wird dieses deutsche 
Werk sicher einen hervorragenden würdigen Platz einnehmen. 



-=o<$= 



Kleinere Mitteilungen. 



§ Ans der geographischen Gesellschaft in Bremen. Dank der Unter- 
stützung von Mitgliedern und Freunden konnte unsre Gesellschaft wieder 
einmal eine kleine ethnologische Ausstellung veranstalten. Dieselbe findet im 
Lokal der Gesellschaft, Rutenhof, Zimmer No. 20, statt und enthält eine grofse 
Anzahl von Gegenständen des Haushalts und der Gewerbe, Handelsprodukte 
und landwirtschaftliche Erzeugnisse, Musikinstrumente, Karten, Bücher, Photo- 
graphien, ModeUe verschiedener Art, endlich Waffen aus Ostasien (China, Tongking, 
Java) und aus Guatemala. Die Ausstellung wird viel besucht und erregt allgemeines 
Interesse. — Am 5. November hielt Herr A. Haacke aus Adelaide einen Vor- 
trag über Australien und Neuguinea. Die Mitglieder der Gesellschaft und der 
bremischen Abteilung des deutschen Kolonialvereins, deren Damen und Freunde 
hatten sich sehr zahlreich eingefunden, so dafs der Saal kaum die Zuhörer 
fafste. An der Wand hingen zwei für den Vortrag angefertigte gi'ofse Karten 
von Australien und Neuguinea, auch hatte ein Mitglied freundlichst durch Aus- 
stellung verschiedener Photographien und sonstiger Abbildungen für weitere 
Illustration des Vortrags gesorgt. Letzterer verbreitete sich zunächst über die 
australischen Kolonien, welche der Redner selbst aus längerer eigener An- 
schauung kennt, und bot sodann eine Erzählung der im vergangenen Sommer 
unter dem Oberbefehl des Kapitän Everill ausgeführten australischen Expedition 
den Fly-River aufwärts in das Innere von Neuguinea. Über diese Expedition 
ist bereits früher in dieser Zeitschrift näher berichtet. — Leider traf vor kurzem 
die Nachricht von dem am 18. Oktober in Yokohama erfolgten Tode unsers 
Mitgliedes H. Ahrens ein. Er war der Begründer des Handelshauses Ahrens & Cie. 



— 347 — 

in London, Yedo, Yokohama und Hiogo. Sohn eines Landmannes in Lilienthal 
bei Bremen, begab er sich vor etwa 20 Jahren nach Japan und begründete 
dort ein Geschäft, das durch seine Umsicht, Energie und Unternehmungsgeist 
zu einem der bedeutendsten europäischen Handelshäuser in Ostasien heranwuchs. 
Im kräftigsten Mannesalter — er war 44 Jahre alt — wurde er von einem 
Choleraanfall hingerafft. 

Unser Mitglied, Herr Kapitän Eduard Dallmann, der vor einiger Zeit 
aus Neuguinea zurückkehrte, ist wiederum für mehrere Jahre in den Dienst der 
Neuguinea-Kompanie getreten. Als Führer eines an der Elbe neu erbauten 
Dampfers verliefs er vor kurzem die Heimat zur Fahrt nach Kaiser Wilhelms-Land. 



§ Polarregionen. Aus Tromsö wird das Ergebnis der von dort aus in 
diesem Sommer betriebenen und nunmehr beendeten norwegischen Eismeer- 
fische r ei wie folgt mitgeteilt : Von Tromsö wurden 1886 ins Eismeer expediert 
25 Fahrzeuge von zusammen 1200 Reg.-Tons mit 262 Mann Besatzung. Von 
diesen sind 23 Fahrzeuge zurückgekehrt, eins verunglückte im Eise und eins 
war bis Mitte Oktober noch nicht zurückgekehrt. Der mitgebrachte Fang betrug : 
799 Stück Walrosse ä 70 Kronen {h, 1 M. I2V2 ^), 1879 Stück grofse Robben 
h 22 Kronen, 7578 Stück kleine Robben ä 6,50 Kronen, 256 Stück Weiswale 
ä 80 Kronen, 65 Stück Eisbären ä 60 Kronen, 162 Stück Rentiere a 10 Kronen, 
18 Stück Bottlenosewale ä 275 Kronen, 510 kg Daunen k 2 Kronen, 397 hl 
Leber ä 10 Kronen, 1 Hornfisch (Narwal) 200 Kronen, 2800 Stück Vogeleier 
224 Kronen, also ein Gesamtwert von 182 889 Kronen. 

Früher wurde berichtet, dafs die schottischen Fangschiffe mit geringen 
Fischereierträgen bis auf eins zurückgekehrt seien. Dieses, der Dampfer „Eclipse'^, 
Kapt. Gray, hatte sich nach Franz-Joseph-Land gewendet, um in dem dortigen, 
an Thrantieren verschiedener Art noch reichen Gewässern seinen Fang zu ver- 
vollständigen. Wie jetzt berichtet wird, hat Kapt. Gray wegen der Eisverhäitnisse 
Franz- Joseph-Land nicht erreichen können und ist zurückgekehrt. Kapt. Gray 
schreibt darüber an den Redakteur dieser Zeitschrift aus Peterhead wie folgt; 
»Ich durchkreuzte die ganze Karasee weiter nach Norden, um nach Franz-Joseph- 
land zu gelangen; allein ich fand, äafs das Eis sehr weit nach Süden reichte 
und dabei sehr dicht gepackt lag, so dafs ich weiter als eine halbe Meile nicht 
eindringen konnte." So kehrte er nach Schottland zurück. Kapt. Gray betrachtet 
die Fischgründe im europäischen Eismeer für vorläufig erschöpft. Auch die 
Neufundlandfischerei, sowie der Walfang der Amerikaner im Eismeer nördlich 
von der Beringstrafse ist in diesem Jahre schlecht ausgefallen. Da nun die Preise 
für Fischbein sehr hoch sind, so denken die Walfischfänger ernstlich daran, 
neue Gründe im Nord- oder Südpolarmeer aufzusuchen. Bei solchem Stande 
der Dinge dürfte der oft geleugnete praktische Nutzen der Polarexpeditionen 
wieder in den Vordergrund treten. Es mag hierbei daran erinnert werden, dafs 
in dem Jahre 1873 — 1874 auch von Deutschland aus der Walfischfang im Süd- 
polarmeer betrieben wurde und zwar durch den der damaligen Polar- 
fischereigesellschaft in Hamburg gehörenden, von Kapitän Dallmann geführten 
Dampfer „Grönland". Die geschäftlichen Ergebnisse dieser Reise waren aber 
nicht der Art, um zur Fortsetzung dieses Betriebes anzufeuern. Kapitän 
Dallmaun besuchte damals die Süd-Shetland- und die Süd-Orkney-Inseln, sowie 
Grahamland an verschiedenen Stellen. Eine Reihe von Benennungen, welche 
ein Karton in Petermanns Südpolarkarte zu Stielers Atlas zeigt, stammen von 
den Entdeckungen, welche Dallmann auf dieser Fahrt machte. Wale wurden 

24* 



— 348 — 

Übrigens während der ganzen Kreuze der »Grönland" in den Südpolargewässem 
nicht gefangen, der Fang bestand vielmehr aus Fellen und Speck von Pelz- und 
Landrobben, Seeelefanten und Seeleoparden. 

Der amerikanische Marineleutnant B. E. Peary hat im vorigen Sommer 
von der Disko - Bai (Westgrönland) aus mit einem jungen Dänen eine 
Schlittenreise auf dem grönländischen Inlandeise unternommen; 
die Reisenden waren im ganzen 19 Tage von der Küste unterwegs, Unwetter 
nötigte sie wiederholt zur Rast. Wie weit sie in das Innere gekommen, darüber 
enthält der erste bis jetzt vorliegende Bericht offenbar übertriebene Angaben. 

Ober eine von dem amerikanischen Marineleutnant Robert Peary in Be- 
gleitung eines jungen Dänen im vorigen Sommer unternommene Schlitten- 
reise auf dem grönländischen Inlandeise von der Disko-Bai (West- 
grönland) aus, wird uns aus Kopenhagen, 8. Dezember, das folgende berichtet: 
, Robert Peary, ein amerikanischer Zivilingenieur war von einem Assistent des 
königlichen grönländischen Handels, namens Maigaard, in Ritenbenk 
(Discofjörd) begleitet. Der Rand des Inlandeises wurde im Juli d. J. an Pakitok 
1 1 1 r d 1 e k bestiegen (an der Ostseite des Discofjords 69 <> 30 ' n. B. 50 <> ' w. L. Gr.). 
Die Reise dauerte 21 Tage. Die zwei Reisenden zogen jeder einen kleinen Schlitten 
im Gewicht mit Bagage von 175 kg. Nur am Rande war das Eis reich, an 
Spalten, sonst ziemlich eben; das Eis hob sich gegen Osten, und die Reisenden 
erreichten eine Höhe von 7525 Fufs (wahrscheinlich englische). Robert Peary 
und Maigaard drangen 115—120 englische Meilen in das Inlandseis hinein. Das 
Eisfeld war, wie gesagt ziemlich eben, und seine Nunatakker (Bergspitzen die ans 
dem Eise emporragen) wurden getroffen. Die Rückreise geschah in wenigen Tagen. 
Die zwei Schlitten wurden der Länge nach vereinigt; eine Zeltstange wurde der 
Mast und ein Gummiteppich als Segel benutzt. Der stetige Ostwind und die 
Neigung gegen das Meer halfen dann die Reisenden in kurzer Zeit zum Meer 
zurück." 

§ Aus Nen-Gainea. Der ersten Befahrung des Kaiserin - Augusta-Flusses 
mit Dampfer, über welche wir in Heft 3, S. 251 u. ff. berichteten, ist eine zweite 
mit dem Dampfer „Ottilie", Kapitän Rasch, durch den Landeshauptmann von 
Kaiser-Wilhelms-Land, Admiral Freiherrn von Schleinitz gefolgt. D. „Ottilie'* fuhr 
den 29 Juli bis 1. August den Strom auf 200 sm bis zu einer Barre in einer 
seeartigen Erweiterung des Stromes hinauf, ohne nennenswerte Hindernisse zu 
finden. In Begleitung des Landeshauptmanns befanden sich Yizekonsul Dr. Knappe 
von Apia, Herr Hunstein, Dr. Schrader und Dr. HoUrung. Die Fahrt wurde 
dann noch 2V9 Tag stromaufwärts in einer Dampfbarkasse fortgesetzt. Der von 
der Mündung bis zu der entferntesten Stelle im Innern, die man erreichte, zurück- 
gelegte Wasserweg beträgt gegen 300 sm, in gerader Richtung ist diese Stelle 
156 sm von der Mündung entfernt und ist es nicht unwahrscheinlich, dafs die 
Schiffbarkeit für kleinere Schiffe noch 50 bis 100 sm weiter stromaufwärts reicht. 
Bis zu der Stelle, wohin D. „Ottilie*^ gelangte, waren die Ufer flach. Im Süden 
zieht sich ein Gebirgszug hin, von dem Ausläufer hier und da an den Strom 
herantreten; im Norden wurden nur einzelne niedrige Höhenzüge sichtbar. Die 
von der Neu-Guinea-Kompanie zu Berlin herausgegebenen ^ Nachrichten über 
Kaiser- Wilhelms-Land und den Bismarckarchipel'^ Heft IV. 1886 bringen nähere 
Berichte über diese Fahrt und entnehmen wir dem Bericht des Dr. Schrader 
noch folgendes: ,Wir hatten nur selten Gelegenheit das Schiff zu verlassen 
und die Ufer xn betreten. Dieselben machen den Eindruck, als ob sie während 



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der Regenzeit zeitweilig weithin unter Wasser gesetzt würden, da die Hochwasser- 
marke stellenweise bis zu 6 m über dem augenblicklichen Wasserstand bemerkbar 
war und die Häuser der zahlreichen und sehr grofsen Dörfer (oft über 100 Häuser 
in einem Dorf) auf erheblich massiveren Holzpfeilern erbaut waren, als es sonst 
üblich ist. Ausgedehnte Sagopalmenbestände wechselten ab mit wildem Zucker- 
rohr in undurchdringlichen Dickichten. In der Nähe der Dörfer fanden sich 
fast bis zu dem äufsersten von uns erreichten Punkte stets Kokospalmen. Weiter 
stromaufwärts wurde auch der eigentliche Hochwald häufiger; die Berge waren 
stets damit bedeckt. Meiner Meinung nach liegt in diesem Gebiet, soweit das 
Land bis jetzt bekannt ist, der Schwerpunkt aller landwirtschaftlichen Unter- 
nehmungen. Die viele Hunderte und Tausende von Quadratkilometern messenden, 
mit Zuckerrohr bedeckten Flächen des Unterlaufes sind wohl das günstigste 
Terrain für Viehzucht, sobald die wohl überall sich vorfindenden natürlichen 
kleinen Erhebungen als Wohnsitze und Zufluchtsstätten bei Wassergefahr benutzt 
werden. Desgleichen dürfte Reis und Zuckerrohr gut gedeihen." 

