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Full text of "Deutsche Geschichtsblätter"

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I 


iblätter 


[liehen  f  OFSohung 


.   L'rof.  Brler-MiiDsler  i.  W., 
isea-Köln,  Prof.  v.  HeiBel-München 
■emegg-Wien,  Prof.  Kolde-ErUngen, 
ruhe,  Prof.  Ltunprecht-Leipiig, 
.:ur  Prof.  H.  Mmyr-lnnsbrudc, 
Wien,  Prof.  Oaw.  Redlich-Wicn, 

n,  Geh.  Archivrat  SeUo-OldcDbni^, 

väschke-Zerbst,  Prof.  Weber-Fng, 
'.■Jnnabräclt,  Archinr  Wfitte-Schwerin, 
:  ü  denhorsi-  Gru 


,ün  Tille 


Deutsche  GescMchtsblätter 

Monatsschrift 

zur 

f  öpdepung  der  landesgesohiohtliGheD  f  OFSohung 

unter  Mitmikung  von 

Prof.  Bactamann-Pri«,  Prof.  Breyalg-Berlin,  Prof.  Brier-Mänster  i.  W., 

ftot  Pinke-Freibnrg  i.  B.,  Archivdirektor  Prof.  Huiien-Katn,  Prof.  v.  Helgel-MUnchen 

Prof.  Henner-Wllnborg,  Sektionscbef  t.  Inmma-Stero egg- Wien,  Prof.  Kolde-Erlangen, 

Prof.  KoMimut-Berlin,  Archivrat  Krieger-KarUniliB,  Prof.  Lamprocht- Leipzig, 

ArchiTrst  W.  LJpport-Dreidcn,  Archiv dirattor  Prof.  U.  Mmyr- Innsbruck, 

Archivmr  Meri-Marhurg,  Prof.  v.  Ottentb»l-Wien,  Prof.  Ohw.  Redlicb-Wicn, 

Prof.  T.  d.  Ropp-Marbntg,  Prof.  A.  Scbull«-Bonn,  Geb.  Archivcat  8 ollo-Old Coburg, 

Geb.  Architrat  StUm-Stattgut,  Archivrat  WSscUco-Zerbit,  Prof.  Weber-Prag, 

Prof.  Wenck-Marbnrg,  ArchiTdirektor  Winter-OsnabrUck,  AichiTar  Witte-Schverin, 

Piof.  T.  Zwtedineck-SQdenhont-Gru 

herausgegeben  von 

Dr.  Armin  Tille 


Ootha  igo6 
Friedrich  Andreas  Perthes 

Akti«(«Hllichillt 


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1        * 


I  n  b.  a  1 1. 

Aufsätze : 

Seite 
Porst,  Hermann  (Zürich):  Rfgionale  oder  institutionelU  ürkundenbücher f   .      6i — 72 
Hahn,  Friedrich  (Königsberg) :  Die  Zentralkommüsion  für  wissenschaftliche 

Landeskunde  von  Deutschland i — 8 

Heimelt,  Hans  F.  (Lciprig):  Geschichtslügen  und  andere  Schlagwörter  .  .  311 — 318 
Hertel,  Ludwig  (Hildburghanscn) :  Der  Rennsteig  des  Thüringer   Waldes  27 — 39 

Ilwo^  Frans  (Graz):  Beiträge  zur  Namenforschung  aus  Steiermark    .     .     .214 — 219 

KOberlin,  Alfred  (f):  Aus  Nürnberger  Briefbüchern 95 — 99 

Overxnann,   Allred    (Erfiirt):    Die  Herausgabe   von  Quellen   zur  städtischen 

Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte 263  —  274 

Pefsler,  Willi  (Hannover) :  Die  Hausforschung^  vornehmlich  in  Norddeutichland  203  —  2 14 
Roth,  Friedrich   (München):    Zur   neueren   reformationsgeschichtlichen   Lite- 
ratur Süd-  und  Mitteldeutschlands 155—185 

Rubel,  Karl  (Dortmand):  Rennstiege 119 -126 

Rflbsam,  Joseph  (Regensbarg) :    Postavisi    und    Postconti  aus   den  Jahren 

IS99  ^^^  ^^24 8 — 19 

Tille,  Armin  (Leipzig) :  Nachwort  zu  dem  Aufsätze  über  Die  Herausgabe  von 

Quellen  zur  städtischen  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  von 

Alfred  Overmann 274 — 288 

Werner,  Heinrich  (Mayen):  Geschichtliche  Lehr-  und  Handbücher  .  .  .  126 — 135 
Werner,  Heinrich    (Mayen):   Die  sog.  Reformation   des  Kaisers    Sigmund 

und  verwandte  Reformschriften 231 — 254 

Wilke,  Georg  (Grimma):  Wo  lag  die  Heimat  der  Kimbern  und  Teutonen?  291 — 310 
Wingenroth,  Maz  (Karlsruhe):  Neues  aus  dem  Gebiete  der  Denkmalpflege  .  100 — 109 
Zinck,  Paul  (Leipzig):  Zur  Geschichte  unserer  Vornamen 39^53 

Mitteilungen : 

Archäologische  Karte  und  Fundstatistik  von  Thüringen  (Höfer)  .  .  .  328—332 
Archive:  WirUchaftsarchive  20—21;  Fünfter  Archivtag  54—57;  Sechster 
Archivtag  320 ;  Stadtarchiv  Ochsenfurt  (Hefner)  86—88;  Stadt- 
archiv Halberstadt  (Arndt)  88—94;  Urkunden  des  Herzog- 
lichen Haus-  und  Staatsarchivs  zu  Zerbst  1401  — 1500  iio — 113; 
Anleitung  zum  Ordnen  und  Beschreiben  von  Archiven  136 — 137  ; 
Stadtarchiv  Wernigerode  (v.  Wurmb)  185—186;  Stadtarchiv 
Frankenhausen  225  ;  Niederrheinische  Archivalien  in  der  National- 
bibliothek und  dem  Nationalarchiv  zu  Paris  321  —  322. 
Archive  und  Kunstgeschichte 322—323 


Seite 
Denkmalpflege:  Sechster  Tag    für  D.  100—104;   Siebenter  Tag  für  D.  320. 

Eingegangene  Bttcher  26,  60,  116 — 118,  154,  201  —  202,  230,  259—262, 

288—290,  337—338. 
Familienforachung :  21  —  26;  Archivbenutzong  zum  Zwecke  der  T.  56  —  57. 

Frankfurter  Qeschichtsforschung 115 — 116 

Qesamtverein  der  deutschen  Oeschichts-  und  Altertumsvereine:  Ver- 
sammlung 1905  in  Bamberg  72—86;  Versammlang  1906  in 
Wien,  Programm,  318 — 319. 

Oetchichtliche  Kartenwerke  (Th.  v.  K  a  r  g -  Bebenbarg) 332  —  337 

HeimatsgeschichtUche  Kalender  (Tille) i37~i54 

Historische  Kommissionen:  H.  K.  fUr  Sachs'en-Anhalt  58  und  324 — 325 ;  H.  K. 
für  Nassau  59;  Thüringische  H.  K.  59—60;  Württerabergische  K. 
fiir  Landesgeschichte  186 — 187;  K.  zor  Heraasgabe  lothringischer 
Geschichtsquellen  225 — 226;  K.  fUr  neuere  Geschichte  Öster- 
reichs 226—227;  Badische  H^  K.  227 — 228;  Gesellschaft  fiir 
rheinische  Geschichtskunde  228 ;  Gesellschaft  für  fränkische 
Geschichte  229 — 230;  Kgl.  Sächsische  K.  für  Geschichte  323; 
H.  K.  für  Hessen  und  Waldeck  323  —  324. 
Konferens  von  Vertretern  landesgeschichtUcher  Publikationsinstitute  136  u.  255— 259 
Nekrologe:  für  Hermann  Markgraf  (Schwarzer)  192 — 197;  für  Moriz  Heyne 
(Borchling)  197 — 199. 

Personalien 192—199 

Preisausschreiben 199—201,  325 

Rennsteigfrage,  Zur  (Hertel) 187—192 

Versammlungen:  Fünfler  Archivtag  54 — 57;  Tagung  des  Gesamtvereins  1905 
in  Bamberg  72 — 86;  Neunte  Versammlung  deutscher  Historiker 
in  Stuttgart  iio,  219 — 225;  Konferenz  von  Vertretern  landes- 
geschichtlicher  Publikationsinstitute  in  Stuttgart  136,  255 — 259; 
Tagung  des  Gesamtvereins  1906  in  Wien,  Programm,  318 — 319; 
Sechster  Archivtag,  Programm,  320;  Siebenter  Tag  iiir  Denk- 
malpflege, Programm,  320 — 32 1;  Versammlung  für  Volkskunde 
und  Volkskunst  in  Dresden,  Programm,  321. 
Wandbilder  aus  vorgeschichtlichen  Kulturperioden  (Jentsch)       ....  113— 115 

Wiedertäuferliteratur,  Zur   (Tumbült) 325  —  328 

Zentralstelle  fiSr  deutsche  Personen-  und  Familiengeschichte    ....       21 — 26 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


sur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

VII.  Band  Oktober  1905  i.  Heft 

Die  Zentralkomtnission  für  wissensehaft^ 
liehe  Iiandeskunde  von  Üeutsehland 

Von 
Friedrich  Hahn  (Königsberg'),  z.  Z.  Vorsitzendem  der  Kommission 

Gern  erinnere  ich  mich  an  die  erste,  bescheidene,  der  rauschen- 
den Festlichkeiten  späterer  Tagungen  fast  noch  ganz  entbehrende  Zu- 
sammenkunft der  deutschen  Geographen,  die  in  der  kalten  Pfingst- 
woche  des  Jahres  1881  m  Berlin  stattfand.  Viele  Keime  zu  trefflichen 
Taten  wurden  damals  gelegt  und  persönliche  Beziehungen  angeknüpft,  die 
vielfach  bis  heute  noch  fortwirken.  Nicht  alles  aber,  was  vorgeschlagen 
und  angeregt  war,  konnte  in  knappen  zwei  Tagen  erledigt  werden.  Dazu 
gehörte  ein  zuerst  wenig  beachteter  Antrag  des  Oberlehrers  Dr.  Richard 
Lehmann  aus  Halle,  „eine  Kommission  einzusetzen,  welche  sich  die 
Förderung  der  wissenschaftlichen  Kunde  von  Deutschland  zur  Aufjgabe 
zu  stellen  hätte".  Und  doch  war  dies  der  erste  Ausgangspunkt  der 
später  so  mächtig  entwickelten  deutschen  landeskundlichen  Forschung. 
In  Halle,  wo  man  sich  um  die  Osterzeit  1882  wieder  traf,  kam  man 
auf  diese  Anregung  zurück  und  nicht  ohne  eine  gewisse  Begeisterung 
folgte  man  den  von  Lehmann  nun  in  längerem  Vortrag  gemachten 
Vorschlägen.  Der  Redner  wies  darauf  hin,  wie  nach  den  Freiheits- 
kriegen ein  grofser  Aufschwung  der  deutschen  Geschichtsforschung 
eingetreten  sei ,  wie  sich  aber  die  Erdkunde  nicht  in  gleichem  Mafse 
der  Erforschung  der  Heimat  zugewendet  habe.  Jetzt,  nach  der  Wieder- 
aufrichtung des  Deutschen  Reiches  sei  es  die  höchste  Zeit,  diese 
nationale  Schuld  zu  sühnen.  Lehmann  iiigte  ausführliche  Bemer- 
kungen darüber  hinzu,  wie  nach  seiner  Ansicht  die  Sache  durch- 
zuführen und  welche  Angaben  zunächst  zu  erfüllen  seien.  Ich  meiner- 
seits glaubte  unter  voller  Billigung  der  Lehmannschen  Vorschläge 
darauf  hinweisen  zu  sollen,  dafs  zuerst  ermittelt  werden  müsse,  was 
denn   auf   dem   Gebiete    deutscher  Landeskunde  schon  geleistet  sei. 

Ich  mufs  offen  gestehen,  dafs  ich,  ebenso  wie  wohl   die   meisten  der 

1 


—     2     — 

damals  anwesenden  Kollegen  glaubte,  diese  Au%abe  werde  sich  in 
einigen  Bänden  und  in  relativ  kurzer  Zeit  lösen  lassen.  Aber  wie 
anders  sollte  es  kommen!  Die  Menge  der  bereits  vorhandenen  Ar- 
beiten, von  denen  freilich  der  gröfete  Teil  in  sehr  wenig  verbreiteten 
Zeit-  und  Vereinsschriften,  Schulprogrammen  und  dgl.  fast  vergraben 
und  daher  den  meisten  Fachgenossen  gar  nicht  bekannt  geworden 
war,  erwies  sich  als  riesengrofs;  noch  heute  ist  die  Sammlung  und 
Würdigung  derselben  nicht  allenthalben  durchgeführt,  trotzdem  die 
erschienenen  Bände  und  Hefte  der  Landeskundlichen  Bibliographien 
ein  mäfsiges  Bücherregal  iiillen  könnten. 

Mit  dem  Schlufs  der  Hallischen  Tagung  war  die  landeskundliche 
Sache  auf  eine  sichere  Bahn  geleitet.  Es  sollte  nun  vor  allem  die 
Sammlung  der  vorhandenen  Literatur  beginnen,  ein  Aufruf  sollte  die 
verschiedenartigsten  Vereine  zur  Mitarbeit  auffordern,  allenthalben  be- 
gann eine  agitatorische  Tätigkeit,  in  welche  neben  vielen  anderen 
namentlich  Alfred  Kirchhoff,  der  noch  heute  einer  unserer  Vor- 
kämpfer ist  und  hoffentiich  noch  lange  bleiben  wird,  kräftig  und  erfolg- 
reich eintrat. 

Aber  was  verstehen  wir  Geographen  unter  Land  und  Landeskunde  ? 
Ein  Land  ist  für  den  modernen  Geographen  nicht  etwa  immer,  ja  nicht 
einmal  häufig  von  politischen  Grenzen  umschlossen.  Wenn  unsere 
Tageszeitungen  Bayern,  Braunschweig,  Bulgarien,  Siam,  Haiti  vielfach 
als  „Länder"  bezeichnen,  sollten  sie  eigentlich  viel  richtiger  das  Wort 
„Staaten''  anwenden.  Ein  Staat  kann  mit  einem  Lande  zusammen- 
fallen, er  kann  einen  Teil  eines  solchen  ausmachen,  er  kann  aber 
auch  zahlreiche  „Länder"  im  geographischen  Sinne  umschliefsen.  Da 
die  Grenzen  der  Staaten  im  Verlauf  der  Jahrhunderte  häufig  gewechselt 
haben,  sind  auch  ihre  Beziehungen  zu  den  Ländern  wechselnde  gewesen» 

Als  „Land"  im  geographischen  Sinne  wollen  wir  einen  solchen 
gröfseren  oder  kleineren  Erdraum  bezeichnen,  der  sich  durch  möglichst 
zahlreiche,  augenfällige  Merkmale  von  anderen  Erdräumen  unterscheidet. 
Diese  Merkmale  werden  vorzugsweise  physische  sein,  also  in  der  Boden- 
gestaltung, in  der  besonderen  Form  der  Gewässer,  im  Klima  liegen, 
sie  können  aber  auch  in  der  Art  der  Besiedelung  und  Bebauung  durch 
den  Menschen  enthalten  sein.  Diese  letzteren  Merkmale  beruhen  dann 
freilich  zuletzt  doch  meist  wieder  auf  den  physischen.  Eine  aus- 
geprägte Bergbaugegend  z.  B.  wird  durch  die  Bergwerke,  die  eigen- 
artigen mit  dem  Bergbau  zusammenhängenden  Siedelungsformen  und 
Verkehrswege,  auch  schon  durch  die  überhaupt  dichtere  Besiedelung 
sehr   wohl    ein   besonderes   „Land"   in   unserem   Sinne    sein    können. 


—     3     — 

Aber  alle  jene  Eigentümlichkeiten  lassen  sich  ja  eben  auf  das  Vor- 
kommen z.  B.  der  Steinkohle  zurückfuhren.  Gesetzt,  die  Steinkohle 
würde  gar  nicht  dort  abgebaut,  es  wären  keine  Kohlenbahnen  und 
Bergwerksorte  entstanden,  so  würde  ihr  blofses  unbenutztes  Vorhanden- 
sein im  Boden,  das  sich  in  den  Umrissen  der  Oberfläche  vielleicht 
gar  nicht  verrät,  nicht  ausreichen,  um  ein  besonderes  Land  aufzustellen, 
Ulis  nicht  etwa  noch  andere  auffalligere  Merkmale  vorhanden  wären. 
Hieraus  folgt  auch,  dafs  nicht  blofs  die  Grenzen  der  Staaten,  sondern 
auch  die  unserer  geographischen  Länder  veränderlich  sein  können. 
Dringt  z.  B.  eine  Schar  von  Ansiedlern  in  einen  grofisen  mit  dichtem 
Wald  bestandenen  Erdraum  ein ,  schlägt  den  Wald  nieder ,  schafft 
frachtbare  Felder  (Kultursteppe),  legt  Ortschaften  und  Strafsen  an,  so 
kann  sich  hier  ein  vor  dem  Eindringen  jener  Ansiedler  durchaus  nicht 
hervortretendes  ,,Land**  scharf  von  seiner  Umgebung  abheben. 

Die  Gröise  der  Länder  kann  danach  äufserst  verschieden  sein. 
In  der  unabsehbaren  sibirischen  Tundra  werden  die  Merkmale,  welche 
die  einzelnen  Teile  auszeichnen,  kaum  augenfällig  genug  sein,  um  eine 
Aufstellung  verschiedener  Länder  zu  rechtfertigen,  dagegen  wird  das 
Saarkohlengebiet,  das  Reufstal  im  Kanton  Uri,  der  Fläming  sicher  als 
ein  gcogpraphisches  Land  zu  betrachten  sein. 

Was  nun  dazu  dienen  kann,  die  Merkmale  der  einzelnen  Länder 
oder  einzelner  Teile  derselben  hervorzuheben,  zu  beschreiben  und, 
wenn  möglich,  in  ihrem  inneren  Zusammenhange  zu  erklären  und  zu 
beg^ründen,  das  ist  Landeskunde.  Selbstverständlich  wird  man  nicht 
verlangen,  dafs  immer  ein  ganzes,  wenn  auch  kleines  „Land**  allseitig 
oder  nach  einzelnen  Beziehungen  betrachtet  wird,  eine  Arbeit  z.  B. 
über  den  Petersberg  bei  Halle,  über  eine  Strecke  des  Rheinlaufes, 
über  die  klimatischen  Eigentümlichkeiten  des  Thüringer  Beckens,  über 
eine  charakteristische  Bevölkerungsgruppe,  z.  B.  die  Siebenbürger 
Sachsen,  die  ihrem  „Lande"  auch  äufserlich  ein  so  bezeichnendes 
Aussehen  geschaffen  haben,  oder  über  die  Physiognomie  einiger  be- 
merkenswerter Städte  und  ihre  Ursachen  ist  auch  ein  Beitrag  zur  Landes- 
kunde, wie  man  denn  überhaupt,  ganz  besonders  aber  in  den  Anfangs- 
stadien landeskundlicher  Forschung  die  Grenzen  des  Aufzunehmenden 
aicht  zu  eng  ziehen  darf.  Denn  besser  ist  es,  es  wird  einmal  etwas 
Fcraerstehendes  aufgenommen,  als  ein  Kapitel,  das  auf  den  ersten 
Blick  nicht  viel  zu  versprechen  scheint,  sich  aber  später  doch  als  be- 
deutsam erweist,  abgewiesen. 

Sehr  gut  sagt  der  Wiener  Geograph  Alb  recht  Penck  in  seiner 
dem  Stuttgarter   Geographentag    von    1893    vorgelegten    landeskund- 

1* 


—     4      — 

liehen  Studie,  dafs  die  Schwierigkeit  der  Auswahl  des  landeskundlichen 
Materials  mit  dem  Umfang  desselben  wächst.  Soll  doch  auch  die 
wissenschaftliche  Landeskunde  nicht  blofs  eine  Landesbeschreibung 
sein,  sondern  vor  allem  auch  eine  Erklärung  der  Landesbeschaffen- 
heit. Alles  das  aber,  was  zur  Kenntnis  eines  Stückes  Landes  (oder 
eines  „Landes"  nach  unserer  eben  vorgetragenen  Betrachtung)  dient, 
sagt  Penck  weiter,  gehört  auch  wirklich  zur  Geographie,  wenn  es  auch 
nicht  bei  jeder  landeskundlichen  Darstellung  zu  verwerten  ist.  Aus 
der  ungeheuren  Vielseitigkeit  der  Beziehungen  der  Erdkunde  zu 
nahezu  allen  anderen  Wissenschaften,  die  einen  der  gröfsten  Reize, 
aber  auch  eine  der  Gefahren  geographischer  Studien  bildet,  folgt 
gewife,  dafs  gerade  die  landeskundliche  Arbeit  nicht  blofs  auf  Geo- 
graphen, sondern  auch  auf  Mitarbeiter  aus  dem  Gebiete  der  Natur- 
wissenschaften, der  Geschichte,  der  Staatswissenschaft  rechnen  darf  und 
dafe  sie  den  Vertretern  aller  dieser  Fächer  in  der  Lage  ist,  ihrerseits 
manches  zu  bieten. 

Von  vornherein  sollte  sich  das  Arbeitsgebiet  der  deutschen  Landes- 
kunde auf  alle  deutschredenden  Gebiete  sowie  auf  solche,  welche  sich 
deutscher  Wissenschaft  gern  anschliefeen  mögen,  erstrecken.  So  fand 
unsere  Arbeit  bald  in  Österreich,  in  der  Schweiz,  in  den  Niederlanden 
eifrige,  zum  Teil  ganz  besonders  erwünschte  und  hervorragende  För- 
derung. Niemals  sind  dabei  irgendwelche  politische  Gesichtspunkte 
hervorgetreten. 

Es  würde  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  kaum  willkommen  sein. 
Schritt  für  Schritt  die  allmähliche  Entwickelung  unserer  Arbeitstätigkeit 
zu  verfolgen.  Kein  Geographentag  ging  von  1883  bis  heute  vorüber, 
ohne  dafs  der  Bericht  der  bald  eingesetzten,  allmählich  vergröfserten 
und  heute  aus  etwa  einem  Dutzend  Vertretern  des  Deutschen  Reiches 
und  je  einem  Österreichs,  der  Schweiz  und  der  Niederlande  bestehen- 
den „Zentralkommission  für  wissenschaftliche  Landeskunde" 
einen  sehr  wichtigen  Punkt  des  Programms  gebildet  hätte.  Nicht  immer 
war  allein  von  raschem  siegreichem  Fortschritt  zu  berichten,  es  fehlte 
und  fehlt  bis  heute  auch  nicht  an  manchen  Schwierigkeiten  und  Hemm- 
nissen, die  zumeist  in  der  Bescheidenheit  der  Mittel,  die  der  Kommission 
namentlich  anfangs  zur  Verfügung  standen,  begründet  waren.  Doch 
erhalten  wir  schon  lange  Jahre  von  der  preußischen  Regierung  eine 
sehr  dankenswerte  Unterstützung. 

Vier  Aufgaben  waren  es,  welche  der  Kommission  oblagen.  Noch 
heute  müssen  sie  eifrig  gefördert  werden.  Zuerst  die  bibliographische 
Arbeit,  die  Verzeichnung  des  schon  vorhandenen  Materials  an  Büchern, 


—     5     — 

Aufsätzen  und  Karten.     Hier  ist  eine  treue,  aufopfernde  und  oft  nicht 
eben  leichte   und   kurzweilige  Arbeit  von   einer  sehr   grofsen  Menge 
von  Vereinen  und  einzelnen,  durchaus  nicht  nur  der  Fachgeographie 
angehörigen  Personen  geleistet  worden.   Mancher  hätte  wohl  gewünscht, 
dais  einheitlicher  vorgegangen  worden  und  das  sog.  Normalschema  über- 
all zur  Anwendung  gekommen  wäre.    Aber  die  in  mancher  Beziehung 
verwandten   Denkmälertopographien   der   einzelnen   Staaten    und   Pro- 
vinzen sind  auch  in  sehr   verschiedener  Weise  angelegt  imd   durch- 
geführt worden.     Es  hat  auch  seine  grofsen  Vorteile,   wenn  den  ein- 
zelnen   Mitarbeitern    an    dem    grofisen   Werke    der    landeskundlichen 
Bibliographie  möglichste  Freiheit  gelassen  wird,  die  Arbeit  so  zu  be- 
treiben, wie  es  ihnen  selbst  am  angemessensten  scheint,   bringen  sie 
doch  ohnehin  Opfer  genug.     Der  Raum   fehlt,   die   einzelnen  Biblio- 
graphien   hier  aufzuzählen:    es    befinden   sich   wahrhaft  monumentale 
Werke  von  musterhafter  Vollständigkeit  darunter,   nützlich   aber  und 
fordernd  sind  sie   ausnahmslos.     Nicht  leicht   wird  nun   der  Student, 
der  Kandidat  oder  Lehrer  noch  in   die  Gefahr  kommen,   vergebliche 
Arbeit  zu  tun,  wenn  er  Fragen  zur  deutschen  Landeskunde  bearbeiten 
wül,  die  man,  ohne  da(s  er  es  ahnte,  lange  vor  ihm  schon  der  Lösung 
nahe  gefuhrt  hatte.     Jetzt  greift  er  vor  dem  Beginne  seiner  Arbeit 
nach  dem  betreflfenden  Bande  der  Bibliographie  und  erfährt  bald,  auf 
welche  Vorgänger  er  Rücksicht  zu   nehmen  hat.     Bezieht  sich  seine 
Arbeit  aber  auf  ganz  Deutschland  oder  gröfsere  Teile,   so   steht  ihm 
als   eine    der    schönsten    Früchte    landeskundlichen    Strebens    P.    E. 
Richters,   des  trefflichen   Dresdener  Bibliothekars,  BibUotheca  geo- 
graphica Geitnaniae  (Leipzig  1896)  mit  einer  fast  überwältigenden  Fülle 
von   Nachweisen   selbständig   erschienener  Arbeiten    und  Karten  zur 
Verfügung. 

Sollte  aber  das  Werk  ganz  getan  werden,  so  durfte  die  Inventari- 
sierung des  Geleisteten  nicht  stillstehen.  Eine  zweite  Aufgabe  erwuchs 
hier  der  Kommission,  die  der  Herausgabe  eines  ständigen  Literatur- 
beiichts  über  alle  neuen  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  deutscher 
Landeskunde.  Von  diesem  Bericht  über  die  neuere  Literatur  zur 
deutschen  Landes-  und  Volkshunde  liegen  bis  jetzt  zwei  Bände,  die 
Jahre  1896  bis  190 1  umfassend,  vor,  ein  dritter  ist  eben  in  Vorbereitung. 
Es  sind  nicht  einfache  Büchertitel,  die  hier  zusammengestellt  werden, 
sondern  kurze  kritische  Referate,  an  denen  weit  über  100  Mitarbeiter  in 
allen  deutschen  Gauen  beteiligt  sind.  Es  wäre  sehr  wünschenswert,  wenn 
sich  diesem  wichtigen,  heute  unter  der  Leitung  des  Hallischen  Geogra- 
phen Ule  stehenden  und  von  der  opfer mutigen  Firma  Hirt  (Breslau)  ver- 


—     6     — 

legten  Unternehmen,  welches  freilich  noch  nicht  alle  Neuerscheinungen 
registrieren  konnte,  nun  auch  die  Gunst  des  Bücher  kaufenden  Publi- 
kums mehr  und  mehr  zuwenden  möchte. 

Aber  in  jener  entscheidenden  Sitzung  des  Hallischen  Geographen- 
tages von  1882  war  nicht  blofs  von  der  Verzeichnung  älterer  Arbeiten, 
sondern  noch  mehr  von  der  Schaffung  neuer  Werke  und  Abhand- 
lungen zur  Landeskunde  die  Rede.  Es  wurden  deshalb  seitens  der 
Kommission  frühzeitig  mancherlei  Pläne  zu  selbständigen  Veröffent- 
lichungen oder  für  eine  Art  Archiv  zur  Landeskunde  erörtert.  Endlich 
entschied  man  sich  daiiir,  eine  Reihe  von  Handbüchern  zur  deutschen 
Landes-  und  Volksforschung  und  eine  zwanglose  Folge  von  kleineren 
Abhandlungen  unter  dem  Titel  Forschungen  zur  deutschen  Landes-- 
und  Volkshunde  zu  begründen.  Zur  Belehrung  und  Führung  der 
Forscher  auf  landeskundlichem  Gebiet  war  durch  Kirchhoff  und  seine 
Mitarbeiter  auch  noch  eine  Anleitung  zur  deutschen  Landes-  und 
Volksforschung  erschienen,  ein  für  landeskundliche  Zwecke  höchst 
brauchbares  Seitenstück  zu  Neümayers  und  Richtbofens  mehr  für 
Reisende  in  fremden  Erdstrichen  bestimmten  Arbeiten.  Von  jenen 
beiden  Serien  ist  die  zweite,  die  der  Forschungen,  die  weitaus 
wichtigere  geworden,  wenn  auch  die  Reihe  der  Handbücher  sehr  wert- 
volle Werke,  z.  B.  des  eben  verstorbenen  Eduard  Richter  Gletscher 
der  OstaJpen,  in  sich  schlofs. 

Das  erste  Heft  der  Forschungen,  eine  Arbeit  des  Rostocker  Ge- 
lehrten Geinitz  über  den  Boden  Mecklenburgs,  war  billig  und  wenig 
umfangreich.  Mit  der  Zeit  ist  aber  der  Umfang  der  Hefte,  denen 
auch  wertvolle  Karten  beigegeben  wurden,  immer  mehr  gewachsen. 
Mehr  als  80  dieser  Monographien,  von  denen  manche  richtiger  als 
Bücher  bezeichnet  werden  könnten,  liegen  bis  heute  vor,  fast  alle 
mitteleuropäischen,  überhaupt  von  uns  zu  berücksichtigenden  Land- 
schaften sind  dabei  vertreten.  Nehmen  wir  z.  B.  den  aus  sechs  Heften 
bestehenden  14.  Band  zur  Hand,  so  finden  wir  zwei  Arbeiten  über 
allgemeine  Verhältnisse  Mitteleuropas,  eine  über  Oberösterreich,  eine 
über  die  Moselgegend  und  zwei  über  den  südlichen  Teü  der  Provinz 
Hannover.  Zuerst  führte  Richard  Lehmann  noch  eine  Zeitlang  die 
Redaktion,  dann  trat  Alfred  Kirchhoff  selbst  für  ihn  ein').  Viel 
Wohlwollen,  auch  von  Seiten  der  Regierungen,  ist  den  Forsdiungen  ent- 
gegengebracht worden,  in  Frankreich  wurden  sie  als  Muster  bezeichnet 


i)  Die  sämtlichen  Hefte  erschienen   bei  En^elhorn   in  Stattgart,   der  sich   um   die 
Ausstattung  derselben  grofse  Verdienste  erworben  hat. 


—     7     — 

und  die  National  Geographica!  Society  in  Washington  läfst  nach  ihrem 
Vorbild  ähnliche  Arbeiten  zur  Landeskunde  der  Vereinigten  Staaten 
erscheinen.  Möchte  doch  auch  der  weitere  Leserkreis,  und  nicht  blofs 
der  geographische,  diesen  Heften  immer  gröfsere  Beachtung  schenken 
und  das  unermeßliche  Material,  das  hier  geboten  wird,  fleifsig  be- 
nutzen. 

Die  vierte  Aufgabe  der  Kommission  ist  die  Anregung  zu  neuen 
Forschungen,  sei  es  in  Bibliotheken  und  Archiven,  sei  es  in  der 
Natur  .selbst.  Da  unsere  Mittel  nicht'unbegrenzt  sind,  konnte  hier  nicht 
jeder  schöne  Plan  ausgeführt,  nicht  jeder  Anregung  Folge  gegeben 
werden.  Aber  doch  ist  die  Erforschung  der  erdmagnetischen  Ver- 
hältnisse des  Harzgebirges  angeregt  und  im  wesentlichen  durchgeführt 
worden,  die  Kenntnis  der  ostpreufsischen  und  holsteinischen  Seen  ist 
gefördert  worden.  Besonderes  Interesse,  auch  für  weitere  Kreise, 
dürften  einige  Unternehmungen  der  neuesten  Zeit  haben.  Ein  Preis- 
ausschreiben hat  zu  einer  umfangreichen  Untersuchung  über  die  Ver- 
änderungen geführt,  welche  der  Lauf  des  Rheines  in  historischer  Zeit 
zwischen  Bonn  und  der  holländischen  Grenze  erfahren  hat.  Jeder 
Freund  der  Geschichte  hat  von  den  mächtigen  Regengüssen  gehört, 
welche  zur  Zeit  der  Schlacht  an  der  Katzbach  Schlesien  überschütteten 
und  in  den  Gang  der  Kriegsereignisse  bedeutsam  eingriffen.  Mit  Unter- 
stützung der  Kommission  hat  nun  ein  junger  schlesischer  Gelehrter, 
ein  Schüler  von  Joseph  Partsch,  die  ganze  Wetterlage  jener  Zeit 
im  östlichen  Mitteleuropa  mit  den  Methoden  und  Hilfsmitteln  der  mo- 
dernen Meteorologie  untersucht.  Nun  können  wir  den  Lauf  der  ein- 
flufsreichen  Minima  jener  Tage  verfolgen,  die  Ausbreitung  der  in  der 
Tat  ungewöhnlichen  Augustr^en  überblicken.  So  ist  ein  Gesamt- 
bild gewonnen  worden,  das  nicht  blofs  den  Geographen,  sondern  auch 
den  Historiker  fesseln  kann.  Ein  anderer  junger  Gelehrter  durch- 
wanderte lange  die  nordwestdeutschen  Gaue,  um  das  Bauernhaus  und 
seine  charakteristischen  Formen  zu  erforschen  und  insbesondere  fest- 
zustellen, wie  die  einzelnen  Teile  des  Bauernhauses  von  Dorf  zu  Dorf 
vom  Volke  benannt  werden.     Seine  Arbeit  gelangt  eben  zum  Druck. 

Fügen  wir  noch  hinzu,  dafs  die  Kommission  auch  dankbar  an- 
genommene Beihilfe  bei  der  Namengebung  und  Namenschreibung  auf 
einer  Anzahl  von  Generalstabskarten  geleistet  hat  und  dafs  sie  der 
Aufzeichnung  und  sicheren  Feststellung  deutscher  Ortsnamen  in  den 
Grenzgebieten  deutscher  Sprache  eben  ihre  Aufmerksamkeit  zu- 
zuwenden beginnt,  so  sind  damit  emige  weitere  Seiten  ihrer  Tätigkeit 
angedeutet. 


—     8     — 

Blicken  wir  zurück.  Gewifs  besteht  die  landeskundliche  Tätigkeit 
zum  Teil  aus  Anregungen  und  Anfängen,  nicht  alles,  was  geplant  war, 
hat  ausgeführt  werden  können.  Aber  das  wirklich  Geleistete  ist  immer- 
hin so  umfangreich  und  so  vielseitig,  dais  die  Landeskunde  nicht  un- 
bescheiden genannt  werden  darf,  wenn  sie  sich  an  die  Seite  der  so 
vielfach  ähnliche  Arbeitsmethoden  anwendenden  kunsttopographischen 
Forschung  (Denkmälertopographie)  stellt  und  ebenso  die  mannigfachen 
jetzt  hervortretenden  Bestrebungen  zum  Schutze  der  Naturdenkmäler 
unseres  deutschen  Landes  als  eine  verwandte  Erscheinung  begrüist. 
Alle  diese  Arbeiten  gehen  doch  schlieüslich  darauf  hinaus ,  Deutsch- 
land und  seine  Einzellandschaften  den  eigenen  Landsleuten  teils  in 
streng  wissenschaftlicher,  teils  in  volkstümlicherer  Darstellung  immer 
vertrauter  zu  machen  und  dafür  zu  sorgen,  dafs  das  von  dem  ver- 
ewigten Sophus  Rüge  gern  mahnend  zitierte  Wort  Willibald  Pirk- 
heimers:  „Es  kann  doch  einmal  nichts  Abgeschmackteres  geben,  als 
dafs  die  Deutschen  die  g^nze  Welt  beschreiben  und  ihr  eigenes  Vater- 
land vergessen"  auf  die  Gegenwart  immer  weniger  zutreffe. 

Möchten  doch  deshalb  unsere  mannigfachen  Arbeiten  und  Unter- 
nehmungen nicht  bloüs  rüstig  fortgeführt  werden,  sondern  sich  immer 
noch  erweitem  und  vervollkommnen! 


Postavisi  und  Postconti  aus  den  Jahren 

1599  bis  1624 

Von 
Joseph  Rübsam  (Regensburg) 

Unter  avi90  im  postalischen  Sinne  des  Wortes  versteht  man  das 
Begleitschreiben,  welches  von  den  einzelnen  Postämtern  dem  die 
Ordinaripost*)  befördernden  reitenden  Postillon  als  Ausweis  über 
die  abgefertigten  Schriftstücke  mitgegeben  wurde.  Die  aufgegebenen 
Briefe  wurden,  je  nach  dem  Bestimmungsort,  bzw.  je  nach  dem  Orte, 
wo  sie  behufs  anderweitiger  Beförderung  die  PoststraCse  verliefsen,  zu 


i)  Die  an  einem  bestimmten  Wochen-  oder  Monatstage  eintreffende  oder  abgehende 
Briefpost  hiefs  „Ordinaripost"  oder  schlechthin  ordinari,  Ihr  Laaf  soUte  Tag  nnd 
Nacht  über  möglichst  beschleunigt  werden  and  durfte  nur  an  den  einzelnen  Staüonen 
durch  die  Abgabe  und  Annahme  der  Brielipakete,  durch  das  Wechseln  der  Pferde,  femer 
durch  elementare  Naturereignisse,  wie  Überschwemmungen,  Schneewehen  usw.  oder  Ver- 
legung des  Weges  durch  Räuber  aufgehalten  werden. 


—     9     - 

einem  oder  mehreren  versiegelten  Paketen  (pieghi  oder  maeei)  ver- 
einigt, um  in  wetterfesten  Felleisen  *)  (italienisch  valigia,  spanisch 
balija)  geborgen  zu  werden. 

Der  die  Post  abfertigende  Beamte  hatte  Tag  und  Stunde  des 
Abgangs  der  betreffenden  Ordinaripost  zu  verzeichnen,  welche  bis 
tief  in  das  XVII.  Jahrhundert  hin  ausschliefslich  durch  reitende  Postillone 
(nicht  etwa  zu  Wagen)  befördert  wurde.  Der  Aviso  gab  über  die 
Anzahl  der  Briefpakete,  deren  Bestimmungsort  und  das  Gewicht  der 
darin  verschlossenen  Briefe  Aufschlufe,  wobei  zugleich  bemerkt  wurde, 
ob  das  Briefjgeld  (Porto)  bereits  entrichtet  oder  noch  zu  erheben  war. 
Das  Begleitschreiben  bestätigte  zugleich  den  Empfang  der  von  dort 
abgelassenen  letzten  Post  unter  Angabe  des  Tages  ihres  Eintreffens. 

Nicht  selten  enthalten  diese  geschäftsmäfsigen  avisi  interessante 
oder  vertrauliche  Mitteilungen.  Umsichtige  Postmeister  schrieben,  um 
mit  der  Zeit  nicht  ins  Gedränge  zu  kommen,  die  allmählich  ganz 
foraielhafl  gewordenen  Teile  ihrer  avisi  mehrere  Tage  vor  dem  Ab- 
gange der  betreffenden  Ordinaripost,  um  dann  in  letzter  Stunde  noch 
die  Anzahl  und  das  Gewicht  der  Briefschaften  und  etwaige  Mitteilungen 
privater  Natur  hinzuzufügen. 

Ein  anschauliches  Bild  dieser  für  die  geschichtliche  Entwickelung 
des  modernen  Postwesens  nicht  unwichtigen  Schriftstücke  geben  die 
im  folgenden  mitgeteilten  avisi  des  Kaiserlichen  Postamts  zu 
Venedig  aus  den  Jahren  1599  und  1609  und  der  aviso  des 
Kaiserlichen  Postamts  in  Frankfurt  am  Main  aus  dem  Jahre 
1624. 

Der  letztgenannte,  von  dem  bekannten  kaiserlichen  Postmeister 
Johann  von  den  Birghden  unterzeichnete,  an  das  Postamt  zu  Ant- 
werpen gerichtete  aviso  ist  besonders  auch  um  deswillen  interessant, 
weil  in  demselben  die  formelhaften  Teile  gedruckt  und  nur  die  je- 
weilig sich  ändernden  Mitteilungen  geschrieben  sind. 

Für  das  Postrechnungswesen  bzw.  die  Abrechnung,  wie 
dieselbe  zwischen  den  einzelnen  gröfseren  Postämtern  von  Vierteljahr 
zu  Vierteljahr  durch  die  conti  gepflogen  wurde,  bildeten  diese 
avisi  die  Grundlage. 

Der  erste  dieser  venezianischen  avisi  lautet: 

Molto  niostre  signor  cagino  osservatissimo. 
Scrissi  a  vostra  sigooria  hoggi  oUo  con  Tordioario    al   solito   quäl  spero   li  sarra 
^e  capitato. 

I)  Näheres  über  das  Wort  „Felleisen"  im  Historischen  Jahrbach.  Jahrgang 
XXV  (1904),  S.  549  Anmerkung. 


—     10     — 

Alli  2  corente  mi  trouo  la  grattissüna  saa  delli  23  passatto  con  quanto  la  mi  scriue 
che  a  tatto  s'ha  datto  baoa  recapito. 

Con  qaesta  mando  Tordinario  di  qaesta  settimana  et  qai  a  basso  la  trouerä  nottato 
il  nnmero  delli  mazzi  et  oncie  de  lettere  qnale  tutt^  raccomaodo  a  vostra   signoria   che 
Nostro  Signore  la  prosperi  et  consenii. 
Di  Venetia  li  5  noaembre  1599. 

Di  V.  s.  molto  Ulastre  cugini  et  servitori 
Ferdinande  et  David  de  Tassis  l). 

m.  p. 

Vanno  con  qaesta  tre  mazzi  per  costi 
con  oncie  115  de  lettere  franche  et  oncie  18 
da  pagar;  nno  per  Collonia  con  oncie  55 
de  lettere  franche,  sei  per  Aagusta  con 
oncie  154  de  lettere  franche  et  oncie  239 
da  pagar. 

115 
18 


133 

Die  Adresse  dieses  aviso,  welcher  auf  der  ersten  Seite  eines  vier- 
mal gefalteten,  versiegelt  gewesenen  Bogens  geschrieben  ist,  lautet: 

AI  molto  lUastre  signor  Leonardo  de  Tassis  Generale 
maestro  deUe  poste  de  Saa  Maiesta  in  Fiandra 

Brosselles 

Auf  der  vierten  Seite  des  Briefbogens  steht: 

De  Venecia  alli  5  de  noaembre  en  BrosseUes  alli  15 
del  detto. 

Es  geht  daraus  hervor,  dafs  diese  Ordinaripostsendung  von  Ve- 
nedig nach  Brüssel  10  Tage  brauchte.  Aus  dem  zweiten  Absatz  des 
obigen  Aviso  ergibt  sich,  dafs  auch  der  Weg  von  Brüssel  nach 
Venedig  von  der  Ordinaripost  in  derselben  Zeit  zurückgelegt  wurde. 

Die  Übersetzung  des  itaUenischen  Textes  lautet: 

Hochedler,  sehr  verehrter  Herr  Vetter! 

Ich  schrieb  an  Eaere  Herrlichkeit  heute  am  acht  Uhr  mit  der  Ordinaripost  wie 
gewöhnlich.     Hoffentlich  wird  dieselbe  gat  ankommen. 

Am  2.  des  laufenden  Monats  erhielt  ich  Ihr  sehr  schätzbares  Schreiben  vom  33. 
des  vergangenen  Monats,  mit  welchem  Sie  mir  mitteilen,  dafs  alles  gat  angekommen  ist. 

Mit   Gegenwärtigem   schicke  ich   die  Ordinaripost   dieser  Woche,   and  hier   unten 


i)  Die  Gebrüder  Ferdinand  and  David  von  Taxis  waren  Enkel  des  David  von 
Taxis,  eines  Bruders  des  kaiserlichen  Generaloberstpostmeisters  Johann  Baptista  von  Taxis 
(t  1541).  Ihr  Vater  Roger  von  Taxis  verwaltete  seit  1540  das  Kaiserliche  Postamt  za 
Venedig,  welches  ihm  Kaiser  Karl  V.  am  20.  Juli  1541  auf  Lebenszeit  bestätigte.  Seine 
Nachkommen  blieben  über  200  Jahre  im  Besitze  dieses  einträglichen  Postamtes. 


—    11    — 

verdeo  Sie  die  Zahl   der  Pakete   und   das  Gewicht  der  Briefe   verzeichnet   finden.     Ich 
empfehle  alles  Ew.  HerrlicbkeiL     Unser  Herr  möge  Sie  beglücken  und  erhalten. 
Von  Venedig,  den  5.  November  1599. 

Ew.  hochedeln  Herrlichkeit  Neffen  und  Diener 

Ferdinand  und  David  von  Taxis. 

Blit  Gegenwärtigem  werden  drei  Pakete  nach  dort  (Brüssel,  Niederlande)  ab- 
gefertigt, mit  115  Unzen  frankierter  und  18  Unzen  unfrankierter  Briefe.  Ein  Paket  nach 
Köb  mit  55  Unzen  frankierter  Briefe.  Sechs  Pakete  nach  Augsburg  mit  154  Unzen 
frankierter  und  239  Unzen  unfrankierter  Briefe. 

Adresse :   An   den   hochedeln  Herrn  Leonard   von  Taxis ,   Generalpostmeister  Seiner 
Majestät  in  den  Niederlanden  zu  Brüssel. 

Der  zweite  Aviso  hat  folgenden  Wortlaut: 

niustrissimo  Signor  Cugino  Osservatissimo. 

Scrissi  a  V.  S.  hoggi  otto  et  li  mandai  Tordioario  per  costi  il  tutto  spero  gli 
San  ben  capitato. 

Trouomi  poi  la  sua  del  ultimo  passato  con  quanto  la  mi  auisa  ch'al  tutto  s'ha  datto 
bvoD  recapito. 

Con  questa  roando  a  V.  S.  Tordinario  per  costi  il  numero  de  pieghi   et   oncie   le 

trooera  a  basso  notato,  il  tutto  pongo  saluo  et  ne  aspetto  auiso  che  N.  S.  la  feliciti  et 

coDserui.     Di  Venetia  gli   13  di  febraro   1609. 

Di  V.  S.  Illn« 

affettionatissimo  Cugino  et  Scrvitore 

Ferdinando  de  Tassis 

m.  p. 
Vanno  3  pieghi  per  costi 

Lettere  franche  per  Anuersa  oncie  n8 

condennate  >)     ,,      67 

Lettere  franche  per  Collonia      „    z5a 

Lettere  franche  per  Augusta       „    146 

condennate  „    304 

Sara  un  mio  piego  di  semente  per  V.  S. 

Raccomando  a  V.  S.  una  per  Carlo  van  W^essele. 

Die  Adresse  dieses  viermal  gefalteten,  versiegelt  gewesenen 
Bogens  lautet: 

All'  Ill»o.  Sig«.  Cugno.  Ossmo.  H  Sig>*.  Leonardo 
de  Tassis  libro  Bar«,  del  Sacro  Impo.  et 
Generale  deUe  poste  in  Fiandra 
Aviso.  Brusseles. 

Die  fettgedruckten  Zahlen  und  Texte  sind  mit  einer  schwärzeren 
Tinte  geschrieben  und  offenbar  erst  in  dem  Momente  aufgezeichnet, 
als  es  sich  um  die  Abfertigung  dieser  Ordinaripost  handelte. 

Besonders    interessant    ist    der    venezianische    Aviso    vom 


i)  Diese  lettere  condennate  (auch  eondenate  geschrieben)  sind  solche,  für  welche 
die  Post  das  Porto  noch  zu  erheben  hatte.  Die  lettere  da  pagar  oder  lettere  pagabiie 
sind  mit  ihnen  identisch. 


—      12     — 

6.  Februar  1609.  Er  stimmt  in  seinem  formelhaften  Teile  wört- 
lich mit  demjenigen  vom  13.  Februar  übereiD.  Nach  Antwerpen 
werden  durch  denselben  90  frankierte  und  70  unfrankierte  Briefsen- 
dungen abgefertigt;  nach  Köln  125  frankierte;  nach  Augsburg  128 
frankierte  und  268  unfrankierte. 

Die  Unterschrift  lautete  ursprünglich :  Ferdinando  et  David  di 
Tassi.  Davon  ist  aber  nachträglich  et  David  ausgestrichen,  der 
kurz  zuvor  gestorben  war.  Ferdinando  de  Tassis  bemerkt  daneben : 
H  signor  David  tnio  frateUo  e  passato  ä  miglior  vita.  Darunter  folgt 
noch  die  Mitteilung:  Mando  a  F.  8.  un  fagottino  de  semente  de  di- 
uerse  sorte  et  cd  il  primo  ne  mandero  cdiretatUe. 

Derartige  Samensendungen  kommen  noch  öfter  vor.  Auch 
Bücher  *) ,  Rosinen  und  Schachteln  mit  Arznei  werden  auf  diesen 
Avisos  öfters  erwähnt.  Zuweilen  werden  auch  einzelne  Briefe  ganz 
besonders  empfohlen.  So  in  dem  Aviso  vom  12.  Juni  1609,  worin 
es  heüst:  Baccomando  ä  V.  S.  VindiMa  lettera  per  il  Signor  Carlo 
WesseUe  et  la  prego  de  far  procurar  la  riposta. 

Am  16.  März  1601  schickten  Ferdinando  und  David  von  Tassis 
von  Venedig  an  ihren  Vetter  Lamoral  von  Tassis  zu  Brüssel  ein 
kleines  Gemälde  des  bekannten  Malers  Hans  Rottenhamer  ^), 
welcher  damals  in  Venedig  weilte.  Das  Bild  stellte  die  Venus  und 
den  Cupido  dar,  welcher  ihr  einen  Spiegel  vorhält,  mit  einem  Satyr 
im  Hintergrunde.  Das  Gemälde  kostete  20  Skudi  und  war  nach  dem 
Urteil  berühmter  venezianischer  Maler  von  wunderbarer  Schönheit  (di 
marauigliosa  beleem),  —  Nach  einer  eigenhändigen  Aufzeichnung  des 
Lamoral  von  Tassis,  der  wohl  mehrere  Bilder  von  Hans  Rottenhamer 
besafs,  trugen  dieselben  die  Marken: 

HRoUenhamer  FI  oder  HR 

Vendia  1598 

1581  Venetia. 

In  dem  Aviso  d.  d.  Venedig,  den  13.  November  1609  beschwert 
sich  Ferdinando  de  Tassis  über  einen  gewissen  Ludovico  Lopes,  der 
ihm  zumute,  Pakete  von  der  Gröfee  eines  halben  Felleisens  und  mehr 
als  1000  Unzen  schwer  mit  der  Post  zu  befördern.  Auch  führt  er 
Klage  über  die  Postämter  zu  Köln  und  Frankfurt  (li  offUij  di  CoUonia 


1)  Am  7.  Dezember  161 2  schickte  Ferdinando  de  Tassis  aus  Venedig  an  seinen 
VeUer,  den  Freiherm  Lamoral  von  Tassis  in  Brüssel,  ein  Paar  Augengläser  und  zwei 
Exemplare  des  von  Ottavio  Codogno  verfafsten  Itinerarios.  Vgl.  Historisches  Jahrbach. 
Jahrgang  1893.     S.  64  ff. 

2)  Ein  Schüler  Tintorettos.    Geboren  za  München  1564;  gestorben  za  Aogsbnrg  1623. 


—     13     — 

et  Francofort),  welche  seit  Monaten  durch  allzu  schwerwieg-ende  Geld- 
sendung^en  die  armen  Postillone  (i  poveri  postiglioni)  zur  Verzweiflung 
brächten.  Das  Bedenklichste  hierbei  sei,  dafe  die  Wegelagerer,  wenn 
sie  einmal  einen  so  ergiebigen  Fang  gemacht,  die  Ordinaripost  in 
ständige  Gefahr  bringen  würden.  Aus  der  Datierung  der  Venetianer 
avisi ,  welche  nach  Brüssel  bestimmt  sind,  geht  hervor,  dafe  sie  sämt- 
lich an  einem  Freitag  um  8  Uhr  abgefertigt  wurden.  Der  Posttag 
für  die  nach  Deutschland  und  nach  den  Niederlanden  von  Venedig 
abgehende  Ordinaripost  war  also  der  Freitag.  Wie  sich  aus  den  An- 
kunftsvermerken  der  Avisi  ergibt,  betrug  die  Beförderungsfrist  zwischen 
Venedig  und  Brüssel  lo  bis  ii  Tage. 

Es  folgt  nun  der  Frankfurter  Aviso  des  kaiserlichen  Postmeisters 
Johann  von  den  Birghden. 

lUttstre  signore  mio  osservatissiino  >). 
Hoggi  3.  scrissi  hi  Vostra  Signoria  lUastrissima  con  TOrdinario,    conquale    mandai 
le  sollte  pieghi  &  lettere,  per  diversi,  n'aspetto  deUa  riceauta  aviso. 

Troro  mi  poi  con  la  di  Vostra  Signoria  niofitrissima  daUi  a6.  stantet  TOrdinario, 
alla  quäle  respondcndo  dico,  d'haner  fatto  dar  a  tntte  il  douato  ricapito,  ma  Tordinario 
fo  suaUeggita,  et  molti  plichi  et  lettere  mal  conditionate  per  Aviso. 

n^  niedesinio  piaccra  ä  Vostra  Signoria  Illustrissima  segua  drllc  congiontc  che  sono 
per  diversi,  auisaado  me  con  la  prima  il  seguito,  con  bacciargli  le  mani.  Nostro  Sig- 
nore Iddio  quardi  Vostra  Signoria  nustrissima  di  Malo. 

Di  Francaforte.     31.  di  Marxo  1624. 
Un  pUcho  per  BmsseUes  Affettionatissimo  per  servirla 

Doi  per  Anversa  nel  quäle  Qiovanni  Von  den  Birghden 

Uno  per  Londres  14  lettere  per  Toumay  m.  p. 

a  per  Arras,  z  per  Middelborg 
I  per  Valenxin,  4  per  Parigi 
I  per  Rouan»  6  per  LUle, 
9  firanche  2x3  pagabile. 

Auf  der  Rückseite  des  dreimal  gefalteten,  nicht  versiegelten  halben 
Bogens  steht: 

Anaersa  *) 


i)  Die  fettgedruckten  Stellen  dieses  Aviso  sind  mit  Tinte  geschrieben,  während  das 
fibrige  gedruckt  ist. 
3)  Antwerpen. 


—     14     — 
Übersetzung : 

Hochedler,  sehr  verehrter  Herr! 

Heute  um  3  Uhr  schrieb  ich  ao  Euere  Herrlichkeit  mit  der  Ordinaripost,  mit 
welcher  ich  die  gewöhnlichen  Pakete  nnd  Briefe  fiir  verschiedene  (Postämter)  abschickte. 
Über  deren  Empfang  erbitte  ich  mir  Nachricht. 

Mit  Euerer  Herrlichkeit  Schreiben  vom  26.  laufenden  Monats  traf  die  Ordinaripost 
bei  mir  ein.  In  Beantwortung  desselben  erkläre  ich,  dafs  ich  alle  Briefe  an  ihre  Adresse 
habe  befördern  lassen.  Aber  die  Ordinaripost  ist  beraubt  worden,  und  viele  Pakete 
nnd  Briefe  sind  in  üblem  Znstande  gemäfs  Bericht. 

In  gleicher  Weise  möge  Euere  Herrlichkeit  aus  dem  Angefügten  entnehmen,  wohin 
die  einzelnen  Briefschaften  gerichtet  sind.  Bitte  um  eine  Bestätigung  des  Empfanges 
mit  erster  Gelegenheit.  Mit  Handkufs.  Unser  Herr  möge  Euere  Herrlichkeit  vom  Übel 
bewahren. 

Von  Frankfurt,  31.  März  1624. 

Ganz  ergebenster  Diener 

Johann  von  den  Birghden  m.  p. 

Ein  Paket  nach  Brüssel.  Zwei  nach  Antwerpen,  worin  eines  nach  London. 
14  Briefe  nach  Toumay,  2  nach  Arras,  i  nach  Middelborg,  i  nach  Valenzin,  4  nach 
Paris,  I  nach  Rouen,  6  nach  Lille.     9  portofreie  und  113  unfrankierte. 


Zur  besseren  Würdigung  dieser  Avisi  dient  eine  Abrechnung 
(Conto  deüe  leUere)  des  Kaiserlichen  Postamts  zu  Venedig  mit  dem 
Generalpostamt  in  Brüssel,  wie  sie  uns  fiir  die  Monate  Januar,  Februar 
und  März  des  Jahres  1619  über  den  Briefverkehr  auf  der  Poststrafse 
von  Venedig  nach  Antwerpen  vorliegt. 

1619. 

Conto  delle  lettere  mandate  per  Anuersa. 

Adi     4  Genaro  mandate  per  Anuersa  oncie  174  L   182.  14 

adi  II     detto     mandate  per  Anuersa      „      148  „   I55«  ^ 

adi   18 „      164  „   172.  4 

adi  25 „      180  „   189.  — 

Adi  primo  Febraro „      139  .,   145.  19 

adi     8           detto „      129  „  135.  9 

adi  15 „  150  M   157.  10 

adi  22 „  98  „   102.  18 

Adi  primo  Marzo „  158  „   165.  18 

adi     8  detto             „  202  „212.  2 

«di   15 ,      163     „   171.       3 

adi  22 „      199     „  208.     19 

adi  29 „      195     ti  204.     15 


L2203S  19 


—     15     — 


Conto  dellc  lettere  maodate  per  Collonia. 


Adi     4  Genaro  mandate  per  Collonia  oncie  163     L 


adi   II     dctto 
adi  18    ...     . 
adi  25    .     .     .     . 
Adi  primo  Febraro 
adi     8     detto 
adi  15    .     .     .     . 
adi  22    .     .     ;    . 
Adi  primo  Marzo 
adi     8     dctto 
adi   15   ...     . 
adi  22    ...     . 


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1» 


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137 
128 
162 
166 

125 

H3 


146. 
123. 
115. 

149. 
124. 

112. 

138. 

144. 
126. 
121. 
118. 


14 
6 

4 
16 

8 

4 
10 

12 


10 

14 


L1575S18 

Conto  delle  lettere  mandate  per  Augasta. 

Adi     4  Genaro    mandate   per  Aogasta    oncie  106  L  47.  14 

adi   II      dctto „  iio  „  49.  10 

adi   18 „  126  „  56.  14 

adi  25 „  140  „  63.  — 

Adi  primo  Febraro ,  85  „  38.  $ 

adi     8     detto „  88  „  39.  12 

adi   15 „  106  ,.  47.  14 

adi  22 „  90  1.  40.  10 

Adi  primo  Marzo •  „  120  „  54.  — 

adi     8     detto „  120  ,,  54.  — 

adi   15 „  98  „  44  2 

adi  22 „  79  ,.  35-  " 

adi  29 .     .     .  „  84  „  37.  12 

L608  S  4 


Conto  delle  lettere  nennte  d'Augnsta. 

Adi     2     Genaro      nennte     d'Augusta     oncie     iio  L  49.  10 

adi     9       detto „  100  ,,  45.  — 

adi  16 ,,  106  „  47.  14 

adi  23 „  106  „  47.  14 

adi  30 „  120  „  54.  — 

Adi     6  Febraro „  120  ,,  54.  — 

adi   13     detto        ,  112  ,,  50.  8 

adi  20 „  118  „  53.  2 

adi  27 „  106  „  47.  14 

Adi     6  Marzo .,  112  „  50.  8 

adi    13 „  113  „  50.  17 

adi  20 „  95  M  42.  15 

adi  27 95  »»  42.  15 

L635S17 


16     — 


Conto  delle  lettere  mandate  per  Francfort. 


Adi     4  Genaro  mandate  per  Francfort  oncie 

adi   II     detto , 

adi   l8 

adi  25 

Adi  primo  Febraro 

adi     8     detto 

adi  15      

adi  22      

Adi  primo  Manco 

adi     8     detto         

adi  15 

adi  22 

adi  25 


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>> 
>» 


7 

5 
8 

8 

5 

5 

7 
8 

12 

30 
106 

73 
50 


1« 
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» 

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4. 
3. 
4. 
4. 
3. 
3. 
4. 
4. 

7. 
18. 

63. 

43. 

3- 


16 
16 


4 
16 

4 

12 
16 


L167  S  8 


Samma 


battuto 


resta 


2203.19 

1575.18 

608.  4 

635.17 
167.  8 

L  5291.  6 

1601  18 

3689.  8 


Pagate  di  piu  nel  conto  delli  tre  mesi  passati: 

A  conto  di  questi  tre  mesi L 

Per  semenza  per  il  signor  Grenerale   .     . 
Per  mift  prouiggione , 


)) 


w 


88. 

10. 

262. 


10 
18 
10 


L  361.     18 


Pagati   al  signor  secretario  Cesareo   da- 
catti  200 


„1240.     — 


L1601  S18 
Resto  in  tutto  L  3689.     8  Soldi  fanno  dacatti  i)  Venetiani  595  Soldi  8. 

In  dem  vorliegenden  Conto  delle  lettere  werden  natiirgemäfs  nur 
solche  Briefschaften  verrechnet,  für  die  das  Porto  in  Venedig  selbst 
erhoben  wurde,  sei  es  nun,  dais  diese  Briefe  bei  ihrer  Aufgabe  in 
Venedig  frankiert  worden  waren,  oder  sei  es,  dafs  sie  daselbst  un- 
frankiert ankamen,  wie  dies  bei  den  von  Augsburg  kommenden  Brief- 
schaften die  Regel  war.  —  Über  den  Briefverkehr  in  der  umgekehrten 
Richtung,  also  für.  die  Postlinie  Antwerpen — Venedig,   mit  Ausnahme 


i)  Der  Venezianer  Dukaten  ist  hier  zu  6^  Lire  berechnet 


I» 


—     17     — 

der  soeben  erwähnten  von  Augsburg  kommenden  unfrankierten  Briefe, 
gibt  also  die  vorliegende  Abrechnung  keinen  Aufechlufs. 

Als  Einheit  für  die  Berechnung  diente  die  Unze.  In  Italien  und 
im  deutschen  Reiche  war  die  Unze  der  i6.  Teil  eines  Pfundes  zu 
32  Lot  Eine  Unze  betrug  also  2  Lot  oder  rund  30  Gramm.  Bei 
der  Berechnung  kommen  im  vorliegenden  Falle  nur  ganze  Unzen  in 
Betracht  (nicht  etwa  auch  Bruchteile  derselben).  Für  die  Höhe  des 
Portos  war  das  Gewicht  und  die  Entfernung  mafsgebend.  Es  kostete 
eine  Unze  von  Venedig  *) 

nach  Antwerpen  21  Soldi, 

nach  Köln  18 

nach  Frankfurt      12 

nach  Augsburg      9 

Der  Gesamtbetrag  des  in  Venedig  aus  dem  Briefverkehr  mit 
Antwerpen,  Köln,  Frankfurt  und  Augsburg  vereinnahmten  Portos  be- 
tragt für  das  erste  Quartal  des  Jahres  161 9  5291  Lire  6  Soldi  (richtig 
5 191  Lire  8  Soldi).  Davon  gehen  die  vom  Venezianer  Postamte  ge- 
machten Auslagen  und  die  Provision  des  Kaiserlichen  Postamtes  da- 
selbst mit  1601  Lire  18  Soldi  ab,  so  dafs  sich  ein  Überschufs  von 
3689  (richtig  3589)  Lire  8  Soldi  für  das  Taxissche  Generalpostamt  in 
Brüssel  ergibt 

Auffallend  erscheint  es,  dafs  für  die  am  29.  März  abgehende 
Ordinaripost  keine  Briefschaften  für  Köln  verzeichnet  sind.  Ist  diese 
Position  etwa  nur  vergessen  worden?  Bei  der  Verrechnung  der  am 
21.  März  abgegangenen  Frankfurter  Post  sind  für  50  Unzen  nur  3  Lire 
berechnet,  statt  30  Lire. 

Der  Abrechnung  liegt  ein  kleiner  Zettel  bei  mit  den  Worten: 

Mando  a  Vostra  Signoria  li  conü  deUe  tre  mesi 
Genaro,  Febraro  e  Marzo,  che  importa  ducatti 
Venitiani  cinqae  cento  e  Donanta  cinque. 

Wie  aus  einem  Schreiben  des  Ferdinando  von  Tassis  an  den 
kaiserlichen  Erbgeneraloberstpostmeister  Freiherrn  Lamoral  von  Tassis 


i)  Zum  Vergleiche  mögen  hier  die  Taxen  angeführt  werden,  welche  nach  einer 
Postiostroktion  ans  dem  Jahre  1599  vom  Königlich  Spanischen  Postamte  in  Mailand  für 
die  Unxe  erhoben  worden.  Für  Briefe  von  Rom  12  Soldi,  von  Neapel  15  Soldi,  von 
Sitiiien  18  Soldi,  von  Florenz  and  Ancona  8  Soldi,  von  Bologna,  Ferrara  und  Modena 
6  Soldi ,  von  Spanien  26  Soldi  and  3  dineros  (Kapfermtinze) ,  von  den  Niederlanden 
ebensoviel,  von  Lyon  30  Soldi,  vom  kaiserlichen  Hof  12  Soldi,  von  Trient  8  Soldi,  von 
Venedig,  Padnm  nnd  Verona  9  Soldi,  von  Bergamo  and  Genoa  4  Soldi.  Historisches 
Jihrboch.     Jahrgang  1892,  S.  57. 

2 


—     18     — 

zu  Brüssel,  d.  d.  Venedig,  den  ii.  Januar  1619,  ersichtlich  ist,  betrug 
in  dem  unmittelbar  vorausgebenden  Quartal,  also  vom  i.  Oktober  bis 
31.  Dezember  16 18,  der  dem  Generalpostamte  in  Brüssel  zukommende 
Gewinn  auf  der  Postlinie  Venedig — ^Antwerpen  750  Venezianer  Dukaten. 
Dieser  verhältnismäfsig  grofse  Überschuß,  welcher  schon  seit  drei  bis 
vier  Jahren  regelmäfsig  im  Quartal  erzielt  wurde,  rührte  zu  einem 
guten  Teile  von  dem  Porto  her,  das  von  Venezianer  Kaufleuten  für 
allwöchentliche  Perlensendungen  nach  den  Niederlanden  entrichtet 
wurde,  obschon  die  betreffenden  Pakete  für  die  halbe  Taxe  (a  metao 
porto)  befördert  wurden.  Nach  der  Berechnung  des  Ferdinando  von 
Tassis  betrug  das  Porto  hierfür  im  Quartal  mehr  als  200  Dukaten. 
In  demselben  Schreiben  wird  noch  bemerkt,  daüs  man  die  vom  General- 
postmeister bestellte  Laute  (Harfe?)  bei  erster  Gelegenheit  zu  Schiff 
nach  Amsterdam  oder  Dünkirchen  abgehen  lassen  werde.  Dies  In- 
strument war  wohl  seiner  Gröfse  halber  für  eine  Beförderung  mit  der 
Post  ungeeignet. 

Zum  Vergleiche  möge  hier  noch  der  venezianische  Conto  deUe 
lettere  über  das  vierte  Quartal  des  Jahres  161 4,  wenigstens  in  seinen 
Hauptpunkten,  herangezogen  werden. 

Die   Portoeinnahmen    des    Postamtes    zu    Venedig   beliefen    sich 
während  dieser  Zeit  bei  13  wöchentlichen  Ordinariposten  für  die 
Briefe  nach  Antwerpen  auf  2221  IJre  16  Soldi, 

Köln  „     13 16     n     12 

Augsburg      „       663     ,.       6 
[.,         „      Frankfurt       „         49     „       o       „] 
von   Augsburg      „       678     „       3 

Summa  4879  Lire  17  Soldi  *). 

Für  die  nach  den  Niederlanden  abgehende  Ordinaripost  war  der 
Freitag,  für  die  von  dorther  kommende  der  Mittwoch  Posttag.  Die 
erste  Ordinaripost  wurde  am  3.  Oktober  nach  Antwerpen  abgefertigt, 
die  letzte  am  26.  Dezember,  also  am  zweiten  Weihnachtstage,  was 
dafür  spricht,  dafs  des  Feiertags  halber  der  Abgang  der  Ordinaripost 
nicht  etwa  aufgeschoben  wurde.  Von  den  Niederlanden  kamen  in 
diesem  Quartal  nach  Venedig  14  Ordinariposten,  die  erste  am  i.  OJ^' 
tober,  die  letzte  am  31.  Dezember. 


„     Augsburg      „       663     ,1       6 


i)  Das  Porto  (tir  die  nach  Frankfart  abgegangenen  Briefe  im  Betrage  von  49  ^^^ 
ist  in  diese  Summe  nicht  eingerechnet  Hier  sowohl  als  im  Konto  des  Jahres  1019 
fallt  der  geringe  Briefverkehr  zwischen  Frankfart  and  Venedig  aof.  Wahrscheinlich  gioS 
die  Mehrzahl  der  Frankfurter  Briefschaften  von  Venedig  anfrankiert  ab. 


»»  ^  f. 


II 


-     19    — 

Die  der  Gesamteinnahme  von  4879  Lire  17  Soldi  gegenüber- 
stehenden Gegenleistungen  betrugen: 

300  Dukaten  ')   bezahlt  den  Herren 

Vanuffle  und  Qemens     .     .     .     1860  Lire, 
Ein  Guthaben  von  der  vorausgehenden 

Quartalrechnung 877      „        5  Soldi, 

150  dappie  di  Sp<igna  geschickt  dem 

Generaloberstpostmeister     .     .     2880 
Eine  Zahlung  an  das  Postamt  zu  Trient 

für  eine  Extrapost  von  Flandern         25 
Vergütung  für  das  Postamt  Venedig       262      ,,      10       „ 

Summa  5904   Lire    15   Soldi. 

Demnach  waren  dem  Ferdinando  von  Tassis  für  die  Zeit  vom 
I.Oktober  bis  31.  Dezember  16 14  1024  Lire  18  Soldi  gutzuschreiben, 
welche  bei  der  Abrechnung  für  das  nächste  Quartal  beglichen  werden 
sollten.  Da  auch  in  der  Quartalrechnung  des  Jahres  1619  die  gleiche 
Summe  als  Vergütung  (proviggione)  vorkommt,  so  ist  der  Schlufs  be- 
rechtigt, dafs  es  sich  dabei  nicht  etwa  um  eine  prozentuale  Tantieme, 
sondern  um  eine  ständige  Besoldung  handelte,  die  für  das  Jahr  1050  Lire 
betrug,  wobei  die  50  Lire  wahrscheinlich  für  Bureauutensilien  ge- 
rechnet sind. 

Die  beiden  Conti  deUe  lettere  aus  den  Jahren  1614  und  1619 
sind  nach  einem  gewissen  Schema  von  derselben  Hand  auf  die  drei 
ersten  Seiten  eines  ganzen  sieben  Gramm  *)  schweren  Bogens  ge- 
schrieben, dessen  letzte  Seite  frei  bUeb.  Die  vorli^enden  Schrift- 
stücke sind  als  statistische  Aufzeichnungen  über  den  internationalen 
Briefverkehr  aus  jenen  Zeiten  ohne  Zweifel  von  grofser  Seltenheit. 


i)  Der  Dukaten  ist  auch  hier  nach  dem  Kurse  von  6}  Lire  oder  6  Lire  4  Soldi 
ugescfalagen.  Auf  die  Lire  gingen  (wie  noch  heute)  20  Soldi.  Vgl.  Lnschin  von 
Ebengreath,   Allgemeine  Münzkunde  und  Oeldgesehichie  (München  1904),   S.  155. 

3)  Anf  eine  Briefnnze  (30  Gramm)  gingen  also  bequem  vier  dieser  Bogen  „  Post- 
Papier*'.  Ich  erwähne  dies  zum  Vergleiche  mit  unserem  modernen  Oberseepostpapier. 
Alf  30  Gramm  gehen  hiervon  sogar  sechs  Bogen  des  gröfsten  Formats. 


2* 


—     20     — 

Mitteilungen 

ArchlTe.  —  In  dem  Aufsatze  Neuere  Wirtachaftsgesdhichte  (Deutsche 
Geschichtsblätter  6.  Bd.,  S.  193 — 235)  hat  der  Herausgeber  dieser  Zeit- 
schrift eine  Reihe  Arbeiten  über  das  wirtschaftiiche  Leben  besonders  des 
XIX.  Jahrhunderts  kritisch  beleuchtet  und  ist  auf  Grund  der  Untersuchung 
zu  der  Forderung  gelangt,  es  sei  notwendig,  die  aus  der  Privatunter^ 
nehmung  hervorgegangenen  Urkunden  des  Wirtschaftslebens 
besonders  aus  dem  letzten  Jahrhundert  nachträglich  so  gut, 
wie  es  eben  geht,  zu  sammeln,  vor  allem  aber  von  jetzt  an  in 
der  Gegenwart  bereits  in  dieser  Richtung  tätig  zu  sein.  Eine 
Anstalt,  in  der  vor  allem  das  Schreibwerk,  welches  aus  dem  Geschäftsbetrieb 
der  Privatuntemehmungen  hervorgegangen  ist,  die  Geschäftsbücher  einschliefs- 
lich  des  Briefwechsels,  gesammelt  wird,  bezeichnet  der  Verfasser  ab  Wirt- 
schaftsarchiv und  umschreibt  das  Wesen  und  den  Zweck  eines  solchen 
im  einzelnen.  Diese  Ausführungen  waren  ftir  die  Geschichtsforscher  bestimmt 
und  haben  namentlich  im  Kreise  der  Archivare  auch  manchen  Widerhall 
geftmden,  aber  nach  der  praktisch-organisatorischen  Seite  hin  sind  doch  an 
dem  aufgerollten  Problem  viel  weitere  Kreise  interessiert,  vor  allem  die  als 
Unternehmer  im  praktischen  Leben  stehenden  Männer,  Kaufleute  und  Fabri- 
kanten, nicht  minder  aber  die  Vertreter  der  Wirtschaftswissenschaft  und  die 
Interessenvertretungen  des  Handeb,  der  Industrie,  Landwirtschaft  usw.  Diese 
Kreise  namentlich  mufsten  mit  dem  Gedanken  vertraut  gemacht  werden,  und 
ihnen  gegenüber  bedurfte  die  Forderung  auch  einer  eingehenderen  wirtschafts- 
wissenschaftlichen, teilweise  sogar  sozialpolitischen  Begründung.  Deshalb  hat 
der  Verfasser  seine  Ausführungen  erweitert  und,  ftir  aUe  BeteiUgten  zugäng- 
lich, in  Buchform')  vorgelegt,  nicht  zum  wenigsten,  lun  die  Grundlage 
für  eine  öffentliche  Erörterung  des  Planes  zu  schaffen. 

Der  Stoff  ist  in  sieben  Kapitel  gegliedert,  deren  Überschriften  lauten: 
Das  Wirtschaftliche  in  den  Darstellungen  der  neueren  deutschen  Oeschichte 
(S.  I — 9),  Wirtschaflsgeschichie  als  Teil  der  Wirtschaflsunssensehaß  (S.  10 — 20), 
Die  Unternehmung  (S.  20 — 36),  Die  einzelne  Unternehmung  als  Oegertstand 
der  Wirtschaflsforschung  (S.  37 — 66),  Die  Organisation  von  Wirtschafts- 
archiven  und  insbesondere  von  unrtschaftlichen  Bezirksarchiven  (S.  66 — 87), 
Was  soll  in  einem  unrischaßlichen  Bezirksarchiv  gesammelt  werden?  (S.  87 — 98) 
und  Der  Wert  der  Wirtschaftsgeschichte  für  das  praktische  Leben  (S.  99 — 1 10). 
Hieraus  bereits  ist  der  Gedankengang  im  wesentlichen  ersichtlich  und  vor 
allem  der  Zusammenhang  mit  der  Geschichtsforschtmg,  der  diese  Zeitschrift 
zu  dienen  berufen  ist.  Für  die  ortsgeschichtliche  Forschung  im  beson- 
deren sind  die  Ausführungen  von  Belang,  die  sich  mit  den  Geschichts- 
vereinen beschäftigen:  ihnen  wird  die  Aufgabe  gesteUt,  sich  dauernd  und 
zielbewufst  lun  die  Entwickelung  des  wirtschaftlichen  Lebens  in  ihrem  Arbeits- 
gebiet zu  kümmern  und  alle  einschlägigen  urkundlichen  Zeugnisse  —  nament- 
lich Geschäftsbücher  einzelner  Firmen  —  zu  sammeln.  Die  Tätigkeit,  die 
der  Barmer  Lokalverem    des    Bergischen    Geschichtsvereins   bisher 

i)  Armin  Tille:  Wirtaehaftsarchive  [«>  Sozialwirtschaftlichc  Zeitfragen,  heraus- 
gegeben von  Dr.  Alexander  Tille,  Heft  5/6].  Berlin,  Verlag  von  Otto  Eisner  1905, 
Xin  and  HO  S.     M.  1,60. 


—     21     — 

schon  in  dieser  Richtung  entUtet  hat,  wird  S.  83  anerkannt  und  kann 
f&r  andere  Vereine  vorbildlich  werden;  ebenfalls  wird  dort  aber  der  Bemü- 
hungen gedacht,  durch  die  der  Verein  für  Geschichte  der  Deutschen 
in  Böhmen  die  Geschichte  der  Industrie  des  Landes  aufzuklären  gesucht 
hat  Auch  in  dieser  Hmsicht  wäre  Nachahmung  des  Beispieb  durch  andere 
Vereine  recht  sehr  am  Platze. 

Femer  macht  der  Verfasser  den  Anüsuig  mit  einer  Bibliographie  der 
Torhandenen  Firmengeschichten:  60  Titel  vermag  er  namhaft  zu  machen, 
nm  denen  48,  die  er  selbst  eingesehen  hat,  in  kurzen  Bemerkungen 
kritisiert  werden.  Es  ist  selbstverständlich,  dafs  nicht  entfernt  Vollständig- 
keit errddit  worden  ist,  aber  es  liegt  doch  nun  ein  Anfang  vor,  und  die 
Ausgestaltung  kann  folgen;  jeder  Hinweis  auf  eme  übersehene  geschicht- 
liche Beschreibung  einer  einzelnen  Firma  —  meist  ist  es  eine  Jubiläums- 
schrift —  wird  dem  Verfasser  willkonmien  sein.  Aufserdem  wird  es  aber 
anch  notwendig  werden,  eine  andere  Gattung  von  Büchern  mehr  zu  beachten, 
das  smd  die  Memoiren,  Briefwechsel  und  Biographien,  die  uns 
cinzebe  hervorragende  Männer  der  Arbeit  in  ihrer  £ntwickelung  schildern 
und  namentlich  in  ihr  Seelenleben,  ihr  Wollen  und  Wirken  Einblick  tun 
lassen.  Auf  derartige  Bücher  hat  der  Verfasser  nur  S.  40  kurz  hingewiesen, 
aber  von  einer  Aufeählung  der  ihm  bekannten  vorläufig  abgesehen,  um  nicht 
one  allzu  lückenhafte  Zusanmienstellung  zu  geben,  aber  in  der  Folgezeit 
wird  auch  eine  derartige  Bibliographie  bearbeitet  werden  müssen.  Natur- 
gemäis  handelt  es  sich  auch  hier  stets  um  örtliche  Erscheinungen,  und 
gerade  die  Geschichtsvereine  werden  in  ihren  Büchersammlungen  am  ehesten 
einschlägige  Bücher  in  gröfserer  Anzahl  besitzen.  Mögen  sie  ihnen  künftig 
ihre  ganz  besondere  Aufmerksamkeit  zuwenden! 

Alles  in  allem  bedeutet  das  Buch  über  Wirtschaftsarchive  eme  Mahnung 
an  aUe  geschichtlich  interessierten  Kreise,  die  jüngste  Vergangenheit  und  die 
unmittelbare  Gegenwart  mehr  als  bisher  geschichtlich  zu  betrachten  und 
das  Material,  welches  nach  einigen  Jahuehnten  als  geschichtlich  wertvoll 
geschätzt  wird,  von  vornherein  systematisch  zu  sammeln.  Dafs  eine 
sokJie  Mahnung  heute  notwendig  und  nützlich  ist,  wird  jeder  zugeben,  der 
miser  tägliches  Leben  mit  dem  Auge  des  künftigen  nach  Quellen  suchenden 
Geschichtsforschers  beobachtet. 

Famlllenforsehnng.  —  Wiederholt  ist  bereits  in  diesen  Blättern  von 
der  Stammbaumkunde  und  Ahnenforschung  die  Rede  gewesen^), 
deren  Beziehung  zur  Landes-  und  Ortsgeschichte  und  Bedeutung  für  die 
Geschichtsforschung  überhaupt,  namentlich  für  die  Sozialgeschichte,  nicht 
veiter  erörtert  zu  werden  braucht.  Wie  grofs  aber  fUr  den  Forscher,  der 
die  Ahnen  einer  Person  zu  verfolgen  sucht,  die  Schwierigkeiten  tatsächlich 
smd,  das  wurde  bereits  an  der  zweiten  der  eben  genannten  Stellen  auseinander 
gesetzt,  wo  zugleich  ein  Vorschlag  zur  Kenntnis  der  Leser  gebracht  wurde, 
ua  die  genealogische  Arbeit  gewissermafsen  zu  organisieren  und  losgelöst  von 
anderen  Aufgaben  als  Selbstzweck  zu  fördern.  Ein  solches  Verfahren  ist 
beim  heutigen  Stande  der  Wissenschaften  auch  sachlich  gerechtfertigt,  denn 
• 

1)  VgL  3.  Bd.  (1903),  S.  182— r85  und  4.  Bd.  (1903),  S.  272-274. 


—     22     — 

so  gewifs  die  Genealogie  als  hbtorische  HilE^wissenschafl  au%eblüht  ist,  so 
sehr  hat  sich  doch  auch  gezeigt,  dals  sie  durchaus  nicht  nur  zur  Geschichts- 
wissenschaft in  Beziehung  steht,  sondern  vor  allem  zur  Gesellschaftswissen- 
schaft, und  von  dieser  Seite  her  sind  der  Familienforschung  Aufgaben  gestellt 
worden,  die  wesentlich  über  das  Geschichtliche  hinausgehen.  Vor  allem 
handelt  es  sich  da  um  den  sozialpolitisch  so  wichtigen  Nachweis,  dafs  die 
Zugehörigkeit  zu  einer  Gesellschaftsklasse  durchaus  nicht  erblich  ist,  sondern 
dafs  ein  dauerndes  Auf-  und  Absteigen  auf  der  sozialen  Leiter  stattfindet, 
wenn  auch  nur  3  bis  4  Generationen  ins  Auge  gefafst  werden.  Schon  um 
dieser  einen  hoch  wichtigen  Lehre  willen  verdient  die  Familienforschung 
eine  systematische  Pflege,  die  ihr  gegenwärtig  noch  kaum  zuteil  wird,  denn 
in  der  Tat  ist  es  heute  in  der  Regel  eine  Einzelperson,  die  ihre  eigene 
Herkunft  möglichst  weit  zurückzuverfolgen  sucht  und  zu  diesem  Behufe 
genealogische  Zusammenhänge  aufzudecken  unternimmt  Wenn  bisher  für 
allgemeine  wissenschaftliche  Zwecke  im  grofsen  ähnliche  Arbeiten  kaum  ver- 
sucht worden  sind,  so  liegt  das  sicher  nicht  zum  wenigsten  an  der  Schwierig- 
keit, mit  der  die  Sammlung  genealogischer  Daten  über  Durchschnitts- 
menschen verknüpft  ist,  nicht  etwa  daran,  dafs  die  Probleme  noch  nicht 
als  solche  erkannt  wären  %  und  deshalb  wird  auch  nur  durch  Beseitigung 
dieser  Schwierigkeit  auf  eine  Förderung  der  Genealogie  als  Wissen- 
schaft gerechnet  werden  können. 

i)  Vgl.  z.  B.  die  hierher  gehörigen  AtL^^führungen  von  Gmelin  in  seinem  Aufsätze 
Die  Verwertung  der  Kirchenbücher  in  dieser  Zeitschrift  i.  Bd.  (1900)  S.  162  —  163 
sowie  Kekale  vonStradonitz  in  den  unten  zu  nennenden  Mitteilungen  der  ZetürcU- 
stelle  für  deutsche  Personen-  und  Familiengeschichte,  i.  Heft  (1905),  S.  24—25.  — 
Als  rein  wissenschaftliche  Untersuchung  ohne  persönliche  Nebenzwecke  würde  etwa 
eine  genealogische  Arbeit  zu  betrachten  sein,  die  sich  die  Aufgabe  stellte  zu  prüfen,  welche 
Personen  bis  heute  die  Nachkommenschaft  von  Leuten  bilden,  die  etwa  im  Jahre  1 700  eine 
gleichartige  Gruppe  darsteUten.  Dabei  wäre  etwa  zu  denken  an  die  Personen,  welche 
gleichzeitig  an  irgendeiner  Universität  immatrikuliert  wurden,  oder  an  solche,  die  gleich* 
zeitig  einer  bestimmten  Innung  irgendeiner  Stadt  als  Mitglieder  angehörten  usw.  Welcher 
sozialgeschichtliche  und  sozialpolitische  Grewinn  aus  solchen  Untersuchungen  sich 
gewinnen  liefse,  ist  gar  nicht  abzusehen.  Das  hiefse  die  Familien forschung  in 
den  Dienst  der  Sozialwissenschaft  stellen.  Gerade  die  Vertreter  der  letzteren 
haben  dies  teilweise  schon  längst  erkannt  und  sich  in  ihren  Arbeiten  auf  genealogisches 
Gebiet  begeben.  Ottokar  Lorenz  hat  in  seinem  Lehrbuch  der  gesamten  wissen- 
schaflliehen  Genealogie  (Berlin  1898)  die  grofsen  Zusammenhänge,  die  von  der  Familien- 
kunde zu  den  übrigen  Wissenschaften  hinüberleiten,  aufgedeckt,  und  zwei  andre  Forscher 
sind  nachdrücklich  von  ihrem  naturwissenschaftlichen  Standpunkte  aus  für  die 
Pflege  der  Familiengeschichte  eingetreten:  das  sind  Alfred  Ploetz  (Berlin),  der  das 
Archiv  für  Rassen-  und  Oesellschaftsbiologie  herausgibt,  und  Ludwig  Woltmann 
(Eisenach),  der  seit  1902  die  Monatsschrift  Politisch-anthropologische  Revue  (Eisenach, 
Thüringische  Verlagsanstalt)  veröffentlicht.  Letzterer  hat  sich  auch  in  seiner  Politisehen 
Äntfiropologie  (das.  1903),  S.  74 — 75  über  den  Wert  genealogischer  Untersuchung  für 
die  wichtige  Frage  der  Vererbung  geäufsert.  Es  handelt  sich  hierbei  um  Äufserungen 
einer  mächtigen  Bewegung,  in  deren  Dienst  die  Familienforschung  treten  kann,  wenn  sie 
wissenschaftlich  und  intensiv  betrieben  wird.  Erfreulich  ist  es,  wenn  man  in  einer  An- 
zeige des  Ahnentafelatlas  von  Stephan  Kekule  von  Stradonitz  (Berlin  1898  bis 
1904)  in  der  Wissenschaftliehen  Beilage  der  Leipziger  Zeitung  1905  Nr.  48  lesen 
kann :  „Wer  Bevölkerungsstatistik  treibt  oder  ähnlich  gerichteten  Bestrebungen  huldigt, 
kommt  ja,  will  er  wirklich  die  auf  diesem  Felde  sich  abspielenden  Wandlungen  scharf 
erkennen,  ohne  ein  intensives  Studium  von  Stammbäumen  und  Ahnentafeln  gar  nicht  aus; 
verzichtet  er  kurzerhand  darauf,  dahn  kann  mtm  seinen  Aufstellungen  und  Behauptungen 
nur  den  Wert  von  Phrasen  zubilligen,  die  jeglicher  Verbindlichkeit  bar  sind"  (Helmolt). 


—     23     — 

Die  oben  erwähnte  1903  geplante  Organisation,  um  für  die  Allgemein- 
heit imd  breite  Öffentlichkeit  möglichst  zahlreiche  genealogische  Tatsachen  zu 
sammeln,  ist  Anfang  1904  tatsächlich  ins  Leben  getreten:  es  ist  die  Zen- 
tralstelle für  deutsche  Personen-  und  Familiengeschichte  in  Leipzig, 
Nemnarkt  29.  -  Über  ihren  Zweck  und  die  zugrunde  liegende  Absicht  gibt 
der  Name  bereits  genügende  Auskunft,  aber  über  ihre  Arbeitsweise  sind 
oäbese  Angaben  erforderlich,  wenn  der  für  die  Allgemeinheit  aus  dieser 
Sammeltätigkeit  entspringende  Nutzen  gewürdigt  und  die  öffentliche  Aufmerk- 
samkeit darauf  gelenkt  werden  soll. 

Wie  die  Verhältnisse  in  Deutschland  liegen,  lassen  sich  wissenschafdiche 
Angaben,  die  neu  auftauchen,  nur  dadurch  lösen,  dafs  die  dazu  erforder- 
lichen Mittel  durch  Zusammenwirken  der  Interessenten  aufgebracht  werden. 
C^öfsere  Kapitalstiftungen  für  solche  Zwecke  sind  bei  uns  noch  ganz  selten, 
tmd  öffentliche  Mittel  lassen  sich  ebenfalls  nicht  so  leicht  dafür  flüssig  machen. 
Als  Ideal  würde  zweifellos  eine  deutsche  Reichsbehörde  —  etwa  mit  dem 
Namen  „Genealogisches  Reichsamt"  —  gelten  müssen,  dem  die 
Pflege  der  Genealogie  als  Wissenschaft  und  ihre  praktische  Nutzbannachung 
obläge,  aber  da  gegenwärtig  an  so  etwas  kaum  gedacht  werden  kann,  so 
hat  sich  ein  Verein  gebildet,  der  sich  etwas  langatmig  „Verein  zur  Be- 
gründung und  Erhaltung  einer  Zentralstelle  für  deutsche  Personen-  tmd  Familien- 
geschichte" nennt  tmd  der  ledi^ch  den  Zweck  verfolgt,  die  Mittel  für  die 
Uoterhaltimg  der  Zentralstelle  zu  beschaffen  tmd  für  deren  Verwalttmg  zu 
»)igen.  Die  Mitgliederzahl  des  Vereins  beträgt  gegenwärtig  beinahe  300; 
der  Jahresbeitrag  ist  auf  mindestens  5  M.  festgesetzt,  aber  Beiträge  von 
10  VL  tmd  20  M.  werden  seitens  nicht  weniger  Mitglieder  entrichtet.  Atifser- 
dem  sehen  die  Satztmgen  „Mitglieder  auf  Lebenszeit"  vor,  die  durch  ein- 
malige Zahltmg  von  100  M.  die  Mitgliedschaft  erwerben.  Wohlhabenden 
Privadetiten  ist  atif  diese  Weise  die  Möglichkeit  gegeben,  die  Zwecke  der 
Zentralstelle  tatkräftig  zu  fördern.  Besonderen  Vorteil  würde  es  bringen, 
wenn  Staatsbehörden  als  Mitglieder  oder  auf  sonstige  Weise  der  Zentral- 
stelle Geldmittel  zuführen  tmd  sie  dadurch  in  ihrem  Wirken  unterstützen 
würden;  vorlätifig  ist  nur  ein  derartiges  Mitglied,  das  Königlich  Sächsische 
Ministeritmi  des  Innern,  zu  verzeichnen.  Im  ganzen  sind  im  Jahre  1 904  an 
Mitgliedsbeiträgen  1393  M.  eingegangen,  aber  für  1905  wird  sich  der  Betrag 
wesentlich  höher  belatifen. 

An  der  Spitze  des  Vereins  steht  der  neungliedrige  „Geschäfts- 
führende Ausschufs",  dem  zugleich  die  Verwaltung  der  Zentralstelle 
obliegt.  Fünf  seiner  Mitglieder  (Vorsitzender,  Schriftführer,  Schatzmeister, 
I.  und  2.  Beisitzer)  müssen  satzungsgemäfs  in  Leipzig  ansässig  sein;  von 
den  übrigen  4  Beisitzern  ist  es  erwünscht,  dafs  mindestens  zwei  auswärtige 
smd.  Gegenwärtig  sind  dies  die  bekannten  Genealogen  Dr.  Stephan 
Kekule  von  Stradonitz  (Berlin)  und  Dr.  Adolf  von  den  Velden 
(Weimar),  während  den  Vorsitz  Rechtsanwalt  Dr.  Hans  Breymann  (Leipzig, 
Neomarkt  29),  an  den  alle  Sendungen  zu  richten  sind,  führt.  Als  Ziel  steht 
den  Beteiligten  die  Einrichtung  einer  Geschäftsstelle  unter  Leitung 
eines  geschulten  Genealogen  mit  wissenschaftlichen  Hilfs- 
kräften und  Schreiberpersonal  vor  Augen.  Dazu  reichen  allerdings 
die  Mittel  gegenwärtig  noch  längst  nicht,  tmd  so  hat  der  GeschäfbfÜhrende 


—     24     — 

Atisschufs,  der  wöchentlich  einmal  als  Arbeitsausschufs  zusammenzu- 
treten pflegt,  nicht  nur  die  Einrichtung  und  Leitung  der  Geschäftsstelle,  son- 
dern auch  die  Sammelarbeit  und  Auskunfterteilung  selbst  übernehmen  müssen. 
In  einem  gemieteten  Räume  sind  die  immerhin  schon  recht  stattlichen  Samm- 
lungen untergebracht,  imd  als  Hilfisarbeiter  ist  ein  Student  der  Geschichte 
dauernd  tätig,  der  mit  Eifer  und  Verständnis  arbeitet.  Mehr  Heis  sich  bis- 
her schlechterdings  nicht  erreichen,  aber  es  besteht  begründete  Hoffiitmg, 
dafs  von  1906  an  die  Verlegung  der  Geschäftsstelle  unmittelbar  neben  die 
Arbeitsräume  des  Vorsitzenden  und  die  Anstellung  einer  ständigen  Schreib- 
kraft möglich  werden  wird. 

Die  sachliche  Aufgabe  der  Zentralstelle  besteht  darin,  in  erster  Linie 
die  seit  Jahrhunderten  geleistete  familiengeschichtliche  Arbeit  und  die  Ergeb- 
nisse der  täglich  vorgenonmienen  neuen  Forschungen  für  die  Gesamtheit 
nutzbar  zu  machen.  Zu  diesem  Behufe  gilt  es  die  reiche  Sammelliteratur 
und  ebenso  die  über  einzelne  Familien  vorhandenen  Schriften  zusammenzu- 
bringen und  deren  Inhalt  sowie  den  der  verschiedensten  handschriftlichen  Quellen 
zu  einem  grofsen  alphabetischen  Zettelkatalog  zu  verarbeiten,  so  dafs  — 
dies  wäre  das  unerreichbare  Ideal  —  der  Familienzusanmienhang  j  e  d  e  s  im 
Laufe  der  letzten  drei  Jahrhunderte  wenigstens  lebenden  Deutschen  auf  einem 
Zettel  verzeichnet  stände.  Aus  diesem  Material  soll  dann  gegen  geringes 
Entgelt  jedem  Frager  Auskunft  erteilt  werden.  Liegt  —  von  einzelnen 
AusnahmeftUlen  abgesehen  —  eine  derartige  Auskunftserteilung  heute  auch 
noch  in  weitem  Felde,  da  eben  erst  das  Material  zusammengebracht  werden 
mufs,  so  ist  sie  hinsichtlich  der  Literatur,  in  welcher  im  einzelnen  Falle 
zu  forschen  ist,  schon  jetzt  möglich,  und  zur  Erleichterung  solcher  Arbeit 
wird  vor  allem  an  die  Veröffentiichung  bibliographischer  Arbeiten  zur  Genea- 
logie gedacht.  Femer  sollen  später  auch  eigene  genealogische  Untersuchungen 
angestellt  werden,  sei  es  im  Auftrage  von  Interessenten,  sei  es  selbständig 
seitens  der  Zentralstelle.  Schliefslich  ist  das  Augenmerk  darauf  gerichtet, 
alles  zu  sanmieln,  was  über  Familienverbände,  Familienstiftungen  und  dgl.  Aus- 
kunft gibt,  auch  Namensforschung  und  Namenserklärung  zu  pflegen  und  dafür 
Material  anzusammeln.  Kurz  keine  Frage,  die  mit  dem  Familienzusanmien- 
hange  der  einzelnen  Person  in  Verbindung  steht,  soll  aufser  acht  gelassen 
werden. 

Dem  Arbeitsplane  liegt  folgender  einfache  Gedanke  zugrunde.  ^' 
freulicherweise  finden  sich  jetzt  in  allen  Kreisen  des  deutschen  Volkes 
Personen,  die  sich  mit  ihren  Vorfahren  beschäftigen  und  grofse  Mühe  und 
Kosten  aufwenden,  um  die  für  einen  Stammbaum  oder  für  eine  Ahnentafel 
notwendigen  Daten  zusammenzubringen.  Leider  ist  der  Erfolg  oft  recht  genug 
tmd  zu  einem  grofsen  Teile  vom  Zufall,  von  einem  günstigen  Griff  abhängig« 
denn  eine  unendliche  Fülle  genealogischer  Tatsachen  ist  bereits  einwandsfrci 
festgestellt,  selbst  in  gedruckten  Schriften  niedergelegt,  aber  der  einzelne 
Forscher  ist  nicht  in  der  Lage,  diese  wenigen  oder  vielleicht  die  einzige  10 
der  umfangreichen  Literatur  enthaltene,  für  ihn  in  Betracht  kommende  Angabc 
zu  finden.  Um  dem  einzelnen  Nachforschenden,  mag  er  aus  persönlichem 
Interesse  nach  seinen  eigenen  Vorfahren  suchen  oder  zu  geschichtlichen  oder 
rechtlichen  Zwecken  die  Ahnen  Dritter  verfolgen,  seine  Arbeit  zu  erleichtem, 
und   zugleich  um  für  künftige  Untersuchungen  verschiedenster  Art  zu  allge- 


—     26     — 

mdnen  berölkenuigswissenschafUichen  Zwecken  genealogisches  Tatsachen- 
material zu  beschaffen,  wiU  die  Zentralstelle  gerade  den  umgekehrten 
Weg  einschlagen  statt  desjenigen,  den  der  nach  einer  bestimmten  Einzelheit 
Forschende  wählen  mufs.  Sie  will  alle  nur  irgend  denkbaren  Nachrichten 
so,  wie  sie  überliefert  sind,  mit  genauer  Quellenangabe  auf  Zettel  übertragen, 
diese  zu  einem  alphabetischen  Zettelkatalog  vereinigen  und  so  allmählich  eine 
grofse  Sammlung  erforschter  genealogischer  Tatsachen  anlegen.  Abgesehen 
fon  mehreren  Nebenregistem ,  wie  z.  B.  Zettelkatalog  der  im  Druck  vor- 
liegenden Familiengeschichten,  gibt  es  zwei  Hauptregister:  a)  Grofse  Zettel 
fax  genealogische  Zusammenhänge;  b)  kleine  Zettel  für  einzelne,  nur 
eine  Person  betreffende  Tatsachen.  Diese  Formulare  sind  vorgedruckt 
Tiod  werden  von  Vereinsmitgliedern  oder  den  Beamten  der  Zentralstelle  aus- 
gefällt. Die  grofsen  Zettel  nennen  am  Kopf  eine  Person  und  unter  dem 
Strich  x)  deren  Eltern,  2)  deren  Kinder;  jede  als  Vater  oder  Mutter  oder 
als  Kind  genannte  Person  tmd  ebenso  der  andere  Ehegatte  der  am  Kopf 
bezeicimeten  Person  erhält  einen  besonderen  Zettel.  Einige  Tausend  der- 
artige Formulare  sind  schon  ausgefüllt,  aber  das  Material,  welches  noch  der 
Bearbeitimg  harrt,  ist  recht  grofs.  Da  bekaimtermafsen  schon  3  bis  4 
Generationen  zurück  die  Verzweigung  der  Familien  aufserordentlich  ausgedehnt 
ist,  so  xntifs  schon  nach  dem  Gesetz  der  Wahrscheinlichkeit  die  emzelne 
am  Ende  des  XVJII.  Jahrhunderts  genaimte  Person,  soweit  sie  überhaupt 
NachkoQimen  gehabt  hat,  für  zahlreiche  jetzt  lebende  Personen  als  Ahne 
m  Betracht  kommen. 

Um  die  Forschung  des  einzelnen  Genealogen  auch  schon  gegenwärtig 
nach  Möglichkeit  zu  fördern,  sind  an  die  Vereinsmitglieder  Fragebogen 
ausgegeben  worden.  Die  Fragen,  die  der  einzelne  stellt,  werden  seitens  der 
Zentralstelle  —  voraussichtlich  Ende  des  laufenden  Jahres  —  ohne  Nennung 
des  Fragers  veröffentlicht  und  die  etwa  daraufhin  einlaufenden  Nachrichten 
werden  an  die  betreffenden  Frager  weitergegeben.  Fragebogen  I  betrifft  eine 
einzige  bestimmte  Person  oder  Familie,  und  zwar  ist  erstens  mitzuteilen: 
Wa$  %Bt  über  die  Person  oder  FbmiHe  bereits  bekannt  und  auf  Orund  welcher 
Queüen  ?  und  zweitens :  Welche  u>eitere  Binxelheiten  darüber  u^erden  xu  vnssen 
gewünscht  ?  Auf  Fragebogen  II  dagegen  soll  einfach  unter  Angabe  von  Ort 
und  ungefiüirer  Zeit  eingetragen  werden:  Für  folgende  einzelne  Familien 
sammle  ich  Nachrichten  jeder  Art. 

Am  21.  November  1904  hat  der  Zentralstellenverein  seine  erste  Jahres- 
versammlung gehalten,  tmd  die  zweite  steht  nahe  bevor.  Inzwischen  ist  im 
April  1905  das  erste  Heft  der  Äfitteikmgen  der  ZentnüsteUe  für  deutsche 
Bsrsonen-  und  Familiengeschichte  (Leipzig,  Breitkopf  tmd  Härtel,  1905,  46 
S.  groi8-8^)  ausgegeben  werden,  tmd  darin  ist  alles  enthalten,  was  sich  über  die 
Gründtmg,  die  Absichten  tmd  die  Wirksamkeit  der  Zentralstelle  bis  zum  Schlufs 
des  ersten  Vereinsjahres  sagen  läfst.  Jeder,  der  noch  im  Jahre  1905 
die  Mitgliedschaft  erwirbt,  erhält  dieses  Heft  umsonst  ge- 
liefert Es  sind  darin  auch  zwei  Vorträge  abgedruckt,  die  atif  der  ersten 
Jahresversanjnltmg  gehalten  worden  sind  tmd  die  in  die  wissenschaftliche 
Genealogie  einzuführen  geeignet  erscheinen.  Adolf  von  den  Velden 
fordert  m  seinen  AusfÜhrtmgen  über  Wert  und  Pflege  der  Ahnentafel  neben 
dem  Stammbaum,   der  alle  Nachkommen  eines  Stammvaters   enthalten 


—     26     — 

soll,  die  Anlage  der  Ahnentafel,  die  von  der  gegenwärtigen  Generation 
aus  rückwärts  schreitet.  Da  der  Stammbaum  sich  vorwiegend  an  den  Namen 
hält,  so  kommt  darin  die  weibliche  Nachkommenschaft  in  der  Regel  zu  kurz. 
Die  Ahnentafel  dagegen  vermeidet  diesen  Übelstand  ganz  von  selbst,  da 
für  jede  Person  nach  beiden  Eltern  geforscht  werden  mufs.  Aufserdem 
aber  sieht  der  Forscher  stets  sofort,  wo  noch  Lücken  vorhanden  sind, 
während  dies  beim  Stammbaum  erhebliche  Schwierigkeiten  verursacht.  — 
Stephan  Kekule  von  Stradonitz  verbreitet  sich  über  Wissenschaftliche 
Oen^ealogie  als  Lehrfach  und  schildert  kurz  die  Aufgabe,  die  diese  neue 
Disziplin  im  akademischen  Unterricht  zu  erfüllen  hätte.  Handelt  es  sich 
dabei  auch  um  Zukunfbmusik,  so  verdient  doch  schon  der  Hinweis  Be- 
achtung, dafs  tmter  den  geschichtlichen  Hilfswissenschaften  heute  zwar  die 
Genealogie  gewöhnlich  aufgezählt,  jedoch  tatsächlich  im  akademischen  Unter- 
richt so  gut  wie  nie  als  solche  auch  wirkUch  behandelt  wird,  während 
andrerseits  die  rechtliche  Bedeutung  dieser  Wissenschaft  tmd  ebenso  die 
biologische,  medizinische,  soziale  und  statistische  noch  kaum 
empfunden  wird.  Daraus  aber  ergibt  sich,  dafs  es  heute  nicht  mehr  angeht, 
die  Genealogie  ledigUch  als  geschichtliche  Hilfswissenschaft  zu  betrachten, 
dafs  ihr  vielmehr  Selbständigkeit  zugesprochen  werden  mufs,  weil  sie 
nach  allen  Seiten  hin  Beziehungen  besitzt,  von  fast  allen  Wissenschaften 
Anregungen  empfängt  und  diese  wiederum  zu  befruchten  geeignet  ist 

So  viel  wäre  von  den  Leistungen  der  Zentralstelle  während  ihres  andert- 
halbjährigen Bestehens  zu  berichten.  Es  ist  gewifs  daraus  ersichtlich  ge- 
worden, welche  Bedeutung  ihrer  Tätigkeit  auch  für  die  Orts-  undLandes- 
geschichte  zukommt,  tmd  deshalb  sollte  sie  von  den  Forschem  auf  diesem 
Gebiete  besonders  beachtet  und  unterstützt  werden.  Das  gilt  namenüich 
auch  von  den  Geschichtsvereinen;  die  Interessengemeinschaft  mit  ihnen 
hat  der  Zentralstellenverein  seinerseits  dadurch  bekundet,  dafs  er  sich  sofort 
nach  seiner  Gründung  dem  Gesamtverein  der  deutschen  Geschichts-  und 
Altertumsvereine  angeschlossen  hat.  Unter  seinen  Mitgliedern  finden  sich  bis 
jetzt  auch  bereits  zwei  landschaftliche  Geschichtsvereine.  Auch  solche  Vereine 
und  Personen,  die  von  einer  Erwerbung  der  Mitgliedschaft  abstehen  zu  sollen 
glauben,  können  die  Ziele  der  Zentralstelle  recht  wohl  fördern,  indem  sie 
erstens  ihre  Mitglieder  oder  andere  Personen,  die  in  genealogischen  Dingen 
Rat  tmd  Hilfe  suchen,  auf  die  Leipziger  Zentralstelle  aufinerksam  machen, 
tmd  zweitens  indem  sie  ihr  eigenes  genealogisches  Tatsachenmaterial  behufs 
Verzetteltmg  zur  VerfÜgimg  stellen. 

Möge  diese  AufTordertmg  von  greifbarem  Erfolg  begleitet  sein! 

A.  T. 

Eingegangene  Bflcher. 

Mettig,  Konstantin:  Über  die  Wirksamkeit  des  westfälischen  Femgerichts 
in  Riga  [=  Sitztmgsberichte  der  Gesellschaft  fUr  Geschichte  imd  Alter- 
tumsktmde  der  Ostseeprovinzen  Rufslands  aus  dem  Jahre  1903  (Riga, 
W.  F.  Hacker  1904),  S.   14—18]. 

Müller,  Josef:  Das  sexuelle  Leben  der  christlichen  Kulturvölker.  Leipzig, 
Th.  Griebens  Verlag  (L.  Femau),   1904.     238  S.  8®.     M.  4,00. 

Herautgeber  Dr.  Amin  Ttlle  in  Leipsif . 
Druck  und  VerUf  Ton  FHedrich  Andreas  Perdiee,  AkdengeMUechaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


xur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

VII.  Band  November  1905  2.  Heft 

Der  H^nnsteig  des  Thüringer  Waldes 

Von 
Ludwig  Hertel  (Hildburgbausen) 

Obwohl  seit  dem  Jahre  1896  ein  eigener  Verein  besteht,  der 
<lie  Erforschung  des  Rennsteigs  auf  seine  Fahne  geschrieben  hat  *), 
-80  umschwebt  den  alten  Bergzinnenpfad  des  Thüringer  Waldes  noch 
manch  unentschleiertes  Geheimnis.  Allerdings  beginnt  der  Nimbus,  der 
{hm  noch  vor  einem  Menschenalter  eigen  war,  zu  schwinden,  seitdem 
^  der  poesiefeindlichen  Wissenschaft  gelungen  ist,  ihn  aus  seiner 
l^zenden  Vereinsamung  herauszuheben  und  ihm  —  durch  Um- 
fragen in  allen  Gauen  des  deutschen  Vaterlandes  —  anderthalbhundert 
Namensvettern  zuzugesellen,  die  vordem  gröfstenteils  nur  an  Ort  und 
Stelle  bekannt  waren  *).  Immerhin  bleibt  er  auch  so  noch  eine  ge- 
richtlich -  geographische  Merkwürdigkeit  ersten  Ranges  für  das 
Thüringer  Land.  Dafs  der  tagelang  durch  grünen  Waldesdämmer 
und  auf  dem  First  des  Gebirges  entlang  führende  Pfad  auch  dem 
Wandersmann    ganz    eigenartige    Reize    enthüllt  *) ,    dafs  Dichter    wie 


i)  Der  „Rennsteigverein"   zählt  gegenwärtig   300  Mitglieder;  sein  Organ   ist   das 
Jahrlicb  sechsmal  erscheinende  Mareile  (Hildbnrghaosen,  Gadow  &  Sohn). 

2)  Mitzschke,  Namenavettem  des  Rennsteigs  in  den  Thüringer  Monatsblättem,  April 
iS97ff.  —  Bühring,  Der  gegenwärtige  Stand  der  Rennsteigforsehung  (nach  Mand- 
irtgebieten  geordnete  Obersicht  von  121  Rennsteigen)  im  Korrespondcnzblatt  des  Ge- 
samtvereins  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertnmsvereine ,  Berlin,  März  1898.  — 
Hertel,  Die  Rennsteige  und  Rennwege  des  deutsehen  Sprachgebietes,  Hildbarghäoser 
"Gymnasialprogr.  1809.  Das  Ergebnis  läfst  sich  dahin  zusammenfassen,  dafs  im  Norden 
Deutschlands  nur  vereinzelte  Rennsteige  angetroffen  werden,  während  sie  in  gröfserer 
Anzahl  und  ziemlich  gleichmäfsig  über  Mittel-  und  Süddeutschland,  vorzugsweise  die 
(^irg*grgcnden,  verteilt  sind.  Im  einzelnen  finden  sich  -~  unter  Hinzurechnung  der 
später  aufgefundenen  «—  im  thüringisch- obersächsisch -schlesischen  Sprachgebiet  22,  im 
vcstfälisch-niedersächsischen  8,  im  hessischen  33,  im  vogtländischen,  main-  und  rhein- 
frinkiftchen  35,  im  schwäbisch-alemannischen  50  und  im  bayerisch  -  österreichischen  14 
-deranige  Wege. 

3)  Btthring,  Der  Rennsteig  als  Reisexiel.    Arnstadt  1898. 

8 


—     28     — 

Scheffel  und  Baumbach  sein  Lob  m  allen  Tonarten  gesungen  haben  >), 
sei  nur  im  Vorübergehen  erwähnt.  Den  Geschichtsforscher  interes- 
sieren vor  allem  die  Fragen  nach  Bedeutung,  Ursprung  und  Bestimmung, 
Verlauf  und  Ausdehnung  des  Weges. 

Bei  der  Natur  des  langgestreckten  Kammgebirges,  welches  nur 
an  einzelnen  Einsenkungen  durch  Strafsenzüge  gekreuzt  werden  kann  *), 
ist  von  vornherein  zu  vermuten,  dafs  das  Volk,  welches  ihn  zu  seinem 
Herrschgebiete  zählte,  diese  Höhe,  bzw.  deren  Pässe,  durch  Be- 
festigungen zu  sichern  suchte.  Mindestens  ist  diese  Vermutung  be- 
rechtigt für  die  ersten  nachchristlichen  Jahrhunderte,  wo  das  südlicher 
gelegene  Land,  das  obere  Werratal  und  das  Mainland,  eine  Völker- 
strafse  für  die  verschiedensten  von  Nordost  nach  Südwest  ziehenden 
Wanderstämme  bildete.  Auf  solche  Befestigungen  lädst  in  erster  Linie 
die  häufige  Wiederkehr  des  Namens  „Warte**,  dessen  Kranz  nament- 
lich den  westlichen  Flügel  des  Rennsteigs  umsäumt,  mit  ziemlicher 
Sicherheit  schlieisen.  Während  über  die  früheren  Jahrhunderte  die 
Urkunden  schweigen,  sind  wir  über  ein  ganzes  Verteidigungssystem 
aus  dem  Jahre  1512  aktenmäfsig  unterrichtet').  Damals  liefe  Kurfürst 
Friedrich  der  Weise  von  Sachsen  während  einer  Fehde  mit  den 
unbotmäfsigen  Erfurtern  den  ganzen  Thüringer  Wald  durch  einen  vom 
Dorfe  Hörschel  bei  Eisenach  bis  in  die  G^end  von  Ilmenau  ununter- 
brochen fortlaufenden  Verhau  sperren,  um  der  Stadt  Erfurt  durch 
Schliefsung  der  Waldstrafsen  die  Zufuhr  abzuschneiden  und  den  Handel, 
die  Wurzel  der  Macht  und  Stärke  Erfurts,  möglichst  lahmzulegen. 
Verschiedene  Umstände  deuten  darauf  hin,  dafe  diese  fast  hermetische 
Sperre,  eine  Art  Landwehr,  grofeenteUs  nach  Art  der  von  Cäsar 
(B.  G.  II  17)  als  Brauch  der  Nervier  beschriebenen  Verhaue  ausgeführt 
war.  An  den  Stellen,  wo  die  Hauptstrafeen  von  der  Landwehr  gekreuzt 
wurden,  verdreifachte  man  das  „Genick**  („Geheck**)  und  legte  zu 
beiden  Seiten  der  Strafse  Gräben  an;  zudem  waren  die  Pässe  durch 
Schläge,  Fallgatter  und  eiserne  Ketten  wohl  verwahrt 

Eine  sehr  praktische  Bedeutung  erlangte  der  Rennsteig  unter  der 
Regierung  Herzog  Ernsts  des  Frommen  von  Gotha  (1640 — 1675), 
der  anno  1634,   nach  der  Schlacht  bei  Nördlingen,   als  schwedischer 


1)  Bekanntlich  versetzt  uns  auch  Gustav  FrtjiAg  im  Anfang  seines  Ingo  auf  den  Renn- 
steig, den  Grenzrain  zwischen  Thüringern  und  Katten,  der  „den  guten  Göttern  geweiht  ist^. 

2)  W.  Gerbing,  Die  Pässe  des  Thüringer  Waldes  in  ihrer  Bedeutung  für  den 
innerdeutschen  Verhehr  und  das  deutsehe  Straßennetz,    (Dissertation,  HaUe  1904.) 

3)  Hefs,  Der  Thüringer   Wald   in    alten  Zeiten,     (GoUia,   Friedrich   Andrea» 
Perthes  A.-G.,  1898.) 


—     29     — 

Kommandeur  mit  Deckung  des  Rückzugs  beauftragt,  an  den  östlichen 
Rennsteigpässen  scharfe  Scharmützel  mit  den  ihn  verfolgenden  Kaiser- 
lichen zu  bestehen  hatte  und  bei  dieser  Gelegenheit  den  Wert  verteidi- 
goDgs&higer  Gebirgsübergänge  kennen  lernte.  Unmittelbar  nach  dem 
westfiilischen  Friedensschluß  ging  er  ans  Werk,  den  Rennsteig  zu 
militärischen  Zwecken  nutzbar  zu  machen  ^).  War  doch  dieser  weit- 
schanende  Fürst  um  jene  Zeit  auch  in  anderer  Weise  mit  Wehrhaft- 
machung  seines  Landes,  namentlich  im  Hinblick  auf  die  von  Osten 
drohende  Türkengefahr,  beschäftigt  Von  solchen  Absichten  geleitet, 
hatte  der  Herzog  dem  Forstmeister  David  Schmidt  von  Georgenthal 
und  dem  Oberförster  Martin  Nees  zu  Unterneubrunn  den  Auftrag  er- 
teilt, „den  Rennsteig  von  der  Eisenacher  Gegend  bis  ins  Reufs-Loben- 
steiniscbe  zu  bereiten'*  und  über  ihre  Aufnahmen  sorgfältigen  Bericht 
M  erstatten.  Gleichzeitig  wandte  sich  der  Herzog  an  sämtliche  Terri- 
totialherren  des  östlichen  Thüringens  mit  dem  Ersuchen,  die  zur  „Be- 
ratung" ausgesandten  Beamten  bei  ihren  Erkundungen  nach  Mög- 
lichkeit zu  unterstützen.  So  richtete  er  an  Herrn  Heinrich  X.  den 
Jüngeren  von  Reufs-Lobenstein  ein  Schreiben,  welches  wir  wegen  seiner 
Bedeutung  für  die  ganze  Frage  hier  abdrucken: 

Demnach  die  Notdurft  sein  will,  dafs  man  aaf  Mittel  und  Wege  denke,  wie 
ood  welcher  Gestalt  gegen  Cbursachsen,  als  unsern  Creifs-Obristen,  und  gegen  Eger 
in  Böhmen  correspondenz  zu  halten  und  ufm  Fall  Bedürfnisses  von  einem  Ort  zum 
andern  auf  den  Gehöltzen  und  Höhen,  also  dafs  man  auf  kein  Dorf  zukäme,  ver- 
deckt zu  passieren,  gleichermafsen  wir  einen  Weg  auf  den  Wäldern  und  Höhen  von 
Hessen  anbero  überm  Thüringer  Waldt  bis  an  Euer  territorium  erkundiget,  Als  haben 
wir  Euch  hiermit  gnädigst  ersuchen  wollen,  dafs  Ihr  doch  durch  die  Eurigen  aUes 
Fleifses  nachsehen  lassen  woUtet,  ob  von  Lobenstein  an  etwa  ein  Weg,  so  immer 
auf  den  Gehöltzen  fort  und  auf  kein  Dorf  ginge,  allbereit  vorhanden,  oder  im 
widrigen,  wie  ein  solcher  Weg  zu  machen  wäre,  und  wo  am  bequemsten  durch  die 
Saal  und  also  fort,  wie  gedacht,  verdeckt  gegen  Eger  zu  kommen  sein  möchte. 
Wie  und  welchermafsen  nun  solches  befunden  oder  in  Vorschlag  kommen,  auch 
in  was  für  Herrschaften  mit  solchem  Wege  Ihr  grenzet,  wollet  Ihr  uns  hinwider 
berichten  und  von  des  Weges  Beschreibung  Abschrift  schicken. 

Obgleich  die  aus  dem  Osten  einlaufenden  Antwortschreiben  meist 
«nbcftiedigend  lauteten  *),  gelang  es  den  Beauftragten  doch,  den  Ver- 
lauf des  Weges  von  der  Werra  bis  zur  Saale  festzustellen   und  zu 

I)  Btthring  und  Hertel,  Dm-  Bennsieig  des  Thüringer  Waldes.  Führer  Mir 
BtrpKmderung  nebet  geaekiehtUehen  ütUereuehungen.  (Jena,  G.  Fischer,  1896.) 
S.  128—135. 

3)  So  bescheinigt  der  Ortsrichter  in  Münchberg,  „  mafsen  ihm  bemeltes  Rennsteiges 
Weg,  der  von  Eisfeld  ans  bis  in  Böheim  gehen  solle,  ganz  im  geringsten  nichts  bewnlst, 
vo  derselbe  dorchgehen  mdge,  und  dahero  keine  Nachricht  erteilen  können  <<. 

3* 


—     30     — 

vermessen.  Die  Originalberichte  befinden  sich  unter  den  Sammelakten 
des  Herzoglich  Gothaischen  Staatsministeriums,  Dep.  IV,  Kap.  I,  Tit.  I, 
Nr.  35  (Amt  Georgenthal)  sub  15  mit  dem  Titel:  Rennsteig,  die  Be- 
reU-  und  Beschreibung  desselben,  Sie  enthalten  sämtliche  Foretorte, 
welche  vom  Rennsteig  berührt  werden,  nach  den  Forstverwaltungcn 
geordnet.  Die  Wichtigkeit  dieser  Aktenstücke  erkannte  schon  der 
emestinische  Geschichtschreiber  M.  Christian  Juncker  (1668  bis 
17 14),  der  in  seinem  umfangreichen,  leider  nur  handschriftlich  vor- 
handenen Werke:  „Ehre  der  gefiirsteten  Grafschaft  Henneberg"  (1704) 
dem  Rennsteig  ein  eigenes  Kapitel  widmet  und  seiner  Darstellung 
jene  Berichte  und  Vermessungsrisse  zugrunde  legt  *).  —  In  denselben 
Ministerialakten,  in  denen  die  „Bereitung  des  Rennsteigs**  enthalten 
ist,  befindet  sich  auch  eine  Ungefähre  Circumferenss,  wie  etliche  Berge 
am  Thüringer  Walde,  im  Notfälle  sich  dahinein  eu  salv^ieren,  bu  be- 
friedigen, dabei  ein  Gutachten  von  D.  Schmidt  in  Georgenthal  (von 
1657)  und  ein  gleiches  von  seinem  Amtsnachfolger  Lorenz  Crahmer  über 
die  Verhauung  der  Pässe  (von  1674).  So  grofse  Bedeutung  nun  auch 
die  genannten  Aktenstücke  für  die  Forschung  besitzen,  so  mufs  doch 
betont  werden,  dafs  es  dem  klugen  Herzog  und  seinen  Forstbeamten 
nicht  sowohl  darauf  ankam,  in  historischem  Interesse  die  ehemalige 
Richtung  des  Rennsteigs  aufzuspüren,  als  vielmehr  einen  Gebirgspfad 
zu  ermitteln,  auf  dem  kleinere  Truppenabteilungen  rasch  und  „ver- 
deckt** von  einem  Punkt  zum  anderen  gelangen  konnten.  Für  die 
Forstleute  war  damals  „Rennsteig**  eben  noch  gleichbedeutend  mit 
„reitbarer  Wald-  oder  Gebirgspfad**. 

Der  Vorgang  Herzog  Emsts  weckte  die  Teilnahme  weiterer  Kreise. 
Der  würdige  Freiherr  L.  v.  S  e  c  k  e  n  d  o  r  f f ,  kurbrandenburgischer 
Rat  und  Kanzler  der  Universität  Halle,  wird  des  Höhenpfades  erster 
poetischer  Herold  *) ,    und    die    thüringischen   Geschichtschreiber  des 

i)  Die  Janckersche  Beschreibung  war  früher  wenig  bekannt.  Mit  ihrer  Veröffent- 
lichang  (in  den  Schriften  des  Vereins  fUr  roeiningische  Geschichte,  1891)  hat  sich  Archiv- 
rat Mitsschke  ein  Verdienst  am  die  Rennsteigforschang  erworben. 

2)  Er  schmiedete  in  einem  1649  geschriebenen  Carmen  auf  den  Inselsberg  folgende 

Alexandriner : 

Wie  angebahnt  and  raah  man  sonsten  aach  wiU  achten 

Den  Berg,  so  geht  doch  hie  die  wohlberühmte  Bahn, 

Die  man  vom  Rennen  nennt,  doch  schwerlich  rennen  kann. 

Sie  ist  wohl  wundersam  und  würdig  sa  betrachten. 

Sie  läaft  darch  eitel  Wald  und  streift  aaf  soviel  MeUen 

Aaf  lauter  Höhen  hin ;  sie  ftihrt  aus  diesem  Land 

Auf  weit  entlegne  Ort,  so  dafs  man  unbekannt 

Und  gleichsam  anvermerkt  kann  andre  übereilen. 


—     31      — 

XVm.  Jahrhunderts  ergehen  sich,  sämtlich  von  ihm  beeinfluCst  oder 
angeregt,  meist  in  weitläufigen  Auseinandersetzungen  über  Alter  und 
Bedeutung  des  Rennsteigs,  ohne  doch  über  Juncker  wesentlich  hinauszu- 
kommen. 

Am  Ausgang  des  XVIII.  Jahrhunderts  schenkte  wiederum,  durch 
die  2^itverhältnisse  genötigt,  ein  thüringischer  Fürst  dem  Höhenpfad 
sein  tätiges  Interesse.  Kein  geringerer  war  es  als  Karl  August, 
der  hochherzige  Musenbeschützer,  welcher  auf  die  Kunde  vom  An- 
rücken der  französischen  Revolutionsheere  gegen  Thüringen  (1796) 
seine  strategischen  Talente  entdeckte :  behufs  Sicherung  seines  Landes, 
bzw.  der  damals  gezogenen  Demarkationslinie  zwischen  Süd-  und  Nord- 
deutschland besichtigte  er  eingehend  das  Gelände  des  Thüringer  Waldes 
auf  mehrwöchigen  Ausflügen  und  schenkte  hierbei,  wie  leicht  erklärlich, 
dem  Rennsteig  besondere  Beachtung.  Er  bereiste  ihn  von  Judenbach 
(Kalte  Küche)  bis  in  die  Hörscheler  Gegend  und  verfehlte  nicht,  seine 
Beobachtungen  gewissenhaft  aufzuzeichnen.  Man  hat  sich  über  Karl 
Augusts  strategische  Begabung  nicht  selten  geringschätzig  geäufsert  — 
Äe  vorhandenen  Niederschriften  {Über  den  Schiäz  der  Demarkations- 
Imie  und  den  Rennweg,  1796  und  Die  Defensian  Thüringens,  1798)  ^) 
machen  jedoch  durchaus  nicht  den  Eindruck  dilettantischer  Machwerke. 
Wären  1806  seine  Vorschläge  betreflfend  Besetzung  der  Rennsteig- 
passe (bei  der  Kalten  Küche  und  Rodacherbrunn)  von  der  preufsischen 
Kriegsleitung  ausgeführt  worden  —  wer  weifs,  ob  dem  deutschen 
Vaterlande  nicht  die  Schmach  von  Jena  erspart  geblieben  wäre?! 
Es  war  ein  tragisches  Geschick,  dafs  Karl  August  als  preufsischer 
Heerführer  durch  sein  zögerndes  Verhalten  kurz  vor  der  Schlacht 
bei  Jena  mittelbar  die  Niederlage  verschuldete  *).  —  Wie  dann  kurz 
nach  diesem  Ereignis  der  Rennsteig  für  versprengte  Flüchtlinge  und 
befreite  Gefangene  wirklich  als  verdeckter  Kriegspfad  im  Ernestinischen 
Sinne  diente,  der  mehreren  Hunderten  ein  Entkommen  nach  —  Eger 
ermöglichte,    dafür   sind   noch   chronikalische  Zeugnisse   vorhanden  ^). 


Doch  wer  ihr  folgen  will,  der  mag  sich  wohl  versehen. 
Er  wird  den  ganzen  Weg  zu  keinem  Wirt  gefUhrt, 
Ob  er  gleich  beiderseits  so  manches  Land  berührt, 
Dafs,  wenn's  sein  eigen  war',  er  wohl  kann  mit  bestehen. 

i)  Herausgegeben    von    Geh.    Hofrat    P.  v.  Bojanowski    (Weimar,    H.   Böhlaas 
Nacht,  1903).    Vgl.  Ätareik  Hl  7. 

2)  Ober  die  Vorpostens! ellnng  der  Avantgardeodivision  unter  Prinz  Louis  Ferdinand 
«ihrend  der  ersten  Oktobertage  1806  vgl.  H.  Pusch^  Mareile  IV  (1904),  S.  44. 

3)  liareiU  IV  i. 


—     32     — 

Auch  im  Beginn  des  deutschen  Krieges  von  1866  sdiien  es,  als  ob 
der  Rennsteig  seine  militärische  Bedeutung  bewähren  sollte.  Da  die 
preußische  Heeresleitung  die  Vereinigung  der  bis  zum  Werratal,  ja 
teilweise  bis  ins  Gebirge  vorgerückten  Bayern  mit  den  bei  Langen- 
salza hart  bedrängten  Hannoveranern  befürchtete,  hatte  sie  ein  ganz 
besonderes  Augenmerk  auf  die  westlichen  Rennsteigpässe  gerichtet 
und  im  stillen  schon  Vorkehrungen  getroffen,  dieselben  sofort  zu  ver- 
hauen und  den  Übergang  zu  verzögern.  Der  Erfolg  von  Langensalza 
durchkreuzte  dann  das  Vorhaben  der  Bayern  und  ermöglichte  den 
Preuisen  ein  ungehindertes  Vordringen  über  Eisenach  nach  der  Rhön. 

Wie  ersichtlich,  reicht  die  praktische  Bedeutung  des  Rennsteigs 
oder  doch  seiner  Pässe  bis  in  unsere  Tage  hinein. 

Das  Verdienst,  den  Gegenstand  in  der  neueren  Literatur  zu- 
erst im  Zusammenhang  ')  kritisch  behandelt  zu  haben,  gebührt  dem 
Hofrat  Alexander  Ziegler  aus  Ruhla.  Er,  der  grofse  Reisende, 
der  Erbauer  des  Karl-Alexander-Turms,  der  Förderer  und  Wohltäter 
seiner  Vaterstadt  (gest.  1887),  schrieb  1862  sein  Buch  Der  Rennsteig 
des  Thüringer  Waldes,  Eine  Bergwanderung  mit  einer  historisdi-'topo' 
graphischen  Abhandlung  über  das  Älter  und  die  Bestimmung  des  Weges. 
Wie  der  Titel  besagt,  dient  das  Buch,  eine  Frucht  seiner  im  Jahre 
zuvor  unternommenen  Reise,  touristischen  und  historischen  Zwecken 
gleicherweise.  Leidet  es  auch  an  manchem  überflüssigen  Ballaste, 
so  hebt  es  doch  richtig  die  für  den  thüringischen  Rennsteig  in  Be- 
tracht kommenden  Urkunden  hervor  und  berichtigt  eingehend  land- 
läufige Irrtümer. 

Ihm  folgt  fünf  Jahre  später  Hofrat  G.  Brückner  aus  Meiningen 
(gest.  188 1),  der  bekannte  Verfasser  der  meiningischen  Landeskunde, 
mit  dem  noch  heute  beachtenswerten  Aufsätze  Der  Rennstieg  in  seiner 
historischen  BedetUung,  oder  War  das  obere  Werra-  und  Mainland 
jemals  thüringisch?  (Neue  Beiträge  des  Hennebergischen  Altertums- 
forschenden Vereins,  3.  Heft,  1867).  Auf  seinen  Schultern  steht 
A.  Rose,  Der  Rennsteig  als  Markzeichen  des  Thüringer  Waldes  (Aus- 
land Nr.  36  und  37,  September  1868)  und  Zur  Kenntnis  des  Renn- 
steigs im  ThüringerWald  (Petermanns  Mitteilungen,  November  1868).  — 
Streng  wissenschaftlich  geht  vor  Prof.  Fritz  Regel,  früher  in  Jena, 
jetzt  in  Würzburg,  in  seinem  am  11.  Oktober  1885  zu  Weimar 
gehaltenen  Vortrag   Zur  Rennsteig  frage ,    abgedruckt   in   der  Zeitung 


i)  Über  Erwähnangen  aod  Nichterwähnungen  in  neuerer  Zeit  vgL  P.  Mitsschke 
Mareile  II  (1901),  S.  3—8. 


—     33     — 

„Deutschland"  Nr.  294,  vom  26.  Oktober  1885.  —  Nicht  die  Frucht 
gelehrter  Quellenstudien,  aber  anregend  und  von  warmer  Empfindung 
durchhaucht  ist  die  Schilderung  von  Hofrat  A.  Trinius  in  Walters- 
hausen, Der  Bennstieg.  Eine  Wanderung  von  der  Werra  bis  zur 
SaaU  (Minden  1890,  2.  Aufl.  1900).  —  Ein  unermüdlicher  und  ge- 
wissenhafter Pfadsucher  war  dann  Ad.  Rofsner  (gest.  1893)  aus  Bad 
Kosen,  der  im  zweiten  Teile  seines  flott  geschriebenen  Büchleins 
Der  Rennsteig  des  Thüringer  Waldes  jetzt  und  früher  (Naumburg  1892) 
auch  geschichtliche  und  etymologische  Fragen  aufgeworfen  und  — 
freilich  in  etwas  dilettantischer  Weise  —  beantwortet  hat.  Eine  Zu- 
sammenfassung des  bisher  gefundenen  Materials,  durch  eigene  For- 
schungen ergänzt,  bietet  das  Werk  von  Bü bring  (früher  in  Arnstadt, 
jetzt  in  Elberfeld)  und  Hertel,  Der  Rennsteig  des  Thüringer  Waldes. 
Führer  zur  Bergwanderung  nebst  geschichtlichen  Untersuchungen.  Mit 
fMur  Wegekarte,  einem  Höhenplan,  einer  Sprachharte  und  einer  Ab-- 
iädung  von  Oberhof  (Jena,  G.  Fischer,  1896).  Dazu  gehört  ein  Er- 
ganzungsheft  (Jena  1898),  welches  eine  Rennsteigwanderung  von 
Hörschel  bis  Blankenstein  beschreibt.  —  Endlich  enthält  das  1897  be- 
gründete Organ  des  Rennsteigvereins,  Das  Mareile,  Aufsätze  der 
verschiedensten  Art  über  Rennsteigfragen. 

Ungeachtet  des  löblichen  Eifers,  mit  dem  gerade  im  letzten 
Jahrzehnt  das  Thema  nach  allen  Seiten  hin  erörtert  worden  ist,  ist 
hinsichtlich  der  Kardinalpunkte  unter  den  Rennsteigforschem  bis  jetzt 
keine  Einigkeit  erzielt  worden.  Zwar  hat  sich  in  bezug  auf  den  Ver- 
lauf des  Weges  —  um  hiermit  zu  beginnen  —  schon  seit  geraumer 
Zeit  die  Auffassung  allgemein  eingebürgert,  der  Rennsteig  sei  gleichbe- 
deutend mit  der  Kammlinie  des  Waldes,  doch  vermag  sie  sich  nicht 
auf  die  Autorität  urkundlicher  Zeugnisse  aus  früheren  Jahrhunderten  *) 
zu  stützen,  sondern  geht  letztlich  auf  die  militärischen  Rücksichten 
entsprungene  grundlegende  Ernestinische  Vermessung  von  1666  zurück, 
die  allerdings  selbst  in  ihren  beiden  Endstücken  einen  vom   heutigen 


i)  Die  früheste  nrkandliche  Erwähnung  des  thüringischen  Rennsteigs  findet  sich  in 
<iein  för  die  mittelalterliche  Topographie  des  Meininger  Landes  wichtigen  Frankensteioer 
Verkanfsbrief  von  1330.  Hier  heifst  es  bei  der  Beschreibung  der  an  Graf  Berthold 
V.  Henneberg  abzutretenden  Wildbabn :  .  .  .  venaiionia  tenninos,  qui  vulgarUer  dietmiur 
^  mübam,  qui  primo  ineipiunt  in  K&baeh  .  .  .  uaqm  ad  moniem  qui  dicüur  %u 
^tm  KyMlinge  (Hohe  Kissel)  et  uUeriua  suraum  de  Rynnestig  usque  ad  moniem  qui 
^ieünr  Brntmeberg  (Inselberg)  .  . .  usque  ad  silvam  que  dicüur  WiginwaU  et  vieum 
fM  dicüur  Rynnestig  uaque  ad  vertieem  montia  dicti  Nexxelberg  .  .  .  (Abgedruckt 
«letzt  in  den  Schriften  des  Vereins  lUr  sachsen-meiningische  Geschichte  und  Landeskunde« 
35-  Heft  [1899],  S.  iio). 


—     34     — 

verschiedenen  Kurs  einschlug.  Kein  Wunder,  da&  auch  heute  noch 
die  Ansichten  der  Forscher  über  die  Erstreckung  des  Rennsteigs  aus- 
einandergehen *).  Die  Streitfrage  gestaltet  sich  aber  noch  verwickelter 
durch  die  Tatsache,  dafs  den  Namen  „Rennsteig"  bzw,  ,, Rennweg'* 
auch  mehrere  Nebenlinien,  die  vom  First  des  Waldes  ausstrahlen, 
tragen :  so  bei  Allzunah ,  am  Gr.  Weifeenberg ,  im  Forstort  Winter- 
kasten   und    bei  Tennebei^. 

Die  beiden  weiteren  Fragen,  nach  Alter  und  ursprünglicher  Be- 
stimmung des  Rennsteigs,  stehen  in  innerem  Zusammenhang.  Ihre 
Lösung  ist  jedoch  abhängig  von  einer  Vorfrage,  nämlich  der  nach 
der  Etymologie  des  Namens. 

Bedeutung  des  Namens.  Wiewohl  in  einer  ganzen  Reihe 
von  Urkunden  der  Rennsteig  offenbar  als  Grenzweg  erscheint,  so  ist 
doch  diese  seine  Bedeutung  nicht  in  seinem  Namen  ausgedrückt, 
demnach  auch  nicht  die  ursprünglichste.  Allerdings  war  früher  die 
Annahme  herrschend,  dafs  der  Name  Rennsteig  volksetymologisch. 
aus  „Rain-steig"  entstanden  und  als  „Grenzweg'*  *)  zu  deuten  sei. 
Diese  Auffassung  vermag  vor  dem  Tribunal  der  Sprachwissenschaft  nicht 
zu  bestehen  ').  Unbestritten  ist,  dafs  alle  älteren  Urkunden  die  Form 
renniweg  (bzw.  rennitoech,  rinnestig,  rynnestig,  rinnestich,  rynnestigk 
u.  dgl.  Nebenformen)  aufweisen,  also  mit  doppeltem  n.  Ganz  ver- 
einzelt begegnet  auch  die  Schreibung  reinneweg;  doch  geht  auch  sie 
zweifellos  auf  renneweg  zurück  *).  Diese  ständige  Doppelschreibung 
des  n  verbietet  entschieden,  an  den  Stamm  rain^  zu  denken.  Eben- 
sowenig ist  eine  volksetymologische  Umdeutung  anzusetzen.  Alle 
solche  Volksetymologien  beruhen  nach  Andresen  auf  dem  Streben 
des  Sprachgeistes,  Ausdrücke,  die  fiir  das  Volk  leerer  Schall  ge- 
worden  sind,    wieder   bedeutungsvoll    und   zweifellos   verständlich    zu 


i)  Unserer  persönlichen  Ansicht  nach  galt  bei  Anlegung  des  Weges  der  Name 
nur  von  der  Gegend  des  Förthaer  Steins  (auf  der  uralten  Heerstmfse  Vacha — Eise- 
nach)  bis  zar  Kalten  Küche  (an  der  Stelle,  wo  die  Höhe  des  Waldes  im  Osten  vod 
dem  Straisenzug  Kronach — Saalfeld  geschnitten  wird).  Weder  am  südöstlichen  noch  am 
nordwestlichen  Flügel  haftete  der  Name  Rennsteig  oder  Überhaupt  eine  einheitliche  Be* 
zcichnang.     (Vgl.  Mitzschke,  Ungedrucktea  vom  Rennsteig^  Mareile  III  122.) 

2)  Nämlich  zwischen  Thüringen  and  Franken. 

3)  Des  näheren  habe  ich  dies  zu  begründen  gesucht  in  der  Zeitschrift  für  thürin- 
gische Geschichte  XVI  (Jena  1893).    ^^^  Widerspruch  von  beachtlicher  Seite  ist  nicht  erfolgt.' 

4)  Die  Schreibung  ei  für  etymologisch  berechtigtes  e  findet  sich  im  Mhd.  nicht 
selten ;  sie  spricht  lediglich  für  die  Annahme,  dafs  der  Laut  des  e  zu  i  hinneigte.  VgL 
Weinhold,  Mhd,  Qramm,,  §  48* 


—     35     — 

machen.  Ist  nun  rain  jemals  dem  deutschen  Sprachbewuistsein  fremd 
geworden?  Lebt  es  nicht  vielmehr  fort  durch  alle  Jahrhunderte  bis 
heute,  jedem  Kinde  verständlich  ?  Ist  etwa  der  Name  nunmehr  klarer 
geworden,  nachdem  ihn  das  Volk,  wie  einige  wollen,  in  „Rennsteig" 
umgetauft  hat?  Sollte  nicht  vielmehr  das  Umgekehrte  richtig  sein?! 
In  der  Tat  halte  ich  „Rain weg",  die  Form,  die  der  Magister  Chr. 
Juncker  in  Umlauf  gesetzt  zu  haben  scheint,  für  eine  steife  Gelehrten- 
etymologie.  Die  volkstümliche  Form  des  Namens  hält  noch  heute 
in  ganz  Thüringen  am  echten  „Rennsteig"  bzw.  dem  mundartlichen 
„Rennstieg"  fest  —  Nachdrücklich  mufe  auch  betont  werden,  dafe 
„Rain"  einzig  die  Ackergrenze,  niemals  eine  Waldscheidung  be- 
zeichnet; für  letztere  stehen  andere  Benennungen  zu  Gebote.  Nein, 
allen  in  Betracht  kommenden  Lautgesetzen  der  Sprache  genügt  die 
Eridärung  als  „Rennsteig". 

Wenn  nun  auch  die  Ableitung  vom  Stamm  rennen  ziemlich  all- 
gemein anerkannt  ist,  so  spalten  sich  die  Anhänger  dieser  Ansicht 
bei  der  besonderen  Erklärung  des  Thüringer  Rennsteigs  wieder  in 
mehrere  Gruppen  *).  Mit  der  Aufzählung  dieser  verschiedenen  Sonder- 
meinungen treten  wir  zugleich  der  Frage  nach  der  ursprünglichen 
Bestimmung  des  eigentümlichen  Weges  näher.  Nach  den  einen 
war  der  Rennsteig  ein  Waldweg  fiir  berittene  Jäger  oder  auch 
ein  Triftweg  für  die  Rofshirten,  die  in  mittelalterlichen  Zeiten 
gerade  auf  den  Hochwiesen  des  Thüringer  Waldes  die  Fohlen  und 
Stuten  zur  Weide  führten  *).  —  Hiergegen  ist  nun  freilich  einzuwenden, 
dafe  Name  und  Sache  auch  in  solchen  Gegenden  wiederkehren,  wo 
an  derartige  Hochweiden  nicht  zu  denken  ist,  z.  B.  bei  dem 
die  Zwenkauer  Hartwaldung  durchschneidenden  Rennsteige,  dem 
Rennweg  zwischen  Merseburg  und  Leipzig,  oder  dem  Rennsteig  in  der 
Dresdener  Heide.  Es  mufs  aber  gefordert  werden,  dafs  eine  Namens- 
erklärung  auf  sämtliche  bekannten  Rennsteige  anwendbar  sei. 

Eine  zweite,  öfter  auch  mit  der  Rainwegtheorie  in  Verbindung 
gebrachte  Ansicht  geht  dahin,  dafs  der  Rennsteig  ein  Weg  war,  auf 
welchem  altem  Herkommen  zufolge  der  Thüringer  Landgraf  bei  An- 
tritt der  Regierung  sein  Gebiet  umritt.  Indessen  fehlen  für  diesen 
Brauch  ausdrückliche  Zeugnisse,  und  der  Angabe  haftet  an  sich  schon 


i)  Die  Rennwege  sa  TarnierrweckeD,  wie  sie  ras  einer  grofsen  Aosahl  voo  Städten 
Mannt  tind,  scheiden  für  unsere  DarsteUong  ans. 

3)  Diese  Möglichkeit  hat  namentlich  Btthring  vertreten.     Vgl.  sein  Kapitel  über 
^  Rofsextseht  tan  Remuteig,  RennsteigfUhrer  S.  144 — 161. 


—     36     — 

etwas  sagenhaft  Romantisches  an  ^).  Ganz  neuerdings  ist  indessen  eine 
Hypothese  aufgestellt  worden,  der  in  gewissem  Betracht  jener  poetische 
Grenzumritt  wieder  zugrunde  liegt.  Es  geschah  dies  durch  das  höchst 
beachtenswerte  Buch  von  Karl  Rubel  (Dortmund),  Die  Fnmken^ 
ihr  Erdberungs-  und  Siedelungssystem  im  deutschen  Volkslande  (Biele- 
feld, Velhagen  &  Klasing,  1904).  Nach  ihm  sind  unter  den  Renn- 
steigen und  Rennwegen  nichts  anderes  als  Markscheiden,  sonst 
auch  „Laachwege",  „Schneidwege**,  „Frankenstiege**  genannt,  zu 
verstehen,  wie  sie  zur  Merowinger-  und  Karolingerzeit,  bei  der  fort- 
schreitenden AufschUeisung  des  bis  dahin  unvermessenen  und  unauf- 
geteilten  Landes,  der  vasta  sditudo,  von  den  forestarii  durch  den  Ur- 
wald gebrochen  und  nach  ihrer  Vollendung  vom  fränkischen  Herzog 
beritten  wurden,  um  hierdurch  die  Anlage  des  Weges  selbst  und  seine 
Breite  zu  sanktionieren. 

Gegen  diese  Gleichsetzung  von  Rennsteigen  und  Grenzwegen, 
Markscheiden  u.  dgl.  und  die  Ableitung  des  Namens  möchte  zu- 
nächst einzuwenden  sein,  dafe  der  Wortstamm  rennen  schwerlich  im 
Sinne  eines  feierlichen,  mit  öfterem  Anhalten  verbundenen  Umrittes 
gebraucht  wird;  er  deutet  stets  auf  eine  beschleunigte  Bewegung 
hin.  Zu  diesem  formalen  kommt  aber  ein  sachlicher  AnstoCs.  Der 
Rennsteig  fuhrt  nämlich  durchaus  nicht  überall  über  die  Gipfel  der 
Bergkuppen,  sondern  in  der  Regel  etwas  unterhalb  derselben  und 
zwar  auf  dem  Südhang  entlang.  Wenn  damals  den  fränkischen  För- 
stern die  Weisung  gegeben  worden  wäre,  die  Marken  im  Gebirgs- 
land  zu  scheiden,  so  hätte  man  ihnen  jedenfalls  die  summitas 
montium  als  Terminus  vorgeschrieben,  nicht  aber  eine  Linie, 
die,  wie  z.  B.  beim  Beerberg,  Gerberstein,  Sattelbachskopf,  Fichten- 
kopf u.  a.,  einige  hundert  Meter  unterhalb  der  Spitzen  verläuft.  Es 
ist  auch  nicht  abzusehen,  weshalb  immer  nur  die  Höhenwege,  nicht 
aber  die  in  der  Niederung  gezogenen  Markscheiden,  die  doch  eben- 
falls vom  Herzog  und  seinem  Vassus  umritten  werden  mufsten,  durch 
den  Namen  „Rennsteig**  ausgezeichnet  sein  sollten. 

Wir  selbst  fassen  bei  Erklärung  des  Rennsteignamens  das 
Verbum  rennen  in  der  besonderen,   im  Mhd.  vielfach  belegbaren  Be- 


i)  Die  Enählang  vom  Landgrafenamritt  auf  dem  Rennsteig  des  Thüringer  Waldes 
findet  sich  —  soweit  bis  jetzt  bekannt  —  zuerst  in  Ladwig  Storchs  Wanderung 
durch  den  Thüringer  Wald  (Umenaa  1841),  S.  13.  Wahrscheinlich  hat  Storch  den 
bei  J.  Grimm,  Deutsche  Mythologie  I  298  (1835),  allgemein  mitgeteilten  Brauch  des 
Umritts  eines  neuen  Herrschers  durch  sein  Land  eigenmächtig  auf  den  grofsen  Thüringer 
Rennsteig  lokalisiert     Vgl.  MareHe  III,  S.  32,  42. 


—     37     — 

deutong:  „als  Berittener  dahinsprengen'*.  Für  uns  ist  der  Rennsteig 
ein  Rennersteig,  d.i.  ein  Pfad  für  hin  und  her  sprengende 
Reiterboten,  ein  Kurier-  oder  Patrouillenweg*).  Ist  doch 
der  Rennsteig  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  für  Reiter,  nicht  aber  für 
Wagen  benutzbar  *).  Daus  solche  Rennerpfade  späterhin  nicht  bloüs 
Ton  militärischen  Abteilungen,  sondern  auch  von  bürgerlichen  Eil- 
boten, reitenden  Postboten  oder  von  Personen,  die  aus  anderen  Gründen 
ZOT  Beschleunigung  ihrer  Reise  genötigt  waren  (Dieben,  Landflüchtigen 
usw.),  benutzt  wurden,  liegt  auf  der  Hand.  Auch  ihre  an  gewissen 
Stellen  erfolgende  Erweiterung  zu  FahrstraOsen  hat  nichts  Auffälliges. 
Die  oben  erwähnten  weiteren  Rennsteige  und  Rennw^e  des  Thüringer 
Waldes  (bei  Allzunah  usw.)  halten  wir  für  Abzweigungen,  die  mit  der 
eigentlichen  Hauptlinie  des  durch  Warten  militärisch  gesicherten  Renn- 
iteiges  in  planvoller  Verbindung  standen.  Phantastereien  sind  es 
natürlich,  wenn  die  Anlage  des  Weges  auf  die  Römer,  speziell  auf 
Dnisus,  zurückgeführt  wird  *). 

Natürlich  erscheinen  auch  die  Keltiker  auf  dem  Plan,  wenn  es 
sidi  um  Deutung  germanischer  Ortsnamen  handelt.  Sie  schreiben 
licht  nur  die  erstmalige  Anlegung  des  Gebirgspfades  den  Kelten 
ffl  —  darüber  liefee  sich  wohl  reden  — ,  sondern  auch  die  heutige 
Benennung.  Nach  W.  Kraufse*)  bedeutet  im  Keltischen  rAtn^  rann, 
ritm,  ramn  „Berg"  —  und  wir  gelangten  mit  Hilfe  des  in  der  Not 
80  viel  ausgebeuteten  keltischen  Lexikons  zu  der  welterschüttemden 
Entdednmg,  dais  unser  Rennsteig  ein  keltisch  -  germanisches  Zwitter- 
ding, ein  —  Bergpfad  sei!  Die  neueste  Auslegung  des  Namens, 
wonach  er  auf  hib.  rann,  rainn  „Teil"  und  stuic  „Kamm"  zurück- 
geht^), können  wir  noch  weniger  gutheifsen. 

Von  anderer  Seite  ist  der  Rennnsteig  als  uralter  Handels-  und 
Verkehrsweg  zwischen  Hessen  und  Böhmen,  als  Teil  jener  Handels- 
«trafee  bezeichnet  worden,  welche  von  der  Donau  über  Eger,  Franken- 
wald, Thüringen,  Hessen,  Paderborn  nach  der  Emsmündung  gegangen 

i)  Dȣi  im  Altdeatschen  in  derartigen  Zasammensetzangen  statt  des  nomen  ageniis 
der  reine  Verbalstamm  gesetzt  wird,  zeigen  Beispiele  wie  retmevenlin  „kleine  Reiter* 
**«l«ng",  rUrüsttmge  „Reiterrüstung",  jagehom  „jÄgcrhom",  jagehuni  „Jägerhund", 
•aiiküi  „Wärterhaos''  o.  a. 

2)  Unserer  Erklärung  widerstrebt,  soweit  wir  die  Probe  machen  konnten,  die  Be- 
*ch>fienheit  keines  einzigen  der  150  Rennsteige  des  deutschen  Landes. 

3)  So  A.  B.  Wilhelm,  Die  FekUiige  des  Druaus  im  nördlichen  Deutgehiand 
(HsUe  1826). 

4)  W.  Kraufse,  Z>M  hdtisohs  Urbevölkerung  Deutsehlands  (Leipzig  1904),  S.48. 

5)  U.  Simon,  Beitrag  xur  SehmaUcalder  Oesekiehte  (Schmalkaldea  1905)1  S.  34. 


—     38     — 

sei  ^).  Dieser  Ansicht  fehlt  es  erstlich  an  stützenden  geschichtlichen 
Zeugnissen;  auch  steht  ihr  die  natürliche  Beschaffenheit  des  Weges 
entgegen:  wird  man  im  allgemeinen  den  Weg  über  die  Gebirgshöhe 
wegen  der  relativen  Sicherheit  vorgezogen  haben,  so  ist  doch  die 
Beschaffenheit  an  manchen  Orten  derart,  dais  —  so  z.  B.  an  den 
Reitsteinen  des  Inselsbergs  —  nicht  einmal  Saumtiere  daselbst  fort- 
kommen können.  Soweit  es  sich  zurückverfolgen  läfst,  ist  der  Lauf 
des  Rennsteigs  nur  fahrbar  gewesen  von  der  Hohen  Sonne  bis  zum 
Grofsen  Finsterberg  mit  Ausschlufs  der  Strecke  zwischen  dem  Gerber- 
stein und  dem  Grofsen  Jagdberg,  weiter  östlich  von  Allzunah  über 
das  Marienhäuslein  nach  dem  Grofsen  Dreiherrenstein  und  sodann 
über  Neustadt  a.  R.  bis  Kahlert  und  zur  Schwalbenhauptswiese, 
hierauf  von  Limbach  über  Neuhaus,  Igelshieb,  Forstort  Laubeshütte, 
Spechtsbrunn  und  Waldhaus  bis  zum  Bahnübergang  bei  Steinbach  a.  W. 
und  östlich  davon  bis  zur  Ziegelhütte,  endlich  vom  Lobensteiner  Kulm 
über  Schlegel  bis  Blankenstein.  Im  übrigen  war  er  anscheinend  nur 
eine  Art  Birschweg  oder  „reitbarer  Gebirgspfad**  *).  —  Mit  Ausnahme 
weniger  offener  Stellen  fuhrt  er  durch  Wald,  im  Ostflügel  vorherr- 
schend Nadelholz,  im  Westen  vom  Hangweg  an  Laubwald. 

Er  bildet  heutzutage  eine  Landesgrenze  vom  Gerberstein  bis  zum 
Grofeen  Weifeenberg  (Gotha:  Meiningen),  vom  Weifsenberg  bis  zum 
Jagdberg  (Gotha :  Hessen-Preufeen),  eine  ehemalige  Amts-  und  heutige 
Forstgrenze  vom  Spiefsberg  bis  zum  Dreiherrenstein  am  Hang  weg, 
wiederum  Landesgrenze  vom  genannten  Stein  bis  zum  Hessenstein  bei 
Oberhof  (Gotha :  Hessen-Preufeen),  Landesgrenze  von  der  Suhler  Leube 
bis  zum  Mordfleck  (Gotha:  Henneberg-Preufsen),  sodann  vom  Marien- 
häuschen bis  zum  Kleinen  Dreiherrenstein  (Weimar:  Henneberg-Preufeen), 
vom  Kleinen  bis  zum  Grofsen  Dreiherrenstein  an  der  Schleusequelle 
(Schwarzburg:  Henneberg-Preufsen),  vom  Grofsen  Dreiherrenstein  bis 
zum  Dreiherrenstein  am  Saar  (Meuaingen-Hildburghausen :  Schwarzburg), 
von  da  bis  zum  Hohen  Lach  bei  Igelshieb  (Meiningen:  Schwarzburg), 
endlich  vom  Dreiherrenstein  am  Kieslich  bis  St.  657  und  von  Brenners- 
grün bis  zur  Hohen  Tanne  (Bayern:  Meiningen). 

In  seiner  Eigenschaft  als  Grenzweg  ist  er  durchgehend  mit  Landes- 


i)  Schneider,  Die  alten  Heer-  und  Handelsteege  der  Oermanen,  Römer  und 
Franken  im  Deutschen  Reich  (Kassel  1883,  Düsseldorf  1888).  •-  Freysoldt,  Der 
Rennsteig  in  seinem  östlichen  Teile  eine  Verkehrsstraße,  Vereinsschriften  des  meining. 
Geschichtsvereins  38  (1900). 

2)  Vgl.  L.  Gerbing,  Die  Straßenxüge  in  WestihOringen  in  den  Mitteüongen  der 
Geographischen  Gesellschaft  (Jena  1898). 


—     39     — 

grenzsteinen  besetzt,  die  von  den  beteiligten  Regierungen,  bzw.  Land- 
ratsamtern  stets  vollzählig  und  in  gutem  Zustande  erhalten  werden. 
Der  älteste  dieser  steinernen,  zum  Teil  kunstvoll  mit  Wappen  ge- 
schmückten Schützer  der  heiligen  Landesmark  ist  ein  Zeitgenosse 
Luthers:  er  stammt  aus  dem  Jahre  15 15  (Nr.  656  am  Kieslich  bei 
Lehesten)  und  trägt  die  Inschrift: 


vö  gotts  gnade  1515 
(Geo)rg  bischofe  zv  bamberg 


von  gotts  gnade  friderich 
churfürst  vfl  hfls  gbruder 
herzöge  zv  Sachsen  1515. 

Die  Vorgänger  der  Grenzsteine  waren  „Malbäume"  („Laachbäume"). 
Die  Breite  des  Weges  ist  verschieden;  auf  den  Strecken,  wo  er 
in  seiner  Waldursprünglichkeit  erhalten  zu  sein  scheint,  beträgt  sie 
kaum  zwei  Meter,  —  Der  Weg  ist  neuerdings  zu  Nutz  und  Frommen 
der  Rennsteigfahrer  durch  weifse  B  gekennzeichnet  worden. 


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Zur  Geschichte  unserer  Vornamen 

Von 
Paul  Zinck  (Leipzig) 

In  den  Deutschen  OeschichisbläUem  ist  die  Vornamenfrage  schon 
zweimal  erörtert  worden.  Pfarrer  Gmelin  hat  in  seiner  Abhandlung 
Die  Verwertung  der  Kirchenbücher  (I,  6/7)  im  allgemeinen  auf  die 
Bedeutung  der  Vor-  oder  Taufnamen  für  die  spezielle  Kulturge- 
sdiichte,  die  Geschichte  der  geistigen  Entwickelung  unseres  Volkes 
hingewiesen;  Caemmerer  (V,  10 — 12)  hat  an  der  Hand  von  Ur- 
kunden die  Amstädter  Tauf-  und  Familiennamen  des  Mittelalters  in 
allgemein-  und  besonders  in  sprachgeschichtlicher  Beziehung  einer 
eingehenden  Betrachtung  unterzogen.  Bei  ihm  vor  allem,  aber  auch 
bei  Gmelin  findet  man  bibliographische  Angaben  über  Arbeiten  auf 
dem  gleichen  Gebiete,  die  jedoch  bei  weitem  nicht  Anspruch  auf  Voll- 
ständigkeit machen  können  und  wollen.  Eine  der  jüngsten  Vornamen- 
studien ist  der  kurze  Aufsatz  von  Prof.  Jordan,  Zur  Geschichte  der 
yomamen  in  den  Mühlhäuser  Geschichtsblättern  (Thüringen), 
5-  Jahrgang  (1904),  in  dem  nach  dem  Mühlhäuser  Urkundenbuche 
Vornamen  beiderlei  Geschlechts  mit  der  Zahl  ihres  Vorkommens  zu- 
sammengestellt sind,  leider  ohne  dais  die  Aufzählung  ersichtlich  macht, 
auf  welche  Zeit  sich  diese  Namenliste  erstreckt. 

Obwohl  also  eine  beträchtliche  Anzahl  Einzelarbeiten   auf  dem 


—     40     — 

Gebiete  der  Vomamenforschung  schon  vorhanden  sind,  unternehme 
ich  es  doch,  dieselben  noch  um  eine  zu  vermehren,  angeregt 
durch  die  Bemerkung  Gmelins,  daüs  es  „immer  wieder  neuen  Reiz  ge- 
währt, einen  bestimmten  Bezirk  auf  die  Entwickelung  der  Vornamen 
über  ein  paar  Jahrhunderte  hin  zu  verfolgen  und  darin  die  geistige 
Stimmung  der  betreffenden  Landschaft  während  dieser  verschiedenen 
Perioden  niedergelegt,  gewissermaßen  photographiert  zu  sehen".  Die 
Untersuchungen  erstrecken  sich  auf  die  Zeit  von  1574  bis  1870  und 
betreffen,  worauf  besonders  hingewiesen  sein  mag,  eine  ländliche 
Parochie  in  der  Nähe  von  Leipzig,  die  Parochie  Baalsdorf.  Die  Er- 
gebnisse der  Untersuchung  über  die  Taufhamen  in  dem  angegebenen 
Zeitabschnitte  sind  zum  Teil  schon  niedergelegt  in  dem  Aufsatze  Aus 
den  Bcuilsdorfer  Kirchenbüchern  (Mitteilungen  des  Vereins  für  Sächsi- 
sche Volkskunde  II,  12),  der  zugleich  über  andere  kirchliche  Verhält- 
nisse derselben  Periode  zu  orientieren  sucht.  Die  Hauptarbeit,  vier 
Tabellen,  aus  denen  für  jeden  einzelnen  Namen  der  Wandel  in  seinem 
Gebrauch  über  drei  Jahrhunderte  hinweg  zu  erkennen  ist  und  zu  denen 
jene  Mitteilungen  nur  eine  orientierende  Beigabe  bilden  sollten,  gelangt 
durch  das  Entgegenkommen  des  Herausgebers  der  Deutschen  Ge- 
schichtshlätier  jetzt  erst  zur  Veröffentlichung. 

Das  Kirchdorf  Baalsdorf  mit  ungefähr  300  Seelen,  das  bis  heute 
noch  seinen  fast  rein  bäuerlichen  Charakter  bewahrt  hat,  ist,  östlich 
von  Leipzig  liegend,  in  etwa  i\  Stunden  vom  Zentrum  der  Stadt  aus  zu 
erreichen.  Etwas  näher  liegen  die  heute  zum  Teil  von  einer  Arbeiter- 
bevölkerung bewohnten  Filialdörfer  Zweinaundorf  und  Molk  au. 
Bis  in  die  achtziger  Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts  war  aufserdem  das 
südöstlich  von  Leipzig  gelegene,  nach  Seelenzahl  von  jeher  gröfsere 
Stöttcritz  noch  eingepfarrt.  Zweinaundorf  war  am  Anfang  des  XVII. 
Jahrhunderts  eine  Zeitlang  selbständig ;  dann  wurde  es  Tochtergemeinde 
von  Engelsdorf,  bis  es  bei  der  Selbständigmachung  von  Stötteritz 
wieder  zur  Parochie  Baalsdorf  geschlagen  wurde.  Stötteritz  war  in  der 
ganzen  hier  in  Betracht  kommenden  Zeit  niemals  eigentliches  Bauern- 
dorf;  sein  Grundbesitz  war  nur  in  den  Händen  einzelner;  zwischen 
den  Bezirken  zweier  Rittergüter  und  in  denselben  wohnten  einige 
wenige  kleine  Bauern  und  sonst  nur  Häusler.  Letztere  beschäftigten 
sich  mit  dem  längere  Zeit  bei  Stötteritz  blühenden  Tabakbau  und 
der  damit  zusammenhängenden  Industrie;  Handwerker  allerart  waren 
schon  in  dem  Orte  vorhanden ;  auch  diente  er  schon  zeitig  als  Wohn- 
ort solchen,  die  in  der  benachbarten  Handelsstadt  Beschäftigung  fanden, 
und  war,   weil  er  in  der  Nähe   der  nach  Süden  fuhrenden  Handels- 


—     41     — 

and  Heerstrafse  lag,  auch  der  zeitweilige  Aufenthaltsort  für  fahrendes 
Volk  allerart 

Den  Tabellen  liegen  die  Tauflisten  der  vier  genannten  Dörfer  zu- 
grunde, soweit  der  Verfasser  ihrer  habhaft  werden  konnte.  Bis  zum 
Jahre  1636  standen  ihm  nur  die  für  Zweinaundorf  *)  zur  Verfügung, 
von  da  an  bis  1750  für  alle  vier  Dörfer;  von  175 1  an  wurden  die 
Stötteritzer  Listen  trotz  seiner  weiteren  Zugehörigkeit  zu  Baalsdorf  ge- 
trennt gefuhrt  und  waren  deshalb  in  dem  Baalsdorfer  Pfarrarchiv  nicht 
zu  finden.  Ihr  Ausscheiden  ist  insofern  nicht  zu  bedauern,  als  wir 
es  nun  blofs  noch  mit  rein  ländlichen  Gemeinden  zu  tun  haben  und 
sehen  können,  wie  die  Wahl  der  Taufnamen  in  solchen  erfolgt  ist, 
wenngleich  sich  nicht  leugnen  läfst,  dafs  auch  diese  in  der  Namen- 
gebong  gewifs  durch  die  nahe  immer  mehr  wachsende  Mefsstadt  be- 
einflofst  worden  sind,  aber  doch  nicht  in  dem  Mafse  wie  Stötteritz, 
wo  sich  auch  bei  der  fluktuierenden  Bevölkerung  oft  fremde  Einflüsse 
geltend  machten,  wo  sich  fremdklingende  Namen  deshalb  meist  zuerst 
einstellten  oder  überhaupt  nur  in  Gebrauch  waren,  besonders  die  nur 
ein  oder  wenige  Male  vorkommenden. 

Bei  dieser  Verschiedenheit  in  der  Zahl  der  benutzten  Listen  würde 
ein  Vergleich  der  absoluten  Zahlen  des  Vorkommens  der  einzelnen 
Namen  und  Namensgruppen  nur  zu  Irrtümern  führen.  In  den  Tabellen, 
in  denen  die  Zeit  von  300  Jahren  in  zehn  Generationen  eingeteüt  ist, 
sind  deshalb  die  Prozentzahlen  mit  möglichster  Genauigkeit  auf- 
geführt. Über  das  wirkliche  zahlenmäfsige  Vorkommen  gewisser  Namen 
werden  im  Text  noch  einige  erläuternde  Angaben  folgen.  Alle  inner- 
halb der  300  Jahre  vorkommenden  Namen,  121  männliche  und  85  weib- 
liche Namen,  sind  in  vier  Gruppen  eingeteilt:  in  alttestamentliche  (16 
and  5),  neutestamentliche  (14  und  7},  altkirchliche  (32  und  46)  und 
deutsche  (59  und  27).  Von  diesen  Namen  wurde  in  den  einzelnen 
Generationen  in  folgender  Weise  Gebrauch  gemacht: 

Von  den  121  männlichen  Vornamen  kamen  vor 

in  der  I.  Generation 
20   (31),    und  zwar    2  (2)  alttest,    9  (iS)  neatest.,    8  (10)  altkirchl.,    i    (i)    denUche, 

in  der  2.  Generation 

13   (21),    and  zwar    2  (2)        „         4    (?)         ,1  3    (6)  „  4    (6)         „ 

ia  der  5.  Generation 

34  (212),   and  zwar    7(23)       „         9(97)        „        "(76)         „  6(16)        „ 

i)  Blanckmeister,  Die  Kirchenbüeker  im  Kömgreich  Sachsen  (Beiträge  zor 
üch».  Kirchengeschicbte,  15.  Heft,  S.  28 — 210)  gibt  irrtümlich  als  Anfang  der  Zweinann- 
dorfer  Taoflisten  das  Jahr  1666  an,  während  dem  Verfasser  die  arg  vergilbten  Blätter 
Mierer  Listen  Ton  1574  an  zur  Verfügung  standen. 


—     42     — 

in  der  4.  Generation 

50  (404),  und  zwar  12(35)  alttest.,  I3  (i66)nentest.,  I5(i28)altkirchl.,  11  (75)  deaUche, 

in  der  5.  Generation 

58  (949),  nnd  zwar  13  (62)      „       10(433)      „        "(«57)       .,         «3(197)       « 
in  der  6.  Generation 

55(1428),  nnd  zwar  II  (73)       „       10(657)       »        10(274)        „         »4(424)       „ 

in  der  7.  Generation 

28  (470),  und  zwar    7  (16)       „         3(183)       „  5(63)         „         13(208)       „ 

in  der  8.  Generation 

27  (497).  «nd  zwar    6(10)       „         3(143)       „  3(96)         „         15(248)       „ 

in  der  9.  Generation 

44  (799),  and  zwar    3  (5)        „         2(114)       „        "(109)        ^         28(571)      „ 

in  der  10.  Generation 

49  (840),   und  zwar    2  (2)        „         3  (24)        „  9  (108)        „         35  (706)       „ 

Der  Gebrauch  der  weiblichen  Vornamen  gestaltete  sich  folgender- 
mafsen : 

in  der  i.  Generation 

II    (25)   Namen,  darunter  —  ( — )  alttest.,  3  (10)  neutest.,  6  (i3)altkirchl.,  2  (2)  deatsche, 

in  der  2.  Generation 

imnf*r / ^  ^    ( 1  t\  Ä    /'»a\  / \ 

« 

11 
11 
11 
11 
•1 
11 

Die  ersten  Zahlen  in  diesen  kleinen  Tabellen  geben  an,  wie  viel 
Namen  jeder  Gruppe  in  den  einzelnen  Generationen  angewendet  wurden, 
die  eingeklammerten,  wie  oft  diese  wieder  gebraucht  wurden.  Zur 
Erläuterung  möge  folgendes  Beispiel  dienen:  In  der  zweiten  Genera- 
tion wurden  4  (6)  deutsche  männliche  Namen  gegeben,  und  zwar 
Burkhart  und  Friedrich  je  zweimal,  Wolfgang  und  Gottfried  je  einmal. 
Aus  den  Tabellen,  mit  deren  Hilfe  man  sich  auch  die  Prozentzahlen 
der  grofsen  Tabellen  in  absolute  umwandeln  kann,  ist  zugleich  zu  er- 
kennen, da(s  die  schon  oft  beklagte  Namenarmut  des  Mittelalters 
sich  bis  in  die  neue  Zeit  herein  erhalten  hat.  Vor  allem  zeigt  sich 
das  auch  auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Namen,  die  in  der  deut- 
sehen  Urzeit  so  überreich  wucherten,   und  von  denen  in  der  zehnten 


II    (39)   Namen,  darunter - 

-(-) 

11 

3(15) 

11 

8(24) 

11 

-(-) 

in  der  3.  Generation 

19  (207)  Namen,  danmter 

3(18) 

11 

5(139) 

11 

II  (50) 

11 

-(-) 

in  der  4.  Generation 

26  (426)  Namen,  darunter 

3  («7) 

11 

5  (239) 

»1 

16(168) 

11 

a(2) 

in  der  5.  Generation 

34  (925)  Namen,  darunter 

4(*6) 

11 

5  (468) 

11 

22  (424) 

11 

3(7) 

in  der  6.  Generation 

36  (1 328) Namen,  darunter 

4(a6) 

11 

4(5") 

11 

19(773) 

yy 

9(18) 

in  der  7.  Generation 

22  (399)  Namen,  darunter 

4(10) 

11 

4(103) 

11 

10(281) 

11 

4(5) 

in  der  8.  Generation 

25  (484)  Namen,  darunter 

3(7) 

11 

4  (50) 

»1 

» I  (392) 

11 

7(35) 

in  der  9.  Generation 

31  (689)  Namen,  darunter 

1(0 

11 

2(53) 

11 

16(395) 

11 

1 3  (240) 

in  der  10.  Generation 

60  (706)  Namen,  darunter 

«(«) 

11 

6  (1 10) 

n 

31(321) 

11 

82  (274) 

—     4«     — 

GeneratioB  noch   35  mänDÜcfae  706  mal,   22  weibliche  274  mal  ver- 
treten sind. 

Nach  der  Häofigkett  des  Vorkommens  der  einzelnen  Namen  könnte 
man  sie  in  folgende  Gruppen  teilen:  i)  solche,  die  nur  ephemere  Er- 
scheinungen auf  dem  Gebiete  der  Namengebung  sind,  2)  solche,  die 
Modenamen  waren,  und  3)  solche,   die  sich  fast   durch  die  ganze  in 
Frage   kommende  Zeit  hindurch  behauptet  haben.     Von  den  Namen 
der  ersten  Gruppe  kommen  in  300  Jahren  nur  einmal  vor  Adrian, 
Alexander,   Austinus,  Bodo,    Balthasar,    Clemens,    Esaias,    Ephraim, 
Egmont,    Ehrenhard,    Ehrenreich,   Engelbert,   Engelhard,   Eucharius, 
Eugen,  Friedemann,  Fürchtegott,  Florens,  Gebhard,   Gerhard,   Hart- 
mann,  Jostus,  Ludolf,  Matthias,  Oswin,  Samiel,  Urban,  Valentin,  Wol- 
demar  —  Albertine,  Alida,  Adele,  Aurelie,  Alice,  Brigitte,  Charitas, 
Cornelia,  Eophrosine,  Elwine,  Elmire,   Florentine,   Franziska,   Fanny, 
Heinrika,  Hjrpolita,  Judith,  Mathilde,  Melitta,  Ottilie,  Salome,  Sidonie, 
Theodore  ;   zweimal  Bruno ,   Burkhart ,  Benedikt ,   Erdmann ,   Guido, 
Gideon,  Jonas,  Immanuel,  Joachim,  Kurt,  Leonhard,  Reinhold,  Seba- 
stian —  Amanda,  Hulda,  Laura,  Marianne,  Thekla,  Ursula;  dreimal 
Angustin,  Bartholomäus,  Gotthelf,  Konrad,  Laurentius,  Lorenz,  Oswald, 
Philipp,  Reinhard,  Rudolf  —  Alwine,  Elise,  Livia;  viermal  Abraham, 
Arthur,  Jeremias,  Leberecht,  Melchior,  Nikolaus,  Siegfried,  Thomas, 
Traugott  —  Gertrud,  Olga,  Rosalie;    fünfmal  Anton,  Felix,  Ulrich, 
Wolfgang —  Lydia,  Rebekka;  sechsmal  Gabriel,  Simon —  Martha, 
Erdmuthe ;  siebenmal  Joseph,  Kaspar,  Ludwig,  Karoline;  achtmal 
Alwin  —   Antonie,   Selma.     Leider  sind   darunter   recht   viele   wohl- 
klingende deutsche  Namen. 

Zu  Gruppe  2  und  3  gehören  Adam,  Adolf,  Albert,  Alfred,  An- 
dreas, August^),  Benjamin,  Christian,  Christoph,  Daniel,  David, 
Eduard,  Elias,  Emil,  Ernst,  Ferdinand,  Friedrich,  Franz,  Georg, 
Gottfried,  Gottlieb,  Gottlob,  Gregor,  Gustav,  Heinrich,  Her- 
mann, Jakob,   Johannes,   Julius,    Karl,   Martin,   Mattheus,   Max, 
Michael,  Moritz,  Oskar,  Otto,  Paul,  Petrus,  Richard,  Robert,  Samuel, 
Sigismund,  Theodor,  Tobias,  Wilhelm  —  Amalie,  Anna,  Barbara, 
Bertha,  Charlotte,  Christiane,  Christine,  Dorothea,  Eleonore,  Eli- 
sabeth, Emilie,  Emma,  Emestine,  Friederike,  Helene,  Henriette, 
Ida,  Johanna,  Julianne,  Justina,  Katharina,  Klara,  Lina,  Magdalena, 
Maria,  Minna,  Rahel,  Regina,  Rosina,  Sabina,  Sibylle,  Sophie, 
Susanne,  Therese.  —  Wann  die  einzelnen  dieser  Namen  besonders  stark 


I)  Die  gesperrt  gedmckten  sind  fut  dnrchg&igig  in  Gebrauch  gewesen. 

4 


—     44     — 

aufgetreten  sind,  ist  aus  den  Haupttabellen  zu  ersehen ;  man  wird,  wenn 
man  diese  Namen  in  den  Tabellen  aufsucht,  bemerken,  dafs  die  Neigung^ 
iiir  deutsche  Namen  in  den  letzten  Generationen  wesentlich  stärker 
hervortritt  als  früher.  Noch  klarer  tritt  das  zutage,  wenn  man  die 
Prozentzahlen  der  Namengruppen  in  Betracht  zieht.  Die  männlichen 
deutschen  Namen  sind,  wenn  man  wieder  jeden  Namen  zählt,  so  oft  er 
vorkommt,  bei  der  ersten  Generation  mit  3,2,  bei  der  letzten  mit 
84  Prozent  beteiligt;  ein  stärkeres  Steigen  beginnt  von  der  siebenten 
Generation  an  (44  Prozent),  also  von  der  Zeit  an,  wo  nur  die  Tauf- 
listen der  rein  ländlichen  Gemeinden  zur  Verfügung  standen.  Sollten 
die  Errungenschaften  des  grofeen  Friedrich,  deren  sich  in  Deutsch- 
land Freund  und  Feind  freute,  belebend  auf  das  Nationalbewußtsein 
unserer  Landbewohner  eingewirkt  haben?  Preufeische  Krieger  lagen 
ja,  wie  auch  die  Kirchenbücher  ausweisen,  in  jenen  Jahren  in  den 
Dörfern.  Sicher  sind  die  deutschen  Freiheitsbewegungen  des  XDC.  Jahr* 
hunderts  von  Einflufs  auf  die  ungeheure,  überaus  erfreuliche  prozen- 
tuale Zunahme  der  deutschen  Namen  gewesen.  Viel  geringer  ist  aber 
in  dieser  Beziehung  der  Erfolg  auf  dem  Gebiete  der  weiblichen  deut- 
schen Vornamen.  In  der  ersten  Generation  scheint  der  Name  Gertrud 
noch  beliebt  gewesen  zu  sein;  in  der  zweiten  und  dritten  kommen 
keine  deutschen  Namen  vor,  noch  in  der  achten  Generation  sind  es 
blofs  7  Prozent,  bis  schliefslich  in  der  neunten  und  zehnten  sich  auch 
ein  erfreuliches  Emporschnellen  wenigstens  bis  zu  35  und  39  Prozent 
verzeichnen  läfet.  Auf  dem  Gebiete  der  weiblichen  Vornamen  haben 
sich  mit  gro(ser  Zähigkeit,  wohl  als  ein  Erbstück  des  kirchlichen  Mittel- 
alters, die  altkirchlichen  Namen  gehalten;  sie  setzen  mit  52  Prozent 
in  der  ersten  Generation  ein,  steigen,  fallen  und  steigen  wieder  bis 
zu  81  Prozent  in  der  achten  Generation  und  behaupten  sich  noch  mit 
45  Prozent  in  der  zehnten.  Die  männlichen  Namen  gleicher  Art  sind 
in  der  ersten  Generation  mit  reichlich  32  Prozent  vertreten,  steigen  bis 
36  Prozent  in  der  dritten  Generation  und  fallen  bis  13  in  der  zehnten. 
Es  ist  wohl  klar,  dafs  wir  dieses  Beharren  des  weiblichen  Geschlechtes 
bei  den  kirchlichen  Namen  mit  einem  tieferen  religiösen  Gefühlsleben 
in  Zusammenhang  bringen  können,  das  auch  dann  noch  nachwirkte, 
als  von  pietistischen  Einflüssen  nicht  mehr  die  Rede  sein  konnte;  denn 
wir  dürfen  wohl  annehmen,  dafs  bei  der  Namengebung  der  Mädchen 
die  Frauen  ganz  besonders  ihren  Einflufs  geltend  gemacht  haben.  Was 
sonst  noch  zum  vermehrten  Gebrauch  dieser  altkirchlichen  Namen 
gefuhrt  hat  und  zwar  bei  beiden  Geschlechtem  zu  so  verschiedenen 
Zeiten,  ist  freilich  nicht  so  einfach  zu  ergründen.    Sicher  haben  Kirche 


-       45     — 

und  Gdstlichkeit  und  religiöses  Leben  überhaupt,  für  das  XVI.  und 
andi  das  XVII.  Jahrhundert  noch  die  Reformation  besonders,  neben 
altheigebrachter ,  tiefwurzelnder  Sitte  groisen  Einflufs  auf  die  Namen- 
gebung  gehabt;  das  erhellt  auch  daraus,  dafs  die  männlichen  neu- 
testamentlichen  Namen  in  der  ersten  Generation  mit  ca.  58  Prozent 
beteiligt  sind  und  noch  in  der  siebenten  Generation  auf  39  Prozent 
stehen,  während  die  weiblichen  Namen  derselben  Art  mit  40  Prozent  be- 
ginnen, in  der  dritten  Generation  eine  Höhe  von  68  Prozent  erreichen  und 
in  der  sechsten  Generation  noch  38,5  Prozent  zählen,  sowie  daraus,  dafs 
2ach  die  alttestamentlichen  Namen  in  der  dritten  Generation  die  höchsten 
Zifiem  aufweisen  (männliche  gegen  11,  weibliche  gegen  9  Prozent). 
Die  groüsen  Zeitereignisse  haben  natürlich  auf  dem  Lande  immer  etwas 
später  eingewirkt.  So  könnte  man  denn  schliefslich  auch  den  späteren 
häufigeren  Gebrauch  der  deutschen  Namen  mit  auf  Rechnung  auf- 
klärerischer Einflüsse  schreiben.  Sicher  ist  aber  bei  derartigen  Kom- 
binationen immer  etwas  Vorsicht  geboten.  Nur  wenn  man  gröfeere 
Gebiete  überblickt  und  sonst  Einblick  in  Sitte  und  Brauch  der  be- 
treffenden Orte  tun  kann,  wird  man  zu  sicheren  Resultaten  gelangen 
können.  Noch  mehr  Vorsicht  scheint  am  Platze  zu  sein  bei  der  Be- 
urteilung des  Neuauflretens  einzelner  Namen.  So  war  ich  versucht, 
den  Gebrauch  des  Doppelnamens  Johann  Georg  seit  der  Wende  des 
XVII.  und  XVIII.  Jahrhunderts  damit  in  Zusammenhang  zu  bringen,  dafs 
Tier  Fürsten  des  Herrscherhauses  Wettin  diesen  Namen  getragen  hatten. 
Beim  Lesen  des  Gmelinschen  Aufsatzes  muDste  ich  aber  erfahren,  daCs 
sich  diese  Namenzusammenstellung  auch  in  Süddeutschland  grofser 
Beliebtheit  erfreut  hat,  und  „Hansgörge'*  gibt  es  wohl  auch  noch  in 
anderen  Gegenden  Deutschlands.  Manche  Namen  wurden  durch  Zu- 
zügler neu  eingeführt  und  bürgerten  sich  mehr  oder  weniger  ein. 
Über  Einzelnamen  und  Namenzusammenstellungen  mögen  aber  doch 
Boch  einige  Bemerkungen  hier  Platz  finden. 

Was  die  Einzelnamen  betrifft,  so  möge  zunächst  noch  gesagt  sein, 
dafc  die  Kinder  oft  nach  Vater,  bzw.  Mutter  genannt  wurden;  doch 
sdieint  man  sich  dabei  nicht,  wie  es  hier  und  da  der  Fall  ist,  nach 
einer  besonderen  R^el  gerichtet  zu  haben,  so  vielleicht,  dafs  das 
entgeborene  Kind  den  betreffenden  Namen  erhielt.  Besonders  häufig 
bekamen  allerdings  uneheliche  Knaben  den  Namen  des  Vaters. 
Wollten  vielleicht  die  Mütter  dadurch  ihre  Liebhaber,  die  Räuber 
ihrer  Ehre,  fester  an  sich  ketten  und  sie  zur  Ehe  bewegen?  Ver- 
schiedene der  biblischen  Namen  (Petrus,  Paulus)  finden  sich  meist 
mit  fremdsprachlicher  Endung   in    den    Tauflisten   vor;    die    Herren 

4» 


—     46     — 

Pfarrer  hängten  gern  ihren  Eintragungen  ein  gelehrtes  Mäntclchen  um. 
Selten  lesen  wir  die  gebräuchlichen  deutschen  Formen  Paul  und  Peter 
oder  die  volkstümlichen  Formen  Jochen,  Michel,  Johann  oder  Hans, 
Christophei  oder  gar  Toffel  usw.  Dafs  sie  aber  mehr  üblich  waren, 
als  sich  aus  den  Listen  ersehen  läfst,  kann  man  daraus  erkennen,  dais 
die  Väter  und  Paten  dann  und  wann  auch  unter  solchen  Namen  in 
den  Listen  verzeichnet  stehen.  Unter  den  weiblichen  Namen  fand 
sich  nur  eine  einzige  Koseform  (Antoniette) ;  sicher  sind  solche  aber 
auch  mehr  in  Gebrauch  gewesen.  Vereinzelt  kommen  Namen  iü 
zweierlei  Form  vor,  so  Theresia  neben  Therese,  Gertraut  neben  Ger- 
trud, Heinriiette  neben  Henriette  usw.  —  oder  Louis  neben  Ludwig 
(also  auch  hier  Nachäffung  des  Französischen!),  Franziskus  neben 
Franz  u.  a.  m.  Die  seltenere  Form,  die  gewöhnlich  nur  ein  oder  ein- 
zelne Male  auftritt  und  hier  und  da  vielleicht  mehr  auf  Rechnung  des 
Pfarrers  als  der  Eltern  zu  schreiben  ist  (Carolus !),  ist  in  den  Tabellen 
stets  in  Klammer  gesetzt.  Es  möge  an  dieser  Stelle  gleich  mit  er- 
wähnt sein,  dafs  einige  fremdsprachliche  Namen  ohne  kirchlichen 
Charakter  mit  bei  den  altkirchlichen,  einige  französisierte  oder 
romanisierte,  sowie  der  schwedische  Name  Gustav  mit  bei  den  deut- 
schen Namen  untergebracht  sind.  Sie  sind  durch  ein  *  hervor- 
gehoben. 

Es  bleibt  nun  schliefslich  noch  übrig,  ein  Wort  über  Namen- 
zusammenstellungen zu  sagen.  Im  XVI.  und  Anfang  des  XVII. 
Jahrhunderts  begfnügte  man  sich  mit  einem  Namen;  nur  einzelne,  be- 
sonders die  „Spitzen**  der  Gemeinden  —  Gutsherr,  Pastor,  Schul- 
meister —  gestatteten  sich  den  Luxus  eines  zweiten;  bald  wurde  das 
aber  zur  Gewohnheit,  und  im  XVIII.  Jahrhundert  kam  vielfach  auch 
noch  ein  dritter  dazu  *).  Welcher  der  zwei  bis  drei  oder  gar  vier 
Namen  der  Rufname  gewesen  ist,  läfst  sich  aus  den  Listen  nicht  er- 
sehen; deshalb  sind  auch  in  den  Tabellen  alle  Namen  gleichmäfeig 
gezählt  worden.  Es  ist  vielleicht  nicht  falsch,  anzunehmen,  dais  im 
allgemeinen  der  jedesmalige  letzte  der  Namen  diese  Bedeutung  hatte, 
da  an  erster  Stelle  oft  ein  und  derselbe  Name  stand ;  vornehmlich  in 
der  ersten  Zeit  waren  die  Zusammenstellungen  ganz  stereotyp.  So 
sind  z.  B.  unter  den  44  männlichen  Doppelnamen  von  Zweinaundorf 
von  163s  bis  1727  41,  bei  denen  an  erster  Stelle  der  Name  Johannes 


i)  Gmelin  (S.  165)  hat  ähnliche  Erfahnuigen  gemacht.  (XVII.  Jahrhundert  zwei 
Namen,  XVIIL  Jahrh.  drei,  XIX.  Jahrh.  Abnahme  der  Doppelnamen,  dafür  stärkeres  Auf- 
treten der  deutschen  Namen.) 


—     47     — 


steht  Dieser  Name  '),  der  sich,  wie  die  betreffende  Tabelle  teigt, 
durch  alle  Zeiten  hindurch  gehalten  hat  und  eine  Zeitlang  Modename 
war,  ist  nach  und  nach,  wie  es  scheint,  fast  ganz  in  diese  Neben- 
stellung eines  Beinamens  gedrängt  worden;  aber  auch  da  hat  er  an- 
dren mehr  und  mehr  weichen  müssen;  die  Zusammenstellungen 
werden  immer  mannigfaltiger.  In  der  zehnten  Generation  ist  er  fast 
vollständ^  durch  die  deutschen  Namen  verdrängt;  als  Rufname  ist 
er  schon  früher  jedenfalls  stark  zurückgetreten.  Unter  den  weiblichen 
Namen  haben  ein  ähnliches  Geschick  die  Namen  Maria  und  Anna  ge- 
habt Unter  den  38  Zweinatmdorfer  Doppelnamen  von  1656  bis  1726 
sind  15  mit  Anna,  17  mit  Maria,  3  mit  Johanna,  3  mit  anderen  Namen 
zusammengestellt.  Es  herrscht  also  hier  schon  eine  etwas  gröfsere 
Mannigfaltigkeit. 

Diesen  Einzelausführungen  lassen  wir  nun  die  Tabellen  ')  selbst 
folgen,  die  vielleicht  doch  in  ihrer  Ausführlichkeit  noch  einzelne 
Schlüsse  bezüglich  des  oder  jenes  Namens  zulassen  und  trots  des  be- 
scheidenen örtlichen  Kreises,  auf  den  sie  sich  beziehen,  als  Glied  in 
einer  Reihe  ähnlicher  Untersuchungen  für  allgemeinere  Zwecke  nutz- 
bar gemacht  werden  können. 

Tabelle  I:  Alttestamentliche  Namen. 


I. 

«. 

3. 

4. 

5- 

6. 

7. 

8. 

9- 

10. 

Name 

Jahr  dM 

enten 

Vor^ 

kOBUDCBS 

1600 

1601 
1630 

1631 

bit 
1660 

1661 

bb 

1690 

169I 
bii 

i7ao 

1721 
bb 

1750 

1751 

bb 

1780 

1781 

bb 

I8I0 

1811 

bb 

1840 

184I 

bb 

1870 

7. 

7. 

% 

7. 

79 

7o 

7. 

•/. 

7. 

% 

Adam      .     .     .     . 

1632 

— 

— 

^4 

0,76 

0,63 

0,21 

0,21 

0,2 

— 

0,12 

Abraham      .     .     . 

1665 

— 

— 

— 

0,25 

0,33 

— 

— 

— 

*— 

— 

Bcajamin     .     .     . 

1679 

— 

— 

o,Si 

0,53 

0|»8 

0,^1 

— 

— 

— 

Dniel    .... 

I65I 

— 

^^"^ 

0,94 

1,01 

Q,II 

<M» 

o,ai 

0,3 

0,1a 

*— 

Darid     .... 

1639 

— 

— 

a,35 

i,a6 

M7 

IJ5 

2,10 

I 

0,37 

— 

I)  Bezflglich  dieses  Namens  sei  verwiesen  auf  den  Aufsatz  Vomammahtdtm  von 
Georg  Steinkauaen  (Zeitschr.  fftr  den  deutschen  Unterricht,  Bd.  Vn  [1893],  S.^l6ff.), 
der  sieb  ancb  über  dessen  groise  Beliebtheit  im  gansen  christlichen  Earopa  seit  xiem 
IGltclaller  aosspricht  and  aaf  seine  bfinfige  Yerwendnng  tu  volkstümlichen  Zosamftien- 
settangeo  (PraklhaBS,  Faselhans,  Hans  im  Glück  usw.)  hinweut. 

a)  Die  Snmmierang  der  Froseotcahleo  einer  jeden  Generation  ergibt  nicht  i«»ier 
die  gbUe  Zahl  100,  sondern  meist  einen  Bruchteil  darunter  oder  darüber.  Um  die  Rflck* 
rechnoBg  in  absolute  Zahlen  nicht  za  erschweren,  habe  ich  gemeint,  von  einer  weiteren 
Abrandang  der  Prosentzablen  absehen  zn  müssen.  Für  das  Ganze  sind  diese  geriggen 
Mler  «nerbdiUch. 


—     48     — 


1. 

«. 

3- 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9- 

10. 

Name 

Jmhr  des 

ersten 

Vor. 

au 

1574 
bis 

1601 
bu 

163I 
bis 

1661 

bU 

1691 
bu 

1731 
bis 

1751 
bU 

I781 
bis- 

181I 
bis 

I84I 

bis 

kommens 

1600 

1630 

1660 

1690 

1730 

1750 

1780 

1810 

1840 

1870 

•/, 

7o 

7o 

7. 

7o 

7a 

% 

7. 

7o 

7. 

Esaisas   .     .     .     . 

X657 

0,47 

— 

— 

— 

Ephraim 

1735 

— 

—    0,07 

— 

— 

— 

Elias.     . 

1717 

— 

— 

— 

0,53  0,21 

o,ai 

1— 

•— 

Gideon   . 

1681 

— 

— 

«— 

0,25 

0,11    — 

— 

— 

— > 

Jakob     .     , 

1578 

6,44 

—     3ta9 

1,77 

«,37    0,98 

— 

0,3 

— 

— 

Jeremias 

1613 

.^_ 

4,75    0,47 

0,25 

—     0,07 

— 

— 

— 

— 

Joseph    . 

1619 

— 

— 

0,25 

0,33   0,21 

— 

— 

— 

0,12 

Jonas 

1670 

0,25 

0,11     — 

— 

— 

— 

— 

Samiel    . 

1708 

— 

•— 

— 

0,11     - 

— 

.— 

..^ 

Samnel   .     . 

1670 

— 

— 

— 

1,00 

0,53  . 0,35 

0,21 

0,2 

o,w 

— 

Tobias    .     . 

1638 

— 

4,75 

1,88 

i,a6 

0,42 

0,56 

0,21 

0,» 

— 

— 

B.  WdUielM  Hamtn : 

1 

Eva 

1636 

— 

— 

4,9 

1,2 

0,86 

0,32 

0,50 

1,06 

— 

» 

Judith     «    . 

■ 

■ 

1656 

— 

— 

0,5 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

Rebekka.     . 

• 

• 

1683 

— 

— 

— 

0,48 

0,11 

0,08 

0,35 

— 

— 

— 

Rahel      .     . 

■ 

• 

I716 

— 

— 

— 

0,11 

0,48 

I 

0,21 

0,14 

0,14 

Snsanna .     . 

fl 

• 

164I 

— 

— 

3,4 

2,4 

1,71 

1,12 

0,75 

0,21 

— 

— 

Tabelle  U:  Neutestamentliche  Namen. 


I. 

9 

3- 

4. 

s- 

«• 

7. 

8. 

9. 

10. 

Name 

Jahr  des 

ersten 

Vor. 

konmens 

ca. 

1574 
bis 

1600 

160I 

bU 

1630 

163I 

bis 

1660 

1661 

bis 

1690 

1691 

bis 
1720 

1721 

bis 

1750 

1751 

bis 

1780 

I781 

bis 
1810 

1811 

bis 
1840 

1841 

bU 

1870 

7o 

7o 

7a 

7o 

/a 

7o 

7. 

/o 

7a 

7. 

A.  UaiilielM  Vamtn : 

Andreas  .... 

1578 

6,44 

9,5 

7,52 

4,2 

3,7 

3,1 

1,26 

0,4 

ö,«5 

0,12 

Bartholomfiiu  .     . 

1578 

3,22 

4,75 

0,25 

— 

— 

— 

— 

— 

Gabriel  .... 

1636 

— 

— 

0,47 

0,25 

0,22 

0,14 

— 

— 

— 

— 

Immanael    .     .     . 

1718 

— 

— 

— 

— 

o,ix 

0,07 

— 

— 

— 

— 

Joachim  (Jochen)  . 

1641 

— 

— 

0,94 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Johannes  (Johann, 
Hans).     .     .     . 

1579 

12,88 

14,« 

19,74 

22,0 

33,7 

39,7 

36,1 

28,0 

14,0 

1,92 

Matthias  (Mathes) 

1599 

3,23 

— 

1,88 

1,50 

0,63 

0,07 

— 

— 

— 

— 

Matthias.     .     .     . 

1684 

— 

— 

— 

0,25 

— 

— 

— 

— 

— — 

— 

Michael  (Michel)  . 

1578 

9,66 

4,75 

7,52 

6,50 

4,30 

1,3 

>,o5 

0,2 

— 

— 

Paulos  (Paol)   .     . 

1595 

6a* 

0,94 

4,P 

2,52 

1,1 

— 

— 

— 

0,84 

Petrus  (Peter)  .     . 

1580 

6,44 

— 

6,11 

1,36 

0,11 

0,28 

— 

— 

— 

— 

Philipp   .... 

1676 

— 

— 

0,51 

0,11 

— 

— 

— 

— 

— 

Simon  (Simeon)   . 

1581 

6,44 

— 

— 

0,51 

0,11 

0,21 

— 

— 

— 

— 

Thomas  .... 

1579 

3,22 

— 

0,47 

0,25 

— 

0,07 

— 

— 

— 

— 

—     49     — 


B. 

a. 

9- 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

Name 

Jahr  des 

erstttn 

Vor- 

kommei» 

ca. 

1574 
bis 

1600 

1601 

bis 
1630 

1631 

bis 

1660 

1661 

bis 

1690 

1691 

bis 
1720 

172^ 

bis 

1750 

1751 

bis 
1780 

1781 

bis 

1810 

181 1 

bu 
1840 

1841 

bu 

1870 

% 

7o 

% 

% 

% 

7o 

7o 

7o 

7o 

\ 

B.W«ihU0li6VuMB: 

Adds 

1578 

12 

15,6 

22,5 

17,3 

»0,37 

7,2 

6,50 

2,3 

0,56 

5,7 

Elisabeth     .     .     . 

1636 

— 

— 

5,4 

5i75 

11,12 

6,5 

1,75 

0,41 

— 

0,28 

Elise 

1852 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,4 

«  « 

1583 

24 

20,8 

37,2 

26,2 

«4,39 

22,6 

17,0 

7,1 

6,8 

7,4 

Magdalena  .     .     . 

1653 

— 

«,9 

5,75 

4,38 

2,1 

0,50 

0,62 

— 

0,28 

Martha   .     .     .     . 

I5«4 

4 

a,6 

0,9 

— 

0,21 

— 

— 

— 

1,26 

Salome  .     .     .     . 

1666 

— 



— 

0,24 

— 

— 

— 

— 

— 

Tabelle  lU:   Altkirchliche  Namen. 


B. 

9. 

3. 

4. 

5- 

6. 

7. 

8. 

9- 

xo. 

Jahr  des 

ca. 

^% 

cfsleu 

1574 

160I 

1631 

1661 

1691 

I72I 

1751 

1781 

181I 

I84I 

Name 

Vorw 
Konuaeas 

bis 

bis 

bis 

bU 

bis 

bis  T  bis 

bis 

bu 

bis 

1600 

1630 

1660 

1690 

1720 

1750 

1780 

1810 

1840 

1870 

•/. 

% 

7. 

% 

7. 

7« 

7. 

% 

% 

7. 

A.HiaBli0h«Vamai : 

Adrian    .     .     .     . 

1664 

— 

""" 

— 

0,25 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Alezander    .     .     . 

1822 

— 

— 

-^ 

— 

— 

— 

— 

— 

0,13 

— 

Anton     .     .     .     . 

1714 

— 

— 

— 

0,11 

0,14 

— 

— 

0,25 

— 

AagQst    .... 

1701 

— 

— 

— 

— 

0,77 

1,82 

1,5 

5,0 

7,25 

3,4 

Aognstin.     .     .     . 

1688 

— 

— 

— 

0,25 

0,22 

— 

— 

— 

— 

— 

Aastimu .... 

1659 

— 

— 

<M7 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Balthasar     .     .     . 

1580 

3,22 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Benedikt      .     .     . 

1649 

— 

— 

0,47 

0,25 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Quisiian      .     .     . 

1634 

— 

— 

7,05 

13,5 

12,1 

9,24 

6,5 

13,4 

3,75 

0,4 

Christoph  (Christo- 

phe!) ...     . 

1583 

3,22 

— 

7,99 

7,5 

9,24 

5,53 

4,4 

0,8 

— 

— 

Clemens.     .     .     . 

1580 

3,22 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Emü 

1818 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,25 

2,2 

EichariQS    .     .     . 

1670 

— 

— 

— 

0,25 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Engen     .     .     .     . 

1831 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,13 

— 

Felix 

1858 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,6 

Florens  .     .     .     . 

183I 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,13 

— 

Georg    .     .     .     . 

1583 

6r44 

19,0 

7,05 

4,0 

3,74 

t,75 

0,42 

— 

— 

1,2 

Gr^or  .... 

1579 

6r44 

— 

1,88 

»,o 

0,33 

0,14 

— 

— 

— 

— 

Jtü«     .     .     .     . 

1814 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,25 

1,2 

J»tas     .     .     .     . 

1666 

— 

— 

— 

0,25 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Kaspar   .     .     .     . 

1589 

3,22 

— 

0,47 

0,25 

0,33 

0,07 

— 

— 

— 

— 

unreotms  .     •     . 

1581 

3,22 

— 

0,94 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Lora»  .    .     .     . 

1684 

— 

— 

— 

0,25 

0,11 

— 

— 

— 

0,13 

— 

Ütftm    .    .     .     . 

1629 

— 

4,75 

7,<>5 

3,50 

1,1 

0,35 

0,42 

— 

— 

— 

—    60    — 


I.        «* 

3- 

4» 

$> 

"T" 

7. 

s. 

9. 

10. 

Name 

Jidir  des 

ersten 

Vor. 

konunens 

ca. 
1574  i4k>i 

bis       bis 
1600  1630 

1631 

bis 

1660 

1661 

bis 
1690 

1691 

bis 

1720 

1721 

bu 

1750 

1751 

bu 

1780 

1781 

bU 

I8I0 

i8if 

bis 

1840 

I84I 

bU 
187a 

jy.±% 

% 

Jlo. 

V. 

-^•_ 

7o 

V. 

% 

7. 

Max  (Maximilian). 

1855 

— 

— 

— • 

^- 

— 

— 

— 

— 

— 

2,0 

M/elchior      .     .     . 

1630 

— 

4,75 

0,47 

0,25 

0,11 

— 

— 

— 

— 

Morite    .     . 

182I 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,37 

^' 

Nikolaof 

1653 

— 

— 

0,94 

0,25 

— 

0,07 

— 

— 

— 

Sebastian 

* 

1650 

— 

— 

0,94 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Theodor .     , 

1 

1681 

— 

— 

0,25 

— 

0,07 

— 

— 

0,7$ 

0,96 

Urban     .     . 

1591 

3»22 

— 

— 

" 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Valentin .     . 

1 

I715 

— 

— 

— 

0,11 

— 

— 

— 

— 

— 

B.  W«iblioh«  Hamen : 

Agnes     .     .     .     . 

1703 

— 

— 

— 

— 

0,11 

— 

— 

— 

I,« 

Antonie  (Anto- 

1 

niette) 

4749 

— 

— 

— 

— 

— 

0^ 

— 

— 

0,14  0,84 

Alma.     .     . 

1861 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

i^i^ 

— 

— 

1,12 

Amanda  .     . 

1862 

— 

— 

— 

— 

— 

— 



— 

— 

0,28 

Aarelie   .     . 

1726 

— 

— 

— 

— 

— 

0,08 



— 

— 

— 

Angaste  (Aagn- 
stine  I  mal) 

1723 

... 

^ 

m^m 

^. 

^^ 

0,08 

._ 

— ^ 

3,8 

9,1 

Barbara  .     . 

159a 

12 

5.2 

3t4 

1,44 

0,77 

0,16 



— 

— 

— 

Cnaritas  . 

1685 

— 

— 

— 

0,24 

— 

— 



— 

— 

— 

Christiane 

• 

1700 

— 

— 

— 

— 

2,97 

5,0 

6,50 

12,6 

7,6 

0,9« 

Christine 

» 

1589 

4 

— 

2»4 

3,2 

3,2 

2,4 

0,25 

0,21 

— 

0,14 

Cornelia . 

• 

1715 

— 

— 

— 

0,11 

— 



— 

— 

— 

Dorothea 

» 

1649 

— 

— 

0,5 

3,2 

5,39 

1,8 

3,75 

3,15 

1^6 

0,14 

Eleonore 

» 

1692 

— 

— 

— 

— 

0,66 

0,24 

0,25 

0,84 

1,05 

0,14 

Emilie    . 

1817 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,8 

7,«4 

Enpbrosine 

> 

I715 

— 

— 

— 

— 

0,11 

— 

— 

— 

— 

— 

Florentine 

> 

I716 

— 

— 

— 

0,11 

— 

— 

— 

— 

— 

Franziska 

1851 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,14 

Helene   . 

* 

1693 

— 

— 

— 

— 

0,11 

— 

— 

— 

— 

1,26 

Hypolita 

> 

170I 

— 

— 

— 

— 

0,11 

— 

— 

■— 

— 

Jobanna . 

169I 

— 

— 

— 

i,9ü 

7,37 

'5»4 

25 

3^9 

21,9 

3,1 

Juliane   .     . 

» 

1669 

— 

— 

— 

0,24 

0,22 

0,16 

— 

0,42 

3,2 

0,42 

Jüiiina    . 

t 

1599 

4 

^ 

«,4 

0,24 

0,33 

0,08 

— 

— 

— 

— 

Katharina    . 

» 

157« 

8 

49 

^i9 

5,20 

4,4 

3,9 

I 

— 

— v> 

— 

Klara 

» 

x66i 

— 

— 

— 

0,48 

0,33 

— 

— 

— 

— 

2,7 

'  Laora 

» 

1837 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

-^ 

0,14 

0,14 

Livia.     . 

ft 

1862 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,42 

Lydia 

» 

1858 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Oi7 

Margarete 

» 

1579 

20 

«,6 

4,3 

2,10 

ö,44 

0,24 

— 

— 

— 

0,7 

Mariao(n)a  . 

► 

1599 

4 

■  — 

— 

— 

— 

— 

— 

0,21 

— 

— 

Mditta   . 

• 

1868 

— 

-?- 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0.14 

—     61     — 


X. 

a. 

3* 

i. 

5* 

6. 

7. 

8. 

9- 

10. 

Nam  e 

Jahr  des 

entea 

Vor- 

kommeni 

ca. 

1574 
bis 

1600 

1601 

bis 

1630 

163I 

bi« 
1660 

1661 

bU 

1690 

169I 

bu 

1720 

172I 

bU 

1750 

1751 

bU 
1780 

I781 

bis 
1810 

1811 

bis 

1840 

1841 

bU 

1870 

7. 

7. 

% 

7. 

7. 

% 

7. 

7o 

% 

% 

B.  W«ibli«h«  Vamtn : 

Pauline  .     .     .     . 

1820 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— • 

— - 

2,24 

7,6 

Regina    .     . 

1609 

— 

a,6 

1,4 

9,3 

8,9 

iai3 

13,5 

10,8 

2,24 

— 

Rotioe    . 

1641 

— 



1,85 

2,85 

6.4 

9,4 

11,75 

^3,1 

8,3 

1,12 

Rotalie  . 

1820 

— 



— 

— 

— 

— 

— 

-^ 

0,28 

0,28 

Sabine    . 

1638 

— 

a,6 

6,a 

7,8 

a,I 

h7 

4 

M5 

0,14 

— 

Sidonie  .     , 

1752 

— 





— 

— 

0,08 

— 

— 

— 

— 

Sophie    .     . 

1685 

— 





0,95 

h^ 

«,3 

4,25 

6,9 

2,«4 

0,98 

SibjUe    . 

1636 

— 



0,5 

0,24 

0,11 

0,48 

— 

— 

— 

— 

Thelda    . 

1845 

— 



— 

— 

•— 

— 

— 

— 

0,28 

Theodore 

184I 

— 





— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,14 

Therese  (Theresia) 

1833 

— 





— 

— 

— 

— 

— 

0,56 

1,54 

Ursula     .     .     .     . 

1638 

— 



0,9 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Aiihmig ; 

Alice 

1861 

— 



— - 

— 

— . 

— 

— .. 

— 

~- 

0,14 

1852 

— 





— 

— 

— 

— 

— 

— 

o;i4 

Fanny     .     .     .     . 

1863 

— 





— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,14 

Olga.     . 

» 

9                • 

1864 

— 





— 

— 

' — 

— 

— 

— 

0,56 

Tabelle  IV:  Deutsche  Namen. 


z. 

«. 

3- 

4. 

S- 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

Name 

Jahr  des 
ersten 
Vor- 
kommens 

ca. 

1574 
bU 

1600 

160I 

bu 

1630 

1631 

bis 

1660 

1661 

bis 
1690 

1691 

bu 
1720 

I721 

bis 

1750 

1751 

bb 

1780 

I781 

bis 

1810 

I8II 

bis 
1840 

1841 

bis 

1870 

7. 

7. 

7o 

7. 

7, 

7o 

7. 

'0 

Vo 

% 

Ar  KftBslioha  VaflMn : 

1 

Adolf     .    .     .     . 

1692 

— 

_^ 

— 

— 

0,22 

0,21 

0,21 

0,2 

I,<H  t  3,16 

Albert  (Albracht)  . 

1710 

— 

— 

— 

— 

0,11 

— 

— 

— 

o,X3 

0,84 

Alfred     .     .     .     . 

184I 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1,3 

Arthor     .     .     .     . 

1861 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

~. 

.- 

0,5 

Alwin  (Albin)  .     . 

1834 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,25 

Ot7 

Bernhard     .     .     . 

1869 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

«M 

Bodo 

1726 

— 

— 

— 

— 

— 

0,07 

— 

— 

— 

— 

Brano     .     .     .     . 

1852 

— 

— 

— 

— 

— 

-— 

— 

— 

— 

0,24 

Bnrkhart  (Borch- 
hard)  .... 

1628 

_ 

9,5 

^^^ 

• 

Eduard    .     .     .     . 

1801 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,4 

2,6 

3 

SgmoBt  .     .     .     . 

1831 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

O1I3 

^_ 

Ehrenfried  .     .     . 

1683 

— 

— 

— 

0,2$ 



— 

-^ 

0,2 

0,38 

0,12 

Ehreahard   .     .     . 

1709 

— 

— 

— 

— 

0,11 

— 

— 

-r- 

^■■^ 

—     52     — 


1. 

a. 

3. 

4. 

5. 

"T- 

7. 

8. 

9- 

10. 

Name 

Jahr  des 

ersten 

Voi- 

kommens 

ca. 

1574 
bis 

1600 

1601 

bb 
1630 

1631 

bis 

1660 

I66I 

bis 
1690 

169I 

bu 

1720 

1721 

bis 

1750 

1751 

bis 
1780 

I781 

bU 

1810 

1811 

bU 

1840 

X841 

bis 
1870 

7. 

7a 

7. 

7. 

7. 

7a 

% 

% 

% 

A.mnnHnhi>g 

AiMn: 

Ehrenreich  . 

.     .     1783 

— 

— 

— 

—- 

0,21 

— 

— 

Engelbert    . 

.     .     1821 

— 

— 

— 

— 

— 

Ol' 3 

— 

Engelhard   . 

.     .     1638 

— 

0,47 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Erdmann 

.     .     1747 

— 

— 

— 

— 

— 

0,07 

— 

— 

0,12 

Ernst.     .     . 

.     .     1641 

— 

— 

0,47 

— 

0,22 

0,21 

0,2 

2,75 

6,6 

Erwin     .     . 

.     .     1870 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,12 

Ferdinand    . 

.    .     1700 

— 

— 

^^^ 

— 

0,11 

— 

— 

0,4 

>,5 

0,12 

•Franz  (Fra 

nsis- 

kos)     .     . 

.     .      1706 

— 

— 

— 

0,11 

— 

— 

— 

0,75 

2,76 

Friedemann 

.     .     1735 

— 

— 

— 

— 

— 

0,07 

— 

— 



Friedrich     . 

.     .      1613 

9,5 

0,94 

2,0 

3i08 

3,36 

2,73 

8,8 

•«,5 

20,12 

Gebhard.     . 

.     .     1750 

— 

— 

— 

— 

— 

0,07 

— 



— 



Gerhard .     . 

.     .      1695 

— 

— 

— 

— 

0,11 

— 

^^^ 



— 



•Guido  .     . 

.     .      1861 

— 

— 

— 

— 

— 

— 



— 

0,24 

•GosUt.     . 

.     .      1685 

— 

— 

0,25 

— 

0,07 

•— 



1.8 

7,68 

Hartmann    , 

.     .      1711 

— 

— 

•^i^ 

— 

0,11 

— 



— 

Heinrich 

.     .      1640 

— 

— 

1,88 

2 

1,98 

2,03 

«,47 

1,4 

3,0 

0,96 

Hermann 

.     .      1823 

^^^ 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

',0 

12,0 

Karl  (Carok 

is) .     .      1672 

— 

— 

— 

0,50 

0,88 

2,7 

5,04 

12,2 

14,5 

9,4 

Konrad  .     . 

.     .      1709 

— 

— 

— 

— 

0,11 

0,07 

— 

— 

— 

0,12 

Kort  .     .     . 

.     .      1852 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,24 

Leberecht    . 

.     .      1710 

— 

— 

— 

— 

0,11 

0,2  X 

— 

— 

— 

Leonhard 

.     .     .      1638 

— 

0,47 

0,25 

— 

— 

— 

— 

— 

Ladolf    .     . 

.     .      1780 

— 

— 

—•m 

— 

— 

0,21 

— 

— 

— 

lÄdwig  («L 
imal  lo. 

oais) 

Gen.  .     1726 

^^^ 

1 

_ 

^^^^ 

^^^ 

0,2  X 

^^^^ 

^  ^ 

0,38 

0,12 

Oskar     .     . 

.     .      1816 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,38 

0,72 

Oswald  .     . 

.     .     1869 

— 

— 

•— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,36 

Oswin     .     . 

.     .      1870 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,12 

Otto  .     .     , 

.     .     .     1706 

— 

— 



— 

0,11 

— 

— 

— 

0,38 

0,96 

Reinhard 

.     .     1719 

— 

— 

— > 

— 

o,ii 

0,14 

— 

— 

— 

— 

Reinhold 

.     .     .      1844 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,24 

Richard  . 

.     .     .      [840 

— 

— 



— 

— 

— 

— 

— 

0,13 

1,8 

Robert    .     . 

.     .     .     1821 

— 

„_ 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,38 

0,72 

Rodolf    .     . 

.     .     1747 

— . 

— 

— 

— 

— 

0,14 

— 

— 

— 

0,12 

Siegfried 

.     .     .     1721 

— 

— 



— 

— 

0,07 

0,21 

0,4 

— 

— 

Sigismond  ( 

Siege- 

mond).     . 

,     .     .     1718 

— 

— 



— 

0,22 

0,14 

0,84 

0,2 

— 

— 

Ulrich     .     . 

.     .     .     1684 

— 

— 



0,75 

0,22 

— 

— 

— 

— 

— 

Wilhelm .     . 

.     .     .     1681 

— 



0,50 

0,55 

0,98 

0,42 

1,8 

9,3 

6,5 

Woldemar  . 

.     .     .     1868 

— 

"^^ 



— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,X2 

Wolfgang 

.     .     .     1581 

3," 

4,75 



0,25 

0,11 

0,07 

— 

— 

— 

— 

53     — 


t 

X. 

s. 

3- 

4. 

5. 

6. 

7- 

8. 

9. 

10. 

Name 

Jahr  des 
ersten 

kommens 

ca. 

1574 
bis 

1600 

I60I 

bis 
1630 

163I 

bb 

1660 

1661 

bis 

1690 

1691 

bU 
1720 

1721 

bU 

1750 

I75I 

bis 

1780 

I781 

bU 

1810 

1811 

bis 
1840 

1841 

bu 

1870 

•/. 

V. 

7. 

7. 

7. 

% 

7. 

'U 

7. 

7. 

Aikaif: 

PBrchtegott.     .     . 

1829 

— 

— 

— 

— 

•— 

— 

— 

— 

0.13 

— 

Gottlicb.     .     .     . 

1670 

— 

— 

— 

i,a5 

3,6 

3,8 

9,9 

3,6 

3,» 

0,36 

Gottfried  (Gotho- 
fred)  .     .     .     . 

1613 

.-^ 

4,75 

3i3 

10,8 

9,1 

",3 

«4,5 

»3,8 

6,1 

0^8 

Gotthard     .     .     . 

1704 

— 

— 

— 

— 

0,11 

— 

— 

— 

— 

— 

Gottbelf.     .     .     . 

1726 

— 

— 

— 

— 

— 

0,07 

0^1 

— 

0,13 

— 

Gottlob  .... 

1697 

— 

— 

— 

— 

0,11 

3,6 

7,77 

5,6 

a,6 

0,6 

Tmgott      .     .     . 

174I 

— 

— 

— 

— 

— 

0,07 

— 

Oi4 

0,13 

— 

B.WiiUkk8V«MtB: 

■ 

Albertine     .     .     . 

1868 

— 

.^ 

— 

— ~ 

«.. 

-^ 

— 

— 

... 

0,14 

Adele     .     .     .     . 

1870 

— 

— . 

— 

-— 

_ 

— 

— 



-i— 

0,14 

Alida  (AUndm?)     . 

1857 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 





0,14 

Amalie    .     .     .     . 

1793 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

<Vf2 

a,94 

5,74 

Ahrioe    .     .     .     . 

1846 

— 

— 

— 

— . 

'^>. 

-~. 

— 

— 

— 

0,4a 

Bertba    .     .     .     . 

1836 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,14 

3,08 

Brigitte  .     .     .     . 

1664 

— 

— 

— 

0,24 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

^Charlotte  .     .     . 

1702 

— 

— 

— 

— 

0,55 

0,32 

0,25 

— 

0,28 

— 

Elwioe    .     .     .     . 

1837 

— 

— 

— 

— 

*""" 

—. 

■~~~ 

— 

0,14 

— 

Eama     .     .     .     . 

1841 

^— 

— 

— 

— ' 

^_ 

— 

— 

2,8 

Erdumthe    ... 

1706 

— 

— 

— 

— 

0,11 

0,08 

0,25 

— 

0.28 

OM 

Ernestine     .     .     . 

1807 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

0,21 

0,56 

2,52 

Friederike  .     .     . 

»715 

— 

— 

— 

— 

0,11 

0,16 

— 

3,7 

8,68 

4.34 

Gertmd  (Gertraut) 

1581 

8 

— 

— 

0,24 

0,08 

— 

— 

— 

— 

Hedwig  .     .     .     . 

1849 

— 

— 

— 

— 

~— 

... 

— 

— 

0,98 

Heiorika      .     .     . 

1737 

_ 

— . 

— 

-^ 

0,08 

.— 

— 

— 

— 

•Henriette  (Hein- 

rictte).     .     .     . 

1724 

— 

— 

— 

— 

— 

0,24 

— 

0,21 

7,00  3,08 

Hnlda     .     .     .     . 

1856 

^— 

— 

— . 

... 

.^ 

—■ 

■_ . 

— 

0,28 

Ida 

1857 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

a,i 

KaroIiDe.     .     . 

1746 

— 

— 

— 

— 

— 

0,24 

0,50 

a,i 

»,8 

0,7 

w    • 

1S54 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 



0,98 

•Laise 

1727 

— 

— 

— 

— 

— 

0,16 

0,63 

0^2 

0,84 

Matbflde 

1854 

— 

— . 

'^>. 

'^>. 

— . 

— ~ 

... 

— 



0,14 

Minna    .     .     .     . 

1823 

— 

— . 

-i^ 

-i^ 

—. 

_ 

— 

0,28'  M 

Ottilie    .     .     .     . 

1859 

_ 

_ 

__ 

_^ 

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_ 

_ 

^-. 

Oyl4 

Sdma    .    .     .     . 

1847 

_ 

— 

— 

..^ 

'^>. 

— . 

.— 

.—. 

— 

i,ia 

WObelmine .     .     . 

1742 

— 

— 

— 

— 

— 

0,08 

0,25 

1,05 

10,08 

.V4 

«^^^i^^^^»»»W»<W\»><MMM^ 


54     — 


Mitteilungen 

y^rsamnilangeil.  —  Der  fünfte  deutsche  Archivtag  hat  programm- 
gemäfs  ^)  am  25.  Sept.  zu  Bamberg  in  den  Räumen  des  dortigen  neuen  Kgl. 
Kreisarchivs  unter  dem  Vorsitze  des  Reichsarchivdirektors  Bau  mann 
(München)  stattgefunden;  die  Teiinehmerliste  führte  56  Namen  auf,  danmter 
den  des  dänischen  Reichsarchivars  See  her  (Kopenhagen).  Ausführlich 
wird  über  die  Verhandlungen  im  Korrespondenzblatt  des  Oesamtverems  der 
deutschen  OeschiektS"  und  Altertumsvereine  berichtet  werden,  imd  der  dortige 
Bericht  wird  auch  im  Sonderdruck  erscheinen;  deshalb  soll  hier  nur  auf 
die  wesentlichsten  Punkte  kurz  hingewiesen  werden. 

Als  Berichterstatter  des  Ausschusses,  der  über  die  Frage  des  Schutzes 
der  kleineren  Archive  beraten  hat,  sprach  an  erster  Stelle  Archiv- 
direktor Wolfram  (Metz).  Ausgehend  von  dem  Tage  für  Denkmalpflege^ 
der  erst  kürzlich  in  Bamberg  stattfand,  bezeichnete  der  Redner  die  Urkunden 
und  Akten  in  den  Archiven  als  Denkmäler  für  die  Landesgeschichte,  die 
ebenso  wie  jene  aus  Erz,  Stein  und  Holz  Schutz  verdienen.  Insbesondere 
fehlt  dieser  Schutz  bisher  den  Archiven,  welche  nicht  unter  fiachmänniscber 
Verwaltung  stehen,  in  erster  Linie  den  Gemeindearchiven,  tmd  deswegen 
wird  es  Sache  des  Archivtages  sein,  die  Landesverwaltungen  um  Scluitz 
dieser  Archive  anzugehen.  Wieviel  hier  zugrunde  gegangen  ist  und  täglich 
zugrunde  geht,  wird  an  einigen  typischen  Beispielen  gezeigt.  Hinsichtlich 
dessen,  was  zu  erstreben  ist,  mufs  scharf  geschieden  werden  zwischen  den 
Ordnungsarbeiten,  welche  in  den  Gemebdearchiven  nötig  sind,  und 
der  Aufsicht,  die  dauernd  über  die  Archive  ausgeübt  werden  mufs.  Bisher 
hat  man  zwei  Wege  zur  Erreichung  dieser  Ziele  beschritten:  entweder  ist 
die  entsprechende  Arbeit  den  Historischen  Komissionen  —  so  in 
Baden  —  übertragen  worden,  oder  den  Staatsarchiven.  Hinsichtlich 
der  Ordnung  ist  durch  die  Historischen  Kommissionen  zweifellos  viel  zu 
erreichen,  aber  die  Garantie  dafür,  dafs  die  Archive  nunmehr  auch  gut  auf- 
bewahrt werden  und  dafs  die  einmal  geschaffene  Ordnung  bestehen  bleibt, 
ist  nur  vorbanden,  wenn  eine  ständige  Aufsicht  durch  Fachleute 
ausgeübt  wird,  die  durch  Übertragung  des  Aufsichts rechts  von  Seiten  der 
Regierung  auch  die  nötige  Autorität  gegenüber  den  Gen^eindeorganen  besitzen. 
Zimächst  fragt  es  sich,  ob  der  Staat  das  Recht  der  Archivaufisicht  hat  bzw. 
worauf  ein  solches  Recht  begründet  werden  kann.  Das  ist  in  den  einzelnen 
Staaten  verschieden,  und  der  Archivtag  wird  vor  aUem  vermeiden  müssen, 
seine  Wünsche  so  zu  formulieren,  dafs  sie  mit  den  verfassungsmäisigen  Befug- 
nissen der  Einzelstaaten  in  Widerspruch  stehen.  Aber  von  einem  Grundsatze 
wird  man  überall  ausgehen  können,  nämlich  dem,  dafs  das  Gemeindearchiv  einen 
Teil  des  Gemeindevermögens  darstellt'),  und  die  Regierung  wird  sich 
kaum  irgendwo  des  Rechtes  begeben  haben,  die  Verschleuderung  des  Gemeinde- 
Vermögens  zu  verhindern.     In  Ebafs-Lothringen  besteht  das  regierungsseitige 


1)  VgL  6.  Bd.,  S.  325. 

2)  VgL  diese  Zeitschrift  5.  Bd.,  S.  30—32. 


—     66     — 

Ai]£riclitsrecfal  üb^  die  Gcueindftarchm  in  voller  Kraft,  und  die  Regierung 
hst  es  den  staatlichen  ArchifVFen  übertragen.  Aber  auch  in  Preufsen  ist  es 
in  der  Slädteordnting  begründet,  wird  aber,  sowdt  die  Archive  in  Frage 
kommen,  zurzeit  nicht  aosgeObt  Im  Au^nchtsrecht  begründet  ist  auch 
die  Forderung,  dafs  die  Gemeinden  ihre  Archive  ordnen  und  inventarisieren. 
Das  kennen  selbstverständlich  die  Staatsarchivare  nicht  besorgen ;  sie  können 
bierzn  nur  ihren  Rat  und  ihre  Unterstützmig  gewähren.  An  dieser  Stelle 
aber  können  die  Historischen  Kommissionen  und  ähnfiche  Körperschaften 
einsetzen  und  imter  Leitung  der  Staatsarchive  den  Gemeinden  ihre  Hilfe 
gewähren.  Es  bleibt  überdies  auch  die  Möglichkeit  bestehen,  dafs  die  Ge- 
meindearchive in  dem  StaatSMchiv  deponiert  werden.  Dann  wird  die 
Ordnung  Sache  der  Staatsarchive,  und  die  Gemeinden  erhalten  Inventar- 
abschriften  sowie  das  Recht,  sich  im  Bedarfsfälle  jederzeit  einzelne  Stöcke 
ikres  Archivs  portofrei  znsenden  zu  lassen.  Die  Hauptsache  ist  bei  alledem, 
daft  den  Staatsarchivaren  jährlich  eine  bestiumile  Summe  für  die  notwendigen 
Reisen  überwiesen  wird,  damit  sie  das  Aufsicbtsrecht  auch  tatsächlich 
auszuüben  in  die  Lage  versetzt  werden.  Wünsche  und  Forderungen  dürfen 
indes  nicht  zu  weit  gespannt  werden;  der  Archivtag  mufs  sich  auf  das 
Erreichbare  beschränken,  und  hat  er  damit  Erfolg,  dann  wird  er  sich 
lähmen  kömien,  der  deutschen  Orts-  und  Landesgeschichte  einen  wertvollen 
Dienst  geleistet  zu  haben.  —  Nachdem  sich  zu  den  angeregten  Punkten 
Wiegand  (Strafsburg),  Secher  (Kopenhagen),  Schenk  Freiherr  zu 
Schweinsberg  (Darmstadt)  tmd  Glasschröder  (München)  geäufsert 
hatten,  wurden  die  von  dem  Ausschusse  vorgeschlagenen  Leitsätze  mit  einer 
Ton  Wiegand  vorgeschlagenen  Änderung  in  Absatz  4  in  folgender  Fassung 
aogenommen : 

1.  Durch  die  Erfahrungen  der  deutschen  Archivare  ist  als  offenkundig 
festgestellt  worden,  dafs  nicht  nur  in  früheren  Zeiten,  sondern  auch 
bis  in  die  Gegenwart  geschichtlich  wertvolle  Urkunden  imd  Akten  durch 
ungeeignete  Aufbewahrung  und  sonstige  Vernachlässigung  in  erheblichem 
Um&nge  zugrunde  gegangen,  in  Privathände  gelangt,  oder  gar  ins 
Ausland  verkauft  sind. 

2.  Die  deutschen  Archivare  halten  es  zur  Vermeidung  weiterer  Verluste 
für  eine  dringende  Aufgabe  der  deutschen  Staatsregierungen,  die  bisher 
ungenügende  Archivalienaufsicht  in  möglichst  durchgreifender  Weise 
durch  Gesetz  oder  Verordnung  zweckentsprechend  zu  regeln. 

3.  Die  staatliche  Archivalienaufsicht  läfst  aber  nur  dann  auf  Erfolg  hoffen, 
wenn  sie  den  Staatsarchiven  als  den  natürlichen  Aufsicht»-  und  Ord- 
nungsbehörden auf  archivalischem  Gebiete  übertragen  wird. 

4.  Da  eine  jede  Staatsregierung  dabei  nur  nach  Mafsgabe  ihrer  verfas- 
songsmäfisigen  Befugnisse  vorgehen  kann  und  eine  allgemeine  Richt- 
schnur daher  nur  in  grofsen  Zügen  sich  angeben  läfst,  müssen  sich 
cfie  deutschen  Archivare  darauf  beschränken,  als  besonders  wünschens- 
wert den  Erlafs  von  Instruktionen  fUr  die  Ordnung  tmd  Instandhaltung 
der  Gemeinderegistraturen  und  Archive  sowie  die  stetige  Fürsorge  flir 
Beobachtung  und  Innehaltung  dieser  Instruktionen  zu  bezeichnen. 
Hierbei  würden  gemäfs  dem  Aufsichtsrecht,  das  dem  Staate  zusteht, 
in  erster  Linie  die  Beamten  der  Staatsarchive  mitzuwirken  haben,  die 


—     56     — 

durch  regehnäfsige  Bewilligungen  in  den  Stand  gesetzt  werden  sollten, 
nach  Mö^chkeit  alle  Archive  und  Registraturen  ihres  Archirsprengels 
zu  besichtigen,  um  deren  Aufbewahrung  und  Ordnung,  soweit  sie  ge* 
föhrdet  sind,  mit  allen  zu  Gebote  stehenden  gesetzlichen  Mitteln  herbei- 
zuführen und  zu  fördern. 
5.  Wo  nach  Lage  der  Umstände  fUr  die  Ordnungsarbeiten  die  Mitwirkung 
von  archivarisch  imgeschulten  Personen  notwendig  erscheint,  da  ist  es 
im  Interesse  der  Sache  dringend  geboten,  diese  Mitwirkung  der  Leitung 
tmd  Beaufsichtigung  der  Archivbehörde  des  betreffenden  Sprengeis  zu 
imterstellen. 

An  zweiter  Stelle  berichtete  der  Vorstand  des  Bamberger  Kreisarchivs, 
Reichsarchivrat  Sebert,  über  die  Geschichte  des  Archivneubaues  sowie 
darüber,  wie  die  gegenwärtigen  Bestände  des  Kreisarchivs  organisch  zusam- 
mengewachsen sind.  Einen  Hauptpunkt  seiner  Darlegungen  bildete  die  Be- 
gründung dafür,  dafs  bei  dem  Neubau  das  Kabinettsystem  angewendet  worden 
ist,  während  bei  der  Mehrzahl  der  neueren  Bauten  das  Magazinsystem  herrscht 
Ein  Rimdgang  durch  die  Räume  schlofs  sich  an,  deren  vornehme  Ausstattung 
ebenso  Bewunderung  erregte  wie  der  für  reichlichen  Zuwachs  bemessene  noch 
freie  Raum. 

Nach  der  Frühstückspause  hielt  Geh.  Archivrat  Prümers  (Posen) 
seinen  Vortrag  über  Papierfeinde  aus  dem  Insektenreiche  und 
schilderte  an  der  Hand  der  gekrönten  Preisschrift  von  Houlbert,  Insectes 
ermemis  des  Ihres  (Paris  1903)  die  wesentlichsten  für  die  deutschen  Archive 
gefährlichen  Insekten  sowie  die  Mittel  zu  ihrer  Vertilgung. 

Als  letzter  Gegenstand  endlich  kam  die  Archivbenutzung  zu  genea- 
logischen Zwecken  zur  Erörterung.  Der  erste  Berichterstatter,  Stadt- 
archivar Overmann  (Erfurt),  kam  auf  Gnmd  seiner  Erfahrung  imd  ange- 
stellter Umfragen  zu  folgenden  Leitsätzen :  i)  Amtliche  Aufgabe  des  Archivs 
ist  es,  der  genealogischen  Forschung,  soweit  sie  persönlich  im  Archiv 
erfolgt,  dieselbe  Unterstützung  angedeihen  zu  lassen,  die  auch  allen 
übrigen  Benutzem  des  Archivs  zugute  kommt  und  die  lediglich  darin  besteht, 
das  Material  herauszusuchen  und  vorzulegen  und  alle  die  Winke  zu  geben, 
die  eben  nur  der  Archivar  auf  Grund  seiner  Keimtnis  der  Archivbestände 
zu  geben  imstande  ist.  2)  Brieflichen  Anfragen  betrefis  Familienforschung 
gegenüber  mufs  dagegen  die  Aufgabe  des  Archivs  eine  weit  beschränktere  sein. 
In  diesem  Falle  kann  es  unmöglich  bei  dem  heutigen  Zustand  der  Archive  als 
die  Pflicht  des  Archivars  betrachtet  werden,  umfiangreichere  genealogische 
Forschungen  Privater  amtlich  zu  erledigen.  3)  Die  Erledigung  von  familien- 
geschichtlichen  Anfragen,  die  eine  lunfangreichere  Nachforschimg  bedingen, 
gehört  nicht  zu  den  amtlichen  Aufgaben  der  Archive,  es  sei  denn,  dafs 
es  sich  bei  der  Nachforschung  lun  geschichtlich  bedeutende  tmd  besonders 
hervorragende  Personen  handelt.  Im  besonderen  hielt  es  der  Redner  im 
Interesse  des  persönlichen  Ansehens  der  Archivare  nicht  für  zweckmäfsig, 
wenn  Archivbeamte  aufserhalb  ihrer  Dienststunden  gegen  Honorar  familien- 
geschichtliche Nachforschungen  anstellen,  er  wünschte  vielmehr,  dafs  mit 
solchen  Arbeiten  aufserhalb  des  Archivs  stehende  geeignete  Personen  betraut 
werden  möchten,  die  der  Archivar  gegebenen  Falles  Interessenten  benennen 
könnte. 


—     57     — 

Der  zweite  Berichterstatter,  Geh.  Archivrat  Grotefend  (Schwerin),  legte 
seinen  Standpunkt  in  folgenden,  den  Teilnehmern  gedruckt  übermittelten 
Leitsätzen  dar: 

„Die  Familienforschung  hat  einen  hohen  idealen  und  sittlichen  Wert, 
da  der  Familiensinn  als  ein  festes  Bollwerk  gegen  alle  zersetzenden  Bestre- 
bungen des  Sozialismus  wie  des  Übermenschentimis  anerkannt  werden  mufs. 

Die  Archive  können  sich  daher  der  Unterstützung  der  von  Familien  selbst 
beschafiften  oder  von  ihnen  veranlagten  Familienforschimgen  nicht  entziehen. 

Allerdings  sind  hierbei  folgende  Punkte  zu  berücksichtigen: 

1.  Unerläisliche  Vorbedingtmg  dir  eine  Archivbenutzung  zur  Familien- 
forschung  ist,  dais  ihr  die  Durchsicht  des  gedruckten  Materials  voran- 
gegangen ist. 

2.  Sodann  mufs  der  Antragsteller  den  Zweck  seiner  Forschung  genau 
angeben:  ob  eine  Familiengeschichte,  die  Aufstellung  eines  Stamm- 
baumes, eber  Geschlechtsfolge,  einer  Ahnentafel  oder  nur  der  Nach- 
weis der  Abstammung  von  einer  bestimmten  Persönlichkeit  beabsich- 
tigt wird. 

3.  Vor  dem  B^[inne  der  Archivbenutzung  mufs  eine  genealogische  Über- 
sicht des  bereits  Bekannten  dem  Archive  vorgelegt  werden,  da  nur 
hiemach  die  Forschung  zweckentsprechend  geleitet  werden  kann. 

4.  Die  Forschimg  hat  nicht  aufs  Geratewohl  hin  hier  oder  dort  einzu- 
setzen, sondern  kann  nur  dann  auf  Unterstützung  durch  die  Archive 
rechnen,  wenn  sie  systematisch  von  den  jetzt  lebenden  oder  den  zuletzt 
bekannten  Familiengliedem  nach  deren  Vorfahren  zu  gerichtet  ist, 
ohne  eigenen  Vermutungen  oder  Familienüberlieferungen  ungebührlichen 
^fluls  zu  gestatten.  Insbesondere  müssen  die  Archive  die  so  oft 
erstrebten  Anknüpfungen  an  notorisch  bereits  ausgestorbene  Familien, 
wenn  nicht  zwingende  Beweise  ihrer  Möglichkeit  erbracht  werden,  von 
vornherein  abweisen. 

5.  Da  die  Familienforschung  ihrem  Hauptzwecke  nach  privaten  Interessen 
gewidmet  ist,  so  mufs  ihre  Unterstützung  durch  die  Archive  gegenüber 
den  amtlichen  oder  den  rein  wissenschaftlichen  Aufgaben  der  Archive 
erforderlichen  Falles  zurücktreten.  Die  Archive  können  sich  daher 
dieser  Unterstützung  amtlich  nur  insoweit  widmen,  als  Arbeitskräfte 
und  Arbeitszeit  es  zulassen.  Die  weitere  Förderung  der  Familien- 
forschung  durch  einzelne  Archivbeamte  mufs  deren  persönlicher  Bereit- 
willigkeit und  privater,  aufseramtlicher  Tätigkeit  überlassen  bleiben.*' 

In  der  aulserordentlich  lebhaften  Aussprache,  die  sich  anschlofs,  machte 
»ch  irgendeine  Gegenströmung  gegen  die  in  den  Hauptfragen  nicht  zu  weit 
voneinander  abweichenden  Auffassungen  beider  Berichterstatter  nicht  geltend, 
vohl  aber  wurde  seitens  der  Vorsteher  der  Staatsarchive  in  Kopenhagen 
|U)d  Hamburg  ausgesprochen,  da(s  sie  den  genealogischen  Forschem  noch 
in  erheblich  höherem  Mafse  entgegenkämen.  Eine  endgültige  Stellungnahme 
<le$  Archivtags  zu  den  angeregten  Fragen  wurde  bis  zur  nächsten  Tagiuig 
v^tschoben. 

Diese  wird  voraussichtlich  im  September  1906  in  Wien  stattfinden. 
Den  Ausschuis  bilden  von  jetzt  ab :  Bailleu  (Berlin),  Grotefend  (Schwerin), 
Wiegand  (Strafeburg)  und  Winter  (Wien). 


—     58     — 

EominissiOlieil«  —  Aus  dem  Berichte  über  die  51.  ordentliche  Ver- 
sammlnng  der  Historischen  Kommission  für  Sachsen-Anhalt»  die 
am  3.  und  4.  Juni  1905  in  Aschersleben  stattfand,  ist  folgendes  mitzuteilen  ^). 
Der  zweite  Halbband  des  ersten  Teiles  vom  ürkundenbuehe  des  Klosters 
Pforta,  bearbeitet  von  Prof.  Böhme,  ist  erschienen;  im  Druck  befindet 
sich  imd  ist  bereits  weit  fortgeschritten  der  vierte  Band  des  ürhw^defnbwiues 
der  Stadt  Ooslar,  bearbeitet  von  Landgerichtsdirektor  Bode  in  Braunsckweig, 
der  die  Jahre  1336  bis  1364  umfafst  und  noch  1905  zur  Ausgabe  gelangen  wird. 
Die  übrigen  Publikationen  (Urkundenbuch  des  Klosters  Unser  Lieben  Frauen  in 
Halberstadt,  Urktmdenbuch  der  Stadt  Halle,  Urktmdenbuch  des  Bistums 
Zeitz,  Eichsfeldisches  Urkundenbuch,  Urkundenbuch  der  Stadt  Neuhaldensleben, 
Urkundenbuch  der  Stadt  Aschersleben,  Quedlinburger  Paurgedinge,  Erfurter 
Varietatum  varüoquus,  Kirchenvisitationsprotokolle  des  Kurkreises  1528  bis 
1592)  sind  sämtlich  mehr  oder  weniger  gefördert  worden  und  gehen  zum 
Teil  ihrem  Abschlufs  entgegen.  Neu  wurde  die  Herausgabe  der  Matrikel 
der  Universität  Erfurt,  die  bis  1635  veröffendicht  ist,  auch  für  die  2^it 
1635 — 1816  beschlossen  und  Oberlehrer  Stange  (Erfurt)  mit  der  Aufgabe 
betraut.  Als  Neujahrsblatt')  für  1905  ist  die  Abhandlung  von  Liebe 
über  Die  mittelaUerlichen  Sieehenhäuser  der  Provinz  Sachsen  erschienen. 
Von  den  Denkmälerbeschreibungen,  die  bis  1903  76  750  M.  gekostet 
haben,  befindet  sich  das  Heft  Naumburg-Land  im  Druck;  in  Bearbeitung 
sind  die  Kreise  Querfurt,  Quedlinburg,  Stendal  und  Heiligenstadt,  während 
vom  Kreise  Wernigerode  eine  zweite  Auflage  hst  vollendet  ist  Eine  von 
Brinkmann  (Zeitz)  entworfene  Anweisung  für  die  Bearbeiter  soll  gedruckt 
werden;  femer  wird  eine  Sammlung  der  Volkstrachten  im  Arbeitsge> 
biete  der  Kommission  beschlossen.  Von  der  Jahresschrift  für  die  Vor- 
geschichte der  sächsischrihüringischen  Lande  befindet  sich  das  vierte  Heft  in 
Arbeit.  Bei  Zeitz  ist  eine  innerhalb  eines  Ringwalles  gelegene  mittelalter- 
liche Burg  ausgegraben  worden.  Die  von  der  Historischen  Kommission 
für  Hessen  und  Waldeck  besorgte  Veröffendichung  des  Seegaer  Münzfundes 
ist  durch  eine  Bebteuer  von  weiteren  500  M.  (zu  der  bereits  bewilligten 
gleichen  Summe)  unterstützt  worden.  Die  archäologische  Karte  von 
Thüringen  ist  so  weit  gefördert,  dafs  ihr  Druck  voraussichtlich  noch  im 
laufenden  Jahre  erfolgen  kann.  Die  Bearbeitung  der  Flurkarten  ist  rüstig 
fortgeschritten  und  hat  u.  a.  zur  Feststellung  von  153  neuen  Wüstungen  auf 
150  Mefstischblättem  geführt.  Auch  die  Bearbeitung  der  Grundkarten  geht 
ihrem  Abschlufs  entgegen ;  lediglich  bezüglich  der  Grenzblätter  nach  Thüringen 
hin  (Mühlhausen,  Naumburg,  Sömmerda,  Erfurt)  sind  die  Aussichten  schlecht, 
da  seitens  der  Thüringischen  Kommission  oder  einer  anderen  Stelle  die 
Grundkarten  nicht  bearbeitet  werden.  Die  Wüstungen  der  AUmark  bearbeitet 
Pastor  Zahn  (Tangermünde);  für  die  Leitung  der  Arbeiten  über  Wüstungen 
wurde  ein  besonderer  Ausschufs,  bestehend  aus  Prof.  Weyhe  (Dessau)  und 
Superintendent  Müller  (Calbe)  eingesetzt. 

Der  Haushalt  der  Kommission  einschliefslich  der  Kosten  für  das  Pro- 
vinzialmuseum  zu  Halle  hält  mit  22  200  M.  das  Gleichgewicht.  Im  nächsten 
Jahre  wird  die  Versammlung  in  Z  erb  st  stattfinden. 

i)  Über  die  30.  Sitzung  1904  vgL  diese  Zeitschrift  $.  Bd.,  S.  267. 
2)  Vgl.  über  Net^rsblätter  diese  ZeiUchrift  5.  Bd.,  S.  131— 139. 


—     69     — 

Die  Historische  Kommission  für  Nassau^)  hat  im  Juni  1905 
den  Bericht  über  ihr  letztes  Geschäftsjahr  veröfifentlicht,  dem  folgendes  zu 
entnehmen  ist.  Wenn  auch  keine  der  begonnenen  Arbeiten  zum  Abschlufs 
gekmgt  ist,  so  sind  doch  alle  erheblich  fortgeschritten;  zuerst  dürfte  die 
Herborner  Matrikel  im  Manuskript  durch  BiUiothekar  Zedier  vollendet 
werden.  Neu  beschlossen  wurde  die  Herausgabe  eines  zweiten  Bandes 
IhssttU'Onmische  Korrespondenzen,  der,  von  Oberlehrer  Pagenstecher 
(Wiesbaden)  bearbeitet,  die  Akten  und  Urkimden  zur  Geschichte  der  Gegen- 
reforaiation  in  der  Grafschaft  Nassau -Hadamar  nebst  geschichtlicher  Einlei- 
tung enthalten  soll.  Femer  wird  die  Kommission  die  vom  Archivassistenten 
Knetsch  (Maiburg)  besorgte  Ausgabe  der  Mechtelschen  Limburg]er 
Chronik  veröfifentUchen. 

Der  Jahreseinnahme  der  Kommission  von  2278  M.  steht  nur  eine 
Ausgabe  von  630  M.  gegenüber.  Das  Vermögen  beziffert  sich  auf  16  100  M. 
Stifter  werden  jetzt  4  gezählt,  Gönner  7,  Freunde  28,  Mitglieder  80.  An 
der  ^>ttze  des  neungliederigen  Vorstandes  steht  Geh.  Archivrat  Wagner 
(Wiesbaden). 


Die  Thüringische  Historische  Kommission,  die  seit  Juni  1902  *) 
eine  Sitzung  nicht  abgehalten  hat,  ist  am  9.  Juli  1905  zu  Stadtilm  wiederum 
xQsammengetreten  und  hat  eben  Bericht  über  den  Fortgang  ihrer  Arbeiten 
itröffentHcht.  Die  Herausgabe  der  Stadtrechte  von  Eisenach  und  Gotha 
ist  Staatsminister  a.  D.  Strenge  übertragen  worden,  und  mit  Unterstützung 
von  Dr.  Ernst  Devrient  hat  er  die  Arbeit  so  weit  gefördert,  dafs  der  Druck 
des  Eisenacher  Stadtrechts  bereits  begonnen  hat  Prof.  Mentz,  der  den 
ersten  Teil  seiner  Biographie  Johann  Friedrichs  des  Grofs mutigen 
bereits  veröffentlicht  hat  (]ensL  1903),  hat  den  zweiten  Teil,  der  von  1532 
bis  zum  Beginn  des  Schmalkaldischen  Krieges  reicht,  im  Manuskript  ziemlich 
ToUendet.  Kabinettssekretär  Freiherr  von  Eglo  ff  stein  (Weimar)  behandelt 
das  Verhältnis  Karl  Augusts  zum  Bundestag.  Eine  Ausgabe  der 
politischen  Korrespondenz  Friedrichs  des  Weisen  hat  Prof 
Virck  (Weimar)  zu  besorgen  zugesagt,  aber  wegen  der  hohen  Kosten  wird 
dne  Vereinigtmg  mit  der  Kgl.  Sächsischen  Kommission  für  Geschichte  er- 
strebt. Ebe  Bearbeitimg  der  Geschichte  der  Universität  Jena  imd 
dne  Ausgabe  ihrer  Matrikel  werden  als  wünschenswert  bezeichnet,  aber 
dn  endgültiger  Beschlufs  darüber  steht  noch  aus.  Bezüglich  der  ersteren 
Au%abe  hat  die  Gesellschaft  für  deutsche  Erziehungs-  und  Schulgeschichte 
gmndsätzHch  beschlossen,  dafs  auch  die  Geschichte  der  Hochschulen  in  ihr 
Arbdtsbereich  gehört,  aber  hinzugefugt,  dafs  der  jetzige  Stand  der  Finanzen 
dne  Unterstützung  emes  derartigen  Unternehmens  nicht  gestatte.  Hinsichtlich 
der  Archivinventarisation  wurde  mitgeteilt,  dafs  der  Kommission  zwar 
Berichte  n  i  c  h  t  emgereicht  worden  sind,  dafs  aber  trotzdem  die  Arbeit  nicht 
geruht  hat:  die  Stadtarchive  zu  Hildburghausen  und  Eisfeld,  sowie 
das  Festungsarchiv  von  Heldburg   sind  inventarisiert  worden,   ebenso  in 


1)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  6.  Bd.  S.   139. 

a)  VgL  diese  Zeitschrift  3.  Bd.,  S.  313—314. 


—     60     — 

Gera  das  Regienmgsarchiv,  irnd  das  Koosistorialardiiv  daselbst  soll  jetzt 
an  die  Reihe  kommen.  Die  Ordnung  des  Fürstlich  Schwarzbuigischen 
Archivs  zu  Rudolstadt  hofft  Prof.  Bangert  bis  Ostern  1906  zu  Ende 
zu  führen. 

Hinsichtlich  der  Organisation  ist  zu  bemerken,  di^  die  durch  den 
Rücktritt  des  Geh.  Archivrats  Burkhardt  erledigte  Stelle  eines  Hauptr 
pflegers  in  Weimar  noch  nicht  wieder  besetzt  ist.  Ebenso  fehlen  zurzeit 
Hauptpfleger  im  Kreise  Neustadt  a.  O.»  wo  Archidiakonus  Wünscher 
gestorben  ist,  und  in  Frankenhausen.  Für  letzteren  Bezirk  besteht  die 
Aussicht,  Pfarrer  Ei  nicke  (Immenrode)  als  Hauptpfleger  zu  gewinnen,  der 
sich  durch  sein  Werk  Zwanzig  Jahre  Schwarxbtirgische  ReformaUansgesehicfik 
1521 — 1541.  Erster  Teil:  1521—1531  (Nordhausen  1904)  bekannt  ge- 
macht hat. 

Eingegangene  Bflcher. 

Dotzauer,  von:  Das  2^ughaus  der  Reichsstadt  Nürnberg  [==^  Mitteilungen 
des  Vereins  für  Geschichte  der  Stadt  Nürnberg,  16.  Heft  (Nürnberg, 
J.  L.  Schräg,  1904),  S.   151  — 178]. 

Lotz,  Andreas:  Das  coburg-gothaische  Staatswappen  [=  Aus  den  coburg- 
gothaischen  Landen,  Heimatblätter,  herausgegeben  von  R.  Ehwald, 
2.  Heft  (Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  A.-G.,   1904),  S.  43 — $«]* 

Einicke,  G. :  Zwanzig  Jahre  Schwarzbiu-gische  Reformationsgeschichte 
1521 — 1541.  ErsterTeil:  1521 — 1531.  Mit  einer  Karte.  Nordhaosen, 
C.  Haacke,  1904.     423  S.  8^. 

Feuereisen,  Arnold:  Die  livländische  Geschichtsliteratur  1902.  Rip^ 
N.  Kymmel,  1904.     99  S.  8^. 

F  o  1 1  z ,  M. :  U  rkundenbuch  der  Stadt  Friedberg.  Erster  Band :  1216 — 1410 
[=  Veröfientlichungen  der  Historischen  Kommission  für  Hessen  und 
Waldeck].  Marburg,  N.  G.  Elwert,  1904.  XVIU  und  698  S.  8^. 
M.   16,00. 

Hampe,  Th. :  Kunstfreunde  im  alten  Nürnberg  und  ihre  Sammlungen  nebst 
Beiträgen  zur  Nürnberger  Handelsgeschichte  [==  Mitteilungen  des  Vereins 
für  Geschichte  der  Stadt  Nürnberg  (Nürnberg,  J.  L.  Schräg,  1904), 
S.  57—124]. 

Krollmann,  C.:  Das  Defensionswedc  im  Herzogtum  Preufsen.  I.  Teil: 
Die  Begründung  des  Defensionswerks  imter  dem  Markgrafen  Georg 
Friedrich  und  dem  Kurfürsten  Joachim  Friedrich.  Berlin,  Franz 
Ebhardt  &  Co.,  1904.     116  S.  8". 

Langer,  Edmimd:  Die  Anfänge  der  Geschichte  der  Familie  Thun  [=  Sonder- 
abdruck aus  dem  Jahrbuch  Adler  1904].  Wien,  Karl  Gerolds  Sohn, 
1904.     42  und  8  S.,  sowie  i  Tafel.     M.   1,50. 

Levec,  Wl. :  Die  ersten  Türkeneinfalle  in  Krain  und  Steiermark  [=  Mittei- 
lungen des  Musealvereines  für  Krain,  16.  Jahrg.  (1903)9  S.  169 — ^00]. 

Mettig,  Konstantin:  Die  Exportwaren  des  russisch-hanseatischen  Handels 
[^=^  Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  für  Geschichte  und  Altertumskunde 
der  Ostseeprovinzen  Rufslands  aus  dem  Jahre  1903  (Riga,  W.  F. 
Hacker,  1904),  S.  92—98]. 


Herausgeber  Dr.  Armin  l'üle  in  Leipsig. 
Druck  und  Verlag  Ton  Friedrich  Andreas  Perthes,  AkdengeseUschalt,  Gotha. 

Hierza  als  Beilage:  Prospekt  über:  Dr.  H.  Balmer,  Die  Romfklirt  des 
Apostels  Paulos  und  die  Seefahrtskiinde  Im  rVmlseken  Kalseneitalter« 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


nar 


Fürdenmg  der  landesgescbichtüclien  Forschung 

VIL  Band  Dezember  1905  3.  Heft 

{Regionale  oder  institutionelle  Urkunden^ 

büeher  ? 

Von 
Hermann  Porst  (Zürich) 

Bei  der  VeröfTentlichung  niederrheinischer  wirtschaftsgeschicht- 
licher Quellen  im  Jahre  1902  hat  K.  Lamprecht  den  Wunsch  aus- 
gesprochen, man  möge  in  Zukunft  mehr  „institutionelle"  Urkunden- 
bücher  herausgeben,  d.  h.  solche,  die  nur  das  Material  zur  Geschichte 
einer  einzelnen  geistlichen  oder  weltlichen  Körperschaft  enthalten  ^). 
Er  hatte  diesem  Gedanken  schon  früher  Ausdruck  gegeben ;  auf  seine 
Anregung  wurde  bei  der  ersten  Konferenz  von  Vertretern  landes- 
geschichtlicher Publikationsinstitute  im  Jahre  1895  die  Frage  zur  Be- 
ratung gestellt, 

„inwiefern  sich  die  Herausgabe  nach  heutigen  Verwaltungsbezirken 
abgegrenzter  Urkundenbücher  empfiehlt,  oder  inwiefern  vielmehr 
Urkundenbücher  vorzuziehen  seien,   die   den  überlieferten   Stoff 
eines  bestimmten  Institutes,   eines  Klosters,  Stiftes,  einer  städti- 
schen Verwaltung  usw.  wiedergeben  *)." 
Von  den  beiden  für  diese  Frage  bestimmten  Referenten,   deren  Gut- 
achten  der  nächsten  Konferenz  im  Jahre    1896   eingereicht  wurden, 
sprach  sich  Oberlehrer  Dobenecker  (Jena)  für  regionale  Urkunden- 
bücher aus,  Professor  Pirenne  (Gent)  dagegen  fiir  Spezialurkunden- 
bücher  der  einzelnen  Städte,  Abteien  usw.     Der  Unterschied  beider 
Systeme  besteht  in  der  Auswahl  und  Ordnung  des  Stoffes.     Ein  re- 
gionales Urkundenbuch  gründet  sich  in  der  Regel   auf  die    heutige 
Landeseinteilung;  sämtliche  Urkunden,   deren  Rechtsobjekt  innerhalb 


i)  Im  Geleitworte  zu  Rheinüehe  Urbare  y  Bd.  I:  Die  Urbare  von  St,  PanUdeon 
I  **  CSin,  herausgegeben  Ton  B.  Hilliger  (Pablikatiooen  der  Gesellschaft  ftUr  Rheinische 
I      <^€sdüchtskiinde  XX.     Bona,  Behrendt  190a). 

2)  Bericht  Ober  die  vierte  Versammlung  deutscher  Historiker  (Leipsig,  Doncker  & 
H»nblot,  1897),  S.  64. 

5 


—     62     — 

der  heutigen  Gebietsgrenzen  lag,  werden  ohne  Rücksicht  auf  Herkunft 
und  inneren  Zusammenhang,  nur  nach  dem  Datum  geordnet,  anein- 
andergereiht Wollte  man  nach  diesem  Systeme  z.  B.  ein  Urkunden- 
buch  des  Groüsherzog^ms  Baden  schaffen,  so  wären  Urkunden  von 
Heidelberg  und  Bruchsal  zwischen  diejenigen  von  Konstanz  einzu- 
reihen. Dagegen  verlangen  Pirenne  und  Lamprecht,  dafs  die  Urkunden 
jeder  einzelnen  historischen  Institution,  sei  dieselbe  ein  mittelalter- 
alterliches  Fürstentum  oder  eine  Stadt,  ein  Kloster  oder  Stift,  ein 
Gericht  oder  eine  Grundherrschaft  oder  auch  eine  landsässige  Familie» 
gesondert  herausgegeben  werden.  Ein  solches  Urkundenbuch  stellt 
dann  einen  Auszug  aus  dem  organisch  erwachsenen  Archive  der  In- 
stitution dar,  entspricht  also  dem  für  Ordnung  von  Archivalien  an- 
gewandten Provenienzprinzip.  Dieses  Verhältnis  hat  Archivdirektor 
F.  Philipp i  richtig  erkannt,  sich  aber  dennoch  lebhaft  gegen 
Lamprechts  Forderung  erklärt  und  das  regionale  System,  allerdings 
mit  Beschränkung  auf  die  Zeit  vor  dem  Jahre  1350,  verteidig^*). 
Philippi  spricht  hier  gewissermafsen  pro  domo,  da  er  selbst  als  Editor 
solcher  territorialen  Urkundenbücher  hervorgetreten  ist.  Auch  Archiv- 
direktor Th.  Ilgen  hat  sich  auf  der  sechsten  der  oben  genannten 
Konferenzen  im  September  1904  prinzipiell  gegen  Lamprechts  Ansicht 
geäufsert  und  nur  für  bedeutendere  geistliche  Stiftungen  und  gröfsere 
Städte  eigene  Urkimdenbücher  empfohlen  *).  Damit  ist  freilich  das 
Regionalprinzip  faktisch  schon  preisgegeben;  denn  die  Begriffe  „be- 
deutender" und  „gröfeer"  sind  so  schwankend,  dafs  sie  nicht  als 
sicherer  MaCsstab  ftir  Einzelfalle  dienen  können. 

Überblickt  man  nun  die  Liste  der  für  das  heutige  Deutschland 
(ohne  Österreich  und  die  Schweiz)  vorhandenen  Urkundenwerke  '),  so 
erscheint  Lamprechts  Verlangen  zunächst  etwas  auffallend.  Denn  die 
Anzahl  der  institutionellen  Publikationen  ist  tatsächlich  gröfser  als  die- 
jenige der  regionalen.  Auch  Sammlungen,  die  ihrem  Titel  nach  regional 
zu  sein  scheinen,  wie  die  Monutnenta  Boica,  der  Codex  diplomcUicu^ 
Brandenburgensis  von  A.  F.  Riedel,  der  Codex  diplomcUicus  Stixotiicie 
regiae,  der  Codex  diplomcUicus  Silesiae,  bestehen  in  Wirklichkeit  aus 
einer  Reihe  von  Urkundenbüchern  der  einzelnen  Stifter,  Klöster  und 
Städte,  gehören  also  tatsächlich  in  die  Kategorie  der  institutionellen 
Werke.     Freilich  glaubt  Philippi  die  „ältesten  und  g^öfsten  deutschen 

i)  „DeaUche  Literatnneitang^^  1902,  Nr.  33,  Spalte  1449  ff. 

2)  Bericht  über  die  achte  Versammlung  deutscher  Historiker  (Leipzig  1905),  S.   50. 

3)  Bei  Dahlmann-Waitz,  QueUenhmdt  der  deutschen  Geschickte j  7.  Auflage 
(Uipiig  1905),  S.  43—45- 


—     63     — 

Untemehmungen''  als  2^ugen  fiir  das  Regionalsystem  anführen  zu 
können;  doch  welche  Werke  meint  er?  Das  älteste  dieser  Art  ist  wohl 
der  Codex  diplamcUicus  Rkeno-MoaeUanus  von  Günther,  den  man 
fiir  die  Geschichte  des  XTV.  bis  XVI.  Jahrhunderts  noch  immer  zu 
Rate  ziehen  muls.  Daran  schlössen  sich  das  Niederrheinische  Urhunden- 
Jmeh  von  Lacomblet  und  der  Codex  diplomaiicus  Wesifaliae  von 
Erhard.  Gleichzeitig  begann  man  im  Königreich  Württemberg  ein 
oadi  demselben  System  angelegtes  Wirtembergisehes  ürhundenbuch 
herauszugeben.  Dieses  ist  in  Südideutschland  das  einzige  in  seiner 
Art  geblieben.  In  Preuüsen  dagegen  wurde  zunächst  Erhards  Werk 
von  dem  Archivar  R.  Wilmans  unter  dem  Titel  Westfälisches  Ur^ 
hmdenbuch  fortgeführt,  dann  bei  den  Staatsarchiven  Koblenz  und  Stettin 
ein  Miüdrheinisches  und  ein  Pommersches  ürhundenbuch  in  AngriiT 
genommen,  endlich  das  gleiche  Verfahren  beim  Ostfriesischen  und 
Omiabfücker  Urhundenbuche  befolgt  ^).  An  diesen  Publikationen  wird 
man  also  prüfen  können,  inwieweit  der  Anschlufs  an  die  heutige 
Landesetnteilung  sich  bewährt  hat. 

Wir  können  dabei  an  die  Ausführungen  eines  älteren  Fachgenossen 
anknüpfen.  Im  Jahre  1873  arbeitete  der  Archivsekretär  Dr.  K.  Herquet 
in  Idstein  ein  Promemoria  über  die  Herausgabe  eines  Ncissauischen 
üfbmdenbuches  aus  und  zeigte,  dafs  für  die  Anordnung  des  StofTes 
zwei  Wege  offen  ständen.  Der  eine  sei  der,  dafs  man  die  Urkunden 
des  ganzen  Archivsprengeis  „als  eine  grolse  unterschiedslose  Masse'* 
in  chronologisdier  Folge  publiziere,  wie  dies  beim  Nieder-  und  Mittel- 
fkeimschen  Urhundenbuche  geschehen  sei.  Dieser  Weg  aber  sei  ebenso 
nnhistorisch  wie  unpraktisch:  unhistorisch,  weil  die  heutigen  Archiv- 
spreogel  sich  nach  den  modernen  Verwaltungsbezirken  richten,  sich 
aber  nicht  mit  den  alten  Territorien  decken;  unpraktisch,  weil  dabei 
v<^er  alle  in  Frage  kommenden  Urkundenbestände  nach  den  Grund- 
sätzen der  Neuzeit  geordnet  und  repertorisiert  sein  müssen.  Der 
andere  W^  bestehe  in  der  Herstellung  von  Diplomatarien,  d.  h. 
Udundenbüchem  der  einzelnen  Stifter,  Klöster  und  Herrschaften, 
entsprechend  den  Einzelarchiven,  in  welche  die  Bestände  des 
Nassauischen  Staatsarchives  zerfielen.  Auf  diesem  Wege  erhalte  man 
lauter  unter  sich  oiganisch  zusammenhängende  Publikationen,  die 
in  verfaältnismäfisig  kurzer  Zeit  bis  zum  Endtermine  durchgeführt, 
auch  gleichzeitig  nebeneinander  bearbeitet  werden   könnten,   endlich 


1)  Die  gcüMieii  Titel  und  Ertcheinangsjahre  der  geaannten  Werke  aind  bei  Dahl- 
QaoD-Waitx  a.  a.  O.  za  finden. 

6* 


—     64     — 

keine   erhebliche   Störung   durch  den  Abgang    eines  Archivbeamten 
erlitten  *). 

Diesem  Programm  gemäls  hat  Herquet  dann  selbst  ein  Urkunden- 
buch  des  Klosters  Ämstein  an  der  Lahn  in  Angriff  genommen  und, 
obwohl  er  von  Idstein  versetzt  wurde,  doch  bis  zur  Mitte  des  XV.  Jahr- 
hunderts gefuhrt ').  Leider  durfte  er  es  nicht  vollenden,  da  inzwischen 
der  Arbeitsplan  für  das  Nassauische  Urkundenbuch  von  massgebender 
Seite  geändert  wurde.  Wie  man  sieht,  hat  er  schon  dieselbe  For- 
derung angestellt,  wie  neuerdings*  Lamprecht;  die  Diplamaiarien  ent- 
sprechen dem  Plane  nach  den  „institutionellen  Urktmdenbüchem*'. 
Die  Kritik  aber,  welche  Herquet  an  den  beiden  rheinischen  Publika- 
tionen übte,  war  nur  zu  sehr  berechtigt.  Einerseits  hat  sich  die  im 
Prinzip  angenommene  Beschränkung  auf  die  Archivsprengel  faktisch 
nicht  durchfuhren  lassen ;  um  des  historischen  Zusammenhanges  willen 
mu&te  man  auch  Dokumente  aufnehmen,  deren  Rechtsobjekt  aufser- 
halb  des  Archivsprengeis  lag.  So  finden  sich  z.  B.  im  Miüelrheini' 
sehen  JJrlcundenbuche  auch  alle  Schriftstücke  über  die  französischen 
und  niederländischen  Besitzungen  der  Abtei  Prüm,  obwohl  niemand 
sie  in  einem  „mittelrheinischen**  Geschichtswerke  suchen  wird.  Ander- 
seits sind  den  Herausgebern  viele  im  Besitze  von  Gemeinden  und 
Privaten  befindliche  Urkunden  unbekannt  geblieben;  beide  Werke 
genügen  daher  nicht  den  Anforderungen,  welche  man  in  bezug  auf 
Vollständigkeit  des  Materials  an  sie  stellen  mufis.  Endlich  wurde 
schon  mit  dem  XIII.  Jahrhundert  die  chronologische  Ordnung  des 
gesamten  Stoffes  immer  schwieriger,  da  die  Anzahl  der  vorhandenen 
Dokumente  beständig  wuchs.  Das  MiUdrhemische  Urkundehbtich 
mufste  daher  mit  dem  Jahre  1260  abbrechen;  in  das  Niederrheinische 
konnte  Lacomblet  für  die  spätere  Zeit  nur  eine  Auswahl  der  wich- 
tigsten Stücke  aufnehmen.  Dafs  es  faktisch  unmöglich  ist,  sämtliche 
im  Staatsarchive  Düsseldorf  aufbewahrten  Urkunden  des  XIV.  und  XV. 
Jahrhunderts  nach  dem  von  Lacomblet  gewählten  Verfahren  zu  ver- 
öffentlichen, hat  Ilgen  auf  der  oben  erwähnten  Konferenz  dargelegt. 

Dieselbe  Erscheintmg  zeigte  sich  beim  Westfälischen  Urkunden- 


i)  Ich  entDchme  diese  An£[aben  der  Schrift  Herqnets:  Dm  Armteiner  Ur- 
kundenbueh  in  seinem  VerhäÜnü  xu  dem  prqfektierten  Naasauisehen  ürhmdenbuehe. 
Als  MaDOskript  gedruckt  1883  (ohne  Ort). 

2)  K.  Herqaet,  Urkundenbuch  des  Klosters  Ämstein  an  der  Lahn,  i.  Liefe- 
roDg  (1142 — 1446),  Wiesbaden,  Chr.  Limbarth  1883.  Herqoet  war  damab  ^taatsarchiTar 
in  Anrieh,  wurde  von  dort  im  Jahre  1886  nach  Osnabrück  versetzt  and  starb  dort  im 
Märt  1888. 


—     66     — 

ittdbe.  Hier  hatte  Erhard  alle  ihm  erreichbaren  Dokumente  bis  zum 
Jahre  1200  in  chronologischer  Folge  veröffentlicht.  Wilmans  aber 
mniiste  schon  für  das  XIII.  Jahrhundert  den  Stoff  teilen.  Er  ging- 
dabei  von  den  kirchlichen  Verhältnissen  aus.  Das  Gebiet  der  heut^en 
Provinz  Westfalen  gehörte  im  Mittelalter  zu  den  Diözesen  Köln,  Min- 
den, Münster,  Osnabrück  und  Paderborn.  Wilmans  entschloOs  sich 
nun,  zuerst  sämtliche  Urkunden  der  Diözese  Münster  (nicht  die  des 
^geistlichen  Territoriums)  aus  den  Jahren  1201 — 1300  in  chronologischer 
Reihenfolge  zum  Abdruck  zu  bringen.  Er  brauchte  dazu  ungefähr 
20  Jahre.  Fast  ebensoviel  2^it  erforderte  das  Urhundenbuch  der 
DwBese  Paderborn  für  dasselbe  Jahrhundert;  WUmans  hinterliefs  es 
unvollendet,  und  erst  H.  Finke  führte  es  zu  Ende.  Etwas  rascher 
erschien  dann  dasjenige  der  Diözese  Minden;  zuletzt  sind  die  Ur^ 
hmdm  des  kölnischen  Westfalens  von  Ilgen  und  seinen  Nachfolgern 
ediert  worden.  Hiermit  scheint  das  Werk  vorläufig  abgeschlossen  zu 
sein;  denn  die  Urkunden  der  Diözese  Osnabrück  wurden  inzwischen 
von  anderer  Seite  bearbeitet. 

Diese  Teilung  des  Stoffes  nach  Diözesen  bot  allerdings  einige 
Vorteile  g^enüber  dem  Verfahren  Erhards;  aber  bei  der  Gröfse 
der  Diözesen  und  der  beträchtlichen  Anzahl  von  Einzelarchiven,  aus 
denen  die  Dokumente  zusammenzusuchen  sind,  nahm  die  Sichtung 
und  chronologische  Ordnung  der  Urkundenmasse  doch  noch  zu  viel 
Zeit  in  Anspruch.  Wilmans  trat  sein  Amt  in  Münster  im  Jahre  1853 
an;  die  erste  Lieferung  seines  ürhundenbuches  erschien  1859  und  hat 
jedenfalls  mehrjährige  Vorarbeiten  erfordert.  Man  kann  also  sagen, 
dab  die  Herausgabe  der  Westfälischen  Urkunden  des  XIII.  Jahrhunderts 
nach  dem  von  Wilmails  entworfenen  Plane  rund  50  Jahre  in  Anspruch 
genommen  hat.  Die  ersten  Teile  sind  heute  schon  veraltet.  Auch 
dem  Benutzer  des  Werkes  ist  wenig  damit  gedient,  wenn  er  alle  Ur- 
kunden eines  so  grofisen  Gebietes  ohne  Unterschied  der  Herkunft  und 
ohne  Rücksicht  auf  den  inneren  Zusammenhang  nur  nach  dem  Datum 
geordnet  findet.  Das  XIII.  Jahrhundert  ist  die  2^it,  in  welcher  sich 
ans  den  Trümmern  der  alten  Stammesherzogtümer  die  späteren  Ter- 
ritorien bUden;  die  territorialen  Gewalten  bestimmen  die  politische 
ond  soziale  Entwickelung.  Nun  paust  die  von  Wilmans  getroffene 
Anordnung  wohl  für  die  Urkunden  der  geistlichen,  nicht  aber  für  die 
der  weltlichen  Fürstentümer.  So  konnten  z.  B.  das  ehemalige  Fürsten- 
tum Siegen  und  die  Grafschaften  Tecklenburg  und  Ravensberg  im 
Westfälischen  Urkundenbuche  nicht  berücksichtigt  werden.  Wenn  da- 
gegen  die   miftelalterliche  Diözese  über    die   Grenzen    der    heutigen 


—     66     — 

Provinz  hinausreichte ,  wie  dies  z.  B.  bei  Münster  der  Fall  war,  so 
bli^b  das  Urhundenbuch  auch  als  Quelle  für  die  Geschichte  der  Diözese 
unvollständig  ^).  War  es  da  nicht  ein  Fehler ,  den  Stoff  in  dieser 
Weise  zu  teilen?  Hätte  man  nicht  besser  von  vornherein  Urkunden- 
bücher  der  einzelnen  historischen  Territorien  in  Angriff  genommoi  ? 
Die  Antwort  auf  diese  Frage  ist  bereits  damit  gegeben,  dais,  un- 
abhängig vom  Westfälischen  ürhundenbuche,  eigene  derartige  Werke 
fiir  die  Stadt  Dortmund  und  den  Kreis  Siegen  erschienen  sind.  Das 
erstere  kommt  fUr  uns  nicht  in  Betracht,  da  städtische  Urkunden- 
bücher  auch  von  Philippi  und  llgen  zu  den  „institutionellen*'  ge- 
rechnet werden ;  dagegen  müssen  wir  auf  das  zweite  näher  eingehen  *). 
Es  bringt  alle  Dokumente  zur  Geschichte  des  Gebietes,  das  den 
heutigen  Kreis  Siegen  bildet,  in  chronologischer  Ordnung  vom  Jahre 
914 — 1350.  Da  aber  dieses  Gebiet  gröfstenteils  schon  im  Mittelalter 
ein  geschlossenes  Territorium  mit  einer  kleinen  Stadt  und  einem 
ebenfalls  nicht  bedeutenden  geistlichen  Stifte  war,  so  ist  die  Anzahl 
der  Urkunden  verhältnismäfsig  gering;  die  chronologische  Ordnung 
störte  den  Zusammenhang  nur  wenig,  solange  man  nicht  über  die 
Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  hinausgehen  wollte.  Ob  dieser  Zeitpunkt 
zum  Abschlüsse  geeignet  war,  ist  fSreilich  eine  andere  Frage. 

In  der  Vorrede  rechtfertigt  der  Herausgeber,  F.  PhUippi,  diese 
Sonderpublikation  damit,  dafis  Siegen  weder  im  Westfälischen  noch  im 
Nassctuischen  Urkundenbuche  berücksichtigt  werde.  Von  letzterem, 
dem  Codex  diplomaticus  Nassoieus,  war  damals  die  erste  Lieferung 
erschienen.  Leider  hatten  die  Herausgeber  den  einst  von  Herquet 
entworfenen  Plan  abgeändert  und  statt  dessen  eine  Teilung  des  Stoffes 
nach  dem  territorialen  Gesichtspunkte  vorgenommen.  Sie  trennten 
nämlich  die  Urkunden  der  altnassauischen  Gebiete  von  denjenigen 
der  erst  in  den  Jahren  1803 — 18 14  mit  dem  Herzogtum  vereinigten 
Landesteile.  So  enthielt  der  erste  Band  die  Dokumente  derjenigen 
Bezirke,  welche  fSrüher  zu  Kur -Mainz,  Kur-P£alz  und  Hessen  ge- 
hört hatten,  in  chronologischer  Ordnung,  aber  ohne  Rücksicht  auf 
geographischen  oder  ^historischen  Zusammenhang.  Bei  der  gerade 
hier  besonders  hervortretenden  territorialen  Zersplitterung  war  dies 
kein  glückliches  Verfahren;  man  hätte  wenigstens  die  Scheidung 
nach    Territorien    streng    durchfuhren     sollen.      Jener    erste     Band, 

t)  Diese  Maogel  hat  F.  Philippi  hervorgehoben  in  der  Vorrede  zum  Osnabrücker 
Urkundenbuchej  Bd.  I. 

2)  Siegener  UrkimdetUmch ,  herausgegeben  von  F.  Philippi, "i,  Abteilung  bis 
1350.     Siegen  1887* 


—     67     — 

dessen  letzte  Lieferung  im  Jahre  1887  erschien,  ist  bisher  der  einzige 
geblieben. 

Wie  das  Westßlische  Urhundenbuch  für  den  Süden  der  Provinz 
durch  das  Siegmer  ergänzt  werden  mufste,  so  für  den  Norden  durch 
das  Osnabrücker,  Denn  die  Grafischaflen  Tecklenburg  und  Ravens- 
beig  gehörten  im  Mittelalter  zur  Diözese  Osnabrück;  anderseits  um- 
&6t  der  jetzige  Regierungsbezirk  Osnabrück  auch  Teile  des  ehe- 
maligen Fürstentums  Münster.  Das  Archiv  der  hannoverschen  Land- 
drostei  Osnabrück  wurde  im  Jahre  1869  in  ein  preufsisches  Staats- 
archiv umgewandelt,  und  der  Archivar  Veltm an  fafste  schon  in  den 
siebziger  Jahren  den  Plan,  ein  Urkundenbuch  der  alten  Diözese  heraus- 
zugeben. Er  gewann  dafür  die  Unterstützung  des  in  Osnabrück  be- 
stehenden Historischen  Vereins  (jetzt  „Verein  für  Geschichte  und 
Landeskunde"  genannt)  und  liefe  auf  dessen  Kosten  Abschriften  aller 
erreichbaren  älteren  Urkunden  anfertigen.  Die  Arbeit  schritt  jedoch 
nur  langsam  vorwärts,  da  aufser  dem  Staatsarchive  auch  die  sehr 
reichhaltigen  Archive  des  Domes  und  anderer  Kirchen,  sowie  der 
Stadt  durchforscht  werden  mufsten.  Darüber  wurde  Veltman  im  Jahre 
1886  versetzt.  Erst  sein  zweiter  Amtsnachfolger,  der  schon  mehrfach 
genannte  F.  Philippi,  brachte  die  Angelegenheit  wieder  in  Flufs,  er- 
weiterte den  Arbeitsplan,  revidierte  und  ei^änzte  das  von  Veltman 
gesammelte  Material.  Dabei  mufiste  Philippi  einen  TeU  der  vor- 
handenen Abschriften  kassieren,  weü  sie  seinen  Anforderungen  nicht 
genügten,  und  selbst  neue  anfertigen.  Endlich  konnte  er  im  Jahre 
1892  den  ersten  Band  erscheinen  lassen;  derselbe  enthielt  die  Ur- 
kunden von  772  bis  1200.  Im  Jahre  1896  folgte  der  zweite,  von 
1201  bis  1250  reichende  Band.  Leider  waren  damit  die  verfügbaren 
Mittel  des  „Historischen  Vereins"  erschöpft;  die  Arbeit  mulste  zu- 
nächst eingestellt  werden  *).  Erst  Phüippis  Amtsnachfolger  M.  Bär 
bat  dann,  da  die  Archiwerwaltung  ausserordentliche  Zuschüsse  be- 
willigte, das  Werk  bis  zum  Jahre  1 3CX>  weiterführen  können ;  der  letzte 
Teil  ist  1902  erschienen.  Wenn  man  die  von  Veltman  auf  die  Samm- 
hing des  Materials  verwandte  Zeit  mit  einrechnet,  so  hat  die  Arbeit 
mehr  als  zwei  Jahrzehnte  in  Anspruch  genommen.  Prüft  man  nun 
<ien  ersten  Band,  so  findet  man,  dafis  fast  alle  Dokumente  schon  an 
anderen  Stellen  gedruckt  waren;  was  dem  Bande  selbständigen  Wert 
verieüit,  sind  die  zahlreich  eingestreuten  Regesten  zur  Geschichte  der 
Bischöfe,  sowie  die  Erläuterungen  zu  den  Urkunden.     Leider  ist  Phi- 


I)  Vorrede  z«  Bd.  II  des  (MnabfiMer  ürkundmhuehea. 


—     68     — 

lippis  Arbeit  in  einem  besonders  wichtigen  Teile  gegenwärtig  schoa 
überholt.     Die  Originale  der  alten  kaiserlichen  Privilegien  beüandea 
sich  im  Besitze  des  Bischofs  und  blieben  Philippi  unzugänglich ;  letzterer 
mufste  daher  ihre  Texte   nach  nicht  ganz  zuverlässigen  Abschriften 
und  älteren  Drucken  herstellen.     Später  aber  erhielt  ein  katholischer 
Gelehrter,  F.  Jostes,   die  Originale  selbst  zur  Veröffentlichung  und 
liets  sie  photographisch  vervielfältigen  ').    Für  kritische  Untersuchungen 
mufs    man  jetzt    diese  Ausgabe  neben   dem   Osnabrücker   Urkunden^ 
hucke  benutzen.     Auch   der   zweite  Band  des  letzteren   brachte  ver- 
hältnismäßig wenig  neues  Material;   etwa  vier  Fünftel  waren  bereits 
an  anderen   Orten  gedruckt     Da  Philippi  auch   sämtliche  Urkunden 
der  Graüschaften  Tecklenburg  und  Bentheim   chronologisch  zwischen 
die  Osnabrücker  Dokumente  eingereiht  hat,   so  steht  das  undatierte 
Tecklenburgcr  Lehnrecht  hier  beim  Jahre  1220.     Wer  aber  sucht  es 
an  dieser  Stelle?    Rechtshistoriker  wenigstens  werden  diesen  Abdruck 
leicht   übersehen,   da  man  bisher  das  Stück  in  die  Zeit  gegen  Ende 
des  XIII.  Jahrhunderts  setzte  >).     Die   beiden  letzten  Bände  enthalten 
mehr    bis    dahin    unbekannte    Stücke;    dennoch    muis    ein    jüngerer 
Historiker   klagen,    da{s    das  Werk  keine  genügende  Grundlage    fiir 
wirtschafte-,  verfassungs-  und  verwaltungsgeschichtliche  Studien  biete, 
weil  es  einen  zu  kurzen  Zeitraum  der  Entwicklung  umfasse  ^).     Wäre 
es  nicht  besser  gewesen,  an  Stelle  der  beiden  ersten  Bände  ein  Re- 
gestenwerk über  das   bereits  gedruckte  Material  herzustellen,    das 
ungednickte  aber  in  Diplomatarien  der  einzelnen  geistlichen  und  welt- 
lichen Herrschaften  sukzessive  zu  veröffentlichen? 

Beim  Ostfriesischen  ürhundenbuche  waren  weniger  Schwierigkeiten 
zu  überwinden;  sämtliche  vorhandenen  Urkunden  bis  zum  Jahre  1500 
konnten  in  zwei  starken  Bänden  in  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  (1874 
bis  1881)  zum  Abdrucke  gebracht  werden.  Die  chronologische  Ord- 
nung schadet  hier  so  wenig  wie  beim  Siegen&r  Urkundenbuche. 

Dagegen  scheint  die  Sammlung  und  Ordnung  des  Materials  für 
das  Pommersche  Urkundenbuch  ähnliche  Schwierigkeiten  zu  bereiten, 
wie  sie  bei  den  Unternehmungen  in  Münster  und  Osnabrück  hervor- 
getreten  sind.     Denn    der   erste  Band   des  Pammerschen    Urkunden- 


i)  Die  Kaiser-  und  Kihiigsurkunden  des  Osnabrücker  Landes  y  im  Lichtdruck 
herausgegeben  von  F.  Jostes.    Münster  i./W.   1899. 

2)  So  W.  Altmann  und  E.  Bernheim,  ÄusgewähUe  Urkunden  zur  ErlätUe- 
rung  der  Verfasstmgsgeschichte  Deutsehlands  im  Mittelalter ,  3.  Auflage  (Berlin  1904), 
S.  178. 

3)  H.  Spangenberg  in  der  Btstorischen  Zeitschrifl,  Bd.  92,  S.  504« 


—     69     — 

ImAes  erschien  im  Jahre  1868,  und  jetzt,  also  nach  36  Jahren,  ist 
das  Werk  erst  bis  zur  Mitte  des  fünften  Teiles  gediehen.  Es  enthält 
die  Urkunden  der  Jahre  1253 — 1316,  da  die  älteren  Stücke  bereits 
anderweitig  veröffentlicht  waren.  Der  langsame  Fortgang  des  Werkes 
rührt  zum  Teil  daher,  dals  die  Archive  der  einzelnen  pommerschen 
Städte  durchsucht  werden  muistcn  ').  Man  mufs  auch  hier  fragen, 
ob  nicht  eine  Trennung  des  Stoffes  nach  geistlichen  und  weltlichen 
Herrschaften,  wie  sie  Riedel  in  seinem  Codex  diplomaiicus  Branden^ 
iurgensis  durchgeführt  hat,  praktischer  gewesen  wäre. 

Gleiches  läfet  sich  von  dem  Mecklenburgischen  Urhtindenbuche 
sagen,  das  seit  dem  Jahre  1863  erscheint  und  jetzt  bereits  auf  21  Bände 
angewachsen  ist.  Wenn  in  einem  so  umfangreichen  Werke 
das  Material  rein  chronologisch  geordnet  ist,  so  ver- 
schwinden die  für  die  Geschichte  des  ganzen  Landes 
wichtigen  Dokumente  in  der  Masse  anderer,  die  nur 
lokale  Bedeutung  besitzen. 

Von  den  süddeutschen  Publikationen  ist,  wie  schon  erwähnt,  nur 
das  Wirtembergische  Urhwndenbuch  in  dieser  Art  angelegt.  Der  erste 
Band,  die  Urkunden  vom  Beginne  des  VIII.  Jahrhunderts  bis  1137 
enthaltend,  erschien  im  Jahre  1849.  Leider  zeigte  es  sich  bald,  dafs 
man  das  Material  nicht  vollständig  hatte  sammeln  können.  Jeder 
wettere  Band  mu&te  zahlreiche  Nachträge  zu  den  vorhergehenden 
bringen.  Der  siebente  Band  ist  im  Jahre  1900  erschienen  und  reicht 
inhaltlich  bis  zum  Jahre  1276.  Aber  schon  im  Jahre  1893  hat  die 
Kommission  ftlr  Landesgeschichte  beschlossen,  eigene  „Territorial- 
urinmdenbücher**  ftir  die  neuwürttembergischen  Gebiete,  zunächst  die 
Reichsstädte  und  Klöster,  in  Angriff  zu  nehmen  ^).  Solche  sind  bereits 
für  die  Städte  Elslingen,  Rottweil  und  Heilbronn  erschienen. 

Die  angeführten  Tatsachen  dürften  zur  Beurteilung  des  von 
Philippi  und  Ugen  verteidigten  Systems  wohl  genügen.  Es  zeigt  sich, 
da&  einheitliche,  in  sich  abgeschlossene  Werke  dieser  Art  nur  für 
kleine  Gebiete,  wie  Siegen  und  Ostfriesland,  in  absehbarer  Zeit  her- 
zustellen sind.  In  solchen  Fällen,  wo  der  moderne  Verwaltungsbezirk 
ganz  oder  größtenteils  mit  einem  historischen  Territorium  zusammen- 
fiUt  und  dieses  Territorium  selbst  klein  war,  können  die  Urkunden 
sehr  wohl  ohne  Rücksicht  auf  Herkunft  und  Inhalt  in  chronologischer 
Folge  abgedruckt  werden.     Bei  gröfseren  Bezirken   dagegen,   die 

1)  Vgl.  den  Aufsatz  tob  G.  Winter,  Au8  pommerschen  Stadtarchiven  (Deutsche 
GcschichUblätter,  Bd.  III,  S.  349  ff.). 

3)  Vgl.  die  Vorrede  za  Bd.  VII  des  Wirtemhergüehen  Urkundenbuchea, 


—     70     — 

aus  Bruchstücken  mehrerer  historischen  Territorien  zusammengesetzt 
sind,  erfordert  schon  die  Sammlung  und  Ordnung*  des  Materials  so 
viel  Zeit,  dafs  der  erste  Bearbeiter  selten  mehr  als  den  Anfang  des 
Werkes  veröffentlichen  kann.  Die  Nachfolger  aber  dürfen  seinen 
Nachlafjs  nicht  ohne  weiteres  verwenden,  sondern  müssen  die  Unter- 
suchung teilweise  von  neuem  beginnen;  immer  wird  also  ein  be- 
trächtliches Ma(s  von  Zeit  und  Arbeit,  bisweilen  sogar,  wie  in  Osnabrück, 
auch  Geld  vergebens  angewendet.  Zieht  sich  dabei  die  Publikation 
durch  mehrere  Jahrzehnte  hin,  so  sind  die  ersten  TeUe  nach  Form 
und  Inhalt  veraltet,  wenn  der  Schluls  erscheint.  Will  man  diese  Übel- 
stände vermeiden  und  einheitliche,  den  heutigen  Anforderungen  ent- 
sprechende Werke  schaffen,  will  man  femer  die  grofse  Menge  der  Ur- 
kunden des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts  systematisch  veröffentlichen,  so 
wird  man  nach  Herquets,  Lamprechts  und  Pirennes  Vorschlag  Diploma- 
tarien  der  einzelnen  geistlichen  und  weltlichen  Körper- 
schaften und  Staatsgebilde  anlegen  müssen.  Mit  Recht  hat 
neuerdings  der  Düsseldorfer  Geschichtsverein  die  Herausgabe  von 
Urkundenbüchem  der  einzelnen  Klöster  seines  Gebietes  in  Angriff 
genommen  ^).  Es  wäre  zu  wünschen,  dafs  man  diesem  Beispiele  bei 
der  Fortsetzung  des  Codex  diptamoHcus  JVassotCMs  und  des  MiHd- 
rheinischen  ürhundenbuches  folgte.  Der  Historiker  sucht,  wie  Pirenne 
in  seinem  Referat  sagte,  in  den  Quellen  die  verschiedenen  Momente 
der  sozialen  Entwickelung,  und  nur  ein  Spezialurkundenbuch  kann  die 
verschiedenen  Stadien  einer  historischen  Evolution  in  ihrer  Aufein- 
anderfolge dartun.  Soll  ein  solches  Werk  aber  diesen  Ansprüchen 
genügen,  so  darf  es  nicht  mit  einem  willkürlich  gewählten  Jahre  ab- 
schlieisen,  sondern  der  Herausgeber  mufs  wenigstens  in  der  Einleitung 
allen  für  die  Geschichte  seines  Objektes  verübenden,  auch  nicht 
urkundlichen  Stoff  verarbeiten.  Femer  darf  der  B^friff  „Urkunde" 
nicht  zu  eng  gefafst  werden;  auch  Briefe  und  Aktenstücke,  Urbarien  ^ 
und  Nekrologien  sind  wenigstens  in  Auszügen  mitzuteilen.  Wohl  be- 
zeichnet Philippi  es  als  den  Zweck  der  Urkundenbücher ,  die  Er- 
kenntnis der  geschichtlichen  Entwickelung  ganzer  Landstriche  zu  er- 
schliefsen.  Hierzu  aber  genügen  nicht  nur  Regestenwerke,  wie 
solche  schon  zur  Ei^iänzung  der  vorhandenen  Urkundenpublikationen 
geschaffen  werden  mufsten  *) ,  sondern  besitzen ,   da  sie  auch  chroni- 

i)  AU  erstes  Werk  dieser  Art  ist  das  Urkundenbueh  des  Stiftes  Kaiaerewerih, 
bearbeitet  von  H.  Kelleter  (Bonn  1904)  erschienen;  es  bildet  den  ersten  Band  der 
Urkundenbücher  der  geistliehen  Stiftungen  des  Niederrheins, 

2)  Diese  Regestenwerke  sind  bei  Dahlmann-Waite  a.  a.  O.  anfgeiUbTt. 


—     71     — 

kaiisches  Material  bequem  einfügen  und  überhaupt  mannigfache  Sammel- 
arbett  leisten  können,  auch  anderweitige  gro&e  Vorzüge,  wie  z.  B.  die 
MitidrheiniscJien  Begesien  von  A.  Goerz  und  die  Begesten  der  Kotner 
Erdnschofe  von  R.  Knipping.  Ilgen  will  überhaupt  für  das  XIV.  und 
XV.  Jahrhundert  nur  die  wichtigsten  Urkunden  im  Wortlaut,  alles  übrige 
in  Regestenform  veröffentlichen.  Wo  ist  aber  hier  die  Grenze?  Ein  Vertrag, 
der  für  die  Geschichte  einer  einzelnen  Körperschaft  hochwichtig  ist,  z.  B. 
Teilung  der  Klostei^ter  zwischen  Abt  und  Konvent,  Ordnung  der 
Ratswahl  in  einer  Stadt,  besitzt  trotzdem  nur  geringe  Bedeutung  für  die 
Landesgeschichte.  Die  zahllosen  Urkunden  aber,  welche  von  Erwerbung 
und  Veränlserung  einzelner  Güter  handeln,  lassen  sich  historisch  nur 
verwerten,  wenn  man  sie  gruppenweise  zusammenfafst.  In  das  Diplo- 
matar  eines  einzelnen  Institutes  werden  solche  Gruppen  sich  leicht 
einfügen,  ohne  die  Übersicht  zu  erschweren.  Bei  einem  territorialen 
oder  r^onalen  Urkundenbuche  dagegen  wird  eine  derartige  Grup- 
penbildung nur  durchzuführen  sein,  wenn  man  das  Prinzip  der  chrono- 
kochen  Ordnung  aufgibt  und  tatsächlich  eine  Reihe  einzelner 
Diplomatare  herstellt.  Da  ist  es  doch  wohl  praktischer,  diesen  StofT 
in  den  für  ein  ganzes  Territorium  oder  gröfseres  Gebiet  angelegten 
Werken  nur  summarisch  aufzuführen  und  statt  dessen  die  das  ganze 
Land  betreffenden  Stücke,  namentlich  Gesetze  und  Landesverträge, 
ausführlich  wiederzugeben.  Bei  einer  derartigen  Arbeitsteilung  darf 
man  hoffen,  das  noch  ungedruckte  urkundliche  Material  in  absehbarer 
Zeit  der  Öffentlichkeit  zu  übergeben.  Freilich  kann  der  Historiker 
in  dieser  Beziehung  nur  raten;  die  Entscheidung  steht  bei  denjenigen 
Behörden  oder  Körperschaften,  welche  die  Aufträge  erteilen  und  die 
Kosten  tragen.  Schon  Herquet  hat  in  seiner  als  Manuskript  gedruck- 
ten Schrift  über  das  Amsteiner  TJrhundenbuch  darauf  hingewiesen,  dafs 
nUrkundenbücher  erfahrungsmäfsig  nicht  entfernt  die  Herstellungs- 
kosten, von  Honorar  ganz  abgesehen,  decken".  Wer  nun  eine  solche 
Arbeit  nicht  auf  eigenes  Risiko,  sondern  auf  Kosten  des  Staates  oder 
einer  Körperschaft  ausführt,  mufs  sich  selbstverständlich  den  besonderen 
Wünschen  der  Auftraggeber  fügen.  Nur  ist  er  verpflichtet,  seinen 
Auftraggebern  zu  zeigen,  auf  welchem  Wege  mit  möglichst  geringem 
Aufwände  und  in  absehbarer  Zeit  ein  Werk  von  bleibendem  Werte 
herzustellen  ist.  Hier  gerade,  auf  dem  Gebiete  der  Urkunden- 
forschung, zeigt  sich  „in  der  Beschränkung  erst  der  Meister '^  Es 
ist  besser,  eine  Reihe  kleiner  Aufgaben  gründlich  und 
erschöpfend  zu  lösen,  als  ein  grofs  angelegtes  Unter- 
nehmen    nur     halb     auszuführen     und     die    Vollendung 


—     72     — 

anderen  zu  überlassen.  Ein  solches  Experiment  wird  nur  ge- 
lingen, wenn  ein  Stab  von  geschulten  Mitarbeitern  dem  Leiter  zur 
Seite  steht  *). 


Mitteilungen 


Yersaminlllllgeil.  —  In  den  Tagen  vom  25.  bis  29.  September  ümd 
in  Bamberg  die  diesjährige  Jahresversammlung  des  Gesamtvereins  der 
deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  statt ').  Die  Teilnehmer- 
liste zählte  109  auswärtige  imd  69  Bamberger  Teilnehmer;  von  den  169  dem 
Gesamtverein  angehörigen  Vereinen  waren  leider  nur  56»  also  gerade  ein 
Drittel  durch  Abgeordnete  vertreten.  Bei  der  günstigen  Lage  des  Versamm- 
lungsortes ist  das  zweifellos  ein  recht  wenig  erfreuliches  Ergebnis!  In  der 
Vertreterversammlung  wurde  über  den  günstigen  Kassenstand  und  den  er- 
freulichen Absatz  des  Korrespondenxblattes  berichtet  Statt  der  beiden  aus- 
scheidenden und  satzimgsgemäis  nicht  wieder  wählbaren  Ausschuismitglieder 
Wolff  (Frankfurt  a.  M.)  und  Anthes  (Darmstadt)  wurden  Museumsdirektor 
Koehl  (Worms)  und  Archivdirektor  Wolfram  (Metz)  gewählt.  Für  1906 
wurde  als  Versammlungsort  Wien  bestimmt  und  fUr  1907  Mannheim  in 
Aussicht  genommen ;  für  später  liegen  Einladungen  nach  Worms,  Kassel  und* 
Lindau  vor. 

Die  Versammlungen  fanden  in  den  Luitpoldsälen  statt;  um  die  Orga- 
nisation und  Leitung  der  Veranstaltungen  hatten  sich  Mitglieder  des  Orts- 
ausschusses verdient  gemacht ,  unter  deren  sachkundiger  Führung  auch  die 
geschichtlichen  Denkmäler  der  Stadt  und  namentlich  der  Dom  eingehend 
besichtigt  wurden.  Aufser  einem  mit  künstlerischen  Abbildungen  ausgestatteten 
Führer  durch  die  Stadt  Batnberg  von  Maximilian  Pfeiffer  erhielten  die 
Versammlungsteilnehmer  als  Festschrift  das  Buch  von  Domlu^itular  Senger: 
Lupoid  von  Bebenburg  (Bamberg  1905,  182  S.  S^).  Am  Nachmittag  und  Abend 
des  27.  September  veranstaltete  die  Stadt  Bamberg  ein  Burgfest  auf  der 
„Altenburg*',  wobei  eine  Anzahl  lebender  Bilder  Bh'cke  in  Bambergs  Ver- 
gangenheit tun  liefs  imd  ein  Landsknechtsexerzieren  den  Bei&U  der  Zu- 
schauer erregte.  Ein  Ausflug  nach  der  ehemaligen  Zisterzienserabtei  Ebrach 
füllte  den  Nachmittag  des  28.  Septembers;  Museumsdirektor  v.  Bezold 
(Nürnberg)  würdigte  in  einem  kurzen  kunstgeschichtlichen  Vortrag  die  be- 
rühmte Klosterkirche,  über  die  wir  auch  eine  eingehende  Monographie  von 
Jäger')  besitzen.  Der  29.  September  war  einem  Besuche  Nürnbergs  ge- 
widmet, imd  hier  fesselte  neben  der  Besichtigung  der  Burg,  der  Sebalduskirche 
und  des  Germanischen  Museums  besonders  die  eingehende  Betrachtung  der 
wohlerhaltenen  Patrizierhäuser  der  Familien  Hirschvogel,  Tucher  imd  Peller. 


i)  Anf  die  österreichischen   und   schweizerischen  Urkundenwerke  bin  ich  hier  nicht 
eingegangen,  weil  diese  sich  eng  an  historische  Territorien  anschliefsen. 

2)  Vgl.  über  die  Tagung  in  Danzig  1904  6.  Bd.,  S.  43—54. 

3)  Vgl.  6.  Bd.,  S.  172—173. 


—     73     — 

In  den  Hauptversammlungen  sprach  an  erster  Stelle  Professor 
Fester  (Erlangen)  über  Franken  und  die  Kr  eis  Verfassung.  Das 
heutige  Franken  verdankt  seine  iimere  Einheit  der  Ver^sung  des  ehemaligen 
fränkischen  Reichskreises.  Weder  die  gleiche  Stammesgenossenschaft  noch 
die  durch  den  Mainlauf  bedingte  wirtschaftliche  Einheit  würden  im  Zeitalter 
der  Religionskriege  und  des  politischen  Dualismus  die  politische  2^rsetzung 
Frankens  angehalten  haben,  wenn  nicht  die  Kreisverfassung  die  frän- 
kischen Territorien  drei  Jahrhunderte  lang  zu  gemeinsamer  Arbeit  vereinigt 
hätte.  Trotz  ihrer  Bedeutung  für  die  Reichsgeschichte' seit  1500  sind  die  Kreis- 
Tei&ssungen  noch  immer  ein  Stiefkind  der  historischen  Forschung.  Für  den 
fränkischen  Kreis,  dessen  Veriiältnisse  die  junge  Gesellschaft  für  fränkische 
Geschichte  ^)  zu  erforschen  begonnen  hat,  liegt  eine  erdrückende  Fülle  ar- 
chivaHschen  Materiab  in  Bamberg,  Nürnberg  und  Würzburg,  aber  fUr  diesen 
zum  wenigsten  ist,  soweit  die  Entstehung  in  Frage  kommt,  das  allgemeine 
Problem  von  dem  engeren  nicht  zu  trennen.  Auf  dem  Boden  des  Genossen- 
schafbwesens  stehen  sowohl  die  Schutz-  und  Trutzbündnisse  deutscher  Terri- 
torien wie  die  von  der  Reichsgewalt  zu  ihrer  Bekämpfung  ins  Leben  ge- 
nifenen  Föderationen,  und  in  der  geographisch-landschaftlichen  Einheit  dieser 
Föderationen  imd  in  ihrer  Ausdehnung  auf  das  ganze  Reich  ist  der  Ur- 
sprang der  Kreisver&ssimg  Maximilians  zu  suchen.  Hatte  noch  1340  Ludwig 
der  Bayer  einen  Teillandfrieden  für  Franken  erlassen,  so  befindet  sich  Fran- 
ken seit  dem  allgemeinen  Landfrieden  von  1383  mit  schwankenden  Grenzen 
in  der  Genossenschaft  sämtlicher  deutschen  Landschaften.  Erst  die  Kreis- 
eintdlung  von  1500  und  15 12  durchbricht  das  geographische  Prinzip,  weil 
ae  zunächst  nur  die  Schaffung  von  Wahlbezirken  für  das  kurzlebige  Reichs- 
regiment bezweckt.  Eine  gesimde  geradlinige  Entwickelung  hat  nur  in  wenigen 
Kreisen  stattgefunden,  aber  zu  denen,  wo  dies  der  Fall  war,  gehört  das  mit 
am  meisten  zersplitterte  Franken.  Die  erste  Sptu-  einer  von  Maximilian  an- 
geregten Tätigkeit  des  Kreises  findet  sich  im  Jahre  15 17,  aber  die  eigent- 
Hche  Konstituierung  des  Kreises  vollzieht  sich  erst  zwischen  152 1  und  1555 
infolge  des  Kampfes  um  die  Vorrechte  der  Kreisstandschaft,  imd  die  wüste 
^isode  des  Markgrafen  Albrecht  Alkibiades  von  Brandenburg  hat,  statt  den 
Kreis  zu  zerreiisen,  nur  einen  engeren  Zusanmienschlufs  der  Stände  zur  Folge 
gehabt  Mit  dem  Augsburger  Reichstage  von  1555  aber  beginnt  die  selb- 
ständige Weiterentwickelung  der  reichsrechtlichen  Föderation,  die  selbst  der 
30jährige  Krieg  nicht  auf  die  Dauer  zu  sprengen  vermag.  Im  Zeitalter 
Ludwigs  XIV.  geht  sie  wie  die  gröfseren  deutschen  Territorien  zu  dem 
System  der  stehenden  Heere  über  und  wird  wie  diese  bündnisfähig.  Auch 
die  scheinbare  Verfallzeit  des  XVIII.  Jahrhunderts  erscheint,  genauer  be- 
trachtet, in  günstigerem  Lichte.  Lebensgefährlich  wird  für  die  Kreisverfassung 
erst  der  Eintritt  der  preufsischen  Grofsmacht  in  den  Kreis  durch  den  An- 
Wl  von  Ansbach-Bayreuth.  Von  1792  bis  zu  seiner  Auflösung  durch  die 
Rheinbundakte  führt  er  nur  ein  Scheinleben;  durch  letztere  wird  dann  die 
territoriale  Einheit  Frankens  zerrissen,  bis  schliefslich  mit  dem  endgültigen  Anfall 
WüTzburgs  an  Bayern  seit  18 14  die  drei  Franken  bis  auf  geringe  Einbufsen  in 
<^  Rahmen  des  Landfriedens  Ludwigs  des  Bayern  wieder  vereinigt  sind. 

I)  Vgl  6.  Bd.,  S.  281—286,  bes.  S.  284,  Nr.  9. 


—     74     — 

Die  zweite  HauptversammluDg  eröffiiete  Archivsekretär  AI tmann  (Bam- 
berg) mit  dem  Vorträge  über  das  Bistum  Bamberg  als  Staat,  in  dem 
er  die  Entwickeltrog  dieses  geistlichen  Territoriums  von  seiner  Entstehung 
bis  zu  seiner  Auflösung  in  knappen  Zügen  voHührte  und  damit  den  äuiseren 
Rahmen  schuf  für  den  sich  unmittelbar  anschliefsenden  Vortrag  von  Professor 
Wolfram  (Bamberg)  über  den  Fürstbischof  Franz  Ludwig  vob 
Erthal  (1779 — 1795)»  den  vorletzten  geistlichen  Territorialherm.  Indem 
letzterer  Redner  wesentlich  tiefer  in  das  Material  emdrang  als  es  Leitschuh 
in  seiner  Biographie  des  Bischofs  (Bamberg  1894)  getan  hat,  gab  er  ein 
erschöpfendes  Bild  von  den  Zuständen  in  einem  geistlichen  Staate  unter 
einem  von  der  Aufklärung  stark  beeinflufsten  Fürsten  und  namentlich  von 
den  grofsen  Fortschritten,  die  sich  innerhalb  seiner  sechzehnjährigen  Regie- 
rung auf  allen  Gebieten  der  Verwaltung  beobachten  lassen. 

Die  einzige  Sitzung  der  vereinigten  fünf  Abteilungen  eröffi&ete 
der  Vortrag  von  Stadtarchivar  Rubel  (Dortmund)  über  das  fränkische 
Eroberungs-  und  Siedelungssystem  in  Oberfranken  und  seine 
Bedeutung  für  die  älteste  Geschichte  der  Babenberger  und 
der  Babenberger  Fehde.  Über  die  älteste  Geschichte  Bambergs  und 
der  Burg  der  Popponen  —  so  führte  er  aus  —  liegen  von  Ortskundigen 
ausführliche  Darstellungen  vor,  die  sich  nur  dadurch  ergänzen  lassen,  dafs 
die  allgemein  bekaimten  Vorgänge  in  einem  grösseren  Zusammenhange  er- 
örtert und  klargestellt  werden.  Das  Geschlecht  der  Popponen  tritt  zuerst 
in  der  Person  Poppos  I.  hervor,  der  als  Markensetzer  bis  839  tätig  war. 
Auch  seine  Nachfolger  waren  Markensetzer  imd  Herzöge.  Poppo  II.  wurde 
zwar  892  seiner  Würde  entkleidet,  erhielt  aber  899  von  König  Arnulf  seine 
Güter  und  Amtslehen  wieder,  erlangte  also  die  erbliche  Zuweisung  seines 
Amtsgutes.  Anders  ergmg  es  dem  Geschlechte  Heinrichs,  der  prinoeps  mäüiae 
und  marckio  war,  des  älteren  Bruders  von  Poppo  II.,  dessen  drei  Söhne 
Adalbert,  Adalhart  und  Heinrich  fortan  als  Babenberger  bezeichnet  werden. 
In  dem  Kampfe  gegen  die  vier  Konradiner  verloren  sie  Besitz  und  Leben. 
903  fiel  Heinrich,  Adalhart  wurde  gefangen  und  enthauptet,  906  wurde 
Adalbert  nach  anfangs  siegreichem  Kampfe  in  dem  castrum,  der  Burg  Theres, 
eingeschlossen  und  verlor  wegen  Untreue  Freiheit  und  Leben.  Die  Frage 
entsteht:  Was  war  damab  em  castrum  wie  Babenberg,  Theres,  Weilburg» 
was  war  ein  Herzog,  ein  prtnceps  müiiiae  und  marckio,  wie  es  der  Vater 
der  drei  Babenberger  war?  Die  Frage  nach  einem  castrum  ist  jetzt  besser 
als  früher  zu  beantworten,  da  wir  durch  Schucbhardts  Untersuchungen 
genau  wissen,  wie  ein  castrum  oder  casteüum ,  eine  altgermanische  Volks- 
burg, eine  sächsische  Volksburg  oder  eine  neueingerichtete  fränkische 
Befestigung,  und  eine  curtis  in  Deutschland  aussah.  Von  den  fränkischen 
Befestigungen  sind  nämlich  mehr  als  zwei  Dutzend  curies,  befestigte 
Höfe,  in  Norddeutschland  aufgedeckt  worden.  Sie  sind  aber  im  ganzen 
Eroberungsgebiete  der  Franken  vorhanden  gewesen:  so  gab  es  bestimmt 
einen  Königshof  892  in  Forchheim,  der  schon  805  neben  Hallstadt  existiert 
haben  mufs.  In  Süddeutschland  erscheinen  nunmehr  diese  fränkischen 
Königshöfe  auch  im  Terrain  deutlicher,  so  am  Neckar  und  in  der  Schweiz; 
urkundlich  sind  vorkarolingische  curtes  im  Mabgebiete  in  Willanzheim,  Dom- 
heim, Sondershofen,  Bolzheim  und  Gaukönigshofen  durch  fiskalische  Kirchen  der 


—     76     — 

Franken  bekannt  Es  soUte  doch  wohl  gelingen,  nunmehr  auiser  den  bekannten 
mch  andere  der  fränkischen  eurtes  nachzuweisen.  Aber  Bamberg,  Theres, 
Weilboig  wird  wie  Hammelburg ,  Wüizburg,  Carleburg  als  Burg  (oastrum) 
ansdiücklich  Ton  einer  cwrüs  unterschieden.  Worin  bestand  der  Unter- 
schied? Burg  S3  castrum,  easteüum,  wrha  ist  im  Sprachgebrauch  der  karo- 
i[^;ischen  Zeit  sowohl  die  heidnische  Volksburg,  als  auch  die  neueingerichtete 
Mnkische  Burg.  Von  letzteren  ist  bis  jetzt  allein  das  casteUumt  Karls  d.  Gr. 
Höhbeck  an  der  Elbe  angenommen:  es  ist  ein  regelmäßiges  Rechteck, 
dessen  Mauern  aus  Holz  und  Lehm  bestanden.  Urkundlich  tritt  aber 
eagirum  und  casteüum  als  eine  Befestigung,  die  für  ständige  Besatzung,  fUr 
an  praesidhifn  müUare,  bestimmt  war,  hervor.  Als  868  bei  Pttres  neben 
dner  eurtis  (heribergum)  ein  oasbrum  errichtet  wurde,  wurde  zugleich  für 
dassdbe  eine  dauernde  Besatzung  bestinmit  Diese  Besatztmg  erhielt  sowohl 
bestimmte  Teile  der  Befestigung,  mit  deren  Anlage  man  dem  spätrömischen  Ver- 
führen gemäis  einzelne  Abteilungen  betraute,  als  auch  dauernden  Besitz  an 
Ackerland  um  "das  Kastell  zugemessen.  Diese  Nachricht  ist  als  typisch  zu 
betrachten ;  die  karolingische  cwrtia  war  ein  wohlbefestigter  Wirtschaftshof, ' 
das  easküum  dagegen  eine  für  eine  dauernde  Besatzung  (praesidium  mUäare} 
bestimmte  Befestigung.  So  läist  sie  sich  von  den  Zeiten  Ottos  I.  her  bis  in 
die  karolingische  und  merowingische  Zeit  zurückversetzen,  so  lassen  sich  auch 
die  proMidia  als  fränkische  Besatzungen  belegen.  Die  Franken  haben  wie 
die  Römer  in  spätrömischer  Zeit  die  Länder  dadurch  beherrscht,  dafs  sie  ihre 
praendia  in  römische  und  neuerrichtete  fränkische  Befestigungen  gelegt  haben. 
Die  Technik  der  fränkischen  Befestigungen  ist  die  spätrömische.  In  der 
Babenberger  Fehde  treten  deutlich  als  neuerrichtete  fränkische  KasteUe  hervor 
Bamberg,  Theres  und  Weilburg.  In  Bamberg  wird  der  Domplatz  die  alte 
eurtia,  die  alte  Hofhaltung  das  casteUum  sein.  Das  Recht,  solche  Befestigungen 
ZQ  errichten  und  zu  besetzen,  kam  nur  dem  Könige  und  seinen  Beamten  zu. 
Aber  sowohl  bei  Ausgang  der  merowingischen  wie  der  karolingischen  Periode 
trat  dieselbe  Erscheinung  hervor:  die  mit  der  Errichtung  von  Burgen  und 
der  Markenziehung  betrauten  Beamten,  meist  Herzöge,  behandelten  das  ihnen 
übertragene  Königsgut,  als  sei  es  Eigengut;  die  meisten,  wie  Poppo  II.  und 
cBe  Ludolfinger,  wufsten  sogar  das  ihnen  übertragene  Königsgut  ab  Eigen- 
tum zu  sichern  und  zu  bewahren.  Als  aber  auch  die  Babenberger  die  neu- 
errichteten Burgen  Theres  und  Bamberg  gegenüber  den  letzten  Karolingern 
imd  gegen  die  Konradmer  als  Eigengut  zu  behaupten  suchten,  fanden  sie 
haitnädugen  Widerstand.  Als  Reichsbeamte,  nurUn  camerae,  wurden  sie 
T(m  den  Gegnern  behandelt ;  als  Beamte  des  Königs  büfsten  sie  ihre  Untreue 
dnrch  den  Tod.  Es  ist  das  gleiche  Schicksal,  welches  die  merowingischen 
Herzöge  ereilte  und  welches  einem  karolingischen  Herzoge,  Thassüo,  angedroht 
wurde.  So  interessant  auch  die  Amtsgewalt  der  Herzöge  und  prmcipes^ 
mtitiae  als  Führer  der  technischen  Truppen  und  Erbauer  der  Kastelle  ist,, 
so  ist  damit  ihre  Amtstätigkeit  noch  nicht  erschöpft.  Sie  waren  zugleich 
Beaeidmer  neuer  Marklmien  tmd  Ausscheider  von  Königsgut.  Es  läfst  sich 
die  Tätigkeit  der  Popponen  an  den  Befestigungen  zwar  im  einzelnen  er- 
kennen, weniger  deutlich  jedoch  ist  die  Markenregulierung  und  Bildung  von 
Königsgut  in  Oberfranken.  Immerhin  lassen  sich  auch  einige  Züge  ihrer  Tätig- 
keit als  Ausscheider  von  Königsgut  entdecken.    Der  Vortragende  schlols  die 


—     76     — 

Ausführungen  mit  der  Bitte,  die  curtea  und  heriberga  sowie  die  castra,  die  die 
Franken   errichtet  haben,    auch    in   Oberfranken    und  Bayern    klarzustellen 
imd  dadurch  die  Arbeit  aufisunehmen,  die  die  westdeutschen  und  nordwest- 
deutschen Vereine  bereits  erfolgreich   begonnen   hätten.    —   Hierauf  sprach 
Professor  v.  Zwiedineck-Südenhorst   (Graz)  über  Neue  Methoden 
genealogischer  Forschung  in  Osterreich.     Redner  bezeichnete  die 
Familiengeschichte  als  einen  gnmdlegenden  Teil   der  Gesellschafbgeschichte 
und  betonte,  dafs  ihr  die  Forschung  iocuner   näher   treten   müsse.     Wdche 
Probleme   in   dieser  Richtung   der  Lösung   harren,  läist  sich   im  einzelnen 
heute  noch  gar  nicht  übersehen,  aber  es  steht  aufser  Zweifel,   dafs  der  Er- 
kenntnis der  menschlichen  Entwickdung  durch  den  Nachweis  des  Anstieges 
und  des  Verfialles  der  Familien  und  Geschlechter  ganz  neue  P&de   erö&et 
werden.     Deshalb  wird  es  aber  jetzt  die  Aufgabe  der  Genealogie,  die 
sich  bisher  nur  um   Geburts-   und   Sterbetage,   Vermählungen,   Adels-   und 
Titelverleihungen  zu  küounem   gewohnt  war,   das   Material  zur  Herstellung 
von  Familiengeschichten   in   dem  angedeuteten   Sinne    herbeizuschaffen   und 
zugleich  eine  grofse  Menge  von  Faooilien  in   gleicher  Weise   zu  behandeln, 
nicht  mehr  immer  nur  einzelne,  die  besonders  hervorragen  oder  den  Genea- 
logen infolge  persönlicher  Umstände  besonders  interessieren.     Noch  schwie- 
riger   als   bei   anderen  Forschungen  ist  zurzeit   bei  genealogischen   die   Be- 
schaffung des  Urmaterials,  und  deshalb  verdienen  alle  Hil&mittel,  die  diesem 
Zwecke  dienen,  ganz  besondere  Aufineiksamkeit.     Als  eine   derartige   öster- 
reichische Veröffentlichung  verdient  eine  ganz  eigenartige  Arbeit  genannt  zu 
werden,   nämlich:   Der  Adel   in   den  Matriken   der    Grafschaft    Oörx  und 
Gradisoa,  herausg^eben  von  Ludwig  Schiviz  v.  Schivizhoffen  (Görz 
1904,  Selbstverlag  des  Verfassers,  Druck  von  Karl  Gerolds  Sohn  in  Wioi  I, 
Barbaragasse  Nr.  2,  510  S.  40).     Im  Jahre  1905  ist  dann  ein  gerade  solches 
Werk  über  den  Adel  in  Krain  erschienen  ^).     In  dem  Umfange  wie  hier 
sind  wohl  noch  niemals  die  Kirchenbücher  ganzer  Länder  inhaltlich  aus- 
gebeutet worden,  denn  der  Bearbeiter  ist,  von   den  geistlichen  Ordinariaten 
imterstützt,  von  Pfarrei  zu  P&rrei  gezogen  und  hat  alle  adlige  Personen  be- 
treffenden Einträge,  so  wie   er  sie   fand,    sorgfältig  abgeschrieben  und    im 
Druck   der   Öffentlichkeit  vorgelegt.     Die   Arbeit    wurde    in   Görz-Gradisca 
dadurch  etwas  erleichtert,  dafs  wenigstens  seit  1835  Duplikate  der  Pfarrmatriken 
bei  den  Ordinariaten  ruhen,  so  dafs  also  von  dieser  Zeit  an  die  Durchsicht 
an  den  Sitzen  der  Ordinariate,  in  Görz  imd  Triest,   erfolgen   konnte.      Wie 
der  Herausgeber  angibt,  enthält  der  genannte  Band  nmd   20000  Kirchen- 
büchern entnommene  Einzeldaten,  imd  für  Krain   dürfte  die  Zahl  ungefähr 
dieselbe  sein.    Aufserordentlich  eingehende  Register  erieichtem  die  Benutzung 
beider  Bände   und  das  Auffinden  einzelner  Daten,  geben  aber  auch   negativ 
die  Gewähr,  dafs  Personen,  die  das  Register  nicht  nennt,  im  Texte  tatsäch- 
lich nicht  erwähnt  werden.     Die  mutige  Tat  eines  einzigen,  eines   durchaus 
nicht  mit  Glücksgütem  gesegneten  pensionierten  Beamten,  hat  hier  für  einen 
ziemlich  fernen  LandesteU  etwas  geleistet,  was  zur  Nacheiferung   gerade- 
zu  herausfordert.  —  Einen   noch  wesentlicheren   Schritt    nach  vorwärts  auf 

i)  Der  Adel  in  den  Matriken  des  Herzogtums  Kraint  heraasgegeben  von  Lud- 
wig Schiviz  V.  Schivizhoffen  in  Görz  (Görz  1905,  Druck  der  »Goridka  Tiskama« 
A.  Gabräöek  in  Görz,  Selbstverlag  des  Verfassers,  504  S.  4*). 


—     71     — 

der  Bahn  fiaoniliengeschicbtlicher  Forschung  stellt  eis  m  seinem  ersten 
Jahrgänge  (1905)  vorli^endes  Werk  dar,  welches,  in  semem  Änfseren  dnrch- 
ans  den  Go^aischen  Genealogischen  Taachenibückem  nachgebildet,  den  Titel 
tiflgt:  Oenealogisekes  Thadienbueh  der  adeligen  Häuser  Osterrekhe  (Wien, 
Otto  Maais'  Söhne,  655  S.  i6<^,  Preis  10.50  Kronen).  Es  ist  bei  der 
gro&en  Zahl  der  dem  sogenannten  niederen  Adel  angefaörigen  FamOieu 
sdbstrerständlich,  dais  unmö^h  alle  Famitien  anf  einmal  behandelt  werden 
ktenen  und  dafs  dann,  wie  es  bei  den  illrstlichen  Häusern  geschieht,  jedes 
Jahr  eine  neue  Auflage  unter  Berücksichtigung  der  etwaigen  Verändertmgen 
im  Personenstande  erscheint.  Es  handelt  sich  Ttelmehr  darum  und  ge- 
nfigt  vollständig,  wenn  zunächst  möglichst  jede  adlige  Familie  in  ihrer  Ent- 
Wickelung  einmal  vorgeführt  wird,  und  dazu  ist  das  neue  österreichische 
ÜEudienbuch  gegründet  worden,  welches  sachlich  das  reichsdeutsche ,  öster- 
leichische  Familien  ausschUelsende,  Oothais^  Genealogische  Thaehenbueh  der 
oieHgen  HHuser  (seit  1900)  ergänzt  Die  Kosten  der  Drucklegung  hat  vöffig 
der  lebtungsfiüiige  Verlag  übernommen,  der  dalür  das  Recht  besitzt,  dem 
Tasdienbuch  einen  beliebigen  Annoncenanhang  anzufügen.  Die  Redaktion 
des  genealogischen  Teiles  besorgt  ein  Redaktionskomitee,  aoi  dessen  Spitze 
Geheimer  Rat  Graf  von  Pettenegg  steht,  während  der  Staatsarcbtvar  und 
zugleich  Ahnenprobenexaminator  Alfred  Ritter  Anthony  v.  Siegenfeld 
die  hauptsächlichste  Redaktionsarbeit  leistet  Die  einzelnen  Familien  senden 
das  ti)er  sie  bekannte  Material  der  Redaktion  ein,  und  zwar  erwachsen  dem 
Einsender  dadurch  keinerlei  Kosten.  Die  Redaktion  unterzieht  die  Vor- 
lagen einer  scharfen  Prüfung  und  gestaltet  das  geschichtliche  und  genea- 
logische Material  zu  einem  möglichst  abgerundeten  Bilde;  zugleich  wird  der 
Versuch  gemacht,  die  in  dem  beigebrachten  Material  klaffenden  Lücken  nadi 
Möglichkeit  zu  füllen.  Em  besonders  breiter  Raum  ist  der  Familien- 
geschichte gewidmet,  und  das  bedeutet  einen  grofsen  Fortschritt  Bei 
der  Mehrzahl  der  172  im  vorliegenden  Bande  beschriebenen  Familien  ist 
es  mög^ch  gewesen,  eine  ausführliche  Schilderung  ihres  Ursprungs  und 
Werdegangs  atif  Grund  archivalischen  Quellenmaterials  vorauszuschicken^ 
und  dadurch  wird  die  Darstellung  ein  Stück  österreichischer  Kulturgeschichte 
mid  ein  Zeugms  der  aufsteigenden  Klassenbewegung.  Denn  über  den  Zeit- 
ponkt  des  Adelserwerbs  zurückgreifend  geht  die  Schilderung  von  der  vielfach 
weit  interessanteren  Geschichte  der  Familie  im  Bürger*  und  Bauernstände 
IBS  und  zeigt  dem  Leser  die  Patrizier  der  Arbeit  auf  den  vielverzweigten 
Oebieten  menschlicher  Tätigkeit  in  ihren  Mühen  imd  in  ihren  Erfolgen. 
1>9A  sozialgeschichdich  Wichtigste  hierbei  ist  die  Feststellung,  durch  welche 
Letttungen  die  einzelnen  Personen  sich  derartig  aus  der  Masse  heraushoben, 
da^  sie  der  Adelsveiieihung  würdig  erschienen.  An  einzelnen  besonders 
charakteristischen  Erscheinungen  schilderte  der  Redner  gerade  diesen  Vor- 
gang. Dais  sich  eine  Menge  Beziehungen  zu  reichsdeutschen  Famifien  finden, 
braucht  kaum  hervorgehoben  zu  werden,  wie  andrerseits  merkwürdig  viel 
ans  der  Feme  eingewanderte  Personen  zu  Stammvätern  jetzt  blühender  Adels- 
gescfalechter  geworden  sind:  die  Familie  v.  Fries  z.  B.  stammt  aus  Augs- 
burg und  kam  dadurch  nach  Österreich,  dads  Johann  Friefs  —  ein  Enkel 
des  wfirzburgischen  Chronisten  Lorenz  Friefs  —  1599  ^  bischöflich  bam- 
hergischer  Beamter  zur  Verwaltung  der  kämtnbchen  Besitzungen  des  Stifts  nach 

6 


—     78     — 

Wolfsberg  in  Unterkämten  übersiedelte.  Auch  dieses  neue  Taschenbuch  des  öster- 
reichischen Adels  verdient  die  gröüste  allgemeine  Beachtung  und  —  Benutzungf 

Als  dritter  Redner  sprach  Armin  Tille  (Leipzig)  über  Organi- 
sation und  Publikationen  der  deutschen  Geschichtsvereine. 
Der  Vortragende  überblickte  die  Tätigkeit  der  sämtlichen  landes-  und  orts- 
geschichtlichen Vereine,  deren  er  423  zählt,  von  denen  wiederum  etwa  200 
periodische  Veröffentlichungen  erscheinen  lassen,  imd  kam  zu  dem  Ergebnis, 
dafs  die  Zahl  der  Vereinsorgane  entschieden  zu  grofs  ist,  dafs  vielen  Bei- 
trägen ein  wissenschaftlicher  Wert  nicht  zugesprochen  werden  kann  und  dafs 
das  Ansehen  der  örtlichen  Geschichtsforschung  überhaupt  durch  solche 
Arbeiten  leidet  Unter  Wahrung  der  Selbständigkeit  jedes  Vereins  hinsicht- 
lich seiner  örtlichen  Tätigkeit  durch  Vorträge  usw.  schlug  der  Vortragende 
deshalb  vor,  dafs  die  benachbarten  Vereme,  eventuell  sogar  alle  einem  Lande 
(Provinz)  angehörigen,  sich  zusammentun  und  gemeinsam  ein  Organ  heraus- 
geben möchten,  das  dann  natürlich  mehr  bieten,  eine  höhere  Auflage  er- 
zielen (mindestens  1000  Exemplare)  und  zugleich  ganz  anders,  als  es  die  Zeit- 
schriften jetzt  vermögen,  geschichtlich  bildend  und  erzieherisch  wirken  könnte. 

Abteilung  I  und  II  tagten  gemeinsam  in  sehr  gut  besuchten  Versamm- 
limgen  mit  dem  Verband  west-  und  süddeutscher  Vereine  für 
römisch-germanische  Forschung  unter  dem  Vorsitz  von  Anthes 
(Darmstadt),  der  auch  ftlr  das  konmiende  Jahr  mit  der  Leitung  des  Verbandes 
betraut  wurde.  Die  nächste  Versammlung  wird  zu  Ostern  1906  in  Basel  ab- 
gehalten tmd  mi  tarchäologischen  Ausflügen  nach  Basel-Augst  imd  Windisch 
verbunden  werden,  da  der  Gesamtverein  in  Wien,  also  auüserhalb  des  Verbands- 
gebietes, tagt.  Der  Vorsitzende  erstattete  zunächst  den  satzimgsgemäfsen  B  e  > 
rieht  über  die  archäologischen  Untersuchungen,  die  während  des 
letzten  Jahres  im  Verbandsgebiet  vorgenommen  worden  sind.  Auf  allen  Gebieten 
der  einheimischen  Altertumskunde  sind  erhebliche  Fortschritte  zu  verzeichnen ; 
besonders  ergiebig  waren  wieder  die  Untersuchungen  von  Schliz  (Heil- 
bronn) imdKoehl  (Worms)  auf  dem  schwierigen  und  viel  umstrittenen  Ge- 
giet  der  neolithischen  Kultur.  Femer  sei  aus  dem  reichhaltigen  und  ein- 
dehenden  Bericht  nur  noch  hervorgehoben,  dafs  sich  in  verschiedenen  Teilen 
bes  Verbandsgebietes  eine  ganze  Reihe  von  neuen  Aufschlüssen  über  die 
erste  Okkupation  der  Rheinlande  durch  die  Römer  ergeben  hat.  Der  wich- 
tigste Fond  ist  in  Mainz  gemacht  worden:  eine  reich  imd  geschmackvoll 
skulptierte  Juppitersäule,  deren  Ausschmückung  zu  dem  Besten  gehört,  was 
überhaupt  von  Skulpturen  aus  jener  Zeit  erhalten  ist,  die  stadtrömischen 
Kunstwerke  nicht  ausgeschlossen.  Das  Denkmal  mufs  aus  hunderten  von 
Bruchstücken  wieder  zusammengesetzt  werden;  von  der  Hauptfigur,  einend 
bronzenen  Juppiter,  sind  leider  nur  ein  schwer  vergoldeter  Fufe,  das  Blitz- 
bündel und  geringe  Fragmente  des  Adlers  übrig.  Wichtig  ist,  dafs  die  In- 
schrift erhalten  ist;  sie  setzt  das  Denkmal  in  die  Zeit  Neros  und  beweist, 
dafs  ein  Gallier  der  Künstler  ist.  Vielleicht  wurde  das  Ganze  schon  fertig^ 
aus  Südgallien  bezogen,  wohin  auch  der  verwendete  Stein  zu  weisen  scheint. 

Die  Vorträge  eröffnete  Haug  (Mannheim)  miteiuer  Kritik  der  angeblich 
germanischen  Einflüsse  auf  das  römische  Obergermanien.. 
Im  Gegensatz  zu  der  allgemeinen  Ansicht  ist  er  davon  überzeugt,  dafs  diese 
Einflüsse  gegenüber  den  keltischen   tatsächlich    bedeutend   zurücktreten    und 


—     79     — 

(kis  TOD  wirklich  nachhaltiger  Einwirkung  der  Germanen  erst  mit  dem  ßn- 
dringcn  der  Alamannen  um  250  n.  Chr.  gesprochen  werden  könne.  Eine 
weitere  Anzahl  von  Vorträgen  und  Mitteilungen  führte  auf  das  Gebiet  der 
vorgeschichtlichen  Archäologie. 

Der  Vorsitzende  leitete  eine  Besprechung  über  den  Stand  der  Ring- 
wallforschung in  Südwestdeutschland  ein,  indem  er  hervorhob, 
da6  es  aus  vielen  Gründen  nötig  sei,  überall  diesen  Untersuchungen  näher 
xa  treten,  da  allenthalben  an  der  Zerstönmg  dieser  wichtigen  Überreste 
ans  der  Vorzeit  gearbeitet  werde,  ohne  dafs  es  möglich  sei,  immer  Ein- 
hak zu  tun,  wie  es  kürzlich  gerade  noch  glückte,  als  die  grofsartigen 
Anlagen  auf  dem  Altkönig  durch  die  geplante  Errichtung  eines  Gast- 
hauses aufs  höchste  gefährdet  waren.  Dem  Eintreten  der  benachbarten 
Vereine  und  des  hessischen  Denkmalpflegers  ist  es  zu  danken,  dafs  diese 
Anlagen,  die  zu  den  merkwürdigsten  in  Deutschland  gehören,  nun  hoffent- 
lich ein  für  allemal  geschützt  sind.  Ein  sehr  erschwerender  Umstand  ist 
das  Fehlen  einer  Bibliognqphie  über  die  Ringwallforschimg;  eine  solche  zu 
schaffen,  wäre  eine  geeignete  und  fruchtbare  Aufgabe  für  den  Verband,  da 
sie  von  einem  einzelnen  nicht  geleistet  werden  kann. 

Über  Grabfelder  der  Bronze-  und  Hallstattzeit  in  der  Wetterau  berichtete 
Helmke  (Friedberg),  und  Müller  (Darmstadt)  legte  einen  hervorragenden 
foonzefund  aus  dem  nördlichen  Odenwald  vor,  dessen  Hauptstücke  nieren- 
fönnig  gestaltete  Armringe  mit  hübscher  eingravierter  Linienverzierung  bilden. 
Beide  Mitteilimgen  gaben  Anlafs  zu  lebhafter  Besprechung.  Sehr  interessant 
waren  die  Ausfühnmgen  von  Thomas  (Frankfurt),  der  vergleichende  Betrach- 
tungen über  die  Berührungspunkte  südwestdeutscher  RingwäUe  mit  Bibracte 
ond  Alesia  anstellte.  Thomas  hat  gemeinsam  mit  Anthes  letzthin  die  berühmten 
französischen  Anlagen  besucht,  deren  Eigenheiten  eingehend  geschildert  wurden. 
Ans  ihrem  Studium,  das  von  den  französischen  Gelehrten  in  sorgsamer  Ar- 
beit bedeutend  gefördert  worden  ist,  ergibt  sich  reiche  Belehrung  auch  über 
onsere  Anlagen  aus  keltischer  Zeit.  Als  Einleitung  in  die  Besichtigung  der 
Akertumssanmilung  des  Bamberger  Vereins  sprach  endlich  Sartori  (Bam- 
berg) über  die  wichtigsten  Fundstellen  in  der  Umgegend  von  Bamberg.  Sie 
sind  reich  an  Fimden,  imd  es  ist  zu  hoffen,  dafs  es  Sartori,  der  jetzt  die 
Neuordnung  der  Sammlung  übernommen  und  schon  gefördert  hat,  gelingen 
wird,  durch  sorgfältiges  Sammeln  der  Fimdstücke,  durch  systematische  Gra- 
bungen und  durch  Ordnung  der  schon  vorhandenen  Bestände  die  Sammlung 
zu  emem  wichtigen  Anschauungsmittel  für  die  vorgeschichtliche  Kultur  des 
oberen  Maingebietes  zu  machen. 

Ein  sehr  beachtenswertes  Thema  behandelte  Wolfram  (Metz),  indem  er 
über  kleinasiatische  Einflüsse  auf  Gallien  und  Germanien  sprach.  Die 
Knkur  der  Rhein-  und  Mosellande  in  den  letzten  vorchristüchen  und  den  ersten 
nachchristlichen  Jahrhunderten  —  so  führte  er  aus  —  ist  bisher  fast  ausschliefs- 
lich  anf  römisch-italischen  Einfluis  zurückgeführt  worden.  Demgegenüber  hat  man 
geiade  in  den  letzten  Jahrzehnten  wiederholt  dar  aufaufinerksam  gemacht,  dafs  be- 
sonders auf  dem  Gebiete  der  Kirnst  griechischer  Einflufis  nicht  zu  verkennen  ist; 
so  zeigt  eine  Frauenstatue  des  Metzer  Museums  unzweifelhaft  Ähnlichkeit  mit 
pergamenischen  Bildwerken.  Für  den  Giganten  auf  der  Mertener  Säule  (Metzer 
Museum)  hat  Hofl5aiann  auf  gleiche  Abhängigkeit  hingewiesen,  imd  ein  Fels- 

6* 


—     80     — 

relief  bei  Bitsch    ist  von   Michaelis   unter  HervoHiebung   des    griechbchen 
Charakters  der  Skulptur  neben  die  Denkmäler  von  St.  Remy  gestellt  worden. 
Aber  auch  auf  dem  Gebiete  des  Münzwesens   ist   das  Moseltal    stark  vom 
griechischen  Orient  her  beeinflufst  worden,  denn  gewisse  Münzen  der  Medio- 
matriker  tragen,  wenn  auch  staric  deformiert,  das  Bild  des  Philippus-Staters. 
Wie  ist  dieser  griechische  Einflufs  zu  erklären?     Ein  Import  aus  Italien  ist 
ausgeschlossen.     Diese  Annahme  hätte  von  vornherein  unwahrscheinlich  sein 
müssen,  denn  die  Alpen  sind  zu  drei  Viertel  des  Jahres  unwegsam,  und  für  die 
wenigen  Monate   der  Übergangsiähigkeit  erlaubten  die   überaus  mangelhaften 
Wegeverhältnisse  durchaus    nicht  die  Einführung  einer  neuen  allumfassenden 
Kultur.     Der  einzige  Weg,  der  für  Rhein-  imd  Moseltal  in  Betracht  kommt, 
sind  die  Strafsen  Mosel  aufwärts,  Saöne  abwärts,  Rhone  abwärts.     Die  Ver- 
breitung  der  Succellusbilder  weist  nach  den   Dari^ungen  Michaelis'  direkt 
dorthin.     Die  Bitscher  Felsskulptur  ist  ebenso  von  der  Provence  aus  beein- 
flufst worden,  und  keltische  Münzen  der  Mediomatriker  zeigen  dasselbe  Münz- 
bfld  wie  das  Gepräge  von  Marseille.     Vor  allem  aber  beweist  den  lebhaften 
Verkehr  nach  jenen  Gegenden  die  Tatsache,    dafs  von  den  in  Metz  gefun- 
denen römischen  Münzen  ungleich  mehr  in  Lyon  als  in  Rom  geprägt  sind. 
Dais  eine  alte  Handelsstrafse  von  Marseille  nach  Metz  vorhanden  war,  zeigt 
die  Peutingersche  Tafel.     Aber  auch  der  Wasserweg  ist  benutzt  worden ;  das 
ergibt  sich  klar  aus  der  Überlieferung  des  Tacitus,  dais  die  Ausführung  eines 
projektierten  Kanals   zwischen   Mosel    und  Saöne    lediglich    an  Kompetenz- 
konflikten zwischen   den  Statthaltern  der  benachbarten  Provinzen  gescheitert 
ist.     Ist   mm   die   mit  griechischen  Gründungen  besiedelte  Südprovence  die 
Ursprungsstätte  des  griechischen  Einflusses  im  Moseltal?    Die  Stadt  Marseille 
hat  allezeit  die  Verbindung  mit   dem  Griechentum  des  alten  Heimatlandes, 
vor  allem  Kleinasiens  aufrechterhalten.     Bis  in  das  späte  Mittelalter   ist  uns 
durch   die   Forschungen  Schefier-Boichorsts   und  Brdhiers  der  Verkehr  von 
Syrern  tmd   Griechen  von   Marseille   über  Lyon   nach   den    gallischen   und 
germanischen  Städten  erwiesen  worden.     Insbesondere  ist  auch  das  Christen- 
tum von  Lyon,  Metz,  Trier  und  höchstwahrscheinlich  auch  Köln  und  Mainz 
griechischen  Ursprungs,  in  seinen  AnfiUigen  durchaus  unbeeinflufst  von  Rom 
imd   Italien.     Auch  das  Julier-Denkmal  von  St.  Remy  erinnert,   ebenso  wie 
die  Igler  Säule  bei  Trier  an  kleinasiatische  Mausoleen,    ^dlich  sind  unter  den 
Münzen,  die  im  Moseltal  gefunden  werden,  zahlreiche  Stücke  antiochischen 
Gepräges.    Auf  die  karolingische  2^it  übergehend  zeigte  sodann  der  Redner, 
wie  auch  hier  noch  der  griechisch-syrische  Einflufs  lebendig  ist    Thegan  be- 
richtet ausdrücklich,    dafs  Karl  der  Grofse  Syrer  und  Griechen   an   seinen 
Hof  berufen   habe.     Und  die  Forschungen   Strzygowskis   beweisen   zur  Evi- 
denz, dafs  Syrer  spezieU  in  Metz  an  der  Herstellung  von  Handschriften  tätig 
gewesen  sind.     Da  nun  das  Monogranmi  Karls  des  Grofsen  durchaus  ^eich- 
artig  ist  mit  demjenigen  eines  armenischen  Patriarchen  und  das  K  im  Mono- 
gramm (statt  des  sonst  gebräuchlichen  C)  auf  griechischen  Einflufs  hinweist, 
so  hielt  der  Redner  die  Ansicht,  dafs  das  Monogranmi  von  kleinasiatiscfaen 
Griechen  beeinflufst  ist,  trotz  des  von  Lechner  ^)  erhobenen  Einspruchs  auf- 

i)  Im  Neuen  Archiv  für  ältere  deutsche  Geschtehtsktmde  30.  Bd.  (1905).  Wolfram 
hatte  bereits  seine  Meinung  über  das  Monogramm  Karb  des  Grofsen  in  der  Beilage  zur 
Allgemeinen  SSeiiung  (Mflnchen)  Jahrgang  1905,  Nr.  3  nnd  2^  ausgesprochen. 


—     81     — 

recht  Zum  Schluis  warf  Wolfram  noch  die  Frage  auf^  ob  die  merkwürdige 
Bildniig  des  karoÜDgischen  Mittelreiches  nicht  durch  die  Bedeutung  der 
greisen  Handdsstrafse  Ton  Marseille  bis  zur  Nordsee,  der  einzigen  südnörd- 
lichen Verbindung,  die  nicht  durch  ein  Gebirge  unterbrochen  ist,  beeinflufst 
worden  sei. 

Mit  der  Römerseit  beschäftigte  sich  nur  der  Vortrag  von  Wolff  (Frank- 
fiut).  In  Heddemheim,  der  unerschöpflichen  Fundgrube  aus  römischer  Zeit, 
htt  man  im  letzten  Jahre  ansehnliche  Reste  von  Töpfereien  gefunden.  Als 
besonders  wichtig  hat  sich  dabei  herausgestellt,  dafs  auch  SigiUataware,  jenes 
feine  und  beliebte  Tafelgeschirr,  hier  in  Nida  angefertigt  worden  ist.  Die 
Namenstempel  der  Töpfer  beweisen,  dafs  die  Eneugnisse  dieser  kleinen, 
vielleicht  mit  Rheinzabem  zusanmienhängenden  Töpferei  hauptsächlich  in  der 
Wetterau,  dem  Hinterland  von  Nida,  abgesetzt  wurden.  Gleichzeitig  erhielt 
man  auch  wichtige  Aufschlüsse  über  die  Technik  dieser  Industrie.  Es 
Huxlen  sich  in  unmittelbarer  Nähe  der  Brennöfen  mehrere  grofte,  mühlstein- 
ähnliche Steine,  die  mit  Einarbeitungen  für  die  Finger  versehen  sind,  wie 
sie  nötig  waren,  um  die  schwere  steinerne  Töpferscheibe  in  Bewegung  zu 
setzen.  Der  Redner  konnte  dazu  noch  mitteüen,  dafs  sich  dieselbe  Technik 
bereits  auf  schwarzfigurigen  korinthischen  Täfelchen  des  Berliner  Museums 
dargestellt  findet;  gewifs  ein  schönes  Beispiel  für  eine  Jahrtausende  alte  Kon- 
tiBiiität  in  einem  Gewerbe  I 

Die  Versammlungen  des  west-  und  süddeutschen  Verbandes,  der 
jetzt  an  drdfsig  Vereine  um&lst,  erfreuen  sich  einer  jedes  Jahr  wachsenden 
Beteiligung.  Es  sind  nicht  nur  die  Vorträge  und  Mitteilungen  über  die  im 
Vordergrunde  stehenden  archäologischen  Fragen,  sondern  es  ist  in  gleich 
hohem  Mafs  das  Anregende  des  persönlichen  Verkehrs  der  an  den  gemein- 
samen Arbeiten  teilnehmenden  Mäimer  aus  dem  ganzen  Arbeitsgebiet,  das 
diese  Zusammenkünfte  so  lohnend  macht.  Ein  regehnäfsiger  Gast  ist  der 
Direhor  der  römisch-germanischen  Konmiission  des  Kaiserlich  archäologischen 
Instituts,  Professor  Dragendorff  (Frankfurt  a.  M.),  der  auch  diesmal 
nicht  fehlte  und  durch  seine  Teilnahme  an  der  Tagung  wieder  zu  erkeimen 
ga^,  dais  er  die  Täti^eit  unserer^  Vereine  wohl  zu  schätzen  weifs.  Als 
Gast  war  ferner  anwesend  Direktor  Boehlau  (Kassel)  als  Abgeordneter  des 
neugegründeten  nordwestdeutschen  Verbandes  für  Altertums- 
forschung 0. 

I)  VgL  darüber  VL  Bd.,  S.  184—185.  Nachdem  die  wett-  nnd  sttddeQttchen 
Vereioe,  die  sich  mit  römisch -germanischer  ForschiiDg  beschäftigen »  nnd  ebenso  die 
>n  der  nordwestdentschen  Altertomsforschong  interessierten  Kreise  einen  Verband 
SCgraodet  md  dadurch  die  Arbeit  in  gewissen  Grenten  organisiert  haben,  soUte  es  doch 
crvogen  werdeo,  ob  sich  nicht  ftü*  Mitte Ideatschland  eine  ähnliche  Vereinigung 
^  Kräfte  erzielen  lieise.  Wenn  auf  irgend  einem  Gebiete,  so  ist  gewifs  auf  dem  der 
vor-  und  frfihgeschichtlichen  Forschung  eine  Organisation  der  Arbeit  erspriefslich, 
«eil  hier,  wo  viellMÜi  das  Nachgraben  notwendig  wird,  der  einsebie  Forscher  den 
Ai%Bben  machtlos  gegeottberateht  Auiser  den  keramischen  Funden,  die  von  jeher  das 
kteitsie  der  Sammler  erregt  haben,  kommt  es  g^enwärtig  vor  allem  darauf  an,  wie  es 
tt Nordwestdeotschland,  namentlich  durch  Schuchhardt  (Hannover)  erfolgreich  geschehen 
iit,  vofgeschidiüiche  Befestigungen  und  Siedelungsstättcn  blofszolegen ,  zu  be- 
*chreibeB  und  geschichtlich  zu  verwerten.  Dazu  reichen  die  Kräfte  einzelner  Personen 
iB  der  Regel  nicht  aas,  und  deshalb  unterbleiben  derartige  Untersuchungen  und  werden 
«cUieTtlich  bei  der  fortschreitenden  Dorchwttblung  des  Erdbodens  zu  gewerblichen  u.  dgL 


—     82     — 

In  der  vereinigten  III.  und  IV.  Abteilung  wurde  nur  ein  einziger  Vor- 
trag gehalten,  und  zwar  sprach  Archivrat  Mummenhoff  (Nürnberg)  über 
Freie  Kunst  und  Handwerk  in  Nürnberg.  Das  Wort  „Kunst"  be- 
zeichnet hier  dasselbe  wie  Handwerk,  durchaus  nicht  eine  höhere  Art  der 
Betätigung;  der  Unterschied  zwischen  „ freier  Kunst "  und  Haudwerk  besteht 
vielmehr  in  der  Organisation,  insofern  irgendeine  gewerbliche  Tätigkeit 
zuerst  frei  betrieben  wird,  d.  h.  von  jedem  geübt  werden  darf,  und  erst  in 
einem .  bestimmten  Punkte  der  Entwickelung,  wenn  eine  gewisse  Zahl  von  Per- 
sonen dieselbe  Beschäftigung  als  Hauptnahrungszweig  betreibt,  eine  Organi- 
sation erhält.  Die  Gewerbeaufsicht  übte  in  Nürnberg  der  Rat,  und  er  be- 
stimmte auch  den  Umfang  der  Befugnisse,  die  den  Handwerken  als  Selbst- 
verwaltungskörpem  überwiesen  wurden.  Von  der  freien  Kunst  bis  zur  ge- 
schlossenen Zunfl,  d.  h.  der  Handwerksorganisation,  die  Selbstverwaltang, 
Verbietungsrechte  imd  eine  bestimmte  Zahl  Meister  besitzt,  führt  eine  gerade 
Entwickelungslinie ,  deren  einzelne  Stadien  sich  an  der  reichen  Gewerbe 
geschichte  Nürnbergs  deutlich  erkennen  lassen. 

Für  die  fünfle  Abteilimg,  die  für  Volkskunde,  hatte  der  Verein  für 
bayerische  Volkskunde  eine  Ausstellung  seines  Materials  zur  Erforschung  des 
Bauernhauses  in  Bayern  veranstaltet.  Ergänzt  wurde  dieses  durch  37  Aqua- 
relle aus  dem  Besitz  der  Königl.  Versicherungskammer  in  München,  und 
ab  Gegenstück  gesellte  sich  eine  Sanunlung  vorzüglicher  AbbUdungen  olden- 
burgischer Bauernhäuser  hinzu.  Femer  hatte  Architekt  Kronfufs  (Bamberg) 
eine  Menge  Beispiele  ländlicher  Architektur  aus  Franken,  die  er  selbst  ge- 
sammelt hat,  ausgestellt.  Nach  einem  Berichte  des  Generals  Freiherrn 
V.  Friesen  (Dresden)  über  die  Sammlung  sächsischer  Flurnamen  und 
den  günstigen  For^ng  der  einschlägigen  Bestrebungen  verbreitete  sich  Pastor 
Heibig  (Groitzsch)  über  die  sächsischen  Steinkreuze,  deren  der  Vor- 
tragende etwa  180  an  117  verschiedenen  Standorten  kennt.  In  ihrer  über- 
wiegenden Zahl  betrachtet  er  sie  als  Grenzzeichen  kirchlicher  Hoheitsgebiete 
und  setzt  ihre  Entstehung  in  die  Zeit  vom  XI.  bis  XJV.  Jahrhundert;  nur 
für  die  Zittauer  Gruppe  ninunt  er  nachreformatorischen  Ursprung  an.  Zu 
dieser  Ansicht  veranlsüst  erstens  die  auffällige  Gruppierung,  die  plan-  und 
regellose  Aufstellung  zu  ganz  verschiedenen  Zeiten  und  Zwecken  ausschliefst, 
imd  der  eine  gewisse  Gleichartigkeit  in  Material,  Form,  Gröfse  und  Zeichen 
innerhalb  der  einzelnen  Gruppen  entspricht,  zweitens  das  unverkennbare 
Zusammenfallen  der  durch  ihre  Standorte  gegebenen  Linien  und  den  urkund- 
lich festgelegten  Grenzen  solcher  kirchlicher  Hoheitsgebiete,  drittens  ihr 
häufiger  Standort  auf  beherrschenden  Höhen,    an   wichtigen   alten    Strafsen- 

Zwcckea  ganz  unmöglich.  Den  in  Mitteldeatschland  tatsächlich  vorhandenen  Verhältnissen 
entsprechend  würden  sich  neben  den  Vereinen,  die  sich  mit  vorgeschichtlicher  Forschung 
beschäftigen,  zweckmäfsigerweise  auch  die  Vorstände  der  öffentlichen  Museen 
als  solche  an  der  gemeinsamen  Arbeit  beteiligen  müssen  und  schliefslich  würde  auch  den 
Einzelpersonen  eine  Teilnahme  offen  stehen  müssen,  da  gerade  in  Mitteldeutschland  auch 
mancher  einzelne  Forscher  auf  eigene  Faust  ans  Werk  geht  und  die  Vereine  mit  wenigen 
Ausnahmen  nicht  all  zu  viel  gröfsere  Untersuchungen,  namentlich  Grabungen,  unternehmen. 
Um  die  Arbeit  des  einzelnen  zu  fördern  und  in  erspriefsliche  Bahnen  zu  lenken,  aber 
auch  um  gröfsere  Aufgaben  mit  vereinten  Kräflen  zu  lösen,  wäre  eine  solche  Organisation 
der  vor-  und  frtlhgeschichtlichen  Forschung  in  Mitteldeutschland  recht  notwendig  und 
könnte  ungemein  fördernd  und  arbeitsparend  wirken. 


—     83     — 

zägeD,  io  der  Nähe  kirchlicher  Gebäude  und  Zubehörangen,  ond  viertens 
der  Umstand,  dafs  das  Kreuz  und  die  sonst  darauf  befindlichen  Zeichen  in 
Torchristlicher  und  christlicher  Zeit  bis  in  die  Gegenwart  als  Grenzzeichen 
literarisch  bezeugt  sind.  In  Sachsen  erscheint  die  vogtländische  Gruppe 
als  Abgrenzung  des  Plauener  Kirchensprengeb  im  XII.  Jahrhundert  und  zu- 
gleich als  die  des  Dobenagaues^  die  Meifsner  Gruppe  als  Grenze  zwischen 
den  Bistümern  Naumburg-Zeitz  und  Merseburg  einer-  und  Meifsen  andrer- 
seits, die  Chutizigruppe  als  Grenze  zwischen  Hoheitsgebieten  des  Merse- 
burger Stifb  und  des  Peganer  Klosters,  zugleich  zwischen  den  Gauen  Chutizi 
und  Scuntira,  die  Nisanigruppe  als  Grenze  der  Meifsener  sedes  Pirna  und 
Dippoldiswalde,  zugleich  des  Nisanigaues  im  Süden  und  der  Grafschaft  Dohna, 
die  Bautzener  Gruppe  als  Grenze  zwischen  Meißen  im  engeren  Sinne  und 
iMoüa  superior,  und  endHch  die  Zittau  er  Gruppe  als  Grenze  des  evan- 
gelischen Weichbildes  von  Zittau  gegen  die  katholische  Nachbarschaft  des 
XVn.  Jahrhunderts.  —  In  der  anschlieisenden  Erörterung  wurden  gegen  die 
vorgetragene  Anschauung  Bedenken  insofern  laut,  als  die  Grenzsteine  tatsäch- 
lich nicht  an  den  Grenzen,  sondern  nur  in  den  Grenzkirchspielen  liegen, 
em  Umstand,  der  gewils  Beachttmg  verdient.  Femer  wurde  die  Notwendig- 
keit betont,  alle  urkundlichen  Nachrichten  über  Kreuzsteine  zu  sammeln. 

Professor  Brenner  (Würzburg)  berichtete  über  die  Bestrebungen  zur 
EiSorsdiung  des  deutschen  Bauernhauses  und  Vorbereitung  einer 
Hausbaustatistik.  Es  ist  ein  Fragebogen  bearbeitet  worden,  der  genü- 
gende Erläuterungen  gibt,  so  dafs  auch  der  Laie  zur  Ausftilhmg  schreiten 
und  damit  für  einen  bestinmiten  Ort  angeben  kann,  nach  welchem  Schema 
daselbst  gebaut  wird.  Zur  Verbreitung  solcher  Fragebogen  haben  sich  ver- 
schiedene Organisationen  (Lehrer-,  Architekten-,  Geschichtsvereine)  bereit 
erklärt  Der  Zweck  ist  die  Anbahnung  einer  genauen  geographischen 
Statistik  der  Haus  typen,  und  dem  dahin  abzielenden  Antrage  gab  der 
Redner  folgende  im  Druck  vorgelegte  Begründung: 

„Der  grofse  Erfolg  einer  allgemeinen  Umfrage,  der  in  dem  Sprachatlas 
des  Deutschen  Reiches  niedergelegt  ist,  legt  den  Wunsch  nahe,  andere  ge^ 
schicfattiche  Erscheinungen  in  unserem  Volksleben  auf  Karten  zu  veranschau* 
lieben.  Die  alte  Anschauung,  dafs  die  wichtigsten  Typen  der  Volksüber- 
fieferongen  Ausdruck  der  Stammesverschiedenheiten  seien,  dafs  ihre  Grenzen 
durch  die  Stanmies-  und  Gaugrenzen  gegeben  seien,  hat  gerade  durch  die 
Kurven  des  Sprachatlasses  einen  starken  Stofs  erlitten.  Auch  die  bäuer- 
fichen  Hans-  und  HofTormen  hat  man  vielfach  als  Stammeseigentümlichkeiten 
bezddinet,  daher  Beneimungen  wie  niedersächsisches,  fränkisches,  aleman- 
nisches Haus.  Schon  die  bisherigen  Arbeiten  auf  diesem  Gebiet  haben  er* 
bebüche  Zweifel  an  der  Richtigkeit  solcher  Darstellungen  geweckt.  Ein 
klarer  Ebblick  in  die  tatsächlichen  Verhältnisse  wird  aber  erst  möglich  sein, 
wenn  wir  eine  um&ssende  Erhebung  über  die  geographische  Verbreitung  der 
Haoptformen  benutzen  können,  wenn  wir  eine  Karte  der  Haustypen  besitzen, 
die  an  dem  Sprachatlas  gemessen  werden  kann.  Durch  die  Einzelforschtmg 
wie  in  den  Monographien  von  Mielke  (Mark),  Kofsmann  (Schwarzwald),  La- 
sios  (Friesland),  Thiersch  und  Zell  (Altbayem),  volkskundlichen  Werken  über 
Brannschweig  (Andree),  Sachsen  (Wuttke),  Thüringen  (Regel),  Baden  (E.  H. 
Meyer),  Schwaben  (Hübler),  Odenwald  (Volck)  u.  a.,  durch  die  umfessenden» 


—     84     — 

Vergleichenden  Arbeiten  von  Henning,  Meitzen,  Mielke  und  dem  Architekten- 
verband,  Bancttlari,  besonders  Meringer,  in  anderer  Weise  von  Heyne  und 
Stephftny,  sind  sichere  Richtlinien  für  die  Einleitung  einer  Statistik  gegeben. 
Ohne  die  £bzelforschung,  die  eigendiche  Hausforschung,  stören  oder  über- 
flüssig machen  zu  wollen,  hat  diese  Statistik  doch  ihre  besondere  Bedeutung, 
auch  ihre  besondere  Methode.  Sie  kann  nur  die  typischen  Hauptmerkmale 
betonen.  Möglichenreise,  ja  wahrscheinlich  wird  sie  sich  selbst  zu  korri* 
gieren  haben,  von  vornherein  als  Typen  betrachtete  Formen  als  unwesendich 
ausschalten,  neue  Typen  aufstellen  müssm.  Da  als  Hilfearbeiter  für  die 
Eribebung  zum  gro&en  Teil  ungeschulte  Laien  verwendet  werden  müssen,  so 
kann  die  Fragestellung  nicht  untechnisch  genug  in  der  sprachlichen  Form 
sein.  Ja,  auch  sachlich  wird  sie  vielleicht  oit  Unwesentliches  als  Fingerzeig 
benutzen  müssen.  So  ist  die  Bedachung  mit  Schindeln  und  Steinen  gewiis 
an  sich  keine  typische  Bauform,  imd  doch  wird  sie  uns  mit  Sicherheit  aut 
den  fladien  Bau  des  Daches,  den  Flachgiebel  fiihren.  Zu  bedenken  ist  auch, 
daii  ursprünglich  Unwesentliches  für  eine  Landschaft  charakteristisch  werden 
kann,  so  da&  wir  daran  sofort  den  Typus  ericennen.  Aber  auch  an  sich  sind 
solche  landschaftlichen  Erscheinungen  äuiserlicher  Art  von  Bedeutung,  weil 
sie  uns  eine  geschlossene  Gruppe  mit  gegenseitiger  Beeinflussung  kennen 
lehren,  die  sich  voraussichtlich  nidit  auf  den  einen  Punkt  beschränkt,  son- 
dern eine  gewisse  Kultur-  und  Geschmacksgemeinschaft,  ja  auch  Überliefe- 
rungsgemeinschaft verrät.  Gerade  was  am  meisten  ins  Auge  fiUlt,  geholt 
hierher:  die  Hirsch-  oder  Pferdeköpfe  an  den  Firsten,  die  gabelförmige  Ein- 
fiahrt  bei  niedersächsischen  Höfen,  die  Lauben  an  bayerischen,  Schwarzwälder 
Häusern,  die  Einfahrt  in  den  ersten  Stock,  die  omamentale  Gestaltung  des 
Fachwerkes,  der  Treppenvorbau  und  das  Vordach  bei  Stallwohnhäusem,  die 
Wahn-  und  Halbwalmdächer,  die  gemauerten  ToreinfEdirten,  die  Gruppierung 
der  Nebengebäude,  zumal  der  Schwemeställe  in  Haufenhöfen,  und  noanches 
andere. 

Aus  äuiseren  Gründen  scheint  es  sich  zu  empfehlen,  die  Fragebogen 
flir  einzelne  Gebiete  besonders  zu  formulieren.  Was  tut  ein  oberfränkischer 
Gewährsmann  mit  den  Fragen  nach  dem  niedersächsischen  Dielenhaus,  sollte 
man  meinen  —  aber  bei  Kronach  tritt  uns  mit  einem  Male  ein  Hof  ent- 
gegen, bei  dem  Tenne  und  Ställe  senkrecht  auf  dem  Wohnhaus  stehen!  — 
Wahrscheinlich  bringt  uns  ein  gemeinsamer  Fragebogen  gerade  überraschende 
Neuigkeiten,  z.  B.  über  die  Verbreitung  des  Langhauses  in  bergigen  Gegen- 
den u.  a. 

Bei  dem  flir  die  Erhebungen  entworfenen  Fragebogen  sind  Namen  flir 
die  Typen,  Theorien  über  die  Entstehung  der  Unterarten  sowie  technische 
Benennungen  vermieden.  NatürUch  sind  auch  nicht  alle  Ausgestaltungen  im 
einzelnen  berücksichtigt,  was  eine  endlose,  verwirrende  Mannigfaltigkeit  ergäbe. 
Die  Ausnutzung  der  Räume  des  Wohnhauses  und  der  Scheune  hat,  obwohl 
in  ihr  auch  zum  Teil  feste  Überlieferung  gegeben  ist,  wegzubleiben.  Nur  die 
Lage  des  eigentlichen  Wohnzimmers  und  der  Küche,  ihre  Lage  zum  Haus- 
gang  (Flnr,  Fletz),  die  Stellung  des  Hauptkamins  und  Herdes,  die  Lage  und 
Richtung  der  Tenne,  endlich  der  Unterbau  des  Wohnraumes  müssen  überaU 
erfragt  werden.  Unberücksichtigte  Typen  müssen  leicht  einkorrigiert  werden 
können,  flir  besondere  Bemerkungen  mufs  Raum  sein. 


—     86     — 

Die  Erfiümmgen  bei  den  Umfragen  för  den  Sprachatlas  und  bei  den  volks- 
kondlichen  Umfragen  haben  gelehrt,  dafs  nicht  alle  Antworten  brauchbar  sind. 
Qeichgültig^eit,  Oberflächlichkeit,  ja  Tücke  der  Antwortgeber  mufs  man  in 
Kiof  nehmen.  Erst  jüngst  entdeckte  ich,  dafs  ein  von  einem  Bautechniker 
gelieferter  schöner  Plan  eines  , altbayerischen*  Gehöftes  eine  getreue  Kopie 
eines  westfiüisdien  Hofes  in  dem  Werke  des  Architektenveibandes  sei.  So 
wird  man  aus  einem  Bericht  keine  Folgerungen  ziehen  dürfen,  auch  nicht 
ans  der  Angabe,  die  und  jene  Form  sei  an  dem  oder  jenem  Orte  verein- 
samt anzutrefien. 

Was  die  Art  der  statistischen  Erhebung  angeht,  so  stelle  ich  sie  mir 
wie  fo^  vor.  Der  Fragebogen  mit  seinen  bestimmten  Fragen  wird  in  Tau- 
senden von  Abzügen  verbreitet;  zunächst  bei  den  sämtlichen  Vereinen  des 
Verbandes,  dann  bei  den  aufserhalb  des  Verbandes  stehenden  Veremen  mit 
entsprechenden  Interessen,  vor  allem  aber  bei  Lehrern  auf  dem  Lande. 
Let^eres  mttfiste  von  Emzdvereinen  geschehen.  Bayern  und  Sachsen  wären 
ohne  weiteres  versorgt.  In  den  übrigen  deutschen  Ländern  müfste  erst  ein 
Zentialpunkt  gesucht  werden.  Wir  dürfen  hoffen,  dafs  wir  Unterstützung  der 
BdU^den  finden,  zunächst  der  Postverwaltung,  die  die  rückkehrenden  Frage- 
bogen als  Drucksache  anerkennen  dürfte,  dann  aber  der  Kultusministerien 
vnd  Kreisregierungen,  die  den  Lehrern  und  Distrikstbehörden  Beachtung 
der  Fragebogen  empfehlen  müfsten.  Empfehlen,  nicht  befehlen,  denn  sonst 
würde  mit  Unlust,  auch  wohl  ungenau  und  flüchtig,  gearbeitet  werden.  Die 
Fragebogen  müfsten  an  verschiedene  Mittelpunkte  befördert  und  dort  verarbeitet 
werdeiL  Vielleicht  ist  auch  für  diese  Verarbeitung  auf  die  Unterstützung 
der  Bdiörden,  landwirtschaftlicher  Vereine  und  Schulen,  zu  hoffen.  Da» 
letzte  Ergebius  wäre  dann,  wie  gesagt,  eine  Karte  der  Hof-  und  Hausformen 
in  grofsem  Mafsstab. 

Neben  dem  Fragebogen  für  die  Statistik  wird  ein  weiterer  verbreitet 
werden  können.  Der  bayerische,  einen  halben  Bogen  füllend,  ist  in  Bayern 
in  mehreren  Tausendi^j  von  Abzügen  verbreitet,  aber  nahezu  vergriffen. 
Eine  neue  Auflage  könnte  nicht  schwer  für  ganz  Deutschland  brauchbar  ge- 
macht werden,  wenn  die  niederdeutschen  Vereine  es  wünschten.  In  seiner 
jetagen  Gestalt  ist  er  zunächst  für  Bayern  und  die  Nachbarschaft  im  Westen 
und  Norden  geeignet  Vielleicht  wird  mir  von  anderen  deutschen  Ländern 
die  nötige  Ergänzung  aus  lokaler  Sachkenntnis  heraus  vermittelt.  Dieser 
Fragebogen  und  seine  Ergänzungen  sollen  die  eigentliche  Hausforschung 
weiter  fördern.  Wie  in  Bayern,  und  schon  lange  vorher  in  Schleswig -Hol- 
stem,  werden  es  insbesondere  die  Baugewerkschulen  mit  ländlichen  Besuchern 
sein,  die  die  Einzelforschung  weiterführen.  Doch  können  auch  Laien,  Lehrer, 
Landwirtschaftsschüler  und  jeder  Zeichner  und  Photograph  fördernde  Mit- 
teSongen  und  Pläne  liefern.  Die  geschichüiche  Forschung  wird  selbst  neue 
Fragen  stellen,  vor  aUem  aber  die  Zusammengehörigkeit  verschiedener  For- 
men feststellen  und  vielleicht  zu  den  Urformen  fortschreiten. 

Eine  besondere  Au%abe  bUdet  die  Erforschung  der  Technik  (Dach- 
stohl,  Gewölbe,  Fachwerk)  und  der  künstlerischen  Momente  im  Hausbau  und 
Hausrat  Auch  sie  mündet  inmier  wieder  in  die  allgemeine  Forschung  ein, 
erfordert  aber  ihre  eigene  Vorbildung  und  Methode.  Ihr  dient  in  erster 
lioie  das  groise  Architektenwerk,   sie  wird  mit  dem  sichersten  Erfolg   von 


—     86     — 

Vereinigungen  wie  dem  Münchener  Verein  für  Volkskunst  in  Angriff  genom- 
men werden.** 

An  letzter  Stelle  sprach  Diplomarchitekt  Kronfufs  (Bamberg)  über 
Fränkische  Volkstümlichkeit  einst  und  jetzt  und  zeigte,  aus- 
gehend von  den  Bestrebungen,  volkstümliche  Kunst  neu  zu  beleben,  durch 
Worte  und  Vorführung  einer  grofsen  Anzahl  von  Lichtbildern,  welche  Bar- 
barei über  unsere  Dörfer  tatsächlich  hereingebrochen  ist,  imd  wie  das  alte 
harmonische  DorfbUd  unter  den  Augen  der  Aufsichtsbehörden  zerstört  wird. 
Der  Kunstsinn  des  Volkes  ist  ein  bedeutsamer  Gegenstand  der  Volkskunde, 
und  sein  Untergang  stellt  an  sich  ein  wissenschaftliches  Problem  ersten 
Ranges  dar.  Ob  dieser  Untergang  verlangsamt  oder  gar  aufgehalten  werden 
kann,  ist  eine  politisch-soziale  Frage,  die  gröfste  Aufmerksamkeit  verdient. 
Im  Anschlufs  an  diesen  belehrenden  Vortrag  wurde  folgender  Beschlufs  gefafst : 
„Die  V.  Abteilung  des  Gesamtvereins,  der  Deutschen  Ge-» 
schichts-  und  Altertumsvereine  bittet  die  hohen  Staatsregie- 
rungen  zur  Erhaltung  der  Eigenart  und  Schönheit  unserer 
deutschen  Dörfer  und  ihrer  volkstümlichen  Bauweise  tun- 
lichst gesetzliche  Bestimmungen  bzw.  Abänderungen  solcher 
erlassen  zu  wollen,  wie  sie  beispielsweise  im  Grofsherzogtum 
Hessen  erlassen  worden  sind  und  mit  Erfolg  gehandhabt 
werden.** 

Um  eine  Tätigkeit  der  fünften  Abteilung  auch  aufserhalb  der  Tagungen 
zu  ermöglichen,  wurde  ein  ständiger  Ausschufs  eingesetzt,  dem  gegen- 
wärtig Prof.  Brenner  (Würzburg),  Freiherr  v.  Friesen  (Dresden),  Archiv- 
direktor Wolfram  (Metz),  Prof.  Pf  äff  (Freiburg  i.  Br.),  Oberlehrer  Wos- 
sidlo  (Waren,  Mecklenburg)  und  Direktorialassistent  Lau  ff  er  (Frankfurt  a.  M.) 
angehören. 

Arehlre«  —  Der  Unterzeichnete  hat  in  den  Jahren  1904/05  das 
Ochsenfarter  Stadtarchiv  vollständig  geordnet  *).  Die  Stadt  liefs  mit 
einem  Kostenaufwande  von  über  2000  Mk.  ein  gröfseres  Zinuner  im  Rat- 
hause als  Stadtarchiv  einrichten  und  die  vermodernden  Handschriften  durch 
Buchbindermeister  Vierheilig  -  Würzburg  für  rund  450  Mk.  ausbessern.  Das 
Archiv  zerfällt  nunmehr  in  vier  Abteilungen :  i.  Urkunden;  2.  Rechnungen; 
3.  Handschriften;  4.  Verschiedenes. 

1)  Schon  vor  mir  hatte  der  1895  gestorbene  Magistratsrat  Her  big  140  Urkunden 
von  1366  an  aus  den  neueren  Akten  des  Stadtmagistrates  ausgeschieden  und  einigermafsen 
geordnet  in  einer  Kiste  untergebracht.  Im  Sommer  1903  begannen  die  Herren  Archiv- 
sekretäre P.  Glück  und  Dr.  A.  Mitterwieser-Würzburg  die  Verreichnung  der  Ochsen- 
furter  Archivbestände  (ür  die  Ärehivaltsche  Zeitsehrift.  Hierbei  begnügte  sich  Herr 
Dr.  Mitterwieser  damit,  zu  den  von  Herbig  gefundenen  Urkunden  Regesten  anzufertigen. 
Eine  von  mir  unternommene  gründliche  Durchforschung  des  ganzen  Rathauses  för- 
derte noch  eine  Menge  von  Urkunden  und  Archivalien  von  1390  an  zutage,  die  nur  zum 
geringsten  Teil  (74  Nummern)  von  Dr.  Mitterwieser  seiner  Regestenübersicht  nachträglich 
einverleibt  wurden  (vgl.  Das  Stadtarchiv  zu  Ochsenfnrt  von  Glück  und  Dr.  Mitterwieser 
in  der  Ärehivalisehen  Zeitschrift  1905,  S.  9  ff.).  Auch  in  der  Rechnungs-  und  Hand- 
Schriftenabteilung  gab  es  für  mich  noch  genug  zu  tun.  Die  älteren  Rechnungen  (in  dem 
bekannten  Schmalfolioformat)  habe  ich  mit  Umschlägen  und  Aufschriften  versehen ;  viele 
Handschriften  mnfsten  erst  foliiert  werden.  Schliefslich  war  das  Reparieren  und  Ein- 
binden derselben  zu  überwachen. 


I 


—     87     — 

1.  In  die  Urkundenabteilung  wurden  auch  die  Briefe,  Akten, 
Privatrechnungen  u.  dgl.  aufgenommen,  da  verhältnismäfsig  wenig  ältere  Akten 
Torhandea  sind.  Auch  die  älteren  Briefe  und  Akten  usw.  (bis  1650)  wurden 
wegen  ihres  geschichtlichen  Wertes  nach  Urkundenart  mit  Umschlägen  und 
Aufschriften  versehen  imd  Regesten  dazu  angefertigt  ^).  Alle  Dokumente 
warden  einfach  chronologisch  geordnet  in  verschliefsbaren  Schränken 
(ebenso  die  Rechnungen,  Handschriften  usw.)  untergebracht.  Die  erste  Ab- 
teflang  enthält  aus  der  Zeit  von  1366 — 1500:  90,  1501 — 1600:  192, 
i6oi — 1700:  374,  1701 — 1800:  358  und  1801 — 1846:  135  Dokumente« 
Besondere  Erwähnung  verdienen  eine  Urkunde  von  Papst  Paul  U.  (1465), 
Sixtus  IV.  (1478  Druck),  Kaiser  Friedrich  HI.  d.  d.  Graz  1470  4.  Dezember 
(notariell  beglaubigte  Abschrift  von  147 1,  15.  Februar),  Würzburger  Land- 
tBgsakten  von  1564  an,  Hexenprozefsakten  (1641/42),  gegen  200  Doku- 
mente zur  Geschichte  des  Dreifsigjährigen  Krieges,  zum  Teil  mit  wertvollen 
.\ntographen  (bei  Glück-Mitterwieser  a.  a.  O.  nicht  verzeichnet).  Verschie- 
dene Dokumente  sind  nicht  nur  für  die  Ochsenfurter  Lokalgeschichte,  son- 
dern auch  für  die  Geschichte  des  Hochstiftes  Würzburg  von  grofsem  Werte. 

2.  Rechnungen.  Die  älteren  Rechnungen  zerfallen  nach  dem  Alter 
geordnet  in  folgende  Gruppen:  Rechnungen  der  St.  Sebastiansbruderschaft 
(seit  i486),  Ungeld-  (seit  1496),  Brückenmeister-  (seit  1498),  Bürgermeister- 
(seit  1511),  Holzhändler-  (seit  1524),  Baumeister-  (seit  1549),  Almosen- 
pfl^er-  (seit  1581),  Vormundschafts-  (seit  1590),  Hübner-  (seit  1599), 
Gotteshaus-  (seit  161 1),  Zunftrechnungen  (seit  1684),  Steuerregister  von 
1686  an.  Einige  ältere  Steuerregister  sind  der  Handschriften-,  bzw.  —  weil 
ungebunden  —  der  Uiicundenabteilung  einverleibt. 

3.  Handschriften  besitzt  das  Stadtarchiv  218  von  1400  an,  dar- 
unter eine  Pergamenthandschrift  (XV./XVII.  Jh.)  mit  Urkundenabschriften, 
deren  Originale  bis  1260  zurückreichen.  Die  meisten  Handschriften  sind 
bei  Glück-Mitterwieser  (a.  a.  O.  S.  2  ff.)  verzeichnet  *).  Nicht  erwähnt  sind 
die  Protokollbücher  der  Hübner  von  1500  an  und  die  Protokollbücher  ver- 
sdiiedener  Zünfte  von  1677  an;  femer  eine  Papierhandschrift  aus  dem 
XV.  Jahrhundert  (21  X  3*  cm,  454  Bll.),  die  theologische  Traktate  de  syni- 
hoio,  de  deeaiogo,  de  poeniientia,  sermones  de  sanctis  (z.  B.  Nikolaus,  Lucia, 
Thomas),  de  fesHsDomini,  de  tempore  (de  adventu,  de  quadragesima,  de  pascha, 
de  peniecoste  usw.)  enthält  Da  ein  Abschnitt  mit  den  Worten  begmnt: 
TnuMus  de  arte  atuUendi  confessiones  canceüarii  Parisiensis  (fol.  259»), 
so  dürften  wir  es  im  wesentlichen  mit  einer  Gersonhandschrift  zu  tun  haben. 
Die  Handschrift  besafs  seinerzeit  Magister  Bartholomäus  Fuchs,  der  um  1483 
Prediger  in  Ochsenfiirt  war. 

4.  Verschiedenes.  Die  vierte  Abteilung  enthält  verschiedene  Blätter 
meist  litutgisch-theologischer  Handschriften  (mit  Neumen)  vom  XI.  Jahrhundert 
an,  femer  Kalender,   Zeitungen,   Broschüren  usw.     In  dieser  Abteilung  be- 

i)  Za  diesem  Verfahren  vgl.  jetzt  Mnller,  Feith  und  Fr  11  in,  Anleitung  xwn 
Ordnen  und  Be$ehreiben  von  Archiven,  dentsch  von  Dr.  Hans  Kaiser.  Leipzig,  Harrasso- 
wite  1905,  S.  105. 

2)  Da«  Nichtfibereinstimroen  der  Handschriftennummem  mit  meiner  Zählang  erklärt 
sich  darau,  dafs  bei  der  Reparatur  verschiedene  Handschriften  zusammengebunden 
wTuden. 


—     88     — 

finden  sich  auch  die  Fragmente  der  Alezanderdichtung  des  Ulrich  von 
Eschenbach  (vgl.  Zeitschrift  für  deutsche  Philologie  37  [1905]«  S.  348  fif.). 
FUr  Besucher  wurde  eine  ständige  Ausstellung  im  Stadtarchiv»  bestehend  aus 
44  Nummern,  eingerichtet  und  zur  guten  Erhaltung  desselben  ein  Archiv- 
und  Altertumsverein  gegründet,   dem  bereits   über  100  Mitglieder  angehören. 

Die  Pfarrei  besitzt  drei  Urkunden  von  1387,  ca.  1400  und  1609,  ein 
Seel-  und  Zinsbuch  aus  dem  XV.  Jahrhundert,  die  Matrikeln  begiimen  mit 
dem  Jahre  1565,  die  Akten  mit  1596,  werden  aber  erst  von  rund  1650 
an  häufiger. 

Ochsenfiirt.  Joseph  Hefner. 


Das  Schicksal,  welches  gar  viele  Stadtarchive  im  XVIII.  und  bis  zur  Mitte 
des  XIX.  Jahrhunderts  gehabt  haben,  hat  auch  das  städtische  Archiv  xa 
Halberstadt  geteilt.  Werm  man  bedenkt,  dafs  diese  Stadt  zugleich  mit 
der  Gründung  des  Bistums  um  800  ihre  Entwickdung  begonnen  und  eine 
wichtige  Rolle  bnerhalb  der  niedersächsischen  Städte  gerade  als  Bischofs- 
sitz gespielt  hat,  so  müiste  man  vermuten,  dafs  heute  eme  unendliche  Fülle 
von  städtischen  Uricunden  vorhanden  sei,  deren  Studium  das  Interesse 
der  Geschichtsforscher  erregen  und  allen  Geschichtsfreunden  eine  reiche 
Ausbeute  darbieten  würde.  Leider  ist  jedoch  das  Archiv  der  Stadt  Halber- 
stadt arg  geplündert  auf  die  Jetztzeit  gekonunen.  So  manche  Urkunde,  die 
eigentlich  in  das  städtische  Archiv  gehört,  befindet  sich  jetzt  im  Staatsarchiv 
zu  Magdeburg.  Originalurkunden,  welche  sich  im  XVIII.,  ja  sogar  im  XIX. 
Jahrhundert  als  im  Besitz  der  Stadt  nachweisen  lassen,  sind  heute  nicht 
mehr  Eigentum  der  Stadt,  sondern  im  Besitz  des  Germanischen  National- 
museums zu  Nürnberg  oder  sind  spurlos  verschwunden.  Ganz  besonders 
ist  der  Verlust  der  Kopial-,  Ratsgedenk-,  Rechnungsbücher  usw.  zu  be- 
klagen *).  Zu  den  wenigen  uns  erhaltenen  Schriftdenkmalen,  welche  aus  der 
mittelalterlichen  Ratsregistratur  von  Halberstadt  erhalten  sind,  gehören  die 
Statuten  der  Stadt  (1370 — 1400),  welche  für  ihr  inneres  I^ben  viel&ch  eine 
willkommene  Ergänztmg  zu  den  Uricunden  geben  '). 

Frühere  Geschlechter  haben  in  dieser  Beziehung  arg  gefehlt  und  viel 
versäumt;  und  so  ist  manches  höchst  wertvolle  Mateiial  unzweifelhaft  fUr  immer 
verlorengegangen.  Leider  haben  früher  imsere  städtischen  Behörden  der 
Erhaltung  und  Verwahrung  des  in  dem  Besitz  der  Stadt  befindlichen  urkund- 
lichen Materiab  nicht  die  Sorgfalt  zugewandt,  welche  man  hätte  erwarten 
dürfen.  Durch  Nachlässigkeit  ist  auch  ein  kostbares  Manuskript  des  Sachsen- 
spiegels  abhanden  gekommen.  Diese  Handschrift  gehörte  nach  dem  Ur- 
teU  von  Pertz  zu  den  wertvollsten  ihrer  Art.  Ihr  Einband  bestand  aus 
Holzdeckeln,  die  mit  rotgefärbtem,  ungemustertem  Leder  überzogen  waren, 
der  Eck-  und  Mittelbeschlag  aus  dickem  Messing-  oder  Bronzeblech  mit  Aus- 
schnitten in  Blattform.  Der  Text  war  auf  234  Folioblätter  in  Pergament  in 
zwei  Kolumnen  geschrieben.  Am  Schlufs  des  Textes  nannte  sich  der  Ab- 
schreiber: per  numus  Johannis  Bodenhorch  Atmo  D,  1393.     Die  Schrift  war 


1)  G.  Schmidt,  Urkmndenbuek  der  Stadt  Halberstadt,  Bd.  I,  S.  Vnf. 

2)  Ebd.  I,  572. 


—     89     — 

aemlich  eng»  aber  gro(s  und  breit,  die  Tinte  gut  schwarz ;  die  roten  Initialen 
mit  sehr  glänzendem  Pigment  waren  durchweg  einfach  und  ungeschickt  gemalt '). 

Diese  wertvolle  Handschrift  war  in  den  Jahren  1827/28  an  den  Apd- 
Isdonsgerichtssekretär  und  Fiskal  Nietzsche  in  Dresden  zu  einer  kritisdien 
Gesamtausgabe  der  deutschen  Rechtsbücher  des  Mittelalters,  und  im  Jahre 
1843  ^i^  ^^^  Königlichen  Geheimen  Regierungsrat  und  Oberbibliothekar 
Peitz  in  Berlin  zur  Würdigung  des  alten  Sachsenrechts  verliehen,  desgleichen 
in  s{>äteren  Jahren  an  Lehrer  £lis  und  Dr.  Schatz;  1846  wurde  der 
Kodei  als  noch  vorhanden  der  Regierung  zu  Magdeburg  und  dem  Kultus- 
mintsterium  zu  Berlin  gemeldet;  Homeyer  beschreibt  ihn  in  den  Detäachen 
Jkckisbüchem  des  MiUelaUers  (1856),  8.  104/105  unter  Nr.  299;  im  Jahre 
1S61  wurde  er  vermifst  und  trotz  mannigfachster  Versuche  und  Bekannt- 
mschongen  in  Zeitungen  tmd  Zeitschriften  nicht  wieder  au%eftmden. 

Das  Schicksal  des  Sachsenspiegels  teilte  auch  ein  altes  Halberstädter 
Stadtrecht  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  auf  Pergament  geschrieben,  welches 
bekanntlich  eine  ziemlich  wörtliche  Herübemahme  des  Goslarer  Stadtrechts 
darstellt  *).  Das  früher  im  hiesigen  r^äuslichen  Archiv  befindliche  £xemplar 
bestand  aus  168  Blättern  von  Pergament  imd  5  Blättern  starken  Papiers, 
deren  Seiten  in  zwei  Kolunmen  abgeteilt  waren.  Es  war  in  ledernen  Rücken 
und  hökeme  Decken  eingebunden,  die  mit  Messing  beschlagen  und  auf 
jeder  Decke  mit  ftlnf  messingenen  Buckeln  versehen  waren.  Die  Anfangs- 
buchstaben eines  jeden  Gesetzes  waren  teils  rot,  teils  grün,  und  bei  dem 
Än&ng  eines  Hauptkapitels  mit  einer  die  ganze  Seite  einschlieisenden  Ver- 
zierung versehen').  Niemann  in  seiner  Beschreibung  der  Stadt  Ealberstadt 
(1824)  S.  15  ftifart  es  als  noch  vorhanden  an,  während  Göschen  1840 
in  den  Ooslarischen  Statuten,  Einl.  S.  XI,  berichtet,  dafs  nach  der  ihm  von 
Regierungsdirektor  Delius  in  Wernigerode ,  Oberlandesgerichtsrat  Hecht  und 
Kriminaldirektor  Schlemm  in  Halberstadt  gewordenen  Auskunft  das  früher 
auf  dem  Rathause  befindliche  Exemplar  in  der  westMschen  Zeit  abhanden 
und  erst  später,  aber  nur  in  einzelnen  Blättern,  wieder  zutage  gekoirunen 
sei,  von  welchen  Hecht  25  Blätter  und  Professor  Wiggert  in  Magdeburg 
ein^  Blätter  besitzen  soUen. 

Veriorengegangen  sind  femer  ahe  Wachs  tafeln  ^)  in  Buchform,  deren 
man  sich  vom  XII.  bis  XV.  Jahrhundert  gern  bediente,  wenn  man  etwas 
schnell  notieren  wollte ;  sie  stammten  wahrscheinlich  aus  dem  XIV.  Jahrhundert 
tmd  enthielten  ein  Verzeichnis  einzelner  in  Halberstädter  Gegend  belegener 
Adter  nach  ihrer  Morgenzahl  und  ihrer  durch  Nennung  der  Nadibam  be- 
stimmten Lage.     Im  Jahre  1799   von  Lucanus  näher  beschrieben^),  waren 

1)  BetchrciboDg  «u  den  Akten  des  Magistrats  der  Stadt  Halberstadt,  G.  lY,  rep.  i, 
■•  C  Yn,  rep.  8. 

2)  Vgl.  Göschen,  Die  Ooslarischen  Statuten  (1840),  Eiol.  S.  XI.  -  Varges, 
y«rfastungsgesehichte  der  Stallt  Halberstadt  im  Mittelalter,  Zeitschrift  des  Harxvereins 
Ar  Geschichte  and  Altertnmskonde  1896,  Bd.  XXIX,  S.  107.  491. 

3)  Beschreibung  von  Locanus  in  den  Halberstädter  Neuen  gemeinniäxigen  Blättern 
I79<i  Bd.  n,  S.  379  ff.,  welcher  verschiedene  Gesetze  als  Proben  anfUhrt. 

4)  Vgl.  Aber  diese  Gattang  mittelalterlicher  Geschichtsquellen  diese  Zeitschrift, 
s-  Bd.  (1901X  S.  299—301.  In  der  Liste  der  dort  genannten  Städte  wäre  also  Halber- 
stadt nachxatragen.  Der  Domschatz  daselbst  besitzt  eine  derartige  Wachstafel.  Die  Redaktion. 

5)  Neue  gemeinnütxige  Blätter  1799,  Bd.  II,  S.  250 ff. 


—     90     — 

sie  nach  Niemann  im  Jahre  1824  noch  vorhanden,  sind  aber  heute  ver- 
schwunden,  ebenso  wie  ein  Abiaisbrief  des  Papstes  Johannes  vom  10. 
November  1334,  aus  Avignon  datiert ,  der  wegen  seiner  Malereien  sehr 
merkwürdig  gewesen  sein  soll ').  Die  Randverzierungen  bestanden  in  Bild- 
nissen: Jesus  in  der  Mitte  zwischen  Petrus  und  Paulus,  am  linken  Rande 
als  Hauptfigur  eine  gekrönte  Madonna  in  ganzer  Gestalt  -mit  dem  Jesus- 
kinde ,  deren  Gewänder  sich  durch  lebhafte  Farben  und  Faltenwurf  aus- 
zeichneten. Zur  Rechten  der  Maria  stand  ein  Mönch,  in  der  Hand  einen 
Zettel  mit  den  Worten:  Mater  Dei,  memento  mei!  und  zur  Linken  eine  ge- 
krönte Märtyrerin,  ein  Rad  in  der  Rechten  und  eine  Keule  in  der  Linken, 
die  heilige  Katharina.  Unter  den  Heiligen  erblickte  man  einen  Bischof 
—  Martin  —  mit  dem  Hirtenstabe.  Den  rechten  Rand  des  Blattes  füllte 
Johannes  der  Täufer  mit  dem  Lamm.  Die  angehängten  Siegel  waren  zum 
Teil  ungemein  schön.  Diese  Urkunde  lehrte,  wie  man  sich  damals  des  Ab- 
lasses der  auferlegten  Büfsungen  bedient  hat,  um  Kirchenbesuch,  Begleitung 
der  hl.  Sakramente  zu  Kranken,  Gebet  beim  Schall  der  Abendglocke,  Bau 
\md  Verzierung  der  Kirchen,  Gebet  auf  dem  Gottesacker  für  die  Verstor- 
benen und  überhaupt  Begräbnis  auf  Gottesäckern  zu  befördern.  Auch  soll 
diese  Ablafserteilung  nur  unter  der  Bedingung  gelten,  dafs  der  Bischof  der 
Diözese  seine  Genehmigung  hinzufüge,  welche  denn  auch  Bischof  Albert  I. 
von  Halberstadt  eigenhändig  hinzugeschrieben  und  den  Erlais  noch  um  einige 
Tage  vermehrt  hat '). 

Diese  im  vorstehenden  näher  beschriebenen  kostbaren  und  höchst  wert- 
vollen Bestandteile  des  städtischen  Archivs  müssen  leider  als  gänzlich  ver- 
loren bezeichnet  werden;  sie  würden  heute  auf  den  Forscher  sicherlich  eine 
grofse  Anziehtmgskraft  ausüben. 

Trotz  dieser  höchst  bedauerlichen  Nachlässigkeit  vergangener  Geschlechter 
hat  sich  das  Stadtarchiv  nicht  etwa  in  gänzlich  ungeordnetem  Zustande  be- 
funden; denn  auf  den  noch  vorhandenen  Urkunden  sehen  wir  besondere 
Signaturen  von  derselben  Hand,  wenn  uns  auch  die  Magistratsakten  über 
eine  Ordnung  der  Archivalien  im  XVIU.  Jahrhundert  kerne  Auskunft  geben. 

Die  erste  aktenmäfsige ')  Nachricht  über  den  Anfang  einer  Ordnung 
des  Archivs  stammt  aus  dem  Jahre  1822,  in  welchem  Pastor  Chr.  Nie- 
meyer aus  Nord-Dedeleben  eine  Anzahl  Urkunden  zur  Durchsicht  erhielt 
und  ein  Verzeichnis  über  75  Urkunden  anfertigte,  von  welchen  etliche  heute 
nicht  mehr  vorhanden  sind. 

Im  Jahre  1841  verlangte  die  Kgl.  Regierung  zu  Magdeburg  auf  Ver- 
anlassung des  Oberpräsidenten  zur  genauen  Kenntnisnahme,  was  an  Archiv 
Valien  vorhanden  sei,  die  auf  die  Geschichte  tmd  Verfassung  Bezug  haben, 
ein  genaues  Verzeichnis  der  älteren  wichtigen  Urkunden  imd  Akten  des 
städtischen  Archivs,  nebst  Angabe,  ob  Spezialgeschichten,  Chroniken,  Mono- 
graphien gedruckt  oder  im  Manuskript  existierten,  und  Einreichung  eines 
Verzeichnisses  an  das  Magdeburger  Provinziälarchiv  innerhalb  sechs  Monaten. 


i)  Nähere  Bescbreibang  bei  Niemann,   Die   Stadt  Halbersiadt  (1824),    S.   13  ff., 
nach  Nicmcyer,  Zeitung  für  die  elegante  Welt,  182 1,  Nr.  220. 

2)  Vgl.  Schmidt,    Urkundenbuch   der  Stadt  Halberstadt    I,   S.  337,  Nr.   440 
(Beschreibung  der  Urkunde  durch  den  Kopisten). 

3)  Die    nachfolgende   Darstellung    beruht    auf   dem  Aktensttlck    des    Magistrats    zu 
Halberstadt  C.  VII,  rep.  5,  fol.   1  —  279. 


—     91     — 

Schon  bevor  diese  AufTorderung  erging,  hatte  der  Oberlandesgerichtsrat  Hecht 
mit  der  Ordnung  der  Urkunden  begonnen  und  nach  beendigter  Arbeit  eine 
Reinschrift  des  von  ihm  angelegten  KLatalogs  der  sämtlichen  Urkunden  ver- 
sprochen. Bevor  er  aber  seine  Zusage  vollständig  erfüllt  hatte,  starb  Hecht; 
in  seinem  Nachlafs  fand  sich  jedoch  ein  von  ihm  angefertigtes  Urkunden* 
repertorium,  wodurch  der  Magistrat  instand  gesetzt  war,  das  von  der  Re- 
gierang gewünschte  Verzeichnis  der  Urkunden  dem  Provinzialarchiv  zu  Magde- 
burg zu  übersenden.  Dieses  Repertorium  umfisifste  folgende  Abteilungen: 
1.  Kaiserliche  Urkunden.  U.  Päpstliche  Urkunden  und  Indulgenzbriefe. 
Hl.  Urkunden  über  Bündnisse.  IV.  Urkunden  von  Bischöfen  und  anderen 
Personen  der  Stadt  Halberstadt  erteilt  V.  Urkunden  über  verschiedene 
G^enstände.  VI.  Urkunden  den  Dreüsigjährigen  Krieg  betreffend;  aufser- 
dem  Medizinalpolizeisachen ,  betreffend  die  Pest  in  Halberstcdt  1597  bis 
1598  und  Militaria,  i.  betr.  Kaiserliche  Armee  vor  Halberstadl  1631  bis 
1683,  und  2.  Schwedische  Kriegs -Ada  bey  währender  Campierung  der 
Armee  vor  Halberstadt  1633 — 1644.  Nach  diesem  von  Hecht  aufgestellten 
Repertorium  wurde  ein  alphabetisches  Inhaltsverzeichnis  angefertigt,  welches 
ftber  nur  die  Abteilungen  1 — V  lunfjafste,  während  das  in  der  sog.  Klausur 
befindliche  Repertorium  noch  folgende  Abteilungen  enthielt:  VI.  Grundstücke 
der  Stadt.  VU.  Kirchensachen.  Vlll.  Dreifsigjähriger  Krieg.  IX.  Obligationen. 
X.  Altertümliche  Schriften. 

In  dem  folgenden  Jahrzehnt  begegnet  uns  eine  neue  Verfügung  der 
staadichen  Aufsichtsbehörden  betreffs  der  städtischen  Archive.  Ein  Mini- 
sterialerlais  vom  17.  Februar  1859  brachte  die  Zirkularerlasse  vom  3.  März. 
1832  und  5.  November  1854  in  Erinnenmg,  betreffend  sichere  Aufbewah- 
niDg  der  Akten  \md  Urkunden,  welche  nicht  nur  für  die  Städte  wichtig,, 
sondern  auch  für  den  Geschichtsforscher  von  Interesse  seien.  Dieser  Erlafs 
war  veranlafst  durch  die  Beobachtung,  dafs  wertvolle  Urkunden  aus  städti- 
schen Archiven  ins  Ausland  verkauft  worden  waren.  Ferner  bemerkt  dieser 
Erlais,  dais  die  Benutzung  der  Archive  durch  Freunde  und  Förderer  der 
Geschichtskunde  durch  den  imgeordneten  Zustand  der  Urkimden  erschwert 
oder  gar  unmöglich  gemacht  sei.  Der  Minister  veranlafste  daher  die  Ober- 
präsidenten, durch  die  Regtenmgen  den  unzulässigen  Verkauf  von  Urkunden 
zu  verhindern,  das  Interesse  der  städtischen  Behörden  für  ihre  Archive  an- 
mr^en  imd  auf  deren  Ordnung  hinzuwirken,  wobei  die  Provinzialarchive 
sicherlich  gern  zur  Hilfe  bereit  sein  würden.  Der  Oberpräsident  forderte 
infolgedessen  Bericht  über  die  Ausführung  dieser  ministeriellen  Vorschriften,, 
und  die  Regierung  verlangte  vom  Magistrate  ein  vollständiges  Verzeichnis 
der  Akten  und  Urkunden,  sowie  Bericht  über  folgende  Fragen:  i.  Ob  eia 
T(^tändig  und  zweckmäfsig  eingerichtetes  Repertoritmi  vorhanden  sei.  2.  In 
welchem  Lokale  die  fraglichen  Akten  und  Urkunden  aufbewahrt  würden  v 
ob  dieses  Lokal  dem  Zwecke  entspreche  \md  ob  es  insbesondere  gegen 
Feuersgefahr  und  Beraubung  die  nötige  Sicherheit  gewähre.  3.  Ob  und 
welche  Einrichtungen  getroffen  seien,  um  einerseits  den  leichten  und  ord- 
nuogsmäisigen  Gebrauch  des  städtischen  Archivs  sicherzustellen,  andrerseits 
der  Verschleppung  imd  dem  Verlust  der  darin  verwahrten  Akten  und  Ur- 
^den  vorzubeugen.  4.  Ob  in  dem  städtischen  Archiv  etwa  besonders 
wichtige  Urkunden  vorhanden  seien,  deren  Aufbewahrung  nach  Mafsgabe  des 


—     92     — 

Ministerialerlasses  vom  3.  März  1832  wegen  Mangels  der  ad  3  gedaditen 
£mrichtimgen  im  Regierangs-  oder  Provinzialarchiv  gewünscht  werde. 

Auf  Grund  dieser  Anfrage  reichte  der  Magistrat  der  R^^ierung  ein  Ver- 
zeichnis der  geschichtlichen  Urkunden  (Abteilung  I  bis  lU)  ein  und  beridi- 
tete:  ein  Repertorium  sei  vorhanden;  die  Urkunden  würden  im  Deposital- 
gewölbe  neben  der  Stadthaupduisse  aufbewahit;  sie  seien  abteilungsweise  m 
Schubkästen  eingeordnet  und,  weil  mit  Au&chriften  versehen,  bei  einer  Be- 
nutzung leicht  aufzufinden,  auch  vollkonmien  sicher  gegen  Verschleppung  und 
Entwendung;  es  sei  daher  nicht  wünschenswert,  die  Urkunden  dem  Re- 
^rungs-  oder  Provinzialarchiv  zur  Auf  bewahrung  zu  übergeben.  Infolgedessen 
blieb  das  Archiv  in  Halberstadt,  wurde  auch  auf  seinen  Bestand  hin  geprüft, 
und  eine  Neuordnung  ward  in  Aussicht  genommen. 

Diese  Neuordnung  begann  im  Jahre  1870,  und  zwar  durch  den  dama- 
ligen technischen  Hilfsarbeiter  bei  dem  Konischen  Hausarchiv  in  Berlin, 
Dr.  Könnecke  (jetzigen  Geh.  Archivrat  in  Marburg).  Nachdem  derselbe 
186  Uricunden  bestimmt,  numeriert  und  mit  Umschlägen  versehen  hatte, 
wurde  die  Weiterordnung  im  Jahre  1872  dem  Köni^^chen  Ardiivsekretär 
Dr.  Geisheim  in  Magdeburg  übertragen,  der  sich  zur  Fortführung  dieser 
Arbeit  bereit  erklärte.  Auf  jedem  eine  Urkunde  umschliefsenden  Umschlag 
wurde  eine  kurze  Inhaltsangabe,  Datum,  Siegel  und  eine  Bemerkung,  ob 
Original  oder  Abschrift,  vermerkt.  Geisheim  ordnete  etwa  300  Urkunden 
zunächst  chronologisch  und  lieferte  später  auch  eine  systematische  Übersicht 
nach  Materien:  i.  Privilegien,  2.  Lehnsbriefe,  3.  Bündnisse,  4.  Verwaltung 
und  Verfassung. 

Inzwischen  war  ein  Mann  nach  Halberstadt  gekommen,  welcher  sowohl 
die  Fähigkeit  als  Willigkeit  besafs,  an  Ort  und  Stelle  die  begonnene  Neu- 
ordnung des  Stadtarchivs  weiter-  und  zu  Ende  zu  führen :  Gymnasialdirektor 
Gustav  Schmidt,  ein  Geschiditsforscher,  dem  Halberstadt  fiir  die  Be- 
arbeitung seiner  Geschichte  unendlich  viel  verdankt  Auf  seine  Anregung 
wurde  ein  Archivschrank  angefertigt,  und  die  von  ihm  näher  bestimmten  Ur- 
kunden wurden  diesem  einverleibt.  Jede  einzelne  Urkunde  wurde  in  einen 
Bogen  eingeschlagen,  auf  demselben  der  Inhalt  und  das  Datum  der  Urkunde 
bemerkt  und  jeder  Umschlag  signiert  Die  Ordnung  war  nicht  chronologisch, 
sondern  sachlich  um  des  praktischen  Gebrauches  der  Stadt  willen.  Von 
dem  von  Schmidt  verfafsten  Repertorium  wurden  zwei  Abschriften  angefertigt. 
Dieses  Repertorium  gestattete  leicht,  die  Urkunden,  die  etwa  verlangt  wurden, 
au&ufinden. 

Das  in  dieser  Weise  aufgestellte  Repertorium  entsprach  vollständig  einem 
späteren  Rimdschrdben  der  Königlichen  Regierung  vom  Jahre  1876,  und 
cde  Aufbewahrung  in  dem  feuersicheren  Räume  der  Staddiauptkasse  machte 
eine  Abgabe  des  Stadtarchivs  an  das  Staatsarchiv  überflüssig. 

Nach  der  von  Direktor  Schmidt  beendigten  Neuordnung  tun&ät  das 
Stadtarchiv  folgende  AbteUungen: 

A.  Privilegien.  B.  Besitz  der  Stadt.  C.  Lehn  und  Passivlehn.  D.  Renten- 
kauf. E.  Geldsachen  und  Steuern.  F.  Müde  Stiftungen.  0.  Stift  U.  L.  Frauen. 
H.  Stift  St.  Bonifacü.  L  Stift  St  Pauli.  X.  Kloster  St.  Johannis.  L.  Geist- 
liche Sachen.  H.  Ho^ital  St  Spiritus.  V.  Barfüfserldoster.  0.  Pauliner- 
kloster.   P.  Burchardikk)stcr.    Q.  Kloster   der  Marienknechte.    B.  Hospital 


—     93     — 

Sc  Elisabeth  und  St.  Sabator.  8,  Deutsch  Ordeoahof.  T.  Verschiedeoe  kkioe 
Stifhingen.  U.  Auswärtige  Klöster  (Huyseburg,  Marienbecky  Michaelstean« 
Drübek,  Aderslebeo,  Marienstuhl  bei  Egehi,  Manenthal,  Neuwerk  in  Goslar). 
T.  St.  Martinikirche.  W.  Annenverwaltung  (Siecbenbof).  X.  Stadtbuch  imd 
Statuten.  T.  Gildesachen.  Z.  Korrespondenz  der  Stadt.  AA»  Hansesachen. 
BB.  Bündnisse.  CC.  Kriegssachen.  DD.  Prozesse  und  Sühnungen.  £E.  Ammon- 
dorfer  Prozefs.  PF.  Varia.  GO.  Verpachtungen.  HH.  Lagerbuch,  Register 
und  Rechnungen. 

Diese   Neuordntug   des  im   Besitz    der  Stadt    befindlichen    Urkunden- 
oEoteriab  ermöglichte   es   fortan,   dai^  die  Urktmden  auch  auswärts  benutzt 
Verden  konnten.     Nicht  nur  Privatperson^   haben  wiederholt   imi  Auskunft 
über  einzelne  Familien  zwecks  Familienforschung  gebeten,   sondern   es   war 
vor  allem  auch  die  in  den  siebziger  Jahren  an  verschiedenen  Orten  in  An- 
griff genommene  Herausgabe  von  UikuDdenbücheni ,  welcher  diese  systema- 
tische Ordnung  des   Stadtarchivs   zustatten   kam;    ich  nenne  hiervon  beson« 
ders  die  Herausgabe  des  Quedlinburger,  Hansischen,  Usenburger  und  nicht 
zum  wenigsten   die   des   Halbeistädter   Urkundenbuches,    welches    in    keine 
besseren  Hände  als  in  die  des  Direktors  Schmidt  hätte  gelegt  werden  könncai. 
Wenn  auch  für  das  zuletzt  genannte  besonders   das  Königliche  Staatsarchiv 
ni  Magdeburg,  das  Germanische  Nationalmuseum  zu  Nürnberg  und  die  Ar- 
chive benachbarter  Städte  viel  urkundliches  Material  geliefert  haben,  so.  kam 
Schmidt  doch  in  erster  Linie  zustatten,  daüs  er  in  dem  hiesigen  Stadtarchiv 
einen  Grundstock  von  ihm  selbst  geordneter  Urkunden  vorfand.     Nicht  nur 
mit  der  Bearbeitung  der  Geschichte  unserer  Stadt,   sondern  auch  besonders 
mit  der  Ordnung  des  archivalischen  Materials,   das  sich  im  Besitze  Halber- 
stadts  befindet,  wird  der  Name  des  nur  allzufrüh  verstorbenen  Halberstädter 
Geschichtsforschers  Gustav  Schmidt  für  alle  Zeiten  verbunden  bleiben. 

Der  Bestand  der  Urkunden,  wie  er  durch  diese  gründliche  Neuordnung 
sich  ergeben  hatte  —  etwas  über  600  Nummern  — ,  ist  in  den  darauffol- 
genden Jahren  nur  unwesentiich  vermehrt  worden;  einige  wenige  Urkunden 
sind  von  Antiquaren  käuflich  erworben,  andere  von  Archivsekretär  Dr.  Ehlers 
in  Wolfenbüttel  geschenkt  worden. 

In  den  letzten  Jahren  aber  stellte  sich  die  Notwendigkeit  heraus,  deii 
Bestand  des  Archivs  zu  erweitern  und  zu  vergröfsem,  und  zwar  durch  die 
Überwreisung  von  geschichtlich  wertvollen  Akten  aus  den  reponierten  Beständen 
an  das  Archiv.  Hierfür  war  aber  die  erste  Vorbedingung,  dafs  geeignete 
Räume  zur  Verfügung  gestellt  wurden.  Die  Gelegenheit  hierzu  bot  sich,  als 
nach  dem  Ausbau  des  früheren  Dompropsteigebäudes  für  städtische  Zwecke 
das  Standesamt  aus  dem  Liebfrauenstift  in  die  Dompropstei  verlegt  wurde. 
Dadurch  wurden  die  feuersicheren  Räume  frei  und  sofort  zur  Aufnahme  des 
Archivs  bestimmt.  So  siedelte  im  Frühjahr  1903  der  Archivschrank,  aus 
welchem  bisher  das  ganze  Stadtarchiv  bestanden  hatte,  nach  seiner  neuen 
StäUe  über,  in  welcher  zwei  Räume  zur  Aufnahme  der  Urkunden  und  Akten 
vorhanden  waren ;  das  eine  heizbare  Zimmer  —  das  frühere  Eheschliefsungs- 
zunmer  des  Standesbeamten  —  dient  zugleich  als  Arbeitszimmer  für  den  Stadt- 
archivar. Der  Unterzeichnete,  welcher  seit  einigen  Jahren  die  Geschäfte  eines 
städtischen  Archivars  gern  übernommen  hatte,  besorgte  die  Verpackung  der 
Urkunden  und  ordnete  sie,   nachdem   die  Umschläge   von   dem   schwarzen. 


—     94     — 

fettigen  Staube  gründlich  gereinigt  waren,  wieder  in  den  Schrank  ein.  Bei 
dieser  Übersiedelung  üaxd  sich  in  einem  Schranke  der  Stadthauptkasse, 
in  welchem  sonst  Formulare  aufbewahrt  werden,  eine  gröfsere  Menge  bisher 
ungeordneter  Urkunden,  welche  inhaltlich  bestimmt  tmd  unter  die  vorhan- 
denen Rubriken  eingeordnet  wurden.  Besondere  Vermehrung  erfuhren  hier- 
durch die  Rubriken :  Rentenkäufe,  Geldsachen  nnd  Steuern,  geisdiche  Sachen, 
Auswärtige  Klöster,  Stadtbuch  und  Statuten^),  Hansesachen,  Bündnisse, 
Kriegssachen,  Prozesse  imd  Sühnungen.  Die  Nummern  der  Urkunden  stiegen 
hierdurch  von  630  auf  770. 

Aufserdem  wurden  dem  Archiv  überwiesen  72t  Aktenstücke  (in  78  Ab- 
teilungen) aus  dem  reponierten  Aktenbestand  der  Magistratsregistratur,  189 
Aktenstücke  aus  der  Armenregistratur,  237  Bände  Register  und  Rechnungen 
der  Kämmereikasse  von  1655 —  1860,  182  Bände  Rechnimgen  des  Siechen- 
hofshospitals  von  1742  — 1867,  114  Bände  Rechnungen  des  Salvatorhospi- 
tals  von  1731 — 1868,  102  Bände  Rechnungen  des  Georgenhospitals  von 
1741  — 1868,  125  Bände  Rechnungen  des  Heiligengeisthospitals  von  17 13 
bis  1872,  9  Bände  Rechnungen  der  vereinigten  Hospitäler  von  187 1 — 1880, 
148  Bände  Rechnungen  der  Armenkasse  von  1744 — 1880. 

Femer  überliefs  Landrat  v.  Davier  auf  Seggerde  bei  dem  Verkauf  der 
V.  Spiegeischen  Kurie  an  die  Stadt  (zur  Einrichtung  eines  städtischen  Mu- 
seums) dem  Archiv  diejenigen  Akten,  welche  sich  auf  die  Kurie,  Spiegels- 
berge (Rittergut  imd  Anlagen)  und  Reitbahn  bezogen:  116  Aktenstücke, 
welche  in  einem  besonderen  Schranke  vereinigt  sind. 

Endlich  hatte  Buchdruckereibesitzer  Julius  Meyer  die  Freundlichkeit,  der 
Stadt  eine  grofse  Anzahl  Akten  nebst  einigen  Urkunden  geschenkweise  zu 
überlassen,  welche  aus  dem  Nachlasse  eines  hiesigen  Justizrates  stammten 
und  sich  auf  Halberstadt  tmd  Umgegend  beziehen  '). 

Eine  gröfisere  Anzahl  Schriftstücke,  namentlich  Quittungen  u.  a.,  sind 
nach  bürgerlichen  Familien  Halberstadts,  nach  adeligen  Familien,  sowie  nach 
Ortschaften  aufserhalb  Halberstadts  alphabetisch  geordnet  worden.  Der  Ge- 
samtbestand der  im  städtischen  Archiv  beündlichen  Urkunden  und  Akten- 
stücke ist  nach  dieser  Neuordnung  des  Jahres  1903  von  630  auf  2979 
Nummern  gestiegen.  In  den  letzten  beiden  Jahren  sind  aufserdem  noch 
einzelne  Urkunden  und  Schriftstücke  käuflich  erworben,  Aktenstücke  aus  den 
Registraturen  nachgeliefert  worden;  auch  werden  die  geschichtlich  wertvollen 
Akten  der  Polizeiregistratur  im  nächsten  Frühjahr  dem  Archiv  überwiesen 
werden  und  ohne  Zweifel  eine  Vermehrung  von  150  bis  200  Nummern 
herbeiftihren. 

So  hat  in  den  letzten  Jahren  das  Stadtarchiv  zu  Halberstadt  eine  £r- 
weitening  und  Ausgestaltung  erfahren,  wie  sie  die  Würde  und  Bedeutung, 
und  nicht  zum  wenigsten  die  geschichtliche  Bedeutung  der  alten  Bischofs- 
stadt  erfordert,  und  wie  sie  der  wachsenden  Gröfse  der  Stadt  als  angemessen 
bezeichnet  werden  mufs.  Pastor  Arndt,  Stadtarchivar. 


i)  Besonders  erwähnenswert  ist  das  Protokollbach  des  Rates,  das  mit  [444 
anßingt. 

a)  Besonders  wertvoll  sind  die  Lehnbücher  der  Familie  v.  Kropff  in  Groningen. 


Herausgeber  Dr.  Armin  TtUe  in  Leipsig. 
Dittck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Pertbee,  AkdengetelUchaft,  Gotha. 


Deutsche  Qeschichtsblätter 

Monatsscairift 


sur 


Fordenmg  der  landesgesdncfatUcben  Ferschttng 

r 

Vn.  Band  Jaxraar  1906 '  4.  Heft 

Aus  Nürnberger  Briefbüehern  ^) 

Von 
Al£red  Köberlin  (f) 
Es  ist  bekanot,  dafs  die  Husitische  Bewegung  schon  früli^ 
zdtig  nach  Franken  übetgrifT  tmd  dort  Aidtänger  fand  ^).  Eines  deic 
eisten  Anzeichen  dafür  ist  wc^I  die  Taitsacbe,  die  am  9.  Mai  1421  der 
Kat  von  Nümbe^  dem  Bischof  Albrecht  von  Bamberg  meldet,  da&  ein 
böhmischer  Priester  zu  Gräfenberg  gewesen  uxid  sich  4a  in  semm 
Worten  beweist  %tnd  gehalten  het,  dairumb  man  etwas  arkwons  eriskm 
gkuben  amireffend  su  im  het.  Derselbe  Priester  sei  dann  nach  I^ürpr 
bog  gdcommen,  habe  sich  da  niehi  prieskrlieh  nach  wel  ffehaiten  und 
wü  deswegen  gefangengesetzt  worden.  Zur  Aburteilung  überUeisen 
ihn  die  Nürnberger  dem  geistlichen  Gericht  des  Bischofs.  Im  nän»? 
Ecken  Jahr  (142 1)  bittet  der  Rat  von  Nürnberg  den  Bischof  Friedrich 
im  Namen  des  Katharinenklosters  und  der  Pfründner  an  der  Kapelle 
Uaser  Franen  um  Erlafs  einer  auferlegten  Steuer:    ihre   Untertanen 

1)  Aot  dem  Kacblaase  des  1902  verstorbeoc»  nßd  a<id!i  in  dieser  2dtsclrHl 
(^  Bd^  8.  S45 — 346)  gewtlrdiKten  fHbüdschea  GesoUditsfoiickeri  Köborlin  werden 
hm  emife  Mitieflaxista  veröffeatlicht,  die  du  Aogetamerk  der  For»i3her  noch  atfkr  id| 
WffccT  «if  eine  fiberaiu  wicbüge  GeschichUqneUe  lenken  soUen,  nämlicli  die  sogenannten 
Hfirnberger  Briefbflcher.  Sie  liegen  gegenwärtig  im  Kgl.  Kreisarchi?  zu  Nfirn- 
berg  (nicht  im  Stadtarchiv)  und  beginnen  mit  dem  Jahre  1404;  den  Inhalt  bilden  die  Kon- 
seilte  aller  Briefe,  die  der  Rat  nach  answttrtv  gesdiickt  hat  nnd  deren  Paswng 
h  dn  meisten  FStoa  den  Inhalt  der  ton  answiita  eingugnoiKetten  ^hrtiben  aiifUfU 
kftl,  wenn  Mch  letztere  sdbst  nmr  in  kleinen,  hebte  im  Ktmberger  Stadtarchiv  tiewahrte^ 
Keslai  erhaUeo  siad^  Gerade  jetzt,  da  die  nengegrttndete  Gesells-chnft  fttr  frftnT 
hiiche  Geachichte  (vgl.  6.  Bd.,  S.  381—286)  ihre  Tätigkeit  beginnt,,  werden  die  ge- 
Maaten  Briefbttcher  oft  nnd  stark  benatzt  werden,  and  es  würde  za  erwägen  sein,ob  nicht 
ihre  systematische  Bearbeitang  in  Regestenform  recht  nützlich  werden 
UmiUl  Dee  Un*cnakhnete  hak  sdbat  «fieae  QMUe  wenigstens  fttr  das  XV.  «nd  einen 
Tefl  des  XVL  JahrfaanderU  Blatt  ftr  Blatt  daad^^Mehen  oad  4ttr  aeittea  Zwedi  *-  KOnberg» 
fcilil  MKrh  KorS-  nnd  OMdenbsiaUaBd  -^  MclKt  wettvoUea  MaTarial  gateiden.  Tille. 
8)  Rösel,  Unter  dem  IGnmmekib  ^mAtt§  la^lX  S-  5^  --^  Palaekf  hat  in 
IMcmHitken  BdMigtn  wmr  Qeaekiekie  4»  SkmaHerJariegts  wem  lehrt  1419 
(Piag  1873—74,  3  Bde.)  die  Nttmbeiger  BrieMcher  beaiitt  erfolgrekk  Msgebeiteft* 

7 


—     96     — 

• 

seien  durch  deu  Krieg  hart  g^chädigt  worden^  namentlich  seien  ihnen 
aus  Böhmen  seit  Jahren  keine  Abgaben  zugeg^gen.  Eine  ähnliche 
Bitte  wiederholt  sich  in  einem  Schreiben  vom  23.  März  1430,  gerichtet 
an  den  Dompropst,  den  Dechanten  und  das  Domkapitel  zu  Bamberg : 
der  Rat  verwendet  sich  dafür,  dafe  die  Nürnberger  Klöster  in  der 
Stadt  und  zu  Gründlach  von  der  Steuer  verschont  bleiben  sollten, 
die  zur  Aufbringung  der  Husitenbrandschatzung  im  Stift  Bamberg 
damals  erhoben  wurde  ').  Welche  Not  es  dem  Stift  machte,  die  Steuer 
aufzubringen,  ergibt  sich  aus  einem  weiteren  Schreiben  des  Nürnberger 
Rats  an  den  zu  Bamberg  vom  5.  Juli  1430 ;  nach  diesem  Brief  war 
damals  die  Summe  noch  nicht  bezahlt.  Deshalb  lieds  Markgraf  Friedrich 
von  Brandenburg  durch  seine  Räte  mahnen  und  bediente  sich  dazu 
wieder  der  Vermittlung  Nürnbergs.  Wenn  die  Zablui^  nicht  erfolge, 
iso  sei  fsu  lesorgen  und  das  haben  wir  stist  auch  manigfaÜidich  ver- 
sfftnden,  daz  grosse  reicmng  und  hewegung  und  dUen  disen  landen  und 
teuien  grosser  schad  und  unfug  davon  entsteen  und  hörnen  mag. 

Mit  den  Husiteneinfällen  hing  der  Streit  zusammen,  der  im  Jahre 
1431  zwischen  der  Bürgerschaft  und  dem  Domkapitel  zu  Bamberg  cnt* 
branntcf,  der  Immunitätenstreit*).  Die  Bürger  der  Stadt,  die  unter 
dem  Stadtgericht  standen,  verlangten  in  den  husitischen  Kriegsläuften 
die  Befestigung  der  Stadt  und  forderten,  dafs  zu  diesem  Zweck  auch 
die,  welche  sich  im  Umkreis  der  Burg  und  der  Klosterimmunitäten 
niedergelassen  hatten,  zur  Besteuerung  herangezogen  würden.  Eine 
kaiserliche  Entscheidung  vom  23.  April  143  r  gestand  die  Besteuerung 
der  Immunitätenbewohner  zu,  aber  das  Domkapitel  erhob  Einspruch 
ds^egen  und  führte  einen  seiner  Auffassung  günstigen  Spruch  dea 
Baseler  Konzils  herbei.  Auch  Bischof  Anton  von  Rotenhan,  der 
I431  zur  Regierung  kam,  teilte  und  verfocht  die  Ansicht  seiner  Dom- 
herren. Im  Verlauf  des  Streites  kam  es  sogar  zu  Gewalttätigkeiten; 
das  Kloster  auf  dem  Michelsberg  wurde  von  den  Bürgern  zweimal 
gestürmt  (5.  April  1433  und  25.  Juni  1435)  und  der  Bischof  geriet 
dabei  sogar  einmal  (1435)  in  Lebensgefahr.  Die  unmittelbar  darauf 
folgenden  Ereignisse  behandelt  ein  Schreiben  des  Nürnberger  Rats 
an   den  zu  Ulm  vom    16.  Juli   1435  •):   Als  ir  uns  verschriben  und 


1)  Nacb  LooshorD,   OesehiMe  dea  Bistums  Bamberg  (Bamberg  bSS6)  4«  Bd.,. 
S«  SI6  Terpfliohtete  sieh  dat  Stift  ssr  Zahlung  ron  1200a  fl; 

2)  VgU  Stein,    &e9ehichU  Ikrankene  (Schwetnfnrt  18S5)   i.  Bd.,   S.  4iof.  nnd 
Looshorn,  a.  a.  O.  S.  232  ff.,  auch  R^&sel,  a.  a.  O.  S.  I3ff. 

3)  Ähnlichen  Inhalts  ist  ein  Schreiben  an  die  Stadt  Heidingsfeld  (8.  Juli  143$) 
a!nd  ein  weiteres  an  Aagsbarg  (9.  Joli  I43S)* 


—     97     — 

gebeUm   habt,   eur  w^ßheit  von   dem  handd  und  ergangmen   dingen 

iwisdien  unserm   kerren,  dem   hischof  eu  Bamberg  auf  ein  und  der 

siat  ßu  Bamberg  auf  ander  seU  zu  schreiben,  das  haben  wir  wol  ver- 

nemen  und  tun  eur  fürsicktigheU  gu  wissen,  daß  der  vorgen.  unser 

herre   der   hischof  und  sein   capittetkerren  ein  sammung,   leger   und 

iere  für  die  egen.  etat  Bamberg  gemacht  hetten  und  also  eUick  tag 

ver   in  gelegen   sein   und  waren.     In   »u  dienst   kamen  unser  kerre 

der  hisckaf  von   Wirczburg  und  etUck  grafen  von  Hennenberg  und  von 

Swarofburg  und  vil  namhafter  ritter  und  kneekt  von  allerlei  gegend, 

also  das  man  meint,  das  sie  bei  4000  greisiger  pferd  und  etwievü  mer 

fussvdleks  davor  ketten.     Nu  ist  unser  gnediger  kerre  der  marggraf 

von  Brandenburg   in   sein  selbs  person  und  auck  unser  ratAotsckaft 

iaswiscken  geritten,  und  als  wir  vemomen  kaben,  so  sein  söüick  spenne 

twiseken  den  cbgenanten  partein  abgetragen  und  berichtet  auf  ein  amßtrag 

für   unsere  gnedigen  kerren,   den  marggrafen  vorgenant   und  kersog 

Johann  von  Beyern,  soBicher  außtrag  auck  kieswiscken  sunnwenden  nu 

ackierist  künflig  su  ende  kamen  sal,  darauf  sick  aud^  da  das  dbgen. 

here  gancM  trennet.    Freilich  wurden  in  Wirklichkeit  damals  die  Späne 

noch  nicht  abgetragen,  sondern  der  Streit  zog  sich  trot^  verschiedener 

Sühneversuche  noch  bis  zum  Jahre    1459  hin,   wo  der  Bischof  zur 

TDgung  der  stiftischen  Schuldenlast  eine  allgemeine  Besteuerung  anir 

ordnete  und  von  dieser  auch  die  Immunitätenbewohner  nicht  ausnahm. 

Damit  war  anerkannt,  dafe  alle  Bürger  gleichmäfsig  zu  den  öffentlichen 

Lasten  herangezogen  werden  mülsten,  und  „da  sich  die  Schuldentilgun;g 

durch  lange  Jahre  fortzog'',  so  verschwanden  allmählich  die  angeblichen 

Privilegien  der  Immunitätenbewohner. 

Es  fragt  sich  angesichts  dieser  Dinge :  was  für  ein  Interesse  hatte 
Nürnberg  an  der  Beilegung  dieses  Immunitätenstreites,  um  die  es 
sich  laut  mehrerer  Briefe  (v.  22.  Okt.  143 1,  3.  Febr.,  12.  Juni  und 
26.  Juni  1435)  bemühte?  Wohl  nicht  zuletzt  war  die  Rücksicht  auf 
diejenigen  Nürnberger  massgebend ,  die  Leibrenten  von  der  Stadt 
Bambexg  zu  beziehen  hatten,  bei  der  schlechten  Finanzlage  des  Ge* 
meinwesens  aber  vergeblich  auf  Befriedigung  ihrer  Ansprüche  warteten : 
om  dieser  Geschädigten  willen  mahnte  der  Nürnberger  Rat  immer 
wieder  zum  Frieden.  Freilich  völlig  neutral  scheint  sich  Nürnberg 
nicht  gehalten  zu  haben,  denn  in  einem  Briefe  vom.  7.  Jannar 
1435  verspricht  der  Rat,  er  wolle  seine  Bürger  veranlassen,  dafa 
sie  den  Herren  des  Domkapitels  keinen  neuen  Kredit  gewährten, 
erklärt  aber,  die  bisher  bestehenden  derartigen  finanziellen  Bezie- 
hungen nicht  aufgeben  zu  woUen:   Als  vr  meldt,   das  wir  mit  den 


L 


—     08     — 

un$em  hesMIm  weUen,  sieh  der  obgen.  Herren  vom  capittd  güier^ 
retU&n  und  habe  nichi  mu  untermnden,  weUen  wir  gern  unsem  fleiß 
darcMU  hm,  dag  das  die  unsem  hinßr  nichi  tun,  hesunder  dieu^U  söüiehe 
qMMfte  0u?ischen  den  herren  vom  eapütel  und  cur  eie.  nitht  geeinet  sein. 
Was  aber  die  unsere  säUicher  guter,  rcnten  und  hob,  vor  eu  in  hradd, 
wmen  hetten  und  in  verschriben  weren,  meinen  und  getrauen  wir,  eur 
Weisheit  lasse  die  unsem  daran  ungehindert  und  unbekümert.  Was  die 
Parteinahme  einzelner  Nümbeig'er  Bürger  für  diese  für  Folgen  hatte, 
lä&t  ein  weiterer  Brief  von  1436 ,  Juni  28 ,  erkennen.  Uns  hai  für- 
Iraht  Hans  Buprechi  steinmete  unser  biirger,  wie  er  verd ')  in  der 
widerwertikeit  gwischen  unserth  herren  van  BanAerg  und  eur  etc.  euch 
mit  andern  eu  hilf  und  im  dienste  euhamen  sei  und  was  sieh  eu  den- 
SiSben  eeHen  und  in  söUieher  widerwertikeit  ergangen  habe,  das  sei  doch 
eittes  beriMet  worden.  Dourüber  habe  herr  Heh.  Müntemeister,  chorherre 
m  sand  Stephan  bei  euch,  in  von  derselben  ergangen  dinge  wegen  mit 
geisdiehem  gerichie  fS^rgenomen  und  meine  in  da  nnt  umbczutreiben  und 
#w  beswären.  Bitten  wir  eur  weißheit  mit  fleiß  demselben  dem  unsem,  der 
denn  in  ewr  dienst  also  gewesen  ist,  umb  unsem  willen  eur  furdrung, 
rat  und  hüf  in  den  dingen  günstidichen  miteuieilen  und  eu  tun,  damit 
er  sSlUeher  riehtigung-  emch  gemessen  müg  und  der  obgen.  herr  Heinrich 
in  mit  geisÜ.  geriehien  und  sust  unbekümert  darüber  lasse. 

Etwa  zehn  Jahre,  nachdem  der  Immunitätenstreit  zur  Ruhe  ge- 
kommen war,  rief  die  Eifersudit  der  Fürsten  auf  die  wachsende  Macht  der 
SUkite  in  Franken  neue  blutige  Fehden  hervor.  Albrecht  Achilles 
beschwerte  sich  über  Eingriffe  der  Nümbei^er  in  seine  Hoheitsrechte 
und  forderte  die  Auslieferung  des  reichsfreien  Ritters  Konrad  von 
Haideck,  der  in  Nürnberg  Zuflucht  gefunden  hatte.  Da  die  Reichs- 
stadt auf  diese  Vorstellungen  des  Markgrafen  nicht  einging,  kündigte 
dieser  dem  Rat  den  Frieden  auf  (2.  Juli  1449).  Zu  den  zahlreichen 
fiifstücfaen  Bundesgenossen  des  Brandenburgers  zählte  Bischof  Anton 
von  Bambeig-.  Aus  zwei  Briefen  des  Nürnberger  Rats  an  den  Rat  der 
Sladt  Bamberg  und  an  den  Bischof  Anton  selbst  *)  geht  hervor,  dais 
der  Bisdiof  den  Nümbergem  einen  veindtsbrief  zugesandt  hat ,  bevor 
noch  Markgraf  Albrecht  diesen  offene  Fehde  angesagt  hatte.  In  zwei 
weiteren  Briefen  an  den  Dompropst  Georg  von  Schaumberg  und  das 
Domkapitel  vom  5.  Juli  1449  erklärt  der  Nürnberger  Rat,  dals  er 
Bach  dem  feindlichen  Vorgehen  des  Bischöfe  Anton  audi  dessen  Dom- 
herreii  fUr  Feinde  erachte,  demgemäfe  auch  das  in  Nürnberg  lagernde 

i)  verd  »voriges.  Jfthr.  Vgl  SchmeUer»  Btj.  W.  B.  L  Bd.,  Manchen  L872,  Sp.  761. 
^  Dieser  letztere  Brief  ist  dktüert  v.  30.  Juni  1449. 