„Die Einwohner, welche niemals Weifse gesehen hatten, verhielten sich 
natürlich meist mifstrauisch, stellenweis sogar feindlich. Die Bauart der Häuser 
war eine von den uns sonst bekannten oft wesentlich abweichende. Erheblich 
gröfser, vielleicht für mehrere Familien bestimmt, auf sehr starkem Unterbau 
mit eigentümlichen turmartigen Giebelaufsätzen, welche bei einzelnen Häusern 
das Dach 3 — 4 m überragten, standen die Häuser, meist in langer Reihe neben- 
einander, am Ufer entlang. Die männliche Bevölkerung ging oft ganz nackt, 
während die^Weiber die auch in Finschhafen üblichen Bastfaserschürzen um die 
Hüften trugen. Bunte Bemalung besonders des Oberkörpers mit rotem Lehm 
oder ganz schwarzer Farbe sahen wir mehrfach, desgleichen fast in jedem Dorfe 
eine oder zwei Personen, meist Weiber, welche den ganzen Körper mit schmutzig 
weifser Farbe (Asche oder schmutzigem Kalk) bemalt hatten. Über die Bedeu- 
tung dieser Sitte konnten wir keinen sicheren Aufschlufs erhalten. Vielleicht 
bedeutet diese Bemalung Trauer oder die betreffenden Personen gelten für 
Zauberinnen. Die Kanus, ausgehölte Baumstämme ohne Ausleger, sind oft 
zienalich grofs; sie werden im Stehen mit Paddeln gerudert; ich zählte bis zu 
15 Personen als Insassen. Der Bug ist oft mit grofsen, fratzenhaft bemalten, 
schildförmigen Aufsätzen verziert. Als Tauschartikel brachten die Eingeborenen 
(gegen Tücher, Flaschen, Perlen und im oberen Flufslauf besonders Muscheln) 
meist Speere, welche oft mit menschlichen Wirbelknochen verziert waren, ferner 
gebrannte Thontöpfe, Tabak und andre Kleinigkeiten. Auch gelang es, einige 
Menschenschädel einzutauschen. Als Freundschaftszeichen wurde in einem 
Dorfe bei unsrer Ankunft ein Hund totgeschlagen und wurden besonders ge- 
schmückte Friedenslanzen mit der Spitze in den Boden gesteckt ; Hunde, Schweine 
und Hühner fanden wir als Haustiere; Jam und Sago sind wohl die Haupt- 
nahrungsmittel. Der Strom selbst hat einen mäanderförmigen Lauf; das Beob- 
achtungsmaterial, welches zur kartographischen Festlegung desselben gesammelt 
ist, harrt noch der Bearbeitung. Auf Anstellung von astronomischen Beob- 
achtungen konnte während der ganzen Flufsfahrt nur wenig Rücksicht genommen 
werden. Bei Dunkelheit war an eine Landung nicht zu denken und konnte ich 
defshalb nur verhältnismäfsig unsichere Beobachtungen an Bord der im Strome 
verankerten „Ottilie" mit Quecksilberhorizont und Spiegelsextant anstellen. 
Während der späteren Fahrt mit der Barkasse bot sich aufser am Umkehrpunkte 
nur noch zweimal auf der Rückreise Gelegenheit zu Beobachtungen. Auf der 
Thalfahrt war das Wetter für Anstellung von astronomischen Beobachtungen 
nicht günstig. '^ 



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Ende November verliefs der in Hamburg erbaute Dampfer „Ysabel*', Kapt. 
E. Dalimann, mit einer Ladung Hausbaumaterialien, Kohlen, Provisionen und 
andren Vorräten die Elbe zur Fahrt naeh Neu-Guinea. Als Fassagiere gingen 
vier Beamte der Kompanie mit: liandmesser von Brixen, Stationsassistent 
von Mengden, Kapitän Dücker, Premierleutnant a. D. von Puttkamer und Sekonde- 
leutnant der Reserve Richard Jordan; ferner: verschiedene Seeleute und Hand- 
werker, die im Schutzgebiet der Kompanie Verwendung finden sollen. Das 
Schiff soll in Colombo eine Anzahl Zebuochsen und in Surabaja 50 Malayen 
aufnehmen, die in den Dienst der Kompanie treten. 

Die letzte in dem Heft mitgeteilte Nachricht ist folgendes am 12. November 
eingegangene Telegramm des Landeshauptmanns Freiherm von Schleinitz: 
„Untersuchte Hüon Golf; viele Häfen; fanden Gold." 



Von der Insel R^nnion. Dr. Konrad Keller, bekannt durch seine vor 
einigen Jahren ausgeführte Reise nach Nordostafrika, kehrte vor kurzem von 
einer zweiten afrikanischen Reise zurück, die ihn nach Südostafrika und zu den 
vorgelagerten Inseln Madagaskar, Reunion und Mauritius führte. Eine Reihe 
vorläufiger Reiseberichte, welche die „Neue Zürcher Zeitung** brachte, haben wir 
mit lebhaftem Interesse gelesen. Als Probe geben wir hier die Schilderung 
eines Ausflugs, welchen der Reisende auf der Insel Reunion ins Innere, und zwar 
nach Salazie, der kreolischen Schweiz, unternahm: 

Salazie, Insel Reunion, 12. Juni 1886. 

Bei dem bevorstehenden Abschied von der Insel Reunion kann ich nicht 
umhin, noch eines unvergleichlichen landschaftlichen Bildes zu gedenken. 

Die kurze Frist, welche mir übrig blieb, wollte ich zu einem Ausflug ins 
Innere benutzen, um die Sammlungen noch zu vervollständigen. Vous allez 
donc a Salazie. Ah! qu'il est joli ce pays, c'est notre Suisse! So sagten mir 
die Kreolen und sie haben das Richtige getroffen. 

Salazie! Welchen Zauber besitzt dieser Name für den Kreolen. Salazie 
elektrisiert die Schuljugend, wenn sie zu Beginn der Ferien einen Ausflug in die 
Berge machen darf und belebt den gebrochenen Greis, der in den heilkräftigen 
Thermen von Salazie Linderung seiner Leiden findet. 

Der kreolische Dichter besingt in den zartesten "Weisen und in den lieb- 
lichsten Bildern einen Ort, der ihm als das vollkommene Eden auf Erden gilt 
Eine dichterische Ader ist mir von der Natur nicht verliehen und ich darf 
eidlich bezeugen, dafs ich weder öffentlich noch im geheimen je ein Gedicht 
verbrochen habe, niemals habe ich den Pegasus malträtiert — ich betrachte die 
Welt mit den realistischen Augen des schlichten, oft auch des kritischen 
Menschenverstandes. Aber ich mufste mir sagen, dafs eine Gegend, von welcher 
sogar der bedächtige Mulatte mit Entzücken spricht, etwas aufsergewöhnliches 
sein müsse. 

Und so nahm ich nach Absolvierung der letzten Post nach Europa den 
Frühzug nach St. Andre. Man fährt mitten durch lachende Fluren und über- 
blickt zur Rechten ausgedehnte Maniokpflanzungen und Zuckerplantagen; in 
den Kasuarinenwaldungen sind die ausgedehnten Kulturen von Vanille angelegt. 
Zur Linken blickt ab und zu das blaue Meer durch die Lichtungen von Palmen 
und Pandanusgruppen hindurch. 

In St. Andre nimmt uns ein Maultiergespann in Empfang und bringt uns 
in etwa vier Stunden nach den Thermen von Salazie. 



— 351 — 

Erst führt der Weg in der Ebene durch eine schattige Allee von Tama- 
rinden bis zum Ufer eines gröfsern Flusses. Es ist dies die Riviere du Mat. 
Das Bett ist tief eingegraben und man tritt, dem linken Ufer entlang gehend, 
rasch in eine schluchtartige Verengung der hier auslaufenden Gebirge. Zu beiden 
Seiten hat man ungeheure, senkrecht abfallende Felsmauern, welche mit einem 
freudig grünen Teppich von Himbeerstauden bedeckt sind. 

Später wird in der Höhe auch die undurchdringliche Waldregion sichtbar. 
In schwindelnder Tiefe erblickt man den schäumenden Flufs, an den Abhängen 
stürzen Dutzende von Wasserfällen oft aus einer Höhe von 500 bis 600 m 
herab. Am Wege erblickt man die üppigste Farrenvegetation im Verein mit 
Kokospalmen und armleuchterartigen Vakouabäumen. Naeh etwa einer Stunde 
setzt man auf das rechte Ufer hinüber, die Schlucht beginnt sich von nun an 
stets zu verengen bis zum Dorfe Salazie, wo man wieder auf das andre Ufer 
gelangt. Am Wege erblickte man da und dort die aus Bambus oder Bananen- 
stroh erbauten, ärmlichen Hütten der Mulatten. 

Das Bild ändert jetzt. Man tritt in einen weiten, Ungeheuern Kessel. Es 
ist dies einer der drei erloschenen Krater, welche um den Piton des Neiges 
gruppiert sind. Die Kraterwände erheben sich senkrecht bis zu einer Höhe von 
2000 bis 3000 m über dem Meere. Dieser Krater umfafst einen Flächenraum 
von 10,000 ha. In seinem Innern sind die Reste der an ihrem Rande vielfach 
zerrissenen Auswurfkegel; man hat vollkommen den Eindruck, als befinde man 
sich im Hochgebirge der Schweiz oder des Tirol, nur sind die Formen mehr 
bizarr als in unsern Alpen. Einst sah dies Gebiet wohl furchtbar öde und nackt 
aus. Die aufgehäuften Spannkräfte in der anorganischen Natur machten sich 
hier Luft in ungezügelten lebendigen Kräften, welche mächtige Lavamassen nach 
der Gegend von St. Andre hinunterwälzten. 

Heute ruht der Vulkan wohl seit undenklichen Zeiten. Seine Kräfte 
haben in breitere und friedlichere Bahnen eingelenkt und treten in der 
Gestaltung einer wunderbar reichen Pflanzenwelt zu Tage. Der Mensch begann 
sich hier anzusiedeln und führt ein von der Welt abgeschlossenes aber glückliches 
Dasein. 

Von Salazie aus führt die breite und bequeme Strafse in steilen Windungen 
hinauf und um die Reste der Auswurfskegel herum bis zur Höhe von 1000 m. 
Man erreicht endlich den Flecken Hellbourg und erblickt in einem tiefen Kessel 
die Thermen, welche ein alkalisches Wasser von 32 ^ zu Tage fördern. Die 
landschaftlichen Bilder wechseln von Minute zn Minute kaleidoskopartig. Das 
grofsartige, ja verschwenderische. Gesamtbild, das sich hier in engem Rahmen 
zusammendrängt, läfst sich weder in Farben noch in Worten wiedergeben. 

Am glanzvollsten gestaltet es sich bei Sonnenaufgang, wenn die höchsten 
Bergkuppen vollkommen wolkenfrei sind und eine durchsichtige, erfrischende 
Morgenluft die Formen zur Klarheit kommen läfst. 

ünsre Sprache, mag man auch die gewähltesten Bilder und die schmeichel- 
haftesten Adjektiven zusammensuchen, gestattet nur eine blasse Wiedergabe 
dieser grofsartigen und gleichzeitig so lieblichen Landschaftsszenerie. 

Alle erdenklichen landschaftlichen Elemente vom Norden bis zu den 
üppigsten Tropen sind hier in einer so wunderbar harmonischen Weise zusammen- 
gedrängt, dafs auch der kühlste Beobachter von Bewunderung hingerissen werden 
mufs. In der Nähe schattige Plätze, dunkle Lauben, zierliche, von der Natur 
geschaffene Gärten, in einiger Entfernung klare Quellen und ruhige Bäche, 
Schluchten mit undurchdringlichen Waldungen von Farren und mannshohen 



— 352 — 

Begoiiienbüschen, dann wieder steile Abgründe, mächtige Wasserfalle. In der 
Tiefe liebliche Seen, von Bananen, mächtigen Bambubüschen und vereinzelten 
Palmen umrahmt, welche sich in der grünblauen Flut wiederspiegeln, abwechselnd 
mit gröfseren Ebenen und undurchdringlichen Waldungen; im Hintergrunde 
keckansteigende Felswände, welche sich koulissenartig erheben und unsrer Alpen- 
natur vergleichbar sind; das Ganze endlich beherrscht vom Piton de Salazie 
und Piton des Neiges, deren Kuppen im Juli und August in blendendem Schnee 
erglänzen — fürwahr eine Landschaft, wie sie auf unsrer weiten Erde wohl 
schöner nirgends zu finden ist! Der Mensch, der sich hier angesiedelt, fühlt 
diese Schönheiten Tag für Tag und hat den auffälligsten Punkten und Plätzen 
meist poetisch klingende Namen gegeben. 

Mühelos erhält er von diesem fruchtbaren Garten, was er wünscht. Alle 
europäischen Gemüse gedeihen hier vortrefflich und es wird hier auch vor- 
wiegend die Gemüsekultur, die petite culture betrieben, in den Gärten sah ich 
Apfelbäume, blühende Pfirsichbäume und Erdbeerstauden. 

Auch Viehzucht, insbesondere Geflügel- und Schweinezucht wird von den 
Bergbewohnern stark betrieben und nach den Märkten von St. Andre und 
St. Denis wird ein delikates geräuchertes Schweinefleisch verschickt. Eine Ge- 
müsepfllanze mufs hier erwähnt werden, weil sie gerade hier fast ausschliershch 
vorkommt und zu den allernützlichsten gehört, dabei einer besondern Kultur 
fast gar nicht bedürftig ist. Es ist dies eine in ihrem Äufsern an die Cucur- 
bitaceen erinnernde kletternde Pflanze, welche den botanischen Namen Sicyos 
angulata führt "und hier als chouchou oder auch als chouchoute bezeichnet wird. 
Sie bedeckt die Mauern der Gärten, sie rankt lianenartig an den Bäumen des 
Waldes empor, sie bildet an den senkrecht abfallenden Felswänden saflig- 
blaugrüne, weithin sichtbare Rasenplätze und ausgedehnte Wiesen. An dieser 
trefflichen Pflanze ist buchstäblich alles nutzbar. Die Stengel und Blätter liefern 
ein zartes, erfrischendes Gemüse, die birnförmigen Früchte werden zu Salat 
verwendet oder gekocht. Die tief im Boden wuchernden, mächtigen Wurzel- 
knollen vertreten die Stelle der Kartoffeln und liefern ein feines Stärkemehl, 
welches von den Frauen zum Pudern der Haut benutzt wird. Die Pflanze liefert 
auch das beste Schweinefutter. Die Stengel des Chouchou werden in dünne 
Bänder geschnitten und als Stroh zu Flechtwerken verarbeitet. Eine eigne 
Kunstindustrie hat sich in diesen Bergen entwickelt und einige Frauen fertigen 
zierliche Hüte, Taschen u. dgl. aus Chouchoustroh. Diese Arbeiten sind von 
blendender Weifse und grofser Eleganz. Sie werden insbesondere von der 
Damenwelt sehr gesucht. 

Ähnlich wie in der Schweiz hat sich in diesen Bergen auch eine Fremden- 
industrie zu entwickeln begonnen. Die Luft ist zu jeder Jahreszeit frisch und 
angenehm, die Jugend zeigt hier ein frisches Rot auf den Wangen* 

Im Dezember und Januar flüchten sich die wohlhabenden Bewohner von 
R^union vor der Hitze in die kühlen Berge und auch die Mauritianer pflegen 
herüber zu kommen, da ihnen diese Gebirgslandschaft fehlt. 

Für die Unterkunft der Gäste ist hier in einer Weise Vorsorge getroffen, 
welche von gutem Geschmack zeugt und unsern schweizerischen Kurorten sehr 
zur Nachahmung empfohlen werden dürfte. Man hat keine Mietkasernen gebaut, 
sondern zahlreiche kleine Chalets aus Holz, welche für eine kleine Familie aus- 
reichen oder auch 2 bis 3 Freunden zur Unterkunft dienen. In der Mitte dieser 
Chalets steht ein Häuschen mit Speisesaal und Veranda. 

Die alkalischen Thermen haben einen grofsen Ruf erlangt und werden 
mit Erfolg gegen Wechselfieber, Rheuma und Unterleibsleiden gebraucht. 



— 353 — 

Die Kolonialbehörde hat in der Nähe ein Hospital für kranke Soldaten 
eingerichtet und gegenwärtig befinden sich hier Offiziere und Soldaten, welche 
während der Belagerung von Madagaskar vom Klima gelitten haben. 

Wären die Bewohner unternehmender und dem dolce far niente nicht so 
zugethan, so könnten sie zu grofser Wohlhabenheit gelangen, zumal der Grund- 
besitz aufserordentlich billig ist und bei den vorhandenen Verkehrswegen die 
Lebensmittelmärkte der gröfseren Orte sich mit grofser Leichtigheit von hier 
aus beherrschen liefsen. Intelligente Landwirte hätten hier einen billigen und 
gewinnbringenden Boden vor sich, der Sommer und Winter hindurch alles 
erzeugt, was man hier zum Leben nötig hat. Ein spekulativer Kopf würde aus 
diesem Platz in kurzer Zeit eine blühende Fremdenstation ins Leben rufen, 
welche von der wohlhabendem Bevölkerung von Reunion und Mauritius während 
der heifsen Zeit benutzt würde — und hätte ich das ruhige Temperament eines 
beschaulichen Philosophen, so würde ich mir hier um tausend Franken einen 
idyllischen Landsitz einrichten und meine Tage in diesem friedlichen Erden- 
winkel verträumen! 



Die Insel Barbados. Die in diesem Jahre in London stattgehabte Kolonial- 
ausstellung hat in Spezialkatalogen, Berichten und sonstigen Gelegenheits- 
schriften eine ganze Litteratur hervorgerufen. Zu den wertvolleren Schriften 
dieser Art gehört z B. das unter der Oberleitung der Königlichen Ausstellungs- 
kommission herausgegebene 560 Seiten starke Werk: Die Kolonien Ihrer 
Majestät (Her Majestys Colonies). Wir entnehmen den Mitteilungen dieses Werks 
über die Insel Barbados die nachfolgende Stelle: „Die vielerlei Produkte, die 
früher auf Barbados erzeugt wurden, sind allmählich dem Zucker gewichen, 
und gegenwärtig ist von dem zu bebauenden Lande von 106 407 Acres ein Flächen- 
inhalt von 100000 Acres dem Zuckerrohr eingeräumt; den gröfseren Teil des 
Restes nehmen Wege, Gebäude und Ödland ein. Von dem für den Zuckerrohr- 
bau bestimmten Lande wird jedes Jahr ein gewisser Teil bepflanzt und abge- 
erntet, dem übrigen Teil wird eine kurze Ruhe vergönnt, indem er mit einer 
sogenannten Abfallernte bepflanzt wird, d. h. Bataten oder andern Wurzeln 
oder Mais. Diese Ernte wird, wenn die Preise hoch sind, verkauft, aber ebenso 
oft eingeackert. Der Anbau des Zuckers selbst ist fast bis zur Vollendung ge- 
bracht, und der Landwirtschaftsbetrieb hat eine hohe Stufe erreicht; er besteht 
gröfstenteils in Spatenarbeit, die Erzeugung des Zuckers aber ist noch grofser 
Verbesserung fähig, namentlich mangelt ihr die Zentralisation. Augenblicklich 
erzeugt jede Besitzung von einigen hundert Acres ihren Zucker für sich, oft mit 
Hülfe der altmodigen Windmühle, so dafs der Landwirt zugleich Fabrikant ist. 
Wenn er nun auch als Landwirt tüchtiges leistet, so fehlt ihm zum Fabrikanten 
das nötige Kapital. Und doch wäre die Kolonie besonders geeignet zur Er- 
richtung von Zentralfaktoreien. Während der jetzigen niedrigen Zuckerpreise 
könnte die Aufmerksamkeit wohl andern Produkten zugewandt werden. Der 
Tabak z. B. ist eine einheimische Pflanze und die gewöhnlichen Sorten schiefsen 
überall auf, wo eine freie Stelle Land ist, besonders auf alten Hausplätzen. Er 
könnte mit geringer Mühe gebaut werden und würde einen ganz netten Gewinn 
abwerfen. Auch zur Stärkebereitung geeignete Wurzeln geben einen bedeutenden 
Ertrag. Arrow -root giebt etwa 10000 Pfund Wurzeln vom Acre, welche 
2000 Pfund Stärke liefern. Kassave und Yamswurzeln geben 8000 Pfund vom 
Acre, Bataten 30000 Pfund, während die Erdnufs etwa 2000 Pfund liefei-t. Es 
werden jetzt Versuche mit Faserpflanzen, wie Kaktus und Seidengras, gemacht. 



— 354 — 

Alles dieses, wie auch Ingber, könnte mit Vorteil gebaut werden. Die Be- 
völkerung, welche trotz der Auswanderung jährlich zunimmt, erfordert eine 
reichliche und billige Fleischnahrung, während sie den Wohlstand der Kolonie 
mehrt und zur Hebung des Ackerbaus beiträgt. Der Durchschnittspreis der als 
Nahrung verwandten obenerwähnten Wurzeln ist für Bataten ^/^ — 1 d., für 
Yamswurzeln 1 — VU d.j Bataten wachsen immer, ebenso Bananen, von denen 
man etwa 4 für einen Penny bekommt. 6^/4 Millionen Pfund amerikanische ge- 
salzene Fische werden jährlich verzehrt, der Preis ist etwa Vit d. das Pfund 
im Kleinverkauf, während der einheimische Fischfang einen unerschöpflichen 
Ertrag liefert. Mit dem Fischfang sind 366 Böte beschäftigt, dieselben haben 
durchschnittlich je 3 Tonnen Gehalt und eine Bemannung von 3 — 4 Mann. Man 
schätzt, dafs etwa 1500 Personen dadurch ihren Lebensunterhalt finden, und 
dafs der jährliche Ertrags wert des Fischfangs etwa 17 000 £ ist. Die wichtigste 
Art der gefangenen Fische ist der fliegende Fisch. Dieser ist im Aussehen dem 
Hering ähnlich, aber kleiner, und schwimmt ebenfalls in Zügen. Seine Fang- 
zeit beginnt im November und dauert etwa sieben Monate. Die Fangweise ist 
äufserst einfach. Die Böte fahren sehr früh morgens aus und kehren nach- 
mittags zurück. Sobald der fliegende Fisch nahe dem Boot aus dem Wasser 
aufsteigt, werden die Segel und Masten heruntergenommen und man lälst das 
Boot treiben. Ein Sack mit verfaulten eingemachten Fischen wird über dem 
Bug ins Wasser hinabgelassen. Das aus demselben entweichende Öl macht das 
Wasser ruhig und zieht die Fische heran, welche mit grofsen Hamen einfach 
ausgeschöpft werden. Wenn der Fang gut ist, so wird die Menge der gefangenen 
Fische lediglich durch den Rauminhalt des Bootes beschränkt; und es ist 
vorgekommen, dafs Böte infolge von Oberladung gesunken sind. Einige Stunden 
nachdem die Böte das Land erreicht haben, werden die Fische sehr billig, etwa 
5 — 6 Pfund kosten nur einen Penny, mitunter sogar noch weniger. Es werden 
Versuche gemacht die Fische zu konservieren und in derselben Weise wie Heringe 
einzumachen. Auf die Fangzeit der fliegenden Fische folgt die der Seeigel 
(Echinus), nach denen man bisweilen 6 Faden tief taucht. Gegessen wird nur 
der Rogen, wovon jedes Tier nur wenig enthält; dadurch, dafs die Tiere in so 
grofser Menge gefangen werden, Uefern sie trotzdem einen bedeutenden Nahrungs- 
wert. Aufser den genannten Sorten werden ungeheuer grofse Rotfische (grouper), 
ein Fisch aus der Familie der Barsche, und andre Arten, durch Tiefseefischerei 
mit Leinen gefangen ; Hummer und Krabben werden an der Küste mit dem 
Wurfnetz gefangen. Die billige Nahrung, der geringe Bedarf an Kleidung und 
Feuerung gewähren den Landarbeitern ein bequemes Auskommen trotz des 
niedrigen Lohnes, dessen Betrag 1 Shilling im Tag für Männer und 10 Pence 
für Frauen ist." 