—     99     — 

Getreide  des   Domkapitels  nicht  schonen  werde,    und  kündigt  dem 
Kapitel  Eid-  und  Lebenßpflicht  auf.     Er  beruil  sich   insonderheit  iu 
einem  Brief  vom   12.  Juli  1449    darauf,   dafs   ohne   Einwilligung   des 
Domkapitals    der  Bischof  da$  Bündnis   nicht  hätte    schlie&en  dürfen. 
Bambergische  Reiter  wurden  denn  auch  in  der  Schlacht  von  PUlenreut 
tai  II.  März  1450  gefangen  genommen,  andrerseits  geriet  eine  Nürn- 
berger Bürgerin  Anna,  Peter  Zeisners  sei.    Witib,  als  sie  etliche  ire 
pfennweri  in  pfingstfeitictgen  gen  Bamberg  praeht  hU  in  meintmg,  die 
iari  gu  verkaufen,  in  den  Verdacht,  eine  Spionin  zu  sein;   sie  wurde 
angefallen  und  gefangengesetzt,  der  Rat  von  Nürnberg  aber  verwandte 
sich  angelegentlich  für  ihre  Freilassung.   Um  die  nämliche  Zeit  (Sommer 
1450)  kam  eine  EinigTing  zustande,  zuerst  mit  dem  Markgrafen,  später 
woW  auch  mit  dem  Bistum.    Zwar  weigerte  sich  noch  am  17.  August 
der  Dompropst  Georg  von  Schaumberg,  die  Nürnberger  aufs  neue 
mit  den  domkapitelschen  Lehen  zu  belehnen,  obwohl  sich  zwei  Tage 
voiher  der  Rat  bereit  erklärt  hatte,   die  Feindseligkeiten  gegen  die 
domkapitelschen   Untertanen   einzustellen   und  beschlagnahmte  Güter 
freizugeben.     Doch  scheint  ein  an   den  Bischof  selbst  gestelltes  Er- 
sudien  (28.   August  1450),   den  Nürnbergem  ihre  Lelien  wieder  zu 
'Sbertragen,  in  Bälde  Erfolg  gehabt  zu  haben. 

Auf  die  Finanzverhältnisse  des  Bischofs  Anton  fallt  schlielislich  noch 
cm  schlimmes  Licht  durdh  einen  Brief  vom  7.  Sept.  1450.  Bertold 
Tucher  hatte  vom  Bischof  ein  mercMich  sunt  verschribens  und  verfallene 
leipiings  zu  fordern  und  rief  zur  erfolgung  seiner  gerechti^U  die 
IHfe  des  Papstes  an.  Der  vom  päpstlichen  Stuhl  zum  Kommissar 
ernannte  Abt  Jakob  von  Castell  sandte  dem  Bischof  seinen  Prozefs 
zu  und  setzte  ihm  einen  Zahlungstermin.  Des  Juth  nu  cur  gnade  solidh 
proceß  verachtet,  die  auch  Marx  von  Botenhan  eu  seinen  Händen  ge^ 
namen  und  jsu  der  erden  geworffen,  auch  den  notarium  Stepphan  Nord-- 
hnger,  unsem  hürger,  vahen  und  eu  ungepwrlichen  geläbden  und  eiden 
dringen  lassen  Itah.  Verstet  eur  hochw.  wol,  was  Jobs,  ssierlicheit  und 
wirden  dem  genemten  unserm  heü,  vater  dem  bapst  und  dem  römischen 
Ski  damit  erzeugt  isit;  darumb  wir  eur  gnaden  mit  dinsÜichem  vleiss 
hUten,  diesdb  eur  gnad  geruch  den  gen.  notar  salutier  seiner  geliJbde 
md  eide  güMich  ledig  zu  sagen,  gelegenheit  der  Sachen  darinne  angesehen. 
Wieweit  der  Btsdiof  dieser  Bitte  nachgekommen  ist,  läfist  sich 
aus  den  Briefbüchem  nicht  ersehen.  Aber  die  Klagen  über  seine 
Saumseligkeit  im  Zahlen  auch  anderen  Nürnberger  Gläubigern  gegen- 
über verstummen  bis  zu  seinem  Tode  nicht 


—     100     — 


Heues  aU9  dem  Gebiete  der  Denkmalpflege 

Von 
Max  Wingenroth  (Karlsruhe) 

Der  sechste  Denkmalpfiegetag  ^),  der  im  September  1905  in  Bam- 
berg* stattfand,  hatte  die  Erhaltung*  des  Heidelberger  Schlosses 
auf  seine  Tagesordnung  gesetzt,  jenes  gefahrliche  Thema,  das  zu  be- 
rühren man  bei  früheren  Tagen  geschickt  vermieden  hatte.  Zweifel- 
los konzentrierte  sich  darauf  das  Hauptinteresse,  zweifellos  hat  man 
in  ganz  Deutschland  mit  lebhafter  Erwartung  diesen  Erörterungen  ent- 
gegengesehen, und  so  dürfte  es  wohl  richtig  sein,  diesen  Punkt  gleich 
an  die  Spitze  zu  stellen,  wobei  indes  auf  die  unendlich  verwickelte 
Frage  nicht  tiefer  eingegangen  werden  soll.  Es  sei  nur  kurz  die  Lage 
vor  der  Bamberger  Versammlung  bezeichnet  Zwei  Parteien  standen 
sich  schroff  gegenüber:  die  eine  wünschte  die  Erhaltung  des  Ott- 
JEieinrichsbaues  bzw.  seiner  Ruine  unberührt  in  ihrem  heutigen  Zustande, 
•selbst  auf  die  Gefahr  hin,  dafis  er  in  einigen  Jahrzehnten  allmählich 
zusammenfalle ;  es  erschien  das  noch  immer  besser,  als  die  Fälschung 
*des  geschichtlich  gewordenen  Bildes  durch  eine  Erneuerung  irgend- 
welcher Art  Auf  der  anderen  Seite  hielt  man  den  Zusammenbruch 
für  in  allernächster  Zeit  bevorstehend,  ja,  man  verwunderte  sich  eigent- 
lich, dafs  die  Mauern  bisher  noch  nicht  zusammengebrochen  seien; 
nur  ein  Ausbau  könne  hier  helfen,  der  geniale  Meister  dafür  aber 
sei  in  Oberbaurat  Schäfer  vorhanden.  Dessen  erstes  Projekt  war 
allerdings  dtirch  den  Fund  des  Wetzlarer  Skizzenbuches  widerlegt 
worden,  das  zweite  daraufhin  angefertigte  aber  bedeute  die  unüber- 
trefTliche  künstlerische  Lösung  der  Frage.  Zwischen  diesen  beiden 
extremen  Parteien  standen  kleinere  Gruppen.  Die  Techniker  stritten 
sich  über  die  Standfestigkeit  der  Mauern  herum.  Oberbaurat  Egger t- 
Berlin  hatte  ein  Projekt  ausgearbeitet,  wonach  ohne  Zerstörung  des 
äufseren  Anblickes  durch  Versteifungen  im  Inneren  die  Ruine  auf  un- 
bestimmt lange  Zeit  zu  erhalten  sei.  Auf  den  zuerst  angedeuteten 
Standpunkt  konnte  die  verantwortungsvolle  badische  Regierung  sich 
begreiflicherweise  nicht  ohne  weiteres  stellen,  leider  aber  schien  es, 
als  hätte  sie  schon  zu  sehr  für  den  vollständigen  Ausbau  Partei  ge- 


i)  Sechster  Tag  für  Denkmaipflege  unter  dem  Protektorate  Sr.  Eöwigl  Eokeä 
des  Prinxen  Buppreckt  von  Bayern,  Bamberg,  22.  und  23.  September  1905.  Steno- 
graphischer Bericht.  Za  beziehen  durch  den  Verlag  der  Zeitschrift  Die  Denkmalpflege^ 
Wilhelm  Ernst  &  Sohn,  Berlin  W.  66. 


—    101     — 

Bommen.  Das  schien  insbesondere  ans  einigten  Notizen  d^  offiziellem 
KaHsruker  Zeikmg  hervorzugehen,  in  denen  das  Eggertsche  Projekt 
noch  vor  der  Prüfung  durch  eine  Sachverständigenkommission  gleich« 
sam  als  völlig  indiskutabel  abgelehnt  wurde.  Im  Publikum  glaubte 
man  dahinter  die  Parteinahme  höherer  Kreise  zu  vermuten,  ja  man 
suchte  die  treibende  Kraft  mit  Recht  oder  Unrecht  sogar  an  einer 
gewissen  Stelle  auüserhalb  des  badischen  Landes. 

Die  Verhandlungen  in  Bamberg  ^)   brachten   nun   zunächst    ein 
überraschendes  Resultat:  sie  wurden  sachlich  und  ruhig  zu  Ende  ge- 
führt, während  man  nach   dem  durch  die  Presse  in  dieser  Frage  oft 
angeschlagenen  Ton  und  nach  den  bedauerlichen  Vorgängen  in  Er- 
fort  *)  so  ziemlich  auf  das  Auiserste  gefaist  sein  mufste.    Eine  weitere 
Übenaschung  war  die  —  und  es  verdient  das  festgehalten  zu  werden  — ^ 
dafa  kein  einziger  der  anwesenden  Architekten  sich  voll 
und  ganz  für  das  Schäfersche  Projekt  erklärte,  so  sehr  sie 
auch  ihrer  Ehrerbietung  vor  dem  bedeutenden  Meister  Ausdruck  ver- 
liehen.   Nachdem  A.  v.  Oechelhäuser  in  glänzender  Rede  vom 
Standpunkte  des  Historikers  aus  für  die  Erhaltung  der  gegenwärtigen 
Rabe  eingetreten  war  und  auf  die  unabsehbaren  Folgen,  die  ein  Ausbau 
für  das  ganze  Schlois  haben  müfste,  hingewiesen  hatte,  verteidigte  der 
berühmte  Restaurator  des  Wormser  Domes,  Hoff  mann  (Darmstadt),  als 
Kotreferent  die  Schönheit  der  Schäferschen  Entwürfe,  unterdrückte  aber 
iowohl  ihnen  als  auch  dem  bereits  erneuerten  Friedrichsbau  gegenüber 
einige  Bedenken  nicht  und  schlug  schliefslich  die  Errichtung 
eines  einfachen  schützenden  Satteldaches  mit  beschei- 
denem Ausbau  des  einzigen  unteren  Stockwerkes  zu  Ge- 
brauchszwecken vor.   Fast  alle  nachfolgenden  Architekten  sprachen 
8ich  dann  für  die  letztere  Lösung  aus.     Alle  aber  lehnten   das 
Eggertsche  Projekt,  dessen  Urheber  selbst  zweimal  verteidigend 
das  Wort  ergriff,  mit  schwerwiegenden  Gründen  ab.    Die  schädlichen 
Einflüsse  der  Witterung,  insbesondere  des  Durchfrierens,  seien  nur  durch 
Bedachung  und  eine  mäfsige,  innere  Heizung  abzuwenden,  sonst  werde 
die  Zerstörung  der  Sandsteinoberääche  immer  weiter  fortschreiten,  und  es 
gelte  doch  hier  nicht  etwa  nur  die  rohe  Mauer  zu  erhalten.  Der  gewissen- 
hafte Berichterstatter  wird,  wie  auch  sein  Standpunkt  sein  mag,  diese  fast 

])  Im  Sonderabdmck  erschienen :  Über  die  BrhaUmig  des  Hdddberger  Scklosm. 
Vcrkndhagen  «nf  dem  sechsten  Tag  Ittr  Denkmelpiege  in  Bamberg  am  33.  September 
190s.    Ebenda. 

3)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  5.  Bd.,  S.  57  (Debatte  ttber  Wiederherstellnng  des 
Domes). 


—     102     — 

¥M  aUea  iBuetwoeeiiden  Xecliwkem  wsgesprocbeae  MeiBung  als  höchst 
üieacbteasw^Jt  bezeicteen  müssw.  Nicht  miader  beachtenirarert  9b$x 
i^t,  daÜ9  keiaer  an  eine  dugeablickliche  Eiasturzgefahi: 
glaubt^,  daff  somit  dki  Zeit  6k  eioe  genügende  Pxüfui^  noch  inaoier 
vofhaodeA  ist  Dais  eioe  splc^  not  tut,  danuif  wies  die  nicht  g^ 
migend  benicksichl%te  Mitteüm^  des  Dr.  Alt  hin,  der  die  erstea 
Bogen  einer  Arbeit  von  Hans  Rott  (Heidelbeig)  voxlegtß  ^) ;  letzterer 
hat  eifie  Reibe  von  Archiven  durchforscht  und  schon  jetzt  bedeutende 
Au&chlUsae  beigebracht  Rott  weist  auf  die  Notwendigkeit  exakter 
Archivarbeit  hint  auf  dem  W^e  methodischen  Suchens  in  den 
deutochen  —  idi  füge  hin^ :  auch  auswärtigen  —  Archiven  werde  man 
fbdch  zu  ganz  erkle<;ddichen  Resultaten  gelängen '),  Dazu  müiste  aber 
^neifles  Erachtens  die  systenaiatische  Durchsuchung  der  in  unseren 
Bibliotheken  vorhandenen  architektonischen  Skizzenbücher 
treten,  die  ganz  unmöglich  durch  eine  Anfrage  bei  den  einzelnen 
Bibliotheken  erledigt  werden  kann.  Junge,  mit  dem  Heidelbergs 
Schlosse  vollständig  vertraute  Gelehrte,  seie^  es  architektonisch  ge- 
bildete Kunsthistoriker  oder  historisch  geschulte  Architekten,  müfistea 
beauftragt  werden,  das  gesamte  noch  ungesichtete  Material  an  Skizzen- 
büchern  aus  den  Jahren  etwa  1560  bis  1620  durchzuarbeiten.  Die 
10-  oder  20000  Mark,  die  das  kosten  mag,  können  bei  der  Kost- 
spieligkeit der  ganzen  Erhaltung  gar  nicht  in  Betracht  kommen.  Die 
CKakte,  historische  Forschung  über  die  Geschichte  des 
Ott*Heinrichbaue$  und  seine  ehemalige  Gestalt  hat  erst 
begonnen.  Sollte  doch  einmal  an  einen  mehr  oder  minder  weit- 
.gd^enden  Ausbau  gegangen  werden,  so  wird  man  das  mit  gutem 
Gewissen  erst  tun  können,  wenn  in  der  Durchforschung  der  Archive 
und  Bibliotheken  das  Unerläfsjliohe  geschehen  ist. 

Wie  berechtigt  diese  Forderung  ist,  beweist  gerade  der  Fund  des 
Wetelarer  Skiszenbucbes.  Haupt  (Hannover)  hat  seine  Auiserung, 
-es  handle  sich  um  eine  Fälschung,  dahin  erklärt,  er  halte  die  Zeichr 
nuog  für  eine  apokryrphe^  d.  h»  für  eine  nicht  an  Ort  und  Stelle  ge- 
mtcfate,  der  keine  Beweiskraft  innewohnet  man  wird  ihm  darin  za- 
stimmen  müssen»    Er  bat  dann  des  weiteren  ausgeführt,  dais  im  Falle 

i)  Unterdes   erschienen   in   den  Mitteilungen  xur   Oeaehiehie  dee    Hfidelherger . 
S§kh$m.    H^iMgH^^m  vom  HeWelberger  S^Uofsr^reia.    B«nd  V;    Heft  i/a:  Ott- 
Omhek  imd  die  JiSuns^    Von  Hsns  Rott.     Heidelberg,  Bnchbuidlang  von  KsH 
Groos,  1905. 

a)  Vgl  hierm  in  dieser  l^its^rin  4.  Bd.,  S.  iS«-aa  die  Bemerkpngen  von 
Htnsen  über  Archive  und  Kunstgeeckiehte, 


—     108     — 

einer  Restauration  ohne  absolut  sichere  Feststellung  des  ursprünglichen 
Znstandes  doch  nur  die  letzte  historische  Gestalt  restauriert  werden 
dürfe,  d.  h.  diejenige  mit  den  noch  in  ihren  Resten  an  Ort  und  Stelle 
vorhandenen  Zwerchgiebeln,  wie  sie  der  Ulrich  Kraussche  Stich  teigt 
Nach  allen  Begriffen  von  Denkmalpflege  ist  dies  der  prinzipiell  richtige 
Standpunkt  Auf  die  weiteren  Äußerungen  einzugehen,  mufs  ich  mir 
hier  versagen.  Jedenfalls  ist  der  badischen  Regierung  eine  vorzügliche 
Unterlage  gegeben,  auf  Grund  deren  sie  einer  erneuten  vorurteilslosen 
Prüfung  der  Frage  näher  treten  kann* 

Aus  den  sonstigen  Verhandlungen  sei  noch  der  prinzipiell 
sehr  wichtige  Vortrag  des  Konservators  Hager  (München)  hervor- 
gehoben, der  das  Recht  der  modernen  Kunst  bei  Ergänzimg 
oder  Erneuerung  alter  Kunstwerke  betonte.  Bei  Hinzufügung  neuer 
Teile  sei  es  ein  bedenkliches  Archaisieren,  wenn  man  sich  auf  Kopien 
alter  Vorbilder  beschränke.  Der  Vortrag  fand  —  der  Zusammen- 
setzung der  Versammlung  gemäüs  —  Widerspruch  imd  Beifall.  Wenn 
ich  den  Ausführungen  auch  grundsätzlich  zustimmen  möchte,  so  kann 
ich  mir  doch  nicht  verhehlen,  dafs  sie  zu  befolgen  in  der  Praxis  oft 
schwierig  sein  dürfte. 

Sehr  dankenswert  war  das  Eintreten  von  Meier  (Braunschweig) 
fiir  die  Erhaltung  alter  Strafsennamen. 

Die  auf  dem  letzten  Denkmalpflegetage  beschlossene  Aufnahme 
alter  Bürgerhäuser  ist  nach  dem  von  Schaumann  (Frankfurt) 
eiBtatteten  Bericht  in  die  Wege  geleitet,  doch  konnte  das  bis  jetzt 
gesammelte  Material  noch  nicht  vorgelegt  werden,  da  es  zu  der 
Durcharbeitung  bisher  an  Zeit  gefehlt  hat 

Die  Debatte  über  die  geschichtliche  und  künstlerische  Bedeutung 
des  Berliner  Opernhauses  führte  zu  einer  Resolution,  in  welcher 
seine  Erhaltung  als  im  höchsten  Grade  erwünscht  bezeichnet  wird. 

Sehr  verschiedene  Meinungen  wurden  laut  über  die  Verzeich- 
noQg  von  beweglichen  Denkmälern  in  Privatbesitz.  Ich 
habe  mich  in  dieser  Zeitschrift  früher  ^)  darüber  ausgesprochen  und 
kann  nuch  daher  mit  dem  Hinweis  darauf  begnügen. 

Dagegen  sei  es  mir  zum  Schlüsse  gestattet,  noch  zwei  Bedenken 
zur  Sprache  zu  bringen.  Konservator  Seh mTdt  München)  teilte  der 
Versanunlung  die  sehr  interessanten  Erfahrungen  mit,  die  in  Bayern 
mit  einem  neuen  Regenerationsverfahren  für  Glasgemälde  gemacht 
worden  sind.     Leider  war  der  Redner  der  beschränkten  Zeit  wegen 


I)  Vgl  6.  Bd.,  S.  174. 


—     104     — 

^u  auiiserordentlicher  Kürze  g'enötigt,  und  es  konnte  nicht  versucht 
werden,  die  Frage  eingehender  in  der  Versammlung  zu  erörtern. 
Grerade  die  Behandlung  derartiger  Fragen  sollte  eine  Hauptaufgabe 
•des  Denkmalpflegetages  bilden:  dem  in  der  Praxis  der  Denkmalpflege 
Stehenden  würde  damit  der  gröfste  Dienst  geleistet.  So  überwiegen 
meines  Erachtens  etwas  zu  sehr  allgemeine  akademische  Erörterungen, 
in  denen  doch  kaum  je  eine  Einigkeit  erzielt  wird.  Oder  es  kon- 
zentriert sich  das  Interesse  allzu  einseitig  auf  die  architektonischen 
Denkmäler,  denen  gegenüber  die  der  Malerei,  der  Plastik  und  des 
Kimstgewerbes  ungerechtfertigterweise  zu  kurz  kommen.  Die  Ge- 
fahr, dais  man  sich  dadurch  in  Fragen  der  Museumspraxis  verlieren 
könnte,  Heise  sich  durch  einen  stetigen  Hinblick  auf  die  Anforderungen 
der  Denkmalpflege  unschwer  vermeiden. 

Mein  zweites  Bedenken  ist  ganz  anderer  Natur.  Es  ist  in  die 
Hand  des  Ausschusses  gelegt  worden,  den  Ort  der  nächsten  Tagung 
selbständig  zu  bestimmen,  auch  wenn  ein  Einverständnis  mit  dem  Ge- 
samtverein der  Geschichts-  und  Altertumsvereine  nicht  erzielt  werden 
sollte.  Im  Jahre  1904  war  es  aus  verschiedenen  Erwägungen  nicht 
möglich,  am  gleichen  Ort  und  zu  gleicher  Zeit  mit  diesem  zu  tagen. 
Ich  glaube  aber,  wenn  irgend  tunlich,  sollte  künftig  eine  Trennung 
vermieden  werden.  Der  Zusammenhang  mit  dem  Gesamtverein,  aus 
dein  der  Denkmalpflegetag  hervorgegangen  ist,  scheint  mir  wichtiger, 
als  die  Anwesenheit  einzelner,  noch  so  bedeutender  Persönlichkeiten. 
Durch  diesen  Zusammenhang  ist  auch  bei  einem  Nachlassen  des  In- 
teresses von  anderer  Seite  die  Lebenskraft  des  Denkmalpflegetages 
gesichert.  Weiterhin  gehört  die  Fühlung  mit  den  Altertums- 
vereinen zu  einer  der  wichtigsten  Forderungen  der  Denkmalpflege. 
Es  wird  aber  nur  wenigen  Leuten  möglich  sein,  beide  Versammlungen, 
wenn  sie  getrennt  tagen,  zu  besuchen.  Endlich  kann  ich  die  enge 
Verbindung  mit  den  berufenen  Arbeitern  der  Geschichtsforschimg 
nur  ftir  höchst  vorteilhaft  halten.  Es  könnte  dabei  ruhig  der  Denk- 
malpflegetag mit  einigen  Sitzungstagen  z.  B.  des  Archivtages  oder 
des  Tages  für  römisch-germanische  Forschung  zusammenfallen.  Die 
Interessen  des  einzelnen  werden  dadurch  nicht  zu  sehr  in  Widerstreit 
geraten,  während  aber  nur  wenige  8,  mit  der  Reise  volle  lo  Tage 
auf  die  Versammlungen  verwenden  können,  wie  es  diesmal  in  Bam- 
berg erforderlich  war. 

Ich  habe  im  vorigen  einen  Punkt  der  Tagesordnung  übergangen, 
den  Bericht  über  das  Handbuch  der  deutschen  Kunstdenkmaler^  dessen 


—     106     — 

ersten  Band,  bearbeitet  von  Georg  D eh io,  namens  der  Kommission 
A.  V.  Oechelhäuser  vorlegen  konnte^).  Die  Leser  dieser  Zeit- 
ichrift  wissen,  da&  der  Wunsch  nach  diesem  Handbuch  schon  auf 
dem  ersten  Denkmalpfiegetag  ausgesprochen  wurde,  daüs  die  Ver- 
handlungen sich  lang  hinzogen  und  das  Unternehmen  Schliefelich 
gescheitert  schien,  da  kein  staatlicher  Zuschufis  zu  erlangen  war,  bis 
der  Kaiser  eine  namhafte  Summe  aus  dem  allerhöchsten  Dispositions- 
fonds zur  Veriiigung  stellte.  Der  vorliegende  erste  Band  enthält 
Mitteldeutschland  und  zwar  das  Königreich  Sachsen,  die  thüringischen 
Fürstentümer,  die  preu&ischen  Regierungsbezirke  Merseburg,  Erfurt, 
Kassel,  die  bayerischen  Regierungsbezirke  Oberfranken  und  Unter- 
franken. Man  mag  über  die  Zweckmäfsigkeit  dieser  Einteilung  Zweifel 
hegen,  indes  ist  es  gewifs  ganz  unmöglich  gewesen,  eine  zu  finden, 
die  alle  befriedigt  hätte!  Die  Anordnung  ist  im  ganzen  Bande  al- 
phabetisch, zur  Orientierung  ist  noch  ein  Ortsverzeichnis,  geordnet 
nadi  Staaten  und  Verwaltungsbezirken,  ein  Künstlerverzeichnis  und 
eine  Übersichtskarte  beigegeben.  Das  kleine  Format  des  sehr 
billigen  Bändchens  ermöglicht  für  Reisen  in  dem  genannten  mittel- 
deutschen Gebiete  dessen  bequeme  Mitnahme  sogar  in  der  Rock- 
tasche —  ein  nicht  zu  unterschätzender  Vorzug;  die  Handlichkeit  er- 
leichtert auch  den  Gebrauch  als  Nachschlagebuch  am  Schreibtisch. 
Und  beiden  Zwecken  soll  es,  dem  ursprünglichen,  ziemlich  treu  be- 
folgten Programm  nach  *),  dienen.  Bei  der  BeurteUung  wird  man  stets 
fesüialten  müssen,  dafs  nicht  ein  Konkurrenzunternehmen  zu  den 
staatlichen  Inventarisationen ,  auch  kein  Auszug  etwa  aus  den  schon 
vorhandenen  Bänden  geplant  war,  sondern  dafis  im  Gegensatz  zu  ihnen 
dieses  Handbuch  sich  ausdrücklich  auf  die  Kunstdenkmäler  beschränkt, 
auch  hier  noch  siebtet,  in  knapper  Form  alle  nötigen  Unterlagen  an 
Daten  usw.  und  kurze  Bemerkungen  über  den  künstlerischen  Wert 
gibt,  bei  wichtigeren  Denkmalen  auch  über  den  neuesten  Stand  der 
Forschung  unterrichtet  Es  durfte  selbstverständlich  nicht  mit  einer 
aosiiihrlichen  Bibliographie  beschwert  werden,  enthält  aber  stets  die 
nötigen  Verweise  auf  die  Inventare  und  bei  den  noch  nicht  inventari- 
aciten  Orten  die  bedeutendere  Spezialliteratur.  Bei  dem  vorliegenden 
Bande  handelt  es  sich  zum  grofsen  Teil  um  Gegenden,  über  die  noch 
kein  Inventar  vorliegt    Jeder  halbwegs  Sachverständige  wird  also  die 

I)  G.  Dehio,  Eandbueh  der  deutschen  Kunstdenhnäler.  Band  I.  Mitteldentsch- 
l^sd.    Berlin.     Verlegt  bei  Ernst  Wasmnth  A.-G.,  1905.     In  Leinwand  geb.  4  Mk. 

s)  Siehe  den  AofsatE  von  G.  ?.  Bezold  in  der  Beilage  xur  Allgemeinen  Zeitung 
(Minclien),  190a.     Nr.  209  (S.  497)- 


—    106     — 

Schwierigkeit  des  Unternehmeiis  scbätcea  köcnen  und  verstehen,  daiis 
bei  der  uBgebeuren  Fülle  des  Stoffes  Ungleichheiten  nicht  zu  ver- 
meiden waren«  mochte  der  Verfasser  auch  durch  die  erfahrensten  Fach- 
männer der  behandelten  Gegenden  unterstützt  werden.  ^  Es  soll  deshalb 
auch  keine  Kritik  an  der  vorzüglichen  Arbeit  des  Verfassers  sein,  wenn 
ich  einige  prinzipielle  Bedenken  äuüsere.  Es  scheint  mir,  als  sei  auf 
4ie  praktischen  Bedürfnisse  der  Benutzer  dieses  Buches  zu  wenig 
Rücksicht  genommen.  Wie  wird  sich  der  kunstsinnige  Laie,  für  den 
ausdrücklich  das  Buch  mitbestimmt  ist,  ärgern,  wenn  über  Inhalt  und 
Bedeutung  der  öffentlichen  Sammlungen  gar  keine  Anhaltspunkte  ge- 
geben werden!  Auch  der  Fachmann  wird  das  vermissen.  Nehmen 
wir  nur  z.  B.  den  Ort  der  letzten  Tagung:  Bamberg.  Wie  nützlidi 
wäre  es  einem  d^i  gewesen,  zu  erfahren,  was  ungefähr  an  Wichtigstem 
die  städtischen  Sammlungen  auf  dem  Michelsberg  enthalten,  ob  man 
je  nach  seinen  Spezialinteressen  sich  den  Besuch  sparen  kami  oder 
nicht  Gewits  kann  das  Handbuch  dem  Baedeker  keine  Konkurrenz 
machen,  aber  es  mufs  ihn  doch,  was  derartige  Belehrung  anlangt,  für 
den  Freund  alter  Kunst  überflüssig  machen.  Solche  bedeutende 
Werke  endlich,  wie  die  frühmittelalterlichen  Textilien  im  Domschatz 
zu  Bamberg  oder  wie  die  Uconographisch  und  künstlerisch  gleich  in- 
teressante Barockkapelle  des  heiligen  Grabes  bei  der  Michaelskirche 
mit  ihren  Totentan^bildem  dürften  doch  nicht  gänzlich  nüt  Stillschweigen 
übergangen  werden.  Die  Notwendigkeit  der  knappsten  Fassung  sei 
anerkannt:  hier  und  da  ist  wohl  etwas  zu  summarisch  verfahren  worden. 
Das  glänzende  Barockgebäude  der  Königl.  Regierung  in  Erfurt  ist 
mit  der  Bemerkung  „kurmainzische  Statthalterei  17 13;  erweitert  1733" 
abgetan.  Auf  Grund  dieser  Bemerkung  wird  kein  Benutzer  des  Buches 
hierin  etwas  auch  nur  halbwegs  Wichtiges  vermuten!  Oder  als  Bei* 
spiel  für  vieles  ähnliche:  was  nützt  bei  Ebelsbach  die  Bemerkung: 
„Wasserschloüs  des  Herrn  von  Rotenhahn'^  ohne  auch  nur  die  An- 
gabe, ob  es  ein  Bau  des  Mittelalters  oder  der  Neuzeit  ist  Da  es 
sich  um  ein  Handbuch  der  Kunstdenkmäler  handelt,  so  hat  gewiis 
die  Klasse  der  Wehrbauten  nur  „sekundäre  Bedeutung".  Wenn  man 
aber  an  die  praktische  Benutzung  auf  Reisen  denkt,  so  müiste  wenig* 
stens  über  die  Bedeutung  der  Anlagen  ein  klein  wenig  Ausführlicheres 
mitgeteilt  werden.  Auch  mufs  man  sich  fragen,  ob  in  den  Abkür^ 
Zungen  nicht  hier  und  da  doch  etwas  zu  weit  gegangen  worden  ist 
Sprenss,  =  Spätrenaissance ;  SU.  =  Säulen ;  frrom.  =:  frühromanisch ; 
n,  Ssch,  =  nördliches  Seitenschiff:  ich  weifs  nicht,  ob  derartiges  nicht 
den    Gebrauch    allzusehr    erschwert      Doch    dürfen    uns    diese   Be- 


—     107     — 

änstandmigeQ  nicht  an  dem  Wert  des  Werkes  irrt  machen.  Manchem 
mag  es  ja  dünken,  als  seien  durch  diesen  Band  die  Bedenken  jener 
gferechtfertigft,  die  seinerzeit  die  Ausßihrungf  ßkr  verfrüht  erachteten. 
Ich  i^laube,  wenn  man  einmal  das  Verlangen  nach  einem  solchen 
Handbuch  als  vorhanden  anerkennt  —  und  daran  lälst  sidi  kamn 
2weifehi  — ,  dann  durfte  man  seine  Herausgfabe  nicht  w^en  vnver- 
»eidlicher  Mängel  hinausschieben.  Die  Hauptsache  war  dann,  dafe 
es  überhaupt  gemacht  wurde,  nicht  wie  es  im  einzelnen  gemacht 
wurde.  Wie  es  vorliegt,  wird  es  (Ür  den  Forscher  und  Altertums- 
freund  ein  von  Stund  an  unentbehrliches  Hilfsmittel  sein.  Alle  diese 
Kreise  wird  es  zu  tätiger  Mitarbeit  anregen.  Dann  wird  es  sich  in 
hoffentlich  recht  bald  nötig  werdenden  Neuauflagen  immer  voU« 
kommener  gestalten, 

♦ 

Zwei  Ausflüge  schlössen  sich  an  den  vorjährigen  Denkmalpflege^ 
tag  an;  der  eine  führte  nach  Nürnberg  zur  Besichtigung  der 
Restaurationsarbeiten  an  den  dortigen  Kirchen  S.  Sebald 
und  S.Lorenz.  Über  die  schon  weit  vorgeschrittene  Renovierung 
S.  Sebalds  lag  ein  gedru<toer  Bericht  vor  *) ;  eine  vorzüglich  instruk« 
five  Ausstellung  in  der  S.  Moritzkapelle  erläuterte  denselben.  Der 
Technik  war  hier,  besonders  in  der  Renovierung  der  Pfefler  der  Kirche, 
eine  unendlich  schwierige  Au%abe  gestellt,  die  —  man  darf  es  SBgen  — 
glinzend  gelöst  worden  ist.  Was  das  Äu&ere  betrifft,  so  wird  man 
sich  nicht  verhehlen  können,  dafs,  trotz  gegenteiliger  Versicherung  des 
Architekten,  diie  künstlerische  Phantasie  hier  und  da  doch  recht  frei 
geschaltet  hat  Vor  allem  aber  drängte  sieb  aHen  Besuchern  eine 
Frage  auf,  die  ich  wenigstens  andeuten  möchte.  Im  Gegensatz  zu 
laderen  Restaurationen,  bei  denen  der  Architekt  die  vermutliche  alte 
Bemalung  auch  der  wiedeihergestelHen  Statuen  in  ihrer  ehemaligen 
Frische,  oft:  auch  in  ihrer  nur  vermeinten  krassen  Buntheit  wieder 
neu  angebracht  hat,  ist  hier  sorgfältig  eine  altertümliche  Erscheinung 
henrorgezaubert  worden.  Einesteils  sind  die  Farben  nur  matt  und 
gedSbnpft,  ^e  sie  nach  jahrhundertelangem  Besteben  aussehen  mögen, 
angetragen  worden,  anderenteils  ist  der  altertümliche  Eindruck  durch 
Abreiben  der  frisch  angetragenen  Farben  und  des  Goldes  erzielt 
Worden.  Das  tut  gewi6  wohl  z.  B.  neben  der  unangenehm  neuen  Er- 
cheinung  des  schönen  Brunnens,  aber  man  wird  sich  doch  fragen  müssen, 

I)  Otto  Scholz,  Die  Wiederkentelhmg  der  St.  Sebaidkirehe  in  Nürnberg 
7998-^19M.  Btnaägeg.  wt  V«r»m  Ar  Gndb,  4,  Stadt  Mrabeti^.  Nnmbesg,  Joh. 
Uo&h.  Schn^  1905. 


—     108     — 

ob  darin  nicht  eine  arge  Künstelei  liegt  und  ob  man  das  „Altmachen^ 
nicht  der  Zeit  überlassen  sollte,  die  es  vermutlich  rasch  genug  besorgt 
Den  stimmungsvollen  Abschlufs  fand  der  Denkmalpäegetag  in 
Rothenburg,  wo  die  Mitglieder  durch  Soldaten  der  Tillyzeit  emp- 
jEangen  wurden,  und  ihnen  aus  einer  Kopie  des  altberühmten  Pokals 
der  Willkommentrunk  gereicht  wurde.  In  diesem  Empfang,  in  der 
b^ieisterten  Führung  durch  die  Stadt,  in  den  Reden  während  des 
Essens  spürte  man  so  recht  die  warme,  treue  Liebe,  welche  diese 
Rothenburger  beseelt  für  die  Vergangenheit  und  die  Denkmäler  ihrer 
Heimat  Aber  der  Altertumsfreund  wird  sich  doch  wehmütig  ein- 
gestehen müssen,  dafe  eine  solche  Erhaltung  eines  alten  Stadtbildes 
eben  nur  möglich  ist,  wenn  ein  Ort  dem  Verkehr  derartig  fem  liegt, 
und  dafs  der  Wunsch,  den  man  fiir  Rothenburg  aussprechen  muls, 
nur  der  etwas  sehr  paradoxe  sein  kann :  die  Stadt  möge  nicht  wachsen 
und  dem  Verkehr  nicht  näher  gerückt  werden. 


Vor  und  nach  der  Versammlung  führte  der  Weg  viele  ihrer  Mit- 
glieder nach  Strafsburg,  wo  in  den  prächtigen  Rokokosälen  des  Erd« 
geschosses  des  Rohanschen  Palastes  Konservator  Wolf f  eine  Aus- 
stellung für  Denkmalpflege  im  Elsafs  veranstaltet  hatte,  die 
sich  der  Sonderausstellung  von  S.  Sebald  in  Nürnberg  o^^änzend  an« 
schlofiB.  Die  Ausstellung  umfafste  drei  Gruppen  ^).  Die  erste  zeigte 
die  wissenschaftlichen  Hilfsmittel  der  Denkmalpflege: 
Urkunden  mit  Zeichnungen,  alte  ElntwurfiBzeichnungen  fiir  Kirchen  und 
Schlösser,  Aufnahmen»  Abbildungen  usw.  Es  war  ein  g^tes  Zeugnis 
für  die  Tätigkeit  des  Konservators,  der  bekanntlich  ein  mustergültiges 
Denkmälerarchiv  zustande  gebracht  hat,  das  ihn  sicher  mehr  befriedigt, 
als  die  Praxis  der  Denkmalpflege,  mit  der  es  im  Elsafs  wie  anderswo 
trotz  der  Bemühungen  des  Konservators  bei  den  eigentümlichen 
Schwierigkeiten,  die  in  der  Sache  liegen,  oft  recht  trüb  aussieht  — 
An  diese  Gruppe  schlofs  sich  eine  Ausstellung  der  Wiederherstellungs- 
arbeiten an  der  Hochkönigsburg  an,  die  sehr  geschickt  arrangiert 
war,  aber  von  neuem  die  praktische  Unmöglichkeit  einer  historisch- 
getreuen Rekonstruktion  und  das  starke  Walten  künstlerischer  Phan- 
tasie bewies.  Sehr  unerfreulich  war  die  neben  dem  geborstenen  Orig^al 
ausgestellte  Kopie  eines  Treppendecksteins.  Die  oberflächliche  Arbeit 
genügte  als  Beweis  für  den  gänzlichen  Mangel  an  Verständnis  der  alten 

I)  Führer  durch  die  AuatteOimg  der  Denkmafyfleg$  4m  El&aß^  1905.  Stxmü- 
bürg  i.  E.,  Druck  Ton  M.  Da  Mont-Schaaberg,  1905. 


—     109     — 

Kunst  bei  dem  Verfcrtiger.  Ich  will  nur  hoffen,  dafe  die  übrigen  Kopien 
tmd  die  Neuschöpfungen  nicht  den  gleichen  Händen  anvertraut  werden. 

Die  zweite  Gruppe  enthielt  die  technischen  Hilfsmittel  der 
Denkmalpflege,  vor  allem  die  Ausstellungen  der  Münsterbau- 
hütten in  Straüsburg  und  Colmar.  Gipsabgüsse,  Kopien  zerstörter  Steine, 
restaurierte  Gobelins,  gereinigte  Tafelbilder,  Proben  der  mittelalterlichen 
Bearbeitungsweise  des  Baumaterials  in  Stein  und  Holz,  Kupferverdeckun- 
gen, Verbleiungen  u.  a.  m.  Hier  war  es  erfreulich  zu  beobachten,  wie  ge- 
wissenhaft die  beiden  Münsterbauhütten  bei  ihren  Arbeiten  vorgehen. 

Die  dritte  Gruppe  endlich  gab  ein  Bild  der  ausgeführten  und 
io  der  Ausführung  begriffenen  Arbeiten  der  Denkmal- 
pflege. Ein  Gebiet,  das  man  selbstverständlich  ebenso  oft  zustim- 
mend wie  ablehnend  durchwandelt.  , 

So  schön  diese  Ausstellung  sich  präsentierte,  so  hoch  an  Qualität 
die  Restaorationsarbeiten  an  S.  Sebald  in  Nürnberg  stehen,  so  inhalt- 
reich die  Verhandlungen  in  Bamberg  waren,  man  wird  sich  doch  ge- 
stehen müssen,  dafs  wir  in  der  Praxis  der  Denkmalpflege 
noch  täglich  die  übelsten  Erfiahrungen  machen,  dafs  den  schönen 
Worten  nicht  immer  schöne  Taten  folgen.  Ein  ganzer  Band  liefse 
sich  anfüllen  mit  den  Sünden  oft  der  berufensten  Hüter,  hier  und  da 
aacfa  mit  Fehlem,  die  einer  eigentümlichen,  oft  wiederkehrenden  Ver- 
kettung von  Umständen  entstammen.  Jedenfalls  mufs  noch  viel  ge- 
arbeitet und  gekämpft  werden,  ehe  wir  hoffen  können,  dafs  das  Urteil 
der  Nachwelt  ebenso  günstig  wie  über  unsere  Reden  auch  über  unsere 
praktische  Denkmalpflege  sein  wird  ^). 

i)  Ein  kleiner  Nachtrag  sei  bei  der  Korrektur  gestattet  und  zwar  über  die  auf 
Seite  I02  im  Text  and  in  der  Anmerkung  i  erwähnte  Rott'sche  Schrift  Es  war  mir  ror 
AMassvng  des  Aufsatzes  nicht  mögUch,  sie  niher  zu  studieren.  Ich  habe  das  jetzt  nach- 
S^lt  und  mufs  gestehen,  dafs  die  Schrift  auf  mich  einen  geradezu  rerblttffenden  Eindruck 
gemacht  hat.  Ich  habe  bisher  darauf  verzichten  müssen,  die  ungeheure  Literatur  über 
das  Heidelberger  Schlofs  eingehender  nachzuprüfen,  aber  ich  nahm  in  meiner  NairetSt 
<Is  selbstrerständlich  an,  dafs  das  urkundliche  Material  wenigstens  der  hauptsichlieh  in 
Betracht  kommenden  Archire  rollständig  ausgebeutet  sei,  denn  für  die  Aufstellung  wissen- 
KfaafUicher  Hfpothesen  über  die  ehemalige  Gestalt  des  Ott-Heinrichsbaues  wie  für  eine  durch- 
Cmfende  Restaurierung  wire  das  doch  die  einzig  richtige  Grundlage  gewesen  t  Hätte  sich 
'■fattig  in  ganz  entfernten  Orten,  sagen  wir  etwa  in  Granada  oder  Sevilla,  etwas  gefunden, 
>o  häftte  man  daraus  keinen  Torwurf  ableiten  können.  Dafs  es  aber  möglich  war,  in  den 
Karlsruher  und  Mfinchener  Archiven  für  die  Liste  der  Baumeister  und  Bildhauer  Ott- 
B^hmchs  noch  so  wichtige  Beiträge  zu  finden  —  die  von  kott  daraus  gezogenen,  vielleicht 
sa  kflhnen  Schlüsse  will  ich  hier  nicht  erörtern  ^,  das  mufs  doch^  gelinde  gesagt,  recht 
^Vntiailicfa  berühren  und  Vküt  die  ausgesprochene  Forderung  exakter  historischer 
Forschung  nur  allzu  berechtigt  erscheinen. 


W*MnA«il«lfc 


—     110     — 


Mitteilttiii^en 

Tersammlimgeii.  —  Die  IX,  Versammlung  deutscher  Historiker 
wird  in  der  kommenden  Osterwoche  in  Stuttgart  stattfinden,  und  zwar  wird 
ne  am  17.  April  abends  beginnen  and  bis  zum  21.  April  dauern.  Vor- 
sitsender  des  Verbandes  Deutscker  Historiker  ist  gegenwärtig  Gefaeimiat  Ptof. 
T»  Below  (Freiburg  i.  Br.),  und  in  seinen  Händen  wird  die  Leitung  der 
diesjährigen  Versammlung  liegen.  Vorsitzender  des  Ortsausschusses  ist  Ober- 
studienrat Prof.  Egelhaaf  (Stuttgart).  Die  VeröfTentlichung  des  Programms 
wird  bald  erfolgen ;  Interessenten  erhalten  es  auf  Wunsch  vom  Herausgeber 
dieser  Zeitschrift  zugesandt. 

Gleichzeitig  wird  die"  Konferenz  von  Vertretern  landesge- 
schichtlicher Publikationsinstitute  stattfinden. 

ArchlTe.  —  Die  Notwendigkeit,  den  Inhalt  der  Archive  der  Wissen- 
schaft allgemein  zugänglich  zu  machen,  ist  längst  erkannt^),  aber  ebenso 
Mar  ist  es  in  neuerer  Zeit  geworden,  dafs  unmöglich  zur  Drucklegung  der 
zofiülig  vorhandenen  laventare  geschritten  weiden  kann,  da(s  vielmehr  dne 
besondere  Bearbeitung  de»  Stoffes  ssum  Zwecke  der  Veröfientlichui^ 
vorgenommen  werden  muis.  Wie  eine  solche^ au  erfolgen  hat,  darüber 
lassen  sich  ganz  unmöglich  bestimmte  Vorschriften  aufstellen,  aber  so  viel 
ist  sicher:  wenn  nicht  ein  sogenanntes  Übersichtsinventar  gegeben 
werden  soH,  welches  nur  die  Gfiederung  der  gesamten  Archivbestände  er- 
kennen lä6l  ohne  Einieloachzicfaten  an  bieten  ^),  dann  müuen  die  VeröfeH- 
lichut^en  so  gehalten  sein,  daiä  sie  wenigstens  in  gewissem  Ma&e  sugleich 
als  Quell  en Publikationen  betrachtet  werden  können,  nicht  nur  als  Nachweis 
gewisser  Archivalien. 

Diesem  Gedanken  ist  eine  beachtenswerte  anhaltische  Pubblcation  ent- 
sprungen: Regesten  der  ürkufiden  des  HerxogKc^hen  Haus-  und  SUuUsarMcs 
«u  Zerhst  aus  den  Jahren  1401 — 1500,  heiausgegeben  von  Archivrat  Wäschke 
(Dessau,  Dünohaupt  1 90^ff.,  bisher  6  Hefte,  bis  zum  Jahre  1 46 2 ;  6 1 5  Nummern, 
a8S  S.  %%  Seit  1883  bereits  ist  der  Codex  d4pknnaiicus  JnhaUmus  in  fünf 
Bänden,  die  bis  1400  ftlhren,  abgeschlossen,  aber  zu  einer  Fortsetzung  des 
Werkes  über  diese  Zeitgrenze  hinaus  konnte  man  sich  nicht  entschlieisen,  und 
dies  ist  ein  Beleg  fUr  das  Zutreffende  der  Darlegungen  von  Forst  (oben  S.  6$ßX 
iEine  Bearbeitung  aller  Anhalt  betreffenden  Urkunden  nach  1400  ohne 
JEUicksicht  auf  ihren  gegenwärtigen  Aufbewahnujgsort  würde  so  viel  Zeit  et- 
ibrdert  haben »  dafs  noch  recht  knge  auf  eine  solche  Veröffentlichung  hätte 
gewartet  werden  müssen,  imd  so  war  et  zwcifeUos  recht  zweckmäfsig,  zu- 
nächst eine  Äbschlagsaahlung  zu  geben  und  wenigstens  die  im  Haas- 
,und  Staatsarchiv  ')  beruhenden,  Urkunden  in  Reg^stenform  zu  veröffentlichen. 

1)  Vgl.  diese  Zeitschrift  i.  Bd.,  S.   171 — 175. 

2)  Solche  liegen  z.  B.  für  die  prenfiischen  Staatsarchive  in  Hannover,  Schleswig 
Und  Kobtent  vor,  aber  auch  fth*  viele  gr5fsere  Stadtarchive.  Ton  letrteren  ist  cwetfellos 
Am  «MfUhrlkasto  oofll'  bette  dn  Inventar  dm  Baaekr  Stadtaanehtva.  VgL  diese  Zsaidirift 
6.  Bd.,  S.  363 — 264. 

3)  Über  dessen  Zusammensetzung «pd  Orgapimlion  vgl.  diese  Zeitschrift  2.  Bd.,  S.  235. 


—    111   — 

Die  loätegenöt  Arbeit  ist  mcht  nur  Publikation  eines  Archivinventars,  sondern 
a^ekh  auch  Fortsetsung  des  Urkundenbuches. 

Wie  der  Titel  sagt,  soll  bis  zum  Jahre  1500  herabgegangen  werden, 
aber  hoffentlich  gilt  dies  nur  für  diesen  Band,  denn  eine  derartige  Ver- 
öisi^ichong  für  das  XVL  und  XVII.  Jahrhundert  wäre  nicht  minder  er- 
wuBscht;  sie  ist  auch  nicht  allsu  mühsam,  da  die  Zahl  der  Urkunden  nach 
1550  bedeutend  abnimmt  Vorwort  und  die  unbedingt  notwendigen  Register 
so  dem  begonnenen  Buide  sollen  nach  Abschluß  der  Arbeit  erscheinen« 
Die  R^esten  sind  so  ausführlich  gehalten,  dafs  sie  in  der  Mehrzahl  der 
FItte  ein  Zurückgreifen  auf  die  Originale  unnötig  machen  werden.  EHe 
Dttierung  ist  stets  im  genauen  Wortlaut  angegeben,  auch  ktmse  Stttckbe- 
sdueibung  und  Angabe  der  Lagerstelle  im  Archiv  fehlen  nicht  Die  Regestea 
sdbst  zeigen  jedoch  ein  von  dem  sonst  üblichen  etwas  abweichendes 
BOd,  und  dieses  ist  eben  in  der  Absicht,  zugleich  eine  Quellenveröffent- 
fidnmg  zu  veranstalten,  begründet.  Die  Lösung  der  Aufgabe  muüs  als  glück- 
Kch  bezeichnet  werden.  Jede  Nummer  enthält  nämlich  zuerst  ein  kurzes 
Regest  der  üblichen  Art,  in  dem  das  Rechtsgeschäft,  dem  die  Urkunde 
dient,  bezeichnet  wird,  und  zwar  in  einem  übersichtlichen  Druck  unter  Sper* 
ning  der  Namen.  Dann  aber  folgt  mit  verhältnismäisig  wenigen  Ausnahmen, 
die  unbedeutendere  Stücke  betreffen,  in  Petitdruck  eine  genauere  Inhah»- 
isgabe  in  der  ersten  Person,  so  dafs  Zweifel  über  die  Beziehungen 
ksom  aufkommen  können ;  Ortsnamen  sind  durchgängig  in  der  urkundlichen 
nad  modernen  Form  angegeben,  die  Personeimamen  wenigstens  zum  Teil. 
Wichtige  Stücke  sind  sehr  ausführlich  behandelt,  so  z.  B.  ein  Schiedsspruch, 
der  die  Verhältnisse  zwischen  den  Anfaaltischen  Fürsten  regelt,  1452  Nr.  453, 
dessen  Inhaltsangabe  6^  Druckseiten  füllt  Andere  Urkunden  dagegen  sind 
mit  wenigen  Zeilen  abgetan,  so  dafs  z.  B.  auf  S.  131  vier  Nummern  erle- 
digt werden  konnten.  So  gewifs  über  die  Bedeutung  jeder  Urkunde  das 
subjektive  Urteil  des  Bearbdters  entschieden  hat  und  so  zweifellos  es  ist, 
da&  mancher  andere  in  dieser  Richtung  andere  Urteile  gefälk  haben  würde, 
gaade  dieses  von  jeder  schematischen  Gleichbehandlung  freie  Ver&hren  ver- 
cfieot  Anerkennung;  denn  es  ist  ganz  undenkbar,  dafs  wir  die  Urkunden- 
sdiätze  des  XV.  und  XVI.  Jahrhunderts  systematisch  erschließen,  wenn  wir 
nicht  bei  der  Veröffentlichung  ein  Kürzungsverfahren  einschlagen.  Wie 
notirendig  ein  solches  ist,  das  beweifst  die  Berechnung  die  Archivdirektor 
Ilgen  angestellt  hat*),  aber  Wäschke  hat  hier  zugleich  einer  in  Salzburg 
in  der  Erörterung  von  Rietschel  gestellten  Forderung  entsprochen  und  in 
der  Regestentechnik  eine  Neuerung  eingeführt.  Nur  will  mir  scheinen, 
ak  ob  man  noch  einen  Schritt  weiter  gehen  und  in  dem  zweiten  Teile  den 
gdLönten  Wortlaut  der  Urkunde  in  seiner  Originalform  mit  sorgfältiger  Be« 
Zeichnung  der  Zahl  der  wegg^assenen  Worte  -^  so  wird  bei  den.QueQen- 
sosifigcn  verfahren,  die  für  das  Wihierbiu^  der  deuUi^ien  Bechtsspracke  besorgt 
werden,  —  geben  sollte.  Bei  der  Übertragung  ins  Neuhochdeutsche  wird 
die  Ausdruckffweise  der  Urkunde  selbst  wohl  oder  übel  verschleiert,  imd 
db  Veröffentlichung    verliert    dadurch    an    Wert.     Im   vorliegendem    Falle 

i)  Tgl.  BeriefU  über  dk  it^Ue  Verwmmlung  deutscher  Büt&rtker  xu  Salzburg 
I^Ö#  (Lei^  1905),  S.  49- 

8 


—     112    — 

kommt  tatsächlich  der  Wortlaut  der  Urkunden  etwas  zu  kurz,  wenn  auch 
mancher  einzelne  Ausdruck  so,  wie  er  sich  in  der  Urkunde  findet,  abgedruckt 
ist.  Angenehm  und  nützlich  wäre  es  jeden&lls  gewesen,  wenn  durch- 
gängig die  Worte,  die  das  Rechtsgeschäft,  um  dessen  willen  die  Urku&de 
ausgestellt  wird,  betreffen,  im  genauen  Wortlaut  wiedergegeben  worden  wären. 
Dann  aber  wäre  auch  zu  wünschen  gewesen,  dafs  alle  im  Wortlaut  der 
Urkunde  abgedruckten  Worte  und  Sätze  durch  den  Druck  —  etwa  durdi 
Verwendung  der  Kursive  —  als  solche  gekennzeichnet  und  dadurch  die 
zahlreichen  Anführungszeichen  vermieden  worden  wären.  Wenn  man  da- 
gegen das  oben  vorgeschlagene  Verfahren  —  gekürzten  Abdruck  der 
Urkunde  in  ihren  entscheidenden  Stellen  —  einschlägt,  dann  würde  eine 
solche  Mischung  in  der  Druckart  überflüssig  werden.  Doch  der  Verdienst- 
Hchkeit  der  Veröffentlichung  tun  diese  Einwendungen  kaum  Eintrag.  Wäschke 
hat  vielmehr  einen  neuen  gangbaren  Weg  bezeichnet,  um  Urkunden  des  aus- 
gehenden Mittelalters  rasch  und  in  gröfserer  Menge  zu  veröffentlichen  imd  auf 
diese  Weise  die  Drucklegimg  eines  Archivinventars  mit  der  Herausgabe  eines 
gekürzten  Uikundenbuches  zu  verbinden.  Als  äufserlicher  Mangel  erscheint 
es,  dafs  der  Kopf  jeder  Seite  den  Titel  des  Werkes  enthsUt;  viel  zweckmäßiger 
wären  links  das  Jahr  und  rechts  die  Nummern  der  auf  den  betreffenden 
Seiten  behandelten  Urkunden  zu  stehen  kommen.  Das  hätte  die  Benutzung 
wesentlich  erleichtert. 

Als  bemerkenswerte  Einzelheiten  seien  folgende  Tatsachen  erwähnt  In 
Dessau  wird  1411  nach  Freiberger  Münze  gerechnet,  und  zwar  gehen 
5B  Kreuzgroschen  auf  den  rheinischen  Gulden  (Nr.  75);  der  Kaland  zu 
Zerbst  wird  14x4  (Nr.  86),  der  zu  Bemburg  145 1  (Nr.  443)  genannt; 
auf&llend  häufig  werden  wüste  Dörfer  erwähnt,  so  Nr.  174 — 175,  261, 
338,  584,  614;  für  die  hoch-  niederdeutsche  Sprachmischung  sind 
die  Ui^unden  von  1457  und  1458  (Nr.  515,  534)  wichtig;  1456  tritt  das 
Kloster  Nienburg  der  Bursfelder  Kongregation  bei  (Nr.  487,  499); 
die  Urkunde  von  1459  ^^^^  ^^  Juden  zu  Stendal  sucht  in  diesem  Zu- 
sammenhange gewifs  nicht  so  leicht  jemand;  bemerkenswert  sind  die  noch. 
1458  dem  Fürsten  zustehenden  Innungspfennige  zu  Zerbst  (Nr.  531), 
aber  gerade  hier  vermifst  der  Benutzer  den  Wortlaut  der  Urkunde ;  in  Bemburg 
wird  1459  (^r*  54^)  ^^^  Tuchspende  für  Arme  eingerichtet,  aber  zugleich  mit 
dem  Tuche  soUen  die  EmpflUiger  in  bar  das  Macherlohn  erhalten;  ver- 
kehrsgeschichtlich sind  folgende  Nachrichten  bemerkenswert:  Kaiser 
Sigmund  gestattet  1417  dem  Fürsten  zu  Anhalt  als  Geleitsabgabe  von 
jeder  Zerbst  verlassenden  Fuhre  Bier  2  böhmische  Groschen  zu  erheben 
(Nr.  1x8),  Fürst  Georg  zu  Anhalt  verpfändet  1436  die  Woche  12  Groschen 
aus  dem  Geleit  zu  Jessenitz  (Nr.  195),  1461  sind  Zeihst  und  Köthen  so 
einträgliche  Geleitsstellen,  dafs  jede  mit  emer  jährlichen  Rente  von  200 
alten  Schock  belastet  werden  kxmn  (Nr.  592);  eine  wichtige  Zolluikunde, 
die  man  gern  vollständig  veröffentlicht  sähe,  liegt  von  1456  (Nr.  482)  vor; 
das  Kloster  Nienburg  kauft  1429  zwei  Salzpfannen  zu  Halle  für  176 
rheinische  Gulden  (Nr.  228,  293);  fürstlich-städtisches  Bündnis  gegen  einen 
Wegelagerer  1429  (Nr.  234,  252);  während  der  Zinsfufs  beim  Rendcauf 
1425  (Nr.  198)  noch  10%  beträgt,  fällt  er  1426  (Nr.  217)  auf  8,25%, 
1430  (Nr.  238)  sogar  auf  5»3%9  aber  1434  (Nr.  272)  ^den  sich  wieder 


—     118     — 

10»^  143»  (Nr.  304)  6,6%  1447  (Nr.  408)  8%.  1456  (Nr.  485)  5% 
1458  zweimal  (Nr.  531,  540)  6%^  146 1  (Nr.  596)  5  0/0,  dagegen  scheint 
mir  das  Ergebnis  von  4%  (1458»  Nr.  533)  auf  einem  Irrtum»  wenn  nicht 
•dnem  Druckfehler  zu  beruhen. 

Wandbilder  aus  TorgesdüehtUehen  Kaltarperlodon.  —  Die 

uns  erhaltenen  I^ßederschläge  der  vorgeschichtlichen  Vergangenheit  nicht  nur 
in  ihrer  Vereinzelung  zu  veranschaulichen  ^)^  sondern  sie  zugleich  nach  Zweck 
mid  Gebranch  verständlich  und  überdies  dadurch  interessant  zu  machen« 
dafi  man  sie  mit  dem  Menschen  als  ihrem  Träger  und  Verwender  in  Verbindung 
bringt«  damit  hat  die  prähistorische  Forschung  begonnen«  sobald  für  einen 
Zeitraum  die  Gesamtheit  der  Funde  nicht  mehr  so  lückenhaft  war«  dafs  der 
Phantasie  der  Hauptanteil  an  der  Arbeit  hätte  zufallen  müssen.  Am  frühe- 
sten fismden  sich  ausreichende  Anhaltspunkte  fUr  die  erste  nachchristliche 
Periode:  Osk.  Montelius  konnte  daher  ^)  die  Gestalt  eines  nordbchejn 
Kriegers  der  provinzial- römischen  Zeit  mit  genauer  Wiedergabe  der  Aus- 
lästmig«  und  Soph.  Müller*)  die  eines  Reiters  und  eines  Fuiskämpfers 
der  Völkerwanderung  zur  Darstellung  bringen«  der  letztere  überdies  *)  eine 
Skizze  der  Männertracht  aus  der  älteren  Bronzezeit. 

Auf  Gnmd  der  Funde  in  seiner  Heimat,  namenüich  derjenigen  in  Ober- 
hajem«  hat  es  jetzt  Professor  Dr.  Julius  Naue  unternommen«  eine  fortlaufende 
Reibe  von  sechs  Bildern  für  die  Hauptabschnitte  der  gesamten  Vorgeschichte 
za  entwerfen«  die  in  lithographischem  Farbendrucke  nach  seinen  Aquarell- 
kartons veröffentlicht  worden  sind  ^).  Der  von  ihm  gewählte  Mafsstab  (zwei 
Drittel  natürlicher  Gröfse)  sichert  deutliche  Anschauung  und  wird  den  rricht 
fachwissenschafUich  vorgebildeten  Betrachter  auch  kleinere  Schmuckstücke 
nicht  übersehen  lassen.  Die  Beigaben  werden  so  gezeigt«  dafs  man  sie  in 
der  Wirklichkeit«  bei  Ausgrabungen  sowohl  wie  in  den  Museen«  wiedererkenen 
mufs,  und  es  ist  auch  beabsichtigt«  dafs  die  Findrücke  namentlich  im  Ge- 
dächtnis der  heranwachsenden  Jugend  haften  sollen.  Insofern  sind  diese 
Tafeln  zu^eich  geeignet«  zur  Frhaltung  der  Reste  tmserer  Vorzeit  beizutragen« 
und  sind  besonders  auch  für  die  Schule  verwendbar. 

Um  die  Aufmerksamkeit  nicht  von  den  Gegenständen  abzuziehen«  denen 
das  Hauptaugenmerk  gilt«  werden  nicht  Gnq)pen  von  Figuren«  sondern 
Siozelgesülten  vorgeführt  und  die  weit  überwiegende  Mehrzahl  von  ihnen  in 
nihiger  Haltung  ohne  alles  zerstreuende  Beiwerk  und  ohne  durch  Farben- 
reichtum das  Auge  auf  das  hinzulenken«  was«  wie  die  Gewänder  der  Männer 
ond  Franen«  selbstverständlich  vom  Künstler  frei  hinzugefügt  werden  mufste. 

Das  erste  Bild  verg^enwärtigt  das  graue  Altertum«  die  früheste 
Bronzezeit«  gleichsam  symbolisiert  durch  die  grebe  Seherin«  die  als  nach 

1)  VgL  Die  in  dtn  Deutschen  Oesehiehisblättem  5.  Band  (1904),  S.  156-163  be- 
iprodieoen  Wandtmfeln  ▼orgeschicbtlicber  Funde. 

3)  O.  MoDtelias,  Die  KuUur  Sehwedme,  deatsch  Ton  Appel  (1885),  S.  105. 

3)  Soph.  Müller«  Nordische  AUertumshmde  noeA  Funden  und  Denkmälern 
M»  Dänemark  und  Schleswig.    1898.    U«  S.  129. 

4)  Ebd.  I,  S.  317. 

5)  Jalias  Naae,  Wandbilder  aus  vorgesehiehilichen  KuUurperioden.  München« 
Vcriig  Ton  Piloty  n.  Loehle  1905.  6  BL  Preis  20  Mark,  auf  Leinwand  gezogen  mit 
Stibcn  30  Mark. 

8* 


—     114     — 

jbrem  Tode  dem  Stanune  noch  eininal  vor  Augen  geführt  anfgefaftt  ist. 
Auf  dem  breiten  Ehrensessel»  das  Haupt  an  die  hohe  Rückwand  gdehnt, 
sätzt  sie  in  ihrem  priesterlichem  Schmucke,  mit  der  Halskette  aus  BemstciB- 
kugehi,  über  der  Handwurzel  je  einen  der  schweren »  unvenderten  Bronse- 
ringe  tragend,  die  der  ältesten  Periode  eigen  sind.  Der  weite  Mantel  ist 
Y(m  zwei  gekreuzten,  schlichten  Nadeln  mit  eingefurchtem  Stridionuunent  zu* 
Sammengehalten.  Der  Saum  des  einüubigen  Gewandes  ist  mit  sechs,  der 
Gürtel  mit  drei  dichten  Reihen  halbkugeliger  Bronzekn(^>fe  besetzt.  In  die 
Rechte  ist  ihr  der  Stab  gegeben,  auf  den  der  tüllenförmige  Halter  eines 
Rades  mit  yierspeichigem  Kreuz  gesteckt  ist  —  ein  oft  ab  Sonnenhild  aiif^ 
gefafster,  hier  als  Abzeichen  der  weisen  Frau  verwendeter  Gegenstand. 

Minder  reich  ist  der  Männerschmuck  derselben  Zeit,  den  die  jugend- 
lich kräftige  Heldengestalt  der  zweiten  Tafel,  gehüllt  in  ein  enges  Gewand 
tnit  übergeworfenem  Wolfsfell,  trägt.  Denn  die  Aufgabe  war  hier  natuigesül& 
und  den  Grabfunden  entsprechend  die  Wiedergabe  der  Wafifen:  der  kurze, 
breite,  dreieckige  Dolch  und  das  schilfblattfönnige  Schwert,  dazu  der  Rand- 
celt  in  knieformig  gebogenem  Holzstiel;  hinzutreten  von  Zieraten  die  Nadel 
mit  Anschwellung  unterhalb  der  Knopfscheibe  und  das  spiralig  nadi  oben  ver« 
laufende  Bronzeband,  das  über  dem  Knöchel  die  faltige  Schenkehmihülluaig 
zusanmienfafst  imd  das  in  ein  scheibenförmig  gerolltes  Endstück  anläuft 

Ist  dieser  ältesten  Zeit  die  Leichenbestattung  eigen,  so  erschwert  tür 
die  folgende,  die  jüngere  Bronzeperiode,  die  Leichenverbrennung,  v<m 
der  auch  die  Metallbeigaben  angegriffen  wurden,  alle  Ermittelungen.  Doch 
lälst  sich  deutlich  erkennen,  dafs  der  Zierat  reicher  wird,  dafs  die  einzelnen 
Stücke  kräftiger,  mehr  durchgearbeitet,  die  Nadeln  und  Armbänder  daher 
stärker  profiliert  sind.  Strickförmig  gedrehte  Hals-  und  quer  gerippte  Arm- 
ringe, im  Gewand  zwei  Nadeln  mit  Kugelkopf,  reicher  Bnistschmuck  —  durch- 
brochene Scheiben  —  und  ein  breites,  spitz  ovales  Gürtelblech  zeigt  die 
Frauengestalt,  die  zur  alleinigen  Vertreterin  dieses  Zeitraums  gemacht  i^. 

Die  Hallstattzeit,  etwa  mit  dem  XI.  bis  X.  vorchristiichen  Jahr- 
hundert begbnend,  wird  ihrer  mehr  als  ein  halbes  Jahrtausend  umfii^enden 
Ausdehnung  und  ihrer  glänzenden,  prachtliebenden  Entfaltung  gemäfs  auf  zwei 
Blättern  dargesteUt  ^).  Dem  entwickelten  Sinn  für  Mannigfialtigkeit  und  Formen- 
schönheit des  Schmuckes  Rechnung  tragend,  hat  der  Künsder  die  Ver- 
zierung der  Gewänder  entworfen,  die  allerlei  Anklänge  an  die  zum  Teil  &rb% 
ausgeführten  Muster  auf  bayerischen  und  anderen  TongefiUsen  zeigt  Die 
Ausrüstung  des  Mannes  büdet  das  lange  kräftige  Schwert  aus  Eisen,  aus 
dem  Metall,  das  jetzt  zum  ersten  Male  erscheint  imd  weittragenden  Kinflnfe 
auf  die  gesamte  Kultur  gewinnt;  dazu  der  breite,  eiserne  Dolch  mit  kleinem 
Griff;  beibehalten  aber  ist  die  Bronzenadel,  jetzt  mit  mehreren  kräftigen 
Knäufen  ausgestattet. 

Vielf^tiger  ist  der  Schmuck  der  Frau  (Blatt  5).  Der  damals  aufkom- 
menden Mode  entspricht  die  Fibel,  die  hier  zuerst  in  der  Vorgeschichte  auf- 
tritt, mit  anhangenden  kleinen  Kh^perblechen  an  Kettchen,  ferner  das  breite 
Gürtelblech  mit  getriebener  Bildnerei,  namendich  verschiedenen  Tiergestalten, 

i)  Besonders  reichhaltig  ist  diese  Periode  auf  der  vortrefflidien  Tkfd  der  por- 
gmehiekUiehen  Denkmäler  aus  Österreich  (Wien,  Ed.  H(^el)  Tertreten,  oamentlidi  aac^ 
durch  einige  farbig  verzierte  Töpfe. 


—     118     — 

cmflidi  die  groisen  Wulstringe  am  Uotermnn.  Die  Ha&d  stützt  sich,  die 
Spindd  haltend,  anf  den  grob  gearbeiteten  Tisch:  leicht  hätte  hier  eins  der 
fir  diesen  Zeitabschnitt  charakteristischen  Tongefiifte  von  geMiger  Form 
und  rescher  Ornamentik  angebracht  werden  können. 

Ans  der  Ruhe  der  bisher  besprochenen  Gestalten  tritt  die  sechste  Figur 
henns,  ein  Bild  voll  lebendiger  Bewegung,  gleichsam  die  Zeit  selbst  cha- 
nkterisierend,  der  es  angehört  —  die  unruhige  Periode  der  Völker- 
wanderung. Durch  Felix  Dahns  FeHoUaä  angeregt,  hat  der  Künstler  den 
joDgen  BajuwarenfUrsten  mit  kühn  geschwuogeneos,  einschneidigem  Eisenschwert 
md  hocherhobenem  Rundschild  dargestellt  Die  Gürtelschnalle  und  der  Be< 
schlag  sind  silbertauschierte  Arbeit,  wie  sie  in  den  bayerischen  Reihengräbem 
ntage  kommt     Eisern  sind  die  Ringe,  die  panzerartig  den  Leib  decken. 

Die  Gesamtheit  der  Bilder  führt  eine  mehr  als  zweitausendjährige  Kultur- 
cotirickeUmg,  von  der  ersten  Hälfte  des  vorletzten  Jahrtausends  v.  Chr. 
bb  fiber  die  Mitte  des  ersten  nachchi^lichen  Jahrtsuisends,  vor  Augen. 
Möditen  die  archäologisch  ebenso  zuverlässigen,  wie  charakteristisch  aus- 
gewählten, künstlerisch  durchgeführten  und  von  dem  Verleger  in  trefflicher 
Wiedergabe  dargebotenen  Bilder  in  weiten  Kreisen  die  Verbreitung  finden, 
die  ihnen  gebührt!  Vielleicht  wird  es  dann  später  möglich,  durch  eine 
vakkmerte,  wohlfeile  Ausgabe  sie  auch  denen  zuzuführen,  die  weder  Raum 
noch  Mittel  genug  haben,  luu  sich  an  der  vergleichenden  Betrachtung  der 
pA  vorliegenden  stattlichen  Tafeln  zu  erfreuen  und  zu  belehren. 

Jentsch  (Guben). 

Fnnkflirter   Oesehiehtsforschung.  —    Die  Stadtverordnetenver- 

wnmthing  hat  in  ihrer  Sitzung  vom  28.  November  1905  eben  Antrag  des 
Imdtagsabgeordneten  Funck,  den  Magistrat  um  Vorschläge  zu  ersuchen, 
»wie  eine  systematische,  historische  Erforschung  der  Ver- 
gangenheit Frankfurts  und  eine  Darstellung  seiner  Geschichte 
durch  Hilfe  der  Stadt  gefördert  werden  kann'S  einstimmig  an- 
gCDommen,  und  es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dais  sich  der  Magistrat  diesem, 
von  der  Vertretung  der  Bürgerschaft  der  Stadtverwaltung  angesonnenen 
iiä3Üe  officium  nicht  entziehen  wird.  Die  Arbeiten  der  Historischen  Kom- 
aiaiooen,  die  allenthalben  in  Deutschland  zur  Herausgabc  der  Geschichts- 
qoellen  ihrer  Gebiete  gegründet  worden  sind^  haben  schon  gezeigt  imd 
sogen  immer  mehr,  dafs  nur  solche  mit  gröfseren  Mitteln  und  mit  auf 
kioere  oder  längere  Zeit  angestellten  Historikern  von  Fach  arbeitende 
Oiganiiationen  imstande  sind,  die  systematische  ErscfaUefsung  der  Geschichts- 
qneUen  rasch  und  in  wissenschafUicli  befriedigender  Weise  durchzuführen. 
Die  Tätigkeit  der  lokalen  Geschichtsvereine  wird  dadurch  in  keiner  Weise 
Affückgedtängt  oder  gar  ausgeschaltet;  im  Gegenteil,  ihre  Aufgaben  werden 
erleichtert  und  erweitert  Die  Historischeu  Kommissionen  der  Provinz  Hessen- 
I'Itss»!  in  Marburg  und  Wiesbaden  erstrecken  ihre  Forschungen  nicht  auf 
das  Gebiet  der  Stadt  Frankfurt  a.  M.  Dem  dortigen  Altertumsverein  fehlt 
^  aber  an  Mitteln  und  &chlich  gebildeten  Arbeitskräften,  um  die  Erforschung 
der  geschichtlichen  Vergangenheit  der  Stadt,  die  Herausgabe  der  reichen 
lad  nicht  nur  für  die  lokale  Geschichte  so  bedeutenden  Schätze  des  Stadt- 
^'chiTs  im  Grofsbetriebe  zu  unternehmen.     Es  ist  zu  hoffen,   dafs  infolge 


—     116     — 

des  Antrages  Funck  auch  für  Frankfurt  a.  M.  eine  solche  Historische 
Kommission  gebildet  wird^  der  es  an  Mitteln  und  an  Sto£f  nicht  fehlen 
wird.  Das  geistige  Leben  und  das  wissenschaftliche  Interesse  in  diesem  als 
Stadt  des  Geldes  verrufenen  ahen  Zentrum  deutscher  Kultur  wächst  von 
Tag  zu  Tagy  nicht  zuletzt  dank  der  Befmchtung  durch  die  Akademie  für 
Sozial-  und  Handelswissenschaften.  An  dieser  ist  jetzt  ein  Lehrstuhl  fiir 
Geschichte  geschaffen  worden»  den  demnächst  Prof.  Georg  Küntzel  (bisher 
in  Bonn  und  im  Nebenamte  an  der  Handelshochschule  in  Köln  tätig)  ein- 
nehmen wird.  Dies  wird  auch  der  lokalen  Geschichtsforschung  neue  An- 
regung und  neue  Kräfte  zuführen,  die  in  Verbindung  mit  dem  örtlichen 
Geschichtsverein,  der  Administration  des  Böhmerschen  Nachlasses,  lud  vor 
allem  mit  dem  Stadtarchive  den  besten  Erfolg  für  die  von  den  städtischen 
Behörden  gewünschten  Forschungen  versprechen.  Diese  sollen  in  erster 
Linie  einer  wissenschaftlich  gediegenen  Darstellung  der  Geschichte  der  Stadt 
dienen,  eine  Aufgabe,  an  die  sich  seit  hundert  Jahren,  seit  Anton  Kirchner, 
niemand  mehr  herangewagt  hat. 

Et]ig:egangeno  Bücher. 

Atz  1er,  Alois:  Quellenstoflfe  und  Lesestücke  für  den  Geschichtsunterricht 
in  Lehrerseminaren.  L  Band:  Deutsche  Geschichte  bis  zum  Ausgange 
des  Dreilsigjährigen  Krieges.  Paderborn,  Ferdinand  Schöningh,  1903. 
304  S.  8®.  M.  2,50.  U.  Band:  Deutsche  und  brandenburgisch-prei;- 
fsische  Geschichte  vom  Ausgang  des  Dreifsigjährigen  Krieges  bis  1 8 1 5 . 
Ebenda  1904.  259  S.  8®.  M.  2,30.  IIL  Band:  Neueste  Geschichte 
seit  1815  bis  zur  Gegenwart.     Ebenda  1905.     286  S.  8^     M.    2,40. 

Auskunftsbuch  fUr  Schrifbteller,  herausgegeben  von  der  Redaktion  der 
„Feder".  2.  Auflage.  [=»  Schrifbtellerbibliothek  Nr.  i].  Berlin  W., 
Elfsholzstrafse  5,  Federverlag.     144  S.  8®. 

Bock:  Göttinger  Studentenleben  gegen  Ende  des  XVIIl.  Jahrhunderts  [=  Pro- 
tokoUe  über  die  Sitzungen  des  Vereins  für  die  Geschichte  Göttingens  im 
12.  Vereinsjahr  1903 — 1904  (Göttingen  1905),  S.  46 — 95]. 

Bulletin  de  la  Socidt^  Neuchateloise  de  Geographie  tome  XV. 
Neuchatel,  Paul  Attinger,  1904.     181  S.  8^. 

Crohns,  Hjalmar:  Zwei  Förderer  des  Hexenwahns  und  ihre  Ehrenrettnng 
.durch  die  ultramontane  Wissenschaft.     Stut^;art,   Strecker  &  Schröder, 
1905.     62  S.  S^. 

Ebstein,  Erich:  Zur  Geschichte  der  venerischen  Krankheiten  in  Göttingen 
[s>  Sonderabdruck  aus  Janus,  Ärckwes  iniemoHanales  pour  Vkistaire 
de  la  Midedne  et  la  Qiograpkie  fniduxUe.    Xe  ann^  i905]-     ^9  S.  8^. 

Fournier,  August:  Napoleon  L,  eine  Biographie.  II.  Band:  Napoleons 
Kampf  um  die  Weltherrschaft.  2*  Auflage.  Wien,  F.  Tempsky,  und 
Leipzig,  G.  Freytag,  1905.     407  S.  8^ 

Gutjahr,  Emil  A.:  Zur  neuhochdeutschen  Schxiitspmäie  Eykes  von  Bepgowe, 
des  Schöffen  beim  obersten  sächsischen  Gerichtshofe  und  Patriziers  in 
der  Bergstadt  zu  Halle  a.  d.  Saale,  eine  sprach-  und  rechtsgeschicht- 
liche Abhandlung  als  Prodromos  [«»>  Beigabe  zum  4.  Jahresbericht 
der  Städtischen  Vierten  Realschule  zu  Leipzig-Lindenauj.  Leipzig  1905. 
80  S.  4«. 


—     117     — 

Gronzel,  Joseph:  Die  Reichenberger  Tuchindustrie  in  ihrer  Entwickdung 
Tom  zünftigen  Handwerk  zur  modernen  Grofsindustrie  [=3  Beiträge  zur 
Geschichte  der  deutschen  Industrie  in  Böhmen,  herausgegeben  vom 
Vereine  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  V].  Prag,  in  Kom- 
mission bei  H.  Dominions,  1898.     184  S.  8^. 

Hallwich,  Hermann:  Firma  Franz Leitenberger.  1793 — 1893.  £ine  Denk- 
schrift [=  Beiträge  zur  Geschichte  der  deutschen  Industrie  in  Böhmen, 
herausgegeben  vom  Vereine  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  II]. 
Prag,  in  Kommission  bei  H.  Dominions,   1893.     151  S.  .8^ 

Heilmann:  Die  Begründung  der  evangelisch  -  reformierten  Gememde  in 
Göttingen  [»»  ProtokoUe  über  die  Sitzungen  des  Vereins  für  die  Ge- 
schichte Göttbgens  im  12.  Vereinsjahr  1903 — 1904  (Göttingen  1905), 

S.  9—45]- 
Hertel,  L.:  Neue  Landeskunde  des  Herzogtums  Sachsen-Meiningen.    Heft 

12.    Erster  Anhang:  Die  Nebenlinien.    Zweiter  Anhang:  Hennebergische 

Geschichte  [«»  Schriften  des  Vereins  für  Sachsen-M einingische  Geschichte 

und  Landeskunde,  51.  Heft].     Hildburghausen,  F.  W.  Gadow  &  Sohn, 

1905.     S.  451 — 595.     M.  3,50. 

Hieke,  W. :  Literatur  zur  Geschichte  der  Industrie  in  Böhmen  bis  zum 
Jahre  1850  [«>  Beiträge  zur  Geschichte  der  deutschen  Industrie  in 
Böhmen,  herausgegeben  vom  Vereine  für  Geschichte  der  Deutschen  in 
Böhmen  I].    Prag,  in  Kommission  bei  H.  Dominions,   1893.     133  S.  8^. 

Hoeniger,  Robert:  Die  Kontinentalsperre  und  ihre  Einwirkungen  auf 
Deutschland.  Vortrag  [«-  VdkswirtschafUiche  Zeitfragen,  Vorträge  und 
Abhandlungen,  herausgegeben  von  der  Volkswirtschaftlichen  GeseUschaft 
m  Berlin,  Heft  211].  Berlin,  Leonhard  Simion  Nachf.,  1905.  32  S^  8^. 
M.  i,oo. 

Rofmann,  Reinhold:  Dr.  Georg  Agricöla,  ein  Gelehrtenlebeo  aus  dem 
Zeitalter  der  Reformation.  Mit  dem  Bildnis  Agricolas.  Gotha^  Friedrich 
Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  1905.  148  S.  8^  Gebunden 
M.  3,00. 

Hofmann,  Reinhold:  Rückblick  auf  die  Geschichte  der  Stadt  Glauchau 
und  ihrer  gewerblichen  Entwickelung  [«=>■  Festschrift  zum  50  jährigen 
Jubiläum  des   Gewerbevereins  Glauchau  1847 — '^979  S*  79 — 127]* 

Jahrbuch,  XV.,  des  Deutschen  Gebirgsvereins  für  das  Jeschken-  und  Iser- 
gelnrge.     Reichenberg,  Selbstverlag  des  Vereins,  1905.     130  S.  8^. 

Kekule  von  Stradonitz:  Wissenschaftliche  Geneidogie  als  Lehrfach 
[aa  Mitteihmgen  der  2^tralsteUe  für  deutsche  Personen-  und  Familien- 
geschichte, I.  Heft  (Leipzig,  Breitkopf  tmd  Härtel,   1905),  S.  23 — 26]. 

Kirchbach,  WoUgang:  Friedrich  Schiller,  der  Realist  und  Realpolitiker. 
Schmargendorf  b.  Berlin,  Verlag  „Renaissance'*  (Otto  l^ehmann)  1905. 
71  S.  S\     M.  1,00. 

Kötz,  Gustav:  Geschichte  der  Stadt  Schwetz  seit  der  preufsischen  Besitz- 
ergreifung 1773.  Schwetz,  Kommissionsverlag  von  Büchner,  1904. 
43  S.  8^     M.  0,50. 

Kurze,  F.:  Deutsche  Geschichte  im  Zeitalter  der  Reformation  und  der 
Religionskriege  (1500 — 1648)  [»*  Sammlung  Göschen  Nr.  34].  Leipzig, 
G.  J.  Göschen,  1904.     149  S.  i6^     Gebunden  0,80  M. 


—     118     — 

Langer,  Eduard:  Finna  Benedikt  SchroH's  Sohn  [s=  Beiträge  zur  Geschichte 
der  deutschen  Industrie  m  Böhmen,  herausgegeben  vom  Verein  für 
Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  IV].  Prag,  in  Konmussioo  bei 
H.  Dominicus,  1S95.     ^4^  S*  ^^• 

Meyer,  Christian :  Kulturgeschichtliche  Studien,  Gesammelte  Au&ätEe.  Zweite 
Auflage.  Berlin,  Allgemeiner  Verein  für  Deutsche  Literatiir,  1903. 
304  S.  8*. 

Mogk,  £. :  Die  Volkskunde  im  Rahmen  der  Kuhurentwickdung  der  Gegen- 
wart [=B  Sonderabdmck  ans  den  BesstBchen  BUütem  fUr  Volkskunde, 
Bd.  $  (1904)]. 

Naue»  Julius:  6  Wandbilder  aus  vorgeschichdichen  Ktüturperioden  nebst 
Erläuterungen  (13  S.  8'')*  München,  Piloty  undLoehle,  1905.  M.  ao,oo 
(auf  Leinwand  mit  Stäben  M.  30). 

Overmann,  Alfred:  Die  Abtretung  des  Eisais  an  Frankreich  im  West* 
Mschen  Frieden.     Karisruhe,  G.  Braun,  1905.     xai  S.  8^ 

Preufs,  Georg  Friedrich:  Wilhelm  III.  von  England  und  das  Haus  ^^ttels* 
bach  im  Zeitalter  der  spanischen  Erbfolgefiage.  Erster  Halbband. 
Breslau,  Trewendt  &  Granier,  1904.     314  S.  8^. 

Pribram,  A.  F*:  Das  böhmische  Kommer^ollegium  und  seine  Tätig^eft, 
ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  böhmischen  Handels  und  der  böhmischen 
Industrie  im  Jahrhunderte  nach  dem  Westfölischen  Frieden  [ib»  Beiträge 
2ur  Geschichte  der  deutschen  Industrie  in  Böhmen,  herausgegeben  voni 
Vereine  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  VI].  Pxag,  in 
Kommission  bei  H.  Domimcus,  1898.     378  S.  8^ 

Ri  e  m  a  n  n ,  Fruiz :  Cobtirger  Ortsnamen  und  ihre  Bedeutung  für  die  Geschichte 
der  Landeskultur  [«=  Aus  den  coburg-gothaischen  Landen,  Heimatblätter^ 
herausgegeben  von  R.  Ehwald,  2.  Heft  (Gotha,  Friedrich  Andreas 
Perthes,  A.-G.,  1904),  S.  58 — 69]. 

Roth,  K. :  Geschichte  des  Byzantinischen  Reiches  [«»  Sammhing  Göschen 
^r.   190].     Leipz^,  G.  J.  Göschen,  1904.     xa8  S.  i6^     Geb.  0,80. 

Schroeder,  Richard:  Ein  Wörterbuch  der  älteren  deutschen  Reditssprache 
[äii:  Sonderabdrudt  aus  der  Festschrift  für  den  s6.  Deutsdien  Juristentag, 
dargebracht  von  J.  Guttentag,  Verlagsbuchhandlung,  S.  89 — 123]. 

Seilkop,  Karl:  Die  zweite  Besetzung  der  Stadt  Fnnkfurt  a.  O.  durch  die 
Russen  im  siebenjährigen  Kriege  (i  760)  {«c  MitteSungen  des  Historischen 
Vereins  für  HeimiCtkunde  zu  Frankfurt  a.  O.,  32.  Heft  (1904),  S.  19 — 28]. 

Sie  gl,  Kari:  Wall^nstein  in  den  Ausgabsbüchem  des  Egerer  StadtarchiTs 
[==i  Mitteilungen  des  Vereines  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen» 
43.  Jahrg.  (1904^,  S.  27- 50]- 

Siegle  Karl:  Eine  Wimdärxi-OrdfUiing  vom  Jahre  1574  im  Egerer  Stadt« 
archiv  [sts  Sonderabdmck  aus  der  langer  Jüdüsmisdun  Woehmachrift, 
28.  Jahrg.  (1903),  Nr.  3]. 

Sx^rgenfrey,  Theodor:  Hennann  Haessel,  ein  deutscher  Buchhändler. 
Reisebrief^  aus  der  Mitte  des  XDL  Jahrhunderts  nebst  einem  Lebens- 
abrifs.     Mit  einem  Bildnis.     Leipzig,  H.  Haessel,   X9O4.     64  S.  8^ 

Steffen,  Wilhelm:  Ein  altmärkisches  Rittergut  m  2  Jahrhunderten  [■■  Pro- 
grakmcf  des  Kösigl.  Pädagogiums  zu  Putbus,  Ostern  1905].     sx  S.  4^ 

Henuugebor  Dr.  Armin  Tille  in  Leipsig. 
Dmck  and  Verlag  von  Friedrick  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschnft,  Goduu 

Blner  Mitarbeitertchnft  von  800  henrorrafendeo  PersSnllchkeiteo  darf  sich  der  »Taf ".  die 
modernste  illustrierte  Tageszeitung  des  Erdkreises,  rühmen.  Seine  Bedeutung  erreichte  der  «,Yac^  anrch 
die  konsequente  Durchführung  des  Wahlsptuches  ,, Keiner  Partei  dienstbar  —  Freies  Wort  jeder  Partei t** 
Ausfuhrlicheres  beliebe  man  dem  der  heutigen  Nummer  beiliegenden  illuatrierten  Proapekt  cu  entnehmen. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 

zur 

Forderung  der  landesgeschiclitljchen  Forscbung 

VIL  Band  Februar  1906  5.  Heft 


Hennstiege 

Von 
Karl  Rubel  (Dortmund) 

Im  letzten  Novemberhefte  der  Deutschen  OeschicJUsbläUer ,  oben 
S.  27 — 39,  erörtert  der  verdiente  Rennstiegforscher  Ludwig  Hertel 
die  Frage  nach  Entstehung  und  Bedeutung  des  Rennstieges  des 
Thüringer  Waldes  noch  einmal  unter  vollständiger  Heranziehung  und 
Berücksichtigung  der  gesamten  Literatur.  Er  geht  auf  die  Bedeutung 
des  Wortes  rennen,  welches  „als  Berittener  dahersprengen**  gedeutet 
wird,  zurück  und  erblickt  in  dem  Thüringer  Rennstieg  seiner  Ent- 
stehung nach  einen  „Kurier-  und  Patrouillenweg**. 

In  meinem  Buche  Die  Franken^)  hatte  ich  bereits  (S.  180 f.) 
hervorgehoben,  dafs  der  „Rennstieg**  Thüringens,  auch  der  Rennstieg 
zwischen  Trostadt-Beinerstadt,  also  der  Belriether  Rennstieg,  von  ganz 
bestimmten  Beamten  in  einer  ganz  bestimmten  Zeit,  letzterer  nämlich 
um  880,  zu  ganz  bestimmten  Zwecken  angelegt  sein  müsse.  Es 
handelte  sich  bei  der  Herstellung  des  Belriether  Rennstiegs  um  die 
Herstellung  der  Scheidungslinie  der  beiden  neu  zu  bildenden  Marken 
von  Trostadt  und  Beinerstadt.  Sowohl  die  Anlage  dieser  neuen 
Marken,  wie  der  Zweck  der  neuen  Markbildung  lassen  sich  im  einzelnen 
hier  urkundlich  festlegen.  Es  bedeutet  hier  die  Ziehung  der  neuen 
Marklinie  zugleich  eine  Aufhebung  der  alten  Ödgrenze  und  die  Zuweisung 
der  Ländereien  zu  beiden  Seiten  an  die  neugebildeteri  Marken  von 
Trostadt  und  Beinerstadt,  die  durch  den  Belriether  „Rennsteig**  fortan 
geschieden  wurden.  Mit  der  Ziehung  der  Marklinie  tritt  hier  die  neue 
Mark-  und  Hufenverfassung  um  880  hervor,  und  es  zeigt  sich,  dafs  die 
Rechtsverhältnisse  der  neuen  „Bifange**  geordnet  wurden.  Das  war  aber 
nach  meiner  Auffassung  das  Resultat  einer  systematisch  vorschreitenden 
Regulierung  des  deutschen  Volkslandes  durch  die  fränkischen  Be- 
amten unter   Einziehung  bestimmter  Teile  zum   Königsgut  und  Ein- 

0  Die  Franken,  ihr  Eroberungs-  und  Sieddimgssystem  im  deiäschen  Volks- 
i^^  (Bielefeld  1904). 

9 


—     120     — 

richtuDg'  neuer  befestigter  Positionen  für  die  Königsleute.  Dais  die 
fränkischen  Beamten  in  der  von  mir  voigezeichneten  Weise  wirklich 
unter  besonderem  rechtlichen  Schutze  vorgegangen  sind,  namentlich 
aber  auch,  dais  sie  gro&e  Königsländereien  =»  regna  dabei  aus- 
geschieden haben,  und  dais  solche  regna  schon  in  merowingischer 
Zeit  existiert  haben,  hat  neuerdings  A.  Heusler  in  der  Deutschen  Ver- 
fiissungsgeschichte  (Leipzig  1905),  S.  40  0*.  als  richtig  aus  meinen  Unter- 
suchungen übernommen,  während  Ulrich  Stutz  in  der  Zeitschrift  der 
Savignystiflung  1905,  S.  349  ff.  das  ganze  Verfahren  als  nicht  beweisbar 
bestreitet  und  speziell  die  Herstellung  von  regna  durch  fränkische 
Beamte  in  Abrede  stellt,  obwohl  solche  regna  namentlich  auch  an 
der  südlichen  Sachsengrenze  deutlich  nach  meiner  Auffassung  ebenso 
wie  in  Kärnten,  als  Königssundem  <»  regnum  bei  Wiesbaden  sowie 
an  zahlreichen  anderen  Stellen  nachweisbar  sind  ^). 

In  dem  Werke  Die  Franken  hatte  ich  von  Einzelfällen  aus,  die 
klar  zu  erkennen  waren,  die  Anlage  des  Thüringer  Rennstieges,  sowie 
der  Rennstiege  bei  Fulda  erörtert  Bei  Fulda  lieis  sich  feststellen, 
dafs,  als  Sturm  747  die  Mark  Fulda  in  der  vasta  solihido  ausschied, 
an  der  Grenze  dieser  Mark  noch  kein  Weg  irgendwelcher  Art  vor- 
handen war.  Ein  Teil  dieser  von  Bonifatius  neu  gebildeten  Grenze 
wird  aber  1011/1021  Reinneweg  genannt.  Die  Umgrenzung  des  ganzen 
Gebietes  hatte  also  hier  auch  die  Schaffung  eines  langen  Rennsti^es 
als  Grenzweges  zur  Folge  gehabt.  Solche  Neuumgrenzungen  sind 
aber  nach  meiner  Beweisführung  im  ganzen  deutschen  Eroberung- 
gebiete  von  fränkischen  Beamten  vorgenommen  worden.  Die  neuen 
Grenzlinien  wurden  nach  einem  einheitlichen  Plane  von  bestimmten 
fränkischen  Beamten,  welche  mit  der  praefectura,  d.  h.  der  Neuein- 
teilung des  Landes,  beauftragt  waren,  angeordnet  und  durchgeführt. 
Die  erste  Mafsregel  der  Markenziehung  war  hierbei  in  der  Regel  die,  dafs 
lange,  grofse,  sich  weithin  erstreckende  Marklinien  wesentlich  auf  den 
Gebirgskämmen  hin  geführt  und  durch  den  Umritt  des  obersten 
Beamten,  des  fränkischen  Herzogs,  als  Grenzen  sanktioniert  wurden. 
Die  weitere  Folge  war  dann  die  Führung  der  Querlinien  und  die 
Bildung  der  Einzelmarken.   Dafs  so  die  einzelnen  Marken  erst  allmählich 


i)  Ein  Haaptargnment  für  Einrichtung  solcher  regna  war  fUr  mich  die  Tatsache, 
dais  in  dem  Kapitalare  Boreüns  I.,  S.  66  regnum  in  dem  Sondersinne  des  Wortes  genan 
so  verwandt  war,  wie  in  der  vita  Hladowici,  cap.  32,  und  dais  eben  dieses  hier  bezeichnete 
regnum,  welches  Hradrad  hatte  Air  sich  einziehen  woUen,  als  fränkisches  Königagnt 
sich  deutlich  nachweisen  Ifiist  (S.  372  ff.).  Dafs  Stutz  gerade  diesen  Nachweis  eines  karo- 
lingischen  regnum  als  nicht  beweiskräftig  bezeichnet,  war  für  mich  eine  gewisse  Oberraschmig. 


—     121     — 

entstanden  sind»  läfst  sich  urkundlich  belegen.  Beispielsweise  existierten 
in  der  Schweiz  schon  797  die  Thur-  und  Murgmarken  als  Gesamtmarken, 
wahrend  uns  Querteilungen  einzelner  Marken  an  der  TöCs,  nämlich  der 
Uzwiler  und  Flawiler  Mark,  erst  aus  dem  Jahre  819  *)  überliefert  sind. 
Ebenso  müssen   im  südlichen  Westfalen  durch  Ziehung  der  Scheide- 
linien auf  den  Höhen  den  Flüssen  parallel  erst  die  Ruhr-,  Röhr-,  Mohne-, 
Wennemermarken  geschaffen  worden  sein  {BeUräge  zur  OeschicJUe  Dort- 
mtmda  10,  1901,  S.  62),  ehe  diese  Marken  in  Untermarken  zerlegt 
wurden.     Die  erste  Maisregel  bildete   meist  die  Ziehung  der  groisen 
Linien  durch  den  Herzog ;  diese  Linien  waren  so  breit,  dais  sie  durch 
feierlichen  Umritt  sanktioniert  werden  konnten.     Die  UnterabteUungen 
wurden  oft  auch  von  Unterbeamten,  prinefedi,  oder  in  Einzelfallen  auch 
—  90  819  bei  Flawil-Uzwil  —  durch  misst  der  Grafen  vorgenommen. 
Die  Bildung  der  Einzelmarken  lag  oft  erheblich  später  als  die  Ziehung 
der  groisen   Marklinien.     Da  der  Herzog  die  gro&en  Linien   durch 
Umritt  sanktionierte,   nannte  man  diese  Linien  an  manchen  Stellen 
orsprünglich  „Rennw^e**,  also  Reitwege,  während  in  Westfalen  und 
anderweitig  auch  andere  Namen,  wie  SfuUwege  *),  auch  wohl  Hiletoege, 
sich  erhalten  haben.     Die  Entstehung  dieser  Wege,  sowie  die  Namen- 
gebung    mufs    an   den   Stellen    verfolgt   werden,    wo   sie    urkundlich 
zaerst  auftreten.     Dabei  ergibt  sich:    die  Marken   wurden   etwa  seit 
7S0  zugleich   mit   den    alten  Grolspfarreibezirken  durch  lange,   über 
den  Kamm  der  Gebirge  gezogene  Grenzlinien  gebildet.     Urkundlich 
hebt  sich  so  zuerst  im  IX,  Jahrhundert  (vgl.  Dronke,    Trad.  FulcL, 
c  15),    der  Retmkcech  als  ein  die  Pfarrei  Salchenmünster   begren- 
zender Höhenweg  ab.     Er  ist  Grenzlinie    des  Kirchspiels,    das    hier 
wie  anderweitig  *)  an  friere  manne  fdt  stöfst.    Kirchspiel-  und  Marken- 
bfldong  ist  nach   meiner  Darlegung  identisch  %    An  die  urkundlich 
älteste   Bezeichnung    muls    man    anknüpfen,    um    den    bei    Namen- 
gebnng  malsgebenden  B^^ff  zu  erfassen.    Auch  der  Thüringer  Renn- 

i)  So  bat  Nengart,  OodM  dipL  I,  203,  die  Urkunde  richtig  dauert;  falsch  datiert 
■cWartmann,  Ü,'B,  HI,  S.  680.  Die  Thor-  and  Margmarken  =a  Tbronomareat 
Mm^umgcmareOy  Wart  mann,  U.-B.  I,  148,  Ton  797. 

2)  SmUweg  itt  ron  9fkU  *=>  SchneiÜM  abgeleitet ;  die  bei  den  Briloner  Marken  noch 
jettt  jihrlidi  Teraoitalteten  Grensbegehangen  heüsen  noch  heate  „Snatzttge**. 

3)  Die  FSranken,  S.  7  $ ;  bei  Wflnborg  liegt  frioro  Frankono  erbt,  also  ein  Frankensondem . 

4)  Die  Bestätigong  dieser  Identifiderang  findet  sich  bei  Heck,  Der  Saeheen- 
fl*Brt  S.  194,  Anm.  2 :  hier  ist  Go,  Del  and  altes  Kirchspiel  als  wahrscheinlich  identisch 
bn»ii,huiL  Aber  alles  bereht  a«f  Neaeinteilang;  so  sind  anch  die  100  woreeap  dreier 
^>**ncher  Goe  ron  1133,  die  Meyer,  VerfaemmgegeeehiehU  I^  S.  412  nachweist,  die 
^"^  der  neocn  frinirischm  Goe,  deren  man  eben  100  gebildet  hatte. 

9* 


—     122     — 

stieg'  erscheint  schon  früh  als  Grenzstieg  ^).  Die  Ziehung  der  langen 
Marklmien,  also  die  Markbildung  war  mir  in  meiner  Untersuchung  die 
wichtigste  Frage;  nur  die  urkundlich  ältesten  Rennstiege  glaubte  ich 
heranziehen  zu  dürfen  und  sie  als  neu  gezogene  Marklinien  bezeichnen 
zu  können.  Eine  Bestätigung  dieser  Auffassung  finde  ich  auch  in  dem 
neuesten  Aufsatze  Hertels,  der  als  ortskundiger  Forscher  S.  38  feststellt: 
„Der  Rennstieg  bildet  eine  Landesgrenze  oder  ehemalige  Amts-  und  heu- 
tige Forstg^enze" ;  er  ist  also  als  eine  neue  Grenzlinie  bei  den  erstmalig^en 
genauen  Grenzabsetzungen,  die  nach  meiner  Auffassung  von  den  fränki- 
schen Beamten  zur  Beseitigung  der  altgermanischen  ödgrenze  vorge- 
nommen wurden,  mit  grofser  Wahrscheinlichkeit  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Gegen  diese  Erklärung,  die  sich  auf  die  Tatsache  stützt,  dafis 
viele  Grenzabsetzungen  des  VI.  bis  X.  Jahrhunderts,  die  uns  aus  Ur- 
kunden überliefert  sind,  tatsächlich  erweisen,  daüs  ein  Verfahren  wie 
das  oben  entwickelte  diesen  Grenzabsetzungen  zugrunde  lag,  wendet 
Ilertel  ein:  ,,rennen  heiüst  nicht  langsam  dahinreiten,  sondern  als  Be- 
rittener  dahinspr engen**  und  „ein  Weg,  der  dem  Umzug  des  Herzog« 
diente,  konnte  doch  unmöglich  als  Rennweg  bezeichnet  werden". 

Dieser  Einwand  ist,  glaube  ich,  sehr  einfach  durch  die  Frage  zu  wider- 
legen: Wie  hiefs  denn  im  Mittelalter  ein  Reitweg,  der  für  den  gewöhn- 
lichen Verkehr  berittener  Leute  bestimmt  war,  nicht,  wie  Hertel  meint, 
als  „Rennersteig**,  das  ist  ein  Pfad  für  hin  und  her  sprengende  Reiter- 
boten, ein  „Kurier-  oder  Patrouillen  weg**,  sondern  als  ein  gewöhn- 
licher, für  reitende  Leute  bestimmter  Weg,  als  Reitweg  im  heutigren 
Sinne  des  Wortes  diente?  Befragen  wir  Grimms  Wörterbuch,  so 
finden  wir  bei  „Reitweg**  nicht  einen  einzigen  Beleg  aus  früherer 
Zeit,  das  Wörterbuch  gibt  nur  die  Worterklärung  für  Reitweg.  Meiner 
Ansicht  nach  ist  der  Name  „Reitweg**  aber  überhaupt  modern,  und  den 
mittelalterlichen  Namen  für  einen  Reitweg  hat  uns  Hertel  durch  seine 
unermüdliche  Tätigkeit  in  den  Sdiriften  des  RennsteigvereinSf  2.  Heft 
(1899),  selbst  erbracht,  indem  er  aus  dem  gesamten  deutschen  Sprach- 
gebiete 143  Rennwege  nachgewiesen  hat*).  Ich  wüfste  nicht,  welches 
andere  gemeinsame  Merkmal  diese  143  Rennwege  haben  könnten  als 
das,  dafs  sie  eben  Reitwege  waren  *).     Die  deutsche  Sprache  hat  Be- 


i)  Der   Rennstieg  wird   hier    11 44   als  „Frankenstieg*'  bezeichnet     Rubel, 
Frtinken,  S.  284. 

3)  Weitere   Rennwege  sind  in  den   Blääem  des  Schwäbischen  AlbteremSf    1905, 
S.  439  genannt. 

3)  Dafs   in  späterer  Zeit  oft  nur   dieses  das   charakteristische   Merkmal   der  R^oq. 
wege  war,  zeigen  besonders  deutlich  die  von  Hertel,  Die  Rennsteiffe  (1899)  ang«lll]irt< 
Nr.   15.   16.   19.  20.  53.  68.  81.   III  u.  a. 


—     123     — 

giiffe  wie  jucw^,  drifflalwege,  notwege^)  geprägt,  ein  mittelalterlicher 
Naoie  fiir  „Reitweg*'  ist  mir  nirgends  bekannt  geworden;  es  wird 
eben  nur  der  einmal  geprägte  Name  „Rennweg*'  auf  alle 
Reitwege  angewandt.  Erst  in  neuerer  Zeit  ist  der  Name  Renn- 
wog speziell  für  Reitwege  aufgegeben  und  durch  „Reitweg**  ersetzt 
worden. 

Indessen,  diese  recht  einfache  Erklärung  läfiBt  die  Frage  ofifen: 
Wann  und  wo  wurde  der  Begriff  Reitweg  im  speziellen  Sinne  des  Wortes, 
also  Renn w^,  zuerst  ausgeprägt?  und  weiterhin :  An  welchen  Wegen 
haftete  zunächst  der  neugebildete  Begriff?  Hier  glaube  ich  wiederum 
Hertel  beistimmen  zu  können ,  wenn  er  für  den  Thüringer  Rennstieg 
und  analoge  alte  Rennsti^e  zunächst  einen  Sondersinn  feststellt.  Die 
Verallgemeinerung  des  Begriffes  scheint  mir  späteren  Datums  zu  sein. 
Die  Entstehung  des  Namens  und  der  Sache  werden  wir  eben  an  den 
Stdlen  au&usuchen  haben,  wo  uns  beides  zeitlich  zuerst  entgegen- 
tritt, also  bei  Reitwegen,  die  wie  bei  Salchenmünster  im  X.  Jahr- 
kimdert,  oder  anderweitig  im  XI.  bis  XIII.  Jahrhundert  zuerst  mit  dem 
Namen  „Rennstieg*'  bezeichnet  werden  und  deren  Anlegung  uns  ur- 
kundlich bekannt  ist.  Es  mufs  vor  dem  Allgemeinwerden  des  Begriffes 
einen  B^riff  „Rennstieg*'  gegeben  haben;  die  Namengebung  wie  die 
Sache,  d.  b.  die  Ziehung  der  Rennstiege,  bringe  ich  nur  mit  den  Ein- 
richtungen in  Verbindung,  die  ich  als  zu  dem  fränkischen  Eroberungs- 
nnd  Siedelungssystem  gehörig  bezeichnet  habe.  Viele  dieser  Einrich- 
tungen gehen,  wie  mir  neuerdings  immer  deutlicher  wird,  auf  römische 
Traditionen  zurück.  Solche  römische  Tradition  ist  es,  wenn  die  Haupt- 
straliien  als  Staatsstraüsen ,  Königsstrafsen  mit  fränkischen  Zollstätten 
besetzt,  mit  fränkischen  eurtes  und  oos^a  geschützt  wurden,  und  wenn 
der  Staat  die  Hand  auf  das  vastum,  das  herrenlose  Land,  also  die 
groisen  Waldungen  legte,  indem  er  dieselben  durch  Neuforestierung 
imgrenzen    liefs.     Die   Breite    der   königlichen,    öffentlichen    Strafise 

i)  Die  ZaMmmensuUaogeii  bei  Grimm,  BeehUaUertümer,  S.  68  ff.,  104  ff.  ergeben 
■■Xendt  einen  „Reitweg". 

t)  Da£i  auch  hier  die  römitcbe  Tradkioa  sehr  fiel  weiter  gereicht  hat,  als  man 
biiher  annahm,  leigt  meines  Eracbtens  schon  die  Tatsache,  dafs  sich  in  den  PemUnger- 
«chca  Tafeln  ein  Bild  des  römischen  Strafsennetaes  erhalten  hat.  Schwerlich  dienten 
^emtige  Reproduktionen  nur  wissenschaftlichen  Zwecken.  Schon  die  fränkischen  Missi- 
•Btit  sachten  allerorten  die  easteüa  dirtda,  die  ferfallenen  Römerkastelle  an  den  alten 
Kdmentrafsen  anf,  ehe  sie  sich  wie  beispielsweise  Gallos  so  Neagrttndnngen  entschlossen. 
Die  friakisoben  Könige  übernahmen  vollends  das  spitrömiscbe  Prindp  der  Beherrscfanng 
^  KüitintrafiieB  dardi  feste  Positionen.  Vgl.  meine  im  Drack  befindlichen  Aas- 
^■ftnmgeo  in  den  Bonner  Jahrbüchern, 


—     124     — 

r^elte  der  königliche  vasaus  durch  die  quergehaltene  Lanze  *).  Auch 
die  Breite  der  Rennwege  als  neu  geschaffener  Grenzwc^  mnb  eben 
danach  ursprünglich  so  bemessen  gewesen  sein,  dals  der  Reiter  hier 
ungehindert  auch  bei  schneller  Gangart  des  Pferdes  passieren  konnte, 
ohne  Gefahr  zu  laufen,  von  überragenden  Ästen  gefährdet  zu  werden. 
Es  tritt  nun  an  verschiedenen  Stellen  deutlich  hervor,  dafs  die  fiän« 
Irischen  Grenzbeamten  bei  der  Grenzziehung  typische,  neue  Namen 
gewählt  haben  *).  So  möchte  ich  es  als  ziemlich  sicher  bezeichnen, 
daüs  dieselben  Beamten,  die  die  Breite  dieser  neuen  Grenzlinie  ent- 
sprechend den  Vorschriften  über  die  Breite  der  vüie  regiae  so  be- 
messen haben,  dafs  ein  Reiter  ungehindert  jederzeit  auf  diesen  Linien 
passieren  konnte,  und  die  rechtliche  Qualität  dieser  Strafsen  festiegten, 
auch  den  neuen  Begriff  und  Namen  „Rennweg"  oder  „Rennst!^" 
ebenso  wie  den  der  Königsstrafse  gebUdet  haben.  Dieses  zunächst 
bei  Grenzziehungen  auf  lange  Entfernungen  hin  neu  geprägte,  fränkische 
Wort  ist  in  groben  Teilen  des  deutschen  Sprachgebietes  späterhin 
zum  Nomen  appellativum  für  „Reitweg"  überhaupt  geworden,  während 
vorher  den  Deutschen  der  Name  wie  die  Sache  eines  Reitw^res 
schlechthin  unbekannt  war '). 

Entkleidet  man  also  den  Namen   durch  diese  Deutung  allerdings, 
des  poetischen  Hauches,  der  über  demselben  lag,  so  zeigt  sich  andrer- 


1)  Rubel,  Beüräge  zur  Oeaehiehie  Dortmunds  X  (1901),  S.  73^.  Grimm, 
ReekUaUertümer  68  ff.  73.  104.  553  f. 

2)  Völlig  deatlich  ist  die  Neabenenoang  Escherode  und  Benterode  durch  Eingreifen 
der  Beamten,  da  erst  die  Zamessang  der  „Bifönge''  darch  karoUngische  Beamte  an  Asic 
and  Bennit  (Mtthlbacher,  Nr.  467,  477)  zur  Namensgebung  der  schon  bestehenden  Siede- 
Imigen  gefUhrt  hat;  anch  der  „frenkische  Wald",  Namen  wie  Aplast  and  Pirinbach  and, 
wie  ich  glaobe,  noch  zahlreiche  andere  Namen  berahen  auf  einer  Tradition  der  Namen- 
gebang,  die  sich  bei  der  Markenziehang  entwickelt  hat    Vgl.  Die  Franken,  S.  458. 

3)  Für  den  Rennersteig,  der  sich  darch  ein  Jahrtausend  lang  als  Pfad  fiir  hin  ond 
her  sprengende  Reiterboten  erbalten  haben  soll,  versagt  alles,  was  wir  über  ?orfränkisches 
Kriegswesen  wissen.  Die  grofsen  germanischen  Fliehbargen,  wie  die  Teatoborg,  waren 
in  der  Römerzeit  die  Mittelpunkte,  von  denen  aus  die  Kriegsoperationen  geleitet  wurden. 
Um  solche  Fliehbuigen  handelt  es  sich  auch  in  den  frinkischen  Feldzägen  in  Deutschland. 
Die  weitere  Entwickelnng  des  Reiter-  und  Lehnswesens  roUends  läfst  ebenfalls  die  Annahme 
eines  entwickelten  Patronillendienstes  der  Deutschen  nicht  zu.  Eine  Trennung  ron  ffir  Reiter 
berechneten  Stralsen  und  ?on  Strafsen  für  Fufsgänger  in  altgermanischer  Zeit,  wo  die  FUeh- 
buigen  existierten,  ist  in  keiner  Weise  belegt.  Sowohl  die  Römerkri^e,  wie  die  Kriege  Karli 
des  Grofsen  im  Sachsenlande  zeigen  immer  nur  Konzentriemng  der  Deutschen  in  grofsen 
nunmehr  genugsam  bekannten  Volksbargen,  wie  die  „Sigibarg^  und  andere,  auch  die 
„Teutobuig^  und  „Bnigscheidnngen^  es  waren.  Von  Reiterabteihmgen  und  Patrouillefi- 
dienst  ist  hier  nichts  überliefert. 


—     126     — 

seits,  wie  schon  jetzt  die  Rennstiegforschung  der  allgemeinen  Ge- 
schichte zugute  gekommen  ist  und  weiter  zugute  kommen  kann.  Dem 
Verfnser  dieser  Zeilen  stehen  Karten  zur  Verfugung,  in  die  alle 
Ifaikenteilungen  und  Servitutbefreiungen  eingetragen  sind,  die  von 
der  Generalkommission  in  Münster  im  südlichen  Westfalen  vorge- 
oommen  wurden ;  auch  ältere  Teilungen  sind  erkennbar.  Ein  gleiches 
Bild  wird  sich  für  den  Thüringer  Wald  wohl  beschaflfen  lassen,  und 
niemand  scheint  mir  zur  Herstellung  eines  solchen  Kartenbildes  mehr 
benifen  zu  sein,  als  der  rührige  „Rennstiegverein"  unter  seinem  be- 
währten Vorsitzenden.  Stellt  es  sich  durch  solches  Karten-  und 
akteomafsiges  Material  heraus,  dab  die  Scheidung  zweier  Marken,  wie 
(fie  von  Trostadt  und  Beinerstadt  oder  von  Salchenmünster ,  durch 
den  Rennsti^  nicht  ein  singulärer  Fall,  sondern  bei  alten  Marken- 
gienzen  die  feste  Regel  ist,  so  hätte  die  Geschichtswissenschaft 
dadurch  einen  weiteren  bleibenden  Gewinn.  Allerdings,  die  Thu- 
dichumschen  Grundkarten  sind  für  eine  derartige  Arbeit  viel  zu 
wenig  detailliert  Eben  dasselbe  genaue  Nachgehen  der  alten  Renn- 
steiglinie, wie  sie  der  „Rennstiegverein''  geleistet  hat,  ist  auch  für  die 
Erforschung  der  alten  Marklinien  und  Pfarreigrenzen  nötig.  Nur  durch 
Forschung  im  Terrain  läfst  sich  die  Tätigkeit  der  fränkischen  forestarii 
oft  erst  wieder  klarstellen,  aber  eben  diese  Arbeit  hat  einen  eigenen 
Reiz;  die  Entstehung  der  mittelalterlichen  und  nachmittelalterlichen 
Staatengebilde  läfst  sich  nicht  voll  erfassen,  wenn  man  nicht  alle 
diese  Dingen  bis  in  das  einzelnste  verfolgt,  und  ich  habe  die 
Hoffnung,  dafs  der  „Rennstiegverein"  auch  seinerseits  die  gesamten 
alten  Markengrenzen  des  an  den  Rennsteig  stofsenden  Gebietes  fest- 
zustellen mit  in  sein  Arbeitsprogramm  aufnehmen  wird;  vielleicht 
findet  sich  hierbei  auch  noch  neues,  urkundliches  Material  zur  Ge- 
schichte der  alten  Zentenenmarken  und  Pfarrsprengel  Deutschlands. 
Dais  diese  alten  Grenzen  mit  alten  Rennstiegen  zusammenfallen,  ist 
allerdings  die  Überzeugung,  die  ich  aus  der  Anwendung  der  ver- 
gleichenden Methode  auf  diese  Dinge  gewonnen  habe;  wo  sich  die  Probe 
madien  läüst,  was  allerdings  bei  der  Beschaffenheit  des  Materials 
mv  in  Einzelfallen  wie  bei  den  friesischen  Delen  oder  Goen,  oder  den 
alamannischen  Huntari  möglich  war,  hat  das  Ergebnis  meine  Auffassung 
bestätigt  Ceniene,  huniari,  go,  dd,  alter  Grofspfarreibezirk  sind  aller- 
otten fränkiscl^e  Neuschöpfungen:  nur  der  Name,  nicht  die  Sache 
wechselt  nach  den  Landschaften,  wie  der  „Rennstieg''  eine  ursprüng- 
lidi  namentlich  in  Thüringen  gebräuchliche  Sonderbezeichnung  für 
die  neue  auf  den   Höhen   weithin   gezogene   Marklinie  der  Franken 


—     126     — 

ist,  welche  zu  einer  Gesamteinteilung  des  Landes  für  Verwaltungs- 
zwecke und  seit  den  Tagen  des  Bonifatius  auch  zur  Einteilung  in 
Pfarrsprengel  gezogen  wurde. 


Gesehiehtliehe  Iiehr^  und  Hsindbüeher 

Von 
Heinrich  Werner  (Mayen) 

Die  Deutschen  GeschichisbläUer  suchen,  wie  ihr  Prospekt  sagt,  „vor 
allem  ihre  Freunde  im  Kreise  der  Lehrer  höherer  Lehranstalten", 
weil  die  Zeitschrift  „ihnen  die  Möglichkeit  gibt,  sich  über  die 
schwebenden  Punkte  der  Geschichtsforschung  zu  unterrichten,  ihr 
Wissen  dem  Stande  der  Forschung  gemäfs  in  einzelnen  Punkten  zu 
berichtigen  und  zugleich  zu  vertiefen".  Das  Lehrbuch  gehört  zum 
täglichen  Handwerkzeug  des  Lehrers  der  Geschichte.  Die  Hand- 
bücher wird  er  nicht  weniger  oft  zu  Rate  ziehen,  aus  denen  ihm 
gleichsam  wie  aus  einem  Reservoir  neue  Gesichtspunkte  und  zahl- 
reiche Belehrungen  über  den  Stoflf  des  zu  behandelnden  Abschnittes 
der  Geschichte,  sowie  über  seine  verschiedenartige  Bearbeitung  zu- 
strömen. Es  liegt  deshalb  im  wohlverstandenen  Interesse  der  Zeit- 
schrift, einige  der  wichtigsten  geschichtlichen  Lehrbücher  Revue 
passieren  zu  lassen,  um  den  Lehrer  darüber  zu  orientieren  und  ihm 
die  Wahl  erieichtem  zu  helfen.  Die  Kenntnis  der  zurzeit  bedeutend- 
sten Handbücher  ist  aber  für  jeden  Gebildeten,  der  sich  schnell  und 
zuverlässig  über  einen  Abschnitt  der  Geschichte  unterrichten  will,  von 
grofsem  Vorteil.  Wie  viele  Unrichtigkeiten  und  veraltete  Anschau- 
ungen würden  aus  der  Tagesliteratur,  aus  Reden  allerart  verschwinden, 
wäre  eines  der  modernen  Handbücher  über  die  einschlägige  Frag;-e 
zuvor  zu  Rate  gezogen  worden.  Um  wieviel  mehr  aber  mufs  es  dem 
Lokal  forscher  empfohlen  werden,  den  kleinen  Ausschnitt  aus  der 
Geschichte,  den  er  behandeln  will,  im  Lichte  der  grofsen  Gesamt- 
forschung zu  sehen  und  sich  dabei  des  rasch  und  sicher  leitenden 
Handbuchs  als  Führer  zu  bedienen.  Aber  auch  den  Verfassern  von 
Lehrbüchern  der  Geschichte  selbst  ist  Fühlung  mit  den  besten  Hand- 
büchern unbedingt  nötig,  wenn  sie  den  Stand  der  Forschung  kennen 
und  nicht  auf  alten,  breitgetretenen  Spuren  weiter  schlendern  wollen. 
Gründe  genug,  den  genannten  Kreisen  eine  kurze  Übersicht  über  die 
hauptsächlichsten  Lehr-  und  Handbücher  im  folgenden  zu  gewähren. 

Über  einen  Teil  der  Lehrbücher,  der  dem  Zweck  der  Deuisdken 
GeschicktshläUer ,  der  Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung» 


—     127     — 

am  nächsten  liegt,  hat  früher  bereits  Martin  Wehr  mann')  gebandelt. 
Der  Verfasser  erhebt  mit  Recht  die  Forderung,  die  Heimats-  und 
Landesgeschichte  im  Unterricht  zu  behandeln,  vermifst  aber  dafür 
noch  branchbare  Bücher.  Wir  werden  auf  diesen  Punkt  noch  zurück- 
kommen. Uns  gilt  es  zunächst  hier  einige  gemeinsame  Züge  zu- 
sammenzustellen, die  bei  der  Betrachtung  von  Lehr-  und  Handbüchern 
sofort  in  die  Augen  stechen. 

Die  Produktion  von  Lehr-  und  Handbüchern  ist  grofe.  Alle 
wssen  sich  zu  behaupten,  weil  jedes  besonderen  Wünschen  Rechntmg 
tragen  wUl.  Namentlich  für  den  Unterricht  wird  die  Wahl  eines  Lehr- 
buches schwer.  Neben  dieser  Massenproduktion  an  Lehrmitteln 
herrscht  auf  diesem  Gebiete  auch  der  Grofsbetrieb.  Neue  Lehr-  und 
Handbücher  entstehen  und  alte  werden  wieder  aufgeputzt  und  gehen 
nm  der  Reklame  willen  mit  erhöhter  Auflagezahl  unter  das  Publikum. 
Die  höheren  Anforderungen  machen  auch  hier  Teilung  der  Arbeit 
nötig,  nachdem  der  Umfang  des  Stoffes  schon  längst  SpezialStudium 
hervorgerufen  hat.  Oft  sind  deshalb  einzelne  Teile  geradezu  hervor- 
ragend, andere  Teile  schwächer.  Zwar  fehlt  es  dem  betreffenden 
Buche  nicht  an  gemeinsamem  und  einheitlichem  Arbeitsplan,  aber  oft 
an  dem  einheitlichen  persönlichen  Stil.  Man  erkennt  deshalb  eine 
Ungleichheit,  die  im  ganzen  unbefriedigend  wirkt. 

An  der  Spitze  der  einzelnen  Handbücher  stehen  ohne  Zweifel 
die  von  Afsmann  undGebhardt.  Beide  sind  gleich  wissenschaft- 
lich gediegen  und  besonders  deshalb  zu  empfehlen,  weil  sie  durch  ihren 
literarischen  Nachweis  zur  Orientierung  und  zum  Weiterstudium  an- 
regen. Ersteres  aber  ist  ein  älteres  Buch,  das  nur  uiiter  diesem  alten 
Namen  geht,  letzteres  ist  eine  Neuheit,  aber  beide  unter  Mitwirkung 
mehrerer  Fachgelehrten  hergestellt.  Vor  mir  liegt  W.  Afsmanns 
Otsckickfe  des  Mütelaliers  von  375 — 1517,  zur  Förderung  des  Quellen- 
studiums, für  Studierende  und  Lehrer  der  Geschichte,  sowie  zur  Selbst- 
belchrung  fiir  Gebildete.  3.  neue  Auflage,  herausgegeben  von  Prof. 
Dr.  L.  Viereck,  3.  Abteilung:  Die  beiden  letzten  Jahrhunderte  des 
Ifittelalters :  Deutschland,  die  Schweiz  und  Italien  von  Prof.  Dr. 
R.  Fischer,  Prof.  Dr.  R.  Scheppig  und  Prof.  Dr.  L.  Viereck.  Erste 
Lieferung.  Braunschweig,  Vieweg  &  Sohn  1902,  gr.  8^  635  SS. 
12  A.  Zweite  Lieferung,  1906.  S.  637  —  1000.  7  Ulf.  Das  frühere 
Buch  ist  zu  seinen  Gunsten  vollständig  umgestaltet  worden.  Es  will 
suhA  in  der  neuen  Gestalt  „kein  fessehides  Lesebuch  zur  Unterhaltung, 

i)  Über  landesgesehiehtliehe  Lehr-  und  Lesebücher  fiir  den  heimatsgeschiehiliehen 
UfUerrMt  in  dieser  Zeitschrift,  3.  Bd.,  S.  32$  ff.  und  a.  Bd.,  S.  265—373. 


—     128     — 

sondern  ein  gutes  Hilüsmittel  zur  ernsten  Arbeit  sein**.  Es  will  auch 
nicht  Geschichte  lehren,  sondern  zum  Studium  anr^en  und  anleiten. 
An  der  Hand  der  Quellen  und  der  wichtigsten  Literatur,  die  bis  auf 
die  neueste  Zeit  genau  angegeben  werden,  erhält  der  Lehrer  sowohl 
wie  der  Gebildete  ein  Gesamtbild  geschichtlicher  Vorgänge,  deren 
Kenntnis  er  jederzeit  nachprüfen  und  erweitem  kann.  Die  Vorzüge 
des  alten  Afsmann,  die  Art  der  Behandlung,  die  Gliederung  nach 
Staaten  und  die  Hinleitung  der  Leser  durch  Sonderdarstellungen  auf 
die  Quellen  sind  noch  erhöht  worden  durch  Übersichtlichkeit  und  Zu- 
verlässigkeit der  Angaben,  durch  Zerlegung  größerer  Abschnitte  in 
kleinere  und  durch  Hervorhebung  der  Stichwörter  durch  starken  Druck. 
In  der  zweiten  Lieferung  hat  der  Herausgeber  sich  noch  ein  be- 
sonderes Verdienst  erworben,  indem  er  ein  reichhaltiges  Literatur- 
verzeichnis und  zuverlässiges  Namen-  und  Sachregister  hinzufügte. 

Ein   ähnliches  Werk,    das  ebenso  wissenschafdich  und  allseitig 
das   geschichtliche   Leben   zusammenfa&t ,    ist   Bruno    Gebhardt, 
Handbuch  der  detdschen  Geschichte,  2  Bde.,  2.  Auflage,  Union,  Deutsche 
Verlagsgesellschaft  in  Stuttgart  usw.  1901.     Das  Buch  hat  aber  auch 
seine  besonderen  Vorzüge :  es  behandelt  nur  die  deutsche  Geschichte 
und  zwar  die  mittelalterliche  in  Band  i  und  die  neuzeitliche  in  Band  2. 
Also  Kürze  lag   hier  in  der  Absicht  des  Herausgebers.     Aus  dieser 
Raumbeschränkung  leitete  sich  die  vorliegende  Form  des  Handbuches 
ab,   die  zum   bewährten  Vorbild   das  Lehrbuch  der  KirchengeschichU 
von  Kurtz  hatte.     Trotz  der  Kürze  kann  man  dem  Werk  doch  mög- 
lichste Vollständigkeit  zusprechen.     Der  Plan  ist  folgender:   In  Para- 
graphen wird   der  Gang  der  Ereignisse  und  der  Zusammenhang  der 
Zustände    summarisch    in    groOsem    Druck    entworfen.      Einzelheiten 
werden  unter  fortlaufenden  Ziffern  in  kleinerem  Druck,   die  oft  sehr 
ausführlich  und  umfangreich  sind,  beigegeben.   Literatur-  und  Quellen- 
angaben sind  nicht  den  Text  begleitend  hinzugefugt,  sondern  stehen 
teils  dem  Grofisgedruckten  vor  oder  folgen  dem  kleingedruckten  Texte 
nach.     Dadurch  geht  dem  Werke   etwas  an  Wissenschaftlichkeit  des 
Afsmann  ab.     Es  wendet  sich  auch   mehr  an   die  Gebildeten  als  an 
die  Fachgelehrten.     Immerhin   ist  es  auch  zum  vertiefenden  Studium 
sehr   anregend,    zumal   es    auch   die  rechtliche,    wirtschaftliche  und 
geistige  Entwickelung  unseres  Volkes  berücksichtigt.    Am  gelungensten 
ist  das  Mittelalter  behandelt,  am  schwächsten  die  Zeit  von  1740 — 1815. 

Noch  weiter  entfernt  sich  von  der  streng  wissenschaftlichen  Gestalt 
des  ACsmann  das  Lehr^  und  Handbuch  der  Weltgeschichte  von  Georg 
W  e  b  e  r ,  2 1 .  Auflage.  Unter  Mitwirkuog  von  Prof.  Dr.  Richard  Friedrich, 


—     129     — 

Pio£  Dr.  Ernst  Lehmann,  Prof.  Fr.  Moldenhauer  und  Prof.  Dr.  Ernst 
Schwabe  vollständig'  neu  bearbeitet  von  Prof.  Dr.  Alfred  Baldamus, 
4  Binde.    Leipzig,  Engelmann,  I.  Bd.  1902,  6  Jl.  II.  Bd.    1905,  8  Jl. 
Webers  Lehrbuch  der  Weltgeschichte  gehört  seit  seinem  ersten  Er- 
sdieinen  im  Jahre  1846  zu  den  am  weitesten  verbreiteten  und  bekannte- 
sten Geschichtsbüchern ;  durch  es  ist  Weber  populär  geworden.    Bei  der 
Nevbearbeitung  von  Baldamus,  der  selbst  Schulmann  ist,  ist  noch  der 
Titel  Handbuch  hinzugekommen,  weil  es  sich  vorwiegend  an  die  ge- 
bildeten  Kreise  wendet.     Auch   haben  sich   die  ursprünglichen  zwei 
Bände  um  zwei  vermehrt  und  so  sind  infolge  der  Fülle  des  Stoffes 
vier  Bände  entstanden.    Der  Herausgeber  will  ja  „eine  wirkliche  Welt- 
geschichte dem  deutschen  Volke  geben*'.     Es  ist  deshalb  die  aulser- 
deotsche  und  außereuropäische  Geschichte  nicht  als  Anhängsel  be- 
handelt, sondern  sie  hat  in  besonderen  Kapiteln  ihren  Platz  erhalten. 
Neben  dieser  Erweiterung  des  Lehrbuchs  zur  Geschichte  der  Kultur- 
menschheit ist  aber  auch  die  Betrachtung  vertieft  worden.    In  Kapiteln 
wie  „Überschau  und  Vorblick,   Richtlinien   der  Entwickelung''  u.  a. 
sind  die    Grundzüge    der   Entwickelung    und    gro(se    Gesichtspunkte 
herausgearbeitet,  so  dafs  der  Leser  in  der  Fülle  des  Stoffes  sich  zu- 
reditfinden  kann.     Die  Hinweise  auf  gleiche  oder  ähnliche  Vorgänge 
madien  das  Buch  für  den  Gebrauch  des  Geschichtslehrers  noch  besonders 
dienlich,  indem  sie  ihm   Konzentrationspunkte   bieten.     Ein  anderer 
Voizog  des  Handbuches  ist  es  aber,  dafs  das  Wirken  grofiier  Männer 
verwoben  ist  mit  den  wirtschaftlichen  Kräften,  den  allgemeinen  Ideen 
Bod  geistigen   Strömungen.     Die    äuisere    Form    der  Darstellung  ist 
lekr  abwechslungsvoll  und  erhöht  noch  die  Brauchbarkeit  des  Buches. 
Jeder  Band  ist  gegliedert  in  Bücher,  Kapitel  usw.     Für  politische  Ge- 
schichte ist  der  gröüsere,   für  Kulturgeschichte  der  mittlere,   und  für 
minder  Wichtiges  der  kleinste   Druck   gewählt.     Auf  die    Literatur- 
aopben  wurde  leider  verzichtet.     Das   Handbuch  wUl    also   ähnlich 
vie  der  alte  Weber  mehr  Lesebuch  sein.     Aber  diesen  Zweck  erfüllt 
die  neue  Gestalt  nicht  so  sehr  wie   die   alte.     Wer  Geschichte  zur 
Unterhaltung  liest,  will   diese  knappe  und  zusammengeprefiste   Dar- 
stellong  nicht,  sondern  eine  weitläufigere  und  umfassendere.    Das  Lehr- 
bocfa  ist  tatsächlich  am  ehesten  Handbuch  geworden,  erfüllt  aber  diesen 
Zvedc  nicht  vollständig  durch  den  gänzlichen  Mangel   an  Quellen- 
ludiweisen.   Es  hat  aber  auch  seinen  eigentlichen  Beruf  als  Lesebuch 
verfehlt    Nichtsdestoweniger  ist  es  eine  recht  brauchbare  Arbeit. 

Wir  kommen  nun  zu  den  wichtigeren  Lehrbüchern.    Sie  gehen 
unter  mannigfiu:hem  Namen  aus,  wie  Lehrbuch,  Grundriüs,  Hilfsbuch 


—     130     — 

u.  au  Diese  Unterscheidung  der  Titel  will  auf  Nuancen  der  Dar- 
stellung Bezug  nehmen,  die  aber  hier  nicht  weiter  interessieren.  Jeden- 
falls  ist  auf  diesem  Gebiete  solche  Mannigfaltigkeit  vorhanden,  dafs 
wohl  jedem  Geschmack  mit  einem  Lehrbuch  entsprochen  werden 
kann.  Keines  der  vorhandenen  Bücher  gewinnt  eine  dominierende 
Stellung,  weil  fortwährend  infolge  der  häufigen  Revision  der  Lehrpläne 
neue  entstehen.  Die  Lehrbücher  in  der  Geschichte  spiegeln  das  Bild 
der  Handbücher  von  ArbeitsteUung  und  Spezialisierung  oder,  kurz 
gesagt,  vom  Groüsbetrieb  der  Wissenschaft  wider.  Es  wird  entweder 
von  mehreren  Gelehrten  ein  Lehrbuch  in  seinen  verschiedenen  Teilen 
bearbeitet,  oder  der  Ruhm  eines  alten  Buches  soll  nicht  untergehen, 
so  dais  es  neu  bearbeitet  wird.  Aber  auch  einzelne  Männer  verfassen 
noch  ganze  Lehrbücher. 

Vor  allen  ist  zu  nennen:  K.  Schenk,  Lehrbuch  der  Geachichie  für 
höhere  L^ranstaUen  in  ÜberemsUmmung  mU  den  neuesten  Lehrplänen. 
Ausgabe  A  für  Gymnasien,  Ausgabe  B  für  Realanstalten,  in  9  TeUen. 
Teil  6  und  9  bearbeitet  von  E.  Wolf  f.    Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1898  ff. 

Das  Buch  hat  sich  geschickt  die  Vorteüe  des  Handbuchs  von 
Gebhardt  zu  eigen  gemacht.  Sachlich  hat  es  sich,  namentlich  im 
Mittelalter  an  dessen  vortreffliche  Darstellung  angeschlossen.  Im 
übrigen  hat  es  übersichtlich  den  Stoff  gruppiert  und  auf  einer  breiten 
geographischen  und  kulturellen  Unterlage  aufgebaut.  Ein  verschieden- 
artiger Druck  ist  nach  dem  Vorgange  der  Handbücher  mit  Recht 
angewandt  worden,  so  ist  durch  kleinere  Typen  Raum  gewonnen  iiir 
detaUliertere  Behandlung  des  wirtschaftlichen  und  kulturellen  Lebens 
der  Völker.  Darin  ist  ein  reiches  Wissen  aufjgrespeichert ,  freilich  oft 
nur  für  den  Eingeweihten  erkenntlich.  Der  Ausdruck  ist  durchgeheilds 
frisch,  oft  etwas  gewagt  und  fast  burschUcos.  Die  Fülle  des  Stoffes 
wird  nach  Mommsens  Beispiel  durch  Randbemerkungen  übersichtlich 
gemacht,  wie  aber  diese  „den  Text  entlasten'*  sollen,  wie  der  Mit- 
arbeiter Wolff  bemerkt,  ist  mir  unverständlich.  Eine  Neuauflage  hat 
der  Herausgeber  nicht  mehr  erlebt.  Aber  die  Übernahme  derselben 
durch  Julius  Koch,  von  dem  bis  jetzt  (1904)  das  Altertum  erschienen 
ist,  verbürgt  eine  gute  Elntwickelung  dieses  trefflichen  Lehrbudis,  die 
namentUch  in  der  Richtung  von  Einfachheit  des  Ausdrucks  und  Etn- 
schränkung  des  Stoffes  erfolgen  sollte,  so  z.  B.  bei  dem  Kapitel; 
Die  Rückgewinnung  der  OsUande,  8.  Teil,  S.  1 1 1  ff. 

Stand  das  Lehrbuch  von  Schenk  dem  Handbuch  von  Gebhardt  nahe, 
so  ist  mit  Weber-Baldamus  zu  vergleichen:  Mertens,  Hüfsbueh  für 
den  Unterricht  in  der  deutschen  Geachidiie.    In  3  Teilen.    I.  Teil  5.  und 


—     131     — 

6.  Auflage.  II,  Teil  7.  und  III.  Teil  8.  Autiage.  Herdersche  Verlagsbuch- 
handlung^, Freiborg  im  Breisgau,  1904.  Hier  sind  ebenfalls  die  wichtig- 
sten Erscheinungen  der  sozialpolitischen  und  Kulturgeschichte  berück- 
sichtigt, aber  in  der  Weise,  dafs  sie  an  die  Person  hervorragender  liegen  ten 
angeknüpft  wird,  um  so  das  monaiphische  Gefühl  der  Jugend  auch 
von  dieser  Seile  zu  stärken.  Auch  werden  am  Ende  jedes  Zeit- 
raums in  sich  abgeschlossene  kulturgeschichtliche  Bilder  auf  Kosten 
oatergeordneter  Kriegsgeschichte  eingelegt.  Bezeichnende  Über- 
schriften, die  fett  gedruckt  sind,  sollen  „gewissermafsen  als  Vor-  und 
Rückblick"  den  Stoff  übersichtlich  gliedern,  freilich  mag  die  Gruppie- 
ning  mit  Unterabteilungen  von  or,  ß  usw.  zu  weit  gehen  und  oft  mehr 
verwirren  als  klären ;  der  Ausdruck  ist  klar,  oft  in  plauderndem  Tone 
gehalten.  Überall  verrät  sich  die  Hand  des  Forschers,  die  unmittel- 
bare Stellen  aus  der  Quelle  einstreut  oder  durch  Dichterstellen  den 
Stoff  zu  beleben  weifs.  Manchmal  mag  hierin  eher  etwas  zu  weit  ge- 
gangen sein,  ja  einiges  verdient  die  Bezeichnung  Notizenkram.  HäuGg 
bricht  ein  gesunder  Patriotismus  durch,  namentlich  in  der  Form  eines 
engeren  Heimatsgefühls.  Das  eigenartigste  dieses  Lehrbuchs  ist  jedoch, 
dafe  es  überall,  wo  Gelegenheit  dazu  ist,  den  heimats-  und  landes- 
geschichtlichen  Sinn  zu  wecken  sucht.  Das  konnte  allerdings 
Mertens  einigermafeen  leicht  anbringen,  da  sein  Lehrbuch  wohl  vor- 
legend in  der  Rheinprovinz  eingeführt  ist  und  er  so  für  einen  bestimm- 
ten Leserkreis  schrieb.  Alles  in  allem  genommen,  liegt  hier  neben 
Schenks  Lehrbuch  eines  der  besten  dieser  Art  vor. 

Ein  anderes  Lehrbuch  reiht  sich  unmittelbar  an  diese  an:  R.  Wust- 
mann, Detdsche  Geschichte  im  Grundrifs.  I.  Teil:  Vom  Anfang  bis 
in  die  Mitte  des  XVII.  Jahrhunderts.  Leipzig  1902,  Rofsbergsche 
Verlagsbuchhandlung,  gr.  4^  Seine  Darstellung  basiert  im  wesent- 
lichen auf  Lamprecht;  Ausstattung  und  Anordnung  des  Werkes  ist 
einfach,  der  ganze  Stoff  ist  in  277  Kapiteln  auf  220  Seiten  bewältigt. 
Der  schlichte  Ton  macht  es  vortrefflich  nicht  nur  zum  Lehr-,  sondern 
anch  zum  Lesebuch  geeignet.  Auf  Grund  seiner  Unterlage  ist  es  ein 
gutes  Buch  und  eignet  sich  infolge  der  Betonung  wirtschaftlich- 
failtureller  Verhältnisse  namentlich  für  reichsstädtische  Schulen;  wie 
CS  denn  auch  in  Hamburg  eingeführt  sein  soll.  Auch  einer  anderen 
Eigenart  Lamprechts  trä^t  es  Rechnung,  indem  es  „landesgeschicht- 
Kchc  Anmerkungen**  von  Preufsen  und  den  übrigen  Reichsteilen  in 
Aussicht  stellt,  deren  Erscheinen  gewifs  sehr  zu  begrüfsen  ist 

Auch  ein  älteres  Buch  hat  eine  Neubearbeitung  durch  zwei 
Männer  erfahren,    es   ist  J.  C.  Andrä,    Crrundrifs  der  Geschichte  für 


—     132     — 

höhere  Schulen.  24.  Auflage,  neu  bearbeitet  und  für  die  Oberstufe 
neunklassiger  Schulen  fortgesetzt  von  Karl  Endemann  und  Emil 
Stutzer,  in  5  Teilen.  Leipzig,  Voigtländer,  1902 ff.  Dieses  Buch 
hat  seinö  Schicksale:  als  Weltgeschichte  erschien  es  zuerst,  wurde 
dann  nach  dem  Tode  des  Herausgebers  verschieden  nach  den  ver- 
schiedenen Schulgattungen  bearbeitet  und  liegt  endlich  in  der  er- 
wähnten Form  vor.  Es  ist  darin  Antipode  zu  Schenk,  da&  die 
Darstellung  knapp  gedrängt  ist,  ja  oft  nüchtern  wirkt  Volle  An- 
erkennimg  verdient  die  klare  Darlegung  der  inneren  Verhältnisse,  der 
Schilderung  des  geistigen  und  wirtschaftlichen  Lebens ;  ja  auch  an  dem 
Hinweis  auf  Bestrebungen  unserer  Tage  fehlt  es  nicht  Der  Gebrauch 
von  Schlagwörtern  mitten  aus  Zuständen  und  Vorgängen  anderer  Zeiten 
heraus  in  der  Schule  wirkt  vorbereitend  auf  die  grofsen  Fragen  der 
Gegenwart.  Das  Buch  erfüllt  so  in  eigentümlicher  Weise  die  lehrplan- 
mä&ige  Forderung,  die  Gegenwart  aus  der  Vergangenheit  zu  erklären. 

Auch  andere  Wege  werden  betreten.  So  hat  W.  Pfeifer  in 
seinem  LArbtich  für  den  Geschichtsunterricht  an  höheren  LehranstaUen 
(Verlag  von  F.  Hirt,  Breslau  1904)  in  zwei  Teilen  die  ganze  griechisch- 
römische und  deutsche  Geschichte  bis  zum  Jahre  1740  behandelt. 
Letztere  ist  auf  150  Seiten  dargestellt.  Das  läfst  erwarten,  da(s  fiir 
eine  Seite  der  Geschichte  nicht  viel  Raum  gelassen  ist :  die  politische 
Geschichte  namentlich  des  ausgehenden  Mittelalters  ist  sehr  be- 
schnitten. Die  Gruppierung  ist  klar  durch  mannigfache  Kapitelüber- 
schriften, die  den  Gesamtstoff  von  allgemeineren  zu  immer  spezielleren 
Gesichtspunkten  fortschreitend  überblicken.  Einige  Abschnitte  kultur- 
eller Natur  sind  in  ihrer  genetischen  Behandlung  geradezu  mustergültig, 
wie  z.  B.  das  Kapitel  „Hansa**.  Den  Paragraphen  sind  kurze  Übersichten 
vorausgestellt  und  die  wichtigsten  Daten  hervorgehoben  auch  durch 
den  Druck,  um  der  Erzählung  ein  Ziel  zu  stecken.  Im  4.  Teile  des 
vorliegenden  Lehrbuchs  ist  eine  Seite  der  Kulturgeschichte,  die  Kunst- 
geschichte, besonders  gepflegt  durch  einen  Bilderanhang,  der  100  Ab- 
bildungen enthält  und  eine  farbige  Tafel  zur  Kunst-  und  Kultur- 
geschichte der  Griechen  und  Römer,  zusammengestellt  und  erläutert 
von  Dr.  P.  Brandt.     Davon  unten  im  Zusammenhang. 

Ein  mehr  im  alten  Stil  gehaltenes  Lehrbuch  ist:  Ferd.  Schultz, 
Lehrbuch  der  Geschichte  für  Mittdkhssen  van  Chfmnasien  und  Betär 
gjfmnasien  und  für  Bedlschülen.  2.  Auflage.  Leipzig,  Dresden,  Berlin, 
Ehlermann  1901.  Am  Rande  sind  fortlaufende  Inhaltsübersichten  an- 
gebracht. Seinem  vorherrschend  politischen  Standpunkt  entspricht 
auch  die  aufdringliche  gehässig-liberale  Tendenz  des  Buches. 


—     133     — 

In  ähnlich  rückständiger  Weise,  aber  ohne  diese  Tendenz,  be- 
handelt H.  K.  Stein  in  seinem  Lehrbuch  der  Oeschichie,  lo.  Auflage, 
Paderborn  1904,  Ferd.  Schöningh,  die  gesamte  Geschichte. 

Eine  Sonderstellung  nehmen  zwei  Lehrbücher  aus  einem  und 
demselben  Verlag  ein. 

Das  eine  ist  Fr.  Neubauer,  Jje&r&uc&cfer  Oeschichie  für  höhere  Lehr- 
tauidUen.  Der  2.  Teil,  Lehrbuch  der  deutschen  Geschichte  für  die  mittleren 
Klassen,  liegt  mir  vor.  Halle  a.  S.,  Verlag  der  Buchhandlung  des  Waisen- 
haqses,  1900.  Das  andere  heilst:  Harry  Brettschneider,  Hilfsbuch 
für  den  Unterricht  in  der  Geschichte  auf  höheren  Lehranstalten.  Der  5 .  Teil, 
Geschichte  des  Altertums  (itir  Obersekunda),  lieg^  mir  vor.  2.  Auflage. 
Halle  a.  S.     Verlag  der  Buchhandlung  des  Waisenhauses,  1900. 

Beide  sind  sehr  gelobt  worden,  ohne  dafs  ich  die  Gründe  dafür 
finden  kann.  Das  letztere  Buch  ist  klar  bis  zur  Nüchternheit  geschrieben. 
Die  Darstellung  ist  in  beiden  glücklich  gruppiert  und  beschränkt  sich 
nicht  auf  das  Politische,  sondern  gibt  auch  dem  Kulturellen  sein  Recht, 
obschon  Brettschneider  vorl  etzterem  eine  unerklärliche  Angst  in  seinem 
Vorwort  kundgibt.  Dem  Vorwurf  „des  Modernen",  dem  der  Verfasser 
ebenda  begegnen  zu  müssen  glaubt,  ist  viel  eher  der  einer  zu  weit- 
gehenden Abstraktion  entgegenzustellen.  Schon  auf  der  ersten  Seite 
der  Einleitung  in  die  alte  Geschichte  fallen  in  dieser  Hinsicht  Aus- 
diüdce  auf,  wie:  „Hier  führte  überall  die  Natur  des  Landes  frühzeitig 
...  zur  Organisation  der  Arbeit"  und  bald  darauf:  „Die  Griechen 
tmd  Römer,  die  Träger  des  geschichtlichen  Werdens".  Die 
äa6ere  Ausstattung  beider  ist  einfach,  Brettschneider  ist  allein  von 
den  besprochenen  Büchern  in  Antiqua  gedruckt;  auch  verschmäht 
Xenbauer  Randnotizen  nicht.  Brettschneider  verfallt  aus  Furcht  vor 
der  wirtschaftlichen  in  eine  andere  Verstiegenheit.  Er  will  in  einem 
Anhang  die  Gymnasialjugend  über  griechische  und  römische  Literatur- 
geschichte belehren  und  handelt  dabei  über  Wolfs  Prclegomena  ad 
Homerum,  um  zur  homerischen  Frage  Stellung  zu  nehmen ;  auch  über 
andere  Dichter  wird  etwas  fragmentarisch  diskutiert.  Das  verdient 
gtwiSa  nicht  den  Vorwurf  des  „Modernen",  vielleicht  einen  anderen, 
der  auch  im  Drucke  ausgesprochen  ist. 

Man  läfist  es  auch  in  neuester  Zeit  nicht  an  Hilfsmitteln  fehlen, 
die  den  Geschichtsunterricht  teils  beleben  und  vertiefen,  teils  ver- 
anschaulichen sollen,  ich  meine  die  Lesebücher  und  Kunstatlanten. 
^  li^  eines  dieser  HUfsmittel  vor:  Alois  Atzler,  Queßenstoffe 
mnI  Lesestudke  für  den  Geschichtsunterri€ht  in  Lekrerseminarien.  3  Bände. 
Paderborn,  Schöningh,  1903fr.     Es  besteht  hier  die  Absicht,  die  be- 


—     134     — 

deuteodsten  Ereignisse  der  Geschichte  im  Lichte  der  Quellen  und  der 
Werke  der  grö&ten  neueren  Geschichtschreiber  zu  zeigen.  Sie  lassen 
sich  an  jedes  Lehrbuch  der  Geschichte  ergänzend  anschließen.  Frei- 
lich sieht  das  Ganze  sehr  mosaikartig  aus,  wird  es  aber  zu  dem  be- 
absichtigten Zwecke  benutzt,  so  kann  es  tieferes  Interesse  und  gröCsere 
Liebe  zum  Geschichtsstudium  einflöfsen.  Besonders  wurden  auch 
kultur-  und  wirtschaftliche  Stoffe  berücksichtigt  Zugleich  ist  die 
Sammlung  ein  Führer  durch  die  historische  Literatur,  da  literarische 
und  biographische  Notizen  beigegeben  sind. 

Das  heutige  Schlagwort  im  Unterricht,  Anschauung,  hat  auch 
auf  dem  Gebiete  der  Geschichte  seine  Wirkung  getan.  Man  hat  ein- 
gesehen, dafs  zum  wenigsten  in  der  Kunst  allein  durch  Anschauung 
ein  Verständnis  erreicht  werden  kann.  Schon  das  Lehrbuch  von 
Pfeifer  hat  zur  Illustrierung  der  Abschnitte  über  antike  Kunst  ein 
solches  Hilfsmittel  beigegeben.  Aber  auch  selbständige  Arbeiten  hier- 
über werden  schon  allgemeiner.  Ich  habe  zur  Verfügung:  H.  Lucken- 
bach,  Kunst  und  Geschichte,  Mit  Unterstützung  des  Grofsh.  Badischen 
Ministeriums  der  Justiz,  des  Kultus  und  Unterrichts  und  des  Grofsh. 
Badischen  Oberschulrats.  2.  Teil:  Abbildungen  zur  deutschen  Ge- 
schichte. München  und  Berlin,  Oldenbourg,  1903.  Das  Werk  bietet 
mehr  als  es  verspricht.  Es  ist  ein  Bilderatlas  der  Kulturgeschichte 
einschließlich  der  Kunst.  Es  beginnt  mit  Abbildungen  von  Gegen- 
ständen und  Ansiedelungen  aus  der  Steinzeit,  der  Bronze-,  Hallstatt- 
und  La-Tene-Zeit.  So  werden  alle  Epochen  dann  von  der  römischen 
Kaiserzeit  bis  zum  ausgehenden  Mittelalter  in  Bild  und  kurzem  Wort 
uns  vor  Augen  geführt,  selbst  die  Wappen-  und  Münzkunde  ist  nicht 
unberücksichtigt  geblieben. 

Überall  sehen  wir  auf  diesem  Gebiete  reges  Streben,  den  modernen 
Anforderungen  der  Wissenschaft  und  Pädagogik  gerecht  zu  werden. 
Die  Aufgabe  ist  sehr  mannigfach  gelöst  worden,  und  mancher  Ge- 
schmack kommt  dabei  zu  seinem  Rechte.  Aber  dennoch  können  wir 
es  uns  nicht  versagen,  einige  Wünsche  auszusprechen.  Die  ge- 
schichtlichen Handbücher  sollen  vor  allem  ihrer  Wissenschaftlichkeit 
durch  entsprechende  Literaturnachweise  treu  bleiben,  damit  sie  ihren 
Zweck  erfüllen,  rasch  und  zuverlässig  über  den  Stand  der  Forschung 
zu  orientieren  imd  das  Material  zur  Vertiefung  in  einzelne  Fragen  zu 
liefern.  Es  ist  aber  auch  ihre  Au^^abe,  auf  die  Lücken  der  Forschung 
hinzuweisen  und  durch  geeignete  Fragestellung  zur  Forschung  an- 
zuregen. Demgegenüber  steht  eine  andere  Forderung,  dafs  die 
Handbücher  auch  wirklich  benutzt  werden   von  allen   Gebildeten, 


—     186     — 

besonders   aber  von   Lehrern  und   Lokalforschem.     Alte  und  immer 
wiederkehrende  Irrtümer  würden  so  bald  verschwinden.     Was  unsere 
Ldirbücher  betrifil,  so  müssen  sie  die  Höhe  unserer  Handbücher  ver- 
raten und  zu  übermitteki  suchen,  sie  müssen  modern  sein  im  besten 
Sinne  des   Wortes.     Sie   müssen  unser  gesamtes  Leben    umspannen 
nach  den  herrlichen  Worten  Schenks:  „^ine  noch  so  treffende  Schü- 
denmg  der  Ausnahmezustände,   der  Kriege,   eine   noch  so  treffende 
Betrachtung  der  Tätigkeit  derer,   die   auf  den  Höhen  der  Menschheit 
wandeln,  reichen  allein  nicht  aus;  die  Arbeit  auf  allen  Gebieten,  die 
Einwirkung  der  politischen  Ereignisse  auf  alle  Volksgenossen,   das 
Denken  und  Tun  auch  des  kleinen  Mannes  sind  zu  berücksichtigen.*^ 
Aber  die  Form  ist  bei  einem  Lehrbuche  wichtiger  als  irgendwo. 
Das  Abgeschmackteste  ist  eine  Zerstückelung  der  Geschichte  in  Stich- 
wörter ohne   Satzbau   und  Sprachschönheit,    wie   sie  Schultz   für  die 
oberen  Klassen   angewandt  hat.     Ein  Lehrbuch   muis  zugleich  ein 
Lesebuch   sein.     Erzählung  und  Schilderung   müssen  das   vorherr- 
sdiende  Element  der  Darstellung  bUden  und  den  Schüler  verleiten,  sein 
Geschichtsbuch  zum  Lieblingsbuch  der  Unterhaltung  und  Belehrung  zu 
machen.  Nur  so,  wenn  im  stillen  mitgearbeitet  wird,  kann  der  Geschichts- 
Tioterricht  nachhaltig  wirken;  der  Jüngling  wird  dann  aus  Verständnis 
f>atriotisch.    Da  aber  der  wahre  Patriotismus  seine  beste  Kraft  zieht  aus 
<ier  Kenntnis  der  Heimats-  und  Landeskunde,  so  müssen  unsere  Lehr- 
bücher auch  der  Heimats-  und  Landesgeschichte   einen  gebührenden 
Platz  anweisen.    Es  genügt  nicht,  dafis  der  Lehrplan  die  Einbeziehung 
dieses  Gebietes  fordert,   sondern  den  Lehrern  mufs  auch  Gelegen- 
heit gegeben  werden,  sich  selbst  sachgemälses  Wissen  in  dieser  Hin- 
sicht anzueignen.     Da  aber  die  Lehrbücher  für  ganze  Länder,  oder 
wenigstens  gröfsere  Gebiete  bestimmt  sind,  so  müssen  für  jede  Land- 
schaft und  vielleicht  sogar  für  jeden  Kreis  besondere  heimatsgeschicht- 
liche Büchlein   bearbeitet  werden,  die  sich  an  das  eingeführte  Lehr- 
buch der  Geschichte    anlehnen.     Rs    gibt   bereits    recht   brauchbare 
Vorarbeiten    dieser  Art,    wenn   sie   auch    nicht   unmittelbar    für   den 
Unterricht  verfafet  worden   sind:   in   dieser  Zeitschrift')  sind  früher 
<ierartige  Schriften  für  Jauer  und  Donauwörth  besprochen  worden. 

i)  Vgl.  5.  Bd.,  S.  191 — 193.  Die  kleine  SchriA  von  Koischwitz,  Jauer ^  ein 
^tgwmr  durch  die  Enmat  und  ihre  Oesehiehie  (Jaaer,  Oskar  HellmanD,  151  S.  i6<^) 
><t  1905  io  zweiter,  erireiterter  Anflmge  erecbienen;  Literatimreneichnis  und  dmraaf  be- 
-«SncluDende  Fofiooten  erhöhen  die  Brrachbarkeit. 


10 


—    186    — 


Mitteilungen 

TeFsammlungeil.  —  Die  Konferenz  von  Vertretern  landes- 
geschichtlicher Publikationsinstitute,  die  in  der  Osterwoche  in  Stuttgart 
in  VerbinduDg  mit  der  IX.  Versammlung  deutscher  Historiker  statt- 
findet, wird  in  Anlehnung  an  frühere  Verhandltmgen  ')  über  Ver.lag  und 
Absatz  der  Publikationen,  die  Herausgabe  von  Münzwerken 
und  über  die  Anfertigung  von  Urkundenregesten  beraten.  Als 
neuer  Gegenstand  ist  eine  Aussprache  über  die  Quellen  zur  städti- 
schen Wirtschaftsgeschichte  in  Aussicht  genonmien,  und  möglicher- 
weise gelangen  noch  andere  Fragen  zur  Erörtenmg.  —  Das  endgültige  Programm 
wird  gemeinsam  mit  dem  der  Historikerversammlung  veröffendicht  und  kann 
auf  Wimsch  vom  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  bezogen  werden. 

Archiye.  —  Je  häufiger  es  vorkommt,  dafs  Archive  von  Gemeinden, 
Korporationen  und  Privaten  von  Personen  geordnet  und  verwaltet  werden,  die 
sich  nicht  im  Dienste  eines  gröfseren  Archivs  für  ihre  Aufgabe  vorgebildet 
haben,  sondern  bei  aller  Hingabe  für  ihr  Amt  archivtechnisch  von  vomhereio 
ungeschult  sind,  desto  notwendiger  ist  es,  dafs  solche  Personen  ein  literarisches 
Hilfsmittel  besitzen,  aus  dem  sie  Belehrung  für  ihre  Zwecke  schöpfen  können. 
Ein  solches  liegt  jetzt  vor  und  zwar  ist  es  niederländischen  Ursprungs. 
In  den  Niederlanden  sind  Berufsarchivare  nicht  nur  in  verhältnismäfsig  recht 
grofser  Zahl  vorhanden,  sondern   das  Archivwesen   ist   dort  überhaupt  gut 
entwickelt,  so  dafs  ein  ganz  vorzügliches  Organ  rein  archivalischen  Charakters, 
das  Nederlandseh  Archievenblad,  dort  lebensfähig  ist  ^).     Diesem  erfreulichen 
Zustande  wird  es  zuzuschreiben  sein,   dafs  die  Direktoren  der  Staatsarchive 
in  Utrecht,  Groningen  und  Middelburg,   Muller,   Feith  und  Fruin,   ein 
Handbuch    für   Archivare    bearbeiten    konnten,    welches   jüngst    auch,    für 
deutsche  Archivare  bearbeitet  von  Hans  Kaiser  und  mit  einem  Vor- 
wort von  Wilhelm  Wiegand  ausgestattet,   als:   Anieüung  zum    Ordnen  und 
Beschreiben  van  Archiven  (Leipzig,  Otto  Harrassowitz ;  Groningen,  Erven  B. 
van  der  Kamp,  1905,  VI  imd  136  S.  8<>.     M.  7,00)  erschienen  ist. 

Über  die  Nützlichkeit  des  Buches,  das  in  keiner  Archiv  band* 
bibliothek  fehlen  sollte,  ist  kein  Wort  zu  verlieren;  es  füllt  wirklich  eine 
bisher  oft  schmerzlich  empfundene  Lücke  aus  und  wird  am  besten  geeignet 
sein,  wie  es  die  Verfasser  in  ihrem  Geleitwort  wünschen,  zur  Vereinheit- 
lichung der  Archiveinrichtung  und  Inventarisierung  beizutragen.  Dafs  eine 
gewisse  Einheitlichkeit  (ohne  mechanische  Gleichmacherei!)  für  die  Benutzer 
der  Archive  eine  grofse  Erleichterung  wäre,  imd  dafs  in  vielen  Punkten  die 
Entschließung  des  Archivars,  ob  er  so  oder  so  verfahren  soll,  leicht  wäre, 
wenn  er  wüfste,  wie  bewährte  Fachgenossen  darüber  denken,  das  steht  auiser 


i)  Vgl.  6.  Bd ,  S.  91—93. 

2)  Schon  früher  (3.  Bd.,  S.  109— 11  a)  wurde  diese  Zeitschrift  eingehend  besprocbeo, 
und  die  seitdem  erschienenen  Jahrgänge  —  gegenwirtig  erscheint  der  vienehote  *- 
▼erdienen  dieselbe  uneingeschränkte  Anerkennung,  so  dafs  nur  za  wünschen  wäre,  daü 
sie  sich  auch  in  den  deutschen  Archiven  einbürgern  möge. 


—     137     — 

^retfeL  Gerade  in  letzterer  Hinsicht  wird  kaum  jemand  in  einer  praktischen 
F^ge  die  Ankihmg  vergeblich  nachschlagen. 

Das  Werk  zerßült  in  sechs  Hauptstücke :  Entstehmig  und  Einteilung  Ton 
Archivdepots,  Ordnung  der  Archivstücke ,  Beschreiben  der  Archivstücke, 
Aofstellnng  des  Inventars,  weitere  Beschreibungsmafsregeln  und  über  den 
kcmventionellen  Gebrauch  emiger  Ausdrücke  und  Zeichen.  Es  ist  aufser- 
ordentlich  übersichtlich  in  loo  Paragraphen  mit  fettgedruckten  Überschriften 
Gogeteüt,  und  die  archivalischen  Fachausdrücke  sind  deutlich  erklärt  Die 
ganze  Arbeit,  soweit  die  Archiv einrichtung  m  Frage  kommt,  ist  eine 
Edauterung  zu  dem  Worte  „Provenienzprinzip*^  dessen  Anwendung 
bei  der  Gliederung  eines  Archivs  heute  ziemlich  allgemein  als  richtig  an- 
erkannt ist  ^).  Zum  wenigsten  die  in  der  Praxis  der  niederländischen  Archive 
Torkommenden  Fälle  sind  mit  einer  grofsen  Ausführlichkeit  besprochen,  und 
es  wird  nun  die  Aufgabe  der  deutschen  Archivare  sein,  dals  sie  die  in 
Deutschland  vorkommenden  Fälle,  die  etwa  nicht  erörtert  sein  sollten,  in 
ähnlicher  Weise  prüfen  und  zweckentsprechende  Regeln  aufstellen.  Vor 
aQem  aber  wird  jeder,  der  ein  ganzes  Archiv  oder  eine  gröfsere  Abteilung 
einzurichten  hat,  gut  tun,  nachdem  er  sich  mit  der  von  ihm  im  besonderen 
zu  lösenden  Aufgabe  vertraut  gemacht  hat,  die  Anleitung  gründlich  zu  studieren 
und  sich  bei  jedem  Paragraphen  zu  fragen,  welche  Anwendung  er  unter 
seinen  besonderen  Verhältnissen  davon  zu  machen  hat.  Möge  sich  das 
Buch  unter  den  deutschen  Archivaren  recht  bald  einbürgern  und  zur  weiteren 
literarischen  Erörterung  archivtechnischer  Fragen  anregen! 

lelmatsgeschichtiiche  Kalender.  —  Wenn  die  wissenschaftlich 

betrieben e  Orts-  und  Landesgeschichte  ihre  volkserzieherische  Aufgabe 
eiMen  und  in  weiteren  Kreisen  der  Bevölkerung  den  Siim  für  die  Ver- 
^uigenheit  der  Heimat  und  für  die  aus  ihr  in  die  Gegenwart  hereinragenden 
Denkmäler  wecken  soll,  daim  ist  die  Popularisierung  der  heimats- 
geschichtlichen und  volkskundlichen  Forschungsergebnisse 
tmabweisbar  notwendig.  Nur  auf  diesem  Wege  wird  sich  in  dem  weiten  Kreise 
der  Gebildeten  imd  nicht  minder  bei  dem  einfachen  Manne  des  Volkes  ein 
Verständnis  für  die  Vergangenheit  seiner  Heimat  und  damit  eine  wirkliche 
liebe  zu  ihr  wachrufen  lassen;  denn  das  Wissen  von  Tatsachen  ist  nun 
eionial  die  Voraussetzung,  weim  sich  ein  Mensch  liebevoll  in  einen  Gegen- 
ttmd  versenken  soll.  Wenn  aber  von  geschichtlichen  Tatsachen  die  Rede 
ist,  so  werden  recht  oft  mifsverständlich  diejenigen  von  den  bekannten  grofsen 
Wdthändeln  als  solche  aufgefafst,  die  sich  zufällig  in  der  Gegend  zugetragen 
haben,  während  die  wichtigen  im  Wesen  der  Landschaft  begründeten  Eigen- 
tfanlichkeiten  auiseracht  bleiben  *). 

Auf  letzterem  liegt  aber  der  Nachdruck,  und  auf  die  Popularisierung 
der  greifbaren  heimatsgeschichtlichen  Forschungsergebnisse  kommt  es  an. 
Sic  sind  nicht  nur  am  besten  geeignet,   im  Volksschulunterricht  Ver- 

1)  Vgl  diete  ZeiUchrift  6.  Bd.,  S.  262. 

2)  Vgl  Albert,  OrtsgesehiMe,  in  dieser  ZeiUchrift  3.  Bd.  (1902),  S.  193—208, 
Maentüdi  S.  194,  lowie  Armin  Tille,  Grimmas  Stellung  in  der  Deuisehen  Oe- 
ftMUe  (BeitjM  mur  SUuUgesehidUe)  im  KorreipoDdenzblatt  des  Gesamtverein»  der 
^ciUcbea  G«Mliiclits-  ii9d  Altertnmsvereine,  Jahrg.  1904,  Sp.  265 — 276. 

10* 


—     138     — 

■« 
ständnis  für  geschichtliche  Vorgänge  zu  erwecken,  sondern  bei  ihnen  handelt 
es  sich  auch  um  Dinge,  denen  eine  weitsichtige  Sozialpolitik  die  aller- 
größte Aufmerksamkeit  zuwenden  sollte.  Durch  solche  verhältnismäfsig  ein- 
fache und  überdies  billige  Arbeit  werden  geistige  Kräfte  entfesselt,  die  für 
Staat  und  Gesellschaft  von  unschätzbarem  Werte  sind.  Trotzdem  ist  merk- 
würdigerweise diese  Art  mittelbarer,  aber  deswegen  doppelt  wirksamer  sozial- 
politischer Tätigkeit  bisher  durch  staatliche  Anstalten  kaum  gefördert  worden 
oder  höchstens  nebenbei  durch  Unternehmungen,  die  zunächst  andere  Zwecke 
verfolgen.  Insofern  kommt  z.  B.  die  durch  die  Kunstgewerbemuseen  und 
Kunstgewerbeschulen  ausgeübte,  auf  die  Erzeugnisse  des  älteren  Handwerks 
gerichtete  Belehrung  in  Frage,  um  zur  Geschmackbildung  und  zur  praktischen 
Verwertung  dieses  Wissens  bei  gewerblichen  Arbeiten  anzuregen.  Was  aber 
darüber  hinaus  geschehen  ist,  das  haben  Vereine  —  namenüich  die  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine,  die  Vereine  für  Volkskunde  imd 
an  manchen  Orten  auch  die  Gewerbevereine  —  und  einzelne  Privat- 
personen, die  ja  bekanntlich  auch  in  der  Regel  die  Arbeit  in  den  Veremen 
leisten,  in  selbstloser  Hingabe  an  ihre  Aufgabe  getan,  ohne  dafs  ihre  Wirk- 
samkeit bisher  genügend  anerkannt  worden  wäre. 

Als  derartige  auf  die  Verbreitung  heimatsgeschichtlichen  Wissens  in 
weiten  Kreisen  gerichtete  Bestrebungen  kommen  z.  B.  die  namentlich  in 
Sachsen  in  vielen  grölseren  und  kleineren  Städten  veranstalteten  Altertümer- 
ausstellungen') in  Frage,  femer  die  auch  in  kleineren  Städten,  ja  sogar 
auf  Dörfern,  in  recht  stattlicher  Zahl  auftauchenden  ortsgeschichtlichen  Museen  *) 
und  nicht  zuletzt  die  Verbreitung  kleiner  auf  das  grofse  Publikum  berechneter 
und  auch  für  die  Schule  geeigneter  Schriften  '),  die  über  die  Tatsachen  und 
über  die  rechte  Betrachtungsweise  der  Dbge  aufklären.  Zu  der  Literatur 
der  zuletzt  bezeichneten  Art  gehören  neben  manchen  populären  Zeitschriften 
—  wie  es  z.  B.  Niedersachaen  (Bremen)  Unser  Anhaltland  (Dessau),  Htssm- 
land  (Kassel),  Nassovia  (Wiesbaden),  Der  RoUmd  (Berlin),  Pfälzische  Hemai- 
künde  (Kaiserslautem)  und  einige  der  volkskundlichen  Organe  sind  —  auch 
die  heimatsgeschichtlichen  Kalender. 

Der  Kalender,  das  alte  und  einst  einzige  weltliche  Hausbuch  des 
Bürgers  und  Bauem,  hat  eine  den  veränderten  Zeitverhältnissen  entsprechende 
Auferstehung  gefeiert:  jetzt,  wo  die  Zeitung  täglich  die  Neuigkeiten  aus  der 
Feme  berichtet  und  für  imterhaltenden  Lesestoff  allerart  sorgt,  lenkt  diese 
neue  Art  von  Kalendem  den  Blick  des  Volkes  auf  die  Vergangenheit  der 
engeren  Heimat,    und   auf  diese  Weise  erhält  in   mancher  Landschaft  auch 

I)  Vgl.  diese  Zeitschrift  4.  Bd.  (1903),  S.  281—187:  ÄUeriümer-ÄussteUungeti 
im  Königreich  Sachsen  von  Karl  Berling  (Dresden).  Za  den  dort  genannten  StSdten 
sind  noch  Rofswein  und  Jobanngeorgenstadt  hinzugekommen.  Aoiserhalb 
Sachsens  ist  eine  ähnliche  AnssteUung  in  Mühlberg  veranstaltet  worden,  und  gegenwärtig 
steht  Liebenwerda  im  Begriff,  das  Beispiel  nachzuahmen. 

a)  Vgl.  diese  Zeitschrift  4.  Bd.  (1903),  S.  132—140  und  5.  Bd.,  S.  16—25  sowie 
6.  Bd.,  S.  388 — 289.  Wo  man  überall  zu  Neugründangen  von  heimatsgeschichUicbeo 
Muaeen  fortschreitet,  das  zeigt  jetzt  am  besten  die  Mtiseumsehronik,  die  in  jedem  Hefte 
der  vorzüglichen  Vierteljahrsschrift  Museumskunde,  herausgegeben  von  Karl  Koe tschau, 
(Berlin,  Reimer;  der  erste  Band  erschien  1905)  veröffentlicht  wird. 

3)  Vgl.  z.  B.  die  in  dieser  Zeitschrift  5.  Bd.  (1904),  S.  189—192  besprocbeoeo 
Schriften,  besonders  die  von  Störzner:  Wie  ist  in  den  Gemeinden  der  Sinn  /S^ 
Oesehiehie  der  HeinuU  xu  wecken  und  xu  pflegen?    (Leipzig,  Arwed  Strauch). 


—     139     — 

das  ein£Bu±e  Haus  ein  heimatskundliches  Familienbuch.  Das  ist 
der  Gedanke,  der  die  verschiedenen  Herausgeber,  die  offenbar  gegenseitig 
ibre  Werke  zu  einem  großen  Teile  nicht  gekannt  haben,  übereinstimmend 
leitet,  und  demgemäis  sind  in  der  Tat  nach  Form  und  Inhalt  recht  ver- 
schiedenartige Schriften  entstanden.  Namentlich  in  den  letzten  drei  Jahren 
(seit  1904)  sind  recht  viele  neue  heimatskundliche  Kalender  aufgetaucht, 
QDd  in  geographischer  Hinsicht  scheinen  solche  bisher  nur  im  Osten  Deutsch- 
lands völlig  zu  fehlen.  Was  mir  nach  jahrelanger  Umschau  an  derartigen 
Werken  bekannt  geworden  ist,  will  ich  hier  aufführen,  wenn  ich  auch  kaum 
bofien  darf,  alle  vorhandenen  zu  verzeichnen;  es  geschieht  in  der  Absicht, 
die  Herausgeber  tmd  Verleger  zur  Fortsetzung  anzuspornen,  die  Freunde 
der  Heimat,  auch  die  in  der  Feme  lebenden,  darauf  auftnerksam  zu  machen 
Qod  in  Gegenden,  in  denen  es  an  ähnlichen  Veröffentlichungen  fehlt,  zur 
Nachahmung  anzuregen  ^). 

Die  stark  voneinander  abweichende  Eigenart  der  einzelnen  Kalender 
macht  es  bereits  schwer,  eine  gemeinsame  zutreffende  Bezeichnung  zu  finden, 
demi  während  die  einen  künstlerisch  vollendete  Abbildungen  geschichtlich 
bemerkenswerter  Bauwerke  und  Gegenstände  bevorzugen  und  mit  mehr  oder 
weniger  ausführlichem  Texte  begleiten  —  dies  kennzeichnet  die  Mehrzahl  — ,. 
sind  in  anderen  die  Bilder  aus  der  Vergangenheit  mit  Schildenmgen  aus 
der  Gegenwart,  ja  sogar  mit  belletristischen  Beiträgen  verbunden.  Dies  be» 
weist,  dafs  die  Absichten  der  Herausgeber  im  einzelnen  ziemlich  weit  aus- 
emandergehen ,  wenn  auch  der  Grundgedanke  bei  allen  derselbe  ist;  ent- 
scheidend für  den  Inhalt  ist  jeden&lls  überall  gewesen,  auf  welche  Kreise 
im  besonderen  als  Abnehmer  gerechnet  werden  konnte,  und  ob  irgendwelche 
besondere  Mittel  dazu  zur  Verfügung  standen  oder  ob  ein  Verleger  das  ganze 
Kisiko  tragen  mulste.  Deshalb  ist  es  auch  nicht  angängig,  hinsichtlich  der 
Alt  der  Ausführung  mit  den  Urhebern  zu  rechten,  denn  es  ist  ohne  weiteres 
lozonehmen,  dafs  jeder  den  Weg  eingeschlagen  hat,  von  dem  er  sich  den 
gTöisten  Erfolg  versprach.  Ein  hervorragendes  Bildungsmittel  imd  ein  Mittel 
nr  Förderang  des  Heimatssinnes  sind  die  Kalender  ganz  zweifellos  sämtlich 
«od  zwar  erstens,  weil  sie  nicht  zu  dickleibig  auftreten  tmd  dadurch  abstofsen, 
zweitens  weil  sie  nur  kurze,  meist  durch  Bilder  belebte  Beiträge  bringen  und 
drittens,  weil  sie  jährlich  wiederkehren  und  so  allmählich  eine  ganze  Reihe 
beimatsgeschichtlicher  Texte  und  Abbildungen  verbreiten. 

Zuerst  sei  die  Auftnerksamkeit  auf  zwei  zwar  geschichtliche,  aber  nicht 
▼orzagsweise  für  ein  bestimmtes  Gebiet  bearbeitete  Kalender  gerichtet.  Ein 
sokber  ist:  Deutscher  Kalender,  von  E.  Doepler,  dem  Jüngeren,  mit  Bei- 
tiägen  von  Felix  Dahn,  filr  1889.  BerUn,  Verlag  von  Remhold  Kühn,  4^ 
Dahn  widmet  den  beiden  1888  verstorbenen  Kaisera  kurze  dichterische 
Nachrufe  und  den  vier  Jahreszeiten  je  ein  Gedicht.  Dann  folgen  die  Monats- 
tafeln  und  neben  jeder  ein  Bild,  das  an  eins  der  deutschen  Königsgeschlechter 
cnnnert  und  neben  dessen  Wappen  das  Bild  einer  für  den  betreffenden  Zeit- 
num  charakteristischen  Stadt  vorführt.  So  verkörpert  das  Bild  Kaiis  des 
fiofecn  mit  seinem  Monogranam,    ergänzt  durch  das  (natürlich  viel  spätere) 

0  Im  Literarischen  Handtpeiaer  zunächst  für  alle  Katholiken  deutscher  Zunge 
(UaotUr,  Theissing)  1905  Nr.  3,  Sp.  97 — 102,  hat  Alois  Warm  über  8  koost-  and 
^lUirbittorische  Pracbtkalcnder  für  1905  eingebend  berichtet. 


—     140     — 

Stadönld  von  Aachen,  die  KaroliDgerzeit.  Das  dem  2!eitalter  der  sächsischen 
„Kaiser**  gewidmete  Blatt  ziert  das  Bild  Ton  Aagsbmg,  und  in  dieser  Weise 
folgtn  die  Bilder  der  Städte  Frankfurt  a.  M.,  Goslar,  Hagenau,  Wien,  Lim- 
burg (Lahn),  Konstanz,  München,  Schwarzburg,  Heidelberg  und  Berlin.  Daran 
reiht  sich  das  Niederwaiddenkmal  an,  und  zuletzt  das  von  den  Wappen  der 
Bundesstaaten  umgebene  Wappen  des  neuen  Deutschen  Reichs.  Dieser  Kalender 
tillgt,  wie  ersichtlich,  nur  ganz  allgemein  einen  geschichtlichen  Charakter,  ist 
aber  gewifs  geeignet,  manchen  Laien  zur  Beschäftigung  mit  der  deutschen 
Geschichte  anzuregen  und  zugleich  in  vaterländischem  Geiste  auf  seine  Be- 
nutzer einzuwirken.  Erschienen  sind  vom  Deutschen  Kalender  nur  die  Jahr- 
ginge 1886 — 1892. 

Viel  einfacher  ist  der  Neue  Deutsche  Kalender  und  Praktik  auf  das 
gemeine  Jahr  1905,  herausgegeben  vom  Verein  „Heimat**  in  Kaufbeuren 
(8*^,  Preis:  60  guter  Pfennige).  Diesem  ersten  Jahrgang  ist  in  ganz  gleicher 
Ausführung  auch  ein  zweiter  (1906,  Preis:  100  guter  Pfennige)  gefolgt;  be- 
arbeitet smd  beide  von  Maximilian  Liebenwein,  dem  Maler,  und  Christian 
Frank,  dem  Schreiber.  Diessen  am  Ammersee  druckte  Jos.  C.  Huber.  Schon 
diese  Worte  zeigen,  da&  hier  den  Liebhabern  der  älteren  deutschen  Literatur 
ein  Büchlein  geboten  wird,  das  die  Schreibart  und  Druckweise  des  XVI. 
und  XVIL  Jahrhunderts  mit  Glück  nachahmt.  Ein  poetischer  Neujahrs- 
glückwunsch leitet  jedes  Heftchen  ein;  der  erste  ist  insofern  originell,  als 
er  die  Kalenderzeichen  hn  Text  verwendet  Der  Inhalt  beschränkt  sich  auf 
das  Kalendarische:  die  Sonnen-  und  Mondfinstemisse  sind  aufgezählt,  die 
Ksdenderzeichen  erklärt,  aber  der  Nachdruck  liegt  auf  dem  Tagesverzeichnis 
und  den  dem  Namen  des  Tagesheiligen  meist  beigefügten  Erklärungen.  So 
heiftt  es  z.  B.  unter  dem  4.  August  (1905  und  1906):  Dominikus,  der 
Stifter  des  Prediger- Ordens;  als  seine  Mutter  mit  ihm,  ging,  träumte  sie  von 
einem  Hund,  der  mit  der  Fackel  im  Maul  die  Welt  erleuchtete  1221.  Unter 
dem  30.  August  (Bernhard  von  Clairvaux)  findet  sich  1905  die  letztere  Er- 
zählung (1906  fehlt  sie)  in  etwas  anderer  Form:  Seiner  Mutter  dünkte  im 
SdUaf  als  trage  sie  unter  dem  Herzen  ein  Hündkin,  das  durch  sein  Bellen 
die  Welt  aufiveckt  1153.  Zum  16.  August  findet  sich  1905  folgender  Text: 
Bookus,  ein  Pilger,  der  die  leut  pflegte  und  im  Schenkel  eine  Pestbeule  hat; 
em  besonderer  Patron  in  sterbenden  Läufen  1327.  —  Auch  Bemward,  ein 
Goldschmied  und  Bischof  zu  Hildesheim  1022.  Aber  1906  ist  die  erstere 
Stelle  kürzer  gefafst:  Rochus,  ein  Pilger,  ein  besonderer  Patron  in  sterbenden 
Läufen  1327.  Es  handelt  sich  abo  hier  um  einen  Versuch,  den  Kalender 
selbst  und  die  Tagesheiligen  durch  Bemerkungen  über  ihre  Person  in  weiteren 
Kreisen  wieder  zu  beleben;  im  Jahrgange  T906  sind  eine  gröfsere  Zahl 
Volksgebräuche  und  die  Jahreszeit  bezeichnende  Sprüchlein  eingestreut,  z.  B. 
beim  13.  März:  Auf  Oregori  bedankt  sich  der  Bock  für  sich  und  die  Schaf 
u)eil  ers  Futter  jetzt  selbst  suchen  kann.  Auch  diesem  Kalender,  der  den 
3700  Mitgliedem  des  Vereins  „Heimat'*  umsonst  geliefert  wird  und  dSe 
von  dem  Vereine  herausgegebene  Zeitschrift  Deutsehe  Oaue  mannigfaltig  ergänzt, 
kann  man  nur  wünschen,  dafs  er  jährlich  wiederkehrt  und  sich  viele  neue 
Freunde  erwirbt.  Von  Nutzen  wird  er  aber  auch  den  Herausgebern  der 
wirklich  landschaftlichen  Kalender  sein,  zu  denen  wir  jetzt  übergehen 
wollen. 


—     141     — 

Der  älteste  lafidschaMiche  km6^  und  kuUm-geschicfatliche  Kalendier  ist 
der  fib-  Prftidcen »  der  sugleieh  iä  anderen  Landschaften  mdirfieicb  nack-^ 
gakmt  worden  isT,  MftmkUx^  Bäder  (Verlag  von  H.  Sittrts,  WÜrzbntg^ 
PK»  1  Marit).  Sek  1895  ist  dieser  Ki^eoder  regeknäisig  wtedo:  erschientn, 
1906  ist  der  zwölfte  Jahrgang«,  tmd  der  dauernde  Bestand  kann  demhacb 
voU  ab  gesichert  gelten.  Der  Inhalt  wird  am  besten  chanrakterisiert,  wons 
wir  <fie  zwölf  vorliegenden  Hefte  in  SchmalfoHo  (33/17  cm)  als  eine  „älu* 
sdkne  Knnstchronik  Frankens*',  als  einen  Ersatz  für  das  fehlende  Denk- 
Bälerinventar  bezeichnen;  das  Kalendarium  d^  betreffenden  Jahres  fUUt  mip 
<ie  beiden  Innenseiten  des  Umschlags,  während  aller  übrige  Raum  vorzüglichen» 
Abbüdni^en  hervorragender  Kunstdenkmäler  aüerart  gewidmet  ist,  den  eia^ 
beschreibender  Text  aus  der  Feder  von  Theodor  Henner  begleitet.  So 
werden  die  Jahreshefte  zu  einer  Fundgrube  heimatsgeschichdicher  Belehxmi^ 
ttber  Franken;  die  Abbildungen  aber  tragen  zur  kunstgeschichtlichen  Er« 
ziehtmg  bei,  fördern  die  Wertschätzt:^  geschichtlicher  Denkmiler  in  am* 
Augen  der  Menge  und  witken  so  mittelbar  für  ihre  Erhaltung.  So  stellt 
sieb  (fieser  Kalender  auch  in  den  Dienst  des  Denkmälerschutzes.  Vielleicht 
kommen  gerade  unter  letzterem  Gesichtspunkte  die  Erzeugnisse  der  volks« 
t^alichen  Kunst  etwas  zu  kurz;  Bauernhaus  und  Dorfkirche  und  nicht  minder 
bewe^che  Kunstgegenstände  niederer  Art  könnten  vielleicht  noch  etwas 
aebr  bedacht  sein.  Vorzüglich  war  jedenfalls  der  Gedanke,  den  Umschlag 
IM  Reproduktionen  adter  Bucheinbände  zu  zieren:  so  wird  1897  der  Bin* 
bted  eines  Evangelienkodex  des  VIII.  Jahrhunderts,  1904  derjenige  des 
Wünburger  KiUansevangeliatB  und  1906  der  einer  Pommersfeldener  Hand« 
Kbrift  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  abgebildet  und  durch  Text  erläutert.  Wie 
feidi  der  Inhalt  der  Hefte  im  ganzen  ist  und  wie  sich  die  Beiträge  gegen- 
Kic%  ergänzen,  das  zeigt  am  besten  das  Gesamtregister  über  das  in  dta 
Osten  zehn  Jahrgängen  Dargebotene,  wekhes  im  Jahrgang  1904  enthalten 
ist:  ans  60  verschiedenen  Orten  sind  Gegenstände  behandelt,  und  davonr 
nsd  44  nur  je  einmal  vertreten,  während  natürlich  vor  allem  aus  Würzbutg 
ose  recht  grofse  Zahl  von  Gegenständen  abgebildet  und  beschrieben  ist 
Aus  dem  Sachverzeichnis  ist  zu  ersehen,  dafs  der  Leser  in  den  10  Jahr- 
gSagen  z.  B.  mit  7  Rathäusern  und  a8  Grabdenkmälern,  4  Erzgafswedceff 
VBd  9  Schmiedearbeiten  bekannt  gemacht  wird.  Die  la  Hefte  von  je  20 
Seiten  in  vomehmer  und  technisch  vollendeter  Ausstattung  —  die  SeiteA- 
vonbrnung  wechselt  jährlich  —  stellen  einen  Besitz  von  grofsem  bleibenden 
Weite  dar,  und  vor  allem  auch  aufs  erhalb  Frankens  sollte  sich  der  BKdt 
te  Kunst-  und  Geschichtsfretmde  darauf  richten :  sie  verdienen  Anerkennung^ 
umI  Nachahmung.  Vor  allem  die  Vielseitigkeit  des  Inhalts  vercMent  hervor^» 
fi^bobea  zu  weiden:  1904  bietet  l^  Artikel  mit  32  Abbikkmgen,  190$: 
ij  mit  33,  1906:  13  mit  21. 

Nidkt  zu  verwechseln  mit  den  AUfr4nkischen  Büdem  ist  die  seit  r9>oi 
IMdi  als  Kalender  erscheinende  Mfränkkcke  Chrtmik  in  Wort  und  BM, 
^^■tagegeben  voA  Stephan  Wehnert  (Wür^burg,  Promethensverkig) ,  voBf 
fe  mir  nur  der  sechste  Jahrgang  (1906)  voriiegt.  In  einer  Form,  welche 
<fe  der  AUfränkischm  BÜd&r  nachzuahmen  sucht,  werden  17  Aufsätze  mit 
ti  M>bildung)en  und  einem  Umschlagsbild  dargeboten.  Wenn  auch  die  Ab» 
^^iUni^en  nicht  schlecht  zu  nennen  sind,  so  erreichen  sie  doch  jene  wedelt 


—     142     — 

an  Feinheit  noch  an  Deutlichkeit  in  den  Einzelheiten,  worauf  doch  auf  jeden 
Fall  ein  groüies  Gewicht  zu  legen  ist.  Aber  der  B^leittext  —  auch  in  der 
Form  nicht  immer  würdig  —  entspricht  nicht  den  zu  stellenden  Anforder- 
ungen; er  hält  sich  meist  nur  an  die  Äulserlichkeiten  der  Bangeschichte, 
berührt  vieles  Abliegende,  vermittelt  aber  nicht  das,  worauf  doch  das  meiste 
ankommt,  das  Verständnis  des  dargestellten  Kunstwerkes  selbst.  So  wichtig 
es  ist  zu  wissen,  wer  einen  Bau  geschaffen  und  welchem  Zwecke  er  gedient 
hat,  die  Hauptsache  bleibt  doch  das  Denkmal  selbst  als  Ausdruck  des 
Geistes  der  Zeit,  in  der  es  entstanden  ist.  Da  ein  ernster  Wettbewerb  mit 
den  Bildern  tatsächlich  ausgeschlossen  ist,  so  läist  sich  das  Fortbestehen 
der  Altfränkischen  Chronik  nur  bedauern,  denn  sie  raubt  naturgemäfs  der 
älteren  und  besseren  Reihe  einen  Teil  der  Käufer  und  schafit  einen  unötigen 
Zwiespalt.  Wenn  ein  neues  Unternehmen  offenkundig  besser  ist  als  ein 
altes,  würde  ich  niemals  bedauern,  dafs  ein  solches  das  neuere  verdrängt; 
das  trifit  aber  hier  entschieden  nicht  zu. 

In  einer  völlig    anderen  Weise    haben   einige   Geistliche  im   Kreise 
Eckartsberga  (Provinz  Sachsen)   ihre   Aufgabe  aufgefaßt,    indem   sie  seit 
1896    einen    Kalender    für    Orisgeschichte    und    Heimatskunde    im    Kr^se 
Eckartsberga  (Verlag  von  O.  Kabisch  in  Wohlmirstedt)  veröffentlichten.     An- 
fiugs  in  Oktav-,   seit    1900   in   Quartformat  in   einfacher  Ausstattung  zum 
Preise  von  anfangs  30,  dann  35,  jetzt  40  Pfennigen  erschienen,  bietet  der 
Kalender  in  den  elf  vorliegenden  Jahrgängen  neben  dem  Kalendarium  und 
praktischen  auch  sonst  in  Volkskalendem  üblichen  Mitteilungen  (Wetterregeln, 
Genealogie    der    deutschen    Fürstenhäuser)    populäre    geschichtliche 
Aufsätze.     Em  besonderes  Verdienst  ist  die  Kreischronik  des  letzten  Jahres, 
die  von  Juni  zu  Juni  läuft  und  die   wichtigsten  Ereignisse,   die   dauerndes 
Interesse  beanspruchen,    erzählt;   seit    1901    ist  auch  ein  Auszug  aus  dem 
Kreisverwaltungsbericht  dargeboten,  während  im  ersten  Jahrgange  die  Kreis- 
verwaltung nebst  statistischem  Ortsverzeichnis  enthalten  war.     Die   belletristi- 
schen und  belehrenden  Beiträge  müssen  hier  füglich  imberücksichtigt  bleibeo, 
aber  auf  die  geschichtlichen   kann   mit  um  so  gröfserer  Freude  hingewiesen 
werden.    Wir  finden  da  z.  B.  folgende  Aufsätze :  Zur  Einführung  der  Refor- 
mation in  Eckartsberga  (zwei  Bilder  aus  den  Jahren  1527  tmd  1539;   1896, 
S.  50 — 60),    Wie  es  in  Bibra  vor  200  Jahren  ausgesehen  hat   (1896,  S. 
60 — 69),  E^icha  wahrend  des  30  jährigen  Krieges  (1901,  S.  78—84),  Einige 
Bitder  aus  der  Vergangenheit  der  Stadt   Wiche  (1903,  S.  43 — 46),  Einiges 
aus  der  Geschichte  der  FamiUe  von  Werthem  (1903,  S.  65 — 72),    Wie  oft 
ist  Luther  durch  den  jetzigen  Kreis  Eckctrtsberga  gereist  (1904,  S.  53 — 56), 
Die  Wüstung  Lasan  (1905,   S.  49 — 51),   Der  sächsische  Bruderkrieg  und 
was  in  ihm  unsere  Heimat  vor  450  Jahren  erlitten  hat  (1905,  S.  52 — 55), 
Zur  100.   Wiederkehr  des   Schlachttages  von  Äuerstädi  (1906,  S.  49 — 66), 
Etwas  aus   der   allgemeinen   Geschichte  Kannawurfs   (1906,    S.    73—77)' 
Das  smd  nur  einige  der  gröfseren  volkstümlich  gehaltenen  und  doch  viel&ch 
unter  Benutzung   einheimischen  Quellenmaterials,  namentlich   dem  der 
Pfarrarchive  *),  zur  wirklichen  Vermehrung  des  Wissens  beitragenden  Aufsätze. 

I)  Iii  mustergültiger  Weise  hat  die  Quellen  der  Pfarrarchive,  ramenth'ch  ans  dem 
XVI.  bis  XVIII.  Jahrfanodert,  Bruchinttller  in  seinem  Bache  Zwischen  Sümpfend 
Sand  (Berlin  1904)  «oagebevtet 


—     143     — 

£me  ganz  Tonü^che  Arbeit  ist  die  von  Naumann  über  die  Landunrtsehaft 
md  der  Dreifkigfährige  Krieg  (1905,  S.  59 — 65),  die  nur  einheimisches 
Material  benutzt.  Ebenso  dankenswert  ist  z.  B.  der  Abdruck  zweier  land- 
litHcher  Berichte  von  1828  und  1842  über  die  landwirtschaftlichen  Ver- 
hätnisse  im  Krebe  (1904,  S.  57 — 64)  oder  die  Mitteilung  der  Nachrichten 
ober  den  ersten  Anbau  der  Kartoffel  und  des  Klees  im  Kreise  (1901,  S.  91). 
Auch  manche  Kuriosität,  wie  z.  6.  ein  Leichenstein  mit  gereimter  In- 
schrift fUr  ein  Pferd,  das  181 2  mit  in  Rufsland  gewesen  war  und  18 13 
bis  1815  die  Feldzüge  mitgemacht  hatte,  wird  (1899,  S.  76)  berichtet. 
Einfiiche  Abbildungen  im  Texte  ergänzen  die  Darstellungen.  Angeregt  hat 
(fie  Gründung  Superintendent  Allihn  in  Leubingen,  der  eigentliche  Heraus- 
geber im  Auftrage  eines  Komitees  und  gegenwärtig  zugleich  Verleger  ist 
Pastor  Kabisch  in  Wohlmirstedt  an  der  Unstrut;  einer  der  eifrigsten  Mit- 
arbeiter ist  Superintendent  Naumann  in  Eckartsberga.  In  den  ersten 
9  Jahrgängen  sind  Nachrichten  aus  35  Orten  des  Kreises  enthalten,  so  dafs 
tatsächlich  bei  Fortsetzung  der  Arbeit  ein  reiches  Quelleimiaterial  zur  Heimats- 
geschichte nicht  nur  erschlossen,  sondern  auch  in  weiteren  Kreisen 
bekannt  gemacht  wird.  Deshalb  verdient  dieser  Kalender,  der,  wie  es 
scheint,  einzig  dasteht,  Beachtung  und  Nachahmung.  Wo  in  einem  gröfseren 
BeziTke  ein  heimatskundlicher  Verein  besteht,  da  würde  sich  diese  Art  der 
Publikation  entschieden  mehr  empfehlen,  als  eine  dürftige  Zeitschrift. 

Nach  mehrjähriger  Unterbrechung  ist  dann  erst  1902  ein  neues  Kalender* 
Qoteraehmen  ins  Leben  getreten,  und  zwar  für  Thüringen.    Der  Thüringer 
Kaiender   ist   seit    1902    alljährlich   in   ganz  gleicher  Form   und  Ausstattung 
erschienen,  herausgegeben  wird  er  vom  Thüringischen  Museum  in  Eisenach 
(Knrator:   Major  a.  D.   Sieckel)   und   redigiert   von   Prof.    Georg   Vofs 
(Preis:  I  M.).     Auch   dieser  Kalender  hat  wie  der  fränkische  anderen  zum 
Vorbild  gedient  und  stellt  daher  einen  Typus  dar 4    Das  Format  (27,5/16  cm) 
ist  klein-sdunal-folio ;  der  Inhalt  zer^llt  in  zwei  Teile,  das  Kalendarium  imd 
den  TextteiL    In  den  Monatstafeln  sind  nur  die  Geburtstage  der  gegenwärtigen 
Glieder  regierender  Familien  eingetragen,  während  auf  die  sehr  nahe  liegende 
Verzeichnung   geschichtlicher,   für  Thüringen   wichtiger  Tatsachen   verzichtet 
worden   ist.      Jeder  Monatstafel    zur   Seite    steht    die   Abbildung    eines    be« 
deutenden  Bauwerkes:    1902    waren  12  Schlösser,    1903  Rat-   und  Bürger- 
häuser mit  Hausteilen,    1904   vornehmlich  Kirchen  (Dom  zu  Erfurt,   Lieb- 
ftauenkirche  zu  Arnstadt,  Klosterruine  Paulinzella,  Kirche  zu  Stadtilm,  Schlofs- 
kirche  zu    Altenburg,   Kirche   zu   Untermhaus,   Margaretenkirche  zu  Gotha, 
simtHch   gezeichnet  von  Ernst  Liebermaim)  gewählt.    Hier  hat  also  dasselbe 
Zid  vorgeschwebt  wie  in  Franken :  es  sind  nur  andere  Mittel  gewählt  worden, 
om  es  zu  erreichen,  insofern  die  Baudenkmäler  zugleich  als  Hintergrund  für 
Sdmmungsbilder  dienen.    Der  Textteil  steht  dem  fränkischen  Kalender  näher, 
UMlem  in   kurzen  Aufsätzen  (1904  sind  es  15  mit  24  Abbildungen,  1905: 
10  Aufsätze  mit  24  Abbildungen)  verschiedene.  Gegenstände  der  thüringischen 
Kunstgeschichte,  aber  auch  kulturgeschichtliche  Einzelheiten  besprochen  werden. 
So  wird  z.  B.  über  den  Bergbau  in  Ilmenau,  die  Münzen  der  ersten  Land- 
grafcD  und  vorgeschichtliche  Fimde  im  Koburger  Lande  im  Jahrgange  1902 
gebändelt,  1903  finden  wir  Aufsätze  über  Bernhard  von  Weimar,   den   ehe- 
Bialigen  Lustgarten  in  Weimar  und  die  Fruchtbringende  Gesellschaft,  während 


—     144     — 

X904  die  Beschreibung  der  Gothaer  Prachtbibel  Ottheinrichs  von  der  P&k, 
Mi  Ooethe  auf  dem  Inselsberg  und  die  Bilder  aus  dem  Jenenser  Studenten- 
leben  auf  Grund  alter  Abbildungefn  (ohne  Text)  allgemeine  Beachtung  ver- 
dienen. Auch  zu  einigen  der  Monatsbilder  wird  ein  geschichtlicher  Auftatz 
dargeboten.  Auf  diese  Weise  wird  es  möglich,  auch  andere  ab  künsderische 
Gegenstände  zu  behandeln,  und  der  Thüringer  Kalender  vereinigt  dadurch 
einen  Vorzug  des  Eckartsbergaer  mit  dem  des  fränkischen,  denn  dafs  auf 
die  Kunstdenkmäler  in  erster  Linie  das  Augenmerk  gerichtet  werden  mufs, 
wird  allgemein  einleuchten;  nur  braucht  man  deswegen  von  anderen  Dingen 
nicht  völlig  abzusehen.  In  dieser  Hinsicht  sind  die  Wappen  thüringischer 
Geschlechter,  die  erwähnten  Bilder  aus  dem  alten  Studentenleben,  das  Schutz^ 
haus  auf  dem  Inselsberg  (1820)  und  viele  andere  Abbildungen  lebhaft  zu 
begrüfsen.  Da  fünf  Jahrgänge  erschienen  sind,  dürfte  der  Schlufs  berechtigt 
sein,  dafs  der  Kalender  die  nötige  Zahl  Freunde  gefunden  hat,  um  sein 
Dasein  fristen  zu  können. 

Dasselbe   scheint  man  leider  von   den   folgenden  Kalendern  nicht  un- 
bedbgt  behaupten   zu   können.     Da  ist  z.  B.  in  den  drei  Jahren  190a  bis 
1904  für  die  Provinz  Brandenburg  ein  Kalender  in  Grofsquart  (31,5/22,5  cm) 
erschienen:   der  Titel  war  Der  Rote  Adler,  Brandenburger  Kalender  (Berlb, 
Verlag  von  Martin   Oldenbourg),    und   die  Bearbeitung   besorgte    Robert 
Mielke  unter  Mitwirkung  von  Ernst  Friedel,   dem  Vorsteher  des  Mär- 
kischen Provinziahnuseums.    Während  der  erste  Jahrgang  für  das  Kalendarium 
nur  die  beiden  Innenseiten  des  Umschlags  verwendet  und  den  Text  ähnlich 
dem  des  fränkischen  Kalenders  gestaltet,  aber  den  Inhalt  auf  die  Vorgeschichte 
(Ein  Königsgrab  aus  der  Vorxeü)  und  Landschaftsbüder  (Lenzen  und  die 
Wische,  Ein  Rmchhaus  d.  h.  schomsteinloses  Haus^  ausdehnt,  ist  man  im 
zweiten  und  dritten  Jahrgange  zu  Monatsbildern  übergegangen.    Und  zwar 
steht    1903   oben  je   ein   Stadtbild   (Frankfurt  a.  O.,   Prenzlau,    Rathenow, 
Küstrin,  Landsberg  a.  d.  W.  usw.),  1904  je  eine  frei  erfundene  Darstellung 
aus  der  märkischen   Geschichte  (z.  B.  Albrecht   der  Bär   empfängt  koloni- 
sierende Niederländer,   Anlage   des  Klosters  Zinna),    unten   aber   in  beiden 
Jahrgängen  je  das  Wappen  eines  märkischen  Adelsgeschlechts  mit  geschicht- 
lichen Bemerkungen.    Ist  die  letztere  Einriichtung  aufserordentlich  zweckmälsig 
so    kann   die   Verwendung    bildlicher   Darstellungen,    die   reine  Erzeugnisse 
künstlerischer  Phantasie  sind,  in  Anbetracht  des  Zweckes,  der  verfolgt  wird^ 
nicht  gebilligt  werden.     Während   der  Textteil   des  Jahrganges    1903   gao^ 
dieselbe  Gestalt   hat  wie  der  Text  des  ersten  Jahrganges,    bietet   der   dritte 
Jahrgang  einen  gröfseren  Aufsatz  Aus  der  Frühzeit  mOrkisoher  Kunst.    So 
belehrend   er  mit  seinen    16  Abbüdungen   ist,   so   trifit  er  doch  nicht  das 
Richtige,  ja  er  verfällt  gerade  in  den  Fehler,  der  in  Franken  und  Thüringen 
mit  Absicht  vermieden  worden  ist :  es  wird  eine  belehrende  zusammen&ssende 
Abhandlung,  und  der  Leser  wünscht  doch  gerade  konkrete  Mitteilung  von 
Einzelheiten,    nicht   Beispiele.      Die   Absicht,   erzieherische   Arbeit  so 
leisten,   liegt  der  Herausgabe   eines   solchen    Kalenders   zugrunde;   es  soll 
kein  lehrhafter  Ton   angeschlagen  werden.     Es    mag  sein,    dais  in  Bran- 
denburg das   rechte  Verständnis    weiterer    Kreise    gefehlt   hat,    aber  trotz*' 
dem  muüs  ausgesprochen   werden,    dafis    der  Inhalt    doch    dem   BedQrAiif 
des  geschichtlich  interessierten  Publikums  nicht  vöiHg  entsprochen  bat,  üod 


—     145     — 

raofs   der  dritte  Jahrgang  als  der  am  wenigsten   gelungene   bezeichnet 
Der  zweite  wäre    Tortreflflich,    wenn  nicht  die   Verwendung  ver- 
Papiers für  Kalendarium  und  Textteil  störend  wirkte.    Dafs  tech- 
Grtinde  dies   veranlafst  haben,   ist   deutlich  zu   erkennen,   aber   der 
Leser  wird   trotzdem   dadurch   abgestofisen.      So   ist   denn   Der   Bote  AMer 

1904  zum  letzten  Male  erschienen,  wenn  auch  die  Mark  Brandenburg  da- 
dmch  nicht  TöUig  um  einen  geschichtlichen  Kalender  gekommen  ist,  denn 
da  Berüner  Kalender,  der  1903  und  1904,  bearbeitet  von  Konservator  Prof. 
Georg  Vofs,  im  Verlag  von  Fischer  &  Franke  in  Berlin  erschien,  ist  von 

1905  an  in  den  Verk^  von  Martin  Oldenbourg  übergegangen,  und  sein 
iDhah  ist  insofern  erweitert  worden,  ab  die  Mark  Brandenburg  in  den  Jahr- 
gäiigeu  1905  und  1906  mit  berücksichtigt  worden  ist  Das  war  eine  gute 
Lösimg,  denn  eine  Trennung  zwischen  Berlin  und  der  übrigen  Mark  War 
!m:Iit  ^Qcklich ;  die  Interessenten  für  beide  Kalender  werden  im  wesentliches 
Aeselben  Personen  gewesen  sein. 

Dais   für  Berlin    erst    1903    ein    solches,    in    semem  Äufseren    dem 

Tkünnger  Kalender,   mit  dem  es  ja  auch  den  Herausgeber  gemeinsaiii  hat, 

Tdifig    gleiches  Werkchen   entstanden   ist,   mufs  eigentlich  verwundern.     Die 

erschienenen  Jahrgänge    1903    tmd  1904,   sowie  1905  und  1906   (zugleich 

ftr  Brandenburg  mit)  verdienen  die  allergröfste  Anerkennung.    Enthielt  19O3 

Honatsbilder  aus   der  2^it'des  Grofsen  Kurfürsten  —  z.  B.  die  „  Linden*' 

ganz  junge  Bäumchen  — ,  so   versetzen   die  Bilder  des  Jahrgangs  1904 

Beschauer  in  die  Zeit  Friedrichs  des  Grofsen.     1905  wurden  die  Bilder 

fabig    ausgeführt,   und   dieses  Mal   wurden    13  Szenen   aus  der  Geschichte 

Berlins   gewählt,  die  uns  die  Entwickelung  der  Stadt  von  der  Zeit  des  ersten 

Majkgrafen  bis  zu  Friedrich  dem  Grofsen  veranschaulichen.     Die  Beseitigung 

der  Konkurrenz  ist  ganz  zweifellos  für  die  Ausstattung  des  Kalenders  recht 

▼ofteiibaft   gewesen,  und  so  wird  er  sich  nun   hoffentlich   behaupten.     Der 

Text  ist   durchweg   lehrreich  und   anerkennenswerterweise  nicht  nur  kunst- 

gescfaichtlieh :    wir  finden  z.  B.  Mitteilungen  über  die  Berliner  Ausrufer  vor 

foo  Jahren  und  über  Berlin  als  Hansestadt  (1903),  über  Schiller  in  Berlin, 

WbtT  die  Wachtparade  im  Lustgarten  zur  Zeit  Friedrichs  des  Grofsen  und  über 

Medaille  auf  die  Gründung   der   Kolonie  Grofsfriedrichsburg  in  Afrika 

iJem  Grofsen  Kurfürsten  (1904).    Wünschenswert  wäre  es  gewifs,  wenn 

ru  jeder  Abbildung  ein  Stück  Text  geboten  würde,  und  selbst  unter  den 

Monatsbildem  liefs   sich   gewifk  leicht   etwas  Raum  schaffen,   in  dem  ganz 

fotrz  bei  Gebäuden  z.  B.  die  Zeit  der  Erbauung,  der  Name  des  Baumeisters, 

Bestinmmng,    der  es  gedient  hat,   und  ähnliche  Mitteilungen  eine  Stelle 

könnten.     Das   Kalendarium  liefse   sich  leicht  noch   mit  Daten  aus 

der"  Brandenburgischen  Geschichte  bereichem,  dagegen  hat  die  Angabe  der 

jidischen  Festtage  rechts  vom  roten  Strich  keinen  Sinn;   will  man  sie  nicht 

weglassen,  dann  können  sie  höchstens  in  Klammer  hinter  dem  Tagesnamen 

dne  Stelle  finden. 

Flfr  Baden  hat  drei  Jahre  lang  (1903 — 1905)  der  Veriag  Grofs  & 
Seteoenbarg  in  Lahr  einen  geschtchtlicheü  Kalender  (Preis :  i  Mark)  heraus- 
gegeben, aber  leider  ist  er  1906  nicht  wieder  erschienen.  Der  Badieche 
Mäienier  zeigt  etwas  kldneres  Format  als  der  fränkische  (17»$/ 16,5  cm), 
Bit  &h  aber   im  Aulseren   ihn  zum  Muster  genommen.     InhaMich  stehen 


—     146     — 

die  Städte  des  I^andes  im  Vordergründe  mit  24  Artikeln  über  22  ver- 
schiedene Orte  in  allen  drei  Jahrgängen,  während  sich  9  Aufsätze  mit 
einzelnen    Personen    beschäftigen.     Aufserhalb    dieses    Rahmens    &llen   nur 

1905  die  Aufsätze  Sage  und  Volksleben  im  Schtuarxuxüd  —  mit  Abbildung 
einer  Köhlerhütte  und  eines  Kohlenmeilers  —  und  LHe  Sckwarxwälder  Uhr- 
macherkunst  mit  dem  Bilde  eines  Uhrenhändlers  von  Lenzkirch  und  einer 
Uhrenwerkstätte.  Das  Kalendarium  (ohne  geschichtliche  Daten)  verteilt  sich 
über  das  gaiue  Heft.  Die  Abbildimgen  sind  aufserordentUch  fein  und  deut- 
Uch,  die  begleitenden  Texte  von  Archivrat  Albert  und  Rektor  Sütterlin 
müssen  als  für  den  vorliegenden  Zweck  mustergültig  bezeichnet  werden. 
Wort  und  Bild  sind  nicht  nur  gleichwertig,  sondern  ergänzen  sich  auch  in 
recht  geschickter  Weise.    Deshalb  ist  es  sehr  zu  bedauern,  dafs  die  Badeuer 

1906  ihren  Kalender  eingebüist  haben,  aber  sie  werden  wohl  selbst  schuld 
daran  sein:  warum  haben  sie  in  den  Jahren,  da  sich  die  Gelegenheit  bot, 
die  Hefte  nicht  besser  gekauft?  Vielleicht  wäre  zu  erwägen,  ob  der  badische 
Kalender  nicht  einen  Schwarzwaldkalender  zum  Nachfolger  bekommen 
könnte! 

Über  den  Kalendern,  die  1904  zuerst  das  Licht  der  Welt  erblickteo, 
hat  z.  T.  ein  Unstern  gewaltet.  In  zwei  Fällen  ist  der  Jahrgang  1904 
bis  jetzt  der  einzige  geblieben,  und  zwar  gilt  dies  für  die  Kalender 
für  das  Saargebiet  und  das  Königreich  Sachsen,  die  sich  übrigens 
im  ganzen  beide  den  Thüringer  Kaknder  zum  Vorbild  genommen  hatten. 
Der  Saarkaiender  für  1904  wurde  vom  „Kunst-  und  Gewerbeverein  für  das 
Saargebief  zu  Saarbrücken  herausgegeben  (Kommissionsverlag  von  Hubert 
Hecker,  Saarbrücken,  Preis:  i  Mark)  imd  ist,  abgesehen  vom  Vorwort 
und  einem  auf  die  Bedeutung  der  Eisenindustrie  hinweisenden  Gedicht,  Das 
Olück  aus  Eisen  von  Alexander  Tille,  rein  geschichtlichen  und  kunstge- 
schichdichen  Inhalts.  Die  Monatstafeln  sind  mit  einigen  Daten  aus  der 
Geschichte  der  Heimat  versehen,  wie  es  allgemein  geschehen  sollte:  so  er- 
fJEthren  wir  zum  11.  Januar,  dafs  181 4  Blücher  in  Saarbrücken  sein  Haupt- 
quartier hatte,  zum  28.  Februar,  dafs  1784  infolge  von  Hochwasser  mehrere 
Bogen  der  alten  Saarbrücke  einstürzten,  aber  z.  B.  auch,  dafs  am  23.  Juni 
1900  das  neue  Rathaus  in  St.  Johann  eingeweiht  worden  ist.  Die  zwölf 
Monatsbilder  stellen  hervorragende  Bauwerke  des  Saargaues  in  vorzüglich 
gelungenen,  plastisch  wirkenden  Abbildungen  dar,  und  zu  fUnf  dieser  Ab- 
bildungen wenigstens  sind  im  Textteil  kleine  unterweisende  Abhandlungen 
enthalten.  Das  ist  sehr  zweckmäfsig  und  sollte  für  jedes  der  Monatsbilder 
allgemein  üblich  werden.  Wort  und  Bild  müssen  sich  ergänzen ;  das  erhöht 
den  praktischen  Wert  beider  ungemein.  Auf  Textabbildungen  sind  in  zwei 
Fällen  besondere  Teile  der  Monumentalbauten  dargestellt.  Einige  lehrreiche 
Aufsätze  stehen  zu  den  Monatsbildern  nicht  in  Beziehung;  so  der  über  den 
1788  von  Fürst  Ludwig  gestifteten  Ritterorden  der  Schien  Treue,  dessen 
Abzeichen  abgebildet  ist,  ebenso  ein  anderer,  der  sich  mit  der  Zeit  des 
eben  genannten  Fürsten  Ludwig  (gest.  1794)  beschäftigt,  imd  auf  viele  Be- 
ziehtmgen  bekannter  Personen  —  Goethe,  Knigge,  Iffland  —  zu  Saarbrücken 
hinweist,  tmd  schliefslich  eine  Beschreibung  der  in  der  Sammlung  des  Histo- 
rischen Vereins  zu  Saarbrücken  befindlichen,  1844  ausgegrabenen  römischen 
Merkurstatuette   aus  Bronze.      Schliefslich   finden    sich    noch    fünf  Wappen 


—     147     — 

kmisdier  Adelsgeschlechter  mit  kurzen  Bemerkungen  über  deren  Geschichte, 
eme  recht  empfehlenswerte  Art,  um  allgemeiner  mit  der,  für  die  fernere  Ver- 
gs^enheit  so  wichtigen  Heraldik  imd  Adelsgeschichte  bekannt  zu  machen.  Der 
scbOne  Anlauf,  den  man  an  der  Saar  genommen  hatte,  läfst  nur  bedauern, 
di6  das  Unternehmen  bis  jetzt  ohne  Fortsetzung  geblieben  ist,  aber  es  ist 
ja  nicht  ausgeschlossen ,  dafs  sich  die  Beteiligten  noch  eines  Besseren  be- 
aonen  und  1907  mit  einem  neuen  Kalender  hervortreten.  Da  ein  Verein 
hier  als  Unternehmer  in  Frage  kommt,  darf  man  auf  so  etwas  vielleicht  so- 
gar hofien! 

Geradeso  vereinsamt  steht  bisher  der  Sächsische  Kaiender  1904  (Städte- 
bider  und  Schmuck  von  Walter  Tiemann,  verlegt  bei  Carl  Ernst  Poeschel 
in  Leipzig).  Dieser  Kalender  stellt  fast  einen  neuen  Typus  dar,  da  er  aufser 
dem  Kalendarium,  das  darauf  verzichtet,  irgendwelche  Tage  als  sächsische 
Gedenktage  zu  bezeichnen,  keinerlei  Text  enthält.  Das  ist  entschieden 
IQ  bedauern  und  dürfte  zu  einem  Teile  den  Mifserfolg  erklären,  denn  die 
nrW  Monatsbilder  sind  ganz  vorzüglich.  Trefiflich  ausgewählt,  gleichmäfsig 
aBen  Teilen  Sachsens  entnommen  —  Dresden  (2  mal),  Leipzig,  Zittau,  Meifseo, 
Freiberg,  Bautzen,  Chemnitz,  Riesa,  Plauen,  Pirna  und  Zwickau  sind  mit 
herrorragenden  Bauwerken  vertreten  —  und  in  technisch  ganz  ungewöhnlich 
feiner  AusfÜhnmg  dargeboten,  stehen  sie  vielleicht  von  den  sämtlichen  hier 
be^ochenen  Abbildungen  künstlerisch  am  höchsten.  Deshalb  kann  man 
nur  dem  beipflichten,  was  Wurm  darüber  sagt,  wenn  er  meint,  für  das 
Bngeben  des  Kalenders  sei  wohl  kein  anderer  Grund  anzuführen,  „als  dafs 
IQ  Sachsen  für  derartige,  wirklich  künstlerische  Veröfifentlichungen  kein  Sinn 
besteht.  Wie  viel  tausend  und  abertausend  Kalender  niedriger  und  niedrigster 
^ite  mögen  wohl  im  Sachsenlande  gekauft  worden  sein,  aber  für  ein  Heft- 
dien,  welches  hervorragende  Bilder  aus  dem  eigenen  Lande  bringt,  scheint 
man  dort  kein  Verständnis  und  kein  Geld  zu  haben**.  Auch  in  diesem 
FaBe  soll  die  Hoffnung  auf  eine  Erneuerung  nicht  aufgegeben  werden,  aber 
es  sollten  —  vielleicht  unter  Wegfall  der  zu  Merkiafeln  bestimmten  leeren 
Bitter  —  in  das  Kalendarium  sächsische  Gedenktage  eingetragen  und  kleine 
geschichüiche  Erläuteningstexte  zu  den  AbbUdungen,  gegebenenfalls  mit 
kleineren  Textillustrationen,  beigefügt  werden.  Auch  kleine  dichterische  Bei- 
gaben pflegen  das  Interesse  zu  erhöhen. 

Unter  Verzicht  auf  Text  erscheint  seit  1904  auch  ein  Kalender  für 
Hessen,  aber  dieser  ist  in  den  folgenden  Jahren  erfreulicherweise  nicht 
ausgeblieben,  scheint  vielmehr  Anklang  gefimden  zu  haben.  Es  ist  dies  der 
&»m9cke  Kalender  mit  Originallithographien  nach  Studien  aus  Hessen-Nassau 
vod  dem  Grofsherzogtum  Hessen  von  H.  Meyer-Cassel  in  München 
(Verlag  von  Ernst  Huhn  in  Kassel,  Preis:  2,50  Mark).  Technisch  unter- 
scheidet sich  dieser  Kalender  von  allen  anderen,  denn  er  ist  kein  Buch-, 
wndem  ein  Wandkalender  in  Querfoüo  (25/42  cm).  Jede  der  12  Tafeln 
trigt  in  der  Mitte  eine  Lithographie  (1905  sogar  eine  farbige),  während  sich 
ünks  und  rechts  das  Kalendarium  mit  geschichtlichen  Daten  findet;  1905 
ist  bst  jeder  einzelne  Tag  bedacht.  Die  BUder  sind  echte  Künstlerwerke, 
aber  die  Auswahl  erscheint  doch  nicht  ganz  glücklich.  Das  Landschafts- 
bfld  herrscht  vor;  als  Baudenkmal  erscheint  uns  1904  einzig  und  aUein  das 
Marborger  Sc^ofs,  während  bei  den  elf  anderen  Bildern  das  entsprechende 


—     148     — 

Denkmal  ziemlich  zurücktritt,  tind  1905  ist  dies  bei  allen  zwölf  im  übrigen 
^timmungsvoUen  Bildern  der  Fall.  Die  Lithographien  sind  gewifs  fein  -aus- 
geführt, aber  sie  eignen  sich  nicht  recht  zum  fieschauen,  da  die  £mzelheitea 
zu  wenig  klar  hervortreten.  Ob  dies  im  jüngsten  Jahrgange  (1906)  anders 
geworden  ist,  kann  ich  nicht  entscheiden,  da  mir  kein  Exemplar  vorli^ 
aber  da  die  Lithographien,  wie  verlautet,  nur  schwarz  und  weifs  ausgeführt 
sind,  ist  es  wohl  anzunehmen.  Dieser  Kalender  wird  voraussichtlich  immer 
wiederkehren,  denn  der  Jahrgang  1906  ist  bereits  völlig  vergriffen,  weshalb 
den  Herrn  Verleger  seine  Kollegen  nicht  wenig  beneiden  werden.  Auch 
hier  wäre  für  die  Zukimft  etwas  Text,  der  die  Bilder  geschichtlich  erläuteit, 
erwünscht,  sei  es  auf  der  Rückseite  der  Blätter,  sei  es  auf  einem  Beiblatt 
oder  auf  einem  Raum,  der  sich  durch  Zusammendrängung  des  Kalendariums 
gewinnen  liefse. 

Während  der  für  ganz  Sachsen  bestimmte  kunstgeschichtliche  Kalender 
nur  ein  einziges  Mal  erschienen  ist,  hat  ein  ähnliches  für  die  Stadt  Leipzig 
bestimmtes  Werk,  das  auch  1904  ziun  ersten  Male  ausgegeben  wurde,  eine 
regelmäfsige  Fortsetzung   gefunden,   und   das   fernere  Erscheinen   dürfte  ge- 
sichert sein:    dies   ist   der  Leipxiger  Kalender,    der  mit  dem  Untertitel  Em 
iütistriertes  Jahrlmch,  herausgegeben  von  Georg  Merseburger,   1904  ud<1 
1905  im  Verlag  von  Jobannes  von  Schalscha-Ehrenfeld  und  1906  im  Verlag 
von  Georg  Merseburger   —    mit  dem  Untertitel:    Illustriertes  Jahrbuch  wd 
Chronik  —  erschienen  ist.    Der  Plan  dieses  Kalenders  weicht  wesentlich  von 
dem  aller  übrigen  ab:    es   handelt   sich   hier   um  ein  stattliches  Buch  von 
nmd  260  Druckseiten.  -  Dem  Unternehmen  liegt  der  treffliche  Gedanke  zu- 
grunde, jährlich  ein  Buch  zu  schafifen,  in  dem  das  gegenwärtige  Leipzig 
in   seinem  wirtschaftlichen,    wissenschaftlichen  imd  künstlerischen  Leben  ge- 
schildert wird,  und  damit  geschichtliche  und  kimstgeschichtliche  Erinnerungen 
an  die  Vergangenheit  zu  verbinden.     Es  wird  darin  nicht  nur  ein  Über- 
blick  über   die    Schauspielsaison   des   letzten   Jahres   (1904,   S.  173 — 187; 
1905,   S.  127 — 137;    1906,   S.  175 — 190),   über  das  Musikleben   (1904, 
S.  201  —  220;    1905,    S.   153 — 167),    seit    1906   auch   eine  Jahreschronik 
(S.  207 — 220)  der  äufseren  Ereignisse  veröffentlicht  —  Dinge,  die  in  Anbetracht 
ihrer  Bedeutung  für  eine  fernere  Z  u  k  u  n  f  t  recht  dankbar  aufgenommen  werden 
müssen  — ,  sondern  auch  Gedichte  und  Erzählungen  der  heutigen  Leipziger 
SchriftsteUerwelt   aUer   Richtungen   sind   darin   enthalten.     Und  mitten  unter 
diesen  Dingen,  die  für  jeden  Einwohner  einen  gewissen  Wert  besitzen,  stehen 
nun   allgemein  verständlich   geschriebene  Aufsätze   aus   dem  weiten   Gebiete 
der  Geschichte   mit  ganz   vorzügUchen  TextabbUdungen  und   Kunstbeilagen. 
Das  Kalendarium,  das  19O4  imd  1905  ohne  geschichtliche  Daten  war,  ent- 
hält 1906    in   zwei   Reihen  „Geschichtsnamen**   und   „Erklärungen**  dazu, 
imd  zwar  ist  für  jeden  Tag  ein  für  Leipzigs  Geschichte  wesentliches  Ereignis 
gefunden  worden;  so  heifst  es  z.  B.  zum  13.  Juni:  Salzburger  Emigranten  und 
als  Erklärtmg  dazu :  Ankunft  der  ersten  gastfreundlich  aufgenommenen  1732. 
Als    Monatsbilder    finden    wir    1904    farbig    ausgeführte    Gebäude   und 
Häusergruppen  der  Stadt  in  der  die  Jahreszeit  kennzeichnenden  Erscheinung; 
.1905  sind  neben  einigen  Bauwerken  auch  Stimmungsbüder  (Peieresirafte  xmt 
Messe,  JRennpUUxsxene,  Weihnachtsmarkt)  berücksichtigt,  während  1906  zwölf 
Zeitbilder  aus  der  Geschichte  Leipzigs,  gezeichnet  von  Hugo  L.  Braune,  also 


—     149     — 

Kche  Phantasieerzetigiiißse,    gewählt  wurden.      Wenn   auch  ftir  einige 
fiOder  (x.  B.  für  das  von  Bach,  Geliert  bei  Friedrich  dem  Grofsen,   Goethe 
8od  Käthchen)  geschichtliche  Darstellungen  verwertet  sind,  so  erweckt  doch 
bei  unserem  Reichtum  an   alten  Stichen,  die  das  Bekanntwerden  verdienen, 
doe  solche  Schöpfung  Bedenken.     Der  Fehler,  der  oben  beim  Boten  Adler 
beobachtet  wurde,  ist  allerdings  glücklich  vermieden :  der  Beschauer  braucht 
sich    ziicht    mit   dem  Bilde  zu  begnügen,   sondern   es  werden  S.  201 — ao6 
Tcxterbluteruogen  dazu  aus  der  Feder  von  Wilhelm  Bruchmüller  geboten, 
die  auch  dem  geschichtlich  Unkundigen  sagen,  was  die  Bilder  bedeuten,  und 
insofern  auch  geschichtlich  erzieherisch  wirken.     Glücklich  ist   die   Auswahl 
der  durchweg  kurzen  geschichtlichen  Beiträge   zu  nennen,    die  überdies  fast 
jede  Zeit  und  jedes  Gebiet  des*  Kulturlebens  berücksichtigen.    Es  seien  z.  B. 
fDlgende  Aufsätze  angeführt:   Im  Jahrgange   1904   finden   wir  Aufsätze  über 
Doktor    Faust  und  Auerbachs   Keller,   Leipx^ig  als    Iktrnerstadi   (Geschichte 
des  Turnens  in  Leipzig),  Lediger  Parks  und  Gärten  (Geschichte  der  Leip- 
ziger Gartenanlagen  seit  dem  XVII.  Jahrhundert)  und  einen  ganz  vorzüglichen 
Beitrag  von  Albrecht  Kurzwelly:  Das  Leipziger  Bürgerliaus  in  der  ersten 
HMfte    des    XVIII.  Jahrhunderts   (S.   149 — 167);    sieben    Abbildungen    be- 
deutender Häuser  und  ein  Grundrifs  sind  beigegeben.    Während  der  Direktor  * 
des  Kunstgewerbemuseums  über  die  Bedeutung  dieser  Anstalt  handelt  (S.  189 
bts    194)    und   einige   bemerkenswerte  Gegenstände   in   Abbildungen   beifügt, 
unterrichten   launige  Tagebuchaufzeichnungen    eines   einstigen   Leipziger   Stu- 
denten über  dessen  Ferienwanderungen  in  den  Jahren  1 8 10  und  18 11  sowie 
über    die    Zustände   auf  sächsischen  Landstrafsen   und   in  den  benachbarten 
Städten.     Im  Jahrgange  1905  sind  für  den  Geschichtsfreund  von  Bedeutung 
Briefe   eines  Leipziger  Studenten  aus  den  Jahren   1819 — 1824    (S.  57 — 76), 
Der  I.,e^xiger  Studentenaufruhr  von  1768  (S.  109—118),  die  Beschreibung 
und  Würdigung  einer  Anzahl  Bauwerke  in  den  Leipzig  umgebenden  Dörfern 
mit  Abbildungen  (S.  141 — 151),   die   Geschichte  und   Bedeutung   des  jetzt 
abgerissenen   „Römischen   Hauses**    (S.  169 — i74)t   die  Charakteristik   des 
älteren  Leipziger  Mefslebens   im  Anschlufs   an   ein  humoristisches  Genrebild 
mit  Bezug  auf  die  Ostermesse  1836,   das  natürlich  reproduziert  ist  (S.  183 
bis   195),  Diß  älteste  Beschreibung  des  Leipziger  Fischerstechens  unter  Wieder- 
gabe   eines    dem   Jahre    17 17    entstammenden    BUdes    dieser    Schaustellung 
(S.  199 — 204),  die  Abbildung  und  Beschreibung  des  „Fürstenhauses**  (S.  aio 
bis  3x2)  und  mancher  andere  Beitrag.    Nicht  minder  glücklich  sind  die  Auf- 
sätze des  jüngsten  Jahrgangs  ausgewählt,   der  die   beiden  ersten  an  Reich- 
haltigkeit noch   übertrifil:   in  Goethes  Leipziger   Zeit   führt   die    Schilderung 
Ein  Besuch  im  Sübemen  Bären  im  Jahre  1766  (S.  35 — 50),   eine  Schilde- 
raog    der  älteren  Fastnachtsgebräuche   gibt  der  Aufeatz  Der  Tanz  im  alten 
Lapxig   (S.  63 — 74),   einen  Blick  in   Leipzigs  Musikleben   des  XVII.  Jahr- 
hunderts gewährt  die  kurze  Biographie  des  Thomaskantors  Johann  Hermann 
Schein  (S.  129 — 138),  mit  dem  Jahre  1806  beschäftigt  sich  ein  erster  Auf- 
satz  über   Die  Franxosenzeit  in  Sachsen  und  Leipxig   (S.  141 — 156),   der 
weitere  Nachfolger   erhalten   soll  und  dem  vier  Abbildungen  von   dem  da- 
maligen Leipziger  Künstler  Geisler  beigegeben  siad.     Auch   zwei  Briefe  des 
dänischen   Erbprinzen    und    seiner   Gemahlin  von    1784    und    1790   haben 
mehr  als   ortsgeschichtUches  Interesse   (S.  225 — 228);  der  Nachweis,   dafs 


—     150     — 

ein  bisher  als  Darstellung  Katharinas  von  Bora  geltendes  Ölgemälde  des 
Leipziger  Museums  das  Bildnis  von  Luthers  Frau  nicht  zeigt  (S.  229 — 234), 
hat  ebenfalls  allgemeinere  Bedeutung,  und  auch  für  andere  Orte  wird  die  Ge- 
schichte des  Spruchs  Eoctra  lApsiam  tum  est  vUa  —  Et  si  vüa,  non  est  ita 
(S.  241 — 242)  belangreich  sein.  Bei  dem  auiserordentlich  billigen  Preise 
von  2,50  Mark  fUr  den  gebimdenen,  vornehm  und  mit  künstlerischen  Ab- 
bildungen ausgestatteten  Band  verdient  der  Lediger  Kalender  gröfste  Beach- 
tung; es  ist  ein  Buch  von  hoher,  dauernd  wachsender  Bedeutung,  welches  auch 
aufs  erhalb  Leipzigs  nicht  unberücksichtigt  bleiben  darf. 

Niedersachsen  besitzt  seit  1904  einen  Kunstkalender:  Der  Heidjer, 
herausgegeben  von  Hans  MUller-Brauel  mit  Zeichnungen  Worpsweder  Künsüer, 
Verlag  von  Gebrüder  Jänecke,  Hannover  (Preis :  i  Mark),  der  sich  pünktlich 
in  wesentlich  gleicher  Weise  jedes  Jahr  wieder  eingestellt  hat  Der  Kalender  ist 
dem  Thüringischen  nachgebildet.  Das  Kalendarium  entbehrt  geschichtlicher 
Daten.  Während  der  erste  Jahrgang  als  MonatsbUder  zwölf  hervorragende 
niedersächsische  Bauwerke  (darunter  das  Huneborstelsche  Haus  in  Braun- 
schweig und  ein  Giebelhaus  in  der  Bierstrafse  zu  Osnabrück)  enthält, 
mischen  sich  1905  derartige  Abbildungen  mit  landschaftlichen  Stinmiungs- 
bUdem  (Quellen  der  Luhe,  Schatkoben  in  der  Lüneburger  Heide,  Alte  Mühle 
in  der  Heide),  und  1 906  sind  sogar  bei  Verwendung  weifsen  glatten  Papiers 
und  Änderung  der  Bildtechnik  Ölgemälde,  Zeichnungen  und  Radierungen 
niedersächsischer  Künstler  als  Vorlagen  benutzt,  die  zwar  alle  etwas  Nieder- 
sächsisch-Volkstümliches an  sich  haben,  aber  doch  das  geschichtliche 
Element  hinter  dem  künsderischen  allzusehr  zurücktreten  lassen.  Dies  ist  zu 
bedauern,  denn  während  der  erste  Jahrgang  dem  Künsder  und  dem  Ge- 
schichtsfreund etwas  bot,  jedem  Interesse  fUr  das  Werk  des  anderen  anzu- 
erziehen geeignet  war,  kommt  die  Vergangenheit  im  Jahrgange  1906  ent- 
schieden zu  kurz.  Dafs  ein  paar  Seiten  mit  Dichtungen  den  Inhalt  etwas 
vielseitiger  machen,  schadet  gewifs  nichts,  aber  man  vermifst  1906  Dinge, 
wie  sie  1904  geboten  wurden  (z.  B.  das  Bild  des  Brautpaares  von  1840, 
Truhe  von  1574  im  Bremer  Gewerbemuseum).  Dem  Aufsatze  über  die 
Batiemkunst  aus  der  Winser  Eibmarsch  (1904),  selbst  dem  anziehenden  Be- 
richt über  das  erste  niedersächsische  Volkstrachtenfest  (1905)  sowie  der  Be- 
schreibung der  Lüneburger  Hochzeitstruhe  von  1545  entspricht  im  Jahrgange 
1906  nichts;  die  Biographie  des  Generals  Karl  von  Alten  kann  dafür  nicht 
entschädigen.  Die  kunstgewerblichen  Bestrebungen  der  Worpsweder  verdienen 
gewifs  Beachtung  und  sie  mögen  ruhig  in  em  bis  zwei  Aufsätzen  eines  solchen 
Kalenders  berücksichtigt  werden,  aber  das  kulturgeschichtliche  Element, 
welches  ja  gerade  dem  Publikum  das  Verständnis  für  jene  Bestrebungen  zu 
vermitteln  geeignet  ist,  mufs  auch  zu  seinem  Rechte  kommen.  Daher  wün- 
schen wir,  dafs  der  Jahrgang  1907  wieder  eine  Rückkehr  zu  den  1904 
angewandten  Grundsätzen  l>eweisen  möge. 

Ganz  in  der  Weise  wie  Franken  besitzen  seit  1904  auch  Bayern  und 
Schwaben  einen  Kunstkalender.  Die  „Gesellschaft  für  christliche  Kunst" 
in  München  verlegt  ihn  (Preis:  i  Mark),  Prof.  Joseph  Schlecht  gibt  üin 
heraus,  und  der  Titel  lautet:  Kalender  bayerischer  und  schwäbischer  KtmsL 
Das  Format  ist  etwas  gröfser  als  bei  den  Altfränkischen  Bildern,  nämlich 
31/22  cm,  aber  die  Art  der  Veröffentlichung  gerade  so:  der  Jahrgang  1904 


—     161     — 

enüiält  i6  Au&ätze  mit  ax  Abbildungen,  1905  aber  16  Aufsätze  mit  23  Ab- 
hfldnngen;  Ton  letzteren  ist  eine  bunt  ausgeführt:  es  ist  die  Reproduktion 
eines  der  alten  Glasgemälde  im  Augsburger  Dom.  Diente  ab  Vorwurf  für 
das  farbige  Titelbild  des  ersten  Jahrgangs  eine  feine  Goldschmiedearbeit  des 
XL  Jahrhunderts»  so  kommt  1905  das  bayerisch-pfiilzische  Wappen,  wie  es 
sich  in  einem  Prachtbande  von  1570  findet,  zur  Darstellung  und  im  Jahr- 
gang 1906,  der  nur  7  Aufsätze  mit  20  Abbildungen  enthält,  ein  Bild  des 
XVU.  Jahrhunderts,  das  die  Vermählimg  Ottos  von  Witteisbach  darstellt. 
Die  b^chreibenden  Texte  bieten  durchweg  in  knappster  Fassung  viel  Be- 
lehnmg  und  sind  für  jeden  Leser  verständlich;  die  Abbildungen  zeichnen 
sich  durch  plastische  Gestaltung  und  Deutlichkeit  in  den  kleinsten  Einzel- 
heiten aus,  so  dafs  z.  B.  die  beiden  gotischen  Monstranzen  aus  Freising  und 
Waidhofen  (1904)  und  ebenso  die  drei  Schmiedearbeiten  XV.  bis  XVIII. 
Jahrhunderts,  die  1905  den  Artikel  Altes  Eisen  illustrieren,  auch  in  den 
feinsten  Teilen  anschaulich  wirken.  80  ist  wieder  ein  Weg  gezeigt,  um  die 
Schätze  der  Kunstsammlungen  imd  die  Denkmäler,  die  hier  und  dort  stehen 
and  bewundert  werden,  durch  mustergültige  Abbüdung  und  Beschreibung 
allgemein  bekannt  zu  machen.  Für  die  Inventarisierung  der  Kunstdenkmäler 
l>edeuten  diese  ktmstgeschichtlichen  Kalender,  wie  schon  mehr&ch  ausge- 
sprochen ist,  eine  wesentliche  Vorarbeit  oder  auch  Ergänzung,  und  weil  sie 
handlich  und  biüig  sind,  verdienen  sie  auch  die  Beachtung  des  Privathauses 
and  der  Schule. 

Seit  1905  besitzt  auch  die  Schweiz  ihren  Kunstkalender,  der  im  Verlag 
der  Sekweixer  BauxeUung  in  Zürich  erscheint  und  von  C.  H.  Baer  heraus- 
gegeben wird.     Vom  Sekißeixer  Kunstkalender  in  Schmalfolio  (31/19,5  cm), 
eben£üls  dem  bewährten  fränkischen  Muster  nachgebildet,  liegen  zwei  Jahrgänge 
vor,  von  denen  aufser  dem  ÜEtrbigen  Umschlag  der  erste  23  Aufsätze  mit  29 
Abbildungen,  der  zweite  25  Auüsätze  mit  28  Abbildungen  bietet    Von  den 
Übrigen  Kalendern  unterscheidet  sich  dieser  dadurch,  dais  die  Monatstafeln 
sich  über  das  ganze  Heft  verteilen  und  dals  sich  am  Schlüsse  ein  Verzeichnis 
der  Abbildungen  findet.    Seitenzahlen  hat  er  gerade  wie  der  bayerisch-schwä- 
bische Kalender.    Die  freundlichen  roten  Titelköpfe  des  ersten  Jahrgangs  haben 
1906    wohl    aus    Ersparnisgründen    schwarzen    weichen   müssen.     Auf  dem 
fitfbigen  Umschlag  ist  1905    ein  Reliquiar  aus   getriebenem  Silber  aus   der 
zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts   dargestellt,   das   sich   im  Museiun  zu 
Freiburg  befindet,  1906  vom  der  Bannerträger  des  Städtchens  Arberg,   wie 
er  auf  einem  Glasgeinälde  von  1515  zu  sehen  ist,  während  die  Rückseite  ein 
Grabdenkmal  von  1502  ziert  —  alles  ganz  prächtige  Sachen.    Die  Auswahl 
der  zur  Abbildung  gdangten  Denkmäler  ist  vorzüglich,  so  da&  £ast  jede  Kunst- 
periode und  fiist  jede  Art  der  Kunstbetätigimg  durch   ein  Beispiel  vertreten 
ist    Und  erfreulicherweise  hat  nicht  nur   die  hohe  Kunst  Berücksichtigung 
gefunden,  wie  in  Franken  und  Bayern-Schwaben,  sondern  auch  das  Bauern- 
haus: der  Speicher  von  1634  (1905,    S.  13)  und  die  Typen  des  Unter- 
«ikber  und  Appenzeller  Hauses  (1906,  S.  6 — 7)  sind  ganz   entzückend. 
Bemerkenswert  ist  jedenfalls  aber  die  Tatsache,   dafs  die   Hefte  technisch 
nicht  m  der  Schweiz,  sondern  bei  Stürtz  in  Würzburg  hergestellt  worden 
sind.    Deshalb  braucht  über  die  Reproduktionen,   die  denen  der  AUfrän^ 
Jnmhm  Bilder  gleichwertig  smd,  nichts  weiter  gesagt  zu  werden. 

11 


—     152     — 

Für  einen  Teil  Sachsens,  für  Erzgebirge  und  Vogtland,  hat  sich  1 905 
und    1906  ein  Ersatz  für  den  leider  ausgebliebenen   Sdchsiwhen  Kalender 
eingestellt;    der  Kalender  für  das  Erzgebirge  und  Vogtland,   herausgegeben 
von  Woldemar   Müller  presden).     Hofifentlich  ist  die   Tatsache,   dais 
schon    beim  zweiten  Jahrgange   der  erste  Verlag  (Graser,  Annaberg)  durch 
einen  anderen  (Arwed  Strauch,  Leipzig)  ersetzt  worden  ist,  kein  verhängnis- 
volles Anzeichen  für  die  Zukunft,  denn  der  Inhalt  der  beiden  Hefte,  deren 
Preis  mit  i  Mark  gewifs  nicht  zu  hoch  bemessen  ist,  rechtfertigt  den  Wunsch, 
dafs    sie    recht   viele    Nachfolger    finden    mögen.     Das    Format   ist    Quart 
(24,5/20  cm),  der  Druck  Antiqua,  das  Kalendarium  entbehrt  geschichtlicher 
Daten,  aber  1906  sind  neben  anderen  praktischen  Angaben  solche  über  den 
Erzgebirgsverein    imd   seine  Zweigvereine   sowie   den  Verein  für  Sächsische 
Volkskunde  imd  seine  Ortsgruppen  darin  enthalten;   das  ist  gewifs  geeignet, 
zugleich  die  Zwecke  dieser  beiden  Vereine  zu  fördern  und   dadurch  wieder 
mittelbar  den  Kalender.     Die  Monatsbilder   zeigen  hervorragende  Baudenk- 
mäler in  vorzüglicher  Darstellung,  aber  auch  Naturbilder  (Nonncnfelsen  1905  ; 
Natzschtmgtal  1906)  und  lebenswahre  Stimmungsbilder  aus  dem  Volksleben 
(Bergleute  zu  Sosa  im  Kirmesaufzug,  hn  Ausxugssiübl  190$;  Erxgetnrgiedit 
Wehersiube  1906).     Ganz  allerliebst  sind  die  beiden  Elsterbrücken,  die  alte 
tmd  die  moderne  Eisenbahnbrücke,  1906.     Leider  fehlt  jeder  Text  zu  den 
BUdem,  imd  ein  solcher  wäre  tatsächlich  auch   für   die  besten  Kenner  des 
Landes  von  Wert     Dafür  ist  der  zweite  Teil  des  Kalenders  fast  ganz  der 
Belletristik  gewidmet,   die  teilweise  im  Dialektgewand  auftritt,   während  die 
Aufsätze  Volkskunst  im  Erzgebirge  und  Heimailiche  Bautoeise  (1905)   sowie 
Bauet  hdmailiehf  und  Der  Weihnachtsberg  (1906)  mehr  theoretisch  auf  die 
Leser  einzuwirken  suchen.     Einige  charakteristische  städtische  und  ländliche 
Häuser,  im  ganzen  und  vielleicht  auch  noch  in  Einzelteilen   abgebUdet  und 
künstlerisch  im  Texte  gewürdigt  —  meine  ich  —  würden  dem  beabsichtigten 
Zwecke  besser  dienen.    Als  Beigaben  sind  auch  einige  ältere  charakteristische 
Häuser  abgebUdet,  aber  die  bUdliche  Darstellung  allein  sagt  zu  wenig.   Das- 
selbe gilt  für  die  alten  technischen  Anlagen :  der  ehemalige  Treibegöpel  vom 
Prinz  Leopoldschacht  bei  Freiberg,   der  Daniebchacht  bei  Schneeberg  (mit 
der  Tracht  des  Obersteigers  und  des  Hüttenmanns),   das  alte  Pochwerk  hei 
Antonsthal  und  der  alte  Hammer  in  Frohnau  sind  abgebUdet,  aber  es  fehlt 
der  unbedingt  dazu  nötige  Text,   der   diese  Dinge   belebt.     Hoffentlich  er- 
gänzen sich  Wort  und  BUd  1907  in  rechter  Weise! 

Seit  1905  erscheint  in  Hessen  (Darmstadt,  Verlag  von  H.  Hofinann, 
Preis:  1  Mark)  ein  Hessischer  Kalender,  herausgegeben  von  Prof.  Anthes, 
der  mit  dem  oben  S.  147  besprochenen  nicht  verwechselt  werden  darf.  Nur 
der  zweite  Jahrgang  (1906)  liegt  mir  vor,  der  sechs  OriginaUithographien  von 
Ernst  Liebermann  in  farbiger  Ausführung  enthält;  es  sind  dies  das  Schlois 
Lieh,  das  Rathaus  zu  Alsfeld,  Schlofs  zu  Erbach,  Schlofs  zu  Friedberg. 
Auerbacher  Schlofs,  Schlofs  FUrstenau  und  der  Dom  zu  Worms.  Über 
jedes  BUd  tmterrichtet  ein  kurzer  geschichtlicher  Aufsatz.  Im  Kalendarium 
fehlen  Hinweise  auf  geschichtliche  Ereignisse.  Die  einzige  Beigabe  ent- 
hält einen  Überblick  über  die  gegenwärtig  lebenden  Glieder  des  grofsherzog* 
liehen  Hauses.  Er^rt  der  Leser  hier  auch  etwas  weniger  als  aus 
anderen    Kalendern,    so    sind    doch    gute   Texte    mit   vorzüglichen  Bildern 


—     IM     — 

so  Teremigtf  dafs  sie  sich  wirklich  ergänzen.  Hoffen  wir  auf  die  Fort- 
setzung unter  Ausstattung  des  Kalendariums  mit  Daten  aus  der  hessischen 
Geselchte! 

In  Ausstattung  und  Format  (28/18  cm)  dem  vorigen  ganz  gleich  ist 
1906  zum  ersten  Male  auch  ein  Kalender  fUr  Rheinland- Westfalen  er- 
schienen. Da  der  Verlag  derselbe  ist  wie  beim  hessischen  Kalender,  so  ist 
anzunehmen,  dafs  der  Erfolg  des  letzteren  im  ersten  Jahre  gut  gewesen  ist. 
Der  Bhemischrwestfälische  Kalender,  den  Professor  Neeb  (Mainz)  redigiert, 
l»etet  sechs  farbige  Bilder  und  zwar  Originalsteinzeichnungen  Liebermanns. 
Der  Kölner  Dom  bei  Nacht  sowie  Dom  und  Rathaus  zu  Aachen  heben  sich 
allerdings  nur  in  ihren  Umrissen  vom  Hintergrunde  ab,  aber  das  Rathaus 
sa  Minden,  das  Rathaus  zu  Münster  i.  W.  und  Schlods  Burg  an  der  Wupper 
sind  gut  gelungen,  und  die  Ruine  Casselbtu-g  in  der  Eifel  mit  Umgebung 
ist  zugleich  ein  Landschaftsbild.  Auch  hier  sind  kurze  Erläuterungstexte  von 
▼ezs(±iedenen  Ver&ssem  beigefügt,  aber  das  Kalendarium  entbehrt  auch  hier 
gcs<±ichüicher  Daten,  für  die  doch  gut  Raum  vorhanden  wäre. 

Diese  stattliche  Reihe  heimatsgeschichtlicher  und  mehr  oder  weniger 
zugleich  kunstgeschichtlicher  Kalender,   die  fast  aUe  erst  dem  letzten 
Jahrzehnt  angehören,  gibt  lebendiges  Zeugnis  davon,  dafs  der  Sinn  für  die 
geschichtlichen  Denkmäler   der   heimischen  Landschaft  in   den  meisten  Ge- 
bieten deutschen  Landes  erfreulich  wächst    Um  dieses  Wachstum  zu  fördern, 
ist  es  die  Pflicht  aller  Freunde  der  Heimatskunde,  dafür  zu  sorgen,  dafs  die 
bestehenden  Kalender  jährlich  wieder   erschemen  und   dafs   der  Inhalt 
immer  reicher  und  hochwertiger  werde.     So  freudig  etwaige  Neugründungen 
fiberall  da  zu  begrüfsen  sind,  wo  ein  ähnliches  Erziehungsmittel  fehlt,  so  sehr 
nmis  darauf  Bedacht  genommen  werden,  dafs  nicht  etwa  neue  Kalender  für 
cm  engeres  Gd)iet  bereits  bestehenden  teilweise  das  Wasser  abgraben;  denn 
ein  Verleger  kann  naturgemäfs  nur  bei  einer  hohen  Auflage  auf  seine  Kosten 
kommen,  wenn  anders  er  gute  BUder  und  mancherlei  Belehrung  bieten  wUl. 
Hinsichtlich    des    Inhalts    sind    schon    oben    im    Vorbeigehen    einige 
Wünsche  zum  Ausdruck  gebracht  worden,  die  nochmals  kurz  zusammengefafst 
seien.    Gute  Bflder  hervorragender  unbew^licher  und  beweglicher  Denkmäler 
kOmien  wir  nicht  genug  haben;  auf  sie  mufs  das  Hauptgewicht  gelegt  werden« 
Aber  die  G^enstände  mehr  kultur-  als  kunstgeschichtlichen  Wertes  dürfen 
auch   nicht    ganz   fehlen.     Phantasiedarstellungen   geschichtlicher   Vorgänge 
soUten    dagegen   mögtichst  beiseite  bleiben.     Merkwürdigerweise    fehlt   fast 
dnrdigängig  in  den  besprochenen  Heften  eine  genauere  Ai^be   über  die 
Entstehung  des  Budes,  welches  dargeboten  wird;  eine  solche  isf  aber  für 
vissenschafilichen  Gebrauch  unerläfislich.    Der  Benutzer  mufs  wissen,  was  als 
Vorlage  gedient  hat.     War  es   ein   Gemälde,    ein  Holzschnitt,    oder 
Kupferstich   und  aus  welcher  Zeit?     Liegt  eine   moderne,    eigens   zu   dem 
Zwed^e  bewerkstelligte  photographische  Aufnahme  oder  die  2^ichnung  eines 
KüD^ers  zugrunde?    Dann  aber  wiU  man  auch  wissen,  vermittels  welcher 
Technik  die  Reproduktion   ausgeführt  ist.     Das   smd  Dinge  von  gröfster 
Bedeutung,  schon  um  das  Publikum  an  die  Unterscheidung  der  verschiedenen 
Reproduktionsweisen  zu  gewöhnen.    Wo  Blätter  aus  Sammlungen  und  Museen 

11* 


—     164     — 

als  Vorlage  gedient  haben,  da  sollte  immer  die  Katalognummer  angegeben 
sein ;  denn  das  erleichtert  den  Verkehr  zwischen  Publikum  und  SamaüuBgen 
wesentlich.  In  jedem  Falle  sollte  ein  Text,  der  bei  knappster  Fassung 
möglichst  viel  Tatsächliches  bietet,  das  Bild  begleiten.  Dem  Kaien- 
darium  sind  heimatsgeschichtliche  Daten  einzuverleiben. 

Alles  in  allem  sind  in  den  besprochenen  Kalendern  drei  Typen  ver- 
treten, die  ich  den  fränkischen,  den  thüringischen  und  den  Buchtypus 
nennen  möchte.  Der  erste,  rein  kunstgeschichtliche,  ist  bzw.  war  ver- 
treten in  Franken,  Baden,  Bayern-Schwaben  und  in  der  Schweiz,  der  zweite, 
gekennzeichnet  durch  die  Monatsbilder  und  einen  besonderen  Textteil, 
in  Thüringen,  Berlin,  Saargau,  Niedersachsen  und  Erzgebirge- Vogdand,  der 
dritte  in  Eckaitsberga  imd  Leipzig,  während  der  in  Kassel  erscheinende 
Hessische  Wandkalender  und  der  sächsische,  die  beide  auf  Text  verzichten, 
aus  dem  Rahmen  heraus&llen,  wenn  man  nicht  darin  einen  vierten  Typus 
erkennen  will.  Im  einzelnen  sind  recht  grofse  Verschiedenheiten  in  der  Auf- 
fassung zu  beobachten,  aber  wer  für  künftige  Kalenderarbeit  etwas  lexnen 
will,  der  wird  aus  jedem  der  besprochenen  Heftchen  etwas  lernen  können. 

Sollten  hier  Kalender,  die  fuglich  in  diesem  Zusammenhange  eine  Be- 
sprechtmg  verdient  hätten,  vergessen  sein,  so  bitte  ich  mich  darauf  aufinerk- 
sam  zu  machen  und  verspreche,  das  Versäumte  später  einmal  nachzuholen. 

Armin  Tille. 


Eliiff:egangeiie  Bficher. 

Begiebing,  Heinrich:  Die  Jagd  im  Leben  der  salischen  Kaiser.  Bonn, 
P.  Hanstein,  1905.     106  S.  8".     M.  2,00. 

Grupp,  Georg:  Kulturgeschichte  der  römischen  Kaiserzeit.  I.  Band.  Unter- 
gang der  heidnischen  Kultur.  München,  Allgemeine  Verlags-Gesellschaft 
m.  b.  H.,  1903.  583  S.  8^.  IL  Band:  An^ge  der  chrisdichen 
Kultur.     Ebenda  1904.     622  S.  8^     M.  18,00. 

Kötz,  Gustav:  Die  Verlegung  der  Stadt  Schwetz  aus  der  Weichselniedeiung 
auf  die  Höhen  am  linken  Schwarzwasserufer  (1830 — 1885).  i.  Teil 
[=  Beilage  zum  Jahresbericht  des  Kgl.  Progymnasiumä  zu  Schwetz  a.  W., 
Ostern  1905].     15  S.  8^ 

^Strenge,  C.  Fr.  von:  Stadtrechte  im  Herzogtum  Gotha  [3=  Mitteilungen 
der  Vereinigung  für  Gothaische  Geschichte  und  Altertumsforschung, 
Jahrg.  1903,  S.  1—48]. 

Sturmhoefel,  Konrad:  Deutsches  Nationalgefiihl  und  Einheitsstreben  im 
KIX.  Jahrhundert  [=»=  Hochschulvorträge  für  jedermann,  H^  56—58]. 
Le^>zig,  Seele  &  Co.,  1904.     99  S.  8"^     M^  0,^96. 

Snseba cht  Über  den  ersten  Blitzableiter  in  Göttingen  [«»  Protokolle  über 
die  Sitzungen  des  Vereins  für  die  Geschichte  Göttingens,  im  iz.  Vereins- 
jähre  1903-^1904  (Göttingen  1905),  S.  97— 113]. 

.T  hiemann:  Die  soziale  Fürsorge  in  Göttmgen  einst  und  jetzt  [«=*  Proto- 
koUe  über  die  Sitzungen  des  Vereins  für  die  Geschichte  Göttmgens  tm 
i2v  Vereinagaht  1903— 1904  (Göttingen  1905),  S.   123 — iSj]* 

DäB  nächste  Heft  wird  ein  Doppelheft  und  erscheint  Mitte  AprU  1906. 

Herausgeber  Dr.  Armin  TlUe  in  Leipzig. 
Druck  und  VerUg  von  Friedrich  Andreu  Pwthet,  AktieageteUschnft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


zur 


Fordernng  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

VIL  Band  BAärz/April  1906  6.//.  Heft 

Zur  neueren  reformationsgesehiehtliehen 
Literatur  Süd^  und  ISAitteldeutsehlands 

Von 
Friedrich  Roth  (München) 

Wohl  keiner  Periode  der  deutschen  Geschichte  bringt  die  Gegen- 
wart so  reges  und  allgemeines  Interesse  entgegen  wie  dem  Reformations- 
zeitalter, wobei  freilich  au&er  der  rein  wissenschaftlichen  und  sachlichen 
Seite  noch  andere  Faktoren  wirksam  sind,  auf  die  hier  nicht  näher  ein- 
zugehen ist.  Von  Jahrzehnt  zu  Jahrzehnt  verbreiterte  sich  der  Strom  der 
jährlichen  literarischen  Produktion  und  schwoll  von  2^it  zu  Zeit  zu  ge- 
waltiger Höhe  an  gelegentlich  reformationsgeschichtlicher  Gedächtnis- 
tagc,  durch  die  die  Katholiken  zur  Erneuerung  ihrer  Polemik  gereizt, 
<&  Protestanten  zur  Gründung  konfessioneller  Vereine  und  grofser 
literarischer  Unternehmungen  begeistert  wurden.  So  entstand  im  An- 
sdilufs  an  das  Luther-Jubiläum  im  Jahre  1883  der  Verein  für 
Reformationsgeschichte,  der  zunächst  die  Bestimmung  hat, 
<icn  Gebildeten  und  den  weiten  Kreisen  des  Volkes  in  abgerundeten 
Einzeldarstellungen  die  gesicherten  Ergebnisse  der  reformationsge- 
schichtlichen Forschung  zu  erschliefsen  und  damit  belehrend  und 
^mannend  zu  wirken,  aber  auch  dafür  Sorge  trägt,  dafs  diese  Schriften, 
<tie  alle  auf  quellenmäfsiger  Grundlage  beruhen,  doch  des  wissen- 
^duftlicben  Charakters  nicht  entbehren.  Und  in  der  Tat  hat  sich 
^ter  den  fast  neunzig  Bändchen,  die  bisher  veröffentlicht  wurden,  so 
^oanches  als  Erzeugnis  von  bleibendem  Werte  erwiesen.  Durch  die 
^^  Melanchthon-Jubiläum  angeregte  Herausgabe  eines  Nach- 
^es  zu  den  Schriften  dieses  Reformators  wird  das  Corpus  Befor- 
«flfonim,  in  das  vorher  schon  die  Werke  Calvins  aufgenommen 
worden  waren  *) ,    eine  äufserst  wertvolle   Erweiterung   erfahren ;    die 


1)  JoamH$  Calvini  opera,  quae  supenunt,  omnia   VoL  i — 59?  ^^*  Gnilelmns« 
^tam,  Ednardns  Cnnitz,  Ednardas  Renss. 

12 


—     166     — 

Werke  Zwingiis,   deren  Drucklegung  unter  Beihilfe  des  Zwingli- 
Vereins  bereits  begonnen,  werden  sich  anschließen^). 

In  Verbindung  mit  dem  Verein  für  Reformationsgeschichte  gibt 
seit  1904  Walter  Friedensburg  das  Archiv  für  Reformations'. 
geschickte  heraus,  das  an  den  Beiträgen  eur  RefortncUionsgeschichte  von 
Otto  Giemen  eine  Art  Vorläufer  hatte*).  Es  setzt  sich  die  Ver- 
öffentlichung von  Quellenmaterial  und  kritischen  Untersuchungen  über 
Quellenschriften  usw.  zur  Aufgabe  und  bringt  eine  Übersicht  über 
die  neu  erscheinende  reformationsgeschichtliche  Bücher-  und  Zeit- 
schriftenliter^tur ,  womit  einem  schon  längst  gehegten  Wunsche  der 
Forscher  entsprochen  wird. 

Was  die  sogenannten  Publikationsinstitute  und  -vereine 
zutage  gefördert,  kommt  nicht  zum  wenigsten  der  Reformationsge- 
schichte zugute;  wir  erinnern  nur  an  die  von  der  historischen 
Kommission  bei  der  kgl.  bayer.  Akademie  der  Wissen- 
schaften herausgegebenen  Reichstagsakten  (jüngere  Linie),  bisher 
drei  Bände,  denen  der  vierte,  bis  zum  Augsburger  Reichstag  (1525} 
reichend,  bald  nachfolgen  wird,  an  die  vom  preufsischen  histo- 
rischen Institut  eöietteu  Nuntiaiurberichte  aus  Deutschland,  an  den 
Briefwechsel  Landgraf  Philipps  des  Oroßmiitigen  mit  Bacer  von  Lenz, 
an  das  Politische  Archiv  des  Landgrafen  Fhüipp  des  Grroßmütigen  von 
K ü ch ,  an  das  Urkundenbuch  eur  Reformaiiansgeschichte  des  Herzogtums 
Pret{ßen  von  Tschackert  —  alles  in  den  Publikationen  aus 
preufsischen  Staatsarchiven  — ,  endlich  an  die  Politische  Korre- 
spmdem  der  Stadt  Straßburg. 

Damit  betreten  wir  das  Gebiet  der  territorialen  Reformations- 
geschichte, aus  dem  wir  eine  Anzahl  neuer  und  neuester  Erscheinungen 
herausgreifen  wollen. 

Der  für  uns  hier  in  Betracht  kommende  dritte  Band  der  politischen 
Korrespondenz  der  Stadt  Strafsburg  *)^  der  wie  der  zweite  von  Otto 
Winckelmann  bearbeitet  ist,  umfaist  die  Zeit  von  1540  bis  1545,  also 
die  Zeit  der  Vorbereitung  des  Religionskrieges,   für  die  bereits  der 


i)  Hüldrieh  ZwingKs  sämtUche  Werke,  unter  Mitwirkung  des  ZwingUTereins  iiv 
Zürich  heravtgegeben  von  Emil  Egli  und  Georg  Finsler.     Bd.  i  liegt  Tor. 

2)  Otto  Giemen ,  Beiträge  swr  Beformation^e$eh%cht€  aus  Büchern  und  Bandr 
Schriften  der  Zwickauer  Batshibliothek,  Berlin  1900,  1902,  1903.    3  Hefte. 

3)  Urkunden  und  Akten  der  Stadt  Strti/Sbttrg,  herausgegeben  mit  Unterstätzang 
der  Landes-  and  der  Sudtrerwaltang :  Politische  KorrespondenM  der  Stadt  Strqßburg  t«i 
Zeitalter  der  BefarmaOon,  Dritter  Band,  1540— 1545,  bearbeitet  Ton  Otto  Winckel- 
mann (Stralsbiirg  1898). 


—     157     — 

obenerwähnte  Briefwed^sd  Philipps  mü  Bucer  eine  Menge  neuen 
Materials  sowohl  zur  Aufhellung  der  allgemeinen  Verhältnisse  als  auch 
issbesondere  zur  Beleuchtung  der  Politik  Strafsburgs  gebracht  hat. 
Unter  den  von  Winckelmann  mitgeteilten  Schriftstücken  nehmen  ein 
besonderes  Interesse  die  durch  Klarheit  und  Sachkenntnis  ansgezeich- 
oeten  Berichte  des  trefflichen  Städtemannes  Jakob  Sturm  in  Anspruch, 
dem  Hermann  Baumgarten  ein  so  schönes  Denkmal  gesetzt  hat  *). 
Sie  lassen  die  Ursachen  der  inneren  Zerrüttung  des  schmalkaldischen 
Bundes,  insbesondere  die  tie^reifenden  Mifshell^keiten ,  die  durch 
die  brannschweigischen  Kriege  und  ihre  Folgen  zwischen  den  Bundes- 
länptem  und  den  Ständen  erwachsen  sind,  in  ihrer  ganzen  Tragweite 
edtennen,  trotzdem  man  überall  den  Eindruck  gewinnt,  dafs  der  „viel 
wissende  Mann"  nicht  alles,  was  ihm  bekannt  geworden,  niederge- 
schrieben, wie  er  wohl  auch  bei  den  mündlichen  Unterredungen  mit 
setiien  „Herren*'  aus  guten  Gründen  manches  im  Busen  behalten 
i^>en  wird.  Zum  Teil  ganz  neu  sind  die  Nachrichten  über  die  Refor- 
mationsversnche  in  Metz,  die  bis  dahin  nur  in  ihren  Anfangen  durch 
eine  Arbeit  Kleinwächters')  bekannt  waren.  Die  letzte  Nummer 
des  Bandes  enthält  das  bis  zum  9.  Februar  1 546  reichende  Tagebuch 
Starms  über  die  Verhandlungen  des  schmalkaldischen  Bundes  in 
Frankfurt,  die  die  „Erstreckung*'  desselben  herbeiführen  sollten.  Möge 
der  vierte  und  letzte  Band  des  so  viel  benützten  Werkes,  der  das 
Tecfaängnisvolle  Kriegsjahr  1546  zum  Gegenstande  haben  wird,  nicht 
alba  lange  mehr  auf  sich  warten  lassen! 

Als  Beilage  II  sind  dem  dritten  Bande  Aktenstücke  über  Jakob 
Stmma  Stdhmg  ssur  Bigamie  des  Landgrafen  Philipp  beigegeben, 
womit  ein  Thema  berührt  wird,  das  von  Lenz  in  verschiedenen 
Pwtieo  seines  grofsen  Werkes  durch  Mitteilung  zahlreicher,  den 
n&ndel"  von  seinem  ersten  Stadium  an  bis  zum  Ende  verfol- 
gcader  Dokumente,  wie  bekannt,  mit  gröister  Gründlichkeit  behandelt 
vocdeot  ist.  Die  unbedingte  Verurteilung,  die  —  zum  Teil  auf  dieses 
Mstetial  hin  -^  Luther  und  Melanchthon^  wegen  der  Stellung,  die  sie 
^abd  einnahmen,  nicht  nur  von  katholischen,  sondern  auch  protestan- 
äiciien  Htstoiikem  neuerdings  erfahren,  hat  den  amerikanischen  Theo- 
logen WiBkun  Rockwell  veranlafst,  die  Akten  dieses  Falles  einer 
oodimaUgen  Prüfung  zu  unterziehen,    und  so   entstand  ein   ziemlich 


1)  Bov.  BaniDgarteB,  Jakob  Shmrm  (Straftburg  1876). 
a)  Emil  Kleinwichter,  Der  Metzer  Reformatumsveriueh  1542—43)  Teü.  I 
1894,  DiMert). 

12* 


~     158     — 

umfangreiches  Buch*),  das  in  seinem  ersten  Teil  die  Geschichte  der 
Doppelehe  und  ihre  unmittelbaren  Folgen,  im  zweiten  die  Stellung  der 
Wittenberger  Reformatoren  zu  dieser  „Ehe"  untersucht.  In  diesem  zweiten 
Teil  bespricht  der  Verfasser  ausführlich  Luthers  Verteidigung  des  Witten- 
berger Ratschlags,  die  auf  die  Sache  sich  beziehenden  Äufserungen 
des  Reformators  in  den  Tischreden  sowie  in  Briefen  an  Melanchthon, 
Thann  und  Feige,  die  Eisenacher  Konferenz,  die  zwischen  dem  Land- 
grrafen  und  den  Wittenbergern  sich  bildende  Sparmung  und  deren  Lösung. 
In  einem  dritten  Teile  sucht  der  Verfasser  dann  zu  zeigen,  wie  das 
Reformationszeitalter  überhaupt  die  Bigamie  beurteilte,  wobei  die  An- 
schauungen der  hessischen  Geistlichen,  Luthers,  Melanchthons,  Bucers 
dai^elegt  und  die  der  römischen  Kirche,  vor  allem  des  Kardinals  Vio 
de  Gaeta,  des  gelehrtesten  Mannes  unter  den  damaligen  römischen 
Autoritäten,  im  Hinblick  auf  den  Scheidungsprozeß  Heinrichs  VIII.  von 
England  erörtert  werden.  Insbesondere  wird  bewiesen,  dafs  der  Kardi- 
nal nicht  abgeneigt  gewesen  sei,  zur  Vermeidung  eines  gröfeeren 
Übels  eine  Dispensation  des  Königs  von  dem  Polygamieverbot  zu  emp- 
fehlen. Als  Resultat  seiner  Untersuchung  stellt  Rockwell,  der  in  den 
historischen  Teilen  seiner  Arbeit  überall  auf  die  Quellen  zurückge- 
gangen ist  und  auch  über  die  zur  I^ösung  seiner  Aufgabe  nötigen 
theologischen  und  rechtsgeschichtlichen  Kenntnisse  verfugt,  den  Satz 
auf,  dafs  Luthers  Stellung  zu  dem  hessischen  Handel  sich  nicht  nur 
aus  seinem  Verhältnis  zur  heiligen  Schrift,  sondern  auch  aus  der  „von 
der  katholischen  Kirche  herübergenommenen  naturrechtlichen  Behand- 
lung der  Eheverbote  und  der  traditionellen  Kasuistik  betreffs  der 
Beichtpraxis**  ergebe  \md  sein  „Gutachten**  kein  „Gutheifsen**,  son- 
dern ein  „Beichtrat**  gewesen  sei.  Rockwell  spricht  die  Überzeugung 
aus,  dals  der  Standpunkt,  den  die  römische  Kirche  bisher  in  dieser 
Sache  Luther  gegenüber  eingenommen,  unhaltbar  sei,  und  überhaupt 
eine  Modifizierung  der  über  ihn  gefällten  harten  Urteile  eintreten  sollte. 
Ob  sich  diese  Hoffnung  erfüllen  wird?  Schon  jetzt  haben  sich  Stimmen 
des  Widerspruchs  erhoben  ') ,  die  freilich  auch  erst  die  Prüfung  ihrer 
Berechtigung  abwarten  müssen. 

Wir  wenden  uns  zur  Pfalz.     Da  stofisen  wir  auf  das  gewisser- 
maiisen    eine    Vorstufe    zur   reformationsgeschichtlichen    Literatur  des 


i)  William  Walker  Rockwell,  lostruktor  der  Theologie  in  Andover,  Maisa* 
chasetts,  Die  Doppelehe  des  Landgrafen  Philipp  van  Hessen  (Marburg  J904,  XX  S., 
374  S.) 

2)  S.  Archiv  für  BeformatiansgeacJnchte,  U.  Bd.,  S.  311. 


—     159     — 

Landes   bildende   groüse  Werk  Glas  sehr  Oders,   BegesUn  i3>er  Ur- 

bmden  smr  pfälzischen  Kirchengeschickte  '),  von  denen  die  letzten  noch 

tief  in  das  Reformationszeitalter  hereinragen,  ja  beträchtlich  darüber 

hinausgehen.      Die    Sammlung    des    weitschichtigen   Materials   —    es 

handelt  sich  um  760  Urkunden  aus  der  Zeit  von  1115  bis  1573  —  war, 

^  die  Archive  der  Pfialz  durch  Kriegsstürme  weit  zerstreut  worden,  ver«- 

sdiiedene  Landesteile  in  andere  Staaten  aufgeteilt  sind,  und  nicht  weniger 

als  fünf  Diözesen  —  Speier,  Worms,  Mainz ,  Metz  und  Straisburg  -^ 

in  Betracht  kommen,  mit  aufserordentlichen  Schwierigkeiten  verbunden. 

One  ganze  Anzahl  von  Archiven  mufste  beisteuern ;  vor  allen  natürlich  das 

in  Speier,  das  Kreisarchiv  in  Würzburg,  wo  die  für  die  pfälzische  Ge^ 

schichte  so  vdchtigen  Ingrossaturbücher  der  Mainzer  Erzbischöfe  liegen, 

das  Reichs-   und  das  Geheime  Staatsarchiv  in   München,    dann    die 

Archive  der  Nachbarländer,  ja  selbst,  wegen  einiger  Orte,  das  preufsi* 

sehe  Staatsarchiv  in  Koblenz,  die  reichsländischen  Archive  in  Metz 

tmd  Straisburg,  und  —  was  man  nicht  erwarten  sollte  —  das  schwei*- 

lerische  Staatsarchiv  in  Luzem,  wohin  infolge  seltsamer  Schicksale  an 

5000  Urkunden  des  Domstifles  und  der  Kollegiatstifte  zu  Worms  ver«» 

sdilagen  worden  sind.     Die  weitaus  meisten  der  von  Glasschröder  in 

trefflichen  Regesten  gebotenen  Urkunden,  die  eine  Fülle  des  wichtigsten 

Materials   für  alle  kirchlichen  Lebensverhältnisse  der  Pfalz  enthalten, 

waren  bisher  noch  unbekannt  und  ungedruckt. 

Die  eben  angedeuteten  Schwierigkeiten,  die  mit  der  Erforschung 
der  pfilzischen  Geschichtsquellen  verbunden  sind,   waren  wohl  auch 
die  Ursache,  dafis  bis  vor  kurzem  eine  neue  Bearbeitung  der  pfalzischen 
Reformationsgeschichte  fehlte.     Der  den  Bann  gebrochen,  ist  der  als 
gediegener  Forscher  allen  Freunden  imd  Kennern  der  reformations^ 
geschichtlichen  Literatur  rühmlich  bekannte  Pfarrer  Gustav  Bossert, 
der  erst   neuerlich   in   seiner   Beformatiansgeschichte  in   Creglingen*), 
emer  württembergischen  Stadt  an  der  Tauber,  wieder  gezeigt  hat,  wie 
trefflich  er  es  versteht,  selbst  einen  an  sich  trockenen  und  sehr  ein- 
ten Stoff  zu  beleben  und  durch  Hervorkehrung  des   Typischen 
bttditbar  zu  gestalten. 


I)  Franz  Xsrer  GUsschröder,  Urkunden  zur  IfäitiBchm  Kirehengetehic^ 
^  MHUiaUer,  in  Begesienform  vtröffenÜieht.  Im  Selbstverlag  des  Verfassers.  Mttncbeo 
aad  Preising,  Drack  von  Paul  Datterer  &  Cie.,  1903.  XU  S.j  403  S.  (Grofsoktav.)  — 
S.  bierca  die  Besprechang  Ton  Otto  Rieder  in  den  Beiirägen  gur  bayer,  Kirchen- 
gekhidUe,  Bd.  X  (1904%  S.  141. 

3)  In  WürtUmbergiech  Franken,  Nene  Folge  Vm,  BeiL  tu  den  Wfirttembergbdieo 
^»•rteljshrsbeften  för  Landesgesch ,  Schwäb.-Hall,  1903,  S.  i  ff. 


—     160     — 

In  seinen  Beiträgen  jfur  hadisch-pfäMschen  BrfcrmaiiansgesckieJiie  *) 
will  Bossert  keine  vollständige  Geschichte  der  Reformation  in  Badan 
«md  der  Püalz  geben,  sondern  nur  zu  weiteren  Forschungen  anregen, 
„und  ebenso  das  Bedürfnis  der  Neuanfassung  dieses  Gegenstandes  wie 
den  lohnenden  Gewinn  der  Beschäftigung  in  der  Gestalt  neuer  Er- 
gebnisse aufzeigen'';  aber  er  hat  über  das  hinaus  selbst  Schon  nack 
vielen  Richtungen  hin  etwas  Ganzes  geboten.  Von  den  Quellen, 
deren  er  sich  bediente,  sind  die  wichtigsten  Speierer  Akten  (jetzt  im 
Karlsruher  Landesarchiv)  —  nämlich  das  Protokollbuch  des  Speierer 
Domkapitels  von  1521 — 1546  und  ein  Protokollband  des  bischöflich 
Speierischen  Hofrates  zu  Udenheim  — ,  die  einem  erfahrenen  Forscher 
wie  Bössert  tiefe  Einblidce  in  die  durch  die  Reformation  hervorgerufenen 
Wandelungen  des  inneren  und  äufseren  kirchlichen  Lebens  im  hoch- 
stiftischen  Territorium  und  in  der  Diözese  gewähren. 

Der  Stoff  ist  gegliedert  nach  der  Regiemngszeit  der  zwischen  1521 
und  1546  auf  dem  Speierer  Stuhl  sitzenden  Bischöfe,  nämlich  Georgs 
(1521 — 1529),  eines  Bruders  des  Kurfiisten  Ludwig  V.,  und  Philipps  II. 
von  Flersheim,  zweier  in  der  Veranlagung,  in  der  Auffassui^  der  Dinge 
und  im  äufseren  Auftreten  sehr  verschiedener  Persönlichkeiten :  Geoig, 
ein  Mann  von  humanistischer  Bildung,  mildem  Charakter,  einer  katho- 
lischen Reformation ,   etwa  im   Sinne   des  Erasmus ,   nicht  abgeneigt, 
von  bestem  Willen  erfüllt,   den  Schädigungen,   die  die  Autorität  der 
Kirche  durch  die  vorwärtsdrängende  Reformationsbewegung  erlitt,  ent- 
gegenzutreten,   aber  ohne  die  hierzu  nötige  Schärfe  und  Konsequenz 
zn  besitzen,  und  daher  auch  ohne  rechten  Erfolg;   Philipp,  ein  über- 
leeugter,  eifriger  Anhänger  des  alten  Kirchentums,  energisch,  fest  ent- 
schlossen, vom  Alten  zu   retten,   was  noch  zu  retten  war,   und,   wo 
möglich^    Verlorenes    zurückzugewinnen,    ein    erbitterter    Feind   des 
A'otestantismus ,    ein  Gesinnungsgenosse    des   Herzogs  Heinrich    tob 
Braunschweig,  des  Herzogs  Wilhelm  von  Bayern  und  des  Straisburger 
Bischofs  Wilhelm.     Wohl  gelang  es  ihm,   das  Luthertum  in  seinem 
Stiftsland  niederzuhalten,   aber   er  brachte  es  nicht  dahin,  die  ganz 
verrotteten  Zustände  des  alten  Kirchenwesens,  von  denen  uns  Bosseit 
ein  sehr  ins  einzelne  gehendes  Bild  entwirft,  zu  heben  und  die  geistige 
Erschlaffung,   die  den  hohen  und  niederen  Klerus  gefangen  hielt,  zu 
überwinden.     Aufserhalb  seines  Stiftslandes   aber  vermochte  Bischof 
Philipp  so  wenig  wie  sein  Vorgänger  die  Ausbreitung  des  Luthertums 

I)  Zeitschrift  für  die  QeechichU  des  Oberrheins,  Neae  Folge,  Bd,  17,  S.  37  ^^  ^' 
•Sfeff^  &  401  ff.,  S.  58S^;  Bd.  18,  S.  193 ff.,  S.  ^43 ff.;  Bd.  19,  S.  19 ff^  S.  69ff.f 
S.  571  ff.;  Bd.  30,  S.  41  ff. 


—     161     — 

2a  bemmeo,  die  vcAürzten  Rechte  der  Kirche  wieder  zur  Geftung"  zu 
briD^o,  die  ihr  zustehenden  Einkünfte  und  Privilegien  zu  wahren;  unä 
die  von  verschiedenen  Seiten  her  bedrohte  geistliche  Jurisdiktion  auf- 
recht zu  erhalten;  ja  er  konnte  nicht  einmal  verhindern,  dafs  die 
Diözese  immer  neue  Teile  verlor  und  ihr  sogar  ganze  Gebiete  ent- 
fremdet wurden. 

Der  damals  regierende  Markgraf  Philipp  von  Baden,  der  anfangs 
der  Reformation  günstig  gesinnt  zu  sein  schien,  wandte  sich  zwar  wieder 
mehr  und  mehr  zum  Alten  zurück  ^),  betonte  stets  seine  unveränderte 
Zog-ehörigkeit  zur  römischen  Kirche  und  wollte  alles  Heil  der  Zukunft 
einzig  vom  Konzil  erwarten,  gestattete  sich  aber  doch  aus  landesherr- 
licher Macht  den  Erlafs  kirchlicher  Ordnungen  und  schob  die  Juris- 
diktion  des  Bischofs  in  rücksichtsloser  Weise   beiseite.     Voü   seinen 
beiden  Brüdern  Ernst  und  Bernhard,  die  ihm  im  Jahre  1533,  der  eine 
im   nördlichen,  der  andere  im   südlichen  Teile   des  Landes  folgten, 
kam  der  erstere  den  Forderungen  der  Reformation  in  manchen  Stücken 
bereitwillig   entgegen,    indem   er  im  Jahre  1538   die  Priesterehe   und 
die  Kommunion  in  beiderlei  Gestalt  trotz  des  Widerspruchs  desBisdiofe^ 
einführte,  auch  ehegerichtliche  Befugnisse  ausübte  und  die  freie  Predig 
des  Evangeliums  zuliefe,  so  dafs  ihn  Buzer  zu  den  wenigen  deutschen 
Reichsfursten  rechnete,  die  einen  wahren  Frieden  mit  einer  leidlichen 
Reformation  wünschten.    Ernsts  älterer  Bruder  Bernhard  trug  sich  mit 
weitgehenden    Reformgedanken,    zu    deren    Ansführuhg    er    nur    auf 
einen  richtigen  Zeitpunkt  gewartet  zu  haben  scheint,  wurde  aber  öcho^n 
nach  drei  Jahren  (1536)   durch   den  Tod   abgerufen,   worauf  infolge 
einer  für  seine  unmündigen  Söhne  eingesetzten  katholischen  Vormund- 
schaft die  Reaktion  freie  Bahn  gewann. 

Recht  merkwürdig  ist  die  Stellung,  die  Kurfürst  Ludwig  V.  von 
der  Pfalz  zur  Reformation  einnahm.  Er  hütete  sich  wohl,  sich  jemals 
Mm  Protestantismus  zu  bekennen,  rühmte  sich  bei  jeder  Gelegenheit 
seines  Gehorsams  gegen  den  Kaiser  und  die  Reichsgeset^e ,  kurz 
wollte  als  ebenso  gut  katholisch  wie  kaiserlich  gelten.  Das  hinderte 
An  aber  nicht,  die  Gebote  und  Rechte  der  alten  Kirche  sdiwer  zu 
vcrictien,  diese  durch  ofTene  EingrifTe,  wie  die  Beseitigung  des  Bannds 
in  weltlichen  Dingen,  in  ihren  materiellen  Interessen  empfindlich  zu 
schädigen  und  die  Abkehr  seiner  Untertanen  vom  alten  Glauben 
tn  begünstigen ,  indem  er  dem  Bischof  die  Anwendung  der  ihnl  zu- 
stehenden  Machtmittel  unmöglich   machte  oder  wenigstens  sehr  cir- 

1)  S.  hierza  Fester,  Die  Rdigionsmandate  des  Markgrafen  Philipp  van  Baden 
b  der  ZeUschr.  für  KirehengeschicIUe,  Bd.  XI,  S.  307  ff- 


—     162     — 

Schwerte.  Erst  im  Jahre  1538  nahm  er  durch  sein  Edikt,  das  für  die 
Oberpfalz  die  evangelische  Predigt,  das  Abendmahl  sub  utraque  specie 
und  die  Prozessierung  der  Geistlichen  vor  dem  weltlichen  Gericht  ge- 
stattete, fiir  die  „neue  Lehre"  Partei,  was  vonseiten  der  Katholischen 
um  so  schmerzlicher  empfunden  wurde,  je  mehr  sie  sich  daran  gewöhnt 
hatten,  das  Gesamthaus  Witteisbach  als  eine  der  festesten  Stützen  der 
alten  Kirche  zu  betrachten;  doch  ist  es  für  die  „zweigesichtige*'  Politik 
Ludwigs  und  seines  Bruders,  des  Pfalzgrafen  Friedrich,  der  als  der 
eigentliche  Urheber  des  Ediktes  angesehen  wurde,  bezeichnend,  dafs 
sie  den  üblen  Eindruck,  den  sie  bei  den  „Kaiserischen"  hervorgerufen 
hatten,  nach  Kräften  wieder  zu  verwischen  suchten,  was  ihnen  auch 
wirklich  gelungen  ist.  Brachte  es  doch  der  Kurfürst  über  sich,  auch 
jetzt  noch,  nachdem  er  dem  Luthertum  in  seinen  Landen  tatsächlich 
den  Weg  geebnet,  den  Papst  mit  der  Ehrerbietung  eines  gläubigen 
Katholiken  als  „sanctissimum  dominum"  zu  bezeichnen  und  sich  zu 
gebärden,  als  wäre  nichts  Wesentliches  geschehen.  Erst  unter  dem 
Drucke  der  dem  Religionskriege  vorausgehenden  Ereignisse  trat  Fried- 
rich, der  seinem  Bruder  als  Kurfürst  gefolgt  war,  auf  Ostern  1545 
offen  zum  Protestantismus  über. 

Von  den  vielen  wertvollen  Einzelheiten  der  Bossertschen  Schrift 
interessieren  besonders  die  Kämpfe,  die  der  Speierer  Bischof,  das 
Domkapitel  und  die  altgläubige  Geistlichkeit  überhaupt  um  den  Zehnten 
zu  führen  hatten.  Wir  hören,  dafs  Zehntenverweigerungen  bereits  im 
Jahre  1523  vorkamen,  und  ein  Jahr  darauf  selbst  in  der  Stadt  Speier 
einige  Bürger  mit  dem  Zehnten  zurückhielten,  ohne  dafs  Bürgermeister 
und  Rat,  die  vom  Kapitel  um  Hilfe  angerufen  wurden,  sich  zu  einem 
Einschreiten  zugunsten  desselben  herbeiliefsen ;  als  dann  über  die 
Säumigen  der  Bann  ausgesprochen  wurde,  entfesselte  dies  nur  ihren 
Spott.  Später  wurde  von  den  Speirern  die  Zehntpflicbtigkeit  inner- 
halb der  Ringmauern  überhaupt  bestritten.  Der  Markgraf  Philipp 
von  Baden  ging  so  weit,  die  den  Stiften  und  Klöstern  inkorporierten 
Zehnten  mit  Beschlag  zu  belegen,  um  davon  den  Pfarrern  ein  festes 
Einkommen  zu  verschaffen,  und  als  das  Kapitel  im  Jahre  1529  die 
von  ihm  geforderte  Türkenhilfe  nicht  bewUiigen  wollte,  verbot  er 
einfach  den  bischöflichen  Amtleuten,  den  Erlös  des  Zehnteq  ihrem 
Herrn  abzuliefern.  Ganz  besondere  Schwierigkeiten  aber  erwuchsen 
dem  Kapitel  von  Seite  der  Reichsstadt  Efslingen,  wo  es  seit  12 13  die 
Kirche  samt  dem  Zehnten  innehatte.  Dieser  Besitz  wurde  ihm  von 
den  Efslmgem  so  entleidet,  dafs  es  den  Entschlufis  fafste,  ihn  an  die 
Stadt  zu  verkaufen,   doch  konnte,  als  man  endlich  daran  war,  den 


—     163     — 

Kauf  abzuscblielisen,  die  päpstliche  Einwilligung  nicht  erlangt  werden. 
Erst  im  Jahre  1 547  kam  endlich  eine  Einigung  zustande,  gemäfis  deren 
E&lingen  den  Zehnten  auf  eine  bestimmte  Zeit  pachtete,  nach  deren 
Ablauf  er  durch  Kauf  für  immer  an  die  Stadt  kommen  sollte;  da- 
durch erlangte  Eüslingen  nach  dem  Vorbild  Reutlingens,  das  schon 
im  Jahre  1533  dem  Abt  von  Königsbronn  seine  Rechte,  den  Zehnten 
and  das  Patronat  abgekauft  hatte,  die  Ordnung,  Leitung  und  Unter- 
haltung der  Pfarrkirche  und  damit  vollständig  freie  Hand  zur  Refor- 
mation. Der  Kurfürst  Ludwig,  der  als  Schirmer  des  Bistums  berufen 
gewesen  wäre,  dieses  vor  Bedrückung  zu  bewahren,  war  so  weit 
entfernt,  ihm  ein  wirklicher  Helfer  zu  sein,  dafs  er  es  vielmehr  selbst 
mit  einer  an  Erpressung  grenzenden  Härte  zur  Bewilligung  neuer 
Steuern  nötigte  und  dessen  Hilflosigkeit,  wo  er  konnte,  zu  seinem 
Vorteile  ausnützte. 

Den  Schlufs  der  Bossertschen  Arbeit  bildet  die  Darstellung  der 
tauferischen  Bewegung  in  der  Pfalz  und  im  Badischen  und  des  nament- 
lich von  dem  Kurfürsten  Ludwig  mit  Strenge  dag^en  geführten 
Kampfes,  der  leider  sehr  viele  Blutopfer  forderte,  wenn  die  Zahl  der- 
selben auch  nicht  so  groüs  war,  wie  man  nach  den  täuferischen  Mär- 
tyrerverzeichnissen annehmen  müfete.  Auch  die  Lehre  Schwenkfelds, 
der  in  dem  Markgrafen  Bernhard  von  Baden  einen  Gönner  besais,  hat 
ohne  Zweifel  in  den  pfalzischen  und  badischen  Landen  viele  Anhänger 
gewonnen,  doch  lassen  sich  nähere  Angaben  hierüber,  wenigstens  bis 
jetzt,  nicht  machen. 

Noch    bevor   der  Schlufs  von  Bosserts  Schrift  im  Drucke   ver- 
öffentlicht war,  trat  Hans  Rott  mit  seinem  Buche  Friedrich  II.  von 
der  ffdU  und  die  ReformcUicn  ')  hervor,  das  im  wesentlichen  —  natüi'- 
lich  mit  Aufserachtlassung  Badens  —  als  eine  Fortsetzung  der  ersteren 
erscheint.     Nach   einer  ausfuhrlichen  Darlegung   der  politischen  Um- 
stände und  Verhältnisse,   die  den  Abfall  Friedrichs  von  der  kaiser- 
lichen  Politik   herbeiführten,   verbreitet  sich  der  Verfasser  über  'die 
venchiedenen  Erlasse  und  Mafsnahmen,  durch  welche  die  Reformation 
^  der  Pfalz  eingeführt  wurde ,   und  weist  nach ,  dafs  der  den  Anfang 
derselben  bezeichnende  Tag  nicht,  wie  man  bisher  glaubte,  der  3.  Ja- 
Boar  1546,   sondern  der  18.  April  des  Jahres  ist,  an  welchem,   dem 


i)  In  den  Heidelberger  Äbhhandhmgtn  ewr  nUtUeren  und  neueren  QeeMchte, 
^«■•fegeben  von  Karl  Hampe,  Erich  Marcks  und  Dietrich  Schäfer,  4.  Heft  (Heidel- 
^  1904).  Beilagen:  Die  SHfleordnung  Friedrichs  II.  für  die  PfdU  1546; 
^^f^kmordmung  Friedrichs  II.  von  der  Ff  ah  1546;  Briefe  Buccr»  an  Ottheinrich  vom 
9.  Det.  1547,  ao.  De*.  1547  and  33.  Jan.  154S. 


—     164     — 

Palmsonntag,  das  evangelische  Abendmahl  zum  ersten  Male  zu  Heidel- 
berg, im  Gotteshaus  zum  heiligen  Geist,  öffentlich  gefeiert  wurde, 
unter  Beteiligung  von  etwa  zweihundert  Personen.  Die  in  den  letzten 
Tagen  des  April  (1546)  verkündigte  Landesktrchenordnung ,  die  der 
nümbergischen  und  neuburgischen  nachgebildet  ist  und  bisher  verschollen 
war,  wurde  von  Rott  dem  in  der  Karlsruher  Bibliothek  aufbewahrten 
Nachlafe  des  Historikers  F.  P.  Wundt  entnommen  und  als  Beilage 
mitgeteilt.  An  dem  ganzen  Reformationswerk  hatte  der  in  Weinsheim 
lebende,  für  das  Evangelium  begeisterte  Pfalzgraf  Ottheinrich,  der  den 
in  religiösen  Dingen  lauen  Kurfürsten  vorwärts  trieb,  einen  bedeuten- 
den, im  einzelnen  nicht  immer  bestimmbaren  Anteil ;  so  auch  an  den 
von  Friedrich  unternommenen  Versuchen,  die  Universität  Heidel- 
berg zu  reformieren,  die  freilich  an  dem  Widerstand  der  dem  Papsttum 
ergebenen  beiden  höheren  Fakultäten  scheiterten.  Nach  dem  schmal- 
kaldischen  Kriege  brach  über  die  Kurpfalz  eine  schlimme  Zeit  der 
Reaktion  herein,  die  Heidelberg  wieder  „römisch"  machte,  aber  die  in  den 
übrigen  Städten  und  auf  dem  Lande  vorher  ausgestreute  Saat  nicht 
ganz  zerstören  konnte.  Die  Interimsordnung  wurde  von  den  pfalz- 
gräfischen  Amtleuten  und  Geistlichen  nur  lässig  gehandhabt,  ohne  da(s 
der  Kurfürst,  der  doch  als  kaiserlicher  Kommissär  auf  dem  Augs- 
burger Reichstage  alles  getan,  um  derselben  Eingang  zu  verschaffen, 
gegen  sie  aufgetreten  wäre.  Selbst  solche  Geistliche,  die  sich  dem 
Interim  überhaupt  nicht  unterwarfen  und  „Urlaub"  nahmen,  durften 
als  Privatpersonen  ungefährdet  auch  femer  im  Lande  verbleiben.  In 
dem  „Fürstenkrieg"  im  Jahre  1552  suchte  sich  Friedrich,  so  gut  es 
ging^  neutral  zu  halten,  schwenkte  dann  aber  insofern  zu  der  anti- 
kaiserlichen Partei  ab,  als  er  den  „Heidelberger  Verein"  veranlafste, 
in  welchem  sich  deutsche  Fürsten  beider  Konfessionen  zusammen- 
taten, um  sich  den  vom  Kaiser  geplanten  Übergriffen  entgegen- 
zustemmen.  Diese  Schwenkung  und  das  Zureden  des  Herzogs  Christoph 
von  Württemberg,  an  den  sich  der  Kurfürst  in  semen  letzten  Jahren 
immer  enger  anschlofs,  hatten  zur  Folge,  dafs  er  der  Reformation  wieder 
mehr  und  mehr  Raum  gönnte,  und  nach  Abschlufs  des  Religionsfriedens 
nahm  er  eben  einen  Anlauf,  ganze  Arbeit  zu  machen,  als  ihn  der  Tod 
abrief.  Was  er  gewollt  und  begonnen,  führte  Ottheinrich  zum  Ziele. 
Mit  der  Kurpfalz  war  die  Oberpfalz  verbunden,  deren  Reformations- 
geschichte man  früher  nur  aus  dem  von  konfessioneller  Abneigung 
gegen   den  Protestantismus   erfüllten  Buche  Wittmanns*)  und  der 


i)  Witt  mann,  OeacMehU  der  Beformatum  in  der  0&efii/a2ff  {Angabtirg  1847)- 


—     166     — 

daraus  geschöpften  Darstellmig  Jaossens  kannte.  Beiden  trat  Friedrich 
Lipper t  entgegen,  der  eine  neue,  anf  reichem  Aktienmaterial  fun- 
dierte Reformatioiffigeschichte  dieses  Landes,  einen  „ Antijanssen 'S 
schrieb  ^),  um  an  die  Stelle  des  arg  verzeichneten  G^chichtsbildes, 
wie  es  bisher  vorlag,  ein  neues  zu  setzen,  wobei  er  sich  freilich  auch  seiner- 
seits im  Eifer  für  die  Sache  und  in  der  Entrüstung  über  die  bei  Witt- 
mann  sich  findenden  Erdichtungen  und  Entstellungen  manchmal  über 
die  Grenzen  strenger  Objektivität  hinausführen  lieis. 

Das  Drängen  nach  der  Reformation  ging  in  der  Oberpfalz  von  dtn 
sogenannten  Gezirkstädten  aus,  deren  im  Jahre  1524  für  die  nach  Speier 
anberaumte,  dann  aber  vom  Kaiser  verbotene  Reichsversammlung  angefer- 
tigten Gutachten,  soweit  sie  von  Lippert  mitgeteUt  werden,  einen  belehren- 
den Anblick  in  die  vom  Volke  als  besonders  reformbedürftig  emp- 
fimdenen  Miüsbräuche  und  Mängel  des  kirchlichen  und  religiösen 
Lebens  gestatten  imd  den  Wunsch  erwecken,  alle  in  den  verschiedenen 
Territorien  damals  verfafisten  Ratschläge  gesammelt  zu  sehen.  Um 
dnen  alten  Irrtum  zu  beseitigen,  der  auch  in  diesem  Buch  (S.  19)  wieder 
aiftaocltt,  sei  bemerkt,  da(s  der  angeblich  infolge  der  „  Regensburger 
Reformation''  gemalsregelte  „ Schlofiseigentümer  von  Leuchtenberg" 
der  in  der  Augsburger  Stadtgeschichte  wohlbekannte  Georg  Regfei  *), 
Besitzer  des  am  Lech  liegenden  Schlosses  Lichtenberg  ist,  dessen  Ver- 
gewaltigung durch  Herzog  Wilhelm  von  Bayern  in  der  Augsburger 
Chronik  von  Wilhelm  Rem  ziemlich  ausführlich  erzählt  ist*).  Der 
auf  derselben  Seite  von  Lippert  genannte  Freysleben  in  Weiden, 
der  eine  nähere  Würdigung  verdient  hätte ,  ist  identisch  mit  Johann 
Ficysleben,  dem  Verfasser  einer  gegen  das  Salve  Regina  gerichteten 
Schrift,  über  dessen  Persönlichkeit  Giemen  im  dritten  Bändchen  seiner 
oben  erwähnten  „Beiträge"  (S.  34  ff.)  verschiedene  Notizen  zusammen- 
stellt hat  Bemerkenswert  ist  der  Nachweis,  dafs  Pfalzgraf  Friedrich 
^  Statthalter  der  Oberpfalz  schon   im  Jahre    1525    „bis  zu   weiterer 

j)  Friedr.  Lippert,  Die  Befarm(Uian  in  Kirche,  Sitte  und  Seht^e  der  Ober- 
fftkf  1620—1620,  ein  Anti Janssen,  ans  den  königlichen  Archiven  erholt  (Rothenburg 
^  T,  kS97);  femer:  Reformation  und  Gegenreformation  in  der  Landgrafschaft 
LiiKktmberg  in  den  Beiträgen  g.  bak/er,  Kirchengeschiehte,  Bd.  VIII  (tQoi),  S.  131; 
^cUieislich :  die  Egerer  Reformatüm.   Aas  dem  k.  Kreisarchiv  Amberg,  im  Jahrbuch  des 

in  (hterrei^  ai.  Jahrg.  (Wien  1900),  S.  42  ff. 
1)  Herwarth  von  Bittenfeld:  Zu¥  Geeehleohtäkunde  der  Hegel  vom  Ältie- 
in  der  Zeüechrifi  des  hist,  Vereins  für  Schwaben  und  Neubürg,  Jahrgang  XS91, 

s.  93t. 

^  Heran^egebeh  von  Friedr.  Roth  im  15.  Bd.  der  CkrmUken  der  deutsehen 
Städte  (Manchen   1S96),  S.  236. 


—     166     — 

Ordnung  und  Reformation  im  heiligen  römischen  Reich  "...  anordnete, 
dafe  „in  allen  Kirchen  und  Pfiarren  das  Neue  Testament  von  Anfang  und 
dann  fiirder  von  Kapitel  zu  Kapitel  nach  dem  Buchstaben  ohne  andere 
Einmischung  etc.  lauter  und  rein  furgelesen  und  gepredigt"  werde,  wozu 
aber  sein  vorsichtiger  Bruder,  der  Kurfürst,  der  alles  noch  beim  alten 
lassen  wollte,  seine  Zustimmung  nicht  gab.    Die  im  Jahre  1538  schon 
oben  (S.  162)  erwähnten,  von  diesem  der  Reformation  gemachten  Zu- 
geständnisse   wurden    sofort   dadurch    bedeutend    eingeschränkt   und 
stark  in  ihrem  Werte  reduziert,   dafs  als  Prädikanten  nur    „römisch 
geweihte  und  unbeweibte  "  Geistliche  aufgestellt  werden  sollten,  infolge- 
dessen  z.   B.   die  Amberger  den  ihnen  von  Luther  zugesandten  Pre- 
diger Andreas  Hügel  verloren.    Erst  nach  dem  für  die  Evangelischen 
günstigen  Abschied  des  Regensburger  Reichstages  vom  Jahre    i;4i 
wurden  diese  und  andere  Fesseln  abgestreift,  doch  war  damit  den  neu- 
gläubigen Prädikanten  die  Verrichtung  von  Kasualien,  namentlich  die 
Vornahme    der  Taufe,    noch    immer   nicht  gestattet.     Die   nächsten 
Schritte  vorwärts  erfolgten  dann  wie  auch  in  der  Rheinpfalz  nach  dem 
Tode  des  Kurfürsten  Ludwig,  und  Lippert  zeigt  an  dem  Beispiele  der 
Stadt  Amberg,   wie  man  sich  nun  der  Kirchen  bemächtigte  und  den 
Gottesdienst  im  evangelischen  Sinne  umgestaltete,  und  zwar  nach  der 
Nürnberger  Kirchenordnung.     Die  vollständige,   auf  Grund   der  neu- 
burgischen    Kirchenordnung    durchgeführte    Reformation    im    ganzen 
Lande  ging  aber  erst  unter  Ottheinrich  vor  sich,   und  von  jetzt  an 
bewegft  sich  die  Reformationsgeschichte  der  Oberp£edz,   natürlidi  mit 
gewissen  durch  die  Verschiedenheiten  der  beiderseitigen  Verhältnisse 
bedingten  Abweichungen,  in  demselben  Geleise  wie  die  der  Kurpfalz. 
Die  Vorgänge  bei  der  Aufhebung  der  Klöster  *)  und  der  Verlauf  der 
ersten  Kirchenvisitation  im  Jahre  1557,   auf  deren  Ergebnissen  Witt- 
mann und  Janssen  ihre  ungünstigen  Urteile   über  das  religiöse  und 
sittliche  Leben   der  Geistlichkeit  und  des  Volkes  aufbauten,   werden 
ausführlich  geschUdert,   und  es  ist  ein   Verdienst   Lipperts,   hier  zu 
einer   gerechten   BeurteUung   der   in  Rede    stehenden    Zustände   den 
richtigen  Mafsstab   gefunden  zu  haben.     Von   den   auf  dem  Gebiete 
des  Schulwesens  *)  vorgenommenen  Neuerungen  und  Verbesserungen 


i)  Betüglich  des  Klosters  Gnadcoberg  (Brigittenkloster)  s.  noch  Binder,  6tei 
dir  baffer.  BrigiUmMöiier  (Mflnchen»  1898)  n.  Kamsoninden  Verb,  des  tust  Ver. 
▼on  OberpfaU  o.  Regensbnrg,  Bd.  45. 

2)  Vgl.  HoUweck,  GtsekiehU  des  VoOcsschulweBenB  in  der  Oherpfals  {Rtteoi- 
borg  1894)»  die  sieb  abtr,  soweit  die  allgemeinen  Veriiältnisse  in  Betracbt  koiftmeo,  stark 
aaf  Wittmann  and  Janssen  stützt. 


—     167     — 

ist  die  am  meisten  ins  Auge  fallende  die  Gründung  des  Gymnasiums 
in  Amberg '),  das  sich  zur  Zeit  seiner  Blüte  sehr  wohl  mit  dem  Päda- 
gogium in  Heidelberg  und  der  Gelehrtenschule  in  Lauingen  messen  konnte. 

In  dem  zweiten,  gröfseren  Teil  des  Buches  werden  dann  —  immer 
unter  Zugrundelegung  des  einschlägigen  Aktenmaterials  —  zum  ersten 
Male  in  zusammenhängender  Darstellung  die  Kämpfe  geschildert,  die 
das  Luthertum  in  der  Oberpfalz  mit  dem  Kalvinismus  zu  bestehen 
hatte.  Trotzdem  das  junge  evangelische  Kirchenwesen  durch  diese 
natürlich  auf  das  empfindlichste  geschädigt  und  beeinträchtigt  wurde, 
vermochte  doch  das  zäh  an  seiner  Überzeugung  festhaltende  Volk, 
unterstützt  durch  den  nicht  minder  „hartnäckigen*'  Adel,  im  grofeen 
und  ganzen  seinen  lutherischen  Glauben  zu  wahren.  Die  land- 
standischen  Freiheiten  und  städtischen  Privilegien  aber  wurden  in 
dieser  Zeit  der  Bedrängnis  bis  ins  Herz  erschüttert.  In  der  Geschichte 
der  Stadt  Amberg,  der  grölsten  der  „Gezirkstädte 'S  die,  wie  aus 
Schwaigers  schöner  Stadtchronik  *)  zu  ersehen  ist ,  um  die  Mitte  des 
XVI.  Jahrhunderts  auf  dem  Höhepunkt  bürgerlichen  Gedeihens  gestan- 
den, bezeichnet  das  Jahr  1597  das  Ende  ihrer  Selbständigkeit,  zugleich 
den  Anfang  einer  unabsehbaren  Kette  von  Demütigungen  und  Leiden, 
die  in  Bälde  die  Stadt  und  das  ganze  Land  heimsuchten. 

Was  Lippert  in  seinem  Buche,  das  den  weiten  Zeitraum  von 
1520  bis  1620  umfafst,  geboten  hat,  ist  eine  sehr  anerkennenswerte 
Leistung,  da  auf  weite  Strecken  hin  die  Scholle  zum  ersten  Male 
gebrochen  werden  mulste;  doch  ist  in  ihm,  wie  schon  der  verhältnis- 
mäßig geringe  Umfang  (234  Seiten)  erkennen  läfst,  der  zu  bearbeitende 
Stoff  nach  keiner  Richtung  hin  erschöpft,  und  es  wird  noch  vieler 
nacharbeitender  Kräfte  bedürfen,  bis  alle  Einzelheiten  in  vollständiger 
Klarheit  und  Sicherheit  festgestellt  sind  und  die  vielen  Persönlich- 
keiten, die  in  dem  Buche  genannt  werden.  Fleisch  und  Blut  gewinnen. 
Auch  wird  die  einschlägige  gedruckte  Literatur,  die  nicht  immer  so, 
wie  es  nötig  gewesen  wäre,  zu  Rate  gezogen  wurde,  noch  wesentliche 
Erweiterungen  und  manche  Berichtigungen  ergeben. 

Als  Fortsebmng  dieses  Buches  hat  Lippert  noch  eine  Geschichte 
^  Gegenreformation  in  der  Oberpfahf ')  und  zu  deren  Ergänzung  die 

1)  S.  Rixoer,  Gtmshithte  der  Shidien^ÄntiiiU  eu  Amherg  (Solzbach  1832).  — 
D^Dlt,  Zwei  ehemdlige  Lehr-  und  EreiehungsamtaUen  Ambergs,  (Programm  des 
Anbcrger  Cymum^nrns  1904). 

a)  S.  hieiKber  Emil  Roth,  Miekad  Schwaiger  in  Bd.  44  der  Verhandl,  des 
^  Fer.  ven  Oberpf,  u.  Regensburg. 

3)  H.  Lippert,  GesMehU  der  OegenrefamuUion  in  Staat,  Kirche  und  Sitte 
^  Oberpfah.    Nach  den  Akten  der  königlichen  Archive  <Freibarg  i.  B.  1901). 


—    lea   — 

Abhandlung  über  die  Pfarreien  und  Schulen  in  der  Oberpflah '), 
geschrieben,  worauf  der  Amberger  Seminarpräfekt  Högl  das  gleiche 
Thema  in  seinem  zweibändigen  Werke  Die  Bdcehrung  der  Oberpfale 
durch  Mtiximilian  L  ^)  noch  einmal  behandelte  und  dabei  das  Haupt- 
gewicht auf  die  Wiederaufrichtung  des  Katholizismus  legte,  während 
sich  Lippert  mehr  mit  der  Ausrottung  des  Protestantismus  beschäftigte. 
Auch  der  schöne  Aufsatz  von  Sperl  über  das  Verhalten  des  ober- 
pßüzischen  Adels  zur  Gegenreformation  gehört  hierher*). 

Einen  kleinen  Ausschnitt  aus  der  Reformationsgeschtchte  der  Ober- 
pfalz bUdet  die  des  Klosters  und  Stiftslandes  Waldsassen  von  Georg 
Brunn  er*).  luden  der  Vorgeschichte  gewidmeten  Abschnitten  zieht 
besonders  der  Über  denBauertihrieg  im  jS^t/ZsIaiufe  die  Aufmerksamkeit  auf 
sich,  der  eine  nur  wenig  bekannte,  zuerst  von  Rusam  in  helleres  Licht 
gezogene  Episode  der  Stiftsgescbichte  behandelt^).  Dieser  „ Bauern- 
krieg'*  entbehrt  freilich  aller  religiösen  Motive  und  ist  lediglich  sozialen, 
politischen  und  zum  Teil  persönlichen  Verhältnissen  entsprungen,  hat 
aber  doch  insofern  für  die  Reformationsgeschichte  grofse  Bedeutung, 
als  daraus  tiefgreifende  Verwickelungen  des  Abtes  mit  der  Kurpfalz 
erwuchsen,  die  der  letzteren  die  Handhabe  gaben,  im  Jahre  1 548  das 
Kloster  mit  Gewalt  in  Besitz  zu  nehmen,  wodurch  es  de  facto  seiner 
Reichsunmittelbarkeit  beraubt  wurde,  während  sie  dem  Namen  nach 
noch  bis  zur  Abdankung  des  Abtes  Heinrich  Rudolf  von  Weze,  im 
Jahre  1560,  fortbestand.  Diese  Abhängigkeit  hatte  zur  Folge,  dafs 
Waldsassen  als  ein  Teil  der  Oberpfalz  in  die  von  Ottheinrich  durch- 
geführte Reformation  einbezogen  wurde.  Von  einer  „Aufhebung**  des 
Klosters  kann  aber  nicht  gesprochen  werden,  sondern  nur  von  einer  Selbst- 

i)  Die  Pfarreien  und  Schulen  der  Oberpfalg  (Karpfalz)  1621—1648,  Sooder- 
mbdruck  ans  dem  53.  Bande  der  Verhandlangen  des  historischen  Vereins  von  OberpfaU 
und  Regensbarg  (Regensborg  1901).  —  S.  auch  von  dem  gleichen  Verfasser  den  Auf- 
sat£  Büdterverbrennung  und  BüeherverhreiHtng  in  der  Oberpfalg  in  den  Beitrügen 
tor  bajrerischcn  Kirchengeschichte,  Bd.  VI  (1900),  S.  173  ff. 

2)  Maüi.  Högl,  DU  BeMrung  der  OberpfälM  durch  KwrfürBt  MwcimiHan  L 
Nach  Archiv-Akten  bearbeitet.  I.  Bd.  Gegenreformation,  IL  Bd.  i.  und  2.  Retefii  (im 
Jahre  1629  and  1630).  Regensbarg,  Kommissionsverlag  der  Verlagsanstalt  vorm.  G.  T. 
Manz. 

3)  Der  oberpfälgische  Adei  und  die  Oegemefimnatian  in  der  Vierk^fahr' 
edkrifi  du  Vereine  Herold  in  Berlin  1900,  Heft  4« 

4)  Georg  Brunner,  GeechiehU  der  Befonnation  de$  EJoeUn  uttd  S^^Mmim 
WaUea^een  bis  Mum  Tode  dee  Kurfürsten  Ludwig  TL  (is^z).  Mit  15  Bcib^eo 
und  einer  Karte  des  Stiftslandes  (Erlangen  1901). 

5)  G.  Rusam,  Der Bumerrdorieg  im  SJiß  Waldmeeem  in  depfititr.  mhiajensdiai 
KirchengeH^Mchte,  Bd.  IV  (189&)»  S«  49  ff. 


—    i6y    — 

auflösung,  da  schlieftlich  der  Abt  resignierte,  einige  Mönche  pro- 
testantisch wurden,  der  Rest  sich  zerstreute.  Alles  vollzog  sich  auf 
geordnetem  Wege  ohne  jegliche  Anwendung  von  Gewalt,  und  was 
tendenziöse  Greschichtschreiber  Gegenteiliges  zu  berichten  wuCsten, 
er«'ies  sich,  wie  Lippert  (S.  446*.)  und  Brunner  beweisen  konnten» 
als  böswillige  Erfindung.  Auch  hier  im  Stiftslande  können  die 
Wirkungen  der  Reformation,  wenn  man  die  Visitationsprotokolle  richtig 
deutet  und  deuten  will,  im  allgemeinen  trotz  der  aus  dem  Eindringen 
des  Kalvinismus  erwachsenden  Schwierigkeiten  als  befriedigende 
bezeichnet  werden.  Dem  aus  dem  Mittelalter  ererbten  krassen  Aber* 
glauben,  der  in  der  Oberpfalz  noch  tiefer  wurzelte  als  in  vielen  anderen 
Gegenden,  ging  man  energisch  zu  Leibe,  doch  darf  nicht  verschwiegen 
werden,  dafs  dabei  auch  mancher  alte  schöne  Volksbrauch,  manche 
aus  grauen  Zeiten  herüberdämmemde  Tradition  vernichtet  wurde. 
Bemerkenswert  ist  noch  die  Tatsache,  dafs  die  in  der  Reformations- 
zeit neu  errichteten  Pfarreien  sich  von  ihren  Mutterpfarreien  in  vor- 
teflhafter  Weise  unterschieden,  weil  eben  hier  gewisse  Hemmnisse, 
die  dort  noch  nicht  gänzlich  ausgerottet  waren,  von  Anfang  an  keinen 
Boden  hatten. 

Was  die  Reformationsgeschichte  der  „Jungen  Pfalz*'  betrifft, 
so  existiert  über  diese  ein  bereits  im  Jahre  1847  erschienenes  Buch 
von  Brock  ^),  das  natürlich  schon  längst  veraltet  ist  und  durch  eine 
neue  Bearbeitung  des  Stoffes  zu  ersetzen  wäre.  Die  Regierung  und 
Persönlichkeit  des  Pfalzgrafen  Wolfgang  von  Zweibrücken,  in  dessen 
ßcatz  das  Neuburger  Gebiet  nach  Ottheinrichs  Tode  überging,  ist 
Gegfenstand  einer  trefflichen  Monographie  KarlMenzels'),  aus  der 
vir  ersehen,  dafs  sein  früher  als  Ideal  eines  Fürsten  geltendes  Charakter- 
bild doch  auch  erhebliche  persönliche  und  politische  Schwächen  auf- 
v^  die  unsere  Vorstellungen  von  ihm  wesentlich  modifizieren.  Nach 
Wol^^angs  Hinscheiden  kam  von  seinem  Länderbesitz  das  Herzogtum 
Neuburg  an  seinen  ältesten  Sohn  Ludwig  Philipp,  während  zwei  jüngere 
Biüder  kleine  Gebiete  mit  Sulzbach  und  Vohenstraufs ')  erhielten. 
Unter  Ludwig  Philipp  erlebte  die  Junge  Pfalz  ihre  glücklichste  Zeit 
^  {[alt    als    „protestantisches   Musterländchen '',    dessen   kirchliche 

1)  Brock,  Die  evangeHseh-hUheriiche  Kkckt  der  ehemdUgen  PfdUtffrafeehafi 
^•K^mrg  (1847). 

2)  K.  McDKcl,  Wcifgang  von  Zweibrüdcen  (ICttodieii  1893). 

3)  Zor  RefonnatioDsgeschichie  dietei  GebietsteUet  s.  Lippert,  KirehenmeUation 
PO»  ues  im  Füntmtum  Vokmeivm^  in  den  B«itr.  rar  bsy«r.  Kircbeogesch.,  Bd.  IV, 
S.164. 


—     170     — 

Zustände  uns  in  anziehender  Weise  von  Sperl  in  seiner  Schrift  Pfalz- 
graf  Philipp  Ludwig  von  Neuburg,  sein  Sohn  Wdfgang  Wilhelm  und 
die  Jesuiten  M  geschildert  werden.  Der  zweite  Teil  des  Büchleins 
greift  bereits  in  die  Zeit  der  Gegenreformation  hinüber  und  erzählt  mit 
grofser  Anschaulichkeit  die  Bekehrung  von  Philipps  Sohn  Wolfgang  Wil- 
helm zum  Katholizismus,  den  Eindruck,  den  das  Bekanntwerden  dieser 
Tatsache  auf  den  mit  jeder  Faser  seines  Denkens  und  Fühlens  dem 
Evangelium  ergebenen  alten  Vater  hervorbrachte,  und  dessen  Be- 
mühungen, seinen  Untertanen  trotz  des  Geschehenen  ihren  Glauben 
und  ihr  Kirchentum  zu  erhalten.  Doch  kaum  hatte  der  Herzog  die 
Augen  geschlossen,  als  der  Sohn  mit  dem  Eifer  eines  echten  Kon- 
vertiten, zuerst  vorsichtig  und  langsam,  dann  immer  gewalttätiger  und 
rascher,  die  katholische  „Restauration'^  zur  Durchführung  brachte,  und 
zwar  nicht  nur  im  neuburgischen  Gebiet,  sondern,  wie  Sperl  schon  in 
einer  früheren  Arbeit  nachgewiesen  *),  auch  in  den  sulzbachischen  und 
hilpoltsteinischen  Teilen,  die  sich  damals  im  Besitz  von  Wolfgang^ 
Wilhelms  Brüdern  Johann  Friedrich  und  August  befanden ;  doch  gelang 
es  dem  letzteren,  dem  Freunde  Gustav  Adolfs,  durch  seine  Stand- 
haftigkeit  die  evangelische  Lehre  bis  über  das  Jahr  1524  hinaus  wenig- 
stens so  weit  zu  erhalten,  dafs  nach  dem  westfälischen  Frieden,  der 
bekanntlich  dieses  Jahr  bezüglich  der  Religion  als  Normaljahr  aufstellte, 
der  Protestantismus  in  dessen  Landesteile  wieder  aufleben  konnte  ^]. 
Während  die  Reformation  in  allen  Territorien  der  pfalzischen  Linie 
der  Witteisbacher  Ausbreitung  fand,  wurde  sie  im  Gebiete  der  bayer- 
ischen Linie  bekanntlich  mit  aller  Energie  unterdrückt,  so  dafs  von  einer 
Reformationsgeschichte  des  damaligen  Herzogtums  Bayern  nicht  die  Rede 
sein  kann,  wohl  aber  von  einer  Geschichte  der  Schicksale  der  evangelischen 
Lehre  in  und  durch  Bayern,  wie  der  geistliche  Rat  Vitus  Winter  sein 
am  Schlüsse  des  ersten  Jahrzehnts  des  vergangenen  Jahrhunderts  erscbie- 

i)  Erschienen  in  den  Schriften  des  Vereins  für  Beformationsgeschichte  Nr.  4^ 
{Halle  1893).  Zar  Regierung  Wolfgang  WiUielms  s.  auch  Jos.  Breitenbach,,  in  Ahten- 
stücke  swr  Geschickte  des  PfaUsgrafen  Wolfgang  Wühehn  (Neobarg  1896);  Frosch- 
meier,  QtteUenbeüräge  zur  Geschichte  des  Pfalzgrafen  Wölfgang  Wilhelm  wn 
Neuburg  (Neubnrg  a./D.  1894).  Die  psychologisches  Interesse  erweckende  Geschichte 
der  Erziehung  Wolfgang  Wilhelms  und  seiner  Brüder  s.  bei  Friedr.  Schmidt,  GeschidiU 
der  Erziehung  der  pfäUtschen  WUtehhadier  in  den  Mommenta  Germaniae  paeda- 
gogica  (Berlin  1899)  S.  CVff. 

2)  Geschichte  der  Gegenreformation  in  den  pfodz-sulzhachisehen  und  hilpoU- 
steinisehen  Landen  (Rothenburg  1890). 

3)  S.  anch  Th.  Lanter,  Aue  der  SÜii  der  Unterdrückung  der  ev.  BeHgion  im 
Herzogtum  Suitbach  in  den  Beiir.  zur  hager»  Kirchengeeeh, ,  Bd.  m  (1897),  S.  122- 


—     171     — 

neaesWeric,  das  die  Kirchen-  und  Staatsgeschichte  von  Bayern 
Ton  dem  Ausbruche  der  Kirchenreformation  bis  zum  Tode 
Wilhelms  IV.  behandelt,  in  wohlberechneter  Abwägung  des  Inhaltsr 
betitelt  hat  ^).  Dieses  Geschichtswerk ,  das  von  einer  toleranten  Ge- 
stnnnng,  wie  sie  das  Zeitalter  Montgelas'  mit  sich  brachte,  erfüllt  und 
der  protestantischen  Königin  Karoline  gewidmet  ist,  bildete  bisher  den 
von  Späteren  verhältnismäßig  wenig  vermehrten  Grundstock  unseres 
Wissens  über  die  religiöse  Seite  des  Reformaüonszeitalters  in  Bayern, 
bis  endlich  Sigmund  Riezler  im  vierten  Bande  seiner  Creschickie 
Baiems  (Gotha  1899)  das  Überlieferte  auf  ein  dem  jetzigen  Stande 
der  Wissenschaft  entsprechendes  Niveau  erhob.  Einzelheiten  nach- 
zugehen lag  im  allgemeinen  nicht  in  seinem  Plane. 

Für  solche  hat  Theodor  Kolde  im  Jahre  1894  eine  kirchen- 
geschichtliche Zeitschrift  begründet,  die  Beiträge  0ur  bayerischen  Kirchen" 
§esckichte,  die    in   den  seither  verflossenen   elf  Jahren  einen  reichen 
Eltrag  für  alle  Teile  Bayerns  und   für  alle  geschichtlichen  Perioden 
von  der  ältesten  Zeit  bis  zur  Gegenwart  gebracht  %  hauptsächlich  aber 
die  Reformationsgeschichte  bereichert  haben.    Trefflich  bewährte  sich 
die  durch  den  bayerischen  Reichsarchivrat  OttoRieder  unternommene 
Zusammenstellung  kirchcngeschichtlicher  Abhandlungen  und  Notizen 
in  den  Zeitschriften  der  historischen  Vereine  Bayerns,  die  sich  stück^ 
weise  durch  die  Hefte  der  „Beiträge**  durchzieht,  während  von  dem 
Herau^eber  in  einer  an  diese  Übersicht  sich  anschliefsenden  „Biblio- 
gn^hie*'   die   neuen,    das  kirchengeschichtliche   Gebiet  betreffenden 
Bavarica  besprochen  oder  wenigstens  registriert  werden,  so  dafs  hier 
ein  vollständiges  Repertorium  der  einschlägigen  älteren  und  neuesten 
Literatur  geboten  wird.     Von  neuen  Schriften  und  Büchern  aus  dem 
Bereiche   der  fränkischen   Geschichte   nennen  wir  Koldes  Abhand^ 
long  D.  Joh.  Teuschlein  und  der  erste  Befwmati<msversuch  in  Bothen» 
kvy  o.    T. '),   Otto   Erhardt,   Befarmatiansgeschicht^  in  Bamberg 
wtier  Bischof   Weigand   (1522 — 1526)*)   und   Paul   Tschackert, 

1)  Ans  den  UrqueUen  bearbeitet,  tarnt  einem  diplomatischen  Kodex,  a  Bände 
(Wichen,  1S09— 10).  Von  demselben  erschien  anch:  Oesch,  der  baier,  Wiedertäufer 
mXVL  Jahrhundert  (München  1809). 

2)  Im  6.  Heft  des  X.  Bandes  (1904)  erschien  ein  Inhaltsveneichnis  iron  Band  I — X.  — 
S.  den  interessanten  Rückblick  des  Herausgebers  ^Zam  Beginn  des  zweiten  Jahrzehntes 
<ler  Beitrige*«  im  i.  Heft  des  XL  Bandes.    Vgl.  aoch  diese  Zeitsdirift  2,  Bd.,  S.  35—36. 

3)  Sonderabdnick  ans  der  Festschrift  der  Universit&t  Erlangen,  nr  Feier  des  acht- 
netten  Gebutstages  Sr.  Kön.  Hoheit  des  Prinxregenten  Lnitpold  Ton  Bayern  erschienen. 
£Hsogen  and  Leipzig  1901. 

4)  Erlangen  1898. 

18 


—     172     — 

Magistor  Joh.  S%itd  {i $04 — 1575)^)»  der  für  uns  als  Begründer 
des  Schweinfurter  Ktrdienwesens  in  Betracht  kommt.  Die  kirch- 
lichen und  rel^^sen  Verhältnisse  der  sdiwäbischen  Reichsstadt  Kauf* 
beuren  sind  von  Schröder  *)  in  Steicheles  Bishim  Augsburg  nun 
so  weit  klargestellt,  dafs  der  künftige  Bearbeiter  der  Kaufbeurer 
Reforms^onsgeschichte  auf  gut  geebnetem  Wege  gehen  kann,  doch 
wird  er  noch  manches  beizubringen  haben,  worauf  Schröder  verzichten 
konnte. 

Überschreiten   wir  den  Lech,   die  einstige  Westgrenze  Bayerns, 
bei  dem  Städtchen  Friedberg,  dessen  kriegerische  Vergangenheit  mit 
seinem  Namen  in  so  scharfem  Widerspruch  steht,   so  stoDsen  wir  auf 
die  Reichsstadt  Augsburg,   die  im  Reformationszeitalter  ihre  höchste 
Blüte  erreichte  und  in  Ansehung  des  Reichtums  und  der  Untemehmungs- 
lust  ihrer  groüsen  Handelsherren,  der  gewerblichen  Betriebsamkeit  ihrer 
Büiger,    der  Leistungen    ihrer   Druckereien    und    des    Ruhmes    ihrer 
Künstler  und  Gelehrten   eine  Art  Mittelpunkt  im  Süden  des  Reiches 
bUdete.    Der  Reformationsgeschichte  der  Stadt  wurde  schon  frühzeitig 
die  ihr  zukommende  Aufmerksamkeit  geschenkt  ' —  wir  erinnern  an  die 
Werke  von  Stengel,  Khamm,  Braun  auf  katholischer,  von  Gasser, 
Brucker,Stetten  auf  protestantischer  Seite  —  und  in  neuerer  Zeit  war 
man  bemüht,  das  von  ihnen  Ererbte  zu  vermehren  und  zu  vertiefen ;  zuerst 
Keim  in  seiner  schwäbischen  BeformaMonsgeschickte  (Tübingen  1855), 
dann  Uhlhorn    in   seiner  Biographie  des    ürbanus  Bhegius  (Elber- 
feld   1 861),   deren  erstes  Buch  zum   gröüseren  Teil   die  Augsbui^^er 
Tätigkeit  dieses  Reformators  zum  Inhalt  hat.    Im  Jahre  1879/80  stellte 
die  philosophisdie  Fakultät  der  Universität  München  die  Preisaufgabe, 
den  Anteil  Augsburgs  an  der  evangelischen  Bewegung  bis  eum  Jahre 
1627  festzustellen,  von  deren  Bearbeitungen  zwei,  die  von  Hansen*) 
und  von  Roth  *),  im  Druck  herauskamen.   Die  letztere  wurde  von  ihrem 
Verfasser  von^Grund  aus   umgearbeitet  und  erschien,  bis  zum  Jahre 
1530  fortgesetzt,  im  Jahre  1 901  in  zweiter  Auflage.    Gleichzeitig  wurde 
Wolfarts  Buch  Die  Augsburger  BeformaHon  in  den  Jahren  1533134 

x)  Magister  Johann  Satel  (1504—1575)1  Reformator  ron  Göttingen,  Schweiofnit 
und  Nortbeim.     (BraoMchweig). 

a>  Alfred  Schröder,  Ge$chieht€  der  Stadt  und  katholiachen  Pfarrei  Ka^- 
hewren  (Angsblirg  1903.  Sonderausgabe  ans  Steichele-Schröder,  Bas  Bishm  Augs- 
bttirg). 

3)  G.  Hansen,  Die  Änteänahme  der  Stadt  AMgefmrg  ön  der  SeformathtiS' 
hewegung  bie  1527  (München  18S1). 

4)  Friedr.  Roth,  Äugalmrge  BeformaHoMgeechiehU  1517^1527  (Miiticheo  iSSi)^ 


—     173     - 

(Leipzig  1901)  veröffentlicht,  welches  zuerst  übersichtsweise  Augsburgs 
ReformatioDSgeschichte  von  deren  Anfängen  bis  1533  behandelt,  dann 
anduhrlich   den  Stand   der  Dinge   um    1533   bespricht  und  weiterhin 
zo  den  Reformationsversuchen  des  von  unten  her  vorwärtsgedrängten 
Rates  übergeht.    Die  diesen  sich  entgegenstellenden  Hindemisse  waren 
zahlreich   und  schwerwiegend:  der  Widerstand  des  Bischofs  und  des 
Domkapitels,   der  Einfluis  einer  nicht  gro&en  aber  mächtigen  katho- 
lisch^i  Partei,   an   deren  Spitze   die  Fugger  standen,   die  Zurückhal- 
tung der  groisen  Kaufleute,   der  Zwiespalt  zwischen  Luthertum   und 
Zwinglianismus  unter  den  Predigern,  im  Rate  und  in  der  Bürgerschaft, 
die  Nachwirkungen  der  von   den  Wiedertäufern  ausgestreuten  refor- 
mationsfeindlichen  Gesinnung,   die  Erfolge  des   eine  Zeitlang  persön- 
Hdi  in  Augsburg  weilenden  ,, Schwärmers"   Caspar  Schwenkfeld,   die 
Disstdien,  in  die  der  gröüsere  Teil  der  Geistlichen  mit  Luther  geriet, 
die  lähmende  Haltung  des  schwäbischen  Bundes,  dem  die  Stadt  und 
der  Bischof  angehörte,    die    strikten  Verbote    des   Kaisers   und   des 
Königs.    Aber  bald  vereinigten  sich  mehrere  günstige  Umstände,  die 
den  Augsburgem  zu  Hilfe  kamen.     Durch  ein  Bündnis  mit  Nürnberg 
vnd  Ulm   sicherten  sie  sich  wenigstens  einigermaisen  „den  Rücken*', 
der  schwäbische  Bund  löste  sich  im  Februar  1534  auf,  und  die  einige 
Monate  später  erfolgende  Eroberung  Württembergs  durch  den  Land- 
grafen Philipp  von  Hessen  leistete  der  evangelischen  Sache  im  ganzen 
Oberland  mächtigen  Vorschub  und  wirkte  auch  auf  Augsburg  ermun- 
ternd und  belebend.    Der  Rat  nahm  jetzt  die  bereits  früher  mit  dem 
Bischof  Christoph  von  Stadion  und  dem  Domkapitel  angeknüpften  Ver- 
handlungen,  die   auf  die  Forderung  eines  Religionsgesprächs  hinaus- 
Men,  wieder  auf  und  berief,  als  diese  erfolglos  blieben,  am  22.  Juli 
1534  <^  >»  Gemeinde  **  —  den  grofsen  Rat  — ,  um  über  die  Entscheidung, 
vas  nun  zu  tun,  abstimmen  zu  lassen.    Sie  fiel  so  aus,  wie  zu  erwarten 
war;   man  beschlofs  die  Reform,  aber,  da  man  sich  noch  nicht  stark 
gemi^  fühlte,    nur  innerhalb  gewisser  Grenzen.     Die  Predigten  der 
i,P^>isten'*  wurden  ganz  und  gar  abgetan,  die  katholischen  „Zeremo- 
nien*' aber  nur  in  jenen  Kirchen,  die  dem  Bischof  und  den  Seinen  nicht 
■aouttelbar  „verwandt"  waren,  so  daüs  sie  im  Dom  und  au&erdem  in 
äeben  anderen  Kirchen  noch  in  Übung  blieben.    Mit  einer  Darlegung 
der  im  einzelnen  infolge  dieser  Beschlüsse  sich  ergebenden  kirchlichen 
Änderungen  und  der  auf  die  Aufnahme  der  Stadt  in  den  schmalkal- 
£tchen  Bund  abzielenden,  vorerst  vergeblichen  Bemühungen  des  Rates 
•chfiebt  Wolfart,  der  den  angedeuteten  Verlauf  der  Dinge  mit  klaren 
Stridien  zeichnet     Roth  hat  dann   im  zweiten  Bande  seiner  Augs^ 

18» 


—     174     — 

« 

hurger  RefamuUiansgeschichte '),  anknüpfend  an  den  Zeitpunkt,  bis  zu 
dem  er  im  ersten  Bande  gelangt  war,  die  von  Wolfart  durchschrittene 
Periode  von  1530 — 1534  noch  einmal  behandelt  und  die  Erzählung 
der  Ereignisse  bis  zum  Eintritt  der  Stadt  in  die  christliche  Einung  (153$) 
und  zu  der  im  Jahre  1 537  vollständig  durdigeftihrten  Reformation,  die 
die  Auswanderung  des  katholischen  Klerus  im  Gefolge  hatte,  fortgeführt 
Ein  dritter  Band,  der  bereits  in  AngrifT  genommen  ist,  wird  bis  zum  Jahre 
1547  reichen,  bis  zur  Unterwerfung  der  stolzen  Stadt  nach  dem  un- 
glücklichen schmalkaldischcn  Kriege,  die  das  Ende  der  eigentlichen 
Blütezeit  der  Stadt  bedeutet.  Von  den  gedruckten  Quellen,  die  bei 
diesen  Arbeiten  neben  dem  in  ziemlich  reicher  Fülle  vorhandenen 
archivalischen  Material  benutzt  werden  konnten,  nennen  wir  die 
noch  zu  berührende  Belaüon  des  Prädikanim  Förster  sowie  die  Chro- 
niken des  Benediktiners  Clemens  Sender  und  des  Augsinirger  Bürgers 
Wilhelm  Rem  im  23.  imd  25.  Bande  der  Chroniken  der  deutschen 
Städte,  Neuerdings  hat  sich  ihnen  noch  die  Chronik  des  Äugtintrger 
Malers  Georg  Vteu  des  Älteren,  die  den  29.  Band  dieser  Sammlung 
bildet,  zugesellt. 

Die  neuen  Bearbeitungen  der  Augsburger  Reformationsgeschichte 
lassen  das  eigenartige  Klientelverhältnis,  in  dem  Augsburg  bei  der 
Entwickelung  seines  neuen  Kirchentimis  zu  der  Stadt  Straisbuig  gestan- 
den, in  seiner  ganzen  Bedeutung  erkennen  und  zeigen,  dais  der  An- 
teil, der  Bucer  dabei  zukommt,  weit  höher  anzuschlagen  ist,  als  früher 
angenommen  werden  konnte.  Eine  wichtige  Rolle  spielten  dabei  auch 
die  von  Lenz  in  klareres  Licht  gerückten  Persönlichkeiten  des  Stadt- 
arztes Gereon  Sailer  und  des  Stadtschreibers  und  Diditers  Georg 
Frölich  '),  dessen  Leben  und  Schriften  neuerlich  von  Radlkofer  zum 
Gegenstand  einer  umsichtig  angelegten  biographischen  Abhandlung 
gemacht  wurden').  Von  dem  Einflufs,  den  die  städtischen  Juristen 
durch  ihre  Gutachten  und  Bedenken  auf  die  Entschlüsse  des  Rates 
und   dadurch   auf  den  Gang  der  Reformation   ausübten ,  ist  zuerst  in 


i)  Äugelnirgs  BefomutUonsgescMMe»  Zweiter  Band,  1531 — 1537  biw.  1540 
(München  1904). 

3)  Haaptsächlich  im  I.  Bande,  Beilage  II:  Die  Nthenehe  des  Ixmdgrafen  S.  3270 
und  in  Band  HI:  Ver?uMdhmgen  mUBayem,  Beritkt»  Chreon Seäers  1541-^47  S.  1696. 
VgL  mich  Rockwells  (oben:  S.  157  besprochenes)  Werk,  Register,  und  die  Charakteristik 
Saüers  im  ArMv  für  ReformaUonsgeachichte,  Band  I,  S.  loi  ff.  —  Bextiglich  FröUcb 
s.  tftntf  a.  a.  O.  III  S.  485  ff. 

3)  Lehm  %md  Schraten  des  Georg  JPVdh'cA,  StadUchreiben  mu  AugA¥irg  w)f> 
1537-48  in  der  Zeitschrift  des  hist,  Ter.  für  Schwaben  nnd  Neuburg,  Bd.  27» 
(Augsburg  1900)  S.  46  ff. 


—     175     — 

Wolfarts  Buch  (S.  45  ff.)  ausführlich  die  Rede,  und  Wilhelm  Ha 03 
hat  in  einer  Monographie  das  dort  Gesagte  noch  weiter  ausgebaut, 
ergänct  und  begründet  ^).  Eine  besonders  ausführliche  Besprechung 
hat  er  dem  unendlich  weitschweifigen,  von  schwerfiLUiger  Gelehrsamkeit 
getragenen  und  stellenweise  etwas  verworrenen  Gutachten  Dr.  Konrad 
Peutingers,  des  berühmten  Humanisten,  gewidmet,  der  den  Rat  be- 
kanntlich von  der  Durchführung  der  Reformation  abhalten  wollte  und 
ihn  auf  das  Konzilium  vertröstete.  Betonen  diese  juristischen  Gut- 
achten mehr  die  Frage  des  obrigkeitUchen  Reformationsrechtes, 
so  legen  die  gleichzeitig  von  Bucer  und  dem  Prediger  Wol%ang 
Musculus  gefertigten  Bedenken  und  Streitschriften  das  Schwergewicht 
ihrer  Ausführungen  auf  den  Nachweis,  dafis  dem  Rate  die  heilige 
Pflicht  obli^e,  dem  Reich  Gottes  die  Tore  zu  eröffnen,  und  es 
sind  interessante  Gedankengänge,  durch  die  sie  die  Augsburger 
„Herren**  zu  überzeugen  suchen,  dafs  sie  in  einer  solchen  Sache  das 
Widerstreben,  selbst  das  Verbot  des  Kaisers  nicht  zu  beachten  brauchen, 
ja  nidit  beachten  dürfen. 

Um  die  Geschichte  des  Täufertums  in  Augsburg  hat  sich  aufser 
Heberle,  Keim,  Uhlhorn  und  Loserth  namentlich  Keller  in 
verschiedenen  seiner  Bücher  und  Schriften  verdient  gemacht,  wenn 
aach  manchen  der  von  ihm  dabei  entwickelten  Anschauungen  nicht 
zsgestimmt  werden  kann.  An  einen  bereits  im  Jahre  1874  erschienenen 
Ati&atz  von  Christian  Meyer,  Zur  OeschicJUe  der  Wiedertäufer  m 
Obtrsekwaben  *) ,  der  sich  hauptsächlich  mit  Hans  Hut  und  dessen 
Angsburger  Urgichten  beschäftigt,  knüpfte  Roth  an  mit  seinem  Beitrag 
Zur  LAemgeechidUe  Eüdhans  Langenmantds  von  Augsburg^),  der 
markantesten  Erscheinung  unter  den  einheimischen  „Tau%esinnten**, 
vnd  mit  einer  Abhandlung,  die  den  Höhepunkt  der  wieder- 
tänferiscben  Bewegung  in  Augsburg  und  ihren  Nieder- 
rang im  Jahre  1528^)  zum  Stoffe  hat  und  die  Urgichten  von 
140  vor    dem   Stadtgericht    verhörten   Personen,    Augsburgem    und 

i)  wahelm  Hadi,  OutachUn  und  Streitschriften  über  das  Iu8  reformandi 
^  Bates  vor  und  während  der  Einführung  der  offitieUen  Kirehenrefarmation  in 
^ufAurg  1634 — 1537  (Augsburg  1901). 

t)  Zeitedmifi  des  hfiet.  Verein»  für  Schwaben  und  Neuburg,  Bd.  1.  (Augsboig 
'^74)*  —  Mejer  bftt  spiter  noch  einen  die  Angsbiirger  Täufer  betreffenden  Beitrag  geliefert 
«  17.  Ende  der  ZeUmhrift  /für  Kir<henge9chichU  (Gotha  1897)  S.  2480.  Er  enthält 
cian  Bericht  aas  einer  Angsbarger  Chronik,  die  ich  als  die  des  Matthäus  Langenmantel 
'aistellca  konnte.     Die  beste  Handschrift  derselben  liegt  im  Angsbarger  Stadtarchiv. 

3)  In  der  ZeUedwift  für  Schwaben  u.  Nbg,,  Bd.  27.  (Angsbarg  1900)^  S.  i  ff. 

4)  Ebenda  Bd.  28  (Aagsbanr  ^901),  S.  1  ff. 


—      176     — 

Fremden,  mitteilt.  Es  ergibt  sich  daraus,  dais  der  Rat  von  Angsburgf 
nur  zwei  Tänfer  hinrichten  liefe,  den  genannten  Hans  Hut,  der,  nadi- 
dem  er  bei  einem  Fluchtversuch  umgekommen,  als  Leiche  vom  Henker 
verbrannt  wurde,  und  den  Schneider  Hans  Leupold,  der  (am  25.  April 
1528)  enthauptet  wurde;  die  Hinrichtung  des  Eitelhans  Langenmantel 
geschah  auf  Befehl  des  schwäbischen  Bundes.  Die  Berichte,  die  von 
mehreren,  ja  von  einer  g^oDsen  Zahl  von  Hinrichtungen  in  Augsbuig 
sprechen,  sind  also  gänzlich  unbegründet  und  falsch.  Über  die 
Wiedertäufer  Sigmund  Salminger  und  Jakob  Dachser,  den  Heraus- 
geber des  ersten  Augsburger  Gesangbuches,  beriditet  ein  Aufsatz  Radl- 
kbfers  in  den  Beiträgen  zur  bayerischen  Kirchengeschichte  *),  über 
die  in  Augsburg  entfaltete  Tätigkeit  Schwenkfelds  eine  Abhandlung 
Wolfarts  in  derselben  Zeitschrift •). 

„Ein  Mann  (lir  sich'*  war  Johann  Landsberger,  über  dessen  Per- 
sönlichkeit die  Erlanger  Dissertation  von  Max  Martin  ')  endlich  Auf- 
klärung gebracht  hat  Er  war  ein  Augsburger  Karmeliter,  der  schon 
im  Jahre  1523  an  gewissen  Lehren  und  Gebräuchen  der  katholischen 
Kirche  irre  wurde,  sich  allmählich  dem  Zwinglianismus  zuwandte, 
aber  auch  täuferische  Anschauungen  und  Neigungen  verriet,  gegen 
die  lutherische  Abendmahlslehre  auftrat  und  sich  schliefelich  in  die 
Schweiz  begab.  Er  wurde  bisher  —  zum  letzten  Male  von  Riezler  — 
verwechselt  mit  einem  anderen  Johann  Landsberger,  Hofkaplan 
des  Herzogs  Ludwig  zu  St.  Jodok  in  I^ndshut,  von  dem  man  annahm, 
dais  er  des  Evangeliums  und  seiner  Schriften  wegen  habe  fliehen 
müssen. 

An  neueren,  hierher  gehörenden  Arbeiten  zur  Schulgeschichtc 
Augsburgs,  zu  der  L.  Greiff  und  Julius  Hans  den  Grund  gelegt, 
liegen  vor  die  einschlägigen  Stellen  in  der  Abhandlung  AugAusrget 
Schulmeister  und  Augsimrger  Schulwesen  in  vier  Jahrhunderten  von 
Joachimsohn  ^),  ein  Schriftchen  Über  die  schriflstellerieche  TiUigkeU 
der  Augsburger  VolksschuUehrer  im  Jahrhundert  der  BeferwuUion  von 
Radlkof er  (Augsburg  1903)  und  ein  Artikel  desselben  über  Sb^  Birk, 
den  ersten  Rektor  von  St.  Anna  ^) ,  dessen  Tätigkeit  als  Dramatiker 
auch  in  Holsteins  Buch  Die  Refarmatian  im  Spiegelbilde  der  drama- 

i)  JahrgMng  1900,  S.  i  ff.,  auch  im  SepmnUbdnidc  enchienen. 

2)  Caspar  SchwenkfM  und  Bomfadus  Wolf  ort.  Bd.  8  (1902),  S.  97  ff.  m.  S.  145^ 

3)  Johann  Landikerger^  die  unter  diesem  Namen  gehenden  Schriften  und  ihn 
Verfasser  (AagsbaT:g). 

4)  Zeitschfift  des  histerießken  Verein»  fikr  Sdnoaben  und  Neubmg,  Jahig.  1896. 

5)  Beilage  sur  AUg,  Zeitung  1896,  Nr.  299  und  30a 


—     177     — 

tiadkm  LUeraiur  des  XVL  Jaktimiderts  ^)  grewünügt  ist.  Die  Geschichte 
der  öffentlichen  Armeäpflei^e,  die  in  Augsburg  wie  anderwärts  dui-eh  die 
Reformation  in  neue  Geleise  gelenkt  wurde,  hat  an  Bisle  *),  die  der  Angs- 
barger  Stiftungen  an  Werher')  emen  kundigen  Bearbeiter  gefunden. 

Wie  die  Reformation  auch  in  kleinen,  von  den  belebten  Ver- 
kehrswegen abseits  gel^enen  Gebieten  den  sonst  so  gleichmä&igen 
Wellenschlag  des  politischen  und  kirchlichen  Lebens  in  stürmische 
Bewegung  setzte,  zeigt  die  Reformationsgeschichte  der  Graüschaft 
Ötttngen.  Zu  den  älteren  Darstellungen  derselben  von  Karr  er  und 
Mater  kam  im  Jahre  1893  eine  wettere  von  dem  öttingen-waller- 
steinschen  Bibliothekar  Gruppe),  die  aber,  abgesehen  von  anderen 
Jißngeln,  in  bezug  auf  Objektivität  so  wenig'  befriedigte,  dafs  eine 
neuerliche  Durcharbeitung  dieses  Stoffes,  wie  sie  nns  die  Sdirift  von 
Reinbold  Herold^)  bietet,  nicht  überflüssig  schien. 

Das  Ländchen  war  in  der  Reformationszeit  in  zwei  Hauptltnien 
geteilt,  in  die  wallersteinsche  und  in  die  öttingensche.  Graf  Martin, 
<ier  Wallersteiner,  beharrte  bei  dem  alten  Glauben,  und  sein  AnteU 
Uieb  bis  zum  heutigen  Tage  katholisch,  so  dais  die  Reformations- 
gescfaichte  sich  nur  mit  dem  öttiitgenschen  Teile  zu  befassen  hat 
Dieser  war  wieder  in  zwei  Stücke  zerrissen,  in  ein  nördliches  mit  den 
Ämtern  Alerheim  und  öttingen,  und  in  ein  südliches  mit  den  Ämtern 
Harburg  tmd  Hochhaus.  In  letzterem  regierte  (1522 — 1549)  Graf  Karl 
Wot%ang,  in  ersterem  (1522— 1557)  Graf  Ludwig  XV.,  der  Altera. 
Beide  Grafen  zeigten  sich  frühzeitig  als  Anhänger  der  evangelischen 
Lehre  und  führten  als  unumschränkte  Herren  ihres  Gebietes  von  1539 
an  die  Reformation  auf  Grund  der  Ansbacher  Khrchenordnung  durch, 
ohne  dafs  sie  dabei  irgendwo  ernstere  Hindemisse  zu  bewältigen  hatten. 
Da  griff  der  schmalkaldische  Krieg  störend  in  die  angebahnte  ruhige 


1)  8€hnftm  des  VeremB  flkr  SeförmaUonsgeßch^  (HaUe  r8S6). 

i)  Max  Biile,  Di€  öffmOiehe  Ammpflege  der  Beich8$kat  Äugtbmrf  mU 
BirüduicfUigung  der  einsdiiägigefi  VerhäUnisee  in  fmd&ren  EeiehettädUn  Süd* 
dt$i9Mmd8  (Paderborn  1904). 

3)  Ant  Werner,  Die  ö/fetUKehen  Stiftungen  mw,  in  der  Stadt  Augebwrg 
(A^pbwg  1899). 

4)  CGrapp,  BefarwiatianegeeeMchtedeeBieeee von  1539^1663,  mth  nnterdem 
Tüd:  OtHHgedte  GeeehidUe  der  Sefarmationeg&U  (Nördliogta  ^893). 

5)  Rdnhold  Herold,  €k8€hiehU  der  Sefarwuiiion  in  der  Qrafaidiaft  Ottingen 
[Sckrifteo  det  Vereins  flir  Reformationtgeschicbte ,  Nr.  75,  HaUe  189a].  Erginningeo 
bktct  Otto  Erhard  in  der  Schrift:  Anna,  Qrü^in  wm  Ottmgen,  geb.  Ltmdgräfin 
i»  Le^eiUenberg.  Qm  SeUMtrerlag  des  Verf.  Hohtnaltheiin  1900)  «od  in  dem  Buch 
OmcMiie  van  HoKenaUheim  (Erlangen). 


—     178     — 

Entwickelung  der  Dix^e  ein.  Graf  Wol%ang  war  zwar  nicht  Mitglied 
-der  christlichen  Einigung,  verfiel  aber  trotzdem  der  Ungfnade  des 
Kaisers  und  mufste  zwei  Jahre  die  Heimat  meiden,  während  deren 
.sein  Neffe  Friedrich,  der  katholisch  gebliebene  jüngere  Sohn  Ludwigs 
XV.,  als  vom  Kaiser  eingesetzter  Regent  das  junge  evangelische 
•Kircbenwesen  zu  vernichten  suchte.  Noch  schlimmer  erging  es  dem 
Grafen  Ludwig,  der  wie  sein  ältester,  gleichnamiger  Sohn  sich  den 
Schmalkaldenem  angeschlossen  und  am  Kriege  teilgenommen  hatte; 
Vater  und  Sohn  wurden  geächtet  und  ersterer  weilte  volle  fünf  Jahre 
auOserhalb  des  Landes.  Friedrich ,  der  aach  hier  die  Regentschaft 
iftihrte,  veriuhr  natürlich  in  dem  Landesteile  des  Vaters  gegen  das  Evan- 
gelium nicht  schonender  als  in  dem  des  Oheims,  und  als  das  Interim 
.eingeführt  wurde,  gab  ihm  dies  eine  willkommene  Waffe  zu  weiteren 
Bedrückungen  in  die  Hand.  Graf  Karl  Wolfgang  richtete  nach  der 
•Rückkehr  seine  Kirche  so  gut  wie  möglich  wieder  auf  und  suchte  sie 
nach  Tunlichkeit  vor  den  Schädigungen  des  Interims  zu  bewahren, 
;starb  dhet  schon  im  Oktober  1549  ohne  Hinterlassung  von  Söhnen, 
worauf  der  katholische  Wolfgang,  Friedrichs  Bruder,  Regent  wurde 
und  wie  dieser  der  kirchlichen  Reaktion  Tür  und  Tor  öffnete.  Bessere 
.Zeiten  traten  erst  ein,  als  Ludwig  XV.  die  Regierung  seines  Landes,  das 
nun  um  den  von  seinen  Bruder  ererbten  Teil  vergröfsert  war,  wieder 
übernahm  und  gemäfs  dem  Satze  „Cujus  regio,  ejus  religio"  die 
Reformation  wieder  einführte.  Aber  erst  unter  dem  tatkräftigen  Ludwig 
•XVI.  (1557 — 1569),  der  bereits  in  den  letzten  Jahren  seines  Vaters 
vdie  Zügel  des  Regiments  gefuhrt  hatte,  erfolgte  eine  durchgreifende 
.Ordnung  des  während  der  katholischen  Zwischenzeit  in  arge  Ver- 
wirrung geratenen  Kirchenwesens,  die  durch  eine  mit  gro&er  Umsicht 
verfahrende  Visitation  eingeleitet  wurde.  —  Welche  Summe  von  Er- 
bitterung und  tödlichem  Verwandtenhafis  die  hier  angedeuteten  Vor- 
gänge hervorgerufen,  läist  sich  nur  ahnen ;  stand  ja  hier  nicht  nur  die 
katholische  Linie  des  Hauses  gegen  die  protestantische,  sondern  der  Sohn 
gegen  den  Vater,  der  Bruder  gegen  den  Bruder,  der  Neffe  gegen  den 
Oheim,  und  das  alles  auf  dem  engen  Raum  eines  Duodezländchens ! 
Wir  wandern  jetzt  aus  dem  Süden  des  Reiches  nach  Mittel- 
deutschland, indem  wir,  der  von  dem  vielseitigen  Wasunger  Superin- 
tendenten Wilhelm  Germann  verfafsten  Biographie  des  schon 
45rwähnteh  Johann   Forster  *)  folgend ,   die  Wege  gehen ,   die  diesen 

*  i)  Dr:  Johatifi  Fbfitter,  der  Eetmebergiaehe^  Befbrmaior,    ein  MUarbeiter 

'mid  mutreHer  Dr.  MarHn  Lulhers.  —  In  urkundlichen  Nachrichten  oebst  Urknddeo 

zor   Hennebergischen  Kirchengeschichte.     Mit  Forsters  Bild,  Handschrift  vnd  Siegd.  — 


—     179     — 

viel  umhergewoifenen  Mann  nordwärts  führten.  Germanhs  Buch  ist 
eine  Festschrift  zum  350.  Reforraationsjubiläura  der  Grafschaft  Henne- 
berp*),  wo  der  in  Augsburg  geborene,  von  1530 — 1535  in  Wittenberg 
dem  engeren  Freundeskreise  Luthers  angehörende  Forster  die  neue 
Kirche  begründete.  Da  aber  von  den  Lebensumständen  Forsters, 
soweit  sie  vor  seiner  Berufung  ins  Hennebergische  liegen,  noch  vieles 
im  dunkeln  war,  entschlofs  sich  Germann,  alles  über  ihn  aufzufindende 
Material  zu  sammeln  und  das  Ergebnis  seiner  Forschung  in  seine  Jubi- 
äomsschrift  aufzunehmen.  Sein  Forschungseifer  war  von  überraschen- 
dem Erfolg  belohnt,  und  an  Stelle  der  verhältnismäfsig  dürftigen  und 
?iel£acb  auch  unrichtigen  Notizen,  mit  denen  man  sich  bisher  abfinden 
ma6te,  setzte  er  eine  beinahe  vierhundert  Seiten  umfassende  Reihe 
von  Untersuchungen  und  Quellenstücken,  die  den  Lebensgang  des 
Reformators  fast  Schritt  für  Schritt  verfolgen  lassen.  Den  gröfsten 
Raum  nimmt  darin  die  von  Forster  selbst  herrührende  Relation  über 
die  Kämpfe  ein,  die  er  während  der  Jahre  1535 — 1538  in  Augsburg 
mit  seinen  zum  Teil  zwinglisch  gesinnten  Amtsgenossen  zu  bestehen 
hatte,  eine  der  wichtigsten  Quellen  für  unsere  Kenntnis  der  damaligen 
arg  zerfahrenen  und  verworrenen  Zustände  in  Augsburg,  die  uns  in 
packender  Unmittelbarkeit  —  freilich  auch  mit  stark  subjektiver  Fär- 
bung —  geschUdert  werden. 

Nach  seinem  Weggang  von  Augsburg  wurde  Forster  Professor 
in  Tübingen  (1539 — 1541)1  dann  Propstei Verwalter  bei  St.  Lorenz  in 
Nürnberg,  von  wo  aus  er  sich  im  Auftrage  des  Rates  auf  einige 
Monate  nach  Regensburg  begab,  um  dort  die  Spendung  des  Sakra- 
ments in  beiderlei  Gestalt  nach  Nürnberger  Ordnung  einzufuhren.  Von 
Nürnberg  aus  folgte  er  dann  im  September  1543  im  Einverständnis 
niit  seinen  Nürnberger  „Herren"  einem  Rufe  in  das  Hennebergcr 
Land,  wo  endlich  mit  dem  „Papsttum"  gebrochen  werden  sollte. 
Der  damals  regierende  Graf  Wilhelm  hatte  lange  Zeit  als  entschiedener 
Papist  gegolten,  war  aber  dann  allmählich  anderen  Sinnes  geworden 
und  hatte  unter  dem  Eindruck  des  Regensburger  Reichstagsabschiedes 
(1541),  der  auch  Merseburg,  Regensburg  und  den  Pfalzgrafen  Ott- 
Iteinrich  zum  Anschlüsse  an  die  Reformation  ermutigte,  gestattet,  dais 


FttUdirift  com  35ojfiir.  Heonebergitdien  Refonnadonsjabilibiin  in  den  Neuefi  Bei- 
M^M  9mr  Ge$eh,  deutBchem  AUertwms,  herausgegeben  Ton  dem  henneb.  altertams- 
foncheoden  Verein  (1894). 

1)  S.  anch  Höhn,  KuTMe  Otsd^  der  Kirehtmmformation  in  der  gefünteten 
Orefedtaft  Hemuberg  [Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgesch.  ftlr  das  deutsche 
Vofr.    Mr.  2  t,  1894]. 


—     180     — 

im  Jahre  1542  mit  der  Einführung  „einer  besseren  Einrichtung  der 
Kirche**  auf  Grund  der  Augsburger  Konfesston  b^onnen  wurde.  Wie 
sich  der  Wandel  des  Grafen  vollzog  und  inwieweit,  ist  nicht  festzustellen 
und  kann  erst  erkannt  werden,  wenn  einmal  die  Korrespondenz  des- 
selben vorliegen  wird.  Übrigens  machte  der  Graf  äulserlich  die  Änderung 
des  Kirchenwesens  nicht  mit,  sondern  blieb  katholisch  und  trat  die  Re- 
gierung am  7.  Januar  1543  an  seinen  Sohn  G^org  Ernst  ^)  ab,  den  seine 
Schwiegermutter  Elisabeth,  die  eifrig  evangelische  Witwe  des  Herzogs 
Erich  von  Braunschweig-Kalenberg  ^),  veranlafst  haben  soll,  in  seinem 
1 543  abgeschlosseneu  Ehepakt  die  Reformation  seines  Landes  in  Aussicht 
zu  stellen.  Im  Jahre  1544  trat  er  öffentlich  zum  Protestantismus  über  und 
führte  diese  mit  Forsters  Hilfe  durch,  wobei  es  nicht  ohne  mancherlei 
Härten  abg^g.  Den  meisten  Widerspruch  fand  er  in  den  Klöstern, 
namentlich  von  Seite  der  Franziskaner  in  Schleusingen,  mit  denen  schliefs- 
lich  Elisabeth  im  Namen  des  Grafen  verhandelte,  um  sie  zum  Abzüge 
zu  bewegen.  Die  von  Forster  aufgerichtete  Kirchenordnung  war  die 
nümbergische ,  der  Gottesdienst  wurde  nach  der  im  Jahre  1543  ge- 
druckten Agende  Veit  Dietrichs  und  nach  dessen  Summanum  ge- 
staltet, das  katholische  Zeremonienwesen,  soweit  es  immer  anging, 
geschont.  Die  Römhilder  Linie  der  Henneberger  mufste  sich  nun 
ebenfalls  der  Reformation  anschliefsen  und  tat  dies  im  Jahre  1545. 

Forsters  amtliche  Tätigkeit  in  dem  neuen  Wirkungskreise  fand 
schon  im  Herbste  infolge  eines  Zerwürfnisses  mit  dem  Grafen  ein  jähes 
Ende,  worauf  er  nach  etwa  anderthalbjähriger»  in  Schleusingen  zu- 
gebrachter Wartezeit  in  Mersebtirg  seine  letzte  Stellung  fand.  Er 
starb  dort  als  Professor  und  Propst  der  Schlofskirche  am  9.  Dezember 
1558.  Zwei  Jahre  vorher  hatte  er  noch  sein  Lebenswerk,  ein  grofses 
hebräisch-lateinisches  Lexikon,  zum  Drucke  befördern  können. 

Ein  grofises,  auf  zwei  Bände  berechnetes  Werk  von  G.  Ein  icke: 
ZuHmgig  Jahre  schwarsburgische  Bef&rmationageschichte  1521 — 1541% 


i)  Vgl  über  ihn  O.  Rückert,  Georg  Ernst,  der  letzte  Graf  von  Hemuberg. 
(Jenaer  Diss.  1873.)/ 

3)  Biographien  von  W.  Havemann,  Elisabeth,  Herzogin  von  Braunsehweig' 
Lüneburg,  geb.  Markgräfin  in  Brandenburg  (Göttingen  1839);  A.  Knri,  EHeabe^ 
Herzogin  von  Braunschioeig-Calenberg,  geb.  Prinzesein  von  Brandenburg  [Schriften 
de»  Ver.  f.  Ref.-Gesch.  fUr  das  deutsche  Volk.     Nr.  14,  Halle  1891]. 

3)  G.  Einicke,  Zwanzig  Jahre  Sdnwam^mrgische  BeforwuzUonßgeeMckte 
1521—1641.  Erster  Teil  1621^1531.  Nach  urkundlichen  QoeUen  dargesteUt  (Nord- 
haaseo  1904),  gewidmet  den  regierenden  Fürsten  Karl  Günther  za  Schwarzbarg-Sonders- 
hansen  und  Günther  zu  Schwarzbni^-Radolstadt  —  Beigegeben :  eine  Karte  Die  schwan- 
bnrgischen  Grafschaften  zur  Zeit  der  Reformation  and  eine  StammtafeL 


—     181     — 

von  dem  der  erste  bis  1531  reichende  Band  vorliegt,  fuhrt  uns  in 
das  Herz  Thüringens,  in  die  östlich  an  das  Hennebeigische  grenzen- 
den schwarzburgischen  Lande.  Sie  zerfielen  damals  in  drei  vonein- 
ander unabhängrige ,  auch  räumlich  getrennte  Gebiete,  nämlich  in  die 
Herrschaft  Arnstadt  (das  Oberland),  in  die  Herrschaft  Sondershausen- 
Frankenhausen  (das  Unterland)  und  in  die  Herrschaft  Schwarzburg- 
Leutenberg.  Die  letztere  war  kaiserliches  Lehen,  während  der  am- 
städtische  Teil  in  bezug  auf  Lehensverhältnisse  der  Hauptsache  nach 
von  Kursachsen,  vom  Kaiser  und  vom  König  von  Böhmen,  der  sonders- 
häusische  Teil  von  den  Herzögen  von  Sachsen  und  von  Kurmainz 
abhängig  waren,  was  bei  der  Einftihrung  der  Reformation  von  Bedeu- 
tung wurde.  Fast  die  Hälfte  des  Bandes  wird  von  einer  in  die  kleinsten 
Bnzelheiten  eingehenden  Schilderung  der  kulturellen  Verhältnisse  des 
Schwarzburger  Landes  am  Ausgange  des  Mittelalters,  natürlich  unter 
besonderer  Betonung  der  kirchlichen  und  religiösen  Zustände,  in  An- 
spruch genommen.  Das  hiefür  massenhaft  zur  Verfügung  stehende 
Qaellenmaterial  ist  mit  groüser  Mühe  zusammengetragen,  doch  kann 
nicht  verschwiegen  werden,  dais  es  dem  Verfasser  nicht  gelungen  ist, 
sich  zum  Herrn  desselben  zu  machen,  und  dafs  daher  stellenweise 
nur  eine  Aneinanderreihung  von  Exzerpten  und  Tabellen  statt  einer 
wirklichen  Geschichtsdarstellung  geboten  wird. 

Vom  zweiten  TeUe  entfallen  ungefähr  zwei  Drittel  auf  die  Geschichte 
des  Bauernkrieges  —  seine  Veranlassung,  seinen  Verlauf,  seine  Nieder- 
werfung — ,  alles  auf  Grund  gewissenhafter  Quellenforschung,  deren 
Ergebiüsse  eine  wertvoUe  Bereicherung  der  Bauemkriegliteratur  bilden. 
Sdbstverständlich  werden  auch  dem  bekannten  Bilde,  das  durch  frühere 
Arbeiten  von  der  den  Höhepunkt  des  Dramas  bUdenden  Katastrophe 
bei  Frankenhausen  festgelegt  worden  ist,  einzelne  interessante  neue 
Züge  eingefugt 

Im  Volke  fand  die  „  neue  Lehre  '*,  die  von  den  Nachbargebieten, 
namentUch  von  Kursachsen  aus,  hereindrang,  frühzeitig  Anhänger,  ins- 
besondere zu  Arnstadt,  wo  schon  im  Jahre  1522  der  bekannte  Caspar 
Güttel  bei  einer  Durchreise  auf  Wunsch  der  Bürgerschaft  eine  evan- 
gelische Predigt  hielt  Die  „Herrschaft"  war  anders  gesinnt.  Graf 
Günther  XXXIX.  (von  Arnstadt)  war  ein  so  ausgesprochener  Papist, 
daüs  er  mit  seinem  einzigen  Sohne,  dem  nachmaligen  Heinrich  XXXII., 
der  sich  als  lutherisch  bekannte,  in  ein  schweres  Zerwürbis  geriet, 
und  Günther  XL.  (der  Sondershäuser),  hatte  sich  seinem  Lehensherren, 
dem  erzkatholischen  Herzog  Georg  von  Sachsen  gegenüber  geradezu 
verpflichtet,  die  „lutherische  Sekte''  fernzuhalten,  ja  zu  unterdrücken. 


—     182     — 

Graf  Johann  Heinrich  von  Leutenberg*  endlich  war  zwar  von  Anfauig 
an  dem  Evangelium  geneigt,  wagte  es  aber  aus  Rücksicht  auf  seine  Ver- 
wandten, die  beiden  anderen  Grafen,  und  aus  Scheu  vor  seinem  kaiser- 
lichen Lehensherren  nicht  fiir  die  neue  Lehre  etwas  zu  tun  und  wartete  zu. 
So  beruhte  am  Ende  der  zwanziger  Jahre  alle  Hoffnui^  der  Evan- 
gelischen auf  dem  Erbgrafen  Heinrich  (von  Arnstadt),  von  dem  man 
annehmen  durfte,  dais  er  sofort  nach  seinem  Regierungsantritt  seine 
Gesinnung  in  die  Tat  umsetzen  würde,  was  auch  geschah. 

Das  Täufertum  breitete  sich  natürlich  auch  im  Schwarzbui^rischen 
aus,  wenn  auch  nicht  so  massenhaft,  wie  man  nach  der  zentralen 
Lage  des  Landes  erwarten  möchte.  Von  bekannteren  Persönlichkeiten 
tauchte  hier  nur  eine  einzige  auf,  nämlich  der  als  Verfasser  einer 
deutschen  Grammatik  und  „heilloser  Schwärmer"  bekannte  Valentin 
Ickelshaymer,  der  im  Jahre  1525  stark  in  den  „Fränkischen  Aufruhr" 
verwickelt  gewesen  war  und  sich  dann,  von  Erfurt  kommend,  in  Arn- 
stadt als  Schulmeister  niedergelassen  hatte.  Im  Sondershäuser  Teil 
trat  ein  gewisser  Alexander  als  Führer  und  „Verführer'*  auf,  den  der 
im  allgemeinen  gegen  die  Täufer  ziemlich  mild  verfahrende  Graf 
Günther  XL.  im  Jahre  1532  —  vielleicht  mit  noch  zwei  anderen  — 
hinrichten  liefs. 

Vorbei  an  der  nicht  weit  vom  Schwarzbui^er  Unterland  entfernten 
Reichsstadt  Mtihlhausen,  deren  Reformationsgeschichte  einen  neuen 
Darsteller  in  H.  Nebelsieck^)  gefunden,  gelangen  wir  in  westlicher 
Richtung  auf  das  rauhe  Eichsfeld,  an  die  Quellen  der  Leine  und  der 
Unstrut,  in  die  ehedem  zum  Kurfürstentum  Mainz  gehörende  Gegend, 
wo  Sachsen,  Thüring^en  und  Franken  zusammenstofsen.  Ihre  Einwohner 
sind  heute  streng  katholisch  und  haben  es  gänzlich  vergessen,  dais 
ihre  Vorfahren  einst  mit  Eifer  der  evangelischen  Lehre  angehangen, 
wenn  sie  auch,  wie  dies  ja  in  der  Sache  li^,  durch  keine  andere 
kirchliche  Organisation  als  die  gemeindliche  zusammengehalten  waren. 
Um  1570  hatten  manche  Orte  eine  ausschliefslich  protestantische  Be- 
völkerung, die  meisten  waren  überwiegend  evangelisch,  und  wohl  keinen 
Ort  gab  es,  in  dem  Protestanten  gänzlich  gefehlt  hätten. 

Wie  sich  das  Evangelium  bei  den  Eichsfeldem  allmählich  aus- 
breitete, und  wie  man  sie  zum  Katholizismus  zurückführte,  zeigt  die 
Schrift  von  Wintzingeroda-Knorr  Die  Kämpfe  und  Leiden  d^ 


i)  H.litbeUieck,  BefarwMtionBgtBf^UehU  der  Stadt  MMha^^  Tkio^ 
Zeittchrift  des  Vereint  ftr  Kirchengeschidile  Id  der  Provinz  Sachsen,  Bd.  I  (liagdebiire 
1904)1  S.  59  ff.,  S.  so8ff.;  Bd.  n  (1905)  S.  48  ff^  S.  159'- 


—     18»     — 

EomfeUdcken  auf  dem  Eichsfelde  ^) ,  die  zum  gutea  Teil  Familien- 
archiven  entnommen  ist.  Wir  ersehen  daraus,  dais  erst  der  kluge  und 
energische  Kurfürst  Daniel  (iS74)  ernstliche  Anstrengungen  mir  Re- 
kitholimerung  seiner  lutherischen  Untertanen  machte,  aber  trotz  des 
Eifers  der  von  ihm  dabei  verwendeten  Jesuiten  und  der  günstigen 
politischen  Konstellation  verhältnismäOsig  wenig  genug  ausrichtete. 
Aber  unter  seinen  Nachfolgern,  die  das  Begonnene  mit  allen  Mitteln 
zum  Ziel  zu  fuhren  trachteten,  erlahmte  allmählich  die  Widerstands- 
kraft der  verzweifelt  um  ihren  Qauben  Kämpfenden,  und  in  den  ersten 
Jahren  des  dreüsigjährigen  Krieges  war  das  Bekebrungswerk  im  wesent- 
üdien  vollendet  Die  wenigen  Gemeinden  aber,  in  denen  sich  das 
Evangelium  bis  zum  Normaljahr  1624  behauptet  hatte,  blieben  trotz 
der  Quälereien,  denen  sie  auch  nach  dem  westfälischen  Frieden  noch 
angesetzt  waren,  protestantisch.  —  Da  der  Verfasser  dieser  Schrift 
adi  nicht  damit  begnügte,  den  Verlauf  der  Begebenheiten  im  att- 
gemeinen  zu  zeichnen,  sondern  bemüht  war,  so  viel  als  möglich,  auf 
ät  Geschicke  der  einzelnen  örtlichkeiten  einzugehen,  so  wurde  seine 
Arbeit  nebenbei  auch  zu  einer  reichen  Quelle  für  die  Lokal-  und 
Adelsgeschichte  des  Kchsfeldes. 

Setzen  wir  unseren  Weg,  die  Weser  überschreitend,  fort,  so  gelangen 
«voach  der  Grafschaft  Wal  deck,  über  deren  Reformationsgeschichte 
vir  jetzt  durch  das,  aus  reichlich  fliefisienden  Quellen  geschöpfte  Werk 
Viktor  Schultzes')  auf  das  beste  unterrichtet  sind.  In  der  Einlei- 
tung zeichnet  der  Verfasser  mit  kundiger  Hand  die  politischen,  wirt- 
schaftlichen und  religiösen  Verhältnisse  des  Ländchens  am  Vorabend 
<ier  Reformation ,  die  in  mancher  Hinsicht  schon  auf  eine  neue  Zeit 
iuodeateten;  so  in  dem  das  spätere  Landeskirchentum  anbahnenden 
Wachsen  des  Einflusses,  den  die  Herrschaft  infolge  des  Patronats,  der 
Sdürmvogtei  und  anderer  Rechte  auf  die  äufseren  Angelegenheiten 
der  Kirche  und  Stifte  übte. 

Das  Grafenbaus   war  in  zwei  Linien  gespalten,   die  wildungiscbe 


1)  L.  Wintzingeroda-Knorr,  Die  Kämpfe  uf%d  Leiden  der  Bvangeiisehen 
^iem  Bitktfdäe  wiOiirend  dreier  JaJurhttnderte.  [Schriften  des  Vereins  ftlr  Refor- 
"*tioisgescliidite  Nr.  36  and  42,  Halle  1892—93.] 

2)  Dr.  Viktor  Schnitze,  WtOdeekeche  BeforfnaüanageBekidUe  mU  öfi  AJMl- 
"(■(i^M.  (Leipzig  1903.)  Dem  regierenden  Ffirsten  zu  Waldeck  ond  Pyrmont^  Friedrich^ 
V^^^mtL  _  S.  daza  auch  die  Waldeckeehen  VieitatiantberiehU  ron  1556,  1558, 
^S^Si  1565  tM  Are/m  fUr  Befarmaiianegeackiehie,  Bd.  Ü,  S.  325  ff.  Ein  Ton  dem 
^^<^  Wobad  angelegtes  Diarinm  über  das  Regensbnrger  Gesprich  im  Jahre  1546 
*iH  Schohse,  wie  er  S.  147.  Anm.  i  bemerkt,  demnSdnt  Teröünitlid^en. 


—     184     — 

und  die  eisenbergische ,  deren  Häupter  bei  Beginn  der  Kefonoatioa 
Philipp  IV.  und  Philipp  IL  waren.  Während  der  erstere  schon  vom 
Reichstage  von  Worms  an  „lutherisch"  war,  konnte  Philipp  IL  sich 
nicht  mehr  in  die  „neue  Lehre*^*  hineinfinden  und  gab  demgemäis  der 
Entwickelung  der  reformatorischen  Ideen  in  seinem  Landesteile  keinen 
Raum.  Ihm  folgte  im  Jahre  1524  sein  Sohn  Philipp  III.,  der  dem 
Luthertum  gegenüber  dieselbe  Stellung  einnahm  wie  sein  wildungischer 
Vetter  und  gemeinsam  mit  diesem  in  der  Grafischaft  die  neue  Kirche 
begründete,  wobei  man  im  wesentlichen  nur  in  Corbach  auf  vorläufig 
nicht  zu  überwindende  Hindernisse  stiefs.  Die  Durchführung  der  Re- 
formation lag  in  der  Hand  des  Johann  Hefenträger  (Trygophoros)  aus 
Fritzlar,  eines  glaubenseifrigen,  verständigen,  energischen,  dabei  aber 
doch  mafisvoUen  Mannes,  der  als  der  Reformator  der  Gra£sdiait  zu 
bezeichnen  ist.  Ein  neuer  Schwung  kam  in  das  Reformationswerk, 
ab  nach  dem  Tode  Philipps  III.  (1539)  sein  Sohn  Woürad  in  einem 
Teile  des  Eisenberger  Gebietes  die  Regierung  übernahm,  eine  der 
bekanntesten  und  sympathischsten  Persönlichkeiten  unter  den  deutschen 
Fürsten  und  Herren  der  Reformationszeit.  Er  betrachtete  es  als  eine 
ihm  von  Gott  aufgetragene  Mission,  die  neue  Kirche  nach  besten 
Kräften  zu  festigen,  und  es  gelang  ihm,  ihr  endlich  auch  in  G>rbacb, 
dem  „letzten  Bollwerk  des  Katholizismus  im  Lande",  Eingang  zu  ver- 
schaffen; natürlich  trat  er  auch  dem  schmalkaldischen  Bunde  bei. 
Die  Rolle,  die  er  bei  dem  Regensburger  Gespräch  im  Jahre  1546 
spielte,  ist  aus  der  allgemeinen  Reformationsgeschichte  und  der  ein- 
schlägigen Spezialliteratur  bekannt,  seine  Erlebnisse  zu  Augsburg 
(1548),  wo  er  dem  Kaiser  Abbitte  leisten  mulste,  hat  er  in  seinem 
von  Trofs  herausgegebenen  Tagebuch  selbst  erzählt,  doch  bringt 
Schnitze  aus  der  Fülle  des  ihm  zuhanden  gekommenen  Materials  auch 
fUr  diese  Episoden  noch  manches  Neue. 

Der  eigentlichen  Geschichtserzählung  folgen  dann  die  Kapitel; 
welche  von  der  Organisation  der  Landeskirche,  von  den  kultischen 
Ordnungen,  von  den  Verhältnissen  und  den  bekannteren  Persönlich- 
keiten der  Waldecker  Geistlichen,  von  den  kirchlichen  und  theolo- 
gischen  Kämpfen,  dem  Abschlufs  der  Klosteraufhebung  und  dem  sitt- 
lich-religiösen Leben  im  Lande  handeln.  In  letzterem  Kapitel  inter- 
essieren besonders  die  Stellen,  in  denen  uns  Graf  Wolrad  als  Fa- 
mUienvater  und  Regent  geschildert  wird,  in  dem  das  Fürstenideal  der 
Reformationszeit  seine  vollkommenste  Verkörperung  gefunden  hat 
Er  wird  uns  hier  recht  nahe  gerückt,  und  dals  er  dadurch  in  der 
Wertschätzung    des   Prüfenden    nicht   verliert,    sondern   sogar   noch 


—     185     — 

gewinnt,  ist  ein  beredtes  Zeugnis   für  die  unantastbare  Gediegenheit 
seines  Wesens. 

Wir  stehen  für  dieses  Mal  am  Ziele  unserer  Wanderung.  Viel- 
leicht ist  es  uns  später  vergönnt,  einen  Streifzug  zu  machen  nach 
Sdilesien,  Sachsen,  in  die  Marken,  den  Rheinstrom  hinab  nach  Jülich^ 
Kleve  und  Berg,  an  die  Küsten  der  Nord-  und  Ostsee,  nach  Pommern 
and  PreuGsen,  wo  eine  Umschau  nach  der  neuesten  reformationsgeschicht- 
lichen Literatur  zum  mindesten  ebenso  lohnend  ist  wie  in  den  Gebieten^ 
die  wir  eben  durchschritten  haben. 


Mitteilungen 


ArekiTe.  —  Im  September  1904  wurde  die  Neueinrichtung  des  Stadt- 
archivs von  V^emigerode  a.  H.  durch  den  Unterzeichneten  begonnen  ^) 
und  Ende  März  1906  zimx  Abschlufs  gebracht. 

Es  handelte  sich  bei  der  Arbeit  zunächst  um  die  in  einer  Bodenkanmier 
öcs  Rathauses  belegenen  Archivalien,  die  teils  in  Stapeln  aufgeschichtet  lagen, 
teäs  aber  ein  arges  Durcheinander  von  Aktenstücken,  Staub,  Papier  und 
(Sassd&erben  bildeten.  Es  galt  zunächst  die  aufbewahrungswerten  Stücke 
^  den  zu  kassierenden  zu  trennen  und  erstere  dann  in  Fächem  materien- 
veise  einzuordnen.  Einige  vierzig  Zentner  wertloser  Makulatur  wurden  dabei 
>fimähiidi  ausgesondert  imd  einem  Händler  zum  Einstampfen  übergeben. 

Die  „materienweise  Einordnung"  der  Archivalien  erfolgte  in 
der  Att,  dafs  in  drei  zu  diesem  Zweck  gebauten  Reposttorien  Abteilungen 
ia  alphabetischer  Anordnung  eingerichtet  Verden,  deren  Inhalt  mit  den 
(Waltitehi  der  bereits  in  Repertorien  verzeichneten  Akten  übereinstimmte 
Qod  mir  an  einzelnen  Stellen  eine  notwendige  Abänderung  erfuhr.  Die  An- 
ordoong  der  Bestände  im  sogenannten  eigentlichen  Archiv  (im  Erd- 
gesdio&  der  neuerbauten  Knabenvolksschule)  tmd  diejenige  der  Registratur 
(im  Rathaus)  ist  im  wesentlichen  die  gleiche,  und  dieser  Umstand  erleich- 
^ott  nicht  nur  die  spätere  endgültige  Einordnung  der  Stücke  in  die  bereits 
^cpstrierten ,  sondern  wird  sich  auch  in  Zukunft  bei  jeder  Überftihrung  von 
Aktea  ans  der  Registratur  in  das  Archiv  nützlich  erweisen. 

Die  geschichüiche  und  verwaltungsrechtliche  Bedeutung  der  Urkunden 
^  Akten  in  der  gedachten  Kammer  ^  ist  nicht  gering  und  das  um  so 
vcB^er,  als  die  ausgesonderten  Akten  gerade  die  Lücken  des  bereits  vor- 
^denen  Archivs  in  natürlichster  Weise  ergänzten.  Man  kann  sich  über- 
^^  dem  Eindruck  nicht  verschUefsen ,  als  habe  gerade  über  den  Archi- 
nficQ  der  Stadt  Wernigerode  ein  besonders  günstiger  Stem  gewaltet;  denn 
Brand  und  andere  Schäden  haben  sie  bisher  verschont.    So  zeigt  das  Ganze 

0  Vgl.  diese  Zeitschrift  5.  Bd.,  S.  237. 

3)  E«  (knden  sich  dort  z.  B.  Ratsrechnangen  Ton  1522  an,  die  ProtokoUe  des 
^^''^BBp<lmgs  von  1 540  bis  1638  sowie  rekhes  Material  ans  der  Zeit  des  30  jährigen  Krieges. 


—     186     — 

denn  nach  Einordnung  der  neuen  Stücke  eine  bemerkenswerte  Reichhaltig- 
keit. Selbst  solche  Akten,  die  bereits  dem  Untergang  geweiht  schienen,  wie 
4 — 500  Prozesse  vorwiegend  aus  dem  XVI.  Jahrhundert  —  sie  waren  laut 
Verzeichnis  vom  Oktober  1855  zur  Kassation  bestimmt!  — ,  entgingen  dem 
ihnen  drohenden  Verderben. 

Um  diesen  gerade  in  seiner  Gesamtheit  so  ansehnlichen  Besitz  un- 
geschmälert zu  erhalten,  dazu  bedurfte  es  vor  allem  des  bedeutsamen  und 
dankenswerten  Entschlusses  der  Stadtverwaltung,  die  Bestände  ihrer  Akten 
und  Urkunden  systematisch  durchsehen  zu  lassen.  So  allein  war  zu  er- 
reichen, dafs  auch  dem  unmerklichen  Verfall  infolge  mangelhafter  Aufbe- 
wahnmg  der  Archivalien  Einhalt  geboten  und  gerettet  wurde,  was  zu  retten  war. 

Nach  Aufarbeitung  der  erwähnten  Bodenkammer  wurden  dann  alle 
Akten  bis  1850  mit  Ausnahme  der  Journale,  Kassenbücher  und  Belege 
dem  Archiv  der  Stadt  einverleibt,  aus  dem  vorher  alle  Akten  bis  zum 
genannten  Jahre  ausgesondert  imd  der  inzwischen  neueingerichteten  Re- 
gistratur im  Rathaus  eingegliedert  worden  waren.  Zur  Vervollständigung 
des  Aktenarchivs  waren  weiterhin  auch  alle  Archivalien  von  aktenmä£sigem 
Charakter  dem  gleichfalls  in  derselben  Schule  untergebrachten  Urkunden- 
archiv entnommen  und  den  betreffenden  Titeln  dort  angefügt  worden. 
Zuletzt  wurde  zur  Aufzeichnung  des  gesamten  Bestandes  geschritten  und 
ein  jedes  Stück  mit  Stempel  und  Fachnummer  versehen. 

Das  Ergebnis  dieser  ganzen  Arbeit  sind  nunmehr  folgende  ordnungs- 
mäfsige  Sammelstätten  städtischer  Archivalien  in  Wernigerode: 

I.  das   Urkundenarchiv    in    der   Volksschule,    enthaltend    die   Ur- 
kunden der  Stadt  von  1245  ^^> 
II.  das  Aktenarchiv  ebendort,   bestehend  aus  ihren  Akten  bis  1850, 

III.  die  Registratur  im  Rathaus,   umfassend  die  laufenden  Akten  von 
185 1  an,  und 

IV.  die  alte  Ratsbodenkammer  mit  den  Geschäfbjoumalen,  Kassen- 
büchern imd  Belegen. 

Die  Stadt  Wernigerode  darf  gewUs  mit  einiger  Befriedigung  auf  die 
nunmehr  dauernd  gesicherte  und  alle  Teile  umfassende  Aufbewahrung  ihrer 
Archivalien  blicken,  und  was  im  besonderen  die  Reichhaltigkeit  und  Voll- 
ständigkeit der  Bestände  anbetrifft,  kann  sie  es  mit  Städten  auch  von  größerer 
Einwohnerzahl  und  Bedeutung  getrost  au&ehmen.  Hans  v.  Wurmb 

Kommissionen.  —  Die  V^^ürttembergische  Kommission  für 
Landesgeschichte')  hat  am  8.  Juni  1905  in  Stuttgart  ihre  vierzehnte 
Sitzung  abgehalten.  Im  Druck  erschienen  ist  der  erste  Band  des  Urhrndm- 
Imehes  der  Skult  Heübronn,  bearbeitet  von  Knüpf  er  (Stuttgi^  Kohlhammer 
1904),  der  zweite  Band  des  Urktmdenbuchea  der  Eüadi  ijßUngenf  bear- 
beitet von  Adolf  Diehl  (ebenda  1905),  Dm  Bote  Buch  der  Stadt  IJU^ 
herausgegeben  von  Carl  MoUwo  (ebenda  1904)  und  Binder:  Württemr 
hergiches  Münz-  und  Medaiüenkumdet  neu  bearbeitet  von  Julius  Ebner, 
Heft  2.  Der  Druck  der  von  Hermelink  bearbeiteten  Mairikdn  der  Um- 
vereiiäi  Tübingen  und  des  fünften  Heftes  der  GeeekieUUehen  Lieder  und 


i)  Vgl  diese  ZeiUchrift  6.  Bd.,  S.  138. 


—     187     — 

^rüehe  Württembergs  von  Steiff  uad  Mehring  hat  begonnen.  Die 
aiige£uigenen  Arbeiten  sind  sämtlich  mehr  oder  weniger  gefördert  worden. 
Nea  wurde  die  Vorbereitung  eines  Bilderatlasses  zur  wUrttember- 
gischen  Geschichte,  die  Bearbeitung  des  Stuttgarter  Urkunden- 
bochs  in  Verbindung  mit  der  Stadt  imd  die  Veröffentlichung  eines  Ur- 
Icundenbuches  von  Heiligkreuztal,  bearbeitet  von  Huber,  be- 
schlossen. Die  Berichte  der  Pfleger  über  die  von  ihnen  aufgenommenen 
Archive  sollen  allmählich  in  den  Mitteilungen  der  Württembergischen 
Kommission  für  Landesgeschichte  veröffentlicht  werden.  Diese  Repertori- 
sicning  der  Archive  erfolgt  durch  72  in  einem  besonderen  Verzeichnis 
namentlich  genannte  Pfleger  unter  Leitung  von  6  Kreispflegem  (Archivrat 
Kriufs,  Archivdirektor  v.  Stalin,  Prof.  Ernst,  Prof.  Günter,  Pfarrer 
Bossert,  Dekan  Schmid),  und  es  wird  zugleich  mitgeteilt,  für  welche 
Orte  —  innerhalb  der  Oberämter  alphabetisch  geordnet  —  die  Arbeit  er- 
ledigt ist;  es  sind  mehrere  Hundert,  und  zwar  ist  neben  dem  Gemeinde-  und 
Pfiirrarchiv  auch  manches  Adelsarchiv  (das  des  Grafen  Schenk  v.  Stauffenberg 
in  Lauüingen,  des  Freiherm  Schenk  v.  Stauffenberg  in  Geislingen,  das  Schlofs- 
archiv  zu  Hom  bei  Fischbach,  das  zu  Oberherrlingen,  das  zu  Talheim,  das 
des  Freiherm  v.  Soden  in  Burleswagen,  das  des  Freiherm  v.  Seckendorff  in 
Erkenbrechtshausen,  das  des  Fürsten  Öttingen- Wallerstein  in  Geislingen  und 
Tiele  andere)  und  mancher  sonstige  Privatbesitz  verzeichnet  worden.  Hoffent- 
lich vollzieht  sich  die  Dmcklegung  der  Verzeichnisse  mm  recht  bald! 

Durch  den  Tod  hat  die  Kommission  die  Mitglieder  Sixt  ^)  tmd  Vo- 
chezer  verloren.  Neu  eingetreten  ist  als  ordentliches  Mitglied  Prof.  v. 
Fischer  (Tübingen),  als  aufserordentliche  Mitglieder  Subregens  SproU 
(Rottenburg),  Archivassessor  Wintterlin  (Stuttgart)  und  Archivsekretär 
Mehring  (Stuttgart).  Das  Rechnungsjahr  1904  hat  mit  einem  Überschufs 
Ton  2473  ^-  abgeschlossen,  da  der  Ausgabe  von  21076  M.  eine  Einnahme 
TOQ  23549  M.  (einschliefslich  des  von  1903  übernommenen  Überschusses  von 
5745  ^-)  gegenüberstand. 

Zur  Sennsteigfrage.   —   Bevor  ich  mich   zu   der   in  der  Februar- 
nommer  dieser  Zeitschrift  von  Rubel  vorgetragenen  Ansicht  über  die  Ent- 
stehung  der   Rennsteige   äufsere,   sei    es  mir  gestattet,   die  Leser  von  einer 
gleich6älls  in  der  jüngsten  Zeit  aufgestellten  Hypothese   zu  unterrichten,   die 
Ton  allen  bisherigen  Deutungen  abweicht.    Sie  rührt  von  Oberförster  Frey- 
soldt  in  Steinach  (S.  M.)   her   und  ist  veröffentlicht  im  Mareüe  V,   i  vom 
Januar  d.  J.     Die  Freysoldtsche  Auffassung  gründet   sich   auf  eine  Stelle  in 
<ler  Forstordnung  Maria  Theresias  vom  Jahre  1766 ;  hier  heifist  es  tmter  S  34 : 
„Damit  die  Renn-  und  Richtwege   künftighin   nicht  allzu  weit- 
schichtig   erweitert   werden;    als   sollen   solche   höchstens   auf  4   Klafter, 
damit  die  Wägen  gegen  einander  bequemlich  ausweichen  können,  gesetzet, 
falls  aber  ein  und  anderer  Renn-  und  Richtweg  über  vier  Klafter  erweitert 
wäre,  (soll)  solcher  mit  jungem  Maifs  *)  wiederum  angezieglet  *),  auch  der- 

I)  Vgl.  den  Nekrolog  in  dieser  Zeitschrift  6.  Bd.,  S.  116— 117. 
3)  Mttißf  Rauhmaiße  nennt   man   in  Österreich   die  Jangwüchse,   besonders  bei 
<len  ünbholz  im  StockscMagbetrieb. 
3)  angebmot. 

U 


—     188     — 

gestalten  die  übrigen  Anger-  und  Wiesflecken,  auf  welchen  Holzwachs  zu 

hoffen,  eingerichtet  werden." 
Und  §  22  besagt: 

„Ingleichen  (soll)   auf  denen  aushackenden  Renn-   und  Richtwegen, 

nicht  weniger   von    denen  Schufs  seh  arten    das  allda   stockende  Holz 

ziun  Nutzen  des  Waldinhabers  ausgearbeitet  und  versilbert  werden." 
Hier  ist  offenbar  Bennweg  ein  Gattungsname,  dessen  Bedeutung  von 
der  eines  „Richtweges"  nicht  sehr  verschieden  war.  Die  beträchtliche  Breite 
von  vier  Klaftern  (=  ca.  7  m)  ist  jedenfalls  bemerkenswert;  waren  doch 
räch  dem  Sachsenspiegel  selbst  die  Königsstrafsen  nur  16  Fufs  =  5  m 
breit.  Bichtweg  hat,  wie  Freysoldt  im  Anschlufs  an  Mitteilungen  österreichi- 
scher Forstleute  angibt,  hier  keinesfalls  die  Bedeutung:  „abkürzender  Fufs- 
pfad",  sondern  er  bezeichnet  eine  in  den  Wald  gehauene  Schneise,  mit  dem 
ausgesprochenen  Zweck,  die  Jagdlinien  auszurichten.  Die  Rennwege 
aber  waren  die  breiten,  teilweise  fahrbaren  Aufhiebe  im  Walde,  auf  denen 
die  Jäger  standen  und  von  wo  aus  sie  das  durch  die  Hunde  aufgejagte  und 
ihnen  zugetriebene  Wild  niederschössen.  Die  Schufsscharten  wurden  seok- 
recht  zum  Rennweg  in  den  Bestand  hineingehauen,  um  schon  dort  das  ai> 
der  Schützenlinie  entlang  fliehende  Wild  zum  Schufs  zu  bekommen,  wollte 
es  den  Richtweg  nicht  —  überrennen.  Erst  die  Breite  der  Rennwege 
ermöglichte  die  Abgabe  eines  sicheren  Schusses  (in  alter  Zeit  des  Speer- 
wnrfes  oder  Pfeiles),  weil  das  Wild  sie  frei  überrennen  mufste.  Was 
an  Wild  nicht  geschossen  wurde,  fing  sich  in  den  rückwärts  aufgestellten 
Jagdnetzen.  Im  Nibelungenlied  entspricht  dem  Rennweg  der  ahelouf  (XVI, 
871  Lm:  ghis  wildes  aheloufe),  in  der  Weidmannssprache  sonst  auch  „Frei- 
lauf", „Stechplan",  „Stechbahn",  Schiefsplatz".  Rennweg  ist  also  aller- 
dings vom  „Rennen",  nicht  vom  „Rain"  abzuleiten;  doch  nicht  der  Reiter, 
nicht  der  Kurier  rannte  dort,  sondern  der  edle  Hirsch  wurde  gezwungen, 
auf  ihm  zu  rennen. 

Die  ausgeprägte  Kammlinie  im  nordwestlichen  Läogsgebirge  des  Thü- 
ringer Waldes  begünstigte  nach  Freysoldt  ganz  besonders  die  Ank^e  von 
Rennwegen  zu  jagdlichen  Zwecken,  zumal  wenn  das  ganze  Gebirge,  Nord- 
seite und  Südhang,  im  Besitz  eines  Volksstammes  war.  Es  ist  selbstverständ- 
lich nicht  daran  zu  denken,  dafs  ein  Volk  eine  so  „grofszügige  Jagdpolitik **^ 
getrieben  habe,  lun  gleich  das  ganze  Gebirge  von  Ost  nach  West  mit  einem 
Rennweg  zu  überspannen.  Vielmehr  erfolgte  die  Ausgestaltung  dieses  fiirst- 
lichen  Jagdpfades  ganz  allmählich  und  stückweise.  Nachdem  man  den  Vor- 
teil des  zuerst  geschafienen  Rennweges  erkannt  hatte,  vrurde  dieser  nach 
Bedarf  verlängert,  an  anderer  passender  Stelle  ein  neues  Stück  angelegt, 
späterhin  die  getrennten  Stücke  untereinander  verbunden,  bis  endlich  aus 
vielen  Rennsteigen  ein  zusammenhängender  Rennweg  geworden  ist ').  — 
Dafs  der  thüringische  Rennsteig  von  den  wettinischen  Fürsten  noch  bis  zum 
Anfang  des  18.  Jahrhunderts  in  der  angegebenen  Weise  benutzt  wurde,  be- 
stätigt —  nach  Freysoldt  —  die  Beschreibung  des  Bofjagens  am  Dreiherm- 
stein 1703  (Mareile  I,  3,  2).     Der  Schiefsplatz   war   hierbei  am  Rennsteig; 


i)  Wir  häUen   also    in   dieser  Entstehangsweise  etwas  Analoges  za  der  Lacbmaoo- 
sehen  „Liedertheorie'*  hinsichtlich  der  Komposition  der  mittelhochdeutschen  Volksepeo. 


—     189     — 

sn  Rennsteig  entlang  waren  die  Tücher  aufgespannt,  dort  hinauf  wurde  das 
Wüd  aus  dem  ganzen  Neubrunner  Forst  zusammengetrieben,  und  dort  wurde 
ö  «abgejagt  und  gefangen".  War  ein  Rennsteig  einmal  vorhanden,  so  war 
CS  ganz  natürlich,  dafs  er  auch  von  Nichtjägem  benutzt  wurde,  sofern  er  in 
der  Richtung  eines  Strafsenzugs  zwischen  zwei  Handelsplätzen  oder  auch 
nrei  Burgen  lag.  Die  Rennsteige  teilten  ja  immer  gröfsere,  zusammenhängende 
Waldungen  im  Gebirge  wie  im  Hügelland;  sie  waren  deshalb  abkürzende 
Strafsen,  die  Fuhrmann  und  Kärrner  um  so  lieber  benutzten,  als  ihnen  so 
das  Umfahren  der  Gebirge  oder  der  dichten  Wälder  im  Flachlande  erspart 
blieb.  Dals  dieselben  Rennsteige  mehrfach  auch  zu  Grenzwegen  wurden, 
kann  uns  ebensowenig  wundem,  denn  Höhenwege  wie  Flufsläufe  waren  in 
alten  Zeiten  unentbehrliche  und  unverwischbare  Grenzzüge. 

Dies  ist  der  Kern  der  Freysoldtschen  Lehre.  Seine  Ausführungen  werden 
mandicm  plausibel  erscheinen,  und  sie  verdienen  in  der  Tat  ernste  Beach- 
tung. Ob  sie  sich  indes  zu  allgemeiner  Anerkennung  durchringen,  ist  zweifelhaft. 
Die  österreichischen  Renn-  und  Richtwege  mit  ihrer  Vier-Klafler-Breite  und 
ihren  Schufsscharten  sind  schwerlich  unseren  thüringischen  Rennsteigen  gleich- 
zusetzen, welche,  soweit  sie  in  ihrer  Ursprünglichkeit  erhalten  zu  sein  scheinen, 
eine  gleichmäfsige  Breite  von  etwa  2  m  aufweisen.  Auch  dürfte  die  an- 
sehnliche Länge  unseres  Pfades  —  selbst  bei  Annahme  der  oben  erwähnten 
Kompositionstheorie  —  sowie  die  stellenweise  auftretenden  Steigungen  imd 
Unebenheiten  (man  denke  an  die  Reitsteine  am  Inselberg)  eine  solche  Gleich- 
setzong  widerraten.  Es  ist  mir  femer  unerfindlich,  weshalb  einzig  und  allein 
die  auf  der  Kammlinie  hinführenden  „Aufhiebe"  den  mehrerwähnten  Namen 
getragen  haben  sollen,  während  doch  die  fürstlichen  Weidgesellen  im  weiten 
Getal  und  Gebirge  ihrem  Vergnügen  nachgmgen.  Schliefslich  machen  mich 
die  nicht  selten  begegnenden  Synonyma,  insonderheit  das  gut  bezeugte 
„Reotersteig"  bedenklich.  Mögen  aJso  die  österreichischen  Renn-  und 
Richtwege  immerhin  dem  Jagdsport  gedient  haben,  so  bleibt  es  doch  frag- 
lich, ob  wir  berechtigt  sind,  in  ihnen  die  Urrennsteige  zu  sehen  und  aus 
dem  hier  erzielten  Befund  ohne  weiteres  auf  die  übrigen  120  —  gröfstenteüs 
noch  wenig  erforschten  —   Rennwege  einen  Schlufs  zu  ziehen. 

In  eine  ganz  andere  Richtung  weisen  die  Untersuchtmgen  Rübeis. 
Die  Bedeutung  der  deutschen  Rennsteige  innerhalb  des  Siedelungssystems 
der  Franken  hatte  der  Verfasser  bereits  in  seinem  Hauptwerk  Die  Franken 
ai  mehreren  Stellen  hervorgehoben.  Auch  seine  jüngste  Darstellung  ^)  fordert 
w  einigen  kritischen  Bemerkungen  heraus.  Die  Erörterungen  über  das  bei 
der  Maikenaussonderung  durch  die  fränkischen  forestarii  beobachtete  Ver- 
ehren sind  sicherlich  geeignet,  manche  dunkeln  Partien  des  frühesten  Mittel- 
alters zu  erhellen  und  der  Forschung  neue  Richtpunkte  zu  weisen.  Dessen- 
fingeachtet  braucht  nicht  jeder,  der  die  Grundlagen  seiner  Lehre  anerkennt, 
>Qch  aDen  einzelnen  Folgerungen  zuzustimmen:  es  gilt  hier,  wie  überall,  das 
^Mnimentarisch  Beweisbare  und  konkret  Vorhandene  von  bloisen  Vermutungen 
s>  scheiden ').     Ganz  einleuchtend  scheint  nur  nachgewiesen   zu  sein,   dafs 

1)  Oben  S.  119— 126. 

2)  Die  Berechtigung  einer  derartigen  Mahnung  giündet  sich  u.  a.  auch  auf  die  An- 
><tno£  eines  „Trostmdter  Rennsteiges**,  der  nach  Rttbel  die  Marken  von  Beinerstadt  und 
TrosUdt  scheiden    soll  und  der  in  der  ganzen  Darstellung  des  Verfassers  eine  nicht  un- 

14  ♦ 


—     190     — 

die  Ausmessung  und  Abgrenzung  der  Marken  nach  feststehenden  Grundsätzen 
unter  der  Oberaufsicht  der  Herzöge  durch  staatliche  „Förster"  vorgenommen 
wurde;  auch  halte  ich  es  für  glaublich,  dafs  die  Herzöge  durch  feierlichen 
Umritt  die  neuen  Grenzen  bestätigten.  Dagegen  scheint  der  Beweis  nicht 
erbracht  zu  sein,  dafs  Name  und  Begriff  des  Reimsteigs  mit  dieser  Neu- 
einteilung des  eroberten  Staatsgebietes  durch  die  Franken  im  Zusammenhang 
stehe.  Keine  Urkunde  bezeugt  ausdrücklich  eine  solche  Wechselbeziehung. 
Rubel  weist  ganz  richtig  darauf  hin,  dafs  in  den  Urkunden  über  die  Be- 
grenzung der  cidvocatio  ecdesiae  fiddensis  ein  Teil  der  Vogteigrenze  Eeinne- 
weg  genannt  werde,  während  doch  zur  2^it  des  Bonifatius  an  dieser  Stelle 
offenbar  noch  kein  Weg  irgendwelcher  Art  vorhanden  gewesen  sei ;  darf  man 
indessen  aus  diesem  Umstände  schliefsen,  dafs  die  Umgrenzung  des  Gebietes 
auch  die  „  Schaffung "  eines  ausgedehnten  Rennsteiges  als  eines  Grenzweges 
zur  Folge  gehabt  habe?  Wer  sagt  uns  denn,  dafs  dieser  Rennsteig  gerade 
damals  geschaffen  worden  sei  ?  Nach  dem  Wortlaute  der  Urkunde  ^)  möchte 
man  eher  anzunehmen  versucht  sein,  dafs  die  Grenzlinie  in  einen  schon 
vorhandenen  Rennsteig  einmündete  und  ihm  nur  bis  zu  einem  gewissen 
Punkte,  der  eben  durch  einen  „steckenden  Stein"  markiert  war,  folgte.  Die 
Auffassung,  dafs  dieser  „Reinnewech"  sich  nach  beiden  Richtungen  noch 
weiter  erstreckte,  ist  mindestens  ebenso  zulässig  und  meinem  Gefühl  nach 
natürlicher  als  jene,  dafs  plötzlich  mitten  in  den  Grenzumgang  ein  Wegstück 
eingelegt  war,  dem  man  im  Unterschied  von  den  anderen  den  auszeichnenden 
Beinamen  „Rennweg''  beilegte.  Die  Meinung  Rübeis,  dafs  die  Marklinie 
zuerst  auf  der  Gebirgshöhe  gezogen  wurde,  ist  an  sich  unwahrscheinlich  und 
unbeweisbar.  Die  angeführten  Urkunden  machen  überall  den  Eindruck,  als 
ob  die  Grenzfestlegung  durchaus  in  einem  Zuge  vorgenommen  worden  sei. 
Eben  dieser  Umstand  bildet  in  meinen  Augen  ein  Hauptargument  gegen  die 
Auffassung  der  Rennsteige  als  ursprünglicher  Grenzwege.  Warum  wird  dann 
nicht  der  gesamte  Grenzzug  als  Rennsteig  benannt,  zumal  doch  gewüs  der 
Herzog  von  seiner  jeweiligen  Residenz  aus  den  Umritt  begonnen  hat  und 
auch  die  Querseiten  des  Ausschnittes  niit  denselben  Feierlichkeiten  umritti 
wie  die  auf  dem  First  des  Waldes  ausgehauene  Grenzschneise?  Auch  ver- 
dient eine  Schneise  noch  lange  nicht  den  Namen  eines  „Weges"').  Be- 
kanntlich finden  wir  nun  aber  eine  Reihe  von  Rennsteigen,  die  schlechter- 
dings nicht  den  Charakter  als  Grenzwege  getragen  haben  köimen  (Allzunah, 
Zwenkau,  Dresden).  Es  wäre  schliefslich  doch  auch  verwunderlich,  wenn 
eine  solche  Grenzlinie  nach  dem  nur  einmal  erfolgten  oder  doch  nur  selten 
wiederholten  Umritt  der  Herzoge  benannt  wäre:   nur   eine  dauernde  Be- 


wesentliche Rolle  spielt.  E^  läfst  sich  jedoch  urkundlich  nur  ein  Rennsteig  bei  Belrieth 
nachweisen,  seine  Fortsetzung  „in  der  Richtung  auf  Beinerstadt  und  Trostadt'*  war 
von  mir  ausdrücklich  als  Konjektur  hingestellt  worden. 

i)  . . .  inde  per  Fliedena  deoretsm  usque  in  Weidemanneabruggun  et  nc  emwm 
in  Beinneioech;  inde  per  Beinnewech  uegue  ad  eteckanden  stein,  inde  in  Moetmf 
inde  in  veterem  Slyrepham  ... 

3)  Wenn  ich  S.  38  festgestellt  habe,  dafs  unser  thüringischer  Rennsteig  weithin  eine 
Landesgrenze  bilde,  so  bezieht  sich  dies,  wie  ausdrücklich  bemerkt  ist,  auf  die  neuere 
Zeit.  Die  Frage,  welches  die  Veranlassung  zur  Schaffung  des  Weges  gewesen  sei,  wird 
hierdurch  nicht  berührt. 


—     191     — 

sQtzangsweise    drückt    einem    GegeDstand    oder    einer    Örtiichkeit    den 
Namensstempel  auf. 

Gegenüber  der  Rübeischen  Ansicht,  dafs  jeder  Rennweg  einfach  ab  ein 
Reitweg  anzusdien  sei'),  möchte  ich  doch  auf  die  Gnmdbedeutung  der 
beiden  in  Rede  stehenden  Verba  Gewicht  legen.  Alle  Wörterbücher  be- 
lehren uns,  dafs  reiten  einem  lateinischen  equo  vehi  entsprach,  während  mit 
rmnen  eine  beschleunigte  Bewegung  bezeichnet  wurde,  wie  sie  eben  kleineren, 
Idchtbewafibeten  Abteilungen,  Boten  zu  Fufs  oder  zu  Pferd,  eigen  ist.  Der 
Haine  rtnftoerf,  rimter  u.  dgl.  findet  sich  vielfach  in  mhd.  Urkunden  und 
zwar  an  Stellen,  die  uns  eine  Vorstellung  von  dem  Rangverhältnis  zwischen 
Rittern,  Knechten  und  „ Rennern '*  ermöglichen').  Die  Form  rennwec  oder 
mmsHc  (=  »Weg  der  Renner  *')  entspricht  aber  recht  eigentlich  den  mhd. 
Worü>ildungsgesetzen  ').  Rubel  bezweifelt  das  Vorhandensein  eines  entwickelten 
PUrouiUendienstes  für  die  früheren  Zeiten,  zumal  für  die  Periode,  in  der 
sich  das  Reiter-  und  Lehnswesen  ausgebildet  hatte.  Zu  der  Annahme  eines 
solchen  Kundschaftersystems  bei  den  alten  Deutschen  nötigen  ims  indessen 
bestimmte  Angaben  der  römischen  Schriftsteller  ^),  und  zu  solcher  Annahme 
stimmen  vortrefflich  die  Andeutungen  derselben  über  besondere,  von  den 
Heerwegen  verschiedene  verdeckte  P&de  durchs  Gebirge.  Was  sind  diese 
empendia  viarum  des  Tacitus  ^)  anders  als  Rennwege?  Dafs  sie  sich  als 
sdche,  als  PCade  für  hin  imd  her  sprengende  Reiter,  ein  Jahrtausend  lang 
erhalten  haben  sollen,  habe  ich  nirgends  behauptet,  sondern  ich  habe  ledig- 
fidi  ihre  Anlage  auf  die  Gepflogenheit  der  frühdeutschen  Zeiten,  solche  Wege 
in  Kriegsläuften  zu  benutzen,  zurückgeführt.  Dafs  diese  aus  guten  Gründen 
meist  auf  der  Gebirgshöhe  verlaufenden  Steige  später  auch  zu  anderen  Zwecken, 
z.  B.  als  Grenzlinien  oder  zum  Jagdbetrieb,  benutzt  wurden,  dafs  sie  sich 
tohreise  in  Verkehrsstrafsen  verwandelten,  hat  nichts  Auffälliges.  Aber  auch 
im  späteren  Mittelalter,  ja  noch  in  den  heUbeleuchteten  Tagen  der  Neuzeit 
macht  sich  bisweilen  die  alte  Bedeutung  eines  Rennsteiges  geltend,  so  z.  6. 
spidte  der  thüringische  Rennsteig  bei  der  bekannten  Entführung  Martin 
Luthers  vom   Lutherquell  nach   der  Wartburg  eine  bedeutsame   Rolle;   von 


i)  Dem  widerspricht  auch  die  Beschaffenheit  der  ftir  beide  Arten  erforderlichen 
Gdinde:  ein  Reitweg  verlangt  lockeres  Erdreich,  ein  Renn(er)steig  möglichst  harten  Boden« 

t)  Henneb.  Urk.  II  Nr.  33  (von  1334):  .  .  .  und  stüKi^gebn  ein  JuUbig  iar  eu 
nidi  eiste  ritter  swtlf  loUge  marg  eilbers,  etm  knehte  zehene,  etm  rinner  funfe  . . . 
Urk.  d.  Vdgte  ▼.  Weida  Nr.  845  (von  1342):  nimi  man  frumen,  den  sal  man  teilen 
Hodk  der  numegal  gewapenter  leuie,  die  hekne  habin,  adir  zewene  rinner,  die  pancur 
•Mi  gereie  habin,  eal  man  reiten  vor  einen  wepener  . . . 

3]  Vgl.  das  oben  S.  37  Anm.  i  von  mir  AnsgefUhrte.  Es  sei  noch  hinzogeHigt, 
^  riiwuLZ  ein  Mafs  Wein  bedeutet,  wie  es  diensttuende  Reiter  erhalten. 

4)  Z.  B.  Caes.  beU.  Gall.  IV,  19:  8nebo8  paetguam  per  exploratoree  pontem  fieri 
tompmiMeent  . . .  nnntioe  in  otnnee  partes  dimisisee  ...  id.  b.  G.  VI :  mandat  übiie, 
<tf  erdfroB  expiaratores  in  Snebos  mittant  qnaeque  apud  eoe  gerantur,  eognoaeant . . . 

5)  Tac  Ann.  I,  50:  Bemanne  , . .  aaUus  ohsenros  permeat  caneuUatgue  ex  duobus 
itimribne  breve  et  solitum  sequatwr  an  impeditius  et  intemptatum  . . .  Ann.  I,  63: 
•*.  etreufli  »ilvae  paulatim  cuUUvee,  quas  tum  Arminiue  implevit,  eompendii» 
•iam»  et  dto  agtnine  onuetum  aarcinie  armiegue  militem  cum  antevenisset, 
Aaa.  Xn,  38 :  (mihtee)  ditfiei  in  duo  agmina,  qwi  laevjfim  iter  petiverant  —  (Chattof) 
mmo  graves  cireumvenere  , .  ,  at  qui  dextris  et  propioribus  compendiie 
itratU  Wüio  hoeti  . . .  plue  cladis  faciunt 


—     192     — 

den  Reisigen,  die  den  Reformator  auf  schnellen  Rossen  dem  Asyle  zufühiten, 
berichtet  der  Chronist  Binhard  ausdrücklich,  dafs  sie  etUc?te  stunden  im 
UHÜde  den  reutersteig  fuhren  (Thür.  Chron.  1613,  S.  81)  ').  Und  als  Herzog 
Ernst  der  Fromme  den  Rennsteig  aufs  neue  vermessen  läfst,  da  definiert  er 
ihn  in  seiner  den  Beamten  erteilten  Anweisung  als  einen  Pfad,  auf  dem 
„eine  Korrespondenz  (nämlich  seines  Kontingentes)  gegen  Chursachsen  als 
seines  Kreisobristen  und  gegen  Eger  zu  halten  sei  imd  wo  man  auf  den 
Gehölzen  und  Höhen,  also  dafs  man  auf  kein  Dorf  käme,  verdeckt  passieren 
könne".  Selbst  im  XIX.  Jahrhundert  bewährte  er  sich  als  via  tnüitaris  *), 
indem  nach  der  Schlacht  bei  Jena  versprengte  Flüchtlinge  ihn  benutzten,  um 
sich  so  nach  Böhmen  zu  retten  ^). 

Die  Anregung,  die  Rubel  dem  Rennsteigverein  gibt,  sich  eingehender 
der  Erforschung  der  Markenbildung  zuzuwenden,  trifil  zusammen  mit  gleich- 
artigen Forderungen,  die  Bühring  (Elberfeld)  dem  Verfiasser  hat  zuteil 
werden  lassen.  Die  Mahnimgen  beider  werden  auf  fruchtbaren  Boden  fallen 
und  den  Verein  vor  Einseitigkeit  und  Erstarrung  bewahren.  Ebenso  hoffen 
wir  indessen,  dafs  als  Nebenfrucht  der  Rennsteigforschung  mit  der  Zeit  auch 
neue  Aufschlüsse  über  die  Natur  und  Bedeutung  der  altdeutschen  Wege 
gewonnen  werden,  kurz,  dafs  diese  Forschung  der  Verkehrsgeschichte 
im  weitesten  Umfange  zunutze  kommen  möge.  Ludwig  Hertel. 

Personalien«  —  In  Hermann  Markgraf,  der  am  12.  Januar  1906 
gestorben  ist,  hat  die  schlcsische  landesgeschichtliche  Forschung  einen  Ge- 
lehrten verloren,  der  wegen  seiner  eigenen  bedeutenden  Arbeiten  ebenso  wie 
als  selbstloser,  unermüdlicher  Förderer  fremder  Studien  einen  Ehrenplatz  io 
ihren  Annalen  verdient.  Am  30.  Mai  1838  zu  Kottbus  geboren  und  auf 
dem  Gymnasium  seiner  Vaterstadt  vorgebildet,  widmete  sich  M.  auf  den  Uni- 
versitäten Breslau,  Jena  imd  Berlin  phUologischen  und  historischen  Studien. 
In  Breslau  wurde  er  durch  Roepell  der  Geschichte  gewonnen;  in  Jena  und 
Berlin  gehörte  er  zu  den  begeistertsten  Schülern  Droysens  und  Rankes;  auf 
seine  historische  Auffassung  hat  Droysen  den  nachhaltigsten  Einflufs  ausgeübt. 
Im  Februar  186 1  erwarb  er  auf  Grund  einer  Dissertation  De  hello  Burgundico 
a  Carola  Audace  contra  archiepiscopum  Coloniensen  suscepto  (Berlin  1 861)  die 
philosophische  Doktorwürde  und  legte  bald  darauf  die  Staatsprüfung  ab.  Dem 
Probejaiir  folgte  1862^  die  Berufung  an  das  Kgl.  Friedrichs-Gymnasium  zu 
Breslau,  wo  er  bis  1876  als  Lehrer  tätig  blieb.  Die  Bedeutung  seiner  in- 
zwischen veröffentlichten  wissenschaftlichen  Arbeiten  über  den  bewegtesten  Ab- 
schnitt der  Geschichte  Breslaus  war  es  vornehmlich,  die  den  Magistrat  der  Stadt 
veranlafste,  ihm  im  genannten  Jahre  die  Stelle  des  Stadtbibliothekars 
und  -archivars  zu  übertragen,  die  er,  seit  1895  mit  dem  Titel  Direktor, 
bis  zu  seinem  Tode  bekleidet  hat  Nachdem  er  bereits  vor  drei  Jahren 
hart  mit  dem  Tode  gerungen,  aber  bald  seine  voUe  körperliche  und  geistige 
Frische  wiedererlangt  hatte,  entrifs  ihn  eine  tückische  Krankheit,  bei  seiner 

1)  Diese  Umoennang  ist  mir,  wie  oben  erwähnt,  ein  wertvoller  Beweis  fUr  meine 
Auffassang. 

2)  So  betrachtet  den  Rennsteig  schon  Kr  aufs,  HildburgJiäuser  Kirehfin-,  Schul' 
und  Landeshistorie  (i753)-     * 

3)  Mareile  IV,  3. 


—     193     — 

Rüstigkeit  anerwartet  und  viel  zu  früh,  seiner  gesegneten,  plane-  und  hoffnungs- 
reichen Berufs-  und  Forscherarbeit. 

M.  widmete  seine  wissenschaftliche  Tätigkeit  fast  ausschliefslich  der 
Landesgeschichte  seiner  neuen  Heimat.  Doch  erfafste  er  sie  stets  in 
ihrem  Zusammenhange  mit  den  allgemeinen  Ereignissen.  Ein  bewunderns- 
wertes, sich  stetig  vertiefendes  Wissen  auf  allen  Gebieten  der  Geschichte 
bewahrte  ihm  den  freien  Blick  und  liefs  ihn  nie  in  kurzsichtiges  Spezia- 
Bstentum  verfallen.  Nach  einer  Erstlingsarbeit  über  die  für  die  schlesi- 
sche  Kirchengeschichte  bedeutsame  Legation  des  Kardinalpresbyters  Guido 
1265 — 1267  *)  ergriff  er  als  erste  gröfsere  Aufgabe  die  Erforschung  der 
bewegten  Zeit  der  böhmischen  Thronwirren  im  XV.  Jahrhundert  imd  deren 
Rückwirkung  auf  Schlesien,  dessen  Hauptstadt  in  dieser  Periode  ihrer 
höchsten  wirtschaftlichen  Blüte  und  politischen  Machtstellung  eine  Zeitlang 
die  Rolle  einer  Vorkämpferin  der  Kirche  gegen  den  Ketzerkönig  spielte. 
Den  Kern  seiner  wissenschaftlichen  Leistungen  auf  diesem  Gebiete  bilden  die 
Ausgaben  der  Hauptquellen  dieser  Periode,  der  Historia  Wratislaviensis  des 
Brcslauer  Stadtschreibers  Peter  Eschenloer*)  und  der  Politischen  Korre- 
tpondene  Breslaus  im  Zeitalter  Georgs  von  Podiebrad  *).  Um  sie  gruppiert 
sich  teils  als  Vorstudien  teils  als  Ergebnisse  und  Exkurse  eine  Reihe  vor- 
trefflicher Abhandlungen :  Die  biographischen  Studien  zur  schlesischen  Historio- 
graphie Magister  Peter  Eschenloer  *)  und  Christian  Ezechiels  Leben  und 
Schriften  *),  femer  die  Aufsätze  Der  Liegnitzer  Lehnsstreit  1449  ^1469  ^ 
ond  Geschichte  Schlesiens  und  besonders  Breslaus  unter  Königs  Ladislaus 
hsihumus  ^) ,  endlich  als  Ausblicke  in  die  allgemeine  Geschichte  der  Zeit 
Über  das  Verhältnis  des  Königs  Georg  von  Böhmen  zu  Papst  Plus  II. 
U5&—146J2'')  und  1462-1464''),  Über  Georgs  von  Podiebrad  Projekt 
eines  christlichen  Fürstenbundes  zur  Vertreibung  der  Türken  aus  Europa 
und  Herstellung  des  allgemeinen  Friedens  innerhalb  der  Christenlieit  *®)  und 
Die  Bildung  der  katholischen  Liga  gegen  Georg  Podiebrad^^).  Hierher  ge- 
hören auch  die  Studien  über  die  Kanzlei  des  Königs  Georg  von  Böhmen  '*) 
tmd  über  die  römische  Kurie  in  ihrer  Ausbildung  und  Verfassung  bis  auf 
tmsere  2jeii^^)f  letztere  lediglich  zur  eigenen  Orientierung  niedergeschrieben 
und  nur  gelegentlich  veröffentlicht. 

Nach  seiner  Berufung  an  die  Stadtbibliothek  wandte  sich  Markgraf  mehr 
und  mehr   ortsgeschichtlichen  Forschungen   zu.     Gleichwohl  beweisen   eine 


1)  Zeitschr.  f.  Gesch.  Schles.  V  (1863),  81—106. 
3)  Scriptores  rerum  SiUmacarum  VII.  (1872). 

3)  Script,  rer,  SOes,  vm.  IX.  (1873—74). 

4)  Säkiüarprognunin  des  kgl.  Friedricbs-Gymnmsiams  za  Breslau  (1865). 

5)  Ztschr.  f.  Gesch.  Schles.  XU  (1874),  163—194. 

6)  Abhandl.    d.   Schles.  Gesellsch.    f.   vaterl.  Koltor.     PhUos.-hitt  AbteU.  1869,  S. 
»5—70.    Nachtrag  ebda.  1870,  S.  41—65. 

7)  Ztschr.  f.  Gesch.  Schles.  XI  (1872),  235—274. 

8)  Progr.  des  kgl.  Friedrichs-Gymnasiums  zii  Breslan  (1867). 

9)  Forsch,  z.  dtech.  Gesch.  IX  (1869),  219—258. 
10)  Hut  Zeitschr.  XXI  (1869),  257-304. 

u)  Hist.  Zeitschr.  XXXVIH  (1877),  48-82. 

13)  Neaes  Laos.  Magaun  XLVII  (1876). 

13)  Progr.  des  kgl.  Friedrichs-Gymnasiiims  (1875). 


—     194     — 

Anzahl  wichtiger  Publikationen  und  Darstellungen  zur  allgemein  schlesischen 
Geschichte,  dais  auch  dieses  Gebiet  bis  in  seine  letzten  Jahre  von  ihm  nicht 
vernachlässigt  wurde.  So  veröffentlichte  er  die  von  ihm  in  der  Fürstensteiner 
Bibliothek  aufgefundenen  Ännaies  Glogavienses  —  1493  ^),  gab  mit  C.  Grün- 
hagen zusammen  die  für  die  Gesamtgeschichte  grundlegenden  Lehns-  und 
Besit0urkunden  Schlesiens  und  seiner  einednen  Fürstentümer  im  Mittd" 
älter  ^)  heraus  und  endlich  im  Verein  mit  W.  Schulte  den  von  ihm  in 
Leyden  entdeckten  Liber  fundationis  EpiscopcUus  Vratislaviensis  ^)  (1889), 
die  wichtigste  Quelle  zur  Finanzgeschichte  und  zur  Kolonisationsgeschichte 
des  Bistums.  Eingehende  Forschungen  verdanken  wir  ihm  auch  auf  dem 
Gebiete  der  schlesischen  Historiographie.  Einer  zusammenfassenden  Dar- 
stellung der  Entwickdung  der  schlesischen  Geschichtsekreibung  ^)  folgten, 
im  Anschlufs  an  die  oben  erwähnten  Biographien  Eschenloers  und  Ezechiels, 
noch  diejenigen  Nikolaus  Henels  von  Hennenfeld  (1582 — 1656)^),  Samuel 
Benjamin  Kloses  (1730 — 1798)*)  und  Gustav  Adolf  Harald  Stenzels  {1792 
bis  1854)  ').  Ausserdem  veröffentlichte  er  eine  Untersuchung  über  die  Hin- 
richtung des  Herzogs  Nikolaus  von  Oppeln  auf  dem  Neifser  Landtage  von 
1497  ^)  und  Die  Rechnung  Über  den  Peterspfennig  im  Ärchivdiakanat 
Oppdn  1447  >). 

Zur  Ortsgeschichte  der  schlesischen  Hauptstadt  hat  Markgraf,  gestützt 
auf  seine  intime  Kenntnis  der  Archivbestände  und  der  einschlägigen  Literatur, 
eine  stattliche  Reihe  von  Abhandlungen  und  Publikationen  beigesteuert.  Sie 
betreffen,  abgesehen  von  kleineren  Studien  und  Gelegenheitsschriften,  wie 
über  das  evangelische  Kirchenwesen '®)  und  das  Medizinalwesen  der  Stadt  ^^), 
über  Lessings  Beziehungen  zu  Breslau  ^%  über  die  Bilder  der  Breslauer  Rats- 
herren*'),  über  die  genealogischen  Studien  in  Breslau '*),  drei  grofse  Gebiete: 
die  Topographie  der  Stadt,  das  Stadtregiment  und  die  Geschichte 
des  Handels  von  Breslau.  Kürzere  Aufsätze  über  die  räumliche  Ent- 
Wickelung  und  die  Bauten  ^^)  sowie  über  die  Entfestigung  der  Stadt  ^^)  bereiteten 


i)  Script,  rer,  Säea.  X.  (1877). 

2)  Pablikat.  a.  d.  kgl.  Prenfs.  Staatearch.  VU  and  XVI  (1881  —  83). 

3)  Cod.  dipl.  Silcs.  XIV  (1889). 

4)  ZUchr.  f.  schl.  Gesch.  XXII  (i  888),  i  —  24  (Festvortr.  z.  25jähr.  Amtsjub.  C.  Grünbagens). 

5)  Ztscbr.   f.   schL  Gesch.  XXV  (i^9^)»  i~4i  (Glückvanschschrift  z.  70.  Geburts- 
tage E.  Reimanns). 

6)  Siksiaca.     Festschrift  f.  C.  Grünhagen  (1898),  S.  i~22. 

7)  Ztschr.  f.  Gesch.  Schles.  XXVI  (1872),  395—417. 

8)  Die  ChwaUtcU  auf  dem  Neißer  Landtage  von  1497.  Ztschr.  f.  Gesch.  Schles. 
XXn  (1888),  296—309. 

9)  Ztschr.  f.  Gesch.  Schles.  XXVn  (1893),  35^—3^3  (Glückwunschschrift  z.  50  jähr. 
Friesterjabil.  A.  Weltzcls). 

10)  Breslau  1877. 

11)  lo  J.  GräUer,  Danid  Gohl  und  Christian  Kundmann,     BresL,  Schottlfinder, 
1884. 

12)  Ztschr.  f.  Tergleiclk  Literatorgesch.  N.  F.  XII  (1899),  43 — ^^  v>  Schles.  Zeitnog 
1905  Febr.  9. 

13J  Schles.  Vorzeit  N.  F.  I  (1900),  87—99. 

14)  Schles.  Vorzeit  UI  (1879),  353—363. 

15)  In  Breslaus  Bauten,  hrsg,  vom  Architekten-  und  Ingemeur-Verdn,    Bresl. 
Trewendt,  1885.     Verbesserter  Abdruck  1894. 

16)  Ztechr.  f.  Gesch.  Schles.  XXI  (1887),  47-115. 


—     195     — 

die  gruDdlegendcD  topographischen  Werke  Der  Breslauer  Bing  und  seine 
Bedeutung  für  die  Stadt  ^)  und  Die  Straften  Breslaus  nach  ihrer  Geschichte 
tmd  ihren  Namen*)  vor,  Meisterstücke  gründlichen  Forscherfleifises ,  denen 
ädi  die  Ausgabe  imd  vortreflfliche  Übersetzung  der  ältesten  Heimatskunde 
Sdüesiens  und  insbesondere  Breslaus,  der  Descriptio  tocius  Silesie  et  ci^cUis 
rtgie  Vratislaviensis  von  Barthel  Stein')  anschliefst.  Zwei  Aufsätze 
Am  Breslaus  unruhigen  Zeiten  1418—14.26^)  und  Heing  Domping,  der 
Br&lauer  Hauptmann  (f  1491)^)^  welche  Wirren  im  Inneren  des  Rates 
behandeln,  stehen  mit  der  im  Verein  mit  Frenzel  besorgten  Ausgabe  des 
Bmiamer  Siadtbuches  nebst  Urkunden  zur  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  ^) 
m  Zusanmienhang.  Grofse  Umwälzungen  in  der  Stadtverwaltung  im 
XVm.  Jahrhundert  schildert  die  Finanz-  und  Verfassungsgeschichte  Breslaus 
imter  Friedrich  Wilhelm  IL  '').  Der  Handel  Breslaus,  die  Wurzel  semer 
Blüte  und  seines  Ansehens,  winkte  Markgraf  als  dritter  wichtiger  Gegenstand 
der  Forschung.  In  den  zugleich  topographischen  Studien  Breslau  als 
dadsehe  Stadt  vor  dem  Mongolenbrande  von  1241  %  Die  öffenilichen  Ver- 
harfsstätten  Breslaus^)  und  Zur  Geschichte  des  BresHauer  Kaufhauses ^^) 
hat  er  einige  Ergebnisse  seiner  Arbeiten  dargeboten,  auch  gelegentlich  kurze 
Überblicke  über  Breslaus  Handel  gegeben'*),  leider  ist  es  aber  dem  imermüd- 
Hdien  Forscher  nicht  mehr  beschieden  gewesen,  sein  Werk  durch  die  Ver- 
öSentHchtmg  der  von  ihm  gesammelten  Urkunden  zur  Handelsgeschichte 
Breslans  zu  krönen.  Als  Niederschlag  endlich  seiner  vielseitigen  Beschäftigung 
mit  der  Geschichte  der  Stadt  hat  Markgraf  eine  knapp  gehaltene,  aber  auf 
gröndlichen  Studien  beruhende  Geschichte  Breslaus  in  kurzer  Übersicht 
(Breslau,  Kern,   i888)  verfafst. 

Seine  wissenschaftliche  und  literarische  Tätigkeit  beschränkt  sich  selbst- 
mstandlich  nicht  auf  die  genannten  Arbeiten,  zahlreiche  kleinere  Abhand- 
loDgen  und  Mitteilungen  aus  den  verschiedensten  Gebieten  sind  u.  a.  in  der 
Zntsehrift  des  Vereins  für  Geschichte  Schlesiens,  den  Grenzboten,  der 
Mgemeinen  Deutschen  Biographie  niedergelegt.  In  seinem  Nachlafs  harrt 
Dodi  eme  Reihe  ztun  Teil  druckfertiger  Beiträge  zur  schlesischen  Geschichte 
der  Veröffentlichung.  Alle  Arbeiten  Markgrafs  zeigen  gediegene  Gründlichkeit, 
gesundes,  ungetrübtes  Urteil  und  lebhaftes  Interesse  für  den  Gegenstand  der 
Forschung,  dazu  die  Gabe  einer  klaren,  stets  streng  sachlich  gehaltenen, 
doch  von  warmer  Liebe  zur  Sache  gehobenen  Darstellung. 

I)  MiUeil.  a.  d.  StadUrch.  n.  d.  Sudtbibl.  I  (1894). 
3)  Mitteil.  a.  d.  StadUrch.  a.  d.  Sudtbibl.  n  (1896). 

3)  Script,  rer.  SU.  XVII,  1902.  (Zugleich  Festgabe  des  Vereins  f.  Gesch.  n.  Altert. 
ScUes.  £.13.  Deutsch.  Geographentage  1901.)  Die  deutsche  Übertetznng  allein  auch  als 
Mitteil  a.  d.  Stadtarch.  o.  d.  Stadtbibl.  VI  (1902). 

4)  Ztscbr.  f.  Gesch.  Schles.  XV  (1880),  63-99. 

5)  Ztschr.  f.  Gesch.  Schles.  XX  (1886),  157—196. 

6)  Cod.  dipl.  SUes.  XI  (1882). 

7)  Ztschr.  f.  Gesch.  Schles.  XXVUI  (1894),  1—80,  411—420. 

8)  ZUchr.  f.  Gesch.  Schles.  XV  (1881),  527—544. 

9)  Ztschr.  f.  Gesch.  Schles.  XVm  (1884),  171—208. 
10)  Ztschr.  f.  Gesch.  Schles.  XXU  (1888),  249—280. 

II)  Vgl.  OffLsieUer  Katalog  der  Schles,  Gewerbe-  u.  Industriea%$s8teüung 
^äku  1881,  I— Vm,  und  den  Bericht  über  einen  Vortrag  im  66.  Jahresber.  der 
ScMo,  Ges.  f.  Taterl.  Kultur  1888,  S.  305—307. 


—     196     — 

Wir  würden  Markgrafs  Bedeutung  für  die  schlesische  Landesgeschichte 
nicht  richtig  bewerten,  ohne  sein  Wirken  im  Verein  für  Geschichte 
Schlesiens  und  als  Leiter  der  ihm  unterstellten  gelehrten  Institute  zu 
würdigen.  Stets  für  die  Bestrebungen  des  Vereins  lebhaft  interessiert,  in 
freundschaftlichem  Verkehr  mit  den  Hauptvertretern  der  schlesischen  Ge- 
schichtsforschung wie  Grünhagen,  Luchs,  Pahn,  Reimann,  gehörte  er  ihm 
seit  1872  als  Vorstandsmitglied,  seit  1905  als  Vorsitzender  an.  Neben 
Grünhagen  war  er  die  Seele  der  wissenschaftlichen  Bestrebungen  des  Vereins, 
besonders  mit  Erfolg  bemüht,  jüngere  Kräfte  zur  Mitarbeit  zu  gewinnen. 
Der  Verein  verdankt  ihm  eine  Darstellung  der  Geschichte  seiner  ersten 
50  Jahre  (Breslau,  Max  &  Co.,  1896)  wie  auch  eine  Skizze  über  die  Be- 
deutung und  die  Leistungen  seiner  Zeitschrift  ^),  der  vielen  Beiträge  zu  der- 
selben und  der  gediegenen  Vorträge  in  den  Vereinssitzungen  nicht  zu  gedenken; 
den  Vereinsaufgaben  diente  auch  eine  im  Auftrage  der  schlesischen 
Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur  verfafste  Denkschrift  Über 
die  Bildung  einer  historischen  Kommission  gur  Verzeichnung  der  in  der 
Provinz  Schlesien  zerstreuten  Archivalien  (1900).  Die  leider  zu  kurze  Zeit 
von  Markgrafs  Präsidium,  auf  das  man  grofse  Hoffnungen  setzte,  brachte 
dem  Verein  ein  aus  eigenster  Initiative  entsprungenes  umfassendes  Arbeits- 
programm für  die  nächsten  Jahre. 

Die  Stadtbibliothek  und  das  Stadtarchiv  zu  Breslau  hat  Markgraf 
in  den  30  Jahren  seiner  Amtstätigkeit  zu  hohem  Ansehen  in  der  wissen- 
schaftlichen Welt  gebracht,  durch  sein  hingebendes  Wirken  und  den  Einflufe 
seiner  Persönlichkeit  sind  sie  Brennpunkte  des  geistigen  Lebens  der  Provinz 
und  der  landesgeschichtlichen  Forschung  insbesondere  geworden.  In  den 
Mitteilungen  aus  dem  Stadtarchiv  und  der  Stadthihliothek  *)  schuf  ihr  Leiter 
ein  eigenes  Organ  für  die  Ortsgeschichte;  die  Entwickelung  der  ihm  unter- 
stellten Anstalten  hat  er  in  einer  Geschichte  des  städtischen  Urkunden- 
archivs  zu  Breslau  *)  und  einem  kürzeren  Aufsatz  über  die  Stadtbibliothek  *) 
geschildert.  Der  stille  Einflufs,  den  Markgraf  als  Kenner  der  ihm  anvertrauten 
archivalischen  und  Bücherschätze  und  als  vielseitiger  Forscher  von  reichem 
Wissen  auf  ältere  und  jüngere  Gelehrte  ausgeübt  hat,  ist  eines  seiner  hervor- 
ragendsten Verdienste  um  die  Landesgeschichte.  Jene  fanden  in  ihm  den 
kenntnisreichen  Berater,  diese  den  stets  bereiten  Helfer,  der  es  vortrefflich 
verstand,  zu  fördern  und  zu  leiten,  ohne  die  Selbständigkeit  des  Schaffens 
zu  beeinträchtigen.  Nicht  selten  überliefs  er  anderen  das  von  ihm  über  einen 
Gegenstand  zusammengetragene  Material,  um  ihnen  förderlich  zu  sein;  ihm 
war  die  Wissenschaft  wirkliche  Herzenssache  und  nicht  ein  Tummelplatz  für 
eigenen  Ehrgeiz.  Auf  wie  verschiedenen  Gebieten  Markgraf  wissenschafüiche 
Bestrebungen  gefördert  hat,  dafür  mögen  als  Beispiele  d^e  Landeskunde  v(m 
Schlesien  von  Part  seh,  das  Verzeichnis  der  schlesischen  Kunstdenkmäkr 
von  Lutsch  und  die  münzgeschichtlichen  Schriften  Friedensburgs  ge- 
nannt werden,  an  denen  er  in  seiner  Weise  mit  Rat  imd  Tat  mitgearbeitet 
hat     Markgrafs  Selbstlosigkeit  in  wissenschafUichen  Dingen  war  der  Ausflufs 

i)  Schles.  Zeitung  1881,  Nr.  20$,  207. 

2)  Vgl.  diese  Zeitschrift  i.  Bd.  (1900),  S.  29a — 293. 

3)  Archifal.  Zeitschr.  HI  (1878),  1—27. 

4)  Schles.  Zeilang  1881,  Nr.  163. 


—     197     -- 

eines  Charakters  von  seltener  Lauterkeit,  Gradheit  und  Herzensgüte,  der 
ihn  allen,  die  seinen  Einflufs  erfahren  haben,  unvergefslich  machen  wird. 
Möge  er  den  schlesischen  Geschichtsforschern  stets  als  Vorbild   erscheinen! 

Otfried  Schwarzer. 


Am  I.  März  1906  starb  in  Göttingen  nach  kurzer  Krankheit  der 
Ordinarius  für  deutsche  Philologie  Moriz  Heyne.  In  ihm  verliert  die 
Gcorgia-Augusta  einen  ihrer  bekanntesten  und  erfolgreichsten  Lehrer,  die 
deutsche  Altertumswissenschaft  einen  hervorragenden  Forscher  von  starker 
Eigenart.  Wie  wenige  der  heute  lebenden  Germanisten  verband  er  Sprach- 
v^senschaft  und  Altertumskimde  zu  einem  höheren  Ganzen.  Freilich  war 
diese  Vereinigung  von  Wort-  und  Sachphilologie,  wie  Heyne  sie  von  seinen 
Schülern  verlangte  und  wie  er  selber  sie  im  besten  Sinne  repräsentierte,  von 
pnz  eigener  Art:  sie  kam  im  wesentlichen  nur  zwei  gröfseren  Ausschnitten 
ans  den  beiden  grofsen  Gebieten  zugute,  der  Lexikographie  und  der  Alter- 
tumskunde im  engeren  Sinne.  Wenn  Heyne  auch  in  seinen  Vorlesungen 
bis  an  sein  Ende  das  Gesamtgebiet  der  deutschen  Philologie  umspannte,  so 
hat  doch  seine  wissenschaftliche  Tätigkeit  schon  früh  die  grammatischen, 
textkritischen  und  literarhistorischen  Aufgaben  beiseite  geschoben  und  sich 
auf  die  genannten  zwei  Gebiete  konzentriert.  Hier  liegen  seine  grofsen, 
bleibenden  Verdienste:  Lexikographie  und  Altertumskunde  hat  seit 
Jakob  Grimm  niemand  wieder  in  solch  innerlichen  Zusammenhang  gebracht. 
Diese  Beschränkung  seiner  wissenschaftlichen  Tätigkeit  auf  ein  engeres  Stoff- 
gebiet entspricht  ganz  der  natürlichen  Veranlagung  des  Mannes. 

Einer  einfachen  Bürgerfamilie  entstammend,  ist  Moriz  Heyne  in  den 
Zeiten  der  liberalen  Ära  aufgewachsen.  Zeit  seines  Lebens  hat  er  sich 
deshalb  gewisse  demokratische  Züge  bewahrt,  die  ihn  zum  Liebling  der 
Börgerkreise,  in  Basel  sowohl  wie  in  Göttingen,  machten  und  ihm  die  Herzen 
der  studierenden  Jugend  im  Sturm  gewannen.  Im  innersten  Herzen  aber 
gab  es  wohl  kaum  einen  konservativeren  Mann  als  ihn.  Seine  menschliche 
ttud  wissenschaftliche  Entwickelung  ist  schnell  vor  sich  gegangen,  nur  kurze 
Zeit  ist  er  ein  Stürmer  imd  Dränger  gewesen,  dann  stand  der  fertige  Mensch 
da,  der  sich  mit  klarem  Blicke  seine  Ideale  geformt  und  seine  wissenschaft- 
lichen Spezialgebiete  bestimmt  hatte.  Diesen  Idealen  ist  er  bis  an  sein  Ende 
treu  geblieben,  und  seine  wissenschaftliche  Eigenart  hat  er  von  allen  ihn 
umflutenden  Schulmeinungen  unabhängig  zu  behaupten  gewufst. 

Eine  unverwüstliche  Arbeitskraft,  schnelle  Konzentrationsgabe,  ein  sicherer 
praktischer  Blick  ftir  das  Erreichbare,  und  nicht  zum  mindesten  die  dem 
Thüringer  eigene  fröhliche  Unternehmungslust  haben  Moriz  Heyne  Zeit  seines 
Lebens  ausgezeichnet.  Sie  haben  ihm  vor  allem  über  die  ersten  schweren 
Jahre  hinweggeholfen,  als  sich  der  aufstrebende  junge  Mann  unter  unsäglichen 
Schwierigkeiten  den  Zugang  zur  Universität  imd  die  Grundlagen  seiner  wissen- 
schaftlichen Ausbüdung  erkämpfen  mufste.  Seine  Sporen  verdiente  sich  der 
juoge  Germanist  mit  einer  grammatischen  Arbeit,  der  Kurzen  Grammatik  der 
cäyermanischen  Dialekte.  I.  Teil:  Laut-  und  Flexionslehre  (Paderborn  1862, 
4«  Aufl.  1880).  Er  pflegte  sie  in  späteren  Jahren  wohl  seine  „Jugendsünde" 
tu  nennen ;   für  seine  Zeit  war  das  Buch  jedoch  von  grofser  Bedeutung,  es  bot 


—     198     — 

den  Anfängern  eine  vortrefifliche  Einführung  in  das  grofise  Werk  Jakob  Grimms 
und  daneben  zugleich  vieles  Eigene,  u.  a.  die  erste  wissenschaftliche  Be- 
arbeitung des  altfriesischen  Sprachgutes.  Es  folgt  die  grofse  Reihe  von 
Ausgaben  der  ältesten  deutschen  Literaturdenkmäler,  mit  denen  Moriz  Heyne 
die  ersten  brauchbaren  Handexemplare  für  den  akademischen  Unterricht 
schuf.  Den  zuverlässigen  Texten  des  Ulfilas,  Beowulfs,  Heliands  und  der 
kleineren  altsächsischen  Denkmäler  ist  jedesmal  ein  ausführliches,  genaues 
Glossar  beigegeben,  das  diesen  Ausgaben  auch  heute  noch  ihren  bleibenden 
Wert  verleiht.  Voll  entfalten  konnte  sich  Moriz  Heynes  hervorragende 
lexikographische  Begabung  aber  erst,  als  er  1867  als  Mitarbeiter  an  das 
Deutsche  Wörterbuch  der  Gebrüder  Grimm  berufen  wurde.  Diesem  grolsen 
nationalen  Werke  hat  er  fast  drei  Jahrzehnte  seines  Lebens  gewidmet  und 
von  allen  Mitarbeitern  bei  weitem  den  gröfsten  Anteil  geliefert.  Die  Arbeit 
am  Wörterbuche  duldete  lange  Jahre  nur  noch  die  akademische  Lehrtätigkeit 
neben  sich.  1869  als  Nachfolger  Wilhelm  Wackernagels  nach  Basel 
berufen,  wirkte  Heyne  von  1869 — 1883  an  der  dortigen  Hochschule,  dann 
wurde  für  ihn  in  Göttingen  eine  neue  Professur  eingerichtet.  Die 
Göttmger  Wörterbuchschule  wurde  jetzt  die  Zentrale  für  das  Grimmsche 
Wörterbuch;  ein  geschulter  Stab  von  Mitarbeitern  wuchs  heran,  und  mit 
berechtigtem  Stolze  konnte  der  Meister  sich  und  seine  Helfer  am  Wörter- 
buche mit  einem  „wohleingespielten  Quartette"  vergleichen.  Heynes  Beiträge 
zum  Deutschen  Wörterbuche  zeichnen  sich  aus  durch  ihre  klare  präzise 
Fassung,  ihre  gedrungene,  kernige  Form  und  vor  allem  durch  die  iimige 
Durchdringung  sprachgeschichtlicher  und  antiquarischer  Kenntnisse,  wie  sie 
nur  Heyne  besafs.  Die  Quintessenz  seiner  lexikographischen  Arbeiten  hat 
Moriz  Heyne  in  seinem  eigenen  Deutschen  Wörterbuche  (Leipzig  1890  bis 
1895,  3  Bde.;  kleine  Ausgabe  1896)  niedergelegt,  das  streng  wissenschaft- 
lichen Gehalt  mit  gefälliger  Form  und  praktischer  Handlichkeit  vereinigt. 

Seit  1895  hat  Heyne  die  Arbeit  am  Grimmschen  Wörterbuche  im 
wesentlichen  seinen  Assistenten  überlassen,  er  selbst  wandte  sich,  der  jahr- 
zehntelangen Wörterbucharbeit  doch  einigermafsen  müde,  jetzt  endlich  dem 
Gebiete  der  reinen  Altertumsforschung  zu.  Mit  der  Begeisterung  und 
Frische  eines  Jünglings  machte  er  sich  an  die  Ausarbeitung  des  Werkes, 
das  ihm  schon  jahrzehntelang  als  das  letzte  Ziel  seiner  wissenschaftlichen 
Tätigkeit  vorgeschwebt  hatte  und  wirklich  sein  reifstes  Werk  geworden  ist: 
die  Fünf  Bücher  Deutscher  Hausaltertümer  von  den  ältesten  geschichtliche 
Zeiten  bis  zum  XVL  Jahrhundert  (Leipzig  1899  ff.).  Mit  wachsendem  Staunen 
sah  die  gelehrte  Welt  einen  inhaltreichen  Band  des  Werkes  nach  dem  anderen 
in  kurzen  Zwischenräumen  erscheinen.  Der  Aufbau  des  ganzen  Werkes  hatte 
dem  Verfasser  offenbar  schon  längst  klar  vor  Augen  gestanden,  reiche 
Sammlungen  die  Ausarbeitung  beschleunigen  helfen,  mehr  aber  noch  als 
auf  alle  Zettelkasten  vertraute  der  Ausarbeitende  seinem  immensen  Gedächt- 
nisse, das  die  Erfahrungen  eines  ganzen  Lebens  treulich  bewahrt  hatte. 
Aber  gerade  deshalb  mufs  das  grofs  angelegte  Werk  jetzt  ein  Torso  bleiben, 
niemand  karm  hier  an  Heynes  Stelle  treten.  Erschienen  sind  bisher  Bd.  i 
(1899):  Das  deutsche  Wohnungswesen,  Bd.  2  (1901):  Das  deutsche  Nah- 
rungswesen  und  Bd.  3  (1903):  Körperpflege  und  Kleidung  bei  den  Deutschen. 
Der  4.  Band  (Gewerbe  und  Handel)  ist  bis  zur  Hälfte   im  Manuskript  voll- 


—     199     — 

endet  und,  so  wie  Heyne  arbeitete,  vollständig  druckfertig.  Alles  übrige  ist 
mit  Heynes  Tode  verloren  gegangen,  vor  allem  der  ganze  5.  Band,  der  eine 
Beschreibung  der  deutschen  Sitte  bringen  sollte. 

Die  Hausaltertümer  Heynes  reihen  sich  den  verwandten  Werken  Jakob 
Grimms  würdig  an ;  Heyne  hat  Jakob  Grinmis  Arbeitsweise,  die  Bezeichnungen 
der  Sprache  ab  Ausgangspunkt  flir  die  Erkenntnis  der  Realien  zu  wählen, 
weitergebildet  und  vertieft.  Nicht  die  stunmien  2^ugnisse  der  Prähistorie 
zieht  er  heran,  sondern  die  redenden  Denkmäler  der  historischen  und 
literarischen  Epochen,  und  nicht  umsonst  schliefst  er  im  Titel  seiner  Haus- 
altertümer die  prähistorische  Zeit  ausdrücklich  aus.  Dieselbe  Bevorzugung 
der  kulturhistorischen  Altertümer  vor  den  prähistorischen  läfst  sich  übrigens 
auch  da  bemerken,  wo  Heyne  daran  ging,  im  Dienste  der  Öffentlichkeit  die 
Altertümer  einer  Gegend  zu  sammeln  und  zu  konservieren.  Keiner  war 
dazu  geeigneter  als  er:  er  hat  in  Basel  die  von  seinem  Vorgänger  Wilhelm 
Wackemagel  begründete  Historische  Sammlung  erst  recht  in  die  Höhe  ge- 
bracht, tmd  er  hat  in  Göttmgen,  als  er  den  Arbeiten  an  den  Hausaltertümem 
näher  trat,  eine  Altertumssammlung  fast  aus  dem  Nichts  geschaffen,  die  heute 
eine  2erde  der  Stadt  bildet.  Diese  Altertumssanmilung  und  der  eng  damit 
lerknüpfte  Verein  für  Geschichte  Göttingens*)  haben  Heynes 
Namen  in  der  Stadt  Göttingen  überaus  populär  gemacht.  Er  war  die  Seele 
dieser  seiner  beiden  Schöpfungen  und  hing  mit  ganzem  Herzen  an  ihnen;  hat 
er  doch  sogar  schliefslich  den  ehrenvollen  Ruf,  als  Nachfolger  Essenweins  an 
das  Germanische  National-Museum  nach  Nürnberg  zu  gehen,  abgelehnt 

Moriz  Heyne  hat  keine  eigentliche  „Schule**  im  gelehrten  Sinne  hinter- 
lassen, aber  eine  grofse  Zahl  dankbarer  Schüler  trauert  in  Schule,  Universität 
und  Museumskreisen  dem  humanen,  anregenden  Lehrer  nach,  und  zwei 
deutsche  Universitätsstädte,  an  den  entgegengesetzten  Enden  des  deutschen 
Sprachgebietes  gelegen,  haben  in  ihm  ihren  „Ehrenbürger**  verloren,  der  in 
weitesten  Kreisen  das  Interesse  für  deutsche  Sprache  und  deutsches  Altertum 
za  beleben  gewufst  hat.  Conrad  Borchlbg  (Göttingen). 

PreisausscllFelbcn.  —  Die  Königliche  Akademie  gemeinnütziger 
Wissenschaften  zu  Erfurt  hat  beschlossen,  für  das  laufende  Jahr  eine  Preis- 
angabe aus  dem  Gebiet  der  vaterländischen  Geschichte  zu  stellen.  Das 
Thema  soll  lauten:  Der  sächsische  Bruderkrieg  (1446 — 1451).  Gefordert 
wird  eine  auf  archivalischer  Forschung  beruhende  Darstellung  der  Ursachen 
znm  Streit  und  des  Verlaufs  des  Krieges.  Als  Ausgangspunkte  der  Unter- 
suchung werden  empfohlen:  Der  Anfall  Thürbgens  an  das  Haus  Sachsen, 
die  gemeinschaftliche  Regierung  Friedrichs  und  Wilhelms  bis  1445,  der 
Altenburger  Teilungsvertrag  und  der  Hallische  Machtspruch,  sowie  die  Politik 
der  Gebrüder  Apel  und  Busso  Vitztum.  Die  Darstellung  hat  auf  die  politische 
nnd  militärische  Zerrüttung  des  Reichs,  wie  sie  unter  den  letzten  Lützel- 
borgem  und  den  beiden  folgenden  Habsburgem,  besonders  unter  Friedrich  III. 
2Qtage  tritt,  Bezug  zu  nehmen,  desgleichen  auf  das  Fehlen  von  Rechts- 
institutionen zur  Beilegung  von  Streitigkeiten  unter  den  Fürsten  tmd  auf  die 

i)  VgL  die  seit  1893  erscheinenden  Protokoüe  Über  die  SiUmngen  des  Vereins 
fir  die  GeeMehU  GöUingene,  die  bis  zam  3.  Heft  des  3.  Bmndes  gediehen  sind. 


—     200     — 

Ohnmacht  des  Reichsoberhauptes.  Auch  die  Schädigung  der  kulturellen 
Entwickelung  der  von  dem  Kriege  heimgesuchten  Landschaften  ist  bei  der 
Darstellung  zu  berücksichtigen.  Die  Abhandlung  ist  sauber  und  deutlich 
auf  gebrochenen  Foliobogen  zu  schreiben  und  in  edler,  allgemeinverständ- 
licher deutscher  Sprache  abzufassen.  Ein  Verzeichnis  der  benutzten  Quellen 
ist  beizufügen.  Arbeiten,  welche  diesen  Anforderungen  nicht  entsprechen, 
bleiben  unberücksichtigt.  Auf  die  beste  der  einlaufenden  Arbeiten  ist  ein 
Preis  von  500  Mark  als  Honorar  gesetzt  Der  Verfasser  tritt  das  Eigen- 
tumsrecht an  die  Königl.  Akademie  ab,  welche  ausschliefslich  befugt  ist, 
dieselbe  durch  den  Druck  zu  veröffentlichen.  Bewerber  werden  ersucht,  ihr 
Manuskript  bis  zimi  i.  April  1907  an  das  Senatsmitghed  Herrn  Oberlehrer 
und  Bibliothekar  Dr.  Emil  Stange  hierselbst  einzusenden.  Dasselbe  ist 
mit  einem  Motto  zu  versehen,  darf  aber  den  Namen  des  Verfassers  nicht 
enthalten.  Ein  versiegeltes  Kuvert  mit  gleichlautendem  Motto  ist  beizufügeo, 
welches  die  vollständige  Adresse  des  Verfassers  enthält.  Die  Bewerber  werden 
im  Laufe  des  Jahres  1907  von  dem  durch  das  Preisrichterkollegium  ge- 
fällten Urteil  in  Kenntnis  gesetzt.  Die  nicht  prämiierten  Arbeiten  werden 
vernichtet,  falls  nicht  die  Verfasser  bei  JEinreichung  ihrer  Abhandlung  unter 
Beifügung  des  Portobetrages  den  ausdrücklichen  Wunsch  der  Rücksendung 
aussprechen.  Auf  weiteren  Schriftwechsel  wird  sich  die  Königliche  Akademie 
nicht  einlassen. 


Die  Oberlausitzische  Gesellschaft  der  Wissenschaften  wünscht  eine  wissen- 
schaftliche Bearbeitung  des  Themas  Geschichte  des  siebenjährigen 
Krieges  in  der  Obedausitz.  Der  Preis  beträgt  500  Mark,  dazu  werden 
noch  32  Mark  für  jeden  Druckbogen  Autorengeld  bezahlt.  Die  Arbeiten 
sind  in  der  bekannten  üblichen  Weise  (Namen  in  verschlossenem  Brief- 
lunschlag,  Kennwort)  bis  zum  i.  Januar  igo8  an  den  Gesellschaflssekretär 
Professor  Dr.  Je  cht  in  Görlitz  einzuliefern.  —  Urkundliche  Quellen  zu  der 
Arbeit  sind  reichlich  in  den  Archiven  der  Oberlausitzer  Städte,  sowie  im 
Hauptstaatsarchiv  zu  Dresden,  auch  sonst  in  Schlofs-  und  Kirchenarchiveu 
vorhanden.  Es  kommt  hauptsächlich  darauf  an,  die  Sonderforschungen  an 
die  gesicherte  Grundlage  des  Generalstabswerkes  anzusclüiefsen  und  eine 
streng  wissenschaftliche  Arbeit  bleibenden  Wertes  zu  liefern. 


Zwei  Geschlechtsgenossen  der  Familie  von  Lüttwitz  setzen  einen  Preis 
von  1000  Mark  aus  für  den,  der  urkundlich  die  Urheimat  des  von 
Lüttwitzer  Geschlechts  nachweist  Die  Aufgabe  erscheint  gelöst  und 
der  Preis  gewonnen,  wenn  der  Zusammenhang  der  Glogauischen  von  Lüttwitz 
(von  Lupticz)  mit  den  Oberlausitzer  von  Luptitz  (auf  Herwigsdorf  bei  Löbau) 
gefunden  ist,  oder,  was  auf  dasselbe  hinausläuft,  wenn  ein  Siegel  der  Ober- 
lausitzer von  Luptitz  entdeckt  wird  und  dieses  sich  als  gleich  dem  der 
Glogauischen  von  Lüttwitz  ergibt.  Näheres  teUt  der  Herr  Kaiserliche  Lega- 
tionsrat a.  D.  Freiherr  von  Lüttwitz  in  Herischdorf  bei  Warmbnmn  mit. 


—     -201      — 

Die  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  setzt  aus  der  Mevissen- 
Stiftung  auf  die  Jx)sung  folgender  Preisaufgaben  Preise  aus:  i.  Geschichte 
des  Kölner  Stapels,  a.  Die  rheinische  Presse  unter  französischer 
Herrschaft,  3.  Die  Glasmalerei  in  den  Rheinlanden  vom  XIII.  bia 
zum  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts.  Der  Preis  beträgt  für  i  und  2 
je  2000  Mark,  für  3  jedoch  3000  Mark.  Bewerbungsschriften  sind  bis  zum 
L  Juli  1908  an  den  Vorsitzenden  Archivdirektor  Professor  Dr.  Hansen 
in  Köln  einzusenden. 

Eln&:egaiigene  Bflcher. 

Beck:  Festschrift  zur  Feier  des  dreihundertjährigen  Bestehens  des  Gymna- 
sium Casimirianum  in  Coburg  1605 — ^9^5-  Coburg,  Druck  von  Rob. 
Domheim.     251  S.  8®. 

Dyhrenfurth,  Gertrud:  Ein  schlesisches  Dorf  und  Rittergut.  Geschichte 
und  soziale  Verfassung.  [=  Staats-  und  sozialwissenschaftliche  For- 
schungen, herausgegeben  von  Gustav  Schmoller  und  Max  Sering. 
Bd.  XXV.,  Heft  2.]  Leipzig,  Duncker  &  Humblot  1906.  178  S.  8». 
M.  4,20. 

Engclke:  Das  Gogericht  auf  dem  Desum  [=  Jahrbuch  für  die  Geschichte 
des  Herzogtums  Oldenburg,   14.  Band  (Oldenburg  1905),  S.   i — 87]. 

Erben,  Wilhelm:  Beiträge  zur  Geschichte  der  Landsknechte  [=  Mittei- 
lungen des  k.  u.  k.  Heeresmjiseums  im  Artilleriearsenal  in  Wien,  3.  Heft 
(Wien  1905),  S.  96—  120]. 

Fester,  Richard:  Franken  und  die  Kreisverfassung  [=  Neujahrsblätter, 
herausgegeben  von  der  Gesellschaft  für  Fränkische  Geschichte  I.].  Würz- 
burg, H.  Stürtz  1906.     77   S.  80. 

Feuereisen,  Arnold:  Livländische  Geschichtsliteratur  1903.  Riga,  N. 
Kymmel  1905.     82  S.  8®. 

Hcnschel,  Adolf:  Johaim  Heermann  [=  Schriften  für  das  deutsche  Volk^ 
herausgegeben  vom  Verein  für  Reformationsgeschichte  Nr.  42].  Halle 
a.  S.,  Konmiissionsverlag  von  Rudolf  Haupt  1905.     28  S.   16®. 

Hofmeister,  H.:  Die  Gründung  der  Universität  Helmstedt  [«=»  Zeitschrift 
des  Historischen  Vereins  für  Niedersachsen,  Jahrgang  1904,  S.  127 — 198]. 

Hatte r,  Franz:  Geschichte  Schladmings  und  des  steirisch - salzburgischen 
Ennstales.  Mit  vielen  Abbildungen.  Grag,  Ulrich  Moser  (J.  Meyerhoff) 
»906.     395  S.  80. 

Knebel,  Wilhelm:  Kaiser  Friedrich  IL  und  Papst  Honorius  III.  in  ihren 
gegenseitigen  Beziehungen  1220 — 1227.  Dissertation  der  Universität 
Münster.     Münster,  Regensberg  1905.     151  S.  8®. 

Kohl:  Das  älteste  Oldenburger  Stadtbuch  [=  Jahrbuch  für  die  Geschichte 
des  Herzogtums  Oldenburg,  14.  Band  (Oldenburg  1905),  S.  120 — 124]. 

Koldc,  Theodor:  Die  älteste  Redaktion  der  Augsburger  Konfession  mit 
Mdanchthons  Einleitung,  zum  erstenmal  herausgegeben  und  geschichtlich 
gewürdigt.     Gütersloh,  C.  Bertelsmann  1906.     115  S.  8®.     M.  2,00. 

K  ramm  er,  Mario:  Wahl  und  Einsetzung  des  Deutschen  Königs  im  Ver- 
hältnis zueinander  [=  Quellen  und  Studien  zur  Verfassungsgeschichte 
des  Deutschen  Reichs  in  Mittelalter  und  Neuzeit,  Bd.  I,  Heft  2]. 
Weimar,  Hermann  Böhlaus  Nachfolger  1905.     112  S.  8®.     M.  4,00. 


—     202     — 

Korn,  Richard:  Kriegsbaumeister  Graf  Rochus  zu  Linar,  sein  Leben  und 
Wirken.     Dresden-N.,  C.  Heinrich.     140  S.  8*.     M.  5,00. 

Lobe,  Rudolf:  Zur  Geschichte  des  deutschen  Zunftwesens  während  seiner 
Blütezeit,  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Städte  Altenburg  und  Eisen- 
berg, S.-A.  [«»  Mitteilungen  des  Geschichts-  und  Altertumsforschenden 
Vereins   zu   Eisenberg,    19.  Heft  (Eisenberg  1904),  S.   i — 73]. 

Meysenbug,0.  Freiherr  von :  Beiträge  zur  Geschichte  musikalischen  und  Üiea- 
tralischen  Lebens  in  Detmold.  I:  Louis  Spohr  und  seine  Beziehungen 
zu  Detmold  [=  Mitteilungen  aus  der  lippischen  Geschichte  und  Landes- 
kunde III  (Detmold  1905).     S.   177 — 204]. 

Schumann,  Colmar:  Lübeckisches  Spiel-  und  Rätselbuch.  Lübeck,  Gebr. 
Borchers.     208  S.  8^     M.   1,50. 

Transehe- Rosen  eck,  Astaf  von:  Zur  Geschichte  des  Lehnswesens  in 
Livland.  Teil  I :  Das  Mannlehen  [=  Mitteilungen  aus  der  livländischen 
Geschichte,  18.  Bd.,  i.  Heft,  Riga  1903].     309  S.  8®. 

Varrentrapp,  C.:  Landgraf  Philipp  von  Hessen  und  die  Universität 
Marburg.  Rede,  gehalten  bei  der  Marburger  Universitätsfeier  seines 
400.  Geburtstags.     Marburg,  Elwert,   1904.     47  S.  8**. 

Velden,  Adolf  von  den:  Wert  und  Pflege  der  Ahnentafel  [=  Mitteilungen 
der  Zentralstelle  ftir  deutsche  Personen-  und  Familiengeschichte,  i .  Heft, 
(Leipzig,  Breitkopf  imd  Härtel,   1905),  S.   17 — 22]. 

Verlegerlisten  ftir  Schriftsteller,  herausgegeben  von  der  Redaktion  der 
„Feder"  [=  Schriftstellerbibliothek  Nr.  3].  Berlin,  Federverlag  (Max 
Hirschfeld).     141  S.  8». 

Wanger  in,  Ernst:  Johan  Bauer,  schwedischer  Feldmarschall  im  30  jährigen 
Kriege,  eine  biographische  Skizze.  I.  Bauers  Leben  bis  zur  Landung 
Gustav  Adolfs  in  Deutschland  (1596 — 1630).  [=  Programm  der 
städtischen  höheren  Mädchenschule  in  Duisburg,   1905].     37  S.  4^. 

Weber,  Ottocar:  Die  Entstehung  der  Porzellan-  und  Steingutindustrie  in 
Böhmen  [=  Beiträge  zur  Geschichte  der  deutschen  Industrie  in  Böhmen« 
herausgegeben  vom  Vereine  ftir  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  III]. 
Prag,  in  Konmiission  bei  H.  Dominions,  1894.     128  S.  8^. 

Weg  euer,  Ph. :  Verhandlungen  über  eine  Schulreform  an  der  Greifewalder 
Stadtschule  im  XVIII.  Jahrhundert  [=  Pommersche  Jahrbücher,  5.  Bd. 
(Greifswald,  Julius  Abel,   1904),  S.   i — 52]. 

Wenck,  Karl:  Landgraf  Philipp  der  Grofsmütige.  Rede,  gehalten  auf  der 
7.  Jahresversammlung  der  historischen  Kommission  ftir  Hessen  und 
Waldeck  am  7.  Mai  1904  [=  Sonderabdruck  aus  der  Zeitschrift 
des  Vereins  ftir  hessische  Geschichte  und  Landeskunde,  Neue  Folge 
28.  Bd.  (Marburg,  Elwert,  1904)].     13  S.  8®. 

Wolfart:  Die  Patriziergesellschaft  zum  Sünfzen  in  Lindau  [«>  Separatabdnick 
aus  den  Schriften  des  Vereins  ftir  Geschichte  des  Bodensees,  32.  Heft 
(1903)].     21  S.  8^ 

Zahn,  Joseph  von:  Styriaca,  Gedrucktes  und  Ungedrucktes  zur  steiermär- 
kischen  Geschichte  und  Kulturgeschichte.  Neue  Folge,  2.  Bd.,  des 
ganzen  Werkes  3.  Bd.  Graz,  Ulrich  Moser  (J.  Meyerhoflf),  1905. 
189  S.  8^     M.  3,60. 

Her»iugeb«r  Dr.  Annin  Tille  in  Iioipgif. 
Druck  nnd  VerUf  ron  Friedrich  Andreas  Perthes,  AkdenfeteUschaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatssclirift 


lur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

VII.  Band  Mai  1906  8.  Heft 


SS 


Die  H&usforsehung, 

in  Horddeutsehland 


Von 
WüU  Pefsler  (Hannover) 

Die  Hausforschung  erfreut  sich  in  sichtlich  steigendem  Mafse  der 
lebhaften  und  begeisterten  Förderung  seitens  mannigfacher  Wissen- 
schaften: Historiker,  Geographen,  Germanisten  und  Architekten  wett- 
cifem,  das  deutsche  Bauernhaus  in  seiner  Entwickelung,  Verbreitung, 
kulturellen  und  technischen  Bedeutung  zu  erkennen,  jeder  durch  die 
Methode  seines  Faches  die  anderen  ergänzend,  auf  deren  Mithilfe  er 
seinerseits  angewiesen  ist.  Aus  dieser  Vielseitigkeit  der  Aufgabe  er- 
idärt  sich  die  erfreuliche  Beteiligung  vieler  an  ihrer  Lösung,  zugleich 
aber  auch  die  Höhe  der  Anforderungen,  die  sie  an  den  stellt,  der  sie 
selbsttätig  vorwärtsbringen  will;  hat  man  doch  halb  entmutigt  be- 
liauptet,  bisher  sei  überhaupt  noch  kein  Hausforscher  völlig  aus- 
gerüstet an  die  Arbeit  gegangen!  Diese  unvermeidliche  Einseitigkeit 
rächt  sich  nicht  so  sehr  am  Techniker,  der  durch  die  zeichnerische 
Aufiaahme  seines  Objektes  eine  einwandfreie  Grundlage  geschaffen 
hat,  als  vielmehr  an  jenen,  welche  unrichtig  oder  unvollständig  Ge- 
schautes  ihrer  Betrachtung  zugrunde  legen,  denn  die  Hauptsache  bleibt 
das  technische  Verständnis,  wenn  man  die  konstruktiven  Unterschiede 
<icr  Stiiarten  und  oft  die  einfachsten  Abweichungen  in  ihrer  Begrün- 
<hmgr  verstehen  will.  Leider  verlieren  meine  Ausführungen,  da  Ab- 
Mdungen  hier  nicht  g^t  eine  Stelle  finden  können,  an  Anschaulich- 
keit und,  da  der  Text  zum  Deutschen  Bauernhause,  dieser  nach  der 
technischen  und  künstlerischen  Seite  hin  mustergültigen  Leistung  unserer 
Architekten  *),  mit  der  letzten  der  zehn  Lieferungen  noch  immer  aus- 
steht, an  Vollständigkeit. 

Zunächst  einige  Worte   über   die   geschichtliche  Bedeutung   der 

t)  Dm  Bumemhaus  im  Deutschen  Reich,  herausgegeben  vom  Gesamtrerein  der 
I)catftdien  Architekten-  and  logenieorvereine  (Dresden  1899— 1906). 

15 


—     204     — 

Hausforschung.  Als  eines  der  ursprünglichsten  und  wichtigsten  Kultur- 
erzeugnisse hat  der  ländliche  Wohnbau  eine  interessante  Entwickeluogs- 
geschichte.  Dafür,  wie  gering  bis  heute  die  gesicherten  Forschungs- 
ergebnisse sind,  liefert  vielleicht  den  besten  Beweis  der  Umstand,  dass 
Alwin  Schultz  in  seinem  zusammenfassenden  Werke  Das  häudiche 
Leben  der  europäischen  Kulturvölker  vom  MittdaUer  bis  zur  zweiten 
Hälfte  des  XVIIL  Jahrhunderts  [=  Handbuch  der  Mittelalterlichen 
und  Neueren  Geschichte,  herausgegeben  von  v.  Below  und  Meinecke  IV] 
(München  und  Berlin  1903)  die  Wohnung  der  Bauern  auf  ganzen 
4V«  Seiten,  S.  146 — 150,  mit  5  Abbildungen  erledigen  kann.  Wie 
rege  andrerseits  das  Interesse  dafür  ist,  zeigen  die  Arbeiten  von  Heyne 
und  Stephan i.  Ersterer  hat  in  dem  ersten  Bande  seiner  Fünf  BOcher 
deutscher  HausaUertümer  (Leipzig  1899)  ^^  deutsche  Wohnungs- 
wesen eingehend  behandelt  —  vgl.  oben  S.  198  — ,  letzterer  hat 
sein  Werk  Der  älteste  deutsche  Wohnbau  und  seine  Einrichtung  bisher 
in  zwei  Bänden  (Leipzig  1902  und  1903)  bis  zum  Ende  des  XL  Jahrhunderts 
geführt.  Dem  Archäologen  fällt,  wenn  eine  gründliche  Kenntnis  der 
jeweiligen  Wohnbauten  gewonnen  werden  soll,  die  Aufgabe  zu,  die  Reste 
vorgeschichtlicher  Wohnstätten  zu  untersuchen,  während  der  Geschichts- 
forscher alle  schriftlichen  Quellen  daraufhin  zu  prüfen  hat,  ob  sie 
Angaben  über  die  jeweilige  Gestaltung  des  Hauses  enthalten.  Nur  so 
dürfte  sich  etwas  Bestimmtes  über  die  Urform  des  Hauses  in  irgend- 
einer Gegend  feststellen  lassen  und  ebenso  über  das  Alter  der  jetzigen 
Hausformen,  über  das  wir  so  gut  wie  gar  nichts  Positives  wissen.  Eine 
dankenswerte  Ergänzung  hierzu  hätte  der  Germanist  zu  liefern,  indem 
er  aus  den  mundartlichen  Bezeichnungen  der  Hausteile  ihre  bauliche 
Entwickelung  beleuchtet,  was  zum  TeU  schon  mit  Glück  geschehen 
ist,  z.  B.  durch  Heynes  tiefgründige  sich  gegenseitig  ergänzende 
Wort-  und  Sachkenntnis,  aber  nur  für  die  ältere  Zeit,  und  der  Geo- 
graph könnte  aus  der  Verbreitung  der  Stilarten  unter  Umständen 
gewisse  Zeitpunkte  für  ihre  Differenzierung  erschliefsen.  Viel  wichtiger 
für  den  Historiker  ist  jedoch  das  Bauernhaus  als  Zeichen  der  Stammes- 
zugehörigkeit und  in  seiner  Abhängigkeit  vom  Wirtschaftsbetrieb. 
So  hat  mit  Vorsicht  und  Geschick  Van  es a,  Geschichte  Nieder-  und 
Oberösterreichs,  i.  Bd.  (Gotha  1905),  die  Formen  der  Häuser  im  öster- 
reichischen Kolonialland  als  eins  der  Mittel  benutzt,  um  die  Her- 
kunft derjenigen  zu  ergründen,  die  das  Land  zuerst  besiedelt  haben. 
Er  kommt  auf  Grund  der  Arbeiten  von  Bancalari  und  Dachler  (be- 
sonders S.  229)  zu  dem  Ergebnis,  dafs  die  zweite  deutsche  Koloni- 
sationsperiode Niederösterreichs  (seit  dem  X.  Jahrh.)  weit  mehr  fr  an- 


—     205     — 

kisches  als  bayerisches  Gepräge  trägt  Die  Ortsnamenforschung 
uod  Hausforschung  ergänzen  sich  bei  Vancsa  höchst  glücklich. 
Dais  eine  Änderung  des  Wirtschaftsbetriebs  auch  eine  Umgestaltung  der 
Bauart  herbeiiiihren  kann,  ist  ja  selbstverständlich.  Indes  reichen  die 
spärlichen  Andeutungen,  die  die  Literatur  bis  jetzt  über  diesen  Punkt 
enthält,  keineswegs  hin,  um  uns  ein  abschliefsendes  Urteil  darüber  zu 
bilden;  es  fehlt  vielmehr  noch  sehr  viel  zu  der  Erkenntnis,  dais  ein 
bestimmter  wirtschaftlicher  Betrieb  auch  eine  bestimmte  Bauart  zei- 
tigen müsse  ').  Die  etwas  besser  geklärte  Hauptfrage,  die  uns  hier  vor- 
nehmlich beschäftigen  soll,  ist  vielmehr  die,  ob  der  Haustypus 
als  Stammeskennzeichen  angesehen  werden  kann,  mithin 
ethnisch  bedingt  ist. 

Es  steht  fest,  dais  heutzutage  dänische  Häuser  zum  Teil  von 
Niederdeutschen,  altsächsische  Häuser  zum  Teil  von  Friesen  oder 
Wenden  und  litauische  Häuser  zum  Teil  von  Deutschen  bewohnt 
werden;  femer  ist  aus  den  Alpen  bekannt,  dafs  von  einem  Volke  sein 
Baustil  in  einer  späteren  Kolonisationsperiode  gegen  den  vorgefundenen 
umgetauscht  wurde,  der  nunmehr  als  charakteristisch  für  dasselbe  er- 
scheint, indem  z.  B  nach  den  Forschungen  von  Grund  *)  die  Bajuwaren 
das  Pfettendach  von  den  Romanen  übernahmen;  dieses  ist  ein  Vorgang 
am  dem  Mittelalter,  jenes  sind  Geschehnisse  aus  jüngster  Zeit.  Würde 
man  daher  die  Frage  etwas  vorsichtiger  dahin  einschränken:  „Kommt 
es  vor,  dafe  zeitweise  ein  Haustypus  nur  einem  bestimmten  Stamme 
angehört  und  als  Beweis  seines  Vorhandenseins  in  einer  Gegend 
angesehen  werden  kann?'*,  so  ist  zu  antworten:  zweifellos.  Weil  aber 
Nachrichten  über  die  Beziehungen  zwischen  Volk  und  Bauweise  in 
tkr Vergangenheit  sehr  spärlich  sind  und  über  die  ehemalige  Ver- 
breitung der  Haustypen  nichts  Sicheres  bekannt  ist,  so  kann  man 
am  Werden  und  Wandern  eines  Stammes  nicht  die  Bauart  der  Ver- 
gangenheit, sondern  nur  die  der  Gegenwart  in  Beziehung  setzen,  und 
&  Frage  verschiebt  sich  deshalb :  In  welchem  Verhältnis  stehen  die 
heutigen    Haustypen    zu    den    alten  Volksstämmen?      Findet  man 


i)  Ein  wichtiges  Hilfsmittel,  am  hier  vorwärts  zu  kommen,  dürfte  die  ältere  land- 
*>rtschtft liehe  Literatur,  namentlich  soweit  sie  Abbildungen  enthält,  darstellen. 
N*eierdings  hat  Max  Güntz  (Weimar)  in  einer  Reihe  von  Aufsätzen  über  den  Jandwirt' 
*^ftH(hm  Betrieb  in  Deutschland  im  X  VILJahrhundert  (Landwirtschaftlich-Historische 
Blätter  1902  ff.)  die  Werke  von  Hohberg,  Coler,  Martinas  Grosser,  Caspar 
J'gelios,  Johann  Wilhelm  Wnndsch,  Johann  Erasmos  Wegener, 
Christoph  Fischer,  Konrad  Heresbach  a.  a.  geschickt  aosgebeatet. 

2)  Die  Veränderungen  der  Topographie  im  Wiener  Walde  (Wien  1901),  S.  96. 

16* 


—     206     — 

z.  B.,  dais  die  jetzige  Bauartgrenze  des  Sachsenhauses  im  südlichen 
Westfalen  haarscharf  mit  der  alten  auf  Grund  anderer  Quellen 
ermittelten  Stammesscheide  zusammenfallt  und  dafs  den  historisch 
verbürgten  sächsischen  Kolonien  auf  dem  linken  Rheinufer  und 
in  Pommern  noch  heute  altsächsische  Läng^sdielenhäuser  entsprechen, 
so  kann  ein  innerer  Zusammenhang  als  erwiesen  gelten,  da  ein 
Teil  der  jetzigen  Grenzen  mit  den  ehemaligen  identisch  ist  Aber 
der  Wunsch  mancher  Idealisten,  Volksstamm  und  Haustypus  gewisser- 
mafsen  als  Korrelata  ansehen  zu  dürfen,  indem  Sein  und  Nichtsein 
des  einen  auch  Sein  und  Nichtsein  des  anderen  einschließe,  findet  in 
den  Tatsachen  keine  Stütze,  denn  die  Haustypen  sind  in  manchen 
Gegenden,  wie  z.  B.  in  Ostfalen,  Ostfriesland,  Mittelpommem  und  im 
Weichselland  durch  spätere  oder  frühere  Verschiebungen  bedingt,  wie 
die  unten  mitgeteilten  Ergebnisse  zeigen  werden,  und  manches 
Merkmal  erscheint  durch  das  Hinzutreten  anderer  verwischt.  Insofern 
die  Hausforschung  ähnlich  wie  die  Mundartenforschung  die  Mannig- 
faltigkeit von  heute  erkennen  läüst  und  festlegt,  sucht  sie  zugleich 
über  ihre  geschichtliche  Entstehung  und  schliefslich  über  Stammes- 
wanderungen Licht  zu  verbreiten.  Notwendig  ist  es  jedoch  auf  jeden 
Fall,  dafs  sich  der  Forscher  nicht  mit  der  Feststellung  des  gegen- 
wärtigen Befundes  begnügt,  sondern  nach  Kräften  den  früheren 
Zustand  zu  ermitteln  strebt,  was  hinsichtlich  der  Haustypengrenzen 
aber  leider  nahezu  aussichtslos  ist.  Wie  andere  Wissenschaften  —  etwa 
Ethnographie,  Anthropologie,  Linguistik  —  so  erschiiefst  auch  die 
Hausforschung  dem  Historiker  die  Gegenwart,  damit  er  durch  deren 
Tatsachen  die  Lücken  seiner  Quellen  zum  Teil  ausfülle.  So  wird  bekannt- 
lich auiser  dem  Haust>'pus  die  Verbreitung  der  physischen  Merkmale  des 
Menschen,  die  der  Mundarten  in  Lautstand  und  Wortschatz,  die  der 
Siedelungsformen ,  der  Acker-  und  Flureinteilung,  der  Trachten  und 
sämtlicher  Geräte  und  Gebräuche  geschichtlich  verwertet,  und  zwar 
um  so  mehr,  je  gröfser  ihre  Beständigkeit  und  damit  das  Alter  der 
heutigen  Form  ist.  Mafsgebend  ist  dabei  der  Gesichtspunkt,  dafis  das 
räumliche  Neben  einander  von  heute  unter  Umständen,  und  mit  Vor- 
sicht betrachtet,  das  Verständnis  des  zeitlichen  Nacheinander  erheb- 
lich fördern  kann.  Deshalb  ist  es  die  Aufgabe  der  Forschung,  zu- 
nächst jeden  Haustypus  auf  seine  jetzige  Verbreitung  zu  prüfen  und 
besonders  deren  Grenzen  genau  zu  bestimmen,  ferner  auch  seine 
Häufigkeit  in  den  Dörfern  —  „die  Hausdichte"  —  zu  untersuchen,  die 
z.B.  in  Pommern  zu  der  „Stammesdichte"  in  einem  bestimmten  Verhältnis 
steht.    Eine  notwendige  Ergänzung  dazu  bildet  dann  die  Untersuchung, 


—     207     — 

ob  anch  ein  Fehlen  eines  Haustypus  mit  der  Abwesenheit  jener  Merk- 
male zQsammeniallt,  auf  die  man  sein  Vorhandensein  zurückführte. 

So  kommt  es,  da£s  die  für  die  Geschichte  der  Volksstämme  und 
alle  landschaftliche  Geschichtsforschung  anerkannt  wichtige  Haus- 
forschung oder  Ökologie  es  zunächst  mit  der  Verbreitung  der 
Hansformen  zu  tun  hat,  die  mit  der  Verbreitung  anderer  Erschei- 
Dtmgen  in  Beziehung  zu  bringen  ist,  und  somit  der  geographischen 
Methode  nicht  entraten  kann.  Nach  Ratzel  bedeutet  für  jede  wissen- 
schaftliche Aufgabe  die  Frage:  wo?  gewissermafsen  den  Stempel  der 
Geographie,  imd  auch  Richthofen  hat  allmählich  die  Bestimmung  der 
örtlichkeit  als  den  charakteristischen  Gesichtspunkt  der  Geographie 
aDerkannt.  Dieser  Hausgeographie,  die  ein  Teil  der  Siedelungs- 
geographie  ist,  hat  sich  der  Gesamtverein  der  deutschen  Geschichts- 
nnd  Altertumsvereine  schon  vor  fast  einem  halben  Jahrhundert  mit 
Eifer  angenommen,  wie  sein  KorrespondeneblaU  im  Jahrgange  1859 
bezeugt,  und  er  ist  es,  der  auch  heute  ihre  Förderung  in  grofsem 
Malisstabe  plant ').  Die  kartographische  Festlegung  der  deutschen  Haus- 
tormen  haben  Virchow  und  Andree  energisch  gefordert,  da  sie  allein 
<bs  Vergleichen  ganzer  Länderstrecken  ermöglicht  hinsichtlich  der 
zahlreichen  anderen  Verbreitungserscheinungen :  des  anthropologischen 
Typus,  des  Dialektes,  der  Dorfform,  der  Flureinteilung,  der  Gerät- 
schaften und  Gebräuche,  nicht  zuletzt  auch  der  örtlichen  Verhältnisse 
tie  Holzreichtum,  Steinboden,  Gebirgslage,  Klima  und  der  geo- 
graphisch bedingten  Wirtschaftsweise.  In  Übereinstimmung  mit  den 
namhaftesten  Hausforschem  wird  dabei  die  Statistik  der  Hausforuien 
oder  die  Hausgeographie  mit  Nachdruck  in  den  Vordergrund  ge- 
stellt Als  Parallele  sei  daran  erinnert,  da(s  der  in  dieser  Zeit- 
sdirift*)  erschienene  Aufsatz  über  Flufsnamen  mit  der  Hoffnung 
«iliefet:  „.  .  .  es  werden  sich  aus  der  örtlichen  Verbrei- 
tung der  verschiedenen  Grundwörter  die  wichtigsten 
Rückschlüsse  auf  die  Heimat  des  Urvolkes,  die  Wande- 
rungen der  Stämme  des  germanischen  Volkes   ergeben.** 

Von  dem  im  vorhergehenden  eingenommenen,  für  die  geschicht- 
liche Verwertung  der  Hausforschung  zunächst  allein  fruchtbringenden 
geographischen  Standpunkte  aus  wird  es  erst  möglich,  aus  der 
'«streuten  Literatur  von  ganz  verschiedenem  Werte  das  Passende  aus- 


i)  Vgl.    über    die    diesbezüglichen    Verhandlangen    auf  der  Bamberger  Versammlang 
»905  diese  ZeiUchrift  Bd.  7,  S.  83-85. 
2)  6.  Bd.,  S.  29. 


—     208     — 

zusuchen,  d.  h.  alle  Angaben  über  die  Verbreitung  der  Hausformen,  zu- 
nächst in  Norddeutschland,  zu  sammeln  und  gewisse  Folgerungen  hinsicht- 
lich der  zwischen  Hausform  und  Stamm  bestehenden  Beziehungen 
daraus  zu  ziehen.  Da  die  bis  jetzt  gewonnenen  Ergebnisse  durch  die 
Geschichte  der  diesbezüglichen  Untersuchungen  bedingt  sind  und  nui 
unter  ihrer  Berücksichtigung  verständlich  werden,  sei  letztere  hier 
wenigstens  gestreift. 

Der  erste,  welcher  aus  dem  Hausbau  die  Heimat  seiner  Bewohner 
erkennen  wollte,  war  G.  Lisch*),  der  au&erdem  noch  Gebräuche, 
Geräte  und  Tracht  heranzieht,  um  aus  ihrer  Übereinstimmung 
Teile  von  Westfalen  als  Ursprungsort  der  Mecklenburger  in  An- 
spruch zu  nehmen.  Er  beging  nur  einen  doppelten  metho- 
dischen Fehler,  dafs  er  unzureichend  beobachtete,  denn  diese  Ge- 
meinsamkeit umfafst  weit  gröfsere  Gebiete  ohne  Unterbrechung,  und 
falsch  verallgemeinerte,  denn  er  schlofs  von  dem  ihm  bekannten  Teile 
Mecklenburgs  ohne  weiteres  auf  das  ganze  Land.  Von  bahnbrechender 
Bedeutung  sind  die  ein  Jahrzehnt  später  unternommenen  Forschungen 
Landaus  über  den  nationalen  Hausbau,  der  das  Programm  der 
wissenschaftlichen  Hausforschung  schon  damals  vorzeichnet  *)  und  die 
Grenze  zwischen  fränkischem  und  sächsischem  Hause  von  Weser  bis 
Rothaargebirge  abwandert,  um  daraus  die  alten  Gaugrenzen  zu  er- 
kennen. Das  Jahr  1882  bringt  zwei  der  wichtigsten  Arbeiten,  die  von 
Henning  und  Meitzen.  Ersterer  *)  findet  in  Norddeutschland  die 
sächsische,  friesische,  anglo- dänische  und  ostdeutsche  Bauart,  die 
er  mit  der  nordischen  in  Beziehung  bringt  und  daher  als  Überrest 
der  vorslawischen  ostgermanischen  Siedelung  erwiesen  sehen  möchte, 
jedenfalls  ein  Versuch,  wenn  auch  mit  noch  untauglichen  Mitteln,  die 
Haustypenverhältnisse  in  Ostelbien  geschichtlich  zu  verstehen.  Das 
ebenfalls  dort  zu  beobachtende  Zurückschwenken  des  sächsischen  Stil- 
gebietes führt  er  auf  Slawen  zurück,  die  sich  bereits  oberdeutsche  Bau- 
weise angeeignet  gehabt  hätten.  Meitzens  Büchlein  *)  ist  in  gleicher 
Weise  grundlegend  und  zeichnet  sich  durch  ein  Kärtchen  der  Ver- 
breitung der  Hausformen  1  :  I2C)CX)C)CX)  aus,  welches  zum  Vergleich 
auch  die  Grenzen  der  Vandilier,  Ingväonen,  Istväonen  und  Römer 
zeigt.     Dem   friesisch -sächsischen   und   dänischen  Hause  stellt  er  das 


1)  Jahrbücher  für  mecklenburgische  Geschichte  Xni  (1848),  S.  113. 

2)  Korrespondenzblau  des  Oesamtvereins  der  Geschichtsvereine  VII  (1859)  Nr.  4 
und  Nr.  12,  Beilage. 

3)  Das  deutsche  Haus  in  seiner  historischen  Entwickelung  (Strafsbarg  1882}. 

4)  Das  deutscJie  Haus  in  seinen  volkstümlichen  Formen  (BerUn  1882). 


—     209     — 

in  Norddentschland  eingedrungene  fränkische  und  das  nordische  Haus 
zur  Seite,  welches  an  der  Weichsel  herrsche  und  eine  Kulturbrücke 
zwischen  Griechenland  und  Skandinavien  andeute.  Leichter  sind  die 
westlichen  Typen  des  sächsischen  und  friesischen  Hauses  zu  behan- 
deln, und  wie  die  eben  genannten  beiden  Führer  deren  Grenzen  in 
Umrissen  angeben,  so  ist  die  Lagerung  ihrer  Abarten  verschiedentlich 
anzugeben  versucht  worden;  so  von  E.  H.  Meyer,  Deutsche  VoOcS" 
bmde  (Stra&burg  1898),  Nordhoff,  Das  westfälische  Bauernhaus  (in 
Westennanns  Monatsheften  1895),  Meiborg-Haupt,  Das  Bauern'^ 
hus  im  Herzogtum  Schleswig  (Schleswig  1896).  Kartographische  Dar- 
stellungen gaben  1895  Lauridsen  für  die  Südgrenze  des  dänischen 
Hauses  vor  hundert  Jahren,  mit  der  auch  das  dänische  Volkstum  bis 
zur  Schlei  gereicht  habe  ^),  und  Andre e  für  den  ins  Herzogtum  Braun- 
schweig fallenden  Teil  der  Südgrenze  des  Sachsenhauses  *),  deren  auf- 
fallendes Zurückweichen  hinter  der  niederdeutschen  Sprachgrenze  •)  durch 
das  Vorwiegen  der  vorsächsischen  Bevölkerungsgrundschicht  der  Thü- 
ring^er  und  ihrer  Bauart  zu  erklären  sei.  Den  ungefähren  Verlauf  dieser 
Sachsenhausgrenze  zwischen  Leine  und  Weser  findet  man  auf  einer 
Karte  von  Brandi,  die  hauptsächlich  die  Grenzen  der  Giebelzierden 
(Pferdeköpfe  und  Säulen)  darstellt,  welche  den  Scheiden  der  Mund- 
arten und  damit  der  Bevölkerung^bestandteile  entsprechen  sollen  *), 
Eine  Karte  der  Haustypen  in  Ostelbien  gibt  Mielke  (i  :  2000000)  *), 
der  znm  ersten  Male  den  glücklichen  Versuch  macht,  auch  Abarten  und 
Ubergangsformen  kartographisch  festzulegen.  Es  ist  gewifis  kein  Zufall, 
daüs  auiser  Meitzens  allgemeinem  Haustypenkärtchen  sämtliche  über- 
haupt erschienenen  Karten  nur  Norddeutschland  betreffen,  und  zwar 
hier  wieder  das  Sachsenhaus,  dessen  genauen  Grenzverlauf  ich  jüngst 
auf  einer  Karte  im  Mafsstabe  i  :  300000  festgelegt  habe  •).  Leider 
noch  nicht  veröffentlicht  sind  die  epochemachenden  Karten  von 
Gall6e,    welche    für  das   Königreich    der  Niederlande    die   Grenzen 


1)  Hisiorisk  Tidskrift  6  R.,  VI  (Kopeahagen  1895). 

2)  Brauntehweiger  Volkskunde.    (3.  Auflage,  Braanschweig  1901). 

3)  Es  verdient  wenigstens  nebenbei  bemerkt  za  werden,  dafs  die  Sprachgrenze  nach- 
voklich  seit  dem  XV.  Jabrhondert  bedeutende  Veränderungen  erfahren  hat.  So  ist  z.  B. 
io  Dessau  die  Sprachgrenze  zwischen  1408  und  1433  zugunsten  des  Mitteldeutschen  auf 
^en  des  Niederdeutschen  verschoben  worden.  Vgl.  Wäschke,  Die  DessoHer  Elbr 
&r«dke  (Halle  1903),  S.  14. 

4)  Mitten  d.  Histor,  Vereins  Osnabrück  XVm  (1893),  S.  i. 

5)  GMm$,  84.  Bd.  (1893),  S.  i. 

6)  Das  aUsäehsische  Bauernhaus  in  seiner  geograpMsehen  Verbreitung  (Braun- 
ickweig  1906). 


—     210     — 

sämüicher  Hausformen,  Trachten  und  Mundarten  zeigen,  aus  deren 
tatsächlicher  Übereinstimmung  sich  wichtige  Rückschlüsse  auf  Vor- 
kommen und  Wandern  der  Franken,  Friesen  und  Sachsen  ziehen 
lassen.  Dafs  das  vom  Gesamtverbande  der  Architektenvereine  ge- 
schaffene Prachtwerk  ^)  den  Höhepunkt  der  gesamten  Hausforschung 
darstellt,  braucht  nicht  erst  gesagt  zu  werden;  doch  da  von  einer 
kartographischen  Festlegung  der  Ergebnisse  abgesehen  worden  ist, 
verliert  es  für  den  Historiker  beträchtlich  an  Wert.  Um  so  erfreulicher  ist 
es,  dafs  diese  bei  der  durch  Brenner  angeregten  Statistik ')  der  deut- 
schen Bauernhäuser  im  Vordergrunde  steht.  Hier  soll  auf  Grund  von 
zahllosen  Fragebogen  das  deutsche  Land  gewissermafsen  nach  Haus- 
typen durchgesiebt  werden,  und  das  aliein  bietet  die  Gewähr,  dafs 
weder  Lücken  entstehen,  noch  Zusammenhänge  in  der  Verbreitung 
übersehen  werden;  es  wäre  nur  zu  wünschen,  dafs  jeder  versandte 
Bogen  wirklich  beantwortet  wird,  damit  nicht  wieder  ein  unvollständiges 
Material  bearbeitet  werden  mufs.  Die  Forschung  kann  dann  unmittelbar 
an  Landau  anknüpfen,  und  bei  dem  lebhaften  Interesse  weiter  Kreise 
wird  sie  gewifis  glücklicher  sein  als  vor  50  Jahren. 

Was  die  bis  jetzt  gewonnenen  Ergebnisse  der  norddeutschen 
Hausforschung  anlangt,  so  ist  man  darin  einig,  dafis  zunächst  die  Stadt- 
häuser von  der  Behandlung  auszuschliefsen  sind,  da  ihrer  Gestaltung 
ganz  andere  Bedingungen  zugrunde  liegen.  Noch  nicht  einig  ist  man 
dagegen  hinsichtlich  der  Klassifikation  der  Haustypen  überhaupt,  ob 
sie  nach  der  Zahl  oder  Lage  der  Feuerstellen,  der  Zahl  der  Gebäu- 
lichkeiten,  dem  Mafse  der  Einheitlichkeit  oder  nach  der  technischen 
Gestaltung,  vor  allem  der  Konstruktion  zu  wählen  sei;  jedenfalls  ist 
all  dieses  gleichmäfsig  zu  berücksichtigen.  Auch  die  Wahl  der 
Namen  macht  Schwierigkeiten.  Nach  Meringer')  und  Lau  ff  er*) 
genügen  zur  Übersicht  die  Bezeichnungen  romanisch,  osteuropäisch, 
nordisch,  oberdeutsch  und  niederdeutsch,  also  nach  gröfeeren  geo- 
graphischen Begriffen.  So  erfreulich  dies  ist,  so  ist  für  Norddeutsch- 
land dennoch  damit  nicht  viel  gewonnen,  denn  vor  allem  könnte  da- 
durch der  tiefgreifende  Unterschied  zwischen  sächsischem  und  frie- 
sischem Hause  verwischt  werden ;  auch  ist  hier  das  schwer  zu  deutende 
ostdeutsche  Vorhallenhaus  zu  berücksichtigen  und   das  dänische  wie 

i)  Das  Bauemhaiu  im  Deutschen  Beich  (Dresden  1900^1906). 

2)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  Bd.  6,  S.  50  und  Bd.  7,  S.  83-S5. 

3)  Deutsche  Volkskunde  in  „Das  Wissen  fUr  AUe''  (Wien  1901),  S.  587. 

4)  Eitüeit,  Bemerkungen  über  das  deuUehe  Bauernhaus  in  den  Mitteilangen  tos 
dem  Gennan.  Mnseam,  Jahrgang  1903,  S.  3. 


—     211     — 

das  litauische  auf  seine  Zugehörigkeit  zu  prüfen.  So  komnfien  wir 
einstweilen  ohne  die  Stammesnamen  nicht  aus,  zumal  das  sog.  sächsische 
Hans  tatsächlich  auf  das  engste  mit  dem  Volksstamme  der  Sachsen  zu- 
sammenhängt, jedoch  auch  nicht  ohne  einige  landschaftliche  Hiiüs- 
aasdrücke.  Höchst  interessant  ist  die  Einteilung  Rhamms  '),  der  für 
den  Westen  auiser  dem  sächsischen  Einhaus  den  kimbrischen,  d.  h. 
den  auf  der  Kimbernhalbinsel  herrschenden  Langbau ,  den  friesischen 
Massenbau  und  den  altthüringischen  Hof  bau  annimmt,  während  öst- 
lich der  Elbe  Mielke  ein  märkisches  Dielenhaus,  ein  Nute-Nieplitz- 
Hau8,  ein  Laubenhaus  und  ein  wendisches  Haus  findet. 

Verteilt  sind  die  norddeutschen  Hausformen  in  folgender  Weise. 
Der  Norden  der  Kimbemhalbinsel  gehört  dem  dänischen  Bau,  der  aus 
einem  Vierkant  nach  Süden  zu  in  einen  Flügelbau  übergeht  und  in 
Angeln  Übergangsformen  zum  sächsischen  und  friesischen  Hause 
^^1  genau  entsprechend  dem  Zusammentreffen  dieser  Völker  und 
irer  Mundarten.  Im  Westen  und  auf  den  Inseln  findet  sich  das 
Friesenhaus,  ein  offenbar  durch  Zusammenrückung  von  Wohn-  und 
Wirtschaftsteil  entstandenes  Gebäude;  in  ersterem  sind  um  ein  Feuer 
die  Stuben  gruppiert,  in  letzterem  wird  das  in  getreidegefiillte  Gulfs 
zerfallende  Mittelschiff  durch  Tenne  und  Stall  flankiert.  Die  Abarten 
des  nordfriesischen  Hauses  finden  sich  auf  friesischem,  die  des  Eider- 
Äcdter  Heubergs  auf  sächsischem  Sprachgebiete.  Die  Abart  in  Ost- 
feland  beherbergt  sächsisch  redende  Bewohner,  die  in  Westfriesland 
toesische,  durchweg  aber  ist  die  Hausform  an  uralte  Friesengebiete 
gebunden.  Den  Rest  von  Westdeutschland  füllt  das  sächsische  Haus 
^,  ein  Ständerbau  mit  freier  Mittellängsdiele  und  Viehställen  als 
Seitenschiffen  und  sekundär  entwickeltem  Wohnteil.  Gegen  Nord- 
westen macht  das  Sachsenhaus  an  der  Grenze  alten  Friesen-  und 
^engebietes  Halt,  in  Mittelschleswig  ist  es  infolge  von  Kolonisation 
«ö  XVIII.  Jahrhundert  nach  Norden  vorgedrungen.  Im  Friesenlande 
Ktkmarschen  hat  es  sich  verändert  und  westlich  der  Weser  ist  es 
^  ein  neueres,  rein  wirtschaftlich  bedingtes  Vordringen  des  frie- 
den Hauses  zurückgedrängt  worden.  Auffälligerweise  hat  sich  auch 
^  dem  echt  friesisch  sprechenden  Saterlande  noch  die  ursprüngliche 
Banart  der  Sachsen  erhalten.  Die  Verbreitung  des  sächsischen  Hauses 
^  nach  Holland  bis  zur  Zuidersee  stützt  die  Theorie  eines  sächsischen 
Enüallcs  in  jene  Moor-  und  Geestgegenden.    Über  die  Yssel  und  bis 


1)  Der  gegemoartige  Stand  der  deutsehen  HatufarfK^ung.     Im  Oldbus  Bd.  71 
'897),  S.  109. 


—     212     — 

zur  Maas  vorgreifend   erfüllt  das  altsächsische  Bauernhaus  auch  das 
ganze  Land  am  Niederrhein,  teils  in  reiner  Form,  teils  als  "f-Haus  mit 
Querdach  über  dem  Wohnteil,  eine  Übergangserscheinung  ähnlich  der 
dortigen  niederfränkischen  Mundart,   die  ihrerseits  viel  weiter  westlich 
sich  erstreckt,   also   über  die  Westgrenze  des  Sachsenhauses  hinaus; 
bis  zu  ihrer  Südgrenze  aber  reicht  der  Sachsen  Haus,  auffallenderweise 
also  zum  nicht  geringen  Teile  altes  Frankenland,  nämlich  den  östlichen 
Teil  des  Niederfränkischen,   erfüllend,    östlich  vom  Rhein  deckt  sich 
die   Hausgrenze  zunächst  mit  der  heutigen  niederdeutschen  Sprach- 
grenze, vom  Siegerlande  an  aufserdem  mit  der  Südgrenze  des  Stammes- 
herzogtums Sachsen,  der  noch  heute  auf  dem  Rothaargebirge  politische 
Grenzen  entsprechen,  und  der  Konfessionsgrenze:  vier  Grenzen  fallen 
hier  also  zusammen.   Mit  der  Sprachscheide  bis  zur  Fulda  zusammen- 
fallend, schwenkt  die  Hausgrenze  dann  plötzlich  nach  Norden  ab  und 
über  Einbeck  und  Braunschweig  nach  Wittenberge,  in  Ostfalen  offen- 
bar noch  in  jüngster  Vergangenheit  zurückgedrängt,    in   der  Altmark 
der    Bistumsgrenze    Verden  —  Halberstadt    folgend.      In    der   Prignitz 
schliefst  die  Hausgrenze,  mit  einer  deutlichen  Dialektscheide  zusammen- 
fallend,  das   vorwiegend  sächsisch  besiedelte  Gebiet  mit  ein,    umfafet 
Mecklenburg-Schwerin   und  zum  Teil  Strelitz  und  deckt  sich  bis  zum 
Haff  mit  der  Sprachgrenze  gegen   die  Uckermark,    somit  Rügen  und 
Usedom    entsprechend    der    Mundart    vollkommen    dem    sächsischen 
Typengebiete  zuweisend,  dem  auch  Wollin  und  der  ganze  Küstenstrich 
Hinterpommerns  angehören. 

Auf  andersartige  völkische  Einflüsse  deuten  Abarten  des  sächsi- 
schen Hauses,  so  die  im  Hannoverschen  Altlande  auf  Holländer,  im 
Wendlande  auf  Slawen.  Den  Süden  von  der  Sachsenhausgrenze  füllt 
von  Maas  bis  Weser  der  oberdeutsche  Hofbau  in  fränkischer  Gestal- 
tung, östlich  der  Weser  in  Gestalt  des  thüringischen  Hofes  weit 
nordwärts  über  die  niederdeutsche  Sprachscheide  vorschwingend  und 
bis  zur  Elbe  hin  zwischen  sich  und  dem  Sachsenhause  die  Über- 
gangsform der  Querdielenhäuser  zeitigend. 

Das  Kolonialland  östlich  der  Elbe  hat  entsprechend  der  Be- 
siedelungsgeschichte  und  Mundart  aus  der  Konkurrenz  der  Stämme 
Misch  formen  des  Hauses  erhalten,  die  je  mehr  nach  Nordwesten  um 
so  mehr  den  sächsischen  Giebeleingang  zeigen,  während  an  der  Ober- 
spree das  kenntliche  Wendenhaus  in  den  alten  Grenzen  dieses  Stammes 
herrscht,  zum  Teil  also  heute  von  Deutschen  bewohnt,  im  Osten  von 
der  schlesischen  Abart  des  oberdeutschen  Hauses  berührt. 

Das   noch  wenig  untersuchte  Land   östlich  der  Oder  macht  der 


—     213     — 

Hausforschung-  Von  jeher  grofse  Schwierigkeit.  In  Hinterpommern 
henschen  im  Anschluis  an  die  reinen  Sachsenhäuser  der  Küstengegend 
sächsische  Übergangsformen,  welche  im  Süden,  z.  B.  im  Pyritzer  Weiz- 
acker,  infolge  oberdeutscher  Einflüsse  eine  ausgeprägte  Mischform  auf- 
weisen, im  Osten  aber  an  ein  Gebiet  mit  slawischem  Baustil  anstofsen. 
Am  schwersten  sind  die  Laubenhäuser,  Häuser  mit  offener  Vorhalle, 
OT  deuten,  deren  grofee  Ausdehnung  noch  nicht  hinreichend  erforscht 
ist;  im  Oderbruch  beginnend,  erstrecken  sie  sich  über  den  ganzen 
Osten  bis  tief  nach  Ostpreufsen;  ungenügende  ethnographische  Deu- 
tungen dafür  gibt  es  viele :  sie  sollten  bald  ostgermanischen,  bald  sla- 
wischen, bald  deutschen  Ursprungs  sein.  Virchow  meinte,  die  Vor- 
lauben seien  durch  die  Baumeister  des  Deutschritterordens  aus  dem 
Süden  eingeführt.  Es  gilt  gegenwärtig  vor  allem  erst  zu  untersuchen, 
ob  die  Vorhallen  überhaupt  an  einen  bestimmten  Typus  gebunden 
änd,  denn  sie  kommen  sowohl  an  Giebel-  wie  an  Traufseite  vor, 
zweitens,  ob  städtischer  Einflufs  möglich  ist,  und  drittens,  wie  weit  sie 
sich  erstrecken,  ja  ob  sie  überhaupt  ein  geschlossenes  Gebiet  bilden; 
bislang  erscheint  letzteres  frag^lich.  Im  Süden  vom  Hause  der  Ma- 
suren  begrenzt,  weist  das  Bauernhaus  Ostpreufsens  in  der  mittel- 
deutschen Sprachinsel  auch  oberdeutsche  Abarten,  im  übrigen  nieder- 
deutsche Formen  auf,  über  deren  Verhältnis  zur  Bauart  der  alten 
Pruzzen  Unklarheit  herrscht;  jedenfalls  haben  sich  slawische  und 
Htauische  Stileinflüsse  geltend  gemacht.  Das  litauische  Haus,  das 
man  in  einem  prächtigen  Exemplare  auf  der  Tilsiter  Ausstellung  1905 
studieren  konnte,  bildet  einen  ausgesprochenen  Typus  für  sich  und 
hält  sich  in  den  alten  Grenzen  des  litauischen  Volksstammes,  sie 
sicherer  anzeigend  als  die  heute  zurückweichende  Sprache ;  die  Hallen- 
hänser  der  fischenden  lettischen  Nehrungskuren  scheinen  durch  Volks- 
Jtamm  wie  Lebensweise  gleichmäfsig  bedingt  zu  sein. 

Man  sieht,  der  Forschung  bleibt  noch  viel  zu  tun.  Am  weitesten 
verbreitet  ist  in  Norddeutschland  von  jeher  das  altsächsische  Bauern- 
liaus,  zugleich  das  einzige,  dessen  Grenzen  ganz  genau  untersucht  und 
kartographisch  niedergelegt  sind;  ob  die  Sachsen  diese  ihre  charakte- 
'Ktische  Bauweise  von  den  Kelten  übernommen  haben,  ist  aus  der 
Verbreitung  nicht  ersichtlich,  wird  aber  durch  die  Konstruktion  frag- 
lich. Dagegen  harren  noch  folgende  Fragen  einer  befriedigenden 
Antwort:  Bildete  das  Friesenhaus  früher  ein  zusammenhängendes  Ge- 
biet? Ist  der  oberdeutsche  Bau  in  Ostfalen  auf  eine  alte  Bevölke- 
mogsgnmdschicht  zurückzuiiihren?  Gibt  es  jetzt  noch  altwendische 
Häuser  in  Elb-  und  Travegebiet?     Welches  sind  die   ursprünglichen 


—     214     — 

Bauernhäuser  in  Ostdeutschland?  Diese  und  viele  andere  Fragen 
harren  der  Lösung.  Aufser  der  technischen  Seite  sind  von  nun  an 
auch  die  mundartlichen  Bezeichnungen  für  Teile  des  Hauses  sorgsam 
festzustellen  sowie  die  Abarten  der  grofeen  Haustypen.  Fruchtbar 
aber  für  den  Historiker  werden  alle  diese  Erscheinungen  erst  durch 
Erforschung  ihrer  geographischen  Verbreitung. 


Beiträge  zur  H^itnenforsehung 

aus  Steiermark 

Von 
Franz  Uwof  (Graz) 

Zur  Ergänzung  und  Vervollständigung  der  anregenden  und  be- 
lehrenden Aufsätze  von  Julius  Gmelin'),  Bruno  Caemmerer*) 
und  Paul  Zinck*)  über  Vornamen  möchte  ich  auf  die  gründliche 
Untersuchung  und  Darstellung  von  JosefvonZahn:  Steiermärkiscke 
Taufnamen  hinweisen  *) ,  welche  einen  sinnigen  Beitrag  zur  Sitten- 
geschichte bildet  und  Gebrauch  und  Wandel  der  Taufnamen  vom 
X.  und  XI.  Jahrhundert  bis  in  die  Gegenwart  erörtert.  Da  Zahns 
Abhandlung  aufserhalb  der  Steiermark  wenig  bekannt  zu  sein  scheint, 
so  will  ich  hier  kurz  ihre  Ergebnisse  mitteüen. 

Bis  gegen  das  Ende  des  XII.  Jahrhunderts  kommen  in  Steiermark 
nur  einfache  deutsche  Namen  vor: 

Adalo,  Charl,  Eber,  Enzo,  Gero,  Manno,  Snello, 
Walto,  Wolfo;  bei  Frauen:  Truta,  Engila,  Gerna,  Guta, 
Lieba,  Wunna.  Zusammengesetzte:  Landfrit,  Dietger,  Liut- 
pold,  Volker;  Frauennamen:  Dietpurg,  Liutgart,  Volkswint, 
Diemot. 

An  das  Heidentum  erinnern  und  von  ihm  stammen  jene  Namen, 
die  an  die  Äsen,  an  Irmin,  an  Wotans  Raben,  an  die  Runen  anklingen: 
Ansbert,  Irmbert,  Raban,  Adalram,  Guntram;  für  Frauen: 
Armlint,  Irmgart,  Alrun,  Friderun.  —  Vom  Besitze  (od,  hag) 
nannten  sich  Otakar,  Otger,  Hagano,  Hageborn.  —  Auf  Eigen- 


i)  Die  Verwertung  der  Kirehenbüdier  in  dieser  Zeiuchrift  i.  Bd.,  S.  157— *7o- 

2)  Amstädter  Tauf-  und  Familiennamen.     5.  Bd.,  S.  245—261,  296—315. 

3)  Zur  Geschichte  unserer  Vornamen.     7.  Bd.,  S.  39—53. 

4)  In  den  Mitteilungen  des  Historischen  Vereins  für  Steiermark,  XXK. 
Graz  iSSi)  S.  3—56,  nnd  umgearbeitet  in  Styriaca,  Gedrucktes  und  VngednMes 
8wr  steiermärkischen  Geschichte  und  KuUurgeschiehte.  h    (Graz  1894),  S.  3S~~^5* 


—     215     — 

Schäften  des  Menschen  weisen  hin:  Frowin,  Guotman,  Helfrich, 
Fridlieb;  bei  Frauen:  Tultmut,  Frogart,  Milttrut.  —  Auf 
männliches  Wesen:  Adalbero,  Baldwin,  Diethart,  Hartmut, 
Heifrich,  Waltman,  Wigant;  bei  Frauen:  Adala,  Berhta, 
Fridepurg,  Erintrud,  Frumrat,  Volkswint.  —  Wehr  und 
Waffen  drücken  sich  aus  in  Bruno  (von  brünne)^  Isinrich,  Wolf- 
gfrim  {grim  =  Helm),  Helmbrecht,  Reginhelm,  Wolfhelm, 
Herrant  {rant  =  Schild),  Dietprant  (praw^  «=  Schwert),  Heri- 
prant,  Wurmprant,  Ekkefried  {ekki  ^Schwert),  Framrich, 
Adaiger  (fram,  ^cr  «=  Spiefs) ,  Gerbert;  Frauennamen:  Gerbirg, 
Gertrut.  —  Von  der  gesamten  Kriegsschar  (heri):  Diether, 
Gisilher,  Herman,  Hermut;  von  der  Walstatt:  Walbrunn, 
Walrabo;  vom  Kampfe  (Juidu,  hilt,  gunt,  wie)  selbst:  Hadu- 
precht,  Hiltebrant,  Gun  daheim,  A  dal  wie;  bei  Frauen:  Albe- 
gund,  Hadepurch,  Swanehilt,  Wieburch. —  Auf  Sieg  weisen 
hin:  Sigeperht,  Sigefrid;  Frauennamen:  Siguna,  Sigerat.  — 
Sieg  bringt  Ehre  und  Ruhm  (pram,  mar,  ruod):  Liutpram,  Diet- 
mar, Rudlieb.  Vom  Adler  nennt  sich  Arnhalm,  Arno;  vom 
Bär:  Berengar,  Pernolt;  vom  Wildschwein:  Eberan,  Eberhart; 
vom  Wolf:  Wolfpurch,  Wolfhilt. 

Diese  wenigen  Nachweisungen  aus  den  zahlreichen  Belegen,  die 
von  Zahn  beibringt,  beweisen,  dals  das  Namenleben  in  der  kleinen 
Steiermark,  dem  südöstlichsten  deutschen  Lande,  das  spät  in  den 
deutschen  Kulturkreis  eingetreten  ist,  vor  acht  bis  neun  Jahrhunderten 
ein  sehr  reiches,  abwechselndes  und  doch  einheitliches  war. 

Mit  dem  Ende  des  XII.  und  dem  Beginn  des  XIII.  Jahrhunderts 
b^innen  Namen  religiöser  Art,  Heiligennamen,  solche  biblischer, 
griechischer,  römischer  Abkunft,  doch  nur  sehr  allmählich  aufzutreten : 
Adam,  Alexander,  Johannes,  Lorenz,  Nikolaus,  Martin, 
Petrus,  Simon,  Thomas;  Agnes,  Benigna,  Clara,  Elisa- 
beth, Helena,  Margareth,  Sophia  —  so  dafs  sich  nun  zwei 
^ppen  unterscheiden  lassen,  eine  der  Verwendung  nach  vorherrschende 
Gfnppe  der,  wenn  auch  nicht  all  zu  zahlreichen,  alten  Namen  und 
«ne  der  im  ganzen  nur  selten  benutzten  kirchlichen  Namen. 

Im  XIV.  Jahrhundert  wächst  die  Entnationalisierung  der 
Namen  —  nur  noch  etwa  50  nationale  finden  sich  —  und  die  Hei- 
ligeonamen vermehren  sich ;  es  treten  auf:  Georg,  Jakob,  Michael, 
Achaz,  Christian,  Christoph,  Mathias;  Anna,  Euphemia, 
Katharina.  Vereinzelt  finden  sich  auch  schon  Doppelnamen, 
aber  zusammengezogen,  wie:  Rudott  (Rudolf  Otto). 


—     216     — 

Bis  zur  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  griff  die  2^rsetzung 
des  alten  Namenschatzes  in  Steiermark  gewaltig  um  sich.  War  im 
XII.  Jahrhundert  das  Verhältnis  der  fremden  Namen  zu  den  volks- 
tümlichen wie  2  :  50  gewesen,  so  ist  zwischen  1450  und  1500  schon 
das  Verhältnis  4  :  5  zu  beobachten.  Besonders  beliebt  sind  Johann, 
Nikolaus,  Heinrich,  Georg,  Andreas,  Friedrich,  Jakob, 
Konrad,  Ulrich.     Joseph  tritt  erst  1429,  Maria  1450  auf! 

Im  XVI.  Jahrhundert  kommt  ein  neues  Element  in  die  Namen- 
welt, das  humanistische:  Cäsar,  Alexander,  während  alle  älteren 
Namengattungen  fortbestehen.  Es  erscheinen  volkstümliche  Namen 
(Amelreich,  Degenhard,  Gandolf,  Helfrid)  neben  biblischen  (Abel, 
Abraham,  Daniel,  David,  Enoch,  Jonas,  Jeremias,  Eva,  Rebekka, 
Salome),  klassisch-humanistischen  (Alexander,  August,  Hadrian, 
Hannibal,  Hektor,  Kassandra,  Livia,  Felicitas,  Polyxena),  christlich- 
katholischen (Maria,  Johann,  Joseph),  protestantischen(Christian, 
Christoph,  letzterer  war  besonders  beliebt),  romanischen  (Raphael, 
Gabriel)  und  deutsch-poetischen  (Tristram,  Walchun,  Wilbold).  — 
Auch  Doppelnamen  werden  häufig,  namentlich  mit  Hans:  Hans 
Friedrich,  Hans  Christoph,  Hans  Georg. 

Mit  der  Buntheit  der  Namen,  wie  sie  im  XVI.  Jahrhundert  auf- 
tritt, hatte  es  im  XVII.  ein  Ende,  und  die  Ursache  dafür  war  die 
Gegenreformation;  denn  nun  treten  als  Taufnamen  nur  noch  die  der 
katholischen  Heiligen  auf,  vor  allen  Franz,  Ignaz,  Johann,  Joseph, 
Ferdinand,  Paul,  Stephan,  Sebastian,  Dominik,  Dismas, 
Innocenz,  Thaddäus,  Vincenz,  Petrus,  Maria,  Anna, 
Theresia. 

So  viel  über  die  Forschungen  Zahns.  Es  ist  gewifs  nicht  un- 
interessant, deren  Ergebnisse  mit  den  in  den  ersten  Zeilen  dieses 
Aufsatzes  genannten  Ermittelungen  aus  anderen  Gegenden  zu  ver- 
gleichen. So  stellt  Gmelin  für  die  Reichsstadt  Hall  fest,  dafe  im 
XVI.  Jahrhundert  infolge  des  Überganges  von  der  katholischen  Zeit 
mit  der  Mannigfaltigkeit  ihrer  Heiligennamen  zum  evangelisch-protestan- 
tischen Volkstum  die  biblischen  Namen  nebst  den  traditionell-bäuerlichen 
Namen  zur  vorherrschenden  Stellung  gelangen,  dafs  der  Name  Johannes 
oder  Hans  der  verbreitetste  war  und  dafs  Doppelnamen  im  XVII. 
Jahrhundert  namhaft  auftreten,  sowie  dafs  sich  in  Nürnberg"  in  der 
zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  humanistische  Namen  ziemlich 
zahlreich  zeigen.  Ganz  ähnlich  lagen  die  Dinge  in  Steiermark.  Die 
ältesten  in  Arnstadt  schon  seit  dem  VIII.  Jahrhundert  vorkommenden 
Namen  sind  germanische,  erst  im  XIII.  Jahrhundert  kommen  Fremd- 


—     217     — 

oameo,  griechische  und  hebräische  vereinzelt  vor.  Ganz  dasselbe 
gilt  für  Steiermark.  —  Zincks  Forschungen  betreffen  die  ländliche 
Umgebung-  Leipzigs  und  erstrecken  sich  auf  die  Jahre  1574  bis 
1870.  Es  kommen  dort  nebeneinander  alttestamentliche ,  neutesta- 
mentliche,  altkirchliche  tmd  deutsche  Namen  vor.  Aus  den  Tabellen 
Zincks  ergibt  sich,  dafs,  während  in  der  deutschen  Frühzeit  und  im 
Frühmittelalter  deutsche  Namen  überreich  wucherten,  seit  dem  späteren 
Mittelalter  Namenarmut  herrschte,  im  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert 
die  Reformation  entscheidenden  Einflufs  auf  die  Namengebung  gewann, 
daüs  in  den  letzten  Generationen  jedoch  deutsche  Namen,  besonders 
mäonliche,  wesentlich  stärker  hervortreten  als  früher,  gewifis  ein  Aus- 
fluis  des  nationalen  Erwachens  seit  den  Freiheitskriegen.  Doppel- 
namen zeigen  sich  seit  der  Wende  des  XVII.  und  XVIII.  Jahrhunderts. 

Auch  KegeP)  weist  nach,  dafe  in  dem  Gebiete,  auf  das  er 
seine  Untersuchungen  erstreckte,  deutsche  Namen  bis  zum  XIII.  Jahr- 
hundert vorherrschten,  dafs  erst  mit  dem  XIV.  und  XV.  kirchliche 
Namen  auftraten  und  immer  mehr  das  Übergewicht  gewannen.  Unter 
dem  Einflufs  des  Humanismus  wurden  latinisierte  oder  gräzisierte, 
durch  die  Reformation  biblische  Namen  üblich.  Erst  die  Befreiungs- 
kriege bringen  wieder  deutsche  Namen,  und  in  den  letzten  drei  Jahr- 
zehnten des  XIX.  Jahrhunderts  hat  die  Unterhaltungsliteratur,  Gedichte, 
Dramen  und  Opern,  einen  staunenerregenden  Einflufs  —  es  sei  nur 
an  Siegfried  und  Elsa  erirmert  —  auf  die  Namengebung  ausgeübt. 

Die  Einwirkung  der  mittelhochdeutschen  Literatur  auf  die  Namen- 
vahl  in  Steiermark  zu  untersuchen  wäre  gewifs  lohnend.  Um  so  mehr,  als 
Schön bach  in  einer  trefflichen  Schrift  ^)  eine  neue  Ansicht  über  die 
Stellung  der  Steiermark  in  der  deutschen  Literatur  des  Mittelalters  aufge- 
stellt hat.  Die  romanische  Lyrik  ist  bekanntlich  von  Nordfrankreich  über 
Handem  und  die  Rheinlande  nach  Deutschland  gekommen  und  hat  die 
Putsche  Dichtung  beeinflufst.  Nach  Schönbach  kommt  aber  neben  diesem 


1)  DU  Verbreitung  der  mittelhochdeutschen  erzählenden  Literatur  in  Mittel' 
^  Niederdeutschland,  nachgewiesen  auf  Chrwnd  von  Personennamen  Von  Ernst 
Ke^el.  [ss  Hermaea,  Aasgewählte  Arbeiten  aus  dem  germanischen  Seminar  zn  Halle. 
Hemsgegeben  von  Philipp  Strauch,  HI.  Halle  1905.]  Die  besten  Belege  für  die  ge- 
^cbicktliche  Bedeatnng  des  Namenschatzes  liefern  die  Untersuchungen,  die  Adolf 
So  ein  in  seinem  Mittelhochdeutschen  Namenbuch  (Basel  1903)  hinsichtlich  der  Namen 
ÜB  Gebiet  des  Bistums  Basel  angesteUt  hat.  Vgl.  die  Besprechung  von  Schönbach  im 
^^^Bi9^midnen  Liieraturblatt  XV  (1906),  Sp.  207—210.  —  Der  Vollständigkeit  halber 
"o  aach  genannt :  Beiträge  eur  Kenntnis  deutscher  Vornamen,  Mit  Stammwörterbuch. 
lUipxig  1903). 

2)  Die  Anfänge  des  deutschen  Minnegesanges  (Graz  1898). 


—     218     — 

ivestöstlicben  Wege  auch  noch  ein  südnördlicher  im  äufsersten  Osten 
in  Betracht,  nämlich  von  Oberitalien  über  Friaul  und  das 
Alpengebiet  nach  Österreich.  Er  nennt  die  2^it  von  1150 
bis  1250  ein  goldenes  Blatt  im  Leben  der  Steiermark.  Die  Herr- 
schenden waren  damals  schon  die  Deutschen,  und  dieses  Herrenvolk 
hatte  aus  seinen  bayerischen  Heimatsgauen  eine  F'ülle  volkstümlicher 
Überlieferungen  mitgebracht,  die  hier  neue  Wurzeln  schlugen.  Den 
Anteil  der  Steirer  an  den  Dichtwerken  der  Heldensage  (Nibelungen, 
Gudrun  usw.)  schlägt  Schönbach  bei  weitem  höher  an,  als  es  gemein- 
liin  geschieht.  Im  XII.  Jahrhundert  blühte  zwar  in  Steier  die  geistliche 
Dichtung,  aber  die  Glanzzeit  altdeutscher  Literatur  in  diesem  Lande  ist 
«doch  die  der  höfischen  Dichtung,  Lied  und  Erzählung  des  Rittertums.  Als 
•dieses,  dem  Süden  Frankreichs  entsprungen,  seinen  Siegeszug  durch 
die  romanischen  und  germanischen  Kulturvölker  antrat,  fand  es  nir- 
gendwo günstigere  Vorbedingungen  als  auf  steirischem  Boden,  denn 
hier  hatten  die  Dienstmannen  des  Landesfürsten  grofsen  Grundbesitz 
und  durch  den  Georgenberger  Freiheitsbrief  vom  17.  August  1186 
-eine  weitgehende  Selbständigkeit  und  wichtige  Rechte  erhalten,  so 
•dafs  der  Adel  sich  genossenschaftlich  organisieren  und  für  sich  das 
Ideal  ritterlichen  Lebens  annähernd  verwirklichen  konnte.  Der  dichte- 
rische Ausdruck  dieses  Ideals  war  zunächst  der  Minnegesang  —  im 
XIII.  Jahrhundert  blühten  hier  Epik  und  Lyrik :  die  Steiermark  war  ein 
Vorland  höfischer  Bildung  für  die  angrenzenden  Gebiete  und  wirkte 
in  dieser  Weise  selbst  auf  das  deutsche  Reich  zurück. 

Das  ist  der  wesentlichste  Inhalt  von  Schönbachs  Hypothese.  Mit 
Rücksicht  auf  sie  ist  es  gewifs  der  Mühe  wert,  nachzuforschen  und 
darzustellen,  inwieweit  in  Steiermark  die  Dichtkunst  auf  die  Namen- 
gebung  von  Einflufs  gewesen  ist.  Zu  diesem  Zwecke  habe  ich  aller- 
dings zunächst  nur  das  Urhundenhuch  des  Herzogtwns  Steiermark  *),  das 
üreilich  nur  bis  1260  reicht,  durchgenommen  und  verzeichne  daraus 
folgende  Namen  mit  der  Jahreszahl  ihres  Vorkommens,  welche  in  der 
gleichzeitigen  deutschen  Dichtung  auftreten  oder  in  irgendeine  Be- 
ziehung zu  ihr  gebracht  werden  können: 

Alberich  931,  Amalbert  1250,  Amalrich  1096,  Berenger 
1224,  Dietrich  1030,  Ekbert  1224,  Ekkehard  1125,  Erkenger 
1214,  Gerhard  1254,  Gernot  1188,  Gerold  1233,  Gerunch 
I169,   Gisebrecht    1246,    Gisilbert  1248,  Gisilher  1147,  Gre- 


i)  Bearbeitet  von   J.   Zahn,  herausgegeben   vom   Historischen  Verein  für 
Steiermark.     (Graz  1875— 1903,  3  Bde.) 


—     219     — 

gorius  1252,  Gundachar  1070,  Günther  1074,  Hagen  (Hagino) 
1209,  Hartmud  1233,  Hartwic  1210,  Helwic  1255,  Herbord 
1250,  Hertwic  1234,  Hetel  1150,  Hilteprand  1145,  Ilsunc  928, 
Irinch  928,  Irnfrid  1203,  Isenrich  1195,  Isingrim  1238,  Lanzo 
(Lanzelot?)  1070,  Otacharus  1256,  Ortlieb  1150,  Otfrid  1070, 
Pilgrim  1254,  Rudiger  1050,  Sigfrit  1130,  Vasoldus  1259, 
Volker  1155,  Walther  1259,  Wernher  1155,  Wezelo  1251, 
Wigant  iioo,  Wilhalm  1229,  Wolfgrim  1228,  Wolfhard  1213, 
Wolfher  1218,  Wolfker  1255,  Wolfram  1050,  Wulfing  1220. 
VoQ  Frauennamen  kommen  in  Betracht:  Berhta  11 40,  Gerlind 
1185,  Gisla  1251,  Herrad  1246,  Hiltrud  1195. 

Vergleichen  wir  diese  Namen  mit  jenen  aus  der  gleichzeitigen 
Literatur,  so  ergibt  sich,  dafs  nur  wenige  in  der  höfischen  Dichtung 
wiederkehren,  dafs  sich  jedoch  viele  aus  der  Heldensage,  besonders 
aus  dem  Kreise  der  Nibelungensage,  einige  auch  aus  der  Gudrunsage, 
finden. 

Rückschlüsse  daraus  auf  die  Verbreitung  und  den  Einflufs  ge- 
wisser Dichtungen  sind  gewifs  zulässig,  aber  es  wird  bei  derartigen 
Untersuchungen  vor  allem  auch  die  hier  aufser  acht  gelassene  Häufig- 
keit jedes  Namens  in  Betracht  gezogen  werden  müssen,  wobei  natürlich 
jede  wiederholt  genannte  Person  nur  einmal  und  zwar  bei  der  ersten 
Erwähnung  aufgeführt  werden  darf.  Würde  dann  für  jeden  Namen 
die  2^1  der  Träger  von  Jahrzehnt  zu  Jahrzehnt  festgestellt,  so  würden 
sich  ganz  gewifs  bestimmte  Anhaltspunkte  für  die  wechselnde  Ver- 
breitung oder  Beliebtheit  gewisser  Dichtungen  ergeben.  Solche  Unter- 
suchungen für  verschiedene  Länder  würden  lohnende  Aufgaben  für 
Doktoranden  darstellen. 


Mitteilungen 


Yersammlungen.  —  Die  IX.  Versammlung  deutscher  Historiker 

^  programmgemäfs  vom  17.  bis  21.  April  in  Stuttgart  unter  dem  Vorsitz 
^n  Geh.  Hofrat  Prof.  v.  Below  (Freiburg)  stattgefunden  und  war  von  etwa 
190  Teilnehmern  besucht,  unter  denen  natürlich  an  Zahl  die  Süddeutschen 
überwogen.  Weniger  zahlreich  als  sonst  waren  die  Österreicher  vertreten, 
und  vor  allem  fehlte  zum  ersten  Male  der  um  die  Entstehung  und  Ent- 
»ickelung  der  Historikertage  hoch  verdiente  Prof.  v.  Zwiedineck-Süden- 
^orst  (Graz),  den  schwere  Krankheit  am  Erscheinen  verhinderte.  —  Aus 
dem  Ausschufs  des  Verbandes  deutscher  Historiker  schieden  diesmal 
die  in  Halle  1900  gewählten  5  Mitglieder  aus,  nämlich  v.  Below  (Freiburg), 

16 


—     220     — 

Meyer  von  Knonau  (Zürich),  Oswald  Redlich  (Wien),  Dietrich 
Schaefer  (Berlin)  und  Hans  Prutz  (München);  aufserdem  war  für  den 
durch  Tod  ausgeschiedenen  v.  Weech  ein  Ersatzmann  zu  wählen.  Dem 
Vorschlage  des  Ausschusses  gemäfs  fiel  die  Wahl  auf  v.  Below  (Freiburg), 
Busch  (Tübingen),  v.  Heigel  (München),  Meyer  von  Knonau  (Zürich),  Redlich 
(Wien),  Seeliger  (Leipzig).  Die  nächste  Versammlung  soll  im  Herbst  1907 
in  Dresden  stattfinden,  und  zwar,  da  Lamprecht  bereits  bei  der  Leipziger 
Tagung  1894  den  Vorsitz  geführt  hat,  unter  der  Leitung  von  Seeliger, 
der  deshalb  zum  Verbandsvorsitzenden  gewählt  worden  ist.  —  Der  Ver- 
band deutscher  Historiker  ist  als  solcher  dem  „Leopold  von  Ranke- 
Verein**  (Vorsitzender:  Bürgermeister  Kammradt  in  Wiehe)  beigetreten, 
um  dadurch  die  Bestrebungen  des  Verems,  über  die  Hans  Heimelt 
(Leipzig)  noch  nähere  Mitteilungen  machte  und  die  vor  allem  auf  die  Er- 
richtung eines  Rankemuseums  in  Rankes  Geburtshaus  zu  Wiehe  abzielen,  za 
fördern.  Aus  den  Barmitteln  des  Verbandes  ist  dem  Deutschen  Schulverein 
eine  einmalige  Gabe  von  100  Mark  bewilligt  worden,  und  femer  will  der 
Verband  die  Herausgabe  des  dem  Nachlafs  von  Gengier  entstammenden 
Manuskripts  Die  Stadtrechte  Deutschlands  aus  dem  XVL  bis  XVIIL  Jahr- 
hundert dadurch  fördern,  dafs  er  den  Bearbeiter  honoriert,  vorausgesetzt, 
dafs  von  anderer  Seite  ein  Zuschufs  zu  den  Druckkosten  geleistet  wird. 

Die  Vorträge,  die  dargeboten  wurden,  fallen  zum  Teil  aus  dem  Rahmen 
dieser  Zeitschrift  heraus:  das  gut  von  dem  Vortrage  von  Meinecke  (Frei- 
burg) über  Deutschland   und  Preufsen  im  XIX.  Jahrhundert,   worin  der 
Redner  vor  allem   darlegte,    dafs  für   Friedrich  Wilhehn  IV.   die  Annahme 
der  Kaiserkrone  deshalb  unmöglich  war,  weil  er  dann  auf  Preufsen  als  Staats- 
persönlichkeit hätte  verzichten   müssen,   nicht  minder  für   die  Ausführungen 
Egelhaafs  über   England  und  Europa  vor   100  Jahren,   in    denen   die 
wechselnde    Stimmung    des    festländischen    Europa    gegenüber    England   im 
XVIII.  Jahrhundert  erörtert  wurde,  auch  für  den  Vortrag  von  L.  M.  Hart- 
mann  (Wien)  über   die   Wirtschaftsgeschichte  Italiens  im  früheren  MiUel' 
alter,  in  dem  in  knappem  Umrisse  die  Wandelungen  im  Wirtschaftsleben  Italiens 
von  der  römischen  Kaiserzeit  bis   ins  X.  Jahrhundert   verfolgt   wurden,   wie 
sie  der  Redner  in  seiner  Geschichte  Italiens  im  Mittelalter  (Gotha  1897  bis 
1903,  2  Bde.  in  3  Teilen)  geschildert  hat.     Auch  die  Charakteristik  Karls 
des    Grofsen    durch    Hermann    Bloch    (Rostock)    berührte    Probleme, 
die  nicht  in  den  Gedankenkreis  dieser  Zeitschrift  gehören,  aber  er  fand,  neben- 
bei bemerkt,  mit  seiner  AufTassimg,  die  den  Frankenkönig  nur  als  wahrhail  christ- 
lichen Herrscher  hinsteUte,  bei  den  Zuhörern  gar  keinen  Anklang.    Auf  ein  zvrar 
sehr  interessantes,  aber  hier  nicht  zu  behandelndes  Gebiet  führte  Ernst  Tröltsch 
(Heidelberg)  die  Zuhörer  in  seinen  Ausführungen  über  die  Bedeutung  des  Prote- 
stantismus für  die  Entsteh%mg  der  modernen  Wdt,  worin  er  zunächst  mit  gutem 
Grunde  den  N e u protestantismus  seit  dem  XVIIL  Jahrhundert  von  dem  Alt- 
Protestantismus  trennte,  um  im  wesentlichen  nur  von  letzterem  zu  reden,  da 
ja  der  erstere  selbst  einen  Teil  der  modernen  Welt  bildet.  Im  Altprotestantismus 
stehen  Luthertum  und  Kalvinismus  als  zwei  entgegengesetzte  Richtungen  neben- 
einander; der  Staat  ist  streng  konfessionell  und  unterdrückt  das  andere  Be- 
kenntnis gewaltsam,  und  überdies  die  humanistische  Theologie  und  nicht  zu- 
letzt das  Wiedertäufertum,  und  doch  haben  gerade  die  beiden  letzten   Rieh- 


—     221     — 

taugen  bedeutende  Einwirkungen  auf  das  moderne  Geistesleben  ausgeübt: 
(Üe  Gewissensfreiheit  ist  eine  wiedertäuferische  Forderung,  und  in  ihr  haben 
die  Menschenrechte,  die  gewissennafsen  als  eine  Erweiterung  des  Prinzips 
der  Gewissensfreiheit  gelten  müssen,  ihren  Ursprung.  Dabei  betonte  der 
Redner  scharf,  dafs  es  sich  für  ihn  nur  um  ursächliche  Zusammen- 
hänge handele,  keineswegs  um  ^Werturteile,  und  die  strikte 
Durchführung  dieses  Grundsatzes  auf  einem  so  schwierigen  Gebiete,  wie  es 
die  Geschichte  geistiger  Strömungen  ist,  zumal  wenn  die  Gefahr  besteht,  dafs 
die  Geisteskämpfe  der  unmittelbaren  Gegenwart  berührt  werden,  verdient 
wenigstens  ebensolche  Anerkennung,  wie  die  von  ausgebreitetster  Kenntnis 
zeugenden  materieUen  Darbietungen. 

In  engerer  Beziehung  zur  deutschen  Landesgeschichte  stand 
zunächst  der  Vortrag  von  Prof.  Fabricius  (Freiburg)  über  Das  römische 
Heer  in  Deutschland  ').  Ausgehend  von  der  Tatsache,  dafs  sich  bei  Stutt- 
gart alte  Römerstrafsen  kreuzten,  woran  das  Kastell  bei  Kannstatt  erinnert, 
und  unter  Hinweis  auf  die  neue  Arbeit  von  Lachenmaier  über  die 
Ohhtpation  des  Limesgebieies  durch  die  JRömer  (mit  Karte  i  :  i  ooo  ooo  in 
den  Württembergischen  VterteJjahrsheften  für  Landesgeschichte,  Neue  Folge  XV 
[1906],  S.  187 — 262)  bezeichnete  es  der  Redner  als  die  Aufgabe  seiner 
Untersuchung,  die  Organisation  des  römischen  Heeres  in  der  Zeit  von  etwa  70 
bis  260  n.  Chr.  in  ihren  Wandelungen  zu  verfolgen;  denn  der  Limes  sei 
ja  das  Werk  des  Heeres,  und  seine  Anlage  nur  aus  der  Organisation  des 
letzteren  zu  verstehen.  Da  die  geringen  schriftstellerischen  Zeugnisse  aus 
jener  Zeit  nicht  genügen,  um  systematisch  ein  Bild  der  Heeresorganisation 
zu  entwerfen,  so  müssen  die  baulichen  Überreste  und  Inschriften  gründÜch 
ausgebeutet  und  vor  allem  die  daraus  zu  gewinnenden  chronologischen 
Angaben  sorgfältig  berücksichtigt  werden.  Geschieht  dies,  dann  ergibt  sich 
etwa  folgende  Entwickelung.  Das  römische  Heer  zerfiel  im  ersten  nach- 
christlichen Jahrhundert  in  Legionen  und  Hilfstruppen  (auxilia);  in 
den  erstereu  dienten  die  römischen  Bürger,  in  den  letzteren  die  Peregrinen, 
als  Reiter  in  den  alae.  als  Fufssoldaten  in  den  cohortes,  die  beide 
etwa  500  —  600  Mann  umfafsten.  In  Oberdeutschland  waren  die  Hilfs- 
trappen viel  stärker  vertreten  als  die  Legionen,  von  denen  nur  je  2  in 
Strafsburg  und  Mainz  garnisonierten ,  während  Rhätien  ohne  alle  Legionen 
*ar.  Die  Truppenkörper  erhielten  nun  aber  neben  einer  Geldlöhnung  auch 
Land  zum  Niefsbrauch;  dadurch  verwuchsen  sie  mit  dem  Boden  und 
»cchselten  ihren  Aufenthaltsort  demgemäfs  nur  ganz  selten.  Die  Hilfstruppen 
'tirden  gewohnheitsgemäfs  nach  den  Teilen  des  Reiches  benannt,  aus  denen  sie 
sichursprünglich  rekrutiert  hatten,  so  begegnen  z.  ß.  auch  Syrer  und  Thraker, 
(fie  damals  an  den  Rhein  gekommen  waren,  aber  tatsächlich  werden  schon  am 
&ide  des  ersten  Jahrhunderts  die  im  Lande  Geborenen  überwogen  haben.  Eine 
Trennung  zwischen  den  zur  Grenzwacht  bestimmten  Truppen  und  einem 
Operations  beere  gab  es  im  Römischen  Reiche  nicht,  und  deshalb  mufsten  im 


i)  Dem  Redner  verdanken  wir  auch  eine  vorzügliche,  die  Ergebnisse  der  römisch- 
lermaniscben  Forschung  kurz  zusammenfassende  Arbeit:  Die  Besitznahme  Badens  durch 
die  Bömer  [=  Neujahrsblätter  der  Badischen  Historischen  Kommission,  Neue  Folge  8J. 
Heidelberg  1905. 

IG* 


—     222     — 

Bedarfsfalle  Truppen  von  der  Grenze  weggezogen  werden,  wenn  irgendwo  Auf- 
stände niederzuschlagen  waren ;  in  solchen  Fällen  wurden  z.  B.  die  Legionen 
aus  Strafsburg   und  Mainz   in  ganz  Gallien   verwendet.     Als   im  Bürgerkrieg 
zwischen  Vitellius  und  Vespasian  der  erstere  die  Legionen  vom  Rhein,  der 
letztere   die   von    der   Donau    weggezogen    hatte,    erhob    sich    der  Bataver- 
aufstand, an  dem  viele  Offiziere    \ind  Soldaten   der   auxüia  beteiligt  waren. 
Die  Folge  dieses  Vorfalles  war,   dafs  nach  70   als  Offiziere   der  Peregrincn 
nur  noch  Römer  zur  Verwendung  kamen  und   dafs   ihre  Lager  von   denen 
der  Legionen  getrennt  und  auf  das  rechte  Rheinufer  verlegt  wurden.    Da- 
bei lag   der   Verteilung    der  Truppen    kein    bestimmtes    System    zugrunde; 
einige  Gegenden  waren  stärker,  andere  schwächer  besetzt,  und  höchst  wahr- 
scheinlich war  die  Verpflegung  der  Truppen  dafür  mafsgebend.    Damals 
rückte  das  römische  Heer  in  die  agri  decumates  ein,    d.  h.  das.  Zehntland, 
das   ursprünglich  Domanialbesitz   des  Kaisers  war   und   von   zehntpflichtigen 
gallischen  und  britannischen  Kolonen  besiedelt  worden   war;    nach   den  In- 
schriften gab  es  um  100  n.  Chr.  dort  4  alae  imd  17  bis  20  coAor^e«  Hilfstruppen, 
während  in  Mainz  und  Strafsburg  nur  noch  je  eine  Legion  stand.     Seit  etwa 
1 20  n.  Chr.  wurde  der  polizeiliche  Grenzschutz  nach  einer  bestimmten  Schablone 
organisiert,    und   damals  wurde  aus   dem  Grenzweg   (limes)   die    Grenz- 
befestigung, eine  geradlinige  Anlage  mit  Palisaden  und  Kastellen  in  gleich- 
mäfsigen  Zwischenräumen.     Die  einzelnen  militärischen  Abteilungen  fingen  an, 
insofern  sie  ihren  Acker  bewirtschafteten,  Gemeinden  zu  bilden,  aus  denen 
sich   die   Truppenkörper  rekrutierten,    denn   die   Soldaten   der  Hilfstruppen 
standen  nur  25  Jahre  bei  der  Fahne,  waren  meist  verheiratet  und  lebten  in 
ihren  Gehöften  bei  den  Kastellen,  während  sie  nur  einige  Stunden  im  Kastell 
selbst  Dienst  taten.    Dieses  zuerst  bei  den  auxilia  entwickelte  System  vrurde 
bald    auch   von  den  Legionen   nachgeahmt,    und  nunmehr   kam   in   den 
numeri  auch  eine  dritte  Gattung  Krieger  hinzu,  die  als  exploratorts  verwendet 
wurden  und  aus  angesiedelten  Barbaren  bestanden.    Grundsätzlich  wurde  an 
der  seit    120   üblichen  Grenzverteidigung   überhaupt  nichts   mehr   geändert, 
und  um  200  waren  sämtliche  römische  Soldaten  in  Oberdeutschland  (Legionen, 
auxilia f  numeri)   in  dem  Mafse  sefshaft,  dafs  man  sie  als  angesessene, 
Ackerbau   treibende  Grenzmilizen  oder    als    zum    militärischen 
Dienst  verpflichtete   Bauern  bezeichnen   darf;   sie   waren  Verteidiger 
der  römischen  Reichsgrenze  und  ihrer  eigenen  Äcker.    Darin  aber  lag  auch 
ihre  Schwäche,    denn   diese    Grenzwache,   deren    Teile  weit  auseinanderge- 
zogen waren,  besafs  nicht  die  Kraft  zum  Widerstände  bei  heftigem  Andringen 
der  Feinde.     So  erklärt  es  sich,    dafs  bei  dem  Ansturm  der  Germanen  um 
260    sämtliche  LimeskasteUe   zerstört   und  aufgegeben  wurden  und  dafs   wir 
von  diesem  Augenblicke  an  weder  von  aXtie  noch  von  cohortes  weitere  Kunde 
erhalten.     Die  bisherigen  Grenzverteidiger   hören  auf,  sich  als    Soldaten  zu 
ftihlen,  sie  werden  ausschliefslich  Bauern,  was  sie  vorher  schon  zu  drei  Vierteln 
gewesen  waren;    die  Kastelldörfer  überdauerten  die   Kastelle,   und   ihre 
Bewohner  unterwarfen  sich  dem  germanischen  Herrschervolke,  das  vom  Lande 
Besitz  ergriff.    Nur  so  wird  es  verständlich,  dafs  sich  kein  einziger  Truppen- 
körper zum  Rheine  zurückgezogen  hat.  —  Aus  der  anregenden  Aussprache, 
die   sich   an    den  Vortrag   anschlofs,    sei  nur  auf  die  Bemerkung  von  Prof 
Gundermann  (Tübingen)  hingewiesen,  dafs  sprachlich  der  Ausdruck  agri 


—     223     — 

decumaies  noch  nicht  genügend  erklärt  ist;  dafs  es  eine  keltisch-lateinische 
Mischbildung  sei,  lehnt  er  ab  und  hält  es  für  sehr  fraglich,  ob  das  Wort 
„zehn*^  überhaupt  darin  enthalten  ist,  denn  lateinisch  hätte  man  unbedingt 
0^'  decumani  gesagt,  um  den  Begrifif  „Zehntland'*  auszudrücken. 

In  enger  Beziehung  zu  früheren  Ausführungen  in  dieser  Zeitschrift  stand 
der  Vortrag  von  Oswald  Redlich  über  Historisch-geographische  Probleme, 
in  dem  er  ztmächst  schilderte,  wie  die  geschichtliche  Geographie  als  Sonder^ 
Wissenschaft  durch  die  Arbeiten  von  Ratzel,  Eduard  Richter,  Ernst 
Cartius,  Nissen,  Wimmer,  Bodo  Knüll,  Konrad  Kretschmer, 
Wühehn  Götz  u.  a.  in  neuerer  Zeit  gefördert  worden  ist.  Mit  Recht  hob 
er  hervor,  dafs  die  Historiker  im  ganzen  den  geographischen  Problemen 
nicht  genügende  Beachtung  geschenkt  imd  sich  im  wesentlichen  auf  die 
historische  Topographie  beschränkt  haben.  Gegenüber  diesen  speziellen, 
^  jeden  geschichtlichen  Arbeiter  imentbehrlichen  historisch-topographischen, 
nur  auf  dem  Wege  geschichtlicher  Forschung  zu  gewinnenden  Angaben  be- 
zdchnete  der  Redner  als  Beispiele  einige  allgemein  e  geographische  Probleme, 
die  für  vergangene  Jahrhimderte  als  gelöst  angenommen  tiefere  Einblicke 
in  den  Gang  der  geschichtlichen  Ereignisse  gewähren  würden.  Als  solche 
Aufjgaben  der  Forschimg  wurde  z.  B.  die  Geschichte  der  Waldrodung  im 
Verhältnis  zur  Besiedelung,  die  Untersuchung,  wie  weit  zu  gewissen  Zeiten 
bestimmte  Kulturpflanzen  verbreitet  waren,  und  die  Vergleichung  der  Ernte- 
ergebnisse mit  den  von  Ed.  Brückner  angenommenen  35  jährigen  Klima- 
schwankungen hingestellt,  wobei  der  Redner  den  Ergebnissen  der  von  ihm 
angeführten  Sonderuntersuchungen  allerdings  mit  Recht  noch  skeptisch 
gegenüberstand.  —  In  der  Erörterung  bezeichnete  Lamprecht  (Leipzig)  zwei 
verschiedene  historisch-geographische  Gedankenreihen,  die  grundsätzlich  aus- 
einanderzuhalten seien,  nämlich  die  geschichtliche  Untersuchung,  die  die 
Antwort  auf  die  mehr  geographische  Frage  gibt:  wie  hat  sich  der 
Boden  unter  dem  Einflufs  der  menschlichen  Kultur  mngestaltet?  und  die 
geschichtliche  Untersuchung,  die  auf  die  mehr  geschichtliche  Frage 
Antwort  erteilt :  wie  sind  die  Menschen  durch  die  bestimmten  geographischen 
Tatsachen  der  Bodengestaltung ^  des  Klimas  usw.  beeinfiufst  worden?  Bei 
der  praktischen  Arbeit  würden  zwar  beide  Gesichtspunkte  immer  neben- 
ebander  berücksichtigt  werden  müssen,  das  schliefse  aber  ihre  grundsätzliche 
Trennung  nicht  aus,  um  die  Probleme  klarer  zu  erfassen.  Besonders  ein- 
igend wurde  im  Anschlufs  an  die  Arbeit  von  Curschmann  Hungersnöte 
«  Mittelalter  (Leipzig  1900)  die  Notwendigkeit  betont,  urkundliche  und 
dironikalische  Zeugnisse  über  Naturereignisse  in  Menge  zu  sammeln,  um 
1^  etwaigen  Einwirkungen  auf  die  Ernteergebnisse  auf  Grund  eines  genügend 
i&n£ai]greichen  Materials  untersuchen  zu  können.  Nachdrücklich  betonte 
Alexander  Cartellieri  (Jena)  hinsichtlich  der  topographischen  Auf- 
gs^hen,  dafs  auch  bei  der  rein  äufserlichen  Feststellung  von  Ortsnamen  noch  un- 
endlich viel  zu  tun  sei,  namentlich  soweit  es  sich  um  Ereignisse  handelt, 
die  sich  auf  aufserdeutschem  Boden  abgespielt  haben.  Schuld  daran  sei 
allerdbgs  vor  aUen,  dafs  unsere  kleineren  Bibliotheken  recht  schlecht  mit 
topographischen  Nachschlagewerken  ausgestattet  seien. 

In  das    Gebiet    der   Kunstgeschichte   führte   der  Vortrag   von   Konrad 
▼•  Lange  (Tübingen),   der  im  Museum  der  bildenden  Künste  stattfand  und 


—     224     — 

Schwabens  SttUung  in  der  Geschichte  der  Malerei  behandelte.  Entg^n 
der  früheren  Ansicht,  dafs  die  in  Alb  recht  Dürer  gipfelnde  realistische 
Bewegung  von  den  Niederlanden  ausgegangen  und  von  dort  über  Köln  nach 
Süden,  namentlich  nach  Kolmar,  gekommen  sei,  vertrat  Redner  die  An- 
schauimg,  dafs  die  realistische  Richtung  vielmehr  im  XV.  Jahrhundert  in  der 
Luft  gelegen  habe  und  sich  zum  wenigsten  in  Schwaben  unabhängig  von  fremden 
Einflüssen  entfaltet  habe.  Als  besonders  charakteristisch  für  den  Werdegang 
des  Realismus  bezeichnete  er  die  drei  schwäbischen  Künsder  Lukas  Moser, 
Konrad  Wietz  und  Hans  Multscher. 

Siegfried  Rietschel  (Tübingen)  behandelte  in  seinem  Vortrage  Tausend- 
schaff  und  Hundertschaft  ein  viel  umstrittenes  Kapitel  der  älteren  deutschen 
Verfassungsgeschichte  und  tilgte  dabei  die  erst  von  W.  Sickel  in  seinem 
Buche  Der  deutsche  Freistaat  (Halle  1879,  ^^^^  Abteilung  der  Geschichte 
der  deutschen  Staatsverfassung  bis  £ur  Begründung  des  konstitutioneUen 
Staats)  entdeckte  Tausendschaft  völlig  aus  der  Reihe  der  bei  den  Deutschen 
vorhandenen  Verfassungs-  oder  irgendwelcher  anderen  Einheiten,  da  sie  als 
politischer  Verband  überhaupt  nicht  und  als  müitärischer  nur  bei  den  West- 
goten —  und  auch  nicht  mit  voller  Sicherheit  —  nachweisbar  sei.  Die 
Hundertschaft  dagegen  ist  eine  gemeingermanische  Einrichtung,  die  sich 
vor  allen  auch  bei  den  germanischen,  von  römischen  Einflüssen  am  wenigsten 
berührten  Bewohnern  Skandinaviens  findet  und  dort  nicht  nur  Gerichtsbezirk, 
sondern  auch  Markgenossenschaft  und  Pfarrbezirk  war.  Bei  den  Franken 
ist  die  Hundertschaft,  mit  dem  Fremdwort  „Zent**  bezeichnet,  sicher  in  mero 
wingischer  Zeit  der  Gerichtsbezirk,  an  dessen  Spitze  der  centenaHus  steht. 
Auch  in  Bayern  finden  sich  im  VlIL  Jahrhundert  Hundertschaftsbezirke,  auf 
deren  weit  älteren  Ursprung  Anzeigen  hindeuten.  Bei  den  AJemaimen  wird 
die  Einrichtung  der  centena  gewöhnlich  als  von  den  Frauken  übernommen  hin- 
gestellt, aber  in  der  Tat  ist  auch  bei  ihnen  die  Hundertschaft  älter,  wie  die 
nach  Personen  benannten  Ortsnamen,  z.  B.  Munsingahuntari ^  jetzt  Mün- 
singen, lehren.  Wer  war  imn  derjenige,  der  einer  bestimmten  Hundert- 
schaft den  Namen  gegeben  hat?  Gewifs  nicht  ein  zufälliger  Hundertschafts- 
vorsteher, sondern,  wie  Weller  gezeigt  hat,  sind  die  nach  Personen  genannten 
Ortsnamen  das  Ursprüngliche,  und  erst  von  dem  Hauptorte  einer  Hundert- 
schaft hat  diese  den  Namen  erhalten.  Der  Name  ist  demnach  der  des 
Ältesten  derjenige  Sippe,  durch  die  die  Gegend  von  einem  Orte  aas 
besiedelt  worden  ist.  Ganz  ähnliche  Fälle  finden  sich  in  Schweden.  Bei 
den  Sachsen  fehlt  zwar  der  Name  Hundertschaft,  aber  die  Sache  nicht: 
sie  lebt  in  dem  go,  dessen  Vorsteher  der  gogreve  ist.  Bei  den 
Angelsachsen  ist  die  Einteilung  in  Bezirke  allgemein  üblich,  die  hiteinisch 
mit  regio,  später  in  der  Volkssprache  mit  hundred  bezeichnet  werden.  Die 
zweifellos  als  gemein  germanische  Einrichtung  anzusprechende  Hundert- 
schaft war  politischer  und  wirtschafdicher  Verband  zugleich.  Der  Name  be- 
zeichnet gewifs  die  Masse  von  100  selbständigen  Familienvätern,  mag  nun 
dabei  an  100  oder  120  gedacht  werden,  d.  h.  diejenigen  waflfenfähigen 
Männer,  die  zugleich  wirtschaftlich  selbständig  sind  und  im  Gericht  sitzen; 
denn  die  Zahl  der  Waffenfähigen  war  entschieden  gröfser,  da  die  Wehrhaft- 
machung  der  Söhne  schon  im  Alter  von  12 — 15  Jahren  erfolgte.  Aber 
trotzdem  blieb  der  Jüngling  in  der  wunt  des  Familienhauptes,   bis  er  auch 


—     225     — 

wirtschaftlich  selbständig  wurde.  Die  Zahl  hundert  wurde  natürlich  nicht 
festgehalten,  sondern  verschob  sich,  und  dies  war  um  so  leichter  dort,  wo 
das  Fremdwort  „Zent*'  sich  einbürgerte.  Die  Hundertschaftseinteilung  hat 
sich  im  ripuarischen  Niederrheinland  sogar  weiterentwickelt,  indem  sich  dort 
kleine  als  „Hunnschaften**  bezeichnete  Bezirke  finden,  die  oft  nur  Dorfleile 
darstellen.  Wenn  die  Hundertschaften  mit  den  anderen  Bezirken  verglichen 
Verden,  so  eipbt  sich,  dafs  die  Grafschaft  jünger  ist  als  die  Hundert- 
sdiaft.  Die  alten  grofsen  Gaue,  die  nach  alten  Völkerschaften,  Städten, 
Flässen  oder  Gebirgen  benannt  sind,  werden  mit  Unrecht  mit  den  späteren 
Grafschaften,  wenn  auch  die  Namen  z.  T.  dieselben  sind,  identifiziert.  Sie 
waren  keine  politischen  Bezirke,  deim  die  Gauver£assung  war  damals  noch 
unbekannt,  sie  bezeichnen  vielmehr  nur  eine  Gegend.  Nur  in  Fällen,  wo 
ein  solcher  Gau  später  zu  einer  Grafschaft  oder  einer  Hundertschaft  ge- 
worden ist,  hat  er  den  Charakter  eines  politischen  Bezirks  gewonnen.  Die 
Hundertschaft  ist  demnach  der  einzige  politische  Verband  der  germanischen 
Urzeit.  —  In  der  lebhaften  Aussprache,  die  sich  anschlofs,  kam  im  wesent- 
bdien  die  Zustimmung  der  Zuhörer  zum  Ausdruck. 

Prof.  Knapp  {Strasburg)  sprach  unter  dem  Titel  Die  rechtshistorischen 
Grundlagen  des  Gddtoesens  über  die  in  seinem  jüngsten  Werke  ^)  nieder- 
gelegten Anschauungen,  die  darin  gipfeln,  dafs  das  Metall  nicht,  wie  die 
nMetallisten*'  dächten,  ein  fiir  den  Begriff  „Geld''  wesentliches  Element 
sei,  daüs  vielmehr  lediglich  durch  die  Staatsgewalt  Metall  oder  Papier 
die  Eigenschaft  des  Geldes  erhalte.  Das  Geld  im  innerstaatlichen  Verkehr 
sei  lediglich  ein  Erzeugnis  der  Rechtsordnung,  in  Wirklichkeit  diene  das 
bare  Geld  vorzüglich  im  Verkehr  mit  dem  Ausland.  —  Wenn  auch,  da  eine 
Erörterung  nach  diesem  öffentlichen  Vortrage  ausgeschlossen  war,  eine  gegen- 
teilige Meinung  nicht  vertreten  werden  konnte,  so  machte  sich  eine  solche 
doch  im  Privatgespräch  und  auch  nebenbei  in  einer  Sitzung  der  Konferenz 
von  Vertretern  landesgeschtchtlicher  Publikationsinstitute  geltend,  über  deren 
Verhandlungen  demnächst  berichtet  werden  soll. 

ArehiTe.  —  Nach  Beendigung  der  Ordnungsarbeiten  im  Stadtarchive 
m  Wernigerode,  über  deren  Ergebnisse  oben  S.  185  — 186  berichtet  wurde, 
bat  Dr.  Hans  von  Wurmb  am  i.  AprU  1906  mit  der  Neueinrichtung  des 
Ratsarcbivs  zu  Frankenhausen  begonnen. 

Sominisslonen«  —  Nach  3I jähriger  Unterbrechung^)  hat  die  Kom- 
mission zur  Herausgabe  lothringischer  Geschichtsquellen  am 
7-  Oktober  1905  wieder  eine  Sitzung  abgehalten  unter  dem  Vorsitze  des 
^ezirkspräsidenten  Grafen  von  Zeppelin-Aschhausen.  Dem  von  Archiv- 
direktor Wolfram  erstatteten  Bericht  über  den  Fortgang  der  Arbeiten  ist 
folgendes  zu  entnehmen.  Von  den  Vatikanischen  Urkunden  und  Regesten 
itr  GesMchie  Lothringens,  die  Sauerland  bearbeitet  hat,  ist  der  zweite 
Band  (Metz  1905)  erschienen,  der  nicht  nur,  wie  ursprünglich  geplant  war, 
^  136a  reicht,  sondern  ^e  Jahre  1342— 1370   umfafst.  —  Von   den   zu 


1)  Die  staatliche  Theorie  des  Geldes  (1905). 

2)  Vgl.  diese  Zeitschrift  3.  Bd.,  S.  242. 


—     226     — 

edierenden  Chroniken  ist  die  Chronik  der  Kaiser  aus  dem  luxemburgischen 
Hause  der  Vollendung  im  Druck  nahe,  während  die  Chronique  des  hSques 
de  Mete  im  Manuskript  vorliegt  und  die  Chronique  de  Philippe  de  Vigneuües, 
die  6  Bände  füllen  wird,  etwa  zu  zwei  Dritteln  abgeschrieben  worden  ist.  Die 
Reihenfolge,  in  der  die  Chroniken  veröffentlicht  werden  sollen,  wurde  be- 
stunmt.  —  Das  von  Prof.  F ollmann  (Metz)  bearbeitete  Wörterbuch  der 
deutsch 'lothringiscJien  Mundarien  ist  im  Manuskript  nahezu  vollendet.  — 
Die  von  Prof.  Wichmann  bearbeitete  Ausgabe  der  Metzer  Schreins- 
rollen ist  im  Manuskript  abgeschlossen,  aber  der  Druck  kann  erst  beginnen, 
wenn  das  sehr  umfangreiche  Register  vollendet  ist.  Dieses  wird  gewisser- 
mafsen  ein  Adrefsbuch  des  Mittelalters  für  Metz  darstellen  und  neben  seiner 
ortsgeschichtlichen  Bedeutung  geeignet  sein,  die  Forschung  über  2^ahl  und 
Zusammensetzung  der  mittelalterlichen  Stadtbevölkerung  aufs  neue  an- 
zuregen. —  Als  neue  Veröffentlichung  wurde  die  der  Cdhiers  de  doleances 
von  1789  in  den  Arbeitsplan  aufgenommen;  das  sind  die  Beschwerdeschriften, 
die  von  jeder  einzelnen  Ortschaft,  jedem  Bezirk  und  jedem  Stande  der 
Nationalversammlung  eingereicht  wurden.  Fünf  handschrifdiche  Bände  der 
lothringischen  cahiers  haben  sich  im  Bezirksarchiv  in  Metz  gefunden,  andere 
werden  vermutlich  noch  in  Frankreich  ans  Licht  kommen.  Das  Reich 
tmterstützt  diese  Publikation  mit  7500  Mark.  Ferner  schweben  Verhand- 
limgen  über  die  Herausgabe  einer  Reihe  Privaturkunden  des  XIII.  Jahr- 
hunderts, die  Bibliothekar  Bonnardot  (Verdun)  gesammelt  hat  und  die  eine 
Ergänzung  zu  den  Schreinsrollen  bilden. 


In  Wien  tagte  am  31.  Oktober  1905  unter  dem  Vorsitze  Sr.  Durchl. 
des  Prinzen  Franz  Liechtenstein  die  Kommission  für  neuere  Ge- 
schichte Österreichs^).  Im  Druck  erschienen  ist  der  erste  Band  des 
von  Hans  Übersberger  bearbeiteten  Werkes  Österreich  und  Bußland  seit 
dem  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  (Wien,  Braumüller  1906),  in  dem  die 
politischen  Beziehungen  beider  Staaten  von  1488  bis  1605  geschildert 
werden.  Bald  wird  das  erste  Heft  einer  Schriftenreihe  Materialien  zur 
neueren  Geschichte  Österreichs  ausgegeben  w.erden,  in  der  Berichte  über  die 
wichtigsten  österreichischen  Privatarchive  veröffentlicht  werden  sollen.  Der 
erste  Band  der  österreichisch- englischen  Staatsverträge,  der  von  Prof. 
Pribram  bearbeitet  worden  ist  und  bis  1748  reicht,  befindet  sich  im  Druck. 
In  Bearbeitung  befinden  sich  femer  die  österreichisch -französischen 
Staatsverträge  (Staatsarchivar  Schütter),  die  österreichisch -nieder- 
ländischen Slaatsverträge  (Heinrich  R.  von  Srbik)  und  die  seitens 
Österreichs  mit  Siebenbürgen  geschlossenen  Konventionen  (Roderich 
Goofs),  während  Ludwig  Bittner  an  dem  zweiten  Teile  des  Chrono- 
logischen Verzeichnisses  der  österreichischen  Staatsverträge,  der  die  Zeit  von 
1763  bis  zur  Gegenwart  umfassen  soll,  arbeitet.  Die  Herausgabe  der 
Korrespondenz  des  Kaisers  Ferdinand  I.  ist  von  Wilhelm  Bauer  durch 
Arbeiten  in  auswärtigen,  durch  Karl  GoU  in  Wiener  Archiven  wesentlich 
gefördert  worden.    Neu  wurde  unter  die  herauszugebenden  Korrespondenzen 

i)  Vgl.  darüber  diese  Zeitschrift  6.  Bd.,  S.  137 — 138. 


—     227     — 

auch  die  des  Kaisers  Maximilian  II.  aufgenommen,  und  zwar  wurde  Viktor  B  i  b  l 
mit  ihrer  Bearbeitung  betraut.  Die  nach  Felhiers  Tode  von  Kretschmayr 
fortgesetzte  Geichiehte  der  Organisation  der  österreichischen  Zentralverwaltung 
konnte  bis  jetzt  noch  nicht  in  den  Druck  gegeben  werden.  —  In  die  Kom- 
mission isT  neu  eingetreten  der  Direktor  des  k.  u.  k.  Kriegsarchivs,  Feld- 
marschalleutnant  Emil  Woinovich,  und  der  mährische  Landesarchivar 
Beithold  B retholz,  während  Minister  a.  D.  Anton  Rezek  auf  seine  Mit- 
fliedschaft  Verzicht  geleistet  hat. 

Die  24.  Plenarsitzung  der  Badischen  Historischen  Kommission  ^) 
hat  am  10.  und  11.  November  1905  in  Karlsruhe  stattgefunden.  Aus  dem 
Berichte  ist  zu  entnehmen,  dafs  die  Arbeiten  aufserordentlich  rüstig  fort- 
geschritten und  vor  allem  mehrere  Werke  zum  Abschlufs  gebracht  worden 
sind.  Als  Neujahrsblatt  für  1905  ist  Ernst  Fabricius,  Die  Besitxnahme 
Badens  durch  die  Eömer  (Heidelberg,  Winter)  erschienen;  der  zweite  Band 
<ies  Oberbadischen  Qeschlechterbuches ,  bearbeitet  von  Julius  Kindler 
vonKnobloch,  hat  mit  der  7.  Lieferung  seinen  Abschlufs  gefunden;  des- 
^chen  liegt  das  zweibändige  Topographische  Wörterbuch  des  Grofshereog- 
Ums  Baden,  bearbeitet  von  Albert  Krieger,  in  zweiter  Auflage  ab- 
geschlossen vor;  auch  von  den  Begesten  der  Bischöfe  von  Konstanz, 
bearbeitet  von  Karl  Rieder,  ist  nun  die  Schlufslieferung  des  zweiten 
Bandes  (Innsbruck,  Wagner)  fertiggestellt,  und  das  ganze  Werk  ist  damit  bis 
1383  gediehen.  Von  der  zweiten  K\iXt\\}m%  dtx  Oberrheinischen  Stadtrechte, 
die  den  schwäbischen  Rechten  gewidmet  ist,  hat  Christian  Roder 
<las  erste  Heft  vollendet,  welches  die  Rechte  von  Villingen  und  Heidelberg 
enthält,  von  den  Badischen  Biographien  ist  die  7.  bis  10.  Lieferung  des 
ftbiften  Teiles  erschienen.  Von  den  Bömischen  Qudlen  zur  Konstaneer  Bistums- 
geschichte,  die  Karl  Rieder  bearbeitet,  befindet  sich  der  erste  Band  im 
Dmck,  ebenso  das  Register  zum  dritten  Bande  der  Begesten  der  Markgrafen 
«DM  Baden  und  Hachberg,  Auch  die  Fortführung  der  Begesten  der  Pfalz- 
grafen  am  Bhein  wurde  beschlossen,  imd  zwar  wird  Graf  von  Oberndorff 
»ter  Leitung  von  Prof.  Wille  den  2.  Band  bearbeiten.  Von  der  Ver- 
öffimtlichung  der  Siegeil  der  badischen  Städte  ist  das  dritte  Heft  in  Vor- 
bereitung. Die  Vorarbeiten  zu  den  vom  GroOsh.  Statistischen  Landesamt  zu 
bearbeitenden  Grundkarten  des  Großherzogtums  Baden  gehen  ihrem  Ende 
entgegen.  —  Mit  dem  20.  Bande  der  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des 
Oberrheins,  Neue  Folge,  ist  zugleich  ein  systematisches  Inhaltsverzeichnis  der 
Osten  20  Bände  ausgegeben  worden;  am  Register  zu  den  39  Bänden  der 
iben  Folge  arbeitet  Karl  S  o  p  p  weiter.  Neu  wurde  beschlossen,  den  B  r  ie  f - 
Wechsel  der  Brüder  Ambrosius  und  Thomas  Blarer  bis  1548 
kerauszugd^en  und  diese  Arbeit  dem  Stadtarchivar  zu  St.  Gallen,  Traugott 
Schief s,  übertragen.  —  Prof.  von  Simson  hat  sein  Mandat  als  ordent- 
licfaes  Mi^lied  der  Konmiission  niedergelegt,  da  er  aus  dem  badischen 
Staatsdienst  ausscheidet  und  nach  Berlin  übersiedelt.  Durch  den  Tod  verlor 
die  Kommission  das  aufserordentliche  Mitglied  Prof.  Theodor  Ludwig 
{Strasburg)  und  das  korrespondierende,  Stadtarchivar  Joseph  Gdny  (Schlett- 


I)  VgL  diese  Zeitschrift  6.  Bd.,  S.  139—140. 


—     228     — 

Stadt).  Neu  trat  als  ordentliches  Mitglied  ein  Prof.  Georg  v.  Below 
(Freiburg),  als  aufserordentliches  Archivassessor  Frankhauser  (Karlsruhe) 
und  als  korrespondierendes  Archivassistent  —  jetzt  Archivdirektor  —  Hans 
Kaiser  (Strafsburg). 


Die  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  ^)  hielt 
ihre  25.  Jahresversammlung  am  3.  März  1906  in  Köln  ab,  und  dabei  wurde 
der  Bericht  über  das  Kalenderjahr  1905  vorgelegt.  Es  wiurden  veröfifentlichtr 
Urkunden  und  Hegesten  zur  Geschichte  der  Bheihlande  aus  dem  Vati- 
kanischen Archiv,  dritter  Band:  1342  bis  1352,  gesammelt  und  bearbeitet 
von  H.  V.  Sauerland  (Bonn  1905),  Kölnische  KonsistorialbesMässe, 
FresbyterialprotokoUe  der  heinUichen  KÖlniscJien  Gemeinde  157JS — 1596,  be- 
arbeitet von  Ed.  Simons  (Bonn  1905),  Die  Urbare  der  Abtei  Werdet^ 
a.  d.  Huhr,  A:  Die  Urbare  vom  IX.  bis  XIIL  Jahrhundert,  herausgegeben 
von  Rudolf  Kötzschke  (Bonn  1906).  Der  Druck  des  zweiten  Bandes 
der  Rheinischen  Weistümer,  der  den  kurtrierischen  Oberämtem  Mayen 
imd  Münstermaifeld  gewidmet  sein  wird,  soll  in  diesem  Jahre  beginnen;  die 
Bearbeitung  der  Weistümer  des  Fürstentums  Prüm  durch  Archivar  a.  D. 
Forst  ist  wesentlich  gefördert  worden.  Der  Druck  des  zweiten  Bandes  der 
Jiitich'Bergischen  Landtagsakten  I.  Reihe  soll  in  diesem  Jahre  vollendet 
werden.  Auch  der  dritte  Band  der  Begesten  der  Kölner  Erebischöfe,  der 
die  Zeit  1205 — 1304  umfafst,  befindet  sich  im  Druck,  ebenso  der  vierte 
S^<^  (1353 — 137^)  dci*  Urkunden  und  Begesten  zur  Geschichte  der  Bhein- 
lande  aus  dem  Vatikanischen  Archiv.  Die  erste  Lieferung  des  Tafelwerks,. 
Die  Bheinischen  Siegel,  die  Siegel  der  Kölner  Erzbischöfe  enthaltend,  ist 
bereits  gedruckt,  der  erläuternde  Text  befindet  sich  unter  der  Presse.  Von 
den  QueUen  zur  Bechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  der  niederrheinischen 
Städte  ist  der  erste  Band,  der  der  Stadt  Siegburg  gewidmet  ist,  bearbeitet 
von  Lau,  erschienen;  Neuis  und  Deutz  werden  gegenwärtig  behandelt,  und 
aus  dem  südlichen  Teile  der  Provinz  Boppard,  Oberwesel  und  Trier.  Von 
den  QueUen  zur  JÜtich-Bergischen  Kirchenpolitik  im  XV.  und  XV L  Jahr- 
hundert, die  Archivar  Redlich  herausgibt,  ist  der  erste  Band  im  Drucke 
bald  vollendet;  der  Druck  des  zweiten  Bandes  wird  sich  unmittelbar  an- 
schliefsen.  Die  Inventarisierung  der  kleinen  Archive  ist  durch  Krude» 
wig  in  den  Kreisen  Kochem  und  Prüm  ausgeführt  worden,  aber  die  Druck- 
legung der  Übersicht  über  ihren  Inhalt  ist  noch  nicht  erfolgt. 

Stifter  zählt  die  Gesellschaft  gegenwärtig  acht,  von  denen  drei  gestorben 
sind,  Patrone  124,  Mitglieder  188.  Die  Gesamteinnahme  des  Jahres  190S 
betrug  34565  Mark,  die  Gesamtausgabe  30264  Mark;  das  Vermögen  be- 
ziffert sich  einschliefslich  der  Mevissen-Stiftung  (43  991  Mark)  auf  1 14  788  Mark. 
Die  von  der  Gesellschaft  ausgeschriebenen  Preisaufgaben  (bis  i.  Juli  1908^ 
wurden  schon  oben  S.  201  mitgeteilt*  Für  die  am  31.  Januar  1906  Migen 
Preisaufgaben  sind  Bearbeitungen  nicht  eingegangen. 


1)  Vgl.  6.  Bd.,  S.  326. 


—     229     — 

Die  im  Jahre  1905  gegründete  Gesellschaft  für  fränkische  Ge* 
schichte  ^)  veröffeutUcht  unter  dem  i.  Januar  1906  den  ersten  Jahresbericht, 
xas  dem  die  erfreuliche  Tatsache  zu  entnehmen  ist,  dafs  schon  jetzt  1 5  Stifter 
und  90  Patrone  die  Gesellschaft  unterstützen:  Stifter  wird  jeder,  der  einen 
einmaligen  Beitrag  von  mindestens  1000  Mark  leistet,  Patron  jeder,  der 
sich  zu  einem  Jahresbeitrag  von  mindestens  50  Mark  verpflichtet.  Gründungs- 
nnd  Wahlmitglieder  werden  37  gezählt.  An  der  Spitze  des  sechsgliedrigen 
Vorstands  steht  der  Regierungspräsident  von  Mittelfranken,  Ludwig  Freiherr 
Ton  Welser  (Ansbach),  das  Amt  des  geschäftsführenden  Sekretärs  bekleidet 
Prof.  Chroust  (Würzburg);  neben  dem  Vorstand  steht  ein  vierzehngliedriger 
Ausschufs.  Die  Einnahmen  des  Jahres  1905  beliefen  sich  auf  24663  Mark, 
▼ovoD  18000  Mark  als  „Stammvermögen**  in  Wertpapieren  angelegt  sind. 
Ausgegeben  wurden  nur  3370  Mark,  so  dafs  ein  ansehnlicher  Aktivrest  ver- 
blieben ist. 

Das  Programm  der  jungen  Gesellschaft  ist  bereits  in  der  früher  ver- 
öffentlichten Denkschrift  enthalten,  aber  eine  Reihe  der  darin  näher  bezeichneten 
Aufgaben  ist  auch  bereits  in  Angrifif  genommen  worden.  Sogar  eine  Ver- 
öffentlichung ist  schon  erschienen,  nämlich  Richard  Fester:  Franken 
tmd  die  Kreisverfassung  ^  (Wtirzburg,  H.  Sttirtz  1906,  77  S.  8^  mit  einer 
Karte  des  fränkischen  Kreises  um  1750)  unter  dem  Haupttitel:  Neur 
jahrsbiätter,  Jterausgegeben  von  der  Oesdlschaft  für  fränkische  Geschichte,  L 
Quellenveröffentlichungen  liegen  begreiflicherweise  noch  nicht  vor.  Gearbeitet 
wird  gegenwärtig  zunächst  unter  Leitung  von  Prof.  Theodor  H  e  n  n  e  r  (Würzburg) 
an  einer  Bibliographie  der  fränkischen  Geschichte.  Eine  Bearbeitung  der 
fränkischen  Kreisakten  hat  Prof.  Fester  (Erlangen)  übernommen  und 
in  dem  genannten  Neujahrsblatt  bereits  ein  Verzeichnis  der  in  Frage  kom- 
menden Archivalien  in  den  Kreisarchiven  zu  Bamberg,  Nürnberg  und  Würz- 
burg, im  Geh.  Staatsarchiv  zu  München  sowie  im  Geh.  Staatsarchiv  in  Berlin 
und  im  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  zu  Wien  veröffentlicht.  Der  Umfang 
dieser  Publikation  ist  vorläufig  auf  fünf  Bände  berechnet,  den  Inhalt  sollen 
teils  Aktenauszüge,  teils  Darstellungen  bilden.  Die  Ausgabe  der  Altdorfer 
Universitätsmatrikel  wird  Prof.  St  ein  mey  er  (Erlangen),  die  der  Würz- 
borger Prof.  Merkle  (Würzburg)  besorgen;  die  erstere  ist  schon  ziemlich 
weit  gefördert.  Eme  Veröffenthchung  fränkischer  Weistümer  wird 
durch  die  Verzeichnung  der  in  den  Kreisarchiven  zu  Würzburg  und  Nürn- 
berg vorhandenen  Weistthner  vorbereitet.  Die  Urkundenveröffentlichung, 
die  gerade  in  Franken  noch  recht  mangelhaft  ist,  wird  nach  dem  Grund- 
sätze der  sog.  institutionellen  Urkundenbücher ')  erfolgen,  und  zwar  wird 
aerst  das  Urkundenbuch  des  Benediktinerklosters  St.  Stephan  in  Würzburg 
durch  Chroust  bearbeitet  werden.  Als  erste  QueUenpublikation  wird  vor- 
aussichtlich eine  Bamberger  Stadtchronik  erscheinen,  die  den  Immunitäten- 
'^**)  (^430 — ^435)  schildert,  und  zwar  mit  einem  Anhange  von  Urkimden 
^d  Akten   als   erster  Teil   emer  Reihe,    die  den  Titel  Fränkische  Städte- 


1)  Vgl.  6.  Bd.,  S.  381—286. 

2)  Vgl.  den  Bericht  Über  den  Vortrag  des  Verfassers  in  Bamberg,  oben  S.  73. 

3)  Vgl.  daza  den  Aofsatz  von  Forst,  oben  S.  61 — 72. 

4)  Vgl.  die  Veröffentlichung  aus  dem  Nachlasse  von  Köberlin,  oben  S.  96—98. 


—     230     — 

Chroniken  führen  wird.  Wie  diese  Mitteilungen  zeigen,  sind  in  den  nächsten  Jahren 
bedeutende  Quellenveröffentlichungen  zur  fränkischen  Geschichte  zu  erwarten. 

Eingegangene  Bfieher. 

Giannoni,  Karl:  Geschichte  der  Stadt  Mödling.  Mit  einer  Gassen-  und 
Häuserchronik  im  Anhange  von  Dr.  Karl  Schalk.  Herausgegeben  von 
der  Stadtgemeinde  Mödlmg.    Mödling,  Verlag  der  Stadtgemeinde,  1905. 

345  S.  4". 

Lange,  Edmund:  Ergänzungen  zu  seinem  Werke  Die  Greffswalder  Samm' 
lung  Vitae  JPommeranorum  (1898)  [=  Baltische  Studien,  Neue  Folge 
Bd.  IX  (Stettin  1905),  S.  55—136]. 

Miliard,  Emest:  Une  loi  historique  III:  Les  AUemands,  les  Anglais. 
Bruxelles,  Henri  Lamertin,   1906.     292  S.  8^ 

Negelein,  Julius  v. :  Germanische  Mythologie  [=»  Aus  Natur  und  Geistes- 
welt, Sammlung  wissenschafUich-gemeinverständlicher  Darstellungen,  95. 
Bändchen].  Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1906.  135  S.  i6^  Gebunden 
M.   1,25. 

Peters,  Arnold:  Die  Entstehung  der  Amtsverfassung  im  Hochstift  Hildes- 
heim (ca.   1220— 1330).     Hannover,  Gebr.  Jänecke,  1905.     64  S.  8^ 

Schwemer,  Richard:  Die  Reaktion  und  die  neue  Ära  [<»  Aus  Natur  und 
Geisteswelt,  Sammlung  wissenschaftlich-gemeinverständlicher  Darstellungen, 
loi.  Bändchen].    Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1905.     in  S.  i6^    M.  1.25. 

Stegmann,  R. :  Die  Grafschaft  Lippe  im  Dreiifsig jährigen  Kriege  [=s  Mit- 
teilungen aus  der  lippischen  Geschichte  imd  Landeskunde  III  (Detmold 

1905),  S.  1—155]- 

Steinhausen,  Georg:  Germanische  Kultur  in  der  Urzeit  [»>  Atis  Natur 
und  Geisteswelt,  Sanmilung  wissenschaftlich -gemeinverständlicher  Dar- 
stellungen, 75.  Bändchen].  Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1905.  156  S.  i6^ 
Gebunden  M.  1,25. 

Wallmenich,  Karl  von:  Der  Oberländer  Aufstand  1705  und  die  Send- 
linger  Schlacht.  Mit  einem  Plane.  München,  H.  Lüneburg,  1906. 
164  S.  4^ 

Wäschke,  H. :  Das  Zerbster  Bier  [=:  Neujahrsblätter,  herausgegeben  von 
der  Historischen  Koomiission  für  die  Provinz  Sachsen  und  das  Herzog- 
tum Anhalt,  30].     Halle,  Otto  Hendel,   1906.     47  S.  8^     M.    1,00. 

Wolf,  Georg  Jacob:  Ulrich  von  Hütten  [=  Die  Kultur,  Sammlung  illu- 
strierter Einzeldarstellungen,  herausgegeben  von  Cornelius  Gurlitt,  5. 
Band].  Berlin,  Bard,  Marquardt  &  Co.,  1905.  64  S.  16^.  Gebunden 
M.   1,25. 

Woltmann,  Ludwig:  Die  Germanen  imd  die  Renaissance  in  Italien.  Mit 
über  IOC  Bildnissen  berühmter  Italiener.  Leipzig,  Thüringische  Ver- 
lagsanstalt,  1905.     150  S.  Lex.-8^     M.  6,00. 

Wustmann,  Gustav:  Geschichte  der  Leipziger  Stadtbibliothek.  Erste 
Hälfte:  1677 — 1801  [=  Neujahrsblätter  der  Bibliothek  und  des  Archivs 
der  Stadt  Leipzig  II.      (Leipzig,  C.  L.  Hirschfeld,   1906),  S.   i — 122]. 

Herausgeber  Dr.  Armm  Tille  in  Leipzig. 
Druck  ttod  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

MonatsscMft 


rar 


Forderung  der  landesgeschiclitliclieii  Forschung 

Vn.  Band  Juni  xgoö  9.  Heft 

Die  sog.  t^efortnation  des  I^adsers  Sigmund 
und  verwrandte  t^eformsehriften 

Von 
Heinrich  Werner  (Mayen) 

Eine  Reformschrift  von  der  Bedeutung  der  sog.  Reformation 
Kaiser  Sigmunds  verdient  es,  von  möglichst  vielen  Seiten  betrachtet 
zu  werden.  Sie  in  den  Zusammenhang  mit  der  mittelalterlichen  Publi- 
zistik zu  stellen,  reizte  mich  um  so  mehr,  als  ich  auch  bei  dieser  Art 
der  Betrachtung  Stützen  fand,  die  mir  geeignet  erscheinen,  meine 
neuen  Ansichten  über  die  genannte  Reformschrift  aufrechtzuerhalten. 
Freilich  wird  diesen  von  Koehne  noch  immer  heftiger  Widerstand 
entgegengesetzt  ^).  Gewifs  ist  es  ihm  zu  danken ,  dais  er  die  alten 
Anschauungen  über  die  Reformschrift  hartnäckig  verteidigt;  denn 
überall,  wo  Reibung  entsteht,  da  können  die  Funken  der  Aufklärung 
und  Einsicht  leicht  hervorschlagen.  Ich  werde  deshalb  auch  diesmal 
wieder  genötigt  sein,  Koehnes  Behauptungen,  die  leider  an  Mifever- 
ständnissen  meiner  Ansichten  reich  sind,  entgegenzutreten.  Die  sog. 
Reformation  Kaiser  Sigmunds  ist  „eine  früher  schon  viel  bespro- 
chene, so  wenig  verstandene  und  so  viel  mifsverstandene  Schrift", 
schrieb  mir  Höhlbaum,  ein  ausgezeichneter  Kenner  des  mittelalter- 
lichen Städtebürgertums,  nach  dem  Erscheinen  meiner  ersten  Auf- 
ökze  *)  über  diese  Reformschrift.  Er  freue  sich ,  sagen  zu  können, 
dafe  ich  „vor  der  Öffentlichkeit  doch  zuerst  den  richtigen  kritisch- 
vissenschaftlichen  Maisstab  an  die  sog.  Reformation  gelegt"  habe, 
und  dais  meine  Resultate  im  groisen  und  ganzen  dieselben  seien, 
zu  denen  er  gelangt  sei.  Leider  war  es  Höhlbaum  nicht  mehr  ver- 
gönnt,  dieser   Übereinstimmung    mit    mir   auch    öffentlich   Ausdruck 

zu  geben.     Doch,  wie  ich  höre,  wird  sein  Nachlais  veröffentlicht  und 
/ 

i)  Zur  sogenannten  BefarmaUon  Kaieer  Sigmunds  im  Neuen  Archiv  der  Geseü" 
9dkaft  fü/r  altere  deutsche  Geschichtskunde,  31.  Bd.  (1906),  S.  314  ff. 

3)  Deutsche  Oeschichtsblätter,  4-  Bd.,  S.  i  ff.,  S.  43ff->  S.  171  ff»  S.  1939. 

17 


—     232     — 

auch  die  wichtigen  in  derselben  Richtung  gehenden  Mitteilungen  daraus 
werden  dabei  bekannt  werden.  Einstweilen  mufe  ich  noch  allein  die 
Bahn  zu  einem  vollen  Verständnis  der  Reformschrift  Stück  für  Stück 
frei  machen.  Zugleich  bin  ich  in  der  Lage,  die  Reformschrift  durch 
Hinzuziehung  der  gleichartigen  Publizistik  in  ein  neues»  meinen  Ansichten 
ebenfalls  günstiges  Licht  zu  setzen.  Indem  sie  so  in  alle  möglichen 
Zusammenhänge  gebracht  und  aus  ihrer  isolierten  Betrachtung  g^ogen 
wird,  verlieren  viele  Gedanken  der  Reformschrift  an  Originalität,  be- 
sonders aber  an  „Radikalismus". 

Nach  Koehnes  neuesten  Angriffen  ist  die  Frage  nach  dem  Ver- 
fasser  von   mir  nicht  gelöst  ^) ;    denn   „  man   mufs   durchaus    an    der 
Meinung  festhalten,   dafe   der  Verfasser  unserer  Reformschrift  in  den 
Kreisen  der  Pfarrgeistlichkeit,   nicht  in  denjenigen  der  halbgebildeten 
Juristen*)  zu  suchen  ist".     Er  setzt  mit  seiner  Widerlegung  an  dem 
schwächsten  Punkt  meiner  Beweisführung  ein,  weil  sie  nur  eine  Hypo- 
these darstellt,  nämlich  an  meiner  Kombination,  der  Verfasser  sei  der 
Stadtschreiber  von  Augsburg  Val.  Eber  gewesen.    Aber  nur  deshalb 
ist  dieser  Punkt  der  schwächste,  wie  ich  selbst  zugebe,  weil  die  Kon- 
trolle meiner  Ansicht  durch  den  Mangel  an  archivalischen  Veröffent- 
lichungen  erschwert  ist.     Was    aber  Koehne    durch   persönliche  Er- 
kundigungen *)  in  Augsburg  über  die  Persönlichkeit  Val.  Ebers  vor- 
bringt,  hätte  er  aus  dem  gedruckten  Material  bereits  wissen  können. 
Mir  war  bei  der  Abfassung  meiner  ersten  Aufsätze  vollauf  bewufst,  dafe 
Val.  Eber  bei  der  Abfassung  der  Schrift  noch  jung  *)  war.     Daraus 
schlieOst  nämlich  Koehne,   daiis  es  „ausgeschlossen  war,   da(s  ein  so 
wichtiges  Amt    wie    das    des  Stadtschreibers    einem    ganz   jungen 
Manne  anvertraut  worden  wäre",   gibt  aber  selbst  nach  der  Ermitt- 
lung der  Lebensdaten  Valentin  Ebers  zu,  dais  „diese  Quelle  ftir  die  Er- 
mittlung des  Dienstantrittes  Ebers  nicht  schlechthin  zwingend" 
sei,   denn  man  könnte  allenfalls  daran  denken,    dafs  er  schon  öfters 
für  bestimmte  Fristen  angestellt  worden  sei".    „Vorher  kann  er  also 
nur  eine  untergeordnete  Stellung  in  der  Stadtkanzlei  gehabt  haben". 
Dies  Zugeständnis  würde  mir  an  sich  schon  genügen.     Aber  Koehne 

i)  Neues  Archiv,  31.  Bd.,  S.  318. 

2)  VgL  nnteo,  S.  243  ff.  wo  eine  Reformschrift  besprochen  wird,  von  der  unser  Ver- 
fasser abhängig  ist  und  die  ebenfalls  von  einem  Laien  nnd  zwar  gerade  vob  einem 
Juristen  yerfaist  ist. 

3)  Ebenda  S.  215  and  3i6. 

4)  Deutsche  GeacfMhUibläiter,  4.  Bd.,  S.  218.  „Ebenso  ist  der  Verfasser  damals 
noch  jung,  wie  er  es  aach  vom  Reformkaiser  Friedrich  yerlangt.^^  Vgl.  auch  Cenirah 
hlatt  für  Bibliothekswesen^  ix.  Bd.,  S.  249 ff- 


—     233     — 

übersieht  die  von  mir  angeführte  Stelle  *) ,  aus  der  hervorgeht ,  dafe 
Eber  bereits  Verhandlungen  zwischen  Augsburg  und  dem  Kaiser 
Sigmund  geführt  hat;  dieser  war  aber  bei  der  Abfassung  der  Schrift 
schon  tot.  Stand  also  Eber  schon  im  diplomatischen  Dienst  der 
Stadt  Augsburg  und  wurde  er  zu  den  wichtigen  Verhandlungen  mit 
dem  Kaiser  verwendet  noch  vor  der  Abfassung  der  Schrift,  so  mufs 
dies  als  Beweis  seiner  Reife  dienen.  Die  Absicht  des  Rates  war  es 
gewüs,  ihn  einmal  zum  Stadtschreiber  aufrücken  zu  lassen,  was  er  ja 
auch  wurde,  und  das  genügt,  um  die  Vermutung  festzuhalten,  Eber 
ist  einstweilen ,  wenn  auch  nicht  der  Stadtschreiber,  so  doch  der  im 
diplomatischen  Dienst  der  Stadt  Augsburg  stehende  Beamte,  auf  den 
die  Beziehungen  zu  einem  Stadtschreiber  ebenso  passen,  wenn  er 
sich  auch  erst  im  Vorbereitungsdienst  zu  diesem  Amte  in  der  Kanzlei 
befindet  Koehne  hat  aber  auch  meine  Beobachtung  über  noch 
eine  andere  Einzelheit  der  Schrift,  die  ich  schon  ausgesprochen  habe, 
übereehen:  als  ich  von  seiner  Jugend  sprach,  fand  ich  gerade  darin 
eben  weiteren  Stützpunkt ')  dafür ,  dafs  Eber  der  gesuchte  Verfasser 
sein  kann.  Der  Verfasser  unserer  Schrift  betont  nämlich  wiederholt 
seme  Jugend,  ja  er  entschuldigt  sich  geradezu,  dafs  er  noch  so  jung 
sei,  und  es  wage  das  Papsttum,  ja  überhaupt  die  ganze  Christenheit 
zu  reformieren.  Er  gebraucht,  für  das  Denken  des  mittelalterlichen 
Menschen  bezeichnend  g^nug,  zu  seiner  Legitimation  Legende  und 
Prophetie.  So  sagt  er  noch  in  der  Einleitung  zu  seinen  Reformplänen : 
dock  soll  man  ain  urlab  nemen  von  got  dem  vaier,  den  in  am  ardntmg 
m  seinen,  der  gotes  siaühaUer  ist  ... .  dies  soU  nu  vielleicJU  sein,  (üs 
got  wci  ordnen  mag  durch  die  Mainen,  als  er  tet,  da  er  Josephat  ains 
tagsers  sun  von  India  in  seinen  jungen  tagen,  weißheit  gab,  daß 
er  seinen  vaier  und  all  maister  in  aüen  kunkreichen  Indie  über- 
lam.  Er  machet  seinen  vater  Christen  und  aUe  reich  in  India  in  seiner 
Jugend.  Hier  will  der  Verfasser  von  sich  zweierlei  legitimieren,  er 
ist  jung  und  ist  nicht  gelehrt.  Das  palst  auf  die  Person  eines 
Stadtschreibers,  als  eines  Halbgelehrten,  und  auf  den  damals  jungen 
Valentin  Eber  ausgezeichnet.  So  weisen  im  Verlauf  der  Schrift  wieder- 
holt prophetische  Stellen  ^)  auf  die  Jugend  des  Verfassers ;  denn  er 
wül  ja  gerade  mit  der  Autorität  der  Prophetie  beweisen,  dafs  er  der 
berufene  Reformer  ist.     Ja  auch  der  Fund,  der  gefunden  worden  ist, 

1)  Siadiechroniken,  5.  Bd.,  S.  296. 

2)  Befische  GesehidUshläHer,  4.  Bd.,  S.  218. 

3)  Ebenso  wendet  der  Verfasser  das  Gleicbnis  ans  MatthKns  anf  sich :  „  es  sei  denn, 
dalJs  ilir  werden!  als  der  jung". 

17* 


—     234     — 

die  prophetische  Kombination  auf  das  Jahr  1439,  beruht  auf  der  Vor- 
aussetzung der  Jugend  des  Verfassers.  Es  sei  ein  sacer pussillus, 
der  1439  die  Reform  durchführe  und  diese  Stelle  geht  dazu  noch  auf 
den  jüngsten  Propheten  auf  Wünschelburg  zurück,  der  von  einem 
Jenaben  die  Reform  erhoiit  ^).  Wir  sehen,  nichts  besseres  kann  ich 
für  meine  Behauptung  gebrauchen  als  die  Entgegnung  Koehnes, 
Valentin  Eber  sei  zur  Abfassungszeit  ein  noch  recht,  ja  fast  zu  junger 
Mann  gewesen.  Noch  etwas  möchte  ich  aufiserdem  zu  bedenken 
geben :  Als  die  Fürsten  gegen  die  städtischen  Freiheiten  noch  weitere 
Anschläge  machen,  eine  Stimmung,  die  ja  auch  in  der  fraglichen 
Schrift  lebhaft  anklingt  *),  da  berichtet  der  Frankfurter  Städtebote  vom 
Augsburger  Stadtschreiber,  der  vü  heimliches  wußte.  Jedenfalls  sind 
die  Akten  hierüber,  so  lange  sie  nicht  hinreichend  veröffentlicht  sind, 
auch  für  mich  noch  rucht  geschlossen. 

Ich  komme  nun  zu  dem  ersten  Mißverständnis  Koehnes  meiner 
Beweisfiihrung  gegenüber.  Ich  machte  ihn  nämlich  auf  den  Wider- 
spruch aufmerksam,  dafs  sein  Pfarrer  lucht  einmal  die  sieben  Sakra- 
mente aufzählen  könne,  ja  die  gröisten  Dummheiten  dabei  mache, 
und  doch  wiederholt  verlange,  dais  die  gelehrten  Priester,  die  die 
Sakramente  spenden  könnten,  auf  die  Pfarrkirchen  gezwungen  werden 
sollten.  Koehne  verfolgt  die  Unwissenheit  seines  Pfarrers  und  geht 
doch  diesem  Widerspruch  lücht  nach  ^) ;  ja  er  sucht  erstere  zu  stützen 
durch  Zeugnisse  von  Mäimem,  die  ungefähr  400  Jahre  früher  lebten  (!). 
Ich  rate  ihm  übrigens,  seinen  Pfarrer  nicht  zu  dumm  zu  machen,  sonst 
mufs  man  sich  doch  fragen,  wie  ihm  diese  Reformschrift  überhaupt 
gelingen  konnte.  Doch  davon  abgesehen,  ich  will  jetzt  diesen  Wider- 
spruch, der  in  der  Person  des  Verfassers  mit  seinen  Ansichten  bei 
der  Annahme  Koehnes  liegt,  noch  erweitem.  Ich  gewinne  dann  zu- 
gleich wieder  neues  Beweismaterial  gerade  für  meine  Ansichten  über 
die  Schrift  selbst. 

Ich  habe  schon  Koehne  darauf  aufmerksam  gemacht,  dafs  der 
Verfasser  als  Pfarrer  die  sieben  Sakramente  wiederholt  aufzählt  und 
immer  an  Stelle  der  Priesterweihe  die  Orden  nennt.  Das  ist  an  sich 
ein  Widerspruch.  Mit  der  Bezeichnung  der  Orden  als  Sakrament  steht 
der  Verfasser  einzig  da.  Der  Hinweis  Koehnes,  dafe  die  „Einweihung 
der  Mönche"   schon  früher  zu  den  Sakramenten  gezählt  worden  sei, 


I)  Vgl.  meine  Schrift:  Die  Flugschfift " Ofwa  ecckiiae"  (Giefsen  1901),  S.  83. 
3)  Deutsehe  GescMchMlätter,  4.  Bd.,  S.  212  ff. 
3)  Neues  Archiv,  30.  Bd.,  S.  218  und  219. 


—     235     — 

triflt,  abgesehen  von  dem  grofeen  Zeitunterschied  (400  Jahre),  die  Be- 
zeichnung unseres  Verfassers  nicht.  Denn  als  Pfarrer  würde  er  übri- 
gens selbst  bald  eines  besseren  belehrt  worden  sein,  das  Sakrament 
der  Orden  wird  er  selbst  niemals  zu  spenden  Gelegenheit  gehabt  haben. 
Nnn  ist  aber  unser  Verfasser  ein  Feind  des  Mönchtums,  und  doch 
will  er  die  sieben  Sakramente,  namentlich  auch  die  orden,  bei  seiner 
Reform  überall  in  den  Vordergnmd  stellen  *).  Ja  er  behauptet  sogar, 
(laus  den  Klöstern  die  sieben  Sakramente  gar  nicht  zustehen'),  also 
auch  die  orden  nicht  (? !).  An  einer  atfderen  Stelle  macht  er  die  viel- 
bewunderte Bemerkung,  die  die  Abschaffung  des  Zölibats  rechtfertigen 
soll,  dafe  den  Priestern  es  zukomme,  alle  Sakramente  zu  üben*). 
Also  auch  die  orden?  frage  ich  Koehne.  Das  hätte  doch  der  Ver- 
fasser als  Pfarrer  durch  seine  Praxis  längst  erfahren,  dafs  er  nicht 
anch  Ordensmann  zu  werden  brauchte,  um  Priester  zu  sein,  er,  Ordens- 
mann,  der  doch  die  Orden  fast  auf  den  Aussterbeetat  setzt,  und  aus 
dem  Überwuchern  der  Orden  alles  Unheil  für  die  Kirche  ableitet! 
Das  sind  alles  Ungereimtheiten,  aus  denen  man  wie  aus  so  vielen  an- 
deren bei  der  alten  Annahme  über  den  Verfasser  nicht  herauskommt. 
WTie  kam  nun  der  Verfasser  zu  diesem  Widerspruch?  Aus  seiner  mangel- 
haften Kenntnis  des  Lateinischen  und  seiner  Unkenntnis  der  sieben 
Sakramente.  Ohne  dafs  wir  die  sonstigen  Worte  des  Verfassers 
gleiten  lassen,  dafs  seine  Schrift  eine  Übersetzung  sei  —  was 
Koehne  freilich  immer  wieder  leugnet  — ,  finden  wir  nicht  den  Schlüssel 
zu  diesem  Widerspruch.  Orden,  dieser  Plural  ist  schon  auffallend,  er 
Kefs  mich  erkennen,  dafs  hier  das  Wort  ordines  in  der  Vorlage  ge- 
standen haben  mufs.  Ordines  ist  aber  der  Kunstausdruck  für  die  vier 
niederen  und  drei  höheren  Weihen  der  Priester,  wie  sie  immer  üblich 
waren.  Der  Verfasser  spricht  selbst  einmal  von  einer  der  vier  niederen 
Weihen :  akkölit,  er  hat  also  tatsächlich  in  seiner  Vorlage  die  Priester- 
wcUien  =  ordines  gehabt  und  konnte  das  Wort  nicht  übersetzen.  Da- 
für schreibt  er  den  Pluralis  Orden  um  so  lieber,  als  er  damit  wieder 
einen  Gnmd  mehr  hat,  die  orden  anzufeinden,  weil  er  von  der  Voraus- 
setzung ausgeht,  die  sieben  Sakramente,  darunter  auch  die  orden, 
würden  nicht  mehr  ordentlich  gehalten  *).  Die  falsche  Übersetzung  pafst 
sonnt  gut  für  seine  Tendenz,  die  orden  als  Laie  überall  zu  geifseln. 

i)  Vgl.  Boehm,  Friedrich  Beisera  BeformaHon  des  K,  Sigmund  (Leipzig 
1876),  S.  167. 

3)  Ebenda  S.  179. 

3)  Ebenda  S.  189. 

4)  Ebenda  S.  167. 


—     236     — 

Der  positive   Gewinn   aber   aus    dieser  Erkenntnis  lehrt 
das  Gegen  teilvon  dem,  was  Koehne  behauptet:  Die  Schrift 
haterstens  eine  lateinische  Unterlage  gehabt  und  ist  also 
zum  Teil  eine  Übersetzung,  zu  der  noch  die  Erläuterungen  des 
Übersetzers  hinzukommen.     Zweitens  ist  der  Verfasser  ganz 
unmöglich   ein   Pfarrer,   sonst  müfste   er   doch   mindestens  von 
den  niederen  Weihen  (ordinesj  etwas  wissen  und  sie  nicht  mit  ördenj 
die  ire  regd  nü  hdUen,  übersetzen,  wobei  er  ganz  übersieht,  dads  er 
damit  das  Sakrament  der  Priesterweihe,  das  er  in  seiner  Vorlage  hat« 
unterdrückt  ^).    Gleichzeitig  hatte  ich  Koehne  auf  einen  weiteren  Wider- 
spruch  des  Verfassers   hingewiesen,   der  darin   bestehe,   dafis  er,  der 
Priester  „jeden  Kaiser  einen  Priester  nenne  *)".    Auch  zeigte  ich  schon, 
dais  ein  Kaiser  vor  seiner  Krönung  zwar  die  niederen  Weihen  erhielt, 
aber  niemals  zum  Priester  oder  Pfarrer  ordiniert  wurde.     Das  hätte 
aber  der  Verfasser,  wenn  er  selbst  Priester  oder  Pfarrer  gewesen  wäre, 
wissen    müssen.      Er    nennt   nämlich   deshalb    „unseren    Herrn,   den 
Kaiser",  einen  Priester,  weil  er  „ das  Evangelium  lesen**  mufs.   Unser 
Verfasser  denkt  offenbar  an  Kaiser  Sigmund,  der  auf  dem  Konstanzer 
Konzil  am  Weihnachtsfest  das  Evangelium  gelesen  haben  soll,  wie  es 
wohl  andere  Kaiser  an  diesem  Feste  auch  taten.     Was  bedeutet  nun 
dieses  Evangeliumlesen  in  der  Kirche?    Der  Kaiser  verrichtet  damit 
den  Dienst  eines  Diakons,  und  deshalb  wohl  gerade  am  Weihnachts- 
fest, weil  die  Worte  des  Weihnachtsevangeliums  gerade   von  Kaiser 
Augustus  handeln,  die  wohl  einen  mittelalterlichen  Kaiser  schmeicheln 
konnten.    Auch  sonst  wird  vom  Kaiser  nur  überliefert,  dafs  er  bei  der 
Krönung  zum  Kleriker  gemacht  wurde*)   und  dafs  er  die   „Dienste 
eines  Subdiakonus  leistete***),   dafe  er  aber  „geradezu  zum  Subdia- 
konus  geweiht  wurde**,  wie  Koehne  behauptet,  konnte  ich  nirgends 
bei   Diemand  finden.     Das  ist  auch    einfach    unmöghch,    denn    der- 
jenige,   welcher    die    höheren    Weihen    empfängt,    nämlich    Subdia- 
konat   und   Diakonat,   tritt  in  den  geistlichen  Stand  und    übernimmt 
die  Pflichten  desselben,    namentlich    die    Pflicht  des   Z^Ubats.      Die 
Überlieferui^    sagt    auch    nur,    dafs  der  Kaiser   die  Dienste   eines 
Subdiakons   oder  Diakons  einmal  leistete;  jeder  versteht  den  Unter- 


i)  Aach  ist  bei  der  Aafzählong  der  sieben  Sakramente  in  unverständiger  Weise  die 
Rene  nnd  Bafse  anseinander  gerissen  worden,  um  die  Lücke  fiir  die  Firmung  anszofHUen. 
Die  letzte  Ölung  kennt  er,  wie  überhaupt  die  Siebenzahl. 

2)  Boehm,  S.  239. 

3)  Vgl.  Diemand,  Das  Zeremoniell  der  Kaieerhrönungen  (München  1894),  S.  74* 

4)  Ebenda  S.  87. 


—     237     — 

schied.  Etwas  anderes  ist  es,  wenn  ein  Kaiser  vor  der  Krönung  Kleriker 
wird»  d.  h.  er  empfangt  die  Tonsur  oder  höchstens  noch  die  niederen 
Weihen ;  diese  empfingen  aber  damals  alle,  die  geistliche  Bildung  ge- 
nossen, wenn  sie  auch  dann  vor  den  höheren  Weihen  ein  weltliches 
Amt  übernahmen,  z.  B.  in  die  Kanzlei  gingen,  also  einen  weltlichen 
£enif  ausübten.  Das  ist  es  aber,  was  Koehne  wiederholt  nicht  ver- 
steht, wenn  er  behauptet,  ich  würde  dem  Verfasser  ein  sonderbares 
Schicksal  bereiten,  indem  ich  ihn  bald  als  Kleriker,  bald  als  Laie 
bezeichne.  Er  ist  Kleriker  durch  die  Tonsur  und  niederen  Weihen, 
wie  sie  in  der  Regel  damals  die  Kanzleibeamten  besaisen,  er  ist  aber 
in  einem  weltlichen  Berufe  der  Laien  tätig  und  hat  so  seine  Vorrechte 
als  Kleriker  angegeben,  nicht  aber  steht  er  im  Dienste  der  Kirche, 
son^  hätte  er  die  höheren  Weihen  dazu  erlangt,  einschliefslich  des 
Priesteramtes.  Damit  verstehen  wir  aber  auch,  wie  der  Verfasser  auf 
einen  Kaiser  als  einen  Priester  deuten  kann,  wenn  er  den  von  sich 
prophezeiten  Priesterkaiser  Friedrich  legitimieren  will.  Sein  Priester- 
tum  ist  kein  anderes  als  das  eines  Kaisers,  der  nur  Kleriker  war,  also 
wie  ein  Stadtsdireiber,  nur  Tonsur  und  höchstens  die  niederen  Weihen 
besais.  Unser  Verfasser  ist  also  nichts  weniger  als  ein  Priester  oder 
gar  Pfarrer. 

Da  fragt  sich  nun  Koehne:  „erübrigt  es  noch,  die  mit  Recht 
herrschende  Ansicht  über  den  Verfasser  unserer  Schrift  von  neuem 
positiv  zu  erweisen  ?*'  Nach  meiner  Ansicht  müfste  der  nun  von  mir 
60  aig  durchlöcherte  Beweis  von  neuem  geführt  werden.  Koehne 
fihrt  dagegen  zwei  „noch  gar  nicht  beachtete**  Stellen  vor.  Die 
eise  lautet:  uns  der  papst  gegeben  hau,  sund  m  vergeben  ^).  Zunädist 
hätte  Koehne  hier  genauer  zitieren  müssen.  Dort  heifst  es:  Und 
UH8  ^t  der  pdbst  gegeben  «  hott  sund  eu  vergd>en,  nichts  eu  erlauben  . . . 
Diese  Stelle  ist  verderbt,  Boehm  zeigt  dies  mit  Asterisken  an,  was 
Bach  seinen  eigenen  Worten  bedeutet:  „nicht  ganz  unbedenkliche 
^endationen  oder  Worte,  die  nicht  zu  emendieren  waren''.  Die 
Stelle  ist  also  bedeutungslos  und  hat  gar  keine  Beweiskraft,  weil  sie 
dme  Zweifel  anders  gelautet  hat.  Die  andere  wichtige  Stelle,  die  für 
einen  Pfarrer  als  Verfasser  sprechen  soll,  heifst:  nichts  daraus  beich- 
tend. Dies  wird  von  Ratsmitgliedem  gesagt.  Hier  erkennt  man  so- 
fort eine  sprichwörtliche  Redensart,  die  noch  heute  in  der  katholischen 
Bevölkerung  mancher  Gegenden  im  Sinne  von  „nichts  verraten"  ge- 
braucht wird.     Darauf  fufisend  glaubt  Koehne  schliefsen  zu  müssen. 


i)  Boehm,  S.  180. 


—     238     — 

„alles  dies  bestätigt  wahrlich  die  herrschende  Meintmg  über  den 
Autor  unserer  Schrift  in  solcher  Art  (!  ?),  dafs  wohl  niemand  weitere 
Beweise  verlangen  wird ! "  *).  Demgegenüber  möge  der  Leser  noch- 
mals die  zahlreichen  Stellen  meiner  früheren  Aufsätze ')  nachlesen, 
die  einen  Pfarrer  als  Verfasser  unserer  Schrift  unmöglich  erscheinen 
lassen.  Gegenüber  den  zwei  Stellen  Roehnes  greife  ich  ebenMs 
zwei  beliebige  von  den  zahlreich  durch  mich  angedeuteten  heraus. 
Schon  im  Anfang  seiner  Einleitung,  wo  der  Verfasser  von  der  hohen 
Bedeutung  der  Reichsstädte  für  die  Reform  spricht,  gibt  er  seine 
Persönlichkeit  klar  zu  erkennen.     Da/rumb  ir  edlen  reichstett,  sind  er- 

mahnt das  ir  ansehent,  wie  wir  von  got  gefreiel  seien,  wie  wir 

uns  haUen  sullen%  Die  Reichsstädte  sind  mit  ihr  und  deren  Be- 
wohner mit  wir  angeredet.  Die  andere  Stelle  hei&t:  Wenn  nun  die 
gemain  weli  bekennen  wirt  unser  freihait,  so  ist  den  gewaltigen  häup- 
tem  ir  hraft  benamen^),  Da/rumb  seien  wir  die  gemainen  woJd  er- 
mahnt. Nach  Koehne  wäre  also  unsere  Freiheit,  die  Freiheit  der 
Pfarrer  und  „wir  die  Gemeinen**  wären  ebenfalls  die  Pfarrer. 
Das  ist  doch  offenbarer  Unsinn.  „Unsere  Freiheit  ist  eben  die  des 
Städtebürgertums**,  wie  der  Zusatz  zu  obiger  Stelle  zeigt:  „wer  weit 
lieber  eigen  sein  denn  frei?**  Femer  rechnet  sich  der  Verfasser 
nach  der  zweiten  Stelle  zu  den  gemeinen.  Was  das  Wort  bedeuten 
soll,  sagt  die  erste  Stelle,  hier  ist  es  gebraucht  in  gemaine  u^% 
Dieser  Ausdruck  bedeutet  unzweideutig:  „die  Lfaien**.  So  wird  das 
Wort  auch  vom  Zeitgenossen  Valentin  Ebers,  Eberhard  Windecke, 
der  übrigens  auch  selbst  ein  Laie  war,  im  Gegensatz  zu  den  Geist- 
lichen gebraucht^).  Wir  die  gemainen  bedeutet  also  klipp  und  klar: 
„wir,  die  Laien**.  Der  Verfasser  steht  deutlich  vor  uns.  Koehne 
richtet  aber  mit  diesem  Wort  gemain,  das  wiederholt  in  der  Schrift 
vorkommt,  eine  sonderbare  Begriffsverwirrung  an.  Das  Wort  wird 
von  dem  Verfasser  in  dreifachem  Sinne  gebraucht;  Koehne  aber 
macht  daraus  in  seiner  letzten  Entgegnung  nur  einen  Begriff  und 
zwar  den  politischen,  nämlich  „die  Gemeinde**^.  Gewifs  versteht 
der  Verfasser  auch   dieses  unter  dem  Worte  die  gemein,  und  es   ist 

i)  A.  a.  O.  S.  221. 

3)  Vgl.  diese  Zeitschrift,  4.  Bd.,  S.  7.  48.  49.  173.  207. 

3)  Boehm,  S.  162. 

4)  Ebenda  S.  247. 

5)  Sonst  hfinfig:  gemein  Christenheit 

6)  Altmann,    Eberhard    WindeckeB  DenhwürdigkeiUH  tur   C^eachichU  des 
ZeitaUers  Kaiser  Sigmunds  (Berlin  1893),  S.  350. 

7)  A.  a.  O.  S.  234 f.;  aach  Boebm,  S.  217:  gemainde  aasdrücklich  genannt. 


—     239     — 

auch  schon  längst  bekannt,  dafs  darunter  die  nicht  zünftigen  Bürger, 
also  die  Glieder  der  niederen  städtischen  Bevölkerung,  zu  verstehen  sind, 
wie  es  auch  für  Augsburg  von  Boehm  bereits  ausgesprochen  worden 
ist ').  In  diesem  Sinne  gebraucht  unser  Verfasser  das  Wort  wohl  dreimal  *). 
Auiserdem  wendet  der  Verfasser  dieses  Wort  gemain  als  Eigenschafts- 
wort an  für  „gemeinsam"');  besonders  deutlich  läfst  sich  dies  er- 
kennen S.  249,  wo  es  heilst  gemainen  stoity  wo  die  Vorlage,  wie  ich 
unten  zeigen  werde,  communis  hat.  Davon  ist  dann  auch  das  Sub- 
stantivum  gemainsami  =  Gemeinsamkeit  *)  gebildet.  Das  ist  die  natür- 
fiche  Bedeutung  des  Wortes  gemein,  die  nichts  mit  dem  politischen 
Begriff  „Gemeinde'*  zu  tun  hat.  So  wird  der  Ausdruck  aber  auch 
mehraials  in  dem  Kapitel  über  die  Zünfte  gebraucht  und  deshalb 
von  Koehne')  in  diesem  Zusammenhang  mi&braucht,  weil  nach  Ab- 
schaffung der  Zünfte  nicht  alle  der  Gemeinde  angehören  würden 
—  denn  dann  würde  dieser  Begriff  durch  den  Wegfall  des  anderen 
(Zonft)  gegenstandslos  — ,  sondern  äUe  ding  wären  gemein  {=  gemein- 
sam) und  Jierren  und  jedermann  wären  ihnen  auch  gemain  (=  gemein- 
sam) hielten  mit  ihnen  und  kämen  in  die  Städte,  die  sich  dann 
grossekUch  auffeten  (=  vergröfeerten).  Aber  noch  eine  dritte  Bedeu- 
tung hat  dieses  Wort  gemain  in  der  Schrift,  und  das  ist  die  wichtigste 
fiir  unsere  Betrachtung.  Sie  liegt  hauptsächlich  vor  in  den  drei 
Wendungen  gemaine  Christen  %  gemain  weit  ^)  und  wir  die  gemainen  % 
Der  erstere  Ausdruck  kann  uns  gerade  durch  die  Stelle,  wo  er  steht, 
zum  Schlüssel  zu  den  übrigen  werden.  Der  Verfasser  hat  seine  Schrift 
deshalb  übersetzt,  um  die  gelehrten  und  deshalb  lateinisch  geschrie- 
benen Vorlagen  zu  popularisieren,  0U  ainem  bekennen  allen  gemainen 
cfaisfon  in  der  Christenheit  Hier  ist  gemain  gebraucht  im  Sinne  von 
»mcht  gelehrt**,  es  bezeichnet  die  Laien  sowohl  der  Kirche  als 
auch  der  Bildung  gegenüber.  Dies  ist  bei  der  zweiten  Wendung 
ifmain  weU  ebenso  sicher  der  Fall.  Eberhard  Windecke,  wie 
*^^  gesagt,  ebenfalls  ein  Laie  und  auch  Zeitgenosse  Ebers,  ge- 
'sancht  dasselbe  Wort  in  dem  unzweideutigen  Gegensatz  zur  Geistlich- 


0  S.  44. 

2)  S.  198.  205  und  217. 

3)  S.  217  mehrmals. 

4)  Ebenda  zweimal. 

5)  A.  a.  O.  S.  235. 

6)  Boehm,  S.  171. 

7)  Ebenda  S.  247. 
S)  Ebenda  S.  238. 


—     240     — 

keit  ^).   Somit  mufis  der  Ausdruck  wir  die  gemainen  ebenfalls  den  Sinn 
haben  „wir,  die  Laien**:  also  der  Verfasser  ist  unbeding^tein 
Laie.  Ebenso  werden  in  den  Augsburger  Chroniken,  3.  Band  (1892], 
S.  104  für  das  Jahr  1449  tkumherm  und  pfaffen  dem  „gemeinen Volk" 
gegenübergesetzt.  Koehne  sieht  in  allen  diesen  Wendungen  irrigerweise 
den  politischen  Begriff  „die  Gemeinde'*  und  ist  schlie&lich  doch  noch  der 
Ansicht,  unser  Verfasser  „konnte*'  bei  dem  Ausdruck  wir  diegemainm 
sich   „selbst  zu  den  Gemeinen  zählen,   infolge  seiner  bescheideoen 
Stellung**.     Um  eine   „bescheidene  Stellung**    handelt   es  sich  hier 
nicht,    sondern    nach    Koehne    um    einen   „Pfarrer**;    dieser   kann 
sich  nie  direkt  als  Laie  bezeichnen,   während  sich  doch  schUe&lich 
aus  Laien  auch  die  von  Koehne  hier  fälschlich  angenommene  Gemeinde 
rekrutierte.       Pfarrer    und     Laie    schliefsen     sich     gegenseitig    aas. 
Übrigens  hätte  auch  die  von  Koehne   selbst  neu  angezogene  Stelle 
ihn    auf  eine    andere    als   politische    Bedeutung   von   gemain  fuhren 
können.     Er  bringt  nämlich  die  Worte  *)   eines  Klerikers ,  in  denen 
dieser  die  Machtlosigkeit  zur  Reform  von  selten   der  Geistlichen  ein- 
gesteht.    Dieser  fahrt  dann  fort:   es  were  den,  das  das  gemein  voi 
und  die  reichste^  die  äugen  bas  außheten.    Diese  Stelle  zeigt  eben- 
falls das  Wort  gemein  in  der  Bedeutung  von  Laien,  im  Gegensatz  zo 
den  Geistlichen   und  hat  namentlich  durch  seinen  Zusatz  die  Bevöl- 
kerung der  Reichsstädte  im  Auge.     Damit  ist  aber  auch  wieder  ein 
Beleg  gegeben  für  die  Möglichkeit,   dals  ein  Laie  und  Reichsstädter 
einmal  selbst  die  Reform  in  die  Hand  nahm.    An  dieser  Stelle  ist  es 
als  Wunsch  ausgesprochen,  an  den  von  mir  schon  früher  beigebrachten 
Worten  als  Drohung  *).    Wir  haben  also  in  unserer  Schrift  tatsächlich 
erfüllt,   was  von  Geistlichen  in  jener  Zeit,  ja  vom  Präsidenten  des 
Baseler  Konzils  selbst  ^),  teils  gedroht,  teils  gewünscht  wurde,  nännlich 
eine  Reform  von  unten  nach  oben,  von  den  „Kleinen**  das  sind,  (& 
Laien,  der  dritte  Stand,  die  Reichsbürger,  da  die  berufenen  Häuptel 
SiMafen,  wie  unser  Verfasser  sagt,  d.  h.  da  sie  unfähig  sind.    Diese 
Reformbewegung  setzt  hier  zunächst  auf  dem  Papier  ohne  revolutionäre 
Ideen,  aber  unter   der  Hülle  der  städtebürgerlichen   Selbsthilfe   ein 


1 )  A 1 1  m  a  D  Q ,  a.  a.  O.,  S.  350.  DiegoUdienst  verleih  also  lang  durch  eitel  geisigM 
und  eigen  vdllen,  hamut,  groß  hoff  ort  wnd  nicht  nur  gotz  ert  wnd  der  gemeinen  verlde 
nütz,  warnt  der  merteil  der  pfaffheit,  die  toam  aUo  gestalt,  daß  eie  die  leien  gern 
hetten  ferdrungen . . . 

2)  Ebenda,  S.  333. 

3)  Vgl.  Historische  Vierte^ahr9chrift,  5.  Bd.,  S.  476  f. 

4)  Ebenda. 


—     241     — 

und  umfafist  noch  Staat  und  Kirche,  schreitet  fort  unter  der  Verstär- 
kung', die  ihr  zuteil  wird  von  den  steigenden  kirchlichen  und  sozialen 
Müsständen  und  der  durch  die  Prophetie  genährten  Erregung  und 
findet  schlieüslich  unter  der  Einwirkung  der  Reformation  ihren  sozial- 
revolutionären  Ausbruch  in  dem  sogenannten  Bauernkriege. 

Auch  noch  eine  kleine  sachliche  Bemerkung  sei  neu  hinzugefügt : 
Unser  Verfasser  ist  für  die  Abschaffung  der  feierlichen  Begräbnisse 
and  Anniversarien,  offenbar  weil  beide  Einrichtungen  den  Pfarrern  zu 
hohe  Stolgebühren  eintrugen.  Deshalb  wendet  sich  die  Geistlichkeit 
auf  den  Provinzialsynoden  jener  Zeit  gegen  „die  Bürgermeister,  Ge- 
meinden und  Zünfte,  die  gute  und  löbliche  Bräuche  abschaffen 
wollen,  wie  Begräbnisse  und  Anniversarien"  *).  Also  gehört  unser  Ver- 
äflser  diesen  Kreisen  an,  die  dieselben  abschaffen  wollen  ;  kurzum  es 
hieise,  Eulen  nach  Athen  tragen,  .nach  den  von  mir  an  früheren 
Stellen  und  hier  beigebrachten  Tatsachen  weitere  Beweisgründe  vorzu- 
führen. Auch  meine  Argumentation  über  die  Elntstehung  der  Schrift 
hat  Koehne  in  ähnlicher  Weise  mifsverstanden.  So  behauptet  er, 
Valentin  Eber  hätte  nach  meiner  Ansicht  eine  „offizielle  Schrift"  ') 
geschrieben,  ohne  anzugeben,  wo  ich  diese  Worte  gebraucht  habe. 
An  einer  Stelle  nur  habe  ich  davon  gehandelt ').  Diese  lautet : 
7, Unsere  Schrift  gibt  sich  aufserdem  durchaus  als  eine  offizielle  .,. 
vnd  ist  insofern  , privat*  als  sie  offizielle  Ratschläge  und  Beschlüsse 
. . .  von  einem  rein  persönlichen  Standpunkt  erläutert  darbietet"  Jeder 
Mann  versteht,  was  es  heifst:  „sie  gibt  sich",  doch  so  viel  als  sie 
tut,  als  ob  sie  offiziell  wäre  und  sie  hat  sogar  offizielle  Beschlüsse, 
ich  meinte  Konzils-  und  Städtetagbeschlüsse ,  in  sich  aufgenommen, 
ist  aber  privater  Herkunft,  also  ohne  offiziellen  Auftrag,  der  Auftrag 
lie^  eben  in  der  Prophetie,  als  in  einem  höheren  Auftrag,  den  der 
Verfasser  auf  sich  bezieht.  In  einer  ganz  unverständlichen  Weise 
mtfideutet  Koehne  eine  andere  Anschauung  von  mir.  Ich  hatte  näm- 
^  darauf  hingewiesen  ^),  dafs  man  seither  den  Verfasser  wegen  seiner 
fiibelkenntnis  und  weU  er  lateinisch  versteht  gern  als  Pfarrer  be- 
zeichnete. Letzteres  suchte  ich  dadurch  zu  widerlegen,  dafs  ich 
zeigte,  der  Verfasser  habe  in  der  prophetischen  Stelle  vom  sacer 
pussiüus  offenbar  in  den  lateinischen  Text  derselben  temo  nono  gesetzt, 

•lui  DiözetamkonnUm  vom  IV.'-XIV.  Jahrhundert  (Mainz  1848),  7.  Bd.,  S.  460. 
3)  k.  a.  O.  S.  318. 

3)  Diese  Zeitschrift,  4.  Bd.,  S.  216. 

4)  In  meiner  Schrift  ttber  *imm  eccluiae,  S.  88. 


—     242     — 

um  das  Jahr  der  Veröffentlichung  der  Schrift  1439  darin  stehen  zu 
haben.  Dabei  sei  aber  1400  gar  nicht  und  39  falsch  übersetzt^). 
Daraus  macht  nun  Koehne:  ich  ginge  von  der  stillschweigenden 
Voraussetzung  aus,  da(s  die  Prophezeiungen  (!  ?)  des  Verfassers  aus  dem 
Deutschen  ins  Lateinische  übersetzt  seien  '),  obschon  ich  dies  doch  nur 
von  der  genannten  Jahreszahl  1439  behauptete,  die,  wenn  auch  temo 
nono  in  dem  ursprünglich  lateinischen  Texte  stände,  doch  falsch  ins 
Deutsche  übersetzt  wäre.  Aber  Koehne  geht  in  seiner  Mifisdeutung 
noch  weiter  und  behauptet  sogar,  „  ich  hielt  diese  Stelle  für  eine  fehler- 
hafte Übersetzung  eines  Deutschen  des  XV.  Jahrhunderts". 
Auch  nicht  eine  Silbe  habe  ich  davon  geschrieben  und  Koehne  weife 
auch  nicht  die  betreffende  Stelle  anzugeben. 

Der  Vorwurf  Koehnes  gar,  als  habe  ich  das  von  mir  behauptete 
fremde  Eigentum  der  Reformschrift  nicht  nachgewiesen,  noch  nicht 
einmal  eine  äulserliche  Ähnlichkeit  oder  die  Übereinstimmung  in  der 
Aufeinanderfolge,  geschweige  denn  im  Inhalt '),  beruht  auf  seiner  Un- 
kenntnis mit  meinen  Aufsätzen.  Ich  habe  dort  wiederholt  auf  sach- 
liche Übereinstimmungen  *)  und  namentlich  die  gleiche  Anordnung 
unserer  Schrift  wie  bei  anderen  Reformanträgen  hinweisen  können. 
Ich  habe  auch  ausdrücklich  die  Schwierigkeit  betont  *) ,  die  Überein- 
stimmung von  Wort  zu  Wort  zu  konstatieren,  da  hier  eine  Übersetzung 
aus  lateinischen  Vorlagen  zugrunde  liege  und  die  Übersetzungskunst 
schlecht  zu  sein  scheint,  ja  wir  noch  nicht  einmal  feststellen  können, 
wie  weit  des  Verfassers  Übersetzung  geht,  da  er  ja  auch  eigenes  nach 
seinen  eigenen  Worten  als  Erläuterung  hinzugegeben  hat.  Aber  ich  bin 
jetzt  sogar  in  der  Lage,  eine  Schrift  namhaft  zu  machen,  die  genau 
so  disponiert  war  wie  die  unserige.  Das  aber  ist  es  gerade,  was 
Koehne  für  alle  Zeiten  als  unmöglich  hinstellt  •). 

i)  Übrigens  ist  nur  30  falsch  übersetzt.  Das  kommt  daher:  in  der  Prophetie  des 
WOnschelborg  stand  die  Zahl  1409;  denn  sie  ist  in  diesem  Jahr  entstanden.  (Vgl. 
meine  Schrift  über  *anu8  ecclesitu,  S.  8a,  Anm.  4).  Sie  wurde  aber  für  das  Jahr 
1439  wegen  der  kirchenpolitischen  Spannnng  dieses  Jahres  mehrfach  verbreitet.  Unser  Ver- 
fasser hat  sie  deshalb  anch  fUr  seine  Schrift  benatzt,  die  ebenfaUs  wie  die  genannte 
Prophetie  1439  erschien.  So  hat  er  30  mit  temo  als  in  der  lateinischen  Vorlage  stehend 
von  sich  ans  willkürlich  angenommen. 

2)  Nenes  Archiv,  31.  Bd.,  S.  219. 

3)  A.  a.  O.  S.  223. 

4)  Vgl.  diese  Zeitschrift,  4.  Bd.,  S.  5.  6.  8.  10. 

5)  Ebenda  S.  53. 

6)  In  der  Zeitschrift  ßr  Sozial' und  Wirtschaftggeschichte,  6.  Bd.  (1897),  S.  410: 
„Es  mnfs  von  vornherein  bemerkt  werden,  dafs  eine  bestimmte,  andere  ReformvorscbUtge 
enthaltende  Schrift  nicht  nur  nicht  nachzuweisen  ist,  sondern  auch  schwerlich  existiert  bat^^ 


—     243     — 

In  einem  früheren  Aufsatz  dieser  Zeitschrift  habe  ich  die  Über- 
eiDstimmung  der  Reformanträge  des  Andreas  v.  Escabor  mit  un- 
serer Schrift  dahin  gekennzeichnet,  dafis  die  Reihenfolge  der  Vorschläge 
genau  dieselbe  ist  wie  die  Anordntmg  der  ersten  Hälfte  unserer  Schrift, 
ja  dais  Abschnitte  daraus  fast  wörtlich  in  unserer  Reformschrift  wieder- 
klingen ^).  Mufste  ich  auch  sachliche  Differenzen  konstatieren,  so 
waren  diese  begründet  in  der  verschiedenen  Persönlichkeit  der  Ver- 
fasser: Andreas  v.  Escabor  war  Geistlicher,  unser  Verfasser  ein  Laie  *). 
Diese  Reformanträge  lehnen  sich  aber  nach  ihrer  eigenen  Motivierung 
an  eine  Reformschrift  des  bekannten  Jul.  Cesarini,  Kardinallegaten 
und  Präsidenten  des  Baseler  Konzils,  an,  die  dieser  in  der  Zurück- 
gezogenheit zu  Klein-Basel  im  Jahre  1435  verfafet  hatte*).  Die  Schrift 
ist  bis  jetzt  noch  nicht  ans  Tageslicht  gezogen  worden,  und  doch 
war  sie  sehr  bekannt  und  viel  begehrt;  auch  der  Abt  vom  Kloster 
Tegemsee  verlangt  sie  von  dem  Vertreter  seines  Klosters  in  Basel. 
Ulrich  Stöckel  kann  aber  das  Verlangen  seines  Vorgesetzten  nicht 
befriedigen  und  schreibt  zurück^):  Bern  als  ir  begert  Hb  eil  um  re- 
formationiSf  das  dorn,  legatus  gemacht  Juxt,  das  mag  ich  nit  gehaben^ 
tnum  ein  einziger  mensch  nü  ist  in  Mo  concilio,  der  kopieen  iüitis 
VbdU  habe  oder  gehaben  mag;  dann  dorn,  legatus  will  es  allein  bei  ihm 
idUen  und  geit  nur  pariem,  einen  artikel  oder  eween,  darauf  man  avi- 
sieri  per  deputaciones.  Es  hai  auch  dasselb  libeU  jetzo  mehr  denn  jnoeen 
motuU  geslaffen,  wann  das  conciUum  jeteo  laboriert  super  pratnsione 
papae  et  dominarum  ca/rdindlium.  Aber  das  wenige,  was  wir  von  dem 
Inhalt  und  namentlich  von  der  eigentümlichen  Disposition  der  Schrift 
wissen,  deckt  sich  vollkommen  mit  unserer  Schrift  Ich  konnte  schon 
an  einem  anderen  Orte  den  Kardinallegaten  Cesarini  als  Gesinnungs- 
genossen der  Magister  und  Doktoren  und  somit  des  Verfassers  unserer 
Schrift  insofern  anziehen,  als  in  dieser  sowohl  wie  in  jenen  Kreisen 
die  von  dem  Präsidenten  des  Baseler  Konzils  während  der  Tagung 
aasgesprochene  Meinung  geteilt  wird,  dais  die  Prälaten  die  Schuld 
daran  trügen,  weim  die  Reform  noch  immer  nicht  durchgesetzt  sei  ^). 
Ja  Cesarini  hat  wie  die  mit  unserer  Schrift  verwandten  Kreise  eben- 
falls auf  die   drohende  Haltung  der  Laien  bei  weiterer  Sperrung  der 


I)  Vgl  diese  Zeitschrift,  4.  Bd.,  S.  45  ff- 
a)  Ebenda  S.  47- 

3)  Momummta  eoneiKorum  generoKum  aaecuU  XV.,  2.  Bd.  (Wien  1873),  S.  781. 

4)  Haller,  ConcHkim  Basüieme,  i.  Bd.  (1896),  S.  92. 

5)  Hittariiehe  Vierte^ahnchrift,  5.  Bd.,  S.  476. 


—     244     — 

Reform  durch  die  Prälaten  hingewiesen.  Hierin  liegt  eine  bei  einem 
Kardinallegaten,  der  doch  auch  zu  den  Prälaten  gehörte,  gewifis  be- 
merkenswerte Geistesverwandtschaft  mit  den  Prälaten  des  sog.  zweiten 
Status  und  deren  Anhang,  den  Laien. 

Aber  seine  Schrift  umfaüste  ebenfalls  den  geistlichen  und  welt- 
lichen Stand,  die  Laien.  Das  ist  ein  charakteristischer  Zug  dieser 
Reformschrift,  der  nirgends  wiederkehrt  als  in  den  Reformanträgen 
des  Andreas  v.  Escabor;  dieser  aber  hat  nach  seiner  eigfcnen  Er- 
klärung die  Reformschrift  des  Cesarini  gekannt  und  sie  in  der  Dispo- 
sition genau  nachgeahmt.  Er  sagt  darüber:  Julius  Cesarini  oancepii  Sep- 
tem genera  christianorum  seculariutn  et  ecclesiasiicarum  refortnare 
tarn  in  membris  quam  in  capüe  und  zwar  nach  dem  Einteiltingsgmnd 
der  sieben  Gaben  des  hl.  Geistes  *).  Andreas  v.  Escabor  disponiert 
seine  Anträge  ähnlich  mit  Einbeziehung  des  geistlichen  und  weltlichen 
Standes.  Ulrich  Stöckel  hat  uns  aber  die  Disposition  des  libdlum 
reformatianis  genau  hinterlassen.  Er  nennt  es  zunächst  einen  puHcher- 
rimum  tractahim  und  fährt  dann  über  den  Inhalt  desselben  fort:  prima 
pars  est  de  reformaüane  capitis,  videlicet  papae  et  dominorum  cardtna- 
lium,  secunda  pars  est  de  episcapis  et  prelatis,  tertia  de  curatis,  quarfa 
de  canonids,  guinta  pars  de  reUgiosis,  sexta  de  laids,  septima  erü  com- 
munis. An  dieser  Disposition  ist  auffallend,  dafs  die  Pfarrer  vor  den 
Kanonikern  aufgezählt  werden.  Ich  habe  dies  schon  früher  *)  zu  er- 
klären gesucht  aus  der  Parteinahme  des  Verfassers  für  die  Pfarrgeist- 
lichkeit. Jetzt  haben  wir  aber  die  Vorlage  gefunden,  der  die  Dispo- 
sition nachgebildet  ist.  Der  Verfasser  empfindet  ebenfalls  das  Be- 
dürfnis, an  der  betreffenden  Stelle  seiner  Schrift  zu  begründen,  warum 
gleich  nach  den  Bischöfen  über  die  Pfarrer  gehandelt  wird  mit  den 
Worten:  nun  soU  man  aller  pfarrhirehen  Ordnung  merken,  wann  sy 
die  wirdigosten  nach  bischofflichem  stat  sind^).  Ebenso 
steht  die  Reform  der  Laien  an  derselben  Stelle  wie  in  unserer  Schrift 
Aber  noch  merkwürdiger  ist  die  Übereinstimmung  beider  Schriften  in 
dem  Schlufisteil ,  bei  Cesarini  von  Ulrich  Stöckel  kurz  pars  communis 
genannt,  worunter  ein  Teil  zu  verstehen  ist,  der  diejenigen  Personen 
behandelt,  die  beiden  Ständen  „gemeinsam'*  sind,  nämlich  den 
Stand  der  „Laienbrüder 'S  die  ja  nicht  völlig  zu  den  Geistlichen  und 

i)  Ebenso  tagt  unsere  Schrift  wiederholt,  es  sei  zu  reformieren  Tom  Jumpt  b*^ 
/tum  mindesten,  genta  wie  Stöckel  von  Cesarinis  Reformschrift  beriditet,  sie  woUe 
reformctre  eaput  . . .  usgue  ad  infimum. 

2)  Vgl.  diese  Zeitschrift,  4.  Bd.,  S.  12. 

3)  Boehm,  S.  186. 


—     246     — 

Ordensleuten  gehören,  aber  auch  nicht  zu  den  Laien.  Bei  unserem 
Verfasser  heilst  es  nach  der  Reform  des  weltlichen  Standes :  man  soll 
sber  merken  ainen  gemainen  sicU,  der  die  tveÜlichen  und  geisüichen 
mmkrti;  er  meint  darunter  die  Laienbrüder  verschiedener  Orden. 
Daraus  ist  unbedingt  zu  folgern,  dais  unsere  Schrift  nach  der  Reform- 
schrift  Cesarinis  angelegt  ist  und  ihr  auch  an  Umfang  entspricht.  Ein 
näherer  Vergleich  des  Inhalts  ist  leider  nicht  mögUch;  der  allerdings 
unzulängliche  Vergleich  durch  das  Mittel  der  Reformanträge  des  An- 
dreas V.  Escabor  läfst  aber  auch  hierin  Übereinstimmung  vermuten. 
Ja  vielleicht  ging  diese  noch  weiter  in  Anbetracht  der  oben  erkannten 
dgentümltchen,  aber  mit  unserer  Schrift  übereinstimmenden  Stellung 
Cesarinis  zu  den  Prälaten.  Unsere  Schrift  ist  aber  infolge  dieser  Ab- 
hängigkeit von  einer  genau  so  disponierten  Schrift  nicht  mehr  in  zwei 
Teile,  wie  früher  schon  geschehen  ist,  auch  nicht  in  vier  Teile  ^)  zu 
zcrl^en,  sondern  in  sieben,  und  diese  wieder  in  Kapitel.  So  kommt 
man  nicht  nur  auf  die  ursprüngliche  Anlage  zurück,  sondern  schreitet 
aocb  fort  zu  einer  brauchbareren  Gestaltung  derselben. 

Von  den  nun  von  Koehne  angeführten  Parallelstellen  aus  dem 
Schwabenspiel  wären,  die  Richtigkeit  der  Behauptung  Koehnes  voraus- 
gesetzt, doch  nur  zwei  „  für  die  Erkenntnis  des  Charakters  der  Reformation 
Kaiser  Sigmunds  von  grofser  Wichtigkeit*)". 

Zunächst  ist  es  die  Stelle:    alles ^  das  in  dem  buich  geschrieben 

skU  *),  hon  ich von  hoher  maister  toeysunge,  gunst  und  willen  und 

kre  dise  Ordnung  gemachet  und  von  latein  gcUeuisch  gu  ainem  bekennen 
QÜen  gemainen  Christen  in  der  christenhait .  Diese  Worte  sollen  ent- 
lehnt sein  aus  dem  Schwabenspiegel:  alle  die  recht,  die  in  diesem 
htA  geschrieben  slehn,  haben  funden . .  Sävester  und  Konstantinus . . . 
•Hl  weiser  meister  lere.  Zunächst  fällt  hier  jedem  auf,  dafs  in  der  an- 
gebUchen  Vorlage  etwas  wesentliches  fehlt,  tmd  zwar  gerade  dasjenige, 
was  so  wichtig  ist  „  für  die  Erkenntnis  des  Charakters  der  Schrift ",  näm- 
^  die  Aussage,  es  handle  sich  um  eine  Übersetzung  aus  dem 
iateiniscben  ins  Deutsche.  Wie  steht  es  nun  mit  dem  anderen  Ge- 
danken, dafs  unsere  Schrift  zum  Teil  fremdes  Eigentum  ist?  Jeder  mit 
<fer  mittelalterlichen  Literatur  einigermafsen  vertraute  weifis,  dais  man  gern 
(üe  Worte  einer  bekannten  und  berühmten  Vorlage  benutzte,  um  damit 
•eine  eigenen  Gedanken  vorzutragen;  es  könnte  also  sehr  wohl  unsere 
Schrift  deimoch   ein  tatsächliches    Verhältnis   zu    gelehrten  Vorlagen 

1)  Wie  Koehne  es  tnt    Neues  Archiv,  aß.  Bd.  (1898),  S.  727. 

2)  N.  A.  31.  Bd^  S.  224 flF. 

3)  BoehiD,  S.  171. 


—     246     — 

mit  den  Worten  des  Schwabenspiegels  zum  Ausdruck  bringen,  aber 
dieses  tatsächliche  Verhältnis  wird  auch  durch  eine  andere  Stelle  unserer 
Schrift  nochmals  gestützt  und  hier  ohne  Anlehnung  an  irgend 
eine  Vorlage.  So  sagt  der  Verfasser  im  Sinne  Kaiser  Sigmunds*): 
nun  tun  wir  aber  ee  toissen,  dass  wir  mit  höhen  wysen  diese 
urhund,  als  sy  an  ir  seJbs  beschehen  ist,  erleutert  haben  und  finden 
darin,  das  warlich  gottes  manung  ist,  das  wirf  nun  von  stück  au  stück 
erUUert,  eu  einem  rechten  "bekennen pracht.  Es  ist  also  „diese  Wendung", 
wie  Koehne  meint,  nicht  „  nur  deshalb  gewählt  worden,  um  die  Wirkung 
der  Schrift  auf  die  Leser  zu  steigern  **,  sondern  sie  entspricht  einem  tat- 
sächlichen Verhältnis,  in  dem  unsere  Schrift  zur  Konzilsarbeit  zu  Basel  steht 
Dies  wird  noch  besonders  bestätigt  durch  die  Beachtung  des  hier  und  sonst 
häufig  vorkommenden  Gedankens  „der  Eriäuterungen"  des  Verfassers, 
die  neben  die  verdeutschen  Vorlagen  traten.  Auch  dieser  Gedanke, 
mit  dem  Koehne  ebensowenig  etwas  anzufangen  wei&  wie  mit  dem 
Vorgeben  des  Verfassers,  seine  Schrift  sei  Übersetzung  gelehrter 
Vorlage,  hängt  eng  mit  dea  kirchenpolitischen  Verhältnissen  jener  Tage 
in  Deutschland  zusammen,  wie  ich  demnächst  in  einem  zusammen- 
fassenden Aufsatze  zeigen  werde. 

Ebensowenig  vermag  Koehnes  Nachweis  von  der  Anlehnung  einer 
anderen  wichtigen  Stelle  an  den  Schwabenspiegel,  die  ich  als  die 
„Proklamierung  der  städtischen  Freiheit  für  alle  feudal  Abhängigen" 
erklärt  habe,  zu  entkräften.  Wer  die  Stelle  bei  Koehne  *)  vergleicht, 
findet,  dafs  einige  Worte  übereinstimmen,  eine  Übereinstimmung,  die 
sich  auch  an  eine  andere  Stelle  anlehnen  köimte ').  Der  feierliche 
Protest  unseres  Verfassers  aber  fehlt  im  Schwabenspiegel  ganz,  weU  eben 
der  politische  Hintergrund  fehlt,  das  ist  der  der  Bedrohung  der  städte- 
bürgerlichen Freiheit  durch  die  Fürsten  in  den  Jahren  1438  und  1439; 
dafs  es  sich  nur  um  die  städtebürgerliche  Freiheit  handelt,  geht  aus 
einer  Reihe  von  Stellen  der  Schrift  selbst  hervor,  die  ich  wiederholt 
anführen  mu(ste.  Nur  auf  die  markantesten  wUl  ich  nochmals  hin- 
weisen :  tmd  ir  wirdigen  reich  stett  ....  ir  habt  eure  freiheit  ven  der 
Christenheit  oder  wenn  die  gemeine  weit  bekennen  wird  unsere  freihdi 
und  wer  wiU  lieber  eigen  sein  denn  frei?  Wir  sehen,  unsere  Aus- 
legung der  Reformschrift  hängt  nicht  von  einer  Stelle  ab,  die  etwa 
Anklänge    oder   auch  wörtliche    Übereinstimmung  mit  einer  anderen 


i)  Boehm,  S.  ^44. 

3)  Neaes  Archiv,  31.  Bd.,  S.  225. 

3)  Vgl.  diese  ZeiUchrift,  4.  Bd.,  S.  199. 


—     247     — 

Quelle  haben  könnte  und  die  deshalb  ihren  Wert  verlöre,  sondern 
von  einer  Fülle  über  die  ganze  Schrift  zerstreuter  Einzelheiten.  Eine 
Widerlegung  dieser  Art  wird  deshalb  auch  immer  scheitern:  die 
Schrift  als  Ganzes  steht  immer  hinter  uns.  Um  aber  auch  weiterhin 
dn  richtiges  Verständnis  der  bedeutenden  Reformschrift  anzubahnen, 
bedarf  es  noch  ihrer  Betrachtung  im  Rahmen  der  mittelalterlichen 
Publizistik  ^).  Das  heilst  sie  in  anderer  Hinsicht  aus  ihrer  Vereinzelung 
befreien,  imter  der  die  sachgemäüse  Beurteilung  der  Reformation  Kaiser 
Sigmunds  seither  so  sehr  gelitten  hat.  Vielleicht  ergeben  sich  daraus 
Züge,  die  dazu  zwingen,  sie  in  einer  bestimmten  Unterabteilung  dieser 
Literaturgattung  zuzurechnen.  Es  ist  aber  auch  möglich,  dafs  die 
daraus  gewonnenen  Resultate  unserer  Beweisführung  selbst  zu  gute 
komme;  jedenfalls  aber  verheifse  ich  hier  nicht  eine  vollständige 
Lösung  dieser  Aufgabe,  sondern  möchte  nur  die  Richtung  bezeichnen, 
in  der  man  vorgehen  mufs,  wenn  sie  gelöst  werden  soll« 

Einer  der  für  die  Publizistik  fruchtbarsten  Kämpfe  war  der 
kirchenpolitische  Streit  zwischen  Bonifaz  VIII.  und  Philipp  dem 
Schönen  von  Frankreich  um  das  Jahr  1300;  er  hat  aber  auch  für  die 
Folgezeit  vorbildlich  für  die  deutsche  Reformschriftliteratur  gewirkt 
Um  das  an  unserer  Schrift  beobachten  zu  können,  müssen  wir  uns 
einem  bestimmten  Kreise  von  Vertretern  dieser  Publizistik  nähern.  Ich 
folge  dabei  den  verdienstvollen  Ausführungen  von  Richard  Scholz 
in  seinem  Buche  Die  Putlixistik  eur  Zeit  Philipps  des  Schönen  und 
Banifcus  VIIL  (Stuttgart  1903). 

Neben  der  grofisen  Schar  von  Prälaten,  Legisten  und  Kanonisten, 
die  auf  beiden  Seiten  der  Kämpfenden  den  Federkrieg  führten,  treten 
auch  drei  Beamte  des  französischen  Königs  für  diesen  in  die  Schranken. 
Von  ihnen  wiederum  ist  „der  erste  typische  Publizist  des  Mittelalters'' 
der  „untergeordnete  Beamte  und  königliche  Advokat"  Peter  Dubois  *). 
Schon  in  der  Schrift  Antequam  essent  derid  aus  diesem  Kreise  wird 
dementsprechend  das  Laienelement  in  den  Vordergrund  gestellt'). 
Es  geschiebt  dies,  um  den  Laien  in  Frankreich  das  Recht  zu  vindi- 
zieren, einen  Papst  abzusetzen.  Dieses  gesetzwidrige  Vorgehen  wird 
nun  mit  denselben  Gedanken  begründet  wie  es  unser  Verfasser  bei 
seinem  Reform  versuch  von  unten  nach  oben  tut,  nämlich  mit  dem 
Hinweis  auf  die  parvtdi,  die  Kleinen,  „denen  Gott  seinen  Willen  ofTen- 

i)  VgL  meinen  AufsaU  Kirehev^  und  sozicUpolitisehe  Publigistik  im  Mittet" 

sUer  in  dieser  ZeiUchrift,  6.  Bd.,  S.  65—88  and  S.  105— 116. 

2)  Scholx,  S.  355. 

3)  A.  «.  O.  S.  360. 

18 


—     248     — 

baren  kann"  *).  Dieses  Beispiel  zeigt,  dafs  schon  kurz  vor  1300  der 
Ausdruck  parvuli,  die  Kleinen,  zur  Bezeichnung  für  die  Laien  und 
das  Bürgertum  gerade  im  Gegensatz  zu  den  Geistlichen  im  Gebrauch 
war,  also  für  den  dritten  Stand  und  nicht  für  die  „Gemeinde**  oder 
die  niedrigste  Bevölkerung  der  Stadt,  wie  Koehne  zuletzt  behauptet 
hat  ^).  Offiziell  waren  ja  die  Reichsstädter,  also  der  dritte  Stand,  schon 
längst  als  humiles  gegenüber  den  nöbiles,  dem  Fürstenstand*),  be- 
zeichnet worden. 

Treten  wir  aber  erst  der  vielseitigen  puplizistischen  Tätigkeit  des 
Peter  Dubois  näher,  so  ergeben  sich  der  Berührungspunkte  noch  mehr. 
Er  ist  schon  lange  gefeiert  worden,  „wegen  seiner  eigentümlichen, 
auffallenden  Gedankenwelt**,  wegen  seiner  „modernen  Ideen**.  Ganz 
so  mufsten  wir  unseren  Verfasser  charakterisieren.  Er  nimmt  genau 
dieselbe  Stellung  innerhalb  der  Reformpartei  zur  Zeit  des  Baseler 
Konzils  ein,  wie  Peter  Dubois  unter  den  Publizisten  seiner  Zeit.  Wir 
glauben  unsere  eigenen  Worte  über  den  Verfasser  der  Reformation 
Kaisers  Sigmund  zu  hören,  wenn  wir  die  Worte,  die  Scholz  über 
Peter  Dubois  S.  375  ff.  sagt,  hier  folgen  lassen:  „Er  ist  der  einzige 
unter  den  Publizisten,  aus  dessen  Schriften  etwas  mehr  als  die  schola- 
stische Tradition  und  Gelehrsamkeit  mit  ihrer  unter  Formeln  und 
Dialektik  fast  erstickenden  Gedankenwelt  zu  uns  spricht,  bei  dem  wir 
eine  klare  Vorstellung  von  den  gärenden,  oft  noch  unklaren  und 
widerspruchsvollen  Ideen  erhalten,  die  damals  in  den  regeren  Geistern 
unter  den  Gebildeten  sich  bemerkbar  machten  und  das  Kommen  einer 
neuen  Zeit  ankündigten.**  „Das  liegt  bei  Dubois  zum  guten  Teü 
daran,  dafs  er  kein  zünftiger  Gelehrter  ist,  kein  Universitäts- 
magister, sondern  ein  Mann  der  Praxis,  ein  praktisch  tätiger  Jurist, 
ein  Laie,  der  mit  dem  lauten  Treiben  seiner  Zeit  in  täglicher  Be- 
rührung stand.**  „Sein  Advokatenberuf  begünstigte  offenbar  seine 
Neigung,  überall  Nachrichten  und  Neuigkeiten  zu  sammeln.**  Diese 
Charakteristik  stimmt  so  zu  der,  die  ich  von  dem  Verfasser  der  Refor^ 
mation  des  Kaisers  Sigmund  gegeben  habe,  dafs  wir  nur  den  Namen 
des  Advokaten  Dubois  durch  den  des  Stadtschreibers  Valentin  Eber 
zu  ersetzen  brauchen. 

Welches  sind  nun  Dubois'  moderne  Ideen?  Der  Laie  Peter  Du- 
bois  hat  die  Absicht,    eine   durchgreifende   Reform   der   gesamten 

i)  Ebenda  S.  371.     Vgl.  Matth.  11,  25;  Lok.  10,  21  and  dazu  Boehm,  S.  169, 

2)  Neues  Archiv,  31-  ^^->  S.  235. 

3)  Vgl.  Becker,  Inittative  zum  rheinischen  Städtebund  (Giefsener  Diss.  1899), 

s.  74. 


—     249     - 

Christenheit  schon  im  Jahre  13CX)  vorzunehmen  *).  Voraussetzung  für 
seine  politischen  Pläne  ist  ihm  der  Welt  friede.  Um  ihn  aufrecht  zu 
erhalten,  ist  nach  seiner  Ansicht  die  Einsetzung  eines  internationale^n 
Schiedsgerichtshofes  notwendig  *).  Auch  unser  Verfasser  beabsichtigt 
die  Befriedung  der  ganzen  Christenheit  *)  durch  die  Einsetzung  von 
vier  Reichsvikaren  mit  Reichsgewalt.  Vor  ihnen  sollen  gerade  wie 
vor  den  sechs  vereidigten  Richtern  des  Peter  Dubois  die  Streitigkeiten 
beigelegt  werden.  Neu  ist  aber  diese  schiedsrichterliche  Idee  auch  bei 
diesem  Publizisten  nicht  *),  geschweige  denn  bei  Valentin  Eber.  Wenn 
aber  Scholz  weiter  über  diesen  Plan  seines  Verfassers  sagt:  „neu  ist 
der  Gedanke  der  Ständigkeit  und  der  Ausdehnung  unter  allen  euro- 
päischen Staaten,  sowie  der  detaillierte  Entwurf  einer  Verfassung  und 
Geschäftsordnung  für  einen  solchen  Schiedsgerichtshof"  —  so  gilt  das 
von  unserem  Verfasser  nicht  mehr,  so  sehr  sich  die  Pläne  beider  im 
übrigen  decken. 

Aber  auch  in  der  Kirchenreform  haben  beide  gemeinsame  Züge. 
Zur  Heilung  der  Schäden  auf  dem  kirchlichen  Gebiet  fordert  Dubois 
fest  so  genau  wie  Eber  vollständige  Säkularisation  des  Kirchen- 
g^ts  durch  Ablösung  (Kapitalisierung?)  der  kirchlichen  Rechte  an 
den  Gütern  um  Geld*).  Neu  hieran  sei,  dafs  „das  umfassende  Pro- 
gramm einer  praktischen  Durchführung  mit  anscheinend  erreichbaren 
Mitteln  noch  von  niemand  aufgestellt  worden  ist"  ^).  Das  Patrimo- 
nium Petri  sowie  alles  Kirchengut  soll  einem  „grolsen  König 
oder  Fürsten  oder  einigen  zu  ständiger  Emphyteuse  (Erbzins)  gegeben 
werden".  „Die  Einkünfte  und  Ausgaben,  die  Verwaltungskosten  und 
Gnindlasten  des  ganzen  Besitzes  sollen  vorher  ganz  genau  festgestellt 
und  danach  die  jährliche  Pension  bestimmt  werden,  die  dem  Papst 
ausgezahlt  werden  soll."  Unter  dem  Patrimonium  Petri  seien  nicht 
nur  die  direkten  italienischen  Besitzungen  des  Papstes,  sondern  auch 
&t  lehensabhängigen  Staaten  Neapel '),  Sizilien,  Aragonien  und  Eng- 
land zu  verstehen.  Den  Kardinälen  soll  der  Papst  ebenfalls  entspre- 
chende Renten  aus  dem  Patrimonium  zuweisen.     Ebenso   sollen   auch 


1)  Scholz,  Die  Publizistik  zur  Zeit  Philipps  des  Schonen  und  Bonifaz  VTLL 
(Stattgart  1903),  S.  394. 

2)  Ebenda  S.  396. 

3)  Boehm,  S.  233  und  234. 

4)  Scholz,  a.  a.  O.,  S.  396. 

5)  Scholz,  S.  399. 

6)  Ebenda  S.  400. 

7)  Von  nnterem  Verfasser  auch  genannt.     Boehm,  S.  163. 

18* 


—     250     — 

die  anderen  Prälaten  an  Stelle  ihrer  Lehen  eine  feste,  jährliche 
Pension  erhalten  *).  Selbst  die  regulierten  Kleriker  sollen  alle  Tem- 
poralien  in  ewige  Emphyteuse  an  weltliche  Personen  geben  und 
von  den  Renten  leben.  Die  Zahl  der  Nonnen  soll  beschränkt  werden 
und  nicht  über  dreizehn  in  einem  Konvent  gehen ;  damit  schlägt  Du- 
bois  ein  ähnliches  Verfahren  vor,  wie  es  Eber  in  bezug  auf  alle  Klöster 
plant.  Doch  dieses  ganze  Programm  der  französischen  Publizisten 
deckt  sich  fast  vollkommen  mit  dem  unseres  Verfassers.  Hier  wie 
dort  Ablösung  der  Rechte  an  Kirchengütem ,  Scheidung  zwischen 
weltlichem  Besitz  und  kirchlichem  Amt  und  feste  jährliche  Besoldung 
der  Geistlichen  vom  Papst  bis  zum  Mönch.  Büüsten  auch  durch  die 
Aufdeckung  dieses  Zusammenhanges  manche  Gedanken  unseres  Ver- 
fassers ihre  Originalität  ein,  so  schliefst  sich  durch  diese  Erkenntnis  ein 
um  so  festeres  Band  um  die  Persönlichkeit  beider  Autoren,  die  beide  Laien 
sind.  Auch  die  Reform  der  geistlichen  Ritterorden  interessiert  beide, 
wenn  auch  Dubois  in  höherem  Mafse  und  mehr  aus  politischen  Gründen. 
Auch  hat  Dubois  als  Laie  eine  grofise  Abneigung  gegen  den 
Zölibat  *) ,  ja  er  verweist  sogar  geradeso  wie  unser  Verfasser  auf  den 
Brauch  der  orientalischen  Kirche,  der  beiden  besser  gefällt  Wie 
Dubois  femer  infolge  seiner  persönlichen  Lebensstellung  besonders 
für  eine  Reform  des  Gerichtswesen  befähigt  war  und  deshalb  die  Pro- 
jekte darüber  „die  erste  Stelle'*  *)  einnehmen,  so  fiel  bei  unserem 
Verfasser  die  Breite  und  das  Pathos  auf,  mit  dem  er  über  das  Thema 
des  Stadtschreiberamtes  handelt.  Daraus  mufsten  wir  einen  Schlnis 
auf  die  Persönlichkeit  des  Verfassers  ziehen,  wie  wir  ihn  aus  dem 
Kapitel  über  das  Gerichtswesen  ziehen  könnten,  wenn  wir  näheres 
über  Dubois  nicht  wüfisten.  Neben  den  fSrüheren,  von  anderer  Seite 
unternommenen  Versuchen,  „die  Konkurrenz  der  vielen  apostolischen, 
kaiserlichen  und  lehnsherrlichen  Notare  möglichst  einzuschränken'*,  er- 
strebte Dubois  ganz  genau  wie  unser  Verfasser  für  das  Stadtschreiber- 
amt „die  Monopolisierung  dieses  Amtes"  *).  Ja  auch  der  Grund,  den 
Scholz  für  die  Eigenart  der  Gedanken  des  Peter  Dubois  anfuhrt, 
müGste  jetzt  auch  auf  unseren  Verfasser  angewendet  werden,  wenn  ich 
ihn  nicht  schon  früher  genau  so  dargestellt  hätte.  Dubois  „ist  einer 
der  charakteristischen  Vertreter  eines  neuen  Standes  und  der  beson- 


i)  Scholz,  S.  aoi  nnd  302 ff. 

2)  Ebenda  S.  406.    Dasa  Boehm,  S.  187. 

3)  Ebenda  S.  417. 

4)  Ebenda  S.  419. 


—     251     — 

deren  geistigen  Bildung  dieses  Standes,  er  ist  einer  jener  bürger- 
üchen,  juristisch  gebildeten  Laien,  die  in  Frankreich  im  politischen 
Leben  fortan  eine  so  hervorragende  Rolle  spielen"  *).  Denken  wir 
für  „Vertreter  eines  neuen  Standes"  und  abgesehen  von  Frankreich, 
den  Stadtschreiberstand  eingesetzt,  so  haben  wir  die  Wahrheit  über 
unseren  Verfasser.  Valentin  Eber  ist  ein  literarischer  Doppel- 
gänger von  Peter  Dubois. 

Unser  Verfasser  gehört  also  unter  den  Publizisten  in  die  Reihe 
der  bürgerlichen  Reformer,  die  im  XV.  Jahrhundert  immer 
zahlreicher  werden  und  von  denen  eine  gerade  Linie  zu  den  Revolu- 
tionären im  Bauernkrieg  und  darüber  hinaus  bis  ins  XIX.  Jahrhundert 
namentlich  in  Frankreich  führt.  Wurde  doch  noch  unlängst  im  Namen 
derselben  bürgerlichen  Freiheit  daselbst  die  Scheidung  von  Geistlichem 
und  Weltlichem  streng  durchgeführt  und  mit  Emphase  sogar  dieselbe 
fcmdliche  Stellung  gegen  das  Mönchtum  eingenommen,  ausdrücklich 
Zugunsten  des  Pfarramts  —  gerade  wie  in  unserer  in  echt  städte- 
bürgerlichem Geiste  verfafeten  Schrift. 

Doch  nach  diesem  Rückblick  auf  die  mittelalterliche  Publizistik 
sei  noch  ein  Ausblick  von  unserer  Schrift  aus  auf  der  Linie  der  bürger- 
lichen Reformversuche  gestattet.  Von  der  Verwandtschaft  des  Laien^ 
den  Haupt  „oberrheinischer  Revolutionär"  genannt  hat,  habe 
ich  bereits  früher  in  dieser  Zeitschrift  gehandelt  *).  Es  erübrigt  noch^ 
eine  andere  Reformschrift,  die  ebenfalls  den  Namen  eines  Kaisers  an 
der  Stime  trägt,  die  aber  schon  unmittelbar  vor  der  deutschen  Bauem- 
revolution  vom  Jahre  1525  entstand,  zu  unserer  Reformschrift  in  Be- 
ziehung zu  setzen.  Es  ist  die  sog.  Reformation  Kaiser  Fried- 
richs III.  Ihr  offizieller  Titel  lautet:  TeiUscher  Nation  nodtdarfft. 
Bie  Ordnung  und  reformation  aller  Stend  im  römischen  Reich  von 
Kaiser  Friedrich  IIL,  Qott  eu  lob,  der  ganzen  Christenheit  eu  ntäsi 
und  seligJceU  vorgenommen.  1523 ').  Sie  hat  keinerlei  Zusammenhang 
mit  den  schwächlichen  Reformartikeln  des  Kaisers  Friedrich  III.  auf 
dem  Reichstag  zu  Frankfurt  vom  Jahre  1442.  Sie  spekuliert  viel' 
mehr  damit  einerseits  in  plumper  Weise  auf  den  Volksglauben  vom 
Reformkaiser  Friedrich,   wie  es  ja  der  Verfasser  der  Reformation  des 


i)  Ebenda  S.  443. 
3)  6.  Bd.,  S.  III. 

3)  Anch  TOD  Goldast,  BeichsBaUungen,  L  TeU  (1712),  S.  166—180  abgedruckt. 

Leider  lind  die  Vonrntertacliangeo   sn   dieser  wichtigen  Reformscbrift  noch  sehr  gering'; 

nch  ist  das   Verständnis  fUr   dieselbe   noch  nicht  genügend   angebahnt,   weil  sachliche 

Eiltteluiitersachiingen  noch  so  gut  wie  völlig  fehlen. 


—     252     — 

Kaisers  Sigmund  auch  tut,  anderseits  mit  feiner  politischer  Absicht 
auf  den  Erzherzog  Ferdinand,  der  als  Urenkel  Kaiser  Friedrichs  HI. 
eine  Reform  des  gemeinen  Mannes  in  lutherischem  Geiste  durchfuhren 
soll.  Denn  dafs  die  Reformation  bei  der  Abfassungszeit  der  Reform- 
schrift schon  im  Gange  ist,  erweist  schon  ihre  Vorrede,  in  der  über 
die  grofse  Wandlung  der  Dinge  gesprochen  wird  ').  Am  deutlichsten 
drückt  sich  hierüber  der  Verfasser  auch  in  der  ersten  „Erklärung  des 
Beschlufsartikels**  *)  aus  mit  den  Worten:  damit  die  menschlich  Frei- 
heit christlkher  Ordnung  toieder  auf  gerichtet,  die  durch  den  rechten 
wahren  Antichrist  uns  armen  Christen  mit  dem  hl,  Evangelio 
und  anderen  Worten  Christi  verhm-gen  und  niedergelegt  was. 
Weiter  geht  seine  Anlehnung  an  Luther  nicht,  wohl  ist  aber  eine 
stärkere  an  die  Reformation  Kaiser  Sigmunds  nachzuweisen.  Zunächst 
ist  die  Anordnung  seiner  Schrift  dieselbe  wie  die  genannte  Reforma- 
tion. Das  Ganze  zerfallt  in  Vorrede,  zwölf  Artikel  mit  ihren  Erklä- 
rungen und  einem  Beschlufsartikel.  Vorrede  und  Schlufskapitel  sind 
in  beiden  Reformschriften  analog.  Der  Hauptteil  ist  in  zwölf  Artikel 
gegliedert  und  so  als  unmittelbares  Aktionsprogramm  brauchbar  ge- 
macht. Der  Begriff  von  ,, Erklärungen"  dazu  klingt  deutlich  an  die 
„Erläuterungen"  der  Reformation  Kaiser  Sigmunds  an.  Auch  die  An- 
ordnung des  in  der  Reform  begriffenen  Stoffes  ist  im  ganzen  derselbe 
wie  in  der  früheren  Reformation,  nur  schärfer  epigrammatischer  und 
gleichsam  ohne  Feigenblatt.  Der  Verfasser  ist  aber  kein  Städtebürger, 
sondern  ein  Adeliger.  So  beschäftigt  er  sich  mehr  mit  den  Fürsten, 
aber  am  meisten  mit  den  Rittern  und  dem  gemeinen  mann.  Dieser 
bildet  gleichsam  den  Refrain  in  jedem  Artikel  und  dessen  Erklärungen, 
Der  Verfasser  schwärmt  vorwiegend  für  die  alten  Stände:  Kaiser. 
Ritter  und  Bauer.  Auch  kennt  er  Zoll,  Münzen,  Gewicht,  Kaufmanns- 
handel und  widmet  diesen  Gegenständen  einzelne  Artikel,  aber  er  ver- 
hält sich  hier  viel  kapital-  und  handelsfeindlicher  als  die  Reformation 
des  Kaisers  Sigmund,  wenn  man  deren  Haltung  überhaupt  so  nennen 
darf.  Alle  Stände  will  er  erhalten  wissen,  sogar  die  Mönche.  Über 
Säkularisation  und  Abschaffung  des  Zölibats  hat  er  sich  nicht  klar 
ausgesprochen,  wiewohl  er  letzteren  sehr  satirisch  behandelt.  Auch 
teilt  er  die  alte  kanonische  Auffassung,  dafs  das  Kirchengut,  das  er 
Patrimonium^)  nennt,  drei  Teilen  zugehört:  den  Bischöfen,  Klerikern 
und  Armen.     Die  ersteren  sind  die  Vormünder  der  Armen  bei  Ver- 


1)  Ebenda  S.  i66. 

2)  Ebenda  S.   179. 

3)  I.  Artikel,  4.  Erklärung. 


—     253     — 

waltungf  desselben.  Am  heftigsten  spricht  er  sich  gegen  die  gelehrte 
römische  Rechtssprechung  aus  '),  wie  es  die  fortgeschrittenere  Rezep- 
tion des  römischen  Rechts  und  die  dadurch  bedrängteren  Interessen 
des  gemeinen  mannes  ihm  aufdrängten.  Die  gelehrten  Richter  nennt 
er  geizig  ^),  wohl  deshalb,  weil  sie  sich  im  Gegensatz  zu  den  Schöffen- 
richtem  bezahlen  liefsen.  Die  Juristen  sollen  künftig  nur  für  das 
consilium,  den  Rechtsbescheid  oder  Ratschlag  ^)  in  den  juristischen 
Fakultäten  der  Universitäten,  wirken  und  zwar  soll  ihre  Zahl  beschränkt 
sein  auf  drei  Doktoren.  Die  Ritter  dagegen  werden  erbdiener  des 
reckten  genannt.  Sie  sollen  das  göttliche  recht  *)  .  .  .  vor  aller  Gewalt 
helfen  handhaben.  Während  der  Verfasser  der  Reformation  Kaiser  Sig- 
munds nur  den  Mifsbrauch  der  Bannrechte  der  Herren  den  Bauern 
gegenüber  abgeschafft  wissen  will,  fordert  der  Verfasser  der  Reforma- 
tion des  Kaisers  Friedrich  freies  eigentum  für  die  Bauern,  aber  be- 
zeichnend für  seine  Persönlichkeit  ist  es,  dafs  er  den  Boden^^ins,  die 
guU,  aufrecht  erhalten  zu  sehen  wünscht.  Hierin  verriet  sich  der  be- 
teiligte, wenn  auch  vielleicht  arme,  Grundherr.  Denn  diesem  Boden- 
zins entsprechen  Gegenleistungen  der  Grundherren,  und  sollten 
diese  ihren  Pflichten  nachkommen,  so  mufete  ihnen  auch  der  Boden- 
zins erhalten  bleiben.  Die  zwölf  Artikel  der  Bauern  verlangen  da- 
gegen Kapitalisierung  dieses  Bodenzinses  durch  das  zwanzigfache  des 
Wertes.  Der  Verfasser,  ist  ein  deutsch  -  österreichischer  ^)  Adeliger, 
sicher  ein  Laie,  denn  er  sagt  selbst :  wir,  die  hien.  Deshalb  kann  er 
sich  nicht  genugtun  mit  der  christlichen  freiheit  menschliches  wesens 
rechter  natürlicher  vemunft.  Bei  der  Reform  des  städtischen  Wesens 
nennt  er  diese  christliche  Freiheit®)  geradezu  bürgerliche  freiheit, 
wohl  zum  erstenmal  in  der  deutschen  Geschichte  und  gibt  somit  auch 
der  Forderung  der  Reformation  des  Kaisers  Sigmund  von  der  christ- 
lichen Freiheit  die  richtige,  d.  h.  städtebürgerliche  Deutung. 


i)  Vgl.  6.  Artikel  und  die  Erklärungen  dazu. 

2)  4.  Erklümng  des  6.  Artikels. 

3)  5.  Artikel  und  4.  Erklärung. 

4)  Schon  von  der  Reformation  Kaiser  Sigmunds  erwähnt  (iu8  divinum  im  Gegen- 
satz zum  i%u  humanum)  und  in  den  zwölf  Artikeln  des  Bauernprogramms  ein  beliebtes 
Schlagwort. 

5)  Bei  den  Vorschlägen  über  die  Münzreform  geht  er  von  dem  kurshabenden  Geld 
Österreichs  and  Frankens  aus,  ebenso  soll  bei  der  VereinheiUichung  des  Gewichts  das 
„Wienisch"  Gewicht  Norm  werden. 

6)  Zu  der  SteUe  (Goldast,  S.  171):  die  gehorsamen  des  reiclks  die  un- 
9'^ii^frsamen  helfen  solkn  gehorsam  machen,  vergleiche  4.  Artikel,  4.  Deklaration. 


—     254     — 

So  ergibt  sich  aus  dieser  kurzen  vergleichenden  Betrachtung  der 
Reformation  des  Kaisers  Sigmund  innerhalb  der  Publizistik  nach  vor- 
wärts und  rückwärts,  dafs  sie  eine  Vorläuferin  besitzt,  die  aus  dem 
Bürgerstande  hervorgegangen  ist,  und  eine  Nachfolgerin,  die  aus  dem 
eine  von  einem  Laien  herrührende  Nachahmung  darstellt,  und  dafe  sie 
demnach  in  die  Laienpublizistik  gehört.  Sie  zu  den  Meinungs- 
äufserungen  der  radikalen  Reformpartei  der  Geistlichen  zu  rechnen, 
heifet  die  Schrift  mifsdeuten.  Ganz  abgesehen  davon,  dafs  sie  gar 
nicht  radikal  ist,  würde  sie  in  dieser  Gruppe  ganz  isoliert  stehen; 
man  könnte  nichts  mit  ihr  anfangen,  sie  wäre  eben  voller  „Rätsel", 
wie  man  sich  ausdrückte.  Auch  wenn  ihr  Verfasser  dem  „Fort- 
schritt** *)  der  damaligen  Zeit  zugerechnet  würde,  so  hat  man  damit 
noch  nichts  für  das  Verständnis  der  Schrift  gewonnen.  Es  müfete 
denn  angegeben  werden,  worin  dieser  „Fortschritt**  bestanden  hat, 
welche  ganz  bestimmte  Bewegung  der  Zeitgeschichte  darunter  zu  ver- 
stehen ist.  Darüber  ist  man  aber  die  Antwort  schuldig  geblieben: 
man  nahm  dabei  offenbar  den  alten  Gedanken  von  der  radikalen 
Reformpartei  unter  den  Geistlichen  wieder  auf,  wenn  man  nicht  gar 
eine  neue  unbekannte  Gröfse  wieder  einfuhren  wollte.  Jedenfalls 
kommt  man  bei  derartigen  Ansichten  niemals  zu  einer  ohne  Rest 
aufgehenden  Erklärung  unserer  Schrift.  Trotzdem  liegt  ein  „Fort- 
schritt** in  unserer  Schrift,  und  das  ist  die  Hervorkehrung  des  dritten 
Standes,  des  S tädtebürgertums,  das  der  Vorläufer  des  modernen 
Staats bürgertums  geworden  ist.  So  erklären  sich  auch  die  so  modern 
anmutenden  Ideen  der  Schrift.  Der  Fortschritt  liegt  des  weiteren  in 
dem  neuen  Berufe,  dem  des  Stadtschreibers,  der  erst  damals  g^öfsere 
öflfentliche  Bedeutung  gewinnt  und  in  dessen  Mitte  die  moderne  Kultur 
ihre  Wiege  hat.  Er  ist  der  des  Humanismus,  der  mehr  weltlichen  BU- 
dung  oder  latschen  gelehrsamkeit,  die  hier  zum  erstenmal  dazu  gleich- 
sam in  einer  subalternen  Form,  in  der  „Halbbildung**,  ihre  Fittiche 
auf  dem  Gebiete  der  Publizistik  regt.  Damit  ist  das  Verständnis  der 
bedeutenden  Reformschrift  nach  allen  Seiten  hin  erschlossen  und  einer 
neuen  Herausgabe  ihres  Textes  nach  diesen  Gesichtspunkten  steht  nichts 
mehr  entgegen. 


i)  Koehne  in  ZeiUchrift  für  Sosidl'  vnd  Wirtschafhgesehichte,  6.  Bd.  (1897)1 
S.  410  ff. 


—     255     — 


Mitteilungen 


Yersammlnngeil»  —  Gleichzeitig  mit  der  IX.  Versammlung  deutscher 
Historiker  tagte  in  Stuttgart  die  siebente  Konferenz  von  Vertretern 
laodesgeschichtlicher  Publikationsinstitute,  die  am  17.,  18.  tmd 
19.  April  je  eine  Sitzung  abhielt,  und  zwar  unter  Vorsitz  von  Archivdirektor 
Schneider  (Stuttgart)  ').  Von  den  bereits  an  früheren  Konferenzen  be- 
teiligten Publikationsinstituten  waren  vertreten  die  Kommissionen  für  das 
Königreich  Sachsen,  Sachsen -Anhalt,  Steiermark,  Thüringen,  Württemberg, 
die  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde,  das  Institut  für  österreichische 
Geschichtsforschung,  der  Westpreulsische  Geschichtsverein,  der  Verein  für 
landeskunde  von  Niederösterreich  und  der  Historische  Verein  für  Steiermark. 
Zum  ersten  Male  vertreten  waren  die  Gesellschaft  für  fränkische  Geschichte, 
die  Konunission  für  die  Herausgabe  elsässischer  Geschichtsquellen  und  die 
Kommission  für  Herausgabe  lothringischer  Geschichtsquellen,  während  die 
Badische  Historische  Konmiission,  die  Gesellschaft  für  Salzburger  Landeskunde 
nnd  die  Gesellschaft  für  Geschichte  des  Protestantismus  in  Österreich  nur 
aus  persönlichen  Gründen  Vertreter  zu  der  gegenwärtigen  Tagung  nicht 
entsendet  hatten  *). 

Zuerst  berichtete  Prof.  Hansen  (Köb)  über  Absatz  und  Verlag 
▼on  Publikationen,  die  von  den  Instituten  herausgegeben  werden,  und 
schilderte  vor  allem  die  verschiedenen  seitens  der  Gesellschaft  für  Rheinische 
Geschichtsktmde  angewandten  Verfahren.  Während  früher  die  Gesellschaft 
auf  eigene  Kosten  hat  drucken  lassen,  ist  sie  gegenwärtig  einen  Vertrag 
mit  einem  Verleger  eingegangen,  der  den  Druck  übernimmt,  der  GeseUschaft 
die  von  ihr  benötigten  Exemplare  für  ihre  Stifter  und  Patrone  gegen  Be- 
ahhmg  liefert  imd  im  übrigen  den  Verkauf  besorgt.  Das  letztere  Ver- 
fahren hat  sich  als  das  für  die  Gesellschaft  günstigste  erwiesen,  aber  bei 
jedem  Institut  wird  der  Erfolg  davon  abhängen,  wie  die  Mittel  beschafft 
werden,  da  sich  danach  der  eigene  Verbrauch  von  Exemplaren  richtet.  In 
dieser  Beziehung  liegen  die  Verhältnisse  bei  jedem  Publikationsinstitut  etwas 
anders,  aber  alle  haben  dasselbe  Interesse,  ihre  Publikationen  möglichst 
weit  zu  verbreiten.  —  Aus  den  Mitteilungen,  die  seitens  der  Anwesenden 
über  die  Verhältnisse  anderwärts  gemacht  wurden,  ergab  sich  deutlich  und 
übereinstimmend,  dafs  bei  Quellenpublikationen  die  Zahl  der  im  Buchhandel  ab- 
zusetzenden Exemplare  höchstens  250  beträgt,  dafs  aber  in  vielen  Fällen  nur  wenig 
ober  100  abgesetzt  werden,  während  bei  Darstellungen  der  Absatz  recht  ver- 
schieden ist,  so  dafs  manchmal  sogar  davon  weniger  ab  von  Quellenveröfient- 
Hchungcn  verkauft  werden.  Der  Preis  scheint  auf  die  Verbreitung  ganz  ohne  Ein- 
^  zu  sein;  wenigstens  haben  die  äufserst  biUigen  Veröffentlichungen  der 
Württembergischen  Konmiission  auch  keinen  höheren  Absatz  ab  diejenigen 
anderer  Institute.     Vor  der  nächsten  Konferenz  werden   die  Vertreter  um 


i)  Über   die   sechste  Konferenz   in  Salzbarg  1904   vgl.   diese   Zeitschrift   6.  Bd., 

S.  91— 93- 

2)  Dts  Verzeichnis  aller    früher  bis  1903   beteiligten  Institute  findet  sich  in  dieser 
Zötichrift  4.  Bd.,  S.  256. 


—     256     — 

Einsendimg  möglichst  genauer  Berichte  über  Kosten  und  Absatz  der  Publi- 
kationen an  den  Berichterstatter  gebeten,  damit  die  Ergebnisse  noch  genauer 
festgestellt  werden  und  sich  einzelne  Institute  die  Erfahrungen  anderer  zunutze 
machen  können. 

Prof.  V.  Thudichum  (Tübingen)  legte  wiederum  eine  gröfsere  Anzahl 
der  von  ihm  bearbeiteten  historischen  Karten  Süddeutschlands  vor  und 
machte  genauere  Angaben  über  die  Kosten,  welche  die  Herstellung  der 
Grundkarten  erfordert  hat:  die  Doppelsektion  kommt  auf  0,36  Mk.  zu 
stehen,  wenn  1000  Stück  gedruckt  werden.  Die  Notwendigkeit,  dafs  endlich 
auch  in  Bayern  und  Baden*)  Grundkarten  hergestellt  werden,  damit  die 
Forschung  nicht  ruhen  mufs,  wenn  Gebiete  dieser  Länder  in  Betracht  kommen, 
trat  bei  den  Darlegungen  wiederum  deutlich  zutage. 

Prof.  Dopsch  (Wien)  berichtete  im  Anschlufs  an  seine  Ausführungen 
auf  der  letzten  Konferenz  *)  über  Mafsnahmen  zur  Erschliefsung  agrar- 
geschichtlicher  Quellen,  machte  die  jüngsten  einschlägigen  Ver- 
öffentlichungen namhaft  und  forderte  mit  Recht  vor  allem  eine  Verzeichnung 
der  in  den  einzelnen  Ländern  vorhandenen  Urbare,  wie  sie  bereits  für 
Ober-  und  Niederösterreich,  Steiermark  und  Tirol  in  die  Wege  geleitet  ist 
Dem  Vorschlage,  die  Hofrechte  des  Mittelalters  herauszugeben,  steht  die 
Zentraldirektion  der  Monumcnta  Germaniae  freundlich  gegenüber  und  hat 
den  Berichterstatter  beauftragt,  Vorschläge  hinsichtlich  der  Ausfuhrung  des 
Planes  zu  machen.  —  In  der  anschliefsenden  Aussprache  wurde  allseitig 
betont,  dafs  die  Bereisung  und  Durchsicht  der  kleineren  Archive  die  Vor- 
bedingung für  jede  Zusammeu Stellung  des  Materials  sei,  die  auf  Vollständigkeit 
Anspruch  machen  soll,  und  die  in  dieser  Hinsicht  bestehenden  Schwierig- 
keiten wurden  von  verschiedenen  Seiten  beleuchtet.  Tn  Westpreufsen  ist  für 
die  Sammlung  agrargeschichtlicher  Quellen  eine  Hilfskraft  tätig,  die  die 
Gerichtsbücher  bearbeitet  und  die  Besitzurkunden  seit  1772  sowie  die 
Handfesten  aus  der  Ordenszeit  verzeichnet. 

Zu  der  Frage,  welche  Anforderungen  an  die  Abfassung  von  Regesten 
und  Regestenwerken  zu  stellen  sind,  brachte  Prof.  Oswald  Redlich 
(Wien)  ein  emgehendes  Referat  des  abwesenden  Dr.  Steinacker  (Wien) 
zur  Verlesung,  das  die  bei  Bearbeitung  der  Habsburger  Regesten  gemachten 
Erfahrungen  verwertet  und  die  für  derartige  Werke  in  Betracht  konmienden 
Gesichtspunkte  erörtert.  Ehe  allgemein  gültige  Vorschläge  gemacht  werden 
können  hält  der  Gutachter  jedoch  Erhebungen  darüber  für  notwendig,  wie 
grofs  die  Zahl  der  zu  berücksichtigenden  Urkunden  in  den  einzelnen  Land- 
schaften ist,  und  schlägt  vor,  durch  Referenten  aus  den  verschiedenen 
Ländern,  die  Unterlagen  dafür  zu  beschaffen.  Als  Gegenberichterstattcr 
stellte  sich  Prof.  Rietschel  (Tübingen)  auf  den  Standpunkt  des  Benutzers 
und  zwar  desjenigen  für  vornehmlich  rechtsgeschichtliche  Zwecke.  Die 
Hauptsache  sei  für  ihn,  dafs  in  nächster  Zeit  schon  etwas  Brauchbares  ge- 
schaffen würde,  und  deswegen  käme  für  ihn  nicht  das  Regest  im  Regestcn- 
werk,  sondern  nur  dasjenige  in  Betracht,  welches  den  vollständigen  Abdruck 


i)  In  Baden   gehen   übrigens   die  Vorarbeiten  zu  Ende,   so  dafs  dort  bald  aof 
das  Erscheinen  einzelner  BläUer  zu  rechnen  ist.     Vgl.  oben  S.  227. 
2)  Vgl.  diese  Zeitschrift  6.  Bd.,  S.   145—167. 


—     257     — 

einer  Urkunde  ersetzen  soll.    Während  im  letzteren  Falle  bisher  das  Haupt- 
gewicht auf  die   politischen  Verhältnisse   gelegt  worden  sei,    stehe  es  recht 
schlecht  hinsichtlich  aller  Angaben  privatrechtlicher  Natur,   und  dies  bringe 
den  Rechtshistoriker   in    grofse   Verlegenheit,   insofern   er   in    den  Regesten 
das,  was  er  sucht,  entweder  gar  nicht  oder  nur  ungenau  ausgedrückt  findet 
Der  Redner   fordert   im   allgemeinen,    bis   1300   alle  Urkunden  zu   drucken 
und  höchstens  seit  1250  Abkürzungen  eintreten  zu  lassen,  alle  verfassungs- 
und  wirtschaftsgeschichtlich   bedeutsamen  Angaben   dem   Regest   unter  Ver- 
wendung des  Wortlauts    der  Urkunde    selbst  einzuverleiben  und  Privatrechts- 
urkunden  in   einer  Auswahl,    so  dafs  möglichst  jeder  vorkommende  Fall  in 
zwei   bis    drei    Beispielen    vertreten    sei,    zu    veröffentUchen.      Ausführliche 
Überschriften  seien  bei  Privaturkunden  entbehrlich.    Als  Mittel  zur  Abkürzung 
lateinischer  Urkunden  sei  ein  Auszug,  der  der  Satzkonstruktion  der  Urkunde 
unter   Weglassung   alles   nicht   unbedingt   Notwendigen    entspricht,    zu   emp- 
fehlen. —  In  der  Erörterung  wurde  die  Schwierigkeit  der  Aufgabe  und  die 
Hindemisse,    die    entgegenstehen,    vor    allem   der    Mangel   an   brauchbaren 
Archivrepertorien    hervorgehoben,  dem   Antrage    Steinackers,    die   Zahl    der 
Urkunden  festzustellen,    zugestimmt   und  eine  fünfgliedrige  Kommission,  be- 
stehend aus  Oswald  Redlich,    Rietschel,    Kötzschke,    Steinacker 
und  Schulte,  eingesetzt,  die  schriftlich  Vorschläge  formulieren  soll,  welche 
als  Grundlage   flir  die  Beratung  auf  der  nächsten  Konferenz  dienen  werden. 
Hinsichtlich    der    Fragen    über    die   Herausgabe    von    Münzwerken 
crgiiff    als    erster    Berichterstatter    Prof.    Menadier    (Berlin)    das     Wort, 
knüpfte   an  den  Vortrag  von  Knapp  ^)   au   und  stellte  im  Gegensatz  zu  der 
darin  ausgesprochenen  Überschätzung  der  Staatsgewalt  fest,    dafs   die  älteste 
bisher  überhaupt  bekannte  Münze  von  einem  griechischen  Bankier  heriühre. 
Auch  das   merowingische   Geld   werde  namentlich    von   den   Franzosen   für 
Privatgeld  erklärt,  denn  es  gäbe  2000  Münzstätten,  und  die  Königsmünzen 
seien  recht  gering  an  Zahl.     Zum  Gegenstand  selbst  übergehend  behandelte 
der  Redner  die  Münzen  als  selbständige  geschichtliche  Quellen,  insofern  sie 
Tatsachen  berichten:    so  ist  z.  B.  die  Existenz  des  Palatinen  Roland  einzig 
durch  das  Vorhandensein   einer  von  ihm  herrührenden  Münze  voll  bezeugt. 
Und  dasselbe  gilt  für  viele  andere  Tatsachen,  die  teils  nur  durch  Vermittlung 
der  Münzen  festzustellen  sind,  teils  durch  eine  solche  besser  gestützt  werden. 
Diese  Ergänzungen  lehren,  wie  wichtig  eine  systematische  umfassende  Münz- 
beschreibung ist,    und   machen  sie  zu    einer  Notwendigkeit.     Eine  früher  in 
Hannover  eingesetzte  Kommission  behufs  Schaffung  eines  Corpus  nummorum 
Otrmanicomm   hat   nichts   getan,    auch  die   Akademien   der  Wissenschaften 
sind  für   eine   solche  Arbeit   nicht  zu   gewinnen   gewesen,    bis   endlich   die 
landcsgeschichtlichen  Publikationsinstitute  sich  der  Aufgabe  unterzogen  haben, 
deren  Arbeit   durch   die   gebotene   räumliche  Beschränkung   erleichtert  wird, 
wenn   auch    die   Abgrenzung   der   Gebiete   gewisse    Schwierigkeiten    bereitet. 
l^  brandenburgischen  Münzen  1450 — 1640   hat   Bahrfeldt  beschrieben, 
die   des    Grofsen    Kurfürsten    sind    noch    nicht    bearbeitet,    aber    die    des 
prcufsischen   Königtums    liegen    wiederum    vor,    ferner    haben    die    Münzen 
Belgiens,   Schlesiens   und   Frankfurts   Bearbeiter  gefunden.     In  Württemberg 


I)  Vgl  oben  S.  225. 


—     258     — 

wird   das  Werk   von   Binder  neu   herausgegeben,    in   Baden   ist   die  Arbeit 
Julius  Cahn  tibertragen  worden  und  für  Köln,  Trier  und  Aachen  hat  sich 
die  Gesellschaft  für  rheinische  Geschichtskunde  der  Aufgabe  unterzogen.  — 
Für    die    Bearbeitung    solcher    Münzwerke    sollten    folgende    Gesichtspunkte 
mafsgebend  sein.     Zuerst  gilt  es  das  Corpus  herzustellen,   knappe  Beschrei- 
bungen zu  geben  und  zwar  in  geschichtlicher  Ordnung.     Eine  rein  zeitliche 
Folge    ist   nicht   angebracht,    viehnehr  gilt    es   sachlich   zu  trennen,    Gold, 
Kurant  und  Scheidemünzen  gesondert  zu  behandeln ;  die  Stempelvarianten  sind 
der  Zahl  nach  anzugeben.    Dagegen  wäre  es  fehlerhaft,  die  Stempebchneider, 
Münzmeister  oder  Münzorte  als  Einteilungsgrund  zu  wählen,  da  die  genannten 
Personen   nur  ausführende  Organe   sind   und  die  Münzstätten  —  aufser  im 
frühen  Mittelalter  —  nur  geringe  Bedeutung   besitzen.     Schliefslich  hat  sich 
der    Bearbeiter     auf    die    Münzen    zu    beschränken     und     münzenähnUche 
Stücke  (Stadtmarken  u.  dgl.)   wegzulassen   oder  höchstens  in  einem  Anhang 
zu  behandeln.  —  Dasselbe  gilt  für  die  Medaillen,  da  diese  anfangs  gegossen 
und     erst    später    geprägt    worden    sind.     —     Im   Gegensatze    zu    diesen 
allgemeinen    Ausführungen    entwickelte    Bruno    Kuske    (Köln),    der    im 
Auftrage  der  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  die  Kölner  Münzen 
bearbeitet,    sein  Arbeitsprogramm   unter   besonderer  Betonung   dessen,  was 
der    Historiker    von    einem    Münzwerke    zu    verlangen    hat.      Die    Rechts- 
verhältnisse,   die    allgemeinen   Wirtschaftszustände    und    im   besonderen  die 
Geschichte    der    Preise    mufs    behandelt    werden,    und    alles    einschlägige 
Material  mufs   zur  Verfügung   des  Benutzers   gestellt  werden.     Ja  man  kann 
noch  mehr  fordern:  eine  Geldgeschichte.    Dies  würde  aber  begrifflich  über 
ein    Münzwerk    hinausgehen    und    müfste    auch    im    Titel    zum    Ausdruck 
kommen.     Die   für  Köln   geplante  Arbeit  wird  sich  in  drei  Teile  gliedern: 
einen  beschreibenden  Teil,  der  sich  nicht  etwa  auf  Stichproben  beschränkt, 
die  Münzsorten  in  zeitlicher  Folge  nach  Schrot  und  Korn,  Namen  und  Weit 
bestimmt,  einen  vorwiegend  geschichtlichen  Quellenband,  der  alle  offiziellen 
Dokumente  über  Prägung,  Münzumlauf,  Münzverträge,  Münzordnungen,  Val- 
vationstabellen, detaillierte  Beschreibung  von  Zahlungen,  Verhandlungen  von 
Probationstagen    mit   Vor-    und    Nachakten,    Anstellung    der  Münzbeamten, 
Technik  des  Mtinzens,  Prozefsakten  gegen  Münzverbrecher,  Akten  über  Edel- 
metallgewinnung  und  Edelmetallhandel  enthalten  soll,   und  schliefslich  einen 
darstellenden  Teil,  der  sich  mit  der  Kaufkraft  des  Geldes  beschäftigt,  Tabellen 
der  Münzmeister  mit  ihren  Zeichen,  des  Wertverhältnisses  der  Münzen,   des 
Feingehalts  usw.    enthält.      Die   Preisgeschichte    selbst   jedoch    möchte    der 
Redner   vorläufig   ausschliefsen ,   weil   durch   die  Bestimmung  der  Mafse  die 
Aufgabe  wesentlich  verwickelter  werden  würde.  —  In  der  Erörterung  recht- 
fertigte Julius  Cahn  (Frankfurt)  zunächst  das  Verfahren,  welches  er  im  Auf- 
trage  der   badischen  Historischen  Kommission    einschlägt:  dort  gilt  es  eine 
Geldgeschichte   der   in  Baden   vereinigten  Territorien  für   den  Historiker  zu 
schaffen;  die  Tafeln   und  der  beschreibende  Teil  treten  deshalb  zurück  und 
erscheinen  später.      Lamprecht  (Leipzig)  bezeichnete  dieses  Verfahren  als 
unwissenschaftlich,  wendete  sich  gegen  die  Theorie  von  Knapp  und  nament- 
lich  dagegen,   dafs  nach  dem  Vortrage  eine  Aussprache  ausgeschlossen  ge* 
wesen    sei.     Die  Behandlung   der  Medaillen   in   einem  Anhang  wünschte  er 
nachdrücklich    wegen   ihres   kunstgeschichtlichen  Wertes.      Prof.    Luschin 


—     259     — 

Ton  Ebengreuth  (Graz)  bezeichnete  die  Preisgeschichte  als  letztes  Ziel 
der  münzgeschichtlichen  Untersuchung,  aber  er  bezweifelte  sogar  die  Möglich- 
kdty  allgemein  die  Kaufkraft  der  Münzen  darzustellen.  Entscheidend  für 
jede  solche  Publikation  sei,  wer  die  Aufgabe  stelle,  wie  groDs  die  Mittel  seien 
und  welchen  Um^uig  das  Werk  haben  dürfe.  Für  Köln  sei  gewifs  eine 
Geldgeschichte  gut  imd  notwendig,  für  andere  Territorien  jedoch  weniger 
wichtig. 

Als  letzter  Gegenstand  kam  die  Publikation  von  Quellen  zur  städtischen 
Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  zur  Besprechung.  Leider  koimte 
dem  eingehenden  Vortrage  von  Stadtarchivar  Overmann  (Erfurt)  wegen 
vorgerückter  Stunde  eine  Aussprache  nicht  mehr  folgen.  Von  einem  Bericht 
über  den  Inhalt  der  Ausführungen  des  Redners  kann  hier  abgesehen  werden, 
da  der  ganze  Vortrag  im  Julihefte  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangen  wird. 

El]ig:egangene  Bflcher. 

Atzler,  Alob:  Handbuch  für  den  Geschichtsunterricht  in  Lehrerbildungs- 
anstalten. Fünfte  umgearbeitete  Auflage  des  Handbuchs  für  den  Ge- 
schichtsunterricht von  K.  Kolbe  und  A.  Atzler.  II.  Teil:  Deutsche 
und  brandenburgisch  -  preufsische  Geschichte  für  Lehrerseminare.  Mit 
54  BUdertafeln  tmd  14  Schlachtenplänen  und  Feldzugsskizzen.  Habel- 
schwerdt,  Frankes  Buchhandlung  (J.  Wolf)  1906.     532  S.  8^ 

Bappert,  Joh.  Ferd. :  Richard  von  Kornwall  seit  seiner  Wahl  zum  deutschen 
König  1257 — 1272.  Bonn,  Peter  Hanstein  1905.  VIII  und  144  S.  8®. 
M.  2,50. 

Bartels:  Die  älteren  ostfriesischen  Chroniken  imd  Geschichtschreiber  und 
ihre  Zeit  [&»  Abhandlungen  und  Vorträge  zur  Geschichte  Ostfrieslands, 
herausgegeben  von  Archivrat  Wächter,  Viertes  Heft].  Aurich, 
D.  Friemann  19Ö5.     44  S.  8<^. 

Benrath,  Karl:  Luther  im  Kloster  1505 — 1525  [==  Schriften  des  Vereins 
für  Reformationsgeschichte  Nr.  87].  Halle  a.  S.,  Kommissionsverlag 
von  Rudolf  Haupt  1905.     96  S.  8^     M.  1,20. 

Bernheim,  Ernst:  Das  Wormser  Konkordat  und  seine  Vorurkimden  hin- 
sichtlich Entstehung,  Formulierung,  Rechtsgültigkeit  [=»  Untersuchungen 
zur  deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte,  herausgegeben  von  Otto 
Gierke,  81.  Heft].  Breslau,  M.  tmd  H.  Marcus  1906.  88  S.  8^. 
M.  3,60. 

Beschorner,  Hans:  Wesen  und  Aufgaben  der  historischen  Geographie 
[=»  Historische  Vierteljahrschrift  1906,  i.  Heft].     30  S.  8<*. 

Bobbe,  F.:  Nikolaus  Hausmann  tmd  die  Reformation  in  Dessau  [=■  Neu- 
jahrsblätter aus  Anhalt,  2].  Dessau,  Paul  Bamnann,  1905.  32  S.  8^ 
M.  i,oo. 

Bothe,  Friedrich:  Beiträge  zur  Wirtschafte-  tmd  Sozialgeschichte  der  Reichs- 
stadt Frankfurt.   Leipzig,  Duncker  &  Htmiblot  1 906.    1 7 2  S.  8^   M.  4,60. 

Bnfs,  Georg:  Das  Kostüm  in  Vergangenheit  tmd  Gegenwart  [=  Sammlung 
flltistrierter  Monographien,  herausgegeben  in  Verbindung  mit  anderen 
von  Hanns  von  Zobeltitz  17].  Bielefeld  und  Leipzig,  Velhagen 
&  Kllasing  1906.     171  S.  8^     Gebtmden  M.  4,00. 


—     260     — 

Caro,  Georg:  Beiträge  zur  älteren  deutschen  Wirtschafts-  und  Verfassungs- 
geschichte. Gesammelte  Aufsätze.  Leipzig,  Veit  &  Co.,  1905.  132  S. 
80.     M.  3,50. 

Clauswitz,  P. :  Die  Pläne  von  Berlin  und  die  Entwickelung  des  Weich- 
bildes, Festschrift  zur  Feier  der  silbernen  Hochzeit  Ihrer  Majestäten 
des  Kaisers  Wilhelm  II.  und  der  Kaiserin  Auguste  Viktoria,  heraus- 
gegeben vom  Verein  für  die  Geschichte  Berlins.  Berlin,  Mittler  und 
Sohn  1906.      135  S.  8®.     M.  2,50. 

Giemen,  Otto:  Heinrich  Stackmann  von  Fallersleben  [=  Zeitschrift  des 
Historischen  Vereins  für  Niedersachsen,  Jahrgang  1904,  S.  249 — 251]. 

Derichsweiler,  Hermann:  Geschichte  Lothringens  [=  Sammlung  Göschen 
Nr.   6].     Leipzig,  G.  J.  Göschen,   1905.     164  S.   i6^     M.  0,80. 

Domitrovich,  Armin  von:.  Regeneration  des  physischen  Bestandes  der 
Nation  [=  Mahnrufe  an  die  führenden  Kreise  der  deutschen  Nation]. 
Leipzig,  Georg  Wigand,   1905.     68  S.  8*^.     M.   1,50. 

Dorner,  Friedrich:  Die  Steuern  Nördlingens  zu  Ausgang  des  Mittelalters. 
Nördlingen,  Kommissionsverlag  von  C.  H.  Beck,  1905.  in  S.  8*^. 
M.  2,00. 

D  ö  n  g  e  s ,  C. :  Die  Regenten  über  die  ehemaligen  Nassau-Dillenburger  Lande 
vom  Mittelalter  bis  zur  Neuzeit  in  Wort  und  Bild  [=  Veröffentlichungen 
des  Historischen  Vereins  zu  Dillenburg  Nr.  4].  Dillenburg,  Moritz 
Weidenbach  (C.  Seel's  Nachf.)  96  S.  20  Portraits  und  i  Ansicht  von 
Dillenburg  (1640). 

Duhr,  Bernhard:  Jesuiten-Fabeln,  ein  Beitrag  zur  Kulturgeschichte.  Vierte 
verbesserte  Auflage.     Freiburg  i.  B.,  Herder  1904.     975  S.  8**.  M.  7,20. 

Düning,  Adalbert:  Die  deutschen  Handschriften  der  Königlichen  Stifb- 
und  Gymnasialbibliothek  [zu  Quedlinburg]  bis  zum  Jahre  1520.  Quedlin- 
burg 1906.     23  S.  8®. 

Erhardt,  Ferdinand:  Über  historisches  Erkennen,  Probleme  der  Geschichts- 
forschung.    Bern,  Gustav  Grünau   1906.     96  S.  8**.     M.  2,40. 

Eubel,  Konrad:  Geschichte  der  Kölnischen  Minoriten  -  Ordensprovinz 
[=  Veröffentlichungen  des  Historischen  Vereins  für  den  Niederrhein  I]. 
Köln,  J.  und  W.  Boisserde  1906.     332  S.  8^ 

Forrer,  R.:  Keltische  Niunismatik  der  Rhein-  und  Donaulande,  vierte 
Fortsetztmg  [=  Jahrbuch  der  Gesellschafl  für  lothringische  Geschichte 
und  Altertumskunde  17.  Jahrgang  (1905),  S.  241 — 283]. 

Grolig,  Moriz:  Büchersammlungen  des  XVII.  Jahrhunderts  in  Mährisch- 
Trübau.     Wien   1905.     Als  Manuskript  gednickt. 

Gröfsler,  H.:  Wann  und  wo  entstand  das  Lutherlied  Ein  feste  Burg  ist 
unser  Gott?    Magdeburg,  Ernst  Holtermann  1904.    42  S.  8*^.    M.  1,00. 

G  r  u  p  p ,  Georg :  Kultur  der  alten  Kelten  und  Germanen.  Mit  einem  Rück- 
blick auf  die  Urgeschichte.  München,  Allgemeine  Verlagsgesellschaft  m.  b.  H. 
1905.     319  S.  8*^.     M.  5,80. 

Günther,  Ludwig:  Kepler  \md  die  Theologie,  ein  Stück  Religions-  imd 
Sittengeschichte  aus  dem  XVI.  und  XVII.  Jahrhimdert  Mit  dem 
Jugendbildnis  Keplers,  um  1597  und  einem  gleichzeitigen  Faksimile. 
Giefsen,  Alfred  Töpelmann  (vormals  J.  Ricker)  1905.  144  S.  8". 
M.  2,50. 


—     261     — 

Harpf,  Adolf:  Morgen-  und  Abendland,  Vergleichende  Kultur-  und  Rasse- 
studien.    Stuttgart,  Strecker  und  Schröder  1905.    348  S.  8®.    M.  5,00. 

Hauck,  Karl:  Rupprecht  der  Kavalier,  Pfalzgraf  bei  Rhein  (1619 — 1682) 
=  Neujahrsblätter  der  Badischen  Historischen  Kommission,  Neue 
?o\ge  9].     Heidelberg,  Karl  Winter   1906.      117   S.   8  ^     M.   1,20. 

Hoede,  Karl:  Die  sächsischen  Rolande,  Beiträge  aus  Zerbster  Quellen 
zur  Erkenntnis  der  Gerichts  Wahrzeichen.  Mit  Abbildungen  im  Text  und 
einer  Heliogravüre.     Zerbst,  E.  Luppe  (E.  Boremski)   1906.     105  S.  8®. 

Hofmann,  Reinhold:  Dr.  Georg  Agricola,  ein  Gelehrtenleben  aus  dem 
Zeitalter  der  Reformation.  Mit  dem  Bildnis  Agricolas.  Gotha,  Friedrich 
Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,   1905.      148  S.   8^     M.  3,00. 

Hubrich,  Eduard:  Deutsches  Fürstentum  und  deutsches  Verfassungswesen 
[=  Aus  Natur  und  Geisteswelt ,  Sammlung  wissenschaftlich  -  gemein- 
verständlicher Darstellungen,  80.  Bändchen].  Leipzig,  B.  G.  Teubner 
1905-      155  S.  8°.     Geb.  M.    1,25. 

Imme,  Theodor:  Die  Ortsnamen  des  Kreises  Essen  und  der  angrenzenden 
Gebiete.     Essen,  G.  D.  Baedeker  1905.     72   S.  8**.     M.  0,70. 

Jungnitz,  J.:  Visitationsberichte  der  Diözese  Breslau.  Archidiakonat 
Breslau,  Erster  Teil.  Breslau,  G.  P.  Aderholz  1902.  803  S.  4®. 
Dasselbe:     Archidiakonat     Oppeln,      Erster    Teil.       Ebenda     1904. 

675   S.  4^ 
Junk,  Viktor:  Die  Epigonen  des   höfischen  Epos,  Auswahl  aus    deutschen 

Dichtungen    des    13.  Jahrhunderts   [=   Sammlung   Göschen   Nr.  289]. 

Leipzig,  G.  J.  Göschen  1906.     143  S.   16^.     M.  0,80. 
Kapper,    Anton:  Das  Archiv  der  k.  k.  stei ermärkischen  Statthalterei  nach 

der  NeuäufstcUung    im  Sommer  1905.     Mit  drei  Tafeln.     Graz,  Ulrich 

Moser  (J.  Meyerhoflf)  1906.     153  S.  8^     M.  3,00. 
Karg- Bebenburg,   Th.  v.:  Aufgaben  eines  historischen  Atlasses   für  das 

Königreich  Bayern  [==  Forschungen  zur  Geschichte  Bayerns,  XUL  Band, 

S.  237— 271]. 
Karteis,   J.:  Herdern  bei  Freiburg  i.  B.,    nach   wissenschafdichen  Quellen 

im    Auftrage    des    Lokalvereins    Herdem    bearbeitet.      Freiburg    i.    B., 

Fr.  Wagner  1905.     180  S.  8<*.     M.  2,00. 
Knipping,  Richard:  Niederrheinische  Archivalien  in  der  Nationalbibliothek 

und  dem  Nationalarchiv  zu  Paris  [=  Mitteilungen  der  K.  Preufsischen 

Archiwerwaltung ,    Heft    8].      Leipzig,    S.    Hirzel    1904.      126    S.    8®. 

M.  5,00. 
Körte,  August:    Die    Konzilspolitik  Karls  V.  in   den   Jahren    1538  — 1543 

[=  Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgeschichte  Nr.  85].    Halle  a.  S., 

Kommissionsverlag  von  Rudolf  Haupt   1905.     87   S.  8®.     M.   1,20. 
Kroll  mann,    C.:    Ostpreufsens    Burgen,    herausgegeben    vom   Verein    zur 

Hebung  des  Fremdenverkehrs  in  Ostpreufsen.   Berlm,  Franz  Ebhardt  &  Co. 

1905.     21   S.  grofs-8". 
Krollmann,    C.:  Die  Selbstbiographie   des   Burggrafen   Fabian  zu   Dohna 

(1550 — 1621)  nebst  Aktenstücken  zur  Geschichte  der  Sukzession  des 
Kurfürsten  von  Brandenburg  in  Preulsen  aus  dem  Fürstlich  Dohnaischen 
Hausarchive  zu  Schlobitten.  Leipzig,  Duncker  und  Hmnblot  1905. 
204  S.  8". 


—     262     — 

Kötzschke,  Rudolf:  Zur  Verfassungsgeschichte  von  Stadt  und  Stift  Werden 
[=  Beiträge  zur  Geschichte  des  Stiftes  Werden,  herausgegeben  von 
dem  Historischen  Verein  ftir  das  Gebiet  des  ehemaligen  Stiftes  Werden, 
Zehntes  Heft  (Bonn  1904),  S.  i — 136]. 

Liermann,  Otto:  Henricus  Petrus  Herdesianus  und  die  Frankftirter  Lehr- 
pläne nebst  Schulordnungen  von  1579  imd  1599  [=  Programm  Nr.  423 
des  Goethe-Gymnasiums  in  Frankfurt  a,  M.   1901J.     62  S.  4^ 

Loserth,  J.:  Genealogische  Studien  zur  Geschichte  des  steirischen  Uradels. 
Das  Haus  Stubenberg  bis  zur  Begründung  der  habsburgischen  Herr- 
schaft in  Steiermark  [3=3  Forschungen  zur  Verfassungs-  tmd  Verwaltuogs- 
geschichte  der  Steiermark,  VI.  Band  i.  Heft].  Graz,  Verlagsbuchhandlung 
„Styria"   1905.     83  S.  8".     M.  2,00. 

Lutze,  G.:  Aus  Sondershausens  Vergangenheit,  ein  Beitrag  zur  Kultur-  und 
Sittengeschichte  früherer  Jahrhunderte.  Erster  Band.  Sondershausen, 
Fr.  Aug.  Eupel  1905.     207  S.  4^ 

Meininghaus,  August:  Die  Grafen  von  Dortmtmd.  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  Dortmunds  [=  Beiträge  zur  Geschichte  Dortmtmds  und 
der  Grafschaft  Mark  XIV  (Dortmund  1905)].     XI  und  265  S.  8«. 

Meli,  Anton:  Regesten  zur  Geschichte  der  Familien  von  Teufenbach  in  Steier- 
mark. I.  1074 — 1547.  [==  Veröffentlichungen  der  Historischen  Landes- 
kommission fUr  Steiermark  XX].  Graz,  Selbstverlag  der  Historischen 
Landeskommission  1905.      189  S.  8®. 

Meli,  Anton:  Das  Archiv  der  steirischen  Stände  im  steiermärkischen  Landes- 
archive [s=s  Veröffentlichtmg  der  Historischen  Landeskommission  für 
Steiermark  XXI].    Graz,  Selbstverlag  der  Historischen  Landeskommission 

1905-     59  S.  8^ 
Miliard,  Emest:  Une  loi  historique.    II:  Les  Juifs,  les  Grecs,  les  Italiens. 

Bruxelles,  Henri  Lamertin  1905.     348  S.  8^. 
Miliard,    Emest:  Les   Beiges   et  leurs  gdndrations  historiques.     Bruxelles, 

J.  Leb^gue  &  O^.  1902.     350  S.  8«. 
Much,  Rudolf:  Deutsche  Stammeskunde  [=»  Sammlung  Göschen  Nr.  126]. 

Leipzig,  G.  J.  Göschen  1905.     140  S.  16®.     M.  0,80. 
Mulot,    R.:   John    Knox    1505 — 1572,    ein    Erinnenmgsblatt    zur   vierten 

Zentenarfeier  [>=»  Schriften  des  Vereins  ftir  Reformationsgeschichte  Nr.  84]. 

Halle  a.  S. ,   Kommissionsverlag   von  Rudolf  Haupt   1904.     80  S.  8^. 

M.  1,20. 
Nehring:  Die  Stätte  der  alten  Harzburg  und  ihre  Geschichte.    Verlag  des 

Harzburger  Altertum-  und  Geschichtsvereins  1905.     64  S.   16®. 
Ney,   Julius:   Die   Reformation    in  Trier    1559    und    ihre   Unterdrückung. 

Erstes  Heft:    Der  Reformationsversuch.     [=  Schriften  des  Vereins  für 

Reformationsgeschichte   Nr.    88/89.]     HaUe   a.  S.,    Kommissionsverlag 

von  Rudolf  Haupt  1906.      114  S.  8^     M.   1,80. 
Schwemer,  Richard:  Vom  Bund  zum  Reich  [=  Aus  Natur  und  Gcistes- 

wdt,    Sammlung    wissenschaftlich-  gemeinverständlicher    Darstellungen. 

102.   Bändchen].     Leipzig,   B.   G.  Teubner  1905.     125  S.  8<>.     G^. 

M.   1,25. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig. 
Druck  und  VerUg  von  Friedrich  Andreas  Perthes,  Akdengesellschnft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatssclirift 


zur 


FSrdenmg  der  landesgeschiclitliclien  Forschung 

VU.  Band  JuU  1906  10.  Heft 

Die  Herausgabe  von  Quellen  zur  städtisehen 
Hechts^  und  Wirtsehaftsgesehiehte  ^) 

Von 
Alfred  Ovennann   (Erfurt) 

Stadtrechte,  städtische  Rechtsaltertümer,  Quellen  zur  Stadt-  und 
Gerichtsverfassung  und  zur  Geschichte  des  städtischen  Zunft-  und  Ge- 
weibewesens  sind  schon  seit  Jahrzehnten  und  auch  bereits  in  nicht 
unerheblicher  Anzahl  veröfTentlicht  worden;  man  findet  sie  fast  in 
allen  städtischen  Urkundenbüchem  und  zahlreichen  anderen  Publika- 
tionen historischen  Quellenmaterials.  Ja  es  ist  auch  schon  verhältnis- 
maisig  früh  der  Versuch  gemacht  worden,  eine  zusammenfassende 
Veröffentlichung  deutscher  Stadtrechte  in  die  Wege  zu  leiten:  ich 
brauche  nur  an  Genglers  Codex  iuris  municipcUis  Germanica  medii 
am  (Erlangen  1863)  zu  erinnern.  Aber  dieses  grofs  angelegte  Werk 
ist  bekanntlich  in  den  Anfängen  stecken  geblieben.  Systematische 
Publikationen,  die  sich  auf  dieses  Spezialgebiet  beschränken  und  das 
hierfür  in  Betracht  kommende  Material  für  eine  einzelne  Stadt  er- 
schöpfend und  in  vollem  Umfang  darbieten,  gibt  es  erst  seit 
verhältnismäfsig  kurzer  Zeit. 

Das  hat  seinen  Grund  zunächst  darin,  dafs  die  grofsen  Fragen 
und  Probleme,  die  im  Zusammenhang  mit  diesem  Gebiete  stehen :  das 
Problem  der  Entstehung  der  Stadtgemeinde  und  der  Stadtverfassung, 
(fie  Fragen  der  Stadtrechtsübertragung  und  der  Rezeption  des  römi- 
schen Rechts,  die  sozialpolitischen  und  wirtschaftsgeschichtlichen  Pro- 
bleme, die  sich  hier  ergeben,  dals  alle  diese  Fragen,  wenn  sie  auch 
schon  früh  gestellt  und  auch  hier  und  da  behandelt  worden  waren, 
doch  erst  seit  verhältnismäfsig  kurzer  Zeit  in  den  Vordergrund  der 
historischen  Forschung  getreten  sind.     Und  als   man  auch  hier,   wie 

i)  Vorliegender  Ansatz  gibt  den  Inhalt  des  Vortrages  wieder,  den  der  Verfasser 
am  19.  April  1906  auf  der  siebenten  Konferenz  Ton  Vertretern  landesgeschichtlicher 
P^likationsinstitate  (vgl.  oben  S.  259)  gehalten  hat. 

19 


—     264     — 

in  anderen  historischen  Disziplinen,  allmählich  erkannte,  dafa  sich 
nur  auf  Grund  der  völligen  Kenntnis  und  Beherrschung  des  gesamten 
Einzelquellenmaterials  sichere  allgemeine  Schlüsse  ziehen  lassen,  da 
kam  man  ganz  von  selbst  dazu,  die  Publikation  dieses  Quellenmaterials 
zu  fordern  und  in  die  Wege  zu  leiten.  Und  wenn  sich  die  Konferenz 
der  Vertreter  landesgeschichtlicher  Publikationsinstitute  anschickt,  diese 
VeröfTentlichuDgen  zu  besprechen,  so  ist  das  ein  Beweis  dafür,  dals 
sie  sich  der  Wichtigkeit  gerade  dieser  Gattung  von  Publikationen  be- 
wufst  und  bereit  sind,  sie  nach  Kräften  zu  fördern.  Vielleicht  hat 
auch  gerade  der  Umstand,  dafs  die  Stadtrechtsveröffentlichung  noch 
in  den  Anfangen  steckt,  mit  dazu  beigetragen,  dafs  hier  darüber  ver- 
handelt werden  soll.  Denn  gegenwärtig  wäre  es  ja  vielleicht  noch 
möglich,  mehr  oder  weniger  gemeinsame  und  einheitliche  Grundsätze 
für  die  Herausgabe  derartiger  Quellen  aufzustellen  ^). 

Der  badischen  historischen  Kommission  gebührt  das  Verdienst, 
den  ersten  Schritt  zu  einer  solchen  Publikation  getan  zu  haben.  Auf 
Anregung  Richard  Schröders  beschlofs  sie  in  der  ersten  Hälfte  der 
neunziger  Jahre  die  Herausgabe  der  Oberrheinischen  SUxdtrechte  mit 
drei  Abteilungen,  nämlich  der  der  fränkischen,  schwäbischen 
und  elsässischen  Stadtrechte.  Von  der  fränkischen  Abteilung 
sind  von  1895  bis  heute  sieben  Hefte  erschienen,  die  vier  ersten  von 
Richard  Schröder,  die  drei  letzten  von  Carl  Koehne  bearbdtet. 
Die  schwäbische  Abteilung  ist  bisher  nur  durch  ein  Heft  vertreten, 
nämlich  das  über  Villingen,  bearbeitet  von  Roder  (1905).  Von  der 
elsässischen  Abteilung  liegen  zwei  Bände  vor,  die  die  Stadt  Schlett- 
stadt  behandeln  und  1902  erschienen  sind.  Bearbeiter  ist  der  Schlett- 
stadter  Archivar  Geny. 

Dem  badischen  Beispiele  folgte  Westfalen.  In  der  zweiten 
Hälfte  der  neunziger  Jahre  nahm  die  westrälische  historische  Kom- 
mission die  Herausgabe  der  Westfälischen  Stadtrechte  in  ihr  Programm 
auf;  1901  und  1903  erschienen  die  ersten  Bände,  zwei  Städte  der  Grafschaft 
Mark  —  Lippstadt  und  Hamm  —  behandelnd,  beide  von  mir  bearbeitet 
Diese  Publikation  wirkte  anregend  auf  das  Rheinland.  Auf 
Antrag  Ilgens  beschlofs  die  Gesellschaft  für  rheinische  Geschichts- 
kunde im  Jahre  1903,  „die  systematische  Herausgabe  von  Urkunden 
und  Akten  zur  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  der  kleineren  rhei- 
nischen Städte,   und  zwar  zunächst   des   Niederrheins,   in   Angriff  zu 

I)  Vgl.  auch  den  Aufsatz  von  C.  Koehne,  Die  modernen  StadtreehisedUümen  m 
„Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts-  and  AltertnmsTereüie*', 
53-  J«lu-gang  (1905),  Sp.  251—278. 


—     265     — 

nehmen".  Das  erste  Heft  ist  bereits  fertiggestellt  und  wird  in  kürze- 
ster Zeit  erscheinen.  Es  bringt  die  Stadtrechte  Siegburgs,  be- 
arbeitet von  F.  Lau. 

Auch  die  thüringische  historische  Kommission  hat  die  Publi- 
kation der  Stadtrechte  in  ihr  Programm  aufgenommen.  Der  erste 
Band,  die  Stadtrechte  von  Eisenach,  Gotha  und  Waltershausen  ent- 
haltend, wird,  wie  mir  der  Bearbeiter,  Staatsminister  z.  D.  v.  Strenge 
(Gotha),  mitteilte,  im  Laufe  dieses  Jahres  erscheinen. 

Wenn  endlich  in  Württemberg  auf  v.  Belows  Antrag  die 
Kommission  für  Landesgeschichte  1902  beschlofs,  die  Herausgabe 
?on  Akten  zur  Geschichte  der  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt 
Ulm  im  Mittelalter  in  Erwägung  zu  ziehen,  so  ist  auch  diese  Publi- 
kation, von  der  bisher  ein  Band  ^)  erschienen  ist,  aufs  engste  mit  den 
eben  genannten  Veröffentlichungen  verwandt 

Welche  Publikationsgrundsätze  sind  nun  erstens  für  die 
Auswahl  des  aufzunehmenden  Materials  und  zweitens  für  dessen 
Anordnung  und  hinsichtlich  der  Form  und  Editionsmethode  bei 
den  bisherigen  Stadtrechtsveröffentlichungen  angewandt  oder  aufjg^e- 
stellt  worden? 

Was  zunächst  die  Auswahl  des  Materials  anlangt,  so  beschränkt 
sich  bei  den  oberrheinischen  Stadtrechten,  fränkische  AbteUung,  die 
Publikation  im  wesentlichen  auf  die  Wiedergabe  der  Stadtrechte  im 
engeren  Sinne,  d.  h.  lediglich  der  in  das  Gebiet  des  Privatrechts  und 
des  öffentlichen  Rechts  fallenden  Quellen.  Das  Material  zur  Geschichte 
der  Stadtverfassung  wird  darin  keineswegs  vollständig  gegeben, 
und  für  die  Geschichte  der  Stadtverwaltung  oder  gar  die  Wirtschafts- 
geschichte kommt  dabei  nur  wenig  heraus.  Die  Publikation  geht 
femer  im  wesentlichen  nicht  über  das  Mittelalter  und  die  erste  Hälfte 
des  XVI.  Jahrhunderts  hinaus.  Nur  in  ganz  wenigen  Fällen  sind  auch 
jüngere  Stücke  aufgenommen  worden.  Es  ist  endlich  nicht  versucht 
worden,  die  Ergebnisse  der  Publikation  in  einer  besonderen  darstellen- 
den Einleitung  kurz  zusammenzufassen. 

E^  ganz  anderes  Bild  gewähren  die  Westfälischen  SUidtrechie.  Bei 
ihnen  ist  zunächst  aufser  den  Rechtsquellen  im  engeren  Sinne  das  ge- 
samte Material  zur  Geschichte  der  Stadtverfassung,  der  Stadtverwaltung 
and  von  dem  wirtschaftsgeschichtlichen  Quellenmaterial  wenigstens  das 
die  Zünfte  betreffende  in  die  Publikation  aufgenommen  worden. 


i)  Dm  raU  Bmcä  dw  Stadt  Ulm,  hcraiwgegebcD  von  Carl  Mollwo    (Stau- 
gut  1905). 

19^ 


—     266-    — 

Die  Publikatioii  beschränkt  sich  femer  nicht  auf  das  Mittelalter, 
sondern  bringt  das  gesamte  Material  bis  zum  Anfang  des  XDC.  Jahr- 
hunderts, also  bis  zum  Untergang  der  alten  Stadtverfassungen.  End- 
lich sind  die  Ergebnisse  der  Publikation,  soweit  sie  die  Stadt- 
verfassung, die  Gerichtsverfassung  und  die  Stadtverwaltung  betreflfen, 
vom  Herausgeber  in  einer  darstellenden  Einleitung  zusammengefalst 
worden. 

Der  erste  Band  der  westfälischen  Stadtrechte  ist  1901  erschienen. 
Im  folgenden  Jahre  kamen  die  beiden  ersten  Bände  der  elsässischen 
Abteilung  der  oberrheinischen  Stadtrechte  heraus,  die  Schlettstadt 
behandeln.  Sie  zeigen  nun  Editionsprinzipien,  die  von  denen  der 
fränkischen  Abteilung  völlig  abweichen  und  den  westßllischen  aufs 
engste  verwandt  sind.  Der  Schwerpunkt  der  Veröffentlichung  liegt 
auch  hier  auf  dem  Gebiet  der  Stadtverfassung  und  Stadtverwaltung, 
nicht  auf  dem  der  Stadtrechte  im  engeren  Sinne.  Und  die  Wirt- 
schaftsgeschichte ist  gleichfalls  durch  Mitaufhahme  der  Zunft-  und 
Gewerbeordnungen  usw.  in  hervorragender  Weise  berücksichtigt  wor- 
den. Auch  hier  beschränkt  sich  die  Publikation  nicht  auf  das  Mittel- 
alter, sondern  wird  bis  zur  französischen  Revolution  fortgeführt.  Die 
einzige  Abweichung  von  den  westfälischen  Grundsätzen  ist,  dals  eine 
darstellende  Einleitung  fehlt. 

Die  Gesellschaft  für  rheinische  Geschichtskunde  hat  das  west- 
fälische Programm  gleichfalls  zu  dem  ihrigen  gemacht,  indem  sie 
beschlofs:  „Nicht  nur  die  Stadtrechte  und  Statutensammlungen  sollen 
veröffentlicht  werden,  sondern  auch  das  übrige  Material  zur  Geschichte 
der  Verfassung  und  Verwaltung  und  des  wirtschaftlichen  Lebens  in 
den  Städten  soll  herangezogen  und  gleichfalls,  wenn  auch  zunächst 
nur  in  Regestenform,  veröffentlicht  werden."  Das  erste  Heft  dieser 
Publikation  wird  auch  eine  darstellende  Einleitung  des  Herausgebers 
enthalten. 

Es  handelt  sich  also  um  zwei  verschiedene  Prinzipien,  nach  denen 
die  bisher  erschienenen  Stadtrechtspublikationen  bearbeitet  und  heraus- 
gegeben worden  sind,  und  es  wird  zu  tmtersuchen  sein,  welches  von 
beiden  den  Vorzug  verdient. 

Das  erste  ist  zweifellos  das  billigere  und  fuhrt  schneller  zum  Ziel, 
und  diese  Vorzüge  sind  nicht  zu  unterschätzen,  denn  bei  den  aller- 
meisten unserer  landesgeschichtlichen  Publikationsinstitute  spielt  die 
Geldfrage  eine  grofse,  ja  vielfach  die  entscheidende  Rolle.  Es  ist  ja 
natürlich  viel  weniger  kostspielig,  nur  das  im  engeren  Sinne  rechts- 
geschichtliche Quellenmaterial  herauszugeben ,   denn  es  pflegt  im  all* 


—     267     — 

gemeinen  nicht  besonders  umfangreich  zu  sein.  Bei  kleineren  Städten 
kommt  ein  dünnes  Heftchen  heraus,  bei  den  meisten  grö&eren  und 
gröfeten  Städten  würden  ein  oder  zwei  handliche  Bände  völlig  ge- 
nügen. Infolgedessen  kann  auch  die  VeröfTentlichung  viel  schneller 
vor  sich  gehen.  Es  kann  innerhalb  weniger  Jahre  eine  ganze  Reihe 
von  Städten  erledigt  werden:  am  Oberrhein  sind  seit  1895  allein  in 
der  fränkischen  Abteilung  die  Rechte  von  nicht  weniger  als  43  Städten 
publiziert  worden.  Freilich  enthalten  diese  Publikationen  keine  An- 
merkungen und,  Verweise  und  ebenso  keine  Register.  Also  schneller 
und  billiger  läfst  sich  auf  diese  Weise  arbeiten,  und  manchem  genügt 
auch  das,  was  hier  geboten  wird,  vollständig.  Der  Rechtshistoriker, 
der  Jurist,  verlangt  in  den  wenigsten  Fällen  mehr,  er  hat  hier  alles, 
was  er  braucht.  Wozu  die  Publikation,  so  meint  er,  mit  Dingen  be- 
lasten, die  mit  Rechts  quellen,  denen  sie  doch  in  erster  Linie  gelten 
soll,  so  gut  wie  nichts  zu  tun  haben? 

Und  doch  möchte  ich  dieser  Publikationsart  nicht  das  Wort  reden. 
Dais  man  sie  in  Westfalen  und  Rheinland  nicht  angenommen,  dafs 
der  Herausgeber  der  elsässischen  Abteilung  der  oberrheinischen  Stadt- 
rechte sie  gleichfalls  verschmäht  hat,  ist  sicher  nicht  Zufall  oder 
Willkür.  Die  Erweiterung  des  Publikationsprogramms ,  die  alle  jene 
Bearbeiter  vorgenommen  haben,  ist  vielmehr  zweifellos  unter  dem 
Zwang  einer  gewissen  inneren  Notwendigkeit  erfolgt. 

Die  städtischen  Rechtsquellen  sind,  soweit  sie  das  öffentliche  Recht 
betreffen,  zwar  gleichzeitig  auch  verfassungsgeschichtliche  Quellen, 
aber  sie  bilden  in  keinem  Falle  das  gesamte  für  die  Verfassungs- 
geschichte vorhandene  Quellenmaterial,  von  der  Geschichte  der  Stadt- 
verwaltung ganz  abgesehen,  für  die  sie  ja  nur  hier  und  da  etwas 
bringen.  Rechtsleben,  Verfassung  und  Verwaltung  einer  Stadt  stehen 
aber  in  so  innigen  wechselseitigen  Beziehungen,  dafs  man  bei  der 
Publikation  ihrer  Quellen  das  eine  nicht  zugunsten  des  anderen  ver- 
nachlässigen und  überhaupt  keine  Lücke  lassen  darf.  Wenn  man 
also  schon,  wie  das  ja  natürlich  auch  in  der  oberrheinischen  Publi- 
kation geschehen  ist,  mit  den  Rechtsquellen  notwendigerweise  einen 
Teil  der  verfassungsgeschichtlichen  Quellen  mit  veröffentlichen  mufs, 
80  sollte  man  sich  mit  dieser  halben  Arbeit  nicht  begnügen,  sondern 
gleich  das  gesamte  Material  zur  städtischen  Verfassungs-  und  Ver- 
waltungsgeschichte publizieren.  Erst  dann  kommt  ein  Ganzes  heraus ; 
das  übrige  ist  nur  Stückwerk. 

Anders  steht  es  mit  der  Heranziehung  des  wirtschaftsgeschicht- 
lichen Quellenmaterials.     Eine  innere  Notwendigkeit,   das   gesamte 


—     268     — 

einschlägige  Material  mit  in  die  Publikation  der  Rechtsquellen  hinein- 
zuziehen, besteht  meines  Erachtens  nicht.  Wohl  aber  scheint  es  mir 
geboten,  wenigstens  alles  das  aufzunehmen,  was  sich  auf  die  Zünfte 
bezieht.  Die  Zünfte  haben  im  Verfassungsleben  der  Städte  eine  so 
bedeutende  Rolle  gespielt,  dafis  die  Quellen  zu  ihrer  Geschichte 
einen  notwendigen  Bestandteil  der  Quellenpublikation  zur  städtischen 
Verfassungsgeschichte  bilden  müssen.  Wirtschaftliches,  Verfassungs- 
geschichtliches und  Politisches  ist  in  diesen  Quellen  vielfach  gar  nicht 
zu  trennen,  und  so  wird  man  auch  dieses  Wirtschaftliche  mit  auf- 
nehmen und  damit  eine  erschöpfende  Quellensammlung  zur  Geschichte 
der  Zünfte  und  des  Gewerbewesens  erhalten. 

Also  —  aus  Gründen,  die  sich  aus  der  Eigenart  des  Mate- 
rials dem  Bearbeiter  ganz  von  selbst  ergeben,  halte  ich  es  für  not- 
wendig, in  die  Publikation  der  Stadtrechte  das  gesamte  Material  zur 
städtischen  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschichte  und  von  den  wirt- 
schaftsgeschichtlichen Quellen  die  auf  die  Zünfte  und  das  Gewerbe- 
wesen bezüglichen  mit  aufzunehmen. 

Es  ist  aber  zweitens  auch  notwendig,  eine  solche  Publikation 
nicht  auf  das  Mittelalter  zu  beschränken,  sondern  sie  bis  zum  Unter- 
gang der  alten  Stadtverfassungen  durchzuführen.  Zwar  sind  gewisse 
Einschnitte  im  Lauf  der  Jahrhunderte  zu  erkennen,  vor  allem  gerade 
im  XVI.  Jahrhundert,  aber  weder  auf  dem  Gebiet  des  Rechtslebens, 
noch  der  Stadtverfassung  oder  der  Stadtverwaltung  ist  mit  dem  Ende 
dessen,  was  man  Mittelalter  nennt,  ein  so  grofser,  so  bedeutsamer 
Einschnitt  gegeben,  dafs  sich  eine  solche  Abtrennung  rechtfertigen 
liefse,  und  noch  weniger  ist  dies  auf  dem  Gebiet  des  Zimft-  und 
Gewerbewesens  der  Fall.  Für  letzteres  hört  das  Mittelalter  in  unseren 
deutschen  Städten  in  mancher  Hinsicht  erst  zu  Ende  des  XVIII.  oder 
zu  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts  auf.  Bis  dahin  ist  die  Entwicklung 
eine  einheitliche  und  ununterbrochene,  und  es  hat  keinen  Sinn,  mit 
dem  XVI.  Jahrhundert  die  Publikation  der  Quellen  zur  Geschichte  dieser 
Entwicklung  abzubrechen.  Im  Gegenteil,  es  wäre  sehr  wünschenswert, 
weim  die  Erkenntnis,  dafs  die  letzten  Jahrhunderte  des  Mittelalters 
und  die  ersten  Jahrhunderte  der  Neuzeit  für  die  deutsche  Städte- 
geschichte eine  untrennbare  Einheit  bilden  und  durchaus  zu- 
sammengehören, gefördert  würde  gerade  durch  die  Ausdehnung  einer 
solchen  Publikation  bis  zu  dem  wirklichen,  gro(sen  und  bedeutungs- 
vollen Einschnitt  an  der  Schwelle  der  neuesten  Zeit. 

Femer  wird  man  bei  der  Bearbeitung  des  Quellenmaterials  über- 
all  die   Beobachtung    machen,    dafis   manche   Seiten   des   städtischen 


—     269     — 

Rechts-,  Verfassungs-  und  Verwaltungslebens  im  Mittelalter  erst 
angeheilt  werden  können  durch  Rückschlüsse,  die  nur  auf  Grund 
von  Schriftstücken  der  neueren  Zeit  möglich  sind.  Endlich  hat  die 
Ausdehnung  der  Publikation  auf  das  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert 
auch  noch  den  Vorteil,  dals  dadurch  ganz  überraschendes  Licht  in 
eine  Periode  hineinMlt,  für  die  auf  dem  Wege  der  Quellenveröffent- 
lichung bisher  aufserordentlich  wenig  getan  worden  ist  und  die  doch 
gerade  für  das  Gebiet  der  Stadtgeschichte  des  Interessanten  und  Un- 
bekannten genug  enthält 

Eine  andere  Frage  ist  es,  ob  es  als  notwendig  angesehen  werden 
muis,  der  Publikation  eine  ihre  Resultate  zusammenfassende  dar- 
stellende Einleitung  zu  geben.  Ohne  Zweifel  spricht  sehr  vieles 
dafür.  Eine  Publikation,  wie  sie  eben  gefordert  wurde,  kann  nur  ge- 
macht werden  auf  Grund  der  Kenntnis  und  Beherrschung  nicht  nur 
der  für  sie  selbst  in  Frage  kommenden  Stücke,  sondern  des  gesamten 
für  die  Stadtgeschichte  überhaupt  vorhandenen  Quellenmaterials.  Wie 
oft  ist  nicht  die  äufsere  Politik  einer  Stadt  beeinflufst,  ja  geradezu 
bedingt  worden  durch  rein  wirtschaftliche  Fragen  und  umgekehrt! 
Wie  eng  hängt  häufig  die  Politik  eines  Gemeinwesens  dem  Stadt- 
oder Landesherrn  gegenüber  mit  der  städtischen  Verfassungsentwick- 
luDg  zusammen!  Und  wie  iimig  durchdringen  sich  erst  gegenseitig 
die  gesamten  inneren  Lebensäufserungen  eines  Gemeinwesens !  Wenn 
aber  schon  der  Herausgeber  gezwungen  ist,  das  gesamte  Material 
zur  Stadtgeschichte  durchzuarbeiten ,  dann  liegt  es  sehr  nahe ,  diese 
Arbeit  auch  in  einer  darstellenden  Übersicht  zu  verwerten,  vor 
allem,  da  eine  solche  gleichzeitig  auch  eine  Entlastung  der  Publi- 
kation bedeutet.  Denn  es  kann  dort  vieles  aufgenommen  und  ver- 
wertet werden,  was  in  den  Texten  allzu  breiten  Raum  beansprucht 
haben  würde. 

Man  könnte  einwenden,  dafis  durch  eine  derartige  Bearbeitung 
die  unbefangene  Benutzung  des  Quellenmaterials  erschwert,  der  Be- 
nutzer gewissermafisen  gezwungen  werde,  durch  die  Brille  des  Heraus- 
gebers die  Dinge  zu  betrachten.  Die  Möglichkeit  soll  lucht  in  Ab- 
rede gestellt  werden.  Aber  erstens  braucht  er,  wenn  er  unbefangen 
das  Material  benutzen  wUl,  die  Einleitung  zunächst  ja  gar  nicht  zu 
berücksichtigen,  und  zweitens  bringt  doch  jede  Arbeit,  die  früher 
oder  später  auf  Grund  dieser  Publikation  gemacht  wird,  ganz  dieselbe 
Gefahr  mit  sich.  Und  schlieüslich  sind-unsere  VeröfTentlichungen  doch 
nicht  Selbstzweck,  sondern  nur  Mittel  zum  Zweck.  Sie  sollen  Bau- 
B^e  liefern  für  die  historische  Wissenschaft,   am  letzten  Ende  also 


—     270     — 

doch  für  eine  darstellende,  zusammenfassende  Arbeit  Für  das 
Gebiet  der  Lokalgeschichte  wird  aber  im  allgemeinen  niemand  geeig- 
neter sein,  eine  solche  Arbeit  zu  liefern,  als  eben  der  Herausgeber. 
Einem  Kritiker,  der  sich  in  einer  Besprechung  des  ersten  Bandes  der 
westfälischen  Stadtrechte  als  ein  Gegner  der  Einleitungen  bekannte, 
entschlüpfte  doch  am  Schlüsse  der  Satz:  „Die  Einleitung  lehrt  den 
Herausgeber  als  genauen  Kenner  der  Stadtgeschichte  schätzen;  aber 
ist  es  nicht  selbstverständlich  oder  spricht  nicht  wenigstens  die  Ver- 
mutung dafür,  dafs  ein  Herausgeber  den  Inhalt  seiner  Edition  besser 
überschaue  und  mehr  beherrsche,  als  jeder  andere?"  ^)  Ebendeswegen 
—  meine  ich  —  soll  er  gerade  die  Einleitung  machen !  Und  wenn  einge- 
wandt wird,  er  könne  das  ja  in  einer  besonderen,  von  der  Publikation  unab- 
hängigen, an  einem  anderen  Orte  zu  veröffentlichenden  Arbeit  erledigen, 
so  sind  damit,  wie  schon  gesagt,  die  oben  genannten  Bedenken  der 
Gegner  keineswegs  aus  der  Welt  geschafll.  Eine  gewisse  Berech- 
tigung hat  meines  Erachtens  nur  der  Einwand,  dafs  durch  eine  solche 
Einleitung  nicht  nur  die  Herausgabe  der  Publikation  verzögert  wird, 
sondern  auch  die  Kosten  sich  nicht  unwesentiich  erhöhen.  Dies  letz- 
tere Bedenken  würde  freilich  in  vielen  Fällen  erheblich  abgeschwächt, 
wenn  nicht  gänzlich  beseitigt  werden  durch  die  Erwägung,  dafs  eine 
finanzielle  Unterstützung  der  Publikation  seitens  der  Stadtgemeinden 
sich  zweifellos  viel  eher  erreichen  läfst,  wenn  der  Quellenveröffent- 
lichung auch  eine  darstellende  Arbeit  beigegeben  wird.  Jedenfalls 
stehe  ich  nach  alledem  nicht  an,  die  Hinzufugung  einer  solchen,  die 
Ergebnisse  der  Publikation  zusammenfassenden  Arbeit  als  in  höch- 
stem Mafse  wünschenswert  für  jede  StadtrechtsveröfTenÜichung  zu  be- 
zeichnen. Nur  wenn  unüberwindliche  finanzielle  Hindemisse  vorhanden 
sind,  wird  man  auf  sie  verzichten  können. 

Was  nun  die  Form,  die  Anordnung  der  Publikation  an- 
geht, so  wird  man  da  nur  ganz  allgemeine  RichÜinien  geben  können 
und  sich  hüten  müssen,  ein  bestimmtes  Schema  aufzustellen.  Hier 
gilt  meines  Erachtens  durchaus  der  Satz,  dafs  die  Anordnung  sich 
aus  dem  Material  selbst  ergeben  mufis. 

Die  Wiedergabe  des  Materials  in  einfacher  chronologischer  Reihen- 
folge halte  ich  für  eine  Publikation  bei  der  Ausdehnung  des  Inhalts, 
wie  sie  oben  gefordert  wurde,  nicht  immer  für  geeignet;  eine  gewisse 
Gliederung  des  Stoffes  nach  systematischen  Gesichtspunkten  scheint 
mir  vielmehr  die  Übersicht   zu  erleichtem.     In  der  Regel  wird  sich 

I)  A.  WermiDghoff  in  der  Zeitschrift  der  Savigny- Stiftung  für  BeeM»- 
geachichte,  Germamstische  ÄhteihMg,  33.  Bd.  (1902),  S.  325. 


—     271     — 

eine  Zweiteilung"  empfehlen:  der  eine  Teil  wird  alle  diejenigen  Ur- 
kunden« Akten  und  Schriftstücke  enthalten,  die  das  Verhältnis  der 
Stadt  zum  Stadtherrn  betreffen,  also  Privilegien,  Rezesse  usw., 
während  für  den  zweiten  Teil  dann  alle  diejenigen  Stücke  in  Betracht 
kommen  würden,  die  der  autonomen  Gesetzgebung  der  Stadt  ihr 
Dasein  verdanken,  als  Statuten,  Willküren,  Verordnungen,  Verwal- 
tungsmaisregeln  usw.  Innerhalb  dieser  beiden  Teile  mufis  natürlich 
die  Anordnung  des  Stoffes  eine  streng  chronologische  sein.  Freilich 
hat  der  Herausgeber  der  Schlettstadter  Stadtrechte  auch  hier  noch 
(wenigstens  im  zweiten  Teil)  das  Material  nach  sachlichen  Gesichts- 
punkten gegliedert  und  bemerkenswerte  Gründe  dafür  angeführt  ^). 

Es  wird  sich  femer  die  Notwendigkeit  herausstellen,  einen  grofsen 
Teil  des  Materials,  besonders  für  das  Gebiet  der  Stadtverfassung  und 
Stadtverwaltung,  nicht  vollständig,  sondern  in  Regesten  form  zu 
geben.  Es  ist  Sache  des  Herausgebers,  hier  mit  richtigem  Takte 
das  Wichtige  von  dem  Unwesentlichen  zu  scheiden.  Überhaupt  sollte 
überall  gekürzt  werden,  wo  es  ohne  Schaden  für  den  Zweck  der  Publi- 
kation geschehen  kann.  In  dem  zweiten  Bande  der  Schlettstadter 
Stadtrechte  hätten  z.  B.  zahlreiche  Stücke  ebensogut  in  Regesten- 
form gegeben  werden  können. 

Gute,  sorgfältig  gearbeitete  Inhaltsangaben  und  Register  sind  da- 
gegen ein  unumgängliches  Erfordernis.  Die  Register  sollen  nicht  nur 
Orte  und  Personen  umfassen,  ein  Sachregister  ist  vielmehr  völlig  un- 
entbehrlich, und  es  könnte  auch  gleichzeitig  ein  Glosser  für  etwa  vor- 
kommende besonders  schwierige  Ausdrücke  und  rechtsgeschichtlich 
wertvolle  Formeln  enthalten.  Erläuternde  Bemerkungen  und  Verweise 
sind  gleichfalls  auDserordentlich  wünschenswert.  Überhaupt  mufs  alles 
mögliche  geschehen,  um  die  Benutzung  zu  erleichtern. 

Auf  die  Fragen  der  Orthographie,  der  Variantenverzeichnung  usw. 
einzugehen,  kann  ich  mir  ersparen,  denn  sie  berühren  ja  nicht  die 
Stadtsrechtspublikationen  allein,  sondern  die  Editionstechnik  histori- 
schen Quellenmaterials  überhaupt.  Man  wird  hier  gut  tun,  sich  einem 
der  aufgestellten  Systeme  anzuschlielisen ;  mir  scheinen  die  von  Keut- 
gen  auf  S.  XIII  ff.  der  Einleitung  zum  ersten  Bande  seiner  Urkunden 
9m  städÜsciien  Verfasaungsgesehidite  (189^  gegebenen  Grundsätze  die 


i)  Die  weftfiUiflchen  PublikatioDen  haben,  am  das  Zunft-  und  wirtschafUgeschicht- 
liehe  llaterial  zusammen  zu  haben,  fttr  dieses  noch  eine  driUe  Abteilang  gebildet.  An 
nch  ist  das  nicht  notwendig,  denn  alle  diese  Stücke  liefsen  sich  zwanglos  in  die  beiden 
««teo  Abteiinngen  einreihen. 


—     272     — 

meisten  Vorzüge  zu  besitzen.     Eine  gewisse  Einheitlichkeit  wäre  frei- 
lich wünschenswert. 

Für  unbedingt  notwendig  halte  ich  dagegen,  dals  der  Publikation 
ein  Stadtplan  und  eine  Karte  der  Gemaricung  beigegeben  wird. 
Wir  wissen  ja  alle,  welche  Bedeutung  der  Stadtgrundrifs  und  die  Ge- 
staltung der  Gemarkung  fiir  eine  ganze  Reihe  stadtrechtlicher  Fragen, 
vor  allem  fiir  die  Frage  der  Entstehung  und  Besiedlung  der  Stadt- 
gemeinde hat,  welch  eine  wichtige  Rolle  überhaupt  der  Topographie 
in  unserer  Wissenschaft  zukommt. 

Man  hat  gefragt,  ob  es  sich  lohnte,  in  den  Publikationen  jede 
kleinere  Stadt  so  ausfiihrlich  zu  behandeln,  wie  es  z.  B.  in  den  west- 
fälischen Stadtrechten  geschehen  ist.  Von  dem  Standpunkt  aus,  der 
nur  das  Ganze  übersieht,  und  fiir  die,  denen  es  nur  um  die  Kenntnis 
der  gro&en  Zusammenhänge  zu  tun  ist,  läfst  sich  das  sehr  wohl  be- 
zweifeln. Ich  kann  mir  auch  denken,  dafs  man  vielleicht  nur  die 
Mutterstadt,  den  Oberhof,  oder  überhaupt  die  typisch  wichtigste  Stadt 
eines  gröfseren  Gebietes  so  eingehend  behandelt  und  die  von  ihr  ab- 
hängigen Gemeinwesen  kürzer  abmacht,  aber  nur  in  der  Einleitung, 
nicht  in  den  Texten.  Denn  gerade  darin  liegt  meines  Erachtens  ein 
Hauptreiz  unserer  Publikationen,  dafs  sie  uns  ermöglichen,  die  Indivi- 
dualität jedes  einzelnen  Stadtorganismus  festzustellen,  die  grofeen  und 
die  kleinen,  dem  oberflächlichen  Auge  kaum  sichtbaren  Abweichungen 
von  dem  Typus  der  Mutterstadt  zu  beobachten,  zu  beobachten,  wie 
hier  auf  Grund  dieser  oder  jener  geographischen,  wirtschaftlichen 
oder  sonstigen  lokalen  Eigenheit  Veränderungen  und  Modifikationen 
eingetreten  sind. 

Und  dann  dürfen  wir  nicht  vergessen,  da(s  unsere  Publikationen 
nicht  nur  allgemein  wissenschaftliche,  sondern  auch  lokal  histori- 
sche Aufgaben  zu  lösen  haben.  Wir  dürfen  auch  eine  kleinere  Stadt 
nicht  nur  als  ein  vielleicht  verhältnismäfsig  tmwichtiges  Glied  in  einer 
grofsen  Entwicklungskette  betrachten,  sondern  müssen  sie  auch  als 
Einzelwesen  würdigen,  und  das  um  so  mehr,  wenn  wir  die  finanzielle 
Beihilfe  der  Städte  erbitten  wollen.  In  Westfalen  ist  das  mit  gro&em 
Erfolge  geschehen,  und  ich  möchte  das  überall  zur  Nachahmung 
empfehlen.  Man  wird  das  aber  nur  dann  versuchen  können,  wenn 
die  Publikation  für  die  betreffende  Stadt  nun  auch  wirklich  ein  ge- 
schlossenes, abgerundetes,  den  Inhalt  erschöpfendes  Ganzes  zu  bieten 
vermag. 

Wie  Sie  wissen,  sind  systematische  Stadtrechtspublikationen  bis- 
her nur  für  kleinere  Städte  gemacht  worden.    Ob  sich  daher  die  von 


—     273     — 

mir  angestellten  Grundsätze,  die  am  Schlufs  noch  einmal  kurz  zu- 
sammengefaüst  sind^),  auch  auf  grofse  Städte  anwenden  lassen, 
was  ich  selbst  ohne  weiteres  bejahen  möchte,  bedarf  noch  der  Be- 
stätigimg durch  die  Praxis.  Gerade  deshalb  aber  würde  ich  es  für 
höchst  wünschenswert  halten,  wenn  einmal  für  eine  unserer  mittel- 
alteilichen  Groisstädte  eine  solche  Publikation  gemacht  würde,  die 
sich  übrigens  auch  schon  aus  dem  Grunde  empfiehlt,  weil  die  Rechte 
einer  solchen  Stadt  für  zahlreiche  kleinere  vorbildlich  gewesen  sind. 

Freilich  würde  eine  derartige,  nach  den  oben  aufgestellten  Grund- 
sätzen bearbeitete  Stadtrechtspublikation,  wie  schon  angedeutet,  sehr 
umfangreich  werden,  und  die  Kosten  würden  daher  nicht  unbeträcht- 
lich sein.  Aber  erstens  ist  gerade  bei  groisen  Städten  ein  erheb- 
licher Zuschufis  seitens  der  Gemeinde  erst  recht  zu  erwarten,  und 
zweitens  —  füllen  denn  die  sonstigen  städtischen  Urkundenpublika- 
tionen nicht  auch  ganze  Reihen  von  Bänden?  Und  doch  lassen  sich 
diese  in  ihrem  allgemein  historisch-wissenschaftlichen  Wert  meines  Er- 
achtens  mit  dem  nicht  vergleichen,  was  unsere  Publikation  bringt. 
Denn  wir  treten  ja  heute  mit  ganz  anderen  Forderungen  an  die  Stadt- 
geschichte heran :  nicht  das  DetaU  suchen  wir,  sondern  das  organisch 
gewordene  Ganze,  nicht  die  Begebenheiten  fesseln  unser  Interesse  in 
eister  Linie,  sondern  die  Zustände  und  ihre  Entwicklung.  Nicht  die 
Fehden,  die  sie  geführt  hat,  nicht  die  äufsere  Politik  einer  Stadt  ist  es, 
was  für  uns  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  sondern  kulturgeschicht- 
liche, rechtsgeschichtliche,  verfassungsgeschichtliche,  sozialpoliüsche, 
wirtschaftliche  Probleme  stehen  für  uns  im  Vordergrund  des  Interesses. 
Das  innere  Leben  und  die  Entwicklung  des  Gesamtorganismus 
wollen  wir  erkennen  und  es  dann,  von  höheren  Gesichtspunkten  aus- 
gehend, eingliedern  in  eine  gröfsere  Entwicklungsreihe.  Denn  der 
groise,  innere  Zusammenhang  alles  geschichtlichen  Werdens  ist  es  ja 
im  letzten  Grunde,  den  wir  zu  erkennen  versuchen. 

Eben  daher  aber  möchte  ich  noch  einmal  empfehlen :  beschränken 
wir  uns  nicht  auf  das  enge  Gebiet  der  Stadtrechte,  des  Rechtslebens 
und  auch  nicht  auf  das  Mittelalter.  Geben  wir  unseren  Publikationen 
den  Inhalt  und  den  Umfang,  der  sich,  wie  ich  glaube  dargelegt  zu 
haben,  mit  Notwendigkeit  aus  dem  Quellenmateriale  selbst  ergibt,  und 
scheuen  wir  auch  nicht  die  Kosten,  denn  es  handelt  sich  um  die 
widitigste  Publikation,  die  es  für  die  Geschichte  der  deutschen  Städte 
gibt    Machen  wir  ganze  Arbeit,  nicht  halbe! 


i)  Siehe  onten  S.  274. 


—     274     — 

Grundsätze  für  Publikationen  von  Quellen  rur  städtischen 

Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte 

i)  Es  ist  notwendig,  dafs  in  die  Publikation  aufser  den  Stadt- 
rechten im  engeren  Sinne  auch  das  gesamte  Material  zur  Ge- 
schichte der  Stadtverfassung  und  Stadtverwaltung  und 
von  den  Quellen  zur  Wirtschaftsgeschichte  wenigstens  die  auf  die 
Zünfte  und  das  Gewerbewesen  bezüglichen  aufgenommen  werden. 

2)  Die  Publikation  darf  sich  nicht  auf  das  Mittelalter  beschränken, 
sondern  mufs  bis  zum  Untergang  der  alten  Stadtverfassungen 
(Ende  des  XVIII.  oder  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts)  ausgedehnt  werden. 
Für  die  neuere  Zeit  wird  das  Material  grofsenteils  in  Regestenform  ge- 
geben werden  können. 

3)  Es  ist  dringend  wünschenswert,  dafs  der  Publikation  eine  dar- 
stellende, ihre  Ergebnisse,  sowie  die  Resultate  weiterer  Forschungen 
zur  Stadtgeschichte  verwertende  Einleitung  beigegeben  wird. 


]4aehwort 

Von 
Armin  Tille  (Leipzig). 

Die  vorstehenden  Ausfuhrungen  über  die  Herausgabe  von  Stadt- 
rechtsquellen haben,  wie  oben  bemerkt  ist,  die  TeUnehmer  an  der 
Stuttgarter  Konferenz  von  Vertretern  landesgeschichtlicher  Publikations- 
institute als  Vortrag  gehört.  Wie  ebenfalls  schon  früher  (S.  259) 
erwähnt  wurde,  gestattete  die  Zeit  dort  eine  Besprechung  des 
Gegenstandes  nicht,  und  deshalb  konnte  auch  ich  einige  Bemerkungen, 
zu  denen  der  Vortrag  mir  Anlafe  zu  bieten  schien,  dort  nicht  vor- 
bringen. Die  Frage,  in  welcher  Weise  Quellen  der  bezeichneten  Art 
am  zweckmäfsigsten  veröffentlicht  werden,  ist  indes  so  wichtig  und 
gerade  gegenwärtig  für  viele  Publikationsinstitute  von  so  grofiser  praktischer 
Bedeutung,  dafs  eine  Fortsetzung  der  Erörterung  wünschenswert  und 
notwendig  erscheint.  Von  einer  Fortsetzung  ist  m.  E.  deswegen 
die  Rede,  weil  Overmanns  Ausführungen  nur  demjenigen  völlig  ver- 
ständlich sind,  der  die  Aufsätze  von  B  ey  erle  ^)  und  Koehne  ')  kennt 


i)  Neue  VeröffenUichungen  deutacJier  Stadtrechte  in  den  DetUechen  0e9MMi- 
blättern,  5.  Bd.,  S.  i— 15  und  48—56. 

2)  Die  modernen  Stadtrechteeditionen  im  Korreepondenzblatt  des  OeeawU^ 
vereine  der  deutechen  Oeechüehts-  %»nd  AlterUAmeeereine  53.  Jahi^.  (1905)»  Sp.  251 — 'T^* 


—     275     — 

Die  Ausfuhrungen  beider  zu  wiederholen,  ist  hier  natürlich  nicht  der 
Ort,  aber  wer  sich  mit  den  einschlägigen  Fragen  befassen  und  die 
vo^ebrachten  Gründe  gegeneinander  abwägen  will,  der  wird  von  den 
Ausfuhrungen  aller  drei  Forscher  —  Beyerle,  Koehne,  Overmann  — 
Kenntnis  nehmen  müssen,  und  zwar  um  so  mehr,  als  jeder  der  drei  einen 
etwas  anderen  Standpunkt  einnimmt:  während  Beyerle  als  Jurist  die 
rechts  geschichtliche  Bedeutung  der  fraglichen  Quellen  in  den  Vorder- 
grund rückt  und  Overmann  vornehmlich  ihre  Bedeutung  für  die  Orts- 
geschichte berücksichtigt,  hält  Koehne  ungefähr  die  Mitte  zwischen 
beiden. 

Unbedingte  Zustimmung  verdient  Overmanns  Grundsatz  2,  dafis 
sich  die  VeröfTentlichung  auch  mit  den  Rechtsquellen  der  letzten 
Jahrhunderte  befassen  und  demgemäfs  bis  zum  Ende  des  XVIII.  oder 
Anfang  des  XDC.  Jahrhunderts  geführt  werden  mufs,  weil  sich  eben 
bis  dahin  das  autonome  Stadtrecht  unter  den  verschiedensten  Ein- 
wirkungen individuell  abwandelt.  Die  Notwendigkeit,  das  XVII.  und 
XVIII.  Jahrhundert  in  Einzeluntersuchungen  gründlich  zu  behandeln, 
habe  ich  schon  mehrfach  betont,  so  z.  B.  in  einem  Aufsatze  Dos 
Bovmer  Gewerbe  im  XVIIL  Jahrhundert  *) ,  und  diese  Forderung 
mufs  nachdrücklich  immer  wiederholt  werden,  um  vor  allem  die  orts- 
geschichtlichen Forscher,  denen  aus  dieser  Zeit  meist  reiches  Material 
zur  Verfügung  steht,  auf  dieses  lohnende  Feld  geschichtlicher  Arbeit 
hinzuweisen.  Es  gibt  wohl  kaum  eine  Stadt,  die  aus  den  letzten 
Jahrhunderten  nicht  wenigstens  eine  wichtige  Verfassungsurkunde  be- 
sitzt, die  eine  VeröfTentlichung  lohnt;  und  da  die  jüngeren  Urkunden 
in  der  Regel  viel  wortreicher  sind  als  ältere  Aufzeichnungen  und  auch 
nicht  selten  das  gesamte  geltende  Recht  zusammenfassen,  so  ist  ihnen 
meist  inhaltlich  viel  mehr  zu  entnehmen  als  älteren  knapperen  Rechts- 
quellen. Als  ein  Beispiel  möchte  ich  die  Urkunden  anführen,  welche 
die  Verfassung  der  jülichschen  Landstadt  Düren  1685  und  1692  neu 
regeln  und  die  den  für  die  Zeit  bezeichnenden  Namen  kurfürst- 
liches Reglemeni  und  FinalreglemerU  führen').  Auf  derartige  späte 
Verfassungsurkunden  wird  noch  längst  nicht  genügend  Wert  gelegt, 
obwohl  sie  nicht  nur  für  die  betreffende  Stadt,  sondern  auch  für  die 
Geschichte  der   Territorialverwaltung   höchst   bedeutsam   sind. 


1)  Wutdentidie  Zeitichrift  fü/r  Geschichte  und  Kumt  ao.  Bd.  (1901),  S.  85^-94. 

2)  Vgl.  den  AnisaU  Ton  Seh  00p,  der  die  Ergebnisse  umfangreicher  Untersachnngen 
loMpp  nsammenfaüit:  Die  Entwickdung  der  Dürener  Stadtverfaemng  vom  Verbund- 
hrisfe  1457  1n$  eum  Fmahegkw^ent  1692  in  der  Zeitschrift  des  Aachener  Qe- 
SfkUiktsoereins  18.  Bd.  (1896),  S.  214—241. 


—     276     — 

Gerade  die  Behandlung  der  Städte  durch  die  Territorialfiirsten  um 
1450  und  1650  zeigt,  wie  sich  die  Verhältnisse  geändert  haben;  die 
Herabdrückung  der  autonomen  Stadtobrigkeit  durch  „  Bestätigung '*  der 
gewählten  Ratsherren,  die  bisweilen  sogar  zur  „Ernennung"  fortschreitet 
die  Übertragung  gewisser  Einrichtungen  von  einer  Territorialstadt  auf 
eine  andere  —  das  sind  Dinge,  die  sich  am  besten  ergründen  lassen, 
wenn  die  sämtlichen  Städte  eines  Territoriums,  oder  wenigstens  eine 
bestimmte  Gruppe,  nach  den  gleichen  Gesichtspunkten  untersucht 
werden.  Gilt  dies  namentlich  für  die  Städte  des  Kolonialgebiets  schon 
für  das  Mittelalter  ^) ,  so  wird  eine  derartige  über  das  Material  zur 
Geschichte  einer  Stadt  hinausgehende  vergleichende  Behandlung  in 
jüngerer  Zeit  ganz  unerläfslich,  wenn  die  Neubildungen  im  städtischen 
Verfassungsleben  und  die  Wirksamkeit  der  Territorialverwaltung  ver- 
standen und  gewürdigt  werden  sollen. 

WUl  man  aber  solche  Vergleiche  in  gröüserem  Umfange  anstellen 
und  nicht  ganz  vom  Zufalle  abhängig  sein,  dann  müssen  für  jede 
Stadt  eines  Territoriums  wenigstens  die  Grundzüge  der  Entwickelnng 
an  der  Hand  der  Quellen  dargestellt  werden,  und  wenn  dies  die  orts- 
geschichtliche  Forschung  versäumt,  dann  mufs  es  derjenige  nachholen, 
welcher  behufs  zusammenfassender  1  an  des  geschichtlicher  Arbeit  ver- 
gleichen will  und  muCs.  So  hat  z.  B.  Wehrmann,  Geschichte  vom 
Ponimem  2.  Bd.  (Gotha  1906),  S.  206  —  und  für  andere  Perioden  an 
anderen  Stellen  —  die  Eingriffe  König  Friedrich  Wilhelms  L  in  die 
Verwaltung  der  Städte  kurz  zusammenfassend  geschildert,  wie  es  eben 
nur  möglich  ist,  wenn  die  Verfassungsgeschichte  fast  jeder  einzelnen 
Stadt  untersucht  worden  ist;  dabei  werden  die  Ergebnisse  für  die  eine 
Stadt  erst  fruchtbar,  wenn  zugleich  festgestellt  wird,  inwieweit  etwaige 
Ordnungen  auch  in  anderen  Städten  Anwendung  gefunden  haben. 

Durch  diese  Ejivägungen  gelangen  wir  zu  einer  neuen  Forderung, 
die  ich  Overmanns  Thesen  hinzufügen  möchte:  Es  ist  notwendig, 
^'und  zwar  namentlich  für  die  spätere  Zeit,  dafs  bei  Unter- 
suchungen   über    die    Verfassungsgeschichte    einer   be- 
stimmten    Stadt     die     Entwickelnng     anderer    benach- 


i)  Die  Bedeatang  einer  derartigen  Arbeitsweise  Teranscbanlicht  Yonfiglicfa  die  er^ 
gebnisreiche  Arbeit  ▼oo  Kretzschmar,  Die  Entstehung  von  Stadt  und  SUMteM 
in,  den  Gd>ieten  »wischen  der  mitüeren  SacUe  und  der  Laueitger  Neiße  (Gierke, 
Untersiichiingen  75.  Heft,  Breslau  1905),  aber  es  ist  ganz  allgemein  nur  durch  eise  Ver- 
gleichnng möglich,  einen  MafsstabfÜr gewisse  Eatwickelnngastiifen  sn  gewinnen, ohne  den 
der  Forscher  einmal  nicht  auskommt  and  den  er  sonst  oft  fülschlich  der  allgemeinen 
Literatur  entnimmt 


—     277     — 

barter  *)  Städte  zum  Vergleiche  herangezogen  wird.  Grund- 
sätzlich würde  ich  es  durchaus  für  richtig  halten,  wenn  in  einer  Ver- 
öffentlichung, die  den  Stadtrechtsquellen  von  A  gewidmet  ist,  eine 
besonders  interessante  bisher  unveröffentlichte  Urkunde,  die  B  betrifft, 
ab  Ergänzung  mitgeteilt  würde.  Aber  man  kann  auch  noch  einen 
Schritt  weiter  gehen  und  eine  ganze  Reihe  benachbarter  Städte  in  einer 
einzigen  Publikation  oder  Darstellung  zusammenfassen;  m.  E.  im  ganzen 
mit  Glück,  wenn  auch  im  einzelnen  etwas  zu  weitschweifig,  ist  dieser 
Weg  betreten  worden  von  Liesegang  in  seiner  Arbeit  über  die 
klevischen  Städte*).  Vor  allem  dürfte  sich  ein  solches  Verfahren 
empfehlen,  wo  es  sich  um  eine  gröfsere  Anzahl  unbedeutender  Land- 
städtchen handelt;  für  jede  einzelne  liegt  dann  nicht  genug 
Material  vor,  um  ein  genügend  deutliches  Bild  der  Entwickelung  zu 
geben.  Vermutlich  sind  derartige  Gedanken  auch  für  die  Thüringische 
historische  Kommission  ma&^ebend  gewesen,  die,  wie  oben  mitgeteilt 
ist,  eben  jetzt  die  Stadtrechte  von  Eisenach,  Gotha  und  Waltershausen 
in  einem  ersten  Bande  zusammen  der  Öffentlichkeit  übergibt. 

Eine  Stellungnahme  zu  Overmanns  Grundsätzen  i  und  3  in  Form 
einer  einfachen  Zustimmung  oder  Ablehnung  erscheint  mir  untunlich, 
da  ihnen  die  Vorstellung  zugrunde  liegt,  als  ob  es  nur  ein  Ideal  für 
Stadtrechtspublikationen  geben  könne.  Aber  in  dieser  stillschweigenden 
Voraussetzung  lieget  ein  verhängnisvoller  Irrtum,  der  zu  ungerechtem 
Urteü  verleiten  kann.  Zurückzuführen  wird  jene  stillschweigende  Voraus- 
setzung im  letzten  Grunde  darauf  sein,  dafs  in  den  durch  Zufälligkeiten 
bestimmten  Titeln  der  betreffenden  Publikationen  der  Ausdruck 
„Stadtrecht"  verwendet  wird.  In  der  Tat  verbinden  aber  die  Heraus- 
geber mit  dem  Worte  bei  jeder  der  genannten  Veröffentlichungen 
einen  etwas  anderen  Begriff.  Deshalb  aber  sind  die  fränkischen, 
schwäbischen,  elsässischen ,  westfälischen  und  thüringischen  „Stadt- 
rechte"  nicht  ohne  weiteres  unter  sich  vergleichbar;  denn  die  für 
cfie  Herausgeber  mafsgebende  Absicht,  die  leitende  Idee,  war  in  der 
Tat  nicht  dieselbe.     Dieser  Umstand  kommt  bei  der  rheinischen 


i)  Das  Wort  „benachbart*^  soll  nicht  rein  rfiamlich  verstanden  werden,  es  soll  nur 
ntammeoÜBssen.  Grundsätzlich  möchte  ich  alle  LandstiUlte  eines  and  desselben  Territoriams 
oder  Laadesteils  einschliefsen,  aber  es  kommen  onter  Umständen  auch  Städte  in  Betracht, 
iviscken  denen  trotz  gröfserer  Entfernung  ein  besonders  reger  Verkehr  herrschte,  oder 
•oldie,  zwischen  denen  das  Verhältnis  von  Matter-  and  Tochterstadt  bestand. 

2)  Niederrheimsches  Siädtewesm  vamehtnUeh  im  MiUelaUer,  Untersuchungen 
»»  VerfassungageachiMe  der  kiemchen  Städte  [— ^  Gierke,  Untersuchungen 
S2.  Heft].    Breslau  1897. 


—     278     — 

Publikation  schon  im  Titel  zur  Geltung*,  welcher  lauten  wird:  QueUm 
zur  BechtS"  und  Wirtschaftsgeschichte  der  niederrheinischen  Städte, 
Dies  besagt  deutlich,  dais  über  die  stadtrechtlichen  Quellen  hinaus- 
gegangen werden  soll,  dafs  die  Absicht  besteht,  den  rechts-  und  w'ut- 
schaftsgeschichtlichen  Stoff  in  möglichster  Vollständigkeit  für  je  eme 
Stadt  zu  veröfTentlichen  und  zwar,  da  keine  zeitUche  Begrenzung  an- 
gegeben wird,  wohl  bis  zum  Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts. 

Es  wäre  müfsig,  darüber  Erörterungen  anzustellen,  welcher  Sinn 
mit  „Stadtrecht",  wenn  das  Wort  im  Titel  einer  modernen  Quellen- 
publikation erscheint,  von  Rechts  wegen  verbunden  werde  müsse; 
wir  haben  es  eben  mit  einem  der  Sprache  des  Mittelalters  ent- 
nommenen Worte  zu  tun  —  ganz  ähnlich  wie  bei  „Urbar"  — ,  das 
wir  nun  stillschweigender  Übereinkunft  gemäfs  in  einem  etwas  w  eiteren 
Sinne  verwenden  als  ihm  von  Rechts  wegen  zukommt.  Durch  diese 
Verwendung  im  Buchtitel  und  sonst  bei  kurzer  Zusammenfassung  wird 
der  bestimmte  geschichtlich  festliegende  Sinn  des  Rechtsausdrucks 
stadtrecht  natürlich  nicht  berührt.  Wir  alle  wissen,  dais  „das  Stadt- 
recht von  N."  zu  einer  ganz  bestimmten  Art.  von  Rechtskodifikationen 
gehört,  aber  wir  halten  uns  trotzdem  ilir  berechtigt,  Urkunden,  die 
einzelne  darin  behandelte  Gegenstände  oder  auch  zufallig  nicht  be- 
handelte Gegenstände  ein  für  allemal  regeln,  oder  entsprechende  Rats- 
beschlüsse und  dgl.  einzubeziehen ,  wenn  wir  von  „Stadtrecht"  oder 
vielleicht  vorsichtiger  von  „Stadtrechtsquellen"  oder  gar  nur  von 
„stadtrechtlichen  Aufzeichnungen"  sprechen.  Ja  wenn  für  eine  Stadt 
eine  zusammenhängende  Rechtskodifikation  überhaupt  nicht  vorliegt, 
dann  wenden  wir  unbedenklich  auf  die  Gesamtheit  der  entsprechenden 
Urkunden  und  Akten  auch  die  eben  gebrauchten  Bezeichnungen  an, 
denn  für  unsere  modernen  Zwecke  kommt  es  auf  den  Inhalt  und 
nicht  auf  die  zufallige  Form  der  Überlieferung  an.  Wir  wissen  auch, 
dafs  unter  Umständen  Privaturkunden  und  Verwaltungsakten  recht 
wesentliche  Aufschlüsse  über  bestehende  Rechtsverhältnisse  und  Rechts- 
gewohnheiten geben  können,  und  ziehen  sie  deshalb  zur  Elrgänzung 
der  Satzungen  allerart  heran.  Das  Wort,  der  Ausdruck  will  bei 
solchen  Dingen  nicht  viel  besagen,  wenn  mir  auch  z.  B.  der  Deutlich- 
keit halber  bei  den  Veröffentlichungen  über  Schlettstadt,  Lippstadt 
und  Hamm  eine  Bezeichnung  wie:  Quellen  zur  Verfassungs-  und  Ver* 
waUungsgeschichie  der  Stadt  N.  ^)   zweckmäfsiger  erscheinen  würde  als 

i)  „Verfmssang  and  Verwaltaog"  hat  die  GeseUschaft  (Ur  rheinische  Gesduchtskande 
bei  ihren  Veröffentlichangen  (Ur  Köln  und  Koblenz,  auf  die  wir  noch  m  sprechen 
kommen,  im  Titel  verwendet. 


—     279     — 

die  gewählte;  ja  es  liefise  sich  sogar  noch  das  Wort  Wirtschafts^ 
goMekte  einschieben.  Aber  trotz  alledem  sind  dies  Nebendinge;  es 
kommt  auf  die  Sache  an  und  vor  allem  auf  die  Absicht,  die  der 
Auftraggeber  (das  Publikationsinstitut)  und  der  Herausgeber  verfolgten. 
Für  die  Beurteilung  der  einzelnen  Leistungen  mu(s  diese  Absicht,  der 
verfolgte  Zweck,  den  Maisstab  abgeben. 

Wenn  wir  die  Publikationen,  unbekümmert  um  die  zufalligen  Titel, 
ihrem  Inhalte  nach  klassifizieren,  dann  müssen  wir  mindestens  drei 
Arten  unterscheiden,  deren  jede  folgende  aufiser  dem  in  der  vorher«' 
gehenden  Enthaltenen  noch  etwas  mehr  bietet,  deren  jede  aber 
zweifellos  ihre  Daseinsberechtigung  besitzt  und  von  der  Forschung 
dankbar  entgegengenommen  werden  mufe.  Diese  drei  Typen  von 
Publikationen  möchte  ich  folgendermafsen  kennzeichnen: 

1.  Publikationen,  die  sich  auf  solche  Quellen  beschränken,  die  im 
juristischen  Sinne  Rechtssatzungen  enthalten  d.  h.  äufserlich  er-> 
zwingbare  Vorschriften  ftir  menschliches  Verhalten  in  einer  Mehrzahl 
von  Fällen.  Dahin  gehört  also  z.  B.  nur  eine  Satzung,  dafs  der  Rat 
aus  so  und  so  viel  Mitgliedern  bestehen  solle,  nicht  aber  eine  Urkunde 
oder  mehrere,  die  erweisen,  dafs  in  einer  bestimmten  2^it  der  Rat 
gerade  so  und  so  viele  Mitglieder  zählte. 

2.  Publikationen,  die  in  möglichster  Vollständigkeit  alle  Quellen 
veröffentlichen,  aus  denen  sich  Belehrung  über  die  Rechtsverhält- 
nisse in  der  Stadt  —  Verfassung,  Strafrecht,  Privatrecht  —  schöpfen 
la&t,  unbekümmert  um  die  Form  der  Überlieferung,  so  dafs  neben 
Satzungen  sehr  wohl  Rechnungen,  Privaturkunden,  gewisse  Teile  von 
Prozeisakten  und  dgl.  eine  Stelle  finden.  Einen  Teil  der  Stadtver- 
fassung und  also  des  Stadtrechts  bildet  zweifellos  auch  die  Zunft- 
organisation, und  alles,  was  die  Zünfte  betriftl  —  nicht  nur  die 
Zunfisatzungen  — ,  gehört  deshalb  als  Teil  der  Stadtverfassung  in  eine 
solche  Publikation.  Dabei  ist  es  an  sich  unerheblich,  dais  bei  den 
Zttdtakten  wirtschaftiiche  Gegenstände  berührt  werden.  Da  sie  uns 
aber  aus  anderen  Gründen  lebhaft  interessieren,  so  wird  man  gern  die 
Gdegenheit  benutzen  und  über  die  Handwerksverhältnisse  —  auch 
über  die  nichtzünftigen  Handwerke  —  alles  Wesentliche  mitteilen. 
Unsere  wissenschaftlichen  Denkkategorien  decken  sich  nicht  völlig  mit 
<len  in  den  Zuständen  und  Quellen  älterer  Zeiten  zum  Ausdruck 
kommenden,  und  deshalb  müssen  wir  wohl  oder  übel  immer  etwas 
mehr  publizieren  als  der  Titel  der  Publikation  und  die  ursprüngliche 
Ahttcht  des  Herausgebers  erfordert,   wenn  wir  gewisse  Quellen  nicht 

zerrei&en  und  nur  zerstückelt  mitteilen  wollen. 

20 


—     280     — 

3-  Publikationen,  die  das  Rechts-  und  Wirtschaftsleben 
einer  Stadt,  weil  es  so  eng  miteinander  verbunden  ist,  als  einheitliches 
Ganzes  betrachten  und  demgemäOs  die  Quellen  dazu  in  einer  Publi- 
kation vereinigen.  In  eine  solche  Veröffentlichung,  die  natorgemäis 
nur  für  kleinere  Städte  mit  verhältnismäßig  geringem  Material  in  Frage 
kommt,  gehören  dann  zur  Erläuterung  der  Rechtsverhältnisse  Privatur- 
kunden und  als  Ergänzung  der  für  das  Wirtschaftsleben  geltenden  Satzungen 
die  Zeugnisse  für  einzelne  typische  wirtschaftliche  Handlungen,  also 
z.  B.  Rechnungen  und  Aufzeichnungen  beliebiger  Art  über  Pachtung 
von  Grundstücken,  Handelsgeschäfte,  Rentkäufe,  Hauskäufe,  Laden- 
miete, Landwirtschaftsbetrieb,   Gewerbebetrieb,  Viehhaltung  und  dgl. 

Diese  drei  Typen  von  Publikationen  stellen,  jede  in  ihrer  Art, 
ein  verdienstliches  Werk  dar,  befriedigen  g^anz  verschiedene  Be- 
dürfhisse und  werden   mit  ganz  verschiedener  Absicht  unternommen. 
Es  leuchtet  ohne  weiteres  ein,  daüs  die  erste  Art,  als  deren  Vertreterin 
ich  von  den   vorliegenden  Veröffentlichungen  die  der  fränkischen 
Stadtrechte  betrachte,  in  erster  Linie  allgemeingeschichtlichen 
Zwecken  ^)  dient  tmd  nur  das  ortsgeschichtliche  Material  eben  für  diese 
nutzbar  macht,  während  bei  der  zweiten  und  dritten  Art  der  orts- 
geschichtliche  Gesichtspunkt  für  die  Anlage  entscheidend   wird. 
Schon  äu&erlich  kommt  dies  darin  zum  Ausdruck,  daüs  sich  bei  einer 
Veröffentlichung  erster  Art  jede   einzelne  Stadt  auf  verhältnismäüsig 
begrenztem  Räume  erledigen  lälst  und  dais  deswegen  eine  Mehrzahl 
von  Städten  in  einem  Hefte  oder  Bande  zusammengefaßt  werden  kann. 
Dadurch  wird  der  BUck  von  vornherein  auf  das  Ganze  gezogen,  also 
in   dem    angezogenen  Falle    auf    die    Gesamtheit   der  Städte   mit 
fränkischem    Rechte,    und    zwar    nicht   mit   Beschränkung    auf   die 
badischen').     Welche   das  sind,  das  hat  Richard  Schröder,  dessen 
Ideen  in   dieser  Edition  verwirklicht   werden,   in    der   ZeUsckrift  für 
die  Geschickte  des  Oberrheins,  Neue  Folge  lo.  Bd.  (1895),  S.  113 — 129 
ausgeführt ') ;    alle   dort    genannten  Städte ,     soweit    sich     überhaupt 
für  sie   stadtrechtliche  Aufzeichnungen  bis  zum  Ende  des  XVL  Jahr- 
hunderts   nachweisen    lassen,    sollen    in    der    fränkischen    Abteilung 


i)  Deshalb  ist  auch  für  die  Reihenfolge  in  der  Veröffentlichang  die  S^osammefi- 
gehörigkeit  nach  Stadtrechtsfamilien  bzw.  Oberhöfen  mafiigebend  gewesen. 

2)  Um  Zusammengehöriges  nicht  zu  zerreifsen,  werden  sehr  verständiger  Weise 
z    B.  auch  die  heute  hessischen  Städte  Hirschhorn  und  Neckarsteinach  mit  behandelt 

3)  Vgl.  auch  aber  seine  Absichten  die  Selbstanzeige  in  der  SMtachirift  der 
Savigny-SHfiung  für  BechtsgeKhiehU,  GermanisHache  Ahteihmg  19.  Bd.  (1898), 
S.  211— 213. 


—     281     — 

behandelt  werden.  Um  diese  Arbeit  zu  Ende  zu  fiiliren,  werden 
vermutlich  zu  den  sieben  vorliegenden  noch  zwei  Hefte  hinzukommen, 
und  in  einem  dritten  werden  die  unvermeidlichen  Nachträge  und 
die  Register  dargeboten  werden,  Schröder  hatte  von  Anfang  an  nur  die 
Herausgabe  der  Stadtrechtsquellen  bis  ins  XVI.  Jahrhundert  beab- 
sichtigt, aber  in  einzelnen  Fällen  ist  Koehne  bereits  auch  zur  Ver- 
öffentlichung jüngerer  Privilegien  und  grundlegender  Verfassungsvor- 
schriften geschritten  ^),  hat  sich  ^so  damit  bereits  grundsätzlich  auf  den 
oben  von  Overmann  und  mir  vertretenen  Standpunkt  gestellt,  wenn 
auch  vielleicht  mancher  Benutzer  gleich  mir  ausführlichere  Nachrichten 
über  die  jüngere  Entwickelung  der  Stadtverfassungen  gern  gesehen  hätte 

Besonders  wertvoll  wird  eine  Publikation  wie  die  von  Schröder 
und  Koehne  dadurch,  dafs  sie  die  Möglichkeit  bietet,  in  absehbarer 
Zeit  die  einschlägigen  Quellen  aus  einem  gröfseren  Gebiete  im  Druck 
zu  veröffentlichen  und  dieses  Material  in  dem  von  mir  oben  geforderten 
Sinne  vergleichend  zu  verwerten.  Eine  solche  Vergleichung  wird 
natürlich  erst  recht  lohnen,  wenn  in  einigen  Jahren  die  ganze  fränkische 
Abteilung  abgeschlossen  samt  den  Registern  vorliegt,  aber  dann  be- 
sitzen wir  eine  Quellensammlung,  mit  deren  Hilfe  sich  eine  ab- 
schliefsende  Rechtsgeschichte  der  fränkischen  Städte  bearbeiten  läfst, 
wie  sie  sonst  gar  nicht  denkbar  wäre.  Gegenüber  einer  solchen 
zu  erhoffenden  Arbeit  erscheinen  mir  die  schönsten  ausiiihrlichsten 
Einleitungen  zu  den  Veröffentlichungen  über  je  eine  Stadt  von  geringem 
Wert,  wenn  der  Benutzer  der  fränkischen  Rechte  auch,  wie  ich  gern 
zugebe,  ausfuhrlichere  Mitteilungen  über  die  Geschichte  jeder  Stadt 
im  allgemeinen  oft  schmerzlich  vermifst.  Gerade  das  letztere  unter 
Hinweis  auf  die  meist  schwer  zugängliche  ortsgeschichtliche  Literatur 
ist  meinem  Empfinden  nach  wichtiger  als  eine  Verarbeitung  des  in 
der  Publikation  gebotenen  Materials,  weil  der  ferner  stehende  Benutzer 
viele  £4nzelheiten  über  die  allgemeinen  Verhältnisse  kennen  mufs, 
wenn  er  die  Rechtssatzungen  richtig  interpretieren  will. 

Dem  Zweck  und  der  Anlage  nach  tritt  bei  einer  Publikation  wie 
der  fränkischen  das  Orts  geschichtliche  zurück,  und  es  wäre  nicht 
nur  möglich,  sondern  auch  höchst  erwünscht,  wenn  für  eine  oJer  die 
andere  von  den  bearbeiteten  Städten,  für  die  die  Quellen  reichlich 
und  auch  für  das  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert  fliefeen  —  anscheinend 

i)  So  hat  er  im  5.  Hefte  (1900)  Stücke  (Ur  Heidelberg  von  1603  ood  1746,  für 
Mosbach  Ton  1706,  fiir  Neckargemünd  von  1650,  1713  und  1758  mitgeteilt,  währeod  im 
4«  Hefle  (1898)  bei  Sinsheim  und  Weinheim  wesentlich  ttber  1600  berabgegangen  worden 
nt  ~  Ancb  Geny  teilt  fUr  SchlettsUdt  Urkunden  bis  1777  mit  (S.  253). 

20* 


—     282     — 

z.  B.  würde  sich  Wimpfen  dafür  empfehlen,  —  eine  ergänzende  orts- 
geschichtliche Publikation  mit  ausführlicher  Darstellung  geschaffen  würde, 
wie  sie  Overmann  als  das  Wünschenswerteste  betrachtet.  Wie  ver- 
lautet, wird  tatsächlich  an  einer  umfassenden  Veröffentlichung  der 
stadtgeschichtlichen  Quellen  in  Heidelberg  schon  seit  Jahren  durch 
die  Kommission  für  Geschichte  der  Stadt  Heidelberg  ^)  gearbeitet.  Gerade 
bei  einer  solchen  Arbeit  aber  wird  sich  zeigen,  wie  wertvoll  es  ist,  dafs 
für  so  viele  andere  fränkische  Städte  ebenfalls  stadtrechtliche  Quellen 
bequem  zugänglich  sind,  die  zum  Verständnis  der  örtlichen  Einrich- 
tungen beitragen  und  sich  zur  Interpretation  der  Quellen  heranziehen 
lassen;  denn  die  Verfassungsgeschichte  irgendeiner  der  fränkischen 
Städte  gewinnt  erst  durch  die  Publikation  der  Masse  stadtrechtlicher 
Aufzeichnungen  eine  genügend  breite  Grundlage. 

Diese  Erwägungen  bestimmen  mich  zu  dem  UrteU,  da(s  der  Weg, 
den  die  Badische  Historische  Kommission  betreten  hat,  in  Anbetracht 
des  verfolg^ten  Zieles  durchaus  richtig  war  und  dafs  in  diesem  Falle 
im  Laufe  von  schliefislich  vielleicht  15  Jahren  so  viel  geleistet  wird, 
wie  man  nur  erwarten  kann.  Wäre  für  die  fränkischen  Stadtrechte 
die  für  Lippstadt  angewandte  Methode  gewählt  worden,  so  wäre  bei 
der  Knappheit  der  zu  Gebote  stehenden  Mittel  kaum  vor  Ende  des 
XX.  Jahrhunderts  an  eine  Vollendung  zu  denken  gewesen,  und  da 
die  behandelten  Städte  zum  grolsen  Teile  heute  herzlich  unbedeutend 
sind,  so  würden  sich  Hoffnungen  auf  gröfsere  materielle  Unter- 
stützungen von  ihrer  Seite  gewifs  als  trügerisch  erwiesen  haben.  Orts- 
geschichtliche  Veröffentlichungen  sollten  nicht  geschaffen  werden,  aber 
trotzdem  sind  die  vorliegenden  Quellen  auch  für  jede  der  kleinen 
Städte  von  beträchtlichem  ortsgeschichtlichem  Werte,  da  bei  der 
Mehrzahl  auf  umfassendere  Quellenpublikationen  (Urkundenbücher) 
kaum  zu  rechnen  ist,  und  in  einzelnen  Fällen  solche  vielleicht  gerade 
dadurch  angeregt  werden. 

Gnmdsätzlich  ist  im  vorstehenden  bereits  das  Urteil  über  die 
beiden  anderen  Typen  von  stadtgeschichtlichen  Publikationen 
mit  ausgesprochen ;  der  zweite  Typus  ist  durch  die  Publikationen  von 
Overmann  über  Lippstadt  und  Hamm  vertreten,  der  dritte  wird  ver- 
mutlich bald  durch  die  Quellen  ssur  Bechts-  and  Wirtschafts- 
geschichte niederrheinischer  Städte  repräsentiert  werden.  In  beiden 
Fällen  steht  das  ortsgcschichtliche  Interesse  im  Vordergrunde,  und 
deswegen    wird    auch   jeder    Stadt    ein    besonderer   Band    gewidmet. 


I)  VgL  diese  ZeiUchrift  3  Bd.,  S.  26—37. 


—     283     — 

Der  Untersdiied  zwischen  beiden  liegt  im  wesentlichen  nur  in  dem 
Umfange  des  Stoffes,  der  zur  Veröffentlichung  kommt,  indem  sich 
der  Herausgeber  einer  Publikation  nach  Typus  2  auf  die  rechts- 
g-eschichtlich  (im  weiteren  Sinne)  wichtigen  Quellen  beschränkt, 
bei  Typus  3  hingegen  das  gesamte  wirtschaftsgeschichtlich 
wertvolle  Material  mit  herangezogen  wird.  In  ziemlich  hohem  Mause 
hat  dies  Geny  schon  für  Schlettstadt  getan,  obwohl  ich  diese  Publi- 
kation immer  noch  dem  Typus  2  zurechnen  möchte.  Die  zugrunde 
liegende  Absicht  weicht  in  diesen  Fällen  wesentlich  von  der  für  die 
fränkischen  Stadtrechte  maisgebenden  ab,  und  für  sie  erscheinen  mir 
Overmanns  Forderungen  empfehlens-  und  beachtenswert. 

Da  bei  diesen  Veröffentlichungen  das  örtliche  Interesse  vorwiegt, 
Bo  kann  eine  ausführliche  Einleitung,  die  den  Stoff  verarbeitet,  gewife 
nichts  schaden,  ja  sie  kann  auch  die  Publikation  selbst,  namentlich 
für  die  neuere  Zeit,  entlasten.  Wenn  aber  der  Umfang  der 
darstellenden  Einleitung  bedeutend  wächst,  an  Seitenzahl  ebenso 
ausgedehnt  oder  gar  noch  gröfser  wird  als  die  Quellenveröffentlichung, 
überhaupt  für  den  Bearbeiter  und  Benutzer  in  den  Vordergrund  tritt, 
dann  ist  es  doch  wohl  am  besten,  dies  auch  im  Titel  zum  Ausdruck 
zu  bringen  und  von  einer  Geschichte  der  Siad^erfasBung  in  N.  mit 
einem  Quellenanhang  oder  ähnlich  zu  reden  oder  auch  beides  völlig  von- 
einander zu  trennen.  Wenn  wir  die  neueren  Quellenveröffentlichungen 
überblicken,  so  beobachten  wir  durchgängig,  dafs  die  Edition  in  Ein- 
leitung und  Anmerkungen  immer  nur  das  enthält,  was  unmittelbar 
zum  Verständnis  des  Quellentextes  notwendig  ist,  aber  nicht  mehr. 
Gewifs  beruht  dies  nur  auf  einer  Übung ;  ein  innerer  Grund,  dafs  dies 
so  sein  müsse,  besteht  nicht,  wenn  sich  auch  nicht  leugnen  läfist, 
dafs  Darstellungen  meist  viel  früher  veralten  als  Quelleneditionen,  aber 
ich  sehe  auch  nicht  ein,  warum  man  bei  der  Veröffentlichung  von 
Quellen  zur  städtischen  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  gerade  anders 
verfahren  soll  als  bei  der  anderer  Quellen.  Sachlich  ist  es  ziemlich 
gleichgültig,  ob  eine  Darstellung  mit  der  Quellenpublikation  vereint 
oder  von  ihr  gesondert  erscheint.  Rein  äufserlich  wäre  nur  zu  wünschen, 
dafs  solche  gröfseren  Einleitungen  nicht  mit  Antiquaziffem  paginiert 
werden,  weil  sich  eine  solche  Zahl  (etwa:  Seite  CLXXXIII)  recht 
schlecht  zitieren  läfst.  Wenn  schon  nicht  fortlaufend  durchgezählt 
werden  kann ,  weil  der  Quellenteil  früher  gedruckt  wird  als  der  Text- 
teil, ist  es  zweckmäßiger,  den  Seitenzahlen  der  einen  Abteilung  einen 
Stern  beizufügen:  Seite  183*. 

Von  Bedeutung  dürfte  noch  eine  Erörterung  über  das  Verhältnis 


—     2Ö4     — 

sein,  in  dem  besondere  Publikationen  der  Quellen  zur  Rechts-  und 
Wirtschaftsgeschichte  einer  Stadt  zu  städtischen  Urkundenbüchem  und 
sonstigen  stadtgeschichtlichen  Quellenveröffentlichungen  allgemeineren 
Inhalts  stehen.  Wenn  man  von  den  allerbedeutendsten  Städten  ab- 
sieht, für  die  sich  eine  Veröffentlichung  des  Quellenmaterials  nur  durch 
weitgehende  Teilung  bewerkstelligen  läfet*),  wird  nach  heutigen 
Begriffen  das  gesamte  für  die  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  einer 
Stadt  wesentliche  Material  des  Mittelalters  in  ein  städtisches  Urkunden- 
buch  gehören,  das  natürlich  aufserdem  noch  manches  andere  enthalten 
mufs.  Für  Städte ,  die  ein  Urkundenbuch  besitzen  *)  oder  an  seine 
Bearbeitung  denken,  würde  sich  demnach  für  die  Zeit,  bis  zu  der 
jenes  geführt  werden  soll,  die  Aufgabe  erledigen,  aber  es  würde 
darauf  ankommen,  erstens,  soweit  ältere  Urkundenbücher  vorliegen, 
die  das  oben  namentlich  bei  Besprechung  des  Typus  3  gekenn- 
zeichnete Material  nicht  genügend  berücksichtigen,  in  irgendeiner 
Form  eine  ergänzende  Publikation  zu  schaffen,  und  zweitens 
das  rechts-  und  wirtschaftsgeschichtlich  bedeutsame  Quellenmaterial 
über  den  2^itpunkt,  mit  dem  das  Urkundenbuch  schliefist,  hinaus  bis 
um  1800  systematisch  zu  veröffentlichen.  Für  die  Verteilung  des 
Stoffes  vielleicht  auf  mehrere  parallel  laufende  Veröffentlichungen  und 
für  die  mehr  oder  weniger  ausführliche  Art  der  Behandlung  wird  immer 
die  Reichhaltigkeit  der  Quellen  im  einzelnen  Falle  und  der  Reichtum 
an  Mitteln  mafsgebend  sein.  Von  grundsätzlicher  Bedeutung  ist  es  nur, 
dafs  wirklich  alles  Quellenmaterial,  welches  neue  Erkenntnisse  vermittelt, 
aufgenommen  und  nicht  willkürlich  einiges  herausgegriffen  wird. 

Es  gibt  aber  eine  Menge  selbst  bedeutenderer  Städte,  in  denen 
entweder  fürs  erste  an  die  Bearbeitung  eines  Urkundenbuches  nicht 
gedacht  *)  wird ,  und  recht  viele  solche ,   in  deren  Archiv  tatsächlich 

i)  Für  Köln  liegen  z.  B.  2  stattliche  Bände  Akten  zur  Geschichte  der  Verfassung 
und  VerwdUwng  der  Stadt  Köln  im  XIV.  fMid  XV.  Jahrhundert,  bearbeitet  von 
Walter  Stein  (Bonn  1 893^95)  vor ;  auch  die  Kölner  Schreinsurhunden  des  XIL  Jahr- 
hunderte,    herausgegeben  von  Honig  er,   (Bonn    1884 — 94,    2  Bände)  gehören  hierher. 

2)  In  dieser  Lage  befand  sich  z.  B.  Rottweil,  denn  es  besafs  bereits  das 
Urkundenbuch,  als  Greincr  Das  ältere  Eecht  der  Beichsstadt  Bottweil  (Stuttgart 
1900)  veröffentlichte. 

3)  Das  trifft  gerade  für  die  Städte  zu,  für  die  gröfsere  Veröffentlichungen  stadt- 
rechtlichen Inhalts  vorli^en:  Schlettstadt,  Lippstadt,  Hamm.  Aber  es  gilt 
auch  für  Koblenz,  für  welches  Urkunden  und  Akten  sur  Geschichte  der  Ver- 
fassung und  Verwaltung  der  Stadt  Koblenz  bis  zum  Jahre  1600  Maz  Bär 
(Bonn  1897)  bearbeitet  hat.  Von  letzterem  Buche  ist  merkwürdigerweise  gerade  wie 
von  dem  Steins  fUr  Köln  bei  der  Erörterung  über  die  stadtrechtlichen  Quellen 
noch  gar  nicht  die  Rede  gewesen. 


—     286     — 

zu  wenig  Material  vorhanden  ist,  als  dals  die  Bearbeitung  einer 
umfassenderen  Quellenpublikation  möglich  wäre  ^).  Diese  letzteren 
beiden  Gruppen  sind  es  vor  allem,  für  die  eine  VeröfTentlichung  der 
mehr  oder  weniger  reichhaltigen  Quellen  zur  Verfassungs-  und  Wirt- 
schaftsgeschichte ihrer  allgemeinen  Bedeutung  wegen  in  Betracht 
kommt  und  von  den  Publikationsinstituten  in  die  Wege  geleitet 
werden  mufs.  Welche  Art  der  Veröffentlichung  gewählt  wird,  ob  eine 
Publikation  nach  einem  der  oben  gekennzeichneten  drei  Typen  ge- 
eignet erscheint  oder  ob  man  einen  anderen  Weg  einschlägt,  ist  dabei 
schliefslich  unerheblich,  wenn  nur  unsere  Kenntnis  der  Rechts-  und 
Wirtschaftsverhältnisse  in  den  kleinen  Städten  bis  zum  Ende  der  alten 
Verfassungszustände  bereichert  wird.  Auf  das  letztere  aber,  die  Be- 
handlung auch  der  letzten  beiden  Jahrhunderte,  mufs  besonderes  Ge- 
wicht gelegt  werden. 

Bei  Städten,  die  eine  bedeutendere  Rolle  gespielt  haben,  für  die 
die  Quellen  nicht  nur  reichlich  fliefsen,  sondern  auch  bereits  vereinzelt 
veröffentlicht  sind,  ist  eine  neue  zusammenfassende  Publikation  gewib 
recht  erwünscht,  aber  besser  und  notwendiger  ist  in  solchem  Falle 
schon  eine  Darstellung,  die  den  reichen  Stoff  verarbeitet  und  so 
genieCsbar  macht.  Einiges  bisher  Ungedruckte  kann  leicht  in  einem 
Anhang  mitgeteilt,  wenn  es  dies  verdient,  manches  Aktenstück  in 
seiner  entscheidenden  Stelle  im  Wortlaut  angeführt  werden,  vieles 
aber  —  wie  z.  B.  die  Rechnungen  *)  —  läfet  sich  als  Quelle  für 
rechts-  und  wirtschaftsgeschichtliche  Zustände  eigentlich  nur  bei  einer 
Darstellung  voll  verwerten.  Eine  solche  wird  sich  am  besten  mit 
der  Verfassung  und  Verwaltung  einer  Stadt  beschäftigen,  aber 
der  Verfasser  braucht  nicht  allzu  ängstlich  zu  fragen,  ob  dieses  oder 
jenes,  streng  genommen,  in  den  Rahmen  seiner  Arbeit  gehört,  und 
wird  auf  die  inneren  Zustände,  auf  das  glänze  städtische  Leben,  soweit 
es  von  der  Stadtobrigkeit  kontrolUert  und  geregelt  wird,  eingehen 
dürfen.  In  dieser  Weise  ist  Otto  Richter  in  seiner  ganz  vorzüg- 
lichen Verfassungs-  und  VertocUiungsgeschicJUe  der  Stadt  Dresden 
(Dresden  1885 — 1891,    2  Bände   in  3  Teilen)  verfahren,   aber  dieses 


i)  Dies  wird  bei  der  Mehrzahl  der  Städte  der  FaU  sein,  deren  RechtsqaeUen 
Schröder  nnd  Koehne  Teröfientlicht  haben. 

2)  Wenn  aach  fibr  eine  oder  die  andere  Rechnung  in  einer  rechts-  und  wirtschalts- 
getdiichtlichen  QaellenpabUkaüon  Raam  ist,  so  kann  die  Masse  dieser  wichtigen 
Zcognisse  doch  nur  entweder  in  einer  besonderen  PabUkaüon  (vgl.  den  AnfsaU 
StaäUrechmmgen  in  dieser  Zeitschrift  i.  Band,  S.  65—7$)  Torgelegt  oder  durch  Ver- 
srbeitang  im  einzelnen  ausgebeutet  werden. 


—     286     — 

umfassende  Werk  von  1228  Seiten,  das  eine  allgemeine  weit  über 
Dresden  hinausgehende  Bedeutung  für  die  Geschichte  des  neueren 
deutschen  Städtewesens  überhaupt  besitzt,  ist  leider  wenig  bekannt 
oder  wird  wenigstens  auffallend  selten  herangezogen.  Das  ist  sehr 
zu  bedauern,  da  hier  jeder,  der  sich  mit  irgendwelchen  besonderen 
Fragen  des  städtischen  Lebens  befafst,  reiche  Belehrung  findet  und 
sieht,  wie  sich  auch  das  sprödeste  Material  verarbeiten  läfst.  Gerade 
in  letzterer  Hinsicht  kann  Richters  Buch  vorbildlich  wirken. 

Ob  es  möglich  sein  wird,  mit  der  Verfassungs-  und  Verwaltungs- 
geschichte in  einer  Darstellung  auch  die  Wirtschaftsgeschichte^ 
soweit  nicht  die  wirtschaftliche  Tätigkeit  der  Stadtgemeinde  als  solche, 
sondern  die   des  einzelnen  Bürgers   in  Frage  kommt,   zu   verbinden, 
oder  ob   man   diese  Dinge  lieber  auf  die  allgemeine  Stadtgeschichte 
verweist,    vermag   ich    nicht  zu   entscheiden;    es  ist    mir   auch    eine 
Arbeit,  in  der  das  erstere  Verfahren  eingeschlagen  worden  wäre,  nicht 
bekannt.     Freilich    ebensowenig  wüfste    ich    eine    umfassende   Stadt- 
geschichte zu  nennen,   die  dem  städtischen  Wirtschaftsleben  voll  ge- 
recht geworden  wäre.     In   dieser  Hinsicht  müssen   noch  Erfahrungen 
gesammelt    werden.      Für     darstellende    Arbeiten,     die     sich     aus- 
schliefslich  mit  der  Wirtschaftsgeschichte  einer  Stadt  beschäftigen, 
kann  Hirsch,   Daneigs  Handels"  und  Gewerhegeschickk  während  der 
Herrschaft    des    Deutschen   Ordens   (Leipzig    1858)    oder    Geering, 
Handel    und    Industrie    der    Stadt    Basel    (Basel     1886),    im     all- 
gemeinen als   Muster   dienen.     Wer  dieses  Buch  durcharbeitet,   wird 
staunen,    in    welchem    Umfange     ungedrucktes    Material    darin    ver- 
wertet ist,   aber  er  wird  auch  die  Überzeugung  gewinnen,   dafs  es  in 
Anbetracht    des    Reichtums    an    Quellen    und    der   Sprödigkeit    des 
Stoffes    fast    unmöglich    ist,    wirtschaftsgeschichtliche    Quellen    in 
gröfcerem  Umfange  zu  veröffentlichen  *).    Gegenüber  solchem  Stoffe  ist 
der  Herausgeber  gezwungen,  sogleich  eine  erste  Bearbeitung  vorzu- 
nehmen  und  statistisch  bearbeitetes  Rohmaterial  in  Tabellen 

i)  Ganz  neuerdings  ist  eine  Veröffentlickang  erschienen,  die  wirtschaftsgeschichtliche 
QaeUen  in  bisher  nicht  üblicher  Art  und  Reichhaltigkeit  mitteilt:  jRecuetI  de  documents 
rdatif  ä  Vhistoire  de  Vinduatrie  drapiere  en  Flandre,  Partie  premi^e.  Tome 
Premier  (Bruzelles  1 906),  bearbeitet  von  Pi  r  e  n  n  e  and  E  s  p  i  n  a  s.  Nen  ist  die  Zusammen- 
fassung aller  flandrischen  Städte  in  einer  Publikation.  Wenn  die  Ordnungen  in  so 
früher  Zeit  (bb  1420)  auch  naturgemifs  die  Hauptmasse  der  Urkunden  bilden,  so  ist 
doch  darttber  hinaus  auch  anderes  Material lucht  remachlässigt  worden:  z.  B.  ist  S.  584 — 591 
eine  Rechnung  des  Tuchmaeherhandwerks  in  Brügge  1372/73  mitgeteilt.  Je  weiter  die 
Publikation  zeitlich  fortschreitet,  desto  häufiger  und  wichtiger  dürften  derartige  aus  dem 
Betriebe  der  Arbeit  heraus  entstandene  Schriftstücke  werden. 


—     287     — 

oder  sonstigen  Zusammenstellungen  neben  einzelnen  Urkunden  und 
Akten  zum  Abdruck  zu  bringen.  Oft  wird  aber  auch  dies  nicht 
möglich  sein,  und  dann  mufs  er  sofort  zur  vollen  Darstellung  über- 
gehen und,  wo  es  irgend  angeht,  die  entscheidenden  Quellenstellen 
im  Wortlaut  anfuhren.  Das  dürfte  bei  Arbeiten  aus  dem  Gebiete  der 
städtischen  Wirtschaftsgeschichte  überhaupt  das  erspriefslichste  sein, 
weil  sich  vieles  Material  schwer  oder  nur  auf  unverhältnismäfsig 
gfrolsem  Räume  publizieren  läfst.  Auch  für  die  Veröffentlichungen, 
die  ich  als  solche  des  dritten  Typus  kennzeichnete,  wird  dies  in 
Betracht  kommen,  soweit  das  Wirtschaftsgebaren  der  Bürger  be- 
handelt werden  soll;  es  werden  sich  da  immer  nur  einzelne  Proben 
geben  lassen,  im  übrigen  aber  mufs  sich  die  Einleitung  zu  einer 
vollen  Darstellung  auswachsen  oder  dem  einzelnen  als  Probe  mit- 
geteilten Aktenstück  mufs  eine  Erläuterung  beigegeben  werden,  die 
über  seine  Bedeutung  unter  Heranziehung  anderen  QuellenstofTs  auf- 
klärt. Gewisses  Material  kann  auch  bequem  in  Tabellenform  mitgeteilt 
werden,  so  z.  B.  unter  Umständen  über  Jahrhunderte  hinweg  von 
Jahr  zu  Jahr  die  Zahl  der  Neubüi^er,  vielleicht  unter  Angabe,  wie 
viele  von  auswärts  eingewandert  und  wie  viele  Bürgerssöhne  (eventuell 
auch  Witwen)  als  Bürger  aufgenommen  worden  sind.  In  vielen  Städten 
werden  in  Büchern,  die  mit  den  mannigfachsten  Namen  belegt  sind, 
schon  seit  dem  XV.  Jahrhundert  gewisse  Verträge,  die  Bürger  unter- 
einander und  mit  Auswärtigen  abschliefsen ,  öffentlich  beurkundet. 
Daraus  läfst  sich  oft  Jahr  für  Jahr  ermitteln,  z.  B.  wie  viel  Veräufse- 
rungen  städtischer  Häuser  vorgekommen  sind,  und  darin  spiegelt  sich 
das  wirtschaftliche  Leben  wider.  Auch  die  beurkundeten  Handels- 
geschäfte u.  dgl.  lassen  sich  in  gewissen  Städten  statistisch  bearbeiten 
unter  Berücksichtigung  der  Handelsgegenstände  und  der  Persönlichkeit 
der  Vertragschliefsenden,  so  dafs  gewisse  Einblicke  in  das  alltägliche 
wirtschaftliche  Leben  der  Bürger  gewonnen  werden. 

Gewifis  ist  das  Aktenmaterial  der  Archive  in  dieser  Hinsicht  nicht 
annähernd  vollständig  und  kann  es  nicht  sein,  aber  typische  Verhält- 
nisse müssen  sich  in  dem  zufällig  erhaltenen  Material  im  wesentlichen 
treu  widerspiegeln,  und  im  übrigen  ist  es  Sache  des  Bearbeiters,  seine 
Quellen    auf   ihre    Eigentümlichkeiten    zu    untersuchen  *).      Aber    an 

I)  In  ganz  vorzüglicher  Weise  hat  neuerdings  Friedrich  Bothe,  Beiiräge  zur 
WirUchafU-  und  Sosialgeachichte  der  ReieJisstadt  Frankfurt  (Leipzig  1906)  darge- 
stellt, inwiefern  die  Frankfurter  Stadtrechnongen  des  Mittelalters  nicht  geeignet  sind, 
als  Unterlage  für  eine  Statistik  des  Stadthanshalts  zn  dienen,  und  hat  damit  eine  wertvolle 
„Quellenkritik"  der  mittelalterlichen  Rechenbücher  Überhaupt  geliefert 


—     288     - 

gröfseren  das  gesamte  wirtschaftliche  Leben  einer  Stadt  berück- 
sichtigenden Quellenpublikationen  fehlt  es  heute  noch  vollständig; 
weder  selbständige  sind  mir  bekannt,  noch  solche,  die  neben  rechts- 
geschichtlichen in  gröfserem  Umfange  wirtschaftsgeschichtliche  Quellen 
enthielten,  die  nicht  den  Charakter  von  Satzungen  haben,  sondern 
einen  Niederschlag  des  wirtschaftlichen  Lebens  selbst  dar- 
stellen. Bisher  herrschen  Veröffentlichungen  vor,  die  sich  mit  einzelnen 
Quellen  oder  einzelnen  Teilen  des  Wirtschaftslebens  beschäftigen,  wie 
es  z.  B.  die  von  Koppmann,  MoUwo  und  Nirrnheira  veröffent- 
lichten Handelsbücher  oder  auch  Moltkes  Veröffentlichungen  über 
die  Leipziger  Kramerinnung  und  die  dortige  erste  Grofehandelsver- 
tretung  sind;  und  selbst  Schmoller,  die  Straßhurger  Tucher-  und 
Webereunfl  (Strafeburg  1879)  wäre  hier  zu  nennen.  Es  handelt  sich  mit- 
hin um  eine  über  das  gegenwärtig  Übliche  hinausgehende  Forderung, 
wenn  ich  erkläre:  es  ist  dringend  nötig,  dafs  in  gröfserer  Aus- 
dehnung Quellen  zur  städtischen  Wirtschaftsgeschichte 
veröffentlicht  werden,  sei  es  in  Verbindung  mit  den  rechts- 
geschichtlichen Quellen,  sei  es  unabhängig  von  diesen,  teils  roh,  teils 
in  statistischer  Bearbeitung,  und  zwar  müssen  dabei  Quellen  berück- 
sichtigt werden,  die  über  alle  städtischen  Lebensverhältnisse  —  nicht 
nur  über  das  Zunftwesen  oder  nur  über  den  Handel  —  unter- 
richten ^). 


Mitteilungen 

Eingegangene  Bficher. 

Düning,  Adalbert:  Stift  und  Stadt  Quedlinburg  im  dreifsigjährigen  Kriege. 
Mit  emem  Büdnisse  des  Generals  Grafen  Königsmark.  Quedlinburg, 
Selbstverlag  des  Verfassers  1894.     65  S.  8^. 

i)  Als  ein  solches  der  Publikation  würdiges  Aktenstück  möchte  ich  z.  B.  die  Steuer- 
deklaration  des  Bechtold  Heller  in  Frankfurt  von  1484  betrachten;  Bücher  hat  sie  ver- 
öffentlicht in  den  Kleinen  Beiträgen  s%*r  Oeschichte  (Festschrift  zum  deutschen  Historiker- 
uge  in  Leipzig  Ostern  1894),  S.  159— 161.  —  Im  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen 
Vorzeit  1881,  S.  300,  ist  das  Inventar  der  1503  in  einem  Leipziger  Kramladen 
vorhandenen  Waren  abgedruckt.  —  Die  in  Testamenten  nicht  selten  enthaltenen 
Inventare  des  Haasgeräts  sind  ebenso  lehrreich,  namentlich,  wenn  man  solche  etwa  50  Jahre 
auseinanderliegende  Listen  miteinander  vergleichen  kann.  Derartige  Schriftstücke  finden 
sich  in  jedem  reicheren  Archive  und  verdienen,  soweit  sie  nicht  Bekanntes  wiederholen, 
ans  Licht  gezogen  zu  werden.  Gleichartige  Stücke  lassen  sich  dann  leicht  durch  kurzen 
Hinweis  auf  gewisse  Abweichungen  erledigen,  wenn  eins  zum  Abdruck  gelangt. 


—     289     — 

Doeberl,  M.:  Entwickelungsgeschichte  Bayerns.  Erster  Band:  Von  den 
ältesten  Zeiten  bis  zum  Westfälischen  Frieden.  München,  R.  Olden- 
burg 1906.     593  S.  8®.     M.   12. 

G  r  u  p  p ,  Georg :  Der  deutsche  Volks-  und  Stammescharakter  im  Lichteder  Ver- 
gangenheit, Reise-  und  Kulturbilder.  Stuttgart,  Strecker  &  Schröder  1906. 
205  S.  8^     M.  2,70. 

Günther,  Ludwig:  Ein  Hexenprozefs,  ein  Kapitel  aus  der  Geschichte  des 
dunkelsten  Aberglaubens.  Giefsen,  Alfred  Töpelmann  (vormals  J.  Ricker) 
1906.      112   S.  8®.     M.  2,00. 

Höhne,  Emil:  Kaiser  Heinrich  IV.,  sein  Leben  und  seine  Kämpfe  nach 
dem  Urteile  seiner  deutschen  Zeitgenossen.  Gütersloh,  C.  Bertelsmann  1906. 
347  S.  8^     M.  5,00. 

K  i  s  k  y ,  Wilhelm :  Die  Domkapitel  der  geistlichen  Kurfürsten  in  ihrer  persön- 
lichen Zusammensetzung  im  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert 
[=  Quellen  und  Studien  zur  Verfassungsgeschichte  des  deutschen 
Reiches  in  Mittelalter  und  Neuzeit,  herausgegeben  von  Karl  Zeumer, 
Band  i,  Heft  3].  Weimar,  Hermann  Böhlaus  Nachfolger  1906.  197  S.  8*^. 
M.  5,40. 

Nathusius-Neinstedt,  H.  von :  Geschichte  der  Engelapotheke  zu  Frank- 
furt a.  M.  seit  ihrer  Gründung  im  Jahre  1629.  Frankfurt  a.  M.,  Druck 
von  Gebrüder  Knauer  1905.     33  S.  8". 

Paur,  Hermann:  Heimatschutz.  Burghausen  a.  S. ,  Leo  Russy  (W.  Trinkl) 
1905.      18  S.  8®.     M.  0,25. 

Pefsler,  Willi:  Das  altsächsische  Bauernhaus  in  seiner  geographischen  Ver- 
breitung, ein  Beitrag  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde.  Mit 
171  Illustrationen  im  Text,  6  Tafeln,  einer  Originalplanzeichnung  nach 
eigenen  Aufnahmen  des  Verfassers  und  4  Karten.  Braunschweig, 
Friedrich  Vieweg   &   Sohn    1906.      258  S.  8®.     Gebimden  M.   10,00. 

Pyl,  Th.,  Die  Entwickelung  der  dramatischen  Kunst  und  des  Theaters  in 
Greifswald    [=   Pommersche    Jahrbücher,    6.    Bd.    (Greifswald    1905), 

S.  15—47]- 
Ramsauer,    Wilhelm:    Beiträge   zur   Flumamenforschung  [=  Jahrbuch  für 

die  Geschichte  des  Herzogtums  Oldenburg,   14.  Band  (Oldenburg  1905), 

S.  88  —  119]. 
Rauch,  Karl:  Traktat  über  den  Reichstag  im  16.  Jahrhundert,  eine  offiziöse 

Darstellung  aus  der  kurmainzischen  Kanzlei,  herausgegeben  und  erläutert 

von   K.   R.    [=    Quellen   imd    Studien   zur   Verfassungsgeschichte    des 

Deutschen  Reiches   in  Mittelalter  und  Neuzeit,  herausgegeben  von  Karl 

Zeumer,    Band    I,    Heft    i].      Weimar,    Böhlaus    Nachfolger    1905. 

122   8.  8^     M.  4,20. 
Richter,  Wilhelm:  Prexilsen  und  die  Paderbomer  Klöster  und  Stifter  1802 

bis  1806.     Paderborn,  Verlag    der  Bonifaciusdruckerei  1905.      173  S. 

8®.     M.  2,20. 
Riegl,   Alois:  Salzburgs  Stellung  in   der  Kunstgeschichte   [=  Mitteilungen 

der  Gesellschaft  für  Salzburger  Landeskunde,  45.  Bd.].     24  S.  8®. 
Rothert,  Eduard:  Die  acht  Grofsmächte  in  ihrer  räumlichen  Entwickeltmg 

seit    1750.     Karten   und   Skizzen.      Düsseldorf,    August  Bagel    1904. 

21  Tafeln,  grofs-8^ 


—     290     — 

Rosenthal,  Willy:  Fürst  Talleyrand  und  die  auswärtige  Politik  Ni4)oleon8  L 
nach  den  Memoiren  des  Fürsten  Talleyrand.  Mit  einem  Bilde  Talleyrands  in 
Heliogravüre.    Leipzig,  Wilhelm  Engelmann  1905.    114  S.  8".    M.  2,40. 

Rudorff,  Hermann:  Zur  Erklärung  des  Wormser  Konkordats  [=  Quellen 
und  Studien  zur  Verfassungsgeschichte  des  deutschen  Reiches  in  Mittel- 
alter und  Neuzeit,  herausgegeben  von  Karl  Zeumer,  Band  i,  Heft  4]. 
Weimar,  Hermann  Böhlaus  Nachfolger  1906.     65  S.  8^.     M.  3,00. 

Schattenberg,  Karl:  Till  Eulenspiegel  und  der  Eulenspiegelhof  in  Kueit- 
lingen.    Braunschweig,  Hellmuth  Wollermann  1906.    78  S.  8^.    M.  1,00. 

Schirmer,  A:  Die  Schlacht  bei  Lucka,  ein  Wendepunkt  in  der  Geschichte 
der  Wettiner  [=s  Programm  des  Herzoglichen  Christians  -  Gymnasiums 
zu  Eisenberg,  S.-A.,   1905,  N.  827]. 

Schnöring,  Wilhelm:  Johannes  Blankenfeld,  ein  Lebensbild  aus  den  An- 
fängen der  Reformation  [<==  Schriften  des  Vereins  für  Reformations- 
geschichte Nr.  86].  Halle  a.  S. ,  Kommissionsverlag  Rudolf  Haupt 
1905.     115  S.  8^     M.   1,20. 

Schöttle,  Gustav:  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt  Tübingen  im  Aus- 
gang des  Mittelalters  ■«  [Tübinger  Blätter,  8.  Jahrgang  (1905),  S.  i — 34]. 

Schwalm,  J.:  Die  Appellation  König  Ludwigs  des  Baiem  von  1324,  in 
ursprünglicher  Gestalt  herausgegeben.  Mit  drei  Lichtdrucktafeln.  Weimar» 
Hermann  Böhlers  Nachfolger  1906.     31  S.  4^.     M.  6,00. 

Sevin,  Hermann:  Ursprung  der  alten  Linzgauer  Pfarrsprengel.  Überlingen, 
Aug.  Schoy,   1905.     18  S.  4^     M.   1,00. 

Sie  gl,  Karl:  Das  Salbuch  der  Egerer  Klarissinnen  vom  Jahre  1476  im 
Egerer  Stadtarchiv  [=  Mitteilimgen  des  Vereins  für  Geschichte  der 
Deutschen  in  Böhmen,  Jahrgang  43  und  44].  Prag,  Verlag  des  Vereins 
für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  1905.     148  S.  8^. 

Sp  atz,  Wilhelm:  Quellenstellen  zur  älteren  märkischen  Geschichte  [=  Wissen- 
schaftliche Beilage  zum  Jahresbericht  der  HohenzoUemschule  in  Schöne- 
berg, Ostern  1904].     48  S.  4**. 

Spahn,  Martm:  Ernst  Lieber  als  Parlamentarier.  Gotha,  Friedrich  Andreas 
Perthes,  Aktiengesellschaft  1906.     81  S.  8^.     M.   1,50. 

Stenzler,  Rudolf  und  Lindner,  Franz:  Lehr-  und  Lesebuch  der  Ge- 
schichte für  die  unteren  Klassen  des  Königlich  Preufsischen  Kadetten- 
korps.    Berlin,  Mittler  und  Sohn  1905.     174  S.  8^     M.  2,00. 

Steu  ding,  H.:  Griechische  und  römische  Mythologie  [=  Sanmilung  Göschen 
Nr.  27].     Leipzig,  G.  J.  Göschen  1905.     146  S.   16  ^     M.  0,80. 

Tumbült,  Georg:  Die  Fürstlich  Fürstenbergische  Brauerei  zu  Donau- 
eschingen 1705 — 1905.     Stuttgart,  Greiner  imd  Pfeiffer.     78  S.  4**. 

Ulmann,  Heinrich:  Beitrag  zum  Wirtschaftsleben  Neuvorpommems  m  den 
Revolutionsjahren  1848/49  [=  Pommersche  Jahrbücher  6.  Band  (Greifs- 
wald 1905),  S.  77—90]. 

Valentin,  Caroline:  Geschichte  der  Musik  in  Frankfurt  a.  M.  vom  Anfange 
des  XV.  bis  zum  Anfang  des  XVIIL  Jahrhunderts,  im  Auftrage  des 
Verems  für  Geschichte  und  Altertumskunde  zu  Frankfurt  a.  M.  heraus- 
gegeben.    Frankfurt  a.  M.,  Völcker  1906.     280  S.  8^. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzif . 
Druck  und  Verlag  von  F^edricb  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Godia. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 

sur 

Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 


VU.  Band  August/September  1906  11/12.  Heft 


Wo  lag  die  H^iniat  der  I^imbern  und 

Teutonen  ? 

Von 
Georg  Wilke  (Grimma) 

Zur  Aufhellung  historisch-geographischer  oder  ethnischer  Fragen 
kann  die  prähistorische  Archäologie  in  doppelter  Richtung  beitragen. 
Elinmal  durch  Vergleichung  der  Kulturzustände  in  verschiedenen 
Gebieten,  die  uns  mehr  oder  minder  sichere  Schlüsse  über  Kultur- 
strömungen und  diesen  zugrunde  liegende  Wanderungen  gestattet. 
So  läßt  sich  aus  den  sehr  zahlreichen  archäologischen  Parallelen, 
die  zwischen  dem  unteren  Donaugebiete  und  dem  Kaukasus  nachweis- 
bar sind,  mit  fast  absoluter  Sicherheit  folgern,  daß  etwa  um  die  Mitte 
des  zweiten  Jahrtausends  v.  Chr.  von  der  Nordwestecke  des  Pontus 
eine  Wanderung  im  Norden  des  Schwarzen  Meeres  nach  den  Nordhängen 
des  Kaukasus  und  über  dessen  Kamm  hinweg  nach  Transkaukasien 
erfolgt  sein  muß  *).  Diese  archäologisch  nachweisbare  Wanderung  ent- 
spricht jedenfalls  dem  Einbruch  der  Indo-Iranier  nach  Asien,  was 
natürlich  nicht  ausschließt,  daß  nicht  schon  früher  auf  anderem  Wege 
indo-europäische  Völker  nach  Klein-  und  Vorderasien  gelangt  seien 
{Kossäer;  Metani). 

Der  zweite  Weg,  auf  dem  wir  zu  Aufischlüssen  über  Wanderungen 
in  vorgeschichtlicher  Zeit  gelangen,  ist  eine  quantitative  Vergleichung 
der  prähistorischen  Hinterlassenschaft  zweier  aufeinanderfolgender  Kultur- 
perioden in  ein  und  demselben  Gebiete.  Macht  sich  in  einer 
bestimmten  Epoche  in  einem  umgrenzten  Gebiete  eine  plötzUche  sehr 
starke  Zunahme  des  archäologischen  Materials  bemerkbar,  so  kann 
dies  kaum  anders  als  durch  Zuwanderung  größerer  Menschenmassen  er- 
klärt werden.    Eine  quaUtative  Vergleichung  der  hinterlassenen  Typen 


I)  VgL  meinen  Aufsatz  Ärchäol.  Parallelen  aus  dem  KaukasM  und  den 
unteren  Donauländern  in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie  36.  Jahrg.  (1904)  H.  i. 
Das  dort  zosammengesteUte  Material  habe  ich  seitdem  noch  wesentlich  vermehrt. 

21 


—     292     — 

mit  denen  anderer  Gebiete  kann   alsdann   über   den    Ausg'angspunkt 
dieser  Zuwanderung  Aufschluß  gewähren. 

Umgekehrt  wird  eine  plötzliche  sehr  starke  Verminderung  dea 
archäologischen  Nachlasses  in  der  Regel  nur  durch  einen  starken  Be- 
völkerungsabfluß innerhalb  oder  am  Schluß  der  vorausgegangenen 
Kulturperiode  zu  erklären  sein.  Dieser  Schluß  ist  um  so  zwingender^ 
je  größer  die  Zahl  der  Fundstellen  und  je  sicherer  einerseits  die  be- 
treffenden Funde  datierbar,  und  je  gleichmäßigere  Zeiträume  anderseits 
die  zur  Vergleichung  herangezogenen  Kulturperioden  umfassen. 

In  dieser  Beziehung  liegen  die  Verhältnisse  für  die  La-T^ne-Zeit 
besonders  günstig,  weil  hier  einerseits  die  drei  Hauptabschnitte,  in  die  man 
diese  einzuteilen  pflegt,  über  fast  g^anz  gleiche  und  noch  dazu  verhält- 
nismäßig kleine  Zeiträume  sich  erstrecken,  und  weil  anderseits  die 
Chronologie  trotz  der  Korrektur,  die  das  bekannte  Tischlersche  Schema 
durch  die  wertvollen  Untersuchungen  Reineckes  ^)  erfahren  hat,  eine 
sehr  sichere  ist. 

Auf  diese  Epoche  sollen  sich  die  nachstehenden  Untersuchungen 
erstrecken,  und  zwar  sollen  die  Besiedelungsverhältnisse  im  mittleren 
Elbegebiete  während  der  verschiedenen  La -T^ne- Perioden  erörtert 
werden. 

Überblicken  wir  den  Bestand  der  Funde  in  dem  fraglichen  Gebiet  *),, 
so  erhalten  wir  folgendes  Bild :  Das  Königreich  Sachsen,  die  westliche 
Niederlausitz  und  der  südöstliche  Teil  der  Provinz  Sachsen  bis  Saale 
und  Elbe  sind  ziemlich  reich  an  Funden  der  älteren  und  teilweise 
auch  noch  der  mittleren  La-T^ne-Zeit,  die,  wie  ich  noch  hinzufügen 
will,  zu  den  westgermanischen  Typen  gehören.  Dagegen  sind  Reste 
der  jüngsten  La-Tfene-Stufe  in  diesem  Gebiete  sehr  spärlich.  In  den 
nördlichen  Teilen  der  Provinz  Brandenburg  und  der  westlichen  Hälfte 
der  Provinz  Sachsen  ist  dieser  Unterschied  weniger  deutlich  oder  gar 
nicht  bemerkbar.  In  den  östlichen  Grenzbezirken  unseres  Gebietes 
endlich  erscheinen  zwar  Spät-La-Tene-Typen  in  sehr  großer  Zahl,  aber 
es  sind  nicht  mehr  rein  west-,  sondern  teilweise  schon  ostgermanische 
Formen. 

Dieser  ganz  auffallende  Unterschied  in  der  Hinterlassenschaft  aus 
den  einzelnen  Perioden  der  La-Tfene-Zeit  innerhalb  des  mittleren  Elbe- 
gebietes kann  unmöglich  bloßer  Zufall  sein.  Dazu  ist  das  Gebiet  zu 
ausgedehnt,  die  Zahl  der  Fundorte  zu  groß. 

i)  Korreapondenzhlatt  der  Chadhchaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und 
Urgeschichte  34.  Jahrg.  (1903),  S.  36. 

2)  Vgl.  im  einzelneQ  die  Zosammenstellaog  im  Anhang  S.  303 — 310. 


—     293     — 

Auch  das  ist  undenkbar,  daß  die  Einwirkung  der  La-T^ne-Kultur 
auf  dieses  Gebiet  nur  vorübergehend  gewesen  sei  und  daß  man  nach 
dreihundertjährigem  Bestehen  derselben  wieder  auf  die  ältere  Eisen- 
kultur zurückgegriffen  habe.  Warum  sollte  nur  die  spätere  La-Tene- 
Kultur  und  diese  gerade  nicht  auf  unser  Gebiet  sich  erstreckt  haben, 
während  doch  ihr  Einfluß  weit  bis  nach  England,  Dänemark,  West- 
und  Ostpreußen  und  selbst  bis  zum  Kaukasus  reichte!  Auch  fehlt 
ja  bei  uns  die  Spät-La-T^ne-Kultur  nicht  vollständig,  sondern  sie  er- 
scheint nur  in  spärlichen  Resten. 

Dann  aber  ist  diese  höchst  auffallende  Erscheinung  nur  durch 
eine  plötzliche  starke  Abnahme  der  Bevölkerung  zu  erklären,  die  ihrer- 
seits nur  die  Folge  einer  großen  Auswanderung  gegen  Ende  der 
Mittel-La-Tene-Zeit,  d.  h.  etwa  in  der  zweiten  Hälfte  des  zweiten  vor- 
christlichen Jahrhunderts  bilden  kann.  Diese  Auffassung  ist  ja  keines- 
wegs neu,  und  besonders  ist  neuerdings  Kossina  für  Sachsen  und  die 
Niederlausitz  in  seiner  für  die  älteste  Geschichte  Deutschlands  hoch- 
bedeutsamen  Arbeit  über  verzierte  Lanzenspitzen  ^)  in  ganz  bestimmter 
Form  für  diese  Ansicht  eingetreten,  wenn  er  vielleicht  auch  dabei 
etwas  zu  weit  geht. 

Ist  diese  Schlußfolgerung  zutreffend,  so  erscheint  es  nur  folge- 
richtig, wenn  wir  die  Ergebnisse  der  archäologischen  Forschung  mit 
den,  wenn  auch  noch  so  unklaren  und  lückenhaften,  geschichtlichen 
Nachrichten  aus  jener  Zeit  in  Verbindung  zu  bringen  suchen.  Über 
Wanderungen  so  großen  Stiles,  wie  wir  es  auf  Grund  der  prähistorischen 
Forschung  voraussetzen  müssen,  liegt  uns  aber  aus  jener  Periode  nur 
eine  Nachricht  vor,  es  ist  der  Zug  der  Kimbern  und  Teutonen, 
die  wie  ein  verheerendes  Unwetter  ganz  Mitteleuropa  von  der  Säve 
und  Drave  bis  zur  Seine  und  Ebro,  von  dem  Herkynischen  Walde 
bis  zum  Po  durchtobten  und  deren  Erscheinen  die  stolze  Römer- 
republik nicht  weniger  erzittern  machte,  als  einst  die  Heere  des  Brennus 
and  Hannibal. 

Mögen  auch  die  Zahlenangaben  der  Römer  über  die  Stärke  der 
Idmbrischen  Heere  erst  aus  Furcht  und  später  nach  Besiegung  der 
gefürchteten  Barbaren  aus  Prahlerei  übertrieben  worden  sein,  so  können 
die  gewaltigen  Wirkungen  des  Kimbemzuges  im  südlichen  Mitteleuropa 
doch  nur  durch  ganz  enorme  Völkermassen  hervorgebracht  worden 
sein.  Dabei  ist  noch  zu  berücksichtigen,  daß  die  Heere  der  Kimbern, 
als  sie  an  die  Pforten  Italiens  anklopften,  unterwegs  auf  ihren  Kreuz- 


i)  Zeitschrift  für  Ethnologie  37-  Jahrg.  (1905),  S.  389  flF. 

21 


—     294     — 

und  Querzügen  gewiß  schon  durch  zahh-eiche  blutige  Kämpfe  und 
wohl  auch  durch  Krankheiten  stark  gelichtet  waren.  Allerdings  schlössen 
sich  ihnen  ja  später  in  den  Alpen  auch  keltische  Stämme  an.  Aber 
auch  dies  wird  pur  durch  die  Annahme  verständlich,  daß  die  Kimbern 
in  ganz  überwältigenden  Massen  dort  einbrachen  und  daß  dieser 
gigantische  Völkerstrom  die  helvetisch-gallischen  Stämme  mit  fortriß. 
Von  Teutonen,  über  die  uns  allein  bestimmte  Zahlenangaben  vorliegen, 
sollen  allein  in  der  Schlacht  bei  Aqua  Sextiä  nach  den  geringsten 
Angaben  looooo,  nach  den  meisten  Nachrichten  jedoch  über  200  ocx5 
gefallen  und  außerdem  80  bis  90000  gefangen  worden  sein,  ungerechnet 
die  zahllosen  Weiber  und  Kinder.  Welcher  Wert  diesen  Angaben 
auch  beizumessen  sein  mag,  zweifellos  handelt  es  sich  um  eine  den 
Beobachtern  ganz  ungeheuer  groß  erscheinende  Menschenmasse.  Wenn 
wir  auch  eine  selbst  annähernde  zahlenmäßige  Schätzung  kaum  wagen 
dürfen,  so  bleibt  uns  doch  die  Gewißheit,  daß  in  diesem  Falle  nicht 
einige  kleine  Völkerschaften  in  Frage  kommen,  sondern  zwei  große 
Völker. 

Eine  Auswanderung  so  ungeheurer  Volksmassen  mußte  natur- 
gemäß zu  einer  starken  Verödung  der  heimischen  Gebiete  führen,  die 
ihrerseits  in  einer  plötzlichen,  sehr  beträchtlichen  Verminderung  der 
archäologischen  Hinterlassenschaft  dieser  Kulturperiode  sich  wider- 
spiegeln muß. 

Aber  das  zeitliche  Zusammentreffen  des  Kimbemzuges  mit  der 
auf  prähistorischem  Wege  abgeleiteten  Massenauswanderung  würde  an 
sich  noch  nicht  genügen,  beide  miteinander  in  Beziehung  zu  bringen, 
wenn  nicht  die  ersten  Ereignisse  bei  der  kimbrischen  Wanderung  ganz 
bestimmt  darauf  hinwiesen,  daß  der  Kirabernzug  —  wenigstens  in 
letzter  Linie  —  tatsächlich  von  jenem  Gebiete  seinen  Ausgang  genommen 
haben  muß.  Nach  Poseidonios  traf  nämlich  der  erste  Angriff  der 
Kimbern  die  Bojer  im  Herkynischen  Walde.  Von  diesen  zurück- 
geworfen wären  sie  nach  dem  Ister  und  zu  den  gallischen  Skordiskern 
hinabgezogen,  sodann  zu  den  Teuristen  oder  Tauriskem  ^).  Man  kann 
diese  Meldung  doch  nur  so  auffassen,  daß  die  Kimbern  über  das  Erz- 
gebirge in  das  damals  noch  von  den  keltischen  Bojem  bewohnte 
Böhmen  einbrachen,  dort  auf  stärkeren  Widerstand  stießen  und  so 
gezwungen  wurden,    in   östlicher  Richtung  nach  Mähren  auszubiegen, 

I)  Strabo,  Buch  VII,  Kap.  2,  2,  p.  293 :  (prial  dk  xal  Botovg  rdf  *Eqxijviw  ^QVfiöv 
otxHv  TiQÖTeQOv,  Toifg  (fl  KCfißQOvg  ögfi^aavrag  Inl  t6p  TÖnov  xoOov,  anoxQova&ivtag 
vn6  TfiJv  Bo((ov  Inl  rbv  ^laxqov  xaX  tovg  Zxo^Caxovg  raXdxag  xarafiijvai,  «?r  inl 
TevQlarag  xal  TavQlaxovg  xrX. 


—     295     — 

von  wo  sie  dann  weiter  nach  Überschreitung  der  Donau  zu  den  zwischen 
Save  und  Drave  ansässigen  Skordiskern  gelangten.  Die  von  einzelnen 
Forschem  geäußerte  Vermutung,  daß  die  Kimbern  über  Schlesien 
nach  Mähren  und  Pannonien  vorgedrungen  seien,  halte  ich  nicht  für 
wahrscheinlich.  Denn  die  ganze  westliche  Hälfte  Ober-  und  Mittel- 
schlesiens war,  wie  sich  aus  den  echt  keltischen  früh-La-Tene-zeit- 
lichen  Skelettgräbern  zwischen  Sudeten  und  Oder  ergibt,  bereits  seit 
Be^nn  des  vierten  Jahrhunderts  dicht  mit  keltischen  Stämmen  be- 
siedelt, die  offenbar  aus  Böhmen  oder  Mähren  dahin  gelangt  waren. 
Der  erste  Zusammenstoß  der  Kimbern  mit  den  Kelten  hätte  daher 
bereits  in  Mittelschlesien  erfolgen  müssen.  Dann  aber  kann  man  sich 
nicht  recht  vorstellen,  wie  die  Kimbern  nach  dem  für  sie  ungünstigen 
Ausgang  der  ersten  Schlacht  hätten  an  die  Donau  gelangen  können. 

Mögen  sie  nun  aber  über  Schlesien  oder  das  Erzgebirge  nach 
Süden  vorgedrungen  sein,  so  weist  die  Nachricht  des  Poseidonios  doch 
jedenfalls  darauf  hin,  daß  die  Wanderung  von  dem  mittleren 
Elbegebiete  aus  erfolgte,  also  eben  dem  Gebiete,  für  das 
wir  archäologisch  für  die  gleiche  Zeit  eine  ungeheure 
Abnahme  der  Bevölkerung  festgestellt  hatten. 

Allerdings  brauchten  trotzdem  diese  Gegenden  noch  nicht  das 
eigentliche  Heimatland  der  Kimbern  zu  bilden.  Kamen  diese,  wie 
man  ja  gewöhnlich  annimmt,  von  der  jütischen  Halbinsel  her,  so 
konnten  sie  bei  ihrem  Zug  entlang  der  Elbe  recht  wohl  die  hier 
ansässigen  Volksstämme,  wie  später  die  helvetischen  Völker,  mit  sich 
fortreißen.  Dies  ist  aber  nur  denkbar,  wenn  die  von  weiter  nordwärts 
eindringenden  Stämme  in  sehr  großen  Massen  auftraten,  da  sie  anderen- 
falls wohl  kaum  die  dichten  Massen  des  mitttleren  Elbegebietes  hätten 
in  Bewegung  setzen  können,  sondern  einfach  zurückgeworfen  worden 
wären.  Wie  in  letzterem  Gebiete  müßte  sich  daher  diese  Auswande- 
rung auch  in  der  La-T^ne-zeitlichen  Hinterlassenschaft  Schleswig- 
Holsteins  und  Dänemarks  widerspiegeln.  Dies  ist  jedoch  keineswegs 
der  Fall. 

Wie  mir  Fräulein  Professor  Mestorf  in  Kiel  mitzuteilen  die  Güte 
hatte,  geht  die  vorrömische  Eisenzeit  ganz  kontinuierlich  in  die  römische 
Kultorperiode  über,  und  nichts  spricht  dafür,  daß  innerhalb 
jener  Periode,  die  man  von  400  v.  Chr.  bis  zum  Beginn 
unserer  Zeitrechnung  ansetzt,  eine  Verminderung  der 
Bevölkerung  stattgefunden   habe. 

In  ganz  gleichem  Sinne  haben  mir  auch  der  Vizepräsident  der 
Dänischen   archäolog.  Gesellschaft,  Herr  Amtmann  Vedel,   und  der 


—     296     — 

Direktor  des  Dänischen  National-Museums  in  Kopenhagen,  Herr  Sophus 
Müller,  auf  meine  Anfrage  geantwortet.  Ja  nach  der  nordischen  Alter- 
tumskunde des  letzteren  scheinen  sogar  die  der  mittleren  und  nament- 
lich jüngeren  La-T^ne-Kultur  entsprechenden  Typen  in  Dänemark  noch 
etwas  häufiger  zu  sein,  als  die  älteren  La-Tfene-Formen. 

Aber  auch  schon  in  dem  nördlichen  Brandenburg  und  den  nörd- 
lichen Teilen  der  Provinz  Sachsen  ist,  wie  wir  gesehen  hatten,  eine 
Abnahme  der  Volksdichte  vom  Ende  der  Mittel-La-Tfene-Zeit  ab 
kaum  mehr  wahrnehmbar,  und  es  bleibt  uns  daher  nur  übrig, 
das  mittlere  Elbegebiet  als  die  eigentliche  Heimat  der 
Kimbern   in  Anspruch  zu   nehmen. 

Mit  diesem  Elrgebnis,  das  ich  lediglich  aus  den  archäologischen 
Tatsachen  und  den  mir  zugängigen  schriftlichen  Überlieferungen  der 
alten  Historiker  abgeleitet  hatte,  glaubte  ich  etwas  völlig  Neues  auf- 
gefunden zu  haben.  Ich  war  daher  nicht  wenig  überrascht,  zugleich 
aber  auch  erfreut,  als  ich  bei  Umschau  unter  den  neueren  Historikern 
das  alte  Wort  Ben  Akibas  auch  in  diesem  Falle  bestätigt  und  das 
Problem  der  Kimbemheimat  schon  von  anderer  kompetenterer  Seite, 
freilich  auf  einem  ganz  anderen  Wege,  in  ganz  gleichem  Sinne  gelöst  fand. 

Es  seien  mir  daher  noch  einige  kurze  Bemerkungen  über  die 
Geschichte  des  Kimbernproblems  gestattet. 

Bei  der  ganz  eminenten  Bedeutung,  die  der  Einfall  der  Kimbern 
und  Teutonen  für  einen  großen  Teil  der  damaligen  zivilisierten  Welt, 
namentlich  aber  für  das  stolze  Römerreich  haben  mußte,  ist  es  selbst- 
verständlich, daß  schon  die  zeitgenössischen  Historiker  und  Geographen 
diesen  ebenso  rätselhaften,  wie  imponierenden  Fremdlingen  ihr  größtes 
Interesse  entgegenbrachten  und  mit  Eifer  ihrem  Ursprung  nachforschten. 
Man  sollte  daher  meinen,  daß  von  den  Zeugen  jener  welterschüttemden 
Begebenheiten  uns  die  genausten  und  zuverlässigsten  Nachrichten  über 
deren  Urheber  hinterlassen  worden  seien  und  daß  Zweifel  über  Heimat 
und  Herkunft  jener  gewaltigen  Völkermassen  überhaupt  nicht  be- 
stehen könnten. 

Leider  ist  gerade  das  Gegenteil  der  Fall.  Die  aus  jener  großen 
Zeit  oder  bald  danach  stammenden  Angaben  sind  vielmehr  die  Ursache 
einer  großen  Verwirrung  geworden,  die  bis  in  die  neueste  Zeit  nach- 
gewirkt hat  und  noch  fortwirkt.  Der  Gesichtskreis  der  Römer  ging 
damals  nicht  weit  über  die  Alpen  hinaus,  und  wenn  sie  auch  durch 
die  Reisen  des  Pytheas  und  des  Gewährsmannes  des  Verfassers  der 
Ora  maritima,  vielleicht  auch  durch  reisende  Händler  eine  dunkle 
Kunde  von  den  fernen  Küstenländern  der  Nord-  und  Ostsee  erhielten, 


—     297     — 

so  waren  dies  doch  nur  ganz  nebelhafte  Bilder,  und  namentlich  fehlte 
es  ihnen  so  gut  wie  vollständig  an  auch  nur  einigermaßen  zuverlässigen 
ethnographischen  Kenntnissen  aus  jenen  weltentlegenen  nordischen 
Gebieten.  Die  einzigen  Völker,  von  denen  die  Römer  bis  zur  Mitte 
des  ersten  vorchristlichen  Jahrhunderts  im  Norden  der  Alpen  Kenntnis 
erlangten,  waren  Gallier,  die  das  ganze  große  Gebiet  von  der  Nordg^enze 
des  Römerreiches  bis  zu  dem  sagenhaften  Herkynischen  Walde  inne- 
hatten» Der  Name  Germanen  wurde  in  Rom  überhaupt  erst  um  das 
Jahr  80  V.  Chr.  bekannt  und  gebräuchlich  *) ,  doch  wußte  man  auch 
da  noch  nicht  zwischen  diesen  und  den  Galliern  zu  unterscheiden.  So 
wird  es  verständlich,  daß  man  auch  die  von  Norden  her  über  die 
Alpen  einbrechenden  Kimbern  ebenso  wie  die  Teutonen  für  gallische 
Völkerstämme  hielt. 

Erst  nachdem  die  Römer  bei  näherer  und  längerer  Bekanntschaft 
mit  germanischen  Völkern  die  Verschiedenheit  ihrer  Sprache  und 
Sitten  gegenüber  den  Galliern  kennen  gelernt  hatten,  konnten  sie  zu 
einer  Unterscheidung  beider  Nationalitäten  gelangen.  Der  erste,  der 
diesen  Unterschied  bestimmt  und  konsequent  durchführt,  ist,  wie  es 
scheint ,  Julius  Cäsar  ^) ,  der  auch  zum  ersten  Male  die  Kimbpm  und 
Teutonen  den  Germanen  zuzählt.  Seit  dieser  Zeit  wird  diese  Unter- 
scheidung von  den  meisten  Geographen  und  Historikern:  Agrippa, 
Vellejus  Paterculus,  Pomponius  Mela,  Tacitus ,  Ptolemäus  und  anderen 
streng  beobachtet  und  nur  noch  vereinzelt  von  halbwissenden  Schrift- 
stellern, die  kritiklos  die  älteren  Autoren  ausschrieben,  ignoriert. 

Wie  über  die  Nationalität  der  Kimbern  und  Teutonen  sind  auch 
über  ihre  Namen  die  Ansichten  der  alten  Historiker  sehr  verschieden 
gewesen,  und  auch  unter  den  heutigen  Sprach-  und  Geschichtsforschen 
besteht  noch  keine  Übereinstimmung.  Während  der  Name  Kimbern 
den  antiken  Quellen  entsprechend  fast  allgemein  für  eine  keltische 
Benennung  der  germanischen  Fremdlinge  gehalten  wurde,  neigte  man 
bei  der  Deutung  des  Namens  Teutonen  mehr  zur  Annahme  germanischen 
Ursprungs  *).  Doch  hält  es  Müllenhoff  aus  sprachlichen  Gründen 
für  weit  wahrscheinUcher,  daß  auch  er  nur  eine  altgallische  Benennung 
der  Nordseevölker  war,  die  der  Rhein  von  den  westlich  davon  sitzenden 
gallischen  Volksstämmen  schied^). 

Die    Heimat  der  Kimbern  und  Teutonen  verlegten  die  Römer, 


i)  Müllenhoff,  Deutsche  AlterttM/nskunde  2.  Bd.  (1883),  S.  189. 

2)  Bellum  Gällicum  I,  Kap.  33  und  40. 

3)  M.  W.  Dancker,  Origines  Cfermamcae  (Berlin  1840),  S.  90. 

4)  A.  a.  O.    2.  Bd.    S.  115. 


—     298     — 

wie  ehedem  auch  die  der  Gallier,  an  die  äußersten  Enden  der  Welt^ 
an  den  nordischen  Ozean.  Der  Name  der  Teutonen  war  ja  bereits 
längst  durch  den  Bericht  des  Massilioten  Pytheas  bekannt,  der  um 
325  V.  Chr.  im  Auftrage  seiner  Vaterstadt  angeblich  nur  zu  Studien- 
zwecken, in  Wirklichkeit  wohl  aber  auch  in  kommerziellem  Interesse 
die  nordischen  Küsten  bereiste  und  östlich  der  Rheinmündungen  an 
der  Nordseeküste  eine  von  den  gallischen  Stämmen  verschiedene,  von 
ihm  für  skythisch  gehaltene  Bevölkerung  antraf,  die  bei  den  Galliern 
jenen  Namen  führte.  In  diesen  Gebieten  dürfen  wir  daher  auch  den 
Ausgangspunkt  der  Teutonischen  Wanderung  des  zweiten  Jahrhunderts 
suchen,  eine  Annahme,  die  in  den  prähistorischen  Forschungsergeb- 
nissen ihre  Bestätigung  findet.  Denn  während  die  mittleren  Bezirke 
Hannovers,  wie  es  scheint,  keinen  wesentlichen  Unterschied  in  den 
Fundmengen  der  einzelnen  La-Tene-Abschnitte  zeigen,  sind,  wie  mir  der 
Direktor  des  Provinzial-Museums  in  Hannover,  Dr.  Reimers,  brietlich 
mitteilte,  aus  den  an  der  Küste  liegenden  Regierungsbezirken  Stade  und 
Aurich,  sowie  dem  Regierungsbezirk  Osnabrück  fast  ausschließlich  Früh- 
und  Mittel-La-T^ne-Typen  bekannt.  Wir  müssen  also  auch  in  jenen  Ge- 
bieten eine  starke  Auswanderung  gegen  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts 
annehmen,  die  jedoch  nicht  dem  Elbe-,  sondern  dem  Emsgebiete  ge- 
folgt sein  muß  und  sich  dann  weiter  dem  heutigen  Frankreich  zuwendete  *). 
Viel  weniger  klar  lag  die  Sache  bisher  hinsichtlich  der  Kimbern, 
für  die  ein  ähnliches,  gleich  altes  Zeugnis  fehlt.  Auch  ihre  Ursitze  wurden, 
wie  gesagt,  an  die  äußersten  Gestade  des  nordischen  unbekannten  Meeres 
verlegt,  von  denen  sie  durch  eine  große  Sturmflut  vertrieben  sein 
sollten  *).  Diese  Begründung  ihrer  Auswanderung  würde  für  die  Be- 
stimmung ihres  Heimatlandes  von  ausschlaggebender  Bedeutung  sein,^ 
wenn  nur  diese  Flutsage  nicht,  wie  MüUenhoff  gezeigt  hat,  eine  ur- 
sprünglich rein  gallische  Sage,  und  von  den  Galliern  erst  auf  die 
Teutonen  übertragen  und  von  diesen  weiter  auf  die  Kimbern  ver- 
schoben worden  wäre  *) ,  und  wenn  sie  nicht  schon  von  dem  ältesten 
in  Betracht  kommenden  Schriftsteller,  Poseidonios  von  Rhodos,  aus- 
drücklich bestritten  würde  *) 

i)  AUerdings  wird  ja  meist  angenommen,  daß  Kimbern  nnd  Teutonen  nrspninglicb 
zusammen  marschierten  nnd  sich  erst  später  irgendwo  nördlich  der  Ostalpen  trennten» 
Aber  ans  den  Qnellen  scheint  dies  nicht  zu  folgen.  Im  Gegenteil  weist  die  Notiz  Cäsars 
▼ielmehr  darauf  hin,  dafi  die  Teutonen  direkt  über  Belgien  nach  Frankreich  eingebrochen 
seien,  wie  es  sich  auch  aus  den  archäologischen  Tatsachen  ergibt. 

2)  Strabo,  Buch  VII,  Kap.  2,  i. 

3)  MüUenhoff,  a.  a.  O.  S.  i62ff. 

4)  Strabo,  a.  a.  O. 


—     299     — 

Im  übrigen  hält  aber  auch  Poseidonios,  geleitet  von  der  all- 
gemeinen Anschauung  und,  wie  Müllenhoff  meint,  unter  dem  Eindruck 
der  von  ihm  selbst  bekämpften  Flutsage  stehend,  an  der  Herkunft 
der  Kimbern  von  den  Küsten  des  Ozeans  fest,  ohne  indessen  ihre 
Wohnsitze  genauer  bestimmen  zu  können. 

Wie  Poseidonios  sind  auch  die  späteren  Autoren,  Agrippa,  Pomponius 
Mela,  Strabo,  Tacitus  und  Ptolemäus  bei  der  althergebrachten  Auf- 
fassung stehen  geblieben,  nur  daß  sich  mit  der  fortschreitenden  Ent- 
wickelung  der  Landes-  und  Völkerkunde  die  Angaben  der  verschiedenen 
Schriftsteller  über  die  Heimat  der  Kimbern  immer  präziser  gestalten, 
bis  schließlich  nach  Entdeckung  der  jütischen  Halbinsel  im  Jahre  4 
n.  Chr.  diese  ganz  allgemein  zur  Urheimat  der  Kimbern  gestempelt  wird. 

Diesen  so  bestimmten  und  untereinander  mehr  oder  weniger 
übereinstimmenden  Berichten  der  alten  Gewährsmänner  folgend,  ist 
man  dann  auch  bis  in  die  jüngste  Zeit  bei  dieser  Anschauung  stehen 
geblieben,  die  durch  eine  Stelle  bei  Strabo  und  das  Monumentum 
Ancyranttm  noch  besonders  erhärtet  zu  werden  schien.  Strabo  be- 
richtet nämlich  *) :  „Denn  noch  jetzt  besitzen  sie  (die  Kimbern)  das  Land, 
das  sie  früher  besaßen;  auch  sendeten  sie  dem  Augustus  den  bei 
ihnen  am  heiligsten  gehaltenen  Weihkessel  als  Geschenk,  indem  sie 
um  Freundschaft  und  Verzeihung  des  Geschehenen  baten,  und  als 
sie  erlangt  hatten,  was  sie  wünschten,  kehrten  sie  zurück."  Und  über- 
einstimmend hiermit  rühmt  sich  Augustus  in  der  erwähnten  Weihe- 
schrift: „Meine  Flotte  ist  von  der  Mündimg  des  Rheins  bis  in  den 
fernen  Osten  gesegelt,  bis  zum  Ende  der  Welt,  wohin  weder  zu  Wasser 
noch  zu  Lande  jemals  ehi  Römer  zuvor  gelangt  ist,  und  die  Kimbern 
und  Charyden  und  Semnonen  und  andere  germanische  Völker  dieser 
Gegend  haben  um  meine  und  des  Römischen  Volkes  Freundschaft 
gebeten." 

Erst  durch  die  scharfsinnigen  Untersuchungen  MüUenhoffs,  der 
die  Berichte  der  alten  Historiker  emer  erneuten  Prüfung  unterzog,  hat 
das  alte  Dogma  von  der  jütischen  Herkunft  der  Kimbern  einen  be- 
denklichen Stoß  erlitten.  Nach  ihm  existiert  der  Gesamtname  Kimbern 
für  die  Bewohner  der  jütischen  Halbinsel  „überhaupt  nur  durch  die 
Meinung  der  Römer  über  die  Herkunft  des  Volkes  vom  Ozean*)". 
„Die  Bewohner  der  Halbinsel  gehörten  schon  zu  den  Sueven  und  dem 
Stamm  der  Inguäonen.  Es  ist  nicht  wahrscheinlich  und  glaublich,  daß 
sie  noch  einen  dritten  Gesamtnamen  bei  ihren  Stammesgenossen   und 

i)  Strabo,  a.  a.  O. 
2)  A.  a.  O.  S.  288. 