Britisch Gniana. Diese verhältnismäfsig wenig bekannte englische Kolonie 
war auf der Londoner Kolonialausstellung des vergangenen Sommers besonders 
reich vertreten. Eine von dem ältesten Beamten der Kolonie, G. H. Hawtayne, 
verfafste Schrift gab über den jetzigen Zustand von Britisch Guiana Auskunft. 
Nachfolgendes ist dieser Schrift entnommen. Ende 1884 betrug die Bevölkerung 
der Kolonie Guiana 264061 Personen, davon waren über 65000 Einwanderer 
aus Ostindien. Der ostindische Einwanderer lebt in Britisch Guiana in guten 
Verhältnissen. Er hat ein Haus, einen Fleck Garten, Weide für seine Kühe, 
ärztliche Fürsorge und freie Rückfahrt nach Indien, während sein Lohn, der 
nicht karg bemessen ist, pünktlich jede Woche bezahlt wird. Dafs er seine 



355 — 

gute Lage in dieser Kolonie zu schätzen weifs, geht daraus hervor, dafs sehr 
viele dort bleiben, und dafs nicht wenige von denen, die nach Indien zurück- 
gehen, binnen kurzer Zeit wieder zurückkommen. Die erste Übersiedelung 
von Chinesen nach Britisch Guiana fand im Jahre 1853 statt, und seit 1859 
dauerte die Einwanderung, von der Regierung geregelt, bis 1866 fort, wo sie 
durch gewisse Vorschriften in betreff der Gewährung freier Rückfahrt an Ein- 
wanderer, deren Zeit abgelaufen, gehemmt wurde. Später wurde an deren 
Stelle eine Geldzahlung zugelassen. Die Zahl der bis jetzt an der Küste der 
Kolonie eingeführten Chinesen beläuft sich auf 13 534; in den letzten Jahren 
sind jedoch mit Ausnahme einer im Jahre 1880 angekommenen Schiffsladung 
keine mehr gelandet. Die in der Kolonie verbleibenden unterhalten meistens 
kleine Läden, einige besitzen aber auch grofse Waarenlager in Georgetown 
und New Amsterdam. Vermöge ihrer Intelligenz sind sie schätzbare Ge- 
hülfen bei der Fabrikation vnn Zucker und Rum, auch sind sie als Hausdiener, 
Gärtner u. a. begehrt. Eine grofse Zahl Chinesen ist zum christlichen Glauben 
bekehrt worden, und die Kirchen, Kapellen u. a., die fast nur, wenn nicht in 
einigen Fällen gänzlich, aus ihren Beiträgen erbaut sind, legen ein Zeugnis ab 
für den Ernst ihrer religiösen Überzeugung. Die schwarze Bevölkerung besteht 
aus Kreolen, d. i. Leuten von afrikanischer Abkunft, die anf der Kolonie ge- 
boren sind, und aus Westindiern, hauptsächlich aus Barbados. Die meisten sind 
im Ackerbau beschäftigt, wozu sie sehr geeignet sind; andre finden als Hand- 
werker und Diener eine Tätigkeit. Diejenigen, welche in ländlichen Distrikten 
wohnen, leben meist in den Dörfern, die kurz nach der Emanzipation durch 
das befreite Volk gegründet wurden, die Leute kauften Land und errichteten 
bequeme, leidlich solide Wohnungen. Die Nachkommen haben in der Regel 
diese Wohnungen baufällig werden lassen, die Bewässerung vernachlässigt und 
die umliegenden Landflächen mit Busch und Unkraut überwachsen lassen. 
Bei denjenigen Niederlassungen aber, welche neuerdings unter die Obhut und 
Leitung der Regierung gekommen sind, zeigt sich eine bedeutende Besserung, 
und es ist zu hoffen, dafs sie nach und nach anständiger und gesunder werden. 
Die schwarze Bevölkerung kann man nicht als reguläre Arbeiter betrachten 
Auf den Pflanzungen wird der Regel nach nicht verlangt, eine bestimmte An- 
zahl von Stunden hindurch zu arbeiten, oder täglich eine entsprechende Arbeits- 
leistung auszuführen, sondern es wird eine Akkordarbeit gegeben, die als einer 
sechstägigen Arbeit gleichkommend angenommen wird, aber bei einer nur 
wenig vermehrten Kraftanstrengung in drei oder vier Tagen auszuführen ist. 
Es sind ordentliche und friedliche Leute. Ziemlich viele werden hinreichend 
tüchtige Handwerker, Maschinisten, Zuckersieder u. a. Zu Telegraphenbedien- 
steten sind sie geeigneter als die andern Rassen, und es ist nicht zu bezweifeln, 
dafs bei verständiger und praktischer Erziehung die aufwachsende Generation 
zu guten und nützlichen Bürgern herangezogen werden kann. Unglücklicher- 
weise geht aus offiziellen Berichten hervor, dafs die Unsittlichkeit unter ihnen 
herrscht und eine grofse Anzahl ihrer Kinder unehelich ist. Die Sterblichkeits- 
ziffer dieser Klasse von Kindern ist auch äuTserst hoch. Obgleich die Leute 
im allgemeinen nicht zur Sparsamkeit geneigt sind, erreichen die Sparbank- 
einlagen der schwarzen und farbigen Arbeiter und Handwerker doch einen 
grofsen Betrag, und kürzlich sind mehrere Unterstützungsvereine von ihnen 
gegründet worden; aber der Bestand dieser Vereine verlangt verständigere 
Leitung und schärfere Aufsicht als sie oft haben. 



— 3B6 — 

§ Die nordfriesisehen Inseln. In den am 22. Nov. und 13. Dezbr. gehaltenen 
Versammlungen des naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen hielt Professor 
Buchenau einen Vortrag über die nordfriesischen Inseln. Er schilderte dieselben 
auf Grund eingehender Studien im vorigen Sommer, namentlich in geogi*aphischer 
und geognostischer Beziehung. Die nordfriesischen Inseln (jetzt elf an der Zahl) 
erstrecken sich über einen etwa 90 km langen Raum an der Westküste von 
Schleswig ; sie sind aber nicht so in eine Reihe geordnet wie die westfriesischen 
(holländischen) und die ostfriesischen Inseln, vielmehr über ein Wattenmeer von 
20 — 38 km Breite verstreut, welches nach Norden bis zum jütländischen Kap 
Blaavandshuk reicht. Nach ihrem Baue zerfallen sie in zwei südliche und vier 
nördliche „Inseln" und elf in der Mitte gelegene »Halligen". Die Einwohner 
machen einen scharfen Unterschied zwischen den unbedeichten flachen „Halligen" 
und den entweder flachen, aber eingedeichten, oder aus hohem Lande (Geest, 
Dünen u. a.) bestehenden „Inseln". Die beiden südlichsten Inseln: Nordstrand 
und Pellworm (je etwa eine Quadratmeile grofs) bestehen aus reichen einge- 
deichten Marschländereien, welche eine blühende Landwirtschaft gestatten. Die 
Bewohner haben zwar schwere Deich- und Siellasten zu tragen, sind aber trotz- 
dem sehr wohlhabend und führen ein behagliches, zum Teil selbst ein üppiges 
Leben. Beide Inseln halten sich selbst regelmäfsige Dampferverbindungen nach 
ihrem Stapelplatze, der alten und noch immer wohlhabenden, ja in neuerer 
Zeit wieder aufblühenden Hafenstadt Husum. Die Architektur von Husum, 
seine Backsteinziegelbauten, seine behauenen Steinsäulen vor den Thürbänken 
und seine Kellerwohnungen sind ebenso interessant, wie der auf dem Viehhandel 
beruhende rege Verkehr. — Auf Nordstrand und Pellwonn folgen nach Norden 
hin die elf Halligen (die zwölfte: die Behnshallig, ist seit einigen Jahren durch 
die Fluten zerstört). Es sind dies jene poesie-umwobenen merkwürdigen Eilande, 
welche, fortwährend von den Fluten angenagt und abgebröckelt, doch von 
ihren Bewohnern auf das innigste geliebt werden. Die Wohnungen der Menschen 
stehen auf Pfählen, welche in künstlich aufgefahrene Wurten eingerammt sind; 
so liegt entweder jedes Gehöft für sich, oder mit einigen Nachbarhöfen auf je 
einer Wurt (Werft). Die Halligen bestehen aus genau horizontal abgelagerten 
Schichten von schwerer Marsch- (Klei-) Erde ; sie gestatten nur den Betrieb von 
Viehzucht, von deren Ertrag die Bewohner ihr Leben fristen, und welche viel- 
fach eine geringe Wohlhabenheit erzeugt hat. Das „Fahren" der Männer bringt 
jetzt bei weitem nicht mehr so viel Erwerb als früher. — Besonders eigentüm- 
lich, aber nicht genügend untersucht ist die Hallig Nordstrandischmoor („Lütt- 
moor"), welche aus Hochmoor mit einer dünnen aufgelagerten Kleidecke besteht. 
Eine beabsichtigte Landung an ihr wurde durch die enorme, am 11. August 
dort stehende Brandung verhindert. — Von den nördlichen Inseln wird Föhr 
in der nordöstlichen Hälfte aus Marschland, in der südwestlichen aus einem 
armen, 3— 8 m über dem Meeresniveau liegenden sandigen Geestlande gebildet; 
diese Insel ist von nahezu rechteckiger Gestalt. Amrum besitzt die Form einer 
nach Osten geöffneten Mondsichel. Sie besteht vorzugsweise aus einer mageren 
tiefbraunen Heide; nur der Ostrand ist kultiviert; hier liegen die Ortschaften. 
Die grofse Heide macht zusammen mit den zahlreichen Hünengräbern und der 
Begrenzung der Landschaft durch die dem Westrande aufgelagerten Dünen 
einen tiefernsten Eindruck auf das Gemüt. Die Hünengräber sind in dem 
letzten Jahrzehnt fast sämtlich systematisch aufgegraben worden und haben 
eine Fülle von Gold-, Bronze- und Steingegenständen ergeben, welche Dr. Ols- 
hausen in Berlin in einem sröfseren Werke publizieren wird. Die folgende 



— 357 — 

längste Insel, Sylt, wird aus drei ganz verschiedenen Teilen zusammengesetzt: 
dem mittleren Hauptkörper, der südlichen Dünenhalbinsel HÖrnum und der 
nördlichen Halbinsel List. Der Hauptkörper besteht wie Amrum aus einer 
jungdiluvialen, auf Sylt bis 28 m aufsteigenden Heide ; Hörnum ist eine schmale, 
aus aufgewehten Dünen bestehende Landzunge, in der mächtigen Dünenwildnis 
von List ist die ursprüngliche Heide von mächtigen Sanddünen überlagert. Die 
Dünen von Sylt ragen bis etwa 50 m auf. Römö endlich ist den ostfriesischen 
Inseln ähnlich gebaut. Hier ist der ursprüngliche Geestboden längst zerstört 
und der Boden besteht lediglich aus vom Wasser oder vom "Winde angehäuften 
Bildungen. — In Beziehung auf den geognostischen Bau sind Nordstrand und 
Pellworm reine Marschländereien, die letzten Reste der am 10. Oktober 1634 
innerhalb einer Stunde durch 44 Deichbrüche zerstörten alten Insel Nordstrand 
(bei welcher Katastrophe über 6200 Menschen und mehr als 50000 Stück Vieh 
ertranken). Unter den Halligen hat eine Hochmoorboden, die andern aber Klei- 
boden; sie sind die widerstandsfähigsten Überbleibsel eines weitausgedehnten 
Flachlandes, dessen sandige Partien längst in Watt verwandelt sind. Die Geest- 
inseln Föhr, Amrum und Sylt sind bedeckt von sehr magerem Geschiebedecksand, 
eine Bildung aus der spätem Eiszeit; darunter liegt der auch in unsern Gegenden 
so weit verbreitete Blocklehm. Auf Sylt steht nun auch das unter diesem 
Diluvium liegende Tertiärgebirge an zwei Stellen, dem sogenannten roten Kliff 
und dem Morsumkliff in ausgezeichneter Weise an. Am roten Kliff tritt ein 
weifser Kaolinsand zu Tage, dessen grober scharfer Sand am Badestrande bei 
Westerland oft so unangenehm empfunden wird, und der aufserdem Spazier- 
gänge am Badestrande nach Norden hin so beschwerlich macht. Am Morsumkliff 
ist das Tertiärgebirge in einer Mächtigkeit von 1250 m (!) aufgeschlossen ; es 
besteht aus grauem Glimmerthon, Alaunerde, Kaolinsand und Eisensandstein; 
im Glimmerthon finden sich sehr schöne Versteinerungen, im Eisensandsteine 
jene sonderbare Verhärtungen, welche das Volk: „Geschirr der Altvorderen ** 
nennt. Der Vortragende konnte bei Munkmarsch eine Ablagerung von Austern- 
schalen untersuchen, welche Dr. Meyer für Küchenabfali (Kjökkenmödding) 
erklärt hat, welche sich aber zweifellos als eine uralte Austernbank erwies. 
Der Kaolinsand enthält auf Sylt Körner von Titaneisen, welches leicht zentner- 
weise gewonnen werden könnte, wenn es in Europa (ebenso wie in Australien) 
bei der Stahlfabrikation Verwendung fände. Bei Morsum findet sich das 
trefflichste Material zum Baue eines Dammes von Sylt nach dem Festlande. Ein 
solches Werk würde eine Kolonisation im grofsen Mafsstabe möglich machen, 
indem dadurch rasch grofse Strecken Landes gewonnen würden. 