—     300     — 

Nachbarn  führten**^).  Diese  seit  mehr  als  icx)  Jahren  eingewurzelte, 
ursprünglich  aus  ganz  phantastischen  Vorstellungen  entsprungene  Auf- 
fassung änderte  sich  auch  nicht,  als  die  vom  Kaiser  Augustus  im 
Jahre  4  n.  Chr.  nach  der  Nordsee  entsendete  Flotte,  die  wenigstens 
bis  zum  Kattegat,  wahrscheinlich  aber  noch  weiter  ostwärts  vordrang, 
die  jütische  Halbinsel  aus  eigener  Anschauung  kennen  lernte  und  mit 
den  dort  wohnenden  Völkerstämmen  in  nähere  Berührung  kam.  Im 
Gegenteil  mußte  die  Genugtuung,  die  das  Römische  Reich  und  der 
Kaiser  durch  die  Entsendung  einer  Sühnegesandtschaft  erfuhren,  nur 
um  so  größer  sein,  wenn  diese  von  den  einst  so  gefürchteten  Kimbern 
ausging.  „So  wird  der  Name  Kimbern  für  die  Bewohner  der  Halb- 
insel gewissermaßen  offiziell  anerkannt  und  bestätigt  *)**  und  demzufolge 
auch  in  die  geographischen  Werke  der  späteren  Schriftsteller  —  Strabo, 
Tacitus  und  Ptolemäus  —  aufgenommen. 

Für  diese  Auffassung  findet  Müllenhoff  noch  eine  weitere  Be- 
stätigung in  der  Art,  wie  die  Römer  mit  den  Teutonen  verfuhren,  die 
sie  zuerst  in  den  unbekannten  Norden  verlegten,  dann  entweder  mit 
Stillschweigen  übergingen  oder  wieder  auf  das  Festland  verpflanzten, 
indem  sie  den  Rest  der  inguäischen  Völker  zwischen  Elbe  und  Oder 
links  der  Ostsee  für  Teutonen  erklärten. 

Endlich  beruft  sich  Müllenhoff  auch  noch  auf  das  bereits  auch 
von  uns  für  unsere  Theorie  in  Anspruch  genommene  Zeugnis  des 
Poseidonios  über  die  Ereignisse  zu  Beginn  der  Kimbernwanderung. 

Kurz,  das  Gesamtergebnis  der  Untersuchungen  MüUenhoffs  geht 
dahin,  daß  die  nachmals  bei  ihrer  Wanderung  von  den  Kelten  so 
benannten  Kimbern  überhaupt  nie  an  der  See  wohnten,  sondern  weiter 
südwärts  im  Gebiete  der  mittleren  Elbe,  während  die  Küstenstriche 
von  den  Teutonen  besetzt  waren.  Wie  mit  diesem  wurde  auch  mit 
dem  Namen  der  Kimbern  eine  Volksmasse  bezeichnet,  die  aus 
mehreren  kleineren,  unter  besonderen  Führern  und  Königen  stehenden 
Volkshaufen  zusammengesetzt  war  und  zu  der  insbesondere  die  Cherus- 
ker, Langobarden,  Semnonen  und  Hermunduren  gehört  haben  müssen. 

Ohne  MüUenhoffs  Beweisführung  zu  kennen,  bin  ich  auf  einem 
ganz  anderen  Wege  zu  denselben  Ergebnissen  gelangt  wie  er,  und 
diese  Tatsache  spricht  gewiß  für  die  Richtigkeit  der  vorgetragenen 
Anschauungen. 

Schon    Müllenhoff^)    hat    darauf  hingewiesen,    daß    ein    so    un- 

i)  Ebenda. 

2)  Müllenhoff  S.  286. 

3)  A.  a.  O.  S.  302. 


^ 


—     301     — 

geheurer  Wander-  und  Kriegszug,  wie  der  der  Kimbern,  mit  irgend- 
einer großen  Wendung  im  Leben  der  Nation,  von  der  er  ausging, 
im  Zusammenhang  stehen  muß.  Er  findet  diesen  Zusammenhang  in 
der  Wanderung  der  Chatten  und  Markomannen,  beides  hochdeutsche 
Völker,  die  sich  nur  von  den  Hermunduren  und  Semnonen  an  der 
mittleren  Elbe  abgesondert  haben  können  und  als  die  ersten  Germanen 
den  herkynischen  Urwaldgürtel  durchbrachen.  „Damit  war  das  Gesicht 
der  Nation,  das  bisher  dem  Norden  und  teilweise  dem  Westen  zu- 
gekehrt war,  mit  einem  Male  gen  Süden  und  Südwesten  gerichtet. 
Die  Nation  ist  in  den  Zusammenhang  der  Weltgeschichte  eingetreten 
und  in  eine  Bahn  gekommen,  auf  der  keine  Rückkehr,  nur  ein 
stetiges,  selbsttätiges  Vorwärtsschreiten  möglich  ist.  Daß  diese  große 
Wendimg,  die  folgenreichste  und  größte  im  ganzen  Leben  der 
Nation,  eingetreten  war,  beweist  der  Zug  der  Kimbern  und  Teutonen, 
die  an  die  Pforten  Italiens  pochend  und  selbst  sie  durchbrechend 
zuerst  die  entsetzte  alte  Welt  das  nie  gesehene,  unbekannte  Volk 
der  Germanen  kennen  lehrten  und  mit  Ungestüm  es  als  eine  welt- 
geschichtliche Macht  von  neuem  anzuerkennen  zwangen." 

Auch  diese  Annahme  MüllenhofTs  findet  in  den  archäologischen 
Tatsachen  eine  gute  Stütze.  Wie  wir  gesehen  hatten,  macht  sich  in 
Sachsen  und  den  nördlich  angrenzenden  Gebieten  nicht  nur  eine 
starke  Verminderung  der  Spät-  gegenüber  den  Mittel-La-Tene-Funden, 
sondern  auch  eine  beträchtliche  Abnahme  letzterer  gegenüber  den 
ältesten  La-T^ne-Typen  geltend.  Da  der  Zug  der  Kimbern  erst  in  den 
letzten  Abschnitt  der  Mittel-La-T^ne-Zeit  fällt,  so  kann  die  ziemlich 
starke  Verminderung  des  Fundmaterials  aus  dieser  Periode  gegen- 
über dem  ältesten  Abschnitt  nur  zum  geringsten  Teil  durch  die 
Kimbemwanderung  bedingt  worden  sein.  Es  muß  vielmehr  schon  vor 
dieser  ein  stärkerer  Abfluß  der  Bevölkerung  erfolgt  sein,  sei  es  nun, 
daß  es  eine  einmalige  große,  oder  wiederholte  kleinere  Wanderungen 
waren.  Eine  von  diesen  Wanderungen  kann  man  recht  wohl  mit  dem 
Abzug  der  Markomannen  und  Chatten  *)  von  dem  mittleren  Elbegebiet 
identifizieren. 

Außer  diesem  Markomannenzug  lassen  sich  aber  auch  noch,  wie 
Kossinna  gezeigt  hat,  mehrere  andere  große  Völkerbewegungen  archäo- 
logisch nachweisen,  die  m.  E.  ebenfalls  mit  der  Kimbemwanderung  in 


i)  W.  Arnold,  Ansiedlungen  und  Wcmdrungen  deutscher  Stämme,  3.  Ausg., 
S.  59,  setzt  den  Abzag  der  Chatten  in  das  vierte  Jahrhundert;  aach  dies  ist  noch  an- 
nehmbar. 


—     302     — 

einem  gewissen  Zusammenhang  stehen,  sei  es  nun,  daß  sie  die  Ursache 
oder  Wirkung  dieser  bilden. 

Die  eine  dieser  großen  Völkerschiebungen  ist  das  Vorrücken  der 
Ostgermanen  nach  Süden  und  Westen,  die  sich  durch  die  Ausbreitung 
scharf  charakterisierter  ostgermanischer  Funde  in  der  genannten  Rich- 
tung kundgibt.  Besonders  typisch  sind  hier  verschiedene  Formen 
des  Gürtelhakens,  und  zwar  die  zweiteiligen  Scharniergürtelhaken  und 
die  dreiteiligen  Gürtelhaken  von  Bronze  und  Eisen,  die  im  Norden 
bis  an  die  Oder  herantreten,  von  der  Neißemündung  ab  sie  sogar 
überschreiten  und  in  der  östlichen  Niederlausitz  eine  ziemlich  häufige 
Erscheinung  bilden.  „Wir  sehen  hierdurch  schon",  sagt  Kossinna,  „daß 
in  der  jüngeren  La-Tene-Zeit  die  Wandilier  die  Oder  nicht  nur  in 
Hinterpommem  und  der  Neumark  erreicht  hatten,  sondern  von  dort 
aufwärts  bis  an  die  Neißemündung  gegangen  waren,  um  hier  die 
Oder  zu  überschreiten  und  den  Kreis  Guben  zu  besetzen,  während 
weiter  westlich  die  Niederlatlsitz  leer  blieb."  ') 

Die  zweite  größere  Völkerverschiebung,  die  ebenfalls  gegen  Ende 
der  Mittel  -  La -T^ne- Zeit  einsetzt,  bilden  „neue  Zuwanderungen  über 
die  Ostsee,  bei  denen  die  burgundische  Bevölkerung  von  Bornholm 
Führung  und  Herrschaft  gewann,  demgemäß  auch  dieser  zweiten  ost- 
germanischen Gruppe  den  Namen  gab,  nach  Hinterpommem  und 
Westpreußen  gelangten  und  sich  in  die  altwandUische  Völkergruppe 
teils  hineinschoben,  teils  sie  wohl  verdrängten  oder  mit  ihr  verschmolzen". 
Kennzeichen  hierfür  sind  die  Begräbnisse  in  Form  der  sogenannten 
reinen  Brandgruben  ohne  Umenbehälter,  ein  ursprünglich  im 
Alpengebiet  entstandener  und  von  dort  nach  Bornholm  gelangter 
Grabritus,  der  sich  von  hier  aus  zunächst  über  Hinterpommern  und 
Westpreußen  ausbreitet,  in  der  Folgezeit  aber  auch  auf  die  südlich 
angrenzenden  Gebiete  (Riedebeck,  Kreis  Luckau  und  Straupitz,  Kreis 
Lübben)  übergeht  und  in  der  östlichen  Lausitz  (Homo,  Reichersdorf, 
Sadesdorf,  Kreis  Guben)  in  römischer  Zeit  sogar  herrschend  wird. 
Diesen  Auswandemngen  aus  Bornholm  entspricht  auch,  wie  ich  einer 
brieflichen  Mitteilung  des  Präsidenten  der  Dänischen  Archäologischen 
Gesellschaft,  Herrn  Vedel,  entnehme,  eine  Abnahme  der  archäologischen 
Hinterlassenschaft  Boraholms  aus  den  späteren  Perioden.  Denn  während 
sich  aus  den  älteren  Zeitabschnitten  viele  Tausende  von  Brandgräbern 
mit  Gürtelhaken  und  groben  eisernen  Fibeln  erhalten  haben  (Kenner- 
gard und  Mendhäi  an  der  Westküste  und  Mandhei  an  der  Ostküste), 


I)  z.  f.  EUi.  1905,  H.  3. 


—     303     — 

macht  sich  schon  in  der  späteren  La-Tene-Zeit  eine  ziemlich  bedeutende 
Verminderung^  der  Funde  bemerkbar,  obschon  selbst  aus  spätrömischer 
Zeit  noch  zahlreiche  Brandplätter  vorhanden  sind. 


Anhang 

Der  Nachweis,  daß  der  Bestand  an  Funden  im  mittleren  Elbegebiete 
tatsächlich  der  von  mir  behauptete  ist,  würde  am  besten  durch  eine  F  u  n  d  - 
karte  erbracht  werden.  Da  aber  die  Gelegenheit  fehlt,  eine  solche  hier 
mitzuteilen,  so  muß  ich  mich  mit  emer  Zusammenstellung  der  Tatsachen 
begnügen  '). 

Im  Königreich  Sachsen  sind  bisher  an  1 6  verschiedenen  Punkten  La- 
T^e-zeitliche  Grabfunde  gemacht  worden,  und  zwar  in  Groitzsch,  Knauthain, 
Grobem,  Markleeberg,  Lösnig,  Connewitz  bei  Leipzig,  in  Dehnitz  bei 
Wmzen,  Höfgen  bei  Grimma,  Bobersen  bei  Riesa,  Seebschütz  und  Nieschütz 
bei  Meißen,  in  Stetzsch,  Brießnitz,  Dresden-Löbtau,  Dresden-Pfotenhauerstraße 
und  endlich  in  Heidenau.  Von  diesen  Gräberfeldern  weisen  Groitzsch, 
Knauthein,  Lösnig,  Markleeberg,  Connewitz,  Dehnitz,  Höfgen,  Seebschütz, 
Nieschtitz,  Stetzsch  und  Brießnitz  ausschließlich  Früh-La-T^ne-Zeit-Fibeln  auf. 
Fibeln  der  Mittel-La-T^e-Zeit  fanden  sich  je  eiimial  in  Heidenau,  Dresden- 
Pfotenhauerstraße,  Löbtau  imd  Cröbera.  (Briefl.  Mit.  d.  Herrn  Hofrat  Deich- 
müUer).  Hier  außerdem  eine  Schieberspange,  die  jedenfalls  schon  der  jüngsten 
La-T^e-Stufe  angehört.  (N.  M.  Bd.  IV  S.  14.)  Reine  Jung-La-T^ne-Typen 
hat  bisher  erst  ein  einziger  Grabfund  geliefert,  nämlich  der  von  Bobersen 
(Mus.  zu  Grimma;  Z.  f.  £.  1899  S.  657).  Außer  diesen  Grabfunden  ist  mir  noch 
eine  Siedelungsstätte  bei  Günthersdorf  westlich  Leipzig  bekannt.  Endlich 
existiert  noch  eine  Reihe  von  Einzelfunden,  deren  genaue  Zeitbestimmung 
aber  wohl  kavun  möglich  ist.  Nur  ein  jüngst  in  der  Nähe  von  Mutschen  ge- 
fundenes   Fragment   einer   westgermanischen   Mäanderume    gehört  —  wenn 

i)  Um   den   Hinweis   auf  die    einschlägige    Literatur   zu   vereinfachen,    werden    im 
nachstehenden  folgende  Abkürzungen  der  Titel  angewandt. 

Z,  f.  E.  =  Zeitschrift  für  Ethnologie ;  Organ  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthro- 
pologie,  Ethnologie  u.  Urgeschichte;  Berlin. 

N,  A.  's^  Nachrichten  über  deutsche  Altertumsfunde;  Ergänzungsblätter  der  Z.  f.  Ethn. 
Berlin. 

B.  V.  M.  =-  Kgl.  Museum  für  Völkerkunde,  Berlin. 

J,  S,  T,  "»  Jahresschrift  für  Vorgeschichte   der  Sächs.-Thüringischen  Länder,  Halle, 
O.  Hendel. 

ündset  «a  Undset:  Das  erste  Auftreten  des  Eisens  in  Nord-Europa. 

G,  M.  =»  Anzeiger  des  Germanischen  Naüonal-Museums  in  Nürnberg. 

Z.  H,  V,  =  Zeitschrift  des  Harzvereins  für  Geschichte  u.  Altertumskunde. 

M,  a.  P.  Haue  =  Mitteilungen  aus  dem  Provinzial-Museum  zu  HaUe ;  O.  Hendel,  Halle. 

Brandenbwgia  «=  Archiv   der   Brandenborgia ,  Gesellschaft   für  Heimatkunde   der 
Provinz  Brandenburg  zu  Berlin. 

N,  M.  ^  Mitteilungen  der  Niederlausitzer  Gesellschaft  für  Anthropologie   und  Ur- 
geschichte. 

F.  u,  St.  o"  Vofs  n.  Stimming,  Altertümer  der  Mark  Brandenburg,   1S87. 

F.-,  Jtf.-,  S.'X.'T,  -=  Früh-,  Mittel-,  Spät-La-T^ne. 


—     304     — 

nicht  einer  noch  späteren  2^it  —  dem  Ende  der  La -T^e- Periode  an. 
Dahin  rechne  ich  endlich  auch  die  Funde  von  dem  Wall  im  Oberholz  von 
Threna  (Z.  f.  E.  1901). 

Jedenfalls  sehen  wir,  daß  die  spätere  La-T^ne-Zeit  in  Sachsen  gegenüber 
den  früheren  Abschnitten  äußerst  spärlich  vertreten  ist,  namendich  wenn  man 
bedenkt,  daß  es  sich  bei  diesen  um  ganze  Gräberfelder  mit  einer  mehr  oder 
weniger  großen  Zahl  von  Einzelgräbem  handelt.  Auch  die  mittlere  La- 
T^ne-Zeit  ist  nur  dürftig  vertreten,  obschon  nach  den  Untersuchungen  Reineckes 
einige  der  als  Früh-La-Ttee  angesprochenen  Gräber  vielleicht  noch  auf  die 
mittlere  Periode  fallen. 

Ganz  ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  in  den  südwestlichen  Teilen  der 
Provinz  Brandenburg  und  der  westlichen  Niederlausitz. 

Hier  liegen  mir  nähere  Nachrichten  vor  aus  dem  Kreis  Luckau  von: 
Alteno  (N.  M.  IV  S.  1 13);  Friedersdorf  (N.  M.  IV  113);  Giesmannsdorf  (Gräber- 
feld: segelf.  Ohrringe;  eiserne  GürtelhiJcen ;  Nadel  m.  ellipt.  Knopf;  N.  M.  IV 
129);  Krossen  (ebenda);  Gehmlitz  b.  Golßen  (Z.  f  E.  18.  Jg.  1886  S.  597); 
Landwehr  (eiserne  Gürtelhaken;  segelf.  Ohrrbge;  Perlen  N.  M.  IV  125) 
Luckau  Stadt  (segelf.  Ohrringe  Z.  f.  E.  37,  Jg.  05  S.  389);  Niewitz  (Gräberf.; 
Übergang  zu  provinzialröm.  Formen  N.  M.  IV  S.  98  u.  126);  Sagritz  (M.-L.-T.- 
Fibel,  Gürtelhaken,  Schieberspange;  N.  M.  IV  127);  Paserin  (F.-L.-T.-Fibel 
u.  Messer;  Z.  f.  E.  37.  Jg.  05  S.  389);  Wierigsdorf  (Gürtelhaken;  N.  M.  IV 
S.  127);  Züllmersdorf  (pers.  Notiz  d.  Herrn  Prof.  Jentsch);  Kümmritz  (eiserne 
Gürtelhaken  wie  von  Mittenwalde;  Undset  S.  198  Taf.  XX  12). 

Kreis  Kalau:  Ragow  (Gräberf.;  segelf.  Ohrringe;  eiserne  Gürtelhaken; 
Nadehi,  Fibeln  von  F.-  u.  M.-L.-T.-Typus ;  N.  M.  IV  S.  100);  Stöbritz  (ebenda 
S.  101). 

Kreis  Sorau:  Witzen  (Bronzedepotf.  der  Übergangsz.  v.  Hallstatt  zu 
L.-T.  N.  A.  4.  Jg.  1904  S.  46);  Forst  Pforten  (M.-L.-T.-Fibel ;  N.  M.  IV  127); 
Zauchel  b.  Pforten  (Vasen-  u.  Plattennadeln;  N.  A.  6.  Jg.  1896  S.  44) ;  Liebsgen 
(Eisenbeil,  vielleicht  schon  prov.-röm.  N.  M.  IV  128). 

Kreis  Guben:  Koschen  (Gräberf;  Fibeln;  Gürtelhaken,  Spangen  v.  F.- 
u.  M.-L.-T.-Typus;  N.  M.  IV  102);  Stadt  Guben,  Wmdmühlenberg  (Gräberf. 
der  M.-  u.  S.-L.-T.-Zeit ;  eiserne  Fibeln;  Gürtelhaken;  Schieberspangen;  Schar- 
niergürtelhaken; Riemenzunge;  Glasperlen  m.  gelben  Inseln  usw.;  N.  M.  IV 
104);  Stadt  Guben,  Kaniger  Str.  (Urne  von  Spät-L.-T.-Zeitform  m.  weiden- 
blattf.  Lanzenspitze  wie  von  Sadersdorf;  N.  M.  IV  104);  Stadt  Guben,  Bösitzer 
Straße  (Begräbnisplatz  der  älteren  L.-T.-Zeit;  N.  M.  IV  105);  Haaso  (Grabf. 
bronz.  Gürtelhaken;  geschlossener  Armring;  Fibeln  m.  zurückgeschlagenem 
Fuß;  N.  M.  IV  105);  Liebesitz  (Grabf  m.  M.-L.-T.-Fibel;  Z.  f.  E.  20.  Jg.  1888 
S.  435  u.  N.  M.  IV  106);  Sadersdorf  (Grofses  Gräberf.:  bronzene  u.  eiserne 
Fibeln  von  M.-  u.  S.-L.-T.-Form;  halbkreisf.  Schnallen;  Dolchmesser;  Messer- 
schärfer; Messer;  Beil  ähnlich  dem  von  Niewitz;  Gürtelhaken  u.  Schamier- 
gürtelhaken ;  Schieberspange ;  M.-L.-T.-Fibeln  vorherrschend ;  N.  M.  IV  S.  i  ff.) ; 
Schlagsdorf  (Grabf.  mit  M.-L.-T.-Fibel ;  N.  M.  IV  120);  Wirchenblatt  (Gräberf. 
d.  M.- u.  S.-L.-T.-Zeit;  M.-L.-T.-Fibeln  vorherrschend;  eiserne  Gürtelhaken; 
Schamiergürtelhaken ;  Lanzenspitze  mit  scharfkantiger  Mittelgräte;  N.  M.  IV 
S.  121). 

Kr.  Lübben:  Schlepzig  (Gräberf.  v.  6.  bis  in  das  4.  Jh.  v.  Chr.;  N.  A. 


I 


—     305     — 

8.  Jg.  1898  S.  67);  Straupitz  (Speerspitzen,  Beil,  Messer,  Messerschärfer,  Trense, 
Übergangszeit  zu  prov.-röm.;  N.  M.  IV  S.  122);  Weichersdorf  (M.-L.-T.-Fibel ; 
Not.  d.  Herrn  Prof.  Jentsch);  EUerbom  (nähere  Ang.  fehlt;  Z.  f.  E.  n.Jg. 
1879  S.  597);  Lieberose  (Eisenringe;  Spirale  m.  Dom  u.  Sehne  einer  eis. 
Fib.;  ebenda). 

Kr.  Kottbus:  Burg  (Glasperle  N.  M.  IV  S.  102)  u.  eine  Eisenaxt  v.  unbek. 
Fundort  (N.  M.  IV  102). 

Kr.  Züllichau-Schwiebus :  Krummendorf  b.  Züllichau  (Gräberfeld :  bronzene 
Schnallen,  eiserne  Nadeln;  Gewinde  einer  F.-L.-T.-Fibel ;  Golddraht;  Z.  f.  E. 
II.  Jg.  1879  S.  222). 

Kr.  Stemberg:  Kampitz  (Gräberfeld;  eiserne  M.-  u.  S.-L.-T.-Fibel ;  Sporn; 
Schildbuckel;  Schamiergürtelhaken ;  Z.  f.  E.  11.  Jg.  1879  S.  373)- 

Kr.  Lebus :  Neu-Hardenberg  (geschlossener  Bronzearmrmg  mit  Gruppen 
von  Knöpfen;  B.  M.  V.  If.  3238);  Markendorf  (ebenda  II  10  195);  Grofs- 
Nauendorf,  Senlow,  Kienwerder,  Zechin  (briefl.  Mitt.  d.  Herrn  Herrn.  Busse). 

Kr.  Königsberg:  Grenzhof  b.  Königsberg  (Depotfund;  Ring  m.  schalen- 
fbmiigen  Endknöpfen;  Undset  205);  Hohenwutzow  (Gräberfeld:  M.-L.-T.- 
Fibel;  segelf.  Ohrringe;  dreiteil.  Schamiergürtelhaken;  Z.  f.  E.  37  Jg.  1905 
S.  389;  Undset  XXI,  7);  Neuenhagen  (Westgerm.  Fund  der  frühen  L.-T.- 
Zeit;  Z.  f.  E.  37.  Jg.  1905  S.  389). 

Außerordentlich  groß  ist  die  Zahl  der  L.-T. -Zeit-Funde  weiter  nördlich 
an  der  mittleren  Havel.  Abgesehen  von  zahlreichen  Einzelfunden  ist  aus 
diesem  Gebiete  eine  sehr  große  Anzahl  von  Gräberfeldem  bekannt  geworden, 
die  teilweise  eine  sehr  bedeutende  Ausdehnimg  besitzen  imd  größtenteils  in 
dem  Werke  von  Voß  und  Stimming  zusammengefafst  sind.  Sie  verteilen 
sich,  wie  es  scheint,  auf  die  drei  L.-T.-Perioden  ziemlich  gleichmäßig.  Die 
wichtigsten  sind: 

Kr.  2^uch-Belzig :  Rietz,  Holzberg  (Gräberfeld :  Segelohrringe ;  F.-L.-T.- 
Fibeln;  Knöpfe  m.  Ösennadeln  usw.;  V.  u.  St.  III  Taf.  14 — 16);  Krielow, 
Weinberg  (Gräberfeld :  S-förmige  Eisennadeln  mit  hohlspiegelf.  Bronzescheibe ; 
segelf.  Ohrringe;  Messer;  Gürtelhaken;  Knochenplatte  m.  konzentr.  Kreisen ; 
Halsring;  Fibeln  von  M.-  u.  bes.  S.-L.-T.-Typus ;  V.  u.  St.  IVa  Taf.  i  bis  3); 
Bochow  (Gräberfeld:  Ohrringe  aus  getriebenem  Bronzeblech  u.  segelförm. 
Ohrringe  m.  Perlen ;  Nadeln,  Gürtelhaken,  Eisenfibeln  von  M.-  bzw.  S.-L.-T.- 
Typus;  V.  u.  St.  IVa  Taf.  12  u.  13);  GoUwitz  b.  Gr.-Wusterwitz  (Gräberfeld: 
kahnförm.  Bronzeohrringe;  Gürtelhaken;  Bronzeschmuck  m.  Spiralscheiben; 
Eisennadel  mit  mnder  Knaufplatte;  vorwiegend  M.-L.-Typen;  V.  u.  St.  IVa 
Taf.  14);  Werder  (Depotf.:  Ringe;  Halsschmuck;  Fibel  m,  breiter  offener 
Platte;  Schaftzelte;  Sicheln;  Nadeki;  Bmchstück  eines  L.-T.-Halsringes ;  eis. 
Gürtelhaken;;  F.-L.-T.-Fibel;  V.  u.  St.  IVa  Taf.  15);  Golzow,  Galgenberg 
(Gräberfeld:  Segelohrringe;  Gürtelhaken;  V.  u.  St.  IVb  Taf.  15);  Ragösen, 
Bullenberg  (Gräberfeld:  kahnf.  Ohrringe;  eiseme  Fibeln  von  F.-  u.  M.-L.-T.- 
Typus ;  V.  u.  St.  IVb  Taf.  1 6) ;  Derwitz  (Gräberfeld :  eis.  zusammengebogenes 
Schwert;  eis.  Speerspitze;  Bronze-  u.  Eisenfibeln  v.  M.-  u.  hauptsächlich 
S.-L..T.-Typus ;  V.  u.  St  IVb  Taf.  17);  Neue  Burg  b.  Gr.-Derwitz  (Grabfund; 
briefl.  Mitt.  d.  Herrn  Herm.  Busse);  Grebs  b.  Lohnin  (Gräberfeld  gleichaltrig 
mit  Ragösen  usw.  Undset  200). 

Kr.  Prenzlau:  Prenzlau  (Einzelfimde   der  F.-  u.  M.- L.-T. -Zeit;   briefl. 


—     306     — 

Mitt.  des  Kustos  des  Uckermärkischen  Mus.  Herrn  v.  d.  Hagen);  Ltibbenow 
(ßronzenadel  ähnl.  der  von  Fehrbellin  Z.  f.  E.  1884  S.  41). 

Kr.  Ost-Priegnitz :  Demerthin  (Gräberfeld:  Typische  S.-L.-T.-Gefölse  mit 
scharf  profiliertem  Rand;  eis.  Schwert  u.  Lanzenspitze;  Schildbuckel;  Gürtel- 
haken; Übergang  zu  prov.-röm. ;  Z.  f.  E.  22.  Jg.  1890  S.  530);  Luggendorf 
(ringf.  Bronzeschnalle;  B.  M.  V.  II  6718);  Trieglitz  (Pferdetrensen;  Ortband 
einer  Schwertscheide ;  Pferdegebifs,  zus.  mit  nordischen  Tutuli  in  einem  Grabe 
gef. ;  vielleicht  noch  hallstattzeitl. ;  Undset  S.  193  u.  Taf.  XX  5,  Taf.  XII  3, 
XX  11). 

Kr.  West-Priegnitz:  Posllin  (Gräberfeld  vom  Ende  der  S.-L.-T.-  bis 
zur  Völkerwanderimgszeit ;  N.  A.  6.  Jg.  1896  S.  56);  Lenzen  (Schwanenhals- 
nadel mit  vertieftem  Kopf;  Undset  189  u.  Taf.  XIX  5). 

Kr.  Templin:  Storkow  (großes  Gräberfeld  der  beiden  älteren  L. -T.- 
Perioden; briefl.  Mitt.  d.  Herrn  v.  d.  Hagen);  Zchdenik  (Gräberfeld:  Messer, 
Speerspitzen,  Nadeln,  Pfeilspitzen;  eis.  Gürtelhaken;  schalenf.  Ohrringe  usw. 
Undset  201);  Hohensathen (dreiteil.  Gürtelhaken  v.  S.-L.-T.-Typus;  Undset  204). 
Kr.  Angermünde :  Schmiedeberg  b.  Greiffenberg  (grofses  Gräberfeld  der 
beiden  älteren  Per.;  briefl.  Mitt.  d.  Herrn  v.  d.  Hagen). 

Kr.  Potsdam:  Potsdam  (Brandgrab  a.  d.  i.  Jh.  v.  Chr.;  Über  Land 
u.  Meer  1904  No.  3164);  Nähe  der  Kommune  b.  Potsdam  (Halsring  mit 
petschaftähnl.  vertieften  Enden  u.  perlenf.  Wülsten;  Z.  f.  E.  24.  Jg.  1892 
S.  464);  Neues  Palais  (zwei  dgl.  Undset  204). 

Kr.  Beeskow-Storkow:  Willmersdorf  (großes  Gräberfeld  v.  1000  v.  bis 
3.  Jh.  n.  Chr.  N.  A.  10.  Jg.  1900  S.  9);  Storkow. 

Kr.  Ruppin:  Zühlen  (Gräberfeld:  Ohrringe;  Gtirtelhaken;  Bronze-  und 
bes.  Eisenfibeln  von  vorwiegend  S.-L.-T.-Typus;  Undset  201);  Bienenwalde 
b.  Rheinsberg  (großes  Gräberfeld:  segelf.  Ohrringe  m.  Glasperlen;  L.- T.- 
Fibeln von  M.-  u.  S.-Typus;  Undset  200/1);  Wustrau  b.  Neu-Ruppin  (Gräber- 
feld, vielleicht  noch  hallstattzeitl.;  Undset  200);  ICarve  (Torques;  Z.  f.  E. 
16.  Jg.  1884  S.  39);  Feldmark  Grüneberg  (Gräber  m.  Steinpackung;  Bronze- 
halsring; Nadeln  mit  angenieteten  kreuzf.  Köpfen;  eis.  Gürtelhaken;  Z.  f.  E. 
24.  Jg.  1892  S.  463);  Bauschendeil  (Brandenburgia  10.  Bd.  1904  Taf.  XXI); 
Wall  b.  Karve  (Halsring  m.  schalenf.  vertieften  Enden  u.  eis.  Gürtclhaken; 
Undset  204). 

Kr.  Ober -Barnim:  Biesental  (Hüttenbewurf;  GeMreste;  Bronzenadel; 
durchbohrte  Mahlsteine;  N.  A.  14.  Jg.  1904  S.  12);  Forsthaus  Blumental 
b.  Biesental  (durchbohrte  Mahlsteine;  ebenda  S.  13);  Hennickendorf,  Buckow 
(Gräberfeld  gleichaltrig  mit  Ragösen;  Undset  S.  200). 

Kr.  Ost -Havelland:  Eichstädt  (Gräberfeld  mit  M.-  u.  S.-L.-T. -Typen 
Z.  f.  E.  24.  Jg.  1892  S.  464);  Vehlefanz  (Gräberfeld:  Armringe,  Gürtelhaken, 
eis.  Nadeln  usw.;  S.-L.-T.;  ebenda);  Ketzin  (Trichtergruben  u.  germanische 
Brandumen;  Zeit  unsicher;  N.  A.  12.  Jg.  1902  S.  16);  Ketzin,  Havelbett 
(Pferdegebifs;  bronz.  Halsring;  eis.  Schwert  mit  eis.  Scheide;  N.  A.  1902 
S.  55);  Sakrow-Perezer-Kanal  (Zaum  wie  der  vorhergehende;  ebenda  S.  56); 
Fehrbellin  (Bronzenadel  mit  aufgenieteten  Köpfen;  Z.  f.  E.  16.  Jg.  1884); 
Kremmen  (Zierplatten  ähnl.  denen  von  Eichstädt;  Undset  205). 

Kr.  West -Havelland:  Fohrde  n  (Urnengräberfeld  mit  F.-L.-T.-Typen ; 
V.  u.  St.  III  Taf.   I  u.  2);  Fohrde  I  (großes  Gräberfeld;  segelf.  Ohrringe; 


—     307     — 

Gürtelhaken,  AnnriDge,  Lanzenspitze,  M.-  und  S.-L.-T.-Fibeln ;  V.  u.  St.  IV 
und  IVa  Taf.  7  bis  11);  Klein -Kreutz,  Krufiberg  (Gräberfeld;  F.-L.-T.; 
V.  u.  St.  m  Taf.  3);  Brandenburg  a.  Havel  (Gräberfeld;  Nadeln,  Pfeilspitzen 
usw.  V.  u.  St  ni  Taf.  4  u.  5);  Radewege,  Mtihlenberg  (Gräberfeld;  L.-T.- 
Umen ;  Messer,  Armringe,  imitierter  Wendelring,  Pinzette,  Nadeln  m.  näpfchenf. 
Knäufen  u.  S-förmigem  Hals;  V.  u.  St.  III  Taf.  6  bis  11);  Butzow,  Moses- 
berg (Gräberfeld:  Armringe;  Nadeln  mit  S-förm.  Hab;  V.  u.  St.  III  Taf.  12 ; 
Klein-Kreutz,  Rohrberg  (Gräberfeld;  V.  u.  St.  III  Taf.  13);  Butzow,  hinter 
dem  Mosesberg  (Gräberfeld :  Hirschhomkamm  mit  konzentr.  Kreisen ;  Schmuck- 
stücke m.  Spiralscheiben;  eis.  Nadeln  mit  großen  Bronzescheiben;  Segelohr- 
jinge;  Gürtelhaken;  Fibeln  von  M.-  und  S.-L.-T.-Typus;  V.  u.  St  IVa  Taf.  4 
bis  6);  Fohrde  I  (Gräberfeld:  Segelohrringe;  Gürtelhaken;  Fibeln  von  M.-, 
aber  vorwiegend  S.-L.-T.-Typus;  V.  u.  St.  IVa  Taf.  7  bis  11)  Friesak 
(Gräberfeld:  Fibeln  u.  Gtirtelhaken  v.  M.-  u.  S.-L.-T.-Typus;  Z.  f.  E.  15  Jg. 
1883  S.  727);  Zootzen  b.  Friesak  (Bronzetorques ;  hallstattzeid. ?  ebenda); 
unbekannter  Fundort  (Urnen  d.  älteren  L.-T.-Zeit;  Mus.  zu  Neu-Brandenburg 
No.  2  1X2,  2 113). 

Kr.  Teltow:  Tempelhof  (Gräberfeld  ähnl.  dem  von  Lichtenfelde ;  Ohr- 
ringe, Bronzeblech  m.  Perlen;  eis.  Nadeln  u.  Fibeln;  M.-L.-T. ;  Undset  aoi); 
Teltow  (Halsring  m.  vertieften  petschaftähnl.  Enden  u.  perlenartigen  Wülsten ; 
Gürtelhaken;  Undset  204);  Ragow  (segelf.  Ohrringe;  Z.  f.  E.  37.  Jg.  1905 
S.  389);  Rudow  (dgl.);  Radow  b.  Berlin  (Gürtelhaken;  Bronze-  u.  Eisennadeln- 
Undset  S.  198  u.  Taf.  XIX  10);  Mittelwalde  (Gürtelhaken;  Nadehi;  Undset 
S.  198  u.  Taf.  XX  12);  Groß -Lichterfelde  (Gräberfeld:  Armbänder,  Segelt 
Ohrringe,  Nadel,  Gürtelhaken,  M.-L.-T.-Fibeln;  Z.  f.  E.  11.  Jg.  1879  S.  342). 

Kr.  Nieder-Barnim :  Woltersdorf  und  Rüdersdorf  (beides  ältere  Gräber- 
felder, die  jedoch  schon  dem  L.-T.-Typus  nahe  konmiende  Gefäße  aufweisen; 
briefl.  Mitt.  d.  Herrn  Busse);  Insel  Reihenwerder  im  Tegeler  See  (Gräberfeld: 
Urnen  u.  2  Mahlsteine;  briefl.  Mitt.  d.  Herrn  Busse);  Niederschönhausen 
(Fibel,  Fußende  in  Tierkopf  endend,  Bügel  m.  menschl.  Gesichtern  verziert; 
Undset  Taf.  XXII  11). 

Auch  in  dem  nördlich  angrenzenden  Großherzogtum  Mecklenburg- 
Strelitz  ist  em  Unterschied  der  L.-T.-Funde  der  einzelnen  Perioden  nicht  nach- 
weisbar. Bekannt  sind  folgende  Fundstellen:  Kl.-Helle  (Umenfriedhof  der  F.-L.- 
T.-2>it ;  Mus.  Neu-Brandenburg,  Nr.  1 9  3  2  ff.) ;  Friedland-Neubrandenburger Eisen- 
bahn( großes  Gräberfeld  mit  Leichenbrand ,  Bronzeringe,  Eisen-  und  Bronzefibeln 
mit  blutrotem  dmaü  usw.;  ebenda  Nr.  1453  ff.);  Mölln  (Gräberfeld,  Gefäße 
teilw.  auf  Drehscheibe  geformt;  ebenda  2070  ff.);  Trotwiese  b.  Neu-Branden- 
burg (Bronzefibel  mit  rückwärts  geschlagenem  Fuß ;  ebenda  150);  Gr.-Nemo- 
row  (Grabfund  mit  Bronzenadel  ebenda  809);  Grünow  (Grabfimd,  Bronze- 
fibel und  Perlen  aus  farbigem  Glasfluß;  ebenda  1005a  u.  b);  Melchin-Warener 
Chaussee  (Gürtelhaken  von  Eisen;  ebenda  1543). 

In  der  Provinz  Sachsen  und  dem  Herzogtum  Anhalt  finden  sich 
in  den  rechtssaalischen  imd  rechtselbischen  Kreisen  fast  ausschließlich  Gräber- 
felder mit  F.-  u.  M.-L.-T  .-Formen,  während  in  den  westlichen  imd  nördlichen 
Kreisen  dieses  Vorherrschen  der  älteren  Typen  nicht  bemerkbar  ist.  Die 
wichtigsten  Fimdorte  in  diesem  Gebiete  sind: 

Kr.  Neu-Haldensleben :  Bülstringen  (großes  Gräberfeld  aller  drei  Perioden ; 

22 


—     308     — 

Segelohrrmge;  Nadeln;  Annringe;  Gürtelbleche;  Gürtelhaken;  Messer;  Perlen; 
Bronze-  und  £isenfibeln  der  ältesten  bis  jüngsten  L.-T.-Zeit.  Mittlere  u.  Spät- 
formen  überwiegen.     Z.  f.  E.  27.  Jg.   1895,  S.  121). 

Kr.  Kalbe:  Kalbe  a.  S.  (Bronzenadel  m.  rechteckiger  Kop^latte,  die 
mit  zwölf  kleinen  Kegeln  besetzt  ist;  B.  M.  V.  II  4 141). 

Kr.  Jerichow  I:  Leitzkau  b.  Prödel  (Gräberfeld;  L.-T.-Fibehi  vorwiegend 
vom  Schema  I.  N.  A.  5.  Jg.  1895  S.  87);  Althaus  Leitzkau  (Gräberfeld*, 
segeiförmige  Ohrringe;  M.-L.-T-Fibeln ;  N.  A.  6.  Jg.  1896  S.  83);  Schermen 
(Gräberfeld.  Segelf.  Ohrringe;  M.-L.-T.-Fibeln  usw.;  mit  Plötzky,  Leitzkau, 
Heidenburg,  Hohenwarte  u.  a.  gleichaltrig;  J.  S.  T.  Bd.  3,  1904  S.  140) 
Plötzky  (Gräberfeld=«Schermen ;  N.  A.  14.  Jg.  1904S.  84);  Heyrotsberga  (großes 
Gräberfeld;  Fibeln  wie  von  Schermen;  gelbes  u.  blaues  Glas;  Kämme; 
Umenharz  N.  A.  6.  Jg.  1896  S.  81);  Hohenwarte  b.  Bülstringen  (Gräberfeld; 
M.-L.-T.-Fibehi  N.  A.  5.  Jg.  1895;  J.  S.  T.  Bd.  3  S.  140);  Eulenmühle b.  Bück- 
nitz  (Gräberfeld :  Gefäße  meist  noch  Lausitzer  Typus ;  Segelohrringe,  Nadeln,. 
Gürtelhaken,  Halsring  mit  petschaftähnlichen  Enden;  F.-  u.  M.-L.-T.-Fibeln; 
N.  A.  IG.  Jg.  1900  S.  57);  Ziesar  (Bronzezaumkette  wie  von  Potsdam;  Z.  f.  E. 
24.  Jg.  1892  S.  464);  Buden  (N.  A.  5.  Jg.  1895). 

Kr.  Jerichow  II:  Scharteuke  b.  Genthin  (Gräberfeld:  segelf.  Ohrringe; 
Schwanenhalsnadeln.  Grade  Nadeln  aus  Eisen  mit  Bronzeknopf;  Tonlöflfel; 
Gürtelhaken;  Bronzeberlocken;  M.- u.  S.-L.-T.-Fibeln) ;  Schmetzdorf  (Gräber- 
feld :  segelf.  Ohrringe ;  Ösenringe ;  Gürtelhaken ;  Bronzeringe  mit  Eisenzwingen ; 
große  Eisenfibel  von  M.-L.-T.-Form,  die  nach  Reinecke  jedoch  schon  S.-L.-T, 
ist;  Z.  f.  E.  20.  Jg.  1888  S.  53);  Schollene  (mehrere  Gräberfelder:  Ohrringe; 
Bronzemesser;  Nadeln;  Ringe;  eis.  Gürtelhaken;  blaue  Glasperlen  usw.; 
F.-  u.  M.-L.-T.-Typen;  Undset  231). 

Kr.  Stendal:  Tangermünde  (großes  Gräberfeld:  segelf.  Ohrringe  mit 
blauen  Glasperlen;  eis.  Gürtelhaken  u.  Gürtelschloß;  Z.  f.  E.  15.  Jg.  1883  S.  369 
u.  16.  Jg.  1884  S.  332);  Ameburg  I  (Gräberfeld  m.  Segelohrringen  u.  Fibeln 
vom  Schema  II  Z.  f.  E.  18.  Jg.  1886  S.  310);  Ameburg  II  (dgl. ;  J.  S.  T» 
Bd.  3  S.  140);  Ameburg  (Wohnstätten  der  F.-,  M.-  u.  S.-L.-T.-Zeit ;  28.  Jg. 
B.  des  Altmärksch.  Ver.  f.  Vaterl.  Gesch.  u.  J.  S.  T.  Bd.  i  S.  245);  Badingen  b. 
Stendal  (Gräberfeld:  ähnl.  dem  von  Windmühlenberg  bei  Guben,  N.  M.  Bd.  IV^ 
S.  103);  Senne  a.  Kbei  Stendal  (Gräberfeld:  ähnlich  dem  von  Cheine; 
Überg.  zu  prov.-röm.  Undset  S.  234). 

Kr.  Salzwedel:  Ferchau  (Hügelgräber  der  Hallstatt-  u.  F.-L.-T.-Zeit; 
G.  M.  1892  S.  62);  Gr.  Chüden  b.  Salzwedel  (Gräberfeld  der  S.-L.-T.-Zeit; 
ebenda  S.  62);  Vitzke  (dgl;  Globus  Bd.  70  Nr.  17);  Güsselfeld  (großes 
Gräberfeld:  zusammengebogenes  Schwert;  La-T^ne-Kette;  auch  schon  Mäander- 
uraen  Undset  S.  230);  Perver  b.  Salzwedel  (Gräberfeld;  Eisenmesser;  Bronze- 
beschläge; Nadeln;  S.-L.-T.-Fibeln  u.  auch  schon  römische  Fibeln;  N.  A.  1904 
S.  82);  Kricheldorf  I  (Gräberfeld  mit  350  Gräbern);  Kricheldorf  U  (Gräber- 
feld m.  400  Gräbem ;  Leichenreste  teils  in  Umen,  teils  ohne  solche  in  Erd- 
löchem  beigesetzt;  Dauer  beider  Gräberfelder  angeblich  von  400  v.  Chr.  bis- 
100  n.  Chr.,  doch  scheinen  M.-L.-T.-Typen  vorzuwiegen;  Arch. f.  Anthrop.  1903 
S.  206  u.  J.  S.  T.  Bd.  3  S.  199);  Cheme  (großes  Gräberfeld;  Schildfesseln; 
Fibeln  z.  T.  schon  prov.-röm.;  Umenharz;  Übergangszeit  von  S.-L.-T.  zu 
prov.-röm.  Undset  S.  233);  Hennmgen,  Wieblitz,  Altensalzwedel,  Gr.-Gischaa 


—     309     — 

(nähere  Angaben  fehlen;  briefl.  Mitt.  d.  H.  Konsuls  Zechlin,  Konserv.  der 
Samml.  d.  Altmärksch.  Gesch.-Ver.) ;  Ptiggen  (ähnl.  Gräberf.  wie  Cheine ;  Und- 
set  233);  Kahrstedt  (Gräberf.  von  gleichem  Typus;  Undset  234)  Gr.  Apen- 
burg  (Wendelring  m.  Hakenverschluß;  B.  M.  V.  II  10537). 

Kr.  Osterburg:  Lohne  (Gräberfeld:  Gürtelhaken;  segelf.  Ohrringe;  Hals- 
ringe m.  petschaftähnl.  Enden ;  Bronze-  u.  Eisenfibeln  von  M.-  u.  S.-L.-T.-Typus ; 
Undset  S.  229/230). 

Kr.  Oschersleben:  Oschersleben  (Gräberfeld  mit  gleichem  Inhalt  wie 
Schennen,  Plötzky  usw.  J.  S.  T.  Bd.  3  S.  140);  Quedlinburg  I  (Schieberspange ; 
N.  M.  rV  S.  14);  Wilsleben  (Umenfeld;  Deckelumen,  gekröpfte  Bronzenadel, 
Rollenfibel,  Eisenbeil.  Z.  f.  E.  16.  Jg.  1884  S.  142);  Quedlinburg  II  (Grab- 
fimde:  T.-Fibel  mit  Eisenring,  Bruchstücke  einer  Bronzekette  von  L.-T.-Typus, 
Undset  S.  2  2  7) ;  Boxorenschanze  b.  Quedlinburg  (Grabfimd :  zusammengebogenes 
Eisenschwert  u.  Scheidenbeschlag;  Eisenmesser;  rückwärtsgebogene  Fibeln; 
Undset  S.  227). 

Kr.  Wernigerode:  Silstedt  b.  Wernigerode  (Brandgrab  m.  emer  eis.  u. 
bronz.  S.-L.-T.-Fibel ;  das  Gefäß  nähert  sich  schon  der  Technik  der  Mäander- 
umen;  briefl.  Mitt.  des  Herrn  Prof.  Höfer). 

Saalkreis:  Müchehi  b.  Wettin  (Gräberfeld,  segelf.  Ohrringe;  Nadebi; 
Bronzeknöpfe;  wulstige  Armringe;  onyxartige  Augen;  Gürtelhaken  mit  Platten. 
Knöpfen;  S.-L.-T.-Fibeln ;  J.  S.  T.  Bd.  3  S.  61);  Löbejun  b.  Halle  (Hügel- 
grab; Gürtelhaken  von  Bronze;  L.-T.-Fibeln,  davon  eine  mit  plattenartigem  Bügel; 
Undset  S.  225  u.  Taf.  XXIII  Fig.  3);  Giebichenstein  (Gräberfeld  u.  Wohnstätten- 
fimde  d.  Hallstatt-  u.  F.-L.-T.-Zeit ;  ebenda  S.  226);  Rotenburg  a.  Saale  (Urne 
V.  L.-T.-Typus,  gleich  der  von  Wesenstedt;  J.  S.  T.  Bd.  i  S.  230);  Brachstädt 
(Bronzeknopf  m.  Triquetrum,  ähnl.  von  Lanzendorf  b.  Zeitz;  Undset  S.  226). 

Mansfelder  Seekreis:  Helfla  b.  Eisleben  (Fibeln  m.  zurückgebogenem 
Fuß ;  briefl.  Mitt  d.  H.  Prof.  Grööler) ;  Welbsleben  (Nadel  m.  hohlspiegelart. 
Kopfjplatte,  B.  M.  V.  I  g  332);  Polleben  (Gefäß  mit  eingedrückten  mäanderart. 
Punktiinien;  Zeit  des  Kais.  Augustus;  J.  S.  T.  Bd.  3  S.  103);  Belleben 
(Umengrab,  etwa  300  v.  Chr.,  Z.  H.  V.  31.  Jg.  1898  S.  281  flf.;  J.  S.  T. 
Bd.  I  S.  130);  Helmsdorf  (Umengräber ;  Beigaben  fehlen ;  „die  Gefäße  machen 
den  Eindruck,  als  ob  sie  der  letzten  Bronze-  oder  älteren  L.-T.-Periode  an- 
gehören", J.  S.  T.  Bd.  I  S.  172);  Ober-Röblingen  (Grab;  vogelf.  Tongeföß; 
zuckerhutfbrmiges  Glas;  Schnalle;  Perien;  vielleicht  schon  frührömisch;  ebenda 
S.  200);  Stedten  (Grab  m.  Urne  vom  älteren  L.-T.-Typus;  Bronzeblechstück 
mit  Eisenniet;  ebenda  S.  224);  Salzmünde  (M.  a.  P.  M.  Halle  1900  S.  65). 

Mansfelder  Gebirgskreis :  Maisdorf  an  der  Selke  I  (Hügelgr.,  Urne  u. 
Bronzegefäß;  zwei  zusammengebogene  L.-T.-Schwerter,  eme  bronzene  Lanzen- 
spitze; Schildbuckeln,  Speerspitzen,  Fibeln,  GelUßscherben  mit  mäanderartiger 
Ornamentik;  Undset  S.  227)  Maisdorf  II  (Grabfund:  Bronzegefäß;  zusammen- 
gebogenes L.-T.-Schwert;  L.-T.-Fibeln ;  Undset  227);  Maisdorf  III  (ähnliches 
Schwert  mit  S.-L.-T.-Fibel  mit  Knöpfen;  Undset  228);  Osterberg  b.  Maisdorf 
(Gürtelhaken  von  westgerm.  S.-L.-T.-Formen  B.  M.  V.  I  g  377  u.  Z.  f.  K  1905 
S.  217  Fig.  16);  Wesenstedt  (Urne  von  L.-T.-Form;  Spinnwirtel;  J.  S.  T. 
Bd.  I  S.  230)  Gr.-Ömer  (Achterberlocken;  Perlen  von  blauem  Glasfluß; 
Kamm  m.  Bronzenieten  u.  konzentr.  Kreisen  verziert;  Fingerring  mit  Onyx; 
Silberfibel;  vielleicht  schon  prov.-röm.;  J.  S.  T.  Bd.  i   S.  183). 

22* 


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Kr.  Merseburgs  Graslücke  b.  Kl.-Korbetha  (Umengräberfeld  aller  drei 
Perioden;  Torques.  F.-,  M.-  u.  S.-L.-T.-Fibeln;  Arm-  und  Fingerringe;  Messer; 
Gürtelhaken.  M.  a.  d.  P.-M.  Halle  1900  S.  43);  Merseburg  (L.-T.-Fibeln ; 
nähere  Angabe  fehlt;  ebenda  S.  65). 

Kr.  Naumburg:  Gr. -Jena  (durchbrochener  Gürtelhaken  von  Bronze, 
Undset  S.  226  u.  Taf.  XXII  Fig.   10). 

Kreis  Zeitz:  Aylsdorf  (Gräber;  L.-T.-Kette  u.  tierkopfartiger  Haken; 
Undset  S.  226);  Langendorf  b.  Zeitz  (Bronzepinzette  u.  Bronzeknopf  mit 
Triquetrum;  ebenda  S.  226). 

Kr.  Querfurt:  Freiburg  a.  Unstrut  (Brandgräber;  L.-T.- Urnen  der 
späteren  L.-T.-Zeit;  M.  a.  d.  P.-M.  Halle  1894  S.  21);  Carsdorf  II  (Grabfund: 
kreisbogenf.  Messer;  Fibel  m.  harfenf.  geschweiftem  Bügel  u.  Knopfscheibe 
am  Scheitel  des  Bügels;  vielleicht  schon  prov.-röm. ;  J.  S.  T.  Bd.  3  S.  116); 
Kl.-Wengen  b.  Nebra  a.  U.  (Pferdegebiß,  nach  Technik  u.  Geschmack  wahr- 
scheinlich der  S.-L.-T.-Zeit;  J.  S.  T.  Bd.  3  S.  63);  Carsdorf  I  (Geföfifrag- 
mente  mit  Punktverzierung;  Zeit  des  Kaisers  Augustus;  J.  S.  T.  Bd.  3  S.  104). 

Kr.  Weißenfels:  Bauditz  b.  Weißenfels  (Geföß  mit  Punktverz.;  Zeit  d. 
Kais.  Augustus;  J.  S.  T.  Bd.  3  S.  104). 

Kr.  Sangerhausen:  Riethnordhausen  (Schieberspange;  N.  M.  IV  S.  14); 
TiUeda  (Brandgrab:  Nachbestattung;  Bronzetorques  mit  Hakenverschluß). 

Kr.  Delitsch :  Schenkenberg  b.  Deutsch  I  (Gräberfeld  mit  Brandgruben 
u.  L.-T.-Gefäßen ;  M.  a.  d.  P.-M.  Halle  1900  S.  65  Fig.  33  u.  34);  Schenken- 
berg II  (Gräberfeld:  60  Urnen,  eiserne  Fibeln  m.  zurückgebogenem  Fuß; 
ebenda  Fig.  66). 

Kr.  Wittenberg:  Zahna  (Gräberfeld  mit  Lausitzer  Gefäßen;  segelf.  Ohr- 
ringe ;  F.-L.-T.-Fibeln ;  außerdem  Gräber  der  röm.  Per. ;  M.  a.  d.  P.-M.  Halle 
1900,  S.  26  ff.);  Leetze  b.  Zahna  (Urne  und  Bronzehalsring  mit  petschafl- 
artigen  vertieften  Enden  und  perlenartigen  Wülsten;  ebenda  S.  27,  Fig.  37). 

Herzogtum  Anhalt:  Forsthaus  Sorge  b.  Lindau  (großes  Gräberifeld  versch. 
Per.;  Fibeln  aller  drei  L.-T.-Stufen  u.  prov.-röm.  Fibeln;  Schnallen;  Bronze- 
und  Eisennadeln;  Ringfibel;  Eisenpinzette;  Halsring;  Gürtelhaken;  Mäander- 
uruen  J.  S.  T.  Bd.  2  u.  Taf.  I  bis  VI);  Gr.-Kühnau  b.  Dessau  (F.-L.-T.-Fibel ; 
ebenda  Bd.  3,  S.  82);  Kl.-Kühnau  b.  Dessau  (mehrere  Geföße  von  F.-L.-T.- 
Form;  ebenda  S.  83);  Unbekannter  Fundort  (Grabfunde;  Gürtelhaken  von 
Bronze;  Undset  S.  228);  Köthen  (L.-T.-Fund  im  Mus.  zu  Nordhausen;  Mitt. 
d.  H.  Prof.  Höfer);  Gödnitz  a.  Elbe  (Urne  mit  keltischen  Münzen;  Undset 
S.  228);  Gr.-Wirschleben  (L.-T.-Ume  mit  Muscheln,  Schnecken  usw.  M.  a. 
d.  P.-M.  Halle,  Bd.  3,  S.  90);  Latdorf  (dgl.,  S.  90);  Dröbel  (dgl.,  S.  90). 

Endlich  führe  ich  noch  einige  Funde  aus  dem  Herzogtum  Braunsch  weigan : 
Cremlingen  (Gräberfeld ;  Umenharz ;  blaue  Glasperlen ;  Knochenplatte  mit  konzentr . 
Kreisen;  Urnen,  größtenteils  vom  Typus  des  4.  bis  5.  Jahrh.  n.  Chr.,  doch  zeigen 
einzelne  L.-T.-Charakter ;  N.  A.  1904,  S.  24);  Querum  (Siedelung  und  Töpfer- 
werkstätte; Charakter  der  Gefäße  der  gleiche;  N.  A.  1904,  S.  24);  Höken- 
burg  (Fibel  mit  Knöpfen  wie  die  S.-L.-T.-Fibeln  des  Nordens;  Undset  S.  232); 
Helmstedt  (Umenfeld ;  Ohrringe ;  Eisenfibeln  von  F.-  u.  bes.  M.-L.-T.-Form ; 
Undset  S.  231);  Lauingen  (Gräberfeld,  ähnlich  denen  der  Altmark;  Schale  von 
Bronzeblech,  M.-L.-T.  und  wohl  teilweise  auch  S.-L.-T.-Fibeln;  Undset  S.  231). 


—     311     — 


Gesehiehtslügen  und  andere  Sehlagwörter  ^) 

Von 
Hans  F.  Helmolt  (Leipzig) 

Von  Natur  bin  ich  kritisch  angelegt.  Der  Grundzug  meines  Wesens 
ist  Nüchternheit.  Lessing  war  mir  von  jeher  tausendmal  lieber  als 
Schiller.  Das  Pathos  liegt  mir  nicht.  Mein  guter  Vater,  der  schon 
als  Gegengewicht  zu  seinem  etwas  eintönigen  Beruf  (er  war  der  letzte 
K.  S.  Finanzzahlmeister)  die  Ideale  brauchte,  hat  meine  erheblich 
kühlere  Denkweise  oft  beklag^.  Daß  z.  B.  eine  gewisse  Wahrschein- 
lichkeit vorliegt,  die  Erzählung  vom  Teil  sei  durch  den  Chronisten 
des  „Weißen  Buches**  unter  Ummodelung  der  dänischen  Tokosage  in 
die  Schweizer  Befreiungsgeschichte  eingeschmuggelt  worden,  bedauerte 
er  lebhaft,  weil  durch  das  Zerstören  alten  Schmuckes  eine  häßliche 
Lücke  entstehe,  Zweifelsucht  und  Mißtrauen  die  Folge  seien.  Die 
neue  „Wahrheit**  werde  ja  doch  rasch  durch  die  nächste  Untersuchung 
wieder  gestürzt.  Dennoch  blieb  ich  bei  meiner  Liebe  zur  Kritik. 
Denn  wie  sagt  Destouches?  Chassee  le  ncUurel,  il  revient  au  gcdop. 
Oder  etwas  weniger  fein,  mit  dem  Fürsten  Ligne:  GraUez  le  B,u8se 
et  V0U8  trouverez  le  Cosaque,  Als  ich  Ende  1889  die  i.  Auflage 
von  Ernst  Bernheims  Lehrbuch  der  historischen  Methode  durch- 
zunehmen begann,  ward  mir  das  4.  Kapitel  bald  das  liebste,  und  daraus 
wieder  der  Abschnitt,  wo  über  F'älschungen  gehandelt  wird:  die 
moabitischen  Altertümer,  die  Pergämene  di  Arborea,  das  Privilegium 
maius,  die  pseudo-isidorischen  Dekretalen,  die  400  Pforzheimer,  die 
treuen  Weiber  von  Weinsberg  usw.  Und  als  dann  der  „Wattenbach** 
drankam,  war  mir  Beilage  II  besonders  erwünscht;  in  der  jüngsten 
Auflage  interessieren  mich  die  Ausführungen  über  die  fränkischen 
Heiligenleben  (I,  i  $  11),  die  zu  kritisieren  vor  allem  Bruno  Krusch 
so  erfolgreich  tätig  ist.  Was  einen  dabei  fesselt,  ist  die  Aufwendung 
von  Scharfsinn,  die  erst  die  Enthüllung  des  Wahren  ermöglicht. 
Deshalb    braucht    man    noch   nicht  gleich    in   den   entgegengesetzten 

l)  VorUegender  Anfsatz  ist  einer  Literatargattung  gewidmet,  die  noch  immer  viel 
za  kurz  kommt  and  die  doch  jeder  kennen  mofi,  der  alte  geschichtUche  Irrtümer  aas- 
merzen and  sich  darüber  Klarheit  verschaffen  wiU,  was  heute  als  geschichtliche  Wahr- 
heit gelten  maß.  Aas  der  Polemik,  so  anerquicklich  sie  sonst  auch  ist,  wird  in  dieser 
Richtung  immer  ein  Ergebnis  gewonnen  werden.  Wenn  dieser  Aufsatz  auch  etwas  subjektiver 
gehalten  ist,  als  es  bei  den  sonstigen  Beiträgen  zu  dieser  Zeitschrift  üblich  ist,  so  glaubte 
ich  ihm  doch  seines  Inhalts  wegen,  der  zur  Beschäftigung  mit  der  Schlagwörter-Literatur 
anregen  möge,  Aufnahme  gewähren  zu  dürfen.  Der  Herausgeber. 


—     312     — 

Fehler  zu  verfallen  und  mit  de  Fontenelle  überkritisch  zu  statuieren: 
Tl  n*y  a  paint  cCautres  histoires  anciennes  que  les  fahles.  Daß 
A.  Richers  Essai  sur  les  grands  evenemens  par  les  petites  catises 
(Genf  1758)  lediglich  eine  höchst  unkritische  Sammlung"  vergnüglicher 
Anekdoten  genannt  werden  kann,  erkennt  auch  der  bescheidenste 
„Historiker"  auf  der  Stelle.  Schwieriger  aber  und  dabei  reizvoller 
sind  die  Versuche,  hinter  das  Geheimnis  psychologischer  Rätsel  zu 
gelangen.  Ist  z.  B.  Sixtus  IV.  so  genau  in  die  Verschwörung  der 
Pazzi  eingeweiht  gewesen,  daß  man  behaupten  darf,  er  habe  die  Er- 
mordung der  Medici  direkt  gebUligt?  Oder  darf  man  dem  Papste 
glauben,  wenn  er  dem  die  Möglichkeit  eines  Todesfalles  andeutenden 
Grafen  Riario  entgegnet:  Tu  sii  una  hestia.  Jo  ü  dico:  non  vaglio 
la  mofie  di  niuno,  tna  la  mtUazione  deUo  stato  [di  Fiorenza]  ^i,  Oder 
eine  andere  Frage:  Dürfen  wir  uns  bei  der  Beurteilung  des  merk- 
würdigen Verhaltens  Bernadottes  im  Herbstfeldzug  18 13  von  dem 
Unmute  des  Unterbefehlshabers  Bülow  und  des  Generalstabschefis 
Adlercreutz  leiten  lassen,  oder  hat  der  Recueü  des  ordres  de  mouve- 
ment,  proclamations  et  buüetins  de  8.  A,  R.  le  Prince  Royal  de  Suede 
recht,  wenn  er  von  einer  humanen  loyaute  redet,  qui  laisse  aux 
chefs  des  corps  une  latitude  necessaire?  Diese  beiden  „Rettungen" 
mögen  genügen;  es  ist  rein  unmöglich,  die  zweifelhaften  Fälle  auch 
nur  annähernd  zu  skizzieren:  ihre  Zahl  ist  Legion.  Es  gibt  so  manchen 
geschulten  Geschichtsfreund,  der  von  so  manchem  neueren  Forschungs- 
ergebnisse noch  keine  Ahnung  hat,  der  Polyperchon  fiir  einen  Druck- 
fehler hält  und  das  Vorhandensein  eines  Ferdinand  IV.  leugnet.  Ja,  wer 
kann  denn  alles  gelesen  haben,  wer  soll  alles  wissen?  Und  das  sind 
noch  besonders  gravierende  Vorkommnisse.  Wer  aber  ist  imstande, 
die  vielen  Kleinigkeiten,  die  besonders  die  Kulturgeschichtschreibung 
in  umfassendster  Weise  zusammengetragen ,  verbessert  und  berichtigt 
hat,  sämtlich  zu  beherrschen?  Wenn  auch  derartige  Paralipomena 
vom  Zunftgelehrten  meist  hochmütig  über  die  Achsel  angesehen  und 
als  „populäre  Kompilationen"  verachtet  werden  *),  sind  darum  brauch- 
bare Zusammenstellungen  dieser  Art  ein  wirkliches  Verdienst, 
das  gerade  der  in  sein  Spezialfach  vergrabene  Herr  Professor  unum- 
wunden anerkennen  sollte ;  er  könnte,  wollte  er  sie  nur  recht  benutzen, 
genug  daraus  lernen!     Voilä  jastemerU,  comme  on  Scrü  Vhistoire! 


i)  Die  Titel  der  meisten  der  unten  besprochenen  Werke  fehlen  bei  Dahlmann- 
Waitz,  Quellenkunde  der  deutschen  Geschichte,  7.  Aufl.,  herausgegeben  von  Branden- 
barg (Leipzig  1906). 


—     313     — 

Aus  der  Fülle  dessen,  was  dies  meist  übersehene  und  vernach- 
lässigte Feld  an  Früchten  hervorgebracht  hat,  sei  heute  einiges  in 
bunter  Auswahl  gewürdigt.  Wer  das  eine  oder  das  andere  von  hierher 
gehörigen  Büchern  vermissen  sollte,  den  verweise  ich  kurz  auf  S.  294  ff, 
der  3.  Auflage  von  Bemheims  jedermann  zugänglichem  Lehrbuch,  wo 
aufier  W.  v.  Jankos  Fabel  und  Geschickte  und  Döllingers  Papst- 
faheln  eine  ganze  Menge  einschlägiger  Literatur  in  höchst  belehrender 
Form  besprochen  ist. 

Eigentlich  müßte  ich  mit  einem  Werkchen  anfangen,  das  meinen 
eigenen  Namen  wenigstens  als  den  des  Herausgebers  aufweist.     Da  ich 
aber  schon  genügend  von   mir  selbst  gesprochen  habe,  so  möge  der 
geschätzte  Leser  mit  der  bloßen  Anfuhrung  vorlieb  nehmen :  es  betitelt 
sich  Der  Treppenwite  der  Weltgeschichte.     OeschichÜiche  Irrtümer,  Ent- 
stellungen und  Erfindungen,  gesammelt  von  W[Uliam]  L[ewis]  Hertslet. 
6.  Auflage.    Durchaus  neu  bearbeitet  von  Hans  F.  Helmolt**  (BerUn, 
Haude  &  Spener,  1905).     Die  schnelle  Einbürgerung  dieser  Lieblings- 
schöpfung des  am  2.  Mai  1898  verstorbenen  Kaufmanns,  Eisenbahners, 
Bankherrn,  Mathematikers   und  Statistikers,  PhUosophen   und  Finanz- 
schriflstellers  (diese  seltene  Vielseitigkeit  erklärt  zugleich  seine  außer- 
ordentliche Belesenheit)  geht  schon  aus  den  Anfangsworten  des  Vor- 
worts zur   12.  und  13.  Auflage  (1895)  eines  anderen  Buches  hervor, 
der  OeschichtslOgefh  [von  Dr.  Paul  Majunke].     Dort  heißt  es:   „Im 
Frühjahr  1883  sandte  mir  Herr  Verlagsbuchhändler  Ferd.  Schöningh  sen. 
das  damals  neu  erschienene  Buch  von  Hertslet:  Der  Treppenwite  der 
Weltgeschichte  mit  der  Anfrage  zu,   ob  ich  geneigt  sei,  ein  ähnliches 
Volksbuch  vom   katholischen  Standpunkte  herauszugeben."     Dort 
lesen  wir  auch,  daß  das  Wort  „Geschichtslüget**  vom  „Altmeister  der 
katholischen  Geschichtschreibung**  Jos.  Edm.  Joerg  1851  in  Kurs  ge- 
bracht worden  sei.    Majunke  hatte  bekanntlich  das  im  allgemeinen  recht 
scharfe  und  einseitige  Nachschlagebuch  nicht  allein  verfafst,  sondern 
mit  noch  zwei  anderen  „Freunden  der  Wahrheit**  (Galland  und  Krebs, 
soviel   wie   ich  mich  zu  erinnern  glaube);   nach  deren  Hinscheiden  in 
den  Jahren  1891  und  1893  hat  er  andere  Mitarbeiter  gefunden,  bis  er 
selbst  am  21.  Mai  1899  abgerufen  ward.     Nunmehr  lautet  der  Unter- 
titel :  Eine  Widerlegung  landläufiger  Entstellungen  auf  dem  der  Geschichte 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Kirchengeschichte.    Aufs  neue  be- 
arbeitet von  Freunden  der  Wahrheit.    16.  und  17.  Auflage;  der  ersten 
elf  Auflagen  Neue  Folge   (Paderborn,   Ferdinand   Schöningh,    1902; 
Preis  4  Mk.).     Zu  ihrem  Vorteile  haben   die  Geschichtslügen  gegen- 
wärtig   etwas    von    der    unangenehmen    Unduldsamkeit    und   bitteren 


—     314     — 

Polemik,  die  ihnen  früher  anhafteten,  verloren.  Man  vergleiche  z.  B, 
die  vorliegende  Fassung  der  Erzählungen  über  Luthers  angeblichen 
Selbstmord  mit  S.  187  ff.  der  12.  und  13.  Auflage;  inzwischen  war 
freilich  Majunke  von  seinen  eigenen  Glaubensgenossen  gründlichst  ab- 
geschüttelt worden:  Hist.  Jahrb.  der  Görresgesellsch.  16,  1895.  Doch 
darf  man  auch  heute  kaum  behaupten,  daß  sie  ein  Buch  seien 
ad  reuniendos  dissidentes  in  rdigione  christianos  compositum  (Febro- 
nius,  De  statu  ecdesiae).  Die  Kampfweise  ist  immer  noch  nicht  ehr- 
lich genug ;  namentlich  im  Verschweigen  leistet  sie  viel  *).  Verargen 
kann  man's  jedenfalls  den  Herren  nicht,  wenn  ihnen  ob  immer  und 
immer  wieder  verbreiteter  und  hartnäckig  wiederholter,  alberner  Märchen 
und  irriger  Schlagwörter  schließlich  mal  die  Laus  über  die  Leber 
läuft.  Darum  werden  die  Oeschichtslügen  auch  in  Zukunft  eine  heil- 
same Kontrolle  bilden,  die  protestantische  Heißsporne  vor  überflüssigen 
Übertreibungen  abzuhalten  berufen  ist. 

In  noch  höherem  Grade  gilt  dies  von  Bernhard  Duhrs  S.  J. 
Jesuiten 'Fabeln.  (Ein  Beitrag  zur  Kulturgeschichte.  Vierte,  ver- 
besserte Auflage.  Freiburg  i.  Br. ,  Herder,  1904;  Preis  7.20  Mk.) 
Schon  in  ihrer  äußeren  Gestalt  bedeuten  sie  einen  imponierenden 
Mahner  und  Warner  vor  unvorsichtigen  Aburteilungen  einer  Einrich- 
tung,   die  man  zwar  nicht  kennt,   aber  um  so  leichtfertiger  herunter- 


1)  Ein  paar  Kleinigkeiten  seien  angemerkt.  Auf  S.  188  f.,  Anm.  wird  das  grund- 
legende Werk  Ton  Wilh.  Walt  her  nicht  genannt.  „Von  üeferem  Eindringen  in  die 
Wissenschaft  war  bei  Luther  nicht  die  Rede"  (S.  190)  —  vgl.  nur  O.  G.  Schmidt, 
Luthers  Bekanntschaft  mit  den  alten  Klassikern  (Leiptig  1883).  „Wie  ansinnig  ist 
es,  zu  behaupten,  den  Katholiken  sei  das  BibeUesen  verboten  gewesen**  (S.  190)  —  aller- 
dings  bezog  sich  das  Bibelverbot  nur  auf  Obersetzungen  in  den  Landessprachen;  wer 
aber  aus  dem  Volke  war  denn  im  Mittelalter  imstande,  die  Vulgata  zu  lesen?!  Auf 
S.  270  Zeile  7  muß  es  „helfen**  heifien  statt  „geholfen**.  Karlstadt  ist  am  24.  De- 
zember 1541  gestorben  (S.  298).  Vermutlich  werden  wir  in  der  nächsten  Doppelauflage 
nun  auch  B arges  Zweibänder  auftauchen  und  als  eine  willkommene  Wiederauflichtung 
lange  verschütteter  Wahrheiten  gebucht  sehen:  so  etwas  läßt  sich  die  Redaktion  sicher 
nicht  entgehen.  Warum  widerlegt  sie  aber  nicht  einmal  die  „Legende**  von  den  groß- 
artigen Fälschungen,  die  sich  das  sonst  so  gepriesene  Klosterwesen  in  Papsturkunden 
und  anderen  wertvollen  Dingen  (Reliquien  z.  B.)  geleistet  hat?  Da  ist  noch  ein  frucht- 
bares Feld  ersprießlichster  Tätigkeit  offen.  Statt  dessen  reitet  man  nach  wie  vor  auf 
Oldecop  (vgl.  JBG.  16,  1893,  ^h  S.  292)  hemm.  Zum  Lehmann-Naud^-Streite  (S.  381) 
vgl.  noch  Schmollers  schönen  Nachruf  auf  N.  (Forschungen  zur  Brandenb.  Gesch.  9,  II, 
1897).  ^^^  45*  Abschnitt,  Kossuth,  wird  man  künftig  schwerlich  aufrechterhalten  wollen. 
Den  über  Lehnin  hat  man  —  fast  möchte  ich  sagen:  leider I  —  schon  jetzt  fallen  lassen; 
an  unfreiwilliger  Komik  war  er  kaum  zu  übertreffen.  Die  Anordnung  des  III.  Haupt- 
kapitels häUe  von  Nr.  36  an  saubrer  sein  dürfen. 


—     315     — 

reißt.  Wenn  man  kein  ganz  verrannter  und  verbissener  Jesuitengegner 
ist,  muß  man  Duhrs  Bestreben,  oft  wiederholte  Anklagen  gegen  die 
Gesellschaft  Jesu  in  ruhiger  Sachlichkeit  und  vornehmer  Gelassenheit 
zu  widerlegen  oder  doch  auf  ein  vernünftiges  Mindestmaß  herunter- 
zudrücken, unumwunden  anerkennen.  Und  vor  der  außerordentlichen 
Belesenheit  des  gelehrten  Verfassers  wird  jeder  seinen  Hut  abziehen 
müssen  *).  Lediglich  aus  Achtung  vor  dem  Dargebotenen,  nicht  etwa 
aus  heimlicher  Hinneigung  zu  dem  Orden,  den  auch  ich  in  seiner 
Gesamtheit  von  den  Grenzen  Deutschlands  ferngehalten  wissen  möchte, 
empfehle  ich  das  interessante  Buch,  eine  jedenfalls  anhörenswerte  Ver-^ 
körperung  des  Grundsatzes  Audiatur  et  altera  pars,  unbedenklich. 

Konfessionelle  Gegensätze  überbrücken  oder  umschiffen  zu  wollen, 
ist  und  bleibt  eine  heikle  Sache.  Darum  bin  ich  heilfroh,  aus  diesen 
Klippen  mich  nunmehr  auf  neutralere  Gefilde  retten  zu  können.  Da 
möcht'  ich  zunächst  auf  ein  in  unseren  Kreisen  ziemlich  unbeachtetes 
Buch  hinweisen,  auf  Scher m  und  Ernst  in  der  Mixthematik,  Oeflügelte 
und  ungeflügdte  Worte.  Gesammelt  und  herausgegeben  von  Dr.  W. 
Ahrens  in  Magdeburg  (Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1904).  Es  richtet 
sich  unter  anderem  gegen  die  üble  Angewohnheit,  falsch  zu  zitieren; 
findet  ja  doch  erfahrungsgemäß  der  Irrtum  viel  leichter  zahlreiche 
Nachbeter  als  die  Wahrheit.  Aber  auch  das  biographische  Wissen, 
vor  allem  über  Gauß  und  Jacobi,  wird  durch  diese  eigentümliche  und 
überall  zum  Nachdenken  anregende  Zusammenstellung  wirksam  geför- 
dert. Eine  dritte  Stärke  des  Buches  ist  die  Erkendtnis  der  schwachen 
Seiten  der  mathematischen  Größen,  d.  h.  das  Festnageln  von  Fällen, 
wo  sich  Vertreter  der  „exakten**  Wissenschaften  durch  unvorsichtige 
Aussprüche  usw.  selbst  kompromittiert  haben.  Aber  die  werden  nicht 
etwa  bissig  zum  besten  gegeben,  um  die  betroffenen  Heroen  in  den 
Staub  zu  ziehen,  sondern  mehr  aus  einem  sympathischen  Humor  des 
rvO&i  aeavröv  heraus,  der  auch  an  großen  Geistern  den  Menschen 
nicht  verkennen  mag.  Von  vornherein  bin  ich  überzeugt,  daß  mir 
mancher,  der  die  Entwickelung  der  mathematischen  Disziplin  verfolgt, 
für  diesen  Hinweis  nur  dankbar  sein  wird. 

Damit  sind  wir  nun  eigentlich  auch  schon  in  die  geheiligten 
Hallen  der  „Geflügelten  Worte**  (denn  diese  hat  Ahrens  liebevoll 
berücksichtigt   und    ungemein   bereichert)    eingetreten.     Den   „Büch- 


i)  VieUeicht  ließe  sich  zum  9.  AbschniUe  Der  Jesuitenkrieg  in  Paraguay  noch 
die  selten  gewordene  Kurtze  Nachricht  von  der  BepuhUque,  so  von  denen  B,  B,  P.  P, 
de^'  Gesellschafft  JEsu  . .  .  aufgerichtet  worden,  und  von  dem  Krieg  .  .  .  (Lissabon 
J760)  künftig  mit  Tcrwerten. 


—     316     — 

mann''  kennt  jeder  anständige  Mensch;  von  dem  braucht  weiter  nicht 
geredet  zu  werden.  Dafür  möchte  ich  aber  eine  verwandte  Saite  an- 
klingen lassen;  trägt  der  Ton,  wie  es  allen  Anschein  hat,  dann  wird, 
wenn  nicht  bereits  die  nächste  (23.),  so  doch  sicherlich  die  übernächste 
Auflage  des  beliebten  Zitatenschatzes  in  erwünschter  Weise  entlastet 
werden  können.  Ich  meine  natürlich:  entlastet  um  die  Schlag- 
wörter. Das  ist  eine  junge  Forschung,  und  hat  noch  keine  starken 
Schultern:  allzuviel  wird  man  noch  nicht  darauf  laden  dürfen.  Doch 
Otto  Ladendorfs  Historisches  Schlagwörterbuch.  (Ein  Versuch. 
Straßburg,  Karl  J.  Trübner,  1906;  Preis  6  Mk.  —  notabene:  gegen 
ein  gewisses  Reichsgesetz  ohne  jeden  Druckervermerk!)  beweist 
allein  durch  sein  bloßes  Erscheinen,  wie  nötig,  dringend  nötig  mal 
eine  mögUchst  erschöpfende  Zusammenfassung  des  bereits  überreich 
zuströmenden  Stoffs  gewesen  ist.  Hier  läßt  sich  getrost  prophezeien: 
dies  Buch  wird  genau  so  sicher  seine  Auflagen  wiederholen,  wie 
Hertslet,  Majunke,  Duhr,  Büchmann.  Es  ist  einfach  ein  Bedürfnis. 
Die  Wortgeschichtsforschung  und  die  Kulturwissenschaft  können  beide 
manches  Goldkom  aus  Simon  Widmanns  Geschichiseln  (Mißverstan- 
denes und  Mißverständliches  aus  der  Geschichte,  gesammelt  und  er- 
klärt. Paderborn,  Ferd.  Schöningh,  1891;  merkwürdigerweise  seitdem 
nie  wieder  aufgelegt)  ebenso  bequem  schöpfen,  wie  sie  etwa  Wust- 
manns Liederbuche  fiir  altmodische  Leute  Als  der  Großvater  die 
Großmidter  nahm  einen  wunderbaren  Schatz  halbverschütteten,  halb- 
vergessenen Guts  entnehmen  mögen;  und  was  es  sonst  noch  an  ähn- 
Uchen  Sammlungen  ^)  gibt,  die  neben  ihrem  literaturwissenschaftlichen 
Wert  einen  eigenen  persönlichen  Reiz  besitzen.  Aber  wer  kommt 
gleich  darauf,  so  entlegenes  Material  heranzuziehen?  Hier  im  „Laden- 
dorf** hat  man  —  noch  nicht  alles  Einschlägige  beisammen,  beileibe 
nicht;  aber  wenigstens  —  die  Grundlage  zu  einem  entsprechenden 
Thesaurus.     Das  ist  doch  die  Hauptsache.     Und  weil   er   mit  vollem 


i)  Nnr  beispielsweise  führe  ich  an:  die  beiden  Werkchen  von  Rud.  Kleinpaal: 
a)  Deutsches  Fremdwörterbuch  and  b)  Dm  Fremdwort  im  Deutschen  (beide  in  der 
Sammlung  Göschen);  langweilig  ist  nie,  was  Kleinpaal  schreibt,  wenn  vielleicht  aach 
nicht  aUes  richtig  ist.  Femer  vor  aUem:  Fried r.  Kluges  EtffmologiscJies  Wörter^ 
buch  der  deutschen  Sprache,  dessen  6.  Auflage  schon  im  a.  Abdrucke  vorUegt,  und 
seine  sprachgeschichtlichen  Aufsätze  Von  Luther  bis  Lessing.  Die  namentlich  von  Prof. 
Dunger  in  Dresden  gepflegte  Spitznamenforschung  gehört  teilweise  hierher.  Schliefs* 
lieh  lälst  sich  manches  auch  ans  Th.  B.  Harbottles  Dictionary  ofhistorical  aUusions 
(London  1903)  und  aus  P.  H.  Dalbiac  und  Harbottles  Dictionary  of  quotaiions, 
german  and  sptmish  holen.  Kurz:  an  Hilfsmitteln  auf  diesem  Felde  fehlt  es  wahr- 
haftig nicht 


—     317     — 

Rechte  die  entwickelnde  Methode  angewandt  hat,  so  ist  sein  Buch 
mindestens  zu  einer  Hälfte  eins  geworden,  das  jeden  Historiker  un- 
bedingt angeht.  Für  jeden,  der  seine  Muttersprache,  ihr  geheimes 
Weben  und  Leben  liebt,  hat  das  Schauspiel  des  mit  ihr  vorgehenden 
Szenenwechsels  etwas  ebenso  Reizvolles  wie  die  Wandlungen  des  vor- 
nehmen japanischen  Gesichts  während  des  letzten  Menschenalters  für 
den  Anthropologen.  Und  bei  dem  Studium  der  Moden,  die  beson- 
ders das  Schlagwort  durchzumachen  hat,  fällt  fiir  den  Kulturhistoriker 
sehr  viel  mit  ab.  Auch  die  Grenzen  zu  ziehen  zwischen  dem  bloßen 
Modewort  (z.  B.  hysterisch,  seriös,  bilanzsicher  u.  a.)  und  dem  echten 
Schlagworte  (z.  B.  „Rotes  Königreich"  für  Sachsen  seit  1903/04; 
fehlt  bei  Ladendorf),  erfordert  oft  einiges  Nachdenken.  Hier  ist  eben- 
falls Kritik  vonnöten.  Darum  sei  es  mir  zum  Schlüsse  vergönnt,  eine 
kleine  Nachlese  zu  halten ;  ihre  etwaige  Verwertung  ist  möglich,  wenn 
sich  Ladendorf  entschließt,  einige  entbehrlichen  Längen  zu  kürzen,  und 
wenn  der  Herr  Verleger  (im  eigenen  Interesse,  wie  ich  glaube)  so 
freundlich  ist,  ein  paar  Bogen  mehr  zu  bewilligen.  Denn  fortwährend 
machen  sich  Neuaufnahmen  nötig  (vgl.  die  Erläuterung  des  Reichstags- 
abgeordneten Schrader  zu  dem  „Mantelgesetz"  der  Steuerreform,  am 
1 5.  Mai  1906).  So  fehlt  bei  „Volksseele"  die  typische  Abart  der  „kochen- 
den" Volksseele  in  Bayern.  Aber  auch  ältere  Anführungen  heischen 
hie  und  da  eine  Ergänzung.  So  wird  das  Wort  „Charakterzug"  von 
Goethe  am  18.  Dezember  18 18  (Maria  Feodorowna  zu  Ehren)  ange- 
wandt als  Festzug.  Zu  Nabob  sei  angemerkt :  nawwäb  ist  Plural  von  näib. 
Ejrwünscht  wäre  eine  kurze  Erörterung  über  den  Bedeutungsumschwung, 
der  sich  mit  dem  Wort  „Adept"  vollzogen  hat  (vgl.  Leipziger  Zeitung 
vom  19.  November  1903,  S.  4000);  bezeichnend  ist  auch  die  Wand- 
lung, die  durch  Kaiser  Wilhelm  II.  in  seinem  Dresdner  Trinkspruche 
vom  25.  Oktober  1905  mit  dem  Begriffe  „Großdeutsch"  vorge- 
nommen worden  ist.  Zum  „Übermenschen"  vgl.  das  niedliche  Gedicht 
in  der  Jugend  vom  2.  April  1898.  „Ultramontan"  im  geographischen 
Sinne  gehört  sicher  nicht  erst  dem  XVIII.  Jahrhundert  an.  Beim 
„Musterstaate"  durfte  das  „Musterländle"  nicht  fehlen.  Zur  „Heimat- 
kunst" gehört  der  „Erdgeruch".  Neben  „Hurrapatriotismus**  darf 
Ed.  Heycks  „Dividendenpatriotismus**  (vgl.  Hans  Meyers  Deutsches 
Volkstum,  2.  Aufl.,  I,  159)  ein  Plätzchen  beanspruchen.  Und  hieran 
wieder  schliefsen  sich  die  „Coupons-  oder  Dividendenkriege**  Rieh. 
Mayrs  (meine  WeligeschUMe  VII,  123).  Über  „Byzantinismus**  hat 
mal  Max  Haushofer  eme  anregende  Abhandlung  im  Daheim  (oder 
war's    die    Gartenlaube?)   veröffentlicht.     Den    „natürlichen  Grenzen** 


I 


—     818     — 

(vgl.  Meyers  Volkstum^  I,  175)  gesellt  sich  der  „Talweg"  zu  (F*riede 
von  Campo  Formio  u.  ä.).  Zu  „Krämervolk"  vgl.  dasselbe  Werk  « 
I,  177.  Berlin  mit  „Wasserkopf"  in  Verbindung  zu  bringen,  ist  wohl 
ein  Erzeugnis  vergangener  Jahrzehnte;  jüngeren  Datums  hingegen 
ist  Dr.  Barths  „Politischer  Kolophoniumblitz".  Doch  darf  man 
vorübergehenden  Schlagern  besser  die  Aufnahme  versagen.  Ist 
Kümbergers  „Amerikamüder"  1855  (so  Lad.),  1856  (Meyers  Konv.- 
Lex.)  oder  1857  (so  ^^  einem  mir  vorliegenden  Antiquariatskatalog: 
„Seltene  Orig.-Ausg.")  erschienen?  Solche  Feststellungen  sind  manch- 
mal der  Priorität  wegen  nicht  überflüssig.  Zum  erweiterten  Gebrauche 
des  Wortes  „Soziologie"  vgl.  den  ersten  Band  von  Paul  Barths  be- 
kannter Geschichtsphilosophie  *).  Für  die  Geschichte  des  Wortes 
„Anarchist"  sind  vielleicht  wichtig:  Les  chemises  roages  ou  mimoires 
pour  servir  ä  Vhisioire  des  anarchistes  (Paris ,  an  VII).  Was  ist  unter 
dem  Stichwort  „Ehernes  Lohngesetz"  S.  64,  Zeile  15  von  unten,  mit 
„Ebenda"  gemeint.^  Muß  es  heißen  Völkerschlacht-  oder  Völker- 
schlachts-Denkmal ?  Setzfehler :  Lassalle  (S.  293) ;  S.  65  Zeile  6  von 
unten  fehlt  „in";  S.  184,  Mitte:  Robilant!  —  So,  das  möge  genügen ; 
bietet's  ja  doch  gleichzeitig  einen  raschen  Einblick  in  den  Kreis  des 
von  Ladendorf  Gebotenen.     Auf  Wiedersehen  bei  der  2.  Auflage! 


Mitteilungen 


Yersamnüangen.  —  In  diesem  Jahre  wird  der  Gesamtverein  der 
deutschen  Geschichts-  und  Altertunisvereine  seine  Versammlung  auf 
österreichischem  Boden  und  zwar  in  Wien  in  der  Zeit  vom  24.  bis 
zum  28.  September  abhalten.  Auf  die  Bedeutung  dieser  Versammlungen  für  die 
Vertreter  der  Orts-  und  Landesgeschichte  und  im  besonderen  für  die  Ge- 
schichtsvereine ist  oft  genug  hingewiesen  worden,  aber  dieses  Mal  ist 
es  auch  eine  nationale  Pflicht  aller  reichsdeutschen  Vereine,  sich  in  Wien 
vertreten  zu  lassen,  damit  die  Gemeinsamkeit  der  geistigen  Interessen  offenbar 
werde,  die  die  deutsch  -  österreichische  Geschichtsforschung  mit  der  reichs- 
deutschen verbindet.  Hier  bietet  sich  einmal  Gelegenheit,  den  Österreichern 
unseren  Dank  dafür  abzustatten,  daß  sie  dauernd  Versammlungen  im  Reiche 
besuchen,  mögen  sie  auch  am  Rhein  oder  an  der  Ostsee  stattfinden.  Darum 
sei  noch  einmal  allen  Vorständen  von  Geschichtsvereinen  der  Wunsch 
nahegelegt,  daß  sie  dieses  Mal  unbedingt  einen  Vertreter  entsenden,  wenn 
auch  für  viele  die  Entfernung  weit  größer  ist  als  sonst. 

An  der  Spitze  des  Ortsausschusses  steht  Prof.  Oswald  Redlich;  die 

• 

I)  Philosophie  der  Oe$chichte  als  Soeiologie  (Leipzig  1897). 


—     319     — 

Sitzungen  finden  sämtlich  m  der  Universität  statt.  Vorgesehen  sind  Be- 
sichtigungen der  zahlreichen  geschichtlichen  Merkwürdigkeiten  unter  sach- 
kundiger Führung,  femer  eine  Fahrt  nach  Klostemeuburg  und  bei  genügender 
Beteiligung  auch  eine  solche  nach  dem  ausgegrabenen  Römerlager  Car- 
nuntum  '). 

In   den   allgemeinen   und  öffentlichen  Versanmilungen  werden 
folgende  Vorträge   stattfinden:   Prof.   Fournier  (Wien)   über  Österreich 
und    Preußen-Deutschland    in    den    ersten    Jahrzehnten    des 
XIX.  Jahrhunderts;  Generalmajor  Dr.  v.  Pf  ist  er  (Stuttgart)  über   den 
Tag  von  Jena,    seine  politischen   und   militärischen  Voraus- 
setzungen; Prof.  V.  Schröder  (Wien)  über  die  Religion  der  arischen 
Urvölker;    Prof.    Dragendorff  (Frankfurt   a.    M.)    über    Altertums- 
forschungen in   Nordwestdeutschland;   Hofrat  Piper   (München) 
über  Österreichische  Burgen.    —   In   den  Vereinigten   fünf  Ab- 
teilungen   wird  an   erster   Stelle   über    eine   systematische    Sammlung   der 
historischen  Nachrichten  über  Elementarereignisse  und  physisch-geographische 
Verhältnisse  *)  [Berichterstatter:  Swarowsky  (Wien)  und  Redlich  (Wien)]  ver- 
handelt, und  sodann  werden  zusammenfassende  Berichte  über  die  imletzteu  Jahr- 
zehnt vom  Gesamtverein  angeregten  imd  geförderten  Untemehmtmgen  erstattet 
werden,  und  zwar  wird  berichten  Thudichum  (Tübingen)  über  Grundkarten, 
Tille  (Leipzig)  über  Archivinventarisaäonen ,  W  o  1  f  r  a  m  (Metz)  über  Historisch- 
topographische Wörterbücher,    Jacobs  (Wernigerode)   über   Kirchenbücher- 
verzeichnisse, Beschorner  (Dresden)  über  Flurnamensammlung.  —  In  der 
ersten  und  zweiten  Abteilung  werden   folgende  Vorträge   gehalten:    Die  Or- 
ganisation der  römisch-germanischen  Lokalforschung  in  Westdeutschland  von 
Anthes    (Darmstadt),    Die    Stufen    und    Gruppen    des    Gräberfeldes   von 
Hallstatt    von    Hoernes    (Wien),    Wien    in    römischer   Zeit   von   Kubit- 
schek   (Wien)    und    Spuren    römischer    Kultur    in    Schlesien    von    Seger 
(Breslau).    —   Für  die  dritte  imd   vierte  Abteilung  ist   lediglich  ein  Vortrag 
von  Wolf  (Freiburg  i.  B.)    über  Aufgaben    und   Grundsätze    der   deutschen 
Territorialpolitik  in  der  Reformationszeit  vorgesehen.  —  In  der  fünften  Ab- 
teilung (für  Volkskimde)  werden  Haberlandt  (Wien),    Me  ring  er   (Graz), 
Dachler  (Wien)  und  Brenner  (Würzburg)  über  Methode   und  Erfolg   der 
Bauemhausforschung   sprechen,    Pommer   (Wien)    eine    Charakteristik    der 
Alpenjodler  geben.     Wossidlo  (Waren)  wird  den  Antrag,  betreffend  Grün- 
dung  einer   bibliographischen  Zentralstelle   für  Volkskunde,   begründen  imd 
Lauffer  (Frankfurt  a.  M.)  einen  solchen,  betreffend  Ändertmg  des  Namens 
der  fünften  Abteilung. 

In  der  Abgeordnetensitzung  wird  ein  Antrag  des  Verwaltungs- 
ausschusses beraten,  die  Zahl  der  Beisitzer  von  sechs  auf  neun 
zu  vermehren. 

Auswärtige  Teilnehmer  werden  gebeten,  sich  bis  zum  15.  September 
bei  Dr.  Bittner,  Wien  I,  Minoritenplatz ,  Staatsarchiv,  schriftlich  an- 
zumelden. 


1)  Vgl.  darüber  diese  ZeiUchrift  5.  Bd.,  S.  286—395. 

2)  Dieser  Vorschlag  Imfipft  an  die  oben   S.  223    erwähnten  Ausführungen  an,   die 
Redlich  (Wien)  auf  dem  Stnttgarter  Historikertage  Tortmg. 


—     320     — 

Am  24.  September  findet  ebenfalls  in  Wien,  tmd  zwar  ebenfialls  in  der 
Universität,  der  sechste  deutsche  Archivtag  statt.  Diese  Versammlung 
von  Archivfachleuten,  die  hierbei  die  verschiedensten  in  der  Archivpraxis 
gewonnenen  Erfahrungen  austauschen  und  Gelegenheit  finden,  Archiveinrich- 
tungen zu  studieren  —  dieses  Mal  wird  das  neue  Gebäude  des  k.  tmd  k. 
Haus-,  Hof-  und  Staatsarchivs  besichtigt  — ,  verdient  von  den  staatlichen 
und  städtischen  Behörden,  denen  Archive  unterstellt  sind,  in  höherem  Maße 
beachtet  zu  werden,  als  es  bisher  der  Fall  ist.  Namentlich  die  städtischen 
Archivare,  soweit  sie  im  Hauptamt  tätig  sind,  sollten  vollzählig  vertreten 
sein,  und  für  die  immer  wachsende  Zahl  der  nebenamtlich  angestellten 
ist  die  Beteiligung  nicht  minder  wichtig. 

Das  Programm  sieht  folgende  Vorträge  vor:  i.  Archivalienschutz  in 
Württemberg  von  Archivdirektor  Schneider  (Stuttgart);  2.  Archive  und 
Archivwesen  in  Steiermark  von  Archivdirektor  Meli  (Graz);  3.  Ordnungs- 
prinzipien im  dänischen  Archivwesen,  insbesondere  das  Provenienzprinzip  von 
Archivdirektor  Sech  er  (Kopenhagen);  4.  Die  Photographie  im  Dienste  der 
archivalischen  Praxis  von  Archivrat  Warschauer  (Posen);  5.  Archiv- 
benutzung zu  familiengeschichtlichen  Zwecken  (Schluß  der  vorjährigen  Dis- 
kussion) ^) ;  6.  Zur  Einführung  in  das  neue  Gebäude  des  k.  und  k.  Haus-, 
Hof-  imd  Staatsarchivs  von  Archivdirektor  Winter  (Wien). 


Der  in  dieser  Zeitschrift  (oben  S.  104)  ausgesprochene  Wunsch,  die 
Tage  für  Denkmalpflege  möchten  zeitlich  immittelbar  an  die  Versammlungen 
des  Gesamtvereins  anschließen  und  örtlich  mit  ihnen  zusammenfallen,  ist  für 
dieses  Jahr  leider  nicht  in  Erfüllung  gegangen,  und  dadurch  wird  eine 
Zersplittenmg  der  Kräfte  eintreten,  die  im  Interesse  der  Sache  bedauerlich 
ist.  Denn  der  siebente  Tag  für  Denkmalpflege  findet  am  27.  und 
28.  September  in  Braunschweig  statt,  wo  Geheimer  Baurat  Brinkmann 
an  der  Spitze  des  Ortsausschusses  steht.  Zur  Verhandlung  werden  folgende 
Gegenstände  gelangen:  i.  Wie  ist  die  öffentliche  Meinung  zugunsten  der 
Denkmalpflege  zu  beeinflussen?  von  Provinzialkonservator  Büttner  (Steglitz); 
2.  Über  die  Möglichkeit  der  Erhaltung  alter  Städtebilder  imter  Berücksich- 
tigung modemer  Verkehrsanforderungen  von  Provinzialkonservator  Reho  rst 
(Merseburg)  und  Provinzialkonservator  Burgemeister  (Breslau);  3.  Be- 
malung und  Konservierung  mittelalterlicher  Holz-  und  Steinskulpturen  von 
Konservator  Hager  (München)  und  Provinzialkonservator  Haupt  (Eutin); 
4.  Die  Instandsetztmg  alter  Altarbilder,  erläutert  am  Flügelaltar  von  Haver- 
beck  sowie  an  den  Antependien  aus  dem  Dom  in  Goslar  tmd  der  Kloster- 
kirche in  Wennigsen  am  Deister  von  Provizialkonservator  Reimers  (Han- 
nover); 5.  Bericht  der  Kommission  über  die  Aufiiahme  der  kleinen  Bürger- 
häuser von  Stadtbaurat  Schaumann  (Frankfurt  a.  M.)  und  Prof.  Stiehl 
(Charlottenburg);  6.  Aufgaben  der  Denkmalpflege  im  Bergischen  Lande  von 
Amtsrichter  Bredt  (Lennep);  7.  Über  Denkmalpflege  auf  dem  Lande  von 
Geh.  Oberbaurat  *Hoöfeld  (Berlin);  8.  Bericht  über  das  Handbuch  der 
deutschen  Kunstdenkmäler  von  Prof.  De hio  (Strafsburg);  9.  Über  städtische 

I)  Vgl.  oben  S.  56—57. 


—     321     — 

KuDStkommissionen  von  Prof.  Loersch  (Bonn);  lo.  Backsteinbau  und 
Denkmalpflege  von  Prof.  Stiehl  (Charlottenburg);  ii.  Denkmalpflege  in 
Hildesheim  von  Architekt  Sandtrock  (Hildesheim);  12.  Über  Bemalung 
alter  Holzbauten  von  Prof.  Ltibke  (Braunschweig);  13.  Über  die  Erhaltung 
alter  Strafsennamen  von  Prof.  Meier  (Braunschweig).  In  einem  öffent- 
lichen Vortrage  wird  Geh.  Baurat  Pfeifer  (Braunschweig)  über  Braun- 
schweigische Stifts-  und  Klosterkirchen  (mit  Lichtbildern)  sprechen;  auch 
werden  Lichtbilder  zur  Ergänzung  des  unter  Nr.  2  genannten  Vortrages  vor- 
geführt werden.  Am  29.  September  ist  ein  Ausflug  nach  Hildesheim 
vorgesehen. 

Verwandte  Fragen  werden  übrigens  auch  auf  der  Versamailung  für 
Volkskunde  und  Volkskunst  behandelt  werden,  die  in  Dresden  aus  Anlaß 
der  dritten  deutschen  Kvmstgewerbeausstellung  vom  Verein  fürSächsische 
Volkskunde,  dem  Kgl.  Sächsischen  Altertumsverein  imd  dem 
Verein  für  Geschichte  Dresdens,  vom  7.  bis  9.  September  ver- 
anstaltet wird.  Prof.  Fuchs  (Freiburg)  wird  den  Hauptvortrag  halten  über 
die  volkswirtschaftliche  Bedeutung  der  Volkskunst,  während 
Prof.  Seyffert  (Dresden)  zur  Einführung  in  die  Besichtigung  der  Abteilung 
für  Volkskunst  in  der  Kunstgewerbeausstellung  sprechen  wird.  Für  den 
9.  September  ist  eme  Dampferfahrt  nach  der  Bastei  mit  Höhenbeleuchtung 
während  der  Rückfahrt  in  Aussicht  genommen.  —  Einladungen  zu  dieser 
Versammlung  sind  von  der  Zentralstelle  des  Vereins  für  Sächsische  Volks- 
kunde, Dresden-A.,  Wallstr.  9I  zu  beziehen. 

ArelÜYe«  —  Für  jedes  Archiv  ist  es  eine  Notwendigkeit,  dafs  sich 
die  Verwaltung  darüber  Klarheit  verschafft,  in  welchem  Umfange  Archivalien, 
die  die  eigenen  Bestände  ergänzen,  in  anderen  Archiven  vorhanden 
sind.  Und  darüber  hinaus  ist  es  nötig,  von  ihrem  Inhalte  Kenntnis  zu 
nehmen  und  Abschriften  oder  Auszüge  zu  besorgen.  Wenn  das  letztere 
aber  einmal  geschieht,  dann  ist  es  ein  verdienstliche^  Werk,  wenn  das  sorg- 
f^tig  bearbeitete  Inventar  auch  durch  den  Druck  veröffentlicht  wird,  Dieser 
empfehlenswerte  Weg  ist  jüngst  vom  Staatsarchiv  Düsseldorf  beschritten 
worden.  Bekanntlich  sind  zur  Zeit  der  französischen  Herrschaft  am  Rhein 
viele  Archivalien  aus  dem  Roerdepartement  nach  Paris  gewandert,  die  in 
den  dortigen  Archiven  ruhen,  während  andere  für  die  rheinische  Geschichte 
nicht  minder  wichtige  organisch  bei  den  französischen  Zentralbehörden  ent- 
standen sind.  Bereits  früher  hatte  Sauerland  nach  Archivalien  aus  Köln 
in  Paris  geforscht,  und  nunmehr  hatRichardKnipping  dasselbe  für  den 
ganzen  Niederrhein  getan,  soweit  der  Sprengel  des  Düsseldorfer  Staatsarchivs 
in  Frage  kommt.  Er  hat  die  BibliotMque  nationale  imd  das  Ärchives 
nationales  durchforscht,  während  das  Archiv  des  Ministh'e  des  affaires 
Hranghres  noch  eines  Inventars  entbehrt,  an  dessen  Hand  eine  solche  Durch- 
sicht vorgenommen  werden  könnte.  Das  Kriegsarchiv  (Archiv  des  Ministdre 
de  la  guerre)  dagegen  veröffentlicht  gerade  ein  ausführliches  Inventar  (Tome  I, 
Paris  1898),  so  daß  eine  auszugsweise  Behandlung  desselben  überflüssig  wird. 

Als  Niederrheinische  ÄrchivcUien  in  der  Nationalbibliothek  und  dem 
Nationalarchiv   zu   i\im,    zusammengestellt    von     Richard   Knipping 


—     322     — 

[=  Mitteilungen  der  K.  Preußischen  Archiwerwaltung,  Heft  8  (Leipzigs 
S.  Hirzel  1904.  VIII  und  126  S.  8^  M.  5,00)],  ist  diese  Arbeit  er- 
schienen, deren  Inhalt  durch  ein  Personen-  und  Ortsregister  erschlossen  wird. 
Sie  zerfällt  in  Urkunden  (S.  1  —  35,  222  Nummern)  und  Handschriften 
(S.  35 — 66)  der  Nationalbibliothek  und  in  Urkunden  (S.  67 — 85, 
114  Nummern),  Handschriften  (S.  85 — 87)  und  Akten  (S.  87 — 105) 
des  Nationalarchivs.  Es  ist  kaum  möglich,  eine  Vorstellung  davon  zu 
geben,  wie  hier  wieder  die  Materialkenntnis  erweitert  wird,  und  doppelt 
dankbar  mufs  die  Forschung  dafür  sein,  daß  diese  Angaben  auch  durch  die 
Drucklegung  allgemein  zugänglich  gemacht  worden  sind.  War  von  den 
mittelalterlichen  Quellen  vieles  auch  schon  bekannt,  so  ist  die  Zusammen- 
stellung doch  von  hohem  Werte.  Durchweg  neue  Erkenntnisse  aber  ver- 
mitteln die  Akten  aus  der  Zeit  der  französischen  Herrschaft  am  Niederrhein 
und  im  Großherzogtum  Berg;  es  sei  hier  nur  auf  die  Einführung  der  fran- 
zösischen Gerichtsverfassung  (S.  87 — 88),  auf  die  Akten  über  die 
Universitäten  Duisburg,  Herbom,  Münster  und  Düsseldorf  (S.  89),  das 
Physikalienkabinett  und  den  botanischen  Garten  in  Dillenburg  (S.  89), 
Unterstützung  reformierter  Gemeinden  (S.  90),  vor  allem  aber  auf  die 
zahlreichen  Akten  zur  Geschichte  der  Industrie  und  des  Handels 
(S.  90  —  91)  hingewiesen.  Die  Ausfuhr  von  Solinger  imd  Remscheider  Fabri- 
katen nach  Amerika  181 3  und  die  Errichtimg  von  zwei  Filialen  der  Fabrik 
des  I.  G.  Diederichs  in  Remscheid  in  Newyork  und  Charlestown  1809 — 18 11 
dürften  besonderes  Interesse  beanspruchen.  Recht  wichtig  sind  auch  die 
Pläne  und  Karten,  die  S.  102 — 104  verzeichnet  sind. 

Es  wäre  nur  zu  wünschen,  daß  recht  bald  die  entsprechende  Arbeit 
auch  für  die  südlicheren  Rheinlande  geleistet  wird.  Das  schöne  Ergebnis, 
welches  vorliegt,  sollte  dazu  ermutigen,  und  wenn  die  Arbeit  gut  organisiert 
würde  —  außer  dem  preußischen  Archivsprengel  Koblenz  würden  Hessen 
und  die  bayerische  Pfalz  in  Frage  kommen  — ,  dürften  Arbeit  und  Kosten 
gar  nicht  allzu  groß  sein. 

Arehlre  und  Kunstgeschichte.  —  In  Anlehnmig  an  einen  früheren 
Aufsatz  von  R.  Hansen  (Oldesloe)  über  diesen  Gegenstand^)  ist  schon 
mehrfach  in  diesen  Blättern  nachdrücklich  auf  die  Bedeutung  hingewiesen 
worden,  die  eine  eindringende  archivalische  Forschung  für  die  Kunst- 
geschichte besitzt,  so  daß  sich  die  Notwendigkeit  systematischer  Arbeit  in 
dieser  Richtung  immer  deutlicher  ergibt  Emen  wichtigen  derartigen  Beitrag 
zur  Geschichte  des  Nürnberger  Bildschnitzers  Veit  Stoß  hat  neuerdings 
Wilhelm  Seraphin  im  Korrespondensblatt  des  Vereins  für  sid>efibürgische 
Landeskunde  29.  Jahrgang  Nr.  7  (Juli  1906)  geliefert,  indem  er  eme  Ur- 
kunde vom  13.  Januar  1523  mitteilt,  in  der  meister  Veit  Stoß,  bildschnitsler, 
als  Mitglieder  der  die  Maler,  Tischler,  Bildschnitzer  mid  Glaser  umfassenden 
Zunft  zu  Kronstadt  in  Siebenbürgen  genannt  wird.  Noch  im  Jahre  1886 
war  auch  das  älteste  Zunftbuch,  das  1520  angelegt  worden  ist,  vorhanden, 
aber  leider  ist  es  seitdem  verschollen;  wenn  es  wieder  aufgefunden  würde, 
so  dürfte  sich  auch  die  Zeit,  in  der  Stoß  in  jene  Zunft  eingetreten  ist,  näher 


i)  Dentsche  Geschichtsblätter  4.  Bd.,  S.  18—23. 


—     323     — 

bestimmen,  vielleicht  auch  etwas  über  seine  sonstigen  Lebensverhältnisse 
erkennen  lassen.  Da  Stofi  1503  wegen  Urkundenfälschung  in  Nürnberg 
verurteilt  worden  ist,  wäre  es  sehr  wohl  denkbar,  daß  er  seine  Heimat  noch- 
mals verlassen  hat,  nachdem  er  schon  bis  1496  in  Krakau  gelebt  hatte. 
Völlig  ausgeschlossen  wäre  aber  auch  nicht,  daß  es  sich  etwa  um  einen 
dritten,  bisher  imbekannten  Sohn  des  Meisters  handelt ;  denn  bis  jetzt  wissen 
wir  nur,  daß  sein  Sohn  Johann  1530  in  Schäsburg  in  Siebenbürgen  ge- 
storben ist  tmd  daß  Martin  beim  Tode  des  Vaters  (1533)  noch  in  Mediasch 
gelebt  hat. 

Eommissioneil.  —  Am  9.  Dezember  1905  fiand  in  Leipzig  die 
10.  Jahresversammlung  der  Königlich  Sächsischen  Kommission 
für  Geschichte')  statt.  Von  den  Veröffentlichungen  der  Kommission  sbd 
im  Berichtsjahre  erschienen  die  Sektionen  393  (Kamenz)  und  394  (Niesky) 
der  Grundkarte  des  Königreichs  Sachsen,  so  daß  die  von  der  Kommission 
zu  bearbeitenden  Teile  jetzt  vollständig  vorliegen,  imd  ^A^^en  und  Briefe 
jsur  XirchenpolUik  Herßog  Georgs  von  Sachsen ,  herausgegeben  von  Feli- 
cian  Geß,  i.  Bd.,  die  Jahre  1517  bis  1524  umfassend  (Leipzig  1905, 
Preis  29  M.).  Die  übrigen  Unternehmungen  sind  sämtlich  gefördert  worden. 
Für  die  Bibliographie  der  sächsischen  Geschichte  sind  durch  den  Bearbeiter, 
Viktor  Hantzsch,  über  47700  Titel  aufgenommen  worden;  der  Brief- 
üoechsel  der  KurfürsHn  Maria  Äntonia  mit  der  Kaiserin  Maria  Theresia, 
herausgegeben  von  WoldemarLippert,  ist  im  Druck  nahezu  vollendet; 
fertiggestellt  wurden  auch  Die  Malereien  in  den  Handschriften  des  König- 
reichs Sachsen^  bearbeitet  von  Prof.  Brück  (Dresden),  und  die  Ausgabe  der 
ältesten  gedruckten  Karten  der  sächsisch-thüringischen  Länder  (1550—1593), 
die  Viktor  Hantzsch  besorgt  hat.  Die  Vorarbeiten  zu  dem  Histo- 
rischen Ortsverzeichnis,  das  Alfred  Meiche  bearbeitet,  werden 
ämterweise  vorgenommen,  und  für  die  Verwendung  einer  Hilfskraft  dabei 
sind  dem  Bearbeiter  die  Mittel  gewährt  worden.  Die  Reproduktion  der 
älteren  Flurkarten  Sachsens  geht  dank  der  Unterstützung,  die  die  Öko- 
nomische Sozietät  zu  Leipzig  imd  andere  Körperschaften  gewährt  haben, 
ihrem  Abschluß  entgegen.  Die  vom  Verein  für  sächsische  Volkskunde  vor- 
genommene Sammlung  von  Flurnamen  wird  seitens  der  Kommission 
unterstützt.  Neu  aufgenommen  wurde  unter  die  Publikationen  der  Kommission 
•eine  Geschichte  des  sächsischen  Staatsschuldenwesens,  die 
Dr.  Däbritz  (Leipzig)  bearbeitet. 

Neu  eingetreten  sind  in  die  Kommission  Joseph  Parts ch,  Professor 
der  Erdkunde  an  der  Universität  Leipzig,  und  Archivrat  Woldemar 
Lippert,  Staatsarchivar  in  Dresden.  Zum  geschäftsführenden  Mitgliede 
auf  weitere  fünf  Jahre  wurde  Prof.  Karl  Lamprecht  wiedergewählt 

Dem  neunten  im  Mai  1906  erstatteten  Jahresbericht  der  Historischen 
Kommission  für  Hessen  und  Waldeck  *)  ist  folgendes  zu  entnehmen.  Im 
Berichtsjahre   wurde    herausgegeben    Der   Brakteatenfund   von    Seega   (Mit 


i)  Vgl.  6.  Bd.,  S.  325—326. 

2)  Vgl.  6.  Bd.,  S.  327. 

23 


—     324     — 

23  Lichtdrucktafeln«   Marburg,   Elwert   1905.     M.    20,00),  bearbeitet  von 
H.    Buchenau,   den  die  Kommission  im  Verein    mit    der    für   Sachsen- 
Anhalt  veröffentlicht  hat.    Von  der  Grundkarte,  die  unter  Leitung  des  General^ 
Eisentraut  der  Verein  für  hessische  Geschichte  und  Landeskunde  in  Kassel 
herausgibt,  sind  die  Doppelsektionen   Uslar- Kassel  und  Melsungen  -  Hersfeld 
erschienen;    das  letzte  Blatt,  Eschwege  -  £isenach ,  ist  nahezu  vollendet;   der 
Preis   für   ein  Blatt   beträgt   0,45  M.     Die  Vollendung   des   Fuldaer  Ur- 
kundenbuchs,    die    Prof.    Tan  gl    (Berlin)    unmöglich    ist,    übeminm)t 
Dr.  E.  Stengel  (Berlin),    der  schon  früher  einige  Zeit  dafür  tätig  gewesen 
ist.     Die  Arbeiten  an  den  Landgrafenregesten  sind  so  weit  gefördert, 
dafs   der  Druck   einer   ersten   Lieferung  bald  wird  beginnen   können.     Die 
Herausgabe    von    Sturios    Jahrbüchern     der    Grafschaft    Hanau 
1600  — 1620    übernimmt   Oberlehrer   Becker    (Marburg);    femer   gibt    die 
Kommission  eine  Arbeit  über  hessische  Behördenorganisation  heraus- 
die  Archivassistent  G  u  n  d  1  a  c  h  bearbeitet :  der  erste  Teil  wird  ein  Diener^ 
buch  (1247 — 1604,   d.    h.   bis   zur  Einsetzung   des   Geheimen   Rats)   ent- 
halten, der  zweite  Teil  eine  ausgewählte  Sammlung  von  Urkimden  imd  Akten 
zur   Geschichte    der  Hofhaltung    imd    des   Beamtentums.      Beiträge    zur 
Vorgeschichte   der   Reformation   in   Hessen,   die   Archivassistent 
Der  seh  bearbeitet,  herauszugeben,  wurde  neu  beschlossen  und  die  Leitung 
einem    Ausschusse,    bestehend    aus    den    Kommissionsmitgliedem    Diehl, 
Haupt  imd  Wenck,  übertragen. 

Durch  den  Tod  verlor  die  Kommission  die  Mitglieder  Rudolf 
v.  Buttlar  (Elberberg)  und  Wilhelm  Oncken  (Gießen).  Neugewählt 
wurden  als  Mitglieder  Oberlehrer  Becker  (Marburg),  Prof.  Brackmann 
(Marburg),  Geh.  Baurat  Hoffmann  (Fulda),  Archivassistent  Huyskens 
(Marburg),  Prof.  Leimbach  (Fulda),  Prof.  Hermann  Oncken  (Gießen), 
Prof.  Richter  (Fulda),  Haupüehrer  Vonderau  (Fulda),  Dr.  Wiese  (Mar- 
burg). —  Der  Jahreseinnahme  von  6050  M.  steht  eine  Ausgabe  von  5798  M. 
gegenüber;  der  Kassenbestand  beziffert  sich  auf  6314  M. 

Aus  dem  Berichte  über  die  32.  ordentliche  Versammlung  der  Hi- 
storischen Kommission  für  Sachsen-Anhalt,  die  26.  und  27.  Mai 
1906  in  Zerbst  stattfand,  ist  folgendes  mitzuteilen  *).  Vom  Urkundenbuchc 
der  Stadt  Qoslar  ist  der  4.  Band,  der  die  Jahre  1336 — 1364  umfaßt,  er- 
schienen, ebenso  der  Erphurdianua  antiquitatum  variloquus,  ersterer  von 
Landgerichtsdirektor  Bode,  letzterer  von  Gymnasialdirektor  Thiele  heraus- 
gegeben. Femer  wurde  im  Verein  mit  der  Historischen  Kommission  für 
Hessen  und  Waldeck  Der  Brakteatenfund  wn  Seega  veröffentlicht  Für  die 
Fortsetzimg  des  Erfurter  Urkundenbuches  wurde  Oberlehrer  Eitner  ge- 
wonnen, für  die  Bearbeitung  eines  Eislebener  Urkundenbuchs  Prof.  G  r  ö  f  s  1  e  r. 
Dagegen  hat  sich  die  durch  längere  Verhandlungen  erweckte  Hoffnimg,  mit 
Unterstützung  der  Mansfelder  Gewerkschaft  ein  Urkundenbuch  des 
Mansfelder  Bergbaus  zu  schaffen,  nicht  erfUllt.  Grundsätzlich  wurde 
dem  Antrage  von  Prof.  Heldmann  zugestimmt,  systematisch  Quellen  zur 
städtischen    Verfassungs-,     Verwaltungs-     und     Wirtschafts- 

i)  Ober  die  31.  Sitzimg  1905,  vgl.  oben  S.  58. 


—     826     — 

geschichtet)  zu  veröffentlichen,  und  eine  Kommission  (Heldmann,  Liebe, 
Wäschke)  eingesetzt,  die  zunächst  das  Material  feststellen  und  einen  Phin 
fUr  die  Publikation  vorlegen  soll.  Als  Neujahrsblatt  für  1906  ist  die  Ab- 
handlung Das  Zerbster  Bier  von  Wäschke  erschienen.  Beraten  wurde 
über  den  Antrag  Größler,  wissenschaftlich  begründete  Heimatskunden 
der  einzelnen  Kreise  unter  die  Veröffentlichimgen  aufzunehmen;  auf  diesen 
allgemein  wichtigm  Gegenstand  wird  später  in  diesen  Blättern  noch  zurück- 
zukonunen  sein.  Von  den  Denkmälerbeschreibungen  ist  der  Kreis  Naum- 
burg (Land),  bearbeitet  von  Bergner,  erschienen.  Zum  Direktor  des 
Provinzialmuseums  wählte  die  Konmiission  Karl  Reufi  und  genehmigte  deu 
Vorschlag,  ein.e  engere  Vereinigung  der  Museen  für  die  Provinz 
zu  begründen,  bewilligte  auch  die  dadurch  entstehenden  Kosten.  Die  Ver- 
öffentlichung Vorgeschichtliche  ÄUertümer  wird  mit  dem  erschienenen  zwölften 
Hefte  abgeschlossen;  weitere  entsprechende  Arbeiten  sollen  in  die 
Jahresschrift  für  die  Vorgeschichte  der  sächsisch-thüringischen  Lande,  von 
der  vier  Bände  vorliegen,  aufgenommen  werden.  Eine  von  Dr.  Walther 
(Wernigerode)  bearbeitete  Karte  zur  Agrarverfassung  des  Herzog- 
tums Magdeburg  in  der  zweiten  Hälfte  des  XVUI.  Jahrhunderts  wird 
auf  Kosten  der  Kommission  gedruckt  imd  den  Magdeburgischen  Oeschichts- 
blättern  beigegeben,  in  denen  die  dazu  gehörige  Abhandlung  erscheint.  Das 
gesamte  Flurkarten material,  das  einen  Wert  von  35000  Mk.  besitzt,  ist 
von  Quedlinburg  nach  Halle  überführt  worden.  Nach  Vollendung  der  Grund- 
karte  Zeitz-Gera  liegen  acht  Blätter  fertig  vor;  auch  Stendal-Burg  wir  bald 
ausgegeben  werden.  Hinsichtlich  der  Wüstungsverzeichnisse  wurde 
beschlossen,  daß  diese  nicht  mehr,  wie  bisher,  nur  Quellenveröffentiichungen 
darstellen,  sondern  zu  abgerundeten  darstellenden  Arbeiten  gemacht  werden 
sollen.  Die  Inventarisation  der  nichtstaatlichen  Archive  durch 
Archivar  Rosenfeld  ist  im  Kreise  Jerichow  nahezu  vollendet;  die  Kosten 
wird  die  kgl.  Archiwerwaltung  übernehmen. 

Der  Haushalt  der  Kommission  einschließlich  der  Kosten  für  das 
Provinzialmuseum  zu  Halle  hält  mit  26450  Mk.  das  Gleichgewicht. 

Preisausschreiben.  —  Die  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichts- 
kunde setzt  aus  der  Mevissenstiftung')  auf  die  Lösung  folgender  Preis- 
aufgaben Preise  aus:  i.  Begründung  und  Ausbau  der  Brandenburgisch- 
Preufsischen  Herrschaft  am  Niederrheia  Zur  Feier  ihres  dreihundert- 
jährigen Bestehens.  Preis:  3000  M.  Frist:  i.  Oktober  1908.  2.  Konrad 
vQn  Heresbach  mit  besonderer  Rücksicht  auf  seine  Bedeutung  als 
Pädagoge.  Preis:  2000  M.  Frist:  i.  Juli  1909.  —  Bewerbimgsschriften 
sind  bis  zu  den  angegebenen  Terminen  an  den  Vorsitzenden,  Archivdirektor 
Prof.  Dr.  Hansen  in  Köln  einzusenden. 

Zar  Wledertänferllteratur.  —  „  Die  Literatur  der  wiedertäuferischen 
Märtyrerlieder  ist  sehr  schwer  zu  überschauen,  weil  nur  ein  kleinerer  TeU 
derselben  neuerlich  wieder  (hauptsächlich  durch  Ph.  Wackemagel)  gedruckt 
worden  ist,  die  alten  täuferischen  Gesangbücher  aber  zu  den  bibliographischen 


i)  Vgl.  EU  diesem  Gegenstände  oben  S.  263 — 288. 

2)  Die  bereits  früher  gestellten  Aufgaben  sind  oben  S.  201  mitgeteilt. 

23* 


—     326     — 

Seltenheiten  gehören/*  So  schrieb  v.  Liliencron  1875  ^)*  ^^^  hier  aus- 
gedrückten Mangel  hat  nun  Wolkan  ')  durch  eine  Musterung  und  Sichtung 
der  Wiedertäuferlieder  abgeholfen«  durch  die  jetzt  eine  bequeme  Übersicht 
zu  gewinnen  ist.  Bevor  er  zu  seinem  Thema  übergeht,  gibt  Wolkan  gleich- 
sam als  Ftmdament  einen  historischen  Überblick  über  die  Anfänge  der  Sekte, 
die  er  mit  Recht  aus  dem  Gegensatze  zu  Zwingli  imd  indirekt  zu  Luther 
entstehen  läfst;  er  stellt  sich  in  der  bekannten  Streitfrage  mit  aller  Ent- 
schiedenheit auf  die  Seite  jener,  welche  den  bewufsten  Zusammenhang  mit 
früher  auftretenden  ähnlichen  Anschauungen  leugnen:  „Der  Jänner  des 
J.  1525  ist  der  Geburtsmonat  der  Täufergemeinden^S  (S.  5.) 
An  erster  Stelle  bespricht  Wolkan  dann  die  ältesten  Lieder  der  Täufer.  Es 
sind  meistens  Namen  bekannter  Männer,  die  als  Autoren  aufgeführt  werden,  so 
Felix  Manz,  Michael  Sattler,  Balthasar  Hubm^der,  Hans  Schlaffer,  Ludwig 
Hätzer,  Jörg  Blaurock,  Hans  Hut.  Unter  den  Liedern  kann  der  Heraus- 
geber auch  einige  bisher  ungedruckte  mitteilen. 

Mit  der  Gründung  der  Huterischen  Gemeinde  in  Mähren  tritt 
eine  Gabelung  des  Täufertums  ein.  Die  Huterer  waren  eine  fortgeschrittenere 
Gemeinschaft,  während  die  „Schweizer  Brüder*'  im  Gegensatz  dazu  an 
den  Bestimmungen  der  Schlatter  Artikel  vom  24.  Februar  1527  festhielten  '). 
Zunächst  bei  der  Liederdichtung  der  Schweizer  Brüder  bleibend,  behandelt 
Wolkan  die  im  zweiten  Teile  des  Äu^>und  (Ausgabe  von  1583)  mit  eigener 
Seitenzählung  und  eigenem  Register  vereinigten  Gesänge,  die  nach  der  An- 
gabe im  Titel  von  den  Schweizerbrüdem  im  Gefängnis  zu  Passau  gedichtet 
und  gesungen  worden  sind.  Mit  Benutzimg  der  Akten  des  Münchener 
Reichsarchivs  über  die  in  Passau  (1535)  gefangengesetzten  Wiedertäufer 
kann  Wolkan  die  Liederdichter,  die  im  Ausbund  nur  mit  ihren  Initialen 
angeführt  werden,  namhaft  machen.  Die  Passauer  Lieder  sind  der  Stamm 
der  täuferischen  Dichtung  in  ganz  Deutschland,  speziell  der  Schweizerbrüder 
geworden,  während  die  Huterer,  welche  unter  Ausbildung  der  Hubmaierschen 
Idee  von  der  Gütergemeinschaft  ihren  eigenen  Weg  gingen,  nur  wenige  von 
diesen  Liedern  übernommen  haben. 

Eine  dritte  Spielart  der  Taufgesinnten  begründete  Melchior  Hoftnann, 
der  Kürschner  aus  Hall  in  Schwaben,  aus  dessen  Anhängern  auch,  äufserlich 
wenigstens,  die  Münsterischen  hervorgingen.  Für  die  Anhänger  Hofmanns 
war  es  von  der  allergröfsten  Bedeutung,  dafs  sich  ihnen  im  Jahre  1536  der 
ehemalige  katholische  Geistliche  Menno  Simons  anschlofs,  insofern  er 
Hofmanns  Dogma  von  der  Menschwerdung  Christi  annahm,  während  er  die 
unfruchtbaren  Schwärmereien  Hoftnanns  nüchternen  Sinnes  zurückwies.  Er 
löste  die  Hoftnannsche  Richtung  durch  die  der  nach  ihm  benannten 
Mennoniten  ab. 


i)  Abhandl.  der  histor.  Klasse  der  Kj^l.  Baier.  Akademie  d.  Wiss.  13.  Bd.,  S.  132. 

2)  Wolkan,  Die  Lieder  der  Wiedertäufer.  Ein  Beitrag  zur  deutmshen  und 
niederlandiachen  Literatur'  und  KirchengeschiMe,  (Berlin,  Behr  1903.  8*^.  X  und 
295  S.)  —  Das  Buch  ist  ein  glänzendes  Zeugnis  dafür,  welche  Bedeutung  die  geisüichen 
Lieder  als  Geschichtsquelle  besitzen,  und  kann  als  Beispiel  fUr  das  gelten,  was  Nelle 
im  6.  Bde.  dieser  Zeitschrift,  S.  296 — 301,  ausgeführt  hat. 

3)  Zu  S.  7  sei  folgendes  bemerkt:  Unter  Schlatten  am  Randen  ist  das  noch  be- 
gehende Dörfchen  Schlatt  am  Randen  in  Baden,  Bezirksamt  Engen,  nicht  Schieitheim  im 
Kanton  Schafihausen  zu  verstehen. 


—     327     — 

Die  Lieder  der  Mennoniten  in  Deutschland  sind  stark  beeinflufst  durch 
die  Lieder  der  niederländischen  Täufer,  weshalb  Wolkan  diesen  zunächst 
ein  eigenes  Kapitel  widmet.  Er  handelt  darin  von  der  Liedersammlung  im 
Off  er  des  Heeren  %  dem  Liedeboech  van  vde  dwerache  Liedekens  und  den 
Vedderhande  Liedekens,  welch  letzteres  Gesangbuch  1569  gedruckt  wurde. 
Das  in  zweiter  Auflage  nach  dem  Jahre  1569  erschienene  älteste  Gesang- 
buch der  deutschen  Mennoniten  ist  zum  Teil  eine  Übertragung  nieder- 
ländischer Originale,  die  sich  in  den  Veelderhande  Liedekens  finden;  auch 
von  den  Schweizer  Brüdern  sind  Lieder  übernommen;  nebenher  gehen 
Originallieder.  Die  dritte  Auflage  dieses  Gesangbuches,  welche  auch  Lieder 
von  Lenaert  Klock  enthält,  setzt  Wolkan  in  die  Jahre  1589  bis  1593.  Im 
Gegensatz  zu  den  Schweizer  Brüdern,  die  die  Erbsünde  leugneten,  hält  das 
mennonitische  Gesangbuch  an  dem  Dogma  von  der  Erbsünde  fest.  Es  kennt 
auch  nur  die  Einehe,  welche  jedoch  im  Falle  eines  Ehebruchs  löslich  ist. 

Von  den  mennonitischen  Liedern  wendet  sich  der  Verfasser  zu  den 
späteren  Liedern  der  Schweizer  Brüder,  die  in  dem  Ausbund  etUcher  schöner 
christlicher  Qeseng  und  in  den  Etliche  sehr  schöne  christliche  Orange 
niedergelegt  sind.  Die  älteste  bekannte  Ausgabe  beider  Liedersammlungen 
in  einem  Bande  ist  die  von  1583.  Jedoch  war  der  Ausbund  schon  157 1 
vorhanden,  denn  in  dem  Frankentaler  Gespräch  geschieht  seiner  bereits 
Erwähnimg.  Nicht  alle  Lieder  vom  Ausbimd  sind  ausschliefsliches  Eigentum 
der  Schweizer ;  es  finden  sich  Entlehnungen ,  besonders  aus  Michael  Weifse's 
Gesangbuch  der  böhmischen  Brüder  von  153 1,  eine  andere  Gruppe  erweist 
sich  als  Übertragung  niederländischer  Lieder,  eine  dritte  Grappe  hat  der 
Ausbund  mit  der  zweiten  und  dritten  Auflage  des  mennonitischen  Gesang- 
büchleins gemeinsam.  Unter  den  Liedern,  fUr  die  der  Ausbund  erste  Quelle 
ist^  ragen  vier  Lieder  von  Christoph  Baumann  als  bessere  Dichtungen  hervor. 
Der  dogmatische  Gegensatz  der  Schweizer  Brüder  zu  den  Mennoniten  in 
bezug  auf  die  Inkamationslehre  wird  nicht  verschleiert.  Während  letztere 
lehrten,  dafs  Christus  durch  einen  besonderen  Schöpfungsakt  aus  dem  Worte 
Fleisch  geworden  sei,  gleichsam  wie  ein  Sonnenstrahl  durch  die  Jungfrau 
Maria  hindurchgegangen  sei,  blieben  die  Schweizer  Brüder  dabei,  dafs  Christus 
dem  Fleische  nach  zum  Geschlechte  Davids  gehöre.  Die  in  Rede  stehenden 
zwei  Liedersammlungen,  welche  später  zusanunengezogen  wurden,  erzielten 
vielfache  Aufli^en  unter  dem  Gesamttitel  Aushund.  Die  letzte  Auflage  ist  1838 
in  Basel  bei  Heinrich  von  Mechel  erschienen.  Neben  dem  Aus^imd  gab  es 
noch  eine  Menge  von  Liedern  der  Brüder,  die  in  Einzeldrucken  weite  Ver- 
breitung fianden;  sie  bestätigen  die  Tatsache,  dafs  die  Gegensätze  zwischen 
Mennoniten  und  Schweizer  Brüdern  mit  der  Zeit  schwanden,  und  letztere  all- 
mählich und  fielst  unbewufst  zu  den  mennonitischen  Anschauungen  sich  be- 
kannten, so  dafs  auch  das  niederländische  „Glaubensbekenntnis  der  waffen- 
losen Christen*'  Eingang  in  die  Schweiz  finden  konnte.  Dieses  Glaubens- 
bekenntnis ist  für  den  Historiker  namentlich  dadurch  interessant,  dafs  es 
noch   einmal   in  aller  Kürze  eine  Geschichte  der  Täufer  gibt  und  diese  mit 


i)  Enthält  Mfirtyrerbriefe  mit  einem  Anhange  von  Liedern,  neu  herausgegeben  von 
Cramer  und  Piyper  als  Band  II  der  Bihlioiheca  Beformatoria  Neerlandica  1904,  be- 
sp rochen  von  Giemen  im  Archiv  für  Reformationsgeschichte  2.  Bd.,  S.  406. 


—     328     — 

den  Zürchem  Konrad  Grebel,  Felix  Manz  und  Jörg  Blaurock  beginnen  läfst, 
also  keinerlei  Zusammenhang  mit  mittelalterlichen  Glaubensgenossen- 
schaften annimmt.  Die  wesentlichsten  Dogmen  der  Mennoniten,  ihre  Stellung 
zur  Menschwerdung  Christi,  ihre  Ansichten  über  Obrigkeit,  Schwert  tmd  Eid 
werden  in  diesem  Glaubensbekenntnis  betont. 

Das  letzte  imd  umfangreichste  Kapitel  ist  den  Liedern  der  H  u  t  e  r  er 
gewidmet.  Während  der  Verfasser  die  Lieder  der  Mennoniten  und  der 
Schweizer  Brüder  an  der  Hand  von  gedruckten  Gesangbüchern  einer  Be- 
trachtung unterziehen  konnte,  war  er  bei  der  Darstellung  der  Liederdichtung 
der  Huterer  oder  mährischen  Brüder  fast  ganz  ausschliefslich  auf  handschrift- 
liches Material  angewiesen,  zu  dem  namentlich  die  Bibliothek  des  Prefsburger 
Domkapitels,  die  Kapitelsbibliothek  in  Gran  und  die  Universitätsbibliothek  in 
Budapest  beigesteuert  haben.  Der  fruchtbarste  und  namhafteste  Liederdichter 
ist  der  aus  Hirschberg  in  Schlesien  gebürtige  Peter  Riedemann  (gest.  1556 
zu  Protzka  in  Ungarn),  derselbe,  welcher  in  der  Rechenschaft  des  Glaubens 
alle  Lehransichten  der  Huterer  bis  ins  einzelne  genau  begründet  hat.  Einige 
von  Riedemanns  Liedern,  die  alle  ungedruckt  sind,  teilt  Wolkan  als  Probe 
mit.  —  Die  Gesamtzahl  der  ims  erhaltenen  historischen  Lieder  —  Lieder  von 
und  auf  Märtyrer,  die  den  Verfolgungen  des  XVI.  Jahrhunderts  zum  Opfer 
fielen  —  dürfte  sich  auf  300  bis  350  belaufen;  sie  erzählen  von  den  Leiden 
und  Verfolgungen,  denen  die  Brüder  ausgesetzt  waren,  sind  auch  ein  Denk- 
mal der  heroischen  Stimmung  und  der  bewunderungswürdigen  Überzeugungs- 
treue angesichts  des  bevorstehenden  Todes,  und  in  diesem  historischen  Moment 
beruht  ihr  Wert  für  die  Nachwelt.  Im  übrigen  ist  der  ästhetische  Gehalt 
dieser  wie  der  gesamten  Liederdichtung  der  Wiedertäufer  aufserordentlich 
gering.  In  der  Form  lehnen  sich  die  Lieder  der  Huterer  ebenso  wie  die 
der  Schweizer  an  das  Volkslied  an,  dem  auch  die  Melodien  (Töne)  zum 
gröfseren  Teil  entnommen  sind;  einige  Melodien  sind  katholischen,  eine 
gröfsere  Zahl  protestantischen  Kirchenliedern  entlehnt 

Drei  Verzeichnisse  und  zwar  der  Dichter,  der  erwähnten  niederländischen 
Lieder  und  aller  Lieder  der  deutschen  Wiedertäufer  beschliefsen  das  Buch, 
das  als  ein  äufserst  wertvoller  Beitrag  zur  Geschichte  des 
Taufe rtums  zu  bezeichnen  ist.  Die  Übersichtlichkeit  über  die  Komposition 
des  Stoffes  innerhalb  der  einzelnen  Kapitel  hätte  durch  den  Druck  oder 
durch  Untertitel  hin  und  wieder  etwas  erleichtert  werden  können. 

Georg  Tumbült  (Donaueschingen). 

ArchSologtsche  Karte  und  Fandstatistik  Ton  Thfirlngen.  — 

In  Erfurt  traten  am  15.  Juli  1906  die  Vertreter  der  thüringischen  Geschichts- 
vereine, die  an  der  Herstellung  einer  archäologischen  Karte  und 
eines  Fundverzeichnisses  von  Thüringen  ^)  beteiligt  sind,  zu  ihrer 
zwölften  Beratung  zusammen.  Im  Jahre  1895  wurde  das  Unternehmen 
auf  Anregung  des  Erfurter  Geschichtsvereins  beschlossen  und  zwar  unter 
finanzieller  Beteiligung  folgender  Vereine  und  Institute :  i .  Museumsgesellschaft 
in  Arnstadt;    2.   Thüringerwald -Verein;    3.    Verem    für    Geschichte    imd 


i)  Vgl.   dazu   diese   Zeitschrift   3.  Bd.,   S.  238  Aom.  i    und   über  archäologische 
KaricQ  überhaupt  4.  Bd.,  S.  318—319  und  5.  Bd.,  S.   156 — 163. 


—     829     — 

Altertumskunde  der  Grafschaft  Mansfeld  in  Eisleben;  4.  Kgl.  Akademie 
gemeinnütziger  Wissenschaften  in  Erfurt;  5.  Verein  ftir  Geschichte  und 
Altertumskunde  in  Erfurt;  6.  Verein  für  Gothaische  Geschichte  und  Alter- 
tumsforschung zu  Gotha;  7.  Verein  ftir  Thüringische  Geschichte  und 
Altertumskunde  in  Jena;  8.  Geographische  Gesellschaft  in  Jena;  9.  Verein 
für  Geschichte  und  Altertumskunde  in  Kahla;  10.  Altertumsverein  in 
Nordhausen;  11.  Verein  ftir  deutsche  Geschichte  und  Altertumskunde  in 
Sondershausen;  12.  Harzverein  ftir  Geschichte  und  Altertumskunde; 
13'  Historische  Kommission  der  Provinz  Sachsen.  In  der  letzten  Ver- 
sammlung ^)  trat  dem  Unternehmen  noch  bei  14.  die  inzwischen  begründete 
Gesellschaft  ftir  Naturwissenschaft,  Völker-  und  Altertumskunde  zu  Weimar. 

Es  hat  lange  gedauert,  bis  die  ersten  druckfertigen  Teile  der  Arbeit 
vorgelegt  werden  konnten,  elf  Jahre!  und  mancher  der  beteiligten  Vereine 
mag  seinen  Beitrag  schon  als  wirklichen  fonds  perdu  betrachtet  haben. 
Die  Schuld  an  der  langen  Ausdehnung  der  Frist  vom  Entschluß  bis  zur  Aus- 
führung scheint  hauptsächlich  in  dem  Umstand  zu  liegen,  daß  man  die 
Arbeit  anfangs  unterschätzt  hatte  und  daß  man  infolge  davon  eine  Kom- 
mission von  drei  arbeitenden  Mitgliedern  ftir  ausreichend  hielt,  um  die 
Aufgabe  zu  bewältigen,  Männer,  die  alle  von  ihrer  amtlichen  Tätigkeit  in 
Anspruch  genommen,  nur  nebenbei  Zeit  und  Kraft  dem  Werke  widmen 
konnten.  Einer  von  diesen,  Museumsdirektor  Schmidt  (HaUe),  starb  schon 
1897,  ehe  er  mit  dem  ihm  zugefallenen  Teil  der  Vorarbeiten  begonnen 
hatte.  An  seme  Stelle  wurde  Professor  Höfer,  Vorsteher  des  Fürst- Otto- 
Museums  in  Wernigerode,  zum  Mitarbeiter  gewählt,  der  bis  dahin  als  Ver- 
treter des  Harzvereins  ftir  Geschichte  und  Altertumskunde  an  den  beratenden 
Sitzungen  teilgenommen  hatte.  Dieser  übernahm  von  den  Vorarbeiten  die 
Auszüge  aus  der  Literatur,  während  die  beiden  anderen  Mitarbeiter,  A.  Götz^, 
Direktorialassistent  am  Kgl.  Museum  ftir  Völkerkunde,  und  Sanitätsrat 
Zschiesche,  der  Vorsitzende  des  Erfurter  Geschichtsvereins ,  sich  in  die 
Bearbeitung  der  Museen,  Privatsammlungen  und  der  Fragebogen  teilten. 
Die  Auszüge  aus  dem  Provinzial- Museum  zu  Halle  und  aus  der  dortigen 
lokalen  Literatur  übernahm  1899  der  Museumsdirektor  Forts ch  (HaUe)  als 
vierter  Mitarbeiter,  der  aber  im  Oktober  vorigen  Jahres  gestorben  ist,  nach- 
dem er  die  genannten  Vorarbeiten  fast  vollendet  hatte. 

Um  einen  Begriff  von  dem  Umfange  der  Aufgabe  zu  gewinnen,  muß 
man  sich  daran  erinnern,  daß  die  thüringischen  prähistorischen  Funde  in 
etwa  1 7  öffentlichen  Museen  und  in  einer  großen  Zahl  von  Privatsammlungen 
aufbewahrt  werden;  unter  den  ersteren  sind  zu  nennen:  das  Museum  ftir 
Völkerkunde  in  Berlin,  das  Germanische  Museum  zu  Jena,  das  Provinzial- 
museum  zu  Halle,  die  Museen  o<jfr  Sammlungen  in  Weimar,  Erftirt,  Gotha, 
Arnstadt,  Mühlhausen,  Sondershausen,  Rudolstadt,  Nordhausen,  Sangerhausen, 
Eisleben,  Weißenfels,  Wernigerode,  Meiningen  und  Schloß  Reichenfels  bei 
Hohenleuben.     Auch  die  Museen  in  Leipzig  und  Dresden  enthalten  thüriü- 

I)  Es  nahmen  daran  teU:  ans  Arnstadt:  Cämmerer;  ans  Eisleben:  Gröfiler; 
aas  Erfurt:  Orgel,  Overmann,  Zchiesche ;  aus  Gotha:  Florschtttz ;  ans  Berlin:  Götze ; 
aas  Nordhaasen:  Meyer;  aas  Sondershaasen:  Erichsen;  aas  Weimar:  Möller, 
Pfeiffer;  aas  Wernigerode:  Höfer.  —  Die  Historische  Kommission  der  Provins 
Sachsen  war  dorch  Oberbürgermeister  Schmidt  (Erfurt)  vertreten. 


—     330     — 

^sche  Funde.  Noch  mehr  zerstreut  ist  die  Literatur  Über  die  archäologischen 
Funde  und  Ausgrabungen  Thüringens,  die  in  Hunderten  von  Bänden  auf- 
gesucht, gedeutet  und  in  knappen  Auszügen  wiedergegeben  werden  mußte. 
Abgesehen  von  vielen  vereinzelten  Veröffentlichungen  in  Zeitschriften  oder 
Sonderschriften  mögen  hier  nur  die  größeren  Sammelwerke  genannt  werden: 
Kruse,  Deutsche  AUertumer  (Halle  1824  —  1830,  3  Bde.);  Vulpius, 
OuriosUäten  (Weimar  1811 — 1819);  Rosenkranz,  Neue  ZdUchrift  für 
die  Geschichte  der  germanischen  Völker  (Halle  1832);  Zeitschrift  für 
Ethnologie,  Anthropologie  und  Urgeschichte  \fitt)^  1872 — 1906,  34  Bde.); 
Nachrichten  über  deutsche  AUertumsfunde  (Berlin  1890  —  1904,  15  Jahr- 
gänge); Jahresschrift  für  Vorgeschichte  der  sächsisch-thüringischen  Länder 
(Halle  1902 — 1905,  4  Bde.);  VorgeschkhtUche  Altertümer  der  Froving 
Sachsen  (Halle  1883 — 1906,  12  Hefte);  Mitteilungen  aus  dem  Urovinßial' 
miuseum  eu  Haue  (Halle  1894  — 1900,  2  Bde.);  KorrespondenMatt  der 
deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte  (Braim- 
schweig  187 1 — 1906,35  Jahrgänge);  Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins 
der  deutschen  GeschichtS"  und  Altertumsvereine  (Berlin  1852 — 1906,  53  Jahr- 
gänge) ;  Anzeiger  des  Germanischen  Nationalmuseums  zu  Nürnberg  (Nürn- 
berg 1859 — 1895,  37  J^fgänge);  Katalog  der  prähistorischen  Ausstellung 
in  Berlin  1880;  Regel,  Thüringen  11,2.  (Jena  1894).  Undset,  Das 
erste  Auftreten  des  Eisens  in  Nordeuropa  (Hamburg  1882);  Montelius, 
Chronologie  der  ältesten  Bronzezeit  (Braunschweig  1 900) ;  Götze,  Neolithische 
schnurverzierte  Keramik  im  Saalegebiet  (Jena  189 1).  Außerdem  die  Zeit- 
schriften, Mitteilungen,  Jahresberichte  von  zwölf  Geschichtsvereinen,  von 
denen  manche  auf  50,  ja  auf  70  Jahre  zurückblicken. 

Die  ausführende  Konmiission  ist  während  der  zwölf  Jahre  sechzehnmal 
zusammengetreten,  sowohl  um  den  Arbeitsstoff  zu  teüen,  den  Inhalt  des 
Werkes  nach  seinen  Teilen  festzustellen,  die  Methode  der  Arbeit,  die  Form 
der  Auszüge,  die  Redaktion  derselben  nach  Kreisen  oder  Verwaltungs- 
bezirken möglichst  emheitlich  zu  gestalten,  als  auch  um  eine  Reihe  not- 
wendiger Vorfragen  gemeinsam  zu  erledigen.  So  mußten  für  die  Karte  die 
Farben  für  sechs  verschiedene  Perioden  und  die  Zeichen  für  die  verschiedenen 
prähistorischen  Fimdarten  beraten  werden,  nachdem  ein  Versuch,  zu  gemein- 
samen Zeichen  für  ganz  Deutschland  zu  gelangen,  nicht  zum  Ziele  geführt 
hatte.  Es  mußte  femer  Einigung  in  der  Terminologie  erzielt  werden,  sowie 
in  schwierigeren  Fragen  der  PeriodeneinteUung.  Die  Fragebogen  mußten 
verfaßt  und  an  die  kleineren  Sammlungen  versandt  werden.  Mehrere  Be- 
rattmgen  bezogen  sich  auch  auf  die  Auswahl  der  Gegenstände,  die  als 
besonders  typisch  und  charakteristisch  auf  24  Lichtdrucktafeln  abgebildet 
dem  Werke  beigegeben  werden  soUten.  Die  Stärke  der  Auflage  imd  die 
Art  der  Herausgabe  mußte  erwogen  und  der  Vertreterversammlung  zum  Be- 
schluß vorgelegt  werden.  Es  mußten  schließlich  die  Abkürzungen  für  Museen 
und  besonders  für  die  Literaturvermerke,  die  Reihenfolge  der  Au&ählung, 
die  Anwendung  von  Absätzen,  Klammem,  Punkten  im  Text  festgesetzt 
werden,  Formah'täten ,  die  nötig  wurden,  weü  die  Redaktion  des  Textes  in 
verschiedenen  Händen  lag. 

Zur  Herstellung  der  Kartenunterlage  hat  der  Chef  der  Landesau&ahme 
sowohl   die   Platten   der   Generalstabskarte   von    i  :  100  000   zum  Umdmck, 


—     831     — 

als  auch  die  für  die  Vorarbeiten  nötigen  Elartenblätter  unentgeltlich  zur 
Verfügung  gestellt  Der  Umdruck  ist  erfolgt;  die  Kartenunterlage  besteht 
aus  zwei  großen  Tafeln »  von  denen  jede  sechs  und  zwei  halbe  Sektionen 
der  Generalstabskarte  enthält.  Dabei  ist  der  Mangel  entstanden ,  daß  die 
Saale  zwischen  Naumburg  und  Halle  außerhalb  der  Karte  fällt,  die  hier  mit 
der  Sektion  Querfurt  abschließt  Dieser  Mangel  soll  dadurch  einigermaßen 
ausgegUchen  werden,  daß  wenigstens  im  Text  die  Fimde  bis  zur  Saale  auf- 
geführt werden.  Besser  wäre  es  jedenfalls  gewesen,  wenn  eine  Verschiebung 
der  ganzen  Karte  um  eine  halbe  Sektion  von  Westen  nach  Osten  statt- 
gefunden hätte. 

Das  Werk  wird  bestehen:  i.  Aus  einer  Übersicht  über  die 
prähistorischen  Verhältnisse  Thüringens,  verfaßt  von  Götze.  2.  Aus  einer 
vollständigen  Fundstatistik  für  Thüringen,  geordnet  nach  Kreisen  bzw. 
Verwaltungsbezirken  und  innerhalb  derselben  nach  den  Ortschaften  in 
alphabetischer  Reihenfolge;  die  Ftmde  jeder  Ortschaftsflur  sind  nach  den 
Perioden  geordnet  und  innerhalb  der  Perioden  nach  den  Kategorien: 
Grabfunde,  Ansiedelungen,  Depotfunde,  Einzelfunde.  Der  Text  enthält  von 
dem  Ftmdbericht  so  viel  wie  zur  Beurteüung  des  Fimdes  nötig  ist,  namentlich 
auch  Aufzählung  der  gefundenen  Objekte.  3.  Aus  einem  Literatur- 
nachweis, enthaltend  alle  Aufsätze  und  Schriften,  die  über  thüringische 
Archäologie  handeln,  auch  solche  allgemeineren  Inhalts,  die  für  Thüringen 
mit  gelten;  geordnet  nach  Perioden  und  der  Kategorie  Allgemeines,  verfaßt 
von  Höfer.  4.  Aus  dem  bildlichen  Teil,  enthaltend  alle  charakte- 
ristischen Typen  tmd  wichtigen  Objekte  in  Lichtdruck,  die  von  der  Konmiission 
ausgewählt,  von  Götze  auf  24  Tafeln  angeordnet  sind,  dazu  ein  Fund- 
stellenverzeichnis von  demselben.  5.  Aus  der  Karte  im  Maßstab  von 
I  :  IOC 000,  bestehend  aus  zwei  Teüen  von  je  i  m  Länge,  0,70  m  Breite. 
Auf  dieser  sind  die  Fundzeichen  in  den  betrefifenden  Farben  eingetragen 
und  zwar  auf  der  Fundstelle  selbst,  wenn  diese  zu  ermitteln  ist,  sonst  imter 
dem  Ortsnamen. 

Die  Finanzen  des  Unternehmens  verwaltet  Sanitätsrat  Zschiesche  und 
legt  darüber  jährlich  Rechnung,  er  beruft  und  leitet  die  Versammlungen, 
imd  besorgt  den  Druck  (bzw.  Abschriften)  imd  die  Versendung  der 
Protokolle;  er  hat  auch  die  Verhandlungen  mit  den  Vereinen  imd  den 
Behörden  geführt. 

In  der  Vertreterversammlung  am  15.  Juli  d.  J.  in  Erfurt  wurden  als 
fertig  vorgelegt  die  24  Lichtdrucktafeln;  als  druckfertig  der  Literaturnachweis 
in  230  Nmnmem;  femer  der  Text  der  Fundstatistik  von  drei  Kreisen: 
I.  Sangerhausen,  redigiert  von  Höfer;  2.  Querfurt,  redigiert  von 
Götze;  3.  Erfurt,  redigiert  von  Zschiesche;  endlich  die  Karte  mit  den 
farbigen  Emtragungen  der  Funde  des  Kreises  Sangerhausen  von  Höfer.  Da 
die  Auszüge  aus  der  Literatur  und  den  Museen  fertig  vorliegen,  gedenken 
die  drei  arbeitenden  Mitglieder  mit  der  Redaktion  des  Textes  für  die  übrigen 
Kreise,  sowie  mit  den  Emtragungen  auf  der  Karte  am  i.  März  nächsten 
Jahres  fertig  zu  sein,  so  daß  dann  der  Druck  beginnen  kann. 

Eine  Schwierigkeit  zeigte  sich  bei  der  Beratung  über  die  Art  des 
Verlags.  Darin  waren  zwar  alle  einig,  daß  das  Werk  durch  die  ausführende 
Kommission  zu  drucken  sei  und   im  Besitz  der  Vereinigung  bleiben  müsse, 


—     332     — 

bis  die  schuldigen  Freiexemplare  und  die  den  Vereinsmi^liedem  zustehenden 
Exemplare  zu  ermäßigtem  Preise  ausgehändigt  seien.  Aber  bei  dem  be- 
rechtigten Wunsche,  daß  auch  der  Rest  der  Auflage  nicht  zu  geringem  Preise 
an  einen  Verlag  abgetreten,  sondern  nur  in  Kommission  gegeben  werde, 
stieß  man  auf  das  Bedenken,  daß  dann  alle  Jahre  bis  in  infinitum  ab- 
gerechnet werden  müsse,  während  doch  die  Vereinigung  nur  zum  vorUegenden 
Zweck  geschaffen,  sich  nach  Erreichung  desselben  auflösen  werde,  und 
daß  es  dann  kein  Organ  mehr  gäbe,  um  auch  später  den  Verkauf  zu  leiten 
imd  etwaige  Einnahmen  zu  verteilen. 

Hier  mußte  sich  der  Wunsch  aufdrängen,  daß,  wie  die  südwest- 
deutschen und  die  nordwest deutschen  Geschichtsvereine  sich  zu  je  einem 
Verbände  zusammengeschlossen  haben,  um  die  gemeinsamen  Aufgaben  der 
Vorgeschichte,  der  römischen,  fränkischen  und  frühmittelalterlichen  Periode 
mit  vereinten  Kräften  zu  lösen,  ähnlich  auch  die  thüringischen  Ver- 
eine zum  gleichen  Zweck  einen  dauernden  Verband  schließen 
möchten^),  da  die  einzelnen  Vereine  zur  Klarlegung  dieser  weitreichenden 
Verhältnisse  nur  Zersplittertes  leisten  können.  Wäre  ein  solcher  Verband 
geschaffen,  so  würde  die  oben  erwähnte  Schwierigkeit  gehoben  sein,  denn 
selbstverständlich  würden  die  beteiligten  Vereine  die  Verwaltung  des  gemein- 
sam geschaffenen  Werkes  ihrem  gemeinsamen  Verbände  und  seinen  Organen 
übertragen.  P.  Höfer  (Wernigerode). 

Geschichtliche  Kartenwerke.  —  Vor  einigen  Monaten  hat  sich  in 
München  der  Verein  zur  Herausgabe  eines  historischen  At- 
lasses von  Bayern  gebildet,  der  die  Schaffung  eines  großen  und  dem 
heutigen  Stande  der  Geschichtsforschung  wie  der  historischen  Kartographie 
entsprechenden  historischen  Kartenwerkes  fUr  das  Gebiet  des  heutigen  König- 
reiches Bayern  sich  zur  Aufgabe  stellt ').  Die  bekanntermaßen  sehr  beträcht- 
lichen Mittel,  die  zur  Durchführung  solcher  Arbeiten  nötig  sind,  erbittet  der 
Verein  teils  vom  Staat,  teils  sucht  er  sie  selbst  dadurch  aufzubringen,  daß 
er  den  Versuch  macht,  diejenigen  Kreise  von  Personen  oder  öffentlichen  In- 
stitutionen, bei  denen  ein  Interesse  an  den  vielseitigen  Arbeitsergebnissen 
eines  großen  historischen  Atlasses  erwartet  werden  darf,  zum  Beitritte  oder 
zu  finanziellen  Zuwendungen  zu  veranlassen.  Da  der  Verein  gegenwärtig  noch 
darin  begriffen  ist,  diese  Organisation  zu  begründen  und  auszubauen,  so 
läßt  sich  an  dieser  Stelle  Weiteres  nicht  sagen.  Nur  ein  Punkt  soll  hier  be- 
rührt werden. 

Es  ist  eine  alte  und  oft  wiederholte  Klage,  daß  von  den  historischen 
Vereinen  zur  Förderung  wissenschaftlicher  Unternehmungen  nicht  das  ge- 
leistet wird,  was  von  dieser  Seite  geschehen  könnte.  Nun  darf  man  aller- 
dings nicht  außer  acht  lassen,  daß  einerseits  die  historbchen  Interessen   der 


i)  Würde  dieser  Gedanke  aasgefUhrt,  dann  wäre  ein  wesentlicher  Schritt  in  der 
Richtung  getan,  wie  er  in  dieser  Zeitschrift,  oben  S.  8i — 82,  als  wünschenswert  tind 
notwendig  bezeichnet  wurde;  denn  einem  Anschloß  auch  anderer  benachbarter  Vereine 
würde  dann  nichts  mehr  entgegenstehen.  Die  Redaktion. 

2)  Über  die  derzeitige  Zusammensetzung  des  Ausschusses  und  des  Vorstandes  sowie 
Über  einige  Satzungsbestimmuogen  vgl.  Forschungen  zur  Geschichte  Bayerns,  14.  Jahr- 
gang (1905),  S.  168. 


—     333     — 

überwiegenden  Mehrzahl  der  Mitglieder  historischer  Lokalvereine  keine  rein 
wissenschaftlichen  sind,  es  auch  nach  Lage  der  Dinge  gar  nicht  sein  können, 
und  daß  anderseits  die  Mittel  der  meisten  Vereine  sehr  bescheiden  sind. 
Indem  der  Verein  zur  Herausgabe  eines  historischen  Atlasses  von  Bayern 
diese  beiden  Tatsachen  im  Auge  behält,  will  er  es  dennoch  imternehmen, 
seine  Organisation  zum  guten  Teile  auf  der  Beteiligung  der  historischen  Ver- 
eine aufzubauen,  und  er  tut  dies  aus  folgenden  Erwägungen.  Es  ist  dem 
Verfasser  bisher  gelungen ,  in  Altbayern ,  im  bayerischen  Schwaben  und 
in  der  Rheinpfalz  nicht  weniger  als  36  historische  Vereine  zu  ennitteln  ^). 
Erwiese  es  sich  nun  als  erreichbar,  alle  diese  Vereine  zu  veranlassen,  einen, 
wenn  auch  nur  bescheidenen  Bruchteil  ihrer  Jahreseinnahmen  dem  Atlas- 
verein in  der  Form  eines  Jahresbeitrages  zuzuleiten,  so  blieben  den  Lokal- 
vereinen noch  genügende  Mittel  zur  Pflege  ihrer  besonderen  Aufgaben,  die 
Vereinigung  dieser  Beiträge  würde  es  aber  doch  zugleich  ermöglichen,  den 
Grundstock  der  Mittel  für  ein  großes  wissenschafüiches  Werk  aufzubringen. 
Anderseits  gibt  es  wohl  kaimi  ein  solches  Unternehmen,  das  in  gleichem 
Maße  den  besonderen  Aufgaben  der  provinzialen  und  lokalen  Vereine  ge- 
recht würde.  Denn  man  darf  sagen,  daß  die  Anlage  eines  großen  modernen 
historischen  Atlasses  —  man  braucht  nur  auf  die  Leistungen  des  rheinischen 
oder  auf  das  Programm  des  hannoverschen  Atlasses  zu  verweisen  —  es  mit 
sich  bringt,  daß  gerade  die  Ortsgeschichte  die  nachhaltigste  Förderung 
dadurch  erfährt.  Aus  Untersuchungen  zur  Rechts-  imd  Kirchengeschichte, 
über  die  politische,  wirtschaftliche  und  kulturelle  Vergangenheit  jeder  Land- 
schaft, jedes  einst  wichtig  gewesenen  Ortes,  die  zum  überwiegenden 
Teile  neu  vorgenommen  werden  müssen,  gewinnt  der  Atlas  erst  die  Grund- 
lagen für  seine  eigenen  Darstellungen.  Da  aber  hierbei  das  durch  diese 
Spezialforschung  zutage  geförderte  und  bearbeitete  Material  in  einen  größeren 
Zusammenhang  gestellt  erscheint,  so  ist  es  möglich,  wissenschaftliche  Leistungen 
zu  erreichen,  zu  denen  der  Lokalforscher  von  sich  aus  nie  gelangen  kann.  Die 
örtlichen  Geschichtsvereine  würden  daher  nur  ihren  eigenen  Zielen,  der  Pflege 
der  Ortsgeschichte  in  ihren  verschiedenen  Gebieten,  getreu  bleiben,  wenn 
sie  den  Arbeiten  des  Atlasvereins  nachdrückliche  Unterstützung  angedeihen 
ließen.  Möge  es  gelingen,  dieser  Anschauung  in  ihren  Kreisen  Eingang  zu 
verschaffen ! 

Die  hier  berührte  Frage  hat  aber  noch  aus  einem  anderen  Grunde 
größere  Bedeutung.  Das  Königreich  Bayern  entbehrt,  im  Gegensatze  zu 
anderen  deutschen  Landschaften,  einer  eigentlichen  Zentralstelle  für  landes- 
geschichtliche Forschung,  da  der  historischen  Kommission  bei  der  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften  eine  weiter  gefaßte  Aufgabe,  die  Pflege  der 
deutschen  Geschichte,  gestellt  ist.  Einem  Zusammenschlüsse  der  bayerischen 
Geschichtsvereine  stünde  hier  eine  große  Aufgabe  bevor.  Bestrebungen  ähn- 
licher Art  haben  zur  Bildung  der  Gesellschaft  für  fränkische  Geschichte  ge- 
führt ') ;  ihr  sind  die  meisten  Geschichtsvereine  Frankens  beigetreten.  Sollte 
es  gelingen,  die  provinzialen  und  lokalen  Vereine  der  übrigen  bayerischen 
]Landesteile  einmal  um  eine  große  wissenschafdiche  Aufgabe  zu  sammeln  —  und 


i)  Hierzu  kommen  noch  mindestens  14  Vereine  aus  dem  bayerischen  Franken. 
2)  Vgl.  diese  Zeitschrift  oben  S.  229. 


—     334     — 

ich  glaube  gezeigt  zu  haben,  daß  gerade  der  historische  Atlas  dazu  besonders 
geeignet  wäre  — ,  den  modernen  Gedanken  der  wissenschaftlichen  und 
materiellen  Arbeitsvereinigung  hinauszutragen  und  die  betrefifenden  Kreise 
damit  vertraut  zu  machen,  so  wäre  damit  eine  Arbeit  geleistet,  die  sich 
vielleicht  für  die  ganze  zukünftige  Entwickelung  landesgeschichtlicher  Forschung 
in  Bayern  fruchtbar  erweisen  könnte. 

Das  wissenschaftliche  Programm  des  Vereins  wurde  in  engster  An- 
lehnung an  die  Erfahrungen  aufgestellt,  die  sich  bei  den  schon  weit  fort- 
geschrittenen historisch- kartographischen  Unternehmungen  ergeben  zu  haben 
schienen  ^).  In  der  sorgf^tigen  Prüfung  ihrer  Anwendbarkeit  auf  die  für 
das  Bearbeitungsobjekt  Bayern  gegebenen  geschichtlichen  Verhältnisse  bestand 
der  vorerst  zu  lösende  Teil  der  Aufgabe.  Verfistsser  hofft  hierbei  die  weit- 
gehendste Zurückhaltung  beobachtet  zu  haben.  Die  aus  den  Besonderheiten 
der  geschichtlichen  Entwickelung  Bayerns  sich  ergebenden  neuen  For- 
derungen können  erst  während  der  Arbeit  selbst  erkannt  werden.  Die  fol- 
genden Bemerkungen  wollen  daher  in  diesem  Sinne  aufgefaßt  werden. 

Als  methodische  Grundlagen  des  Atlasses  wurden  vier  Leitsätze  auf- 
gestellt Die  ersten  beiden,  die  die  rückläufige  Anlage  und  Bearbeitung 
des  Atlasses  und  die  Verwendung  eines  großen  Maßstabes  für  das 
Kartenbild  betrefifen,  bedeuten  nur  die  Aufnahme  von  Errungenschaften,  die 
als  dauernd  gesicherte  Ergebnisse  der  neueren  großen  historisch  -  kartogra- 
phischen Unternehmungen  zu  betrachten  sind.  Zu  ihnen  möchte  Verfasser 
auch  den  dritten  Leitsatz  rechnen,  der  die  grundsätzliche  Verwendung  von 
Karten  mit  Terraindarstellung  tmifaßt.  Denn  es  darf  wohl  als  eine 
der  am  meisten  zu  begrüßenden  Erscheinimgen  in  der  neueren  historischen 
Kartographie  bezeichnet  werden,  daß  die  von  den  österreichischen  Forschem 
unter  Führung  von  Eduard  Richter  so  glänzend  vorgetragenen  Gründe,  gerade 
historische  Karten  mit  Terraindarstellung  auszustatten,  sich  einer  wachsenden 
Anerkennung  erfreuen,  und  dementsprechend  terrainlose  historische  Klarten 
großen  Maßstabes  immer  mehr  in  Abnahme  kommen;  ein  Vorgang,  der 
durch  das  Erscheinen  modemer  Terrainkarten  in  einem  die  Verwendung  er- 
möglichenden Maßstabe  allerdings  sehr  gefördert  wird.  Auch  der  historische 
Atlas  von  Bayem  hat  sich  dieses  Vorteils  zu  erfreuen;  es  wird  ihm  möglich 


i)  Vgl.  hierüber  die  eingehenderen  AasfÜhmngen  des  Verf.  in  den  Forschungen 
zur  Geschichte  Bayerns  13.  Jahrg.  (1905),  337 — 271.  Zn  der  daselbst  angefahrten  Literatur 
wäre  jetzt  noch  nachzutragen :  Hans  Beschorner,  Wesen  und  Aufgaben  der  hisUifischen 
Geographie,  (Historische  Vierteljahrsschrift  1906,  S.  i — 30.]  Von  deo  Arbeiten  des 
Gesch.  Atlasses  der  Rheinprovinz  ist  inzwischen  noch  erschienen:  W.  Fabricins,  Dca 
Hochgericht  auf  der  Heide.  Westdeutsche  Zeitschr.  XXIV,  101—200.  (Vgl.  hierzu  meine 
Besprechung  y  Hist  Z.  96,  S.  564  f.)  Von  den  in  Verbindung  mit  dem  hist.  Atlas  der 
österr.  Alpenländer  stehenden  Abhandlungen  ist  die  erste  Sammlung  im  94.  Bande  des 
Archivs  für  Österreichische  Geschichte  vor  kurzem  erschienen;  es  sind  das  folgende 
vier  Arceiten:  v.  Voltelini,  Die  Enstehung  der  Landgerichte  im  bayrisch-österreichischen 
Rechtsgebiet,  F.  Richter,  Immunität,  Landeshoheit  und  Walds(^henhungen  und  Ge* 
markungen  und  Steuergemeinden  im  Lande  Salsburg,  Streadt,  Das  Land  im 
Norden  der  Donau,  Über  die  neuesten  hist-kart.  Unternehmungen  im  Königreich 
Sachsen  vgl.  den  angeführten  Aufsatz  von  Beschorner  über  die  Fortschritte  des 
Gesch.  Atlasses  der  Rheinprovinz  usw.  Deutsche  Lit.>Ztg.  1906,  Sp.  11 27.  Dagegen 
ist  privaten  Informationen  zufolge  der  Plan  eines  histor.  Atlasses  des  Unter-Maingebietes 
aus  der  Reihe  der   bestehenden  Unternehmungen  wieder  zu  streichen. 


—     335     — 

sein«  seinen  Hauptkarten  das  Terrainbild  der  vom  k.  k.  militärgeographischen 
Institute  bearbeiteten  Generalkarte  von  Mitteleuropa  (Maßstab  i  :  200000), 
die  bekanntlich  auch  dem  historischen  Atlasse  der  österreichischen  Alpen- 
länder zu  dem  gleichen  Zwecke  gedient  hat,  zugrunde  zu  legen.  Die  hervor- 
ragend schönen  Probeblätter  des  genannten  Atlasses,  die  Prof.  O.  Redlich 
auf  der  Konferenz  der  landesgeschichtlichen  Publikationsinstitute  in  Stuttgart 
vorgelegt  hat,  beweisen  auch,  dafi  bei  gleich  sorgfältiger  Behandlung  der 
kartographischen  Einzelheiten  die  Gefahr  eines  Undeutlichwerdens  des  histo- 
rischen Inhaltes  der  Karten  in  keiner  Weise  besteht. 

Der  letzte  Leitsatz  fordert  die  grundsätzliche  Ermittelung  der  Flächen 
der  Territorien,  Gerichte  usw.  aus  dem  urkundlichen  Befund,  also  in  erster 
Linie  aus  Grenzbeschreibungen.  Diese  Forderung  bedeutet  jedoch,  wie  bereit- 
willig zugegeben  werden  mag,  nur  die  Aufstellung  des  idealen  Zieles,  dem 
aber  der  vollendete  Atlas,  soweit  es  nur  irgendwie  möglich  sein  wird,  an- 
genähert werden  soll.  Anderseits  hat  die  Aufstellung  dieses  Prinzips  den 
Zweck,  eine  grundsätzliche  Zusammensetzung  der  Territorien,  Gerichte  usw. 
aus  den  Gemarkungen  der  modernen  Gemeinden  abzulehnen.  Denn  die  ver- 
schiedene Gegenden  Bayerns  betrefifenden ,  allerdings  bisher  nur  wenig  zahl- 
reichen Feststellungen  ergeben,  daß  allein  die  Bildung  der  modernen  poli- 
tischen Gemeinden  Bayerns  zu  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts  von  sehr 
einschneidenden  Veränderungen  im  Bestände  der  alten  Gemarkungen  begleitet 
gewesen  sein  muß,  und  daß  deshalb  die  Verwendimg  der  modernen  Ge- 
meindegrenzen nicht  ohne  weiteres  statthaft  ist.  Voraussetzung  des  an- 
genommenen Prinzips  ist  das  Vorbandensein  einer  genügend  großen  Menge 
von  Grenzbeschreibungen  der  Gerichtsbezirke.  Soweit  heute  ein  Urteil  mög- 
lich ist,  darf  angenommen  werden,  daß  für  große  Teile  Bayerns  deren  Be- 
stand für  die  kartographische  Festlegung  genügt.  Daß  sich  hierbei  Lücken 
ergeben  werden,  ist  ebenso  zweifellos,  wie  es  unmöglich  ist,  gegenwärtig 
über  ihren  Umfang  etwas  zu  sagen.  Fehlen  nun  für  ein  Gericht 
die  nötigen  urkundlichen  Hilfsmittel,  so  wird  es  aus  den  Gemarkungen,  die 
es  einst  umfiaßt  hat,  zusammenzusetzen  sein.  Es  wird  hierbei  sogar  möglich 
werden,  in  einer  Anzahl  von  Gerichten  auf  die  Grenzen  der  alten  Orts- 
gemarkungen des  XVIII.  Jahrhunderts  zurückzugreifen,  da  in  vielen  Gegenden 
Südbayems  die  erste  Katästrierung  der  modernen  Gemeindebildung  voran- 
ging, die  ältesten  Katasterkarten  also  noch  die  alten  Gemarkungen  der  Ort- 
schaften, in  Altbayem  meist  Obmannschaften,  auch  Zechen,  Gnotschaften 
genannt,  enthalten.  Wo  dies  nicht  der  Fall  ist,  hat  man  allerdings  die 
modernen  Gemeindegrenzen  subsidiär  heranzuziehen,  was  jedoch  schon  in 
der  Karte  selbst  durch  bestimmte  Signaturen  kenntlich  zu  machen  ist 

Als  Arbeitskarte  steht  der  Topographische  Atlas  von  Bayern  (i  :  50000) 
zur  Verfügung.  Es  soll  nur  erwähnt  werden,  daß  die  Verwendung  einer 
Terrainkarte,  wie  sie  die  genannte  Generalkarte  von  Mitteleuropa  darstellt, 
zur  Grundlage  der  Blätter  des  Atlasses  es  an  und  für  sich  ausschließt,  die 
sogenannten  Grundkarten  als  Arbeitskarten  zu  benutzen. 

Sämtlichen  Karten  müssen  selbstverständlich  auch  Textbände  mit  Er- 
läuterungen, Quellennachweisen,  statistischem  Material  beigegeben  werden; 
auch  für  zusammenfiBissende  Bearbeitungen  von  Ergebnissen  der  Einzelunter- 
suchungen, wie  über  das  Verhältnis  von  politischen  Gemeinden  zu  den  Orts- 


—     336     — 

gemarkungen  in  den  verschiedenen  Landesteilen,  und  über  verwandte  Themen 
sollte,  wenn  möglich,  eine  Publikation  geschaffen  werden. 

Das  Gebiet  des  heutigen  Königreiches  Bayern  umfafit  zum  gröfiten  Teile 
Landschaften,  die  an  der  territorialen  Zersplitterung  West-  und  Mitteldeutsch- 
lands im  alten  Reiche  teilgenommen  hatten.  Der  Grundsatz  der  rückläufigen 
Bearbeitung  des  Atlasses  bedeutet  daher,  auf  ein  solches  Gebiet  angewendet, 
zimächst  einen  Verzicht  auf  die  Darstellung  der  mittelalterlichen  Entwicke- 
lung  und  dann  die  Beschränkung  auf  die  Fixierung  des  Zustandes  am  Ende 
dieser  Periode,  das  flir  Bayern  mit  dem  Jahre  1802  zusammenfällt  Die 
erste  Karte  des  historischen  Atlasses  von  Bayern  wird  demgemäß  die  Terri- 
torienkarte von  1802  sein.  Sie  wird  neben  den  Grenzen  aller  Terri- 
torien deren  administrative  Gliederungen  am  Ausgange  des  XVIII.  Jahrhunderts 
enthalten,  femer  die  Land-  und  Herrschaftsgerichte,  die  Hofmarken  und  das 
Straßennetz  des  XVIII.  Jahrhunderts.  Es  imterliegt  weiterer  Erwägung,  ob 
die  Karte  dann  noch  Raum  genug  bietet,  um  für  die  Darstellung  auch 
anderer  Verhältnisse  ausgenutzt  zu  werden. 

Eine  zweite  Gruppe  von  Karten  ist  der  mittelalterlichen  Geschichte 
eingeräumt.  In  erster  Linie  ist  hier  das  Projekt  der  Schafifung  einer  alt- 
bayerischen Pfleggerichtskarte  zu  neimen,  die  in  engem  geographischem  wie 
methodischem  Anschlüsse  an  die  Landgerichtskarte  des  historischen  Atlasses 
der  österreichischen  Alpenländer  diese  nach  Westen  in  die  altbayerischen 
Lande  hinein  gleichsam  fortsetzen  soll.  Der  Grundgedanke  dieser  Karte 
bestand  ursprünglich  darin,  eine  Geschichte  des  Landes  unter  dem  Gesichts- 
ptmkte  der  Entwickelung  der  Gerichtsverfassung  für  das  ganze  Mittelalter  zu 
geben,  als  welches  im  vorliegenden  Falle  die  ganze  Periode  von  den  Karo- 
lingern bis  zum  XIX.  Jahrhundert  aufzufassen  ist.  Neuerdings  gewinnt  es 
jedoch  den  Anschein,  als  ob  dieser  Gedanke  in  wesentlichen  Punkten  modi- 
fiziert werden  müßte.  Wenn  z.  B.  die  von  Rietschel  auf  dem  Stuttgarter 
Historikertage  vorgetragene  Auffassung  sich  als  begründet  erwiese,  die  Gaue 
seien  überhaupt  mehr  geographische  Begriffe  als  Jurisdiktionelle  Einteilungen 
gewesen,  der  Chiemgau  habe  nichts  anderes  bedeutet  als  die  Gegend  um  den 
Chiemsee,  so  werden  alle  Versuche,  die  Gaue  mit  kartographisch  genau  be- 
zeichneten Grenzlinien  zu  umziehen,  aufgegeben  werden  müssen.  Aber  sogar 
die  Feststellung  der  Grafschaftsgrenzen  begegnete  in  einzelnen  Gebieten  der 
österreichischen  Alpenländer  SchMrierigkeiten,  die  es  der  Atlaskommission 
der  Wiener  Akademie  geboten  erscheinen  ließen,  im  Interesse  einer  einheit- 
lichen Gestaltung  der  Karte  von  einer  Darstellung  der  Grafschaftsgrenzen 
vorerst  ganz  abzusehen  und  ihre  Festlegung  späteren  Arbeiten  zu  über- 
weisen ').  Die  österreichische  Landgerichtskarte  wird  demgemäß  erst  mit 
dem  XIII.  Jahrhundert  beginnen,  in  welchem  die  Landgerichte  uns  als  etwas 
Fertiges  begegnen,  und  sie  wird  diese  in  ihrer  Zersetzung  bis  zum  Jahre 
1848  herab  verfolgen. 

i)  Anzeiger  der  philosophisch -historischen  Klasse  vom  31.  Janaar  1906.  Ich 
möchte  ausdrücklich  betonen,  dafo  es  keineswegs  kartographische  Gründe  gewesen 
sind,  die  das  Arbeitsprogramm  dahin  abgeändert  haben;  von  diesem  Standpunkte  aus 
wäre  es  durchaus  möglich,  auch  die  Grafschaflsgrenzen  in  die  Karte  aufzunehmen,  wenn 
sie  sich  historisch  nachweisen  lassen.  Das  Kartenbild  würde  hierdurch  nicht  Überfüllt 
nnd  undeutlich. 


—     337     — 

Der  bayerischen  Pfleggerichtskarte  wird  jedoch  unter  allen  Umständen 
die  Aufgabe  gestellt  werden  müssen,  den  Umfang  ihrer  Untersuchungen  eben- 
falls möglichst  weit  zu  spannen,  und  das  Verhältnis  der  bayerischen  Pfleg- 
gerichte zu  den  Grafschaften  in  dieselben  einzubeziehen.  Auch  wenn  sich 
hierbei  nicht  für  das  ganze  Land  kartographisch  verwertbare  Ergebnisse 
zeigen  sollten,  ist  das  Problem  der  Entstehung  der  Landgerichte  bedeutend 
genug,  um  die  Bearbeiter  der  Pfleggerichtskarte  zu  veranlassen,  ihre  For- 
schimgen  eingehend  darauf  zu  richten.  Im  übrigen  wird  die  Karte  jeden- 
falls die  Entwickelung  der  bayerischen  Pfleggerichte  seit  dem  XIII.  Jahrhundert 
und  ihre  Zersetzung  bis  zum  Ausgange  des  XVIII.  Jahrhtmderts  umfassen, 
imd  es  wird  vielleicht  auch  möglich  sein,  daneben  die  politische  Entwicke- 
lung der  altbayerischen  Lande  zu  veranschaulichen  und  die  Grenzen  der 
Teilherzogtümer,  die  territorialen  Veränderungen  usw.  aufzunehmen. 

Für  die  mittelalterliche  Entwickelung  der  fränkischen,  schwäbischen  und 
pfälzischen  Gebietsteile  Bayerns  ist  eine  monographische  Bearbeitung  der 
einzelnen  Territorien  und  ihrer  Gerichte  in  Aussicht  genommen,  die  angesichts 
der  weitgehenden  territorialen  Zersplitterung  dieser  Landschaften  vorerst  allein 
durchführbar  ist;  die  fränkischen  Landesteile  werden  wohl  zudem,  wenigstens 
in  diesem  Punkte,  der  Gesellschaft  für  fränkische  Geschichte,  als  in  deren 
Arbeitsbereich  fallend,  überlassen  werden. 

Eine  dritte  Kartengruppe  hätte  sich  mit  den  zahlreichen  und  wichtigen 
Aufgaben  der  kirchlichen  Geographie  Bayerns  zu  befassen.  Das  große 
Entgegenkommen,  das  der  Atlasverein  sofort  bei  kirchlichen  Kreisen  Bayerns 
gefunden  hat,  legt  den  Wunsch  besonders  nahe,  bald  die  eine  oder  andere 
kirchliche  Karte  bearbeiten  zu  köimen.  Das  Progranun  umfisißt  sowohl 
Karten  der  kirchlichen  Einteilungen  in  Diözesen,  Dekanate,  Pfarreien  für  be- 
stimmte Zeitpunkte,  als  auch  Karten  und  Monographien  über  Besitzverhält- 
nisse der  bayerischen  Kirche. 

Eine  vierte  Gruppe  soll  in  erster  Linie  der  Behörden  Praxis 
dienen  und  die  organisatorischen  Veränderungen  in  der  Begrenzung  der  Ver- 
waltungs-  und  Gerichtsbezirke  während  des  XIX.  Jahrhunderts  zur  Darstellung 
bringen. 

Da  kaum  gehofft  werden  darf,  es  würden  dem  Atlasverein  in  den 
nächsten  Jahren  Arbeitskräfte  und  Mittel  zur  Inangriflöiahme  weiterer  Auf- 
gaben zur  Verfügung  stehen,  so  soll  auch  an  dieser  Stelle  ihre  Aufzählung 
unterbleiben;  das  Verschweigen  dieser  Wünsche  bedeutet  aber  nicht,  daö 
sie  nicht  lebhaft  empfunden  werden.  Möge  es  gelingen,  die  Organisation 
des  Vereins  und  damit  die  Finanzierung  des  großen  Unternehmens  noch  im 
Laufe  dieses  Jahres  so  weit  zu  fördern,  daß  in  nicht  zu  langer  Zeit  von  dem 
Fortgange  der  wissenschaftlichen  Arbeit  selbst  berichtet  werden  kann. 

Th.  V.  Karg-Bebenburg  (München). 

Eingegangene  Bfleher. 

Wehrmann,  Martin:  Zur  Reformationsgeschichte  Stralsimds  [«=»  Pommersche 
Jahrbücher,  6.  Band  (Greifswald  1905),  S.  49—76]. 

Wehnert,  Stephan:  Die  Residenz  in  Würzburg.  Ein  Beitrag  zur  Kunst- 
geschichte des  18.  Jahrhunderts.  Würzburg,  Prometheus- Verlag.  60S.  i6<>. 


—     338     — 

Werminghoff,  Albert:  Die  Bedeutung  der  Gnmdkarten  für  die  historische 
Forschung  [=  Pommersche  Jahrbücher,  6.  Bd.  (Grei&wald  1905), 
S.  105 — 123]. 

Weyhmann,  A.:  Geschichte  der  älteren  lothringischen  Eisenindustrie 
[ss  Jahrbuch  der  Gesellschaft  für  lothringische  Geschichte  imd  Alter- 
tumskunde 17.  Jahrg.  (1905),  S.  I — 212]. 

Wilke:  Beziehungen  der  west-  und  mitteldeutschen  zur  donauländischen 
Spiral-Mäanderkeramik  [«5  Mitteilungen  der  Anthropologischen  Gesell- 
schaft in  Wien,  35.  Bd.  (1905),  S.  249 — 269]. 

Wittich,  Werner:  Altfreiheit  und  Dienstbarkeit  des  Uradels  in  Niedersachsen. 
Mit  einer  Beilage  über  das  Geschlecht  von  Alten.  Stuttgart,  W.  Kohl- 
hammer 1906.     203  S.  8^.     M.  4,00. 

Wolfsgruber,  Cölestm:  Friedrich  Kardinal  Schwarzenberg.  Erster  Band. 
Wien  und  Leipzig,  Karl  Fromme  1906.     372  S.  8®.     M.  9,00. 

Wolfram,  G.:  Der  Einflufs  des  Orients  auf  die  frühmittelalterliche  Kultur 
und  die  Christianisierung  Lothringens  [=  Jahrbuch  der  Gesellschaft  für 
lothringische    Geschichte    und    Altertumskunde,    17.   Jahrgang   (1905), 

s.  318—354 

Wopfner,  H. :  Freie  und  unfreie  Leihen  im  späteren  Mittelalter  [=  Viertel- 
jahrschrift für  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte,  3.  Bd.  (1905)].    20  S.  8^. 

Wrede,  Adam  Joseph:  Die  Kölner  Bauerbänke.  Tübinger  Dissert.  1905. 
86  S.  8^ 

Wäschke:  Des  alten  Dessauers  Jugendzeit  [=  Neujahrsblätter  aus  Anhalt, 
3.].     Ballenstedt  a.  H.,  Paul  Baumann  1906.     34  S.  8^.     M.  1,00. 

Zimmermann,  Franz :  Die  Lage  des  Archivs  der  Stadt  Hermannstadt  und 
der  sächsischen  Nation.     Wien,  Gerold  &  Co.   1905.     57  S.  8®. 

Vorlii  von  Frioirieh  hirm  Pirtbis,  Aktioiiistllsctiaft,  CttbL 


Aus  meinem  Leben. 

Fragxjaente   zu   einer  Selbstbiographie, 

Von 

Professor  der  yergleichenden  Sprachwtsseoschaft  ia  Oxford, 
.autorisierte  Ül>ersetvans  von  |1.   Oros«hk«. 
Preis  ul  5 ;  gebvnden  ul  6  50. 


Alte  Zeiten  -  alte  Freunde. 

Xiebenserinneru.ngen 

von 
Professor  der  Yergleichenden  Sprachwissenschaft  zu  Oxford« 

^^utorifderte  'Dbersetanins   von  |1*   Orosolik«.   —   ICit  Forträt. 

J$  9;  gebunden  Jf  ii. 


Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipttg. 
Druck  und  Verlag  Ton  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Gotha. 

Hiena  ah  Beilage :  Prospekt  des  Verlages  Ton  Hermum  Heyfelder  in  Frelburg  I.  Br« 
über:  DentBehe  GeiBeklelite  ron  Prof.  Dr.  Kaii  Lampreeht  und  andere  Werke. 


Deutsche  Geschichtsblätter 


Monatsschrift 


föpdepung  dep  landesgesohiGhtlißhen  fopsohung 

unter  Mitwirkung  von 

Prof.  Bachmann-Prag,  Prof.  Brler-MUnster  i.  W.,  Prof.  Finke-Freibnrg  i    B., 

Atchivdirektor  Prof.  Hanaen'Koln,  Prof.  t.  Hetgel-Mtiocben,    Prof.  Henner-WUnbarg, 

SektloDichcf  T.  Inama-StemeKK-Wien,  Prof.  Kolde-Erluigen,  Prof.  KosBlnoa-BerliD, 

Geh.  Atchirrat  Krieger-Karlsrabe,  Prof.  L.ampracht-Leipiig, 

Regiemngsrat  W.  Llppert-Dreidcn,  Arcbivdirektor  Piof.  M.  Hayr-lnnsbrnck, 

Archivdireklor  Prof.  Hell-Grai,  ArchivraC  Men-Milniter  i.  W.,  Prof.  t.  Ottenthal-Wien, 

Prof.  Obw.  Redlicb-Wien,  Prof.  t.  d.  Ropp-Marburg,  Prof.  A.  Schulte-Bonn, 

Geb.  Atchitral  Sello-01denbuT£,  Archiirat  Wllchke-Z erbst,  Prof.  Weber-Prag, 

Prof.  Weack-Marbnrg,  Archivdirektor  Wlntar-Magdeburg,  Archivar  Witte-Schwerin. 

herausgegeben  von 

Dr.  Armin  Tille 


VIXZ.  S«3äd 


Gotha  igoy 
Friedrich  Andreas  Perthes 

AklinifgHllMhari 


''.\ 


'^ 


i 


I  n  Im  a  1 1« 

Aufsätze : 

Seite 
Borchling,  Konrad  (Posen) :  Die  landesgeschichtliche  Literatur  Ostfrieslands 

im  XIX.  Jahrhundert 12I  — 135 

QQnther,  Felix  (Leipzig):  Das  Lehrbuch  der  Universalgeschichte  im  XVIIL 

Jahrhundert 263 — 278 

Ilwof»  Frans    (Grar):    Steiermärkische    Geschichtschreibung  von  1850  bis   in 

die  Gegenwart i  — 19  und  27 — 40 

KBtsschke,  Rudolf  (Leipzig) :  Flufsnamenforschung  und  Siedelungsgeschichte  233 — 246 
MQllery    Georg  (Leipzig):     Visitationsakten   als    Geschichtsquelle   mit    einer 

Literaturübersichty  alphabetisch  nach  Landschaften  geordnet  .  287 — 316 
Olberts,  Hans  (Bonn):  Die  Idee  der  mittelalterlichen  Totentänze  .  .  .  .108 — 120 
Schwabe,  Ernst  (Leipzig) :  Behandlung  schulgeschichtlicher  Aufgaben  .  .  59 — 82 
SpieCSy  Karl  (Bottenhorn) :  Trachtenkunde  mit  einer  Bibliographie  ....  145 — 197 
Wehrmann,  Martin  (Stettin):    Vatikanische  Quellen  zur  deutschen  Landes- 

geschichte 93 — 108 

Werner,  Heinrich  (Mayen):  Der  niedere  Klerus  am  Ausgang  des  Mittelalters  201 — 225 

Mitteilungen : 

Archive:  Sechster  Archivtag  in  Wien  40-43;  Siebenter  Archivtag  in  Karlsruhe 
Ankündigung  225,  Programm  281 ;  Zweiter  Band  der  Obersicht 
über  den  Inhalt  der  kleineren  Archive  der  Rheinprovinz 
136;  Inventare  Kölner  Pfarrarchive  136 — 138;  Urkunden  und 
Akten  des  Essener  Münsterarchivs  138  —  140;  Das  Archiv  des 
Fürsten  Reufs-Köstritz  in  Köstritz  (Alfred  Auerbach)  197 — 199; 
Gemeindearchive  in  Bayern  225 — 228;  Inventarisierung  der  Pfarr- 
archive in  Bayern  228;  Gemeindearchive  in  Baden  228-229; 
Stadtarchiv  Kiel  246— 247;  Stadtarchiv  Elbing  (Neubaur)  247—254; 
Provenienzprinzip  {)Akc  Vancsa)  254—257;  Stadtarchiv  Oldenburg 
(Dietrich  Kohl)  281—284;  SUdtarchiv  Rostock  (Dragendorff) 
316 — 318;  Provenienzprinzip  (Wiersum,  Tille)  318—322;  Ge- 
meindearchive in  Steiermark  322. 

Berichtigangen 58,  92,  232 

Bibliothekskataloge,  alte 231—232 

Denkmalpflege:  Achter  Tag  für  D.  in  Mannheim,  Ankündigung 225,  281 

Eingegangene  BQcher:  .  .  26,  58,  92,  120,  144,  199—200,  232,  261 — 262,  286,  336 

Familienbriefe  als  kulturgeschichtliche  Quelle 284  —  286 

Qesamtverein  der  deutschen   Oeschichts-    und  Altertumsvereine:    Ver- 


t«--^.^        Deutsche  Geschichtsblätter 

-  279 — jfc. 


c  t  är  LiB*«P«*^ 


Monatsschrift 

stur 

Fordening  der  landesgeschichtlichen  Forschimg 


tsr««"^      VUl.  Band  Oktober  1906  i.  Heft 


Steiermärkisehe   Gesehiehtsehreibung  von 

1850  bis  in  die  Gegenwrart 


=?-^  ^  Von 


Franz  Uwof  (Graz) 

.    %'^ '  Als  Schlufs  der  in  dieser  Zeitschrift  erschienenen  Artikelreihe,  die 

sich  mit  der  steiermärkischen  Geschichtschreibung  beschäftigt^),  soll 
vorliegender  Aufsatz  diesen  Stoff  für  das  letzte  halbe  Jahrhundert 
mög'lichst  erschöpfend  behandeln.  Die  Darstellung  dieses  Teils  ist  mit 
besonderen  Schwierigkeiten  verbunden,  und  deshalb  schreite  ich  mit 
.^  yr  einigem  Bedenken  dazu.  Erstens  erschwert  die  Fülle  der  Arbeiten, 
'^  die  in  dieser  Periode  geleistet  wurden,   eine  Übersicht,   und  zweitens 

-sind   viele  Autoren,   die  tätig  waren,   noch  am  Leben,   so  dafe  sich 

'^    j^  :''  abschlieisende  Urteile  über  ihre  Tätigkeit  noch  nicht   fallen   lassen. 
■r^-*** '  Auch    auf   unbedingte   Vollständigkeit    möchte    ich    nicht    Anspruch 
-machen:   es  wird  manche  Arbeit  geben,  die  mir  entgangen  ist,   und 
jv  andere,  die  ich  aus  irgendeinem  anderen  Grunde  nicht  erwähne. 

Um  bei  der  grofisen  Menge  des  Materials  wenigstens  einigermafisen 
zu  einer  Gliederung  zu  gelangen,  soll  zuerst  von  den  Leistungen  des 
Historischen   Vereins    für  Steiermark  die  Rede  sein,   dann 
.    '^'-     sollen  die  Arbeiten   der  Historischen  Landeskommission   an 
^  **■      die  Reihe  kommen  und  endlich  soll  jener  Publikationen  gedacht  wer- 
den, die  als  selbständige  Werke  ans  Tageslicht  getreten  sind. 


..■« 


I. 

Im  Jahre  1850  löste  sich  der  1843  gegründete  Inneröster- 
reichische Geschichtsverein,  welcher  die  Länder  Steiermark, 
Kärnten  und  Krain  umfafste,   in  die   drei  Landesvereine  auf,   und  so 


i)  Es  ertcbien  bisher:  Sieiermärki8cJhe  OeschicfUschreibung  im  MitteldUer,  4*  Bd., 
S.  89— loi;  Steiermärhische  Oeschichtachreibwng  vom  XVL^XVIIL  Jahrhundert. 

4.  Bd.,   S.  288  —  298    und    Steiermärhische  Gesehiehtsehreibung  van    1811^1850, 

5.  Bd.,  S.  202—213. 

1 


—     2     — 

entstand  für  das  erstgenannte  Land  der  Historische  Verein  für 
Steiermark,  der  am  2.  Dez.  1850  seine  konstituierende  Versamm- 
lung hielt.  Erzherzog  Johann  blieb  bis  zu  seinem  Tode  (1859)  Prä- 
sident des  Vereins  und  förderte,  wie  er  schon  seit  181 1  eifrigst  der 
Pflege  des  Geschichtsstudiums  sich  gewidmet  hatte,  auf  das  hervor- 
ragendste das  Gedeihen  der  Gesellschaft  und  damit  den  Fortschritt 
der  geschichtlichen  Forschung  und  Darstellung,  so  dafe  auch  nach 
seinem  Hinscheiden  der  von  ihm  gepflanzte  Baum  sich  fruchtbringend 
weiter  entfalten  konnte. 

Von  1850 — 1903  gab  der  Verein  50  Hefte  Mitteilungen,  so- 
dann als  deren  Fortsetzung  die  Steirische  Zeitschrift  für  Geschichtey 
bisher  3  Jahrgänge,  die  Beiträge  zur  Kunde  steiermärhischer  Geschichts- 
quellen,  32  Jahrgänge  (1864 — 1902)  und  als  deren  Fortsetzung  die 
Beiträge  zur  Erforschung  steirischer  Geschichte  (33.  und  34.  Jahrgang, 
1904,  1905)  heraus. 

Überreiches  Material  für  die  Geschichte  der  Steiermark  enthalten 
diese  87  Bände,  so  dafs  eine  bibliographische  Behandlung  der  darin 
enthaltenen  Beiträge  unmöglich  ist,  vielmehr  nur  einzelne,  besonders 
bedeutende  genannt  werden  können. 

Aus  vorrömischer  Zeit  behandelt  Robitsch  die  bei  Judenburg 
ausgegrabenen  Altertümer  und  den  berühmten  Strettweger  Wagen  (M.*) 
3),  Pratobevera  den  keltischen  Charakter  der  Judenburger  Antiken 
(M.  4),  und  liefert  archäologische  Beitäge  über  keltische  und  römische 
Antiken  (M.  4  u.  5);  Weinhold  bespricht  Grabaltertümer  aus  Klein- 
Glein  in  Untersteiermark  (M.  10),  keltischer  Herkunft,  und  Fritz  Pich- 
1er  beschäftigt  sich  mit  der  Urgeschichte  von  Gleichenberg  und  Um- 
gebung (M.  38). 

Für  die  Geschichte  der  Steiermark  in  der  Römerzeit  verdienen 
vor  allen  anderen  die  Forschungen  des  ausgezeichneten  Epigraphikers, 
Archäologen  und  Numismatikers  Richard  Knabl  Beachtung,  der 
für  M.  I — 21  29  Aufsätze  lieferte,  vornehmlich  epigraphische  Exkurse, 
aber  auch  über  ausgegrabene  Antiken,  über  römisches  Strafsenwesen, 
über  die  Peutingerische  Tafel,  über  das  Hierosolymitanische  Reise- 
buch, über  Münzenfunde,  über  die  Grenzen  zwischen  Pannonien  und 
Norikum,  über  den  römischen  Staatsmann  Titus  Varius  Clemens  und  über 
eine  kleine  Bronzestatue  (M.  12)  wahrscheinlich  der  Dea  Celeja.  — 
Welch  wertvolle  Arbeit  Knabl  geleistet  hat,  beweisen  am  besten  die 


i)  M«  «■  MOteihmgen  des  Historischen  Vereins  fiir  Steiermark.    Es  wird   nnr 
die  Nummer  des  Heftes  angeführt,  da  die  Seiten  dann  leicht  auffindbar  sind. 


—     3     — 

Worte,  die  Theodor  Mommsen  im  Corpus  inscriptionum  latinarum 
über  diesen  steiermärkischen  Altertumsforscher  schreibt:  Quantopere 
Knablius  Stiriae  inscriptiones  ante  eum  male  negledas  et  corrupias  fere 
vd  UUentes  et  correxerit  et  atixerit,  nemo  peritorum  ignorat,  optandumque 
est  magis  quam  sperandum,  vi  talem  tüulorum  suorum  sospitatorem  reit- 
quiae  provinciae  Atistriacae  aliquando  nanciscantur,  qualem  Stiriae 
se  praebuU  per  hos  viginti  annos  senex  ille  prdbus  et  gnavt4S. 

Weitere  beachtenswerte  Beiträge  zur  Römerperiode  spendeten 
noch  Ferk,  Vorläufige  Mitteilungen  über  das  römische  Strafsenwesen 
in  Untersteiermark  (M.  41),  in  denen  sehr  belehrende  Hinweise  ge- 
geben und  Grundsätze  aufgestellt  werden,  wie  und  in  welcher  Weise 
die  Forschungen  nach  Römerstrafsen  im  Terrain  eingeleitet  und 
durchgeführt  werden  müssen,  und  endlich  Fischbach,  Römische 
Lampen  aus  Poetovio  (M.  44),  dessen  den  Gegenstand  erschöpfende 
Abhandlung  von  vielen  Illustrationen  begleitet  ist. 

Über  die  im  VI.  Jahrhundert  n.  Chr.  beginnende  Besiedelung  der 
Steiermark  durch  Slawen  liegt  nur  ein  Aufsatz  von  Wein  hold  vor, 
der  ein  zu  Strafsengel  aufgedecktes  Grab  (M.  8)  behandelt,  welches 
höchst  wahrscheinlich  slawischen  Ursprungs  ist. 

Von  den  Mitarbeitern  an  den  M.  und  B.*)  wurden  zahlreiche  Reisen 
unternommen,  um  in  Archiven  und  Bibliotheken  Urkunden,  Akten  imd 
Handschriften  aus  dem  Mittelalter  und  der  Neuzeit  aufzuspüren  und 
zu  durchforschen,  die  quellenmäfsige  Nachrichten  zur  Geschichte  der 
Steiermark  enthalten.  Über  solche  Reisen  wurden  vielfach  Berichte 
erstattet,  so  vonBidermann  aus  Innsbruck (B.  3 — 4),  von  Bischoff 
aus  Wien,  Nikolsburg  in  Mähren,  Hollenburg  in  Kärnten  und  vielen 
Orten  der  Steiermark  (B.  6.  13.  14),  von  Dworäak  aus  Raudnitz  in 
Böhmen  (B.  6),  von  Krön  es  aus  Wittingau  und  Krumau,  aus  Linz 
und  Stadt  Steier  (B.  28),  von  Levec  aus  Flöding  in  Krain  (B.  29), 
von  Loserth  aus  Wien  (B.  2),  von  Luschin  aus  Laibach,  Eisen- 
erz, Obdach  in  Steiermark,  Wolfsberg  und  Klagenfurt  in  Kärnten  und 
aus  verschiedenen  anderen  Orten  in  Innerösterreich  (B.  5.  8.  ii),  von 
Zahn  aus  München,  Dresden,  Graz,  Wien,  verschiedenen  Orten  Kärn- 
tens und  der  Steiermark,  aus  Nikolsburg,  Linz,  Salzburg,  Innsbruck, 
Brixen,  Prag,  aus  Friaul  und  Venedig,  aus  Tachau  (B.  i — 7.  9.  10.  15), 
von  Zwiedineck  aus  Steyersberg  und  Feistritz  an  der  Ilz  (B.  29 — 30). 
Man  mag  aus  diesen  Angaben  entnehmen,  dafe  die  Forscher  in  steier- 


I)  B.  B  Beiträge  eur  Kunde  steiermärkischer  Chschichtsqueüen, 

1* 


—     4     — 

märkischer  Geschichte  eifrigst  und  vielseitig  nach  Beiträgen  zur  Ge- 
schichte ihrer  Heimat  gesucht  und  auch  vieles  gefunden  haben. 

In  diese  Rubrik  gehört  auch  des  alten  verdienstvollen  Archivars 
und  Forschers  Wartinger  Abhandlung  über  die  älteste  Original- 
urkunde des  Joanneumsarchivs  in  Graz  (M.  i);  dies  ist  eine  Urkunde 
König  Karlmanns  über  die  Verleihung  einiger  Güter  an  das  Benedik- 
tinerstift Ossiach  in  Kärnten  vom  9.  September  878,  wozu  die  Be- 
merkungen von  Ankershofen  (M.  2)  und  Robitsch  (M.  2)  zu 
vergleichen  sind;  sodann  sei  hier  eingereiht  die  ausgezeichnete  Ab- 
handlung: Materialien  zur  Geschichte  des  Behördenwesens  und  der 
Verwaltung    in  Steiermark  (B.   29)   von  Luschin  v.  Ebengreuth. 

Gehen  wir  auf  das  Gebiet  der  deutschen  Literatur  des  Mittelalters 
über,  so  finden  wir  die  wertvollen  Studien  von  Weinhold  über  den 
Dichter  Hugo  VIII.  von  Montfort  (M.  7),  über  das  Bruchstück  einer 
Handschrift  von  Phillipps  Marienleben  (M.  7)  und  steirische  Bruchstücke 
altdeutscher  Sprachdenkmale  (M.  9);  von  Schönbach  über  die 
Grazer  Handschrift  des  lateinisch-deutschen  Freidank  (M.  23)  und  Mis- 
zellen  aus  Grazer  Handschriften  (M.  47.  48.  50). 

Arbeiten  über  die  Geschichtsquellen  des  Mittelalters  und  zwar 
über  die  Chroniken  brachten  Zahn:  über  den  Anonymus  Leobiensis 
(B.  i),  Krones  über  die  Quellen  der  steiermärkischen  Geschichte  in 
der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  (B.  7),  sowie  eine  treflfliche 
Untersuchung  über  die  Quellen  zur  Geschichte  der  Grafen  von  Cilli 
(B.  8).  Von  Urkunden,  Regesten,  Berichten,  Briefen  und  Formel- 
büchern handeln  Bischoff  (B.  6),  Göth  (Urkundenregesten  von 
1252  — 1580:  M.  5  — 14).  Joachimsohn  veröffentlicht  einen  Ge- 
sandtschaftsbericht  über  Baumkirchers  Hinrichtung  (B.  23),  Krones 
Urkunden  zur  Geschichte  des  Landesfürstentums,  der  Verwaltung  und 
des  Ständewesens  der  Steiermark  von  1283 — 141 1  (B.  30)  und  quellen- 
mäfsige  Beiträge  zur  Geschichte  der  Steiermark  1462  — 147 1  (B.  11). 
Franz  Martin  Mayer  handelt  von  den  Korrespondenzbüchem  des 
Bischofs  Sixtus  von  Freising  und  ihrem  Wert  für  die  Geschichte  der 
Steiermark  (B.  15)  und  Zahn  über  ein  Admontisches  Formelbuch 
aus  dem  XV.  Jahrhundert  (B.  17).  Mit  den  Totenbüchem  beschäf- 
tigten sich  Khull  (B.  27),  Loserth  (B.  26)  und  Zahn  (B.  3.  14), 
mit  den  Rechtsdenkmälern  Bise  ho  ff  (B.  5 — 6.  15.  18). 

Für  die  älteste  territoriale  Gliederung  des  Landes,  für  die  Ein- 
teilung in  Gaue  und  Kirchensprengel  liegen  malisgebende  Unter- 
suchungen vor  von  Felicetti  v.  Liebenfels  über  die  Lage  des 
pagtis    Chrowat  (B.  5)  und  Steiermark  vom  VIIL — XIL  Jahrhundert 


—     6     — 

(B.  9 — lo).  In  jener  weist  der  Verfasser  unwiderleglich  nach,  dafis 
der  Chrowat-  oder  Undrimagau  nicht,  wie  man  bis  dahin  allgemein 
meinte,  das  Gebiet  des  obersteirischen  Murtales  und  dessen  Neben- 
täler umfaiste,  sondern  da(s  er  in  der  Gegend  von  St.  Veit  in  Kärnten 
zu  suchen  ist;  in  jenem  stellt  er  die  politische  Einteilung  des  Landes 
im  K.,  X.  und  XI.  Jahrhundert  fest  und  beschreibt  es  nach  den  Gauen 
und  Grafschaften,  in  die  es  zerfiel. 

Die  Besiedlung  des  Landes  schildert  ausführlich  Krone s  in  dem 
Aufsätze  über  die  älteste,  insbesondere  deutsche  Ansiedlung  des 
steiermärkischen  Oberlandes  (M.  27),  während  er  die  politische  Ge- 
schichte jener  Epoche  in  dem  Aufsatze  zur  Geschichte  der  nachbar- 
lichen Beziehungen  der  Steiermark  und  Ungarns  bis  1 192  (M.  40),  in  der 
höchst  beachtenswerten  Studie  über  die  Herrschaft  König  Ottokars  II. 
von  Böhmen  in  Steiermark  1252  — 1276  (M.  22)  und  in  der  Arbeit 
zur  Geschichte  der  Steiermark  vor  und  in  den  Tagen  der  Baum- 
kircherfehde  (M.  17)  behandelt.  Hierher  gehört  auch  die  Abhandlung 
über  Steiermark  und  die  Kreuzzüge  von  Ilwof  (M.  49),  femer 
Kümmel,  Zur  Geschichte  Herzog  Ernsts  des  Eisernen  1406  bis 
1424  (M.  25).  Endlich  sei  die  mit  einem  alten  Irrtum  aufräumende 
Untersuchung  von  Zahn  genannt:  Über  das  angebliche  Turnier  von 
1194  und  den  Tummelplatz  in  Graz  (M.  34),  in  der  klar  nachgewiesen 
wird,  dafs  Leopold  V.  der  Babenberger,  Herzog  von  Österreich  imd 
Steiermark,  nicht  bei  einem  Turniere,  sondern  (1194)  bei  einem  Spa- 
zierritte auiserhalb  der  Mauern  der  Stadt  mit  dem  Pferde  getürzt  ist, 
dabei  das  Bein  gebrochen  hat  und  einige  Tage  danach  gestorben  ist. 
Ei^länzt  wird  Zahns  Arbeit  durch  die  von  Wa stier  über  den  Tum- 
melplatz in  Graz  (M.  43). 

Für  die  Neuzeit  mögen  zunächst  die  wichtigsten  Quellenpublika- 
tionen genannt  werden.  Krön  es  g^b  das  wertvolle  Verzeichnis  der 
landesfiirstlichen  und  landschaftlichen  Patente  der  Herrscherzeit  Maxi- 
milians I.  und  Ferdinands  I.  heraus  (6.  18  —  19);  Kümmel  schrieb 
über  die  landschaftlichen  Ausgabenbücher  als  steiermärkische  Ge- 
schichtsquelle (B.  14),  über  eine  Landeshauptmannschronik  des  XVI. 
Jahrhunderts  (B.  15),  über  ein  verloren  gegangenes  Geschichtswerk 
Michael  Frankenbergers ,  des  Stadtschreibers  zu  Brück  an  der  Mur 
(B.  15).  Loserth  gab  urkundliche  Beiträge  zur  Geschichte  des  Erzher- 
zogs Karl  II.  (B.  29),  Briefe  und  Akten  zur  steiermärkischen  Geschichte 
unter  Erzherzog  Karl  IL  (B.  30)  heraus,  MichaelMayer  veröffentlichte 
Auszüge  aus  den  Berichten  der  Grazer  Nuntiatur  an  die  Kurie  (M.  41), 
Gubo  MitteUungen  über  das  Toleranzpatent  (B.  29),  Wolf  ein  Hand- 


—     6     — 

billett  Kaiser  Josephs  II.  (B.  12),  Mayer  zwei  Handschreiben  Kaiser 
Josephs  II.  (M.  34)  und  Zahn  Quellen  zur  Geschichte  des  Jahres 
1683  (B.  20 — 21).  Hierher  gehören  auch  die  zahlreichen  Beiträg-e  zur 
Geschichte  des  Kriegsjahres  1809,  in  dem  die  Steiermark  von  den  Fran- 
zosen schwer  heimgesucht  wurde,  von  Au  st  (M.  36),  Ilwof  (B.  28), 
Kratochwill(M.  28),  Krones(M.  35 — 36),  Lange  (M.  29),  Levec 
(M.  46),  Scheiger  (M.  14),  Wichner  (M.  23),  v.  Zwiedineck 
(B.  23—24),  Mayer  (M.  46).  Aus  der  Zeit  von  1815 — 1848  sollen 
genannt  werden  die  mit  Einleitungen  und  Anmerkungen  von  Ilwof 
herausgegebenen  Briefe  Erzherzog  Johanns  an  Joseph  Freiherrn  von 
Hammer-Purgstall  (M.  37),  an  Karl  Schmutz  (M.  41)  und  an  die 
Grafen  Ferdinand  und  Ignaz  Attems  (M.  45). 

Auch  von  den  darstellenden  Abhandlungen  aus  der  Geschichte 
der  Neuzeit  sind  emige  beachtenswert,  so  Bidermann,  Die  Serben- 
ansiedlungen  in  Steiermark  (M.  31),  Die  Beziehungen  der  Steiermark 
zum  kroatisch-slawonischen  Königreich  im  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert 
(M.  39),  Loserth,  Die  Reise  des  Erzherzogs  Karl  IL  nach  Spanien, 
1568/69  (Beitrag  zur  Geschichte  Don  Carlos)  (M.  44),  Reifsen- 
berger,  Prinzessin  Maria  Christierna  von  Innerösterreich  1574 — 1621 
(M.  30),  Steinwenter,  Materialien  zur  Geschichte  der  östlichen 
Steiermark  unter  der  Landeshauptmannschaft  Hans  Ungnads  von  Sonneck 
1530 — 1544  (B.  19),  V.  Zwiedineck,  Ruprecht  von  Eggenberg,  ein 
österreichischer  Heerführer  des  XVI.  Jahrhunderts  (M.  26),  Krön  es, 
Aktenmäfsige  Beiträge  zur  Geschichte  des  Tattenbachschen  Prozesses 
1670  (M.  12),  G üb o,  Steiermark  während  des  Siebenjährigen  Krieges 
(M.  49 — 50),  endlich  die  ausgezeichnete  Abhandlung  von  Bider- 
mann, Zur  Verfassungskrisis  in  Steiermark  zur  Zeit  der  ersten  fran« 
zösischen  Revolution  (M.  21). 

Eine  furchtbare  Kalamität  für  das  Steirerland  waren  die  Türken- 
einfälle, welche  entsetzliche  Verwüstungen  und  Verluste  an  Menschen- 
leben herbeiführten.  Ihrer  zählt  man  in  der  Zeit  von  1396  bis  1707 
nicht  weniger  als  sechsundzwanzig,  deren  Verlauf  und  Folgen  in  den 
M.  9 — II.  15  und  32  in  fünf  gröfseren  Abhandlungen  von  Ilwof 
eingehend  aus  den  Quellen  dargestellt  werden.  Auch  unter  EinßLUen 
der  Kuruzzen  hatte  die  Steiermark  zu  leiden,  1704  (Lange,  M.  30) 
und  1707  (Stampfer,  B.  23). 

Die  Zeit  der  Reformation  und  Gegenreformation  ist  die  historisch 
interessanteste  Periode  im  Lande  Steier.  Von  ihr  handelt  Loserth 
in  der  Abhandlung  über  die  steirische  Religionspazifikation  1572  bis 
1578  (B.  27),   über  die  Gegenreformation  in  Graz  (B.  31),   über  die 


—     7     — 

Wiedertäufer  in  Steiermark  (M.  42.  50),  über  die  protestantische 
Stiflsschule  im  Gallerschen  Amthofe  bei  Schwanberg  (M.  47)  und 
das  Tagebuch  des  Geheimsekretärs  Peter  Casal  über  die  italienische 
Reise  Erzherzog  Ferdinands  IL  1598  (M.  48).  Ferner  sind  hier  zu 
nennen:  Peinlich,  Die  Religionshandlung  zu  Leoben  1576  (M.  26), 
Starzer,  Die  Residenz  der  Nuntien  in  Graz  (M.  41),  Zahn,  Der 
Kalenderstreit  in  Steiermark  (M.  13),  Ilwof,  Eine  Episode  aus  der 
Geschichte  der  Gegenreformation  in  Steiermark  (M.  12);  v.  Zwie- 
dineck,  Innerösterreichische  Religionsgravamina  aus  dem  XVIII.  Jahr- 
hundert (M.  22). 

Sind  die  bisher  genannten  Arbeiten  mehr  allgemeiner  Natur,  so 
soll  nun  von  den  bedeutendsten  unter  jenen  die  Rede  sein,  welche 
eine  besondere  Institution  oder  Persönlichkeit,  einen  Zweig  der  gei- 
stigen oder  materiellen  Kultur,  staatliche,  Landes-  und  Gemeindever- 
hältnissen u.  dgl.  betreffen. 

Beginnen  wir  mit  der  Geschichte  des  Adels.  Im  allgemeinen 
handeln  von  ihm  Krones,  Der  Herrenstand  des  Herzogtums  Steier 
von  1282 — 141 1  (M.  47)  und  Luschin,  Studien  zur  Geschichte  des 
steirischen  Adels  (M.  23).  Daran  schliefsen  sich  die  Mitteilungen 
über  die  einzelnen  Familien:  Baumkircher  (M.  17.  B.  11.  23),  Eggen- 
berg (M.  14),  Herberstein  (M.  19.  42.  B.  24),  Leysser  (M.  36),  Liech- 
tenstein (M.  19.  20.  31),  Prüeschenk  (M.  13),  Rauber  (M.  27),  Grafen 
von  Cilli-Saueck  (M.  10 — 13.  21),  Teuffenbach  (M.  41.  B.  34),  Windisch- 
grätz  (12  —  13.   15.  19),  Ziernfeld  (40). 

Der  Adel  hauste  im  Mittelalter  und  noch  bis  ins  XVIII.  Jahr- 
hundert auf  seinen  Burgen  und  in  seinen  Schlössern.  Eigentlich  erst 
durch  die  Aufhebung  der  Gutsuntertänigkeit  der  Bauern,  durch  die 
Grundentlastung  und  durch  den  Übergang  der  Verwaltung  und  Gerichts- 
barkeit von  den  Grundherrschaften  auf  die  landesfurstlichen  Behörden 
und  Gerichte  (1848 — 1850)  hat  sich  die  Übersiedlung  der  adeligen 
Familien  in  die  Städte  vollständig  vollzogen.  Daher  reihen  sich  an 
die  Geschichte  des  Adels  ganz  gut  die  historischen  Notizen  über 
Burgen  und  Schlösser  an:  Weifs,  Emige  verschollene  Burgen  im 
Murtale  (M.  32),  Wichner,  Zwei  Burgen  und  drei  Edelsitze  in  der 
oberen  Steiermark  (M.  42 — 43),  dann  Monographien  über  die  Festen 
Schaumbui^  und  Frauenburg  im  Schalltale  (M.  31),  Gösting  (M.  5), 
die  Burgruine  Hauenstein  (M.  16),  Klausenstein  und  Holenstein  (M.  29), 
Sachsenwart  und  Liebenstein  (B.  16),  Pöllau  (M.  6),  Rieggersburg 
(M.  2),  Spielberg  (M.  17),  Streehau  (M.  4),  Thalberg  (M.  35  —  36). 
Waldstem  (M.  3). 


—     8     — 

Hieran  mögen  sich  die  Nachrichten  über  die  Geistlichkeit  und 
das  Kirchenwesen  anreihen.  Über  die  Weltgeistlichkeit  liegen  einige 
Arbeiten  vor  von  Tangl  (M.  7)  und  Kernstock  (B.  13).  Die 
Lavanter  Bischofereihe  ergänzt  Lang,  Informationsbuch  eines  stein- 
sehen  Landpfarrers  vor  150  Jahren  (B.  26).  Dazu  kommen  Luschin, 
Aus  den  Rechnungen  der  päpstlichen  Steuereinnehmer  im  Erzstifte 
Salzburg  (B.  23),  Starzer,  Auszüge  aus  den  päpstlichen  Rechnungs- 
büchern der  Camera  apostolica  zur  Geschichte  der  Kirchen  der  Steier- 
mark in  der  Aquilejer,  Lavanter  und  Seckauer  Diözese  während  des 
XIV.  und  XV.  Jahrhunderts  (B.  25),  Weifs,  Quellen  und  Studien 
zur  Geschichte  der  Pfarre  Gratwein  (B.  21),  Wichner,  Materialien 
zur  Geschichte  verschiedener  Pfarren  und  Kirchen  in  und  auüserhalb 
Steiermark  (B.  18)  und  Lang,  Beiträge  zur  Kirchengeschichte  der 
Steiermark  und  ihrer  Nachbarländer  aus  römischen  Archiven  (B.  33). 

Reichlicher  ist  die  Ordensgeistlichkeit  und  sind  mit  ihr  ihre  Klöster 
und  Stifte  bedacht.  So  berichtet  über  das  durch  Kaiser  Joseph  n. 
aufgehobene  Augustiner-Chorherrenstift  Rottenmann  Pangerl  (M.  16. 
B.  5),  über  das  Chorherrenstift  Voran  Kernstock  (B.  14 — 15)  und 
Pangerl  (B.  4),  über  das  altehrwürdige,  in  der  Geschichte  der  Steier- 
mark zu  allen  Zeiten  hervortretende  Benediktinerstift  Admont  Fuchs 
(M.  9 — 11),  Pangerl  (B.  6),  Rottmanner  (M.  30),  Wichner 
(M.  20.  25.  40.  B.  11),  Zahn  (B.  14.  17),  über  das  von  Kaiser  Jo- 
seph II.  aufgehobene  adelige  Damenstift  Göis,  das  älteste  um  1002 
gegründete  Kloster  in  Steiermark,  Theussl  (M.  46),  über  das  Bene- 
diktinerkloster St.  Lambrecht  Pangerl  (B.  i — 4)  und  Zahn  (B.  10), 
über  den  weithin  berühmten  Wallfahrtsort  Maria  2^11  Pangerl  (M.  18), 
worin  nachgewiesen  wird,  daüs  der  Beginn  der  Wallfahrten  dorthin  in 
die  Jahre  1320 — 1330  fallt;  daher  kann  die  Gründung  des  „Gnaden- 
ortes** nicht,  wie  bisher  angenommen  wurde,  1157  erfolgt  sein.  Von 
dem  Zisterzienserstift  Rein  handeln  Gasparitz  (M.  34.  36.  38. 42 — ^43. 
45)  und  Weifs  (M.  14.  B.  2.  12),  von  dem  Dominikanerkloster  zu 
Pettau  Zahn  (B.  16),  über  die  Jesuiten  Krön  es  (B.  22.  24)  und 
Lang  (M.  46),  über  die  Kapuziner  zu  Schwanberg  Marie  v.  Plazer 
(M.  40),  über  die  Karthause  Seiz  Mayer  (B.  21)  und  endlich  über 
die  Kommende  des  deutschen  Ritterordens  zu  Fürstenfeld  Lange 
(M.  30). 

Der  hohe  und  der  niedere  Adel  und  die  Spitzen  des  Klerus, 
namentlich  der  Fürstbischof  von  Seckau  und  die  Äbte  der  Stifte  bil- 
deten im  Mittelalter  und  selbst  bis  in  die  Mitte  des  XIX.  Jahrhunderts, 
da  die  Vertreter   der  Städte  nur  wenig  zahlreich  und  die  Bauern  als 


—     9     — 

gutsuntertänig  politisch  rechtlos  waren,  den  ständischen  Landtag 
des  Herzogtums  Steier.  Daher  beschäftigen  sich  die  Forschungen 
über  das  Stände-  und  Landtagswesen ,  über  die  von  den  Ständen  dem 
LandesHirsten  zu  leistende  Erbhuldigung  und  die  von  diesen  zu  er- 
teilenden Rechte  und  Freiheiten  der  Landstände,  sowie  über  die  Land- 
handfesten vorwiegend  mit  Adel  und  Geistlichkeit  Besonders  wert- 
volle, grundlegende  Arbeiten  lieferte  auf  diesem  Gebiete  Krones: 
Inhaltsverzeichnis  steirischer  Stände-  und  Landtagsakten  aus  dem 
XVI.  und  XVII.  Jahrhundert  (B.  i),  Vorarbeiten  zur  Quellenkunde 
und  Geschichte  des  mittelalterlichen  Landtagswesens  in  Steiermark 
(B.  2),  Nachträge  und  Ergänzungen  hierzu  (B.  3.  6)  und  Materialien 
hierzu  in  Regesten  und  Auszügen  (B.  16).  Den  feierlichen  Akt  der 
Erbhuldigung  behandeln  Leitner  (M.  i),  Krones  (M.  18)  und 
Lange  (M.  37).  —  Das  Wort  Landhandfeste  erscheint  in  der  Steier- 
mark zum  ersten  Male  1501  als  Nan^e  eines  von  König  Friedrich  III. 
1445  erlassenen  Gesetzes,  und  erst  seit  der  zweiten  Hälfte  des  XVI. 
Jahrhunderts  als  Bezeichnung  jener  Sammlung  von  Rechtsurkunden, 
Bestätigungsbriefen,  landesfürstlichen  Entscheidungen,  Verträgen,  Land- 
tagsabschieden u.  dgl.,  in  denen  die  landständische  Verfassung  des 
Herzogtums  Steier  niedergelegt  war  und  zu  deren  Bestätigung  der 
Herzog  bei  der  Erbhuldigung  den  Eid  ablegte.  Eine  erschöpfende 
vortreffliche  Untersuchung  und  Darstellung  dieses  staatsrechtlichen 
Aktes  bietet  v.  Luschin  (B.  9). 

Zur  Geschichte  der  Kulturverhältnisse  übergehend,  erwähnen  wir 
zuerst  die  den  Bergbau  und  die  Eisenverarbeitung  behandeln- 
den Arbeiten  von  Ilwof,  Steirisches  Eisen  zu  Wehr  und  Waffen  in 
den  2^iten  Maximilians  I.  und  Ferdinands  I.  (M.  34),  von  Khull, 
Der  alte  Bergbrief  von  Schladming  (M.  28.  30),  von  Mayer,  Das 
Eisenwesen  in  Eisenerz  1570 — 1625  (M.  33),  Reichel,  Beiträge  zur 
Geschichte  des  steirischen  Bergbaues  im  Zeitalter  des  österreichischen 
Erbfolgekrieges  (M.  37)  und  Pantz,  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Innerberger  Hauptgewerkschaft  (B.  19).  —  Vom  Jagd-  und  Forstwesen 
sprechen  die  Aufsätze  von  Khull,  Zwei  die  landesfurstliche  Jagd  in 
Steiermark  betreffende  Denkmäler  (B.  28),  von  Lange,  Das  Jagd- 
buch von  Burgau  (M.  29),  von  Mayer,  Zur  Geschichte  des  Jagd- 
und  Forstwesens  in  Steiermark  in  der  2^it  Maximilians  I.  (M.  28)  und 
Zahn,  Notizen  zur  Geschichte  des  Jagdwesens  auf  den  Gründen  des 
ehemaligen  Klosters  Neuberg  (M.  36). 

In  das  Schlagwort  Landwirtschaft  gehören  die  Darstellungen 
über  Urbarialverhältnisse  und  über  die  Lage  der  Bauernschaft.    Davon 


—     10     — 

handeln  Lange,  Dorfrechte  und  Freiheiten  (M.  30),  Meli,  Die  mittel- 
alterlichen Urbare  und  urbarialen  Aufzeichnungen  als  Quellen  steirischer 
Wirtschaftsgeschichte  (B.  25),  Schönbach,  Untersteirische  Bannbe- 
stimmungen (B.  13),  Wichner,  Über  einige  Urbare  aus  dem 
XIV.  und  XV.  Jahrhundert  im  Admontcr  Archive  (B.  13)  und 
Zahn,  Die  freisingischen  Güter  in  Steiermark  und  deren  ökonomische 
Verhältnisse  am  Beginne  des  XIV.  Jahrhunderts  (M.  9) ,  Über 
zwei  Codices  zur  Geschichte  von  Donnersbach  (B.  22)  und  Meli, 
Beiträge  zur  Geschichte  des  Untertanenwesens  in  Steiermark  (M. 
40—41). 

Von  den  Bauernunruhen  und  -kriegen  wurde  die  Steiermark  ebenso 
wie  die  meisten  anderen  Gebiete  Süddeutschlands  schwer  berührt. 
Über  diese  Verhältnisse  berichten  Bischoff,  Mayer  und  Zahn 
(B.  14),  Krainz,  Über  den  Eisenerzer  Aufstand  1683  (M.  28),  Kro- 
ne s.  Über  den  Bauernkrieg  von  1525  (M.  16)  und  über  den  von 
1573  (B.  5),  Mayer,  Über  die  ersten  Bauemunruhen  in  Steiermark 
(M.  23.  B.  13),  Meli,  Über  den  windischen  Bauernaufstand  1573 
(B.  26),  163  s  (M.  44). 

Wertvolle  Materialien  zur  Geschichte  der  Zünfte  lieferte  Zahn 
(B.  14 — 15.  18).  Weniger  zahlreich  sind  die  Arbeiten  über  Handel 
und  Verkehrswesen,  es  wären  nur  zu  nennen:  Göth,  Zur  Geschichte 
der  Hansgrafen  in  Steiermark  (M.  8),  Bidermann,  Die  Verkehrs- 
beziehungen der  Stadt  Leoben  zu  den  westlichen  Alpenländern  vom 
XVI.  —  XIX.  Jahrhundert  (M.  22).  Über  Reisen  und  Pilgerfahrten 
machten  Mitteilungen  Formentini,  Reichshofstaat  der  Prinzessin 
Anna,  Tochter  des  Erzherzogs  Karl  von  Österreich,  bei  ihrer  Über- 
siedlung als  königliche  Braut  nach  Polen  1592  (M.  2),  Khull,  Be- 
richt über  eine  Jerusalemfahrt  zweier  Franziskaner  aus  Friedau  1527 
(M.  44),  Mayer,  Des  Bildhauers  Franz  Ferdinand  Ertinger  Beschrei- 
bung seiner  Reisen  (B.  29),  Marie  v.  Plazer,  Bericht  über  die 
Reise  des  Bamberger  Bischofs  Ernst  von  Mengerstorff  durch  die  Steier- 
mark 1588  (B.  23). 

Weniges,  jedoch  Gediegenes  enthalten  die  Schriften  des  histo- 
rischen Vereins  über  Geld,  Münzwesen  und  Preise,  nämlich:  Pein- 
lich, Der  Brotpreis  in  Graz  und  Steiermark  im  XVII.  Jahrhundert 
(M.  25),  Luschin,  Das  lange  Geld  oder  die  Kipperzeit  in  Steiermark 
(M.  38)  und  Tauber,  Beschreibung  der  steirischen  Münzen,  ins- 
besondere der  Kippermünzen  aus  den  Jahren  1617 — 1623  (M.  38). 

Zur  geistigen  Kultur  übergehend,  notieren  wir  zuerst  die  Arbeiten 
über  das  Schulwesen:   Krones,   Zur  Geschichte   des  Schulwesens  in 


—    11    — 

Steiermark  im  Mittelalter  und  während  der  Reformationsepoche  bis 
1570  (M.  34),  und  Zur  Geschichte  des  naturhistorischen  Unterrichts 
in  Steiermark  (M.  37),  Khull,  Aus  der  alten  Landschaftsschule  in 
Graz  (M.  45),  Loserth,  Zu  den  Anfängen  der  Grazer  Universitäts- 
bibliothek (M.  44) ,  Ostermayer,  Schulg^ndungen  im  Bezirke  Hart- 
berg (M.  33.  39)  und  Beiträge  zur  Geschichte  der  Volksschule 
in  der  Nordoststeiermark  (M.  41).  —  Vom  Buchdruck  handeln 
Peinlich,  Zur  Geschichte  des  Buchdrucks,  der  Bücherzensur  und 
des  Buchhandels  in  Graz  im  XVI.  Jahrhundert  (M.  27),  Zahn, 
Zur  steicrmärkischen  Buchdruckergeschichte  (B.  16)  und  Lang, 
Ein  Grazer  Kalender  für  1594  in  der  Vatikanischen  Bibliothek  zu 
Rom  (M.  41). 

Sehr  reichhaltig  sind  die  Mitteilungen  über  die  Werke  der  bilden- 
den Kunst,  so  die  Berichte  des  Landesarchäologen  Haas  über  seine 
Bereisung  der  Steiermark  in  den  Jahren  1856—1860  (M.  7 — 10),  der 
Vortrag  des  Abtes  von  Rein  Ludwig  Crophius  Edl.  von  Kaiser- 
sieg über  die  geschichtlichen  Denkwürdigkeiten  von  Strafsengel  (M.  8), 
Richter,  Zur  Baugeschichte  der  Wallfahrts-  und  Kreisdekanatskirche 
auf  dem  Weizberge  bei  Weiz  (M.  33),  über  die  schon  bei  Beginn 
der  Gegenreformation  zerstörte  protestantische  Kirche  zu  Scharfenau 
bei  Cilli  von  Orozen  (M.  27),  besonders  jedoch  von  Wastler  (M.  38). 
Kunst  und  Künstler  in  ihrer  Förderung  durch  die  steirische  Land- 
schaft vom  XVI.— XVIII.  Jahrhundert  behandelt  Kümmel  (B.  16), 
das  Inventar  der  Kaiserin  Eleonore  von  Mantua  -  Gonzaga ,  Gemahlin 
Kaiser  Ferdinands  II.  (M.  30),  die  Malerkonfraternität  in  Graz  gegen 
die  Störer  und  Fretter  (M.  31),  die  Ordnung  der  von  Peter  de  Pomis 
gegründeten  Malerkonfratemität  in  Graz  (B.  23)  und  endlich  die  wert- 
vollen Nachrichten  über  Gegenstände  der  bildenden  Kunst  in  Steier- 
mark (M.  32 — 43)  Wastler.  Diesen  schliefsen  sich  an  die  Aufsätze 
von  Weifs  über  den  geistlichen  Maler  Andreas  Schmidt  (M.  32),  von 
Zahn  über  den  Maler  G.  A.  Faber  von  Aussee  (M.  37),  über  die 
Malerkonfraternität  in  Graz  wider  den  landschaftlichen  Maler  Johann 
Mieüsl  (M.  38),  über  steirische  Baumeister  in  Friaul  (B.  16).  Schliefs- 
lich  kommen  die  Nachträge  und  Zusätze  zu  Walters  Künstlerlexikon 
von  Ilwof  (M.  34\  Konschegg  (M.  34.  40)  und  Zahn  (M.  32  bis 
33-  37)  in  Betracht. 

Bisch  off  liefert  Beiträge  zur  Musikpflege  in  Steiermark  (M.  37) 
und  zur  Geschichte  des  Theaters  in  Graz  1574 — 1775  (M.  40)  und 
veröffentlicht  neu  die  für  die  Geschichte  der  Dramatik  im  XVII.  Jahr- 
hundert sehr    wertvolle    Komödie   Niemand  tmd  Jemand  von  John 


—     12     — 

Green,  die  in  Graz  1608  von  englischen  Komödianten  aufgeführt 
wurde  (M.  47).  Eine  Ergänzung  dazu  bietet  der  Aufsatz  von  liwof, 
Über  die  Anfänge  des  deutschen  Theaters  in  Graz  (M.  33). 

Ein  sehr  wichtiges  Bevölkerungselement  bildeten  in  Steiermark 
im  Mittelalter  die  Juden,  namentlich  für  Handel  und  Geldverkehr, 
bis  sie  auf  Bitten  der  Stände  von  Kaiser  Maximilian  I.  1496  gegen 
eine  Entschädigung  von  38000  Gulden  aus  ganz  Innerösterreich  vertrie- 
ben wurden;  erst  seit  1861  dürfen  sie  sich  wieder  dort  ansässig  machen. 
So  interessant  auch  eine  Schilderung  des  Tuns  und  Treibens  der  Ju- 
den in  Steiermark  in  Mittelalter  wäre,  bringen  die  Publikationen  des 
historischen  Vereins  doch  nur  zwei  kleine  Beiträge :  Zahn,  Über  eine 
jüdische  Urkunde  des  XV.  Jahrhunderts  (M.  11),  und  llwof.  Zur  Ge- 
schichte der  Judenverfolgung  in  Steiermark  (M.  12). 

Recht  reichhaltig  dagegen  sind  die  Nachrichten  zur  Ortsge- 
schichte:  Bidermann,  Die  Grenze  zwischen  Ungarn  und  Steier- 
mark (B.  11);  Mayer,  Aus  Stupans  Beschreibung  von  Inneröster- 
reich 1759  (B.  24);  sodann  über  Aflenz  (B.  9),  Aussee  (M.  33),  Brück 
(B.  17.  M.  35),  Cilli  (M.  23—26.  28—30),  Deutsch-Feistritz  (M.  38), 
Ehrenhausen  (B.  22.  30),  Eisenerz  (B.  5.  17.  20),  Fürstenfeld  (M.  29. 
40.  B.  19),  Graz  (M.  16.  18 — 20.  29.  43—45),  Grofe-Lobming  (M.  26), 
Hohenwang  (M.  30),  Kindberg  (M.  29),  Leibnitz  (M.  i.  4),  Marburg 
(M.  4.  27),  Mautem  (M.  38),  Murau  (B.  12),  Neuhaus  (M.  3),  Pettau 
(M.  32),  Radkersburg  (B.  16.  M.  39),  Ramsau  (M.  25),  St.  Stefan  ob 
Leoben  (M.  39),  Weiz  (M.  33). 

Sehr  reichhaltig  sind  auch  die  Notizen  und  Mitteilungen  zur 
Kulturgeschichte,  von  denen  wenigstens  einiges  hervorgehoben 
werden  möge:  Kernstock,  Beiträge  zur  Zeit-  und  Kulturgeschichte 
der  östlichen  Steiermark  (M.  25);  Krautgas  ser.  Zur  Kulturgeschichte 
des  XVII.  Jahrhunderts  (M.  13.  27);  Weinhold,  Über  das  deutsche 
Volkslied  in  Steiermark  (M.  9);  Wichner,  Beiträge  zu  einer  Ge- 
schichte des  Heilwesens,  der  Volksmedizin  usw.  (M.  33);  Zahn, 
Über  steiermärkische  Taufnamen  (M.  29),  Zur  Sittengeschichte  in 
Steiermark  (M.  36);  Göth  und  llwof.  Über  Haus-  und  Hofmarken 
(M.  5.  12);  Bischoff,  Ein  Femgerichtsprozefs  in  Steiermark  (M. 
21);  Pangerl,  Sühne  des  Totschlags  im  XV.  Jahrhundert  und  Zur 
Geschichte  des  Gestütwesens  im  XVI.  Jahrhundert  (M.  18);  Pein- 
lich, Akten  zur  Geschichte  Keplers  (M.  16.21);  Schmutz,  Proden- 
zen  der  Stradafisel  =  Gaunerherbergen  in  Obersteier  (M.  45);  Zahn, 
Zwei  lateinische  Klagelieder  über  die  Grafen  von  Putten  (B.  2); 
Zwiedineck,  Ein  merkwürdiges  Flugblatt,  ein  Spottgedicht  auf  den 


—     13     — 

Winterkönig  Kurfürst  Friedrich  von  der  Pfalz  (M.  21),  und  Die  Hoch- 
zeitsfeier Erzherzog  Karls  IL  mit  Maria  von  Bayern  (M.  47). 

Es  war  eine  schöne  Sitte  des  historischen  Vereins  für  Steiermark, 
Biographien  und  Nekrologe  um  das  Land  und  um  den  Verein  ver- 
dienter Männer  in  einer  eigenen  Abteilung  der  M.  mit  dem  Titel 
Oedenkbuch  erscheinen  zu  lassen.  Von  den  darin  enthaltenen  Auf- 
sätzen mögen  erwähnt  werden  derjenige  über  den  Historiker  Her- 
mann Ignaz  Bidermann  (M. 46),  den  Staatsmann  Moriz  v.  Kaiser- 
feld (M.  36),  den  Vereinsdirektor  Georg  Göth  (M.  26)  und  den 
Archivar  Joseph  Wart inger  (M.  20),  Erzherzog  Johann  von  Öster- 
reich (M.  14),  den  Dichter  und  Historiker  Johann  v.  Kalchberg  (M. 
26),  den  Epigraphiker  Knabl  (M.  23),  den  Arzt  des  XVII.  Jahrhunderts 
Dr.  Adam  v.  Lebenwaldt  (M.  28),  den  Dichter  Karl  Gottfried  Ritter 
V.  Leitner  (M.  41),  den  Sohn  Erzherzog  Johanns,  Franz  Graf  von 
Meran,  einen  Forscher  auf  dem  Felde  der  Waffenkunde  (M.  39),  den 
Historiker  Peinlich  (M.  31),  den  Archäologen  Joseph  v.  Scheiger 
(M.  42),  den  Statistiker  Gustav  Franz  v.  Schreiner  (M.  21),  den  Topo- 
graphen Karl  Schmutz  (M.  39),  den  Historiker  Albert  v.  Muchar 
(M.  I.  14),  den  Archäologen  Pratobera  (M.  8),  den  Rechtslehrer  Sand- 
haas (M.  15),  den  Historiker  Tangl  (M.  15),  den  Topographen  des 
XVII.  Jahrhunderts  Georg  Matthäus  Vischer  (M.  24.  29.  30),  den  Ver- 
einsvorstand Ludwig  Abt  zu  Rein  (M.  11.  14),  den  Kunsthistoriker 
Wastler  (M.  49)  und  den  Geschichtsforscher  Felicetti  (M.  49).  In  diese 
Kategorie  der  Biographien  können  wir  auch  einreihen  die  sehr  be- 
merkenswerten Arbeiten:  Bischoff,  Zur  Lebensgeschichte  des  Grafen 
Carlo  della  Torre,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Adels  und  der 
Rechtspflege  im  XVII.  Jahrhundert  (M.  48)  und  Krones,  Leonor 
von  Portugal,  Gemahlin  Kaiser  Friedrichs  III.,  des  steirischen  Habs- 
burgers 1436— 1467  (M.  49). 

Mit  dem  Hefte  50  der  Mitteilungen  schlofe  1903  der  Historische 
Verein  diese  Serie  seiner  Publikationen  und  gibt  nun  an  deren  Stelle 
die  Steirisehe  Zeitschrift  für  Geschickte  heraus,  die  au&er  Abhand- 
lungen über  die  Steiermark  auch  solche  allgemein  geschichtlichen 
Inhalts  bringt  und  von  der  bisher  drei  Bände  erschienen  sind.  Bei- 
träge zur  Geschichte  der  Steiermark  darin  sind :  BoMwerhe  und  Strafsen 
von  AUgrcus  von  Kapp  er  und  Zur  Geschickte  des  ersten  JFVanjgasenein- 
fallsl797  von  v.  Zwiedineck  (Bd.  i).  Der  2.  Band  enthält  eine  Mono- 
graphie über  den  abgekommenen  steirischen  Edelmannssitz  Fahren^ 
graben  von  Kapper,  Steirisehe  Gelder  in  Ävignan  von  Lang,  eine 
sehr   lehrreiche    rechtshistorische   Untersuchung    über   Das  steirisehe 


—     14     — 

BannricUeramt  von  Meli  und  einen  Beitrag  Zur  Geschichte  der  aÜen 
Finanzgebäade  in  Graz  von  Fr ^nz  F reihe rrn  v.  Mensi.  Im  dritten 
Bande  erschien  der  Aufsatz:  Zur  Geschichte  des  Joannetdmsgartens  in 
Graz  von  Ilwof,  und  die  Beiträge  von  Loserth  Zur  Genealogie  des 
Hauses  Liechtenstein- Mur au,  welche  über  einen  Barfufsermönch  aus 
dieser  Familie  berichtet,  Das  Stammbuch  der  Frau  Dorothea  von  Stu- 
henberg,  geb.  Freiin  von  Thanhausen,  während  Schmut  Die  Ritter 
von  Wasserberg  und  Schlafs  Wasserberg  in  Vischers  Schlösserbuch, 
Pircheg-ger  Die  Schlösser  Lemberg  und  Rabensberg  in  Untersteier 
behandelt.  Eine  Notiz  über  eine  Eisenerzer  Denkmünze  von  1593 
veröffentlicht  Budinsky,  der  zugleich  über  eine  ähnliche  aus  demselben 
Jahre  berichtet.  Geschichtliches  aus  ünterzeirung  von  Schmut,  Bei- 
träge zur  Geschichte  des  Grazer  Theaters  1824125  von  Deutsch, 
Äussees Franzosenzeit  1800,  1801  von  Arnold  schliefsen  sich  an.  Mit 
dem  Versuche  Welches  war  die  Urbevölkerung  des  Murbodens  und  wie 
erfolgte  die  spätere  Besiedlung?  von  Forcher  v.  Ainbach  wird  wohl 
kaum  ein  Geschichtskenner  einverstanden  sein,  da  er  Slawen  als  die 
ersten  nachweisbaren  Bewohner  des  oberen  Murtales  annimmt.  D  o  b  - 
linger  bringt  Aufzeichnungen  Wolfs  v.  Stubenberg  über  die  Nieder- 
lage des  Christenheeres  durch  die  Türken  bei  Essegg  1537,  Schmut 
Notizen  aus  der  Wasserberger  Jagdgeschichte  und  Walter  Smid 
versucht  endlich,  einige  steirische  Ortsnamen  zu  erklären.  Das  ist 
gewifs  ein  vielverheifsender  Anfang  für  die  neue  Reihe! 

Aufser  diesen  periodischen  Publikationen  veröffentlichte  der  Histo- 
rische Verein  noch  eine  Stiria  iUustrata,  bearbeitet  von  Zahn,  ein 
genaues  Verzeichnis  und  Beschreibung  aller  jener  Abbildungen  (von 
Städten,  Märkten,  Schlössern,  Dörfern,  Klöstern,  Kirchen,  einzelnen 
Gegenden  und  Häusern,  Monumenten  und  geschichtlichen  Ereignissen), 
welche  unter  Beziehung  auf  den  Boden  der  Steiermark  je  im  Druck 
bekannt  gemacht  worden  sind.  Sie  ist  alphabetisch  geordnet,  umfafst 
bis  jetzt  512  Seiten  von  Admont  bis  Neumarkt;  aus  hier  nicht  zu 
erörternden  Gründen  ist  sie  seit  mehreren  Jahren  ins  Stocken  geraten ; 
die  Fortsetzung  und  Vollendung  dieses  ungemein  brauchbaren  Hilfis- 
mittels  für  die  Ortsgeschichte  wäre  sehr  wünschenswert. 

Wichtiger  und  bedeutender  ist  die  vom  Vereine  mit  Unterstützung 
des  k.  k.  Ministeriums  für  Kultus  und  Unterricht  und  des  steiermär- 
kischen  Landtages  erfolgte  Veröffentlichung:  SteiermärJdsckes  Land- 
recht des  Mittelalters,  bearbeitet  von  Bischoff  (Graz  1875).  Es  ist  dies 
ein  für  die  inneren  Verhältnisse  der  Steiermark  sehr  wichtiges  Rechts- 
buch; eifrig  suchend  fand  Bischoff  zehn  Handschriften  desselben.    Es 


—     15     — 

war  bis  dahin  fast  ganz  unbeachtet  geblieben,  und  wurde  weder  in 
älteren  noch  in  neueren  Schriften  über  Geschichte  und  Recht  in  Steier- 
mark irgendwie  erwähnt.  Es  stammt  aus  der  zweiten  Hälfte  des  XIV.  Jahr- 
hunderts und  ist  eine  für  die  Kunde  des  bayerisch  -  österreichischen 
Rechts  im  Mittelalter  überhaupt,  sowie  insbesondere  für  die  Geschichte 
der  Standes-  und  Rechtsverhältnisse  der  ritterlichen  Klassen  in  Steier- 
mark sehr  beachtenswerte  interessante  Quelle. 

Von  noch  höherem  Werte  für  die  steiermärkische  Geschichts- 
forschung ist  die  durch  den  historischen  Verein  mit  Förderung  des 
Unterrichtsministeriums,  des  steiermärkischen  Landtages  und  der 
ersten  steiermärkischen  Sparkassa  erfolgte  Herausgabe  des  Urkundef^ 
buches  des  Herzogtums  Steiermark,  bearbeitet  von  J.  v.  Zahn  (3  Bände, 
1875,  1879,  1903).  Die  drei  Bände  enthalten  die  Texte  von 
1556  Urkunden,  deren  älteste  von  798  ist,  und  reichen  vorläufig  bis 
1260.  Die  Ausgabe  befriedigt  in  jeder  Hinsicht:  die  Datierungen,  die 
Regesten  vor  dem  Wortlaute  der  Urkunden,  die  Lesung  und  Wieder- 
gabe derselben  entsprechen  ganz  dem  Stande  der  Wissenschaft,  die 
Register  sind  mit  grofser  Sachkenntnis  und  aufserordentlicher  Mühe 
bearbeitet  und  können  ihrer  Vollständigkeit  und  Genauigkeit  wegen  als 
vorbildlich  bezeichnet  werden.  Das  baldigste  Erscheinen  des  vierten 
Bandes  mufs  jedem,  der  in  steirischer  Geschichte  des  Mittelalters 
arbeitet,  dringend  erwünscht  sein,  da  damit  wenigstens  das  ganze  Ur- 
kundenmaterial  bis  zum  Beginne  der  Habsburgerzeit  vorliegen  wird. 

Wer  unbefangen  diese  Fülle  von  Publikationen  überblickt  und 
wer  etwas  näher  in  ihren  Inhalt  eingeht,  wird  zugestehen,  dafs  der 
Historische  Verein  für  Steiermark  in  dem  Zeiträume  seines 
Bestandes,  von  1850  bis  1906,  also  in  56  Jahren  quantitativ  und  quali- 
tativ Bedeutendes  geleistet  hat  und  dafs  wir  heutzutage  über  die  Ge- 
schichte dieses  Landes  —  und  damit  auch  über  einen  nicht  zu  unter- 
schätzenden Teil  des  deutschen  Sprachgebiets  und  Österreichs  —  in 
wesentlich  weiterem  Umfange,  aber  vor  allem  tiefer  unterrichtet  sind, 
als  vor  einem  halben  Jahrhundert. 

II. 

Es  mag  im  Jahre  1890  oder  1891  gewesen  sein,  dals  der  damalige 
Landeshauptmann  von  Steiermark,  Reichsgraf  Gundaker  von 
Wurmbrand-Stuppach,  sich  gegenüber  dem  Joanneumsbiblio- 
thekar, Prof.  V.  Zwiedi neck- Südenhorst,  dahin  äufserte,  da(s  die 
innere  Geschichte  der  Steiermark,  insbesondere  die  Verfassungs-  und 
Verwaltungsverhältnisse  noch  viel  zu  wenig  durchforscht  und  bearbeitet 


—     16     — 

seien,  und  die  Frage  aufwarf,  wie  etwa  diese  Lücke  auszufüllen  seL 
Prof.  V.  Zwiedineck  schlug  dem  Landeshauptmann  die  Gründung  einer 
mit  ausreichenden  Geldmitteln  auszustattenden  Historischen  Lan- 
deskommission vor.  Wurmbrand  ging  rasch  auf  diese  Idee  ein 
und  erwirkte,  da(s  der  steiermärkische  Landtag  schon  in  der  Frühjahrs- 
session dem  Landesausschusse  die  Ermächtigung  erteilte,  eine  Histo- 
rische Landeskommission  zu  berufen,  „durch  welche  die  Ge- 
schichte des  Landtages  und  der  Stände,  die  Entstehung 
und  Entwicklung  der  landesfürstlichen  Regierung,  der 
Gesetzgebung  und  des  Verordnungswesens,  die  Ge- 
schichte der  Verwaltung  durch  städtische  und  grund- 
herrliche, weltliche  und  geistliche  Obrigkeiten,  der 
kirchlichen  und  konfessionellen  Verhältnisse,  der  Ko- 
lonisation, der  Produktion,  des  Handels  und  Verkehrs 
behandelt  werden  soll."  Wurmbrand  erwirkte  weiter,  dafe  der 
Landtag  dieser  Landeskommission  einen  jährlichen  Beitrag  von  2000  Fl. 
(4000  K.)  zur  Verfugung  stellte. 

So  kam  diese  Institution  rasch  zustande;  der  Landesausschufs 
berief  ihre  Mitglieder,  und  schon  am  11.  Juni  1892  hielt  sie  ihre  kon- 
stituierende Sitzung.  Kraft  eines  ihrer  ersten  Beschlüsse  wandte  sie 
sich  an  die  Familien  des  steirischen  Hochadels  und  forderte  sie  mit 
Rücksicht  darauf,  dalGs  auch  Familiengeschichten  der  steirischen  Adels- 
geschlechter gearbeitet  und  publiziert  werden  sollen,  zur  Beitrags- 
leistung auf  Die  meisten  dieser  Familien  entsprachen  diesem  Wunsche, 
so  dafs  der  dadurch  zustande  gekommene  sogenannte  „Adelsfonds" 
schon  1903  mehr  als  15CXX:)  K.  betrug. 

Aber  auch  die  wissenschaftliche  Tätigkeit  der  Landeskommission 
entwickelte  sich  bald  in  sehr  erfreulicher  Weise  *).  In  den  14  Jahren 
ihres  Bestehens  hat  sie  6  Bände  Forschungen  Bur  Verfasaungs-  und 
VenoaUungsgeschichte  der  Steierfnarh  und  21  Hefte  Veröffentlichungen 
herausgegeben.  In  ersteren  sind  folgende  Werke  enthalten.  Den  ersten 
Band  bildet:  Verfassung  und  VenmUung  der  Mark  und  des  Hersog- 
iums  Steier  von  ihren  Anfängen  bis  zur  Herrschaft  der  Habsburger 
von  Krön  es  (Graz  1897).  Diese  Veröffentlichung  stellt  nun  zwar 
keine  vollständige  Geschichte  der  Verfassung  und  Verwaltung  der 
Steiermark  bis  1283  dar,  enthält  aber  eine  Reihe  ineinandei^reifender, 
in    streng    sachlichem    Zusammenhange    miteinander    stehender  For- 


i)  Im    einzelnen  ist    darüber  in    dieser  Zeitschrift   früher  die  Rede  gewesen;    Tgl. 
L  Bd.,  S.  27  und  VI.  Bd.,  S.  136—137. 


—     17     — 

schungen  zur  Verfassung  und  Verwaltung  der  Mark  und  des  Herzog- 
tums Steier  von  deren  Gründung  bis  zur  Ankunft  der  Habsburger. 
In  dem  ersten  Teile  des  zweiten  Bandes  Die  Orafen  von  AUems, 
Freiherren  von  HeüigenhreuB  in  ihrem  Wirken  in  und  fiir  Steiennark 
von  Ilwof  (Graz  1896)  wird  der  Ursprung  und  das  Emporkommen 
des  Geschlechtes  der  Attems  in  Friaul,  die  Verbreitung  seiner  Glieder 
über  Görz,  Krain  und  endlich  nach  Steiermark  (1582)  erörtert  und 
ihre  Bedeutung  für  dieses  Land  dargestellt;  auch  sind  darin  ausführ- 
liche Biographien  des  Grafen  Ferdinand  und  seines  Sohnes  Ignaz  ent- 
halten, welche  beide  ungemein  verdienstvoll  1801  — 1821  und  1821 
bis  1852  als  Landeshauptleute  in  Steiermark  wirkten.  —  Der  HuU 
digungsstreU  nach  dem  Tode  ErzherBog  Karls  IL  1590 — 1592  von 
Loserth  ist  ebenfalls  noch  im  zweiten  Bande  enthalten  (Graz  1898). 
Als  nach  dem  Tode  Erzherzog  Karls  IL  von  Kaiser  Rudolf  IL  für  den 
minderjährigen  Sohn  Karls,  Erzherzog  Ferdinand,  dessen  Oheim  Erz- 
herzog Ernst  zum  Administrator  von  Steiermark,  Kärnten  und  Krain 
bestellt  worden  war,  erhofften  die  evangelischen  Stände  eine  Wieder- 
herstellung der  von  Karl  1578  gewährten,  später  jedoch  verkümmerten 
Konzessionen  in  Religionssachen.  Obwohl  sich  die  Wünsche  der 
Stände  teilweise  erfüllten,  vollzog  sich  doch  wenige  Jahre  danach  die 
vollkommen  durchgreifende  Gegenreformation  durch  Elrzherzog  Ferdi- 
nand. —  Der  dritte  Band  ist  einer  Arbeit  über  das  Landeswappen 
gewidmet,  aber  Das  Landeswappen  der  Steiermark  von  Anthony 
V.  Siegen feld  (Mit  41  Textillustrationen  und  51  Tafeln  in  Mappe. 
Graz  1900)  bietet  wesentlich  mehr  als  der  Titel  besagt.  Die  Entstehung 
der  Landeswappen,  die  Entwicklungsgeschichte  des  heraldischen  Pan- 
thers und  Geschichte  des  Wappens  der  Steiermark  im  Rahmen  der 
bajuvarisch  -  karantanischen  Panthergruppe  wird  darin  dargestellt ; 
das  Buch  ist  überaus  reich  an  neuen  Ergebnissen  auch  hin- 
sichtlich anscheinend  abliegender  Gegenstände  und  nicht  min- 
der an  Anregungen  zu  weiterer  Forschung.  Wichtig  ist  es  nicht 
nur  für  die  Heraldik,  sondern  auch  für  die  Geschichte  der  inner- 
österreichischen Länder  und  selbst  für  weitere  Gebiete.  —  Im  vierten 
Bande,  Landesfürsi,  Behörden  und  Stände  des  Herzogtums  Steier  1283 
bis  1411  (Graz  1900)  von  Krones,  ist  die  Fortsetzung  des  oben  an 
erster  Stelle  genannten  Werkes  enthalten,  jedoch  in  etwas  engerem 
Sinne,  indem  nicht  das  ganze  Gebiet  der  Verfassung  und  Verwaltung 
berücksichtigt  wird,  sondern  nur  die  Verhältnisse  der  Landesherrschaft 
und  des  Ständewesens  untersucht  und   dargestellt    werden.   —   Den 

zweiten  Teil    des   vierten  Bandes  füllt  Der  provisorische  Landtag  des 

2 


—     18     — 

Herzogtums  Steiermark  im  Jahre  1848  von  Ilwof  (Graz  1901).  Dieser 
Landtag  ist  die  erste  nach  modernen  Grundsätzen,  durch  gewählte  Ver- 
treter der  einzelnen  Volksklassen  zusammengesetzte  politische  Re- 
präsentation der  Steiermark ;  er  beriet  die  Gemeindeordnung,  die  Ab- 
lösung der  Grundlasten  und  die  künftige  Organisation  des  steiermär- 
kischen  Landtags,  und  ist  als  der  Übergang  vom  mittelalterlichen 
Stände wesen  zu  der  seit  1861  bestehenden  Interessenvertretung  im 
Landtage  zu  betrachten.  Den  fünften  Band  eröffnen  Die  Anfänge 
der  Bauernbefreiung  in  Steiermark  unier  Maria  Theresia  und  Jo- 
seph II.  von  Meli  (Graz  1901),  ein  wertvoller  Beitrag  zur  Geschichte 
der  materiellen  Kultur,  sowie  zu  der  der  Verfassung  und  Verwaltung  der 
Steiermark.  —  Sahburg  und  Steiermark  im  letsien  Viertel  des  XVL 
Jahrhunderts.  Briefe  und  Akten  aus  der  Korrespondenz  der  Ere- 
bischöfe  Johann  Jakob  und  Wolf  Dietrich  von  Sahburg  mit  den  Seckauer 
Bischöfen  Georg  IV.  Ägricola  und  Martin  Brenner  und  dem  Viee^ 
domamte  Leibnih,  herausgegeben  von  J.  Loserth  (Graz  1905)  bildet 
eine  schätzbare  Bereicherung  des  Quellenstoffes  für  die  Länder  Salz- 
burg und  Steier  am  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  und  die  von  dem- 
selben veröffentlichten  Genealogischen  Studien  zur  Geschichte  des 
steirischen  üradds.  Das  Haus  Stubenberg  bis  jsur  Begründung  der 
Häbsburgischen  Herrschaft  in  Steiermark  (Graz  1905)  einen  wichtigen 
Beitrag  zur  Geschichte  des  steirischen  Adels.  —  Die  jüngste  Ver- 
öffentlichung endlich.  Die  Innerberger  Hauptgewerkschaft  1625  — 1783 
von  Pantz  (Graz  1906)  ist  bei  der  aufiserordentlichen  Wichtigkeit  der 
Gewinnung  und  Verarbeitung  des  Eisens  in  und  für  Steiermark  be- 
sonders willkommen  zu  heifsen. 

Neben  den  Forschungen  gibt  die  historische  Landeskommission 
Veröffentlichungen  heraus,  von  denen  bisher  2 1  Hefte  erschienen  sind. 
Da  diese  nicht  blofs  in  Sonderausgaben,  sondern  auch  in  den  vom 
Historischen  Verein  für  Steiermark  herausgegeben  Beiträgen  zur  Kunde 
steiermärkischer  GeschichtsgueUen  enthalten  sind,  so  wurde  der  in  diesen 
VeröffenÜichungen  enthaltenen  Arbeiten  schon  oben  bei  Besprechung  der 
Beiträge  mehr  oder  minder  ausführlich  gedacht.  Es  mufs  in  diesem 
Zusammenhange  nur  ausführlich  darauf  hingewiesen  werden,  da& 
durch  die  in  dieser  Reihe  enthaltenen  Arbeiten  eine  grofise  Fülle  neuer 
Quellen  durch  Erschliefsung  bisher  wenig  benutzter  Archive  zugäng- 
lich gemacht  worden  ist.  Die  Landeskommission  hat  die  allent- 
halben geforderte  und  in  manchen  Landschaften  erheblich  geförderte 
Inventarisierung  der  sogenannten  „kleinen  Archive*'  damit  begonnen, 
dafs  sie  für  die  bedeutendsten  der  Adelsarchive  Inventare  veröfifent- 


—     19     — 

licht  hat.  Es  Hegen  bis  jetzt  mehr  oder  weniger  ausführliche  Verzeich- 
nisse der  Akten  vor  vom  reichsgräflich  Wurmbrandschen  Archiv  zu 
Steyersberg,  von  den  fürstlich  Wittingauschen  Archiven  in  Wittingau 
und  in  Krumau  und  vom  gräflich  Lambergschen  Familienarchiv  zu 
Feistritz  bei  Jlz  ^). 


Mitteilungen 


GesehiehtUche  Bibliographie.  —  Für  die  Vertreter  aller  Wissen- 
schaften bleibt  die  Vertrautheit  mit  dem,  was  früher  imd  von  anderer  Seite 
über  irgend  einen  Gegenstand  geschrieben  worden  ist,  eines  der  unerläfs- 
lichsten  Erfordemisse,  und  die  Zahl  imd  Reichhaltigkeit  der  Hilfsmittel,  die 
einer  raschen  Unterweisung  in  dieser  Hinsicht  dienen,  wird  man  sogar  als 
Mafsstab  fUr  die  Entwicklung  einer  Wissenschaft  betrachten  dürfen.  Für  die 
Geschichtswissenschaft,  wie  sie  heute  betrieben  wird,  ist  ein  vollständiger 
Literaturnachweis  d.  h.  ein  solcher,  der  alle  seitens  der  Forscher  gelegentlich 
in  Betracht  zu  ziehenden  Bücher  enthält,  schlechterdings  unmöglich,  weil 
grundsätzlich  jedes  Buch,  das  je  gedruckt  worden  ist,  aufgenommen  werden 
müfste.  Aber  ein  solcher  Literaturnachweis  wäre  auch  unzweckmäßig ,  weil 
er  dem  praktischen  Bedürfnis  der  Mehrzahl  der  Benutzer  nicht  entsprechen 
würde.  Eine  geschichtliche  Bibliographie  wird  vielmehr  erstens  sich  auf 
diejenigen  Literaturerzeugnisse  beschränken,  die  nach  dem  gegenwärtigen 
Stande  und  Betriebe  der  Wissenschaft  als  geschichtliche  Quellen  und  Be- 
arbeitungen geschichtlichen  Stoffes  in  Frage  kommen,  und  wird  zweitens 
innerhalb  dieses  überreichen  Stoffes  notwendigerweise  eine  kritische  Auslese 
Tomehmen  müssen. 

Diese  beiden  Grundsätze  dürften  ganz  allgemein  Anerkennung  finden, 
soweit  es  sich  um  allgemeingeschichtliche  Literatur  handelt;  für  die 
Bibliographie  besonderer  Gebiete,  seien  dies  nun  kleinere  Bezirke  oder  engere 
Forschungsgebiete,  bleibt  im  Gegensatz  dazu  die  absolute  Vollständigkeit 
das  schwer  erreichbare  Ideal,  und  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  haben 
beide  Arten  der  Bibliographie  nicht  nur  ihre  Berechtigung,  sondern  sind 
sogar  dazu  berufen,  sich  gegenseitig  zu  ergänzen.  Der  Landes- 
geschichtlichen  Bibliographie  ist  früher  einmal  in  dieser  Zeitschrift  *)  eiue 
Besprechung  gewidmet  worden,  die  allerdings  entsprechend  den  Fortschritten 
der  letzten  Jahre  einer  Ergänzung  bedarf,  imd  deshalb  soll  hier  nur  von 
allgemeinges  chichtlichen  bibliographischen  Hilfsmitteln  die 
Rede  sein. 

Wer  sich  über  einen  beliebigen  geschichtlichen  Gegenstand  eingehender 
und    zuverlässig    unterrichten  will,    wird    unter    allen    Umständen    zu    der 


i)  Der  Schluis  des  Aufsatzes,  der  den  dritten  Teil,   die  selbständig  erschienenen 
Arbeiten  zur  Geschichte  der  Steiermark,  enthält,  wird  ioi  nächsten  Hefte  veröffentHcht. 

2)  Vgl.  3.  Bd.,  S.  178—182. 

2* 


—     20     — 

Spezialliteratur  greifen  müssen  und  sich  nicht  mit  den  Angaben  in 
allgemeinen  Darstellungen  oder  Nachschlagewerken  begnügen  dürfen,  denn 
diese  können  ihrer  Natur  nach  auf  die  fÜnzelheiten  nicht  so  eingehen,  wie 
es  nötig  ist,  wenn  sich  der  Leser  ein  selbständiges  Urteil  über  besondere 
Fragen  verschafifen  will.  Es  ist  aber  durchaus  nicht  immer  leicht  zu  sagen, 
in  welchem  Buche  eingehende  Mitteilungen  über  einen  bestinunten  Gegen- 
stand zu  finden  sind,  zumal  da  oft  Bücher  in  Betracht  kommen,  deren  Titel 
nicht  im  entferntesten  vermuten  lassen,  dals  das  Gesuchte  darin  steht.  Den 
besten  Erfolg  verspricht  in  solchen  Fällen  das  Nachschlagen  eines  lexikalisch 
angeordneten  Werkes  mit  bibliographischen  Nachweisen  bei  jedem  Artikel; 
denn  da  ist  es  möglich,  rasch  hintereinander  von  zehn  und  mehr  Artikeln  Kennt- 
nis zu  nehmen,  die  inhaltlich  zueinander  in  Beziehung  stehen,  tmd  überdies 
werden  die  einzelnen  Beiträge  oft  von  verschiedenen  Verfassern  mit  verschiedener 
Literaturkenntnis  herrühren.  Als  solche  lexikalische  Werke  kommen  für  den 
Geschichtsforscher  vornehmlich  in  Betracht:  Die  Allgemeine  Deutsche  Biographie 
(Leipzig  1875  fif.;  gegenwärtig  sind  die  Nachträge,  die  bis  1899  bearbeitet 
werden,  in  6  Bänden  bis  Li  gediehen),  für  die  letzten  Jahrhunderte  die  Enzyklopädie 
der  Neueren  Geschichte  (Gotha  1881 — 1890,  5  Bde.),  begründet  von  Wilhelm 
Herbst'),  das  Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften  (2.  Aufl.  Jena 
1898 — 1901,  7  Bde.),  die  Bedleneyldopädie  für  protestantische  Theologie  und 
Kirche  (3.  Aufl.  Leipzig  1896  ff.)  und  das  Kirchenlexikon  oder  Enzyklopädie  der 
Jcatholischen  Theologie  und  ihrer  Hiäfswissenschaften  (2.  Aufl.  Freiburg  i.  B. 
1882 — 1901,  12  Bde.).  Da  aber  die  genannten  enzyklopädischen  Werke, 
die  im  Lesesaal  jeder  Bibliothek  stehen  sollten,  naturgemäfs  nur  in  gröfseren 
Zeiträumen  neu  bearbeitet  werden  können,  so  fehlt  in  ihnen  die  jüngste 
Literatur,  und  deswegen  wird  es  immer  notwendig  sein,  als  Ergänzung 
Meyers  Konversationslexikon,  dessen  6.  Auflage  1902  zu  erscheinen  begonnen 
hat  und  gegenwärtig  bis  zum  14.  Bande  vorliegt,  heranzuziehen;  denn  dieses 
verbreitetste  aller  allgemeinen  belehienden  Handwörterbücher  stellt  zugleich 
die  gröfste  sachlich  geordnete  Gesamtbibliographie  dar,  die  es  gibt,  nicht 
nur  für  das  Gebiet  der  Geschichte,  sondern  auch  für  alle  anderen  Wissens- 
zweige, tmd  gerade  in  der  Anführung  der  neuesten  Errungenschaften  und 
der  neuesten  Literatur  liegt  seine  Stärke. 

In  den  angeführten  Enzyklopädien  bildet  die  Bibliographie  jedoch 
immer  nur  eine  Zugabe  zu  den  Artikeln  selbst,  und  die  Gestaltung  ist  im 
einzelnen  von  Zufälligkeiten  bestimmt;  ihre  Benutzung  lehrt  vornehmlich  bei 
abliegenden  Gegenständen,  wo  etwas  näheres  darüber  zu  finden  ist:  sie 
erschliefst  eine  Literaturgattung.  Die  besonderen  auf  systematischer 
Arbeit  beruhenden  bibliographischen  Werke  werden  dadurch  keines- 
wegs entbehrlich,  sondern  ihr  Gebrauch  wird  vielmehr  dadurch  erleichtert, 
insofern  ein  zufallig  nachgewiesenes  Buch  dort  inmitten  der  Literatur  er- 
scheint, zu  der  es  gehört,  so  dafs  der  Benutzer  ntm  eine  sorgfältige  Auswahl 
derjenigen  Literatur  vor  sich  hat,  die  für  seine  besonderen  Zwecke  in  Be- 
tracht kommt. 


i)  Das  ganze  Werk  wird  jetzt  za  dem  billigen  Preise  von  Mk.  16 
abgegeben!  Eine  Neuauflage  dieses  eigenartigen,  längst  noch  nicht  genügend 
gewürdigten  and  benutzten  Nachschlagewerks  würde  einem  Tielseitig  empfundenen  Be- 
dürfnisse entsprechen. 


—     21     — 

Für  die  Gestaltung  der  Hilfsmittel,  die  jeder  Geschichtsforscher,  mag 
er  sich  beschäftigen,  mit  was  er  will,  dauernd  zu  Rate  ziehen  mufs,  ist  die 
übliche  Unterscheidung  von  Quellen  und  Literatur  mafsgebend  geworden, 
weil  für  das  Mittelalter  beide  meist  getrennt  behandelt  werden,  während  für 
die  neuere  Zeit  eine  solche  Trennung  praktisch  kaum  durchführbar  ist  und 
deshalb  auch  keine  Anwendung  gefunden  hat.  Die  Kenntnis  der  mittel- 
alterlichen QueUen  vermitteln  am  besten  Oesterley,  Wegweiser  durch  die 
Liieratur  der  UrkundensamnUungen  (Berlin  1885  —  SS,  2  Teile)  imd 
Potthast,  Bibliotheca  historica  medii  aevi,  Wegweiser  durch  die  GeschichU* 
werke  des  europäischen  Mittelalters  (2.  Aufl.  Berlin  1896,  2  Bde.),  während 
sich  kritisch  mit  den  mittelalterlichen  Geschichtschreibem  Wattenbach, 
Deutschlands  Geschichtsquellen  im  Mittelalter  bis  eur  Mitte  des  XIIL  Jahr- 
hunderts (Bd.  I  in  7.  Aufl.  Berlin  1904,  Bd.  2  in  6.  Aufl.  das.  1894), 
Lorenz,  Deutschlands  GeschichtsqueUen  im  Mittelalter  seit  der  Mitte  des 
XIIL  Jahrhunderts  (2.  Aufl.  Berlin  1886—87,  2  Bde.),  Vildhaut, 
Ha/ndtmch  der  QueUei^Dunde  Mur  deutschen  Geschichte  (Bd.  i  Werl  1906 
in  3.  Aufl.  Bd.  2  das.  1900)  und  Jacob,  Quellenkunde  der  deutschen 
Geschichte  (i.  Bd.  Leipzig  1906,  Sanmilung  Göschen)  beschäftigen. 
Namentlich  das  zuletzt  genannte  Werk,  das  auf  zwei  Bändchen  berechnet  ist 
und  das  im  ersten  die  Quellen  bis  zum  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts  be- 
bandelt, wird  in  Anbetracht  des  billigen  Preises  (1,60  Mk.  für  beide  Bändchen) 
tmd  des  bei  dem  geringen  Umfang  überraschend  reichen  Inhalts  vermutlich 
allgemein  Anklang  finden.  Für  den  Studierenden  der  Geschichte  wird  es 
ganz  tmentbehrlich  sein,  und  jeder,  der  sich  mit  mittelalterlicher  Geschichte 
beschäftigt,  wird  es  mit  Nutzen  lesen,  da  zugleich  der  Geist  des  Mittelalters 
hier  zu  seinem  Rechte  kommt. 

Die  Literatur  zur  ganzen  deutschen  Geschichte  läfst  sich,  wie  schon 
oben  angedeutet  wurde,  überhaupt  nur  in  einer  Auswahl  bibliographisch 
behandeln,  und  das  Ziel,  welches  bei  einer  solchen  Arbeit  verfolgt  wird, 
mufs  naturgemäfs  für  ihre  Gestaltung  mafsgebend  werden.  Für  den  Studierenden 
und  den  Lehrer,  der  nicht  selbständig  arbeiten,  sondern  sich  nur  über  die 
wichtigste  Literatur  unterrichten  will,  hat  Viktor  Loewe  ein  Handbuch  ge- 
liefert, das  jedenfalls  einem  Bedürfnis  entsprochen  hat,  da  es  seit  1900 
bereits  in  drei  Auflagen  vorliegt.  Als  Kritischer  Wegweiser  durch  die 
neuere  deutsche  historische  Literatur  (Berlin  1900)  hat  es  der  Verfasser 
unter  dem  Pseudonym  F.  Förster  zuerst  erscheinen  lassen.  Mit  dem  Ober- 
titel Bücherkunde  der  deutschen  Geschichte  (Berlin  1903;  120  Seiten, 
Mk.  3)  und  unter  dem  richtigen  Namen  des  Verfassers  wurde  die  zweite 
Ausgabe  veröflfentlicht,  und  jetzt  liegt  davon  schon  die  zweite  vermehrte  und  ver- 
besserte Auflage  (Berlin  1905 ;  13 1  Seiten),  vor.  In  Anbetracht  des  Zweckes  sind 
die  kurzen  kritischen  Bemerkungen,  die  eine  Vorstellung  vom  Inhalte^  der 
Bücher  geben  und  auch  Werturteile  fällen,  durchaus  zweckmäfsig,  wenn  auch 
die  Fassung  nicht  immer  gerade  als  glücklich  bezeichnet  werden  kann.  Für 
weitere  Kreise  ist  Loewes  Bücherkunde  ganz  zweifellos  wertvoll,  und  es  ist 
ihr  eine  Einbürgerung  namendich  bei  den  Lehrern  sehr  zu  wünschen.  Für 
den  wissenschafi^chen  Arbeiter  jedoch  kommt  sie  nicht  in  Betracht,  da 
dieser  jetzt  über  eine  grofse  Bibliographie  verfügt,  die  tatsächlich  leistet,  was 
billig  von  einem  solchen  Werke  verlangt  werden  kann :   DalUmann  -  Waitg, 


—     22     — 

Quellenkunde  der  deutschen  Geschichte,  unter  Mitwirkung  von  P.  Herre, 
B.  Hilliger,  H.  B.  Meyer,  R.  Scholz  herausgegeben  von  Erich  Branden- 
burg. 7.  Auflage.  (Leipzig,  Dieterichsche  Verlagsbuchhandlung,  Theodor 
Weicher,  1906.     1020  S.  8^,  Preis   geheftet  16  Mk.,   gebunden  18  Mk.) 

Als  Dahlmann  zuerst  die  Quellenkunde  der  deutschen  Geschichte 
(Göttingen  1830)  veröfFenÜichte ,  da  war  es  ein  dünnes  Büchlein,  welches 
den  Schülern  des  gesuchten  Geschichtslehrers  die  wichtigsten  Quellen  und 
Darstellungen  namhaft  machen  sollte.  Namentlich  unter  Waitz,  der  die 
dritte  bis  fUnfte  Auflage  (1869,  1874,  1883)  besorgte,  ist  der  Inhalt  des 
Buches  immer  mehr  erweitert  worden,  so  dafs  sich  zugleich  Anlage  und  Zweck 
wesentiich  veränderten.  Und  die  Veränderungen,  welche  die  jetzt  vorliegende 
siebente  Auflage  gegenüber  der  sechsten  von  Steindorff  besorgten 
(Göttingen  1894)  aufweist,  bedeuten  eine  den  wissenschaftlichen  Bedürfnissen 
der  Gegenwart  entsprechende  Umgestaltung  des  alten  Werkes,  das  nunmehr 
erst  den  praktischen  Anforderungen  der  Geschichtsforscher,  aber  auch  denen  der 
Bibliothekare  usw.  in  hohem  Grade  genügen  dürfte.  Äufserlich  ist  der  Um&ng 
von  730  auf  1020  Seiten  gewachsen,  aber  gleichzeitig  ist  das  Format  wesentlich 
gröfser  und  der  Druck  bedeutend  enger  geworden.  Die  blofse  Angabe, 
dafs  die  Zahl  der  fortlaufenden  Nummern  von  6550  auf  10382  gestiegen 
ist,  erweckt  deswegen  noch  nicht  die  richtige  Vorstellung,  weil  gleichzeitig 
in  viel  gröfserem  Umfange  als  bisher  unter  einer  Nummer  mehrere,  ja  bis- 
weilen mehr  als  zehn  Buchtitel  (z.  B.  5258  oder  8365)  aufgeführt  sind. 
Deshalb  bedeutet  die  neue  Ausgabe  mehr  als  eine  Verdoppelung  des 
Inhalts  der  sechsten  Auflage,  während  der  Preis  nur  um  ein  Viertel  gegen- 
über jener  gestiegen  ist.  Ein  grofser  Vorzug  der  neuen  Auflage  ist  es,  dafs 
die  Zeitschriftenaufsätze  in  wesentlich  gröfserem  Umfange  als  früher 
herangezogen  worden  sind. 

Die  Gesamtanprdnung  des  Stoffes  ist  im  wesentlichen  dieselbe  geblieben 
wie  früher,  aber  im  einzelnen  sind  die  Abteilungen  besser  gegliedert.  Das 
9  Seiten  umfassende  Inhaltsverzeichnis  gestattet  sofort  einen  Überblick  und 
ermöglicht  auch,  rasch  die  Stelle  zu  finden,  wo  die  Literatur  über  ein 
gröfseres  Gebiet  steht.  Die  Einrichtung  eines  solchen  Nachschlagewerkes 
wird  stets  Schwierigkeiten  verursachen,  aber  wie  man  auch  verfahren  würde, 
Mängel  würden  sich  immer  herausstellen,  und  deshalb  war  es  ganz  gewifs  am 
besten,  wenn  die  alte  Ordnung  im  wesentlichen  beibehalten  wurde.  Die 
Hauptsache  ist  die  Möglichkeit,  rasch  das  Gesuchte  zu  finden,  und 
diese  ist  gegenüber  früher  wesentlich  erhöht  worden  erstens  durch  die 
ausführlichere  Gestaltung  des  Inhaltsverzeichnisses,  zweitens  dadurch,  dafs 
am  Rande  die  Untertitel  der  Abteilungen  zu  finden  sind  und  zwar  die  im 
Inhaltsverzeichnis  stehenden  in  Fettdruck  und  aufserdem  noch  weitere  Unter« 
abteilungen  in  Petitdruck,  drittens  aber  auch  durch  das  Register.  Das 
letztere  hätte  aber  vielleicht  noch  praktischer  gestaltet  werden  können,  sei 
es  durch  Anfügung  eines  besonderen  Sachregisters,  sei  es  durch  Ein- 
reihung der  m.  £.  darin  unterzubringenden  Stichworte  in  das  Ver^isser- 
register.  Dabei  denke  ich  an  Stichworte  wie  Juden,  Landstände,  Theater, 
Türkensteuer,  Zeitungswesen  usw.  und  Anführung  aller  dafür  in  Betracht 
kommenden  Nummern.  Wie  wichtig  ein  solches  Register  wäre,  mag  ein 
Beispiel  zeigen.    Die  Rubrik  Juden  findet  sich  im  Inhaltsverzeichnis  nicht, 


—     83     -^ 

weil  die  einschlägige  Literatur  unter  der  Abteilung  Bevölkerung  S.  113  bis 
114  verzeichnet  steht  Diese  Stelle  (Nr.  1595  — 1604)  ist  aber  nicht  ganz 
leicht  zu  finden.  Habe  ich  sie,  so  fehlt  mir  inuner  noch  ein  Hinweis  auf 
Nr.  510I9  welche  die  Literatur  über  Judensteuem  aufführt;  ein  Verweis  fehlt 
hier  und  war  tatsächlich  nicht  gut  anzubringen,  da  natürlich  S.  114  viel 
früher  gedruckt  worden  ist  als  S.  406.  Bei  Nr.  1604  ist  allerdings  Vgl. 
Nr.  zu  lesen,  aber  die  Zahl  ist  nicht  ausgefüllt.  Vidleicht  ist  gerade  an 
Nr.  5101  gedacht  worden,  aber  es  gibt  wahrscheinlich  auch  noch  manche 
andere  Nummer,  in  der  über  Verhältnisse  der  Juden  etwas  zu  finden  ist, 
und  die  der  Suchende  so  nicht  ermittebi  kann.  Ein  Sachregister  mit  den 
entsprechenden  Hinweisen  würde  da  sehr  förderlich  sein  und  würde  aufser« 
dem  die  sehr  löblichen  Verweise  auf  andere  Nummern,  die  natui^emäfs 
immer  lückenhaft  sein  müssen,  weil  die  Heranziehung  späterer  Stellen  so 
gut  wie  ausgeschlossen  ist,  entbehrlich  machen  tmd  so  die  Bearbeiter 
wesentlich  entlasten.  Es  kommen  aber  auch  noch  andere  Stichworte  in 
Betracht,  die  gerade  für  die  Benutzer  aus  dem  Kreise  der  landesgeschichtlichen 
Forscher  von  Bedeutung  sind;  ganz  entschieden  wäre  es  vielfach  von  recht 
grofsem  Wert,  wenn  man  sofort  im  Register  sehen  könnte,  wo  Literatur 
über  Bayern  zu  finden  ist,  so  dafs  z.  B.  eine  Verbindung  zwischen 
Nr.  4825 fif.  und  Nr.  6246  hergestellt  würde,  die  jetzt  fehlt.  Nicht  anders 
als  bei  den  Ländern,  Staaten  und  Landschaften  steht  es  mit  den  Städten. 
Wie  zweckmäfsig  wäre  es,  wenn  z.  B.  die  gesamte  Literatur,  die  über  Köln 
bandelt,  im  Register  zusammengestellt  wäre!  Aber  es  gibt  auch  Orte,  für 
die  man  kaum  etwas  zu  finden  vermag,  wenn  man  nicht  schon  ziemlich  gut 
Bescheid  weifs:  es  ist  z.  B.  für  R  Ott  weil  in  Nr.  651  das  Urkundenbuch 
und  in  Nr.  4985  das  Stadtrecht  au%eführt  ohne  dafs  die  beiden  auf  den- 
selben Ort  bezüglichen  Publikationen  zueinander  in  Beziehung  gesetzt  wären. 
Wäre  da  nicht  ein  Register,  das  diese  Dinge  zusanmxenfafst,  höchst  wertvoll? 
Ja  man  wird  unbedenklich  behaupten  dürfen,  dafs  eine  Benutzung  des  Buches 
sofort  für  viel  weitere  Kreise  dadurch  möglich  würde. 

Wie  im  Vortoort  ausgeführt  wird,  soll  zu  Anfang  des  Jahres  1907  ein 
Supplementheft  erscheinen,  welches  für  alle  Abschnitte  die  angefilhrte 
Literatur  auf  eine  einheitliche  Zeitgrenze  bringen  soll,  nämlich  den  Schlufs 
des  Jahres  1906.  Auch  Ergänzungen  und  Berichtigungen  werden  darin 
enthalten  sein.  Vielleicht  entschliefst  sich  der  Verleger  auch  noch  zu  einem 
Sachregister  in  dem  Sinne,  wie  es  eben  verlangt  wurde;  die  Gelegenheit 
dazu,  ein  solches  zu  bieten,  ist  jedenfisdls  vorhanden! 

Eine  Kritik  im  gewöhnlichen  Sinne  gegenüber  einem  Buche  wie  dem 
vorliegenden  ist  nicht  angebracht,  denn  die  Aufgabe  war  für  die  Bearbeiter 
so  grofs  und  schwierig,  dafs  gegenüber  dem  Danke  dafür,  dafs  das  Buch 
überhaupt  geschaffen  wurde,  jeder  W*unsch  des  einzelnen  Benutzers,  der 
vielleicht  imerfüllt  geblieben  ist,  verstummen  mufs.  Da  aber  die  absolute 
Genauigkeit  der  Angaben  eine  grofse  Bedeutung  hat  und  sich  die  Gelegen- 
heit zur  Veröffentlichung  einzelner  Berichtigungen  alsbald  bietet,  so  sollen 
einige  Kleinigkeiten,  die  mir  au^efiaUen  sind,  Erwähnung  finden,  wie  solche 
auch  V.  Below  in  seiner  Anzeige  in  der  VieritHjakrschrift  für  SoBtalr  tmd 
WirtschaftageschichU  4.  Bd.  (1906),  S.  394—396  zusammengestellt  hat. 
Von  Nr.  246    sbd  auch   die   den   ersten  Band  bildenden  4  Hefte  als 


—     24    — 

Beihefte  zu  den  Annalen  des  Historischen  Vereins  für  den  Niederrhein 
erschienen  und  zu  einem  Ergänzungsband  I  zusammengefiedst  worden.  Auch 
der  zweite  Band,  vollendet  von  Krudewig,  ist  bereits  1904  erschienen. 
Und  es  liegt  auch  schon  das  achte  Beiheft  (1905)  vor.  —  Von  Nr.  397 
ist  die  dritte  (nicht  die  zweite)  Auflage  1897  erschienen.  —  In  Nr.  523 
durften  nach  Qeschichtsquelkn  die  Worte  im  Mittelalter  nicht  weggelassen 
werden,  schon  wegen  des  Parallelismus  zu  Nr.  522  und  zugleich  um  die 
£EÜsche  Vorstellung  zu  vermeiden,  als  ob  auch  die  nachmittelalterlichen 
Quellen  mitbehandelt  seien.  Übrigens  sollte  jetzt  das  oben  genannte 
zweibändige  Buch  von  Vildhaut  nicht  unerwähnt  bleiben.  —  Nr.  1034 
fehlt  im  Register  sowohl  unter  dem  Titel  als  auch  unter  dem  Namen  des 
Herausgebers.  —  In  Nr.  1604  ist  B rann  zu  lesen  statt  Braun.  —  In 
Nr.  1970  muis  es  bei  Bobbe  genau  heifsen:  Mitteilungen  des  Vereins  fü/r 
AnhaUische  Geschichte  und  Altertumskunde;  ebenda  in  der  vorletzten  Zeile: 
Gebiet  statt  Gebieten.  —  Die  Übersetzung  von  Nr.  5368  ist  bereits  1885  in 
Gera  erschienen. 

Aber  auch  zwei  grundsätzliche  Bemerkungen  möchte  ich  nicht  tmterlassen. 
So  wichtig  die  Reichhaltigkeit  der  Angaben  ist  und  so  wenig  an  sich  der 
Benutzer  Grund  hat,  sich  über  ein  zu  viel  zu  beschweren,  so  glaube  ich  doch 
in  Anbetracht  des  Umstandes,  dafs  der  grofse  Umfang  des  Werkes  auch 
eine  beträchtliche  Gefahr  in  sich  birgt,  nicht  mit  dem  Urteil  zurückhalten 
zu  sollen,  dafs  manches  Buch  getrost  hätte  fehlen  können.  Dabei  denke 
ich  weniger  an  ältere  Arbeiten,  die  durch  neuere  teilweise  überholt  sind, 
ab  vielmehr  an  solche,  die  inhaltlich  zu  unbedeutend  sind  und  zu  viel 
Falsches  und  Schiefes  bieten,  um  mit  Vorteil  benutzt  werden  zu  können: 
dahin  rechne  ich  z.  B.  die  beiden  Arbeiten  von  Nübling  Nr.  1818  und 
4565,  während  Nr.  1599  und  5226  brauchbare  Arbeiten  desselben  Ver- 
fassers sind;  Nr.  8090  kenne  ich  nicht.  Ganz  ähnlich  steht  es  mit 
Nr.  5744;  wird  die  Arbeit  von  Macco  überhaupt  genannt,  dann  mufs  un- 
bedingt die  Gegenschrift  von  Fey,  Zur  Geschichte  Aachens  im  16.  Jahr^ 
hundert  (Aachen  1905)  auch  angeführt  werden.  Eine  voUständige  Biblio- 
graphie aller  örtlichen  Arbeiten  über  die  Reformation  konnte  und  sollte  hier 
nicht  gegeben  werden,  und  deswegen  konnte  auch  Maccos  herzlich  un- 
bedeutendes Schriftchen  sehr  wohl  imgenannt  bleiben,  und  vielleicht  ebenso 
noch  manches  andre.  Recht  zweckmäisig  ist  aber  die  kurze  Notiz  vor 
Nr.  5722,  in  der  jetzt  auch  der  Aufsatz  von  Ro  t  h :  Zur  neueren  refor- 
mationsgeschichtlichen Literatur  Süd-  und  Mittddeutschlands  in  dieser 
Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  155  — 185,  mit  angeführt  werden  sollte.  Wenn 
aber  derarUge  Spezialbibliographieen  für  einzelne  sachliche  Gebiete  vorhanden 
sind,  und  auf  sie  hingewiesen  wird,  dann  wird  der  Bearbeiter  eine  strenge 
Sichtung  vornehmen  und  nur  wirklich  bedeutende  Arbeiten  verzeichnen  dürfen. 

Gerade  mit  Rücksicht  auf  die  Spezialbibliographie  scheint  mir 
jedoch  nicht  genügend  Vollständiges  geboten  zu  werden,  denn  ähnlich  wie 
an  der  eben  erwähnten  Stelle  (vor  Nr.  5722)  hätte  an  recht  vielen  anderen 
Stellen  ebenfalls  verfahren  werden  können.  So  hätte  z.  B.  vor  Nr.  1595 
die  Bibliographie  zur  Geschichte  der  Juden,  die  sich  nach  Land- 
schaften und  Arten  gegliedert,  bearbeitet  von  Klaus,  in  dieser  Zeitschrift 
2.  Bd.,  S.  289 — 292  findet,  erwähnt  werden  sollen.     Demjenigen,  der  auf 


—     25     — 

diesem  Gebiete  ins  einzelne  gehen  will,  wäre  damit  gewifs  am  besten  ge- 
dient gewesen.  Ebenso  hätte  vor  Nr.  2204  bei  der  ersten  Erwähnung 
theatergeschichtlicher  Arbeiten  auf  die  einschlägige  Bibliographie  von  Gaehde 
in  demselben  2.  Bande  dieser  Zeitschrift,  S.  159 — 164  hingewiesen  werden 
sollen.  In  der  mit  Nr.  4980  beginnenden  Abteilung  hätten  die  Stadt- 
rechnungen vielleicht  in  einer  einzigen  Nummer  abgetan  werden  können, 
wenn  auf  meinen  Aufsatz  in  dieser  Zeitschrift  i.  Bd.,  S.  65  —  75,  hin- 
gewiesen und  nur  das  seitdem  neu  erschienene  ergänzend  hinzugefügt  worden 
wäre.  Auf  die  entsprechende  Zusanmienstellung  Stiedas  (Nr.  1585)  hat 
bereits  v.  Below  aufinerksam  gemacht.  Bei  den  Verzeichnissen  der  Kunst- 
denkmäler (Nr.  914)  ist  der  entsprechende  Weg  beschritten  worden,  ebenso 
bei  Nr.  5165,  wo  nur  irgendwie  hätte  angedeutet  werden  sollen,  dais  der 
Au&atz  von  Käser  zu  einem  grofsen  Teile  bibliographischer  Natur  ist. 
Bei  Nr.  895  —  896  hätte  auf  NeUes  Literaturzusammenstellung  über  die 
Kirchenlieder  in  dieser  Zeitschrift  6.  Bd.,  S.  305 — 311,  hingewiesen 
werden  können. 

Ähnliche  Bibliographien  engerer  Gebiete  finden  sich  in  der  Literatur 
natürlich  mannigfach,  tmd  diese  aufzuspüren  und  am  geeigneten  Orte  zu 
verzeichnen,  eventuell  durch  ein  bestimmtes  Zeichen  kenntlich  zu  machen, 
wäre  ein  grofses  Verdienst  gewesen.  Vor  allem  aber  hätte  die  Bibliographie 
der  Bibliographien  über  einzelne  Landschaften  (Nr.  936  ff.)  wasentlich  aus- 
führUcher  gestaltet  werden  müssen.  Z.  B.  vermisse  ich  hier  ungern  die 
BMiotheca  Lippickca  von  Weerth  tmd  Anemüller  (Detmold  1886)  und 
recht  viele  andere  ähnliche  Bücher,  auch  für  emzelne  Städte  ^),  da  der  femer 
Stehende  von  sich  aus  nur  sehr  schwer  von  ihrer  Existenz  etwas  erfährt 
tmd  sich  seine  Arbeit  doch  oft  recht  erleichtem  kann,  wenn  er  sie  benutzt. 

Diese  Bemerktmgen  sollen  nicht  in  erster  Linie  Wtinsche  eines  Benutzers 
mitteilen,  der  den  Däfümann-Waite  täglich  zu  Rate  zieht,  sondern  sie  sollen 
vor  allem  einen  Weg  andeuten,  der  eine  Bewältigung  der  immer  unüberseh- 
barer werdenden  Literatur  ermöglicht:  Ausbau  der  Spezialbiblio- 
graphie  nach  räumlichen  und  sachlichen  Gesichtspunkten 
und  Zusammenfassung  dieser  besonderen  Arbeiten  in  Ver- 
bindung mit  der  bedeutendsten  Literatur  im  Dahlmann- 
Waitz,  für  den  äufserlich  wohl  der  jetzige  Umfang  als  das 
äufserste  Zulässige  bezeichnet  werden  mufs.  Das  Verdienstliche 
dieses  Werkes  in  seiner  jetzigen  Gestalt  soll  durch  diese  Ausstellungen 
gnmdsätzlicher  Natur  nicht  im  geringsten  beeinträchtigt  werden.  Der  Fort- 
schritt gegenüber  der  6.  Auflage  ist  ganz  bedeutend,  und  es  ist  tatsächlich 
ein  Buch  geschafifen  worden,  welches  die  gröfste  Verbreitimg  verdient, 
nicht  nur  unter  den  Geschichtsforschem  von  Beruf,  sondem  vor  allem  auch 
tmter  der  Lehrerschaft  aller  Grade  imd  tmter  den  tätigen  Mitgliedem  der 
Geschichtsvereine.  Gerade  derjenige,  welcher  fem  vom  grofsen  Verkehr 
wohnt  und  keine  gröfsere  Bibliothek  zur  Benutztmg  hat,  braucht  diese  Quellen- 
kunde notwendig,  weil  sie  ihm  erst  die  Möglichkeit  gewährt,  sich  die  einschlägigen 
Bücher  von  auswärts   kommen  zu  lassen   oder  bei    kurzem    Aufenthalt    in 


I)  So  gibt  es  z.  B.  einen  Katalog  der  Druckschriften  über  die  Stadt  Breslau, 
herausgegeben  von  der  Verwaltang   der  Stadtbibliothek  (Breslau  1903,   509  S.  8^). 


—     26     — 

einer  gröfseren  Bibliothek  mit  Erfolg  zu  aibeiten.  ! Wichtig  ist  das  nene 
Hilfsmittel  aber  auch  insofern,  als  jeder  geschichtlich  Arbeitende  dadurch  in 
die  Lage  versetzt  ist,  die  Buchtitel  genau  und  richtig  zu  zitieren, 
auch  wenn  er  das  betreffende  Werk  nicht  gerade  zur  Hand  hat,  dafs  er  sich  bei 
einem  Zitat  nicht  auf  sein  Gedächtnis  zu  verlassen  braucht.  Und  ein  umständ- 
liches, langes  Zitat,  namentlich  auch  das  aus  Zeitschriften,  läfst  sich  nunmehr  leicht 
durch  einen  Verweis  auf  die  entsprechende  Nimimer  in  der  siebenten  Auflage 
von  Dahlmann-Waitz  (abgekürzt:  D.-W.^)  vermeiden.  Im  Interesse  der 
Wissenschaft  würde  es  liegen,  wenn  eine  solche  Art  des  Zitierens  immer 
üblicher  würde,  so  dafs  unverständliche  Abkürzungen  allmählich  mehr  und  mehr 
aus  der  Literatur  verschwinden.  Armin  Tille. 

El]iic^;aiigene  Bfleher« 

Bardeleben,  Karl  von:  Einiges  über  das  Kriegswesen  der  Alt-  tmd  Neu- 
stadt Brandenburg  zur  Zeit  des  Kurfürsten  Johann  Georg  [=s  36. — 37. 
Jahresbericht  des  Historischen  Vereins  zu  Brandenburg  a.  d.  H.  (1906), 
S.  I — ig], 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Buchdruckerei  in  Halberstadt,  Festschrift  zur 
Jubelfeier  der  Doelle*schen  Buchdruckerei  am  12.  August  1891.   48  S.  8^. 

Böhme,  Walter:  Geschichte  des  Fürstlichen  Gymnasiums  „Ruthenum^*  zu 
Schleiz,  Festschrift  zur  Feier  des  250jährigen  Bestehens  der  Anstalt  auf 
urkundlicher  Grundlage  bearbeitet.  Schleiz,  Druck  von  F.  Webers  Nach- 
folger 1906.     211  S.  8^ 

Gramer,  Julius:  Die  Verfassungsgeschichte  der  Germanen  und  Kelten,  ein 
Beitrag  zur  vergleichenden  Altertumskunde.  Berlin,  Karl  Siegismund  1906. 
208  S.  8^     M.  4,80. 

Fournier,  August:  Napoleon  I.  Eine  Biographie.  Dritter  Band:  Die  Er- 
hebimg der  Nationen  und  Napoleons  Ende.  Zweite,  umgearbeitete  Auf- 
lage.    Wien,  F.  Tempsky;  Leipzig,  G.  Freytag  1906.     441  S.  8^. 

Geschichte  der  Frankfurter  Zeitung  1856  bis  1906,  herausgegeben  vom 
Verlag  der  Frankfurter  Zeitung  (Frankfurter  Societätsdruckerei,  G.  m.  b.  H.). 
Frankfurt  a.  M.   1906.     976  S.  4^. 

Kolb,  A.  G. :  Beteiligung  des  Zabergäus  und  Leintals  am  akademischen 
Studium  im  Mittelalter  [«=3  Sonderabdruck  aus  den  Vierteljahrsheften  des 
Zabergäuvereins  1 904/1 905].     47  S.  8^ 

Leifs,  A. :  Studierende  Waldecker  vom  13.  bis  zum  19.  Jahrhundert  (Fort- 
setzung) [s=3  Sonderabdruck  aus  den  Geschichtsblättem  für  Waldeck  und 
Pyrmont,  5.  und  6.  Band,  S.  159 — 298].   Mengeringhausen,  Waigel  1906. 

Loose,  F.:  Mittelalterliche  Glockenkreuze.  Zur  allgemeinen  Glocken-  und 
Volkskunde.  Mit  2  Tafeln  Abbildungen.  [=  Sonderabdruck  aus  den 
Mitteilungen  des  Anhaltischen  Geschichtsvereins  Band  X,  3.  Heft].  In 
Kommissionder  Hofbuchhandlung  F.  Gast,  Zerbst  1906.  29  S.  8^  M.  i. 

Niemöller,  Heinrich:  Reformationsgeschichte  von  Lippstadt,  der  ersten 
evangelischen  Stadt  in  Westfalen  [=  Schriften  des  Vereins  für  Refor- 
mationsgeschichte Nr.  91].  Halle  a.  S.,  Rudolf  Haupt  1906.  79  S. 
8^  M.  1,20. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig. 
Druck  und  Verlag  Ton  Friedrich  Andreas  Perthes,  Akdengesellschaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsscbrift 


Fgrderung  der  landesgeschichtüchen  Forschimg 

VIU.  Band  November  1906  2.  Heft 


Steiertnärkisehe  Gesehiehtsehreibung  von 

1850  bis  in  die  Gegenwart 

Von 
Franz  Ilwof  (Graz) 

(Schlufe)  >) 

III. 

Wenn  nun  dazu  geschritten  wird,  all  das,  was  auCserhalb  des 
Historischen  Vereins  und  der  Historischen  Landeskommission  an  ge- 
schichtlichen Arbeiten  über  Steiermark  seit  1850  geleistet  worden  ist, 
zu  besprechen,  so  kann  natürlich  nur  das  Wichtigste  erwähnt  werden. 

Die  Geschichte  des  Landes  Steiermark  von  den  ältesten  Zeiten 
bis  in  die  Gegenwart  fand  einige  Bearbeiter,  obwohl  ihre  Verfasser 
besser  getan  hätten,  noch  einige  Jahre  zu  warten,  bis  die  nötigen  Vor- 
arbeiten vorliegen.  So  wissen  wir  bis  jetzt  noch  wenig  über  die  Ver- 
fassungs-  und  V^rwaltungsgeschichte,  über  Landtage  und  Ständewesen; 
erst  wenn  die  Publikationen  der  Landeskommission  weiter  fortgeschritten 
sind,  werden  wir  über  diese  hochwichtigen  inneren  Verhältnisse  besser 
unterrichtet  sein.  Geradeso  fliefeen  die  Quellen  für  die  Zeit  vom  Ab- 
schlufs  der  Gegenreformation  (1630)  bis  Maria  Theresia  (1740)  sehr 
spärlich  und  müssen  erst  durch  archivalische  Forschungen  ergänzt 
'werden.  Alle  bisher  erschienenen  Gesamtdarstellungen  sind  daher 
lückenhaft,  und  auch  die  für  die  nächsten  Jahre  vorbereiteten  können 
nicht  vollständiger  werden. 

Seit  1850  wurden  nicht  weniger  als  fünf  Lehr-  und  Handbücher 
veröffentlicht,  die  die  ganze  Geschichte  der  Steiermark  behandeln.  In 
dem  Sammelwerke  von  Hlubek  Ein  treues  Bild  der  Steiermark  (Graz 
1860)  ist  eine  flüchtig  gearbeitete  und  teilweise  sogar  unrichtige 
Geschichte  der  Steiermark  von  J,  B.  Weifs  erschienen;  dieser  folgten 
Gebier,  Chsehichie  des  Hereogtums  Steiermark  (Graz  1 862),  geschickt 

i)  Vgl.  oben  S.  i  — IQ.» 

3 


—     28     — 

gemacht  und  g-ut  lesbar,  dann  Das  Hereogtum  Steiermark  von  Jauker 
(Wien  1881),  in  dem  der  historische  Teil  weitaus  besser  als  der  geo- 
graphische ist,  sodann  Abriß  der  steirischen  Landesgeschichte  von 
Reichet  (2.  Auflage,  Graz  1884)  und  F.  M.  Mayer,  Geschichte  der 
Steiermark  (Graz  1898),  korrekt,  aber  troken  und  selbst  bei  Erzählung 
der  bedeutendsten  Ereignisse  (Reformation,  Gegenreformation,  Fran- 
zosenkriege) ohne  Schwung  und  Begeisterung  geschrieben.  —  Das 
beste,  ganz  Steiermark  umfassende  Werk  ist  wohl  der  siebente,  Steier- 
mark  gewidmete.  Band  des  Kronprinzenwerkes:  Die  österreichisch^ 
ungarische  Monarchie  in  Wart  und  Büd  (Wien  1889). 

Au&erdem  betreffen  das  ganze  Land  noch  folgende  Werke:  das^ 
Topographisch- Statistische  Lexikon  des  Hereogtumis  Steiermark  voa 
Janisch  (3  Bde.,  Graz  1878—1885),  in  dem  den  „Artikeln"  über 
die  einzelnen  Städte,  Märkte,  Schlösser,  Klöster  usw.  geschichtliche 
Notizen,  bald  gut,  bald  minder  gut,  beigegeben  sind.  —  Fast  den 
ganzen  Zeitraum  von  den  ältesten  Zeiten  bis  in  die  Gegenwart  be- 
handelt Zahn,  Steiermark  im  Kartenbilde  der  Zeiten  vom  2.  Jahrhundert^ 
bis  1600  (Graz  1895);  dieses  Kartenwerk  in  20  Blättern  mit  Text  ent- 
hält kartographisch  wiedergegeben  das  heute  Steiermark  bildende 
Gebiet,  von  Ptolemäus  und  der  Peutingerschen  Tafel  an  durch  die 
mittelalterlichen  Weltkarten  über  die  erste  Spezialkarte  von  Steiermark,, 
die  des  Wol^ang  Lazius  von  1561,  bis  zur  vierten  Spezialkarte  von 
G.  Mercator  1589  und  zwei  Kärtchen  von  1590  bis  1600.  — Endlich 
ist  Zahns  dreibändiges  Sammelwerk  Stiriaca,  G>edrucktes  und  ün- 
gedrucktes  zur  steiermärMschen  Geschichte  und  KuUurgeschiMe  (Graz. 
1894,  1896,  1905)  zu  nennen,  welches  30  Aufsätze  enthält,  die  Ereig- 
nisse und  Zustände  im  Lande  von  den  ältesten  Zeiten  (Wann  Steier^ 
mark  eni^nd)  bis  in  das  XIX.  Jahrhundert  in  gründlicher  und  an- 
mutiger Weise  darstellen. 

Um  mit  der  prähistorischen,  keltischen  und  römischen  Zeit  zu  beginnen^ 
so  lieferten  Nachrichten  über  urgeschichtliche  Forschungen  bei  Wie» 
Radimsky  und  Szombathy  (Mitt.  der  anthropol.  Gesellschaft 
in  Wien  1891),  zur  Urgeschichte  von  Graz  Pichler  (MCC  *)  1881),. 
über  einen  La-Tfene-Fund  in  Steiermark  Riedl  (ebenda  1890).  Die 
Zuteilung  antiker  Bronzen  bespricht  Hof  mann  (ebenda  1887),  daa 
Vorkommen  des  Druidismus  in  Norikum  weist  Ferk  (Graz  1877)  nach, 
nnd   Ilwof  handelt  in  den  Beiträgen  zur  Geschichte  der  Alpen-  und 


i)  MCC  iB   Mitteilungen   der  k.    k.   Central-Commistion   ilir  EHbnclmng  nnd  Er- 
haltong  der  Konst-  nnd  historischen  Denkmale.     Wien. 


—     29     — 

Donauländer  I.  (Graz  1856)  von  den  ältesten  Bewohnern  Norikums.  — 
Das  Corpus  Inscriptianum  kUinarum  bringt  im  III.  Bande,  2.  Teil 
alle  römischen  Schriftdenkmale  aus  Steiermark;  Ergänzungen  hierzu 
bieten  Frankfurter  aus  Gamlitz  und  Cilli  (Archäologisch-  epi- 
graphische Nfitteilungen,  Wien  1887),  Premerstein  (ebenda  1890), 
Gurlitt,  Römische  Inschriften  aus  Steiermark  (MCC  1890).  Ein 
Gesamtbild  unserer  Länder  in  römischer  Zeit  liefert  Kenner,  Norikum 
und  Pannonien  (Ber.  u.  Mitt.  d.  Altertums-Vereins,  Wien  1865),  und 
aulserdem  finden  sich  manche  Notizen  über  prähistorische  und  römische 
Funde  in  den  MCC,  im  Notizenblatt  und  in  den  Sitz.-Ber.  der  Wiener 
Akademie,  in  den  archäologisch- epigraphischen  Mitt.  (Wien)  und  in 
den  Mitt  d.  Wiener  anthropologischen  Gesellschaft.  —  Hier  können 
auch  eingereiht  werden  die  numismatische  Karte  von  Steiermark  in 
der  Römerzeit  (Graz  1867)  und  die  archäologische  Karte  von  Steier- 
mark.    Mit  Text  (Graz  1879),  beide  von  Friz  Pich  1er. 

Gehen  wir  zu  den  mittelalterlichen  Quellen  über.  Der  Codex  dipto- 
nuMcus  Äustriaco-frisingensis,  herausgegeben  von  Zahn  (Fontes  rerum 
Austriacarum,  IL  Dipl.  35,  36),  bringt  eine  Sammlung  von  Urkunden 
und  Urbaren  zur  Geschichte  der  freisingischen  Besitzungen  in  Öster- 
reich ;  da  dieses  Bistum  Grund  und  Boden  und  Untertanen  in  Steier- 
mark hatte  und  Zehnten  von  da  bezog,  so  kommt  diese  Quellen- 
publikation auch  der  Steiermark  zugute.  Dasselbe  ist  der  Fall  mit 
Hauthalers  Liber  decimationis  de  anno  1285  (im  Jahresbericht  des  erz- 
bischöfl.  Gymnasiums  Salzburg  1887),  einem  Beitrage  zur  kirchlichen 
Topographie  von  Steiermark  und  Unterkärnten,  der  die  auf  dem  Konzil 
von  Lyon  beschlossenen  Zehnten  betrifft  und  (ur  die  kirchliche  Topo- 
graphie höchst  wichtig  ist.  Eine  reiche  Quelle  für  die  Geschichte  der 
Steiermark  im  XIII.  Jahrhundert  ist  Ottokars  schon  früher  ^)  ein- 
gehend behandelte  österreichische  Reimchronik. 

Zu  den  ältesten  Adelsgeschlechtem  in  Steiermark  gehören  die 
Tenffenbach  zu  MafSsweg  und  die  Teuffenbach  zu  Mayerhofen,  unter- 
einander wahrscheinlich  nicht  verwandt.  Die  Urkunden  beider  finden 
sich  im  TJrhmdenbueh  der  Familie  Teuffenbach  (Brunn  1867)  von 
B  ran  dl.  Untersuchungen  über  Quellen  lieferte  Mayer  und  zwar 
über  die  österreichische  Chronik  des  M.  oder  G.  Hagen,  richtig:  des 
Johann  Sefner  aus  Steiermark  (AÖG ')  60),  sowie  über  die  Korre- 
spondenzbücher des  Bischofs  Sixtus  von  Freising  (ebenda  68). 

1)  Vgl.  diese  Zeitschrift  4.  Bd.,  S.  92—93. 

2)  AÖG  ^  ArdÜT   fttr   österreichisdie    Geschichte,  henmsgegeben  Ton   der  Kais. 
Akad.  d.  Wiss.,  Wien. 

8* 


—     80     - 

Krön  es  bearbeitete  die  deutsche  Besiedelung  der  Alpenländer, 
insbesondere  der  Steiermark  ....  nach  ihren  geschichtlichen  und  ört- 
lichen Verhältnissen  (Forsch,  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde, 
III  5.  Stuttgart  1889),  Meli  den  comitatus  Liupoldi  und  dessen  Auf- 
teilung in  die  Landgerichte  (MIÖGF  ^)  XXI),  Mayer  die  östlichen 
Alpenländer  im  Investiturstreite  (Innsbruck  1883)  und  Lampe  1  die 
Landesgrenze  von  1254  und  das  steirische  Ennstal  (AÖG  71). 

Tief  griffen  in  die  Geschichte  der  Steiermark,  ja  auch  in  die 
Ungarns  und  anderer  Länder  die  im  XV.  Jahrhundert  machtvoll  auf- 
tretenden Grafen  von  Cilli  ein.  Eine  vorzügliche  Arbeit  über  diese 
lieferte  Krones:  Die  Freien  von  Saneck  und  ihre  Chronik  ah  Orafen 
von  CitU  (Graz  1883),  tmd  den  Grafen  Friedrich  II.  von  Cilli  behandelt 
im   besonderen    Gubo   (Jahresber.    des  Gymn.CiUi  1888). 

Ein  Jahrhundert  schwerer  Verhängnisse,  durch  die  Türkeneinfalle, 
durch  die  Kriege  mit  Ungarn,  durch  die  Cillier  Fehde  und  durch  die 
schwache  Regierung  Friedrichs  III.  war  das  XV.  Jahrhundert;  innere 
Unruhen  kamen  dazu,  um  Not  und  Elend  noch  gröüser  zu  machen; 
von  den  letzteren  handelt  Krones  in  der  Arbeit  Zur  QueBenhunde 
und  Literahir  der  Geschichte  Baumhirchers  und  der  Baiumkircherfehde 
(MIÖGF  Erg.-Bd.  6)  und  in  den  Beiträgen  zur  Geschickte  der  Baum- 
kircherfehde  (AÖG  89). 

Freundlichere  Bilder  bieten  die  Arbeiten  über  die  Pflege  der 
Dichtkunst  in  Steiermark  im  Mittelalter.  So  die  von  Wein  hol  düber 
den  Anteil  der  Steiermark  an  der  deutschen  Literatur  des  XIII.  Jahr- 
hunderts (im  Almanach  der  Akad.  d.  Wiss.  Wien  1860),  sodann  das 
reizende  Buch  von  Schönbach,  Anfänge  des  deutschen  Minnegesangs 
(Graz  1898).  Einzelne  Dichter  der  Steiermark  würdigt  Weinhold 
in  der  Arbeit  über  den  Minnesänger  von  Stadeck  und  sein  Geschlecht 
(Sitz.-Ber.  d.  Akad.  d.  Wiss.  Wien  35),  Bergmann  in  dem  Au&atze 
über  Die  letzten  Herren  von  Stadeck  (ebenda 9)  und  Kummer  sowohl 
in  dem  Buche  Die  poetischen  Erzählungen  des  Herrand  von  Wüdon 
(Wien  1880),  als  auch  in  dem  Aufsatze  über  das  Ministerialengeschlecht 
der  Wildonie  (AÖG  59).  Von  dem  merkwürdigen  Grabstein  Ulrichs 
von  Liechtenstein  auf  der  Frauenburg  mit  deutscher  Inschrift  berichtet 
Lind  (MCC  1872),  und  eine  ausführliche  Geschichte  des  fürstlichen 
Hauses  Liechtenstein  lieferte  Falke  (Wien,  3  Bde.,  1868 — 1883), 
doch  ohne  die  Liechtenstein  von  Murau  und  die  von  Nikolsburg  scharf 
auseinander  zu  halten.     Das  älteste  Adelsgeschlecht  der  Steiermark 


i)  MIÖGF  »»    MitteÜnngen    des    Instituts  fUr  österreichische  Geschicfatsforschong. 


—  al- 
lst das  der  Stnbenberg;  von  ihnen  handelt  Wurzbach,  Die  Herren 
und  Orafen  von  Stubenberg  (Wien  1879),  während  sich  Essenwein 
mit  dem  silbernen  Zopf  im  Wappen  der  Stubenberg  beschäftigte 
(Anz.  f.  Kunde  der  deutschen  Vorzeit  1881).  Wertvolle  Beiträge  zur 
Geschichte  der  mittelalterlichen  Wafienkunde  spendete  Franz  Graf 
von  Meranin  den  anonym  erschienenen  Monographien :  Der  Ptankher 
Helm  au3  Stift  Seckau  (Graz  1878)  und  Der  sag.  Leobner  Helm  im 
Joamneum  (Graz  1878). 

Allgemeinen  Inhalts  ist  die  mühevolle,  (lir  die  Geschichte  der 
Steiermark  im  Mittelalter,  besonders  (lir  die  Ortsgeschichte  bedeutungs- 
volle Arbeit  von  Zahn,  Ortmamenbueh  der  Steiermark  im  MittelaUer 
(Wien  1893),  ^^^  bis  in  das  XIX.  Jahrhundert  führt  die  Tabelle  von 
Peinlich,  Ckrenistisclte  Übersicht  der  merkwürdigsten  Naturereignisse, 
Landplagen  und  KuUurmomente  der  Steiermark  von  1000  bis  1850 
(Graz  1880). 

Die  historisch  interessanteste  und  bedeutendste  Zeit  im  Steirer- 
lande  war  das  XVI.  Jahrhundert  und  der  Beg^n  des  XVII.  Jahrhunderts. 
Alle  Stände,  Adel,  Klerus,  Bürger  und  Bauern  durchzitterte  die  reli- 
giöse Bewegung;  das  Eindringen  der  evangelischen  Lehre,  der  allerdings 
nur  kurze  2^it  währende  Sieg  und  die  von  dem  Landesfürstentum 
ausgehende  Verdrängung,  durch  die  Land  und  Bewohner  um  gut 
zwei  Jahrhunderte  in  ihrer  Entwicklung,  im  Fortschritte  auf  dem  Gebiete 
der  geistigen  und  materiellen  Kultur  gehemmt  wurden,  führte  zu 
tragischen  Konflikten.  Während  vor  fünfzig  Jahren  über  diese  hoch- 
wichtige Periode  wenig,  nahezu  nichts  bekannt  war,  ist  seither  durch 
den  Eifer  der  Forscher  eine  reiche  Literatur  entstanden,  so  dafs  wir 
namentlich  über  die  Vorgänge,  welche  zur  Gegenreformation  führten, 
und  über  diese  selbst  nunmehr  ziemlich  gut  unterrichtet  sind.  Hin- 
gegen fehlt  es  noch  an  Einzelnachrichten  über  das  Eindringen  der  evan- 
gelischen Lehre  und  über  ihre  Verbreitung  im  ganzen  Lande,  die  sich 
anscheinend  sehr  rasch  vollzogen  hat,  aber  vielfach  im  stillen  und 
teilweise  im  geheimen,  so  da(s  die  Nachrichten  darüber  naturgemäfs 
spärlich  sind.  Aufzeichnungen  haben  die  Beteiligten  vermutlich  gar 
nicht  gemacht,  und  daher  werden  wir  wahrscheinlich  für  immer  nähere 
AufiBchlüsse  darüber  entbehren  müssen,  falls  nicht  etwa  auswärts  noch 
der  Steiermark  entstammende  Briefe  oder  dergleichen  Schriftstücke 
entdeckt  werden  sollten. 

Schon  die  ersten  im  Südwesten  Deutschlands  im  XVI.  Jahrhundert 
sich  zeigenden  revolutionären  Bewegungen  fanden  ihren  Widerhall  in 
Steiermark.     Mayer  erzählt  von   dem   innerösterreichischen  Bauern- 


—     32     — 

krieg  von  1515  (AÖG  85),  und  Rabenlechner  von  dem  von  1525 
(Freiburg  i.  B.  1901).  —  Eine  Geschichte  des  Protestantismus  in 
Steiermark  vom  strengsten  katholischen  Standpunkte  schrieb  Robits  ch 
(Graz  1859).  Zahkeiche  Arbeiten  über  diese  Periode  lieferte  Loserth, 
so  zunächst :  aus  der  protestantischen  Zeit  der  Steiermark  ( JGGPÖ  ^) 
16);  wertvolle  Notizen  zur  Religionsbewegung  in  Steiermark  enthalten 
die  von  Zahn  herausgegebenen  Steiermärkischen  GesehiehiMäUer 
(1880—1885).  Über  den  Organisator  der  evangelischen  Kirche  in 
unserem  Lande,  Jeremias  Homberger,  handelt  Mayer  (AÖG  74), 
von  der  Salzburger  Provinzialsynode  Loserth  (AÖG  85),  von  dem 
bedeutungsvollen  Brucker  Landtage  von  1572  wiederum  Mayer 
(AÖG  72).  Ein  umfassendes  Bild  jener  Zeit  aber  lieferte  Loserth 
in  dem  Buche  Die  ReformaUon  und  Qegenrefonnaiian  in  den  inner^ 
österreichischen  Ländern  im  XVL  Jahrhundert  (Stuttgart  1898). 

Über  den  tätigsten  Gegner  der  evangelischen  Lehre,  über  den 
Fürstbischof  von  Seckau,  Martin  Brenner  (i  548 — 16 16),  verfafcte  eine  Bio- 
graphie der  jetzige  Fürstbischof  dieser  Diözese,  Leopold  Schuster, 
eine  Arbeit,  reich  an  neuem  Material,  aber  geschrieben  vom  be- 
schränkt kirchlichen  Standpunkt. 

Zahlreiche  einzelne  Untersuchungen  und  Darstellungen  liegen 
femer  über  die  Zeit  der  Reformation  und  Gegenreformation  vor.  So 
von  Loserth  über  den  Flacianismus  in  Steiermark  (JGGPÖ  20), 
über  die  Gegenreformation  in  Innerösterreich  (ebenda  21,  23  und 
Historische  Zeitschrift  78},  über  Erzherzog  Karl  IL  und  die  Errichtung 
eines  Klosterrates  für  Innerösterreich  (AÖG  84),  über  einen  Hoch- 
verratsprozefs  aus  der  Zeit  der  Gegenreformation  in  Innerösterreich 
(ebenda  83),  über  die  Anfiinge  der  Gegenreformation  in  Innerösterreich 
(Beilage  zur  Allg.  Ztg.,  München  1897,  Nr.  28 — 31),  und  über  den 
Rosolenz  (MIÖGF  21),  den  fanatischen  Bekämpfer  der  neuen  Lehre. 
Femer  gehören  hierher  die  Arbeiten  von  Damisch  über  den  Leichen- 
zug Karls  II,  (Graz  1869),  von  Hurt  er  über  Maria  von  Österreich 
(Schaff hausen  1860),  von  Beck  über  das  Patent  Ferdinands  II.  von 
Steiermark  1599  (JGGPÖ  21),  von  Mayer  über  die  Geschichte 
Innerösterreichs  im  Jahre  1600  (Forschungen  zur  deutschen  Geschichte 
20),  von  Ulmann  über  die  Gegenreformation  in  den  habsburgischen 
Erblanden  (Preu&ische  Jahrbücher  102),  von  Czerwenka  über  die 
Geschichte  der  Gegenreformation  in  Steiermark  (JGGPÖ  1880),  von 
Schmidt  über  das   letzte   Reformationspatent  Ferdinands  II.  (eben- 

I)  JGGPÖ  »  Jahrbach  der  GeseUichaft  (Ur  die  Geschichte  des  Protestaoüsmos 
in  Österreich. 


—     88     — 

<la  22)  und  über  slowenische  protestantische  Katechismen,  Postillen 
und  Bekenntnisschriflen  usw.  des  XVI.  Jahrhunderts  (ebenda  14,  15). 

Der  Rekatholisierung  folgte  Auswanderung-  der  trotz  aller  Ver- 
folgungen und  Lockungen  ihrem  Glauben  treu  bleibenden  Männer,  Frauen 
und  Familien;  von  ihnen  erzählen  u.  a.  Horand,  Öderreichisehe 
JSxulanten  (Anz.  f.  Kunde  d.  dt.  Vorzeit,  1862),  Loch n er,  Inner^ 
^österreichische  Exulanten  (ebenda  1855)  und  Kapp  er,  Andreas 
Stötssinger  und  seine  Schriften  (JGGPÖ  20).  Im  verborgenen  erhielt 
«ich  trotz  aller  Verfolgungen  die  evangelische  Lehre  und  trat  nur  hier 
tmd  da  erst  im  XVIII.  Jahrhundert  wieder  leise  und  unauffällig  an  die 
Oberfläche.  Davon  handeln  Reifs enberger  in  der  Arbeit  Zur 
Oeschichte  der  religiösen  Bewegung  in  ....  Steiermark  um  die  Mitte 
des  XVIII.  Jahrhunderts  (ebenda  14)  und  Zwiedineck  in  der  Oc" 
schichte  der  religiösen  Bewegung  in  Innerösterreich  im  XVIIL  Jahr^ 
hundert  (AÖG  1875).  Der  Protestantismus  in  Steiermark,  Kärnten 
und  Krain  vom  XVL  Jahrhundert  his  in  die  Gegenwart.  Von  Ilwof 
^Graz  1900)  stellt  zusammenfauraend  die  Entwickelung  und  das  Leben 
der  evangelischen  Lehre  in  den  innerösterreichischen  Ländern  von 
ihrem  Eindringen  bis  in  die  neueste  2^it  dar. 

Die  reformatorische  Bewegung  in  Steiermark  hatte  mehrfach  die 
Stifter  und  Klöster  tief  berührt  und  teilweise  in  Verfall  gebracht; 
im  XVII.  Jahrhundert  aber  erholten  sie  sich  wieder,  und  viele  gelangten 
2U  frischem  Leben,  ja  zu  einer  gewissen  Blüte,  bis  Kaiser  Josef  II. 
ihrer  vielen,  die  sich  als  überflüssig  und  der  Gesamtheit  schädlich  er- 
wiesen hatten,  ein  Ende  bereitete. 

Das  adelige  Damenstift  Göfis  ist  das  älteste  Kloster  des  Landes; 
von  ihm  wird  berichtet  in  den  MCC  11  und  18  und  in  den  Steier^ 
snärkischen  OeschichtAläUem  1884.  —  Am  tiefsten  hat  in  die  Geschichte 
der  Steiermark  das  herrlich  gelegene  Benediktinerstift  Admont  ein« 
gegriflfen,  dessen  Geschichte  Wichner  (Graz  1874— 1880,  4  Bde.) 
schrieb.  In  zahh-eichen  Monographien,  die  alle  gründlich  und  ge- 
schickt gearbeitet  sind,  beschäftigte  er  sich  vor  allem  mit  Admonts 
Beziehungen  zur  Kunst  (Wien  1888)  und  zu  Wissenschaft  und  Unter- 
xicht  (Graz  1892).  Von  dem  Benediktinerstift  St.  Lambrecht  hat 
Pangerl  die  ältesten  ToteabiicheT  (m  den  Fantes  rerum  Äustriacarum 
II.  Dipl.  29,  1869)  veröflTentlicht  und  finden  sich  MitteUungen  in  den 
Studien  und  Mitteilungen  des  Benediktiner-  und  Cistercienser-Ordens 
7,  9,  hn  Kirchenschmuck  >)  1881,  1893,  1894,  1898,  in  den  MCC  1896 

i)  Einer  in  Graz  erscheinenden  Zeitschrift  Ar  kirchliche  Knnst,  beinihe  gans  alleitt 
-von  dem  Konsenrator  und  Professor  Grans  geschrieben. 


—     34     — 

und  in  den  Steiermärhisehen  Q^schicktsblättem  3.  —  Über  das  1786 
aufgehobene  Zisterzienserstift  Neuberg  findet  man  Notizen  in  den 
MCC  I,  15,  16,  N.F.  8,  1892,  1893,  in  den  Berichten  des  Wiener 
Altertums- Vereins  12  imd  im  Kirehenschmack  1882,  1892,  1893.  — 
Auch  das  Chorherrenstift  Seckau,  das  der  Sitz  des  Bistums  gl.  N. 
war,  bis  es  nach  Seckau  bei  Leibnitz  und  dann  nach  Graz  übertragen 
wurde,  finden  sich  Nachrichten  in  den  Studien  und  Mitt.  d.  Benedikt.* 
und  Cistercienser*Ordens  1885,  1888,  1889,  1891 — 1893,  im  Kirchen- 
schmuck 1871,  1883,  1889,  1892,  1901,  in  den  MCC  1858,  1874, 
1881,  1892,  1901,  sowie  in  den  Histcrisch-poliUschen  Blättern  1894. 
Unter  diesen  sei  die  Arbeit  von  Meli,  Das  Stift  Seckau  und  dessen 
wirtschaftliche  Verhältnisse  im  XIV.  Jahrhundert  (StMBCO  14)  be- 
sonders hervorgehoben.  —  Das  Chorherrenstift  Voran  wird  besprochen 
im  Kirchenschmuck  1876,  1882,  1900,  1901  und  ein  literarischer 
Klosterschatz  daselbst  von  Reifs enberger  (Wiener  Montagsrevue, 
1884,  Nr.  15,  17).  —  Das  nicht  mehr  bestehende  Klarissinnenkioster 
Paradeis  bei  Judenburg  fand  seinen  Historiographen  in  Wichner 
(AÖG  73),  und  das  einstige  Karthäuserkloster  Seiz  in  Stepischnegg' 
(Marburg  1884). 

Eine  verhängnisvolle  Bedeutung  erlangten  in  Steiermark  die  Jesuiten, 
schon  zur  Zeit  der  Reformation,  noch  mehr  zu  der  der  Gegenrefor- 
mation und  in  den  folgenden  Jahrhunderten.  Über  sie  schrieben 
Horawitz  (Histor.  Zeitschr.,  28)  und  Peinlich  (Histor.-pblit.  Blätter, 
1883).  Eine  ausgezeichnete  Darstellung  der  Aufhebung  der  Klöster 
in  Innerösterreich  1782 — 1790  verfafste  Adam  Wolff  (Wien  1871) 
und  eine  Monographie  über  die  sich  über  Untersteiermark  ausdehnende 
Diözese  Lavant  Oro2en  (Marburg  1868 — 1884). 

Im  XVI.  Jahrhundert  und  bis  in  das  XIX.  spielte  neben  Kirche 
und  Klerus  der  Adel  eine  wichtige  Rolle.  Noch  in  das  Mittelalter 
hinein  reicht  die  höchst  beachtenswerte  Untersuchung  von  Zallinger 
nber  die  ritterlichen  Klassen  im  steirischen  Landrecht  (MIÖGF  1883) 
und  die  von  Luschin  über  die  Reichenecker  in  Steiermark  (Jb.  d. 
Ges.  Adler,  19,  20).  Im  XVI.  Jahrhundert  traten  die  Herren  von 
Ungnad  mächtig  hervor;  Chmel  bespricht  vier  Briefe  des  Hans 
Ungnad  an  Kaiser  Ferdinand  I.  und  König  Max  von  Böhmen  (Sitz.- 
Ber.  d.  Wiener  Akad.  3),  während  Steinwenter  Nachrichten  aus 
dem  Leben  des  steirischen  Landeshauptmanns  Hans  III.  von  Ungnad- 
Weifsenwolf  (Jb.  d.  Gymn.  Marburg  a.  D.  1884),  Janko  solche  über 
Hans  Ungnad,  Freiherm  von  Weifeenwolf  und  Sonnegg  (Streflfleurs 
Zeitschr.  89)  übermittelt.  —  Ein  rasch  und  glänzend  emporsteigendes 


—     35     — 

Geschlecht  war  das  der  Eggenberge,  dessen  Bestand  jedoch  nur  kurz 
währte;  1470  waren  sie  noch  Bürger  von  Radkersburg,  1598  Freiherren, 
wurden  1623  deutsche  Reichsfiirsten,  starben  aber  schon  17 17  aus.  Der 
bedeutendste  von  ihnen,  Hans  Ulrich,  Fürst  von  Eggenberg,  der  als 
Minister  Kaiser  Ferdinands  II.,  in  der  ersten  Periode  des  30jährigen 
Krieges  und  in  der  Wallenstein-Tragödie  ma&gebend  und  bedeutungs- 
voll hervortrat,  fand  seinen  Biographen  in  Zwiedi neck  (Wien  1880). 
Das  Haus  besafs  das  Münzrecht,  und  Mayer  behandelt  Münzen  und 
Medaillen  der  Eggenberge  in  der  Numismatischen  Zeitschrifl,  20.  — 
Die  Erben  ihrer  Güter  in  Steiermark  waren  die  Herbersteine,  über  die 
manches  in  der  von  Karajan  herau^egebenen  Selbstbiographie  Sig- 
munds von  Herberstein  (Fantes  verum  atistriacarum  I.  Script,  i),  in  dem 
von  Voigt  mitgeteilten  Briefwechsel  Sigmtmds  von  Herberstein  mit  Herzog 
Albrecht  von  Preufsen  (AÖG  17),  und  dem  von  Zahn  veröffent- 
lichten Familienbuch  Sigmunds  von  Herberstein  (AÖG  39)  vorliegt 
Letzterer  reiste  zweimal  als  kaiserlicher  Gesandter  nach  Moskau  und 
war  selbst  Schriftsteller  (Selbstbiographie,  FamUienbuch).  Ein  späterer 
Herberstein,  Erasmus  Friedrich,  war  am  Hofe  Leopolds  I.  bedienstet 
und  wirkte  besonders  1664  zu  Regensburg  für  seinen  Kaiser  (Steier- 
märkische  Geschichtsblätter  4). 

Reichhaltig  ist  die  Literatur  über  den  schon  früher  ^)  gewürdigten 
Erzherzog  Johann,  den  grofsen  Förderer  und  Wohltäter  der  Steiermark 
und  Begründer  der  modernen  Kultur  auf  geistigem  und  physischem 
Gebiete  in  diesem  Lande.  Eine  treffliche  Biog^phie  dieses  erhabenen 
Kaisersohnes  lieferte  Leitner  (in  Hlubeks  Treuem  Büd  der  Steier- 
mark). Schi  ossär  schrieb  EraherjBog  Johann  von  Österreich  und  sein 
Einfluß  auf  das  Kulturleben  in  Steiermark  (Wien  1878).  Zur  Jahr- 
hundertfeier seines  Geburtstages  1882  gab  auf  Veranlassung  seines 
Sohnes,  des  Grafen  Franz  von  Meran,  Ilwof  Aus  Er  eher 00g  Johanns 
Tagdmch,  eine  Reise  durch  Obersteiermark  1810  (Graz  1882)  heraus 
und  Zwiedineck  verfafste  Ereherzog  Johann  im  Fddzuge  von  1809 
(Graz  1892)  sowie  Das  Gefecht  bei  St.  Michael  und  die  Operationen 
des  Ergherzogs  Johann  in  Steiermark  1809  (MIÖGF  12),  während 
K  r  o  n  e  s  Aus  dem  Teigebuche  Erzherzog  Johanns  von  Österreich  1810  — 1815 
(Innsbruck  1891)  veröffentlichte.  Der  Deutsche  und  Österreichische 
Alpenverein  feierte  das  Andenken  an  jenen  Gebirgsfreund  und  Alpen- 
forscher 1882  in  seiner  Zeitschrift  durch  Ilwofs  Beitrag  Erzherzog 
Johann  und  seine  Beziehungen  zu  den  Alpenländem,  und  des  Erz- 


I)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  5.  Bd.,  S.  202—203. 


—     86     — 

herzogs  Bemühungen  um  die  Förderung  der  Viehzucht  in  Steiermark 
legte  derselbe  in  einer  Arbeit  über  des  Erzherzogs  Beziehungen  zu 
dem  steirischen  Landwirt  Paul  Adler  (Österr.-ungar.  Revue  1891)  dar. 
Briefe  des  Prinzen  aus  der  Zeit  von  1850—1859  finden  sich  in  den 
OesammeÜen  Schriften  vcn  Jochmus,  3.  Bd.  (Berlin  1884). 

Hochverdiente  Steiermärker  des  XIX.  Jahrhunderts  wurden  durch 
Biographien  der  Vergessenheit  entrissen,  so  Franz  Freiherr  von  Kalch- 
berg  (Graz  1897)  und  Josef  Freiherr  von  Katchberg  (Innsbruck  1901), 
beide  von  Ilwof,  sodann  der  glänzende  Redner,  Parlamentarier  und 
Landeshauptmann  Moriz  von  Kaiserfeld  durch  Krön  es  (Graz  1888).  — 
Da  gerade  in  dieser  Zeitschrift  früher  ')  auf  die  Wichtigkeit  und  Be- 
deutung einer  nach  wissenschaftlichen  Grundsätzen  betriebenen 
Familienforschung  in  bürgerlichen  Kreisen  aufmerksam  gemacht  wurde, 
so  sei  an  dieser  Stelle  eine  diesem  Gebiete  angehörige  Schrift: 
Frizberg,  Die  Frieberg  van  Vorarlberg  und  ihre  Nachkommen,  die 
Frita  von  Friteberg  in  Steiermark  (Graz  1905)  erwähnt. 

Minder  reich  vertreten  ist  die  Verfassungsgeschichte.  Aus  diesem 
Gebiete  finden  wir  nur  das  Bruchstück  einer  deutschen  Bearbeitung 
der  ältesten  steirischen  Landhandfeste  von  11 86,  das  Schulte  (MIÖGF 
1886)  mitteilte,  den  Aufsatz :  Landstände  und  Landiag  in  Steiermark  von 
ihren  Anßngen  bis  in  die  Gegenwart  (österr.-ungar.  Revue  1899)  von 
Ilwof  und  Zur  (beschichte  der  Hörigkeit  und  Leibeigenschaft  in  Steiermark 
von  Peinlich  (Graz  1881). 

Fleifsig  gearbeitet  wurde  auf  dem  Gebiete  der  Ortsgeschichte, 
so  im  allgemeinen  durch  Peinlich,  der  die  ältere  Ordnung  und  Ver- 
fassung der  Städte  in  Steiermark  (Graz  1879)  behandelte,  durch 
Schlossar,  der  das  innerösterreichische  Stadtleben  vor  100  Jahren 
(Wien  1877)  schilderte,  durch  Luschin,  der  sich  mit  den  steirischen 
Städtewappen  und  Siegeln  (MCC  1873,  1874)  beschäftigte.  Von  der 
Landeshauptstadt  liegt  bisher  nur  eine  ausführliche  Geschichtsdarstellung 
vor,  in  Orcus,  Geschichte  und  Topographie  der  Stadt  und  ihrer  Umgebung 
von  Ilwof  und  Peters  (Graz  1875),  deren  SS.  63 — 246  der  Geschichte 
der  Stadt  gewidmet  sind.  Sehr  beachtenswert  sind  Hofrichters 
Rückblicke  m  die  Vergangenheit  von  Graz  (Graz  1885)  und  die  SchUde- 
rung  der  Stadt  vor  60  Jahren  (Graz  1885). 

Was  andere  Städte  und  Märkte  des  Landes  betrifil,  so  seien  die 
Arbeiten  von  Steiner- Wischenbart  über  Feldbach  (2^1tweg  1903), 
von  Joherl,    Wildon   (Graz    1891),   Feldkirchen   und  Kaisdorf  (Graz 


i)  VgL  4.  Bd.,  S.  372  and  7.  Bd,  S.  21  ff. 


—     37     — 

I90S)»  von  Hutter  über  Schladming  (Graz  1905),  von  Hofrichter 
über  Marburg  (Graz  1863),  Lnttenberg  (Graz  1850)  und  Hartberg 
(Graz  1859),  über  Radkersburg  Arbeiten  in  den  MCC  1889,  1890, 
1893,  über  Murau  (ebenda  1872,  1896,  1901),  im  Kirchenschmuck 
1870,  1872,  in  den  Steiermärkischen  Geschichtsblättem  1880;  über 
Leoben  die  von  List  (Leoben  1885);  über  Fürstenfeld  die  von  Lange 
(Fürstenfeld  1883)  und  Steiermärkische  Geschichtsblätter  4;  über 
CiUi  (Klagenfurt  1890),  über  das  Ennstal  die  von  Fürst  Philipp  von 
Hohenlohe  (Wien  1882,  als  Ms.  gedrudct)  und  über  das  merkwürdige 
Felsenschlofis  Riegersburg  in  MCC  1884  genannt. 

Recht  zahlreich  sind  die  Arbeiten  über  Pettau,  das  römische 
Poetovium,  das  im  Mittelalter  eine  wichtige  Grenzfestung  gegen  Ungarn 
war:  Pirchegger,  OeschicMe  Pettaus  im  MiäetaUer,  I.  (Jb.  Gymn. 
Pettau  1903),  Raisp,  PeUau  topographisch  geschildert  (Graz  1858), 
Levec,  Pettauer  Studien,  Untersuchungen  zur  älteren  Flurverfassung 
(Mitt.  d.  anthropot.  Ges.,  Wien,  28,  29),  Bischoff,  Diis  Pettauer 
Stadtrecht  von  1376  (Sitz.-Ber.  d.  Wiener  Akad.  113)  sind  hier  zu 
nennen,  femer  Notizen  über  diese  Stadt  (MCC  6,  28,  1890,  1892, 
1893,  1896  und  im  Kirchenschmuek  1884).  —  Ein  sehr  beachtens- 
wertes Bilderwerk  mit  Text  ist  Einst  und  Jetri  (Graz,  4  Bde.,  1863— 1866) 
von  Reichert,  das  treffliche  Abbildungen  von  Schlössern,  Städten, 
Märkten,  Kirchen  und  Klöstern  der  Steiermark  enthält.  . 

In  das  Gebiet  der  politischen  und  Kri^sgeschichte  führt  Zwie- 
dinecks  Arbeit  über  die  Schlacht  bei  St.  Gotthard ')  1664  (MIÖGF 
10);  dieser  Sieg  Montecuccolis  befreite  die  Steiermark  von  einem 
furchtbar  drohenden  Türkeneinfalle.  Sodann  ist  Dunckers  Beitrag 
über  die  Rüstungen  Innerösterreichs  1683  (Mitt.  d.  k.  k.  Kriegs- 
archivs, Wien  1882)  zu  nennen  und  nicht  mmder  die  Arbeiten  Mayers 
über  Steiermark  im  Franzosenzeitalter  (Graz  1888),  im  dritten  Koalitions« 
kriege  (Jb.  des  I.  Gymn.,  Graz  1887);  und  die  Tätigkeit  der  Jakobiner 
(Zeitschr.  f.  allg.  Gesch.  1887). 

Über  die  Pflege  der  Wissenschaft  und  den  Unterricht  belehren 
uns  die  Arbeiten  von  Peinlich  über  die  steirischen  Landschafts- 
mathematiker vor  Kepler  (Graz  1871)  und  über  die  Geschichte  des 
Gymnasiums  in  Graz  (Jahresberichte  des  I.  Gymn.,  Graz,  1864, 
1869—1874),  sowie  Die  Geschichte  der  Karl-Franzens-Universität  in 
Graz  (Grraz  1886)  von  Krön  es  und  die  des  Joanneums  in  Graz 
(Graz  1861)  von  Göth. 


I)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  4-  Bd.,  S.  279. 


—     38     — 

Der  Literatur  und  Dichtkunst  sind  gewidmet  die  Arbeiten  von 
Wichner  über  zwei  Bücherverzeichnisse  des  XIV.  Jahrhunderts  in 
der  Admonter  Stiftsbibliothek  (Zentralblatt  f.  Bibliothekswesen  1888, 
4.  Beiheft),  von  Stiefvater  über  die  Geschichte  des  Buchdrucks 
und  Buchhandels  in  Steiermark  (Wien  1888),  von  Weinhold  über 
Weihnachtsspiele  und  Lieder  ans  Süddeutschland,  insbesondere  Steier- 
mark (Graz  1853),  von  Schönbach,  über  ein  steirisches  Scheit* 
gedieht  wider  die  Baiem  (Vierteljahrsschrift  f.  Literaturgeschichte, 
1889),  vo^  Schlossar  über  österreichische  Literatur-  und  Kultur* 
bilder,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Steiermark  (Wien  1879) 
und  von  II  wof  über  Goethes  Beziehungen  zu  Steiermärkem  (Graz  1898). 

Stoffe  aus  dem  Gebiete  des  Rechtslebens  behandelt  der  Bericht 
über  Weistümerforschungen  in  Steiermark  (Sitz.-Ber.  d.  Wiener  Akad. 
83»  85)  von  Bischoff,  sowie  die  von  Bischoff  und  Schönbach 
(Wien  1881)  herausgegebenen  Steirischen  und  kärntischen  Taidinge. 

Verhältnismäfsig  reichhaltig  sind  die  Beiträge  zur  Kunstgeschichte. 
Haas  veröffentlichte  eine  Übersichtskarte  der  miäelaÜerUchm  Ärchikktttr 
in  Steiermark  (Graz  1857),  Wastler  ein  Steirisches  Künstlerlexikon 
(Graz  1 883),  Lacher  KunsfbeÜräge  €ms Steiermark^Fr^nkfurt 1 893 — 1 894; 
Bd.  I — 2)  und  Deutsche  Benaissance  in  Österreich,  I:  Steiermark 
(Leipzig  1883— 1884),  Wastler  Das  Landhaus  in  Cf rax?  (Wien  1890), 
ein  vortreffliches  Werk  über  dieses  hochinteressante  Denkmal  der 
italienischen  und  deutschen  Renaissance  ui}d  des  Barokstils.  Die 
Arbeit  über  das  Landeszeughaus  in  Graz  (Leipzig  1881)  von  Pich  1er 
und  Franz  Graf  von  Meran  ist  besonders  bemerkenswert  wegen 
der  von  letzterem  beschriebenen  Waffenvorräte.  Allgemeines  Interesse 
beansprucht  die  Verwelschung  der  Baumeisterzunft  im  XVII.  Jahrhundert 
in  Graz  (MCC  1893)  und  die  Geschichte  der  Befestigungsbauten  des 
Schlofsberges  und  der  Stadt  Graz  im  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert 
(ebenda  1887),  nicht  minder  die  Beschreibung  des  Mausoleums 
Ferdinands  II.  in  Graz  (ebenda  1884),  und  die  vorzügliche  Schrift: 
Das  Kundleben  am  Hofe  eu  Graz  unter  den  Herzogen  von  Steiermark, 
den  Erzherzogen  Karl  und  Ferdinand  (Graz  1897)  —  alle  vier  von 
Wastler.  Zahlreiche  Notizen  über  Gegenstände  der  bUdenden  Kunst 
finden  sich  noch  in  den  Jahrbüchern  und  MCC  und  im  Kirchenschmuck, 

Der  Numismatik  und  Heraldik  sind  gewidmet:  P ichler,  Reper- 
torium  der  sieirischen  Münzkunde  (3  Bde.,  Graz  1865 — 1875),  Unger, 
Numismatische  Streif  eilige  auf  archivalischem  (xebiete  (Mitt  d.  Clubs 
der  Münz-  und  Medaillenfreunde,  Wien  1892);  Luschin,  Die  Siegd 
der   steirischen  Abteien   und  Konvente   des    MittelaUers    (MCC    1873 


—     39     — 

und  1874);  hierher  gehört  auch  der  Neudruck  des  steiermärkischen 
Wappenbuches  von  Zacharias  Bartsch  aus  dem  Jahre  1567, 
Faksimile-Ausgabe  mit  historischen  imd  heraldischen  Anmerkungen 
von  J.  V.  Zahn  und  Alfred  Ritter  Anthony  von  Siegenfeld 
(Graz  und  Leipzig  1893). 

Auch  die  Geschichte  von  Industrie  und  Handel  hat  einige  Be- 
arbeiter gefunden:  Miller  von  Hauenfels  hat  sich  mit  dem  steier^ 
märkischen  Bergbau  als  Grundlage  des  Wohlstandes  (Graz  1859), 
Bittner  mit  dem  Eisenwesen  in  Innerberg-Eisenerz  bis  1625  (AÖG  89), 
Bisch  off  mit  dem  Schladminger  Bergbrief  (2^itschr.  f.  Bergrecht,  33), 
Pogatschnigg  mit  der  Geschichte  der  steirischen  Glasindustrie 
(Ber.  d.  k.  k.  Gewerbe-Inspektoren,  1894)  beschäftigt,  und  die  Steier- 
märkischen Geschichtsblätter  (1883)  enthalten  einen  Beitrag  zur  Ge- 
schichte des  Einfuhrhandels. 

Manche  Veröffentlichung  berührt  das  weite  Gebiet  der  sogenannten 
Kulturgeschichte,  so:  Peinlich,  Creschichte  der  Test  tn  Steiermark 
(2  Bde.,  Graz  1876— 1878)  und  Fossel,  Die  Pest  im  Pölstale  und  im 
Murboden  1714—1715  (Mitt.  d.  Ver.  d.  Ärzte,  Graz  1886).  Über 
Kreidfeuer  in  Steiermark  (Steierm.  Geschichtsblätter,  1883)  handelt 
Zahn,  über  die  Hausforschung  in  den  Ost- Alpen  (Zeitschr.  d.  D. 
u.  0.  A.-V. ,  24)  Bancalari,  einen  steirischen  Bauernhof  aus  dem 
Beginne  des  XVII.  Jahrhunderts  (MCC  1894)  beschreibt  Meli  und 
Zwiedineck  das  Dorf  leben  im  XVIII.  Jahrhundert  (Wien  1877). 
Meli  liefert  Beiträge  zur  Geschichte  des  Hexenwesens  (Zeitschr.  f. 
Kulturgesch.  N.  F.  I.),  Ilwof  solche  über  Hexenwesen  und  Aber- 
glauben in  Steiermark  einst  und  jetzt  (Zeitschr.  d.  Ver.  f.  Volks- 
kunde, Berlin  1899).  Auch  mit  den  Haus-  und  Hofmarken  hat  sich 
letzterer  (MCC  19  und  in  der  Berliner  Zeitschr.  f.  Volkskunde,  1894) 
beschäftigt. 

Da  in  den  österreichischen  Ländern  in  den  verflossenen  Jahr- 
hunderten die  Memoirenliteratur  ziemlich  spärlich  gepflegt  wurde,  so 
sind  zwei  einschlägige  Publikationen  aus  Steiermark  besonders  wert- 
voll, nämlich  das  auf  Veranlassung  des  Grafen  Franz  von  Meran 
von  J.  V.  Zahn  herausgegebene  Hausbuch  der  Frau  Maria  Elisabeth 
Stampfer  aus  Vordertiberg ,  das  die  Jahre  1638 — 1700  umfafet  (Wien 
1887),  wozu  der  Aufsatz  von  Meli,  Aus  dem  Hausbuch  einer  steirischen 
Bürgersfrau  (Zeitschr.  f.  Kulturgesch.  N.  F.  2)  heranzuziehen  ist. 
Das  zweite  derartige  Werk  ist  das  Gedenkbuch  der  Frau  Maria 
Cordula  Prank  aus  dem  XVIII.  Jahrhundert  (Steierm.  Geschichts- 
blätter   2).  Zum  Schlüsse  sei  noch   der  Mitteilungen  über  Schützen- 


—     40     — 

wesen  und   Schützenordnungen    (Steierm.    Gescbichtsblätter  4,  5)  ge- 
dacht. 

Eine  überreiche  Fülle  an  historischen  Arbeiten  wurde  hier  vor- 
geführt, und  doch  ist  es  noch  lange  nicht  alles,  was  erwähnenswert 
gewesen  wäre.  Aber  aus  dem,  was  gebracht  wurde,  wird  der  Leser 
entnehmen,  daüs  man  in  Steiermark  in  den  jüngst  verflossenen  funf- 
undeinhalb  Jahrzehnten  fleifsig  und  erfolgreich  gearbeitet  hat.  Wenn 
sich  die  Kunde  davon  auch  in  der  Feme  verbreitet,  so  liegt  darin 
gewifs  schon  ein  Lohn  für  die  Forscher.  Noch  mehr  aber  ist  zu 
wünschen ,  dafs  die  genannten  Arbeiten,  auf  deren  Bedeutung  und  Er- 
gebnisse naturgemäfs  hier  nicht  eingegangen  werden  konnte,  von  denen, 
die  zusammenfassend  und  vergleichend  arbeiten,  noch  mehr 
als  es  bisher  geschehen  ist,  wirklich  benutzt  werden.  Gerade  aus 
diesem  Grunde  wurde  vielfach  bei  der  Aufzählung  so  ins  einzelne 
gegangen:  wir  alle  müssen  uns  davon  überzeugen,  dafs  nur  die 
Landesgeschichte  wenigstens  auf  dem  weiten  Gebiet  des  Zu- 
ständlichen  die  Bausteine  zu  liefern  vermag  für  die  deutsche  Ge- 
samtgeschichte. 


Mitteilungen 


Yersammlungeil.  —  Progranmigemäfs  ^)  hat  der  sechste  deutsche 
Archivtag  am  24.  September  in  Wien  stattgefunden.  Das  Bedeutsame 
dabei  lag  in  dem  Umstände,  dafs  es  der  erste  war,  der  auf  österreichischem 
Boden  stattfand.  Dieser  Umstand  verlieh  ihm  zum  Teile  auch  sein  Gepräge, 
denn  naturgemäfs  bildeten  dadurch  die  österreichischen  Archivare  die 
Mehrheit.  Dennoch  war  auch  der  Zuzug  aus  allen  Gauen  des  Deutschen 
Reiches  ein  erfreulich  starker,  sogar  Dänemark  war  vertreten  —  im  ganzen 
wohnten  140  Teilnehmer  den  Vorträgen  bei  — ,  und  die  Zentralleituog  hatte 
für  ein  mannigfaltiges  Vortragsprogramm,  das  territorial  ein  möglichst  weites 
Gebiet  umschrieb,  gesorgt,  so  dafs  es  an  der  nötigen  Mischung  der  Elemente 
imd  daraus  entspringender  gegenseitiger  reicher  Anregung  nicht  fehlte.  In 
erster  Linie  bestimmend  für  die  Verlegung  des  Archivtages  nach  Wien  v^ar 
der  Neubau  des  k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchives  gewesen,  der,  vor 
etwa  zwei  Jahren  vollendet,  auf  die  Archivare  eine  grofse  Anziehungskraft 
ausgeübt  hatte.  Als  Vorbereitung  auf  dessen  Besichtigung,  die  am  Nach- 
mittage stattfand,  hielt  am  Schlüsse  der  Versanunlung  der  Direktor  des 
Staatsarchives,  Hofrat  Gustav  Winter,  einen  orientierenden  Vortrag,  der 
durch  seine  Wärme,  FormvoUendtuig  tmd  Klarheit  allgemeine  Bewunderung 
hervorrief.  Schon  Arneth,  sein  Vorgänger,  hatte  einen  weitläufigen  Plan 
für  einen  Neubau  entworfen,   aber  noch  völlig  auf  Grundlage   des  älteren 

1)  Vgl  7.  Bd.,  S.  320. 


—     41     — 

Saalsystems.  Winter  eDtschied  sich  nach  Bereisung  und  Besichtigung  der 
henrorragendsten  europäischen  Archive  für  das  Magazinsystem  und  fand  dann 
in  seinem  Chef,  dem  gegenwärtigen  Minister  des  Äufseren,  Grafen  Golu- 
chowskiy  die  freigebigste  Unterstützung  bei  der  Durchführung  seiner  Pläne. 
So  ist  der  jetzige  Minister  in  die  Fufstapfen  des  Kanzlers  Fürsten  Kaunitz 
getreten  y  denn  ihm  ist  die  Wiedergeburt  dessen  zu  verdanken ,  was  dieser 
einst  geschaffen  hat.  Der  Augenschein  überzeugte  am  Nachmittage  die  Teil- 
nehmer von  der  Grofsartigkeit  der  Anlage  mit  ihren  elf,  nur  durch  Eisen- 
roste getrennten  Stockwerken,  ihrer  zweckmäfsigen  Heizung  (Niederdruck- 
heizung) und  Lüftung,  ihren  modernen  Einrichtungen  (in  den  Magazinen 
durchweg  Eisenkonstruktion),  ihrer  auch  dem  grofsen  Publikum  zugänglichen 
Cymeliensammlung ,  ihrem  photographischen  Atelier  und  ihren  schön  und 
stilvoll  eingerichteten  Bureau-  und  Benutzenräumen  ^). 

Hatte  man  hier  eine  mustergültige  moderne  Archivanlage  kennen  gelernt, 
so  gewann  man  durch  den  Vortrag  des  Archivdirektors  Schneider 
(Stuttgart)  über  Archivalienschutz  in  Württemberg  Emblick  in  eine 
nicht  minder  mustergültige  Organisation  des  Archivwesens  eines  ganzen 
Territoriimis.  Wir  begegnen  da  in  Württemberg  einer  sehr  wohltätigen 
Zentralisation  und  einer  Unterordnung  sämtlicher  Archive  des  Landes,  auch 
der  Gemeinde-  und  privater  Archive,  sowie  der  Archive  geistlicher  Korpo- 
rationen unter  das  Staatsarchiv,  welche  schon  im  Jahre  1775  angebahnt, 
aber  seit  dem  Jahre  1876  namentlich  durch  das  zielbewufste  Streben 
Stalins  systematisch  durchgeführt  wurde.  Was  nicht  an  das  Staatsarchiv 
abgegeben  wurde,  das  wird  seit  189 1  durch  die  staadiche  Kommission  für 
Landesgeschichte  beaufsichtigt.  Sechs  Kreispflegem  liegt  die  Sorge  für  Auf- 
bewahrung, Ordnung  und  Inventarisierung  der  kleineren  Archive  ob.  Einen 
wichtigen  Schritt  auf  der  emgeschlagenen  Bahn  nach  vorwärts  bedeutet  die 
neue  württembergische  Gemeindeordnung  vom  28.  Juli  1906,  wonach  Ge- 
meindearchivalien nur  mit  Genehmigung  des  Staatsarchives  vernichtet  oder 
veräufsert  werden  dürfen. 

Zu  dieser  straffen  Organisation  bildet  das  österreichische  Archiv- 
wesen ')  einen  starken  Gegensatz.  Hier  fehlt  jeder  einheitliche  Zug,  jeder 
Zusammenschlufs  der  Archive  und  vor  allem  das  Interesse  der  Regierung 
und  der  mafsgebenden  Faktoren.  So  sehen  wir,  wie  Archivdirektor  Prof. 
Meli  (Graz)  in  seinem  Vortrag  über  Archive  und  Archivwesen  einer 
österreichischen  Landschaft  (Steiermark)  an  einem  Beispiele,  nämlich 
an  dem  des  steiermärkischen  Landesarchives  ausführte,  in  Österreich  nur 
territoriale  Einzelentwickelungen,  denen  wieder  einzelne  Persönlichkeiten,  nicht 
ein  allgemein  gültiger  Plan,  das  Gepräge  g^eben  haben.  In  Steiermark  war 
es  Erzherzog  Johann,  der  spätere  Reichsverweser  des  Jahres  1848,  der  im 
Jahre  181 1  das  Joanneumsarchiv  in  Graz  als  Zentralstelle  der  im  Lande 
verstreuten  Archivalien  ins  Leben  rief.  Im  Jahre  1868  wurde  dann  das 
Archiv   der  steierischen  Stände  damit  vereinigt  und  so  das  jetzige  Landes- 


i)  Wer  sich  noch  eingebender  darüber  nnterrichten  will,  den  verweisen  wir  anf  das 
Werk  GostaT  Winters:  Das  neue  Gebäude  des  k,  u.  h  Haus-,  Hof-  und  StaatS" 
arehives  in  Wien  (Wien  1903). 

2)  Vgl.  darüber  die  AnfsSUe  von  Giannoni  und  Michael  Majr  in  dieser 
Zeitschrift  5.  Bd.,  S.  97—116  nnd  315—330. 


—     42     — 

archiv  geschafifen,  und  der  Vortragende  wäre  auch  dafür ,  das  erst  im 
Jahre  1906  entstandene  Statthaltereiarchiv  damit  zu  vereinigen ,  falls  die 
Regierung  bei  ihrer  völligen  Gleichgülti^eit  verharre.  Zum  Schlüsse  stellte 
Meli  für  die  an  den  österreichischen  Archiven  zu  leistenden  Arbeiten  als 
Forderungen  auf:  Anlage  von  Archivkatastem  und  -inventaren  und  deren 
VeröfifentlichuDg,  Abfisissung  von  Archivgeschichten  und  Ausgabe  jährlicher 
Rechenschaftsberichte,  und  spricht  die  Hoffiiung  aus,  dafs  ein  Zusammen- 
schlufs  aller  österreichischer  Archivare  zustande  kommen  möge,  einerseits 
zum  g^enseitigen  Austausch  der  Erfahrungen,  anderseits  zur  Vertretung  ihrer 
Wünsche  gegenüber  der  Regierung  und  den  mafsgebenden  Faktoren. 

Im  doppelten  Sinne  des  Wortes  femerliegende  Verhältnisse  beleuchtete 
Archivdirektor  S e c h e r  (Kopenhagen ),  der  über  die  Ordnungsprinzipien 
im  dänischen  Archivwesen,  insbesondere  das  Provenienz- 
prinzip sprach.  Nach  diesem  Prinzip,  das  doch  wohl  ganz  spezifische 
Entwicklungsverhältnisse,  wie  sie  eben  in  Dänemark  gegeben  sind,  voraussetzt, 
ist  sowohl  AufsteUung  als  auch  Inventarisierung  durchzuführen;  eine  Scheidung 
von  Urkunden  und  Akten  tritt  nicht  ein.  Die  notwendige  Gnmdlage  für  die 
Durchführung  des  Prinzipes  ist  eine  genaue  Feststellung  der  Geschichte  der 
einzelnen  Verwaltungskörper,  namentlich  hmsichtlich  ihrer  Einsetzung,  Auf- 
lassung und  Kompetenz,  und  da  in  Dänemark  die  amtliche  Adressierung  an 
die  einzelnen  Beamten  erfolgt,  die  Ausforschung  der  Beamtenlisten  der 
früheren  Jahrhunderte.  Von  den  Inventaren  mit  den  entsprechenden  ge- 
schichtlichen Darstellungen  und  Anleitungen  zur  wissenschafUichen  Benutzung 
smd  bisher  (1886 — 1899)  3  Bände  erschienen. 

Ein  Spezialthema  des  modernen  Archivwesens  behandelte  Archivrat  Prof. 
Warschauer  (Posen)  in  seinem  Vortrag:  Die  Photographie  im  Dienste 
der  archivalischen  Praxis  auf  Gnmd  seiner  praktischen  Erfahrungen  im 
photographischen  Institute  des  Prof.  Dr.  Miethe  an  der  technischen  Hochschule 
in  Charlottenburg.  Anstatt  der  üblichen  Trockenplatten,  welche  für  die  gelb- 
lichen und  rötlichen  Töne  der  Urkunden  nicht  empfindlich  sind,  emp&hl  er  die 
Feuchtplatten  oder  speziell  die  panchromatischen  Platten  unter  Anwendung  von 
Kontrastfiltern,  wovon  er  sehr  anschauliche  Beispiele  an  Aufnahmen  zeigte. 
Die  Zukunft  dürfte  übrigens  den  im  Handel  noch  nicht  erhältlichen  ortho- 
chromatisch -  photomechanischen  Platten  gehören,  die  alle  Vorzüge  vereinen. 
Besonders  wies  der  Vortragende  auf  die  Verwendung  der  Photographie  zum 
Lesbarmachen  schwer  entzifferbarer  Schriften  oder  älterer  Schriften  auf 
Palimpsesten  hin,  wovon  die  Besucher  des  Staatsarchives  im  photographischen 
Atelier  dieses  Institutes  Beispiele  zu  sehen  Gelegenheit  hatten.  —  Die  Fort- 
setzung der  Dbkussion  über  das  im  Vorjahre  in  Angriff  genommene  Thema: 
„Archivbenutzung  zu  fiuniliengeschichtlichen  Zwecken"  mufste  wegen  der 
vorgeschrittenen  Zeit  fallen  gelassen  werden.  Vorschläge  sollen  schriftlich 
erstattet  werden. 

Den  Vorsitz  bei  der  Tagung,  welche  im  kleinen  Festsaale  der  Universität 
stattfand,  führte  der  Direktor  des  k.  u.  k.  österreichischen  Kriegsarchives, 
Feldmarschalleutnant  Exz.  Emil  Woinowich  von  Belobreska,  der  in 
seiner  Begrüfsungsansprache  die  Erwartung  äufserte,  dafs  der  Archivtag 
„die  Öffentlichkeit  auf  die  Wichtigkeit  des  Archivwesens 
aufmerksam    machen  werde,    dem    nicht    überall   jene    Wert- 


—     43     — 

Schätzung  zuteil  wird,  die  es  verdient.  Auch  werden  die 
Besitzer  von  Privatarchiven  dadurch  angeregt,  ihre  Archive 
modernen  Prinzipien  gemäfs  zu  ordnen  und  der  Öffentlich- 
keit nutzbar  zu  machen'*.  Er  konnte  in  dieser  Hmsicht  auf  das 
Verzeichnia  des  KuefstekUschen  Famüienarckivea  in  Q-reüenstein  aus  dem 
Jahre  1615  hinweisen,  welches  Graf  Karl  Kuefstein  herausgegeben  und 
den  Teilnehmern  am  Archivtage  gewidmet  hatte. 

Was  den  nächsten  Archivtag  anbelangt,  so  soll  er  von  der  Haupt- 
irersanmilung  des  Gesamtvereines  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertums- 
"vereine  getrennt^)  und  entweder  in  Karlsruhe,  Frankfurt  oder 
Speier  abgehalten  werden.  Die  Entscheidung  wurde  dem  geschäftsfUhrenden 
Ausschuß  überlassen. 


In  enger  Anlehnuog  an  das  früher  ')  veröflfentUchte  Programm  fand  die 
diesjährige  Hauptversammlung  des  GesaaitrereiOB  der  deatschen  Ge- 
schichts- und  Altertumsvereiiie  vom  34.  bis  zum  28.  September  in  Wien 
statt.  383  Personen  nahmen  daran  teil,  darunter  169  Wiener.  Von  den 
173  Vereinen,  die  augenblicklich  dem  Gesamtvereine  angehören,  waren  51 
vertreten.     AUe  Sitzungen  wurden  in  der  Universität  abgehalten. 

Ab  Festgabe  wurde  den  Teilnehmern  von  der  „Gesellschaft  für 
Münz-  und  Medaillenkunde  in  Wien ^*  eine  schöne  Bronzemedaille  über- 
reicht, die  vom  die  Gestalt  E.  Mühlbachers,  am  Schreibtische  sitzend 
und  eine  Kaiserurkunde  studierend,  hinten  die  Universität  Wien  zeigt. 
An  Festschriften  hatten  der  „Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in 
Böhmen**  Dem  sechsten  Deutschen  Archivtag  in  Wien  und  der  Haupt- 
Versammlung  des  Oesamtvereins  der  Deutschen  Qeschichts-  und  Altertums^ 
4oereine  einen  besonderen,  195  Seiten  starken  Band  mit  Beiträgen  von 
H.  Ankert,  R.  Batka,  C.  K.  Blümml,  H.  Hallwich,  A.  Horcika, 
R.  Knott,  J.  Loserth,  K.  Ludwig,  J.  Neuvirth,  G.  E.  Pazaurek, 
V.  Schmidt,  L.  Schönach,  K.  Siegl,  K.  Sommerfeldt,  J.  Stein- 
fierz,  O.  Weber,  L.  J.  Wintera  (Prag  1906)  und  die  „GeseUschaft 
*fUr  neuere  Geschichte  Österreichs**  in  Wien  ebenfalls  eine  besondere  „Fest- 
gabe** den  Teilnehmern  der  Hauptversammlung  gewidmet,  die  unter  dem 
Titel  Betträge  zur  neueren  Qtsclächie  Österreichs  September  1906  Aufsätze 
von  G.  Loesche,  W.  Bauer,  H.  Schütter,  H.  Uebersberger, 
J.  Lampel,  H.  Hallwich,  E.  Gräfin  v.  Lamberg,  O.  Freiherrn 
y.  Mitis,  A.  Fournier,  J.  Hirn,  M.  Mayr  und  G.  Winter  bringt 
(Wien  1906).  An  weiteren  Festschriften  lagen  vor:  Festnummer  [des  AUer^ 
4umsoereins  su  Wien]  (Wien  1906);  Festnummer  der  Zeitschrift  für  öster- 
reichische  Volkskunde,  zur  Begrüßung  der  Teilnehmer  der  V.  Sektion  der 
Hauptversammlung  .  .  .,  herausgegeben  im  Auftrage  des  Vereins  für  öster- 
reichische Volkskunde   von  Dr.   M.   Haberlandt  (Wien    1906);  Festgabe 

i)  Gerade  im  Hinblick  auf  die  Entwiddaog  der  ArchiTtage  wurde  die  vierte  Ab- 
teUaog  des  Gesamtvereios ,  welche  bisher  dem  Archi?wesen  nod  dea  historischen  HUfs- 
^Wissenschaften  gewidmet  war,  za  einer  AbteUnng  fttr  „Numismatik,  Sphragistik^ 
Heraldik  and  Genealogie"  amgebUdet  and  das  Archivwesen  aasgeschieden. 

2)  7.  Bd.,  S.  3 18  f. 

4 


—     44     — 

den    Teili)ebmem    an    der    Hauptversammlung  ...  in   Wien  gewidmet  vom- 
Vereine  für  Landeakunde  von  Niederösterreich,    redigiert   von    Dr.   Max 
Vancsa  (Wien    190$.     Sonderausgabe    des  Monatsblattes   des  Vereins   für 
Landeskunde  von  Niederösterreich  V    Nr.  7 — 9);  Jiihrhuch  der  Gesellschaft 
für  die   Geschichte  des  Protestantismus  in   Österreich   .  .  .   herausgegeben, 
von   Dr.   Georg  Laesche,   XXV.  Jahrgang,  Jubiläumsband   1904  (Wien 
und  Leipzig    1904);  Monatsblatt  der  numismatischen  Gesellschaft  in  Wien^ 
VII  Nr.  9    (September  1906);   Monatshlatt  der  Kais,  Kön.  Heraldischen 
Gesellschaft  ,,Ädler''    VI  Nr.    10  (Oktober    1906);   Deutsche  Geschichts-^ 
blätter  VIII  Nr.  1  (Oktober  1906);  J.  R.  Bunker,  Bas  Bauernhaus  der 
Gegend  von  Slams  im  Oberinntale  (Wien    1906.     Sonderabdruck  aiis  den 
Mitteilungen  der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien  XXXVI,  der  dritteni 
Folge  VI);   A.    Dachler,   Entwicklung  des   Bauernhauses   (Wien    1903^ 
Sonderabdruck  aus  der  Zeitschrift  des  österreichischen  Ingenieur-  und  Archi- 
tekten-Vereines 1903  Nr.  20);  J.   Lampe  1,  Landeskunde  und  Geschichts-- 
Wissenschaft,   in   der  Wiener  Zeitung  vom  33.  September  1906;  O.  Frei- 
herr V.  Mitis,  Studien  sum  älteren  österreichischen  ürkundenwesen^  heraus- 
gegeben  vom  Verein  für  Landeskunde   von   Niederösterreich,   I.   Heft,    als 
Festgabe  den  Teilnehmern  .  .  .  gewidmet  (Wien  1906);  O.  Redlich,  Histo- 
risch-geographische  Probleme    (Innsbruck    1906.      Sonderabdruck    aus   den 
Mitteilungen    des    Instituts    für    österreichische    Geschichtsforschung  XXVII 
Nr.  4).     Endlich   überreichten  noch   die  Wiener   Stadtverwaltung   den  Teil- 
nehmern   das   vornehm  ausgestattete  Bilderwerk,   Wien,   eine   Auswahl   von 
Stadtbildern,    im    Auftrage    der    Gemeinde   Wien   herausgegeben  von    Karl 
Mayreder,  (Wien  o.  J.)  imd  Graf  Wilczek  die  aus  Johann  Paukerts^ 
Feder    stammende    historisch-topographische    Skizze:    Kreueenstein     (Wien 
1904). 

Wie    gewöhnlich,    bestand    die    Tagung    aus    allgemeinen    öffentlichen' 
Sitzimgen,  Abteilungssitzungen  und  einer  Vertretersitzuog.     In  letzterer  (Mitt- 
woch 1 1 2  Uhr)  wurde  zimächst  beschlossen,  dafi  in  Zukunft  aus  der  vierten: 
Abteilung    für    historische   Hilfswissenschaften    das  Archivwesen    wegen   der 
selbständigen  Archivtage  ausscheiden  und  diese  Abteilung  fortan  als  eine 
solche  für  Numismatik,  Heraldik,    Sphragistik  und   Genealogie 
bezeichnet  werden   soll.      Den  Vorsitz   dieser  Abteilung  hat  Emil   Bahr- 
fei d t  (Berlin)  übemonmien.    Sodann  erstattete  Archivrat  Dr.  Zimmermann 
(Wolfenbüttel)  den  Kassenbericht.     Im  Anschluß  hieran  sprach  Geh.  Archiv- 
rat Dr.  Wolfram  (Metz)  den  Wunsch  aus,  es  möchte  ein  ständiger  Betrag 
für  einen  Berichterstatter  eines  großen  Korrespondenzbureaus,  der  regelmäßig 
den  größten  deutschen  Zeitungen  Berichte  über  die  Hauptversammlung  liefere,, 
in  das  Budget  eingestellt  werden.     Der  Verwaltungsausschuß  wird  den  Vor- 
schlag, der  im  allgemeinen  Anklang  fand,  näher  prüfen.    Außerdem  wurden 
noch  die  nötigen  Personalfragen  erledigt.     Der  erste  und  zweite  Vorsitzende, 
Geh.    Archiyrat    Bailleu    und    General  v.   Pfister  (Stuttgart),   sowie  der 
Kassenführer  Archivrat  Zimmermann  (Wolfenbüttel),  die  nach  dreijähriger 
Wirksamkeit  ihr  Amt  niederlegten,   wurden   einstimmig  wiedergewählt.     Für 
die   beiden   satzungsgemäß    ausscheidenden  Beisitzer  des    Vorstandes,    Geh. 
Archivrat  Grotefend  (Schwerin)  und  Professor  v.  Zwiedineck  —  Süden- 
horst (Graz),  wurden  Professor  Oswald  Redlich  (Wien)  und  Oberregienmgs*- 


—     45      — 

rat  Ermisch  (Dresdeo)  gewählt.  Außerdem  wurde  beschlossen,  den  Vor- 
stand noch  um  drei  weitere  Mitglieder  zu  vermehren;  demgemäß  wurden 
Professor  Anthes  (Darmstadt),  Professor  Brenner  (Würzburg)  und 
Professor  Dragendorff  (Frankfurt  a.  M.)  in  diesen  hineingewählt.  Zum 
Schlüsse  wurde  als  Ort  der  nächsten  Hauptversammlung  Mannheim  be- 
stimmt, indem  der  Vorstand  die  durch  Professor  Walter  (Mannheim)  über- 
mittelte Einladung  dieser  Stadt  dankend  annahm.  Über  die  Zeit  muß  noch 
mit  der  Stadtverwaltung  und  namentlich  mit  der  Leitung  des  Deutschen 
Historikertages  verhandelt  werden,  da  beide  Versammlungen  im  Herbst  1907 
—  die  eine  in  Mannheim,  die  andere  in  Dresden  —  stattfinden  sollen. 

In  der  ersten  allgemeinen  Sitzung  (Dienstag  Morgen)  hielt  nach  Er- 
stattung des  Geschäftsberichtes  über  das  verflossene  Vereinsjahr  durch  den 
Vorsitzenden  des  Gesamtvereins,  Geh.  Archivrat  Dr.  Bailleu  (Berlin),  und 
nach  den  üblichen  Begrüßungsansprachen  Universitätsprofessor  Dr.  Fournier 
(Wien)  einen  Vortrag  über  Österreichs  und  Preußen-Deutschland 
in  den  ersten  Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts^).  In  licht- 
voller Darstellung  schilderte  er,  wie  sich  Österreich  dem  durch  die  Erobe- 
rung Schlesiens  zur  Großmacht  ausgewachsenen  preußischen  Staate  zu  ver- 
schiedenen Malen,  beim  Ausbruche  der  französischen  Revolution,  dann  1804 
tmd  vor  allen  Dingen  auf  dem  Wiener  Kongresse,  zu  nähern  suchte,  wie 
das  Einvernehmen  aber  immer  wieder  durch  die  besondere  Politik  Preußens 
gestört  wurde:  1795  zog  es  sich  mit  Rücksicht  auf  die  in  Aussicht  stehende 
Erweiterung  seiner  Grenzen  durch  Säkularisation  rechtsrheinischen  geistlichen 
Gebietes  vom  Kriege  gegen  Frankreich  zurück,  1805  dagegen,  weil  es  hofite, 
durch  seine  Neutralität  das  von  den  Franzosen  bereits  besetzte  britische 
Hannover  zu  erhalten;  18 14  endlich  brachte  die  polnische  und  die  sächsische 
Frage  beide  Mächte  auseinander,  von  denen  Preußen  mit  Hilfe  Österreichs 
ganz  Sachsen  zu  gewinnen,  Österreich  hmgegen  mit  Preußens  Unterstützung 
die  auf  die  Erwerbung  des  Herzogtums  Warschau  gerichteten  Pläne  Rußlands 
zu  durchkreuzen  gehoflt  hatte.  Die  Annäherung  1813  war  die  letzte.  Seit- 
dem gmgen  beide  Staaten  rivalisierend  nebeneinander  her,  bis  das  Jahr  1866 
dem  leidigen  Zustande  ein  Ende  bereitete  und  wieder  ein  Zusammenwirken 
beider  Mächte,  wenn  auch  in  ganz  anderen  Formen  als  früher,  ermöglichte. 

Nicht  minder  großen  BeiCedl  als  Fournier  fand  Generalmajor  z.  D. 
Dr.  V.  Pfister  am  Abend  des  gleichen  Tages  mit  seinem  in  öffentlicher 
Sitzung  gehaltenen  Vortrage  über  den  Tag  von  Jena,  seine  politischen 
und  militärischen  Voraussetzungen.  Namentlich  die  lebhafte  und 
anschauliche  Schilderung  der  beiden  ziemlich  ähnlich  verlaufenen  Schlachten 
Ton  Jena  und  Auerstädt  fesselte  die  Aufineiksamkeit  der  Zuhörer  in  hohem 
Grade.  Beide  Schlachten  wurden,  abgesehen  von  groben  Fehlem,  die  bereits 
Tor  der  Schlacht  gemacht  und  vom  Vortragenden  gebührend  berücksichtigt 
wurden,  hauptsächlich  durch  die  Anordnung  eines  „stehenden  Feuergefechtes ^* 
mitten  im  Angriffe  verloren.  Der  Segen  der  beiden  schweren  Niederlagen 
war  die  unerbittliche  Selbstkritik,  die  die  preußische  Regierung  an  sich  übte. 
Man  fragte  sich,  wie  dieses  Unglück  habe  passieren  können,  und  erkannte 


i)  Vollständig  gedruckt  in  der  (Wiener)  Neuen  Freien  Preite  vom  28.  September 
1906,  MorgenbUtt. 

4* 


—     46     — 

als  Hauptfehler:  die  Unentschlossenheit  der  leitenden  Kreise,  die  viel  zu 
sehr  mit  der  Unterstützung  durch  Rußland  rechneten,  das  blinde  Vertrauen 
auf  Gott,  der  stets  der  gerechten  Sache  den  Sieg  verleihe,  die  törichte 
Sparsamkeit,  die  so  weit  ging,  dais  man  einmal  sogar  an  die  Einrichtung  von 
Milizen  dachte,  die  geistreichelnde  Richtung  der  Rriegswissenschaft,  die  mit 
dem  Verstände  allein  Siege  gewinnen  zu  können  glaubte,  und  vor  allem  auch 
die  mangelhafte  Ausbildung  der  Armee.  Diese  und  noch  manche  andere 
Fehler  erkannte  man  1806  klar  und  ging  schonungslos  gegen  sie  vor.  Darin 
liegt  die  große  Bedeutung  der  Niederlagen  von  1806,  die  Bismarck  bei  seinem 
letzten  Besuche  in  Jena  treffend  mit  den  Worten  ausgedrückt  hat:  „Erst  in 
reiferen  Jahren  habe  ich  einsehen  gelernt,  welchen  Ring  in  der  Kette  der 
göttlichen  Vorsehung  für  die  Entwickelung  unseres  deutschen  Vaterlandes  die 
Schlacht  bei  Jena  gebildet  hat.  Ich  kann  mich  nicht  freuen  bei  dieser 
Erinnerung,  mein  Herz  kann  es  nicht,  wenn  auch  mein  Verstand  mir  sagt, 
daß,  wenn  Jena  nicht  gewesen  wäre,  Sedan  vielleicht  auch  nicht  in  unserer 
Geschichte  seinen  glorreichen  Platz  gefunden  hätte.*' 

Der  Mittwochmorgen  brachte  in  unmittelbarer  Aufeinanderfolge  zwei 
weitere  gehaltreiche  Vorträge.  Zunächst  sprach  Universitätsprofessor  Dr. 
Schröder  (Wien)  in  öffentlicher  Sitzung  über  die  Urreligion  der 
arischen  Völker.  Alle  Arier,  die  Inder,  Germanen,  Kelten,  aber  auch 
die  weniger  begabten  Letten,  Litauer  usw.,  haben  ein  besonders  feines  Natur- 
gefühl,  das  sich  in  ihrer  Religion  wiederspiegelt.  Am  stärksten  tritt  bei  allen 
die  Sonnenverehrung  hervor.  Der  Kult  der  Sonnenfeste,  welcher  Tempel,  Priester, 
Opfer,  Gebete  und  Lieder  nicht  kannte,  bestand  lediglich  in  symbolischen 
Handlungen,  die  das  Aufgehen  des  Sonnengestims  versinnbildlichen  und 
seine  belebende  Wirkung  verstärken  sollten.  Solche  symbolische  Handlungen 
waren:  das  Werfen  von  Scheiben  in  die  Luft,  das  Rollen  von  Rädern 
(später  auch  Eiern)  ins  Wasser  (wodurch  die  fruchtbringende  Vermischung 
von  Wärme  und  Feuchtigkeit  angedeutet  werden  sollte),  das  Schießen  nach 
der  Scheibe,  heftiges  Tanzen,  Schaukeln,  Springen,  Rennen,  Ringen  (Ur- 
sprung der  Wettkämpfe,  u.  a.  auch  der  Olympischen  Spiele!).  Von  all 
diesen  heftigen  Bewegungen  erwartete  man  eine  gedeihliche  Rückwirkung  auf 
die  Arbeit.  —  Neben  den  Feuer-  spielten  die  Wasserbräuche  (Bespritzen 
mit  Wasser  und  dgl.),  die  mit  dem  sehr  ausgebildeten  Fruchtbarkeitsritus 
in  engem  Zusammenhange  standen,  eine  große  Rolle.  —  Den  Lebens- 
standen  die  Totenfeste  gegenüber,  die  aus  dem  Glauben  an  das  Forüeben 
der  Seele  nach  dem  Tode  hervorgingen.  Die  Seelen  der  Abgeschiedenen, 
die  im  ^\^d  und  Sturm  durch  die  Lüfte  ziehen  (der  wilde  Jäger,  Wotan!), 
suchte  man  durch  mimische  Darstellungen  (vgl.  die  Schimmelreiter,  die 
Dionysien  usw.)  an  sich  zu  fesseln,  weil  man  auch  ihrer  Gegenwart  befruchtende 
Wirkung  zuschrieb.  —  Mit  dem  Hinweise  auf  die  dritte  Wurzel  der  arischen 
Religion,  den  Glauben  an  einen  guten  Gott,  der  sich  den  Menschen  im 
klaren  Himmel,  nur  wenn  er  grollt,  im  Gewitterhimmel  zeigt  und  sich  bei 
einer  Gruppe  arischer  Völker  zum  Kriegsgott  umgewandelt  hat,  schloß  der 
Vortragende  seine  höchst  anregenden  Ausführungen. 

An  der  Hand  trefflicher  Skioptikonbilder  berichtete  hierauf  Professor 
Dr.  Dragendorff  (Frankfurt  a.  M.),  Direktor  der  römisch-germanischen 
Kommission    des   k.   deutschen  archäologischen  Instituts,   über  die   Alter- 


—     47     — 

tumsforschungen  in  Nordwestdeutschland.  Aus  der  Literatur, 
führte  Redner  aus,  habe  man  sich  nur  ein  sehr  unvollkommenes  Bild  von 
den  wichtigen  Vorgängen  in  dem  Gebiete  zwischen  Rhein,  Elbe,  Nordsee 
und  Ruhr  während  der  Römerherrschaft  machen  können;  aber  auch  die 
Ausgrabungen  hätten  zunächst  falsche  Vorstellungen  erweckt,  weil  man  un- 
kritisch alles,  was  man  &nd,  auf  die  Römer  bezog.  Jedes  Kastell  sollte 
AHso,  jeder  Bohlendamm  die  pantea  langi  des  Caedna  sein.  Erst  seit  den 
Untersuchungen  Schuchhardts,  den  neuerdings  Rubel  wirksam  unterstützt  hat, 
erkannte  man,  namentlich  mit  Hilfe  der  gefundenen  Scherben,  eine  Anzahl 
der  aufgedeckten  Befestigungen  (z.  B.  die  Heisterburg)  als  karolingisch, 
andere  (z.  B.  die  Düsselburg)  als  aus  der  sächsischen  Periode  stammend. 
Die  wenigen  übrig  bleibenden  Kastelle  sind  sicher  römisch,  so  vor  allem 
Haltern.  Die  Ausgrabungen,  die  hier  bei  der  „St-Annabuig**  begannen, 
dann  sich  dem  in  drei  zeitlich  verschiedene  Anlagen  zerMenden  „UferkasteU*^ 
zuwandten  und  schließlich  das  an  Stelle  eines  älteren  Feldlagers  stehende 
„große  Lager*'  zutage  förderten,  lieferten  den  sicheren  Maßstab  für  die 
Feststellung  anderer  Römerkastelle.  Was  man  in  Haltern  fimd,'  mußte  sich 
auch  anderwärts  nachweisen  lassen.  Danach  sind  Castra  vetera  bei 
Xanten  und  das  Kastell  bei  Ober- Aden  (in  West£üen)  sicher  römischen 
Urspnmgs,  wahrscheinlich  auch  die  Altenburg  bei  Metze  in  Hessen,  in 
der  das  Mattium  des  Tacitus  gefunden  sein  dürfte.  Dagegen  weiß  man 
noch  nichts  Rechtes  mit  der  Befestigung  bei  Kneblinghausen  anzufangen ; 
vermutlich  hat  man  hier  eine  germanische  Siedlung  in  römischer  Form  vor  sich. 

Den  fünften  und  letzten  öffentlichen  allgemeinen  Vortrag  hielt  Mittwoch 
Abend  Hofrat  Dr.  Piper  (München)  über  Österreichische  Burgen, 
in  dem  er,  fußend  auf  seiner  kürzlich  in  zweiter  Auflage  erschienenen 
Burgenkunde,  die  an  österreichischen  Burgen  besonders  zu  bemerkenden 
Eigentümlichkeiten  hervorhob,  nachdem  er  zuvor  den  teilweise  recht  bedenk- 
lichen Entwickdungsgang  der  Burgenkunde  als  Wissenschaft  kurz  skizziert 
hatte.  Als  solche  spezifisch  österreichische  Eigentümlichkeiten  bezeichnete 
Redner,  der  zur  Belebung  des  Verständnisses  eine  Auswahl  von  Illustrationen 
aus  seiner  Burgenkunde  hatte  verteilen  lassen,  die  durchgängige  Ein&chheit 
der  Architektur,  die  Ausgestaltung  des  Pallas,  des  herrschaftlichen  Wohn- 
raumes, zu  einem  verteidigungsfähigen  Bauwerke,  die  Ausbildung  der  Küche 
zu  einem  besonderen  Gebäude,  die  außer  dem  Turmverließe  noch  an  be- 
sonderen Stellen  angebrachten  Gefängnisse  tmd  die  Herrichtung  der  verschie- 
densten Verteidigungsvorrichtungen  an  den  Steiimiauem  aus  Holz  (z.  B. 
hölzerne  Schießscharten,  Pechnasen,  Wehrgänge  und  Sturmpfähle  auf  den 
Brüstungen).  Weiter  betonte  der  Vortragende,  daß  Österreich  mehrere  be- 
sonders schöne  Felsenburgen,  die  sehr  selten  sind,  und  Grottenburgen  besitzt; 
einige  Burgen  zeichnen  sich  auch  durch  die  Kühnheit  ihrer  Bauweise  oder 
durch  die  festungsartige  Anlage  aus.  Mit  einigen,  teilweise  herben  Bemer- 
kungen über  verständiges  und  unverständiges  Restaurieren  von  Burgen  schloß 
der  Redner :  Intra  muros  peecatur  et  extra  Auch  bei  den  Burgen  empfiehlt 
sich  im  allgemeinen  der  m  der  Denkmalspflege  jetzt  anerkannte  Grundsatz: 
erhalten,  nicht  wiederherstellen! 

Ebenso  marmigfaltig,  wie  die  Themen  der  allgemeinen  Vorträge,  waren 
die  in  den  Abteilungssitzungen  verhandelten  Gegenstände. 


—     48     — 

Die  I.  und  U.  Abteflung  hielt  Dienstag  und  Mittwoch  zwei  Sitzungen  ab. 
In  der  Dienstagssitzung  berichtete  zunächst  Professor  Dr.  Anthes  (Dannstadt) 
über  die  Organisation  der  römisch-germanischen  Lokalforschung 
in  Westdeutschland.  Er  gedachte  der  Wirksamkeit  der  einzelnen  Vereine, 
•die  durch  den  Zusammenschluß  zu  einem  Gesamtvereine  wesentlich  gefördert 
worden  ist,  wies  auf  das  Eintreten  der  Regierungen,  Städte  und  anderer 
Korporationen  für  die  Untersuchungen  hin  und  hob  die  Erfolge  der  Limes- 
kommission  hervor,  die  von  den  Vereinen  unterstützt  wurde,  obwohl  sie 
diesen  an  der  Forschung  selbst  keinen  Anteil  gewähren  konnte.  Weiter 
•erwähnte  der  Berichterstatter  die  neugeschaffene  römisch  -  germanische  Kom- 
mission des  archäologischen  Institutes,  deren  Leitung  dadurch,  daß  sie  in 
steter  Berührung  mit  dem  Gesamtverein  und  den  einzelnen  Vereinen  blieb, 
das  bisherige  Mißtrauen  in  volles  gegenseitiges  Vertrauen  wandelte,  und 
die  Gründung  des  südwestdeutschen  imd  des  nordwestdeutschen  Verbandes 
für  Altertumsforschung  ').  Zum  Schlüsse  betonte  Redner  die  Notwendigkeit  der 
Denkmalspflege  auch  für  die  Bodenaltertümer.  Diese  erfordere,  daß  alle  die 
genannten  Faktoren  an  der  Errettung  dessen  mitarbeiteten,  was  durch  die 
fortschreitende  Bodenkultur  mehr  und  mehr  gefährdet  wird. 

Ln  Anschlüsse  hieran  machte  Universitätsprofessor  Hofrat  Dr.  Bor  mann 
^Wien)  interessante  Mitteilungen  über  die  Arbeiten  der  österreichi- 
schen Limeskommission  ^),  die  sich  hauptsächlich  auf  die  Kastelle 
Carnuntum  und  Laureacum  (bei  Eng)  erstreckte.  Besonders  beachtens- 
wert ist  die  kürzlich  erfolgte  Auffindung  emer  Bronzetafel  mit  Überresten  des 
alten  Stadtrechtes  von  Laureacum. 

Die  Mittwochsitzung  der  I.  und  IL  Abteilung  brachte  vier  Vorträge. 
An  erster  Stelle  sprach  Museumsdirektor  Dr.  Seger  (Breslau)  über  Spuren 
römischer  Kultur  in  Schlesien.  Immer  betonend,  wie  vorsichtig 
dieser  Gegenstand  behandelt  sein  wolle,  führte  er  aus,  daß  eine  alte  Handels- 
straße, die  Schlesien  von  Süden  nach  Norden  durchzog,  im  allgemeinen 
nachgewiesen  sei,  im  einzelnen  herrsche  aber  über  ihren  Verlauf  noch  keine 
Klarheit.  Nur  eine  einzige  Station  stehe  bisher  fest:  Kalisia  («s  Kaiisch  a.  d. 
Prosna  in  Polen)  wo  alte  Gräber  (darunter  allerdings  auch  Fälschungen !)  auf- 
gedeckt wurden.  Funde  römischer  Gerätschaften,  Münzen  und  dergleichen  be- 
wiesen an  sich  noch  nicht,  daß  auch  wirklich  die  Römer  bis  an  diese 
Stellen  gekommen  seien.  Große  Münzdepots  hätten  sich  z.  B.  als  Beute 
schlesischer  Krieger  erwiesen.  Ebenso  seien  die  meisten  römischen  Gerät- 
schaften und  Gebrauchsgegenstände  Importware.  Für  das  zweite  nachchrist- 
liche Jahrhundert  sei  unmittelbare  Einfuhr  anzunehmen.  Dagegen  stammten 
die  dem  3.  und  4.  Jahrhundert  angehörenden  Römerfunde  aiis  den  Nach- 
barprovinzen und  seien  nicht  aus  römischen  Werkstätten  hervorgegangen. 
Nur  eine  ganz  intensive  Bodenforschung  könne  Klarheit  über  die  Verbreitung 
der  Römer  in  Schlesien  geben,  die  sich  aus  der  Literatur  nur  in  allgemeinen 
Umrissen  erkennen  lasse. 

Sodann  berichtete  Professor  Dr.  Hoernes  (Wien)  über  die  Hall- 
stätter  Gräberfunde  und  ihre   wissenschaftliche  Verwertung. 


1)  Vgl.  darüber  diese  ZeiUchrift  2.  Bd.,  S.  aaS— 234  und  6.  Bd.,  S.  81. 

2)  Vgl.  darüber  ebenfalls  diese  Zeitschrift  i.  Bd.,  S.  I95— »99  «nd  5-  Bd.,  S.  286—29$. 


—     49     — 

Schon  längst  fühlt  man  in  der  Gelehrtenwelt  die  Notwendi^eit,  die  Funde 
des  Gräberfeldes  von  Hallstatt  genau  zu  untersuchen,  um  eine  scharfe  Periodi- 
siening  der  Hallstattzeit  vornehmen  zu  können.  Der  Inhalt  von  1036  Gräbern 
ist  im  NaturwissenschafUichen  Hofmuseum  zu  Wien  vereinigt,  der  von  7000 
weiteren  Gräbern  in  alle  Winde  zerstreut.  Alle  diese  Gegenstände  zu  in- 
ventarisieren, ist  Hoemes  seit  Jahren  bemttht  Unter  Vorführung  zahlreicher 
Skioptikonbüder  legte  er  Rechenschaft  über  seine  bisherige  Tätigkeit  ab. 
Die  mühselige  Arbeit  ist  noch  lange  nicht  beendet,  aber  schon  jetzt  lassen 
sich  deutlich  eine  ältere  und  eine  jüngere  Hallstattepoche  unterscheiden, 
innerhalb  dieser  wieder  die  Männer-,  Frauen-  und  Kindergräber. 

Ebenfalls  zahlreicher  Lichtbilder  bediente  sich  Professor  Dr.  Kubit- 
schek  (Wien)  bei  seinem  Vortrage  über  Wien  in  römischer  Zeit. 
Nachdem  er  einleitungsweise  die  Bedeutung  der  Lage  Vindobonas  charakteri- 
siert und  auf  die  ungemeinen  Schwierigkeiten  hingewiesen  hatte,  denen  gerade 
in  Wien  die  Bodenforschung  von  jeher  begegnet  ist,  zeigte  er  zunächst  an 
einem  Stadtplane  die  Ausdehnung  der  alten  römischen  Befestigung,  deren 
Lage  seit  Brenners  Forschungen  einwandfrei  klargestellt  ist,  und  führte 
dann  eine  Reihe  von  Funden  im  BUde  vor. 

Den  Schluß  der  Sitzung  benutzte  Kustos  Dr.  Frankfurter  (Wien) 
dazu,  mit  einer  reichen  Auswahl  trefiflicher  Skioptikonbüder,  denen  er  er- 
läuternde Bemerkungen  hinzufügte,  auf  den  für  Sonnabend  angesetzten  Aus- 
flug nach  Carnuntum  vorzubereiten. 

Gleichzeitig  mit  der  I.  und  IL  tagte  am  Dienstag  und  Mittwoch  Nach- 
mittag die  V.,  der  Volkskunde  gewidmete  AbteUung  unter  dem  Vorsitze 
Universitätsprofessors  Dr.  Brenner  (Wtirzburg).  Am  Dienstage  wurde  zu- 
erst über  den  von  Oberlehrer  Dr.  Wo ssidlo  (Waren  in  Mecklenburg)  schrift- 
lich eingereichten  Antrag  beraten,  eme  volkskundliche  Zentralstelle 
zu  schaffen,  die  die  Aufgabe  habe,  alle  volkskundliche  Literatur  zu  sammeln, 
über  diese  jedem  Forscher  auf  Wunsch  Auskunft  zu  geben  und  überhaupt 
alle  Fäden  der  weit  verzweigten  volkskundlichen  Forschung  zu  vereinigen. 
Brenner,  der  in  Abwesenheit  Wossidlos  den  Antrag  emgehend  begründete, 
warnte  gleichzeitig  vor  einer  zu  weiten  Ausdehnung  des  Planes.  Die 
Schwieri^eiten  seien  sehr  grod;  namentlich  sei  zunächst  noch  kein  Geld 
vorhanden.  Man  müsse  piit  Kleinem  beginnen.  Derselben  Ansicht  waren 
Geh.  Archivrat  Dr.  Grotefend  (Schwerin)  und  Geh.  Archivrat  Dr.  Wolfram 
(Metz),  die  Wossidlo  selbst  als  die  geeignete  Kraft  bezeichneten,  die  Gnmd- 
lagen  der  ZentralsteUe  zu  schaffen,  auf  denen  später  weitergebaut  werden 
könne.  Nachdem  noch  Dr.  Schullerus  (Grodschenk  in  Siebenbürgen), 
Brenner,  Wolfram  und  Oberregierungsrat  Dr.  Ermi seh  (Dresden)  über 
die  wünschenswerte  ZusammensteUung  der  in  den  Vereinszeitschriften  ent- 
haltenen Arbeiten  zur  Volksktmde  gesprochen  hatten  und  von  Grotefend  auf 
den  Bericht  über  die  volkskundliche  Literatur,  den  der  Verband  der  Volks- 
kundevereme  1903  veröffentlicht  hat,  hingewiesen  worden  war,  erklärte  die 
V.  AbteUung  einstimmig  „die  Errichtung  einer  Zentralstelle  für 
Volks  kund  liehe  Bibliographie  und  Stoffsammlung  für  dringend 
notwendig  imd  eimächtigte  den  ständigen  Ausschuß,  seme  Beratungen 
hierüber  fortzusetzen,  um  auf  der  nächsten  Hauptversaomilung  bestimmte 
Vorschläge  vorlegen  zu  können^'.    In  einem  Zusatzantrag  ersuchte  sie  „alle 


—     60     — 

Tolkskundlichen  Forscher,  bibliographische  Notizen  oder  Sonderabzttge  ihrer 
Arbeiten  Herrn  Dr.  Wossidlo  zur  Verfügung  zu  stellen**. 

Außer  dem  Wossidloschen  brachte  Brenner  noch  einen  anderen 
schriftlichen  Antrag  ein,  nämlich  den  von  Dr.  Lauffer  (Frankfurt  a.  M.), 
die  V.  Abteilung  in  Zukunft  „Abteilung  für  Volks-  und  ^Altertumskunde'*  zu 
nennen.  Eine  deutsche  Archäologie  gäbe  es  nach  der  Ansicht  des  Antrag- 
stellers noch  nicht.  Er  rege  deshalb  vor  allen  Dingen  die  Begründung  eines 
deutsch  -  archäologischen  Museums  an,  das  nicht  nur,  wie  die  bisherigen 
Volkskundemuseen,  die  alte  Kunst  imd  das  Kunstgewerbe,  sondern  auch  die 
anderen  Realien  berücksichtige  und  so  die  Unterlagen  zu  einer  deutsch- 
archäologischen Forschung  biete.  Unter  lebhafter  Zustimmung  der  ganzen 
Versapmilung  und  namentlich  auch  der  Herren  Wolfram,  Grotefend, 
Ermisch  und  Schullerus,  die  sich  zum  Worte  meldeten,  protestierte 
der  Direktor  des  gennanischen  Museums  Dr.  v.  Bezold  gegen  diese  Auf- 
fiassung.  Das  gennanische  Museum  sei  doch  wirklich  ein  Museum,  wie  es 
Dr.  Lauffer  fordere.  Besseres  archäologisches  Material  könne  keine  andere 
Anstalt  schaffen.  Einen  Unterschied  zwischen  Altertumskunde  und  Volks- 
kunde machen  zu  wollen,  sei  verfehlt  Wissenschaftlich  betriebene  Volks- 
kunde sei  Altertumskunde.  Emstimmig  wurde  mfolgedessen  der  Antrag 
Lauffer  abgelehnt. 

Einen  höchst  eigenartigen  Abschluß  erhielt  die  erste  Sitzung  der  Volks- 
kundeabteUung  durch  den  Vortrag  von  Professor  Dr.  Po  mm  er  (Wien)  über 
Juchzer  und  Jodler  der  deutsch-österreichischen  Alpenländer. 
Nachdem  Redner  sich  in  liebenswürdigem  Plaudertone  über  die  Bedeutung  dieser 
Art  unverf^chter  Volkskunst  für  die  Lösung  der  viel  umstrittenen  Frage 
nach  der  Entstehung  des  Volksliedes,  ferner  über  den  Unterschied  der  beiden 
schwer  definierbaren  Begriffe  Juchzer  und  Jodler,  über  die  Eigenart  beider 
und  die  Schwierigkeit  der  Forschung  verbreitet  hatte,  gab  er  eine  Anzahl 
von  Juchzem  und  Jodlern  meisterhaft  zum  besten,  bei  den  äußerst  kimst- 
voUen  zwei-  und  dreistimmigen  Jodlern  trefflich  unterstützt  von  den  Herren 
Dr.  K.  Kronfuß  und  Fr.  Kratzsch.  Jedem  Juchzer  und  Jodler  ließ  er 
eine  kurze  Bemerkung  über  den  Fundort,  die  musikalische  Besonderheit  und 
ähnliche  Dinge  vorausgehen.  Die  Versammlung  dankte  durch  begeisterten 
Beifall  Professor  Pommer,  der  sich  um  die  Erforschung  dieser  eigentüm- 
lichen, wegen  ihrer  ganz  besonderen  Modulationen  und  Rhythmen  sehr 
schwer  aufzuzeichnenden  Volksweisen  große  Verdienste  erworben  hat.  Drei 
Sammlungen  hat  er  bereits  teils  bei  A.  Robitschek,  teils  bei  Bosworth  &  Co. 
in  Wien  veröffentlicht:  zunächst  in  emem  Bändchen  „Jodler  und  Juchzer*'  (von 
ersteren  68,  von  letzteren  la),  dann  in  einer  neuen  Folge  9,252  Jodler  und 
Juchezer'*,  endlich  noch  einmal  „444  Jodler  und  Juchezer  aus  Steiermark 
und  dem  steirisch-österreichischen  Grenzgebiete". 

In  der  zweiten  Sitzung  der  Volkskundeabteilung  (Mittwoch  Nachmittag)  be- 
richtete zunächst  der  Vorsitzende,  Professor  Dr.  Brenner,  über  die  Ergebnisse 
der  versendeten  Fragebogen  zur  Bauernhausforschung  und  gab  einige 
Ratschläge  für  die  Fortsetzung  der  Sammelarbeit  auf  diesem  Gebiete  ^).  Bisher 
haben  von  den  172  zum  Gesamtvereine  gehörenden  Vereinen  leider  nur  vier 


I)  Vgl  dazn  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  83—85  und  S.  303->ai4. 


—     51     — 

die  Fragebogen  beantwortet  zurückgeschickt.  Hoffentlich  trägt  die  Feststel- 
lung dieser  wenig  erfreulichen  Tatsache  dazu  bei,  weitere  Vereine  zur  Ein- 
sendung zu  veranlassen.  —  In  Österreich  ist  man  bereits  damit  beschäftigt« 
einen  Atlas  der  Bauernhausformen  zu  bearbeiten.  Näheres  hierüber 
gab  Ingenieur  Dach  1er  (Wien)  bekannt.  —  Daß  sich  auch  die  Hausbau- 
forschimg, ebenso  wie  alle  anderen  volkskundlichen  Forschungen,  nicht  auf 
deutsches  Gebiet  allein  beschränken  darf,  sondern  ihre  Grenzen  weiter  ziehen 
muß,  betonte  Kustos  Professor  Dr.  Haberlandt  (Wien).  Denselben  Gnmd- 
satz  vertrat  Dr.  Schullerus,  der  zunächst  einen  Überblick  über  die  Ent- 
wicklung der  Volkskunde  in  Siebenbürgen  gab,  dann  aber  die  wichtigsten 
Probleme  volkskundlicher  Forschimg  und  die  Methode  ihrer  Behandlung  er- 
örterte.—  Zwischen  den  beiden  letztgenannten  Rednern  sprach  noch  Universitäts- 
professor Dr.  M e ringe r  (Graz),  der  die  Frage:  Woher  stammt  das  ober- 
deutsche Haus?  und  weiter  die  daraus  sich  ergebende  Frage:  Woher 
stammt  die  Stube  und  der  Stubenofen?  zu  beantworten  suchte.  Seme 
Antwort  lautete:  Der  Ofen  stammt  daher,  woher  das  Wort  Kachel  konmit, 
nämlich  aus  dem  römischen  Wohnhause. 

Die  III.  und  IV.  Abteilung  hielt  nur  eine  einzige  Sitzung  Mittwoch 
Nachmittag  3  Uhr  unter  Vorsitz  von  Oberregierungsrat  Dr.  Ermisch  (Dresden) 
ab.  In  dieser  legte  Privatdozent  Dr.  Wolf  (Freiburg i.  Br.)  die  Aufgaben 
und  Grundsätze  der  deutschen  Territorialpolitik  in  der  Re- 
formationszeit klar.  Von  der  aufiUlligen  Erschemimg  ausgehend,  daß 
Ranke  in  den  Römischen  Päpsten  dem  Protestantismus  und  Katholizismus 
das  Streben  nach  Weltherrschaft  zuerkennt,  in  semer  Deutschen  Geschichte 
im  Zeitalter  der  Reformation  dagegen  für  den  Protestantismus  diese  Tendenz 
ableugnet,  erklärte  er  den  Unterschied  damit,  daß  Ranke  in  den  Päpsten 
die  Entstehung  der  konfessionellen  Glaubensnormen,  in  der  Deutschen  Ge- 
schichte aber  die  Entwicklung  der  Politik  der  protestantischen  Reichsstände 
im  Auge  hat.  Deshalb  schreibt  er  auch  nur  dem  Protestantismus,  nicht 
dem  Katholizismus  die  Selbstbeschränkung  zu.  Letzterer  besaß  im  Papst- 
und  Kaisertum  Institutionen,  die  beide  aus  der  Vertretung  kirchlicher  An- 
sprüche ihre  Rechtstitel  ableiteten.  Aber  Päpste  und  Kaiser  mußten  vielfach 
andere  politische  Ziele  verfolgen,  und  die  katholischen  Reichsstände  standen 
erst  recht  unter  solchen  anderen  praktischen  Erwägungen.  Das  stellte  sich 
namentlich  beim  Wormser  Edikt  heraus.  Vor  der  Reformation  hatten  die 
Landesobrigkeiten  die  rein  religiösen  Fragen  von  den  kirchenpolitischen 
getrennt:  in  ersteren  hatten  sie  die  Entscheidung  den  kirchlichen  Behörden 
überlassen,  in  den  kirchlichen  Verwaltungsfragen  dagegen  einen  eigenen 
Machtbereich  beansprucht,  was  sich  teils  in  selbständigen  landesherrlichen 
Maßr^eln,  teils  in  den  Gravamina  der  deutschen  Nation  kundgab.  Die 
Stellung  der  Landesobrigkeiten  zur  lutherischen  Bewegung  war  darum  keine 
konstante.  Sie  nahmen  an&ngs  Partei  nicht  sowohl  für  oder  gegen  die 
Gesamtheit  des  reformatorischen  Programms,  sondern  für  oder  gegen  die 
einzelnen  Elemente,  aus  denen  sich  das  Programm  zusammensetzte.  An 
eine  kriegerische  Verfolgung  über  ihre  eigenen  Landesinteressen  hmaus  dachten 
sie  jedoch  nicht.  Der  Ausdruck  dieser  Anschauungen  war  der  Speirer 
Reichsabschied  von  1526,  der  gnmdsätzlich  durchaus  mit  dem  Augsburger 
Religionsfrieden   übereinstimmt.     Seine  Durchführung  aber  hinderte  Karl  V. 


—     52     — 

durch  sein  Eingreifen  und  bereitete  so  seinen   eigenen  Sturz  vor,   indem  er 
damit  den  Anlaß  zur  Bildung  des  Schmalkaldischen  Bundes  gab. 

Überreichen  Stoff  hatten  die  fünf  vereinigten  Abteilungen  in  ihren  beiden 
Sitzungen  am  Dienstag  früh  (ii  Uhr)  und  Donnerstag  früh  (9  Uhr)  zu  be- 
wältigen. Die  ganze  erste  Sitzung  wurde  mit  Erörterung  der  Frage  aus- 
gefüllt, in  welcher  Weise  eine  Sammlung  der  historischen  Nach- 
richten über  elementare  Ereignisse  und  physisch-geographische 
Verhältnisse  vorgenommen  werden  könne?  Wie  Dr.  Swarowsky,  der 
Geograph  des  hydrotechnischen  Zentralbureaus  in  Wien,  ausführte,  werden 
vom  praktischen  Standpunkt  aus  genaue  Übersichten  über  frühere  Wasser- 
katastrophen, strenge  Winter,  große  Dürren,  Erdbeben,  Stürme,  Springfluten 
usw.  notwendig  gebraucht  Die  Techniker  und  die  Nationalökonomen  möchten 
sich  nach  der  Periodizität  richten,  die  offenbar  bei  allen  diesen  Elementar- 
ereignissen herrscht.  Die  Arbeiten,  die  z.  B.  über  Wasserkatastrophen  in 
Bayern,  Sachsen,  am  Rhein  usw.  vorhanden  sind,  genügen  in  kemer  Weise. 
Die  Naturereignisse  müssen  kritisch  gesammelt  werden,  femer  nicht  nur  für 
ein  Land,  sondern  für  größere  Gebiete,  womöglich  für  ganz  Europa.  Diese 
kritische  Arbeit  können  aber  nur  die  Historiker  leisten.  Sie  möchten  sich 
also  der  Arbeit,  wenn  auch  vielleicht  nur  nebenher,  annehmen  und  damit 
den  auf  einer  Konferenz  September  1905  geäußerten  Wunsch  des  internatio- 
nalen meteorologischen  Komitees  erfüllen:  „daß  aus  dem  historischen 
Quellenmateriale  der  verschiedenen  Staaten  Zusammenstellungen  über  abnorme 
Witterungsereignisse,  wie  Überschwemmungen,  Dürren,  strenge  Winter  und 
dergleichen  verfaßt  und  der  Öffentlichkeit  übergeben  würden.** 

Universitätsprofessor  Dr.  Redlich  (Wien),  der  seinen  auf  dem  letzten 
Historikertage  gehaltenen  Vortrag  über  Historisch-geographische  Probleme  ')  in 
einer  Anzahl  von  Exemplaren  zur  Verfügung  stellte,  trat  als  Korreferent 
warm  für  die  Anregungen  der  meteorologischen  Konferenz  ein ,  wenn  er  es 
auch  ab  unmöglich  bezeichnete,  daß  die  Sammelarbeit  „nebenbei"  von  Histo- 
rikern und  Archivaren  betrieben  werden  könne.  Er  wies  des  näheren  dar- 
auf hin,  wie  eng  sich  diese  Forderungen  mit  den  Bestrebungen  der  neuer- 
dings so  eifrig  betriebenen  historisch-geographischen  Studien  berührten,  wie 
sehr  aber  auch  vom  rein  geschichdichen  und  vom  wirtschaftsgeschichtlichen 
Standpunkt  aus  Arbeiten,  wie  die  verlangten,  zu  wünschen  seien.  Der  Ver- 
lauf der  Kriege  habe  ja  jederzeit  wesendich  von  der  Bodengestaltung  und 
von  Witterungsemflüssen  abgehangen;  um  aber  zu  erkennen,  wie  unmittelbar 
wirtschaftsgeschichtliche  und  physische  Vorgänge  miteinander  zusammen- 
hingen, z.  B.  Hungersnöte  und  Klimaschwankungen,  brauche  man  bloß  die 
Ergebnisse  Curschmanns  {Hungersnöte  im  MittdaUer)  mit  denen 
Brückners  {Klimaschwankungen  seit  1700)  zu  vergleichen.  Ähnlich  werde 
es  mit  den  BevöUcerungsschwankungen  und  verwandten  Erscheinungen  sein. 

Aus  der  sich  anschließenden  lebhaften  Debatte,  an  der  sich  die  Herren 
Oberhummer,  Ermisch,  Grotefend,  Gmelin,  Brückner  und 
Wolfram  beteiligten,  sei  hervorgehoben,  daß  Universitätsprofessor  Dr.  Ober- 
hummer (Wien),  nicht  ohne  Widerspruch  zu  finden,  die  Erhebungen  auch 
auf  die  Veränderungen  der  Flora  und  Fauna  ausgedehnt  zu  sehen  wünschte 

i)  8.  oben  S.  44. 


—     63     — 

und  auch  den  Orient  mit  zu  berücksichtigen  empfkhl,  daß  Universitätspro- 
fessor Dr.  £.  Brückner  (Wien)  auf  ausgezeichnete  statistische  Quellen  über 
Klimaschwankungen  imd  dergleichen  in  den  Gemeindearchiven  aufoierksam 
machte,  wie  er  sie  namentlich  in  weinbauenden  Gegenden  Frankreichs,  aber 
auch  stellenweise  in  Deutschland  gefunden  habe,  und  daß  endlich  Pfarrer 
Dr.  Gmelin  (Großgartach  in  Württemberg)  auf  die  Kirchenbücher  als  gute 
Hilfsmittel  für  die  Erkenntnis  von  Bevölkerungsschwankungen  und  ähnlichen 
Erscheinungen  hinwies.  Zu  der  Bildung  des  Ausschiisses  für  die  Sammlung 
der  Elementarereignisse  (Antrag  Er  misch)  kam  es  erst  in  der  zweiten  Sitzung 
<ier  fünf  vereinigten  Abteilungen  am  Donnerstag,  und  zwar  wurden  in  diesen 
die  Herren  Swarowsky,  Oberhummer^  Brückner,  Ermisch,  Grote- 
fend  und  Wolfram  gewählt. 

Ln  übrigen  wurde  in  dieser  letzten  Sitzung,  in  der  Professor  Redlich 
11.  a.  die  ersten  Lieferungen  des  historischen  Atlasses  der  öster- 
reichischen Alpenländer  vorlegte  und  dabei  der  unvergänglichen  Ver- 
•dienste  Eduard  Richters  gedachte,  über  den  Stand  der  vom  Gesamtverein 
4mgeregten  oder  geförderten  Unternehmungen  berichtet. 

Zunächst  gab  Grotefend,  in  freier  Anlehnung  an  das  von  v.  Thudich- 
um  eingeschickte  Referat,  einen  Überblick  über  den  Stand  der  Grund- 
kartenarbeit in  den  verschiedenen  deutschen  Staaten,  nachdem  er  zuvor 
noch  einmal  den  Wert  der  Grundkarten  gegen  die  mannigfachen  Angriffe 
verteidigt  hatte,  die  hauptsächlich  durch  den  unglücklich  gewählten  Titel 
^, historische*^  Grundkarten  hervorgerufen  worden  seien;  u.  a.  meinte  er, 
daß  in  Hannover  die  viel  gerühmten  „Amt^karten*^  die  Grundkarten  in 
keiner  Weise  ersetzen  könnten;  wenn  der  historische  Atlas  des  Königreichs 
Hannover  auf  dieser  Unterlage  aufgebaut  werde,  würde  das  Ergebnis  durch- 
aus unbefriedigend  sein.  —  Aus  der  folgenden,  ziemlich  ausgedehnten  Debatte 
ergab  sich  nicht  viel  Neues.  Gymnasialprofessor  Dr.  Küster  (Hanau)  teUte 
die  guten  Erfahrungen  mit,  die  man  in  Hessen  mit  den  Grundkarten  gemacht 
habe,  Archivsekretär  Dr.  Giannoni  (Wien)  setzte  auseinander,  daß  in  Öster- 
reich die  Katastralkarten  die  Grundkarten  entbehrlich  machten,  mußte  aber 
allerdings  auf  Grotefends  Einwurf  zugeben,  daß  der  Maßstab  dieser 
Karten  (ungeMr  i  :  127000)  wenig  vorteilhaft  sei.  Er  misch  erklärte,  daß 
man  für  Sachsen  mit  Hilfe  der  aus  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  stammen- 
den Öderschen  Karte  die  große  Beständigkeit  der  Gemeindegrenzen  nach- 
gewiesen habe.  Geh.  Archivrat  Dr.  Krieger  (Karlsruhe)  lobte  die  Leipziger 
Zentralstelle  für  Grundkarten  als  eine  ungemein  notwendige  und  praktische 
Einrichtung,  endlich  äußerte  sich  auch  noch  Redlich  über  die  Grundkarten. 
Er  erkannte  ihren  Wert  als  Zeichenkarten  vollkommen  an  und  versprach,  daß 
sich  in  Österreich  die  Kommission  des  historischen  Atlasses  noch  einmal 
mit  der  Grundkartenfrage  befassen  tmd  vor  aUem  erwägen  wolle,  ob  von 
der  Katastralkarte  etwa  bUlige  VervielfiUtigungen  hergestellt  werden  könnten. 

Über  die  Archivinventarisationen  lag  auch  nur  ein  schrifUicher 
Bericht  von  Armin  Tille  (Leipzig)  vor,  der  von  Bai  Heu  in  seinen  Haupt- 
punkten bekannt  gegeben  wurde.  Es  ist  darin  der  Versuch  gemacht, 
unter  systematischem  Durchgehen  der  Deutschen  Bundesstaaten  und  der  Pro- 
vinzen Preußens  den  gegenwärtigen  Stand  der  Pflege  und  Inventarisation  der 
kleineren  Archive  zu  beschreiben  und  so  zu  erkennen  zu  geben,  was  geleistet 


—     64     — 

isty  aber  auch  die  Stellen  zu  bezeichnen,  an  denen  die  entsprechende  Arbeit 
noch  getan  werden  muß.  Nachdem  durch  die  Änderung  des  Namens  der 
IV.  Abteilung  das  Archivwesen  nicht  mehr  in  den  Arbeitsbereich  des  Gesamt- 
Vereins  Mt  (s.  oben  S.  44),  darf  seine  Tätigkeit  für  die  ArchivinventarisatioQ 
im  ganzen  als  abgeschlossen  betrachtet  werden. 

Über  die  teils  schon  vorhandenen,  teils  noch  im  Entstehen  begriffenen 
historisch  -  topographischen  Wörterbücher  berichtete  Wolfram,  dabei  noch- 
mals die  von  dem  Gesamtverein  ausgearbeiteten  „Vorschläge  für  die  Aus- 
arbeitung historischer  Ortsverzeichnisse"  ')  und  ihre  Entstehung  streifend.  Er 
gedachte  der  sehr  breit  angelegten  Topographie  von  Niederösterreich ,  die 
bis  zum  M  gediehen  ist,  des  von  A.  Krieger  musterhaft  bearbeiteten 
und  bereits  in  zweiter  Auflage  erschienenen  Topographischen  Wörterbuches  des 
Großhereogtums  Baden,  der  beiden  topographischen  Werke  in  den  Reichs- 
landen {Das  Beichsland  Elsaß-Lothringen  und  Historisch-topographisches 
Wörtertmch  des  Elsaß  von  Claufi)  und  endlich  der  historischen  Oitsver- 
zeichnisse,  die  in  Posen,  Westpreufien,  Hessen  und  dem  Königreich 
Sachsen  in  Angriff  genommen  worden  sind.  Über  letzteres,  das  von  Dr.  M  e  i  c  h  e 
im  Vereine  mit  Dr.  Pilk  und  O.  Mörtzsch  schon  bedeutend  gefördert 
worden  ist  und  nach  den  alten  Ämtern  bearbeitet  wird,  gab  Er  misch  noch 
genauere  Aufschlüsse,  ebenso  Kustos  Dr.  Van  es  a  (Wien)  über  die 
Topographie  von  Niederösterreich.  Nach  einigen  kurzen  Bemerkungen  von 
Dr.  Fuchs  (Braunkirchen)  über  die  Schwieri^eit,  die  richtige  moderne 
Schreibweise  der  Ortsnamen  zu  ermitteln,  und  von  Gmelin  über  die  not- 
wendige Aufnahme  statistischer  Zahlenangaben  (Bevölkerungsziffern  in  den 
verschiedenen  Zeiten),  wie  man  sie  trefflich  aus  den  Kirchenbüchern  gewinnen 
könne,  beendete  Referent  die  Debatte  mit  einem  Schlußwort,  in  dem  er 
betonte,  dafi  es  natürlich  jedem  Bearbeiter  historisch-topographischer  Nach- 
schlagewerke freis^nde,  die  „Vorschläge**  nach  seinem  Ermessen  zu  erweitem 
oder  einzuschränken;  sie  sollten  nur  einen  allgemeinen  Anhalt  geben. 

Zum  Schlüsse  berichtete  Archivrat  Dr.  Beschorner  (Dresden)  über  den 
Stand  der  Flurnamenforschung  in  Deutschland,  nachdem  die  Ver- 
sammlung davon  Kenntnis  genommen  hatte,  daß  über  die  Kirchenbücher- 
Verzeichnisse  Amtsgerichtsrat  Krieg  (Sangerhausen),  an  Stelle  des  leider 
erkrankten,  sonst  regelmäßig  bei  den  Hauptversammlungen  anwesenden  Archivrats 
Jacobs  einen  ausführlichen  Bericht  eingesandt  habe,  der  in  dem  Protokoll  und 
im  Korrespondenzblatt  abgedruckt  werden  wird.  Auf  die  ziemlich  umfän^che 
Literatur  zur  Flumamenforschung,  die  seit  1 903  (der  Erfurter  Tagung,  wo  zuerst 
über  Flurnamen  verhandelt  wurde)  erschienen  ist,  ging  Referent  nicht  näher  ein; 
sie  soll  im  Druck  als  Anhang  zu  diesem  Referate  bekannt  gegeben  werden. 
Dagegen  stellte  er  mit  Befriedigung  fest,  daß  mehrere  der  früher  begonnenen 
Flumamensammlungen  vollendet,  die  meisten  anderen  Sammlungen  wesentlich 
vervoUständigt  imd  acht  neue  Sammlungen  durch  die  Bemühungen  des  Ge- 
samtvereins ins  Leben  gerufen  worden  sind,  nämlich  in  Oldenburg,  Ham- 
burg, Breslau,  Frankfurt  a.  M.,  Kassel,  Nassau,  Duisburg  und 
Aachen.  Auf  die  drei  Flumamensammlungen  des  Elsässer  Kreises  Weißen- 
burg  (Kreisschulinspektor   Stiefelhagen),   der  Sonneberger  Gegend 

i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  a.  Bd.,  S.  91—94  und  3.  Bd.,  S.  97  ff. 


—     55     — 

(Kreisschulinspektor  Ullrich)  und  des  Ruppiner  Kreises  (Rektor  Bartelt) 
wies  er  mit  besonderem  Nachdrucke  hin,  weil  diese  dartun,  wie  ausgezeichnet 
die  Flurnamen  mit  Hilfe  der  Volksschullehrer  gesammelt  werden  können. 
Zu  einer  Aussprache  über  den  Gegenstand  fehlte  leider  der  Versammlung 
die  Zeit,  ebenso  zu  einer  genaueren  Besichtigung  des  mitgebrachten  Anschau- 
ungsmaterials (Teile  der  Weifienburger,  Sonneberger  und  Sächsischen  Samm- 
lungen). £s  wurde  nur  noch  folgender  Beschluß  ge&fit:  „Die  ver- 
einigten fünf  Abteilungen  halten  es  für  angebracht,  dafi  alle 
Geschichtsvereine  noch  einmal  auf  die  Notwendigkeit  des 
Flurnamensammeins  hingewiesen  werden.  In  einem  Rundschreiben 
soll  ihnen  das  von  Kreisschulinspektor  Stiefelhagen  (Weidenburg)  eingeschlagene 
Ver&hren  genau  geschildert  und  ein  gleiches  Vorgehen  Hand  in  Hand  mit 
den  entsprechenden  Behörden  empfohlen  werden,  falls  sie  sich  nicht  selbst  in 
der  Lage  sehen,  die  Sammlung  der  Flurnamen  vorzunehmen.*^  Dann  eilte 
alles  zu  der  Schlußsitzung,  in  der  Anthes,  Ermisch  und  Brenner 
über  die  Tätigkeit  der  einzelnen,  Bailleu  über  die  Sitzungen  der  vereinigten 
fünf  Abteilungen  berichteten. 

Von  der  Schlufisitzung  eilte  aUes  weiter  zu  dem  fesdichen  Empfange, 
den  die  gastliche  Stadt  Wien  und  ihr  Bürgermeister  Dr.  Lueger  den 
Teilnehmern  der  Hauptversammlung  und  des  Archivtages  im  Rathause  be- 
reiteten. Diese  in  einem  glänzenden  Bankett  gipfelnde  Festlichkeit  und  die 
mit  einem  Besuche  des  Klosters  Neuburg  verbundene  Besichtigung  der 
in  historisch-archäologischer  Treue  wieder  aufgebauten  und  bis  in  alle  Einzel- 
heiten hinein  stilgerecht  ausgestatteten  Burg  Kreuzenstein  des  Grafen 
Wilczek  am  folgenden  Tage  bildeten  entschieden  die  Glanzpunkte  der  fest- 
lichen Veranstaltungen,  von  denen  noch  ein  mit  aUerhand  musikalischen, 
deklamatorischen  und  dramatischen  Darbietungen  gewürzter  Gesellschafts- 
abend im  Annahof  am  Dienstag  und  ein  Festessen  im  Savoyhotel 
am  Mittwoch  erwähnt  sein  mögen.  Bei  allen  diesen  Gelegenheiten  wurden 
natürlich  zahlreiche  Reden  und  Trinksprüche  gehalten,  von  denen  einer 
zu  heftigen  Erörterungen  in  der  Presse  Anlaß  gab.  Em  Ausflug  nach  Car- 
nuntum,  zu  dem  sich  eine  kleine,  erlesene  Zahl  von  Teilnehmern  am 
Sonnabend  zusammenfiuid,  schloß  die  Wiener  Hauptversammlung,  die  in 
der  Geschichte  des  Gesamtvereins  wohl  immer  eine  besondere  Stellung  ein- 
nehmen wird. 

Beschorner  (Dresden). 


Museen«  —  über  die  Vorgeschichtliche  Abteilung  des  Städti- 
schen Museums  für  Natur-  und  Heimatkunde  in  Bftagdeborg 
teilt  Dr.  Hans  Hahne,  der  diese  als  wissenschafüicher  Sachverständiger 
leitet,  das  Folgende  mit: 

Was  in  Museen  und  öfifentlichen  Sammlungen,  zu  deren  Au^ben  die 
Pflege  der  Heimatkunde  und  vaterländischen  Vorgeschichte  gehört,  im 
Sammeln  und  Zusammentragen  geleistet  werden  kann,  ist  an  manchen  Stellen 
Deutschlands  zu  sehen.  Meist  fehlt  ja  die  genügende  Unterstützung  durch 
öfientliche  Mittel,  aber  Liebe  zur  engeren  Heimat  und  weiterblickende  An- 
regung Einzelner  bringt  viel  zustande. 


—     66     — 

Gegenüber  den  Anforderungen  der  durch  jahrzehntelange  Vorarbeit 
nunmehr  zur  Wissenschaft  erwachsenen  „Deutschen  Archäologie'^ 
wirkt  aber  die  wenig  sachgemäfse  Behandlung  der  Funde  in  mancher 
Sammlung  sowie  der  fieist  überall  ersichtliche  Mangel  an  Mitteln  und  Hilfi^ 
kräften  betrübend.  Die  Darstellung  des  Materials  ist  meist  nichtssagend 
und  fesselt  Laien  und  Femerstehende  zu  wenig,  auf  deren  wirksame  Unter- 
stützung gerade  kleine  und  gröfsere  Sammlungen  angewiesen  sind. 