§ Aus Sibirien. Den Berichten des Dr. Alexander Bunge über seine im 
Sommer 1885 ausgeführte Fahrt von Werchojansk, die Jana hinab bis zu deren 
Mündung, entnehmen wir einige Einzelheiten. In Werchojansk, wo der Frühling 
sehr spät eintrat und noch in den ersten Tagen des Juni das Eis auf der Jana stand, 
wurde ein starker Vogelzug beobachtet. Ein seeartiges Gewässer bei dem Ort 
war von vielen tausenden verschiedener Gänse- und Entenarten, Strandläufern, 
Möven und Seeschwalben bedeckt. Am 19. Juni alten Stils trat Dr. Bunge 
mit seinen Leuten in vier Böten die Fahrt stromabwärts an. Der Sommer kam 
nun so schnell, dafs gleich in den ersten Tagen der Fahrt das Thermometer 
30^ C. im Schatten zeigte; das Insektenleben erwachte rasch und sehr reich 
und es wurde, soweit es die knapp zugemessene Zeit zuliefs, an den üferstellen 
fleifsig gesammelt. In den zahllosen Krümmungen, welche der Flufs macht, 





— 358 — 

safsen die Böte häufig fest. Gegen die Mückenplage suchte man sich beim 
Übernachten am Ufer durch Räucherfeuer zu schützen, wozu der dort vorhandene 
trockene Pferde- und Kuhdünger das Material lieferten. Bei der Mündung der 
Adytscha in die Jana machte Dr. Bunge, zum teil zu Pferde, zwei Ausflüge : er bestieg 
den 1070 m hohen, von säulenartigen Felsgruppen gekrönten Höhenzug Kihiljäch- — ^_ 
Täs und den 1625 m hohen Yngnach-Chaja, dessen Gipfelplateau eine Werst im 
Umfange hat und von flechtenbedeckten Granitquadern übersät ist. Am Ufer dei 
Adytscha, eines schönen breiten Stroms, fand Dr. Bunge eine ziemliche Mengen 
fossiler Knochen. Am 7. Juli erreichte das Thermometer die Temperatur vohtät^zdj 
4-33,4^ C. Die Luft war infolge häufiger Waldbrände mit Rauch erfüllt, di^iJie 
Sonne erschien als blutrote Scheibe. Am 14. August erreichte Dr. Bunge mi~Jr_Äiii 
dem inzwischen eingetroffenen Baron Toll das Dorf Kasatschje an der unten 
Jana, wo dann auch die Reisenden, nach einigen weiteren Exkursionen, ih: 
Winterquartier bezogen, um im Frühjahr 1886 die Vorbereitungen der Nei 
Sibirienexpedition zu treffen. Ende September d. J. erhielt die Redaktion diese 
Zeitschrift von Herrn Dr. Bunge die nachstehende briefliche Mitteilung, welch, 
sich hierüber näher ausspricht. 

Aidshergaidach, d. 9/21. April 1886. 
am Südufer des Ebeljach-Busen, c. 72 ^ V2 n. Br. u. 141<* ö. L. d 
Aus dem obigen Datum ersehen Sie, dafs die Expedition nach der InsL-^ el 
Kotelny in vollem Gange ist; am 31. März (a St. wie die folgenden Daten) tra^^saf 
ich hier ein und entsandte am 1. April 16 Narten mit fast 200 Hunden bespaniE=»t 
mit der Hälfte der Provision, Sachen, Instrumenten (ca. 300 Pud = 120 Zentnei 
und einem Boot zu der Insel. Der Transport mufste aus Mangel an der nötigen 
Narten in zwei Reisen ausgeführt werden. In den nächsten Tagen erwarte icr 
meinen Reisegefährten Baron Toll hier; er ist zur Zeit noch mit der 
grabung des Mammuthcadavers beschäftigt. Leider haben sich die Erwartunge 
in betreff der Erhaltung des Cadavers, zu denen wir uns berechtigt glaubtei 
nicht bestätigt; es fanden sich wieder nur Knochen und einiges Wollhaar; üb( 
die sonstigen höchst interessanten Resultate während der Ausgrabung (namentlic 
in betreff des Bodeneises) gedenkt Baron Toll ausführlich nach St. Petersbui 
zu berichten. — Bald nach der Ankunft Baron T 1 1 s erwarte ich die Rückkehr^ ^ 
der Narten von der Insel Kotelny (ca. 15. April) und einige Tage später, a^^^ni 
Ende der nächsten Woche, brechen wir gemeinschaftlich mit der zweiten Halfr^^^^® 
des Transportes zur üebersommerung auf der Insel Kotelny auf. Zur Zeit so^^^^ 
die Fahrt keine Schwierigkeiten bereiten. Das ist in allgemeinen Zügen d^^^r 
Gang der Expedition. Alles geht bisher nach Wunsch und Hindemisse schein^^^^^ 
sich fürs erste nicht in den Weg zu stellen. Der Gesundheitszustand der Teä^^l- 

nehmer ist gut. Aufser Baron Toll nehmen an der Expedition teil: zw ®* 

Jakutsker Kosaken (zugleich Dolmetscher), vier Jakuten und zwei Tungusen, v( 
denen fast alle mehrmals auf den Inseln gewesen sind, als Führer und Arbeil 
Die Tungusen gehen im Mai mit vierzig Rentieren zur Insel; die Rentie] 
werden im Sommer zur Bereisung der Insel benutzt; aufserdem bleiben di 
Narten mit Hunden für die Rückfahrt auf der Insel zurück. 






§ Dp. ö. Adolf Fischer f. Wiederum ist einer unsrer Afrikaforsch^ ^^ 
durch den Tod dahingerafft: Dr. G. Adolf Fischer, eben erst wohli)ehalten a-t^^ 
Innerafrika zurückgekehrt, wurde in Berlin nach kurzer Erkrankung a^^ 
11. November durch ein perniziöses Fieber, eine Folge der überstandenen An* 
strengungen, dahingerafft. Der Yei'stoiloeiie, geboren in Barmen, studierte Medizin?; 



— 359 — 

w&r Militärarzt und trat vor 11 Jahren seine erste Reise nacli Ostafrika an. 
.878 nntemahm er mit den Brüdern Denhardt die Erforschung der Gegend am 
?ana und wirkte sodann 3V2 Jahre als praktischer Arzt in Zanzibar. 1883 
ahrte er im Auftrag der geographischen Gesellschaft in Hamburg seine grofse 
ind ergebnisreiche Reise in das Land der Massai aus. Der Bericht über diese 
leise wurde in den „Mitteilungen der geographischen Gesellschaft zu Hamburg" 
eröffentlicht. Ende 1883 kehrte er nach Deutschland zurück und schrieb u. a. 
öne bedeutende Flugschrift: Mehr Licht im dunklen Weltteile, in welcher er 
US der Fülle seiner Erfahrungen und Beobachtungen heraus freimütig und 
ntschieden, unter voller Würdigung der deutschen Kolonialbestrebungen, 
or allen Überstürzungen und Schönfärbereien namentlich hinsichtlich des 
LÜmas und der Möglichkeit der Bodenkultivation warnte. Mitte 1885 trat er 
ie letzte Reise zur Aufsuchung und wenn möglich Befreiung von Emin Bei, 
/asati und Dr. Junker, der nun wohlbehalten in Zanzibar angekommen, an. 
rber diese letzte Reise entnehmen wir wörtlich eine Stelle aus dem Vortrag des 
[errn L. Friederichsen, Sekretärs der geographischen Gesellschaft in Hamburg, 
reiche letztere am 2. Dezember eine Sitzung zum Gedächtnis des Verstorbenen 
ielt. Herr Friederichsen sagte: „Auf einer ganz neuen Route, über das 
ördliche, dem deutschen Schutzgebiet angehörige üngu,*) dann über Kibaia, 
rangi, üssandavi und gen Norden durch die 100 Fufs unter dem Spiegel des 
'icforia Nyansa liegende Wembaeresteppe, gelangte Fischer im November 
ach Kagehi am Victoria Nyansa. Dort sandte er sofort zuverlässige Boten 
n den Sultan Muanga von Buganda**) und liefs sich die Erlaubnis aus- 
itten, mit seiner Karawane Buganda durchziehen zu dürfen, um Junker. 
a suchen und zu befreien. Nach Verlauf von 52 Tagen, während welchen 
ischer und 80 Prozent seiner Leute schwer am Fieber erkrankten, 
ehrten die Boten mit verneinendem Bescheid zurück. Sie überbrachten 
leichzeitig einen Brief des in Buganda ansässigen bekannten englischen 
[issionärs Makay, welcher Fischer und seiner gesamten Karawane dasselbe 
»chicksal in Aussicht stellte, welches kurz vorher den Bischof Hannington samt 
refahrten ereilte. Da gegenüber einer Streitkraft von 50000 Mann an ein ge- 
waltsames Landen in Buganda vermittelst der in Kagehi zur Verfügung stehenden 
löte nicht zu denken war, auch ein Vordringen durch die dem Sultan Muanga 
otmäfsigen Länder im Westen des Victoria Nyansa unmöglich schien, auch die 
litgenommenen Waren absolut nicht im Westen des Victoria-Sees zu verwerten 
raren, so sah sich Fischer gezwungen, auf bisher von Europäern nie betretenen 
V'egen im Osten des grofsen Sees, durch das Land der Ururi, Kawirondo, 
Lawanga und Njoro, den Nil und Wadelai', den vermuteten Aufenthalt Junkers, 
a erstreben. In Kawanga (von Thomson irrtümlich Kwa Sundu genannt), wo 
eine Kawirondo wohnen, hoffte der Reisende Munition gegen Lebensmittel ein- 
giuschen und dadurch die Möglichkeit zu weiterem Vordringen erlangen zu 
:önnen. Aber auch diese Hoffnung wurde vereitelt, eine Hungersnot infolge 
ing anhaltender Dürre hatte das Land in die traurigste Lage versetzt, und nur 
1 der kläglichsten Weise das Leben fristend, mufste Fischer den Rückmarsch 
her den Mbaringo-See, Naiwascha-See, Kikuju, ükamba und Teita zur Küste 
Äch Wanga antreten. Körperlich scheinbar wieder geki^äftigt, kehrte Fischer in 
.en letzten Tagen des September in das elterliche Haus in Oberbilk bei Düssel- 



*) üngu, nicht ünguru heilst nach Fischer dies Land. 
♦*) Buganda, nicht Uganda, ist die richtige ^chT^ikVi^^i^^, 



— 360 — 

dorf zurück. Unverdrossen ob des Mifslingens seiner Mission und in der festen 
Überzeugung, einerseits seine Schuldigkeit gethan, anderseits abermals eine 
bedeutsame Entdeckungsreise in Ostafrika ausgeführt zu haben, setzte er sich 
sofort daran, einen vorläufigen Reisebericht nebst Karte für die Peter mannschen 
Mitteilungen zu entwerfen. Damit fertig, traf er am 4. November hier in Hamburg 
ein, um unsrer Gesellschaft in einem Vortrage über seine Erlebnisse zu berichten." 
Im weiteren Verlauf seiner Rede forderte Herr Friederichsen die Versammlung auf, 
sich nach alter guter Sitte zum Gedächtnis des Verstorbenen zu erheben. Dies geschah. 
Hierauf beschlofs die Versammlung auf motivierten Antrag des Vorstandes und 
des Beirates, in Anerkennung der Dienste, welche der am 11. November a. c. 
verstorbene Dr. G. Adolf Fischer durch seine Forschungsreisen in Ostafrika der 
geographischen "Wissenschaft im allgemeinen und insbesondere der geographischen 
Gesellschaft in Hamburg geleistet hat: „Das Andenken des Dr. med. G. Adolf 
Fischer durch Zuerkennung ihrer goldenen Kirchenpauermedaille zu ehren und 
dieselbe dem Vater des Hingeschiedenen zur Aufbewahrung in der Familie 
auszuhändigen." 

§ Die Berri-Berrikrankheit. Diese Krankheit wütet gegenwäi-tig unter den 
Truppen, welche die niederländische Regierung zur Bekämpfung der ewigen 
Aufstände der Atschinesen nach Sumatra gesandt hat, auf verheerende Weise. 
Das Wesen dieser Krankheit war bisher den Ärzten noch ziemlich unbekannt; 
sie beginnt mit einer Lähmung der Beine und verursacht die heftigsten Schmerzen. 
Zwei Ärzte, der Inspektor des Medizinalwesens aus Java und ein japanischer 
Militärarzt, haben die Krankheit studiert und der Regierung einen Bericht 
erstattet. Darin wird dargelegt, dafs die Krankheit durch Bazillen entsteht, 
welche den Milzbrandbazillen ähnlich, in verschiedenen Teilen der sezierten 
Leichen, namentlich in Blut, Lungen, Herzmuskeln, im Gehirn und in den 
Nerven vorgefunden wurden. Es ist ermittelt, dafs diese Bazillen, welche wahr- 
scheinlich durch Einatmung in den menschlichen Körper gelangen, auch aufser- 
halb des letzteren leben. Besonders sind hölzerne Gebäude in Atschin mit diesen 
Bazillen infiziert. Ein Professor aus Utrecht hat sich vor einiger Zeit behufs 
weiteren Studiums der Krankheit nach Atschin begeben. 



§ Dampferlinien zwischen Europa und dem Kongo. Von Liverpool geht 
monatlich ein Dampfer der British and African Steam Navigation Company oder 
der African Steamship Company ; die Dauer der Reise ist 45—50 Tage und der 
Preis in 1. Kajüte 700^; in 2. Kajüte 500 J^.. Von Lissabon geht am 6. jeden 
Monats ein Dampfer der portugiesischen Gesellschaft Empreza Nacional nach 
dem Kongo; Dauer der Reise 22 Tage, Preis in 1. Kajüte 700 M. Von Hamburg 
geht gegen Ende jeden Monats ein Woermannscher Dampfer; Dauer der Reise 
45 — 50 Tage, Preis 700 M.. Die Nieuwe Afrikansche Handelsvennotschap in 
Rotterdam veranstaltet mit ihren Dampfern 5 Fahrten jährlich nach dem Kongo ; 
Dauer der Reise 21—22. Tage. Für das Haus Hatton & Cookson in Liverpool, 
welches zahlreiche Faktoreien in Westafrika besitzt, fährt der Dampfer „Angola'' 
beständig zwischen der Westküste und Liverpool. Endlich wird nächstens eine 
neue Dampferlinie der Empreza Nacional zwischen Antwerpen und Banana 
eröffnet werden. 



361 — 



Geographische Litteratur. 

Allgemeines. 
§ Die Kulturgeschichte in einzelnen Hauptstücken. Von 
Julius Lipper t. 3 Abteilungen mit zahlreichen in den Text gedruckten 
Abbildungen. (35. Band des „Wissens der Gegenwart.") Leipzig und Prag, G. Freitag 
und F. Tempsky. 1885-86. In der Vorrede spricht sich der Verfasser über die 
Aufgabe, welche er lösen will, wie folgt aus: „In diesen drei Bändchen soll aus 
dem unermefslichen Gebiete der Kulturgeschichte nur dasjenige ausgewählt sein, 
was nicht blofs einen einstmaligen Zustand der menschlichen Gesellschaft be- 
leuchtet, sondern auch als ein ursächlich Fortwirkendes die Erscheinungen|der 
Folgezeit erklärt. War dies der oberste Grundsatz für die Auswahl des Stoffes, 
so wurde uns ferner die Feder geleitet durch die Rücksicht auf den Umfang 
dieser Büchlein, auf die Selbständigkeit jedes einzelnen Teiles und des Programms 
des „Wissens der Gegenwart" überhaupt." Die erste Abteilung ist überschrieben : 
Des Menschen Nahrungssorge, Kleidung und Wohnung ; sie handelt also von der 
materiellen Kultur. Beginnend mit einer Betrachtung über die Verbreitung der 
Menschen über die Erde, schreitet sie zu einer geschichtlichen Darstellung der 
menschlichen Ernährung, der zur Gewinnung der Nährstoffe verwandten Geräte 
und Werkzeuge, sie bespricht, immer vergleichend, die Nomadenwirtschaft, Klei- 
dung und Putz, endlich die Wohnung und die in Befriedigung dieser Bedürfnisse 
entwickelten Gewerbe. Die zweite Abteilung behandelt die gesellschaftlichen Ein- 
richtungen: Ehe, Familie, Entwickelung des Eigentums, Verfassungs- und Re- 
gierungsformen, Gerichtswesen. Die dritte Abteilung handelt von der Bildung 
der Sprachen und Schrift, von der Geschichte der Religion und Mythologie. 
Das ganze Werk ist auf etwa 700 Seiten des kleinen Formats, in welchem die oben 
bezeichnete Sammlung erscheint, zusammengedrängt, und wenn man auch mit 
dem Verfasser über Einzelheiten in der Behandlung rechten mag, so mufs man 
doch sagen, dafs die neueren ethnologischen Forschungen verständig benutzt 
und in klarer Weise zum Ausdruck gebracht werden. Bei dem billigen Preis 
wird das Buch sicher einen grofsen Leserkreis gefunden haben. 

Die Erdrinde und ihre Formen. Ein geographisches Nachschlage- 
buch in lexikalischer Anordnung von Josef Zaffauk Edler von Orion. 
Wien, Hartlebens Verlag, 1885. Vorliegendes Nachschlagebuch (139 Seiten um- 
fassend) gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil enthält die Nomenklatur und 
Terminologie der die Erdrinde büdenden wichtigsten Gesteine und der ihrer 
Oberfläche angehörenden Gebilde und Erscheinungen. Im zweiten Teile sind die 
am meisten vorkommenden geographischen Ausdrücke, sowie solche, welche mit 
geographischen Bezeichnungen in Verbindung stehen, alphabetisch geordnet, in 
37 Sprachen aufgeführt. Der dritte Teil bietet ein Kompendium des zweiten 
Teiles, in welchem jedem deutschen Ausdrucke die Übersetzung in fremde 
Sprachen folgt. W. 

Europa. 
Länderkunde der fünf Erdteile, herausgegeben unter fachmän- 
nischer Mitwirkung von Alfred Kirchhoff. Mit vielen Abbildungen in 
Schwarzdruck, sowie Karten und Tafeln in Farbendruck. Verlag von G. Freitag 
in Leipzig, 1886. Diese Länderkunde der fünf Erdteile, welche unter der vor- 
züglichen Leitung des Haller Geographen Professor Alfred Kirchhoff seit Anfang 

Geogr. Blätter. Bremen, 1886. ^ 



— 362 — 

d. J. in Lieferungen erscheint, beabsichtigt nicht nur für den Geographen von 
Fach, sondern wie wir hier besonders betonen wollen, auch für den weiten 
Kreis der Gebildeten die Erde nach der Manigfaltigkeit ihrer Ländergestalten 
umrifsweise, aber dabei streng wissenschaftlich zu schildern. Das Werk will 
dem deutschen Volke Heimat und Fremde vorführen in abgerundeten Bildern 
des Wesens jeglichen Landes, d. h. der Grundzüge sowohl seiner Natur als auch 
der doppelten Beziehung der Bewohner zu ihr, der passiven wie der aktiven. 
Die vielen Lehr- und Handbücher der Geographie sollen durch diese Länder- 
kunde also keineswegs um ein neues vermehrt, ebensowenig aber soll die Zahl 
derjenigen Werke vergröfsert werden, welche sich in einfachen Schilderungen 
von Land und Leuten gefallen. Das vorliegende Werk soll, um es kurz zu 
charakterisieren, ein Gegenstück zu der in ihrer Art so vorzüglichen „Geogra- 
phie universelle" von Elis^e Reclus bilden; nur will diese deutsche 
Länderkunde ihren Gegenstand bei weitem nicht so umfangreich wie das 
französische Werk behandeln, aber mit gleichem Streben nach wissenschaft- 
licher Gründlichkeit und Unparteilichkeit, in gemeinverständlicher Sprache, 
unterstützt durch reichliche Beigabe von Karten, Landschafts- und Volkstypen. 
Soweit irgend möglich, soll jedes Land von einem kundigen Beobachter darge- 
stellt werden, der es aus eigener Anschauung kennen gelernt hat. Was dem 
Werke dabei unvermeidlich an äufserer Einheitlichkeit mangeln dürfte, wird ihm 
dann hoffentlich durch die Verläfslichkeit und Lebendigkeit seiner nicht auf 
blofsem Bücherstudium beruhenden Schilderung zu gute kommen. Zunächst 
erscheint die Länderkunde von Europa in zwei Bänden in Grofs-Oktav 
in etwa 130 Lieferungen ä 90 Pfg., bearbeitet von den Professoren 
Kirchhoff, Penck, Egli, Heim, Supan, Rein u. a. Vor uns liegen heute nun 
die ersten 15 prächtig mit Holzschnitten, Chromolithographien, Übersichts- und 
Detailkarten geschmückten Lieferungen (S. 1 — 432). Die drei ersten Lieferungen, 
S. 1 — 87, enthalten eine Einleitung über Europa im allgemeinen von Professor 
Kirchhoff. Der Verfasser behandelt hier in einer sehr ansprechenden Weise : 
Erdteilnatur, Gröfse, Gliederung; Bodenbau und Gewässer; Klima, Pflanzen- und 
Tierverbreitung und endlich die Bewohner. Diese Abschnitte sind nach des 
Referenten Ansicht eine Musterleistung populär -wissenschaftlicher Darstellung. 
Dieser Einleitung folgt eine „physikalische Skizze über Mittel-Europa" von dem 
Wiener Professor Albrecht Penck und dann eine Darstellung des deutschen 
Reiches von demselben, welche den Hauptnachdruck auf die geologische Ge- 
staltung, die Entstehungsgeschichte, Klima u. a. der geschilderten Gebiete legt. 
In den anthropogeographischen Abschnitten verdient die Beschreibung der 
Städte hervorgehoben zu werden. Natürlich hat ein solches Werk, wie das vor- 
liegende, auch die Unterstützung von seiten des gebildeten Teils der Nation nötig. 
Es ist deshalb gewifs zu hoffen, dafs diese Kirchhoffsche Länderkunde in einer 
Stadt wie Bremen, deren Verkehrs- und Handelsverbindungen bis zum äufsersten 
Osten reichen, nicht nur in einem Exemplar in unsrer Stadtbibliothek und der 
Bibliotkek der geographischen Gesellschaft vertreten ist, sondern dafs das Werk 
gar manchen Bücherschrank unsrer Bremer Handelsherren zieren werde. 