Hoffentlich  werden  (fie  Bestrebungen,  gerade  die  der  deutschen  vater- 
ländischen vorgeschichtlichen  Forschung  gewidmeten  Sammlungen  durch 
zusammenschliefsende  Organisation  zu  heben,  bald  von  Erfolg  sein  und  dem 
verderblichen  Dilettantismus  und  der  von  partikularistischen  Motiven  ver- 
anlafsten  Zerstreuung  vorgeschichüicher  Altertümer  steuern.  Der  Norden  der 
Provinz  Sachsen  gehört  zu  den  ersten  Stätten,  wo  wissenschaftliche  deutsche 
Archäologie  (Prähistorie)  getrieben  wurde:  Danneils  und  anderer  Männer 
Namen  stehen  neben  dem  Thomsens  ehrenvoU  in  der  Geschichte  unserer 
Wissenschaft.  In  dem  prachtvollen  Material  des  Provinzialmuseums  in  Halle  be- 
sitzt  unsere  Provinz  eine  der  ältesten  deutschen  vorgeschichüichen  Sammlungen 
der  Germania  libera ;  die  hallischen  Veröffentlichungen  der  letzten  Jahre  rufen 
die  Hoffnung  wach,  dafs  sich  mit  Hilfe  tüchtiger  Berater  und  Freunde,  die 
in  der  Provinz  im  nämlichen  Sinne  arbeiten,  hier  ein  Stützpunkt  für  die 
vorgeschichtliche  Forschung  in  ganz  Mitteldeutschland  entwickeln  könnte. 
Auch  manche  kleinere,  aber  unter  sachgemäfser  Leitung  stehende  Sanmihmg 
von  wis  senschaftlicherBedeutung  hat  die  Provinz  aufzuweisen,  so  das  Museum 
in  Wernigerode  und  das  altmärkische  Museum  in  Stendal. 

Auch  Magdeburg  besafs  schon  längst  in  Hinterlassenschaften  von 
Schultheifs  (Wolmirstedt)  und  Wiggert  (Magdeburg)  manchen  wert- 
vollen Fund.  Aber  erst  vor  13  Jahren  wurde  hier  ein  Museum  eröfinet,  das 
aus  den  Sammlungen  des  grofsen  Naturwissenschaftlichen  Vereins  heraus- 
gewachsen ist  und  wo  nun  auch  die  Vorgeschichte  (allerdings  als  An- 
hängsel der  Naturwissenschaften)  wirklich  gepflegt  wurde :  durch  die  Fürsorge 
und  persönliche  Arbeit  des  rührigen,  jetzt  verstorbenen  Geh.  Baurates  Bauer 
wuchs  aus  den  spärlichen  alten  Beständen,  die  in  ein  paar  Waschkörben 
vom  Rathausboden  geholt  wurden,  eine  kleine  Sammlung  hervor.  Der  Ge- 
schichtsverein wurde  durch  Bauer  bewogen,  seine  vorgeschichtlichen  Schätze 
hinzuzutun;  aus  Magdeburgs  Umgebung  wurde  allmählich  mancherlei  zu- 
sammengebracht; die  Stadt  bewilligte  einige  Mittel  zu  Ankäufen  für  das 
prähistorische  Kabinett  des  wachsenden  Museums.  Bauer,  der  die  Abteilung 
verwaltete,  schuf  eine  kleine  „Typensammlung**  aus  der  europäischen 
Vorgeschichte,  gab  auch  eine  kurze  Einführung  in  die  Vorgeschichte  (Jahresb. 
d.  naturw.  Vereins,  Magdeburg  1897)  heraus  —  im  ganzen  aber  bUeb 
die  Abteilung  auf  dem  Standpunkt  der  meisten  derartigen  Sammlungen  aus 
jener  Zeit:  in  einem  gedruckten  Katalog  aus  dem  Jahre  1891,  in  dem  die 
Bestände  ungefähr  aufgezählt  werden,  sind  &8t  nur  die  Sachen  aus  Metall 
und  Stein  berücksichtigt,  während  die  ganz  allgemeine  Erwähnung  der  so 
hervorragend  wichtigen  Tongefäfse  einer  Art  Anhang  vorbehalten  bUeb.  Und 
dabei  befand  sich  bereits  damab  in  den  Beständen  manches  recht  schöne  Stück. 

Mittlerweile  ist  das  Magdeburger  Museum  städtisch  geworden;  die 
naturwissenschaftliche  Abteilung  wird  bald  in  geräumigen  Sälen  neu  aufgestellt 


—     57     — 

werden,  und  dadurch  wird  das  Ergebnis  emsiger  Sammelarbeit  besonders 
des  Vereins  —  wiederum  gebührt  hier  neben  vielen  anderen  Bauer  gröfste 
Anerkennung  —  der  wissenschaftlichen  Verwertung  mehr  ab  bisher  zu- 
gänglich gemacht  werden.  Der  Name  „Städtisches  Museum  für 
Natur-  und  Heimatkunde'*  verrät  ein  hohes  Ziel;  deun  als  Heimat- 
kunde vor  allem  auch  die  Naturwissenschaft  zu  pflegen,  ist  ein  modernes 
imd  aussichtsreiches  Prinzip,  und  die  Kunde  vom  Menschen  in  diesen 
entwicklungsgeschichüichen  Kreis  einzubeziehen,  birgt  grofse  Aufgaben,  deren 
Lösung  der  Zukunft  vorbehalten  ist.  Das  im  Namen  ausgesprochene  Pro- 
gramm des  Museimis  bt  hoffendich  glUckverheifsend  für  dieses  selbst. 

Die  vorgeschichtlich-anthropologische  Abteilung  soll 
den  Anfang  bilden  für  eine  Volkskunde  der  Heimat.  In  diesem 
Sinne  hat  Verfasser  dieser  Zeilen  seit  zwei  Jahren  die  Sanmilung  bearbeitet« 
besonders  durch  persönliche  Nachforschung  an  den  Fundstellen,  Ergänzung 
der  Fundberichte  durch  Umfragen,  Umordnung  der  Bestände  nach  geo- 
graphischen Gesichtspunkten,  Zusammenstellung  der  Gesamtfunde  imd  exakte 
Bezeichnungen.  Dadurch,  dafs  nach  Bauers  Tode  dessen  Gemahlin  in 
hochherziger  Weise  die  grofse  vorgeschichtliche  Privatsammlung  ihres  Gatten 
dem  Museum  geschenkt  hat,  ist  die  Abteilung  ganz  wesentlich  bereichert 
worden.  Im  letzten  Jahre  hat  man  auf  Anregung  des  Verfassers  auch  be- 
gonnen, mit  Mitteln,  die  seitens  der  Stadt  gewährt  wurden,  systematisch 
Ausgrabungen  vorzunehmen,  während  seither  fast  ausschliefslich  durch  An- 
käufe aus  zweiter  Hand  die  Bestände  vermehrt  werden  mufsten.  Jahrzehnte- 
lange Ausbeutung  seitens  anderer  Museen,  Privatsammler  und  Händler  hat 
die  augenfälligen  vorgeschichtlichen  Gräber  und  anderweitigen  Fund- 
stellen unserer  engeren  Heimat  geleert,  und  die  intensive  Bodenbewirtschaf- 
tung zerstört  mit  jedem  Dampfpflug  unzählige  Altertümer.  Deshalb  gelingt 
in  unserer  Gegend  nur  bei  energischem  Nachforschen  der  Nachweis  und  die 
Aufdeckung  von  Funden.  Aber  z.  B.  für  das  so  wichtige  Gebiet  der  vor- 
geschichtlichen Siedelungskunde  bieten  die  Flufslandschaften  der  Provinz 
reichen  Stofl".  Deshalb  galt  unsere  erste  gröfsere  Unternehmung  einer  teilweise 
steinzeitlichen,  teilwebe  jüngeren  Ansiedlung  bei  Calbe  a.  S.,  die  aufser  vielen 
Wohnstättenresten  mit  wichtigen  Einzelfunden  auch  ein  vorzüglich  erhaltenes 
Hockergrab  lieferte,  das  im  Museum  so  aufgestellt  ist,  wie  es  gefunden  wurde. 

Die  Ausbeute  einiger  Gräberfelder  der  Umgegend  war  in  den  letzten 
Jahren  bereits  käuflich  erworben  oder  geschenkt  worden, und  mancher 
schöne  Grab-  und  Depotfund  aus  der  Stein-,  Bronze -,, La -T^ne**- Zeit  und 
den  nachchristlichen  Jahrhunderten  ist  vorhanden.  Durch  die  Propaganda 
rühriger  Freunde,  besonders  des  Direktors  des  Museums,  wächst  das  Interesse 
für  unsere  Abteilung,  namentlich  auch  unter  der  Landbevölkerung,  und  betätigt 
sich  in  manchen  Schenkungen  und  Fundnachwebungen. 

Neben  diesen  geographisch  geordneten  Funden  aus  der  engeren  Heimat, 
deren  jeder  hinsichtlich  der  Zeit  seines  Ursprungs  näher  bezeichnet  ist, 
enthält  die  Abteilung  die  schon  erwähnte,  besonders  durch  Bauers  Be- 
mühung gegründete  und  durch  die  Erbschaft  seiner  Sanunlung  bereicherte, 
eine  hübsche  systematische  Typensammlung,  die  die  nord-  und  mittel- 
europäische Vorgeschichte  umfaist. 

Für  die  Aufstellung  bei  der  bevorstehenden  Neueinrichtung  des  Museums 


—     58     — 

wurden  ferner  bildliche  und  photographische  Darstellungen,  auch  Modelle 
und  Nachbildungen  wichtiger  vorgeschichtlicher  Denkmäler  und  Funde  her- 
gestellt bzw.  vorbereitet,  die  bezwecken,  auch  den  Femerstehenden  eine 
zusammenhängende  Anschauung  von  den  Ergebnissen  vorgeschichtlicher 
Forschung  zu  vermitteln,  um  diesen  Zweig  der  Heimatkunde  auch  bei  uns 
zu  beleben  und  auf  diese  Weise  den  Wert  unserer  Forschungen  endlich 
auch  allen  denjenigen  begreiflich  zu  machen,  die  noch  zweifelnd  oder  ver- 
ständnislos seitab  stehen,  wenn  es  die  Aufhellung  der  Vorgeschichte  und 
der  Anfänge  der  Geschichte  des  eigenen  Vaterlandes  gilt. 

Das  vorläufige  Ergebnis  der  Neuordnung  ist  seit  einiger  Zeit  in  einer 
„  Sonde  rausste  11  ung  vorgeschichtlich  er  Funde  au  sderProvinz 
Sachsen''  im  Museum  am  Domplatz  der  Besichtigung  zugänglich  gemacht 
worden. 

Eini^gaiigene  BOcher. 

Becker,  Georg:  General  Fouqud  in  Brandenburg  [=>  3 6. /$ 7.  Jahresbericht 
des  Historischen  Vereins  zu  Brandenburg  a.  d.  H.  (Brandenburg  1 906), 

S.  30—47]- 

Dahlmann-Waitz:  Quellenkunde  der  deutschen  Geschichte,  unter  Mit- 
wirkung von  P.  Herre,  B.  Hilliger,  H.  B.  Meyer,  R.  Scholz  heraus- 
gegeben von  Erich  Brandenburg.  7.  Auflage.  Leipzig,  Dieterichsche 
Verlagsbuchhandlung,  Theoder  Weicher  1906.     1020  S.  8®.     M.   16. 

Jacob,  Karl:  Quellenkunde  der  deutschen  Geschichte.  Erster  Band  [=  Samm- 
lung Göschen  Nr.  279].  Leipzig,  G.  J.  Göschensche  Verlagsbuchhand- 
lung 1906.     154  S.  8^.     Geb.  M.  0,80. 

Meyer,  Christian:  Die  letzten  Zeiten  der  freien  Reichsstadt  Augsburg  und 
ihr  Übergang  an  die  Krone  Bayerns.  München,  Max  Steinebach  1906. 
63  S.  8«. 

Noti,  Severin:  Das  Fürstentum  Sardhana,  Geschichte  eines  deutschen  Aben- 
teurers und  einer  indischen  Herrscherin.  Mit  42  Bildern  und  einer 
Karte.     Freiburg  i.  B.,  Herder  1906.     146  S.  8^.     M.    2,50. 

Schulze,  Paul :  Das  Dresdner  Volksschulwesen  im  1 8 .  Jahrhundert  Dresden, 
O.  und  R.  Becker  1906.     88  S.  8^.     M.  1,25. 

Wehrmann,  M.:  Die  Söhne  des  Herzogs  Philipp  L  von  Pommern  auf  der 
Universität  zu  Greifswald  [=  Aus  der  Geschichte  der  Universität  Greifs- 
wald, Festschrift  zum  450jährigen  Jubiläum  der  Universität  Greifswald, 
dargebracht  von  der  Gesellschaft  für  Pommersche  Geschichte  und  Alter- 
tuniskimde  (Stettin  1906),  S.   i — 36]. 

Berichtigungen. 

Oben  auf  S.  8,  Zeile  2 — 4  von  oben,  muß  es  richtig  lauten:  „Ober 
die  Weltgeistlichkeit  liegen  einige  Arbeiten  vor  von  Tangl 
(M.  7)  und  Kernstock  (B.  13),  durch  die  die  Lavanter  Bischofs*- 
reihe  ergänzt  wird.  Hierher  gehört  auch  Lang,  Informations- 
buch usw.". 

Auf  Seite  24,  Zeile  2  von  unten,  ist  statt  Arten  zu  lesen:  Orten. 

Henuitceb«r  Dr.  Amin  TiU«  in  Ldpog. 
Druck  nnd  Verlag  von  Friedrich  Aadreas  Perthes,  AkoeafeteUediaft,  Goduu 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


sur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

VIIl.  Band  Dezember  1906  3.  Heft 


Behandlung  sehulgesehiehtlieher  Aufgaben 

Von 
Ernst  Schwabe  (Leipzig) 

In  der  Behandlung  geschichtlicher  Aufgaben  tritt  seit  einiger  Zeit 
das  kulturhistorische  Interesse   immer  mehr  in  den  Vordergrund,  und 
diese  Veränderung  der  Auffassung  ist  auch  der  Erforschung  der  Ge- 
schichte unseres  deutschen  Bildungswesens,  insbesondere  der  Geschichte 
der  Gelehrtenschule,   von  großem  Vorteil   gewesen.     Seit  dem  Um- 
schwünge in  der  Auffassung  und  Behandlung  des  historischen  Stoffes 
widmet  man  auch  diesem  Teile  der  Kulturgeschichte  mehr  Aufmerk- 
samkeit ;  es  ist  viel  Arbeit  im  einzelnen  getan  und  es  sind  mehrfache 
Versuche  zu  zusammenfassender  Arbeit  gemacht  worden,  so  daß  man 
auch   diesen  Faktor  in   der  Gesamtentwicklung   der  Völker,   speziell 
unseres  Volkes  (denn  von  diesem  soll  allein  im  folgenden   die  Rede 
sein)  genauer  kennen  zu  lernen  vermag,  als  früher.     Freilich,  immer 
noch  nicht  genau  genug !  denn  das  Material  ist  nur  erst  sehr  teilweise 
herbeigeschafft  worden,  geschweige  denn  gesichtet,   und  auch  in  der 
Behandlung  des  Materials   sind  noch   öfters   die  Fragen  nicht  richtig 
gestellt  worden ;  gar  manches  könnte  kürzer  gefaßt  oder  ausführlicher 
gehalten   werden,   und  vor  allem  könnte,   besonders  in  den  Einzel- 
arbeiten, weit  mehr,  als  es  bisher  geschehen,  der  Zusammenhang  mit 
der  allgemeinen  Erziehungs-,   und   noch  weiter  der   allgemeinen  Bil- 
dungs-  und  Kulturgeschichte,  gezeigt  werden. 

Bei  einer  Gesamtmusterung  der  Literatur  über  das  deutsche  Ge- 
lehrtenschulwesen lassen  sich  in  der  Hauptsache  drei  Richtlinien  er- 
kennen, in  denen  sich  die  gesamte  schulgeschichtliche  Forschung 
bewegt : 

Erstens  finden  wir  Durcharbeitungen  von  lauter  Einzel- 
heiten: Geschichte  der  Einzelanstalten,  einzelner  Fächer  auf  einer 
Reihe  von  Anstalten,  einzelner  bedeutender  Schulmänner,  einzelner 
Schulordnungen,  einzelner  Lehrbücher  usw.  —  eine  sehr  reichhaltige 
Abteilung,  die  uns   meistens   in  Aufsätzen  wissenschaftlicher  Journale 

5 


—     60     — 

und  in  Programmabhandlungen  oder  Jubiläums-  bzw.  sonstigen  Fest- 
schriften vorliegt. 

Zweitens  sind  es  zusammenfassende  Darstellungen  ein* 
zelner  Gebiete  der  Schulgescbichte  (Geschichte  der  Kadettenhäuser, 
der  Jesuitenerziehung,  der  Prinzenerziehung  usw.),  wie  sie  in  einer 
großen  Reibe  der  Veröffentlichungen  der  MonumerUa  Gerfnaniaepaedag(h 
gka  vorliegen.  Daneben  stehen  auch  die  buchmäßigen  Biographien 
hervorragender  Pädagogen,  wie  Ludwig  Wiese,  Eilers  u.  a.  m. 

Drittens  finden  wir  zusammenfassende  Darstellungen  der 
Gelehrtenschulgeschichte  ganzer  Gebiete  und  ganzer  Epochen  von 
den  2^iten  vor  der  Reformation  an  bis  auf  den  heutigen  Tag. 

Und  anhangsweise  sei  auch,  im  Anschluß  an  diese  Schriften,  die 
rein  historisch  gehalten  sind  und  sich  lediglich  um  den  Stoff  kümmern^ 
ohne  daraus  Folgerungen  für  die  Zukunft  zu  ziehen,  eine  neuerdings 
autkommende  Gattung  von  Schriften  erwähnt,  die  einer  Aufforderung 
Paulsens  folgend  erst  eine  historische  Basis  schaffen,  um  von  dieser 
aus  „die  Richtlinien  in  die  Zukunft  zu  verlängern,  und  so  das  Gebäude 
der  Zukunftspädagogik  besser  zu  begründen*'. 

Fassen  wir  zunächst  die  an  zweiter  und  dritter  Stelle  eingereihten  syste- 
matischen größeren  Arbeiten  ins  Auge,  so  werden  wir  bei  ihnen  allen  ge- 
wiß gern  den  Mut  anerkennen,  auch  einmal  eine  Gesamtdarstellung 
zu  wagen,  und  bei  sehr  vielen  von  ihnen  die  Vortrefflichkeit  der  Ge- 
samtkonstruktion zu  loben  haben.  Aber  anderseits  muß  doch  gesagt 
werden  (und  die  Autoren  werden  es  gewiß  zuerst  zugeben),  daß  maa 
bei  gar  vielen  Fragen,  die  man  gern  beantwortet  sehen  möchte,  ver- 
gebens nach  einer  genügenden  Auskunft  sucht.  Sie  findet  sich  nicht 
und  kann  auch  nicht  gefunden  werden,  weil  die  Einzelforschung,  die 
ihnen  die  Bausteine  hätte  liefern  sollen,  nicht  ausreichend  gewesen 
ist,  und  manchen  sehr  wichtigen  Punkt,  manche  überaus  lehrreiche 
Beziehung  völlig  übersehen  hat.  Der  zusammenfassende  Arbeiter  kann 
aber  diese  Lücken  kaum  selber  ausfüllen,  ebensowenig,  wie  man  vom 
Architekten,  der  das  Haus  baut,  verlangen  kann,  daß  er  auch  noch 
jedes  einzelne  Bauglied  selber  bearbeiten  und  heranfahren  soll.  Sa 
müssen  denn  die  Lücken  und  Unfertigkeitcn  einstweilen  getragen 
werden.  Trotzdem  werden  wir  auch  so  für  die  zusammenfassenden  Dar- 
stellungen sehr  dankbar  sein;  denn  sie  zeigen  uns  nicht  bloß  das 
Ergebnis  der  schon  geleisteten  Einzelarbeit,  sondern  sie  weisen  uns 
auch  auf  die  Bedürfnisse  der  weiteren  Forschung,  vor  allem  auf  die 
großen  Lücken  hin,  die  es  noch  auszufüllen  gilt.  Nach  zwei  Rich- 
tungen hin  sind  sie  vor  allem  geeignet,  die  Einzelforschung  zu  beein- 


—     61     — 

flössen:  einmal,  indem  sie  dazu  auffordern,  Gleichgültiges  imd  Über- 
flüssiges mehr  in  den  Hintergrund  zu  drängen,  und  dann,  indem  sie 
auf  mangelnde  Erforschung  wichtiger,  vor  allen  Dingen  allgemein 
wichtiger  Dinge  hinweisen.  Denn  auf  das  Zusammenfassen  kommt  es 
vor  allen  Dingen  an  und  selbst  die  bescheidenste  Einzelarbeit  darf 
es  nicht  außer  acht  lassen,  daß  auch  sie  mit  dazu  beitragen  muß,  eine 
umfassendere  Darstellung  der  Gesamtgeschichte  unserer  Gelehrtenschule 
zu  ermöglichen. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  umfassenden  Darstellungen  der  letzten 
Jahre,  die  die  Gelehrtenschulgeschichte  gefunden  hat,  so  hat  es  nach 
Paulsens  berühmtem  Werke  (dem  sich  neuerdings  das  Schriftchen  über 
Das  Deutsche  Bildungswesen  in  seiner  geschichtlichen  Entwickhmg  ^) 
angeschlossen  hat,  eine  vortreffliche  Vergeistigiing  des  gewaltigen 
Materials)  an  zusammenfassenden  Büchern  nicht  gefehlt.  Um  nur 
einiges  hervorzuheben,  hat  der  badische  Schulhistoriker  Georg  Mertz 
sein  Schulwesen  der  deutschen  Reformation  im  XVL  Jahrhundert  ge- 
schrieben ^) :  so  besitzen  wir  die  höchst  interessanten  Abschnitte  Ü1>er 
deutsches  Schulwesen  der  Reformation  in  Jansseas  deutscher  Ge- 
schichte ') ,  ebenso  ausgezeichnet  durch  geradezu  unbegreifliche  Be- 
herrschung des  Materials,  wie  geschickte  Verwendung  und  Gruppierung 
desselben,  um  daraus  immer  wieder  neue  Beweise  für  die  Behauptung 
zu  gewinnen,  daß  die  Reformation  eine  bildungsfeindUche  Macht  sei. 
So  haben  wir  die  verschiedenen  vortrefflichen  Darstellungen  in  Schmids 
großer  Enzyklopädie  und  die  kurzgefaßte  übersichtliche  Geschichte  der 
Paedagogik  von  Th.  Ziegler^),  aber  die  ausführlichen  Schilderungen 
KarlWotkes^)  über  das  österreichische  Unterrichtswesen,  neben  denen 
das  Buch  von  Strakosch-Graßmann  *),  freilich  in'starkem  Abstände, 
zu  nennen  wäre,  so  ist  neuerdings  das  treffliche  Buch  von  Alfred  Heu- 
baum'),  das  die  Geschichte  des  deutschen  Bildungswesens  seit  der  Mitte 


i)  Ans  Natur  and  Geisteswelt,  1906.     Bd.  100.     B.  G.  Teabner,  Leipzig. 

2)  Heidelberg,  Winter,  680  S.  —  Von  demselben  Verfasser:  Pädagogik  der 
Jesuiten.    (Heidelberg  1899). 

3)  Vor  aUem  Bd.  VE,  S.  i— I34i  609—634. 

4)  Handbudi  der  ErsiehungS'  und  ünterrichtslehre  von  Baumeister.  I.  1* 
(Mfiocben  1904). 

5)  Wotke,  Das  österreichische  Gymnasium  im  Zeitalter  Mairia  Theresias 
(Mon.  Germ.  Paed.  Vol  XXX.). 

6)  Strakosch-Gralsmann,    Gesch.  des  österr.  Unterrichtswesens.     Wien  1905. 

7)  Henbaiim,  OesckiMe  des  deutschen  Büdungswesens  seit  der  Mitte 
des  XVH,  Jahrhunderts.  I.  Bd.:  Das  Zeitalter  der  Standes'  und  Beruf sersiehung. 
(Berlin  1905). 

6* 


—     62     — 

des  XVII.  Jahrhunderts  darzustellen  sich  vorgesetzt  hat,  wenigstens  in 
seiner  ersten  Hälfte  erschienen. 

Und  das  alles  sind  (wenigstens  nach  der  Ansicht  des  Verfassers 
dieser  Zeilen,  soweit  er  mit  seinem  Wissen  und  seinem  Urteil  nach- 
kommen konnte)  vortreffliche  Bücher  und  tüchtige  Leistungen,  aus 
denen  man  sehr  viel  lernen  kann.  Um  so  weniger  wird  es  unbe- 
scheiden erscheinen,  wenn  wir  sagen,  daß  ihnen  allen  verschiedene 
Mängel,  vornehmlich  der  der  UnvoUständigkeit,  ankleben.  Wir  lassen 
dabei  die  höchst  interessante,  aber  auch  höchst  anfechtbare  Darstel- 
lung Janssens  von  vornherein  beiseite.  Denn  mit  ihm  werden  wir 
uns  schon  prinzipiell  nicht  einigen  können:  denn  wenn  wir  an  ihm  den 
spezifisch  katholischen  Standpunkt  tadeln  und  das  Unvermögen  be- 
klagen, den  Bestrebungen  des  Protestantismus  auf  kulturellem  Gebiete 
gerecht  zu  werden,  so  wird  man  das  eben  im  anderen  Lager  als  hohen 
Vorzug  preisen ;  und  so  leidenschaftslos  sind  wir  protestantischen  Schul- 
historiker noch  nicht,  daß  wir  Janssens  allerdings  sehr  geschickt  for- 
mulierte Folgerungen  ohne  weiteres  als  richtig  anerkennen.  Bei  allem 
Bemühen,  so  voraussctzungslos  wie  möglich  zu  folgern  und  darzustellen, 
sind  die  meisten  von  uns  doch  auch  ihrem  Bekenntnis  von  Herzen 
ergeben ;  wir  können  unmöglich  einsehen  und  zugeben,  daß  die  große 
Kirchenreformation  den  Strom  des  Humanismus  nur  gehemmt  habe, 
und  werden  uns  dabei,  meines  Erachtens  mit  vollem  Rechte,  immer 
wieder  auf  eine  Anzahl  deutscher  Gelehrtenschulen  berufen,  die  gerade 
dem  Protestantismus  ihre  Entstehung  verdanken  und  die  man  von 
jeher  als  Kleinode  und  Lichtpunkte  auf  dem  Entwicklungswege  der 
deutschen  Bildungs-  und  Gelehrtenschulgeschichtc  anzusehen  sich  ge- 
wöhnt hat. 

Unser  Blick  wendet  sich  vielmehr  zu  den  anderen  Werken,  von 
denen  wir  oben  eine  Anzahl  nannten;  bei  ihnen  allen  muß,  ohne  Aus- 
nahme, festgestellt  werden,  daß  es  bisher  noch  keinem  von  ihnen 
völlig  gelungen  ist,  die  gesamte  deutsche  Schulgeschichte  in  einem 
Schilderungshorizonte  einzufangen  und  zu  einem  großen  TotalbUde  zu 
verschmelzen.  Bei  aller  Mühe,  sich  zu  einer  Gesamtauffassung  zu  er- 
heben, sind  ihre  Verfasser  doch  mehr  oder  minder  bei  einer  allzu 
starken  Ausführung  der  landschaftlich  umgrenzten  Schulgeschichts- 
bilder, oder  bei  einem  Nebeneinander  in  der  Schilderung  des  BUdungs- 
wesens  in  den  einzelnen  Staaten  und  Territorien  stehen  geblieben. 
Die  konvergierenden  Linien,  die  sich  schließlich  zu  der  Spitze  einer 
gesamtdeutschen  Auffassung  und  Darstellung  unserer  Bildungsgescbichte 
vereinigen  sollen,  fehlen  noch  vielfach.     So  finden  wir  z.  B.  bei  Mertz 


—     63     — 

eine  außerordentlich  genaue  Kenntnis  der  Einwirkung  der  Reformation 
auf  das  Schulwesen  Süd-  und  Südwestdeutschlands,  jedoch  vermissen 
wir  eine  gleiche  Durchdringung  der  Wittenberger  Bestrebungen  auf 
dem  Gebiete  des  kursächsischen  und  sonstigen  territorialen  Bildungs- 
wesens. Der  verdiente  Verfasser  möge  das  nicht  als  Vorwurf  emp- 
finden: denn  es  ist  in  der  Tat  eine  schwere  Aufjg^abe,  völlig  zu  er- 
kennen und  erschöpfend  darzustellen,  worin  eigentlich  Luthers  und 
Melanchthons  und  ihrer  Schüler  und  Nachfolger  Verdienst  um  die 
sächsischen  Schulen  bestand,  und  wie  weit  man  die  Nachwirkung  ihrer 
Denk-  und  Willensarbeit,  bis  ins  einzelste  und  kleinste,  zu  verfolgen 
hat.  Schon  um  des  willen  ist  die  Aufgabe  so  schwierig,  weil  natürlich 
bei  diesem  Stoffe  das  theologisch  -  dogmatische  Interesse  weit  mehr 
Anziehungskraft  besitzt,  als  das  schulsystematische  und  bildungsge- 
schichtliche; will  man  aber  auf  unserem  Gebiete  zum  Ziele  gelangen, 
8o  muß  man  theologischer  Historiker  und  Kenner  des  Bildungswesens 
und  seiner  Geschichte  in  einer  Person  sein,  und  auch  diesen  beiden, 
an  sich  schon  weitschichtigen  und  schwer  zu  übersehenden  Gebieten 
gleichmäßig  seine  Teilnahme  zuwenden :  —  ich  fürchte,  eine  Auijgabe, 
die  eines  Mannes  Kraft  übersteigt. 

Und  wenn  wir  uns  nun  zu  den  allemeusten  Erscheinungen  auf  dem 
Büchermarkte  wenden,  vor  allem  zu  dem  überaus  fleißigen  und  leicht 
übersichtlichen  Buche  Alfred  Heubaums,  das  das  Lob  verdient, 
das  ihm  schon  mehrfach  gezollt  worden  ist,  so  muß  doch  bei  ihm  der 
Mangel  konstatiert  werden,  daß  in  ihm  (und  auch  in  gar  manchen 
anderen  Schriften)  preußisches  und  deutsches  Bildungswesen  ohne 
weiteres  identifiziert  werden.  Daraus  ergibt  sich  aber  fiir  den  Leser 
ein  schiefes  Bild,  das  erst  dann  als  richtig  zurechtgerückt  erscheint, 
wenn  man  den  Titel  einschränken  will  auf  das  kurbrandenburg^sche 
und  das  von  ihm  in  der  Hauptsache  beeinflußte  norddeutsche  Bildungs- 
wesen des  XVII.  Jahrhunderts. 

Wenn  man  sich  nun  nach  den  Gründen  umsieht,  warum  denn 
gerade  bei  einer  so  nationalen,  deutschen  Aufgabe  und  bei  einer 
so  allseitig  interessierenden  Sache  es  nicht  so  recht  gelingen  will, 
wirklich  umfassende  und  allseitig  befriedigende  Darstellungen  zu  er- 
zielen, so  liegt  dies  meines  Erachtens  nicht  an  den  Personen,  die  an 
diese  Dinge  die  Arbeit  ihres  Lebens  gesetzt  haben  —  wir  würden 
durch  solche  undankbare  Beurteilung  ihrer  Entsagung  und  ihrer  Un- 
ermüdlichkeit bitteres  Unrecht  tun  — ,  sondern  an  zwei  anderen  Ur- 
sachen: Es  ist  einmal  das  Allumfassende  der  Aufgabe  (denn  der 
Edelstein   der  deutschen  Bildungs-  und  Schulgeschichte  hat  beinahe 


—     64     — 

ebensoviel  Facetten  wie  die  deutsche  Kulturg-eschichte  überhaupt), 
und  zweitens  sind  es  gewisse  Mängel  und  Einseitigkeiten  der  vorher 
und  von  anderen  zu  leistenden  Einzelarbeit. 

Der  erstere  Mangel  wird  sich  nie  beseitigen  lassen.  Der  Schul- 
historiker muß  eben  sich  mit  den  allgemeinen  historischen  Strömungen 
der  von  ihm  zu  behandelnden  Periode  völlig  vertraut  machen,  wenn 
er  den  Anschluß  ans  Ganze  gewinnen  will ;  daneben  muß  er  aber  auch 
genügende  Kenntnis  der  theologischen  und  philosophischen  Bewegungen 
des  Zeitalters  besitzen,  mit  dem  sein  Stoffgebiet  zu  tun  hat;  natürlich 
muß  er  auch  das  Schulwissenschaftliche  völlig  beherrschen  und  wahr- 
scheinlich wird  er  die  Erfahrung  machen,  daß  ihm  auch  noch  manche 
andere,  besonders  volkswirtschaftliche,  Kenntnisse  sehr  vorteilhaft  sein 
würden.  Alle  diese  Aufgaben  können  dem  Manne,  der  wirklich  wissen- 
schaftliche Schulgeschichte  treiben  und  schreiben  will,  niemals  abge- 
nommen werden;  jeder  einzelne  und  jede  Generation  muß  sie  wieder 
für  sich  zu  lösen  suchen. 

Ein  näheres  Eingehen  jedoch  verdient,  meines  Erachtens,  der 
zweite  Punkt  hinsichtlich  der  Einzelforschung.  Daß  es  auf  diesem  Ge- 
biete an  Arbeitsstoff  oder  an  mit  hingebendem  Fleiße  arbeitenden 
Männern  fehlte,  kann  angesichts  der  gewaltig,  gerade  auf  diesem  Ge- 
biete anschwellenden  Literatur  kaum  behauptet  werden  *).  Es  gibt 
wohl  kaum  noch  eine  irgendwie  bedeutende  und  historisch  verwert- 
bare Schule,  die  nicht  ihren  Historiker  gefunden  hätte,  keinen  hervor- 
ragenden Schulmann,  der  sich  nicht  neben  dem  Leichenstein  in  der 
Allgemeinen  Deutschen  Biographie  auch  noch  eines  besonderen  Bio- 
graphen erfreute,  und  eine  Sammlung  schulgeschichtlicher  Schriften 
aus  Deutschland  würde  wohl  eine  besondere  Bibliothek  für  sich  in 
Anspruch  nehmen.  Aber  leider  steht  die  Masse  nicht  im  rechten  Ver- 
hältnis zu  ihrer  Verwendbarkeit,  leider  muß  man  das  Wort  Fr.  Paulsens 
von  der  „Geschichte  des  Bildungswesens ,  die  sich  so  leicht  in  ufer- 
lose Breite  oder  in  ziellose  Ausgraberei  verliert  **,  bei  gar  vielen  dieser 
Arbeiten  als  durchaus  berechtigt  anerkennen. 

Wenn  wir  einen  Versuch  wagen,  diese  Schriften  in  einzelne  Haupt- 
abteilungen zu  zerlegen,  so  stellen  sich  uns  im  ganzen  vier  Haupt- 
richtungen der  Arbeit  dar: 


l)  Et  können  hier  Literatnrangaben,  aach  nur  in  beschränktester  Auswahl,  nicht  gt» 
geben  werden.  Ich  verweise  aaf  die  ansföhrlichen  Literatnrberichte  in  den  MiUeilHnget^ 
für  deutseKe  Ereiehungsgesehichte  (BerUn  iS^ifif.)  und  in  der  Zeitschrift  für  päda- 
gogische Figdkohgit,  Pathologie  und  Hygieme  (BerUn  1902  ff.). 


—     65     — 

i)  Geschichten  der  einzelnen  Schulen  in  ihrer  Gesamtheit 
oder  in  einzelnen  Perioden  (meist  in  Programmen). 

2)  Biographische  Darstellungen  von  einzelnen  Schul- 
männern, meistens  solcher  in  leitenden  Stellungen.  Soweit  sie  nicht 
nur  bloße  Nekrologe  sind  (wie  etwa  im  5.  Bande  der  Raumerschen 
<yeschichte  der  Pädagogik,  den  Lotholz  besorgt  hat),  sondern  ausführ- 
licher und  unparteiischer  gehalten,  leiten  sie  schon  weit  öfter  zu  all- 
gemeinen Dingen  über,  so  daß  sie  in  der  Tat  eine  Förderung  der 
allgemeinen  Bildungsgeschichte  bedeuten. 

3)  Geschichten  einzelner  Schulfächer  und  Schuleinrich- 
lungen,  die  ganz  besonders  verdienstlich  erscheinen,  aber  leider  nur 
^anz  vereinzelt  vorkommen. 

4)  Schilderungen  von  Einzelereignissen  aus  dem  Schulleben 
und  von  Einzelheiten,  die  nur  hier  und  da  vorgekommen  sind; 
unter  sie  mögen  auch  die  novellistisch  gehaltenen  Schulkuriosa  ein- 
gerechnet werden,  soweit  sie  ernsthaft  zu  nehmen  und  wirklich  historisch 
beglaubig^,  nicht  bloß  „wahre  Schulerinnerungen"  sind,  —  eine  Ein- 
schränkung, die  hier  ganz  besonders  am  Platze  ist,  denn  nicht  alles 
das,  was  manche  Selbstbiographen  von  ihren  weit  zurückliegenden 
Jugendjahren  erzählen,  verdient  Glauben. 

Von  diesen  vier  Klassen  nun  ist  die  erste  durch  die  meisten  Bei- 
spiele vertreten.  Aber  —  es  muß  das  einmal  gesagt  werden  —  die 
allermeisten  dieser  Arbeiten  gehen  in  ihrem  historischen  Niveau  über 
das  Lokalgeschichtliche  kaum  hinaus  und  sind  deshalb  ftlr  den  nach 
Zusammenhängen  suchenden  Schulhistoriker  ein  recht  ungefüges 
Material;  denn  es  ist  oft  gar  nicht  leicht,  aus  einer  Masse  belang- 
loser, nur  auf  den  betreffenden  Ort  sich  beziehender  Notizen  das 
berauszuschälen,  was  nur  für  die  Heimatprovinz,  geschweige  denn  für 
den  ganzen  Staat,  das  gesamte  Bildungswesen  bedeutungsvoll  ist,  und 
was  man  als  Etnzelbaustein  für  eine  umfassende  Darstellung  gebrauchen 
kann.  In  jenen  Arbeiten  liegt  zwar  ein  ungeheures  Aktenstudium  vor, 
doch  nur  wenige  Darsteller  stehen  auf  einem  höheren  Standpunkt  und 
vermögen  weitergehenden  Ansprüchen  zu  genügen.  Um  nun  eine 
musterhafte  Arbeit  zu  nennen,  so  ist  eine  Spezialschulgeschichte  so, 
wie  sie  sein  soll  (wenngleich  im  einzelnen  manches  nachzubessern  und 
zu  ergänzen  ist),  das  treflTliche  Werk  von  Theodor  Flathe,  St.  Afra 
{Leipzig  1879),  dessen  geschickte  Disposition  und  übersichtliche,  nichts 
Wichtiges  unerörtert  lassende  Darstellung  nicht  erst  noch  einen  be- 
sonderen Lobredner  nötig  hat.  Sein  Ruhmesanspruch  beruht  aber 
^anz  besonders  darauf,   daß  sich  der  Verfasser  mit  Erfolg  bemüht, 


—     66     — 

ja  geradezu  Bahn  gebrochen  hat  in  dem  Bestreben,  die  Geschichte 
der  alten  evangelischen  Stiftungsschule  des  Herzogs  Moritz  von  Sachsen 
in  inneren  Zusammenhang  zu  bringen  mit  den  religiösen  Bewegungen 
und  den  politischen  Schicksalen  ihres  sächsischen  Heimatlandes.  Nur 
wenige  gleich  gute  Arbeiten  sind  Flathes  Buche  an  die  Seite  zu  stellen, 
und  sein  Beispiel  hat  wenig  Nachahmung  gefunden.  Dagegen  sind 
die  Arbeiten  anderer,  die,  wie  gesagt,  nur  das  lokalgeschichtliche 
Interesse  befriedigen  und  vor  allem  in  der  „Treue  im  Kleinen"  ihren 
Ruhm  suchen,  außerordentlich  zahlreich:  mit  Unmut  liest  man  sie  durch, 
weil  man  neben  so  viel  lokalhistorischer  Spreu  so  wenig  kultur-  und 
bildungsgeschichtlich  wertvolle  Körner  findet.  Dabei  kehren  gewisse 
Fehler,  Auslassungen  und  Undeutlichkeiten  fast  immer  wieder.  Bei- 
spiele dafür  lassen  sich  aus  allen  deutschen  Ländern  und  aus  allen 
Jahrgängen  der  Programmliteratur  leicht  auffinden  und  in  Menge  auf- 
zählen. Um  nur  einige  typische  Beispiele  herauszugreifen,  so  sind 
zwar  die  Aufzählungen  der  Lehrer  an  einer  Anstalt  (be- 
sonders bei  Anstaltsjubiläen  beliebt)  eine  sehr  wichtige  Sache  für  die 
Angehörigen  der  Schule,  bzw.  für  die  früheren  Schüler.  Aber  wenn 
man  daselbst,  wie  es  gewöhnlich  geschieht,  selbst  bei  ganz  bekannten 
(natürlich  verstorbenen)  Schulmännern  nur  erfahrt,  wann  sie  geboren, 
bzw.  gestorben  sind,  wann  sie  promoviert  haben,  wann  sie  angestellt, 
ausgezeichnet  usw.  worden  sind,  so  ist  das  nur  Statistik,  keine  Ge- 
schichte. Einem  Biographen,  falls  er  einmal  in  Tätigkeit  treten  sollte, 
bliebe  gegenüber  einem  solchen  fleischlosen  Gerippe  von  Tatsachen  so  gut 
wie  alles  zu  tun  übrig.  Wo  bleiben  die  schriftstellerischen  Arbeiten 
dieser  Männer?  wo  bleibt  eine  kurze  Darlegung  des  Ganges  ihrer 
Schularbeit?  wo  ein  kurzes  Charakterbild,  das  man  dann  wieder  als 
Einzelzug  in  das  Gesamtgemälde  einer  Schule,  einer  Epoche,  einer 
Gesamtheit  von  Schulen  einfugen  kann?  —  Oder,  wenn  wir  seitenlang 
von  Streitigkeiten  zwischen  Rat  und  Schule  hören,  wer  ver- 
mag da  zu  behaupten,  daß  solche  Dinge  bUdungsgeschichtlich  wert- 
voll seien?  wenn  uns  die  Kapitelüberschriften  eines  früheren 
Lehrbuchs  abgedruckt  werden,  wie  kann  man  sich  daraus,  wie  bis- 
weilen naiv  angenommen  wird,  eine  ,, Vorstellung  von  der  Methode 
des  damaligen  Lateinunterrichts"  verschafTen?  Wenn  man  irgendeine 
Schulordnung,  sagen  wir  einmal  eine  städtische  einer  Partikular- 
schule des  XVI.  Jahrhunderts,  abdruckt,  ohne  auch  nur  den  Versuch 
zu  machen,  sie  in  die  Geschichte  und  Schulgesetzgebung  der  betreflfen* 
den  Zeit  und  des  betreffenden  Staates  einzugliedern,  was  hat  das  für 
Bedeutung  außer  der  bekannten  des  „schätzbaren  Materials'*?  was  ist 


—     67     - 

damit  geholfen,  wenn  wir  lesen:  UfUerricfU  in  der  Oraiorie,  und  wir 
wissen  nicht  einmal,  ob  in  der  lateinischen  oder  in  der  deutschen? 
oder  wenn  es  heißt:  M.  Thoniaeus  cum  luniaribus  Erasmi  Coüoquia, 
wenn  wir  über  die  näheren  Umstände  dieser  Lektüre,  vor  allem  dem 
Tempo,  das  wir  aus  der  Anführung'  der  Seitenzahl  des  Gelesenen  er- 
kennen könnten,  und  wenn  wir  von  der  benutzten  Auflage  des  be- 
treffenden Werkes  weiter  gar  nichts  erfahren? 

Wer  in  schulgeschichtlichen  Dingen  sich  umgetan  hat,  der  weiß, 
daß  solche  Desiderata  sich  leicht  vermehren  ließen,  und  der  denkt 
oft  und  mit  Unmut  daran,  wie  häufig  ihn  selbst  sehr  ausfuhrliche,  und, 
wie  ihre  Verfasser  selbst  für  gewiß  angenommen  haben,  „durchaus 
vollständige"  Arbeiten  im  Stiche  ließen,  und  auf  wie  viele  Fragen, 
die  er  gern  aus  ihnen  beantwortet  haben  wollte,  sie  ihm  die  Auskunft 
schuldig  geblieben  sind.  Es  ist  deshalb  vielleicht  nützlich,  wenn  ein- 
mal eine  Reihe  Hauptwünsche  an  die  Schulhistoriker  hier  vorgetragen 
wird,  damit  wenigstens  in  Zukunft  brauchbareres  Material  in  größerer 
Menge  herbeigeschafft  werde,  und  damit  die  Schulgeschichte  der  ein- 
zelnen Anstalten  in  höherem  Maße  als  bisher  für  die  allgemeine  Bil- 
dungs-  und  damit  auch  Kulturgeschichte  ausgenutzt  werden  kann. 

Die  Kardinalforderung  aber  ist  die,  daß  der  Schul- 
historiker, wenn  er  nicht  lediglich  Lokalhistoriker  sein  und  im 
kleinsten  Detail  sich  verlieren  will,  immer  den  Zusammenhang 
mit  der  allgemeinen  Bildungs-  und  Kulturgeschichte  im 
Auge  behalten  muß  und  auch  andere  Lebensverhältnisse  und 
Lebensäußerungen  mit  heranzuziehen  hat,  sobald  sie  dienlich  sind, 
um  die  Verhältnisse  der  zu  schildernden  Schule  und  ihrer  Angehörigen 
zu  erklären.  Dieses  Verlangen  erscheint  so  selbstverständlich,  daß  man 
es  eigentlich  gar  nicht  erst  auszusprechen  nötig  haben  sollte,  ist 
es  aber  nicht.  Die  Beweise  dafür  ließen  sich  in  Menge  beibringen: 
doch  sehen  wir  von  einer  Aufzählung  von  Mängeln  und  Sünden  ab 
und  bringen  lieber  einige  Beispiele  von  dem  bei,  was  wir  so  oft 
in  schulgeschichtlichen  Dingen  vermissen  und  was  hinzugetan  werden 
müßte,  damit  das  betreffende  Detail  in  den  rechten  Zusammenhang 
kommt  und  dadurch  erst  ganz  verständlich  wird. 

Am  besten  beginnen  wir  mit  den  alleräußerlichsten  Dingen, 
den  sachlichen  Kosten,  die  eine  Schule  verursacht  hat.  Wenn 
uns  irgendein  Schulhausbau  geschildert  wird,  so  sind  Kostenanschläge, 
Abbildungen,  Inventaraufzählungen,  Pläne  der  Schulräume,  Skizzen 
der  Rektoren-  und  Lehrerwohnungen  usw.  ja  recht  schön.  Aber  sie 
sagen  uns  nichts,  wenn  wir  sie  nicht  in  Vergleich  stellen  können  mit 


—     CR     — 

dem,  was  man  zu  gleicher  Zeit  für  andere  Schulen  anderswo  ange- 
wendet hat,  und  was  für  Einrichtungen  an  anderen  Orten  getroffen 
worden  sind.  Nur  dann  ist  ein  richtiges  Urteil  möglich,  ob  der  be- 
treffende Staat,  bzw.  Stadt,  seine  Schuldigkeit  getan  hat!  Speziell 
bei  Bauplänen  von  Wohnungen  ist  dringend  der  Vergleich  mit  anderen 
Wohnungsplänen,  in  unserem  Falle  speziell  der  Pfarrhäuser,  geboten, 
sonst  ist  das  Urteil  rein  subjektiv  und  kann  jeden  Augenblick  umge- 
stoßen werden.  Unter  die  gleiche  Rubrik  gehören  auch  die  Kosten, 
die  für  Bibliotheken  und  Lehrmittel  erwachsen.  In  der  Regel  sind  die 
Kollegien  nicht  mit  dem  zufrieden,  was  dafür  heute  ausgegeben  wird, 
und  das  überträgt  der  Schulhistoriker  dann  ganz  unbewußt  in  seine 
Darstellung  und  wird  dabei  leicht  zum  laudator  temparis  acti.  Die 
Sache  nimmt  aber  ein  ganz  anderes  Gesicht  an,  wenn  man  z.  B.  er- 
fahrt, daß  in  Sachsen  eine  alte  berühmte  Schule  heutzutage  jährlich 
etwa  1300  Mark  dafür  aufwenden  kann,  während  früher  (vor  60  Jahren) 
ihr  Bibliotheksfiskus  nebst  den  Cjeldern  für  Lehrmittel  nur  wenig  über 
100  Taler  betrug.  So  viel  teurer  sind  die  Bücher  ja  doch  nicht  ge- 
worden! Und  wenn  trotzdem  die  heutige  Unzufriedenheit  als  teilweise 
berechtigt  anerkannt  werden  muß  (da  mancherlei  neue  Forderungen 
an  diese  Sammlungen  von  Büchern,  Zeitschriften  und  Karten  erhoben 
werden),  so  muß  auch  anderseits  zugegeben  werden,  daß  es  im  Vergleich 
zu  früheren  Zeiten  weit  besser  geworden  ist,  —  auch  eine  schul- 
historisch wichtige  Erkenntnis,  in  der  festgestellt  wird,  daß  sich  die 
Schulbehörden  mehr  als  früher  bemühen,  den  wissenschaftlichen  Be- 
dürfnissen der  Gelehrtenschule  gerecht  zu  werden. 

Dieselbe  Methode  des  Vergleichs  mit  gleichzeitigen  Erscheinungen 
in  anderen  verwandten  Berufsarten  und  mit  zeitlich  verschiedenen  Er- 
scheinungen in  demselben  Berufe  muß  auch  auf  die  persönlichen 
Ausgaben  übertragen  werden,  die  im  geschichtlichen  Schulleben 
aufjgeführt  werden.  Es  nützt  uns  wenig,  wenn  wir  erfahren,  daß  der 
Rektor  einer  Lateinschule  um  das  Jahr  1700  herum  etwa  550  Taler 
Gehalt  erhielt,  daß  auf  manchen  Schulen  um  1725  herum  die  Schüler 
36  Taler  Schulgeld  zahlen  mußten,  daß  das  Kostgeld  fiir  einen  Alum- 
nus um  1830  herum  etwa  80  Taler  jährlich  betrug,  daß  1850  die  Ge- 
hälter der  „KoUaboratoren"  mit  500  Taler  normiert  waren,  daß  noch 
1870  die  Witwen  von  Gymnasialdirektoren  mit  einer  Pension  von  jähr- 
lich SO  Talern  abgespeist  wurden.  Will  man  ein  wirkliches  Urteil  über 
diese  Zahlen,  gleichviel  ob  sie  hoch  oder  niedrig  erscheinen,  gewinnen, 
so  muß  man  noch  mancherlei  anderes  wissen.  Erstens  muß  man 
wissen,  was  das  Geld  in  der  betreflfenden  Zeit  für  eine  Kaufkraft  be- 


—     69     — 

«essen  hat,  und  zwar  aus  möglichst  vielen  konkreten  Beispielen.  Und 
zweitens  muß  man  wissen,  wie  sich  die  Gehälter  der  entsprechenden 
Stände,  vor  allem  der  Geistlichkeit,  im  gleichen  Zeiträume  darstellten, 
bzw.  was  in  anderen  Ständen  Dienstgenüsse  imd  Naturalgeßllle  für 
-einen  Wert  besaßen.  Nur  dann  kann  ich  richtig  beurteilen ,  ob  z.  B. 
^as  Kostgeld  eines  Alumnus  wirklich  angemessen  war,  wenn  ich 
einerseits  die  Preisverhältnisse  eines  anerkannten  Alumnats  von  heute 
zug^nde  lege,  und  anderseits  die  Lebensmittelpreise  der  behandelten 
Epoche  kenne,  ferner  die  Quantitäten,  die  geliefert  wurden,  und  daraus 
<lie  Verhältniszahl  zu  heute  festgestellt  habe.  Nur  dann  kann  ein  sicheres 
Urteil  über  zu  geringe  Besoldung  eines  Lehrers  gefallt  werden, 
wenn  seine  Einkünfte  in  einem  Mißverhältnis  zu  den  Durchschnittskosten 
und  -einnahmen  einer  gleichzeitigen  Haushaltung  eines  Beamten  von 
•entsprechender  Stellung  stehen.  Nur  dann  darf  man  beklagen,  daß 
die  Pensionen  gerade  der  preußischen  Lehrerwitwen  um  1860 
herum  so  lächerlich  niedrig  gewesen  seien,  wenn  man  auch  nachweisen 
kann,  daß  es  den  Witwen  anderer  gleichartiger  Stände  zu  gleicher  Zeit 
wesentlich  besser  ergangen  ist. 

Es  könnte  hier  eingewendet  werden,  daß  dies  alles  zu  sehr  ins 
Detail  führe,  und  daß  vor  allem  diese  Details  zu  schwer  zu  beschaffen 
seien.  Der  erste  Grund  ist  wenig  wissenschaftlich;  denn  ohne  die 
Treue  im  Kleinen  gibt  es  keinen  Blick  auf  das  Ganze.  Und  für 
•den  zweiten  Einwand  ist  darauf  zu  verweisen,  daß  solches  Material, 
wie  wir  es  brauchen,  gar  nicht  so  selten  zu  finden  ist.  Die  alten 
3tadtbücher  und  Ratsrechnungen,  die  ja  auch  sonst  so  oft  zu  schul- 
wissenschaftlichen  Forschungen  als  Quellen  herangezogen  werden,  bieten 
es  oft  in  Hülle  und  Fülle  dar. 

Nur  vor  einem  muß  gewarnt  werden,  daß  man  nämlich  diese  volks- 
wirtschaftlich so  lehrreichen  Angaben  unvollständig  beibringt.  Wenn 
ich  z.  B.  wissen  will,  um  das  Beispiel  aus  einem  anderen  Gebiete  heran- 
zuziehen, ob  die  Einkommen  der  sächsischen  Pfarrer  sich  gegen  die 
der  Reformationszeit  im  Durchschnitt  verschlechtert  haben  oder  nicht 
{eine  gegenwärtig  viel  ventilierte  Frage),  so  muß  ich  das  Durchschnitts- 
einkommen etwa  von  1557  (zweite  Visitation)  und  von  1906  kennen, 
und  außerdem  wissen,  was  man  1577  für  sein  Geld  etwa  an  Lebens- 
mitteln (diese  als  Normalwertmesser  angenommen)  kaufen  konnte. 
Selbst  wenn  wir  hierbei  Dienstwohnung  und  Naturalgenuß  von  Feld 
tind  Garten  als  ausscheidbar,  weil  wenigstens  als  im  Verhältnis  kon- 
stant gebliebene  Größen  ansehen,  wird  doch  jeder,  der  von  der  Sache 
etwas  versteht,  sofort  zugeben,   daß   diese  Fragen  sich  gar  nicht  so 


—     70     — 

leicht  beantworten  lassen,  daß  sehr  viele  Faktoren  mit  in  Rechnui^ 
2u  ziehen  sind,  wenn  man  ein  auch  nur  annähernd  brauchbares  Resultat 
erzielen  will,  und  daß  man  sein  Urteil  nur  mit  größter  Vorsicht  formu- 
lieren darf,  weil  man  doch  etwas  übersehen  haben  könnte,  was  dann 
zu  Fehlem  Anlaß  gibt.  Was  soll  man,  wenn  unsere  Erwägung  das 
Richtige  trifft,  dann  noch  zu  solchen  häufig  vorkommenden  Urteilen 
sagen,  die  uns  mit  schöner  Bestimmtheit  versichern,  „die  Gehälter 
waren  für  die  damalige  Zeit  recht  ansehnlich,  da  das  Geld  damals 
die  zehnfache  Kaufkraft  hatte,  wie  jetzt",  d.  h.  1879  (Jahreszahl  des 
Aufsatzes) !     Sie  sind  schlimmer  als  wertlos,  denn  sie  führen  in  die  Irre  t 

Ein  dritter  solcher  äußerlicher  Punkt  ist  die  Angabe  der  Fre- 
quenz der  Schulen,  und  die  aus  diesem  Zahlenmaterial  hergeleitete 
Beurteilung  über  die  Vortrefiflichkeit  der  Anstalt  und  die  Tüchtigkeit 
des  betr.  Rektors  und  seiner  Lehrer.  Es  soll  nicht  geleugnet  werden, 
daß  zwischen  beiden  Faktoren  ein  ursächlicher  Zusammenhang  bestehen 
kann,  aber  es  muß  auf  das  bestimmteste  ein  notwendiger  Zu- 
sammenhang in  Abrede  gestellt  werden.  Wie  oft  findet  man  ganz 
gewaltige  Ziffern  angegeben !  So  haben  z.  B.  vor  hundert  Jahren  einige 
lausitzische  Rektoren  50  Primaner  und  mehr  zusammen  unterrichtet. 
Sowie  aber  die  preußische  Verwaltung  eintrat,  da  sank  auf  einmal 
die  Frequenz  auf  das  Sechsteil  herab.  Und  der  Grund  ?  Kein  anderer 
als  der,  daß  die  preußischen  Primaner  die  Universität  nur  durch  die 
Pforte  der  Reifeprüfung  betreten  durften,  was  man  bis  dahin  in  Sachsen 
noch  nicht  kannte:  der  Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung 
(nicht  etwa  für  die  der  Begründung  mit  der  mangelnden  Befähigung  der 
Rektoren)  liegt  aber  darin,  daß  sich  derselbe  große  Rückgang  der 
Frequenz  auch  in  Sachsen  zeigte,  nachdem  man  sich  um  1830  herum 
zu  derselben  scharfen  Maßregel  entschloß !  —  Also  auch  hier  liegt  im 
Vergleich  wiederum  der  Schlüssel  zum  wahren  Verständnis.  —  Ander- 
seits ist  bei  Frequenzangaben  auch  noch  anderes  Material  heranzu- 
ziehen :  territorialer  Schulzwang,  schnelles  Wachstum  der  Städte,  Ver- 
stärkung der  in  Betracht  kommenden  Elternklassen  durch  Verlegung 
von  Behörden  und  Militär  (besonders  bei  Mittelstädten  zu  beachten), 
und  vor  allem  die  Termine  der  den  Schulen  zugesprochenen  Berech-» 
tigung^erteilungen.  In  den  schulgeschichtlichen  Arbeiten  begegnen  einem 
solche  interessante  Angaben  aber  nur  hier  und  da. 

Ein  vierter  äußerlicher  Punkt,  der  hier  noch  Erwähnung  finden 
mag,  sind  die  Angaben  über  die  Verteilung  des  Unterrichts 
an  Zahl  und  Qualität  der  Lehrstunden  an  die  einzelnen  Lehrer,  wozu 
noch  einzelne  Data  über  Menge  und  Länge  der  Korrekturen  kommen. 


—     71     — 

Auch  hier  müssen  die  oben  angedeuteten  Vergleiche  nach  beiden 
Richtungen  hin,  zwischen  einst  und  jetzt,  und  zwischen  den  einzelnen 
Persönlichkeiten  derselben  Zeit  angestellt  werden.  Wenn  wir  z.  B. 
hören,  daß  um  1820  der  Rektor  21,  der  Tertius  nur  11  Stunden 
wöchentlich  erteilte  (jetzt  ist  es  gerade  umgekehrt),  so  müssen  wir 
nicht  nur  wissen,  um  dieses  Verhältnis  zu  verstehen,  was  die  Gegen- 
stände des  Unterrichts  waren,  wieviel  Korrekturen  damit  verbunden 
waren  und  welche  Ansprüche  man  an  die  Sorgfalt  der  letzteren  erhob 
(ich  fürchte,  sie  waren  nicht  groß!).  Wir  müssen  auch  noch  wissen, 
ob  der  Tertius  im  angezogenen  Falle  amtlich  verpflichtet  war,  auch 
noch  andere  Geschäfte  zu  führen  (z.  B.  nachmittags  predigen,  Kurrende 
leiten,  Leichensingen,  Stadtrechnung  fuhren,  Schulkasse  verwalten  usw.) 
Erst  wenn  man  auch  diesen  Faktor  mit  herangezogen  hat,  ist  man  zu  einem 
richtigen  Schlüsse  befähigt:  erst  dann  ist  es  möglich,  in  diesem  wie 
in  den  vorher  angeführten  drei  Fällen  (die  aber  nur  Beispiele  sein 
sollen)  eine  wirklich  vollständige  und  darum  für  die  allgemeine  Schul- 
und  weiterhin  Kulturgeschichte  wirklich  nutzbare  Einzeldarstellung  zu 
geben. 

Der  zuletzt  berührte  Punkt  der  wirtschaftlichen  Seite  des  Schul- 
lebens aber  bietet  uns  den  Übergang  zu  dem  eigentlichen  Schulbetrieb, 
der  uns  hineinführt  zur  inneren  Geschichte  der  Schulen,  vom 
alltäglichen  Unterricht  bis  zu  den  Gesamttendenzen,  die  die  Quintessenz 
des  Schullebens  darstellen,  und  die  zunächst  in  pädagogischen  Theorien 
(die  wir  von  unserem  Thema  ausscheiden  müssen)  und  dann  in  Gesetz- 
und  Verordnungsform  uns  entgegentreten. 

Diese  letzteren,  die  Lehrordnungen,  Schulordnungen  usw. 
sind  nun  schon  längere  Zeit  ein  Gegenstand  der  Aufmerksamkeit  für 
die  Schulgeschichtschreibung  gewesen,  und  die  Auffindung  solcher 
wertvoller  Dokumente  hat  schon  oft  den  Schulhistorikern  eine  reine 
Freude  bereitet.  Man  kann  wohl  sagen,  daß  fast  alljährlich  eine  ganze 
Anzahl  solcher  Lehrordnungen  in  Schulprogrammen  ihre  Auferstehung 
feiert,  meistens  in  diplomatisch  genauer  Wiedergabe,  sogar  oft  in  dem 
Schriftsatz  des  Originals  und  mit  sorgfältiger  Beibehaltung  auch  offen- 
barer alter  Druckfehler,  womit  ja  die  philologische  Akribie  auf  das 
sicherste  bewiesen  wird.  Sehr  schön !  sehr  dankenswert !  Aber  warum 
erfüllt  der  glückliche  Finder  und  Herausgeber  fast  niemals  seine  Pflicht, 
oder  besser  gesagt,  warum  läßt  er  sich  fast  immer  die  schöne  Gelegenheit 
entgehen,  dieses  kostbare  Ineditum  in  seinen  geschichtlichen  und 
wissenschaftlichen  Zusammenhang  zu  bringen  ?  Denn  auch  die  Schul- 
ordnungen sind  nicht,  wie  Pallas  Athene  aus   dem  Haupte   des  Zeus, 


—     72     — 

dem  Kopfe  des  Mannes  entsprungen,  der  damals  sehoiae  redor  war 
und  dessen  Name  ihren  Titel  schmückt,  (falls  nicht  ein  hochweiser 
Magistrat  das  Ursprungsrecht  am  selben  Orte  für  sich  in  Anspruch 
nimmt),  sondern  sind  Symptome  von  Gesamttendenzen. 

Freilich  ist  es  heutzutage  noch  nicht  leicht,  gerade  diesem  schönsten 
und  interessantesten  Teile  der  Aufgabe  gerecht  zu  werden:  es  fehlt 
an  genügenden  Gesamtpublikationen,  und  altes  gesetzliches  Material  ist 
nicht  immer  leicht  zu  beschaffen  und  aufzufinden,  da  es  oft  in  ge- 
waltigen, natürlich  im  Staube  der  Bibliotheken  vergrabenen.  Gesamt'^ 
kodifikationen  verstreut  ist.  Aber  das  müßte  doch  eigentlich  gerade 
zum  Suchen  reizen  1  Und  schließlich  bietet  das  bekannte  Werk  von 
Reinhold  Vormbaum  ^),  wenn  es  auch  wirklichen  wissenschaftlichen 
Ansprüchen  nicht  mehr  genügt '),  doch  immer  noch  eine  sehr  reiche 
Quellensammlung,  mit  der  man  schon  ein  gutes  Stück  weiter  kommen 
kann.  Für  manche  Landschaften  sind  die  Mcmimenta  Germaniae 
Paedagogica  mit  geradezu  mustergültigen  Publikationen  ausgestattet 
(ich  erinnere  nur  an  das  vorbildliche  Werk  Koldeweys  über  Braun- 
schweig), und  auch  das  umfassende  Werk  Sehlings,  des  Erlanger 
Kirchenrechtslehrers,  über  die  Evangelischen  Kirchenordnungen  bietet, 
besonders  in  seinen  Prolegomena,  umfassende,  auf  reiche  archivalische 
Kunde  gestützte  Belehrungen. 

In  der  Regel  werden  jedoch  diese  vortrefflichen  Publikationen  von 
den  Herausgebern  nicht  herangezogen,  und  so  kommt  es  denn  immer 
wieder,  daß  die  neugefundenen  Lehrordnungen  ohne  wissenschaftliche 
Einordnung  und  Erklärung,  sozusagen  nackt  und  bloß  erscheinen, 
und  uns  zunächst  wenigstens  sehr  wenig  zu  sagen  wissen.  Da  haben 
doch  unsere  alten  Kollegen  am  Thomer  Gymnasium  im  XVI.  Jahr* 
hundert  ihre  Sache  viel  besser  verstanden,  als  sie  im  Jahre  1584  ihre 
schöne,  leider  viel  zu  wenig  bekannte  InstihUio  lÜerata  Ihoruniensis 
in  drei  Quartbänden  herausgaben,  in  denen  sie  ihr  wissenschaftliches  und 
pädagogisches  Programm  niederlegten.  Sie  hatten  die  klare  Erkenntnis, 
daß  ihre  und  ihrer  Vorgänger  (besonders  des  Petrus  Vincentius 
aus  Görlitz)  pädagogische  Weisheit  sich  ganz  und  gar  auf  Johannes 
Sturms  Schriften  aufbaute,  und  darum  haben  sie  dessen  schul  wissen- 


i)  JEvangeUsche  Schuhrdnungen  (Gütersloh  1860,  3  Bde).  Jeder  Band  uinfafst  die 
Ordnangen  eines  Jahrhunderts. 

a)  Der  Hauptmangel  des  Baches  liegt  nicht  in  seiner  UnTollständigkeit,  sondern 
darin,  dafs  er  die  Ordnungen  nicht  ans  den  Originalen,  sondern  aus  den  späteren  Kodi- 
fikationen abdruckt,  so  s.  B.  die  kursfichsischen  aus  dem  stark  überarbeiteten  Codex 
Auguiteus, 


—     73     — 

schaftliche  und  systematische  Arbeiten  direkt  als  Quelle  genannt,  und 
auch   sorgfältig  im   ersten  Bande  ihres  Quellenwerkes  mit  abgedruckt. 

Die  gleiche  Berücksichtigung  der  größeren  schulhistorischen  und 
kultui^eschlchtlichen  Zusammenhänge  möchten  wir  auch  empfehlen  bei 
gewissen  Paradestücken  der  schulhistorischen  Publikationen,  nämlich 
bei  der  Wiedei^abe  von  offiziellen  Aktenstücken  (Rektorats- 
verträgen, Lehreranstellungen,  gottesdienstlichen  Vorschriften,  Kon- 
trakten mit  Schulverwaltem  usw.).  Auf  die  volkswirtschaftliche  Seite 
der  betrefTenden  Sachen  ward  schon  oben  hingewiesen;  hier  handelt 
es  sich  gewissermaßen  um  den  ideellen  Inhalt  dieser  Aktenstücke,  der 
nur  dann  ausgeschöpft  werden  kann,  wenn  man  Vergleiche  mit  gleich- 
zeitigen entsprechenden  Aktenstücken  zieht,  und  zugleich  auch  mit 
Blicken  nach  vorwärts  und  rückwärts  die  historische  Entwicklung  dieser 
Dinge  sich  und  anderen  verdeutlicht 

In  ganz  besonderem  Grade  gilt  das  von  alledem,  was  über 
Schul festlichkeiten  uns  überliefert  ist.  Hier  genügt  es  nicht» 
wenn  es  z.  B.  heißt,  daß  (an  einigen  Schulen)  den  Gönnern  der  An- 
stalt drenae  überreicht  wurden  (d.  h.  zierliche  lateinische  Epigramme, 
die  die  Primaner  zu  Weihnachten  in  der  Hoffnung  auf  irgendwelche 
Belohnung  für  die  Honoratioren  schmiedeten),  oder  daß  der  Gregorius- 
umzug  stattfand,  oder  daß  Schulaufführungen  da  und  dort  stattfanden, 
sondern  diese  Einzelnachrichten  müssen  eben  in  das  Gesamtgefüge 
eingepaßt  werden.  Die  Geschichte  des  deutschen  Schuldramas  ist  ein 
noch  zu  schreibendes  Buch ,  das  aber  durchaus  nicht  nur  vom  literar- 
historischen, sondern  auch  vom  schulwissenschaftlichen  Standpunkte 
aus  behandelt  und  angefaßt  sein  will,  wenn  man  ein  wirkliches  Gesamt- 
bild gewinnen  will.  Gerade  für  die  letztere  Seite  der  Sache  ist  noch 
sehr  wenig  getan :  hier  gilt  es  die  Fragen  zu  beantworten,  wie  kommt 
gerade  diese  Schule  dazu,  gerade  dies  Stück  aufzuführen,  wie  bald 
nach  seinem  Erscheinen  ist  es  über  die  Bühne  gegangen,  wie  oft  ist 
es  aufgeführt  worden,  wie  lange  hat  es  sich  gehalten,  welche  Um- 
arbeitungen (z.  B.  Shakespeare)  hat  es  erfahren  usw.  Und  da- 
neben wird  man  auch  wissen  wollen,  wie  die  Aufführung  selbst 
sich  vollzog,  lauter  interessante  Dinge,  die  den  Erforscher  in  schnellem 
Fluge  vom  Conrechr  scholae  (dem  ständigen  Theaterdirektor)  hin- 
überführen zur  Mysterienbühne  und  zu  Terenzens  Bühne  einer- 
seits, und  zu  Moli^re,  Cervantes  und  Lessing  anderseits:  freilich 
auch  lauter  Dinge,  die  in  den  Einzelpublikationen  kaum  an- 
deutungsweise gestreift  werden.  Jedoch  liegt  hier  die  Schuld  nicht  allein 
am  Einzelforscher;  es  fehlt  auch  an  guten  literargeschichtlichen  Gesamt- 


—     74     — 

Publikationen  *) ;  hat  doch  noch  nicht  einmal  im  Heimatlande  des  Schul- 
dramas, in  Kursachsen,  sich  ein  Mann  gefunden,  der  den  dankbaren 
Stoff  gesammelt  und  nach  allen  Seiten  hin ,  auch  den  technischen, 
einer  Darstellung  unterzogen  hätte. 

Wenden  wir   uns  nun  zum  All  eralltäglichsten  im  Schulleben,   zur 
Erörterung  der  Lehrgegenstände.     Diese   kommen   in    der  Regel 
in  den  Schulgeschichten  schlecht  weg.     Das,  worauf  es  ankommt,  daß 
wir  nämlich  den  Fluß  der  Dinge  erkennen  könnten,  daß  die  Einzel- 
darlegung uns  jede  Einzelerscheinung   des  Tages  als  ein  Symptom 
erfassen  lehrte,  finden  wir,  mit  verschwindenden  Ausnahmen,  fast  nie- 
mals:  und  doch   können  wir  z.  B.  den  Aufschwung    des  griechischen 
Unterrichts  nach   1820  nur   dann   richtig  verstehen,  wenn  er  in  vielen 
Einzelpublikationen  uns  vor  die  Seele  tritt:   diese  selbst  aber  können 
ihn  uns  nur  dann  recht  verdeutlichen,  wenn  sie  wieder  den  Blick  aufe 
Ganze   richten   und  die  Einzelheiten   unter    die    großen   Gesamtheiten 
unterordnen  und  einreihen.     Oder  ein  anderes  Beispiel!     Nehmen  wir 
einmal  die  Einführung  des  mathematischen   oder   französischen  Unter- 
richts an  irgendeiner  Schule  an;  da  ist  es  unseres  Erachtens  die  Pflicht 
des  Darstellers  nachzuweisen,  nicht  nur  daß  dieser  Unterricht  an  der 
betreffenden  Anstalt  eingeführt  wurde,  sondern  er  muß  auch  darstellen, 
wie  man  dazu  kam,    ihn  einzuführen,   und  in  welcher  Form  er 
zuerst  in  die  Erscheinung   trat.     Die   Fäden    besonders    (lir   das   erste 
unserer  Postulate   werden   freilich   nicht   immer  ganz   leicht  zu  finden 
sein,   da   man   bei   dieser  Gelegenheit   oft  zeitlich  weit  zurückgreifen 
muß  und  oft  ganz  andere  Persönlichkeiten  mit  in  Frage  kommen,  die 
mit  der  Schule   nur   indirekt   zu   tun  haben,    und   darum   uns   in   den 
Akten  auch  nicht  sofort  plastisch  entgegentreten.     Doch  man  darf  sich 
durch   solche  Erwägung   nicht   abschrecken   lassen.     Wer   nur   einmal 
eine  solche  Untersuchung  geführt  hat,   weiß,   wie   reizvoll  sie  ist,  so- 
bald man  nur   die   mühseligen   ersten  Anfänge  hinter  sich  hat;   denn, 
ehe  man  es  sich  versieht,  kommt  man  von  der  kleinstädtischen  oder 
territorial  höfischen  Honoratiorengesellschaft   und  vom   obskuren   fran- 
zösischen  Sprachmeister   hinüber  zu   den   Männern,    die   die   geistige 
Führung  hatten  und  das  Ideal  des  homo  politicus  herausbilden  halfen. 
Und  genau  so  führt  uns  das  kurze  Verzeichnis  der  bescheidenen  physi- 
kalischen Apparate  der  ersten  Mathematici  an  Gelehrtenschulen,  etwa 
um   1700  herum,    in    kürzester  Frist  bis   zu   den  Höhen,    auf   denen 


i)  Die  Werke  von  Holstein,  Die  Reformation  im  Spiegelbilde  der  dramatischen 
Literatur  (1886)  and  Exp.  Schmidt,  Die  Bühnenverhältnisse  des  deutschen  Schul- 
drannas  (1903)  reichen  ftir  Karsachsen  nicht  aas,  da  das  archival.  Material  fehlt. 


—     75      — 

damals  Leibniz  und  seine  Gesinnungs-  und  Geistesverwandten  ge- 
standen haben.  Den  Philologen,  der  die  Neuhumanistenzeit  betrachtet, 
braucht  man  nicht  erst  auf  F.  A.  Wolf,  G.  Hermann  und  A.  Boeckh 
hinzuweisen,  dem  Germanisten,  der  die  Geschichte  des  deutschen  Unter- 
richts im  XIX.  Jahrhundert  ergründen  will,  wird  das  Wirken  der  Ro- 
mantik auf  die  Schule  und  ihre  Lehrgegenstände  etwas  durchaus  Ge- 
läufiges sein.  Bei  der  Erörterung  der  beiden  letztgenannten  schul- 
historischen Objekte,  die  in  mancherlei  Einzelbearbeitungen  uns  vor- 
liegt, ist  nun  dieser  Hinweis,  diese  Einfügung  ins  Ganze  und  Erklärung 
aus  dem  Ganzen  etwas  durchaus  Hergebrachtes  und  Geläufiges: 
wer  ihn  unterließe,  würde  einer  groben  Unterlassungssünde  geziehen 
werden :  mit  vollem  Rechte,  wie  wir  meinen ;  nur  möge  man  das,  was  man 
bei  diesen  beiden  Gebieten  als  recht  ansieht,  auch  für  andere  Perioden 
und  Gegenstände  unserer  Schulgcschichte  als  billig  gelten  lassen. 

Wer  nun  meinen  möchte,  daß  mit  der  Erörterung  von  Lehr- 
ordnungen und  Lehrgegenständen  das  Bild  vom  inneren  Leben  der 
Schule  hinreichend  gezeichnet  sei,  ist  im  Irrtum.  Freilich  ist  die 
Wechselwirkung  dieser  beiden  Faktoren  aufeinander  von  höchster 
Wichtigkeit;  will  man  aber  zur  vollständigen  Erkenntnis  gelangen,  so 
muß  man  noch  ein  drittes  hinzunehmen,  was  freilich  am  schwersten 
zu  fassen  sein  dürfte,  weil  es  dafür  am  wenigsten  aktenmäßige  Belege 
gibt,  nämlich  die  genaue  Kenntnis  der  jeweilig  geübten  Schul- 
praxis, des  Schullebens  von  Tag  zu  Tag,  von  Jahr  zu  Jahr,  von 
Epoche  zu  Epoche.  Trotz  der  Schwierigkeit,  ja  häufig  sogar  völligen 
Unmöglichkeit,  sich  das  Material  zu  beschaffen,  —  der  Versuch  muß 
doch  gemacht  werden,  auch  in  diese  Materie  einzudringen,  denn  sonst 
bleibt  die  Schulgeschichte  doch  etwas  Blutloses,  Schemenhaftes. 
Wohl  dem  Schulhistoriker,  dem  dieser  Born  leicht  und  reichlich  fließt ! 
So  weiß  z.  B.  jeder  alte  Alumnatsschüler,  der  gern  die  Schicksale 
seiner  geliebten  alma  mater  verfolgen  möchte,  daß  in  einer  historischen 
Darlegung,  die  allein  sich  auf  die  Akten  der  betreffenden  Schule 
gründet,  der  historische  Grundton  des  Bildes  richtig  getroffen  sein 
wird;  aber  die  feinere  Tönung  der  Einzelheiten,  die  Übergänge  von 
hell  und  dunkel  findet  er  nicht  darin,  die  muß  er  in  den  Veröffent- 
lichungen von  Tagebüchern,  Dichteralmanachen,  novellistisch  gestal- 
teten Erzählungen  usw.  (von  denen  nur  die  Anekdoten  auszunehmen 
sind)  sich  selbst  zusammensuchen.  Der  Schulhistoriker  tut  immer  gut, 
solches  Material,  und  wenn  es  auch  nur  zur  Kontrolle  der  Akten  diente, 
mit  heranzuziehen:  denn  die  Gesaratrichtung  der  Schule,  die  Einzel- 
richtung der  Fächer,   die  Methodik   der  einzelnen  Lehrer  usw.  treten 

6 


—     76     — 

durch  solche  private  Äußerungen  oft  in  eine  weit  schärfere  und  klarere 
Beleuchtung,  und  die  gewonnenen  Bilder  werden  dadurch  für  die  all- 
gemeine Bildungs-  und  Kulturgeschichte  weit  verwendbarer.  Oder: 
will  man  z.  B.  ein  Bild  vom  Fortschritt  der  Methodik  des 
deutschen  Unterrichts  gewinnen,  und  setzt  mit  den  dazu  ge- 
hörigen Studien  etwa  um  die  Mitte  des  XVIII.  Jahrhunderts  an,  so  ist 
freilich  das  zunächst  sich  darbietende  Material  nur  das  Wenige  und 
Dürftige,  was  sich  in  den  Gesetzen  und  Lehrordnungen  als  Forderung 
angestellt  findet:  wirkliche  Fortschritte  aber  wird  der  Forscher  erst 
machen,  den  Stoff  dann  erst  ausschöpfen,  wenn  er  die,  freilich  oft  recht 
versteckten,  Themensammlungen,  die  es  für  die  „Perorier-  und  Dis- 
putierübungen** gab,  gründlich  studiert.  Den  Einfluß  vom  „Klassizis- 
mus** und  von  „Sturm  und  Drang**  erkennen  wir  viel  besser  aus  den 
dichterischen  Schüler-  und  Musenalmanachen,  und  aus  den  fast  an 
allen  Schulen  verbreitet  gewesenen  Schülerzeitungen  als  aus  päda- 
gogischen Abhandlungen.  Gar  manche  Anstalt  bewahrt  seit  alten 
Zeiten  bis  auf  den  heutigen  Tag  die  besten  Arbeiten  ihrer  Schüler 
auf,  ein  kostbares  Material ,  um  an  ihnen  innere  Schulgeschichte  zu 
studieren.  Gerade  aus  ihnen  kann  man  z.  B.  recht  gut  lernen,  daß 
die  einseitige  Anleitung  zum  Essayschreiben,  und  eine  gewisse,  aus^ 
der  „Technik  des  Dramas**  hervorgehende  Zerfaserung  unserer  klassi- 
schen Dichtungen,  dieses  Charakteristikum  unserer  heutigen  ,,  deutschen 
Arbeiten**,  durchaus  neueren  Datums  ist.  Gerade  aus  ihnen  läßt  sich, 
nachweisen,  daß  diese  Einseitigkeiten  zuerst  auftreten,  nachdem  ein 
besonderer,  also  auch  geordneter  Unterricht,  sowohl  in  der  Unter- 
prima in  der  Rhetorik,  als  auch  in  der  Oberprima  in  der  philosophi- 
schen Propädeutik  weggefallen  sind  und  es  den  Lehrern  des  Deut- 
schen überlassen  blieb,  ob  sie  diese  Gebiete  nebenher  mit  anbauen« 
wollten  oder  nicht.  Freilich  möchte  ich  hier  auch  gleich,  um  nicht 
mißverstanden  zu  werden,  die  Schulverwaltungen  in  Schutz  nehmen: 
sie  sind  nur  in  sehr  geringem  Maße  daran  schuld,  daß  heutzutage 
eine  so  große  Unkenntnis  der  elementarsten  philosophischen  Begriffe 
und  eine  so  bedauerliche  Unfertigkeit  der  Gebildeten,  einfache  Ge- 
danken in  geordneter,  geschweige  denn  künstlerisch  geformter  Rede 
zutage  zu  fördern,  vorhanden  ist.  Jeder  Schulhistoriker  weiß,  daß  die 
Verwaltungen  nur  den  Forderungen  ihrer  Zeit  nachgehen,  und  öfter 
zu  Dingen  und  Entschlüssen  gedrängt  worden  sind,  die  sie  selbst  als 
verfehlt  ansehen  mußten  und  die  sie  gutgemacht  haben,  sobald  sie 
konnten.  So  hat  der  naturwissenschaftliche  Empirismus  die  spekulative 
Philosophie,  und  die  Ästhetik  die  Rhetorik  vor  etwa  hundert  Jahren  aus  der 


—     77     — 

Schule  verwiesen,  und  heute  ist  man  im  Begriff,  zu  beiden  zurückzu- 
kehren, also  frühere  Gedankenrichtungen  in  modernisierter  Form  wieder 
aufzunehmen. 

Was  hier  ausführlich  über  die  Geschichte  der  Methodik  des  deut- 
schen Unterrichts  gesagt  worden  ist,  daß  man  das  Material,  vor  allem 
in  gestellten  Forderungen  und  gebrachten  Leistungen,  heranzuziehen 
habe,  das  gilt  natürlich  für  die  Geschichte  der  Methodik  eines  jeden 
anderen  wissenschaftlichen  Unterrichts.  Wenn  neuerdings  eine  Ge- 
schichte der  fremdsprachlichen  Arbeiten  in  Preußen  während  des 
XIX.  Jahrhunderts  ^)  geschrieben  worden  ist ,  lediglich  aufgebaut  auf 
die  Betrachtung  der  gesetzlichen  Vorschriften,  die  kurzen  Angaben  in 
den  Jahresberichten  einzelner  Anstalten  imd  die  UrteUe  berühmter 
Fachmänner  und  Zeitgenossen,  so  ist  das  nur  eine  einseitige  Lösung 
der  Aufgabe:  es  muß  noch  eine  Durcharbeitung  und  Beurteilung  der 
entsprechenden  Übungsbücher,  und,  wenn  irgend  möglich  und  zu  be- 
schaffen, ein  Studium  der  wirklich  geübten  Praxis  hinzukommen. 
Dann  ist  es  erst  möglich,  zu  einem  nur  einigermaßen  abschließenden 
Urteil  zu  gelangen. 

Und  dies  führt  uns  hinüber  zu  einem  anderen  Teile  unserer  kriti- 
schen Betrachtung,  nämlich,  daß  die  Akribie  des  Schulhistorikers  sich 
nicht  bloß  zeigen  soll  in  möglichst  großer  Vollständigkeit  in  der 
Beschaffung  des  Materials,  sondern  auch  in  der  denkbar  größten 
Akkuratesse  der  Behandlung  der  Einzelheiten. 

Wie  weit  man  noch  davon  entfernt  ist,  wie  viele  selbst  leicht 
lösbarer  Aufgaben  einfach  ungelöst  bleiben,  das  merkt  man  in  den  schul- 
historischen Arbeiten  am  häufigsten  und  am  schmerzlichsten  bei  der 
Behandlung  der  beim  Unterricht  verwendeten  Schulbücher.  Da 
gibt  es  fast  keine  Ausnahme!  Nirgends  fast  findet  man  auch  nur 
einigermaßen  brauchbare  bibliographische  und  literarhistorische  An- 
gaben, Wenn  es  z.  B.  in  alten  Stadtschulordnungen  heißt:  D.  Con- 
redor  cum  majaribus  explicai  Ciceronis  episiolas  familiäres,  so  kann 
man  sich  darunter,  wenn  auch  nicht  viel,  so  doch  noch  etwas  denken. 
Freilich  möchte  man  gern  wissen,  welche  Stücke  ausgewählt  wurden, 
und  welche  Ausgabe  man  zugrunde  legte,  und  selbst  wenn  die  Sturmsche 
Ausgabe  genannt  wird,  möchte  noch  hinzugefügt  sein,  in  welcher  Auf- 
lage, da  ja  die  einzelnen  Auflagen  voneinander  abweichen.  Aber  was 
soll   man   zu  solchen  Angaben    sagen:   es   wurden  Erctsmi  colloquia 


i)  G.  Badde,  Otschiehte  der  fremdsprachlichen  schriftlichen  Arbeiten  an  den 
kökeren  Knabenschulen  von  1812  bis  auf  die  Gegenwart  (HaUe  1905). 

6* 


—     78     — 

oder  Petri  MoseUani  ^)  P{$edologia  gelesen  oder  HuUeri  Compendium 
erklärt  oder  die  Hohmannschen  Karlen  benutzt?  also  |lauter  Bücher, 
die  in  gewaltigen  Auflagenmengen  vorlagen,  und  von  denen  die  ein- 
zelnen Auflagen  wieder  gewaltig  untereinander  differieren.  Wie  akkurat 
man  sein  muß,  um  nicht  sich  und  seine  Leser  in  unlösbare  Mißver- 
ständnisse zu  verstricken,  das  hat  uns  die  verdienstliche  Arbeit  von 
Alois  B  ö  m  e  r ')  über  die  Schülergespräche  hinreichend  gelehrt.  Was 
würde  man  heutzutage  sagen,  wenn  man  in  [modernen  Programmen 
liest:  „Geographie  Afrikas  mit  Benutzung  von  Wandkarten  und  Atlanten 
(irgendeines  bekannten  Verlags)  "oder  „Lat.  Grammatik  nach  Ellendt- 
Seyffert"?  Im  ersten  Falle  kann  man  sich  ja  alles  mögliche  denken, 
im  zweiten  Falle  muß  man  sich  aus  allerhand  Indizien  zurecht  kon- 
struieren, welche  von  den  vielen  Bearbeitungen  gemeint  ist  Würde 
man  nicht  diese  Angaben  als  leichtfertig  und  in  hohem  Grade  nach- 
lässig bezeichnen  ?  Würde  man  nicht  sagen,  daß  sich  mit  ihnen  nichts 
anfangen  läßt?  Und  doch  sind  diese  Angaben  nur  das  moderne 
Gegenbild  zu  den  oben  getadelten,  und  haben  immer  noch  vor  diesen, 
die  sich  als  historisches  Material  darstellen,  den  einen  Vorzug,  daß 
sie  wenigstens  in  der  Zeit  ihrer  Drucklegung  verständlich  waren. 

Freilich,  fordern  ist  leicht  und  erfüllen  ist  schwer!  Das  g^lt  hier 
besonders :  denn  die  Geschichte  unserer  deutschen  Schulbücher  ist  fast 
noch  gänzlich  eine  terra  incognita!  Wir  haben  es  hier  mit  einem 
Erforschungsgebiete  zu  tun,  das  zurzeit  wissenschaftlich  noch  mißachtet 
wird.  Denn  die  Gelehrten  (Philologen  und  Mathematiker,  um  kurzweg 
so  zu  sagen)  achten  diese  Bücher,  die  sich  von  der  eigentlichen  Wissen- 
schaft weg  zum  Gebrauche  für  weitere  Kreise  oder  für  die  Jugend 
abzweigen,  zu  gering,  um  ihren  Werdegang  zu  verfolgen:  die  Schul- 
männer aber  kümmern  sich  zu  wenig  um  das  Werden  ihrer  schul- 
wissenschaftlichen Werkzeuge  und -beschäftigen  sich  lieber  damit,  das 
Gegenwärtige  weiter  auszubauen,  als  Vergangenes  zu  studieren,  aus 
dem  sich  doch  wohl  auch  manches  lernen  ließe.  Daher  kommt  es, 
daß  z.  B.  über  die  historische  Verteilung  der  lateinischen  Klassiker  im 
Unterrichte  so  wenig  Leute  eine  richtige  Vorstellung  haben.  Wieviel  von 
den  Hunderten  von  Tertianerordinarien,  die  Cäsar  treiben,  werden  z.  B. 
wissen,  daß  dieser  Autor  vor  150  Jahren  die  Lektüre  der  Prima  bildete? 
wie  vielen  ist  es  bekannt,  daß  die  neuerdings  so  warm  empfohlenen 
„logisch-rhetorischen  Übungen"  schon  in  der  Oratorie  des  XVII.  Jahr- 

1)  Sehr  oft  als  ein  Gespräch  bezeichnet!  —  Neue  Aasgabe  von   Herrn.  Michel  in 
den  Lat.  Literaturdenkmälern  Heft  18  (Berlin  1906). 

2)  A.  Bömer,  Die  lateinischen  Schülergeepräche  der  Humanisten  (1897/99), 


—     79     — 

hunderts  vorgelegen  haben,  daß  Plato  6rst  im  XIX.  Jahrhundert  dtirch 
Schleiermachers  Einfluß  seinen  Einzug  in  das  Gymnasium  hielt?  Wie 
soll  man  da  erst  erwarten,  daß  das  Studium  der  lateinischen  und 
griechischen  Grammatiken  nach  ihrer  historischen  Seite  hin  bekannt  und 
gepflegt  wäre?  So  sind  denn  auch  in  dieser  Hinsicht  nur  sehr  be- 
scheidene Anfänge  gemacht  worden,  und  auch  nur  bei  den  allerbe- 
kanntesten  Lehrbüchern,  um  in  ihr  Werden  einzudringen,  so  z.  B.  in 
der  Geschichte  des  Katechismus.  Das  meiste  ist  aber  noch  zu  tun 
übrig.  Es  mag  ja  auch  hier  der  Fall  sein,  daß  das  Material  für  solche 
Arbeiten  sich  schwer  beschaffen  läßt,  denn  alte  Schulbücher  sind 
keine  Keimelien,  und  daß  man  mit  weit  verstreuten  Einzelstücken  zu 
rechnen  hat.  Aber  auch  hier  wird  emsiges  Nachforschen  die  Mühe 
lohnen.  Jetzt  freilich  hat  man  fast  stets  das  (hofientlich  unberechtigte) 
Gefiihl  bei  der  Erwähnung  irgendeines  alten  Schulbuches  in  einer 
schulhistorischen  Abhandlung,  daß  der  betreffende  Verfasser  das  ge- 
nannte Buch  überhaupt  nie  in  der  Hand  gehabt,  oder  sich  zum  min- 
desten um  die  bibliographische  Geschichte  des  Werkes  (von  seiner 
wissenschaftlichen  Einreihung  gar  nicht  zu  reden!)  nicht  hinreichend 
gekümmert  hat.  Das  könnte  aus  manchem  ergötzlichen  „Druck*'- 
fehler,  wovon  Pröbchen  hinreichend  selbst  aus  sonst  sorgfaltigen 
Büchern  zur  Verfugung  stehen,  nachgewiesen  werden.  Es  hätten  sonst 
nicht  solche  elementare  Schnitzer  passieren  können,  daß  man  z.  B. 
liest,  A.  Siebers  bekannte  Gemma  gemmarum  sei  ein  naturhistori- 
scher Leitfaden  gewesen,  oder  die  genannte  Pciedologia  Moseüani 
eine  pädagogische  Abhandlung  mit  Anlehnung  an  Plutarchs 
Schrift  Ttf^t  TiuUüfy  uyofyijg» 

Geradeso,  wie  von  einem  wirklichen  Eindringen  in  die  Methodik  des 
Unterrichts  erst  dann  die  Rede  sein  kann,  wenn  wir  uns  genauer  um  die 
zugrunde  gelegten  Leitfäden  und  Übungsbücher  gekümmert  haben :  ge- 
radeso muß  man  auch  den  Schularbeiten,  sowohl  hinsichtHch  der  ge- 
stellten Anforderungen  als  der  gebrachten  Leistungen,  seine  Aufmerk- 
samkeit zuwenden.  Auch  hier  ist  es,  wenn  man  sich  ernstlich  und  ehrlich 
müht,  nicht  so  schwer,  sich  das  Material  zu  verschaffen,  wie  man  wohl  zu- 
erst denken  könnte.  Dem  Verfasser  dieser  Zeilen  ist  schulhistorisch  nur 
sein  engeres  Vaterland,  Sachsen,  und  auch  dieses  nur  sehr  stückweise  be- 
kannt, aber  für  sächsische  Schulhistorie  kennt  er  reichlich  genug  Material. 
So  könnte  z.  B.  einmal  die  Erziehung  unseres  Wettiner  Königshauses  aus  den 
noch  vielfach  erhaltenen  Schulheften  der  Prinzen  und  Herzöge  erläutert ') 

i)  Z.B.  ist  es  heute  noch  möglich,  der  Erziehung  der  Kuriürsten  Johatm  Georgs  IV.  ood  Fried- 
rich Augusts  I.  (August  des  Starken)  bis  auf  die  Bücher,  die  sie  alltäglich  benutzten,  nachzugehen  . 


—     80     — 

werden,  oder  die  Geschichte  des  lateinischen  Aufsatzes  und  der  lateini- 
schen Versifikation  kann  aus  den  auf  den  Fürstenschulen  befindlichen 
Sammlungen  bis  ins  einzelne  verfolgt  und  mit  Beispielen  belegt  werden; 
den  Wandlungen  des  griechischen  Skriptums  kann  man  von  Jahr  zu 
Jahr  folgen,  und  auch  über  die  Entwicklung  der  deutschen  Aufsätze 
vermögen  wir  uns  aus  den  seit  dem  Beginn  der  Reifeprüfungen  auf- 
gehobenen Abiturientenarbeiten  bis  auf  das  Jetzt,  das  sich  in  dem 
Buche  von  Theod.  Matthias  ^)  darstellt,  leicht  zu  orientieren.  Ich  weiß 
nun  nicht,  ob  man  gerade  nur  in  Sachsen  so  sorgfältig  alles  aufge- 
hoben hat,  aber  ich  denke  doch,  daß  auch  anderswo  es  ähnlich  ge- 
wesen und  die  Durchforschung  des  Materials  möglich  sein  wird  *). 

Wenn  wir  nun  aus  solchen  einzelnen  Schularbeiten  die  Einzel- 
forderungen  nach  Vorlage,  Korrektur  und  Zensur  kennen  gelernt 
haben,  so  lernen  wir  wiederum  aus  den  Zusammenfassungen  einer 
ganzen  Reihe  von  Einzelarbeiten  oder  von  ganzen  Jahrgängen  von 
Arbeiten  die  Gesamt forderung  und  die  Gesamtleistung  genau 
erfassen  und  beurteilen.  Wie  klar  und  deutlich  werden  uns  z.  B.  aus 
dem  trefflichen  Buche  von  H.  Ludwig*)  die  Anforderungen  im 
lateinischen  Ausdruck  an  die  Württemberger  Abiturienten,  seit  1870 
bis  jetzt,  wie  lehrreich  fällt  der  Vergleich  mit  den  anhangsweise  heran- 
gezogenen Elsässer  und  Badener  Abiturientenskripten,  bzw.  den  stilisti- 
schen Aufgaben  für  die  Professoratsprüfung  aus !  Wieviel  können  wir 
aus  der  gleichartigen  Sammlung  B.  Gerathewohls  *),  die  die  bayeri- 
schen gleichartigen  Arbeiten  seit  1870  in  Betracht  zieht,  auch  schul- 
geschichtlich lernen.  Das  Studium  solcher  Arbeiten  fördert  viel  mehr 
als  die  Betrachtung  der  gesetzlichen  Forderung  und  das  Studium 
pädagogischer  Abhandlungen:  denn  es  zwingt,  in  den  Stoff  selbst 
einzudringen:  so  weit  bringt  es  das  schönste  Drüberreden  und  -schreiben 


i)  Tlieod.  Matthias,  Aufsätze  atcs  Oberklassen  [sächs.  Realgymnasien],  Leipzig 
1905. 

2)  Eine  sehr  interessante  Bestätigung  dieser  Vermutung  fand  ich  nachträglich  in  der 
Anzeige  R.  GaUes  in  der  Deutschen  Literaturzeitung  1906,  S.  1562  aus  dem  Werke 
von  Paul  Schwartz,  Die  neumärkischen  Schulen  am  Ausgang  des  X  VIII.  und  JLw- 
fang  des  X.IX.  Jahrhunderts,  wo  auf  die  Sammlungen  der  Abiturientenarbeiten  seit 
1788  hingewiesen  wird. 

3)  Ludwig,  Lateinische  Stilübungen  für  Oberklassen  an  Gymnasien  und  Beal- 
gymnasien  (Stuttgart  1902). 

4)  Gerathewohl,  Lateinisches  Übungsbuch  für  die  oberen  Klassen  des  Gym^ 
nasiums  (Bamberg  1896).  —  Beide  Bücher  enthalten  Absolutorialanfgaben  fiir  die  ge- 
nannten Länder  mit  Hinzufügung  der  Anstalten  (in  Württemberg)  und  der  Zahl  des  Jahres, 
in  dem  sie  gestellt  wurden. 


—     81     — 

nicht,  und  auch  nicht  die  schönsten  (in  der  Regel  übrigens  nicht  vor- 
handenen) historischen  Einleitungen  in  die  „Methodik  und  Didaktik  des 
lateinischen  Unterrichtes",  unter  A^elchen  Büchern  man  übrigens  öfter 
nur  die  Methode  eines  Mannes  zu  verstehen  hat,  der  Mut  genug 
besitzt,  seine  Art  als  allgemeingültig  hinzustellen. 

Man  wende  auch  nicht  ein,  daß  man  nur  für  das  XIX.  Jahrhundert 
so  genau  nachkommen  könne.  Alle  solche  Dinge  lassen  sich  historisch 
rückwärts  verfolgen,  man  muß  nur  suchen !  Und  dann  hat  man  auch 
die  Genugtuung,  historische  Zusammenhänge  wieder  zu  finden,  und 
blutlose  Begriffe  wie  Argumentum,  Imitation,  Eocponieren  stehen  dann 
wieder  in  voller  Deutlichkeit  auf.  Wir  lernen  erst  dann  den  Fluß  der 
Dinge  und  seine  Gesetzmäßigkeit  auch  in  den  kleinsten  und  neben- 
sächlichsten Dingen  kennen  und  verstehen,  und  sind  dann  auch  der 
wirklichen  Lösung  der  Aufgabe,  kulturhistorische  Schulgeschichte 
zu  schreiben,  um  ein  gutes  Stück  näher  gerückt. 

Damit  sind  wir  am  Schlüsse  unserer  an  methodologischen  Wün- 
schen überreichen  Darlegungen  angekommen.  Manchem  wird  das 
Geforderte  unmöglich  erscheinen,  und  mancher  wird  darüber  lächeln 
oder  auch  spotten,  daß  ein  Material  mit  herangezogen  werden  soll, 
in  dem  man  sonst,  nachdem  es  korrigiert  und  zensiert  war,  weiter 
nichts  zu  sehen  pflegte  als  Futter  für  den  Papierkorb.  Damit  muß 
ich  mich  abfinden:  jede  junge  Wissenschaft  —  und  die  wissenschaft- 
lich betriebene  Schulgeschichte  ist  ein  noch  sehr  junger  Zweig  des 
auch  noch  nicht  gar  so  alten  Betriebes  der  Kulturgeschichte  —  muß 
sich  das  gefallen  lassen.  Die  Hauptsache  ist  nur,  daß  ihre  Jünger 
nicht  verzagen,  und  daß  sie  an  sich  und  ihre  Mitarbeiter  dieselben 
höchsten  Anforderungen  stellen,  die  auch  auf  anderen  Wissensgebieten 
gelten:  mit  Voraussetzungslosigkeit  an  die  Aufgabe  herangehen  und 
das  Material  allseitig  heranziehen,  die  Beziehungen  nach  anderen 
kulturgeschichtlichen  Gebieten  so  vollzählig  wie  möglich  herausfinden 
nnd  im  eigenen  Gebiete  das  Höchste  gleichmäßig  achten,  wie  das 
Geringste,  mag  es  nun  eine  philosophische  Anschauung  im  schul- 
mäßigen Gewände  sein,  oder  eine  pädagogische  Weisung  für  ein  großes 
Land  und  einen  langen  Zeitraum,  oder  eine  einzelne  Schuleinrichtung 
oder  gar  eine  einzelne  Schulforderung  und  die  dafür  eingegangene 
Leistung.  Wenn  dies  jeder  Schulhistoriker  sich  gegenwärtig  hält, 
dann  wird  es  wohl  gelingen,  allmählich  eine  „deutsche  Schulgeschichte" 
zusammenzubringen. 

Minima  non  curat  praetor!  Von  den  Männern,  die,  wie  wir  im 
Eingange  sagten,   fähig  und  auch  mutig  genug  sind,  jetzt  bereits  Ge- 


—     82     — 

Samtleistungen  vorzulegen,  können  wir  nicht  erwarten,  und  dürfen  wir 
nicht  verlangen,  daß  sie  alle  die  Einzelarbeit  tan,  deren  Gesamtheit 
erst  geeignet  ist,  uns  ein  Gesamtbild  zu  geben:  wir  müssen  ihnen 
dankbar  sein,  wenn  sie  das  Gerüst  fugen  und  die  Plätze  andeuten^ 
wo  noch  Baumaterial  herbeigeschafft  werden  muß.  Wenn  wir  aber  solche 
GesamtdarstcUer  haben  wollen,  die  möglichst  wenig  divinatorisch  ver- 
fahren, so  muß  ihnen  die  Einzelforschung  auch  in  der  rechten  Weise  an  die 
Hand  gehen.  Auf  archäologischen  Kursen  wird  jetzt  die  richtige  Art 
des  Ausgrabens  und  Erforschens  der  Prähistorie  nach  bestimmten 
wissenschaftlichen  Grundsätzen  gelehrt:  nur  so  hofft  man  die  Einzel- 
resultate  für  die  Gesamtheit  des  Fortschrittes  wirklich  nutzbringend 
und  fördernd  zu  gestalten.  Ein  gleiches  gilt  auch  mutatis  mutandis 
für  die  Schulgeschichte:  auch  sie  bringt  unbenutztes  Material,  das 
richtig  bestimmt  und  eingeordnet  werden  muß,  um  dem  Ganzen 
zu  dienen:  auch  sie  tut  am  besten,  dabei  nach  bestimmten  wissen- 
schaftlichen Grundsätzen  zu  verfahren.  Wenigstens  einiges  zur  Fixie- 
rung der  letzteren  sollen  diese  Zeilen  beitragen:  ich  schließe, 
indem  ich  meine  Wünsche  für  die  weitere  Bearbeitung  der  Schul- 
geschichte in  Einzelabhandlungen  in  folgende  Sätze  zusammenfasse: 

i)  Der  Schulhistoriker  möge  bei  der  Darlegung  aller  schul- 
geschichtlichen Einzelheiten  immer  den  Gang  dergesamten  deut- 
schen Schulgeschichte  und  womöglich  der  gesamten  deutschen 
Geistesgeschichte  vor  Augen  behalten  und  jede  Einzelheit,  die 
er  vorzubringen  hat,  damit  in  Beziehung  zu  setzen  suchen;  auch  die 
volkswirtschafUiche  Seite  der  Frage  ist  zu  berücksichtigen. 

2)  Der  Schulhistoriker  möge  bei  der  Behandlung  seines  Stoffes 
so  vollständig  wie  möglich  sein,  besonders  wo  es  sich  um 
innere  Fragen  des  Unterrichtes  und  des  pädagogischen  Fortschrittes 
handelt.  Gesetze  und  Verordnungen  allein  tun  es  nicht;  man  muß 
auch  die  Praxis  kennen  und  erkennen  lehren  und  darf  dabei  selbst 
das  unbedeutendste  Beweisstück  nicht  verschmähen. 

3)  Der  Schulhistoriker  möge  so  exakt  wie  möglich  sein, 
und  bei  allem,  was  er  erwähnt,  keinerlei  Unklarheiten  übrig  lassen, 
sofern  er  sie  beseitigen  kann,  sondern  überall,  und  wenn  es  auch  nur 
bibliographische  Angaben  sein  sollten,  bis  auf  den  Grund  gehen. 

Dann  kommen  wir  in  der  Geschichte  unseres  deutschen  Schul- 
wesens vorwärts:  denn  dann  erfüllen  wir  die  beiden  Forderungen,  die 
eine  jede  Wissenschaft  an  ihre  Jünger  erhebt:  neben  dem  Blicke  auf 
das  Ganze  auch  die  Treue  im  Kleinen! 


—     83     — 


Mitteilungen 

WAStdentsehland  nnd  der  Orient.  —  Der  raschere  oder  langsamere 
Kultitrfortschritt  junger  Völker  hängt  wesentlich  davon  ab,  ob  sie  niit  den 
Errungenschaften  älterer  Kulturen  bekannt  werden  und  ob  sie  die  Fähigkeit 
besitzen,  sich  diese  gegebenenfalls  so  aneueignen,  daß  sie  völlig  mit  den 
selbständig  entwickelten  Kulturwerten  verschmelzen.  Was  die  Deutschen  in 
dieser  Richtung  Italien  verdanken,  dem  römischen  nicht  minder  als  dem 
mittelalterlichen,  ist  hinlänglich  bekannt,  und  gerade  in  neuerer  Zeit  ist  an 
vielen  einzelnen  Dingen  erwiesen  worden,  daß  das  geistige  Leben  der  Ger- 
manen auch  schon  vor  der  sogenannten  Völkerwanderungszeit  in  höherem 
Made  durch  das  Römertum  befruchtet  worden  ist,  als  man  früher  anzunehmen 
geneigt  war.  Aber  gerade  je  mehr  wir  ims  der  Stärke  des  römisch-italischen 
Einflusses  im  frühen  Mittelalter  bewußt  werden,  desto  mehr  gilt  es  sorg- 
faltig zu  prüfen,  ob  sich  nicht  noch  andere  Einwirkungen  beobachten  lassen, 
damit  wir  nicht  irrigerweise  bei  allem  Fremdartigen  ohne  weiteres  einen 
italischen  Urspnmg  annehmen.  Solche  Untersuchungen  müssen  natürlich 
stets  eine  bestimmte  Landschaft  ins  Auge  fisissen,  da  es  nur  so  möglich 
werden  wird,  die  fremden  Einwirkungen,  die  sich  in  den  einheimischen  Kultur- 
überresten finden,  im  einzelnen  nachzuweisen.  Als  beachtenswerte  Ausgangs- 
punkte für  solche  Studien  sei  hier  die  Aufinerksamkeit  auf  zwei  Abhandlungen 
gelenkt,  die  sich  gegenseitig  ergänzen  und  der  Aufhellting  der  internationalen 
Beziehungen  Lothringens  gewidmet  sind'). 

Die  Kenner  der  Geschichte  des  heutigen  Elsaß-Lothringen  wissen,  daß 
dieses  Land  in  römischer  Zeit  in  zwei  kulturell  voneinander  völlig  ver- 
schiedene Gebiete  zerfiel,  die  von  den  Vogesen  getrennt  wurden:  in  das 
völlig  römisch  gewordene  Moselland  mit  Trier  als  Mittelpunkt  und  das 
Oberrheintal,  das  den  Charakter  eines  Grenzlandes  auch  nach  der  An- 
lage des  rechtsrheinischen  Limes  bewahrte.  Für  diesen  tiefgieifenden  Unter- 
schied zwischen  zwei  ziemlich  nahe  benachbarten  Gebieten  und  für  die  Tat- 
sache, daß  das  Land  an  der  oberen  Mosel  nähere  Beziehungen  zum  Niederrhein 
als  zum  Oberrhein  besitzt,  galt  es  nach  einer  Erklärtmg  zu  suchen,  und  diese 
ward  durch  die  Beobachtung  erleichtert,  daß  einige  Kunstwerke  an  der  Mosel 
nahe  Verwandtschaft  mit  solchen  der  Provence  aufweisen  und  gerade  wie 
jene  griechisch- orientalisches  Gepräge  tragen.  War  man  einmal  in 
der  Erkenntnis  so  weit,  dann  lag  es  nahe,  an  einen  Kultureinfiuß  der  von 
griechischen  Bewohnern  Kleinasiens  gegründeten  Kolonie  Massilia  nach 
Norden  hin  zu  denken,  wenn  man  sich  der  bekannten  Tatsache  erinnerte, 
daß  Massilia  eine  Handelsstadt  war  und  sowohl  das  Zinn  Britanniens  als  auch 
den  Bernstein  der  Ostseeküste  in  den  internationalen  Verkehr  des  mittel- 
ländischen   Europa   einführte.     Außerdem  ist   die  Unwegsamkeit   der  Alpen 


I)  Wolfram,  Der  Einfluß  des  Orients  auf  die  frühmiUeldUerliehe  Kultur 
und  die  Christianisierung  Lothringens  [^  Jahrbuch  der  GeseUschaft  für  lothringische 
Geschichte  and  Altertomskande  17.  Jahrg.  (1905),  i.  Hälfte,  S.  318^352].  Vgl.  daxa 
diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  80.  Michaelis,  Eine  Frauenstatue  pergamenischen 
Stils  im  Museum  su  Metz  in  demselben  Jahrbuch,  S.  213-240. 


—     84     — 

im  Altertum  als  ganz  sicher  erwiesen,  so  daß  der  lebhafte  Verkehr  zwischen 
Italien  und  dem  südlichen  Gallien  auf  eine  starke  Benutzung  des  Seewegs 
hinweist.  Jetzt  erhob  sich  die  Frage,  in  welcher  Stärke  und  in  welcher 
zeitlichen  Ausdehnung  etwa  die  griechisch-orientalische  Kultur  durch  Ver- 
mittlung von  Massilia  auf  das  Land  an  Rhone,  Sa6ne  und  Mosel  einerseits 
und  auf  den  Landstrich  von  der  Sa6ne  zur  Seine  andrerseits  eingewirkt  habe 
und  ob  dieser  Einwirkung  die  Kunstwerke  griechischen  Charakters  zu  ver- 
danken seien.  Die  Prüfung  der  einschlägigen  Quellen,  der  literarischen  Zeug- 
nisse, der  Inschriften  und  Funde  durch  Wolfram,  der  sich  dabei  schon  auf 
manche  ältere  Arbeit  stützen  konnte,  hat  ergeben,  daß  jener  Einfluß  ziemlich 
stark  gewesen  ist,  namentlich  im  Zeitalter  der  Christianisierung,  und  daß  er 
sich  bis  über  die  Karolingerzeit  hinweg  verfolgen  läßt.  Es  ist  dabei  nur  zu 
berücksichtigen,  daß  die  Quellen  des  frühen  Mittelalters  die  Orientalen,  die 
im  Abendlande  erschienen,  sämtlich  mit  dem  Sammelnamen  „Syrer"  be- 
zeichnen, mögen  sie  nun  Griechisch  oder  Syrisch  gesprochen  haben.  Auf  die 
zahlreichen  Zeugnisse  flir  das  Auftreten  von  Syrern  im  Frankenreiche  als  Kauf- 
leute lenkt  nun  Wolfram  die  Aufnaerksamkeit  und  weist  vor  allem  nach,  daß 
es  sich  nicht  nur  um  einzelne  wandernde  Händler,  sondern  um  ganze  Kauf- 
mannskolonien und  ein  bleibendes  Wohnen  orientalischer  Familien  handelt, 
die  auch  in  der  Namengebung  die  Gewohnheit  des  Landes  stark  beeinflussen, 
indem  sie  griechischen  Namen  —  namentlich  bei  der  Taufe  Erwachsener  — 
zur  Einbürgerung  verhelfen.  Die  Syrer  beschränkten  sich  aber  später  nicht 
auf  das  kaufmännische  Gewerbe,  sondern  traten  in  höhere  Beamtenstellungen 
ein  und  zugleich  in  die  geistlichen  Ämter. 

Direkt  aus  seiner  Heimat  ist  das  Christentum  durch  Seefahrer  nach 
Gallien  gelangt,  und  nicht  über  Rom.  Seitdem  wir  wissen,  daß  die  Legionen 
sich  aus  den  Gebieten,  in  denen  sie  standen,  vornehmlich  aus  den  Soldaten- 
kindern, rekrutierten  *),  muß  mit  der  älteren  Anschauung  endgültig  gebrochen 
werden,  als  ob  einzelne  christliche  Legionssoldaten  dem  Christentum  in 
Gallien  und  Germanien  zur  Verbreitung  verholfen  hätten.  Ganz  zweifellos 
sind  die  orientalisch-christlichen  Kaufleute  die  Bahnbrecher  gewesen:  in 
Arles  wurden  in  der  ersten  Hälfte  des  VI.  Jahrhunderts  die  Psalmen  griechisch 
gesungen,  und  in  Metz  hat  sich  in  einem  Responsorium  zu  gewissen  Landes 
in  einer  Handschrift  griechischer,  aber  mit  lateinischen  Buchstaben  ge- 
schriebener Text  erhalten.  Das  Christentum  des  Frankenreichs  trug  also 
von  vornherein  ein  orientalisches  Gepräge,  und  erst  mit  dem  Wachsen  des 
römischen  Einflusses,  dem  ein  Rückgang  des  direkten  Verkehrs  mit  Klein- 
asien parallel  ging,  hat  auch  der  römische  Kultus  das  romanische  und 
germanische  Frankenreich  ergriflfen. 

Aus  diesen  eigentümlichen  Kulturzuständen  heraus,  die  ihren  Ursprung 
auf  den  Handel  Massilias  und  die  von  dieser  Stadt  ausgehenden  Handels- 
straßen zurückführen,  erklärt  Wolfram  zum  Schlüsse  auch  die  Gestalt  des 
karolingischen  Mittelreichs,  das  bei  der  Teilung  von  843  entstand:  Kaiser 
Lothar  erwarb  dadurch  außer  dem  ihm  schon  gehörigen  Italien  das  ganze 
Land,  welches  die  alte  von  Marseille  bis  zur  Nordsee  führende  Handelsstraße 
durchzog  einschließlich  Frieslands ;  er  besaß  nunmehr  die  Herrschaft  über  die 


1)  Vgl.  dazu  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.   221 — 222. 


—      85      — 

beiden  Städte  Rom  und  Aachen  und  zugleich  über  die  einzige  europäische 
Großverkehrsstraße.  Dieser  Umstand  verdient  die  größte  Beachtung, 
und  unter  seiner  Berücksichtigung  muß  die  politische  Geschichte  des  IX.  Jahr- 
hunderts, der  Verfall  des  Karolingerreichs,  unbedingt  einer  neuen  Untersuchung 
unterzogen  werden. 

Es  sei  gestattet,  hier  noch  einen  anderen  Gedanken  hinzuzufügen.  Be- 
kanntlich sind  von  allen  deutschen  Stämmen  zuerst  die  Friesen  in  größerem 
Umfange  als  Händler  aufgetreten.  Sie  besaßen  um  800  eine  Kaufmanns- 
niederlassung in  Mainz,  und  ihr  Tuchhandel  hatte  schon  eine  größere  Be- 
deutung *).  Der  Besitz  der  Seeküste  allein  genügt  nicht  zur  Erklärung,  denn 
dieses  Vorzugs  erfreuten  sich  andere  Stämme  auch.  Aber  insofern  unter- 
scheidet sich  die  Lage  der  Friesen  recht  wesentlich  von  der  anderer,  als  ihr 
Gebiet  unmittelbar  von  dem  internationalen  süd-nördlichen  Verkehr  getroffen 
wurde.  Was  aber  mag  wohl  den  Anlaß  dazu  gegeben  haben,  daß  die 
Massilioten  oder  die  von  ihnen  Beauftragten  im  Norden  gerade  so  weit  nach 
Osten  ausbogen?  Für  den  Verkehr  nach  Britannien,  von  dem  sie  das  be- 
gehrte Zinn  bezogen,  hatten  sie  dies  nicht  nötig,  aber  recht  wohl  konnten 
ihnen  die  Friesen  bei  dem  Erwerb  des  an  der  Ostseeküste  gefundenen  Bern- 
steins behilflich  sein.  Der  Handel  mit  diesem  Artikel  spielte  bekanntlich  in 
Massilia  eine  große  Rolle,  und  die  Annahme  würde  nahe  liegen,  daß  sich 
dieses  Produkt  der  Ostsee  an  der  Küste  westwärts  schob,  von  den  Friesen, 
die  den  internationalen  Handelswert  erkannten,  aufgesammelt  und  den 
griechischen  Händlern,  die  vom  Niederrhein  aus  hierher  kamen,  abgegeben 
wurde,  wenn  man  nicht  annehmen  will,  daß  die  Friesen  direkt,  um  sich 
dieses  Gut  zu  verschaffen,  Expeditionen  nach  Osten  unternommen  haben. 
Wenn  Friesland  einmal  für  diesen  einen  bestimmten  Artikel  der  Sammel-  und 
erste  Umschlagsplatz  geworden  war,  so  bildete  dieser  Umstand  zweifellos 
einen  Anlaß  zur  Beteiligung  am  Handel  überhaupt  und  schließlich  zur  Er- 
zeugimg des  im  Lande  üblichen  Tuches  für  die  Ausfuhr,  sobald  einmal  durch 
die  Bekanntschaft  mit  entfernteren  Gebieten  der  Wert  dieses  Tuches  für  deren 
Einwohnerschaft  erkannt  war.  Es  drängt  sich  in  dieser  Richtung  eine  große 
Anzahl  Fragen  auf,  die  Antworten  verlangen;  besonders  wird  es  nötig 
sein,  das  Vorkommen  von  Bernstein  bei  Ausgrabungen  recht  sorg- 
fältig festzustellen  und  zwar  stets  unter  Berücksichtigung  aller  begleitenden 
Nebenumstände. 

In  Ergänzung  der  Darlegungen  Wolframs  ist  nun  Michaelis  in  der 
oben  angeführten  Arbeit,  in  der  er  sich  im  besonderen  mit  der  nach  einem 
alten  pergamenischen  (180  v.  Chr.)  Vorbilde  einige  Jahrhunderte  später  in 
Metz  gearbeiteten  Frauenstatue  beschäftigt,  der  Untersuchung  näher  getreten, 
wie  wohl  jenes  Vorbild  in  den  Besitz  eines  Metzer  Meisters  gelangt  sein 
könne,  und  hat  gefunden,  daß  nur  Massilia  als  Vermittelungsstelle  in  Frage 
kommt.  Von  größtem  Werte  für  alles  Weitere  ist  vor  aUem  der  Nachweis, 
daß  die  um  600  v.  Chr.  von  Phokäem  gegründete  Kolonie  Massilia  wirklich 
dauernd  in  lebhaftem  Verkehr  mit  Kleinasien  gestanden  hat,  dann  aber 
nicht  weniger  die  SchUderung,  wie  Massilia  nach  der  Gründung  von  Aquae 


i)  Vgl.  Klumker,  Der  friesische  Tuchhandel  zur  Zeit  Karls  des  Großer^  und 
sein  VerfuUtnis  zur  Weberei  jener  Zeit  (Leipziger  Dissert.  1899). 


—     86     — 

Stxtiae  (122  V.  Chr.)  und  der  Umwandlimg  von  I^arho  in  eine  römische 
Kolonie  als  Handelsplatz  zurückging,  während  nun  die  römischen  Kauf- 
leute auf  den  bisher  nur  von  Massilioten  begangenen  Straßen  nach  Norden 
vorwärts  drangen  und  in  jahrhimdertelanger  Herrschaft  schließlich  italische 
Kultur  einführten  y  deren  Glanzstück  Trier  war.  Hatte  aber  Massilia  auch 
seine  Bedeutung  als  Sitz  des  Handels  eingebüßt,  so  blieb  es  doch  dauernd 
der  Sitz  des  Hellenismus  in  Gallien,  und  gerade  die  Vereinsamung,  in  die 
es  dort  versetzt  wurde,  der  Ausschluß  vom  Handel  nach  Norden,  mag  dazu 
beigetragen  haben,  daß  die  VerbindungsfUden  nach  der  orientalischen  Heimat 
hin  nicht  abrissen.  Ab  dann  das  Römerreich  verfiel  tmd  die  kulturelle  Be« 
fruchtuug  Galliens  von  Rom  aus  nachließ,  so  war  dies  für  Massilia  zweifel- 
los ein  recht  günstiger  Umstand;  denn  nun  besaßen  die  beweglichen  Orien- 
talen aufs  neue  in  dem  inzwischen  romanisierten  Gallien  ein  weites  aufnahme- 
fähiges Absatzgebiet.  Gerade  diese  für  Händler  so  überaus  vorteilhafte  Lage 
mag  die  Zuwanderung  der  Syrer  recht  wesentlich  begünstigt  haben;  denn  in 
diesen  weiten  Gebieten  war  Gelegenheit  zum  Verdienst,  und  das  alte  Massilia 
bot  für  die  verschiedensten  Unternehmungen  einen  festen  Stützpunkt. 

In  der  Geschichte  Massilias  von  600  v.  Chr.  bis  in  die  Karolingerzeit 
bildet  die  Periode  römischer  Vorherrschaft  in  Gallien  eine  zwar  langwierige 
(vierhundertjährige)  Unterbrechimg  der  Entwickelung,  aber  die  Ausdehnungs- 
tendenz  der  Stadt  hat  sich  dadurch  nicht  gewandelt,  zumal  da  zweifellos  auch 
unterdessen  einzelne  Massilioten  unter  römischem  Schutze  als  Händler  weiter 
tätig  gewesen  sind,  und  ab  das  Hindernis  beseitigt  war,  da  bewegte  jsich  der 
Verkehr,  nur  viel  stärker  ab  ehedem,  wieder  auf  den  alten  Straßen,  von  denen 
sich  natürlich  nunmehr  kraft  der  intensiveren  Kultur  manche  Seitenlinien  ab- 
gezweigt hatten.  Welches  die  Hauptwege  durch  Gallien  und  nach  Germanien 
hin  waren,  das  wissen  wir  aus  der  Überlieferung  der  Alten,  namentlich  den 
Berichten  des  Pytheas,  Poseidonios  und  Strabon.  Die  Straße  von  Narbo 
nach  der  schiffbaren  Garonne  kommt  hier  nicht  weiter  in  Betracht,  wohl 
aber  die  längs  Rhone  und  Sa6ne  über  Dijon  und  Chatill  on  sur  Seine 
in  das  Ge^et  der  Seine,  von  deren  Mündung  aus  die  Überfahrt  nach 
Britannien  den  bequemen  Bezug  des  Zinns  gestattete;  dieser  Straßenzug  in 
einer  Länge  von  etwa  36  Tagereisen  darf  ab  „Zinnstraße*'  bezeichnet  werden. 
Nun  steht  aber  fest,  daß  auch  der  Bernstem  auf  dem  Landwege  nach  Massilia 
bzw.  Narbo  gelangte  und  zwar  in  enger  Verbindung  mit  dem  Zinn.  Ganz 
gewiß  geschah  dies  nicht  durch  einen  VVesttransport  bis  zur  Scinemündung, 
sondern  unter  Benutzung  einer  südwestlichen  Straße,  die  etwa  von  der  frie- 
sischen Nordseeküste  abzweigte  und  nach  dem  Rhone  führte :  ihr  Lauf  kann 
nur  den  Rhein  und  die  Mosel  aufwärts  und  von  der  Mosel  in  das  Gebiet 
von  Sa6ne  und  Rhone  abwärts  geführt  haben,  wenn  auch  im  einzelnen 
Veränderungen  in  der  Wegführung  sehr  wahrscheinlich  sind;  diese  zweite 
Straße  verdient  den  Namen  „Bernsteinstraße*'.  Löschcke  *)  vermutet 
wegen  der  dichten  griechischen  Funde  im  Nahetal,  daß  der  ältere  Lauf 
letzterer  Straße  an  der  Nahe  entlang  zum  Rheine  geführt  habe.  Dies  ist 
an  sich  sehr  leicht  möglich,  ändert  aber  nichts  an  dem  Gesamtbilde,  und 
es   ist   gewiß   auch  nicht  ausgeschlossen,    daß  zeitweise  nebeneinander  die 

i)  Schlußnotiz  zu  dem  AafsftU  von  Michaelis,  S.  240. 


—     87     — 

Strafen  im  Nahe«  und  Moseltal  benutzt  worden  sind,  je  nachdem  die  eine 
oder  andere  den  Kaufleuten  vorteilhafter  erschien.  Gründe,  die  namentlich 
im  Anfiemg  dazu  Anlaö  gaben,  bald  hier,  bald  dort  zu  gehen,  lassen  sich 
manche  denken:  das  mehr  oder  wenige  freundliche  Verhalten  der  Landes- 
bewohner, die  gröfiere  oder  geringere  GefiUirlichkeit  des  Weges  infolge  von 
Übeischwemmungen,  Bergstürzen  und  dgl.,  vor  allem  aber  die  Mö^ichkeit  der 
Benutzung  des  Schiffes  für  den  Transport,  die  natürlich  auf  der  Mosel  gröder 
war  ab  auf  der  Nahe. 

Die  Forschungen  über  die  eben  berührten  Fragen  sind  von  den  aus- 
gegrabenen Kunsterzeugnissen  ausgegangen  und  haben  schließlich  zu  über- 
raschenden Ergebnissen  von  größter  kulturgeschichtlicher  Bedeutung  geführt. 
Wolfram  hat  bereits  darauf  aufinerksam  gemacht,  dafi  die  von  Schulte^) 
vermittelten  Erkenntnisse  dadurch  vervollständigt  werden,  aber  sie  er- 
fiEihren  zugleich  auch  im  ganzen  eine  recht  erfreuliche  Bestätigung.  Die 
Verkehrsgeschichte  des  Altertums  und  frühen  Mittelalters  hat  durch  die  neuen 
Untersuchungen  eine  wesentliche  Förderung  erfahren,  imd  der  Boden  für 
solche  Forschungen  ist  unvergleichlich  fester  geworden  ab  er  etwa  vor  einem 
Jahrzehnt  war :  wünschenswert  und  notwendig  ist  es  nur,  daß  sich  idie  land- 
schaftliche Forschung  in  ganz  Westdeutschland  eingehend  mit  den  Ergeb- 
nissen dieser  Arbeiten  und  den  Problemen,  die  sie  steUen,  beschäftigt,  daß 
sie  im  einzelnen  die  körperlichen  und  literarischen  Quellen  daraufhin  unter- 
sucht und  dazu  verhilft,  daß  einerseits  auch  die  feineren  Fäden,  die  Neben- 
kanäle des  Verkehrs,  aufgedeckt  und  daß  andrerseits  die  zeitlichen 
Grenzen  näher  bestimmt  werden.  Dasselbe  gilt  für  das  ganze  nordwesdiche 
Deutschland,  für  das  die  Verkehrsbeziehungen  zum  Niederrhein  aufgedeckt 
werden  müssen,  imd  vor  aUem  auch  für  Friesland,  auf  dessen  eigentüm- 
liche Stellung  im  Verkehr  des  frühen  Mittelalters  schon  oben  hingewiesen  wurde. 

Diese  Forschungen  reden  aber  auch  noch  nach  einer  anderen  Richtung 
hin  eine  eindringliche  Sprache,  insofern  sie  ein  harmomsches  Zusammenwirken 
der  Kunstgeschichte,  Altertums-  und  Münzkunde,  Urkundenlehre  und  sonstiger 
Fächer  mit  der  kritischen  Prüfung  der  literarischen  Überlieferung  zeigen  und 
jedem,  der  sich  nicht  absichtlich  einer  besseren  Erkenntnis  verschließt,  die 
Überzeugung  aufdrängen,  daß  sich  nur  durch  eine  solche  gegenseitige  Er- 
gänzung der  Sonderwbsenschaften ,  deren  jede  ihre  besondere  Arbeitswebe 
hat,  und  durch  Heranziehung  des  gesamten  QueUenstoffs,  welche  Gestalt 
er  auch  haben  möge,  umfiEissende  große  Ergebnisse  gewinnen  lassen.  Die 
großen  Richtlinien  sind  gegeben,  und  es  handelt  sich  nun  um  den  Ausbau 
und  die  Vervolbtändigung  im  einzelnen.  Der  ortsgeschichUichen  Forschung 
erwachsen  daraus  große  Aufgaben,  aber  auch  wer  sich  nicht  selbst  forschend 
beteiligen,  sondern  nur  die  Beweisführung  im  einzelnen  kennen  lernen  oder 
nachprüfen  will,  der  darf  sich  nicht  mit  einem  Auszuge,  wie  er  hier  ntur 
gegeben  werden  konnte,  begnügen,  sondern  muß  die  Arbeiten  von  Wolfram 
und  Michaelis  selbst  eingehend  studieren.  A.  T. 

Personalien*  —  Nach  einjährigem  schweren  mit  unsäglicher  Geduld 
getragenen  Leiden  verschied  am  aa.  November  d.  J.   der  ordentliche  Pro- 

i)  Vgl.  darüber  diese  Zeitschrift  2.  Bd.  (1901),  S.  193 — 20a. 


—     88     — 

fessor  der  allgemeinen  neuen  und  neuesten  Geschichte  an  der  JCarl-Franzeos- 
. Universität  zu  Graz,  Dr.  Hans  von  Zwiedineck- Südenhorst.  An  der 
tückischen  Krankheit  versagte  die  Kunst  der  Ärzte,  die  ihm  nur  eine  Ver- 
längerung der  Lebensfrist,  Heilung  aber  nicht  verschaffen  konnte. 

Mit  Hans  von  Zwiedineck  verlieren  dessen  Freunde  einen  liebenswürdigen 
Menschen,  seine  zahlreichen  Schüler,  welche  er  durch  die  Macht  seines  Vor- 
trages an  sich  zog,  den  Lehrer,  die  wissenschafUichen  Korporationen  und 
Verbände  einen  der  eifrigsten  Förderer  wissenschafUicher  Arbeit  im  Rahmen 
genossenschaftlicher  Bildungen  und  die  historischen  Fachkreise  einen  Gelehrten 
von  ganz  besonderer  Eigenart. 

Zwiedinecks  Lebenslauf  war  eigenartig  wie  sein  geistiger  Entwickelungs- 
gang.  Ein  Durchringen  da  und  dort!  Als  Sohn  des  k.  österreichischen 
Artillerieobersten  Ferdinand  von  Zwiedineck  am  14.  April  1845  ^^  Frank- 
furt am  Main  geboren,  kam  er  schon  als  Kind  mit  seiner  Mutter  nach  Graz: 
Steiermark  wurde  seine  Heimat  und  blieb  es  bis  zu  seinem  Tode.  Nach 
Absolvierung  der  Mittelschule  widmete  er*  sich  historischen  und  deutsch- 
philologischen Studien  an  der  Karl -Franzens -Universität,  wurde  1867  zum 
Doktor  der  Philosophie  promoviert  und  trat  in  diesem  Jahre  als  Bibliotheks- 
praktikant in  den  Dienst  des  Landes  Steiermark,  in  dem  er  33  Jahre  ver- 
blieb. 1869  erhielt  er  die  Qualifikation  eines  Mittelschullehrers  für  die  Fächer 
Geschichte,  Geographie  und  deutsche  Sprache  und  wurde  Lehrer  an  der 
Landesoberrealschule.  Während  seiner  Mittelschullehrzeit  erwarb  sich  Zwie- 
dineck 1875  die  venia  legendi  für  neuere  und  neueste  Geschichte  an  der 
.Grazer  Universität,  und  im  Jahre  1880  ernannte  ihn  der  Landesausschuis 
ztmi  Vorstande  der  Landesbibliothek  am  Joanneum,  in  welcher  Stellung  er 
bis  1900  erfolgreich  und  organisatorisch  wirkte.  Seiner  Tatkraft  und  seinen 
Beziehungen  zur  steirischen  Landschaft  ist  es  zu  danken,  dafs  nach  wenig 
erquicklichen  Übergangsstadien  die  Landesbibliothek  in  einem  Neubau  imter- 
gebracht  wurde.  Zwiedinecks  Verdienste  um  die  Organisation  imd  Neuein- 
richtung dieses  Institutes  wurden  vom  Lande  stets  anerkannt,  und  das  Joanneums- 
kuratorium kennzeichnete  bei  Zwiedinecks  Scheiden  vom  Amte  sein  Wirken  mit 
folgenden  Worten:  „Die  Landesbibliothek  hat  ihm  den  Ruf  zu  verdanken,  dafi 
sie  heute  die  erste  und  bestorganisierte  Provinzialbibliothek  der  Monarchie  ist.*' 

Volle  Befriedigung  im  Amte  empfand  Zwiedineck  wohl  nur  so  lange, 
bis  er  die  Ziele,  welche  er  sich  für  den  Ausbau  der  Landesbibliothek  ge- 
steckt hatte,  erreichte.  Es  mufs  als  ein  hervorragender  Zug  seines  Wesens 
hervorgehoben  werden ,  daö  Zwiedineck  all  den  zahlreichen  Unternehmungen 
politischer,  amtlicher  oder  wissenschaftlicher  Natur  nur  so  lange  seine  volle 
Kraft  und  ganze  Hingabe  widmete,  bis  er  dieselben  in  jene  Wege  leitete, 
die  ihm  als  die  am  sichersten  zum  Ziele  führenden  erschienen.  Sein  rast- 
loser Eifer,  Neues  zu  schaffen  und  zu  begründen,  trug  ihn  stets  vorwärts: 
während  er  diesem  oder  jenem  Werke  seme  Kraft  lieh,  arbeitete  sein  Geist 
bereits  in  der  Zukimft,  und  hatte  er  seine  geistigen  GebUde  verwiridicht,  so 
überließ  er  neidlos  und  selbstlos  anderen  die  weitere  Sorge  für  seine 
Schöp^ngen. 

Dieser  Zug  in  seinem  Wesen  führte  Zwiedineck  zur  akademischen  Laof^ 
bahn.  Nur  schwer  konnte  er  den  Zeitpunkt  erwarten,  an  dem  ihm  ein 
ehrenvoller  Abschied  von  der  ihm  trotz  mancher  Last  doch  liebgewordenen  amt- 


—     89     — 

liehen  Tätigkeit  im  Bibliotheksdienste  gewährt  wurde.  Seit  dem  Jahre  1900 
gehörte  Zwiedineck  ganz  der  Grazer  Universität  an.  1898  erhielt  er  den 
Titel  eines  ordentlichen  Professors,  und  wurde  nach  dem  Hinscheiden  Franz 
von  Krones'  Honorardozent  an  der  technischen  Hochschule  in  Graz.  Wenige 
Wochen  vor  seinem  Tode  erfolgte  seine  Ernennung  zum  ordentlichen  Uni- 
versitätsprofessor. Da  glitt  noch  ein  sonniges  Lächeln  über  die  schmerz- 
verzehrten Züge,  da  erging  sich  Zwiedineck  seinen  Freunden  gegenüber  in 
weitgehenden  Plänen  über  seine  Stellung  als  wirklicher  Universitätslehrer,  da 
erfrischte  sich  sein  Geist  an  den  Vorbereitungen  zur  akademischen  Tätigkeit 
im  Wintersemester  1 906/1 907.  Und  als  er  im  eigenen  Fühlen  und  auf 
Anraten  der  Ärzte  schweren  Herzens  auf  die  Abhaltung  der  angekündigten 
Vorträge  verzichten  muöte,  klammerte  der  Sterbende  sich  noch  an  die  Hoff- 
nung, doch  wenigstens  die  „Übungen*'  mit  seinen  Schülern  vornehmen  zu 
können.     Den  „Übungen"  galten  seme  letzten  klaren  Gedanken! 

Als  Hans  von  Zwiedineck  in  noch  jungen  Jahren,  nach  einer  reichen 
journalistischen  Tätigkeit  während  der  Jahre  1868—  1872,  zum  ersten 
Male  in  wissenschaftlicher  Arbeit  sich  versuchte,  ohne  Anschluß  an 
Lehrer  und  Kollegen,  nur  dem  Drange  nach  geistiger  Arbeit  folgend,  fiel 
in  den  von  ihm  veröffentlichten  Essays  und  Studien,  die  sich  schon  damab 
zumeist  auf  dem  Gebiete  der  neueren  Geschichte  bewegten,  jene  glanzvolle 
Verwertung  des  trockenen  Quellenmaterials  zu  künstlerischer  Darstelltmg  auf, 
jene  bestechende  Stilistik,  welche  Zwiedinecks  spätere  Werke  stets  auszeich- 
neten, imd  welche  vor  allem  seinen  Ruf  als  den  eines  „  neueren  Historikers  "  weit 
über  die  Grenzen  Österreichs  hinaustrugen.  Seine  zahlreichen  Werke  *),  angefangen 
von  der  Studie  über  Fürst  Christian  von  Anhalt  und  seine  Beziehungen  zu 
Innerösterreich  (1874)  bis  auf  die  monographische  DarsteUimg  der  Regie- 
nmg  der  Kaiserin  Maria  Theresia,  sind  aus  dem  Vollen  geschöpft  imd  durch 
die  völlige  Beherrschung  des  behandelten  Stoffes  gekennzeichnet.  Zwie- 
dineck war  ein  glänzender  Stilist  —  ein  Vorzug,  den  auch  die  sogenannte 
„Schule**  dem  Lernenden  zu  geben  nicht  vermag.  Wie  flössen  ihm  die 
Gedanken  aus  der  Feder,  und  nur  so  ist  es  erklärlich,  daß  Zwiedineck 
bei  seinen  Berufis'pflichten ,  bei  seiner  tätigen  Zugehörigkeit  zu  wissenschaft- 
lichen Korporationen ,  bei  seinen  Beziehungen  zur  Politik  und  zur  Gesell- 
schaft, eine  so  äußerst  produktive  geistige  Tätigkeit  bis  zu  dem  Augenblick 
entfalten  konnte,  da  schwere  unheilbare  Erkrankung  ihm  die  so  gewandt 
geführte  Feder  aus  der  Hand  nahm.  Gerade  weil  Hans  von  Zwiedineck, 
wie  er  selbst  oft  genug  beklagte,  methodischer  Schulung  entbehren  mußte 
und  keinen  der  bedeutenden  Historiker,  die  zur  Zeit  seiner  Studien  an  Deutsch- 
lands und  Österreichs  Universitäten  wirkten,  seinen  „Lehrer**  nennen  durfte, 


i)  Von  Zwiedinecks  Werken  seien  hier  hervorgehoben:  Innerösterreichisclus  Darf' 
Üben  im  XVIIL  Jahrh,  (1877).  —  Bans  Ulrich  Fürst  von  Eggenberg  (1878).  — 
Österreich  unter  Maria  Theresia,  Joseph  IL  und  Leopold  HL  (in  der  von  W.  Oncken 
herausgegebenen  Allgem.  Geschichte  in  EtngeldarsteUungen).  —  Politik  der  Republik 
Venedig  während  des  30jährigen  Krieges  (1882).  ~  Bilder  aus  der  Zeit  der  Lands- 
knechte (1883).  —  Deutsche  Geschichte  im  Zeiträume  der  Gründung  des  preußischen 
Königtums  (2  Bände,  Stuttgart,  1890  1894).  —  Deutsche  Geschiffte  von  der  Auf- 
lösung des  alten  bis  zur  Chründung  des  neuen  Reiches  (3  Bände,  Stuttgart,  1895  ^^^ 
1904).  —  Geschichte  und  Geschichten  (1894).  —  Venedig  als  Weltmacht  (1899). 


—     90      — 

hat  sich  seinen  Schriften  ein  eigenartiger  persönlicher  Stempel  ati^edrttckt. 
Nicht  an  den  Worten,  sondern  aus  den  Werken  bedeutender  Geschichts- 
forscher und  Geschichtschreiber  hat  Zwiedineck  sich  Belehrung  und  Begeiste- 
rung geholt,  mit  eisernem  Fleiße  sich  fortgebildet  und  durch  die  Vorzüge, 
die  ihm  von  Natur  aus  gegeben  waren,  sich  zu  jener  wissenschaftlichen  Höhe 
erhoben,  die  ihn  berechtigte,  sich  unter  die  ersten  Vertreter  seines  Faches 
an  deutschen  und  österreichischen  Universitäten  zählen  zu  dürfen.  Zwiedineck 
zu  hören,  war  für  den  Fachgenossen  wie  für  den  Laien  immer  nur  ein 
Genufi,  gleichgültig  ob  er  im  Hörsaale  vor  seinen  Schülern,  oder  ob  er  im 
Festsaale  vor  einer  hundertköpfigen  Zuhörerschaft  sprach. 

Mit  Hans  von  Zwiedineck  hat  die  Geschichtsforschung  einen  Verlust 
zu  beklagen.  Der  Klageruf  wird  vielleicht  draußen  im  Reiche  nachhaltiger 
ertönen,  als  hier  zu  I^nde.  Über  den  inneren  Wert  der  Werke  und  die 
darin  sich  spiegehide  Geschichtsauffassung  Zwiedinecks  zu  sprechen,  muß 
ich  unterlassen.  Dies  bleibe  jenen  vorbehalten,  welche  der  von  ihm  ver- 
tretenen Forschungsrichtung  näher  stehen  als  ich,  dem  die  Berechtigung  über 
Zwiedinecks  wissenschaftliche  Tätigkeit  sicher  zu  urteilen  fehlt.  Ich  wollte 
nur  auf  jene  Lichtseiten ,  welche  seine  Werke  zu  gern  gesehenen  und  gern 
gelesenen  emporhoben,  hinweisen.  Ich  kann  nur  wiederholen:  Zwiedineck 
war  ein  Gelehrter  von  ganz  besonderer  Eigenart. 

Allgemein  anerkannt  ist  Zwiedinecks  organisatorisches  Talent. 
Nicht  allein  in  seinem  Berufe,  als  Vorstand  der  steiermärkischen  Landes- 
bibliothek,  welches  Institut  er  zu  schöner  Höhe  brachte,  bewies  er  den 
ihm  eigenen  klaren  Blick  für  das  Notwendige  und  Überflüssige.  Seiner 
Persönlichkeit,  seinem  bestechenden  Wesen  gelang  es,  die  Fachgenossen  ver- 
schiedenster Richtung  und  Qualität  zu  vereinen,  zu  gemeinsamer  Aussprache, 
zu  gegenseitigem  Kennenlernen.  Zwiedineck  war  ein  eifriger  Mitschöpfer 
jener  Tagungen,  welche  sich  ab  „Deutsche  Historikertage*'  zu  reicher 
Blüte  entfaltet  haben  —  nutzbringend  für  den  Einzelnen,  wertvoll  für  die 
Gesamtheit  und  der  von  dieser  getragenen  Wissenschaft.  Auch  dem 
Verwaltungsausschusse  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Ge- 
schieht»- und  Altertumsvereine  gehörte  er  in  den' letzten  Jahren  als 
einziges  österreichisches  Mitglied  an  und  war  seit  1899  fiast  regelmäßig  bei 
dessen  Versammlungen  anwesend,  noch  zuletzt  1905  in  Bamberg.  Zwiedinecks 
Verdienste  an  der  Aufstellung  einer  akademischen  „Kommission  zur 
Herausgabe  von  Akten  und  Korrespondenzen  zur  neueren 
Geschichte  Österreichs"  (seit  1898),  und  seine  mitbegründende  Tätig- 
keit bei  der  „Gesellschaft  für  neuere  Geschichte  Österreichs" 
sind  bekannt.  Für  den  „Historischen  Verein  für  Steiermark*' 
wirkte  er  von  1896 — 1903  als  dessen  Obmann,  imd  begründete  die  Steiriache 
Zeitschrift  für  Geschichte,  von  deren  Erscheinen  er  sich  die  Belebung 
heimatlicher  Geschichtsforschung  versprach.  Ganz  in  diesem  Sinne  ver- 
folgte er  von  Anfang  an  mit  Teibahme  die  Entwickelung  der  Deutschen 
GeschichtMätter  und  war  jederzeit  bemüht,  zu  ihrer  Fördenmg  beizutragen. 

Bis  in  die  letzten  Wochen  seines  Lebens  schenkte  Hans  von  Zwiedineck 
seine  vollste  Fürsorge  jener  wissenschaftlichen  Institution,  die  sein  organi- 
satorischer Geist  ins  Leben  gerufen  hatte,  der  „Historischen  Landes- 
kommission   für    Steiermark*'.      Zwiedinecks    fast  freundschaftlichem 


—     91      — 

Verhältüi»  zu  dem  damaligen  Landeshauptmann  von*  Steiermi»k,  Gundackei*, 
Reichsgtafen  von  Wurmbrand,  ist  es  zu  verdanken,  daß  der  Gedanke  ^dieser 
beiden,  „das  Wirken  der  modernen  Verwaitungskörperschaften  durch  authen« 
tische  und  erschöpfende  Nachrichten  über  die  Entwickelung  des  Verwaltungs- 
organismus  in  der  Vergangenheit"  zu  fördern,  tatsächlich  verwirklicht  wurde. 
Im  Frühjahr  189a  genehmigte,  der  steirische  Landtag  die  Aufstellung  einer 
„Historischen  Landeskommissiou  für  Steiermark",  durch  welche  „die  Ge- 
schichte des  Landtages  und  der  Stände,  die  Entstehung  und  Entwickelung 
der  laadesfürstlichen  Regierung,  der  Gesetzgebung  und  des  Verordnungs- 
wesens, die  Geschichte  der  Verwaltung  durch  städtische  und  grundherrliche, 
weltliche  und  geistliche  Obrigkeiten,  der  kirchlichen  und  konfessionellen 
Verhältnisse,  der  Kolonisation,  des  Handels  und  Verkehrs  behandelt"  werden 
sollte.  Vom  Lande  Steiennark  materiell  unterstützt,  konnte  diese  Kommission 
im  Jahre  1893  mit  ihrer  Tätigkeit  einsetzen,  und  Zwiedineck  verstand  es 
wie  keiner  die  Fachkreise  für  dieses  —  man  kann  wohl  sagen  für  sein 
wissenschaftliches  Unternehmen  zu  begeistern.  Fiel  doch  die  Gründung 
der  „Historischen  Landeskommission  für  Steiermark"  in  jene  Zeit,  in  der 
man  auch  in  Österreich  die  Bedeutung  der  Verwaltungs-  und  Verfassungs- 
.geschichte  zu  erkeimen,  zu  würdigen  und  zu  pflegen  begann. 

Durch  das  Vertrauen  des  Laudesausschusses  und  der  Fachgenossen 
wurde  Zwiedineck  zur  Leitung  dieser  Kommission  berufen.  Volle  dreizehn 
Jahre  (1893 — 1906)  bemühte  er  sich  als  Sekretär  der  Kommission  Leben 
einzuhauchen;  selbst  unter  den  schwierigsten  Verhältnissen  wußte  er  das 
Unternehmen  seinen  Zielen  näherzubringen,  und  blieb  auch  dann,  als  er 
schwer  erkrankt  dieses  Ehrenamt  in  die  Hände  des  Landesausschusses  zurück- 
legte, noch  ein  eifriger  Beobachter  und  Ratgeber  für  alles,  was  in  den  Wir- 
kungskreis der  „Historischen  Landeskommission"  fiel.  Wie  traurig  stimmt 
mich  noch  heute  die  Erinnerung  an  eine  längere  Unterredung  mit  Zwiedineck 
im  jüngst  verflossenen  August.  Mit  welch  jugendlichem  Eifer,  mit  welcher 
Überzeugung  entwickelte  er  mir  seine  Pläne  in  Sachen  der  Landeskommission, 
wie  wünschte  und  erhoffte  er  durch  private  Unterstützung  es  zur  Verwirk- 
lichung einer  im  groöen  Stile  aufzubauenden  und  durchzuführenden  Be- 
arbeitung der  Geschichte  des  steirischen  Eisenwesens  zu  bringen.  Wie  freudig 
begrüöte  Zwiedineck  die  endliche  räumliche  Vereinigung  der  Kommission 
mit  dem  Landesarchive  imd  das  ungetrübte  Verhältnis,  das  nun  zwischen 
den  beiden  Instituten  bestand  und  welches  er  von  jeher  ab  eine  Grund- 
bedingung für  eine  gedeihliche  Entwickelung  der  historischen  Studien  im 
Lande  ansah.  Welche  Genugtuung  gewährte  es  Zwiedineck,  wenn  er  an  den 
Tagungen  der  Konferenzen  deutscher  Publikationsinstitute  die  jährlichen  Früchte, 
welche  das  von  ihm  getragene  wissenschaftliche  Unternehmen  gezeitigt  hatte, 
zur  Kenntnisnahme  vorlegen  konnte. 

Wenn  auch  heute  die  Leistungen  der  ,, Historischen  Landeskommission 
für  Steiermark"  nicht  so  ganz  dem  entsprechen,  was  man  nach  dem  Pro- 
gramm von  1892  voraussetzen  konnte,  so  wird  doch  jeder,  der  nur 
einmal  so  grofi  angelegten  Unternehmungen  angehört  Rat,  die  Wandlungen 
kennen,  welche  sie  vom  programmatischen  Ausgangspunkte  bis  zur  tat- 
sächlichen Entfaltung  und  Ausführung  durchzumachen  haben.  Diese  Er- 
kenntnis  blieb   Zwiedineck   nicht  erspart,   und   er  war   der  erste,   der  bei 


—     y2     — 

der  Erneuerung  der  „Historischen  Landeskommission''  im  Jahre  1902  offen 
und  mutig  in  den  neuen  Kurs  mit  bescheideneren,  daher  aber  auch  erreichbaren 
Zielen  steuerte.  Für  die  „Historische  Landeskommission''  war  es  schon 
ein  Verlust  zu  nennen,  als  Zwiedineck  auf  das  Ehrenamt  eines  geschäfts- 
führenden Sekretärs  verzichten  mußte,  ein  imersetzlicher,  ab  wir  an  seiner 
Bahre  standen.  Die  „Historische  Landeskommission  fUr  Steiermark"  ist 
seine  eigenste  Schöpfung  imd  wird  es  bleiben ;  wenn  sie  nach  Jahren  reiche 
Früchte  zu  tragen  beginnen  wird,  dann  wird  der  Name  Hans  von  Zwiedinecks 
nur  in  ehrendster  und  dankbarster  Erinnerung  genannt  werden  können. 
Graz,  im  Dezember  1906.  Anton  Meli. 

Einiiiegaiigeiie  Btteher. 

Schmidt,  Hans  Georg:  Die  Konvention  von  Altranstädt  vom  22.  August 
1707.  Festschrift  zur  200  Jahr-Feier.  Leipzig,  Armed  Strauch  29  S.  8". 
M.  0,10. 

Schmidt,  Wilhelm:  Die  Kirchen-  und  Schulvisitation  im  sächsischen  Kur- 
kreise vom  Jahre  1555.  Erstes  Heft:  Die  kirchlichen  und  sittlichen 
Zustände  [=  Schriften  des  Vereins  ftir  Reformationsgeschichte  Nr.  90]. 
Halle  a.  S.,  Rudolf  Haupt  1906.     74  S.  8^     M.  1,20. 

Schönberg  im  Fürstentum  Ratzeburg.  Festschrift  zur  Feier  des  Einzugs 
JJ.  KK.  HH.  des  Grofsherzogs  Adolf  Friedrich  und  der  Grofs- 
herzogin  Elisabeth  in  Schönberg  am  5.  August  1906.  Schönberg 
(Meckl.),  Verlag  von  Lehmann  &  Bernhard  1906.     47  S.  8". 

Seile,  Georg:  Oldenburgs  Seeschiffahrt  in  alter  und  neuer  Zeit  [>==  Pfingst- 
blätter  des  Hansischen  Geschichts Vereins.  Blatt  II].  Leipzig,  Duncker 
&  Humblot  1906.     67  S.  8®.     M.   i. 

Pfau,  W.  C.:  Skizzen  vom  alten  Rochlitzer  Handel  und  Wandel  [=  Einzel- 
heiten aus  dem  Gebiete  der  Rochlitzer  Geschichte  Lieferung  5].  Roch- 
litz  i.  S.   1906.     216  S.  8«. 

Wintterlin,  Friedrich:  Geschichte  der  Behördenorganisation  in  Württemberg, 
herausgegeben  von  der  Kommission  ftir  Landesgeschichte.  Zweiter  Band : 
Die  Organisation  König  Wilhelms  I.  bis  zum  Verwaltungsedikt  vom 
I.  März  1822.    Stuttgart,  W.  Kohlhammer  1906.    319  S.  8^    M.  3,50. 

Berichtigung. 

Zu  dem  Bericht  über  den  Vortrag  von  Archivdirektor  Sech  er  (Kopen- 
hagen) auf  S.  42  teilt  dieser  mit,  daß  seine  Äußerung  hinsichtlich  des  Ver- 
hältnisses zwischen  Urkunden  und  Akten  nicht  richtig  wieder- 
gegeben sei,  wenn  gesagt  werde:  „eine  Scheiduog  von  Urkunden  und  Akten 
tritt  nicht  ein*'.  Die  Wirklichkeit  habe  er  ausgesprochen,  daß  das  dänische 
Archivwesen  eine  prinzipielle  Scheidung  von  Urkunden  und  Akten 
nicht  kennt  und  deshalb  zwar  aus  praktischen  Gründen  (Rücksicht  auf 
die  Siegel,  Format  und  dgl.)  Pergamenturkuuden  für  sich  aufbewahrt, 
aber  Papierurkunden  bei  den  Akten  läßt. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig. 
Druck  nnd  Verlag  von  Friedrich  Andrea«  Perthes,  AkriengeselUchaft,  Gotha, 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


sur 


Forderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 


VIII.  Band  Januar  1907  4.  Heft 


Vatikanische  Quellen  zur  deutsehen 

Liandesgesehiehte 

Von 
Martin  Wehrmann  (Stettin) 

Leo  XIIL  pontifex  maximus  histori(ie  studiis  constdens  tabularii 
<ircana  reclusit  anno  MDCCCLXXX.  Diese  kurze  Aufschrift  auf  einer 
Marmortafel,  die  den  Arbeitsraum  des  Geheimarchivs  des  Heiligen 
apostolischen  Stuhles  im  Vatikan  zu  Rom  schmückt,  legt  Zeugnis  ab 
von  dem  für  die  historische  Quellenforschung  überaus  wichtigen  Ent- 
schlüsse des  Papstes  Leo  XIIL,  die  Schätze  des  gröfeten  und  bedeu- 
tendsten Archives  der  Welt  dem  wissenschaftlichen  Studium  zu  er- 
öffnen. Es  ist  wohl  noch  in  der  Erinnerung  mancher  Geschichts- 
forscher, welches  Aufsehen  es  in  der  wissenschaftlichen  Welt  machte, 
als  bald  nach  der  Thronbesteigung  des  Papstes  (20.  Februar  1878) 
bekannt  wurde,  er  beabsichtige  das  Archiv,  das  bisher  nur  wenigen 
Glücklichen  zugänglich  gewesen  war,  allgemeiner  Benutzung  zu  er- 
schließen. Noch  lebhafter  wurde  die  freudige  Erwartung,  als  bereits 
am  20.  Juni  1879  durch  ein  päpstliches  Breve  der  Kardinal  Joseph 
Hergenröther  zum  Archivar  des  Heiligen  Stuhles  ernannt  und  nach 
den  notwendigsten  Vorbereitungen  im  Januar  1881  der  neu  eingerich- 
tete Benutzersaal  in  Gebrauch  genommen  wurde.  Sofort  begannen 
die  Forscher  aller  Kulturstaaten,  die  überaus  zahlreichen  und  wich- 
tigen Archivalien,  die  allmählich  in  immer  größerem  Umfange  der 
Benutzung  zugänglich  wurden,  in  eifriger  Arbeit  einzusehen  und  nach 
den    verschiedensten    Richtungen     auszunutzen  ^).       Seit    mehr     als 


i)  Vgl.  über  die  Geschichte  des  vatikanischen  Archives  n.  a.  Bellesheimin  den 
HisU)ri8ch'PoUti8ehmBläUern,Bd,g4{^SS4),S.^os--^2SxmdS.^Ss—S^^ 
im  Historischen  Jahrbuch  4.  Band  (1883),  S.  2320.  and  26off.;  A.  Gottlob, 
ebendort  S.  271 — 284;  Th.  v.  Sickel,  ebendort  24.Bd.  (1903),  S.  9i5ff.  und  vor  aUem 
W.  Friedensbnrg,  Das  Kgl.  preußische  historische  Institut  in  den  dreisehn  ersten 
Jahren  seines  Bestehens  1888 — 1901  (Anhang  zn  den  Abhandlangen  der  Kgl.  preuß.  Akademie 

7 


—     94     — 

25  Jahren  ist  jetzt  dieses  Stadium  in  unverminderter  Weise  fortgesetzt 
worden  und  hat  reiche  Früchte  für  die  Geschichtsforschung  ge- 
zeitigt. Kaum  möglich  wird  es  sein,  alle  die  Publikationen  auf- 
zuzählen, für  die  Quellen  aus  dem  vatikanischen  Archive  benutzt 
worden  sind.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  auch  für  die  deutsche 
Landesgeschichte  viel  durch  die  Erschließung  dieser  archivalischen 
Schätze  gewonnen  wurde,  und  deshalb  mag  es  angebracht  sein,  im 
Rückblick  auf  das  verflossene  Vierteljahrhundert  einmal  zusammen- 
zustellen, welche  Quellen  aus  diesem  Archive  für  die  Erforschung  der 
Geschichte  deutscher  Landschaften  bisher  erschlossen  worden  sind. 
Bei  der  großen  Zahl  der  Veröffentlichungen,  die  oft  in  lokalen  oder 
territorialen  Geschichtszeitschriften  einen  ziemlich  verborgenen  Platz 
gefunden  haben,  wird  es  nicht  möglich  sein,  eine  absolute  Vollstän- 
digkeit zu  erzielen,  zumal  da  bei  zahlreichen  Aufsätzen  ohne  ein- 
gehenderes Studium  kaum  zu  erkennen  ist,  ob  für  sie  Material  aus 
dem  vatikanischen  Archive  benutzt,  ja  in  ihnen  vielleicht  auch  einiges 
abgedruckt  worden  ist.  Ergänzungen  und  Nachträge  zu  den  folgenden 
Mitteilungen  sind  deshalb  sehr  erwünscht.  Noch  weniger  können  alle 
allgemeinen  Veröffentlichungen,  Reichstagsakten,  TeUe  der  Monumenta 
Germaniae  historica,  Urkundenbücher,  Regestensammlungen,  in  denen 
sich  natürlich  auch  für  die  Landesgeschichte  Deutschlands  Quellen 
finden,  hier  mitgeteilt  werden.  Nur  einige  der  wichtigsten  Publikationen 
dieser  Art  seien  angeführt. 

Schon  vor  der  Elröffnung  des  Archives  hatte  die  ficole  firan^aise 
de  Rome  die  Erlaubnis  erhalten,  die  Register  der  Päpste  des  XIII.  Jahr- 
hunderts zu  bearbeiten  und  zu  veröffentlichen.  Von  dieser  großen 
Publikation  (Registres  des  papes  du  XIIL  siecle),  die  fortgesetzt 
in  Arbeit  ist,  sind  zum  Teil  noch  nicht  vollständig  erschienen  die 
Register  Gregors  IX.  (1227 — 1241,  par  L.  Auvray,  bisher  8  Hefte), 
Innocenz*  IV.  (1243 — 1254,  par  E.  Berger,  3  Bände),  Alexanders  IV. 
(1254 — 1261 ,  par  Bourel  de  La  Ronciere,  de  Loye  et  A.  Coulon, 
I.  Band),  Urbans  IV.  (1261 — 1264,  par  J.  Guiraud,  9  Hefle),  Clemens' 
rV.  (1265 — 1268,   par  E.  Jordan,  4  Hefte),  Gregors  X.  (1271— -1272) 


der  WisscDschaflen  vom  Jabre  1903),  Berlin  i903.Hierist  auf  S.  5— 18  die  Eröffnung  des  vati- 
kanischen  Geheimarchives  durch  Papst  Leo  XUI.  eingehend  behandelt  and  Literatur  in 
reichem  Mafle  angegeben.  Kurs  orientiert  über  die  Verhältnisse  die.  kleine  Arbeit 
Ton  G.  Bnschbell,  Das  vattkarUsche  Archiv  und  die  Bedeutung  seiner  Er- 
Schließung  durch  Papst  Leo  XUI.  (Frankfurter  zeitgemäße  Broschüren  XXII,  la). 
Hamm  L  W.  1903.  Aus  der  Archivbenutzungs-Ordnung  finden  sich  Mitteilungen  in  den 
DeaUchen  Geschichtsblättem  I,  S.  193  f. 


—     96     — 

und  Johanns  XXI.  (12/6 — 1277,  par  J.  Guiraud  et  L.  Cadier,  3  Hefte), 
Nikolaus'  III.  (1277 — 1280,  par  J.  Gay,  4  Hefte),  Martins  IV.  (1281 — 1285, 
par  M.  Soehn^e,  i  Heft),  Honorius'  IV.  (1285 — 1287,  par  M.  Prou, 
I  Band),  Nikolaus' IV.  (1288— 1292,  par  E.  Langlois,  2  Bände),  Boni- 
fatius'  VIII.  (1294 — 1303,  par  Digard,  Faucon,  Thomas,  8  Hefte)  und 
Benediktus'  XI.  (1303 — 1304,  par  M.  Ch.  Grandjean,  i  Band).  Eine 
andere  Serie  der  französischen  Publikation  umfaßt  Ldtres  des  papes 
du  XIV.  siecle;  von  dieser  kommen  für  uns  besonders  die  Bände  in 
betracht,  in  denen  die  lüterae  communes  nach  den  Registern  von 
Avignon  und  vom  Vatikan  aufgeführt  werden.  Erschienen  sind  aus 
dem  Pontifikat  Johanns  XXII.  (13 16 — 1334)  3  Bände,  aus  dem  Bene- 
dikts XII.  (1334 — 1342)  4  Hefte.  In  ihnen  findet  sich  viel  Material 
für  die  deutsche  Landesgeschichte,  und  es  muß  deshalb  nachdrücklich 
auf  sie  aufmerksam  gemacht  werden. 

Von  deutscher  Seite  ist  ganz  besonderer  Eifer  der  Erforschung 
des  päpstlichen  Kanzlei-  und  Urkundenwesens  gewidmet  worden.  Die 
zahlreichen  Veröffentlichungen,  aus  denen  auch  manches  für  die 
Landesgeschichte  zu  gewinnen  ist,  können  hier  nicht  aufgeführt 
werden.  Eis  mag  genügen,  auf  die  neueste  zusammenfassende  Be- 
handlung dieses  Gegenstandes  durch  L.  Schmitz-Kallenberg  (in 
A.  Meisters  Handbuch  der  Geschichtswissenschaft  I,  S.  172—230) 
hinzuweisen.  Auch  die  Sammlung  und  Neubearbeitung  der  Papst- 
urkundeu  ist  in  Angriff  genommen  worden,  und  als  Anfang  ist  neuerdings 
erschienen:  P.  F.  Kehr,  Regesta  pcniificum  Romanorum.  Italia 
Pontificia,  vol.  I.  Berlin  1906  ').  Die  vorbereitenden  Arbeiten  mögen 
ebenfalls  für  landesgeschichtliche  Forschungen  manches  neue  Stück 
ans  Licht  gezogen  haben. 

Hierfür  verdienen  natürlich  nicht  geringe  Beachtung  die  großen 
Sammlungen  der  Franziskaner  (Bullarium  Franciscanum,  7  Bände,  Rom 
1759  ff.),  der  Dominikaner  (Monumenta  ordinis  fratrum  Praedicatorum 
histariae,  Rom  1 896  ff.  ),die  PubUkation  der  Benediktiner  (RegestumClementis 
papae  V.  ex  VeUicanis  archetypis  cura  et  studio  ordinis  Benedict^  9  Bände, 
Rom  1885  ff.)  u.  a.  m.  Es  ist  nur  zu  bedauern,  daß  diese  Werke  den  For- 
schern gewöhnlich  schwer  zugänglich  sind.  Besonders  auf  allgemeine 
deutsche  Verhältnisse  beziehen  sich  zahlreiche  Publikationen,  von  denen 
hier  nur  die  wichtigsten  aufgezählt  werden  sollen.  Dabei  ist  es  aber  unmög- 
lich anzugeben,  für  welche  Landschaften  sie  im   einzelnen  Beachtung 


i)  Über  die  Arbeiten  Ton  Pflngk-Harttnng  ist  za  vergleichen  W.  Friedensborgs  Auf 
satz  in  der  Beilage  sur  Allgemeinen  Zeitung  1905,  Nr.  241 — 243. 


—     96     — 

verdienen.  O.  Posse  bringt  in  seinem  Werke  Analeda  VaHeana 
(Innsbruck  1878)  Beiträgre  zu  den  Jahren  1254  bis  1372.  Die  von 
der  Kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  heraus- 
gegebenen MiUeUungen  aus  dem  vatikanischen  Archive  (Witn  1889 — 94, 
2  Bände)  enthalten  im  ersten  Bande  (1889)  Aktenstücke  zur  Geschichte 
des  Deutschen  Reiches  unter  den  Königen  Rudolf  I.  und  Albrecht  I.  Be- 
sonders eifrig  sind  die  bayerischen  Historiker  für  die  Zeit  Kaiser  Ludwigs 
tätig  gewesen  und  haben  damit  auch  reiches  Material  für  die  deutsche 
Landesgeschichte  beigebracht.  So  veröffentlichte  F.  v.  Löher  Vati- 
kanische Urkunden  eur  Geschichte  Kaiser  Ludwigs  des  Bayern  aus  den 
Jahren  1315^1326  (Archival.  Zeitschrift  Bd.  V,  S.  236 ff.;  VI,  S.  212 ff.) 
und  J.  H.  Reinkens  Auszüge  aus  den  Urkunden  des  vaHkanischen 
Archives  von  1315^1334  (Abhandlungen  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  München.  Bd.  XIV— XVII,  1882  ff.).  Von  großer  Wichtigkeit 
sind  die  von  S.  Riezler  im  Auftrage  der  Historischen  Kommission 
zu  München  herausgegebenen  Vatikanischen  Akten  eur  deutschen  (76- 
schichte  in  der  Zeit  Kaiser  Ludwigs  des  Bayern  (Innsbruck  1891)  *). 
Hier  findet  sich  Quellenmaterial  für  die  Geschichte  fast  aller  deutschen 
Landschaften. 

Für  die  Geschichte  Karls  IV.  sind  von  Bedeutung  die  Veröffent- 
lichungen von  E.  Werunsky  (Ezcerpta  ex  registris  Clementis  VL  et 
Innocentii  VL  histariam  8.  R.  Imperii  sub  regimine  Karoli  IV.  illu- 
strantia.  Innsbruck  1885)  und  Fr.  Zimmermann  (Acta  Caroli  IV. 
imperataris  inedita  1352—1376.  Aus  italienischen  Archiven  gesammelt 
Innsbruck  1891).  Allerdings  bezieht  sich  das  zweite  Werk  in 
der  Hauptsache  auf  die  italienische  Politik  des  Kaisers,  kommt 
aber  in  einigen  Einzelheiten  auch  für  die  Landesgeschichte  in 
Betracht.  Auf  Grund  eingehender  Studien  im  vatikanischen  Archive 
hat  M.  Jansen  den  Papst  Bonifatius  IX.  (1389 — 1404)  und  seine  Be- 
ziehungen aur  deutschen  Kirche  (Studien  und  Darstellungen  aus  dem 
Gebiete  der  Geschichte  III,  3  und  4.  Freiburg  1904)  behandelt.  Da 
unter  diesem  Papste  das  Provisionswesen ')  ganz  besonders  großen 
Umfang  annimmt,  so  werden  in  dem  Buche  Mitteilungen  gemacht, 
welche  die  verschiedensten  deutschen  Territorien  betreffen. 

Von  allen  Veröffentlichungen  zur  allgemeinen  deutschen  Ge- 
schichte ist  für  die   landesgeschichtliche  Forschung   am    wichtigsten 

i)  Nachträge  hat  C.  Enbel  in  dem  13.  Bande  des  Historischen  Jahrbuchs  (1892) 
gebracht 

2)  Hierzu  ist  o.  a.  das  ausgezeichnete  Buch  von  J.  H aller,  Papsttum  und 
Kirchenreform,  Bd.  I  (Berlin  1903)  zu  vergleichen. 


—     97     — 

das  Bepertarium  Germanicumj  Begesten  aus  den  päpstlichen  Archiven 
gur  Geschichte  des  Deutschen  Reichs  und  seiner  Territorien  im  XIV. 
und  XV.  Jahrhundert,  herausgegeben  durch  das  Kgl.  preußische 
historische    Institut   in    Rom.      Pontifikat   Eugens    IV.    (143 1 — 1447), 

I.  Band,  unter  Mitwirkung  von  Joh.  Haller,  Jos.  Kaufmann  und 
Jean  Lulv^s,  bearbeitet  von  Rob.  Arnold  (Berlin,  A.  Bath, 
1897)  0-     Obgleich  der  vorliegende  erste  Band  nur  ein  Jahr  (vom 

II.  März  143 1  bis  zum  März  1432)  umfaßt,  enthält  er  in  2828  Nummern 
neue  Quellen  zur  Geschichte  aller  Territorien  des  Reiches  im  wei- 
testen Sinne ').  Aus  diesem  Werke  läßt  sich  auch  am  leichtesten 
eine  Anschauung  gewinnen  von  dem  Material,  das  die  päpstlichen 
Register  für  die  deutsche  Territorialgeschichte  vornehmlich  bieten. 
Es  handelt  sich  dabei  zumeist  nicht  um  große  politische  Vorgänge, 
für  die  es  natürlich  auch  nicht  an  Quellen  fehlt,  sondern  um  Ver- 
leihungen von  Pfründen  oder  EIxpcktanzen ,  Bestätigungen  von  Inkor- 
porationen, Schenkungen,  Käufen  u.  a.  m.,  Ernennungen,  Indulte,  Dis- 
pense, Absolutionen  usw.  „Das  Wichtigste  und  das  eigentliche 
Charakteristische  dieser  Publikation  besteht",  wie  Friedensburg  schreibt, 
„darin,  daß  der  Forscher  ein  aktenmäßiges  klares  Bild  davon  erhält, 
wie  tief  die  Kurie  beständig  in  die  kirchliche  Verwaltung  eines  großen 
Reiches,  oft  bis  in  die  kleinsten  Details  eingriff')  und  bei  den  mannig« 
iachsten  Anlässen,  meist  aber  auf  Grund  von  Suppliken  einheimischer, 
d.  h.  deutscher  Kurialen  den  Geltungskreis  der  anderen  kirchlichen 
Organe  durchbrach".  In  mühsamster  Arbeit  ist  ein  reiches  Quellen- 
material zusammengebracht,  das  in  dem  ersten  Bande  nur  zum  aller- 
kleinsten  Teile  veröffentlicht  worden  ist.  Die  große  Sammlung  von  Re- 
gesten aus  der  Zeit  von  1378  bis  1447  ruht  jetzt  im  Geheimen  Staatsarchive 
zu  Berlin,  wo  sie  von  Forschem  eingesehen  werden  kann.  Über  die 
Art  der  weiteren  Publikation,  die  in  derselben  Weise  wie  in  dem  ersten 
Bande  kaum  fortgesetzt  werden  kann,  ist,  soviel  bekannt,  ein  end- 
gültiger Beschluß  noch  nicht  gefaßt.    Auch  hat  die  Görres-Gesell- 

i)  Für  die  EnUtehnog  des  Werkes  bt  Friedensbargs  DarsteUong  (Das  Kgl. 
preafi.  histor.  Institut,  S.  103 flL  und  S.  115—118)  Ton  besonderem  Interesse. 

2)  Was  z.  B.  fUr  Pommerns  Geschichte  ans  dem  Werke  zu  gewinnen  ist,  wurde  in 
deo  MonatsbUttem  der  Gesellschaft  fUr  pommersche  Geschichte  (1898.  S.  105  —  107) 
knrz  dargel^t 

3)  Solche  Akten  finden  sich  natttrlicb  vereinzelt  anch  in  den  deutschen  Archiven, 
selbst  in  denen  einzelner  Pfarrämter,  wie  z.  B.  die  mannigfachen  ans  den  Registern  er- 
sichtlichen Nacbweisnngen  in  der  Übenicht  über  den  IfihaÜ  der  Jäeineren  Archive  der 
JBheiniproviHJB  (Bonn  1899 — 1904,  Bd.  i  nnd  3)  erkennen  lassen,  aber  in  ihrer  imponie- 
renden Menge  finden  sie  sich  eben  nnr  in  den  Registern  in  Rom. 


—     98     — 

Schaft,  von  der  die  Arbeit  für  die  Monate  vom  November  141 7  bis 
Mai  1418  und  für  die  Zeit  von  1447  bis  1523  übernommen  worden 
ist,  bisher  noch  nichts  Zusammenfassendes  veröfTentUcht 

Für  die  Reformationszeit  liegen  wieder  zahlreiche  vatikanische 
Quellenpublikationen  vor,  die  auch  für  die  Landesgeschichte  in  Be- 
tracht zu  ziehen  sind.  J.  Hergenröthers  Regesta  Leanis  X.  panH- 
ficis  tnaxitni  (Freiburg  1884  fr.)  sind  nicht  vollendet.  Die  vorliegenden 
acht  Hefte  enthalten  aber  mancherlei  Beiträge  zur  Geschichte  deutscher 
Territorien  und  verdienen  eingehende  Berücksichtigung.  Auch  in 
P.  Bai  ans  Sammlungen  (ManumetUa  reformeUionis  Lidheranae  ex  ia- 
btdariis  secreUoribus  s.  sedis  1521—1525,  Ratisbonae  1883 — 1884,  und 
Monumenta  saeculi  XVI.  histortam  iUusiranHa  V,  i ,  Oenip.  1885) 
bieten  hier  und  dort  StofT,  ebenso  wie  andere  reformationsgeschicht- 
liche Arbeiten,  für  die  das  vatikanische  Archiv  benutzt  worden  ist.  Man 
mag  diese  in  der  neuen  Ausgabe  von  Dahlmann-Waitz'  Otiettm- 
künde  der  deutschen  Oeschichie  (1906)  nachsuchen. 

Viel  zu  wenig  benutzt  für  die  Landesgeschichte  ist  bisher  das 
größte  Werk ,  das  infolge  der  Eröffnung  des  Archives  in  Angriflf  ge- 
nommen und  bereits  ein  gutes  Stück  gefördert  worden  ist,  die  Ver- 
öffentlichung der  NtnUiaturberichte,  Das  preußische  historische  In- 
stitut in  Rom  hat  die  Zeitabschnitte  von  1533 — ISS9,  1572 — 1585 
und  1628 — 1635  übernommen  und  in  den  einzelnen  Abteilungen  bis 
jetzt  7,  4  und  2  Bände  veröffentlicht,  die  von  Friedensburg, 
Hansen,  Kiewning,  Kupke  und  Schellhaß  bearbeitet  worden 
sind.  Von  der  zweiten  AbteUung,  welche  die  Jahre  1560 — 1572 
umfaßt,  hat  die  historische  Kommission  der  Wiener  Akademie  bis- 
her zwei  Bände  in  der  Bearbeitung  von  S.  Steinherz  heraus- 
gegeben, während  die  Görres- Gesellschaft  von  den  Nuntiaturberichten 
1585  (1584)  bis  1590  in  der  Bearbeitung  von  St  Ehses,  A.  Meister 
und  F.  Reichenberger  drei  Bände  und  daneben  noch  durch 
F.  Dittrich  und  W.  E.  Schwarz  andere  Korrespondenzen  von 
Nuntien  hat  erscheinen  lassen  *).  Mancherlei  kleinere  VeröfTent- 
lichungen  und  Ergänzungen  vervollständigen  die  Reihe  dieser  für  das 
XVI.  und  XVII.  Jahrhundert  überaus  wichtigen  Quellenpublikation,  in 
der   natürlich  auch   viel  wertvolles   Material   für    die   Geschichte    der 


i)     Über   die  Geschichte   dieser  Pablikation   berichtet  eingehend  Friedensborg  (Das 

Kgl.  preafi.  histor.  Institnt,  S.  23  f.  38  ff.  49  ff.  72  ff.  82  ff.  119  ff.  and  in    der  Einleitong 

tum  ersten  Bande  der  Nnntiatorbenchte).    Fttr  die  genanen  Titel  und  die-  anderen  kleineren 

Veröffentlichungen   kann  auf  Dahlmann-Waitz,    7.  Aufl.  (Nr.    5852.    5853.   6085—6089. 

428)  verwiesen  werden. 


—     99     — 

deutschen  Landschaften,  namentlich  ihre  kirchliche  Entwickelung, 
steckt,  das  man,  wie  schon  hervorgehoben  wurde,  noch  keineswegs 
genügend  ausgenutzt  hat  Es  ist  allerdings  zu  bemerken,  daß  be- 
dauerlicher Weise  diese  große  Publikation  in  recht  vielen  Bibliotheken 
fehlt  und  deshalb  vielen  Forschem  unzugänglich  bleibt.  Weiter 
mögen  angeführt  werden  der  von  G.  Kupke  veröffentlichte  Bericht 
über  die  Beise  des  päpsilichen  Legaten  Hieranymo  Dandino  von  Bom 
nach  Brüssel,  1553  (Quellen  und  Forschungen  aus  italienischen  Ar- 
chiven ^)  IV ,  S.  82 — 94)  und  die  Begesten  mr  deutschen  Geschichte 
otis  der  Zeit  des  PontifikcUs  Innoceng'  X  1644: — 1655,  die  W.  Frie- 
densburg herausgegeben  hat  (Quellen  und  Forschungen!  IV, 
S.  236 — 285 ;  V,  S.  60 — 124,  207 — 222 ;  VI,  S.  146—173 ;  VII,  S.  121  bis 
138).  Auch  seine  Beiträge  zum  Briefwechsel  der  katholischen  Gelehrten 
Deutschlands  im  BeformationszeitaUer  (Zeitschrift  für  Kirchengeschichte, 
Bd.  XVI — XXllI)  und  andere  kleinere  Publikationen  in  verschiedenen 
Zeitschriften  können  in  Betracht  kommen. 

Nicht  aus  dem  vatikanischen  Archive  stammt  der  bereits  im  Jahre 
1875  gedruckte  Liber  confratemüatis  b.  Mariae  de  Anima  Teutoni- 
corum  de  urbe  (Romae  1875).  Trotzdem  muß  diese  Zusammenstellung 
der  Deutschen,  die  in  die  Brüderschaft  bei  der  Kirche  St.  Maria  dell* 
Anima  zu  Rom  aufgenommen  wurden,  hier  erwähnt  werden,  da  sie 
für  die  Landesgeschichte  sehr  wichtig  ist.  Leider  ist  die  Ausgabe 
recht  schlecht  und  fehlerhaft,  aber  die  Forscher  auf  lokal-  oder 
territorialgeschicbtlichem  Gebiete  werden  die  iiir  sie  in  Betracht 
kommenden  Namen  doch  herausfinden  ^).  Manche  Ergänzung  geben 
F.  Na  gl  und  AI.  Lang  in  ihren  Mitteilungen  aus  dem  Archive  des  y 
deutschen  NaiionaXhospizes  8.  Maria  deW  Anima  in  Bom  (Römische 
Quartalschrift,  XII.  Supplementband.  Rom  1899).  Die  Untersuchung 
über  den  Aufenthalt  Deutscher  in  Rom  ')  bietet  für  die  Lokalhistoriker 
manches  interessante ;  es  kommen  dafür  sowohl  einheimische  als  auch 
römische  Quellen  in  Frage. 

Auf  vatikanischem  Material  beruht  das  große  Werk  K.  E üb  eis. 


i)  Über  diese  vom  preafl.  histor.  Insütot  in  Rom  seit  1897  henrasgegebene  Zeit« 
Schrift  ist  wieder  Friedensbnrgs  Bericht  (S.   141  ff.)  zn  vergleichen. 

2)  FOr  Prenften  hat  H.  Freytag  in  der  Zeitschrift  des  westpreußischen  Geschichts- 
Vereins  42.  Bd.  ,  S.  68—87,  für  die  Rheinlande  und  Westfalen  J.  Evelt  in  der  Monats- 
schrift für  rhein.-westfalische  Geschichtsforschung  3.  Bd.,  S.  415 — 437  eine  solche  Znsammen- 
steUnng  gemacht. 

3)  Zu  vergleichen  ist  daza  u.  a.  L.  Pastor,  QtBchiekU  der  Päpste  1,  3  n. 
4.  Aafl.,  S.  240  bis  250. 


—     100     — 

Bierarchia  catholica  medü  aevi  (2  Bände.  Regensburg  1898 — 1901), 
das  auch  für  jeden  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Landesgeschichte 
unentbehrlich  und  in  bezug  auf  das  Mittelalter  an  die  Stelle  der  viel 
benutzten  Series  episcoporum  von  Garns  getreten  ist.  Die  Fort- 
setzung ist  in  Arbeit,  und  Eubel  selbst  hat  mancherlei  Ergänzungen 
mitgeteilt  oder  für  deutsche  Abteien  einzelne  Zusammenstellungen  ver- 
öffentlicht *).  Auch  in  mehreren  Arbeiten,  die  sich  mit  dem  Fmanz- 
wesen  der  Kurie  beschäftigen,  werden  Mitteilungen  gemacht,  die  für 
einzelne  Territorien  wichtige  Nachrichten  bringen,  so  von  A.  Gottlob 
in  seinem  Buche  Aus  der  Camera  apostolica  des  XV.  Jahrhunderts 
(Innsbruck  1889)  und  von  J.  P.  Kirsch  in  den  Werken:  Die  päpst- 
lichen Kdllektorien  in  Deutschland  während  des  XV.  Jahrhunderts 
(Quellen  und  Forschungen  aus  dem  Gebiete  der  Geschichte.  Heraus- 
gegeben von  der  Görres-Gesellschaft,  Band  III.  Paderborn  1894)  und 
Die  päpstlichen  Annaten  in  Deutschland  während  des  XV.  Jahr- 
hunderts (Band  I.  Von  Johann  XXII.  bis  Innocenz  VI.  Quellen  und 
Forschungen,  Band  IX.  Paderborn  1903).  Bei  der  Bedeutung  des 
Fuggerschen  Hauses  für  ganz  Deutschland  ist  es  erklärlich,  daß 
AI.  Schultes  Werk  Die  Fugger  in  Born  1495'-1523  (2  Bände. 
Leipzig  1904)  auch  für  die  landesgeschichtliche  Forschung  mancherlei 
aus  dem  vatikanischen  Archive  gewonnenes  Material  enthält.  Zur 
Reformgeschichte  des  Benediktinerordens  im  XVI.  Jahrhundert  macht 
B.  Albers  Mitteilungen  Aus  vatikanischen  Archiven  (Studien  und 
Mitteilungen  aus  dem  Benediktiner-  und  Cisterzienserorden  XXI, 
S.  197 — 216;  XXII,  S.  113 — 147).  Reiche  Ausbeute  für  zahlreiche 
deutsche  Diözesen  (Wien,  Köln,  Meißen,  Brixen,  Freising,  Laibach, 
Würzburg,  Mainz,  Trier,  Paderborn,  Regensburg,  Lübeck,  Merse- 
burg u.  a.)  bringen  die  von  Friedensburg  mitgeteilten  Jn/ormottv- 
proeesse  (d.  h.  Verhandlungen  an  der  päpstlichen  Kurie  vor  Neu- 
besetzung der  Bischofssitze)  in  vortridentinischer  Zeit  (Quellen  und 
Forschungen  I,  S.  165 — 203). 

Diese  VeröfTentlichungen  leiten  uns  schon  über  zu  den  eigent- 
lichen landesgeschichtlichen  Arbeiten,  die  im  vatikanischen 
Archive   vorgenommen    worden    sind.      Sofort    nach    seiner    EröiT- 


I)  Pravisianes  Praelatorum  während  des  grqfien  Schimnaa  (Rom.  QnartaUchrift 
vn,  S.  405-446;  vm,  S.  259—273).  —  Die  Besetzung  deuUcher  Abteien  mittelst 
päpstlicher  I^visianen  1431—1503  (Stadien  und  MiUeilnngen  ans  dem  BeDediktiner- 
ond  Cistenienserorden  XX,  S.  234—246).  —  j^  commendam  verliehene  Abteien 
während  der  Jahre  1431-1503  (ebendort  XXI,  S.  3—15).  —  Papst  Urhan  V.  und 
seine  I^ovisionen  auf  deutsche  Abteien  (ebeDdort  XVI). 


—     101     — 

nung  machten  sich  einzelne  deutsche  Länder  und  preußische  Provinzen 
daran,  durch  eigens  zu  diesem  Zwecke  nach  Rom  entsandte  Gelehrte 
das  reiche  Quellenmaterial  für  ihre  Geschichte  durchforschen  zu  lassen. 
Bald  wurden  Ergebnisse  dieser  Studien  veröiTentlicht.  Entsprachen 
sie  auch  nicht  immer  den  sehr  hoch  gespannten  Erwartungen,  so 
brachten  sie  doch  ein  ungemein  reiches  Material  für  die  landesgeschicht- 
liche Forschung  namentlich  auf  dem  Gebiete  der  kirchlichen  Ver- 
waltung und  geistlichen  Versorgung.  Deshalb  hörte  diese  Tätigkeit, 
wenn  auch  vielleicht  der  erste  Eifer  etwas  nachließ,  nicht  auf,  wurde 
aber  dann  im  Anschluß  an  das  1888  eingerichtete  preußische  historische 
Institut  in  Rom  in  gleichmäßigere  Bahnen  gelenkt  ^).  Dies  ist  mehr 
und  mehr  der  Mittelpunkt  auch  für  diese  Forschungen  geworden  und 
bietet  den  deutschen  Gelehrten  in  der  reichlich  bemessenen  Zeit,  die 
für  die  eigentliche  Archivarbeit  nicht  in  Frage  kommt,  Gelegenheit 
zu  weiteren  Studien.  Mit  der  allmählich  wachsenden  Büchersammlung 
ist  neben  der  Nachschlage-Bibliothek  im  Vatikan  (Bibliotheca  Leamna)^ 
die  doch  auch  nur  in  wenigen  Stunden  zugänglich  ist,  für  den 
deutschen  Forscher  ein  viel  benutztes  Hilfismittel  entstanden  *), 

Die  Veröffentlichungen,  die  von  Instituten,  Vereinen  oder  Privaten 
auf  Grund  solcher  Studien  gemacht  worden  sind,  sollen  im  folgenden 
möglichst  vollständig  kurz  zusammengestellt  werden.  Dabei  mag  eine 
geographische  Reihenfolge  gelten.  Die  bereits  erwähnten,  von  der 
Wiener  Akademie  herausgegebenen  Aktenstücke  ssur  Geschichte  Rudolfs  I, 
und  ÄJbrechts  L  dienen  ebenso  wie  die  gleichfalls  schon  genannten 
Veröffentlichungen  über  andere  deutsche  Könige  oder  Kaiser  im  be- 
sonderen auch  der  österreichischen  Geschichte.  In  spätere  Zeit 
führen  uns  die  von  K.  Schellhaß  mitgeteilten  Akten  eur  Reform^ 
täUgkeit  Fdieian  Ninguardas  in  Bayern  und  Österreich  während  der 
Jahre  1572—1577  (Quellen  und  Forschungen,  Band  I— V)  und  des- 
selben Gelehrten  Arbeit  über  den  Franziskaner -Observanten  Michael 
Alvaree  und  seine  Ordensklöster  in  den  Priminsfen  Österreich,  Straß- 
hurg,  Böhmen  und  Ungarn  im  Jahre  1579  (Quellen  und  Forschungen 
VI,  S.  134 — 145).  Für  die  Provinz  und  Diözese  Salzburg  hat 
AI.  Lang  im  ersten  Bande  der  Acta  Salstburgo-Aquil^ensia  die  Ur- 


i)  Interessant  ist,  was  Friedensborg  in  seinem  oft  erwähnten  Berichte  (S.  18.  46  ff. 
5  7  ff.  104  f.)  tlber  diese  Arbeiten  mitteilt 

2)  Ober  das  preußische  historische  Institut  TgL  anfier  Friedensbargs  Bericht  die 
Beilage  mr  AUgemeinen  Zeitung  1901,  Nr.  77,  Deutsche  GeschichtsbläUer  II,  S.  306—310 
und  die  Jahresberichte  in  den  neuesten  Bfinden  der  Qmeüen  und  Forschungen  aus 
UaMemschen  Archiotu, 


—     102     — 

künden  über  die  Beziehungen  der  päpstlichen  Kurie  zur  Provinz  und 
Diözese  Salzburg  in  der  Avig^onischen  Zeit  1316 — 1378  gesammelt 
und  bearbeitet  (Quellen  und  Forschungen  zur  österreichischen  Kirchen- 
geschichte. Serie  I,  i.  und  2.  Graz  1903.  1906).  Schon  früher 
hat  Hauthaler  aus  den  vatikanischen  Registern  eine  Auswahl  von 
Urkunden  und  Regesten  vornehmlich  gur  Geschichte  der  Ergbischofe  von 
Sahhurg  bis  gum  Jähre  1280  (Archiv  ßir  österreichische  Geschichte 
IJCXI,  S.  213  ff.)  veröffentlicht.  Die  sehr  eifrige  und  fleißige  histo- 
rische Landeskommission  von  Steiermark  (vgl.  Deut.  Geschichtsbl. 
VIII,  S.  I  ff.)  hat  sich  natürlich  die  Schätze  des  vatikanischen  Archives  nicht 
entgehen  lassen.  In  ihrer  18.  Veröffentlichung  (1903)  gibt  AI.  Lang  aus 
den  vatikanischen  Supplikenbänden  des  XV.  Jahrhunderts ,  aus  päpst- 
lichen Konsistorialakten  von  1480 — 1487  und  anderen  Archivalien 
reiche  Beiträge  zur  Kirchengeschichte  der  Steiermark  und  ihrer  Nach- 
barländer ').  Eines  der  ersten  Länder,  iiir  das  Mitteilungen  aus  dem 
Archiv  erfolgten,  ist  Mähren.  B.  Dudik,  der  bereits  in  den  fiinfeiger 
Jahren  59  Registerbände  benutzen  konnte  •),  hat  Ausßnige  für  Mährens 
allgemeine  Geschichte  aus  den  Registern  der  Päpste  Benedikt  XIL  und 
Klemens  VI.  (Brunn  1885)  herausgegeben.  Böhmen  ist  neuerdings 
mit  zwei  stattlichen  Bänden,  Monumenta  Vaticana  res  gestcis  Bohemicas 
iUustrantia,  hervorgetreten.  Band  I,  bearbeitet  von  L.  KU  cm  an, 
enthält  Acta  Clements  VI.  1342 --1352  (Prag  1903),  Band  V,  bear- 
beitet von  C.  Krofta,  Acta  ürbani  VI.  ei  Bonifatii  IX.  1378—1404 
(Prag  1905).  Nebenbei  mag  auch  auf  die  große  ungarische  Publi- 
kation Monumenta  Vaticana  historiam  regni  Hungariae  iUustrantia 
(Series  I,  i — 6*);  Series  II,  i.  2.  Budapest  1884 ff.)  aufmerksam  ge- 
macht werden ;  ihr  gehen  andere  Veröffentlichungen,  z.  B.  über  das  Bis- 
tum Weißbrunn  {Monumenta  Bomana  episcopatus  Vesprimiensis,  2  Bände, 
Budapest  1896 — 1898)  zur  Seite. 

Vatikanische  Quellen  zur  Geschichte  der  Schweiz  liegen  ge- 
druckt vor  in  J.  Bernoullis  Acta  pontifieum  Helvetica  (Band  1, 
1198 — 1268.  Basel  1891).  C.  Wirz  hat  Bullen  und  Breven  aus 
italienischen  Archiven  1116 — 1623  (Quellen  zur  Schweizer  Geschichte  XXI. 
Basel  1902)  und  Akten  über  die  diplomatischen  Beziehungen  der  römischen 
Kurie  eu  der  Schweiz  1512—1522  (Quellen  XVI.  Basel  1895)  heraus- 
gegeben.   Zur  Geschichte  des  Bistums  Basel  im  XIV.  Jahrhundert  hat 


i)  Vgl.  dazo  oben  S.  8. 

2)  Vgl.  Dadik,  Itor  italicum  (2  Binde.    Wien  1855). 

3)  Inhaluübersicht  in  Quellen  und  Forschungen  I,  S.  323  f. 


—     108     — 

E.  Göller   einen  Beitrag  gebracht  (Quellen    und    Forschungen  VI, 
S.  16—24). 

Daß  die  Bayern  in  den  ersten  Jahren  der  Archivforschung  be- 
sonders eifrig  an  der  Arbeit  waren  und  zahlreiche  Beiträge  zur  Ge- 
schichte König  Ludwigs  beibrachten,  wurde  bereits  erwähnt.  Aus  der 
späteren  Zeit  liegen,  wie  es  scheint,  größere  Studienergebnisse  nicht 
vor,  wenn  auch  gewiß  in  manchen  Urkundenpublikationen  vatikanische 
Quellen  mitgeteilt  sein  werden.  Sonst  hat  F.  Miltenberger  Aus- 
güge  aus  den  päpsHichen  Bechnung^>üchem  des  XV.  Jahrhunderts  für 
Nürnberger  Geschichte  veröffentlicht  (Mitteilungen  des  Vereins  für  Ge- 
schichte der  Stadt  Nürnberg  XI,  S.  87—96). 

Württemberffisehes  aus  römischen  ArchivenbringenE.  Schnei- 
der und  K.  Käser  (Württembergische  Geschichtsquellen  U.  Stuttgart 
1895).  Ob  für  die  Urkundenbücher  von  Ulm,  Rottweil,  Eßlingen  u.  a. 
auch  Bestände  des  päpstlichen  Archives  benutzt  worden  sind,  vermag 
ich  nicht  anzugeben. 

Für  Baden  liegen  Mitteilungen  aus  dem  vatikanischen  Archive 
von  F.  V.  Weech  vor  (Zeitschrift  für  Geschichte  des  Oberrheins  X, 
S.  632 — 649;  XII,  S.  259—272).  Der  erste  Band  der  Römischen 
Quellen  eur  Konstanzer  Bistumsgeschichte  von  Rieder  ist  im  Drucke. 
Die  von  der  badischen  historischen  Kommission  herausgegebene  Ar- 
beit AI.  Schultes,  Geschichte  des  mittdaUerlichen  Handels  und  Ver- 
kehrs zwischen  Westdeutschland  und  Italien  (2  Bände.  Leipzig  1900) 
ist  auch  für  andere  Territorien  von  großer  Bedeutung.  Auch 
Doren,  Deutsche  Handwerker  und  HandwerksbruderscJiaften  im  miiteU 
aUerlichen  Italien  (1903)  verdient  Beachtung. 

Reich  ist  der  Ertrag  der  Forschimgen  für  Elsafs  und  Lothringen 
gewesen.  Es  sind  hier  zu  nennen  die  Arbeiten  von  E.  Hauviller, 
Alsatica  aus  Pariser  und  römischen  Archiven  und  Bibliotheken  zur 
Geschichte  des  XV IL  und  XVIU.  Jahrhunderts  (Zeitschrift  für  Ge- 
schichte des  Oberrheins  XV,  S.  454 — 478),  sowie  Analecta  Argen- 
tinensia,  vatikanische  Akten  zur  Geschichte  des  Bistums  Straßburg  im 
XV.  Jahrhundert  (Johann  XXII.  13 16 — 1334)  und  Beiträge  zur  Reichs- 
und Bistumsgeschichte  (Band  I.  Straßburg  1900).  Auch  H.  V.  Sauer- 
land hat  zwei  Urkunden,  die  sich  auf  den  Straßburger  Chronisten 
Jakob  Twinger  (1396  Januar  7)  und  auf  den  Bau  des  Straßburger 
Münsters  (1396  Juni  22)  beziehen,  aus  den  Lateranischen  Registern 
mitgeteilt  (Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine  1899,  S.  155  f.)-  Derselbe  unermüd- 
liche Forscher  hat  es  sich  ganz  besonders  angelegen  sein  lassen,  die 


—     104     — 

römischen  Archive  für  die  Geschichte  Lothringens  auszubeuten. 
Als  Ergebnis  liegen  vor  die  Vatikanischen  Urkunden  und  Begeskn  eur 
Geschichte  Lothringens,  von  denen  zwei  Abteilungen  (1294 — 1342  und 
1342 — 1370)  erschienen  sind  (Quellen  zur  lothringischen  Geschichte 
I.  IL  Metz  1901.  1905).  Kleinere,  vorbereitende  oder  ergänzende 
VeröiTentlichungen  Sauerlands  enthalten  vtxtikanische  Regesten  zur 
Geschichte  Lothringons  1265 — 1291  (Jahrbuch  der  Gesellschaft  für 
lothringische  Geschichte  X,  195 — 235)  und  Vatikanische  biographische 
Notizen  zur  Geschichte  des  XIV.  Jahrhunderts  (ebendort  XIII,  S.  337 
bis  344;  XV,  S.  468 — 475).  Die  Chschichte  des  Metzer  Bistums  im 
XIV.  Jahrhundert  hat  ebenfalls  Sauerland  unter  Benutzung  vati- 
kanischer Quellen  behandelt  (ebendort  VI,  i,  S.  I19 — 176;  VII,  2, 
S.  69 — 168)  und  weitere  Beiträge  dazu  durch  Mitteilung  von  zwei 
Aktenstücken  zur  Geschichte  des  Metzer  Bischofs  Philipp  vonFlörchingen 
1260  und  1263  (ebendort  XIV,  S.  431 — 448)  und  eines  Zeugnisses 
für  den  Leiter  der  Metzer  Domschule  vom  Jahre  1363  (ebendort  XV, 
S.  466 — ^467)  gebracht. 

Auch  für  die  Geschichte  der  Rheinlande  hat  Sauerland  die  Ur- 
kunden und  Regesten  aus  dem  vatikanischen  Archive  gesammelt;  es 
liegen  jetzt  drei  Bände  (1294 — 1326.  1327 — 1342.  1342— 1352)  vor 
(Bonn  1902.  1903.  1905).  K.  Hayn  macht  Mitteilungen  aus  den 
Annaienregisiem  der  Päpste  Eugen  IV.,  Pius  IL,  Paul  IL  und 
Sbctus  IV.  143 1 — 1447.  1458 — 1484  (Annalen  des  historischen  Ver- 
eins für  den  Niederrhein  LXI,  S.  1296*.).  Zwei  Briefe  des  Erzbischofs 
von  Mainz,  Diether  von  Isenburg,  aus  dem  Jahre  1461  ließ  AI.  Schulte 
abdrucken  (Quellen  und  Forschungen  VI,  S.  25 — 31),  und  Sauer- 
land teilte  Trierische  Taxen  und  Trinkgelder  an  der  päpstlichen  Kurie 
wahrend  des  späteren  Mittelalters  mit  (Westdeutsche  Zeitschrift  XVI, 
S.  78  fr.). 

Mancherlei  vatikanische  Quellen  sind  für  die  Geschichte  West- 
falena  und  des  übrigen  Niedersachsens  in  den  zahlreichen  Urkimden- 
büchem,  die  gerade  für  dies  Gebiet  erschienen  sind,  benutzt  worden. 
Es  ist  nicht  möglich,  diese  hier  im  einzelnen  aufzuführen.  H.  Finke 
hat  Forschungen  zur  u?estßlischen  Geschichte  in  römischen  Archiven 
und  Bibliotheken  veröffentlicht  (Zeitschrift  für  vaterländische  Geschichte 
und  Altertumskunde,  Band  XLV).  Ostfriesische  Urkunden  aus  dem 
vatikanischen  Archive  zu  Rom  1401 — 1437  teilt  M.  Klinkenborg 
mit  (Jahrbuch  der  Gresellschaft  für  bildende  Kunst  zu  Emden  XIV, 
S.  147 — 176).  Arbeiten  für  die  Geschichte  der  Stadt  Bremen  haben 
in  Rom  K.  Schellhaß  und  W.  v.  Bippen  vorgenommen.    Die  Er- 


—     105     — 

gebnisse  sollen  als  Anhang  zum  Bremischen  Urkundenbuche  heraus- 
gegeben werden,  wie  Friedensburg  in  seinem  Berichte  über  das 
preußische  historische  Institut  (S.  48  und  60)  mitteilt.  Daß  auch  für 
die  Geschichte  Belgiens  und  Hollands  Forschungen  in  Rom  angestellt 
werden,  mag  hier  nur  kurz  erwähnt  und  wenigstens  auf  den  ersten  Band 
der  Analecfa  Vaticana  belgica,  recueil  de  documents  concemants  les 
dioceses  de  Cambrai,  Liege,  Therouanne  publUs  par  V  instiitU  historique 
Beige  de  Borne  (1906)  hingewiesen  werden. 

Für  eine  Zahl  von  norddeutschen  Diözesen  (Magdeburg,  Halber- 
stadt, Hildesheim,  Paderborn,  Minden,  Osnabrück,  Lübeck  und  Münster) 
gibt  Sauerland  nach  Akten  des  päpstlichen  Staatssekretariats  eine 
Darstellung  des  Katholigismus  und  ProtesiarUismus  im  Jahre  1607 
(Rom.  Quartalschrift  XIV,  S.  384—392).  Sehr  bald  nach  der  Eröff- 
nung des  Archives  erschien  die  umfangreiche  Sammlung  der  Päpst- 
lichen Urkunden  und  Begesten  aus  den  Jahren  1295 — 1378,  die  Gebiete 
der  heutigen  JProvin»  Sachsen  und  deren  Umlande  betreffend,  die  im 
Auftrage  der  historischen  Kommission  der  Provinz  Sachsen  von 
G.  Schmidt  und  P.  Kehr  gesammelt  und  in  zwei  Bänden  bearbeitet 
worden  sind  (Geschichtsquellen  der  Provinz  Sachsen  XXI.  XXII.  Halle 
1886.  1889).  Da  der  Begriff  der  Umlande  sehr  weit  gezogen  ist,  so 
enthält  dies  Werk  reiches  Material  für  alle  norddeutschen  Territorien 
und  verdient,  obgleich  das  darin  enthaltene  Material  nicht  ohne  Fehler 
oder  Irrtümer  ist,  weitgehende  Beachtung.  Einige  kleinere  Mitteilungen 
zur  Geschichte  der  Grafen  von  Stolberg -Wernigerode  aus  dem  Va- 
tikan machen  E.  Jacobs  und  M.  Wehrmann  (Zeitschrift  des  Harz- 
vereins XXXVII,  S.  95 f.;  XXXVIII,  S.  156 f.).  Für  Braunschweig 
kommen  in  Betracht  die  von  Sauerland  veröffentlichten  drei  Ur- 
kunden zur  Geschichte  der  Heirat  des  Herzogs  Otto  von  Braunschweig 
und  der  Königin  Johanna  I.  von  Neapel  aus  den  Jahren  1375,  1376 
und  1385  (Quellen  und  Forschungen  VIII,  S.  206 — 216). 

Für  die  Provinz  Brandenburg  hat  1889 — 1891  J.  Kretzschmar 
in  Rom  gearbeitet  und  eine  größere  Zahl  von  ungedruckten  Stücken 
gewonnen ;  die  Veröffentlichung  ist  jedoch  bisher  nicht  erfolgt  *).  An 
dieser  Stelle  mögen  einige  Arbeiten  aufgeführt  werden,  die  vatikanische 
Quellen  zur  Geschichte  der  Hohenzollern  beibringen  oder  auf 
solchen  beruhen.  Vatikanische  Urkunden  des  XIV.  Jahrhunderts  zur 
Geschichte  des  Hauses  der  Hohenzollern  teilt  Sau  er  land  (Quellen  und 
Forschungen  VI,  S.  i — 15)  mit,  R.  Arnold  Urkunden  zur  Geschichte 


1)  Vgl.  Friedcnsbargs  Bericht  S.  60  f. 


—     106     — 

der  erden  HohenzoUer.  Kurfürsten  und  ihres  Hauses  1433 — 1447  (eben- 
dort  I,  S.  296 — 319).  P.  Kalkoff  behandelt  die  Beziehungen  der 
Hohenzollern  zur  Kurie  unter  dem  Einflüsse  der  lutherischen  Frage 
(ebendort  IX,  S.  88 — 139),  W.  Friedensburg  die  römische  Kurie 
und  die  Annahme  der  preußischen  Königswürde  1701  (Histor.  Zeit- 
schrift 87  [N.  F.  51],  S.  407—432).  In  das  Ende  des  XVIII.  Jahr- 
hunderts  führen  uns  die  Mitteilungen  G.  Kupkes  über  eine  Relation 
vom  preußischen  Hofe  vom  Jahre  1795  (Quellen  und  Forschungen  I, 
S.  261 — 280)  und  über  Briefe  eines  spanischen  Gesandten  aus  Berlin 
1797  (ebendort  I,  S.  109 — 149).  Zur  Geschichte  des  apostolischen 
Vikariats  des  Nordens  zu  Beginn  des  XVIII.  Jahrhunderts  hat  P.  Wit- 
tich en  bemerkenswerte  Nachrichten  gegeben  (ebendort  VI,  S.  343 
bis  367). 

Forschungen  zur  Geschichte  Mecklenburgs  sind  in  Rom  von 
H.  Grotefend  angestellt  worden,  die  Ergebnisse  werden  für  das 
Urkundenbuch  verwendet,  das  in  seinen  letzten  Bänden  zahlreiche 
vatikanische  Stücke  bringt. 

Für  Pommern  hat  M.  Wehr  mann  im  vatikanischen  Archive 
gearbeitet  *)  und  kleinere  Beiträge  namentlich  zur  Geschichte  des 
Bistums  und  der  Diözese  Cammin  in  den  Monatsblättem  der  Gesell- 
schaft für  pommersche  Geschichte  (1904,  S.  6 — 8.  75 — yy,  182 — 185) 
geliefert.  Außerdem  sind  Vatikanische  Nachrichten  zur  Geschichte 
der  Camminer  Bischöfe  im  XV,  Jahrhundert  veröffentlicht  worden 
(Balt.  Studien  N.  F.  VIII,  S.  129—145).  Im  Urkundenbuche  haben 
die  Bearbeiter  vom  4.  Bande  an  auch  Urkunden  aus  den  päpstlichen 
Registerbänden  benutzt. 

Die  Arbeiten,  die  R.  Damus  für  die  Provinz  WestpreuTsen  im 
Auftrage  der  Provinzialkommission  1889 — 1890  in  Rom  vornahm,  haben 
bisher  eine  Veröffentlichung  nicht  erfahren*).  Polnisch- Preußisches 
aus  der  Bihliotheca  Borghese  im  vatikanischen  Archive  teilt  A.  Levin- 
son  mit  (Zeitschrift  des  westpreußischen  Geschichtsvereiqs  XLII, 
S.  89 — 115).  Als  Ergebnis  seiner  Studien  für  Ostpreufsen  hat 
H.  Ehrenberg  italienische  Beiträge  zur  Geschichte  dieser  Provinz 
veröffentlicht  (Königsberg  i.  Pr.  1895;  auch  erschienen  als  Beilage 
zur  altpreußischen  Monatsschrift  XXXII).  Es  sind  vomemlich  Stücke 
aus  dem  XVI.  bis  XVIII.  Jahrhundert.     Hierzu  gibt  G.  Kupke  eine 


i)   Ein   kurzer   Bericht   ist   erstattet   in   dem   als   Manuskript    gedruckten   Vortrage 
Fommersches  a%M  Born  (Stettin  1904). 

a)  Vgl.  Friedensburgs  Bericht  S.  48.  63. 


—     107     — 

Ergänzung  in  seinen  Beiträgen  ssur  OeschicJUe  der  katholischen  Mission 
in  TUsü  1792—1793  (Quellen  und  Forschungen  II,  S.  ii&— 139). 
Auch  Livland  hat  nicht  versäumt,  für  seine  Geschichte  die  römischen 
Quellen  auszunutzen;  das  zeigen  H.  Hildebrands  Livanica,  vor- 
nehmlich aus  dem  XIIL  Jahrhundert,  im  vatikanischen  Archive  (Riga 
1887)  und  W.  Lichtarowicz'  Livonica  in  römischen  Archiven  und 
Bibliotheken  (Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  für  Geschichte  und 
Altertumskunde  der  Ostseeprovinzen  Rußlands  1904). 

Für  Polen  hat  bekanntUch  schon  in  den  sechziger  Jahren 
A.  Theiner  für  seine  Vetera  monumenta  Poloniae  et  Lithuaniae 
(Rom  1860 — 1864  4  Bände)  päpstliche  Archivalien  benutzt,  freilich 
oft  recht  mangelhaft.  Deshalb  haben  neuerdings  auch  polnische 
Historiker  fleißig  in  Rom  gearbeitet  und  z.  B.  im  15.  Bande  der 
Scriptores  rerum  Polonicarum  die  Früchte  als  Analecta  Bomana  heraus- 
g^eben  (Krakau  1894).  Eigens  für  die  in  der  Provinz  Posen  ver- 
einigten ehemals  polnischen  Landesteile  hat  H.  Ehrenberg  in 
italienischen  Archiven  Urkunden  und  Aktenstücke  gesammelt  (Leipzig 
1892)  i). 

Schlesien  endlich  hat  A.  O.  Meyers  Studien  im  vatikanischen 
Archiv  einen  Beitrag  zur  Geschichte  der  Gegenreformation  (1586. 
1603 — 1605)  zu  verdanken  (Zeitschrift  des  Vereins  für  Geschichte 
und  Altertum  Schlesiens  XXXVIII,  S.  343 — 361).  H.  Meyden- 
bau  er  bringt  Material  zur  Frage  der  gemischten  Ehen  in  Schlesien 
in  den  Jahren  1740—1750  (Quellen  und  Forschungen  II,  S.  195 — 244) 
und  J.  Ph.  Dengel  teilt  einen  Bericht  über  die  Reise  des  Nuntius 
Josef  Garampi  im  Jahre  1776  von  Warschau  über  Breslau  nach  Dresden 
mit  (ebendort  V,  S.  223  —  268). 

Es  ist  eine  lange  Reihe  von  Publikationen  und  Arbeiten,  die  hier 
aufgeführt  worden  sind.  Sie  zeigt,  daß  die  deutschen  Geschichts- 
forscher mit  regem  Eifer  und  emsigem  Fleiße  bestrebt  waren  und 
noch  sind,  die  Schätze  des  vatikanischen  Archives  auch  für  die  Landes- 
geschichte auszunutzen.  Freilich  wird  man  aus  dieser  bibliographischen 
Zusammenstellung,  bei  der  eine  kritische  Beurteilung  der  Veröffent- 
lichungen nicht  beabsichtigt  war,  auch  erkennen,  daß  die  in  den 
letzten  25  Jahren  geleistete  Arbeit  noch  keineswegs  zu  einem  Ab- 
schlüsse gekommen  ist.  Die  Bestände  der  päpstlichen  Archive  sind 
so   gewaltig   groß,   daß   es   noch   der  Tätigkeit   vieler  Forscher    und 


i)  Über    Ehrenbergs    römische    Arbeiten    spricht   gleichfaUs    Friedensborg    S.   47. 
60—63. 


—     108     — 

• 
langer  Jahre  bedarf,  um  sie  auch  nur  einigermaßen  für  unsere  Zwecke 

zu  erschöpfen.  Deshalb  ist  der  Wunsch  berechtigt,  daß  auch  weiter 
emsig  in  diesen  Archiven  geforscht  werde.  Es  ist  aber  auch  zu 
hoffen,  daß  nicht  nur  die  vorliegenden  Veröflfentlichungen  in  erheb- 
lich höherem  Maße  als  bisher  benutzt,  sondern  daß  auch  diese 
Arbeiten  planmäßiger  gestaltet  werden,  wie  schon  die  fünfte  Versamm- 
lung deutscher  Historiker  in  Nürnberg  (1898)  den  Wunsch  aus- 
gesprochen hat,  es  möge  „eine  Verständigung  zwischen  den 
landesgeschichtlichen  Publikationsinstituten  erfolgen 
über  die  Entsendung  von  Forschern  zur  Ausführung  von 
gemeinsamen  Arbeiten  provinzial geschichtlicher  Art, 
Ausschreiben  von  Preisaufgaben  und  Gewährung  von 
Reisestipendien  seitens  der  Akademien  und  historischen 
Kommissionen,  um  Untersuchungen  und  Darstellungen 
der  geistigen  Strömungen  an  der  Kurie  und  ihres  Ein- 
flusses auf  Deutschland  zu  erleichtern,  die  neben  den 
Quellenpublikationen  über  die  diplomatische,  politische, 
wirtschafts-  und  verwaltungsgeschichtliche  Seite  der 
päpstlichen  Regierung  seither  zurückgetreten  sind." 
(Bericht  über  die  5.  Versammlung  deutscher  Historiker.     S.   11 — 13.) 


Die  Idee   der  mittelalterlichen  Totentänze 

Von 
Hans  Olbertz  (Bonn) 

Der  immerwährende  Wechsel  zwischen  Tag  und  Nacht,  zwischen 
Licht  und  Finsternis  ist  ein  Gleichnis  des  Erdenlebens.  Wie  die  Sonne 
mit  ihrem  Glänze  auf-  und  untergeht,  so  steigt  auch  Geschlecht  nach 
Geschlecht  den  steilen  Lebenspfad  hinan  und  eUt  ihn,  auf  der  Höhe 
angekommen,  bald  wieder  abwärts  dem  Grabe  zu.  Wie  der  Urquell 
des  Lichtes  bald  seinen  goldenen  Strom  durch  den  Äther  fluten  läßt, 
bald  von  den  Nebeln  und  Finsternissen  der  Nacht  verdunkelt  wird, 
so  fließt  auch  das  Leben  des  einzelnen  Menschen  dahin  in  dem  ewigen 
Kreislauf:  Werden,  Wachsen  und  Welken.  In  der  Morgendämmerung 
der  Kindheit  lächelt  der  Mensch  entgegen  dem  Frührot  der  Jugend- 
zeit, von  dessen  Schein  umblüht  der  Knabe  spielt  und  träumt  in  frommer 
Unschuld;  dann  geht  dem  Jüngling  die  Sonne  der  Wahrheit  und 
Schönheit  auf  in  seinen  Idealen,  und  dieses  Gestirn  leuchtet  auch  dem 


—     109     — 

Manne  auf  seinem  harten,  mühevollen  Wege;  endlich  wandert  er 
hinab  von  der  Mittagshöhe  seines  Lebens,  immer  einsamer  wird  der 
Pfad,  immer  schwächer  das  Leuchten  des  Lichtes  über  ihm,  bis  endlich 
der  Lebensabend  ihn  an  den  Rand  des  Grabes  führt,  bis  der  Greis 
sein  müdes  Auge  für  diese  Welt  schließt.  So  weit  können  wir  den 
Lauf  des  Daseins  verfolgen.  Aber  dann  drängt  sich  uns,  die  wir  nicht 
weiter  zu  blicken  vermögen,  die  Frage  auf:  Was  nun  ?  Kein  Lebender 
hat  ja  noch  hinter  den  dunkeln  Vorhang  gesehen,  keiner  einen  Blick 
in  das  Land  des  Todes  geworfen.  Darum  beben  die  Menschen  be- 
klommen vor  dem  letzten  Schritt  in  das  unbekannte  Reich  zurück. 
Es  wird  ja  Nacht  für  den  Toten,  Todesnacht.  Wenn  die  Dunkelheit 
kommt,  so  furchten  sich  die  Kinder  und  weinen  wohl  laut,  weil  die 
Phantasie  ihnen  Gespenster  und  andere  Schreckgestalten  vorgaukelt. 
So  sind  die  Menschen  wie  die  Kinder,  wenn  sie  das  Dunkel  des  Todes 
nahen  sehen  und  ängstlich  beklommen  zaudern,  den  letzten  Schritt 
zu  tun. 

Das  ewige  Urgeheimnis  des  Todesgedankens  ist  seit  alter  Zeit 
ein  Lebensrätsel  für  den  einzelnen  und  vielleicht  gerade  darum  ein 
ebenso  tiefgründiges  Rätsel  für  die  Erforschung  der  Todesidee  und 
ihrer  Verkörperung  im  Wandel  der  Jahrhunderte.  Wollten 
wir  dieses  Rätsel  auch  nur  annähernd  richtig  lösen,  so  müßten  wir  die 
Volksanschauung  über  den  Tod  mit  der  dichterischen  und  künstle- 
rischen Gestaltung  vergleichen,  soweit  uns  ein  Vergleich  überhaupt 
möglich  ist.  Aber  gerade  hier  liegt  die  Schwierigkeit:  Wir  können 
vielfach  den  Volksglauben  und  Aberglauben  nur  aus  der  dichterisch- 
künstlerischen Verkörperung  erschließen.  Wer  aber  bürgt  uns  für  die 
Richtigkeit  des  Schlusses?  Und  wer  bürgt  uns  vor  allem  dafür,  daß 
die  Schöpfung  des  Künstlers  wirklich  nach  dem  Volksglauben  gebildet 
ist  und  nicht  vielmehr  nach  der  eigensten  Anschauung  des  Bildners? 
Immerhin!  Wir  wollen  wenigstens  betrachten,  was  uns  die  Sprache 
der  Kunst  über  das  Rätsel  offenbart  Wir  wollen  also  nicht  die  schwer 
zu  lösende  Frage  aufwerfen:  Ist  die  Kunst  in  der  Todesdarstellung 
wirklich  der  Ausdruck  der  Volksseele?  Vielmehr  gilt  es  zu  prüfen, 
ob  die  vorhandenen  Gestaltungen  des  Todes  ihren  Zweck  als  Kunst- 
werke erfüllen,  d.  h.  ob  sie  imstande  sind,  künstlerisch  zu  wirken. 

Wenn  nun  der  Wert  eines  Kunstwerks  auf  der  Idee,  dem  Ge- 
dankengehalt und  der  diese  Idee  verkörpernden  Form  beruht,  so 
müssen  wir  für  die  vorliegende  Aufgabe  die  Frage  anders  formulieren, 
als  sie  bisher  von  den  zahlreichen  Bearbeitern  des  gleichen  Gegen- 
standes   gestellt    wurde.      Während    diese    den    Wandel    der   Todes- 

8 


—     110     — 

darstellung  mehr  äußerlich  kurz  skizzierten  und  sich  des  Werturteils 
vielfach  gänzlich  enthielten,  soll  im  folgenden  einmal  der  Versuch  ge- 
macht werden,  den  inneren  Zusammenhang  des  Darstellungswechsels 
kritisch  zu  beleuchten. 

Während  der  Betrachtung  des  dürren  Knochenmannes  in  den 
mittelalterlichen  Totentänzen  steigt  dem  Beobachter  bei  einiger  Ver- 
senkung in  den  Sinn  der  phantastischen  Gruppen  unwillkürlich  der 
Gedanke  auf:  Wilde,  grausige  Szenen!  Ob  nicht  die  Not  des  Sterbens 
in  anderen  Zeiten  einen  anderen  Ausdruck  gefunden  liat?  Fragen  wir 
das  Volk  der  schönheitstrebenden  Griechen.  Und  dieses  hat  dem 
alten  Herrn  Lessing  *)  schon  vor  mehr  als  hundert  Jahren  auf  die 
Frage  seines  nimmer  ruhenden  Forschergeistes :  Wie  haben  die  Alten 
den  Tod  gebildet?  geantwortet:  Als  einen  schönen  Jüngling 
mit  gesenkter  Fackel.  Die  scharfsinnige  Lessingsche  Abhand- 
lung ist  noch  heute  von  grundlegender  Bedeutung.  Viele  Forscher, 
die  sich  nach  dem  großen  Bahnbrecher  auf  dasselbe  Gebiet  gewagt 
haben,  sind  zu  ebenso  vielen  verschiedenen  Ergebnissen  gekommen. 
Sein  Namensvetter  Julius  Lessing  stellt  in  einer  Dissertation  *)  fest : 
„Gerade  die  Tatsache,  daß  es  gestattet  war,  die  Todesgestalt  dar- 
zustellen, daß  sie  sich  aber  doch  nicht  häufiger  findet,  erklärt  ganz 
deutlich :  Die  Alten  sind  vor  der  Darstellung  der  Todesgestalt  zurück- 
geschreckt." •) 

Der  Thanatos  des  Altertums  wird  in  Dichtung  und  Plastik  häu- 
figer dargestellt,  und  zwar  als  Dämon  meist  in  Gestalt  eines  geflügelten 
Genius,  entweder  als  Jüngling  oder  als  Mann,  häufig  in  Verbindung 
mit  seinem  Zwillingsbruder  Hypnos.  Was  versinnbildlicht  nun  der 
also  dargestellte  Thanatos?     Es  scheint  mir,  als  ob   er  nicht  allein 

i)  G.  E.  Lessiog,  Wie  die  AHen  den  Tod  gebildet.  Eine  ün$en%idiunff 
1769. 

2)  J.  L  es  sing,  De  mortis  apud  veteree  figura  (Bonn  1866). 

3)  Über  das  Wesen  des  Todesgenias,  des  griechischen  Thanatos,  sowie  über  seine 
DarsteUang  im  Altertam  ist  noch  folgende  Literatur  zu  vergleichen:  G.  v.  Herder, 
Wie  die  Alten  den  Tod  gebildet?  Ein  Nachtrag  zvl  Leasings  Abhandlang  desselben 
Titels  and  Inhalts  (2.  Aasgabe,  1796).  —  y,  Olfers,  Über  ein  merkwOrdigee  Grab 
bei  Cutnä  (Abhandl.  d.  Königl.  Akad.  d.  Wissenschaften  in  Berlin.  1830).  — 
F.  G.  Welcker,  AlU  Denkmäler,  i.  Bd.  (Götüngen  1849),  S.  375ff.  —  C.  Robert, 
Thematos.  (39.  Winckelmannsprogramm.  Berlin  1879.)  —  A.  Baameister,  Denk' 
malet  des  Uaesisehen  AUertums,  3.  Bd.  (München  and  Leipzig  1888).  —  S.  Reinach, 
Repertoire  des  vases  peints  grecs  et  Stnuques,  T.  I  (Paris  1899),  S.  149.  —  Die 
neueste  Behandlang  des  Gegenstandes  findet  sich  t}ei  Röscher,  Lexikon  der  grieehi$eihen 
und  rämisclien  Mythologie,  3.  Bd.,  S.  2068 ff.:  Personifikationen  äbstralOer  Begriffe 
von  L.  D  e  a  b  n  e  r. 


—    111    — 

den  Zustand  des  Totseins  ausdrücke  ,  die  friedliche  Todesruhe ,  wie 
Herder  und  nach  ihm  andere  gemeint  haben;  denn  was  sollten  in 
diesem  Falle  die  Flügel  bedeuten,  was  die  symbolische  Handlung  des 
Auslöschens  der  Fackel,  was  endlich  die  enteilende  Seele,  die  wir 
z.  B.  auf  der  ersten  der  von  G.  E.  Lessing  mitgeteilten  Abbildungen 
sehen?  Der  Dämon  Thanatos  hat  vielmehr  die  Aufgabe,  das  Lebens- 
licht des  Menschen  auszulöschen,  die  Seele  aber  entfleucht  in  den 
Hades,  zum  Herrn  der  abgeschiedenen  Seelen.  Wenn  von  einer 
Aufjg^abe  gesprochen  wird,  die  Thanatos  zu  lösen  hat,  so  wird  damit 
schon  vorausgesetzt,  daß  er  von  einem  Mächtigeren  den  Auftrag  dazu 
erhalten  hat:  dieser  Größere  ist  eben  Hades,  der  Herrscher  über  die 
Toten.  Und  wenn  Thanatos  zur  Abberufung  der  Seelen  vom  Schau- 
platze des  irdischen  Lebens  bestellt  ist,  so  tritt  er  als  Bote  des  unter- 
irdischen Gottes  auf:  dies  mag  vielleicht  durch  die  Flügel  zum  Aus- 
druck kommen.  Thanatos  ist  also  auch  ein  Sinnbild  für  den  Augen- 
blick des  Sterbens,  den  für  die  meisten  Menschen  so  qualvollen 
Augenblick.  Und  doch,  ein  Bildnis,  zeugend  von  stiller  Einfalt  und 
schlichter  Größe!  Auch  den  Alten  war  der  Gedanke  an  den  Tod 
schrecklich.  Nennt  der  Dichter  ihn  doch  oft  nur  mit  düsteren  Bei- 
wörtern. Aber  der  Gedanke  spornte  den  heiteren  Heiden  gerade  zum 
Genießen  des  kurzen  Lebens  an:  nur  dazu  soll  das  silberne  Toten- 
gerippe auf  der  Tafel  des  Trimalchio  mahnen:  Eheu,  nos  miseros, 
quam  Mus  homuncio  nü  est.  sie  erimus  cundi,  postquam  nos  auferet 
Orcus.  ergo  vivamus,  dum  licet  esse  bene  0.  Der  Gedanke  an  das 
Weiterleben  der  Seele  nach  dem  Tode  im  Hades  ist  selbst  flir  einen 
Achilleus  schmerzlich.  Nur  wenige  können  gleich  Sokrates  mit  einem 
seiigen  Lächeln  dem  Tod  ins  Antlitz  schauen.  Der  griechische  und 
besonders  der  römische  Dichter  malt  Schreckgestalten  in  Anschauung 
des  Todes.  Aber  der  Künstler!  Er  stellt  echt  künstlerisch  das  Ver- 
söhnende dar,  das  Leiden  -  Stillende ,  versöhnend  und  ergreifend  zu- 
gleich! So  stimmte  die  ganze  Lebensrichtung  der  Griechen,  die 
großenteils  Diesseits-Philosophen  waren,  zu  der  künstlerischen  Gestal- 
tung des  Thanatos.  Dieses  Ausdrucksmittel  des  Künstlers  fand  bei 
der  Umgebung,  für  die  er  schuf,  vollen  Anklang.  In  Griechenland 
tmd  Rom  übte  somit  die  dichterische  Darstellung  keinen  entschei- 
denden Einfluß  auf  die  künstlerische  Gestaltung  aus. 

Aus  einer  ganz  anderen  Wurzel  ist  die  deutsch-mittelalter- 
liche Darstellung  des  Todes  entsprungen.     Sie  geht  zurück  auf  jü- 


I)    F.  BUcheler,  Pttromi  Saiwrae  (Berlin  1904),  S.  23. 

8* 


—     112     — 

disch- christliche  Denkweise  und  ist  von  dem  heidnischen  Genius  so 
verschieden  wie  Heidentum  und  Christentum.  Die  neue  Gestalt  findet 
ihre  schärfste  Ausprägung  in  den   mittelalterlichen  Totentänzen*). 

Über  Idee  und  Wert  der  Baseler  Totentänze  meint  Maß  mann 
im  Vorwort  zu  seinem  eben  genannten  Buche,  bei  den  Wandgemälden 
träte  eine  Steigerung  über  den  strengen  Ernst  der  ursprünglichen  Be- 
stimmung ein  durch  das  Hineintragen  immer  größerer  Kunstleistung 
und  Entfaltung  zu  Lebensbildern,  an  denen  immer  mehr  der  künst- 
lerische Humor  Teil  gewinnt. 

Gegenüber  dieser  etwas  einseitigen,  äußerlichen  Betrachtung  stellt 
Lübke  die  Idee  ausführlich  also  dar:  „Erst  das  Christentum  vertiefte 
den  Ernst  der  Lebensanschauung,  wies  nachdrücklicher  auf  die  Ver- 
gänglichkeit alles  Irdischen  hin,  um  dafür  auf  ein  ewiges  glückseliges 
Leben  im  Jenseits  zu  vertrösten.  Den  zu  erhoffenden,  zu  erstrebenden 
himmlischen  Freuden  gegenüber  sollten  die  flüchtigen  Genüsse  des 
Daseins  hienieden  als  wesenloser  Schein  betrachtet  werden.  Daher  die 
Flucht  aus  der  Welt,  aus  der  Wirklichkeit,  daher  die  scheue  Angst 
vor  der  Natur,  die  mit  ihrem  bestrickenden  Zauber  das  Gemüt  nur 
enger  in  die  Irrgänge  des  Lebens  zu  verlocken  schien.  Des  Alter- 
tums höchste  Weisheit  war  memenio  vivere ;  des  christlichen  Mittelalters 
memento  mori.  Aber  obwohl  dieser  Gedanke  der  Askese  schon  früh 
aus  der  Grundanschauung  des  Christentums  abgeleitet  wurde,  bricht 
er  sich  erst  in  der  Schlußepoche  des  Mittelalters  allgemeiner  Bahn, 
tritt  erst  mit  dem  XIV.  Jahrhundert  bedeutsamer  hervor,  wird  von 
dieser  Zeit  ab  in  allen  Tonarten  variiert,  in  allen  Predigten  mit  Eifer 
durchgeführt.  Und  wohl  hatten  die  Priester  und  Lehrer  des  Volkes 
Veranlassung  dazu.  Denn  neben  dieser  schroffen  Auffassung  der 
Kirche  machte  sich  naiv  und  ungestört  ein  sinnlich  froher  Zug  zum 
Leben   und   Genießen  geltend,   der  bei  den  jugendfrischen  Völkern 


i)  Die  wichtigste  Literatur  darüber  ist  folgende:  H.  F.  Mafimann,  Die  Baseler 
Totentänze  (1841).  —  W.  Lübke,  Der  Totentanz  in  der  Marienkirche  zu  Berlin 
(Berlin  i86i).  —  Der  Totentanz  in  der  Marienkirche  zu  Lübeck,  nach  einer  Zeich- 
nung von  C.  J.  Milde,  mit  erläuterndem  Text  von  W.  Mantels  (2.  Aufl.,  Lübeck 
1867).  —  J.  E.  Wessely,  Die  Gestatten  des  Todes  und  des  Teufels  in  der  dar- 
stellenden Kunst  (Leipzig  1876).  —  Synnberg  und  Rüttger,  Der  Totentanz,  Ge- 
mälde auf  der  Mühlenbrücke  in  Luzem,  gemaU  von  Caspar  Meylinger  1626^1635 
(Lazem  1889).  —  B.  Stehle,  Der  Totentanz  von  Kienzheim  im  Ober-Elsafi  (Stras- 
burg 1899).  —  G.  Kern,  Die  Totentänze  zu  Basel— Kienzheim— Luzem  (Straö- 
bu-g  1900).  —  Siehe  femer:  W.  Wackernagel,  Kleinere  Schriften,  i.  Bd.,  S.  302ff,  — 
A.  Woltmann,  Holbein  und  seine  Zeit',  2.  Bd.,  Cap.  in.  —  A.  Goette,  Holbeins 
Totentanz  und  seine  Vorbilder  (Straßburg  1897). 


—     113     — 

in  leidenschaftlicher  Unbändigkeit  überschäumte.  Besonders  durch 
das  schnelle  Wachstum  der  Städte  seit  dem  XIV.  Jahrhundert  war 
unerschöpflicher  Hang  zu  fröhlichem  Saus  und  Braus,  zügellos  derbe 
Festeslust,  selbst  rohe  Ausschweifung  genährt  worden,  und  so  all- 
gemein griff  diese  Neigung  um  sich,  daß  mit  den  Laien  die  Geist- 
lichen in  ungebundener  Sinnlichkeit  wetteiferten.  Dem  Rausch  jedoch 
folgte  auf  dem  Fuße  die  Zerknirschung,  die  reuevolle  Buße,  aber  auch 
diese  ebenso  heftig,  ebenso  maßlos  und  ausschweifend.  Kamen  nun 
verheerende  Naturereignisse,  Erdbeben,  Pest,  schwarzer  Tod,  Hungers- 
not, so  faßte  man  sie  als  unmittelbare  Strafe  für  die  Sünder  auf. 
Dann  erschollen  donnernde  Predigten  von  den  Kanzeln,  dann  wider- 
hallten die  Kirchen  von  dem  Jammern  der  Büßenden,  dann  zogen 
die  Scharen  fanatischer  Flagellanten  durch  die  Länder,  mit  Geißel- 
hieben das  sündige  Fleisch  zu  züchtigen.  Waren  die  Not  und  die 
Ekstase  vorüber,  so  erhob  sich  der  alte  Adam  nur  um  so  energischer, 
und  die  unverwüstliche  Menschennatur  bewies  ihre  Federkraft.  Zwie- 
spalt zwischen  unversöhnten  Gegensätzen,  zwischen  Geist  und  Natur, 
zwischen  Laien  und  Kirche,  zwischen  Welt  und  Gott,  das  ist  der 
durchgreifende  Charakterzug  jener  rätselhaften  Epoche. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  tiefer  auszuführen,  daß  der  geheime 
Grund  dieses  ungelösten  Mißklanges  in  der  roh  sinnlichen  Äußerlich- 
keit lag,  mit  welcher  die  Kirche,  in  ihren  sittlichen  Anschauungen 
durchaus  auf  dem  Niveau  ihrer  Zeit,  die  Sühne  und  Buße  fiir  die  be- 
gangenen Fehltritte  auffaßte.  Äußere  Pönitenzen  waren  ihr  Universal- 
mittel, ein  möglichst  schreckhaftes  memefUo  mori  ihr  beliebtestes 
Gegengift.  Ein  solches  memenio  mori  sind  die  Totentänze,  gemalte 
oder  gemeißelte  Predigten  über  das  nie  zu  erschöpfende  Thema  von 
der  Hinfälligkeit  und  Vergänglichkeit  alles  Irdischen. 

Indes  hätten  diese  Darstellungen  nicht  so  allgemein  beliebt  werden 
können,  wenn  in  ihnen  nicht  zugleich  etwas  Tröstliches,  Versöhnendes 
läge,  das  besonders  für  den  gemeinen  Mann,  den  Armen  und  niedrig 
Geborenen  einen  geheimnisvollen  Reiz  haben  mußte.  Das  ist  die 
Vorstellung,  daß  niemand  so  hoch  und  so  reich,  so  vornehm  und  an« 
gesehen  sei,  der  nicht  mit  in  den  allgemeinen  Reigen  müsse,  daß 
weder  die  Tiara  des  Papstes  noch  die  goldene  Krone  des  Kaisers, 
weder  die  Inful  des  Bischofs  noch  das  Zepter  des  Königs  gegen  die 
Macht  des  Todes  schütze." 

Diese  treffenden  Ausführungen  Lübkes  geben  wohl  eine  innere 
Begründung  für  den  Wechsel  in  der  Todesdarstellung ;  daß  an  Stelle 
der    euphemistischen  Betrachtungsweise    der  Alten    ein   unheimlicher 


—     114     — 

Ernst  der  Anschauung*  tritt,  der  dem  Tode  die  Tendenz  des  Mahners 
und  Wamers  beilegt,  erklärt  sich  innerlich  aus  dem  eigentümlichen 
Zeitgeist.  Aber  nun  ist  es  ebenso  interessant  wie  lohnend,  einmal 
einen  Schluß  zu  wagen  über  die  Herkunft  der  Idee,  den  Tod  gerade 
als  Mumie  oder  als  Skelett  vor  die  Augen  der  verweltlichten 
Christenheit  zu  stellen.  Dieser  Versuch  ist  noch  gar  nicht,  oder  nur 
sehr  schüchtern  gemacht  worden.  So  sagt  Wessely  ^):  „Wir  haben 
bereits  angedeutet,  wie  sich  diese  Vorstellungsweise  (den  Tod  als 
Skelett  zu  bilden)  herausgebildet  haben  mag.  Den  Alten  galt  das 
Skelett  als  Repräsentant  eines  Toten.  Dehnte  man  diesen  Begriff 
aus,  so  war  von  der  Allegorie  zur  Personifikation  nur  ein  kleiner 
Schritt.  Man  stellte  sich  den  Tod  einfach  so  vor,  wie  der  Mensch 
durch  ihn  endlich  wird ;  der  Tod  entkleidet  die  Knochen  alles  Fleisches, 
es  bleibt  nur  das  Knochengerüst,  und  darin  werden  alle  Menschen 
ohne  Unterschied  gleich  gemacht,  weshalb  es  vom  Tode  heißt: 
Äeqturi  ifUiequalia.  Der  Tote  wurde  zum  Bilde  des  Todes,  das  Kon- 
krete zum  Abstrakten,  aus  dem  MemerUo  mori  wurde  ein  MemeiUo 
mortis/^ 

Diese  Konstruktion  Wesselys  erscheint  mir  sehr  zweifelhaft,  weil 
es  unwahrscheinlich  ist,  daß  jenes  Ausdrucksmittel  der  Römerkunst 
für  einen  Leichnam  in  die  deutsche  Kunst  schon  so  früh  eingedrungen 
sein  sollte,  und  überdies  mit  einer  Verschiebung  der  Bedeutung. 

Um  demgegenüber  eine  andere  Erklärung  zu  versuchen,  bedarf 
es  zunächst  einer  genaueren  Prüfung  des  Ursprungs,  aus  dem  wir  jene 
abzuleiten  suchen,  d.  h.  der  Todesvorstellung  der  jüdisch-christlichen 
Gestaltenwelt. 

Über  das  notwendige  Eintreten  des  Todes  in  die  Geschicke  der 
Menschheit  berichtet  die  hebräische  Sage  I.Moses  3,  19:  „Im 
Schweiße  deines  Angesichtes  sollst  du  das  Brot  essen,  bis  du  zur 
Erde  wiederkehrst,  von  welcher  du  genommen  bist!  Staub  bist  du, 
und  zu  Staub  sollst  du  wieder  werden/*  Im  Hinblick  auf  diese  Er- 
zählung vom  Sündenfall  schreibt  Paulus  an  die  Römer  5,  12 :  „Gleichwie 
die  Sünde  in  diese  Welt  durch  einen  Menschen  kam  und  durch  die 
Sünde  der  Tod,  und  so  der  Tod  auf  alle  Menschen  überg^^ngen 
ist,  weil  alle  gesündigt  haben."  Gemäß  dieser  Auffassung  ist  auch 
die  granze  christliche  Denkweise  von  der  Furcht  vor  dem  Tode  durch* 
zogen.  Zwar  wäre  an  sich  gerade  die  Lehre  Christi  mit  ihrer  Selig- 
keitshoffnung und  dem  ewigen  leidlosen  Leben  in  der  Nähe  des  Vaters 


I)  A.  m.  o.  S.  22. 


—     115     — 

überaus  geeignet,  die  dem  Menschen  von  Natur  anhaftende  Todes- 
scheu, das  Hängen  an  der  Erde  und  ihren  Gütern,  zu  überwinden; 
aber  von  ganz  besonderen  Ausnahmen  abgesehen,  vermag  das  Christen- 
tum den  allzu  menschlichen  Affekt  nicht  zu  verdrängen.  Noch  der 
Todesschweiß  gibt  Kunde  von  den  seelischen  Bewegungen,  die  im 
Augenblicke  des  Sterbens  den  Christen  ebenso  wie  jeden  anderen 
Menschen  quälen :  es  ist  der  Gedanke  an  einen  Weltenrichter,  der  für 
jedes  Werk  und  Wort  Rechenschaft  forden  wird,  und  ein  geheimes 
Beben  ergreift  selbst  fromme  Christen  bei  diesem  Gedanken.  Der 
Tod  eine  Strafe  für  die  Sünde!  Nach  der  Lehre  des  Evangeliums 
muß  sogar  der  Verkünder  der  Froh-Botschaft  vom  ewigen  Leben  den 
Tod  auf  sich  nehmen,  um  den  gestrengen  Gott  zu  versöhnen  und 
den  ewigen  Tod  vom  Menschengeschlechte  abzuwenden.  Aber  selbst 
Christus,  dieser  hohe  Vertreter  reinen  Menschentums,  zittert  in  Er- 
wartung des  nahenden  Todes  nach  dem  Zeugnisse  der  Synoptiker. 
Matthäus  26,  37 — 39  berichtet  von  der  Angst  Jesu*):  ,,Er  nahm 
Petrus  und  die  beiden  Söhne  des  Zebedäus  mit  sich  und  fing  an,  zu 
trauern  und  zu  zagen.  Da  sprach  er  zu  ihnen:  , Betrübt  ist  meine 
Seele  bis  zum  Tode;  bleibet  hier  und  wachet  mit  mir!'  Und  als  er 
ein  wenig  weiter  gegangen  war,  warf  er  sich  auf  sein  Angesicht  nieder 
tmd  betete  und  sprach :  ,  Mein  Vater,  wenn  es  möglich  ist,  gehe  dieser 
Kelch  an  mir  vorüber,  doch  nicht  wie  ich  will,  sondern  wie  du*." 
Und  dieses  letzte  Gebet  wiederholt  er  noch  zweimal.  Die  Angst  mag 
also  wirklich  so  groß  sein,  wie  Lukas  sie  schildert:  „Und  er  fiel  in 
Todesangst  und  betete  dringender,  und  sein  Schweiß  war  wie  Tropfen 
Blutes,  das  auf  die  Erde  rinnt." 

So  durchzieht  die  düstere  Stimmung  der  Todesfurcht  die  ganze 
jüdisch-christliche  Gedankenwelt.  Aber  einen  eigentlichen  Anhalts- 
punkt daflir,  daß  man  den  Tod  als  abgemagertes  Gespenst  darzustellen 
begann,  glauben  wir  in  einer  Stelle  der  Apokalypse  (6,  7 — 8)  sehen 
zu  dürfen:  „Und  da  es  (das  Lamm)  das  vierte  Siegel  aufgetan  hatte, 
hörte  ich  die  Stimme  des  vierten  lebenden  Wesens  sagen:  ,Komm 
und  sieh!'  Und  siehe,  ein  falbes  Roß,  und  der  darauf  saß,  hieß 
Tod,  und  das  Totenreich  folgte  ihm  nach,  und  ihm  war  Macht  ge- 
geben über  die  vier  Teile  der  Erde,  zu  töten  durch  Schwert,  Hunger 
und  Seuchen  und  wilde  Tiere  der  Erde."  Hier  haben  wir  die  Schil- 
derung eines  Heerführers  vor  uns.  Das  Totenreich,  gleichsam  das 
wilde  Heer  der  Toten,  konnte  die  Volksphantasie  sich  wohl  als  eine 


i)  Vgl.  Markus  14,  33—36;  Lukas  22,  42—44. 


—     116     — 

Schar  von  bleichen,  ausgedörrten  Mcnschenleibem  vorstellen.  Ihnen 
voran  reitet  ihr  Führer,  der  Tod,  auf  falbem  Roß.  Was  liegt  da 
näher,  als  auf  den  König  die  fahle  Farbe  des  Rosses,  die  dürre  Ge- 
stalt seines  Gefolges  zu  übertragen,  ja  die  Eigenschaften  dem  König 
in  noch  stärkerem  Grade  beizulegen?  Wir  meinen,  eine  solche  Ge- 
dankenverbindung liege  dem  mehr  und  mehr  mit  christlichem  Geiste 
sich  füllenden  Mittelalter  doch  sehr  nahe.  Gerade  durch  die  Ableitung 
von  einem  solchen  Bilde  erklärt  sich  auch  die  Form  des  Reigens  um 
so  besser:  die  Gefolgschaft  des  jagenden  Heeres  wandelt  sich  leicht 
in  die  Idee  eines  Tanzes  um,  in  dem  der  Reigenfuhrer  die  wildesten 
Sprünge  tut. 

Nach  dieser  Begründung  der  neuen  Todesdarstellung  einmal  aus 
den  Zeitereignissen,  wie  Lübke  und  andere  sie  gegeben  haben,  dann 
aber  besonders  aus  den  christlich -kirchlichen  Neigungen  des  Mittel- 
alters und  den  aus  uralten  Phantasiegebilden  hervorgegangenen  Vor- 
stellungen läßt  sich  die  Idee  der  im  Mittelalter  zuerst  auftretenden 
Totentänze  unschwer  dahin  erkennen  und  kennzeichnen:  Der  All- 
bezwinger  Tod  beugt  alles  Irdische  unbarmherzig  unter 
das  Zepter,  das  ihm  nach  dem  Sündenfall  des  Menschen 
von  der  Gottheit  verliehen  ist.  Ebenso  klar  wird  es,  daß  die 
Idee,  von  der  Kirche  in  kluger  Absicht  in  ihren  Dienst  gestellt,  diese 
Tendenz  hat:  sie  soll  die  leichtlebige,  sündige  Menschheit  recht  oft 
an  den  Tod  und  seine  Schrecken  mahnen  und  an  den  Eintritt  ins 
Jenseits,  an  dessen  Pforten  auch  ein  Kerberos  wacht,  das  Gottes- 
gericht. Auch  ein  christlicher,  vielleicht  wohlberechneter  und  etwas 
versöhnender  Zug  des  Totentanzes  liegt  weiterhin  darin,  daß  in  der 
Idee  das  Horazische  Wort  gleichsam  künstlerisch  inkarniert  ist: 

PaUida  mors  aequo  pulscU  pede  pauperum  tabemas  Regumque  turres, 
ein  Wort,  das  wir  zwar  nicht  wörtlich,  aber  doch  sinngemäß  an  dieser 
Stelle  wiedergeben  möchten: 

„Doch  mißachtend  der  Sterblichen  Bitten 
Pochet  der  Tod  mit  grinsendem  Hohn 
An  Paläste  und  ärmliche  Hütten." 
Mit  g^nsendem  Hohn!     Eine   kühne  Umschreibung  für  die  Un- 
erbittlichkeit des  alle  gleichmachenden  Todes.     Aber  man  werfe   nur 
einen  Blick  auf  die  Bilder  der  Totentänze.     Gerade   darin   liegt   eine 
feine  Ausführung  der  beherrschenden  Idee,   daß   der   nackte  Schädel 
mit   den    leeren    Augenhöhlen    und    den    vorstehenden     fletschenden 
2^nen   einen   Zug  gierigen,   grausamen   Grinsens   erhält.     Besonders 
dieser  Zug  der   Härte  mit  der  herben   Ironie,   ja  bis  zur  bittersten 


—     117     — 

Satire  gesteigert,  war  vielleicht  recht  geeignet,  auch  die  Leichtfertigsten 
unter  den  Leichtfertigen  zum  Nachdenken  zu  stimmen. 

Aus  den  bisherigen  Darlegungen  über  die  Idee  der  Totentänze 
und  über  die  Wurzel  dieser  Darstellung  ließe  sich,  wenn  wir  auch 
weiter  keine  Anhaltspunkte  hätten,  fernerhin  folgern,  daß  das  abholende, 
seine  Opfer  fortzerrende  Wesen  nicht  ein  beliebiger  Toter,  wie  die 
Szenen  von  den  meisten  Erklärem  aufgefaßt  zu  werden  pflegen,  son- 
dern der  Tod  in  eigener  Person  ist,  wenn  sich  auch  vereinzelt,  wo 
mehrere  Gerippe  auftreten  —  so  besonders  in  dem  Bilde  des  Bein- 
hauses — ,  wohl  Anklänge  an  das  Heer  des  Todes  finden.  Darin,  daß 
die  Toten  die  Lebenden  abberufen  sollen,  liegt  nach  meinem  Emp- 
finden kein  recht  künstlerischer  Sinn.  Der  Tod,  die  personifizierte 
Gewalt  des  Todes,  übt,  gekennzeichnet  durch  besondere  Attribute, 
selbst  das  obliegende  Amt,  „zu  töten  durch  Schwert,  Hunger  und 
Seuchen  und  wilde  Tiere  der  Erde".  Daß  es  der  Tod  selbst  ist,  der 
in  diesen  Totentänzen  auftritt,  erhellt  —  trotz  der  unlogischen  Be- 
zeichnung Totentänze,  die  richtiger  Todestänze  heißen  würden  —  noch 
aus  einem  anderen  Umsfande,  der  sich  sofort  erkennen  läßt,  wenn 
man  die  Richtigkeit  der  vorgetragenen  Erläuterung  der  Totentanzidee 
nachprüft.     Ein  Beispiel  möge  dies  kurz  dartun. 

Es  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  Totentänze,  die  auf  die  erste, 
und  zwar  lebendige  Gestaltung,  d.  h.  auf  die  Entstehung  aus  drama- 
tischen Aufßihrungen  zurückgeht,  daß  uns  gleichzeitig  mit  den  bild- 
nerischen Darstellungen  die  alten  Reimzeilen  erhalten  sind,  wie  sie 
von  den  in  den  szenischen  Spielen  auftretenden  Personen  gesprochen 
wurden.  Hierdurch  sind  wir  über  die  Bedeutung  der  Bilder  auCs  ge- 
naueste unterrichtet,  da  wir  annehmen  müssen,  daß  diese  nach  jenen 
gestaltet  sind.  Aus  den  Reimsprüchen  geht  übrigens  ganz  klar 
hervor,  daß  der  Tod  selbst  zum  Tanze  auffordert.  Vor  allem  aber 
die  Erkenntnis,  daß  eine  ausgesprochen  christlich -kirchliche  Tendenz 
in  dem  oben  erläuterten  Sinne  vorliegt,  vermittelt  der  begleitende 
Text  Die  Neigung  zur  Askese,  wie  sie  dem  mittelalterlichen  und 
auch  dem  modernen  Christentum  in  besonderem  Maße  eigen  ist,  wird 
au£s  schärfste  beleuchtet  durch  eine  Stelle  in  dem  Reimtext  *)  eines 
Baseler  Totentanzes,  der  in  einer  Heidelberger  Papierhandschrift  aus 
dem  XV.  Jahrhundert  überliefert  ist.  Der  Reigen  wird  eingeleitet 
durch  die  Worte  eines  Predigers: 

0  deser  werlde  weysheit  hint, 
Äüe  die  noch  jfm  leben  smtf 

i)  Mitgeteilt  Ton  Bdafimann  a.  a.  O. 


—     118     — 

Seijst  yn  ewr  hercee  cjnoey  wort. 

Die  von  cristo  sint  gehört. 

Das  eyne  körnet  her,  das  ander  gehet  hyn. 

Doch  des  ersten  die  guten  hohen  gewgn^ 

Do  sie  yn  den  hymmd  komen 

Do  nemen  sie  des  guten  fromen. 

Das  ander  die  böeen  weyget  yn  peyn 

Der  hellen,  die  ouch  ewig  wirt  seyn. 

Dorvm  ich  euch  getrewlich  rathe. 

Tut  euch  äbe  oppiger  thaie; 

Wenne  dy  ceeit  yst  korce  yn  desem  leben. 

Doe  noch  wirt  ach  vnd  we  gegeben 

Dvrch  den  czwesechegen  ^)  tod. 

Der  die  oppigen  brengit  yn  not, 

Wenne  mit  seyner  pfeyfen  geschrey 

Brengt  her  sie  aUe  an  segnen  reyn. 

Doran  dy  weysen  czu  den  Sprüngen 

Mit  den  toren  werden  getwungen, 

Als  de/ses  gemeldes  figuren 

Synt  eyn  ebenbilde  cau  trawren. 

1. 

Her  bobist  merckt  off  meyner  pawken  don, 
Ir  suUet  dornoch  hie  springen  schon. 
Ir  dorfet  keyns  dyspensiren, 
Der  tod  wil  euch  den  tantz  hofyren. 

JPapst, 

Ich  was  eyn  heiliger  bcibist  genant, 
Die  weyle  ich  lebete  ane  forchte  bekant. 
Nw  werde  ich  gefurt  frefUlich 
Czum  tode.     ich  were  mich  oppiglich. 

2. 

Her  keyser  euch  hüfl  nicht  das  swert, 
Czeptir  vnd  crone  sint  hy  nicht  wert. 
Ich  habe  euch  bey  der  hand  genomen: 
Ir  must  an  meynen  regen  kämen. 

Kaiser. 

Ich  künde  das  reich  in  hoer  eren 
Mit  streyt  vnd  fechten  wol  gemeren. 
Nw  hot  der  tod  cbirwunden  mich. 
Das  ich  byn  weder  keyser  noch  menschen  gleich. 


i)  Zwe/echigen,  zwifachigen,  zwi fachen. 


—     119     — 

3. 

Ich  tancee  euch  vor  frawe  heyserejfn: 
Springt  wir  noch:  der  rat  pst  m^yfi. 
Die  sptrhrecher  sint  von  euch  gewichen. 
Der  tod  hot  euch  aUegne  dirdichen, 

Kaiserin, 

WcUust  hatte  megn  stolczer  leib, 
Do  ich  lebete  als  egns  kegsers  weib. 
Nw  hot  mich  der  tod  ceu  schänden  brocht. 
Das  mir  Jcegn  frund  gst  nw  redocht  V- 

4. 

Her  kungg  ewr  gewald  hot  egn  ende. 
Ich  wiÜ  euch  füren  beg  den  henden 
An  desir  swarceen  bruder  tan» 
Do  gebt  euch  der  tod  egnen  cranas. 

König. 

Ich  habe  als  egn  kungg  gewddigleich 
Die  werld  gereigiret  als  regn  das  reich: 
Nw  bgn  ich  mit  des  todis  banden 
Vorstrickt  gn  segnen  Juinden. 

Das  kurze  Stück  bestätigt  vollauf,  was  dargetan  werden  sollte; 
die  Probe  auf  das  angestellte  Exempel  geht  restlos  auf.  Endlich  sei 
noch  folgender  Schluß  gezogen.  Wie  selbstherrlich  der  Tod  auch 
hier  im  Bewufstsein  seiner  Allgewalt  sich  gebärdet,  wir  können  uns 
des  Gedankens  doch  nicht  erwehren ,  daß  auch  er  eigentlich  nur  ein 
Abgesandter,  der  Bevollmächtigte  einer  fremden,  höheren  Macht  ist. 
Dieser  Botencharakter  geht  vielleicht  auf  eine  zweite,  altgermanische 
Wurzel  der  Idee  zurück.  Wie  im  Nibelungensang  die  beiden  Spiel- 
leute Werbelein  und  Schwemmelein  als  Boten  ausgesandt  werden,  und 
wie  Volker,  der  kühne  Degen,  sein  mörderisches  Schwert  so  gut  wie 
den  Bogen  seiner  Fiedel  schwingt,  so  vereiniget  der  Tod  gleichsam 
zwei  Eigenschaften:  als  Bote  spielt  er  zum  Tanze  auf,  zu  dem  er 
die  Tänzer,  mögen  sie  wollen  oder  nicht,  als  Spielmaün  und  drängender 
Partner  zugleich  in  wildem  Taumel  hinwegzerrt. 

Zum  Schlüsse  noch  ein  Wort  über  den  Kunstwert  der  in  den 
Totentänzen  Fleisch  oder  richtiger  Bein  gewordenen  Idee.  Falls  wir 
an  sie  den  Maßstab  legen,  daß  ein  Kunstwerk  frei  von  Tendenz  sein 

i)  Oder:  Daz  mir  kegn  frewd  ist  me  erdacht. 


—     120     — 

müsse,  so  wären  die  Totentänze,  von  künstlerischem  Standpunkte  aus 
betrachtet,  durchaus  abzulehnen.  Sehen  wir  aber  über  diese  streng^ 
Regel,  der  manche  anerkannte  Kunstschöpfung'  nicht  standzuhalten 
vermag,  einmal  hinweg  und  lassen  die  Todesszenen  einfach  auf  unser 
Gefühl  wirken,  so  empfinden  wir,  namentlich  in  einer  so  bedeutenden 
Szenenfolge,  wie  sie  der  Lübecker  Totentanz  darstellt,  das  Geheimnis- 
volle der  Kunst,  das  zum  Herzen  spricht,  uns  unvermerkt  ergreift, 
ohne  daß  wir  zu  sagen  vermöchten,  was  uns  denn  so  heimlich  be- 
wegt. Vom  gesdiichtlichen  Standpunkte  ans  dürfen  wir  uns  nicht 
minder  darüber  freuen,  daß  das  Mittelalter  jene  Schöpfungen  hervor- 
gebracht hat,  und  wir  wollen  nicht  mit  unserm  alten  Lessing  das 
Knochengerippe,  das  Holbeins  Bilder  des  Todes  uns  vorfuhren,  als 
einen  abscheulichen  Auswuchs  am  Baume  der  Kunst  bezeichnen, 
sondern  auch  dieser  Schöpfung,  die  in  einer  neuen  Zeit  hervorgebracht 
wurde,  mit  ihrer  Vertiefung  der  alten  Idee  zu  dem  Gedanken :  Mitten 
in  dem  Leben  sind  wir  vom  Tod  umfangen  —  und  ebenso  den 
grandiosen  ähnlichen  Schöpfungen  späterer  Zeit  können  wir  unsere 
Bewunderung  unmöglich  versagen,  wenngleich  wir  die  euphemistische 
Todesdarstellung  des  Altertums,  wie  sie  später  von  Canova  in  allzu 
weichen  Formen  und  von  anderen  Künstlern  wieder  belebt  wurde,  als 
friedlicher,  versöhnender,  harmonischer  und  darum  vielleicht  künstle- 
rischer empfinden  mögen. 


Mitteilungen 

Einicegmiigene  Blleher. 

Bernheim,  Ernst:  Das  akademische  Studium  der 

Mit  Beispielen  von    Anfängerübungen  und  einem  Studienplan.     Zweite 

erweiterte  Auflage  der  Schrift  Entwurf  eines  Studienplans  usw.  Greift- 

wald,  Julius  Abd  1907.     83  S.  8^     M.   i«8o. 
Blume,    W.    ▼.:    Kaiser  Wilhdm  der  Grotte   und  Roon  [ass  Eraeher  des 

Preußischen  Heeres«    11./12.  Band].     Beilin  W.  $$,   B.  Behr's  Veriag 

1906.     395  S.  S^. 
Brettschneider«     Harry:     Geschichtliches    Hilfsbuch    flir    Lehrer-    und 

Lehrerinnenseminare  und  verwandte  Bildungsanstalten.  I.  Teil:  Geschichte 

des  Altertums.     Halle   a.   S.«  Buchhandlung  des  Waisenhauses  1904. 

149  S.  8^  fgeb.  M.   1,60.  —  U.  Teil:  Vom  Beginne  chrisdicber  Kuitur 

bis   zum   WestfiÜischen   Frieden.      Ebenda    1904.      204    S.   8^.  geb. 

M.  2,10.  —  HL  Teil:  Vom  Westfälischen  Frieden  bis  cur  Gegenwart. 

Ebenda  1905.     aio  S.  8^.  geb.  M.  2,10. 

H«nuug«ber  Dr.  Arada  Tille  in  Ltipäf^ 
Dnack  aod  V«rUff  von  Friedrich  Aadreas  PMthet,  AkllufMilUdia,  0«llyu 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


sur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschimg 

VIII.  Band  Februar  1907  5.  Heft 

t>ie  landesgesehiehtliche  Iiiteratur  Ost^ 
frieslands  im  XlX.  Jahrhundert 

Von 
Konrad  Borchling  (Posen) 

Der  Name  „Ostfriesland"'  haftet  heute  ausschließlich  an  dem  Teile 
des  alten  friesischen  Stammesgebiets,  der  den  preußischen  Regierungs- 
bezirk Aurich  ausmacht.  Von  seiner  Ostgrenze  bis  an  die  Weser 
erstreckt  sich  das  oldenburg^che  Friesland,  und  im  Westen  schließt 
sich  die  holländische  Provinz  Groningen  an.  Keine  natürliche  Grenze 
und  kein  tieferer  sprachlicher  Einschnitt  trennt  das  heutige  Ostfriesland 
von  seinen  östlichen  und  westUchen  Nachbarn,  nur  eine  auseinander- 
gehende politische  Entwicklung  hat  die  drei  Bestandteile  des  älteren 
größeren  Ostfrieslands  auseinandergerissen.  Seit  dem  XII.  Jahr- 
hundert sind  die  Friesen  auf  die  Lande  zwischen  Fli  (dem  locus 
Flevo  der  Römer)  und  Weser  beschränkt.  Hier  genossen  sie  vom 
XII.  bis  zum  XV.  Jahrhundert  eine  ziemlich  weitgehende  politische  Freiheit. 
Die  Macht  der  Grafen,  wie  sie  die  fränkische  Herrschaft  auch  in 
Friesland  eingeführt  hatte,  verlor  alle  Bedeutung;  anstatt  der  alten 
friesischen  Gaue  erscheinen  seit  dem  Anfange  des  XÜI.  Jahrhunderts 
beinahe  unabhängige  Terrae  (Landgemeinden),  die  durch  ihre  obersten 
Behörden,  die  Canstdes  {Redjeven,  Richter)  die  Rechtsprechung,  das 
Münzrecht  und  die  meisten  anderen  Gerechtsame  des  Landesherm 
ausübten.  Die  Entwicklung  der  Consules  aus  jährlich  wechsehiden, 
durch  die  Gemeinheit  des  Volkes  in  engen  Schranken  gehaltenen, 
Beamten  zu  mächtigen  erblichen  Häuptlingen  rief  eine  Zeit  des 
heUlosesten  Fehdewesens  hervor,  das  Ost-  und  Westfriesland  während 
des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts  in  eine  Unzahl  kleiner  tmd  kleinster 
Partikelchen  auflöste  und  am  letzten  Ende  den  Untergang  der 
friesischen  Freiheit,  die  Unterwerfung  der  friesischen  Landschaften 
unter  die  benachbarten  großen  Territorialherren  herbeiführte.  Nur  in 
dem  heutigen  Ostiriesland,  und  für  eine  kürzere  Zeit  auch  in  Jever- 

9 


—     122     — 

land,   geling   es    einheiinischen  Geschlechtern,    ein    eigenes    reichs- 
unmittelbares Gebiet  (lir  ihr  Haus  zu  schaffen.     Zwar  war  die  Politik 
der  ersten,  tüchtigen  Grafen  von  Ostiriesland  aus  dem  Hause  Cirksena 
moch  energisch   darauf  gerichtet,   das  ihnen  vom  Kaiser  verliehene 
Gebiet  nach  Osten   und  Westen  zu  erweitem,  aber  Groningen  und 
Jeverland  gingen  ihnen  wieder  verloren,  und  nur  das  kleine  Harlinger- 
land  wurde  1600  endgültig  mit  Oetfrieshmd  vereinigt.    Eine  (uhrende 
Rolle  unter  den  friesischen  Landschaften  hat  Ostfriesland  seit  Edzard  !• 
(1491 — 1528)  nicht  mehr  gespielt.   Innere  Zwistigkeiten  zwischen  dem 
Fürstenhaus  und  den  Ständen  zerrütteten  das  Ländchen,  bis  im  Jahre 
1744  die  kräftige  Hand  Friedrichs  des  Großen,  des  Rechtsnachfolgers 
der  Cirksena,  die  Ruhe  wiederherstellte.   Die  bunt  wechselnden  Schick- 
sale des  Landes,  das  seit  1807  kurz  nacheinander  holländisch,   fran- 
zösisch,  preußisch  und  hannoversch  wurde,   haben   erst  1866   durch 
den    dritten  AnfaU   an  Preußen  ihren  Abschluß  gefunden.     Der   all- 
gemeine Au£M:hwung,  den  seitdem  Ostfriesland  in  wirtschaftlicher  Be- 
ziehung genommen  hat,  äußert  sich  auch  in  der  landesgeschichtlichen 
Literatur,  die  erst  seit  dem  Anfange  der  1870  er  Jahre  ein  zielbewußtes 
Zusammenarbeiten    der   Forscher    und    ein    lebhafteres    Interesse    in 
weiteren  Kreisen  des  ostfriesischen  Publikums  erkennen  läßt. 

Am  Eingange  des  XIX.  Jahrhunderts  steht  die  großangelegte 
Oeifriesische  Geschichte  des  Auricher  Land -Syndikus  Tileman  Dothias 
Wiarda  (Aurich  1791 — 1798,  9  Bde.),  mit  dem  Tode  Friedrichs  des 
Großen  abschließend;  eine  Fortsetzung  in  zwei  Bänden  (Leer  1817) 
behandelt  die  ereignisreiche  Zeit  der  Fremdherrschaft  und  der  Be- 
freiungskriege bis  181 3.  Wiardas  Werk  ist  als  Ganzes  bis  auf  den 
heutigen  Tag  die  grundlegende  Darstellung  der  ostfriesischen  Geschichte 
gebUeben,  so  scharfe  Angriffe  auch  seither  gegen  die  älteren  Perioden 
seines  Buches  gerichtet  worden  sind,  denn  hier  hat  Wiarda,  trotz 
setner  eingehenden  Beschäftigung  mit  den  altfriesischen  Rechtsquellen,, 
doch  einfach  die  phantastischen  Aufstellungen  des  Ubbo  Emmius 
angenommen  und  weitergebildet.  Der  bei  weitem  größere  Teil  von 
Wiardas  Werk  (Bd.  3,  zweite  Hälfte  bis  9)  fallt  aber  der  neueren 
Zeit  zu,  von  da  an,  wo  des  Emmius  Vorlage  aufhört.  Hier  hat  Wiarda 
mit  großem  Fleifie  alles  Material  verwertet,  was  ihm  aus  seiner  eigenen 
reichen  Sammlung  und  den  Archiven  des  Landes,  vor  allem  aus  dem 
Arrhive  der  ostfriesischen  Landstände  zugänglich  war. 

Wiardas  Weric  beherrschte  die  lokale  Geschichtschreibung  Ost- 
frieslands  zwnachst  völlig.  Nur  an  ein  paar  einzelnen  Punkten  der 
älteren  Zeit,  wo  seine  Darstellung  zu  offenbare  Lücken  aufwies,  setzte 


—     123     — 

die  Forschung  schüchtern  ein.     So  schrieb   H.  Suur  die  Gestrickte 
der  ehemaligen  Klöeter  in  der  Provinz  Ostfriedand  (Emden  1838);  die 
beigegebenen   Abdrucke   von   zwölf   Originalurkunden    des   Auricher 
Archivs,  so  fehlerhaft  sie  im  einzelnen  sind,  zeigen  doch  zum  ersten 
Male  das  ernsthafte  Bestreben,  das  ältere  Urkundenmaterial  systematisch 
auszunutzen.    Ein  Jahr  nach  Suurs  Tode  erschien  sein  gröfieres  Buch^ 
die  Qesckiehte  der  Häupäinge  Osifrieslands  (Emden  u.  Aurich  1846); 
es  bringt  aufler  den  genealogischen  Untersuchungen  auch  je  ein  Kapitel 
über  den  Umfang  und  die  Verfassung  der  ostfriesischen  Gaue.     Hier 
folgt  er  der  Schrift  L.  v.  Ledeburs  Die  fünf  mimeterschen  Chxue 
und  die  sid>en  SeeUmde  Friedands  (Berlin  1836).     Dieser  hatte  das 
wichtige  Münstersche  Dekanatsregistet  von    1475   entdeckt  und  den 
aussichtslosen  Versuch  gemacht,  auf  Grund  dieser  kirchlichen  Einteilung 
die  ostfriesischen  Gaue  und  in  letzter  Linie  sogar  die  sieben  friesischen 
Seelande  zu  rekonstruieren.    Aus  Wiardas  eigenem  Nachlasse  wurden 
Bruchstücke  ssur  Geschichte  und  Topographie  der  Stadt  Aurich  (Emden 
1835)   herausgegeben,    und   gleichfalls    ein   postumes  Werk   ist   die 
vielbenutzte  Geschichte  der  l^adt  Emden  bis  zum  Vertrage  von  Ddf" 
syM  1596  (Emden  1843)  ^^^  Bürgermeister  Hellas  Loe sing,  ein  Werk, 
das  in  seinem  Kerne  bereits  vor  Wiardas  Ostfriesischer  Geschichte  aus- 
gearbeitet worden  war.    Ganz  kurz  nenne  ich  hier  endlich  noch  die  geo- 
graphischen Schriften  von  Joh.  Conrad  Frese  (Ostfries-  imd  HarUnger- 
land,   I.  Bd.,  Aurich  1796)  und  Friedr.  Arends   (Ostfriedand  und 
Jevery  3  Bde.,  Emden  1818 — 1820;  Erdbeschreibung  von  Ostfrieslanä^ 
Emden  1824),  weil  sie  vieles  Geschichtliche  mit  einflechten. 

Wiardas  großes  Werk  war  ein  grundgelehrtes  Buch,  aber  deir 
Vorzug  einer  fesselnden  Diktion  kann  man  ihm  gewifi  nicht  nach- 
riäimen.  So  hat  es  sehr  bald  eine  lebhafte  Unterströmung  in  der 
vaterländischen  Geschichtschreibung  hervorgerufen,  die  mehr  auf  eine 
geschmackvolle  Popularisierung  des  historischen  Stoffes  als  auf  eigene 
Untersuchungen  gerichtet  war.  Im  Mittelpunkt  dieses  Kreises  stehen 
zwei  Theologen,  die  Brüder  Johann  Christian  Hermann  und  Rudolf 
Christoph  Gitter  mann,  und  ihr  Hauptorgan  waren  die  von  dem  älteren 
G.  herausgegebenen  gemeinnützigen  Zeitschriften  (Ostfriesisehes  Taschen^ 
buch  0ur  Bdehrung  und  Unterhaltung,  Norden  1813—1832;  Jahr^ 
büeUein  mw  Unterhaltung  und  zum  Nutgen,  eunächst  für  Orifrieskmä 
und  BarrkngerJandy  Emden  1834),  in  denen  der  gebildete  Leser  neben 
dem  Wust  „gemeinnütziger  Miscellen"  und  vielen  rein  literarischen 
Produkten  öfters  auch  einen  gediegenen  historischen  Aufsatz  finden  konnte. 
Noch  einfachere  Bedürfoisse  befriedigte  der  bereits  aus  dem  Anfangs 

9» 


—     124     — 

des  XVII.  Jahrhunderts  stammende  Opregte  Emder  AJmanak,  der  Jahr 
für  Jahr  hinter  seinem  Kalendarium  eine  uralte,  aber  bis  auf  die  Gegen- 
wart fortgeführte,  holländische  Kronyh  of  behnapt  verhadl  der  voamaamsk 
geschiedenissen  van  Oostvriesland  zu  bringen  pflegte.  Aus  der  Flut  der 
Publizistik  der  40er  Jahre,  die  immer  ausschließlicher  die  politische 
Tendenz  hervorkehrt  ^),  tauchen  nur  wenige  ernsthafter  zu  nehmende 
Blätter,  sämtlich  von  kurzer  Lebensdauer,  auf.  Die  Frisioj 
herausgegeben  von  W.  Schweckendieck  und  Ed.  Krüger 
(Bd.  I — 5,  Emden  1842— 1846),  setzt  die  Tendenz  der  Gitter- 
mannschen  Zeitschriften  mit  Glück  fort.  Von  jedem  belletri- 
stischen Beiwerk  frei  ist  dagegen  das  Friesisd^  Archiv.  Eine 
Zt^Uschrifl  für  friesische  Gtschichie  und  Sprache ,  herausgegeben  von 
H.  G.  Ehrentraut  (Bd.  i.  2,  Oldenburg  1849  und  1854).  Die  sehr 
wertvolle  2^tschrift  betrif!l  zwar  in  erster  Linie  das  oldenburgische 
Friesland,  bringt  aber  darüber  hinaus  auch  manches  Interessante  an 
urkundlichem  Material  imd  sprachlichen  Aufsätzen  für  Ostfnesland, 
speziell  das  Saterland.  Endlich  das  Archiv  für  friesisch -westfälische 
QeschidUe  und  AUertumshunde,  herausgegeben  von  J.  H.  D.  Möhl- 
mann,  Bd.  i,  Heft  i  (Leer  1841).  Unter  „westfälisch"'  ist  hier  die 
Landdrostei  Osnabrück  verstanden,  der  überwiegende  TeU  des  Hefles 
bezieht  sich  aber  auf  Ostfriesland  und  ist  aus  Möhlmanns  eigener 
Feder  geflossen.  Die  strenge  WissenschafUichkeit  dieser  Zeitschrift, 
die  weder  „schreiblustigen  Polygraphen"  noch  „sogenannten  Belle- 
tristikern'' offen  stehen  sollte,  hat  ihr,  trotz  dem  vielversprechenden 
Angebot  von  Mitarbeitern,  die  S.  XI  der  Vorrede  nennt,  nicht  einmal 
zum  zweiten  Hefte  verhelfen  können.  Zum  Teil  wird  daran  aber 
auch  die  überaus  scharfe  persönliche  Art  des  Herausgebers  schuld 
gewesen  sein.  Sie  tritt  am  krassesten  in  Möhlmanns  letzter  Schrift: 
Kritik  der  friesischen  OeschicMschreibung  überhat^  und  der  des 
Dr.  Onno  Klopp  insbesondere  (Emden  1862)  zutage.  Mit  leiden- 
schaftlicher Schärfe  schlägt  er  hier  auf  seinen  Hauptgegner  los,  aber 
auch  die  älteren  Größen  der  ostfriestschen  Geschichtschreibung,  Von 
Eggerik  Beninga  bis  auf  Wiarda,  werden  unbarmherzig  beurteilt  und 
ihres  Glorienscheines  beraubt.  Dieser  Hyperkritik  stehen  keine  be- 
deutenden positiven  Verdienste  Möhlmanns  gegenüber:  außer  einigen 
kleineren  Aufsätzen  gab  er  die,  von  ihm  im  Stader  Arditv  wieder- 
entdeckte, niederdeutsche  Beimchronik  van  Harlmgerland  des  Hironiniius 


i)  Vgl.   fiber  diese    and   die   Torhergenaiinten   Zeitschriften  den  gnten  Aafs«U  ron 

Ft.  Sundermann,  Die  Musen  in  OstfriesJand ,  im  Ostfries.   ScholbUtt^  39.  Jahrg., 
L899,  Nr.  7  und  8. 


—     125     — 

Qrestius  (Stade  und  Harburg  1845),  ein  Werk  des  XVI.  Jahrhunderte, 
heraus  Seine  Haupttätigkeit  bestand  im  Ansammeki  einer  sehr  wertvollen 
Bibliothek;  sie  enthielt  schliefilich  8000 — 9000  Nummern,  darunter 
über  500,  meist  von  Möhlmann  selbst  abgeschriebene,  Handschriften, 
ist  aber  leider  bei  seinem  Tode  1865  in  alle  Winde  verstreut  worden 
(vgl.  Emder  Jahrbuch  XIV,  411). 

Onno  Klopps  Ostfriesische  Geschickte  erschien  1854 — 1858  in 
drei  Bänden.  Auch  hier  ist  die  ältere  Zeit  kürzer  abgemacht,  Bd.  i 
reicht  bis  1570  und  soll  eigentlich,  nach  der  Vorrede,  nur  dem  ost- 
friesischen Bürger  und  Landmann  ein  faßliches  Lesebuch  geben. 
Bd.  2  und  3  dagegen  haben  gelehrtere  Aspirationen,  sie  gießen  nicht 
bloß  Wiardas  trockene  Darstellung  in  eine  angenehme  Form  um, 
sondern  geben  viel  Eigenes.  Das  Wichtigste  an  Klopps  Zutaten  ist 
aber  die  starke  Tendenz  des  Verfassers,  die  ihn  zu  einer  scharfen 
Kritik  der  Generalstaaten  in  Bd.  2 ,  Friedrichs  des  Großen  in  Bd.  3 
fuhrt.  Er  nimmt  damit  die  Anschauungen  der  alten  Auricher  Hof- 
partei wieder  auf,  wie  sie  einst  der  Kanzler  Brenneysen  verfochten 
hatte,  und  vertritt  zugleich  die  alten  Rechte  des  Hauses  Hannover 
auf  Ostfriesland.  Es  ist  ein  starker  Beweis  für  die  formale  Gestaltungs- 
kraft Klopps,  wenn  sein  Buch  trotzdem  eine  so  weite  Verbreitung 
auch  in  dem  reformierten,  Preußen  besonders  freundlich  gesinnten, 
Teile  Ostfrieslands  erlangt  hat.  —  Ein  weit  schwächerer  Konkurrent 
erstand  dem  Kloppschen  Werke  alsbald  in  der  vierbändigen  Ostfriesischen 
Geschichte  von  Perizonius,  die  aber  erst  1868,  mit  einem  Schluß- 
wort über  die  Ereignisse  von  1866  versehen,   zu  Weener  herauskam. 

Für  die  Anbahnung  einer  besseren  Erkenntnis  der  älteren  ost- 
friesischen Geschichte  geschah  ein  wichtiger  Schritt  durch  die  muster- 
hafte Edition  der  älteren  Rechtsquellen  des  Landes  in  K.  v.  Richt- 
hofens  Friesischen  Bechtsguetten  (Berlin  1840).  Aber  eine  direkte 
Wirkung  dieses  Buches  verspüren  wir  ebensowenig  wie  bei  zwei  anderen 
Arbeiten  dieser  Zeit,  die  außerhalb  Ostfrieslands  entstanden:  1864 
gab  Wilh.  Crecelius  in  einem  Elberfelder  Schulprogramm  die  für 
die  ostfriesische  Ortsnamenkunde  hochwichtigen  Güterverzeichnisse 
der  Abteien  Werden  und  Helmstedt  heraus  (CoOectae  ad  augendam 
nominum  propriortim  Saxanicarum  et  Frisiorum  scientiam  I,  Elberfeld 
1864);  und  eine  Breslauer  Habilitationsschrift  behandelte  zum  ersten 
Male  seit  Meiners  (1735)  wieder  das  wichtige  Thema  der  ostfriesischen 
Reformationsgeschichte  (C.  A.  Cornelius,  Der  Anteil  Ostfrieslands 
an  der  Beformatian  bis  man  Jahre  1535,  Breslau  1852). 

Die  Teilnahmlosigkeit  der  ostfriesischen  Kreise  ist  um  so   auf- 


—     126     — 

frUender«  als  doch  bereits  tett  1820  diejenige  Geseilidiaft  existierte, 
die  fielt  1872  die  Führung  in  der  lokalg^chichtlichen  Fonchmig 
übernehmen  sollte.  Als  „Kun8tlieblud>er  -Verein**  war  sie  an 
z6.  März  1820  zu  Emden  begründet  worden,  um  den  Verkauf  weit- 
voller  Ölgemälde  aus  Emden  zu  verhindern,  aber  bald  schloß  sie  auch 
die  Erhaltung  und  Sammlung  vaterländischer  Altertümer  in  ihr  Pfo- 
gramm  ein,  und  nannte  sich  deshalb  seit  dem  23.  Dezember  1823: 
„Emdische  Gesellschaft  für  bildende  Kunst  nnd  vaterländische  Alter- 
tümer*'. Die  Gesellschaft  besitzt  heute,  außer  einer  wertvollen  Ge- 
mälde- und  KupfiUBtichsammlung,  eine  reidie  Altertümerabteilung, 
dn  Münzkabinett  von  rund  2600  (davon  1500  ostfriedschen)  Münzen,  ein 
Urkundenarchiv  von  etwa  900  Nummern,  dessen '  Hauptschätze  aus 
dem  alten  Beningha-  v.  d.  Appelleschen  Archive  zu  Gr.  Midlum 
(früher  Gtimersnm)  stanmien,  eine  Bibliothek  von  4000  Bänden  und 
etwa  350  Handschriften,  und  eine  wertvolle  Sanmilung  von  Karten  und 
Plänen.  Nach  außen  hin  ist  die  Gesellschaft  in  den  ersten  50  Jahren 
ihres  Bestehens  nur  wenig  hervorgetreten;  die  einzige  Publikation, 
die  in  dieser  Zeit  von  ihr  ausgegangen  ist,  betrifft  die  1829  nieder- 
gerissene alte  Kirche  zu  Marienhafe,  deren  vielbeklagten  Untergang 
die  Gesellschaft  nicht  hat  verhindern  können:  Die  aÜe  Kirche  sm 
Marienhafe y  herausgegeben  von  der  Gesellschaft  f.  b.  K.  usw.  Mit 
einem  Titelbild  imd  16  Tafeln  (Emden  1845);  ^^^  Text  hat  der 
obengenannte  H.  Suur  geschrieben.  Eine  um  so  rührigere  Tätigkeit 
entwickelte  die  Emder  Gesellschaft,  seitdem  im  Jähre  1872  das  erste 
Heft  des  Jakrbuchsder  Cresdladuift  ßir  bildende  Kund  und  vaterländische 
iifterfuffier  erschienen  war.  Ursprünglich  nur  dazu  bestimmt,  die  besten  der 
in  den  Dienstagsversammlungen  gehaltenen  Vorträge  au&unehmen,  er- 
weiterte das  Jahrbuch  bald  seinen  Rahmen  und  bildete  sich  zu  einer  streng 
wissenschaftlich  geleiteten  2^itschrift  fiir  ostfriesische  Geschichte  und 
Kunstgeschichte  aus.  Es  war  ein  glücklicher  Umstand,  daß  im  selben 
Jahre  1872  die  seit  der  Annexion  Ostfrieslands  1744  nur  durch 
Registratoren  verwaltete  Archivarstelle  in  Aurich  zum  ersten  Male 
wieder  mit  einem  wissenschaftlich  vorgebildeten  Manne  besetzt  wurde, 
und  in  Ernst  Friedländer  fand  sich  der  rechte  Mann,  der  sofort 
mit  der  Emder  Gesellschaft  ein  enges  Bündnis  schloß.  Schon  im 
zweiten  Hefte  des  ersten  Bandes  bringt  das  Jahrbuch  an  erster  Stelle 
einen  wertvollen  Beitrag  Friedländers  über  Oelfriesiiche  Hausmarhem. 
Aus  dem  überaus  reichen  Inhalte  der  bis  heute  vorliegenden 
15  Bände  des  Emder  Jahrbuchs  kann  ich  hier  nur  die  wichtigsten 
größeren  Aufsätze  herausheben.     Über  die  Römerzeit,   Chauken  u.  ä. 


—     1J7     — 

handeln  Bartels  (II  2,  iflf.  III  2,  iff.)  und  Bunte  (XIII,  iff.  i84(r. 

XIV,  1048*.).  Ausgaben  mittelalterlicher  Texte  finden  sich  11  2, 
I9ff.  (Friedländer,  €HUerver0eiclmis  des  Klosters  Langen)^)  und 
VII  I,  iQflf.    (Liebe,  Mn  BrüdUeregiskr  des  Amts  Emäen  aus  dem 

XV.  Jahrhundert).    Den    Güterbesitz    der    Klöster   Werden,    Fulda, 
Corvey  usw.  in  Friesland  untersucht  Bunte  X  i,  11  ff.  29ff.  XI,  83  ff. 
Xn,  138 ff.  —  Chronikalische  Texte:  II 2, 47S.    {Das  Leben  des  Arnold 
Oreveld,   IViars   eu  Marienkamp   hei  Esens  [Sauer]);    IV  2,   75ff. 
(Oerardi  OldAorgs,  Pastoris  eu  Bunde  im  Reiderland,  Kleine  ostfries. 
Chranicke  I558ff.    [Deiter]);    XII,    iff.      (Pannenborg,    Mhard 
Loringa    und    seine    Genealogien).     Dazu    kommen    viele    einzelne 
Urkundenabdrucke;  wohl  die  wichtigsten  sind  die  von  Klinken  borg 
mitgeteilten   Ostfriesischen   Urkunden   aus  dem    Vatikanischen  Archiv 
(XIV,   147  ff.)  f  die  ganz  neue  Aufschlüsse  über  den  Ursprung  des 
ostfriesischen   Grafenhauses    ergeben.     Studien   Ober   das    Verhältnis 
Frieslands  bu  Kaiser  und  Beich,  insbesondere  über   die  friesischen 
Grafen  im  MUtekdter  liefert  Prinz  (V  2,  iff.).    Herquets  Polemik 
gegen  v.  Bippen    über  die   Echtheit  des  kaiserlichen  Lehnbriefs  für 
Ostfriesland  von  1454  findet  sich  V  i,  iff.,  vg^l.  VI  2,  149 ff.    Reich 
sind   die   späteren    Geschichtschreiber    seit   Bening^   bedacht.     Vor 
allem   hat   hier  D.  Petrus  Bartels   einen    Zyklus    von    feinsinnigen 
Charakteristiken  der  einzelnen  Autoren  und  ihrer  Zeit  gegeben,  vgl. 
seinen  Aufsatz  über  Eggerik  Beninga  I  3 ,  iff.,  Emmius  VI  i ,   iff., 
die  apohrgphe  Geschichtsekreibung  eur  Zeit  des  Emmius  m  i ,   iff., 
E.  Friedr.  v.  Wicht  II  2,  159 ff.,  Brenneisen  DC  2,  iff.,  Tiaden  und 
J.  C.  Freese  VII  i,  131  ff.,  Wiarda  V  i,  98ff.    An  die  Arbeit  über 
Emmius  schließen  sich  mehrere  Untersuchungen  über  die  Entstehung 
des  DoOarts  an  (vgl.  I  i,  iff.  II  i,  iff.  IV  i,  iff.),  die  von  größter 
Bedeutung  sind.    Für  die  älteste  DoUarfkarte  hält  Bartels  I   i ,    13 
Anm.   2   die  verlorene  Karte  des  Emder  Rathauses;   von   den  drei 
Karten  von  Ostfriedand,  die  älter  smd  als  die  der  Folioausgabe  des 
Emmius    (1616)   beigegebene,    hat    Sello   die    des   David    Fabricius 
auf  dem    Oldenburger  Archiv  •)  wiedergefunden ,  die  beiden  anderen 
von   1568  und  1579  hat  Babucke  hinter  seinem   Chutphaetus  (s.  u.) 
abdrucken  lassen.    Vgl.  zu  den  älteren  Karten  noch  Jahrbuch  Xm, 


i)  Notae  LangenseB,  lateinische  historitdie  Notiseo  des  16.  Jahrfaniiderts,  tut  aot 
der  gleichen  Handschrift  C.  L.  Grotefend  in  der  Zeitschrift  des  historischtn  Vareias 
für  Niedersachsen,  Jahrgang  1863,  262  ff.  reröffentlicht. 

2)  Vgl  G.  Sello,  Des  David  Fabricius  Karte  von  Ostfriesland  (Norden  and 
Nordemex  1896). 


—     128     — 

153  (Berthold),  X  2,  28f.  und  XV,  551  f.  Fußnote.  —  Eine  auf- 
schlußreiche Sammelhandschrift  aus  dem  Besitze  'Egg,  Beningas,  die 
später  sog.  Penborgschen  Kollektaneen ,  habe  ich  XIV,  177  ff.  (Ein 
Hattsbuch  Eggerik  Beningcis)  näher  beschrieben,  sie  enthalten  auch 
die  XV,  104  ff.  abgedruckten  Akten  zweier  Hexenprozesse,  bei  denen 
Beninga  der  Vorsitzende  Richter  war.  Die  schwierige  Frage  nach  deü 
iiueUen  des  ühbo  Emmius  ninmit  die  scharfsinnige  und  fleißige  Disser- 
tation von  H.  Reimers  energisch  in  Angriff  (XV,  iff.  333 ff. ,  der 
Schluß  steht  noch  aus).  Mit  David  Fäbridus  und  seinem  Sohne 
Johann,  den  Entdeckern  der  Sonnenflecke,  beschäftigt  sich  Bunte 
VI  2,  91  ff.  VII  I,  93  ff.  2,  18 ff.  VIII  I,  iff.  IX  1,59;  vgl.  dazu  das 
oben  zitierte  Büchelchen  Sellos.  —  In  die  Zeit  der  niederländischen 
Freiheitskämpfe  fuhrt  uns  Franz,  Ostfriesland  und  die  Niederlande 
0ur  ZeU  der  Begentschafi  Albas  1567—1573  (XI,  iff.  203 ff.  463 ff.), 
in  die  des  30jährigen  Krieges  Pannenborg  (II  2,  93 ff.)  und 
Bartels,  Aus  der  Mansfelder  Zeit  (I  2,  33ff.;  III  2,  65ff.).  — 
Nur  wenige  größere  Arbeiten  beschäftigen  sich  mit  der  preußischen 
Zeit:  XI,  I37ff.  Wagner,  Zur  Geschichte  der  Besitenahme  Ost- 
frieslands  durch  Preußen;  VIII  2,  iff.  Fabricius'  sehr  ausführliche 
Geschichte  der  v.  Derschauschen  BibUoihek,  die  eigentlich  die  erste 
öffentliche  Bibliothek  Ostfrieslands  werden  sollte. 

Mehr  der  Kulturgeschichte  neigen  sich  folgende  Arbeiten  zu: 
Ostfriesische  VoUcs-  und  Bitiertrachten  um  1500,  eine  reich  ausgestattete 
Wiedergabe  der  farbigen  Kostümtafeln  aus  dem  Manningabuche  auf 
Schloß  Lützburg,  mit  einem  Vorwort  von  Rud.  Virchow  und 
U.  Jahn,  und  einer  Einleitung  von  Graf  Edzard  zu  Inn-  und 
Knyphausen  (X  2);  besonders  aufmerksam  gemacht  sei  auch  auf 
den  reichhaltigen  Kommentar  des  Anhangs.  —  Von  dem  Wanderleben 
eines  ostfriesischen  Edelmanns  aus  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts hören  wir  III  i,  89ff.  XIII,  92ff.  bei  Pannenborg, 
ÜJridi  V.  Werdum  und  sein  Beisejourncd.  Ost&iesische  Studenten 
weist  Sun  der  mann  aus  den  Universiiätsmatrikdn  von  Bologna,  Köln, 
Erfurt,  Rostock  und  Heidelberg  nach  XI,  106 ff.;  XII,  48 ff.  XIV, 
39ff.  —  Klumker,  Der  friesische  Tuchhandel  tur  Z6t  Karls  des 
Qroßen  und  sein  Verhattnis  gwr  Weberei  jener  Zeit  XIII,  29ff.  ist  eine 
bedeutende  Arbeit^). 

Über  Emdens  Namen  und  älteste  Geschichte  vgl.  die  urkund- 
lichen Zusammenstellungen  bei  Prinz,  X  i,  61  ff.,  über  das  Stadt- 
waippen  von  Emden   Sello  XTV,  236ff.    Eine  größere  Zahl  damals 

I)  Vgl.  darttber  oben  S.  85. 


—     129     — 

(1875)  nieist  noch  nicht  gedruckter  Emder  Urkunden  teilt  Pannen- 
borg aus  dem  sog.  TabUnum  Emdense  des  Emder  Stadt -Syndikus 
Oldenhove  mit.  Zur  Baugeschickte  der  Großen  Kirche  vgl.  Vietor 
I  3,  I2iff.,  Höpken  XI,  I72ff.;  über  Emdens  Handel  und  SchifT- 
fiahrt  Schweckendieck  I  3,  33ff.  VI  i,  SsflF.  VII  i,  iff.  — 
Endlich  sei  auch  noch  auf  die  von  Ritter  redigierten  Mitteilungein 
aus  den  Dietis^dversaminZuit^en  hingewiesen,  die  sich  XIII,  260  ff.  und 
XIV,  368  ff.  finden  und  hoffentlich  fortgeführt  werden. 

Außer  dem  Jahrbuche  hat  die  Emder  Gesellschaft  in  den  letzten 
Jahrzehnten  noch  folgende  Werke  zum  Drucke  befördert:  a)  ein  Ver- 
ßeichnis  der  AUertiimer  der  Oesdlschaft  (Emden  1877)  ^^^  einen 
Katalog  ihrer  Bibliothek  (Emden  1877);  b)  Die  heidnischen  Altertümer 
Ostfrieslands,  im  Auftrage  der  Ges.  .  .  .  herausg.  von  Dr.  Tergast 
(mit  acht  Tafeln,  Emden  1879)  und  c)  Tergast,  Die  Münzen  Ost- 
frieslands,  1.  Teü  bis  1466  (Emden  1883).  Die  Arbeiten  Tergasts 
sind  aus  der  Ordnungsarbeit  an  den  Sammlungen  der  Gesellschaft 
hervorgegangen,  sein  Werk  über  die  Münzen,  dessen  Fortsetzung  leider 
noch  immer  aussteht,  behandelt  gleichzeitig  sehr  eingehend  das  Münz- 
und  Geldwesen  in  den  friesischen  Gesetzen  und  die  genealogischen 
Verhältnisse  der  Häuptlingsfamilien. 

Neben  dem  streng  wissenschaftlich  geleiteten  Emder  Jahrbuche 
lief  von  1873 — 1884  eine  populäre  Zeitschrift  mit  verwandten  Interessen 
her,  das  von  Zwitzers  herausgegebene  Ostfriesische  Monatsblatt  für 
provinjrieUe  Interessen  (Emden,  Haynel  1873 ff.).  In  ihm  lebten  die 
alten  gemeinnützigen  Zeitschriften  aus  den  ersten  Jahrzehnten  des 
XIX.  Jahrhunderts  wieder  auf,  aber  das  Monatsblatt  räumte  der  historischen 
Forschung  ein  ungleich  größeres  Gebiet  ein,  und  die  angesehensten 
Forscher  und  Mitarbeiter  am  Jahrbuche  verschmähten  es  nicht,  auch 
dem  Monatsblatte  regelmäßig  Beiträge  zu  liefern.  Jedenfalls  darf 
der  ostfriesische  Lokalforscher  das  Monatsblatt  niemals  übersehen, 
es  vertritt  in  den  Jahren  seines  Erscheinens  gewissermaßen  die  Rubrik 
der  „Kleineren  Mitteilungen*'  des  Jahrbuchs.  Endlich  hat  auch  die 
Literarische  Beilage  des  von  Friedr.  Sundermann  redigierten  Ost- 
friesischen  Schulblatts  in  letzter  Zeit  manchen  hübschen  kleinen  hi- 
storischen Aufsatz  zur  ostfriesischen  Geschichte  und  Ortsnamenkunde 
gebracht. 

Als  Friedländer  im  Jahre  1872  seine  Stellung  am  Auricher  Archiv 
antrat,  war  seine  Hauptaufgabe  die  völlige  Neuordnung  des  Archivs. 
Die  Überführung  der  sämtlichen  auf  Ostfriesland  bezüglichen  Akten 
des  Reichskammergerichts  von  Wetzlar  nach  Aurich  brachte  viele  neue 


—     180     — 

Arbeit.  Trotzdem  ist  Friedländer  von  vornherein  dem  Gedanken  nahe- 
getreten,  die  empfindlichste  Lücke  in  der  Sammlung  des  Quellen- 
materials zur  ostfriesischen  Geschichte  auszufüllen,  und  an  die  Sammlung 
eines  Ostfriesischen  ürkundenbuches  zu  gehen.  1878/79  ist  dies  monu- 
mentale Werk,  vom  Direktorium  der  Preußischen  Staatsarchive  würdig 
ausgestattet,  bei  Haynel  in  Emden  in  zwei  starken  Bänden  erschienen  ^). 
Es  ist  seitdem  die  sichere  Basis  aller  historischen  Forschung  geworden, 
so  zahlreiche  Nachträge  auch  im  einzelnen  bereits  gesammelt  und  vor 
allem  im  Emder  Jahrbuche  publiziert  worden  sind.  Das  Urkundenbuch 
hat  die  1880  folgenden,  überaus  wertvollen  Untersuchungen  gur  frie* 
siechen  Rechtsgeschichte  des  Freiherm  K.  v.  Richthofen  (Bd.  I, 
Berlin  1880,  Bd.  II  i.  2  1882,  Bd.  III  i  1883)  zwar  nicht  erst  hervor- 
gerufen, aber  sicherlich  den  Anstoß  ztmi  endgültigen  Abschluß  der 
seit  1840  angekündigten  rechtsgeschichtlichen  Arbeiten  des  Heraus- 
gebers der  JJtfriesischen  BechtsgueOen  gegeben.  Anstatt  der 
sehnlichst  erwarteten  friesischen  Rechtsgeschichte  hat  v.  Richthofen 
uns  zwar  nur  einzelne  Bausteine  dazu  geschenkt,  aber  seine  Unter- 
suchungen greifen  gerade  die  Kernpunkte  der  friesischen  Rechts- 
entwicklung, die  Fragen  des  Upstallsboms  und  der  friesischen  Freiheit, 
der  sieben  Seelande  und  der  kirchlichen  EinteUung  Frieslands,  heraus 
und  schaffen  hier  überall  ganz  neue  Werte.  Zugleich  aber  ist 
V.  Richthofens  auf  breitester  Grundlage  des  authentischen  Quellen- 
materials aufgebautes  Werk  eine  unerschöpfliche  Fundgrube  für  den 
ostfriesischen  Historiker,  besonders  im  zweiten  Bande,  wo  allmählich 
das  speziell  Rechtshistorische  ganz  hinter  dem  Topographischen  und 
rein  Geschichtlichen  (Einführung  des  Christentums  in  Friesland 
usw.)  zurücktritt,  v.  Richthofens  Untersuchungen  haben  im  Lager 
der  Rechtshistoriker  eine  lebhafte  Literatur  hervorgerufen,  die  einzelne 
seiner  Thesen  scharf  bekämpft  (vgl.  besonders  Ph.  Heck,  Die  oB- 
friesische  Gerichtsverfassung,  Weimar  1894),  ohne  doch  überall  zu  über- 
zeugen. Näher  auf  diese  Schriften  einzugehen,  verbietet  hier  der  Raum. 
An  bemerkenswerten  Einzelpublikationen  aus  den  letzten  drei 
Jahrzehnten,  seit  dem  Erscheinen  des  Emder  Jahrbuches,  habe  ich 
hier  noch  folgende  Bücher  zu  nennen:  Des  Auricher  Staatsarchivars 
K.  Herquet  Geschichte  des  Landesarchivs  vtm  Ostfriesland  (Norden 
1879)  behandelt  die  ältere  Geschichte  des  Auricher  Archivs  bis  zum 
Ende  der  Fürstenzeit;  seine  MisceUen  mr  Geschithte  Ostfrieslands 
(Norden  1883)  versuchen  mit  Glück,  aus  dem  reichen  Auricher  Material 


i)  Vgl.  <br(lber  diese  ZeiUchria  7.  Bd.,  S.  68. 


—     131     — 

kleine  kulturgeschichtliche  Bilder  zu  entwerfen,  doch  gelingt  ihm  die 
Belebung  des  spröden  Stoffes  nicht  immer.  Die  Insel  Borhtm  (Emden 
1886)  endlich  zeigt  Herquet  auf  seinem  Hauptgebiete,  dem  auch  die 
im  Emder  Jb.  DC  i  (1890),  i— S9>  erschienene  Geschichte  der  Insel 
Nordemey  angehört.  —  Ebenfalls  in  den  achtziger  Jahren  entstanden 
ist  Houtrouws  umfangreiches  Buch  Osifriesland.  Eine  geschichtlich- 
ortskundige  Wanderung  gegen  Ende  der  Färstenaeit.  Es  ist  ursprünglich 
abschnittweise  in  den  letzten  drei  Jahrgängen  des  Ostfriesischen  Monats- 
Itattes  (1880  ff.)  zum  Abdruck  gekommen,  aber  erst  1889 — 91  mit  Unter- 
stützung der  ostfriesischen  Landschaft  als  Buch  in  zwei  starken  Bänden 
erschienen.  Houtrouws  fleifiige  Arbeit  beruht  in  ihrem  Grundstocke 
auf  Harkenroh  ts  bekannten  Oostvriesse  Oarsprongkelijkheden  (2.  Aus- 
gabe, Groningen  1731),  die  durch  ihre  2Mt  auch  die  etwas  sonderbare 
Lokalisierung  des  Houtrouwschen  Buches  auf  die  Zeit  um  1730  ver- 
anlaßt haben  werden;  aber  Houtrouw  hat  auch  die  gesamte  neuere 
topographische  Literatur  bis  zu  Friedländers  Urkundenbuch  gewissen- 
haft, wenn  auch  leider  oft  recht  unkritisch,  ausgezogen.  Eine  recht 
gute  Schilderung  des  gegenwärtigen  Ostfrieslands  ist  J.  Fr.  de  Vries 
und  Th.  Pocken,  Ostfriesland.  Land  und  Volk  in  Wort  und  Bild 
(Emden  1889);  vgl.  dazu  die  Statistische  Übersicht  Ostfrieslands.  Nach 
anUlichen  Quellen  (»=  Beilage  des  Amtsblatts  ftir  Ostfriesland.  Aurich 
1871),  worin  besonders  das  Verzeichnis  der  Ortsnamen  hervorzuheben 
ist.  Dazu  kommen  ferner  ein  paar  wertvolle  Dissertationen  zur  ost- 
friesischen Geschichte:  Ocko  Leding,  Die  Friesen  und  die  friesische 
Freiheit  (Emden  1878),  eine  von  v.  Richthofens  Untersuchungen  bald 
überholte  Arbeit.  H.  Nirrnheim,  Hamburg  und  Ostfriesland  in  der 
ersten  HSlfle  des  XV.  Jahrhunderts  (Hamburg  1 890),  und  M.  Klinken- 
borg,  Geschichte  der  tom  Brooks  (Norden  1 89s).  Endlich  H.  Sunder- 
mann,  Friesische  und  niederdeutsche  Bestandteile  in  den  Ortsnamen  Ost- 
frieslands I  (Emden  1902),  eine  Arbeit  die  in  erster  Linie  dem  Sprach- 
forscher zugute  kommt,  aber  im  letzten  Grunde  die  älteste  Siedlungs- 
geschichte Ostfrieslands  aufhellen  möchte.  —  Besondere  Berücksichtigung 
hat  die  Geschichte  der  Stadt  Emden  gefunden.  Eine  Erinnerung  an  den 
alten  Glanz  der  stolzen  Seestadt  bietet  H.  Babucke,  Wüh.  GnaphaeuSy 
ein  Lehrer  aus  dem  Beformationssfeitatter  (Emden  187s);  Babucke 
druckt  hier  den  hochberühmten  „Lobspruch  der  Stadt  Emden"  des 
Gnaphaeus  wieder  ab,  fügt  eine  hochdeutsche  Übersetzung  hinzu  und 
leitet  das  Ganze  mit  einer  Lebensbeschreibung  des  Autors  ein.  Der 
mächtige  Aufschwung,  den  Emden  seit  dem  Anfange  der  90  er  Jahre 
erlebt,   hat  eine  Reihe  modemer  Werke  über  die  Stadt  und  ihre  Be- 


—     132     — 

deutung  hervorgerufen,  die  sämtlich  einen  historischen  Abschnitt  bei- 
fügen. So  vor  allem  Fürbringer,  Die  Stadt  Emden  in  Gegenwart 
und  Vergangenheit  (Emden  1893),  eine  ausgezeichnete  wirtschafts- 
politische und  topographische  Beschreibung  der  Stadt,  nebst  einem 
Abriß  ihrer  Geschichte  bis  1464.  Inhaltreich  ist  auch  die  sehr  splendide 
ausgestattete  offizielle  Festschrift  zur  Eröffnung  des  neuen  Emder  See- 
hafens  (Berlin  1901)  von  C  Schweckendieck,  dem  geistigen  Vater 
des  Emder  Hafens.  Palmgren,  Emden.  Deutschlands  neues  Seetor 
im  Westen,  seine  SeebedetUung  einst  und  jetjgt  (Emden  und  Borkum 
1901)  ist  historisch  bedeutungslos.  Die  antike  Rüstkammer  auf  dem 
Emder  Rathaus,  eine  der  sehenswertesten  Sammlungen  dieser  Art,  ist 
in  den  Jahren  1902/1903  von  einem  Fachmanne  vollständig  neu- 
geordnet worden ;  die  Frucht  dieser  Arbeit  ist  das  Inventar  der  ROst- 
hammer  der  Stadt  Emden,  aufjg^enommen  und  bearbeitet  von  Dr.  Othmar 
Baron  Potier  (Emden  1903).  Über  die  ältere  Geschichte  der  Samm- 
lung vgl.  AI.  Rolffs,  Die  antike  Rüstkammer  des  Emder  Rathauses 
(Emden  1861)  und  Schnedermann,  Die  Geschichte  der  Emder 
Rüstkammer  im  Emder  Jahrbuche,  Band  VI,  S.  80  fT. 

Den  letzten  starken  Impuls  hat  die  territorialgeschichtliche  For- 
schung in  Ostfnesland  seit  dem  Beginne  des  neuen  Jahrhunderts  durch 
den  rührigen  neuen  Leiter  des  Auricher  Staatsarchivs,  Archivrat  Franz 
Wächter,  erhalten.  Er  hat  es  nicht  nur  verstanden,  den  Umfang 
des  ihm  unterstellten  Archivs  durch  unermüdliche  Nachforschungen 
nach  alten  Archivalien,  die  noch  hier  und  dort  auf  den  Böden  der 
einzelnen  Gerichte  und  Amtshäuser  vergessen  ruhten,  zu  vergrößern; 
seit  kurzem  wird  auch  das  gesamte  Archiv  der  Ostfriesischen  Land- 
stände als  Depositum  im  Gebäude  des  Kgl.  Staatsarchivs  aufbewahrt 
Wächter  tritt  auch  in  anderer  Beziehung  in  die  Spuren  seines  ersten 
Vorgängers  Friedländer:  ohne  die  wertvolle  Bundesgenossenschaft  mit 
dem  Emder  Jahrbuche  aufzugeben,  ist  er  bemüht,  die  Tätigkeit  der 
Emder  Gesellschaft  nach  zwei  Seiten  zu  ergänzen:  einmal  durch 
größere  Quellenpublikationen  nach  dem  Vorbilde  von  Friedländers 
Urkundenbuch ,  andrerseits  durch  eine  sehr  beifallig  aufgenommene 
Serie  kleiner  populärer  Hefte  geschichtlichen  Inhalts.  Diese  Abhand- 
lungen und  Vorträge  eur  Geschichte  Ostfrieslands  (Aurich  19048*.) 
sollen  durch  in  sich  abgerundete,  kleinere  Arbeiten,  die  in  der  Form 
allgemein  verständlich  gehalten,  aber  auf  streng  wissenschaftlicher 
Grundlage  aufjgebaut  sind,  den  Sinn  für  die  Geschichte  der  engeren 
Heimat  neu  beleben  und  die  Ergebnisse  der  neuesten  Forschungen 
auch  weiteren  Kreisen  zugänglich  machen.     Die  bisher  erschienenen 


—     133     — 

sechs  Hefte  bringen  nur  Ungedrucktes,  mit  Ausnahme  des  vierten  Heftes 
(Bartels,  Die  äUeren  osifriesischen  Chroniskn  und  Geschichtschreiber 
und  ihre  ZeU  I),  einer  Überarbeitung  der  älteren  Aufsätze  Bartels'  über 
Eggerik  Beninga  und  Ubbo  Emmius  aus  dem  Emder  Jahrbuche.  Gleich 
zwei  Hefte  beschäftigen  sich  mit  der  charakteristischen  Erscheinung^ 
die  sich  durch  die  gesamte  neuere  Geschichte  Ostfrieslands  hindurch- 
zieht und  auch  die  Auffassung  der  ostfriesischen  Geschichtschreiber 
seit  dem  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  bestimmt,  dem  tiefen  Gegensatze 
zwischen  den  ostfriesischen  Ständen  und  dem  regierenden  Hause 
Cirksena.  F.  Wächter,  OstfriesUmd  unter  dem  Einflüsse  der  Nach- 
barländer (Heft  2)  sucht  diesen  Gegensatz  auf  die  Mittelstellung  zurück- 
zuführen, die  Ostfriesland  seit  dem  Aufkommen  der  Cirksena  zwischen 
dem  deutschen  Reich  und  den  Niederlanden  einnahm;  Wächter  ver- 
folgt die  Wirkungen  dieser  Mittelstellung  nacheinander  in  der  politischen 
Geschichte,  in  der  Kirchengeschichte  und  in  den  Darstellungen  der 
älteren  Geschichtschreiber.  Das  unbestreitbare  Verdienst  des  Grafen- 
hauses um  die  Erhaltung  Ostfrieslands  bei  dem  deutschen  Reiche 
untersucht  noch  näher  H.  Reimers,  Die  Bedeutimg  des  Hauses 
Cirksena  für  Ostfriesland  (Heft  3).  Die  Existenz  der  Reichsgrafschaft 
Ostfriesland  und  ihres  rechtmäßig  vom  Kaiser  belehnten  Grafenhauses 
ist  an  sich  schon  ein  festes  Bollwerk  gegen  die  seit  dem  XV.  Jahr- 
hundert öfter  hervorgetretenen  Bestrebungen  gewesen,  Ostfriesland 
an  die  westlichen  Teile  des  alten  Friesenlandes  anzugliedern  und  so  dem 
Reiche  zu  entfremden.  Reimers  hebt  aber  auch  die  Verdienste  der 
Cirksena  um  die  Befriedung  des  durch  die  Häuptlingsfehden  des 
XIV.  und  XV.  Jahrhimderts  zerrütteten  Landes  und  um  die  Erhaltung 
friesischer  Art  und  Eigentümlichkeit  in  den  späteren  Jahrhunderten 
gebührend  hervor.  Dabei  ist  die  treffliche  kleine  Schrift  nirgends 
«ine  bloße  Verherrlichung  des  Fürstenhauses,  wie  sie  etwa  die  Auricher 
Hofhistoriographen  aus  dem  Anfange  des  XVIII.  Jahrhunderts  geliefert 
haben  würden,  sondern  der  gewaltige  Abstand  zwischen  den  kraft- 
vollen Begründern  der  Dynastie  und  ihren  entarteten  letzten  Gliedern 
wird  ausdrücklich  betont,  und  die  unheilvolle  Übermacht  der  ost- 
Iriesischen  Landstände  als  eine  notwendige  Folge  der  geschichtlichen 
Entwicklung  erwiesen,  der  das  Fürstenhaus  ohnmächtig  gegenüberstand. 
Eine  reizvolle  Einzelschilderung  aus  der  Zeit,  die  dem  Ausbrechen 
des  Streites  zwischen  Ständen  und  Fürstenhaus  unmittelbar  vorher- 
geht, bringt  Heft  i  (P.  Wagner,  Ostfriesland  und  der  Hof  der  Qräfln 
Anna  in  der  Mitte  des  16.  Jährhunderts).  Auf  Grund  eines  uns  er- 
haltenen Rechnungsbuches  der  Gräfin  Anna  aus  den  Jahren  1542  bis 


—     134     — 

1552«  dessen  unverkürzte  Herau^abe  dringend  zu  wünschen  wäre, 
erhalten  wir  einen  Einblick  in  die  einfachen,  patriarchalischen  Ver- 
hältnisse dieses  in  Emden  residierenden  Hofes,  der  sich  aufis  schärfiite 
von  der  prunkvolleren  Hofhaltung  der  späteren  Grafen  und  Fürsten 
abhebt,  seitdem  Edzard  II.,  der  Sohn  eben  dieser  Anna,  der  Gemahl 
einer  schwedischen  Königstochter  geworden  war  und  seinen  Hof  nach 
Aurich  verlegt  hatte.  Heft  S  (C.  Borchling,  Die  äUeren  Reckis- 
guälen  Ostfrieslands)  gibt  eine  ausführliche  Beschreibung  der  wert- 
vollen älteren  Rechtsliteratur  Ostfrieslands,  von  der  Lex  FrisUmum 
an  bis  zu  dem  niederdeutschen  ostfriesischen  Landrechte  Graf  Edzards  I. 
von  1515.  Ausblicke  in  die  eigentliche  Rechtsgeschichte  sind  dabei 
nur  dann  gegeben,  wenn  sie  fiir  die  Geschichte  und  Entstehung  der 
einzelnen  Rechtsquellen  nicht  umgangen  werden  konnten,  so  besonders 
bei  der  Besprechung  der  Versammlungen  am  Upstallsbom;  hier  sind 
v.  Richthofens  und  seiner  Nachfolger  Arbeiten  ausgenutzt  worden. 
Einen  bisher  in  völliges  Dunkel  gehüllten  Abschnitt  der  ostfriesischen 
Kirchengeschichte  sucht  endlich  das  soeben  erschienene  Heft  6 
(H.  Reimers,  Die  Sähidarisaiian  der  Klöster  in  Ostfriesland)  auf- 
zuhellen. FreUich  gelingt  es  auch  R.  noch  nicht,  bei  der  allzugroflen 
Lückenhaftigkeit  und  Dürftigkeit  der  urkundlichen  Quellen  ein  ab- 
gerundetes Bild  der  Vorgänge  zu  entwerfen;  aber  wir  erkennen  doch 
soviel  aus  seinen  vorsichtigen,  ansprechenden  Darlegungen,  daß  von 
einer  raschen,  gewaltsamen  Ausrottung  der  Klöster  in  Ostfriesland 
xücht  mehr  die  Rede  sein  kaxm. 

Neben  dieser  populären  Serie  hat  nun  Wächter  endlich  auch 
die  Herausgabe  einer  zusammenhängenden  Reihe  größerer  Quellen- 
publikationen zur  ostfiriesischen  Geschichte  ins  Auge  gefaßt,  wofür  ihm 
der  Herr  Generaldirektor  der  Kgl.  Preußischen  Staatsarchive  eine  sehr 
wesentliche  Unterstützung  zugesagt  hat  Als  wichtigste  Publikation 
dieser  Reihe  neime  ich  die  bisher  schmerzUchst  vermißte  Sammlung 
der  MittelaUerUciien  OesdiicUsguetten  Oatfriedands.  Bereits  gegen  Ende 
der  70  er  Jahre  war  das  Auricher  Staatsarchiv  dem  Plane  einer  solchen 
Ausgabe  nähergetreten,  wie  wir  u.  a.  aus  Herquets  Bemerkungen, 
Oeschidiie  des  LamdesarMvs  van  Ostfrieeland,  S.  45  erfahren,  aber  an  der 
Rivalität  zwischen  dem  damaligen  Archivar  Dr.  Sauer  nitd  dem^  Aussicht 
genommenen  Herausgeber  Dr.  Pannenborg  ist  damals  die  Sache  ge- 
scheitert. Pannenborg  hat  sich  seitdem  von  der  ostfriesischen  der  all- 
gemeinen deutschen  Geschichte  zugewandt,  an  seine  Stelle  ist  jetzt 
H.  Reimers  getreten,  der  zur  Zeit  das  vatikanische  Archiv  nach 
ostfriesischen    Stücken    durchforscht     Die     mittelalterlichen    Rechts- 


—     135     — 

quellen  Ostirieslands  in  lateinischer  und  altfiriesischer  Sprache 
liegen  in  der  mustergültigen  Ausgabe  v.  Richthofens  vor,  die  etwas 
jüngeren  niederdeutschen  Quellen  dagegen  sind  bei  v.  Richthofen  nur 
ganz  nebenbei  berührt  Eine  vollständige  Ausgabe  dieser  Nieäer- 
deutschen  Recktsqueüen,  die  der  Verfasser  dieses  Aufsatzes  vorbereitet, 
soll  die  neue  Wachtersche  Serie  eröfinen.  Ein  erster  Band,  dessen 
Druck  bereits  begonnen  hat,  enthält  die  niederdeutschen  Handschriften 
des  XV.  Jahrhunderts,  die  nur  zum  Teile  noch  einfache  Übersetzungen 
altfriesischer  Vorlagen  sind.  Band  2  wird  die  kritische  Ausgabe  des 
in  schier  unzähligen  Handschriften  auf  uns  gekommenen  jüngeren 
Osifriesiachen  LandrecUs  des  Grafen  Edzard  I.  von  1515  bringen.  Die 
niederdeutschen  Rechtsquellen  Ostirieslands  sind  nicht  bloß  ftir  die 
jüngere  Form  des  ostfriesischen  Rechtes  von  großer  Bedeutung,  sondern 
zugleich  neben  den  Urkunden  die  frühesten  Denkmäler  der  niederdeutschen 
Sprache  in  Ostfriesland.  Endlich  ist  ein  weiterer  Band  für  ÄUen  und 
Urkunden  des  ReformaticnseeilaUers  bestimmt  (Herausgeber:  Dr. 
Wächter),  und  schließlich  wird  hoffentlich  auch  die  so  überaus  not- 
wendige Neuherausgabe  von  Eggerik  Beningas  Chranyk  van  Oostfriedand 
folgen,  zu  der  sich  ein  Historiker  und  ein  Philologe  vereinigen  müßten. 
Erst  wenn  so  das  urkundliche  und  chronikalische  Quellenmaterial  zur 
älteren  Geschichte  Ostfneslands  in  sauberen  Ausgaben  vollständig  vor- 
liegen wird,  wird  die  nächste  Generation  daran  denken  können,  den 
Bau  einer  neuen,  größeren  „Geschichte  Ostfrieslands"  in  Angriff  zu 
nehmen. 


Mitteilungen 

Archiye«  —  Die  Invcntarisation  der  nicht  unter  fachmännischer 
Leitung  stehenden  Archive  schreitet  erfreulicherweise  rüstig  fort, 
und  zwar  regt  es  sich  jetzt  auch  in  den  Landschaften,  die  früher  kaum  in  dieser 
Richtung  tätig  waren.  Über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Inventarisations- 
arbeiten  in  den  verschiedenen  Ländem  und  Provinzen  zu  berichten »  ist  an 
dieser  SteUe  nicht  nötig,  da  der  vom  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  gelegent- 
lich der  jüngsten  Jahresversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen 
Geschichts-  und  Altertumsvereine  erstattete  Bericht  *)  demnächst  im  Karrt' 
spendenMaU  vollständig  im  Druck  erscheinen  wird.  Ein  Eingehen  auf  ein- 
zdne  Veröffentlichungen  ist  deshalb  ytdoA  nicht  überflüssig »  weil  nicht  oft 
und  nachdrücklich  genug  betont  werden  kamii  in  welchem  Maße  die  Be- 
arbeitung von  Archivinventaren  für  den  Druck  die  Kenntnis  der  einheimischen 
Gescfaichtsquellen  fördert. 


1)  VfU  oben  S.  53—54. 


—     136     — 

In  der  Rheinprovinz,  wo  sich  die  Gesellschaft  für  rheinische  Geschichts^ 
ktmde  und  der  Historische  Verein  für  den  Niederrhein  schon  seit  länger  als 
einem  Jahrzehnt  in  die  Arbeit  teilen,  ist  die  Bereisung  der  kleinen  Archive  nach 
Kreisen  regelmäßig  fortgeschritten.  Von  der  Übersicht  Über  den  Inhalt  der 
Ideineren  Archive  der  BheinprovinM  ist  1904  (Bonn,  Behrendt)  ein  zweiter  Band 
erschienen,  der  über  525  Archive  in  sieben  Kreisen  berichtet,  so  daß  damals 
im  ganzen  28  Kreise  mit  rund  1300  Archiven  erledigt  waren.  Schon  1905 
ist  aber  auch  ein  erstes  Heft  des  dritten  Bandes  erschienen,  das  sich  nur 
mit  dem  an  archivalischen  Schätzen  sehr  reichen  Kreise  Schieiden  beschäftigt. 
Bereist  sind  auch  bereits  die  Kreise  Kochem  imd  Prüm,  und  die  Veröffent- 
lichung der  Ergebnisse  steht  bevor.  Die  beiden  ersten  Hefte  des  zweiten 
Bandes  hatte  wie  den  ersten  Band  Armin  Tille,  das  dritte  (Schluö-)Heft 
dagegen,  von  Kreis  Düren  (S.  215)  an,  hat  Johannes  Krudewig  be- 
arbeitet, der  auch  die  Arbeit  weiterfuhrt.  Die  Art  und  Weise  der  Ver- 
zeichnung ist  dieselbe  geblieben,  imd  das  jedem  Bande  beigegebene  Register 
erleichtert  die  Benutzimg,  zumal  da  nicht  nur  Orts-  und  Personennamen, 
sondern  auch  Sachbet reffe  aufgenommen  sind.  Aus  dem  Register  zum 
zweiten  Bande  seien  z.  B.  folgende  Stichworte  herausgegriffen,  zu  denen  sich 
ein  oder  mehrere  Hinweise  finden :  Bauemunruhen,  beschütte  Bruderschaften, 
Buchdrucker,  bursa  mercatorum,  Kirchherr  (=  Pfarrer),  Kriegskontribution, 
Dorf  befestigung,  Forstwesen,  Gebräuche  und  Sitten,  Glocken,  Hexenprozesse, 
Jagdgerechtsame,  Juden,  Ltistbarkeitsabgabe ,  Maße,  Münzwesen,  Normaljahr, 
Orgelbauten,  pint  (Hohlmaß),  Schützengesellschaften,  Schulwesen,  Türkensteuer, 
Uhrwerke,  Weinbau.  Erst  diese  systematische  Erschließimg  des  Inhalts 
macht  die  Archivinventare  der  Geschichtsforschung  nutzbar,  wenn  natürlich 
auch  praktisch  einer  solchen  Durchdringung  des  Stoffes  Grenzen  gezogen 
sind.  Aber  da  schon  bei  der  Abfassung  der  Regesten  auf  die  Verwertung 
ihres  Inhalts  für  allgemeine  Forschungen  Wert  gelegt  wird,  so  gestaltet  sich  das 
Register  zum  Schlüssel,  der  die  Beobachtungen  des  Bearbeiters  auch 
den  Benutzem  zugänglich  macht  Immerhin  hätte  noch  manches  andere 
Stichwort  in  des  Register  Aufiiahme  finden  können:  S.  165  Nr.  i  wird  z.  B. 
in  einer  Pachturkunde  von  1522  die  Verwendung  von  Mergel  als  Dünge- 
mittel erwähnt,  aber  das  Wort  „Mergeln"  fehlt  im  Register;  oder  S.  215 
Nr.  I*  wird  des  Status  animarum  einer  Gemeinde  von  1778  Erwähnung 
getan,  aber  weder  dieser  Ausdruck  noch  der  wichtigere  allgemeinere  „Bevölke- 
rungsstatistik'' findet  sich  im  Register;  auch  der  S.  267  Nr.  12  (1436)  be- 
legte andach  (Oktave)  ist  nicht  erwähnt,  obwohl  anscheinend  hier  einer  der 
seltenen  Fälle  vorliegt,  wo  das  Wort  im  Sinne  von  Oktave  bzw.  als  Be- 
zeichnung des  acht  Tage  nach  einem  bestimmten  Tage  liegenden  Termins  ver- 
wendet wird :  genauste  wörtliche  Wiedergabe  der  ganzen  Datierung  wäre  hier  am 
Platze  gewesen.  Ein  Fortschritt  gegenüber  der  früheren  Praxis,  die  nur  Literatur 
zu  zitieren  pflegte,  wenn  ein  erwähntes  Stück  daselbst  abgedruckt  oder  näher 
besprochen  war,  ist  zweifellos  der  etwas  weitherzigere  Hinweis  auf  orts- 
geschichtliche Literatur,  wie  er  namentlich  im  ersten  Hefte  des  dritten  Bandes 
stattfindet 

Die  Inventare  größerer  Archive  veröffentlicht  der  Historische  Verein 
für  den  Niederrhein  in  seinen  Annalen,  Nachdem  im  59.  und  64.  Hefte 
(1894  und  1897)   die  Inventare  von  neun  niederrheinischen  Stadtarchiven 


—     137     — 

verö£feiitlicbt  worden  wiren»  wurden  die  Archire  der  Kölner  Pfarrämter 
in  Angriff  genommen,  und  im  71.  Hefte  (1901)  zunächst  deren  fünf  auf 
215  Druckseiten  behandelt  ^).  Die  Fortsetzung  dazu  liefert  Heinrich 
Schaefer  im  76.  Hefte  (Köln  1903«  263  S.),  und  zwar  zeigt  er,  was 
heute  an  ArchivaHen  in  den  PBaurarchiven  von  St.  Andreas,  St  Ursula 
und  St.  Kolumba  ruht.  Die  Urkunden  stehen  gegenüber  den  kürzer  be- 
handelten Akten  im  Vordergrunde  und  ihrem  Alter  und  ihrer  Bedeutung 
nach  gewiß  mit  Recht,  denn  neben  einer  Urkunde  von  942  findet  sich  eine 
ganze  Reihe  aus  dem  Xu.  Jahrhundert.  Wenn  diese  natürlich  auch  bisher  nicht 
imbekannt  geblieben  sind  und  viel&ch  im  Druck  vorliegen,  so  erweist  sich 
doch  eine  systematische  Nachlese,  die  das  einzelne  Archiv  berücksichtigt, 
als  recht  erspriedHch.  JedenMs  ist  es  fUr  den  Forscher  nicht  bedeutungs- 
los, wenn  er  S.  114  Nr.  2  erfährt,  daß  eine  Urkunde  des  Erzbischofe  Friedrich 
„mit  vielen  Lesefehlem*'  und  nicht  nach  dem  Original  veröffentlicht  ist  und 
daß  gleich  bei  der  nächsten  der  Herausgeber  (Ennen)  irrtümlich  nolmeruni 
statt  vciuerunt  gelesen  hat. 

Die  Bedeutung  dieses  zum  großen  Teil  unveröftentlichten  Quellenstofi& 
für  die  kölnische  Lokalgeschichte  ist  natürlich  außerordentlich  groß,  und  die 
Benutzung  der  Plarrarchive  für  umfassende  Forschungen  ist  nimmehr  erst 
möglich  geworden.  Aber  wie  sonst,  so  darf  man  auch  bei  diesen  ördichen 
Quellen  ihre  allgemeine  Bedeutung  nicht  vergessen,  und  deshalb  sollen 
hier  einige  Einzelheiten  erwähnt  werden.  Daß  eine  Menge  Orte  auch  in 
zien^h  weiter  Entfernung  von  Köln  erwähnt  und  dadurch  ein  reiches  orts- 
geschichtliches Material  namendich  für  ältere  Zeiten  erschlossen  wird,  braucht 
kaum  besonders  betont  zu  werden.  Angesichts  der  Bestrebungen  Albrechts  L, 
die  Rheinzölle  der  Territorialfürsten  zu  beseitigen,  ist  eine  Urkunde  von 
1299  (S.  10  Nr.  40)  von  Interesse,  mit  der  er  auf  Bitten  des  Kölner  Erz- 
bischofs zwei  Stifbkirchen  für  ihre  Einkünfte  Zollfreiheit  gewährt,  „weil  es 
altes  Gewohnheitsrecht'*  sei;  13 12  (S.  13  Nr.  58)  werden  kirchliche  Kreuz- 
zugssubsidien,  auf  die  Zehnten  veranlagt,  erwähnt;  in  einem  Testament  (S.  18 
Nr.  88)  wird  1328  ein  Bremariwm  (der  Eriös  wird  zu  einer  Memorienstiftung 
verwendet)  und  eine  Legenda  lambardica  erwähnt;  1362  werden  30  aoUdi 
(Attendomer  Denare)  30  grossi  Turonenses  aniiqid  in  Gold  oder  Silber 
gleichgesetzt,  S.  30  Nr.  163;  1364  (S.  32  Nr.  171)  und  1386  (S.  39 
Nr.  220)  wird  gegen  päpstliche  Zehnterhebung  protestiert;  das  Privileg  des 
Erzbischofs  für  die  Gei^chkeit  (13739  S.  34  Nr.  188)  ist  für  die  spätere 
landständische  Verfiusung  von  Wichtigkeit;  ein  „Elendenkirchhof"  wird 
S.  35  Nr.  194  (1374)  und  S.  38  Nr.  214  (1382)  erwähnt;  1378  kommt 
Strohdüngung  vor  (S.  36  Nr.  198)  und  Waid  anzubauen  wird  verboten; 
Juden  als  Hausbesitzer  werden  S.  39  Nr.  219  (1385)  genannt;  1395  gab 
es  vor  den  Mauern  Bonns  ein  Leprosenhaus  (S.  44  Nr.  248);  wichtig  ist 
eine  Bäckereiordnung  (1421,  S.  49  Nr.  277),  der  gemäß  aus  einem  Malter 
128  Herrenbrote  gebacken  werden,  deren  vier  sieben  Pfimd  und  acht  Lot 
wi^en');  143 1  erhob  der  Kölner  Erzbischof  vom  Klerus  eine  Steuer  zur 
Bekämpfung   der  hussitischen  Ketzerei   (S.    54   Nr.    305);  das  Hospital  der 

i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  3.  Bd.,  S.  217 — 220. 
2)  Datu  ist  S.  123  Nr.  42  (i486)  so  vergleicbeo. 

10 


—  138  — 

annen  Pilgrime  wird  1441  (S.  55  Nr.  319)  genannt»  bestand  aber  schon 
1343  (S.  82  Nr.  2) ;  Meister  Niclas  Nyswylre,  Doktor  im  Kaiserrecht»  macht 
1496  (S.  65  Nr.  386)  sein  Testament;  der  Buchdrucker  Hermann  Bongart 
Ton  Ketwich  wird  1496  (S.  65  Nr.  387)  erwähnt;  1563  soll  der  Taler iwei 
Lot  wiegen,  acht  gehen  auf. eine  köbische  Mark  und  sollen  14  Lot  feines 
Silber  enthalten  (S.  73  Nr.  441);  1472  wird  der  rheinische  Gulden  zu  vier 
Mark  kölnisch  berechnet  (S.  94  Nr.  62);  ein  bürgerliches  Familienbuch 
1422  ff.  ist  S.  iio  Nr.  I  verzeichnet,  ein  Bücherverzeichnis  —  7.2  gedruckte 
und  geschriebene  Werke  —  von  1483  ebenda  Nr.  2;  auch  ein  Taufbuch 
von  St.  Paul  1629 — 1638  und  ein  Tauf-  und  Proklamationsbuch  derselben 
Pfarrei  1767 — 70  finden  sich  vor  (S.  iio — in,  Nr.  6  und  9);  eine  wcrt- 
ToUe  Ergänzung  dazu  bildet  der  Katalog  der  P&rreingesessenen,  nach  Strafien 
und  Häusern  geordnet,  1766 — 67  (Nr.  8);  für  die  Geschichte  des  rheinischen 
Adels  sind  die  Aufschwörungsurkunden  der  zu  Kanonissen  des  Stifb  St.  Ursula 
präsentierten  Damen  1608 — 1790  (S.  124 — 128)  von  Wichtigkeit;  über  die 
Seelsorge  und  Residenzpflicht  der  Pfieurer  handelt  die  Urkunde  von  1426 
(S.  159  Nr.  56);  1543  wurden  zwei  katholische  Predigten  wöchentlich 
im  Dom  gestiftet  (S.  194,  Nr.  239);  Tauf-,  Trau-  und  Sterberegister  aus 
der  Pfarrei  St  Columba  fbden  sich  S.  244 — 245  verzeichnet;  wichtig  sind 
auch  die  S.  245  ff.  aufgeführten  gedruckten  Schriften,  darunter  viele 
von  Luther;  eine  ganze  Reihe  Geschäfts-  und  Haushaltungsbücher  sind 
S.  258 — 260  aufgeführt. 

Diese  kleine  Auswahl  bemerkenswerter  Einzelheiten  zeigt,  was  der 
Forscher  in  diesen  Regesten  finden  kann.  Aber  die  Ausbeute  könnte  zweifel- 
los eine  noch  viel  größere  sein,  wenn  der  Bearbeiter  in  noch  größerem  Um- 
fange den  Wortlaut  der  Urkunde  genau  innerhalb  des  Regests,  und  zwar 
durch  den  Druck  kenntlich  gemacht  —  etwa  in  Kursive  — ,  mitgeteilt  und 
überhaupt  immer  die  Erschließung  des  Inhalts  der  Urkunden  noch  mehr 
im  Auge  gehabt  hätte.  Ohne  daß  sich  die  Arbeit  vergrößert,  ist  dies  sehr 
wohl  möglich,  wie  viele  Regesten  der  Obersicht  beweisen.  Die  Mühe,  die 
es  namentlich  auswärtigen  Forschem  verursacht,  wenn  sie  den  näheren  Inhalt 
einer  einzelnen  Urkunde  eines  Kölner  P&rrarchivs  kennen  lernen  woUen,  wird 
oft  zu  dem  Ergebnis  nicht  in  richtigem  Verhältnis  stehen,  und  deshalb  unter- 
bleibt eine  Benutzung,  die  bei  ergiebigerer  Fassung  der  Regesten  mühelos 
vor  sich  gehen  könnte.  Dann  aber  wäre  auch  ein  besonderes  Register 
der  Namen  und  Sachbetreffe  willkommen;  vielleicht  entschließt  man  sich  zu 
seiner  Bearbeitung,  wenn  auch  der  dritte  den  Inventaren  Kölner  Pfiinarchive 
gewidmete  Band  vorliegt.  Der  rheinischen  und  allgemeinen  Geschichtsforschung 
würden  erst  dann  diese  Urkundenregesten  voll  zugute  kommen,  für  deren 
Veröffentlichung  dem  Historischen  Verein  für  den  Niederrhein  nicht  warm 
genug  gedankt  werden  kann. 

In  jüngster  Zeit  hat  sich  nun  den  kölnischen  Pfarrarchivinventaren  auch 
eins  aus  einer  anderen  rheinischen  Stadt  zugestellt:  in  den  Beiträgen  Mur 
Oeschichie  van  Stadt  und  Stift  Essm  28.  Heft  (Essen  1906)  haben  Heinrich 
Schaefer  und  Franz  Arens  Urkunden  und  Akten  des  Essener  Münster^ 
Archivs  (348  S.)  veröffentlicht  Freüich  wird  hier  mehr  geboten  als  selbst 
ein  ausführliches  Inventar  erwarten  läßt,  da  die  älteren  Urkunden  voUständig 
und  aus  den  späteren  die  wichtigsten  Dinge  im  Wortlaut  der  Urkunden  selbst 


—     139     — 

mitgeteilt  werden.  Fonnell  haben  wir  es  also  mehr  mit  einem  Urkuiden- 
buche  zu  tmi  als  mit  einem  Inventar,  aber  trotzdem  handelt  es  sich  nidit 
um  ein  Urkondenbuch  des  Essener  Münsters  oder  gar  des  Stifts,  ftlr  das 
selbstverständlich  viel  Material  aus  anderen  Archiven  herangezogen  werden 
müfite,  sondern  ledi^ch  um  die  Archivalien  des  jetzigen  Münsterarchivs, 
die  in  möglichst  erschöpfender  Weise  mitgeteilt  werden  ^).  Es  ist  unumwunden 
anzuerkennen,  dafi  den  praktischen  Bedür&issen  der  Geschichtsforschung  und 
zugleich  denen  der  Archivpflege  auf  diese  Weise  am  allerbesten  gedient  wird. 
Weün  später  wirklich  einmal  ein  vollständiges  Urkundenbuch  des  Stiftes 
Essen  entstehen  sollte,  das  auch  die  jüngeren  Zeiten  berücksichtigt,  so  dauert 
dies  voraussichtlich  noch  recht  lange,  und  fth*  eine  solche  umfassende  Arbeit 
kann  eine  Veröffentlichung  wie  die  vorliegende  überdies  nur  vorteilhaft  sein. 
Die  bei  der  oben  besprochenen  Bearbeitung  der  Kölner  P&rrarchivinventare 
hervorgehobenen  Mängel  sind  glücklich  vermieden ;  denn  der  Inhalt  der  Ur- 
kunden ist  ausgeschöpft  und  durch  Verwendung  verschiedener  Typen  der 
Teilt  des  Bearbeiters  scharf  vom  Wortlaute  der  Urkunden  getrennt.  Ein  aus- 
führliches Personen-  und  Ortsregister,  bearbeitet  von  Arens,  ist  beigegeben; 
lediglich  das  Sachregister  fehlt;  es  wird  aber  in  Anbetracht  des  nicht  allzu 
grofien  Umfangs  des  Buches  nicht  allzustark  vermifit,  wenn  es  auch  gewiß 
willkommen  wäre  und  auch  den  femer  Stehenden  zur  häufigeren  Benutzung 
des  Bandes  anregen  würde.  Die  Art  dieser  Veröffentlichung  beweist,  dafi 
auch  Schaefer  grundsätzlich  die  hier  vertretene  Anschauung  teilt,  daß  der 
Bearbeiter,  der  sich  einmal  als  Neuordner  so  gründlich  mit  einem  Archiv 
beschäftigen  muß,  auch  berufen  ist,  so  viel  wie  nur  irgend  möglich  aus  dem 
Inhalte  mitzuteilen.  Daß  eine  Benutzung  der  Origbale  dadurch  niemals 
völlig  entbehrlich  wird,  ist  selbstverständlich,  aber  der  immerhin  umständliche 
Weg  wird  dann  nur  beschritten,  weim  der  zu  erwartende  Nutzen  zu  der 
aufgewandten  Mühe  in  richtigem  Verhältnis  steht. 

Von  allgemeinem  Interesse  ist  Nr.  i,  die  1293  ^^™  Beginenkonvent  ven 
Hehenen  Statuten  in  einer  niederdeutschen  Übersetzung  des  XV.  Jahrhunderts. 
Die  Mehrzahl  der  Urkunden  behandelt  dagegen  Stiftungen,  Erwerb  von 
Grundstücken  und  Renten ,  kurz  Dinge,  die  besonders  durch  die  erwähnten 
Nebenumstände,  wie  die  Bestimmung  von  Örtlichkeiten  und  Neimung  von  Per- 
sonen, ortsgeschichtlich  recht  bedeutend  zu  sein  pflegen.    Aber  auch  für  die 


i)  Es  handelt  sich  also  hierbei  am  einen  neuen  Typus  der  Qaellen?eröffent* 
Kchnog,  und  swar  hat  dieses  Verfahren  entschieden  das  für  sich,  dafs  gleichseitig  eia 
Inventar  des  betreffenden  Archivs  dargeboten  and  dafs  die  Arbeit  in  absehbarer  Zeit 
erledigt  wird,  während  andrerseits  doch  im  wesenüichen  räomlich  Zosammengehdriges 
znr  Bearbeitung  gelangt.  In  neuerer  Zeit  ist  dieser  Weg  ftbrigens  auch  anderwärts  be- 
schritten worden:  Die  Seaesten  der  Urkunden  des  HeriogUchen  Hau$'  und  StaaU- 
arekive  m  Zerbti  aus  den  Jahren  1401— J500,  von  denen  bis  jetst  neun  Hefte  (43a 
Seiten,  935  Nummern,  bis  1482)  vorliegen,  wurden  bereits  im  7.  Bde.  dieser  Zeitschrift, 
S.  110 — 113,  angezeigt.  Neben  den  ebenfalls  frfiher  (3.  Bd.,  S.  219)  genannten  ür-^ 
hunden  des  Pfarrarehivs  van  8t  Severin  in  K&n,  herausgegeben  von  Hefs  (Köln 
1901)  ist  noch  SU  nennen:  Dipiomatari%tm  VaUis 8, Mariae manaeterii eaneHwumiaHum 
ard.  eist.  Die  Orhmden  des  köni^iehen  JwngfrauensHfts  und  Klosters  Oistereienser'» 
Ord^ts  tu  8L  Marienthal  in  der  Kgh  sächs,  Oberlausits,  nad$  den  sämtüehen 
Originalen  des  Archivs  in  ausführlidien  Segesten  herausgegeben  und  erläutert  von 
Richard  Döhler  [Sonderabdruck  aus  dem  Neuen  Lausiteiseihen  Magasin,  Bd.  78 
(1902)]  138  S.  ^^ 

10» 


—     140     — 

Kenntnis  des  Privatrechts  sind  diese  Urkunden  wichtig ,  und  der  Rechts- 
historiker wird  in  diesem  Falle  wiridich  etwas  danut  an&ngen  können,  weil 
das  Rechtsgeschäft  selbst  in  zahlreichen  Fällen  mit  den  Worten  der  Urkunde 
bezeichnet  wird  ^).  Der  Memorienkalender  wird  S.  73  mit  namanlmd^  be- 
zeichnet; vom  Bau  einer  Orgel  ist  1442  S.  89  die  Rede,  und  ein  Vertrag 
über  den  Bau  einer  solchen  1540  ist  S.  172 — 74  zu  finden;  lehrreich  sind 
die  Verpachtungsbedingungen  eines  Hofes  (1464)  S.  iio;  von  einem  und 
demselben  Gute  handeln  die  Urkunden  S.  4  (1297)  und  S.  130  (15 14), 
und  zwar  sind  die  Lehnsbedingungen  im  zweiten  Falle  noch  genau  dieselben 
wie  im  ersten;  1556  wird  (S.  192)  eine  Frühmeöstiftung  auf  20  Jahre  einem 
htdimagMer  übertragen;  S.  199 — 202  finden  wir  die  Inventuraufnahme  im 
Hause  eines  Kanonikers  1564.  A.  T. 

Fostgeschiehtlidie  Aa^tellang.  —  Gelegentlich  der  Mailänder  Aus- 
ttAiQg  1906  wurde  in  einer  besonderen  Abteilung  dem  Besucher  eine 
Rückschj^u  auf  die  Entwicklung  der  Verkehrsmittel  ermö^^icht, 
wie  sie  bis  dahin  wohl  noch  jiiemand  in  annähernder  VoUständigkeit  zu  ge- 
winnen Geliynheit  Jiatte.  Und  innerhalb  dieser  Abteilung  hatte  wiederum 
der  teerende  Fürst  Albert  von  Thurn  und  Taxis  aus  seinem  Zentral- 
archiv imd  der  Hofbibliothek  zu  Regensburg  durch  den  verdienstvollen  Leiter 
beider  Anstalten,  Archivrat  Rübsam,  eine  Sonderausstellung  veranstaltet, 
die  die  Entwicklung  der  Thurn  imd  Taidsschen  Post  vom  Beginn  des  XVL 
bis  in  die  zweite  Hälfte  des  XIX.  Jahrhunderts  veranschaulichte.  Es  war 
das  erste  Mal,  dafi  der  Öffentlichkeit  ein  Einbhck  in  den  ganz  eigenartigen 
Inhalt  jener  Regensburger  Sammlungen  gewährt  wurde,  und  xwar  zeigten  rund 
300  auserlesene  Nummern,  wie  sich  das  älteste  öffentliche  Postumen  in  des 
europäischen  Kulturstaaten  seit  400  Jahren  schrittweise  entwickelt  JmU. 

Äußerlich  gliederte  sich  die  Ausstellung  in  drei  Gruppen :  I.  Arefaivalien 
Uricunden,  Briefe,  Einblattdrucke  usw.);  II.  Büdnisse,  Wappen,  Siegel; 
III.  Alte  Postkarten.  Die  Gegenstände  der  Gruppen  I  und  II  waren  unter 
^as  und  Rahmen  untergebracht,  die  der  Gruppe  ÜI  an  den  Wänden  —  leider 
des  Raummangels  wegen  für  die  bequeme  Besichtigung  etwas  zu  hoch  — 
aufgehängt.  Die  Urkunden  der  Könige  Philipps  I.  (Brüssel  1504,  Januar  18) 
und  Karls  I.  von  Spanien  (Brüssel  15 16,  Nov.  12)  waren  wenigstens  durch 
photographische  Nachbildimgen  je  der  ersten  Seite  vertreten,  die  älteste  aus- 
gestellte Originalurkunde  aber  war  die  Kaiser  Karls  V.  (Genua  1536,  Nov.  5), 
duffch  die  den  Gebrüdem  Baptista,  Maphe  imd  Simon  von  Taxis  das  ihnen 
15 18  verliehene  Oberstpostmeisteramt  (officium  supremi  postarum  praefecti 
per  universa  regna  ei  dominia  nostra)  und  im  besonderen  dem  Simon  von 
Taxis  der  Besitz  des  kaiserUchen  Postamts  in  Mailand  bestätigt  wird.  Zahl- 
reiche ähnliche  Privilegien  und  Verträge  zwischen  Fürsten  und  Staaten  einer- 
seits imd  den  Postuntemehmem  andrerseits  schlössen  sich  an  diese  ältesten 
an ;  besondere  Beachtung  verdient  unter  diesen  die  Bestätigung  des  spanischen 
Generaloberstpostmeisteramts  für  Leonard  von  Taxis  durch  König  Philipp  II. 
vom    5.   Dezember    1565,    weil   darin   die  wichtigen  Worte  enthalten  sind: 


i)  Vgl.  dazu   die  Ausführungen   Rietschels  im  Berieht  über  die  neunte  Fer- 
mmmlung  deutscher  Historiker  zu  Stuttgart  (Leipzig  1906},  S.  47. 


—     141     — 

yydessen  Vorfahren  vor  etwa  loo  Jahren  unterKaiser  Friedrich 
dftfl  moderne  Postwesea  zum  Nutzen  der  Fürsten  und  zum 
allgemeinen  Wohle  erfunden  hättea'S  Über  den  Verkehr  innerhalb 
Deutschlands  unterrichtet  z.  B.  die  Urkunde  vom  50.  März  1596,  die  Kölns 
damalige  Stellung  im  Verkehr  —  der  dort^  Taxissche  Postmeister  war 
Jakob  Henot  —  verdeutlicht,  oder  die  Abrechnung  (Conto  deUe  lettere) 
von  15979  die  gerade  wie  der  Augsburger  Postzettel  vom  25.  Mai  161 1  und 
per  Brüsseler  vom  5.  Juni  1627  über  die  Bedeutung  Rheinhauseos  (Speyer 
gegenüber)  Aufklärung  gibt  ^).  Das  älteste  Postkursbuch,  das  zwar  nicht 
ausgestellt  war,  dessen  Inhalt  aber  durch  eine  von  Rübsam  angefertigte  Karte 
veranschaulicht  wurde,  ist  das  des  Kuriermeisters  der  Republik  Genua  von 
1563.  Eine  Taxordnung  für  das  Kölner  Postamt  von  1624 — 1628  (Druck), 
eine  solche  fUr  Frankfurt  a.  M.  von  1629  (Druck),  sowie  ein  Frankfurter 
Postkursblatt,  das  vom  Mainzer  Postverwalter  1627  zum  Druck  befördert 
wurde  und  also  für  die  Mainzer  Bürger  bestimmt  war,  verdienen  als  älteste 
Stücke  dieser  Art  aus  Deutschland  Beachtung.  Politisch  wichtig  ist  zweifel- 
los, daß  der  Große  Kurfürst  am  2.  Februar  1647  (Kleve)  die  Anlage  einer 
Tazisschen  PostverlHndung  von  Berlin  über  Osnabrück  und  Münster  nach 
Kleve  genehmigte,  und  die  wachsende  Bedeutung  der  Zeitungen  am  Ende 
des  XVIII.  Jahrhunderts  lernen  wir  kennen,  wenn  unter  dem  11.  August 
1787  der  Erbgeneralpostmeister  den  Herausgebern  der  Ober-  und  Postamts- 
xeitungen  —  das  waren  eben  seine  Ober-  und  Postmeister  —  die  Aufnahme 
anstößiger  Zeitimgsartikel  verbietet. 

Nicht  minder  wichtig  als  die  Archivalien  der  Gruppe  I  sind  die  Post- 
karten, die  in  Gruppe  III  vorgeführt  wurden.  Darunter  sind  Landkarten 
Dojl  Einzetchnung  der  Postkurse  zu  verstehen ;  die  Neue  Postkarte  durch  gans 
UteutaMand  von  1763  mmmt  einen  hervorragenden  Platz  unter  den  vor- 
tModenen  ein.  Für  die  verkehrsgeschichtlichen  Forschungen,  nicht  minder 
aber  auch  fbr  die  verschiedensten  anderen  Untersuchungen  wäre  es  recht 
wertvoll,  wenn  ein  Vereeicfaxus  wenigstens  der  wichtigsten  derartigen  Karten 
npit  Beschreibung  ihres  hauptsächlichsten  Inhalts  veröffentlicht  würde.  Über- 
haupt würde  es  ein  nicht  geringes  Verdienst  darstellen,  wenn  der  Katalog 
jener  ersten  postgeschichtlichen  AussteUung,  in  der  natürlich  die  interessantesten 
und  lehrreichsten  Stücke  der  beiden  Regensburger  Sammlungen  der  Öffent- 
lichkeit vorgelegt  wurden,  in  einer  möglichst  ausführlichen  Form  nachträglich 
»och  gedruckt  würde.  Die  Hauptarbeit  war  ganz  zweifellos  die  Auswahl 
tmd  Beschreibung,  diese  ist  aber  längst  besorgt,  und  es  würde  sich  jetzt 
nnr  darum  handeln,  daß  die  mühevolle  Arbeit  Rübsams  allgemein  nutzbar 
gemacht  wird.  Eine  kurze  Übersicht  über  die  wichtigsten  Stücke  der  Aus- 
atrihing»  auf  die  auch  die  hier  gemachten  Mitteüimgen  zurückgehen,  ist 
htreits  in  L^ Union  postaUf  XXXI*  volume,  Nr.  12  (Bern,  Dezember  1906) 
cntfaalfeen. 

Btttertmn  and  WftffBnkande.  —  Wenn  gegenwärtig  in  der  geschicht- 
lichen Literatur  vom   Rittertum  die  Rede  ist,   dann  pflegen  die  recht- 


i)  Über  Wesen  und  Bedeutung  der  Postconti  vgl.   diese  Zeitschrift,  7.  Bd., 
14—19. 


—     142     — 

liehen  Beziehuiigen  der  Ministerialen  und  ihre  im  Lehnrecht  begründeten 
eigentümlichen  Lebensverhältnisse  besonders  stark  betont  zu  werden ,  und 
selbst  die  Sachkenner  müssen  zugeben,  dafi  sie  im  Grunde  von  der  ritter- 
lichen Lebensweise,  die  der  Ausdruck  einer  eigentümlichen  ritterlichen 
Kultur  ist,  keine  rechte  Vorstellung  haben,  ^e  um&ssende  Bearbeilang 
dieses  wichtigen  kulturgeschichtlichen  Gebiets,  und  zwar  sowohl  im  Längs- 
ais auch  im  Querschnitt,  ist  deswegen  zweifellos  erwünscht,  aber  für  eine 
solche  Arbeit  ist  es  unerläßlich,  dafi  die  Rechts-  und  Verfittsungsverhältnisse 
nicht  in  der  üblichen  Weise  in  den  Vordergrund  gerückt  werden.  Denn 
so  gewiß  die  Rechtssatzungen  das  tatsächliche  Leben  ordnen,  so  wenig  sind 
sie  die  Ursache  der  besonderen  Gestalt  des  Lebens,  sondern  im  Gegenteil 
das  Ergebnis  gewisser  Lebensverhältnisse;  lediglich  die  eigentümliche  Be- 
schaffenheit der  zeitgenössischen  Quellen  bringt  es  mit  sich,  daß  wir  in 
Ermanglung  andrer  Erkenntnismittel  viel^h  gezwungen  sind,  aus  den  Ur- 
kunden der  Rechtsordnung  die  jeweiligen  Zustände  zu  erschließen. 

Wenn  das  ritterliche  Leben  als  Ganzes  erfaßt  und  lebenswahr  geschildert, 
werden  soll,  dann  empfiehlt  es  sich  zweifellos,  vom  ritterlichen  Berufe, 
und  zwar  zuerst  vom  Waffendienste  des  gehamischten  Reiters,  auszugehen  und 
auf  der  eindringlichen  Kenntnis  der  ritterlichen  Schutz-  und  Trutz 
Waffen   fußend   auch   die  übrigen  Lebensverhältmsse  des  Rittertums  zu  be 
trachten:   so   werden  vermutlich  auch  die  ursächlichen  Zusammenhänge  de 
im   großen  und  ganzen  bekannten   gesellschaftlichen  Veränderungen  besser 
begriffen  werden.     Deshalb  ist  es  freudig  zu   begrüßen,   daß,   wie  mitgeteilt 
wird,    der   Begründer  der  wissenschafüichen  geschichtlichen   Waffeenkunde 
Hauptmann  a.  D.  Gustav  Hergsell,  Direktor  der  Kgl.  Landesfechtschule  in 
Prag,  dem  wir  die  vorzüglichen  Ausgaben  der  drei  berühmten  Fechtbücher  Tal-- 
hoffers  von  1443,  ^459  ^uid  1467  verdanken,  sich  entschlossen  hat,  seine  waffen. 
geschichtlichen  Sonderkenntnisse  in  einer  größeren  kulturgeschichtlichen  Dar- 
stellung —  DcLS  JRUterwesen  im  MUteläUer  —  zu  verwerten  und  in  dieser 
Form   dem    weiteren  Kreise  der  Geschichtsforscher  zugänglich  zu    machen. 
Natürlich  war  es  nicht  möglich,    sich  auf  die  Wafien  und  ihre  Verwendung, 
im  Kampfe  einschließlich  des  Heeiwesens  zu  beschränken,  sondern  es  galt, 
das  ritteriiche  Leben,  die  Bfldung  der  Ritterorden,  die  Beziehungen  des  Minne- 
sangs und  der  höfischen  Literatur  zum  Rittertum,  die  Turniere,  die  geridit- 
lichen  Zweikämpfe,  die  &hrenden  Ritter,  das  Raubrittertum  und  vieles  andere- 
heranzuziehen  und  in  den  gegenseitigen  Wechselwirkungen  zu  beleuchten.  Nur  so  • 
wird  es  möglich,  alle  Seiten  ritterlichen  Lebens  undaUe  SfMelarten  des  Ritter- 
tums kennen  zu  lernen.    Dagegen  brauchten  die  Rechts-  und  Wirtschafisverhält- 
nisse  der  Ritter,  die  ja  in  der  Literatur  schon  mehrfach  eingehende  Behandlui^ 
gefunden  haben,  in  diesem  Zusammenhange  nicht  nochmals  dargelegt  zu  werden. 
Das  genannte  Werk  geht  seiner  Vollendung  und  Drucklegung  entgegen 
und   dürfte  im  Frühjahr  in  zwei  Bänden  im  Um&nge  von  etwa  33  Bogen 
Lexikonoktav,  geschmückt  mit  zahlreichen  Reproduktionen    aher  Bilder,  aus 
gegeben  werden.   Es  wird  in  der  k.  k.  Hofbuchdruckerei  in  Prag  hergestellt 
und  erscheint  im  Selbstverlag  des  Verfassers.    Gerade  weil  die  Wa£fenkunde 
als  geschichtliche  Hilfswissenschaft  gegenwärtig  noch  kamn  gewürdigt  wird,, 
ist  es  nicht  überflüssig,  auf  die  Ergebnisse,  die  sich  durch  sie  gewinnen  lassen,, 
von  vornherein  aufmerksam  zu  machen.    Wijd  die  sachliche  Bedeutung  dieses^. 


—     143     — 

Forachuogszweiges  erst  allgemein  voll  erkannt,  dann  wird  vermutlich  auch  in  den 
kleinen  Museen  den  mittelalterlichen  Waffen  eine  größere  Sorgfalt  gewidmet  und 
iror  allem  der  einzelne  Gegenstand  genauer  beschrieben  und  bestimmt  werden. 

Zeitschriften.  —  Unter  den  kirchengeschichtlichen  Zeitschriften»  die 
wir  heute  in  ziemlicher  Menge  besitzen ,  nehmen  die  Studien  und  Mit- 
teilungen aus  dem  Bet^ediktiner-  und  dem  Ziatergienserorden  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Ordensgeschichte  und  Statistik  eine  hervorragende  Rolle 
«in  ')  und  müssen  von  Geschichtsforschern,  und  besonders  von  den  landes- 
igeschichtlichen,  häufig  zu  Rate  gezogen  werden,  da  bekanntlich  Benediktiner- 
und  Zisterzienserklöster  nicht  nur  heute  in  der  ganzen  Welt  noch  bestehen, 
sondern  auch  in  früheren  Jahrhunderten  insbesondere  in  allen  Teilen  Deut- 
schlands vertreten  waren  und  meist  einen  recht  großen  kulturellen  Einfluß 
auf  ihre  Umgebung  ausgeübt  haben.  Trotzdem  ist  die  Zeitschrift  ^  noch 
nicht  so  verbreitet,  wie  sie  es  verdient;  ja  sie  fehlt  selbst  in  mancher 
sonst  ansehnlichen  Bibliothek.  Die  verhältnismäßig  niedrige  Auflage  bringt 
es  mit  sich,  das  vollständige  Exemplare  der  1880  beginnenden  imd  bis 
zur  Stunde  27  stattliche  Bände  zählenden  Reihe  nur  ausnahmsweise  im 
Antiquariatsbuchhandel  angeboten  werden.  Die  Administration  im  Stift 
Raigem  besitzt  selbst  nicht  mehr  vollständige  Exemplare,  die  abgegeben 
werden  können,  und  liefert  bloß,  soweit  noch  Exemplare  vorhanden  sind, 
auch  einzelne  der  früheren  Bände  zum  Preise  von  acht  Mark.  Ein  lite- 
rarisches Ereignis  ist  es  unter  diesen  Verhältnissen,  daß  gegenwärtig  ein 
Gesamtregister  zu  den  ersten  26  Bänden  im  Manuskript  vollendet  ist, 
dessen  Druck  eben  jetzt  beginnt.  Der  Preis  dafür  beträgt  sieben  Mark. 
Auch  für  Bibliotheken,  die  ein  Exemplar  der  Zeitschrift  nicht  besitzen,  hat 
dieses  Register  als  bibliographisches  Hilfsmittel  einen  hohen  Wert, 
und  es  wird  deshalb  zweckmäßig  sein,  wenn  interessierte  Kreise  sich  jetzt 
schon  durch  Vorausbestellung  ein  Exemplar  sichern  *) .  Den  landesgeschicht- 
lichenVereinen  erwächst,  wenn  das  Register  erst  vorliegt,  zum  mindesten  die 
Aufgabe,  ihrerseits  die  Arbeiten,  die  in  den  26  Bänden  über  Klöster  ihres 
Gebietes  enthalten  sind,  zusammenzustellen  und  dadurch  die  Auf- 
merksamkeit der  einheimischen  Forschung  darauf  zu  lenken,  wenn  man  nicht 
noch  weiter  gehen  und  den  hauptsächlichsten  Forschungsinhalt  kurz 
mitteilen  wiU.  Da  tatsächlich,  wie  sich  jeder  leicht  überzeugen  kann, 
eme  vollständige  Reihe  der  Studien  und  Mitteilungen  sich  längst  nicht  überall 
findet,  wo  man  ihr  Vorhandensein  annehmen  sollte,  und  da  sie  mithin  recht 
vielen  Forschem  unzugänglich  sind,  würde  sich  ein  solches  Verfahren  zweifel- 
los in  mannigfacher  Beziehung  als  nützlich  erweisen.  Geschichtsvereine, 
Stadt-    und  Schulbibliotheken,    die    den  Wert    des    genannten    Registers  zu 


i)  Vgl.  darttber  diese  Zeitschrift  2.  Bd^  S.  204—205. 

2)  Der  Jahrganf  besteht  aas  vier  Vierteljahrsheften,  umfaßt  darchschnittlich  800  Druck- 
seiten «od  kostet  acht  Mark.  BestelloDgen  sind  stets  direkt  an  die  Redaktion  der 
Studien  und  Mitteilungen  in  Stift  Raigern  bei  Brtinn  (Österreich)  ea  richten. 

3)  Ganz  ähnlich  liegen  ttbrigens  die  Dinge  bei  den  Antdeeta  BoUamdiana,  Za 
dieser  in  Brüssel  (Boalerard  militaire  775)  erscheinenden  Zeitschrift  sind  1904  Indices 
im  iatnOB  J— XX  (1882— 1901)  erschienen,  and  aach  in  diesem  Falle  hat  das  Register 
cineD  wesentlich  höheren  bibliographischen  Wert  als  ihm  ron  Tomherein  zazakommen  scheint. 


—     144     — 

schätzen  wissen  und  ein  Exemplar  zu  besitzen  wünschen,  mögen  jetzt  sofort 
ihre  Bestellung  abgehen  lassen,  da  nur  eine  kleine  Anzahl  über  die  vor- 
bestellten Exemplare  hinaus  gedruckt  wird. 

Ebisregangene  Bfieher. 

Bruiningk,  H.  v.:  Das  Aquamanile  im  Dommuseum  zu  Riga  [=s  Sitzungs- 
berichte der  Gesellscha^  für  Geschichte  und  Altertumskunde  der  Ost- 
seeprovinzen Rußlands   aus   dem  Jahre   1905  (Riga  1906),  S.  6  — 12]. 

Dierauer,  Johannes:  Geschichte  der  Schweizerischen  Eidgenossenschaft. 
Dritter  Band:  15 16 — 1648.  Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes  A.-G. 
1907.     567  S.  8^.     M.   12,00. 

Dücker,  J.  Fr. :  Bilder  aus  der  Schleswig-Holsteinischen  Geschichte,  für 
Schule  und  Haus  gesammelt  imd  eingerahmt  Zweite  Auflage.  Schleswig, 
Julius  Berga  1906.     566  S.  8^     M.  4,40. 

Eisler,  Rudolf:  Geschichte  der  Wissenschaften  [=  Webers  Illustrierte  Hand- 
bücher, Band  256].  Leipzig,  J.  J.  Weber  1906.  440  S.  8^.  geb. 
M.  6,00. 

Goetz,  Leopold  Karl:  Das  Zentrum  eine  konfessionelle  Paitei.  Ein  Beitrag 
zu  seiner  Geschichte.     Bonn,  Friedrich  Cohen    1906.     220  S.  8^. 

Gothein,  Eberhard:  Der  Breisgau  unter  Maria  Theresia  und  Joseph  II. 
[ss  Neujahrsblätter  der  Badischen  Historischen  Kommission,  Neue 
Folge  10].     Heidelberg,  Carl  Winter  1907.     130  S.  8^.     M.   1,20. 

Gut  jähr,  Emil  A.:  Die  Urkunden  deutscher  Sprache  in  der  Kanzlei  Karls  IV. 
I :  Der  Kanzleistil  Karls  IV.  Leipzig,  Dieterichsche  Verlagsbuchhandlung 
(Theodor  Weicher)  1906.     499  S.  8®. 

Hausmann,  R.:  Ein  Bronze-Depotfund  mit  einer  römischen  Bronze-Lampe, 
gefunden  zu  Kawwast  bei  Dorpat  [=  Sitzungsberichte  der  Gesellschaft 
für  Geschichte  und  Altertumskunde  der  Ostseeprovinzen  Rußlands  aus 
dem  Jahre  1905  (Riga  1906),  S.  65 — 74]. 

Kaindl,  Raimund  Friedrich:  Geschichte  der  Deutschen  in  den  Karpathen- 
ländem.  Erster  Band:  Geschichte  der  Deutschen  in  Galizien  bis  1772. 
[==  Deutsche  Landesgeschichten,  herausgegeben  von  Armin  Tille, 
achtes  Werk].  Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes  A.-G.  1907.  369  S. 
8^  M.  8,00. 

Meddelelser  fra  det  danske  Rigsarkiv  I,  i — 2.  Kebenhavn,  i  Kommission 
hos  C.  A.  Reitzel  1906.     166  S.  8^ 

Schaefer,  Heinrich  und  Arens,  Franz:  Urkunden  und  Akten  des  Essener 
Münsterarchivs  [=  Beiträge  zur  Geschichte  von  Stadt  und  Stift  Essen, 
herausgegeben  von  dem  Historischen  Verein  fUr  Stadt  und  Stift  Essen, 
28.  HeftJ.     Essen   1906.     348  und  XXX  S. 

Tille,  Armin:  Genealogie  als  Wissenschaft  [=?  Mitteilungen  der  Zentralstelle 
für  deutsche  Personen-  und  Familiengeschichte,  2.  Heft  (Leipzig,  Breit- 
kopf und  Härtel  1906),  S.  32 — 40]. 

Voretzsch,  Max:  Der  sächsische  Prinzenraub  in  Altenburg,  ein  urkimd- 
liches  Gedenkblatt  nach  450  Jahren.  Altenburg,  S.-A.,  Druck  von 
Oskar  Bonde  1906.     55  S.  8^. 


HoBOSgvber  Dr.  Annfn  Tille  in 
Druck  und  Verlaf  von  Friedrich  Andrees  Perthes,  Ak^engeselUchaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


rar 


Förderung  der  landesgesctücbtliclien  Forscbung 

Vm.  Band  Mirz/April  1907  5./6.  Heft 


Traehtenkunde 

Von 
Karl  Spiels  (Bottenhom) 

Von  allen  sichtbaren  Erzeugnissen  des  Volkstums  hat  die  Volks- 
tracht von  jeher  am  meisten  Beachtung  gefunden.  Das  läßt  sich  aus 
ihrem  auffallenden,  von  der  Modetracht  abweichenden  Aussehen  leicht 
erklären.  Auch  in  der  Beurteilung  ihrer  Bedeutung  für  die  Erhaltung 
des  Volkstums  oder  als  eines  Kennzeichens  noch  vorhandener  volks- 
tümlicher Eigenart  hat  man  ihr  gern  eine  Sonderstellung  eingeräumt 
Volkstum  und  Volkstracht  wurde  —  und  wird  noch  —  vielfach  in 
einer  Weise  identifiziert,  als  müsse  sich  volkstümliche  Eigenart  auf 
jeden  Fall  auch  in  einer  volksmäßigen  Kleidung  nach  außen  kund- 
tun und  als  sei  da,  wo  die  Volkstracht  ausgestorben  ist,  die  volkstüm- 
liche Sonderart  nicht  ^  mehr  in  voller  Ursprünglichkeit  und  Frische 
vorhanden. 

Ohne  der  Frage  näherzutreten,  inwieweit  eine  solche  Bevorzugung 
der  Volkstracht  vor  anderen  Erzeugnissen  des  Volkstums  berechtigt 
sein  mag,  können  wir  hier  feststellen,  daß  sie  weder  der  Erhaltung 
der  Trachten,  noch  auch,  was  uns  hier  vor  allem  angeht  —  ihrer 
wissenschaftlichen  Erforschung  sonderlich  förderlich  gewesen  ist.  Man 
könnte  sogar  sagen,  daß  sie  im  GegenteU  immer  wieder  dazu  ver« 
leitet  hat,  der  Volkstracht  gegenüber  einen  verkehrten  Standpunkt 
einzunehmen  und  sich  dadurch  selbst  den  Weg  zu  einer  nüchternen 
und  sachlichen  Würdigung  zu  verbauen.  Man  wollte  unter  allen  Um- 
ständen die  Tracht  als  eine  originale  Schöpfung  des  Volkes  dartun; 
in  ihr  sollte  der  volkstümliche  Geist  eine  adäquate  Ausprägung  ge- 
funden haben.  Und  da  sich  diese  Anschauung  mit  den  geschicht- 
lichen Verhältnissen  nicht  immer  völlig  in  Einklang  bringen  ließ, 
mußte  man  den  Tatsachen  entweder  Gewalt  antun,  oder  sie  ignorieren 
und  sich  in  luftigen  Höhen,  hoch  über  der  rauhen  Wirklichkeit,  ein 
Reich  voll  glänzender  Schönheit  suchen.    Zu  einer  sachlichen  Wür- 

11 


—     146     — 

digung*  der  Volkstracht  im  Rahmen  der  wissenschaftlichen  Volkskunde 
konnte  man  auf  diese  Weise  nicht  gelangen,  und  hieraus  erklärt  es 
sich  auch,  da(s  die  wissenschaftliche  Trachtenkunde,  soweit  sie  sich 
mit  der  Volkstracht  im  engeren  Sinne  befaßt,  heute  erst  in  den  ersten 
Anfangen  steht. 

Wir  setzen  darum  mit  Bedacht  die  folgende  programmatische 
Äußerung  eines  Fachmannes  an  die  Spitze  unserer  Ausfuhrungen,  um 
im  Anschluß  daran  Aufgabe  und  Methode  der  Volkstrachtenforschung 
in  Kürze  zu  skizzieren:  „Wenn  von  allen  Denkmälern  der  äußeren 
Volkskunde  zu  sagen  ist,  daß  sie  ohne  ein  Zurückgehen  auf  die  histo- 
rischen Formen  niemals  genügend  behandelt  werden  können,  so  muß 
man  das  ganz  besonders  stark  bei  der  Tracht  betonen.  Nicht  etwa, 
weil  es  bei  ihr  in  höherem  Maße  als  bei  den  übrigen  Denkmälern 
notwendig  wäre,  sondern  ledighch  deshalb,  weil  es  gerade  bei  Trachten- 
studien heute  noch  am  meisten  zu  vermissen  ist.  Leider  stehen  auch 
hier  noch  die  wenigsten  Autoren  mit  voller  Schärfe  auf  dem  Stand- 
punkte, daß  sie  in  den  Bauemtrachten  fast  durchgehends  nichts  an- 
deres als  umgemodelte  Formen  der  allgemeinen  Mode  vor  sich  haben. 
Die  Behandlung  einer  lokalen  Bauemtracht  gewinnt  aber  nur  dann 
einen  wissenschaftlichen  Wert,  wenn  sie  sich  nicht  auf  bloße  Abbildung 
und  Beschreibung  beschränkt,  sondern  den  historischen  Vorbildern 
der  einzelnen  Elemente  nachgeht  und  daneben  die  äußeren  Einflüsse 
aufdeckt,  unter  deren  Wirkung  die  volkstümliche  Kleidung  jener  be- 
stimmten Gegend  sich  entwickelt  hat  *)." 

Die  wissenschaftliche  Trachtenkunde  ist  also  ein  Teil  der  histo- 
rischen Wissenschaft.  Indem  wir  sie  so  ansehen,  lösen  wir  keineswegs 
die  Volkstracht  von  ihrem  Mutterboden  los ;  wir  befreien  sie  lediglich 
aus  der  ungerechtfertigten  Isolierung  und  stellen  sie  in  den  Zusammen- 
hang mit  den  anderen  Denkmälern  unserer  sichtbaren  Kultur.  Sie  als 
ein  ganz  originales  Gewächs  auf  dem  Boden  des  Volkstums  behan- 
deln, das  würde  zugleich  bedeuten,  sie  von  allen  fördernden  und  vor- 
antreibenden Einflüssen  abschneiden  und  sie  in  der  kleinlichen  dumpfen 
Enge  einschließen,  in  die  kein  frischer  Luftzug  aus  einer  anderen 
Kulturwelt  eindringen  kann.  Damit  wäre  doch  auch  gerade  dem  Volks- 
tum und  seinem  Gedeihen  ein  schlechter  Dienst  geleistet.  Die  ge- 
schichtliche Betrachtung  aber  zeigt  uns,  wie  auch  das  ländliche  Volks- 
tum, bei  aller  äußeren  Abgeschlossenheit,  doch  niemals  gänzlich  den 


i)  Otto   Lanffer  in  der  ZeiUchHft  det  Vereim  für  VolkskHttde  15   (1905), 
S.  192  f. 


—     147     — 

Zusammenhang'  verloren  hat  mit  den  großen  Wellenbewegungen  der 
kulturellen  Entwicklung.  Und  wenn  die  Kulturwelle  auch  lange  Zeit 
brauchte,  bis  sie  in  das  entlegenste  Dörfchen  gedrungen  war,  und 
wenn  sie  dort  auch  nur  noch  schwach  auf-  und  niederebbte,  sie  brachte 
doch  Bewegung  und  bewahrte  vor  dem  Versinken  in  Erstarrung,  die 
für  das  Volkstum  den  Tod  bedeutet  hätte. 

Wenn  so  die  wissenschaftUche  Betrachtungsweise  der  Denkmäler 
des  Volkstums  im  allgemeinen  und  der  Volkstracht  im  besonderen  in 
jedem  Falle  den  Zusammenhang  mit  der  allgemeinen  Kulturentwick- 
lung entschieden  betont,  so  führt  das  keineswegs  dazu,  dem  Volkstum 
alle  Originalität  und  Gestaltung  aus  Eigenem  heraus  abzusprechen. 
Das  wäre  so  unwissenschaftlich  und  unhistorisch  wie  nur  möglich.  Denn 
auf  diese  Weise  würde  der  geschichtliche  Begriff  der  Entwicklung" 
vollständig  verkannt.  Es  kommt  im  Gegenteil  gerade  eine  ungeschicht- 
liche Betrachtung  des  Volkstums  leicht  in  die  Gefahr,  die  volkstüm- 
lichen Erzeugnisse  als  starre ,  unveränderliche  Größen  anzusehen ,  die 
schon  vor  Jahrhunderten  und  Jahrtausenden  vorhanden  waren;  tmd 
man  sieht  merkwürdigerweise  in  dieser  starren  Unveränderlichkeit  oft 
genug  einen  Ehrentitel  des  Volkstums,  im  Gegensatz  zu  der  leichten 
Beweglichkeit  der  sogenannten  „Kultur".  Daß  aber  solche  Unver- 
änderlichkeit nur  die  starre  Ruhe  des  Todes  sein  kann,  bedenkt  man 
nicht.  Es  ist  also  auch  hier  wieder  die  wissenschaftliche  Forschung, 
die  das  Volkstum  vor  den  Unbedachtsamkeiten  seiner  Freunde  schützen 
muß.  Sie  sieht  in  allen  volkstümlichen  Denkmälern,  auch  in  der 
Volkstracht,  die  Äußerungen  eines  lebendigen  Organismus,  und  weist 
an  ihnen  die  Veränderungen  und  Entwicklungen  nach,  die  überall  da 
unumgänglich  und  notwendig  sind,  wo  Leben  vorhanden  ist. 

Für  die  Trachtenforschung  ergeben  sich  hieraus  zwei  program- 
matische Leitsätze.  Zunächst  muß  für  die  Volkstracht  die  Verbindung 
nach  rückwärts  gesucht  und  der  Zusammenhang  nachgewiesen  werden, 
in  welchem  sie  mit  der  allgemein  üblichen  Modetracht  gestanden  hat. 
Es  ist  „von  dem  Bekannten,  dem  noch  Bestehenden  aus,  an  dem 
Faden  der  allgemeinen  Geschichte  des  Kostüms  in  stetem  Vergleiche 
rückwärts  zu  schreiten**  *).  Sodann  ist  die  Entwicklung  zu  verfolgen, 
welche  die  Tracht  im  ganzen  und  die  einzelnen  Trachtenstücke  durch- 
gemacht haben,  seit  sie  Bestandteile  der  Volkstracht  geworden  sind. 
Die  Trachtenforschung   steht  also  vor  einer  doppelten  Aufgabe.     Sie 


i)  Hermmnn  Weifi,  Koatümkunde.    Zweite  AbteUang:  Neuzeit  (1873),  S.  1361 
kamnkang, 

11  • 


—     148     — 

hat  außer  einer  eingehenden  Beschreibung  der  Tracht  die  Frage 
nach  der  Herkunft  der  Tracht  zu  beantworten  und  die  Entwick- 
lung der  Volkstracht  darzustellen. 

Die  Frage  nach  der  Herkunft  der  Tracht  schließt  die  nach  dem 
Alter  der  Tracht  in  sich.  Es  handelt  sich  darum,  festzustellen,  zu 
welcher  Zeit  sich  das  eine  oder  andere  Trachtenstück  von  der  allge- 
meinen Modetracht  losgelöst  und  in   der  Volkstracht  festgesetzt  hat. 

Dieser  Prozeß,  der  im  wesentlichen  wirtschaftliche  Gründe  hatte, 
mußte  eintreten,  sobald  die  allgemeinen  Modetrachten  begannen,  sich 
in  schnellerem  Wechsel  abzulösen.  Die  allgemeine  2^itmode  ist 
früher  weitaus  stabiler  gewesen  als  heutzutage.  Während  man  heute 
eine  Modeepoche  nach  Jahren  bemißt,  kann  man  bei  der  Beschreibung 
der  mittelalterlichen  Zeitmoden  ruhig  ebensoviel  Jahrzehnte  rechnen. 
Das  änderte  sich  seit  dem  XVI.  Jahrhundert,  und  seit  dieser  Zeit  eist 
haben  wir  auch  die  Volkstracht.  Denn  diesem  nun  einsetzenden 
schnelleren  Modewechsel  vermochte  die  breite  Masse  des  Volkes  nicht 
zu  folgen;  und  zwar,  wie  schon  erwähnt,  im  wesentlichen  aus  wirt- 
schaftlichen Gründen.  Die  Technik  der  StofTbereitung  war  allmählich 
komplizierter  geworden,  sodaß  selbst  die  Hausmacherarbeit  nicht  mehr 
völlig  ohne  die  Hilfe  des  Walkers,  Färbers  usw.  hergestellt  werden 
konnte.  Die  Produktion  der  Stoffe  durch  Unternehmer  aber  ver- 
teuerte die  Sache  so,  daß  eine  häufigere  Anschaffung  unmöglich  ward. 
So  kam  es  dann  sehr  bald,  daß  sich  eine  Volkstracht  ausbildete  d.  h. 
daß  <lie  breite  Masse  des  Volkes  mit  ihrer  Tracht  hinter  der  2^itmode 
zurückblieb  und  der  Abstand  sich  dann  immer  rascher  vergrößerte. 
Der  umgekehrte  Prozeß  läßt  sich  heute  beobachten:  die  bülige 
Fabrikware  verdrängt  die  dauerhafte  Hausmacherarbeit  und  ermöglicht 
auch  der  breiten  Volksmasse  wieder  den  direkten  Anschluß  an  die 
wechselnde  Zeitmode.  Das  ist  einer  der  hauptsächlichsten  Gründe 
fiir  das  allmähliche  Schwinden  der  Volkstrachten. 

Man  könnte  diesen  Vorgang  des  Übergangs  von  Kostümstücken  in 
die  Volkstracht,  also  die  Entstehung  der  Volkstracht,  schematisch 
etwa  so  skizzieren :  Während  die  Modetracht  sich  entwickelte 
und  umbildete,  blieb  irgend  eine  Gegend  hinter  diesem 
Prozeß  zurück;  ein  Kleidungsstück,  früher  allgemein  ge- 
tragen, war  dann  bald  nur  noch  in  beschränktem  Kreise 
üblich  und  blieb  dann  von  den  weiteren  Umbildungen  der 
Modetracht  verschont.  Es  setzte  sich  in  der  früher  üb- 
lichen Form  fest  und  erschien  bald  um  so  altertümlicher, 
je  weiter  sich  inzwischen  die  Modetracht  von  der  früher 


—     149     — 

üblichen  Form  entfernt,  sie  vielleicht  inzwischen  ganz 
verlassen  hatte.  Die  Entwicklung,  die  das  so  zur  Volks- 
tracht gewordene  Trachtenstück  von  da  an  durchmachte, 
ging  ihre  eigenen  Wege  abseits  von  der  Entwicklung  des 
Kostüms  im  allgemeinen,  und  ließ  trotz  mannigfacher 
Veränderungen  den  Grundtypus  auch  später  noch  er- 
kennen. So  tritt  uns  in  den  Volkstrachten  eine  sonst  längst  unter- 
gegangene Welt  entgegen.  Moden,  die  wir  aus  alten  Bildern  kennen 
und  die  längst  abgestorben  sind,  treten  uns  in  ihr  entgegen.  Und  an 
diesem  —  ich  möchte  fast  sagen  —  „Stil**  der  Volkstracht  läßt  sich 
im  allgemeinen  unschwer  ihr  Alter,  wenigstens  nach  größeren  2^it- 
räumen,  angeben.  Sie  trägt  noch  unverkennbar  den  Charakter  der 
Kostümepoche  an  sich,  in  der  sie  allgemein  in  Mode  war.  Sehr  schön 
schildert  Justi  diesen  archaistischen  Charakter:  „Bei  genauer  Be- 
trachtung der  ländlichen  Trachten  werden  wir  die  in  ihnen  fortlebende 
vereinfachte  Kleidung  der  höheren  Stände  erkennen,  die  uns  sonst 
nur  in  alten  BUdern  vor  Augen  tritt  Was  diese  jedoch  nicht  zeigen 
können,  sind  die  Bewegungen,  welche  zu  den  altfränkischen  Kleidern 
gehören.  Die  Verbeugungen  der  Bäuerinnen  bei  kirchlichen  Anlässen 
sind  so,  wie  sie  zur  Zeit  unserer  Ureltem  als  höfisch  galten  und  wie 
man  in  den  vierziger  Jahren  noch  bei  alten  aristokratischen  Damen 
wahrnehmen  konnte,  sowie  auch  das  Benehmen  der  Landleute  bei 
besonderen  Veranlassungen  zwar  veraltet,  aber  durchaus  angemessen 
und  an  Würde  streifend  zu  sein  pflegt.  ...  So  veranschaulicht  ein 
sonntäglicher  Kirchgang  in  manchem  hessischen  Dorfe  den  altvater- 
ischen Anstand,  wie  er  bei  demselben  Vorgang  hundert  Jahre  früher 
üblich  gewesen  sein  mag;  auch  die  Gesichter  rufen  nicht  selten  Bild- 
nisse des  vorigen  und  früherer  Jahrhunderte  ins  Gedächtnis  ^)." 

Um  nun  die  Frage  nach  der  Herkunft  und  dem  Alter  der  Tracht 
mit  Sicherheit  beantworten  zu  können,  ist  eine  eingehende  Be- 
schreibung der  Tracht  erforderlich.  Und  zwar  ist  von  der  zurzeit 
noch  üblichen  Tracht  auszugehen.  In  den  meisten  Gegenden  Deutsch- 
lands ist  allerdings  die  Volkstracht  verschwunden.  Hier  steht  der 
Forscher  vor  der  Schwierigkeit,  daß  er  sich  aus  den  Aussagen  der  Be- 
völkerung und  sonstigen  Mitteilungen  erst  mühsam  ein  BUd  zusammen- 
stellen muß,  das  doch  der  rechten  Anschaulichkeit  entbehrt  und  zu- 
dem auch  in  seinen  Einzelheiten  recht  wenig  zuverlässig  sein  kann. 
Mit  welcher  Vorsicht   die  Aussagen    der  Bevölkerung   selbst    aufzu- 

1}  He$8i9che8  TraMmbuch  S.  af. 


—     150     — 

nehmen  sind,  vor  allem  dann,  wenn  die  Tracht  im  Absterben  be- 
griffen oder  schon  abgestorben  und  infolgedessen  auch  die  Tradition 
schon  unsicher  geworden  ist,  dafür  will  ich  als  Beispiel  nur  die  fol- 
gende Bemerkung  von  Jostes  anführen:  „Man  hat  mir  ernsthaft  er- 
zählt, daß  die  Frauen  so  viel  Litzen  um  die  Mütze  gebunden  hätten, 
wie  sie  Kinder  geboren;  ich  habe  aber  nirgendwo  weder  mehr  noch 
weniger  als  zwei  gefunden ;  —  und  mir  sind  doch  Hunderte  von  Exem- 
plaren durch  die  Finger  gegangen !  Es  wird  also  wohl  Sage  sein  *)." 
Neben  der  Unsicherheit  der  Tradition,  die  hier  also  schon  zur  Le- 
gendenbüdung  geführt  hat,  ist  noch  ein  anderer  Umstand  als  Fehler- 
quelle zu  berücksichtigen:  die  absichtliche  Irreführung  des  Forschen- 
den durch  die  Bevölkerung.  Wenigstens  habe  ich  für  die  folgende 
Tatsache  keine  andere  Erklärung:  Sowohl  Heßler  in  seiner  Hessischen 
Volkskunde  *)  als  auch ,  offenbar  ihm  nachfolgend ,  Hottenroth') 
berichten  von  der  Tracht  des  Dorfes  Bottenhom:  „Zu  den  Eigenheiten 
der  Bottenhorner  Mädchentracht  sind  die  Querfalten  in  den  Strümpfen 
zu  zählen,  welche  diesen  das  Aussehen  geben,  als  seien  sie  zu  weit 
und  säßen  etwas  herabgerutscht  am  Bein.  Diese  Ringel  sind  jedoch 
in  die  Strümpfe  hineingestrickt  und  haben  ihre  Bedeutung.  Je  reicher 
ein  Mädchen,  um  so  mehr  Querfalten  strickt  es  in  seine  Strümpfe; 
dieser  Brauch  ist  so  feststehend,  daß  jeder  Freier  imstande  ist,  nach 
der  Anzahl  der  Strumpfrunzeln  das  Vermögen  des  Mädchens  abzu- 
schätzen." Abgesehen  von  den  Unrichtigkeiten,  die  der  Oberfläch- 
lichkeit des  Forschers  zur  Last  fallen  —  daß  diese  Ringel  in  den 
Strümpfen  nicht  nur  von  den  Mädchen,  sondern  auch  von  den  Frauen 
getragen  werden;  und  daß  sie  nicht  in  die  Strümpfe  hineingestrickt 
sind,  sondern  beim  Anziehen  um  den  Fuß  gelegt  werden,  hätte  eine 
etwas  sorgfältigere  Beobachtung  und  Untersuchung  ihm  zeigen  können — , 
was  von  der  Bedeutung  der  Ringel  gesagt  wird,  ist  der  reine  Unsinn! 
Nun  steht  in  Bottenhom  die  Tracht  noch  in  voller  Geltung,  wenige- 
stens  beim  erwachsenen  weiblichen  Geschlecht  Von  einer  Legenden- 
bildung bei  der  Bevölkerung  selbst  kann  also  keine  Rede  sein.  Man 
muß  demnach  annehmen,  daß  der  Forscher  bei  seinen  Nachfragen 
von  einem  ländlischen  Spaßvogel  gründlich  mystifiziert  worden  ist 
Ich  erwähne  dies  Beispiel,  weil  es  den  Aussagen  der  Bevölkerung 
gegenüber  dringend  zur  Vorsicht  mahnt. 


1)  Westfäiisehea  Trachteribueh  S.  i8o. 

2)  Band  II,  S.   194. 

3)  DU  Na$8aui$chen   VbUcstraehienf  hermnsg.  v.  Hottenroth,  S.  37. 


—     161     — 

Am  günstigsten  ist  der  Forscher  daran,  wenn  er  noch  am  leben- 
den Objekte  die  Tracht  studieren  kann.  Wo  dies  nicht  der  Fall  ist, 
wird  man  hauptsächlich  aus  noch  vorhandenen  Trachtenstücken  ein 
Bild  der  Tracht  gewinnen  müssen.  Bei  der  Beschreibung  der  ein- 
zelnen Stücke  ist  nicht  nur  ihre  Form  und  Farbe,  sondern  auch  der 
Stoff,  aus  dem  sie  gefertigt,  und  vor  allem  die  Machart,  d.  h.  der 
Schnitt,  anzugeben.  Hinsichtlich  der  letzten  Forderung  lassen  es 
fast  alle  Trachtenwerke  an  den  nötigen  Mitteilungen  fehlen.  Und 
doch  ist  die  Beigabe  von  Schnittmustern  von  solcher  Wichtigkeit, 
daß  wir  der  „grundsätzlichen  Anschauung'*  Lauffers  nur  zustimmen 
können,  „daß  nur  an  der  Hand  von  Schnittmustern  eine  wissenschaft- 
liche Trachtenkunde  zu  gesicherten  Resultaten  gelangen  kann.  Nur 
die  Schnittmuster  lassen  das  Typische  deutlich  erkennen,  nur  sie 
bringen  das  Wesentliche,  ohne  durch  Nebensächliches  zu  beirren, 
und  nur  sie  lassen  eine  ruhige  entwicklungsgeschichtliche  Verglei- 
chung  zu  *)." 

Soll  die  Darstellung  durch  Abbildungen  erläutert  werden,  so  ist 
von  einer  bloßen  Wiedergabe  von  photographischen  Aufnahmen  nur 
abzuraten.  Gerade  hier  versagt  die  sonst  so  bewährte  photographische 
Kunst,  weil  sie  keine  farbigen  Bilder  liefert.  Und  bei  der  Tracht  ist, 
was  den  Gesamteindruck  anlangt,  die  Farbe  alles.  Darum  sind  auch 
Bleistiftskizzen  nur  ein  ungenügender  Notbehelf;  am  besten  entspricht 
die  farbige  Reproduktion  allen  Anfordenmgen.  Hier  ist  die  nach- 
schaffende Hand  des  Künstlers  unentbehrlich.  Dabei  kommt  es  nicht 
so  sehr  auf  zeichnerische  Gewandtheit  als  auf  peinliche  Treue  und 
minutiöse  Genauigkeit  in  der  Wiedergabe  des  Details  an.  Als  un- 
übertroffenes Vorbild  in  dieser  Beziehung  kann  man  wohl  das  Hes- 
sische Trachtenbuch  von  Justi  hinstellen.  Wie  hier  die  Stickereien 
auf  den  Bruststücken  (Tafel  2.  6.  lo.  13),  Wamsärmeln  (Tafel  18), 
Stülpchen  (Tafel  14.  20.  29.  30.  31)  und  Schürzen  (Tafel  22)  wieder- 
gegeben wird,  ist  schlechthin  über  alles  Lob  erhaben.  Diesen  Ab- 
bildungen gegenüber  treten  selbst  die  zeichnerisch  viel  vollendeteren, 
koloristisch  viel  wirksameren  Tafeln  in  dem  Westfälischen  Trachtenbuch 
von  Jostes  entschieden  zurück.  Man  hat  bei  ihnen  den  Eindruck, 
daß  viel  mehr  auf  das  malerisch  und  koloristisch  Wirksame  gesehen 
worden  ist  und  daß  die  minutiöse  Genauigkeit  der  Justischen  Tafeln 
gar  nicht  angestrebt  wurde.  Außerdem  leiden  sie  an  einem  Mangel, 
den  sie  allerdings    mit  anderen  Publikationen,    z.  B.   der  Hessischen 


I)  Zeitschr.  d.  Ver.  /*.  VoIk$kmnde  15  (1905)1  S.  199. 


—     162     — 

Landeshunde  von  Heß  1er,  teilen,  und  der  eine  schärfere  Hervor- 
hebung verdient :  die  Unterschriften  unter  den  Bildern  sind  von  einer 
solchen  Unbestimmtheit,  daß  sie  bei  jeder  eingehenderen  Untersuchung 
im  Stiche  lassen.  Auch  hier  kann  man  nur  wünschen,  daß  der  Vor- 
gang von  Justi  allgemein  Nachahmung  finde.  Er  stellt  nicht  ein 
„Mädchen  aus  der  Gegend  von  . .  .'*  oder  „Frauen  aus  dem  Kreise  . .  .'* 
dar  ^) ,  sondern  seine  Bilder  sind  die  Wiedergabe  ganz  bestimmter 
Einzelpersonen.  Er  malt  die  „Luise  Koch  aus  Bottenhom "  oder  den 
„Jörge  Debus-aus  Dautphe*'  und  bemüht  sich  sogar,  seine  Bilder 
auf  direkte  Porträtähnlichkeit  hin  zu  arbeiten.  Das  erhöht  natürlich 
die  Zuverlässigkeit  seiner  Bildertafeln  um  ein  Bedeutendes. 

In  dieser  Beziehung  dem  Justischen  Werke  ebenbürtig  ist  die 
Sammlung  Alte  Schweteertrachkn ,  die  die  Verlagsbuchhandlung  von 
Stämpfli  &  Co.  in  Bern  herausgegeben  hat  ^).  Die  einzelnen  Blätter  dieser 
Veröffentlichung  sind  Nachbildungen  von  Ölbildern,  die  der  Bemer 
Maler  F.  N.  König  zu  Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts  nach  der  Natur 
gemalt  hat,  und  die  sich  zurzeit  als  die  „  Meyer -Reinhardtsche 
Sammlung"  im  historischen  Museum  zu  Bern  befinden.  Alle  Bilder 
sind  im  Original  sowohl  wie  in  der  Wiedergabe  mit  dem  Namen  der 
dargestellten  Personen  gezeichnet,  und  man  wird  der  Verlagshand- 
lung zustimmen,  wenn  sie  an  den  Bildern  rühmt:  „Das  Beste  daran 
ist,  daß  wir  hier  nicht,  wie  vielfach  bei  neueren  Trachtenwerken, 
kostümierte  Stadtdamen  und  Herren  vor  uns  haben,  sondern  wirkliche 
T)rpen  aus  dem  Volke,  runde,  frische  Mädchengesichter  und  ver- 
wetterte Männerphysiognomien,  die  der  Maler  direkt  aus  dem  Bauern- 
hause und  von  der  Feldarbeit  geholt  hat." 

Farbige  Wiedergabe  älterer  Vorlagen  sind  auch  die  von  Franz 
Zell  mit  kurzem  Begleittexte  herausgegebenen  BcMemiratkten  aius 
dem  bayrischen  Hochland.  Gleichfalls  farbig  und  darum  heute  noch 
namentlich  für  die  Frage  nach  der  Entwicklung  und  Umbildung  der 
Tracht  von  unvermmdertem  Werte  sind  die  Abbildungen,  welche  den 
Kronbiegelschen  Schriften  über  die  Altenburger  Bauern*)  in 
ihren  verschiedenen  Auflagen  beigegeben  sind.     Sie  halten  trotz  der 


i)  In  Hefilers  Volkskunde  findet  sich  unter  einem  Bild  so|^  nar  die  Unterschrift: 
,Mftdchen<'. 

2)  Die  gleichfalls  sehr  gerOhmce,  Ton  Fnm   Heier li   herausgegebene  Sammlnog: 
Die  Sehufeiger  2rt»ehten  vom  17.  bis  19,  Jahrh.  ist  mir  nicht  ra  Gesicht  gekommen. 

3)  Wegen  der  näheren  bibliographischen  Angaben  Terweise  ich  hier  wie  bei  allen 
anderen  Literatarangaben  auf  den  bibliographischen  Anhang. 


—     163     — 

eminenten  Fortschritte  der  Technik  gerade   auf  diesem  Gebiete  sehr 
gut  den  Vergleich  mit  mancher  neueren  Publikation  aus. 

Es  mögen  an  dieser  Stelle  auch  die  Trachtenpostkarten  eine 
Erwähnung  finden,  weil  sie  ein  besonders  leicht  erhältliches  Mittel  zur 
Veranschaulichung  sind.  Ich  meine  dabei  aber  nicht  sowohl  die  nach 
Photographien  hergestellten  —  ob  koloriert  oder  schwarz  — ,  als  die 
nach  Zeichnungen  von  Künstlern  angerfertigten,  wie  sie  z.  B.  im  Ver- 
lage von  Elwert  in  Marburg  und  von  Gustav  Mandt  in  Lauterbach 
(Oberhessen)  erschienen  sind.  Die  Art,  wie  hier  Künstler  von  der 
Bedeutung  eines  Otto  Ubbelohde  und  W.  Thielmann  die  hessischen 
Bauern  wiedergegeben  haben,  ist  nicht  nur  von  künstlerischer  Voll- 
endung, sondern  auch  im  Detail  so  gut  durchgearbeitet,  daß  diese 
billigen  Karten  recht  gut  eine  viel  teuerere  Reproduktion  ersetzen 
können.  Auch  darauf  sei  verwiesen,  daß  die  im  Verlag  von  Velhagen 
&  Klasing  erschienenen  Monographien  zur  Erdkunde  >)  die  Tracht  be- 
rücksichtigen und,  allerdings  nur  schwarze,  Abbildungen  bringen. 

Die  Beschreibung  der  Tracht  gewinnt  aber  nicht  nur  durch  die 
Beigabe  von  Schnittmustern  und  Abbildungen  an  Wert;  in  hohem 
Grade  wünschenswert  sind  auch  Angaben  über  die  mundartliche  Be- 
zeichnung der  einzelnen  Trachtenstücke.  Aus  praktischen  Rücksichten 
wird  sich  allerdings  die  Einitihrung  eines  einheitlichen  Kunstausdrucks 
für  jedes  einzelne  Stück  empfehlen.  Denn  die  mundartlichen  Bezeich- 
nungen wechseln  nicht  nur  oft  schon  von  Dorf  zu  Dorf,  sie  sind  auch 
so  unbestimmt  oder  von  so  ungewöhnlicher  Bedeutung,  daß  eine  heil- 
lose Verwirrung  die  Folge  wäre,  wollte  man  nur  sie  bei  der  Beschrei- 
bung anwenden.  So  kommt  z.  B.  bei  der  Hinterländer  Tracht  im 
Kreise  Biedenkopf  nicht  nur  ein  Halstuch  im  gewöhnlichen  Wortsinn, 
IroKweg  „Tuch"  genannt,  zu  reichlicher  Verwendung.  Es  existiert 
noch  ein  anderes  Trachtenstück,  „Halstuch"  genannt  Wer  könnte 
aber  vermuten,  daß  dieses  „Halstuch"  ein  Ärmelmieder  mit  kurzem 
RückenteU  und  ganz  schmalen  Bruststücken  ist?  Oder  wer  könnte  es 
dem  Worte  „Wams"  ansehen,  daß  es  nicht  das  gewöhnlich  so  be- 
zeichnete Kleidungsstück  bedeutet,  sondern  ledigUch  ein  paar  kurze 
Ärmelstücke,  die  nach  Art  der  Schreibärmel  etwa  bei  gewissen  Ge- 
legenheiten am  Unterarm  getragen  werden?  Wenn  man  aber  für 
jedes  Trachtenstück  eine  einheitliche  technische  Bezeichnung  gewählt 
hat,   können  die  verschiedenartigen  lokalen  Namen  keine  Verwirrung 


i)  Nähere    Nmchweise    siehe    unter    „Braodeobarg^S    »Smchsen^<,    „  Thüringen  <% 
„Bmjem«,  „  Schweiz  *<,  „  Schwanwald  ^^  im  bibliograpfaiachen  Anhang. 


—     164     — 

mehr  anrichten.  Daß  sie  auch  mit  angegeben  werden,  ist  deshalb  so 
erwünscht,  weil  sie  sowohl  für  die  Vergleichung  der  verschiedenen 
Volkstrachten  untereinander  als  auch  für  dife  Frage  nach  der  Herkunft 
der  Tracht  von  Bedeutung  sind. 

Ist  auf  diese  Weise  für  die  Beschreibung  der  Tracht  im  allge- 
meinen alles  nötige  Material  beigebracht,  so  kann  noch  auf  bestimmte 
Einzelheiten  näher  ebgegangen  werden.  Sehr  interessant  und  für  die 
Entwicklungsgeschichte  der  Tracht  nicht  ohne  Bedeutung  ist  z.  B.  die 
Frage,  inwieweit  die  Farbe  der  Tracht  mit  den  wechselnden  2^iten 
des  bürgerlichen  und  kirchlichen  Jahres  oder  mit  Veranlassungen  mehr 
persönlicher  Natur,  wie  etwa  Trauer,  Hochzeit  oder  mit  Standesunter- 
schieden (Jungfrau,  Frau,  Witwe)  u.  a.  m.  zusammenhängt.  Eine  be- 
sondere Behandlung  verdient  wohl  auch  die  an  den  einzelnen  Klei- 
dungsstücken angebrachte  Stickerei,  und  zwar  nicht  nur  hinsichtlich 
der  Technik,  sondern  auch  bezüglich  der  zur  Verwendung  kommenden 
Motive.  Ich  begnüge  mich  hier  mit  einem  Hinweis  auf  Justis  Trachten- 
buch. Justi  beschreibt  die  Stickereien  auf  den  Bruststücken,  an  den 
Hemdenkollern  und  Ärmelbündchen  sehr  eingehend  und  geht  der 
Frage  nach  der  Herkunft  der  meist  pflanzlichen  Motive  mit  einer  be- 
wundernswerten Gründlichkeit  und  erstaunlicher  Gelehrsamkeit  oft  durch 
Jahrhunderte  hindurch  nach.  Er  macht  auch  auf  den  Stil  der  Volks- 
tracht aufmerksam:  „Einen  nicht  geringen  Reiz  verleiht  der  Volks- 
tracht der  ihr  eigene  Stil,  die  während  einer  langen  Zeitdauer  heraus- 
gebildete Zweckmäßigkeit  des  Schnittes,  welche  alle  Bewegungen  des 
Körpers  erlaubt  und  dessen  Bildung  zur  Geltung  bringt,  sowie  die 
Farbenstimmung  der  einzelnen  Stücke  und  der  Schmuck  der  Ketten, 
Bänder  und  Zutaten  von  Nadelarbeit  *)."  Es  wäre  in  jedem  einzelnen 
Falle  nachzuweisen,  ob  ein  solcher  „Stil"  an  der  darzustellenden 
Volkstracht  erkennbar  ist. 

Den  Abschluß  der  Trachtenbeschreibung  wird  am  zweckmäßigsten 
die  Herausarbeitung  eines  Trachtentypus  machen.  Nur  auf  diese  Weise 
kann  in  die  verwirrende  Fülle  des  Details  eine  Übersichtlichkeit  kom- 
men, die  eine  Vergleichung  der  einen  Tracht  mit  einer  anderen  ge- 
stattet. Allerdings  muß  man  mit  der  Anwendung  des  Wortes  Typus 
vorsichtig  sein.  Man  darf  nicht  zu  verschwenderisch  damit  umgehen 
und  nicht  gleich  jede  Abweichung  in  der  Form  der  Kopfbedeckung 
oder  der  Haartracht  für  „typisch"  erklären.  Wir  halten  darum  die 
folgenden  Ausführungen  Hottenroths  für  durchaus  verfehlt :  „Bei  dem 

1)  Hesiiachu  TroMmibui^  S.  3. 


—     165     — 

Wort  „Typus"  darf  man  nicht  an  eine  Sondertracht  denken,  die  sich 
von  der  benachbarten  in  jedem  Stück  unterschieden  hätte.  Ein  Typus 
wurde  gewöhnlich  nur  durch  ein  gewisses  Stück  gekennzeichnet,  das 
besonders  stark  in  das  Auge  fiel,  vor  allem  durch  die  Kopibedeckung  *).** 
Daß  sich  ein  Typus  in  allen  Stücken  von  der  Nachbartracht  unter- 
scheide, wird  niemand  verlangen.  Umgekehrt  aber  wird  man  zwei 
Trachten,  die,  im  übrigen  gleich,  sich  nur  durch  die  Form  der  Kopf- 
bedeckung voneinander  unterscheiden,  nicht  zwei  Typen,  sondern  zwei 
Varianten  desselben  Typus  nennen.  Sonst  erhielte  man  ungefähr 
ebensoviel  Typen  als  es  Trachtendörfer  gibt.  Ich  schreibe  darum 
auch  die  Unübersichtlichkeit  und  Verworrenheit,  die  Hottenroths  NaS' 
sauischen  Volkstrachten  anhaften,  dem  Umstände  zu,  daß  er  für  jedes, 
auch  das  kleinste  Trachtengebiet,  einen  Typus  konstatieren  möchte, 
und  dabei  doch  nicht  dazu  gelangt,  diese  Typen  nun  als  scharf  um- 
rissene  Erscheinungen  hinzustellen.  Über  seine  Beschreibung  der 
Hinterländer  Volkstrachten  habe  ich  mich  mit  ihm  an  anderer  Stelle 
auseinandergesetzt  ^ )  und  dort  nachgewiesen ,  daß  er  den  wirklichen 
Typus  der  Hinterländer  Tracht  vollständig  verkannt  hat.  Er  hat  völlig 
übersehen,  daß  als  typisch  für  die  Hinterländer  Tracht  die  Tatsache 
zu  gelten  hat,  daß  Rock  und  Mieder  zusammenhängen,  die  ganze 
Kleidung  also  von  den  Schultern  getragen  wird,  während  die  benach- 
barte Hessentracht  Rock  und  Mieder  in  zwei  separate  Kleidungsstücke 
trennt.  Die  Hinterländer  Tracht  existiert  nun  in  mindestens  vier  Va- 
rianten ,  die  sich  durch  Kopfbedeckung,  Haartracht,  Schuhe,  die  Art, 
wie  das  Übermieder  oder  die  Jacke  getragen  wird  u.  a.  m.,  scharf  unter- 
scheiden. Sie  machen  auf  den  ersten  Anblick  allerdings  den  Ein- 
druck von  verschiedenen  Trachten.  Der  Forscher  aber  darf  sich  durch 
solche  oberflächlichen  Eindrücke  nicht  irreführen  lassen,  sondern  muß 
in  eingehender  Untersuchung  durch  alles  Nebensächliche  hindurch 
zum  Typischen  vordringen.  Hätte  Hottenroth  nur  einmal  die  Schnitte 
von  Rock  und  Mieder  bei  Hessentracht  und  Hinterländer  Tracht  ver- 
glichen, er  hätte  das  Typische  mit  Händen  greifen  können  *). 

Ist  das  Typische  der  Volkstracht  festgestellt,  so  kann  für  die  wei- 
tere Untersuchung  eine  g^te  Vorarbeit  geliefert  werden,  wenn  man  die 

i)  Nassauischet  TrachttvtJbuch  S.  26. 

a)  Nassovia  VII,  1906,  Nr.  16. 

3)  Was  ich  hier  am  Nassanischen  Trachtenbach  aassteUe,  gilt  auch  fUr  manche 
andere  neuere  Publikation.  J  a  s  t  i  arbeitet  auch  hier  mustergültig ;  er  bringt  auch  Schnitt- 
muster. Im  übrigen  muß  ich  mich  natürlich  bei  der  Auswahl  von  Beispielen  zur  lllostra- 
tion  meiner  Ausführungen  auf  besonders  drastische  Fälle  beschränken. 


—     156     — 

Grenzen  der  einzelnen  Trachtentypen  in  einer  Übersichtskarte 
zur  Darstellung'  bringt.  Die  Vergleichung  der  Trachtengrenzen  mit  den 
früheren  und  jetzigen  politischen  Grenzen  geben  Daten,  die  bei  der 
Frage  nach  der  Entwicklung  der  Tracht  sehr  wichtig  sind. 

Ehe  wir  aber  darauf  eingehen,  müssen  wir  hervorheben,  daß  mit 
dieser  Beschreibung  der  Tracht,  wenn  sie  auch  noch  so  eingehend 
und  noch  so  gut  illustriert  ist,  die  Aufgabe  der  Trachtenkunde  bei 
weitem  noch  nicht  erschöpft  ist.  Es  scheint  diese  Meinung  allerdings, 
nach  verschiedenen  Trachtenwerken  zu  urteilen,  weit  verbreitet.  Be- 
sonders bedauern  wir,  daß  auch  Hottenroth  in  seinen  Nassauischen 
Volkstrachten,  abgesehen  von  einer  kurzen  einleitenden  Übersicht  über 
die  Geschichte  der  Bauerntracht,  sich  mit  der  allerdings  sehr  de- 
taillierten Beschreibung  begnügt  hat.  Denn  seine  sonstigen  Publi- 
kationen, auf  die  wir  gleich  zu  sprechen  kommen,  zeigen,  daß  er  das 
Gebiet  der  historischen  Kostümkunde  in  ungewöhnlichem  Maße  be- 
herrscht, und  berechtigen  zu  Erwartungen,  die  diese  seine  neueste 
Publikation  in  keiner  Weise  erfüllt.  Die  Beschreibung  der  Tracht  stellt 
doch  immer  erst  nur  das  Rohmaterial  dar,  das  nun  bearbeitet 
werden  muß.  Hier  beginnt  erst  die  eigentliche  Arbeit  des  Trachten- 
forschers. „Die  verschiedenen  Teile  der  Tracht  haben  sich  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  festgesetzt  oder  haben  sich  länger  behauptet  als 
andere.  Es  ist  daher  Aufgabe  der  wissenschaftlichen  Trachtenkunde, 
das  Alter  und  die  Herkunft  der  einzelnen  Teile  der  volkstümlichen 
Kleidung  zu  bestimmen')."  Mit  anderen  Worten:  es  g^ilt,  nun  den 
Zusammenhang  mit  der  allgemeinen  Kostümgeschichte  herzustellen. 

Wenn  wir  die  heutigen  Volkstrachten  und  die  jetzige  Modetracht 
nebeneinander  stellen,  tut  sich  zwischen  beiden  eine  unüberbrückbare 
Kluft  auf.  Eine  Stadtdame  letzter  Mode  und  ein  Bauemmädchen,  — 
wer  sollte  es  für  möglich  halten,  daß  die  Kleidung  beider  jemals  etwas 
Gemeinsames  gehabt  haben  könnte  ?  Und  doch  führt  von  beiden  eine 
Entwicklungsreihe  nach  rückwärts  bis  zu  einem  gemeinsamen  Aus- 
gangspunkt. Die  Fäden  dieser  Entwicklung  aufzufinden,  die  Mittel- 
glieder festzustellen,  ist  die  eigentliche  Angabe  der  wissenschaftlichen 
Trachtenkunde.  Wir  können  diesen  Fragen  im  einzelnen  nicht  nach- 
gehen. Es  muß  genügen,  wenn  wir  die  Aufgabe  umschreiben  und 
auf  einige  Hilfsmittel  der  Forschung  verweisen.  Neben  allgemeinen 
kostümgeschichtlichen  Werken,  wie  dem  von  Weiß  *)  und  der  Mono- 
graphie von  Büß'),  die  auch  die  Volkstracht  berücksichtigen,  nennen 

1)  Jntti,  HestiteheB  TraekUfif^udi  S.  i6. 

2)  Siehe  den  bibliographischen  Anhang. 


—     167     — 

wir  hier  hauptsächlich  die  Publikationen  von  Hottenroth  und  den 
Lipperheideschen  Katalog.  Hottenroth  hat  seine  umfassenden  und 
gründlichen  Forschungen  in  drei  Werken  niedergelegt:  Trctchten, 
Haus-,  Feld-  und  Kriegsgeräthschaften  der  Volker  Alter  und  Netter 
2jeü;  Handbuch  der  deutschen  Tracht  und  Deutsche  Volkstrachten  — 
Städtische  und  Ländliche  —  vom  XVL  Jahrhundert  an  bis  0um  XIX. 
Jahrhundert,  Die  Titel  geben  schon  eine  Vorstellung  von  der  ver- 
schiedenen Abgrenzung  des  Stoffes,  die  die  drei  Werke  unterscheidet. 
Am  weitesten  steckt  das  erste  seine  Grenzen ;  es  umfaßt  nicht  nur  die 
europäischen  und  die  außereuropäischen  Völker,  sondern  berücksich- 
tigt neben  der  Tracht  auch  die  Geschichte  der  Geräte  und  Waffen. 
Die  beiden  anderen  Werke  unterscheiden  sich  dadurch,  daß  das  letzte 
ausschließlich  der  Volkstracht  gewidmet  ist,  während  das  zweite  auch 
die  Tracht  der  anderen  Stände  in  seinen  Bereich  zieht.  Wir  gehen 
auf  die  Deutschen  Volkstrachten  (Verlag  von  Heinrich  Keller,  Frank- 
furt a.  M.,  3  Bände)  etwas  näher  ein.  Nach  einer  kurzen  einleitenden 
Übersicht  (I,  i — ^4)  g^bt  der  Verfasser  zunächst  eine  Geschichte  der 
Bauemtrachten  vom  XVI.  bis  IX.  Jahrhundert  (I,  4 — 51),  in  der  er  die 
Entwicklung  eines  jeden  einzelnen  Kleidungsstückes  sowohl  beim  männ- 
lichen wie  beim  weiblichen  Geschlecht  durch  den  genannten  Zeitraum 
hindurch  verfolgt.  Hosen,  Strümpfe,  Schuhe,  Stiefel,  Hemd^  Hals- 
binde, Kragen,  Kittel,  Schecke,  Schaube,  Wams,  Weste,  Mantel,  Mütze, 
Barett,  Hut,  bei  den  Frauen  Rock,  Leibchen,  Jacke,  Mieder,  Koller, 
Brustlatz,  Strümpfe,  Schuhe,  Schürze,  Mantel,  Kopf  hülle,  Haube,  Frisur, 
Schmuckstücke,  Handschuhe,  Täschchen  werden  der  Reihe  nach  ein- 
gehend besprochen.  Unterstützt  wird  die  Darstellung  durch  eine 
Fülle  trefflicher  Abbildungen  und  Schnitte,  die  alle  auf  alte  und  älteste 
Quellen  oder  bekannte  Sammelwerke  zurückgehen  und  dadurch  be- 
sonders wertvoll  werden,  daß  die  Quelle,  aus  der  sie  genommen  sind, 
stets  angegeben  ist.  Es  folgen  die  „Trachten  nach  den  einzelnen 
G^enden",  und  zwar  Elsaß -Lothringen  (I,  51 — 80),  die  Pfalz  und 
Rheinhessen  (I,  81 — 87),  Baden,  Württemberg  und  die  deutsche 
Schweiz  (I,  81 — 126),  der  Maingau  (I,  127 — 153),  Bayern  (I,  154 — 223), 
das  westliche  Mitteldeutschland  (Braunschweig,  Westfalen,  Hessen, 
Rheingau,  Köln;  II,  1—88),  die  nord westdeutsche  Tiefebene  (Holland, 
Niederrhein,  Friesland,  Schleswig -Holstein,  Hamburg,  Eibniederung; 
II,  88—218),  das  nordöstliche  Deutschland  (III,  i  — 13),  Mecklenburg 
(in,  13 — 28),  die  sächsischen  Staaten  (III,  29 — 76),  Preußen,  östliche 
Hälfte  (Halloren,  Brandenburg,  Pommern,  Ost-  und  Westpreußen,  Li- 
tauen, Schlesien;  III,  76^133),  Deutsch-Böhmen  (III,  134 — 151)  und 


n 


—     168     — 

eine  sehr  reichhaltige  Nachlese  zu  allen  früheren  Abschnitten  (III, 
151 — 222).  Ein  Quellenreg^ster,  eine  Übersicht  der  Abbildungen  und 
Farbentafeln,  sowie  ein  sorgfältiges  Sachregister  zu  allen  drei  Bänden 
bilden  den  Schluß  des  dritten  Bandes.  Besondere  Hervorhebung  ver- 
dienen die  prachtvollen  Farbentafeln  mit  Trachtenabbildungen,  deren 
jeder  Band  48  enthält.  Sie  sind  ebenso  wie  die  zahlreichen  Text- 
abbildungen von  einer  minutiösen  Sorgfalt,  die  jedes  Lobes  würdig 
ist.  Die  Art,  wie  auch  die  entferntesten  Quellen  wie  Kalender,  Städte- 
ansichten, Landschaftsbilder  herangezogen  und  ausgenützt  sind,  macht 
diese  Bände  zu  einem  Standard  worh  der  Trachtenkunde,  das  für 
jeden  Forscher  unentbehrlich  ist.  Was  man  oft  bei  zeitraubendster 
Nachforschung  in  den  Bibliotheken  nicht  finden  würde,  hat  man  hier 
alles  fein  säuberlich  gesammelt  und  geordnet  vor  sich. 

Indessen  wird  man  doch  bei  eingehenderen  Untersuchungen  auf 
die  Originalquellen  selbst  zurückgehen  müssen.  „Die  Originalquellen 
in  Schrift  und  Bild  gewinnen  vom  XVI.  Jahrhundert  ab  an  Umfang 
und  Bedeutung,  an  Sorgfalt  und  Zuverlässigkeit.  Es  sind,  zu  den  viel- 
fach zerstreuten  Nachrichten  in  Chroniken,  Städteordnungen,  Aufwand- 
gesetzen, Predigten,  satirischen  Schriften,  Reisebeschreibungen,  Einzel- 
notizen, Memoiren  usw.  bis  gegen  die  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts  die 
Werke  gleichzeitiger  Künstler,  Bildhauerarbeiten  und  Schnitzereien, 
Gemälde,  Holzschnitte,  Kupferstiche,  als  noch  insbesondere  die  häu- 
figen bildlichen  Darstellungen  der  zurzeit  gedruckten  Schriften.  Diese 
Quellen  setzen  sich  in  die  zweite  Hälfte  des  Jahrhunderts  fort,  ver- 
lieren aber  unter  dem  Einflufi  der  nunmehrigen  Renaissance,  durch 
Einmischung  und  Nachahmung  von  altrömischen  Kostümformen,  an 
sachlicher  Treue  und  Genauigkeit.  Dagegen,  mit  infolgedessen,  macht 
sich  jetzt  das  Bestreben  geltend,  die  Trachten  auch  der  verschiedensten 
Völker  ihrer  wahren  Beschaffenheit  nach  kennen  zu  lernen,  und  diese 
Kenntnisse  allgemeiner  nutzbar  zu  machen.  Es  entstehen  Sammlungen 
von  Trachten,  sogenannte  Trachtenbücher,  deren  Zeichner  oder  Ver- 
fasser sich  alsbald  selbst  die  Aufgabe  stellen,  auch  die  Trachten  ver- 
gangener Zeiten,  nach  Maßgabe  ihnen  bekannter  Denkmale  möglichst 
genau  zu  vergegenwärtigen  *).  Im  XVIII.  Jahrhundert  verlieren  die 
Städteordnungen,  Aufwandgesetze  u.  dgl.  an  Umfang  und  Bedeutung. 
Auch  die  Memoiren  ziehen  sich  enger  zusammen;  dagegen  liefern 
nunmehr  die  , Reisen*  mit  ihren  , Briefen,  Beobachtungen,  Schilde- 
rungen der  gesellschaftlichen  Zustände'  usw.  zunehmend  reicheren 
Stoff.     Die  Trachtenbücher  lösen  sich  immer  mehr  zu  losen  ,Trachten- 

I)  Weii,  Kottümkimde.    Zweite  AbteUanf  (1872).  S.  525  Anm. 


—  169  — 

Folgen '  und  Einzelblättern  auf,  während  nach  diesem  Zeitpunkt  diese 
Folgen  und  Blätter  selbst  sich  allmählich  zu  eigentlichen  ,Zeit-  und 
Modebildern*  gestalten.  Mit  den  dann  zuerst  in  Deutschland  auf- 
tauchenden jTaschenkalendern *  und  »Taschenbüchern*  werden  zu- 
gleich derartige  Darstellungen  zu  einem  fortlaufenden  Bestandteil  der- 
selben *).** 

Ein  unentbehrlicher  Führer  durch  diese  Menge  von  Quellenmate- 
rial ist  der  Katalog  der  Freiherrlich  von  Lipperheideschen  Sammlung 
für  Kostümwissenschaft,  dessen  „Dritte  Abteilung:  Büchersamm- 
lung** in  zwei  stattlichen  Bänden  mit  zahlreichen  Abbildungen  zuerst 
erschienen  ist  *;.  Der  Berliner  Verleger  Franz  Lipperheide,  um  seiner 
Verdienste  um  die  Kostürawissenschaft  willen  in  den  Freiherrenstand 
versetzt,  hat  in  jahrelanger  systematischer  Sammelarbeit  eine  hervor- 
ragende kostümgeschichtliche  Bibliothek  zusammengebracht,  die  er 
dem  preußischen  Staate  zum  Geschenk  machte  und  die  jetzt  vom 
Königlichen  Kunstgewerbemuseum  verwaltet  wird.  Die  Sammlung 
umfaßt  Bilder,  Einzelblätter,  Bücher,  Almanache,  Zeitschriften.  Um 
ein  Bild  von  der  Reichhaltigkeit  der  Sammlung  zu  geben,  notieren 
wir  einige  Zahlen:  Die  Abteilung  Einzelblätter  besteht  aus  2750  Hand- 
zeichnungen, 23  750  Kupferstichen,  Holzschnitten,  Lithographien,  2580 
Photographien;  an  Zeitschriften  sind  185  Modezeitungen  \n  1620  Jahr-* 
gangen  vom  Jahre  1777  an,  30  illustrierte  Zeitungen  allgemeinen  In* 
halts  in  4io  Jahrgängen,  25  Zeitschriften  für  Kunst  und  Gewerbe  in 
155  Jahrgängen  vorhanden.  Kataloge  der  Bilder  und  Einzelblätter, 
sowie  der  Almanache  und  Zeitschriften  sind  in  Vorbereitung.  Der 
zuerst  erschienene  Bücherkatalog  enthält  4818  Nummern,  außer  zahl- 
reichen Nachträgen.  Aus  der  Inhaltsübersicht  heben  wir  hervor i 
I.  Allgemeine  Trachtenkunde  (Werke  des  XVI.,  XVII.,  XVIII.  XIX; 
Jahrhunderts)  98  Nummern;  II.  Die  Tracht  im  Altertum  (die  alten 
Völker  des  Orients,  Griechenland  und  Italien  bis  zum  Untergang  des 
römischen  Reichs,  die  Völker  in  Mittel-  und  Nordeuropa  bis  zur  Völker- 
wanderung) Nr.  99 — 309;  III.  Die  Tracht  im  Mittelalter  und  in  der 
Neuzeit  (in  einzelnen  Perioden  und  in  einzelnen  Ländern)  Nr.  310  — 
1641 ;  IV.  Einzelne  Teile  der  Tracht  (Haartracht,  Kopfbedeckung, 
Halsbekleidung,  Handschuhe,  Schnürbrust  und  Reifrock,  Fußbeklei- 
dung, Schmucksachen)  Nr.  1642 — 1756;  V.  Die  Tracht  einzelner  Stände 
(Herrscheromat,  Hof-  und  Amtstrachten,  geistliche  Tracht,  Ordenstracht,. 


i)  Weifi,  a.  a.  O.,  S.  1205  Anm. 

3)  Berlin,  Frans  Lipperheide,  1896 — 1905. 


—     160     — 

die  bürgerlichen  Stände,  die  Krieg^tracht,  Waffen)  Nr.  1757 — 2467; 
VI.  Die  Tracht  für  besondere  Veranlassungen  (Festlichkeiten,  Leibes- 
übungen und  Spiele,  Theater-,  Phantasie-  und  Maskenkostüme)  Nr.  2468 
—  3233;  VII.  Ästhetik  und  Hygiene  der  Tracht  Nr.  3234 — 3320;  VIII. 
Gesetze  und  Verbote  (Kleiderordnungen)  Nr.  3321 — 3423;  IX.  Streit- 
schriften und  Satiren  auf  die  Tracht;  Karikaturen  und  Spottbilder 
Nr.  3424 — 3726;  X.  Die  Künste  und  Gewerbe  im  Dienste  der  Tracht 
(Schneiderei,  textUe  Kunst,  Ausschmückung  des  Hauses)  Nr.  3727  — 
4439;  XI.  Almanache,  Zeitschriften  Nr.  4440 — ^4818.  Der  Katalog  ist 
nicht  nur  ein  unentbehrliches  bibliographisches  Hilfsmittel,  das  in 
der  Genauigkeit  seiner  Angaben  allen  berechtigten  Anforderungen 
vollkommen  genügt  und  bei  selteneren  Werken  und  Handschriften 
eine  eingehende  bibliographische  Beschreibung  g^ibt  Es  ist  für  den 
Forscher  auch  insofern  unersetzlich,  als  es  darüber  Auskunft  gibt,  ob 
ein  bestimmtes  Werk  in  der  Lipperheideschen  Sammlung  vorhanden 
ist  und  ihm  zur  Benutzung  freisteht. 

Wenn  man  nun  das  Alter  und  die  Herkunft  der  einzelnen  Trachten- 
stücke nach  rückwärts  verfolgen  will,  bis  man  in  der  Modetracht  frü- 
herer Jahrhunderte  ein  mehr  oder  weniger  getreues  Vorbild  von  ihnen 
findet,  so  muß  man,  um  nicht  irre  zu  gehen  oder  vergebliche  Ver- 
suche anzustellen,  zwei  Tatsachen  berücksichtigen,  die  sich  immer 
aufs  neue  wieder  bestätigen:  Die  Tracht  des  Volkes  ist  kein 
einheitliches  Ganzes  und  die  Tracht  ist  nicht  unverän- 
derlich. 

Die  Tracht  ist  kein  einheitliches  Ganzes.  Altes  und  Neues,  Äl- 
testes und  Neuestes  findet  sich  in  ihr  nebeneinander.  Man  kann  dort, 
wo  die  Tracht  noch  lebendig  ist,  zahlreiche  Beispiele  aus  neuester  Zeit 
anfuhren.  So  ist  der  „  Motze  **,  die  Jacke,  welche  die  Frauen  im  ehe- 
maligen Amt  Biedenkopf  und  den  angrenzenden  Dörfern  tragen,  erst 
im  XIX.  Jahrhundert  aufgekommen.  Vorher  trug  man  zur  Bedeckung 
der  Hemdärmel  das  „Halstuch"  (vgl.  bei  Justi  Tafel  XVII);  erst  un- 
serer verweichlichten  Zeit  war  diese  luftige  Bekleidung,  z.  B.  in  der 
kalten  Kirche,  nicht  mehr  warm  genug.  Femer  haben  die  Hinter- 
länder Mädchen ,  die  den  Sommer  über  auf  den  Höfen  der  Wetterau 
arbeiten,  von  dort  eine  Schürze  eingeführt,  die  zu  der  hiesigen  schwarzen 
Tracht  absolut  nicht  paßt  und  trotzdem  sich  immer  weiter  verbreitet 
Genau  so  steht  es  in  anderen  G^enden.  So  berichtet  Bracht  in  den 
Mitteilungen  des  Museums  für  Volkstrachten,  Heft  i :  „  Man  glaubt  [in 
der  hoch  aufgebauten  Hümlinger  Tüllmütze]  einen  Rest  altertümlicher 
Volkstracht  vor  sich  zu  haben.     Und  doch  ist  dem  nicht  so.    Volks- 


—     161     — 

tracht  ist  es  zwar;  . . .  aber  altertümlich  ist  sie  nicht  Die  . . .  Hauben 
sind  genau  nach  der  1895  er  Mode  von  der  Ortsputzmacherin  her- 
gestellt. . . .  Die  Federn  sind  erst  seit  kurzem  an  der  Tagesordnung/' 
In  der  heutigen  Bückeburger  Tracht  fallen  die  riesigen  Flügelhauben 
auf,  „ohne  die  man  sich  jetzt  ...  die  Bückeburger  Frauentracht  gar 
nicht  mehr  vorstellen  kann/'  Und  doch  ist  diese  Flügelhaube  erst 
„Mitte  der  1870er  Jahre  aufgekommen;  sogar  die  Näherin  konnte 
noch  festgestellt  werden,  die  mit  ihrer  Anfertigung  begonnen  hat'' 
(Jostes,  a.  a.  O.  S.  189  f.).  Um  noch  ein  Beispiel  aus  der  männlichen 
Tracht  anzuführen,  erwähne  ich  die  blaue  Bluse,  von  der  Jostes  be- 
richtet, daß  sie  erst  im  zweiten  Viertel  des  XDC.  Jahrhunderts  von 
Süden  her  in  Westfalen  eindrang  (a.  a.  O.  S.  163).  Diese  Beispiele 
zeigen,  daß  die  Trachtenstücke,  die  heute  gleichzeitig  getragen  werden, 
sehr  verschiedenen  Alters  sein  und  oft  aus  weit  auseinanderliegenden 
Perioden  der  Mode  stammen  können.  So  sehr  ich  daher  die  Sach- 
kenntnis Justis  schätze,  muß  ich  doch,  gestützt  auf  diese  Vorgänge 
aus  neuester  Zeit,  ein  Fragezeichen  machen,  wenn  er  schreibt:  „Es 
kann  ...  die  kirchliche  Tracht  der  Männer  nur  in  ihrer  Voll- 
ständigkeit aus  der  Stadt  aufs  Land  verpflanzt  sein;  und  es  ist  un- 
denkbar, daß  der  aus  der  Mitte  des  XVIII.  Jahrhunderts  stammende 
Kirchenrock  in  die  ältere  Tracht  des  XVI.  und  XVII.  au^'enommen 
worden  wäre,  ohne  auch  die  Einführung  der  zugehörigen  Beinkleider 
mit  sich  zu  bringen"  (S.  8a).  Jedenfalls  wird  man  sich  stets  die 
Möglichkeit  vor  Augen  halten  müssen,  daß  die  Trachtenstücke,  die 
man  vorfindet,  zu  sehr  verschiedenen  Zeiten  aus  der  Mode  in  die 
Volkstracht  übernommen  worden  sind. 

Und  ebenso  muß  man  die  Veränderlichkeit  der  Tracht  be- 
achten. Ein  jedes  Trachtenstück  hat  eine  mehr  oder  weniger  durch- 
greifende Veränderung  durchgemacht.  Schon  bei  der  Übernahme  in 
die  Volkstracht  bleibt  es  nicht  unverändert.  „Es  dauert  oft  lange, 
bis  das  Auge  alle  Einzelheiten  der  Tracht  richtig  sieht  und  ihre  Vor- 
bilder im  Wechsel  früherer  Moden  wiederzufinden  vermag,  welche  bei 
ihrem  Übergang  in  die  Tracht  gewissen  von  den  Bedürihissen  der 
ländlichen  Arbeit  und  von  der  auf  dem  Lande  herrschenden  Ein- 
fachheit gebotenen  Veränderungen  unterworfen  zu  werden  pflegen"  *). 
Den  Einfluß  der  Mode  auf  dem  Lande  darf  man  nicht  unterschätzen. 
Zwar  geht  der  Wechsel  hier  langsamer  vor  sich  als  in  der  Stadt*); 
und  seit  dem  letzten  Drittel  des  XVIII.  Jahrhunderts   hat  die  Tracht 


I)  He$$.  Trachtenbueh  S.  13b. 
i)  Jottes,  a.  m.  O.  S.  161  f. 