W. W. 

E. Gaeblers Taschenatlas des deutschen Reiches und der 
deutschen Kolonialbesitzungen in 19 Haupt- und 30 Nebenkarten mit beglei- 
tendem Text. Leipzig. Karl Fr. Pfau 1886. Dieser bequeme und handliche 
Taschenatlas ist für „Reise und Hausgebrauch" bestimmt und wird gewifs* 



— 363 — 

ähnlicli wie sein Vorbild, Justus Perthes Tasclieiiatlas, in weiten Kreisen will- 
kommen sein und viele Abnehmer finden. Der „Taschenatlas des deutschen 
Reiches" ist seiner ganzen Anlage nach vorzugsweise für Reisezwecke geeignet. 
Die Bahnen sind in kräftigen roten Linien eingedruckt. Aufser den wichtigeren 
Städten in möglichster Vollständigkeit haben sämtliche Knotenpunkte Aufnahme 
gefunden, ebenso alle Badeorte von Bedeutung, und von den Eisenbahnstationen 
so viele der gröfseren, dafs dieselben zur Übersicht ausreichend sind. An den 
Hafenplätzen finden sich die Fahrzeiten der wichtigsten deutschen und aus- 
ländischen Schiffslinien verzeichnet. Auf den Spezialkartons der beigegebenen 
Hauptstädte wurden die verschiedenen Bahnhöfe durch eine auffällige Signatur 
hervortretend bezeichnet, womit dem Reisenden in vielen Fällen gewifs ein 
Dienst erwiesen ist. Die im Anhange gegebenen drei Kartenblätter unsrer 
Kolonien in Afrika und Australien und der überseeischen Beziehungen des 
deutschen Reiches mit Angabe der im Auslande zerstreuten deutschen Kon- 
sulate bilden eine angenehme Ergänzung. Der vorangestellte Text (32 S.) ent- 
hält sehr zahlreiche wissenswerte geographische, volkswirtschaftliche, historische 
und statistische Daten, welche auf die Staaten, Provinzen, Städte u. a. bezug 
haben. Gaeblers Taschenatlas sei unsren Lesern bestens empfohlen. W. 

Die Schweiz. Von Professor E g 1 i. Mit 48 landschaftlichen Abbildungen. 
Eine populäre historisch-geographische Darstellung vom Land und Volk der 
Schweiz, die sich durch knappen klaren Styl, wie durch den gebotenen reichen 
Inhalt an Thatsachen auszeichnet. 

Die ethnologischen Verhältnisse des österreichischen 
Küstenlandes, nach dem richtiggestellten Ergebnisse der Volkszählung vom 
31. Dezember 1880. Mit einer ethnographischen Karte in 2 Blättern. Von Karl 
Freiherrn von Czoernig. Triest, F. H. Schimpff, 1885. Dem in der Karte, 
welche dieser sorgföltigen bevölkerungswissenschaftlichen Untersuchung bei- 
gegeben ist, niedergelegten Ergebnis entnehmen wir, dafs von der Bevölkerung 
von Triest, Vororten und Territorium 144,844 Personen, nicht weniger wie 
88,887 sind, deren Umgangssprache italienisch ist; der slovenisch redenden sind 
26 263, der deutschredenden 5141. In der Bevölkerung der Grafschaft Görz 
und Gradiska ist das Verhältnis folgendes: 211,084 Personen; von diesen reden 
2659 deutsch, 7345 italienisch und 129 857 slovenisch. Endlich, in der Mark- 
grafschaft Istrien, 292006 Personen, ist die Umgangssprache bei 4779 deutsch, 
bei 112 701 italienisch, 40960 slovenisch, 123 245 serbokroatisch; 2121 rumänisch, 
348 sprechen andre Sprachen. 

Physikalische Geographie von Griechenland mit besonderer 
Rücksicht auf das Altertum bearbeitet von Prof. Dr. C. Neumann und Prof. 
Dr. J. Partsch, Breslau. Verlag von W. Koebner. 1885. (475 S.) Das vor- 
liegende Werk bildet einen im hohen Maafse schätzenswerten Beitrag zur euro- 
päischen Länderkunde, indem es uns zugleich ein Muster physikalisch -geo- 
graphischer Landeskunde im Ritterschen Sinne vorführt, wissenschaftliche Gründ- 
lichkeit sind hier mit einer meisterhaften Darstellung in glücklicher Weise ver- 
bunden. Das Buch behandelt in fünf eingehenden Kapiteln 1) das Klima 
Griechenlands (S. 13—126), 2) das Verhältnis von Land und Meer (S. 127—151), 
3) das Relief des Landes (S. 152—205), 4) die geologischen Verhältnisse (S. 206 
bis 355) und 5) die Vegetation Griechenlands (S. 256—456). Wenn auch zu 
einer vollständigen griechischen Landeskunde dieser allgemeinen physikalischen 
Geographie noch die Ergänzung durch die spezielle Chorographie und Topo- 



— 364 — 

graphie abgeht, so nimmt dieses Werk doch einen hervorragenden Platz in der 
geographischen Litteratur ein. W. 

Die Nationalitätsverhältnisse Böhmens von Dr. Ludwig 
Schlesinger. Stuttgart, Verlag von J. Engelhorn. 1886. Die vorliegende 
kleine Schrift (27 Seiten) bildet das erste Heft des IL Bandes der „Forschungen 
zur Deutschen Landes- und Volkskunde", welche im Auftrage der Zentral- 
kommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland von Professor 
Richard Lehmann in Münster herausgegeben werden und rüstig fortschreiten. 
Im ersten Abschnitt wird die Statistik der Nationalitäten Böhmens im allgemeinen 
behandelt. Wir heben aus diesem hervor, dafs nach der Zählung von 1880 in 
Böhmen von einer einheimischen Bevölkerung von 5527 263 Seelen 

2 051 486, d. s. 37,ii Vo Deutsche 

3 472 940, d. s. 62,88 ^lo Tschechen 

2 837, d. s. 0,05 ^lo andre 
gezählt wurden. Von den 13 184 Ortschaften, welche das Land zählt, ergeben sich 

als rein deutsch 4 304 

„ „ tschechisch 8 473 

„ gemischt 407. 

Von den tschechisch-gemischten Städten mit über ein Zehntel 
deutscher Einwohner nennen wir folgende: Prag, Pilsen, Königgrätz, Josefstadt; 
von den deutsch-gemischten Städten mit über ein Zehntel tschechischer 
Bevölkerung : Budweis, Braunau, Brüx, Rudolfstadt, Dux, Hohenelbe, Leitmeritz, 
Theresienstadt, Bodenbach, Trautenau. Die beiden Volksstämme Böhmens leben 
jeder für sich in kompakten Massen beisammen, und es ist ein ethnographischer 
Irrtum, wenn man glaubt, dafs es im Lande ein grofses Territorium gäbe, inner- 
halb dessen die Deutschen und Tschechen untereinander gemischt gelagert wären. 
Im Gegenteil, die Sprachgrenze läfst sich durch das ganze Land mit scharfer 
Genauigkeit ziehen, und es kann zwar neben den beiden grofsen, rein nationalen 
Gebieten noch von einzelnen Sprachzungen, Sprachinseln und gemischten Ort- 
schaften, jedoch nicht von einer gemischten Zone die Rede sein. In den 
folgenden Abschnitten behandelt der Verfasser die Verteilung der Nationalitäten 
auf die Gerichtsbezirke, die Sprachgrenze und die Sprachzungen und Sprach- 
inseln. Wir empfehlen das Schriftchen, sowie das ganze Unternehmen der 
„Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde" unsem Lesern bestens. 

W. 

Neues vollständiges Ortslexikon der Schweiz. Von Henry 
Weber. Zweite Auflage von Dr. Otto Henne am Rhyn. St. Gallen, 1886. 
Verlag von M. Kreutzmann. Das vorstehende Werk, von dem zunächst nur zwei 
Lieferungen vorliegen, ist in erster Linie bestimmt, ein schneller, kurzer aber 
zuverlässiger Ratgeber für den Handels-, Gewerbe- und Beamtenstand zu sein, 
es wird aber auch durch seine allgemein interessierenden historischen und 
statistischen Notizen ein willkommenes Nachschlagebuch für jedermann werden, 
der über Lage, Gröfse, Einwohnerzahl, Industrie, geschichtliche Denkwürdigkeiten 
u. a. irgend eines Ortes der Schweiz Auskunft haben möchte. ^Das Buch soll 
etwa 40 Bogen umfassen. 

Afrika. 

Ein zweites Reisejahr in Südafrika. Von Dr. Wangemann, 
Missionsdirektor. Mit einer Karte von Südafrika. Berlin 1886. Verlag des 
Missionshauses. Der Verfasser dieses Buches, das in der That ein reiches und 



— 365 — 

vollgültiges Zeugnis ablegt von dem unermüdlichen Wirken der deutschen 
Mission in Südafrika, erzählt seine Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse auf 
dieser neuen Reise in Südafrika, die er im Dienste der Mission, obwohl schon 
bejahrt, unternahm und mancher Beschwerden und Gefahren ungeachtet, glücklich 
ausführte. Die grofse Reise umfafste in mancherlei Kreuz- und Querfahrten die 
Kapkolonie Natal, den Oranjefreistaat und die Burenrepublik bis in die Nähe 
des Limpopoflusses und von Umzilas Land und wenn auch, wie natürlich, der 
Hauptzweck, die Mission, überall hervortritt, so schaut, schildert und urteilt der 
Verfasser doch mit offenem Sinn und Herzen über Land und Leute. Die Erfolge 
der Mission kennzeichnen folgende in dem Rückblick am Schlufs enthaltenen 
Sätze: „Nach dreifsigjähriger Arbeit unter den Heiden zählte unsere Missions- 
gesellschaft am Schlufs des Jahres 1864 : 14 Stationen, 26 ordinierte Missionare 
und 9 Kolonistenbrüder; die Zahl der Getauften betrug 1323 Seelen. Am Schlufs 
des Jahres 1884 (20 Jahre später) fand ich in Afrika vor: 45 Hauptstationen, 
57 Nebenstationen, 100 Predigtplätze, 56 Missionare, 5 Kolonistenbrüder, 49 
besoldete und 231 unbesoldete Mithelfer aus den Farbigen. Die Zahl der im 
letzten Jahre Getauften betrug 1686, also Vö mehr als die Frucht der ersten 
30 Jahre in Summa und 3336 Schulkinder besuchten unsere Schulen, während 
die Gesamtzahl der Getauften auf mehr als 15000 gestiegen war." 

Amerika. 

Der rationelle Estanziabetrieb im untern La Plata-Gebiete 
von C. F. E. Schnitze. 1885. Es ist genugthuend, dafs unser Volk in dem 
gegenwärtigen Kolonisationstaumel, welcher die abenteuerlichsten Unternehmungen 
auf fast gar keiner Grundlage freudig begrüfst und annimmt, dennoch Zeit 
findet, sich mit Plänen zu beschäftigen, welche allerdings nicht die Gründung 
von Weltreichen auf Aktien ins Auge fassen, sondern einfach die schnelle und 
sichere Nutzbarmachung deutschen Geldes und deutscher Arbeitskraft auf fremder 
Erde zum Zweck haben ; wenigstens geht der Verfasser von dieser Voraussetzung 
aus, und unterzieht sich der Mühe, seine klaren, gut begründeten Rechnungen 
jenen rosigen Zukunftsbildern gegenüber zu stellen. Möge es ihm also auch 
gelingen, die Aufmerksamkeit klar denkender Geschäftsmänner zu erringen! Vor- 
liegende Schrift nämlich ist in erster Linie nicht für den Auswanderer im 
gewöhnlichen Sinne bestimmt, sondern entwickelt, auf genaue Sachkenntnis 
gestützt, die Art und Weise, das La Plata-Gebiet von Seiten Deutschlands in 
weit höherem und vorteilhafterem Grade auszubeuten, wie dies bisher geschah. 
Verfasser bedauert zuförderst, dafs das Grofskapital, soweit dasselbe in ländlichen 
Unternehmungen (auch in Banken, Eisenbahnen, Dampferlinien u. a.) angelegt 
ist, sich fast gänzlich in englischen, beziehungsweise französisch - belgischen 
Händen befindet, während die wenigen deutschen Estanzien an den Fingern 
herzuzählen sind und unter den arbeitenden Klassen unsrer Einwanderung 
wirkliche Bauern und Ackerleute so gut wie gar nicht vorkommen. Der wirt- 
schaftliche Schwerpunkt Argentiniens beruhte früher ausschliefslich auf der 
Viehzucht, die bei der grofsen Ausdehnung der Besitzungen und den geringen 
Ansprüchen der Eigentümer höchst sorglos betrieben wnirde, so dafs die Rassen 
stets mehr zurückgingen, ohne dafs je von einer Erneuerung des Blutes die 
Rede war. Und wenn auch seit etwa 30 Jahren viel für Veredlung des Schafes 
geschah, so blieb doch, aufser dem eignen Verbrauch, die Ausbeutung des 
Rindviehes nach wie vor auf Haut, Talg und geringwertiges Salzfleisch und die 
der Pferde auf Haut und Fett beschränkt. Natürlich gab das angelegte Kapital 



— 366 — 

geringen Zins und vermehrte sich nur durch den allmählich steigenden Wert 
des Bodens, sowie der Tiere selbst, sobald letztere bei der verminderten Indianer- 
gefahr als Zuchtvieh zur Anlage neuer Etablissements im Südwesten begehrt 
wurden. Zu gleicher Zeit waren die Herden grofser Sterblichkeit ausgesetzt, 
da sie einesteils ohne jeden Schutz der Kälte und Nässe trotzen mufsten und 
andernteils völlig auf das Futter, welches der Kamp selbst gewährte, ange- 
wiesen waren, so dafs in Zeiten von Dürre Tausende, ja Millionen von Tieren 
eingingen. Erst durch Einführung der Drahtzäune, welche die umfangreichen 
Güter völlig einfriedigen, aber auch ganz bedeutende Kosten verursachen, 
änderte sich dieser Zustand, wenigstens zum Teil. Nun konnte das Vieh des 
Nachbars nicht mehr die Nahrung der eigenen Herden beeinträchtigen, kleinere 
Einzäunungen ermöglichten das Abscheiden der feineren Tiere und das Mästen 
von Schlachtvieh, sowie die Anlage von Luzernefeldern für die Zeit der Not; 
kurz eine sorgfältigere Wirtschaft und damit auch eine bessere Ausnützung des 
Kapitals kam zur Geltung. Dieselbe wird aufserdem seit einigen Jahren durch 
die Ausfuhr von frischem Fleisch nach Europa sehr begünstigt, da die rationelle 
Zucht besonders des Rindviehes erst hierdurch eine feste Grundlage erhält. 
Allerdings haben die grofsartigen hierzu gegründeten Unternehmungen bis jetzt 
noch keine nennenswerten Resultate gegeben, doch es liegt auf der Hand, dafs 
argentinisches Fleisch, schoii wegen des grofsen Unterschiedes in der Entfernung, 
auf dem Weltmarkte sehr gut mit dem australischen wetteifern kann, sobald 
nur seine Qualität sich gebessert haben wird. So beginnt man also auch die 
Rinder zu verfeinern und die Schafe nicht mehr blos auf Wolle, sondern zu- 
gleich auf Fleisch zu züchten, und da auch die hiesigen Pferde, welche bis 
jetzt nur zu Luxuszwecken veredelt wurden, vorteilhaften Absatz versprechen, 
wenn sie das französische oder italienische Militärmafs besitzen, so geiit die 
frühere lässige Wirtschaft der Criollos auf ganz natürlichem Wege in eine 
rationelle, intensive Ausbeutung des ländlichen Materials über, bei welcher 
Gewinn und Verlust eben so sicher zu berechnen sind, als bei jeder andern 
gut begründeten Unternehmung. Parallel mit diesen Fortschritten der Viehzucht 
läuft seit etwa 30 Jahren das Bestreben, den noch immerhin billigen Grund und 
Boden durch Bestockung mit Menschen, also durch Kolonien besser zu ver- 
werten, zumal in jenen entfernteren Gegenden, welche noch nicht die für feine 
Schafe nötigen zarten Gräser hervorbringen. Und wirklich war im Anfang der 
Ackerbau für Landspekulanten und Kolonisten gleich gewinnbringend: wurden 
doch noch im Jahre 1874 Weizen und Mehl im Werte von 3 Millionen Mark 
eingeführt, so dafs der Produzent von Brodfrüchten im Lande selbst auf sichern 
Absatz zu hohen Preisen rechnen, mithin auch die hohen Löhne zahlen konnte. 
Doch seitdem ist schon Überproduktion eingetreten; der Weizen wird nach 
Europa ausgeführt, erzielt also nur noch die niedrigen Preise, welche ihm den 
Wettbewerb auf den dortigen Märkten ermöglichen, und sein Anbau ist deshalb 
bei weitem nicht mehr so lohnend. Aufserdem erschöpft sich natürlich der 
Boden schnell genug durch die unausgesetzte Bestellung mit derselben Frucht, 
ohne jeden Dünger, so dafs der kleine Grundbesitzer entschieden zurückkommt, 
welcher nicht zu gleicher Zeit aus einem weniger zahlreichen als gut gehaltenen 
Vichstande den bestmöglichen Nutzen zu ziehen weifs. Also auch in diesem 
Industriezweige beginnt das naive Raubsystem einer vernünftigeren Wirtschaft 
zu weichen. Auf diese höchst sachgemäfse Schilderung der augenblicklichen 
Verhältnisse stützen sich nun zwei Entwürfe für die intensivere Ausbeutung der 



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beiden grofsen Produktionsquellen des Landes, welche auch für die Zukunft 
stets den Vorrang behaupten dürften. Erstens die rationelle Bewirtschaftung 
einer Rindviehestanzia, verbunden mit einigen bäuerlichen Ansiedlungen und 
zweitens der Betrieb eines auf Schafzucht gegründeten Etablissements. Beide 
Projekte sind mit voller Kenntnis des Gegenstandes bis in die Details ausge- 
arbeitet, und weisen einen mäfsigen aber sicheren Ertrag von 9 beziehungsweise 
11 ^/o nach, also einen für die vaterländischen Verhälinisse nicht unerheblichen 
Zinsfufs. Doch ihre Besprechung gehört nicht in den Kreis dieser Blätter, und 
will ich deshalb nur aaf das Mifsliche einer zu engen Verbindung der bäuer- 
lichen Grundbesitzer mit dem Eigentümer der Estanzia selbst, wie solche auf 
Seite 72 vorgeschlagen wird, hinweisen, da dieselbe nur zu leicht in das Ver- 
hältnis völliger Hörigkeit ausarten dürfte. Natürlich sind zu diesen Unter- 
nehmungen nicht unbedeijtende Mittel erforderlich, besonders wenn dieselben 
gleich von vornherein dem vollständigen Entwürfe entsprechen sollen, und ist 
somit das Studium der Schrift in erster Linie für Kapitalisten von Interesse; 
doch giebt dieselbe zugleich so viele und so authentische Daten und Fingerzeige 
über die gesamten ländlichen Verhältnisse des unteren La Plata-Gebietes, dafs 
ihre Verbreitung auch in den Kreisen der wirklichen Auswanderer nur zu 
wünschen ist. Gerade der „bleischwere Materialismus^ der Schilderung, welcher 
dem Verfasser vorgeworfen worden ist, bildet ein Hauptverdienst des Buches: 
es ist ein treuer Spiegel der hiesigen, wirtschaftlichen Lage, in welche sich 
ein jeder, trotz aller romantischen Ideen, schliefslich fügen mufs. 

Buenos-Aires, September 1886. 

A. Seelstrang. 

Schulgeographie. 

Schulgeographie von Alfred Kirchhoff. Sechste verbesserte Auf- 
lage. Halle a. S., Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses, 1886. Von diesem 
vortrefflichen Leitfaden liegt bereits die sechste Auflage vor. Die erste Lehr- 
stufe hat einige Erweiterungen erfahren, die Zählung der geographischen Länge 
geschieht jetzt nur nach dem Greenwich-Meridian, das nach der Anregung von 
F. V. Richthofen entbehrliche Wort „Plateau" ist fast ganz ausgemerzt, beim deutschen 
Reiche sind die neuen Volkszählungsergebnisse eingesetzt, und auch sonst sind 
mehrere Einzelberichtigungen vorgenommen — kurz, das Buch gewinnt mit jeder 
neuen Auflage. — Die englische Aussprachebezeichnung bei St. Helena, Mauritius, 
Canada, Labrador, Florida, Calcutta, Jamaika ist entbehrlich, jedermann wird 
dieselben doch deutsch aussprechen. W. 

Die Methode des geographischen Unterrichtes. Von Direktor Carl 
B o e 1 1 c h e r (Königsberg). Berlin, Weidmannsche Buchhandlung, 1885. 146 S. 
Preis M>. 2.40. Diese Schrift bildet einen Abdruck aus den Verhandlungen 
der elften Direktorenversammlung höherer Schulen der vereinigten Provinzen 
Ost- und Westpreussen ; sie ist ein erfreulicher Beweis dafür, dafs der Geographie 
als Unterrichtsfach in unsern höheren Scjiulen eine immer gröfsere Pflege sich 
zuwendet. Der Verfasser, der sein Interesse und Verständnis für den geogra- 
phischen Unterricht bereits durch eine frühere Programmarbeit bewiesen hatte, 
behandelt hier nach einer Reihe von Vorbemerkungen Ziel und Umfang des 
geographischen Unterrichts, Lehrgang und Gliederung, das Lehrverfahren, be- 
sonders die Einprägung der Karte, die Lehr- und Anschauungsmittel und schliefst 
mit einer Anzahl Wünsche. In recht übersichtlicher Weise sind die Ergebnisse 



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des Ganzen in 51 Thesen am Schlafs zusammengestellt. Die Schrift gewinnt 
dadurch noch einen besonderen Wert, dafs dem Verfasser bei seinen Aus- 
führungen Spezialgutachten von 16 höheren Lehranstalten zur Seite standen. 
Der Verfasser ist im Gegensatz zur sogenannten zeichnenden Methode, deren 
Hauptvertreter Professor Kirchhoff und H. Matzat sind, ein eifriger und scharfer 
Verfechter für die sogenannte „beschreibende Methode". Es isthier nicht der Ort, 
auf diesen strittigen Punkt einzugehen, unser Zweck ist nur, alle, welche sich für die 
Gestaltung des geographischen Unterrichtes interessieren, auf die lehrreiche Schrift 
hinzuweisen, die neben Matzats Methodik des geographischen Unterrichts 
(Berlin 1885) den wertvollsten Beitrag zur Schulgeographie in jüngster Zeit 

bildet. W. 

Schul-Atlas über alle Teile der Erde. Zum geographischen Unter- 
richt in höheren Lehranstalten. Herausgegeben und bearbeitet von C. Diercke 
und E. Gaebler, 54 Haupt- und 138 Nebenkarten. Sechste verbesserte Auf- 
lage. Braunschweig. Druck und Verlag von George Westermann. Preis 5 Jk 
Eine eingehende Besprechung dieses Atlanten, der zuerst im November 1883 
erschien und nun bereits in einer sechsten verbesserten Auflage vorliegt, gab 
Referent im VU. Bd., S. 218 ff. d. Zeitschrift. Wie bei dem reichen Lihalte, den 
schön und sauber ausgeführten Karten und weiter dem sehr mälsigen Preise nicht 
anders zu erwarten war, hat der Atlas eine sehr günstige Aufnahme gefunden. 
ELleinere Fehler und Mängel der ersten Auflage Bind von den aufmerksamen 
Herausgebern mit Sorgfalt verbessert und insbesonders sind auch alle diejenigen 
Veränderungen auf den politischen Karten nachgetragen worden, welche zur 
Zeit der DruckhersteUung als unbedingt feststehende Resultate der deutschen 
Kolonialpolitik betrachtet werden konnten. Ganz besonders ist aber als eine 
Verbesserung hervorzuheben, dafs seit der vierten Auflage abweichend von den 
früheren Ausgaben in den rein politischen Karten die Terraindarstellung gegeben 
ist. Der Atlas verdient die wärmste Empfehlung. Dem Geographen und jedem, 
der mit Karten, namentlich mit Spezialkarten zu thun hat, wird sich das vor- 
liegende Werk vielfach als nützlich erweisen. W. 



Zur Besprechung wurden femer eingesandt: ä travers le Zanguebar, 
Voyage dans rOudo6, \ Ouzigoua. rOukw6r6, TOuka et TOusagara, par les 
P. P. Baur et Le Roy. (45 gravures et une carte.) Tours, A. Mame et fils/J 



Druck von Carl SchUuemann. Bremen. 



Bl-K.. Taf.l.