12 


—     162     — 

eine  durchgreifende  Veränderung'  nicht  mehr  erfahren*).  Aber 
ganz  unverändert  ist  darum  die  Tracht  nicht  geblieben.  Die 
lebenden  Trachten  zeigen  noch  heute  diese  Beweglichkeit,  und  auf 
die  Frage,  warum  dies  oder  jenes  Stück  jetzt  anders  getragen  werde 
als  früher,  erhält  man  die  sehr  charakteristische  Antwort:  „Das  ist 
nicht  mehr  Mode.*'  Ein  französischer  Emigrant  hat  das  schon  im 
XVIII.  Jahrhundert  an  der  westfälischen  Stirnbinde  beobachtet,  „welche 
in  ihrem  oberen  Teile  bis  unter  die  Mütze  reicht.  Ehemals  war  diese 
Binde  von  weißem  Linnen  und  lag  mit  dem  Rande  auf  den  Augen- 
brauen. Allmählich  hat  sie  sich  zurückgezogen,  und  jetzt  ist  sie  kaum 
noch  einen  Daumen  breit.  Der  Luxus  hat  auch  einen  Wechsel  des 
Stoffes  gebracht :  jetzt  ist  es  mehr  oder  weniger  sichtbare  Kante,  bald 
wird  auch  die  Kante  verschwinden  und  das  Stirnhaar  sichtbar  werden. 
Einige  kühne  Frauen  haben  dies  in  ihren  Dörfern  bereits  vorgemacht 
und  die  Kante  in  Fältchen  auf  beiden  Seiten  der  Mütze  als  Verzie- 
rung angebracht*'*).  Genau  derselbe  Vorgang  des  „Einschrumpfens" 
eines  Trachtenstückes  liegt  bei  dem  im  Hinterland  noch  jetzt  üblichen 
„Wams",  einem  Ärmelpaar*),  vor,  dem  letzten  Rest  des  früher  ge- 
bräuchlichen vollständigen  Kleidungsstückes  *).  Den  umgekehrten 
Prozeß  hat  die  münsterländische  „Twigpandsmüske**  durchgemacht, 
die  aus  einer  anliegenden  Haube  durch  das  Einschieben  einer  Papp- 
scheibe sich  immer  mehr  vergrößerte,  so  daß  schließlich  der  hintere 
Teil  den  Kopf  wie  eine  Art  Heiligenschein  umgab  *). 

Wird  durch  diese  beiden  Umstände  das  Auffinden  der  Trachten- 
originale  in  der  Zeitmode  erschwert,  so  haben  sich  doch  auch  ein- 
zelne Kleidungsstücke  völlig  unverändert  erhalten.  Das  gilt  nament- 
lich von  solchen,  die  bei  besonderen  Anlässen  getragen  werden. 
Weil  das  Ungewöhnliche  auch  besonders  feierlich  erscheint,  hat  sich 
eine  sonst  völlig  verschwundene  Tracht  oft  noch  als  Festtracht,  Abend- 
mahlskleidung, Trauertracht  u.  a.  m.  erhalten  ®).  Eine  bekannte  Parallele 
für  diese  Erscheinung  ist  unsere  heutige  Hoftracht,  deren  Kniehosen, 
Wadenstrümpfe  und  Schnallenschuhe  aus  dem  täglichen  Leben  längst 
verschwunden  sind. 


i)  Jnsti,  S.  9b. 

2)  Jostes,a.  a.  O.  S.  162. 

3)  Vgl.  Justi,  Tafel  XVUL 

4)  Justi,  S.  33.  45a- 

5)  Jostcs,  S.   164  f.     Weitere   Beispiele  von  Veränderung   der   Tracht    siehe   bei 
Tetzner,  Slawen  in  Deutschiand,  S.  306.  361. 

6)  Vgl.  Justi,  S.  8a.  38b.  40b. 


—     168     — 

Ein  Hilfsmittel  für  dieses  Aufsuchen  der  Verbindung^sfäden  nach 
rückwärts  sind  neben  den  eigentlichen  Trachtenbüchem  die  Darstel- 
lungen zeitgenössischer  Künstler,  die  ja  jetzt  in  den  verschiedensten 
Sammlungen  zugänglicher  gemacht  sind.  Was  dieses  anscheinend  so 
spröde  Material  herzugeben  vermag,  wenn  man  es  ausgiebig  befragt, 
zeigt  Justi,  der  sich  keine  Mühe  hat  verdrießen  lassen,  auch  die  ent- 
legendsten  Quellen  heranzuziehen.  Bei  einigen  seiner  Tafeln  hat  er 
den  originellen  Einfall,  die  betreffende  zeitgenössische  Darstellung  als 
WandbUd  in  die  Bauernstuben  zu  hängen  *).  Das  wirkt  sehr  instruktiv 
und  überzeugend. 

Man  wird  sich  aber  stets  bewußt  bleiben  müssen,  daß  diese  Auf- 
hellung der  Vergangenheit  niemals  vollständig  sein  kann.  „Die  Zu- 
sammensetzung der  Volkstracht  aus  zeitlich  verschiedenen  Teilen  in 
Verbindung  mit  den  für  die  ländlichen  Verhältnisse  erforderlichen 
Veränderungen  erklärt  die  Tatsache,  daß  die  ländliche  Tracht  niemals 
ein  genaues  Vorbild  in  der  modischen  Kleidung  hat**  *).  Dazu  kommt, 
daß  man  die  Herleitung  der  Volkstracht  aus  der  Modetracht  „nicht 
in  dem  ganzen  Umfange  der  Tracht  verfolgen  kann,  weil  die  Trachten- 
bücher meist  zum  Schaden  der  Gründlichkeit  zu  große  Zeiträume  um- 
fassen und  sich  auf  zu  zahlreiche  Länder  erstrecken**  *).  Man  begegnet 
darum  auch  immer  wieder  den  Versuchen,  die  „Originalität**  der 
Volkstracht  zu  retten,  indem  man  ihre  Herkunft  aus  der  Modetracht 
gewisser  Epochen  leugnet  Besonders  bedauerlich  ist  es,  wenn  sich 
sogar  in  den  Mitteilungen  des  Museums  für  Volksirachten  folgende 
pathetische  Deklamationen  finden:  „Es  sollte  wohl  schwer  sein,  in 
der  höfischen  Tracht  vergangener  Jahrhunderte  das  Vorbild  für  die 
Tracht  der  Oberbayem,  der  Meraner  Saltner,  der  Mädchen  und  Frauen 
von  Bückeburg,  von  Altenburg,  der  Vierlande  usw.  nachzuweisen. 
Und  selbst  wo  einmal  ein  dreispitziger  Hut,  ein  langer,  mit  blanken 
Knöpfen  besetzter  Rock,  ein  Goldhäubchen  als  Überbleibsel  einer 
höfischen  Tracht  gedeutet  werden  könnte,  da  ist  es  doch  in  den  meisten 
Fällen  nur  ein  einzelner  Bestandteil  des  Anzuges,  während  sich  das 
übrige  Kostüm  als  echte  Volkstracht  erweist***).  Diese  Ausfuhrungen 
beweisen  nur,  wie  viel  Mißverständnisse  noch  zu  beseitigen  sind,  ehe 
die  Trachtenkunde  allgemein  auf  wissenschaftlichen  Boden  gestellt  ist. 


I)  Tafel  IX.  XVIL 
a)  Justi,  S.  15. 

3)  Ebd.  S.  5. 

4)  S.  277. 

12* 


—     164     — 

Die  Tatsache,  dafi  die  heutige  „Kleidung'  des  Landvolkes  nicht 
von  diesem  erfunden  ist,  sondern  die  zu  irgendeiner  Zeit  stehen  geblie- 
bene Mode  zeigt,  die  sich  nur  wenig  dadurch  von  der  städtischen 
entfernt  hat,  daß  sie  den  Anforderungen  der  ländlichen  Arbeit  gemäß 
verändert  isf  ^),  läßt  sich  durch  zu  zahlreiche  Beispiele  belegen,  als 
daß  sie  mit  Erfolg  bestritten  werden  könnte.  Darüber,  wann  dieses 
Stehenbleiben  der  Mode  auf  dem  Lande  eingetreten  ist,  läßt  sich  im 
allgemeinen  nur  sagen,  daß  es  im  Laufe  des  XVII.  und  XVIII.  Jahr- 
hunderts erfolgte.  Bis  dahin  erhielt  sich  die  im  XVI.  Jahrhundert 
aufgekommene  ländliche  Tracht ').  Dann  aber  „  blieb  die  Mode  der 
weniger  bemittelten  Stände  oder  der  Bewohner  kleiner  Städte  .  .  . 
stufenweise  zurück,  sie  wurde  altmodisch,  bis  sie  eine  so  von  der 
modischen  verschiedene  Erscheinung  angenommen  hatte,  daß  ein  Zu- 
sammenhang zwischen  beiden  nicht  mehr  zu  erkennen  isf  ').  Auch 
die  große  Mannigfaltigkeit  der  Volkstrachten  ändert  an  diesem  Er- 
gebnis nichts,  denn  sie  „rührt  daher,  daß  einzelne  Bestandteile  der 
modischen  Kleidung  sich  zu  verschiedenen  Zeitpunkten  in  der  Volks- 
tracht befestigt  oder  sich  länger  als  andere  behauptet  haben'*  ^). 

Für  das  Festwerden  der  Modekleidung  in  der  Volkstracht  Bei- 
spiele anzuführen,  würde  über  den  Rahmen  dieser  Skizze  hinausgehen. 
Wir  verweisen  auf  die  wiederholt  zitierten  Trachtenbücher  *)  und 
erwähnen  nur  zwei  besonders  charakteristische  Fälle.  Der  eine  be- 
trifft die  Brautkrone,  „  deren  allmähliches  Herabsinken  vom  Adel  zum 
Bürger-  und  schließlich  zum  Bauernstande  die  Einwirkung  der  städti- 
schen Mode  auf  die  Volkstracht  veranschaulicht;  am  Schlüsse  des 
XVI.  Jahrhunderts  war  die  Krone  in  Lüneburg  noch  ein  ausschließ- 
liches Vorrecht  der  Sülfmeistertöchter  und  der  Töchter  von  den  Ge- 
schlechtem" ^).  Und  sogar  auf  ausländischen  Einfluß  führt  Jostes  die 
„eigenartigen,  aus  aufgenähten  Goldplättchen  hergestellten  Stickereien" 
der  münsterländischen  Hauben  zurück,  die  zuerst  von  französischen 
Emigrrantinnen  angefertigt  sein  sollen.  Er  hält  es  auch  für  möglich, 
daß  die  Form  der  dortigen  Hauben,  die  den  im  Rheinland  üblichen 
Brabänter  Hauben  ähneln,  ebenfalls  vom  Auslande  her  beeinflußt 
worden  ist  ^).     Um  zu  zeigen,  wie  sehr  hier  die  Untersuchung  ins  De- 

1)  Jnsti,  S.  5. 

2)  Ebd.  S.  8. 

3)  Ebd.  S.  15. 

4)  Vgl.  mach  Zeitsehr.  d.  Ver.  f.  Volk$hund€  XV,  S.  196. 

5)  A.  m.  O.  Xn,  S.  473- 

6)  Westfäi,  Irachtenbuch  S.  150. 


—     166     — 

tail  gehen  muß,  wie  viel  sich  aber  auch  dadurch  eruieren  läßt,  geben 
wir  noch  kurz  einige  Resultate  der  Justischen  Forschungen.  Im  „Büffel" 
der  Biedenköpfer  Tracht  findet  er  die  Form  des  altdeutschen  Hemdes 
wieder  (S.  17);  der  Vorstecklatz  kommt  im  XV.  bis  XVII.  Jahrhun- 
dert in  der  Modetracht  vor  (S.  20);  das  „Oberhemd"  im  XVI.  (S.  18), 
ebenso  die  feingefaltelten  Röcke  (S.  22).  Die  Form  der  Schuhe  —  zwei 
Seitenlaschen  mit  Mittelzunge  —  war  im  XVII.  und  XVIII.  Jahrhun- 
dert allgemein  üblich.  Die  Kappe  des  Breidenbacher  Grundes  er- 
innert ihn  an  die  brabantischen  Mützen  des  XV.  und  XVI.  Jahrhun- 
derts (S.  13.  24.  29);  für  die  „  Schneppekapp "  des  Amtes  Blanken- 
stein  findet  er  gar  in  der  italienischen  Mode  des  XV.  und  XVI.  Jahr- 
hunderts VorbUder  (S.  38);  während  die  Trauermäntelchen  der  Frauen 
der  niederländischen,  auch  am  Niederrhein  üblichen  Hoike  ähneln  (S.  39). 
Für  das  „Halstuch"  geht  er  bis  auf  das  altdeutsche  henfin  ärmeUuch 
zurück  und  belegt  das  Vorhandensein  dieses  Kleidungsstückes  aus 
zahlreichen  Quellen  des  XIII.,  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts  (S.  31  f.)- 

Gehen  wir  nun  diesem  Erstarrungsprozeß  der  flüchtigen  Mode 
etwas  weiter  nach,  so  tut  sich  uns  sofort  eine  Fülle  von  Einzelfragen 
auf,  deren  Lösung  oft  nicht  geringe  Schwierigkeiten  macht,  und  bei 
denen  man  sich  vor  vorschnellen  Vermutungen  besonders  ängstlich 
hüten  muß.  Sie  hängen  alle  mehr  oder  weniger  eng  mit  der  Tat- 
sache zusammen,  daß  die  Volkstrachten  alle  ein  ganz  bestimmt  um- 
grenztes Gebiet  beherrschen  und  an  den  Grenzorten  ganz  unvermittelt, 
ohne  jeglichen  Übergang,  auf  eine  völlig  andersartige  Tracht  stoßen. 
Wie  ist  diese  Tatsache  zu  erklären?  Der  größte  Fehler,  den  man 
begehen  kann,  ist  der,  eine  allgemein  gültige  Erklärung  zu  suchen. 
Man  wird  vielmehr  in  jedem  einzelnen  Fall  genau  nachforschen  müssen, 
weil  der  Gründe  für  diese  lokale  Begrenzung  der  Trachten  natürlich 
sehr  viele  sind  und  in  der  Regel  die  lokale  Begfrenzung  auch  lokal 
bedingt  ist. 

Der  nächste  Grund,  auf  den  die  dilettantische  Nachforschung 
immer  wieder  verfallt,  ist  die  ethnographische  Verschiedenheit  der 
Bewohner.  Es  ist  ja  auch  so  einleuchtend:  in  der  Tracht  prägt  sich 
ebenso  wie  im  Hausbau  und  in  der  Mundart  die  Verschiedenheit  des 
Volkstums  aus:  hier  Franken,  hier  Alemannen,  hier  Thüringer,  hier 
Bayern,  hier  alte  Keltenreste  usw.  Aber  es  fehlt  für  diese  Behaup- 
tung jegliche  sachliche  Begründung.  Die  Dialektforschung  weiß  das 
schon  lange;  die  Hausforschung  beginnt  ihre  Terminologie  danach 
einzurichten  und  die  Bezeichnungen  „fränkisches",  „sächsisches"  usw. 
Haus    durch    geeignetere  zu    ersetzen.     Auch  die  Trachtenforschung 


—     166     — 

wird  den  Gedanken  an  eine  ethnographisch  bedingte  Verschiedenheit 
der  Trachtentypen  als  unstatthaft  und  unrichtig  abweisen  müssen^). 

Dagegen  tritt  es  immer  deutlicher  hervor,  welche  tief  in  das  Volks- 
leben einschneidende  Rolle  in  früherer  Zeit  die  politischen  Grenzen 
gespielt  haben.  Genau  wie  bei  den  Mundarten  sind  auch  bei  den 
Trachten  die  jetzigen  Grenzen  vielfach  nichts  anderes  als  die  früheren 
politischen  Grenzen.  Diese  Tatsache  ist  gar  nicht  so  auffallend.  Wenn 
man  die  Abgeschlossenheit  der  Dörfer  bedenkt,  deren  Verkehr  sich 
meistens  auf  die  in  der  Nähe  gelegene  Amtsstadt  beschränkte,  und 
die  Rivalität  und  Feindschaft  erwägt,  die  oft  zwischen  zwei  benach- 
barten kleinen  Territorien  herrschte,  wird  man  es  erklärlich  finden, 
daß  ein  Teil  die  im  anderen  Teil  aufkommende  Tracht  bewußt  ab- 
lehnte. So  besteht  noch  heute  zwischen  dem  ehemaligen  Kurhessen 
und  dem  Großherzogtum  Hessen  eine  solche  Abneigung,  daß  „es  für 
ein  Mädchen  aus  einem  Grenzdorf  unmöglich  ist,  die  Kleidung  von 
der  anderen  Seite  der  Landesmark  anzulegen "  •).  In  Westfalen  konnte 
der  blaue  Kittel  anfangs  des  XIX.  Jahrhunderts  nicht  über  die  nörd- 
liche Grenze  des  Münsterlandes  hinausdringen,  weil  man  ihn  jenseits 
der  Grenze  für  ein  spezifisch  „preußisches"  Kleidungsstück  ansah*). 
Im  Breidenbacher  Grund  im  Kreise  Biedenkopf  fallen  nicht  nur  die 
Grenzen  nach  außen  hin,  sondern  auch  die  Grenzen  der  beiden  Va- 
rianten des  Breidenbacher  Typus  mit  früheren  politischen  Grenzen  zu- 
sammen, die  sich  in  einer  eigentümlichen  Rechtsordnung  bis  ins 
XIX.  Jahrhundert  lebendig  erhielten  *).  Die  Marburger  Tracht  konnte 
sich  erst  nach  Westen  hin  ausbreiten,  als  nach  1866  der  angrenzeijide 
Kreis  Biedenkopf  gleichfalls  preußisch  geworden  war  und  die  frühere 
Grenze  sich  zu  verwischen  begann  *).  Dieselben  Beobachtungen  lassen 
sich  in  Westfalen  **)  und  anderwärts  machen.  Man  wird  also  stets  in 
erster  Linie  die  früheren  politischen  Verhältnisse  eines  Bezirks  zur 
Erklärung  der  in  ihm  vorhandenen  Trachtengrenzen  heranziehen 
müssen. 

Neben  diesem  Erklärungsgrund  pflegt  man  als  einen  ebenso  wich- 
tigen die  konfessionellen  Verschiedenheiten  zu  stellen  und  die  Trachten- 
grenzen als  konfessionell  bedingt  anzusehen.    Es  läßt  sich  nicht  leugnen, 


i)  Vgl.  Jnsti  S.  10.   II. 
i)  Ebd.  S.   13. 

3)  Jostes,  S.  163. 

4)  Justi,  S.  13. 

5)  Ebd.  S.  laf. 

6)  Joites,  S.  170.  181. 


—     167     — 

daß  dieses  Moment  eine  Rolle  spielt.  So  kann  man  in  Westfalen  die 
Beobachtung'  machen,  daß  die  Sitte,  die  Hauben  zu  besticken,  sich 
auf  die  rein  katholischen  Gegenden  beschränkt.  Der  Grund  dafür 
lieg^  darin,  daß  die  Kunst  der  Stickerei  hauptsächlich  in  den  Frauen- 
klöstem  gepflegt  ward,  den  protestantischen  Landleuten  also  diese 
Quelle  der  Anregung  nicht  zugänglich  war  ^).  Indessen  wird  man  gut 
tun,  mit  diesem  Moment  nicht  allzu  ausgiebig  zu  operieren.  In  den 
meisten  Fällen  nämlich,  wo  man  Trachtengrenzen  und  konfessionelle 
Grenzen  als  identisch  ansieht,  geschieht  dies  zu  Unrecht.  Gewiß,  die 
Beobachtung  an  sich  ist  richtig :  die  beiden  Grenzen  fallen  zusammen. 
Aber  die  Trachtengrenze  ist  nicht  durch  die  konfessionelle  Verschie- 
denheit bedingt.  Das  konfessionelle  Moment  ist  vielmehr  sekundärer 
Natur;  und  die  beiden  Grenzen  haben  eine  gemeinsame  Quelle:  die 
politische  Grenze.  Heutzutage  ist  meist  die  politische  Grenze  ver- 
schwunden und  nur  die  konfessionelle  Verschiedenheit  übrig  geblieben, 
und  dadurch  läßt  man  sich  irreführen.  Das  eigentlich  Trennende  aber 
ist  die  verschiedene  Territorialität,  und  nicht  die  verschiedene  Kon- 
fessionalität,  die  erst  selbst  wieder  die  Folge  jener  ist  nach  dem  Grund- 
satz: Cuius  regio  eins  religio.  Im  Marburger  Kreis  unterscheiden  sich 
die  katholischen  Dörfer  nach  Amöneburg  zu  in  auffälliger  Weise  von 
der  Tracht  der  übrigen  Bewohner.  Aber  mit  der  Verschiedenheit  der 
Konfession  hat  das  nichts  zu  tun.  Denn  die  katholischen  Dörfer 
waren  früher  kurmainzisch ,  und  so  lautet  der  Gegensatz,  der  sich 
heute  noch  in  der  Tracht  ausspricht,  nicht:  hie  evangelisch,  hie  ka- 
tholisch, sondern:  hie  hessisch,  hie  mainzisch.  Ganz  richtig  hat  dies 
Jostes  in  einem  ähnlichen  Fall  erkannt*).  Ganz  besondere  Vorsicht 
ist  der  konfessionellen  Farbensymbolik  gegenüber  angebracht,  wie  sie 
z.  B.  Hottenroth  im  Nassauischen  TracMenbtich  vertritt.  Sie  ist  recht 
zweifelhafter  Natur;  denn  während  hier  die  Katholiken  die  hellen,  die 
Protestanten  die  dunkeln  Farben  bevorzugen  sollen,  ist  es  anderwärts 
gerade  umgekehrt. 

Abgesehen  von  einzelnen  Ausnahmefällen  wird  man  also  die  an- 
geblich konfessionell  bedingte  Verschiedenheit  der  Tracht  noch  einen 
Schritt  weiter  rückwärts  verfolgen  können  und  dann  wieder  auf  das 
erstgenannte  Moment,  die  alten  politischen  Grenzen,  stoßen,  und  da- 
mit in  den  meisten  Fällen  das  Rechte  getroffen  haben.  Die  Möglich- 
keit einer  anderen  Erklärung  ist  natürlich  unbegrenzt.     Nur  die  sorg- 


1)  Ebd.  S.  149  f. 

2)  A.  a.  O.  S.  153. 


—     168    — 

same  Untersuchung  jedes  einzelnen  Falles,  ohne  jede  vorgefaßte  Mei- 
nung,  kann  zur  Entscheidung  führen.  Natürlich  kann  auch  die  ethno- 
graphische Erklärung  richtig  sein,  wenn  sich  nämlich  geschichtlich 
nachweisen  läßt,  daß  da  zwei  verschiedene  Stämme  nebeneinander 
wohnen.  Das  gilt  vom  Kreise  Delbrück,  dessen  Bewohner  im  XI. 
oder  XII.  Jahrhundert  von  den  Paderbomer  Bischöfen  dorthin  gerufen 
wurden,  um  den  sumpfigen  Senneboden  zu  kultivieren  und  die  jetzt 
noch  zu  den  umwohnenden  Paderbomem  auch  in  der  Tracht  einen 
bewußten  Gegensatz  bilden*).  Ähnlich  lieg^  es,  wo  nachweislich 
wendische  Bevölkerung  eingesprengt  ist.  Aber  dieser  historische  Nach- 
weis wird  stets  gefordert  werden  müssen.  Denn  sonst  bleibt's  bei 
vager  Vermutung  ohne  Wert.  Auch  der  Fall  ist  möglich,  daß  zwei 
verschiedene  Trachten  zwei  verschiedene  Entwicklungsstufen  derselben 
Tracht  sind  *).  Ebenso  spielen  oft  soziale  Unterschiede  hinein.  Aller- 
dings werden  diese  weniger  die  Verschiedenheiten  von  Dorf  zu  Dorf, 
als  die  Unterschiede  innerhalb  desselben  Dorfes  erklären.  Wo  die 
ländliche  Rangordnung  die  Großbauern  von  den  Kleinbauern  und  diese 
wieder  von  den  Tagelöhnern  scharf  trennt,  wird  das  auch  in  der 
Tracht  zum  Ausdruck  kommen  •). 

Daß  die  Tracht  nicht  unveränderlich  ist,  vielmehr  oft  recht  tief- 
greifenden Umwandlungen  unterliegt,  ist  oben  schon  ausdrücklich 
hervorgehoben  worden.  Die  Gründe  für  diese  Änderungen  lassen  sich 
im  einzelnen  sehr  schwer  feststellen.  Es  geht  genau  wie  sonst  bei  der 
Kleidermode:  sie  ist  auf  einmal  da,  ohne  daß  man  ihren  Anlaß 
genau  eruieren  könnte.  Auch  auf  dem  Lande  ist  der  Einfluß  einzelner 
Persönlichkeiten  auf  Geschmack  und  Mode  oft  sehr  groß,  besonders 
da,  wo  die  sozialen  Unterschiede  noch  sehr  schroff  sind  und  das  Bei- 
spiel einer  Großbäuerin  z.  B.  für  alle  anderen  Dorfweiber  schlechthin 
tonangebend  ist  ^).  Daneben  spielen  dann  noch  andere  Gründe  ihre 
Rolle.  Ich  erwähnte  oben,  wie  Mädchen,  die  auswärts  auf  Arbeit 
gehen,  von  dorther  Neuerungen  einführen,  die  sich  dann  weiter  ver- 
breiten. Gesundheitliche  Rücksichten  haben  in  der  Ämtertracht  des 
Kreises  Biedenkopf  zur  Einführung  der  Tuchjacke  gefuhrt,  das  „ Hals- 
tuch*' hielt  nicht  genug  warm.  Es  ist  unmöglich,  eine  vollständige 
Aufzählung  all  der  Gründe  zu  geben,  die  hier  mitwirken.  Hier  hat 
die  Einzeluntersuchung  ihre  Aufjgabe. 


i)  A.  a.  O.  S.  197. 

a)  A.  a.  O.  S.  153  f. 

3)  A.  a.  O.  S.  148. 

4)  A.  m.  O.  S.  151.  153. 


—     169     — 

Namentlich  in  katholischen  Geg'enden  wird  man  aber  auch  den 
Einfluß  kirchlicher  Sitten  zu  berücksichtigen  haben.  Er  fuhrt  oft  zur 
Aufnahme  ganz  neuer  Bestandteile  in  die  Tracht.  In  Westfalen  legt  die 
Braut  an  ihrem  Hochzeitstage  zum  ersten  Male  eine  Kopfbinde  an, 
„Bindse"  genannt,  die  in  Gemeinschaft  mit  der  Haube  das  Haar 
völlig  verdeckt.  Jostes  führt  das  auf  das  iKor.  ii,  $  geforderte  Ver- 
hüllen des  Haupthaares  durch  die  Frauen  zurück  ^).  Die  gleichmäßige 
Verbreitung  der  Brautkrone  über  germanische  und  slavische  Gegenden 
läßt  sich,  ohne  daß  man  eine  Entlehnung  anzunehmen  braucht,  da- 
durch erklären,  daß  es  sich  hier  um  eine  kirchliche  Sitte  handelt,  die 
Bestandteil  der  Volkstracht  wurde  *).  Man  findet  nun  aber  diese  Krone 
nicht  nur  als  Brautkrone,  sondern  auch  als  ständige  Sonntagstracht 
der  Mädchen.  Und  zwar  begegnet  sie  nicht  nur  in  Deutschland,  z.  B. 
im  Bückeburgischen*),  in  Altenburg*),  sondern  auch  in  Tirol*),  im 
Kanton  Freiburg  •) ,  wo ,  ähnlich  wie  im  Schwarzwald  ^)  ,  die  Kirche 
bzw.  die  Gemeinde  eine  Anzahl  solcher  Kronen  besitzt.  Der  letztere 
Umstand  dürfte  auf  die  richtige  Quelle  dieser  Sitte  leiten:  sie  hat 
eine  einheitliche,  internationale,  nämlich  kirchliche  Quelle,  womit  denn 
auch  ihr  Vorkommen  in  so  verschiedenen  Gegenden  hinreichend  er- 
klärt ist.  Und  zwar  fuhrt  sie  Jostes  auf  die  katholische  Vorstellung 
von  der  „Krone  der  Jungfräulichkeit",  d.  h.  der  besonderen  Verdienst- 
lichkeit des  jungfräulichen  Standes  zurück. 

In  gewissem  Gegensatz  zu  der  strengen  Beschränkung  der  Volks- 
trachten auf  einen  räumlich  umgrenzten  Bezirk  steht  die  Tatsache,  daß 
sich  ein  Vordringen  der  Tracht  über  ihren  ursprünglichen  Bezirk  hin- 
aus beobachten  läßt,  womit  dann  das  Zurückweichen  der  früher  dort 
herrschenden  Tracht  zusammenhängt.  Solche  entgegengesetzten  Be- 
obachtungen innerhalb  derselben  Erscheinung  des  Volkstums  dürfen 
nicht  befremden.  Wir  möchten  überhaupt  in  diesem  Zusammenhang 
davor  warnen,  nach  bestimmten  „  Gesetzen  "  und  „  gesetzmäßigen  Vor- 
g^ängen"  zu  fahnden,  alles  in  widerspruchslose  Ordnung  und  ein  streng 
logisches  System  zu  bringen.     Dazu  ist  das  Leben  viel  zu  reich  und 


i)  A.  a.  O.  S.  155. 

3)  Zeittchr,  d,  Ver.  f.  Volkskunde  XII,  S.  473. 

3)  Jostes,  S.  155. 

4)  Kreisch mer,  DetUaehe  Volkstrcuhten,  \  Tafel  22.  34. 

5)  Ebd.  Tafel  88. 

6)  Jostes,  S.  155. 

7)  Das  Land  XIU,  S.  152. 


—     170     — 

zu  bunt.  Man  hüte  sich  auch  davor,  ii^endetwas  von  vornherein  für 
„undenkbar"  oder  „unmöglich**  zu  erklären  oder  zu  behaupten,  dieser 
oder  jener  Vorgang  „müsse**  sich  „unbedingt**  so  oder  so  abge- 
spielt haben.  Mit  solch  aprioristischen,  völlig  willkürlichen  UrteUen  ist 
einer  geschichtlichen  Betrachtung  nicht  gedient.  Wir  stoßen  uns 
auch  nicht  an  dem  Gegensatz  zwischen  der  lokalen  Beschränkung  und 
dem  progressiven  Verhalten,  und  suchen  ihn  auch  nicht  zu  „erklären**; 
es  genügt,  ihn  erwähnt  zu  haben. 

Der  Vorgang  des  Vordringens  bzw.  Zurückweichens  der  Tracht 
ist  darum  besonders  so  interessant,  weil  wir  ihn  in  einzelnen  Gegen- 
den recht  deutlich  beobachten  können.  Ein  besonders  eklatantes  Bei- 
spiel bietet  die  Marburger  Tracht.  Sie  ist  die  jüngste  Tracht  der 
Gegend,  aber  sie  breitet  sich  fortwährend  auf  Kosten  der  älteren 
Trachten  aus.  Der  Battenberger  Tracht  hat  sie  das  Amt  Wetter  ab- 
genommen, sich  auf  der  linken  Lahnseite  ausgebreitet.  Und  als  1866 
die  Grenze  nach  dem  bis  dahin  großherzogUchen  Hinterland  fiel, 
breitete  sie  sich  auch  nach  Westen  aus.  Das  Amt  Blankenstein  hat 
sie  bereits  ganz  erobert;  in  Buchenau  hielten  sich  in  den  siebziger 
Jahren  beide  Trachten  die  Wage,  und  in  Holzhausen  macht  die 
Hessentracht  von  Jahr  zu  Jahr  Fortschritte  *).  Ähnliche  Beobachtungen 
teilt  Jostes  mit.  Die  vom  Emsland  her  eindringende  „PrüUmütze**  hat 
die  Osnabrücker  Goldkappe  fast  völlig  verdrängt*).  Die  Hümlinger 
bzw.  Harener  Mütze  ist  auch  nicht  die  älteste  Form,  vor  ihr  hat  eben- 
falls die  Goldkappe  geherrscht*).  Die  so  überaus  charakteristische 
Bückeburger  Flügelhaube  hat  sich  auch  im  Kreise  Minden  eingebür- 
gert *),  und  die  Ibbenbürener  Haube  hat  sich  nach  Norden  und  Süden 
verbreitet*^).  In  der  Regel  tritt  die  neue  Tracht  völlig  an  die  Stelle 
der  älteren.  Mitunter  erzeugt  aber  ihr  Vordringen  eine  Misch tr acht, 
wie  im  Amt  Blankenstein,  wo  zu  dem  schwarzen  Faltenrock  und  den 
weißen  Strümpfen  der  alten  Tracht  jetzt  das  tief  ausgeschnittene  Mieder 
hessisch-raarburger  Herkunft  getragen  wird  *). 

Das  Zurückweichen  einer  Tracht  wird  in  der  Regel  durch  das 
Vordringen  einer  Nachbartracht  verursacht.  Mitunter  aber  ist  es  auch 
ein  Zeichen   des   langsamen  Absterbens    der  Tracht    und    des  Über- 


i)  Justi,  S.  12.  13.  56. 

2)  Jostes,  S.  177. 

3)  Ebd.  S.  168  f. 

4)  Ebd.  S.  186.  189.  190. 

5)  Ebd.  S.  167.  173. 

6)  Vgl.  Justi  a.  a.  O.  S.  37.  48f. 


—     171     — 

gangs  zur  Modekleidung.  Auf  die  Gründe,  warum  unsere  Volkstrachten 
nach  und  nach  alle  verschwinden,  einzugehen,  ist  hier  unmöglich, 
auch  nicht  erforderlich.  Wir  möchten  nur  auf  den  Prozeß  selbst  hin- 
weisen, der  sich  meist  in  zwei  verschiedenen  Formen  abspielt.  Die 
eine  ist  die,  daß  die  Erwachsenen  fortfahren,  Tracht  zu  tragen,  die 
Kinder  aber  städtisch  gekleidet  werden  —  vor  allem  wegen  der  bil- 
ligen Kinderkleider,  die  städtische  Magazine  liefern.  Es  wächst  auf 
diese  Weise  eine  Generation  heran,  die  keine  Tracht  mehr  kennt,  und 
es  läßt  sich  fast  mit  mathematischer  Sicherheit  sagen,  wann  die  Tracht 
ganz  verschwunden  sein  wird.  So  war  z.  B.  hier  in  Bottenhorn  vor 
sechs  Jahren  noch  die  überwiegende  Mehrzahl  der  weiblichen  Konfir- 
manden in  Tracht  gekleidet;  im  vergangenen  Jahre  war  zum  ersten  Male 
keine  mehr  in  Tracht  unter  ihnen  und  unter  der  Schuljugend  über- 
haupt Daß  Erwachsene  die  Tracht  ablegen  und  zur  städtischen 
Kleidung  übergehen,  kommt  äußerst  selten  vor  '),  und  zwar  ganz  ein- 
fach deshalb,  weil  es  große  Kosten  verursachen  würde.  Die  Frauen 
sind  meistens  bei  ihrer  Verheiratung  mit  Röcken  und  sonstigen  Trachten- 
stücken so  reich  ausgestattet  worden,  daß  sie  überhaupt  ihr  ganzes 
Leben  lang  nichts  mehr  anzuschaffen  brauchen.  Da  kann  natürlich  vom 
Ablegen  der  Tracht  keine  Rede  sein. 

Es  läßt  sich  aber  auch  ein  mehr  allmählicher  Übergang  von  der 
Tracht  zur  Modekleidung  beobachten.  „Es  wird  zunächst  die  Mütze 
als  das  zumeist  ins  Auge  fallende  Stück  fortgelassen**  —  was  eine 
Veränderung  der  Haartracht  zur  Voraussetzung  oder  zur  Folge  hat  — , 
„worauf  die  Verlängerung  der  Kleider**  —  und  das  Fortlassen  charak- 
teristischer Besonderheiten,  z.  B.  des  Hüftenpolsters,  auf  dem  die  Röcke 
ruhen  — ,  „und  dann  meist  die  Verhüllung  des  Mieders  durch  städ- 
tische Halstücher  erfolgt,  bis  die  Verwandlung  vollständig  ist**  *). 

Zuweilen  überdauern  einzelne  Trachtenstücke  den  Verfall.  Im 
Westfälischen  ist  es  z.  B.  die  Haube,  die  als  „letzte  Säule**  von 
„versch wundner  Pracht  zeugt**;  und  das  Westfälische  Trachtenhuch  han- 
delt denn  auch,  wo  es  auf  die  Trachten  der  Gegenwart  zu  sprechen 
kommt,  ausschließlich  von  der  Haube  und  ihren  zahllosen  Variationen. 
Ein  eigenartiger  Umstand  erhielt  den  westfälisch-lippeschen  Goldgürtel, 
eine  breite,  um  die  Hüften  gelegte  und  vom  lang  herabhängende  Gold- 
borte, bis  auf  den  heutigen  Tag  am  Leben:  „Er  wurde  ohne  Schürze 
nur  von  reicheren  Personen  getragen,   und  zwar  aus  keinem  anderen 

i)  Der  von  Jasti  S.  lo  erwähnte  Fall  ist  Töllig  legendär,  wie  sich  mir  bei 
näherem  Nmchforschen  ergab. 

3)  Jttiti,  S.  S;  vgl.  auch  Tafel  19  mit  ihrem  ausgesprochenen  Übergangscharakter. 


—     172     — 

Grunde  als  nur  des  Preises  wegen.  . . .  Wer  ...  ein  Kleid  mit  einer 
, Magsachte'  (Einsatz  von  Nessel  unter  der  Schürze,  um  den  teueren 
Stoff  zu  sparen)  trug,  ...  konnte  sich  ohne  Schürze  nicht  sehen 
lassen,  und  so  kam  es,  daß  die  liebe  Eitelkeit  diesen  altwestfalischen 
Gürtel  älter  werden  ließ,  als  es  sonst  wohl  der  Fall  gewesen  wäre; 
er  sagte  eben  klar  und  unzweideutig:  ,wi  hebt  et  ja*"  *).  Als  Kleidung 
bei  besonderen  Anlässen,  Festtagen,  Trauer,  Abendmahl,  hält  sich 
die  Tracht  oft  noch  sehr  lange  über  ihr  Verschwinden  aus  dem  täg- 
ligen  Leben  hinaus.  Das  gilt  auch  von  der  sonst  fast  verschwundenen 
Männertracht.  Der  langschößige  Kirchenrock,  der  weite  Trauermantel 
tauchen  immer  noch,  wenn  auch  immer  seltener,  auf.  Und  wenn  es 
auch  nur  aus  Sparsamkeit  geschieht,  um  die  einmal  vorhandenen  Klei- 
dungsstücke aufzutragen. 

Bei  der  Einzeldarstellung  ist  natürlich  jedem  einzelnen  Trachten- 
stück eingehende  Beachtung  zu  schenken.  Sehr  gutes  Material  für 
die  historische  Entwicklung  bietet  da  Hottenroth  in  seinen  Deutschen 
Volksirachten*).  Lehrreich  ist  stets  die  Vergleichung  mit  anderen 
Trachten.  Wir  zeigten  oben  am  „Jungfemkranz"*),  zu  welch  inter- 
essanten Aufschlüssen  über  Herkunft  der  Tracht  u.  a.  m.  das  fuhren 
kann.  Auch  andere  Trachtenstücke  sind  weit  verbreitet.  Die  Form  des 
Frauenhemdes*),  das  Hüftpolster*),  der  Vorstecklatz •),  finden  sich  in 
zahlreichen  Trachten  wieder.  Man  übersehe  auch  nicht  Schmuck  und 
Haartracht^),  die  ebenfalls  zur  Tracht  zu  rechnen  sind.  Auch  die 
Frage,  inwieweit  fiir  besondere  Gelegenheiten  auch  besondere  Trachten 
üblich  sind  (Brauttracht,  Tracht  bei  Gevatterschaften,  bei  Trauer  und 
Abendmahl  usw.),  und  welche  Rolle  die  Farbe  in  der  Tracht  spielt 
—  ob  sie  völlig  dem  individuellen  Geschmack  überlassen  ist,  ob  hier- 
für feste  Vorschriften  bestehen,  ob  sie  mit  2Jeiten  und  Gelegenheiten 
wechselt®)  u.  a.  m.  — ,  verdient,  wie  bereits  erwähnt,  eine  genauere 
Untersuchung. 

Wir    möchten    den    Gegenstand    nicht    verlassen,    ohne    an    die 
kleinen  Museen  einen  starken  Appell  zu  richten,  Trachtenstücke  zu 

i)  Jostes.  S.  164. 

2)  I,  4—51. 

3)  Vgl.  dazu  auch  Tctzncr,  Slawen  in  Deutschland,  S.  73,  157. 

4)  Tetzncr,  a.  a.  O.  S.  423;  ZeiUchr.  ä,  Ver.  f.  VoHuihunde  XV,  198. 

5)  Hottenroth,  a.  a.  O.  I,  109,  Abb.  53. 

6)  A.  a.  O.  I,  75,  Fig.  39;  ffl,  50,  Abb.  20,  Nr.  9.     Tetzner,  a.  a.  O.  8.423. 

7)  Vgl.  die  eingehende  Berücksichügnng  des  Schmuckes  bei  Jostes. 

8)  Vgl.  z.  B.  ttber  Blau   als   Farbe   der  Trauer  Zeitschr.  d.  Ver.  f.  Volkskunde 
XI,  83. 


—     173     — 

sammeln.  Gerade  auf  diesem  Gebiet  wartet  ihrer  eine  überaus  lohnende 
und  notwendige  Arbeit.  Trachtenstücke  sind  vei^änglich ;  sie  werden 
abgenutzt  und  schließlich  weggeworfen.  Wenn  da  nicht  systematisch 
gesammelt  wird,  wird  bald  nichts  mehr  zu  sammeln  sein.  Man  nehme 
einmal  ein  Trachtenwerk  vor,  das  ein  abgestorbenes  Trachtengebiet 
behandelt,  etwa  Hottenroth's  mehrerwähnte  Nc^ssauische  Volkstrachten 
und  überzeuge  sich,  mit  welchen  Schwierigkeiten  der  Forscher  da 
zu  kämpfen  hat  und  wie  gering  dann  trotz  aller  Mühe  das  Resultat 
ist  Und  man  vergegenwärtige  sich,  was  die  Forschung  hätte  ergeben 
können,  wenn  man  vor  30,  50  Jahren  Kostümstücke  gesammelt  hätte. 
Was  jetzt  noch  vorhanden  ist,  verdankt  dem  Zufall  seine  Erhaltung 
und  läßt  nicht  entfernt  einen  Schluß  auf  den  Reichtum  des  einst  vor- 
handenen zu.  Hieraus  ergibt  sich  ohne  weiteres  die  Notwendigkeit 
systematischer  Sammlung.  Man  schließe  auch  die  neueren  Trachten 
oder  was  an  ihre  Stelle  trat,  nicht  aus.  Denn  auch  sie  werden  einmal 
alt  und  verschwinden  wieder.  Wie  schnell  sich  dieser  Untergang  voll- 
zieht, hat  man  täglich  vor  Augen.  Von  der  reizvollen  Kindertracht 
z.  B.,  die  hier  in  Bottenhorn  noch  vor  10  bis  12  Jahren  getragen 
wurde,  hält  es  schwer,  überhaupt  noch  ein  Stück  aufzutreiben.  Was 
noch  zu  verwerten  war,  hat  man  zum  Flicken  usw.  verwendet,  das 
Übrige  einfach  weggeworfen.  Von  der  Männertracht  ist  überhaupt 
nichts  mehr  vorhanden.  Es  ist  also  keine  Zeit  zu  verlieren  und  die 
kleinen  Orts-  und  Kreismuseen  würden  ihre  Aufgabe  vernachlässigen, 
wenn  sie  nicht  auch  die  Kostümstücke  aus  ihrem  Bezirk  möglichst 
vollständig  sammelten.  Man  wird  diese  Forderung  immer  wieder  er- 
heben müssen,  bis  sie  sich  überall  durchgesetzt  hat. 


Bibliographie ') 

L  Allgemeine  Trachtenwerke 

Abbildungen  Tenchiedener  Völker  der  Erde  in  ihren  eigenthttmlichen  Trachten.  Breslau, 
J.  D.  Grüaon  &  Co.,  1826.  16®  (Lipp.  54). 

Album  amicomm  habitus  mulierum.omnium  nationum  Europae  tum  tabulis  ac  scutis  Ta- 
cnif  in  aere  incisis  adornatum.     Lovanü  1606. 

Amman  und  Sachs.     Eygentliche  Beschreibung  Aller    Stände  au£f  Erden  |  Hoher   md 
Nidriger  |  Geistlicher   Tnd  Weltlicher  |  Aller  Künsten  |  Handwercken  Tnnd  Händeln 
▼om  größten  bis  sum  kleinesten  |  Auch  Ton  jrem  Vrsprung  |  Erfindung  Tnd  Gebräuchen 
durch  .  .  .  Hans  Sachsen  .  .  .  beschrieben  j  vnnd  in  Teutsche  Reimen  gefasset .  .  . 
mit  kunstreichen  Figuren  [von  Jobst  Amman]  .  .  .  Gedruckt  zu  Franckfurt  am  Mayn  | 
MDLXXnn.  kl.  4*  (Upp.  1947). 

i)  Bei    den  Werken,    die    im  Lipperheide'schen    Katalog  enthalten  sind,   ist   die 
Katalogmunmer  (c.  B.  Lipp.  483)  angegeben. 


—     174     — 

Jost  Am  man 's  Stände  and  Handwerker,  mit  Versen  von  Hans  Sachs,  Frankfurt  am  M. 
bei  S.  Feyerabend  1568.  München,  Georg  Hirth,  1884.  4®.  [mm  Liebhaber-Biblio- 
thek alter  ülostratoren  in  Facsimile-Reprodnktion,  VII.  Bändchen]  (Lipp.  1946). 

Amman  and  Weigel.  Habitos  praecipaoram  popalomm  tarn  virorum  qaam  foeminaram 
singalari  arte  depicti.  Trachtenboch :  darin  fast  allerley  vnd  der  fiimembsten  Nationen  | 
die  heotigs  tags  bekandt  sein  |  Kleidangen  |  beyde  wie  es  bey  Manns  vnd  Weibs- 
personen gebreochlich  |  mit  allem  vleiß  abgerissen  sein  |  sehr  lastig  vnd  kartzweilig 
zoseheo.  Gedruckt  za  Nürmberg  |  bey  Hans  Weigel  Formschneider  .  .  .  Anno 
MDLXXVn.  kl.  fol.  (Lipp.  7). 

Amman.  Im  Fraawenzimmer  Wirt  vermeldt  von  allerley  schönen  Kleidangen  vnnd 
Trachten  der  Weiber  |  hohes  vnd  niders  Stands  |  wie  man  fast  an  allen  Orten  ge- 
schmückt vnnd  gezieret  ist  |  Als  Teutsche  |  Welsche  |  Frantzösische  |  Eogelländische  J 
Niderländische  |  Böhemische  |  Vngerische  |  vnd  alle  anstossende  Länder.  Darchaofl 
mit  neuwen  Figuren  gezieret  |  dergleichen  nie  ist  aofigangen.  Jetzund  erst  durch  den 
weitberühmbten  Jost  Amman  wonhafift  zu  Nürnberg  gerissen.  Sampt  einer  kurtzen 
Beschreibung  durch  den  wolgelehrten  ThrasibuluM  Ibrreniinum  MiUislariensem 
allen  ehrliebenden  Fraawen  vnd  Jungfrauwen  zu  ehren  in  Rheimen  verfafit.  MDLXXXVI. 
Getruckt  zu  Franckfurt  am  Mayn  in  Verlegung  Sigmund  Feyrabends.  4^  (I^ipp*  19)* 

Amman.  Kunstbüchlin  |  darinnen  neben  Fürbildung  vieler  |  Gebtlicher  vnnd  Weltlicher  | 
Hohes  vnd  Niderstands  Personen  |  so  dann  auch  der  Türckischen  Kayser  |  vnnd  der- 
selben Obersten  |  allerhandt  Kunstreiche  Stück  vnnd  Figuren:  Auch  die  sieben 
Planeten  |  Zehen  Alter  |  Rittmeister  vnnd  Befelchshaber  |  Reuterey  |  vnd  Contrafaktnr 
der  Pferde  |  allerley  Thurnier  |  Fechten  |  vnd  dann  etliche  Helm  vnd  Helmdecken 
begriffen.  Alles  auff  das  zierlichst  vnd  künstlichst  gerissen  |  durch  .  .  .  Jost  Amman 
von  Nürnberg.  Jetzund  von  newem  ...  an  Tag  geben.  Gedruckt  za  Franckfurt  am 
Mayn.  1599.  4**  [=  4.  Ausgabe;  die  i.  erschien  1578]  (Lipp.  498). 

Neu-eröffhetes  Amphi-Theatrum  |  Worinnen  Nach  dem  uns  bekanten  gantzen  Welt- 
Creifl  I  Alle  Nationen  Nach  ihrem  Habit  |  in  säubern  Figuren  repräsentiret  Anbey 
die  Länder  nach  ihrer  Situation  |  Climate  .  .  .  vornehmsten  Ritter-Orden  und  Wappen 
aufgeführet  sind  |  Und  welches  |  mit  Zuziehung  der  Land-Charten  |  za  vieler  Belusti- 
gung I  vornehmlich  aber  der  studierenden  Jugend  |  als  ein  sehr  nützliches  and  an- 
muthiges  Compendium  Geographicum  |  Genealogicum  |  Heraldicum  |  Curiosum  |  Nu- 
mismaticum  |  kan  gebrauchet  werden.  Erffurth  |  Gedruckt  vnd  verlegt  von  Johann 
Michael  Funcken  |  1733— 1728.  fol.  (Lipp.  35). 

4  Tle.  Europe  ^  Tl.  L  1723. 

Bacher.  Tmchtenpavillon  der  Berliner  Gewerbe-Ausstellung  1896.  Ein  Jahrhundert  der 
Mode   1796—1896.     Berlin,  Bacher,  qu.  4**  (Lipp.  582). 

Baur.  Liure  nonueau  de  diuerses  nations.  Willäm.  Baur.  juuent.  O.  O.  um  1630. 
qu.  4*^  (Lipp.  520). 

Bella.    Diverse  figure  et  Paesi  fatti  Per.  S.  D.  Bella.  1649.   A  Paris  chez  Israel,  qu.  8® 

(Lipp.  532). 
Berghaus,  Die  Völker  des  Erdballs  nach  ihrer  Abstammung  und  Verwandtschaft,  Eigen- 

thümlichkeiten,  Sitte,  Tracht.     2  Bde.  Brüssel,   1845. 

Berlepsch.  Chronik  vom  ehrbaren  und  uralten  Schneidergewerk.  Nebst  einer  kurzen 
Geschichte  der  Trachten  und  Moden.  In  den  Druck  gegeben  durch  H.  A.  Berlepsch. 
St.  Gallen,  Scheitlin  und  Zollikofer,  1850.  8*  [=  Chronik  der  Gewerke.  Nach 
Forschungen  in  den  alten  Quellensammlungen  und  Archiven  .  .  .  zusammengestellt  .  .  . 
durch  H.  A.  Berlepsch,  Band  II]  (Lipp.  65). 

Bertelli.  Divcrsarum  nationum  Habitus  .  .  .  opera  Petri  Bertelli.  Patauij,  1594 — 1596. 
8".  3  Bde.  (Lipp.  20).  s.  a.  Omnium, 

Bilderhandschriften:  Trachtenbuch,  enthaltend  eine  Sammlung  merkwürdiger 
Trachten  des  XVL  Jahrhunderts.     1560 — 1594.  8**  (Lipp.  483). 

;  Stammbuch  des  Julius  und  des  Stephan  Bayr  von  Nürnberg.    1578.  fol. 
(Lipp.  489)- 

:  Stammbuch   des  Amoldos  BttcheliiiS  aus   Utrecht     1584— 16 14.   qa.  8® 


(Upp.  49«)- 


—     176     — 

Bilderhandschriften :  Stammbach  des  Heimich  van  Einsiedd  auf  Qnandatein^ 
1611— 1628.     qa.  4*  (Lipp*  51 1)- 

— — — :    Stammbach    des    Johannes    Cornelius    Ihoorsky    de    OHpheo  Monte, 
1633— 1648.  qu.  8®  (Lipp.  522). 

:   Stammbach   des  Johann   Adolph  von  Glauburg.    1575.  8°  (Lipp.  635). 

:  Stammbach  des  Michael  X>ö'cM  von  Nürnberg.    1587 — 1 616.  8^  (Lipp. 645). 

:   Stammbach   des    Leonhard    Hayder   von    Nürnberg.       1589 — 1645.    4^ 


(Lipp.  646). 

Boissard.  Habitas  Variaram  Orbis  gentiam.  •  Habitz  de  Nations  estranges.  Trachten 
mancherley  Völcker  des  Erdskreyfi  .  .  .  1581.  qa.  fol.  (Lipp.  14). 

Georgias  Braan,    Beschreibang  and  Contrafactar  der  vomembsten  Stät  der  Welt    1574. 

Bridgens.  Illustrations  of  the  Manners  and  costames  of  France,  Switzerland,  and 
Italy  .  .  by  R.  Bridgens.     London,  Donding,   1835.  4*  (Lipp.  572). 

Brayn.  Omnium  poene  gentiam  Imagines,  abi  oris  totiasqae  corporis  et  vestiam  habitas, 
in  ordinis  caiascanqae  ac  loci  hominibas  diligentissime  exprimontar  .  .  .  scalpsit 
Abrah.  Braynas  .  .  Coloniae  MDLXXVÜ.  fol.  (Lipp.  9). 

— — — :  Iroperii  ac  Sacerdotii  omatus.  Diversaram  item  gentiam  pecaliaris  vestitas. 
Excadcbat  Abr.  Brain.     Gand.  MDLXXIIX.  fol.  (Lipp.   10). 

Fortsetzung  des  vorigen  Werks;  in  der  zweiten  Aasgabe  von  1581  sind  beide  ver- 
einigt; eine  dritte  Aasgabe  erschien  1584,  eine  vierte  1610  (s.  n.). 

•  :  Omniam   pene  Earopae,  Asiae,  Aphricae   atqae   Americae   gentiam  Habitas. 


Habits  de  diaerses  Nations  de  l'Earope,  Asie,  Afriqe  et  Ameriqae.  Trachtenbach: 
Der  Farnembsten  Nationen  vnd  Volcker  kleydangen  beyde  Manns  vnd  Weybspersonen 
in  Europa,  Asia,  Afrika  vnd  Amerika.     Antwerpen,  um   16 10.  qu.  fol.  (Lipp.   12). 

4.  Ausgabe  des  Bru3mschen  Trachtenbuchs. 

:  Costumes  civils  et  militaires  du  XVI«  siicle  par  A.  de  Bruyn.  Reproduction 


fac-simile  de  T^dition  de  1581  colori6e  d'apr^  des  documents  contemporains.  Texte 
traduit  et  annot6  par  Auguste  Schoy.  Bruxelles,  G.  A.  van  Trigt,  MDCCCLXXV» 
fol.  (Lipp.   II). 

Georg  Bnfl,  Das  Kostüm  in  Vergangenheit  und  Gegenwart.  Mit  134  Abb.  Bielefeld 
und  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1906.  gr.  8^  [a>  Sammlung  ülnstrierter  Mono- 
graphien herausgegeben  von  Hanns  von  Zobeltitz,  Nr.   1 7]. 

Gallo t.  Capricci  di  varie  figure  di  Jacopo  Callot  .  .  .  Fiorenza,  um  161 7.  qu.  16^ 
(Lipp.  514). 

— — :  Ics  fantasies  de  Noble  J.  Callot  Mises  en  lumiire  par  Israel  son  amy.  1635. 
qu.   i6<»  (Lipp.  515). 

;  Varie  figure  di  Jacopo  Callot     O.  O.  u.  J.  16**  (Lipp.  516). 


A  Collection  of  the  Dresses  of  different  Nations,  Anticnt  and  Modem.  Particularly 
old  English  Dresses.  After  the  Designs  of  Holbein ,  Vandyke,  Hollar,  and  others. 
With  an  accoont  of  the  Authorities,  from  which  the  Figures  are  taken;  and  some 
Short  Historical  remarks  on  the  subjcct  .  .  .  London,  Thomas  Jefferys,  MDCCLVII. 
4  Bde.  40  (Lipp.  37). 

Titel  auch  franz. :  recueil  des  Habillements  de  Diff6rentes  Nations ,  Anciens  et 
Modernes.  Unter  dem  Titel  ,,  Sammlung  von  Trachten  bey  verschiedenen  altern 
und  neuem  Völkem.  Nach  den  Gemälden  eines  Holbein  .  .  dargestellt,  heraus- 
gegeben von  F.  H.  Leipzig,  Industrie-Comptoir,  1805"  bzw.  „recueil  des  Habil- 
lements anciens  et  modernes'*  existiert  ein  kurzer  Auszug  (Lipp.  49). 

Le  petit  cosmopolite  ou  recueil  des  costumes  de  diff^rents  peuples  .  .  .  Paris,  Martinet» 

o.  J.  4'  (Lipp.  44). 
Galerie  royale  de  Costumes  peints  d'  apres  nature  par  divers  artistes  et  lithographi^s 

par  Alolphe,  Janet-Lange  etDollet.    Paris,  Anbert  &  Co.,   1842  f.  gr.  fol.  (Lipp.  60). 

The  book  of  Costume:  or,  annals  of  fashion,  from  the  Earliest  period  to  the 
present  time.     By  a  lady  of  rank.  London,  Henry  Colbnrn,  1846.  8^  (Lipp.  63). 

Usi  e  Costumi  di  tutti  i  popoli  dell'  universo  owero  storia  del  govemo,  delle  leggi, 
della  roilizia,  della  religione   di  tutte  le  nazioni  dal  piü  remoti  tempi  fino  ai  nostri 


—     176     — 

giorni.     Opera   compilata   da  ana  societa  di    letterati  italiani  . .  Milano,  Borroni  e 
Scotti,  1856—1862.  40.  7  Bde.  (Lipp.  69). 

Bd.  lü  enthält  die  Schweiz  and  Holland,  Bd.  IV  Österreich  and  Deutschland. 
Costnme   da   moyen  dge  d'apr^s   les   manascrits    les   peintares  et  les  monaments  con- 
temporains  .  .  .  [Par     van  Beveren    d    du   I^essoir]    Bnuelles,   libr.    histor.-ar- 
tistiqae,  1847.     >  ^^'  S**  (Lipp.  352). 

Costame  du  mojen  &ge  d'apr^  des  monaments  d'arts  et  des  manuscripts  contempo- 
rains.     Paris.  1847.  2  Bde. 

Costümbuch  für  Künstler.  Sammlung  der  interessantesten  Gegenstände  des  Costttms 
aller  Zeiten  und  Völker  der  christlichen  Zeitrechnung,  heraiugegeben  von  einem 
Verein  von  Künstlern.     Düsseldorf,  Julius  Buddeus,  1839.  4^  16  Hefte.   (Lipp.  57). 

Blätter  für  Kostümkunde.  Historische  und  Volks-Trachten.  Nach  authentischen  Quellen 
in  Stahl  gestochen  von  verschiedenen  Künstlern.  Berlin,  Lipperheide,  1874 — 1875. 
fol.  3  Hefte  (Lipp.  80). 

2.  Aua.  1876— 1878.  fol.  2  Hefte  (Lipp.  81). 

-^— —  Neue  Folge  .  .  .  Unter  Mitwirkung  von  Otto  Brausewetter,  Ludwig  Bürger, 
C.  E.  Döpler,  Alois  Greil,  Friedrich  Hiddemann,  Vinc.  St.-Lerche,  Pan  Lulv^,  Franz 
Meyerheim,  B.  Nordenberg,  Bernhard  Plockhorst,  Rudolph  Schick,  Norbert  Schrödl, 
Franz  Skarbina,  Paul  Thumann,  Joseph  Watter,  Carl  Werner,  Constantin  von  Wieten* 
heim  u.  a.  herausgegeben  von  A.  von  Heyden.  Berlin,  Lipperheide,  1876 — 1891. 
4<>.  4  Bde  in  8  Tln.  (Lipp.  82). 

Zur  Geschichte  der  Co  s  tüme.  Nach  Zeichnungen  von  Wilh.  Diez,  C.  Fröhlich,  C.  Häberlin, 
M.  Heil,  Andr.  Müller,  F.  Rothbart,  J.  Watter.  München,  Braun  &  Schneider,  o.  J. 
fol.  [mm  Münchener  Bilderbogen]  (Lipp.  83). 

Curiöser  Spiegel,  worinnen  der  ganze  Lebenslauf  des  Menschen  von  der  Kindheit  bis 
zum  Alter  zu  sehen.     O.  O.  u.  J.  [letzte  Ausgabe  von  1824]. 

Daily.  Usi  e  Costumi  sociali,  politici  e  religiosi  di  tutti  i  popoli  del  mondo  da  docu- 
menti  autentici  e  dai  viaggi  migliori  e  piü  recenti  di  M.  Daily  .  .  .  Traduzione  riveduta 
dal  Cavaliere  Luigi  Cibrario  .  .  .  Torino,  Stabilimento  Tipografico  Fontana,  1844 — 1847. 
4*.  4  Bde.  (Lipp.  62). 

Bd.  IV  behandelt  Europa. 

Eckardt  Wörterbuch  der  Bekleidung.  Erklärung  der  auf  die  Kostüme,  Volkstrachten 
und  Moden  aller  Zeiten  und  Völker  bezüglichen  Namen,  sowie  aller  die  Herstellung 
der  Web-  und  Wirkwaaren,  der  Putzgegenstände,  der  weiblichen  Handarbeiten  luw. 
betreffenden  Bezeichnungen.  Zusammengestellt  von  Theodor  Eckardt.  Wien — Pest — 
Leipzig,  A.  Hartleben,  1886.  8^  [=  Hauswirtschaftliche  Bibliothek.  Spezial-Wörter- 
und  Handbücher.     Band  U]  (Lipp.  92). 

Engelbrecht.  Vornehmste  Reiche  und  Staaten  der  Welt  |  In  zierlichem  |  und  theiU 
nach  Ihrer  Landes-Art  gewöhnlichem  Habit  |  mit  Ihren  Wappen-  und  Ordens-Zeichen 
vorgestellet  |  Und  in  Kupffer  gestochen  von  Martin  Engelbrecht.  Verlegts  Johann 
Andreas  Pfeffel  in  Augspurg  .  .  Druckts  Johann  Jacob  Lotter  |  171 7.  fol.  (lipp.  33). 

Engelhard t.  Herrad  von  Landsperg,  Äbtissin  zu  Hohenburg,  oder  St  Odilien,  im 
Elsaß,  im  zwölften  Jahrhundert;  und  ihr  Werk:  Hortus  deliciarum.  Ein  Beytrag  zur 
Geschichte  der  Wissenschaften,  Literatur,  Kunst,  Kleidung,  Waffen  und  Sitten  des 
Mittelalters.  Von  Christian  Moritz  Engelhardt  Stuttgart  und  Tübingen,  J.  G.  Cotta, 
1818.     Text  in  8*>;  Atlas  in  gr.  fol.  (Lipp.  373). 

Der  Hortus  deliciarum,  eine  Hauptquelle  für  das  Kosttim  des  XH.  Jahrh.,  ging 
bei  dem  Brand  der  Straflburger  Bibliothek  zu  Grunde;  obige  Publikation  bildet 
das  einzige  umfassendere  Abbild  dieses  Denkmals. 

Fabri,  diversarum  nationum  omatus.     Padua  1593. 

Falke.  Kostümgeschichte  der  Kulturvölker  von  Jakob  von  Falke.  Stuttgart,  W.  Spemaon, 
1881.  gr.  8»  (Lipp.  88). 

Ferrari o.  II  costume  antico  e  modemo  o  storia  del  govemo,  della  milizia,  della  reli- 
gione,  delle  arti,  scienze  ed  usanze  di  tutti  i  popoli  antichi  e  modemi  provata  coi 
monumenti  deir  antichita  c  rappresentata  cogli  analoghi  disegni  del  Dottore  Giulio 
Ferrario.    Milano  della  tipografia  dell'  editore.    MDCCCXVII.  fol.  21  Tle.  (Lipp.  51). 


—     177     — 

Aaf  Earopa  entfallen  neun  Teile,  davon  behandelt  Bd.  IV  (1826)  die  Schweiz  und 
Deutschland.  Das  Werk  erschien  auch  unter  dem  franz.  Titel:  Le  costume  anden 
et  moderne,  ou  histoire  da  gouvemeraent,  de  la  milice,  de  la  religion,  des  arts, 
Sciences,  osages  de  tous  les  penples  anciens  et  modernes,  d^nites  des  monn- 
ments.  Avec  an  grand  nombre   de  figores  colori^es.    17  Vols.   Milane.  18 16 — 17. 

Footqaier,  Recaeil  de  modes  et  habits  galants  de  diffi6rents  pajs.  1771. 

Gallerie  der  Menschen.  Ein  Bilderbuch  zur  Erweiterung  der  Kenntnisse  über  Länder 
und  Völker,  vorzüglich  für  die  Jugend  zur  Befriedigung  ihrer  Wiflbegierde.  Neae 
verbesserte  und  vermehrte  Auflage.    Pest,  1813,  K.  A.  Hartleben.    8^  2  Bde.  (Lipp.  50). 

Die  erste  Ausgabe  erschien  1806  in  drei  Teilen. 

Gavarni.     Les  parures.    Fantaisie  par  Gavarni.    Texte  par  M^ry.    Histoire  de  la  Mode 

par  le  O«  Foelix.     Paris,  G.  de  Gonet,  um  1840.     8**  (Lipp.  573). 

Beschreibt  die  einzelnen  Stücke  der  weiblichen  Kleidung  (mantille,  manchon, 
fichu,  voile). 

Grassi.  Dei  veri  ritratti  degl'  Habiti.  Di  tutte  le  parti  del  Mondo.  Intagliati  in 
Rame.  Per  opera  di  Bartolomeo  Grassi  Romano.  Libro  Primo.  Roma,  MDLXXXV. 
qn.  fol.  (Lipp.  17). 

Hansjacob.    Unsere  Volkstrachten.     2.  Aufl.    Freiburg  i.  Br.,  Herder.     8^  (Lipp.  3300). 

Hauff.  Moden  und  Trachten.  Fragmente  zur  Geschichte  des  Costüms  von  H.  Hauff. 
Stuttgart  und  Tübingen,  J.  G.  Cotta,  1840.  8''  (Lipp.  58). 

Hausleutner.  Gallerie  der  Nationen.  Herausgegeben  von  Ph.  W.  G.  Hausleutner. 
Stuttgart,  Johann  Friedrich  Ebner,  1792  — 1800.  fol.  7  Hefte  (Upp.  45) 

Heft  Vn  (1800)  behandelt  Europa. 

Hejden.  Die  Tracht  der  Kiilarvdlker  Europas  vom  Zeitalter  Homers  bis  zum  B^inne 
des  XDC.  Jahrhunderts  von  A.  von  Heyden.  Leipzig,  E.  A.  Seemann,  1889.  8^ 
[aa  Seemanns  Kunsthandbücher  IV]  (Lipp.  95). 

Moriz  Heyne,  Körperpflege  und  Kleidung  bei  den  Deutschen  von  den  ältesten  geschicht- 
lichen Zeiten  bis  zum  XVI.  Jahrhundert.  Leipzig,  S.  Hirzel,  1903.  8®  [=»  Fünf 
Bücher  deutscher  Hansaltertümer  von  den  ältesten  geschichtlichen  Zeiten  bis  zum 
XVL  Jahrhundert,  Band  US]  (Lipp.  3626). 

Hirth.  Kulturgeschichtliches  Bilderbuch  aus  drei  Jahrhunderten.  Herausgegeben  von 
Georg  Hirth.     Leipzig  und  München,  G.  Hirth,  1 881  — 1890.  fol.  6  Bde.  (Lipp.  481). 

Hollar.  Theatrum  mulierum  sive  varietas  atque  diflerentia  habituum  foeminei  sexus, 
dinersomm  (!)  Europae  Nationum  hodiemo  Tempore  vulgo  in  usn,  a  Wenceslao 
Hollar  etc.  Bohemo  delineatae  et  aqua  forti  aeri  scolptae.  Londini  A9  1643.  ^-  ^^ 
(Lipp.  30). 

;  Aula  Veneris  sive  Varietas  foeminini  sexns,  diversarum  Europae  nationum, 
differentiaque  habituum,  ut  in  quaelibet  (!)  Provincia  sunt  apud  iUas  nunc  usitati, 
quas  Wenceslaus  Hollar,  Bohemus,  ex  maiori  parte  in  ipsis  lods  ad  vivas  delineavit, 
caeterasque  per  alios  delineari  curauit  et  Aqua  forti  aeri  insculpsit,  Londini  A^  1644. 
kl.  8^  (Upp.  30). 

2.  Teil  des  vorigen  Werkes. 

Hottenroth.  Trachten,  Haus-,  Feld-  und  Kriegsgeräthschaften  der  Völker  Alter  und 
Neuer  Zeit  von  Friedrich  Hottenroth.  Stuttgart,  Gustav  Weise,  1884^1891.  4^ 
2  Bde.  (Lipp.  91). 

Bd.  II  behandelt  „Germanische  und  romanische  Völker.    Die  europäischen  Trachten 

seit  dem  Ausgange  des  XVI.  Jahrhunderts**.     2.  Aufl. 

R.  Jacquemin,  L*art  et  le  costume  du  IV«  an  XIX«  si^de  ou  coUection  des  tjrpes 
pois^s  aux  sources  les  plus  authentiques  et  in^dits.     Paris.  1859. 

:  Iconographie  gön^rale  et  m6thodique  du  costume  du  IV^  au  XIX«  si^cle 
(315— 18 15).  CoUection  grav6e  a  l'eau  forte  d'aprös  des  documents  authentiques 
et  in^dits  par  Raphael  Jacquemin.     Paris.  1863— 1868.  gr.  foL  2  Bde.  (Lipp.  337). 

:  Histoire  generale   du  costume   civil,   religieux   et   militaire   du  IV«  an  Xu« 


si^e-ocddent  —  (315 — iioo).     Par  R.  Jacquemin.    Paris,  Ch.  de  la  Grave,    1879. 
4»  (Lipp.  357). 

13 


—     178     — 

Köhler.  Die  Trachten  der  Völker  in  Bild  und  Schnitt.  Eine  historische  und  technische 
Darstellung  der  menschlichen  Bekleidungsweise  von  den  ältesten  Zeiten  bis  in's  neun- 
zehnte Jahrhundert  und  zugleich  ein  Supplement  zu  allen  vorhandenen  Kostttmwerken  . . 
von  Karl  Köhler.  Dresden,  Müller,  Klemm  &  Schmidt,  1871— 1873.  8^  3  Tle. 
(Lipp.  79). 

Tl.  n  und  m  behandeln  Mittelalter  und  Neuzeit 

Köhler.  Allgemeine  Trachtenkunde.  Von  Bruno  Köhler.  Mit  .  .  KostOmbildem  .  . 
Leipzig,  Philipp  Reclam  jun.,  1900 — 1902.  8^.  a  Bde.  [«>  Universal-Bibliothek 
4059.  4060.  4074.  4075.  4104.  4105.  4145.  4146.  4172.  4173.  4203.  4204.  4223. 
4224]  (Lipp.  98e). 

Kottenkamp.  Die  verschiedenen  Trachten.  Aus  dem  Englischen  von  Dr.  Franz 
Kottenkamp.  Druck  von  Scheible,  Rieger  &  Sattler  in  Stuttgart  1847.  ^^  [=  Wochen- 
bände für  das  geistige  und  materielle  Wohl  des  deutschen  Volkes,  Nr.  50^52]  (Lipp.  64). 

Kostüme  s.  Co9tüme. 

Kretschmer.  Die  Trachten  der  Völker  vom  Beginne  der  Geschichte  bis  zum  neun- 
zehnten Jahrhundert  .  .  zusammengestellt,  gezeichnet  und  lithographiert  von  Albert 
Kretschmer  .  .  mit  Text  von  Dr.  Carl  Rohrbach.  Leipzig,  J.  G.  Bach,  1864.  4^ 
(Lipp.  75). 

1882  erschien  die  2.  Auflage. 

Lacauchie.    Les  nations.  Par  A.  Lacauchie.    Paris,  Uautecoenr  fr^res  o.  J.  fol.  (Dpp.  67). 

Lacroix.  Le  Moyen  Age  et  la  renaissance,  histoire  et  description  des  moeurs  et  usages, 
du  commerce  et  de  Tindustrie,  des  sciences,  des  arts,  des  litt^ratures  et  des  beanx« 
arts  en  Europe.  Direction  litt6raire  de  M.  Paul  Lacroix.  Direction  artistiqne  de 
M.  Ferdinand  Seri.     Paris.  1848— 1851.  4«.  5  Bde.  (Lipp.  327). 

Bd.  m  (1850)  enthält:  Kap.  7  ,,Vie  priv^e  dans  les  chateaux,  dans  les  vüles,  dans 
les  campagnes^';  Kap.  8  „Modes  et  costumes**. 

I  Moeurs,  usages   et  costumes  au  moyen  ftge  et  k  l'^poque  de  la  renaissance. 
Par  Paul  Lacroix.    Sixi^e  Edition.    Paris,  Firmin  Didot  ctO«,  1878.  4*'(Lipp.  329). 

Die  I.  Auflage  erschien  1871. 

Länder-  und  Völker-Schau.  Eine  Gallerie  von  Bildern,  welche  die  Ansichten  der  be- 
deutendsten Städte,  die  Trachten  der  Völkerstamme,  Scenen  aus  dem  Volksleben  .  . 
kurz  eine  CHiarakteristik  jedes  Landes  darstellen.  Kempten,  Tobias  Dannheimer, 
1847.  qo.  foL  (Lipp.  739). 

Abt.  I  Deutschland;  Abt.  II  Das  übrige  Europa. 

Latham,  Die  verschiedenen  Völkerstämme  aller  Nationen  in  treuester  Gesichtsbildung, 
Farbe,  Größe  und  Nationaltracht.     Stuttgart  und  Leipzig. 

Lecomte.  Costumes  europ6ens  par  Ht«  Lecomte.  Paris,  F.  Delpech,  181 7 — 181 9; 
fol.  (Lipp.  52). 

Madou.      Physionomie    de     la   Sociötö    en  Europe,    depuis    1400   josqn'a   nos    jours. 
Quatorze   tableaux   par  Madou.     Bruxelles,   A.  De  Wasme-Pletinckx ,    1837.  qu.  fol. 
(Lipp.  318). 

Mar^chal.  Costumes  civils  actuels  de  tous  les  peuples  connus,  dessinös  d'apr^  natnre, 
gravis  et  coloriös,  accompagn^s  d'une  Notice  historique  sur  les  moeurs,  usages, 
coutumes,  religions,  ffites,  supplices,  funörailles,  sciences  et  Arts,  commerce  etc., 
de  chaque  peuple,  r^dig^s  par  Sylvain  Mar^chal.  Paris,  Delerville,  o.  J.  8^  4  Bde. 
(Lipp.  42). 

2.  Aufl.;  Die  erste  erschien  1788;  s.  a.  St.'Sauveur, 

Daniel  Meisner,  Sciographia  cosmica.  Dafl  ist  Newes  Emblematisches  Büchlein,  da- 
rinnen in  acht  Centuriis  Die  Vomembslen  Statt,  Vestung,  Schlösser  usw.  der  ganzen 
Welt  gleichsamb  adnmbrirt  und  in  Kupfer  gestochen.     Nürnberg  1642. 

Menin.  II  costume  di  tutti  le  nazioni  e  di  tutti  i  tempi  descritto  ed  illustrato  dall' 
Abate  Lodovico  Menin.  Padova.  MDCCCXXXIII.  Text  in  fol.,  Atlas  in  qn.  fol. 
3  Bde.  (Lipp.  56). 

Moseman.  Newe  Summarische  Welt  Hi&toria:  vnnd  Beschreibung  aller  Keyscrthumb, 
Königreiche,  Fürstenlhumb,  vnnd  Völcker  heutiges  Tages  auff  Erden:  Was  für  Land 
vnd  Leute  in  der  gantzen  Welt,  was  jhre  Gestalt,  Kleidung,  Sprachen,  vnnd  Hand- 


—     179     — 

thiemog  .  .  sejen  .  .  ziuammenbracht  .  .  dorch  Fleifl  Hermanni  Fabronii  Mosemam. 
Getrackt  zu  Schmalkalden»  durch  Wolffgang  Ketzeln.    i6ia.  kl.  4^  2  Tle.  (Lipp.  a8). 

Mnsöe  cotmopolite.  Ches  Aabert  et  O«.     Paris.     Um  1850 — 1860.     4^  (Lipp*  68). 

Omniam  fere  gentiam  nostrae  aetatis  habitos,  nonquam  ante  hac  aediti.  Fernando 
Berieüi  aeneis  typis  excodebat     Venetijs  Anno  MDLXIII.     4®  (Lipp.  3). 

2.  Aiugabe  erschien  1569. 

Omniam  fere  gentiam,  nostraeqae  aetatis  Nationam,  habitas  et  effigies.  In  eosdem 
Joannis  Slaperij  lierzelensis  Epigrammata.  Adiecta  ad  singalas  Jcones  Gallica 
Tetrasticha.  Antverpiae,  apad  Joannem  Belleram,  sab  Aqaila  aorea.  MDLXXIL 
8«  (Lipp.  2). 

Panqaet.  Modes  et  costames  historiqaes  ^trangers,  dessinös  et  grav^  par  Paaqaet 
ir^res  d'apr^s  les  meilleurs  maitres  de  chaqae  ^poqae  et  les  docoments  les  plos 
aatbentiqaes.  Paris,  aax  bareaax  des  modes  et  costames  historiqaes,  Paaqaet  frlres 
öditearft  . .  et  aa  barcaa  de  la  mode  artistiqae,  Gastave  Janet,  1875.  4^  (Lipp.  338). 

Picart.  Diverses  modes  dessinöes  d'apr^  natare  par  Bemard  Picart.  Paris,  V«  de 
F.  Chereaa,  am  17 10.     8®  (Lipp.  477). 

Planchö.  A  Cjclopaedia  of  Costame  or  Dictionary  of  Dress,  inclading  notices  of 
contemporaneoas  fashions  on  the  Continent,  and  a  General  Chronological  History 
of  the  Costames  of  the  principal  Coantries  of  Earope,  from  the  Commencement  of 
the  Christian  Era  to  the  Accession  of  George  the  Third.  By  James  Robinson 
Planche.     London,  Chatto  and  Windus,  1876— 1879.     4^  2  Bde.  (Lipp.  84). 

Bd.  I:  the  dictionary;  Bd.  II:  a  general  history  of  costame  in  Earope. 

A  geographical  Present;  being  descriptions  of  the  principal  coantries  of  the  world; 
with  representations  of  the  varioas  inhabitants  in  their  respektive  costames,  beaati- 
fally  coloared.     London,  DartOD,  Harvey  and  Darton,  181 7.     12^  (Lipp.  480). 

Quincke.  Ratechismas  der  Kostümkande.  Von  Wolfgang  Qaincke.  Leipzig,  J.  J.  Weber, 
1889.     8*  [=  Weber's  Illastrierte  Katechismen,  Nr.  124]  (Lipp.  94). 

Racinet  Le  costame  historiqae  .  .  Types  principaax  da  v^teroent  et  de  la  parore 
rapproch^  de  ceax  de  Tint^riear  de  Thabitation  dans  toas  les  temps  et  chez  toas 
les  peaples,  avec  de  nombreax  d^tails  sar  le  mobilier,  les  armes,  les  objets  asaels, 
les  moyens  de  transport  etc.  Recaeil  pabli6  soas  la  direction  de  M.  A.  Racinet  .  . 
avec  des  notices  explicatives ,  ane  introdaction  g^n^rale,  des  tables  et  an  glossaire. 
Paris,  Firmin  Didot  et  O«,  1888.  foL  6  Bde.  (Upp  93). 

Abt.  IV,  Band  VI,  Tafel  411 — 500:  l'Earope  des  temps  modernes  par  nationalit^ 
distinctes. 

Recaeil  de  la  diuersit^  des  habits  qai  sont  de  present  en  vsaige  tant  es  pays  d'Earope, 
Asie,  Affnqae  et  Dies  saaaages,  Le  toat  fait  apres  le  natarel.    Paris,  Richard  Breton, 
1 562.  8«  (Lipp.  I »). 
Ältestes  gedrucktes   Trachtenbach,   das   bekannt   ist;    1567    erschien   eine  gleich- 
lautende 2.  Ausgabe  (Lipp.  i). 

Fritz  Rumpf,  Der  Mensch  und  seine  Tracht     Berlin,  A.  Schall,  1905. 

Saint-Sauveor.  Costames  civils  actaels  de  toas  les  peaples  connus,  dessin^s  d'aprit 
natare,  gravis  et  colori^,  accompagn^s  d'an  Abr^g^  historiqae  de  lears  Coatames, 
Moears,  Religions,  Sciences,  Arts,  Commerce,  Monnoies  etc.  Par  M.  Jacques  Grasset 
de  Saint-Sauvear.     Paris  .  .  MDCCLXXXIV.  kl.  4«  (Upp.  40). 

Sammlang  Eoropäischer  National  Trachten.  CoUection  de  manieres  de  se  vetir  des 
Nations  de  l'Earope.  Joh.  Martin  Wül  excudit  Aog.  Vind.,  am  1780.  qu.  4^ 
3  Tle.  (Lipp.  565). 

Sammlang  s.  auch  CoUection, 

A.  Schrader,  Allgemeine  Chronik  der  Handwerke,  Zünfte  and  Innungen  nebst  ihren 
Wappen  und  Insignien.     Berlin.     1860  ff. 

Shaw.  Dresses  and  Decorations  of  the  Middle  Ages  from  the  seventh  to  the  seven- 
teenth  Centories  by  Henry  Shaw.  London,  William  Pickering,  1843.  4^*  2  Bde. 
(Lipp.  325). 

18» 


—     180     — 

Spalart.     Versach   über   das   Kostüm   der  vorzüglichsten    Völker   des   Alterthams,   des 

Mittelalters  oad  der  neaesten  Zeit.    Nach  den  bewährtesten  Schriftstellern  bearbeitet 

von  Robert  von  Spalart  and  fortgesetzt  von  Jtikob  Kaieerer  ^).    Auf  eigene  Kosten 

herausgegeben  von  Ignatz  Albrecht.    Wien,  E^erische  Kansthandlang '),  1796 — 1837. 

8».  2  Abt.  in  10  Tln.  (Lipp.  47). 

Abt.  II,  Tl.  2:  „Kostüm  der  Franken  vom  fünften  bis  in  das  zwölfte  Jahrhundert''. 

Tl.  4:  „Kostüm  der  geistlichen  Orden**;  Tl.  5 :  „Trachten  der  Franzosen,  Italiener, 

Niederländer,  Schweizer,  Bargander  and  Deutschen '<;  Tl.  6:  „Anmerkungen  und 

Ergänzungen    .  .   Von  Leopold  Ziegelhäuser'*  —  „Im  Einzelnen  wenig  zuverlässig 

und  nur  mit  großer  Vorsicht  zu  gebrauchen"  (Weiß,  Kostümkunde). 

Tinnej.  A  CoUection  of  Eastern  and  other  Foreign  Dresses.  London,  J.  Tinney  in 
Fleetstreet,  um  1750.  fol.  (Lipp.  562). 

Trachten  oder  Stammbuch:  Darinnen  alle  fümemste  Nationen  Völckem  |  Manns  vnnd 
Weibs  Personen  in  jhren  Kleydern  |  artlich  abgemahlt  |  nach  jedes  Landes  Sitten 
vnd  Gebrauch  |  so  jetziger  zeyt  getragen  werden  |  vnd  zuvor  niemals  im  Track 
außgangen.  Getruckt  zu  S.  Gallen  durch  Georg  Straub  |  Anno  MDC.  qu.  4^ 
(Lipp.  26). 

Vecellio.  De  gli  Habiti  antichi,  et  Modemi  di  diverse  parti  del  mondo  libri  due, 
fatti  da  Cetare  Vecellio,  e  con  discorsi  da  lui  dichiarati  ...  in  Venetia.  MDXC. 
Presso  Damian  Zenaro.     8^  (Lipp.  21). 

;  Costumes  anciens  et  modernes.  Habiti  antichi  et  raoderni  di  Tutto  il  Mondo 
di  Cesare  Vecellio.  'Pr€c6d€s  d'nn  essay  sur  la  gravure  sur  bois  par  M.  Amb. 
Firmin  Didot.  Paris,  Firmin  Didot  fr^res  fils  et  Co.  MDCCCLIX.  8".  2  Tle. 
(Lipp.  25). 

Diese  Ausgabe  umfaßt  sämtliche  Trachtenbilder  der  3  Ausgaben  von   1590  (s.  o.), 

1598  und  1664. 

Yiero.     Raccolta  di  126  Stampe,  che  rappresentano,  Figuie,  ed  Abiti  di  varie  Nazioni, 

secondo  gli  Originali,  e  le  Descrizioni  dei  piü  celebri   recenti  Viaggiatori,   e   degli 

Scopritori   di   Paesi   nuovi  dedicala  .  .  in  argomento  di  grata  riconoscenza  Teodoro 

Viero  .  .  Ap.  Theodorum  Viero.  Venetiis  .  .  Anno   1783— 1 791.  fol.  3  Tle.  (Lipp.  39). 

Villepelet.  Du  luxe  des  vdtements  an  XVle  si^cle,  ^tude  historique  par  Ferd.  Ville- 
pelet.  P6rigueux,  Dupont  et  0«,  1869.  8^  [«>  Annales  de  la  Society  d'agriculture, 
des  sciences  et  arts  de  la  Dordogne,  Avril  et  Juin  1 869.    Sonderabdmck]  (Lipp.  508). 

Vollständige  Völkergallerie  in  getreuen  Abbildungen  aller  Nationen  mit  ausfuhrlicher 
Beschreibung  derselben.  Meissen,  Friedrich  Wilhelm  Gödsche,  1830—1839.  4^ 
3  Bde.  (Lipp.  55). 

Bd.  III:  Europa. 

Wahlen.  Moears,  usages  et  costumes  de  tous  les  peuples  du  monde,  d'apr^  des  docu- 
ments  aathentiques  et  les  voyages  les  plas  röcents,  publik  par  Auguste  Wahlen. 
Brüxelles,  Librairie  Historique-artistique,   1843 — 1844.  4^-  4  Bde.  (Lipp.  61). 

Bd.  IV  (1844):  Europa. 

St.  Watson,  costumes  of  the  middle  age  from  authentic  sources.     London. 

Hans  Weigel  s.  Amman  und  Weigel. 

Weiß.  Kostttmkunde  von  Hermann  Weiß.  Stuttgart,  Ebner  &  Senbert,  1860—1872. 
8«.  3  Tle.  in  5  Abt  (Lipp.  71). 

Tl.  II:  „Geschichte  der  Tracht  und  des  Geräthes  im  Mittelalter  vom  4.  bis  zum 
14.  Jahrhundert*'.  1864;  Tl.  III:  „Geschichte  der  Tracht  und  des  Geräthes  vom 
14.  Jahrhundert  bis  auf  die  Gegenwart'*.  1872.  Abt  i:  Das  Kostüm  vom  14.  bis 
zum  16.  Jahrhundert.  Abt  2:  Das  Kostüm  vom  16.  Jahrhundert  bis  auf  die  Gegen- 
wart. —  Eine  2.,  stark  verkürzte  Auflage  erschien  1881—83,  ^^  ^  ^^^'  (^^*  ^' 
Geschichte  der  Tracht  und  des  Geräths  im  Mittelalter)  (Lipp.  72). 

Nen-eröffnete  Welt-Galleria  |  Worinnen  sehr  curios  und  begnügt  unter  die  Augen 
kommen  allerley  Aufzug  und  Kleidungen  unterschiedlicher  Stände  und  Nationen: 
Forderist  aber  ist  darinnen  in  Kupffer  entworffen  die  Kayserl.  Hoffstatt  in  Wien  | 


I)  von  Abt.  II,  Bd.  3  ab.  —  2)  von  Abt.  II,  Bd.  3  ab:  Phil.  J.  Schalbacher. 


—     181     — 

Wie  dann  aach  Anderer  hohen  HXnpter  Und  Potentaten  |  Bifl  endlich  gar  auf  dea 
mindesten  Gemeinen  Mann  .  .  zusammengebracht  |  Von  P.  Äbrahamo  ä  8,  Cla/ra  . . 
and  von  Chriitoph  Weigd  in  Kapffer  gestochen  |  zu  Ntiml>erg.    1703.  foL  (Lipp.  3a) 

Johann  Martin  Will  s.  Scmmlung. 

Wright.  Womankind  in  westem  Eorope  from  the  earliest  times  to  the  seventeenth  Cent- 
ury. By  Thomas  Wright.  London,  Groom-Bridge  and  Sons.  MDCCCLXDC  kL  4 
(Lipp.  77). 

IL  Spezielle  Trachtenwerke. 

I.  Deutschland  im  Allgemeinen. 

Arndt.  Deutsche  Trachten.  Mit  einer  Vorrede  von  E.  M.  Arndt  Berlin,  L.  W.  Wittich, 
181 5.  4*  (Lipp.  655). 

Nur  ein  Heft  erschienen. 

Dürer.  Trachten-Bilder  von  Albrecht  Dürer  aus  der  Albertina.  Wien,  Wilhelm  Brau- 
müller, 1871.  gr.  fol.  (Lipp.  663). 

£.  Duller,  Deutschland  und  das  deutsche  Volk.  Mit  150  Stichen,  50  kolor.  Kupfer- 
tafeln.    Leipzig.   1845. 

;  Das  deutsehe  Volk  in  seinen  Mundarten,  Sitten,  Gebräuchen,  Festen  und 
Trachten  geschildert  von  Eduard  Duller.  Leipzig,  Georg  Wigand,  1847.  ^*^  (Lipp.  737)  ^)* 
Enthält  Trachten  aus:  Österreich  (Steiermark,  Tirol,  10  Taf.),  Hessen,  Baden 
(je  4  Taf.),  Bayern,  Württemberg  (je  5  Taf.),  Ostfriesland  (3  Taf.),  Osnabrück, 
Braunschweig,  Thüringen,  Coblenz  (je  2  Taf.),  Schlesien,  Magdeburg,  Erfurt,  Wetz- 
lar, Lüneburg,  Holstein,  Vierlande,  Altenland,  Schaumburg,    Göttingen  (je  i  Taf.). 

Eye.  Kunst  und  Leben  der  Vorzeit  vom  Beginn  des  Mittelalters  bis  zu  Anfang  des 
19.  Jahrhunderts  in  Skizzen  nach  Originaldenkmälern.  Zweite  nach  chronologischer 
Reihenfolge  zusammengestellte  Ausgabe.  Von  Dr.  A.  von  Eye  und  Jakob  Fdlke^ 
Nürnberg,  Bauer  &  Raspe,  Julius  Merz,  1859— 1862.  4*.  3  Bde.  (Lipp.  334J, 

Erste  Auflage:  1855 — 1859. 

Falke.  Die  deutsche  Trachten-  und  Moden  weit.  Ein  Beitrag  zur  deutschen  Kultur- 
geschichte. Von  Jakob  Falke.  Leipzig,  Gustav  Meyer,  1858.  8^  2  Tle.  [=  Deutsches 
Leben.  Eine  Sammlung  abgeschlossener  Schilderungen  aus  der  deutschen  Geschichte 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Kulturgeschichte  und  der  Beziehungen  zur  Gegen- 
wart.    Erster  Band]  (Lipp.  589). 

:  Zur  Costümgeschichte  des  Mittelalters.  [*■   Mitteilungen   der  K.  K.   Zentral- 
kommissioo  zur  Erforschung  und  Erhaltung  der  Baudenkmale.  5.  Jahrgang.  Wien.  1860]. 

:  s.  auch  JS^. 


XV  Bücher  von  dem  Feldbaw  vnd  recht  volkommener  Wolbestellung  eines  bekömmlichen 
Landsitzes  .  .  Deren  etliche  vorlängst  von  Carolo  Stephane  \  vnd  Jch.  LibaUo  \ 
Frantzösisch  vorkommen.  Welche  .  .  theyls  vom  .  .  Herrn  Melchiore  Sebieio  .  . 
theylfl  aufi  leisten  Libaltisclien  zusetzen  durch  nachgemelten  inn  Teutsch  gebracht 
seind.  Etliche  aber  an  jetzo  auffs  New  |  erstlich  aufi  dem  FrantzÖsischen  letst- 
mahls  emewertem  vnd  gemehrtem  Exemplar  |  So  dann  |  aufi  deß  Herrn  Doktoris 
Gtargij  Marij  Publicierter  Gartenkunst  und  forter  |  deß  Herrn  Joh.  FischairH  .  . 
CoUigirten  Feldbawrechten  .  .  hinzugethan  worden.  Gedruckt  zu  Straflburg  |  bey  Bern- 
hart  Jobius  (seligen)  Erben  |  Im  Jar  1598.  fol.  (Lipp.  1984). 
Frühere  Ausgaben:  1580.  1588.  1592.  Das  französische  Original  führt  den  Titel: 
„  L'agriculture  et  maison  rustique  de  Charles  E^tierme*^     1564. 

F.  D.  Gräter,  Braga  und  Hermode  oder  neues  Magazin  fUr  die  vaterländischen  Alter- 
tümer der  Sprache,  Kunst  und  Sitten.     Leipzig.  1796  ff. 

Hefner-Alteneck.  Trachten  des  christlichen  Mittelalters.  Nach  gleichzeitigen  Kunst- 
denkmalen von  J.  H.  von  Hefner-Alteneck.  Frankfurt  a.  M.,  Heinrich  Keller.  Darm- 
sUdt,  Wilhelm  Beyerle,  1840— 1854.  4*.  3  Abt.  (Lipp.  321). 


i)  Die  Tafeln  allein  erschienen  auch  unter  dem  Titel:  „Deutsche  Volkstrachten'* 
(Leipzig,  Bernhard  Schlicke,  o.  J.  4^,  50  kolor.  Tafeln. 


—     182     — 

Hefner-Alteoeck.  Kunstwerke  opd  Geräthschaflen  des  Mittelalters  und  der  Renaissance. 
Heransgegeben  von  C.  Becker  and  J.  von  Hefner-[Alteneck].  Frankfurt  am  MauL» 
S.  Schmerber'sche  Buchhandlung  Nachfolger  Heinrich  Keller,  1852 — 1863.  4^  3  Bde. 

(Lipp.  322). 

;  Trachten,  Kunstwerke  und  Geräthschaften  vom  frühen  Mittelalter  bis  Ende 
des  Achteehnten  Jahrhunderts  nach  gleichzeitigen  Originalen  von  Dr.  J.  H.  von  Hefoer- 
Alteneck.  Zweite  vermehrte  und  verbesserte  Auflage.  Frankfurt  am  Main,  Heinrich 
Keller,  1879— 1889.  fol.  10  Bde.  (Lipp.  323). 

Die  beiden  erstgenannten  Werke  erchienen,  zu  einem  vereint,  unter  obigem  Titel 
als  eweiie  Auflage,  die  auch  das  17.  und  18.  Jahrhundert  noch  mit  mnifafit 

Hottenroth.  Handbuch  der  Deutschen  Tracht.  Von  Friedrich  Hottenroth.  Stuttgart, 
Gustav  Weise,  1896.  8<*  (Lipp.  605). 

«^^— ^— > :  Deutsche  Volkstrachten  —  Städtische  und  Ländliche  —  vom  XVL  Jahrhundert 
an  bis  zum  Anfange  1)  des  XIX.  Jahrhunderts  von  Friedrich  Hottenroth.  Frank- 
furt a.  M.,  Heinrich  Keller,  1898— 1902.  8^  3  Bde.  (Lipp.  742«). 

Köhler.  Die  Entwickelung  der  Tracht  in  Deutschland  während  des  Mittelalters  und  der 
Neuzeit,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  jezeitigeo,  für  die  einzelnen  Kleidungs- 
stücke üblichen  Herstellungsweise.  Von  Karl  Köhler.  Nürnberg,  Friedr.  Heerdegen'scbes 
Antiquariat  (Barbeck),  1877.  8^  (Lipp.  590). 

Kretschmer.  Deutsche  Volkstrachten.  Original-Zeichnungen  mit  erklärendem  Text  von 
Albert  Kretschmer.     Leipzig,  J.  G.  Bach.  1870.  4*^  (Lipp.  740). 

Eine  zweite  vermehrte  Auflage  (Leipzig,  J.  G.  Bach's  Verlag  Fr.  Eugen  Köhler) 
erschien  1887 — 1^9^  (^ipP*  74^)*  Unter  dem  Titel  „Album  Deutscher  Volks- 
trachten. Original-Zeichnungen  mit  erklärenden  Notizen  von  Albert  Kretschmer. 
Leipzig,  J.  G.  Bach,  1870.  4**'*  erschien  ein  Auszug,  enthaltend:  T3rrol  (4  BL), 
Braunschweig  (2  Bl.),  Provinz  Sachsen,  Harz,  Westphalen,  Vierlande  (je  i  Bl.), 
Hannover,  Churhessen.  Würtemberg  (je  2  Bl.),  Baden  (4  Bl.)  (Lipp.  742). 

Lantö.  Costumes  des  femmes  de  Hambourg,  du  Tyrol,  de  la  HoUande,  de  la  Snisse^ 
de  la  Franconie,  de  TEspagne.  du  royaume  de  Naples  etc.  Dessin^,  la  plupart,  par 
M.  Lantö,  gravis  par  M.  Gatine,  et  colori^s.  Avec  une  explication  pour  chaque 
planche.  Paris.  1827.  4^  (Lipp.  571). 

Opiz.     Volks-Trachten  der  Deutschen.     G.  Opiz  f.  Bey  Breitkopf  &  Härtel,  Leipzig,  am 
1830.  fol.  (Lipp.  736). 
Enthält:  Vierländer  und  Sächsische  Bauern,  Rbeinpfalzer,  Altenburger,  Tiroler. 

K.  Preusker,  Blicke  in  die  vaterländische  Vorzeit;  Sitten,  Sagen,  Bauwerke  und  Geräthe, 
zur  Erläuterung  des  öffentlichen  und  häuslichen  Volkslebens  im  heidnischen  Alterthume 
und  christlichen  Mittelalter.     Leipzig.  1841. 

L.  Quaglio,  Studien  nach  der  Natur  zur  Landschaft-Staffierung.    24  Bl.  Karlsruhe,  Veiten. 

Reichard.  Matthäus  und  Veit  Konrad  Schwarz  nach  ihren  merkwürdigsten  Lebens- 
umständen und  vielfaltig  abwechselnden  Kleidertrachten  ans  zwey  im  Herzoglich- 
Braunschweigischen  Kunst-  und  Naturalienkabinette  befindlichen  Originalien  ausführlich 
beschrieben  und  mit  Anmerkungen  erläutert  von  EHias  Caspar  Reichard.  Ein  Bejrtrag 
zur  Geschichte  der  Kleidermoden,  zur  Beförderung  der  Menschenkunde  und  zur 
Kenntnifi  der  Deutschen  Sprache  des  16.  Jahrhunderts.  Magdeburg.  1786.  8® 
(Lipp.  651). 

Beschreibt  zwei  Trachtenbücher  des  Braunschweiger  Museums  (s.  auch  u.  Schlichtegroll). 

Scheible.  Die  gute  alte  Zeit  geschildert  in  historischen  Beiträgen  zur  nähern  Kenntnifi 
der  Sitten,  Gebräuche  und  Denkart,  vomemlich  des  Mittelstandes,  in  den  letzten  fünf 
Jahrhunderten;  nach  grofientheils  alten  und  seltenen  Druckschriften,  Manuscripten, 
Flugblättern  etc.  Erster  Band:  zur  Geschichte  hauptsächlich  des  Stadtlebens,  der 
Kleidertrachten,  des  Hauswesens,  der  Kinderspiele,  Tanzfreuden,  Gaukler,  Bankette, 
Frauenhäuser,  magischen  Mittel,  Kirchenfeste,  Pilgerfahrten  etc.  Aus  WUh,  von 
Beinöhls  handschriftlichen  und  artistischen  Sammlungen  herausgegeben  von  J.  Scheible. 
Stuttgart,   Selbstveriag,    1847.  ^^  [=»   ^'^  Kloster.    Weltlich   und  geisüich.    Meist 


i)  In  Band  II  und  III  „bis  zur  Mitte.« 


—     188     — 

aus  der  älteren  deatschen  Volks-,  Wunder-,  Coriositäten-  and  vorzugsweise  komischen 
Litteratur.  Zur  Kaltnr-  und  Sittengeschichte  in  Wort  and  Bild.  Band  VI.  Zelle 
21—24]  (Lipp.  587). 

S.  54 — 137:  ,. Einige  der  auffallendsten  Kleidertracfaten  der  Vorzeit^'. 

Schlichtegroll.  Gallerie  altteutscher  Trachten,  Gebräuche  und  Geräthschaften ,  nach 
zuverlässigen  Abbildungen  aus  den  vorigen  Jahrhunderten.  Als  ein  Beitrag  zur 
Geschichte  der  Sitten  gesammelt  und  mit  historischen  Erläuterungen  begleitet  von 
einigen  Freunden  des  teutschen  Alterthums  [von  F.  von  Schlichtegroll].  Leipzig, 
Industrie-Comptoir.  1802.  4^  2  Hefte  (Lipp.  654]. 
Enthält  Abb.  aus  dem  Reichard'schen  Trachtenwerk  (s.  o.!)  und  den  Anfang  zu 
einer  Bibliographie  der  Trachtenkunde.     Es  erschienen  nur  die  beiden  Hefte. 

Schotel.  Bijdrage  tot  de  Geschiedenis  der  kerkelijke  en  wereldlijke  Kleeding.  Door 
Dr.  G.  W.  J.  Schotel.  's  Gravenhage,  P.  H.  Noordendorp,  1856.  8®  (Lipp.  1826). 

Schwindrazheim,  Tracht  und  Schmuck.  Mit  25  Abb.  [»  Sohnrey,  die  Kunst  auf 
dem  Lande,  Bielefeld,  1905.  S.  203 — 224]. 

Tetzner.  Die  Slawen  in  Deutschland.  Beiträge  zur  Volkskunde  der  Preufien,  Litauer 
und  Letten,  der  Masuren  und  Philipponen,  der  Tschechen,  Mährer  und  Sorben, 
Polaben  und  Slowinzen,  Kaschuben  und  Polen.  Von  Dr.  Franz  Tetzner.  Braun- 
schweig, Friedrich  Vieweg  &  Sohn,  1902.  8^. 

Thäter.  Deutsche  Trachten  aus  dem  sechzehnten  Jahrhundert,  bearbeitet  von  Julius 
Thäter.  1827.  4»  (Lipp.  656). 

Nur  ein  Heft  mit  Nürnberger  Trachten  erschienen. 

XVn  Vorstellungen  von  DeuUchen  National-Trachten.  Augsburg,  C.  F.  BUrglen,  1800. 
S\  Lipp.  735). 

Frauentrachten  aus  Süddeutschland,  Osterreich,  Schweiz. 

Zur  Geschichte  der  altteuUcben  Trachten  und  Moden.  Erster  Beytrag.  Beschreibung 
der  Kleidertracht  des  Herzogs  Lndolf  und  seiner  Gemahlin  Oda,  nach  einem  Ge- 
mälde aus  dem  16.  Jahrhundert,  in  der  Stiftskirche  des  Klosters  Gandersheim.  8® 
[—  Bragur.  Ein  Literarisches  Magazin  der  Deutschen  und  Nordischen  Vorzeit. 
Herausgegeben  von  F.  2>.  Gräter,  Fünfter  Band.  Erste  Abtheilung,  S.  48 — 55« 
Leipzig,  Heinrich  Gräff,  1797]  (Lipp.  653). 

Deutsche  Volks-Trachten  s.  Butter, 

Die  alten  Volkstrachten  [=>  Das  Land,  Organ  für  ländliche  Wohlfahrts-  und  Heimat- 
pflege II,  S.  57.  218.  359;  III,  S.  25.  268;  IV,  S.  280;  V,  S.  87.  235.  334]. 

Wagner.  Trachtenbuch  des  Mittel-Alters,  eine  Sammlung  von  Trachten,  Waffen, 
Geräthen  usw.  nach  Denkmälern.  Gez.  und  lithographiert  von  H.  Wagner  in  München. 
[München,  Lindauer,  1830 — 1833].  qu.  fol.  (Lipp.  349). 

Warn  ecke.  Sammlung  historischer  Bildnisse  und  Trachten  aus  dem  Stammbuch  der 
Katharina  von  Canstein,  Unter  Mitwirkung  des  Frhn.  Dr.  E,  B.  von  CangUm 
herausgegeben  von    F.  Wamecke.     Berlin,  H.  S.  Hermann,  1885.  fol.  (Lipp.  696). 

Adlige  aus  Niedersachsen,  Hessen,  Westfalen. 

2.  Einzelne   Länder  und   Landschaften. 

Allgäu.     Franz  Zell,  Volkskunst  im  Äügäu. 

Altenburg. 

Friese.  Historische  Nachricht  von  denen  Merkwürdigen  Cereroonien  derer  Altenbur-' 
gischen  Bauern,  wie  sie  es  nemlich  bey  Hochzeiten,  Heimführung  der  Braut,  Kind- 
tauffen,  Gesinde-Miethen ,  Beerdigungen,  Kleidung  und  Tracht,  wie  auch  mit  ihrer 
Sprache  gemeiniglich  zu  halten  pflegen  .  .  .  vorgetragen  von  M.  Friderico  Frisio,  Lyc 
Altenb.  Con-Rect.  Leipzig,  Groschuff,  1703.  8®  (Lipp.  2855). 

Kronbiegel.  Ober  die  Sitten,  Kleidertrachten  und  Gebräuche  der  ÄUenburgischen 
Bauern  .  .  .  von  Carl  Friedrich  Kronbiegel.  Zweite  verbesserte  Auflage.  Alten- 
burg, Christian  Friedrich  Petersen,  1806.  8*>  (Lipp.  824Z). 

Die  erste  Auflage  erschien  1796. 

Kronbiegel.  Sitten,  Gebräuche,  Trachten,  Mundart,  häusliche  und  landwirthschaftliche 
Einrichtungen   der  Ältenburgisehen  Bauern.    Dritte,  gänzlich   umgearbeitete  Auf- 


—     184     — 

läge  der  Kronbiegerschen  Schrift  von  Ca/rl  Friedridi  HempeJ  .  .  .  Mit  einem  Für- 
wort von  dem  Bauer  und  Anspanner  Zacharias  Kresse  in  Dobraschütz  an  seine  Stamm- 
genossen.   Altenborg,  Schnnphase,  1839.  8®  (Lipp>  825). 

Friese.  Magister  Friedrich  Friese  .  .  .  Historische  Nachrichten  von  den  merkwürdigen 
Ceremonien  der  AUenburgiechen  Bauern,  1703.  Neudruck,  mit  Einleitung  und 
Anmerkungen  versehen  .  .  .  Schmölln,  Reinhold  Bauer,  1887.  8®  (L'ipp«  3856). 

Volger,  die  Ältenb%irger  Bauern  in  ihren  Trachten,  Sitten  und  Gebräuchen.  Alten- 
burg, Bonde,  1890. 

Amberg  (Bayern). 

Wiltmaister.  Die  Kleidertracht  der  distinguirten  Mannspersonen  [»»  Churpfalzische 
Kronik,  oder  Beschreibung  vom  Ursprünge  des  jetzigen  Nordgau  und  oberen  Pfalz, 
derselben  Pfalzgrafen,  ChurfÜrsten  und  andern  Regenten,  nebst  den  .  .  .  Merkwürdig- 
keiten der  churfUrstl.  oberpfölzischen  Haupt-  und  Regierungsstadt  Amherg'  Zusammen- 
getragen und  beschrieben  von  Johann  Kaspar  von  Wiltmaister.  Sulzbach,  Johann 
Baptist  Haimerle,  1783.  S.  587—589]  (Lipp.  761). 

Atsendoil 

Rabe,  Ans  vergangener  Zeit.  Schönebeck  a.  E,  Georg  Wolff,  o.  J.  [«=  Sep.-Abdr. 
aus  dem  „  Schöneberger  Gen.-Anz.^^]. 

Bräuche  bei  Hochzeiten,  Kindtaufen  und  Leichenbegängnissen,  sowie  Tracht  um  1 750 
nach  der  HandschrifUichen  Chronik  des  Pcuicre  Carstedt  zu  AUendorf. 

Angiburg. 

Schmidt.  Vorstellung  der  Augspurgischen  KleitertrtkcMj  verlegt  und  zu  finden  bey 
Albrecht  Schmidt  in  Augspurg.  [Um  1720].  fol.  (Lipp.  766). 

Engelbrecht.  La  Mode  d^Augshaurg.  Augspurgische  Kleider  Tracht.  Anno  1739. 
Martin  Engelbrecht.  (Lipp.  770). 

Rohbausch.  Sammlung  AugspurgiscJier  Kleider- Trtichten,  In  Verlag  Joh.  Michael 
Motz  seel.  Erben.  Collection  de  divers  habits,  usites  dans  la  Ville  d'Augsbourg 
par  les  deux  Sexes.  Augsbourg,  aux  depens  des  Heritiers  du  feu  Jean  Michel  Motz. 
O.  J.  (Lipp.  771). 

Die  Stiche  sind  von  Helena  Regina  Rohbausch. 

Baden  (s.  auch  ,^Schwarewald''), 

Schreiber.  Trachten,  Volksfeste  und  charakteristische  Beschäftigungen  im  Oroß" 
hereogtum  Beiden  in  XII  malerischen  Darstellungen  und  mit  historisch-topographischen 
Notizen  begleitet  von  Aloys  Schreiber.  Freiburg,  Herder,  1825.  3  Hefte,  qu.  fol. 
(Upp.  743). 

Badenia  oder  das  hadische  Land  und  Volk,  eine  Zeitschrift  für  vaterländische  Ge- 
schichte und  Landeskunde  mit  Karten,  Lithographien  und  colorierten  Abbildungen 
van  Landestrachten  .  .  .  herausgegeben  von  Dr.  Josef  Bader.  Karlsruhe  und  Frei- 
burg, Herder,  1839—44.     3  Jahrg.     8<»  (Lipp.  745). 

Badenia  oder  das  beuUsche  Land  und  Volk,  Eine  Zeitschrift  zur  Verbreitung  der 
historisch-topographisch-statistischen  Kenntnis  des  Großherzogtums.  Herausgegeben 
von  Dr.  Joseph  Bader  .  .  .  Heidelberg,  Adolph  Emmerling,  1859 — 1862.  2  Bde. 
80  (Lipp.  746). 

Bader.     Badische   Volkssitten   und    Trachten   von    Dr.  Joseph    Bader    .  .    Karlsruhe, 

Kunstverlag  [1843-— 1844].     8<>  (Lipp.  748). 
Lallemand.     Les  ptxysans  badois.     Esquisse   de  moeurs   et   de   coutomes.     Texte   et 

dessins  par  Charles  Lallemand.   Strasburg,  Salomon  libr.  Bade,  D.  R.  Marx  libraire, 

[1860].  gr.  4*^  (Lipp.  750). 
Gl  eich  au  f.      Beulische    Landestreuihten    im    Auftrage    des    grofiherzogl.    badischen 

Handelsministeriums  herausgegeben  von  H.  MüUer's  Kunstverlag  in  Stuttgart,  [1862]. 

gr.-fol.  (Lipp.  751). 

Zeichnungen  von  B.  Gleichauf, 

Bad is che  Volkstrachten.     Freiburg  i.  Br.,  1870.     (Lipp.  752). 

Gageur.     Das  Trachtenfest   zu  HeuUich  im  Kineigtal  am  4.  Juni  1899.    Dargestellt 


—     185     — 

▼OD   Karl   Gageur.     Freibnrg   i.   Br. ,  UDiversitätsdnickerei   H.    M.  Poppen  &  Sohn, 
1899.  gr.  8®  (Lipp.  752«). 

Franz  Weinit£,  Zur  älteren  Volkskunde  des  Oroßherzofftums  Baden  [=  Mittheilongen 
aus  dem  Mosenm  für  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse  des  Hausgewerbes  zu 
Berlin  C,  Klosterstr.  36.     Berlin,  Rudolf  Mosse,  1900.     Heft  6,  S.  265—268]. 

Elard  Hugo  Meyer,  Baditehes  Volksleben  im  neunzehnten  Jahrhundert.  Strafiburg, 
Trübner,  1900. 

Bayern  (s.  a.  Allgäu,  Aniberg,  Augsburg,  Berehtesgctden,  Nürnberg), 

F.  vonPaulaSchrank,  Reise  nach  den  südlichen  Gebirgen  von  Bayern,  München,  1 793. 
Josef  Hazzi,  Statistische  Aufschlüsse  über  das  Herzogtum  Baiem,     Nürnberg,  1801. 

Rheinwald.  Baierische  VolkstraMen,  herausgegeben  von  J.  C.  L.  Rheinwald. 
München,  1804.  fol.  (Lipp.  753). 

Quaglio.  Oberbayrische  Volkstrachten,  Gezeichnet  von  Lorenz  Quaglio.  München, 
um  i8ao.  4®  (Lipp.  754). 

Lipo  WS ki.  Sammlung  Bayerischer  National -Gostüme  mit  historischem  Text  von 
Herrn  Felix  Joseph  Lipowski.  München,  Hermann  &  Barth,  um  1830.  fol.   12  Hefte 

(Lipp.  755). 
Lommel  &  Bauer.  Das  Königreich  Bayern  in  seinen  acht  Kreisen  bildlich  und 
statistisch  •  topographisch  sowie  in  acht  historisch  -  geographischen  Spezialkarten 
bearbeitet  von  einem  Verein  von  Literaten  und  Künstlern  unter  Leitung  des  Archiv- 
beamten Lommel  und  des  Artilleriehauptmanns  Bauer.  Nürnberg,  Johann  Thomas 
Schubert,  1836.  gr.-fol.  (Lipp.  757). 

Trachten  des  bayerischen  Hochlandes,  24  farbige  Blätter.  München,  Max  Ravizza,  um  1 850. 
Adelmann.     Bayerische  Trachten    Ünterfranken  .  .   herausgegeben    von   Dr.   Leofrid 

Adelmann.     Würzburg,  Verl.  des  polytechn.  Vereins,  1856.  4^  (Lipp.  758). 

:  lUiyerische  Trachten  Mittelfranken  ,  ,  herausgegeben  von  Dr.  Leofrid  Adel- 
mann.    Würzburg,  Verl.  des  pol3rtechn.  Vereins,  1858.  4°  (Lipp.  759)* 

Bavaria.     Landes-  und  Volkskunde  des  Königreiches  Bayern,     München,  1860. 

Jakob  Grofi,  Volkstrachten  im  Baierischen  InntJutle,  Sammlung  von  Abbildungen 
nach  Votivtafeln  in  den  Kirchen  um  Simbaeh  am  Inn,  1860. 

Noch  unveröffentlicht;  vgl.  Hottenroth,  Deutsche  Volkstrachten  vom  16.  Jahrhundert 
an  bis  zum  Anfange  des  neunzehnten  Jahrhunderts.  Frankfurt  a.  Main,  Heinrich 
Keller.     Bd.  I  (1898)  S.  208. 

Enhuber.  Deutsches  Volksleben  in  13  Bildern  nach  Melchior  Meyr's  Erzählungen  aus 
dem  Ries  von  Karl  von  Enhuber.  Photographiert  nach  den  Original  -  Ölgemälden 
mit  Text  von  Melchior  Meyr,    Berlin,  G.  Grote,  1869.  qu.  fol.  (Lipp.  760). 

Bronner,  Vier  Perlen  des  bayerischen  Hochlandes,    Leipzig,  1890. 

Frefil,  Die  Tracht  des  baiwarischen  Volkes  vom  Anfang  bis  zur  Mitte  dieses  Jahr- 
hunderts [=  Korrespondenzblatt  f.  Anthropologie,  Bd.  XXIIl,  1892,  S.  49 — 53]. 

Volkstümliche  Hausmalereien  im  bayerischen  Hochland  [=  Altbayerische  Monats- 
schrift 1900,  S.  156]. 

Zell.  Bauern  -  Trachten  aus  dem  bayerischen  Hochland  .  .  Herausgegeben  von  Franz 
Zell.     München,  Verl.  der  Verein.  Kunstanstalten  A.-G.,  1903.  fol.  (Lipp.  760«). 

Max  Haushofe r,  München  und  Bayerisches  Hochland,  Mit  102  Abb.  und  Karte. 
Bielefeld  und  Leipzig.  1902  [=  Land  und  Leute.  Monographien  zur  Erdkunde, 
herausgegeben  von  A.  Scobel,  Nr.  6]. 

Berchtetgaden  (s.  a.  „Bayern**), 

Ludwig  Sailer,  Bilder  aus  dem  bayerischen  Hochgebirge. 

Eduard  Richter,  Das  Land  Berchtesgaden  [=  Zeitschrift  des  Deutschen  und  Oster- 
reichischen Alpenvereins,  1885,  S.  295]. 

Berlin. 

Dörbeck.  Berliner  Ausrufer,  Costüme  und  locale  Gebräuche  gezeichnet  von  Dörbeck. 
Berlin,  Gebr.  Gropius,  um  1830.  4**  (Lipp.  819). 


—     186     — 

Schwebe  1.  Zur  Trachtengeschichte  von  Alt  •Berlin.  Von  Oskar  Schwebel.  [=»  Zeit- 
schrift f.  deutsche  Kolturgf  schichte.  Nene  Folge  . .  .  herausgegeben  von  Dr.  Christian 
Meyer.  Berlin,  Hans  Lüstenöder.    Bd.  II,  Heft  2,  189a,  S.  206—325.    8^  (Lipp.  820). 

Blankenese. 

E.  Clemens,  Die  Blankeneser  Trachten.  Mit  einer  Dreifarbendrucktafel.  [=  Mit- 
teilungen ans  dem  Altonaer  Museum  I,  Heft  6,  S.  87 — 90]. 

Böhmen  (s.  a.  „Egerland",  „Ktihländchm*'). 

Grüner.  Böhmi8che  VolkstracfUen.  V.  R.  Grüner  del.  et  sc.  Prag,  C.  W.  Ender», 
um  1830.  4®  (Lipp.  874). 

J.  E.  Wocel,  Böhmische  Trachten  im  Mittelalter.  [«  österreichische  Blätter,  1844, 
Nr.  65]. 

Langer,  Deutsche  Volkskunde  aus  dem  ösÜichen  Böhmen.    Jahrgang  III. 

Brandenburg. 

Fedor  von  Zobeltitz,  Berlin  und  die  Mark  Brandenburg,  Mit  185  Abb.  und  einer 
Karte.  Bielefeld  und  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1902.  [^  Land  und  Leute. 
Monographien  zur  Erdkunde,  herausgegeben  von  A.  Scobel,  Nr.  14]. 

Braunschweig. 

Richard  Andree,  Braunschweiger  Volkskunde.  2.  vermehrte  Auflage.  Mit  12  Tafeln 
und  174  Abb.,  Plänen  und  Karten.     Braunschweig,  Fr.  Vieweg  &  Sohn,  1901. 

Schattenberg,  Die  brawMchvjeigische  Volkstracht  im  Dorfe  EiUsum  [*■  Brann- 
schweiger Magazin  II,  1896,  S.  28]. 

Richard  Andree,  Braunschweigische  Bauemtrachtbilder  [^  Beiträge  zur  Anthropologie 
Brannschweigs.  Festschrift  zur  29.  Versammlung  der  deutschen  Anthropologischen 
Gesellschaft  zu  Braunschweig  im  August  1898.  Braunschweig,  Friedrich  Vieweg  &  Sohn, 
1898,  S.  23-33]. 

Bremen. 

Peter  Koster,  Afitkonterfeiung  der  Stadt  Bremen  mit  samt  öhrer  kleidnng  in  hoch- 
tidtlicken  Dagen.     Anno  161 8. 

;  Warhafte  Kurtze  und  Einfältige  Beschreibung  dessen,  Wass  sich  von  Anno 
1600  bishero  In  der  Kayserl.  Freyen  Reichs-  und  Hansestadt  Bremen  zugetragen 
Anno  1685  und  folgends  continuiret  bis  zu  Ende  des  I700sten  Jahres. 

Handschrift;  s.  Hottenroth,  Deutsche  Volkstrachten  vom  16.  Jahrhundert  an  bis 
um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  (Frankfurt  am  Main,  Heinrich  Keller,  1900), 
Bd.  II,  S.   187. 

Kohl.  Denkmale  der  Geschichte  und  Kunst  der  freien  Hansestadt  Bremen.  Heraus- 
gegeben von  der  Abtheilung  des  Künstler -Vereins  für  Bremische  Geschichte  und 
Alterthümer.     Bremen,  C  Ed.  Müller,  1870.  40  (Lipp.  803). 

Zweite  Abteilung:  Episoden  ans  der  Cnltur-  und  Kunstgeschichte  Bremens  von 
J,  G.  Kohl;  Kap.  5:  Zur  Geschichte  der  Moden  und  Trachten  in  Bremen  im 
16.  und  17.  Jahrhundert. 

Dansig. 

Anton  Möller,  Der  Dantzger  Frawen  und  Jnngfrawen  gebrauchliche  Zierheit  vnd 
Tracht,  so  itziger  Zeit  zu  sehen.     1601. 

;  Anton  Möllers  Daneiger  Frauentracht enbuch  aus  dem  Jahre  1 601  in  getreuen 
Faksimile  •  Reproduktionen  neu  herausgegeben  nach  den  Original  -  Holzschnitten  mit 
begleitendem  Text  von  A.  Bertling,  Danzig,  Richard  Bertling,  1886.  4^  (Lipp.  822). 

Dithmarschen  (s.  a.  „Frieskmd'',  „Hohtein".) 

Georgias  Braun,  Diversi  Dithmarsorum  et  vicinnarum  gentium  habitus.     15 74« 

Auch  unter  dem  Titel:  „Georgius  Braun  et  Franz  Hohenberg,  Contrafactur  vnd 
Beschreibung  der  vomembsten  Stät  der  Welt^^ 

Bgerland. 

Pröckl.    Eger  und  das  Egerland,    Historisch,  statistisch  und  topographisch  dargestellt 

von   Vincenz  Pröckl.     Prag   und   Eger,   C.   W.   Medau  &  Co.,    1845.     >    Bde.     8* 

(Lipp.  876). 


—     187     — 

Mttller.  Die  Egerländer  Tracht  im  19.  Jahrhundert.  Von  Med.  Dr.  Michael  Müller. 
[mm  Unser  Egerland.  Blätter  ftlr  EgerU&nder  Volkskunde,  Jahrg.  II ,  Nr.  i.  Eger, 
1898]  (lipp.  876m). 

Grttner.  Ans  Sebastian  Grüners  Manuskript  „Ober  die  Sitten  und  Gebräuche  der 
Egerländer''  [=  Unser  Egerland.  Blätter  fUr  Egerländer  Volkskunde,  Jahrg.  III, 
Nr.  3.  4.     Eger,  1899]  (Lipp.  876«»). 

Alois  John,  Oberlohma.  Geschichte  und  Volkskunde  eines  egerländer  Dorfes.  Mit 
3  Photographien,  3  Plänen  und  einer  Kartenskizze.  Prag,  J.  G.  Calve,  1903. 
[=s  Beiträge  zur  deutsch  •  böhmischen  Volkskunde.  Geleitet  von  Prof.  Dr.  Adolf 
HauflFen.     Bd.  IV,  Heft  a]. 

Blsaüi  (s.  a.  „Straßbwrg''), 

Henri  Garnier,  Costumes  des  Regiments  et  de  Milices  A'ÄUact  et  de  la  Sarre  pendant 
les  XVn  et  XVm  si^cles. 

Enthält  auch  bürgerliche  Trachten. 

Die  Tracht  von  Mietesheim.  [=  Jahrb.  f.  Geschichte  und  Altertumskunde  Elsaß- 
Lothringens  XIU,  227  flF.  (1897)]. 

Laugel  &  Spindler.  Trachten  und  Sitten  im  EUqft.  Text  von  A.  Laugel.  Illu- 
strationen von  Ch.  Spindler.  Straßburg,  Elsäßische  Druckerei  vorm.  G.  Fischbach, 
1900—1902.  gr.  40  (Lipp.  795*)- 

FriesUnd  und  Priesische  Inseln  (s.  a.  „Holstein^ 

Waaragtige  Beschryvinge  von  Friesland  Door  Ackam  Scharlenaem  (Scharlinger) 

S.  Hottenroth,    Handbuch    der  deutschen  Tracht.    Stuttgart,  Gustav  Weise.    S.  403. 

G>melius  Kempius,  Documensis  de  origine,.  situ,  qualitate  Fristete,    Köln,  1588. 

Ubbo  Emmi  US,  rerum  Frisicantm  Historia.     1596.     (2.  Ausgabe  16 16). 

Schneider.  Saxonia  vetus  et  magna  in  parvo.  Oder:  Beschreibung  des  alten  Sachsen- 
Landes,  darinnen  gelegener  Fürstenthümer,  Graf-  und  Herrschafften,  Vestungen, 
Schlösser  .  .  .  wie  auch  verschiedener  Jahr  •  Geschichte  biß  auf  diese  Zeit  .  .  .  be- 
schrieben ,  von  Caspar  Schneidern  .  .  .  und  ediret  von  Johann  Conrad  Knauth, 
Dresden,  Johann  Christoph  Zimmermann  und  Johann  Nicolaus  Gerlach,  1727.  4® 
(Lipp.  584). 

Seite  293   enthält   die  Schilderung   einer  besonderen  JVacht  friesischer  Frauen. 

Ernest  Joachim  de  Westphalen,  Monumenta  inedita  rerum  germanicarum  praecipue 
Cimbricarum  et  Megapolensium.    Lipsiae,  1739. 

Christian  Jensen,  Die  Nordfriesischen  Inseln  Sylt,  Föhr,  Amrum  und  die  HcUligen 
vormals  und  jetzt.  Mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Sitten  und  Gebräuche  be- 
arbeitet.     Hamburg,  Verlagsanslalt  A.-G.  vorm.  J.  F.  Richter,  1891.  8®  (Lipp.  800). 

^kifriesische  Volks-  und  Rittertrachten  um  1500  in  getreuer  Nachbildung  der 
Originale  des  Häuptlings  üniko  Manninga  in  der  GräHich  Knyphausenschen  Haus- 
chronik zu  Lützburg  .  .  .  mit  einleitendem  Text  vom  Grafen  Edzard  zu  Innhausen 
und  Knyphausen  und  Vorwort  von  Prof.  Rudolf  Virchow  und  Dr.  Ulrich  Jahn, 
herausgegeben  von  der  Gesellschaft  für  bildende  Kunst  und  vaterländische  Altertümer 
zu  Emden.  Emden,  W.  Schwalbe,  1893.  [=  Sep.-Abdr.  aus  dem  „Jahrbuch"  der 
GeseUschaft,  1893]  8»  (Lipp.  801). 

Engen  Bracht,  Volkstümliches  von  den  Nordfriesischen  Inseln.  [=»  Mittheilungen  aus 
dem  Museum  für  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse  des  Hausgewerbes  in 
Berlin  C,  Klosterstr.  36.  Heft  6.     Berlin,  Rudolf  Mosse,  1900.     S.  226—264]. 

E.  Clemenz,  Die  Föhringer  Tracht  seit  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts.  [==  Mit- 
teilungen aus  dem  Altonaer  Museum,  1902,  Heft  3,  S.  47 — 51]. 

HaUe. 

Friedrich  Hondorff,  Das  Salz- Werk  zu  Hcdle  in  Sachsen.     1670. 
Alfred  Kirchhoff,  Die  Halloren  in  ihrer  alten  Tracht.     1888. 
Hamburg  (s.  a.  „Bkmkenese",  „Vierlande% 

Suhr.  Die  Hamburger  Gebräuche  und  Kleidertrachten,  nach  den  Zeichnungen  von 
Christoph  Suhr  gestochen  von  Cornelius  Suhr.     Hamburg,  1806.  foL  (Lipp.  806). 


—     188     — 

Snhr.  Der  Ausruf  in  Hamburg  vorgestellt  io  Einhundert  und  Zwanzig  Colorirten 
Blättern  gezeichnet  radirt  und  geäzt  von  Suhr,  mit  Erklärungen  .  .  .  von  K,  J.  H, 
Mübbe,    Hamburg,  1808.    8<»  (Lipp.  807m). 

Bnek.  Album  Hamburgischer  Costüme.  In  sechsundneunzig,  von  mehreren  Künstlern 
nach  der  Natur  gezeichneten  Blättern.  Mit  erläuterndem  Text  von  F.  G.  Buek. 
Hamburg,  B.  S.  Berendsobn,  1843 — 1^4  7*     ^^  (I^ipP*  S^^)* 

Jessen.    Trachten  aas  ÄU-Hamburg.    8^  (Lipp-  809). 

Hannover. 

Bergmann,  Bilder  aus  dem  Tuitmöverschen  Wendlande.  Originalphotographien. 
Lüchow,  1899. 

Verzeichnis  der  früher  im  hannoverschen  Wendlande  gebräuchlichen  Trachten  und 
Geräte,  gesammelt  für  das  Museum  zu  Lüneburg.     Lüchow,  1893. 

Parum  Schulze.  Nachricht  von  der  Chronik  des  Wendischen  Bauern  Johann  Parum 
Schulze,  [ma  Annalen  der  Braunschw.-Lüneb.  Churlande  1794,  VIII,  2.  S.  369 — 288] 

Steinvorth,  Das  hanntwersche  Wendland.  Bremen,  1 886  [=  Deutsche  geographische 
Blätter,  herausgegeben  von  der  Geographischen  Gesellschaft  in  Bremen,  durch 
Dr.  M.  Lindemann,  Bd.  IX,  S.  141 — 154]. 

Helgoland. 

Danckwerth  und  Harrwitz.  Helgoland  einst  und  jetzt.  Bericht  von  Kaspar  Danck- 
werth  vor  ungefähr  250  Jahren  über  die  Insel  geschrieben,  neu  herausgegeben  mit 
Vorwort  und  Anmerkungen,  sowie  mit  einer  Bibliographie  über  Helgoland  versehen 
von  Max  Harrwitz.     Berlin,  Max  Harrwitz,  1891.  8^  (Lipp*  799)' 

Hessen  (s.  a.  ^.  Hinterland  ^\,  Hüttenberg  *^, 

Julie' Schlemm,  Zur  Volkskunde  dtr Schwaltn  in  Hessen.  Mit 44  Abb.  nach  Zeichnungen 
der  Verfasserin  [=  Mittheilnngen  aus  dem  Museum  ftir  Deutsche  Volkstrachten  und 
Erzeugnisse  des  Hausgewerbes  zu  Berlin  C,  Klosterstrasse  36.  Heft  3.  Berlin,  Rudolf 
Mosse,  1898.  S.  89—117]. 

Enthält  weitere  Litteratur  über  die  Schwalm. 

H  e  fi  1  e  r.  Hessische  Landes-  und  Volkskunde.  Das  ehemalige  Kf^rhessen  und  das  fftntcr- 
land  am  Ausgange  des  19.  Jahrhunderts.  In  Verbindung  mit  dem  Verein  für  Erd- 
kunde und  zahlreichen  Mitarbeitern,  herausgegeben  von  Carl  Heßler.  Marburg, 
N.  G.  Elwert,  1904.  2  Bde.  8«  (Lipp.  802»). 

Justi.  Hessisches  Trachtenbuch  von  Ferdinand  Justi.  Mit  32  Blättern  in  Farbendruck, 
einer  Karte  und  6  in  den  Text  gedruckten  Abbildungen.  Marburg,  N.  G.  Elwert, 
I905'  gr.  fol.  (Lipp.  802  c). 

Volkstrachten  und  Sitten  im  Hinterlande  [=  Das  Land,  Organ  für  ländliche  Wohl- 
fahrts-  und  Heimatpflege  III,  S.  23.  24]. 

Hessisches  Hinterland  [=  Die  Nassauischen  Volkstrachten  .  .  bearbeitet  von  Fried- 
rich Hottenroth.     Wiesbaden,  1905.  S.  29 — 40]. 

Karl  Spieß -Bottenhom,  Das  nassauische  Trachtenbuch.  Nachträge  und  Berichtigungen 
[=  Nassovia.  Zeitschrift  für  nassauische  Geschichte  und  Heimatkunde.  Heraus- 
gegeben von  Dr.  C.  Spielmann.  Wiesbaden,  P.  Plaum.  VII,  1906,  Nr.  16,  S.  196—199; 
vgl.  Berichtigung  hierzu  ibid.  Nr.   17,  S.  216  (Briefkasten)]. 

Hinterland  s.  Hessen, 

Holland. 

Buytenweg.    Trachten  der  Holländerinnen.    W.  Buytwech.  1645.  40  (Lipp.  935). 

Jacob  Cats,  Alle  de  Wercken  soo  Oude  als  Nieuwe.  Amsterdam.  171 2.  2  Tle.  fol. 
(Lipp.  942). 

Cauwe,  De  ijdelheyt  on  eerbaereheyt  ende  overdaet  der  vrauvelijke  kleedem  ende  cie- 
raten.     Gent,  1676. 

Hooghe.     Figures   a  la  mode  inventez    et  gravez  par  R.  de  Hooge  et  mis  en    lumiere 

par  N.  Vischer.     Amsterdam  um  1700.  8*  (Lipp*  94i)* 
Ehrmann,   Die   Holländer.     Eine    karakteristische    Skizze  aus  der  Völkerkunde.     Nach 


—     189     — 

den    befiten   und   neuesten   Schriftstellern    ausgearbeitet.      Leipzig   und   Jena,    Adam 
Gottlieb  Schneider,  1791.  8**  (Lipp.  949). 

Roode,  Costumes  publies  en  Hollande.  1793. 

The  costumes  of  the  Netlierlands,  30  col.  engravings  after  drawings  from  natuve  bj 
Miss  Semple,  With  descriptions  in  English  and  French.  London,  Ackermann's 
Repository     of   arts,    1817.    gr.  4'*  (Lipp.  958). 

Afbeeldingen  van  de  Kleedingen,  Zeden  en  Gewoonten  in  de  noordelijke  provincien 
▼an^  het  Koningrijk  der  Nederlanden  met  den  aanvang  der  negentiende  Eeuw 
By  E.  Mcuukamp.  Amsterdam  1823.  Tableaux  des  HabiUements ,  Moeurs  et  Cou- 
tumes  dans  les  provinces  septentnonales  du  rojaume  des  Pays-Bas,  au  commen- 
cement  du  dix-neuvi^me  si^cle.  Cbez  E.  Maaskamp.    Amsterdam  1823.  4^  (L.ipp.  953)* 

Troost.  Tafereelen  uit  het  burgerlijke  Leven  van  de  Hollanders  in  de  achttiende 
Eeuw  door  Comelis  Troost.  Seines  tirees  de  la  vie  domestiquc  des  Hollandais  aux 
dix-huiti^me  si^cles  peintes  par  Corneille  Troost.  Publik  par  E.  Maaskamp.  Amster- 
dam, 181 1.  gr.  qu.-fol.  (Lipp.  957). 

Shoberl.  The  world  in  miniature;  edited  by  Frederic  Shoberl.  The  Netherlands; 
containing  a  description  of  the  character,  Manners,  Habits,  and  Costumes  of  the 
Inhabitants  of  the  late  seven  united  Provinces,  Flanders  and  Brabant,  London, 
R.  Ackermann,  1823.  12^  (Lipp.  959). 

Greeveo.  CoUection  des  Costumes  des  provinces  septentnonales  du  royaume  des 
PayS'BaSj  Z^essines  d'  apr^s  nature  par  H.  Greeven  et  Ljthographies  par  Vallon 
de  Villeneuve.  Amsterdam,  Frangois  Buffa  et  fils.  Paris,  Engelmann  et  Co.,  1828. 
4«  (Lipp.  960). 

Perkois  &  Prins.  Verzameling  van  verschillende  Gekleede  Mans — en — vrouwen  — 
standen,  ter  Oefening  van  jonge  Schilders  en  Liefhebbers.  Naar  het  leven  geteekend 
door  de  Kunstteekenaars  Perkois  en  Prins  en  in  het  Kopcr  gebragt  door  den  Kunst- 
graveur M.  de  Sallieth.    Te  Amsterdam,  bij  Gebroeders  Koster,  1836.  fol.  (Lipp.  964). 

De  Nederkmden.  Karakt erschetsen,  Kleeder  Dragien,  Honding  en  Voorkomen  van 
verschillende  standen.  Tekst  van  de  meest  geachte  Schrijvers,  met  Gravuren  van 
den  Heer  Henry  Brown,  naar  Teekeningen  van  de  voomaamste  nederlandsche 
Kunstenaren.  'sGravenhage,  Nederlandsche  Maatschappij  van  schoone  Künsten, 
1841.  8'»  (Lipp.  965). 

Vigne.  Vade-mecum  du  peintre  ou  recueil  de  costumes  du  moyen-Äge  pour  servir  k 
Thistoire  de  la  Belgique  et  pays  circonvoisins,  par  Felix  de  Vigne.  2iime  Edition. 
Imprimerie  de  Busscher  fr^res,  k  Gand,  1844.     2  Bde.  4®  (Lipp.  967). 

Kleederdragten  en  Typen  der  Bewoners  van  Nederland.  Amsterdam,  P.  G.  van 
Lom,  um  1850.  8®  (Lipp.  969). 

Bing  en  Braet  van  Überfeldt  Nederlandsche  Kleederdragten  naar  de  Natnur  ge- 
teekend, in  Kleur  gelithographeerd  door  Valentyn  Bing  en  Braet  van  Ueberveldt. 
Costumes  des  Pa3rs-Bas.  Amsterdam,  Bufia  en  Zoonen,  1857  (Lipp.  969m). 

De  Oude  Tijd.  Geschiedenis  —  Maatschappelijk  en  Huiselijk  Leven  —  Monumenten  — 
Volkseigenaardigheden  —  Oberleveringen  —  Kunst  —  Nijverheid  —  Gebruiken  — 
Kleeding  —  Volksverhalen  —  Spreekwoorden  —  Liedjes  uit  Noord  en  Zmd- 
Nederland.  Onder  Leiding  van  David  van  der  Kellen  jr.  Met  Medewerking 
van  Noord-en  Zuid-Nederlandsche  Geschied  en  Oudheidkundigen  en  Kunstenaars. 
Haarlem,  A.  C.  Krusemann,  1869  — 1874.  6  Bde.  8^  (Lipp.  971). 

Katalogus  van  de  Tentoonstellung  van  Nationale  Kleederdragten  bijeengebracht  ter  Gelegen- 
heid  van  de  Inhuldiging  van  Hare  Majesteit  Koningin  Wilhelmina  1898.  8^ 
vgl.  Zeitschrift  des  Ver.  f.  Volkskunde  JX,  1899,  S.  204. 

Holsteiii  (s.  u.  „ Dithmar sehen**  und  ^,Friesland*'). 

Nationaltrachten  verschiedener  Völkerschaften  in  Dänemark  und  ScJhleswig'Holstein, 
Hamburg,  um  1800. 

Hüttenberg  (s.  a.  „Hessen"). 

Eduard  Otto,  Die  Hüttenberger  Volkstracht  [»Zeitochrift  des  Ver.  f.  Volkskunde  Vm, 

1898,  s-  361-379]. 


—     190     — 

Storch.  Lieb  Heimatland.  Eine  Fettgabe  zu  dem  Heimatpflege-  nod  Volkstrachtenfest 
za  Butzbach  im  Juni  1906.  Verfaflt  von  A.  Storch-Batebach.  Bachdrnckerei 
C.  Schneider,  Butzbach,  o.  J.  8®. 

Koborg. 

Eduard  Hermann,  Gebränche  bei  Verlobuig  und  Hochzeit  im  Herzogtum  Koburg 
[—  Zeitschrift  des  Ver.  f.  Volkskunde  XIV,  1904,  S.  279—289.  377 — 384]. 

Kuhländchen  (Böhmen). 

Alexander  Hansotter,  Beiträge  zur  Volkskunde  des  KüMändehena.  UL  Hochzeits-^ 
Tauf-  und  Trachtgebrauche  im  KuhländcJhen  vor  100  Jahren  [a>  Zeitschr.  f.  österr. 
Volkskunde  IX,  151 — 160.  226—234]. 

Lausiu  (s.  u.  „Sachsen'*). 

Anton,  Erste  Linien  eines  Versuches  über  der  alten  Slawen  Ursprung,  Sitten,  Gebräuche^ 
Meinungen  und  Kenntnisse.     Leipzig,  Böhme,  1783/89. 

Gräfe,  Tracht  der  Sorbenwenden  [=  N.-Lausitzer  Magazin  XI,  S.  342 — 347]. 

Leske,  Reise  durch  Sachsen.     Leipzig,  1785. 

Müller,  Das  Wendentum  in  der  Niederlaueitz^    Kottbns,  H.  Di£fert,  1894. 

Franz  T  e  t  z  n  e  r ,  Die  Sorben  [==  Die  Slawen  in  Deutschland.  Beiträge  zur  Volkskunde. 
Braunschweig,  Friedrich  Vieweg  &  Sohn,  1902.  S.  282 — 344]. 

L«ipsig. 

Richter.  Unterweisung  fUr  Anfänger  beyderley  Geschlechts  im  Zeichnen  .  .  von  Johann 
Salomon  Richter.  Leipzig,  Johann  Baptiste  Klein,  1790—91.  fol.  5  Tle.  Teil  V: 
Leipziger  Nationaltrachten.  (Lipp.  826). 

Vgl.  hierzu:  Wustmann,  Leipziger  Ausrufer  vor  hundert  Jahren  [=  Zeitschrift 
des  Leipziger  Mefiverbandes,  herausgegeben  vom  Meflausschufl  der  Leipziger 
Handelskammer.     1896.     Heft  18.  Leipzig,  Frankenstein  &  Wagner]  (Lipp.  827). 

Litauen. 

Lepner.  Der  Preusche  lAUauer  oder  Vorstellung  der  Nahmens-Herleitung ,  Kind- 
Tauffen,  Hochzeit,  Leibes-  und  Gemütbsbeschaffenheit,  Kleidung,  Wohnung,  Nahrung 
und  Acker-Bau,  Speise  und  Trank,  Sprachen,  Gottesdienst,  Begräbnisse  und  andere 
dergleichen  Sachen  der  Littauer  in  Preussen  kürtzlich  zusammengetragen  von  Theodoro 
Lepner  .  .  im  Jahr  1690  .  .  Danzig,  bey  Joh.  Heinrich  Rüdigem,  1744.  8®  (Lipp.  812). 

Krause,  Litauen  und  dessen  Bewohner.     Königsberg,  1834. 

G lag  au,  Litauen  und  die  Litauer.    Tilsit,  1869. 

August  Kuntzc,  Bilder  aus  dem  preussischen  Litauen.     Rostock,  1881. 

Alb.  Zweck,  Litauen,  Eine  Landes-  und  Volkskunde.  Mit  66  Abbildungen  .  .  Stutt- 
gart, Hobbing  &  Büchle,  1898.  8^  [«>  Deutsches  Land  und  Leben  in  Einzelschilde- 
rungen.     Stuttgart,  Hobbing  &  Büchle.     Abt.  i.  Bd.  I]. 

Franz  Tetzner,  Die  LitatiCr  [==»  Die  Slawen  in  Deutschland.    Beiträge  zur  Volkskunde. 

Braunschweig,  Friedrich  Vieweg  &  Sohn,  1902.     S.  24 — 112]. 

Lrttneburger  Heide. 

E.  Kück,  Die  alte  Frauentracht  der  Lüneburger  Heide,  [=  Zeitschrift  des  Ver.  f. 
Volkskunde  XII,  1902,  S.  472  f.]. 

-^^—  :  Das   alte  Bauemieben   der  Lüneburger  Heide.    Leipzig,  Theodor  Thomas 

1905. 
Marschen. 

A.  Tienken,  Kulturgeschichtliches  aus  den  Marschen  am  rechten  Ufer  der  Unterweser 
[=  Zeitschrift  des  Ver.  für  Volkskunde  DC,  1899,  S.  292  ff.] 

Mecklenburg. 

Emest  Joachim  de  Westphalen,  Monumenta  inedita  rerum  Germanicarum  praecipne 
Cimbricarum  et  MegapoUnsium.     1595. 

Lisch.  Mecklenburg  in  Bildern  redigiert  und  mit  erläntemdero  Texte  begleitet  von 
G.  C.  F.  Lisch.     Rostock,  J.  G.  Tiedcmann,  1842—45.  4  Tle.  8"  (Lipp.  797). 


—     191     — 

Nahe  (s.  a.  „BheiiiUmd'^. 

Theodor  Wolff,  Volksleben  an  der  oberen  Nahe  [=>  Zeitschrift  des  Vereins  f.  Volks« 
knnde  XII,  1902,  S.  308^316]. 

Naasan. 

Friedrich  Hottenroth,  Die  nassauischen  Volkstrachten.  Auf  Gnind  des  yom  f  Amts- 
gerichtsrat  a.  D.  Düssell  gesammelten  Materials  bearbeitet.  Herausgegeben  vom 
Ver.  für  Nass.  Altertomskonde  und  Geschichtsforschung.  Wiesbaden,  Selbstverlag 
des  Vereins,  1905. 

Niedersachsen. 

MüUer-Brauel,  Niedenächsisehe  Volkstrachten.  [=  Sep.-Abdr.  aas  „ Niedersachsen ^S 
Halbmonatsschrift.     Bremen,  Carl  Schttnemann,  1902]  8®  (Lipp*  802«). 

:  Das  erste  niedersächsisehe  Volkstrachtenfest  ta  Scheessel.  Mit  Beiträgen 
von  . .  0.  Lehmann,  Dr.  Karl  Schäfer,  Oskar  Schmndrazheim,  Johannes  Kruse, 
Hannover,  Gebrüder  Jänecke,  1904.  gr.  8®  [=»  Beiträge  zur  niedersächsischeo 
Volkskonde  11]  (Upp.  802  k). 

D.  Schariinghaosen,  Das  erste  niedersächsische  Volkstrachtenfest  [■*  Zeitschrift 
des  Vereins  fUr  Volkskunde  XIV,  1904,  S.  439 — 444]. 

Nürnberg. 

Bauer.  Nürnbergische  Kleider-Trachten  der  Manns-  und  Weibs-Personen,  Neu  heraus- 
gegeben und  verlegt  durch  Johann  Alexander  Bauer,  Kunsthändlern  in  Nürnberg  am 
Fischbach,  Anno  1689.  qu.  4^  (L>ipp<  7  77)« 

Nürnbergische  Kleiderarten.  In  Veriegung  Johann  Cramers  Buchhändler  in 
Nürnberg.     1669.  qu.  4®  (Lipp.  774). 

Deutliche  Vorstellung  der  Nürhbergischen  Trachten,  Nürnberg,  Christoph  Weigel, 
1701  (Lipp.  781). 

Hottenroth,   Handbuch   der  deutschen  Tracht,  (Stuttgart,    Gustav  Weise),    S.  731 
nennt  eine  Ausgabe  von  1 760. 

Friderich.  Nürnberger  Trachten.  Gezeichnet  und  gestochen  von  Jacob  Andreas 
Friderich.     Augsburg,  Jeremias  Wolff,  um  1720.  foL  (Lipp.  782). 

Kleidungsarten  und  Prospecten  zu  Nürnberg,  La  maniöre  de  s'habiller  ^ 
Nuremberg  et  les  vues  de  cette  ViUe.  allda  zu  finden  bey  Pet.  Con.  Monath,  um 
1770.  kl.  8»  (Lipp.  783). 

Fischer.  Statistische  und  topographische  Beschreibung  des  Burggraf tums  Nürnberg 
unterhalb  des  Gebürgs;  oder  des  Fürstentums  Brandenburg  -  Anspach.  .  .  Heraus«* 
gegeben  von  Johann  Bernhard  Fischer.     Anspach,   1787.  2  TIe.  8®  (Lipp.  762). 

T  h  ä  t  e  r.  Deutsche  Trachten  ans  dem  sechzehnten  Jahrhundert ,  bearbeitet  von  Julius 
Thäter.     1827.  O.  O.  (Lipp.  656). 

Es  erschien  nur  Heft  i  mit  Nürnberger  Trachten. 

Mayer.  Des  alten  Nürnbergs  Sitten  und  Gebräuche  in  Freud  und  Leid.  Geschildert 
von  Moritz  Maximilian  Meyer.  Nürnberg,  Johann  Jakob  Lechner,  1831 — 36.  3  Hefte« 
4'  (Lipp.  787). 

Teil  UI:  Nümtmrgisches  Trachtenbuch.     1836. 

Marx,  Trachtenbach  zur  Geschichte  der  Reichsstadt  Nürnberg,  Nürnberg,  Fr.  Heerdegei\ 
(BarbeckX  1873.  4**  (Lipp.   788). 

Österreich. 

Masner.  Die  Costüm-Ausstellung  im  k.  k.  österreichischen  Museum  1891.  Ihre  wicht 
tigsten  Stücke,  ausgewählt  und  beschrieben  von  Dr.  Karl  Masner.  In  Lichtdruck 
herausgegeben  von  J,  Löwy,     Wien,  J.  Löwy,   1894.  qu.-fol.  (Lipp.  97). 

Behandelt  vornehmlich    die  Kleidung    des  16.  bis  19.  Jahrhunderts  und  liefert  ftlr 
die  Trachten  der  Völker  Österreich- Ungarns  , .  besonders  reiches  MateriaL 

Alexander.  Pictaresque  representations  of  the  Dress  and  Manners  of  the  Austrians  .. 
with  descriptions.  By  William  Alexander.  London,  printed  for  Thomas  M'Lean  .  , 
By  Howlett  and  Brimmer,  18 13.  8®  (Lipp.  832). 


—     192     — 

Serres.  IjAutriche  ou  moenrs,  osages  et  costumes  des  habitmnts  de  cet  Empire  .  . 
par  M.  Marcel  de  Serres.     Paris,  A.  Nepven,  1821.  12^  6  Bde.  (Lipp.  833). 

K  i  n  i  n  g  e  r.  Costaines  des  differentes  nations  composant  les  ^tats  hereditaires  de  S.  Bf. 
et  R.  dessinös  par  Kininger  .  .  Dedi^s  4  Madame  Tarchidnchesse  Marie  Louise 
par  T.  MoUo  et  Comp.  Wien,  um  1821.  4"  (Lipp.  834). 

Es   existiert   auch   eine  Ausgabe   mit   dem    deutschen  Titel:  „Kleidertrachten   der 

Kaiserl.  KönigL  Staaten.     Wien,  Mollo,  1808". 

Yalerio.  Souvenirs  de  la  Monarchie  Autrichienne  suite  de  dessins  d'apr^  oature 
gravis  .  .  par  Theodore  Valerio.  Imprim^  par  Pierron  et  Delatre.  Paris,  1853 — 64. 
gr.-fol.  5  Abt.  (Lipp.  836). 

L  La  Hongrie;   IL  Croatie.     Slavonie.     Fronti^res  Müitaires;   III.   La  Dalmatie; 

IV.  Les  populations  des  provinces  dannbiennes;  V.  Le  Montenegro. 

Das  Kai ser- Album.  Viribus  unitis.  Herausgegeben  von  der  Michitharisten •  Congre- 
gation.     Wien,  1858.  gr.  fol.  (Lipp.  837). 

Pelcoq.  Souvenir  de  Texposition  universelle  de  Vienne.  Dessins  in^dits  de  J.  Pelcoq 
gravis  par  Morse.     Paris,  1873.  4"  (Lipp.  839). 

H  e  k  s  c  h.  Die  Donau  von  ihrem  Ursprung  bis  an  die  Mündung.  Eine  Schilderung  von 
Land  und  Leuten  des  Donaagehietes.  Von  Alexander  F.  Heksch.  Wien,  Pest, 
Leipzig,  A.  Hartleben,   1881.  8"  (Lipp.  840). 

Gaul,  österreichisch  -  Ungarische  National  -  Trachten.  Unter  der  Leitung  des  Malers 
Herrn  Franz  Gaul  nach  der  Natur  photographiert.  Wien,  R.  Lechner  (Wilhelm 
Müller),  1881— 1888.  4»  (Lipp.  841). 

Die  österreichisch'Ungarische  Monarchie  in  Wort  und  Bild.  Auf  Anregung  und 
unter  Mitwirkung  weiland  des  durchlauchtigen  Kronprinzen  Erzherzog  Rudolf  be- 
gonnen .  .  Wien,  Druck  und  Verlag  der  k.  k.  Hof-  und  Staatsdruckerei,  1886  bis 
1898.  4«  (Lipp.  842). 

Die  einzelnen  Bände  behandeln:  Nieder-  und  Oberösterreich.  Salzburg.  Steier- 
mark. Kärnten  und  Krain.  Tirol  und  Vorarlberg.  Böhmen  (2  Bde).  Mähren 
und  Schlesien.  Das  Küstenland.  Bukowina  und  Galizien.  Dalmatien.  Ungarn 
(6  Bde). 

A.  Gerasch,  Nationaltrachten  in  Ober ' Osterreich ,  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien, 
DcUmatien^  lUyrien.    Wien,  1855. 

Trentin.  Wandbilder  der  Völker  Osterreich  •  Ungarns,  Gezeichnet  von  Maler 
A.  Trentin.  Herausgegeben  von  Prof.  Dr.  F.  Umlauft.  Wien,  A.  Pichlers  Witwe 
&  Sohn. 

Heinrich  Moses,  Die  .,Tradlhauben'S  Zur  Geschichte  der  bäuerlichen  Frauentracht  in 
Pottschach  und  Umgebung  (Niederösterreich)  [=  Zeitschrift  für  österreichische 
Volkskunde  III,   1897,  S.  321 — 324]. 

Pf  als  s.  „Amberg", 

Poininoni» 

Jahn  &  Meyer-Cohn.  Jamund  bei  Köslin.  Mit  Berücksichtigung  der  Sammlungen 
des  Museums  für  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse  des  Hausgewerbes  zn 
Berlin.  Von  Ulrich  Jahn  und  Alexander  Mey«  [=»  Zeitschrift  des  Ver.  f.  Volks- 
kunde I,  1891,  s.  77—100.  335—343]. 

Franz  Tetzner,  Die  Slowinzen  und  Lebakaschuben.  Land  und  Leute,  Haus  und  Hof^ 
Sitten  und  Gebräuche,  Sprache  und  Litteratur  im  östlichen  Hinterpommem,  Mit 
einer  Sprachkarte  und  drei  Tafeln  Abbildungen.     Berlin  1899. 

;  Die  Slowinzen  [=  Die   Slawen   in   Deuti>chland.     Beiträge   zur  Volkskunde. 
Braunschweig,  Friedrich  Vieweg  &  Sohn,  1902.     S.  388 — 440]. 

Posen. 

Zienkowicz,  Die  Trachten  des  polnischen  Volkes.  Mit  36  kolorierten  Kostümbildern. 
Paris  1841. 

Hacquet,  Abbildung  und  Beschreibung  der  südwestlichen  und  östlichen  Wenden.  Mit 
29  kolorierten  Kupfertafeln.     Leipzig  1801. 


—     193     — 

Franz  Tetzner,  Die  Polen  [>=*  Die  Slawen  in  Deutschland.  Beitrüge  cor  Volkikiindt. 
Brannschweig,  Friedrich  Vieweg  &  Sohn,  1902.  S.  469—499]. 

Preofiien  (s.  a.  „Litanen'*). 

Hartknoch.  Alt-  and  Neues  Ih-msten  Oder  iyeu88i9Cher  Historien  Zwey  Theile  |  In 
derer  erstem  von  deß  Landes  vorjähriger  Gelegenheit  and  Nahmen  |  wie  aach  der 
Völcker  |  so  darinnen  vor  dem  Teatschen  Orden  gewohnet  |  Uhrankonfft  |  Lebens- 
Beschaffenheit  I  Sprache  |  Religion  |  Hochzeiten  |  Begrftbnttssen  |  Haaflhaltong  |  Kriegs- 
rüstang  |  Repablic  and  andere  Sitten  and  Gewohnheiten :  In  dem  andern  aber  von 
defi  Teatschen  Ordens  Ursprang  |  desselben  |  wie  aach  der  nachfolgenden  Herrschafft 
vornehmsten  Thaten  and  Kriegen  |  Erbaaang  der  Städte  |  der  itrigen  Innwohner  Uhr- 
sprang I  Religion  |  Mttntzordnang  |  Rechten  and  Policeywesen  gehandelt  wird  .  .  za- 
sammengetragen  |  darch  M.  Christophoram  Hartknoch  .  .  Frankfart  and  Leipzig, 
Martin  Hallervorden  za  Königsberg,  Anno  1684.  fol.  (Lipp.  811). 

Franz  Tetzner,  Die  Kaschaben  [mm  Die  Slawen  in  Deatschland.  Beiträge  zar  Yolkt- 
kande.  Braanschweig,  Friedrich  Vieweg  &  Sohn,  1902.   S.  441 — 468]. 

Rheinland  (s.  a.  „Nahe'^j. 

P/lser-Berensberg.  Mittheiluogen  über  alte  Trachten  and  Haasrath,  Wohn-  and 
Lebensweise  der  Somt-  und  MoaeJbevölkenmg ,  gesammelt  von  Franz  von  Pelser- 
Berensberg.  2.  verbesserte  and  vermehrte  Aaflage.  Trier,  Fr.  Lintz'sche  Bach- 
handlang, 1901.  gr.  4^  (Lipp.  802  d). 

«^— ^ :  Nene  Forschangen  Über  Haasrat,  Tracht,  Sitten  and  Gebräache  [««  Die  Rhein- 
lande.   Heraosgegeben  von  Carl  Schäfer.    Düsseldorf,  Aagast  Bagel,  1902.    Mai-Heft]. 

Schell,  Zar  EtberfMer  Trachtengeschichte  [=*  Monatsschrift  des  bergischen  Geschichta- 
vereins,  herausgegeben  von  Otto  Schell.  Elberfeld,  Bädecker'sche  Bachhandlang. 
Jahrgang  IV,  1897,  S.   189  f.]. 

Aag.  Peiniger  and  Albert  Weyersberg,  Zar  Geschichte  der  Volkstracht  in  SoUngen 
[==:  Monatsschrift  des  Bergischen  Gescbichtsvereins,  heraasgegeben  von  Otto  SchelL 
Elberfeld,  Bädecker'sche  Bachhandlang.     Jahrgang  V,  1898,  S.  24.  120]. 

ROgen. 

Verschwindende  Volkstracht  in  Bügen  [=>  Das  Land.  Organ  fttr  ländliche  Wohl- 
fahrts-  and  Heimatpflege,  IV,  S.  24]. 

Sachsen. 

Wattke.  Sächsische  Volkskande  ....  heraasgegeben  von  Dr.  Robert  Wattke.  Zweite 
amgearbeitete  and  wesentlich  vermehrte  Aaflage.  Mit  285  Abbildungen,  vier  Tafeln 
und  einer  Karte  vom  Königreich  Sachsen.    Leipzig,  Friedrich  Brandstetter,  1903.  8®. 

Sächsische  Volkstrachten  und  Bauernhäuser.  Herausgegeben  von  dem  Ansschufi  fUr 
das  Sächsische  Volkstrachtenfest  zu  Dresden.     1896.     Dresden,  Wilhelm  Hoffmann, 

Sophns  Rage,  Dresden  und  die  sächsisc?^  Schweie.  Mit  148  Abbildungen,  zwei  Skizzen 
und  einer  Karte.  Bielefeld  und  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1903.  8^  [«=  Land  and 
Leute.     Monographien  zur  Erdkunde,  heraasgegeben  von  A.  Scobel.     Nr.  16]. 

Grinicher,  Costumes  in  Scushsen.    Dresden,  Heinrich  Rittner,  um  1805.  4^  (Lipp.  823). 

Meiche,  Zu  unseren  Volkstrachten  [=:  Mitteilungen  des  Vereins  fttr  sächsische  Volks- 
kunde. Im  Auftrage  des  Vereins  herausgegeben  von  E.  Mogk.  Dresden,  Hansa. 
1897,  Nr.  2,  S.  12]. 

Julian  Schmidt,  Medizinisch-psysikalisch-statistische  Topographie  der  Pflege  Beichenfels. 
Ein  Beitrag  zu  Charakteristik  des  voigÜändischen  Landvolks.  Aas  dem  Leben  und 
für  das  Leben.     Leipzig,  1827. 

Sehr  reichhaltiges  Material  an  Tracht. 

Saterland  (Oldenburg). 

Theodor  Siebs,  Das  Saterland.  Ein  Beitrag  zur  deutschen  Volkskande  [=s  Zeitschrift 
des  Vereins  für  Volkskande  III,  1893,  S.  239 — 278.  373 — 410]. 

8chl«tlan« 

Zöllner.    Briefe  über  Schlesien,  Krakau,  Wieliczka  and  die  Grafschaft  Glos  aof  einer 

14 


—     194     — 

Reise   im  Jahre  1791  geschrieben  Ton  Johann  Friedrich  Zöllner.     Berlin,   Friedrich 
Maurer,  1792—93-  8®.  2  Tle.  (Lipp.  814). 
A.   Gerasch,   Nationaltrachten   in   Ober-Österreich,   Böhmen,    Mähren  und   SMesien, 
Dalmatien,  Illyrien.     Wien,  1855. 

Scholz,  Ländliche  Trachten  in  Schlesien  [<=  Mitteilungen  der  Gesellschaft  für  schlesische 
Volkskunde  Heft  2,  1896]. 

Oskar  Scholz,  Ländliche  Trachten  Schlesiens  ans  dem  Anfang  dieses  Jahrhonderts 
[bs  Mittheilongen  ans  dem  Mnseom  fttr  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse  des 
Hausgewerbes  zu  Berlin  C,  Klosterstr.  36.     Berlin,   Rudolf  Mosse,  1898.     Heft  2, 

s.  49-55]. 

Franz  Tetzner,  Die  Tschechen  und  Mährer  [■■  Die  Slawen  in  Deutschland.  Beiträge 
zur   Volkskunde.     Braunschweig,    Friedrich   Vieweg  &  Sohn,    1902.     S.  249 — 281]. 

Schwarswald  (s.  a.  „Baden''), 

Wilhelm  Jensen,  Der  Schwarswald.     Mit  über   200  Originalzeichnnngen.     2.  Auflage. 

Von  diesem  Werk  existiert  auch  eine  Ausgabe  ohne  Illustrationen. 

L.  Neumann  und  Fr.  Dölker,  Der  Schwarswald  in  Wort  und  Bild.  Stuttgart,  J.  Weise. 
4.  Auflage. 

L.  Neumann,  Der  Schwarswcdd,  Mit  171  Abbildungen  und  einer  farbigen  Karte. 
Bielefeld  und  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1902.  8®  [=  Land  und  Leute.  Mono- 
graphien zur  Erdkunde,  herausgegeben  von  A.  Scobel,  Nr.  13]. 

Mechel  s.  „Sahweis", 

Hugo  Böttcher,  Handwerk  und  Bauemtracht  im  Schwarswald,  [««  Das  Land,  Organ 
für  ländliche  Wohlfahrts-  und  Heimatpaege  V,  Nr.  18,  S.  284]. 

Schweis. 

König.  Collection  de  Costumes  Suisses,  tir6s  du  Cabinet  de  Mr  Meyer  d'  Aarau  par 
F.  N.  König.  Unterseen,  Kanton  Berne,  chez  l'auteur.  um  1804.  Text  8®,  Tafeln 
4»  (Lipp.  902). 

;  Nouvelle  Collection  de  Costumes  Suisses  par  F.  N.  König,  Berne.  Chez 
l'auteur  et  chez  J.  J.  Burgdorfer  (um  1810)  8®  (Lipp.  903«). 

:  Neue  Sammlung  von  Sihweiser  Trachten,  nach  Zeichnungen  von  F.  N.  König. 


Zürich,  181 1,  Orelli,  Füßli  &  Co.  I2«  (Upp.  904). 

Alte  Schweizertrachten.     Bern,  Stämpfli  &  Ci«,  1904. 

Nachbildungen  der  berühmten    Meyer-Reinhardtschen    Sammlung    im    historischen 
Museum  zq  Bern,  von  der  Hand  F.  N.  König's. 

Reinhard.  Cosixuats  suisses,  peints  par  Reinhard  et  publi^s  parP.  Biermannet  J.  F.  Huber. 

Bäle,  1810.  4*  (Lipp.  903). 

Pinelli.  Raccolta  di  quindici  costumi  li  piu  interessanti  della  Svissera  disegnati  et 
incisi  all'  aquaforte  da  Bartolomeo  Pinelli  Romano.  Roma,  Luigi  Fabri,  181 3.  4® 
(Upp.  905). 

Reinhardt.  A  Collection  of  Swiss  Costumes,  in  miniature,  designed  by  Reinhardt. 
Each  plate  represents  a  view  taken  on  the  spot:  to  which  is  added  a  description 
in  french  and  English.     London,    printed   by   G.  Schulze   for  W.  T.  Gilling,  1822. 

4»  (Upp.  907). 

Yosy.  Switzerland,  as  now  divided  into  Nineteen  Cantons,  interspersed  with  historical 
Anecdotes,  Local  Customs,  and  description  of  the  present  State  of  the  country; 
with  picturesque  representations  ofthe  dress  and  manners  of  the  Swiss,  to  which  is 
added  a  short  guide  to  travellers.  By  A.  Josy.  London,  printed  for  J.  Booth 
and  J.  Murray,  1815.  2  Bde.  8®  (Lipp.  906). 

Die  Schweiis  oder  Sitten,  Gebräuche,  Trachten  und  Denkmäler  der  Schweitzer,  nach 
den  neuesten  und  besten  Quellen  bearbeitet.  4®  (Lipp.  908)  l=-  Neuestes  Gemälde 
der  Erde  und  ihrer  Bewohner.     1824.     Die  Sdiweiz]. 

Lory  und  Moritz.  Costumes  sttisses,  Dessin^  d'apr^  nature,  publi6s  par  G.  Lory 
fils  et  F.  W.  Moritz.     Neufchatel,  um  1830.  4*  (Lipp.  909). 


—     195     — 

Hegi,  Sammlang  tod  SchtoeiMertraehten.  CoUection  de  coitomes  sniises.  Zürich, 
Dickenmann.  O.  J.  8®  (Lipp*  910). 

Dinkel.  Recaeil  de  portraits  et  costnmes  9ui$8e$  les  plus  el^ganU,  xuiiit  dans  les  23 
CantODs  accompagn^  d'an  Supplement ;  ex6cat^  par  le  c^&bre  peintre  et  dessinatear 
Dinkel.    Pnbli^  par  J,  P,  Lamy,     Berne  et  Bftle,  o.  J.  4®  (Lipp.  911). 

Yolmar.    CoUection  de    coitnmes  des  cantons  de  la  Suisse^  dessin6s  par  Volmar.    Berne, 

^-^'^yt  o*  J*  4^  (^pp*  91^)* 

Costnmes  de  la  SuMSe.     O.  O.  n.  J.  32»  (Lipp.  913). 

Costnmes  missea  des   22  Cantons.     Gen^e,  S.  Morel,  nm  1850.  16®  (Lipp*  9i2ni). 

Costnmes  suisses.    Publik  par  «71  H.  Locher  &  Znrich,  1870.  16*  (Lipp.  913111). 

Locher.  Recaeil  de  portraits  et  costnmes  «utMes  les  plns  dl^gants,  asit6s  dans  let 
22  Cantons,  accompagn^  d'an  Supplement;  ex^catös  par  Locher.  Pablie  par 
X  P.  Lamy,    Berne  et  Bftle,  am  1820.  4*^  (Lipp.  906  m). 

Enthält  dieselben  Abb.,  wie  das  Werk  Ton  Dinkel,  jedoch  die  Personen  in  ganzer 
Figar. 

Heierli.  Die  Schtoeizer  Trachten  vom  XVII.  bis  XDC.  Jahrhundert  nach  Originalen. 
Dargestellt  unter  Leitung  von  Frau  Julie  Heierli.  Druck  und  Verlag  von  Branner 
&  Heuser,  Zürich,  1897  ff.  gr.-foL  (Lipp.  915). 

Holbein.  Recueil  de  Xn  Costnmes  suisses  Civils  et  militaires,  hommes  et  femmes 
du  seizi^me  siöcle.  Gravis  d'apr^  les  dessins  originaux  du  c61öbre  Jean  Holbein, 
qui  se  trouvent  a  la  Biblioth^ue  publique  de  la  rille  de  Basle.  Publik  par  Chritien 
de  Meehel  et  se  trouve  chez  lui  k  Basle.  1790.  fol.  (Lipp.  899O). 

Mechel,  Trachten  von  Bauern  und  Bäuerinnen  ans  verschiedenen  G^enden  der  SchiweiM 
und  des  Schwarzwaldes.     Basle,  Chr.  de  Mechel,  nm  1800.  4O   (Lipp.  901"»). 

J.  Suter,  Costnmes  etneees, 

Füssli,  les  costnmes  euissei. 

J.  C.  Ebel,  Tableaux   des   Peuples   des  Montages   de  la  Suisse,     Leipzig,  1798 — 1802 

C.  Heer,  Die  Schweiz.  Bielefeld  und  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1902.  Mit  181  Ab- 
bildungen und  einer  Karte  [-^  Land  und  Leute.  Monographien  zur  Erdkunde, 
herausgegeben  von  Scobel,  Nr.  5]. 

P.  Für r er,  Wie  man  in  Ürsem  gegen  die  Kleidermode  kämpfte  [■■  Schweiz.  Archiv 
f.  Volkskunde  VI,  5  7  f.]. 

K.,  Josef  Steiner  in  Bt^wyl  als  Brantftthrer  seiner  Pathin  Katharina  Wolf  [»  Schweiz 
Archiv  f.  Volkskunde  V,  214  ff.]. 

;  Nikiaus  Emmenegger  von   Wichy   und   Anna  Marie   geb.  Wicht  seine  Fran 
[■■  Schweiz.  Archiv  f.  Volkskunde  VI,  64  f.]. 

Die   beiden   letzten  Aufsätze   beschreiben  zwei  Trachtenbilder   von  Reinhardt    aus 
dem  histor.  Museum  zu  Bern,  die  in  Vierfarbendruck  reproduziert  sind. 

Hans  Heinrich  Glaser,  B<»»ler  Kleidung  aller  hohen  und  niedriger  Standts-Personen 
nach  deren  grad  auff  ietzige  art  fleissig  corrigiert  und  auf  begeren  zum  anderen 
mahl  gemacht  und  verlegt  in  Basell  im  Julio  anno   1634. 

Wentz.  Eigentliche  Vorstellung  der  Kleider  Tracht  Löbl.  Statt  Basel,  wie  Solche 
Standts  und  Weibspersonen  zu  tragen  Pflegen.  Entworffen  von  Barbara  Wentz  ge- 
bohrene  Mayerin.  In  Kupfer  Verfertigt  auch  gedruckt  durch  Anna  Magdalena 
Beyerin.  O.  J. 

Herrliberger.  Zürcherische  Kleidertrachten  oder  Eigentliche  Vorstel/ung  der  dieser 
Zeit  in  der  Statt  und  Landschaft  Zürich  üblicher  vornemster  Kleidungen  Welche 
allhier  in  LII  sauber  in  Kupfer  gestochenen  abbildnngen  mit  ihren  Tentschen  und 
Französischen  benennungen  vorgestellet  werden.  Zürich,  David  Herrliberger,  1749* 
fol.  (Lipp.  919). 

Pfeffel.  SchweOserisches  Trachten-Cabinet  oder  allerhand  Kleidungen,  wie  man  solche 
in  dem  Löblichen  Schweitser  Canton  Zürich  zutragen  pflegt ;  in  Kupffer  vorgestellt 
und  zu  finden  in  Augspurg  bey  Johann  Andreas  Pfeffel.  Le  Cabinet  de  tontes  let 
Modes  d'Habits.     Um  1750.  fol.  (Lipp.  920). 


—     196     — 

aUbsobOrgMi 

Wittstock.  VoUutttmlicbes  der  SUbmbiirger  Sachsm  too  O.  Wittstock.  Stattg«rt» 
J.  Engelhoro,  1895.  ^"  ["  Sep.-Abdr.  ans  „Forschungen  cur  deaischen  Landet-  und 
Volkskunde  IX,  2"«]  (Lipp.  897  c). 

Steiermark. 

Sann.  ÄUsteirisehe  Trachten.  Eine  Stadie  von  Hans  von  der  Sann.  Graz,  Selbst- 
verlag des  Ver&ssers,  1891.  80  [«  Sep.-Abdr.  ans  dem  „Graser  Wochenblatt^'  1891] 
(Lipp.  887«). 

Kaiser.     38  SteiermarkB  National-Trachten   und  Fest-AnzOge  jetsiger  und  vergangener 
Zeit     Eine   freundliche  Spende  fUr  Fremde   nnd  Einheimische.     Lithographiert  von 
Eduard  Kaiser.     Gedruckt  and   verlegt   bei  Jos.  Fr.  Kaiser.  O.  O.     Um  1820.  160 
(Lipp.  887). 

Straüiburg. 

Evidens  designatio  receptissimamm  consnetudinnm  ornameota  qaaedam  et  insignia  con- 
tinens  magistratui  et  academiae  Argentinenn  a  maioribns  relicta.  Aigentorati, 
excadebat  Joann  Carolm  1606. 

S^ratburger  trachtenbttchlein  darinnen  von  Man  vnd  Weibspersonen  ausgegangen 
im  Jhar  1668.     Gedruckt  bey  Peter  Aubry.  qu.  8®  (Lipp.  789^). 

Diet erlin.  8trq/9burgi8ch  Trachtenbttchlein.  Petrus  Dieterlin  delineavit  Martinas 
Hailler  sculpsit.  La  Mode  de  Strasbourg.  Za  finden  bey  Friderich  Wilhelm 
Schmuck.     Um  1680.  kl.  8®  (Lipp.  790). 

Alsace  francoise  ou  nouveau  recueil  de  ce  qu'il  y  a  de  plus  cnrieoz  dans  la 
viüe  de  Strasbourg  avec  une  explication  exacte  des  planches  en  taiUe  douce  qui  le 
composent.  Das  Franttösische  E^safi  oder  Neue  Beschreibung  der  Stadt  Strq/fburg 
und  was  darin  merckwürdig  zu  besehen  Sampt  einer  Erklärung  mit  vielen  Kupffer- 
stttcken.     Strasbourg,  ches  G.  Boucher,  1706.  foL  (Lipp.  791). 

Seyboth.  Costumes  des  Femmes  de  Strasbourg  (XVII«  et  XVin«  SiMes)  Quarante 
six  Planches  Dessin^es  d'apr^  des  Documenta  de  TEpoqne  par  Ad.  Seyboth. 
Strasbourg,  R.  Schultz  et  Comp.,  1880.  4®  (Lipp.  793). 

:    Costumes    Stratbowrgeois    (Hommes)    (XVI«,    XVII«    et    XVm«    sikdes) 

cinquante-qnatre    planches    dessin^es    d'apr^     des  documents  de   l'^poque  par  Ad. 
Seyboth.     Strasbourg,  R.  SchulU  et  Comp.,  1881.  8®  (Lipp.  794). 

Berger-Levrault,    Oskar,    Les    costumes    Slrcubourgeois  6dit^s  au  diz   septiöme 
si^le  par  Fr^d^ric-Gnillauroe  Schmuck  et  an  diz-huiti^me  si^e  par  ses  fils  Fr^^ric 
Schmuck   et   Guillaume   Schmuck.     Reproduits    en   fac-simil^   d'apr^   les   Recueils 
originaux.    Paris  et  Nancy,  librairie  Berger-Levrault  et  O«,  1889.  gr.  8®  (Lipp.  795). 
Enthält  Reproduktionen  älterer  Straflburger  Trachtenbücher  des  17.  und  18.  Jahr- 
hunderts. 

Stabei. 

von  Hörmann,  Stubei,    Thal  und  Gebirg,  Land  und  Leute. 

Thüringen. 

F.  Loose,  Aus  OrqßmühHngens  Vergangenheit. 

A.  Scobely  Thüringen,  Mit  147  Abbildungen  nach  photographischen  Aufnahmen  und 
einer  farbigen  Karte.  Zweite  Auflage.  Bielefeld  nnd  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing, 
1902  [■■  Land  und  Leute.  Monographien  zur  Erdkunde,  herausgegeben  von 
A.  ScobeL     Nr.  i]. 

TiffoL 

Kap  pelle r.  I^iro^  Trachten  nach  den  Zeichnungen  des  Malers  Josef  Anton  Kappeller 
gestochen  und  illuminiert  von  J,  Warnberger,  Wien,  Industrie-Comptoir,  um  1800. 
4»  (Lipp.  880). 

J.  G.  Schedler,  Maler  in  Innsbruck,  20  Stück  Nationaltrachten  von  Tirol  und  VcT" 
arlberg»    Um  1824  (Lipp.  890  a). 

Lipp.  890  ist  eine  Bilderhandschrift  erwähnt,   die  nach  diesem  Kopferstichwerk 
gefertigt  ist. 


—     197     — 

J.  Weg  er,  Hanpt-Charmktere  vom  Volke  und  Lande  Teutsd^TiroU.    Trrato  1826. 

Trachten  ans  TyroL    ao  kolorierte  KostOmbilder.     Wien  1803. 

Eduard  Ille,  Tiroler  Trachten  nach  Beobachtungen  ans  den  Jahren  1853 — 53  [■■  Zeit* 
Schrift  d.  Ver.  f.  Volkskunde  VIII,  1898,  S.  94—96]. 

Max  Hanshofer,  Tirol  und  Vorarlberg.  Mit  202  Abbildungen  and  einer  Karte. 
Bielefeld  and  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1902  [■■  Land  und  Leute.  Monographien 
zur  Erdkunde,  herausgegeben  von  A.  Scobel,  Nr.  4]. 

Vierlande. 

Griese  &  Voigt.  Die  Vierlanäe  bei  Hamburg.  50  Lichtdrucke  von  Carl  Griese. 
Mit  einer  geschichtlichen  Einleitung  und  erläuterndem  Text  von  Dr.  F.  Voigt. 
Hamburg,  Carl  Griese,  1894.  qu.-fol.  (Lipp.  802). 

Westfalen. 

XVill    et   XIX  Cahier    des   Jardins  anglais   contenant   Cenz   du  Bagno    ii  Steinfort  en 
WeetphaUe  .  .  .  par  Le  Rouge,  Ing.-G^ograpbe.    Paris  1787. 
Enthält   die   ersten  Abbildungen   der   MUnsier'Bchtn  Tracht;   vgl.  Jostes,   Westf. 
Trachtenbuch,  S.   159. 

Jostes.  WeetfuHsches  Trachtenbnch ,  die  jetzigen  und  ehemalii^en  westfälischen  und 
schaumburgischen  Gebiete  umfassend.  Bearbeitet  von  Dr.  Franz  Jostes.  Bielefeld, 
Berlin  und  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1904.  4®  (Lipp.  802  k). 

Eugen  Bracht,  Volksthttmliches  aus  dem  Jitiffim/tii^.  [■■  Mittheilungen  aus  dem 
Museum  ftir  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse  des  Hausgewerbes  zu  Berlin  C, 
Klosterstrafle  36.     Berlin,  Rudolf  Mosse,  1897.     Heft  i,  S.  7—18]. 

Wflrttemberg. 

Heideloff,  Volkstrachten  des  Königreichs  Württemberg.  Herausgegeben  von 
O.  Ebner.     Stuttgart,  G.  Ebner'sche  Kunsthandlung,  18 10 — 1815.    4®  (Lipp.  796). 

Ländliche  Gebräuche  in   Württemberg,     Mit  kolorierten  Kupfern.     2  Bde. 


Mitteilungen 

Archive«  —  Das  Fürstliche  Archiv  su  Köstritz  wurde  im  Auftrage 
des  Fürsten  Heinrich  XXIV.  j.  L.  Rend-Köstritz  in  den  Jahren  1900  bis 
1902  Ton  dem  Unterzeichneten  neu  geordnet. 

Die  Entstehung  des  Archivs  ist  auf  den  Begründer  des  Fürstlichen 
Hauses  Reuö-Köstritz,  auf  den  Grafen  Heinrich  XXIV.  j.  L.  Reuß  zurück- 
zuführen. Dessen  Vater,  Heinrich  I.  j.  L.  Reufi-Schleiz ,  hatte  für  dieses 
Haus  1679  ^^  Primogeniturrecht  eingeführt,  tun  die  vorher  üblichen  schäd- 
lichen Teilungen  zu  verhindern.  Um  seinen  1681  geborenen  Sohn  Hein- 
rich XXIV.  in  etwas  für  den  Ausfall  zu  entschädigen,  gründete  er  ihm  durch 
zwölf  Rittergüter  die  Paragiatsherrschaft  Köstntz,  einen  mit  allen  Regalien 
ausgestatteten  Lehnsbesitz  unter  Landeshoheit  der  regierenden  Linie  Reuö- 
Schleiz;  die  Herrschaft  bildet  heute  noch  einen  Teil  des  Fürstlich  Köstritzer 
Besitzes.  Auf  diese  ersten  Herrn  ist  die  Anlage  des  Archivs  zurückzuführen, 
versah  er  doch  jedes  Schriftstück  seiner  weitausgebreiteten  Korrespondenz 
eigenhändig  mit  einem  Vermerk  darüber,  wo  es  im  Archive  einzureihen  sei. 

Die  Archivbestände  werden  aufbewahrt  in  einem  feuersicheren,  tmheiz^ 
baren  Gewölbe  im  ersten  Geschosse  des  Torturmes  im  Vorgebäude  des 
Schlosses.  Dieser  Raum  hat  einen  Steinfußboden  und  ist  mit  einer  eisernen 
Tür  tmd  ebensolchen  Fensterläden  versehen.  Nur  die  Originalurkunden  über 
die  Besitzungen  tmd  der  Fürstenbrief  vom  9.   April    1806   be&nden   sich 


—     198     — 

geordnet  in  einer  besonderen  Kiste,  die  anderen  Archivalien  lagen  ungeordnet 
in  den  Reposituren.  Sicher  ist,  dafi  früher  einmal  Aktenmaterial  ausgesondert 
und  vernichtet  worden  ist;  die  oft  sonderbaren  Lücken  in  einzelnen  Akten* 
Serien  verraten  aber  nur  zu  deutlich,  dad  es  dabei  an  der  notwendigen 
Sorgüüt  gemangelt  hat.  Ein  in  den  sechziger  Jahren  des  vorigen  Jahr- 
himderts  gemachter  Versuch,  ein  Repertorium  anzulegen,  erstreckte  sich  leider 
nur  auf  einen  kleinen  Teil  des  Aktenmaterials.  Da  es  eine  systematische 
Ordnung  nicht  kannte  und  außerdem  die  Aufstellung  der  Akten  nicht  einmal 
nach  ihm  erfolgt  war,  so  mußte  es  bei  der  jetzigen  Neuaufstellung  imberück- 
sichtigt  gelassen  werden. 

Nach  der  zunächst  sich  als  notwendig  erweisenden  oberflächlichen 
Sichtung  des  teilweise  stark  zerstreut  durcheinanderliegenden  Materials  galt 
es,  an  die  Bestandsaufoahme  zu  gehen,  die  in  der  Weise  zur  Durchführung 
kam,  dafi  alle  Archivalien  der  Reihe  nach,  wie  sie  durch  die  Hände  gingen, 
auf  Zettel  notiert  wurden.  Nachdem  letztere  im  Winter  1900  in  eine  sach- 
liche Ordnimg  gebracht  worden  waren,  erfolgte  nach  dieser  im  folgenden 
Jahre  die  Sichtung,  das  Bündeln  und  Signieren  und  die  Aufstellung  der 
Akten.  Da  die  vorhandenen  Reposituren  zum  Legen  der  Aktenbündel  ein- 
gerichtet sind  und  ihre  Umänderung  so  viel  Platz  in  Anspruch  genommen 
haben  würde,  dafi  ein  neuer  Archivraiun  hätte  geschaffen  werden  müssen, 
so  ist  vom  Aufstellen  der  Aktenbündel  abgesehen  worden.  Eine  Schutz- 
pappe in  jedem  Fache  hält  den  Staub  ab,  soweit  dies  möglich  ist  An 
jedem  Aktenstücke  gibt  ein  Zettel  sowohl  seine  Signatur  im  Repertorium, 
als  auch  seinen  genauen  Lagerort  in  der  Repositur  an.  Platz  Äir  Akten, 
die  aus  der  Registratur  dem  Archive  überwiesen  werden,  ist  in  genügendem 
Mafie  gewahrt  worden. 

Von  der  sonst  gebräuchlichen  Haupteinteilung  des  Archivbestandes  in 
Urkimden,  Karten  imd  Pläne  und  Akten  ist  aus  dem  Grunde  abgesehen 
worden,  weil  die  Urkunden,  von  denen  ältere  überhaupt  fehlen,  und  auch 
die  Karten  und  Pläne,  sowohl  hinsichtlich  ihrer  Zahl,  als  auch  ihrem  Werte 
nach  vollständig  hinter  den  Akten  zurückstehen,  die  eben  den  weitaus 
gröfiten  imd  dem  Inhalte  nach  den  wertvollsten  Bestandteil  des  Archivs  aus- 
machen. Doch  reihen  sich  jene  beiden  genannten  Hauptgruppen  ohne  be- 
sondere Unterabteilungen  einüich  den  Aktengruppen  an. 

Geordnet  wurden  die  Archivalien  nach  folgender  Einteilung:  A.  Das 
Gesamthaus  Reufi  (258  Nr.);  Aa.  Ältere  Linie  Reufi.  L  Haus  Obergreiz 
(58  Nr.),  II.  Haus  Untergreiz  (3  Nr.);  Ab.  Jüngere  Linie  Reufi  (3  Nr.), 
I.  Haus  Gera  (4  Nr.),  IL  Haus  Lobeostein  (28  Nr.),  III.  Haus  Selbitz 
(12  Nr.),  IV.  Haus  Ebersdorf  (19  Nr.),  V.  Haus  Schleiz  (33  Nr.).  B.  Haus 
Köstritz  (168  Nr.);  Ba.  Glieder  des  Hauses  Köstritz  (115  Nr.),  I.  Älterer 
Zweig  (136  Nr.),  II.  Mittlerer  Zweig  (42  Nr.),  III.  Jüngerer  Zweig  (11  Nr.); 
Hb.  Besitzungen  des  Hauses  Köstritz  imd  wirtschaftliche  Unternehmungen, 
I.  Reufiischer  Besitz  (380  Nr.),  II.  Nicht- reufiischer  Besitz  (54  Nr.), 
III.  Güter-  und  Grundbesitzverwaltung  (437  Nr.).  C.  Materialien  zur  Landes- 
geschichte (361  Nr.).  D.  Ortsgeschichte  (57  Nr.).  E.  Verschiedene  Güter 
(14  Nr.).  F.  Nicht -reufiische  Herrschaften  (46  Nr.).  G.  Adelige  Familien 
(225  Nr.).  H.  Diverse  (13  Nr.).  J.  Originaldokumente,  das  Haus  Köstritz 
und  seine  Besitzungen  betreffend  (151  Nr.).  K.  Karten  und  Pläne  (35  Nr.). 


—     199     — 

Publiziert  wurde  aus  dem  Archive  bis  jetzt  eine  poetische  Bittschrift 
der  Schüler  des  Schleizer  Gymnasiums  von  1756  in  der  Geschichte  dieser 
Anstalt  (Schleiz  1906)  und:  A.  H.  Franckes  Briefe  an  den  Grafen  Heinrich 
XXIV.  j.  L.  Reuß  zu  Köstritz  und  seine  Gemahlin  Eleonora  aus  den  Jahren 
1704  bis  1727  als  Beitrag  zur  Geschichte  des  Pietismus  herausgegeben  von 
B.  Schmidt  imd  O.  Mensel  (Leipzig  1905). 

Eine  umfassende  Charakteristik  des  Archivinhaltes  kann  an  dieser  Stelle 
nicht  gegeben  werden,  doch  sei  erwähnt,  daß  in  ihm,  von  der  Forschung 
noch  unberücksichtigt  gelassen,  eine  Menge  wertvollen  und  interessanten 
Materials,  vornehmlich  für  die  Geschichte  des  Pietismus,  der  Bearbeitung 
harrt  Nicht  umsonst  stand  Graf  Heinrich  XXIV.  in  Verbindung  mit  den 
bedeutendsten  Männern  dieser  geistigen  Bewegung,  zu  deren  Lebensgeschichte 
mancher  Beitrag  hier  gehoben  werden  kann.  Briefschaften,  Protokolle  über 
Predigerkonferenzen,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Evangelischen  in  Schlesien, 
Material  zur  Schul-  und  Erziehungsgeschichte  dieser  Zeit  und  noch  so 
manches  andere  wird  da  zu  benutzen  sein.  Dem  Genealogen  bietet  sich 
viel  Stoff  zur  Geschichte  vieler  adeliger  Familien.  Durch  ein  alpha- 
betisches Verzeichnis  aus  dem  Jahre  1799  über  die  Bestände  des  jetzt  voll- 
ständig verschwimdenen  Archivs  des  Rittergutes  Caaschwitz  ist,  wenn  auch 
nur  sehr  dürftig,  doch  ein  Anhalt  dafür  gegeben,  was  einst  an  Material 
dort  vorhanden  war.  Alfred  Auerbach,  Gera. 

Elngeganiceiie  Bflcher. 

Devrient,  Ernst:  Nach  welchen  Grundsätzen  soll  der  Historiker  bei  Quellen- 
ausgaben verfahren?  Kritik  und  Vorschläge  [=s  Sonderabdruck  aus 
dem  KorrespondenßUatt  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts- 
und ÄUertumsvereine  54.  Jahrg.  (1906)].     31  S.  8®. 

Erben,  Wilhelm:  Quellenpublikationen  zur  salzburgischen  Geschichte,  be- 
sprochen von  W.  E.  [Sonderabdruck  aus  den  Mitteilungen  der  GeseOr 
Schaft  für  Salzburger  Landeskunde  46.  Bd.  (1906)].     21  S.  8^. 

Fritz,  Alfons:  Geschichte  des  Kaiser-Karls-Gymnasiums  in  Aachen  [s=s  Zeit- 
schrift des  Aachener  Geschichtsvereins  28.  Bd.  (Aachen  i9o6),S.  i — 285]. 

Hansen,  Reimer:  Zur  Geschichte  des  Bistums  Schleswig  im  14.  Jahrhundert 
[s=s  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Schleswig-Holsteinische  Geschichte, 
36.  Bd.  (1906),  S.  170 — 190]. 

Höhnk,  Helene:  Dedev  von  Ahlefeldts  Gesandtschaftsjoumal  vom  Jahre 
1666,  mitgeteilt  v.  H.  H.  [==  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Schleswig- 
Holsteinische  Geschichte,  36.  Bd.  (Kiel  1906),  S.  79 — 169]. 

Hübler,  Franz:  Zwei  Reisen  nach  Griechenland  und  Kleinasien  [c=^  Jahres- 
berichte der  k.  k.  Staatsrealschule  in  Reichenberg  für  die  Jahre 
1904 — 1905  und  1905 — 1906].  Reichenberg  1905  und  1906.  52 
und  95  S.  S^, 

Höfer,  Paul:  Die  sächsische  Legende  zum  thüringisch-fränkischen  Kriege 
531  n.  Chr.  [=  Abdruck  aus  der  Zeitschrift  für  Thüringisc?ie  Geschicke 
und  Altertumskunde  25.  Bd.  (1906)].     80  S.  8^ 

John,  Alois:  Egerer  Studenten  an  der  Leipziger  Universität  (14 13 — 1556). 
Eger,  Selbstverlag  1907.     14  S.  8^. 


—     200     — 

Krebs,  Kurt:  Vor  loo  Jahren,  Aufsätze  und  Urkunden  zur  Geschichte  der 
Kriegsjahre  1806  und  18 15.  Leipzig,  Verlag  des  Leipziger  Stadt- und 
Dorfanzeigers  (G.  Kürsten).     343  S.  8^. 

Limes,  Der  römische  L.  in  Österreich.  Heft  VII.  Mit  zwei  Tafehi  und 
75  Figuren  im  l'ext  Wien,  Alfred  Holder,  k.  und  k.  Hof-  und  Uni- 
versitätsbuchhändler 1906.     142  Sp.  4^ 

Loserth,  Joh. :  Das  Archiv  des  Hauses  Stubenberg  [^=  Veröffentlichungen 
der  Historischen  Landeskommission  für  Steiermark  XXUj.  Graz,  Selbst- 
verlag der  Historischen  Landeskommission  1906.     198  S.  8^ 

Mangner,  Eduard:  Geschichte  der  Leipziger  Winkelschulen,  nach  archi- 
valischen  Quellen  bearbeitet  [=  Schriften  des  Vereins  für  die  Geschichte 
Leipzigs,  Band  VIII].  Leipzig,  Ferdinand  Hirt  &  Sohn  1906.  232  S. 
8^     M.  5,50. 

Me ringe r,  Rudolf:  Das  deutsche  Haus  und  sein  Hausrat  [=  Aus  Natur 
und  Geisteswelt,  Sammlung  wissenschaftlich-gemeinverständlicher  Dar- 
stellimgen,  116.  Bändchen].  Leipzig,  B.  G.  Teubner  1906.  iii  S. 
geb.  M.   1,25. 

Moeller,  Ernst  von:  Die  Qendenbrüderschaften,  ein  Beitrag  zur  Geschichte 
der  FremdenfUrsorge  im  Nfittelalter.  Leipzig,  J.  C.  Hinrichs  1906. 
176  S.  S^.     M.  3,50. 

Moltke,  Siegfried:  Leipzigs  Handelskorporationen  (Kramerinnung,  Handels- 
deputierte, Handelsvorstand,  Handelsgenossenschaft,  die  Leipziger  Kauf- 
mannschaft und  die  Kommunrepräsentation).  Versuch  der  Gründtmg 
sächsischer  Handelskanmiem  im  19.  Jahrhundert.  Herausgegeben  von 
der  Handelskammer  zu  Leipzig.  Leipzig,  A.  Twietmeyer  1907. 
248  S.  8^ 

Pi renne,  Henri:  Geschichte  Belgiens  [*»  Geschichte  der  europäischen 
Staaten,  dreißigstes  Werk].  Bd.  3:  Vom  Tode  Karls  des  Kühnen 
(1477)  ^^  ^^^  Ankunft  des  Herzogs  von  Alba  (1576).  Gotha,  Friedrich 
Andreas  Perthes  A.-G.  1907.     606  S.  8®.     M.  16,00. 

Rietschel,  Siegfried:  Die  germanische  Tausendschaft  [=  Zeitschrift  der 
Savigny-Stifhing  für  Rechtsgeschichte,  Germanistische  Abteilung  27.  Bd. 
(1906),  S.  234—252]. 

Sacken,  Eduard  Freiherr  von:  Heraldik,  Grundzüge  der  Wappenkunde 
[t=s  Webers  Illustrierte  Handbücher,  Band  51].  Siebente  Auflage,  neu 
bearbeitet  von  Moriz  von  Weittenhiller.  Leipzig,  J.  J.  Weber 
1906.     160  S.  8®.  geb.  M.  2,00. 

Schlacht  bei  jena,  Die.  Katalog  der  Hundertjahr- Ausstellung  im  Städtischen 
Museum  zu  Jena.  Jena,  Verlag  des  Städtischen  Museums  1906. 
110  S.  80. 

Tecklenburg,  August:  Die  Einführung  der  Reformation  in  Uslar  [«>  Proto- 
kolle über  die  Sitzimgen  des  Vereins  für  die  Geschichte  Göttingens  im 
14.  Vereinsjahre  1905 — 1906  (Göttingen  1906),  S.   12 — 33]. 

Tille,  Armin:  Genealogische  Quellen  [=  Mitteilungen  der  Zentralstelle  für 
deutsche  Personen-  und  Familiengeschichte,  2.  Heft  (Leipzig,  Breitkopf 

und  Härtel  1906),  S.  41 — 64]. 

^^-^■^»-  ■  ■ 

Heraiuf  eber  Dr.  Annin  Tille  in  Lciprig. 
VerUf  und  Druck  von  Friedrich  Andreas  Perdiet,  AkoenfeMllsdiaft,  GoAa. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


sur 


Fi)rderung  der  landesgeschiclitliclien  Forscbung 

VIII.  Band  Mai  1907  8.  Heft 

Der  niedere  Kl^t'us  am  Ausgang  des 

ISAittelalters 

Von 
Heinrich  Werner  (Mayen) 

Es  ist  bekannt,  daß  sich  gerade  der  niedere  Klerus  in  hellen 
Haufen  beim  Auftreten  Luthers  dem  neuen  Glauben  anschloß.  Die 
Männer  dieses  Kreises  müssen  oiTenbar  schon  längst  zu  den  Unzu- 
friedenen gehört  haben.  Und  doch  soll  gerade  „der  übermäßige 
Reichtum  der  deutschen  Kirche  eine  Quelle  ihres  Verderbens  *)**  gewesen 
sein,  aber  die  „übermäßig**  Reichen  pflegen  nicht  leicht  in  die  Reihen 
der  Unzufriedenen  zu  treten.  In  der  Tat  gehörte  der  niedere  Klerus 
eben  gar  nicht  zu  dieser  bevorzugten  Menschenklasse.  Im  Gegen- 
teil, gerade  der  pauper  dericus  ist  seit  den  Tagen  von  Konstanz  eine 
beliebte  Spottfigur  in  der  Publizistik.  Wohl  haben  sich  damals  Prälaten 
und  besonders  Klöster  große  Besitzungen  erworben,  aber  gerade  auf 
Kosten  des  niederen  Klerus.  Jenen  Kreisen  mag  denn  auch  allein 
-„der  übermäßige  Reichtum  eine  Quelle  des  Verderbens**  geworden 
sein.  Den  niederen  Klerus  hat  vielmehr  seine  prekäre  Lage  in  die 
Reihen  der  Unzufriedenen  getrieben. 

Auf  den  großen  Reformkonzilien  ist  die  Reform  des  niederen 
Klerus  verhältnismäßig  zu  kurz  gekommen;  in  Pisa  und  Konstanz  trat 


i)  Pastor,  Geschichte  der  Päpste,  4.  Bd.  i.  Abteilung  (1906)  S.  200.  Gewi0  ist 
Yon  Janssen  und  noch  mehr  von  seinem  Fortsetzer  Pastor  in  der  Geschichte  des 
deutschen  Volkes  I.  Bd.  (1897)  in  dem  Schlafikapitel  „Rückblick  and  Übergang ^^  ein 
gewaltiges  Material  bewältigt,  aber  mit  einer  Willkür  in  der  Behandlang,  daß  das  ganze 
Kapitel  in  seiner  Anordnung  anbraachbar  ist.  So  ist  z.  B.  der  „  oberrheinische  Revolutionär  ^^, 
der  korz  vor  Luthers  Auftreten  erschien,  schon  im  i.  Band  behandelt,  während  die  Re> 
formation  Kaiser  Sigmunds  erst  im  2.  Bd.  gewürdigt  wird,  obschon  diese  schon  1439  er- 
schienen ist,  nur  damit  diese  Reformschrift  zur  Folie  des  Bauernkrieges  diene,  mit  dem  si» 

^ar  nichts  zu  tun  hat. 

15 


—     202     — 

infolge  des  Schismas  die  Krankheit  des  Hauptes  der  Kirche  noch  zu 
sehr  in  die  Augen  der  Zeitgenossen,  als  dafi  den  Gliedern  eine  be- 
sondere Sorgfalt  hätte  geschenkt  werden  können.  So  stand  die 
refomicUio  in  capüe  im  Vordergrunde. 

Auch   hatte  sich  noch   nicht  die  reformierende  Körperschaft  zu- 
sammengefunden,   die   demokratisch   genug   war,   um  auch  der  Lage 
der  niederen  Kleriker  Verständnis  entgegenzubringen.   Aber  auch,  als 
sich   die  Männer  aus  diesen  Kreisen   zu  Basel  zu   mehren  begannen,, 
fing  das  Konzil  bereits  an,   an  dem  damit  einziehenden  Radikalismus- 
zugrunde zu  gehen.   Vielleicht  hatte  die  erste  aristokratischere  Epoche 
dieses    Konzils   gerade   in   dem   glücklichen  Vorgefühl   einer  solchea 
Wendung  des  Reformwerks   die   reformatio   in  membris  den  niederen 
Instanzen  der  Provinzial-  und  Diözesansynoden  übertragen.    Auf  diesea 
letzteren   Synoden  sind  denn  auch   Reformvorschläge,   die   die  Lage 
des   niederen  Klerus  verbessern  sollten,   in  großer  Zahl   vorgebracht 
worden.     Die    Akten  jener   landschaftlichen   Synoden   verdienten   es„ 
in  einer  brauchbareren  und  vollständigeren  Weise  als  sie  bei  Binterim,. 
Pragmatische  Geschichte  der  detUschen  National-,  Promnzialr-  und  mr- 
jsiiglichsten  DiÖMesankoneilienvom  IV. — XV.  Jahrhundert  (7  Bände,  Mainz 
1848)  vorliegen,   von  neuem  ediert  zu  werden.     Aus  den  päpstlichen 
Urkunden ,   die   in  neuester    Zeit  von   den    Publikationsinstituten   ver- 
öffentlicht werden  *) ,  ist  über  den  niederen  Klerus  weniger  Material 
zu   erwarten,   da  über  die  Erfüllung  seiner  Pflichten  nicht  die  Kurial- 
beamtcn  zu  wachen  hatten,  sondern  die  Bischöfe  und  Archidiakonen. 
Es   ist   deshalb  auch  die  vornehmliche  und  zugleich  vornehmste  Auf- 
gabe  dieser    Zeitschrift ,    die   Lokalforschung    erneut  *)   zur    Mitarbeit 
aufzurufen.      Gerade   von   der  Kleinarbeit    der   Lokalvereine   ist  noch 
mehr  Licht  zu   erwarten   über  die  dunkelste  Seite  der  Kirche  an  der 
Wende  des  Mittelalters,  über  die  Notlage  des  niederen  Klerus. 

Noch  zahlreicher  und  eindringlicher  sind  die  Hilferufe  der  gleich- 
zeitigen Publizistik.  Freilich  hörte  die  Geschichtsforschung  bis  jetzt  sie  zum 
Teil  sehr  mißtrauisch  an.  Man  argwöhnte  dahinter  gar  zu  gern  radi- 
kale Übertreibungen  und  nannte  derartige  Publikationen  „Brandschriften*'. 
Aber  die  neuesten  Veröffentlichungen  auf  Grund  von  Akten  und  Ur- 
kunden erweisen  die  Klagen  der  Publizisten  als  voll  berechtigt. 

Einstweilen  ist  das  Urteil  der  Publizistik  nur  zu  messen  an  den  Ur- 
kunden der  neueren  Ven.ffentlichungen  und  der  älteren  aus  den  kleineren 

i)  Vgl.  die  umfassende  Übersicht  von  Wehrmann  oben  S.  93—108. 
2)  Die  gleiche  Mahnung  in    dieser   Zeitschrift  4.    Bd.   (1902)  S.    50 — 51    scheint 
nngehört  TerhaUt  zu  sein. 


—     203     — 

Synoden  der  Kirchenprovinzen  und  Diözesen,  die  namentlich  seit  dem 
Baseler  Konzilsbeschluß  über  die  periodische  Abhaltung  derartiger 
Synoden  *)  in  Deutschland  sehr  zahlreich  wurden.  Es  ist  natürlich 
unmöglich,  an  dieser  Stelle  den  StoiT  erschöpfend  zu  behandeln.  Nur 
Gesichtspunkte  und  die  besten  Stützen  daiiir  können  hier  vorgelegt 
werden.  

Wenn  Haller  *)  auf  Grund  von  Urkunden  sagt,  dafi  „  die  Bewegung 
des  großen  Abfalles  im  XVI.  Jahrhundert  zum  guten  Teil  Johann  XXII. 
(13 16 — 1334)  galt",  der  ja  dem  Papsttum  von  Avignon  den  Stempel  des 
Absolutismus  aufdrückte,  so  hat  dieser  verdienstvolle  Forscher  im  Hin- 
bUck  auf  den  großen  Übertritt  des  niederen  Klerus  vollkommen  recht. 
Das  Papsttum,  ursprünglich  nur  ein  Glied  in  der  Kette  der  Hierarchie, 
war  durch  Zentralisation  aller  wirtschaftlichen  und  rechtlichen  Fäden  auf 
Kosten  aller  übrigen  Glieder  krankhaft  bis  zur  Unkenntlichkeit  an- 
geschwollen. Der  vom  Papsttum  von  Avignon  und  von  den  späteren 
Päpsten  ausgeübte  Druck  machte  sich,  auf  seinem  Wege  durch  alle 
Glieder  der  Hierarchie  hindurch  vervielfältigt,  bei  dem  niederen  Klerus 
am  stärksten  geltend.  Die  Quelle  dieses  Druckes  hat  schon  1439 
die  bisher  irrtümlich  als  revolutionär  verschriene  Reformschrift,  die 
Reformation  des  Kaisers  Sigmund,  richtig  erkannt,  wenn  sie  sagt: 
AUer  geprest  ligt  größlich  an  zwain  stücken:  an  den  gaisÜichen  liegt 
groß  Simonie,  das  ist  als  vü  als  toucher,  dieselb  hat  alle  gaisUiche 
stat  vergift ....  simonie  ist  uffgestanden  des  ersten  in  pabstes  hof^). 
In  die  Sprache  Hallers  übersetzt,  heißt  das:  „die  Kurie  von  Avignon 
war  die  erste  Geldmacht  der  Welt"*);  man  hat  das  päpstliche  Wirt- 
schaftssystem als  Fiskalismus  *)  bezeichnet. 

Freilich  war  die  Kurie  in  dieser  Beziehung  in  ihrer  Zeit  nur 
modern.  Durch  die  sich  damals  in  größerem  Maßstabe  vollziehende 
Mobilisierung  aller  Werte,  die  für  jeden  Besitz  die  Berechnung  des 
entsprechenden  Geldwertes  gestattete,  wurde  der  ländliche  Grund- 
besitz, woran  die  Kirche  sehr  reich  war,  im  ganzen  entwertet.  Gerade 
die  Kirche  würde  dieser  Umschwung  am  schwersten  betroffen  haben, 
wenn  sie  sich  nicht  praktisch  zu  dem  Grundsatz  bekannt  hätte:  Geld 


i)  Monumenta  concüiarttm  generalium  BoecuU  XV,  (Wien   1857—96)   2.  Bd. 
S.  525.  and  Binterim  a.  a.  O.     7.  Bd.  S.  210. 

2)  Papsttum  und  Kirchenreform  i.  Bd.    (Berlin  1903),  S.  96. 

5)  Boehm,  Friedrich  Reisen  Reformation  K.  Sigmunds  (Leipzig  1876)  S.  162  f; 

4)  Haller,  a.  a.  O.  S.  138. 

5)  Ebenda  S.  103. 

16* 


—     204     — 

ist  Macht.  Dazu  schnellte  mit  der  allgemeinen  Steigerung  der  Be- 
dürfnisse die  Lebenshaltung  des  Papstes  und  der  Prälaten  in  die  Höhe, 
sie  wurde  geradezu  fürstlich.  Aber  auch  gesteigerte  Kulturaufgaben 
stellten  an  das  Papsttum  gesteigerte  Anforderungen.  So  forderte  der 
ganze  potenzierte  Bestand  der  Kurie  potenzierte  Mittel.  Diese  suchte 
man  dadurch  zu  gewinnen,  daß  der  Papst  als  absoluter  Herrscher  das 
Verleihungsrecht  aller  Ordinarien  an  sich  riß  und  für  Geld  Pfründen 
und  Benifizien  von  Rom  aus  verlieh.  Die  Kurie  wurde  so  gleichsam 
zu  einem  Pfründenmarkt. 

Die  Anhäufung  aller  wirtschaftlichen  und  rechtlichen  Regierungs- 
geschäfte der  Kirche  an  der  Kurie  hatte  eine  andere  moderne  Ein- 
richtung zur  Folge:  ein  großes  Beamtenheer.  Nur  innerhalb  der 
Kirche  gab  es  schon  im  früheren  Mittelalter  eine  feste  Anstellung; 
jetzt  wurde  durcii  die  Zentralisation  der  Hof  des  Papstes  erst  recht 
„der  Brennpunkt  nicht  nur  aller  Ehrgeizigen,  sondern  des  größeren 
Teiles  aller  derer,  die  wenn  auch  einen  bescheidenen  so  doch  sicheren 
Platz  in  der  res  publica  ecclesiastica  suchten".  Diese  waren  nicht 
durch  fixes  Gehalt  besoldet,  sondern  der  Wirtschaftslage  entsprechend 
mit  Pfründen.  So  wurden  alle  Ämter,  vom  Kardinal  bis  zum  Tür- 
hüter, mit  Pfründen  „ausgerichtet**,  wie  die  Reformation  des  Kaisers  Sig- 
mund mit  Recht  beklagt ').  Diese  Reformschrift  will  deshalb  auch 
zur  Vermeidung  des  Mißbrauchs  in  der  Pfründenverleihung  das  kapi- 
talistische Besoldungswesen  in  der  ganzen  Hierarchie  einfuhren. 

Das  allmählich  usurpierte  Recht  der  alleinigen  Pfründenverleihung 
des  Papstes  stellt  sich  dar  als  eine  „gewohnheitsmäßige  Konfiskation'*  •) 
aller  kirchlichen  Ämter  und  Pfründen,  ja  als  eine  solche  „des  ganzen 
Kirchenvermögens  des  Erdkreises**.  Diese  Bewegung  setzt  mit  Papst 
Johann  XXII.  durch  Erweiterung  des  alten  kanonischen  Rechtes  der 
päpstlichen  Reservation  ein  und  erreicht  in  bald  steigendem  bald 
fallendem  Kurs  zur  Zeit  des  Schismas  unter  Papst  Benedikt  XIII.  ihren 
Höhepunkt.  Eine  Handschrift  der  Kanzleiregeln  dieses  Papstes  zeigt 
die  charakteristische  Aufschrift:  Reservamtis  omnia^).  Seitdem  nun 
aber  das  Papsttum  dazu  überging,  auch  die  niederen  geistlichen 
Stellen  durch  Anwartschaft  oder  unmittelbare  Verleihung,  in  steigen- 
dem Maße  von  1300  ab,  vollends  an  sich  zu  reißen,  widmeten  sich 
die    besten    Kräfte,    aber    auch    zweifelhafte    Charaktere    der    geist- 


i)  Boehm  S.  164  and  173:  cUle  ämter  am  ho f  werden  mit  kirchen  atisgerichtet. 

2)  Sauerland,  Urkunden  und  Begesten  zur  Oeschichte  der  Bheinlande  aus 
dem  vatikanischen  Archiv.     3.  Bd.  (Bonn  190$)  S.  LVI. 

3)  Hall  er,  a.  a.  O.  S.  127. 


—     206     — 

liehen  Laufbahn  an  der  Kurie.  Ihre  Beamten  gingen  natürlich  unter 
den  Pfründenbewerbern  vor  *).  So  erfahren  wir  von  Haller  aus  den 
Urkunden*),  daß  Schreiber,  Türhüter  und  Köche  an  der  Kurie  mit 
Pfarrpfründen  besoldet  wurden.  Genau  so  drückt  sich  die  damalige 
Publizistik  aus,  wenn  z.  B.  die  Reformation  Kaiser  Sigmunds  sagt :  si  leihen 
wnd  erweilen  staMknechten  zu  pfarren  und  prelatenpfründen  und  künden 
nichts  damit  ^).  Dieses  System  „trug  den  Anfang  zur  Korruption  in 
sich**,  es  traf  am  schwersten  nach  jeder  Seite  hin  den  niederen  Klerus. 
Wenn  der  Papst  niedere  kirchliche  Stellen  zur  Besoldung  seiner 
Beamten  an  der  Kurie  verwendete,  so  entrechtete  er  nicht  nur  damit 
die  allein  zuständigen  Ordinarien,  sondern  enteignete  diese  Ämter 
auch  den  eigentlichen  Inhabern.  Kurialbeamte  wie  die  oben  ge- 
nannten verstanden  es  schon  an  sich  nicht,  ihrem  mit  dem  beneficium 
verbundenen  officium  vorzustehen,  aber  sie  waren  auch  bei  ihrem 
ständigen  Aufenthalt  in  Rom  dazu  ganz  außerstande.  So  mußte,  an 
Stelle  des  rechtmäßigen  Kuraten  oder  Benefiziaten  überall  der  Miet- 
ling, der  Vikar  treten,  dem  von  dem  Ertrag  der  Pfründe  nur  so  viel 
zuteil  wurde,  wie  er  unbedingt  brauchte,  um  sein  Dasein  zu  fristen. 
Was  aber  die  Versorgung  der  Hofbeamten  des  Papstes  an  niederen 
Pfründen  übrigließ,  wurde  ebenfalls  ausschließlich  von  der  Kurie  ver- 
liehen. So  zog  ein  täglich  sich  erneuernder  Strom  von  Bittstellern 
und  Stellenjägern  nach  Rom,  um  mit  allen  Mitteln  der  Bestechungs- 
kunst eine  Pfründe  zu  erlangen.  Die  Pfründenbettelbriefe  unter 
Clemens  VI.  füllen  allein  22  Foliobände  *).  Eine  solche  Reise  nach 
Rom  und  der  Aufenthalt  dort  kostete  viel  Geld,  nicht  weniger  die 
üblichen  Geschenke  und  Trinkgelder  vom  Kardinal  bis  zum  Türhüter, 
und  dazu  kamen  die  Taxen  für  Ausfertigung  der  Vcrleihungsurkunden. 
Die  Zucht  unter  der  an  der  Kurie  stets  fluktuierenden  Menge  war  schwer 
aufrecht  zu  erhalten;  die  Urkunden  geben  der  gelegentlichen  Be- 
merkung der  Reformation  Kaiser  Sigmunds  recht,  wenn  es  dort  heißt: 
Die  liegent  im  hof  und  verkriegent  in  veterlich  erb,  Etwen  so  stechent 
si  einander  ze  tod  oder  sie  schaffen,  es  zetund,  und  kommt  groß  übel 
davon  *).  Es  bildete  sich  eben  damals  an  der  Kurie  der  später  in  der 
Reformationszeit   bestgehaßte  Stand  der   Kurtisanen.     Manche   Päpste 


i)  Boehm,  a.  a.  O.  S.  168  und  173:  80  werdent  alle  ämter  am  hof  mit  kirchen 
atisgerichtet. 

2)  Haller,  a.  a.  O.  S.   170. 

3)  Boehm,  a.  a.  O.  S.   182. 

4)  Saaerland,  a.  a.  O.  S.  LVII. 

5)  Boehm,  S.  182. 


—     206     — 

erließen  zwar  strenge  Befehle,  sofort  wieder  abzureisen,  „aber  das 
System  war  stärker  als  der  beste  Wille"  '). 

Doch  auch  die  Pfründen,  die  an  der  Kurie  selbst  von  auswärtigen 
Bewerbern  erworben  wurden,  kamen  nur  zum  geringsten  Teil  an  den 
eigentlichen  Kurat-  und  Benefiziatklerus.  Die  meisten  davon,  und  zwar 
vor  allem  die  reichen,  waren  gleichsam  „in  festen  Händen",  d.h.  sie 
bildeten  die  regelmäßige  Besoldung  von  Universitätslehrern,  Dienern 
der  Kardinäle,  Bischöfe  und  weltlicher  Großen,*)  die  dann  trotz  der 
Übernahme  des  Benefiziums  und  ohne  sich  um  die  Residenzpflicht  zu 
kümmern,  am  Hofe  der  Gönner  weiterlebten;  denn  nur  um  das  bene- 
ficium  der  Pfründe  war  es  ihnen  zu  tun,  das  officium  überließen 
sie  wieder  den  Vikaren. 

Die  wenigen  übrigen  niederen  Pfründen,  die  in  die  richtigen  Hände 
des  niederen  Klerus  kamen,  waren  dagegen  so  sehr  mit  Unkosten  bei 
ihrer  Verleihung  durch  die  Kurie  verknüpft,  daß  sich  ihre  Inhaber 
wieder  auf  ungerechte  Weise  schadlos  halten  mußten.  Sie  verschafften 
•ich  zwei  oder  mehrere  dieser  niederen  kirchlichen  Stellen,  und  man 
nannte  diese  Vereinigung  Pluralität.  Auch  dieses  Unwesen  mußte 
die  Mietlingswirtschaft,  das  Vikariat,  zur  Folge  haben  und  die  Erfüllung 
der  Residenzpflicht  verhindern. 

Anders  stand  es  mit  den  Prälaten  und  Äbten.  Ihnen  kamen 
zwar  auch  Pfründen  und  Würden  infolge  der  mit  der  Verleihung  ver- 
bundenen Unkosten  ')  hoch  zu  stehen,  sie  konnten  aber  doch  die  Last 
wiederum  auf  andere  abwälzen,  freilich  auf  keine  anderen  Schultern 
als  auf  die  des  Volkes  und  des  niederen  Klerus.  Wie  schwach  aber 
die  Schultern  gerade  des  letzteren  waren,  wird  sich  unten  zeigen.  Je- 
doch keine  Unsitte  in  dem  Pfründenwesen  bedrohte  die  Existenz  des 
Seelsorgerklerus  mehr  als  die  Inkorporation  von  Pfarrstellen  in 
Domkirchen  und  Klöster,  wodurch  das  Einkommen  eines  Domherrn 
oder  eines  Abtes  erhöht  zu  werden  pflegte.  Wie  beliebt  dieses  Ver- 
fahren um  die  Wende  des  Mittelalters  war,  zeigen  für  das  Rheinland 
z.    B.    die    Urkunden,    die    in    der    Übersicht    Über    den    Inhalt    der 

i)  Hmller,  a.  a.  O.  S.  171. 

2)  Vgl.  Saucrland,  a.  a.  O.  S.  LVII  and  LIX. 

3)  Nach  Saaerland,  S.  XLm  sind  deshalb  die  deutschen  Bistümer  im  XULand  XIV. 
Jahrhundert  so  verschnldet.  So  kostete  dem  Erabischof  Walram  von  Köln  sein  Ersbitnms 
an  der  Kurie  4000  Golden.  Ganz  kraß  ist  der  von  Wid mann,  Gti^ichU  SalZ' 
b%irg8  I.  Bd.  (Gotha  1907)  S.  362—367  angeführte  FaU,  daß  die  Karie  den  Ersbischof  Ulrich 
einfach  faUen  ließ,  weü  er  die  Taxen  nichtentrichten  konnte  (1255— 1263).  Nach  Haller  ist  es 
im  XIV.  and  XV.  Jahrhundert  deshalb  Sitte  (S.  149)1  ^^  ß^^c*»  ^^^  <*"«  Ernennung  mm 
Bischof  die  Erlaubnis  zur  Aufnahme  einer  Schuld  verlangt  wird. 


—     207     — 

Jäeineren  Archive  der  Bheinpraving  mitgeteilt  sind  ^);  wie  verhaßt 
es  war,  zeig^  def  Unwille,  der  an  vielen  Stellen  der  Reformation  Kaiser 
Sigmunds  über  diese  Unsitte  zum  Ausdruck  kommt ').  Aber  auch  bei 
der  Inkorporation  mußte  wiederum  das  Vikariatswesen  Platz  greifen; 
<ler  Residenzpflicht  konnte  ebenfalls  unmöglich  genügt  werden. 

Was  verlangte  man  nun  von  Bewerbern  um  eine  niedere  kirch- 
liche Stelle  ?  Die  mittelalterliche  Kirche  stellte  theoretisch  nur  geringe 
Anforderungen  in  bezug  auf  Alter  und  Bildung  der  niederen  Kleriker  •), 


i)  Leider  ist  (Ur  diesen  Zweck  nur  der  i.  Bd.  (Bonn  1899)  zq  benutzen,  dm  dort 
im  Register  anter  dem  Stichwort  Inkarpor(Uion  die  einzelnen  Fälle  zusammengestellt 
sind.  Im  2.  Bd.  (Bonn  1904)  ist  dies  bedauerlicherweise  nicht  der  Fall,  obwohl^  tat- 
sächlich manche  Inkorporation  erwähnt  ist.  Es  sei  hier  nur  anf  S.  113  diejenige  von 
-gleichzeitig  drei  Kirchen  in  die  mensa  der  Äbtissin  za  B.  Maria  im  Kapitol  in  Köln  (1330) 
erwähnt.  Aas  dem  i.  Bd.  sind  folgende  Einzelfälle  za  verzeichnen:  S.  17.  Inkorporation 
^er  Pfarrkirche  Widdersdorf  in  das  Kloster  Braaweiler  (1490).  —  S.  27.  Derselben 
Abtei  wird  die  Pfarrei  Bürgel-Zons  inkorporiert  (1361).  —  S.  47  f.  Eine  ganze 
Keihe  von  Inkorporationen.  —  S.  76.  Die  Kirche  za  Wickrath  wird  dem  Aagastiner- 
orden  za  Köln  inkorporiert  (1491),  ebenso  die  Kirche  za  Bedbarg  (1388.)  —  S.  82. 
Mehrere  Inkorporationen  (1251  ff.).  —  S.  136.  Erzbischof  Friedrich  von  Köln  bestätigt 
'die  Inkorporation  von  5  Pfarrkirchen  dem  Kapitel  za  Bonn  (1385).  —  S.  141.  Erz- 
l>ischof  Siegfried  inkorporiert  dem  Stift  Vilich  die  Pfarreien  Himmelgeist  and  Wittlaer 
<i29o).  —  S.  156.  Das  Kapitel  von  St.  Gereon  za  Köln  erhält  die  Einkünfte  der 
Pfarrei  von  Niederbachem  (1301).  —  S.  168.  Der  Archidiakon  zu  Bonn  gestattet  dem 
Xloster  Steinfeld,  seine  Pfarrei  Fritzdorf  mit  einem  geeigneten  Mönch  oder  Kanoniker 
«as  ihrer  Mitte  za  besetzen  (1295).  —  S.  179.  Erzbischof  Siegfried  inkorporiert 
4]ie  Pfarrei  Fritzdorf  dem  Kloster  Steinfeld  (1295).  —  S.  178.  Papst  Siztas  IV.  inkor- 
poriert die  Pfarrei  Flamersheim  dem  Zisterzienserkloster  Heisterbach  (1477).  —  S.  180. 
Erzbischof  Dietrich  inkorporiert  die  Kirche  za  Nettesheim  dem  Stift  St.  Kunibert  in 
Köln  (1428).  Demselben  Stift  wird  darch  Johannes,  Kardinal  und  Legat  des 
Jipostolischen  Stuhles,  die  Kirche  zu  Heimerzheim  inkorporiert  (1449).  —  S.  183.  Papst 
Innozenz  VIIL  inkorporiert  die  Pfarrkirche  zu  St.  Nikolai  zu  Kuchenheim  dem  Stift  St. 
Martin  zu  Kerpen  (1488).  —  S.  212.  Die  Pfarrei  ELsig  wird  dem  Dekanat  zu  Nideggen 
inkorporiert  (1357).  — 

Eine  ähnliche  Zusammenstellung  in  anderen  Provinzen  würde  eine  erschreckend 
^ofle  Zahl  der  durch  Inkorporation  in  Klöster,  Kapitel  und  Stifte  den  Pfarrern  enteigneten 
Pfarreien  ergeben!  Aber  dort,  wo  die  erfreulicher  Weise  ftberall  entstehenden  Samm- 
lungen von  Pfarrgeschichten  vorliegen,  läfit  sich  auch  leicht  statistisch  feststeUen,  wie 
-viele  der  1500  überhaupt  vorhandenen  Pfarrkirchen  noch  selbständig  waren. 

2)  Boehm  S.  164:  Ja  auch  klöster  und  sHfter  steUen  jetzt  den  hUrchen  nach 
und  kaufen  sie  oder  lassen  sie  sich  ifüsorporieren  ....  auch  die  domherm  müssen 
jfu  ihren  pfründen  noch  kirchen  haben. 

3)  Vgl.  Hefele,  Über  die  Lage  des  Klerus,  besonders  der  PfarrgeisiUehkeit 
4m  MittelaUer  in  der  Theolog«  Quartalschrift,  50.  Jahrgang   (Tübingen  1868),  S.  86  ff. 


—     208     — 

praktisch  war  sie  nachsichtig  fast  bis  zum  Unmöglichen.  Um  eine  Pfarrstelle 
erhalten  zu  können,  mußte  man  wenigstens  25  Jahre  alt  sein  *).  Setzte 
man  dieses  Alter  in  einzelnen  Provinzen,  z.  B.  auf  der  Wiener  Synode* 
von  1267,  bis  auf  18  Jahre  herab,  so  ging  man  bei  Benefizien. 
ohne  Seelsorge  —  für  sog.  Altaristen  oder  Meßpriester  im  Gegensatz 
zu  den  l^eutpriestem  —  noch  tiefer  herunter ;  man  begnügte  sich  z.  B. 
auf  der  Synode  zu  Ravenna  von  13 11  mit  15  Jahren,  ja  für  die  Über- 
nahme von  Kanonikaten  an  Kollegiatkirchen  genügten  12  Jahre.  Aber 
in  der  Praxis  wurden  auch  diese  milden  Vorschriften  namentlich  bei 
der  Präsentation  durch  den  Adel  mißachtet,  da  selbst  Knaben  auf 
Bischofstühle  gelangten  und  Benefizien  erhielten,  die  mit  Seelsorge 
verbunden  waren.  Selbstverständlich  hatten  diese  nur  die  Temporaliea 
im  Genuß;  die  Spiritualien  besorgten  wiederum  die  Vikare. 

Aber  auch  in  bezug  auf  die  wissenschaftliche  Ausbildung  dep* 
Kuratklerus  begnügte  man  sich  im  Mittelalter  mit  einem  unglaublichen 
Minimum.  Daher  die  vielen  Klagen  in  der  Publizistik  über  die  geringe 
Bildung  der  Geistlichen.  Eine  Kölner  Synode  von  1260  bestimmter 
daß  die  Geistlichen,  wenigstens  soweit  es  für  den  Gottesdienst  not-^ 
wendig  sei,  lesen  und  singen  verstehen  müßten;  zu  den  höheren 
Weihen  dürfe  nur  derjenige  zugelassen  werden ,  der  die  Grammatik 
verstehe  und  hinlänglich  Lateinisch  sprechen  könne*).  Als  dann  die 
Universitäten  zahlreicher  wurden,  wuchsen  die  Anforderungen.  So  be- 
stimmte die  Magdeburger  Synode  von  1390,  daß  Plebanen  (=  Leut- 
priester,  Pfarrer)  und  Kuraten,  deren  Einkünfte  es  erlauben,  30  Gulden 
jährlich  auf  Studien  verwenden  sollten,  um  drei  Jahre  lang  auf  der 
Universität  Theologie  und  kanonisches  Recht  zu  studieren.  Wenn  sie 
es  nicht  taten,  mußten  sie  die  betreffende  Geldsumme  an  den  Bischof 
bezahlen.  Aber  der  Vernachlässigung  dieser  Vorschriften  wurde 
geradezu  Vorschub  geleistet,  wenn  schließlich  Benefizien  erteilt  wurden 
unter  der  Voraussetzung,  später  innerhalb  einer  bestimmten  Frist  nach- 
träglich die  Weihen  empfangen  zu  können  *).  Damit  war  allerdings  der 
Umgehung  dieser  Bestimmung  Tür  und  Tor  geöffnet.  Auch  im 
XV.  Jahrhundert  wurde  an  der  Theorie  und  Praxis  der  Benifizien- 
Verleihung  so  gut  wie  nichts  geändert  *).  Im  Gegenteil,  die  Weihen 
wurden  häufig  gar  nicht  empfangen,  weil  die  Kurie  leicht  dis- 
pensierte;   die  Seelsorge   mußten   dann   wieder  Vertreter,  die  Vikare^ 

i)  Ebenda  S.  100. 

2)  He  feie,  Konzüiengeschichte,  6.  Bd.,  S.  51,  555,  624. 

3)  Vgl.  Sauerland,  a.  a.  O.  S.  LX. 

4)  He  feie,  Über  die  Lage,  S.  106.  * 


—     209     — 

besorgen.    Besonders  grassierte  der  Mißbrauch  unter  den  Prälaten,  die 
als   Fürstensöhne   schon  jung   ein  beneficium  als  Administratoren    er- 
hielten;   von   ihnen   führt   eine  leicht   erkennbare   Linie    zu    der  Ein- 
richtung   der     Administratoren    in    der    Reformationszeit.      Bei    der 
Massenverleihung  am  päpstlichen  Hofe  war  von  einer  Berücksichtigung 
auch  der  geringsten  Anforderungen   in  bezug  auf  Alter  und  Weihen- 
empfang nicht  die  Rede ;  die  Verleihung  war  dort  eine  bloße  Formalität, 
sobald  die  geforderte  Summe  gezahlt  oder  in  genügender  Weise  sicher- 
gestellt war.   Ja  die  Bestimmungen  über  Alter,  Bildung  und  Residenz- 
pflicht für  ein  Kuratbenefizium  scheinen  gerade  dazu  erlassen  worden, 
zu  sein,  um  davon  bei  der  Kurie  liir  Geld  Dispens  erwirken  zu  können- 
Dieser  Mißbrauch  erreichte  unter  Clemens  V.  (1305 — 14)  seinen  Höhe- 
punkt.     Ein   besonders   drastisches  Beispiel  sei  nach   Sauerland  *)  an 
geführt.      Auf    Grund    einer    noch    erhaltenen    Bittschrift    des    König 
liehen  Rates  Nikolaus   von  Gymnich   an  Papst   Clemens  VI.   stellt  er 
folgendes  fest:  „Als  siebenjähriger  Knabe  war  Nikolaus  von  dem  Patron 
der  luxemburgischen  Pfarrei  Liebenborn  für  diese  präsentiert  und  dann 
von  dem  zuständigen  Archidiakon  auch  in  den  Besitz  eingewiesen  worden. 
Man  hatte  für  ihn  einen  Vikar  beschafft,  der  sich  verpflichtete,  dem  Knaben 
die  Pfarreinkünfte  im  Jahresbetrag  von  25  Königsgulden  zu  überlassen 
und  sich   ,mit  gewissen  anderen  Erträgen*  zu  begnügen.    Acht  Jahre 
später  hatte  ihm  ein  anderer  Laienpatron  noch  eine  zweite  und  bessere 
Pfarrei    in    seiner   kölnischen    Heimatdiözese    verschafft,    für    welche 
wiederum   ein  Vikar  beschafft  wurde,   der   ihm  die  Pfarreinkünfte  im 
Betrage  von  30  Königsgulden  überlassen  mußte.     Wiederum  11  Jahre 
später   hatte   ihm   ein    anderer  Laienpatron   noch   eine  dritte  und  viel 
fettere  Pfarrei  in  Luxemburg  verschafft,  die  ihm  jährlich   100  Königs- 
gulden eintrug."    Dazu  gelangte  er  noch  in  den  Besitz  einer  Kanoni- 
katspfründe    mk   derselben  Rente.      „Jetzt  im   Alter    von   mindestens 
34  Jahren  befand  er  sich  im  Dienste  des  deutschen  Königs  Karl  IV. 
und  war  von  diesem  als  Botschafter  an  die  Kurie  entsandt.    Dort  be- 
nutzte er  die  günstige  Gelegenheit,  um  den  Papst  um  Rehabilitierung  in  die 
beiden   zuletzt  erworbenen  Pfründen  und  um  Schenkung  der  kirchen- 
rechtswidrig genossenen  Pfarreinkünfte   zu  bitten",    nachdem    er    die 
beiden  minder  einträglichen  Pfarreien  schon  vorher  aufgegeben  hatte. 
Qemens  VI.  willfahrte  seinem  Wunsche,  ,*,  ohne  diesmal  wie  bei  anderen 
ihn  zur  Zahlung  einer  Geldsumme  an  die  päpstliche  Kammer  als  an- 
geblicher Beisteuer  zum  Türkenkriege  zu  verpflichten.     Nikolaus   war 
bis  jetzt  noch  ohne  Weihen  und  hatte  auch  niemals  Residenz  in  einer 

1)  S.  LXVU. 


—     210     — 

der  drei  Pfarreien  gehalten/*  Er  verblieb  auch  weiter  im  Dienste  des 
Königes.  „Auf  seine  Bitten  gestattete  ihm  der  Papst  Unterlassung 
der  Residenzpflicht  und  des  Weihenempfangs  noch  für  die  nächsten 
drei  Jahre." 

Abgesehen  davon,  daß  diese  Urkunde  die  oben  gerügten  Mißstände 
grell  beleuchtet,  gibt  sie  zugleich  noch  über  eine  andere  Schattenseite 
des  Pfründenerwerbs  Aufschluß.  Die  kirchenrechtlichen  Bestimmungen 
konnten  ohne  jede  päpstliche  Dispens  überschritten  werden,  weil  die 
Unterlassung  gar  nicht  zur  Kenntnis  des  päpstlichen  Stuhles  gelangte. 
Archidiakonen  und  ihre  Bischöfe  hatten  eben  die  nachlässige  Hand- 
habung der  Kirchengesetze  von  dem  Oberhaupt  der  Kirche  gelernt. 
Wurde  die  Überschreitung  schließlich  im  einzelnen  Falle  einmal  der 
Kurie  bekannt,  so  erfolgte  sogar,  wie  soeben  gezeigt  wurde,  noch  nach- 
träglich und  zwar  gewöhnlich  für  Geld  Dispens,  und  derselbe  unerlaubte 
Zustand  wurde  auf  weitere  Jahre  durch  dieselbe  Dispens  verlängert. 
Daß  durch  eine  derartig  gehandhabte  Dispensierung  das  ganze  Kirchen- 
recht über  die  Pfründenverleihung  umgeworfen  werden  konnte,  ist  klar; 
daß  dies  wiederholt  geschah,  zeigen  die  Urkunden.  Der  aktenmäßig 
feststehende  große  Umfang  dieses  Unwesens  klingt  deutlich  aus  dem 
WiderwUlcn  der  Reformation  Kaiser  Sigmunds  heraus,  die  wiederholt 
das  leichtfertige  Dispensieren  geißelt  *).  Jedenfalls  hatte  gerade  der 
niedere  Klerus  am  meisten  darunter  zu  leiden,  indem  ihm  durch  alle 
erteilten  Dispense  und  alle  Fälle,  in  denen  solche  von  Rechts  wegen 
hätten  erteilt  werden  müssen,  das  ihm  zustehende  Einkommen,  der 
volle  Ertrag  der  Pfründe,  vorenthalten  wurde.  Der  Stand  der  Seelsorger, 
für  den  kein  ausreichender  Nahrungsspielraum  mehr  vorhanden  war, 
besaß  keine  Lebensfähigkeit  mehr.  An  seiner  Stelle  überwucherte  der 
minderwertige,  weil  mit  geringeren  Einkünften  sich  beg^nügendc  Stand 
der  Hilfsgeistlichen,  der  Vikare;  vicarius perpetuus  oder  redar  lautet  der 
Ausdruck.  *)  So  hatte  die  Kurie  durch  ihre  systematische  Entrechtung  der 
Ordinarien,  d.  h,  derer,  die  von  Rechts  wegen  die  Pfründe  an  geeignete 
Personen  verleihen  sollten,  unter  teils  usurpierten,  teils  in  überspannter 
Weise  geltend  gemachten  Rechtstiteln  —  wie  Reservationen,  Expek- 
tanzen,  Provisionen  und  Inkorporationen  —  den  Pfarrklerus  geradezu 
exproprüert,  seiner  Pfründen  enteignet.  Da  konnte  es  denn  nicht  aus- 
bleiben,  daß   die  auf  diese  Weise  Enterbten    ihre    anderen  Erwerbs- 


i)  Boehm,  a.  a.  O.  S.  176  und  179. 

2)  Beide  Worte  finden  sich  für  dieselbe  Person,  die  eine  Pfarrkirche  verwaltet, 
£.  B.  1392  in  den  Annahn  des  historiaehen  Vereins  für  den  Niederrhein  76.  Heft 
(1903),  S.  42  Nr.  237.     Aach  deservitor  (ebenda  S.  87  Nr.  26,  1425)  kommt  vor. 


—     211     — 

quellen  möglichst  auszunutzen  suchten,  d.  h.  daß  sie  sich  bemühten, 
diese  um  so  reichlicher  fließen  zu  lassen,  je  weniger  sie  der  ihnen 
zugehö'renden  Pfründen  teilhaftig  wurden.  So  behält  der  Verfasser  der 
Reformation  Kaiser  Sigmunds  vollkommen  recht,  wenn  er,  wie  oben 
angeführt  wurde,  sagt,  Simonie,  das  ist  soviel  als  Wucher,  sei  zuerst 
„aufgestanden"  im  Hofe  des  Papstes  und  habe  so  den  ganzen  geistlichen 
Stand  vergiftet. 

Aber  keine  Anklageschrift  hat  das  ganze  System  besser  getroffen, 
als  das  Pamphlet,  das  während  der  Zeit  des  Konstanzer  Konzils 
entstand ,  Passio  in  Romana  curia  secundum  aurum  et  argentum  *). 
Sind  auch  die  Einzelzüge  dieser  Schrift  derb  sarkastisch,  so  ver- 
dient sie  dennoch  in  diesem  Zusammenhang  einmal  ganz  vor- 
geführt zu  werden.  Es  heißt  da :  In  ttto  turbine  dixit  Dominus  papa 
cardinaiibus  suis:  quando  venu  fUius  hominis  ad  sedem  maiesUUis 
vestrae,  dicite  ei:  amice  ad  quid  venisti?  At  iUe  diu  morans  et  nihil 
dans:  eicite  eum  foras  ad  tenehras  exteriores.  Cardinales  vero  dixeruni: 
domine,  quid  faciamus,  ut  pecuniam  possideamus?  Dominus  papa  vero 
dixit:  quomodo  legitis?  Nonne  scriptum  est,  düiges  aurum  et  argentum 
ex  toto  corde  tuo  et  divitem  sicut  te  ipsum?  Et  hoc  facite  in  meam 
commemorationem  et  vivetis  in  aetemum.  Et  tunc  venit  pauper  clericus 
ad  curiam  Romanam,  qui  oppressus  erat  ab  episcopo  suo,  et  damavit 
voce  magna  dicens:  Miseremini  mei,  miseremini  sattem  vos  ostiarii  domini 
papae,  quia  paupertatis  onus  tetigit  me,  peto,  ut  subveniatis  paupertati 
meae  et  miseremini.  At  Uli  dixerunt:  Quid  ad  nos,  paupertas  tua  sit 
tecum  in  perditUmem,  Tum  vero  pauper  clericus  ivit  ad  forum  et  vendidit 
dunicam,  peUicium,  gladium  et  capuceum,  Primo  dedit  cardinaiibus, 
secundo  ministris,  tertio  vero  ostiariis.  At  iUi  dixerunt:  Et  quid  haec 
inter  tantos?  Et  eiecerunt  eum  foras.  Et  flevit  amare.  Dominus  papa 
dixit:  Non  introibis  gaudium  domini  tui,  donec  reddideris  ultimum 
quadrantem.  Post  multum  vero  temporis  venit  dives  episcopus  impin- 
guatus,  incrassatus,  dilatatus,  qui  homicidium  fecerat  et  cum  eo  turba 
muUa.  Cardinales  autem  audientes,  quod  episcopus  venercU,  occurrerunt 
ei  dicentes  et  damantes:  Advenisti  desiderdbilis,  quem  exspectabamus  in 
hursis  nostris.  Tunc  episcopus  misit  eis  copiam  auri  et  argenti.  At 
iMi  dixerunt:  Hie  hämo  iustus  et  sandus  est  non  sictd  ceteri,  qui  spem 
non  habent.  DomintiS  papa  vero  dixit:  Amice  ascende  superif4s  et  erit 
tibi  triplo  melius.  Et  sie  salvatus  est  homo  in  iüo  die.  *Unde  erunt 
^ivites  (nämlich  die  Bischöfe)  primi  et  pauperes  (nämlich  die  Kleriker) 


i)  Vgl.  V.  d.  Hardt,  i.  Bd.,  S.  498. 


—     212     — 

novissimi.  Quia  quantum  hohes,  tantum  vales.  Et  si  nihil  hahueris,  in 
gatidium  huiusmodi  non  intrabis. 

Die  beiden  übrigen  Erwerbsquellen  des  niederen  Klerus  waren 
Zehnten  und  Stolgebühren.  Zu  der  ersteren  Abgabe,  einer 
direkten  Besteurung  in  Naturalien,  war  das  Volk  unter  der  Strafe  der 
Exkommunikation  verpflichtet  *).  Aber  auch  dieses  Recht  wurde  dea 
Pfarrern  häufig  durch  die  adligen  Patrone  verkürzt,  ja  Bischöfe  ver- 
kauften oder  verpachteten  oft  den  Zehnten  an  adlige  Laien  *). 

Ein  weit  größerer  imd  gefährlicherer  Konkurrent  jedoch  erstand 
den  Pfarren  auf  diesem  Gebiete  in  den  Klöstern.  Abgesehen  davon, 
daß  diese  häufig  von  den  Ländereien  ihrer  abhängigen  Leute  den  der 
Pfarrkirche  schuldigen  Zehnten  nicht  entrichteten,  indem  sie  jene  oben 
gerügte  päpstliche  Dispens  vorgaben,  beeinflußten  sie  auch  das  Volk 
in  diesem  Sinne;  namentlich  die  Mendikanten  (Bettelmönche)  predigten 
öffentlich  gegen  das  Zehntrecht  des  Weltklerus.  Offenbar  sind  mit  den 
auf  dem  Baseler  Konzil  getadelten  scandala  erronea  ^)  der  Mendikanten 
gegen  die  Kuraten  jene  feindseligen  Äußerungen  der  Mönche  gemeint. 
Aber  nicht  etwa  aus  übertriebenem  Spiritualismus  tritt  das  Mönchtum 
dieser  Einnahmequelle  der  Pfarrer  entgegen,  sondern  aus  nacktem 
Konkurrenzneid.  Sie  suchten  vielmehr  den  Zehnten  an  sich  zu  bringea. 
Gegen  die  Bestrebungen  erhoben  sich  denn  auch  wiederholt  Synoden  *). 

War  diese  Erwerbsquelle  des  Pfarrers  sehr  stark  beeinträchtigt, 
so  war  die  zweite  und  letzte  sehr  unzuverlässig;  dazu  haftete  ihr  das 
Odium  des  Gfeschenkes,  des  Bettels,  ja  des  Sakramentenkaufs,  oder 
der  Simonie  an.  Es  sind  das  die  Stolgebühren.  Zuerst  wurden 
sie  von  der  Kirche  verboten^),  dann  geduldet,  und  in  beschränktem 
Maße  zugelassen.  Freiwillige  Geschenke  für  seelsorgerische  Hand- 
lungen wurden  nach  Vollzug  derselben  von  den  Pfarrern  angenommen, 
aber  jede  Forderung  von  solchen  Spenden  war  untersagt  ^).  Bald 
aber  erhielten  die  üblichen  Geschenke  durch  die  Gewohnheit ')  den 
Charakter  von  Gebühren.  So  sahen  sich  schließlich  die  Synoden  wie 
z.  B.  die  zu  Trier  von  1423  genötigt,  das  Maximum  der  Taxen  für 
Begräbnisse   und  Totenfeiern  (Exequien)   auf  zwölf  kleine  Turonenser 


i)  He  feie,  KonziliengeschichU,  5.  Bd.,  S.  78. 

2)  Hefele,   Über  die  Lage,  S.  93. 

3)  Monumenta  conciliarum  generalium  aaecuU  XV,  2.  Bd.  S.  700. 

4)  Hefele,  Konziliengeschichte,  6.  Bd.,  S.  216,  249,  560,  625. 

5)  Ebenda  5.  Bd.,  S.  229,  634,  803  and  6.  Bd.,  S.  96. 

6)  Ebenda  5.  Bd.,  S.  290,  803,  844,  960  and  6.  Bd.,  S.  246  and  433. 

7)  Wie  die  Reformation  K.  S.  sagt :  es  ist  jetzt  alles  in  gexDohnheit  gekommen^. 


—     213     — 

Solidi  festzusetzen,   wobei   aber  wieder  jedem  Mißbrauch  freier  Lauf 
;gelasseii  wurde  mit  der  gleichzeitigen  Bestimmung,  daß  da,  wo  höhere 
oder  niedere  Taxen    üblich   seien ,    diese   weiter   bestehen    sollten  *). 
Diese  Einnahmequelle  wurde  denn  immer  mehr  ausgebeutet,  so  daß  es 
schließlich  Sitte  wurde,  jede  seelsorgerische  Amtsfunktion,   auch  die 
.Sakramentenverleihung    und   die    Spendung  von  Sakramentalien,   nur 
unter  Hinterlegung  von  Gebühren  zu  vollziehen  *).    Diese  Gewohnheit 
^urde   dann   bald    mit   dem  Makel  belegt,   als  seien  die  Sakramente 
käuflich.    Die  Meinung  War  im  XV.  Jahrhundert  weit  verbreitet.     Auf 
den    großen    Reformkonzilien ')    wurden    wiederholt    Gegenmaßregeln 
gefordert.    Das  damals  geprägte  Stichwort :  graHs  ctccepistis,  gratis  date 
wurde  ein  Schlagwort;  mit  ihm  sollte  das  Unrecht  des  Sakramenten- 
kaufs gekennzeichnet  werden.    Auch  die  Reformation  Kaiser  Sigmunds 
verwertet  dieses   geflügelte  Wort  zu   demselben  Zweck*).     Aber  mit 
dieser  Abgabe,  die  bei  den  zahllosen  Gelegenheiten  geistlicher  Amts- 
handlungen in  damaliger  Zeit  bezahlt  wurde,  ist  die  Stelle  gefunden, 
wo  der  vom  Papst  ausgehende  Druck  der  Depossedierung  des  niederen 
Klerus  auf  einer  breiten  Basis  im  Volke  aufsaß.     Die  Empfindlichkeit 
dieses    Druckes   verschärfte    noch    die    Vorherrschaft   des    gläubigen 
Sinnes   im  Volke.     Aber  gerade   zum  wüstesten  Ärgernis   artete   der 
Mißbrauch  des  Stolgebührenwesens  aus,  als  auch  bei  dieser  Einnahme- 
quelle die  Mönche  in  die  denkbar  schärfste  Konkurrenz  mit  den  Pfarrern 
traten.    Von  ihnen  wurde  denn  dieser  Kampf  mit  größter  Leidenschaft 
und  allen  Mitteln  gekämpft,   wie   nur  immer  ein  Kampf  um  die  wirt- 
schaftliche Existenz   ausgefochten   zu   werden   pflegt.     Denn   das  war 
der  Streit  zwischen  Pfarrern  und  Mönchen,   der  schon   in  der  ersten 
Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  *)  begann  und  die  größte  Erregung  unter 
den   niederen  Klerikern   des  XV.  Jahrhunderts   hervorrief.     Auf  dem 


i)  Hefele,  Über  die  Lagt,  S.  iii. 

2)  Das  geht  aus  den  Verordnangen  kleinerer  Synoden  im  XV.  Jahrhundert  hervor, 
X.  B.  auf  der  Diözesansynode  zu  Salzburg  1420  heiflt  es:  die  hl.  Sakramente  und  andere 
geistliche  Sachen  müssen  frei,  ohne  vorherige  Übereinkunft  oder  Vertrag  gespendet  werden. 
Binterim  7.  Bd.,  S.  422.  Ebenso  in  Trier  1423.  Beim  Beichthören  soUen  nicht  wegen 
zu  erwartender  Geschenke  oder  wegen  Hoffnung  auf  Gewinn  kleinere  Bufien  auferlegt 
werden.  Ebenda  S.  456.  Auf  dem  Provinzialkonzil  zu  Mainz  1423  wurde  gefordert,  daß 
die  Priester  die  ihnen  reservierten  FlUe  nicht  feilbieten  und  keine  Geldsumme  sich 
versprechen  lassen  sollen.     Ebenda  S.  432. 

3)  MonumerUa  oonciliorum  (saec.  XV.)  generalium,  2  Bd.,  S.  691  und  693. 

4)  Boehm,  a.  a.  O.  S.   163. 

5)  Sauerland,,  a.  a.  O.  S.  LXXIII. 


—     214     — 

Konzil  zu  Basel  erreichte  dieser  Kampf  seine  akute  Höhe  ^)  und  löste 
sich  dann  in  nicht  minder  heftige  Einzelgefechte  auf  den  Provinzial- 
und  Diözesansynoden ')  auf.  Er  beginnt  mit  der  Einmischung  der 
Orden,  namentlich  dem  der  Mendikanten,  in  die  pfarramtlichen  Funk« 
tionen,  wie  Beichthören,  Sakramentespenden  und  Abhalten  von  Be- 
gräbnis und  Anniversarien.  Dieser  Vorstoß  ist  aber  nicht  aus  dem 
heiligen  Eifer  der  Mendikanten  für  die  Rettung  der  Seelen  unter- 
nommen worden,  sondern  nur  um  der  bei  genannten  Funktionen  zur 
Gewohnheit  gewordenen  Gebühren  willen.  Es  handelt  sich  also  um. 
einen  rein  wirtschaftlichen  Konkurrenzkampf  zwischen  Welt-  und 
Ordensklerus.  Die  Mendikanten  wußten  solches  Aufsehen  von  ihrer 
Sakramentenspendung,  namentlich  von  ihren  Begräbnissen  und  Jahres- 
gedächtnissen (Anniversarien)  zu  machen,  daß  sie  die  Laien  in  ihre 
Kirchen  lockten  •)  und  sie  zu  überreden  suchten,  bei  ihnen  sich  be- 
graben und  ihre  Totenfeier  halten  zu  lassen;  besonders  Adlige  suchten 
sie  dafür  zu  gewinnen  *).  Die  Reformation  Kaiser  Sigmunds  bestätigt 
das  Vorhandensein  dieser  Unsitte  vollkommen.  Deshalb  sehen  wir 
auf  diesem  Gebiete  den  heftigsten  Unwillen  gerade  unter  den  Laien, 
in  den  Städtegemeinden  im  XV.  Jahrhundert  rege  werden,  wo 
Bürgermeister  und  Rat  die  Abschaffung  der  Stolgebühren  wie  des 
Begräbnisses  und  der  Jahresgedächtnisse  fordern.  Auch  der  Verfasser 
der  Reformation  Kaiser  Sigmunds  stellt  als  Laie  dieselbe  Forderung 
und  begründet  sie  mit  dem  aufgeklärten  Gedanken :  Hetten  si  es  im 
kinden  oder  rechten  erben  gelassen,  es  war  versehenlich,  die  sele  fräuet 
sich  mer,  dann  also  *). 


i)  Monumenta  conciliorum  generaJium  (XV.  sacc.)  2.  Bd.,  S.  683  und  besonders 
S.  700  ff. 

2)  In  Nürnberg  und  an  anderen  Orten  der  Bamberger  Diözese  war  der  Kampf  so 
heftig,  daß  man  sich  gegenseitig  von  der  Kanzel  beschimpfte.  Binterim,  a.  a.  O.  7.  Bd. 
S.  247  ff.  zam  Jahr  1451.  Auch  der  Erzbischof  von  Mainz  weist  in  seinem  Ausschreiben 
zu  einem  Provinzialkonzil  an  den  Bischof  von  Augsburg  auf  die  falschen  Lehren  der 
Mendikanten  hin,  die  predigten:  Hat  jemand  außer  der  Pfarrei  eine  Begräbnisstätte 
gewählt,  so  braucht  er  dem  Pfarrer  die  Stolgebflhren  nicht  zu  geben.  Material  aus 
Köln  fiber  die  Begräbnisstätten  findet  sich  in  den  Urkundenregesten  der  Kölner  Pfarr- 
archive in  den  Annalen  des  historischen  Vereins  fUr  den  Niederrhein  76.  Heft  (1903), 
z.  B.  S.  157  Nr.  49,  141 1. 

3)  So  wird  auf  der  Provinzialsynode  zu  Salzburg  im  XV.  Jahrh.  heftig  geklagt,  daß 
die  Ordensgeistlichen  die  Pfarrkinder  anlocken  zur  Beichte  und  dadurch  den  Weltklerus 
schädigen,  daß  sie  sogar  notorische  Wucherer  in  ihrer  Kirche  bestatten.  Vgl.  Hefele, 
KoneiUengeschichU,  8.  Bd.,  S.  88  f. 

4)  Hefele,  Über  die  Lage,  S.  112. 

5)  Boehm  a.  a.  O.,  S.   189. 


—     215     — 

Namentlich,  in  Süd-  und  Westdeutschland  wurde  der  Kampf  sehr 
erbittert  gefuhrt.  Schon  1261  klagt  eine  Mainzer  Synode,  daß  die  Mönche 
sich  die  meisten  Güter  und  Einkünfte  verschafft  hätten,  so  daß  in  ihren 
Mund  der  ganze  Jordan  fließe  Gerade  die  reicheren  Kirchen  wußten 
sich  die  Klöster  einzuverleiben,  so  daß  es  in  Deutschland  schließlich 
nur  noch  wenige  Kirchen  gab,  von  deren  Einkünften  die  Geistlichen 
angemessen  unterhalten  werden  konnten  ').  Dieser  Tatsache  gibt  die 
Reformation  Kaiser  Sigmunds  einen  kräftigen  Ausdruck,  wenn  sie  sagt : 
IHe  Jdäster  haben  das  erdreich  inne. 

Auch  an  diesem  Überwuchern  des  Mönchtums  in  kirchlichem 
Amt  und  Besitz  tragen  die  Päpste  die  Schuld  durch  ihr  System  des 
leichtfertigen  Dispensierens.  Denn  wenn  die  Pfarrer  darauf  hinwiesen, 
daß  die  Mendikanten  die  Erlaubnis  zum  Beichthören  von  ihnen  haben 
müßten  und  wenn  sie  sogar  an  ihre  Ordinarien,  die  Bischöfe,  appellierten, 
da  versteiften  sich  die  Orden  auf  ihre  vom  Oberhaupt  der  ganzen 
Kirche  verliehenen  Dispense.  Die  Einsprüche  der  Bischöfe  blieben 
deshalb  wirkungslos  ').  So  erklärt  sich  denn  auch  der  neben  dem 
Kampf  des  Pfarrklerus  mit  den  Mendikanten  einhergehende  große 
Haß  der  Laien  des  XV.  Jahrhunderts  *)  gegen  das  Mönchtum.  Er 
war  ein  doppelter,  da  er  nicht  nur  gegen  die  Ausbeutung  des  Volkes 
seitens  der  Mendikanten  selbst  bei  kirchlichen  Funktionen  gerichtet 
war,  sondern  auch  weil  diese  Funktionen  als  Übergriflfe  zum  Nachteil  des 
pfarramtlichen  Wirkungskreises  empfunden  wurden.  Die  Laien  nahmen 
deshalb  um  so  rückhaltloser  Partei  für  die  Pfarrer.  Dieser  doppelte 
Haß  kommt  besonders  in  der  süddeutschen  Stadt  Augsburg  *)  zum 
prägnanten  Ausdruck  in  der  Reformation  des  Kaisers  Sigmund.  Der 
Verfasser  schiebt  die  ganze  Schuld  der  mönchischen  Übergriflfe  mit 
Recht  auf  die  päpstlichen  Dispense,  die  den  Orden  zu  reichlich  und 
leichtfertig  erteilt  worden  seien.  Er  fordert  deshalb,  ja  keinen  Mönch 
mehr  in  irgendein  kirchliches  Amt  zu  berufen.  Denn  sonst  würde 
der  Mönch,  wenn  er  Papst,  Kardinal  oder  Bischof  geworden  sei, 
sofort  wieder  seinen  Orden  dispensieren,  wie  in  der  Zunft  ein  Mitglied 


i)  Hefele,  KomViengeschichte,  6.  Bd.,  S.  67. 

2)  B Interim,  a.  a.,  S.  284  f. 

3)  Vgl.  Alt  mann,  W.Eberhard  Windekea  Denkwürdigkeiten  (1893),  S.  380: 
denn  die  almusen  doien  den  größten  schaden  tmd  machten  den  größten  krieg  in 
alien  deutschen  Landen.     Ebenso  S.  387  und  S.  398. 

4)  Oben  hörten  wir  schon,  wie  aktuell  der  Kampf  iwischen  Ordens-  and  Weltklems 
gerade  in  der  Mainzer  Kirchenprovinz  war,  za  der  Augsbarg  gehörte.  Vgl.  das  S.  214 
Anm.  2  mitgeteilte  Schreiben  des  Erzbischofs  von  Mainz  an  den  Bischof  von  Angsboig. 


—     216     — 

dem  anderen  helfe  ').  Sein  Haß  gegen  die  Orden  macht  den  Ver- 
fasser so  blind,  daß  er  das  Wort  ordines  seiner  Vorlage  wiederholt 
mit  „Orden**  übersetzt,  um  recht  oft  Gelegenheit  zu  haben,  heftig 
gegen  die  Orden  zu  polemisieren. 

Aber  nicht  genug  damit,  daß  der  Pfarrklerus  vom  Papste  um  seine 
Pfründe  gebracht,  von  den  Mendikanten  durch  heftige  Konkurrenz  in 
seinem  Einkommen  verkürzt  wurde,  er  ist  auch  zu  den  päpstlichen 
Abgaben,  zu  Annaten  und  Zehnten  herangezogen  worden.  Zum 
erstenmal  wurde  die  erstere  Abgabe-  13 16  von  Papst  Johann  XXII. 
der  Kölner  und  Trierer  Diözese  für  einen  Zeitraum  von  drei  Jahren 
auferlegt.  Danach  mußte  jeder,  der  ein  kirchliches  Bencfizium  von 
mindestens  30  Kammergulden  Wert  innerhalb  dieser  drei  Jahre  antrat, 
die  Hälfte  seines  Einkommens  an  den  Papst  zahlen  ^).  Daß  ein  so 
kapitalschwacher  Klerus  versagte,  ist  im  voraus  anzunehmen,  und  die 
Urkunden  bestätigen  das.  Der  Widerwille  des  Klerus  zeigte  sich  so- 
fort; der  Papst  mußte  sich  nach  der  ersten  Auflage  der  Annaten 
ihrer  Eintreibung  enthalten'),  und  bei  der  zweiten  Auflage  1344 
zahlten  nur  zwei  Pfründenempfänger  in  der  reichsten  und  größten 
Diözese,  Köln,  und  in  der  ganzen  Kirchenprovinz  Trier  war  es  nur  ein 
„verschwindend  geringer  Bruchteü**  der  Annatenpflichtigen,  die  ihrer 
Pflicht  nachkamen  *).  Papst  Clemens  VI.  hat  noch  schlimmere  Er- 
fahrungen mit  den  Annaten  gemacht.  Auch  unter  ihm  war  die  Summe 
der  Annatengelder  in  der  großen  Diözese  Trier  „sehr  gering**.  Ein 
päpstlicher  SubkoUektor  wäre,  nach  seinem  eigenen  Berichte,  ersäuft 
wor<Jen,  hätte  er  den  Auftrag,  die  Annaten  in  der  Trierer  Diözese 
einzusammeln,  wirklich  ausgeführt.  Als  dann  ein  „mächtiger  Herr** 
beauftragt  wurde,  gegen  alle  Säumigen  in  der  Trierer  und  Metzer 
Diözese  mit  Prozessen  vorzugehen,  wurde  auch  der  Bote,  der  die  Zu- 
stellungen besorgte,  angefallen,  der  Urkunden  und  einer  Hand  beraubt ; 
ein  anderer  Bote  wurde  sogar  erdrosselt  *).  Später  wagte  es  der  Erz- 
bischof überhaupt  nicht,  die  päpstlichen  Prozesse  anhängig  zu  machen  % 

Aber  auch  die  Auflage  des  2^hnten  stieß  bei  dem  niederen  Klerus 
auf  denselben  harten  Widerspruch.    Schon  früh,  bereits  beim  zweiten 

1)  Die  analoge  Deatang  der  Zanfl  wie  des  Ordens  als  parcialitas  weist  schon 
aaf  das  zünftisch  regierte  Augsburg. 

2)  Smuerland,  a.  a.  O.  S.  XLV  und  Kirsch,  Die  päpstlichen  KoUektorien  m 
Deutschland  während  des  XIV.  Jahrhunderts  (Paderborn  1894),  S.  33— i^S- 

3)  Sauerland  a.  a.  O.  S.  XLVI. 

4)  Ebenda  S.  XLVU. 

5)  Ebenda  S.  XLVIU. 

6)  Kirsch,  a.  a.  O.,  S.  195—196. 


—    217     — 

Konzil  zu  Lyon  (1274),  hatte  er  dieser  Abgabe  Schwierigkeiten  be- 
reitet *) ,  und  unter  Clemens  V.  verweigerte  sie  der  Klerus  der 
Trierer  Kirchenprovinz.  Der  Papst  hatte  auf  solche  Weise  etwa 
i  Million  Gulden  zusammengebracht,  die  zu  einem  großen  Kreuzzug 
verwendet  werden  sollten;  er  verlieh  sie  jedoch  an  die  Könige  von 
Frankreich  und  England.  Als  er  starb,  war  „das  Ende  ein  Skandal 
ohnegleichen**  *).  So  mußten  auch  die  Päpste  Johann  XXII.  und 
Clemens  VI.  wiederholt  von  der  Zahlung  des  Zehnten  wegen  der 
Weigerung  des  Klerus  Abstand  nehmen  *).  Im  XV.  Jahrhundert  gar 
wurde  der  Widerspruch  des  Klerus  gegen  das  päpstliche  Finansystem 
allgemein  und  noch  lauter.  Nachdem  man  schon  auf  dem  Provinzialkonzil 
<les  Erzbistums  Mainz  zu  AscbafTenburg  1455  entschieden  die  Herab- 
setzung der  Annaten  und  die  Ermäßigung  der  Taxen  an  der  Kurie  gefordert 
hatte,  ging  derselbe  Erzbischof  auf  der  Synode  zu  Frankfurt  noch 
fichärfer  vor :  infolge  des  wiederholt  geforderten  Türkenzehnten  klagte 
man  „über  die  finanzielle  Erschöpfung  der  deutschen  Kirche**.  Be- 
sonders übel  wurde  vermerkt,  daß  sogar  Kommissare  des  für 
Frankreich  bestimmten  Legaten  in  den  Diözesen  Trier,  Köln  und 
Metz  vom  Klerus  den  Türkenzehnten  forderten.  Es  wurde  deshalb 
dessen  Einsammlung  durch  päpstliche  Agenten  geradezu  verboten, 
von  den  Sprengein  selbst  übernommen  und  seine  richtige  Verwen- 
dung gesichert  *).  Der  Erzbischof  von  Mainz  erließ  sogar  ein  Dekret, 
das  jeden,  der  die  Mißbräuche  des  römischen  Hofes  begünstige,  seiner 
Stelle  und  Rechte  im  Sprengel  verlustig  erklärte.  Die  Kapitel  wurden 
ins  Vernehmen  gezogen;  Köln  und  Trier  stimmten  diesem  scharfen 
Vorgehen  zu;  „ein  förmlicher  Bund  gegen  Rom  wurde  organisiert***). 
Im  südlichen  Deutschland  gingen  die  Wogen  der  Empörung  nicht 
weniger  hoch,  nur  daß  sich  hier  der  alte  Unwille  gegen  den 
Regularklerus  noch  dazugesellte.  Der  von  Papst  Kalixt  III.  aus- 
geschriebene Türkenzehnte  trieb  auch  den  Salzburger  Klerus  zur 
Abwehr  gegen  Rom  auf  der  Provinzialsynode  von  1456.  Namentlich 
klagte  der  untersteirische  Klerus  über  die  ihm  aufgebürdeten  Lasten 
und  forderte  Schutz  gegen  die  das  Volk  allzusehr  an  sich  ziehenden 
Ordensleute  ^).   Die  in  Deutschland  allgemein  herrschende  Mißstimmung 

i)  Sftaerland  a.  a.  O.,  S.  L. 

2)  Vgl.  Haller,  a.  a.  O.,  S.  46. 

3)  Kirsch,  a.  a.  O.,  S.  183. 

4)  Hefele-Hergenröther,  KatmUengeschichU,  8.  Bd.,  S.  86. 

5)  Ebenda  S.  87. 

6)  Ebenda  S.  89. 

16 


—     218     — 

über  die  Regularen  und  den  Papst  fand  auch  ihren  Widerhall  auf 
dem  Frankfurter  Kurfiirstentag  von  1456.  Man  „erging  sich  hier  in. 
heftigen  Deklamationen  wider  den  römischen  Stuhl,  der  abermals  dea 
deutschen  Schäflein  das  Fell  über  die  Ohren  ziehen  wolle.  Dagegen^ 
müsse  man  entschieden  Appellation  einlegen,  die  Ablaßprediger  mit 
leeren  Händen  heimschicken,  die  päpstlichen  Nepoten  nicht  noclt 
mehr  bereichern"  '). 

Die  „zur  armen  Dienstmagd  erniedrigte "  Deutsche  Nation  schloß 
»» gegen  die  römischen  Übergriffe"  einen  förmlichen  Bund.  Damit 
hatte  die  antipäpstliche  Bewegung  in  Deutschland  während  des  XV^ 
Jahrhunderts  ihren  Höhepunkt  erreicht,  um  dann  im  XVI.  Jahrhundert 
mit  noch  größerer  Heftigkeit  wiedereinzusetzen.  Der  Petitionensturm  der 
cenium  gravamina  nationis  Oertnanicae  kennzeichnet  ebenfalls  den  Druck 
vom  römischen  Hofe  als  einen  noch  vorwiegend  finanziellen  *).  So  kann 
es  nicht  wundernehmen,  wenn  gerade  an  einem  Teil  der  finanziellen 
Ausbeutung,  dem  Ablaßinstitut,  die  Bewegung  Luthers  einsetzte. 

In  erster  Linie  war  es  also  die  durch  das  zentralistisch  geübte  Ver- 
leihungsrecht des  Papstes  herbeigeführte  Depossedierung  des  Kurat- 
klerus,  die,  wenn  auch  nicht  das  Vikariat  erst  ins  Leben  rief,  so  doch 
eine  Notlage    schuf,    durch    die    das   Anschwellen    des  Standes    der 
Hilfsgeistlichen   gefördert   wurde.     Erst   in   zweiter  Linie   kommt   die 
„Habsucht"  in  Betracht,  die  dem  kapitalistischem  Zeitgeiste  folgend 
zur  kirchlichen  Anstellung,  d.  h.  zu  einem  gesicherten  Einkommen  drängte^ 
Denn    die   Mobilisierung^  alles   Besitzes    entwertete    den    Grundbesitz. 
Deshalb  strebte  der  Adel,   namentlich    dessen   nachgeborene  Söhne,, 
nach  den  höheren  geistlichen  Ämtern  '),  der  Bauer  nach  den  niederen 
kirchlichen  Stellen.      Sebastian   Brant   sagt    deshalb    im   NarrenschiflT 
vom  Geistlichwerden,   daß  jeder  Bauer  jetzt  einen  Pfaffen   in   seiner 
Familie  haben  wolle,  der  sich  vom  Nichtstun  nähre  und  „Herr"  heiße. 
Die  meisten  dieser  Geistlichen   wurden  Vikare ,   die   den   eigentlichen 
Pfründenbesitzer    im    officium     vertraten.       Ihre    Lage    war    an    der 
Wende  des  Mittelalters  eine  klägliche.     Sie   läßt  sich   etwa  mit  dem 
„fliegenden  Zustand"  modemer  provisorischer  Hilfsbeamten  vergleichen^ 
nur  mit  dem  Unterschiede,    daß  jene   nicht   vorübergehend,   sonderii 


i)  Ebenda  S.  90. 

2)  Vgl.  A.  O.  Meyer,  Studien  zur  Vorgeschichte  der  Reformation  aus  eckU- 
sischen  Quellen  im  Historischen  Litbl.  XIV  (Mflnchen  1903),  S.  70  f. 

3)  Siebe  die   verdienstvoUe  Zosammenstellung   bei  Janssen-Pastor,    Geschichte 
des  deutschen  Volkes  i.  Bd.  (1897),  S.  689  ff. 


—     219     — 

ihr  Leben  lang,  wenn  auch  bald  hier,  bald  dort,  Vikare  blieben. 
Sozial  stand  der  damalige  Hilfsgeistliche  noch  viel  tiefer,  was  bei 
der  hohen  sozialen  Bewertung  gerade  des  geistlichen  Standes  im 
Mittelalter  doppelt  schwer  wiegt.  Der  Stand  trug  die  beiden  wich- 
tigsten Merkmale  des  Proletarischen  an  sich:  die  große  Anzahl  der 
Vikare,  also  Überschuß  an  Kräften,  und  ein  Hungereinkommen  ^). 

Es  besaß  z.  B.  die  Kirche  St.  Elisabeth  zu  Breslau  am  Ende  des 
XV.  Jahrhunderts  an  47  Altären  1 22  Altaristen,  zu  derselben  Zeit  wirkten 
in  der  St.  Magdalenenkirche  daselbst  an  58  Altären  1 14  Altaristen.  So 
waren  also  an  zwei  Kirchen  einer  nicht  allzu  großen  Stadt  236  niedere 
Kleriker,  die  nur  die  Messe  zu  lesen  hatten*).  In  einer  Pfarrei  war 
oft  für  ein  ganzes  Heer  von  niederen  Klerikern  dadurch  gesorgt,  daß 
es  da  Filialen,  Kapellen,  Oratorien,  Sazellen  und  Altäre  gab,  an  denen 
Kleriker  niederer  Ordnung  tmter  dem  Namen  capeUani  oder  aUaridae 
mit  meist  sehr  dürftiger  Dotation  angestellt  waren ').  Dazu  kamen 
die  Ratskapellen  in  den  stattlichen  Rathäusern,  die  Familienkapellen 
der  reichen  Patrizierhäuser  und  in  den  geräumigen  Stadtkirchen  sowie  die 
Zunftkapellen  der  zahlreichen  Zünfte.  Für  die  Altäre  aller  dieser  Bet- 
häuser gab  es  Altar-  und  Meßstiftungen  in  so  großer  Anzahl,  daß  sie 
Bedenken  erregten  *).  Wer  nicht  einen  Altar  allein  stiften  konnte, 
stiftete  ein  Altarlehen:  so  wurde  an  einem  bereits  vorhandenen  Altar 
ein  zweiter  Altarist  besoldet.  Überhaupt  kann  man  am  ausgehenden 
Mittelalter  eine  Legion  von  frommen  Stiftungen  beurkundet  sehen, 
wobei  wohl  die  große  Nachfrage  von  seiten  der  Kleriker  an  erster 
Stelle  das  ebenso  große  Angebot  von  seiten  der  Laien  hervor- 
gerufen hat 

Aber  die  Stellung  eines  Altaristen  hatte  eine  zweifache  Schatten- 
seite. Sie  beschäftigte  nicht  ganz  und  ernährte  nicht  vollständig  ihren 
Mann.  Man  bedenke,  daß  das  Tagewerk  eines  Altaristen  nicht  mehr 
als  2}  Stunde  mit  allen  seinen  geistlichen  Obliegenheiten  in  Anspruch 
nahm.  Der  Verdienst  war  deshalb  kärglich.  Er  trieb  den  Altaristen 
an,  mehrere  solcher  Stipendien  für  ein  und  denselben  Tag  anzunehmen. 
Da  aber  nach  kirchlicher  Vorschrift  ein  Priester  an  einem  Tage  nicht 
mehr  als  eine  Messe  feiern  darf,  erfand  man  die  häßliche  Verunstaltung 


i)  Vgl.  Falke,   An  der  Wende  des  XV.  Jahrhunderts  in  den  Historisch-poli- 
tiftcben  Blättern  112.  Bd.  (1893),  S.  545  ff. 

2)  Andere  Beispiele  ebenda  S.  549  und  550. 

3)  ürktmdtnbuch    der  mitUlrheinischen    Territorien   2.   Bd.    (Koblenz    1865), 
S.  CXXXV. 

4)  Grttnhagen,  Geschichte  Schlesiens  i.  Bd.,  S.  248. 

16* 


—     220     — 

dieser  Zeremonie ,  indem  man  missae  bifaciaiae  und  trifadaicte  las  ^). 
Der  erste  und  der  letzte  Teil  der  Messe  wurde  nämlich  dabei  nach 
der  Anzahl  der  Stipendien,  die  man  an  einem  Tage  erwerben  wollte, 
wiederholt,  während  der  Kanon,  der  Hauptteil  der  Messe,  nur  einmal 
gelesen  wurde.  Andere  hielten  auf  Kosten  der  abergläubischen  An- 
sicht, als  könne  man  Lebende  zu  Tode  beten,  eine  Totenmesse,  damit 
der  vom  Besteller  der  Messe  Ausersehene  bald  das  Zeitliche  segne  •). 
Auf  diese  Weise  mag  sich  noch  der  sittlich  bessere  Teil  der 
niederen  Kleriker  durchgeschlagen  haben.  Andere  von  leichtfertigerem 
Lebenswandel  verschmähten  diesen  kargen  und  ehrlichen  Gewinn,  sie 
gingen  im  Strudel  des  Weltgetriebes  unter.  „Sie  traten  in  die  Dienste 
von  Laien,  wurden  ihre  Schreiber  und  Beamten  •),  wohl  auch  eine  Art 
Kammerdiener  der  gnädigen  Frauen,  deren  Jagdfalken  sie  besorgten. 
Wieder  andere  trieben  sich  als  Possenreißer  und  Spaßmacher  im  Lande 
herum ,  oder  wanderten  als  clerid  vagabundi  von  Kirche  zu  Kirche, 
um  irgendwo  auf  einige  Wochen  oder  Monate  Stellung  zu  erhalten."  *) 
Die  Kirche  versuchte  auch  den  „fliegenden  Zustand"  abzuändern,  in- 
dem sie  vorschrieb,  nur  einen  vicarit48  perpetuus,  also  einen  definitiv 
angestellten  Vikar  mit  einer  hinreichenden  Quote  des  Einkommens  zu 
berufen*).  Aber  auch  hier  war  „das  System  stärker  als  der  Wille". 
So  gaben  sich  andere  Kleriker  mit  Wuchergeschäften  oder  mit 
Wirtschaft^)  und  mit  Weinhandel  im  großen  und  kleinen  ab,  oder 
sie  verlegten  sich  auf  die  Landwirtschaft,  so  daß  man  sie  von  den 
Bauern  nicht  mehr  unterscheiden  konnte ') ,  oder  sie  arbeiteten  als 
Metzger,  Gerber,  Schuster  und  dgl.  Vornehme  fungierten  als  Rechts- 
anwälte, Ärzte  und  Wundärzte,  einzelne  sogar  als  Kanzler  und  Minister 
der  Fürsten,  von  denen  zu  schweigen,  die  Spielhöllen  und  Bordelle 
unterhielten.      Nicht  wenige   waren  auch    als   Gerichtsschreiber   tätig, 

i)  Vgl.  A.  Franz,  Die  Messe  im  deutschen  Mittelalter  (Freiburg  190a),  S.  77. 

2)  He  feie.  Über  die  Lage,  S.  117. 

3)  Hefele,  Über  die  Lage,  S.  113  f. 

4)  Sogmr  zun  Küchenpersonal  der  Hamburger  Gesandtschaft  zu  Avignon  gehörten 
Kleriker,  die  von  hier  aus  als  höchstes  Lebensziel  eine  Vikarie  erwarteten.  VgL 
Th.  Schrader,  Die  Bechnungsbücher  der  hamburgiscJien  Gesandten  in  Ävignon 
1338—1355  (Leipzig  1907),  S.  48*  f.  Auf  der  Synode  zu  Augsburg  1355  wird  darttber 
geklagt,  daß  an  einigen  Orten  die  Vikare  weniger  Lohn  erhalten  als  die  Viehhirten 
(Binterim  a.  a.  O.  6.  Bd.,  S.  298). 

5)  Binterim  a.  a.  O.  7.  Bd.,  S.  225,  auf  der  Salzburger  Sjnode  von  1440  verboten, 
und  ebenso  1420  (S.  428). 

6)  Ebenda  S.  420  und  S.  453. 

7)  Deshalb  wurde  wiederholt  von  Synoden  eingeschärft,  daß  die  Kleriker  geistliche 
Tracht  haben  sollten.     Ebenda  S.  421,  431,  452  und  474  f. 


—     221     — 

obgleich  die  Kirchengesetze  nicht  bloß  die  direkte  Teilnahipe  an  Blut- 
urteilen,  sondern  selbst  jede  indirekte,  und  namentlich  auch  das  Nieder- 
schreiben und  Abschreiben  der  Bluturteile  den  Geistlichen  verboten'*. 
So  konnte  Sebastian  Brant  in  seiner  derbsarkastischen  Weise  mit 
Recht  von  den  niederen  Geistlichen  sagen: 

Kein  anner  vid^  auf  erden  ist, 
Denn  priesterschaft,  der  narung  gebrist. 
Ein  so  verachteter  und  so  gering  auch  finanziell  eingeschätzter 
Stand  mußte  selbstverständlich  die  Selbstachtung  leicht  verlieren. 
Schon  im  ersten  Drittel  des  XIII.  Jahrhunderts  soll  es  in  der  Trierer 
Kirchenprovinz  mit  dem  Priesterkonkubinat  arg  bestellt  gewesen  sein  ^). 
Im  XIV.  Jahrhundert  gar  findet  Sauerland  aus  den  Urkunden  einen 
„massenhaft  erscheinenden  Konkubinat  der  Priester".  Im  Jahre  1335 
unter  Papst  Benedikt  XII.  erhielten  207  Bittsteller  Dispense  super 
defectu  neUaiium,  von  denen  14S  de  presbytero  et  soluta  geniti  waren. 
Im  ersten  Pontifikatsjahre  Clemens'  VI.  betrug  die  Zahl  derartiger  Bitt-> 
steiler  sogar  614,  von  denen  484  de  preshytero  geniti  waren.  Aber 
die  angeführten  Zahlen  betreffen  nur  diejenigen  Klerikerkinder,  die  sich 
wiederum  dem  priesterlichen  Stande  widmeten;  die  Zahl  der  Priester- 
kinder überhaupt  muß  noch  viel  größer  gewesen  sein.  Im  XV.  Jahr- 
hundert nahm  das  Übel  noch  zu.  So  beschäftigten  sich  die  Provinzial- 
und  Diözesansynoden  fast  regelmäßig  mit  dieser  Frage ').  Einige  er- 
örterten sie  sehr  eingehend,  indem  sie  Geistliche  und  Benefiziaten  auf- 
forderten '),  innerhalb  einer  bestimmten  Frist  ihre  Konkubinen  zn  ent- 
lassen, sonst  würden  sie  suspendiert.  Auch  beschäftigte  man  sich 
eingehend  mit  den  Kindern  der  Konkubinarier  *).  Schon  hatten  die 
großen  Reformkonzilien  zu  Konstanz  ^)  und  Basel  sich  mit  dieser  heiklen 
Frage  mehrfach  beschäftigt.  In  Basel  erhoben  sich  sogar  Stimmen  •), 
welche  die  Abschaffung  des  Zölibats  forderten,  unter  anderen  war 
sogar  Kaiser  Sigmund  dafür  ^).  Eigentümlicherweise  tritt  auch  die 
unter  seinem  Namen  erschienene  Reformschrift  warm  für  die  Priester- 


1)  Vgl.  für  das  Folgende:  Saaerland  a.  a.  O.  S.  LXDC  nnd  LXX. 

2)  Binterim  a.  a.  O.,  Air  Saliburg  S.  228,  419  und  500,  für  Mainz  S.  44if  ^^9^ 
für  Köln  S.  482. 

3)  Ebenda  für  Trier  S.  451. 

4)  Ebenda  fUr  Trier  S.  451,  fttr  Köln  S.  457. 

5)  Zabarella  zweifelte,  ob  man  nicht  den  Priestern  die  Ehe  gestatten  soUe.    Vgl. 
V.  d.  Hardt  i.  Bd.,  S.  525. 

6)  Vgl.  Zimmermann,  A.,  Die  IdTMiehen  Verfcasw^skämpfe  im  XV,  Jahr' 
hunStft  (1882),  S.  106. 

7)  Ebenda. 


—     222     — 

ehe  ein.  Jedenfalls  war  die  Elrörtening  dieses  Themas  im  XV.  Jahr- 
hundert sehr  beliebt  und  gehörte  wohl  zum  Tagesgespräch,  zumal  da- 
durch die  damals  wieder  lebhafter  geführten  Verhandlungen  wegen  einer 
Union  mit  den  Griechen  der  Brauch  der  orientalischen  Kirche  dem 
Abendlande  nähergerückt  war.  In  der  Tat  bezieht  sich  die  Reformation 
Kaiser  Sigmunds  gerade  auf  die  orientalische  Kirche,  um  die  Priester- 
ehe zu  empfehlen  *).  Die  Macht  der  Gewohnheit,  die  bei  der  Unsitte 
des  Konkubinats  bereits  eingerissen  war,  erwies  sich  so  stark,  daß 
manche  Priester  offen  erklärten:  ihre  Konkubinen  nicht  für  ein  Menschen- 
leben entlassen  zu  wollen  ').  Die  kanonischen  Strafen  waren  frucht- 
los, zumal  da  manche  Bischöfe  das  Konkubinat  gegen  eine  bestimmte 
Abgabe,  die  Konkubinatssteuer,  gestatteten.  Mit  Recht  findet  es  des- 
halb die  Reformation  Kaiser  Sigmunds  sehr  verabscheuungswürdig, 
daß  Bischöfe  sogar  aus  den  Fehltritten  des  niederen  Klerus  zeitlichen 
Gewinn  ziehen ;  st  varent  ssu  und  schickend  progessen  heut  über  diepriester, 
daß  si  nit  junkfrauen  nemen  oder  dienstmagd  haben.  Si  gebieten  bei 
hohen  bennen,  die  priester  lassens  daruwib  nickt,  si  werdent  bennig. 
Der  bischof  nimpt  gdd  '). 

Aber  das  klerikale  Proletariat  wurde  im  XV.  Jahrhundert  durch 
religiöse  Genossenschaften  noch  vermehrt.  Es  waren  das  Anhänger 
der  sog.  dritten  Regel  des  hl.  Dominikus,  Franziskus  und  Augustinus. 
In  Wirklichkeit  folgten  diese  keiner  Regel  und  bestanden  vielfach  aus 
abenteuerlichen  Haufen  beiderlei  Geschlechts.  Sie  hatten  auch  Priester 
in  ihren  Reihen,  die  von  ihren  Anhängern  unterstützt,  der  besseren 
Geistlichkeit  durch  ihre  Predigten  und  andere  geistliche  Verrichtungen 
neue  Verlegenheiten  bereiteten.  Dazu  schadeten  z.  B.  die  sog. 
fratres  spirituales,  auch  frcUriceUi  genannt,  den  Orden,  indem  sie  oft 

i)  Boehm,  a.  a.  O.  S.  187. 

2)  V.  d.  Hardt,  i.  Bd.,  S.  428  and  Gersoo,  Opera,  I,  18.  Über  die  Zanahme 
der  geistlichen  SittlichkeitsTergehen  geben  auch  die  Rechnungen  des  Kölner  Offizial« 
gerichts  nnzweideatigen  Aafschloß.  Die  Zahl  der  behandelten  Fälle  de  correetionüms  ei 
excessibus  betmg  im  Rechnungsjahr  1495:  19,  1499:  16,  1515:  87,  wovon  aUerdings 
nur  38  auf  Geistliche  faUen.  Davon  gehört  die  Mehrsahl  dem  Gebiete  der  geschlecht- 
lichen Exzesse  an,  andere  gehören  zum  Wirtshaosbesnch.  Vgl.  Annalen  des  historischen 
Vereins  fttr  den  Niederrhein,  65.  Heft  (1898),  S.  i$$. 

3)  Boehm  S.  x8i  und  187.  Nach  den  eben  genannten  Rechnungen  waren  die 
Strafgelder  fUr  fleischliche  Vergehen  der  GeistUchen  oft  reckt  hoch.  Anoalen  des 
historischen  Vereins  für  den  Niederrhein  6$.  Heft  (1898)  S.  168,  Nr.  17,  19  und  S.  179, 
Nr.  12  und  S.  180,  Nr.  16,  17.  Überhaupt  ist  die  Steigerung  der  Einnahmen  aas  den 
behandelten  FSUen  de  eorreetionibue  et  exceesSbue  bemerkenswert,  fttr  149$:  141  fl-  6^, 
1499:  100  fl.  8/9  6  <f  und  ftir  1515:  258  fl.  7/9,  so  daß  nur  die  Einnahmen  aas  Be* 
Siegelungen  mit  304  fl.  8/9  10  <f  noch  höher  waren.     Ebenda  S.  156. 


—     223     — 

<lie  wirklichen  Franziskaner  aus  ihren  Klöstern  vertrieben  und  sie  in 
Beschlag  nahmen.  Mehrfach  haben  sie  Päpste,  wie  Martin  V.  (1426), 
Nikolaus  V.  (1447)  zu  unterdrücken  versucht  ^).  Eine  Konstanzer 
Synode  von  1463  erließ  Verordnungen  gegen  eine  andere  religiöse  Ge- 
nossenschaft, gegen  die  Begharden  oder  LoUarden  und  Begutten  ^), 
sonst  auch  Beghinen  genannt.  Sie  waren  vielfach  Laienpersonen,  ver- 
heiratet und  lebten  ohne  klösterliche  Regel  und  Klausur  in  der  Welt. 
Zum  Zeichen  ihrer  Zugehörigkeit  zu  einem  sogenannten  dritten  Orden 
•diente  nur  ein  Skapulier,  das  sie  trugen.  Ein  großer  Mißbrauch 
scheint  mit  dieser  Einrichtung  getrieben  worden  zu  sein,  da  Papst 
Nikolaus  V.  1453  befahl,  daß  die  Landdechanten  untersuchen  sollen, 
auf  Grund  welches  Ordens  oder  Privilegiums  einzelne  die  Ska- 
puliere  trügen ').  Das  größte  Ärgernis  erregten  diese  halb  geist- 
lichen halb  weltlichen  Genossenschaften  durch  ihre  unverschämte  Art 
des  Bettelns.  Deshalb  verbot  derselbe  Papst,  den  starken,  arbeits- 
fähigen Lollarden  Almosen  zu  geben.  Aber  die  Art  tmd  Weise, 
-wie  sie  die  Almosen  den  Gläubigen  abpreßten,  schädigte  wiederum 
niemand  mehr  als  den  niederen  Klerus.  Sie  boten  nämlich  dafür 
Ablässe  feil,  boten  Gelübde  an  und  mischten  sich  so  in  die  Seelsorge 
•des  Kuratklerus.  Wenn  aber  das  Almosensammeln  in  jener  Zeit  den 
Gläubigen  ^)  besonders  verhaßt  war,  so  trug  gerade  das  Unwesen,  das 
sich  durch  das  massenhafte  Betteln  solcher  religiöser  Genossenschaften 
neben  dem  der  Bettelmönche  breitmachte,  die  größte  Schuld  daran. 
So  werden  denn  wiederholt  auf  Partikularsynoden  des  XV.  Jahrhunderts 
scharfe  Verordnungen  gegen  das  überhandnehmende  und  unbefugte 
Almosensammeln  erlassen«  Am  deutlichsten  lassen  die  Beschlüsse 
des  ProvinzialkonzUs  zu  Trier  1423  die  Exzesse  erkennen.  Es  heißt 
-dort:  „Um  die  fortwährenden  Exzesse  der  Almosensammler  zu  heben, 
die  auf  allerhand  neue  erdachte  Weisen  die  Armen  zu  betrügen  und 
von  ihnen  Almosen  durch  listige  Vorspiegelungen  zu  erzwingen  suchen, 
indem  sie  bald  Ablässe  versprechen,  bald  gewisse  Krankheiten  und 
Plagen  von  den  Heiligen,  in  deren  Namen  sie  Almosen  begehren, 
androhen  und  durch  andere  Betrügereien  *)  das  einfaltige  Volk  ver- 
leiten" .  .  .,  so  wird  verordnet,  „daß  kein  Laie  als  Almosensammler 


1)  Vgl.  Binterim  a.  a.  O.  7.  Bd.,  S.  285. 

2)  Ebenda  S.  286. 

3)  Ebenda  S.  314. 

4)  Vgl.  die  S.  215  Anm.  3  angeführte  Stelle  ans  Eb.  Windeckes  DefikwürdigkeiUn, 

5)  Ebenda  S.  31$. 


—     224     — 

angfestellt  werde"  *).  „Es  ist  uns  zu  Ohren  gekommen*),  daß  einige 
Sammler  eigenmächtig  dem  Volke  Ablässe  gestatten,  von  Gelübdeo 
dispensieren,  von  Sünden  lossprechen,  entwendete  Sachen,  wenn  ihnen 
ein  Teil  davon  gegeben  wird,  eigenmächtig  überlassen,  oder  den  dritten 
und  vierten  Teil  der  auferlegten  Buße  nachlassen,  drei  oder  mehr  Seelen 
aus  dem  Fegfeuer  ziehen,  wenn  ihnen  ein  Almosen  gegeben  wird.**  •) 
Durch  diese  mit  der  geistlichen  Seelsorge  konkurrierende  Betätigung- 
von  Personen  mit  „geistlichem  Schein**  und  Wesen  wurde  wiederum 
dem  Einkommen  des  eigentlichen  Klerus  empfindlicher  Abbruch  getan 
und  dadurch  wurden  wieder  die  Lasten,  die  die  Laien  schon  von 
Seiten  des  Kuratklerus  trugen,  noch  unerträglicher  gemacht,  gfanz  ab- 
gesehen davon,  daß  kirchliche  Einrichtungen  dadurch  bei  den  Laien 
immer  mehr  in  Mißkredit  kamen. 

Aber  damit  nicht  genug.  Neben  den  religiösen  Gesellschaften  gab 
es  namentlich  seit  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  eine  Unzahl 
von  Bruderschaften  ^),  denen  nun  ein  großer  Teil  der  Messesüftung^i 
zugewendet  wurde.  Den  Schaden  davon  hatte  wiederum  der  Kurat- 
klerus, dem  das  Einkommen  damit  entzogen  wurde.  Es  wenden 
sich  deshalb  mehrere  Partikularkonzilien  auch  gegen  das  Überwuchern 
dieser  Bruderschaften,  wie  das  zu  Mainz  ^)  145 1  und  zu  Köln  ^)  1452. 

Angesichts  dieser  zahlreichen  Arten  von  Bedrückungen  des  niederen 
Klerus  durch  den  Papst,  die  Prälaten,  Orden,  religiöse  Genossen-v 
Schäften  und  Bruderschaften  ruft  der  Verfasser  der  Reformation  Kaiser  Sig- 
munds die  ganze  Christenheit  auf.  Als  Stimme  eines  Laien  ist  der  Hilferuf 
besonders  bemerkenswert:  Die  toeUlichen  priester  sind  verirrd  und  sind 
eüent,  si  empfindet  der  hrankhait  und  das  unrecht  an  den  häupten,  si 
enthaltend  noch  die  christenhait  baß  denn  die  prelaten,  si  gewinnent  in 
das  gut  und  sind  ir  esel.      Dennocht  hassent  si   sie   baide,  prdaten 

und    orden Da/runib    alle    getreuen    Christen^    stand    der 

priesterschaft  bey  ^)  •  .  •  .  Mit  den  Augen  eines  Unparteiischen  sieht 
derselbe  Verfasser  schon  ftir  seine  Zeit  als  die  einzig  richtigen  Mittel 
zur  Abhilfe:    Dezentralisation  der  Kurie  durch  Wiedereinsetzung- 

1)  Binterim,  a.  a.  O.,  7.  Bd.,  S.  453. 

2)  Ebenda  S.  454. 

3)  Ebenda  S.  454- 

4)  Wie  groß  die  Zahl  war,  zeigt  für  das  Rheinland  und  namentlich  anch  fUr  länd- 
liche Gemeinden  ein  Blick  in  die  Übersieht  über  den  Inhaii  der  kieineren  Ärehive 
der  BheifiproirinM  Bd.  i  und  2,  Register. 

5)  Binterim,  a.  a.  O.,  S.  471. 

6)  Ebenda  S.  482  f. 

7)  Boehm,  S.  177. 


—     225     — 

der  Ordinarien  in  ihre  rechtmäßig'en  Befugnisse,  Scheidung  des 
geistlichen  Amtes  vom  weltlichen  Besitz,  ein  festes  Einkommen  für 
den  gesamten  Klerus  und  Säkularisation  der  geistlichen  Reichs- 
güter. Der  spätere  Verlauf  der  Geschichte  hat  diese  Forderungen 
gerechtfertigt. 


Mitteilungen 


Tersammlllllgen.  —  In  der  Pfingstwoche  findet  in  den  Tagen  vom 
31.  bis  35.  Mai  der  sechzehnte  Deutsche  Geographentag  in 
Nürnberg  statt.   EHe  Geschäftsstelle  befindet  sich  daselbst  Luitpoldstraße  i2,L 

In  Hildesheim  tagt  am  21.  und  22.  Mai  der  Hansische  Ge- 
schichtsverein  und,  wie  üblich,  in  Verbindimg  damit  der  Verein  für 
niederdeutsche  Sprachforschung. 

Ebenfiüls  teilweise  gleichzeitig  mit  dem  Geographentag,  und  zwar  am 
23.  und  24.  Mai,  wird  in  Bamberg  die  achte  Versammlung  deutscher 
Bibliothekare  abgehalten.  Das  Programm  wird  auf  Wunsch  vom  Schrift- 
fiihrer  (Berlin   W.   64,   Königliche  Bibliothek)  versandt. 

Für  die  zehnte  Versammlung  deutscher  Historiker  (Historiker- 
tag) sind  die  Tage  vom  3.  bis  7.  September  bestimmt  worden;  der  Ver- 
sammlungsort ist  Dresden. 

Die  Jahresversanmüung  des  Gesamtvereins  der  Deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine  findet  dieses  Mal  in  Mamiheim 
statt,  und  zwar  vom  16.  bis  18.  September.  Unmittelbar  vorher  (14.  Sep- 
tember) wird  in  Karlsruhe  der  siebente  deutsche  Archivtag  ver- 
anstaltet, und  der  15.  September  (Sonntag)  wird  seitens  der  Teilnehmer  zu 
einem  Besuche  des  Kreisarchivs  und  der  Kaisergräber  in  Speyer  verwendet 
werden.  An  die  Gesamtvereinsversammlung  anschliefiend  werden  die  Tage 
für  Heimatschutz  und  Denkmalpflege  abgehalten. 

In  Basel  schließlich  werden  sich  in  der  folgenden  Woche  (23.  bis 
27.  September)  die  Deutschen  Philologen  und  Schulmänner  zum 
49.  Male  versammeln. 

Arehiye.  —  Unter  den  deutschen  Staaten  nahm  bisher  Bayern  in- 
sofern eine  SondersteUung  ein,  als  dort  der  Staat  nur  in  geringem  Maße 
eine  Au&icht  über  die  Gemeindearchive  ausübte.  Es  hat  zwar  durch- 
aus nicht  an  entsprechenden  Verordnungen  gefehlt:  schon  1873  wurde  den 
Gemeinden  anempfohlen,  ihre  Archive  bei  den  Königlichen  Kreisarchiven  zu 
hinterlegen,  und  in  der  Entschließung  des  Ministeriums  des  Inneren  vom 
18.  Mai  1888  wurde  den  Gemeinden  gegebenenfalls  ein  staatsaufsichtliches 
Einschreiten  angekündigt;  die  Ministerialentschließungen  vom  17.  Mai 
1902  und  15.  März  1904  schärften  diese  Bestimmungen  erneut  ein. 
Wenigstens  in  der  Pfalz  wurde  auch  durch  Verfügung  der  Regierung  vom 
30.  August  1900  den  Gemeinden  die  alsbaldige  Inventarisierung  ihrer  Archive 
zur  Pflicht  gemacht  und  ihnen  aufgegeben,  eine  Abschrift  des  Inventars  dem 


—     226     — 

Bezirksamt  einzureichen  ').  Wenn  der  Erfolg  bisher  den  Erwartungen  nicht 
entsprochen  hat,  so  lag  das  zweifellos  im  wesentlichen  daran,  daß  die  Ver- 
waltungsbehörden und  nicht  die  Kreisarchive  mit  der  Aufsicht  über 
die  Durchfuhrung  der  Anordnungen  betraut  waren. 

Dieser  Zustand  hat  neuerdings  durch  eine  Verfügung  des  Staats- 
ministeriums des  Inneren,  Nr.  175 12  vom  8.  August  1906,  eine  wesentliche 
Änderung  erfahren,  insofern  die  Mitwirkung  der  Kreisarchivare  bei  der  Aus- 
übung der  Aufsicht  über  die  Kommunalarchive  verordnungsmäfiig  fest- 
gelegt wurde.  Bedauerlich  ist  es  nur,  daß  nicht  auch  für  die  Pfarrarchive 
entsprechende  Bestimmungen  getroffen  worden  sind;  es  wäre  zweifellos  un- 
schwer durchzuführen,  daß  die  kirchlichen  Oberbehörden  eine  wirksame  Auf- 
sicht über  die  Pfarrarchive  ausübten  und,  gerade  wie  die  Verwaltungsbehörden 
bei  den  Kommunalarchiven,  seitens  der  Kreisarchivare  dabei  unterstützt  würden. 
Hoffentlich  ist  die  Zeit  nicht  mehr  fem,  da  dieser  Schritt  getan  wird!  Über 
einen  Anfang  dazu  siehe  weiter  unten. 

Die  angezogene  neue  Verfügung  —  mitgeteilt  im  AmtsMaU  der  K. 
SUwisministerien  des  Königlichen  Hauses  und  des  Äußern  und  des  Innern, 
Nr-  17  vom  19.  August  1906,  S.  326  bis  328  —  ist  von  allgemeinem 
Interesse  und  soll  deshalb  hier  vollständig  wiedergegeben  werden. 

„1.  Unter  Archivalien  im  Sinne  dieser  Entschließung  sind  alle  Ur- 
kunden, Schriftstücke  und  Drucksachen  zu  verstehen,  denen  allgemein 
oder  wirtschafUich  geschichtliche  Bedeutung  zukommt  und  die  für  den 
laufenden  Dienst  nicht  mehr  benötigt  erscheinen. 

In  Betracht  kommen  beispielsweise  insbesondere  folgende  Gruppen 
von  Archivalien: 

Urkunden  auf  Pergament   und  Papier,    besonders   Kauf-,   Tausch-, 

Gilt-  und  Stifhmgsbriefe ; 
Grund-,  Sal-,  Lager-,  Gilt-,  Schatzungs-  und  Lehenbücher; 
Güter-,  Flur-,  Wald-  und  Markungsbeschreibungen; 
Befehl-,  Protokoll-,  Beschluß-  und  Urteilsbücher,  Gerichtsbücher-  und 

akten; 
Statistische  Aufstellungen,  wie  Bürgerverzeichnisse,  Emtenachweise  u.  dgl. ; 
Akten  über  Innungen  und  Zünfte; 
Rechnimgen  allerart; 

Verhandlungen  über  Erwerb,  Verkauf,  Verwaltung,   Verteilung,   Ver- 
pachtung von  Gemeindeeigentum,  über  Gemeinderechte,  Gemeinde- 
privilegien, hierauf  bezügliche  Streitigkeiten; 
Akten  über  Wege-,  Wasser-,  Forstsachen; 

Akten  über  Kirchen-  und  Schulsachen,  sodann  über  eigenartige  ört- 
liche Feste; 
Gemeinde-  und  Ortspläne,  Ortschroniken,  ältere  2^itungssanmilungen 

und  Flugblätter,  Abbildungen  des  Gemeindewappens. 
Akten,  Schriftstücke  und  Drucksachen,  die   über  100  Jahre  zurück- 
reichen, werden  in  der  Regel  als  wichtigere  in  Betracht  kommen. 

2.  Die  Archivbestände  der  Gemeinden  sind,  soweit  nicht  nach 
2^ffer  5  dieser  Entschließung  deren  Übergabe  an  die  Kreisarchive  erfolgt» 


i)  Vgl.  diese  ZeiUcbrift,  3.  Bd.,  S.  235—236. 


—     227     — 

in  trockenen,   luftigen  Räumen  sicher   unterzubringen,   möglichst  rein  zu 
halten  und  übersichtlich  zu  ordnen. 

3.  Sind  die  gemeindlichen  Archivalien  nicht  fachmännisch  verwaltet, 
so  ist  über  sie,  soweit  dies  noch  nicht  oder  in  unzureichender  Weise  ge- 
schehen sein  sollte,  ein  Verzeichnis  herzustellen,  das  in  der  gemeindlichen 
Registratur  zu  verwahren  ist.  Abschrift  dieses  Verzeichnisses  ist  der  Auf- 
sichtsbehörde zur  Aufbewahrung  vorzulegen.  Die  Aufsichtsbehörde  wird 
das  Verzeichnis  gegen  Rückgabe  dem  K.  Kreisarchive  mitteilen;  dieses 
hat  hiervon,  soweit  es  sich  tatsächlich  um  wichtigere  Archivalien  handelt, 
vollständig  oder  teilweise  Abschrift  zu  nehmen. 

Das  Verzeichnis  der  Gemeinden  soll  möglichst  alle  Archivalien  nach 
Mafigabe  der  Ziffer  i  dieser  Entschließung  unter  Beifügung  der  Jahres- 
zahlen und  einer  kurzen  Inhaltsangabe  mnüissen. 

4.  Der  Veräufienmg  oder  Vernichtung  von  gemeindlichen  Udcunden 
und  Akten  hat  eine  sorgfsUtige  Würdigung  der  Bestände  nach  ihrem  prak- 
tischen und  geschichtlichen  Werte  vorauszugehen.  Im  Zweifelsfalle  sind 
hierüber  die  Aufisichtsbehörden  zu  befragen;  diese  haben,  soweit  veranlaßt, 
Gutachten  der  Kreisarchive  zu  erholen. 

5.  Den  Gemeinden  ist  es  unbenommen,  ihre  Archivbestände  ganz 
oder  teilweise  (unter  Eigentumsvorbehalt)  den  Kreisarchiven  zur  Verwah- 
rung zu  übergeben.  Diese  haben,  soweit  es  ihre  anderweiten  dienstlichen 
Geschäfte  gestatten,  die  übergebenen  Archivalien  zu  ordnen  und  den  Ge- 
meindeverwaltungen Verzeichnisse  hierüber  mitzuteUen.  Den  Gemeinde- 
behörden steht  jederzeit  das  Recht  zu,  die  von  ihnen  übergebenen  Ar- 
chivalien am  Sitze  des  Kreisarchivs  einzusehen  oder  deren  Übersendung 
zur  vorübergehenden  Benützung  oder  auch  deren  Rückgabe  zur  eigenen 
Verwahrung  zu  verlangen. 

Die  Übergabe  der  gemeindlichen  Archivalien  an  die  Kreisarchive 
bietet  die  sicherste  Gewähr  für  ihre  ordnungsmäßige  Verwahrung  und  Er- 
haltung und  enthebt  die  Gemeindeverwaltungen  der  Fürsorge  tmd  Verant- 
wortung. Dieser  Weg  kann  insbesondere  kleineren  Gemeinden,  denen 
geeignete  Aufbewahrungsräume  nicht  zur  Verfügung  stehen,  angelegentlichst 
empfohlen  werden. 

6.  Kann  sich  die  Gemeinde  zur  Übergabe  ihrer  Archivalien  an  das  Kreis- 
archiv nicht  entschließen  und  ist  eine  geeignete  Persönlichkeit  zu  deren  Ordnung 
nicht  vorhanden,  so  kann  hierzu  die  Mitwirkung  des  Kreisarchivs  durch 
Vermittelung  der  Aufsichtsbehörde  der  Gemeinde  in  Anspruch  genommen 
werden. 

Die  Kreisarchive  werden  dann  unbeschadet  ihrer  sonstigen  Dienstes- 
aufgaben die  Ordnung  des  an  den  Archivsitz  einzusendenden  Materials 
daselbst  vornehmen  und  den  Gemeinden  die  Archivalien  mit  den  her- 
gestellten Verzeichnissen  wieder  zugehen  lassen. 

Sollte  die  Ordnung  am  Sitze  des  Kreisarchivs  wegen  des  Umfangs 
der  vorhandenen  Bestände  oder  aus  sonstigen  Gründen  Schwierigkeiten 
begegnen,  so  werden  Archivbeamte,  soweit  tunlich,  am  Verwahrungsorte 
mit  Genehmigung  und  nach  Weisung  des  K.  Allgemeinen  Reichsarchivs 
die  nötigen  Anleitungen  erteilen  oder  die  Ordnung  selbst  vornehmen. 
Sind  Gemeinden  zur  Bestreitung  der  hierfür  erwachsenden  Kosten   außer- 


—     228     — 

Stande,  so  kann  deren  vollständige  oder  teilweise  Übernahme  auf  die  denk 
K.  Allgemeinen  Reichsarchive  hierfür  etatsmäßig  zur  Verfügung  stehenden 
Mittel  erfolgen.  Die  Gesuche  um  Übernahme  der  Kosten  sind  den  Kreis- 
archiven vorzulegen  und  von  diesen  an  das  K.  Allgemeine  Reichsarchir 
zur  Verbescheidung  einzusenden. 

7.  Die  Ordnung  und  Verwahrung  der  gesonderten  Archivbestände 
derjenigen  Stiftungen,  die  unter  gemeindlicher  Verwaltung  stehen,  hat  in 
gleicher  Weise  zu  erfolgen. 

8.  Die  Aufsichtsbehörden  der  Gemeinden  haben  den  Vollzug  zu 
überwachen.  Insbesondere  wird  erwartet,  dad  die  K.  Bezirksämter  der 
Sache  fortgesetzt  sorgsames  Augenmerk  zuwenden,  bei  den  Gemeinde- 
verwaltungen das  Verständnis  für  die  Erhaltung  und  Nutzbarmachung  der 
Archivalien  beleben  und  fördern  und  vorgefundene  Mißstände  nach  Tun- 
lichkeit  abstellen. 

Die  K.  Bezirksämter  und  die  kreisunmittelbaren  Stadtmagistrate  haben  den 
Kreisregierungen,  Kammern  des  Innern,  bis  i.  August  1908  über  die  im  Voll- 
züge dieser  Entschließung  gemachten  Wahmehmtmgen  imd  getroffenen  Maß- 
nahmen zu  berichten.  Gleiche  Berichterstattung  hat  seitens  der  Kreisregierungen 
bis  I .  November  1 908  an  das  K.  Staatsministerium  des  Innern  zu  erfolgen.** 
Wie  oben  angedeutet  wurde,  ist  bisher  in  Bayern  für  die  Pfarrarchive 
weniger  als   in   anderen   Staaten  geschehen,   aber  auch  in   dieser  Hinsicht 
scheint  sich  eine  Besserung  beobachten  zu  lassen,   wenigstens  für  die  evan- 
gelischen Teile   der   drei    fränkischen  Regierungsbezirke.     Wie   nämlich  der 
zweite  Jahresbericht  (1906)  der  Gesellschaft  für  fränkische  Geschichte  ^)  mit- 
teilt, hat  auf  Veranlassung  von  Prof.  Kolde  (Erlangen)  die  Gesellschaft  als 
Vorarbeit  zu   einer  Kirchengeschichte   des   evangelischen  Franken   eine  Re- 
pertorisierung  der   evangelischen    Pfarrarchive  Frankens   im 
Sommer  1906  durch  Prof.  Kolde  und  seinen  Hilfsarbeiter  Dr.  Schornbaum 
bereits  begonnen  und  in   vier  Kapiteln  54  Pfarrregistraturen  unter  liebens- 
würdiger Unterstützung  der  Pfarrer  repertorisiert.    Das  Ergebnis  war  reicher, 
als  man  erwartet  hatte.     Um  das  Material  noch  mehr  zu    vervollständigen, 
soll  auch  die  Besichtigung   der  G  e  m  i  n  d  e  archive   künftig   seitens   der   Ge- 
sellschaft angeschlossen  werden.     Durch  diese   willkommene  Nachricht  wird 
der  Bericht  über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Pflege  nichtstaatlicher  Archive, 
der  jüngst  im  KorrespondeneUaU  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Ge- 
schichiS'  und  AUertumsvereine  55.  Jahrg.  (1907),  Sp.  161 — 175,  erschienen 
ist,  in  einem  wesentlichen  Punkte   ergänzt.     Hoffentlich   erreicht   die  Gesell- 
schaft, daß  auch  die  Archive   der  katholischen  Pfarrämter  Frankens   in   die 
Besichtigung  einbezogen  werden! 


In  Baden,  wo  bekanntlich  die  Inventarisation  der  Gemeinde-  und 
Pfarrarchive  abgeschlossen  ist  *),  hat  die  Ordnung  und  Beaufsichtigung  der 
Gemeindearchive  ebenfalls  in  neuester  2^it  eine  neue  Regelung  er^ren, 

i)  Vgl.  darüber  6.  Bd.,  S.  281—286  und  7.  Bd.,  S.  229—230. 

2)  Vgl.  darüber  Korre$pondenzblatt  da  Oesamtvereina  der  deuUchen  Oeackiehti- 
und  AUertumsvereine,  55.  Jahrg.  (1907),  Sp.  171. 


—     229     — 

4ind  zwar  sind  neben  dem  Grofiherzoglichen  Generallandesarcbiv  die  fünf 
von  der  Badischen  Historischen  Kommission  eingesetzten  Oberpfleger  mit 
der  Handhabung  der  Aufsicht  seitens  des  Großherzoglichen  Ministeriums  des 
Innern  betraut  worden.  *  Die  neuen  Vorschriften  sind  in  den  Mitteilungen 
der  Beulischen  Historischen  Kommission,  Nr.  29  (1907)  enthalten  und 
müssen  der  allgemeinen  Beachtung  empfohlen  werden.  Der  Um^g  gestattet 
leider  einen  vollständigen  Abdruck  an  dieser  Stelle  nicht,  und  deshalb  mu6 
«ine  kurze  Kennzeichnung  des  Inhalts  genügen. 

Grundsätze  für  die  Ordnung  und  Beaufsichtigung  der  Gemeinde- 
archive  im  Großherzogtum  Baden  hat  die  Badische  Historische  Kommission 
im  Oktober  1906  in  13  Absätzen  aufgestellt.  Zunächst  soll  eine  sach- 
gemäße Ordnung  sämtUcher  Gemeindearchive  in  der  Weise  herbeigeführt 
werden,  daß  in  jedem  Jahr  ein  Amtsbezirk  in  jeder  Oberpflegschaft  erledigt 
wird.  Sobald  die  Ordnung  genügend  weit  fortgeschritten  ist,  beginnen 
Revisionen  seitens  der  Beamten  des  Großherzoglichen  Generallandesarchivs 
und  der  fünf  Oberpfleger,  und  zwar  soll  etwa  nach  einem  Zeitraum  von 
7  bis  8  Jahren  jedes  einzelne  Archiv  wieder  besucht  werden.  Gemäß  der 
Gemeinderegistraturordnung  vom  1 2 .  Dezember  1 905  ist  aus  allen  geschlossenen 
Akten  der  Registratur,  soweit  sie  das  Generallandesarchiv  als  zur 
dauernden  Aufbewahrung  geeignet  bezeichnet,  ein  Archiv  zu  bilden,  wo 
nicht  bereits  ein  solches  losgelöst  von  der  Registratur  besteht. 

Für  die  Ausführung  des  Ordnungsgeschäfts  sind  die  Bestimmungen  der 
Weisung  für  die  Ordnung  der  Gemeindearchive  im  Großhereogtum  Baden, 
ebenfalls  aus  13  Absätzen  bestehend,  maßgebend.  In  diese  ist  auch  die 
in  S  35  und  36  der  Gemeinderegistraturordnung  enthaltene  Vorschrift  über 
das  Verfahren  bei  Aktenausscheidung  übernommen,  und  der  ordnende 
Pfleger  ist  ganz  besonders  verpflichtet,  die  Gemeindebehörden  auf  diese  Be- 
stimmungen aufinerksam  zu  machen.  —  Angefügt  ist  schließlich  noch  die 
Rvibrihmordnung  für  die  Gemeinde-Archive  der  nicht  unter  der  Städte- 
ordnung stehenden  Gemeinden  des  Großherzogtums  Baden,  und  zwar  ist 
dabei  besonders  kenntlich  gemacht,  an  welchen  Stellen  die  häufiger  vor- 
handenen älteren  Akten  einzureihen  sein  würden.  Dieses  Schema  ist  eben- 
fialls  geeignet,  in  anderen  Ländern  und  Provinzen  als  Vorbild  zu  dienen. 

Bedauerlich  bleibt  es  nur,  daß  in  Baden  gerade  wie  in  Bayern  die 
Pfarrarchive  von  der  Kontrolle  ausgeschlossen  sind.  Aber  bei  dem  in 
Baden  eingeschlagenen  Verfahren  bedeutet  das  zugleich  eine  Erschwerung 
der  Fürsorge  für  letztere;  denn  der  Besuch  jedes  einzelnen  Ortes  durch 
den  Pfleger  ist  für  die  allernächste  Zeit  vorgesehen,  tmd  wenn  dieser  einmal 
am  Platze  ist,  würde  eine  Behandltmg  des  Pfarrarchivs  in  einer  dem  Gemeinde- 
archiv entsprechenden  Weise  leicht  durchzuführen  sein,  vor  allem  aber  die 
Gesamtkosten  nur  unwesentlich  erhöhen,  während  eine  künftige  besondere, 
lediglich  den  Pfarrarchiven  geltende  Bereisung  des  Landes  natürlich  viel  be- 
deutendere Geldmittel  erfordert.  Und  überdies  darf  man  nicht  vergessen, 
daß  unter  den  kleinen  Verhältnissen  der  ländlichen  Gemeinden  die  beiden 
Archive  am  Ort,  das  der  Gemeinde  und  das  der  Kirche,  sich  gegenseitig 
ergänzen,  oder  daß  gar  ältere  Akten  früher,  halb  versehentlich,  halb  aus 
Gleichgültigkeit,  dem  falschen  Archive  einverleibt  worden  sind.  Gegenseitige 
Verweise  sind  unter  diesen  Umständen  dringend  notwendig. 


—     230     — 

Gesehiehtliehe  Kartenwerke.  —  Der  im  Jahre  1906  gegründete 
Verein  zur  Herausgabe  eines  historischen  AÜasaea  von  Bayern  ') 

hielt  am  2.  Februar  1.  J.  in  den  Rätunen  des  Münchener  historischen 
Seminars  unter  dem  Vorsitz  des  i.  Vorstandes  Geh.  Justizrat  Prof.  Gareis 
seine  zweite  Generalversammlung  ab. 

Das  erste  Vereinsjahr  konnte  lediglich  der  Organisation  und  der  Ge- 
winnung von  Mitgliedern  tmd  Geldmitteln  gewidmet  werden.  Der  Erfolg 
der  darauf  gerichteten  Bemühungen  hat  gezeigt,  dafi  die  Bestrebungen  des 
Vereins  auf  Schaffung  eines  großen  historischen  Kartenwerkes  für  das  König- 
reich Bayern  in  allen  Kreisen,  deren  Unterstützung  der  Verein  erbitten  zu 
können  glaubte«  in  weitgehendem  Mafie  gewürdigt  worden  sind. 

Eine  Eingabe  des  Vereins  an  das  Kultusministerium  um  Gewährung 
eines  jährlichen  Zuschusses  wurde  —  unter  geneigter  Befürwortung  von  selten 
des  Herrn  Ministers  —  vom  Landtag  der  Staatsregierung  zur  Würdigung 
überwiesen.  Leider  ermöglichte  es  die  Finanzlage  nicht,  schon  für  die  laufende 
Finanzperiode  eine  Summe  zur  Verfügung  zu  stellen. 

£>ie  Landräte  von  Oberbayem  und  Mittelfianken  bewüligten  in  dankens- 
wertester Weise  namhafte  Beiträge. 

Eine  sehr  entgegenkommende  Aufiiahme  fand  das  Unternehmen  bei 
den  kirchlichen  Behörden  und  den  ehemaligen  Reichsstädten  Bayerns.  Die 
Mitgliedschaft  des  Vereins  erwarben  die  Ordinariate  München-Freising,  Bam- 
berg und  Eichstätt,  sowie  das  Domkapitel  Augsburg;  femer  die  Stadtmagistrate 
von  Augsburg,  Kaufbeuren,  Kempten,  Lindau,  Memmingen,  Neu-Ulm,  Nörd- 
Ungen,  Nürnberg,  Regensburg  und  Weißenburg. 

Als  besonders  erfreuliches  Ergebnis  ist  zu  betrachten,  dad  sofort  eine 
Reihe  von  historischen  Vereinen  Bayerns  ihren  Anschlufs  erklärte  und  somit 
bewies,  dafi  sie  auch  einem,  vorwiegend  der  Landesgeschichte  dienenden 
Unternehmen  ihre  Unterstützung  zu  leihen  bereit  sei.  Der  Verein  zählt  unter 
seinen  Mitgliedern  bereits  die  Kreisvereine  von  Oberbayem  (dieser  mit  einem 
besonders  hohen  Beitrage),  Niederbayem,  Oberpfalz  und  Regensburg  und 
Schwaben  und  Neuburg  und  die  Lokalvereine  Amberg,  Dillingen,  Donau- 
wörth, Landsberg,  Memmingen,  Neuberg  a.  D. ,  Reichenhall,  Rosenheim, 
Traunstein  (Chiemgau)  und  Weifienburg. 

Die  wissenschaftliche  Kommission  des  Ausschusses  beschloß,  die  Unter- 
nehmungen mit  einer,  das  ganze  Gebiet  des  heutigen  Königreiches  Bayem 
umfassenden  Karte  zu  beginnen,  die  den  territorialen  Bestand  fUr  das  Jahr 
1802  (in  der  Rheinpfalz  für  das  Jahr  1789)  festlegt.  Sie  wird  neben  den 
Grenzen  sämtlicher  vom  heutigen  Königreiche  Bayern  umfaßten  ehemaligen 
geistlichen  und  weltlichen  Territorien  deren  administrative  und  jurisdiktioneile 
Gliederungen  (Ämter,  Land-  und  Herrschaftsgerichte,  Hofmarken)  am  Aus- 
gange des  XVni.  Jahrhunderts  enthalten.  Der  Karte  wird  die  Terraindar- 
stelltmg  der  vom  Wiener  militärgeographischen  Institut  herausgegebenen  General- 
karte von  Mitteleuropa  (Maßstab  i  :  200.000)  zugmnde  gelegt  werden.  Als 
Arbeitskarten  haben  zu  dienen  die  Blätter  des  Topographischen  Atlasses  von 
Bayem  (i  :  50.000). 

Daneben  soll  der  Anfang  gemacht  werden,  in  einzelnen  Monographien 

1)  Vgl.  diese  Zeitechrift,  7.  Bd.,  S.  332—337. 


—     231     — 

ausgewählte  Gerichte  Altbayems  in  bezug  auf  ihre  Entwicklung  seit  der  Auf- 
lösung des  Grafschaftsverbandes  zu  untersuchen;  als  erstes  zu  bearbeitendes 
Gericht  wurde  das  Pileggericht  Weilheim  gewählt. 

Zum  Leiter  der  Arbeiten  wurde  Freiherr  v.  Karg-Bebenburg,  zum 
ständigen  Mitarbeiter  Dr.  Wilhelm  Hausenstein  in  München  bestinmit. 
Nur  aus  Knappheit  der  vorerst  verfügbaren  Mittel  mufite  von  der  durchaus 
nötigen  Gewinntmg  weiterer  Mitarbeiter  bisher  abgesehen  werden. 

Alte  Bibliothekskataloge.  —  Schon  im  6.  Bande  dieser  Zeitschrift, 
S.  24 — 26,  hat  Gottlieb  kurz  auf  die  grofie  kulturgeschichtliche  Bedeu- 
tung der  alten  Bibliothekskataloge  hingewiesen  und  die  Geschichts- 
forscher allgemein  zur  Mitarbeit  bei  deren  Herausgabe  aufgefordert.  Jetzt 
ist  diese  Arbeit  in  ein  neues  Stadium  getreten,  wie  das  folgende  Rund- 
schreiben näher  erkennen  läfst: 

„Die  im  Kartell  vereinigten  fünf  Deutschen  Akademien  haben  be- 
schlossen, (He  Herausgabe  der  mittelalterlichen  Bibliothekskata- 
loge Deutschlands  als  ein  Kartelluntemehmen  durchzuführen.  Die  Aufgabe 
ist  in  der  Weise  geteilt  worden,  daß  die  Kaiserliche  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Wien,  die  bereits  vor  längerer  Zeit  an  diese  Aufgabe  heran- 
getreten ist  und  der  die  Anregung  zu  dem  ganzen  Unternehmen  verdankt 
wird,  die  Kataloge  Österreichs  bearbeitet,  die  Kgl.  Bayerische  Akademie 
der  Wissenschaften,  unterstützt  von  der  Kgl.  Preußischen  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  Berlin,  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu 
Göttingen  und  der  Kgl.  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu 
I..eipzig,  die  Kataloge  des  übrigen  deutschen  Kulturgebietes  übernimmt. 

Die  Publikation  wird  nach  den  heutigen  Grundsätzen  der  Wissenschaft 
eingerichtet  werden.  Sie  mu6  sich  also,  außer  der  für  die  Literatur-  und 
die  Bibliotheksgeschichte  gleich  wichtigen  exegetischen  Behandlung  der 
Kataloge,  vor  allem  der  Herstellung  authentischer  Texte  zuwenden.  Dem- 
gemäß kann  sie  sich  mit  einer  Sammlung  und  Wiederholung  älterer  Ab- 
drücke nicht  begnügen,  sondern  wird  jedesmal  auf  die  handschriftliche 
Quelle  zurückzugehen  haben ;  daneben  ist  die  planmäßige  Aufsuchung  bisher 
unbekannten  Materiales  ins  Auge  gefaßt.  Es  leuchtet  ein,  daß  ein  so  hoch- 
gestecktes Ziel  mit  den  Kräften,  über  die  das  Kartelluntemehmen  verfügt, 
allein  nicht  angestrebt  werden  kann;  erreichbar  wird  es  nur  dann  sein, 
wenn  alle  Bibliotheken  und  Archive  zu  fördernder  Unterstützung  bereit 
sind,  in  denen  mittelalterliche  Bücherverzeichnisse  liegen. 

Die  gleichmäßige  Durchführung  des  Unternehmens  verbürgt  eine 
Kommission  („Bibliothekskommission**),  die  sich  aus  Vertretern  der  kartellierten 
Akademien  zusammensetzt.  Sie  besteht  aus  den  Herren  Burdach  -  Berlin, 
Schröder-Göttingen,  Hauck-Leipzig,  Traube-München,  von  Ottenthai- Wien. 
Die  Kgl.  Bayerische  Akademie  der  Wissenschaften  hat  ihrerseits  mit  der 
Leitung  des  von  ihr  übernommenen  Teiles  der  Arbeiten  eine  aus  den 
Herren  Traube,  Grauert  und  Vollmer  bestehende  Konmiission  betraut.  Der 
von  dieser  engeren  Kommission  eingesetzte  Generalredaktor,  an  den  auch 
alle  Zuschriften  zu  richten  sind,  ist  Dr.  S.  Hellmann,  Privatdozent 
(München  23,  Kaiserplatz  12/I);  daneben  behält  sich  dieselbe  Kommission 
Yor,  für  einzelne  Bibliotheken  besondere  Vertreter  in   dieser  Angelegenheit 


—     232     — 

zu   bezeichnen   und  ihnen   die   selbständige  Bearbeitung  eines  Teiles   des 

Materials  anzuvertrauen/* 

Es  ist  zu  hoffen,  daß  dieses  hocherfreuliche  Unternehmen  von  ein- 
zelnen Forschem  und  Vereinen  tatkräftig  unterstützt  wird.  Es  ist  ein 
entschiedener  Vorteil  dafi  die  Person,  an  die  entsprechende  Zu- 
schriften zu  richten  sind,  genau  bezeichnet  ist.  Je  rascher  die  Arbeit  fort- 
schreitet, desto  größer  wird  der  allgemeine  Nutzen  sein;  die  Schwierigkeit, 
die  es  heute  macht,  ein  gelegentlich  in  einer  mittelalterlichen  Quelle  zitiertes 
Buch  zu  identifizieren,  wird  vermutlich  nach  Vollendung  der  großen  Aufgabe 
völlig  verschwinden. 

EingegaiiKene  Bfichen 

Boeck,  F.  v.  der:  Boyen  [=  Erzieher  des  Preußischen  Heeres,  7.  Band]. 
Berlin  W.  35,  B.  Behr's  Verlag  1906.     113  S.  8^     M.  2,00. 

Brandt,  Otto  H. :  Der  Bauer  und  die  bäuerlichen  Lasten  im  Herzogtum 
Sachsen- Altenburg  vom  17.  bis  zum  19.  Jahrhundert  [=  Geschichtliche 
Untersuchungen,  herausgegeben  von  Karl  Lamprecht,  3.  Band  4.  Heft]. 
Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes  A.-G.  1906.     153  S.  8^.     M.  3,60. 

Dreißig  Jahre  am  Hofe  Friedrichs  des  Großen.  Aus  den  Tage- 
büchern des  Reichsgrafen  Ernst  Ahasverus  Hemrich  von  Lehndorflf, 
Kammerherm  der  Königin  Elisabeth  Christine  von  Preußen.  Von 
Karl  Eduard  Schmidt-Lötzen.  Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes  A.-G. 
1907.     522  S.  8**. 

Fuchs,  Richard:  Straßburger  Phantasie  über  deutsche  Kultur.  Gedruckt 
von  der  Piererschen  Hofbuchdruckerei  Stephan  Geibel  &  Co.,  Alten- 
burg, S.-A.  Zu  beziehen  durch  den  Verfasser  Olvenstedt- Magdeburg. 
97  S.  8». 

Günther,  Felix:  Die  Wissenschaft  vom  Menschen,  ein  Beitrag  zum  deutschen 
Geistesleben  im  Zeitalter  des  Rationalismus  mit  besonderer  Rücksicht 
auf  die  Entwicklimg  der  deutschen  Geschichtsphilosophie  im  18.  Jahr- 
himdert.  Leipziger  Dissertation.  Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes  A.-G. 
1906.     193  S.  8®. 

Miedel,  Julius:  Oberschwäbische  Orts-  und  Flurnamen.  Memmingen,  Otto 
1906.     87  S.  8^     M.   1,50. 

Wehrmann,  Martin:  Geschichte  der  höheren  Schulen  [==  Sonderabdruck 
aus  den  Mitteilungen  der  Gesellschaft  für  deutsche  Erziehungs-  und 
Schulgeschichte  16.  Jahrg.  (1906)].  Berlin  SW.,  A.  Hofmann  &  Komp. 
14  S.  8^. 

Berichtigung. 

Infolge  eines  Versehens  in  der  Druckerei  ist  das  Doppelheft  für  März/April 
1907  als  „5./6.  Heft"  bezeichnet  worden.  Es  muß  natürlich:  „6./7.  Heft" 
heißen,  wie  auch  auf  dem  zugehörigen  Umschlag  richtig  zu  lesen  ist,  imd 
es  wird  deshalb  freimdlichst  gebeten,  zur  Vermeidung  von  Irrtümern  diesen 
Fehler  in  der  Zählung  der  Hefte  zu  berichtigen. 

Hentugeber  Dr.  Annm  TUle  ia  Leifizif. 
Verlag  und  Druck  von  Friedrich  Andreas  Perthes,  AkbenfeseUschaft,  Gotha. 


Deutsche  Ceschichtsblätter 

Monatsschrift 


cur 


Förderung  der  landesgeschicbtlichen  Forscbnng 

VIU.  Band  Juni  1907  9.  Heft 

Flufsnatnenforschung  und  Siedelungs^ 

geschichte 

Von 
Rudolf  Kötzschke  (Leipzig) 

Die  geographischen  Namen  sind  als  älteste  und  besonders  wich- 
tige Quelle  der  geschichtlichen  Landes-  und  Volkskunde  schon  seit  den 
bahnbrechenden  Arbeiten  E.  Förstemanns  und  W.  Arnolds  an- 
erkannt. Zumal  die  Siedelungsnamen  hat  man  für  historische  Zwecke 
ausgebeutet ;  und  wenn  auch  neuere  Untersuchungen  zu  der  Einsicht  ge- 
führt haben,  daß  manche  Einzelergebnisse,  ja  selbst  gewisse  Grund- 
sätze der  früheren  Ortsnamenforschung  sich  nicht  als  haltbar  erweisen, 
so  steht  doch  der  Grundgedanke,  die  Ortsnamen  zu  historischen  Auf- 
schlüssen zu  verwerten,  entschieden  fest;  und  es  gilt  vielmehr  darauf 
bedacht  zu  sein,  die  Ortsnamenforschung  in  methodischer  Weise  aus- 
zubauen, anstatt  ihre  Bedeutung  für  Siedelungs-  und  Wirtschaftsge- 
schichte in  übertriebener  Vorsicht  zu  gering  einzuschätzen. 

Andere  Gruppen  geographischer  Namen  aber  haben  sich  bisher 
nicht  gleicher  Beachtung  bei  siedelungsgeschichtlichen  Untersuchungen 
erfreut.  Dazu  gehört  auch  die  überallhin  verbreitete  und  in  zahlreichen 
vergleichbaren  Beispielen  vertretene  Gruppe  der  deutschen  Fluß- 
namen  im  weitesten  Sinne  dieses  Wortes.  An  mannigfacher  Beschäf- 
tigung mit  ihnen  hat  es  freilich  nicht  gefehlt.  Schon  dem  Laien  bietet 
ja  die  Frage,  was  wohl  ein  Flußname  bedeuten  möge,  einiges  In- 
teresse. So  haben  denn  besonders  Germanisten  und  auch  Greographen 
die  fachwissenschaftliche  Untersuchung  der  Flußnamengebung  Deutsch- 
lands gepflegt  *).     Das  sprachliche  Problem,  die  Namendeutung,  stand 

i)  Unter  den  Schriften,  in  denen  die  Flofinamenforschnng  besondere  Pflege  gefun- 
den hat,  seien  hervorgehoben:  £.  Foerstemann,  Deutsche  Ortsnamen,  Nordhaosen 
1863.  Ders.,  Altdeutsches  Nametibtich,  2,  Aufl.  I.  Nordhausen  1872.  —  J.  Egli, 
Geschichte  der  Geographischen  Namenkunde,    Leipzig   1886.    Ders.,  Nomina  Ge(h 

17 


—     234     — 

dabei  gewöhnlich  im  Vordergründe ;  auf  die  Erklärung  einzelner  wichtiger 
Flußnamen  oder  sprachlich  verwandter  Namengruppen  war  das  Bemühen 
gerichtet,  und  es  sind  zumal  neuerdings  durch  Th.  Lohmeyer  höchst 
lehrreiche  Aufschlüsse  über  das  Wesen  der  Flußnamengebung  ge- 
wonnen worden. 

Auch  historische  Ermittelungen  sind  für  Zwecke  der  Fluß- 
namenforschung angestellt  worden.  Indes  die  Historiker  haben  im 
ganzen  bis  vor  kurzem  nur  wenig  dafür  getan;  noch  heute  ist  selbst 
für  das  richtige  Verständnis  der  in  Urkunden  und  anderen  ge- 
schichtlichen Denkmälern  uns  begegnenden  Flußnamen  nicht  ausrei- 
chend vorgesorgt.  Darin  ist  aber  eine  erfreuliche  Wendung  zum  Bes- 
seren eingetreten.  Bei  der  geplanten  „  Ausarbeitung  historischer  Ort- 
schaftsverzeichnisse*' sollen  auch  die  Namen  der  Wasserläufe  und  Seen 
Berücksichtigung  finden;  und  ebenso  nehmen  die  an  mehreren 
Stellen  Deutschlands  in  die  Wege  geleiteten  „Ermittelungen  der  älteren 
Flurverhältnisse"  auf  Flüsse,  Bäche,  Wasserläufe,  Seen  und  Teiche  Be- 
dacht *).  In  der  Tat  bieten  ja  diese  Namen  nicht  nur  wegen  ihres 
hohen  Altertums  ein  großes  sprachwissenschaftliches  Interesse  und 
sind  ein  schätzenswertes  Hilfsmittel  dazu.  Wichtiges  zur  Kunde  von 
den  Indogermanen  beizutragen.  Sie  sind  auch  eine  bedeutsame  landes- 
geschichtliche Quelle.  Es  gilt  die  gesamte  Flußnamengebung  einer  his- 
torischen Landschaft  als  ein  eigenartiges  Ganzes  zu  verstehen,  sie  ent- 
wickelungsgeschichtlich  aufzufassen  und,  soweit  dies  möglich  ist,  nach 
ihrer  mutmaßlichen  Entstehungszeit  zu  gruppieren  oder,  anders  gesagt,  in 
enger  Beziehung  mit  der  Besiedelungsgeschichte  des  Landes  zu  betrachten. 


Die  Namen  der  Gewässer  rühren  stets  von  einer  bestimmten  Be- 
völkerung her  und  müssen  aus  deren  Sprache  sich  erklären  lassen. 
Tritt  ein  Bevölkerungswechsel  ein,  so  pflegen  manche  Namen,  zumal 

graphica,  2,  Aufl.  Leipzig  1893.  —  Th.  Lohmeyer,  Die  HauptgeseUse  der  ger- 
manischen Flußnamengebung.  Kiel  und  Leipzig  1904.  Ders.,  Unsere  Flußnatnen. 
Duche.  GbU.  VI,  29flf.  —  Vgl.  J.  W.  Nagl,  Chographiache  Namenkunde,  Leipzig  and 
Wien  1903.  S.  92ff.  —  Alphabetische  Verzeichnung  wichtiger  Fluflnamen  in  Ritter» 
Geographisch'Statistiechem  Lexikon»  8.  Aufl.  Leipzig  1895  (Neubearbeitung  zurzeit  im 
Druck  befindlich).  Historische  Nachweise  in  Oesterleys  Hist.'geographiachem  Wör- 
terbuch d.  dtech,  MA.  Gotha  1883.  Vgl.  die  erschienenen  hist-topographischen  Wörter- 
bücher fiir  Baden,  Elsaß,  Steiermark  u.  a. 

i)  H.  Beschorner,  Denkschrift  Obtr  die  Herstellung  eines  hist,  Ortsverzeich- 
nisses für  das  Königreich  Sachsen,  Dresden  1903.  S.  53  („Vorschläge*').  57.  64. 
Ders.,  Flurnamen,  Korrbl.  GesV.  dtsch.  Gesch.  u.  Alt.  V.  53  (1904)  Sp.  3;  54 
(1906)  Sp.  379. 


—     235     — 

solche  der  größeren  Flüsse,  welche  wichtige  Verkehrswege  sind,  von 
den  Zuwandernden  übernommen  zu  werden,  sei  es,  daß  die  neue  vor- 
dem in  der  Nachbarschaft  wohnende  Bevölkerung  jene  Namen  schon 
vorher  in  ihren  Sprachschatz  aufgenommen  hatte,  sei  es ,  daß  zurück- 
bleibende Reste  der  früheren  Bewohnerschaft  sie   den  neuen  Ansied- 
lern übermittelten ;  dabei  stellen  sich  bisweilen  charakteristische  Wan- 
delungen der  Namensformen  ein,  die  wiederum  aus  der  Sprache  oder 
Mundart  der  neuen  Bevölkerung  zu  erklären  sind.     Manche  Gewässer- 
namen werden  bei  solchen  Vorgängen  der  Neubesiedelung  auch  gänz- 
lich durch  andere  verdrängt;  oder  es  leben  für  einige  Zeit  die  älteren 
Benennungen  neben   den   neuen   noch  fort.     So  stellt  die  Gesamtheit 
der  für  eine  Landschaft  bekannten  Gewässernamen  —  sowohl  die  noch 
im  Volksmund  lebenden  und  in  den  Kartenwerken  und  Aufzeichnungen 
der  neuesten  Zeit  festgehaltenen  wie  auch   die  nur  aus  historischen 
Quellen    zu    ermittelnden   ausgestorbenen    Namen,    die   ältesten    Na- 
mensformen wie   auch   deren  jüngere  Umgestaltungen  —  ein  Ganzes 
dar,  bei  dem  das  wissenschaftlich  geschulte  Auge  Schichten  der  Ent- 
stehung zu  erkennen  vermag,  so  gut  wie  in  der  Geologie  bei  der  Erd- 
rinde oder  bei  den  Namen  menschlicher  Wohnstätten,  deren  Erforschung 
in  dieser  Hinsicht  viel  weiter  gefördert  ist.     Die  Zeit  vor  der  Aus- 
breitung der  Germanen   in  Mitteleuropa,   die  Zeiten  bald  feindlicher, 
bald  friedlicher  Nachbarschaft  der  Germanen  mit  den  Römern,  die  Pe- 
riode der  letzten  großen  Wanderungen  der  germanischen  und  slawi- 
schen Stämme  und  der  Herausbildung  völlig  fester  Siedelungsverhält- 
nisse,  die  Zeit  der  Ausdehnung  der  Frankenherrschaft  über  die  Ge- 
biete der  anderen  deutseben  Volksstämme  und  endlich  die  Zeiten  des 
Landesausbaus  und   der  ostdeutschen  Kolonisation  —  alle  diese  auf- 
einanderfolgenden Zeitalter    der   Besiedelungs-   und  Kulturgeschichte 
Deutschlands  haben  einen  Niederschlag  in  der  Flußnamengebung  hinter- 
lassen; und  es  ist  ebenso  reizvoll  und  wichtig  zu  versuchen,  die  Fluß- 
namen aus  den  Einwirkungen  dieser  verschiedenen  Perioden,   soweit 
möglich,  zu  verstehen,   wie   sich   anderseits   aus  Beobachtungen   der 
Flußnamenforschung    auch  wertvolle  Aufschlüsse  über  Besiedelungs- 
und  Wirtschaftsverhältnisse  gewinnen  lassen. 

Ebenso  notwendig  wie  die  Schärfung  des  Blickes  für  die  zeitlichen 
Unterschiede  der  Flußnamengebung  ist  nun  auch  die  umsichtige  Be- 
obachtung der  geographischen  Momente.  In  höchst  anziehender  Weise 
hat  Th.   Lohmeyer   darauf   aufmerksam   gemacht*),    daß    auf  die 


I)  S.  Dtaehe.  GhU.  VI,  29  ff. 

17  ♦ 


—     236     — 

Namengebung  der  Flüsse  die  Beschaffenheit  ihres  Quellgeländes  von 
Einfluß  gewesen  sei,  wobei  man  sich  freilich  darüber  wird  Rechen- 
schaft geben  müssen,  wie  solches  nach  allem,  was  wir  über  die 
Entwicklung  der  Bodennutzung  und  Siedelung  wissen,  möglich  ge- 
wesen ist.  Neben  solch  lehrreicher  Einsicht  in  die  Abhängigkeit  der 
FluOnamengebung  von  der  I-andesnatur  ist  auch  ihrer  räumlichen  Ver- 
breitung gebührende  Beachtung  zu  schenken.  Wird  man  darauf  ge- 
führt, sich  einen  Überblick  über  die  Gewässernamen  in  einer  Land- 
schaft und  ihren  Nachbargebieten  zu  beschaffen,  so  ergibt  sich  rasch, 
daß  manche  Namen  sich  oft  wiederholen;  zumal  wenn  man  auch  die 
kleinen  Gewässer  berücksichtigt,  verstärkt  sich  diese  Beobachtung. 
Dabei  ist  nun  die  Art  der  Verbreitung  überaus  charakteristisch.  Lehr- 
reich sind  solche  Erscheinungen,  wo  auf  einem  engeren  Verbreitungs- 
gebiet ein  charakteristischer  Name  auffallend  oft  sich  findet  oder  so- 
gar solche  Wiederholungen  von  Namen  sich  häufen.  Ursache  dazu 
kann  die  Beschaffenheit  der  Flüsse  selbst  oder  ihres  Quellgeländes 
sein.  Aber  das  gehäufte  Auftreten  eines  solchen  Namens  kann  doch 
auch  darin  seinen  Grund  haben,  daß  dieser  eine  mundartliche  Bezeich- 
nung für  Fluß  oder  sonst  eine  bei  einem  Stamm  beliebte  Art  der  Be- 
nennung aufweist  und  somit  das  Verbreitungsgebiet  des  Namens  zu- 
gleich charakteristisch  für  den  Bereich  derjenigen  Bevölkerung  ist, 
welcher  er  seine  Entstehung  verdankt.  Zumeist  wiederholt  sich  nun 
aber  der  Name  nicht  ganz  gleichmäßig,  sondern  mit  kleinen  bezeich- 
nenden Abwandelungen,  die  sich  aus  mundartlichen  Verschiedenheiten 
erklären  und  somit  wiederum  Bedeutung  für  das  Verständnis  der  Stam- 
mesmischung und  Kolonisation  haben.  Endlich  läßt  sich  oft  genug 
feststellen,  daß  die  Flußnamengebung  eines  untersuchten  Gebietes  cha- 
rakteristische Beziehungen  zu  verwandten  Namen  anderer  Gegenden 
aufweist.  Wohl  möglich,  daß  daraus  nur  ein  Schluß  auf  gleichartige 
Benennung  mit  Wörtern  aus  gleicher  sprachlicher  Wurzel  gezogen 
werden  darf,  vielleicht  von  Urväter  Zeiten  her,  wenn  ein  Name  bloß 
in  entlegenen  Gegenden  sich  wiederfindet,  zwischen  denen  Beziehungen 
siedelungsgeschichtlicher  Art  nicht  anzunehmen  sind.  Aber  sehr  wohl 
kann  der  Fall  auch  so  liegen,  daß  gleiche  Flußnamen  ein  Hilfismittcl  dazu 
sind,  nähere  Verwandtschaft  zwischen  mehreren  Stämmen  und  Völker- 
schaften zu  ermitteln,  oder  einen  Rückschluß  auf  Wanderbewegungen  einer 
Bevölkerung  aus  einem  Ansiedelungsgebiet  in  ein  anderes  erlauben. 

Den  Schatz  an  Flußnamen,  wie  ihn  die  Flußnamenforschung  wissen- 
schaftlich auszubeuten  hat,  bietet  zunächst  die  Gegenwart  und  die  jüngste 
Vergangenheit  dar;   es  braucht  dabei  wohl  kaum  ausdrücklich  betont 


—     237     — 

zu  werden,  daß  neben  den  „amtlichen**  Namensformen  auch  die  echt 
volkstümlichen  von  besonderem  Werte  für  die  Wissenschaft  sind.  Aber 
auch  die  Überlieferung  der  historischen  Quellen  muß  dazu  ausgenutzt 
werden.  Sehr  häufig  bietet  erst  der  Einblick  in  die  Entwickelung  einer 
Namensform,  gerade  wie  bei  den  Ortsnamen,  die  Möglichkeit  zu  rich- 
tiger Deutung.  Überdies  aber  sind  neben  den  bis  auf  die  neueste 
Zeit  gekommenen  eine  Menge  ausgestorbener  Flußnamen  auffind- 
bar, die  oft  gerade  ein  ganz  besonderes  wissenschaftliches  Interesse 
beanspruchen  dürfen,  wie  ja  auch  den  Wüstungsnamen,  jenen  Namen 
der  eingegangenen  und  verlassenen  oder  wenigstens  ihrer  Selbständig- 
keit verlustig  gegangenen  Siedelungen,  außergewöhnliche  Wichtigkeit 
in  geographischer  wie  historischer  Hinsicht  zukommt.  Aufspüren  lassen 
sich  ausgestorbene  Gewässernamen  mit  allen  den  Hilfsmitteln,  deren 
man  sich  überhaupt  bei  der  Orts-  und  Flurnamenfeststellung  bedient. 
Mittelbar  aber  kommen  hierbei  noch  zweierlei  Quellen  in  Betracht,  die 
nicht  immer  auf  den  ersten  Blick  zeigen,  daß  sie  in  sich  einen  Fluß- 
oder Bachnamen  enthalten.  Dies  sind  die  nach  Gewässern  benannten 
Gaue  und  Landschaften,  sowie  viele  von  Fluß-  und  Bachnamen  abge- 
leitete Siedelungsnamen ;  öfters  läßt  sich  aus  diesen  auf  einen  alter- 
tümlichen Gewässernamen  schließen,  an  dessen  Stelle  inzwischen  eine 
andere  Benennung  oder  bisweilen  auch  nur  eine  wenig  sagende  Be- 
zeichnung (z.  B.  Bach,  [Löbauer]  Wasser)  getreten  ist. 

Auch  auf  die  Flußnamen  muß  neben  der  wichtigen  und  unent- 
behrlichen Einzelerklärung  das  wissenschaftliche  Verfahren  der  Massen- 
beobachtung in  räumlicher  und  zeitlicher  Hinsicht  angewandt  werden. 
Denn  es  gilt,  um  diese  Erkenntnisquelle  allseitig  auszuschöpfen,  nicht 
nur  die  größeren  Flüsse  und  Wasserbecken  ins  Auge  zu  fassen ;  gerade 
auch  die  Namengebung  der  kleinen  und  feinsten  Wasseradern  und 
stehenden  Gewässer  ist  in  ihrer  Weise  charakteristisch.  Man  muß  den 
Blick  auf  die  Gesamtheit  der  Flußnamen  richten;  ohne  zu  wissen,  wo 
ein  Flußname  in  den  verschiedensten  Gegenden  sich  wiederfindet,  läßt 
er  sich  weder  sicher  sprachlich  deuten  noch  für  weitere  geographische 
und  historische  Aufschlüsse  verwerten. 

Wird  somit  für  eine  Landschaft,  in  stetem  Hinblick  auf  die  Nach- 
bargebiete, eine  Sammlung  der  Gewässernamen  ausgeführt  und  die 
Art  der  Namfcngebung  nach  den  geschichtlichen  Perioden  zur  Genüge 
geklärt,  so  vermag  eine  vorsichtige,  auf  ausreichender  Sprachkenntnis 
beruhende  Deutung  der  Namen  manche  wertvollen  Aufschlüsse  über 
Bevölkerungswechsel  und  Stammeszusammenhänge  zu  bieten,  ebenso 
über  die  für  die  Besiedelungsvorgänge  wichtige  natürliche  Beschaflfen- 


—     238     — 

hcit  des  Landes  und  deren  Veränderungen,  und  über  die  wirtschaft- 
lichen Verhältnisse  sogar  solcher  Zeiten,  in  die  kaum  die  Siedelungs- 
namenforschung  hineinleuchtet. 

Um  nun  die  hier  vorliegenden  Probleme  noch  in  etwas  deutlicheres 
Licht  zu  rücken ,  seien  im  folgenden  einige  Beobachtungen  aus  den 
Landschaften  an  der  mittleren  Elbe  und  ihren  Nebenflüssen  angeführt, 
aus  jener  Kulturlandschaft  Mitteldeutschlands,  die  durch  die  Saale  und 
nördlich  von  deren  Mündung  durch  eine  Strecke  des  Elblaufs  in  einea 
Ost-  und  einen  Westflügel  geschieden  wird  *). 

Seitdem  die  keltische  Bevölkerung,  die  wenigstens  in  den  süd- 
westlichsten Teilen  jenes  Gebietes  noch  um  400  v.  Chr.  wohnhaft  ge- 
wesen war,  das  Land  verlassen  hatte,  bildeten  sich  die  dauerhaften 
Siedelungsverhältnisse  in  fünf  großen  Wander-  und  Ansiedelungsbewe- 
gungen heraus.  Germanische  Stämme  nahmen  von  dem  Lande  Be- 
sitz, unter  ihnen  seit  dem  ersten  nachchristlichen  Jahrhimdert  nach- 
weisbar die  Hermunduren,  die  mit  den  im  Westen  wohnenden  Che- 
ruskern und  Chatten  sowie  mit  suebischen,  weiter  südlich  wohnenden 
Stämmen  näher  verwandt  waren.  Seitdem  die  Germanen  wenige 
Menschenalter  später  von  neuem  in  Bewegung  gerieten,  gingen  manche 
Völkerstürme  über  das  Land  dahin;  anscheinend  aber  erlangte  nur 
eine  Einwanderung  germanischer  Stämme  vom  südwestlichen  Rande 
der  Ostsee  her,  der  Angeln  und  Warnen,  dauernden  Einfluß  im  Lande. 
Nach  dem  Sturze  des  thüringischen  Reiches  im  Jahre  531  begann 
die  Epoche  einer  Besiedelungspolitik  unter  Führung  des  fränkischen 
Königtums;  Franken  ließen  sich  an  günstig  gelegenen  Orten  Thü- 
ringens nieder,  später  wohl  auch  in  den  Gegenden  nördlich  von  der 
Unstrut  und  den  Mansfelder  Grenzhöhen;  in  den  Landen  östlich  und 
nordöstlich  vom  Harz  \furden  Nordsueven  und  andere  Zuwanderer 
noch  im  6.  Jahrhundert  seßhaft  gemacht.  Auch  der  sächsische  Stamm 
breitete  sich  von  seinen  Sitzen  weiter  in  südöstlicher  Richtung  aus, 
schließlich  bis  zum  Unterlauf  der  Unstrut  und  zum  Sachsgraben  in 
der  Nähe  der  Mündung  der  Helme  in  die  Unstrut.  Das  ganze  Land 
östlich  der  Saale  aber  ward  bald  danach  von  slawischen  Völkerschaften 
eingenommen;  und  auch  auf  dem  linken  Ufer  der  Saale  und  der 
Elbe  nördlich  und  südlich  von  Magdeburg  gewann  die  slawische  Be- 
siedelung  einigen  Raum.  Erst  in  karolingischer  Zeit  erlangte  das 
Deutschtum  die  Kraft  zu  neuem  Gegenstoß,  und  es  begann  die  völlige 

i)  VgL  Beschreibende  Darstellung  der  älteren  Bau-  und  Kunstdenkmäler  der 
Provins  Sachsen,    XVIII.    H.  Gröfiler,  Landeskundliche  Einleüung,  S.  VO  ff. 


—     239     — 

GermanisieruDg  des   Gebietes  vom  Westufer  der  Saale  bis  zur  Elbe 
und  über  die  Elbe  hinaus. 

Wie  spiegeln  sich  nun  diese  Epochen  der  Besiedelungsgeschichte 
in  der  Flußnamengebung  des  untersuchten  Gebietes  wieder?  Lassen 
sich  aus  der  Beachtung  der  Gewässernamen  Schlüsse  zur  Aufhellung 
jener  in  ihrem  Verlaufe  oft  so  dunkeln  Vorgänge  machen? 

Um  solche  Schlußfolgerungen  vorzubereiten,  ist  es  erforderlich, 
die  Art  der  Flußnamenbildung  in  jenen  Gegenden,  soweit  möglich, 
zeitlich  zu  ordnen.  Hilfsstoff  dazu  bieten  uns  die  ältesten  geschicht- 
lichen Erwähnungen  von  Flüssen:  so  werden  uns  Elbe  imd  Saale 
{SdXag)  schon  zu  des  Drusus  Zeiten  bezeugt;  vielleicht  nennt  uns  Pto- 
lemäus,  der  berühmte  hellenische  Geograph  des  zweiten  nachchrist- 
lichen Jahrhunderts,  noch  die  Luppe  östlich  der  Saale.  Helleres  Licht 
fallt  auf  das  Netz  der  Flüsse  des  von  uns  untersuchten  Gebietes  erst 
seit  der  merowingischen  Zeit :  so  nennt  ein  fränkischer  Schriftsteller  *) 
die  Unstrut  (Onestradem)  ftir  das  Jahr  531 ;  704  wird  die  in  die  Gera 
bei  Arnstadt  fallende  Weiße  in  der  altertümlichen  Form  super  fluvio 
Huitteo  urkundlich  erwähnt  *).  Einige  alte  Namen  sind  mittelbar  nach- 
zuweisen. So  ist  nämlich  offenbar  der  Name  des  Nabelgaus  ■)  nach 
einem  Flußnamen  Nabila  gebildet,  der  mit  dem  Namen  der  Naab  ver- 
wandt ist;  an  diesem  Flüßchen  ist  vermutlich  der  Doppelsieg  des  me- 
rowingischen Königs  Chlothars  I.  über  Thüringer  und  Sachsen  i.  J.  555 
erfochten  worden,  ftir  welchen  man  bisher  die  Örtlichkeit  nicht  hat 
auffinden  können  *).  Einen  Flußnamen  birgt  auch  der  Name  des  Alt- 
gaus in  Thüringen^),  der  keineswegs  den  alten  Gau  bedeutet;  zu  ver- 
gleichen ist  die  am  Südabhang  des  Thüringer  Waldes  entspringende 
Aldäha  •),  auch  Altaich  (AUaha)  an  der  Donau  und  das  Altland  in 
Siebenbürgen. 

Wichtige  Rückschlüsse  auf  das  Alter  der  Flußnamen  sind 
aus  rein  sprachlichen  Beobachtungen  abzuleiten.  So  ist  die  Namen- 
bildung mit  Wörtern,  die  schon  frühe  ausgestorben  sind,  ein  Beweis 
hoher  Altertümlichkeit  eines  Flußnamens:  dlla,  asa,  bada,  mana,  stra 


i)  Gregor  v.  Tours,  M.  G.  SS,  rer,  Merov.  I,  p.  115. 

2)  D ob e necker,  Eeg.  Hist.  Thur.  I,  nr.  5. 

3)  Gan  an  der  Wipper;  s.  die  Bemerknng  über  diesen  Namen  unten  S.  241. 

4)  Venantins   Fortunatus,  VI,  i   (Auct.  ant.  IV,   126):   virtus,  quam  Nablis  eece 
probat  Toringia  victa  fatetur;  vgl.  Marius  Av.  zum  J.  555. 

5)  Um  den  Fluß  Helbe  gelegen,  sdl.  der  Hainleite. 

6)  Spruner-Menke,  Gaukarten  IV  (Aüas*,  nr.  34),  bei  Breitungen,   nw.  Ton 
SchmaUcalden. 


—     240     — 

(strut)  sind  uralte  Wörter*),  die  einst  „fließendes  Wasser"  (mutmaß- 
lich mit  gewissen  Unterschieden  des  besonderen  Sinnes),  bedeuteten 
und  teils  selbst  zu  Eigennamen  für  Flüsse  geworden  sind  (z.  B.  für 
die  Bode,  d.  i.  vermutlich  Warmquellfluß,  und  die  Oder  im  Südharz), 
teils  bei  der  Bildung  zusammengesetzter  Namen  das  Grundwort  ab- 
gegeben haben  (z.  B. :  Unstrut  =  Onesirud^  vgl.  die  südlich  von  den 
Ohmbergen  fließende  Ohne  im  Gau  Onfdt  (Ohmfeld),  oder  mit  doppelter 
Zusammensetzung :  Holtemme  =  HoUemna,  amana  mit  später  vorgesetz- 
tem hoU,  d.  i.  Bergrandwasser  vom  Walde).  Solche  uralte  Wörter  sind 
nun  außerordentlich  häufig  in  der  Flußnamengebung  der  westlichen, 
von  alters  germanisch  besiedelten  Teile  des  von  uns  untersuchten  Ge- 
bietes anzutreffen ;  ja  sie  herrschen  hier  geradezu  völlig  vor,  finden  sich 
auch  bei  recht  kleinen  Gewässern  und  überdies  oft  in  so  altertümlichen 
Formen,  daß  der  Schluß  gar  nicht  abzuweisen  ist,  die  Flußnamengebung 
dieser  Lande  reiche  selbst  in  abgelegenen  Teilen  mindestens  bis  in  die 
frühgermanische  Zeit  zurück  und  habe  sich  mit  großer  Beharrlichkeit  er- 
halten ;  damit  ist  aber  wiederum  die  Tatsache  erhärtet,  daß  eine  gewisse 
zähe  Dauerhaftigkeit  der  Besiedelung  des  Landes  trotz  mancher  Wander- 
bewegungen sich  behauptet  haben  muß.  Andere  derartige  Bezeich- 
nungen, die  auch  alten  Ursprunges  sein  können,  haben  sich  im  Sprach- 
bewußtsein des  Volkes  bis  in  jüngere  geschichtliche  Zeiten,  ja  bis  zur 
Gegenwart  erhalten:  so  ciha,  Ache,  ein  bei  den  im  W  und  S  benach- 
barten Stämmen  sehr  beliebtes  Wort  fiir  Fluß,  welches  wohl  auch  in 
Thüringen  von  alters  heimisch  gewesen  ist,  aber  doch  noch  in  karo- 
lingischer  Zeit  weitere  Verbreitung  gefunden  hat  *),  und  das  besonders 
den  hessischen  Franken  geläufige  -back  ■),  wofür  in  niederdeutscher 
Mundart  -beke  gesagt  wird.  Es  ist  charakteristisch,  daß  bei  der  Na- 
mensbildung mit  diesen  Grundwörtern  auch  die  Bestimmungswörter  noch 
heute  so  oft  einfach  verständlich  sind :  Sueinaha,  Ltürdha,  Hengstbach, 
Ilasclbeke  u.  a.,  —  ein  Umstand,  der  den  jüngeren  Charakter  dieser 
Namengruppe  noch  deutlicher  erhellt.  Auf  jüngere  Bildung  der  Namens- 
form läßt  in  diesen  Gegenden  die  als  Schlußbestandteil  eines  Namens  ge- 
brauchte Flußbezeichnung  -cm  schließen,  die  sich  bei  den  östlichen 
Sachsen  und  den  im  Norden  ihnen  benachbarten  germanischen  Stäm- 
men sehr  regelmäßig  findet.  So  ist  am  Südabhang  der  Finne  die 
„Schafau"   zu   beachten;   der  in   fränkischen  Annalen  des  8-/9.  Jahr- 


i)  Vgl.  darüber  Th.  Lohmeyer  a.  a.  O. 

3)  Vgl.  für  die  Hörsei:  932  Hwmkkgemundi^  979  Hursiüa, 

3)  S.  K.  Lamprecht,  Ansiedthmgen  der  Franken,  ZAachGV.  IV.  S.  209  f. 


—     241     — 

hunderts  ^)  Missaha  genannte  Fluß  im  sächsischen  Darlingengau  west- 
lich von  Helmstedt  heißt  jetzt  Missau.  Mittelbare  Aufschlüsse  lassen 
sich  für  das  Alter  der  Fiußnamen  aus  Siedelungsnamen  gewinnen,  deren 
Bildung  ein  hohes  Alter  verrät ;  so  bei  den  nach  Gewässern  benannten 
Orten,  deren  Namen  auf  -ungen  oder  -ingen,  -lar,  -mar  und  dergleichen 
enden:  z.  B.  Bedungen,  Heldrungen,  Leinungen;  man  beachte  dabei, 
daß  Ortschaften,  die  nach  Flüssen  und  Bächen  genannt  sind,  oft  nahe 
dem  Ursprung  des  Gewässers  liegen  *). 

Diese  Ausführungen  mögen  genügen,  um  zu  zeigen,  daß  es  sehr 
wohl  möglich  ist,  eine  gewisse  zeitliche  Gruppierung  der  Flußnamen 
innerhalb  einer  deutschen  Landschaft  vorzunehmen,  wobei  es  freilich 
nicht  bloß  darauf  ankommt,  das  Alter  einer  Namensbildung  an  sich 
zu  bestimmen,  sondern  womöglich  ein  Urteil  darüber  zu  gewinnen, 
wann  die  Namen  den  Flüssen,  an  welchen  sie  haften  geblieben  sind, 
in  den  einzelnen  Gegenden  gegeben  worden  sind. 

Neben  solchem  Versuch,  die  Flußnamengebung  zeitlich  zu  ord- 
nen, lassen  sich  nun  auch  siedelungsgeschichtlich  bedeutsame  Beob- 
achtungen über  die  räumliche  Verbreitung  einzelner  Namen  anstellen. 
Zunächst  sei  bemerkt,  daß  sich  das  gehäufte  Auftreten  gewisser  Fluß- 
namen in  den  Gegenden  südlich  und  östlich  vom  Harz  in  charakte- 
ristischen Beispielen  belegen  läßt.  So  findet  sich  der  Name  der  Wipper, 
der  außerhalb  unseres  Untersuchungsgebietes  selten  ist,  für  einen  Neben- 
fluß der  Saale  am  Ostabhang  des  Harzes,  aber  auch  mehrfach  in  Thü- 
ringen, am  weitesten  nach  Süden  zu  in  der  infolge  hochdeutscher 
Lautverschiebung  umgebildeten  Form  Wipfra  für  einen  Nebenflufs  der 
Gera;  der  Name  der  Wipper  von  Frankenhausen  scheint  eine  ältere 
Benennung  Nabüa  verdrängt  zu  haben  ').  Auch  der  Name  der  Helme 
oder  der  von  gleichem  Sprachstamm  gebildete  der  Helbe  begegnet 
uns  wiederholt,  zumal  wenn  man  aus  einzelnen  Ortsnamen  in  älteren 
Zeiten  vorhandene  Flußnamen  erschließt :  z.  B.  Helmstedt,  Helmonstedi, 
d.  i.  Stätte  an  der  Hdmana.  Auffallend  oft  finden  sich  nach  dem 
Salzgehalt  den  Gewässern  gegebene  Namen:  außer  der  Saale  die 
Salze  (SaMa),  ?  die  Selke,  die  Sülze  n.  und  s.  von  Magdeburg 
sowie  mehrfach  nördlich  und  südlich  des  Thüringer  Waldes.  Mag 
auch  ein  bündiger  Schluß  aus  solchen  Parallelen  der  Flußnamengebung 
seine  Schwierigkeit  haben,  immerhin  ist  damit   ein  Umstand   nachge- 

i)  Annales  regni  Francoram  z.  J.  747. 

2)  Oberhaupt  sind  die  Beziehungen  zwischen  Ortsnamen-  und  Flußnamengebung 
mehr,  als  dies  bisher  geschehen  ist,  zu  beachten. 

3)  In  Frankenhausen  lag  die  Hauptburg  des  Nabelgaues. 


—     242     — 

wiesen,  der  bei  der  Frage  nach  den  einstigen  Stammes-  und  siedelungs- 
geschichtlichen  Zusammenhängen  zwischen  Nordthüringen  und  dem 
thüringischen  Lande  südlich  des  Harzes  mit  in  Erwägung  zu  ziehen  Ist. 

Ebenso  bedeutungsvoll  wie  solche  Feststellung,  daß  innerhalb  des 
untersuchten  Gebietes  gleiche  oder  ähnlich  gebildete  Flußnamen  öfter 
wiederkehren,  ist  die  Ermittelung  charakteristischer  Beziehungen  zu 
auswärtigen  Landschaften.  So  ist  es  bemerkenswert,  daß  die  Fluß- 
namengebung  Thüringens  manche  Verwandtschaft  mit  der  der  Nach- 
barlande im  Westen,  Nordwesten  und  auch  im  Süden  zeigt;  die  Na- 
men der  Ems,  Lossa,  [Salzjböde,  Leine  u.  a.  finden  sich  hier  wie  dort. 
Aber  auch  nach  dem  Norden  weisen  manche  Vergleiche.  So  ist  es 
von  einigem  Interesse  zu  sehen,  daß  der  Name  der  thüringischen  Um 
sowie  der  Wipper  in  dem  an  unser  Untersuchungsgebiet  im  Norden 
angrenzenden  Lande,  dem  alten  Bardeng^u,  bei  der  Ilmenau  und 
ihrem  Nebenflusse,  der  Wipper  au,  mit  der  fiir  jene  nördlicheren  Ge- 
genden üblichen  Endung  -au  wiederkehren;  zu  vergleichen  ist  dazu 
die  llmana  in  den  Donaulanden,  die  Wupper  oder  Wipper  am  Nieder- 
rhein und  an  der  Küste  Pommerns.  Auffallender  ist  der  Vergleich 
einiger  thüringischer  Flußnamen  mit  solchen  aus  Schleswig-Holstein 
und  Jütland.  So  findet  sich  der  Name  der  Gramme,  eines  Neben- 
flusses der  Unstrut  in  Innerthüringen,  im  nördlichen  Schleswig  wieder; 
und  im  südlichen  Schleswig  mündet  die  „alte  Sorge"  in  die  Eider, 
wie  es  eine  Zorge  am  Südabhang  des  Harzes  bei  Nordhausen  und 
eine  Sorge  als  Nebenfluß  der  Lossa  bei  Kölleda  gibt.  Daß  uns  hier 
wie  da  der  Name  Wie  da  begegnet,  ist  weniger  belangreich,  da  es 
nahe  lag,  einen  Fluß  nach  dem  Holze,  tcidu,  zu  nennen.  Wie  wenig 
sicher  aber  aus  Einzelbeobachtungen  solcher  Art  Schlüsse  gezogen  wer- 
den können,  wenn  man  nicht  die  Gesamtheit  der  Gewässernamen  über- 
schaut, zeigt  die  Entdeckung,  daß  der  so  seltene  Name  der  Sarge  auch 
in  der  Westschweiz,  bei  Valangins,  sowie  bei  dem  Drausensee  südlich 
von  Danzig  sich  wiederfindet  und  auch  der  Name  der  Gramme  ftir 
einen  See  bei  Orteisburg  in  Ostpreußen  wiederkehrt. 

Von  besonderem  Interesse  ist  es,  die  Flußnamen  des  Gebietes 
deutscher  Kolonisation  östlich  der  Saale  und  Elbe  mit  denen  altdeut- 
schen Siedelungsgebietes  zu  vergleichen.  So  kehren  einzelne  thürin- 
gische Flußnamen,  Gera,  Leina,Weida  (oder  Wieda),  auch  die  Be- 
zeichnung „Graben"  im  ostsaalischen  Lande  wieder.  Lehrreicher  ist  es 
zu  sehen,  daß  einzelne  Namen  gerade  auch  größerer  Flüsse  in  dem  Lande 
östlich  von  der  Saale  in  jenen  nördlicheren,  stets  germanisch  geblie- 
benen Gegenden  sich   nachweisen  lassen.     So   findet  sich   die  ältere 


—     243     — 

Namensform  Milda,  statt  deren  sich  für  die  beiden  Flüsse  der  Erz- 
gebirgslandschaft der  Name  Mulde  in  der  der  böhmischen  Moldawa 
verwandteren  Form  behauptet  hat,  in  der  Altmark  wieder,  aber 
auch  in  Schleswig  in  Husums  Nähe  bei  der  Mildau  (bei  Mildstedt); 
auch  auf  den  Ort  Milda  im  östlichen  Thüringen  ist  hinzuweisen.  Der 
Name  der  schwarzen  und  weißen  Elster  (Elstra,  Älestra)  ist  mit  der 
Alster  bei  Hamburg  zu  vergleichen;  die  Threne  östlich  von  Leipzig 
erinnert  an  die  Treene,  einen  Nebenfluß  der  Eider,  die  Schnauder  bei 
Groitzsch  an  die  Schunter  w.  von  Helmstedt;  die  Ihle  und  Ehle, 
östlich  von  Magdeburg  an  den  Ort  Ilfeld  im  Südharz,  der  nach  einer 
Ile  genann  sein  wird.  Mag  nun  auch  der  eine  und  andere  solcher 
Flußnamen  sich  aus  dem  Indogermanischen  (ebenso  aus  dem  Slawischen 
wie  dem  Germanischen)  erklären  lassen,  mögen  auch  manche  in  der  ost- 
deutschen Kolonisationszeit  von  Westen  her  in  die  Lande  östlich  der  Saale 
und  Elbe  übertragen  worden  sein,  so  leg^  doch  jener  eben  dargelegte 
Sachverhalt  den  Schluß  nahe,  daß  Gewässernamen  dieser  ostsaa- 
lischen  Gebiete  noch  dem  germanischen  Sprachbestande  aus  der  Zeit 
vor  der  slawischen  Einwanderung  angehören.  Somit  fällt  aus  der 
Flußnamenforschung  einiges  Licht  auf  die  so  wenig  klare  Zeit  der  alten 
germanischen  Besiedelung  und  deren  Zusammenhang  mit  der  Periode 
slawischer  Landnahme. 

Überblicken  wir  diese  Angaben  über  die  Flußnamen  des  Gebietes 
an  der  mittleren  Elbe  und  ihrer  Nebenflüsse,  so  zeigt  sich  trotz  großer 
Unsicherheit  der  Schlußfolgerung  im  einzelnen  doch  hinlänglich  deut- 
lich, daß  der  Grundstock  der  Flußnamen  der  Gegenden  westlich  von 
der  Saale  in  die  germanische  Zeit  hinaufreicht  und  germanischen 
Stämmen,  die  mit  den  im  Westen  und  Süden  wohnhaften  verwandt  waren, 
also  spätestens  den  Hermunduren,  verdankt  wird;  aber  auch  jüngere 
Einwirkung  durch  Zuwanderer  vom  Norden  her,  also  wohl  infolge 
anglisch-wamischer  oder  auch  nordsuevischer  Einwanderung,  in  ge- 
ringem Maße  endlich  durch  fränkischen  Einfluß  ist  ersichtlich.  Im 
Lande  östlich  der  Saale  überdauerte  ein  Bestand  an  germanischen 
Flußnamen  die  Einwanderung  von  Völkerschaften  slawischer  Rasse  ge- 
rade auch  in  den  von  Slawen  dicht  besiedelten  tieferen  Landesteilen, 
während  in  den  höheren  Gegenden,  wo  die  slawische  Besiedelung  nur 
spärlich  hindrang,  nicht  wenige  slawische  Flußnamen  gebräuchlich 
wurden.  Es  zeigt  sich  also,  daß  die  Flußnamengebung,  selbst  im  kleinen, 
großenteils  aus  Zeiten  vor  der  Herausbildung  fester  bäuerlicher  Siede- 
lungswirtschaft  stammt. 

Diese  Beispiele  mögen  genügen,  um  zu  zeigen,  daß  uns  die  Fluß- 


—     244     — 

namen  ein  nicht  zu  unterschätzendes  Hilüsmittel  zur  Aufhellung  der 
Bevölkerungs-  und  Stammesverhältnisse  frühgeschichtlicher  Zeiten  bie- 
ten, das  heute  bei  siedelungsgeschichtlichen  und  ethnographischen 
Untersuchungen  nicht  gebührend  beachtet  zu  werden  pflegt. 

Auch  an  Beispielen  dafür  fehlt  es  nicht,  daß  durch  die  Gewässer- 
namen die  Kenntnis  der  natürlichen  Bedingungen  für  Wirtschaft  und 
Siedelung  frühgeschichtlicher  Zeit,  wie  sie  in  der  Tier-  und  Pflanzen- 
welt eines  Landstriches  gegeben  sind,  gefördert  werden  kann.  So  be- 
zeugen uns  einzelne  Bachnamen  das  einstige  Dasein  des  Wisent,  des 
Ur,  des  Wildpferds,  des  Rot-  und  SchwarzwUdes,  des  Bibers ;  oder  sie 
geben  uns  Aufschluß  über  den  Baumschlag  und  das  Strauchwerk,  über 
Versumpfung  einer  Gegend  u.  a.  mehr.  Auch  für  die  Bestimmung 
der  Siedelungsmarken  haben  die  Flußnamen  Bedeutung;  sind  doch 
die  Bewässerungsverhältnisse  zumal  von  den  Franken,  wie  jüngst  ge- 
zeigt worden  ist  *),  bei  der  Herstellung  der  Grenzen  im  großen  wie  im 
kleinsten  sehr  sorgsam  beachtet  worden. 

Diese  Ausführungen  über  die  Bedeutung  der  Gewässernamen  für 
die  Siedelungsgeschichte ,  welche  den  Gegenstand  in  keiner  Weise 
erschöpfend  behandeln  können  und  sollen,  werden  zur  Genüge  dartun, 
daß  auf  diesem  Felde  wissenschaftlicher  Forschung  noch  ein  Schatz 
zu  heben  ist.  Aber  sie  zeigen  freilich  zugleich,  daß  Einzelbeobach- 
tungen, die  für  eine  Landschaft  gemacht  werden,  nur  schwer  sich  zu 
festeren  Schlüssen  verdichten  lassen.  Die  Schwierigkeit  und  Unsicher- 
heit dieser  Untersuchungen  kann  nur  überwunden  werden,  wenn  für 
die  verschiedenen  deutschen  Landschaften  vergleichbare  Arbeiten  über 
die  Gewässernamen  geschaffen  werden  und  somit  eine  verläßliche 
Grundlage  für  Massenbeobachtung  der  Flußnamengebung  Deutschlands 
in  historischer  wie  geographischer  Hinsicht  dargeboten  wird. 

Eine  planmäßige  Sammlung  der  Gewässernamen  ist  ja,  wie  ein- 
gangs bemerkt  wurde,  dank  dem  Vorgehen  mehrerer  landesgeschicht- 
licher Vereine  und  Publikationsinstitute  zugleich  mit  den  vorbereiten- 
den Arbeiten  zur  Herstellung  historischer  Ortsverzeichnisse  und  der 
Sammlung  von  Flurnamen  in  die  Wege  geleitet  worden.  In  der  Tat 
muß  bei  den  vorbereitenden  Sammelarbeiten  Landschaft  für  Landschaft 
nach  einem  gleichmäßigen  Verfahren  vorgegangen  werden,  wenn  wirk- 
lich ein  allen  wissenschaftlichen  Ansprüchen  genügendes  Vergleichs- 
material für  Studien  über  die  deutschen  Flußnamen  beschafft  werden 
soll;  denn  es   bedarf  dabei  einer  so  eindringenden  Vertiefung  in  die 

1)  K.  Rubel,  Bit  Franken  (1904),  S.  30  ff. 


—     245     — 

landesgeschichtlichen  Quellen,  so  großer  Vertrautheit  mit  der  Landes- 
und Volkskunde  und  den  Mundarten,  daß  hierfür  landschaftliche  Ar- 
beitsteilung dringend  geboten  erscheint.  Überdies  ist  die  Ermittelung 
der  Flußnamen  aus  den  historischen  Quellen  mit  der  Sammelarbeit  für 
die  historischen  Ortsverzeichnisse  und  die  Flurnamen  am  praktischsten 
zu  verbinden. 

Aber  die  Eigentümlichkeit  der  Flußnamengebung,  die  in  den  ent- 
legensten Gegenden  gleiche  oder  wenigstens  ganz  ähnliche  Namens- 
bildungen hervorruft  und  doch  überall  ein  Bestandteil  landschaftlicher 
Sonderart  ist,  sowie  der  Umstand,  daß  gerade  die  bedeutenderen  Flüsse 
verschiedenen  deutschen  Landschaften  angehören,  lassen  es  wünschens- 
wert erscheinen,  daß  ein  einheitliches  Werk  geschaffen  werde,  welches 
ebenso  den  Bedürfnissen  nach  Beachtung  des  landschaftlich  Beson- 
deren, wie  auch  der  Notwendigkeit,  das  allgemein  Deutsche  zu  über- 
schauen, in  gleicher  Weise  Rechnung  trägt.  Es  gilt  ein  deutsches 
Flufsnamenbuch  zu  schaffen,  in  welchem  die  Namen  der  fließenden 
und  stehenden  Gewässer  Deutschlands  mit  den  nötigen  sprachlichen, 
historischen  und  geographischen  Erläuterungen  verzeichnet  sind  und 
rasch  und  sicher  aufgefunden  werden  können  ^). 

Für  ganz  Deutschland  möchte  dabei  eine  Einteilung  in  mehrere 
Gebiete  entworfen  werden,  bei  deren  Abgrenzung  Besonderheiten  der 
Stammes-  und  Kolonisationsgeschichte,  wie  auch  die  Gnindzüge  des 
Bodenbaues  und  der  Bewässerung  Mitteleuropas  in  geeigneter  Weise 
berücksichtigt  werden  müßten.  Die  Veröflfentlichung  würde  zweck- 
mäßig so  geschaffen,  daß  für  ein  jedes  jener  Gebiete  ein  Sonderheft 
ausgegeben  würde,  bei  dessen  Anordnung  die  Gliederung  des  Stoffes 
nach  Flußsystemen  mit  der  alphabetischen  Namenfolge  in  passender 
Weise  zu  vereinen  sein  würde.  Diesen  Sonderheften  müßte  ein  all- 
gemeiner Teil  folgen,  der  zugleich  ein  gemeinsames  Namenregister  für 
alle  Sonderhefte  und  die  aus  der  gesamten  Forschung  sich  ergeben- 
den Erklärungen  der  Flußnamen  enthalten  müßte.  So  wäre  die  Ein- 
heitlichkeit des  ganzen  Werkes  gewahrt  und  doch  dem  Bedürfnis,  das 
landschaftlich  Eigenartige  zu  erkennen.  Genüge  geschehen. 

i)  E^  wird  genügen,  dabei  die  belangreichen  Namen  auszuwählen  und  Benennungen 
wie  Bach,  Wasser  und  dgl.  wenigstens  nicht  alle  einsein  anzuführen.  Zur  Charakteristik 
der  Zahl  der  fließenden  Gewässer  Deutschlands  sei  erwähnt,  daß  H.  F.  Bra belli  (in 
dem  Ton  Stein,  Hörschelmann  und  Wappäus  hrg.  Handbuch  der  Geographie  und  StO' 
tisiik,  IV  I,  S.  ii)  sie  ohne  die  kleinen  Riesel  und  Bächlein  auf  mindestens  40000 
schätzt.  Nach  einer  Angabe  bei  Ungewitter,  Neueste  Erdbeschreibung  und  Staaten- 
künde.  3.  Aufl.  (Dresden  1853)  '•  ^^-i  S*  ^7  ^^^  ^^^  Rhein  nicht  weniger  als  11 853 
Nebenge Wässer  haben. 


—     246     — 

Allerdings  kann  die  rechte  Deutung  der  Namen  nur  durch  ver- 
gleichende indogermanische  Studien  gewonnen  werden.  Aber  da  es 
gerade  darauf  ankommt  nachzuweisen,  wo  überall  die  Namen  auftreten, 
wie  sie  von  der  Beschaffenheit  der  Landesnatur  abhängen  und  wie 
sich  die  Namensformen  geschichtlich  abgewandelt  haben,  so  wäre  der 
Rahmen  eines  indogermanischen  Flußnamenwerkes  zu  weit  gespannt. 
Hingegen  ermöglicht  die  Beschränkung  auf  das  deutsche  Volksgebiet 
eine  Vertiefung  der  Probleme,  die  auch  der  indogermanischen  Fluß- 
namenforschung zugute  kommen  wird. 

Die  Herausgabe  eines  deutschen  Flußnamenbuches  ist  ein  Plan, 
welcher  durchaus  im  Bereiche  des  Möglichen  liegt.  Möchten  sich 
Mittel  und  Wege  zu  seiner  VerwirkUchung  finden!  Jedenfalls  aber 
wird  danach  gestrebt  werden  müssen,  daß  Siedelungsgeschichte  und 
Fiußnamenforschung  engere  Fühlung  miteinander  gewinnen  und  zum 
mindesten  einmal  für  einzelne  Landschaften  die  historisch-geographische 
Untersuchung  der  Flußnamengebung  auf  hinreichend  breiter  Grund- 
lage durchgeführt  wird.  Es  wird  auf  beiden  Seiten  wissenschaftlicher 
Gewinn  daraus  zu  erzielen  sein. 


Mitteilungen 

Archive.  —  In  die  Reihe  der  Städte,  die  ein  selbständiges  Stadtarchiv 
unter  fachmännischer  Leitung  besitzen,  ist  neuerdings  auch  Kiel  eingetreten. 
Die  Bedeutung  der  im  Archiv  enthaltenen  Rechtstitel  wurde  in  diesem  Falle  be- 
sonders deutlich  erkannt,  als  1904  die  Stadt  Kiel  den  Prozeß  gegen  den 
Staat  um  das  Eigentum  am  Kieler  Hafen  verlor,  und  die  Folge  davon  war, 
daß  die  Ordnung  des  Stadtarchivs  beschlossen  wurde.  Diese  Arbeit  wurde 
Dr.  Franz  Gundlach,  bis  dahin  Archivassissent  am  Staatsarchiv  in  Mar- 
burg, übertragen  und  von  ihm  im  Sommer  1905  begonnen.  Es  handelte 
sich  vor  aUem  danun,  die  herrschende,  schon  seit  1742  wiederholt  beklagte 
Unordnung  im  Archiv  endlich  zu  beseitigen  und  die  Archivalien  wirklich  be- 
nutzungsfähig zu  machen.  Dieses  letztere  Ziel  war  aber  nur  zu  erreichen, 
wenn  man  über  den  ursprünglichen  Plan  hinausging  tmd  eine  dauernde 
fachmännische  Archiwerwaltung  durch  Anstellung  eines  Stadtarchivars  herbei- 
Rihrte.  Die  städtischen  Kollegien  bewüligten  im  November  1906  die  Er- 
richtung eines  solchen  Amtes,  und  am  i.  Januar  1907  wurde  Dr.  Gund- 
lach  als  Stadtarchivar  auf  Lebenszeit  angestellt,  nachdem  er  aus  dem  kgl. 
preußischen  Archivdienst  ausgeschieden  war.  Es  ist  erfreulich,  daß  dieser  für 
die  Kieler  Stadtgeschichte  wichtige  Schritt  schon  jetzt  geschehen  ist  und  nicht, 
wie  ursprünglich  beabsichtigt,  auf  die  Zeit  verschoben  wurde,  da  das  Archiv  im 
neuen  Rathause  tmtergebracht  sein  wird;  das  wird  kaum  vor  19 11  der  Fall 
sein.     Im  letzteren  sind  günstig  gelegene,   luftige,   gegen   Feuersgefahr   und 


—     247     — 

Feuchtigkeit  möglichst  geschützte  Archlvräume  vorgesehen,  aber  es  ist  selbst- 
verständlich,  daß  die  Aufstellung  der  Archivalien  darin  desto  zweckmäßiger 
vor  sich  gehen  wird,  je  weiter  die  innere  Ordnung  vorgeschritten  ist.  Der 
sachverständige  Rat  des  Archivars  wird  sich  überdies  auch  bei  der  Ein- 
richtung der  neuen  Archivräume  nicht  entbehren  lassen. 

Über  die  Anfänge  des  Stadtarchivs  in  Elbing  fehlen  aUe  Nach- 
richten; doch  ist  es  sicherlich  schon  im  XVI.  Jahrhundert  vorhanden 
gewesen  ').  Der  älteste  aus  Elbing  selbst  stammende  Bericht  gehört  dem 
Anfang  des  XVII.  Jahrhunderts  an  ^.  Im  Jahre  1611  klagt  man  in  einer 
Ratssitzung  darüber,  daß  die  Canzelei,  d.  h.  das  Archiv  „  sehr  zerrüttet  und 
viel  hin  und  wieder  zerstreut  lieget*'.  Mehrere  Magistratsmitglieder,  darunter 
der  Bürgermeister  IsindorfT,  wurden  deshalb  beauftragt,  für  Abhilfe  zu  sorgen. 
Ob  es  geschehen  sei,  erfährt  man  nicht,  vielmehr  wird  im  Jahre  1636  von 
neuem  die  große  Unordnung  in  der  Canzelei  erwähnt  tmd  beschlossen,  ein 
genaues  Verzeichnis  der  Urkunden  anzufertigen.  Der  erste  Bürgermeister, 
Christian  Treschenberg,  soll  die  Reichs-  und  Landtags-Rezesse  bearbeiten, 
der  zweite  Bürgermeister  Fuchs  die  Missiv-Bücher ,  die  sonstigen  Mitglieder 
des  Rats  die  in  ihr  Ressort  fallenden  Stücke  verzeichnen;  überdies  soll  alles 
vereinigt  werden,  was  sonst  an  Büchern  bezüglich  seines  Inhalts  in  das  Archiv 
gohört;  auch  ist  die  Anlegung  eines  neuen  Privilegien-Buches  vorgesehen'). 
Nachdem  im  Jahre  1682  der  Auftrag,  welcher  dem  auch  als  Dichter  bekannten 
Gottfried  ZamehH)  und  einem  Sekretär  Lydicius  erteilt  war  „die  Cantzelei 
zu  revidiren  und  confustun  chaos  in  Ordnung  zu  bringen'*,  durch  den  Tod 
Zamehls  (f  12.  August  1684)  unausgeführt  blieb,  wurde  am  3.  März  1689 
dem  Sekretär  Peter  Poselger  (f  1709  als  Ratsherr)  die  Verwaltung  des  Archivs 
übertragen  mit  der  Verpflichtung,  die  vorhandenen  Archivalien  zu  inventari- 
sieren. In  drei  noch  vorhandenen  Folianten  ^)  wurde  die  verhältnismäßig  sorg- 
fältig ausgeführte  Arbeit  am  3.  März  1691  ftir  beendet  erklärt.  Am  25.  Ok- 
tober 1690  hatte  er  ein  Schreiben  an  den  Rat  gerichtet,  worin  er  die  „ihm 
erzeigte  Faveur  in  Übertragung  der  Registratur  dankbarlich  anerkennet''; 
„weil  er  aber  solche  Arbeit  ohne  die  geringste  Beschwerde   oder  Unkosten 

i)  Professor  Behring  in  Elbing  hatte  im  Staatsarchiv  zu  Danzig  eine  der  zweiten 
Hälfte  des  XVI.  Jahrbimderts  angehörige  Notiz  gefanden,  die  dem  Elbinger  Archiv  ent- 
nommen war;  doch  konnte  er  die  Stelle  nicht  näher  bezeichnen. 

2)  Sämtliche  aus  dem  XVll.  Jahrhundert  stammenden  Nachrichten  sind  den  verloren 
gegangenen  Ratsrezessen  entnommen,  die  sich  finden  bei  Karl  Ernst  Ramsey,  ManuS' 
cripta  ElbingenHa  in  Fol.  II 1 77/1 78  und  dessen  Manuscripta  Elbingensiain  4^,  XIV,  108. 
Diese  für  die  Geschichte  Elbings  sehr  wichtigen  Handschriften,  bestehend  in  15  Bänden 
in  FoL  and  15  Bänden  in  4^,  nebst  4  Bänden  Indices  zn  den  jetzt  nur  teilweise  vor- 
handenen Ratsrezessen  (vgl.  S.  251  Anm.  2  and  S.  253)  wurden  1773  nach  dem  Tode 
Ramseys  von  seiner  Witwe  an  die  Stadt  verkaafl. 

3^  Dasselbe  ist  noch  vorhanden  and  enthält  Abschriften  der  Urkunden  von  1246  ab. 

4)  Almeni  Musae  Cyclades  oder  deutsche  Bingel-Oedicht,  Königsberg  1667.  Über 
den  Verfasser  vgl.  T  o  e  p  p  e  n ,  Die  Elbinger  GeschiMaschreiber  und  Oeschiehtsforscher 
S.  44— ^2  {Zeitschrift  des  We8tpre^ßi8chenOe8chicfU8verein8,  Heft  XXXII.  Danzig  1893). 

5)  Unter  dem  Titel:  Ecclesi<utica ,  Oecanomica  (Verwaltung  des  Territoriums) 
und  Politica,  Die  Fortsetzung  geht  bis  in  die  70  er  Jahre  des  18.  Jahrhunderts.  In 
dem  Bande  Politica  wird  Fol.  290  hingewiesen  auf  den  Catalogus  librorum  in  Folio, 
der  jetzt  fehlt. 


—     250     — 

Erklärung  aufgefordert  wurde,  ob  er  eine  genaue  Registrierung  aller  auf  dem 
Rathause,  sowie  in  der  Konventshalle  ')  befindlichen  Archivalien  übernehmen 
wolle,  nachdem  ihm  schon  imter  dem  2.  Oktober  1820  die  Ordnung  der 
vorläufig  an  die  Stadt  abgetretenen  Grübnauschen  Sammlung  übertragen  war  *). 
Unter  der  Voraussetzung  einer  ihm  dafür  zu  bewilligend^^  Entschädigung 
von  60  Talern,  die  ihm  die  Stadtverordneten  schließlich  nach  mancherlei 
Verhandlungen  zugestanden,  woUte  er  sich  dieser  Aufgabe  mit  Hilfe  des  Ar- 
chivars Ramsay  unterziehen.  Das  Resultat  seiner  Arbeit,  die  niemals  voll- 
endet wurde,  bestand  wenigstens  darin,  daß  er  sich  eine  genaue' Kenntnis 
des  Archivs  verschafile,  die  der  von  ihm  verfaßten  Beschreibung  der  Siadi 
EJhing  und  ihres  Gebietes  in  topographischer,  geschichtUcJier  und  statistischer 
Hinsicht  (1818 — 32  mit  dem  erst  1852  lange  nach  seinem  Tode  [1835] 
erschienenen  Supplement  6  Bände  umfassend)  zugute  kam  ^). 

Der  eigentliche  Schöpfer  des  Archivs  in  seiner  gegenwärtigen  Gestalt  wurde 
nicht  er,  sondern  der  ihm  befreundete  FerdinandNeumann,  dessen  Arbeit 
aUe  bisher  gemachten  Versuche  zur  Wiederherstellung  tmd  Ordnung  der  auf 
die  Geschichte  der  Stadt  bezüglichen  Sammlungen  weit  in  den  Schatten 
stellte  *).  Am  3.  Mai  1826  richtete  er  folgende  Denkschrift  an  den  Magi- 
strat: „Der  Zustand  des  rathhäuslichen  Archivs  ist  von  der  Art,  daß  dasselbe 
den  Anforderungen,  welche  die  Behörden  sowol  in  rechtlicher  als  in  histo- 
rischer Beziehung  zu  machen  haben,  auf  keine  Weise  zu  befriedigen  vermag. 
Mit  Ausnahme  der  chronologisch  geordneten  Originalprivilegien  und  deren 
Abschriften  im  Privilegienbuch,  so  von  der  Rezeßsammlung  seit  1 700  ist  es 
nicht  leicht  möglich,  über  irgend  einen  fraglichen  Gegenstand  augenblickliche 
Auskunft  oder  auch  nur  die  Gewißheit  zu  erhalten,  ob  in  Betrefif  desselben 
überhaupt  etwas  vorhanden  sei  oder  nicht.  Dieser  Übelstand  ist  schon  mehr- 
mals tmangenehm  empfunden  worden  und  hat  mitunter  zu  dem  Glauben  ge- 
führt, daß  über  manches  keine  Auskunft  weiter  zu  erwarten  sei.  Gleichwohl 
scheint  schon  die  nicht  ganz  unbedeutende  Anzahl  der  Bände  dafür  zu 
sprechen,  daß  dies  nicht  unbedingt  der  Fall  sein  könne,  und  immer  wird 
nur  eine  gehörige  Übersicht  des  vorhandenen  darüber  zu  entscheiden  ver- 
mögen. Zu  einer  solchen  Übersicht  fehlt  aber  nicht  viel  weniger  als  alles. 
Der  im  Jahre  1 8 1 7  aus  dem  Überrest  der  geretteten  Schriften  des  alten  Rath- 
hauses  aufgestellte  Theil  des  Archivs  enthält  größtenteils  Originalbände  aus 
der  ältesten  Zeit  der  Stadt,  die  als  Quelle  für  die  elbingscbe  Geschichte  von 

i)  Die  Sammlungen  des  Jacob  Convent  vgl.  Anmerkung  6,  S.  248. 

2)  Vgl.  Anmerkung  12. 

3)  Über  ihn  Toeppen,  Geschichtsschreiber  178—182. 

4)  Über  diesen  Mann  (geb.  1792,  f  1869),  der  orsprünglich  Apotheker  war,  später 
zum  Stadtverordneten,  1834  zum  Stadtrat  gewählt  wurde  und  bei  seinem  Austritt  den 
Titel  eines  Stadtältesten  erhielt,  vgl.  M.  Toeppen,  Erinnerungen  an  F.  Neumann 
(Separatabdruck  aus  der  AUpreußischen  Monatsschrift.  Band  VI,  Heft  4).  Königs- 
berg 1869.  30  S.  8**  und  Toeppen  in  den  Elbinger  Geschichtsschreibern  188 — 193. 
In  der  zuerst  genannten  Schrift  sagt  Toeppen  über  ihn  S.  13  — 14:  „(Er]  legte  zuerst  einen 
äußerst  umfangreichen  Codex  Diplomaticus  zur  Geschichte  der  Stadt  Elbing  an,  in  welchen 
er  alles,  uas  sich  an  Originalien  und  Abschriften  dahingehöriger  Urkunden  ....  noch  zu- 
sammenbringen ließ,  aufnahm.  Da  er  durch  vieljährige  Übung  ein  ausgezeichneter  Kenner 
der  Paläographie ,  da  die  allergrößte  Accuratesse  in  dem  innersten  Wesen  seiner  Natur 
begründet  war,  endlich,  da  er  eine  ausgezeichnete  Hand  schrieb,  so  sucht  dieser  Codex 
Diplomaticus  ....  seines  Gleichen.'^ 


—     251     — 

uoschätzbarem  Werthe  sind.  Die  Schwierigkeit,  welche  mit  dem  Lesen  dieser 
in  aher  Schrift  und  zimi  Theil  in  einer  fremden  Sprache  abgefaßten  Doku- 
mente Terknüpft  ist,  hat  verursacht,  dafi  das  darüber  angefertigte  Register 
nicht  nur  über  den  eigentlichen  Inhalt  keine  weiteren  Andeutungen  enthält, 
sondern  auch  hin  und  wieder  die  Titel  unrichtig  angibt,  wie  denn  tmter  anderem 
durch  sonderbaren  ZufaU  auch  ein  medicinisches  Manuscript  unter  diese 
Sammlung  gerathen  ist'*  *)  Die  Arbeit  werde  sehr  mühsam  und  langwierig 
sein,  „da  nicht  nur  ohne  Ausnahme  jeder  Band  mit  aller  Sorgfalt  durch- 
gesehen, sondern  auch  eine  beträchtliche  Menge  zerstreuter  Papiere  genau 
durchgangen,  auch  eine  bedeutende  Anzahl  einzelner  Notate  vorangehen 
mud"  .  .  .  „Gleichwol  bin  ich  .  .  .  bereit,  mich  derselben  und  zwar  unent- 
geltlich mit  Ausnahme  etwaiger  reeller  Auslagen  zu  unterziehen.  Doch  muß 
ich  bemerken,  daß  es  mit  meinen  sonstigen  Geschäften  nicht  vereinbar,  auch 
jedenfialls  zu  beschwerlich  ist,  diese  Arbeit  an  Ort  und  Stelle  vorzunehmen, 
sondern  muß,  im  Falle  mein  Anerbieten  genehmigt  werden  sollte,  darauf  an- 
tragen, daß  mir  die  Materialien  nach  einander  zu  freiem  Gebrauche  aus- 
gehändigt werden,  wogegen  ich,  auf  Verlangen,  gern  erbötig  bin,  über  die 
sorgfältige  Erhaltang  derselben  mich  eidlich  zu  verpflichten. '*  Nachdem  der 
Magistrat  sich  mit  seinen  Vorschlägen  einverstanden  erklärt  hatte,  teilte 
Neumann  am  15.  Dezember  1828  mit,  was  er  geleistet.  Er  habe  die  181 7 
aufgenonmienen  Register  der  Urkunden  durchgesehen  und  gefunden,  daß 
von  den  236  daselbst  befindlichen  Dokumenten  56  unter  unrichtigen  tmd 
eine  Menge  anderer  unter  nicht  hinreichend  bezeichneten  Titeln  vorkommen. 
Er  überreicht  drei  Bände  Register,  in  denen  seine  Arbeiten  verzeichnet 
seien  *).  Der  Magistrat  spricht  ihm  am  23.  Dezember  desselben  Jahres 
seinen  Dank  für  die  bisher  aufgewendete  Mühe  aus.  „Letztere  bitten  wir 
aber  um  so  mehr  mit  allem  Eifer  fortzusetzen,  da  in  diesem  Augenblicke 
dieses  Geschäft  nur  Stückwerk,  das  Leben  des  Menschen  aber  kurz  und 
unbestimmt/' 

Die  eigentliche  Verwaltung  führte  zunächst  der  Sekretär  Karl  Ferdinand 
Ramsay  weiter  '),  und  seit  1833  ^^^  Registrator  und  spätere  Stadtrat  Kohtz  *). 

1)  Es  ist  die  Handschrift  F  39  der  Stadtbibliothek:  Lüium  Medieine,  Von  Bern- 
hard von  Gordon  ans  MontpeUier  (ca.   1300). 

2)  Diese  Register  enthalten  chronologisch  geordnete  kurze  Inhaltsangaben  aas  den 
eigentlichen  Urkunden,  sowie  aus  der  Folio-Ausgabe  des  Sammelwerks  von  Karl  Ernst 
Ramsey,  den  umfangreichen  Handschriften  von  Jacob  Wunderlich  (f  169 1),  Jacob  Roule 
(t  171 2),  Dominic  Meyer  (f  1737),  Sigismund  Sieffert  (f  1746),  Israel  Hoppes  Miscellanea, 
Johann  Heinrich  Dewitz'  (f  1767)  Elbingensia  und  einigen  anderen,  einer  größeren  Reihe 
zum  Teil  sehr  starker  Folio-Bän<ie.  Die  ersten  3  Bände  gehen  bis  zum  Jahre  1699,  ein 
später  hinzugekommener  vierter  Band  enthält  Regesten  bis  1772.  Von  der  unendlichen 
Arbeit,  die  darin  steckt,  haben  die  Väter  der  Stadt  damals  sicherlich  keine  Vorstellung 
gehabt. 

3)  Das  Archiv  besitzt  von  ihm  die  handschriftliche  Chronik  der  Stadt  Elhing, 
welche  die  Jahre  1796  — 185 1  bis  zum  22.  April  umfaßt  (die  Vorrede  ist  datiert  von 
1834),  9  Bände  Text  und  8  Bände  Beilagen  enthaltend,  in  Fol.,  dazu  das  Supplement: 
Jowrnai  über  die  Ereignisne  in  Elhing  %md  der  umliegenden  Gegend  seit  dem 
Monat  September  1805  bis  in  die  Mute  des  Jahres  1808.     Fol. 

4)  Folgende  Denkschrift  ist  von  ihm  vorhanden:  Motive  ßu  dem  Beschluß  der 
Stadtverordneten  in  EWing  vom  4.  August  1836,  das  Elbinger  Territorium  betreffend. 
Gedruckte  Abschrift  ausschli^lich  eum  Gebrauch  des  Magistrats  und  der  Stadt- 
verordneten zu  Eünng,    (Am  Schluß:)  Elhing  im  Dezemher  1840.     37  S.  4^. 

18* 


—     262     — 

Neumann,  der  im  November  1834  zunächst  das  Dezernat  über  das  ArchiT 
übernahm,  weil  er,  wie  sein  Vorgänger  Achenwall  erklärte,  „niemand  den 
Inhalt  des  rathäuslichen  Archivs  genauer  kennt,  und  niemand  in  der  neuesten 
Zeit  sich  größere  Verdienste  um  Ordnen  desselben  erworben  hat'S  trat 
dasselbe  1854  an  den  Stadtrat  Krause  ab,  wurde  nun  aber  der  eigentliche 
Verwalter  der  Sammlungen,  denen  1858  zwei  Zimmer  auf  dem  Rathause 
angewiesen  wurden,  während  sie  bisher  in  einzelnen  an  verschiedenen  Stellen 
untergebrachten  Schränken  sich  befanden.  Am  16.  Juli  1861  konnte  Neu- 
mann dem  Magistrat  die  Anzeige  machen,  dafi  er  sämtliche  Urkunden  von 
1600  ab  verzeichnet  habe.  Wiederholte  KrankheitsanMe ,  die  zur  Folge 
hatten,  dafi  ihm  zuletzt  zur  Erledigung  der  laufenden  Geschäfte  ein  Stadt- 
sekretär beigegeben  wurde,  veranlaßten  ihn  schließlich,  um  Enthebung  von 
semem  Amte  zu  bitten,  nachdem  er  noch  unter  dem  6.  August  1868  den 
Gymnasiallehrer  Dr.  Edwin  Volckmann  zu  seinem  Nachfolger  bestimmt  hatte. 
Indem  der  Magistrat  auf  seinen  Wunsch  einging,  fügte  er  hinzu:  „Wir  können 
hierbei  nicht  unterlassen,  Ihnen  für  Ihre  Verdienste  um  das  städtische  Archiv 
durch  jahrelange  erfolgreiche  Thätigkeit  unseren  verbindlichsten  Dank  aus- 
zusprechen** (13.  Oktober  1868).  • 

An  der  Einrichtung  des  Archivs,  wie  es  Neumann  seinem  Nachfolger 
hinterließ,  ist  bisher  nichts  geändert;  nur  die  von  ihm  noch  nicht  vollzogene 
Inhaltsangabe  einer  Reihe  von  Folianten  wurde  zunächst  Volckmanns  Auf- 
gabe. Als  er  sich  zur  Übernahme  des  Archivs  bereit  erklärte,  stellte  er  die 
Höhe  der  Entschädigung  „einem  billigen  Ermessen  des  Magistrats'*  anheim, 
„indem  ich  mir'*,  fügte  er  hinzu,  „erlaube  auf  eine  Parathese  der  Stellung 
eines  Stadtbibliothekars .  tmd  Archivars  aufmerksam  zu  machen**  (13.  August 
1868).  Am  I.  Oktober  d.  J.  wurde  ihm  auf  10  Jahre  eine  Remuneration 
von  je  75  Talern  zugesichert.  'Seine  Arbeit  sollte  sich  nach  seiner  Äußerung 
beziehen  auf  Katalogisierung  der  übrigen  Manuskripte  mit  Ausnahme  der 
Urkunden  *).  Der  von  ihm  im  Laufe  der  Zeiten  verfaßte  handschriftliche 
Katalog  umfaßt  folgende  16  Titel:  I.  Politik,  Verträge,  Landtagssachen, 
Statuta  terrarum,  allgemeine  Landessachen.  II.  Chronicalia,  Historica,  Be- 
schreibungen, Territorialia  Elbingensia.  III.  Kriegswesen.  IV.  Verwaltung, 
Urkunden,  Verhandlungen,  Recesse,  Missive.  V.  Rechnungswesen,  Münze, 
Numismatik,  Sphragistik.  VI.  Handel  und  Zollwesen.  VII.  Gewerbe-  und 
Zunftwesen,  Brüderschaften.  VIII.  Kirchenwesen.  IX.  Schul-  imd  Gelehrten- 
sachen. X.  Hospitäler,  Armenwesen,  Medicinalwesen.  XI.  Gerichtswesen. 
XII.  Hypotheken-,  Wiesen-,  Zins-  und  Rentenbücher.  XIII — XIV.  Personatia. 
XV.  Poetische  Stücke  imd  Diversa.  XVI.  Zeichnungen  und  Kupferstiche. 
Unter  den  hier  aufgeführten  Manuskripten  sind  aus  alter  Zeit  besonders  er- 
wähnenswert die  älteste  noch  erhaltene  deutsche  Handschrift  des  Lübischen 


i)  Er  gab  die  von  Neumann  schon  gefertigten  Regesten  der  Urkunden  von  1242 — 
1768,  denen  er  „die  Namen  der  Personen,  örter  and  Zeugen  nebst  den  Bemerkungen 
über  die  Siegel  hinzufligte '^,  zunächst  als  Beilage  der  Gymnasialprogramme  von  187$  und 
1876,  dann  als  besonderes  Buch  unter  dem  Titel  heraus:  Katalog  des  EWinger  Stadt' 
archivß.  Elbing  1875.  124  S.  4',  im  ganzen  614  Nummern  enthaltend.  Der  Titel  ist 
insofern  irreführend,  als  aufier  den  Urkunden  nichts  anderes  darin  verzeichnet  ist;  auch 
fehlen  die  in  verschiedenen  Chroniken,  wie  Gotsch'  Geschichte  der  Neustadt  Elbing, 
Convents  Chronik  von  Elbing  und  anderswo  als  besondere  Beilagen  sich  findenden  Dokumente. 


—     253     — 

Rechts,  zwischen  1260  und  1376  verfaßt  (vgl.  Freasdorff,  Das  Lübiaehe  Recht 
nach  seinen  äUesten  Farmen.  Leipzig  1873  S.  64/65),  in  dem  originalen 
in  Form  einer  Brieftasche  gehaltenen  Lederumschlag,  femer  die  Zinsbücher 
aus  den  Jahren  1295 — 1320,  1402 — 1408,  1445 — 1449,  ^*c  Stadtbücher 
von  1330 — 1360,  1361 — 1418,  1374,  die  Kämmereirechnung  von  1404 — 
14 14,  das  Erbbuch  der  Altstadt  14 17  mit  der  Erwähnung  der  Schlacht  von 
Tannenberg  (Scriptores  rerum  Prussicarum  III  400 — 401),  das  Rentenbuch 
von  1340 — 1381,  das  Kriegsbuch  von  1383 — 1409,  „eine  Nachweisung 
aller  Kriegsfiahrten,  bei  welchen  die  Stadt  Elbing  in  dem  genannten  Zeitraimi 
beteiligt  war*'  (zum  Teil  herausgegeben  von  R.  Toeppen  aus  dem  Nachlaß 
seines  Vaters  in  der  Altpreußischen  Monatsschrift  36  [1899]  Heft  3/4),  zwei 
Kopialbücher  aus  dem  15.  Jahrhundert  mit  Urkunden  vom  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts ab.  Dazu  kommen  die  großen  Sammelbände,  teils  mit  Originalen, 
teils  Abschriften  zahlreicher  nicht  mehr  in  der  Urschrift  vorhandenen  Schrift- 
stücke, von  denen  die  wichtigsten  die  schon  S.  247  in  der  Anmerkung  2  erwähn- 
ten von  Ramsey,  von  Israel  Hoppe  (f  1679,  Typus  reipublicae  Elbingensis 
3  Bde.  Fol.),  Jacob  Roule,  Daniel  Conradi  (f  1738)  u.  a.  sind.  Für  das 
18.  Jahrhundert  haben  wir  Air  die  Geschichte  Elbings  eine  Quelle  ersten 
Ranges  in  den  Ratsrezessen  von  1700 — 1771*  von  denen  freilich  die  Jahr- 
gänge 1709,  1729,  1731  fehlen,  in  69  zum  Teil  sehr  starken  Folianten, 
während  fiir  das  1 7«  Jahrhundert  nur  die  Jahre  1602 — 1607,  1622  — 1623, 
1637 — 1638,  1677,  1683,  1687  vorhanden  sind,  für  das  16.  Jahrhundert 
ein  Fragment  von  1597  sich  erhalten  hat 

Nachdem  Volckmann  am  i.  Oktober  1886  sein  Amt  als  Professor  des 
Gymnasiums  aufgegeben,  legte  er  auch  die  Verwaltung  des  Archivs  nieder  ^), 
die  darauf  dem  Gymnasialdirektor  Max  Toeppen  übertragen  wurde.  Die 
großen  Verdienste  dieses  Mannes  um  die  Geschichte  der  Provinz  Preußen 
werden  unvergessen  bleiben.  Seine  Tätigkeit  als  Archivar  bestand  hauptsäch- 
lich darin,  daß  er  die  von  ihm  verwalteten  handschriftlichen  Schätze  durch 
eine  Reihe  von  Publikationen  der  Wissenschaft  und  weiteren  Kreisen  zugäng- 
lich machte ').     Er  überwies  während   dieser  Zeit  verschiedene ,    ihm   von 

i)  Über  ihn  vergleiche  Toeppen,  Elbinger  Geschichi88chre%ber  S.  195.  Volck- 
mann t  1901  zu  Homburg  v.  d.  H. 

2)  Hier  mögen  hauptsächlich  genannt  werden:  GeBchiMe  der  räumlichen  ÄtM' 
hreitung  der  Stadt  Elbing  (in  der  ZeiUchrift  des  Westpreußischen  Geschichtsvereins 
Heft  lUQ.  1887)  nnd  die  in  den  Anmerkangen  wiederholt  erwähnten  Elbinger  GC' 
sehiehtsschreiber  und  Geschichtsforscher  in  kritisdier  Übersicht  vorgeführt  (in  der 
Zeitschriß  des  Westpreußischen  Geschichtsvereins.  Heft  XXXIL  Danzig  1893).  Nicht 
in  Elbing  entstanden  sind  die  Elbinger  Antiquitäten.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des 
städtischen  Lebens  im  Mittelalter;  sie  erschienen  zuerst  als  Beitrag  zu  den  Gymnasial- 
programmen von  Marienwerder  in  den  Jahren  1870,  1871,  1872,  dann  mit  neuem 
Titel  zu  Danzig  bei  Theodor  Bertling  1871,  1872,  1873  (300  S.  8%  Ein  Verzeichnis 
aller  bis  zu  seinem  am  3.  Dezember  1893  erfolgten  Tode  vollendeten  Arbeiten  hat 
R.  Reicke  am  Schlnfl  der  Biographie:  Max  Toppen  von  Karl  Lohmeyer.  Separat- 
Abdrack  aas  der  Ältpreußischen  Monatsschrift  XXXI.  Heft  1—2.  Königsberg  1894. 
36  8.  8®  g^eben  auf  S.  28 — 36.  Von  Lohmeyer  rührt  auch  her  der  Artikel  ,,  Toeppen  ^^ 
in  der  Aügemeinen  Deutsehen  Biographie  38  (1894),  451—453.  Nach  Toeppcns  Tode 
wurden  von  seinem  Sohne,  dem  Gymnasialoberlehrer  Robert  Toeppen  (f  26.  Juni  1901), 
noch  verschiedene  Abhandlungen  in  der  Ältpreußischen  Monatsschrift  und  in  der  Zeit- 
schrift  des  Westpreußischen  Geschichtsvereins  herausgegeben,  darunter  das  schon  er- 
wähnte „  Kriegsbuch  ^^ 


—     254     — 

Neumann  testamentarisch  hüiterlassene  Handschriften  dem  Archiv,  danmter 
als  die  wichtigste  die  Hauptredaktion  von  Israel  Hoppes  Geschichte  des  ersten 
schwedisch-polnischen  Krieges  in  Preußen  1626 — 1636,  die  von  ihm  1887 
ab  5.  Band  seiner  Publikation  der  preußischen  Geschichtschreiber  des  16. 
und  17.  Jahrhunderts  herausgegeben  wurde.  Am  28.  Oktober  1892  rich- 
tete er  an  den  Oberbürgermeister  folgende  Mitteilung:  », Nachdem  ich  die 
Angelegenheiten  des  Archivs  in  Ihrem  Auftrage  einige  Jahre  lang  geleitet 
habe,  zwingt  mich  zunehmende  Körperschwäche,  diese  Tätigkeit  au£cugeben/' 
Er  erwähnt  noch,  daß  er  die  Schlüssel  zum  Archiv  bereits  abgeliefert  habe. 
Die  provisorische  Vertretung  übernahm  zunächst  ein  Stadtsekretär,  bis  man 
auf  Toeppens  Empfehlung  vom  i.  April  1893  ab  dem  Unterzeichneten  die 
Verwaltung  übertrug.  Im  Jahre  1894  wurde  dem  Archiv  in  dem  neuerbauten 
Rathause  ein  Zimmer  überwiesen;  ein  zweites,  das  ursprünglich  auch  für 
diesen  Zweck  bestimmt  war,  ward  leider  anderweitig  vergeben.  Daher  kommt 
es,  daß,  nachdem  in  den  Jahren  1903  und  1904  eine  große  Reihe  von 
Rechnungen  aus  dem  16.  bis  18.  Jahrhundert,  die  bisher  auf  dem  Boden 
des  Rathauses  lagerten  '),  mit  den  übrigen  Sammlungen  vereinigt  wurden, 
die  Raumverhältnisse  aufs  äußerste  beschränkt  sind  und  eine  ordnungsmäßige 
Unterbrmgung  der  neu  hinzugekommenen  Archivalien  nicht  durchführbar  ist. 
Für  die  äußere  Sicherheit  der  Handschriften  gegen  Feuersgefahr  wurde  auf 
Wunsch  der  Königlichen  Regierung  vor  einigen  Jahren  durch  eiserne  Fenster- 
läden, eine  mit  Eisenblech  beschlagene  Tür  und  eine  Zementdecke  gesorgt. 
Trotz  aller  bisher  auf  die  Ordnung  des  Archivs  aufgewendeten  Mühe 
bleibt  noch  viel  zu  tun  übrig.  Es  gehört  schon  eine  ziemlich  genaue  Kennt- 
nis desselben  dazu,  um  auf  plötzlich  auftauchende  Fragen,  sofern  sie  nicht 
ganz  allgemein  gehalten  sind,  sofort  die  gewünschte  Auskunft  erteilen  zu 
können.  Ein  alphabetisches  Register  über  alle  in  den  Urkunden  tmd  sonstigen 
Handschriften  erwähnten  Personen  und  Sachen,  wie  man  es  in  anderen 
Sammlungen  findet,  fehlt,  und  seine  Anfertigung  wird  wahrscheinlich  ein 
fronmier  Wunsch  bleiben,  solange  die  Verwaltung,  wie  es  seit  30  Jahren  der 
Fall  ist,  nur  im  Nebenamt  unentgeltlich  geführt  wird. 

Elbing.  Prof.  Dr.  L.  Neubaur. 

Zur  Frage  des  Provenienzprinzips  im  Archivwesen  und  zu  dem 
Bericht  über  den  sechsten  deutschen  Archivtag  in  Wien,  oben  S.  40 — 43, 
schreibt  der  Verfasser  des  letzteren,  Dr.  Max  Vancsa,  Kustos  am  Nieder- 
Österreichischen  I^Andesarcbiv  in  Wien: 

Eine  Flüchtigkeit,  wie  sie  bei  einer  eiligen  Berichterstattung,  zu  der  ich 
geQötigt  war,  einigermaßen  entschuldbar  sein  dürfte,  hat  leider  zur  Folge  ge- 

i)  Von  diesen  Rechnungen  und  anderen  Handschriften  hatte  schon  Stadtaekretär 
Sabe  ein  Verzeichnis  angefertigt  unter  dem  Titel :  Neben-Index  des  Stadtarchivs^  enthaUend 
du^imigen  Archivstüdce,  welche  bisher  im  Gemeindehause  sich  befunden  haben,  jetzt  im 
2,  Stodc  des  Bathauses  aufbewahrt  werden,  aufgenommen  im  September  wnd  Oktober 
1858.  Diese  Schriftstücke  waren  im  Laufe  der  2^iten  ganz  unbeachtet  geblieben. 
Einen  Teil  davon  hatte  Professor  R.  Dorr  seit  dem  Jahre  1893  ^^  ^^^  Museumsboden- 
kammer aufbewahrt,  bis  sie  1903  mit  dem  Archiv  vereinigt  wurden,  während  ein  anderer 
Teil  schon  bald  nach  der  Übersiedelung  in  das  neue  Ratbaus  und  der  Rest,  wie  oben 
erwähnt  ist^  Ende  des  Jahres  1904  dorthin  kam. 


—     255     — 

habt,  daß  eine  Stelle  in  meinem  Berichte  über  den  sechsten  deutschen  Ar- 
chivtag in  Wien  ein  Befremden  hervorgerufen  hat,  wie  es  gar  nicht  in  meiner 
Absicht  lag.  Ich  ergreife  um  so  lieber  die  Gelegenheit,  für  meine  Worte  selbst 
einzutreten,  ab  durch  ein  weiteres  Versehen  mein  Name  weggeblieben  war 
und  dadurch  der  Herausgebei^  dieser  Zeitschrift  in  einen  ganz  unbegründeten 
Verdacht  gekommen  ist.  Es  handelt  sich  um  die  Stelle,  inderich — obenS.  43  — 
von  dem  Vortrage  des  Archivdirektors  S e c h e  r  in  Kopenhagen  über  die  Ord- 
nungsprinzipien im  dänischen  Archivwesen,  insbesondere 
das  Provenienzprinzip  sprach.  Meine,  wie  ich  eben  zugegeben  habe, 
etwas  flüchtig  gefaßte  Wendung  mußte  die  Annahme  erwecken,  als  bezögen 
sich  meine  nicht  völlig  zustimmenden  Bemerkungen  auf  das  Provenienzprinzip, 
während  es  in  Wahrheit  lauten  sollte:  „Diese  Prinzipien",  nämlich 
die  Ordnungsprinzipien  im  dänischen  Archivwesen.  Nur  von  diesen  wollte 
ich  sagen,  daß  „sie  ganz  spezifische  Entwickelungsverhältnisse,  wie  sie  eben 
in  Dänemark  gegeben  sind,  voraussetzen",  und  sprach  damit  nicht  etwa  ein 
rein  subjektives  Urteil  aus,  sondern  verlieh,  wie  es  mir  Pflicht  eines  Bericht- 
erstatters zu  sein  schien,  dem  Ausdruck,  was  viele  meiner  österreichischen 
Archivkollegen  über  Sechers  Ausführungen  geäußert  hatten.  Es  konnte  mir 
jedoch  nicht  in  den  Sinn  kommen,  mit  diesen  Worten  mich  gegen  das 
Provenienzprinzip  als  solches,  das  übrigens  erst  jetzt,  da  Sechers  Vortrag  im 
Drucke  vorliegt  '),  aus  seinen  Ausführungen  stärker  hervortritt,  zu  wenden; 
schon  deshalb  nicht,  weil  man  bei  großen  Archiven  schon  aus  rein  prak- 
tischen Gründen  das  Provenienzprinzip  befolgen  muß  und  auch  bei  uns  in 
Österreich  befolgt  hat.  Es  entspricht  das,  wie  ich  glaube,  auch  einem  an- 
deren Grundsatze  der  Archivverwaltung,  nämlich  daß  man  ursprüngliche  und 
insbesondere  lange  angewendete  Ordnungen  nicht  ohne  zwingende  Gründe 
lunstoßen  soll.  Nur  so  ist  es  möglich,  Bestände  sowohl  fremder  Archive 
als  auch  der  Registraturen  dem  Hauptarchive  rasch  anzugliedern,  denn  mit 
Recht  hebt  Secher  hervor,  daß  ein  anderes  Einordnen  eine  Unzahl  von  Ar- 
beitskräften oder  Jahrzehnte,  ja  Jahrhimderte  zur  DurchfÜhmng  erfordern 
würde.  Wogegen  ich  mich  gewendet  habe  und  wir  uns  in  Österreich  über- 
haupt wenden  müßten,  ist  nur  jene  Verfolgung  des  Provenienzprinzipes  bis 
zu  seinen  äußersten  Konsequenzen,  wie  sie  in  Dänemark  üblich  ist,  wo  die 
Akten  jeder  Kommission  und  jedes  Kontors  als  besondere  Fonds  auf- 
gestellt werden.  Hier  hat  man  offenbar  sehr  ein&che  Verhältnisse  in  der 
Verwaltung  vor  sich,  die  sich  seit  Jahrhunderten  einheitlich  ohne  viele  Unter- 
brechungen und  Umgestaltungen  entwickelt  haben,  dazu  eine  frühzeitige  Zen- 
tralisation des  Archivwesens,  da  ließ  und  läßt  sich  ein  starres  Prinzip  leichter 
vollständig  duichführen.  Man  denke  sich  statt  dessen  die  komplizierte 
sprunghafte  Entwickelung  der  österreichischen  Verwaltung,  die  Vielheit,  Viel- 
gestaltigkeit und  Wandelbarkeit  unserer  Behörden,  zum  Teil  hervorgerufen 
durch  die  Angliederung  anderer  Länder  an  die  deutschen  Stammlande !  Wie 
oft  werden  im  Laufe  der  Jahrhunderte  neue  Behörden  geschaffen,  die  nach 
kurzer  Dauer  wieder  eingehen,  wie  oft  werden  auf  kurze  2^it  Agenden  der 
einen  Behörde  der  anderen  zugeteilt.     Da   empfiehlt  sich   nach   meiner  An- 


I)  Korrespondenzbutt  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschieh ts-  und  Altertums- 
vereine  1906,  Nr.  11/12  und  Protokoll  des  6.  deutschen  Archivtages  in  Wien  (Berlin  1906). 


—     256     — 

sieht  die  sachliche  Einreihtmg  Dach  der  Haupteinteilung  des  Archives  mehr 
ab  die  Ausscheidung  und  gesonderte  Aufstellung  nach  dem  Provenienzprin- 
zipe.  Ja  ich  fUrchte,  daß  bei  allzu  strenger  Anwendung  des  Provenienz- 
prinzipes  unsere  heikelste  österreichische  Archivfrage,  die  Aufteilung  des 
alten  HofkanmierarchiTS  (jetzt  Archiv  des  Rei^hfinanzministeriums)  unter  die 
beiden  Reichshälften,  die  man  mit  Recht  in  Österreich  mit  aller  Entschieden- 
heit verhindern  will,  zu  unseren  Ungunsten  entschieden  werden  könnte.  Auch 
möchte  ich  diesem  Prinzipe  bei  Eingliederung  der  Archivalien  kleinerer  Unter- 
behörden nicht  imbedingt  das  Wort  reden.  Auch  da  wird  Zusammenziehung 
nach  gegenständlichen  Gesichtspunkten  für  die  »Benutzung  praktischer  sein. 
Bekannt  ist  femer  der  aufierordentlich  starke  Wechsel,  dem  in  Österreich 
imd  ganz  besonders  in  Niederösterreich  die  Landgerichtseinteiiung  unter- 
worfen war;  Zersplitterungen  und  Zusammenlegungen  waren  an  der  Tages- 
ordnung. Auch  da  wird  der  Archivar  in  vielen  Fällen  lieber  nach  sach- 
lichen Gründen  einigend  eingreifen. 

Aus  dem  Gesagten  geht  aber  auch  hervor,  daß  das  Provenienzprinzip 
erst  dort  mit  Glück  einsetzen  kann,  wo  eine  Organisation  uns  entgegentritt, 
und  dieser  Zeitpunkt  wird  in  verschiedenen  Ländern  tmd  auf  verschiedenen 
Verwaltungsgebieten  ganz  verschieden  sein.  Inwieweit  das  Prinzip  auf 
ältere,  dahinter  zurückliegende  Archivbestände  angewendet  werden  kann,  soll 
nicht  von  vornherein  mit  unbedingter  Sicherheit  entschieden  werden.  Kleinere, 
namentlich  urkimdliche  Archivbestände,  Bestände  mit  allzu  bunter  Provenienz 
sind  nach  meiner  Meinung  am  besten  chronologisch  zu  ordnen. 

An  dieser  Stelle  noch  ein  Wort  über  den  Punkt,  dessenthalben  ich  be- 
reits in  diesen  Blättern  (oben,  S.  92)  von  Herrn  Archivdirektor  Secher 
eine  Berichtigung  erfahren  habe,  nämlich  hinsichtlich  der  Scheidung  von  Ur- 
kunden und  Akten.  Es  scheint,  daß  ich  den  Vortragenden  tatsächlich  miß- 
verstanden habe,  da  er  nur  bezüglich  der  Papierurkunden  meinte,  daß  sie 
von  den  Akten  nicht  zu  treimen  wären.  Aber  das  Mißverständnis  lag  nahe, 
denn  auch  in  dem  gedruckten  Vortrage  ist  bei  der  Zusammenfassung  seiner 
Aufstellungen  zn  lesen:  „3.  Keine  prinzipielle  Scheidung  von  Urkunden 
und  Akten'*.  Wir  können  uns  nun  einmal  nicht  recht  in  Verhältnisse  hinein- 
denken, wo,  wie  Secher  mitteilte,  sowohl  der  Begriff,  als  auch  das  Wort 
„Urkunde"  gänzlich  fehlt. 

Eine  spezifisch  dänische  Einrichttmg  ist  es  auch,  daß  in  diesem  Staate 
die  dienstlichen  Schreiben  nicht  an  das  Amt,  sondern  persönlich  an  den 
Beamten  adressiert  werden.  Ich  weiß  nicht,  ob  dies  überhaupt  noch  irgend- 
wo anders  als  in  Dänemark  geschah;  jedenfalls  in  Österreich  und  den  mir 
bekannten  Gegenden  Deutschlands  nicht.  Folglich  hat  auch  für  uns  die  Er- 
forschung und  Feststellung  der  alten  Beamtenlisten,  so  sehr  auch  bei  uns  in 
neuester  Zeit  die  Verwaltungsgeschichte  -  gepflegt  und  die  Bedeutung  der 
Schematismen  erkannt  worden  ist  *),  wem'gstens  fUr  archivalische  Zwecke 
nicht  jene  hervorragende  Bedeutung  wie  in  Dänemark. 

Schon  hat  mittlerweile  an  anderer  Stelle  ^)  sich  der  Herausgeber  dieser 

i)  Soeben  erscheint  der  I.  Band  von  Fellner-Kretschmayer,  Oeschichte  der 
öiterreichisdien  ZeiüralotrwaUwng  (Wien  1907).  —  Vgl.  aach  Mitis,  Hof- und  Staats^ 
handhücher  (Mitteiluigen  des  österreichischen  Vereins  für  Bibliothekswesen  X,  1906,  151  f.). 

2)  Nederlandsch  Arehievenblad  1906^1907,  Nr.  3. 


—     267     — 

Zeitschrift  über  die  Durchführung  des  ProYenienzprinzipes  in  ähnlichem  Sinne 
wie  ich  geändert.  Wir  stimmen  darin  überein,  daß  man  sich  bei  modernen 
Verwaltungsarchiven  schon  aus  praktischen  Gründen  für  das  Provenienzprin- 
zip  entscheiden  wird,  daß  aber  durchaus  nicht  ein  starres  Festhalten  des 
Prinzipes  angezeigt  ist ;  denn  jedes  Archiv  besitzt  nach'  meiner  Meinung  seine 
Besonderheiten,  sei  es  nach  Entstehung,  sei  es  nach  den  Zwecken,  welchen 
es  zu  dienen  hat,  und  diesen  Besonderheiten  muß  bei  der  Ordnung  seiner 
Bestände  Rechnung  getragen  werden. 


Museen.  —  Seit  1905  besitzt  auch  die  Stadt  Halberstadt  em 
städtisches  Museum.  Schon  seit  Jahren  war  man  in  den  interessierten 
Kreisen  der  Bürgerschaft  und  ihrer  städtischen  Vertretung  von  der  Notwendig- 
keit eines  Museums  überzeugt.  War  auch  1869  die  höchst  wertvolle  Augustinsche 
Sammlung  prähistorischer  Gegenstände  durch  Verkauf  an  den  Grafen  von  Stolberg- 
Wemigerode  der  Stadt  verloren  gegangen,  so  besaß  sie  doch  eine  Reihe  von 
Sammlungen  (prähistorische  und  historische,  Bildnisse,  Münzen,  Architektur- 
teile), während  sich  andere  Sammlungen  im  Besitz  von  Vereinen  und  Privat- 
personen befanden,  die  den  Grundstock  für  ein  Museum  bilden  konnten. 
Da  ermöglichte  es  der  Ankauf  der  sog.  v.  Spiegeischen  Kurie  zum  Preise 
von  85000  Mark  (erbaut  1782,  im  Besitz  der  Familie  v.  Spiegel  bis  1877, 
seitdem  der  Familie  v.  Davier),  der  Eimichtung  eines  Museums  näher  zu 
treten.  Nach  mancherlei  Vorberattmgen  einzelner  Herren  mit  dem  Ober- 
bürgermeister und  Stadtbaurat  wurde  auf  Anregung  des  Magistrats  von  den 
Stadtverordneten  ein  Museums-Ausschuß  gewählt,  dessen  Mitglieder  dem 
Magistrat,  dem  Stadtverordneten-Kollegium  und  der  Bürgerschaft  entnommen 
waren;  ihm  lag  es  ob,  alle  den  Zweck  imd  die  Einrichtung  des  Museums 
und  die  Verteilung  und  Unterbringung  der  Sammlungen  betreffenden  Fragen 
za  beraten.  Als  Zweck  des  Museums  wurde  einmütig  bezeichnet,  eine 
Volksbildungsstätte  zu  schaffen,  um  dadurch  die  Liebe  zur  Heimat 
und  das  Interesse  an  der  heimatlichen  Scholle  zu  heben  und  zu 
fördern  ^).  Einzelne  Mitglieder  dieses  Ausschusses  übernahmen  die  Aufsicht 
über  die  einzelnen  Abteilungen  der  Sammlungen. 

Zur  baulichen  Einrichtung,  zur  Beschaffung  von  Mobilien  und  Aus- 
stattungsgegenständen, sowie  für  die  Einrichtung  eines  Architekturmuseums 
im  Kreuzgang  des  Liebfrauenstifts  bewilligten  die  städtischen  Behörden  die 
Summe  von  6875  Mark.  Die  im  Frühjahr  1905  begonnenen  Arbeiten  waren 
bis  Mitte  Juni  so  weit  vollendet,  daß  ein  Aufruf  an  die  Bürgerschaft  mit  der 
Bitte  um  Überiassung  von  geeigneten  Gegenständen  (Altertümern,  Urkunden, 
Briefen,  Innungssachen  und  Hausgerät)  eriassen  werden  konnte.  Der  Erfolg 
war  überraschend.  Vereine  und  Privatpersonen  schenkten  oder  überließen 
leihweise  ihre  Sammlungen  dem  Museum  oder  unterstützten  die  Bestrebungen 
des  Ausschusses  durch  Geldgaben.  Bis  zum  Schluß  des  Jahres  1906  waren 
es  172  Geber,  von  denen  einzelne  jedoch  mehrere  Gegenstände  dem  Museum 
zum  Geschenk  machten,  während  45  Vereine  imd  Einzelpersonen  ihre  Sanun- 
lungen   oder   einzelne  Sachen   zur  Aufstellung  übergaben.     Die  Namen   der 


i)  Vgl.  den  Bericht  über  die  verwandten  Verhältnisse  in  Magdeburg,  oben  S.  5$ — 58. 


—     268     — 

Geber  werden  in  vierteljährlichen  Zeiträumen  in  der  lokalen  Presse  bekannt 
gegeben. 

Zur  Unterhaltung  und  Ergänzung  der  Sammlungen,  zur  Anschaffung  von 
Schränken  und  Kästen,  zmn  Ankauf  von  besonders  wertvollen  Gegenständen 
bewilligten  die  städtischen  Behörden  jährlich  4000  Mark. 

Im  Laufe  des  Jahres  1905  waren  die  Einrichtung  und  Ordntmg  der 
bereits  vorhandenen  und  dem  Musetun  überwiesenen  Sammlungen  so  weit  ge- 
diehen, daß  die  Eröfeung  dieser  jüngsten  Schöpfung  der  städtischen  Ver- 
walttmg  am  18.  November  1905  stattfinden  konnte.  Die  Festfeier  in  dem 
unteren  Vorraum  der  Kurie  eröffnete  die  Begrüßungsrede  des  ersten  Bürger- 
meisters Dr.  Gerhardt,  der  eine  kurze  Übersicht  über  die  Entäehung 
des  Museums  und  über  die  ihm  gemachten  wertvollen  Zuwendungen  gab 
und  den  sämtlichen  Geschenkgebem  ebenso  wie  den  Herren,  die  sich  um 
die  Stiftung  und  Aufistellung  der  Sachen  und  Sammlungen  bemüht  und  eme 
Fülle  von  Arbeit  geleistet  hätten,  den  wärmsten  Dank  der  städtischen  Be- 
hörden aussprach.  Er  schloß  seine  Rede  mit  Wünschen  und  Hoffiiungen 
für  die  Zukunft  der  neuen  Einrichttmg.  Hierauf  wurde  eine  Besichtigung 
der  Sanmilungen  vorgenommen,  und  bei  dem  unvermeidlichen  Festessen 
würdigten  Vertreter  der  Stadt  und  der  Bürgerschaft  die  Bedeutung  des  Museums 
in  beredten  Worten. 

Nach  dieser  feierlichen  Eröfeung  wurde  das  Museum  dem  großen 
Publikum  ztir  Besichtigung  freigegeben  und  zwar  an  Sonn-  und  Festtagen 
unentgeltlich,  an  Wochentagen  gegen  Eintrittsgeld  von  30  Pf.  Vier  Wärter 
haben  die  Aufsicht  während  der  festgesetzten  Besuchsstunden,'  während  in 
der  Woche  eine  Kastellanin  die  Fühnmg  übernimmt.  Der  Besuch  seit  Er- 
öffnung bis  Ende  1906  wird  auf  13 — 14000  Personen  geschätzt.  Leiter 
imd  Vertreter  anderer  Museen  der  Provinz  sowie  der  Nachbarländer  haben 
bei  ihrem  Besuch  mit  ihrem  sachverständigen  Urteil  gern  gedient.  Auch 
ganze  Vereine  von  auswärts  haben  dem  Museum  ihre  Aufinerksamkeit  geschenkt. 
Das  Museum  untersteht  der  unmittelbaren  Aufeicht  des  Magistrats;  der 
Stadtbaurat  hat  das  Dezernat  und  ist  Vorsitzender  des  Museums- 
Ausschusses,  der  nur  beratende  Stinmie  hat,  aber  vor  Entscheidungen 
um  sein  Gutachten  befragt  wird.  Von  den  Ausschußmitgliedern  hat  je  eins 
die  besondere  Aufsicht  über  die  prähistorische,  die  Gesteins-  und  paläo- 
botanische  sowie  über  die  Mineralien-  und  botanische  Sanmilung. 

Außer  kleinen  Tafeln  neben  den  Gegenständen  ist  ein  Fuhrer  bearbeitet 
worden,  der,  zunächst  noch  unfertig,  bald  eine  zweite  Auflage  erlebte,  wobei 
man  ihn  in  zwei  Teile  teilte :  einmal  in  den  eigentlichen  Führer,  der  nur  die 
nach  Zimmern  gordneten  Sammlungen  und  Gegenstände  aufzählt  (19  Seiten) 
und  dann  in  ein  zweites  Heft:  Erläuternde  Ausführungen  eu  den  ein- 
zelnen Abteilungen  des  Mtiseums-Führers  (34  Seiten). 

Das  Museum  besteht  aus  fünf  Abteilungen. 

I.  Die  prähistorische  Sammlung  umfaßt  die  überaus  reiche  und 
schöne  Sammlung  prähistorischer  Gegenstände  des  Rittergutsbesitzers  Franke 
in  Rohrsheim  (früher  in  Schlanstedt) ,  aus  denen  besonders  eine  Schwane- 
becker Hausume  und  die  Bronzesachen  hervorzuheben  sind;  eine  andere 
seltene  Hausume  hat  Gutsbesitzer  G.  Roloff  in  Schwanebeck  gefunden;  weiter 
die  Sanunlung  der  hiesigen  Domgemeinde,  enthaltend  Waffen  und  Steinzeit- 


—     259     — 

liehe  Geräte  und  die  von  Professor  Rütot  in  Brüssel  überlassenen  Eolithen 
nebst  den  in  hiesiger  Gegend  gefundenen  Eolithen  und  femer  Urnen  (Ab- 
güsse), Beigabegefäße,  Feuersteinartefakte,  Steinbeile,  Bronzeäxte,  Nadeln  und 
Fibeln.  —  Zwei  hervorragende  Privatsammlungen  (von  Amtsrichter  2^chiesche 
in  Cölleda  und  Rittergutsbesitzer  Rimpau  in  Anderbeck)  warten  noch  der 
Aufstellung.  Ein  unter  der  Leitung  von  Zahnarzt  Torger  ausgegrabenes  voll- 
ständisches Hockerskelett  ist  in  seiner  natürlichen  Lage  mit  natürlichem 
Einbettungsmaterial  wieder  aufgestellt.  Endlich  finden  sich  hier  die  Vorgänger 
unserer  Haustiere,  weiter  Knochen  des  Höhlenbären,  Mammut,  Hirsch  usw. 
und  eine  prähistorische  Schädelsammlung,  die  Entwickelung  des  Menschen- 
geschlechts darstellend. 

Im  Anschluß  hieran  ist  die  höchst  bemerkenswerte  Schwammsammlung, 
Eigentum  von  Zahnarzt  Torger,  aufgestellt  (Näheres  darüber  siehe  in  den 
Erläuiemden  Ausführungen  S.  10  —  15);  daneben  sind  die  Cephalopoden 
an  einer  großen  Tafel  angebracht.     (Vgl.  ebenda  S.   15 — 18.) 

2.  Die  ortsgeschichtliche  Sammlung  besteht  zum  größten  Teil 
aus  den  Gegenständen,  welche  die  Stadt  schon  lange  Zeit  besaß  oder  inner- 
halb der  letzten  Jahrzehnte  käuflich  erworben  hat.  Hierzu  kamen  noch 
verschiedene  Gegenstände,  die  von  Vereinen,  Gesellschaften  und  einzelnen 
Personen  geschenk-  oder  leihweise  überlassen  wurden.  Diese  Sammlung 
enthält  Architekturteile  von  Halberstädter  Fachwerkbauten  (Konsolen,  ge- 
schnitzte Wappen  und  Figuren,  Portale)  und  Epitaphien,  Innungssachen  und 
Zunftabzeichen  (Gildetafeln,  Truhen,  Laden,  Zinnkrüge  und  Zinnbecher),  Richt- 
schwerter und  Gewehre,  Armbrüste  und  Büchsen,  Lanzen  und  Spieße,  Schlösser 
und  Schlüssel,  Laternen  und  Leuchter.  Besonders  bemerkenswert  ist  die 
sog.  „Hilariuslaterne"  von  1568,  mit  der  —  wie  bereits  seit  1425  — 
am  13.  Januar,  dem  Hilariustage,  die  neugewählten  Ratsherren  aus  ihren 
Wohnungen  zum  Rathause  abgeholt  wurden,  um  dort  vereidigt  zu  werden. 
Femer  Innungs-  und  Gewerkfahnen,  die  älteste  Stadtfahne  (aus  dem 
XVI.  Jahrhundert),  Urkunden  aus  dem  Stadtarchiv,  Kupfer-  und  Blei- 
tafeln aus  Kirchturmknöpfen,  Normalgewicht  der  Stadt  von  1541,  ältere 
Druckwerke  usw. 

Ein  der  Kleinkunst,  der  religiösen  Kunst  sowie  dem  Textilgewerbe  ge- 
widmetes Zimmer  bietet  dem  Beschauer  dar:  Gemälde  der  Stadt  und  ein- 
zelner mit  ihrer  Geschichte  verbundener  Personen,  die  frühere  Kanzel  der 
Moritzkirche  mit  reicher  farbiger  eingelegter  Arbeit,  eine  Pieta  aus  Holz 
(XIV.  Jahrhundert),  Wandschränkchen  mit  Kupferplatte  (1556),  kirchliche 
Geräte,  Pokale,  Königsschmuck  des  Schützenvereins,  sowie  dessen  silberne 
Pokale  und  das  in  seinem  Besitz  befindliche  Marienbild  (13 16).  Auch 
Trachten  und  Hauben  aus  der  Umgegend,  Tücher  und  Servietten,  Spitzen 
und  Schmucksachen,  Hochzeits-  und  Geburtstagsbänder  sind  vorhanden. 

Ein  besonderes  Zimmer  enthält  Kupferstiche  und  Handschriften  be- 
rühmter Männer,  Orden  und  Ehrenzeichen,  und  besonders  die  sog.  Augustinsche 
Sammlung  von  Abbildungen,  welche  die  Stadt  und  einzelne  Teile  und  Ge- 
bäude, aber  auch  berühmte  Männer  darstellen,  Siegel-  und  Münzstempel 
der  Stadt  und  endlich  die  Münzensammlung,  von  Oberdomprediger  Augustin 
und  Gymnasialdirektor    Wiggert     (Magdeburg)     herrührend,     die    zahlreiche 


—     260     — 

seltene  Stücke  (Brakteaten,  Denare,   Taler  und  Groschen)  enthält  und  rund 
300  Stücke  zählt.     Eine  Neuordnung* ist  in  Aussicht  genommen. 

3.  Ausstellung  von  Kunstgegenständen. 

In  den  beiden  dem  Kunstverein  zur  Verfügung  gestellten  Räumen  war 
bei  der  Eröfifnung  eine  Gemäldeausstellung  veranstaltet,  zu  der  einzelne 
Bürger  und  Gesellschaftskreise  Gemälde  berühmter  Meister  geliehen  hatten. 
Demselben  Zwecke  haben  diese  Räume  zum  öfteren  im  Jahre  1906  gedient, 
indem  auswärtige  tmd  einheimische  Künstler  (von  letzteren  nennen  wir  FrL 
Schambach,  Frl.  Gerhardt,  Frl.  Schaberg,  Frl.  Bahr)  die  Erzeugnisse  ihrer 
Kun3t  ausstellten.  Wiederholt  sind  Bilder  der  hiesigen  Malerinnen  (Aquarelle, 
Zeichnungen,  Radierung)  für  das  Museum  angekauft  worden,  unter  denen 
wir  vier  Aquarelle  des  Kunstmalers  Woltze  (eines  geborenen  Halberstädters) 
noch  besonders  hervorheben  möchten. 

Durch  Schenkung  der  Firma  Köfiler  und  Schrader  sind  dem  Museum 
die  Nachbildung  des  Alexanderzuges  von  Thorwaldsen  sowie  verschiedene 
Plastiken  aus  der  Renaissancezeit  überwiesen  und  im  Treppenaufgang  angebracht 
worden. 

4.  Die  naturwissenschaftlichen  Sammlungen  sind  Eigentum 
des  hiesigen  naturwissenschaftlichen  Vereins,  der  es  sich  zur  Aufgabe  gestellt 
hat,  den  Nordharz  und  die  nördlich  dem  Harze  vorgelagerte  sog.  subher- 
zynische  Kreidemulde  zu  erforschen  und  das  in  ihr  vorhandene  Material 
möglichst  vollständig  zu  sammeln. 

Die  Gesteinssammlung  enthält  die  Gesteine  der  dem  Harze  vor- 
gelagerten Halberstädter  Mulde  und  die  Gesteine  des  Harzes  selbst  und  um- 
faßt die  paläozoische  und  mesozoische  Formationsgruppe;  neuerdings  ist  die 
känozoische  Gruppe  hinzugekommen  (Findlinge  und  Gesteinsarten  aus  dem 
Norden). 

Die  Mineraliensammlung,  die  sich  noch  im  An£angsstadium  be- 
findet und  kaum  300  Nummern  mnfaßt,  hat  ihren  wertvollsten  Bestandteil 
in  einer  vollständigen  Zusammenstellung  der  im  Abraum  von  Wilhelmshall 
vorkommenden  Mineralien  und  Salze;  femer  enthält  sie  recht  gute  Kristalle 
und  Funde  und  eine  grofie  Anzahl  von  Halbedelsteinen  und  Edelsteinen  teils 
geschliffen ,  teils  in.  natürlichem  Vorkommen ,  Funde  von  Gold  und  Platin, 
sowie  die  größten  geschliffenen  Diamanten  imd  die  wichtigsten  Edelsteine  in 
guten  Nachbildungen  und  Mansfelder  Kupferschiefer  in  allen  Stadien  des 
Verhüttungsprozesses  vom  Erz  bis  zum  MetalL  Die  ganze  Sammlung  stammt 
von  Mitgliedern  des  naturwissenschaftlichen  Vereins. 

Die  Petrefaktensammlung  beginnt  mit  den  Vertretern  der  jüngsten 
Kreideschicht  und  führt  bis  zu  den  ältesten  Silurschichten.  An  den  Wänden 
sind  große  Tafeln  mit  Abbildungen  rekonstruierter  vorweltlicher  Tiere  angebracht. 

Das  wertvollste  Stück  aus  dem  Jura-Lias  ist  der  in  einer  Tongrube 
dicht  bei  Halberstadt  aufgefundene  Plesiosaurus  Dolichodeirus  Conybeare, 
der  von  der  in  England  häufigen  Stammform  verschiedentlich  abweicht.  Sein 
Hauptwert  liegt  da^n,  daß  er  nicht  im  Stein  eingebettet  und  zusammen- 
gedrückt aufgefunden  wurde,  sondern  frei  im  Ton  lag,  so  daß  er  heraus- 
präpariert und  restauriert  werden  konnte.  In  dieser  Beziehung  wohl  bisher 
das  einzige  Exemplar. 


—     261     — 

Die  botanische  Sammlung  umfafit  das  Phanerogamen- Herbarium 
(Umgegend,  Harz,  Alpen),  Moose  und  Flechten,  Pilzmodelle  und  Fruchtzapfen 
in-  und  ausländischer  Koniferen  (letztere:  Eigentum  von  Ho£apothekenbesitzer 
Maak),  auf  30  Tafeb  deutsche  Nutzhölzer  in  ihrer  Gesamtentwickelung  und 
die  wichtigsten  fleischfressenden  Pflanzen. 

Die  paläobotanische  Sammlung  besteht  aus  Resten  der  unter- 
gegangenen Arten  und  Familien  von  Pflanzen  früherer  Erdperioden  (Bothoden- 
drazeen,  Calamanen,  Lepidodendreen,  Farne,  Sigelbäume,  Nadelhölzer,  Cyka- 
deen,  Crednerien,  Taxus);  auch  sind  lebende  Vertreter  im  Aussterben  be- 
griflener  Familien  oder  nahe  Verwandte  bereits  ausgestorbener  mit  vorgeführt. 

Endlich  ist  eine  reichhaltige  Sammlung  von  Inoceramen  (d.  h.  zu  den 
Weichtieren  gehörige  zweischalige  Muscheln,  die  in  der  Jura-  und  Kreide- 
zeit unsere  Meere  bevölkerten)  vorhanden;  sie  gehört  dem  Apotheken- 
besitzer Maak. 

Die  zoologische  Sammlung  umfaßt  die  Käfersammlungen  (von 
Dr.  Bäumler  und  Zigarrenfabrikant  C.  Kirchner  geschenkt),  femer  Trocken- 
präparate verschiedener  Insekten,  Beispiele  von  Mimikry,  heimische  Schnecken 
und  Muscheln,  Spirituspräparate  von  verschiedenen  Gliedertieren,  ausgestopfte 
Tiere  und  eine  Eiersanmilung  heimischer  Vögel  (letztere  geschenkt  von  Zimmer- 
meister Richard  Schmidt) ;  mit  einer  Zusammenstellung  aller  heimischen  Säuge- 
tierarten wurde  ein  Anfang  gemacht. 

5.  Das  Architekturmuseum  im  Liebfrauenstift,  das  zunächst 
auch  nur  einen  wohlgelungenen  Anfang  darstellt,  enthält  alle  diejenigen 
Architekturteile  von  hiesigen  Fachwerkbauten,  die  in  der  Spiegeischen 
Kurie  nicht  zur  Aufstellung  gelangen  konnten:  Konsolen  und  Figuren,  ge- 
schnitzte Balken  mit  Inschriften,  Türsturze  tmd  Türen,  in  Holz  geschnitzte 
und  bemalte  Wappen  besonders  von  dem  1903  abgebrannten  Schuhhof^ 
Grab-  und  Gedenksteine,  einen  Taufstein  von  16 10,  steinerne  Urnen  u.  a. 

Es  ist  in  der  Tat  mehr  als  ein  verheißungsvoller  Anfang,  der  mit  der 
Einrichtung  eines  städtischen  Museums  gemacht  ist.  Es  steht  zu  hofien,  daß 
die  städtischen  Behörden  im  Verein  mit  der  opferfreudigen  Bürgerschaft  an 
dem  Weiterausbau  dieser  jungen  Einrichtung  arbeiten,  damit  das  Musetun 
den  bei  seiner  Gründung  beabsichtigten  Zweck  erfüllen  kann,  „das  Interesse 
an  der  heimischen  Kunst  zu  wecken  und  die  Liebe  zur  Heimat 
XU  fördern".  Pastor  Arndt. 

£ingegans;ene  Bücher. 

Taysen,  von:  Wanderungen  auf  dem  Jenaer  Schlachtfelde.  Jena,  Gustav 
Fischer  1906.     85  S.  8^     M.  1,00. 

Weber,  Ottocar:  Von  Luther  zu  Bismarck,  zwölf  Charakterbilder  aus 
deutscher  Geschichte  [:=  Aus  Natur  und  Geisteswelt,  Sammlung  wissen- 
schaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen,  123.  und  124.  Bändchen]. 
Band  i  und  2.  Leipzig,  B.  G.  Teubner  1906.  136  und  147  S. 
8^  geb.  je  M.   1,25. 

"Wimbersky,  Hubert:  Eine  obersteirische  Bauemgemeinde  in  ihrer  wirt- 
schaftlichen Entwicklung  1498 — 1899.  i.  Teil.  Graz,  Ulrich  Moser 
(J.  MeyerhoflQ  1907.     132  S.  8®. 


—     262     — 

Wolf,  Gustav:  Bismarcks  Lehijahre.  Leipzig,  Dieterichsche  Verlagsbuch- 
handlung (Theodor  Weicher)  1907.     376  S.  8®. 

Weicker,  Gotthold:  Die  Haltung  Kursachsens  im  Streite  um  die  immittel- 
bare Reichsritterschaft  in  den  Jahren  1803 — 1806  [=  Bibliothek  der 
sächsischen  Geschichte  und  Landeskunde,  herausgegeben  von  Gustav 
Buchholz,  Erster  Band,  2.  Heft].  Leipzig,  S.  Hirzel  1906.  iio  S. 
8®.  M.  4,00. 

Meli,  Anton:  Archive  und  Archivschutz  in  Steiermark  [=  Veröffentlichungen 
der  Historischen  Landes-Kommission  für  Steiermark  XXIII].  Graz, 
Selbstverlag  der  Historischen  Landes-Kommission  1906.     50  S.  S^. 

Naumann:  Gedenk-  und  Trauerfeier  am  14.  Oktober  1906  auf  dem  Schlacht- 
felde von  Hassenhausen.     Naumburg,  H.  Sieling.     32  S.  8<>. 

Preuß,  Hugo:  Die  Entwicklung  des  deutschen  Städtewesens.  Erster  Band: 
Entwicklungsgeschichte  der  deutschen  Städtevertassung.  Leipzig,  B.  G. 
Teubner  1906.     379  S.  8^     M.  4,80. 

Reimers,  Heinrich:  Die  Säkularisation  der  Klöster  in  Ostfriesland  [=  Ab- 
handlungen und  Vorträge  zur  Geschichte  Ostfrieslands,  herausgegeben 
von  Archivrat  Wächter,  Heft  VI].  Aurich,  D.  Friemann  1906. 
55  S.  8«. 

Rose,  John  Holland:  Napoleon  L,  unter  Benutzimg  neuen  Materials  aus 
dem  britischen  Staatsarchive.  Autorisierte  deutsche  Übersetzung  von 
Professor  Dr.  K.  W.  Schmidt.  2  Bände.  Stuttgart,  Greiner  &  Pfeiffer 
1906.     503  und  623  S.  8^    geb.  M.   15,00. 

Sander,  Paul:  Feudalstaat  und  Bürgerliche  Verfassung,  ein  Versuch  über 
die  Grundprobleme  der  deutschen  Verfassungsgeschichte.  Berlin  W,  8, 
A.  Bath   1906.      196  S.  80.     M.  4,00. 

Schäfer,  Ernst:  Fr.  Eberhard  v.  Rochow,  ein  Bild  seines  Lebens  und 
Wirkens.     Gütersloh,  C.  Bertelsmann  1906.      100  S.  8^.     M.   1,50. 

Schmidt,  Max  Georg:  Geschichte  des  Welthandels  [=  Aus  Natur  und 
Geisteswelt,  Sammlung  wissenschaftlich  gemeinverständlicher  Darstellun- 
gen, 118.  Bändchen].  Leipzig,  B.  G.  Teubner  1906.  140  S.  8®.  geb. 
M.  1,25. 

Schotte,  Hermann:  Rammelburger  Chronik.  Geschichte  des  alten  Mans- 
feldischen  Amtes  Rammelburg  und  der  zu  ihm  gehörigen  Flecken, 
Dörfer  und  Güter  Wippra,  Abberode,  Biesenrode,  Braunschwende,  Forst 
Braunschwende,  Friesdorf,  Haida,  Hermerode,  Hilkenschwende,  Könige- 
rode,  Popperode,  Rammelburg,  Ritzgerode,  Steinbrücken.  Halle,  Otto 
Hendel  1906.     408  S.  8^.     M.  4,00. 

Schulte,  Wilhelm:  Die  Anfänge  des  S.  Marienstifts  der  Augustiner-Chor- 
henen  auf  dem  Breslauer  Sande  [=  Kritische  Studien  zur  schlesischen 
Geschichte,  herausgegeben  vom  Oberschlesischen  Geschichtsverein, 
I.  Heft].     Groß-Strelitz,  A.  Wilpert  1906.     120  S.  8^     M.  2,00. 

Straßburger,  E.:  Geschichte  der  Stadt  Aschersleben.  Aschersleben,  Karl 
Kinzenbach   1906.     533  S.  8^     geb.  M.  6,50. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipziff. 
Verlag  und  Druck  Ton  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Gotha. 


\ 


\ 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


lur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 


VIII.  Band  Juli  1907  lO.  Heft 


Das  Iiehrbueh  der  Universalgesehiehte  im 

XVIII.  Jahrhundert') 

Von 

Felix  Günther  (Leipzig) 

Die  Geschichte  gehört  zu  den  Gaben,  die  der  Humanismus  dem 
deutschen  Bildungsleben  bescherte.  Melanchthon  führte  sie  zu 
Wittenberg  in  den  Kreis  der  freien  Künste  ein  und  war  selbst  ihr 
erster  Dozent  *).  Der  praeeepicr  Germaniae  bahnte  ihr  auch  den  Weg 
in  die  Lateinschule  seiner  Zeit.  In  den  Schulordnungen  tritt  von  da 
ab  nicht  selten  Historie  als  Lehrgegenstand  auf.  Dabei  handelt  es 
:8ich  bis  tief  ins  XVIII.  Jahrhundert  hinein  stets  um  Universalgeschichte, 
niemals  um  die  Greschichte  eines  einzelnen  Landes  oder  Volkes.  Doch 
wäre  es  verkehrt,  hierbei  an  einen  Geschichtsunterricht  im  heutigen 
Sinne  zu  denken.  Die  Historie  war  an  den  Mittelschulen  keinesfalls 
Selbstzweck,  sondern  galt  allgemein  dem  Latein  als  Mittel  zum  Zweck. 
Schulmänner  wie  Trotzendorf  und  Sturm  führten  sie  daher  gar 
aiicht  als  Lehrgegenstand  auf.  Erst  zu  Anfang  des  XVIII.  Jahrhun- 
derts wurde  die  Greschichte  ein  selbständiges  unabhängiges  Unterrichts- 
fach. Freilich  vollzog  sich  damals  der  Bund  mit  der  höheren  Knaben- 
schule aus  ganz  anderen  Motiven  wie  einstmals  der  mit  der  Hoch- 
schule. Dieser  entstand  aus  der  uninteressierten  Hingabe  an  alles, 
^as  antik  schien  und  womit  die  Alten  sich  beschäftigt  hatten.  Jener 
liat  gerade  in  der  entgegengesetzten  Stimmung,  im  Utilitarismus 


i)  In  dem  Sinne,  wie  es  in  dieser  Zeitschrift  —  oben  S.  59  bis  8a  —  gefordert 
•wurde,  soll  hier  fUr  das  Gebiet  des  Greschichtsanterrichts  die  Besiehnng  swischen  dem 
Lehrbetrieb  und  der  allgemeinen  Geisteskoltor  hergestellt  werden.  Der  Wert  der  Schol- 
bttcher  als  geschichtlicher  Quelle  wird  dabei  in  das  rechte  Licht  treten,  und  dem  Schul- 
historiker bieten  vielleicht  diese  Darlegungen  den  Anlaß,  die  Angaben  der  Lehrpläne  und 
Schulakten  über  den  Geschichtsunterricht  noch  genauer  zu  verfolgen.    Die  Red, 

2)  Hartfelder,  I^üippi  Mekmchthoma  DedamationeB  (Berlin  1891),  S.  XDC. 

19 


—     264     — 

des  XVIIL  Jahrhunderts,  seinen  Ursprung,  m  jener  Geistesrichtung,  die 
den  unmittelbaren  praktischen  Nutzen  fürs  Leben  zum  Leitstern  auch 
der  Jugenderziehung  machte,  ihm  zuliebe  realistische  Lehranstalten 
gründete  und  die  Historie  als  nützliche  Lehrerin  für  allerlei  Lagen  des 
Lebens  im  Unterrichte  nicht  entbehren  zu  können  glaubte  ^). 

Gleichwohl  müssen  wir  in  unserer  Erörterung  über  das  historische 
Schulbuch   im  XVIII.  Jahrhundert  bis  zur  Reformation  zurückgehen. 
Denn  sah  der  Geschichtslehrer  des  XVL,  XVII.  und  selbst  noch  des" 
beginnenden  XVIII.  Jahrhunderts  seine  Aufgabe  auch  nur  darin,   die 
Knaben  mit  den  epochis  bekannt  zu  machen,  in  denen  die  Ereignisse 
sich  zugetragen,   während   die  Universität  erst   die  Bekanntschaft  mit 
eben  diesen  Begebenheiten  bringen  sollte,  oder  darin,  denen  Tyronir 
bus  einen  Vorschmack  zu  geben,  so  ^  begierig  und  geschickt  machen 
wird,  sich  in  das  grosse  und  weite  Meer  der  Historie  einzulassen  *),  so 
gab  es  doch  schon  eine  Menge  Lehi-bücher,  die  die  ganze  Welthistorie 
umfaßten  und  zum  Teil  auch  noch  in   den  Schulen  des  XVIII.  Jahr- 
hunderts Verwendung  fanden.     Wir  rechnen   nicht  hierzu  jene  köst- 
liche  Teutscher  Nation  Chronic  — ,  Die  leutschen  den   Teutschen  sw 
Teutsch  sich  darinnen  ssuerspiegeln,  fi^rgesteUt  durch  S^astian  Franck  '), 
der  durch  Umfang  und  Format  (Großfolio)  und  den  dadurch  bedingten 
Preis  der  Zugang  zur  Schule  verschlossen  geblieben  sein  dürfte,  wohl 
aber  die  nur  ein  Jahr  später  erschienene  Chronica  durch  Magister  Jo^ 
han  Carion  /  vleissig  jsusamen  gezogen  /  meniglich  nützlich  zu  lesen.    Sie 
ist  nach  unserem  Dafürhalten  das  beste  Handbuch  der  Geschichte,  das 
bis   zum   Schluß   des   XVII.  Jahrhunderts   existiert   hat.     Es   erschien 
—  um  bei  seinen  äußeren  Vorzügen  zu  beginnen  —  in  einem  hand- 
lichen Oktavformat,  war  von  ausgezeichnetem  Druck  und  Papier,  be- 
diente sich   der  deutschen  Sprache   und  brachte  ohne  nennenswerte 
Lücken   den  ganzen  Stoff  der  Universalhistorie  bis  zum  Jahre  1519 
auf  340  Seiten  unter.     Alle  diese  mehr  äußeren  Momente  mögen  das 
Werk  immerhin  nicht  so   empfohlen  haben  wie   der  Umstand^    daft 
Melanchthon  an  seiner  Abfassung   mitbeteilig^t  gewesen   war  und 
zeitlebens  es  seinen  historischen  Vorlesungen  zugrunde  legte  *).     Diese 


i)  AasfÜhrliches  hierüber  wird  eine  Arbeit  des  Verfassers  im  Angusthefte  der  Neuen 
Jahrbücher  für  das  klassiaehe  Altertum,  Geschichte,  deutsche  Literatur  und  Päda- 
gogik, herausgegeben  von  Ilberg  and  Gerth,  bringen. 

a)  Weihenmajer,  Vorbericht  zur  i.  Anflage  der  Kurtzen  Einleitung  gu  der 
Historie  (1707),  S.  m. 

3)  Frankfurt  a.  M.,  Egenolf,  1531. 

4)  Vgl.  Ziegler,  Chronieon  Carumis  (HaUe  1898). 


—     266     — 

Tatsache  spricht  hinreichend  auch  für  seinen  relativen  wissenschaft- 
lichen Wert,  den  übrigens  erst  der  völlig  ermessen  kann,  der  es  mit 
den  Chroniken  von  Franck,  Nauclerus  und  Schedel  vergleicht, 
Werken,  die  nur  wenige  Jahre  früher  dem  Buchhandel  übeigeben  wor- 
den waren. 

Charakteristisch  iiir  den  Schulbetrieb  jener  2^it  ist  freilich,  daß 
Carions  Buch  nicht  in  seiner  ursprünglichen  Form  die  Schule  er- 
oberte, sondern  in  lateinischer  Übersetzung,  deren  erste  von  Hermann 
Bonnus  (1539),  die  zweite  aber  unter  wesentlichen  Verbesserungen 
und  Zusätzen  von  Melanchthon  selbst  besorgt  wurde  (1558).  In 
der  Gestalt,  die  es  von  letzterem  und  nach  dessen  Tode  (1560)  von 
Kaspar  P  e  u  c  e  r  erhielt  —  als  Oktavband  in  geschmackvollem  Schweins- 
ledereinband von  etwas  über  1000  Seiten  —  hat  es  das  XVI.  und 
XVII.  Jahrhundert  überdauert.  War  es  auch  in  erster  Linie  für  Stu- 
denten berechnet,  so  fand  es  doch  in  Folioformat  und  Prachteinband 
(Ausgabe  von  1572)  auch  Zugang  zu  den  Büchereien  des  gebildeten 
Bürgerstandes  und  teilt  den  Ruf,  das  am  meisten  gebrauchte  histo- 
rische Schulbuch  gewesen  zu  sein,  nur  mit  einem  Werke,  der  Uni- 
versalgeschichte des  Johann  Sleidanus. 

Diese  war  der  Melanchthoaausgabe  Carions  unter  dem  Titel  De 
quaiuor  summis  imperiis,  libri  ires  in  graUam  juventutis  canfedi  etc.  / 
um  zwei  Jahre  vorangegangen,  wurde,  mit  einem  Autorenverzeichnis 
versehen,  fortgesetzt  bis  161 5  von  Maibomius,  sodann  bis  1668 
von  Strauchius  und  schließlich  —  soweit  unsere  Kenntnis  reicht  — 
bis  1676  von  Schurz  fleisch.  Es  stellte  sich  dar  als  Büchlein  in 
Kleinoktav  von  489  Seiten,  war  von  vornherein  ausdrückUch  zum  Leit- 
faden iiir  die  Jugend  bestimmt  >)  und  hatte  den  beispiellosen  Erfolg, 
einige  siebzigmal  aufgelegt  zu  werden. 

Neben  Carion  und  Sleidan  hatten  alle  übrigen  Geschichtsbücher 
in  der  Lateinschule  des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts  einen  schweren 
Stand.  Wir  hatten  in  Händen  des  Dionysius  Goihofredns  Hisioria 
universalis,  die  zuerst  1540  erschien,  in  der  Ausgabe  von  1668,  be- 
sorgt von  He  senthaler;  desjoh.  Clnv  er  US  Histariarum  Mius  mundi 
cpUome,  1633,  sowie  Bunos  in  Schulplänen  mehrüach  erwähnte  Idea 
Hisiaricke  *).  Von  diesen  nahmen  Quverus  und  Gothofredus  auf  die  Be- 
dürfhisse der  Schule  keinerlei  Rücksicht.  Dagegen  ließBuno  —  be- 
kanntlich  Speners  Schwiegersohn  und  selbst   ein  namhafter  Schul- 

i)  Vgl.  die  Anrede  «1  Herzog  Eberhard  von  Württemberg  in  der  i.  Aaflage  (1556). 

a)  Vgl.   t.  B.  Scholordnong  der  Fmnckeschen  Anstalten  (1702),  Ordnung   des  Gym- 

nasinmt  ra  Weimar  (17 12). 

19» 


—     266     — 

mann  —  deutlich  den  Einfluß  des  Comenius  erkennen,  indem  er  sein 
Büchlein  mit  Bildern  ausstattete,  so  daß  es  wiederum  den  späteren 
Ausgaben  des  Gothofredus  zum  Muster  gedient  haben  mag.  Deim 
auch  diesem  sind  in  Auflagen,  die  im  XVIII.  Jahrhundert  noch  ver- 
wendet wurden,  Bilder  von  Merian  beigegeben,  während  z.  B.  in  der 
Ausgabe  vom  Jahre  1668  Comenius  wohl  einmal  erwähnt,  auf  seine 
pädagogischen  Forderungen  aber  in  keiner  Weise  Bezug  genommen 
wurde  *). 

Die  Zahl  sonstiger  Handbücher  der  Geschichte,  die  für  die  Schule 
in  Betracht  kommen  könnten,  scheint  nicht  eben  groß  zu  sein.  Wir 
fanden  verzeichnet,  ohne  daß  wir  die  Bücher  selbst  hätten  erreichen 
können,  folgende  Titel:  Cuspianus,  De  Cciesaribus  (i54X>),  I%ea- 
trum  historicum  —  in  quo  qucUtuyr  Mona/rchiae  nMgnae  onmesque  reges 
et  Imperatorea  decribunlur  (1668),  und  Bö  der,  Historia  umversdlis 
(168 1). 

Geradezu  verblüffend  wirkt  daher  die  Menge  derartiger  Bücher, 
die  uns  zu  Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderts  entgegentreten.  Wir  kön- 
nen uns  diese  Erscheinung  nur  damit  erklären,  daß  mit  dem  Eintritt 
eines  ueuen,  des  höfisch -weltmännischen  Btldungsideales ,  sowie  mit 
dem  Einsetzen  eines  neuen  Geisteslebens  vornehmlich  in  den  bürger- 
lichen Kreisen  mit  seiner  überwiegend  materialistischen  Tendenz  auch 
der  Unterricht  in  der  Geschichte  eine  ganz  andere  Wertung  er£aihren 
hat.  Zwar  dominiert  im  Unterrichtsplane  der  Schule  jener  Zeit  noch 
immer  das  Latein.  Dies  spricht  sich  auch  darin  aus,  daß  einige  der 
bis  1720  neuerschienenen  Geschichtsbücher  noch  in  lateinischer  Sprache 
abgefaßt  waren.  Wir  verzeichnen  an  dieser  Stelle:  Rud.  Roth,  J5K- 
storia  universalis  pragmaUca  (Ulm  1706),  Christ.  Cellarius,  Hisi(h 
ria  universalis  Qena  1709),  Gottlob  Krantz,  Compendium  hishriae 
4nviUs  (Breslau  1709).  Zu  Beginn  der  zwanziger  Jahre  scheint  indessen 
die  unbeschränkte  Macht  des  Latein  in  den  deutschen  Mittelschtden  ge- 
brochen gewesen  zu  sein.  Und  wenn  auch  noch  Neuauflagen  der  bisher 
aufgeführten  Geschichtsbücher  in  den  Handel  kamen,  so  waren  doch 
nur  noch  zwei  völlig  neue  Lehrbücher  ausfindig  zu  machen,  die  sich 
der  lateinischen  Sprache  bedienten:  ein  zweisprachiges  Geschichts- 
buch unter  dem  Titel:  Historischer  Anfang  oder  kurze  und  leichte 
Weise,  die  katholische  Jugend  in  der  Historie  zu  unterrichten  (Inns- 
bruck 1755)  von  einem  ungenannten  Jesuitenpater,  das  den  lateini- 
schen Text  auf  der  linken,  die  deutsche  Übersetzung  auf  der  rechten 


i)  Vgl  Vorrede  mm  n.  Teil. 


—     267     — 

Seite  brachte,  und  eine  HistoricLe  antiquae  chrestomathia  philanthropica 
(Dessau  1776)  von  Basedow.  Da  dessen  Philanthropin  alles  andere 
war  und  selbst  sein  wollte  als  eine  Pflegstätte  der  alten  Sprachen  ^), 
macht  dieses  Buch  einen  etwas  sonderbaren  Eindruck.  Immerhin  ver- 
übelten die  Zeitgenossen  dem  Verfasser  den  Gebrauch  der  lateinischen 
Sprache  nicht  so  sehr  wie  die  schweren  sachlichen  Fehler,  die  das 
Buch  in  Menge  zeigte. 

Den  Reigen  der  deutsch  geschriebenen  historischen  Lehrbücher 
eröffneten  um  die  Wende  des  XVII.  Jahrhunderts  Johann  Hübners 
(Rektors  zu  Merseburg  und  später  zu  Hamburg)  Kurze  Fragen  aiAS  der 
pciUisdien  Historie  ^  den  Lehrender^  und  Lernenden  eur  Erleichterung 
aufgesetget  (Leipzig  1697).  Es  war,  wie  der  Titel  sagt,  sowohl  für 
Lehrer  wie  für  Schüler  bestimmt;  doch  konnte  letzterer  Umstand  nicht 
hindern,  daß  das  Werk  allmählich  auf  10  stattliche  Bände  von  je  rund 
1000  Seiten  anwuchs,  deren  letzter  unter  dem  besonderen  Titel  Kurze 
Einleitung  zur  politischen  Historia,  den  Anfängern  zum  besten  aus  allen 
neun  Teilen  zusammengezogen  (1722),  einen  Überblick  über  den  Wissens- 
stoff der  anderen  Bände  bot.  Trotz  dieses  riesigen  Umfanges  erlebte 
die  Arbeit  zahlreiche  Auflagen.  Durch  Supplementbände  vermehrt, 
die  den  neuesten  politischen  Ereignissen  Rechnung  trugen,  war  sie 
noch  bis  tief  in  die  zweite  Hälfle  des  XVIII.  Jahrhunderts  in  Gebrauch  *). 
Joh.  Anton  Niemeyer  *)  berichtet  allerdings,  daß  auf  vielen  Schulen 
nur  der  erste  TeU  verwendet  worden  sei.  Der  Geschichtschreiber 
Heeren  hat  diesem  Werke  einen  ehrenden  Denkstein  gesetzt  in  seiner 
Schrift  Andenken  an  Deutsche  Historiker  aus  den  letzten  fünfzig  Jahren  *). 
Er  weist  darauf  hin,  daß  es  durch  den  Gebrauch  der  deutschen  Sprache 
ein  Volksbuch  im  besten  Sinne  geworden  sei  und  mehr  als  alle  Ar- 
beiten Pufendorfs  und  Leibnizens  dazu  beigetragen  habe,  das  Interesse 
der  bürgerlichen  Kreise  Deutschlands  für  die  Geschichte  wachzurufen. 

In  einem  komischen  Gegensatze  zu  diesem  Werke  steht  eine  Neu- 
erscheinung des  Jahres  1705,  Berckenmeyers  Poetische  Anleitung 
zur  UniversdlrHistorie,  samt  deren  Erletäerung,  wodurch  der  Jugend  in 
weniger  Zeit   diese  Wissenschaß  gar  leicht   kan  hey  gebracht  werden 


i)  Vgl.  Niemeyer,  Ansichten  der  deutscTien  Pädagogik  und  ihrer  Geschichte 
im  XVnL  Jahrhundert,  S.  33,  34,  53. 

2)  Vgl.  Wach  1er,  Geschichte  der  historischen  Forschung  und  Kunst.    II.  Bd^ 
I.  Abtlg.    S.  261  ff. 

3)  Vorrede  zur  8.  Auflage  von  Frey  er  s  Näherer  Einleitung  zur   universal 
Historie  (i775)>  S.  V. 

4)  Historische  Werke,  IV.  Teil.    (Göttingen  1823.)     S.  444- 


—     268     — 

(2.  Aufl.  17 14).  Der  Verfasser  behandelt  hier  in  Knüttelversen  auf 
16  Seiten  in  Kleinoktav  die  ganze  Weltgeschichte.  Zur  Erläuterung 
in  Fragen  und  Antworten  braucht  er  nur  weitere  128  Seiten.  Wesent- 
lich ernster  genommen  zu  werden  verdient  hingegen  eine  Arbeit  des 
Stuttgarter  Gymnasialrektors  Johann  Georg  Essich  unter  dem  Titel: 
Kurze  Einleitung  eu  der  allgemeinen  weÜlichen  Historie  (1707)  ^).  Das 
Buch  umfaßte  annähernd  600  Seiten  und  mußte  1750  zum  sechsten 
Male  au%eleg^  werden.  Auf  diesem  verhältnismäßig  kleinen  Räume 
behandelte  Essich  die  gesamte  Universalgeschichte,  sodann  in  einer 
Spesialhistorie  die  Geschichte  der  einzelnen  deutschen  Territorien  und 
der  Länder  Europas,  und  schließlich  noch  die  Geographie  der  ganzen 
damals  bekannten  Welt;  wie  denn  auch  Berckenmeyer  bereits  seiner 
Universalgeschichte  in  demselben  Bändchen  eine  Qtographia  ange- 
schlossen hatte.  Weniger  Glück  hatte  der  Direktor  des  Gymnasiums 
zu  Koburg,  Gottfried  Ludwig,  mit  seiner  UniversaJhisiarie  in  Freien 
und  Äntwarien  (1716).  Sie  wurde  zwar  auch  mehrere  Male  aufjgelegt; 
doch  wird  ihrer  nirgends,  auch  nicht  bei  Wachler')  gedacht.  Der 
Mangel  eines  Gesichtspunktes  für  die  Stofiauswahl  macht  sich  in  dieser 
Arbeit  besonders  deutlich  geltend.  Braucht  doch  Ludwig  iur  den  Zeit- 
raum 1713— 1720  einen  weit  stärkeren  Band  als  iiir  die  ganze  voraus- 
gehende Weltgeschichte !  Man  fragt  sich  unwillkürlich,  wie  eine  Ver- 
wendung solcher  sinnloser  Stoffsammlungen  in  der  Schule  möglich 
war.  Die  wirklichen  Bedürfnisse  der  Schule  scheinen  dagegen  für 
Hilmar  Curas,  Professor  am  Joachimsthalschen  Gymnasium  zu  Berlin, 
in  dessen  Einteilung  zur  Universalhislarie  (1723)  bestimmend  gewesen 
zu  sein.  Nach  der  Sitte  der  2^it  behandelte  Curas  die  Weltgeschichte 
in  Frage  und  Antwort;  aber  er  erledigte  sie  auf  nicht  mehr  als  234 
Seiten  und  fügte  eine  Geschichte  von  Brandenburg-Preußen  auf  rund 
50  Seiten  hinzu.  Das  Buch  hatte  gewiß  seine  großen  Mängel  — 
Meusel ')  setzt  es  in  einer  Zusammenstellung  bekannterer  Lehrbücher 
als  den  „elenden  Curas"  an  letzte  Stelle  —  nachdem  aber  Nicolai, 
sein  Verleger,  1773  in  Joh.  Math.  Schroeckh  einen  neuen  Bear- 
beiter gefunden  hatte,  scheint  sich  das  Buch  wieder  Anhänger  erwor- 
ben zu  haben,  so  daß  sich  noch  18 16  eine  Neubearbeitung  durch 
K.  H.  L.  Pölitz  verlohnte. 

Für  den  Geschichtsunterricht  in   den  Franckeschen  Anstalten  zu 


i)  Herausgegeben  ron  Weihenmejer. 

3)  OesehxMe  der  Mstoriachen  Forschung  %$nd Kunst  (GöiXingtn  1812— 1816, 2  Bde.). 
3)  Meusel,  Fortgesetzte  Betrachtungen  etc.  (i773)  IV.  Teü.    In  der  Ncttbcmr- 
beitang  von  Schroeckh  ist  indessen  das  alte  Werkchen  kaum  wiederzaerkennen. 


—     269     — 

Halle,  die  bei  ihrer  Neueinrichtung  Cell arius  undBuno^)  verwendet 
hatten,  verfaßte  der  Inspektor  des  Pädagogiums  Hieronymus  Fr  eye  r 
zwei  Lehrbücher,  die  Erste  Vorbereitung  mr  Universalhistorie  (1724) 
für  Anfanger  und  die  Nähere  Einleitung  Bur  Universalhistorie  (1728), 
für  die  im  studio  historico  fortgehende  Jugend,  Ersteres  wurde  im 
Waisenhause ,  letzteres  im  Pädagogium  verwendet ').  Da  die  Zahl 
derer,  die  in  den  ersten  50  Jahren  des  Bestehens  der  Franckeschen 
Anstalten  als  Lehrer  in  denselben  tätig  waren  und  deren  Geist  in  alle 
Teile  Deutschlands  trugen,  nach  Biedermanns  Zusammenstellungen  ') 
in  die  Tausende  geht,  ist  es  verständlich,  daß  Freyers  Geschieh ts« 
bücher  im  XVIII.  Jahrhundert  die  weiteste  Verbreitung  und  die  größte 
Zahl  der  Auflagen  erlebten.  Nach  Freyers  Tode  besorgte  die  Neu- 
bearbeitung und  Fortsetzung  der  Einleitung  bis  zur  10.  Auflage  (1763) 
aein  Amtsgenosse  Joh.  Anton  Niemeyer.  Die  11.  Auflage  (1771)  hat 
zwei  ungenannte  Bearbeiter  gefunden. 

Von  sonstigen  Lehrbüchern  der  Geschichte,  die  noch  vor  der 
wissenschaftlichen  Fundierung  dieser  Disziplin  durch  Gatterer  und  Schlöjser 
im  Buchhandel  erschienen  und  von  denen  mir  P.  Christ.  Höpfners 
Borna  antiqua,  dessen  Borna  media,  Graecia  antiqua  und  Germania 
antiqua  (1709- 1713),  Gauhens  Historisches  Helden-  und  Heidinnen- 
Lexikon  (1716),  Georg  Heinsins'*  Kurze  Fragen  aus  der  Kirchen» 
historie  (2.  Auflage  1728),  Ernst  Wegeners  Einleitung  m  den  WeU- 
und  Staatsgeschichten  (1743)  und  Joh.  Heinrich  Z  o  p  fs  Erläuterte  Grund- 
legung der  Universalhistorie  (1729)  vorgelegen  haben,  hat  nur  das 
letztgenannte  weitere  Verbreitung  gefunden.  Von  Zopf,  dem  Rektor 
des  Gymnasiums  zu  Essen,  ursprünglich  als  Unterlage  seines  eigenen 
Geschichtsunterrichtps  benutzt,  wuchs  es  allmählich  von  elf  auf  rund 
vierzig  Bogen  an  und  mußte  1761  zum  zehnten  Male  aufgelegt  werden. 
Interessanter  noch  erschienen  uns  aber  die  beiden  zuerst  genannten 
Werke.  Gauhen  behandelt  in  seiner  Biographie,  die  allerdings  nicht 
ausdrücklich  für  die  Schule  bestimmt  war,  die  Helden  in  alphabeti- 
scher Reihenfolge,  und  so  kommt  es,  daß  z.  B.  auf  Brasidas,  den  Kapi- 
iain  der  Lacedämonier ,  Braunschweig-Wolfenbüttel,  Herzog  Heinrich, 
15 14 — 1568,  folgt,  und  femer,  daß  der  bekannte  Truppenführer  im 
30jährigen  Kriege  Holcke  dem  Holofemes,  General  über  des  Nebu- 
kadne/sars   Armeen   vorangeht.      Sehen    wir    in    diesem   Werke    den 


i)  Schulordnungen  der  Franckeschen  Stiftungen  (1703}. 

2)  Vgl.  Ausgabe  rom  Jahre  1736,  Vorrede.     S.  4. 

3)  Geschichte  des  XVUL  Jahrhunderts  (Leipzig  1854—1880,  4  Bde.). 


—     270     — 

historischen  Heroenkult  auf  die  Spitze  getrieben,  so  haben  wir  in 
Höpfners  Arbeiten  die  ersten  Versuche  einer  Kulturgeschichte  vor 
uns.  Höpfner,  der  als  Konrektor  an  der  Martinschule  zu  Halberstadt 
tätig  war,  spricht  in  jedem  der  genannten  Teile  i)  von  den  Kirchen- 
gebräuchen, 2)  von  den  bürgerlichen  Gebräuchen,  3)  von  den  Kriegs- 
gebräuchen und  4)  von  den  Hausgebräuchen  des  betreffenden  Volkes 
zu  einer  bestimmten  Zeit  und  macht  uns  die  bemerkenswerte  Mittei- 
lung, daß  diese  Altertumskunde  gegenwärtig  von  denen  Lehrenden 
und  Leimenden  auf  dcis  fleißigste  getrieben  und  cuUiviret  werde  ^)  und 
daß  Thomasius  sich  sogar  gegen  die  übertriebene  Pflege  einzelner 
Gebiete  dieses  Faches  im  Unterricht  ausgesprochen  habe  *). 

Neben  die  vorgenannten  Lehrbücher  trat  in  der  zweiten  Hälfte 
des  XVIII.  Jahrhunderts  eine  Anzahl  öeuer  Arbeiten,  die  zwar  zumeist 
den  modernsten  geschichtswissenschaftlichen,  nicht  aber  immer  den 
neuesten  pädagogischen  Ansprüchen  genügten.  Dahin  gehören  die 
Bücher  von  vier  Universitätsprofessoren,  das  Handbuch  der  Universal' 
historie  von  Gatter  er  (Göttingen  1761),  die  Allgemeine  Weltgeschichte 
für  Kinder  von  Schroeckh  (3  Teile,  Leipzig  1774 — 1795),  J.  A. 
Remers  Handbuch  der  Geschichte  neuerer  Zeiten  (1771)  und  die  Vor- 
bereitung zur  WeUgeschichie  für  Kinder  von  Schlözer  (Göttingen 
1779).  Von  diesen  Arbeiten  hat  <jatterers  Handbuch  den  geringsten 
Erfolg  in  der  Schule  gehabt.  Es  war  dem  Unterrichte  nur  wenig  an- 
gepaßt, obwohl  sich  Gatterer  angeblich  durch  den  gänzlichen 
Mangel  eines  brauchbaren  Lehrbuches  zur  Abfassung  ver- 
anlaßt geftihlt  hatte,  eignete  sich  aber  um  so  besser  für  Studierende  der 
Geschichte.  In  deren  Hand  ist  es  eins  der  besten  Mittel  zur  Förderung 
der  historischen  Studien  in  Deutschland  geworden.  Im  Gegensatz  zu  die- 
sem haben  die  übrigen  drei  Lehrbücher  in  der  pädagogischen  Welt  viele 
Freunde  gefanden.  Alle  drei  mußten  mehrmals  aufgelegt  werden  und 
blieben  bis  ins  XIX.  Jahrhundert  im  Gebrauche.  Von  ihnen  hat  wieder 
Schroeckhs  Geschichtsbuch  den  nachhaltigsten  Einfluß  ausgeübt.  Es 
wurde  von  Parizek  für  katholische  Schulen  bearbeitet  unter  dem  Titel: 
Versuch  einer  kurzgefaßten  Weltgeschichte  für  Kinder  (Prag  1782)  •)  und 
scheint  auch  den  Lehrbüchern  der  Geschichte  zum  Muster  gedient  zu  haben, 
die  fiir  den  Unterricht  in  Bürger-  und  Realschulen  oder,  wie  die  Titel 


i)  Borna  (mtiqua,  Vorrede,  S.  8. 

2}  Ebenda  S.  30. 

3)  J.  S.  Ersch  nennt  aufisrdem  in  seiner  lÄUratur  der  Otschiehte  (Leipzig  1827), 
S.  36  J.  Kp.  F.  Müller  und  K.  F.  Höh  n  als  Bearbeiter  dieses  Lehrbaches  für  Katholiken. 


—     271     — 

sagen,  für  Kinder,  Ungelehrte  und  Liebhaber  der  Geschichte  bestimmt 
waren  *). 

Eine  ganz  neue  Art  von  Geschichtsbüchern  eröffnete  1773  eine 
Übersetzung  aus  dem  Englischen  unter  dem  Titel:  Historische  Auf- 
Sätze  fwr  die  Jagend,  aus  den  berühmtesten  Schrißstellem  gezogen:  Ihr 
ist  auch  die  schon  erwähnte  Chrestomathie  Basedows  zuzurechnen,  an 
die  sich  anschlössen:  Mangelsdorf,  Alter  Zeiten  ExempeVmch, 
brauchbar  für  die  Ztoischenstunden  im  Unterricht  (17 gy),  und  Gramer, 
Auswahl  aus  der  Geschichte  zu  einem  Lehrbuch  für  die  Mittelklassen 
gelehrter  Schülern  (i797)«  Sie  bekunden  den  Bruch  mit  der  bisherigen 
Praxis,  das  ganze  Gerüste  der  Weltgeschichte  dem  Gedächtnis  det 
Kinder  einprägen  zu  wollen,  und  enthalten  den  Versuch,  sich  mit  Schil- 
derungen einzelner  Geschichtsepochen  und  geschichtlicher  Persönlich- 
keiten zu  begnügen,  einen  Versuch,  der,  wie  bekannt  sein  dürfte,  in 
vielen  unserer  heutigen  Volksschulen  mit  gutem  Erfolge  geübt  wird. 
Meusel  begleitete  in  seinen  fortgesetzten  Betrachtungen  über  die 
neueste  historische  Literatur  (1774)  die  oben  erwähnte  Übersetzung  mit 
dem  Wunsche,  „  daß  Männer,  die  Kenntnisse  und  Geschmack  besitzen 
—  denn  andere  würden  wir  uns  wohl  verbitten  —  nun  auch  die  Mühe 
über  sich  nehmen  würden,  zum  besten  der  Jugend  eine  Auswahl  der 
merkwürdigsten  und  lehrreichsten  Begebenheiten  aus  allen  Zeiten  und 
Ländern,  besonders  aus  der  deutschen  Geschichte,  wo  es  noch  am 
meisten  fehlt,  und  die  uns  doch  am  meisten  interessiert,  anzustellen 
und  unseren  jungen  Lesern  zum  Geschmack  zu  machen'*,  damit  man  des 
Gebrauches  bloßer  Übersetzungen  überhoben  sein  möge.  Basedow 
scheint  allerdings  nach  Meusels  Urteil  die  nötigen  Kenntnisse  und  den 
Geschmack  nicht  besessen  zu  haben ;  aber  auch  die  anderen  Arbeiten 
entsprechen  nicht  den  Anforderungen,  die  nach  dem  Stande  der  da- 
maligen Geschichtswissenschaft  billig  an  sie  gestellt  werden  durften  ^). 

Zum  Schluß  erwähnen  wir  als  einen  ferneren  Beweis  pädagogischer 
Charlatanerie  auf  dem  Gebiete  des  historischen  Lehrbuches  den  Kur^ 
zen  Abriß  der  bürgerlicJien  Fundamentalhistorie  zum  Unterrichte  für 
Kinder  (1775)    von    Christ    Friedr.   Kretzschmar.     Der  Verfasser 

i)  H ammers dörff er,  Grundzüge  der  aVgemeinen  Wdtgeschichie  gum  Ge- 
brauehe heim  Unterricht  (1789).  Raff,  Abriß  der  Weltgeschichte  für  die  Jugend 
und  ihre  Freunde  (1787).  Mayer,  ÄUgem.  WütgeschichU  zur  Unterhaltung  fiir 
Liebhaber  und  UngeUhrte  (1793).  Galetti,  Elementarbuch  für  den  ersten  Schuld 
Unterricht  in  der  Geschichlkunde  (1795)* 

2)  Ad  philanthropinistische  Bestrebungen  erinnert  ein  1774  in  Frankfart  erschiene* 
Des  Chronologisches  Spiel  zum  Gebrauche  der  Jugend  von  L.  Wagner,  ein  Würfel- 
spiel aaf  einem  BogeD,  das  der  Einübung  historischer  Epochen  und  Hanptereignisse  diente. 


—     272     — 

sagte  von  sich,  daß  er  selbst  noch  für  ein  Kind  angesehen  wer- 
den könne.  Meusel  begleitete  in  der  Rezension  dieses  Machwerkes 
das  naive  Geständnis  mit  den  sarkastischen  Worten,  daß  der  Verfasser 
wenigstens  in  der  edlen  Geschichte  noch  ein  wahres  Kind  sei  und 
wegen  seiner  in  dem  vorliegenden  Büchlein  eingestreuten  Kindereien 
die  Rute  der  Kunstrichter  verdiene  '). 

Spiegeln  sich  in  der  Anlage  all  dieser  Bücher  und  in  der  Ge- 
Staltung"  des  Stoffes  der  Universalhistorie  vornehmlich  die  Wandlungen 
in  den  pädagogischen  Grundanschauungen  des  XVIII.  Jahrhunderts, 
so  läßt  uns  die  in  ihnen  niedergelegte  Geschichtsauffassung 
nicht  minder  die  tiefeinschneidenden  Veränderungen  innerhalb  der 
Geschichtswissenschaft  deutlich  erkennen. 

Den  Verfassern  derjenigen  Lehrbücher  der  Geschichte,  die  seit 
den  Zeiten  der  Reformation  in  Gebrauch  waren  oder  bis  zur  Mitte  des 
XVIII.  Jahrhunderts  verfaßt  wurden,  galt  die  Geschichte  allgemein  als 
eine  Wissenschaft  „  merkwürdiger  Begebenheiten'*.  Der  Umfang  dieses 
Begriffes  ließ  dem  subjektiven  Empfinden  des  Historikers  einen  unge- 
heueren Spielraum ;  was  kann  doch  zehn  Menschen  von  verschiedenen 
Lebenserfahrungen  und  verschiedener  Weltanschauung  nicht  alles 
„merkwürdig"  sein!  Man  sollte  daher  im  Inhalte  der  historischen 
Lehrbücher  jener  2^it  die  größte  Mannigfaltigkeit  erwarten.  In  Wirk- 
lichkeit herrschte  aber  darin  eine  überraschende  Einförmigkeit.  Wir 
brauchen  die  Gründe  nicht  weit  zu  suchen.  Sehen  wir  ganz  davon 
ab,  daß  das  zumeist  auf  ein  einzelnes  Territorium  beschränkte  Urheber- 
recht das  Plagiat  nicht  unmöglich  machte  —  u.  a.  klagt  Zopf  dar- 
über, daß  man  sein  Lehrbuch  widerrechtlich  in  Frankfurt  a.  M.  nach- 
gedruckt habe,  —  so  herrschte  doch  seit  der  Blütezeit  der  Stadt- 
chroniken völlige  Übereinstimmung  darüber,  was  wichtig  genug  sei, 
um  in  die  Geschichte  aufgenommen  zu  werden.  Es  waren  Lebens- 
schicksale und  Taten  der  Regenten,  gleichviel  ob  weltlicher  oder  geist- 
licher, und  besonders  unheilvolle  oder  segensreiche  Naturereignisse. 
Je  mehr  seit  dem  XVI.  Jahrhundert  die  Macht  der  Fürsten  wuchs,  je 
mehr  seit  der  Mitte  des  XVII.  der  Glanz  der  Höfe  das  Auge  der 
Untertanen  blendete,  je  mehr  endlich  die  Gelehrten  in  finanzielle  Ab- 
hängigkeit von  den  Fürsten  gerieten,  um  so  mehr  trat  jedoch  die  Be- 
rücksichtigung der  Naturereignisse  zurück,  und  die  politische  Geschichte 
wurde  reine  Fürstengeschichte.  So  war  es  in  der  ganzen  ersten  Hälfte 
des  XVIIl.   Jahrhunderts    und  blieb   es   noch    bis  in  Schlözers  Zeit. 


I)  FortgesetzU  Betrcichtungen.     1775.    IL  Teil,  S.  256. 


—     273     — 

Darum  waren  auch  Geschlechter-  und  Wappenkunde  aufs  innigste  mit 
der  Geschichte  verbunden  und  Hilüswissenschaften  derselben  in  einem 
ganz  anderen  Sinne  als  heutigen  Tages. 

Die  Fürsten  und  ihre  nächste  Umgebung  „machten"  nach  der 
Aufüassung  dieser  2^it  die  Geschichte.  Zu  dieser  Überzeugung  war 
man  nicht  etwa  durch  metaphysische  Lehren  gekommen,  wie  z.  B. 
im  2^italter  des  deutschen  Rationalismus  durch  die  Annahme  des 
Leibnizschen  MonadenbegrifTes  zum  individualistischen  Heroenkult,  son- 
dern man  hatte  sich  durch  die  alltägliche  Erfahrung  belehren  lassen; 
Im  Hintergrunde  alles  Geschehens  sah  man  aber  stets  die  göttliche 
Vorsehung.  Auch  die  Fürsten  waren  nur  Werkzeuge  in  Gottes  Hand. 
Die  Theologie  diktierte,  wie  man  sich  das  Zustandekommen  des  Welt- 
geschehens zu  denken  habe.  So  trägt  die  Geschichtsauffassung  bis 
ungefähr  zur  Mitte  des  XVIII.  Jahrhunderts  ein  heroisch-religiöses 
Gewand. 

Auf  den  ersten  Blick  will  es  scheinen,  als  sei  auch  die  Geschichts- 
auffassung der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  religiös  verankert  ge^ 
wesen.  Sahen  doch  auch  Schlözer  und  seine  Gesinnungsgenossen 
überall  in  der  Geschichte  das  Werk  der  göttlichen  Vorsehung.  In- 
dessen hat  man  es  hierbei  zumeist  nicht  mit  der  spezifisch  christlichen 
Gottesvorstellung  zu  tun ;  der  Gott  der  meisten  Historiker  dieses  Zeit- 
raumes ist  der  Gott  Leibnizens,  der  bei  genauer  Betrachtung  mit  dem 
Shaftesburys  recht  viele  Züge  gemeinsam  hat:  es  ist  der  Schöpfer 
der  prästabilierten  Harmonie.  Aber  der  Mensch,  vor  allem  der  Geistes- 
heroe,  handelt  dieser  Auffassung  nach  frei,  insofern  seine  Vernunft 
als  Teil  des  göttlichen  Geistes  von  Natur  ihre  Bestimmungsgründe  in 
sich  selbst  trägt  und  je  nach  ihrem  Klarheitsgrade  im  Rahmen  der  prästa- 
bilierten Harmonie  zur  Entfaltung  kommt  *).  Im  Verzicht  auf  den  Glauben 
an  das  direkte  Eingreifen  Gottes  in  den  geschichtlichen  Verlauf  und  in 
der  Anerkennung  der  Prärogative  der  menschlichen  Vernunft  liegt  zum 
Unterschied  von  der  religiösen  Geschichtsauffassung  der  früheren  Zeit  das 
Charakteristische  der  herrschenden  Geschichtsauffassung  der  zweiten 
Hälfte  des  XVIII.  Jahrhunderts.  Doch  sei  immer  wieder  betont,  daß  die 
alte  Überzeugung  niemals  ausgestorben  war  und  daß  sie  vor  allem  aus  nahe- 
liegenden Gründen  in  den  meisten  Lehrbüchern  der  Geschichte,  und 
zwar  nicht  nur  in  denen,  die  aus  der  ersten  Hälfte  des  XVIII.  Jahr- 
hunderts übernommen  worden  waren,  ruhig  weiterlebte. 


I)  Vgl.  meine  Arbeit  Die  Wiaaenschafl  vom  Menschen  (Gothm   1907),  Kap.  XI: 
Die  deutsche  Getchichtswissenschaft  im  Zeitalter  des  Rationalismas. 


—     274     — 

Mit  dem  Eindringen  der  durch  Montesquieu  erneuerten  Theorie 
über  die  Abhängigkeit  des  Menschen  von  seinem  Wohnorte  und  setner 
Umwelt  in  die  deutsche  Wissenschaft  wurde  der  Individualismus  der 
deutschen  rationalistischen  Geschichtsauffassung  in  angemessene  Grenzen 
zurückgedrängt.  Aus  der  Ahnung  der  physiologischen  Abhängigkeit  des 
Menschen  von  Einflüssen  der  äußeren  Natur  erwuchs  endlich  —  wenn 
auch  zunächst  nur  keimhaft  —  der  moderne  Entwickelungsgedanke,  der  in 
der  Kulturgeschichte  das  Feld  seiner  Betätigung  suchte  *)  und  besonders 
geschichtsphilosophische  Probleme  auf  die  Tagesordnung  setzte.  Da- 
mit sind  wir  bei  der  Geschichtsauffassung  der  letzten  geistigen  Periode 
iin  XVIII.  Jahrhundert,  als  deren  hervorragendster  Vertreter  Herder 
angesehen  werden  muß,  angelangt.  Sie  hat,  was  an  dieser  Stelle  er- 
wähnt werden  möge,  nur  in  wenigen  Lehrbüchern  der  Geschichte  ein 
vernehmbares  Echo  gefunden. 

Tritt  die  rein  religiöse  Geschichtsauffassung  der  früheren  Zeit  im 
Laufe  des  XVIII.  Jahrhunderts  immer  mehr  hinter  die  individualistische 
zurück,  so  spricht  sich  doch  die  Herrschaft  der  ersteren  unzweideutig 
aus  in  der  Gliederung  aller  der  Geschichtsbücher,  die  aus  dem 
XVI.  und  XVII.  Jahrhundert  in  das  XVIII.  hineinragten  oder  noch  in 
dessen  erster  Hälfte  verfaßt  worden  sind.  Da  die  religiöse  Geschichts- 
auffassung im  Weltgeschehen  eine  Geschichte  des  Reiches  Gottes  auf 
Erden  suchte,  nicht  aber  etwa  eine  Entwickelungsgeschichte  des  mensch- 
lichen Geistes  oder  sozialer  und  politischer  Formen,  so  begann  die 
Universalhistorie  jener  Zeit  stets  an  der  Stelle,  wo  ihr  der  Zusammen- 
hang zwischen  Gott  und  Menschheit  zum  ersten  Male  urkundlich  ver- 
bürgt schien,  d.  h.  mit  der  Erschaffung  des  Menschen  laut  Oenesis 
I,  I.  Aus  demselben  Grunde  zog  sie  nur  diejenigen  Völker  in  ihren 
Bereich,  die  zur  Geschichte  des  Alten  und  des  Neuen  Bundes  in  ii^end- 
welcher  heilsgeschichtlicher  Beziehung  standen.  Das  sind  aber,  ab- 
gesehen vom  „Volke  Gottes",  nur  die  Nationen,  aus  denen  sich  die 
Danielschen  vier  Weltmonarchien  zusammengesetzt  haben.  Aller 
übrigen  Völker  wurde  in  dieser  Weltgeschichte  in  der  Regel  über- 
haupt nicht  gedacht.  Die  Einteilung  des  Stoffes  erfolgte  zumeist 
auf  Grund  zweier  Prophezeiungen.  Die  eine,  der  köstliche  spruch  des 
trefflichen  Propheten  Elia  ^)  wurde  von  Carion  in  die  Geschichts- 
schreibung  eingeführt    und   lautet    nach    diesem:    Sechstat^send  jar 

1)  Vgl.  meine  Wissenschaft  vom  Mensehen,  Kap.  ii,  J  4.  Ferner  Schaamkel) 
Oes(^%chte  der  deutschen  KuUurgeschichtschreibung  von  der  Mitte  des  XVIII.  Jahr- 
hunderts bis  zur  Romantik  (Leipzig  1905). 

2)  Carion,  Chronica,  S,  8. 


—     276     — 

isi  die  tpelt  /  und  darnach  wird  sie  subrechen  ^).  Zweytimsend  oed. 
Zweitausend  /  das  gesete.  Zweytausend  /  die  jgeit  Christi.  Und  so  die 
8eU  nicU  gantjg  erfüllet  wird  /  wird  es  feilen  umb  unser  sunde  wiUen  / 
wilche  gros  sind.  Danach  teilt  Canon  die  Geschichte  ein  in  drei 
Teile;  der  erste  enthält  die  Zeit  von  Adam  bis  Abraham;  der  zweite 
umfaßt  2000  Jahre  von  Abraham  bis  Christus,  darinnen  die  grossen 
reich  und  Monarchien  nach  einander  komen  j  Darümb  müssen  wir 
diese  aeü  teilen  jnn  die  vier  Monarchien  — .  Der  dritte  Abschnitt  be- 
handelt die  2000  Jahre  von  Christus  bis  eu  ende  der  weit  /  wieweit 
dabey  angeaeiget,  das  nicht  ganig  zwey  tausend  iar  sein  sdUen. 

Sleidanus  läßt  die  carionische  Dreiteilung  fallen  und  hält  sich  nur 
an  Daniels  Weissagung.  Er  behandelt  also  den  ,, Gründer"  der  assy- 
risch-babylonischen Monarchie,  den  „  König  Nimrod "  noch  vor  Abra-> 
ham,  bringt  aber  gleich  Carion  die  Geschichte  der  ersten  drei  Reiche 
in  den  I.  Teil  seines  Geschichtsbuches,  behandelt  im  II.  Teile  die 
Geschichte  des  römischen  Reiches  bis  zur  Eroberung  Konstantinopels 
und  läßt  den  III.  Teil  mit  einer  Vorgeschichte  der  Germanen  begin- 
nen. Dabei  galt  in  allen  Fällen  die  deutsche  Geschichte  als  Unter- 
abteilung der  römischen  Geschichte.  Sleidans  Einteilung  hat  in  der 
Folgezeit  den  meisten  Anklang  bei  Verfassern  von  Universalgeschichten 
gefunden.  In  diesen  Werken  folg^  gewöhnlich  der  Erläuterung  des 
Begriffes  der  Universalgeschichte  bei  Adam  beginnend  eine  Geschichte 
des  Volkes  Gottes.  Je  nachdem,  ob  dafür  das  i.  Buch  Mosis  oder 
Berosus  in  Verbindung  mit  Josephus  und  einzelnen  Stellen  aus  dem 
Neuen  Testamente  als  Unterlage  benutzt  wurde,  fiel  sie  länger  oder 
kürzer  aus.  Die  kritiklose  Zusammenstellung  assyrischer,  griechischer 
und  jüdischer  Autoren  hatte  ganz  unglaubliche  Geschichtsblüten  zur 
Folge,  wie  z.  B.  daß  Noah  ein  Gigant  in  Syria  war,  zu  dessen  nachgebore- 
nen Söhnen  auch  Tuisko  zählte,  der  Stammvater  der  Germanen  und 
Sannaten  und  leibUche  Vater  zum  Beispiel  des  Mannus,  Suevus,  Jng- 
hävon,  Istevon,  Herminon,  Vandalus,  Hunnus  und  Hercules  *). 

Neben  Carions  und  Sleidans  Einteilung  findet  sich  in  den  Geschichts- 
büchern des  XVI.  bis  XVIII.  Jahrhunderts  noch  eine  dritte,eine  bio- 
graphisch-synchronistische. Sie  verzichtet  auf  bestimmte  Epochen 
und  handelt  im  Anschluß  an  einen  Helden  alle  Ereignisse  ab,  die  zu  dessen 
Lebzeiten  in  der  damals  bekannten  Welt  sich  zugetragen  hatten  '). 

1)  eu  hredun  »  eerbrechen, 

2)  Vgl.  Gothofredns,  Hisioria  universalis,  S.  3.  So  aach  schon  bei  Seb. 
Fraock.     Vgl.  aach  Carions  Völkertafel  auf  S.  18 — ao  seiner  Chronica. 

3)  Vgl.  ClaTcras  und  Weihenmajer  a.  a.  O. 


—     276     — 

Den  Bruch  mit  der  unhaltbar  gewordenen  Danielschen  Monarchien- 
theorie vollzieht  zu  Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderts  Freyer.  Er  trennt 
die  Universalgeschichte  in  eine  solche  vor  und  eine  solche  nach  Christi 
Geburt. 

Die  Geschichte  der  vorchristlichen  Periode  gruppierte  er  um  die 
„biblische  (d.  h.  jüdische)  Regentenhistorie";  der  „Universalhistorie 
des  neuen  Testamentes"  wurde  von  Ihm  die  römische  Kaiserhistorie 
zur  „Fundamentalhistorie"  bestimmt.  Zopf  folgte  in  dieser  Beziehung 
dem  Beispiele  Frey  ers;  nur  ließ  er  nicht  wie  dieser  Religion  und  Na- 
tionalität der  römischen  Kaiser  Gesichtspunkte  der  weiteren  Einteilung 
sein,  sondern  handelte  die  Geschichte  nach  den  einzelnen  Jahrhun- 
derten ab.  Ludwig  hatte  überhaupt  nur  diesen  chronologischen  Ein- 
teilungsgrund gelten  lassen.  Freyer  und  Zopf  unterschieden  sich  übri- 
gens auch  insofern  von  den  an  erster  Stelle  genannten  Autoren,  als 
sie  neben  der  politischen  Historie  auch  der  Kirchen-  und  der  Ge- 
lehrtenhistorie besondere  Abschnitte  zuwiesen.  Deutsche  Geschichte 
behandelte  ausfuhrlich  nur  Hübner.  Ihre  Anfange  verlegte  er  aller- 
dings ebenso  wie  die  Spaniens,  Portugals,  Frankreichs,  Englands  usw. 
in  Noahs  bzw.  Adams  Zeit. 

Sprache  und  Darstellungsform  aller  dieser  Bücher  waren  be- 
dingt durch  ihre  Bestimmung.  Sie  sollten  sowohl  Lernbücher  für  die 
Jugend  als  auch  Unterlagen  für  den  historischen  Vortrag  der  Lehrer  sein. 
Beide  Zwecke  erforderten  Knappheit  des  Ausdruckes  und  Übersicht- 
lichkeit in  der  äußeren  Anordnung  des  Stoffes.  Aus  der  Vereinigung 
beider  Forderungen  ergab  sich,  vor  allem  in  den  Lehrbüchern  der 
ersten  Hälfte  des  XVIII.  Jahrhunderts,  der  Charakter  des  Tabellen- 
mäßigen.  Dieser  Eindruck  wurde  noch  verstärkt  durch  die  Rubrizie- 
rung, Längsstriche  an  den  Seiten  für  Jahreszahlen  und  dergleichen 
mehr.  Als  ob  damit  für  die  Pflege  eines  mechanischen  Lemunter- 
richtes  noch  nicht  genug  getan  gewesen  wäre,  wurden  an  manchen 
Schulen  noch  besondere  historische  Tabellen  benutzt,  von  denen  die 
synchronistischen  Tabellen  Theodor  Bergers  *)  und  Trautzschens 
TabeOen  für  den  Unterrichi  (1772)  die  weiteste  Verbreitung  gefunden 
zu  haben  scheinen. 

Welchen  Einfluß  hat  nun  Schlözers  und  Gatterers  Reform  der 
Geschichtswissenschaft  auf  die  Lehrbücher  der  Geschichte  in  der  zwei- 
ten Hälfte  des  XVIII.  Jahrhunderts  ausgeübt? 

Wir  haben  schon  oben  erwähnt,  daß  es  den  Führern  der  dama- 


1)  Theodor  Berber,  Synehroni$ti$ch€  ünkenalhiitarit  in  40  TiMUn  (1767). 


—     277     — 

ligen  Geschichtswissenschaft  nur  unvollkommen  gelungen  ist,  ihre 
Ideen  in  ihren  wissenschaftlichen  Werken  zur  Anwendung  zu  brin- 
gen. Ungfleich  besser  glückte  es  wenigstens  einigen  von  ihnen  in  den 
Lehrbüchern  der  Geschichte.  In  Gatterers  Handbuch  dominierte 
zwar  noch  die  politisch-individualistische  Geschichte.  Auch  Rem  er 
räumte  ihr  den  weitaus  größeren  Teil  seines  Handbuches  ein.  Dagegen 
entsprachen  die  beiden  Neuerscheinungen  des  Jahres  1779,  die  Lehr- 
bücher von  Schlözer  und  Schröckh,  den  höchsten  Ansprüchen,  die  im 
XVni.  Jahrhundert  von  der  Geschichte  wie  von  der  Pädagogik  an  ein  his- 
torisches Lehrbuch  gestellt  werden  konnten.  Mit  feinem  Verständnis  (lir 
die  psychologischen  Voraussetzungen,  die  die  Schüler  dem  Geschichts- 
verlaufe  entgegenzubringen  pflegen,  vermieden  sie  beide  das  charakteris- 
tische Moment  der  pragmatischen  Geschichtswissenschaft,  die  Aufdeckung 
der  Kausalzusammenhänge.  Um  so  ausführlicher  verweilten  sie  bei  der 
Schilderung  der  kulturellen  Zustände  der  Völker  und  Zeiten.  Je  ein 
Beispiel  aus  Schröckh  und  aus  Schlözer  mögen  dies  veranschaulichen. 
In  dem  Kapitel  Die  alten  Deutschen  behandelt  Schröckh  folgende 
Abschnitte:  Gestalt,  Nahrung,  Lebensart  der  alten  Deutschen.  Ihr 
kriegerischer  und  freiheitsliebender  Geist.  Ihre  kriegerischen  Gebräuche. 
Waffen.  Kriegsheer.  Heerführer.  Schlachtengesänge.  Weiber  und 
Kinder  muntern  die  Fechtenden  auf.  Religion  der  Deutschen.  Ihre 
Götter.  Geheiligte  Wälder.  Priester  und  heilige  Frauen.  Tugenden 
der  alten  Deutschen.  Ihre  unveränderliche  Ehrlichkeit.  Ihre  eheliche 
Treue.  Ihre  Gastfreundschaft  Trunksucht  Ihre  Fürsten.  Ihre  Ver- 
sammlungen. Strafen.  Einkünfte  und  Hofstaat  der  Fürsten.  Leib- 
eigene. Spielsucht.  Gold,  Silber,  Handel.  Wohnungen  der  alten 
Deutschen.     Ihre  Kleidung.     Ihre  Leichenbegängnisse. 

Schlözer  spricht  in  dem  Kapitel:  Erfindung  mechanischer  Künste 
über  folgendes:  Der  Urmensch  wird  ein  Kulturmensch.  Hohe  Würde 
der  mechanischen  Künste.  Stufen  ihrer  Erfindung.  Unterschied  zwi- 
schen Wilden,  Barbaren  und  kultivierten  Völkern.  Geschichte  der 
meisten  Künste  ist  verloren.  Mutmaßungen,  wie  einige  haben  erfunden 
werden  können.  Spinnen,  Filzen,  Weben,  Nähen  (neuere  Erfindungen: 
Spinnrad,  Stricken,  Strumpfwirkerstuhl,  Spitzenklöppeln).  Wie  die 
Kochkunst  entstanden.  Essen  und  Trinken,  Zusammenleben.  Anfang 
des  Sprechens.  Erfindung  des  Feuers.  Völker  ohne  Feuer.  Künste, 
es  zu  konservieren:  Gemeindefeuer,  Vestalinnen.  Künste,  es  zu  re- 
produzieren: Feuerreiben,  Küchenfeuerzeug.  Nutzung  des  Feuers: 
Metalle  zu  schmelzen  und  zum  Kochen.  Küchengeräte.  Töpferkunst. 
Backen.     Verschiedene  Arten  von  Kultur.     Würde  der  Handwerker. 


—     278     — 

Man  ist  aufs  erste  überrascht,  daß  Schlözer  auch  viele  solcher  Gegen- 
stände, die  wir  heutigen  Tages  entweder  der  Ethnologie  oder  der  Kunst- 
oder der  Wirtschaftsgeschichte  zuweisen,  in  die  Weltgeschichte  auf- 
genommen hat.  Doch  gibt  sich  gerade  in  dieser  Reichhaltigkeit  des 
historischen  Stoffes  au£s  deutlichste  der  Reflex  zu  erkennen,  den  die 
damals  modischste  historische  Disziplin,  die  „  Geschichte  der  Mensch- 
heit", auf  den  Inhalt  der  historischen  Lehrbücher  geworfen  hat. 

Es  war  natürlich,  daß  Schlözers  Lehrbuch  überall  dort  abgelehnt 
werden  mußte,  wo  diese  eigenartige  Wissenschaft  *)  keinen  Beifall  fand. 
Schröckh  hat  —  wie  schon  aus  obigem  Beispiel  hervorgehen  dürfte  — 
mit  weit  größerer  Vorsicht  sich  auf  das  Gebiet  der  eigentlichen  Kul- 
turgeschichte beschränkt.  Sein  Lehrbuch  besaß  daneben  den  großen 
Vorzug,  daß  ihm  eine  Sammlung  von  Kupfiertafeln  beigegeben  war. 
Dadurch  machte  es  nicht  nur  den  veralteten  Buno  überflüssig,  son- 
dern durfte  auch  dort  auf  Benutzung  rechnen,  wo  Basedows  Elemen- 
tarwerk mit  seinen  Kupfern  aus  prinzipiellen  Gründen  der  Zugang  ver- 
schlossen war. 

Dieser  veränderte  Inhalt  bedingte  auch  eine  ganz  andere  Dar- 
s  t  e  1 1  u  n  g  s  f  o  r  m.  In  all  diesen  Lehrbüchern  ist  nichts  Tabellenmäßiges 
mehr  zu  bemerken.  In  leichtverständlicher,  flüssiger  Sprache,  die 
Fremdwörter  möglichst  vermied,  ohne  Schematismus  und  äußere  Ge- 
dächtnishilfen schildern  sie  den  Geschichtsverlauf.  Im  Zusammenhang 
damit  steht  die  Tatsache,  daß  diese  Bücher  nicht  eigentlich  mehr 
Lernbücher  sein  sollten  als  vielmehr  Lesebücher,  an  denen  sich 
die  Jugend  erfreuen  und  veredeln  sollte  *). 

Das  Lehrbuch  der  Geschichte  hat  damit  im  Prinzip  die  Form  ge- 
funden, die  es,  von  den  eigentlichen  Repetitionstabellen  abgesehen, 
auch  heute  noch  hat.  Inhaltlich  aber  bereitet  sich  um  die  Wende  des 
Jahrhunderts  eine  tiefgreifende  Wandlung  vor,  die  dem  Lehrbuche  der 
Geschichte  im  XIX.  Jahrhundert  das  Gepräge  gegeben  hat :  die  ungleich 
höhere  Wertung  der  deutschen  gegenüber  der  alten  Geschichte  *). 

i)  Vgl.   mein  Buch  Die  Wissenschaft  vom  Menschen  (Gotha  1907),  besonders 

S.  142- 

2)  Vgl.  die  Titel  der  auf  S.  271  genannten  Geschichtsbücher.  Ferner:  die  Vorrede 
zu.  Basedows  CfirestomaiMae ,  Andre  and  Hensinger,  Ulrich  Flemmmg,  ein 
lehrreiches  Lesebuch  für  Kinder,  welche  gern  die  Geschichte  erlernen  mÖMen  (Braan- 
schweig  1799).  Nikolaas  Voigt,  System  der  allgemeinen  WeltgeschiclUe  (Mains 
1785)  enthält  einen  Plan  zu  einem  künftigen  Vorlesebach. 

3)  Vgl.  Joh.  Bengel,  Geschichte  der  Methodik  des  kulturgesehichtlichen  Unter' 
richtSy  (Wiesbaden  1896). 


—     279     — 


Mitteilungen 

Tersammlongeu.  —  Wie  bereits  im  Maihefte  mitgeteilt  wurde,  findet 
die  zehnte  Versammlung  deutscher  Historiker,  kurz  Historiker- 
tag genannt,  in  der  Zeit  vom  3.  bis  7.  September  in  Dresden  statt.  Zur 
Teilnahme  sind  alle  Fachgenossen,  Fachverwandten  sowie  Freunde  geschicht- 
licher Forschung  eingeladen.  Leiter  der  Versammlung  ist  der  derzeitige 
Vorsitzende  des  Verbandes  deutscher  Historiker,  Prof.  Gerhard  Seeliger 
(Leipzig).  Vorträge  werden  halten:  Privatdozent  Caro  (Zürich)  über  Gnu id- 
herrschaft  imd  Staat;  Prof.  Hauck  (Leipzig)  über  die  Rezeption  und  die 
Umbildung  der  Allgememen  Synoden  im  Mittelalter;  Prof.  Hintze  (Berlb) 
über  die  Entwickelimg  der  modernen  Ministerialverwaltung ;  Prof.  Keutgen 
(Jena)  über  Königtum,  Fürstentum,  Kirche;  Prof.  Jacob  (Tübmgen)  über 
den  Großen  Kurfürsten  im  Lichte  neuerer  Forschung;  Prof.  Kromayer 
(Czemowitz)  über  Hannibal  und  Antiochus  den  Grofien,  eine  strategisch-po- 
litische Betrachtung;  Prof.  Lamprecht  (Leipzig)  über  Probleme  der  Uni- 
versalgeschichte; Prof.  Otto  Richter  (Dresden)  über  Dresdens  Bedeutung 
in  der  Geschichte;  Prof.  Alois  Schulte  (Bonn)  über  die  deutsche  Kirche 
des  Mittelalters  und  die  Stände. 

Gleichzeitig  wird,  wie  gewöhnlich,  die  Konferenz  von  Vertretern 
landesgeschichtlicher  Publikationsinstitute  tagen,  und  zwar 
wird  deren  erste  Sitzung  voraussichtlich  schon  am  3.  Sept.  nachmittags 
3  Uhr  in  der  Technischen  Hochschule  (Bismarckplatz)  stattfinden.  Als  Gegen- 
stände der  Verhandlung  sind  folgende  Punkte  vorgesehen:  i.  Bericht  über 
den  Stand  der  Geschäfte  und  die  Organisation  der  Konferenz,  erstattet 
von  deren  Sekretär,  Prof.  Kötzschke  (Leipzig);  2.  Die  Veröflfenüichung 
von  Quellen  zur  städtischen  Geschichte:  die  Quellen  zur  Rechts-  und  Ver- 
fiassungsgeschichte  der  deutschen  Städte  wird  Stadtarchivar  Overmann 
(Erfurt)  behandeln,  die  Quellen  zur  städtischen  Wirtschaftsgeschichte  Armin 
Tille  (Leipzig);  3.  Anlage  und  Aufgaben  der  mittelalterlichen  Regestenwerke, 
auf  Grund  der  Gutachten  von  Prof.  Rietschel  (Tübingen)  und  Privatdozent 
Steinacker  (Wien);  4.  Ausstellung  von  Karten  zur  Geschichte  der  säch- 
sischen Kartographie  und  zur  Erläuterung  der  historisch-geographischen  Unter- 
nehmungen im  KönigreichSachsen  (Archivrat  Beschorner,  Dresden). 

Wie  hieraus  ersichtlich  ist,  werden  die  Verhandlimgen  sich  eng  an  die- 
jenigen der  letzten  Konferenz  in  Stuttgart  —  vergL  darüber  diese  Zeitschrift 
7.  Bd.,  S.  255  bis  259  ^)  —  anschließen,  und  hofientlich  werden  sich 
wieder  so  viele  Teilnehmer  dazu  einfinden. 

Wie  gleichfalls  schon  angekündigt  wurde,  findet  die  Hauptversammlung 
des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertums- 
vereine in  Verbindung  mit  dem  siebenten  deutschen  Archiv  tag  in  den 
Tagen  vom  14.  bis  zum  18.  September  in  Mannheim  bzw.  Karlsruhe  und 

1)  Der  aosfUhrlicbe  Bericht  über  die  Verhandlangen  ist  enthalten  im  Bericht  über  die 
neunte  Versammlung  deutscher  Historiker  zu  Stuttgart  17.  bis  21.  April  1906  (Leipzig, 
Dtincker  and  Humblot,  1907),  S.  40—54.  Dort  sind  auch  diejenigen  Pablikationsinstitote 
aafgeftthrt,  die  sich  an  der  Konferenz  gegenwärtig  offiziell  beteiligen. 

20 


—     280     — 

Speyer  statt,  während  der  Verbandstag  der  west-  und  süddeutschen  Vereine 
für  römisch-germanische  Altertumsforschung  am  14.  September 
in  Heidelberg  abgehalten  wird.  Hofiendich  bieten  diese  Aussichten  auf 
eine  ergebnisreiche  Arbeit  im  Südwesten  des  Reiches  recht  vielen  Ge- 
schichtsforschern den  Anlaß,  ihre  Sommerreise  so  einzurichten,  daß  sie 
bequem  daran  teilnehmen  können.  Vor  allem  aber  ist  es  die  Pflicht  der 
Vorstände  der  im  Gesamtverein  verbundenen  Vereine,  dafür  Sorge  zu 
tragen,  daß  die  Vereine  als  solche  sich  noch  mehr  an  den  Arbeiten  be- 
teiligen und  zu  diesem  Zwecke  bevollmächtigte  Vertreter  entsenden;  denn 
nur  auf  diese  Weise  wird  es  möglich,  daß  auch  die  Vereine  selbst  aus  den 
gemeinsamen  Beratungen  Kraft  zu  neuer  Arbeit  schöpfen  und  den  Vorteil 
würdigen  lernen,  den  die  Zugehörigkeit  zum  Gesamtverein  gewährt. 

Die  Gesamtvereinstagung  beginnt  Sonntag,  15.  September,   abends  mit 
der  Begrüßung  im  Rosengarten  und   endet  Mittwoch,    18.  September,  mit 
einem  Ausflug  nach  Bruchsal.    Für  die  öffentlichen  Versammlungen  sind 
folgende  Vorträge   in  Aussicht  genommen:   Prof.  Wille   (Heidelberg)  über 
den  Humanismus  in   der  Pfalz;   Prof.  Bering  er  (Mannheim)   über  Goethe 
und   seine  Beziehungen   zur  pfälzischen  Kunst;   Prof.  Doeberl  (München) 
über  die  Entstehung  des  modernen  Staates  in  Bayern;  Prof.  Walter  (Mann- 
heim) über  Mannheimer  Stadtgeschichte.  —  In  den  Abteilungssitzungen 
wird  über  folgende  Gegenstände  beraten  werden.     In   der  Sitzung   der  ver- 
einigten I.  und  II.  Abteilung,   die  zugleich  eine  Verbandssitzung  der  west- 
und   süddeutschen  Vereine  für   römisch-germanische   Altertumsforschung  ist, 
spricht  Prof.  Gradmann  (Stuttgart)  über  schwäbisch-fränkische  Hallenkirchen 
des   XIV.   und  XV.   Jahrhunderts,   Rektor  Heuberger  (Bnigg)   über  die 
neuesten  Grabungen  in  Vindonissa,   Museumsdirektor  Krüger  (Trier)   über 
die   Neumagener   Skulpturen,   Museumsdirektor   Lehne r    (Bonn)    über    die 
neuesten  Forschungen  in  Vetem  (Xanten),  Museumsdirektor   Schumacher 
(Mainz)  über  die  neue  archäologische  Karte  von  Mannheim  und  Umgebung, 
Sanmilungsdirektor  Wagner  (Karlsruhe)  über  die  Inventarisierung  der  Alter- 
tümer in  Baden.     In   der   UI.  Abteilung  behandelt  Armin   Tille   (Leipzig) 
die  Sammlung  und  Verwertung  familiengeschichtlicher  Forschungen  und  I^arrer 
Gmelin   (Großgartach)  die  Bevölkerungsbewegung   auf  Grund   der  Kirchen- 
bücher.    Die  IV.  Abteilung,   die  ihrer  neuen  Zweckbestimmung  zum    ersten 
Male    dient,   wird   dieser   Tatsache    dadurch   Rechnung    tragen,    daß    Prof. 
V.  Renner  (Wien)  die  Frage  erörtert:  Welchen  Zwecken  soll  die  Vereinigung 
der  deutschen  numismatischen  Gesellschaften  dienen?     Femer  spricht  Ober- 
finanzrat Ritter  v.   Bauer   (Wien)  über   die   notwendige   Planmäßigkeit    der 
heraldisch  -  genealogischen  Forschungen  und   Quellenpublikationen,    Justizrat 
Haek erlin  (Frankfurt  a.  M.)  über  Rom  bei  seinem  Eintritt  in   den  Welt- 
verkehr an  der  Hand  der  Münzen  und   Regierungsrat  v.  Pantz  (Wien)  übei 
den  steirischen  Gewerkenadel.     In  der  V.  (Volkskunden-)  Abteilung  schließ- 
lich behandelt  A.  Becker  (Ludwigshafen)  Frühlingsfeiem  in  der  Pfalz,   Prof 
Gradmann  (Stuttgart)  das  schwäbische  Bauernhaus,  während  Prof.  Brennei 
(Würzburg)   über   den   Fortgang   der  Hausbauforschung    und    die   SchafiFun§ 
einer  bibliographischen  Zentralstelle  berichtet.     Über  noch  zu   bestimmende 
Gegenstände   sprechen   Otto   Lau  ff  er   (Frankfurt  a.   M.)   und  Prof.   Pfaf 
(Freiburg  i.  B.). 


—     281     — 

Die  Teilnehmer  am  Archivtag  treffen  sich  Freitag,  den  13.  September, 
abends  8  Uhr  in  Karlsruhe  im  Hotel  Tannhäuser  (Kaiserstr.  146).  Die  Ver- 
sammlung selbst  findet  Sonnabend  im  Generallandesarchiv  (Nördliche  Ifflda- 
promenade  2)  statt.  Vorträge  werden  halten  Archivdirektor  Obs  er  (Karls- 
ruhe) über  Archivalienschutz  in  Baden,  Reichsarchivassessor  Striedinger 
(München)  über  Versendung  von  Archivalien  und  Archivassessor  Frank- 
haus er  (Karlsruhe)  über  den  Neubau  des  Generallandesarchivs,  dessen 
Räume  auf  einem  Rundgange  besichtigt  werden.  Am  Sonntag  firüh  wird 
Speyer  aufgesucht  und  daselbst  das  Kreisarchiv,  die  Protestationskirche, 
das  Pfälzische  Museum  und  vor  allem  der  Dom  mit  den  Kaisergräbem  unter 
der  sachkundigen  Führung  von  Prof.  Grau  er  t  (München)  besichtigt 

Nach  Schluß  der  Gesamtvereinstagung  findet  Donnerstag  und  Freitag, 
19.  und  20.  September,  in  Mannheim  der  Tag  für  Denkmalpflege  statt, 
dessen  Abschluß  am  2r.  September  ein  Ausflug  nach  Wim pfen  am  Neckar 
bilden  wird. 

Archive,  —  In  Oldenburg  i.  Gr.,  das  im  Jahre  1345  von  Graf 
Konrad  I.  mit  dem  bremischen  Stadtrecht  bewidmet  worden  war,  bewahrte 
man  während  des  Mittelalters  die  städtischen  Urkunden  in  der  Ratskammer 
auf  ').  Die  Aufsicht  führte  ein  vom  Chorherrenstift  zu  St.  Lamberti  gestellter 
geistlicher  Stadtschreiber;  seit  dem  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  hatte  dieses 
Amt  ein  gelehrter  Syndikus.  Mit  dem  XVII.  Jahrhundert  beginnen  regelmäßig 
geführte  gerichtliche  Protokollbücher,  sowie  die  jährlichen  Rechnungsbücher 
der  städtischen  Kämmerer  und  Baumeister,  und  es  tritt  seitdem  eine  erheb- 
liche Vermehrung  der  Akten  ein.  Aus  dem  zweiten  Jahrzehnt  desselben 
Jahrhunderts  ist  ein  Inventar  vorhanden.  Die  Registraturen  der  einzelnen 
Ämter  wurden  Jahrhunderte  lang  in  verschiedenen  Zimmern  des  Rathauses 
aufbewahrt,  ohne  daß  die  älteren  Sachen  davon  getrennt  waren.  Nach  einer 
im  Jahre  1751  versuchten,  aber  anscheinend  in  den  Anfangen  stecken  ge- 
bliebenen Inventuraufnahme  wurde  1790  und  in  den  folgenden  Jahren  vom 
Syndikus  Tenge  ein  neuer  Ordnungsversuch  gemacht  und  durchgeführt,  wo- 
bei die  Justizakten  von  den  Verwaltungsakten  geschieden  und  die  älteren 
Akten  vielfach  in  Bündel  zusammengefaßt  wurden.  Die  französische  Besitz- 
ergreifung von  18 IG  rief  eine  neue  Befundaufnahme,  aber  zugleich  infolge 
der  Überweisung  der  Archivalien  an  verschiedene  Behörden  Verwirrtmg  her- 
vor. Nach  der  Wiederherstellung  der  früheren  Behörden  im  Jahre  18 14 
wurde  alles  wieder  unter  der  Verwaltimg  des  Magistrats  vereinigt,  doch  erst 
nachdem  1833  ^^  Stadt  eine  neue,  den  modernen  Verhältnissen  besser  an- 
gepaßte Verfassung  erhalten  hatte,  ging  man  wieder  an  eine  durchgreifende 
Ordnung  der  Schriftenbestände.  Die  älteren  Akten,  d.  h.  durchweg  die  vor 
der  französischen  Zeit  entstandenen,  wurden  als  Alte  Registratur  von  den 
jüngeren,  der  Neuen  Registratur,  getrennt  und  beide  Registraturen  mit  be- 
sonderen Repertorien  versehen.  Mit  diesem  von  dem  damaligen  Stadtdirektor 
VVöbcken  geleiteten  Ordnungswerke  war  wenigstens  bei  den  Akten  eine  for- 
melle Scheidung  zwischen  Magistratsarchiv  und  Magistratsregistratur  vollzogen. 

i)  Aosnihrlicher  hat  der  Verfasser  den  Gegenstand  in  dem  Aufsätze  GtschichU  des 
(Menbwrger  Stadtarchivs  im  Gemeindeblatt  der  Stadt  Oldenburg  Nr.  16/17  ▼om 
27.  April  1907,  S.  71—86  behandelt. 

20* 


—     282     — 

An  der  Art  der  Aufbewahrung  änderte  das  jedoch  noch  nichts.    Der  gröfite 
Teil  des  Materials,  namentlich  die  Akten,  befand  sich  zwar  im  Registratur- 
zimmer des  Rathauses,   das  übrige  aber  war  in  den   verschiedenen  Bureaux 
und  Sitzungszimmern  verstreut     Ein  Umbau  des  ganzen  Gebäudes   1886/87 
machte   einen   zweimaligen   Umzug  notwendig,   was   die   Ordnung  natürlich 
nicht  förderte.    Nach  der  Rückkehr  der  Behörden  in  das  neu  hergestellte  Haus 
stellte  sich,  obwohl  es  vergrößert  worden  war,  bald  Platzmangel  ein,  und  die 
Archivalien  hatten  das  zu  büßen.     Statt  in  dem  für  sie   bestimmten  Zimmer 
Aufstellung  zu  finden,  kamen  sie  meist  auf  den  Boden  und  gingen  hier  all- 
mählich völliger  Verwahrlosung  entgegen.    In  dieser  Ver&ssung  fand  ich  sie, 
als  mich  Studien,  die  ich  zur  Stadtgeschichte  anstellen  wollte,  im  Jahre  1903 
auch  auf  den  Rathausboden  führten.    Um  mir  die  Benutzung  zu  ermöglichen, 
erbot  ich  mich,  eine  Neuaufstellung  und  Ordnung  in  die  Hand  zu  nehmen. 
Nachdem  die  städtischen  Körperschaften,   bei  denen  ich  befriedigendes  In- 
teresse und  Entgegenkommen  fand,    die  erforderlichen  Mittel  bereit  gestdlt 
hatten,   begaim  die  Überführung  der  auf  dem  Boden  lagernden  Archivalien 
nach  einem  vorläufig   genügenden  Raum  in   der  Städtischen  Oberrealschule, 
wo   die  Neuaufstellung   im   Herbst    1906   beendet  wurde.     Da   der  in  der 
Rathausregistratur  befindliche  Teil  der  älteren  Sachen  gleichfalls   hergegeben 
wurde,  so  sind  nunmehr  zum  ersten  Male  alle  Archivalien  räumlich  ver- 
einigt, und  ein  Stadtarchiv  als  besondere  Verwaltungsstelle  ist  begründet  worden . 

Der  etwa  8:5  m  große  Raum,  in  dem  die  städtischen  Archivalien 
nunmehr  untergebracht  sind,  liegt  zwar  im  Souterrain  des  genannten 
Schulgebäudes,  ist  aber  durch  gute  Zementierung  des  Fußbodens  imd 
sonnige  Lage  gegen  Feuchtigkeit,  außerdem  durch  steinerne  Wände  und 
starke  Gewölbe  in  dem  durch  Blitzableiter  gut  gesicherten  Hause  gegen 
Feuersgefahr  geschützt.  Vor  den  Fenstern  sind  an  der  Innenseite  dicke 
Eisenstangen  in  die  Mauer  gelassen.  Die  Repositorien,  teils  an  den  Wänden, 
teils  in  der  Mitte  stehend,  bestehen  aus  Holz  und  sind  ohne  Anstrich;  auch 
sonst  macht  die  Einrichtung  einen  etwas  provisorischen  Eindruck.  Da  die 
Zentralheizung  des  Gebäudes  sich  leider  nicht  in  diesen  Raum  erstreckt,  so 
koimte  die  Aufstellung  eines  Ofens  (Gasofens)  nicht  umgangen  werden,  der 
freilich  in  der  kältesten  Zeit  keine  ausreichende  Wärme  gibt.  Indessen  ist 
doch  hier  die  bequeme  Benutzung  der  Archivalien  möglich,  und  für  eine 
absehbare  Zukunft  ist  die  Verlegung  des  Archivs  in  neue,  eigens  dafUr  ein- 
gerichtete Räume  vorgesehen,  die  in  einem  demnächst  durch  Umbau  zu  ver- 
größernden städtischen  (Kirch-)  Turm,  dem  einzigen  noch  vorhandenen  mittel- 
alterlichen Gebäude,  daifür  geschaffen  werden  sollen. 

Die  Urkunden  (bisher  181  Nummern  v.  J.  1342 — 1798),  die  frühei 
zusammengefaltet  und  in  Papierumschläge  gewickelt  mit  heraushängender 
Siegeln  in  einer  eisernen  Kiste  lagen,  befinden  sich  jetzt  auseinandergebreite 
und  zwischen  Papierbogen  gelegt,  in  Pappschachteln.  Die  Akten  liegen 
mit  Bindfäden  verschnürt,  einstweilen  noch  ohne  Schutzkartons  auf  dei 
offenen  Gestellen,  doch  werden  sie  wahrscheinlich  später  gleich  den  Buchen 
zum  Aufstellen  eingerichtet  werden. 

Über  die  Urkunden  gab  es  bisher  schon  ein  kurzes,  1888  im  städtische] 
Gemeindeblatte  abgedrucktes  chronologisches  Verzeichnis,  doch  reicht  dieses 
zumal  da  bei  der  Neuordnung  eine  ganze  Reihe   neuer  Urkunden  (über   aoo 


—     283     — 

hinzugekommeii  ist,  nicht  aus,  und  es  ist  daher  mit  einer  genauen  Regestieniog 
bereits  begonnen  worden.  Bei  der  Repertorisierung  der  Akten  konnte,  dem 
Provenienzprinzip  getreu,  die  nach  1833  geschaffene  Alte  Registratur  zugrunde  ge- 
legt werden,  deren  Repertorium  wieder  aufgefunden  wurde ;  damit  verschmolzen 
wurden  die  in  späteren  Jahrzehnten  bis  zuc  Gegenwart  ausgeschiedenen  Bestände 
der  Neuen  Registratur,  die  nach  demselben  System  eingerichtet  war.  Über  an- 
dere Teile  des  Archivs,  wie  die  Gerichtsakten,  die  Akten  aus  der  französischen 
Zeit,  die  Bücher,  fanden  sich  nur  Bruchstücke  von  Repertorien,  indes  hat  sich  mit 
Hilfe  der  Titel  und  Signaturen  die  ursprüngliche  Ordnung  wiederherstellen 
lassen.  Nur  bei  denjenigen  Stücken,  die  ohne  Schnüre  imd  Aktendeckel 
an  dem  letzten  Aufbewahmngsorte  lose  umherlagen,  war  eine  zeitraubende 
Sortierung  nach  dem  Inhalte  nötig,  die  noch  nicht  zu  einem  in  allen  Punkten 
befriedigenden  Abschlüsse  gediehen  ist  Nachdem  die  einzelnen  Teile  des 
Archivs  repertorisiert  sind,  wird  ein  Gesamtrepertorium  die  Teilrepertorien 
in  sich  vereinigen.  Auch  die  Anfertigung  von  Registern  bleibt  noch  zu 
erledigen. 

Den  Hauptinhalt  des  Archivs  bilden  natürlich  die  von  den  Gemeinde- 
behörden und  -beamten  herrührenden  Archivalien,  vor  allem  die  Registratur 
des  Magistrats,  die  nach  historisch  gegebener  Einteilung  in  die  beiden  Zweige 
der  Verwaltung  (nebst  Polizei)  und  Rechtspflege  zerfallt  Eine  hiervon  un- 
abhängige Gruppe  stellt  die  aus  der  französischen  Okkupationszeit  (18 10 — 
18 13)  stammende  Registratur  dar.  Aus  praktischen  Gründen  ist  auch  der 
Registratur  der  Stadtkämmerei ,  obwohl  der  Kämmerer  früher  ein  Mitglied 
des  Magistrats  war,  Selbständigkeit  verliehen  worden.  Femer  bilden  die 
Bücher  und  Akten  der  nicht  zum  Rat  gehörigen  städtischen  Baumeister  und 
Armenvorsteher,  sowie  der  Rest  von  der  Registratur  des  Kirchenkollegiums, 
deren  größter  Teil  1841  an  den  Staat  abgegeben  worden  ist,  besondere 
Teile.  Neben  diesem  Stadtarchiv  im  engeren  Sinne  sind  sodann  die  Gruppen 
„Archive  städtischer  Korporationen*'  und  „Familienarchive''  gebildet  worden, 
deren  Inhalt  städtischen  Gilden,  Innungen,  Gesellschaften  und  Familien  entstammt. 
Der  Abschnitt  „Sammlungen*'  um£aßt  lose  Siegel,  Pläne  und  Karten  usw. 
Gedruckte  Bücher  aus  älterer  Zeit,  die  sich  im  Rathause  vorfanden,  sind  mit 
neuangeschafllen  Werken  zu  einer  Archivbibliothek  vereinigt  worden .  Im 
ganzen  ist,  wie  man  sieht,  das  Provenienzprinzip  bei  der  Einteilung  zugnmde 
gelegt.  Daher  erscheinen  die  Urkunden,  Akten  und  Bücher  als  Unter- 
abteilungen innerhalb  der  einzelnen  Archivgruppen,  doch  stellt  sich  tatsäch- 
lich das  Verhältnis  so,  daß  der  weitaus  überwiegende  Teil  der  Urkunden 
und  Akten  dem  Magistratsarchiv  zuMt.  Die  gewählte  Gliederung  veran- 
schaulicht die  Entstehung  des  Archivs,  sowie  die  Geschichte  der  städtischen 
Verfassung  und  ermöglicht  es,  dem  Archiv  jeglichen  Zuwachs  ohne  Änderung 
der  Gesamtorganisation  einzuverleiben. 

Die  literarische  Verwertung  des  von  dem  Stadtarchiv  dargebotenen 
Materials  bleibt  noch  weit  hinter  den  Grenzen  ihrer  MögUchkeit  zurück. 
Und  doch  bildet  letzteres  eine  wertvolle  Ergänzung  zu  den  Beständen  des  Groß- 
herzoglichen Haus-  und  Zentralarchivs.  Dort  werden  auch  die  KoUektaneen 
des  früheren  oldenburgischen  Geschichtsforschers  Ludwig  Strackerjan  auf- 
bewahrt, der  die  städtischen  Archivalien  viel  benutzt  hat;  im  Druck  ist  von 
seinen  Arbeiten  erst  nach  seinem  Tode  einiges  erschienen.    Neuerdings  habe 


—     284     — 

ich  selbst  bei  einer  Reihe  von  Aufsätzen,  die  meist  im  Jahrbuehe  für  die 
Oeschichte  des  Hereogtums  Oldenburg  veröffentlicht  sind,  das  Stadtarchiv 
verwertet.  Mehrfach  ist  es  auch  für  genealogische  Forschungen  in  Anspruch 
genommen  worden.  Die  neue  Ordnung  wird  hoffentlich  nach  allen  Seiten 
für  das  Studium  von  Nutzen  sein. 

Dietrich  Kohl  (Oldenburg). 

Pamilienbriefe  als  kulturgeschichtliche  Quelle.  —  Solange  man 
geschichtliche  Forschung  wissenschaftlich  betrieben  hat,  ist  man  wohl  da- 
von überzeugt  gewesen,  daß  der  Brief  neben  Urkunde  tmd  Annale  eme 
wichtige  historische  Quelle  bildet,  —  eine  Quelle,  die  um  so  wertvoller  ist, 
weil  sie  in  der  Regel  von  Dingen  spricht,  die  der  Zeit  des  Briefischreibers 
angehören.  Zu  diesem  „ zeitgenössischen*'  Charakter  tritt  noch  meist  ein 
anderer  Wert  des  Briefes  als  Quelle.  Der  Briefschreiber  wird  in  der  Regel 
von  Ereignissen  berichten,  die  in  seiner  Nähe,  seiner  Umgebung  vor- 
gefallen sind  und  die  er  nun  dem  Empfänger  des  Briefes  in  der  „Feme*' 
mitteilen  will.  Ja  sehr  oft  spricht  wohl  aus  dem  Brief  heraus  der  Augenzeuge! 

Nach  diesen  zwei  Seiten  hin  hat  man  denn  auch  früh  den  Brief  m 
seiner  Bedeutung  als  Quelle  erkannt  und  ihn  zur  Erforschung  des  Tatsäch- 
lichen, der  Ereignisse ,  des  Geschehenen  benutzt.  Und  da  es  zunächst  dar- 
auf ankam,  die  öffentlichen  Ereignisse,  das  staatliche  und  poli- 
tische Leben  zu  erforschen,  so  zog  man  naturgemäß  nur  die  Briefe  als 
Quellen  heran,  in  denen  diese  Seiten  des  Lebens  berührt  waren.  Letzteres 
war  vorwiegend  der  Fall  bei  Briefen,  die  aus  der  Feder  von  Männern  oder 
Frauen  des  öffentlichen  Lebens  stammten.  Derartige  Staatsmänner-,  Minister-, 
Ratshermbriefe  waren  ja  auch  leichter  zu  haben,  da  staatliche  wie  städtische 
Archive  für  Aufbewahrung  von  Briefen  dieser  Art  schon  seit  altersher  Sorge 
getragen  hatten.  Und  wo  diese  Briefe  in  handschriftlicher  Form  schwer  er- 
reichbar waren,  da  edierte  man  sie,  so  daß  heute  an  gedruckten  Briefen 
kein  Mangel  mehr  ist,  vielmehr,  wie  Steinhausen  ^)  ganz  richtig  bemerkt: 
„die  Publikation  von  Briefen  in  politisch  -  historischem  und  namentlich  in 
literarhistorischem  Interesse  nach  unbefangener  Auffassung  in  unseren  Tagen 
das  berechtigte  Maß  zu  überschreiten  droht". 

Besonders  gefördert  wurde  dieses  Herausgeben  von  Briefen  sowie  über- 
haupt das  Heranziehen  des  Briefes  bei  geschichtlicher  Forschung  durch  die 
biographische  Geschichtsschreibung,  im  besonderen  nicht  unwesent- 
lich durch  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  Dichtung,  denn  die  Literatur- 
geschichtsschreibung beschränkte  sich  für  lange  Zeit  im  wesentlichen  auf  die 
Biographie  der  Dichter. 

Aber  auch  jetzt  blieb  man  grundsätzlich  auf  dem  alten  Standpunkt 
stehen,  indem  man  auch  wieder  nur  solche  Briefe  beachtete,  die  von  Männerri 
und  Frauen  stammten  oder  an  solche  gerichtet  waren,  die  ihrer  persönlichen 
Bedeutung  wegen  Interesse  beanspruchen  durften.  Wie  man  vorher  Briefe 
von  Königen,  Ministem,  Ratsherrn,  kurz  Männern  der  Öffentlichkeit  als  Quelle 
benutzt  hatte,  so  sammelte  man  jetzt  solche  von  Dichtem  imd  Schriftstellern, 


i)  Briefwechsel  Balthasar  Paumgartners   des  Jüngeren  mit    seiner    Oattif 
Magdalena  (Tübingeo  1895),  Einleitung. 


—     285     — 

Gelehrten  und  Künstlern:  also  auch  wieder  von  Männern,  die  infolge  ihrer 
höheren  geistigen  Fähigkeiten  über  dem  Durchschnitt  der  Menschheit  standen. 
Dieser  Entwickelung  der  Briefedition  folgend  zieht  auch  Steinhausen,  in 
seiner  Geschichte  des  deutschen  Briefes  (Berlin  1889 — 91,  2.  Aufl.  1893), 
in  der  Hauptsache  das  Briefinaterial  heran,  das  von  Personen  stammt ,  die 
aus  der  Masse  herausragen. 

Zwar  hat  Steinhausen  wohl  bei  Herausgabe  dieses  Werkes  bereits  jene 
Erkenntnis,  die  hinter  dem  bisher  ausgesprochenen  ruht,  besessen,  wie  er 
sie  ja  sechs  Jahre  später  in  der  Einleitung  bei  Herausgabe  des  oben  zitierten 
Briefwechsels  aussprach.  Aber  einmal  stand  ihm  wohl  Briefmaterial  im 
Sinne  des  schlichten  Privatbriefes  nicht  zur  Verfügung,  zum  andern  aber 
war  das  Ziel,  das  er  bei  Benutzung  der  Briefe  zu  historischer  Forschung  er- 
strebte, ein  anderes:  Steinhausen  will  das  Formale  nicht  als  Mittel  zum  Zweck 
haben,  ihm  ist  es  Selbstzweck,  weil  er  nicht  darauf  hinzielt,  mittels  der  Briefe 
bis  auf  den  psychischen  Kern  der  Zeit  durchzudringen.  Das  ist  wohl  auch 
der  Grund,  warum  er  in  seiner  sonst  so  verdienstvollen  Arbeit  nicht  auf 
die  Fragen  kommt,  an  die  gerade  die  Briefiiteratur  unmittelbar  heranführt. 

Wer  nur  das  öffentliche  Leben  schildern  will,  dem  mögen  vielleicht 
die  Briefe  oben  angeführter  Art  genügen,  der  wird  aber  aus  ihneü  auch  nur 
das  Äußere  und  Allgemeine,  das  Große  und  Summarische  des  Lebens  er- 
forschen können.  Entspricht  das  aber  dem  Wesen  des  Briefes?  WiU  dieser 
nicht  vielmehr  die  Mitteilung  des  Intimen,  Familiären  und  dabei  zugleich  die 
Äußerung  des  Seelischen  sein?  Wenn  er  aber  das  ist,  —  und  daß  der  Brief 
im  letzten  Grunde  den  bezeichneten  Zweck  hat,  darüber  kann  wohl  kein 
Zweifel  obwalten  — ,  so  muß  der  Forscher,  der  aus  ihm  „Geschichte"  ge- 
winnen will,  auch  den  Brief  des  gemeinen  Mannes,  schlechthin  den  Fa- 
milie n  b  r  i  e  f,  gleichgültig  von  wem  er  stammt,  beachten.  Wenn  der  Historiker 
den  schlichten  Familienbrief  als  Quelle  benutzt,  so  wird  er  auch  zu  anderen 
Resultaten  kommen.  Er  wird  nicht  nur  das  verwerten,  was  der  Brief  sagt, 
sondern  auch  die  Art,  wie  er  es  sagt ;  freilich  nicht  um  seiner  selbst  willen ! 
Vielmehr  wird  er  hinter  den  geschilderten  Tatsachen  aus  der  Art  der  Schil- 
derung das  Seelenleben  des  Briefschreibers  beobachten  können,  und  wenn 
sich  daim  gleiche  seelische  Eigenschaften  in  vielen,  ja  den  meisten  Briefen 
ein  und  derselben  Zeit,  in  denen  derselben  Gesellschaftsschicht  und  desselben 
Volkes  wiederholt  finden,  so  wird  er  sogar  das  Seelenleben  der  betreffenden 
Kulturgemeinschaft,  ja  des  ganzen  Volkes  aus  den  Briefen  zu  erkennen  ver- 
mögen. Damit  wird  ihm  aber  der  Brief  zur  kulturgeschichtlichen 
Quelle,  zu  einer  Quelle,  die  neben  dem  eben  erwähnten  Kern  des  jeweiligen 
Volkslebens,  dem  Psychischen,  zugleich  die  Betätigung  des  Individuums  in 
der  Familie,  die  Entwickelung  des  Familiensinns,  zeigt  und  damit  die  Ge- 
schichte der  Familie  aufklären  hilfl. 

In  dieser  Weise  den  Brief  als  kulturhistorische  Quelle  zu  benutzen,  hat 
sich  der  Schreiber  dieses  zur  Aufgabe  gestellt.  Nun  wird  es  ihm  freilich 
versagt  bleiben  müssen,  für  weit  zurückliegende  Zeiten  mit  Hilfe  von  Familien- 
briefen Volksleben  und  Familiensinn  zu  erforschen,  denn  wohl  schwerlich 
werden  sich  sehr  zahlreiche  Privatbriefe  finden  lassen  aus  Zeiten,  die  mehrere 
Jahrhunderte  zurückliegen.  Daher  wird  man  sich  zunächst  an  das  XIX.  und 
XVIII.  Jahrhundert  halten  müssen,  wovon  das  letztere,  weil  besonders  brief- 


—     286     — 

reich,  den  Vorzug  verdient.  Auch  räumlich  wird  sich  vielleicht  die  Be- 
schränkung auf  eine  bestimmte  Landschaft  als  notwendig  oder  wenigstens 
zweckmäßig  erweisen,  aber  welche  etwa  zunächst  dafür  in  Frage  kommt,  das 
wird  von  der  Fülle  des  Stoffes  abhängen,  der  zu  Gebote  steht.  Am  ver- 
lockendsten wäre  es  gewiss,  Mitteldeutschland  zuerst  in  der  bezeich- 
neten Richtung  zu  untersuchen,  weil  es  im  XVUI.  Jahrhundert  den  Mittel- 
punkt geistigen  Lebens  in  Deutschland  bildete  imd  seine  Strahlen  nach  allen 
Richtungen  hin  aussandte.  Aber  eben  unter  dem  letzteren  Gesichtspunkte 
wird  es  sich  nötig  erweisen,  auch  alle  anderen  Landschaften  mit  in  den 
Kreis  der  Betrachtung  zu  ziehen. 

Mit  diesen  kurzen  Darlegungen  möchte  der  Verfasser  dieser  Zeilen  seine 
eigenen  Absichten  kurz  andeuten  und  hofft  damit  im  Kreise  der  Geschichts- 
forscher Verständnis  zu  finden.    Unter  der  Voraussetzung,  dafi  dies  der  Fall 
ist,   gestattet   er   sich   aber   auch   eme    Bitte   zur   öffentlichen   Kenntnis  zu 
bringen.     Die  Arbeit,   wie  sie  geplant  ist,   läßt  sich   nur  ausführen,  wenn 
eine   genügend    große    Anzahl    von   Familienbriefen    zur  Ver- 
fügung steht,  deren  Form  und  Inhalt  näher  untersucht  werden 
kann.    Gedruckt  ist  ja  davon  nur  ein  verschwindend  kleiner  Bruchteil,  und  diese 
Briefe  finden  sich  überdies  noch  überall  zerstreut,   so  daß   es   schon  große 
Mühe  verursacht,  sie  in  Biographien  und  ähnlichen  Druckschriften  ausfindig 
zu  machen.     Aus  diesem  Grunde  sei  an  dieser  Stelle  öffentlich  an  alle  Ge- 
schichtsforscher und  Freunde  der  Geschichte  die  Bitte  gerichtet,  sie  möchten 
die  geplante  Arbeit  dadurch  unterstützen,  daß  sie  darauf  aufmerksam 
machen,    in    welchen    Archiven,    Bibliotheken,    Ortsmuseen, 
Privatsammlungen  oder  persönlichem  Privatbesitz  sich  Familien- 
briefe  aus   der  Zeit  von     1700    bis    etwa    1830    finden.      Auch 
Blätter  aus  Stammbüchern,  soweit  sie  eigene,  d.  h.  vom  Schreiber  selbst  ver- 
faßte Einträge  enthalten,  werden  bei  der  Forschung  von  Wert  sein  können, 
und  nicht  minder   sonstige   ungedruckte   Prosamitteilungen;   auf  diese   wird 
deshalb  gebeten,  das  Augenmerk  gerade  so  wie  auf  Briefe  zu  lenken. 

Der  Herausgeber  der  Deutschen  Geschichtsblätter  hat  sich  bereit  er- 
klärt, die  Vermittelung  zu  übernehmen,  und  an  ihn  wird  deshalb  gebeten, 
die  etwaigen  Mitteilungen  gelangen  zu  lassen. 

Möchte  jeder,  der  diese  Zeilen  liest,  dabei  im  Auge  behalten,  daß  es 
bei  derartigen  Sammlungen  gerade  auf  den  Einzelnen  ankommt,  denn  nui 
durch  viele  kleine  Zusendungen  —  und  wenn  es  auch  nur  ein  oder  zwe 
Briefe  wären  —  wird  ein  umfangreiches  Material  gewonnen  und  erst  durcl 
Beihilfe  vieler  die  Lösung  dieser  interessanten  und  für  die  Wissenschai 
nicht  unwichtigen  Aufgabe  gewährleistet.  A.  K. 

Eingegangene  BOeher. 

Falk,  Franz:  Marianum  Moguntinum,  Geschichte  der  Marienverehning  un< 
der  Immakulata-Tradition  im  Bistum  Mainz  und  am  Mittelrhein.  Mains 
Druckerei  Lehrlingshaus*  1906.  217  S.  8^     M.  2, so. 

Hoffmann,  H.  Edler  von:  Deutsches  Kolonialrecht  [=  Sammlung  Göschen 
Leipzig,  G.  J.  Göschen   1907.      150  S.  8**.     geb.  M.  0,80. 

U«ra«tfeber  Dr.  Armin  Tille  in  Lciptiy. 
VerUf  und  Druck  von  Friedrich  Andrem»  Perthes,  AkbenfeselUchaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


mr 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

VIII.  Band  August/September  1907  11./12  Heft 


Visitationsakten  als  Gesehiehtsquelle 

Von 
Georg  Müller  (Leipzig-) 

Bei  den  neueren  Verhandlungen  über  den  Verlauf  und  die  Be- 
deutung der  kirchlichen  Bewegung  des  XVI.  Jahrhunderts  haben  die 
Visitationsberichte  mehrfach  eine  völlig  entgegengesetzte  Auslegung 
erfahren.  Während  die  Verteidiger  der  alten  Kirche  sie  zur  Recht- 
fertigung ihrer  Vorwürfe  gegen  die  reformatorische  Bewegung  be- 
nutzten, wurde  von  den  Vertretern  der  letzteren  ihre  Notwendigkeit 
gerade  mit  den  Ergebnissen  der  genauen  amtlichen  Untersuchungen 
begründet '). 

Jedenfalls  geht  aus  den  Auseinandersetzungen  der  Parteien  die 
Bedeutung  und  Wichtigkeit  dieser  Geschichtsquelle  klar  hervor.  Auch 
heute  noch  möchte  man  mit  einem  Rezensenten  des  Allgemeinen 
LUerarischen  Anzeigers  aus  dem  Jahre  1797  (Sp.  296)  sein  Erstaunen 
darüber  aussprechen,  wie  es  gekommen  sei,  daß  dieses  wichtige 
Material,  das  so  viel  zur  Kenntnis  vergangener  Jahrhunderte  beiträgt, 
so  lange  unbeachtet  geblieben  ist.  Auch  P.  Tschackert  hat  mit 
Recht  hervorgehoben:  „Detaillierte  Visitationsberichte  sind  die  zuver- 
lässigsten und  lehrreichsten  Quellen  für  eine  möglichst  objektive  Er- 
kenntnis der  kirchlichen  Zustände  ihrer  Zeit"*). 

Die  Visitationen,  schon  in  der  alten  Kirche  gebräuchlich,  waren 


i)  Fr.  Roth,  Zur  neueren  reformationsgeschichüiehen  Literatur  Süd-  und 
Miiteldeutschlanda  in  den  Deutschen  Geschichtsblättern,  7.  Band,  S.  165.  166.  169.  — 
G.  Liebe,  Die  Herausgabe  von  Visitationsprotokollen  im  Korrespondenzblatt  des  Ge^ 
samtvereins  der  deutschen  Geschichts-  and  Altertamsvereine,  51.  Jahrgang  (1903),  S.  48. 

2)  Theologische  Stadien  and  Kritiken,  Band  LXIII  (1890),  S.  614.  —  Vgl.  aach 
M.  Lingg,  Geschichte  des  Instituts  der  Pfarrvisitation  in  Deutschland  (Kempten 
1888),  S.  4:  „Diese  Akten,  aach  nar  nach  gewissen  Jahrgängen  oder  Gesichtspunkten 
▼eröffentlicht,  wären  eine  Fandgrabe  für  Lokal-,  Spezial-  and  namentlich  Kaitargeschichte. 
Leider  ist  diese  Geschichtsqaelle  bisher  fast  ganz  anbenatzt  geblieben." 

21 


—     288     — 

im    fVankenreich    genau    vorgeschrieben,    besonders    von    Karl  dem 
Großen  im  Interesse  der  Volkserziehung   hochgeschätzt  und  bildeten 
eine  wichtige  Seite  der  Tätigkeit  des  Bischofs  *).     Solange   er  selbst 
sie  vornahm,  war  eine  schriftliche  Feststellung  des  Tatbestandes  nicht 
nötig,    namentlich   dann   nicht,   wenn  keine   besonderen  Verhältnisse 
vorlagen.    Doch  sind  einzelne  schriftliche  Berichte  erhalten.    Erwähnt 
sei  das  älteste,  uns  erhaltene  Visitationsprotokoll  des  Bischofis  Ercham- 
bert  von  Freising  (835 — 854).     Es  beginnt:   Breve  cammemarcUorium; 
Hie  innoCescit,  quid  ibi  invenimtis  ad  Perechirichum.     Genau  wird  die 
Kirche  mit  ihren  heiligen  Ausrüstungsstücken,   das  Kirchenvermögen 
unter  Angabe   der   Zahl   der  zugehörigen   Dörfer  beschrieben,  dann 
eine  eingehende  Beschreibung  des  Pfarrhauses  mit  seinen  Beiwohnern 
und  dem  Inventar  gegeben ;  es  ist  ein  umfangreicher,  wohlgeordneter, 
landwirtschaftlicher  Betrieb,  der  geschildert  wird  *). 

Erst  als  der  Bischof  andere  mit  der  Visitation  beauftragte,  nament- 
lich solche,  die  nicht  an  seinem  Sitze  lebten,  wurde  ein  schrift- 
licher Bericht  und  damit  eine  genauere  Aufzeichnung  über  den  Be- 
fund, den  Gang  und  das  Ergebnis  der  Verhandlungen  wünschenswert 
oder  notwendig  *).  Dieser  Wandel  vollzog  sich  im  Laufe  des  XI.  Jahr- 
hunderts und  gelangte  im  nächsten  zum  Abschlüsse.  Einzelne  Bischöfe 
nahmen  wohl  die  Visitationen  noch  selbst  vor;  der  größere  Teil  über- 
ließ sie  einem  Stellvertreter,  meist  dem  Archidiakon  —  der  bisher 
der  Begleiter  gewesen  war  und  wohl  nun  das  Geschäft  selbst  wieder 
einem  Beauftragten  übergab  —  oder  dem  Archipresbyter  oder  Dekan, 
oder  schließlich  auch  dem  bischöflichen  OiSzial  oder  Vikar.  Jetzt 
wurden  die  Anweisungen  über  die  schriftlichen  Berichte  getroffen. 


i)  E.  Friedberg,  Lehrbiich  des  luUhoKschen  und  evangelischen  Kirchenrechts 

4.  Auflage  (Leipzig  1895),  S.  297  ff.  —  G.  Uhlhorn,  KirchenmsiUUionen  in  der  Beal 
ensyklopädie  für  protestantische  Theologie  und  Kirche,  3.  Auflage  (Leipzig  1901) 
Band  X,  S.  480—485.   ~  J.  Janssen,  GesdUchte  des  deutschen  Volkes,   3.  Band 

5.  56—67.  —  G.  Müller,  Verfcusungs-  und  VerwaUungsgeschichte  der  sächgischet 
Landeskirche  in  den  Beiträgen  fUr  sächsische  Kirchengeschichte,  Heft  9,  S.  152 — 212.— 
J.  Köstlin,  Martin  Luther.  Sein  Leben  und  seine  Schriften,  5.  Auflage,  ...  toi 
G.  Kawerau  (Berlin  1903),  Band  II,  3.  Kapitel:  Kirchenvisitation,  S.  26 — 41. 

2)  C.  Meichelbeck,  Historia  Frisingensis  (Augsburg  1724),  Band  i,  S.  126.  — 
Lingg  a.  a.  O.,  S.  24,  Anm.   i;  S.  74 f. 

3)  Lingg  a.  a.  O.,  S.  24ff.  —  Vgl.  Hilling,  Die  westfälischen  Diözesansyno 
den  bis  zur  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts.  Ein  Beitrag  zur  geistlichen  Verfassnngs 
geschichte  der  Bistümer  Münster,  Paderborn,  Osnabrück  und  Minden  (Lingen  1898).  — 
D  ö  b  e  n  e  r ,  Hildesheimische  Synodalstatuten  des  X  V.  Jahrhunderts  in  der  Zeitschril 
des  historischen  Vereins  für  Niedersachsen  (1899). 


—     289     — 

So  erließ  Bischof  Konrad  II.  von  Meißen  1374  folgende  Be- 
stimmung ^) :  Qtuindo  visiUUionis  officium  per  nos  vd  dlios  exercere  de 
cetera  voltimus,  notarium  publicum  et  testes  apud  nos  seu  visitcUares 
nostros  habere  debemus,  gui  in  visitatione  detecta  fideliter  conscribat  et 
ccpiam  super  eisdem,  si  necesse  fuerit,  et  iam  sub  manu  publica  patenti 
faciat.  Wie  wenig  von  dieser  Bestimmung  Gebrauch  gemacht  worden 
ist,  geht  aus  dem  Fehlen  derartiger  Aufzeichnungen  im  Dresdener 
Hauptstaatsarchive  hervor,  wie  überhaupt  die  Visitationen  in  dieser 
Zeit  zurücktreten.  Unter  den  zahlreichen  Urkunden,  die  uns  von  den 
Bistümern  erhalten  sind,  beschäftigen  sich  nur  verschwindend  wenige 
mit  der  Visitation.  Aus  dem  Hildesheimschen  sei  die  Urkunde  von 
1230  erwähnt,  die  Anweisungen  über  die  Tracht  der  Nonnen  u.  a.  m. 
im  Kloster  Heiningen  enthält*).  So  ist  es  erklärlich,  daß,  als  der 
EjTzbischof  von  Köln  sein  Visitationsrecht  im  Jülichschen  Gebiete 
wieder  aufnehmen  wollte,  seitens  der  herzoglichen  Regierung  Wider- 
spruch erhoben  wurde  und  die  Berufung  auf  die  kaiserliche  Instanz 
sich  als  erfolglos  erwies '). 

Diesem  Mangel  an  Nachrichten  im  Mittelalter  steht  im  XVI.  Jahr- 
hundert die  Fülle  von  Visitationsakten  gegenüber,  die  sowohl  aus  den 
der  alten  Kirche  treu  gebliebenen  Gebieten,  wie  aus  der  Verwaltungs- 
tätigkeit der  für  die  Reformation  gewonnenen  Landschaften  stammen. 
An  der  Spitze  der  letzteren  stand  Kursachsen*),  in  dem  Friedrich 
der  Weise  nur  zögernd  vorging,  während  nach  Hausmanns  und  Luthers 
Ratschlag  Kurfürst  Johann  im  Einverständnisse  mit  dem  Kurprinzen 
Johann  die  Sache  kräftig  in  die  Hand  nahm  und  Vorbilder  für  das 
evangelische  Deutschland  schuf.  Preußen,  Brandenburg -Baireuth, 
Hessen,  Braunschweig  und  zahlreiche  Städte  folgten.  Reformation 
und  Visitation  standen  in  engstem  Zusammenhange.  Entweder  be- 
reitete die  Visitation  die  Reformation  vor  oder  die  Visitation  war  die 
Folge  der  in  Angriff  genommenen  Reformation. 

Visitationskommissionen ,  die  '  aus  Theologen  und  Juristen  zu- 
sammengesetzt waren,   durchzogen  das  Land,   um  die  Übelstände  an 


i)  Cod.  dipl.  Sax.  reg.,  i.  Abteil.,  2.  Band,  p.  155. 

2)  Hoogeweg,  Urkundenbuch  des  HochsUfts  HUdeaheim  und  seiner  Bischöfe 
(HanDOTer  und  Leipzig  1901),  Nr.  583. 

3)  Redlich,  Jülich'Bergisehe  KirchenpoUHk  am  Ausgange  des  Mittelalters  und 
in  der  BeformaHonseeü  (Bonn  1907),  i.  Band,  S.  8o»  u.  ö. 

4)  Pallas,  Die  Begistraiwren,  i.  Abteil.,  Vorwort  and  S.  I  ff.  —  G.  Mttller, 
Die  Kirchenvisitationen  und  Kinhenordnungen  in  den  Beiträgen  zur  sSchsischen  Kirchen- 
geschichU,  9.  Heft,  S.  152—218. 

21* 


—     290     — 

Ort  und  Stelle  zu  untersuchen  und  auf  die  Abstellung  hinzuwirken. 
Zunächst  handelte  es  sich  um  die  Angelegenheiten,  über  die  am 
meisten  geklagt  wurde :  die  Amtsführung,  das  sittliche  Leben  und  die 
Bildung  der  Geistlichen,  die  Gestaltung  des  Gottesdienstes,  den  kirch- 
lichen Unterricht  der  Jugend,  das  religiöse  und  sittliche  Leben  der 
Gemeinde.  Die  neue  kirchliche  Verfassung  und  Verwaltung  unter 
Superattendenten  wurde  angebahnt. 

Spätere  Visitationen  dienten  der  Sicherung  der  reinen  Lehre. 
Namentlich  Kurfürst  August  von  Sachsen  suchte  in  der  Visitation  von 
I555i  wie  in  den  Generalvisitationen  und  Lokalvisitationen  seit  1574 
diesen  Gedanken  durchzuführen.  Auch  nach  dem  Sturze  der  Krj^pto- 
kalvinisten  handelte  es  sich  um  das  gleiche  Ziel.  Nachdem  die  Not 
des  Dreißigjährigen  Krieges  zahlreiche  umfangreiche  Visitationen  ver- 
anlaßt hatte,  erlahmte  das  Interesse.  Die  Visitation  war  eine  papieme 
Maßregel  geworden.  Erst  seit  Mitte  des  XIX.  Jahrhunderts  traten  die 
Bemühungen  wieder  auf. 

Welche  urkundlichen  Stücke  stehen  als  Quellen  zur  Verfügung? 

I.  Die  Instruktionen.  Die  für  die  ersten  Visitationen  waren 
nur  kurz  und  beschränkten  sich  auf  allgemeine  Anweisungen,  weil  die 
Behandlung  und  Entscheidung  der  Streitfragen,  die  Ordnung  der  vei- 
schiedenen  Angelegenheiten  dem  Ermessen  der  Kommissare  anheim- 
gestellt wurde.  Aber  als  später  alle  wichtigeren  Fragen  dem  Landes- 
fürsten und  seinen  Räten  unterbreitet  wurden,  als  der  Synodus  darüber 
zu  beraten  hatte,  als  die  Visitationen  nur  zu  bestimmten  Zwecken,  z.  B. 
zur  Feststellung  und  Sicherung  der  Rechtgläubigkeit  erfolgten,  da 
wurden  die  einzelnen  Punkte  genau  hervorgehoben  und  bestimmte 
Richtlinien  gegeben.  Als  Beispiel  sei  die  Instruktion  erwähnt,  die 
1574  in  Kursachsen  für  die  Lokalvisitationen  erlassen  wurde.  Sehling 
hat  sie  auszugsweise  aus  dem  Zerbster  Superintendenturarchive  *),  Pallas 
wörtlich  aus  dem  Magdeburger  Staatsarchive  *)  veröffentlicht.  Bemer- 
kenswert ist  hier  gleich  im  Anfange  (Artikel  II)  die  Hervorhebung  des 
legalen  Charakters  der  Bestimmungen  unter  Hinweis  auf  die  Mitwirkung 
der  gesetzmäßigen  Faktoren  bei  der  Entstehung :  Dieselben  artikd  haben 
erstlich  s.  kurfürstl.  gn.  zusampt  derselben  räthen  durch  die  gegen  Torgau 
erforderten  landstände  und  etzliche  vomefne,  dar  zu  deputierte  theologen 
emstlicJi  und  christlich  bewegen  und  berathschlagen  lassen.  In  achtzehn 
zum  Teil  umfangreichen  Artikeln  erfolgen  die  einzelnen  Anweisungen. 

i)  Schling,  Evangelische  Kirchenordnungen,  Band  I,  i,  S.  352—354. 
2)  Pallas,  Die  Registraturen  der  Kirchenvisitationen.   Allgemeiner  Teil,    S.  89 
bis  97. 


—     291     — 

Für  die  in  der  Instruktion  nicht  berührten  Punkte  werden  die 
Visitatoren  des  Fürstentums  Calenberg  von  Herzog  Julius  1588  auf 
die  Kirchenordnung,  Gottes  Wort,  Erhaltung  der  reinen  Lehre  und 
wie  sie  es  hiemächst  vor  Gott  und  uns,  unseren  Erben  und  jedermännig- 
liehen  unvorweislich  verantworten  können  und  mögen,  verwiesen  *),  wäh- 
rend in  der  Oberpfalz  ihnen  zu  erfolgreicher  Durchführung  ihres  Werkes 
1558  die  erbetene  weitgehende  Vollmacht  in  dreifacher  Richtung  er- 
teilt wird  *). 

Aus  praktischen  Gründen  wurde  die  Instruktion  oder  einzelne 
Teile  durch  den  Druck  veröffentlicht  und  den  Gemeinden  zugeschickt, 
z.  B.  in  Kursachsen  1555,  damit  sie  zur  Erinnerung  und  Verwarnung 
von  den  Pastoren  und  Predigern  in  jeder  Kirche  vom  Predigtstuhl  ab- 
gelesen und  verkündigt  werden  sollten  '). 

2.  Urkunden  und  Dokumente.  Damit  den  Visitatoren  ein 
gründlicher  Überblick  ermöglicht  wurde,  hatte  der  Pfarrer  die  Ab- 
schriften der  Kirchen-  und  Schulordnungen  beizubringen,  wenn  solche 
vorhanden  waren,  oder  die  bestehende  Übung  aufzuschreiben.  Die 
Schriftstücke  wurden  zu  den  Akten  genommen.  Auch  über  die  be- 
stehenden Stiftungen  von  Altären  und  Bruderschaften  waren  die  Nach- 
weise vorzulegen ;  besondere  Sorgfalt  wurde  der  Feststellung  des  Ein- 
kommens der  Kirchen,  Geistlichen,  Lehrer  und  Schulen  zugewendet. 
Gerade  bei  den  ersten  Visitationen  spielen  diese  Nachweise  eine  große 
Rolle.  Während  die  Kirchen-  und  Schulordnungen  schon  zum  Teil 
veröffentlicht  worden  sind,  ist  dagegen  für  die  Ausnutzung  des  Mate- 
rials über  die  Dörfer  wenig  geschehen.  Bei  der  Visitation  von  1555 
wird  erwähnt  in  Glashütte  ein  Lehnbrief  vom  Herzog  Georg  vom  Jahre 
1511*);  ein  Vertrag  wegen  des  heiligen  Brunnens  in  Weißig*),  bei 
dem  der  Prior  und  zwei  Brüder  des  Augustinerklosters  zu  Altendresden 
(Dresden-Neustadt)  zugegen  sind;  zu  Krögis  eine  Annenbruderschaft, 
von  der  seit  15  Jahren  die  dem  Geistlichen  zukommenden  jährlichen 
30  gr.  nicht  gegeben  werden  *) ;  zu  Raußlitz  ein  Kaiandgarten,  dessen 
Besitzer  Handarbeit  tun  mußte  ^);  Lehnbriefe  in  Skäßgen  ®);  ein  Seque- 

i)  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  niedersächsische  Kirchengeschichte,  8.  Jahrg.,  S.  118. 

2)  F  r.  L  i  p  p  c  r  t ,  Die  BeformaHon  . . .  der  Oberpfaiz  (Rothenburg  o.  T.  1 897),  S.  69. 

3)  Pallas,  Die  Registraturen.     Allgemeiner  Teil.     S.  53,  Anm.   i. 

4)  Dresdener  Hanptstaatsarchiv,  Loc.  1987.    Visitationsbach  des  Meißnischen  Kreises, 
1556.     Bl.  89. 

5)  Ebenda  Bl.  304  b. 

6)  Ebenda  Bl.  375. 

7)  Ebenda  BL  383. 

8)  Ebenda  Bl.  550. 


—     292     — 

strationsabschied  zwischen  Pfarrer  und  Kloster  zu  Sornzig  vom  Jahre 
1541  *);  zu  Mühlberg  eine  Urkunde  von  Sigismund  Pflug,  praepositus 
Heynensis,  vom  Jahre  1492  *)  u.  a.  m.  Bei  der  Visitation  der  Supcrin- 
tendentur  Pegau  wird  in  Audigast  (Audias)  erwähnt  ein  Vertrag  zwi- 
schen Herrn  von  Peris  und  dem  dortigen  Gotteshause.  Da  er  untei 
dem  Bischöfe  Adolf  von  Merseburg  abgeschlossen  ist,  fallt  er  in  die 
Zeit  zwischen  15 14  und  1526*). 

3.  Die  Ergebnisse  wurden  in  den  „Abschieden"*)  odei 
„Rezessen"*)  zusammengefaßt,  die  die  wichtigsten  Punkte  enthiel 
ten,  freilich  noch  der  Genehmigung  der  Fürsten  bedurften.  Ob  si< 
immer  erfolgte,  ist  nicht  ersichüich.  In  einem  Falle  hat  die  Gelegen 
heit  noch  neuerdings  zur  Verhandlung  Veranlassung  gegeben.  In 
Jahre  1559  war  bei  Gelegenheit  der  Visitation  der  Stadt  Bischofswerd 
dieser  das  Versprechen  gegeben  worden,  daß  sie  allezeit  der  Sitz  eine 
Superintendenten  sein  solle  ®).  Als  nun  Bischofswerda  bei  Gelegen 
heit  der  Frage  der  Verlegung  der  Superintendentur  von  Radeber 
sich  auf  ihr  altes  verbrieftes  Recht  berief,  stellte  sich  heraus,  da 
wohl  eine  Abschrift  des  Visitationsrezesses  erhalten  war,  daß  aber  di 
Bestätigung  desselben  durch  den  Kurfürsten  sich  nirgends  fand. 

Die  Anordnungen  der  Visitatoren  zerfielen  nicht  selten  in  zw 
Gruppen :  a)  in  die  Generalia '),  die  für  einen  großen  Bezirk  oder  dj 
ganze  visitierte  Gebiet  galten  und  allgemeine  Anordnungen  enthielte 
und  b)  solche,  die  nur  einzelne  Gemeinden  angingen. 

4.  War  die  Visitation  abgeschlossen,  so  wurde  ein  Bericht  i 
den  Kurfürsten  erstattet,  ein  Exemplar  an  das  Konsistorium  abgegebe 
Die  Akten  führten  wohl  auch  den  Namen  „Registratur"  ®).     Vielfa< 

i)  Ebeodm  Bl.  731. 

2)  Ebenda  BL  550. 

3)  Dresdener  HauptstaaUarchiv,  Loc.  1986.  Registratur  der  Visitation  der  Sapei 
tendentur  Pegau,  1574.  —  Loc.  2000,  Acta  XII.  Visitatioms  Loedlis  vemalis  a« 
Christi  1584.  Nach  Bl.  145  enthält  ein  Register  und  ordentliches  VerzeichDis  aj 
Kirchen  and  Pfarren  durch  den  Leipziger  Kreis,  aus  dem  „  Dienerbach  *'  gesogen  (15^ 
38  Blätter  Folio,  mit  Seitenzahlen,  die  mit  der  Paginierung  des  Aktenstückes  nicht  üt 
einstimmen. 

4)  Dresdener  Hauptstaatsarchiv,  Loc.  10594.  Visitation  1540.  Bl.  45:  Abschied,  . 
▼on  Roflwein  übergeben. 

5)  Rezeß  erwälmt  in  einer  Abschrift  des  Bischofswerdaer  Saperintendenten  ^ 
36.  Mai  1723  in  einem  Kodex  des  Bischofswerdaer  Pfarrarchivs. 

6)  Sehling,  Kirchenordnungen,  i.  Abteil.,  2.  Hälfte,  S.  104. 

7)  Pallas,  Die  Begistraturen,   Allgemeiner  Teil.    S.  33.  36.  38.  69  u.  ö. 

8)  Ebenda  S.  XUL  —  Relation  der  VisiUtion,  Pallas,  Registraturen,  Band  L 
S.  80.  84.  177. 


-     293     — 

wurde  der  Name  Visitationsprotokolle  *)  gebraucht,  wiewohl  diese  Akten 
nicht  immer  den  Anforderungen  entsprechen,  die  wir  an  das  Proto- 
koll zu  stellen  gewöhnt  sind.  Die  wichtigsten  Punkte  unterlagen  noch 
der  Behandlung  des  Spnodus.  Seine  Beschlüsse  wurden  den  Superin- 
tendenten zur  Mitteilung  an  die  einzelnen  Geistlichen  und  Kirchen 
zugestellt. 

Während  in  den  katholischen  Gebieten  im  allgemeinen  die 
Aufrichtung  der  Visitationen  an  die  mittelalterliche  Tradition  anknüpfte, 
ging  der  im  übrigen  der  römischen  Kirche  treue  und  um  ihren  Schutz 
bemühte  Herzog  Georg  von  Sachsen  wesentlich  andere  Wege  *).  Was 
in  den  kirchlichen  und  namentlich  den  klösterlichen  Kreisen  das 
höchste  Aufsehen  erregte,  war,  daß  er  bei  seinen  Bemühungen,  Zucht 
und  Ordnung  in  seinen  Klöstern  herzustellen,  völlig  auf  die  Mitwirkung 
der  geistlichen  Personen  verzichtete ;  auch,  als  ihm  der  Vorschlag  ge- 
macht wurde,  zu  den  getroffenen  Anordnungen  die  Einwilligung  des 
heiligen  Vaters  einzuholen,  dies  kurzerhand  ablehnte.  Zwei  angesehene 
Leipziger  Universitätsprofessoren,  Georg  von  Breitenbach  und  Melchior 
von  Ossa,  wurden  mit  der  Visitation  der  Klöster  seines  Herzogtums 
beauftragt. 

Ihre  Berichte  enthalten  wertvolles  Material  über  die  kirchlichen 
Zustände  und  den  wirtschaftlichen  Rückgang.  Mit  Ausnahme  der 
Deutsch -Ordens -Kommende  Zwätzen  bei  Jena  und  des  Zisterzienser- 
nonnenklosters Beutitz  bei  Weißenfels  fand  sich  überall  die  gewissen- 
loseste Raubwirtschaft  in  den  Waldungen,  an  der  sich  zum  Teil  sogar 
herzogliche  Beamte  beteiligten.  Mangelhaft  war  die  Rechnungsführung; 
in  Sittichenbach  fehlte  sie  seit  dem  Bauemaufruhr,  in  Langendorf  seit 
1532.  In  Goseck  herrschte  nichts  als  wüstes  Treiben,  als  „Fressen  und 
Saufen";  der  Abt  war  ein  „voller,  törichter  Mensch",  der  Tag  und 
Nacht  im  Kretscham  lag,  mit  seinen  Bauern  sich  herumschlug  und  zahl- 
reiche Schrammen  im  Gesicht  davongetragen  hatte.  Manche  Klöster 
standen  seit  dem  Bauemaufruhr  ganz  verwüstet.  Die  einzelnen  Visi- 
tationsabschiede gestatten  uns  einen  Einblick  in  die  eigentümlichen 
Verhältnisse  eines  jeden  Klosters. 


i)  Ebenda  S.  XIV.  —  Ober  das  Aufkommen  der  Protokolle  in  der  kirchlichen  Ver« 
waltnng  Tgl.  J.  Haller,  DU  ProtokoOe  des  Konnh  von  Basel  1431—1433  (Basel 
1897),  ^  ^^  Einleitung. 

3)  Gefl,  DU  KlostervisUationen  des  Hersogs  Georg  von  Sachsen  (Leiptig  1S88), 
bes.  S.  37flf.  Derselbe,  BeforwutUon  und  VisUation  der  Klöster  in  den  Akten  und 
Briefen  cor  Kirchenpolitik  Herzog  Georgs  Ton  Sachsen,  i.  Band  151 7  — 1524  (Leipzig 
1905),  S.  XXI—LIL 


—     294     — 

Einen  ähnlichen  Charakter  selbständigen  landesherrlichen  Ein» 
greifens  trugen  die  Visitationen  der  jülich-kleveschen  Regierung.  Von 
ihr  wurden  selbständige  Erkundungen  ohne  Mitwirkung  erzbischöf- 
licher Vertreter  angestellt  und  auch  fortgesetzt,  als  Erzbischof  Adolf 
von  Schaumburg  von  Köln  darüber  beim  Kaiser  Beschwerde  erhob. 
Dieses  Verfahren  erscheint  in  gewissem  Sinne  als  eine  Fortsetzung 
der  von  den  Vorfahren  des  Herzogs  Wilhelm  der  Kirche  gegenüber 
eingenommenen  Stellung,  wenn  auch  die  reformatorischen  Gedanken 
der  Wittenberger  einen  gewissen  Eänäuß  ausgeübt  haben  mögen  ^). 

Im  Dienste  der  Gegenreformation  wurden  die  Visitationen  von 
den  Organen  der  römisch-katholischen  Kirche  erfolgreich  verwendet '). 
Nachdem  bereits  die  Formula  refomuUionis  Karls  V.  in  dem  Titulus  20 
de  refamuUione  mancherlei  Anregungen  gegeben  hatte,  auch  Theo- 
logen, wie  Gropper,  für  sie  im  Dienste  katholischer  Reformation  ein- 
getreten waren  •),  faßten  mehrfache  Beschlüsse  des  Konzils  von  Trient 
die  Aufgabe  klar  und  bestimmt  dahin  zusammen :  VisüaHanum  atdem 
omnium  istarum  praecipuus  sit  scopus,  sanam  orihodoxamque  dodrinam 
exptUsis  haeresibus  inducere,  bonos  mores  tueri,  pravos  corrigere,  popu- 
lum  cohortationibus  et  (idmonitionibus  ad  religionem,  pacem  innocentiam" 
gue  accendere;  cetera,  prout  locus,  temptis  et  occasio  feret,  ex  visitan^ 
tium  prudentia  ad  fiddium  frudum  constituere  *).  Im  Zusammenhange 
mit  der  allgemeinen  Verbreitung  des  schriftlichen  Verfahrens  wurde  auch 
hier  die  protokollarische  Feststellung  der  Ergebnisse  vorgeschrieben: 
Ärchidiaconi  autem,  decani  et  alii  inferiores  in  iis  ecdesiis,  ubi  hoc- 
tenus  visitationem  exercere  legitime  consueverunt,  debeant  quidem,  as^ 
sumpto  notario,  de  consensu  episcopi  deinceps  per  se  ipsos  iantum  ibi- 
dem  visitare^). 

Dieser  Bejstimmung  entsprechend  wurden  in  den  einzelnen  Diö- 
zesen schriftliche  Berichte  angeordnet  So  wies  der  Breslauer 
Bischof  Martin  von  Gerstmann  in  der  Visitation  von  1579  ^^^  1580 
die  Visitatoren  an,  über  die  vorgefundenen  Zustände  und  namentlich 
über  die  zutage  getretenen  Schäden  und  Ärgernisse  Berichte  zu  er- 
statten, damit  diese  als  Grundlage  für  die  auf  der  Synode  zu  erlassen- 


i)  Redlich,  Jolich-Bergiache  KirchenpoUtik  am  Ausgange  des  MütelaÜers  und 
in  der  Beformationszeit  (Bonn  1907),  Band  I,  S.  8o»f.  lai». 

2)  Lingg  ft.  ft.  O.,  S.  46. 

3)  W.  V.  Gnlik,  Johannes  Oropper  (Frcibnrg  i.  B.  1906),  S.  147.  241  f. 

4)  E.  Friedberg  a.  a.  O.,  S.  298. 

5)  Ebenda  S.  297. 


—     295     — 

den  Reformdekrete  benutzt  werden  könnten  *).  Der  Archidiakonus 
Theodor  Lindanus  entwarf  dazu  die  Ordnung:  Visitaiio  ecclesiasHca 
pro  temporis  rcUione  dioecesi  Wraiislaviensi  accommodata  *).  Auch  die 
Anweisung,  die  Bischof  Andreas  von  Jerin  auf  der  Synode  zu  Breslau 
1592  gab,  machte  schriftliche  Aufzeichnungen  zur  Pflicht.  Während 
aus  den  nächsten  Visitationen  schriftliche  Berichte  nicht  erhalten  sind, 
stehen  solche  für  die  von  1638,  sowie  165 1  und  1652  zur  Verfügung ; 
aus  ihnen  sind  die  fürchterlichen  Verheerungen  ersichtlich,  die  der 
Dreißigjährige  Krieg  herbeigeführt  hatte.  „Fast  überall  fand  der  Visi- 
tator ausgeplünderte  Kirchen,  zerbrochene  Altäre,  zerstörte  Tauf- 
brunnen; viele  Kirchen  waren  ohne  schützendes  Dach  und  drohten 
einzustürzen;  die  Priester  waren  gefoltert,  beraubt  und  vertrieben  und 
die  hirtenlosen  Herden  unterdes  dem  Glauben  entfremdet  worden. 
Unter  dem  entsittlichenden  Drucke  der  Kriegsnöte  war  unter  dem 
Klerus  Zucht  und  Ordnung  gelockert,  an  vielen  Orten  ganz  aufgelöst 
worden."  *)  In  dem  Neißer  Synodaldekret  vom  26.  Mai  1653  wurden 
in  54  Abschnitten  nähere  Anweisungen  zur  Hebung  des  kirchUchen 
Lebens  gegeben. 

Über  die  in  den  folgenden  Jahrzehnten  gehaltenen  Visitationen 
sind  die  Akten  in  Breslau  erhalten,  namentlich  aus  dem  Archidiako- 
nate  Oppeln  *),  in  dem  1652  4  Archipresbyterate,  1679  16  und  1687/88 
wieder  16  mit  den  drei  Kollegiatkirchen  Oppeln,  Oberglogau  und  Rati- 
bor  besucht  und  in  sehr  genauen  Protokollen  geschildert  wurden.  Sämt- 
liche Protokolle  der  Breslauer  Diözese  aus  dieser  Zeit  sind  in  lateinischer 
Sprache  abgefaßt,  die  im  allgemeinen  gewandt  gehandhabt  wurde. 

Auch  der  römische  Stuhl  selbst  nahm  sich  der  Visitationen  wieder 
an.  Sixtus  V.  erließ  1585  Bestimmungen  über  die  visit€Uio  Uminum 
und  schrieb  zu  dem  mündlichen  Berichte  einen  schriftlichen,  die  rekUio 
skUus,  vor,  für  die  später  unter  Benedikt  XIII.  eine  bestimmte  Form 
maßgebend  wurde.  Sie  mußte  an  die  Congregaiio  visii€Uionis  aposto- 
Uoae  gerichtet  werden  *). 

Gleichzeitig  wurden  von  der  päpstlichen  Kurie  Nuntien  nach 
Deutschland  gesandt,  die  durch  Visitation  der  gefährdeten  Gegenden 
diese  der  römischen  Kirche  zu   erhalten   bemüht  waren.     Germanico 


1)  J.  JuDgnitK,  Visitationsberichte  der  Diözese  Breslau,  i.Teil(Bre8ljin  1902),  S.  3. 

2)  Ebenda  S.   11—28. 

3)  Ebenda  S.  5. 

4)  Jangnitz,  Visitatiansberichte  der  Diözese  Breslau,  Archidiakonat  Oppelo.  i.Teil 
(Breslau  1904).     Überblick  über  die  Archipresbyterate,  S.  VII — XII. 

5)  Friedberg  a.  a.  O.,  S.  159.  296. 


—     296     — 

Malaspina,   von  Gregor  XIII.  1580  nach  Graz  an  den  Hof  des  Erz- 
herzogs  Karl   geschickt,   visitierte   viele  Klöster  in    dessen  Gebieten. 
Im  Oktober  1584  an  den  kaiserlichen  Hof  in  Prag  designiert,  empfahl 
er  dem  Kaiser  Rudolf  IL  eine  allgemeine  Visitation  der  Kirchen  Böh- 
mens als  das  wichtigste  Mittel  zur  Hebung  der  kirchlichen  Verhältnisse. 
Anfang  1585  erteilte  der  Kaiser  seine  Zustimmung,  gab  ihm  den  Propst 
Andreas  Jerin  von  Breslau  bei,  ordnete  auch  zur  Unterstützung  welt- 
liche Kommissare   ab.     Aber  das  Vorgehen   fand   bei   der  Kurie  zu- 
nächst keine  günstige  Aufnahme,  und  als  sie  ihre  Einwilligung  erteilte, 
erlitt  die  Visitation  wegen  der  Pest  einen  Aufschub,  bis  sie  schließlich 
infolge   der  Abberufung  des  Nuntius   unterblieb.     Auch   Johann  An- 
dreas Caligari,  der  in  Graz  an  Malaspinas  Stelle  getreten  war,  berichtet 
interessante  Einzelheiten  über  Visitationen   bis   zu  seiner  Abberufung 
im  Jahre  1 587.    In  den  Nuntiaturberichten  sind  die  Aktenstücke  neuer- 
dings veröffentlicht  und  auf  ihre  Bedeutung  hin  gewürdigt  worden  *). 
Auch  Ottavio  Mirto  Frangipani  war  ungefähr  gleichzeitig  in  ähnlichem 
Sinne  am  Rheine  bemüht*). 

In  der  Gesellschaft  Jesu  war  die  Visitation  von  Anfang  eine 
stehende  Einrichtung.  Schon  ihr  Gründer  hatte  es  als  Grundsatz  aus- 
gesprochen ') :  Sociei(M8  damus  visere  sive  visüare,  est  valde  proprium 
.  .  .  ofjßcii  praeposUorum  provincialium.  Als  z.  B.  die  Provinz  Ober- 
deutschland eine  Ausdehnung  erlangte,  die  dem  Provinzial  die  vor- 
geschriebenen Visitationen  nicht  ermöglichte,  wurde  von  Lainez  die 
Teilung  in  Aussicht  genommen  *).  Es  geschah  dies  auf  Natals  Antrag, 
der  jahrelang  in  den  wichtigsten  Städten  des  Ordens  als  Visitator  auf- 
trat *).     Wie   eifrig   Canisius   in   dieser  Richtung  tätig   war,   geht   aus 

i)  R.  Reichenberger,  NuntiaturhenchU  aus  Deutschland  nebst  ergäneenden 
Aktenstücken,  1585 — 90.  3.  Abteil.:  Die  Nuntiatur  am  Kaiserhofe.  i.  Hälfte.  (Quellen 
und  Forschungen  ans  dem  Gebiet  der  Geschichte,  herausgeg.  von  der  GörresgeselUchaft, 
10.  Band.)  Paderborn  1905.  —  Vgl.  auch  G.  MttUer,  Beformation  und  Gegenrefor- 
mation  in  den  Jahresberichten  fUr  Geschichtswissenschaft,  herausgeg.  von  Bemer  (1905). 
2.  Band  (Berlin  1907),  S.  323—325. 

2)  Ehses,  Nuntiaturberichte  aus  Deutschland  ne^t  ergänzenden  Aktenstücken, 
1585  (1584)  bis  1590.  I.  Abteil.:  Die  Kölner  Nuntiatur.  2.  Hälfte.  Ottavio  Mirto  Fran- 
gipani in  Köln,  1587 — 1590.  (Quellen  und  Forschungen  aus  dem  Gebiete  der  Geschichte, 
herausgeg.  von  der  Görresgesellschaft,  7.  Band.)    Paderborn  1899. 

3)  Constitutiones  SodetaHs  Jesu.    Pars  8,  c.  i,  1. 

4)  Brief  des  P.  Polancus  vom  18.  Dezember  1562  in  O.  Braunsberg  er,  Seati 
Fetri  Canisii  ...  epistulae  et  acta.  Friburgi  Brisg.  1901.  Vol.  III,  p.  820.  Vgl.  auch 
p.  578.  Über  die  Bedeutung  der  Visitation  für  die  Verdrängung  häretischer  Bttcher  vgl 
ebenda  tom.  I,  p.  345.  490. 

5)  Ebenda  tom.  m  (Register),  p.  858  c. 


—     297     — 

seinem  Briefwechsel  deutlich  hervor.  Das  schriftliche  Verfahren  spielte 
auch  hier  eine  g-roße  Rolle.  Genaue  Berichte  wurden  an  den  General 
erstattet.  Wenn  der  Visitator  erschien,  mußte  der  Rektor  des  Koll^^ 
die  Akten  in  guter  Ordnung  haben,  damit  eine  schnelle  Einsicht  in 
die  Verhältnisse  möglich  war  *).  Über  den  Zustand  des  Kollegiums 
zu  Mainz  werden  wir  durch  den  Bericht  und  die  Ordnungen  unter- 
richtet, die  Natal  1567  erließ:  Unterricht,  Promotionen,  Disziplin  wur- 
den näher  bestimmt  *).  Ähnliche  Anweisungen  ergehen  für  das  dor- 
tige Knabenseminar  in  dem  Visitationsrezeß  vom  Jahre  1591  *).  Drei 
Jahre  später  erließ  der  General  Aquaviva  Anordnungen  über  die  Schul- 
visitation. Der  Entwurf  der  lUUio  Studiorum  im  Jahre  1586  hatte  in 
Spanien  einen  Sturm  gegen  die  Jesuiten  entfesselt.  Sogar  ihre  Recht- 
gläubigkeit hatte  man  in  Zweifel  gezogen.  Nachdem  die  fünfte  General- 
kongregation  1593  sich  mit  der  Angelegenheit,  namentlich  mit  der 
Autorität  des  Thomas  von  Aquino  beschäftigt  hatte,  wurde  eine  genaue 
Vorschrift  für  die  Visitation  des  philosophischen  und  theologischen 
Unterrichts  veröffentlicht  *). 

Welche  Fülle  von  Stoff  die  Visitationsberichte  über  die  kirchlichen  Zu- 
stände bergen,  ist  bekannt.  Daher  brauche  ich  auf  diesen  Punkt  nicht 
einzugehen.     Nur  einige  wenige  Züge  seien  hervorgehoben. 

Zunächst  fesselt  es,  die  Visitatoren  bei  der  Arbeit  zu  sehen 
und  in  ihrem  Verkehr  mit  den  Geistlichen  und  Gemeinden  zu  beob- 
achten. Im  allgemeinen  beschränkte  sich  dieser  auf  die  amtlichen 
Verhandlungen.  Bisweüen  findet  ein  vertrauteres  Verhältnis,  statt.  Als 
die  Visitation  in  der  katholischen  Kirche  zu  Staude  (Archipresbyterat 
Sohrau)  abgehalten  war  und  der  Visitator  die  Pfarre  betrat,  fand  er 
sie  mit  Männern  und  Frauen  gefüllt.  Kirchväter  richteten  eine  Tafel 
her,  stellten  Leuchter  darauf,  brachten  sechs  Gänge  von  den  Frauen 
bereiteter  Speisen  herbei  und  luden  den  Visitator  zum  Essen  ein.  Bei 
jedem  Gange  wurden  die  hölzernen  Löffel  und  Teller  gewechselt  und 
ein  neuer  Becher  Bier  kredenzt.  Als  der  Visitator  nach  dem  Grunde 
dieser  festlichen  Veranstaltung  fragte,  wurde  ihm  geantwortet:  „Die 
Visitatoren  lutherischen  Bekenntnisses  sind  von  unseren  Vorfahren  so 
bewirtet  worden,  daher  erneuern  wir  diese  Sitte  mit  dem  jetzigen 
(modemo)  Visitator."  Als  er  sich  zurückzog,  ging  das  Gelage  weiter. 
Bei  der  Abreise  baten  die  Leute  um  sein  Wohlwollen,  worauf  er  sich 


i)  Ebenda  tom.  III,  p.  99. 

3)  Pachtler,  Batio  Siudiarum  et  InstütUianti  ScholatUcae  Soetetatia  Jem 
(Berlin  1887),  tom.  I,  p.  207. 

3)  Ebenda  tom.  I,  p.  438,  4)  Ebenda  tom.  I,  p.  3i5--3>7* 


—     298     — 

mit  dem  Spruche  verabschiedete:  „Siehe,  wie  fein  und  lieblich  ist  es, 
wenn  Brüder  einträchtige  beieinander  wohnen.**  In  seinem  Herzen  hatte 
er  freilich  den  stillen  Wunsch,  daß  der  Pfaurer  lieber  den  unterlassenen 
Katechismusunterricht  wieder  aufnehmen  möge  ^). 

Zur  Gelehrtengeschichte  findet  sich  prächtiges  Material.  Er- 
wähnt sei  z.  B.,  daß  auf  Grund  der  Zschopauer  Visitationsberichte  fest- 
gestellt werden  konnte,  daß  der  „Schwärmer**  Valentin  Weigel  in 
seiner  Amtstätigkeit  zu  Ausstellungen  bezüglich  der  Kirchenlehre  keine 
Veranlassung  gab  und  als  völlig  korrekt  geschildert  wurde '). 

Ausgiebige  Nachrichten  finden  sich  über  die  Verfassung,  den  Zu- 
stand und  den  Unterrichtsbetrieb  der  Universitäten').    Als  Beispiel 
seien  die  Beschwerden  der  medizinischen  Fakultät  zu  Leipzig  bei  Ge- 
legenheit   der  Visitation  von   1657   angeführt,   die   sich   zunächst  mit 
persönlichen  Angelegenheiten  zu  beschäftigen  hatte.    Das  Einkommen 
war  den  Professoren  unregelmäßig  gewährt  worden ;  nicht  weniger  als 
5975  fl.  6  gr.   hatten   sie   zu   fordern.     Dazu  kamen   andere  Standes- 
fragen.   Die  philosophische  Fakultät  ließ  die  Mediziner  nicht  zu  Kol- 
legiaturen  kommen,   die  mit  guten  Einkünften  verbunden  waren;   mit 
den  Juristen  hatten  sie  einen  Rangstreit  wegen  der  Präzedenz  gehabt. 
Sie  baten,  daß  die  Quacksalber  und  Marktschreier,  wie  auch  die,  so 
nicht  graduieret,   oder  Balbierer,   so  nicht  beeidigt,   zur  Besichtigung 
der  Wunden,    ob   sie   tödlich   oder   nicht,    nicht    zugelassen   werden 
möchten,   weil   sie  deswegen  oft  Beschwer,   auch   in  ihrem  Gewissen, 
empfunden  hätten,  wenn  sie  sähen,  wie  unverständig  damit  umgegangen 
würde.     Weiter  baten   sie   um   ein   kurfürstliches   Mandat,   damit   die 
toten  Körper  der  Delinquenten  ins  Theatrum  ancUomicum  verabfolgt 
werden  möchten,  was  ihnen  in  Aussicht  gestellt  wurde.     Die  Prüfung 
der  Apotheken  des  Landes  nahmen  sie  für  sich  in  Anspruch  ^). 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  Mitteilungen  über  den  Lehr- 


i)  Jungnitz,   Visitaiion^terichte.    Archidiakonat  Oppeln.    i.  Teil,  S.  121. 

2)  Allgemeine  Deutsche  Biographie,  Band  XXXXI,  S.  473/6.  Vgl.  daza  Kaweraa 
in  den  Jahresberichten  für  neuere  deutsche  Literaturgeschichte,  Jahrgang  1897. 

3)  G.  Müller,  Die  ViBiUUiantn  der  Universität  LeipHg  zur  Zeit  des  Dreißig' 
jährigen  Krieges  im  Neuen  Archiv  für  die  sächsische  Geschichte  and  Altertumskunde, 
Band  XXVU  (Dresden  1906),  S.  18—59. 

4)  Dresdener  HaupUtaatsarchiv,  Loc.  8724.  Acta  die  Huldigung  und  dabei  ru- 
gleich  vorgegangetie  Visitation  der  Churf.  und  Fürstliehen  Sächß.  Qesambt  Uni- 
versität zu  Leipzig  betr.  Anno  1657.  Item  die  InstrtikHon  der  Universitäi  Leipzig 
und  Erörterung  der  bei  der  Visitation  Anno  1657  übergebenen  Gravaminum  betr. 
Anno  1659  und  1660.    Bl.  247—253. 


—     299     — 

betrieb').  Nach  der  unter  Kurfürst  August  erlassenen  Universitäts- 
ordnung mußten  die  Bücher  Galens  und  Avicennae  expliziert  werden; 
von  den  Vorfahren  sei  dies,  so  erklären  die  Professoren  der  medizini- 
schen Fakultät,  in  bester  Absicht  geschehen;  jetzt  aber  sei  es  offen- 
bar und  am  Tage,  daß  die  Medizin  durch  Gottes  Gnade  und  gelehrter 
Leute  Arbeit  eine  weit  bessere  Gestalt  und  Ansehen  bekommen  habe, 
also  daß,  was  man  damals  vor  80  Jahren,  als  diese  Ordnung  gnädigst 
erteilt  wurde,  aus  denen  Scriptis  Graecorum  et  Arabum  mit  großer 
Mühe,  langer  Zeit  und  vermittelst  der  griechischen  Sprache,  zu  welcher 
sich  anizo  nicht  der  10.  Studiosus  gewehnen  läßt,  erklären,  auch  denen 
Discentibus  vortragen  müssen,  man  itzo  weit  leichte)',  kürzer,  ordent* 
licher  und  nützlicher  traktieren  kann,  indem  außei'  anderen  D,  Daniel 
Senert  *)  in  seinen  Instructionibus  und  Praxi  Medica,  die  sich  auf  die 
Auen  gründen,  die  Medizin  also  traktiert  wird,  daß  uns  genug  Anlaß 
zu  nehmen,  qua  methodo  die  Medicin  auf  der  Universität  zu  profitieren  sei 
Deshalb  macht  die  Fakultät  Vorschläge  zu  neuen  Lehrplänen,  über  deren 
Genehmigung  die  Visitatoren  Verhandlungen  mit  den  kurftirstlichen 
Leibmedicis  beantragen.  Sie  erklärt  ausdrücklich  im  Eingange  der 
Eingabe,  daß  sie  das  Bewußtsein  hätte:  aut  nunc,  aut  nunquam. 
Erreiche  sie  nichts,  so  solle  sie  wenigstens  vor  der  Nachwelt  ent- 
schuldigt sein. 

Diese  zum  Teil  recht  pessimistisch  gehaltenen  Ausführungen  hatten, 
wie  die  Beschwerdeführer  bereits  geahnt  hatten,  keinen  rechten  Erfolg. 
Jahrelang  zogen  sich  die  Verhandlungen  innerhalb  der  kurfürstlichen  Re- 
gierung hin.  Die  allgemeine  Finanznot  war  das  Haupthindernis  tat- 
kräftigen Eingreifens.  Erst  nach  und  nach  heilten  die  Wunden  aus, 
die  der  böse  Krieg,  wie  der  medizinischen  Fakultät,  so  der  ganzen 
Universität  geschlagen  hatte. 

Was  in  neuerer  Zeit  für  die  Erforschung  der  Geschichte  der 
Lateinschulen  geschehen  ist,  geht  nicht  zum  geringsten  Teile  auf 
die  Ausnutzung  von  Visitationsakten  zurück,  wie  die  Arbeiten  von 
Theodor  Flathe  und  Karl  Rößler  beweisen.  Für  die  kleineren  Schulen 
ist  noch  wenig  geschehen.  Als  Beispiel  sei  die  Schule  erwähnt,  die 
der  Gönner  des  Flacianismus ,   Wolf  von  Schönburg,   sehr  zum  Ver- 


i)  Dresdener  HaapUtaatsarchiv,  Loc.  10596.  Fm totton  der  Unwersitäi  und  Con- 
sisioriums  zu  Leipzig,  une  auch  der  8chr{ft$as9en,  Geiztiichkeit ,  audi  Pfarrer  und 
Sehuldiener  in  Thüringen  und  Voigtiand  betr.  Anno  1657.  58.  59,  60,  Bl.  124: 
Bericht  des  Oberhofpredigers  Dr.  WeUer  vom  9.  Dezember  1657. 

2)  Sennert  starb  1637  in  Wittenberg.  Vgl.  Allgemeine  Dtutzche  Biographie, 
Band  XXXIV,  S.  34. 


—     300     — 

druß  des  Kurfürsten  August  errichtet  hatte  ').  Bei  der  Visitation  1574 
wird  dem  Pfarrer  vorgeschrieben:  in  der  edlen  knabenschuie,  welcher- 
gestaU  die  juxend  unterwiesen,  was  vor  ein  Ordnung  mit  Lesen  darinnen 
gehauen,  und  sonsten  allenthalben  vleißig  aufsehen  und  inspektian  m 
haben,  auch  in  solche  Privaischule  niemand  anders  €Us  edle  Knaben 
nemen  zu  lassen,  damit  der  andern  gemeinen  und  ordenäichen  schuel 
in  der  stadt  (Penig)  hierdurch  kein  abbruch  erfolge  *). 

Für    die    vernachlässigte    Volksschulgeschichte    liegt    eine 
Fülle   von   Material   vor.     In  Kirchberg   wird  über  den   Schulmeister 
berichtet:  Johann  Günther,  Kirchbergensis,  87  Jahre  aU,  ist  16  Jahre 
im  Dienst,  hai  auf  keiner  Universität  studiert;  hat  22  Schüler,  die  er 
lehret  lesen,  dedinieren  und  conjugieren  und  lieset  inen  epistolas  Stur- 
mii,  Catonem,  proverbia  Salomonis,  Evangdia  und  Catechismum.    Wider 
ihn  u)urde  da^  fürgebradU,  daß  er  der  Schule  nicht  fleißig  wartde,  auf 
seinen  Grütem  herumlaufe.    Darumb  ich  mit  im  geredet  hob  und  dem 
Pfarrer  bevolen,  daß  er  die  Schule  oft  visitieren  soll^).     In  dem  mark- 
gräfliche»  Gefel  hat  der  Schulmeister  das  Amt  eines  Stadtschreibers 
mit  verrichten  müssen;   weil  dadurch  die  Schule  sehr  versäumt  wor- 
den, hat  der  Rat  eingewilligt,  einen  eigenen  Stadtschreiber  zu  halten, 
damit  die  Schule   gefördert  werde.     Der  Schulmeister  soll   das   alte 
Gehalt  behalten   und   die  Orgel  spielen  *).     In  Kürbitz  wollte  Rudolf 
Levin  von  Feilitzsch  dem  Küster  wegen  des  Neubaus  der  Schule  ein 
Servitut  auflegen.     Das  Schulhaus  soll  daher  auf  das  Pfarrgrundstück 
kommen,  und  der  Küster  seiner  Schule  unverhindert  abwarten  mögen  ^). 

Auf  Grund  solcher  Nachrichten  hat  Lippert  eingehende   Mittei- 
lungen über  das  Volksschulwesen  gemacht  *). 

Noch   wenig  ausgenutzt  sind  die  in  den  Visitationsakten  enthal- 
tenen Angaben  zur  Statistik  und  Wirtschaftsgeschichte.    Die 


i)  Distel,  Der  Flacianismus  in  Sachaen  (Dresden  1879). 

2)  Dresdener  Haoptstaatsarchiv,  Loc.  1990.  Visitation  der  Snperintendentar  Roch- 
Utz,  1574.     BL  162*. 

3)  Dresdener  Haoptstaatsarchiv,  Loc.  1977.  Herbstvisitation  des  Leipziger  Kreises, 
1584.     Bl.  356. 

4)  Dresdener  Haoptstaatsarchiv,  Loc.  1995.  Herbstlokalvisitaüon  des  Leipzigei 
Kreises,  1585.     BI.  286  b. 

5)  Ebenda  Bl.  302. 

6)  Lippert,  Pfarreien  und  Schulen  in  den  Verhandlangen  des  histor.  Vereini 
von  der  Oberpfalz  nnd  R^ensborg  (1901),  53.  Band.  Derselbe,  OeaehidUe  det 
GegenreformcUion,  S.  255  —  259.  Derselbe,  Beformatum,  S.  224—234.  —  Übei 
Sachsen  vgL  G.  Müller,  Das  kureächsisc?^  Schulwesen  beim  Erlc^  der  Schulard- 
nung  von  1680  (Dresden  1888). 


—     301     — 

Zahl  der  Inhaber  der  Gerichtsbarkeit,  der  Güter,  ihrer  Besitzer  und 
Bewohner,  wird  in  einzelnen  Berichten  genau  überliefert.  Als  Beispiel 
führe  ich  die  Mitteilungen  über  Göda  aus  dem  Jahre  1580  an:  darin 
unterm  churfl  ampt  Stcipen  3  hreteschmar,  welche  dem  pfarhem  erb- 
eins  geben;  tmter  MaMs  Richtern  ein  farberg  doselbst,  3  unrte,  darunter 
ein  lehnmann,  1  unbewohnt  guU,  1  muele  mit  2  gengen,  11  gertener, 
7  heuseler;  unter  dem  e.  capittel  zu  Budissen  6  wirte,  darunter  2  lehn- 
leutCy  4  gertener,  3  heuseler;  unter  Petem  van  HaugwUe  zu  Darin 
2  wirte,  wdchs  halbe  lehnleute,  2  gertener,  1  heuseler;  unter  dem  pfar- 
herm  1  gertener;  dataies  uff  der  gemeine  3  heusd  vor  hirten  und  tadten- 
grdfer.     Cammunicanten  zu  Qaeda  300  ^). 

Die  Zahl  der  Lehrer  zeigt  den  Fortschritt  oder  Rückgang  des 
Schulwesens.  Im  sächsischen  Kurkreise  gab  es  1528  in  8  Städten  je 
einen,  1555  in  7  Städten  je  einen  Schulmeister;  1528  hatten  2  Lehrer 
II,  1555  nur  8  Städte;  die  Zahl  der  Städte  mit  .3  Lehrern  war  unter- 
dessen auf  5  gestiegen;  Wittenberg  hatte  4  behalten.  Die  Zahl  der 
Lehrkräfte  war  von  34  auf  42  um  8,  d.  h.  um  beinahe  25  Prozent  ge- 
stiegen ^).  Dazu  waren  zahlreiche  Mädchenschulen  mit  eigpien  Lehrern 
entstanden,  die  täglichen  Unterricht  erteUten.  In  den  Knabenschulen 
konnten  infolge  der  vermehrten  Kräfte  mehr  Klassen  errichtet,  die 
Zahl  der  Schüler  in  diesen  verringert,  die  alphabetarii  von  den  Latein- 
schülern getrennt  werden. 

Die  Bemühungen  um  Erhöhung  der  Gehalte  der  Geistlichen  und 
Lehrer  haben  genaue  Erwähnung  ihres  Einkommens,  der  Zusammen- 
setzung und  Art  desselben,  namentlich  der  verschiedenen  Natural- 
leistungen zur  Folge.  Pfarrwitwen  und  Waisen  erfuhren  wohlgemeinte, 
auf  eine  gute  Schulbildung  der  Kinder,  z.  B.  in  den  Fürstenschulen, 
hinzielende  Fürsorge ;  die  Gründung  von  Witwenkassen  wurde  angeregt, 
begegnete  aber  wegen  der  erbärmlichen  Gehalte  großen  Schwierig- 
keiten. Kranke  und  gebrechliche  Geistliche  wurden  unterstützt  Die 
Hebung  der  sozialen  Lage  und  die  Förderung  des  geringen  Standes- 
bewußtseins wird  in  zum  Teil  ergreifenden  Zeugnissen  geschildert. 

Für  die  Geschichte  von  Glauben  und  Sitte  nach  ihren  verschie- 
denen Gebieten,  nicht  am  wenigsten  dem  Volksaberglauben  in  den 
verschiedenen  Ständen,  finden  sich  zahlreiche  Nachweise,  deren  Ver- 
öffentlichung wünschenswert  erscheint 

i)  Dresdener  HanpUtaaUarchiv ,  Loc.  1999.  VUitationtacta  der  Soperintendentar 
BischoCiwerda,  1568—1580.     Bl.  10  ff. 

3)  W.  Schmidt,  Die  KircheH-  und  Schulvititationen  im  $äch9i$chen  Kurkreiae 
vom  Jahre  1565,  2,  Heft,  S.  49.  570. 


—     302     — 

Wie  soll  diese  erfolg-en? 

Bisher  war  es  vielfach  so,  daß  die  Veröffentlichung^  und  Benutzung 
mehr  zufällig  erfolgte.  Ein  Fund  regte  zur  Verwertung  an ;  die  Freude 
an  dem  vielseitigen  Inhalte  veranlaßte  die  Drucklegung  oder  Ver- 
arbeitung, meist  im  Interesse  orts-  und  heimatkundlicher  Forschung. 
Elrst  in  neuster  Zeit  ist  ein  planmäßiges  Vorgehen  hervorgetreten,  das 
als  zweckmäßig  in  Zukunft  zu  fördern  ist. 

Die  ältesten  Visitationsakten  werden  in  wörtlichem  Abdruck  zu 
veröffentlichen  sein.  So  hat  Pallas  sein  Unternehmen  durchgeführt, 
so  hat  Jungnitz  die  Protokolle  in  genauster  Vollständigkeit  dargeboten. 
In  Sachsen  werden  die  Urkunden  sicher  bis  zur  großen  Visitation  Kur- 
fürst Augusts  in  den  Jahren  1555  und  1556  zu  drucken  sein.  Ob  die 
späteren,  namentlich  die  einzelnen  Lokalvisitationen,  die  Veröffent- 
lichung in  gleicher  Ausdehnung  verdienen,  ist  zu  bezweifeln,  um  so 
mehr,  da  bei  den  halbjährig  wiederkehrenden  Lokalvisitationen  der  In- 
halt der  Aufzeichnungen,  die  Angaben  über  die  Personalien,  die  Schil- 
derung der  äußeren  und  sittlichen  Verhältnisse,  die  Aufzählung  des 
Inventars,  die  Beschwerden  und  Gesuche  sich  sehr  ähneln.  Es  kommt 
hinzu ,  daß  bei  der  schnellen  Wiederholung  der  Visitationen ,  dei 
Schwierigkeit  des  Verkehrs  in  den  zum  Teil  abgelegenen  Gegenden, 
dem  Mangel  an  verfügbaren  Beamten,  die  die  Beschlüsse  zu  fassen 
die  Entscheidungen  zu  fällen,  die  Mittel  zur  Abhilfe  zu  beschaffet 
hatten,  die  neue  Visitation  schon  erfolgte,  ehe  die  vorige  zu  Ende 
behandelt  war. 

Auf  jeden  Fall  verdient  nicht  nur  das  Aktenmaterial  des  XVI. 
sondern  mindestens  des  XVII.  Jahrhunderts  die  Veröffentlichung 
Denn  die  Wirren  des  Dreißigjährigen  Krieges  hatten  einen  Verhängnis 
vollen  Einfluß  gehabt.  Ein  sicheres  Bild,  z.  B.  nach  der  Wirtschaft 
liehen  Seite,  kann  nur  gewonnen  werden,  wenn  das  Material  vollständig 
zur  Verfügung  steht.  Gerade  die  Akten,  wie  sie  Jungnitz  über  Schle 
sien  geboten  hat,  sind  hier  der  beste  Beweis  für  die  Richtigkeit  un 
serer  Auffassung.  Auch  das  XIX.  Jahrhundert  kann  auf  Berücksich 
tigung  rechnen.  In  der  sächsischen  Oberlausitz,  die  sich  kirchliche 
Selbständigkeit  erfreute,  waren  früher  Visitationen  nicht  üblich  ge 
wesen.  Als  nun  der  Regierung  die  Hebung  des  Schulwesens  not 
wendig  erschien,  wurden  seit  dem  Jahre  1823  von  dem  neuangestellte 
Kirchen-  und  Schulrate,  namentlich  von  G.  L.  Schulze,  die  ein 
zelnen  Schulen  auf  ihren  äußeren  und  inneren  Zustand  hin  untersuch! 
Die  Ergebnisse  boten  dem  letztgenannten  das  Material  zu  der  scharfe 
Kritik,    mit   der  er   die   Notwendigkeit   eines   Volksschulgesetzes    bc 


—     303     — 

gründete.     Die  Berichte  enthalten  aber  auch  sonst  wertvollen  kultur- 
historischen Stoff. 

Um  nun  einen  Überblick  über  das  Material  zu  bekommen  und 
möglichste  Vollständigkeit  zu  erstreben,  wird  es  sich  empfehlen,  den 
in  den  kleineren  Archiven,  den  Pfarren,  erhaltenen  Bestand  festzu- 
stellen, wie  es  in  den  Rheinlanden  und  Westfalen  teüweise  und  im 
Großherzogtum  Baden  vollständig  geschehen  ist. 

Bei  der  Herausgabe  selbst  werden  die  erklärenden  Zutaten  nicht 
fehlen  dürfen,  vor  allem  eine  Einleitung,  die  in  lesbarem  Texte  das 
Wichtigste  nach  den  verschiedenen  Seiten  zusammenfaßt,  die  charak- 
teristischen Eigentümlichkeiten  feststellt,  den  Zusammenhang  mit  ähn- 
lichen Vorgängen  in  anderen  Gebieten  hervorhebt,  wie  dies  bei  Sch- 
ling dankbar  zu  begrüßen  ist. 

Außerdem  wird  sich  dann  die  Bearbeitung  im  lokalgeschichtlichen 
Interesse  empfehlen.  Für  die  Städte  ist  schon  mancher  beachtliche 
Anfang  gemacht  worden.  Aber  für  die  Dörfer  finden  sich  bisher  nur 
sehr  bescheidene  Anfänge.  Für  solche  Zwecke  wird  sich  die  Art  der 
Behandlung  praktisch  erweisen,  wie  sie  Pallas  geübt  hat.  Er  geht  Ort 
für  Ort  durch  und  druckt  für  jeden  die  Angaben  aus  den  verschie- 
denen Visitationen,  stellt  zum  Teil  auch  Vergleiche  an,  hebt  das  Ab- 
weichende hervor  und  bereitet  so  eine  spezielle  Bearbeitung  vor. 

Dazu  ist  eine  kritische  Bearbeitung  der  Quellen  nötig. 
Gerade  infolge  des  eifrigen  Bemühens  der  Visitatoren,  die  Zustände 
möglichst  genau  zu  erforschen  und  ungeschminkt  darzustellen,  findet 
sich  eine  erdrückende  Fülle  ungünstigen  und  belastenden  Materials, 
das  auf  einzelne  Gemeinden  und  für  ganze  Gebiete,  wie  auf  die  Zeit 
selbst  ein  schlechtes  Licht  wirft.  Es  wird  die  Pflicht  des  Historikers 
sein,  den  rechten  Maßstab  anzulegen  und  gerecht  abzuwägen  ^). 

Dies  gilt  auch  bei  Beurteilung  des  Erfolges  der  einzelnen  Visita- 
tionen. Zahlreiche  Schwierigkeiten  stellten  sich  den  ernstgemeinten 
Bemühungen  entgegen.  Erwähnt  sei  nur  der  Widerstand  der  Patrone, 
die  um  so  mächtiger  waren,  als  sie  die  niedere  Gerichtsbarkeit  be- 
saßen. In  Sachsen  erschienen  noch  1574  viele  nicht  bei  den  Ver- 
handlungen und  stärkten  dadurch  den  passiven  Widerstand  von  Geist- 


i)  G*  Liebe,  Die  Herausgabe  von  Kirchenvisitationsproiokolkn  im  Koirespon- 
denzbUtt  des  Getamtfereins  der  deaUchen  Gescbicbts-  and  Altertamsvereioe,  51.  Jahrg. 
(1903),  S.  47—49.  —  Fr.  Lippert,  Die  Reformation,  Einleitung.  S.  72.  73  n.  ö.  — 
Steinhaasen,     Geschichte    der    deutschen    Kultur    (Leipzig   nnd    Wien    1 904), 

s.  450-  505  ff. 

22 


—     304     — 

liehen  und  Gemeinden  ^).  Ähnlich  war  es  in  der  Pfalz  *).  Dazu  kann 
daß,  wie  noch  heute,  jeder  Fortschritt  auf  geistigem  Gebiete  finau 
zielle  Opfer  fordert  und  diese  oft  bei  dem  großen  Mangel  an  Bai 
mittein  nicht  gebracht  werden  konnten  ■).  Bisweilen  mag  wohl  auc 
der  geringe  Eifer  *)  oder  einseitige  theologische  Aufi^issung  der  Vis 
tatoren*)  hinderlich  gewesen  sein.  Von  Bestechlichkeit  ist  selte 
die  Rede  •). 

So  wird  eine  streng  sachliche  Ausnutzung  und  Beurteilung  d( 
Visitationsakten  mit  ihrem  reichen  Material  über  die  Zustände,  die  Ai 
fange  einer  strafferen  Verwaltung,  die  Ziele  und  Bestrebungen  d( 
Fürsten,  wie  ihrer  weltlichen  und  geistlichen  Ratgeber,  dazu  be 
tragen,  nachdem  die  alte  Auffassung  von  der  Reformationszeit  nac 
mancher  Richtung  hin  erschüttert  worden  ist,  durch  genaues  Studiui 
der  tatsächlichen  Verhältnisse  unter  Einhaltung  der  Grenzen  streng( 
Objektivität  ein  gerechtes  Bild  von  einer  der  größten  Zeiten  Deutscl 
lands  herzustellen  und  auch  die  Kenntnis  des  XVII.  Jahrhunderts  nac 
verschiedenen  Seiten,  z.  B.  der  wirtschaftlichen '),  zu  vertiefen. 

i)  Dresdener  Haaptstaatsarchiv ,  Loc.  1995.  Herbstlokalvisitation  des  Leipzig 
Kreises,  1585.  Bl.  76^:  ist  keiner  der  Leute  rar  Visitation  gekommen,  werden  eingesper 
drei  Tage  in  Gewahrsam  gehalten.  Bl.  148^:  Die  Visitatoren  werden  nicht  hoch  geacht< 
Die  Schuld  tragen  die  Gerichtsherren  und  die  Obrigkeit  Bl.  32  7  f. :  bittet  der  Visitat 
um  Aufhebung  der  Herbslvisitation  im  Namen  der  Eingepfarrten,  um  die  6  gr.  zu  erspare 
es  ist  gerade  Schnitt«  und  Säezeit.  Bl.  336 f.:  Edelmann  ausgeblieben,  u.  ö.  Bl.  19:  i 
Begründung  des  Pessimismus  angegeben:  quod  parum  aut  nihil  sequitnr. 

2)  Lippert,  Die  Befarmatum,  S.  71. 

3)  Eine  namentlich  nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege  häufig  wiedericehrende  Klage 

4)  Bei  der  katholischen  Kirchenvisitation  in  der  Pfalz  1629  hatte  jeder  Visitator  fc 
Tisch  2  bis  3  Maß  Wein  gebraucht.  Solche  Exoeß  im  Essen  und  Trinken  ist  nie 
iiüein  an  sich  selbst  unverantworüich  ,  ,  ,,  sondern  gibt  auch  den  Leuten  gri 
Ärgernis  . . .  und  verursacht  schlechte  Visitatores,  Lippert,  Geschichte  der  (rege 
reformation,  S.  197. 

5)  Kaweran,  Stössel  in  der  Realenzyklopädie',  19.  Band,  S.  60,  Z.  29 ff. 

6)  Herzog  Julius  warnt  die  Visitatoren  1588,  kein  Gift  noch  Gaben  zu  nehme 
wie  dies  1568  geschehen  sein  solle.  Vgl.  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  niedersächsisc 
Kirchengeschichte,  8.  Jahrg.,  S.   118  und  Anm.  i. 

7)  Lippert,  Geschichte  der  Gegenreformation,  S.  198. 


—     305     — 


liiteraturübersicht, 

alphabetisch  nach  Landschaften  geordnet« 

Anhalt)  Fürstentam. 

Becker,  Aus  Cöthener  Kirchenvisitations- Akten  von  1567:  Zeitschrift  fUr  Kirchen- 
geschichte,  herausgegeben  von  Brieger  und  BeO.     Bd.  XXI  (1901),  S.  265 — 290. 

Sehling,  E.,  Die  evangelischen  Kirchenordnungen  des  XVI.  Jahrhunderts,  i.  Abt. 
2.  Hälfte.     Leipzig  1904.     S.  493-565. 

Baden,  Großherzogtum. 

Kluckhohn,  A.,  Urkundliche  Beiträge  zur  Geschichte  der  kirchlichen  Zustände,  ins- 
besondere des  sittlichen  Lebens  der  katholischen  Geistlichen  in  der  Diözese  Kon- 
stanz während  des  XVI.  Jahrhunderts :  Zeitschrift  fdr  Kircheogeschichte,  herausg^eben 
von  Brieger  und  BeÖ.     Bd.  XVI  (1896),  S.  590—625. 

Krieger,  A.,  Die  kirchlichen  Verhältnisse  in  der  Markgrafschaft  Hochberg  im  letzten 
Drittel  des  XVII.  Jahrhunderts :  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins.  Heraus- 
gegeben von  der  Historischen  Kommission.     NF.  Bd.  XV  (1900),  S.  259 — 324. 

Birkenmayer,  A.,  Archivalien  aus  Orten  des  Amtsbezirks  St.  Blasien.  1701. 
Oktober  12.  Copia  betr.  die  Visitation  der  Forsten  und  Waldungen  in  der 
Grafschaft  Hauenstein:  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins.  NF.  Bd.  X 
(1895),  S.  m  51. 

Baumgarten,  Fritz,  Aus  dem  Gengenbacher  Klosterleben:  Zeitschrift  flir  die  Ge- 
schichte des  Oberrheins.     NF.  Bd.  VIII,  S.  456-460;  470;  660. 

Kirchenvisitationsprotokolle  von  1495,  1602  und  1626  zu  Steinenstadt  (Amt  Mühlheim): 
ebenda  NF.  Bd.  VIII,  S.  m  55. 

Extractus  libri  visitationis  generalis  capituli  ruralis  Ettlingani  1623:  Zeitschrift  ftlr  die 
Geschichte  des  Oberrheins.     NF.  Bd.  VIII,  S.  m   112. 

Recessus  visitationis  in  capitulo  Stockach:  1651,  1672,  1709,  1715.  Ebenda  NF. 
Bd.  Vm,  S.  m  65. 

Kirchenordnung  zu  „Key  11'^  (Kehl)  mit  Siegel  vom  8.  Juni  1 661  im  evangelischen  Pfarr- 
archiv zu  Kehl:  ebenda  NF.  Bd.  XVII  (1902),  S.  m  63. 

Revidierte  Straßburger  Kirchenordnung  von  1670,  gedruckt  und  in  roten  Plüsch  ge- 
bunden, im  evangelischen  Pfarrarchiv  zu  Kehl:  ebenda  NF.  Bd.  XVII  (1902),  S.  m  63. 

Akten  über  Pfarrei-  und  Kirchenvisitationen  zur  katholischen  Pfarrei  Löffingen  (Amt  Neu- 
sUdt  i.  Schw.)   1697  ff.:  ebenda  NF.  Bd.  XVII  (1902),  S.  m  45. 

Kirchenvisitations  -  Akten ,  -Berichte  und  -Bescheide  1730  ff.  der  evangelischen  Pfarrei 
Nußbaum  (Kreis  Bretten):  ebenda  NF.  XVIII  (1903),  S.  m  69. 

Die  Entschädigung  der  Geistlichen,  welche  den  Visitator  beherbergt  haben,  betr.  1732 
zu  Stockach  (kath.):  ebenda  NF.  Bd.  Vm,  S.  m  65. 

Decretnm  Ro.  Ordin.  Argent.  de  visitatione  ecclesiae  par.  Mühlenbach  (Amt  Wolfach) 
vom  Jahre  1740:  ebenda  NF.  Bd.  IX,  S.  m  18. 

Modus  visitandi  ecclesias  etc.  i  Band  in  der  evangelischen  Pfarrei  Nußbaum  (Amt 
Bretten)  vom  Jahre  1743:  ebenda  NF.  Bd.  XVIII  (1903),  S.  m  69. 

VifitationsprotokoU  von  Johann  Joseph  Zilling,  visitator  generalis,  und  Karl  Martin  de 
Bayer ,  convisitator,  1 748.  Sept.  4.,  in  der  katholischen  Pfarrei  Ittendorf  (Amt  Über- 
lingen): ebenda  NF.  Bd.  IX,  S.  m  49. 

Auszug  aus  dem  Kirchenvisitationsprotokoll  des  Straßburger  Ordinariats  in  der  katho- 
lischen Pfarrei  Honau  (Amt  Kehl)  vom  Jahre  1761:  ebenda  NF.  Bd.  XVII  (1902), 
S.  m  63. 

Recessus  visitationis  generalis  in  der  katholischen  Pfarrei  Aach,  1762,  Juli  13:  ebenda 
NF.  Bd.  IX,  S.  m  30. 

ViiitationsprotokoU  für  das  Kapitel  Linzgau  von  Johann  Simon  Spengler,  visitator 
generalis,  und  Johann  Christoph  Kolb,  convisitator,  1763,  Juni  18:  ebenda  NF. 
Bd.  IX,  S.  m  49. 

22» 


—     306     — 

Bescheid  der  biscltöflichen  Generalvisitatoren  an  den  Klerus  des  Kapitels  Neaenbnrg 
a.  Rh.  vom  Jahre  1775:  ebenda  NF.  Bd.  DC,  S.  m  54. 

Schalvisitationsbescheide  etc.  i  Faszikel  der  evangelischen  Pfarrei  Nofibanm  (Amt  Bretten) 
1775  ff.:  ebenda  NF.  Bd.  XVm  (1903),  S,  m  70. 

Sancti  Patroni  dedicationes,  altaria  ecclesianim  et  locoram  visitationi  monasterii  S.  Blasü 
in  Silva  Hercynia  snbiectomm  o.  J.,  ans  dem  XVIII.  Jahrhundert,  die  Kirchen  und 
Kapellen  von  89  Orten  enthaltend:  ebenda  NF.  Bd.  IX,  S.  m  18. 

Gottesdienst-  und  Schulordnungen,  1809  ff.,  in  der  katholischen  Pfarrei  Waldau  (Amt 
Neustadt  i.  Schw.);  ebenda  NF.  Bd.  XVU  (1902),  S.  m  48. 

Bayern,  Königreich. 

Schmid,  Ulrich,  Otto  von  Lonsdorf,  Bischof  von  Passau.     Wilrzburg  1903. 

Binder,  Geschichte  der  bayerischen  Brigittenklöster.     Mönchen  1893. 

Lippert,  Fr.,  Die  Reformation  in  Kirche,  Sitte  und  Schule  der  Oberpfalz.  1520 — 
1620.     Rothenburg  1897. 

Lippert,  Fr.,  Geschichte  der  Gegenreformation  in  Staat,  Kirche  und  Sitte  der  Ober- 
pfalz zur  Zeit  des  30jährigen  Krieges.     Freiburg  i.  B.  1901. 

Lippert,  Fr.,  Die  Pfarreien  und  Schulen  der  Oberpfalz  (Kurpfalz)  1621 — 1648:  Ver- 
handlungen des  Historischen  Vereins  von  Oberpfalz  und  Regensburg.    Bd.  LIII.  (1901.) 

Lippert,  Fr.,  Bücherverbrennung  und  Bücherverbreitung  in  der  Oberpfalz :  Beiträge 
zur  bayerischen  Kirchengeschichte.     Bd.  VI  (1900),  S.   173. 

Lippert,  Fr.,  Reformation  und  Gegenreformation  in  der  Landgrafschaft  Leachtenberg : 
Beiträge  zur  bayerischen  Kirchengeschichte.     Bd.  VIII  (1901),  S.   131. 

Bossert,  G.,  Beiträge  zur  badisch-pfalzischen  Reformationsgeschichte.  111.  1529—1546. 
A.  Die  katholische  Kirche  unter  Bischof  Philipp:  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des 
Oberrheins.     NF.  Bd.  XVIU  (1903),  S.  196  f. 

Lingg,  Kulturgeschichte  der  Diözese  und  Erzdiözese  Bamberg  seit  Beginn  des  XVII. 
Jahrhunderts.     Kempten  1900. 

Thalhofer,  F.  X.,  Das  Volksschulwesen  in  der  Diözese  Augsburg  nach  dem  bischöf- 
lichen Visitationsprotokoll  von  1775— 1 786.  Historisch-Politische  Blätter.  Bd.  CXXVEL 
S.  94 — 114. 

Hollweck,  Geschichte  des  Volksschulwesens  in  der  Oberpfalz.     Regensburg  1904. 

G.  Bossert,  Die  brandenburgische  Kirchenvisitation  1528.  Jnhresbericht  des  Histori- 
schen Vereins  fUr  Mittelfranken  1880,  wieder  abgedruckt:  Blätter  für  bayerische 
Kirchengeschichte  i  (1887— 1888),  Nr.  5—9. 

Westermayer,  Die  Brandenburgisch-Nürnbergische  Kirchenvisitationen  und  Kirchen- 
ordnungen 1528 — 1533.     Erlangen  1894. 

Schornbaum,  Ein  Beitrag  zur  Brandenburgisch-Nürnbergischen  Kirchenvisitation  1 528 : 
Beiträge  zur  bayerischen  Kirchengeschichte  1905.    Heft  5. 

Schornbaum,  Zur  zweiten  Brandenburgischen  Kirchenvisitation:  Jahresbericht  des 
Historischen  Vereins  für  Mittelfranken.     Heft  LIII. 

W  e  i  g  e  1 ,  Brandenburgisch-Rothenburgische  Kirchenvisitation :  Beiträge  zur  bayerischen 
Kirchengeschichte  4,  S.  30. 

Kapp,  Umständliche  Nachricht  von  der  allgemeinen  Visitation  in  dem  Fürstentum 
Bayreuth  in  den  Jahren  1561 — 1564.  *'W>l 

Aus  städtischen  Archiven  im  schwäbischen  Bayern:  F.  v.  Löher,  Archivalische  Zeit- 
schrift.    Bd.  VI  (1881),  S.   165. 

Bonn»  Props'.ei. 

Lau,  Fr.,  Quellen  zur  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  der  rheinischen  Städte.  Ber- 
gische Städte.     I.  Siegburg.     Bonn  1907.     S.  22  *). 

Brandenburg,  Mark. 

Curschmann,  Die  Diözese  Brandenburg.  Untersuchungen  zur  historischen  Geographie 
und  Verfassungsgeschichte  eines  ostdeutschen  Kolonialbistums.  Leipzig,  Duocker 
und  Humblot  1906. 


—     307     — 

Götze,  L.,  Die  Protokolle  des  Kreises  Jüterbogk  von  1562.     Magdeburg  1862. 

Müller,  N.,  Die  Kircheo-  nod  Schalvisitation  im  Kreise  Beizig  1530  nnd  1534. 
Berlin  1904. 

Müller  und  Paris  ins,  Die  Abschiede  der  von  1540— 1542  in  der  AUmark  gehalte- 
nen ersten  General-Kirchenvisitation  mit  Berücksichtigung  der  155 1,  1578  bis  1579 
und  1600  gehaltenen.     1889  bis  1898.     Heft  I— IV. 

Hachtmann,  Eine  Schulvisitation  im  Jahre  1654:  Schnlblatt  der  Provinz  Branden- 
burg, LUI,  S.  131 — 140. 

Brmiinschweig,  Herzogtum. 

Giemen,  H,  Einführung  der  Reformation  zu  Lemgo.  2.  Aufl.  Lemgo  1847.  S.  iio 
(Gandersheim). 

Koldewej,  Fr.,  Brannschweigische  Schulordnungen  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zum 
Jahre  1828.  2  Bände.  Berlin  1886,  1890.  Monumenta  Germaniae  Paedagogica .  . 
Herausgegeben  von  K.  Kehrbach.     Bd.  I,  VIII.     Berlin. 

Schrader,  Ghristoph,  Bericht  des  GeneralschuUnspektors  Christoph  Schrader  über  die 
im  Jahre  1650  abgehaltene  VisiUtion  der  höheren  und  mittleren  Schulen  des  Herzog- 
tums Braunschweig-Wolfenbüttel.  Ergänzung  zu  Band  2  der  Braunschweigischen  Schul- 
ordnungen von  Koldewey :  Mitteilungen  der  Gesellschaft  für  deuUche  Erziehungs-  und 
Schulgeschichte.    I,  S.   153—168. 

Bremen,  freie  Hansastadt. 

Marx,  Zur  Reformtätigkeit  des  Kardinallegaten  Otto  von  St  Nikolaus  in  West- 
falen und  der  Diözese  Bremen.  Archiv  für  katholisches  Kirchenrecht  .  .  .  Heraus- 
gegeben von  F.  Heiner,  85.  (III.  Folge  9.)  Band.  (Mainz  1905)  S.  20—28. 

Richthofen,  von,  Altfriesischc  Rechtsquellen.     Berlin  1840.     S.  127  flf.  406. 

W.  von  Bippen,  Geschichte  der  Stadt  Bremen.     Bd.  II,  S.  97. 

Iken,  J.  F.,  Bremisches  Jahrbuch.     Bd.  XV  und  XVIL 

Cleve-jniich-Berg,  Herzogtum. 

Visitations-Regulen  für  das  Herzogtum  Qeve-G&lich-Berg  and  Grafschaft  Marck  (ohne 
Datum)  in  dem  Archiv  des  evangelischen  Pfarramts  zu  Frechen  (Kreis  Köln-Land). 
Vgl.  A.  Tille,  Übersicht  über  den  Inhalt  der  kleineren  Archive  der  Rheinprovinz.  Bd.  I. 
Bonn  1899.     S.  12. 

Redlich,  Otto  R.,  Jttlich-Bergische  Kirchenpolitik  am  Ausgange  des  Mittelalters  und 
in  der  Reformationszeit.  Bonn  1907.  II.  Band:  Protokolle  über  die  von  den  Her- 
zögen Johann  und  Wilhelm  von  Jülich -Qeve  veranstalteten  Kirchenvisitationen  des 
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zig 1879). 

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1555.  2  Hefte.  Halle  a.  d.  S.  1906:  Schriften  des  Vereins  für  Reformatioi 
geschichte.     Heft  90  nnd  92. 

Schmidt,  Wilh.,  Die  Kirchen-  nnd  Schulvisitation  im  Herzberger  Kreise  1529.  Ber 
1899.     (Programm  des  Leibniz-Gymnasiums.) 

Dann  eil,  F.  H.  O.,  Protokolle  der  ersten   lutherischen  General-Kirchenvisitation 
Erzstift  Magdeburg  anno  1562 — 1564.     4  Hefte.     Magdeburg  1864. 

Nebe,  G.,  Die  Kirchenvisitationen  des  Bistums  Halberstadt  in  den  Jahren  1564 — 15I 
Halle  1886:  Geschichtsquellen  der  Provinz  Sachsen  und  angrenzender  Gebiete.  Hera 
gegeben  .  .  .  von  der  Historischen  Kommission  der  Provinz  Sachsen.     Bd.  XII. 

Ger  mann,  W»,  D.  Johann  Forster,  der  hennebergische  Reformator.  Leipzig  i8< 
S.  55  ff.:  Henneberg-Schleusingen  1555;  S.  75  ff.:  Herrschaft  Römhild  1556. 

Schnitze,  W.,  Die  Geschichtsquellen  der  Provinz  Sachsen  im  Mittelalter  nnd  in  ( 
Reformationszeit.     Halle  1893. 

V.  Ledebur,  Archiv  fUr  Geschichtskunde  des  preußischen  Staates.     Bd.  XV. 


—     318     — 

Hortschansky,  Aus  den  PfarrarchiYcn  der  Provinz  Sachsen:  Neoe  Mitteüangeo  des 
Säcfasisch-Thüringischeo  Altertamsvereins.     Bd.  LXXI,  S.  191  ff. 

Strobel,  Chnrsächsische  Visitations- Artikel.     Altdorf  1776. 

Weber,  Melanchthons  Evangelische  Kirchen-  und  Schulordnung  von  1528,  mit  historischer 
Einleitung.     Schluchten  1844. 

Martens,  Die  formula  visitationis  ecclesiae  Erfurtensis  au  dem  Jahre  1557.  Erfurt 
1897.     Jahresbericht  des  Realgymnasiums. 

Linke,  Luthers  Reisegeschichte.     S.  172  ff.,  186  ff. 

Schlesien,  Provinz. 

Jungnitz,  J.,  Visitationsberichte  der  Diözese  Breslau.  Archidiakonat  Breslau.  Archi- 
diakonat  Oppeln.  2  Bände.  Breslau  1902  und  1904.  [Auch  unter  dem  Titel:  Ver- 
öffentlichungen aus  dem  fürstbischöflichen  Diözesan-Archive  zu  Breslau.  I.  und  IL  Bd.] 

Soffner,  J.,  Die  beiden  Kirchenvisitationen  des  Archidiakonats  Breslau  1638  und 
1651  —  1652.     Breslau  1899. 

Matzke,  David,  Die  General-Visitationen  der  evangelischen  Kirchen  und  Schulen  im 
Fürstentum  Liegnitz  1654,  1655  und  1674.     Berlin  1854. 

Eberlein,  G.,  Die  General-Kirchenvisitation  im  Fürstentum  Wohlau  1656  und  1657. 
[Auch  unter  dem  Titel:  Urkunden-Sammlung  zur  Geschichte  der  evangelischen  Kirche 
Schlesiens.     Bd.  I.]     Liegnitz  1905. 

Schimmelpfeng,  A.,  Die  Organisation  der  evangelischen  Kirche  im  Fürstentum 
Brieg  während  des  XVI.  Jahrhunderts:  Zeitschrift  des  Vereins  fUr  die  Geschichte 
Schlesiens.     Bd.  DC  (1868),  S.  16. 

Schleswig-Holstein. 

Preisen,  Schulordnungen  in  Schleswig  -  Holstein  seit  Einführung  der  Reformation. 
1899:  Mitteilungen  der  Geselbchaft  für  deutsche  Erziehungs-  und  Schulgeschichte. 
Bd.  IX,  S.  133—167. 

Rendtorff,  F.  M.,  Die  schleswig-holsteinischen  Schulordnungen  vom  XVI.  bis  zum 
Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts.  Kiel  1902.  (Schriften  des  Vereins  für  schleswig- 
holsteinische Kirchengeschichte,     i.  Reihe,  2.  Heft.) 

Schwarsburg-Rudolstadt,  Fürstentum. 

Ei  nicke,   G.,  Zwanzig  Jahre  schwarzburgische  Reformationsgeschichte.     1521 — 1541. 

Schling,  E.,  Die  evangelischen  Kirchenordnungen  des  16.  Jahrhunderts.  I.  Abt, 
2.  Hälfte.     S.  119— 137. 

Schwanburg-Sondershausen,  Fürstentum. 

Einicke,  G.,  Zwanzig  Jahre  schwarzburgische  Reformationsgeschichte.  1521  —  154I- 
Thüringen. 

Burkhardt,  K.  A.  H.,  Die  älteste  Kirchen-  und  Schulvisitation  im  östlichen  Thüringen 
1527:  Theologische  Studien  und  Kritiken  LXVII  (1894),  S.  773  —  782. 

Gebhardt,  Thüringische  Kirchengeschichte.     Gotha  1880 —  1882. 

Berbig,  Gerhards  Visitationswerk  in  Thüringen  und  Franken.  (Inaugural-Dissertation.) 
Leipzig  1896. 

Schling,  E.,  Die  evangelischen  Kirchenordnungen  des  16.  Jahrhunderts.  I.  Abt, 
I.  Hälfte.  Vergl.  namentlich  die  alphabetisch  geordneten  Städte  und  Ortschaften 
S.  470—728. 

Gefi,  F.  Akten  und  Briefe  zur  Kirchenpolitik  des  Herzogs  Georg  von  Sachsen,  i.  Band. 
Leipzig  1905. 

Vierlande  (zu  Hamburg  gehörig). 

Starck,  K.  H.,  Lubeca  Lutherano-evangelica.     S.  315. 
AValdeck,  Fürstentum. 

V.  Schnitze,  Waldeckische  Reformationsgeschichte.     Leipzig  1903. 

V.  Schultse,  Waldeckische  VisiUtionsberichte  1556,  1558,  1563,  1565:  Archiv  (Ür 
Reformationsgeschichte  Nr.  2. 


—     314     — 

Westfalen,  ProTinz. 

Hilling,  Die  westfälischen  Diözesansjnoden  bis  zur  Mitte  des  15.  JahrlniiHiens 
Lingen  1898. 

Mmrx,  Zur  Refonntfitigkeit  des  Kardinallegmteo  Otto  von  St  Nikolans  in  Westfalei 
und  der  Diözese  Bremen.  Archiv  för  katholisches  Kirchenrecht  .  .  .  hgg.  v.  Fr.  Hinco 
85.  (OL  Folge  9.)  Band.     (Mainz  1905).     S.  20—38. 

Schmidt,  A.,  Protokoll  der  kirchlichen  Visitation  der  Grafsdiaft  Ravensberg  1553 
Jahrbach  des  Vereins  för  evangelische  Kircheogeschichte  West£üens.     6.  Jahrgang. 

ProtocoUnm  habitae  visitationis  archidiaconalis  der  katholischen  Pfarre  za  Stadtlohn  1 720  fi 
Veröffentlichungen  der  Historischen  Kommission  der  Provinz  West£slen.  Inventar 
der  nichtstaatlichen  Archive  der  Provinz  Westfalen.  Bd.  1:  R^emngsbeztrk  Mönstci 
Heft  I:  Kreis  Abaas.     Mttnster  i.  W.  1899.     S.  45  ^  Nr.  3. 

Wolfienbüttel,  Herzogtum. 

Kays  er,  K.,  Die  General-Kirchenvisitation  ...  in  der  Zeitschrift  der  Gesellschaft  fc 
niederskchsische  Kirchengeschichte.    8.  Jahrgang  (Brannschweig  1904),  S.  118.  A.  i 
Die  Visitatoren  von  1568  werden  der  Bestechlichkeit  bescholdigt. 

Schrader,  Christoph,  Bericht  des  Generalschalinspektors  Christoph  Schrader  fibc 
die  im  Jahre  1650  abgehaltene  Visitation  der  höheren  and  mittleren  Schulen  de 
Herzogtums  Brannschweig- Wolfenbftttel :  Mitteilongen  der  Gesellschaft  fftr  dentsdi 
Erziehongs-  nnd  Schnlgeschichte.     I,  S.   153 — 160. 

WOfttemberg,  Königreich. 

Vor  dem  Interim.    Theologische  Studien  ans  Württemberg  1883,  S.  an — 220,  220 — 221 

Amt  Göppingen  1556,  Tübingen  1589,  Nenenbnrg  1589,  Marbach  1559:  Theologisdi 
Stadien  ans  Württemberg  1884,  S.  65 — 83. 

Amt  Stattgart  1551  and  1558:  Theologische  Stadien  aas  Wftrttemberg  1885,  S.  314.  32c 

Die  Diözese  Tübingen  1601 — 1605  aas  Visitationsberichten:  Blätter  fftr  württembergisch 
Kircbengeschichte  1889,  S.  6>-48;  1654:  ebenda  1889,  S.  77  —  1890,  S.  44. 

Akten  der  Kircbenrisitation  der  Grafschaft  Hobenlohe  1556:  Wfirttembeigische  Vierte! 
Jahrshefte  1880,  S.  59—170. 

Zeitschrift  für  Kirchengesdiichte   1880,  S.   1—48. 

Kirchenvisitation  von  Überlingen:  BUtter  för  württembergische  Kirchengeschichte  188] 
S.  13 ff.;  22—24;  29 ff. 

Ulmer  Kirchenvisitationen  von  1535  an:  Württembergische  Viertdjahrsbefte  i8S< 
S.  204 — 223. 

Giesel,  Extrakt  der  im  Jahre  1557  von  Dr.  Rabas  im  Gebiet  der  Reichsstadt  Vb 
gehaltenen  Kirchenvisitation:  Diöcesanarchiv  aas  Schwaben  1886,  S.  83 — 88;  94 — 9( 

Keidel,  Examen  der  Priesterschaft  in  Ulm  1531:  Wfirttembergische  Vierteljahrsheft 
1895,  S.  260—277. 

Keidel,  Die  erste  Kirchenvisitation  in  Ulm  Oktober  1531:  ebenda  1895,  S.  297-301 

Die  Visitationsprotokolle  der  Diözese  Konstanz  1574 — 1581:  Blitter  f&r  württembei 
gische  Kirchengeschichte  1891,  S.  i — 62. 

Österreich-Ungam. 

Inner-Östeireich. 

Kapp  er,  A.,  Das  Archiv  der  k.  k.  Steiermärkischen  Statthalterei  nach  der  Neaaai 
stellang  im  Sommer  1905.  Graz  1906:  S.  19.  Nr.  3  (10).  Amter-Reformierani 
and  Visitation  in  Inner-Österreich  1568 — 1574.  Nr.  411;  S.  6.  Nr.  21.  Betrifl 
die  Reformation  der  innerösterreichischeo  Klöster  im  allgemeinen. 

Steiennark,  Herzogtum. 

Robitsch,  Geschichte  des  Protestantismus  in  Steiermark.     2.  Aufl.  1865. 

Loserth,  J.,  Zur  Geschichte  der  Reformation  und  Gegenreformation  in  Inneröstei 
reich:  Jahrbach  der  Gesellschaft  für  die  Geschichte  des  Protestantismus  in  österreidi 
25.  Jahrgang  (1904),  S.   198,  A.   2. 


—     315     — 

Stmrzer,  Über  einen  Visitationsaaftrag  an  den  Bischof  Christoph  von  Gark:  Carinthim 

Lxxxm. 

Lebinger,  P.  Norbert,  die  Reformation  und  Gegenreformation  in  Klagenfart.  17. 
and  18.  Programm  des  k.  k.  Gymnasiums  zu  Klagenfurt  (1867,   1868). 

K  a  s  p  r  e  t ,  A.,  Die  Instruktion  Erzherzog  Karls  IL  für  die  L  f.  Reformierungskommission 
in  Steiermark  aus  dem  Jahre  1572.  Programm  des  L  Staats- Gymnasiums  zu  Gras. 
1903. 

Kap  per,  A.,  Das  Archiv  der  k.  k.  Stei  ermärkischen  Statthalterei  nach  der  Nenaof- 
stellung  im  Sommer  1905.  Graz  1906:  S.  21.  Nr.  31.  Visitierung  und  Refor- 
miernng  des  Eisenbergwerks  in  Eisenerz,  Salz;  S.  21.  Nr.  34.  Amter- Visitation 
1577;  S.  22.  Nr.  42.     Ämter- Visitation  und  Kommission   1573. 

Reichenberg  er,  R.,  Germanico  Malaspina  und  Filippo  Sega.  (Giovanni  Andrea 
Caligari  in  Graz) :  Quellen  und  Forschungen  aus  dem  Gebiet  der  Geschichte.  In  Ver- 
bindung mit  ihrem  historischen  Institut  in  Rom  herausgegeben  von  der  Goerres-Ge- 
sellscbaft.     Band  X.     Paderborn  1905.     S.  449.  239. 

Kämten,  Herzogtum. 

Reichenberger,  R.,  Germanico  Malaspina  und  Filippo  Sega.  (Giovanni  Andrea 
Caligari  in  Graz) :  Quellen  und  Forschungen  aus  dem  Gebiet  der  Geschichte.  In 
Verbindung  mit  ihrem  historischen  Institut  in  Rom  herausgegeben  von  der  Goerres- 
Gesellschafl.     Band  X.     Paderborn   1905.  S.  449. 

Kimin,  Herzogtum. 

Schumi,  Fr.,  Urkunden-  und  Regestenbuch  des  Herzogtums  Krain.   i .  Band.   737 — 1 200. 

Laib  ach,   1882/3.     S.  279.     Nr.  358  (Freudenthal). 

Reichenberger,  R.,  Germanico  Malaspina  und  Filippo  Sega.  (Giovanni  Andrea 
Caligari  in  Graz):  Quellen  und  Forschungen  aus  dem  Gebiet  der  Geschichte.  In 
Verbindung  mit  ihrem  historischen  Institut  in  Rom  herausgegeben  von  der  Goerres- 
Gesellschaft.     Band  X.     Paderborn  1905.  S.  449. 

Qdrs,  GeOirstete  Grafschaft. 

K  a  p  p  e  r ,  A.,  Das  Archiv  der  k.  k.  Steiermärkischen  Statthalterei  nach  der  Neuaofstel- 
lung  im  Sommer  1905.  Graz  1906.  S.  112.  Nr.  21.  Akten  betr.  die  Visitation 
verschiedener  Grenzfestungen  in  der  Grafschaft  Görz  1626. 

Reichenberger,  R.,  Germanico  Malaspina  und  Filippo  Sega.  (Giovanni  Andrem 
Caligari  in  Graz):  Quellen  und  Forschungen  aus  dem  Gebiet  der  Geschichte.  In 
Verbindung  mit  ihrem  historischen  Institut  in  Rom  herausgegeben  von  der  Goerres- 
Gesellschaft.     Band  X.     Paderborn  1905.     S.  449.  465. 

Tirol,  Geforstete  Grafschaft. 

Ottenthai,  E.  von  und  Redlich,  O.,  Archivberichte  aus  TiroL    i.  Heft.    Wien  1888. 
Hier  sind  ans  Kirchenarchiven  folgende  Visitationsmkten  und  Dekrete  verzeichnet: 
S.  7.     Visitationsakten   1688 — 1847  ^^  Flanrling. 

Berichte  über  die  Visitation  der  Einsiedler  1747  zu  Telfs. 
Visitationssachen  von  1 688/1 698,  1705  zu  Mieming. 
Visitationsakten  von  Umhausen  1688  und  Hauming  1688  zu  Silz. 
Visitations-  und  Kongregationsakten  von  1698  an  zu  Imst. 
Visitationsdekrete  seit   171 2  in  Lazfons. 
Visitationsakten  von   1680  an  in  Velthurns. 
Visitationsdekrete  seit  1649  in  Völs. 
Visitationadekrete  von  1649  an  in  Welschnoven. 
Visitationsdekrete  seit  1680  in  Pens. 

Visitationsdekrete  und  Protokolle  von   1734,   I74if  175'  «'»  TUtü. 
Visitationsdekrete  von   1688,   1698,   1705  in  Gries. 
Visitationsdekrete  von  17 19,  1734,  1751  in  St  Jacob. 
S.  329/330.     Visitationsprotokolle  von  1739  (3  verschiedene)  in  Zams. 
S.  330.     Visitmtionsdekrete  von  1681  in  Zams.  ^ 

^-  353-     Visitationsdekrete  von  1734  und  1739  in  Tösens. 
S.  363.     Visitationsdekret  von  1723  in  HafUng. 
S.  476.     Visitationidekrete  seit  1682  in  Partschies. 


s. 

24. 

s. 

36. 

s. 

44. 

s. 

56. 

s. 

86. 

s. 

89. 

s. 

106. 

s. 

144. 

s. 

153- 

s. 

299. 

s. 

307. 

s. 

3". 

—     316     — 

S.  460.     Visitationsdekrete  seit  1658  in  Tirol. 

S.  470.     Visitationsdekrete  seit  1693  in  St.  Martin. 

Böhmen,  Königreich. 

Lippert,  Fr.,  Die  Egerer  Reformation:  Jahrbuch  der  Gesellschaft  für  die  Geschichte 
des  Protestantismns  in  Österreich.     21.  Jahrgang  (1900),  S.  42  ff. 

SiebenbOrg^en. 

Warner,  C,  Die  Schul  Visitation  im  Mediascher  Kapitel  Yom  Jahre  1 765 :  Archiv  des 
Vereins  fiir  siebenbürgische  Landeskunde.     NF.     23.  Band.   i.  Heft. 

Kootz,   J.,   Kirchenvisitation   im   siebenbür^^ischcn   und    deutschen    Unterwald.     Pro- 
gramm 1891. 

Kurland. 

Starenhagen,   O. ,  Kirchenvisitation   im  Gebiet   Grobin   durch    Mag.  Joh.  Funk  im 
Jahre  1560:  Jahresberichte  fiir  kurländische  Geschichtsliteratur   1905. 

Schweiz. 

Brehm,    Zur  Geschichte   der    Konstanzer  Diözesansynoden   während    des   Mittelalters. 
Diözesanarchiv  für  Schwaben.     Bd.  22,  23. 

Holder,  K.,  Über  Kirchenvisitation   und  Visitationsberichte  in  der  Diözese  Lausanne 
bis  Ende  des   16.  Jahrhunderts:  Katholische  Schweizerblätter  1902. 

Holder,  Gh.,  Les   visites  pastorales  dans  la   diocese  de   Lausanne  depuis    la   fin  du 
i6m«  si^cle  jusqu'  i^  vers  le  milieu  du  19  m«  si^cle.     Fribourg  (Suisse)  1903. 

Zeitschrift   dir  schweizerische  Kirchengeschichte.     Jahrgang  i  (1907). 

Wirz,  Joh.  Jak.,   Historische  Darstellung   der   Verordnungen,   welche   die   Geschichte 
des  Kirchen-  und  Schulwesens  in  Zttrich  betreffen.     Zürich   1793  f. 

Finsler,  Georg,  Kirchliche  Statistik  der  reformierten  Schweiz.     Zürich  1854. 

Trienniumsberichte  des  Züricher  Kirchenrats. 


Mitteilungen 


Archive.  —  Veranlafit  durch  eine  freundliche  Anregung  des  Heraus- 
gebers dieser  Blätter,  soll  heute  in  aller  Kürze  auf  das  Ratsarchiv  der 
Mecklenburgischen  Seestadt  Rostock  hingewiesen  werden,  das  demnächst 
sein  bisheriges  Heim  verläßt,  um  in  neuen  eigens  für  seine  Zwecke  erbauten 
und  hergerichteten  Räumen  tmtergebracht  zu  werden. 

Daß  dieses  Archiv  zu  den  wichtigeren  deutschen  Stadtarchiven  gehört, 
darf  als  bekannt  gelten.  Zwar  ist  Rostock  stets  Territorialstadt  gewesen, 
aber  seine  Bedeutung  für  das  Territorium,  innerhalb  dessen  es  bis  heute 
eine  der  Neuzeit  sonst  fremde  städtische  Selbständigkeit  bewahrt  hat,  seine 
einstige  Zugehörigkeit  zum  Bunde  der  Wendischen  Städte,  dem  eigentlichen 
Kern  der  Hanse,  seine  Hochschule,  die  bis  ins  XIX.  Jahrhundert  hinein  unter 
dem  Kompatronat  der  Stadt  gestanden  hat,  lassen  von  vornherein  ein  reiches, 
eigenartiges,  archivalisches  Material  erwarten.  Es  kommt  hinzu,  daß  dieses 
Archiv  durch  ein  gütiges  Geschick  vor  großen  Verlusten,  wie  sie  an  so 
vielen  anderen  Orten  beklagt  werden,  bewahrt  geblieben  ist. 

Die  erste  Erwähntmg  des  Archivs  findet  sich  m.  W.  in  der  Urkunde 
vom  29.  Jtmi  1265,  durch  die  der  Sitz  der  infolge  eines  fürstlichen  Pri- 
vilegs vom  18.  Juni  1262  vereinigten  städtischen  Verwaltimg  aus  der  Alt- 
stadt in  die  Mittelstadt  —  d.  h.  nach  dem  jetzigen  Neuen  Markt  —  verlegt 
wird.     Es  wird  hier  von  Rat  und  Gemeinde  bestinmit,   daß   die  Privilegien 


—     317     — 

der  Stadt  femerhiu  in  der  Altstadt  in  loco  tuto  sub  custodia  trium  camera- 
riornm  aufbewahrt  werden  sollen.  Wie  lange  sie  noch  dort  blieben,  und 
wo  sie  nach  ihrer  Überführung  in  die  Mittelstadt  zunächst  untergebracht 
wurden,  ist  unbekannt.  Im  Jahre  1733  wurden  im  Rathause,  zwei  Treppen 
hoch,  drei  Zimmer,  deren  Fenster  teils  nach  dem  Scharren,  teils  nach  der 
Straße  hinter  dem  Rathause  gingen,  für  das  Archiv  eingerichtet.  In  späterer 
Zeit  ist  noch  ein  viertes  danebenliegendes  Zimmer  mit  Fenstern  nach  der 
letztgenannten  Straße  und  nach  dem  Rathaushof  hinzugekommen.  Diese 
Räume  beherbergen  bis  heute  die  Hauptmasse  der  Archivalien.  Ob  das  — 
oft  als  „Geheimarchiv**  bezeichnete  —  Gewölbe  hinter  der  Ratsstube,  in  dem 
Anbau  über  dem  einstigen  Brodscharren,  eine  Treppe  hoch  gelegen,  schon 
vor  1733  Archivzwecken  diente,  hat  sich  bisher  nicht  mit  Sicherheit  fest- 
stellen lassen.  In  ihm,  als  dem  einzigen  einigermaßen  feuersichem  Räume, 
werden  jetzt  die  wichtigsten  Urkunden  und  Akten  aufbewahrt.  Außerdem 
sind  auf  dem  Rathausboden  mehrere  z.  T.  sehr  geräumige  Kammern  zur 
Aufnahme  von  Archivalien  eingerichtet     Alle  diese  Räume  sind  überfüllt. 

Der  älteste,  ziemlich  bescheidene  Index  actorwm^  der  sich  erhalten  hat, 
stammt  aus  dem  Jahre  16 12.  In  einem  starken  Pergamentbande  mit  dem 
Titel  Begistratur  aller  in  diesem  Archive  befindlichen  Privilegien,  Originälien, 
Acten,  Missivtn  und  Schriften  findet  sich  eine  Eintragung  des  Notarius 
publicus  Daniel  Brune  vom  28.  Dezember  1628.  Der  Schreiber  behauptet 
darin,  als  erster  das  Archiv  in  Ordnung  gebracht  und  den  Katalog  angefer- 
tigt zu  haben,  dessen  Fortführung  er  seinen  Nachfolgern  empfiehlt. 

Seit  etwa  1700  wissen  wir  von  Archivaren  aus  der  Mitte  des  Rats. 
Noch  heute  führen  zwei  rechtsgelehrte  Senatoren  diesen  Titel;  sie  haben 
die  Interessen  des  Archivs  im  Ratskollegium  zu  vertreten. 

Nach  zahlreichen  Ordnungsvorschlägen  und  mehr  oder  weniger  dilettan- 
tischen, wenn  auch  z.  T.  durch  Jahre  fortgesetzten  Ordnungsarbeiten  kam  es  end- 
lich im  Jahre  1884  zur  Anstellung  eines  Stadtarchivars.  Daß  man  für  dieses 
Amt  als  ersten  keinen  geringeren  als  Karl  Koppmann  gewann,  wird  für 
das  Rostocker  Archiv  stets  bedeutungsvoll  bleiben.  Koppmann  hat  hier  bis  zu 
seinem  Tode  gewirkt.  Seit  dem  Jahre  r900  steht  neben  dem  Stadtarchivar 
der  Archivsekretär  als  zweiter  wissenschaftlicher  Beamter. 

Als  ein  für  das  Archiv  besonders  wichtiges  Ereignis  sei  noch  der  Ur- 
kundenfund  vom  6.  Mai  1899  erwähnt,  der  beim  Umbau  der  Ratsstube 
gemacht  wurde  und  durch  den  gegen  1000  Urkunden  und  zahlreiche  andere 
Aktenstücke  und  Bücher  an  den  Tag  kamen  *). 

Was  die  Größe  des  Archivs  anlangt,  so  ergab  eine  im  vorigen  Jahre 
auf  Wunsch  der  Konferenz  für  landesgeschichtliche  Publikationsmstitute  ver- 
anstaltete Zählung  für  die  Zeit  bis  zum  Jahre  1500  über  3000  Urkunden 
und  über  50  Bücher  verschiedenen  Inhalts  und  außerdem  27  Stadtbuch- 
fragmente. Über  die  Menge  der  in  der  Zeit  nach  1500  hinzugekoimnenen, 
bisher  nur  teilweise  geordneten  Archivalien  lassen  sich  vorläufig  keine  An- 
gaben machen. 


i)  Vgl.  darüber:   K.  Koppmann  in   den  Beiträgen  iur  Geschichte  der  Stadt 
Bostoek  III,  I,  S.  Vff. 


—     318     — 

Auf  den  Inhalt  des   vorhandenen  Materiab,   soweit  es  wissenschaftlich 
von  Interesse  ist,  hinzuweisen,  soll  einer  späteren  Zeit  vorbehalten  bleibeo. 

Ernst  Dragendorff. 


Es  ist  nötig,  nochmals  auf  den  Bericht  über  den  sechsten  deutschen 
Archivtag  zurückzukommen. 

Mit  Bezug  auf  die  oben  S.  42  und  256  berührte  Adressierung  der 
dienstlichen  Schreiben  in  Dänemark  bemerkt  Archivdirektor  Secher  in 
einer  Zuschrift  an  den  Herausgeber,  dafi  durch  den  Wortlaut  des  Berichts 
die  Auffassung  erweckt  werden  könne,  als  ob  die  Adressierung  an  den  Be- 
amten anstatt  an  das  Amt  auch  heute  noch  üblich  sei.  Dies  ist  jedoch 
nicht  der  Fall,  sondern  das  Gesetz  vom  2.  April  1870,  welches  das  bis 
dahin  in  Dänemark  herrschende  Titelwesen  stark  einschränkte,  hat  jene  Art 
der  Adressierung  beseitigt.  Bemerkenswert  ist  also  nur,  daß  sich  in  Däne- 
mark die  Adressierung  der  Dienstschreiben  an  den  einzelnen  Beamten  wesent- 
lich länger  erhalten  hat  als  in  Deutschland. 

Zu  der  oben  S.  254 — 257  erörterten  Frage,  inwieweit  sich  praktisch 
das  Provenienzprinzip  im  Archivwesen  anwenden  lasse,  schreibt  Archivar 
Dr.  E.  Wiersum  in  Rotterdam: 

„Nach  dem  Zugeständnis  des  Herrn  Dr.  Vancsa,  daß  sein  Bericht  über 
den  sechsten  deutschen  Archivtag  in  Wien  etwas  flüchtig  ge£äßt  und   daher 
undeutlich  geworden  ist,  würde  es  unhöflich  sein,  dies  nochmals  ausdrück- 
lich  zu  betonen.     Der   subtile    Unterschied,   den   er  zwischen   Einzahl  und 
Mehrzahl  von  Prinzip  gemacht  haben  will,  und  mit  dem  er  das  Mißverständnis 
aufzuklären  sucht,   macht  mir  allerdings  die  Sache  nicht   deutlicher.     Wenn 
ich  die  AusfÜhnmgen  des  Archivdirektors  Secher  richtig  verstanden  habe, 
verteidigte   er  grundsätzlich  das  Provenienzprinzip,  wie  es  jetzt  in  Dänemark 
voUständig  durchgeführt  ist.     Er  gab  zwar  zugleich  eine  Übersicht  über   die 
früheren  Ordnungsprinzipien,  die  jedoch  jetzt  alle  abgetan  sind  und  auf  die 
die  Bemerkung  des  Berichterstatters  sich  also  kaum  beziehen  konnte.      Und 
wenn  der  Redner  dann  weiter  über  die  Herstellung  von  Handbüchern,    die 
Anfertigung  von  Beamtenlisten  usw.  sprach,  so  bezog  sich  dies  nur  auf  einige 
praktische   Folgen,    die   die    Anwendimg   des   Prinzips   verursacht,   berührte 
aber  die  Hauptfrage,  nämlich  die  nach  der  Tauglichkeit  oder  (Jntauglichkeit 
des  Prinzips,  überhaupt  nicht.     Deswegen  konnten    diese  Dinge   auch   nicht 
in  Betracht  kommen,  wenn  es  die  Frage  zu  beantworten  galt,    ob  sich  das 
Provenienzprinzip   auch   in   den  Archiven    der  Länder    anwenden    läßt,    die 
nicht  die  „  ganz  spezifischen  Entwickelungsverhältnisse,  wie  sie  eben  in  Däne- 
mark gegeben  sind",  besitzen. 

Was  dann  die  Befolgtmg  des  Provenienzprinzips  speziell  in  der  öster- 
reichischen Archivverwaltimg  betrifft,  so  gestehe  ich  gern  zu,  daß  auch  nach 
meinem  Dafürhalten  leicht  Schwierigkeiten  entstehen  können,  sei  es  durch 
die  häufigen  Änderungen  in  der  Behördenorganisation  und  den  Territorial- 
grenzen,  sei  es  durch  die  Kompliziertheit  des  Verwaltungsapparats,  Nur 
will  mir  scheinen,  daß  diese  Schwierigkeiten  sich  auch  bei  strenger  An- 
wendung des  Provenienzprinzips  in  den  allermeisten  Fällen  überwinden  lassen, 
wenn    einleitungsweise    die    Geschichte    der   Behörden  und  ihrer  Zuständig- 


—     319     — 

keit  beschrieben  und  im  Inventar  selber  darauf  verwiesen  wird.  Letzteres 
wird  sich  auch  bei  Eingliederung  der  Archivalien  kleinerer  Unterbehörden 
empfehlen,  bei  der  Vancsa  seinen  Zweck  durch  „Zusammenziehung  nach 
gegenständlichen  Gesichtspunkten*'  erreichen  will  Im  ersten  Fall  aber  wird 
die  ursprüngliche  Organisation  der  Archive  erhalten  bleiben,  im  letzteren 
die  gesamte  Masse  der  Archivalien  ziemlich  willküdich  durcheinander  ge-> 
werfen  werden. 

Weiter  will  Vancsa  auch  „kleinere,  namentlich  urkundliche  Archiv- 
bestände, Bestände  mit  allzu  bunter  Provenienz '*  nicht  der  Ordnung  nach 
dem  Provenienzprinzip  unterwerfen,  sie  dagegen  chronologisch  beschreiben. 
Dabei  übersieht  ^r  aber,  daß  ein  Inventar  imd  eine  RegestenUste  zwei  ver- 
schiedene Sachen  sind.  Wie  bunt  die  Provenienz  der  Archivbestände  auch 
sein  mag,  wenn  sie  nachzuweisen  ist,  so  kann  es  nur  nützlich  sein,  die 
Sammlung  danach  aufzuteilen  und  zu  beschreiben.  Um  den  Interessen  des 
gegenwärtigen  Forschers  entgegen  zu  kommen,  kann  dem  Inventar  ein  Re- 
gestenverzeichnis angefligt  werden,  wie  es  die  Anleitung  £um  Ordnen  und 
Beschreiben  von  Archiven  von  Muller,  Feith  und  Fruin  (Deutsche 
Ausgabe,  Leipzig  1905)  in  den  Paragraphen  72 — 77  vorschlägt. 

Ein  Satz  in  der  Beweisführung  Vancsas  ist  mir  absolut  unverständ- 
lich. Ich  meine  den,  wo  er  sagt:  „Ja  ich  fürchte,  daß  bei  allzu  strenger 
Anwendung  des  Provenienzprinzips  unsere  heikelste  österreichische  Archiv- 
frage, die  AufteUung  des  alten  Hofkammerarchivs  (jetzt  Archiv  des  Reichs- 
finanzministeriums) unter  die  beiden  Reichshälften,  die  man  mit  Recht  in 
Österreich  mit  aller  Entschiedenheit  verhbdem  will,  zu  unseren  Ungunsten 
entschieden  werden  könnte.'*  Inwiefern  die  Ordnung  eines  Archivs,  einerlei 
nach  welchem  System,  das  Zusammenbleiben  der  Bestände  gefährden  kann, 
das  begreife  ich  nicht.  Wie  würde  man  jemals  das  Aufteilen  eines  Archivs, 
das  doch  immer  ein  organisches  Ganzes  ist,  entschuldigen  können  mit  dem 
Hinweis  auf  das  Prinzip,  nach  welchem  es  geordnet  ist!  Und  daß  gerade 
das  Provenienzprinzip  im  besonderen  dazu  Veranlassung  geben  könnte,  das 
ist  mir  noch  weniger  verständlich. 

In  der  soeben  angezogenen  Anleitung  heißt  es  vielmehr  in  $  10: 
„Ein  bereits  abgeschlossenes  Archiv  ist  nicht  über  zwei  oder  mehr 
Depots  zu  verteUen^*  und  in  S  11  sogar:  „Es  empfiehlt  sich,  eine  etwa 
schon  vorhandene  Zersplitterung  von  Archiven  wieder  rückgängig  zu  machen, 
wenn  dies  ohne  erhebliche  Bedenken  geschehen  kann.'*  Wenn  abo  jemals 
das  alte  Hofkanmierarchiv  imter  die  beiden  Reichshälften  aufgeteilt  werden 
soUte,  so  wird  man  gewiß  das  arme  Provenienzprinzip  dafür  nicht  verant- 
wortlich machen  können. 

Jetzt  noch  ein  Wort  über  die  Scheidung  von  Urkunden  und  Akten. 
Meines  Dafürhaltens  ist  hinsichtlich  dieses  Punktes  auch  jetzt  noch  das  Miß- 
verständnis bei  Vancsa  nicht  aufgehoben.  Ganz  bestimmt  war  es  die  Ab- 
sicht Sechers  zu  betonen,  daß  das  dänische  Archivwesen  eine  prinzipielle 
Scheidung  von  Akten  und  Urkunden  (Pergament-  oder  Papier-)  durchaus 
nicht  kennt,  vielmehr  lediglich  aus  praktischen  Gründen  einige  Pergament- 
urkunden für  sich  aufbewahrt,  in  der  Beschreibung  aber  auch  diese 
niemals  von  den  Akten  trennt. 

Schließlich  sagt  Vancsa  —  und  dem  stimme   ich  vollständig  bei  — , 

23 


—     320     — 

daß  jedes  Archiv  seine  Besonderheiten  besitzt,  denen  bei  der  Ordnung  der 
Bestände  Rechnung  getragen  werden  muß.  Allein  ich  muß  hinzufugen,  daß 
meines  Erachtens  jedes  Archiv,  wenn  in  der  Ordnung  die  durch  die  Ent- 
stehung bedingten  Besonderheiten  recht  deutlich  zum  Ausdruck  gelangen, 
am  besten  „den  Zwecken,  welchen  es  zu  dienen  hat*',  entsprechen  wird. 

Vielleicht  haben  sich  infolge  dieser  Auseinandersetzungen  auch  manche 
andere  Archivare  ihren  Standpunkt  hinsichtlich  des  Provenienzprinzips  etwas 
klarer  gemacht.  Trifit  dies  zu,  dann  werde  ich  es  nicht  bereuen,  zur  Er- 
örterung des  Gegenstandes  angeregt  zu  haben,  und  deshalb  bitte  ich  auch 
Herrn  Dr.  Vancsa  es  mir  nicht  übel  zu  nehmen,  daß  ich  die  Aufmerk- 
samkeit auf  die  Stelle  aus  seinem  Berichte  über  den  Archivtag  gelenkt  habe.'' 

Zu  vorstehenden  Ausführungen  des  Herrn  Archivars  Dr.  Wiersum 
erlaubt  sich  der  Herausgeber  folgendes  zu  bemerken: 

Da  ich  bereits  im  Nederlandsch  Archievehblad,  15.  Jahrgang  (1906 — 
1907),  S.  159 — 161,  in  aller  Kürze  meine  Ansichten  über  das  ProvenieDz- 
prinzip  imd  seine  Zweckmäßigkeit  ausgesprochen  und  auch  die  Fälle  erörtert 
habe,  in  denen  mir  die  strenge  Durchführung  desselben  unzweckmäßig  er- 
scheint, glaube  ich  einer  Auseinandersetzung  darüber  an  dieser  Stelle  über- 
hoben zu  sein.  Ohne  der  weiteren  Aussprache  vorgreifen  zu  wollen,  die 
ich  ebenso  wünsche  wie  Herr  Wiersum,  möchte  ich  nur  auf  zwei  Einzel- 
heiten eingehen,  bezüglich  deren  die  obigen  Ausführungen  möglicherweise 
zu  falschen  Folgerungen  verleiten  köimten. 

Erstens  scheint  mir  ganz  allgemein  die  Anschauung  über  das  Verhältnis, 
in  dem  die  Registraturen  zum  Archiv  stehen,  einer  Klänmg  zu  be- 
dürfen. Wenn  das  Wort  „Archiv"  auch  recht  oft  für  „alte  Registratur" 
gebraucht  wird,  so  muß  man,  um  bei  den  hier  zu  erörternden  Verhältnissen 
nicht  undeutlich  zu  werden,  deimoch  beide  begrifflich  scharf  auseinander 
halten.  Das  Wesen  des  Provenienzprinzips  besteht  darin,  daß  es  die  Re- 
gistraturen, so  wie  sie  im  Geschäftsbetrieb  entstanden  sind,  erhalten  will  und 
einen  Zustand  anstrebt,  in  dem  ein  modernes  Archiv  tatsächlich  ein  „Neben- 
einander alter  Registraturen"  bildet,  wie  Wackernagel  in  der 
Einleitung  zum  Bepertorium  des  Staatsarchivs  Basel  (Basel  1 904),  S.  XLIII, 
wenn  auch  im  Sinne  einer  Ablehnung  des  Prinzips,  ganz  richtig  sagt.  Grund- 
sätzlich muß  man  zweifellos  zwei  verschiedene  Arten  der  Anwendung  des 
Provenienzprinzips  imterscheiden :  die  erste  ist  die  von  alters  her  übliche, 
die  z.  B.  die  Archivalien  von  zehn  aufgehobenen  Klöstern,  die  heute  in 
einem  Staatsarchiv  oder  Stadtarchiv  ruhen,  als  zehn  verschiedene  Depots  be- 
trachtet, die  unter  kernen  Umständen  untereinander  gewürfelt  werden  dürfen; 
die  zweite  Art  dagegen  wird  erst  in  neuerer  Zeit  gefordert,  um  sie  handelt 
es  sich  im  wesentlichen  bei  allen  einschlägigen  Erörterungen,  und  sie  betrifft 
die  innere  Anordnung  jedes  einzelnen  dieser  Depots  nach  seiner  Entstehung 
und  Zusammensetzimg.  Um  bei  dem  Beispiel  eines  beliebigen  Klosterarchivs 
2\i  bleiben,  gilt  es  abo  die  abteiliche  Registratur  von  der  des  Kapitels  zu 
trennen  imd  ebenso  die  Akten  der  Zentralgüterverwaltung  von  denen  der 
einzelnen  grundherrschaftlichen  Lokalverwaltungen.  Gegen  die  zuletzt  er- 
wähnten Grimdsätze  allein  ist  im  wesentlichen  noch  in  neuerer  Zeit  gesündigt 
worden,  während  man  wohl  niemals  so  töricht  gewesen  ist,  in  einem  größeren 


—     321     — 

Archiv  den  Versuch  zu  machen,  die  gesamten  Bestände,  oder  auch  nur  die 
mittelalterlichen,  nach  irgendeinem  einheitlichen  Gesichtspunkte  zu  ordnen. 
Wo  man  bezüglich  der  Urkunden  so  verfahren  ist  und  sie  sämtlich  in  eine 
einzige  zeitliche  Folge  gebracht  hat ,  da  ist  dies  zwar  gnmdsätzlich  nicht  zu 
billigen,  hat  aber  auch  manche  Vorteile  gewährt  und  im  ganzen  nicht  allzu- 
viel geschadet.  Aber  in  bezug  auf  die  Akten  liefien  sich  irgendwelche  ein- 
heitliche Gesichtspunkte,  seien  es  nun  zeitliche,  örtliche  oder  sachliche,  gar 
nicht  finden,  nach  denen  man  eine  Ordnung  oder  besser  Unordnung  hätte 
herstellen  können.  Voraussetzung  ist  und  bleibt  bei  der  Anwendung  des 
Provenienzprinzipes  beide  Male,  daß  im  ersten  Falle  der  Archivar  die  Her- 
kunft der  Archivalien  bestimmt  kennt,  die  bei  vereinzelten  älteren  Stücken 
z.  B.  gar  nicht  immer  ohne  weiteres  zu  erkennen  ist,  und  im  zweiten,  dafi 
tatsächlich  eine  organische  Ordnung  jemals  bestanden  hat  und  sich  die 
Zusammengehörigkeit  der  einzelnen  Aktenstücke  auf  Grund  der  alten  Ord- 
nungsnununem  erkennen  läßt.  Trifft  letzteres  nicht  zu  oder  sind  nur  ganz 
wenige  Stücke  aus  einer  einst  vermutlich  sehr  großen  Zahl  von  Aktenfaszüceln 
vorhanden,  dann  ist  meines  Erachtens  gegen  ein  beliebiges  anderes  Ordnungs- 
prinzip nichts  einzuwenden.  Wenn  in  Wirklichkeit  ein  modemer  Archivar  die 
Gruppierung  mangels  sicherer  Grundlagen  auf  eigene  Faust  vornimmt,  dann 
muß  sich  dieses  Verhältnis  auch  äußerlich  sofort  erkennen  lassen. 

Es  ist  zwar  denkbar,  daß  ein  modernes  Archiv  nur  aus  einer  einzigen 
alten  Registratur  besteht,  aber  in  der  überwältigenden  Mehrzahl  der  Fälle 
sind  in  einem  Archiv  viele  alte  Registraturen  vereinigt,  wenn  auch  meist 
eine  davon  als  Rückgrat  dient.  Lediglich  die  letzteren  aber  sind,  jede  für 
sich,  organisch  entstanden,  nicht  das  Archiv.  Wenn  aus  Gründen  der  Zweck- 
mäßigkeit eine  ganze  abgeschlossene  Registratur  aus  einem  Archiv  in  ein 
anderes  überfUhrt  wird,  so  läßt  sich  dagegen  nicht  das  geringste  einwenden, 
imd  ein  solches  Verfahren  muß  eingeschlagen  werden,  wenn  etwa  ein  neues 
Archiv  geschaffen  wird,  wie  es  1 900  in  Danzig  geschah ;  denn  in  jenes  neue 
Archiv  müssen  natürlich  Teile  des  bisher  für  das  Gebiet  zuständigen  Archivs 
aufgenommen  werden.  Das  Provenienzprinzip  wird  durch  eine  solche  Be- 
raubung oder  schließlich  wohl  gar  Aufteilung  eines  Archivs  nicht  be- 
rührt, und  diese  selbst  ist  durchaus  nichts  Unerhörtes.  Unerhört  ist  und 
wohl  einmütig  von  allen  modernen  Archivaren  abgelehnt  wird  lediglich  das 
Aufteilen  einer  Registratur,  wie  es  z.  B.  leider  bei  der  des  ehe- 
maligen Reichskammergerichts  zu  Wetzlar  und  in  vielen  anderen  Fällen  ge- 
schehen ist;  denn  dort  hatte  eben  der  Geschäftsbetrieb  des  Gerichts  diese 
ganz  bestimmte  Zusammensetzung  der  Prozeßakten  ergeben,  die  zu  zerstören 
eine  schwere  Schädigung  archivalischer  Interessen  bedeutete. 

Hierdurch  bin  ich  zu  dem  zweiten  Punkte  geführt  worden,  den  ich  be- 
rühren wollte,  zu  der  Angelegenheit  des  österreichischen  Hofkammer- 
archivs. Die  besonderen  Verhältnisse  desselben  sind  mir  unbekannt,  aber 
die  Angaben  im  Handbuch  der  deutschen  Archive  von  Burkhardt(3.  Aufl. 
Leipzig  1887),  S.  200 — 201,  im  Verein  mit  den  Mitteilungen  Giannonis 
in  dieser  Zeitschrift  5.  Bd.,  S.  loa — 103,  geben  wohl  der  Erörterung  eine 
genügend  sichere  Grundlage.  Die  Hofkammer  war  1527 — 1848  die  Zen- 
tralbehörde nicht  nur  für  die  österreichischen  Erblande,  sondern  auch  für 
Böhmen  und  Ungarn.     Demgemäß   ist  die  Registratur   dieser  Behörde  ganz 

23* 


—     322     — 

zweifellos  ein  einheitliches  unzerreifibares  Ganzes,  das  zu  zerstören  eine  Bar- 
barei wäre.  Über  diesen  Punkt  sind  sich  in  Österreich  die  Archivare  und 
Geschichtskenner  einig.  Aber  damit  ist  die  Angelegenheit  mit  nichten  er- 
ledigt, weil  nicht  die  Fachleute,  sondern  die  Politiker  das  entscheidende 
Wort  zu  reden  haben;  denn  diese  archivalische  Frage  ist,  geradeso  wie 
manche  andere,  zugleich  eine  hochpolitische.  Die  Vertreter  des  gegenwärtig 
selbständigen  Staates  Ungarn  fordern  tatsächlich  die  Herausgabe  des  Teiles 
der  Akten,  die  ihr  Land  betreffen,  weil  sie  —  ungarischer  Provenieuz 
seien.  Gerade  das  Provenienzprinzip  wird,  wenn  man  es  auch  ungarischer- 
seits  in  einem  falschen  Sinne  anwendet,  vorgeschützt,  um  die  Forderung 
überhaupt  diskutabel  zu  machen  und  eventuell  archivalische  Laien  von  deren 
Berechtigung  zu  überzeugen.  Daß  unter  diesen  Umständen  gerade  die  Be- 
tonung des  Provenienzprinzips  eine  gewisse  Gefahr  in  sich  schließen  kann, 
da  eben  archivalische  Laien  die  letzte  Entscheidung  zu  treffen  haben,  läßt 
sich  meines  Erachtens  nicht  in  Abrede  stellen.  Um  so  notwendiger  ist  es, 
die  richtige  Auffassung  des  Provenienzprinzips  darzulegen  und  auch  weitere 
Kreise  damit  bekannt  zu  machen. 

Nunmehr  ist  auch  Steiermark  in  die  Reihe  jener  österreichischen 
Kronländer  getreten,  deren  autonome  Landesverwaltungen  den  Archiven 
und  älteren  Registraturen  der  Landgemeinden  mangeb  eines  staadichen 
Denkmalschutzes  systematische  Aufmerksamkeit  zuwenden.  Im  Anschlüsse 
an  die  seit  den  neunziger  Jahren  in  Österreich,  in  hervorragender  Weise 
namentlich  in  Oberösterreich,  Tirol,  Böhmen  imd  Galizien,  in  Sachen  der 
Ordnung  und  Erhaltung  der  Gemeindearchive  ergriffenen  Maßregeln  hat  der 
steiermärkische  Landesausschuß  auf  Vorschlag  der  Direktion  des  Landes- 
archives  beschlossen,  bei  sämtlichen  Gemeindeverwaltungen  des  Landes  Steier- 
mark über  das  Vorhandensein  und  den  Zustand  der  bei  den  einzelnen  Ge- 
meinden bewahrten  alten  Urkunden,  Bücher  und  Akten  Umfrage  zu  halten, 
um  zunächst  auf  diesem  Wege  von  den  im  ganzen  Lande  zerstreut 
liegenden  Archivalien  Erkundigungen  einzuziehen.  Nach  der  Gemeindeordnung 
gehört  das  Archiv  zum  Vermögen  der  Gemeinde,  über  das  dem  Landes- 
ausschusse das  Aufsichtsrecht  zusteht.  Es  liegt  sicherlich  im  Interesse  jeder 
Gemeinde,  daß  die  in  ihrem  Besitz  befindlichen  alten  Urkunden  und  Akten 
sich  nicht  nur  in  sicherer  Verwahrung,  sondern  auch  in  solchem  Zustande  der 
Ordnung  befinden,  daß  jedes  Stück  jederzeit  zu  Rechtsnachweisen  sofort  auf- 
gefunden werden  kann.  Die  eigentliche  Regelung  des  Gemeindearchivwesens 
in  Steiermark,  wie  eine  solche  in  Tirol  seit  1899,  in  Böhmen  seit  1900 
mit  Erfolg  durchgeführt  wird,  kann  erst  auf  Grund  der  Ergebnisse  der  gegen- 
wärtigen Umfrage  erfolgen.  Zu  erwähnen  wäre  noch,  daß  seit  1870  bereits 
33  steierische  Städte  und  Märkte  ihre  z.  T.  wertvollen  und  umfangreichen 
Archive  dem  Grazer  Landesarchive  zur  dauernden  Aufbewahrung  unter  Wahrung 
des  Eigentumsrechtes  abgetreten  haben. 

Kommissionen.   —  Die  Württembergische    Kommission    für 
Landesgeschichte  ^)    hat  am    10.   Mai    1906   ihre   fünfzehnte   und   am 

I)  Vgl.  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  186—187. 


—     323     — 

2  8.  Mai  1907  ihre  sechzehnte  Sitzung  abgehalten.  Im  Laufe  der  beiden 
Berichtsjahre  sind  folgende  Veröfifentlichungen  im  Druck  erschienen:  Von 
den  Oeschichtlichen  Liedern  und  Sprüchen  WUrtiembergs ,  bearbeitet  von 
Steiff  und  Mehring,  Heft  5  (1905);  von  der  Württembergischen  Müns- 
und  Medaülenhunde  von  Binder,  neu  bearbeitet  von  Ebner,  Heft  3  (1905) 
und  Heft  4  (1906);  Schubart  als  Musiker  von  £.  Holzer  (1905);  Die 
versierten  Terra  sigiUata'&efäße  von  Cannstatt  und  Köngen-Grinario  von 
R.  Knorr  (1905);  Die  Matrikeln  der  Universität  Tübingen,  herausgegeben 
von  Hermelink,  i.  Bd.  (1906);  Geschichte  der  Behördenorganisation  in 
Württemberg  von  Wintterlin,  2.  Bd.  (1906);  Heinrich  Seuse,  Deutsche 
Schriften,  herausgegeben  von  Bih  Im  eye  r  {1907);  Bibliographie  der  Württem- 
bergischen Geschichte  Bd.  3,  bearbeitet  von  Th.  Schön  {1907).  Die  be- 
gonnenen Arbeiten  sind  sämtlich  günstig  fortgeschritten.  Neu  wurde  be- 
schlossen, einen  zweiten  Band  vom  ürkundenbuch  der  Stadt  Bottweil,  den 
pohtischen  Briefwechsel  des  Königs  Friedrich  von  Württemberg,  die  Ellwanger 
Kapitelstatuten,  Briefe  von  württembergischen  Humanisten,  Reformatoren  und 
Gegenreformatoren,  Akten  zur  Verfassungsgeschichte  der  Reichsstadt  Ravens- 
burg, ein  Inventar  des  kgl.  Finanzarchivs  in  Ludwigsburg,  eine  Geschichte 
des  Feldzugs  in  Ungarn  1663 — 1664  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
württembergischen  und  schwäbischen  Kreistruppen  sowie  eine  Geschichte 
des  humanistischen  Schulwesens  in  Württemberg  zu  veröffentlichen.  Auch 
eine  Sammlung  württembergischer  Biographien  ist  ins  Auge  gefaßt.  Die  In- 
ventarisation  der  nichtstaatlichen  Archive  ist  in  allen  sechs  Kreisen  rüstig 
fortgeschritten,  und  die  Erlaubnis  zur  Veröffendichung  der  Inhaltsangaben  ist 
von  der  Mehrzahl  der  Archivbesitzer  bereits  erteilt  worden. 

Durch  den  Tod  hat  die  Kommission  die  Mitglieder  v.  He  yd  und 
V.  Funk  verloren;  sein  Amt  niedergelegt  hat  v.  Stalin.  Neu  eingetreten 
sind  als  ordentliche  Mitglieder:  Prof.  Goetz  (Tübingen),  Archivrat 
Wintterlin  (Stuttgart)  und  Prof.  Ernst  Marx  (Stuttgart),  als  außerordent- 
liches Mitglied:  Prof.  Jacob  (Tübingen).  Die  Ausgaben  beliefen  sich  im 
Rechnungsjahre  1905  auf:   18  451  Mark,   1906  auf:   16083  Mark. 


Die  35.  Plenarsitzung  der  Badischen  Historischen  Kommission  ^) 
hat  am  25.  und  26.  Oktober  1906  in  Karlsruhe  stattgefunden.  Im  Berichts- 
jahre sind  folgende  Werke  erschienen:  als  Neujahrsblatt  für  1906  Bupprecht 
der  Kavalier,  PfaUgraf  bei  Bhein  (1619—1682)  von  Kart  Hauck  (Heidel- 
berg, Winter.  117  S.);  vom  Oberbadischen  Geschlechterbuch,  bearbeitet  von 
Julius  Kindler  von  Knobloch,  die  i.  Lieferung  des  3.  Bandes;  Denk- 
würdigkeiten des  Markgrafen  Wühelm  von  Baden,  bearbeitet  von  Karl 
Obs  er,  Bd.  I;  von  den  Oberrheinischen  Stadtrechten  das  7.  Heft  der  I. 
(fränkischen)  Abteilung,  bearbeitet  von  Karl  Koehne;  die  11.  (Schluß-) 
Lieferung  vom  5.  Teile  der  Badischen  Biographien,  herausgegeben  von 
F.  V.  Weech  und  A.  Krieger.  Die  in  Angriff  genommenen  Veröffent- 
lichungen sind  sämtlich  mehr  oder  weniger  gefördert  worden.  Von  den 
Regesten  der  Bischöfe  von  Konstant  bearbeitet  Karl  Ried  er  einen  3.  Band; 


i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  227—228. 


—     324     — 

von  demselben  werden  1908  BönUsche  QueUen  nur  Konstanser  Bistums- 
geschickte  erschemen.  Von  den  Begesten  der  Markgrafen  von  Baden  und 
Hacfiberg  wird  der  4.  Bd.  durch  Frankhauser,  der  5.  Bd.  durch  Krieger 
bearbeitet.  Von  den  Oberrheinischen  Stadtrechten  ist  das  8.  Heft  der 
fränkischen  und  das  2.  Heft  der  schwäbischen  Abteilung  in  Bearbeitung; 
in  der  letzteren  wird  fortan  jedes  Heft  ein  Orts-,  Personen-  und  Sach- 
register sowie  ein  juristisches  Wörterbuch  enthalten.  Zur  Politischen  Korre- 
spondenz  Karl  Friedrichs  von  Baden  1782 — 1806,  die  1888 — 1901  in  fimf 
Bänden  erschien,  bereitet  Obs  er  einen  Nachtragsband  vor.  Die  Inventari- 
sation  der  kleben  Archive  ist  ziemlich  abgeschlossen;  über  die  erfreuliche 
Regelung  des  Archivwesens  in  den  Gemeinden  vgl.  das  oben  S.  228 — 229 
Mitgeteilte. 

Durch  Tod  verlor  die  Kommission  das  ordentliche  Mitglied  Archiv- 
direktor V.  Weech,  durch  Niederlegung  seines  Amtes  das  ordentliche  Mit- 
glied Prof.  Hausrat h.  Neu  traten  als  ordentliche  Mitglieder  ein:  Prof. 
Friedrich  Mein  ecke  (Freiburg),  Prof.  Georg  Pf  eil  schift  er  (Freiburg)  und 
Prof.  Hans  von  Schubert  (Heidelberg).  Ehrenmitglied  der  Kommission 
wurde  der  bisherige  Vorsitzende  Prof.  Dove;  an  seine  Stelle  trat  Prof.  Erich 
M  a  r  c  k  s.  Zum  Sekretär  wurde  auf  die  Dauer  von  fünf  Jahren  Geh.  Archiv- 
rat Albert  Krieger  bestellt. 


In  Wien  tagte  am  31.  Oktober  1906  unter  dem  Vorsitze  Sr.  Durch- 
laucht des  Prinzen  Franz^von  und  zu  Liechtenstein  die  Kommission  für 
neuere  Geschichte  Österreichs^).  Im  Druck  erschienen  ist  der  erste 
Band  der  österreichisch-englischen  Staatsverträge,  bearbeitet  von  Pribram 
(Innsbruck  1907),  der  bb  1748  reicht.  Das  von  Thomas  Fellner  hinter- 
lassene  Werk  Die  österreichische  ZentrdtverwaUung  i.  Abteilung:  von  Maxi- 
milian I.  bis  zur  Vereinigung  der  böhmischen  und  österreichischen  Hof- 
kanzlei (1749),  hat  Heinrich  Kr etschmayr  vollendet  und  wird  es  bald  in 
drei  Bänden  (einer  geschichtlichen  Übersicht  und  zwei  Aktenbänden)  vorlegen. 
Derselbe  wird  die  Arbeit  bis  1848  fortsetzen.  Schließlich  wurde  das  i.  Heft 
des  I.  Bandes  der  Archivaiien  Mur  neueren  Geschichte  Österreichs  (Wien, 
Holzhausen  1907.  113  S.)  ausgegeben.  Aus  den  Archiven  von  fünf  hoch- 
adeligen Häusern  (Lobkowitz,  Schwarzenberg  in  Knunau,  Schwarzenberg  in 
Wittingau,  Buquoy,  Dietrichstein)  sowie  aus  dem  Archiv  des  Museums  des 
Königreichs  Böhmen  werden  darin  Archivalien  zusammengestellt,  deren  Aus- 
beutung für  die  geplanten  Veröffentlichungen  der  Kommission  in  Frage 
kommen  wird  und  düe  zugleich  einen  Einblick  in  den  Reichtum  der  hoch- 
adeligen Privatarchive  gewähren.  Im  Museum  des  Königreichs  Böhmen 
findet  sich  vor  allem  ein  Rest  der  Korrespondenz  des  Grafen  Maximilian 
von  Trautmannsdorf  (gestorben  1650). 

Unter  dem  31.  Dezember  1906  hat  die  Gesellschaft  fü r  fränkische 
Geschichte*)  ihren  zweiten  Jahresbericht  veröffentlicht  Als  Neujahrsblatt  für 

1)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  7.  Bd.,  S.  226  —  227. 

2)  Vgl.  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  229—230. 


—     325     — 

1907  wurde  Aus  den  Wanderjahren  eines  fränkischen  Edelmannes  von 
Alexander  von  Gleichen-Rußwurm  herausgegeben.  Als  erste  Quellen- 
veröffentlichung wird  eine  Bamberger  Chronik  des  XV.  Jahrhim<^erts  er- 
scheinen. Mit  welchen  anderen  Aufgaben  die  Gesellschaft  gegenwärtig  be- 
schäftigt ist,  wurde  schon  früher  mitgeteilt.  Neu  in  Angriff  genommen  wurde 
die  Inventarisierung  zunächst  der  evangelischen  Pfarrarchive;  es  war  darüber 
bereits  oben  S.  228  die  Rede.  Weiter  ausgebaut  wurde  die  Organisation 
der  Gesellschaft»  und  vor  allem  wurde  eine  Ordnung  für  die  Bearbeitung  der 
wissenschaftlichen  Aufgäben  der  Gesellschaft  für  fränkische  Geschichte  be- 
schlossen, die  aus  18  Paragraphen  besteht  und  im  Jahresbericht  vollständig 
abgedruckt  ist.  Etwas  wesentlich  Neues  darin  ist,  daß  das  Verhältnis  der 
„Mitarbeiter 'S  die  mit  Dienstvertrag  und  auf  festes  Gehalt  angestellt  werden, 
ein  für  allemal  geregelt  ist;  demnach  beträgt  das  Anfangsgehalt  1620  Mark 
und  steigt  jährlich  um  90  Mark  bis  zum  Höchstbetrage  von  2160  Mark. 
Das  ist  gewiß  keine  allzu  glänzende  Endohnung  streng  wissenschaftlicher 
Arbeit,  aber  es  ist  trotzdem  wesentlich  mehr,  als  bei  den  übrigen  Publikations- 
instituten in  der  Regel  gezahlt  wird. 

Die  Zahl  der  Stifter  ist  von  15  auf  18,  die  der  Patrone  von  91  auf 
96  gestiegen.  Das  aus  den  Beiträgen  der  Stifter  gebildete  Stammvermögen, 
das  jetzt  21  500  Mark  beträgt,  hat  der  Kaiser  durch  eine  einmalige  Zu- 
wendung von  500  Mark  vergrößert.  iDer  Jahreseinnahme  von  16  147  Mark 
steht  eine  Jahresausgabe  von  8833  Mark  gegenüber. 


Die  Gesellschaft  für  rheinische  Geschichtskunde ')  hielt  ihre 
26.  Jahresversammlung  am  9.  März  1907  in  Köln  ab;  es  wurde  dabei  der 
Bericht  über  die  Täti^eit  im  Kalenderjahre  1906  erstattet,  aber  zugleich 
zeichnete  Prof.  Hansen  in  seinem  inzwischen  im  Druck  erschienenen  Vor- 
trage, Die  Gesettschaft  für  Rheinische  Geschichtshunde  in  den  Jahren  1681 
bis  1906  (Bonn,  Georgi  1907,  34  S.),  ein  Bild  ihrer  Tätigkeit  während 
des  ersten  Vierteljahrhimderts  ihres  Bestehens.  Auch  für  die  Forscher,  die 
den  rheinischen  Verhältnissen  femer  stehen ,  bietet  diese  Zusammenfassung 
höchst  lehrreiche  Mitteilungen,  und  besonders  den  Leitern  von  Publikations- 
instituten ist  deshalb  der  Vortrag  angelegentlichst  zu  empfehlen.  —  Zur  Ver- 
öffentlichung gelangte  im  Berichtsjahre:  Bheinisehe  Siegel,  I:  Die  Siegel  der 
Ergbischöfe  von  Köln  (948^1795),  32  Lichtdrucktafeln  mit  erläuterndem 
Text,  bearbeitet  von  Wilhelm  Ewald  (Bonn  1906);  JüHich-Bergische  Kirchen^ 
poUtih  am  Ausgange  des  Mitteilalters  und  in  der  Beformationseeit  von 
Otto  Redlich,  I:  Urkunden  und  Akten  1400—1553  (Bonn  1907);  Quellen 
£ur  Bechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  der  rheinischen  Städte.  Bergisehe 
Städte.  I:  Siegburg t  bearbeitet  von  Friedrich  Lau  (Bonn  1907).  Der  Voll- 
endung im  Druck  gehen  en^;egen  der  2.  Band  der  JÜlieh-Bergischen  Land^ 
tagsdkten  L  Beihe,  herausgegeben  von  v.  Below,  Die  KOlner  Zunfturkunden 
nebst  anderen  Kölner  Gewerbeurkunden  bis  gum  Jahre  1500,  herausgegeben 
von  V.  Lösch,  und  Bd.  4  der  Urkunden  und  Begesten  sur  Geschichte 
der  Bheuüande  aus  dem  Vatikanischen  Archiv,  bearbeitet  von  Sauerland, 


i)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  7.  Bd.,  S.  228. 


—     326     — 

der  die  Zeit  1353 — 1362  umfaßt.  Als  Beilage  zum  Jahresbericht  werden 
die  Inventare  der  kleinen  Archive  in  den  Kreisen  Kochern  und  Prüm  ver- 
öffentlicht. Zur  Inventarisierung  des  Fürstlich  Wiedschen  Archivs  in  Neuwied 
hat  die  Gesellschaft  einen  Zuschuß  geleistet. 

Stifter  zählt  die  Gesellschaft  gegenwärtig  9,  von  denen  3  verstorben 
sind,  Patrone  135,  Mitglieder  300.  Die  Gesamteinnahme  des  Jahres  1906 
betrug  26  896  Mark,  die  Gesamtausgabe  20676  Mark;  das  Vennögen  be- 
ziffert sich  einschließlich  der  Mevissen-Stiftung  (45  389  Mark)  auf  1 18  109  Mark. 


Maseen.  —  Zu  Ende  des  Jahres  1902  wurde  in  Straßburg  i.  £. 
ein  Elsässisches  Museum  gegründet,  das  die  Eigentümlichkeiten  der  £1- 
sässischen  Bevölkerung  veranschaulichen  imd  namentlich  Trachtenstücke  und 
Erzeugnisse  des  Hausgewerbes  sammeln  wiU.  Welche  Bedeutung  der  Volks- 
kunst und  der  Sanunlung  ihrer  Überreste  zukommt,  darüber  braucht  an  dieser 
Stelle  kein  Wort  verloren  zu  werden ;  es  genügt  festzustellen,  daß  in  diesem  Falle 
ein  lediglich  volkskundliches  Museum  ins  Leben  getreten  ist,  in  dem 
die  Sammltmgsstücke  nach  Möglichkeit  zu  vollständigen  Zimmereinrichtungen 
mit  plastischen  Figuren  vereinigt  werden. 

Es  ist  erfreulich,  daß  materiell  gleich  von  vornherein  die  für  ein  sol- 
ches Unternehmen  unbedingt  notwendige  Gnmdlage  geschaffen  worden  ist, 
da  sich  eine  Gesellschaft  mit  beschränkter  Haftung  gebUdet  hat,  an  der  die 
angesehensten  Familien  des  Elsaß  beteiligt  sind.  Außerdem  haben  sich 
mehere  hundert  „unterstützende  Mitglieder**  gefunden,  die  entweder  einen 
Jahresbeitrag  von  mindestens  10  Mark  oder  einen  einmaligen  Beitrag  von 
IOC  Mark  zahlen,  dafUr  freien  Eintritt  in  das  Museum  haben  und  dessen 
Veröffentlichungen  erhalten.  Das  Museum  steht  unter  der  Leitung  der  Herren 
Dr.  med  Bucher  und  L.  Dollinge r.  Von  der  Leistungsfähigkeit  der  Gesell- 
schaft zeugt  der  Umstand,  daß  bereits  1904  das  Haus  Nikolausstaden  23,  schon 
an  sich  als  altes  Patrizierhaus  eine  Sehenswürdigkeit  Straßburgs,  fUr  die  Zwecke 
des  Museums  erworben  werden  konnte;  seit  Frühjahr  1906  ist  die  ansehn- 
liche Sammlung  darin  untergebracht. 

Das  genannte  zweistöckige  Gebäude  besitzt  eine  Renaissancefassade  in 
Stein,  einen  Hof,  den  Holzgalerien  umgeben,  aus  dem  XVII.  Jahrhundert,  ein 
Seitengebäude  aus  dem  XVI.  imd  mancherlei  Zutaten  aur  dem  XVIII.  Jahrhundert. 
In  einem  gewölbten  Raum,  den  man  vom  Hofe  aus  betritt,  ist  eine  kleine 
Kapelle  eingerichtet.  Zum  ersten  Stock  fUhrt  eine  Holztreppe  des  XVUI. 
Jahrhxmderts ,  imd  dort  bildet  den  Anziehungspunkt  eine  Stube  aus  dem 
oberelsässischen  Weinlande  aus  dem  Jahre  16 19  mit  Holztäfelung,  einem 
grün-weißen  Kachelofen,  geschnitzten  Stühlen  usw.  und  vor  allem  mit  dem 
vollständigem  Kostüm  einer  Straßburger  Patrizierfrau  des  XVII.  Jahrhimderts. 
Im  ältesten  Teile  des  Hauses  ist  in  einem  gewölbten  Räume  ein  alchemi- 
stisches  Laboratorium  eingerichtet.  Im  zweiten  Stocke  sind  im  Korridore 
bäuerliche  Geräte  und  BUder,  letztere  namentlich  in  Form  von  „  Gettelbriefen  '* 
(Patenbriefen),  ausgestellt,  während  der  Saal  die  verschiedensten  Überreste 
bäuerlicher  Gebrauchsgegenstände  und  Kostümbilder  nebst  vielen  Kostüm- 
figuren enthält.  In  besonderer  Reichhaltigkeit  sind  die  im  Ebaß  sehr  ver- 
breiteten  Holzskulpturen  und  geschnitzten   Hausgeräte  vertreten,  zu   denen 


—     327     — 

auch  die  „  Hofzeichen  *'  (Initialen  des  Hofbesitzers  mit  Jahreszahl  inmitten 
einer  geometrischen  Figur)  gehören.  Auch  die  verschiedenartigsten  Erzeug* 
nisse  der  bäuerlichen  Töpferei  haben  hier  eine  Sammelstätte  gefunden. 

Seit  1904  erscheinen  Bilder  aus  dem  Elsäaser  Museum,  die,  wie 
schon  gesagt,  den  Personen,  die  durch  ihre  Beisteuer  das  Musemn  imter- 
halten,  geliefert  werden.  Sie  sollen  elsässische  Volkskimst  xmd  elsässisches  Volks- 
leben der  Vergangenheit  und  Gegenwart  auf  Grund  guter  Quellen  imd  direkter 
photographischer  Aufnahmen  in  künstlerischer  Form  schildern,  und  zwar 
sind  die  Bilder  lose  Blätter  in  Licht-  und  Farbendruck  und  Heliogravüre 
im  Format  von  24 :  32  cm  mit  knappem  Text*,  sie  erscheinen  jährlich  in  6  Liefe- 
rungen zu  je  4  Blättern,  also  24  Blätter  im  Jahr,  und  stellen  typische  Bauern- 
häuser, ihre  Einrichtungen,  Trachten  und  Trachtenteile  sowie  Szenen  aus  dem 
Volksleben  dar.  Auch  bedeutsame  Einzelgegenstände  aus  dem  Musemn  ge- 
langen darin  zur  Darstellung.  Die  vorliegenden  88  Blätter  bilden  eine  wert- 
volle Sammlung  kulturgeschichtlicher  Abbildimgen  und  verdienen  allgemein 
bekannt  zu  werden.  Leider  ist  es  unmöglich  hier  auf  die  einzelnen  Dar- 
steUungen,  namentlich  die  Trachtenbilder,  näher  einzugehen. 


Personalien.  —  Durch  den  am  10.  Mai  d.  J.  plötzlich  und  uner- 
wartet eingetretenen  Tod  des  Geheimen  Justizrates  Prof.  Dr.  Hugo  Loersch 
in  Bonn  haben  nicht  nur  die  Rheinische  Friedrich-Wilhelms-Universität  imd 
das  engere  Fach  der  deutschen  Rechtsgeschichte,  das  er  hier  vertrat,  son- 
dern die  ganze  rheinische  Provinzialgeschichte  und  die  gesamte  deutsche 
Denkmalpflege  einen  schmerzlichen  imd  schwer  zu  verwindenden  Verlust  erlitten. 

Hugo  Loersch  war  ein  Sohn  der  Kaiserstadt  Aachen,  wo  er  am 
20.  Juli  1840  geboren  war,  und  er  hing  an  seiner  Vaterstadt,  die  er  all- 
jährlich für  längere  oder  kürzere  Zeit  aufsuchte,  mit  rührender  Treue.  Die 
Aachener  Stadtbibliothek  hat  er  zuletzt  auch  zur  Erbin  seiner  BibUothek  und 
seiner  reichen  Materialiensammlung  eingesetzt.  In  Aachen  und  Brüssel  vor- 
gebildet, hatte  er  in  Bonn  das  Gymnasium  besucht  und  dann  in  Heidelberg 
imd  Bonn  studiert:  von  Anfang  an  gehörte  seine  Liebe  neben  der  Rechts- 
wissenschaft der  Geschichte.  In  Heidelberg  hatte  er  zu  Häußers  Füßen  ge- 
sessen, in  Bonn  trat  er  vor  allem  zu  den  Juristen  Bauemband  und  Walter 
in  enge  Beziehungen.  Im  Jahre  1862  zum  Doktor  beider  Rechte  in  Bonn 
promoviert,  habüitierte  er  sich  schon  drei  Jahre  später  ebendort  für  deutsches 
und  rheinisch- französisches  Recht  Seine  Gelehrtenlaufbahn  ist  von  änderen 
Störungen,  Verwicklungen  und  Wandlungen  ganz  frei  geblieben :  er  war  mit  der 
rheinischen  Universität  und  mit  der  rheinischen  Forschung  so  verwachsen,  dad 
er  nicht  daran  dachte,  diese  seine  engere  Heimat  zu  verlassen.  Er  war  eine  der 
bekanntesten  Persönlichkeiten  und  der  markantesten  Erscheinungen  in  dem 
Lehricörper  der  rheinischen  Hochschule,  wegen  der  unbeirrbaren  Rechtlich- 
keit seiner  Gesinnung  und  wegen  der  vornehmen  und  hochsinnigen  Geradheit 
seines  Urteib  von  der  älteren  Generation  wie  von  der  jüngeren  in  gleicher 
Weise  geschätzt  und  verehrt.  Über  vierzig  Jahre  lang  hat  er  seine  Tätigkeit 
ausgeübt,  zumal  in  früheren  Jahrzehnten,  als  noch  das  rheinisch-französische 
Recht  seine  große  praktische  Bedeutung  besaß,  hat  er  lange  Reihen  von 
rheinischen  Juristen  zu   seinen   Schülern   gezählt.     Seine  Hörer  haben  ihm 


—     328     — 

allezeit  eine  herzliche  Anhänglichkeit  bewahrt,  nicht  zum  geringsten  sein 
erlauchtester  Schüler,  der  damalige  Prinz  Wilhelm  von  Preußen:  der  Kaiser 
ließ  keine  Gelegenheit  vorübergehen,  seinem  alten  Lehrer  Treue  und  Verehrung 
zu  bezeigen  und  häufte  immer  neue  Ehren  auf  ihn.  Der  Verstorbene  war 
Kronsyndikus  und  aus  Allerhöchstem  Vertrauen  lebenslängliches  Mi^lied  des 
Herrenhauses.  Der  Erbgroßherzog  Friedrich  von  Baden  ist  ihm  in  treuer  An- 
hänglichkeit bis  zum  heutigen  Tage  verbunden  geblieben.  Kein  besserer  Nach- 
ruf konnte  dem  Toten  gespendet  werden,  als  die  lebhaft  anerkennenden  Worte, 
die  das  kaiserliche  Beileidstelegramm  für  den  Menschen  und  den  Gelehrten  fand. 

Loerschs  Bedeutung  ftir  die  Rechtsgeschichte  wird  in  den  Fachzeit- 
schriften von  Berufenen  gewürdigt  werden,  hier  sei  nur  ein  Wort  seiner  Arbeit 
auf  dem  Gebiete  der  Land  es  geschieh  te  gewidmet.  —  Schon  bei  seinen 
ersten  Arbeiten  bemächtigte  sich  seiner  die  starke  Erkenntnis,  die  nun  den 
leitenden  Gedanken  ftir  alle  seine  Untersuchungen  und  Forschungen  bildete,  daß 
die  deutsche  Rechtsgeschichte  auf  der  Orts-  und  Landesgeschichte  aufgebaut  und 
im  Anschluß  und  in  Verbindung  mit  dieser  gepflegt  werden  müsse.  Zu  der  gleich- 
mäßigen Verfolgung  allgemeingeschichtlicher  Studien  neben  den  rechtshistori- 
schen befähigte  ihn  gerade  der  Umstand,  daß  er  —  wie  kaum  ein  anderer  —  mit 
der  lokalen  und  provinzialen  Forschung  verwachsen  war.  Er  sah  überall  den 
historischen  Boden,  bei  allen  Rechtsideen  den  geschichtlichen  Hintergrund, 
imd  so  lösten  sich  für  ihn  ganz  von  selbst  alle  Rechts-  tmd  Verfassungs- 
kämpfe aus  der  allgemeinen  geschichtlichen  Konstellation  ab.  Schon  in  seiner 
Doktordissertation  hatte  er  in  diesem  Sinne  die  Entwicklung  der  Landes- 
hoheit in  der  Grafschaft  Jülich  bis  zur  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  verfolgt. 
Die  beiden  wichtigsten  Publikationen  seiner  älteren  Zeit:  die  Aachener  Bechts- 
denkmäler  aus  dem  XIIL — XV.  Jahrhundert  (Aachen  187 1)  und  Der  Ingd- 
heimer  Oberhof  (Bonn  1885)  halten  sich  gleichfalls  an  diese  Leitidee. 
Loersch  wollte  auf  der  ersteren  Veröflentlichung  eine  Darstellung  der 
Rechts-  und  Verfassungsgeschichte  von  Aachen  aufbauen,  für  die  er 
Materialien  gesammelt  hatte.  Er  kam  leider  nicht  dazu,  diese  zusammen- 
fassende Arbeit  zu  Ende  zu  führen.  —  Als  langjähriger  Vorsitzender  des 
Aachener  Geschichtsvereins  konnte  er  wenigstens  durch  wissenschaftliche  An- 
regungen, durch  Förderung,  die  er  fremder  Arbeit  zuteil  werden  ließ,  den 
Boden  für  solche  allgemeine  Publikationen  ebnen. 

Eine  ganz  neue  und  viel  ausgedehntere  Tätigkeit  fand  Loersch  in  den 
letzten  Jahrzehnten,  seit  der  vor  25  Jahren  erfolgten  Begründimg  der  Gesell- 
schaft für  rheinische  Geschichtskunde,  deren  Vorstande  er  von  Anfang  an 
angehörte.  Als  Schriftführer  hat  er  lange  Jahre  mit  der  ihm  eigenen  pein- 
lichen Gewissenhaftigkeit  und  Sauberkeit  an  der  schwierigen  und  aus- 
gedehnten Geschäftsführung  teilgenommen.  Die  meisten  großen  Unter- 
nehmungen der  Gesellschaft,  vor  allem  auch  den  historischen  Atlas  der  Rhein- 
provinz, hat  er  lebhaft  unterstützt  und  gefördert.  Ihm  war  persönlich  die 
Veröffentlichung  der  Weistümer  der  Rheinprovinz  zugefallen.  Als  Vor- 
arbeit für  dieses  großangelegte  Unternehmen  war  schon  1883  ein  erstes 
Verzeichnis  publiziert  worden,  aber  erst  1900  ward  der  erste  Band 
selbst  veröffentlicht,  der  die  Weistümer  des  südlichen  Teiles  der  Provinz  um- 
faßt: die  Oberämter  und  Ämter  Boppard,  Ehrenbreitstein  und  Koblenr,  so- 
wie die  Hauptstadt  Koblenz.    In  einer  eingehenden  Einleitung  und  in  einem 


—     329     — 

iimfäDglichen  wissenschaftlicheo  Apparat  würdigte  er  diese  wichtigen  länd- 
lichen Quellen  und  projizierte  sie  zugleich  auf  den  Boden  der  ganzen  rhei- 
nischen Provinzialgeschichte.  Den  zweiten  Band  abzuschließen,  war  ihm  leider 
nicht  vergönnt ;  nur  eine  umfangreiche  Materialiensanmilung  liegt  hierfür  vor.  — 

Indes  je  länger  je  mehr  gehörte  Loerschs  Interesse  einem  verwandten 
Gebiete  seines  Forschungskreises,  der  Untersuchung  und  Sammlung  der 
monumentalen  Quellen  tmserer  heimischen  Geschichte:  der  Bau-  und 
Kunstdenkmäler,  auf  deren  Bedeutung  neben  den  literarischen  Quellen 
hinzuweisen  er  nicht  müde  ward.  Loersch  war  nicht  im  eigentlichen 
Sinne  Kimsthistoriker  und  erhob  nie  den  Anspruch  auf  Kennerschaft 
und  sicheres  Stilurteil;  er  hat  sich  auch  nie  in  eigenen  Arbeiten  auf  diesem 
Gebiete  versucht,  aber  er  hatte  sich  allmählich  eine  eingehende  und  detaillierte 
Kenntnis  der  rheinischen  Denkmäler,  der  kirchlichen  und  profiuien,  und 
ihrer  ganzen  Ausstattung  angeeignet.  Und  auch  auf  diesem  Gebiete  zeich- 
nete ihn  die  seltene  und  vorbildliche  Tugend  aus,  die  in  allen  seinen  wissen- 
schaftlichen Beschäftigungen  zu  erkennen  war,  die  gleichmäßige,  b'ebevoUe 
und  gewissenhafte  Beachtung  auch  des  scheinbar  Kleinen  und  Nebensäch- 
lichen. Ein  hoher  Respekt  vor  dem  Objekt,  der  ihn  nichts  übersehen  und 
nichts  geringschätzen  ließ,  leitete  ihn  hier.  Darüber  hinaus  hatte  er  auch 
den  Denkmälern  von  ganz  Deutschland  ebe  besondere  Beachtung  zugewendet 
und  verfolgte  die  großen  Publikationen  und  die  weit  auseinanderfließende 
Einzelliteratur  mit  lebhaftestem  persönlichem  Interesse.  Der  Verstorbene  war 
Mitglied  der  Provinzialkonmiission  für  die  Denkmalpflege  in  der  Rhein- 
provinz, Mitglied  tmd  stellvertretender  Vorsitzender  der  Kommission  für  die 
Provinzialmuseen  der  Rheinprovinz,  Vorsitzender  der  Sachverständigenkommis- 
sion für  die  Ausschmückung  des  Aachener  Münsters. 

Ein  großer  Teil  seiner  Arbeitskraft  gehörte  seit  dem  Jahre  1887,  seit 
genau  20  Jahren,  der  rheinischen  Denkmälerinventarisation.  Als  in  diesem 
Jahre  die  rheinische  Provinzialverwaltung  sich  an  die  Gesellschaft  für  rheinische 
Geschichtskunde  wandte  mit  dem  Ansinnen,  die  statistische  Aufnahme  der 
rheinischen  DenkmäT^r  in  die  Wege  zu  leiten,  trat  Loersch  sofort  an  die 
Spitze  der  von  der  Gesellschaft  gebildeten  Kommission  für  die  Denkmäler- 
statistik der  Rheinprovinz.  Im  Verein  mit  Kari  Lamprecht  stellte  er  die 
ersten  äußeren  Linien  für  die  Bearbeitung  auf  imd  erledigte  die  umfänglichen 
Vorarbeiten.  Er*bahnte  der  Einzelbearbeitung  selbst  den  Weg  und  war  tm- 
ermüdlich,  das  erlahmende  Interesse  der  Behörden  wieder  wachzurufen  imd 
neue  Helfer  zu  werben.  Der  Schreiber  dieser  Zeilen,  der  im  Frühjahr  1890 
durch  Loersch  an  den  Rhein  gezogen  ward  imd  das  Glück  gehabt  hat, 
17  Jahre  lang  mit  ihm  zusammen  arbeiten  zu  dürfen,  weiß  am  besten, 
welche  Fülle  von  Arbeit  und  Sorge  der  Verstorbene  diesem  großem  Werke 
gewidmet  hat.  Mit  immer  gleicher  Umsicht  tmd  mit  nie  nachlassender  Treue 
und  Gewissenhaftigkeit  hat  er  die  Bereisung  der  einzelnen  Kreise  vorbereitet, 
mit  diplomatischem  Geschick  der  Denkmäleraufhahme  die  Pfiside  geebnet 
und  die  Drucklegung  eines  jeden  Heftes  beaufsichtigt.  Auf  seine  Initiative 
war  es  wesentlich  zurückzuführen,  daß  die  rheinische  Denkmälerstatistik  sich 
zugleich  zu  einem  bibliographischen  Kompendium  für  die  Orts-  tmd  Landes- 
geschichte auswuchs.  Ztmial  zu  den  historischen  Partien  hat  der  Vorsitzende 
der  Kommission  nicht   imwesentliche  Beiträge   geliefert.     Mit   welcher  pein- 


—     330     — 

liehen  Sorgfalt  hat  er  vor  allem  sich  um  die  Feststellung  und  Ergänzung  der 
ihm  besonders  am  Herzen  liegenden  Inschriften  bemüht  Die  Korrekturen 
zu  einem  jeden  Bogen  gingen  mehrere  Male  durch  seine  Hand,  ehe  er  den 
Text  für  hinlänglich  gefeilt  erachtete.  Mit  dem  großen  Werke  der  rheinischen 
Denkmälerinventarisation  wird  der  Name  Hugo  Loersch  dauernd  verknüpft  bleiben. 

Das  ganze  Prognunm  der  deutschen  Denkmälerverzeichnisse  hat  sich 
seit  dem  Beginn  der  rheinischen  Denkmälerstatistik  wesentlich  geändert 
Man  kann  hier  schwerlich  von  einheitlichen  Grundsätzen  sprechen.  Nicht 
nur  jede  Provinz  und  ein  jeder  Bimdesstaat,  auch  ein  jedes  Jahrzehnt  bat 
einen  eigenen  Maßstab  mit  sich  gebracht.  So  hat  sich  auch  die  rheinische 
Denkmälerstatistik  alhnählich  gewandelt.  Nach  der  im  Anfange  nötig  er- 
scheinenden Zurückhaltung  und  Beschränkung,  bei  der  nur  die  wirklich 
irgendwie  künstlerisch  oder  historisch  wichtigen  Denkmäler  herangezogen 
werden  sollten,  ist  jetzt  eine  größere  Breite  und  Vollständigkeit  eingetreten. 
Die  Zahl  der  Illustrationen  ist  vervielfacht,  der  historische  TeU  ist  weiter 
ausgebildet  worden.  Diese  Umwandlung  der  rheinischen  Denkmälerstatistik 
war  schon  in  den  letzten  Jahren  xmter  Loerschs  Zustimmung  und  Leitung 
angebahnt  worden.  Sie  wird  auf  dem  von  ihm  schon  betretenen  Wege  in  den 
nächsten  Jahren  notwendig  fortgesetzt  werden  müssen.  Eine  besonders  freudige 
Genugtuung  fand  der  Verstorbene  zuletzt  noch  darin,  daß  das  rheinische 
System  der  Bearbeitung  der  Deokmälerverzeichnbse  von  der  Bayrischen  Re- 
gierung bei  der  Neubearbeitung  der  bayrischen  Inventare  bis  in  die  Details 
genau  aufgenommen  worden  war. 

Daneben    gehörte   Loerschs   Arbeit,   zumal   im   letzten   Jahrzehnt,   den 
Fragen  des  rechtlichen  Denkmalschutzes  und  der  Denkmalpflege.    Schon 
im  Jahre   1897  hatte  er  in   einem  Bonner   Universitätsprogramm    als   einen 
Beitrag  zum  Rechte  der  Denkmalpflege  das  französische  Gesetz  vom  30.  März 
1887  behandelt,    das  er  mit  Recht  als  vorbildlich   auch   für   die   deutsche 
Denkmälerschutzgesetzgebung  erkannte.    Loersch  war  wohl  der  beste  Kenner 
des  Rechtes  des  Denkmalschutzes  in  Deutschland  —  er  hatte   die  gesamte 
europäische    und   außereuropäische   Gesetzgebung    dieser  Materie  gegenüber 
im  Auge  und  las  zuletzt  mit  dem  Autor  dieser  Zeilen  zusammen   ein   regel- 
mäßiges  Kolleg   über    Denkmalschutz   und   Denkmalpflege,   wobei  ihm    der 
juristische  Teil  ausschließlich  zufiel.     Immer  und  immer  wieder  hat  er   be- 
tont, daß  die  Ehrfurcht  vor  den  monumentalen  Zeugen  der  eigenen  Geschichte 
das   beste  Zeugnis   nationalen  Stolzes  sei.     An  die   Spitze  jener  kleinen  Pu- 
blikation hat  er  die  Worte  Montalemberts  gesetzt:   Les  longa  Souvenirs  fönt 
les  grands  peupUs.     Im   Herbste   des  Jahres    1899   traten  bei   Gelegenheit 
der  Generalversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts-  und  Alter- 
tumsvereine  eine  Reihe   von   berufenen  Fachleuten  in  Straßburg  zusammen, 
um,   zunächst  eber   Anregung   des   genannten   Gesamtvereins   entsprechend, 
über  die  Frage  einer  deutschen  Denkmälerschutzgesetzgebung  zu  verhandeln.  — 
Eine    aus   Ix>ersch,   dem  Direktor   des   Germanischen  Nationalmuseums    in 
Nürnberg,    Geheimrat    von    Bezold,    und    dem   Unterzeichneten   bestehende 
Kommission  hatte  damals  schon  die  Leitsätze  fUr  die  Denkmälerschutzgesetz- 
gebung ausgearbeitet,   die  bei   den   künftigen    Erörterungen   imd    auch    den 
ersten   praktischen   Versuchen   zugrunde   gelegt   wurden.     Die   in   Straßburg 
versammelten    Vertreter    der    Denkmalpflege:     Juristen,    Verwaltungsbeamte, 


—     331     — 

XuDStgelehrte  und  Architekten,  erkannten  aber  bald,  daß  diese  wichtige 
Frage  in  der  zufälligen  Verknüpfung  mit  dem  Gesamtvereine  und  in  der 
Unterordnung  unter  diese  bedeutsame  und  umfassende,  aber  allzu  vielen 
Interessen  dienende  Vereinigung  unmöglich  zielbewußt  und  selbständig  ge- 
fördert werden  könnte.  Es  wurde  deshalb  eine  vollständig  freie  Organisation 
geschaffen,  in  der  Gestalt  der  Tage  für  Denkmalpflege,  die  zunächst 
noch  rein  äußerlich  mit  dem  Gesamtvereine  dadurch  verbunden  waren,  daß 
sie  zur  gleichen  Zeit  und  am  gleichen  Orte  tagten,  die  aber  nun  eine  gleich- 
sam offizielle  Vertretung  der  Denkmalpflege  Deutschlands  und  daneben 
Österreichs  und  der  Schweiz  wurden.  Die  Tage  flir  Denkmalpflege  sind 
hintereinander  in  Dresden,  Freiburg,  Düsseldorf,  Erfurt,  Mainz,  Bamberg, 
Braunschweig  abgehalten  worden,  jedesmal  eingeladen  und  unterstützt  durch 
die  Regierung  des  Bundesstaates,  in  dessen  Gebiet  sie  tagten.  Vertreter 
der  einzelnen  bundesstaatlichen  Regierungen,  sowie  der  preußischen  Provin- 
zialverwaltungen  und  Abgeordnete  der  größeren  Architekten-  und  Fach- 
vereine haben  ihnen  regelmäßig  beigewohnt.  Das  allgemeine  Interesse  an 
den  wichtigen  Fragen  der  Denkmälererhaltung  ist  durch  diese  neue  Organi- 
sation ganz  außerordentlich  gestärkt,  das  öffentliche  Gewissen  ist  durch  sie 
geschärft,  die  amtliche  Teibaahme  der  Regierungen  durch  sie  wachgerufen 
worden.  Loersch  war  schon  bei  den  vorbereitenden  Straßburger  Verhand- 
lungen zum  Vorsitzenden  gewählt  worden  und  er  hat  seitdem  bis  zum  Jahre 
1906,  in  dem  er  müde  das  Zepter  in  die  Hände  seines  Nachfolgers,  des 
Geheimrats  Professor  Dr.  vonOechelhäuser  in  Karlsruhe  niederlegte, 
die  Geschäfte  des  ständigen  Ausschusses  geflihrt  und  die  Tagungen  vor- 
bereitet und  geleitet.  Welche  Unsunmic  von  Arbeit  hat  er  in  diesen  Jahren 
im  wesentlichen  allein  geleistet:  Verhandlungen  mit  sämtlichen  deutschen 
Regierungen,  einen  ausgedehnten  Briefwechsel  mit  Fachgenossen  und  Re- 
gierungsvertretem  geführt.  Wie  oft  hat  er  hier  begütigend  zureden,  aus- 
gleichend wirken,  wie  oft  Widerstrebende  zur  Mitarbeit  aufrufen  müssen. 
Die  Verhandlungen  leitete  er  mit  vornehmer  Ruhe;  sorgsam  wachte  er  dar- 
über ,  daß  der  Ton  der  Gerechtigkeit  und  Rücksicht  bei  den  Debatten  nicht 
vergessen  ward.  Des  Wortes  in  hohem  Maße  mächtig,  fand  er  immer  die 
ti'effende  Entgegnung,  das  geeignete  Schlußwort  und  verstand  es,  den  Tag 
durch  oft  sehr  kritische  Zeiten  und  durch  die  ersten  Fährlichkeiten  als  ein 
geschickter  Kapitän  hindurchzusteuem. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  dem  Ausdruck  zu  geben,  was  er  persönlich 
war:  seiner  Familie,  seinen  Freunden,  seinen  Kollegen;  nur  den  Zoll,  den 
er  der  Öffentlichkeit  gezahlt  hat,  gilt  es  hier  zu  messen.  Allen  seinen  Mit- 
arbeitern und  denen,  die  in  Ausschüssen  und  Kommissionen  ihm  zur  Seite 
sitzen  durften,  war  er  der  treueste  Freund,  der  gütigste  Berater,  um  jüngere 
Genossen  wie  ein  Vater  sorgend  bemüht.  Innerlich  von  einer  tiefen  Frömmigkeit 
erfüllt,  war  er  eine  konservative  Natur  von  strengster  Gewissenhaftigkeit  und  un- 
beugsamer Wahrheitsliebe,  ein  in  allen  Lebenslagen,  auch  den  Mächtigen  dieser 
Erde  gegenüber  aufrechter  Mann ;  gerade  und  offen,  herzlich  und  ritterlich.  Die 
Vornehmheit,  die  sein  äußeres  Wesen  und  Auftreten  kennzeichnete,  war  eine 
innere  Tugend  bei  ihm.  Er  war  echt  vom  Scheitel  bis  zur  Sohle.  Einer  der 
besten  Rheinländer  ist  in  ihm  dahingegangen. 

Paul  Giemen  (Bonn). 


—     332     — 

*)  Es  starben:  Am  27.  April  1905  in  Wien  der  ordentliche  Professor  der 
alten  Geschichte  des  Orients  Jakob  Krall,  54  Jahre  alt;  3.  Mai  in  Berlin  der 
Erforscher  der  Kreuzzüge  und  Pilgerüthrten  nach  Palästina  Reinhold  Roehricht, 
63  Jahre  alt;  6.  Mai  in  Bischweiler  (Elsaß)  der  ordentliche  Professor  der 
alten  Geschichte  in  Freiburg  (Schweiz)  Karl  Holder,  39  Jahre  alt;  6.  Jimi 
in  Tübingen  der  ehemalige  Professor  des  deutschen  Privatrechts  Otto  von 
Franklin,  75  Jahre  alt;  8.  Juni  in  Leipzig  der  ordentliche  Professor  der 
alten  Geschichte  Kurt  Wach smuth,  68  Jahre  alt;  10.  Juni  in  München  der 
Unterarchivar  am  Vatikanischen  Archiv  Heinrich  D  e  n  if  1  e ,  6 1  Jahre  alt;  1 9.  Juni 
der  Professor  der  Kunstgeschichte  in  Wien  Alois  Riegl,  47  Jahre  alt;  14.  Juni 
in  Berlin  der  Numismatiker  Hermann  Dannenberg;  23.  Juli  in  Erfurt  der 
Literarhistoriker  Wilhelm  Heinzelmann,  65  Jahre  alt;  31.  Juli  in  Blumen- 
thal   bei  Bremen   der   Geschichtschreiber  Konstantin  Bulle,    61  Jahre   alt; 

11.  August  in  Gießen  der  ordentliche  Professor  der  Geschichte  Wilhelm 
Oncken,  67  Jahre  alt;  4.  September  in  Schweinfurt  der  fränkische  Ge- 
schichtsforscher Friedrich  Stein,  85  Jahre  alt;  6.  Oktober  in  Berlin  der 
Geograph  Freiherr  von  Richthofe n,  72  Jahre  alt;  12.  Oktober  in  Berlin 
der  königliche  Hausarchivar  Ernst  Berner,  52  Jahre  alt;  16.  Oktober  in 
Straßburg  der  außerordentliche  Professor  der  Geschichte  Theodor  Ludwig, 
37  Jahre  alt;  21.  Oktober  in  Charlottenburg  der  Gründer  der  GeseUschaift 
fiir  deutsche  Erziehungs-  und  Schulgeschichte  Karl  Kehrbach,  59  Jahre 
alt;  im  November  der  Direktor  des  Provinzialmuseums  in  Halle  Major  a.  D. 
Oskar  Förtsch,  66  Jahre  alt;  4.  November  der  Direktor  des  Provinzial- 
museums in  Trier  Hans  Graeven,  39  Jahre  alt;  12.  November  in  Nürn- 
berg der  zweite  Direktor  des  Germanischen  Museums  Hans  Boesch,  56  Jahre 
alt;  14.  November  in  Salzburg  der  Direktor  des  städtischen  Museums  Ale- 
xander Petter,  73  Jahre  alt;  17.  November  m  Karlsruhe  der  Direktor  des 
großherzoglichen  Generallandesarchivs  Friedrich  von  Weech,  68  Jahre  alt; 
8.  Dezember  in  Kiitzschen  bei  Torgau  der  ehemalige  Leipziger  Professor  der 
Geschichte  Woldemar  Wenck,  86  Jahre  alt;  8.  Dezember  in  Regensburg 
der  fürstlich  Thum  und  Taxissche  Archivar  Komelius  Will,    75  Jahre   alt; 

12.  Januar  1906  in  Breslau  der  Vorstand  des  Stadtarchivs  imd  der  Stadt- 
bibliothek Hermann  Markgraf,  66  Jahre  alt;  19.  Februar  in  Stuttgart  der 
frühere  Vorstand  der  württembergischen  Landesbibliothek  Wilhelm  von  Heyd, 
82  Jahre  alt;  4.  April  in  Sudenburg  der  Direktor  des  königlichen  Staatsarchivs 
in  Magdeburg  Eduard  Ausfeld,  55  Jahre  alt;  25.  April  in  Kolmar  der 
Direktor  des  Bezirksarchivs  Heino  Pfannenschmidt,  78  Jahre  alt ;  16.  Juni 
in  Gießen  der  Literarhistoriker  xmd  Pfleger  der  Volkskunde  Adolf  Strack, 
46  Jahre  alt;  5.  Juli  in  Göttingen  der  Bibliothekar  Julius  Priesack,  41  Jahre 
alt;  II.  Juli  in  Jena  der  Professor  der  alten  Geschichte  Heinrich  Geiz  er, 
59  Jahre  alt;  13.  Juli  in  Berlin  der  zweite  Direktor  der  preußischen  Staats- 
archive Karl  Sattler,  56  Jahre  alt;  15.  Juli  in  Frankfiirt  a.  M.  der  Bi- 
bliothekar Heinrich  v.  Nathusius-Neinstedt,  55  Jahre  alt;  im  Juli  in 
Erfurt  der  Geschichtschreiber  Ludwig   Stacke,    90  Jahre    alt;    31.  Juli    in 


*)  Personalvcrändcrungcn   wurden   zuletzt   im   6.  Bd.,  S.  236 — 237   (Maiheft  1905) 
mitgeteilt.     Aus  der  langen  Zwischenzeit  von  mehr  als  zwei  Jahren  werden   hier  die 
sentlichsten  Nachrichten  nachträglich  zusammengestellt. 


—     333     — 

Jena  der  Direktor  des  königlich  sächsischen  Hauptstaatsarchivs  in  Dresden 
Paul  Hassel,  68  Jahre  alt;  im  August  in  Czemowitz  der  Professor  der 
österreichischen  Geschichte  Ferdinand  Zieglauer,  Eldler  von  Blumenthal, 
77  Jahre  alt;  13.  September  in  Münster  i.  W.  der  Kunsthistoriker  Bernhard 
Nordhoff,  68  Jahre  alt;  23.  September  in  Hannover  der  Oberbibliothekar 
Eduard  Bodemann,  78  Jahre  alt;  11.  Oktober  in  Würzburg  der  Professor 
der  alten  Geschkrhte  Georg  Friedrich  ünger,  81  Jahre  alt;  6.  November 
in  Charlottenburg  der  ehemalige  Dresdener  Oberbibliothekar  Ernst  Wilhelm 
Förstemann,  84  Jahre  alt;  9.  November  in  Brüssel  der  belgische  Ge- 
schichtsforscher Leon  Vanderkindere,  64  Jahre  alt;  22.  November  in 
Graz  der  Professor  der  Geschichte  Hans  Zwiedineck,  Edler  von  Süden- 
horsC,  61  Jahre  alt;  8.  Januar  1907  in  Breslau  der  schlesische  Altertums- 
forscher Geh.  Sanitätsrat  Professor  Wilhelm  Grempler,  80  Jahre  alt; 
8.  Februar  in  Mockau  bei  Leipzig  der  Geograph  Alfred  Kirchhoff,  68  Jahre 
alt;  3.  März  in  Würzburg  der  Oberbibliothekar  Dietrich  Kerler,  69  Jahre 
alt;  12.  März  in  Frankhirt  a.  M.  der  Direktor  des  städtischen  historischen 
Museums  Otto  Cornill,  83  Jahre  alt;  14.  März  in  München  der  Alter- 
tumsforscher und  Herausgeber  der  Prähistorischen  Blätter  Julius  Naue, 
72  Jahre  alt;  5.  April  in  München  der  Numismatiker  Hans  Riggauer, 
55  Jahre  alt;  15.  April  in  Dresden  der  Literarhistoriker  Adolf  Stern,  71  Jahre 
alt;  16.  April  in  Stuttgart  der  ehemalige  Konservator  der  württembergischen 
Kunstdenkmäler  Oberstudienrat  Eduard  Paulus,  69  Jahre  alt;  i.  Mai  in 
Lübeck  der  Staatsarchivar  Professor  Paul  Hasse,  62  Jahre  alt;  19.  Mai  in 
München  der  Professor  der  lateinischen  Philologie  des  Mittelalters  Ludwig 
Traube,  46  Jahre  alt;  5.  Juni  in  Cannstatt  der  Kirchenhistoriker  Heinrich 
Köstlin,  60  Jahre  alt;  im  Juli  in  Bremen  der  Geschichtsforscher  Professor 
Heinrich  Dünzelmann;  15.  Juli  in  Venedig  der  Geschichtschreiber  Moritz 
Brosch,  78  Jahre  alt. 

An  deutsche  Hochschulen  wurden  berufen:  der  außerordentliche  Pro- 
fessor H.  Lüthge  in  Tübingen  zum  außerordentlichen  Professor  der  Ge- 
schichte der  Medizin  in  Erlangen;  W.  Kolbe,  bisher  beim  preußischen 
archäologischen  Institut  in  Athen,  zum  außerordentlichen  Professor  der  alten 
Geschichte  in  Rostock;  der  außerordentliche  Professor  der  neueren  Literatur- 
geschichte in  Halle  Adolf  Berger  zum  ordentlichen  Professor  der  Literatur- 
geschichte und  Geschichte,  insbesondere  Kulturgeschichte,  in  Darmstadt;  Sani- 
tätsrat W.  Sud  hoff  in  Hochdahl  bei  Düsseldorf  zum  außerordentlichen  Pro- 
fessor der  Geschichte  der  Medizin  in  Leipzig ;  Privatdozent  Georg  K  ü  n  t  z  e  1 
in  Bonn  zum  Professor  der  Geschichte  an  die  Akademie  flir  Sozial-  und 
Handelswissenschaften  in  Frankfurt  a.  M. ;  der  ordentliche  Professor  der  Geo- 
graphie in  Wien  Albrecht  P  enck  in  gleicher  Eigenschaft  nach  Berlin ;  der  ordent- 
liche Professor  der  deutchen  Rechtsgeschichte  in  Breslau  Konrad  Beyerle 
in  gleicher  Eigenschalt  nach  Göttingen;  der  ordentliche  Professor  der  Kircheu- 
geschichte  Hans  von  Schubert  in  Kiel  in  gleicher  Eigenschaft  nach  Heidel- 
berg; der  Professor  der  Geographie  Eduard  Brückner  in  Halle  in  gleicher 
Eigenschaft  nach  Wien;  der  Privatdozent  Otto  Hoetzsch  in  Berlin  zum 
Professor  der  Geschichte  an  der  königlichen  Akademie  in  Posen;  der 
außerordentliche  Professor  der  Geschichte  Gustav  Buchholz  in  Leipzig 
zum  etatsmäßigen  Professor  der  Geschichte  an  der  königlichen  Akademie  in 


—     334     — 

Posen ;  der  Privatdozent  Hennann  O  n  c  k  e  n  in  Berlin  zum  ordentlichen  Pro« 
fessor  der  Geschichte  in  Gießen;  der  ordentliche  Professor  der  Geschichte 
Friedrich  Meinecke  in  Straßburg  in  gleicher  Eigenschaft  nach  Freiburg  i.  B. ; 
der  Oberlehrer  Karl  Strecker  in  Dortmund  als  außerordentlicher  Professor 
der  lateinischen  Philologie  des  Mittelalters  nach  Berlin ;  der  Geograph  Alfred 
Philippsonin  Bern  als  ordentlicher  Professor  nach  Halle  a.  S. ;  der  ordentliche 
Professor  der  alten  Geschichte  Benediktus  Niese  in  Miffburg  in  gleicher 
Eigenschaft  nach  Halle;  der  ordentliche  Professor  der  alten  Geschichte 
Walter  J  u  d  e  i  c  h  in  Erlangen  in  gleicher  Eigenschaft  nach  Jena ;  der  Privatdozent 
der  alten  Geschichte  Adolf  Schulten  in  Göttingen  zum  ordendichen  Professor 
in  Erlangen;  der  ordentliche  Professor  der  Geschichte  Fester  in  Erlangen 
in  gleicher  Eigenschaft  nach  Kiel;  der  Privatdozent  der  Geographie  Ule  in 
Halle  zum  außerordentiichen  Professor  in  Rostock ;  der  außerordentliche  Pro- 
fessor der  Geschichte  Georg  Preuß  in  München  in  gleicher  Eigenschaft  nach 
Breslau;  der  Privatdozent  der  Geschichte  Friedrich  Luckwaldt  in  Bonn  zum 
etatsmäßigen  Professor  an  der  Technischen  Hochschule  in  Danzig ;  der  ordent- 
liche Professor  der  Geschichte  Erich  M  a  r  c  k  s  in  Heidelberg  als  Professor  der  Ge- 
schichte an  die  Wissenschaftliche  Stiftung  in  Hamburg;  der  ordentliche  Professor 
der  Geschichte  Hermann  Oncken  in  Gießen  in  gleicher  Eigenschaft  nach 
Heidelberg ;  der  ordentliche  Professor  der  Literaturgeschichte  Oskar  Walze  1  in 
Bern  in  gleicher  Eigenschaft  nach  Dresden;  der  Privatdozent  Gustav  B  eckmann 
in  München  zum  außerordentlichen  Professor  der  Geschichte  in  Erlangen; 
der  ordentliche  Professor  der  alten  Geschichte  Otto  Seeck  in  Greifswald  in 
gleicher  Eigenschaft  nach  Münster  i.  W.  —  Unter  Verbleiben  an  ihrem 
Wohnsitze  wurden  ernannt:  im  Marburg  der  Gymnasialoberlehrer  A.  Brack- 
mann  zum  außerordentlichen  Professor  der  Geschichte;  in  Berlin  der 
Honorarprofessor  für  Geschichte  des  europäischen  Ostens  Theodor 
Schiemann  zum  ordentlichen  Professor  dieses  Fachs;  in  Straßburg 
der  Honorarprofessor  und  bisherige  Archivdirektor  W^ilhelm  Wiegand 
zum  ordentlichen  Professor  der  neueren  Geschichte;  in  Bonn  der  außer- 
ordentliche Professor  der  Kirchengeschichte  Heinrich  Böhmer  zum  ordent- 
lichen Professor;  in  Wien  der  außerordentliche  Professor  Rudolf  Much 
zum  ordentlichen  Professor  der  germanischen  Sprachgeschichte  und  Alter- 
tumskunde; in  Gießen  der  außerordentliche  Professor  der  alten  Geschichte 
Strack  zum  ordentlichen  Professor;  in  Leipzig  erhielt  der  außerordentUche 
Professor  der  Geschichte  Rudolf  Kötzschke  einen  Lehrauftrag  für  säch- 
sische Landesgeschichte  und  Siedlungskunde  in  Verbindung  mit  einem  be- 
sonderen Seminar  fiir  diese  Gebiete;  in  Kiel  wurde  der  Privatdozent  Ernst 
Daenell  zum  außerordentlichen  Professor  der  Geschichte,  insbesondere  der 
schleswig-holsteinischen  Landesgeschichte  ernannt;  in  Tübingen  der  außer- 
ordentliche Professor  der  Geographie  Karl  Sapper  zum  ordentlichen  Pro- 
fessor; ebenda  der  außerordentliche  Professor  der  alten  Geschichte  Ernst 
Kornemann  zum  ordentlichen  Professor. 

An  Archiven  gingen  folgende  Veränderungen  vor  sich :  Direktor  des 
Geh.  Haus-  und  Staatsarchivs  in  Stuttgart  wurde  der  bisherige  Archivrat 
Eugen  V.  Schneider;  Direktor  des  Großherzoglich  badischen  Generallandes- 
archivs in  Karlsruhe  Geh.  Archivrat  Karl  Obser;  Direktor  des  Bezirksarchivs 
des  Unterelsaß   in   Straßburg  der  bisherige  Hilfsarbeiter  Hans  Kaiser;    Di- 


—     335     — 

rektor  des  königlich  sächsischen  Hauptstaatsarchivs  in  Dresden  der  bisherige 
Staatsarchirar  Otto  Posse;  Direktor  des  Bezirksarchivs  des  Oberelsaß  in  Kohnar 
Stadtarchivar  Ernst  Hau  vi  Her;  Zweiter  Direktor  der  königlich  preußischen 
Staatsarchive  der  Geh.  Staatsarchivar  Paul  Bailleu;  Hausarchivare  am  könig- 
lichen Hausarchiv  zu  Charlottenburg  wurden  die  Staatsarchivare  Georg  Schuster 
und  Hermann  Granier;  Direktor  des  königlichen  Staatsarchivs  m  Magdeburg 
Georg  Winter,  bisher  in  Osnabrück;  Direktor  des  königlichen  Staatsarchivs  in 
Osnabrück  Bnmo  Krusch,  bisher  Archivar  in  Breslau;  Stadtarchivar  in 
Rostock  wurde  Ernst  Dragendorff»  Archivsekretär  daselbst  L.  Krause; 
Stadtarchivar  in  Görlitz  Oberlehrer  a.  D.  R.  Je  cht;  Stadtarchivar  in  Kiel 
Franz  Gu  n dlac  h ;  Archivassistent  am  Bezirksarchiv  in  Metz  der  bisherige  Hilfs- 
arbeiter am  sächsisch-emestinischen  Gesamtarchiv  in  Weimar,  Erich  Gritzner; 
Archivar  und  Bibliothekar  der  Stadt  Metz  K.  von  Brunn,  gen.  von  Kauf- 
fiingen,  bisher  Stadtarchivar  in  Mühlhausen  i.  Th.;  Stadtarchivar  in  MüU- 
hausen  i.  Th.  Rudolf  Bemmann;  dritter  Staatsarchivar  am  königlichen 
Hauptstaatsarchiv  in  Dresden  Artur  Brabant,  bisher  Archivsekretär  am  könig- 
lich bayrischen  Kreisarchiv  in  Nürnberg;  Staatsarchivar  in  Lübeck  der  kgl. 
preussische  Archivrat  Johannes  Kretzschmar  in  Berlin. 

An  Bibliotheken  gingen  folgende  Veränderungen  vor  sich:  Stadt- 
bibliothekar Karl  Kunze  in  Stettin  wurde  Direktor  der  königlichen  Biblio- 
thek in  Hannover;  Oberbibliothekar  Konrad  Häbler  an  der  königlichen 
ÖffentUchen  Bibliothek  in  Dresden  gbg  in  gleicher  Eigenschaft  an  die  könig- 
liche Bibliothek  nach  Berlin;  Staatsarchivar  Hubert  Ermisch  in  Dresden 
wurde  Direktor  der  königlichen  Öffentlichen  Bibliothek  daselbst. 

Der  Direktor  des  historischen  Museums  in  Dresden  Karl  Koetschau 
wurde  Direktor  der  grofiherzoglichen  Museen  in  Weimar;  Direktor  des  Pro- 
vinzialmuseums  in  Trier  wurde  Emil  Krüger. 

Der  Privatdozent  der  Geschichte  Prof.  Albert  Werminghoff  in 
Greifswald  wurde  als  Abteilungsdirektor  der  Monumenia  Oennaniae  Mstoriea 
nach  Berlin  berufen. 

Der  Professor  der  Geschichte  in  Lüttich  Gottfried  Kurth  wurde  Direktor 
des  Belgischen  historischen  Instituts  in  Rom. 

Es  habilitierten  sich:  Ernst  Vogt  für  mittelalterliche  und  neuere  Ge- 
schichte in  Gießen;  Viktor  Bibl  Air  Geschichte  der  Neuzeit  in  Wien;  Harald 
Steinacker  für  Geschichte  des  Mittelalters  und  für  historische  Hilfswissen- 
schaften in  Wien;  Ignaz  Philipp  Dengel  für  neuere  Geschichte  in  Innsbruck; 
K.  K  r  o  f t a  für  österreichische  Geschichte  in  Innsbruck ;  Johannes  L  e  i  p  ol  d t 
für  Kirchengeschichte  in  Leipzig;  Adolf  Hasenclever  für  Geschichte  in  HaUe ; 
Wühebn  Stolze  für  Verfkssungs-  und  Wirtschafbgeschichte  in  Königsberg; 
H.  Uebersberger  für  Geschichte  Osteuropas  in  Wien;  Johannes  Has- 
hagen  für  Geschichte  in  Bonn;  F.  Fehling  für  neuere  Geschichte  in  Heidel- 
berg; Alfred  Herrmann  für  mitdere  und  neuere  Geschichte  in  Bonn;  Karl 
Mo  11  wo  für  Nationalökonomie  und  Wirtschafbgeschichte  in  Danzig;  Paul 
Herre  für  Geschichte  in  Leipzig;  E.  Kaspar  für  Geschichte  in  Berlin; 
Hans  Spangenberg  für  mittlere  und  neuere  Geschichte  in  Königsberg; 
K.  Schmitz  für  Geschichte  der  Medizin  in  Bonn;  Jakob  Strieder  für  Ge- 
schichte in  Leipzig;  Hubert  Schmidt  für  Kulturgeschichte  in  Berlin;  W.  Otto 
für  alte  Geschichte  in  Breslau;   Archivdirektor  Hans  Kaiser  für  Geschichte 

84 


—     336     — 

und  geschichtliche  Hllfisirissenschaften  in  Strasburg;  Paul  Haake  für  Ge- 
schichte in  Berlin;  P.  Hartmann  für  Kunstgeschichte  in  Straßburg;  Ed- 
mund Ernst  Stengel  für  mittelalterliche  Geschichte  in  Marburg;  F.  Stä heiin 
für  alte  Geschichte  in  Basel;  Paul  Sander  für  Geschichte  in  Berlin. 

Eingegansrene  Bfieher. 

Wustmann,  Gustav:  Der  Leipziger  Kupferstich  im  i6.,  17.  und  18.  Jahr- 
hundert [<B  Neujahrsblätter  der  Bibliothek  und  des  Archivs  der  Stadt 
Leipzig  III.  1907].  Leipzig,  K.  B.  Hirschfeld  1907.  112  S.  8^ 
M.  4,00. 

Witte,  Hans:  Wendische  Zu-  imd  Familiennamen  [=  Jahrbuch  des  Vereins 
für  mecklenburgische  Geschichte,    71.   Bd.   (Schwerin  i.  M.    1906),  S. 

153—290]. 

Engelke:  Das  Gogericht  Sutholte,  die  Freigrafschaft  und  das  Holzgericht 
zu  Goldenstedt  [=  Jahrbuch  für  die  Geschichte  des  Herzogtums  Olden- 
burg, herausgegeben  von  dem  Oldenburger  Verein  für  Altertumskunde 
und  Landesgeschichte  XV  (Oldenburg  1906),  S.   145 — 265]. 

Mai  er,  G.:  Soziale  Bewegungen  und  Theorien  bis  zur  modernen  Arbeiter- 
bewegung [^  Aus  Natur  und  Geisteswelt,  Sammlung  wissenschaftlich- 
gemeinverständlicher  Darstellungen,  2.  Bändchen].  Dritte  Auflage. 
Leipzig,  B.  G.  Teubner  1906.     162  S.  8^     geb.  M.  1,25. 

Pagenstert:  Ein  Zollkrieg  zwischen  Oldenburg  und  dem  Königreich  West- 
falen in  den  Jahren  1809  und  18 10  [=  Jahrbuch  für  die  Geschichte 
des  Herzogtums  Oldenburg,  herausgegeben  von  dem  Oldenburger  Verein 
für  Altertumskunde    und    Landesgeschichte   XV  (Oldenburg    1906),    S. 

139—144]. 

Rüthning,  G. :  Graf  Antons  IL  Eisengießerei  f=  Jahrbuch  für  die  Ge- 
schichte des  Herzogtums  Oldenburg,  herausgegeben  von  dem  Olden- 
burger Verein  für  Altertumskunde  und  Landesgeschichte  XV  (Olden* 
bürg  1906),  S.  273 — 280]. 

Wenck,  Karl:  Deutsche  Kaiser  und  Könige  in  Hessen  [=  Zeitschrift  des 
Vereins  für  hessische  Geschichte  und  Landeskunde,  Neue  Folge  50.  Bd., 

s.  139—157]- 

Eschbach,  Peter :  Die  Ratinger  Mark,  ein  Beitrag  zur  Wirtschaftegeschichte 
des  Niederrheins  [=  Sonderabdruck  aus  den  Beiträgen  zur  Geschichte 
des  Niederrheins,  ßd.  XX,  Jahrbuch  des  Düsseldorfer  Geschichtsvereins 
für  1905J.     61  S.  8^ 

Bartels:  Die  älteren  ostfriesischen  Chronisten  und  Geschichtschreiber  und 
ihre  Zeit  II.  [=  Abhandlungen  und  Vorträge  zur  Geschichte  Ostfries- 
lands, Heft  VII].     Aurich,  D.  Friemann,  1907.     63  S.  8  ®. 

Berendsohn,  Robert  L. :  Krieg  oder  Frieden?  Deutsches  Volk  —  Ent- 
scheide! Volksvortrag.  Hamburg,  Konrad  H.  A.  Klofi  1907.  16  S. 
8®.     M.  0,25. 

Bötticher,  Arno:  Neumärkische  Leichenpredigten  in  der  Bibliothek  der 
Marienkirche  in  Frankfurt  a.  O.  [=  Schriften  des  Vereins  für  Geschichte 
der  Neumark  Heft  XIX  (Landsberg  a.  W.  1906),  S.   i  —  77]. 

Herausgeber  Dr.  Armin  l*ille  in  Leipzig. 
Verlag  und  Druck  von  Friedrich  Andreas  Perthet,  AkUengeseUschaft,  Goduu 


—     337     — 


Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthee,  Aktiengesellschaft,  Gotha. 

Deutsche  Xanöcsgeschichten. 

Herausgegeben  von  Armin  Tille. 

6escliiclite  von  Jrannscliveig  an)  )bnnover. 

Von  Dr.  Otto  von  Heinemann, 

Herzogl.    Oberbibliothekar  zu   VVolfenbüttel. 

Erster  Band.    1882.    Preis:  Ji  6. — . 
Zweiter  Band.    1886.   Preis:  Jk  9. — . 
Dritter  Band.    1892.    Preis:  Ji  9.—. 


6escliiclite  9er  Icntsclien  in  ienXarpatlienlindern. 

Von  Raimund  Friedrich  Kaindl, 

Professor  an  der  Universität  Czemowitz. 

Erster  Band.    Geschiebte  der  Deutschen  in  Galizien  bis  1772. 

Mit  einer  Karte.     1907.    Preis:  *^  8.  —  . 

Zweiter  Band.    Geschichte  der  Deutschen  in  Ungarn  und  Sieben- 
bürgen bis  1763,  in  der  Walachei  und  Moldau  bis  1774. 
Mit  einer  Karte.    1907.    Preis:  Ji  10. — . 

6escliiclite  von  fivlan). 

Von  Dr.  Brust  Seraphim. 

Erster  Band.      Das    livländischc    Mittelalter    und    die    Zeit    der 

Reformation.     (Bis  1582.) 

1906.     Preis:  Ji  6. — . 


6escliiclite  JReier-  nnd  OberSsterrdclis. 

Von  Max  Vancaa. 
Erster  Band.    Bis  1283.    1905.    Preis:  Ji   12. — . 

Zu  tieaieheii  durch  jede  Buchhandlung. 


—     338     — 

Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes,  AktiengesellsGhaft,  Gotha. 

6escliiclite  von  Ost-  und  Westprenjsen. 

Von  Dr.  Karl  Lohmeyer, 

Professor  an  der  K.  Albertus- Universität  zu  Königsberg. 

l.  Abteilung.    2.  Auflage. 
1881.    Preis:  Ji  3.80. 

6escliiclite  von  pommern. 

Von  Martin  Wehrmanti. 

Erster  Band.    Bis  zur  Reforroation  (1523). 
1904.    Preis:  Jt  5. — . 

Zweiter  Band.    Bis  zur  Gegenwart. 

1906.    Preis:  Jt  7. — . 
Beide  bände  in  einen  Band  gebunden  J$   14.  —  . 


6escliiclite  9er  in  9er  prenjsisclien  Provinz 
Sachsen  vereinigten  Gebiete. 

Von  Eduard  Jacobs. 

1883.  Preis:  Jt  8.40. 

Gescilichte  Salzburgs. 

Von  Hans  Widmann. 

Erster  Band.    Bis  1270. 
1907.    Preis:  Jt  8. — . 

Gescliichte  Schlesiens. 

Von  Dr.  C.  Grünhagen. 
Erster  Band.    Bis  1527. 

1884.  Preis:  .4   8.40. 

Zweiter  Band:    Bis  1740. 

1886.    Preis:  Ji  7.60. 

Zu  beliehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Deutsche  GescMchtsblätter 


Monatsschrift 


föpdepung  den  landesgesohiohtliBhen  forsohung 

unter  Mitwirkung  voo 

Prof.  Bacbni«m-Pr>e,  Prof.  Brivr-MUnttcr  i.  W..   Prof.  Finke-Freiborg  i.   B., 

Archivdirektor  Prof.  Huwoa-Köla,  Prof,  ▼.  Heigel-MüncheD,   Prof.  Henner-Wlinbiirg, 

Sektionachef  v.  Inanu-StemegK-Wien,  Pcof.  Kolde-ErUngea,   Prof.    KoiiiaiU'Berlia, 

Geh.  ArcbiTTit  Kriege  r-K>rlsnihe,  Prof.  L.*mprecbt-Leipiig, 

Regieranganl  W.  Uppert-Dreiden,  Archivdirektor  Prof.  H.  Majrr-Innsbrack, 

Archivdirektor  Prof.  Hell-Grai,  ArchiTrat  Men-MUniter  i.  Vf.,  Prof.  v.  Onenthal-Wien, 

Prof.  Obw.  Redlich-Wien,   Prof,  t.  d.  Ropp-Marbarg,  Prof.  A.   Schulte- Bonn, 

Geb.  Arcbivrat  Sello-Oldcnburg,  Archivrat  Wiecbke-Zerbst,  Prof.  Weber-Prag, 

Prof.  Wenck-MaÄnrg,  Archivdireklor  Winter-Magdeburg,  Archivar  Wlne-Schwerin 

heiausgegeben  von 

Dr.  Armin  Tille 


Gotha  ig 08 
Friedrich  Andreas  PerthcB 

AkIi«t»*IUc>»li 


I  n  li  ai  1 1« 

Auf  8äta^ : 

Seite 
Bauer,    Wilhelm    (Wien):    Hilfswisstnschaftliche    Forschungen    und   For- 

schungsauf gaben   auf  dem  Gebiete   neuzeitlicher  Geschichte  l6l  — 175 

Caro,  Georg  (Zürich):  Grundherrschaft  und  Staat 95 — 113 

Härtung,   Frits    (Wien):    Das   Zeitalter   des  Absolutismus   im   Fürstbistum 

Bamberg 119 — 133 

Hergsell,  Gustav  (Prag):  Die  Panzerung  der  deutschen  Ritter  im  Mittel- 
alter    223 — 243 

Kretsschmar,  Johannes  (Leipzig):  Der  Stadtplan  als  Geschichtsquelle  .     .  133 — 141 
Lücke,   AAHlhelm   (Halle   a.   S.):    Deutsche  Flugschriften    aus    den    ersten 

fahren  der  Reformation 184 — 205 

Reuschel,  Karl  (Dresden).   Volkskunde  und  volkskundliche   Vereine    .     .     .  63 —  83 
Roth,   Friedrich  (München):    Zur   neueren    reformationsgeschichtlichen   Li- 
teratur Ost'  und  Norddeutschlands  nebst  den  Grenzldndem  .  275 — 31 1 
Schelens,   Hermann   (Cassel):    Humanisten   als  Naturwissenschafter  und 

Arzneikundige i  —   17 

Tille,  Armin  (Dresden):  Quellen  zur  städtischen   Wirtschaftsgeschichte  .     .  ""—47 
Werner,  Heinrich  (Mayen):   Landesherrliche  Kirchenpolitik  bis  zur  Refor- 
mation      

Werner,  Heinrich  (Mayen):  Die  Geburtsstände  in  der  deutschen  Kirche  des 

Mittelalters 

Mitteilungen : 

Archive:  Mühlhaosener  ArchiTbenntzongsordnong  17 — 22;  SpitalsarchiT  zu  Ra* 
vensborg  (GustaT  Merk)  56 — 61;  Siebenter  deutscher  Archivtag 
in  Karlsruhe  83 — 85 ;  Fürstlich  Leiningisches  Archiv  in  Amor- 
bach (Krebs)  112  — 116;  Achter  deutscher  Archivtag  in  Lübeck 
177  (Ankündigung)  u.  273 — 274  (Progmmm);  Stadtarchiv  Fran- 
kenhftusen  (Hans  v.  Wurmb)  177 — 178;  Archiv  des  Strafiburger 
Domkapitels  178;  Veröffentlichungen  aus  dem  Stadtarchiv  zu 
Colmar  178  —  1 79 ;  Württembergiscfte  Archivinventare  244 
bis  245;  Das  mährische  Landesarchiv  in  Brunn  245 — 247;  Ord- 
nung  für  das  Vorarlberger  Landesarchiv  311 — 313;  Stadtarchiv 
Cottbus  313—314. 

Eingegangene  Bücher  29—32,  61—62,  94,  ti8,  142,  222,  248—250,  274, 
319—320. 

Historikertag,  aehnter  deutscher  in  Dresden 47 —  51 


Seite 

Historikertag,  Baltischer:  Programm  175—176;  Bericht  369—272. 
Historische  Kommissionen:  Kgl.  Sächsische  K.  fär  Geschichte  22  —23  a.  315; 
Historische  Landeskoromission  für  Steiermark  23 — 24;  H.  K,  fUr 
Sachsen-Anhalt  24—25;  Tbttringische  H.  K.  24—25;  H.  K.  fdr 
Hessen   und  Waldeck  25 — 26;    H.  K.    für   das   Grofiherzogtam 
Hessen  26  u.  314 — 315;  H.  K.  der  Stadt  Frankfurt  a.  M.  141 
bis  142;   Badische  H.  K.   179  —  180;   Kommission   zar  Herans- 
gabe  lothringischer  Geschichtsqaellen    316 — 317;   Kommission 
für  neuere  Geschichte  Österreichs  317;  Gesellschaft  für  fränkische 
Geschichte   317— 318;    Gesellschaft   fUr   rheinische    Geschichts- 
kunde 318 — 319. 
Familienbriefe  als  kultarge!  chichtliche  Quelle  (Arthnr  Köhler)    ....     180—182 
Qesamtverein   der   deutschen   Qeschichts-  und  Altertumsvereine:   Ver- 
sammlang 1907    in   Mannheim  85—91;  Versammlang  1908   in 
Lübeck  177  (Ankündigung)  und  272 — 273  (Programm). 
Konferenz   von   Vertretern    landesgeschichtlicher   Publikationsinstitute 

in  Dresden 51 —  56 

Museen:  Zeitschrift  Museufnskunde  (Armin  Tille)  26—30;  Vorgeschichtliche 
Sammlangen  in  Anhalt  (Wäschke)  116—118. 

Nekrolog:  für  Albert  von  Pfister  (Mehring) qi.  g^ 

Ortsgeschichte  (Armin  Tille) 205—222 

Personalien 91 —  94 

Preisausschreiben 247  -  248 

Versammlungen:  Zehnte  Versammlung  deutscher  Historiker  in  Dresden  47 
bis  51;  Achte  Konferenz  von  Vertretern  landesgeschicbtlicher 
Publikationsinstitute  51-56;  Tagung  des  Gesamtvereins  1907 
in  Mannheim  85— 91;  Baltischer  Historikertag  in  Riga  175  bis 
176  (Programm)  und  269-272  (Bericht);  Internationaler  Kon- 
greß für  historische  Wissenschaften  in  Berlin  (Programm)  176; 
Tagung  des  Gesamtvereins  1908  in  Lübeck  177  (Ankündigung) 
und  272 — 273  (Programm). 
Zeitschriften:  Museumskunde  (Armin  Tille)  26—30;  Generalregister  zu  den 
Studien  und  Mitteilungen  aus  dem  Benediktiner-  und  Zister- 
zienserorden  319. 


^    '-V  .     X  ^">_ 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 

cur 

Förderung  der  landesgeschiclitlichen  Forschung 

IX.  Band  Oktober  1907  i.  Heft 


Humanisten  als  flaturwissensehafter  und 

Arzneikundige 

Von 
Hermann  Schelenz  (Cassel) 

Dem  Dienste  der  Musen  lediglich,  den  Kamönen,  widmeten  sich 
im  Grunde  die  Humanisten.  Nach  harmonischer  Durchbildung  der 
die  Krone  der  Schöpfung  über  das  Tier  erhebenden  Anlagen  des  Ge- 
müts, des  Verstandes  strebten  sie.  Wie  man  in  Hellas  und  Rom  diese 
Anlagen,  die  Einbildungskraft,  die  sie,  noch  mehr  der  Musagetes 
Apollo  dem  Sterblichen  in  die  Brust  legten,  dadurch  hob  und  läuterte, 
daß  man  die  Werke  besonders  begnadeter  alter  Sänger  und  Sager 
sich  zu  eigen  machte,  so  verlangte  die  Renaissance  Studia  humaniora, 
In  denen  die  mittelalterlichen  Schulen  ihren  Gipfelpunkt  fanden,  lite- 
rarische Studien,  ein  Sich- Versenken  wiederum  in  die  Meisterwerke  der 
Klassiker,  dazu  Kenntnis  der  für  ihr  Studium  im  Urtext  nötigen,  in 
erster  Reihe  der  griechischen  Sprache,  und  als  Poetcte^  Graed,  Oratores, 
Latinisten  usf.  sonderten  sich  diese  Brüder  in  Apoll  untereinander, 
und  nicht  ohne  Selbstüberschätzung  erhoben  sie  sich  als  Ritter  des 
Geistes,  weil  sie  der  ewig  jungen,  nie  veraltenden  Phantasie,  angeborener 
Einbildungskraft  die  Zügel  schießen  lassen  konnten,  weil  sie,  von 
Ihrem  Schutzgott  mit  den  nötigen  Gaben  belehnt,  verkünden  konnten, 
was  geschehen  war  und  was  geschehen  sollte,  weil  sie,  insofern  sxtlibercdes 
•artes  oder  dodrinae  trieben,  wie  es  Freigeborene  von  vornherein  sind, 
iiberales,  edeldenkend  und  anständig,  oder  um  ein  modernes,  nicht 
zu  verdeutschendes  Wort  zu  brauchen,  Gentlemen  waren,  über  die 
anderen.  Auch  dienten  sie  den  Wissenschaften  oder  Künsten  [von 
Können],  sie  ähnelten  aber  in  ihrem  Tun  dem  alten  Banausos  oder 
dem  Caupo  einigermaßen,  insofern  sie  auf  Tatsachen  sich  stützten,  die 
«ie  ihrer  Sinneswahrnehmung  verdankten,  auf  Beobachtungen  und  Ver- 
suche,  zu   denen   sie   die  Fertigkeit  ihrer  Hände  nötig  hatten,   und 

1 


—     2     — 

insofern,  als  sie  nicht  zur  Selbsterbauung,  wie  in  der  weltentrücktea 
oxokf)  oder  für  die  Ehre  oder  ein  Ehrengeschenk,  ein  Opfer,  sondera 
geradezu  für  Lohn  ihre  Kunstfertigkeit  in  den  Dienst  des  Nächsten 
stellten. 

Die  Musensöhne  oder  Brüder  in  Apollo  dachten  trotz  ihrer  klas- 
sischen Studien  nicht  daran,  daß  der  Musagetes  im  Hauptamt  ein 
^ioti^Q  und  nai(ifj)(!)Vj  ein  Medicus,  ein  Seuchenvertreiber  und  Allheiler 
ist,  daß  seine  Söhne  in  seinem  Dienste  den  Sterblichen  vor  Krank- 
heit bewahren,  den  Kranken  heilen  sollen  und  daß  folgerichtig  alle  die, 
die  in  solchem  Dienste  die  Welt  und,  was  in  ihr  ist,  an  der  Spitze 
den  Menschen  selbst,  das  Gefäß  des  göttlichen  Odems,  des  Geistes, 
in  allen  seinen  Äußerungen  beobachten  und  studieren,  in  Wahrheit  ihre 
Brüder  sind  und  als  solche  eine  Zurücksetzung  nicht  eben  verdienen. 

Von  den  ältesten  Zeiten  bis  zu  den  Klassikern  geht  das  Studium 
der  Geisteswissenschaften  mit  dem  der  empirischen  Hand  in  Hand, 
die  Geistesgrößen  widmen  sich  den  Naturwissenschaften,  die  Gottes- 
gelehrten, die  Priester,  die  Ärzte  der  Seelen,  sind  gleichzeitig  Arznei- 
und  Heilkundige.  Die  Pflege  des  Geistes  war  von  der  des  Körpers 
nicht  zu  trennen. 

Tatsächlich  trugen  solchen,  vielleicht  auch,  wie  ich  zugeben  will, 
praktischeren  Erwägungen  die  Unterrichtsanstalten  der  christlichen  Zeit, 
später  die  Kirche,  die  sie  in  ihre  Botmäßigkeit  brachte,  Rechnung.  Von 
den  Nestorianerschulen  berichtet  Asseman,  daß  sie  als  Artes^ 
liberales  omnes  doceri  consuevisse,  Grammuiicam,  Rheioricam,  Poeticam,. 
Dialedicam,  Arithmeticam^  Geomeiricam,  Musicani,  Astrofwmiam,  Medici^ 
nam,  Cassiodor  verlangt  von  der  Klostergeistlichkeit,  daß  sie  in  Er- 
mangelung griechischer  Kenntnisse,  statt  des  Hippokrates,  Diosko- 
rides  und  Galen,  das  aus  diesen  Klassikern  zusammengeschriebene 
Buch  eines  Anonymus  (vielleicht  den  Escolapius),  ferner  den  Caelius^ 
Aurelianus  et  diverses  alios  medendi  arte  compositos  lihros  benutzen 
sollten.  Für  seinen  Orden  bestimmt  Benedikt  die  Scientia  curationupn 
ad  temperamenium  et  salutem  corporum  inventa  als  notwendig.  Alku  in. 
erzählt,  daß  an  Karls  des  Großen  Gelehrtenschule  auch  arznei- 
bereitende  Arzte  teilnahmen.  In  den  geistlichen  Schulen  derselbei* 
Zeit  mußten  auf  Grund  eines  Kapitulare  von  805  auch  Physica  gelehrt 
werden ,  d.  h.  Naturwissenschaften ,  die  die  Grundlage  für  die  Heil- 
kunst und  -Wissenschaft  sind. 

Es  lag  an  der  Kirche  selbst,  daß  sie  mit  den  gedachten  Dis- 
ziplinen  in  Fehde  geriet,  daß  sie  die  auch  von  Christus  geübte  Kunst, 
die  sie  zuerst  im  Dienste  christlicher  Charitas  herbeigerufen  und  eifrige: 


—     3     — 

gepflegt  hatte  *),  als  unbequem  empfand  und  sie  von  „ihren  Rockschößen 
abzuschütteln"  trachtete.  Non  nisi  prius  mercedem  acceperit  —  schnö- 
den Gewinnes  halber  betrieb  der  Arzt  der  Seele  die  Heilkunst  so 
schamlos,  daß  die  Kirche  sie  notgedrungen  als  entwürdigend  verbieten 
mußte,  trotzdem  ihre  auri  sacra  fames  sie  erstrebenswert  erscheinen 
ließ,  weil  ihr  bekannt  war,  daß  „dcrf  Galenus  opes"  *). 

Weiteren  Zwiespalt  brachte  am  Ende  auch  die  Tatsache,  daß 
man  vergaß,  daß  der  Naturwissenschafter,  der  Physictis,  seine  Tätigkeit 
nicht  aus  wissenschaftlichem  und  menschlichem  Interesse  dem  Meister- 
stück der  Schöpfung  und  Gottes  Ebenbild  widmete,  sondern  daß  man 
nur  an  die  sündige  Kreatur  dachte,  die  ob  ihrer  Fehler  und  Schwächen 
durch  Krankheit  und  Leid  bestraft  wird,  an  die  widerwärtigen  Schwären 
des,,  Bruders  Esel**,  des  unwürdigen  Gefäßes  des  göttlichen  Geistes,  das 
ihn  durch  seine  Schwäche  niederhält  und  knebelt,  durch  seine  fleisch- 
lichen Begierden  von  tugendsamem  Wandel  ablenkt  und  das  ob  sol- 
chen lästerUchen  Treibens  durch  Kasteiung,  Geißelung  niedergekämpft, 
unschädlich  gemacht  werden  muß.  Beschäftigung  mit  ihm  degradierte 
den  Chirurgen  und  gar  erst  den  Bader  den  eigentlichen  Ärzten 
gegenüber  geradzu  zum  unwürdigen  Handwerker,  zum  „Okulisten**, 
Bruch-  und  Steinschneider,  zum  Zahnbrecher  und  Camifex,  und  unter  dem 
berechtigten  Vorurteile  gegen  sie  und  die  marktschreierischen  Quack- 
salber litten,  wie  im  alten  Rom  so  im  Zeitalter  der  Renaissance  und 
der  späteren  Humanisten,  unzweifelhaft  die  Ärzte  —  und  diesem  Vor- 
urteile dürfte  zu  danken  sein,  daß  von  Humanisten  aus  ihrem  Stande, 
von  Humanisten,  die  „im  Hauptberufe**  Heil-  oder  Arzneikundige, 
d.  h.  Männer  waren,  die  sich  den  Naturwissenschaften  gewidmet  hatten 
und,  nicht  selten  des  Kampfes  ums  Dasein  halber,  sie  nach  der  Seite 
der  Medizin  hin  zum  Beruf  machten,  lange  kaum  die  Rede  war  •).    Sie 


i)  In  meiner  Geschichte  der  P^mume  (Berlin  1904)  versachte  ich  die  Verhält- 
nisse näher  darzustellen. 

2)  Petrarca,  der  selbst  Jurist,  von  der  Höhe  seiner  von  der  Kritik  wenig  ge- 
läuterten philosophischen  Anschauung  auf  die  Rechte  mit  derselben  Verachtung  herab- 
schaut  wie  auf  die  Medizin,  die  damals  einzigen  Brotstudien,  sagt:  Die  Dichter  strahlen 
im  Ruhme,  in  ihrem  Namen  und  in  der  Unsterblichkeit,  die  sie  nicht  nur  sich  selbst, 
sondern  auch  anderen  erwerben ;  denn  ihnen  ist  es  vor  anderen  gegeben,  der  Vergessen- 
heit der  Namen  vorzubeugen  {InvecHvarum  contra  tnedicum  gueindam  Ubri  IV), 
Sein  Schelten  über  den  Ärztestand  verliert  —  so  nützlich  es  unzweifelhaft  flir  ihn  und 
die  Menschheit  war  —  an  Wert,  wenn  man  daran  denkt,  dafi  Petraca  sich  jedenfalls  auf 
nur  sehr  geringfügiges  Bcobachtungsmaterial  stützte,  daß  er  im  Übrigen,  gleich  seinem  alten 
Vorgänger  C  a  t  o  ein  Gegner  der  Arzneibehandlung,  wie  jener  für  Kohl,  selbst  für  rohes  Obst 
und  Wasser  schwärmte,  fanatbch  wie  alle  solche  Arzte  am  eigenen  Körper,  dafür  eintrat 


—     4     — 

selber  zogen  den  Schmuck  der  Lorbeeren  vor,  und  die  Welt  und  die 
Humaniores  insonderheit  suchten  selbst  den  Makel  des  alten  Berufe 
zu  vergessen  und  ihn  vergessen  zu  machen  —  Erscheinungen,  wie 
sie  mutatis  mtUandis  auch  jetzt  noch  vorkommen. 

Es  ist  nicht  zu  verkennen,  daß  der  Wert  des  Menschen  nur  nach 
dem  größeren  Maßstabe  des  der  ganzen  Menschheit  geleisteten  Nutzens 
anzuschlagen  ist.  Deshalb  kommt  es  bei  Dante  kaum  in  Betracht, 
daß  er  tatsächlich ,  wie  aus  der  von  G  i  a  c  o  s  a  >)  veröffentlichten  Ma- 
trikel klar  erwiesen  wird,  dem  „Tribo  dei  medici  e  degli  speziali" 
angehörte  und  unzweifelhaft  als  Arzt-Apotheker  zeitweise  tätig  war,  es 
ist  ebenso  gleichgültig,  daß  die  fürstlichen  Förderer  der  Humanisten- 
bestrebungen die  Florentiner  Medici  mit  ihren  als  Pillen  gedeuteten 
Falle  im  Wappen  vermutlich  Ärzte,  Arzneikundige  und  Arzneihändler 
waren,  ehe  sie  ihre  auf  deren  Boden  erworbenen  Opes  der  Förderung 
der  Humaniora  im  engeren  Sinne  widmeten. 

Zieht  man  deren  Grenzen  aber  weiter,  denkt  man  auch  nur  an 
das  vorgehend  Gesagte ,  so  sind  die  Naturwissenschaften  •)  von  den 
Humaniora  kaum  zu  trennen.  Ihnen  völlig  gleich  auch  zeigten  sie 
^ich  in  ihrem  Ergehen,  in  ihrer  Eigenart,  in  ihren  Lebenserscheinungen, 
ganz  wie  jene  litten  sie  unter  den  Krankheiten  der  Zeit,  saft-  und 
kraftlos  führten  sie  ihr  Dasein  unter  dem  Joch  dogmatisch-scholastischer 
Knechtschaft.  Die  Kirche,  die  da  glaubt,  die  Wahrheit  abgeschlossea 
zu  besitzen,  hinderte  als  gebietende  und  verbietende  Bevollmächtigte 
Gottes')  die  freie  Forschung  nach  ihr,  das  Anathema  sü,  mit  dem 
unwissende  Kleriker  Entdeckungen  ernster  Forscher  als  Hirngespinste 
verdammenswerter  Ketzer  abtaten,  und  die  Qualen,  denen  sie  die 
Entdecker  überlieferten,  zwangen  sie  darnieder  und  was  von  Wissen- 
schaften noch  da  war,  wurde  von  zum  Teil  betrogenen  Betrügern,  um 

und  seia  Schelten  erst  erhob,  mls  ein  päpstUcher  Leibartt  Qean  d'Alais  oder  Guy 
Chaaliftic?)  ihm  riet,  er  möchte  doch  „bei  seinem  Lügenhandwerk  bleiben ^^  Es  handelt 
sich  hier  also  offenbar  am  einen  ganz  persönlichen  Streit,  während  Cato  und  später 
Plinius  tatsfichlich  mit  ihren  Anklagen,  von  Vaterlandsliebe  getrieben,  die  „wierdigen** 
GriechenSrste  treffen  woUte,  und  Rabelais  in  erster  Reihe  wohl  an  priesterliche  Arxnei* 
kundige  dachte. 

i)  Magistri  Salemitani  nondam  editL 

3)  Die  frühere  Astronomie  gehörte  im  Grande  nicht,  wie  das  jetzt  berechtigt 
erscheint,  za  ihnen.  Sie  galt  der  Weissagung,  deren  Schützer  ja  ApoUo  anch  war,  es 
handelte  sich  bei  ihr  tatsächUch  nor  am  Astrologie,  die  noch  lange,  übrigens  auch 
in  der  Arznei-  and  Heilkunde,  ihr  Unwesen  trieb. 

3)  Hermann  Lotze,  Mikrokosmus, Ideen  zur  OßschidUe  und  Natwrgeathü^te 
der  MensM^t, 


—     6     — 

ihr  Nichtwissen  zu  verstecken,  durch  öde  Phantastereien  verdeckt  und 
unkenntlich  gemacht 

Daß  die  Renaissance  auch  auf  die  Naturwissenschaften  ihren  Ein- 
fluß ausübte,  ist  völlig  selbstverständlich.  Wie  die  Flamme  die  um- 
gebenden Luftschichten  himmelwärts  mit  sich  reißt,  wie  der  Sturm 
alles  mit  sich  fortfuhrt,  was  sich  ihm  in  den  Weg  stellt,  so  zog  die 
Bewegung  des  Geistes  auch  die  Naturwissenschaften  in  sich  hinein, 
und  den  Vorboten  der  Reformation  auf  religiösem  Gebiet  sind  ähnliche 
auf  dem  der  Naturwissenschaften  an  die  Seite  zu  stellen,  und  mit  dem 
größten  Humanisten,  der  die  schlimmste  Zwingherrschaft  brach,  die 
die  Bewegung  des  Geistes  lähmte,  mit  dem  großen  kirchlichen  Re- 
formator trat  schließlich  ein  solcher  auf  dem  Gebiete  der  Naturwissen- 
schaften, der  Physica  auf. 

Es  ist  etwas  Mißliches  um  die  landläufigen  Behauptungen,  daß 
eine  Wissenschaft,  eine  Kunst  zu  einer  gewissen  Zeit  beginnt,  als  von 
einem  bestimmten  Forscher  geschafTen  zeitlich  zu  bestimmen  ist.  Die 
Geschichte  lehrt  immer  und  immer  wieder,  beschämend  oder  tröstend, 
daß  „alles  schon  dagewesen  ist",  daß  tatsächlich  der  Mensch  nur 
wiederfindet  oder  verbessert,  was,  wenn  auch  nur  in  rohen  Anfangen, 
die  Vorzeit  wußte  oder  ahnungsvoll  aussprach.  Für  die  Naturwissen- 
schaften ist  es  ebenso  unrichtig,  zu  behaupten,  daß  sie  im  Grunde  erst 
mit  dem  XVII.  Jahrhundert  beginnen.  Nehmen  wir  zu  ihren  hervor- 
stechendsten Eigenarten  die  „induktive,  durch  Experiment  und  Be- 
obachtung arbeitende  Forschungsmethode",  so  ist  nicht  zu  verkennen^ 
daß  der  berühmte  Dodor  mirabüis,  der  umfassend  gebildete,  frei- 
mutig  eifernde  Franziskaner  und  Naturforscher  Roger  Bacon  (ge- 
storben 1294)  experimentierte  und  seine  Schlüsse  auf  Grund  des  Er- 
gebnisses vieler  Versuche  zog,  daß  Arnaldus  von  Villanova,  in 
seiner  Vorbildung  dem  Genannten  gleich,  an  den  Säulen  überkommener 
Wissenschaft  rüttelte,  daß  Biringucci  und  Lionardo  da  Vinci, 
vermutlich  ohne  Kenntnis  von  Bacos  Streben,  zwei  Jahrhunderte  später 
schon  zielbewußter  in  gleicher  Art  gearbeitet  haben  *)  —  und  daß  die 
Genannten  doch  wohl  bewußt  oder  unbewußt  auf  den  Schultern  des 
Dominikaners,  nichtsdestoweniger  vermutiich  nach  damaligen  BegrifTen 
freidenkenden  Naturforschers  Albertus  Magnus  von  BoUstädt 
standen,  von  dem  Trithemius  erklärt,  daß  er  Mcynus  erat  in  Magia 
ncUurali  (d.  h.  in  Naturwissenschaften),  major  in  phüosopkia,  maximus 
in  theologia  —  alles  aber  jedenfalls  nur,  soweit  ihm  dies  das  Studium  des 


i)  Gnareschi,  Storia  deOa  cAtmica  lU. 


Aristoteles  g'estattetc,  des  großen  Naturforschers,  dessen  Lehre  ihm 
vermutlich  allerdings  nur  unter  einem  Wust  arabisch-jüdischer  Zutaten 
bekannt  war. 

Sollte  nicht  die  Eigenart  der  Naturforschung,  sollte  nicht  etwa  die  Er- 
fahrung dieser  „empirischen"  Wissenschaft,  daß  die  Überlieferungen 
der  damaligen  für  unfehlbar  gehaltenen  Geistesprodukte  klassischen 
Ursprungs,  daß  Dioskorides,  Hippokrates  und  Galenos  und 
Escolapius,  die  Griechengelehrsamkeit  überliefern  sollten,  die  die 
Wissenschaft  von  der  Natur  lehren  sollten,  tatsächlich  häufig  genug 
Irrlehren  verbreiteten,  sollte  die  Kritik  der  Naturwissenschafter  nicht 
bestimmend  und  beeinflussend  auf  die  Arbeitsart  der  häufig  genug  in 
einer  Person  vereinigten  Geisteswissenschafter  gewirkt  und  sie  dazu 
gebracht  haben,  anstatt  sich  mit  philosophischen  Spitzfindigkeiten  und 
von  der  Kirche  her  eingedrungenen  dialektischen  Wortklaubereien  *) 
lieber  mit  nüchternem  Sehen  und  Sichten  zu  beschäftigen,  sollten 
nicht  die  ersteren  zuerst  nach  den  klassischen  Quellen  zurückverlangt 
haben,  sollte  nicht  vielleicht  der  Medicus  und  Spcciarittö  dem  Li- 
teraten Dante  den  Wunsch  ans  Herz  gelegt  haben,  zurückzugehen 
an  die  Quellen  reiner,  keuscher  Wissenschaft,  sollte  nicht  tatsächlich 
die  Naturforschung  den  Anstoß  zum  Humanismus  gegeben  haben?! 
Felix,  qui  detergety  möchte  ich  mit  Boerhave  ausrufen,  dem  Gottes- 
gelahrten, den  die  Liebe  zur  Natur  den  Naturwissenschaften  in  die 
Arme  trieb.  Eine  bündige  Antwort  auf  die  von  mir  hier  angeregte 
Frage  wird  vielleicht  eine  spätere  Zeit  geben.  Ich  muß  mich  auf 
einige  Fingerzeige  und  darauf  beschränken,  einige  Männer  aufzuzählen, 
die  die  mindestens  auffällige  Tatsache  belegen,  daß  die  von  vornherein 
so  widersprechend  anmutenden  Wissenschaften ,  deren  Zusammen- 
gehörigkeit doch  wieder  die  hellenische  Sagenwelt  anmutig,  die  Ge- 
schichte der  Kirche  praktisch  erklärt,  in  einer  mens  ihre  Pflege  fanden, 
und  daß  diese  eine  Mens  in  eineyn  Corpus  ihre  Hülle,  ihren  Träger 
fand. 

,, Rühmlich  war  das  Beispiel,  das  die  Italiener  anderen  Nationen 
in  den  klassischen  Studien  gaben,  aber  glänzend  und  herrlich  das 
Muster,  das  die  Deutschen  allen  Völkern,  die  so  lange  unter  dem  Joch 
der  Priesterherrschaft  geseufzt  hatten,  darin  gaben,  daß  sie  die  Ver- 
nunft wieder  in  ihre  Rechte  setzten",  sagt  Kurt  Sprengel  in  seinem 
Versuch  einer  pragmatischen  Geschichte  der  Äreneikunde  (Halle  1792  flf.). 
Dem   großen  Reformator   gleich,   mußten,    offen   oder  versteckt,    die 


i)  Hrabanus  Mau  ras  erklärt  die  Dialccüca  als  Disciplina  disciplinarum. 


—     7     — 

Humanisten  „Protestanten"  sein,  sie  konnten  sich  der  Bibel,  richtiger 
den  Dogmen  der  Kirche,  die  einen  Christenglauben  predigte,  der  unter 
dem  Beiwerk,  das  die  Jahrhunderte  auf  Grund  politischer,  sozialer  und 
praktischer  Erwägungen,  kaum  mehr  zu  erkennen  war,  nicht  beugen: 
eine  Menge  Stellen  im  „Gotteswort",  in  Wahrheit  der  Überlieferung 
der  Anschauung  einer  früheren  vorbiblischen  Zeit,  sprachen  der  ein- 
fachsten Naturbeobachtung  Hohn. 

Luther  verfügte  neben  seiner  vermutlich  ziemlich  einseitig  juri- 
stisch-theologischen wohl  kaum  über  eine  nennenswerte  naturwissen- 
schaftliche Vorbildung.  Was  er  von  der  alle  Welt  bewegenden  Wissen- 
schaft der  Metallveredelung  durch  die  Kunst  der  Alchemie  wußte, 
interessierte  ihn  vom  materiellen  und  ideellen  Standpunkt  aus.  Er 
wiederholt  im  Grunde  nur,  was  die  Anhänger  der  völlig  mit  Unrecht 
^, philosophisch"  genannten  Kunst  faselten.  Den  Theologen  in  ihm  be- 
stach ,,das  schöne  Gleichnis,  das  Alchemie  mit  der  Auferstehung  der  Toten 
am  jüngsten  Tage  hat",  den  Gelehrten  „der  alten  Weisen  Philoso- 
phey",  den  praktischen  Mann  „ihre  Tugend  und  Nutzbarkeit,  die  sie 
hat  mit  Destillieren  und  Sublimieren  in  den  Metallen,  Kräutern,  Wassern 
und  Olitäten".  Um  seine  Ansichten  möglichst  anschaulich  zu  gestal- 
ten und  vorzutragen,  verwendet  er  die  gedachten  Vergleiche.  Wie 
^r  selbst  sich  von  dem  Bann  des  Aberglaubens,  der  Annahme  über- 
natürlicher, in  des  Menschen  Leben  eingreifender  Mächte  nicht  frei- 
machen konnte,  beweist  das  bekannte  Abenteuer  auf  der  Wartburg. 
Daß  Luther  ebenso  wie  Melanchthon  sich  gegen  des  Coppcr- 
nicus  Lehre  ablehnend  verhielten  und  ihrer  Verbreitung  entgegen- 
arbeiteten ,  liegt  daran ,  daß  sie  sie  für  gemeingefährlich  hielten  und 
praktische  Erwägung  über  humanistische  setzten  *). 

Einen  ganz  anderen  Bildungsgang  als  Luther  hatte  Melanchthon. 
Der  „Praeceptor  Germaniae",  der  „Humanist  unter  den  Reformatoren" 
hatte  neben  tiefgründigster  humanistischer  Vorbildung  und  angeborener 
Fülle  geistiger  Regsamkeit,  naturwissenschaftlich-medizinische  Studien 
gemacht,  die  keineswegs  an  der  Oberfläche  geblieben  sein  können. 
Die  Alchemie  tut  er  anders  als  der  Erfurter  Mönch  klaren  Blicks  als 
Impostura  sophisfica  ab.  In  seinem  Werk  De  anima  sagt  er:  Non 
solis  tnedicis  sed  omnilms  hominibus  utilem  esse  mediocrem  cognitionem 
paiiium  corporis,  manifesHssimum  est.    Daß  er  selbst  in  Erfurt  über 

i)  „Dabei  maßten  sie  erleben,  daß  Rheticas,  der  in  WiUenberg  die  hergebrach- 
ten kosmischen  Anschauungen  in  den  Herzen  der  Jagend  festigen  sollte,  za  dem  ver- 
femten Manne,  zu  Koppemikus  ging"  (Lcop.  Prowe  II,  388).  Vergleiche  übrigens  des 
Matianas  Anschaaangen. 


—     8     — 

Ulkender  s  Alexipharmaea  gelesen,  bezeugt,  daß  er  Omen  unzweifel* 
haft  gerecht  geworden  ist,  und  seine  Consüiorum  et  episMarwm  wiedi- 
einalium  libri  VII  stellt  Pagel  unter  die  „besten  (arznetwissenscfaaft- 
liehen)  Literaturprodukte  damaliger  2^it''. 

In Melanchtbons Schwiegersohn,  dem  ungemein  vielseitigen  Peucer, 
dem  ersten  Anhänger  des  Hohenheim  in  Wittenberg,  einem  vor- 
trefflichen Arzt  und  Naturforscher  und  ebenso  grofien  Humanisten, 
sehen  wir  gleicher  Zeit  ob  seiner  freisinnigen  Anschauungen  ein  Opfer 
geistlicher  Unduldsamkeit,  der  Bosheit  und  Roheit  starrer  Anders- 
gläubiger. 

Einer  abgeschlossenen,  wirklich  humanistischen  Ausbildung  er* 
mangelte  vermutlich  Theophrastus  von  Hohenheim,  Para- 
celsus.  „Von  der  Parteien  Gunst  und  Haß  verwirrt,  schwankte  sein 
Charakterbild  in  der  Geschichte",  bis  Karl  Sudhoff  als  Mediziner, 
neuerdings  Franz  Strunz  als  Philosoph  das  Dunkel  um  diesen  Re- 
formator auf  dem  Gebiete  der  Naturwissenschaften  und  Medizin  nahezu 
völlig  aufhellten.  Zehn  Jahre  nach  Luther  geboren,  lebte  er  auf  einem 
Boden,  der  durch  dessen  Arbeit  gelockert  und  auch  für  seine  Arbeit 
vorbereitet  war.  Seine  Studien  zeigten  ihm  die  Unzulänglichkeit  der 
Lehren  der  Araber,  der  von  ihnen  und  ihrer  Gefolgschaft  verball- 
hornten Klassiker.  Er  brach  mit  ihnen  auch  symbolisch,  indem  er  vor 
seinen  Schülern  ihre  Schriften,  wie  vor  ihm  Luther  mit  den  religiösen 
getan ,  dem  Scheiterhaufen  *)  überlieferte.  Wenn  auch  durch  seine 
Widersacher  gereizt  und  nicht  ganz  frei  von  persönlichen  Beweg- 
gründen, wendet  der  vorurteilslose  Denker  sich  auf  Grund  seiner  eigenen 
Erfahrungen  gegen  die  eingewurzelten  Schwächen  nicht  nur  der  ganzen 
Disciplma,  sondern  auch  gegen  die  ihrer  Jünger:  ,^Das  Spekulieren 
tnctcht  keinen  Arzt  sondern  die  Kunst,  die  ist  keine  Speculatio  sondern 
ein  Experiment  durch  die  Hände  erfunden,  und  ncickträglich  gehört 
contemplation  daeu.  Acht  auf  die  Natur,  wie  man  sie  brauchen  soU, 
alsdann  kommt  die  Erfahrenheit  derselben  Kunst,  die  ist  Meister,  denn 
eines  Arztes  Theorica  ist  die  Erfahrenheit,''  So  nun  der  Arzt  aus  der 
Naiur  wachsen  soll,  was  ist  die  Natur  anders  als  Philosqphei?!  Er 
schilt  die  prahlerische  Tracht  seiner  Kollegen:  „Ist  sie  Physica?  Ist 
sie  das  Juramentum  Hippokratis?  Ist  dos  die  Kunst?''  Nichts  als 
Trugerei  ist  in  den  Apothekerbüchsen,  merda  pro  Moscho,  —  Holzem 
une  die  Büchsen  sind  Dodoren  und  Apotheker." 

l)  Ebenfalls  nach  Luthers  Beispiel  offenbar,  legte  ein  späterer  henrorragender  Arznei- 
kundiger  Franz  Joel  I  (in  Rostock  and  Greifswald)  sein  naturwissenschaftlich-medizini* 
sches  Glaubensbekenntnis  in  Thesenform  dar. 


—     9     — 

Der  christliche  Humanist,  der  wahre  Protestant,  rügt  auch  die 
Verfehlungen  der  Ärzte  der  Seelen  im  Gebiete  der  Medizin:  ihre 
Klöster  gleichen  Hurenhäusem,  die  geistlichen  Krankenpfleger  lägen 
selbst  in  weichen  Betten,  die  Kranken  ließen  sie  in  Ställen  schmachten. 
Sie  sollten  ihre  feinen  Hemden  mit  den  schmutzigen  der  Kranken 
tauschen. 

Dem  freimütigen  Eiferer  mußte  trotz  rückhaltloser  Anerkennung 
des  Reformators  der  hohle  Zwang,  den  Luthers  Nachbeter,  lutherischer 
als  der  Reformator  selbst,  an  seinen  Worten  hangend  und  ihren  tiefen 
Gehalt  nicht  begreifend,  verlangten,  „inhuman"  erscheinen.  Strunz 
dürfte  das  Richtige  getroffen  haben,  wenn  er  der  „eigenen  "Religion 
des  treudeutschen  Mannes,  dem  der  Ehrentiteleines  Humanisten  auch  ge- 
zollt werden  muß,  weil  er  Luthern  gleich  (übrigens  zeitlich  nach  dem 
Rostocker  Humanisten  Tileman  Heverlingh,  der  1 501  den  Juvenal 
deutsch  erklärte)  seine  Vorträge  in  deutcher  Sprache  hielt,  etwa 
folgende  Worte  leiht*):  „Die  Verwirklichung  des  Reiches  Gottes  lag 
seiner  Bruderschaftsgesinnung  zugrunde.  Mit  der  Glut  eines  künst- 
lerisch veranlagten  Mannes  reflektierte  er  solche  Gedanken  und  hielt 
sie  lebendig ;  mit  frommer  nachempfindender  Reizbarkeit,  die  sittlichen 
Bewegungen  eines  abgeklärten  Geistes  entspringt,  wußte  er  sich  im 
Verkehr  mit  seinem  Gott  geborgen.  Starres  juristisches  Kirchentum 
und  zersetzenden  Konfessionalismus  hatte  er  frühzeitig  schon  weit  von 
sich  geworfen.  Und  so  stellte  er  sich  nicht  nur  gegen  ein  römisches 
Bekenntnis,  sondern  auch  gegen  die  Grunddogmen  des  Protestan- 
tismus." 

Im  hessischen  Simtshausen  ward  i486  Heinrich  Urban  ge- 
boren. Mit  Eobanus  Hessus  erfuhr  er  ofTenbar  eine  vortreffliche 
Vorbildung  im  benachbarten  Frankenberg.  Er  bezog  die  Universität 
Erfurt  *),  um  seinen  hervorragenden  literarisch-poetischen  Fähigkeiten, 
die  er  schon  des  öfteren  betätigt  hatte,  die  übliche  Vertiefung  zu 
geben.  Seine  Spottverse  auf  die  damaligen  Tagesgrößen  machten 
Euricius  Cordus  [Euricius  durch  Vorsetzen  von  Eu  vor  den  lati- 
nisierten Kosenamen  Rike;  Cordus  weU  er  der  spät  — ,  nach  acht 
Brüdern  und  fünf  Schwestern  geboren  war,  nach  humanistischen  Ge- 
pflogenheiten umgetauft]  bekannt  und  schufen  ihm  Feinde,  aber  auch 


i)  Theophrastas  Paracelsui,  Sein  Leben  und  seine  Persönlichkeit» 
2)  Cordas  wurde  neben  Hessus,  Jnstus  Jonas  u.  a.  Genosse  des  „Bundes** 
des  Philosophen,   dessen  Humanismus   durch  seine  Anschauung,   dafi  Freisinn  nicht   fürs 
Volk  gehöre,  sondern  dafi  dieses   blind  dem  Glauben  und  dem  Gesetz  gehorchen  mfisse^ 
ein  etwas  sonderbares  Geprfige  bekommt. 


—     10     — 

Freunde,  unter  ihnen  seinen  Landsmann  Mut  ianus  *)  dann  Joach.  Ca- 
merarius,  später  Erasmus,  Melanchthon  und  insonderheit  den 
geistesverwandten  Luther,  dem  er  bis  an  sein  Lebensende  rückhalt- 
lose Treue  bewahrte.  In  wahrer  humanistischer  Begeisterung  schwang 
er  die  Geißel  seines  Spottes  in  dem  Gewände  formvollendeter  Verse 
gegen  alles,  was  der  Wahrheit,  dem  Licht  der  Wissenschaft  entgegen- 
stand oder  sich  entgegenstemmte,  gegen  unwissende  Priester,  die  das 
Walten  der  Vernunft  durch  die  Forderung  blinden  Glaubens  darnieder- 
hielten  und  zum  Besten  ihres  Säckels  die  Gläubigen  aussogen,  nicht 
eben  „human**  gegen  die  Juden,  und  er  pries  die  Segnungen  der  Bil- 
dung. Das  Dahinschwinden  des  elterlichen  Erbteils  zwang  ihn,  als 
Brotstudium  das  der  Medizin  zu  ergreifen.  In  Ferrara  saß  er  —  wie 
vor  ihm  auch  der  große  Humanist  Rud.  Agricola  der  Altere  — 
zu  den  Füßen  von  Leon icenus,  der,  der  erste  oder  jedenfalls  einer 
der  ersten,  der  das  klassische  Altertum  auf  dem  Gebiete  der  Medizin 
aufleben  lassen  wollte,  an  Stelle  der  Araberwissenschaft  wieder  den 
großen  Koer  Hippokrates  setzte  und  in  De  erroribus  Plinii  aHo- 
rumque  1492  kritisch  und  reformierend  gegen  überkommene  Dogmen 
auftrat*).  1521  kehrte  er  zu  Weib  und  Kindern  heim.  Erfurt,  jetzt 
von  streitenden  Pfaffen  erfüllt,  stieß  ihn  ab.  Er  vertauschte  es  mit 
Braunschweig,  dieses  als  Professor  der  Medizin  mit  Marburg,  wo  er 
sich  in  der  Hauptsache  mit  der  Scientia  amabilis  abgab.  Die  Heraus- 
gabe eines  botanischen  Werks  unterblieb  infolge  der  kostbaren,  gleich- 
zeitig erscheinenden  Arbeit  von  Otto  Brunfels'),  aber  den  Dios- 
Jcorides,  in  Wahrheit  die  Bibel  der  Arzneikundigen,  in  der  sie  alles 
vorhanden  wähnten,  was  das  Universum  an  Pflanzen  und  Tieren  (die 
vorerst  nur  als  Heilstoffe  interessierten)  hervorbrachte,  bearbeitete  er 
kritisch  und  offenbarte  in  seinem  Botanohgicon  seine  Zweifel  an  der 
Universalität  des  Anazarbäers.  In  formvollendeten  Versen  läßt  er  darin 
seinen  Schwager,  den  Apotheker  Ralla  in  Leipzig,  Antonius  Niger 
(Melas),  Lehrer  des  Griechischen  in  Breslau,  dann  Professor  Physicae 
et  Mathematicae  in  Marburg,  Guilelmus  Bigotius  und  Joh.  Mego- 
bachus-Meckbach   (Arzt,  Schwiegervater  von  Andr.  Osiander) 

i)  Flore  poesis  non  caruit.  Vgl.  G.  Bauch,  Die  Universität  Erfurt  im  ZeiU 
alter  des  Drühhumanismus  (Breslau  1904). 

2)  Kurt  Sprengel  urteilt:  Seit  einem  Jahrtausend  hatte  die  Geschichte  der 
Medizin  kein  Werk  aufzuweisen,  welches  diesem  Werk  an  die  Seite  zu  setzen  ist. 

3)  Er,  anfänglich  Karläusermönch,  dann  Arzt  in  Bern,  ferner  Hieronymus  Bock- 
Tragus,  Leonhardt  Fuchs,  Philologen  oder  Theologen  und  Ärzte,  und  Konrad 
Geßner,  die  sog.  „Väter  der  Botanik",  dürfen  in  ihrem  Streben  und  Wirken  gleich- 
falls als  Humanisten  angesprochen  werJen. 


—    11    — 

die  schon  seine  Freundschaft  als  gleichstrebend  legitimiert,  die  Ge- 
danken ansprechen,  die  ihn  beseelen.  Auch  der  nachgerade  hand- 
werksmäßig betriebenen  Harnschau  seiner  Fachgenossen  geht  er  zu 
Leibe  und,  wie  den  Unfug  anderer  dunkler  Ehrenmänner,  so  zieht  er, 
der  Sachverständige,  mit  mehr  Recht  als  Petrarca,  in  der  Form 
vollendeter  als  der  nahezu  gleichzeitige  französische  humanistische 
Franziskaner  und  Arzt  Rabelais,  all  ihre  Schwächen  ans  Licht  des 
Tages.  Mit  Erasmus  entzweit  er  sich.  Sein  Empfinden  zwingt  ihn, 
treu,  ohne  Wanken  an  Luthers  Sache  festzuhalten. 

Auf  dem  Gebiete  der  Gesteinskunde  in  erster  Reihe  liegen  die 
unsterblichen  Verdienste  von  Georg  Bauer-Agricola,  dem  hervor- 
ragenden Schulmanne,  Arzte,  Philosophen,  Staatsmanne  und  Ge- 
schichtschreiber*). 1494  in  Glauchau  geboren,  suchte  er  seine  aka- 
demische, theologische,  philologische  und  philosophische  Ausbildung 
15 14  in  Leipzig,  wo  unter  anderen  Petrus  Mosellanus,  der  „Vater 
des  sächsischen  Humanismus",  ihn  in  die  „süße  Sprache"  der  Griechen 
einführte.  15 18  wurde  er  in  Zwickau  an  der  altberühmten  Stadtschule 
Baccalaureus  supremus  und  Meßpriester.  Kurze  Zeit  ging  er  als  Helfer 
von  Mosellanus  1522  nach  Leipzig,  von  wo  aus  er  in  dem  schon  ge- 
dachten Kreise  des  Mutianus,  Eobanus  Hessus  *),  Megobachus, 
Eur.  Cordus  und  Georg  Sturz,  den  freigebigen  Unterstützer  des 
Erfurter  Dichterbundes  und  hervorragenden  Arzt  und  Metallurgen 
kennen  lernte.  Letzterer  dürfte  ihn  dazu  bestimmt  haben,  Physica  ^), 
,, einen  Teil  der  damaligen  Philosophie,  in  Italien  zu  studieren, 
wohin  alles  drängte,  was  sich  humanistisch  und  naturwissenschaftüch 
betätigen  wollte  —  wie  wir  sahen  und  sehen  werden,  auch  alle,  deren 


1)  Ich  folge  zum  größten  Teile  der  vortrcflflichen  Lebensbeschreibung  von  Reinh. 
Hof  mann  (Gotha  1905). 

2)  Auch  dieser  Hesse,  der,  wie  Agricola  sagt,  wohl  der  „erste  Liederdichter 
Deutschlands*'  war,  wandte  sich,  um  sein  durch  eine  lebensfrohe  aber  schließlich  gerade- 
zu liederlich-leichtsinnige  Wirtschaft  fast  zum  Scheitern  gebrachtes  Lebenschiff  wieder  flott 
zu  machen,  der  Medizin  zu.  Dauerndes  leistete  er  auf  dem  naturwissenschaftlichen  Gebiet 
ebensowenig  wie  auf  dem  der  Poesie.  Seine  augenscheinlich  henorragenden  Gaben  ver- 
zettelte er  in  Gedichten,  die  durch  seine  überraschende  Beherrschung  der  lateinischen 
Sprache  verblüffen.  Sein  wankelmütiger  unsteter  Charakter  zeigt,  daß  auch  die  Humaniora 
solchem,  nach  jetzigen  Begriffen  „labilen**  Menschen,  nicht  Halt  geben  können.  Vgl. 
K.  Krause,  Leben  und  Werke,  Gotha. 

3)  Physicus  ist  im  XVIU.  Jahrh.  noch  ein  Naturkundiger,  das  Tentamen  physicttm 
der  heutigen  Mediziner  eines  in  Naturkunde.  Vergleiche  auch  oben.  Philosophie  deckte 
sich  im  Mittelalter  tatsächlich  mit  Alchemie.  Phüosophus  per  ignem  nannte  sich 
Anfang  des  XVIl.  Jahrh.  van  Helmont,  und  im  XVIII.  ist  ein  Phihsophus  einer,  der 
in  den  natürlichen  Dingen  erfahren  ist. 


—     12     — 

wir  hier  gedenken.  In  Bologna  und  Venedig  studierte  er  Medizin^ 
las  selbst  über  Galen  und  dehnte  seine  Studien  auf  Naturwissen- 
Schäften  im  allgemeinen,  vornehmlich  auf  Mineralogie  aus.  1527  lieff 
er  sich  als  Stadtphysikus  und  Apotheker  (an  des  eben  genannten 
Sturtz  Stelle)  aus  naturwissenschaftlichem  Interesse  in  JoachimsthaP)^ 
nieder,  wo  er  im  Bermannus  de  re  metaUica  die  erste  wissen- 
schaftliche Mineralogie  schafft.  Der  We^^ang  seines  Freun- 
des Petrus  Plateanus,  der  „als  Grammaticus  und  der  Medicin 
beflissen"  dort  als  Lehrer  angestellt  war  und  als  Professor  nach  Marburg 
ging,  mag  ihm  Joachimsthal  verleidet  haben.  Er  dürfte  1533  nach 
Chemnitz  gegangen  sein,  wo  er  nach  einem  äußerst  arbeits-  und  er- 
folgreichen Wirken  als  Arzt,  Gesichtsforscher,  Schriflsteller  besonders^ 
auf  mineralogischem  Gebiete  (hier  entstand  sein  klassisches  Werk 
De  re  metaUica  '),  auf  das  hin  Erasmus  Agricola  vorhersagt,  daf^ 
es  ihn  zu  einem  „Fürsten  der  Wissenschaft**  machen  würde),  als  Pä- 
dagog,  als  Verwaltungsbeamter  am  21.  November  1555  dahinschied. 
„  In  der  Sprache  war  er  dem  Columella  gleich ,  doch  war  er  noch 
beredter  als  dieser**,  rühmt  Herm.  Conring  von  ihm,  außer  Latein 
und  Griechisch  verstand  dieser  Humanist  im  wahrsten  Sinne  des  Worts,, 
nach  Döllinger  „nächst  Melanchthon  der  erste**.  Hebräisch,  er 
scheint  Arabisch  lesen  gekonnt  zu  haben,  und  er  war  des  Italienischen: 
mächtig.  Vorurteilsfrei  steht  er  der  Astr o  1  ogie,  der  „Magie**  gegenüber 
(die  Wünschelrute  erklärt  er  entschieden  richtig),  die  Betrachtung^ 
der  Natur  ist  ihm  „der  Seelen  anmutigste,  süßeste  Speise**,  die  Er- 
fahrung preist  er  als  beste  Wegweiserin  für  Lehrende  und  Lernende^ 
Für  die  Schäden  der  katholischen  Kirche  hatte  Agricola  volles^ 
Verständnis;  er  verdammt  das  Reliquienunwesen,  an  „den  päpstlichen 
Indulgentien  und  dem  Ablaßkram  hat  er  Abscheu  und  Mißfallen**,  der 
feindenkende  Humanist  sah  aber  wie  Erasmus^  Mosellanus,  Me- 
lanchthon, dessen  Schwiegersohn  P e u c e r  und  Hohenheim,  daff 
der  mächtige  Strom  der  Reformation  „ästhetische,  wissenschafUiche 
und  gesellschaftliche  Bestrebungen**  schädigte,  er  konnte  sein  Denkea 
und  Fühlen  nicht  dem  unterordnen,  was  Luthers  den  Buchstaben  über 
den  Geist  setzende  Nachfolger,  wahren  Reformationsideen  zuwider,  als^ 


i)  Hier  trifft  er  auch  mit  dem  Lehrer  and  späteren  protestanüschen  Pfarrer  Joh^ 
Mathesias,  dem  Schüler  and  Freand  Lathers,  xosammen,  der  sich  ebenfalls  am  den. 
Bergbau  durch  seine  „wunderlich  frische"  BergpostiUe  Sarepia  verdient  machte. 

2)  "Ea  wurde  von  dem  Baseler  Arzt  und  Philosophen  Philipp  Bechius- 
verdeutscht,  und  Georg  Fabricius,  sein  hingebender,  vortrefflicher  Freund,  leitete 
das  Werk  mit  einer  „Elegie"  ein. 


—     13     — 

Hauptsache  erzwingen  wollten ;  er  hielt  zähe,  wenigstens  äußerlich,  an 
dem  alten  Glauben  fest,  deutsch-treu  aber  blieb  er  auch  den  befreun- 
deten Geistesgenossen,  die  der  geistigen  Bewegung  auf  religiösem 
Gebiet  angeschlossen  waren,  einer  Bewegung,  die  ob  ihrer  Notwendig- 
keit unaufhaltsam  dahinschritt  und  neben  deren  Glanz  vermutlich 
Agricolas  und  seiner  Werke  Wert  verdunkelt  wurde. 

In  keiner  Art  die  Bedeutung  des  vorigen  hat  Jan us  Cornarius, 
Hainpoll  oder  Hagenbut,  und  doch  hat  er,  vielleicht  der  erste 
unter  den  sogenannten  philologischen  Medizinern,  wie  sie 
Pagel  in  seiner  Geschichte  der  Medizin  nennt,  oder  wie  wir  allgemeiner 
und  richtiger  sagen  können,  unter  den  nach  humanistischen  Grund- 
sätzen und  auf  Grund  der  so  genannten  Wissenschaften  den  Natur- 
wissenschaften dienenden  Gelehrten  für  ihren  Fortschritt  Erkleckliches 
geleistet.  In  Rostock,  wohin  er  gerufen  war,  um  der  gesunkenen 
Hochschule  mit  aufzuhelfen,  las  er  über  den  Hippokrates,  in  der  me- 
dizinischen und  gleicherzeit  in  der  „Artistenfakultät"  über  griechische 
Sprache.  Musterhaft  und  noch  hochgeehrt  sind  seine  Ausgaben  und 
Übersetzungen  der  alten  Klassiker,  des  Hippokrates,  Galen,  Ori- 
basius  u.  a. 

Ihm  gleicht  Joh.  Winter  von  Andernach,  Guinterus 
Andernacensis,  der  erst  in  Löwen  Professor  der  griechischen 
Sprache,  dann  in  Paris  der  Medizin  war,  ihm  auch  AnutiusFoesius, 
ein  Arzt,  der  sich  hauptsächlich  der  Hippokratesforschung  widmete, 
ihm  schließlich  Leonhard  Fuchs (ius),  der  Magister  artium  und 
Doctor  medicinae  war  und  ein  Reformator  der  Physica  auf  griechischer 
Grundlage  wurde. 

Zünftiger  Mediziner  oder  Naturwissenschafter  ist  Ulrich  von 
Hütten  nicht  gewesen.  Aber  er  hat  tatsächlich  der  Menschheit  nicht 
allein  als  Kämpfer  für  ihre  Geistesfreiheit,  als  Gegner  des  eingerotte- 
ten blinden  Autoritätsglaubens  genutzt,  er  hat  nicht  allein  das  Jahr- 
hundert der  Wissenschaft  bereiten  helfen,  in  dem  es  „eine  Lust  war, 
zu  leben**,  er  hat  auf  seinem  unsteten  Wanderleben  (mittellos  ward  er 
nach  Greiiswald  verschlagen,  deshalb  umsonst  immatrikuliert;  um 
seinen  Manichäem  zu  entgehen,  entfloh  er  bettelarm  nach  Rostock) 
sich  die  Seuche  geholt,  die  eine  traurige  Signatur  der  2^it  war,  und 
durch  Studien  am  eigenen  Körper  lernte  er  den  Gebrauch  des  Fran- 
zosenholzes, das  er  dann  in  einer  Schrift  Ulrichs  von  Hütten  eines 
deutschen  Ritters  von  der  tvunderbarlichen  artzney  des  HdUg  Guajacum 
(Straßburg  1509  und  später),  die  eine  eingehende  Beschäftigung  des 
Verfassers  mit  seinem  Thema  verrät,  der  (wie  er  für  sich  selbst  frei- 


—     14     — 

mutig  bekennt)  an  ihrem  Leide  allein  Schuld  tragenden  geplagten 
Menschheit  verkündete  und  sich  so  in  der  Tat  zu  einem  Humanisten 
auf  geistigem  wie  körperlichem  Gebiete  machte. 

Noch  eines  Mannes  sei  gedacht,  dessen  Name  dem  Volke  be- 
kannt ist  lediglich  als  der  eines  Bahnbrechers  auf  astronomischem  Ge- 
biet. Der  Thorner  Nikolaus  Coppernicus  —  Koppernigk,  der 
Begründer  unserer  heutigen  Astronomie  auf  „Koppemikanischem",  den 
Angaben  der  Bibel  widersprechendem  Weltsystem,  der  Mann,  der  des 
Mondes  Umlaufzeiten  bestimmte  und  damit  unserem  heutigen  Kalender 
seine  Grundlage  schuf,  war  neben  seinen  tiefen  Sonderkenntnissen 
„eingeweiht  in  die  gesamten  Studien  des  Humanismus,  er  war  ein 
Kenner  der  klassischen  Sprachen  und  ihrer  Literatur,  er  hatte  außer- 
dem theologische  und  juristische  Studien  gemacht  und,  nach  der 
Meinung  der  Zeitgenossen,  mit  seiner  kirchlichen  Stellung  kaum  ver- 
einbar, auch  in  der  Heilkunde  (also  in  den  Physica)  umfassende  Kennt- 
nisse und  praktische  Übung  sich  erworben"  *). 

Mühelos  könnte  ich  aus  der  in  Frage  kommenden  Zeit  noch 
eine  Menge  von  Namen  nennen,  die  für  den  „Dualismus**  der  wissen- 
schaftlichen Grundlagen  und  Leistungen  vieler  Humanisten  beweis- 
kräftig wären  *),  ich  beschränke  mich  darauf,  einige  Namen  von  Männern 
zu  nennen,  die  da  zeigen,  daß  ähnliche  Vorkommnisse  auch  im  Aus- 
lande an  der  Tagesordnung  waren,  daß  die  betreflfenden  Geisteshelden 
im  übrigen  in  ihrem  Ergehen  dieselben  Erfahrungen  machten  wie  die 
deutschen.  In  Frankreich  kommt  in  erster  Reihe  Montpellier  mit 
seinen  Schülern  und  Lehrern  in  Betracht.  Dorthin  gehörte  der  schon 
genannte   Rabelais,   Joubert  Dalechamps,   Ruellius,   dorthin 


i)  Leop.  Prowe  (Berlin  1883). 

2)  Koberts  Nachrichten  über  die  medizinische  Fakultät  in  Rostock,  die  mir  ge- 
rade vor  Augen  kam,  entnehme  ich  die  Namen  der  Professoren  Jak.  Bording  und 
Höh.  Brucaeus,  die  beide  nach  humanistischen  Studien,  der  eine  der  Medizin,  der 
andere  der  Astronomie  als  Bahnbrecher  dienten.  Aus  G.  Bauchs  interessanter  Schrift 
über  die  Anfönge  des  Humanismus  in  Ingolstadt  suchte  ich  den  Namen  Windsberger- 
Ventimontanns-Aeolides  heraus.  Der  Träger  war  der  erste  Professor  Poeüces 
und  Ordinarius  für  Medizin  daselbst.  Jos.  GrUnpeck  war  Geschichtschreiber  und  Arzt 
(behandelte  die  Syphilis),  Georg  Tannstetter-Collimitius  gehörte  der  artistischen 
und  medizinischen  Fakultät  an.  Auch  Joh.  (Ammonius)  Agricola  gehörte  der  Ingol- 
städter  Hochschule  an  und  nützte  der  Medizin  durch  vortreffliche  Übersetzungen  der 
Klassiker.  Noch  gehört  z.  B.  Dessenius  von  Cronenberg  hierher,  femer  der 
gleich  dem  Genannten  in  Italien  vorgebildete  Augsburger  Occo  II,  Felix  Platter» 
der  fabelhaft  vielseitige  Luzemer  Apotheker  Renwert  Cysat,  wie  ich  sie  beim  Durch- 
blättern meiner  Geschichte  der  Pharmacie  entnehme,  der  Mag.  artium  und  Doct. 
medicinae  Ulsenius  usw.  usw. 


—     15     — 

auch  der  Spanier  Serveto,  der  allem  Anschein  nach  den  später  erst 
von  Harvey  entdeckten  Blutkreislauf  kannte,  übrigens  ein  Opfer  Cal- 
vinscher Unduldsamkeit  wurde.  Ich  erinnere  schließlich  an  Fernel, 
die  Italiener  Matthioli,  Porta,  den  Engländer  Linacer  usw. 

Als  Verdienst  wird  der  Renaissance  zugerechnet,  daß  sie  Aka- 
demien gegründet  hat,  in  denen  in  gegenseitigem  Meinungsaustausch 
die  Gelehrten  ihre  Ansichten  klären,  sich  zu  immer  höheren  Leistungen 
heben  und  begeistern  konnten.  Als  Vorbild  diente  unzweifelhaft  auch 
für  die  Benennung  die  Akademeia  in  Athen  —  für  ihre  Verfassung  zur 
Zeit  des  Aufblühens  klassischer  Studien  vermutlich  doch  die  Einrich- 
tung der  Gilden,  in  die  sich  (im  übrigen  auch  nach  dem  Muster 
klassischer  CoUegia,  Sodalitates  u.  dgl.)  schon  ums  Jahr  1300  in  Mai- 
land die  Aromatarii,  in  Florenz  die  Ärzte  und  Apotheker  geschart 
hatten  —  nicht  nur  zum  Zwecke  der  Wahrung  ihrer  materiellen  In- 
teressen, sondern  auch  begreiflicherweise  zur  Hebung  ihres  geistigen 
Lebens.  Schon  oben  erwähnte  ich,  daß  Dante  Mitglied  des  „Tribo 
dei  medici  e  degli  speciali"  war.  Über  Spanien  kam  griechische, 
arabisch  verbrämte  Arznei-  und  Heilwissenschaft  zurück  nach  Italien, 
in  dessen  Klöstern  die  Klassiker  verstaubt  und  verrottet  waren  *).  Sollte 
mit  ihr  nicht  auch  hierher  Kunde  gekommen  sein  von  den  regelmäßigen 
Zusammenkünften,  die  verbürgt  im  Hause  von  Abul  Kasim  von  ge- 
lehrten Naturforschern  abgehalten  wurden,  wahren  Akademien  für 
gegenseitige  Aussprache  und  zur  Klärung  strittiger  Ansichten?!  Hand 
in  Hand  jedenfalls  geht  später  mit  der  Gründung  „humanistischer" 
Vereinigungen  die  Gründung  solcher  für  naturwissenschaftliche  Sonder-, 
aber  im  Grunde  doch  gleiche  Zwecke.  Bemerkenswert  ist  dabei,  daß 
der  Ort  der  Gründung  nicht  selten  ein  Ort  ist,  der  wieder  den  Arznei- 
wissenschaften dient.  So  wurde  1584  die  (übrigens  wohl  nur  huma- 
nistischen Zwecken  dienende)  Accademia  deUa  crusca  in  dem  Hinter- 
stübchen  der  Apotheke  des  in  Literatur  und  Politik  gleich  hervor- 
ragenden Lasca  in  der  Tomabuonistraße  in  Florenz  gegründet,  später 
die  Acad^mie  des  sciences  in  Paris  auf  Grund  von  Zusammenkünften 
in  der  Apotheke  von  Mathieu-Fran^ois  Geoffroy,  dem  Stamm- 
vater eines  berühmten  Gclehrtengeschlechts ,  und  die  Royal  Society 
in  London,  ähnlich  im  Hause  eines  Apothekers  Gross  in  Oxford. 
Ich  glaubte  mich  «nuf  Grund  meiner  Beobachtungen  berechtigt,  in 
meiner   Geschichte  auszusprechen,   daß  der  Apotheker  (der  ja  damals 

i)  Constantin  VII.  Porphyrogenetos  haUe  an  Abd  el  Rahman  IIL  in 
Cordova  einen  Dtoskorides  gesandt  zugleich  mit  einem  gelehrten  Mönch,  Nikolaus, 
der  dort  griechische  Wissenschaft  lehren  sollte. 


—     16     — 

und  lange  noch  ganz  dieselbe-  Vorbildung  in  Pbysica  genoß  wie  der 
Arzt,  der  er  häufig  genug  in  einer  Person  war,  und  umgekehrt;  es 
gilt  das  Gesagte  also  im  Grunde  auch  für  die  Ärzte  ^)),  „wenn  nicht 
aus  sich  heraus,  so  doch  angeregt  durch  das  Beispiel  seiner  Lehrer 
auf  dem  Boden  freier  Naturforschung  stand  und  erleuchtet  von  den 
Strahlen  des  Humanismus,  sich  einem  gewissen  Freidenkertum,  damit 
auch  den  Lehren  des  Wittenberg  er  Freigeistes  sich  zugewandt  habe". 
In  der  Ratsapotheke  zu  Nordhausen  trafen  sich  die  Honoratioren,  um 
über  die  Nachrichten  aus  Wittenberg  zu  beraten.  In  Wittenberg  ver- 
waltet ein  Freund  und  Mitarbeiter  des  jüngeren  Valerius  Cordus, 
Kaspar  P  fr  und,  Schwiegersohn  Lukas  Cranachs,  dessen  Apotheke, 
in  Schmalkalden  wohnt  Melanchthon  in  der  Rosenapotheke 
(später  waltet  hier  der  bedeutende  Gelehrte  und  Dichter  Marold  als 
Apotheker),  und  Gg.  Sturtz  behandelt  ihn  usw. 

Nun,  nichts  Wunderbares  finde  ich  in  dem  Übergreifen  gerade  der 
Naturwissenschaften  in  das  Gebiet  der  Verstandeswissenschaften,  der 
Artes.  Wahr  ist  jedenfalls  der  Ausspuch :  Ein  Arzt,  der  nur  die  Me- 
dizin kennt,  kennt  nicht  einmal  die  Medizin !  Er  muß,  um  dem  Priester- 
tum  seines  Berufes  gerecht  zu  werden,  Einblicke  tun  in  alles  das,  was 
des  Menschen  Herz  bewegt,  in  die  Arbeit  menschlichen  Geistes,  und 
die  Naturforschung  muß  als  ihr  Höchstes  die  Wissenschaft  vom  Men- 
schen ansehen.  Wohl  glaubte  die  Naturforschung  auf  Grund  unleug- 
barer Erfahrung,  unterstützt  von  der  registrierenden  Geschichte,  mit 
gewisser  Nichtachtung  auf  die  Literaten,  die  Künstler  herabsehen  zu 
dürfen.  Was  jener  geistliche  Leibarzt  dem  Petrarca  vorwarf,  muß 
xlie  moderne  Wissenschaft  als  begründet  ansehen.  Hirngespinste,  Lügen 
tischen  die  Dichter,  von  gelegentlich  geradezu  krankhafter  Phantasie 
getrieben,  auf.  Gleich  zweifelnd  und  kritisch  steht  der  Naturforscher 
anderen  Arbeiten  der  Geisteswissenschaften  gegenüber,  weil  seine 
Wissenschaft  es  so  herrlich  weit  gebracht,  vermaß  er  sich  in  abgetanem 
Materialismus  wohl,  eine  zwecksetzende  geistige  Kraft  in  der  Welten- 
x>rdnung  leugnen  zu  dürfen  und  das  Schaffen  eines  Homunculus  gar 
als  möglich  darzustellen.  Ihm  sind  aber  Grenzen  gesetzt,  gerade  wie 
<len  feurig  strebenden  Humanisten  —  beide  müssen  immer  und  immer 
wieder  ihr  non  posstimus  bekennen,  der  „Erdenwurm",  der  Mikro- 
Jkosmus  im  großen  Betriebe  des  unermeßlichen  Makrokosmus  muß  sich 
erinnern,  daß  es  ohne  dessen  Leiter,  in  dem  schließlich  alle  Wissen- 
schaft gipfelt,   nicht  geht,   daß   ein  auch  in  bezug  auf  Medizin  be- 


i)  Vergleiche  oben  Georg  Agricola  und  Starts. 


—     17     — 

wanderter  Humanist  des  XVII.  Jahrhunderts  im  Jesuitenge  wände,  Jakob 
Bälde,  recht  hat,  wenn  er  in  einer  seiner  Satiren,  das  Walten  dieses 
Wesens  bestätigend,  sagte:  ÄedificcUus  hämo  est!  Äedilem  habuisse 
negabis?! 


Mitteilungen 


ArehiTe.  —  Für  jeden,  der  gezwungen  ist,  in  Archiven  zu  arbeiten, 
besitzt  die  in  jedem  einzelnen  Falle  geltende  Benutzungsordnung  grofie 
Wichtigkeit,  vmd  es  liegt  deshalb  im  öfifentlichen  Interesse,  dafi  die  be- 
stehenden Ordnungen  hinlänglich  bekanntgegeben  werden.  Darüber  hinaus 
aber  ist  es  wünschenswert,  daß  die  hinsichtlich  der  Archivbenutzung  geltenden 
Bestimmungen  nicht  allzusehr  voneinander  abweichen  und  den  Bedür&issen 
der  Archivbenutzer  nach  Möglichkeit  entgegenkommen,  wenn  sich  auch  nicht 
verkennen  läßt,  daß  die  verschiedenen  örthchen  und  sonstigen  Verhältnisse 
eine  grundsätzliche  Gleichmacherei  als  unzweckmäßig  und  untunlich  erscheinen 
lassen.  Die  bei  den  deutschen  tmd  wichtigsten  außerdeutschen  staatlichen 
Archiven  geltenden  Bestimmungen  hat  Pius  Wittmann  in  dem  Aufsätze 
ArchivbentUzungsordnungen  im  i.  Bande  dieser  Zeitschrift  (1900),  S.  181 
bis  194  *),  zusammengestellt,  und  es  wäre  zeitgemäß,  wenn  einmal  über  die 
inzwischen  vorgefallenen  Veränderungen  von  berufener  Seite  Bericht  er- 
stattet würde. 

Indes  die  staatlichen  Archive  bilden  doch  nur  einen  Teil  der  vorhandenen, 
und  gar  manches  städtische  Archiv  kommt  einem  kleineren  staatlichen 
an  Bedeutung  ziemUch  nahe.  Bezüglich  der  Benutzung  städtischer  Archive 
gelten  jedoch  noch  viel  mannigfaltigere  Bestimmungen  als  hinsichtlich  der 
staatlichen,  obwohl  da  die  Verhältnisse  an  sich  viel  eher  ein  gleichartiges 
Verfahren  gestatten  dürften;  die  Übernahme  der  Bestimmungen,  die  sich  an 
irgendeinem  städtischen  Archiv  bewährt  haben,  an  em  anderes  wird  sich 
deshalb  im  allgemeinen  empfehlen,  und  es  wäre  gewiß  nur  gut,  wenn,  un- 
beschadet kleiner  örtlicher  Abweichtmgen ,  einige  wenige  Typen  der  bei 
städtischen  Archiven  geltenden  Benutztmgsordnungen  sich  embürgem  würden. 
In  dieser  Erkenntnis  hat  der  ThüringerArchivtag')  einhellig  beschlossen, 
die  daran  beteiligten  Archivare  möchten  bei  den  ihnen  vorgesetzten  staatlichen 
und  städtischen  Behörden  beftirworten,  daß  die  ftir  Mühlhausen  i.  Th. 
unter  dem  8.  November  1905  erlassene  Benutzungsordnung')  auch  bei 
ihnen  eingeftihrt  werde.  Dieser  Beschluß  wird  es  rechtfertigen,  wenn  hier 
der  volle  Wortlaut  dieser  Ordnung  zum  Abdruck  gelangt  und  einige  kritbche 
Bemerkungen  daran  geknüpft  werden.     Sie  lautet: 

S  I.  Erlaubnis  zur  Archivbenutzung.  —  Jede  Archivbenutzung 

i)  Eine  wichtige  Ergfinzoog  daza  S.  243. 

2)  Vgl.  darüber  den  Bericht  im  Korrespondenzbkiit  des  Gesamtvereins  der 
DeuMten  Oesehichts-  und  Altertumsvereine  55.  Jahrgang  (1907),  Sp.  371.  Nor  fUr 
{5h  wurde  noch  eine  genauere  Formalierang  empfohlen. 

3)  Sie  ist  alt  Anlage  dem  7.  Jahrgange  (1906 — 1907)  der  MüMhäuser  Oeschichts- 
hlätter  angehängt 

2 


—     18     — 

(mit  vorheriger  Angabe  des  Zweckes)  bedarf  der  Yorangehenden  Ge- 
nehmigung des  Magistrats.  Von  einer  solchen  Eriaubnis  kann  in  den 
Fällen  abgesehen  werden,  wo  es  sich  um  eine  unbedeutende  Einzelfrage 
oder  um  eine  kurze  genealogische  Atiskunft  handelt.  Versagt  kann  sie 
aber  werden,  wenn  anzunehmen  ist,  dafi  die  Benutzung  des  Archivs  nur 
zu  dem  Zwecke  erbeten  wird,  aus  seinen  Akten  und  aus  den  auf  Grund 
derselben  erworbenen  Kenntnissen  Rechtsansprüche  gegen  andere  Personen 
herzuleiten  und  dieselben  auf  dem  Rechtswege  geltend  zu  machen. 

S  2.  Anfragen  und  Benutzungsgründe.  —  Anfragen  und  Be- 
nutzungsgründe sind  mit  Bezeichnung  des  Zweckes  und  Angabe  des 
Forschungsgegenstandes  unter  engster  Begrenzung  seines  Umfimges  beim 
Magistrat  der  Stadt  Mühlhausen  i.  Thür.  (Abteilung  Stadtarchiv)  frankiert 
einzureichen.  Auf  der  Adresse  genügt  die  gleiche  Angabe  ohne  Nennung 
eines  Beamtennamens.  Gesuche  sind  in  Kanzleiformat  auficusetzen;  die 
Verwendung  von  Briefbogen  in  geringerer  Größe  und  von  Postkarten  ist 
nicht  erwünscht. 

S  3.  Benutzungen  an  Ort  und  Stelle.  —  a)  Die  BenutEungen 
an  Ort  und  Stelle  haben  nur  in  den  dazu  bestinmiten  Räumlichkeiten 
unter  Aufsicht  des  Archivars  oder  seines  Stellvertreters  stattzufinden;  vor- 
herige schriftliche  Anmeldung  ist  dringend  erwünscht 

Ab  Zeit  der  Benutzung  gelten: 

1.  die  festgesetzten  Dienststunden, 

2.  ausnahmsweise  die  besonders  zu  vereinbarenden  Stunden,  welche 
vom  Archivar  aus  eigener  Gefälligkeit  festgesetzt  werden. 

b)  Zu  Besprechungen,  Nachweisungen  und  kürzeren  Auskünften 
dürfen  die  beiden  Archivbeamten  angegangen  werden  und  zwar, 
soweit  eine  besondere  Sprechzeit  vorliegt,  nur  in  dieser.  Eine 
weitere  Inanspruchnahme  der  Beamten,  namentlich  zum  Lesen 
von  Archivalien  und  zu  zeitraubenden  Nachforschungen  (betreffs 
Familiengeschichtsforschung  vgl.  S  6)  ist  nicht  gestattet  Da- 
gegen wird  den  Benutzem  gern  die  Einsichtnahme  in  die  Re- 
pertorien  und  Zettelkataloge  bewilligt. 

c)  Die  Handbibliothek  des  Archivs  darf  während  der  Dienststunden 
nur  in  den  Diensträumen  benutzt  werden.  Verleihungen  der 
Bücher  außerhalb  des  Archivs  und  des  Rathauses  finden  unter 
keinen  Umständen  statt. 

d)  Die  von  den  Benutzem  gefertigten  Abschriften  und  Auszüge 
sind  dem  Archivar  vorzulegen  und  werden  erst  nach  Genehmigung 
des  Archivars  resp.  Magistrats  frei  verfügbares  Eigentum. 

S  4.  Versendungen  nach  auswärts.  —  Die  Versendung  yon 
Archivalien  (Urkunden  imd  Akten)  findet  bei  Erfüllung  nachfolgender  Be- 
dingungen statt: 

1.  Der  Benutzer  muß  die  einzelnen  Archivalien  genau  bezeichnen 
köimen;  allgemeine  Wünsche,  wie  „Akten  über  den  und  den 
Ort'*  und  dgl.  sind  nicht  genügend. 

2.  Der  Zustand  der  gewünschten  Archivalien  muß  derartig  sein, 
daß  Beschädigungen  durch  die  Versendung  nicht  zu  befürchten  sind. 

3.  Die  Versendung  erfolgt  nur  an  Archive,  Bibliotheken,   wissen- 


—     19     — 

schafUiche  Anstalten  und  andere  Amtsstellen,  die  für  feuer- 
sichere Aufbewahrung,  alleinige  Benutzung  des  Antragstellers 
(nur  in  den  Diensträumen),  sowie  pünktliche  Rücksendung  in 
der  bestimmten  Frist  im  voraus  einstehen  und  von  denen  ein 
gleiches  VerfiEthren  erwartet  werden  kann.  Das  Eintreffen  der 
Akten  ist  von  der  empfangenden  Behörde  schrifdich  zu  bestätigen. 

4.  Die  Versendung  geschieht  in  der  Regel  nur  auf  die  Dauer  von 
acht  Wochen.  Auf  einen  speziellen  einmaligen  Antrag  des 
Entleihers  oder  der  die  Archivalien  aufbewahrenden  Behörde 
hin  kann  diese  Frist  lun  weitere  sechs  Wochen  verlängert  werden. 

5.  Alle  Sendungen  hin  und  her  haben  unter  Wertdeklaration  zu 
gehen,  wobei  die  entstehenden  Unkosten  (Porto,  Versicherungs- 
gebühr und  dgl.)  dem  Benutzer  zur  Last  fallen. 

S  5.  Benutzungen  auf  dem  Wege  der  Korrespondenz.  — 

a)  Längere  Ausarbeitungen  und  zeitraubende  schrifUiche  Auskünfte 
werden  von  dem  Archivar  in  der  Dienstzeit  nicht  geliefert. 

b)  Die  Beantwortung  kleinerer  Anfragen,  deren  Erledigung  ohne 
erheblichen  Zeitaufwand  bewirkt  werden  kann,  geschieht  kosten- 
los in  der  Dienstzeit. 

c)  Die  Anfragen  von  Staats-,  Provinzial-  und  Stadtbehörden,  sowie 
die  flir  sie  gefertigten  Abschriften  und  Beglaubigungen  werden 
kostenlos  in  den  Dienststunden  erledigt. 

d)  Die  Anfertigung  und  Lieferung  von  Abschriften  oder  Auszügen 
aus  Urkunden,  Akten  und  Repertorien,  sowie  die  Durchsicht 
von  Repertorien  und  Vergleichung  von  Texten  geschieht  auf 
Kosten  des  Benutzers  seitens  des  Archivars  in  den  dienstfreien 
Stunden.  Die  Vergütung  ist  auf  3,00  Mark  pro  Stunde  fest- 
gesetzt, auch  wenn  der  Bearbeiter  in  den  betreffenden  Stunden 
nichts  Einschlägiges  findet.  Den  Benutzem  ist  es  jedoch  ge- 
stattet, mit  Genehmigung  des  Archivars  resp.  Magistrats  eigene 
Hilfskräfte,  die  sich  durch  schriftliche  Vollmacht  auszuweisen 
haben,  zum  Abschreiben,  Kollationieren  usw.  in  den  Dienst- 
räumen des  Archivs  zu  verwenden. 

e)  Für  amtliche  Beruhigung  von  Abschriften  ist  die  gesetzliche 
Stempelgebühr  zu  entrichten. 

$6.  Archivbenutzung  zu  genealogischen  Zwecken.  — 
Auf  Grund  der  Beratimgen  des  5.  Deutschen  Archivtages  zu  Bamberg 
vom  25.  September  1905  sind  (nach  den  von  Herrn  Geh.  Archivrat 
Dr.  H.  Grotefend- Schwerin  vorgeschlagenen  Thesen)  bei  Unterstützung 
der  von  Familien  selbst  beschafiten  oder  von  ihnen  veranlaßten  Familien- 
forschungen folgende  Punkte  zu  berücksichtigen: 

a)  Unerläßliche  Vorbedingung  für  eme  Archivbenutzung  zur  Fa- 
milienforschung ist,  dafi  ihr  die  Durchsicht  des  gesamten  ge- 
druckten Materials  vorhergegangen  ist. 

b)  Sodann  mufi  der  Antragsteller  den  Zweck  seiner  Forschung  ge- 
nau angeben:  ob  eme  Familiengeschichte,  die  Aufstellung  eines 
Stammbaumes,  einer  Geschlechtsfolge,   einer  Ahnentafel   oder 

2* 


—     20     — 

nur  der  Nachweis  der  AbstammuDg  von  einer  bestimmten  Per- 
sönlichkeit beabsichtigt  wird. 

c)  Vor  dem  Begbne  der  Archivbenutzung  muß  eine  genealogische 
Übersicht  des  bereits  dem  Forscher  bekannten  Materials  dem 
Archive  vorgelegt  werden,  da  nur  hiemach  die  Forschung  zweck- 
entsprechend geleitet  werden  kann. 

d)  Die  Forschung  hat  nicht  aufs  Geratewohl  hin  hier  oder  dort 
einzusetzen,  sondern  kann  nur  dann  auf  Unterstützung  durch 
das  Archiv  rechnen,  wenn  sie  systematisch  von  den  jetzt 
lebenden  oder  den  zuletzt  bekannten  Familienmitgliedern  nach 
deren  Vorfahren  zu  gerichtet  ist,  ohne  eigenen  Vermutungen 
oder  Familienüberlieferungen  ungebührlichen  Einflufi  zu  gestatten. 
Das  Archiv  wird  und  muß  daher  die  so  oft  erstrebten  An- 
knüpfungen an  notorisch  bereits  ausgestorbene  Familien,  wenn 
nicht  zwingende  Beweise  ihrer  Möglichkeit  erbracht  werden, 
von  vornherein  abweisen. 

e)  Da  die  Familienforschung  ihrem  Hauptzweck  nach  privaten  In- 
teressen gewidmet  ist,  so  muß  ihre  Unterstützung  durch  das 
Archiv  gegenüber  den  amtlichen  oder  den  rein  wissenschaft- 
lichen Aufgaben  des  Archivs  erforderlichenfalls  zurücktreten. 
Das  Archiv  kann  sich  daher  dieser  Unterstützung  amüich  nur 
insoweit  widmen,  als  die  Arbeitskraft  des  Archivars  und  die 
Arbeitszeit  es  zulassen.  Die  weitere  Förderung  der  Familien- 
forschung durch  den  Archivar  muß  daher  unter  allen  Umständen 
dessen  persönlicher  Bereitwilligkeit  und  privater  außeramtlicher 
Tätigkeit  (vgl.  $  5  d)  überlassen  werden. 

S  7.  Pflichtexemplare    von    den    mit  Hilfe    des    Archivs 
entstehenden  literarischen  Veröffentlichungen.  — 

a)  Jeder  Benutzer  des  Archivs  ist  verpflichtet,  von  den  mit  Hilfe  des 
Archivs  entstehenden  literarischen  Veröffentlichungen  ein  Frei- 
exemplar resp.  einen  Sonderabdruck  an  die  Handbibliothek  des 
Archivs  abzugeben  resp.  portofrei  einzusenden.  Bei  geringer 
Benutzung  des  Archivs  kann  auf  das  Gutachten  des  Archivars 
hin  von  dieser  Verpflichtung  abgesehen  werden. 

b)  Jedem  Benutzer  des  Archivs  wird  deshalb  vor  Beginn  seiner 
Archivarbeit  ein  Reversformular  zur  Unterschrift  imd  zur  Be- 
achtung überreicht  resp.  mit  den  Archivalien  zugesandt,  welches 
folgenden  Wortlaut  hat: 

Revers. 
Endesunterzeichneter  bekennt  hiermit,  daß  er  Archi- 
valien aus  dem  Stadtarchiv  zu  Mühlhausen  i.  Thür.  zur 
Einsichtnahme  erhalten  hat  und  verpflichtet  sich  durch 
Unterzeichnung  dieses  Reverses,  bei  eventueller  VeröflTent- 
lichung  dieser  Archivalien  unaufgefordert  ein  Freiexemplar 
des  ganzen  Buches  (resp.  einen  Sonderabdruck  bei 
Aufsätzen,  die  in  Zeitschriften  erschienen  smd)  portofrei 
an  die  Bibliothek  des  Stadtarchivs  in  Mühlhausen  i.  Thür. 
einsenden  zu  wollen.     Im  Falle  der  versäumten  Lieferung 


—     21     — 

des  Pflichtexemplars  wird  dies  vom  Archivar  der  Stadt 
Mühlhausen  i.  Thür.  für  die  ihm  unterstellte  Bibliothek  re- 
klamiert werden. 

S  8.  Portokosten.  —  Das  Porto  für  alle  vom  Archiv  ausgehenden 
Briefe  und  sonstigen  Sendungen  in  Benutzungsangelegenheiten  hat  der  Be- 
nutzer zu  tragen.  Sind  von  demselben  keine  Briefmarken  für  die  Frankierung 
eingeschickt,  so  gehen  die  Sendungen  des  Archivs  unfrankiert  als  „porto- 
pflichtige Dienstsachen**.  Sonstige  Gebühren  und  Unkosten  können  durch 
Nachnahme  erhoben  werden. 

Mühlhausen  i.  Thür.,  den  8.  November  1905. 

An  dieser  Archivbenutzungsordnung  ist  erfreulich,  daß  zunächst  die  amt- 
liche Tätigkeit  des  Archivars  genau  umschrieben  ist  imd  daß  dem  Benutzer  von 
vornherein  klargemacht  wird,  daß  er  die  Arbeit  an  den  ihm  vorgelegten  Archi- 
valien allein  zu  leisten  hat.  Erfreulich  ist  es  femer,  daß  grundsätzlich  dem 
Benutzer  die  Einsichtnahme  in  die  Repertorien  und  Zettelkataloge  bewilligt 
wird.  Die  für  die  Versendung  der  Archivalien  (auch  der  Urkunden,  nicht 
nur  der  Akten)  aufgestellten  Grundsätze  entsprechen  durchaus  dem  heute 
üblichen  Verfahren ;  nur  dürfte  es  sich  empfehlen,  in  $  4,  Absatz  5  ausdrück- 
lich auszusprechen,  ob  das  Archiv  eine  besondere  Packgebühr  erhebt  und 
wie  es  sie  berechnet. 

Aber  auch  Einwendungen  gegen  einzelne  Bestimmungen  sind  zu  erheben. 
Zunächst  ist  es  wohl  kaum  unbedingt  nötig,  daß  in  jedem  einzelnen  Falle 
die  Genehmigung  des  Magistrats  erteüt  werden  muß;  in  den  Fällen, 
wo  Archivalien  bis  zu  einer  bestimmten  Zeitgrenze  —  etwa  bis  1800  — 
vorgelegt  werden,  sind  wohl  in  der  Tat  niemals  aktuelle  Interessen  gefährdet, 
und  deshalb  dürfte  es  wohl  angängig  sein,  daß  der  Archivar  selbständig  die 
Erlaubnis  erteilt.  Liegen  einmal  ausnahmsweise  irgendwelche  besonderen  Ver- 
hältnisse vor,  die  den  Archivar  zur  Vorsicht  veranlassen,  so  wird  er  dem 
Magistrat  Mitteilung  machen  und  dessen  Urteil  einholen.  Wenn  der  Archi- 
var bis  zu  einer  bestimmten  Zeitgrenze  die  Benutzungserlaubnis  erteUt,  so  er- 
leichtert dies  zunächst  den  Geschäfbgang ,  gestattet  aber  auch  die  münd- 
liche Erteilung  der  Benutzungserlaubnis,  die  jetzt  gar  nicht  vorgesehen  ist. 
Mit  den  modernen  Bestrebungen,  den  Geschäftsbetrieb  der  Behörden  mög- 
lichst zu  vereinfachen,  steht  es  nicht  recht  in  Einklang,  wenn  gefordert  wird, 
daß  die  Gesuche  in  Kanzlei format  aufzusetzen  sind,  imd  wenn  gewöhnliche 
Briefbogen  und  Postkarten  als  unerwünscht  bezeichnet  werden.  Normale 
Briefbogen  sind  im  amtlichen  Verkehr  heute  in  so  großem  Umfange  üblich,  daß 
sich  dagegen  nichts  einwenden  läßt,  und  ihre  aktenmäßige  Behandlung  macht, 
wenn  nur  ein  ordentlicher  Rand  gelassen  wird,  gar  keine  Schwierigkeiten. 

Als  durchaus  unberechtigt  erscheint  jedoch  der  ganze  S  6,  der  sich,  wie  ein- 
gangs gesagt  wird,  von  unwesentlichen  redaktionellen  Änderungen  abgesehen, 
mit  den  von  Grotefend  gelegentlich  des  Bamberger  Archivtags  aufgestellten 
Leitsätzen  deckt ').    Ungerechtfertigt  ist  es  zunächst,  die  Archivbenutzung  zu 

i)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  7.  Bd.,  S.  57.  Et  ist  bedaaerhch,  daß  die  ganze  Frage 
nach  der  ArchivbenaUong  za  genealogischen  Zwecken  auf  dem  Wiener  Vchi^tag  (1906) 
nicht  ement  zar  Behandlang  gekommen  und  im  Programm  des  siebenten  Archirtags  Über- 
haupt nicht  wieder  zur  Erörtemng  gestellt  worden  ist. 


—     22     — 

genealogischen   Zwecken   überhaupt  besonders   zu  behandeUi,    während  im 
übrigen  die  Zwecke,  die  der  Forscher  verfolgt,  nicht  berücksichtigt  werden 
und  bei  dem  formalen  Charakter  einer  derartigen  Ordnung  auch  gar  nicht 
berücksichtigt  werden  können.    Außerordentlich  kühn  ist  der  erste  Satz  von 
Absatz  e!    Dafi  „die  Familienforschung  ihrem  Hauptzweck  nach  privaten 
Interessen  gewidmet  ist*',  läßt  sich  wohl  kaum  aufrechterhalten.     Das  könnte 
man  doch  höchstens  von  den  Fällen  sagen,  in  denen  ein  Lebender  nach  seinen 
Vorfahren  forscht  oder  forschen  läßt.    Aber  das  trifit  doch  längst  nicht  für  alle 
genealogischen  Untersuchungen  zu !    Dann  ist  es  aber  eine  sonderbare  Logik, 
private,  amtliche   und   rein  wissenschaftliche  Zwecke   zu  imter- 
scheiden.    Soweit  Privatpersonen  in  Archiven  arbeiten,   verfolgen  sie  meines 
Erachtens  immer  „private"  Zwecke,  und  ob  die  Arbeiten  als  „wissenschaft- 
lich", rein  wissenschaftlich  oder  populär-wissenschaftlich,  zu  bezeichnen  sind, 
das  hängt  nicht  im  geringsten  von  dem  bearbeiteten  Stoff,  sondern  von  der 
Qualität  der  geleisteten  Arbeit  ab.  Rundweg  der  familiengeschichtlichen  Arbeit 
ihren  wissenschaftlichen  Charakter  abzusprechen,  ist  durchaus  nicht  angängig, 
imd  gegen  derartige  Behauptungen  muß  im  Interesse  der  wissenschafdichen  Genea- 
logie entschieden  Emspruch  erhoben  werden.   Für  die  Archivbenutzungsordnung 
kommt  aber  besonders  in  Frage,   daß   der  ganze   S  6   keinen   einzigen  Ge- 
danken enthält,  der  nicht  schon  vorher  grundsätzlich  ausgesprochen  wäre, 
und  deshalb  muß  die  Aufiiahme  dieses  Abschnitts  in  die  Benutzungsordnung 
als  ein  Mißgriff  bezeichnet  werden.     Wenn   ein  für   allemal   der  Standpunkt 
der  Archiwerwaltung  in  dieser  oder   ähnlicher  Weise   festgelegt  imd  jedem 
einzelnen  Benutzer,  der  familiengeschichtliche  Zwecke  verfolgt,  aus  praktischen 
Gründen  gedruckt  eingehändigt  wird,  so  ist  dagegen  gewiß  nichts  einzuwenden, 
aber  in  eine  allgemeine  Archivbenutzungsordnung,  die  als  formale  Richtschnur 
für   den   Archivar   nicht  minder  als   für   die   Benutzer  dienen  soll,  gehören 
solche  Auslassungen  keinesfalls. 


KommissioilCll.  —  Am  9.  Februar  1907  fand  in  Leipzig  die  elfte 
Jahresversanmilung  der  Königlich  Sächsischen  Kommission  fürOe- 
schichte*)  statt.  Von  den  Veröffentlichungen  der  Kommission  sind  seit 
Erstattung  des  letzten  Berichts  erschienen:  Die  Malereien  in  den  Hand* 
Schriften  des  Königreichs  Sachsen,  herausgegeben  von  Robert  Brück  (Dres- 
den 1906.  Mk.  25. — );  Die  ältesten  gedruckten  Karten  der  sächsisch-- 
thüringiscJ^en  Länder  1550 — 1593^  herausgegeben  von  Viktor  Hantzsch 
(Leipzig  1906.  Mk.  18. — ).  Außerdem  hat  die  Kommission  die  Heraus- 
gabe der  von  der  Historischen  Kommission  für  Sachsen -Anhalt  veröffent- 
lichten Grundkarte  von  Zeitz-Gera  (Doppelsektion  414/440),  die  auch  kleine 
GebietsteUe  des  Königreichs  Sachsen  enthält,  unterstützt.  Die  begonnenen 
Unternehmungen  sind  sämtlich  mehr  oder  weniger  fortgeschritten.  Der 
Briefwechsel  der  Kurfürstin  Maria  Äntonia  mit  der  Kaiserin  Maria 
Theresia f  herausgegeben  von  Woldemar  Lippert,  ist  im  Druck  vollendet. 
Das  Register  der  Markgrafen  von  Meißen  von  1378   ist  behufs  Herausgabe 


i)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  7.  Bd.,  S.  323. 


—     23     — 

abgeschrieben  worden,  aber  eine  für  die  Bearbeitung  geeignete  Kraft  hat  sich 
noch  nicht  finden  lassen.  Die  photographische  Reproduktion  der  Flur- 
karten aus  den  Jahren  1835 — 1843  Qcbst  farbiger  Bezeichnung  der  Kultur- 
arten ist  im  wesentlichen  vollendet.  Die  reproduzierten  Krokis  befinden  sich 
im  Seminar  fUr  Landesgeschichte  und  Siedelungskunde  in  Leipzig  (Universität, 
Bomerianum);  Abzüge  einzelner  Flurkrokis  können  gegen  Ersatz  der  Her- 
stellungskosten bezogen  werden.  Neu  wurde  beschlossen  die  Veröffentlichung 
der  Kirchenvisitationsakten  aus  der  Refonnationszeit  und  die  Fort- 
führung des  Urkundenbuchs  der  Universität  Leipzig  von  1559 
bis  ins  XDC.  Jahrhundert.  Schließlich  wurde  die  Herausgabe  darstellen- 
der Einzelschriften  geringeren  Umfangs  in  Aussicht  genommen. 

Durch  den  Tod  verlor  die  Kommission  die  Mitglieder  Geh.  Rat  Hassel 
imd  Geh.  Hofrat  von  Gebhardt,  während  Prof.  Buchholz  bei  seinem 
Weggange  von  Leipzig  nach  Posen  seinen  Austritt  aus  der  Konmussion  er- 
klärte. Staatsminister  a.  D.  von  Seydewitz,  der  bisherige  Vorsitzende, 
wurde  zum  Ehrenmitglied  der  Kommission  ernannt;  ihm  folgte  im  Vorsitz 
sein  Amtsnachfolger  im  Kultusministerium,  Staatsminister  von  Schlieben. 
Stellvertretender  Vorsitzender  wurde  Geh.  Rat  Wa entig  (Dresden).  Als 
ordentliche  Mitglieder  traten  in  die  Kommission  ein:  Prof.  Kötzschke 
(Leipzig),  Direktor  des  Seminars  für  Landesgeschichte  und  Siedelungskunde 
an  der  Universität,  Archivrat  Beschorner  (Dresden)  und  der  Direktor  der 
Universitätsbibliothek  Boysen  (Leipzig). 


Die  Historische  Landeskommission  für  Steiermark  hat 
seit  dem  letzten  Berichte^)  drei  Sitzungen  abgehalten,  am  25.  Mai  1905, 
28.  Juni  1906  und  14.  Februar  1907.  In  dieser  Zeit  sind  die  Hefte  20 
bis  23  der  Veröffentlichungen  der  Historischen  Landes 'Kommission  für 
Steiermark  erschienen,  in  denen  Meli  (20)  Regesten  zur  Geschichte  der 
Familien  von  Teufenbach  in  Steiermark  (1074 — 1547)  und  Loserth  (22) 
das  Übersichtsinventar  des  Archivs  des  Hauses  Stubenberg  veröffentlicht, 
während  die  Hefte  21  imd  23  Arbeiten  von  Meli  über  das  Archiv  der 
steierischen  Stände  und  über  Archive  und  Archivschutz  in  Steiermark  ge- 
widmet sind.  Von  den  Forschungen  Bur  Verfassungs-  und  VenoaUungs- 
geschichte  in  Steiermark  enthält  das  2.  Heft  des  V.  Bandes:  SaUburg  und 
Steiermark  im  letzten  Viertel  des  XVL  Jahrhunderts  von  Loserth  und 
das  I.  Heft  des  VI.  Bandes:  Die  Innerberger  Hauptgewerkschaft  (1625  bis 
1783)  von  Pantz.  Außer  den  schon  früher  in  Bearbeitung  befindlich  ge- 
nannten Stoffen  steht  die  künftige  Veröffentlichung  von  nachstehenden  Pu- 
blikationen bevor:  Die  steieriche  Landesgerichtsordnung,  bearbeitet  von 
Fritz  Byloff,  befindet  sich  im  Druck;  Freiherr  von  Mensi  behandelt  die 
direkten  Steuern  in  Steiermark,  Otto  von  Zwiedineck-Südenhorst  die 
steierische  Sozial-  und  Wirtschafbgeschichte  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert, 
Richard  Meli  das  Privaturkundenwesen  in  Steiermark,  Peisker  die  Ge- 
schichte der  Siedelungen  in  Steiermark,  Ilwof  das  Landtagswesen  unter 
Maria  Theresia  und  Josef  U,  Luschin  von  Ebengreuth  das  steierische 


x)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  6.  Bd.,  S.  136—137  und  7.  Bd.,  S.  16—19. 


—     24     — 

Münz-  und  Geldwesen  im  Mittelalter,  Viktor  Thiel  Regesten  zur  Geschichte 
des  landesfürstlichen  Behördenwesens  in  Steiermark. 

Wesentlicher  noch  als  diese  Arbeiten  war  eine  nach  sorgfältigen  Vor- 
arbeiten 1906  beschlossene  Neugestaltung  des  Arbeitsprogramms  und 
zwar  im  Sinne  der  Beschränkung  der  Arbeiten,  da  alhnählig  eine  Zersplitte- 
rung der  Kräfte  imd  eine  Ablenkung  von  dem  Hauptziele,  die  Verfassungs- 
und Verwaltungsgeschichte  aufzuklären,  drohte.  An  Stelle  des  r905  zurück- 
getretenen und  inzwischen  verstorbenen  Sekretärs  Prof.  Hans  von  Zwie- 
dineck-Südenhorst  *)  wurde  Archivdirektor  Prof.  Anton  Meli  vom 
Landesausschusse  zum  Sekretär  emaxmt,  und  gleichzeitig  wurde  eine  enge 
Verbindung  zwischen  der  Kommission  und  dem  Steiermäikischen  Landes- 
archive hergestellt. 

Aus  dem  Berichte  über  die  33.  ordentliche  Versammlung  der  Hi- 
storischen Kommission  fü r  Sachsen-Anhalt,  die  am  11.  und  12.  Mai 
1907  in  Tangermünde  stattfand,  ist  folgendes  mitzuteilen*).  Im  Druck  er- 
schienen ist  der  erste  Band  der  Registraturen  der  KirchenvisUationen  im 
ehemals  sächsischen  Kurkreise,  herausgegeben  von  Pallas.  Die  meisten 
begonnenen  Arbeiten  schreiten  rüstig  fort.  Oberlehrer  Hinze  in  Nordhausen 
hat  es  übernommen  die  Regesten  der  Sachsen -Wittenberger  Kurfürsten  aus 
dem  Anhaltinischen  Geschlechte  fortzusetzen.  Das  von  Dr.  Möllenberg 
gesammelte  urkundliche  Material  über  den  Mansfelder  Bergbau  wird  die 
Kommission  veröffentlichen.  Die  im  Vorjahre  eingesetzte  Kommission,  die 
die  Herausgabe  von  Quellen  zur  städtischen  Verfassungs-,  Ver- 
waltungs-  und  Wirtschaftsgeschichte  vorbereiten  sollte,  hat  fleißig 
gearbeitet  und  sich  zunächst  davon  zu  überzeugen  gesucht,  welches  für  die 
Edition  geeignete  Material  in  den  einzelnen  Städten  vorliegt.  Ehe  bestimmte 
Vorschläge  gemacht  werden  können,  mufi  jedoch  die  genauere  Inventarisations- 
arbeit,  die  sämtliche  Städte  zu  umfassen  hat,  noch  fortschreiten.  Als  Neu- 
jahrsblatt flir  1907  ist  die  Arbeit  Die  Kämpfe  in  und  bei  der  Stadt 
HäUe  a.  S,  am  17.  Oktober  1606  von  Hertzberg  erschienen.  Um  die 
Bearbeitung  wissenschafdich  begründeter  Heimatskunden  vorzubereiten, 
deren  Plan  schon  im  vorigen  Jahre  Prof.  Gröfiler  entwickelte,  wurde  eine 
sechsgliedrige Kommission  eingesetzt.  Die  Bearbeitung  der  Bau- und  Kunst- 
denkmäler nach  Kreisen,  namentlich  durch  Pfarrer  B  e  r  gu e  r  (Nischwitz), 
Prof.  Brinkmann  (Zeitz)  und  Archivrat  Jacobs  (Wernigerode)  schreitet 
rüstig  fort.  Von  der  Jahresschrift  für  die  Vorgeschichte  der  sächsisch- 
thüringischen  Lande  liegt  der  fünfte  Band  abgeschlossen  vor. 

Die  nächste  Versammlung  wird  in  Mühlhausen  i.  Th.  gehallen  werden. 
Der  Haushalt  der  Kommission  einschließlich  der  Kosten  flir  das  Provinzial- 
museum  zu  Halle  hält  mit  29  840  Mark  das  Gleichgewicht. 

Die  Thüringische  Historische  Kommission^)  hielt  am  7.  Juli 
1907  in  Georgenthal  eine  Sitzung  ab,  wobei  über  den  Fortgang  der  Arbeiten 


i)  Vgl.  den  Nekrolog  im  8.  Bande  dieser  Zeitschrift  S.  87 — 92. 

2)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  7.  Bd.,  S.  324 — 325. 

3)  Vgl.  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  59—60. 


—     25     — 

berichtet  wurde.  Der  Druck  der  Stadtrechte  von  Eisenach,  Gotha  und 
Waltershausen  ist  vollendet,  und  der  Herausgeber  von  Strenge  hat  bei 
seinem  Tode  auch  die  umfassende  Einleitung  fast  druckfertig  hinterlassen, 
so  daß  das  Werk  bald  erscheinen  wird.  Prof.  Koch  (Meiningen)  arbeitet 
an  der  Herausgabe  des  Saalfelder  Stadtrechts.  Bis  zum  Jubiläum  der 
Universität  Jena  (1908)  wird  sowohl  die  Biographie  Johann  Friedrichs  des 
Großmütigen  von  Mentz  als  auch  die  Geschichte  der  Universität  bis  1582 
von  Stoy  vollendet  sein.  Über  die  Veröffentlichung  der  ältesten  Visi- 
tationsberichte aus  Franken  und  Thüringen  durch  Pfarrer  Berbig  wu^e 
verhandelt,  aber  ein  endgültiger  Beschluß  noch  nicht  gefaßt.  Um  im  einzelnen 
den  von  Prof.  Michels  entwickelten  Plan,  ein  Wörterbuch  der 
thüringischen  Mundart  herauszugeben,  vorzubereiten,  wurde  ein  sechs- 
gliedriger  Ausschuß  eingesetzt.  An  einem  Werke  über  die  Forst-  und 
Flurnamen  Thüringens,  zunächst  des  gothaischen  Gebiets,  arbeitet  Frau 
Gerbin g.  Die  Inventarisation  der  Archive  ist  fortgeschritten:  Inventare 
wurden  eingereicht  vom  Pfarr-  und  Superintendenturarchiv  in  Ostheim  v.  d.  Rhön, 
und  von  den  Pfarrarchiven  in  Sondheim  v.  d.  Rhön  und  Urspringen.  Neu 
geordnet  wurde  das  Stadtarchiv  zu  Frankenhausen  durch  Hans  von  Wurmb. 
Zum  Hauptpfleger  für  Weimar  wurde  Dr.  Lämmerhirt  bestellt;  in 
Neustadt  a.  O.  ist  als  stellvertretender  Hauptpfleger  Archidiakonus  Dünnebier 
tätig.  In  Eisenach  hat  Prof.  Kühn  das  Amt  eines  Hauptpflegers  nieder- 
gelegt, und  ein  Ersatz  für  ihn  ist  noch  nicht  gefunden.  Auch  von  den 
Pflegern  sind  zahlreiche  zurückgetreten,  ohne  daß  überall  ein  Ersatz  zu  be- 
schaffen gewesen  wäre. 


Dem  zehu'cn  im  Juli  1907  erstatteten  Jahresbericht  der  Historischen 
Kommission  für  Hessen  und  VS^aldeck  ^)  ist  folgendes  zu  entnehmen. 
Erschienen  ist  im  Berichtsjahre  eine  Veröffentlichung  nicht,  aber  die  be- 
gonnenen Arbeiten  sind  zum  größten  Teile  gut  foicgeschritten.  Die  Voll- 
endung des  Fuldaer  UrkundenhucJis  hat  Privatdozent  Stengel  übernommen ; 
die  Herausgabe  der  Hessischen  Landtagsakten  kann  Prof.  Glagau  nicht 
fortführen;  der  Druck  der  ersten  bis  1308  reichenden  Abteilung  der  Land - 
grafenrege  st  en,  bearbeitet  von  Grotefend,  hat  begonnen;  das  von  Wiese 
herausgegebene  Urkundenbuch  der  Stadt  Wetzlar  geht  semer  Vollendung 
entgegen ;  das  Erscheinen  eines  zweiten  Bandes  vom  Urkundenbuch  der  Stadt 
JFViedberg  ist  gesichert,  da  die  Stadt  die  erforderlichen  Mittel  bereitgestellt 
hat  und  in  Oberlehrer  Dreher  ein  geeigneter  Bearbeiter  gefunden  worden 
ist;  die  Vollendung  des  sechsten  und  letzten  Blattes  der  Grundkarte,  Eschwege- 
Eisenach,  steht  unmittelbar  bevor.  Neu  beschlossen  wurde  die  Herausgabe 
eines  Werkes,  welches  die  hessischen,  fiildischen,  hanauischen  und  waldeckischen 
Lehen  und  ihre  Inhaber  bis  zum  Ende  des  Lehnswesens  übersichtlich  ver- 
zeichnen soll;  mit  der  Ausführung  wurde  Archivassistent  Knetsch  betraut 

Besonders  erfreulich  sind  die  Nachrichten  über  die  Inventarisation 
der  kleinen  Archive,  über  die  der  Vorstand  bereits  1900  beraten  hatte, 
von  der  aber  aus  Mangel  an  Mitteln  und  Arbeitskräften  damals  Abstand  ge- 


i)  Vgl.  dartiber  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  333—334. 


—     26     — 

nommen  worden  war  ^).  Seitens  des  Kgl.  Staatsarchivs  in  Marburg  sind  seit 
langen  Jahren  städtische,  kirchliche  und  private  Archive  auf  ihren  Inhalt 
untersucht  worden ,  vmd  über  die  Ergebnisse  dieser  Arbeiten  wird  in  einem 
Anhange  zum  vorliegenden  Jahresbericht  (S.  15 — 39)  Bericht  erstattet,  der 
allgemeine  Beachtung  verdient  und  von  emer  bislang  unbekannten  eifrigen 
Tätigkeit  der  Archivdirektion  zeugt.  In  emer  Anlage  A  werden  die  älteren 
Archivalien,  namentlich  solche  aus  der  Reformationszeit,  au%eführt,  die  sich 
in  den  evangelischen  Pfarreien  des  Regierungsbezirks  Kassel  finden.  Eine 
Anlage  B  verzeichnet  in  aller  Kürze,  was  die  städtischen  Archive  des 
Archivsprengeis  Marburg  —  es  sind  64  an  Zahl  —  enthalten. 

Durch  den  Tod  verlor  die  Kommission  die  Patrone  und  Mitglieder: 
Bischof  Endert,  Freiherm  von  Wintzingerode  und  Prof.  Justi.  Neu 
traten  in  die  Kommission  ein:  Dr.  Armbrust  (Göttingen),  Generalleutnant 
z.  D.  Beß  (Marburg),  Archivar  Müsebeck  (Marburg)  und  Privatdozent 
Vogt  (Giefien).  —  Der  Jahreseinnahme  von  5980  Mark  steht  eine  Ausgabe 
von  4591  Mark  gegenüber;  da  aber  zu  Beginn  des  Rechnungsjahres 
6314  Mark  zur  Verfügung  standen,  so  beziffert  sich  der  Kassenbestand  auf 
7703  Mark. 


Ganz  neuerdings  wird  bekannt,  daß  eine  Historische  Kommission 
für  das  Grofsherzogtum  Hessen  in  der  Bildung  begriffen  ist. 


Haseen.  —  Unter  den  geschichtlichen  Quellen  spielen  die  körperlichen 
Überreste  der  Vergangenheit  eine  mindestens  ebenso  grofie  Rolle  wie  die  schrift- 
lichen aus  dem  Geschäftsbetrieb  erwachsenen  Aufzeichnungen,  die  Archivalien  '). 
Aber  je  mehr  sich  das  Interesse  der  Forschung  dem  Zuständlichen  zugewandt 
hat,  um  so  wichtiger  sind  diejenigen  Überreste  geworden,  die  von  der  Be- 
tätigung menschlichen  Lebens  und  Arbeitens  herrühren  und  die  bekanntlich  in 
unzähligen  grofien  und  kleinen  Sammlungen  unter  den  verschiedensten  Gesichts- 
punkten aufgespeichert  werden.  Denn  heute  wird  wohl  von  keiner  ernst  zu  neh- 
menden Seite  mehr  die  Sammlung  „alten  Gerumpels '^  gnmdsätzlich  abgelehnt,  wie 
es  einst  geschah,  als  der  Gründer  des  Germanischen  Nationalmuseums  in 
Nürnberg,  der  Freiherr  von  A  u  f  s  e  fi ,  die  Anregung  zu  einer  systematischen 
Sammlung  der  Überreste  der  älteren  deutschen  Kultur  gab  und,  den  Reich- 
tum daran  beträchtlich  unterschätzend,  alles  an  einer  Stelle  zusammenbringen 
wollte.  Ganz  allgemein  ist  man  heute  dazu  fortgeschritten,  jeden  Gegen- 
stand als  das  Erzeugnis  der  Zeit  und  des  Ortes  seiner  Entstehung  zu  wür- 
digen, nicht  nur  für  die  Erhaltimg  hervorragender  Kunstgegenstände  zu  sorgen, 
sondern  auch  die  gewerblichen  Durchschnittserzeugnisse  gebührend  zu  be- 
achten. Auf  diesem  Wege  sind  neben  den  mannigfachen  Museen,  die  mehr 
praktischen  Zwecken  dienen   oder  künstlerischem   Interesse   ihre  Entstehung 

i)  Hiemach  wären  die  Angaben  zu  berichtigen,  die  im  Korrespondenzblatt  des 
Gesamtvereins  der  Deutschen  GeschichtS'  und  Ältertumsvereine  55.  Jahrgang  (1907), 
Sp.   168  enthalten  sind. 

2)  Vgl.  Bern  heim,  Lehrbuch  der  Historischen  Methode  und  der  Geschichts^ 
Philosophie  3.  und  4.  Aafl.  (Leipzig  1903),  S.  331  ff. 


—     27     — 

▼erdankeD,  die  kulturgeschichtlichen  Museen  erwachsen,  die  sich  be- 
wußt die  Aufgabe  stellen,  Überreste  der  Vergangenheit  als  solche  zu  sam- 
meln, damit  sie  die  Zustände  der  Vergangenheit  geschichtlich  verstehen 
lehren.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  tun  das  alle  andern  Museen  auch, 
aber  der  unmittelbare  Zweck  ihres  Daseins  und  der  Grund  ihrer  Entstehung 
ist  dennoch  auf  anderen  Gebieten  zu  suchen.  Zu  den  kulturhistorischen 
Museen  gehören  auch  alle  landes-  und  ortsgeschichtlichen  Samm- 
lungen, von  denen  in  dieser  Zeitschrift  schon  oft  die  Rede  gewesen  ist. 

Diese  erfreuliche  Wendung  in  der  Sammlung  geschichdichen  Stofifs  hat 
eine  Menge  Menschen,  die  zunächst  nur  das  sachliche  Interesse,  aber  weder 
besondere  Fachkenntnisse  noch  technische  Schulung  besaßen,  zur  Arbeit  des 
Sammeins,  Prüfens,  Ordnens,  Aufstellens,  Konservierens  und  Verzeichnens 
gezwungen  und  damit  zu  einer  Tätigkeit,  welche  die  Verwalter  aller  mög- 
Uchen  andern  Museen  in  ganz  ähnlicher  Weise  übten.  Und  indem 
das  Gemeinsame  in  der  Arbeit  dieser  Personen  erkannt  wurde,  entstand, 
zunächst  ohne  Rücksicht  auf  die  in  dem  einzelnen  Museum  zu  sammelnden 
Gegenstände,  ein  neuer  Wissenszweig  technischer  Art:  die  Museumskunde. 
Ganz  gewiß  muß  jeder  Museumsleiter  in  derjenigen  Wissenschaft  gut  be- 
schlagen sein,  die  ihm  die  Gesichtspunkte  ftir  seine  besondere  Arbeit  liefert, 
aber  dieses  Fachwissen  genügt  allein  noch  nicht;  es  ist  vielmehr  auch  eine 
technische  Schulung  ftir  die  praktische  Arbeit  notwendig.  Mag  diese 
auch  im  einzelnen  je  nach  dem  Gebiet,  dem  eine  Sammlung  angehört,  ver- 
schieden sein,  so  wird  sich  trotzdem  jeder,  der  in  einem  Museum  tätig  ist, 
die  £r£eihrungen,  die  an  anderer  Stelle  gemacht  worden  sind,  nutzbar  machen 
müssen.  Das  ist  aber  ftir  die  Mehrzahl  der  im  Museumsdienst  stehenden 
Personen  nicht  gerade  leicht,  weil  sie  aus  eigener  Erfahrung  doch  immer 
nur  einen  kleinen  Teil  der  vorhandenen  Museen  kennen  lernen  können  und 
eine  allgemeine  Anleitung  ftir  die  praktische  Museumsarbeit  in  Form  ebes 
Handbuchs  zurzeit  noch  fehlt.  Diese  Lücke  auszuftillen,  zunächst  eben 
Sammelpunkt  von  Musealnachrichten  zu  Schäften  und  so  den  Stofi"  ftir 
eme  Museumskunde  allmählich  zusammen  zu  tragen,  war  zweifellos  ebe 
Zeitschriftam  geeignetsten,  imd  b  dieser  Erkenntnis  hat  Karl  Koetschau, 
damals  Direktor  des  Königlich  Historischen  Museums  in  Dresden,  seit  Früh- 
jahr 1907  Direktor  der  Großherzoglichen  Museen  in  Weimar,  1905  ein 
Organ  ins  Leben  gerufen,  das  b  Vierteljahrsheften  vornehmster  Ausstattung 
b  Quartformat  erschebt:  Museumskunde,  Zeitschrift  für  Yerwallung  und 
Technik  öffentlicher  und  privater  Sanmlungen  (Berlin,  Georg  Reimer). 

Zwei  Bände  (1905  und  1906  von  je  240  Seiten,  Preis  des  Bandes 
Mk.  20.00)  liegen  gegenwärtig  abgeschlossen  vor,  und  das  darb  Dargebotene 
rechtfertigt  die  Forderung,  daS  sich  jeder  Sammlungsvorsteher  dauernd  vom 
Inhalte  der  Zeitschrift  Kenntnis  verschaffe,  weim  anders  er  seiner  Aufgabe 
genügen  will.  In  besonderem  Maße  gilt  dies  ftir  die  Leiter  kulturgeschicht- 
licher Museen,  von  denen  ja  bekanndich  eb  recht  großer  Teil  nebenamtlich 
tätig  ist  und  überdies  einer  besonderen  museumstechnischen  Ausbildung  ent- 
behrt Um  zu  zeigen,  was  die  Museumskunde  dem  Historiker  bietet,  soll 
hier  auf  den  ebschlägigen  Inhalt  der  beiden  ersten  Bände  kurz  hbgewiesen 
werden. 

Mit  eber  äußeren  Angelegenheit  von  größter  praktischer  Bedeutung  be- 


—     28     — 

schäftigt  sich  Hans  Lehmann  (I,  S.  104  — 109),  wenn  er  die  Feuer- 
versicherung von  Kunstwerken  und  Altertümern  bespricht  und  zwar  zwei 
Fälle  mitteilt,  die  zeigen,  wie  sich  in  Wirklichkeit  Versicherungsgesellschaften 
bei  Bränden  in  Museen  verhalten  haben.  Pazaurek  (I,  S.  97 — 104)  be- 
handelt die  Feuersgefahr  und  die  Mittel,  die  sie  vermindern  sollen.  Auf 
die  Notwendigkeit  einer  Museumsschule  weist  Lei  sc  hing  (I,  S.  91 — 96) 
hin,  wenn  er  die  Einrichtung  von  „Museumskursen**  fordert.  Einen  dreh- 
baren, von  ihm  selbst  konstruierten  Schaukasten,  der  für  einen  ausgestopften 
Vogel  hergestellt  worden  ist,  beschreibt  Heinrich  Lenz  (S.  109 — iii): 
auch  flir  wertvolle  geschichtliche  Gegenstände,  deren  einzehie  Teile  bei  guter 
Beleuchtung  betrachtet  werden  müssen,  würde  sich  dieses  Modell  empfehlen. 
Für  jedes  Museum,  das  auch  eine  Münzsammlung,  wenn  auch  eine  solche 
bescheidenen  Umfangs,  enthält,  wird  es  wichtig  sein  zu  erfahren,  wie  in 
einer  der  größten  Sammlungen  die  Schätze  aufbewahrt  werden.  Eine  solche 
Belehrung  bietet  Menadier  (I,  S.  16  —  34),  der  die  Neueinrichtung  des 
königlichen  Münzkabinetts  im  Kaiser -Friedrich -Museum  zu  Berlin  ein- 
gehend beschreibt.  Die  Instandsetzung  der  Raffael-Tep piche,  über  die 
man  überall  da,  wo  ähnliche  Ausbesserungen  notwendig  werden,  gern  etwas 
Näheres  hören  wird,  beschreibt  Carlotta  Brinckmann  (I,  S.  34  —  37), 
und  über  die  Notwendigkeit  gemeinsamer  Arbeit  bei  Erhaltung  von  Kunst- 
gegenständen handelt  im  allgemeinen  Karl  Koetschau  (I,  S.  53  —  56)  im 
Anschluß  an  die  1904  auf  Veranlassung  der  k.  k.  Zentralkommission  für 
Kunst  und  historische  Denkmäler  in  Wien  gepflogenen  Verhandlungen,  deren 
Verlauf  anscheinend  die  Teilnehmer  nicht  befriedigt  hat.  Im  zweiten 
Bande  äußert  sich  Römer  (S.  74  —  79)  besonders  über  die  Feuersgefahr 
in  naturhistorischen  Museen.  Die  billig  an  die  Vorbildung  eines  Museums- 
direktors zu  stellenden  Ansprüche  bespricht  (S.  175  — 189)  der  Amerikaner 
Hoyle.  Wie  Muscumsschränke  praktisch  zu  gestalten  sind,  wenn  sie 
ihre  Zwecke  erfüllen  sollen,  zeigt  Pazaurek  (S.  79 — 84).  Die  neu  er- 
bauten Museen  in  Braunschweig  (S.  128 — 139)  und  Riga  (S.  68  —  74) 
werden  eingehend  beschrieben,  und  wo  man  nur  immer  an  einen  Neubau, 
einen  Umbau  oder  eine  Neueinrichtung  geht,  wird  jede  derartige,  aus  sach- 
verständiger Feder  fließende,  leicht  zugängliche  Schilderung  willkommen  sein. 
In  das  engere  Gebiet  des  Geschichtsforschers  führt  der  Aufsatz  von 
Max  V  a  n  c  s  a  über  die  Vorarbeiten  zur  Gründung  eines  niederösterreichischen 
Landesmuseums  in  Wien  (S.  8  — 17),  worin  die  für  die  Errichtung  von 
Landesmuseen  überhaupt  maßgebenden  Gesichtspunkte  entwickelt  werden; 
auch  der  erfolgreichen  Tätigkeit  der  Landesgeschichtsvereine  für  die  Museen 
wird  darin  gedacht.  Von  allergrößter  grundsätzlicher  Bedeutung  aber  ist 
der  Beitrag  von  Brandt  über  Provinzial-  und  Lokalmuseen  (S.  i — 7). 
Dieser  Gegensatz  hat  die  Gemüter  in  neuerer  Zeit  auf  beiden  Seiten  mannig- 
fach erregt,  und  deshalb  ist  es  entschieden  zeitgemäß,  wenn  von  sachkun- 
diger Seite  dazu  Stellung  genommen  und  der  Wirkungskreis,  der  jeder  der 
beiden  Arten  von  Museen  im  Interesse  der  geschichtlichen  Forschung  zu- 
gewiesen werden  muß,  näher  umschrieben  wird.  So  viel  ist  ja  ohne  weiteres 
klar,  daß  bei  der  Sammlung  geschichtlicher  Überreste  —  bezüglich  der 
Erzeugnisse  der  hohen  Kunst  gelten  ganz  selbstverständlich  andere  Gesichts- 
punkte —  der  Zusammenhang  mit  der  Gegend,  der  sie  entstammen,  gewahrt 


—     29     — 

werden  mufi,  und  das  erscheint  in  einem  gemeindeutschen  Museum,  wie  es 
das  Germanische  Museum  ist,  unmöglich;  ein  solches  muß  sich  aber  schon 
aus  äußeren  Gründen  naturgemäß  Beschränkungen  auferlegen  und  zweck- 
mäßigerweise mehr  sachliche  als  räumliche  Gesichtspunkte  fUr  die  Auswahl 
und  Aufstellung  der  Sammlungsgegenstände  maßgebend  sein  lassen.  Zu 
wesentlichen  Interessenkonflikten  zwischen  dem  Nürnberger  oder  anderen  all- 
gemeinen Hauptstadtmuseen  und  den  geschichtlichen  Museen  mit  räumlich 
beschränktem  Arbeitsfeld  ist  es  deshalb  bisher  tatsächlich  nicht  gekommen. 
Den  normalen  Rahmen  für  die  Sammlung  geschichtlicher  Überreste  bildet  ganz 
zweifellos  die  Landschaft,  d.  h.  der  mehr  oder  weniger  große  Bezirk, 
der  als  geschichtliche  Kulturgemeinschaft  aus  der  Vergangenheit  in  die  Gegen- 
wart hereinragt  und  sich  in  der  Regel  mit  einem  Staate,  einer  Provinz  oder 
einem  Verwaltungsbezirke  im  wesentlichen  deckt  Es  gibt  im  Deutschen 
Reiche  gegenwärtig  wohl  kein  auch  noch  so  kleines  Gebiet,  für  das  nicht 
auch  ein  zuständiges  Landes-  (Provinzial-)Museum  vorhanden  wäre.  Für  die 
zielbewußte  Bereicherung  dieser  letzteren  müssen  die  geschichtlich  interessierten 
Kreise  jeder  Landschaft  im  öffentlichen  Interesse  ganz  unzweifelhaft  zuerst 
sorgen,  imd  das  wird  im  ganzen  nicht  allzu  schwer  s^in,  weil  dafür  immer 
einige  Mittel  aufgewandt  werden  und  ein  hauptamtlich  tätiger,  fachmännisch 
gebildeter  Museumsleiter  in  den  allermeisten  Fällen  vorhanden  ist.  Darüber, 
daß  ein  solches  Landesmuseum  ein  wirkliches  Bild  von  der  Vergangenheit 
des  Landes  und  der  ihm  eigentümlichen  Kultur  geben  muß,  sind  sich  alle 
Beteiligten  einig,  und  auch  daß  diesen  Sammlungen  ein  streng  wissenschaft- 
licher Charakter  eignen  muß,  wird  kaum  bestritten  werden.  Es  fragt  sich 
nur,  ob  die  in  jüngster  Zeit  überall,  selbst  in  ganz  kleinen  Städten  und 
Dörfern,  entstehenden  Ortsmuseen  nicht  die  größeren  Aufgaben  beein- 
trächtigen. Nicht  wenige  ernste  Geschichtsfreunde  sind  dieser  Ansicht,  und 
man  wird  den  Worten  Brandts  die  Zustimmung  nicht  versagen  können,  wenn 
er  betont,  daß  diese  kleinen  Sammlungen  vielfach  in  ungenügenden  Räumen 
untergebracht  sind,  eine  auch  nicht  im  entferntesten  für  die  schwere  Auf- 
gabe befähigte  Leitung  besitzen,  der  meist  namendich  hbichtlich  der  Kon- 
servierung jede  praktische  Erfahrung  fehlt,  und  daß  es  meist  an  allen  Mitteln 
für  sachgemäße  Unterhaltung  und  für  Neuerwerbungen  gebricht.  Als  den 
schwersten  Mangel  jedoch  empfindet  Brandt  das  Unsystematische  des 
Sammeins,  das  sich  vor  allem  darin  äußert,  daß  alles  mögliche  aufgenommen 
wird,  weil  es  zufällig  vorhanden  ist,  auch  wenn  es  nicht  in  den 
Kreis  hineingehört,  auf  den  sich  naturgemäß  das  ortsgeschichtliche  Museum 
beschränken  muß.  Demgegenüber  tritt  Brandt  aber  auch  warm  für  die  ver- 
ständig gepflegten  Lokalmuseen  ein  und  sagt:  „Es  ist  gar  nicht  in  erster 
Linie  der  höhere  Wert  der  Sammlungsgegenstände  an  sich,  welcher  das  gute 
Lokalmuseum  von  dem  schlechten  so  vorteilheft  unterscheidet,  sondern  neben 
der  liebevoll  durchgeführten  Aufstellung  und  der  guten  Erhaltung  der  Sammel- 
bestände vor  allem  eine  mit  Kenntnis  und  Folgerichtigkeit  durchgeführte 
Beschränkung  im  Sammelprogramm.  Da  findet  man  kein  planlos  durch- 
einander gewürfeltes  Allerlei.  Es  ist  nur  gesanmielt,  was  zum  Kulturbild 
der  nächsten  Umgebung  gehört,  auf  alles  andere  ist  konsequent  ver- 
zichtet, auch  wenn  es  sich  als  Schenkung  aufdrängen  wollte.  Eben  in  solcher 
verständigen  Beschränkung  schemt  mir  das  Wesentliche  zu  liegen.    Ein  kleines 


—     30     — 

Museum  sollte  nicht  eine  Reihe  von  Kulturbildern,  sondern  nur  ein  einziges 
Kulturbild  geben  wollen  und  alles  ausscheiden,  was  nicht  in  den  Rahmen 
dieses  einen  Bildes  pafit,  andererseits  aber  auch  das  eine  Bild  bis  in  jede 
kleinste  Einzelheit  durchzuführen  suchen."  Als  besonders  wünschenswert 
bezeichnet  der  Verfasser  die  Benutzung  alter  Bürgerhäuser  zur  Unterbringung 
eines  ortsgeschichtlichen  Museums,  sowohl  um  des  letzteren  willen  als  auch 
deswegen,  weil  so  für  die  Erhaltung  eines  solchen  Hauses  in  seiner  Eigen- 
art am  besten  gesorgt  ist  Unter  den  Gründen,  die  gegen  die  Überhandnähme 
kleinster  Museen  sprechen,  scheint  mir  der  folgende  besondere  Beachtung 
zu  verdienen.  In  der  Regel  ist  eine  Person  die  Schöpferin  eines  solchen 
Museums,  und  selbst  wenn  ganz  Vorzügliches  geleistet  wird,  besteht  die  große 
Gefahr,  dafi  nach  ihrem  Tode  oder  Weggang  ein  geeigneter  Nachfolger  fehlt 
und  daß  dann  die  Sammlung  allmählich  verkommt,  da  eine  kleinere  Gemeinde 
naturgemäß  größere  Opfer  dafür  nicht  bringen  kann.  Ganz  besonders  not- 
wendig ist  es  überall  da,  wo  aus  irgendeinem  Grunde  einem  ortsgeschicht- 
lichen Museum  der  aUmähliche  Verfall  droht,  rechtzeitig  helfend  einzugreifen, 
sei  es  durch  Gewinnung  eines  neuen  tatkräftigen  Leiters,  sei  es  durch  Einverleibung 
der  ganzen  Sammlung  in  ein  größeres  Museum.  —  Die  hier  berührten  Pro- 
bleme besitzen  für  alle  wissenschaftlichen  Arbeiter  auf  dem  Felde  der  Landes- 
und Orts-  und  nicht  mmder  auf  dem  der  allgemeinen  Kulturgeschichte  die 
allergrößte  Bedeutung.  Es  ist  dringend  notwendig,  daß  für  jede  Landschaft, 
d.  h.  in  diesem  Falle  für  den  Bezirk  jedes  Landes-  (Provinzial-)Museums, 
die  einschlägigen  Verhältnisse  unter  Heranziehung  der  EigentümlicUceiten  des 
Landes  untersucht  und  dargestellt  werden,  und  um  die  Anregung  zur  Er- 
örterung der  berührten  Fragen  und  zugleich  Grundlagen  dafür  zu  geben, 
wurde  hier  länger  bei  dem  Aufsatze  von  Brandt  verweüt,  der  von  den  in 
Schleswig-Holstein  gesammelten  Beobachtungen  ausgeht. 

Außer  den  Aufisätzen,  von  denen  hier  nur  die  für  den  Geschichtsforscher 
wichtigen  erwähnt  wurden,  bietet  die  Museumshunde  in  jedem  Hefte  in  einer 
„Museumschronik**  eine  Menge  kurze  Nachrichten  über  Vorgänge  im  Mu- 
seumswesen, und  für  diese  Abteilung  sollten  im  öffentlichen  Interesse  dem 
Herausgeber  recht  viele  zuverlässige  Mitteilungen  zufließen!  Auch  die  Lite- 
ratur wird  durch  Anzeige  von  Neuerscheinungen  in  jedem  Hefte  berücksichtigt, 
und  gerade  in  dieser  AbteUung  finden  sich  nicht  wenige  Nachrichten  über 
örtliche  Museen.  ^    »p 

Elngegan^ne  Bflcher. 

Dohna,  Burggraf  und  Graf  Hannibal  zu:  Napoleon  im  Frühjahr  1807,  ein 
Zeitbild.  Mit  14  Abbildungen.  Leipzig,  Georg  Wigand  1907.  143  S. 
8^     M.  4,00. 

Bonus,  Arthur:  Isländerbuch  I.  Sammlung  L,  herausgegeben  vom  Kunst- 
wart.   München,  Georg  D.  W.  Callwey  1907.     296  S.  16^.     M.  4,00. 

Erbe,  A.:  Historische  Städtebilder  aus  Holland  und  Nieder -Deutschland. 
Mit  59  Abbildungen  im  Text  [=  Aus  Natur  und  Geisteswelt,  Sanun- 
lung  wissenschaftiich-gemeinverständlicher  Darstellungen,  117.  Bändchen.]. 
Leipzig,  B.  G.  Teubner  1906.     103  S.  8^     geb.  M.  1,25. 


—     31     — 

Feuereisen,  Arnold:  Livländische  GcschichtsUteratur  1904,  in  Vcrbmdung 
mit  den  baltischen  geschichtsforschenden  Gesellschaften  herausgegeben 
von  der  Gesellschaft  für  Geschichte  und  Altertumskunde  der  Ostsee- 
provinzen.  Rußlands  in  Riga.     Riga,  N.  Kynmiel  1907.     72  S.  S«. 

Fournier,  August:  Österreich  und  Preußen  im  XIX.  Jahrhundert,  ein  Vor- 
trag.    Wien,  Wilhehn  BratunüUer  1907.     34  S.  8^     M.  1,00. 

Gleichen-Rußwurm,  Alexander  von:  Aus  den  Wanderjahren  eines  frän- 
kischen Edelmannes  [=  Neujahrsblätter,  herausgegeben  von  der  Gesell- 
schaft für  Fränkische  Geschichte  II].  Würzburg,  H.  Stürtz  1907. 
61  S.  8^  M.  2,00. 

Grupp,  Georg:  Kulturgeschichte  des  Mittelalters.  I.  Band.  Zweite  voll- 
ständig neue  Bearbeitung.  Mit  45  Illustrationen.  Paderborn,  Ferdinand 
Schöningh  1907.     458  S.  8^     M.  5,60. 

Heil,  B.:  Die  deutschen  Städte  und  Bürger  im  Mittelalter.  Zweite  ver- 
besserte Auflage.  [=  Aus  Natur  und  Geisteswelt,  Sammlung  wissen- 
schaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen,  43.  Bändchen.]  Leipzig, 
B.  G.  Teubner  1906.     164  S.     geb.  M.  1,25. 

Heling,  Reinhard:  Ponmiems  Verhältnis  zum  Schmalkaldischen  Bunde  i.  Teil 
[=  Baltische  Studien,  herausgegeben  von  der  Gesellschaft  ftir  Pommersche 
Geschichte   und  Altertumskunde.     Neue  Folge  Bd.  X.     (Stettin  1906), 

S.  1—32]. 

Kawerau,  Gustav:  Paul  Gerhardt,  ein  Erinnerungsblatt  [=  Schriften  des 
Vereins  für  Reformationsgeschichte  Nr.  93.].  Halle,  Rudolf  Haupt  1907. 
85  S.  8^     M.  1,20. 

Knapp,  Hermann:  Die  Zenten  des  Hochstifts  Würzburg.  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  des  süddeutschen  Gerichtswesens  und  Straftechts.  Mit  Unter- 
stützung der  Savignystiftung  herausgegeben.  I.  Band:  Die  Weistümer 
und  Ordntmgen  der  Würzburger  Zenten.  I.  Abteilung.  Mit  zwei  Ab- 
bildungen. Berlin,  J.  Guttentag,  G.  m.  b.  H.  1907.  708  S.  8^  IL  Ab- 
teilung.    Mit  einer  Abbildung.     Ebenda.     S.  709 — 1405.     M.  45,00. 

Kunze,  Richard:  Die  Germanen  in  der  antiken  Literatur,  eine  Sanmüung 
der  wichtigsten  Textstellen.  U.  Teil:  Griechische  Literatur.  Leipzig, 
G.  Freytag.     128  S.  8*.     geb.  M.  1,50. 

Krollmann,  C.:  Schlobitter  Erinnerungen  an  das  Jahr  1807  \=  Sonder- 
abdruck aus  den  Oberländischen  QeachiehUibUUtern^  Heft  IX.J.    13  S.  8^ 

Leifs,  A. :  Studierende  Waldecker  vom  13.  bis  zum  19.  Jahrhundert  (Fort- 
setzung) [=  Sonderabdnick  aus  den  Q-eachichtsblättem  für  Waldeck 
und  Pjßrmontf  7.  Band,  S.  57 — 129.]. 

Loening,  Edgar:  Gnindzüge  der  Verfassung  des  Deutschen  Reiches. 
Zweite  durchgesehene  Auflage.  [=  Aus  Natur  und  Geisteswelt,  Samm- 
lung wissenschaftlich-gemeinverständlicher  Darstellungen,  34.  Biüidchen.] 
Leipzig,  B.  G.  Teubner  1906.     140  S.  8^     geb.  M.  1.25. 

Meysenbug,  O.  Freiherr  von:  Beiträge  zur  Geschichte  musikalischen  und 
theatralischen  Lebens  in  Detmold.  IL  Lippesche  Theatergeschichte  zur 
Zeit  Graf  Simon  Augusts  tmd  Fürst  Leopolds  I.  [^  Mitteilungen  aus 
der  lippischen  Geschichte  und  Landeskunde  IV  (Detmold  1906)» 
S.  82 — 146.] 


—     32     — 

Schmidt,  Wilhelm:  Die  Kirchen-  imd  Schulvisitation  im  sächsischen  Kur- 
kreise vom  Jahre  1555.  Zweites  Heft:  Die  wirtschaftlichen  Verhältnisse. 
[=  Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgeschichte  Nr.  92.]  Halle  a.  S., 
Rudolf  Haupt  1906.     88  S.  8^     M.  1,20. 

Seyler,  Emanuel:  Der  Römerforschung  Leistungen  und  Irrtümer.  Nürnberg, 
in  Kommission  bei  F.  Willmy  1907.     49  S.  8^.     M.  0,50. 

Stenger:  Beiträge  zur  Geschichte  der  Schule  in  der  Marie  im  18.  Jahr- 
hundert [=  Jahrbuch  des  Vereins  für  die  Evangelische  Kirchengeschichte 
Westfalens,    Neunter     Jahrgang     (Gütersloh,     C.   Bertelsmann     1907) 

s.  19—39]- 

Strakosch-Grafsmann,  Gustav:  Die  Volkszahl  der  deutschen  Städte  in 
Gegenwart  und  Vergangenheit,  eine  vorläufige  Zusammenstellung.  [Se- 
paratabdruck aus  dem  Jahresbericht  für  1 906/1 907  des  städtischen 
Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläum-Realgymnasiums  in  Komeuburg.]  Komeu- 
burg  1907.     79  S.  8^ 

Tille,  Alexander:  Zur  Geschichte  der  Saarflößerei  und  Saarschiffahrt  [= 
Südwestdeutsche  Wirtschaftsfragen,  Heft  7].  Saarbrücken,  Kommissions- 
verlag von  C.  Schmidtke  1907.     45  S.  8^. 

W  i  d m  a  n  n ,  Hans :  Geschichte  Salzburgs.  Erster  Band  (bis  1270)  [=  Deutsche 
Landesgeschichten,  herausgegeben  von  Armin  Tille,  Neuntes  Werk]. 
Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft  1907.  384  S.  8^. 
M.  8,00. 


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Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipsif . 
Verlag  und  Druck  von  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


sur 


Förderung  der  landesgeschicbtüchen  Forscbimg 

IX.  Band  November  1907  2.  Heft 


Quellen  zur  städtischen  Wirtsehafts^ 

gesehiehte  ^) 

Von 
Armin  Tille  (Dresden) 

Den  äußeren  Anlaß  zu  diesen  Darlegungen  bildet  der  Umstand, 
•daß  bei  der  siebenten  Konferenz  von  Vertretern  landesgeschichtlicher 
Publikationsinstitute  in  Stuttgart  über  die   „Herausgabe  von   Quellen 


i)  Im  folgenden  ist  dasjenige  enthalten,  was  der  Verfasser  am  3.  September  1907  vor 
<ler  achten  Konferenz  von  Vertretern  landesgeschichtlicher  Publika- 
tionsinstitate  (vgl.  unten  S.  52 — 53)  ausgefUhrt  hat.  Dem  Charakter  des  Vortrags  ent- 
sprechend wurde  mit  wenigen  Aasnahmen  von  der  Bezognahme  auf  bestimmte  Veröffent- 
lichungen abgesehen,  und  dies  schien  auch  deswegen  ratsam,  weil  fUr  jede  der  einzelnen 
hier  berührten  QueUengattungen  eine  mögUchst  umfassende  ZusammensteUung  des  bereits 
gedruckten  oder  in  DarsteUnngen  ausführlicher  ausgebeuteten  Stoffes  als  dringend  not- 
wendig bezeichnet  werden  muß  und  derartigen  Arbeiten  durch  eine  willkürliche  Auswahl 
nicht  vorgegriffen  werden  soll. 

Inhaltlich  berühren  sich  diese  Ausführungen  mit  dem,  was  ich  in  meiner  Schrift  Wirt' 
Schaftsarchive  (Berlin  1905)  mit  Bezug  auf  die  wirtschaftsgeschichtlichen  Quellen  des 
XIX.  Jahrhunderts  dargelegt  habe;  die  dort  entwickelten  Gesichtspunkte  werden  hier  auf 
•die  früheren  Perioden  der  deutschen  Geschichte  angewandt,  aus  der  Beschäftigung  mit 
denen  heraus  die  grundsätzliche  Forderung,  die  Überreste  der  Geschäftsführung  als 
primäre  Quelle  besser  zu  würdigen,  entstanden  ist.  Es  handelt  sich  dabei  im  letzten 
-Grunde  um  dieselbe  Idee,  die  Richard  Ehrenberg,  der  Herausgeber  des  Thünef^ 
Archivs,  mit  der  Forderung  einer  exakten  Wirtschaftsforschung  vertritt,  wenn 
sich  auch  der  Historiker,  den  weiter  zurückliegende  Zeiten  fesseln,  voU  t>ewnfit  bleibt, 
dafi  das  Material  nicht  entfernt  vollständig  genug  ist,  um  auch  nur  annähernd  die  Kenntnis 
•der  Dinge  zu  gewinnen,  die  sich  für  das  XIX.  Jahrhundert  möglicherweise  erreichen  läßt. 
Weil  solche  unmittelbar  aus  dem  wirtschaftlichen  Leben  des  Tages  heraus  erwachsene 
QaeUen,  die  sich  für  die  Benutzung  meist  recht  spröde  erweisen,  wenigstens  seit  dem 
XIV.  Jahrhundert  für  viele  Städte  in  mehr  oder  weniger  reicher  Auswahl  vorhanden  sind, 
ohne  daß  sie  bisher  gebührend  ausgebeutet  worden  wären,  scheint  es  an  der  Zeit,  grund« 
^ätzlich  auf  die  Notwendigkeit  ihrer  Ausbeutung  hinzuweisen. 

3 


—     34     — 

zur  städtischen  Rechts-   und  Wirtschaftsgeschichte"  *)    ver- 
handelt werden  sollte,   daß  aber   der  Berichterstatter,    Stadtarchivar 
Overmann  (Erfurt),  in  der  Tat  näher  nur  auf  die  Quellen  zur  Ge- 
schichte   der    Stadt  Verfassung    und    Stadtverwaltung    einging,, 
die  wirtschaftlichen  Quellen  aber  nur  teilweise   streifte.    Es  war  die& 
weiter  nicht  wunderbar,  weil  die  neueren  VeröfTentlichungen,  die  kritisch* 
verglichen  wurden,  sich  tatsächlich  nur  mit  ersteren  beschäftigen  und 
sich  auch  ihren  Titeln  nach  gar  nicht  mit   der  Wirtschaftsgeschichte 
befassen  wollen.     Für  die  Formulierung  des  Verhandlungsthemas  war 
eine  Publikation  entscheidend  gewesen,   die  Ostern  1906  noch  nicht 
vorlag,  aber  jetzt  erschienen  ist,  nämlich  die  von  der  Gesellschaft  für 
rheinische  Geschichtskunde  herausgegebenen  und  von  Lau  bearbeiteten 
Quellen    zur   Stadtgeschichte    von    Sieg  bürg    mit    dem    Obertitel  r 
Quellen  ssur  Hechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  der  rheinischen  Städte^ 
Mit  dem  Erscheinen  dieses  Buches,   welches  eine  Reihe  gleichartiger 
Veröffentlichungen  einleitet,  hat  die  Erörterung  eine  neue  Grundlage 
gewonnen,  und  bestimmte  Forderungen  zu  erheben,  erscheint  gegen- 
wärtig um  so  mehr  angebracht,  als  auch  die  Historische  Kommission, 
für  die  Provinz  Sachsen  und  Anhalt   „Quellen  zur  städtischen   Ver- 
fassungs-, Verwaltungs-  und  Wirtschaftsgeschichte**  herausgeben wilL 
Overmann  bezeichnet  es  mit  Recht  als  eine  Mindestfordenmg^ 
daß  in  stadtrechtliche  Publikationen  auch  die  auf  die  Zünfte  und   das- 
Gewerbewesen  bezüglichen  Quellen   aufgenommen  werden  müssen  *)^ 
Nach  meinem  Dafürhalten  ist  es  jedoch  längst  nicht  genug,  wenn  dieser 
Mindestforderung  entsprochen  wird,   und  zwar   deswegen   nicht,   weil 
Zunftprivilegien,    gewerbepolizeiliche   Anordnungen   u.   dgl.    aus    dert 
Machtbefugnissen   der  Stadtobrigkeit   entspringen ,    wesentliche    Teile 
ihrer  Tätigkeit  bilden  und  deswegen  schon  als  Teile  der  Stadtverfas- 
sung und  Stadtverwaltung  Berücksichtigung  verdienen.    Die  königliche^ 


i)  Vgl.  deo  Aufsatz  von  Overmann  über  den  Gegenstand  in    dieser  Zeitschrift 
7.  Bd.,  S.  263 — 274.     In  dem  anschließenden  Ncuhwort   habe   ich  zuletzt  (S.  286 — 288)^ 
bereits  dasjenige  angedeutet,  was  hier  weiter  aasgeführt  wird. 

2)  In  der  neuen  Formulierung  seiner  Grundsätze  hat  Overmann  seine  Meinong 
noch  deutlicher  zum  Ausdruck  gebracht,  wenn  er  sagt:  „Bei  kleineren  Städten  and 
überall  da,  wo  von  einer  besonderen  Publikation  der  wirtschafts- 
geschichtlichen  Quellen  abgesehen  wird,  ist  es  erforderlich,  dafl  den 
rechtsgeschichtlichen  Veröffentlichungen  auch  die  auf  die  Zünfte  and 
das  Gewerbewesen  bezüglichen  angegliedert  werden." —  Hier  soll  in  erster 
Linie  von  besonderen  wirtschaftsgeschichtlichen  Publikationen  die  Rede  sein  und  in  zweiter 
von  allen  Quellenveröffentlichungen  zur  Stadtgeschichte,  die  neben  andern  auch  wirtschafts->- 
geschichtlichen  Stoff  enthalten. 


—     35     — 

Verleihung"  des  Markt-,  Zoll-  und  Münzrechts  an  einen  Ort  betrifft 
gewiß  wirtschaftliche  Dinge,  aber  in  unseren  Quellenpublikationen 
pflegen  wir  gewohnheitsgemäß  derartige  Privilegien  in  erster  Linie  als 
Grundlage  von  Rechten  zu  betrachten;  wir  erblicken  darin  zunächst 
eine  verfassungsgeschichtliche  Quelle  und  erst  in  zweiter  Linie  eine 
wirtschaftsgeschichtliche.  Jede  stadtrechtliche  Urkunde  bezieht  sich 
auf  einen  gewissen  Gegenstand,  aber  soweit  wir  das  Stadt  recht  unter- 
suchen, tritt  dieser  Gegenstand  zunächst  zurück,  der  Nachdruck  wird 
vielmehr  darauf  gelegt,  daß  irgendein  Lebensgebiet  grundsätzlich 
geordnet,  geregelt  wird.  Weil  unter  den  Urkunden,  die  die  Stadt- 
verfassung darstellen,  auch  einige  sind,  die  wirtschaftliche  Dinge  be- 
treffen, deswegen  wäre  es  durchaus  nicht  nötig,  im  Titel  besonders 
„von  Wirtschaftsgeschichte*'  zu  sprechen,  wie  dies  übrigens  auch  in 
den  westfälischen  Veröffentlichungen,  in  denen  reichlich  Zunft-  und 
Gewerbeakten  enthalten  sind,  nicht  geschieht;  denn  dort  wird  einfach 
das  Wort  „Stadtrecht"  als  umfassende  Bezeichnung  für  den  ganzen 
Komplex  von  Quellen  verwendet,  die  über  das  innere  Leben  einer 
deutschen  Stadt  bis  zum  Ende  der  alten  Stadtverfassung  unterrichten. 
Wenn  ich  hier  von  Quellen  zur  städtischen  Wirtschafts- 
geschichte spreche,  so  fasse  ich  den  Begriff  wesentlich  weiter  und 
glaube  mich  dabei  in  Einklang  mit  dem  allgemein  üblichen  Sprach- 
gebrauch zu  befinden;  ich  verstehe  darunter  alle  diejenigen 
Quellen,  die  uns  über  das  in  einer  beliebigen  Stadt  je- 
mals herrschende  wirtschaftliche  Leben  belehren,  nicht 
nur  über  das  Gewerbe  oder  den  Handel,  sondern  ebenso  über  die 
Wirtschaft  des  Ackerbürgers,  über  den  städtischen  Grundstücksmarkt, 
über  das  Geld-  und  Kreditwesen  und  nicht  zuletzt  über  die  Verbrauchs- 
wirtschaft und  die  Lebenshaltung  jeder  der  in  der  Stadtbewohnerschaft 
vertretenen  sozialen  Schichten.  Daß  die  Quellen  über  alle  diese  Dinge 
nicht  so  reichlich  fließen,  wie  der  Forscher  wünschen  mag,  dessen 
bin  ich  mir  voll  bewußt,  aber  eben  deswegen  ist  es  doppelt  notwendig, 
den  entsprechenden  Quellen  in  jeder  einzelnen  Stadt  sorgfältig  nach* 
zuspüren  und  die  gefundenen  nach  Möglichkeit  allgemein  zugänglich  zu 
zu  machen.  Die  Verfassungen  der  einzelnen  Städte  sind  formal  ziemlich 
ähnlich;  die  wirtschafUichen  Verhältnisse  dagegen  weichen  in  verschie- 
denen Städten  recht  erheblich  voneinander  ab,  da  sehr  oft  ein  einziger 
Nahrungszweig  dem  Wirtschaftsleben  einer  bestimmten  Stadt  seinen 
eigenartigen  Stempel  aufdrückt.  Das  Wirtschaftsleben  in  jeder  von 
zehn  beliebigen  Städten  zeigt  erheblich  viel  mehr  individuelle  Züge 
als  das  Stadtrecht,  und  deswegen  ist  es  notwendig,   den  städtischen 

3* 


—     36     — 

Wirtschaftsverhältnissen  ihrer  ^ranzen  Breite  nach,  in  allen  Einzel- 
erscheinungen Beachtung  zu  schenken.  Verfassungs  formen  sind  über- 
tragbar und  kehren  teilweise  immer  wieder,  das  pulsierende  Leben 
aber  erzeugt  an  jedem  Orte  einen  etwas  anderen  Inhalt  und  ver- 
ursacht seinerseits  unter  Umständen  auch  erhebliche  Wandelungen  in 
den  überkommenen  Verfassungsformen. 

Wenn  ich  die  Aufmerksamkeit  auf  diesen  Gegenstand  lenke,  so 
geschieht  es,  weil  ich  bei  meinen  langjährigen  eigenen  Arbeiten 
2U  Forderungen  gelangt  bin,  die  meines  Erachtens  allgemein  erhoben 
werden  müssen.  Bedauern  muß  ich  nur,  heute  eine  eigene  größere 
Publikation  noch  nicht  vorlegen  zu  können ;  denn  die  aus  Darstellung 
und  Quellenanhang  bestehende  Arbeit  über  Leipzigs  Wirtschafts- 
geschichte, die  mich  seit  1900  beschäftigt,  wird  vermutlich  erst  im 
nächsten  Jahre  abgeschlossen  werden. 

Soviel  man   auch   in  neuerer  Zeit  allenthalben   der  Wirtschafts- 
geschichte Aufmerksamkeit  geschenkt  hat,  bei  einer  Durchmusterung- 
<ier  Literatur  gelange   ich  doch  zu   dem  Urteile,   daß   wir  noch  fiir 
•keine  einzige  Stadt  eine  berechtigten  Anforderungen   genügende  Ge- 
schichte des  wirtschaftlichen  Lebens  über  mehrere  Jahrhunderte  hin- 
weg besitzen,   noch  weniger  aber  eine  alle  Lebenszweige  umfassende 
Quellensammlung.     Von    den    einschlägigen    Darstellungen    ist    nach 
meinem  Urteil  noch  immer  die  beste  Handel  und  Industrie  der  Stadt 
Basel  von  Geering  (1886) ;  denn  die  vielen  anderen  tüchtigen  Einzel- 
untersuchungen sind   sämtlich  zeitlich  und   sachlich    mehr   oder 
weniger  beschränkt,  so  daß  immer  nur  ein  kleiner  Ausschnitt  zur  Dar- 
stellung gelangt.     Damit  ist  aber  dem  vorhandenen  Bedürfnis    nicht 
entsprochen ;  denn  die  wirtschaftlichen  Zustände  sollen  uns  den  Schlüssel 
geben   zum  Verständnis   der  sozialen  Schichtung  und  der  jeweiligen 
Eigentümlichkeiten  der  Verfassung,  und  dazu  ist  es  notwendig  erstens, 
das  ganze  Wirtschaftsleben  einer  bestimmten  Zeit  und  zweitens    die 
Veränderungen  über  längere  Zeiträume   hinweg,   grundsätzlich    vom 
frühesten  Anfange  an  bis  zur  Gegenwart,  zu  überblicken. 

Bezüglich  der  Quellenveröffentlichung  ist  es  wohl  mit  Köln  gegen- 
wärtig am  besten  bestellt,  weil  dort  bereits  die  verschiedensten 
Gebiete  berücksichtigt  worden  sind.  Ganz  abgesehen  von  den  Ver- 
öffentlichungen in  den  Zeitschriften,  namentlich  in  den  Mitteilungen 
aus  dem  Stadtarchiv,  und  in  den  6  Bänden  Quellen  von  Ennen  und 
Eckertz  liegen  fiir  diese  Stadt  folgende  Publikationen  vor:  2  Bände 
Schreinsurkunden,  2  Bände  Akten  zur  Geschichte  der  Verfassung-  und 
Verwaltung  des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts,  2  Bände  Stadtrechnungen. 


—     87     — 

Dazu  kommen  neuerdings  die  Zunft-  und  Gewerbeurkunden,  während 
eine  Publikation  über  das  Münz-  und  Geldwesen  und  eine  solche  über 
den  Kölner  Stapel  und  den  Handel  in  Vorbereitung  ist.  Bei  dem 
archivalischen  Reichtum  Kölns  waren  dazu  mehrere  getrennte  Werke 
nötig,  aber  unter  kleineren  Verhältnissen  lassen  sich  die  verschiedenen 
Gattungen  von  Quellen  sehr  wohl  in  einer  Veröffentlichung  zusammen- 
fassen. Natürlich  ist  auch  eine  Vermehrung  des  Stoffes  zur  Kölner 
Wirtschaftsgeschichte  noch  sehr  wohl  möglich,  namentlich  in  der 
Richtung  einer  zeitlichen  Vervollständigung  nach  der  Gegenwart  zu, 
wenn  auch  vielleicht  da  eine  Verarbeitung  mit  relativ  wenigen  Akten- 
beilagen den  Vorzug  verdient.  Zu  fehlen  schemt  mir  dagegen  eine 
gerade  für  Köln  recht  wichtige  Abteilung,  in  der  für  das  Mittelalter 
und  vielleicht  noch  das  XVI.  Jahrhundert  Urkunden  und  Akten  über 
das  bürgerliche  Leben  in  einer  Musterauswahl  enthalten  wären; 
darin  sollten  alle  diejenigen  Quellen  untergebracht  werden,  die  vom 
privatwirtschaftlichen  Leben  der  Bürger  zeugen  *).  Gewiß 
sind  einzelne  solche  Dokumente  auch  schon  in  anderen  Quellenbänden 
mit  enthalten,  aber  der  Grund  für  die  Aufnahme  war  dann  nicht  der, 
daß  sie  Einzelheiten  über  die  bürgerliche  Privatwirtschaft  berichten, 
sondern  daß  sie  zugleich  öffentliche  Verhältnisse  in  irgendeiner 
Weise  berühren. 

Hiermit  komme  ich  auf  den  wunden  Punkt  bei  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  selbständigen  Publikationen  zur  städtischen  Wirtschafts- 
geschichte zu  sprechen.  Es  scheint  fast,  als  ob  die  Herausgeber  und 
Bearbeiter  eine  stillschweigende  Übereinkunft  geschlossen  hätten,  immer 
nur  Quellen  zu  berücksichtigen,  die  uns  die  Stadtobrigkeit,  also  vor- 
nehmlich den  Rat,  aber  auch  Stadt-  und  Landesherren,  als  wirtschaften- 
des Subjekt  zeigen,  sei  es  mittelbar  oder  unmittelbar.  Die  wirtschaft- 
liche Tätigkeit  einer  Stadtobrigkeit  zeigt  sich  in  dreifacher  Weise: 

i)  im  städtischen  Haushalt,  d.  h.  insofern  die  städtischen  Ein- 
künfte verwaltet,  direkte  und  indirekte  Steuern  erhoben,  Schulden  ge- 
macht und  die  öffentlichen  Bedürfnisse  mit  den  so  beschafften  Mitteln 
bestritten  werden; 

2)  in  der  Ausbildung  einer  Wirtschaftsverfassung,  insofern 
die  Stadtobrigkeit  kraft  ihres  Amtes  auch  die  wirtschaftliche  Betätigung 
der  Bürger  ordnet  und  leitet  und  zu  diesem  Behufe  allerei  Anstalten 
trifft,  vor  allem  die  Gewerbe-  und  Handelspolizei  ausübt; 

i)  Ein  Blick  io  die  Inventare  der  14  Kölner  Pfarrarcbive,  die  in  den  An* 
naJen  de$  HisU)r%9ehen  Vtreim  für  dm  Niederrhein,  Heft  71  (1901),  76  (1903)  and 
83  (1907)  enthalten  sind,  zeigt,  welche  FttUe  von  Material  vorliegt. 


—     38     — 

3)  endlich  in  der  Verfolgung  einer  Wirtschaftspolitik,  insofern 
die  Stadtobrigkeit  bestrebt  ist,  die  wirtschaftliche  Leistung  oder  wen^- 
stens  den  Nutzen  der  Bürger  zu  erhöhen,  ihnen  die  Beschaffimg  der 
Rohstoffe  zu  erleichtem ,  den  Export  zu  beleben  oder  unbequeme 
Konkurrenten  zu  unterdrücken. 

Die  wirtschaftlichen  Funktionen  des  offiziellen  Repräsentanten  der 
Stadt  mögen  damit  erschöpft  sein,  aber  diejenigen  der  Stadt  selbst, 
d.  h.  die  der  Gesamtheit  ihrer  Bürger,  sind  es  nicht.  Im  Gegenteil: 
das  wirtschaftliche  Gebaren  der  Bürgerschaft,  ihre  bestimmte  Beteili- 
gung am  Ackerbau,  an  der  gewerblichen  Gütererzeugung  und  am  Handel 
bildet  ja  erst  die  Grundlage  und  den  Hintergrund  für  die  wirtschaft- 
liche Kraftentfaltung  des  offiziellen  Stadtrepräsentanten!  Und  diesen 
Hintergrund  zu  erforschen,  das  halte  ich  für  die  Hauptaufjgabe  des 
Wirtschaftshistorikers,  der  die  Zustände  in  den  Städten  wenigstens  vom 
späteren  Mittelalter  an  bis  in  die  Gegcnw^art  herein  aufklären  will. 
Sehr  wohl  weiß  ich,  daß  die  Quellen  über  das  privatwirtschaftliche 
Leben  der  Bürger  im  ganzen  nicht  allzu  reichlich  fließen,  und  daß 
sich  recht  viele  Eigentümlichkeiten  des  bürgerlichen  Daseins  nur 
mittelbar  aus  den  Verordnungen  imd  sonstigen  zufalligen  Nieder- 
schlägen allgemeiner  Art  in  den  Akten  des  Rates  erschließen  lassen. 
Das  darf  uns  aber  nicht  von  vornherein  zu  einem  Verzicht  verleiten; 
wir  dürfen  uns  nicht  abhalten  lassen,  trotzdem  nach  unmittelbaren,  aus 
dem  praktischen  Leben  heraus  entstandenen  Zeugnissen  für  die  wirt- 
schaftliche Betätigung  der  Bürger  systematisch  zu  suchen;  wir 
dürfen  uns  nicht  damit  begnügen,  nur  gelegentliche,  besonders  ins 
Auge  springende  Funde  zu  verwerten.  Im  Gegenteil :  den  Zeugnissen 
für  die  individuelle  Betätigung  in  der  Wirtschaft  kommt  die  allergrößte 
Bedeutung  zu;  gerade  sie  gilt  es,  zur  Grundlage  der  Forschung- 
zu  machen!  Mit  Hülfe  des  allgemeinen  Materials  müssen  wir  sie  zu 
erklären  suchen,  und  umgekehrt  den  Wert  und  Sinn  der  Ordnungen 
aus  den  konkreten  Vorgängen  heraus  zu  verstehen  trachten.  Um  ein 
Beispiel  anzuführen,  so  besitzen  wir  in  ziemlich  großer  Zahl  städtische 
Steuerordnungen,  deren  allseitige  Erklärung  nicht  geringe  Schwierigf- 
keiten  bereitet.  Aber  wenn  es  uns  gelingt,  eine  einzige  aus  dem  Leben 
stammende  Steuererklärung  oder  Steuereinschätzung  zu  finden,  die  eine 
Anwendung  der  Steuerordnung  *)  ist,  so  erhält  jede  Bestimmung  der 


i)  Eime  solche  Steaererklärung  ist  diejenige  des  Frankfarter  Bürgers  Bechtolt  Heller 
von  1484,  die  Bücher  im  Verein  mit  der  Bedeordnong  Ton  1475  fUr  Frankfurt  a.  M.  in 
^er  Festschrifl  (Ur  den  Leipziger  Historikertag  (1894),  S.  159 — 161,  veröffentlicht  hat. 


—     39     — 

letzteren  sofort  Leben,   und  jedes  der   beiden  Dokumente   hilft   das 
andere  verstehen.  ^ 

Den  Grundgedanken  meiner  Forderung'  glaube  ich  mit  dem  Ge- 
sagten genügend  deutlich  entwickelt  zu  haben.  Es  fragt  sich  nun,  in 
welcher  Weise  sich  daraus  praktisch  brauchbare  Grundsätze  für  die 
Avirtschaftsgeschichtlicbe  Arbeit  und  Quellenveröffentlichung  ableiten 
lassen.  Von  vornherein  leuchtet  ein,  daß  die  Verhältnisse  für  jede 
Stadt  etwas  anders  liegen  je  nach  der  Eigenart  ihrer  wirtschaftlichen 
Bedeutung  und  je  nach  dem  Reichtum  an  Quellen.  Aber  auf  diese 
örtlichen  Besonderheiten  kommt  es  hier  nicht  an,  sondern  auf  den 
Grundgedanken,  der  bei  jeder  Herausgabe  und  Verwertung  städtischer 
Geschichtsquellen  den  Bearbeiter  leiten  soll,  möge  es  sich  um  ein 
städtisches  Urkundenbuch ,  ein  noch  allgemeineres  Quellenwerk  oder 
um  irgendwelche  nach  formalen  Gesichtspunkten  ausgewählte  besondre 
Quellengruppen  handeln.  In  allen  diesen  Fällen  fordert  der  Wirt- 
Bchaftshistoriker  sinngemäße  Berücksichtigung  seiner  besonderen 
Wünsche,  und  zwar  in  ganz  ähnlicher  Weise  wie  Rietschel  bei  der 
Erörterung  über  die  Regestenwerke  die  Berücksichtigung  der  Bedürf- 
nisse der  Rechtshistoriker  gefordert  hat,  die  sich  mit  dem  älteren 
Privatrecht  beschäftigen.  Wenn  die  wirtschaftsgeschichtliche  Forschung 
eine  genügend  breite  Grundlage  erhalten  soll,  dann  muß  von  den 
Quellen  über  die  private  Wirtschaftsgebarung  der  Bürger  so  viel 
dargeboten  werden,  daß  mindestens  für  jede  quellenmäßig  zu  belegende 
typische  Erscheinung  des  Wirtschaftslebens  einige  Beispiele  zu  finden 
sind;  aber  auch  besondere  ungewöhnliche  Erscheinungen  müssen  be* 
rücksichtigt  werden.  Ohne  Vollständigkeit  anzustreben,  will  ich  hier 
konkret  einige  solche  Quellengruppen,  deren  Berücksichtigung  mir  not- 
wendig erscheint,  namhaft  machen,  um  meine  Meinung  möglichst 
deutlich  zum  Ausdruck  zu  bringen. 

Da  interessieren  sehr  stark  die  Urkunden  über  alle  Arten  von 
Rentkäufen,  von  denen  im  Verhältnis  zu  der  außerordentlich  großen 
Menge,  die  in  den  Archiven  ruht,  nur  verschwindend  wenige  veröffent- 
licht, aber  auch  nur  recht  wenige  in  Darstellungen  verwertet  oder 
statistisch  bearbeitet  worden  sind.  Der  Rentkauf  als  wirtschaftliche 
Einrichtung  hat  seine  Geschichte,  die  noch  recht  sehr  der  Aufhellung 
bedarf,  aber  ganz  abgesehen  von  dem  Rechtsgeschäft,  das  im  Mittel- 
punkt steht,  enthalten  die  Urkunden  nebenbei  noch  außerordenthch 
viel  andere  wirtschaftsgeschichtlich  wertvolle  Angaben.  Wo  die  Rent- 
käufe bisher  behandelt  wurden,  da  legte  man  entweder  den  Nachdruk 
auf  das  öfTentliche  Schuldenwesen,   d.  h.  man   stellte   die  Eigenschaft 


—     40     — 

der  Stadtgemeinde  als  Schuldnerin  in  den  Vordergrund  ^),  oder  man 
berücksichtigte  lediglich  das  Schwankeii  des  Zinsfußes  ^.  So  wichtige 
Quellen  die  Rentk^uüsurkunden  für  diese  Dinge  darstellen,  so  wenig 
ist  ihre  Bedeutung  damit  erschöpft.  Vielmehr  sind  sie  auch  wichtige 
Zeugen  für  die  geldwirtschaftliche  Betätigung  des  einzelnen  Bürgers 
und  für  die  Geschichte  der  Kapitalansammlung  und  Vermögensbildung,, 
die  noch  sehr  der  Aufklärung  bedarf. 

Wenn  sich  der  Privatmann  durch  Abschluß  eines  Rentkaufs  Ka* 
pital  verschafft,  so  ist  das  in  den  meisten  Fällen  die  äußere  Form  für 
die  Aufnahme  einer  Grundstückshypothek,  insofern  ein  Grundstück 
verpfändet  wird  als  Sicherheit  für  die  zu  zahlende  Rente,  und  so 
führen  uns  die  Rentkaufsurkunden  zudem  Hypothekenwesen  und 
dem  Grundstücksmarkt  über.  Zur  Aufhellung  dieses  Gebiets 
ist  im  ganzen  noch  recht  wenig  geschehen,  und  dennoch  bieten  nicht 
nur  die  oft  recht  ausführlichen  Kaufurkunden  wichtiges  Material,  sondern 
vor  allem  die  „Gerichtsbücher",  d.  h.  die  örtlich  mit  den  verschieden- 
sten Namen  belegten  Verzeichnisse,  in  welche  die  öffentliche  Beurkua- 
dung  von  Eigentumsübertragungen  städtischen  Grund  und  Bodens  — 
nicht  selten  neben  anderen  Dingen  —  eingetragen  wird.  Die  letzteren 
lassen  sich  auch  statistisch  ausbeuten  und  geben  uns  nicht  nur  be- 
stimmte Vorstellungen  von  der  Bew^lichkeit  des  Grundbesitzes,  von 
der  Wertsteigerung  und  Wertminderung,  sondern  auch  vom  Vermögen 
der  Besitzer. 

Für  die  letztere  Seite  kommen  aber  ganz  besonders  die  Testa- 
mente und  die  zum  Behufe  der  Erbschaftsregulierung  aufgenommener^ 
Vermögensinventare  in  Betracht,  die  zugleich  lehrreiche  Blicke 
in  die  bürgerlichen  Haushaltungen  tun  lassen.  Von  diesen  Quellen 
sind  bisher  immer  nur  einzelne  Stücke  mehr  als  Kuriositäten  veröffent- 
licht worden,  aber  an  ihre  grundsätzliche  Würdigung  ist  man  meine» 
Wissens  noch  nirgends  herangetreten.  Und  doch  glaube  ich  mich 
auf  Grund  von  einzelnen  Erfahrungen  zu  dem  UrteU  berechtigt,  daft 
es  wohl  kaum  ein  besseres  Mittel  gibt,  um  sich  den  allmählichen 
Verfall  des  Bürgertums  von  der  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts  bis  zur 
Mitte  des  XVII.  Jahrhunderts  zu  veranschaulichen,  als  eben  diese  in 
Menge  vorhandenen  Vermögensinventare.     Nebenbei  nur  möchte  ich 


1)  So  z.  a  OUo  Beyer,  Schuldenwesen  der  Stadt  Breslau  im  XIV.  und 
XV,  Jahrhundert  [»  Zeitschrift  des  Vereins  für  Geschiebte  und  Altertum  Schlesiens- 
35.  Bd.  (1901),  S.  68—143]. 

2)  So  G.  Winter,  Zur  Geschichte  des  Zinsfußes  im  Mittelalter  [—  ZciUchrift 
für  Sodal-  and  Wirtschaftsgeschichte  4.  Bd.  (1896),  S.  161 — 175]. 


—     41     — 

daran  erinnern,  welche  Bedeutung^  die  Inventare  teilweise  für  die  Kunst- 
geschichte besitzen,  insofern  sie  oft  Kunstgegenstände,  auch  Gemälde 
(tafeln)  bisweilen  mit  näheren  Angaben  über  Darstellung  und  Künstler 
auffuhren. 

Hinsichtlich  der  Erwerbswirtschaften  ist  bisher  die  Ackerwirt- 
schaft der  Stadtbürger  ungebührlich  vernachlässigt  worden.  Mit  der 
allgemeinen  Behauptung,  daß  selbst  in  Städten  mit  weitreichendem 
Großhandel  die  Landwirtschaft  als  Nebenbetrieb  und  ftir  eine  gewisse 
Schicht  der  Bürgerschaft  sogar  als  Hauptbetrieb  eine  bedeutende 
Rolle  gespielt  hat,  ist  es  nicht  getan.  Wir  müssen  vielmehr  sorgsam 
den  Quellen  nachspüren,  die  uns  Einzelheiten  verraten,  und  vor  allem 
denjenigen,  die  uns  in  den  Stand  setzen,  die  relative  Wichtigkeit  dieses 
Nahrungszweiges.  (ur  einzelne  Haushalte  abzuschätzen.  Auch  gilt  es 
zahlenmäßig  den  Rückgang  des  städtischen  Ackerbaus  im  XVIII.  und 
XIX.  Jahrhundert  zu  beleuchten.  Quellen  für  diese  Dinge  sind  be- 
sonders die  noch  sehr  vernachlässigten  „Haushaltungsbücher";  das 
Hausbuch  des  Nürnberger  Bürgers  und  Kaufherrn  Ulrich  Starck  aus  dem 
XV.  Jahrhundert  z.  B.  hat  Köberlin  *)  eingehend  beschrieben,  aber  mir 
sind  ziemlich  viele,  namentlich  aus  dem  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert, 
in  Archivin ventaren  begegnet,  über  deren  Inhalt  noch  Mitteilungen 
fehlen.  Die  Haushaltungsbücher  besitzen  für  die  städtische  Bürgerwirt- 
schaft dieselbe  Bedeutung,  wie  die  bekannten  „Handelsbücher",  von 
denen  einige  ja  vollständig  veröflfentlicht  sind,  fiir  die  Handelsgeschichte; 
sie  ergänzen  aber  die  letzteren  auch  teilweise,  insofern  sie  uns  den  Han- 
delsherrn, wie  z.  B.  den  oben  genannten  Starck,  zugleich  als  Haushaltungs- 
vorstand und  FamUienvater ,  als  Landwirt  und  eventuell  sogar  als 
Grundherrn  vorstellen  und  uns  auch  Einblicke  in  die  Verbrauchs- 
wirtschaft des  Hauses  gewinnen  lassen.  Man  gehe  nur  den  frag- 
lichen Quellen  nach,  und  man  wird  selbst  aus  kleinbürgerlichen  Haus- 
haltungen seit  dem  XVI.  Jahrhundert  nicht  ganz  wenige  Rechnungs- 
bücher finden,  die  noch  der  Ausbeutung  harren  und  sie  verdienen. 

Die  wichtigsten  Arten  der  Ern'erbswirtschaft  in  den  Städten  sind 
natürlich  allenthalben  das  Gewerbe  und  in  einer  bedeutenden  Minder- 
zahl der  Handel.  Hinsichtlich  des  Gewerbebetriebs  fesselt  den 
Forscher  auf  den  ersten  Blick  die  Zunftverfassung  am  meisten, 
aber  es  ist  doch  nicht  zu  vergessen,  daß  sie  nur  Mittel  zum  Zweck 
war,  daß  sie  nur  den  äußeren  Rahmen  für  das  mehr  oder  weniger 
kräftig  pulsierende  gewerbliche  Leben  darstellte.     Alles  in  allem  ge- 


i)  In  der  Beilage  zur  AUgemeinen  Zeitung  1901  Nr.  10 1  (3.  Mai). 


—     42     — 

nommen  haben  wir  aus  den  in  neuester  Zeit  in  stattlicher  Zahl  ver- 
öffentlichten Zunftbriefen  des  XV.  bis  XVIII.  Jahrhunderts  herzlich 
wenig  grundsätzlich  neue  Erkenntnisse  gewonnen.  Unter  Umständen 
wertvoller  sind  nach  meinen  Erfahrungen  die  Einträge  in  die  Zunft- 
bücher: Rechnungen,  Verzeichnisse  der  neuen  Meister,  Nachrichten 
über  Zwistigkeiten  unter  den  Zunftgenossen,  verhängte  Strafen  u.  dgl.» 
die  ein  viel  anschaulicheres  Bild  vom  Leben  in  der  Zunft  und  nament- 
lich von  den  Veränderungen  geben  als  die  allgemeinen  Ordnungen  *). 
Auch  für  die  im  XVIII.  Jahrhundert  durchweg  zu  beobachtende  uni- 
formierende Beeinflussung  der  Zunftoi^anisation  durch  die  Landesherren 
finden  sich  in  den  Zunftbüchem  nicht  selten  lehrreiche  konkrete  Be- 
lege, wenn  natürlich  auch  zunächst  die  Akten  über  die  landesherrliche 
Gewerbeaufsicht,  Generalzunftartikel  usw.  dafür  hei:anzuziehen  sind. 
Über  die  wirtschaftliche  Leistung  des  einzelnen  Zunftgenossen  und  den 
in  seinem  Betriebe  üblichen  Arbeitsprozeß  sind  die  urkundlichen  Zeug- 
nisse begreiflicherweise  nicht  sehr  häufig,  aber  sie  fehlen  auch  nicht 
vollständig.  Bei  öffentlichen  Arbeiten  sind  solche  Nachweise  z.  B.  in 
den  Belegen  zu  den  Stadtrechnimgen  enthalten,  gelegentlich  sind 
sie  sogar  aus  den  einzelnen  in  der  Rechnung  selbst  verzeich- 
neten Posten  zusammenzustellen.  Aber  bezüglich  größerer  Arbeiten 
finden  sich  auch  bisweilen  besondere  Werkverträge,  die  in 
der  Regel  die  Arbeit  des  Handwerkers  vorwiegend  als  Lohnwerk 
erscheinen  lassen;  es  ist  mir  z.  B.  eine  ganze  Reihe  solcher  instruk- 
tiver Verträge  über  den  Umguß  von  Glocken  bekannt*).  Derartige 
Urkunden,  die  aus  dem  Geschäftsbetrieb  heraus  entstanden  sind  und 
einen  konkreten  Fall  hell  beleuchten,  sind  wichtige  Quellen  für  die 
Geschichte  des  Gewerbes  und  müssen  allgemein  als  solche  geschätzt 
werden.  —  Das  Handwerk  ist  aber  nicht  die  einzige  Form  gewerb- 
licher Betätigung,  sondern  seit  dem  XVI.  Jahrhundert  kommt  die  pri- 
vilegierte Unternehmung,  die  Manufaktur,  hinzu,  und  es  ist  grund« 
sätzlich  zu  fordern,  daß  Manufakturprivilegien  und  etwaige  ergänzende 
Akten  geradeso  berücksichtigt  werden,  wie  die  Zunftakten. 

Was  für  das  Gewerbe  gilt,  darf  auch  für  den  Handel  Geltung- 
beanspruchen.  Es  muß,  sobald  die  Organisation  der  Handelskörper- 
schaften und  die  allgemeine  Handelspolitik  erörtert  ist,  der  Geschäfls- 

i)  Es  sei  z.  B.  aaf  die  entsprechenden  Aaszüge  ans  dem  Bache  der  Leipziger 
Kramcrinnang  hingewiesen,  die  Moltke,  Die  Leipziger  Kramerinnung  im  XV,  und 
XVL  Jahrhundert  (Leipzig  1901)  veröffentlicht  hat;  namentlich  die  Rechnangen  sind 
wichtig. 

2)  Vgl.  diese  Zeitschrift  4.  Bd.,  S.  231 — 232. 


—     43     — 

betrieb  des  einzelnen  Kaufmanns  untersucht  und  das  dabei  entstandene 
Schriftenmaterial  herang^ezogen  werden.  Den  bereits  herausgegebenen 
mittelalterlichen  Handelsbüchem ')  sollten  sich  bald  noch  manche 
andere  zugesellen,  und  auch  das  XVI.  bis  XVIII.  Jahrhundert  müßte 
berücksichtigt  werden.  Ein  voller  Abdruck  des  Textes  ist  ja  nicht 
nötig,  ja  eine  gründliche  Bearbeitung  des  Inhalts  wird  bei  jüngeren 
Handelsbüchern  ersprießlicher  sein  als  eine  einfache  Herausgabe. 
Neben  den  Handelsbüchern,  die  ein  Geschäft  in  langjähriger  Entwick- 
lung zeigen,  gibt  es  auch  nicht  wenige  Einzelrechnungen,  die  sich  z.  B. 
als  Beilagen  <zu  Prozeßakten  finden,  Abrechnungen  über  Gewinn  und 
Verlust  bei  Kompagnieuntemehmungen,  Inventare  der  bei  Übernahme 
oder  Verkauf  eines  Geschäftes  vorhandenen  Waren,  sogar  jährlich 
wiederkehrende  Aufnahmen  des  Warenbestandes  und  nicht  zuletzt  Ge- 
schäftsbriefe —  alles  wichtige,  der  Beachtung,  Veröffentlichung  und 
Verwertung  würdige  Quellen.  Systematisch  auszubeuten  ist  auch  die 
offizielle  Korrespondenz  der  Stadträte  untereinander  und  mit  den  Fürsten, 
denn  in  den  bekannten  Handelsstädten  dreht  sich  ein  großer  Teil  der 
Briefe  um  die  Geschäfte  einzelner  Kaufleute:  die  Brief bücher  des 
Nürnberger  Rats  (seit  1404)  sind  eine  unerschöpfliche  Fundgrube  *) 
ftir  die  Geschichte  der  Handelsbeziehungen  vieler  deutscher  Städte, 
ebenso  die  umfangreiche  Sammlung  der  beim  Danziger  Rat  ein- 
gegangenen Schreiben.  Gerade  für  die  Zwecke  der  Handelsgeschichte 
müssen  grundsätzlich  immer  die  auswärtigen  Archive  berücksichtigt 
werden. 


Diese  kurze  Charakteristik  der  wichtigsten  Quellen  der  städtischen 
Wirtschaftsgeschichte  im  weiteren  Sinne  muß  hier  genügen.  Es  kam 
nur  darauf  an,  das  Augenmerk  der  Forscher  und  namentlich  das  der 
Leiter  von  Publikationsinstituten  auf  die  Quellen  zur  Geschichte  des 
wirtschaftlichen  Lebens  selbst  hinzulenken.  Was  von  Quellen  der  be- 
zeichneten Art  bisher  herausgegeben  worden  ist,  das  ist  zum  aller- 
größten Teile  gelegentlich,  nebenbei  in  Zeitschriften,  besonders  oft 
in  den  Hansischen  Geschichtsbläitem,  gedruckt  worden,  aber  die  größeren 
Quellensammlungen  zur  städtischen  Geschichte  enthalten  von  solchem 
Stoff  nur  wenig,  und  darin  muß  meines  Erachtens  Wandel  geschaffen, 


i)  Unter  deo  oeuereo  Arbeiten  ans  diesem  Gebiete  ist  die  Heidelberger  Dissertation 
{1905)  von  SUski,  Daniiger  Handd  im  XV,  Jahrhundert,  .auf  Orund  eines  im 
Danstiger  Stadtarehiv  hefindiiehen  Handlungibudiee  geecküdert,  zn  nennen. 

a)  VgL  diese  ZeiUchrift  7.  Bd.,  S.  9$. 


—     44     — 

es    mufi    zu    systematischer    Arbeit    auf    diesem    Felde    ^^chritteni 
werden. 

Wie  das  im  einzelnen  zu  geschehen  hat,  dafür  sind  die  besonderen^ 
Verhältnisse  jeder  einzelnen  Stadt  und  jedes  Publikationsinstituts  ent- 
scheidend; ja  die  Arbeit  nach  irgendeinem  allgemeinen  Schema  wäre- 
gar  nicht  am  Platze.  Nur  so  viel  möchte  ich  betonen,  daß  es  mir 
nicht  etwa  als  Ideal  erscheint,  wenn  die  ganzen  Massen  einschlägiger 
Archivalien  im  vollen  Wortlaut  oder  auch  nur  im  Auszuge  veröffent- 
licht würden.  Das  ist  nicht  möglich,  aber  auch  nicht  wünschenswert. 
Notwendig  ist  nur  die  sachgemäße  Ausbeute  und  die  Veröffentlichung 
von  Musterbeispielen. 

Für  eine  solche  Edition  oder  eine  entsprechende  darstellende  Ar- 
beit mit  Quellenbeilagen  ist  jedoch  eine  besondere  wirtschaftsgeschicht- 
liche Vorbildung  erforderlich,  denn  der  Bearbeiter  muß  mit  den  mancher- 
lei Problemen  der  Forschung  vertraut  sein,  um  überhaupt  jede  Nach- 
richt würdigen  und  ihre  Veni^'endbarkeit  abschätzen  zu  können.  Mit 
dem  bloßen  Abdruck  einzelner  Urkunden  und  Akten  ist  nur  wenig* 
getan;  die  Interpretation  und  sachgemäße  Beleuchtung  des  Inhalts 
macht  den  Wert  dieser  spröden  Quellen  meist  erst  verständlich.  Eine 
Forderung  nur  möchte  ich  grundsätzlich  erheben,  nämlich  die,  daß* 
nicht  nur  das  Mittelalter,  sondern  auch  die  Zeit  des  wirtschaftlicheo. 
Niedergangs  und  des  neuen  Aufschwungs  seit  1700  mit  behandelt  wird. 
Bisher  pflegte  das  Interesse  der  Forscher  an  der  städtischen  Wirt- 
schaftsgeschichte meist  zu  erlahmen,  wenn  die  Mitte  des  XVI.  Jahr- 
hunderts überschritten  war.  Und  doch  gewährt  die  Untersuchung  ge- 
rade von  dieser  Zeit  an  ganz  eigenartigen  Reiz ;  das  im  ganzen  reich- 
licher fließende  Material  gestattet  überdies  viel  vollständigere  Bilder 
zu  entwerfen  als  für  die  frühere  Zeit.  Das  Ende  der  alten  Stadtver— 
fassung  bildet  naturgemäß  für  die  Geschichte  einer  Stadt  als  wirt- 
schaftlicher Individualität  keine  Grenze,  und  deswegen  muß  grund- 
sätzlich auch  die  Ausdehnung  der  Untersuchung  auf  das  XIX.  Jahr- 
hundert gefordert  werden. 

Den   Ausgangspunkt  zu   diesen   Erörterungen   haben    die    neuen 
Veröffentlichungen  der  „Stadtrechte**  abgegeben,    und   dazu   möchte- 
ich jetzt  zurückkehren.     Die   einzelnen   Herausgeber  und   Bearbeiter 
müssen   bei   Aufstellung   des   besonderen   Arbeitsplanes    erwägen,    in 
welchem  Maße  sie  etwa  die  hier  von  Seite  eines  Wirtschaftshistorikers- 
gegebenen Anregungen  berücksichtigen  können,    ohne   dadurch  das- 
einmal   im    großen    und    ganzen    feststehende   Arbeitsprogramm    um- 
zustoßen.   Für  jedes  einzelne  neue  Dokument,  das  aus  der  Wirtschafts— 


—     46     — 

^ebarung  eines  Städtebürgers  entstanden  ist,  wird  die  Forschung 
dankbar  sein,  wenn  zugleich  die  zum  Verständnis  notwendigen,  dem 
femer  stehenden  Leser  nicht  zugänglichen  Angaben  hinzugefugt  werden, 
die  das  Dokument  in  den  Strom  der  städtischen  Wirtschaftsentwicklung 
hineinstellen.  Als  Form  einer  solchen  Darstellung  verdient  z.  B.  bei 
Handelsfirmen  die  Geschichte  eines  Hauses  unter  Heranziehung  des 
bei  anderen  Firmen  entstandenen  Quellenmaterials  als  Vergleichsgegen- 
standes empfohlen  zu  werden. 

Unter  Hinblick  auf  die  aufgestellten  Forderungen  möchte  ich  noch 
kurz  auf  die  neue  Veröffentlichung  über  Siegburg  ^)  zu  sprechen 
kommen,  weil  mir  scheinen  will,  als  ob  bei  weiteren  derartigen  Bänden 
ziemlich  leicht  Material  der  bezeichneten  Art  mit  dargeboten  werden 
könnte.  Die  in  dem  Bande  mitgeteilten  Rechtsquellen  bleiben  dabei 
natürlich  im  wesentlichen  aufier  Betracht;  ich  muß  mich  auf  die 
Quellen  wirtschaftlicher  Natur  beschränken.  Als  wesentlicher  Fort- 
schritt gegenüber  anderen  Veröffentlichungen  erscheint  zunächst  der 
Abdruck  der  ältesten  Stadtrechnung(i 429/30),  deren  systematische 
Bearbeitung  und  die  Vergleichung  mit  den  Etatsjahren  1578/79  und 
1695/96  und  nicht  minder  die  ziemlich  ausführliche  Darstellung  der 
städtischen  Finanzverwaltung  in  der  Einleitung  S.  49*  bis  79*,  die 
manches  ungedruckte  und  anderweit  gedrucktes  Material  mit  großer 
Umsicht  verwertet.  Eine  für  den  Forscher,  der  sich  mehr  oder  weniger 
eingehend  mit  Siegburg  beschäftigen  muß,  recht  wertvolle  Beigabe 
sind  auch  die  Listen  der  Schultheißen,  Amtleute,  Schöffen  und  Bürger- 
meister. Bezüglich  der  Zünfte  hat  sich  Lau  dankenswerterweise  nicht 
auf  die  Zunftbriefe  beschränkt,  sondern  auch  andere  Akten  heran- 
gezogen. Das  gilt  namentlich  für  das  wichtigste  Siegburger  Hand- 
werk, das  der  Töpfer  (Ulner);  wir  erfahren  da  vom  Absatz  der  Er- 
zeugnisse über  Köln  nach  Hamburg  im  XVI.  Jahrhundert  (Nr.  65,  82) 
und  über  Frankfurt  nach  dem  Oberland  (Nr,  70,  71,  79).  Auch  die 
Tuchmacherei  muß  im  XVI.  Jahrhundert  einigermaßen  geblüht  und 
Exportware  erzeugt  haben.  Praktischer  als  die  rein  zeitliche  F*olge 
der  Urkunden  und  Akten  zur  Rechts-,  Verfassungs-  und  Wirtschafls- 
geschickte,  die  den  zweiten  Teil  (S.  50—192  in  109  Nummern)  bilden, 
wäre  vielleicht  eine  sachliche  Gliederung  innerhalb  dieser  Abteilung 
in  der  Art  gewesen,  daß  sämtliche  die  Ulner  oder  die  Gewandmacher 
betreffenden  Stücke  unmittelbar  nebeneinander  zum  Abdruck  gelangt 

i)  Qttellen  zur  JB^d^  und  Wirt8chaft9geBMMe  der  rheini$ehen  Städte, 
Bergisehe  Städte  I:  Siegburg,  bearbeitet  von  FHedricfa  Lau.  Bonn,  P.  Hanstein  1907. 
236  S.  8*. 


—     46     — 

wären ;  da  ein  Sachregister  und  auch  eine  umfassende  Inhaltsübersicht 
fehlt,  ist  es  bei  der  gewählten  rein  zeitlichen  Anordnung  recht  leicht 
möglich,  daß  der  Benutzer  eine  unter  einem  bestimmten  Gesichtspunkte 
wichtige  Urkunde  übersieht. 

Betrachtet  man  aber  die  Publikation  als  Ganzes,  so  wird  unwider- 
leglich klar,  daß  der  Bearbeiter  die  Quellen  zur  Stadtver£assung  und 
Stadtverwaltung  einschließlich  der  Wirtschaftsv erfassung  mitteilen 
wollte.  Nur  in  ganz  wenigen  Nummern,  zu  denen  die  über  den  Handels- 
vertrieb der  Töpferwaren  gehören,  ist  er  über  den  engen  Rahmen  hinaus- 
gegangen, und  das  muß  ihm  als  Verdienst  angerechnet  werden,  weil 
er  in  der  Tat  dadurch  die  engen  Fesseln  der  Gewohnheit  durchbrochen 
und  den  Weg  für  die  Aufnahme  von  Privataktenstücken  der  Bürger 
über  ihre  wirtschaftliche  Tätigkeit  freigemacht  hat  Nur  hätte  ich 
gewünscht,  daß  er  damit  noch  wesentlich  weiter  gegangen  wäre, 
und  hoffe,  daß  in  den  künftigen  entsprechenden  Publikationen  in  dieser 
Richtung  wirklich  weiter  gegangen  wird.  Nachdem  einmal  die  Be- 
ziehungen zu  Frankfurt  a.  M.  und  über  Köln  zu  den  Niederlanden 
und  Hamburg  aufgedeckt  waren,  hätten  sich  über  diesen  Export  bei 
weiterer  Nachforschung  gewiß  noch  mehr  Einzelheiten  ermitteln  lassen. 
Wichtig  genug  wäre  dies  gewesen,  denn  Siegburg  hat  eben  für  die 
große  Welt  wirtschaftlich  nur  durch  seine  Töpferei  Bedeutung  erlangt, 
und  deshalb  verdient  dieses  Gewerbe  eine  ganz  besondere  Beachtung 
nicht  nur  vom  Standpunkte  der  Siegburger  Stadtgeschichte  aus,  sondern 
auch  unter  dem  Gesichtswinkel  des  Handels:  es  ist  ja  doch  einer 
der  gar  nicht  so  zahlreichen  Fälle,  in  denen  gebrauchsfertige,  in  einer 
deutschen  Landstadt  erzeugte  Waren  verhältnismäßig  früh  auf  größere 
Entfernungen  durch  den  Handel  verbreitet  wurden. 

Auch  über  das  Angeführte  hinaus  hätte  sich  meines  Erachtens 
die  Publikation  noch  erweitern  lassen,  und  zwar  kann  ich  dabei  auf 
bestimmte  im  Siegburger  Stadtarchiv,  das  mit  dem  Pfarrarchiv  ver- 
einigt ist,  vorhandene  Archivalien ')  hinweisen.  Da  finde  ich  es 
auffällig,  daß  zur  Erläuterung  der  Gerichtsverfassung  nicht  einige  kon- 
krete Beispiele  angeführt  werden,  wie  z.  B.  das  Schreiben  vom 
lO.  August  1464,  in  dem  das  abteiliche  Hofgericht  zu  Niedergymnich 
das  Siegburger  Schöffengericht  als .  seinen  Oberhof  (so  as  ir  unae 
haufl  sijd)  bezeichnet;  ganz  im  allgemeinen  ist  dieses  Verhältnis  S.  iS"*" 

i)  Vgl'  Übersicht  über  den  InhdU  der  kleineren  Archive  der  Ehein^otfing 
I.  Bd.  (Bonn  1899).  S.  329.  Der  Stem  (*)  neben  dem  Ortsnamen  bedeotet  (s.  S.  XI), 
dafl  die  Mitteilnngen  nicht  erschöpfend  sein,  sondern  nar  einen  allgemeinen  Überblick 
geben  sollen. 


—     47     — 

erwähnt,  aber  die  Beleg'e  für  solche  Beziehungen  durch  Aktenstücke 
sind  doch  für  den  Forscher  auch  notwendig.  Unbedingt  in  den  Rahmen 
der  Veröffentlichung  hineingehört  hätten  einige  Erb-  und  Leibrentbriefe 
nebst  den  Quittungen  für  erhaltene  Renten.  In  der  Einleitung  sind 
die  einschlägigen  Dinge  zwar  behandelt,  aber  der  Benutzer  hat  ein 
Anrecht  darauf,  einige  solche  typische  Urkunden  in  guter  zeitlicher 
Verteilung  in  ihrem  Wortlaut  kennen  zu  lernen,  schon  um  der  darin 
berührten  Nebenumstände  willen.  Umgekehrt  vermisse  ich  aber  auch  — 
und  das  hat  vermutlich  Lau  ganz  fern  gelegen  —  einige  Urkunden, 
aus  denen  wir  Siegburger  Bürger  als  Kapitaldarleiher  kennen 
lernen.  Da  der  mittelalterliche  Bürger  sein  Geld  gern  nach  auswärts 
verlieh,  so  wäre  nach  solchen  Urkunden  vor  allem  in  auswärtigen 
Archiven  zu  suchen  gewesen ;  schon  in  Köln  hätten  sich  gewiß  einige 
nachweisen  lassen.  Als  eine  auch  vom  Standpunkte  des  Bearbeiters 
aus  ernstliche  Unterlassung  erscheint  es  mir,  daß  die  Pfarrkirche, 
ihre  Rechtsstellung  und  ihre  Einkünfte  nur  ganz  nebenbei  berührt 
wird.  Tatsächlich  sind  Kirchrechnungen  vom  Ende  des  XV.  Jahr- 
hunderts an,  auch  ein  Verzeichnis  der  Kirchenrenten  von  15 16  vor- 
handen, Quellen,  die  ja  nicht  nur  für  die  Kirche  als  solche  wichtig 
sind,  sondern  in  denen  sich  auch  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  in 
der  Stadt  widerspiegeln. 

Diese  auf  die  Einzelheiten  eines  bestimmten  Falles  eingehenden 
Bemerkungen  sollen  zeigen,  welche  Anforderungen  meines  Erachtens 
an  eine  Quellenveröffentlichung  zu  stellen  sind,  die  neues  Material  zur 
städtischen  Wirtschaftsgeschichte  erschließen  soll.  Gerade 
jetzt  ist  man  da  und  dort  in  dieser  Hinsicht  an  der  Arbeit,  und  des- 
halb schien  es  mir  richtig,  Wünsche  zu  äußern,  deren  praktische  Er- 
füllbarkeit jeder  einzelne  Bearbeiter  stadtgeschichtlicher  Quellen  zu 
erproben  in  der  Lage  ist. 


Mitteilungen 


Tersamnilongen.  —  Programmgemäß  ')  hat  in  den  Tagen  vom 
3.  bis  7.  September  in  Dresden  die  zehnte  Versammlung  deutscher 
Historiker  stattgefunden.  Den  Vorsitz  führte  Prof.  Seeliger  (Leipzig); 
die  Teilnehmerliste  führte  226  Namen  auf,  aber  es  fehlten  merkwürdigerweise 
viele  von  den  bisher  regelmäßig  Erschienenen.  Von  den  aus  dem  Aus- 
schusse des  Verbandes  deutscher  Historiker  satzungsgemäfi  ausscheidenden 
Mitgliedern  wurden  Lamp  recht  (Leipzig),  Mein  ecke  (Freiburg  i.  B.)  imd 

1)  Vgl.  diese  Zeitschrift  8.  Bd.,  S.  279. 


—     48     — 

Eduard  Meyer  (BerUn)  wieder-,  neu  dagegen  Breßlau  (Strasburg),  Egel- 
haaf  (Stuttgart)  und  Ermisch  (Dresden)  gewählt.  Zum  Vorsitzenden  des 
Verbandes  wurde,  da  die  nächste  Versammlung  in  Strasburg  stattfinden 
soll,  Prof.  Breßlau  (Straßburg)  bestimmt.  Bezüglich  der  Zeit  wurde  ztmächst 
September  1909  in  Aussicht  genommen,  mn  eme  allzu  große  zeidiche  An- 
näherung an  den  im  August  1908  in  Berlin  stattfindenden  internationalen 
Historikerkongreß  zu  vermeiden.  Diese  Rücksicht  scheint  indes  nicht  recht 
angebracht,  wie  manche  privatim  vorgebrachte  Äußerung  beweist  Der  Wechs^ 
zwischen  Ostern  und  September  in  der  Tagungszeit  der  Historikerversanmilungen 
hat  sich  gut  bewährt  und  ist  eine  Forderung  der  Gerechtigkeit,  mn  den  zahl- 
reichen Lehrern  an  höheren  Schulen  die  Teilnahme  zu  ermöglichen,  deren 
Ferien  bekanntlich  in  den  verschiedenen  Bundes.staaten  so  voneinander  ab- 
weichen, daß  sich  ein  ftir  alle  Staaten  geeigneter  Termin  gar  nicht  finden 
läßt.  Im  Interesse  dieser  zahlreichen  Teilnehmer  an  den  Versammlungen 
ist  ein  regelmäßiger  Wechsel  in  der  Tagungszeit  dringend  geboten.  Hoffen 
wir,  daß  sich  der  Verbandsausschuß  doch  noch  entschließt,  die  Einladungen 
zum  elften  Historikertage  für  die  Osterwoche  1909  ergehen  zu  lassen! 

Bei  der  letzten  Tagung  war  der  Vorschlag  gemacht  worden,  die  Heraus* 
gäbe  der  in  Genglers  Nachlaß  vorgefundenen  Deutschen  StadtrechU  aus 
dem  XVL  bis  XVIIL  Jahrhundert  seitens  des  Historikerverbandes  finanziell 
zu  unterstützen  *) ,  wenn  von  andrer  Seite  em  Zuschuß  zu  den  Druckkosten 
gezahlt  würde.  Die  in  letzterer  Hinsicht  eingeleiteten  Verhandlungen  haben 
leider  ein  Ergebnis  nicht  gehabt,  so  daß  an  eine  Herausgabe  des  Manuskripts 
zurzeit  nicht  zu  denken  ist.  Dagegen  wurde  eine  kleine  Unterstützung  zu- 
gunsten der  geplanten  Bibliographie  der  Dissertationen  beschlossen,  um  das 
dankenswerte  Unternehmen  auch  moralisch  zu  fördern. 

Der  Inhalt  der  Vorträge,  die  dargeboten  wurden,  fällt  zum  großen  Teile 
aus  dem  Rahmen  dieser  Zeitschrift  heraus:  das  gilt  von  dem  Vortrage  von 
Hintze  (Berlin)  über  die  Entwicklung  der  modernen  Ministeriälverwaltung, 
dem  von  Kromayer  (Czemowitz)  über  Hannibal  und  Äntiochus  den  Oroßen, 
eine  strategisch 'politische  Betrachtung.  Lamprechts  (Leipzig)  Vortrag 
Zur  Ausgestaltung  der  universalgeschichtlichen  Studien  im  Hochschtdunter- 
rieht  nahm  vornehmlich  auf  Nordamerika  Bezug  und  forderte  die  Beschäftigung 
mit  dieser  eigenartigen  und  ebenso  anderen  Kulturen,  aber  da  in  dem  be- 
fürworteten Seminar  für  Kultur-  und  Universalgeschichte,  wie  es  in  Leipzig 
in  der  Entstehung  begriffen  ist,  die  Studien  zur  deutschen  Kulturgeschichte 
im  Vordergrunde  stehen  werden  und  die  Beschäftigung  mit  fremden  Kulturen 
den  Blick  für  das  Verschiedenartige  im  Kulturleben  überhaupt  schärfen  soll, 
so  ist  von  den  bei  dieser  Gelegenheit  gegebenen  Anregungen  gerade  für  den 
systematischen  Betrieb  der  deutschen  Kulturgeschichte  viel  zu  erwarten,  wenn 
sich  auch  greifbare  Forderungen  in  dieser  Hinsicht  —  abgesehen  etwa  von 
der  Notwendigkeit  persönlicher  Anschauung  —  zunächst  kaum  ableiten  lassen^ 

Unmittelbar  in  den  Kreis  der  ortsgeschichtlichen  Forschung  führte  der 
Vortrag  des  Dresdner  Stadtarchivars  Prof.  Otto  Richter  über  Dresdens 
Bedeutung  in  der  Geschichte,  in  dem  der  Redner  die  wechselnde  Bedeutung 
der  Stadt  im  politischen  und  künstlerischen  Leben  und  ihre  kulturelle  Fem- 


i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  220. 


—     49     — 

-Wirkung  anschaulich  schilderte.  Von  den  beiden  verfassungsgeschichtUchen 
Gegenständen,  die  Caro  (Zürich)  und  Keutgen  Qena)  behandelten,  wird 
4er  erstere,  Ghrundherrachafi  und  Staat,  in  etwas  gekürzter  Form  den  Lesern 
dieser  Zeitschrift  bekanntgegeben  werden,  der  zweite,  Königtum^  FürstentuMf 
Kirche  y  trug  jedoch  mehr  historisch -politischen  Charakter  und  kommt  des- 
wegen hier  weniger  in  Betracht. 

Von  größter  allgemeiner  Bedeutung  waren   dagegen   die   Ausführungen 
iron  Hauck  (Leipzig)  über  die  Besfeptkm  und  die  Umbildung  der  Allgemeinen 
Sgnoden   im  Mittelalter,   die   zu   einer  Wandlung  der   Ansichten   über  die 
großen   Konzilien   des   XV.  Jahrhunderts   Anlaß   geben   werden.     Die   alten 
ökumenischen  Konzile  waren  vom  Kaiser  berufene   und   unter   seinem  Vor- 
sitze tagende  Versammlungen  des  römischen  Episkopats  zur  Entscheidung  in 
Lehrfragen.  Der  Gedanke  einer  Vertretung  der  gesamten  Christenheit  fehlte.  Die 
Bischöfe  fungierten  als  Bischöfe,  nicht  als  Vertreter  der  Kirche.     An  dieser 
Auffassung    der    ökimienischen   Konzile    hielten   die   abendländischen  Theo- 
logen noch  lange  Zeit  fest.    Die  tatsächlichen  Verhältnisse  zerstörten  aber  die 
Möglichkeit  dieser  allgemeinen  Synoden;  denn  mit  der  Einheit  des  römischen 
Reiches  hörten  auch  die  ökumenischen  Konzile  auf.     Die  Entwickelung  der 
neuen  Nationen  fUhrte  zu  Reichs-  und  Landessynoden;  es  fehlte  ein  Über- 
gang zur  Universalkirche,  wenn  auch  für  die  Diözesansynoden  der  Bistümer 
•die  Bezeichnung  synodus  generalis  üblich  wurde.    Die  meisten  Reichssynoden 
wie  päpstlichen  Synoden  hatten  daher  nicht  den  geringsten  Anspruch,   Uni- 
verssdsynoden  genannt  zu  werden.    Die  von  Kalixt  IL  1123  als  generale  am-^ 
cilium  berufene   Lateransynode    vertrat    nicht    die   Gesamtheit,    wenn    auch 
Bischöfe  verschiedener  Provinzen  erschienen  waren.    In  der  Folge  begannen 
•die  vom  Papst  autorisierten  Synoden  die   alten   ökumenischen  Konzile   ab- 
zulösen.    Innozenz  III.  trug  sich  lange  mit  dem  Gedanken,  ein  allgemeines 
Konzil  zu  berufen;   doch  erst    12 13    vermochte   er   zur  Reform   der  Kirche 
und  zur  Befreiung  des  heiligen  Landes  ein  Generalkonzil  auszuschreiben.    Zu 
diesem  wurden  auch    die   weltlichen  Henen   geladen.     Innozenz  III.  dachte 
dabei  sehr  wahrscheinlich  an   die   alten  Konzüien.     Die  Kirche   der  Gegen- 
wart sollte  dem  alten  Idealbild  ähnlich  werden.    Die  Synoden  Innozenz'  III. 
haben  aber  tatsächlich  nur  wenig  mit  den  alten  ökumenischen  Konzilien  gemein- 
sam; jene  versammelten  die  Leiter  der  Christenheit  zu  gemeinschaftlichen  Be- 
ratungen, diese  nur  den  Episkopat.     Diese  Umbildung  war  nur  möglich,  da 
sich    der    KirchenbegrifT   seit    dem   XII.   Jahrhundert    geändert    hatte.      Im 
früheren  Mittelalter  hatte  man  Kirche  und  Hierarchie  einander  gleichgesetzt. 
Dennoch  haben  die  Theologen  nie  vergessen,  daß  die  Kirche  die  universalis 
congregatio  fidelium  war.    Dazu  trat  die  Theorie  von  der  Stellung  des  Papstes 
in  der  Welt,  als  des  Inhabers  beider  Gewalten,  der  weltlichen  und  der  geist- 
lichen.    Aus  diesen  Zusammenhängen  heraus  erhielt  die  Kirche   als  Korpo- 
ration der  Gläubigen  zwei  Seiten,  eine  weltliche  und  geistliche,   über  denen 
beiden  der  Papst   stand.     Die   ganze  Welt  sollte   so   zur  Stütze    der  Kirche 
gemacht  werden.    Die  Universalsynode  wurde  damit  zu  einer  vom  Papst  be- 
rufenen Versammlung  der  Führer  beider  Stände  zur  Beratung  über  das  Wohl 
der  Kirche.     Im  Anschluß  daran  bildete  sich  in  der  Folge   unter   der  Ein- 
wirkung der  aristotelischen  Staatslehre,  daß  das    allgemeine   Wohl    von   der 
Gesamtheit    gefördert    werde,    der   konziliare   Gedanke    aus:    die    Kirche 

4 


—     50     — 

wird  vertreten   durch   allgemeine  Synoden,    der  Papst   ist   an* 
deren  Beschlüsse  gebunden.    Alle  Gedanken  dieser  konziliaren  Theorie^ 
sind  beim  Schisma  von  1378  bereits  vorhanden.     Der  Papst  erkannte  nun- 
mehr  die    ihm    drohende   Gefahr    imd   verhinderte    eine    Weiterbildung, 
so   daß   die  Konzilien  der  neueren  Zeit  einen  rein  hierarchischen  Charakter 
erhielten. 

Ebenfalls  durchaus  neue  und  für  die  weitere  Forschung,  gerade  auf 
landesgeschichtlichem  Gebiete,  wertvolle  Gedanken  entwickelte  Alois  Schulte 
(Bonn)  in  dem  Vortrage  Die  deutsche  Kirche  des  Mittelalters  und  die  Stände. 
Er  stützte  sich  dabei  auf  seine  eigenen  Untersuchungen  und  die  seiner  Schüler, 
unter  denen  die  gekrönte  Preisschrift  von  Kisky  über  Die  Domkapitel  der 
geistlichen  Kurfürsten  in  ihrer  persönlichen  2^u8ammenseteung  im  XIV. 
und  XV,  Jahrhundert  (Weimar  1906)  am  bekanntesten  geworden  ist,  und 
lieferte  den  unanfechtbaren  Beweis,  daß  im  Mittelalter  die  geistlichen  korpo- 
rationen  in  ihrer  persönlichen  Zusammensetzung  ein  ausgeprägtes  Standes- 
bewußtsein  offenbaren,  daß  der  Geburtsstand  für  die  Aufnahmefähigkeit 
entscheidend  war  tmd  daß  es  sich  dabei  nicht  um  eine  späte  Entartung 
oder  Exklusivität  handelt,  sondern  daß  der  erwähnte  Grundsatz  von  Anfang 
an  Geltung  besaß.  Wichtig  ist  vor  allem,  daß  es  solche  Klöster  gab,  die 
nur  die  Söhne  von  Fürsten,  Grafen  und  freien  Herren  aufnahmen,  Ministerialen- 
söhne dagegen  ausschlössen,  und  dieser  Klasse  legt  Schulte  «den  Namei» 
„freiherrliche  Klöster**  bei.  Es  gehörten  dazu  durchgängig  die  alten  Bene- 
diktinerklöster, die  sich  durch  diese  Beschränkung  in  der  Auswahl  der  Mönche 
wie  durch  andere  Dinge  zwar  zur  Regel  des  Heil.  Benedikt  in  Widerspruch 
setzten,  aber  auch  offen  und  ehrlich  dem  Stolze  über  die  edle  Abstanmiung 
ihrer  Mönche  Ausdruck  gaben  und  dadurch  ihre  deutsche  Denkart  bewiesen. 
Des  weiteren  sind  aber  nur  für  solche  freiherrliche  Klöster  bisher  klöster- 
liche Ministerialen  erwiesen,  so  daß  der  Besitz  oder  Nichtbesitz  von  Mi- 
nisterialen für  die  Standeszugehörigkeit  der  Mönche  eines  Klosters  als  Kri- 
terium dient.  Zeitlich  aber  ist  zu  beobachten,  daß  die  Klosterreform  in  den 
Tagen  des  Investiturstreits  unter  anderem  auch  die  Ministerialität  zu  besei- 
tigen strebte;  denn  die  Ministerialen  hatten  großen  Einfluß  erlangt,  den  man 
abzuschütteln  bestrebt  war.  Nun  aber  konnten  die  Klöster  ihrer  Pflicht,  an 
der  Reichsheerfahrt  teilzunehmen,  nur  vermittels  der  Ministerialen  genügen^ 
imd  wenn  sie  solche  nicht  mehr  haben  wollten,  mußten  sie  versuchen,  jene 
lästige  Pflicht  überhaupt  los  zu  werden.  Und  in  der  Tat  ist  dies  vielfach 
gelimgen;  die  klösterliche  Ministerialität  ist  verschwunden. 

Auch  im  späteren  Mittelalter  wurde  innerhalb  der  Kirche  die  Gleichheit 
aller  Menschen  keineswegs  praktisch  beobachtet,  sondern  jedes  Kloster 
hatte,  wenn  auch  in  anderer  Abgrenzung  als  früher  und  den  neuen  Standes- 
bildungen Rechnung  tragend,  eine  besondere  Bevölkerungsschicht,  aus  der 
sich  die  Insassen  rekrutierten.  Der  Ortsgeschichte  erwachsen  durch  diese 
grundlegenden  Forschungen  ganz  neue  Aufgaben,  insofern'  für  jede  geistliche- 
Körperschaft,  für  jedes  von  vielleicht  zehn  Klöstern,  die  es  in  und  bei  einer 
beliebigen  Stadt  um  1500  gab,  untersucht  werden  muß,  welcher  sozialen 
Schicht  die  Insassen  ihrer  Geburt  nach  angehörten;  das  ist  aber  nur  mög- 
lich, wenn  für  möglichst  viele  einzelne  Personen  der  Familienzusammenhang" 
nachgewiesen  wird.    Wenn  dies  geschieht  —  und  solche  Untersuchungen  liegen 


—     61     — 

bereits  mehrere  vor  — ,  dann  wird  die  genealogische  Methode  in  den  Dienst 
der  sozialgeschichtlichen  Forschung  gestellt,  und  mit  ihrer  Hi'.fe 
sind  die  verschiedenartigsten  Aufschlüsse  zu  erwarten. 


In  Verbindung  mit  der  lo.  Versammlung  deutscher  Historiker  fand 
vom  3.  September  an  die  achte  Konferenz  von  Vertretern  landes- 
geschichtlicher Publikationsinstitute  ^)  statt.  Offizielle  Vertreter  hatten 
diesmal  allerdings  nur  neun  Institute  entsandt;  von  den  Besuchern  der  Hi- 
storikerversammlung beteiligten  sich  im  ganzen  55  an  den  Verhandlungen. 
Den  Vorsitz  führten  Bibliotheksdirektor  Oberregierungsrat  Er  misch  und  als 
sein  Stellvertreter  Regierungsrat  Lippert.    Drei  Sitzungen  wurden  abgehalten. 

An  erster  Stelle  berichtete  gemäß  einem  auf  der  Stuttgarter  Tagung  der 
Konferenz  gefaßten  Beschlüsse  Prof.  Kötzschke  (Leipzig)  als  stän- 
diger Sekretär  über  die  Organisation  der  Konferenz.  Zunächst 
charakterisierte  er  deren  Entwicklung  seit  der  ersten  auf  dem  Leipziger  Hi- 
storikertage 1894  gegebenen  Anregtmg  zu  ihrer  Begründung  und  legte  den 
Stand  der  seitdem  zur  Verhandlung  gekonunenen  Beratungsgegenstände  dar. 
Insbesondere  erwähnte  er,  daß  auf  die  Umfrage  bezüglich  der  Bedingungen 
für  Druck  und  Verlag  der  Veröffentlichungen  eine  Anzahl  von 
Antworten  eingegangen  sei;  es  könne  darüber  noch  nicht  auf  Grund  der 
eingeleiteten  Umfrage  Bericht  erstattet  werden,  doch  solle  auf  einer  künftigen 
Tagung  dies  Thema  neu  zur  Verhandlung  gestellt  werden;  auch  an  die 
Frage  nach  der  Stellung  der  Mitarbeiter,  sowie  die  Frage,  was  zur 
gemeinsamen  Förderung  landesgeschichtlicher  Arbeiten  beim 
Vatikanischen  Archive  geschehen  könne,  sei  zu  erinnern;  endlich  sei 
überhaupt  darum  zu  bitten,  daß  Wünsche  betreffs  der  Themawahl  aus  den 
Kreisen  der  Publikationsinstitute  dem  Sekretariat  möglichst  frühzeitig  mit- 
geteilt werden  möchten. 

Was  den  Kreis  der  beteiligten  Institute  betreffe,  so  sei  in  bezug 
auf  die  Teilnahme  an  den  Bestrebungen  der  Konferenz  durch  Beschickung 
der  Tagungen,  Zahlung  von  Beiträgen  und  dgl.  die  Praxis  eine  ziemlich 
lockere;  es  sei  wohl  am  besten,  dabei  es  bewenden  zu  lassen;  doch  sei  es 
immerhin  wünschenswert,  noch  andere  Institute  heranzuziehen,  unter  anderen 
auch  das  eine  oder  andere  von  den  älteren  großen  Publikationsinstituten. 
Es  seien  zwar  auch  künftig  nicht  Beiträge  von  bestinmiter  Höhe  zu  fordern, 
aber  doch  die  Beitragszahlungen  möglichst  etwas  regelmäßiger  zu  gestalten. 

Um  bessere  Fühlung  mit  den  Publikationsinstituten  in  den  verschiedenen 
Landesteilen  zu  gewinnen,  erscheine  dem  Berichterstatter  die  Einsetzung  eines 
kleinen  oder  auch  mehrgliederigen  Ausschusses  wünschenswert,  damit  das 
Sekretariat  einen  Rückhalt  an  ihm  gewinnen  könne  und  die  Ausschuß- 
mitglieder für  die  Interessen  der  Konferenz  wirkten. 

Auch  erscheine  es  wünschenswert,  gedruckte  oder  sonst  in  geeigneter 
Form  dauerhaft  vervielfältigte  „  Mitteilungen  **  der  Konferenz  an  die  beteiligten 
Institute  je  nach  Bedarf  gelangen  zu  lassen,  um  die  bei  Gelegenheit  der  Be- 
ratungen oder  zu  deren  Vorbereitung  oder  auch  in  Ausführung  der  Beschlüsse 


i)  Über  das  Programm  vgl.  diese  Zeitichrift  8.  Bd.^  S.  279. 

4» 


—     52     — 

zu  bearbeitendea  Gutachten,  MateriaUea  dafür  und  dgl.  unter  Umständen 
den  Interessenten  besser  zugänglich  zu  machen,  und  auch  in  der  Zeit  zwischen 
den  einzeUien  Tagungen  für  die  Konferenz  tätig  zu  sein;  ein  regelmäßig 
erscheinendes  Organ  der  Konferenz  zu  schaffen  könne  und  solle  damit  nicht 
beabsichtigt  sein;  nur  von  Fall  zu  Fall  sei  an  die  Herausgabe  solcher  Mit- 
teilungen zu  denken. 

Was  die  Finanzen  der  Konferenz  betreffe,  so  seien  bisher  13  Institute 
mit  unregelmäßigen  Beiträgen  (in  der  Höhe  von  30  Mark)  beteiligt;  die  ver- 
fügbare Summe  habe  bisher  ausgereicht;  es  müsse  aber  nunmehr,  da  die 
Kosten  der  Dresdener  Tagung  höhere  seien  als  sonst,  ein  neuer  Beitrag  er- 
beten werden. 

Eine  allgemeine  Aussprache  über  diese  Gedanken  schloß  sich  an,  die 
aber  naturgemäß  zu  greifbaren  Ergebnissen  nicht  führen  konnte,  da  es  sich 
im  wesentlichen  um  organisatorische,  vom  engeren  Kreise  der  Instituts  Vertreter 
zu  erörternde  Fragen  handelte. 

An  zweiter  Stelle  nahm,  und  damit  trat  die  Versammlung  in  die  mate- 
riell^ Beratung  ein,  der  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  Armin  Tille  das 
Wort,  um  über  die  Veröffentlichung  von  Quellen  zur  städtischen 
Wirtschaftsgeschichte  zu  sprechen.  Seine  Ausführungen  sind  ihrem 
wesentlichen  Inhalte  nach  oben  Seite  33 — 47  mitgeteilt.  Die  darin  enthaltenen 
Forderungen  waren  kurz  in  den  folgenden,  schon  vorher  mit  dem  endgültigen 
Programm  ausgegebenen  Leitsätzen  veröffentlicht  worden.     Sie  lauten: 

„So  erfreuliche  Fortschritte  auch  die  Erforschung  der  wirtschaftlichen 
Zustände  in  den  Städten  gemacht  hat,  von  einer  Veröffentlichung  der  im 
engeren  Sinne  wirtschafllichen  Quellen  ist  dennoch  nur  in  sehr  be- 
schränktem Maße  die  Rede.  Mögen  sich  viele  Quellen  ihrer  Natur  nach 
nicht  zum  vollständigem  Abdruck  eignen,  so  ist  es  doch  wünschenswert, 
daß  solcher  Stoff  in  einer  Rohbearbeitung  (Tabellen,  Regesten)  vorgelegt 
wird,  die  dem  einzelnen  Forscher  die  Benutzung  der  Archivalien  erspart 
oder  sie  ihm  wenigstens  sehr  erleichtert,  vor  allem  aber  die  Aufmerksam- 
keit darauf  lenkt. 

An  solche  Veröffendichungen,  sei  es,  daß  sie  Quellenstoff  unmittelbar, 
sei  es  in  irgendeiner  Bearbeitung  mitteilen,  sind  folgende  Anforderungen 
zu  stellen: 

i)  Eine  zeitliche  Beschränkung  ist  noch  weniger  als  i)ei  den  Quellen 
zur  Stadtverfassung  am  Platze ;  die  Forschungen  sind  deshalb  grundsätzlich 
auch  auf  die  neuere  Zeit  pCVn.  bis  XIX.  Jahrhundert)  auszudehnen,  und  für 
den  Fortgang  der  Arbeit  wird  sich  sogar  vielfach  ein  rückläufiger  Gang 
der  Untersuchung  empfehlen,  etwa  so,  daß  von  den  Zuständen  gegen 
Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts  ausgegangen  wird. 

2)  Beschränkungen  auf  einzelne  Zweige  der  Wirtschaft  (Handwerk, 
Handel)  sind  zu  vermeiden,  viehnehr  ist  immer  das  gesamte  Wirtschafts* 
leben  zu  betrachten  und  im  besonderen,  damit  die  Wechselwirkungen 
unter  jenen  deutlicher  werden,  das  Augenmerk  zu  lenken  auf: 

a.  den  städtischen  Haushalt,  in  dem  sich  die  wirtschaftliche  Leistungs- 
fähigkeit und  die  Eigenart  der  Bürgerschaft  im  ganzen  wider- 
spiegelt, 

b.  die  landwirtschaftliche  Betätigung  der  Stadtbewohner, 


—     63     — 

c.  deren  häusliche  Verbrauchswirtschaft, 

d.  den  städtischen  Grundstücksmarkt 

3)  So  unumgänglich  nötig  die  Erforschung  der  Wirtschafbverfassung 
und  der  Wirtschaftspolitik  in  jedem  Falle  ist,  so  wenig  darf  sich  die  Unter- 
suchung auf  beide  beschränken.  Es  ist  vielmehr  der  Versuch  zu  machen, 
überall  da,  wo  es  die  Quellen  gestatten,  die  Einzelwirtschaft  eines  Bürgers, 
sowohl  die  Erwerbs-  als  auch  die  Verbrauchswirtschaft,  zu  erforschen  und 
auch  den  technischen  Dingen  Teilnahme  zu  schenken. 

4)  Die  für  diese  Zwecke  wichtigsten  Quellen  sind  die  aus  dem  privat- 
wirtschaftlichen Betriebe  erwachsenen  Schriftstücke,  mögen  sie  (wie  Kauf- 
urkunden,  Eintragungen  in  Gerichtsbücher,  Steuerbekenntnisse  und  dgl.) 
öffentlich  beglaubigt  sein  oder  (wie  Vermögensverzeichnisse,  Haushalttmgs- 
und  Geschäftsbücher,  Geschäftsbriefe  und  dgl.)  mehr  persönlichen  Cha- 
rakter tragen.** 

Eine  Aussprache  schloß  sich  wegen  der  vorgerückten  Stunde  an  diese 
Darlegungen  nicht  an. 

Eine  unmittelbare  Fortsetzung  der  Stuttgarter  Verhandlungen  Ostern  1906 
bildeten  die  kurzen  Darlegungen  des  Stadtarchivars  Overmann  (Erfurt)  über 
die  Grundsätze,  die  bei  Veröffentlichungen  von  Quellen  zur  städtischen 
Rechtsgeschichte  anzuwenden  sind.  Es  stehen  sich  da')  zwei  Systeme 
gegenüber,  das  am  Oberrhein  und  das  in  Westfalen  angewandte :  ersteres  be- 
schränkt sich  auf  die  unmittelbar  die  Stadtverfiassimg  berührenden  Quellen,  letzteres 
greift  weiter,  zieht  die  gesamte  Stadtverwaltung  in  Betracht,  hält  die  Behand- 
Itmg  der  Zünfte  und  des  Gewerbewesens  für  unbedingt  notwendig  und  be- 
fürwortet zugleich  die  Verarbeitung  des  Stoffes  in  einer  ausführlichen,  dar- 
stellenden Einleitung.  Nur  gegen  die  letztere  Forderung  erhoben  eim'ge  Teil- 
nehmer aus  methodischen  und  praktischen  Gründen  Einwendungen.  Aber 
die  ebenfalls  mit  dem  Programm  den  Teilnehmern  bekanntgegebenen  Grund- 
sätze des  Redners  fanden  in  folgender  Form  Zustimmung: 

„i)  Es  ist  notwendig,  daß  in  die  Publikation  außer  den  Stadtrechten 
im  engeren  Sinne  auch  das  gesamte  Material  zur  Geschichte  der  Stadt- 
verfassung und  Stadtverwaltung  aufgenommen  wird.  Bei  kleineren  Städten 
imd  überaU  da,  wo  von  einer  besonderen  Publikation  der  wirtschaftsge- 
schichtlichen Quellen  abgesehen  wird,  ist  es  erforderlich,  daß  den  rechts- 
geschichtlichen Veröffentlichungen  auch  die  auf  die  Zünfte  und  das  Ge- 
werbewesen angegliedert  werden. 

2)  Die  Publikation  darf  sich  nicht  auf  das  Mittelalter  beschränken, 
sondern  muß  bis  zum  Untergang  der  alten  Stadtverfassungen  (Ende  des 
XVUl.  oder  Anfang  des  XIX.  Jahrhunderts)  ausgedehnt  werden.  Für  die 
neuere  Zeit  wird  das  Material  großenteils  in  Regesten  oder  in  einer  anderen 
Form  gekürzter  Bearbeitung  mitgeteilt  werden  können. 

3)  Es  ist  dringend  wünschenswert,  daß  der  Publikation  ein  Stadtplan 
nebst  Karte  der  Gemarkung  beigegeben  werde.'* 

Zu  wiederholten  Malen  schon  hat  sich  die  Konferenz  mit  den  Aufgaben 
der  historischen  Geographie,  die  als  wesentliche  Grundlage  aller  landes- 
geschichtlichen Arbeit  zu  gelten  hat,  beschäftigt;  gerade  die  Königlich  Säch- 

i)  Vgl.  darüber  den  Aufsatz  von  OvermanD  in  dieser Zdtfchrift  7.  Bd.,  S.  263—374. 


—     54     — 

sische  Kommission  für  Geschichte  hat  auf  diesem  Felde  mit  großem  Erfolg 
gearbeitet,  und  das  Ergebnis  der  bisherigen  Arbeit  wurde  in  einer  Veröflfent- 
lichung  von  84  Druckseiten  den  Teilnehmern  an  der  Historikerversanmiiung 
vorgelegt,  die  Die  historisch-geographischen  Arbeiten  im  Königreich  Sachsen 
betitelt  ist.  Über  dasjenige,  was  sie  enthält,  belehrte  die  Versammlung  ein 
eingehender  Vortrag  des  Archivrats  Dr.  Beschorner  (Dresden),  der  selbst 
an  den  Arbeiten  beteiligt  ist,  und  der  durch  eine  außerordentlich  interessante, 
bisher  noch  nie  in  ähnlicher  Weise  ausgeführte  Ausstellung  die  Entwicklung 
der  Kartographie  im  Königreich  Sachsen  von  der  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts 
bis  zur  Gegenwart  veranschaulichte.  Mit  beredten  Worten  wußte  er  die 
Fortschritte  im  Kartenzeichnen  von  Humelius  und  Matthias  Öder  an  bis  zur 
neuesten  Generalstabskarte  zu  schildern  und  den  Hörern  zugleich  die  Grund- 
lagen für  eine  sachgemäße  Betrachtung  des  Ausstellungsmaterials,  das  technisch 
nicht  weniger  interessant  ist  als  inhaltlich,  darzubieten.  In  einem  zweiten 
Teile  setzte  er  dann  auseinander,  was  die  Königlich  Sächsische  Kommission 
bisher  getan  hat,  um  den  historisch-geographischen  Studien  ftir  Sachsen  eine 
genügende  Grimdlage  zu  geben:  es  wurden  zuerst  als  Gnüidlage  für  alle 
nur  denkbaren  Karten  sogenannte  Grundkarten  im  Maßstabe  der  General- 
stabskarten angefertigt,  gerade  wie  in  vielen  anderen  deutschen  Landesteileo, 
dann  aber  —  und  darin  steht  Sachsen  bisher  ganz  allein  da  —  wurden 
von  sämtlichen  rund  4500  Gemeinden  des  Königreichs  die  tun  1840  auf- 
genommenen Flurkrokis,  die  die  Gemeindefiuren  vor  der  Zusammenlegung 
und  der  Gemeinheitsteilung  zeigen,  photographisch  vervielfältigt,  so  daß  sich 
heute  jeder  Forscher  für  etwa  den  Preis  von  i  Mark  die  Abbildung  der 
Flurkarte  einer  beliebigen  sächsischen  Gemeinde  verschaffen  kann.  Praktisch 
ausgeführt  wurden  historisch-geographische  Arbeiten  bisher  schon  mannigfach, 
aber  vollendete  Ergebnisse  liegen  natürlich  noch  nicht  vor.  Gearbeitet  wird 
an  einer  Sammlung  der  alten  Flurnamen,  an  einem  historischen  Ortsverzeichnis 
und  an  der  Beschreibung  der  ehemaligen  Bistümer  Meißen  und  Merseburg, 
aus  der  sich  vor  allem  über  die  kirchlichen  Verhältnisse  im  XV.  Jahrhundert 
wert\^olle  Erkenntnisse  gewinnen  lassen. 

Als  letzter  Punkt  der  Tagesordnung  wurde  schließlich  die  Frage  nach 
der  Bearbeitung  von  Urkundenregesten  und  den  daran  zu  stellenden  Anfor- 
derungen behandelt.  Auch  diesen  Gegenstand  hatte  die  Stuttgarter  Tagung 
schon  vorbereitet.  Eine  damals  eingesetzte  fünfgliedrige  Kommission  hatte 
sich  über  den  Gegenstand  gutachtlich  geäußert  —  auch  diese  umfangreichen 
Gutachten  waren  schon  rechtzeitig  vor  der  Tagung  in  die  Hände  der  Be- 
teiligten gelangt  —  und  durch  eine  Umfrs^e  bei  100  Archiven  war  der 
etwa  vorhandene  Urkundenvorrat  ermittelt  worden.  Wie  Privatdozent  Stein- 
acker (Wien)  mitteilte,  gibt  es  etwa  eine  Million  Originalurkunden  in  Deutsch- 
land, Osterreich  und  der  Schweiz  bis  1500,  aber  davon  fallen  nur  5000  in 
•die  Zeit  bis  1200  und  40000  in  die  Zeit  1200  bis  1300,  so  daß  erst  nach 
1300  die  Masse  des  Stoffes  so  ungeheuer  anschwillt.  Ein  vollständiger  Ab- 
druck dieser  Urkunden  ist  unmöglich  und  auch  praktisch  nicht  notwendig, 
wünschenswert  dagegen  ist  eine  Veröffentlichung  des  Inhalts  in  einer  reichen 
Auswahl.  Dazu  dient  seit  langer  Zeit  das  sogenannte  „Regest**,  d.  h.  eine 
Inhaltsangabe  in  neuhochdeutscher  Sprache.  Eine  solche  genügt  aber  heute 
der  Anforderung  der  Forschung  nicht  mehr,  weil  das  Urteil  des  Bearbeiters 


—     55     — 

über  den  Inhalt  jede  solche  Inhaltsangabe  trübt,  und  deshalb  wird  eine 
andere  Form  der  Mitteilung  gewünscht:  der  Auszug  in  der  Sprache  des 
Originals  (lateinisch  oder  altes  Deutsch).  Die  in  den  fünf  Gutachten  nieder- 
gelegten Gedanken  wurden  zu  Leitsätzen  zusammenge£iißt ,  die  in  der  unten 
mitgeteüten  Form  allseitige  Zustimmung  fanden. 

Ganz  neue  Gesichtspunkte  für  die  Erschließung  des  Urkundenschatzes  zur 
deutschen  Geschichte  eröfifnete  dagegen  der  von  Prof.  Lamprecht  (Leipzig) 
gemachte  Vorschlag,  sämtliche  Urkunden,  bis  etwa  1270,  zu  photographieren 
und  so  allgemem  zugänglich  zu  machen.  Zur  Beschafiung  der  Kosten  soll 
das  Deutsche  Reich  und  Österreich  um  Mittel  angegangen  werden.  Um 
diese  Arbeit  vorzubereiten  imd  bei  der  nächsten  Tagung  einen  fertigen  Pe- 
titionsentwurf vorzulegen,  wurde  ein  fünfgliedriger  Ausschuß  eingesetzt,  be- 
stehend aus  den  Herren  Breßlau  (Straßburg),  Chroust  (Würzburg),  Hansen 
{Köhi),  Lippert  (Dresden)  und  Steinacker  (Wien).  Die  gebilligten  Sätze  über 
<lie  Veröffentlichung  des  ganzen  mittelalterlichen  Urkimdenstoffes  lauten: 

„i)  Die  Kommission  spricht  sich  dafür  aus,  daß  bei  Herausgabe 
des  Urkundenstoffes  deutlich  zwischen  dem  früheren  und  dem  späteren 
Mittelalter  unterschieden  wird  Zur  Abgrenzung  der  beiden  Zeiträume  empfehlen 
sich  je  nach  den  besonderen  Verhältnissen  der  verschiedenen  Gebiete  die  Jahre 
1250  oder  1273,  für  den  Osten  sogar  eventuell  ein  noch  späteres  Jahr. 

2)  Für  den  ersten  Zeitraum  spricht  sich  die  Kommission  dafür  aus, 
daß  der  gesamte.  Urkundenvorrat  unter  Herstellung  von  photogra- 
phischen Nachbildungen  der  Originale  gedruckt  und  daß  dabei, 
wenn  möglich,  das  ganze  Material  nach  diplomatischen  Gesichtspunkten 
neubearbeitet  wird. 

Die  Traditionsbücher  sind  einer  besonderen  Bearbeitung  vorzubehalten. 

3)  Für  den  zweiten  Zeitraum  spricht  die  Kommission  die  Meinung  aus^ 

a.  daß  die  absolute  Vollständigkeit  bei  der  Masse  des  Stofifes  in 
der  Regel  nicht  erreichbar  ist; 

b.  daß  der  Privatrechts-  und  Wirtschafbgeschichte  durch  relative  VoU- 
ständigkeit  in  der  Urkundenpublikation  gedient  werden  kann  und  soll ; 

c.  daß  im  übrigen  für  das  spätere  Mittelalter  die  üblichen  Bischofs- 
und Fürstenregesten  einen  gewissen  Ersatz  für  die  voUständige 
Veröffentlichung  des  urkundlichen  Stoffes  bieten.  Dabei  empfiehlt 
es  sich  auch,  in  diesen  Regestenwerken  individuell  oder  typisch 
besonders  wichtige  Urkunden  in  vollem  Druck  mitzuteilen. 

Andrerseits  hält  die  Kommission  die  Forderung  nach  erschöpfenden, 
bis  zum  Beginn  des  Aktenmaterials  reichenden  territorialen  Regestenwerken 
ab  eme  ideale  Forderung  im  Sinne  des  Gutachtens  von  Geheimrat  Schulte 
aufrecht.  Was  das  Fürstenbergische  Urkundenbuch  für  ein  zersplittertes, 
städtearmes  Gebiet  erreicht  hat,  soll  auch  anderwärts  unter  besonders 
günstigen  Umständen  angestrebt  werden,  damit  wenigstens  Cur  einige  typische 
Territorien  voUständige  Sammlungen  des  Urkundenstoffes  vorliegen. 

4)  Als  Ersatz  für  die  vollständige  Veröffentlichung  ist  eine  Erleichterung 
der  vollständigen  archivalischen  Benutzung  anzustreben,  und  zwar 

a.  durch  eine  interne,  nicht  zum  Druck  bestimmte  knappe  Regestie- 

rung  der  Bestände  seitens  unserer  großen  Archive, 
b»  durch  eine  summarische  Aufiiahme  der  kleineren  nichtstaatlichen 


—     66     — 

Archive,  die,   wie  das  Beispiel  einiger  Landschaften  zeigt,   mit 

Hilfe  des  Pflegersysteros  unschwer  durchzuführen  ist. 

Die  Ergebnisse  dieser  Arbeiten,   für  welche  den  Archivrerwaltungeir 

besondere  Mittel  zufließen  müßten,   sind   durch  Publikation  von   Archiv- 

inventaren,    Archivgeschichten   und   Archivberichten,    sowie    durch    einen 

Tauschverkehr  zwischen  den  Archiven  zugänglich  zu  machen., 

5)  Zur  technischen  Seite  der  Urkundenherausgabe  spricht  die  Kom- 
mission folgende  Anregungen  aus: 

a.  daß  mehr  ads  bisher  der  Urkundenauszug  eventuell  unter  sehe- 
matischer  Wiedergabe  einzelner  Formeln  im  Sinne  des  Gut- 
achtens von  Prof.  Rietschel  statt  des  Abdrucks  und  des  Regests- 
verwendet  werde,  welches  nicht  nur  an  die  historisch-diplomatische,, 
sondern  auch  an  die  privat-  und  kirchenrechtliche  Vorbildung  des 
Bearbeiters  imgleich  höhere  Anforderungen  stellt,  als  der  Auszug  p 

b.  dort,  wo  das  Regest  in  Verwendung  bleibt,  empfiehlt  sich  die- 
im  Gutachten  Steinacker  beschriebene  Form; 

c.  die  besondere  Ortskolumne  kann  bei  spätmittelalterlichen  Re- 
gestenwerken wegfiadlen; 

d.  besondere  Ausführlichkeit  ist  für  die  Namens-  und  Sachregister 
der  Regestensammlungen  zu  verlangen/* 


Archive.  —  Die  Neueinrichtung  des  Spitalarchivs  zu  Ravensburg,. 

mit  deren  Besorgung  der  Unterzeichnete  von  der  Kgl.  Württembergischen 
Kommission  für  Landesgeschichte  und  der  Ortsarmenbehörde  Ravensburg 
beauftragt  war,  wurde  im  Frühjahr  1907  fertiggestellt  Mit  Rücksicht  auT 
die  sog.  „Spitalarchive**  anderer  Städte  wurde  auch  hier  diese  Bezeichnung 
gewählt,  wenngleich  der  Titel  Stiftungs- Archiv  vielleicht  der  zutreffendere 
gewesen  wäre,  da  sich  die  Archivbestände  auf  sämtliche  Ravensburger 
milde  Sdfhingen  (Spital,  Seelhaus,  Siechenhaus  St.  Georg  und  Heiligkreuz,. 
Bruderhaus,  Zucht-  und  Arbeitshaus,  drei  und  vier  imierte  Pflegen)  beziehen^ 
Damit  aber,  dafi  die  Dokumente  über  das  Spital  die  Mehrzahl  bilden,  der 
Archivbestand  überhaupt  in  dem  trockenen  feuersicheren,  durch  eiserne  Türen 
und  Laden  verschließbaren  Gewölbe  im  Pfründnerhaus  des  Hospitals  auf- 
bewahrt und  derselbe  Eigentum  des  städtischen  Spitals  bzw.  Armenfonds- 
ist, dürfte  erstere  Bezeichnung  hinlänglich  gerechtfertigt  sein. 

Früher  hatte  das  Spital  und  das  Seelhaus  (Stiftung  des  Frik  Holbain 
1408)  je  sein  eigenes  Gewölbe  zur  Aufbewahrung  der  Dokumente.  Aus 
einer  Notiz  über  den  Zweck  und  Bestimmung  des  letzteren  erfahren  wir:: 
„Das  Seelhaus  wurde  früher  auch  benutzt  zur  Aufbewahrung  der  Stiftungs- 
briefe und  in  den  ältesten  Zeiten,  um  durchreisende  Pilger  und  zum  heiligen 
Grab  nach  Jerusalem  wallfiedirende  Fremde  über  Nacht  zu  beherbergen  und 
zu  verpflegen*'  (vgl.  hiezu  die  Seelhausordnung  vom  Jahre  144 1).  Ob  von 
Anfiemg  an  im  Seelhaus  Stiftungsbriefe  aufbewahrt  wurden,  läfit  sich  nicht 
nachweisen,  und  auch  die  detaillierte  Seelhausordnung  von  1441  gibt  darüber 
keinerlei  Auskunft,  sondern  spricht  nur  von  der  Aufbewahrung  der  Urkunde 
in  der  „gemeinen  Lade**.  £>ie  erste  Nachricht  stammt  erst  aus  den  Jahrein 
1638  und  1641,  in  welch  letzterem  vom  Bürgermeister  und  Seelhauspfleger 


—     57     — 

Johann  Kolleffel  des  geheimen  Rats  und  Jakob  Haimen,  Gerichtsschreiber  zu 
Ravensburg,  „Briefe  auöem  Seelhausgewölb  genommen**  wurden.  Und  unterm 
IG.  Dezember  1664  ^^^  ^^^  ^^^^  <^  Spitalgewölbe  berichtet,  daß  die  dort 
stehende  Lade  in  die  Schreibstube  getragen  imd  die  darin  zu  der  Pfarrei  Theu- 
ringen  und  Kaplanei  Berkheim,  über  die  das  Spital  das  Patronat  besad,  gehörigen 
Briefe  und  Dokumente  gefunden  wurden.  Die  Schlüssel  zu  dem  „Hospital- 
archiv und  den  Akten**  war  laut  Magistratsbeschluß  vom  4.  März  1706  dem 
Spitalverwalter  „committiert**,  jedoch  daß  er  dem  Spitalmeister  auf  jedes  Be- 
gehren „das  ein  oder  andere  acta  tamquam  documenta  communia  extra- 
dieren  solle**  (Ratsprotokoll  1705/07  Fol.  81).  „1708  ist  Alles  durch  Feuers- 
brunst aufgegangen,  darunter  auch  der  Heiligkreuzpflegschaft  Zinsbuch**  — 
<wo  ist  leider  nicht  angegeben.  Von  dem  Seelhaus-  und  Heiligkreuzarchiv 
und  dessen  neueingerichteter  Registratur  ist  noch  je  eine  „Tabulatura**  vom 
Jahre  1728  vorhanden,  „worinnen  nicht  allein  alle  und  jede  bey  diser 
Pflegschaft  vorhandene  Acta,  Dokumente,  Kaufbriefe,  Verträge,  Verglich, 
Güter-Tausch,  Augenschein,  Untergänge,  Mark-Beschreibungen,  Fürstl.  imd 
Gräfl.  Belehnungen,  Lehenbriefe  und  Revers,  Consensus  ad  alienandum,  £r- 
lasstmgen  der  Lehenschaft,  Cessiones,  Ergebungen  in  die  Leib-Eigenschaft, 
Manumissiones,  Sententiae  Judiciales,  Zinsverschreibungen,  Wein-Bodenzins, 
Jahrtäg  und  andere  Stüftungen,  Urbarien,  Zinßrödel,  Zinsregister,  Rechnungen, 
auch  alle  andere  Briefliche  Urkunden  jedes  mit  seinem  Rubro,  Dato  und 
Numero  fleißig  angezeigt,  sondern  auch  secundum  ordinem  alphabethicum 
dergestalt  unter  ihrer  Haupt-Rubriken  gebracht  seyn,  daß  gleich  bey  deren 
Aufschlagung  primo  intuitu  ersehen  werden  kaim,  wie  viel  und  was  fUr 
Documenta  von  der  verlangten  Materie  vorhanden,  auch  unter  was  Numero 
zu  finden  und  falls  man  mehreren  Nachricht  geben  will  zu  dem  jeden 
Fasdculo  beygelegtem  Repertorio  speciali  remittiert  wird.  Auf  rühmlicher 
Veranstaltung  und  lobenswürdiger  Vorsorg  Hr.  Johannes  Zeiler,  Hr.  Johann 
Jacob  Zeller  (des  inneren  Rats  vmd  Rentamtsverwalter)  auf  das  neue  und 
nach  heutigem  Zustand  beschriben,  registrirt  und  in  Ordnung  gebracht  von 
Abraham  Möhrlin**.  Nach  dem  noch  vorhandenen,  allerdhigs  undatierten 
„alten  Akten  Repertorium  des  Hospitalitischen  Archivs**  mit  seinem  letzten 
Eintrag  vom  Jahre  1754  zu  schließen,  waren  damals  die  einzelnen  Archive 
noch  getrennt  und  abgesondert.  Aus  den  Gantakten  des  Johann  Georg  Igel  von 
Kippenhausen  ist  zu  entnehmen,  daß  im  Jahre  1773  das  Spitalarchiv  ge- 
ordnet wurde,  da  bei  der  „dermalen  neuen  Hospitalarchiv  Einrichtung**  es 
uimiöghch  gewesen,  die  Hauptobligation  vorzufinden.  Wer  diese  Einrichtung 
besorgte,  ist  uns  nicht  bekannt,  es  fehlt  darüber  neben  allen  Akten  auch 
ein  Beschrieb  und  Repertorium.  Die  Besorgung  der  Archive  der  Stadt 
Ravensburg  ließ  übrigens  im  XVIII.  Jahrhundert  sehr  zu  wünschen  übrig, 
was  nur  Ausfluß  und  Folge  der  damals  überhaupt  schlechten  Ökonomie- 
Verwaltung  der  Stadt  war.  Im  Jahre  1753  konnte  im  Stadtarchiv  nicht  ein- 
mal das  Original  des  mit  der  Landvogtei  Schwaben  geschlossenen  Vertrags 
von  1537  aufgefunden  werden,  weshalb  der  Rat  beschloß,  ein  Register  von 
den  in  dem  Archiv  aufbewahrten  Urkunden  anzulegen  und  dieselben  von 
dem  „garstigen  Wust**  zu  säubern.  „Schon  zur  Zeit  der  Reichsstädtischen 
Verfasstmg  wurde  der  Abmangel  zweckmäßiger  Grund-  und  Lagerbücher  bei 
den  hiesigen  Stiftungen  desideriert    Dieses  Erfordernis  als  die  Grundlage 


—     58     — 

einer  geregelten  und  soliden  Vermögensverwaltung^  das  damab,  wie  nachher 
unter  der  Regierung  Bayerns  immer  ein  frommer  Wunsch  blieb,  sollte  für 
tmsere  Zeit  aufgespart  seyn",  schreibt  Registrator  Gutermann  im  Vorwort  zu 
seinem  angelegten  Concept  •  Repertorium  über  das  Archiv  des  Armenfonds 
{jetzt  Spitalarchiv).  Dem  allweg  beizupflichten  sind  wir  nicht  in  der  Lage, 
da  gerade  die  noch  vorhandenen  Grund-  und  Lagerbücher  von  einer  pein- 
lichen Führung  und  Beschreibung  zeugen;  der  Fehler  lag  nur  an  dem  ab- 
gehenden Sinn  und  Verständnis  der  Pfleger  der  einzelnen  Stifhmgen  für  eme 
sorgfältige  Registrierung  und  Indizierung.  Als  1814  die  Hospitalpflege,  das 
hospitalitische  Arbeitsinstitut,  Heiligkreuz>  und  Seelhauspflege,  die  drei  uniertcn 
Pflegen,  d.  h.  Große  Spend-,  Schmalz-  und  Bruderhauspflege  unter  dem  Namen 
allgemeiner  städtischer  Armenfonds  vereinigt  wurden  und  vom  Jahre  18 15 
an  ab  Georgi  nur  eine  Kasse  und  eine  Rechnung  geführt  wurde,  hätte 
man  meinen  sollen,  daß  auch  sämtliche  Dokumente  der  einzelnen  Pflegen 
vereinigt  würden.  Dem  scheint  aber  nicht  so  gewesen  zu  sein  und  wenn, 
so  ließ  man  sie  ungeordnet  liegen  und  ihrem  Schicksal  anheimfallen. 

Den  Anlaß  zu  einer  besseren  Wertschätzung  der  Archive  der  Stadt 
Ravensburg  gab  laut  Ratsprotokoll  ein  Regierungsdekret  vom  2.  Juni  1822, 
wonach  die  städtischen  Registraturen,  „indem  sie  auf  die  teutsche  Geschichte 
vielen  historischen  Wert  haben  dürften,  ohne  Verzug  zu  ordnen  seien  und 
die  älteren  Urkunden  sorgfältig  aufbewahrt  werden"  sollten.  Nach  der 
stifhmgsrätlichen  Sitzung  vom  11.  Oktober  1822  wurde  nun  Cameral-Canditat 
Registrator  Friedrich  Gutermann  ^)  die  Anfertigung  von  Grund-  und  Lager- 
büchem  mit  der  weiteren  Bedingimg  übertragen,  vorerst  für  den  allgemeinen 
städtischen  Armenfonds  aus  den  zerstreuten  Papieren  der  früheren  einzelnen 
Pflegen  dieser  Stifhmg  eine  förmliche  Registratur  einzurichten.  Die  Akten 
sowohl  wie  auch  die  Behältnisse  ihrer  Aufbewahrung  waren  nach  Gutermanns 
Aufzeichnungen  „im  kläglichsten  Zustande".  Ein  Teil  der  Akten  befand 
sich  noch  in  den  Händen  der  Verwandten  früherer  Beamten.  Einen  anderen 
Teil  fand  er  auf  dem  Rathause  aufgestellt,  und  derjenige  Teil,  der  sich  bei 
der  Stiftimgsadministration  selbst  vorfand,  lag  in  zwei  flnsteren  Gemächern 
des  Hospitals  zerstreut  lunher,  von  Moder  und  Ungeziefer  ergriffen.  Sein 
Hauptaugenmerk  ging  dahin,  die  Akten  nach  den  verschiedenen  Pflegen  zu 
sortieren  und  wie  sie  ehemals  zur  Zeit  der  Reichsstädtischen  Verfassung 
Ravensburgs  und  nachher  während  der  bayerischen  Regierungsperiode  be- 
standen haben.     Von  den  29  Pflegen^),   die   er  aufzählt,   hatte   unter   der 

i)  Er  legte  den  Grund  zu  seinen  geschichtlichen  Studien  in  früher  Jugend  in  den 
klösterlichen  Mauern  der  Karmeliter  in  seiner  Vaterstadt  Ravensburg,  wo  ihm,  „obgleich 
Protestant,  eine  freundliche  Aufnahme  zuteil  geworden"  war.  Vgl.  Gutermann,  Die 
(Ute  Ratienapurgf  Vorrede. 

2)  I.  Paritätische  Stiftungen :  Hospital,  Arbeitsinstitnt,  Seelhaus-,  Heiligkreuz-Almosen, 
Große  Spende-,  Schmalz-  und  Bruderhauspfiege  (letztere  drei  die  sog.  drei  unierten  Pflegen), 
die  vier  unierten  Pflegen  St.  Michael,  St.  Georg.  St.  Leonhard  und  St,  Nikolaus. 

II.  Katholische  Kirchenpflegen:  Liebfrauenkirchenpflege  kathol.  Kasse,  Major  Rat 
J.  und  IL  Stiftung,  Gresseriche,  Gassersche  Stiftung,  Kirchenpflege  St  Jos.  Fronleichnams- 
bmderschaft  daselbst,  Kathol.  Partimsknabenkasse,  Kirchenpflege  Maria  Miiblbmck,  Mottersche 
Stipendiumpflege.  Die  vier  Landkirchenpflegen  Theuringen,  Bavendorf,  Wolpertswende, 
Mochenwangen. 

ni.  Evangelische  Pflegen :  Kirchenkasse,  Subsidienkasse,  Partimsknabenkasse ,  Geist* 
liehe  Witwenfundationskasse. 


—     69     — 

Reichsstädti&cheQ  Verfassung  jede  zwei  eigene  Verwalter,  und  er  hat  recht, 
^enn  er  die  Administration  der  kleineren  Stifbingen  mehr  eiüe  private  Wirt- 
schaft als  eine  öffentliche  Verwaltung  nennt.  Unter  den  angeführten  Um- 
ständen erklärt  es  sich  leicht,  wie  es  kam,  dafi  sich  Stifhmgsdokumente  in 
-den  Händen  von  Privatpersonen  befanden  und  daß  sie  in  so  ausgedehntem 
Maße  verschleudert  werden  konnten.  Auch  Gutermann  selbst  ließ  es  sich 
„ernstlich  angelegen  sein,  damit  Niemanden  ein  Nachtheil  erwachsen  möge 
unbrauchbare  Acten  zu  zernichten'*,  obgleich  er  „wohl  zu  Gemüte  geführt 
was  Hecht  in  seinem  Versuch  einer  Theorie  der  Begistraturlehre  (Heidel- 
berg 1808)  sagt":  „Daß  bei  Aufbewahrung  unbedeutend  scheinender  Pappiere 
eine  übertriebene  Gewissenhaftigkeit  dem  Rasch  zufahrenden  Leichtsimi  immer 
vorzuziehen  sey".  Am  25.  November  1825  übergab  Gutermann  die  „Re- 
gistratur**, ohne  aber  seine  Arbeit  ab  abgeschlossen  zu  bezeichnen,  nachdem 
er  am  Schlüsse  seines  Vorworts  (S.  5)  über  seine  Tätigkeit  kurz  Aufschluß 
gibt,  daß  der  größte  Teil  und  namentlich  die  von  ihm  überschriebenen  Fas- 
zikel durch  ihn  aus  einzelnen  zusammengelesenen  Blättern  angelegt  sei,  die 
wenigeren,  schon  überschriebenen  Faszikel  ließ  er  bestehen,  ohne  sie  zu 
öfihen.  Eine  „chronologische  Verzeichnung  der  einzelnen  Teile  eines  Fas- 
zikels*' ließ  er  „im  Anstand",  weil  noch  ein  bedeutender  Teil  der  Stadt- 
archivakten an  das  Spital  übergeben  werden  müsse.  Er  verbindet  damit 
die  Bitte  an  diejenigen,  welche  genauere  Nachrichten  über  das  Einzelne 
seiner  Arbeiten  zu  wissen  wünschen,  daß  sie  sebe  monaüichen  —  allerdings 
nicht  mehr  vorzufindenden  —  Arbeitsberichte  hierüber  nachlesen  möchten. 

Die  „Registratur**  des  Armenfonds  errichtet  und  die  Akten  der  ein- 
zelnen *  Pflegen  räumlich  wenigstens  vereinigt  zu  haben,  muß  als  Werk  Guter- 
manns  anerkannt  werden.  Seine  Regestierungsarbeit  war  aber  eine  unge- 
nügende, seine  Ordnung  keine  systematisch  durchgreifende,  die  Faszikel- 
überschriften stimmten  mit  dem  wirklichen  Faszikelinhalt  überhaupt  nicht 
überein,  geschweige  daß  die  Akten  chronologisch  oder  auch  nur  nach  ihrem 
sachlichen  Inhalt  geordnet  waren,  die  Anlage  des  Repertoriums  war  eine 
mangelhafte,  und  so  konnte  zudem  bei  einer  bekanntlich  schlechten  Instand- 
haltung seitens  der  aufsichtführenden  Verwaltungsbeamtung  die  „Registratur** 
unschwer  in  ihr  altes  Chaos  zurückfallen. 

Auf  dem  Bühnenraum  des  Hospitals  bei  Holz  und  Torf  lagerte  lange 
2^t  nach  Gutermanns  Arbeit  ein  sehr  beträchtlicher  Teil  der  Archivalien,  der 
dann  später  in  das  Registraturzimmer  der  heutigen  Armenfondsverwaltung  ge- 
bracht und  von  dem  Unterzeichneten  gesichtet  dem  Archiv  wieder  einverleibt 
wurde.  Bei  der  Un-  masse  der  aus  den  Faszikeln  gerissenen  und  lose  herum- 
liegenden Urkunden  und  Aktenstücke  war  ein  anfangs  von  der  kgl.  Kommission 
für  Landesgeschichte  geplanter  und  beabsichtigter  Aufbau  auf  der  Grundlage 
des  Gutermannschen  Repertoriums  ausgeschlossen  und  eine  völlige  Neuorgani- 
sation unvermeidlich.  Bei  derselben  wurden  Urkunden  und  Akten  soweit 
archivalisch  zulässig  getrennt.  Die  Hauptemteilung  ergab  sich  demgemäß 
von  selbst  in  Urkunden,  Akten  und  Bücher.  Als  Form  des  Regests  wurde 
fast  durchweg  die  ausführlichere  gewählt,  wo  nicht,  wurden  sämtliche  Namen 
mit  V.  M.  (=  vorkommende  Namen)  am  Schluß  des  Regestes  aufgeführt  Jede 
Urkunde  wurde,  soweit  möglich  ausgebreitet,  in  einem  nach  zwei  Seiten  offenen 
Umschlage  untergebracht  und  beides,  Urkunde  und  Umschlag,  mit  dem  Re- 


—     60     — 

posituTvermerk  versehen.  Eid  kleiner  auf  dem  Umschlage  aufgeklebter  Zettel 
gibt  die  der  einzelnen  Urkunde  zugewiesene  Hauptrubrik  mit  dem  aufgelösten 
Datum  an.  Etwa  25 — 30  Urkunden  in  Umschlägen  in  einem  Pappkasten  mit 
Klappfalle,  der  am  oberen  Falldeckel  die  Repositurbezeichntmg  trägt,  bilden 
ein  Faszikel.  Die  Urkimden  sind  unter  folgenden  Hauptnibriken  geordnet: 
i)  Stiftungen  (direkte,  Legate,  indirekte,  Leibgedinge,  Jahrtäge,  Pönen); 

2)  Grundeigentum  und  Besitzstand  (Häuser,  Mühlen  [an  der  Zahl  8], 
Äcker,  Wiesen,  Baum-,  Kraut-,  Rebgarten,  Waldungen,  See  und  Weiher); 

3)  Aktive  Lehenshöfe  (an  94  Orten  je  mit  ziemlichen  Urkunden); 

4)  Passivlehen  (von  Bischof  von  Konstanz,  vom  Haus  Fürstemberg,  Stift 
Lindau,  Truchsessen  von  W'aldburg,  Kloster  Reichenau); 

5)  Zehnten  Aktiv  (Bavendorf,  Bibruck,  Bonhausen,  Ebenweiler,  Hefigkofen, 
Kestenbach,  Mauren,  Riedhausen,  Seldenhom,  Stadel,  Waldhatisen, 
Wilhelmskircb,  Winterbach); 

6)  Zehnten  Passiv  (von  Dompropstei  Konstanz:  Bavendorf,  Bitzenhofen, 
Stadel,  Abtei  Löwenthal:  Lottenweiler,  Stift  St.  Gallen:  Eggenweiler, 
Ellenweiler,  Gometsweiler  nebst  anderen  Zehntverhältnissen); 

7)  Zinsbriefe  (Spital,  St.  Georg,  Heiligkreuz,  Seelhaus,  von  Privaten,  Zins- 
ablösungen) ; 

8)  Kapitalien  (Spital,  Heiligkreuz,  Seelhaus.  Passiva:  Spital  bei  Hauptmann- 
schaft  Konstanz,  Kommende  Altshausen,  Abtei  Schussenried,  Andreas  von 
Salis-Chur,  Bierwiggen,  Isni ;  Seelhaus  und  Stadt  Ravensburg,  Ki^italien 
von  Privaten); 

9)  Grundbesitz  von  Privaten  (Gebäude,  Altdorfer  Bad,  Mühle  zu  Klitzistobel^ 
Äcker,  Wiesen,  Baum-,  Kraut-  und  Rebgärten,  Waldimgen,  Wdher  zu 
Bavendorf  und  Galgenweiler); 

10)  Gerichtsbarkeit  (Niedere  zu  Mochenwangen-Wolpertswende,  Ho%ericht 
Rottweil,  Vorladungen,  Vollmachten,  Urteile,  Achtbriefe,  Appellationen, 
Reklamationen,  Prozeß  des  Spitals  gegen  Stift  Buchau,  Verträge  und 
Vergleiche,  Leibeigenschaftsverhältnisse,  Verlassenschaften,  Bürgschaften» 
Schätzungen,  Verzichte); 

11)  Diverse  Urkimden  mit  den  ältesten  Quittungen,  Geburts-  imd  Leumunds- 
atteste usw.; 

12)  Kirchliche  Verhältnisse  (Spital,  Pfarrkirche  St.  Jodok,  Liebfrauenkirche, 
einzelne  Benefizien,  Pfarreien:  Berg,  Blitzenreute,  Grünkraut,  St.  Chri- 
stina. Patronate :  Kaplanei  und  Pfarrei  Berkheim,  Pfarrei  Danketswefler, 
Kaplanei  und  Pfarrei  Ebenweiler,  Kaplanei  Mochenwangen ,  Pfarrei 
Riedhausen,  Kaplanei  und  Pfarrei  Theuringen,  Pfiarrei  Wolpertswende 
und  Zußdorf). 

Den  Urkunden  konform  wurden  auch  die  Akten  rubriziert,  nur  reihten 
sich  als  weitere  Hauptrubriken  an :  Verwaltung  der  Stiftungen  (Beamtung,  Be- 
stellung, Besoldung,  Entiasse,  Prozesse,  Normalerlasse  darüber).  Wirtschaft- 
liche Verbältnisse  (Haushalt  des  Spitals,  Heiligkreuz,  FruchtkastenverwaltUDg),. 
Vermögensverhältnisse  (Inventare,  Beschriebe,  Zins-  und  Zehnt-Naturalbezüge 
und  -gefMlle,  Ausstände),  Rechnungswesen  (Rechnungen  der  einzelnen  Stif- 
ttmgen,  Abrechnungen,  Revisionsmonitorien ,  Abhörakten,  Instruktionen  uikI 
Verordnungen),  Bauwesen  (Tabellen,  Protokolle,  Überschläge,  Bausachen  der 
Lehensleute,  Straßenbau,  Wasser,  Brückenbau,  Schussenufer),  Abgaben  und 


—     61     — 

öffentliche  Leistungen  (Steuern,  Leistungen  für  Wohltätigkeitszwecke,  Militär- 
Verpflegung,  Kriegskontributionen),  Armenwesen  (Almosenordnung,  -protokoUe, 
Verzeichnisse,  Au&iahmen  ins  Spital,  Heiligkreuz,  Bruderhaus,  Armeni^>otheken, 
Rechnungen,  Waisenkinder,  Verpflegungs  und  Leichenkosten,  Pfründwesen, 
kaiserl.  Panisten  und  Königsegg-Aulendorfsche  Pfründner).  Sämtliche  Akten 
sind  chronologisch  in  Quartrangeln  geordnet,  auf  dem  Faszikelumschlag  die 
Zahl  der  einzelnen  Stücke  und  deren  Inhalt  mit  Repositur  verzeichnet.  Da  die 
Reposituren  bereits  zum  Legen  der  Faszikel  eingerichtet  waren,  mußte  von  einem 
Stellen  der  Akten  Abstand  genommen  werden.  Die  Bücher  sind  verschieden- 
sten Inhalts.  Der  gesamte  Archivbestand  ist  in  einem  drei  Bände  imifassenden 
Repertorium  verzeichnet,  der  vierte  Band  ist  das  umfangreiche  Personen-Orts- 
Sachregister. 

In  dem  Urkundenrepertorium  ist  in  Kolonne  „  Bemerkungen  '*  jede  ein- 
zelne Urkunde  nach  Stoff,  Beschaffenheit,  Sprache,  Zahl  und  Zustand  der 
Siegel  näher  beschrieben.  Das  Personenregister,  das  soweit  möglich  auch 
über  die  Ehe-  und  Verwandtschaftsverhältnisse  Aufschluß  gibt,  soll  dem  oft 
mühsam  arbeitenden  Genealogen  eine  wesentliche  Erleichterung  bieten  und 
wurde  auch  mit  Rücksicht  auf  die  neuerdings  immer  mehr  um  sich  greifende 
genealogische  Forschung  so  angelegt. 

Publiziert  ist  aus  dem  Spitalarchiv  nur  Der  Pfeffertag  in  Ravensburg 
(Freiburger  Diözesanarchiv  1905).  Dasselbe  harrt  nach  den  verschiendensten 
Gesichtspunkten  namentlich  auch  in  wirtschaftsgeschichtlicher  Richtung  einer 
sicher  lohnenden  Ausbeute. 

Ravensburg.  Gustav  Merk,  städtischer  Archivar. 


Eingegangene  Bfleher. 

Redlich,  Otto  R. :  Jülich-Bergische  Kirchenpolitik  am  Ausgange  des  Mittel- 
alters imd  in  der  Refonnationszeit.  Erster  Band :  Urkunden  und  Akten 
1400  — 1553  [=  Publikationen  der  Gesellschaft  für  Rheinische  Ge- 
schichtskunde XXVIII.]  Bonn,  P.  Hansteins  Verlag  1907.  121*  -f"  4^2 
S.  8».     M.  20,00. 

Schneider,  Hermann:  Kultur  tmd  Denken  der  alten  Ägypter  [=»  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Menschheit,  Erster  Band].  Leipzig,  R.  Voigt- 
länders  Verlag.      1907.     XXXVI  +  564  S.  8«.     M.   12,50. 

Witte,  Hans:  Romanische  Bavölkerungsrückstände  in  deutschen  Vogesen- 
tälem  [=  Deutsche  Erde,  Jahrgang  1907,  S.  8  —14,  49 — 54,  87  —  91]. 

Ziekursch,  Johannes:  Beiträge  zur  Charakteristik  der  preußischen  Verwaltungs- 
beamten  in  Schlesien  bis  zum  Untergange  des  friderizianischen  Staates 
[=ai  Darstellungen  und  Quellen  zur  schlesischen  Geschichte,  heraus- 
gegeben vom  Verein  für  Geschichte  Schlesiens,  Vierter  Band].  Breslau, 
E.  Wohlfahrt  1907.      100  S.  8». 

Benndorf,  Paul:  Der  alte  Leipziger  Johannisfriedhof  und  die  Rats-  oder 
Hospitalgruft,  ein  Beitrag  zur  Stadtgeschichte.  Mit  70  Abbildungen  in 
Lichtdruck  nach  photographischen  Aufnahmen  des  Verfassers  und  2  Plänen 
des  Friedhofs.  Leipzig,  Georg  Merseburger  1907.  Quer-Lexikonoktav. 
96  Sp.  und  48  Tafeln. 


—     62     — 

Bericht  des  Vereins  CamuDtum  in  Wien  für  die  Jahre  1904  und  1905. 
Mit  3  Tafehi  und  107  Figuren  im  Text.  Wien,  im  Selbstverlag  de» 
Vereins  Camuntum   1906.     214  Sp.  Grofiquart. 

Blök,  P.  J.:  Geschichte  der  Niederlande.  Dritter  Band:  bis  1609  [=» 
Geschichte  der  europäischen  Staaten,  herausgegeben  von  Heeren,  ükert, 
V.  Giesebrecht  und  Lamprecht,  33.  Werk].  Gotha,  Friedrich  Andreas 
Perthes,  Aktiengesellschaft  1907.     X  und  671  S.  8®.     M.  18.00. 

B  ö  h  n  e  r ,  Fritz :  Geschichtlicher  Überblick  über  die  Entwicklung  der  Latein- 
schule zu  Amorbach  (1807 — 1907)  mit  einem  Verzeichnis  der  Lehrer 
und  Schüler.  Als  Beilage  zum  Jahresbericht  1906/07  zur  Jahrhundert- 
feier der  Anstalt  verfaßt  von  F.  B.     Amorbach   1907.  46  S.  8«. 

Doehler,  Richard:  Geschichte  des  Dorfes  Leuba  in  der  Königlich  Säch- 
sischen Oberlausitz,  nach  archivalischen  Quellen  bearbeitet  Zittau, 
Kommissionsverlag  von  Arthur  Graun  (Olivas  Buchhandlung)  1907. 
200  S.  8®. 

Fe  ebner,  Hermann:  Wirtschaftsgeschichte  der  preußischen  Provinz  Schlesien 
in  der  Zeit  ihrer  provinziellen  Selbständigkeit  1741 — 1806.  Breslau, 
Schlesische  Verlagsanstalt  von  S.  Schottländer  1907.    X  und  735  S.  8<*. 

Forrer,  R. :  Die  ägyptischen,  kretischen,  phönikischen  usw.  Gewichte  und 
Mafie  der  europäischen  Kupfer-,  Bronze-  und  Eisenzeit,  Grundlagen  zur 
Schaffung  einer  prähistorischen  Metrologie  [=  Jahrbuch  der  Gesellschaft 
für   lothringische   Geschichte    und   Altertumskunde    18.  Jahrgang  (Metz 

1906),  s.  1—77]; 

Hei  gel,  K.  Th. :  Politische  Hauptströmungen  im  19.  Jahrhundert.  [=^  Aus 
Natur  und  Geisteswelt,  Sammlung  wissenschaftlich -gemeinverständlicher 
Darstellungen,  129.  Bändchen.]  I^ipzig,  B.  G.  Teubner  1906.  112  S.  8®. 
M.   1,25. 

Holzhausen,  Freiherr  Fritz  von:  Die  Weltgeschichte  in  mnemonischen 
Reimen  (Gedächtnis-Kunst),  ftir  seine  Enkelkinder  verfaßt.  Berlin  S, 
L.  Schwarz  &  Comp.  32  S.   16^. 

Hoeniger,  Robert:  Die  Kontinentalsperre  in  ihrer  geschichtlichen  Bedeu- 
tung [=  Meereskunde,  Sammlung  volkstümlicher  Vorträge  zum  Ver- 
ständnis der  nationalen  Bedeutung  von  Meer  und  Seewesen,  i.  Jahr- 
gang 5.  Heft].    Berlin,  Ernst  Siegfried  Mittler  und  Sohn  1907.    48  S.  8*. 

Jentsch,  Hugo:  Geschichte  des  Gymnasiums  zu  Guben,  i.  Teil  bis  zum 
Jahre   1708.     Guben,  Albert  Koenig  1907.     50  S.  4^. 

K allen,  Gerhard:  Zur  oberschwäbischen  Pfründengeschichte  vor  der  Re- 
formation. Stuttgart,  Druck  der  Union  Deutsche  Verlagsgesellschaft 
1907.     46  S.  8^ 

Kjellberg,  Carl  M.:  Uppsala  stads  privilegier  jämte  dit  hörande  handlingar 
1314 — 1787.    Uppsala,  K.  W.  Appelbergs  Boktryckeri  1907.    232  S.  8®. 

Kreuzberg,  P.  J.:  Geschichtsbilder  aus  dem  Rheinlande,  ein  Beitrag  zur 
Heimatskunde  der  Rheinprovinz.  Zweite  erweiterte  Auflage.  Bonn, 
Peter  Hanstein   1906.     207   S.  8^     M.  3,60. 

Limes.  Der  Römische  Limes  in  Österreich.  Heft  VIII.  Mit  3  Tafeln 
und  85   Figuren  im  Text.     Wien,  Alfred  Holder  1907.     224  Sp.  4®. 

Heniiug^er  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig. 
VerUf  und  Druck  von  Friedrieb  Asdreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Goduu 


11 


i 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


cur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschimg 

IX.  Band  Dezember  1907  3.  Heft 


Volkskunde  und  volkskundliehe  Vereine 

Von 
Karl  Reuschel  (Dresden) 

Das  Wort  „Volkskunde"  ist  wie  das  zuerst  von  Friedrich  Lud- 
wig Jahn  gebrauchte  „Volkstum**  eine  Schöpfung  des  XDC.  Jahrhun- 
derts. In  Anlehnung  an  das  englische  populär  sang,  populär  poetry, 
vielleicht  auch  an  das  französische  chanson  populaire,  poSsie  poptUaire, 
bildete  Herder  den  Ausdruck  „Volkslied**:  der  Name  „Volkskunde** 
verdankt  seine  Entstehung  dem  Vorgange  des  Engländers  William 
Thoms,  der  im  Jahre  1846  die  Volksüberlieferungen  als  folklore  be- 
zeichnete, und  dieses  Wort  wurde  zeitweilig  nicht  nur  als  Fremdwort 
gebraucht,  sondern  davon  auch  das  Wort  „Folklorist**  abgeleitet.  In 
Deutschland  hat  sich  der  danach  geformte  Ausdruck  „Volkskunde** 
jedenfalls  seit  Wilheln^  Heinrich  Riehls  Vortrag  Die  Volkskunde  als 
Wissenschaft  vom  Jahre  1858  eingebürgert  (jetzt  in  den  KuUurstudien 
aus  drei  Jahrhunderten  neu  gedruckt).  Eine  zuverlässige  Geschichte 
des  Wortes  „Volkskunde**  und  seiner  Bedeutungsentwicklung  fehlt 
zurzeit  noch,  dürfte  auch  verfrüht  sein,  da  die  Ansichten  über  den 
Umfang  des  Begriffes  nicht  völlig  geklärt  sind.  Jedenfalls  aber  steht 
fest,  daß  sich  gegenüber  der  ursprünglichen  Anwendung  des  Namens 
„folklore**  eine  starke  Erweiterung  vollzogen  hat.  Das  letzte  Ziel  der 
Volkskunde  muß  sein,  die  wissenschaftliche  Formel  für  den  Begriff 
Volksseele  zu  finden  ').  Genauer  umschreiben  läßt  sich  die  Aufgabe 
der  Volkskunde  als  „Erforschung,  Darstellung  und  Erklärung  aller 
Lebensformen  und  geistigen  und  seelischen  Äußerungen,  die  aus  dem 
natürlichen  Zusammenhange  eines  Volkes  unbewußt  hervorgehen  und 
durch  ihn  bedingt  werden**  ').     Da  sich  die  Eigenart  eines  Volkes  am 


I)  Adolf  Hmaffeo,  Einführwug  in  die  deHUch-bÖhmiscKe  ro&skunde  (Prag 
1896),  S.  94. 

3)  Engen  Mogk  in  dem  Artikel  Volkskunde  des  17.  Bandes  Ton  Brockhmas'  Koo- 

5 


—     64     —  » 

I 


reinsten  in  den  von  der  höheren  Kultur  wenig  berührten  unteren 
Schichten  offenbart«  so  wendet  ach  die  volkakttsdliclie  Arbeit  vor- 
wiegend dem  vtdgtis  in  pqpulo  zu,  aber  nicht  ausschließlich;  denn 
auch  die  oberen  Stände,  soweit  sie  nicht  des  Zusammenhanges  mit 
dem  Volkstum  entbdiren,  kommen  als  Träger  volkstümlicher  Über- 
lieferungen  in  Betracht.  Als  gemeinsames  Merkmal  der  in  den  Be- 
reich der  Volkskunde  gehörenden  Lebensäußerungen  gilt,  daß  sie  nicht 
als  Erzeugnisse  des  Einzelwillens  gefühlt  werden.  Man  kann  eine 
stammheitliche  (nationale)  und  eine  allgemeine  Volkskunde 
unterscheiden^),  welch  letztere  in  die  Völkerpsychologie  einmündet; 
eine  theoretische  und  praktische  oder  angewandte.  In  gei- 
stigen und  realen  Schöpfungen  zeigt  sich  die  Volksseele;  darum  gibt 
es  eine  literarische  und  eine  reale  Volkskunde. 

Unbewußt  volkskundlich  gearbeitet  worden  ist  längst,  bevor  eine 
wissenschaftliche  Pflege  der  Volkskunde  erfolgte.    Am  frühesten  wurde 
unter  dem  Einflüsse  von  Bischof  Percys  Beliques  of  ancient  Englisk 
poetry  (London  1765)  das  Augenmerk  dem  Volksliede  zugewendet    Das 
nationale  Gegenstück  zu  der  internationalen  Sammlung  Herders  bildete 
Des  Knaben  Wunderham,  herausgegeben  von  Achim  von  Arnim  und 
Klemens  Brentano*).     Neben  Herder  muß  Justus  Moser  als  einer 
der  Vorläufer   volkskundlicher  Wissenschaft   genannt   werden;    seine 
Patriotischen  Phantasien  greifen,  obgleich  sie  sich  an  Verhältnisse  der 
engeren  Heimat  anschließen,  weit  aus.     Die  Bemühungen  der  Brüder 
Grimm  um  Sagen  und  Märchen,  besonders  ^er  Jakob  Grimms  um 
die  Rechtsaltertümer  und  die  Mythologie  der  germanischen  Stämme 
dienen  zusammen  mit  Ludwig  Uhlands  feinsinnigen  Untersuchungen 
über  Sagen  und  Volkslieder  und  mit  Friedrich  Andreas  Schmellers 
Bayerischem  Wörterbuch  als  Beweis,   daß   die  volkskundliche  Wissen- 
schaft älter   ist  als   ihr  Name.     Gegen  die  Überschätzung  der  Edda- 
lieder als  Quellen  allgemein  germanischen  Volksglaubens  wandte  sich 
im  Jahre    1849   ^^^   Schulprogramm   von  Wilhelm   Schwartz,    Der 
heutige  Volksglaube  und  das  alte  Heidentum,   und  die  vergleichende 
Mythologie  förderte  die  Volkskunde  bedeutend.    Eine  treffliche  volks- 
kundliche Monographie,  Sebastian  Grün  er  s,  eines  Egerer  Magistrats- 
rats, Werk  Über  die  aUesten  Sitten  und  Bräuche  der  Egerländer,  bereits 
1825  niedergeschrieben  und  von  Goethes  regster  Teilnahme  begleitet, 

versmtionslexikon  in    14.  Auflage;   omch  Adolf  Strmck,  He8siBche  Blätter  für  Vofkm^ 
hunde  I,  156. 

i)  Eduard  Hoffmann-Krajer,  Die  VolksktMde  ah  Wissenschaft,  Zttricb  1903. 

2)  Vgl.  Heinr.  Lobre,  Von  Fercy  sum  Wunderhom,  Berlin  1903. 


I 


—     65     — 

hätte  längst  vorbildlich  wirken  können,  wenn  es  nicht  erst  dreiviertel- 
hundert Jahre  nach  seiner  Elntstehung  dem  Druck  übergeben  worden 
wäre  (durch  Alois  John  im  4.  Bande  der  Beiträge  zur  def4isch'böhtni' 
sehen  Volkskunde,  Prag  1901). 

Die  bewußt  volkskundliche  Bewegung  setzt  in  Deutschland  nach 
englischem  und  französischem  Vorgang  während  der  achtz^er  Jahre 
des  XIX.  Jahrhunderts  ein,  und  zwar  wird  zunächst  nur  die  literarische 
Seite  der  Volkskunde  ins  Auge  gefaßt.  Lazarus  und  Steinthal 
hatten  die  Völkerpsychologie  und  die  ihr  gewidmete  Zeitschrift  be- 
gründet und .  damit  zu  manchen  aprioristischen  Behauptungen  den  An- 
laß gegeben.  Mit  dem  Jahre  1881  war  eine  besonders  von  Lehrern 
unterstützte  Zeitschrift  zur  Pflege  volkstümlicher  Überlieferungen  Am 
Urdsbrunnen  (später  Am  Urgudl,  noch  später  Der  ürqueU)  erschienen 
und  hatte  namentlich  unter  Friedrich  S.  Krauß'  Leitung  eine  größere 
Zahl  tüchtig  wissenschaftlich  Arbeitender  vereinigt  Veckenstedts 
Zeitschrift  für  Volkskunde  (seit  1889)  erfüllte  die  Enthärtungen  nur  in 
bescheidenem  Maße,  und  so  erhielt  die  neu  aufblühende  Forschung 
trotz  der  von  Alfred  Kirch  hoff  unternommenen  Anleitung  zur  deut- 
schen Landes-  und  Volkskunde  (1889)  erst  in  der  Fortsetzung  der  2!eit' 
Schrift  für  Völkerpsychologie,  der  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde, 
seit  1891  einen  rechten  Mittelpunkt.  Ein  deutliches  Programm  sandte 
Karl  Weinhold,  der  Begründer  des  Berliner  Vereins  für  Volks- 
kunde (1881),  der  von  ihm  bis  zu  seinem  Tode  redigierten  Zeitschrift 
voraus,  die  durch  ihn  das  führende  wissenschaftliche  Organ  für  Volks- 
kimde  in  Deutschland  geworden  ist  und  dann  in  Professor  Johannes 
Bolte  den  sachverständigsten  und  in  langer  Arbeit  bewährtesten 
Herausgeber  erhalten  hat.  Weinhold  bezeichnete  als  Angaben  der 
Wissenschaft  das  Sammeln  und  das  geschichtliche  Begründen  der 
Überlieferungen,  zog  den  Kreis  des  Forschungsgebiets  vielleicht  ab- 
sichtlich recht  weit  und  versäumte  nicht,  auf  Grund  seiner  längst  be- 
währten reichen  und  vielseitigen  Kenntnisse  die  Methode  zu  beleuchten. 
Mit  der  Einrichtung  dieser  Zeitschrift  wurde  eine  Forderung  erfüllt, 
die  Gustav  Meyer  in  dem  Aufsatze  Folklore  in  seinen  Essays  und 
Studien  zur  Sprachgeschichte  tmd  Volkskunde,  i.  Band  (1885)  gelegent- 
Uch  eines  schönen  Aufklärungsartikels  über  Wesen,  Bedeutung  und 
Geschichte  der  Volkskunde  gestellt  hatte.  Das  von  ihm  verlangte 
wissenschaftliche  Organ  war  nun  geschaffen.  In  ähnlicher  Weise  wurde 
sein  Wunsch  bezüglich  der  Gründung  von  Vereinen  für  Volkskunde 
und  der  Herausgabe  von  Vereinsblättern  mit  gut  gesichtetem  Material 
zur  Tatsache.     Bei  keiner  Wissenschaft  vielleicht  ist  die  Mittätigkeit 

5* 


—     66     —  » 

der  Laien  so  notwendig  wie  bei  der  Volkskunde.  Aber  keine  Wissen-  [ 
Schaft  muß  sich  auch  so  sehr  vor  dilettantischem  Betriebe  hüten  wie 
diese.  Möglicherweise  wäre  dem  Fache  manche  Anfeindung  erspart 
geblieben,  wenn  Gustav  Meyers  Rat,  daß  zwar  die  Sammelarbeit, 
nicht  aber  die  wissenschaftliche  Verwertung  des  Zusammengetragenen 
in  die  Hände  von  Liebhabern  gelegt  werden  dürfe,  immer  befolgt 
worden  wäre.  { 

Erfahrungsgemäß  sind  die  Bemühungen  von  Dilettanten  bei  wissen- 
schaftlichen Aufgaben  dann  am  schätzbarsten,  wenn  sie  sich  auf  Pflege 
des  Heimatlichen  beziehen.     Genaue   Kenntnis  der  örtlichkeiten  und 
Persönlichkeiten,   eine  Andacht  zum  Kleinen  machen  ihre  Mitwirkung 
wertvoll  und  zuweilen  unbedingt  notwendig.    Was  den  einfachen  Mann 
fesselt,    sind   mehr    die    Geschicke   und    Verhältnisse   seines   engeren 
Kreises   als   die   der   großen   Lebensgemeinschaft   des   Stammes   oder 
der   Nation.     Der   berufene   Erforscher   der   Volksseele   könnte   ohne 
solche   Förderung  sein   Ziel   entweder  gar   nicht   oder   doch   nur   an- 
nähernd erreichen.    Wo  aber  wird  es  besser  möglich  sein,  brauchbare 
Mitarbeiter  heranzuziehen  und  ihnen  die  Technik  des  Sammeins  vor- 
zuführen als  in  den  nach  politischen  oder  Stammesgrenzen  abgeteilten 
volkskundlichen  Landesvereinen?   Es  braucht  kaum  betont  zu  wer- 
den,  daß   in  ihnen  eine  scharfe  Scheidung  zwischen  volkskundlichem 
und   landeskundlichem  Stoff  von  vornherein  zwar  wünschenswert   ist, 
aber  sich  nur  schwer  durchfuhren  läßt.    Werden  diese  Dinge  auch  ein 
wenig  durcheinander  geworfen,  so  schadet  das  nicht  viel.    Der  Fach- 
gelehrte weiß  das  für  ihn  Nützliche  vom  Nutzlosen  zu  sondern.     Da- 
mit schon  diese  volkskundlichen  Landesvereine  in  echt  wissenschaft- 
lichem Geiste   arbeiten ,    muß   wenigstens   im  Vorstande  für  Vertreter 
der  strengen  Wissenschaft  gesorgt  sein,   und   da  sich  der  Geist  einer 
solchen  Körperschaft  am  deutlichsten  in  ihren  Veröffentlichungen  aus- 
spricht, so  gebührt  die  Leitung  der  Vereinszeitschrift  nur  einem  Manne, 
der  über  das  Dilettantische  hinausragt.    Die  reale  Volkskunde,  nament- 
lich soweit  sie  sich  auf  Gegenstände  der  Volkskunst  bezieht,   erregt 
wie  man  erprobt  hat,  bei  den  Laien  einen  fast  noch  größeren  Anteil, 
und   darum  wird  es  Aufgabe  jeder  volkskundlichen  Vereinigung  sein, 
eine  Art  Museum  zu  begründen,  wo  derartige  Erzeugnisse  Platz  finden 
und  den  breitesten  Schichten  als  Anschauungsmaterial  dienen  können. 
Auch  bei  einer  derartigen  Gründung  hängt  fast  alles  von  der  Tatkraft 
und   dem  Geschick  einer  Einzelpersönlichkeit  ab,   die  durch  Fühlung- 
mit  dem  Volke  in  den  Stand  gesetzt  ist,  die  oft  sorgfaltig  verborgfen 
gehaltenen  Ergebnisse  volkstümlicher  Kunstauffassung  hervorzulocken 


—     67     — 

und  zur  Geltung  zu  bringen.  Dazu  gehört  aber  nebe;n  Fleiß  und  Un;- 
ermüdlichkeit  die  genaueste  Erforschung  volkstümlicher  Gefiihlswcise. 
Sind  diese  Eigenschaften  vorhanden,  so  werden  gerade  auf  diesem 
Gebiete  Theorie  und  praktische  Einwirkung  auf  die  volkstümliche  Kunst- 
übung in  schönster  Art  zu  verbinden  sein.  Daß  dann  die  volkskund- 
lichen Museen  eine  hohe  erzieherische  Wirkung  zu  erfüllen  vermögen, 
wer  wollte  das  leugnen^)?  An  dieser  Stelle  sei  darum  der  Verein 
der  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  zu  Berlin  er- 
wähnt, der  ganz  Deutschland  zu  bearbeiten  unternommen  hat  und  dem 
es  gelungen  ist,  ein  Museum  für  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeug- 
nisse des  Hausgewerbes  zu  schaffen.  Er  ist  als  Verein  des  Museums 
für  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse  des  Hausgewerbes  bereits 
1891  begründet  worden;  die  Vorarbeiten  reichen  bis  ins  Jahr  1888 
zurück.  Im  Jahre  1903  hat  die  preußische  Regierung  seine  „Samm- 
lung für  deutsche  Volkskunde**  übernommen.  Seit  1905  ist  im  Ger- 
manischen Museum  zu  Nürnberg  die  volkskundliche,  mehr  als  14000 
Gegenstände  umfassende  Sammlung  allgemein  zugänglich.  Gerade  auf 
dem  Gebiete  des  Museumswesens  dürfte  möglichste  Konzentration  am 
Platze  sein.  Über  Trachtenkunde  sind  die  trefflichen  Erörterungen 
von  Karl  Spieß  in  dieser  Zeitschrift  (Bd.  8,  S.  145 — 173)  zu  ver- 
gleichen. Zugleich  sei  ^uf  die  Mitteilung  über  das  Elsässische  Museum 
in  Straßburg  (ebenda,  S.  326—327)  hingewiesen. 

Sonst  waren  Arbeitsteilung  und  Begründung  von  landeskundlichen 
Vereinigungen  auch  deshalb  dringend  am  Platze,  weil  die  Elmte  rasch 
eingebracht  werden  muß.  Mehr  und  mehr  häufen  sich  die  Klagen  dar- 
über, wieviel  an  alten  ÜberUeferungen  verblaßt  und  in  Vergessenheit 
gerät.  Wenn  der  einzelne  mit  allem  Fleiß  immer  nur  ein  kleines  ört- 
liches oder  sachliches  Gebiet  durchforschen  kann  und  dazu  jahrelanger 
Mühe  bedarf,  so  sind  die  Scharen  freiwilliger  Helfer,  die  ein  wohl- 
geleiteter Verein  für  Volkskunde  ausbildet  oder  doch  wenigstens  an- 
regt, die  willkommensten  Hilfstruppen,  deren  Freudigkeit  im  Sammeln 
auf  schnelle  Förderung  des  Werkes  hoffen  läßt. 

Damit  wir  endlich  dem  Ziele  stammheitlicher  Volkskunde  nahe- 
kommen, sind  die  Landesvereine  zweifellos  nötig. 

Scheinbar  stimmt  zu  dieser  Ansicht  ein  Umstand  durchaus  nicht 
Am  frühesten  in  der  jetzigen,  durch  Vereinstätigkeit  charakterisierten 
Periode  der  Volkskundegeschichte,    bereits  1891,   hat  in  Mecklen- 

i)  Oskmr  Sejffert,  DtuMuseum  fiir  sächsische  Volkskunde  als  VoOcsernehrnngs- 
Stätte  in  Unsere  Heimat,  heniiugeg.  tod  Prof.  Dr.  Heioricb  Spindler,  3.  Jahrgang, 
1904. 


—   es   — 

bürg  das  planmäßige  Sammeln  volkstümlicher  ÜbeiliefSeningeii  be- 
gonnen« Der  Schweriner  Altertomsverein  hatte  die  Dringlichkeft  des 
Bedürfnisses  eingesehen  und  in  dem  Gymnasiallehrer  Richard  Wos- 
sidlo  eine  geeignete  Kraft  gefunden.  Und  bei  aller  Anerkennung 
für  diese  Entschlossenheit  einer  zunächst  anderen  Zwecken  dienenden 
Körperschaft  darf  doch  ausgesprochen  werden,  daß  hier  ein  dnzelner 
Mann  so  viel,  ja  mehr  geleistet  hat  als  anderswo  eine  stattliche  Ver- 
einigung. Daraus  den  Schluß  zu  ziehen,  daß  die  seitdem  in  größerer 
2^ahl  entstandenen  Vereine  für  Volkskunde  in  den  verschiedensten 
Gegenden  deutschen  Sprachgebiets  überflüssig  seien,  wäre  gnmdver- 
kehrt.  Denn  einerseits  sucht  die  Umsicht  und  Tatkraft  Wossidlos 
ihresgleichen  und  anderseits  war  der  Rückhalt,  den  dieser  begnadete 
Sammler  an  dem  Schweriner  Verein  ftir  mecklenburgische  Geschichte 
und  Altertumskunde  besaß,  gewiß  nicht  gering  einzuschätzen.  Wos- 
sidlo  hat  übrigens  unter  weit  günstigeren  Verhältnissen  tätig  sein 
können,  als  sie  zumeist  auf  deutschem  Boden  anzutreffen' sind,  denn 
Mecklenburg  als  vorwiegend  agrarischer  Staat  mit  einer  geringen 
Bevölkerungsdichte  ist  der  Bewahrung  volkstümlicher  Art  besonders 
günstig  »). 

Zwei  Angehörige  des  Gymnasiallehrerstandes  haben  auch  die  erste 
provinzielle  Zeitschrift  für  Volkskunde  ins  Leben  gerufen,  nachdem  in 
einzelnen  der  Landesgeschichte  dienenden  Organen  wie  dem  Karre^ 
spandengblatt  des  Vereins  für  siebenbürgische  Landeskunde  —  die  Sieben- 
bürger Sachsen  dienen  der  Volkskunde  mit  rührigstem  Eifer  und  tief- 
stem Verständnis;  der  Pfiarrer  Adolf  Seh uUerus  gehört  zu  den  besten 
Vertretern  des  Faches  —  und  der  von  Birlinger  begründeten  Ale- 
mannia  die  junge  Wissenschaft  eifrige  Pflege  gefunden  hatte.    Manche 
Beschreibung  der  malerischen  und  romantischen  Gegenden  Deutsch- 
lands, vor  allem  das  große  unter  W.  H.  Riehls  Leitung  seit  1860  ver- 
öffentlichte Sammelwerk  Bavaria   und    Die  österreichiseh-ungarisehe 
Monarchie  in    Wart  und  Bild  (seit   1886)   waren  nebst  vielen  land- 
schaftlichen Sagen-  und  Liedersammlungen   und  Arbeiten   über   das 
Volksschauspiel  dieser  Gründung  vorausgegangen.    Das  Verdienst  der 
Herren  Knoop  und  A.  Haas,  die  1893  die  Blätter  für  pammersche 
Volkskunde  herauszugeben  und  etwa  ein  Jahrzehnt  hindurch  aufrecht- 
zuerhalten unternahmen,   muß   in  der  Geschichte  der  volkskundlichen 
Bestrebungen  allezeit  gewürdigt  werden.    Gerade  diese  Schöpfung  aber 

I)  Vgl.  Rieh.  Woff  idlo.  Ober  die  Technik  des  Sammehts  volketümlieher  Über^ 
liefenmgen  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für  VoJksktmde,  1906. 


—     69     — 

liefert  den  Beweis,  daß  solche  Bemühungen  viel  eher  von  dauerndem 
Erfolge  gekrönt  sind,  wenn  hinter  dem  einzelnen  eine  ihn  tatkräftig 
unterstützende  landschaftliche  Vereinigung  steht.  Erst  die  dankens- 
werten MiUeilungen  des  Verbandes  deutscher  Vereine  für  Volkskunde 
ermöglichen  es,  das  allmähliche  Erstarken  der  volkskundlichen  Interessen 
in  den  verschiedensten  Teilen  des  deutschen  Sprachgebiets  zu  ver- 
folgen. So  dürfte  gerade  in  den  Deutschen  Geschichtsblätiem,  die  der 
landesgeschichtlichen  Forschung  gewidmet  sind,  eine  Übersicht  über 
die  zahlreichen  jetzt  bestehenden  Vereine  für  Volkskunde  und  deren 
Ziele  am  rechten  Orte  sein. 

Der  Badische  Verein  für  Volkskunde  ist  zwar  sehr  jung 
(1904  begründet),  aber  müßte  eigentlich  an  erster  Stelle  genannt 
werden,  da  er  aus  einer  schon  elf  Jahre  früher  geschaffenen  Ver- 
einigung herausgewachsen  ist  und  die  Zeitschrift  Alemannia  sozusagen 
das  Organ  dieser  Körperschaft  bildete,  als  anderwärts  im  Deutschen 
Reiche  noch  kein  derartiger  landschaftlicher  Mittelpunkt  wie  in  Frei- 
burg vorhanden  war.  Die  Sammlungen  der  Freiburger  Vereinigung 
sind  der  einzigen  bis  jetzt  erschienenen  Gesamtdarstellung  deutscher 
Volkskunde,  dem  Werke  Deutsche  Volkskunde  von  Elard  Hugo  Meyer 
(Straßburg  1898)  ebenso  zugute  gekommen  wie  dem  Badischen  Volks- 
leben im  XIX.  Jahrhundert  von  dem  gleichen  Verfasser  (Straßburg 
19CX)).  Die  Blätter  des  bardischen  Vereins  für  Volkskunde  werden  von 
dem  Professor  Dr.  Pfaff  geleitet.  Sie  erscheinen  seit  dem  Jahre  1905. 
Der  bewährte  Herausgeber  hat  die  erste  größere  VeröfTentlichung  des 
Badischen  Vereins,  Volkskunde  im  Breisgau,  als  Zeichen  der  Huldigung 
dem  großherzoglichen  Paare  gewidmet  (Freiburg  i.  B.  1906).  Sie  er- 
weist, wie  die  volkskundliche  Wissenschaft  vaterländischen  Zwecken 
dient,  ohne  aufdringlichen  Patriotismus  auf  ihre  Fahne  zu  schreiben. 

In  Breslau,  wo  Karl  Weinhold  längst  den  Boden  bereitet  hatte, 
entstand  unter  der  Führung  des  Professors  Vogt  im  Jahre  1894  eine 
Schlesische  Gesellschaft  für  Volkskunde,  die  sofort  Mittei^ 
lungen  an  ihre  Mitglieder  ausgehen  ließ.  Unter  dem  Vorsitze  -von 
Vogts  Nachfolger,  Professor  Siebs,  war  es  möglich,  diesem  Vereins- 
blatte eine  erweiterte  Form  zu  geben.  Seit  1891  erscheinen  auch  Bei- 
hefte,  die  größere  selbständige  Arbeiten  bringen  und  bisher  namentlich 
der  Behandlung  von  Ortsmundarten  gedient  haben.  Die  glänzendste 
Leistung  der  Gesellschaft  aber  sind  Schlesiens  volkstümliche  Überliefe- 
rungen. Im  ersten  der  drei  bis  jetzt  herausgekommenen  Bände  be- 
handelt Friedrich  Vogt  die  schlesischen  Weihnachtsspiele  als  würdiger 
Nachfolger  Weinholds,  im  zweiten  und  dritten  schildert  Paul  Drechsler 


—     70     — 

Sitte,  Brauch  und  Volksglauben  seiner  Heimat.  Dem  Mangel  an  einem 
Museum  wird  einigermaßen  durch  künstlerischen  volkstümlichen  Buch- 
schmuck dieser  Bände  abgeholfen. 

Gleichfalls  ins  Jahr  1894  fallt  die  Gründung  des  Vereins  für 
bayerische  Volkskunde  und  Mundartforschung  mit  dem  Sitz 
in  Würzburg.  Professor  Oskar  Brenner,  seit  Anfang  der  Vorsteher, 
leitet  auch  die  Mitteilungen  und  Umfragen  zur  bayerischen  Volkskunde, 
ein  äußerlich  bescheidenes  Blatt,  das  doch  durch  sehr  geschickte,  in 
Form  kleiner  Aufsätze  gebrachte  Anregungen  sich  um  die  Pflege  volks- 
kundlicher Bestrebungen  große  Verdienste  erworben  hat.  (Der  i.  bis 
10.  Jahrgang  sind  zu  einem  Bande  vereinigt  bei  Bruckmann  in  München 
veröfientlicht  worden.)  Ein  besonders  glücklicher  Gedanke  des  Heraus- 
gebers dieser  nur  viermal  jährlich  erscheinenden  Zeitschrift  war  es,  sie 
zwei  großen  Tageszeitungen  regelmäßig  beizulegen  und  dadurch  weit 
über  den  Kreis  der  Mitglieder  hinaus  zu  wirken.  Die  Mitteilungen  und 
Umfragen  locken  zur  Mitarbeit,  indem  sie  die  Einlaufe  mit  Namens- 
nennung der  Einsender  verzeichnen.  Im  reich  ausgestatteten  Archiv 
des  Vereins  befinden  sich  viele  Materialien,  die  für  eine  künftige  Dar- 
stellung des  Bauernhauses  in  Bayern  nutzbar  gemacht  werden  können. 
Der  realen  Volkskunde  widmet  sich  der  Verein  sonst  weniger.  Er  hat 
das  auch  nicht  nötig,  weil  eine  später  begründete  zweite  bayerische 
Gesellschaft  für  Volkskunde  sich  mit  diesem  Zweige  der  Wissenschaft 
fast  ausschließlich  beschäftigt.  Aus  den  „Sammlungen**  ist  ein  erster 
Band ;  Kleeberger,  Volkskundliches  aus  Fischbach  in  der  Pfalg 
(Kaiserslautern  1902),  veröffentlicht  worden.  Einen  Preis  von  300  Mark 
hat  der  Verein  für  die  beste  Bearbeitung  des  folgenden  Themas  aus- 
gesetzt: „Die  Besiedlung  eines  kleineren  ländlichen  Bezirks  in  Bayern 
geschichtlich  und  volkskundlich  dargestellt.*'  Die  Bewerbungsschriften 
sollen  bis  zum  i.  Oktober  1908  eingeliefert  werden. 

Im  Jahre  1 894  traten  noch  zwei  österreichische  Vereinigungen  für 
Volkskunde  ins  Leben,  die  in  der  Geschichte  der  jungen  Disziplin 
ehrende  Erwähnung  verlangen  und  in  dreizehnjährigem  Bestehen  be- 
deutende Zeugnisse  wissenschaftlicher  Betätigung  abgelegt  haben :  der 
Verein  für  ^aterreichische  Volkskunde  in  Wien  und  der  Aus- 
schuß für  deutsch -böhmische  Volkskunde  in  Prag,  letzterer 
nur  eine  Sektion  der  Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissen- 
schaft, Kunst  und  Literatur  in  Böhmen. 

Die  Tätigkeit  des  Vereins  ftir  österreichische  Volkskunde,  dessen 
Seele  Michael  Habe  rl  an  dt  ist,  zeigt  sich  einmal  in  der  Zeitschrift^ 
die  in  jährlich  sechs  stattlichen  Heften  erscheint,  zum  anderen  in  dem 


1 


—     71     — 

Museum,  das  einen  vorzüglichen  Überblick  über  das  Volksleben  des  so 
weiten  und  mannigfaltigen  Gebietes  liefert.  Es  umfaßt  über  20000  Num- 
mern ,  die  leider  räumlicher  Verhältnisse  wegen  nicht  ganz  zur  Gel- 
tung kommen  können.  Welche  Fülle  von  Stoff  ist  da  aufgespeichert! 
Man  muß  dringend  wünschen,  daß  die  Gegenstände  bald  zweckent- 
sprechender untergebracht  werden,  damit  diese  einzigartige  Sammlung 
noch  viel  mehr  Beachtung  finde.  Die  ganze  ungeheure  Arbeit  hat 
der  Leiter  innerhalb  eines  Jahrzehnts  neben  der  Herausgabe  der  Zeit- 
schrift und  seinem  akademischen  Amte  geleistet.  Ein  sehr  vernünf- 
tiger Grundsatz  wird  von  Haberlandt  als  Redakteur  befolgt.  „I^i^ 
Autoren  sind  für  den  Inhalt  ihrer  Mitteilungen  allein  verantwortlich", 
heißt  es  in  jedem  Hefte.  Der  Inhalt  ist  trotzdem  stets  gediegen,  weil 
sorgfältig  über  dem  wissenschaftlichen  Charakter  des  Unternehmens 
gewacht  wird.  Besonders  darf  anerkannt  werden,  daß  die  Zeitschrift 
sich  um  gute  Bibliographien  bemüht  und  in  ihrer  ethnographischen 
Chronik  aus  Österreich  fortlaufend  über  alle  in  dieses  Gebiet  einschla- 
genden Verhältnisse  und  Arbeiten  berichtet.  Die  Ausstattung  ist  muster- 
gültig; reiche  bildliche  Erläuterungen  zu  den  einzelnen  Aufisätzen  sind 
eine  sehr  erwünschte  Beigabe.  Zu  den  Jahrgängen  1900,  1904,  1905 
und  1906  erschienen  Supplementhefte:  das  erste  enthält  Kinderreime 
und  Kindersprüche  bei  den  Heanzen  und  aus  der  Iglauer  Sprachinsel, 
das  zweite  Grabschriften  aus  Österreich  und  die  beiden  letzten  Unter- 
suchungen über  Kultgebäcke  von  Hofrat  Max  Höfler  (Tölz). 

Dem  Ausschuß  für  deutsch-böhmische  Volkskunde, 
dem  die  Herren  Hofrat  Gröhmann  und  Professoren  Hauffen,  Laube, 
Lenz  und  Sauer  angehören  und  der  in  Professor  Hauffen  seinen  tat- 
kräftigen Leiter  hat,  verdankt  die  volkskundlichc  Wissenschaft  eine 
noch  lange  nicht  völlig  verarbeitete  Summe  vielfaltigsten  und  gediegen- 
sten Stoffes  und  sechs  Bände  Beiträge  zur  detUsch-böhmischen  Volks- 
kunde, darunter  eine  von  Hauffen  geschriebene,  mit  Bibliographie  ver- 
sehene vorbildliche  Einführung  in  die  deutsch-böhmische  Volkskunde 
und  wichtige  Studien  von  Laube,  Lippert  und  John,  sowie  die  von 
Am  mann  veröffentlichten  Volksschauspiele  aus  dem  Böhmerwalde,  alles 
Leistungen,  die  dem  Böhmerlande,  wenn  man  die  vorzügliche  Volks- 
liedersammlung von  Hruschka  und  Toischer  (1888 ff.)  sowie  die 
erfolgreichen,  später  zu  würdigenden  Sonderbestrebungen  Alois  Johns 
und  Eduard  Langers  hinzunimmt,  eine  hervorragende  Stellung  in  der 
neueren  Volkskundebewegung  sichern. 

Die  Bemühungen  um  die  Volkskunde  in  der  Schweiz  sind  alt. 
Einen  Mittelpunkt  aber  fanden  sie  erst  im  Jahre  1896,   als   zu  Ölten 


\ 


—     72     — 

die   Schweizerische    Gesellschaft   für   Volkskunde    gegründet 
wurde.   Die  Ähnlichkeiten  dieses  Vereins  mit  dem  großen  österreichi- 
schen liegen  zutage :  auch  hier  Volkstum  sehr  verschiedener  Art,  aber 
glücklicherweise  zu   einer  Nationalität  verschmolzen.     Die  Zeitschrift, 
das  Schweizerische  Archiv  für  Volkskunde,  wird  seit  1897  herau^egeben 
und  zwar  hauptsächlich  von  Professor  Eduard  H  o  f  f  m  ann-K  rayer,  dem 
seit  einigen  Jahren   ein  Redaktor  für   den  romanischen  Teil   (früher 
Jules  Jeanjaquet,  jetzt  Maxime  Reymond)  zur  Seite  steht.    Jähr- 
lich erscheinen  vier  Hefte  gediegensten   Inhalts,    bisweilen  prächtig 
illustriert.    Die  reale  Volkskunde  wird  nicht  minder  berücksichtigt  als 
die   literarische.     Neben  StofTmitteUungen  werden  große   selbständige 
Untersuchungen  gebracht     Aber  der  Verein  begnügt  sich  nicht  mit 
der  Veröffentlichung  dieses  Organs,  das  weit  mehr  als  nur  schweize- 
rische Bedeutung  zu  beanspruchen  hat,   sondern  läßt  daneben  noch 
eine  Sammlung  Schriften  erscheinen,   die  bisher  fünf  Bände  enthält, 
darunter  eine  Geschichte  der  Reliquien  in  der  Schweiz  in  zwei  Teilen 
von  E.  A.  Stückelberg  und  drei  ausgezeichnete  Arbeiten  über  das 
Volkslied,  das  Kinderspiel  und  das  Kinderlied,  nämlich  Alfred  Tobler: 
Das  Volkslied  im  ÄppenzeUerlande  (Zürich  1903);   A.  L.  Gaßmann: 
Bas   Volkslied  im  Lugemer   Wiggertal  und  Hinterland  (Basel   1906) 
und  Gertrud  Züricher:  Kinderspiel  tmd  Kinderlied  im  Kanton  Bern 
(Zürich  1902).     Die  Verfasserin  des  zuletzt  genannten  Buches,   eine 
Schülerin  von  Professor  Singer  in  Bern,   der  sich  als  Kommentator 
der  Schweizer  Märchen  ausgezeichnet  betätigt  hat  (Heft  3  und  10  der 
Untersuchungen  zur  netteren  Sprach-  und  Literaturgeschichte,  heraus- 
gegeben von  Professor  Oskar  F.  Walze  1),  beabsichtigt  ein  umfassen- 
des Werk  über  den  Gegenstand,  das  Roch  holz'  vor  fünfzig  Jahren 
herausgekommenes  Alemannisches  Kinderlied  und  Kinderspiel  ersetzen 
dürfte.     Die  Arbeiten  von  Tobler  und  Gaßmann  erwecken  die  Hoff- 
nung, daß  die  geplante  Sammlung  schweizerischer  Volkslieder,  zu  der 
Ende  vorigen  Jahres  ein  Aufiruf  erlassen  wurde,  eine  großartige  wissen- 
schafUiche  Tat  bedeuten  wird.    Hat  doch  den  Vorsitz  des  Ausschusses 
Professor  John  Meier  übernommen,   der  die  Volksliedforschung  seit 
beinahe   zwei  Jahrzehnten   gewaltig   gefördert    und    vielfach    in    neue 
Bahnen   gelenkt  hat.     Für  den  Zweck  ist   ein  Volksliederarchiv   be- 
gründet worden.    Das  Museum  befindet  sich  noch  in  den  Anfängen. 

Das  Jahr  1897  sah  drei  landschaftliche  Vereinigungen  für  Volks- 
kunde entstehen,  die  vor  den  älteren  nicht  zurückzutreten  brauchen : 
die  Vereinigung  für  hessische  Volkskunde,  den  Verein  für 
Egeriänder  Volkskunde  und  den  Verein  für  sächsische  Volks- 


—     73     — 

künde.  Der  zuletzt  erwähnte  ist  der  größte  überhaupt.  Er  zählt 
etwa  2300  Mitglieder,  die  sich  in  einige  fünfzig  Ortsgruppen  verteilen. 
An  der  Spitze  steht  Generalmajor  z.  D.  Freiherr  von  Friesen,  dessen 
Organisationsgeschick  und  warmer  Anteil  am  Volkstum  sich  über  die 
Grenzen  des  Vereins  hinaus  bewährt  hat.  Der  Herausgeber  der  MU- 
teUungen  ist  Professor  Eugen  Mogk,  zurzeit  Vorsitzender  des  Ver- 
bandes der  deutschen  Vereine  für  Volkskunde.  Unter  den 
Arbeiten,  die  er  der  Sache  widmete,  seien  namentlich  seine  Dar- 
stellungen in  Pauls  Ghrundriß  der  germanischen  Philologie  erwähnt. 
Auf  seinen  schönen  Vortrag  Die  Volkskunde  im  Rahmen  der  KuUur- 
etUwickhmg  der  Gegenwart  (im  3.  Bande  der  Hessischen  Blätter  für 
Volkskunde,  1904)  mag  auch  an  diesem  Orte  hingewiesen  sein,  weil 
er  alle  Beziehungen  unserer  Wissenschaft  zum  Kulturleben  darlegt. 
In  die  Verwaltung  des  Archivs  und  der  Bibliothek  haben  sich  die 
Professoren  Mogk  und  Stumme  geteilt.  Die  schönste  Emingen- 
schafl  des  Vereins  bildet  das  Museum  mit  sdnen  rund  7000  Nummern. 
Es  ist  dem  rührigen  Professor  Oskar  Seyffert  unterstellt,  dessen  Um- 
sicht und  Eifer  fiir  die  Sache  neben  einem  tiefdringenden  Blick  fiir 
das  künstlerisch  Echte,  Lebensvolle  sich  im  Laufe  eines  reichlichen 
Jahrzehnts  glänzend  bewiesen  und  die  unschätzbare  Sammlung  streng 
im  Rahmen  einer  volkskundlichen  gehalten  haben ').  Dem  Stellvertreter 
des  Vorsitzenden,  Oberbaurat  Schmidt,  liegt  die  Bewahrung  und 
Wiedereinführung  einer  volkstümlichen  Bauweise  in  sächsischen  Dörfern 
am  Herzen,  und  er  hat  in  seiner  amtlichen  Stellung  reichliche  Gelegen- 
heit, praktische  Volkskunde  zu  betreiben.  Der  ursprüngliche  Arbeits- 
plan des  Vereins  lief  auf  eine  Landeskunde,  nicht  auf  eine  Volkskunde 
Sachsens  hinaus.  Die  dankenswerte  Sächsische  VoUcsktmde,  unter  Mit- 
wirkung zahlreicher  Fachgelehrter  von  Robert  Wuttke  im  Jahre  1900 
herausgegeben  und  1901  in  zweiter  Auflage  erschienen,  entspricht 
darum  nicht  mehr  ganz  den  Ansichten  des  Vereins,  von  dem  sie 
übrigens  völlig  unabhängig  entstanden  ist.  Ein  neuer  Arbeitsplan, 
der  sich  den  geänderten  Verhältnissen  anpaßt,  wurde  soeben  veröffent- 
licht. Die  vierteljährlich  in  mäßigem  Umfange  erscheinenden  Mit- 
teilungen wollen  sich  mit  den  größeren  wissenschaftlichen  Organen 
nicht  vergleichen  lassen,  sondern  etwa  im  Sinne  der  ^tteüungen  und 
Umfragen  des  bayerischen  Vereins  aufklärend  und  anregend  wirken 
und    einen    Meinungsaustausch    herbeiführen.     Wenn    im    Laufe    der 

i)  Vgl.  es  Genannten  Von  der  Wiege  bis  gum  Orabe.  Ein  Beiu^  xar  tichsi- 
sehen  VoUukande  (Wien  1906),  ein  prächtiges  niastrationswerk,  das  ahnen  läfit,  wie  riel- 
seitig  das  Maseam  ist.     Leider  hindert  Platzmangel  die  Benutzung  sehr. 


—     74     — 

letzten  Jahre  in  Sachsen  stattliche  Werke  über  volkskua41iche  Gegen- 
stände herausgekommen  sind,  die  einzelne  Punkte  des  Arbeitsprograipms 
erledigen,  so  hat  der  Verein  als  Auftraggeber  gewirkt  und  die  Be- 
nutzung seiner  Sammlungen  gestattet.  Außer  dem  erwähnten  Bilder* 
werk  von  Professor  Oskar  Seyffert  haben  als  Veröffentlichungen  des 
Vereins  zu  gelten :  das  Sagenbwii  des  Königreichs  Sachsen  von  Alfred 
M  ei  che  (Leipzig  1903)  und  Die  Dorfkirche  im  Königreich  Scuhseih 
von  O.  Grüner  (Leipzig  1904).  Eine  Sammlung  sächsischer  Kinder- 
lieder steht  zu  erwarten.  Professor  Mogk  gibt  noch,  gleichfalls  im 
Auftrage  des  Vereins,  seit  1905  Beiträge  zur  Volkskunde  heraus,  von 
denen  bisher  vier  Nummern  erschienen  sind:  G.  Schlauch,  Sachsen 
im  Sprichwort  (I.),  P.  Ilg,  MaUesische  Märchen  und  Schwanke  (IL,  III.) 
und  Arthur  Kopp,  Ältere  Liedersammlungen  (IV.). 

Die   Hessische  Vereinigung    für  Volkskunde  spiegelt  im 
kleinen   den   Entwicklungsgang  wieder,   den   die   auf  Verbindung   der 
volkskundlichen   Körperschaften  abzielende  Bewegung  durchgemacht 
hat.     Sie   wurde   als  Abteiltmg   des  Oberhessischen  Geschichtsvereins 
und  zwar  unter  dem  Namen:  Vereinigung  für  hessische  Volkskunde 
begründet,   löste  sich  im  Jahre  1901  von  dem  Mutterverein  los   und 
erhielt  den  jetzigen  Namen,   der  andeutet,   daß  das  Arbeitsfeld  nicht 
mehr  so  eng  begrenzt  ist  wie  zu  Anfang.     Die  Mitteilungen,  heraus- 
gegeben  von  Adolf  Strack,   heißen   seitdem  Hessische   Blätter  für 
Volkskunde,  während  sie  von  1899  bis  1901  als  BläUer  für  hessische 
Volkskunde  bei  viel  bescheidenerem  Umfange  auch  engerem  Zwecke 
gedient  hatten.     Eine   Anzahl   hervorragend   tätiger  Philologen  unter 
Führung  des  Germanisten  Adolf  Strack  brachte  der  Volkskunde  nicht 
bloß  starken  Anteil  entgegen,  sondern  zeigte  sich  auch  zur  Förderung 
der  volkskundlichen  Wissenschaft  berufen,  und  in  wenigen  Jahren  er- 
oberte sich  die  neue  Zeitschrift  eine  führende  Stellung,   so  daß  sich 
der  Kreis   ihrer  Mitarbeiter  ständig  vergrößerte.     Schaffenskraft   und 
Schaffensfreudigkeit  erfüllte   die  wackeren  Männer.     Adolf  Strack  er- 
kannte,  daß  zu   wissenschaftlichem  Betrieb   der  neuen  Disziplin   eine 
Bibliographie  der  Neuerscheinungen  nötig  sei,  und  rief  eine  volkskunji- 
liche  Zeitschriftenschau  ins  Leben,   die  vor  anderen  Unternehmungen 
ähnlicher  Art  wie  der  Bibliographie  in  dem  Jahresbericht  der  Gesell- 
schaft für  deutsche  Phüologie  zu  Berlin  und  in  den  Jahresberichten 
für  neuere  deutsche  Literaturgeschichte,  auch  in  dem  VollmöUerschen 
Jahresbericht  der  romanischen  Philologie  und  im  Euphorien,    heraus- 
gegeben von  August  Sauer,  den  Vorzug  hatte,  auf  breitester  Grund- 
lage angelegt  und  völlig  international  zu  sein.     An  die  Zeitschriften-- 


—     76     — 

schau  hat  sich  seit  1903  eine  Büchei'schau  angegliedert.  Strack,  der 
Vater  des  Verbandes  der  deutschen  Vereine  für  Volkskunde,  ist 
leider  früh  verstorben.  Nach  seinem  Tode  im  Jahre  1906  übernahmen 
Karl  Helm  und  Hugo  He p ding  sein  Erbe.  Ein  zweiter  schwerer 
Schlag,  den  die  Vereinigung  erlitt,  war  die  Berufung  des  Professors 
Richard  Wünsch  nach  Königsberg.  Möchte  die  stolze  Schöpfung 
auch  unter  wesentlich  erschwerten  Verhältnissen  weiter  gedeihen !  Die 
literarische  Volkskunde  —  um  diese  handelt  es  sich  hauptsächlich  — 
hat  eine  Zeitlang  nirgends  in  akademischen  Kreisen  sorgfaltigere,  aus 
gleichem  Geiste  entsprossene  Pflege  gefunden  als  in  Gießen  *). 

In  das  Jahr  1897  ^^l^^^  endlich  die  Gründung  des  Vereins  für 
Egerländer  Volkskunde  mit  dem  Sitz  in  Eger.  Der  Schriftsteller 
Alois  John,  dem  wir  ein  paar  treffliche  Monographien  über  volks- 
kundliche Gegenstände  verdanken,  war  die  Seele  dieser  Gesellschaft. 
Seit  Beginn  wird  die  Zeitschrift  Unser  Egerland  veröflfentlicht,  die  sich 
durch  die  Gediegenheit  ihrer  Beiträge  einen  Ruf  verschafft  hat.  Die 
umsichtige  Leitung  Johns  weiß  die  Volkskunde  zur  Trägerin  erfreu- 
lichen Heimatsgefiihls  zu  machen.  Als  John  sich  genötigt  sah,  aus 
dem  von  ihm  geschaffenen  Verein  auszuscheiden,  hatte  dieser  keine 
Lebensfähigkeit  mehr.  Doch  ließ  sich  der  eifrige  Pfleger  heimischen 
Volkstums  nicht  beirren:  er  führte  seine  Zeitschrift  weiter  und  rief 
1904  einen  Verband  für  Egerländer  (Nordgauische)  Volks- 
kunde ms  Dasein,  dessen  Sammelgebiet  erweitert  wurde.  Unser 
Egerland  erscheint  als  Verbandsorgan  in  jährlich  sechs  Heften.  Zwei 
Bände  Egerländer  Volkslieder  sind  1898  und  1901  herausgekommen. 
Hervorgehoben  zu  werden  verdient  eine  Sonderausgabe  zweier  Hefle 
von  Unser  Egerland  als  Karlsbader  Volkskunde^  die  mit  ihrem  präch- 
tigen Bilderschmuck  geeignet  erscheint,  die  volkskundlichen  Gedanken 
in  alle  die  Gegenden  hinauszutragen,  aus  denen  die  Badegäste  Karls- 
bads zu  den  heilkräftigen  Quellen  hinströmen. 

In  bescheidenen  Grenzen  hält  sich  die  Württembergische  Sammel- 
stelle für  Volkskunde.  Das  statistische  Landesamt  in  Stuttgart  und 
die  Württembergische  Vereinigung  für  Volkskunde  bildeten  sie  auf 
Grund  einer  Anregung,  die  Professor  Bohnenberger  in  Tübingen 
1899  gab.  Die  Mitteilungen  erscheinen  in  den  Württembergischen 
Jahrbüchern  für  Statistik  und  Landeskunde,  aber  auch  in  Sonder- 
abzügen.    Ein  erstes  Heft  (1904)  behandelt  nach  den  Ergebnissen  der 


i)  Vgl.  den  schönen  Nachruf  an  Strack  von  Karl  Helm   im  5.  Bande  der  Hetti" 
9chm  Bläiter  für  Volkskunde. 


—     76     — 

Beantwortung  von  Fragebogen  Glaube  und  Sage  in  sehr  auficbaulicher 
Darstellung;  es  ist  von  Professor  Bohnenberger  bearbeitet 

Professor  Moritz  Heyne  in  Göttingen  hat  immer  als  ein  vorzüg- 
licher Kenner  der  Realien  gegolten  ^).  Bereits  1898  war  auf  seine 
Anregung  hin  eine  akademische  Vereinigung  zu  dem  Zwecke  ge- 
schaffen worden  9  volkskundliche  Sammlungen  vorzunehmen.  Aus  ihr 
hat  sich  dann  1902  eine  Gesellschaft  für  niederdeutsche  Volks- 
kunde entwickelt  Das  Programm  vermeidet  manche  Fehler,  wie  sie 
anderwärts,  z.  B.  in  Sachsen,  gemacht  worden  sind.  „Die  Gesellschaft 
besitzt  kein  Museum  und  keine  Bibliothek;  das  Archiv  ist  besonders 
reich  an  um&nglichen  Sammlungen  für  das  festliche  Jahr  *).*' 

Der  Verein  für  Volkskunst  und  Volkskunde  wurde  am 
15.  Juni  1902  begründet  und  heißt  seit  dem  6.  Februar  1904  Baye- 
rischer Verein  für  Volkskunst  und  Volkskunde  mit  dem  Sitz 
in  München.  Seit  Anfang  1903  gibt  er  eine  wundervoll  illustrierte 
Monatsschrift  VoOcshun^  und  Volkskunde  heraus,  deren  Leitung  einem 
Redaktionsausschuß  mit  dem  Architekten  Franz  Zell  an  der  Spitze  ob- 
liegt, einem  Manne,  dem  die  künstlerische  Volkskunde  viel  dankt  Die 
Ziele  des  Vereins  sind  vorwiegend  praktisch ;  er  strebt  Einfluß  zu  ge- 
winnen auf  eine  im  Volkstum  wurzelnde  künstlerische  Gestaltung  von 
Dorf-  und  Stadtanlage,  Haus  und  Gerät  und  ergänzt  so  die  unter 
Brenners  Führung  arbeitende,  mehr  theoretische  Gesellschaft  aufs 
glücklichste. 

Noch  fehlte  eine  Körperschaft,  die  sich  die  Pflege  der  Volks- 
kunde in  Westfalen  und  im  niederrheinischen  Gebiete  zur  Angabe 
machte.  Die  Göttinger  Gesellschaft  hat  Westfalen,  die  Gegenden,  wo 
Immermanns  Oberhof  spielt  und  wo  Annette  von  Droste-Hüls- 
hoff  bald  darauf  ihre  feinsinnigen  Skizzen  Bei  uns  gu  Lande  auf  dem 
Lande  niederschrieb,  nicht  in  den  Kreis  ihrer  Betrachtungen  gezogen. 
So  fanden  sich,  einer  Aufforderung  des  bekannten  Sagenforschers 
Bibliothekars  O.  Schell  entsprechend,  am  26.  Juli  1903  vaterländisch 
gesinnte  Männer  zusammen,  um  in  Elberfeld  bei  einem  gewiß  nicht 
überflüssigen  Verein  für  rheinische  und  westfälische  Volks- 
kunde Pate  zu  stehen.  Als  nächste  größere  Au^abe  denkt  der 
Verein  ein  westfälisches  Wörterbuch  vorzubereiten.  Die  Zeitschrift 
des  Vereins  für  rheinische  und  westfälische  Volkskunde   erscheint    in 

i)  Ygl.  den  Nachrnf,  den  ihm  Borchling  in  dieser  Zeitschrift  (7.  Bd.,  S.  197  bis 
199)  gewidmet  hat 

2)  Mitteilungen  des  Verbandes  deutscher  Vereine  für  VoOtikunde  Nr.  i  (Janvmr 
1905). 


—     77     — 

vierteljährlichen  Heften;  sie  wird  von  K.  Prüm  er  (Dortmund),  Pro- 
fessor P.  Sartori  (Dortmund)  und  den  zwei  Elberfelder  Herren 
O.  Schell  und  K.  Wehrhan  herausgeg^eben  und  verfolgt  neben 
Mitteilung  von  Stoff  wissenschaftliche  Zwecke.  Schon  das  erste  Heft 
(1904)  zeigte  sich  auf  der  Höhe;  es  enthielt  u.  a.  eine  lichtvolle  Unter- 
suchung über  Roland  in  Schimpf  und  Ernst  von  Professor  Franz 
Jostes,  dem  Verfasser  des  Westfälischen  Tracktenbuches  (1904).] 

Nachdem  wir  so  eine  Übersicht  über  die  deutschen  Gesellschaften 
gegeben  haben,  die  der  Volkskunde  ausschließlich  dienen  wollen,  muß 
daran  erinnert  werden,  daß  es  noch  manchen  Verein  gibt,  der  einen 
Teil  seiner  Tätigkeit  den  volkstümlichen  Überlieferungen  widmet  oder 
dessen  Bestrebungen  denen  der  volkskundlichen  Vereine  wenigstens 
nahestehen.  So  beabsichtigt  der  Verein  für  Vierländer  Kunst 
und  Heimatkunde  in  Altengamme  die  Volkskunde  zu  pflegen,  wie 
er  bereits  einen  Zweig,  die  Volkskunst,  in  seine  Obhut  genommen 
hat;  so  berührt  sich  die  bekannte  Berliner  Gesellschaft  für 
Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte  eng  mit  dem 
Arbeitsgebiet  der  Volkskunde,  ebenfalls  die  Wiener  Anthropo- 
logische Gesellschaft,  die  schon  in  den  achtziger  Jahren  des 
verflossenen  Jahrhunderts  die  Volkskunde  eifrigst  betrieben  hat,  weiter 
der  Bund  Heimatschutz,  dessen  Bremer  Zweigverein,  der  Verein 
für  niedersächsisches  Volkstum,  schon  durch  den  Namen  die 
Verknüpfung  zu  erkennen  gibt,  daneben  eine  größere  Anzahl  Ge- 
schichtsvereine und  touristische  Vereinigungen  wie  der  Alpenverein  *), 
der  Verein  für  niederdeutsche  Sprachforschung  mit  seinem 
Jahrbuch,  der  allgemeine  deutsche  Sprachverein  durch  Herausgabe 
der  Zeitschrift  für  deutsche  Mundarten ,  geographische  Zeitschriften, 
namentlich  der  Globus,  auch  das  Archiv  für  Religionswissenschaft  und 
Baumgartens  Monatsschrift  für  die  kirchliche  Praxis,  in  der  Paul 
Drews  zum  ersten  Male  seinen  schönen  Plan  einer  religiösen  Volks- 
kunde entwarf  (i.  Band). 

Der  „Verein  für  hessische  Geschichte  und  Landeskunde**  (im 
ehemaligen  Kurhessen)  hat  neuerlich  einen  besonderen  Ausschuß  ein- 
gesetzt, der  volkskundliche  Überlieferungen  sammeln  und  bearbeiten 
soll.  Da  dieser  Arbeitskommission  auch  der  Marburger  Professor 
Vogt  angehört,  der  sich  in  seiner  früheren  Tätigkeit  zu  Breslau  um 
die  Volkskunde  verdient  gemacht  hat,  so  darf  man  erwarten,  daß  die 

i)  Vgl.  Anton  E.  Schönbacb,  Über  den  wifsentehaftlidien  Betridp  derVoües- 
huindt  in  den  Alpen,  in  der  ZeiMirift  de»  (fet»<«dbeii  und  ötierreidiisd^en  Alpen-^ 
Vereins,  1900. 


—     78     — 

Hessische  Volkskunde  von  Heß  1  er,  ein  in  vieler  Hinsicht  wenig  ge- 
nügendes Werk,  in  absehbarer  Zeit  durch  eine  wirklich  auf  der  Höhe 
der  Wissenschaft  stehende  Darstellung  abgelöst  werden  wird.  Mit 
Freuden  ist  die  Mitteilung  zu  begrüßen  (Korrespondenzblatt  der  deut- 
schen Geschicbts- und  Altertumsvereine,  1906,  Sp.  187),  daß  der  „Verein 
für  nassauische  Altertumskunde**  ein  nassauisches  Trachtenbuch  vor- 
bereitet. Was  der  deutsche  Volksgesangverein  in  Wien  und  sein 
Leiter  Josef  Po  mm  er,  der  Herausgeber  der  Zeitschrift  Das  deutsche 
Volkslied,  für  den  deutschen  Sang  geleistet  hat,  läßt  sich  bei  dieser 
Übersicht  nur  andeuten. 

Wenigstens  genannt  werden  müssen  noch  Zeitschriften  populären 
Charakters  und  Zeitungen,  die  sich  mit  heimatkundlichen  und  volks- 
kundlichcn  Dingen  gern  oder  ausschließlich  beschäftigen.  So  erfüllt 
Professor  Knoop  mit  der  Herausgabe  des  Bogasener  Sonntagsblattes 
eine  schöne  vaterländische  Pflicht.  Sohnreys  Land,  Niedersachsen, 
Unser  Vogtland  (später  Vogtländische  Monatsblätter),  Heinrich  Spind- 
lers  Unsere  Heimat,  Unser  Anhalt,  Hannoverland,  Die  Oberpfale  sind 
der  Erwähnung  wert.  Ein  ganz  vortreffliches  Unternehmen  ist  die 
Zeitschrift  für  Heimatforschung  und  Heimatkunde  Deutsche  Gaue,  von 
Kurat  Frank  in  Kaufbeuren  geleitet. 

Einzelne  Forscher  haben  immer  mit  eigener  Kraft  Tüchtiges  zu 
leisten  vermocht.  Vor  allen  ist  Richard  Andree  zu  nennen,  dessen 
zuerst  im  Jahre  1896  veröffentHchte  und  fünf  Jahre  darauf  wesentlich 
vermehrte  und  verbesserte  Braunschweiger  Volkskunde  eine  unendliche 
Fülle  von  gut  verarbeitetem  Stoff  bietet.  Mit  Neid  dürfen  die  Freunde 
des  Volkstums  in  anderen  deutschen  Gegenden  auf  das  Allgäu  blicken, 
dessen  Sagen,  Gebräuche  und  Sprichwörter  von  Karl  Reiser  muster- 
haft herausgegeben  worden  sind  (2  Bände,  Kempten  o.  J.).  Sehr  an- 
erkennenswert ist  Professor  Raimund  Friedrich  Kaindls  Leitfaden 
Die  Volkskunde,  Ihre  Bedeutung,  ihre  Ziele  und  ihre  Methode  (Leipzig 
und  Wien  1903),  nicht  ohne  Nutzen  das  Buch  von  Karl  Knortz,  TFos 
ist  die  Volkskunde  und  wie  studiert  man  dieselbe?  (3.  Aufl.,  Jena  1906). 
Die  kritischen  Übersichten  über  Methodik  von  Lucian  Scherman 
und  Friedrich  S.  Krauß  (in  Vollmöllers  Jahresbericht  und  Romanischen 
Forschungen)  behandeln  die  Zeit  von  1890 — 1902  nach  großen  Ge- 
sichtspunkten, jedoch  weniger  die  eigentlich  deutsche  Forschung. 

Auch  die  Darstellung  und  Ergründung  der  deutschen  Mundarten 
ist  wesentlich  die  Arbeit  einzelner  gewesen.  Zu  nennen  ist  unter 
den  staatlich  unterstützten  Unternehmungen  hauptsächlich  Wenkers 
Sprachatlas  des  deutschen  Beiches.    Die  Sammlung  von  Dialektgramma- 


—     79     — 

tiken,  die  Professor  Bremer  leitet,  gibt  in  bisher  nicht  übertrofiener 
Art  den  Charakter  der  Laute  wieder.  Die  Dialektwörterbücher  wurden 
in  neuerer  Zeit  durch  ein  elsässisches  und  ein  schwäbisches  vermehrt. 
Nur  durch  die  Übernahme  in  den  Verlag-  des  Deutschen  Sprachvereins 
ist  die  Zeitschrift  für  hochdeutsche  (jetzt  deutsche)  Mundarten  sicher- 
gestellt worden.  Sogar  eine  landschaftliche  Zeitschrift,  die  selbständig 
von  einem  einzigen  Manne  verfaßt  wird,  ist  entstanden  und  hat  sich 
durchgesetzt:  Eduard  Langers  Volkskunde  (uis  dem  östlichen  Böhmen 
(190 iß*.],  gewiß  ein  Zeichen  des  starken  Anteils  an  volkskundlichen 
Fragen. 

Aber  das  Bedürfnis  nach  einem  Zusammenschluß  aller  im  deut- 
schen Sprachgebiete  wirkenden  Körperschaften  und  Volkskundler 
machte  sich  je  länger  je  mehr  geltend.  Man  vermißte  einheitliche 
Grundsätze  beim  Sammeln  und  Verwerten  der  Überlieferungen,  man 
erkannte,  daß  das  getrennte  Arbeiten  zu  unheilvoller  Zersplitterung 
führte  und  viele  Kräfte  nutzlos  vei^eudet  wurden,  man  merkte,  daß 
gewisse  große  Aufgaben  nur  zu  bewältigen  seien,  wenn  eine  Einigung 
erfolge.  Der  Wunsch  sollte  zur  Tat  werden  durch  die  Bemühungen 
des  Generalmajors  z.  D.  Freiherrn  von  Friesen,  der  die  taktische 
Regel:  „Getrennt  marschieren,  vereint  schlagen"  auch  auf  die  volks- 
kundliche Tätigkeit  übertragen  wollte.  Auf  der  Generalversammlung 
des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine 
im  September  1900  zu  Dresden  hielt  er  einen  Vortrag  über  die  Be- 
ziehungen der  Vereine  für  Volkskunde  zu  diesen  Vereinen,  und  seiner 
Anregung  zufolge  wurde  am  25.  September  1901  auf  der  Jahres- 
versammlung des  Gesamtver^ins  zu  Freiburg  i.  B.  die  Gründung  einer 
fünften,  volkskundlichen  Abteilung  beschlossen.  Im  November 
erging  sodann  an  alle  deutschsprachlichen  Gesellschaften  für  Volks- 
kunde und  an  die  Vertreter  des  Faches  die  Aufforderung,  sich  der 
neuerrichteten  Abteilung  anzugliedern  und  die  jährlichen  Haupt- 
versammlungen zu  besuchen.  Unter  von  Friesens  Vorsitz  trat  bei 
der  Jahrs  darauf  in  Düsseldorf  stattfindenden  Generalversammlung  die 
volkskundliche  AbteUung  zu  wissenschaftUcher  Beratung  zusammen. 
Thesen,  die  der  sächsische  Verein  durch  Professor  Mogk  hatte  auf- 
stellen lassen,  wurden  durch  Professor  Brenner  aus  Würzburg  er- 
läutert, und  Pfarrer  Grob  als  Abgesandter  des  Luxemburger  Vereins 
Ons  Hemecht  sprach  über  einige  volkskundliche  Verhältnisse  seines 
Landes,  besonders  über  die  Flurnamen.  Die  Entwicklung  der  fünften 
AbteUung  hatte  durch  den  Anteil  des  Verbandsleiters  Geheimen  Ar- 
chivrats Baillcu  trotz  mancher  Hemmungen  einen  erfreuUchen  Ver- 

6 


—     80     — 

lauf  genommen.  Wie  sehr  die  Historiker  der  Volkskunde  zugeneigt 
waren,  erwies  eine  Tatsache :  zu  Erfurt  konnte  bei  der  nächsten  Ver- 
sammlung (1903)  Mogk  seinen  Vortrag  über  die  Volkskunde  im 
Rahmen  der  Kulturentwicklung  der  Gegenwart  in  einer  allgemeinen 
Sitzung  halten.  In  einer  anderen  Sitzung  der  vereinigten  Sektionen 
sprach  Archivsekretär  Beschorn  er  (Dresden)  über  das  Sammeln  von 
Flurnamen,  einen  Gegenstand,  der  die  Geschichtsforscher  in  gleicher 
Weise  angeht  wie  die  Volkskundler.  Die  fünfte  Abteilung  hatte  bei 
der  Erfurter  Tagung  wichtige  Fragen  zu  behandeln.  Professor  Mogk 
gab  zu  erwägen,  ob  ein  engerer  Zusammenschluß  der  Vereine  für 
Volkskunde  wünschenswert  sei  und  in  welcher  Weise  er  im  Bejahungs- 
falle erfolgen  solle,  ob  als  selbständiges  Glied  des  großen  Gesamt- 
vereins der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  oder  als  für  sich 
stehender  Verband.  Zur  weiteren  Beratung  der  Angelegenheit  wurde 
ein  Ausschuß  eingesetzt  (Brenner,  Mogk,  Wossidlo).  Privatdozent 
Robert  Petsch  in  Würzburg  verbreitete  sich  dann,  Ansichten  von 
Krejöi  [Zeitschrift  für  Volkerpsychologie  1889)  weiterführend,  über 
Volksdichtung  und  volkstümliche  Denkweise  *).  Endlich  sprach  Ober- 
baurat Schmidt  aus  Dresden  über  heimatliche  Kunst  und  Bauweise 
in  Sachsen  und  Thüringen. 

Trotz  häufiger  und  dringlicher  Werbungen  konnten  sich  manche 
der  volkskundlichen  Vereine  für  den  Anschluß  an  die  Historiker  nicht 
erwärmen.  Zum  Teil  spielten  Erfahrungen  aus  früherer  Zeit  dabei 
eine  Rolle.  Um  aber  die  Meinungen  über  den  geplanten  Zusammen- 
schluß zu  klären,  beriefen  die  Professoren  Mogk  und  Strack  Vereine 
für  Volkskunde  und  einzelne  Forscheiv  zu  einer  Sitzung  auf  den 
6.  April  1904  nach  Leipzig.  Hier  wurde,  da  sich  keine  Stimmung 
zeigte,  die  fünfte  Abteilung  des  Gesamtvereins  als  ausschließliche  Ver- 
treterin der  Gesamtheit  volkskundlicher  Körperschaften  anzuerkennen, 
ein  selbständiger  Verband  begründet,  der  Verband  deutscher 
Vereine  für  Volkskunde.  Gießener  Professoren  mit  Strack  an 
der  Spitze  sollten  den  künftigen  Ausschuß  bilden.  Ein  erster  Ver- 
bandstag wurde  auf  den  Herbst  1905  nach  Hamburg  gelegt. 

So  gab  es  denn  eine  Vereinigung,  die  freilich  unvollständig  war, 
weil  beispielsweise  zwei  der  mitgliederreichsten  Gesellschaften  für 
Volkskunde,  die  sächsische  wie  die  bayerische,  nach  wie  vor  in  der 
fünften  Abteilung  des  Gesamtvereins  zu  verbleiben  erklärten   und  aus 


i)  Vgl.    den    Abdruck    des   Vortrags    im    2.   Bande    der  Hesbischtn   Blätter   für 
Volkskunde, 


—     81     — 

geldlichen  Gründen  ihren  Eintritt  in  den  neuen  Verband  von  einer 
Änderung-  in  dessen  Satzungen  abhängig  machten. 

Die  Hauptversammlung  des  Verbandes  der  deutschen  Geschichts- 
und Altertumsvereine  zu  Danzig  (August  1904)  bewies,  daß  die  fünfte 
Abteilung  lebensfähig,  ja  entwicklungsfähig  war.  Aus  den  Verhand- 
lungen sei  namentlich  die  Beratung  eines  Antrages  von  Professor 
Brenner  hervorgehoben  über  die  Anbahnung  einer  geographischen 
Statistik  der  Haustypen.  Noch  bevor  der  neue  Verband  deutscher 
Vereine  für  Volkskunde  in  Hamburg  tagte,  hielten  die  Geschichts- 
und Altertumsvereine  vom  25.  bis  29.  September  1905  ihre  Haupt- 
versammlung in  Bamberg  ab,  bei  der  sogar  zwei  Sitzungen  der  volks- 
kundlichen Abteilung  stattfinden  konnten.  Generalmajor  von  Friesen 
berichtete  über  die  Ergebnisse  der  Humamensammlung  im  Königreich 
Sachsen,  Professor  Brenner  erlangte  die  Einsetzung  eines  Ausschusses 
zur  Förderung  der  Hausbaustatistik;  es  wurde  eine  Resolution  ange- 
nommen: „Die  fünfte  Abteilung  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine  bittet  die  hohen  Staatsregierungen,  zur 
Erhaltung  der  Eigenart  und  Schönheit  unserer  deutschen  Dörfer  und 
ihrer  volkstümlichen  Bauweise  tunlichst  baugesetzliche  Bestimmungen 
erlassen  zu  wollen."  Auch  fanden  volkskundliche  Vorträge  von  Pfarrer 
Heibig  aus  Groitzsch  und  Architekt  Kronfus  aus  Bamberg  statt. 

Auch  die  Hamburger  Tagung  des  Verbandes  der  deutschen  Ver- 
eine für  Volkskunde  (am  2.  Oktober  1905)  hatte  Erfolg.  Man  be- 
schloß, die  eigentlich  volkskundlichen  deutschen  Zeitschriften  in  der- 
selben Weise,  wie  es  seit  1902  in  der  Zeitschriftenschau  der  Hessi- 
schen Blätter  geschieht,  bibliographisch  zu  bearbeiten,  und  auf  An- 
regung Professor  John  Meiers  und  Antrag  dreier  volkskundlicher 
Vereine  nahm  man  einstimmig  die  folgende  Resolution  an:  „Da 
eine  allen  wissenschaftlichen  Ansprüchen  genügende  Sammlung  der 
deutschen  Volkslieder  bis  jetzt  nicht  vorhanden  ist,  hält  es  der 
Verband  deutscher  Vereine  für  Volkskunde  für  seine  Pflicht,  eine 
solche  zu  schaffen  und  zu  diesem  Zwecke  zunächst  eine  Inventarisation 
der  Liedertexte  und  Melodien  vorzunehmen."  Zur  Vorbereitung  dieser 
Inventarisation  wählte  man  einen  Ausschuß  (John  Meier,  Johannes 
Bolte,  Adolf  Strack).  Die  von  der  fünften  Abteilung  des  Gesamt- 
vereins eingeleitete  Hausbaustatistik  sollte  nach  Kräften  unterstützt 
werden;  so  lautete  ein  weiterer  Beschluß.  Blieb  es  auch  bedauerlich, 
daß  eine  vollkommene  Einigung  nicht  erzielt  worden  war,  so  mußte 
doch  die  Eröffnung  gemeinsamer  Aufgaben  als  günstiges  Vorzeichen 
schönen  Zusammenwirkens   gelten.     Der   wissenschaftliche  Ertrag   der 

6* 


—     82     — 

Hamburger  Versammlung  beschränkte  sich  übrigens  nicht  auf  die 
Resolutionen;  drei  Vorträge,  jeder  in  seiner  Art  trefflich,  wurden  g 
halten:  Oberlehrer  Wossidlo  sprach  über  die  Technik  des  Sammel 
(s.  o.),  Crome  aus  Göttingen  über  historische  Volkskunde  und  Pr 
fessor  Thilenius  aus  Hamburg  über  Volkskunde  und  Völkerkund 
Die  nächste  Tagung  sollte  im  Laufe  des  Jahres  1907  zu  Berlin  stal 
finden. 

Doch   zuvor  bot  sich   eine  schöne  Gelegenheit,   die   volkskun< 
liehen  Interessen  in   einem  Brennpunkte  zu  vereinigen.     In    richtige« 
Würdigung   des  Einflusses,   der  dem  Anteil  an  dem   künstlerisch  ui 
bewußten  Schaffen,  wie  es  sich  in  der  Volkskunst  zeigt,  in  dem  gegCL 
wärtigen  Kunstgewerbe  zukommt,   hatte   der  Ausschuß  für  die   dritt 
deutsche  Kunstgewerbeausstellung   zu  Dresden  (1906)  der  Volkskuns 
einen  breiten  Raum  gegönnt.    Es  war  dem  Leiter  des  volkskundlichei 
Museums  in  Dresden,  Professor  Oskar  Seyffert,  gelungen,  ein  Bil< 
deutscher  Bauemkunst  zu  schaffen,  ein  volkskundliches  Anscbauungs 
mittel  ersten  Ranges,    und  nur  vereintes  Bemühen  hatte  dieses  Werl 
zustande  gebracht.    Mit  dieser  Ausstellung  wurde  nun  eine  freie  Ver 
Sammlung  für  Volkskunde  undVolkskunst  (vom  7.  bis  9.  Sep- 
tember 1906)  verbunden,  die  Vertreter  der  verschiedensten  Anschau - 
imgen   nach  Dresden   führte  und  die  beiden  großen  volkskundlichen 
Gruppen    einander  wesentlich   näherte.      Der   allgemeine  Verlauf  der 
Tagung  ist  in  zahlreichen  Blättern  und  besonders  in  den  Mitteilungen 
des  Vereins  für  sächsische  Volkskunde  (IV,  3)  geschildert  worden.    Ge- 
treu  den  praktischen  Zielen   dieses  Vereins   standen  Fragen  der  an- 
gewandten Volkskunde  diesmal   im  Vordergrunde,   wie  sich  schon  in 
der  Wahl    der  Vortragsthemen    verriet:    Professor  Fuchs   aus  Frei- 
burg i.  Br.  sprach  über  die  volkswirtschaftliche  Bedeutung  der 
Volkskunst  und  Professor  Seyffert  über  die  Volkskunst  auf  der 
dritten  deutschen  Kunstgewcrbeausstellung.    Auch  die  wohlgelungenen 
volkstümlichen  Abende  und  das   Marktfest  in  Wehlen  haben  sicher 
unseren  Bestrebungen  viel  genützt. 

Während  der  Verband  deutscher  Vereine  für  Volkskunde,  dem 
inzwischen  der  sächsische  und  der  ältere  bayerische  Verein  beigetreten 
waren,  durch  den  frühen  Tod  seines  Führers  zu  einem  Stillstande  ver- 
urteilt zu  sein  schien,  tagte  die  fünfte  Abteilung  des  Gesaratvereins 
der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  auf  dessen  Haupt- 
versammlung in  Wien  (Herbst  1906)  wieder  zweimal.  Auf  Antrag 
Wossidlos  wurde  die  Errichtung  einer  Zentralstelle  für  volkskund- 
liche BibUograpbie  und  Stoffsammlung  beschlossen.     Josef  Pommer 


—     83     — 

sprach  über  die  Jodler  der  österreichischen  Alpenländer,  Adolf 
Schullerus  über  siebenbürgisch  -  sächsische  Volkskunde.  Weiter 
wurde  über  die  Bauemhaustypen  und  ihre  Statistik  verhandelt  und 
ein  Bericht  über  die  Steinkreuzfrage  entgegengenommen. 

Leider  erwies  es  sich  als  unmögUch,  die  zweite  Tagung  des  Ver- 
bandes der  deutschen  Vereine  1907,  wie  beabsichtigt,  in  Berlin  ab- 
zuhalten. Da  sich  aber  die  Neuwahl  des  geschäftsfiihrenden  Aus- 
schusses nicht  länger  hinausschieben  ließ,  so  mußte  eine  Abgeord- 
netenversammlung berufen  werden,  die  am  24.  Mai  1907  in  Eisenach 
stattfand^).  Einstimmig  wurde  der  Anregung  Dr.  Wossidlos,  be- 
treffend Inventarisierung  des  volkskundlichen  Stoffes,  Folge  gegeben 
und  beschlossen,  „den  Vereinen  durch  besonderes  Anschreiben  als 
dringendste  Aufgabe  zu  empfehlen,  ihren  Bestand  an  Drucksachen 
und  handschriftlichen  Sammlungen  volkskundlichen  Inhalts  nach  ein- 
heitlichem Schema  zu  verzetteln".  Professor  Bolte  verlas  den  Be- 
richt des  Volksliederausschusses.  Zur  Sammlung  von  Zaubersprüchen 
und  Segen  wurde  eine  Kommission  eingesetzt.  Der  neugewählte  ge- 
schäftsfuhrende  Ausschuß  besteht  aus  den  Herren:  Professor  Eugen 
Mogk  (Leipzig),  erster  Vorsitzender,  Professor  Oskar  Seyffert 
(Dresden),  stellvertretender  Vorsitzender,  Gymnasialoberlehrer  Oskar 
Dähnhardt  (Leipzig),  Schriftführer.  Als  Rechner  bestimmte  der 
Ausschuß  nachträglich  Herrn  Pantenius  (i.  Fa.  Voigtländer  &  Co., 
Leipzig).  Das  Ergebnis  dieser  Wahl  ist  sehr  erfreulich,  weil  die  weitere 
Annäherung  des  „Verbandes**  und  der  „fünften  Abteilung**  damit  ge- 
sichert erscheint.  Diese  fünfte  Abteilung  hat  inzwischen  mit  reichem 
Erfolge  in  Mannheim  bei  Gelegenheit  der  Hauptversammlung  des  Ver- 
bandes der  Geschichts-  und  Altertumsvereine  getagt  *). 

Möchten  die  bedeutungsvollen  Aufgaben,  die  der  Volkskunde 
vorbehalten  sind,  einer  nicht  zu  langsamen  Lösung  entgegengeführt 
werden !  Einheit  im  großen  bei  möglichster  Vielgestaltigkeit  und  An- 
erkennung berechtigter  Eigenart  wird  dazu  verhelfen. 


Mitteilungen 

Yersainmlangeil.  —  In  Karlsruhe  hat  am  14.  September  pro- 
grammgemäß ')  der  siebente  deutsche  Archivtag  stattgefunden.  Den  Vor- 
sitz führte  Archivdirektor  Obs  er;  67  Teünehmer  wurden  gezählt.    An  erster 

i)  Vgl.  Mitteilungen  des  Verbandes  Nr.  5,  Jnni  1907. 

2)  Vgl.  darüber  den  Beriebt  anten  S.  90—91. 

3)  Vgl.  diese  Zeitschrift  8.  Bd.,  S.  281. 


—     84     — 

Stelle  berichtete  Archivdirektor  Obser  über  den  Archivalienschutz  in 
Baden,  dessen  Grundsätze  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  ^)  bekannt  sind. 
Die  sämtlichen  kleben  Archive  des  Landes,  und  zwar  von  1600  Gemeinden 
imd  12 10  Pfarrämtern,  sind  durch  die  Historische  Konmiission  inventarisiert 
worden,  imd  dazu  kommen  noch  56  grundherrliche  Archive.  Die  Inventare 
füllen  im  ganzen  2300  Druckseiten.  Nur  verhältnismäßig  wenige  Gemeinden, 
nämlich  107,  haben  ihre  Archivalien  im  Generallandesarchiv  hinterlegt.  Die 
gegenwärtig  geltenden  Bestimmungen  sind  das  Ergebnis  der  eingehendsten 
Erwägungen,  nachdem  sich  viele  andere  in  Vorschlag  gebrachte  Wege  als 
ungangbar  erwiesen  hatten. 

An  zweiter  Stelle  sprach  Archivassessor  Striedinger  (München)  über 
die  Versendung  von  Archivalien  zu  privaten  Zwecken  und  kam 
zu  dem  Ergebnis,  dafi  eine  solche  unter  allen  Umständen  fUr  die  Archivalien 
imd  die  Verwaltung  des  Archivs  nachteilig  sei  und  deshalb  nach  Kräften 
eingeschränkt  werden  müsse.  Nicht  die  Regel  dürfe  die  Versendung  bilden, 
sondern  eine  außergewöhnliche  Vergünstigung  müsse  man  darin  erblicken. 
Als  Notwendigkeit  ergäbe  sich  bei  Befolgung  dieses  Grundsatzes,  daß  die 
Benutzung  am  Orte  den  Archivbesuchem  möglichst  erleichtert  und  auch 
die  Abschriftnahme  kleinerer  Stücke,  Kollationierung  usw.  durch  das  Archiv 
versorgt  werden  müsse ;  auch  von  der  Photographie  sei  Gebrauch  zu  machen. 
Die  temperamentvoll  vorgetragenen  Gedanken  stießen  im  Kreise  der  Zuhörer 
auf  geteilte  Meinung.  Da  die  Zeit  zu  einer  ausgiebigen  Erörterung  nicht  vor- 
handen war,  wurde  eine  solche  auf  die  nächste  Tagung  verschoben.  Der 
Redner  aber  faßte  seine  Ausführungen  in  Leitsätzen  zusammen,  die  als  Grundlage 
der  künftigen  Aussprache  dienen  werden  und  die  ihrem  Inhalte  nach  hier  folgen : 

1.  Die  Versendung  von  Archivalien  bringt  Nachteile  für  den  Dienst  und 
Gefahren  für  die  Archivalien  mit  sich. 

2.  Sie  sollte  daher  nach  Möglichkeit  eingeschränkt  werden. 

3.  Dies  kann  geschehen 

I.  indem  man  sie  in  gewissen  Fällen  entbehrlich  macht   durch   geeig- 
nete Maßnahmen  wie 

a)  amtliche  imd  unentgeltliche  Herstellung  von  kürzeren  Abschriften 
und  Vergleichimgen, 

b)  Zulassung  und  nötigenfalls  Besorgung  fähiger  Kopisten  und  sonstiger 
Vertrauensmänner  für  umfangreichere  und  zeitraubendere  Arbeiten, 

c)  jegliche  Förderung  des  Photographierens  und  anderer  Verviel- 
fältigungsarten, 

d)  Unabhängigmachung  der  Benutzungszeiten  von  den  eigentlichen 
Amtsstunden ; 

II.  indem  man  Unterschiede  macht 

a)  je  nach  Person  und  Zweck  des  Antragstellers,  so  zwar,  daß  z.  B. 
an  Anfänger  und  Dilettanten  gar  nicht,  an  bewährte  Forscher 
und  an  Institute  in  geeigneten  Fällen  versendet  wird,  und 

b)  je  nach  dem  Wert  und  der  sonstigen  Versendbarkeit  der  Archi- 
valien, wobei  besonders  kostbare  oder  schwer  versendbare  Stücke 
in  der  Regel  von  der  Versendung  ausgeschlossen  bleiben. 


I)  VgL  diese  ZeiUchrift  8.  Bd.,  S.  229. 


—     85     — 

4-  In  den  geboten  erscheinenden  Fällen  sind  nur  kleine  Partien  auf  ein- 
mal und  diese  nur  auf  kurze  Fristen  zu  versenden. 

5.  Sobald  sachgemäße  Aufbewahrung  und  unversehrte  Rückgabe  gewähr- 
leistet  erscheint,    kann   auch    an   Privatpersonen    und    nichtöffentliche 

.   Stellen  versendet  werden;  jedoch  soll  die  Versendung  an  Bibliotheken 
imd  Archive  die  Regel  bleiben. 

6.  Die   erstinstanzielle   Entscheidung  in  Versendungsangelegenheiten    soll 
grundsätzlich  dem  Archiworstand  zustehen. 

Archivdirektor  Hauviller  (Kolmar)  behandelte  die  Organisation  des 
französischen  Archivwesens  und  schilderte  die  dortigen  durch  eine 
straffe  Zentralisation  ausgezeichnete  Verwaltung  imd  ihre  Leistungen  in  recht 
rosigem  Lichte.  Gegen  diese  Auffassung  wandte  sich  Prof.  Wiegand  (Strafi- 
burg),  der  bekannte,  sein  eigenes  früher  recht  günstiges  Urteil  doch  bei  ge- 
nauerem Zusehen  geändert  zu  haben ;  namentlich  die  Lage  der  Archivare  in 
den  Provinzen  sei  wenig  beneidenswert,  und  in  der  Praxis  sei  auch  die  Ver- 
waltung der  Archive  nicht  so,  wie  es  die  gesetzlichen  Vorschriften  vermuten  ließen. 

An  letzter  Stelle  berichtete  Archivassessor  Frankhauser  (Karlsruhe) 
über  die  Geschichte  des  Generallandesarchivs  und  die  des 
Neubaus,  der  1902 — 1905  ausgeführt  worden  bt  und  bei  dem  das  Maga- 
zinsystem Anwendung  gefunden  hat.  Die  erste  Ordnung  des  badischen  Ar- 
chivwesens ist  1802  erlassen  worden.  Damals  wurden  außer  dem  General- 
landesarchive noch  Provinzialarchive  in  Mannheim,  Rastatt  und  Durlach  er- 
richtet, die  aber  nacheinander  in  den  Jahren  1826  bis  1872  aufgehoben 
wurden,  so  daß  seit  1872  alle  Archivalien  im  Generallandesarchiv  vereinigt 
sind.  Dem  schon  1887  auftretenden  und  immer  drückender  werdenden 
Raummangel  hat  erst  der  Neubau  abgeholfen.  Eine  Besichtigimg  des  Ge- 
bäudes schloß  sich  an  den  Vortrag  an. 

Am  15.  September  (Sonntag)  unternahmen  die  Teilnehmer  einen  Ausflug 
nach  Speyer,  wo  das  neue  Kreisarchiv,  das  Pfälzbche  Museum  tmd  die 
Protestationskirche  besichtigt  wurden.  Ganz  besonders  interessant  aber  war 
der  Besuch,  den  die  Gäste  unter  der  sachkundigen  Führung  von  Prof.  Grau  er t 
(München)  den  Kaisergräbem  im  Dom  abstatten  durften.  Die  Geschichte 
ihrer  Aufdeckung  und  Untersuchung,  die  der  Führer  eingehend  darstellte, 
verdient  nicht  nur  ihrer  Ergebnisse  wegen,  sondern  auch  wegen  der  dabei 
befolgten  methodischen  Grundsätze  Beachtung. 

Der  achte  deutsche  Archivtag  wird  1908  in  Lübeck  stattfinden. 


In  unmittelbarem  Anschlüsse  an  den  Archivtag  fand  vom  15.  bis  zum 
18. September  in  Mannheim  die  Jahresversammlung  des  Gesamtvereins  der 
deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  statt.  Die  Teilnehmer- 
liste verzeichnet  191  Namen.  Vertreter  hatten  von  den  verbundenen  Vereinen 
dieses  Mal  63  entsandt,  aber  das  will  nicht  allzuviel  besagen,  da  die  Zahl 
der  Mitglieder  des  Gesamtvereins  im  letzten  Jahr  durch  den  Beitritt  der 
numismatischen  Vereine  von  173  auf  184  gestiegen  ist;  gerade  die  letzteren 
waren  vollzählig  vertreten,  während  von  den  sonst  recht  tätigen  Vereinen  be^ 
dauerlicher>i'eise  viele  sich  den  V^ersammlungen  dauernd  fernhalten.  Sollte 
es  nicht  möglich  sein,  darin  einen  Wandel  herbeizuführen? 


—     86     — 

Im  folgendem  Jahre  wird  die  Versaimnltmg  in  Lübeck  stattfinden,  und 
zwar  wieder  in  der  zweiten  Hälfte  des  September.  An  Stelle  der  satzmigs- 
gemäß  auscheidenden  Ausschußmi^lieder  wurden  neu  gewählt  Prof.  Grad- 
mann (Stuttgart),  Museumsdirektor  Schumacher  (Mainz)  und  von  Bezold 
(Nürnberg).  Endlich  stinmite  die  Vertreterversammlung  dem  Antrage  des 
Archivdirektors  Wolfram  (Metz)  zu,  einen  Fonds  zur  Unterstützung 
einzelner  größerer  historischer  Arbeiten  anzusammeln.  Als  eine 
solche  Arbeit  kommt  zunächst  die  in  Wien  beschlossene  Sammlung  der 
Nachrichten  über  Naturereignisse  ')  in  Betracht  Zu  diesem  Zwecke  sollen 
die  Verebe  sich  selbst  besteuern,  imd  zwar  wird  als  untere  Grenze  ein  Jahres- 
beitrag von  3  Mark  angenommen. 

Die  in  den  öffentlichen  Versammlungen  dargebotenen  Vorträge  beschäf- 
tigten sich  sämtlich  mit  der  Mannheimer  bzw.  mit  der  an  die  Jubiläums- 
stadt angeschlossenen  Pfälzischen  Geschichte.  So  gab  Prof.  Walter 
(Mannheim),  der  Schriftführer  des  Ortsausschusses,  unter  dem  Titel  Aus  der 
Geschichte  Mannheifns  eine  vortreffliche  Übersicht  über  die  dreihimdertjährige 
Geschichte  der  Jubilarin,  die  darstellte,  eine  wie  völlig  verschiedene  Physio- 
gnomie, beruhend  auch  auf  ganz  verschiedener  Bevölkerung,  Mannheim  in 
jedem  dieser  drei  Jahrhunderte  aufweist:  im  XVII.  Jahrhimdert  war  es  eine 
Festung  des  pfälzischen  Protestantismus  mit  der  Front  nicht  nur  gegen  den 
Katholizismus,  sondern  auch  gegen  Frankreich,  von  welchen  beiden  Feinden 
es  denn  auch  einer  zweimaligen  gründlichen  Zerstörung  anheimfiel,  deren 
zweite  1689  unter  Melac  zugleich  zur  völligen  Abwanderung  seiner  bisherigen 
Grundschicht,  der  französisch-wallonischen  Hugenottengemeinde,  führte,  die 
zumal  in  Magdeburg  ihren  neuen  Wohnsitz  fand;  im  XVIU.  Jahrhundert  war 
es  eine  gänzlich  auf  ihren  prunksüchtigen  Hof,  der  seit  1720  mit  Karl 
Philipp  und  Karl  Theodor  hier  seine  Residenz  aufgeschlagen  hat,  angewiesene 
und  von  ihm  lebende  Höflingsstadt  mit  katholischem  Gnmdcharakter,  deren 
Hauptdenkmal  die  an  das  Schloß  anstoßende  Jesuitenkirche  ist.  Diese  Ge- 
sellschaft wurde  von  dem  Verlust  der  Residenz  (1778  mit  der  bayrischen 
Erbschaft,  die  den  Wegzug  der  Hofhaltung  nach  München  zur  Folge  hatte) 
wie  dann  vollends  dem  Übergang  an  Baden  (1809)  aufs  schmerzlichste  be- 
troffen, bis  dann  seit  den  vierziger  Jahren  des  vergangenen  Jahrhunderts  die 
dritte  Ära  einsetzte,  der  mit  dem  Aufkommen  des  Zollvereins  wie  mit  der 
neuen  Verkehrsentwicklung,  Eisenbahnen  und  Dampfschiffen,  zusammen- 
hängende Aufschwung  zum  modernen,  zu  drei  Fünfteln  aus  auswärtigen  Zu- 
züglern sich  zusammensetzenden  Handelsemporium  des  Oberrheins  wie  von 
ganz  Südwestdeutschland,  geleitet  von  einer  großzügigen,  über  Handel  und 
Lidustrie  auch  die  wissenschaftlich -künstlerischen  Interessen  nicht  vernach- 
lässigenden Stadtverwaltung.  Wo  in  unserem  ganzen  deutschen  Vaterlande 
ist  eine  zweite  Stadt,  die  in  einem  zeitlich  so  kurzen  Rahmen  auf  eine  gleich 
wechselvolle  Geschichte  und  zugleich  auf  eine  großartigere  Zukunflsperspekdve 
hinsehen  könnte? 

Einem  Ausschnitt  aus  dieser  Stadt  und  der  mit  ihr  zusanmienhängenden 
pfälzischen  Geschichte  galt  sodann  der  zweite  Vortrag  von  Dr.  Bering  er 
(Mannheim)  über  Goethe  und  seine  Beziehungen  eur  pfälzischen  Kunst,  die 


I)  Vgl.  diese  Zeitschrift  8.  Bd.,  S.  52. 


—     87     — 

sich  von  dem  Besuch  im  Antiken-Kabinett  an  (17  71),  der  für  die  ganze 
Weiterentwicklung  des  Dichters  entscheidend  war,  über  ein  halbes  Jahrhundert 
bis  zu  seinem  Ende  erstreckt  haben,  also  ganz  anders  als  bei  Schiller,  dessen 
Beziehungen  zu  Mannheim  auf  eine  kurze,  aber  freilich  ungleich  mehr  in  das 
Volksempfinden  übergegangene  Episode  beschränkt  geblieben  sind.  Den 
größten  Erfolg  unter  allen  Vortragenden  hatte  jedoch  der  dritte  Redner 
Archivdirektor  Wolfram  (Metz),  der  ein  Lebensbild  des  einer  Seitenlinie 
des  Zweibrücker  Astes  entsprofiten  Pfalzgrafen  Georg  Hans  von  Veldenz- 
Lützelstein  (1544 — 1592)  entwarf  und  dieses  selbst  als  Lebenstragödie  be- 
zeichnete. Inhsütlich  bildeten  seme  Ausfühnmgen  im  Gegensatz  zu  den 
sonstigen  über  diesen  phantastischsten  Witteisbacher  des  XVI.  Jahrhunderts, 
den  Schöpfer  von  Pfalzburg,  woran  er  sich  auch  verblutete,  laut  gewordenen 
Urteilen  eine  Ehrenrettung  eines  geistig  hochstehenden  Mannes.  In  religiös- 
kirchlicher Hinsicht  forderte  der  Fürst  im  Unterschied  von  dem  damaligen 
engherzigen  Konfessionalismus  den  Beweis  der  Religion  durch  die  Praxis. 
Seinen  politischen  Scharfblick  zeigte  er,  indem  er  eine  einheitlich  geleitete 
deutsche  Flotte  und  eine  auf  diese  gestützte,  tatkräftig-planvolle  Kolonialtätig- 
keit zunächst  in  den  baltischen  Ländern,  den  einstigen  Vorposten  der  Ger- 
manisierung im  Osten,  forderte,  und  damit  zeigte  er  sich  seinem  Zeitalter  weit 
überlegen.  Sein  größter  Fehler  war  der  so  vieler  genialer  Naturen,  daß  er 
drei  Jahrhunderte  zu  früh  gelebt  hat.  Um  so  mehr  hat  unsere  Zeit  die 
Dankesschuld  eines  ehrlichen  Gedächtnisses  gegen  einen  solchen  Mann  ab- 
zutragen,  für  dessen  bedeutsam-packende  Persönlichkeit  auch  schon  die  Tat- 
sache spricht,  daß  selbst  die  wechselvollen  letzten  drei  Jahrhunderte  nicht 
vermocht  haben,  sein  Bild  aus  dem  Andenken  der  Waldarbeiter  und  Forst- 
knechte der  Vogesen  völlig  zu  verwischen. 

Mit  dem  pfälzischen  Geistesleben,  namentlich  dem  in  Heidelberg  dank 
der  Universität  herrschenden,  beschäftigte  sich  der  Vortrag  von  Oberbiblio- 
thekar Wille  (Heidelberg)  über  den  Humanismus  in  der  Pfalz,  in  dem  der 
Redner  knapp  die  seit  Kurfürst  Friedrich  I.  (gest.  1476)  gepflegten  huma- 
nistischen Studien  und  ihre  wesentlichsten  Vertreter  von  Peter  Luder  bis 
Sebastian  Münster  behandelte. 

Von  den  Abteilungen,  deren  Arbeit  wie  immer  den  Hauptinhalt  der 
Tagung  bildete,  hatte  die  vor-  und  frühgeschichtliche  das  reichhaltigste  Pro- 
gramm aufzuweisen,  zumal  wenn  man,  wie  es  bei  dem  Schlußbericht  (erstattet  von 
dem  Geh.  Schulrat  Hang  [Mannheim]  an  Stelle  des  vorher  abgereisten  Ab- 
teilungs-Vorsitzenden Prof.  Anthes  [Darmstadt]  geschah),  auch  den  am  14. 
und  15.  September  in  Heidelberg  abgehaltenen  achten  Verbandstag 
der  west-  und  süddeutschen  Vereine  für  römisch -germanische  Altertums- 
forschung einbezog.  Auf  diesem  hatte  es  sich  außer  dem  Bericht  des  Verbands- 
vorsitzenden Anthes  über  die  Tätigkeit  der  Verbandsvereine  seit  Bamberg 
(1905)  namentlich  um  die  Vorträge  der  Herren  Hofrats  Schliz  (Heilbronn) 
über  die  „Beziehungen  römischer  Bauanlagen  zu  bestehenden  vorgeschicht- 
lichen Verhältnissen"  gehandelt,  und  zwar  hatte  der  Vortragende  einen  Zu- 
sanmienhang  zwischen  beiden  festgestellt,  der  sich  zumal  auch  auf  die  neuen 
römischen  Entdeckungen  in  Weinsberg  stützt.  Sodann  hatte  Prof.  He rtl ein 
(Heidenheim)  ein  Erklärung  der  sog.  „Jupiter-Gigantensäulen"  versucht,  die 
diese  mit  der  (700  Jahre  später  an   ganz   anderer  Stelle   auftauchenden)  Ir- 


—     88     — 

minsäule  in  VerbinduDg  brachte  und  die  Göttergestalten  am  Sockel  als  c 
vier  Jahreszeiten  deutete,  dabei  aber  starken  Widerspruch  aus  dem  Schol 
der  Versammlung  gefunden.  Endlich  hatte  Prof.  Burkhardt-Biederman 
(Basel)  die  römische  Stadtbefestigung  von  Augusta  Rauracorum  (Äugst)  b 
sprochen.  Das  Museum  in  Heidelberg  hatten  die  Teilnehmer  in  seiner  pn 
historischen  Abteilung  leider  in  Abwesenheit  des  erkrankten  Leiters  der  Aui 
grabungen  besucht  imd  auf  emem  Ausflug  auf  den  Heiligenberg  am  Sonnta 
den  merkwürdigen  Ringwall  besichtigt,  an  dem  neuerdings  durch  die  städtisch 
historische  Kommission  erfolgreiche  Ausgrabimgen  stat^efimden  haben. 

Ftir  die  Hauptversammlung  waren  dann  noch,  da  Prof.  Mehlis  (Neu 
Stadt  a.  H.),  der  über  den  Stand  der  Forschung  bezüglich  römischer  un< 
mittelalterlicher  Straßenzüge  in  der  bayerischen  Rheinpfalz  sprechen  wollte 
sich  nicht  einfand,  fünf  Nummern  übrig.  Zunächst  berichtete  nach  de: 
einleitenden  allgemeinen  Versammlung  am  Montag  vormittag  in  Anwesenhei 
S.  K.  Hoheit  des  Erbgroßherzogs  von  Baden  Geh.  Rat  Wagner  (Karbruhe 
über  die  Inventarisienmg  der  Altertümer  in  Baden,  wobei  namentlich  die 
Frage  der  kartographischen  Festlegung  der  Ergebnisse  erörtert  wurde.  Sodann 
gab  Prof.  Schumacher  (Mainz)  eine  Erläuterung  der  neuen  archäologischen 
Karte  von  Mannheim  und  Umgebung,  wobei  die  Kontinuität  der  Besiedelung 
von  der  ältesten  Zeit  her  zu  konstatieren  war.  Weiter  referierte  Museums- 
direktor  Krüger  (Trier)  über  die  Neumagener  Skulpturen.  Besonderes  In- 
teresse erregten  sodann  die  Bemerkungen  von  Rektor  Heuberger  (Bragg 
i.  d.  Schweiz)  über  die  neuesten  Grabungen  in  Vindonissa,  die  von  einheit- 
lichen Fimden  in  dem  römischen  Legionslager,  die  dazu  von  Menschenhand 
fast  unberührt  geblieben  seien,  zu  erzählen  wußten.  Sanitätsrat  Kohl  (Worms) 
teilte  seine  neuen  Beobachtungen  an  neolithischen  Wohnplätzen,  die  mit  den- 
jenigen von  Hofrat  Schliz  in  mancher  Beziehung  zusammentrafen,  mit. 

Der  Zahl  der  Progranmmummem  nach  weit  spärlicher  war  der  Speise- 
zettel der  UI.  Abteilung  besetzt,  die  aber  doch  in  zwei  Sitzungen  am  Montag 
vor-  und  nachmittag  über  drei  Stunden  zu  tun  hatte.     Zuerst  sprach  Annin 
Tille  (Leipzig)  über  Sammlung  und  Verwertung  famüiengeschichtlicher  For- 
schungen,   Indem  er  an  dem  Beispiele  der  Forschungen  von  Schulte  über 
die  Beziehungen  der  mittelalterlichen  Klöster  ')   zu   den  Geburtsständen  und 
der  Darstellung  der  wirtschafts-  und   sozialgeschichtlichen  Zustände  Durlachs 
im  XVIII.  Jahrhundert  durch  Roller*)  erläuterte,   welche  Ergebnisse  sich 
vermittels  der  genealogischen  Methode  unter  Umständen  gewinnen  lassen,  be- 
gründete er  die  Notwendigkeit,  zuverlässig  festgestellte  genealogische  Tatsachen 
systematisch  zu   sammeln,   wie   es   die  Absicht   der  Leipziger  Zentralstelle 
für   deutsche   Personen-   und   Familiengeschichte   ist,   damit   die   einmal  er- 
mittelten Nachrichten  allgemein  verwendet  und  nutzbar  gemacht  werden.    In 
der  anschließenden  eingehenden  Erörterung  wurde  weniger  die  sachliche  Be- 
gJündimg,   warum   gesammelt  werden   soll,    besprochen   als    vielmehr   die 
Zweckmäßigkeit  der  genannten  Zentralstelle,  und  das  Ergebnis  wurde  schließlich  in 


1)  Vgl.  oben  S.  50—51. 

2)  Roller:  Die  Einwohnerschaft  der  Stadt  Durlach  im  X  VIII.  Jahrhundert, 
in  ihren  wirtscJ^aftlicJ^en  und  kuUurgeachichtlichen  Verhältnissen  dargestellt  aus 
ihren  Stammtafeln  (Karlsrahe  1907). 


—     89     — 

den  folgenden  Worten  zusammengefaßt.  Die  dritte  Abteilung  des  Ge- 
samtvereins kann  über  die  Zentralstelle  jetzt  ein  abschließen- 
des Urteil  noch  nicht  gewinnen,  sondern  glaubt  ihre  fort- 
schreitende Arbeit,  deren  Zweck  sie  freundlich  gegenüber- 
steht, zuvor  abwarten  zu  sollen. 

In  der  zweiten  Sitzung  sprach  Pfarrer  Gmelin  (Großgartach)  ixher  Be- 
völkerungsbewegung auf  Grund  der  Kirchenbücher  und  zwar  als  Grundlage 
zu  dem  Antrage,  die  historisch-statistische  Ausbeutung  der  Kirchenbücher  ^), 
deren  außerordentliche  Bedeutung  ebenso  fUr  die  historisch- geographische 
Statistik  wie  für  die  Soziologie,  Biologie  und  Klimatologie  dabei  kurz  dargelegt 
wurde,  in  allgemeine  Anregung  zu  bringen,  indem  diese  Ausbeutung  als  ein 
dringendes  Interesse  der  Wissenschaft  erklärt  wurde.  Der  Antrag  fiEmd  bei- 
fällige Aufnahme;  nur  der  zweite  Teil  des  Antrags,  einen  Ausschuß  zur  An- 
fertigung eines  Schemas  behufs  einheitlicher  Bearbeitung  einzusetzen,  wurde 
auf  Antrag  von  Hagedorn  (Hamburg)  abgelehnt.  Es  wurde  aber  folgende 
Entschließung  gefaßt.  Die  dritte  Abteilung  des  Gesamtvereins 
erklärt,  daß  die  Bearbeitung  bzw.  Ausbeutung  der  Kirchen- 
bücher nach  historisch-statistischen  Gesichtspunkten  im 
Interesse  der  historischen  Wissenschaft  gelegen  ist,  und  er- 
sucht den  Berichterstatter,  Pfarrer  Dr.  Gmelin,  auf  einer  der 
nächsten  Tagungen  Vorschläge  zu  machen,  wie  das  in  ein- 
heitlicher Weise  geschehen  könne. 

Den  Beschluß  machte  hier  der  durch  seine  Forschungen  über  die  Her- 
kunft der  Indogermanen  wohlbekannte  Ludwig  W  i  l  s  e  r  (Heidelberg)  mit  seinem 
Vortrage  über  Namen  als  Geschichtsqttellen,  indem  er  zeigte,  wie  nicht  nur 
der  Ruf-  bzw.  Taufoame  selbst,  sondern  auch  schon  unter  Umständen  dessen 
verschiedene  Form  für  die  verschiedenen  alten  Stämme  charakteristisch  sei, 
so  daß  sich  daraus  die  Zugehörigkeit  eines  Trägers  zu  einem  dieser  Stämme 
erkennen  lasse;  ein  gewiß  für  die  Erforschung  des  germanischen  Altertums 
bedeutsamer  Punkt. 

Eine  besonders  stattliche  Teihiehmerschaft  wies  die  unter  Leitung  von 
E.  Bahrfeld  (Berlin)  stehende  Abteilung  IV  auf,  die  ihrer  neuen  Bestimmung 
zum  ersten  Male  diente.  An  erster  Stelle  sprach  Prof.  von  Renner  (Wien) 
über  die  Zwecke  einer  Vereinigung  der  deutschen  numismatischen  Gesell- 
schaften und  bezeichnete  eine  Reihe  von  Aufgaben,  die  sich  durch  eine 
systematische  Zusammenarbeit  der  Vereine  vielleicht  lösen  lassen.  Dabei  ver- 
mied er  es  jedoch,  im  einzelnen  Vorschläge  zu  machen,  in  der  Absicht,  zu- 
erst einmal  die  einzelnen  Vereine  und  ihre  Vertreter  gnmdsätzlich  auf  die 
Notwendigkeit  solchen  Zusanunenwirkens  hinzuweisen. 

Den  Vollbeweis  für  die  wirtschafdiche  Ebenbürtigkeit  dieser  Vereine 
lieferte  der  Vortrag  von  Justizrat  Haeberlin  (Frankfurt  a.  M.)  über  Roms 
Eintritt  in  den  Weltverkehr  (seit  ca,  335  v.  Chr.),  nachgeuHesen  auf  Grund 
seiner  Münxung,  der  in  Wirklichkeit  eine  großartige  Obersicht  über  die  Ent- 
wicklung  des  ganzen   antiken  Münzwesens  gab,   das   in   seinen  Grundlagen 

I)  Vgl.  dazu  diese  Zeitschrift,  i.  Band  S.  157—170:  Die  Verwertung  der  Kirchen» 
bücher  von  Gmelin. 


—     00     — 

durchaus  auf  die  Babylonier  zurückführt.     Das  war  zweifellos  eine  der   "wert- 
vollsten  Darbietungen  der  Gesamttagung. 

Die   genealogische  Richtung   in   der   IV.  Abteilung   vertrat   ein  Vortrag 
von   Oberfinanzrat   Ritter  von  Bauer   (Wien)   über   Die  notwendige    I^an- 
mäßigkeit  der  heraldisch' genealogischen  Forschunfj  und  Qutüenpublikation, 
der  sich  mannigfach  mit  den  Vorschlägen  von  Tille  und  Gmelin    in    der 
III.  Abteilung  deckte,  ^vie  mit  einem  Antrag  von  Freiherrn  von  Gaisberg- 
(Schöckingen),  vertreten  durch  Freiherm  von  Min  n  ige  rode  (Allerstein),    auf 
photographische  Aufnahme  aller  nicht  bloß  fiir  die  Lokalgeschichte,  sondern 
namentlich  auch  die  Heraldik  und  Genealogie  besonders  wichtigen,   aber  in 
unserer    Zeit     in     wachsendem     Grad     der    Gefahr     der    Zerstörung      aus- 
gesetzten alten  Grabsteine,  von  welchen  Aufnahmen  dann  je  ein  Exemplar 
an  das  Germanische  Museum  in  Nürnberg  eingesandt  werden  soll.    Nach  den 
Ausführungen  des  Freiherrn   von  Minnigerode   sollen  jedoch  nicht,  wie  der 
ursprüngliche   Antragsteller   wollte,   Berufs-,   sondern   Liebhaber-    (Amateur-) 
Photographen  mit  der  Aufgabe  betraut  werden,   zunächst  schon  wegen    der 
Kosten,  und  dann  auch,  damit  überhaupt  baldmöglichst  ein  Anfang  mit  der 
praktischen  Ausführung  gemacht  werde. 

Die  in  Bamberg  neugegründete  V.  Abteilung  (für  Volkskunde)    end- 
lich, die  an  Prof.  Brenner  (Würzburg)  einen  dauernden  Vorsitzenden    hat, 
hatte  infolge  J^embleibens  eines  im  Programm  angekündigten   weiteren  Refe- 
renten nur  drei  Gegenstände  zu  behandeln.    General  Freiherrvon  Friesen 
(Dresden)  sprach  zunächst  über   den  Einfluß   der  Rasse   auf  das  Volkstum. 
Dann  folgten  als  eine  sehr  wertvolle  und  dankbar  aufgenommene  Gabe  Aus- 
einandersetzungen von  Prof.  Gradmann  (Stuttgart)  über  das  schwäbische 
Bauernhaus,,  worin  er  als  das  Ergebnis  seiner  diesbezüglichen  Forschungen 
ausführte,   daß  zwar  in   dem   eigentlich   altwürttembergischen  Gebiet  infolge 
von   dessen  allzu    gründlicher    bureaukratischer   Regierung   nichts  Ursprüng- 
liches mehr  zu  finden  sei,  daß  es  aber  doch  im  Bereich  des  jetzigen  König- 
reichs ein  Gebiet,   zum  früheren  Vorderösterreich  in  Oberschwaben  gehörig, 
gibt,  in  dem  wir  ein  Bauernhaus  von  so  primitiven  Formen,  mit  dem  Kenn- 
zeichen des  Walmdaches,  finden,  daß  dieses  ohne  Schwierigkeit  aus  den  älte- 
sten prähistorischen  Verhältnissen  sich  erklären  lasse,   wie   man    dann  auch 
ohne    allzu    große    Änderung    daraus    auf    der    einen    Seite    das    Allgäuer, 
auf  der  anderen  das  Schwarzwaldhaus  ableiten  könne.     Es  war  ein   für  die 
Bauernhaus-Forschung  sehr  bedeutsamer  Beitrag;  nur  verschuldete  leider  der 
Mangel  an  Illustrationen,  daß  die  technisch  weniger  sachverständigen  Zuhörer 
an  manchen  Stellen  dem  Vortrage  nicht  leicht  folgen  konnten.    Im  Anschluß 
daran  führte  hinsichtlich  der  zur  Bauemhausforschung  ausgegebenen  Frage- 
bogen Prof.  Brenner  noch  weiter   aus,    daß   deren  Zweck   nicht  überall 
genügend  erkannt  worden  sei  und  so  das  Bedürfnis  eines  erläuternden  Textes 
sich  geltend  gemacht  habe.    Deshalb  wurde  der  Antrag  an  den  Gesamtverein 
gestellt  und   angenommen,    eine   solche  Schrift   als  Texterläuterung  abfassen 
zu  lassen.     Ein  zweiter  Antrag,  den  auch  Prof.  Brenner  einbrachte,  betraf 
die   bibliographische  Zentralstelle.     Nachdem   im   letzten  Jahr  be- 
schlossen worden  ist,   das   einschlägige  Material   an  Oberlehrer  Wossidlo 
(Waren,   Mecklenburg)  zu   schicken,    dieser   aber   aus  Mangel    an  Zeit  sich 
außerstande    gesehen    hat,    sich  weiter  mit  der  Sache  einzulassen,   wird  die 


—     91     — 

Schaffung  einer  Zentralstelle  um  so  nötiger  empfunden;  ihre  besondere  Auf- 
gabe ist  es,  die  Antworten  auf  volkskundliche  Umfragen  dauernd  aufzube- 
wahren und  deren  Inhalt  nach  einem  einheitlichen  Schema  zu  verzetteln. 

Endlich  sprach  Gymnasialassistent  B  e  c  k  e  r  (Ludwigshafen)  über  Früh - 
lingsfeiern  in  der  Pfalz,  indem  er  hierbei  zwei  verschiedene  Gebiete 
unterschied,  deren  Eigentümlichkeiten  jedoch  vielleicht  auf  alte  Stammes- 
berührung zurückgehen.  Im  Anschluß  hieran  war  eine  Ausstellung  von  Bil- 
dern zur  Pfalzer  Volkskunde  veranstaltet,  die  später  als  Lichtbilder  großen- 
teils auch  bei  dem  zwanglosen  Bankett  im  großen  Saale  des  Friedrichsparks 
am  Dienstagabend  vorgeführt  wurden,  so  daß  dieses  Bankett  selbst  ab 
weiterer  Beitrag  zur  Pfalzer  Volkskimde  wirkte,  nur  eben  in  der  angenehm- 
gemütlichen Form  eines  Unterhaltungsabends,  wie  er  bei  unseren  Vereins- 
tagungen als  Mischung  von  Ernst  und  Scherz  üblich  ist.  Dieses  Mal  wurde 
die  Unterhaltung  nicht  am  wenigsten  durch  die  beiden  Pfälzer  Mundarten- 
dichter Daniel  Kühn  (Speyer)  und  Richard  Müller  (Obermoschel),  die  beide 
Proben  ihrer  Volksdichtung  vortrugen,  auf  eine  höhere  Stufe  gehoben,  tmd 
überdies  brachte  das  Zusammenwirken  der  Vereine  der  bayerischen  Pfalz  mit 
dem  Mannheimer  Jubiläumskinde  die  Fortwirkung  der  einstigen  historischen 
Zusammengehörigkeit  links  und  rechts  vom  Rheine  in  harmonischer  Weise 
zum  Ausdruck. 

Als  Ausdnick  dieses  Zusammengehörigkeitsgefühls  kann  auch  die  Fest- 
gabe gelten,  die  vom  historischen  Verein  der  Pfalz  sämtlichen  Teilnehmern 
in  Gestalt  des  29.  und  30.  Heftes  seiner  3IUteüungen  gewidmet  und  von 
diesen  gleich  anderen  ähnlichen  Gaben,  wie  dem  Pfälzer  Museum  Nr.  7 — 10, 
der  Festnummer  der  Mannheimer  Geschichtsblätter,  sowie  einem  Führer  durch 
Mannheim,  von  der  Stadt  Maimheim  dargeboten,  dankbar  aufgenommen  wurde. 
Daran  reihte  sich  anläßlich  des  Besuches  des  ehemals  fürstbischöflichen 
Speyrer  Residenzschlosses  in  Bruch*5al,  der  am  Mittwoch  nachmittag  unter- 
nommen wurde  und  den  schönen  Schluß  der  ganzen  Tagung  bildete,  die 
Oktober-Nummer  der  Zeitschrift  für  Geschichte  der  Architektur^  sowie  eine 
prächtige  Publikation  über  Das  Bruchsaler  Schlofs  im  XIX.  Jahrhundert  von 
Architekt  Dr.-Ing.  Fritz  Hirsch,  dem  die  Restaurationsarbeit  dieser  groß- 
artigen Residenzanlage  leitenden  Baukünstler,  welcher  auch  in  mündlicher 
Rede  vortrefflich  diese  ausgedehnte  Schöpfung  des  XVin.  Jahrhunderts  er- 
läuterte. So  reiht  sich  die  Mannheimer  Tagung  schon  infolge  ihrer  Reich- 
haltigkeit als  eine  der  bestgelungenen  ihren  Vorgängerinnen  an,  in  ihrem 
wissenschafdich  -  historischen  Wert  zugleich  ein  würdiger  Beitrag  zu  dem 
dreihundertjährigen  Jubiläum  einer  solch  reichhaltigen  lebensvollen  Stadt- 
geschichte, 

PersonalieD.  —  Am  19.  Oktober  1907  starb  ganz  unerwartet  an 
einem  Schlaganfall  der  württember^che  Generalmajor  z.  D.  Dr.  Albert  von 
Poster,  der  durch  zahlreiche  geschichtliche  Arbeiten  und  durch  seine  eifrige 
Teilnahme  an  den  Tagungen  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts- 
und Altertumsvereine  in  den  Kreisen  der  Fachgenossen  und  Geschichtsfreunde 
wohlbekannt  und  hochgeachtet  und  um  seiner  persönlichen  Eigenschafken 
willen  vielen  besonders  wert  war. 

Er  stammte  aus  einem  schwäbischen  Pfeirrhause,   war  geboren  in  dem 


—     92     — 

fränkischen  Münster  bei  Creglingen  am  6.  Mai  1839,  verbrachte  aber  sei 
Jugend  in  Hohenacker  bei  Waiblingen,  wohin  sein  Vater  bald  versetzt  word^ 
war.  Aus  der  Waiblinger  Lateinschule  kam  er,  von  Haus  aus  zum  Theologe 
bestinunt,  in  das  niedere  theologische  Seminar  Blaubeuren.  Aber  nach  de) 
dortigen  vierjährigen  Kurs  führten  ihn  1857  seine  Neigungen  nicht  auf  di 
Universität,  sondern  auf  die  Kriegsschule  nach  Ludwigsburg,  die  er  185 
als  Portepeekadett  verliefi.  Seine  Ernennung  «um  Leutnant  folgte  noch  in 
gleichen  Jahr  aus  Anlafi  der  damaligen  Mobilmachung.  Als  Oberleutnan 
machte  er  dann  den  Krieg  von  1866  mit,  und  war  darauf  eine  Zeitlanj 
als  Lehrer  zur  Kriegsschule  kommandiert.  Während  des  Deutschen  Krieg; 
1870 — 71  war  er  der  Landwehr  zu  Uhn  zugeteilt  und  kam  nicht  an  dei 
Feind.  Im  Jahr  1890  wurde  er  Kommandeur  des  Infanterie  -  Regimenti 
Nr.   124  und  1893  nahm  er  seinen  Abschied. 

Sein  Sinn  für  geschichtliche  Studien   erhielt   im    Vaterhaus   und   durch 
die  Erinnerung  an  seinen  1835  verstorbenen  Großvater,  den  Historiker  Job. 
Christian  Pfister,  seine  Nahnmg.    Als  Leutnant  erbat  er  sich  1862  einen 
einjährigen  Urlaub,  um  in  Tübingen  Geschichte  zu  treiben;  dort  ward  er  ein 
Schüler  von  Reinhold  Pauli,  dessen  Gedächtnis  er  nachher  in  seinem  Buch 
Deutsche  Zwietracht  (Stut^art  1902)  gefeiert  hat.    Die   erste   Frucht   seiner 
Studien    waren    die   Denkwürdigkeiten    aus   der    württemhergischen  Kriegs- 
geschichte des  XVIIL  und  XIX.  Jahrhunderts  im  Anschluß  an   die  Ge- 
schichte des  8.  Infanterie-Regiments  (Stuttgart  i868),  in  dem   der  Ver&sser 
den  Feldzug  von  1866  mitgemacht  hatte.     Die  folgenden  Jahre,  durch  Be- 
rufstätigkeit ausgefüllt,  brachten  doch  zahlreiche  kleinere  Aii>eiten.    Zunächst 
zwei  Regimentsgeschichten   in  populärer  Bearbeitung  für  Unteroffiziere   und 
Soldaten  (Geschichte  des  1,  württembergischen  Infanterie-Regiments  Nr.  119., 
Stuttgart  1875;  Geschichte  des  Infanterie-Regiments  Kaiser  Wühdm  König 
von  Preußen  Nr.  120. f  Stuttgart  1881),*  zwischenhinein  auch  ein  Schulbuch, 
wie  es  dem  ehemaligen  Lehrer  an  der  Kriegsschule  anstand:  Leitfaden  für 
Geschichte  und  Geographie  heim  militärischen    Unterricht  (Stuttgart   1878), 
Heft  I :  Übersicht  der  Geschichte  Deutschlands.    Heft  2 :  Geschichte  Württem- 
bergs.    Heft  3:    Geographie.     Politischen  Charakter  trägt   die  Schrift:  Der 
Müiegedanke  in  Württemberg  und  die  Versuche  eu  seiner  VerwirJdichung 
(Stuttgart  1883).    Auch  später  noch  einmal  hat  Pfister,  um  das  hier  vorweg 
zu  nehmen,   eine   politische  Tagesfrage   in  einer    geschichtlichen  Broschüre 
erörtert,    in  dem  Heftchen  Freiheit  des  Rückens,   Allgemeine  Wehrpflicht, 
Öffentlichkeit  des  Strafgerichts,   drei  Etappen  auf  dem  Wege  militärischer 
Entwickelung  (Stuttgart  1896).     Vorher  gingen  zunächst  noch   drei  Lebens- 
bilder: König  Friedrich  von  Württemberg  und  seine  Zeit  (Stuttgart  1888), 
bahnbrechend  für  eine  günstigere  und  wohl  auch  gerechtere  Auf&ssung  der 
Persönlichkeit  des  Königs.     Dann  Herzog  Magnus  von  Württemberg  (Stutt- 
gart   1891),   ein    reizvolles   Büchlein,    in    dem    die    spärlichen   Nachrichten 
über  den  Prinzen,  dessen  Gedächtnis  ein  romantischer  Schleier  umgibt,  mit 
schriftstellerischer    Kunst    in    ein    Bild    der  Zeit    hineingestellt  und  dadurch 
plastisch  ausgestaltet  sind.     Endlich  das  in  mehreren  Auflagen   erschienene 
Büchlein  über  Kaiser  WUhelm  I.  '),  dem  Pfister  noch  1906  eine  Darstellung: 


i)  Kaiser  Wilhelm,  ein  Abriß  aus  seinem  Leben  und  Wirken  (Stuttgart  1887). 


—     93     — 

Kaiser  Wilhelm  und  seine  Zeit,  in  Heycks  Monographien  zur  Weltgeschichte 
gewidmet  hat.  Daneben  gingen  kriegsgeschichtliche  Arbeiten  verschiedenster 
Art  her,  von  denen  manche  in  den  Württembergischen  Vierteljahrsheften 
für  Landesgeschichte  und  sonst  veröffentlichte  Aufsätze  zeugen. 

Nach  seiner  Verabschiedung  liefi  Pfister  noch  einmal  3  Lebensbilder, 
vereinigt  in  einem  Heft,  erscheinen:  Brei  Schwaben  in  fremden  Kriegs- 
diensten (der  österreichische  Feldzeugmeister  Graf  Harrasch  +  1722;  der 
preußische  Oberst  Joh.  Friedr.  Herwarth  von  Bittenfeld,  gefallen  bei  Kolin 
1757;  der  preußische  General  Joh.  Jak.  Wunsch  +  1788),  Heft  12  der 
Württembergischen  NevjahrstHätter  1895.  ^^  gleichen  Jahr  noch  erwarb  er 
auch  bei  der  philosophischen  Fakultät  in  Tübingen  den  Doktortitel. 

Das  erste  größere  Werk  Pfisters,  zu  dem  er  auch  in  größerem  Umfang 
archivalische  Studien  machte,  galt  den  Napoleonischen  Kriegen  181 2 — 15: 
Aus  dem  Lager  des  Bheinbunds  18 12 — 13  und  Aus  dem  Lager  der  Ver- 
bündeten 18 14 — 15  (beide  Stuttgart  1897).  Schon  die  Titel  zeigen,  daß  es 
ihm  nicht  um  eine  umfassende  und  vollständige  Darstellung  der  Ereignisse 
zu  tun  war;  in  der  Tat  liegt  der  Wert  der  beiden  Bände  in  der  Benutzung 
der  württembergischen  Kriegsakten  und  der  Korrespondenz  König  Friedrichs, 
woraus  wertvolles  Material  zur  Zeitgeschichte  und  zur  Beurteilung  des  Königs 
und  seiner  Politik  geschöpft  ist  Zur  Jahrhundertwende  schilderte  Pfister  Das 
deutsche  Vaterland  im  XIX,  Jahrhundert  (Stuttgart  1900).  Dann  widmete  er 
dem  befreundeten  Dichter  Hansjakob  ein  warmherziges  Büchlein:  Heinrich 
Han^akob,  Aus  seinem  Leben  und  Arbeiten  (Stuttgart  1901).  Später  griff 
er  über  den  Ozean  mit  dem  Werk :  Die  amerikaniscJie  Bevolution  1775 — 1783, 
Entwicklungsgeschichte  der  Grundlagen  zur  Freiheit  wie  zum  Weltreich 
unter  Hervorhebung  des  deutschen  Anteils  (2  Bde.  Stuttgart  1904).  Endlich, 
als  er  in  Vertretung  des  Königs  von  Württemberg  und  als  Abgesandter  des 
Schwäbischen  Schillervereins  bei  der  Schillerfeier  der  Deutschen  in  Amerika 
gewesen  war,  sammelte  er  die  dort  gewonnenen  Eindrücke  und  Erlebnisse  in 
einem  Buch:  Nach  Amerika  im  Dienste  Friedrich  Schillers.  Der  Völker- 
freundschaft  gewidmet  (Stuttgart  1906). 

Seine  Schöpfung  ist  auch  das  großangelegte  Werk  Herzog  Karl  Eugen 
von  Württemberg  und  seine  Zeit,  das  vom  Württembergischen  Geschichts- 
und Altertumsverein  herausgegeben  und  von  einer  größeren  Zahl  von  Mit- 
arbeitern geschrieben  wird;  Pfister  selbst  hat  zu  dem  i.  Bd.  die  Einleitung 
und  die  Abschnitte  „Hof  und  Hoffeste"  und  „Militärwesen"  beigesteuert. 

Das  Beste  aber  und  Persönlichste,  was  er  gegeben  hat,  sind  seine  beiden 
selbstbiographischen  Bücher  Pfarrers  Albert,  Fundstücke  aus  der  Knabenzeit 
(Stuttgart  1901)  und  Deutsche  Zwietracht,  Erinnerungen  aus  meiner  Leut' 
nantszeit  1859 — 1869  (Stuttgart  1902).  Mit  welcher  Frische  \md  Lebendigkeit 
sind  da  die  Erlebnisse  seiner  Jugendzeit  geschUdert,  wie  weiß  er  mit  gemütvollem 
Humor  anziehende  Bilder  vom  schwäbischen  Leben  zu  gestalten.  Ab  kluger 
Beobachter  und  scharfer  Beurteüer  steht  er  den  Dingen  gegenüber.  Seine 
unbefangene,  von  warmer  Vaterlandsliebe  und  echter  deutscher  Gesinnung  ge- 
tragene Schildenmg  der  politischen  und  militärischen  Zustände  in  Württem- 
berg in  dem  Jahrzehnt  vor  der  Schaffung  des  neuen  Reichs,  wie  er  selbst 
sie  mit  erlebt  hat,  ist  für  das  Verständnis  der  Ereignisse  von  großem  Wert. 

So   werden    diese   beiden   Bücher   als    Quellenwerke    für    schwäbisches 


—     94     — 

Wesen  ihre  Bedeutung  behalten.  Uns  sind  sie  zugleich  Spiegelbilder  von  der 
ganzen  gewinnenden  Persönlichkeit  ihres  Verfassers.  Seine  wissenschaftlichen 
Werke,  in  denen  wohl  zuweilen  (wie  bei  seinem  Grofivater)  die  Quellen  zu 
viel  selbst  mitreden,  haben  die  historische  Erkenntnis  in  manchen  Punkten  geför- 
dert. Aber  auch  ihr  Hauptvorzug  ist  die  lebendige  anschauliche  Darstellimg. 
Mag  Pfister  sich  an  einen  kleinen  Leserkreis  von  bescheidenen  Gaben  oder 
an  ein  anspruchvolleres  Publikum  wenden,  immer  ist  er  im  besten  Sinne 
volkstümlich.  Er  erfreut  durch  die  Entschiedenheit  seiner  Parteinahme  imd 
seines  Urteils  gelegentlich  auch  da,  wo  der  strenge  Forscher  vielleicht  ein 
Fragezeichen  machen  möchte. 

So  zeigt  sich  Pfister  in  seinen  Büchern,  so  war  er  auch  im  Leben. 
Wie  vielen  ist  er  bekannt  geworden  als  gewinnender  Redner,  dem  grofie  Ge- 
wandtheit des  Ausdrucks,  lebhafte  klare  Darstellung,  schlichter  angenehmer  Vor- 
trag zu  Gebot  standen.  In  den  Sitzungen  des  Gesamtvereins,  dessen  Vorstand  er 
angehörte,  im  Württembergischen  Geschichts-  und  Altertumsverein,  im  Goethe- 
bund, im  Schwäbischen  Schillerverein  und  sonst  in  der  Öffentlichkeit  hat  er  oft  ge- 
sprochen ;  so  hat  er  auch  die  Schwaben  in  Amerika  hingerissen.  Er  verstand 
es  mit  wunderbarer  Feinheit,  sich  der  Art  seiner  Zuhörer  anzupassen,  auch  im 
gewöhnlichen  Leben  im  Gespräch  den  rechten  Ton  zu  finden,  imd  selbst  dem 
sonst  nicht  leicht  zugänglichen  schwäbischen  Bauern  ist  er  in  Buoch  bei 
Waiblingen,  wo  er  in  den  letzten  Jahren  sich  ein  Landhaus  erbaut  hatte 
imd  seinen  Garten  liebevoll  pfiegte,  recht  innerlich  nahe  gekonunen.  Überall, 
wo  er  gewirkt  hat,  empfindet  man  schmerzlich  die  Lücke,  die  sein  Scheiden 

gerissen  hat.  ^,   r^    ^        /o.  \ 

^  Mehring  (Stuttgart). 

Eingegangene  Bficher. 

Mamlock,  G.  L.:  Friedrichs  des  Großen  Korrespondenz  mit  Ärzten. 
Stuttgart,  Ferdinand  Enke  1907.     XU  und  168  S.     M.  6,00. 

Menke-Glückert,  E. :  Goethe  als  Geschichtsphilosoph  und  die  geschichts- 
philosophische  Bewegung  seiner  Zeit  [=  Beiträge  zur  Kultur-  und  Uni- 
versalgeschichte,  herausgegeben  von  Karl  Lamprecht,  Erstes  Heft]. 
Leipzig,  R.  Voigtländers  Verlag  1907.      146  S.  8°.     M.  5,40. 

Niese,  Hans:  Prokurationen  und  Landvogteien,  ein  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Reichsgüterverwaltung  im  XIIL  Jahrhundert.  Straßburger  Disser- 
tation.    Innsbruck,  Wagner   1904.     69  S.  8". 

Pachali,  Johanna:  Moritz  von  Sachsen,  eine  Charakterstudie  [=  Schriften 
für  das  deutsche  Volk,  herausgegeben  vom  Verein  fUr  Reformations- 
geschichte, Nr.  45].     Halle  a    S.,  Rudolf  Haupt  1906.     28  S.  8®. 

Pfeifer,  Wilhelm:  Lehrbuch  für  den  Geschichtsunterricht  an  höheren  Lehr- 
anstalten. V.  Teil:  Lehraufgabe  der  Unterprima.  Mit  einem  Bilder- 
anhange  zur  Kunst-  und  Kulturgeschichte  von  Paul  Brandt  Breslau, 
Ferdinand  Hirt.     VIII  und  234  S.  8®.     M.  3,25. 

Dasselbe.  VI.  Teil:  Lehraufgabe  der  Oberprima.  Mit  einem  Bilder- 
anhange  zur  Kunstgeschichte  von  Paul  Brandt  Breslau,  Ferdinand  Hirt 
1907.     Vm  und  228  S.  8®.     M.  3,25. 

Herausgeber  Dr.  Anntn  Tille  in  Leipzig. 
VerUf  nnd  Druck  von  Friedrich  Andreas  Perthes,  AkdengeselUchaft,  Gotha. 

Hierzu  als  Beilage:  Prospekt  der  Deutschen  Verlagsaktiengesellschaft, 
Leipzig,  über  uTNePanO^YTEM ,  Jahrbücher  für  foWoriatische  Erhebungen 
und  Forschnfigen. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


lur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

IX.  Band  Januar  1908  4.  Heft 


Grundherrsehaft  und  Staat*) 

Von 
Georg  Caro  (Zürich) 

Grundherrsehaft  unterscheidet  sich  vom  blofien  Grundeigentum 
oder  Grundbesitz  dadurch,  daß  sie  nicht  nur  über  den  Boden  sich 
erstreckte,  sondern  auch  Rechte  über  die  Leute  einschloß,  die  auf 
dem  Boden  saßen.  Die  Rechte  konnten  dem  Grundherrn  durch  die 
Gesetzgebung  zuerkannt  sein,  wie  dem  römischen  Possessor  über  seine 
Kolonen,  oder  auch  auf  obrigkeitlichen  Befugnissen  beruhen,  wie  die 
Erbimtertänigkeit  der  ostelbischen  Bauern  im  XVIII.  Jahrhundert;  denn 
die  Gutsherrschaft  ist  nur  eine  Form  der  Grundherrschaft.  Ob  das 
Verhältnis  des  Grundherrn  zum  Grundholden  durch  einen  Vertrag  be- 
gründet war  oder  in  anderer  Weise,  ist  nicht  schlechthin  entscheidend. 
Die  ältere  lombardische  Grundherrschaft  zählte  außer  Unfreien  und 
Aldien  auch  freie  Zeitpächter,  libeUarii,  zu  Hintersassen  ^). 

Neben  dem  rechtlichen  darf  ein  wirtschaftliches  Moment  als  Kenn- 
zeichen der  Grundherrschaft  gelten,  nämlich  daß  auf  dem  agrarisch 
nutzbaren  Besitzkomplex,  der  ihr  zugehörte,  nicht  ein  landwirtschaft- 
licher Betrieb  allein,  sondern  mehrere  vorhanden  waren.  Die  Betriebe 
brauchten  nicht  notwendig  in  organischer  Verbindung  zu  stehen,  wie 
das  bei  der    ausgebildeten  Villikationsverfassung   der  Fall    war   und 


*)  Nachfolgende  AnsfUhnmgen,  die  größerenteils  einen  auf  der  Historikenrersammlang 
XU  Dresden,  September  1907,  gehaltenen  Vortrag  wiedergeben  (vgl.  oben  S.  49),  suchen  mit 
Rttcksicbt  auf  die  durch  See  liger,  Die  tasiaU  und  poUHdehe  Bedeutung  der  Grund' 
herrschaft  im  früheren  MitUHalter  (AbhandL  der  philol.-hist.  Klasse  d.  K.  Sachs.  Ges. 
<ler  Wissenschallen,  Bd.  XXU,  Nr.  i,  Leipzig  1903),  henrorgerofenen  Erörternngen,  eine 
Grundlage  für  die  Auffassung  des  Verhältnisses  von  Gnmdhemchaft  und  Staat  su  ge- 
winnen. Da  vielfach,  wie  bei  der  Immunitätsfrage,  allgemein  bekannte  Literatur  in  Be- 
tracht kommt,  beschränken  sich  die  Belege  in  den  Anmerkungen  auf  wenige  Hinweise. 

I)  Vgl.  L.  M.  Hartmann,  Zwr  WirtidutfiagesdUchte  ItaUena  im  firühm 
Miiielalter  (Gotha  1904),  S.  53  ff. 

7 


—     96     — 

später  wieder  beim  ostelbiscben  Rittergut,  wo  die  Arbeitskraft  vod 
Bauern,  deren  jeder  für  sich  wirtschaftete,  zugleich  in  der  Eigenwirt- 
schaft des  Herrn  Verwendung  fand.  Der  Zusammenhang  fehlte  viel- 
leicht bei  der  ftühgermaniscben  Grundberrschaft  ^) :  Tacitus  spricht 
nur  von  Abgaben  der  angesiedelten  Unfreien,  nicht  auch  von  Fronden. 
Und  der  Zusammenhang  ist  wieder  fortgefallen,  als  die  Grundherren 
den  Eigenbau  aufgaben  und  sich  mit  dem  Bezug  von  Grundrente  be- 
gnügten. Jedenfalls  läßt  sich  nur  dann  von  Grundherrschaft  im  wirt- 
schaftlichen Sinne  reden,  wenn  der  Boden  an  mehrere  Betriebe  ver- 
teilt war,  übergeordnete  und  abhängige,  oder  auch  gleichgestellte; 
nicht  jedoch  kann  ein  einziger  Betrieb,  der  den  gesamten  Boden  um- 
faßte, wie  etwa  die  römische  Plantage  vor  Ausbildung  des  Kolonats*)» 
als  grundherrlich  bezeichnet  werden,  und  es  tut  der  begriflflichen 
Abgrenzung  keinen  Eintrag,  daß,  wie  ein  Grundherr  getrennte 
Villikationen,  so  auch  ein  Grundeigentümer  mehrere  Plantagen  besitzen 
konnte. 

Das  Mittelalter  hat  freilich  isolierte  Großbetriebe  wohl  überhaupt 
nicht  gekannt  Die  Sallandwirtschaft  in  den  Villikationen  war  mäßigen 
Umfanges  und  stets  mit  dienenden  Gütern  verknüpft  Betriebe,  für 
die  ausschließlich  die  Arbeitskraft  des  Inhabers  und  seiner  Haus- 
genossen in  Betracht  kam,  also  der  Familienglieder  und  unfreier 
Knechte  im  früheren  Mittelalter,  gemieteten  Gesindes  im  späteren,, 
darf  man  getrost  als  bäuerliche  bezeichnen.  Nun  hat  jeder  Land- 
wirtschaftsbetrieb eine  gewisse  Konzentration  zur  Voraussetzung.  Äcker,, 
die  allzuweit  vom  Hofe  abliegen,  erfordern  un verhältnismäßigen  Zeit- 
aufwand für  die  Bestellung.  Wenn  etwa  ein  Großbauer  Außenlände- 
reien  einem  Knecht  zu  selbständiger  Bewirtschaftung  überließ,  so 
verwandelte  er  selbst  sich  dadurch  in  einen  Grundherrn.  Schon  aus 
Erwägungen  ganz  allgemeiner  Natur  würde  sich  ergeben,  daß  Voll- 
freie im  früheren  Mittelalter  sowohl  Grundherren  als  Bauern  sein 
konnten;  die  Kluft  war  leicht  zu  überbrücken.  Auf  der  Geburt  be- 
ruhte das  Standesrecht,  nicht  auf  der  Größe  des  Besitzes  oder  gar 
auf  der  Betriebsform.  Durch  den  Übergang  aus  einer  wirtschaftlichen 
Klasse  in  die  andere  wurde  es  nicht  berührt.    Die  Alternative,  ob  die 


i)  Vgl.  R.  Kötzschke,  Studien  zur  VerwaHung^gtttchithte  der  Großgrund^ 
hertnehaft  Werden  an  der  Muhr  (Leipzig  1901),  bt  sondere  die  Ansführongen  in  }  2,. 
S.  52  ff.,  im  Vergleich  zu  Tacitas,  Germania,  cap.  25. 

2)  Über  die  gallo  -  römischen  Agrarzustände  s.  Fastel  de  Coalanj^e,  Hwtoire- 
de$  insHtutiong  politiques  de  Vancienne  France,  besonders  L'Alleu  et  ie  domaine: 
rural  (Paris  1889). 


—     97     — 

freien  Leute  Grundherren  oder  Bauern  waren,  hätte  niemals  aufgestellt 
werden  sollen. 

Unhaltbar  ist  jedenfalls  die  Theorie  von  einer  gnindherrlichen 
Lebensweise  der  Germanen  *),  die  ja  auch  insoweit,  wie  sie  ihnen  den 
Eigenbau  absprechen  wollte,  der  Urheber  selbst  bereits  aufgegeben 
zu  haben  scheint.  Bis  zum  späteren  Mittelalter  mag  kaum  ein  Grund- 
herr, und  wenn  es  selbst  ein  Stadtbewohner  war,  sich  mit  dem  Bezug 
von  Grundrente  begnügt  haben.  Gerade  in  Sachsen,  für  das  jene 
Theorie  zunächst  gelten  sollte,  oder  doch  sicher  in  Ostfalen,  hat  der 
grundherrliche  Eigenbau  sich  viel  besser  erhalten  als  in  Südwest- 
deutschland ').  Landwirte,  Leiter  eines  landwirtschaftlichen  Betriebes, 
waren  die  sächsischen  Ritter  von  jeher,  und  im  Kolonisationsgebiet, 
jenseits  der  Elbe,  sind  sie  es  andauernd  geblieben. 

Andrerseits  ergeben  sich  die  schwersten  Bedenken  gegen  die  klein- 
bäuerliche Theorie,  gegen  jene  Auffassung  des  Freien  als  Einhufners, 
der,  zufrieden  mit  seinem  Gütchen,  gar  nicht  mehr  Land  haben  wollte, 
als  eine  einzige  Hufe,  damit  nur  nicht  die  ideale  Besitzgleichheit  ge- 
stört werde.  Die  Hufenfrage  ')  ihrem  ganzen  Umfange  nach  aufzu- 
rollen, würde  abseits  fuhren.  Selbst  wenn  die  deutsche  Hufe  nach 
Analogie  der  nordischen  Grofihufe  ein  Landmafl  war,  das  nach  der 
jeweiligen  Leistungsfähigkeit  eines  Pfluges  mit  Gespann  berechnet 
wurde,  so  braucht  sie  deswegen  noch  nicht  das  Normalmafl  für  den 
Besitz  des  Freien  darzustellen,   und  ganz  unerweislich  ist  ein  massen- 


i)  S.  W.  Wittich,  Die  Grundherrachaft  in  NordwestdeutaeMand  (Leipzig 
1896),  Anlage  6,  S.  104* ff.,  and  in  Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung  für  Beehie- 
geschickte,  germ.  Abt  B.  22  (1901),  S.  245 ff.  Vgl.  dagegen  Ph.  Heck,  Beiträge  eur 
Geschichte  der  Stände  im  Mittelalter,  I.  Die  Gemeinfreien  der  karolifigisehen  Volks- 
rechte  (Halle  1900),  S.  292  ff.,  und  in  Vierteljahrschrift  f  Soz,-  u.  Wirtsdhaftsgesch,, 
1905,  S.  45 »ff. 

2)  Vgl.  hier  und  sonst  meinen  AnCiatz  8ber  PtohUme  der  deutsehen  AgroT" 
geschichte  in  Vierteljahrschrift  fiir  Sozial'  und  Wirtschaftsgeschichte,  1907,  Heft  3, 

S.  433  ff. 

3)  Vgl.  meinen  Aufsatz  Über  Die  Hufe  in  dieser  Zeitschrift  4.  Bd.  (1903), 
S.  25 7 ff.,  gegen  den  die  weitschweifigen  Ausführungen  von  K.  Rhamm,  Ethnographische 
Beiträge  zur  germanischen  und  slawischen  Altertumskunde,  i.  Abt.,  Die  Grofihufen 
der  Nordgermanen  (Braunschweig  1905)  gehend  gemacht  worden  sind  durch  H.  Brunn  er, 
Deutsche  Bechtsgeschichte ,  Bd.  I,  2.  Aufl.,  S.  285,  Nr.  22.  Es  sollten  doch  einmal 
dänische  Grundherrschaften,  wie  sie  etwa  im  Urbar  des  Bistums  Roeskilde,  bei  Lange- 
bek,  Scriptores  rerum  Danicarum,  Bd.  VII,  beschrieben  sind,  nicht  im  Hinblick  auf 
die  mythische  Urzeit,  sondern  mit  Berücksichtigung  der  gleichzeitigen  Zustände  in  den 
ostdeutschen  Kolonisationsgebieten  utitcr&ncht  werden.  Vgl.  übrigens  R.  Henning  in 
Anzeiger  für  deutsches  Altertum  und  deutsdie  Literatur,  Bd.  XXV  (1899),  S.  225  ff. 


—     98     — 

haftes  Herabsinken  der  Freibauern  in  Abhängigkeit.  Gleich  ihnen 
hat  sich  auch  das  Eigen  als  bäuerliches  Besitzrecht  andauernd  er- 
halten ^).  Seine  wirtschaftliche  Bedeutung  (lir  die  Landschaften,  in 
denen  es  breiten  Raum  einnahm,  darf  nicht  unterschätzt  werden. 
Eigen  war  beliebig  teilbar;  so  hatte  die  Neigung  zur  Güterzersplitte- 
rung, die  für  ein  Charakteristikum  des  südwestdeutschen  Agrarwesens 
gilt,  ireiesten  Spielraum,  und  als  seit  dem  XIII.  Jahrhundert  grund- 
berrliche  Hufen  durch  die  erbberechtigten  Inhaber  aufgeteilt  wurden, 
zerfielen  sie  nicht  wie  anderwärts  in  Hälften  oder  Viertel,  sondern 
nach  dem  Vorbild  des  Eigen  in  Parzellen.  Auch  dem  Rückschlag 
gegen  die  übermäßige  Parzellierung,  der  Herstellung  geschlossener 
Höfe,  die  gegen  Ende  des  Mittelalters  erfolgte*),  setzte  das  Eigen 
Schranken.  Gerade  weil  das  Eigengut  der  Teilung  unterlag,  ist  es 
undenkbar,  daß  Hufen  selbst  nur  zwei  Generationen  hindurch  ihren 
ursprünglichen  Bestand  bewahrt  hätten,  wenn  sie  Bauern  zu  Eigentum 
gehörten.  Durch  Erbgang,  Kauf,  Tausch,  Mitgift  und  Morgengabe 
zerfielen  die  Besitzungen,  und  Bruchstücke  wurden  wieder  zusammen- 
gelegt. Statt  Regelmäßigkeit  und  Ordnung  zeigen  die  Urkunden  aus 
deutschen  Stammesgebieten  von  Anfang  an  Zersplitterung  und  Streu- 
lage, bei  Grundherrschaften  und  Bauerngütern. 

Die  geschlossene  Villikation  oder  das  grundhörige  Dorf,  wie  es 
im  Pciyptychum  Inninanis  beschrieben  wird,  hatte  seine  Heimat  in 
Nordfrankreich.  Als  vollkommenste  F*orm  grundherrlichen  Betriebes 
diente  es  zum  Muster  iiir  die  deutschen  Großgrundherrschaften.  Das 
Streben  nach  Erreichung  des  Vorbildes  macht  deren  Entwicklungs- 
gang aus;  als  der  Impuls  sich  abschwächte,  begann  ihr  Verfall.  Eine 
gewaltige  Summe  organisatorischer  Tätigkeit  muß  es  erfordert  haben, 
zerstreute  Besitzsplitter  zu  festen  Hofverbänden  zusammenzufügen,  und 
kaum  leichter  mag  es  gewesen  sein,  den  Fronhoüsbetrieb  auf  neu- 
gerodetem Boden  in  Gang  zu  bringen.  Der  Ausbau  der  Villikationen 
zwischen  Rhein  und  Elbe  ist  wesentlich  in  der  Karolingerzeit  vollzogen 
worden,  wenn  er  auch  früher  begann  und  später  noch  fortgesetzt 
wurde.     Seine  rechtliche  Basis  bUdeten  der  Besitz  des  Bodens,  Gewalt 


i)  S.  den  sehr  wertfoUen,  weil  nach  Maßgabe  des  Quelleobeftandes  schwierigen 
Nachweis  von  nicht  gnindherrlich  belastetem  Eigen  bei  Th.  Knapp,  Über  die  vorwtaiige 
Verfaseung  der  Landorte  des  jetzigen  Oberamte  Heilbrann,  in  Württewibergieche 
Jahrbücher  für  StoHetik  und  Landeskunde,  Jahrg.  1899,  S.  55. 

3)  Vgl.  E.  Gothein,  Die  Hofverfassung  auf  dem  Schtoarswald,  dargesteiüi  €tn 
der  OesehielUe  des  Gebiets  von  St,  Peter,  in  Zeitschrift  f,  d.  Oesch,  d.  Oberrheif%s, 
N.  F.,  Bd.  I,  S.  257 ff. 


—     99     — 

über  die  Person  der  Anbauer  und  Befugnisse,  die  der  Staat  den  Grund- 
herren gewährte.  Alle  drei  Momente,  die  fast  von  Anfang  an  sich 
miteinander  vermengten,  müssen  reinlich  geschieden  werden,  und  da 
haben  nun  Schlüsse  aus  den  Volksrechten  und  Kapitularien  zu  Er- 
gebnissen geführt,  deren  volle  Tragweite  erst  unlängst  erkannt  worden 
ist.     Der  Sachverhalt  läßt  sich  etwa  folgendermaßen  darlegen. 

Am  einfachsten  wäre  der  Fall,  daß  ein  Grundherr  die  Villikation 
mit  seinen  eigenen  Unfreien  besetzt,  ihnen  Hütten  baut,  Hufen  zuweist 
und  die  Betriebsmittel,  Zugvieh  und  Ackergerät,  liefert.  Dann  kann 
er  die  Abgaben  und  Dienste  festsetzen,  deren  Verwendung  regeln; 
er  kann  aber  auch  die  Hufner  ein-  und  absetzen  oder  bei  Todesfall 
über  die  Hufe  verfugen.  Die  Gesamtheit  der  vom  Grundherrn  ge- 
troffenen Anordnungen  und  die  im  Laufe  der  Zeit  für  den  Betrieb  der 
Villikation  sich  herausbildenden  Gewohnheiten  machen  das  Hofrecht 
aus,  das  notwendigerweise  viele  zivilrechtliche  Bestandteile  in  sich 
aufnahm.  Erbrecht  und  eheliches  Güterrecht  der  Hintersassen,  Ab- 
grenzung ihrer  Besitzungen,  Nutzung  der  Almende,  die  dem  Herrn 
gehörte,  unterlagen  hofrechtlichen  Normen,  und  diese  mußten  in 
Großgrundherrschaften,  die  aus  einer  Mehrzahl  von  Villikationen  be- 
standen, um  so  festere  werden,  weU  nicht  der  Herr  persönlich  jeden 
einzelnen  Betrieb  leitete,  sondern  dazu  seinen  Vertreter  bestellte,  den 
viüicus  oder  Meier,  der  für  die  Behandlung  der  Untergebenen  sich 
an  die  einmal  vorhandenen  Grundsätze  zu  binden  hatte.  Außerdem 
stand  dem  Herrn  über  seine  Unfreien  die  volle  leibherrliche  Gewalt 
zu;  er  schlichtete  Streitigkeiten  zwischen  ihnen,  bestrafte  Vergehen; 
selbst  wenn  ein  Totschlag  vorfiel,  war  die  Ahndung  seine  Sache.  Nur 
bei  Klagen  Dritter  hatte  er  seine  Unfreien  vor  Gericht  zu  verant- 
worten. Was  innerhalb  der  unfreien  famüia  vorging,  bekümmerte 
niemand  als  den  Herrn  und  den  Beamten,  den  er  mit  Wahrnehmung 
seiner  Rechte  betraute. 

Die  geschlossene,  von  bestimmten  Grenzen  umfaßte  Vülikation 
stellte,  wenn  sie  mit  Unfreien  besetzt  war,  an  sich  schon  einen  lokalen 
Herrschaftsbezirk  dar,  in  dem  der  Grundherr  aus  eigener  Machtvoll- 
kommenheit gebot.  Solche  Privatherrschaften  von  rein  grund-  und 
leibherrlichem  Charakter  dürften  freilich  nicht  häufig  vorgekommen 
sein.  Es  gab  überhaupt  nirgends  so  übermäßig  viel  Unfreie,  und 
während  die  Zahl  der  nicht  angesiedelten  sich  stetig  verminderte,  ist 
bei  gar  mancher  unfreien  Villikation  die  Frage  aufzuwerfen,  ob  die 
Hintersassen  von  Ursprung  servi  waren,  oder  aber  zu  Unrecht  so 
genannt  wurden.     Sicherlich   ist  schon   früh  eine  gewisse  BegrifTsver- 


—     100     — 

wirrung  eingetreten.  Je  mehr  mit  Einschränkung  des  Sklavenhandels 
die  Unfreiheit  ihr  Wesen  veränderte,  um  so  leichter  konnten  andere 
grundhörige  Hintersassen,  Halbfreie  oder  römisch-rechtliche  Kolonen, 
als  schlechthin  unfrei  gelten. 

In  Gallien  bestand  bereits  vor  der  fränkischen  Eroberung  die 
Masse  der  Landbevölkerung  aus  Kolonen,  bei  denen  das  wesentlichste 
Stück  des  Hofrechts,  das  Ausmaß  der  Leistungen,  ein  iiir  allemal  fest- 
stand. Der  Staatsgewalt  gegenüber  spielte  für  die  Kolonen  der  Grund- 
herr den  Vermittler,  und  er  übte  förmliche  Gerichtsbarkeit  über  sie, 
nicht  bloße  Disziplinargewalt  wie  über  Sklaven;  denn  die  Kolonen  waren 
an  sich  freie  Leute,  wiewohl  die  Fesselung  an  die  Scholle  ihre  Freiheit 
gar  sehr  minderte.  Auch  die  mit  Kolonen  besetzten,  geschlossenen 
Villikationen  büdeten  Herrschaftsbezirke,  und  deren  muß  es  in  Gallien 
ungemein  viele  gegeben  haben;  sie  nahmen  wohl  den  größeren  Teil 
des  Landes  ein.  Richterliche  Funktionen  der  Privatbeamten  von  Groß- 
grundherren sind  für  das  VII.  Jahrhundert  bezeugt  *)  und  gehen  auf 
römische  Einrichtungen  zurück.  Eigentlich  ist  die  fränkische  Graf- 
schaftsverfassung kaum  älter  als  die  Privatherrschaften,  und  die  Ge- 
währung der  Immunität  an  Großgrundherren  reicht  jedenfalls  höher 
hinauf  als  die  ältesten  der  erhaltenen  Urkunden. 

Die  Immunität  war  ein  Privileg,  das  der  König  aus  Gnade  gewährte. 
Privilegien  sind  nach  dem  strengen  Wortlaut  zu  interpretieren,  galt 
einstmals  als  juristischer  Grundsatz.  Die  historische  Auslegung  hat 
von  den  Verhältnissen  auszugehen,  auf  die  sie  berechnet  waren.  Nun 
tritt  bei  der  Immunität  nach  dem  üblichen  karolingischen  Formular, 
das  in  der  Hauptsache  dem  älteren,  merowingischen  entspricht,  die 
negative  Seite  in  den  Vordergrund.  Den  Staatsbeamten  wird  ver- 
wehrt, den  Boden  des  Grundherrn  zu  betreten  und  geg^n  dessen 
Hintersassen  Amtshandlungen  vorzunehmen.  Aus  der  Grafschaft  eximiert 
war  der  immune  Boden  mit  nichten;  gerade  die  karoling^sche  Gesetz- 
gebung hat  die  Fälle  präzisiert,  für  die  das  Verbot  des  Einschreitens 
nicht  galt.  Räuber,  die  nicht  ausgeliefert  werden,  holt  der  Graf  selbst, 
um  sie  aufzuhängen,  auch  behielt  er  seine  volle  Kompetenz  gegen- 
über dem  Immunitätsherm,  wenn  nicht  noch  besondere  Beschränkungen 
zu  dessen  Gunsten  eintraten.  Kirchen  erlangten  durch  Aufnahme  in 
den  Königsschutz,  Laien  als  königliche  v<issi  privilegierten  Ge- 
richtsstand. 


I)  Im  Edikt  CMothars  II,  von  614,  3f.  Q.  CapH.  i,  22,  vgl.  auch  W.  Sickcl, 
Bit  Privatlierrschaften  im  fränkischen  Beich^  Westdeutsche  Zeitschrift,  Bd.  XV 
(1896),  S.  III  ff.  und  Bd.  XVI  (1897),  S.  47«. 


—     101     — 

Entsprechend  der  Herkunft  aus  Gallien  entsprach  die  Immunität  der 
dort  vorwiegenden  geschlossenen  Villikation,  deren  Abschluß  nach  aufien 
sie  vollendete.  Zu  den  Villikationen  in  Streulage  paßte  die  Immunität 
viel  schlechter.  Hier  fehlte  es  der  Privatherrschaft  des  Grundherrn 
ohnehin  an  der  wesentlichsten  Vorbedingung,  der  räumlichen  Ab- 
grenzung, und  in  deutschen  Stammesgebieten  waren  noch  andere  Vor- 
aussetzungen zu  vermissen.  Das  Hofrecht  entstand  erst  beim  Ausbau 
der  Villikationen.  Die  leibherrliche  Gerichtsbarkeit,  uneingeschränkt 
über  Unfreie,  mangelte  ganz  gegen  freie  Hintersassen,  die  sich  nicht 
in  Schutz  ergeben  hatten.  Der  sächsische  Late  bedurfte  vor  Gericht 
keiner  Vertretung  durch  den  Herrn.  Von  den  fränkischen  Königen 
nach  Deutschland  übertragen,  konnte  die  Immunität  hier  nicht  die 
gleiche  Wirkung  üben  wie  in  ihrer  Heimat,  sondern  bedurfte  der 
Modifikationen.  Da  muß  es  denn  als  höchst  bedeutsam  erscheinen, 
daß  sie  von  Anfang  an  neben  den  negativen  Bestimmungen  eine 
positive  enthielt.  Zur  Freiung  des  Bodens  und  der  Bewohner  trat  die 
Zession  aller  Einkünfte,  die  davon  der  Fiskus  beziehen  konnte.  Die 
bekannte  Formel,  quicquid  exinde  fiscus  noster  sperare  poiercU,  das 
alles  schenken  wir  dem  Heiligen  so  und  so  zum  Unterhalt  der  Mönche, 
oder  wie  sie  sonst  lauten  mag,  findet  sich  nicht  jedesmal;  aber  sie 
ist  sehr  alt,  schon  im  Jahre  635  wurde  sie  angewandt^).  Inhaltlich 
steht  sie  einer  Regalienverleihung  gleich.  Dem  Immunitätsherm  wird 
der  Bezug  von  Einkünften  aus  Hoheitsrechten  des  Königs  zugewiesen, 
Pertinenzen  der  Staatsgewalt  sind  ihm  übertragen. 

Mit  mehr  Recht  als  später  ein  Ludwig  XIV.  konnte  der  fränkische 
König  sich  selbst  ;ils  Inbegriff  des  Staates  betrachten.  Alle  staat- 
liche Gewalt  ging  von  ihm  aus  und  war  nichts  anderes  als  seine 
persönliche  Regierungsbefugnis,  die  er  selbst  übte  oder  von  anderen 
wahrnehmen  ließ.  Als  Träger  der  Staatsgewalt  handhabten  der  König 
und  seine  Beamten  den  Bann,  mittels  dessen  sie  Befolgung  ihrer  Ver- 
fügungen erzwangen.  Wer  den  Bann  brach,  machte  sich  bußfidlig, 
und  die  Buße  kam  dem  zu,  der  sie  verhängte.  Die  Ausübung  der 
Regierungsgewalt  verschaffte  Einkünfte ;  ein  b  estimmter  Kreis  von  Ver- 
fugungen bildete  sich  heraus,  die  ausschließlich  dem  König  vorbehalten 
blieben.  Nur  er  konnte  Märkte  errichten  mit  der  Friedensgewährung 
für  die  Besucher,   die  wohl  einer  Abgabe  wert  war;   ihm   allein  kam 


i)  Diese  und  andere  bei  Behandlung  der  Immiinitat  im  folgenden  berangesogene 
Urkunden  sind  snsammengestellt  bei  Alt  mann  and  Bern  he  im,  ÄusgeufählU  ür^ 
kmukn  jntr  ErUMerung  der  Verfa$8ung$g€$d^%chte  DemtBchkmds  im  MiUelaUer, 
3.  Aufl.  (Berlin  1904)1  S.  286  ff. 


—     102     — 

es  zu,  für  Handel  und  Wandel  auf  den  allgemeinen  Verkehrsstraßen, 
auf  schiffbaren  Flüssen,  an  Ankerplätzen  und  Brücken  Gebühren  zu 
erheben.  Der  König-  legte  seinen  Bann  über  die  Fische  in  den  Ge- 
wässern und  das  jagdbare  Wild  im  Forst.  Die  Verfugung  über  allen 
Boden,  der  nicht  Privateigentum  war,  nahm  er  in  Anspruch;  für  die 
Besiedlung  mußte  ihm  ein  Zins  entrichtet  werden.  Jedes  Hoheits- 
recht des  Königs  war  nutzbar  oder  konnte  nutzbar  gemacht  werden, 
Gerichtsbarkeit  so  gut  wie  Markt,  Münze,  Zoll,  Forsten,  Fischerei. 
Mit  dem  Begriff  der  Regalien  hat  sich  ganz  von  selbst  derjenige  der 
Nutzbarkeit  verbunden. 

Der  Name  Regalien  ist  jüngeren  Ursprungs.  Im  letzten  Stadium 
des  Investiturstreites  war  viel  von  ihnen  die  Rede;  später,  als  Kaiser 
Friedrich  I.  die  Verfassungsverhältnisse  der  Lombardei  ordnen  wollte, 
ließ  er  ermitteln,  was  Regal  sei,  und  es  wurde  auf  dem  ronkalischen 
Reichstage  ein  Verzeichnis  angelegt*),  dem  nicht  nur  für  Italien  Be- 
deutung zukommt;  denn  davon  kann  nicht  die  Rede  sein,  daß  die 
Bologneser  Doktoren  römisches  Recht  des  corpus  iuris  an  Stelle  des 
geltenden  italienischen  Staatsrechts  gesetzt  hätten.  Fast  alles,  was  in 
dem  Regalienverzeichnis  enthalten  ist,  stand  auch  den  früheren  Be- 
herrschern des  regnum  Italicum  zu. 

Zwischen  deutschen  und  italienischen  Regalien  gab  es  noch  Unter- 
schiede. Diesseits  der  Alpen  sind  die  Könige  nicht  so  früh  und  in 
so  ausgedehntem  Maße  zur  Nutzbarmachung  ihrer  Hoheitsrechte  ge- 
langt wie  im  Süden.  Märkte  und  Münzstätten  mußten  erst  errichtet, 
Zölle  neu  eingeführt  werden,  während  in  Italien  und  Gallien  solche 
Einnahmequellen  des  römischen  Staates  niemals  zu  fließen  aufgehört 
hatten.  Die  in  der  Immunität  enthaltene  Regalienverleihung  bezog 
sich  hauptsächlich  auf  die  Bannbußen  und  Friedensgelder,  die  statt 
an  den  Fiskus  an  den  Immunitätsherm  fallen  sollten;  aber  eine  prin- 
zipielle Beschränkung  enthielt  die  übliche  Formel  nicht.  Schon  673 
wurde  ausdrücklich  die  Erhebung  eines  rotaticus  (Wagengeld)  durch 
die  Staatsbeamten  auf  den  Märkten  des  gefreiten  Gebietes  ausge- 
schlossen; und  nicht  so  gar  viel  jünger  sind  unmittelbare  Regalien- 
verleihungen, die  neben  der  Immunität  einhergehen,  ohne  mit  ihr 
innerlich  zusammenzuhängen. 


i)  In  ▼ertchiedenen  Fassungen  ▼erliegend ,  M.  G,  ConsHt,  tmp.  i,  244,  Nr.  175. 
Für  die  Regalien  und  anderes  anf  Italien  Bezügliches  verweise  ich  aaf  meinen,  wohl 
demnächst  in  den  Jahrhüchem  für  NtUionalÖkanomie  und  Statistik  erscheinenden 
AufsaU:  Zur  Geschichte  der  Grundherrschaft  in  Oheritalien. 


—     103     — 

Ganz  unzweifelhaft  ist  der  Königszins,  den  langobardischen  ari- 
mannie  entsprechend,  unter  die  Regalien  zu  rechnen,  ob  er  nun  als 
Entgelt  für  eine  Niederlassungs-  und  Rodungserlaubnis  angesehen 
oder  auf  einen  alten  Tribut  zurückgeführt  wird.  Über  den  Königs- 
zins freier  Leute  hat  bereits  Karl  Martell  zugunsten  des  Klosters 
Reichenau  *)  und  Pippin  für  St.  Gallen  *)  verfügt.  Die  Hoheitsrechte 
und  ihr  Ertrag  waren  nicht  untrennbar  mit  dem  Fiskus  verknüpft, 
sondern  konnten  in  Immunitätsprivilegien  überlassen  oder  mittels  be- 
sonderer Verleihung  übertragen  werden. 

Zu  den  Regalien  gehörte  die  Gerichtsbarkeit.  Herzogtümer, 
Markgrafischaften,  Grafschaften,  Stadtkonsulate  verleiht  der  König,  und 
auch  das  sind  nur  spezielle  Fälle  seiner  allgemeinen  Befugnis,  Obrig- 
keiten für  die  Rechtspflege  zu  setzen,  wie  sie  im  ronkalischen  Regalien- 
verzeichnis Anerkennung  gefunden  hat.  Zur  Wahrnehmung  der  Rechts- 
pflege ist  von  den  fränkischen  Königen  die  Grafschaftsverfassung  ge- 
schaffen worden.  Mit  Banngewalt  ausgestattet,  übte  der  Graf  den 
Gerichtszwang  über  alle  Eingesessenen  des  Gaues,  Grundherren  und 
Bauern ;  aber  eine  Nötigung,  zu  gerichtlichen  Zwecken  sich  ausschließ- 
lich der  Grafen  zu  bedienen  und  der  von  diesen  gesetzten  niederen 
Beamten,  gab  es  für  den  König  nicht  Hat  doch  erst  Karl  der  Große 
die  Grafschaftsverfassung  einheitlich  im  ganzen  Reiche  durchgeführt, 
und  gerade  er  ließ  häufig  durch  Sendboten  Gericht  halten.  Nun 
schrieb  sich  die  grund-leibherrliche  Gerichtsbarkeit  nicht  wie  die  gräf- 
liche vom  König  her.  In  den  Immunitätsprivilegien  als  bestehend 
vorausgesetzt,  bedurfte  sie  einer  ausdrückhchen  Erwähnung  höchstens 
dann,  wenn  in  ihrer  rechtlichen  Existenz  etwas  zweifelhaft  erschien; 
aber  sie  konnte  auch  im  weitesten  Umfange  verliehen  werden,  wo  sie 
noch  nicht  bestand,  sondern  mit  Neugründung  einer  Villikation  erst 
hergestellt  werden  mußte.  Um  eine  Verleihung  von  Gerichtsbarkeit 
handelt  es  sich  bei  der  Urkunde  Ludwigs  des  Frommen  für  den 
Spanier  Johannes,  und  ganz  analog  ist  die  Verleihung  erblicher  Ge- 
richtsbarkeit durch  Arnulf  888  an  seinen  Ministerialen  Heimo  für 
dessen  Eigengut  in  der  Ostmark.  Befugnisse,  die  anderwärts  dem 
Grundherrn  seit  alters  zustanden,  wurden  hier  speziell  übertragen.  Der 
König  regelte  die  Ausübung  der  Gerichtsbarkeit  nach  seinem  Gut- 
dünken. 


i)  S.  die  Restitution  der  Urkunde  von  K.  Brandi,  Quellen  und  Forschungen 
zur  Geschichte  der  Abtei  Reichenau,  Bd.  I  (Heidelberg  1890),  S.  loi. 

3)  S.  Urkundenbueh  der  Ahtei  St.  Gallen,  heraiug.  toq  H.  Wart  mann,  Bd.  I, 
S.  289,  Nr.  312. 


—     104     — 

Weitergehende  Rechte,  als  Karl  der  Große  am  Anfang  seiner 
Regierung  den  Bischofskirchen  von  Trier  und  Metz  ')  bestätigte, 
konnten  kaum  aus  den  rein  negativen  Bestimmungen  der  Immunität 
abgeleitet  werden.  Die  Hintersassen  der  Kirchen  sollten  von  den 
Staatsbeamten  weder  an  die  öffentlichen  Malstätten  geladen,  noch 
dort  verurteilt  werden;  sie  haben  vielmehr  ihren  ausschließlichen  Ge- 
richtsstand  vor  den  Beamten  der  Kirchen,  in  deren  privatem  Gehör 
sie  Recht  geben  und  nehmen.  Außenstehende  haben  demnach  Klagen 
gegen  Immunitätsinsassen  vor  dem  Immunitätsgericht  anzubringen. 
Der  Grundsatz  mag  nicht  überall  gleich  früh  und  vollständig  durch- 
gedrungen sein,  war  aber  eine  notwendige  Folge  des  Prinzips  der 
Immunität.  Indem  die  Staatsgewalt  ihn  anerkannte,  nahm  sie  zugleich 
Einfluß  auf  die  Bestellung  der  Privatbeamten  in  Anspruch  und  das 
Aufsichtsrecht.  Karl  der  Große  reglementierte  oft  genug  *) ,  welche 
Eigenschaften  ein  tüchtiger  vicedomintis,  (idvoccUtis  oder  praepasüue 
nötig  habe,  und  was  wurde  da  nicht  alles  verlangt.  Gesetzeskundig 
sollen  sie  sein,  gerechtigkeitsliebend,  friedfertig,  milde,  sogar  uneigen- 
nützig und  frei  von  Habgier;  wenn  sie  den  Anforderungen  nicht  ent- 
sprachen, konnten  königliche  Sendboten  ihre  Absetzung  verfugen, 
gleich  wie  die  von  Unterbeamten  des  Grafen,  der  Vikare  und  Zen- 
tenare,  mit  denen  überhaupt  die  Privatbeamten  in  der  karolingischen 
Rangordnung  auf  einer  Stufe  standen,  ohne  daß  deswegen  die  Befug- 
nisse identische  gewesen  sein  müssen.  Auch  der  vicedomiutis,  pre- 
positus  und  advocatus  unterscheiden  sich  recht  wesentlich  in  ihren 
Amtspflichten. 

Durch  die  Eingriffe  des  Staates  in  die  Verwaltung  der  Privat- 
herrschaften wurde  deren  Umbildung  angebahnt  Je  mehr  der  Grund- 
herr und  seine  Beamten  sich  den  allgemeinen,  vom  König  festgesetzten 
Normen  zu  fugen  hatten,  um  so  leichter  konnten  ihnen  wiederum 
Rechte  übertragen  werden,  die  über  ihren  ursprünglichen  Wirkungs- 
kreis hinausreichten.  Soll  eine  reinliche  Scheidung  zwischen  grund- 
leibherrlicher  und  öffentlich-rechtlicher  oder  staatlicher  Gewalt  durch- 
geführt werden,  so  bleiben  für  erstere  nur  die  Hofgerichtsbarkeit  in 
ihrer  Begrenzung  auf  die  Betriebsordnung  der  Villikation  übrig  und 
die  leibherrlichen  Befugnisse  nach  Maßgabe  des  Volksrechts  über 
Unfreie,  Halbfreie  und  kommendierte  Freie  oder  andere  Mundmannen. 
Was  darüber  hinausgeht,  muß  als  öffentlich-rechtlich  gelten  und  ließe 


i)  S.  Jtf.  G.  Dipl  KaroUnorum,  Bd.  i  (1906),  S.  95,  Nr.  66  und  S.  131,  Nr.  91. 
2)  S.  M,  O,  Öapit.  I.  93.  loi.  104.  124  usw. 


—     105     — 

sich  nur  von  königlicher  Verleihung'  ableiten,  wenn  eben  nicht  das 
Prinzip  der  Immunität  seine  Einwirkungen  geübt  hätte.  Tradenten, 
die  ihre  Güter  zu  Prekarie  zurückempfangen  hatten,  wurden  gelegent- 
lich in  die  Immunität  einbezogen.  Die  Privilegien  des  X.  Jahrhunderts 
erkennen  regelmäßig  an,  dafi  Hintersassen  auf  immunem  Boden,  gleich- 
gültig wes  Standes,  vor  dem  Vogt  zu  Recht  stehen  sollen;  damit 
war  aber  auch  die  äußerste  Grenze  einer  inneren  Entwicklung  der 
Immunität  erreicht.  Über  den  Boden  der  Grundherrschaft  hinaus 
konnte  sie  sich  nicht  erstrecken.  Für  alles,  was  durch  königliche 
Verleihung  hinzukam,  liegt  der  staatliche  Charakter  ohne  weiteres  zu- 
tage ;  aber  auch  die  Rechte  innerhalb  der  Immunität  können,  insoweit 
als  sie  die  ausschließlich  grund- leibherrlichen  Befugnisse  überragen, 
nicht  für  rein  private  angesehen  werden. 

Eine  begriffliche  Unklarheit  haftet  den  Bestimmungen  der  Ur- 
kunden an,  die  vielfach  negativ  ausdrücken,  was  doch  auch  positiv 
hätte  verfügt  werden  können.  Die  Ursache  hierfür  liegt  offenbar  in 
dem  Charakter  der  Grundherrschaften  selbst.  Bei  der  geschlossenen 
Villikation  gallischen  Gepräges  genügte  die  Immunität,  um  den  Ab- 
schluß der  Privatherrschaft  zu  vollenden.  Selbst  daß  Außenstehende 
mit  Klagen  gegen  Immunitätsinsassen  sich  an  den  Immunitätsrichter 
zu  wenden  haben,  ließ  sich  aus  der  bloßen  Negation  des  staatlichen 
Gerichts  ableiten.  Der  Fall  mag  übrigens  viel  seltener  eingetreten 
sein,  als  bei  den  Grundherrschaften  in  Streulage,  die  in  den  deut- 
schen Stammesgebieten  überwogen.  Hier  war  es  zur  Vermeidung 
von  Streitigkeiten  wohl  angebracht,  ausdrücklich  hervorzuheben,  was 
anderwärts  sich  beinahe  von  selbst  verstand.  Dem  gallischen  Vor- 
bild gleichzukommen,  vermochten  die  deutschen  Grundherrschaften 
dennoch  nicht,  soweit  es  ihnen  nicht  gelang,  sich  durch  Austausch 
von  Besitzsplittem  zu  arrondieren.  Sonst  war  die  Herstellung  privater 
Herrschaftsbezirke  nur  möglich  durch  den  Erwerb  öffentlich-recht- 
licher Befugnisse,  die  sie  wiederum  ihres  privaten  Charakters  ent- 
kleideten. Den  Grundherren  wurde  Gewalt  über  Personen  zuteil,  die 
nicht  zur  Grundherrschaft  in  Beziehung  standen,  und  diese  Gewalt 
wurde  über  einen  räumlich  abgegrenzten  Landkomplex  erstreckt,  indem 
sie  Ausdehnung  fand  über  Boden,  der  nicht  zur  Grundherrschaft  ge- 
hörte. Die  Regalienverleihungen  gliederten  der  Immunität  Rechte  an, 
die  nur  noch  rein  äußerlich  mit  der  Grundherrschaft  sich  berührten. 
Das  konnte  dann  in  verschiedener  Weise  geschehen. 

Märkte  errichteten  die  Grundherren  am  liebsten  auf  eigenem 
Boden;   es  fiel   ihnen   dann  allein  der  Arealzins  von  der  Kaufmanns- 


—     106     — 

ansiedlung  zu,  und  in  die  Gerichtsbarkeit  konnte  sich  der  Immunität 
wegen  niemand  einmischen.  Notwendig  war  es  aber  nicht,  daß  der 
Boden  des  Marktorts  ganz  dem  Marktherm  gehörte;  dann  ergänzte 
der  König  durch  Verleihung,  was  zur  Machtvollkommenheit  fehlte, 
und  es  wurden  so  Bannbezirke  mit  bestimmten  Grenzen  konstituiert, 
innerhalb  deren  in  der  Regel  einem  Grundherrn  die  Gerichtsbarkeit 
zustand,  aber  nicht  notwendig  dem  Grundherrn  des  Ortes  *).  Der  Zu- 
sammenhang zwischen  Grund-  und  Gerichtsherrschaft  war  nur  nodi 
ein  lockerer.  Die  vom  König  verfugte  Änderung  der  lokalen  Ver- 
waltung berührte  weder  das  Standesrecht  der  Bewohner,  noch  ihr  Be- 
sitzrecht am  Boden.  Sie  besuchten  fortan  die  drei  jährlichen  placiia 
vor  dem  Richter,  der  Vogt  hieß,  statt  vor  dem  Grafen;  das  war  alles. 
Wem  die  fiskalischen  Gefalle  zufielen,  die  sie  ohnehin  entrichten 
mußten,  konnte  ihnen  gleichgültig  sein.  Hofrecht  stand  für  die  Stadt 
überhaupt  nicht  in  Frage.  Die  Marktansiedlung  war  keine  VUlikation, 
und  Kaufleute  sind  keine  Bauern. 

Wenn  Empfanger  von  Regalien  eine  Kirche  war,  ein  Bistum  oder 
ein  Kloster,  so  trat  es  in  den  Genuß  der  Einkünfte.  Die  Gerichtsbar- 
keit übte  jedoch  in  Deutschland  nicht  der  Bischof  oder  Abt  persön- 
lich, sondern  der  Vogt.  Dessen  Befugnisse  konnten  auch  vom  König 
unmittelbar  erweitert  werden,  durch  Verleihung  des  Rechts  bei  Königs- 
bann zu  richten  *) ,  während  in  Italien ,  wo  sich  mit  der  Vogtei  juris- 
diktioneile Befugnisse  nicht  verknüpften,  an  Grundherren  unmittelbar 
eine  höhere  als  die  gräfliche  Gerichtsbarkeit  verliehen  wurde,  nämlich 
die  missatische,  und  zwar  nicht  nur  an  Bischöfe  fiir  ihre  Städte  und 
deren  Umkreis,    sondern   auch  anderweitig').     Die  letzte  Erweiterung 

i)  Vgl.  z.  B.  für  Bremen  S.  Rietschel,  Das  Bwrggrafenamt  und  die  hohe 
Gerichtsbarkeit  in  den  deutschen  Bischofsstädten  toährend  des  früheren  Mittelalters 
(Leipzig  1905),  S.  283  ff.,  und  Markt  und  Stadt  in  ihren  rechtlichen  Verhaltninen 
(Leipzig  1897),  S.  Soff.  S.  auch  das  Marktprivileg  für  den  Erzbischof  von  965,  M.  Cr. 
Dipl,  I,  422,  Nr.  307,  das  ihm  Erlaubnis  gibt,  in  loco  Bremun  einen  Markt  zu  er- 
richten, nicht  in  loco  suo.  Den  Kaufleaten,  die  der  Kaiser  zugleich  in  seinen  Schatz 
nahm,  gehörte  offenbar  der  Grund  und  Boden,  auf  dem  ihre  Häuser  standen,  zu  Eigen- 
tum, während  die  Gerichtsbarkeit  über  sie  mit  den  Regalien  nunmehr  dem  Erzbischof 
(bzw.  seinem  Vogt)  zufiel,  der  jedenfalls  in  dem  Bannbezirk  bereits  Gmndeigentom  besafi. 
Die  Erweiterung  einer  Regalienverleihung  (Münze  und  Zoll)  durch  nachträgliche  Hinzu- 
fügung  der  Gerichtsbarkeit  s.  M.  G.  Dipl   i,   154,  Nr.   74  und   157,  Nr.  77. 

2)  Zum  Königsbann  vgl.  Heck  a.  a.  O.  II,  Der  Sachsenspiegel  und  die  Stände  der 
Freien  (Halle  1905),  S.  734 ff-,  und  H.  Feh r,  Fürst  und  Graf  im  Sachsenspiegd,  in 
Berichte  und  Abhandlungen  der  K.  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaftern 
phil.-hist.  Klasse,  Bd.  LVIII  (1906),  S.  41  ff. 

3)  S.  die  Urkunde  des  Gegenkönigs  Arduin,  M,  G.  Dipl  3,  706,  Nr.  6. 


—     107     — 

der  Immunität  durch  äußere  Aagliederuag  von  Rechten  stellte  alles 
Frühere  auf  den  Kopf.  Wenn  der  Grundherr,  von  dessen  Besitzungen 
die  Grafengewalt  durch  Immunität  ausgeschlossen  war,  ganze  Graf- 
schaften erwarb  oder  g^fUche  Rechte  in  Teilen  von  Gauen,  so  verlor 
die  Immunität  alle  Bedeutung;  aber  es  fiel  auch  der  letzte  Zusammen- 
hang zwischen  Grundherrschaft  und  Hoheitsrecht  weg,  denn  die  gräf- 
liche Gewalt  war  rein  territorial. 

Nur  in  beschränktem  Maße  gelangten  deutsche  Bistümer  oder  gar 
Klöster  zum  Erwerb  ganzer  Grafschaften.  Wo  das  nicht  der  Fall  war, 
und  überhaupt,  wo  nicht  kraft  spezieller  Verleihung  Hoheitsredite  zur 
alten  karolingischen  Immunität  hinzutraten,  blieb  diese  selbst  in  Kraft. 
Von  einheitlicher  Fortbildung  kann  nicht  die  Rede  sein;  doch  läßt 
sich  auch  schwer  denken,  daß  ihre  Wirkungen  sich  abgeschwächt 
haben  sollten.  Es  wäre  da  noch  ein  Moment  zu  beachten,  das  bei 
den  bisherigen  Erörterungen  keinen  Platz  fand.  Immunität  ist  Steuer- 
freiheit; davon  hat  sie  ihren  Ausgang  genommen.  Die  fiskalischen 
Gefälle  sind  dem  Immunitätsherm  überwiesen ;  der  Graf  darf  von  den 
Hintersassen  keinerlei  Leistungen  fordern.  Nun  waren  aber  die  Ein- 
künfte des  Grafen  aus  seinem  Amt  recht  ansehnlich.  Die  Grafschaft 
stellte  ein  Objekt  erheblichen  Wertes  dar  *),  denn  die  gräflichen  Rechte 
ließen  sich  nutzbar  machen,  so  gut  wie  die  Regalien.  Allein  schon 
der  Anspruch  auf  Beherbei^ng  bei  Abhaltung  der  Gerichtstage 
mochte  Erkleckliches  einbringen ;  auch  scheuten  sich  die  Grafen  nicht, 
mit  außerordentlichen  Forderungen  an  die  Insassen  ihrer  Gerichts- 
bezirke heranzutreten.  Eine  wirkliche  Steuer  entwickelte  sich  aus  den 
exactionea,  die  in  der  Immunität  einzutreiben  ihnen  verwehrt  war. 

Der  immune  Boden  trug  nichts  zu  den  Grafschaftslasten  bei; 
diesen  Vorzug  kann  er  um  so  weniger  eingebüßt  haben,  als  seine 
Bewohner,  die  Hintersassen  des  Grundherrn,  durchaus  nicht  steuerfrei 
waren.  Wer  über  sie  Gerichtsbarkeit  übte,  erhob  etwa  die  gleichen 
Ansprüche  wie  der  Graf  auf  Beherbergung  und  Abgaben,  und  da  nun 
in  der  geistlichen  Immunität  der  Vogt  zu  richten  hatte,  nicht  der 
Bischof  oder  Abt,  so  leisteten  die  Hintersassen  geistlicher  Grundherr- 
schaften dem  Vogt,  was  der  Graf  von  ihnen  nicht  nehmen  durfte. 
Die  Vogtei  über  eine  Großgrundherrschaft  war  wohl  kaum  weniger 
einträglich  als  eine  Grafschaft');   der  Grundsatz,  daß  selbst  zerstreute 

i)  Vgl.  Waits,  D,  Verf.'Oeteh,  7,  ayfi.,  s.  Adam  ▼.  Bremen,  Hb.  3,  Kap.  45, 
M.  G.  88.  7.  S.  353. 

3)  VgLWaitz  a.  a.O.,  S.  3508.  S.ftr  die  Vogtei  ttber  St  Gallen,  Conradns  de 
Fabaria,  Kap.  10,  8t  GaUer  Müteihmgen  17»  153t. 


—     108     — 

Splitter  immunen  Bodens  vom  Vogt  geschätzt  werden  und  nicht  vom 
Grafen,  konnte  nicht  leicht  in  Vergessenheit  geraten.  Tatsächlich 
mochte  sich  der  Unterschied  verwischen,  wenn  etwa  der  Graf  die 
Vogtei  in  den  Immunitäten  seiner  Grafschaft  erlangte.  Überhaupt, 
was  sich  begrifflich  einigermaßen  deutlich  sondern  läßt,  unterlag  im 
realen  Verlauf  der  Dinge  den  mannigfachsten  Trübungen.  Wie  ver- 
schieden ist  doch  kraft  spezieller  Auseinandersetzungen  das  Verhält- 
nis zwischen  dem  geistlichen  Immunitätsherm  und  ihren  Vögten  ge- 
staltet worden;  eine  Menge  gefälschter  Urkunden  bezeugt,  welche 
Mühe  es  sich  die  geistlichen  Herren  kosten  ließen,  den  finanziellen 
Ansprüchen  der  Vögte  Schranken  zu  setzen. 

Der  Vogt  bezog  also  die  Bede,  nicht  der  geistliche  Grundherr  *) ; 
aber  die  Bischöfe  und  die  Äbte  der  alten,  königlichen  Klöster  waren 
Reichsfursten.  Mit  dem  Zepter  verlieh  ihnen  der  König  die  Regalien, 
seit  er  auf  die  Investitur  mit  Ring  und  Stab  verzichtet  hatte.  Landes- 
hoheit zu  erwerben  ist  den  geistlichen  Fürsten  vielfach  gelungen,  und 
zwar  auf  dem  gleichen  Wege  der  Agglomeration  von  Rechten,  der 
früher  zur  Erweiterung  der  Immunität  geführt  hatte.  Freilich  mußte 
dabei  gewissermaßen  von  vorn  angefangen  werden,  denn  auch  die 
Villikationsverfassung  selbst  hatte  Wandlungen  durchgemacht.  Hof- 
gerichtsbarkeit übte  der  geistliche  Grundherr  in  der  ersten  Hälfte  des 
XII.  Jahrhunderts  nicht  persönlich,  sondern  sie  war  dem  Meier,  einem 
Ministerialen,  zu  Lehen  gegeben  und  infolgedessen  zum  erblichen 
Recht  des  Inhabers  geworden,  das  ihm  abgekauft  werden  mußte,  um 
wieder  durch  gesetzte  Beamte  verwaltet  werden  zu  können.  Nicht 
minder  war  ein  Rückerwerb  der  Vogtei  an  das  Stift  erforderlich.  Lange 
genug  zog  sich  gelegentlich  die  Konsolidation  hin  ^) ,  und  wo  der 
Rückerwerb  von  Meieramt  und  Vogtei  nicht  gelang,  blieben  dem 
geistlichen  Grundherrn  nur  die  Grundzinse,  für  die  etwa  der  Meier 
eine  jährliche  Pauschalsumme  ablieferte.  Davon  ist  dann  in  den 
finanziellen  Nöten  des  späteren  Mittelalters  vieles  abgebröckelt  und 
schließlich  ganz  verloren  gegangen;  die  alte  Grundherrschaft  hatte 
ihre  Rolle  ausgespielt. 

Für  den  Erwerb  von  Gerichtsbarkeit  und  anderen  Hoheitsrechten 
war   der  Grundherr  keineswegs   an   den  Bereich   seines  Grundbesitzes 


i)  Vgl.  G.  ▼.  lielow,  Zur  Frage  nach  dem  Ursprung  der  ältesten  deutedten 
Steuer,  in  MUteil  d.  Instituts  f,  österr.  Geschichtsforschung,  Bd.  XXV  (1904),  S.  455  ff. 

2)  Vgl.  für  Kloster  Werden  R.  Kötzschke  in  der  Einleitung  zur  Aasgabe  der 
Werdener  Urbare  [Publikationen  der  Gesellschaft  für  rJ^einische  (}esdiidUdBunde 
XX.  Bd.  2  (Bonn   1906)],  S.  LVnflF. 


—     109     — 

gebunden.  Überdies  konnten  neuerdings  durch  königliche  Verleihungen 
fehlende  Rechte  ergänzt  werden.  Bei  Bistümern  kam  auch  die  Ge- 
walt über  Vasallen  und  abhängige  Klöster  in  Betracht.  Sicherste 
Grundlage  der  Landeshoheit  von  Geistlichen  und  Laien  war  allerdings 
die  Grafschaft  ^),  nur  daß  nicht  etwa  der  Besitz  gräflicher  Rechte  allein 
schon  als  Basis  iiir  die  Landeshoheit  ausreichte.  Die  bedeutendsten 
weltlichen  Territorien  beruhten  auf  Herzogtum  oder  Markgrafschaft. 
Daß  gar  mancher  einfache  Graf  sich  zum  Landesherm  aufschwang, 
konnte  nur  durch  Erweiterung  seiner  Rechte  geschehen,  mittels  Er* 
werb  von  Regalien,  Vogteien  und  spezieller  Privilegien;  aber  wenn 
nun  auch  ein  weltlicher  Herr  eine  Summe  von  Rechten  zusammen- 
brachte und  deren  Verwaltung  nach  staatlichen  Gesichtspunkten  or- 
ganisierte, wie  das  gerade  im  XlII.  Jahrhundert  des  öfteren  eintrat, 
so  führte  der  Geldmangel,  das  Erbübel  der  deutschen  Fürsten  im 
späteren  Mittelalter,  erneute  Zerstückelung  herbei,  nur  daß  die  Be- 
sitzungen und  Rechte  nicht  stets  in  der  gleichen  Abgrenzung  ver- 
pfändet oder  zu  Lehen  vergabt  wurden,  wie  sie  erworben  worden 
waren,  sondern  besser  lokal  verbunden  und  abgerundet.  Eben  dieses 
Moment  dürfte  für  die  Frage  nach  Entstehung  der  Bannbezirke  be- 
achtenswert sein,  die  neuerdings  mit  Recht  in  den  Vordergrund  ge- 
schoben worden  ist,  aber  vorerst  nur  mit  großer  Reserve  behandelt 
werden  kann  ^) ;  denn  wenn  irgendwo,  so  kommen  hier  lokale  Unter- 
schiede sehr  wesentlich  in  Betracht. 

Das  Auseinandergehen  von  Leibherrschaft,  Grundherrschaft  und 
Gerichtsherrschaft  gilt  als  Charakteristikum  der  westdeutschen  Agrar- 
zustände  in  späteren  Zeiten,  und  da  nun  die  Gerichtsherrschaft,  zumal 
in  den  kleineren  Territorien  Schwabens  und  am  Rhein,  häufig  mit  der 
Landeshoheit  zusammenfiel,  wurde  sie  vollends  das  maßgebende 
Element  der  ländlichen  Verfassung.  Besser  als  in  Deutschland  läßt 
sich  die  Zurückdrängung  von  Grund-  und  Leibherrschaft  in  Oberitalien 
erkennen  *),   wo  sie  allerdings  früher  und  weit  entschiedener  erfolgte. 


i)  Vgl.  H.  Febr,  Die  Entstehung  der  Landeshoheit  im  Breisgau  (Leipzig  1904)» 
fOr  ein  geistliches  Fttrstentnin  siehe  F.  Rörig,  Dte  Entstehung  der  Landeshoheit 
des  Trierer  Ersbischofs  swisehen  Saar,  Mosel  und  Rnwer  und  ihr  Kampf  mit  den 
pntrimfmialen  Gewalten,  in  Westdeutsche  Zeitsdmft,  Ergänzuogsheft  XIU  (Trier  1906). 
Vgl.  aach  E.  Richter,  Immunität,  Landeshoheit  «mit  Waideehenkungen,  ArtMv  für 
österr.  Gesdiichte,  Bd.  XCIV  (1906),  S.  41  ff. 

3)  Vgl.  jeut  daza  Seeliger  in  Htstorisdie  Vierteffahrschrift ,  Bd.  X  (1907), 
S.  3050. 

3)  Die  Ausführungen  von  H.  ▼.  Voltelini,  Immunität,  grund^  und  kibherr-- 


—     110     — 

Die  Regalienverleihungen  Friedrichs  I.  für  geistliche  und  weltliche 
Herren  erstreckten  sich  nicht  nur  auf  die  königlichen  Hoheitsrechte, 
sondern  auch  auf  gerichtsherrUche  Befugnisse,  die  sich  von  der  Graf- 
schaft herleiteten.  Was  über  den  Anspruch  auf  Grundrente  hinaus- 
ging, den  das  Eigentum  am  Boden  gab,  —  von  Unfreiheit  oder  per- 
sönlicher Bindung  war  in  der  lombardischen  Tiefebene  kaum  noch 
die  Rede  — ,  wurde  unmittelbar  auf  königliche  Verleihung  zurück- 
geführt. Der  alte  Staatsgedanke  erhielt  begrifflich  seine  schärfste 
Ausprägung,  als  er  mit  dem  Gemeindeprinzip  sich  auseinanderzusetzen 
hatte. 

Zum  Erwerb  von  Regalien  sind  Stadtgemeinden  in  Deutschland 
'wie  in  Italien  gelangt ;  aber  die  Ausbildung  von  Stadtstaaten,  in  denen 
•eine  herrschende  Stadtgemeinde  über  Landgemeinden  imd  unter- 
:geordnete  Regalinhaber  obere  Gerichtsbarkeit  und  andere  Regalien- 
rechte, also  die  Landeshoheit  übte,  kam  in  Deutschland  über  Ansätze 
nicht  hinaus.  Die  deutschen  Staaten  der  Neuzeit  fuhren  ihren  Ur- 
.sprung  auf  die  landesherrliche  Gewalt  von  Fürsten  zurück,  und  da 
ist  denn  in  den  großen  Territorien  des  Ostens  nochmals  die  Grund- 
lierrscbaft  zu  einer  allerdings  mehr  scheinbaren  als  wirklichen  Be- 
•deutung  gelangt;  denn  für  die  ostelbische  Gutsherrschaft  mit  ihren 
landwirtschaftlichen  Großbetrieben  bildeten  gerichtsherrliche  Rechte 
<ien  Ausgangspunkt  der  Entwicklung  ').  Die  Organisation  des  Ritter- 
guts, äußerlich  der  alten  Villikation  so  ähnlich,  unterscheidet  sich  von 
ihr  fundamental  durch  die  rechtUche  Basis.  Der  Grundherr  des 
früheren  Mittelalters  übte  Gewalt  über  seine  Hintersassen  nach  Maß- 
gabe des  Hofrechts  und  der  leibherrlichen  Befugnisse.  Auf  dem  ost- 
^Ibischen  Rittergut  der  Neuzeit  waren  die  Bauern  gerichtseingesessene 


Jiehe  Geriehttbarkeit  in  SüdHrol,  Wien  1907,  S.-A.  {ÄreMv  für  österreiehische  Öe- 
MhichU,  Bd.  XCIV,  TeU  2,  S.  311  ff.)  betreffen  nicht  rein  italienische  Znstfinde. 

i)  In  Preußen  ist  gleich  bei  der  Kolonisation  ¥001  Landesherrn  (dem  Deutschen 
Orden)  den  Grandherren  hohe  und  niedere  Gerichtsbarkeit  verliehen  worden,  s.  H.  Plehn, 
Zur  Geschicte  der  AgrarverfasBung  von  Ost-  tmd  Westpreußen,  Forschungen  tut 
hrandenbttrgischm  und  pretySisehen  Geschichte,  Bd.  XVII  (1904),  S.  6Sff.  Fir  die 
Mark  Brandenbarg  s.  einen  spesieUen  Fall,  bei  dem  aUerdings  die  Verleihung  nicht  durch 
den  Markgrafen,  sondern  durch  einen  Herrn  Yon  Mecklenburg -Rostock  erfolgte,  bei 
Riedel,  Novtu  codex  dipl.  Brandenb,,  S.  i,  Bd.  I,  S.  445 ff*  ^^^  Aufsats:  Da«  90- 
richüiche  Exemtionarecht  der  Babenberger  von  B  r  u  n  n  e  r ,  Sitsungsberichte  der  phil.'hiti. 
Klasse  der  Wiener  Akademie  d.  Wies,,  Bd.  XLVII  (1864),  S.  315  ff.  weist  des  ferneren 
■aaf  den  Zusammenhang  der  Verleihungen  von  Gerichtsbarkeit  mit  den  alten  Immunitäten 
hin,  fUr  den  Urkunden  wie  die  Ludwigs  des  Frommen  von  815  fUr  den  Spanier  Johannes 
jind  Arnulfs  ftir  Heimo  von  88S  die  Brücke  bilden. 


—    111    — 

Erbuntertanen  des  Gutsherrn,  wenn  sie  auch  mancherorten  mißver- 
ständlich und  mißbräuchlich  als  Leibeig'ene  bezeichnet  wurden. 

Indem  bei  der  Gutsherrschaft  des  Ostens  regelmäßig  Gerichts- 
und Grundherrschaft  über  einen  bestimmt  abgegrenzten  Landkomplex 
zusammenfielen,  trat  eine  gewisse  Vermischung  der  Begriffe  ein.  Es 
wurde  unklar,  ob  und  inwieweit  die  Rechte  des  Gutsherrn  vom  Eigen- 
tum am  Boden  und  von  der  durch  den  Landesherm  verliehenen  Juris- 
diktion sich  ableiteten;  wohl  nicht  ohne  Absicht  ist  gelegentlich  die 
Scheidelinie  verwischt  worden.  Als  nun  der  Territorialstaat,  zumal 
in  der  Epoche  des  aufgeklärten  Absolutismus,  seinen  Betätigungskreis 
ganz  ungemein  erweiterte,  da  konnte  eine  rationalistische  Auffassungs- 
weise, die  von  geschichtlichen  Zusammenhängen  abstrahierte,  der 
patrimonialen  Gewalt  der  Gutsherren  einen  privaten  Charakter  beilegen, 
im  Gegensatz  zu  der  öffentlichen  oder  staatlichen  Gewalt,  die  durch 
den  Landesherm  oder  unmittelbar  in  seinem  Namen  durch  Beamte 
geübt  wurde.  Für  die  historische  Betrachtung  ist  es  gewiß  von  Wert 
zu  erkennen,  wie  die  Zeitgenossen  jeweils  bestehende  Rechtsverhält- 
nisse auffaßten.  Die  Anschauungsweise  des  XVIII.  Jahrhunderts  ver- 
dient an  und  ftir  sich  schon  Beachtung;  aber  die  damaligen  Zustände 
sind  nur  das  Ergebnis  einer  langen  Entwicklung,  die  nicht  klargelegt 
werden  kann,  wenn  man  Begriffe,  die  am  Ende  galten,  auf  den  An- 
fang überträgt.  Dem  Staat  des  XVIII.  Jahrhunderts,  der  absoluten 
Monarchie,  fehlten  wesentliche  Funktionen,  die  von  seinen  Vorgängern 
aus  der  Hand  gegeben  waren,  während  er  andrerseits  seine  Wirksam- 
keit auf  Gebiete  erstreckte,  die  früher  unberührt  geblieben  sind.  So 
mußte  das  Verhältnis  von  Grundherrschaft  und  Staat  durchaus  ver- 
schoben erscheinen.  Es  war  gleichsam  dem  Bewußtsein  entschwunden,  daß 
die  Rechte  der  Gutsherren  über  die  Bauern  aus  Verleihung  durch  den 
Inhaber  der  Staatsgewalt  sich  herleiteten,  daß  also  gerade  die  Agrar- 
verfassung  des  Ostens  einen  ganz  überwiegend  öffentlich-rechtlichen 
Charakter  trug,  während  eher  noch  im  Westen  sich  Reste  der  alten 
privatrechtlichen  Ausgestaltung  erhalten  hatten,  Überbleibsel  des  Hof- 
rechts und  der  eigentlichen  Leibeigenschaft. 

Die  durch  Zeitumstände  bedingte,  aber  historisch  unberechtigte, 
Scheidung  von  staatlich-öffentlich  und  patrimonial  oder  privat  darf  nicht 
den  Ausgangspunkt  für  soziologische  Betrachtungen  bilden  '),  etwa  so, 
daß  dem  kleinen,  privaten  Kreise  der  Grundherrschaft  der  große  Kreis 
der  Stadt  entgegengestellt  wird,   in  dem  eine  öffentliche  Gewalt  ent- 


i)  S.  P.  Sander,  Feudalstaat  %tnd  bürgerliche  Verfassung,  Berlin  1906. 

8 


—     112     — 

stehen  konnte.  Der  Staat  und  mit  ihm  der  Begriff  von  staatlicher 
oder  öffentlicher  Gewalt  existierte  lange,  bevor  die  Stadt  durch  kräftig-e 
Ausbildung  der  Ortsgemeinde  sich  vom  Lande  sonderte,  und  diese 
Staatsgewalt  ist  niemals  zugrunde  gegangen,  wenn  auch  geistlichen 
oder  weltlichen,  großen  oder  kleinen  Grundherren  und  Stadtgemeinden 
viele  ihrer  abgesplitterten  Attribute  zuteil  wurden.  Selbst  die  der 
deutschen  Verfassungsentwicklung  eigentümliche  Verschiebung,  dafi 
statt  des  Königs  die  Landesherren  zu  den  eigentlichen  Trägem  der 
Staatsgewalt  wurden,  kann  den  Zusammenhang  zwischen  der  ältesten 
Form  des  Staatsbegriffs  und  seiner  jüngeren,  unendlich  reichen  Ent- 
faltung nicht  verdunkeln.  Der  Staatsbegriff  hat  seine  Kontinuität  be- 
wahrt, während  die  Grundherrschaft  in  ihrem  vielverschlungenen  Ent- 
wicklung^sgange  zu  einem  Bestandteil  der  Staatsverfassung  wurde,  oder 
aber,  unter  Einbuße  ihres  wesentlichen  Kennzeichens,  sich  zum  bloßen 
Grundeigentum  verflüchtigte. 


Mitteilungen 

Archive.  —  Das  Fürstlich  Lemingische  Archiv  in  Amorbach. 
Die  Erlaubnis  zur  Benutzung  des  Archivs  ist  schriftlich  bei  der  Fürsüich 
Leiningischen  Generalverwaltung  in  Amorbach  (Unterfranken)  einzuholen.  Ur- 
kimden  und  Akten  werden,  wenn  nicht  besondere  Gründe  dies  verbieten, 
an  Archive,  Bibliotheken  und  sonstige  wissenschaftliche  Anstalten  versandt 

Das  Archiv  setzt  sich  aus  zwei  ihrem  Ursprünge  nach  ganz  verschiedenen 
Teüen  zusammen: 

1.  aus  dem  Leiningischen  Haus-  und  Familienarchiv, 

2.  aus  Archivalien,  die  sich  auf  diejenigen  Gebietsteüe  beziehen,  aus 
denen  1803  das  neue,  rechtsrheinische  Fürstentum  Leiningen  gebüdet 
wurde. 

Die  äufiere  Geschichte  des  Archivs  behandelt  ein  1898  in  Heft  22  der 
Mitteilungen  des  historischen  Vereins  der  Pfalz  erschienener  Aufisatz  des 
Unterzeichneten  Archivgeschichte  des  Hauses  Leiningen;  über  seine  Bestand- 
teile soll  im  folgenden  ein  kurzer  Überblick  gegeben  werden. 

L  Leiningisches  Haus-  und  Familienarchiv. 

Älteste  Originalurkimde  von  1196;  80  Originalurkunden  bis  1300,  375 
bis  1400.  Kopialbücher  ohne  besondere  Bedeutung,  früheste  Repertorien 
aus  der  ersten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts,  vgl.  hierzu  den  erwähnten  Auf- 
satz S.  2  fr. 

Den  Hauptbestandteü  bUdet  das  eigentliche  Familienarchiv  mit  seinen 
auf  die  Personalien  der  einzelnen  Familienglieder  bezüglichen  Akten ,  den 
Hausgesetzen  und  Familienverträgen,  kaiserlichen  Privüegien  usw.  Die  Ein- 
künfte- und  Landesteilungen  innerhalb  der  verschiedenen  Linien  und  Zweige. 
Lehenbriefe  und  Lehensreverse,  Lehenbücher  (vgl.  a.  a.  O.  S.  14),  Akten  über 
Aktiv-  und  Passivlehen.     Korrespondenzen   mit  Verwandten  und   Nachbarn. 


—     113     — 

Kriege  und  Fehden,  bekannt  die  mit  den  Herren  zu  Lichtenberg  und  Fried- 
rich dem  Siegreichen  von  der  Pfialz.  Umfangreiche  in  den  Prozessen  um 
das  Hessosche  (gegen  Westerburg)  und  Saarwerdener  Erbe  (gegen  Nassau)  er- 
wachsene Akten. 

Die  Beziehungen  des  Hauses  zum  Wetterauischen  Grafenkollegium,  zum 
Oberrheinischen  Kreis,  zum  Reich.  Besondere  Reichstagsberichte  von  1721 
bis  1727,  von  1757  bis  1766  —  vom  Kreisgesandten  von  Pistorius  — , 
von  1793  bis  1806.  Eigene  Berichte  Leiningischer  Bevollmächtigter  aus  der 
Zeit  vom  Rastatter  Kongreß  bis  zum  Reichsdeputationshauptschlufi. 

Die  Besitzungen  des  Hauses  lagen  in  der  heutigen  Rheinpfalz  — 
Dürkheim,  Hardtdörfer  bis  Grünstadt,  Falkenburg  — ,  in  Rheinhessen  — 
Guntersblum  imd  Bechtheim  —  und  im  Elsaß  —  Grafschaft  Dagsburg  — . 
Das  Material  hierüber  ist  unvollständig,  die  älteren  Sachen  sind  meist  vor- 
handen, das  Neuere  ist  nur  durch  Zufall  in  Bruchstücken  erhalten.  Denn 
einmal  verbrannte  1794  mit  dem  Schlosse  zu  Dürkheim  die  Hauptregistratur 
der  Regienmg,  des  Konsistoriums  und  der  Rentkammer  bis  auf  die  schon 
vorher  auf  das  rechte  Rheinufer  geretteten  Teile,  anderseits  wurde  von  dem 
Geretteten,  soweit  es  sich  auf  die  einzelnen  Ortschaften  und  ihre  wirtschaft- 
lichen Verhältnisse  bezog,  das  meiste  wieder  an  Frankreich,  bzw.  Bayern  ab- 
geliefert (vgl  a.  a.  O.  S.  33  fr.)*  Hierdurch  erklärt  sich  der  lückenhafte  Cha- 
rakter des  noch  Vorhandenen.  Von  diesem  verdient  Erwähnung:  Kirchen- 
imd  Schulakten  aus  dem  Ausgange  des  XVI.  imd  dem  Anfange  des  XVII.  Jahr- 
hunderts. Material  über  Burgen,  Schlösser  und  Herrensitze,  die  mit  anderen 
Herrschaften  gemeinsamen  Besitzungen  (Falkenburg,  Frankenstein,  Haßloch), 
Beziehimgen  zu  den  Nachbarn  (Pfalz,  Zweibrücken,  Speyer,  Worms),  zu  dem 
eingesessenen  Adel,  den  Klöstern.  Kloster  Wadgassen  —  sein  Besitz  zu 
Bockenheim  1582  von  Leiningen  erworben  — ,  Kloster  Limburg  —  Brief- 
bücher aus  der  Zeit  der  Aufhebung  1560  bis  1570  — ,  Kloster  Hessen  bei 
Saarburg  (Lothringen). 

Naturgemäß  lückenhaft  ist  das  Material  über  die  Besitzungen,  die  sich 
nur  vorübergehend  beim  Leiningischen  Hause  befanden:  Aspremont  (nw. 
Nancy,  Frankreich),  Broich  a.  d.  Ruhr,  Brumat  (Elsaß),  Gutenburg  und  Min- 
feld (Rheinpfalz),  Limpurg  -  Gaildorf  (Württemberg,  Jagstkreis),  Oberbronn 
(Elsaß)  und  Oberstein  (Fürstentum  Birkenfeld). 

Rechnungen  sind  vom  X¥.  Jahrhundert  an  vorhanden,  dieselben 
bilden  aber  keine  vollständigen  Reihen  durch  die  Jahrhunderte  hindurch. 
Es  liegt  dies  mit  an  den  vielen  Landesteilungen,  Vormundschaften,  Wittums- 
nutzungen usw.,  die  eme  von  den  wechselnden  Landesherren  unabhängige 
und  deswegen  sich  gleich  bleibende  Geschäfbübung  imd  Rechnungsstellung 
nicht  aufkommen  ließen. 

An  handschriftlichem  Kartenmaterial  finden  sich  nur  einige  Forstkarten 
aus  dem  XVin.  Jahrhundert. 

Die  Sammlungen  des  im  Herbste  1907  verstorbenen  bekannten  Heraldikers 
Karl  Emich,  Grafen  zu  Leiningen -Westerburg  sind,  soweit  sie  sich  auf  das 
Haus  Leiningen  beziehen  —  Urkunden,  Siegel,  Münzen  — ,  an  das  fürstliche 
Archiv  übergegangen. 

II.  Die  Archivalien  des  neuen  rechtsrheinischen  Fürstentums  Leiningen. 

Dasselbe  wurde   gebildet  aus   den  Mainzischen   Oberämtem  Amorbach 

8* 


—     114     — 

(mit  den  Kellereien  Amorbach,  Buchen,  Osterburken,  Selgental  und  Walldürn), 
Miltenberg  und  Tauberbischofsheim  (mit  den  Kellereien  Bischofsheim  und 
Külsheim),  den  Pfalzischen  Oberämtem  Boxberg  imd  Mosbach  (mit  der  Stadt- 
schultheißerei  Mosbach  und  den  Kellereien  Eberbach,  Hilsbach,  Lohrbach 
und  Neckarelz),  den  Würzburgischen  Ämtern  Hardheim,  Lauda  und  Ripperg, 
dem  zwischen  Mainz  und  Würzburg  gemeinsamen  Schüpfer  Grunde  und  dem 
Kloster  Amorbach. 

Das  hierher  gehörige  Material  zerfällt  in  drei  Gruppen: 

a)  die   ehemals   Mainzischen,    Pfälzischen,    Würzburgischen   und    Kloster 
Amorbacher  Archivalien, 

b)  die  beim  Entstehen  des  neuen  Fürstentums  erwachsenen  Akten, 

c)  das  Archiv  des  souveränen  Fürstentums  Leiningen  (1803  bis   1806). 
a)  Erste  Gruppe.    Älteste  Originalurkimde  von  1197,  45  Originalurkimden 

bis  1300,  180  bis  1400.  Am  vollständigsten  ist  das  Archiv  des  ehemaligen 
Benediktinerklosters  Amorbach,  da  es  unzertrennt  an  Leiningen  übergegangen 
ist.  Was  das  Kloster  im  XVIIL  Jahrhundert  an  Archivalien  besaß  und  in 
seinem  großen  siebenbändigen,  1774  bis  1784  von  P.  Bonifadus  angelegten 
Repertorium  verzeichnete,  ist  audi  jetzt  noch  vorhanden.  Es  fehlt  aber 
nahezu  alles  aus  der  Zeit  vor  1200,  und  zwar  muß  dieser  Verlust  schon 
sehr  frühzeitig  eingetreten  sein.  Erhalten  haben  sich  im  Kopialbuche  C 
(2.  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts)  nur  die  Abschriften  dreier  Königs-  bzw. 
Kaiserurkunden  (von  826,  986  imd  1016).  Ein  großer  Teil  der  wichtigeren 
Urkunden  ist  in  Gropps  Historia  monast.  Amorb.  1736  abgedruckt;  wenig 
Berücksichtigung  haben  dabei  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  gefunden,  über 
die  wertvolles  Material  vorhanden  ist.  Urbar  von  1395,  Zins-,  Gült-  und 
Lagerbücher  über  den  ausgedehnten  Klosterbesitz,  der  sich  vom  Main  bis 
zur  Jagst  und  zum  Kocher  erstreckte.  Fast  lückenlose  Zehntregister  von 
15 13  an.  Akten  zur  kirchlichen  Reformtätigkeit  im  Erzstifte  Mainz  in  der 
2.  Hälfte  des  XVIII.  Jahrhunderts. 

Rechnungen  —  nicht  sehr  zuverlässig  und  übersichtlich  geführt  —  von 
15 13  an,  nicht  vollständig. 

Die  Mainzischen,  Pfälzischen  und  Würzburgischen  Archi- 
valien  sind  Bruchstücke,  hervorgegangen  aus  einer  Zerteilung  der  Archive 
dieser  drei  Staaten.     Über  die  Art   imd  Weise   dieser  Teüung  vgl.  a.  a.  O. 

S.  38—45- 

Von  Generalakten  befinden  sich  nur  verschwindend  wenige  im  fürstlichen 

Archive,  dieselben  blieben  in  Aschaffenburg,  Würzburg  imd  Mannheim  bzw. 
Karlsnihe.  Sammlungen  der  Verordnungen  der  drei  Staaten  und  Lehenakten, 
die  aber  nur  bei  Mainz  weiter  zurückgehen,  dürften  allein  hierher  zu  zählen 
sein.  Auch  bezüglich  der  Urkunden  ist  Mainz  am  reichsten  vertreten,  am 
dürftigsten  sind  Pfälzer  Urkunden,  die  bis  auf  wenige  Ausnahmen  erst  aus 
dem  XVn.  und  XVIII.  Jahrhundert  stammen.  Ein  großer  Teil  der  Urkunden 
bezieht  sich  auf  ausgestorbene  Adelsgeschlechter  wie  die  Düms,  Hartheims, 
die  Riedem,  Rosenberg,  Tottenheim,  Wichsenstein. 

An  Archivalien,  die  Hoheitsrechte  betreffen,  wären  zu  nennen:  Juris- 
diktionalbücher,  Weistümer,  Dorfordnungen,  Centverhältnisse,  Leibeigenschaft, 
Atz  und  Fron,  Beziehungen  zu  Klöstern  (Altenmünster,  Billigheim)  und  ein- 
gesessenem Adel  (Adelsheim,  Degenfeld,  Gemmingen,  Gudenus,  Rüdt,  Ven- 


—     115     — 

DiDgen,  Wieser,  Herrschaft  ZwiogeDberg) ,  Aufsicht  über  Kirchen,  Schulen, 
Handel  und  Gewerbe,  Zunftordnungen,  Forst-  und  Jagdhoheit,  Fischerei, 
markgenossenschaftliche  Waldungen,  Neckar-  und  Mainhoheit,  Zölle,  Mono- 
pole, rund  300  Bände  Zins-,  Gült-,  Lager-  und  Schatzungsbücher  der  ein- 
zelnen Ämter  imd  Orte. 

Alle  Judicialia  wurden  bei  der  Mediatisierung  bzw.  1848  an  Baden  imd 
Bayern  abgegeben. 

Am  umfangreichsten  und  vollständigsten  sind  die  Akten  über  Domänen- 
sachen: herrschaftliche  Gebäude,  herrschaftliche  Güter,  in  Selbstbewirtschaf- 
tung und  Pacht,  Erbbestände  (Mühlen),  Schäfereien,  Trift-  und  Weiderechte, 
Forste,  Forstberechtigungen. 

Die  Rechnungen  der  oben  aufgezählten  Ämter  sind  von  1700  an  vor- 
handen, nur  beginnen  dieselben  beim  Amte  Boxberg  erst  mit  dem  Jahre  1738. 
Dagegen  haben  sich  Rechnungen  der  Ämter  Amorbach  und  Miltenberg  vom 
XV.  bzw.  XVI.  Jahrhundert  an  erhalten,  die  älteste  Amorbacher  Amtsrech- 
nung ist  von  14 13,  die  älteste  Miltenberger  von  1550.  Außerdem  vereinzelte 
Gemeinde-  imd  Kirchenrechnungen  und  die  Rechnungen  der  Mainzischen 
Domfaktoreien  Bischofsheim,  Königheim  und  Miltenberg  von   1700  an. 

Zahlreiche  imd  wertvolle  Forstkarten,  daneben  landwirtschaftliche  und 
Gemarkungskarten  und  Güterrenovationen. 

Die  Gruppe  b  umfaßt  die  Akten  über  die  Besitzergreifung  der  Ent- 
schädigungsländer und  die  Ausemandersetzung  mit  den  verschiedenen  hierbei 
beteiligten  Reichsständen  wegen  Übernahme  und  Verteilung  der  Schulden, 
der  Beamten,  Diener  und  Pensionisten.  Originalprotokolle  der  Rheinpfälzischen 
Ausgleichungskommission  in  Mannheim  (1803  bis  1807,  7  Bände).  Ab- 
schriften der  Protokolle  des  zur  Staatsschulden  und  Lastenverteilung  des  er- 
loschenen Kurfürstentums  Mainz  versanmielten  Kongresses  (Frankfurt  1804). 
Daneben  direkte  Ausgleichsverhandlungen  mit  dem  Kurerzkanzler.  Mit  Würzburg 
waren  namentlich  die  strittigen  Besitzverhältnisse  im  Schüpfer  Grunde  zu  regeln. 

Gruppe  c,  das  Archiv  des  souveränen  Fürstentums  Leiningen. 

Verordnungen  und  Landesorganisation.  Regierungs-  und  Hofkanomer- 
protokoUe.  Statistische  Umfragen  zur  Kenntnis  (1803)  und  Hebung  (1806) 
des  Landes  (20  Bände).  Polizeisachen  (Gesundheits-,  Baupolizei,  Aufsicht 
über  Handel,  Gewerbe,  Verkehr).  Kirchen-  und  Schulwesen.  Forstverwaltung. 
Domänen.     Militär. 

Auswärtige  Verhältnisse :  Beziehungen  zu  den  Nachbarn  (Baden,  Bayem- 
Würzburg,  Deutschorden,  Erbach,  Hessen,  Löwenstein,  Fürst  Primas,  Salm- 
Krautheim,  Württemberg),  Grenzstreitigkeiten  und  Grenzberichtigungen,  Ge- 
biets- und  GefäUsaustauschverträge,  Freizügigkeit.  Reichsritterschaft  Stellung 
zu  Kaiser  und  Reich,  zur  katholischen  Kirche,  zu  Frankreich.  Die  Union. 
Korrespondenzen  allgemein  politischer  Natur. 

In  folgenden  Büchern  und  größeren  Aufsätzen  ist  Material  des  fürst- 
lichen Archivs  verarbeitet: 

Albert,  Steinbach  bei  Mudau.     Freiburg  i.  Br.   1899. 
Derselbe,   Baden   zwischen   Neckar   und   Main    1803  bis  1806.      Neujahrs- 
blätter der  badischen  historischen  Kommission.     Heidelberg  1901. 
Bohne r,  Geschichtlicher  Überblick  über  die  Entwicklung   der  Lateinschule 
zu  Amorbach  (1807  bis  1907).     Amorbach  1907. 


—     J16     — 

Brefilau,  Die  im  Anfiang  des  XJX.  Jahrhunderts  gefälschte  Dagsburger 
Waldordnimg  vom  2  7 .  Juni  1 6 1 3.  Jahrbuch  der  Gesellschaft  für  lothringisdie 
Geschichte  und  Altertumskunde.  X.   1898. 

Ebhardt,  Deutsche  Burgen.  Berlin  1899  fr.  Lieferung  i  (Wildenburg), 
liefenmg  7  und  8  (Hartenburg). 

Esser,  Die  Waldberechtigungen  in  der  ehemaligen  Grafechaft  Dagsburg. 
2  Bände.     Straßburg  1894. 

Glasschröder,  Urkunden  zur  Pfälzischen  Kirchengeschichte  im  Mittelalter. 
München  und  Freising  1903. 

Gut  mann,  Die  Fayence-Fabrik  Mosbach.  Abschnitt  IV  in  „Die  Kunst- 
töpferei des  XVIII.  Jahrhunderts  im  Grofiherzogtum  Baden**.  Karlsruhe 
1906.  Exkurs  in  „Kimstdenkmäler  des  Grofiherzogtums  Baden**,  Band  IV, 
Abteilung  4,  S.  78  fr. 

Hausrath,  Änderungen  in  der  Bestockung  des  PfiÜzer  Odenwalds.  Forst- 
wissenschaftliches Zentralblatt,  27.  Jahrgang  1905. 

Hofmann,  Karl,  Der  Bauernaufstand  im  badischen  Bauland  und  Tauber- 
grund 1525.    Karlsruhe  1902. 

Derselbe,  Das  Kurpfälzische  Oberamt  Boxberg  im  Dreifiigjährigen  Kriege. 
Pforzheim  1902. 

Derselbe,  Der  Bauernaufstand  des  Jahres  1848  im  badischen  Bauland.  (N. 
A.  für  die  Geschichte  der  Stadt  Heidelberg.) 

Kaiser,  Geschichte  des  Orts  und  der  Pfarrei  Höpfingen.  Tauberbischofe- 
heim  1900. 

Krebs,  Die  Politik  des  Grafen  Emich  VIII.  zu  Leiningen  und  die  Zer- 
störung des  Klosters  Limburg  1504.  Mitteilungen  des  historischen  Vereins 
der  Pfalz,  Heft  23,  1899. 

Derselbe,  Die  Weistümer  des  Gotteshauses  und  der  Gotteshausleute  von  Amor- 
bach.    Alemannia,  NF.  Band  III,  IV  und  VL 

Lehmann,  Urkundliche  Geschichte  des  gräflichen  Hauses  Leiningen-Harten- 
burg  imd  Westerburg.     Kaiserslautem. 

List,  Franz,   regierender  Graf  zu  Erbach.     Straßburg  1903. 

Maurer,  Rühl.    Ein  Elsässer  aus  der  Revolutionszeit.     Straßburg  1905. 

Schreiber,  Der  Zusammenbruch  des  Bahrdtschen  Philanthropinums  zu  Heides- 
heim. Rheinische  Blätter  für  Erziehung  und  Unterricht  Frankfurt  a.  M.  1895. 

Schreibmüller,  Die  Landvogtei  im  Speiergau.     Kaiserslautem  1905. 

Obenheinische  Stadt  rechte.  I.Abteilung.  Fränkische  Rechte.  Heidelberg 
1895  ff.  Namentlich  Hefl  3  mit  den  Rechtsquellen  von  Amorbach,  Wall- 
düm.  Buchen  usw. 

Volksschulwesen.  Geschichte  der  Entwicklung  des  Volksschulwesens  nn 
Großherzogtum  Baden.     Bühl  1900.     Band  I  und  IL 

Weiß,  Geschichte  der  Stadt  Eberbach.     Eberbach  1900. 

Archivar  Krebs  (Amorbach). 

Mnseen.  —  Über   die  in   Anhalt   vorhandenen    städtischen  Museen 
ist  in   aller  Kürze   bereits   früher  ')   berichtet  worden.     Es   bestehen  Sanmi- 


i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  5.  Bd.,  S.  73 f. 


—     117     — 

luDgen  meist  prähistorischer  Gegenstände  in  Bemburg,  Köthen,  Zerbst  und 
Groß-Kühnaciy  daneben  zahlreiche  Privatsammlungen.  Die  Sammlung  in 
Bemburg  gehört  dem  dortigen  Geschichts*  und  Altertumsverein,  die  in  Zerbst 
der  Stadt,  die  in  Köthen  und  Groß-Kühnau  Sr.  Hoheit  dem  Herzoge.  Was 
bisher  noch  gefehlt  hat,  ist  ein  Landesmuseum;  dies  zu  begründen  ist  seit 
langer  Zeit  der  Wunsch  aller  Geschichtsfreunde  in  Anhalt,  —  aber  die  Aus- 
fUhnmg  dieses  Planes  ist  mehrerer  Gründe  wegen  bisher  noch  nicht  in  die 
Wege  geleitet.  Der  wichtigste  ist  wohl  der,  dafi  die  Finanzen  des  Landes 
vorläufig  durch  andere  wirtschaftliche  Aufgaben  gebunden  sind,  daß  auch 
der  Landtag  für  diese  besondere  Aufgabe  der  Fürsorge  fUr  historische  Denk- 
mäler noch  nicht  die  notwendige  Anregung  erhalten  hat.  Es  fehlt  vor  allem 
noch  an  einer  gesetzlichen  Grundlage,  die  historischen  Denkmäler  jeder  Art 
zimächst  für  den  Staat  in  Anspruch  zu  nehmen,  darum  verfaUen  die  Funde 
nach  den  geltenden  privatrechtlichen  Bestimmungen  zur  Hälfte  dem  Finder, 
zur  anderen  Hälfte  dem  Besitzer  vom  Grund  und  Boden,  auf  welchem  der 
Fund  gemacht  ist.  Wenn  nun  auch  in  dieser  Webe  die  Funde,  die  auf 
fiskalischem  und  herzoglichem  Grund  und  Boden  gemacht  werden,  einem 
Landesmuseum  erhalten  werden  könnten  und  durch  die  Bemühungen  der 
Herzoglichen  Regierung  und  ihrer  Organe,  der  Kreisdirektionen,  auch  zum 
Teil  erhalten  werden,  so  geht  doch  ein  Teil  derselben  sowie  fast  alle  auf 
privaten  Grundstücken  der  Allgemeinheit  verloren,  indem  sie  der  Privat- 
sammelwut zum  Opfer  fiadlen  und,  wenn  es  hoch  kommt,  ab  Dekorations- 
stücke in  Privathäusem  verwendet  werden  und  dadurch  der  eigentlichen 
Forschtmg  und  Wissenschaft  entzogen  sind.  Zu  beklagen  ist  femer,  daß 
die  Provinzialsanmilungen  Preußens  und  vor  allem  das  Völkermuseum  den 
prähistorischen  Funden  unseres  Landes  Gefahr  bringen.  Infolge  der  reich- 
licheren Mittel,  über  welche  diese  Institute  verfügen,  werden  die  einheimischen 
Fmder  veranlaßt,  diesen  die  Funde  zu  überlassen,  ein  Schaden,  der  nicht 
nur  uns  trifit,  sondern  auch  jene  Institute  selbst:  uns  raubt  dieses  Verfahren 
die  wissenschaftlichen  Objekte,  die  Möglichkeit  historische  Zusammenhänge 
zu  finden  und  darzulegen,  jene  aber  gewinnen  zum  Teil  fremdartige  Stofife 
und  Zusammenhänge,  die  schließlich  nur  Ballast  werden,  und  außerdem  führt 
diese  Konkurrenz  zu  einer  Steigerung  der  Preise,  die  nur  dem  oft  ganz  un- 
gebildeten Finder  zugute  kommt,  die  Erwerbsfähigkeit  der  heimischen  Samm- 
lungen aber  in  ungerechtfertigter  Weise  mindert  Es  wird,  und  diese  Ansicht 
habe  ich  schon  vor  ein  paar  Jahren  beim  Provinzialmuseum  zu  Halle  geltend 
gemacht,  dahin  kommen  müssen,  daß  sich  die  konkurrierenden  Institute  über 
folgende  Grundsätze  einigen:  i.  Die  prähistorischen  Funde  gehören  dem 
prähistorischen  Museum  des  Landes,  in  dem  sie  gemacht  sind;  ein  anderes 
Institut  ist  nur  dann  zum  Ankauf  berechtigt,  wenn  das  zuständige  Landes- 
museum nachweislich  den  Ankauf  abgelehnt  hat  a.  Die  konkurrierenden 
Institute  setzen  untereinander  eine  gemeinsame,  verbindliche  Taxe  fUr  Ent- 
lohnung der  Finder  fest.  3.  Die  konkurrierenden  Institute  benachrichtigen 
einander  von  vorztmehmenden  wissenschaftlichen  Ausgrabungen  in  dem  ihnen 
zuständigen  Gebiete,  lassen  zu  den  Ausgrabungen  Vertreter  der  anderen  In- 
stitute zu  und  geben  bei  Funden  einander  die  Berechtigung  zur  Erwerbung 
etwaiger  Duplikate,  sowie  zum  Austausch  usw.  Unter  Anerkennung  dieser 
Grundsätze,   die,   wie  ich   höre,  ja  auch  bereits   zur  Diskussion  gestanden 


—     118     — 

haben,  können  die  Sammlungen  der  Kleinstaaten  mit  einigem  Erfolg  sich  der 
Konkurrenz  erwehren  und  eine  erfolgreiche  Tätigkeit  entwickeln.  Von  der 
bisherigen  Praxis  haben  einen  Vorteil  eigentlich  nur  die  Privatsammlungen 
derjenigen  gehabt,  die  auf  eigene  Faust  Ausgrabungen  veranstalteten. 

So  war  auch  eine  der  umfangreichsten  PrivatsammUmgen ,  die  des 
Dr.  med.  H  Seelmann  in  Alten  (jetzt  in  Dessau),  entstanden.  Dieser  Herr, 
der  sich  mit  großer  Liebe  und  energischer  Täti^eit  der  prähistorischen 
ForschuDg  in  Anhalt  gewidmet  und  eine  Reihe  von  Aufsätzen  darüber  ver- 
öffentlicht hat,  hat  nun  seine  Sammlung  der  Stadt  Dessau  zum  Kauf  an- 
geboten, und  die  Stadt,  die  ja  über  reiche  Geldmittel  verfügt,  hat  den  An- 
kauf beschlossen,  so  dafi  sie  also  in  den  Besitz  eines  prähistorischen 
Museums  gelangt.  Es  ist  selbstverständlich,  dafi  Herr  Seelmann  auch  unter 
den  neuen  Verhältnissen  die  wissenschaftliche  Leitung  behalten  und  nach 
Kräften  darin  weiter  zur  Ordnung  und  Vermehrung  beitragen  wird.  Wir 
können  jedoch  nicht  verhehlen,  daß  wir  den  Ankauf  dieser  Sanunlung  durch 
die  Stadt  bedauern;  denn  nach  unserer  Ansicht  wäre  dies  die  Pflicht 
des  Staates  gewesen,  der  damit  einen  wertvollen  Anfang  zur  Gründung 
eines  Landesmuseums  hätte  machen  können;  auch  die  Stadt  würde  ja 
in  diesem  Falle  nicht  zu  kurz  gekommen  sein,  da  sie,  als  Residenz,  so  wie 
so  doch  der  Sitz  des  Landesmuseums  geworden  wäre.  Wir  stehen  also  in 
Anhalt  immer  noch  auf  dem  alten  unrichtigen  Standpunkte:  wir  haben  drei 
große  städtische,  zwei  herzogliche  prähistorische  Museen,  deren  größtes,  das 
in  Groß-Kühnau,  sogar  abseits  von  der  größeren  Verkehrsstraße  liegt,  — 
aber  kein  Landesmuseum,  tmd  doch  gehört  nach  meiner  Ansicht  die  Prä- 
historie nicht  in  das  Gebiet  der  stadtgeschichtlichen,  sondern  in  das  der 
landesgeschichtlichen  Forschung.  Es  wird  auch  wohl  noch  viel  Zeit 
vergehen,  ehe  die  einzelnen  derartigen  Institute  ihren  eigensten  Zweck  be- 
greifen und  nur  diesem  dienen:  lieber  ein  kleines  und  wohlgeordnetes,  in- 
struktives Ganze  aus  ihrem  Kreise  zu  bilden,  als  an  der  bunten  Mannig- 
faltigkeit eines   Basars  Artikel  aus  aller  Welt   zu  sanmieln  und   darauf  die 

Mittel  zu  verwenden.  „,        .  ,       .„    ,    . 

Wäschke  (Zerbst). 

£IngegaiiiE:eiie  Bficher. 

Philippi,  F.:  Westfälische  Landrechte  L:  Landrechte  des  Münsterlandes 
[=  Veröffentlichungen  der  Historischen  Kommission  für  Westfalen. 
RechtsquellenJ.  Münster  i.  W.,  in  Kommission  der  AschendorfTschen 
Buchhandlung  1907.     XUI  und  279  S.  8*^. 

Regensberg,  Friedrich :  1870/71.  Der  Deutsch-Französische  Krieg,  nach 
den  neuesten  Quellen  dargestellt.  Band  I. :  Vorgeschichte  des  Krieges, 
Vorbereitungen  zum  Kriege,  Einmarschkämpfe  (Weißenburg,  Wörth, 
Spichem)  mit  5  Karten  und  3  Beilagen.  Stuttgart,  Frankh'sche  Ver- 
lagsbuchhandlung {W.  Keller  &  Co.).     336  S.  8^.     M.  7,50. 

Forrer,  R.:  Keltische  Numismatik  der  Rhein-  und  Donaulande,  VL  Fort- 
setzung und  Schluß  [=  Jahrbuch  der  Gesellschaft  für  lothringische 
Geschichte  und  Altertumskunde,  18.  Jahrgang.  {Metz  1906),  S.  284 — 316]. 

Hermusgeber  Dr.  Annio  Tille  in  Leipd^. 
VerUg  und  Druck  von  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aknenfesellschaft,  Oodia. 


Deutsche  Geschichtsblätter 


Monatsscbrift 

sar 


Förderung  der  landesgeschichtiichen  Forschung 

IX.  Band  Februar  tgoB  5.  Heft 


Das  Zeitalter  des  Absolutismus 
im  Fürstbistum  Bamberg 

Von 
Fritz  Härtung  (Wien) 

I. 

Es  mag  gewagt  erscheinen,  die  Geschichte  des  Fürstbistums  Bam- 
berg im  XVIII.  Jahrhundert,  wenn  auch  nur  in  großen  Zügen,  darzustellen, 
ohne  zu  versuchen,  die  Lücken  unserer  Kenntnis  durch  eigene  archi- 
valische  Forschung  auszufüllen.  Aber  so  viel  auch  noch  auf  diesem 
Gebiete  zu  tun  bleiben  mag  und  so  tmgleich  auch  der  Stand  der 
Forschung  ')  über  das  Wirken  der  einzelnen  Bischöfe  ist,  der  Versuch 
scheint  mir  gleichwohl  berechtigt,  diese  Epoche  der  Bamberger  Ge- 
schichte einer  zusammenfassenden,  von  Einzelheiten  absehenden  Be- 
trachtung zu  unterziehen  und  das  Moment  zu  betonen,  das  ihr  die 
innere  Einheit  verleiht,  den  fürstlichen  Absolutismus. 

Es  klingt  allerdings  seltsam,  Absolutismus  im  geistlichen  Fürsten- 
tum. Denn  der  Absolutismus  ist,  wenn  man  mehr  den  geistigen  In- 
halt als  die  Form  ins  Auge  faßt,  d.  h.  ihn  als  Epoche  der  Verfassungs- 
geschichte, nicht  als  staatsrechtlichen  Begriff  betrachtet,  nichts  anderes, 
als  der  Kampf  des  Fürstentums  mit  den  geburtsständischen  Korpo- 
rationen um  die  Macht  im  Staate,  ein  Kampf  um  rein  weltliche  Zwecke, 
um  irdische  Herrschaft,  ein  Kampf,  in  dem  Beamtentum  und  Militär 

i)  Ich  nenne  nur  die  neueren  Arbeiten,  in  erster  Linie  die  mosgeteichneten  Ab- 
handlungen von  K.  Wild:  Lothar  Fnnu  van SchÖnbam  (Heidelberg  1904)  nnd  8tuat 
und  Wirtaehmft  in  den  Bititümmn  Würiimrg  mnd  Bamberg  (ebenda  1906),  ferD«r 
Zöpfl:  Fränkieeke  Handelipolitik  im  Zeitalter  der  Aufkiänmg  (Leipug  1894), 
Leitschah:  FranM  Ludwi§  v(m  Erthal,  Füretbiechof  von  Bamberg  und  Wütm- 
hurg,  Herzog  von  Franken  (Bamberg  1894)  ond  den  Vortrag  von  Wolfram  über  den- 
selben im  Korrespondentblatt  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts-  and  Altertums- 
vereine  1906,  Sp.  a25ff.  —  Looshorn:  Geeehichte  des  BistuwM  Bamberg  (Manchen 
1 886  ff.)  eotbekrt  dagegen  des  Verstindmases  für  die  Anfordenmgen  der  Wissenschaft. 

9 


—     120     — 

die  Hauptwaffe  des  Fürstentums  bilden.  Was  diesem  Kampf  seine  Be- 
deutung für  die  Weiterbildung  der  Staatsverfassung  verleiht»  ist  die 
Tatsache,  daß  das  Fürstentum  im  Interesse  seiner  Macht  nicht  bloß 
die  Landstände  in  ihren  Ansprüchen  auf  Mitbesitz  der  Regierungs- 
gewalt bekämpft,  sondern  auch  an  die  Stelle  ihrer  ^[x>i8tischen 
Klassenpolitik  eine  eindringende,  vor  allem  die  bisher  vernachlässigten 
Schichten  der  Bevölkerung  berücksichtigende  Wirtsch  afts-  und  Wohl- 
fahrtspolitik setzt,  und  daß  sick  mit  dieser  Erweiterung  der  Staats- 
tätigkeit eine  Vertiefung  des  Staatsgedankens  verbindet.  Der  Absolu- 
tismus hat  die  Grundlagen  geschaffen,  auf  denen  der  moderne  Staat  ruht. 

Im  geistlichen  Territorium  erleidet  dieser  Typus  naturgemäß  er- 
hebliche Abänderungen.  Der  rein  weltliche  Zug  bleibt  ihm  allerdings 
erhalten.  Mit  der  kirchlichen  Seite  des  Bischo&amts  hat  die  Ent- 
wicklung, die  ich  zu  schildern  unternehme,  nichts  zu  tun.  Wohl  findet 
die  eifrige  Reformtätigkeit,  die  wir  in  vielen  geistlichen  Staaten  des 
XVIII.  Jahrhunderts  beobachten,  häufig  ihre  Ergänzung  in  Reformen 
auf  kirchlichem  Gebiet,  vor  allem  auf  dem  der  Disziplin  und  der  Aus- 
bildung  des  Klerus;  aber  das  Schwergewicht  ruht  doch  überall  auf 
der  staatlichen  Seite.  Die  Steigerung  des  Bewußtseins,  nicht  nur 
Kirchen-,  sondern  auch  Reichsfiirst,  nicht  nur  Seelenhirt,  sondern  auch 
Landesherr  zu  sein,  gibt  sich  auch  äußerlich  kund,  indem  die  Bam- 
berger Bischöfe  seit  Peter  Philipp  von  Dembach  (1672 — 1683)  ihrem 
Titel  die  Worte  sacri  Romani  imperii  princeps  hinzufugen.  Und 
eifersüchtig  wahrte  man  Fürstenwürde  und  Fürstenrang,  vor  allem 
gegenüber  der  Kurie,  die  den  deutschen  Bischöfen  den  Titel  ÄUegza 
beharrlich  versagte. 

Der  entscheidende  Unterschied  zwischen  dem  Absolutismus  des 
weltlichen  und  geistlichen  Staates  liegt  in  den  Machtverhältnissen. 
Es  fehlten  dem  geistlichen  Staate  die  Triebfedern  der  weltlichen  Fürsten, 
sowohl  der  Ehrgeiz,  die  Herrschaft  der  Dynastie  zu  befestigen,  wie  die 
Möglichkeit,  mehrere  Territorien  in  einer  Hand  zu  vereinigen  und  sie 
dauernd  zu  einem  Ganzen  zu  verschmelzen.  Und  noch  weniger  konnte 
das  Moment  wirksam  werden,  das  in  enger  Verbindung  mit  den  beiden 
ersten  den  eigentlichen  Ausgangspunkt  des  Absolutismus  gebUdet  hat, 
das  Machtstreben  nach  außen;  denn  eine  aggressive,  ausgreifende 
Politik  war  völlig  ausgeschlossen  gegenüber  den  immer  wieder  säku- 
larisationslüstemen  weltlichen  Staaten.  So  blieb  nur  noch  das  eine 
übrig,  die  inneren  Kräfte  des  geistlichen  Staates  zu  wecken  und  aus- 
zubilden; und  das  ist  auch  in  Bamberg  der  Ausgangspunkt  für  die 
Wirksamkeit  des  Lothar  Franz  von  Schönbom  (1693 — 1729)  gewesen. 


—     121     — 

Der  fürstbischöfliche  Absolutismus  verfolgt  mithin  eine  durchaus  defen- 
sive, konservative  Politik,  deren  Hauptziel  es  ist,  eine  Verschiebung 
der  Machtverhältnisse  zuungunsten  der  Kleinstaaten  zu  verhindern» 
Das  ist  auch  die  Richtschnur  für  die  Reichspolitik  und  bedingt  die 
Haltung  gegenüber  Österreich  nicht  minder  als  gegen  Frankreich. 
Dieser  Gedanke  bildet  auch  das  ausschlaggebende  Moment  für  die 
Stellung  zu  den  anderen  Reichsständen.  Im  Interesse  der  Erhaltung 
der  bestehenden  Machtverhältnisse  hat  sich  Lothar  Franz  energisch 
dem  Versuch  Preußens,  in  Baireuth  festen  Fuß  zu  fassen,  widersetzt, 
und  ihm  ist  es  gelungen,  Preußen  für  mehrere  Menschenalter  vom 
fränkischen  Kreise  fernzuhalten. 

Wenn  aber  Lothar  Franz  eine  tatkräftige  Politik  zur  inneren 
Stärkung  seines  Staates  durchfuhren  wollte,  so  mußte  er  vor  allem 
freie  Hand  haben,  und  das  führte  zum  Konflikt  mit  dem  Domkapitel. 
Noch  mehr  als  die  „Herren  Stände"  in  weltlichen  Territorien  bean- 
spruchte das  Domkapitel  eine  weitgehende  Mitregierung,  und  es  war 
in  der  angenehmen  Lage,  nicht  nur  bei  jedem  Regierungswechsel 
seine  Ansprüche  in  der  Wahlkapitulation  sichern  zu  können,  sondern 
auch  die  Zeiten  der  Sedisvakanzen  zur  Stärkung  der  eigenen  Position 
auszunutzen.  Zwei  Ziele  verfolgten  die  Kapitel  aller  geistlichen  Staaten 
in  ihrer  Politik  gegenüber  den  Bischöfen :  erstens  suchten  sie  möglichste 
Unabhängigkeit  für  sich  und  ihre  Besitzungen  beim  Bischof  durchzusetzen, 
und  zweitens  waren  sie  bemüht,  einen  möglichst  großen  Einfluß  auf 
die  bischöfliche  Regierung  zu  erlangen,  der  das  Kapitel  fast  zum  Mit- 
regenten machte  und  von  ihm  lediglich  zur  Pflege  eigener,  nicht  der 
Landesinteressen  verwendet  wurde.  Immer  mehr  hatte  man  die 
Bischöfe  einzuengen  versucht;  aber  schließlich  hatte  gerade  die  Über- 
spannung der  Forderungen  zum  Konflikt  geführt.  Überall  setzte  gegen 
Ende  des  XVII.  und  im  Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderts  die  Reaktion 
gegen  die  Ansprüche  der  Kapitel  ein.  In  Speier  wollte  Bischof  Damian 
Hugo  von  Schönbom  (1719 — 1743)  nicht  mehr  der  „stumme  Hund" 
seines  Kapitels  sein '),  auch  in  Eichstätt  kam  es  im  Laufe  des  XVIII.  Jahr- 
hunderts zum  Konflikt  zwischen  Bischof  und  Kapitel ').  In  Bamberg 
und  Würzburg  hatte  schon  Fürstbischof  Peter  Philipp   von  Dembach 


i)  über  Damian  Hugo,  detsen  Tendenzen  sich  vielfach  mit  denen  seines  Bruders 
Friedrich  Karl,  des  Bamberger  Bischofs,  berfihren,  vgl.  Wille,  BrttehSiU  (a.  Auflage, 
Heidelberg  1900). 

2)  Sax,  Die  Bischöfe  ^nd  Beichafürtten  von  Eichstätt  2.  Bd.  (Landshnt 
1885),  S.  661,  leider  ohne  jedes  Verständnis  fUr  die  verfassangsgeschichtliche  Bedeutung 
der  Vorginge. 

9* 


—   in   — 

(1672 — 1683)  versucht,  sich  von  den  Kapiteln  unabhängig  zu  machen; 
aber  er  war  noch  nicht  durchgedrungen,  und  nur  in  Würzburg  gelang 
es  seinem  zweiten  Nachfolger,  Johann  Gottfried  von  Guttenberg  (1684 
bis  1699),  das  Kapitel  endgültig  zu  besiegen,  indem  er  beim  Papst 
die  Kassation  aller  vor  der  Wahl  erfolgenden  Kapitulationen  erwirkte. 

In  Bamberg  dagegen  hatte  nach  Peter  Philipps  Tode  das  Kapttd 
nochmals  die  Macht  in  die  Hand  bekommen.  So  mufite  auch  Lothar 
Franz  von  Schönbom,  als  er  1693  zum  Bischof  von  Bamberg  gewählt 
wurde,  eine  sehr  einengende  Kapitulation  beschwören.  Aber  die 
Erfolge  der  Würzburger  Nachbarn  wirkten  doch  auch  auf  Bamberg 
ein.  Es  glückte  Lothar  Franz,  das  Kapitel  ohne  scharfen  Konflikt 
tatsächlich  beiseite  zu  schieben  und  ungestört  zu  regieren.  Dieses 
Vorgehen  ist  bezeichnend  für  die  Anfänge  des  Absolutismus,  die  wir 
unter  Lothar  Franz  finden:  es  konnte  sieh  für  ihn  noch  nicht  darum 
handeln,  prinzipiell  alle  Sondergewalten  unter  seine  Macht  zu  beugen, 
sondern  er  mufite  damit  zufrieden  sein,  wenn  er  für  die  fürstliche  Ge* 
walt  überhaupt  erst  eine  Basis  schaffen  konnte.  Daher  begnügte  er 
sich  mit  dem  praktischen  Erfolg,  daß  das  Kapitel  seiner  Regierung 
keine  Hindemisse  bereitete,  auch  schon  1708  seinen  Neffen  Friedrich 
Karl  von  Schönbom  zum  Koadjutor  mit  dem  Recht  der  Nachfolge 
wählte. 

Das  gleiche  Verfahren,  Verzicht  auf  prinzipielle  Entscheidung,  aber 
energisches  Zugreifen  im  rechten  Augenblick  und  Festhalten  am  prak- 
tischen Erfolg,  wendete  Lothar  Franz  auch  g^enüber  dem  Beamten- 
tum und  in  der  Behördenorganisation  an.  Diese  blieb  in  den  Grund- 
zügen unverändert;  aber  in  die  Einzelheiten  des  Geschäftsgangs  griff 
der  reformeifrige  Fürst  desto  mehr  ein,  um  die  alteingewurzelten  Miß- 
stände, den  „alten  Kammerschländer'',  wie  es  der  Neffe  in  Speier 
nannte  ^) ,  auszurotten  und  eine  Beschleunigung  des  Verfahrens  durdi- 
zusetzen.  Mehr  war  auch  nicht  zu  erreichen,  ehe  nicht  das  Beamten- 
tum selbst  für  den  landesfürstlichen  Dienst  erzogen  war,  und  des- 
wegen war  nun  das  Hauptstreben  darauf  gerichtet,  das  Beamtentum 
zu  einem  willigen,  pflichtgetreuen,  für  Reformen  empfanglichen  Organ 
des  Fürsten  zu  machen.  Zwar  ließ  Lothar  Franz  das  Vorrecht  des 
Kapitels,  daß  die  Präsidentenstellen  der  wichtigsten  weltlichen  Be- 
hörden aus  seiner  Mitte  besetzt  werden  mußten,  unangetastet;  auch 
blieb  nach  wie  vor  ein  Teil  der  Ratsstellen  dem  Stiflsadel  vor- 
behalten.    Aber  daneben   bildete  Lothar  Franz  doch   einen  ihm   er- 


I)  Wille,  S.  30. 


—     128     — 

gebenen  Beamtenstand  aus  bürgerlichen  Kreisen  und  aus  dem  nicht 
kapitelfahigen  Adel  heran,  der  allein  von  ihm  abhing  und  auf  seine 
Absichten  gern  und  verständnisvoll  einging.  Daß  er  sich  allerdings 
noch  keineswegs  als  sicheren  Herrn  seiner  Beamten  fühlte,  zeigen  das 
Mißtrauen,  das  er  gegen  sie  hegte,  die  scharfe  Kontrolle,  die  er  überall, 
am  eindringendsten  im  Rechnungswesen,  einführte,  und  die  schweren 
Strafen,  mit  denen  er  nachlässige  Beamte  bedrohte. 

Es  war  eine  wichtige  Frage,  ob  es  gelingen  werde,  ein  tüchtiges 
Beamtentum  zu  erziehen.  Wohl  ging  die  Initiative  zu  allen  Reformen 
vom  Fürstbischof  selbst  oder  seinen  nächsten  Vertrauten  aus;  aber 
für  die  Durchführung,  vor  allem  der  wirtschailspolitischen  Absichten, 
brauchte  man  ein  fähiges  Organ  um  so  notwendiger,  als  die  Bevölke- 
rung von  den  neuen  Ideen  *  gar  nichts  wissen  wollte  und  sie  auch 
kaum  verstehen  konnte.  Nur  durch  stete  Einwirkung  der  Beamten, 
durch  unablässige  Bevormundung  waren  die  „schläfrigen  Franken*', 
wie  Friedrich  Karl,  mißmutig  über  den  passiven  Widerstand,  auf  den 
er  bei  ihnen  stieß,  sie  mehrmals  genannt  hat,  dahin  zu  bringen,  daß 
sie  die  wirtschaftlichen  Verbesserimgen  annahmen,  die  ihnen  der  Staat 
darbot. 

Daß  der  Fürst  so  eingehend  für  die  wirtschaftliche  FortbUdung 
seiner  Untertanen  sorgte,  geschah  nicht  der  Glückseligkeit  des  Volkes 
zuliebe.  Vielmehr  verfolgte  Lothar  Franz  dabei  den  konkreten  Zweck, 
die  Mittel  seines  Staates  zu  vermehren.  Die  wirtschaftliche 
Hebung  sollte  die  Untertanen  instand  setzen,  durch  vermehrte  Ab- 
gaben zur  Deckung  der  Kosten  beizutragen,  die  die  Verteidigung  des 
Bistums  nach  außen  erforderte.  Auch  bei  Lothar  Franz  tritt  die  dem 
Merkantilismus  eigentümliche  Überschätzung  der  Bedeutui^  des  baren 
Geldes  deutlich  hervor;  gerade  wegen  des  einseitig  fiskalischen  Zugs 
sind  die  Erfolge  seiner  Wirtschaftspolitik  gering  gewesen.  Auch  die 
Ungeduld  des  Bischofs,  der  rasche  Resultate  sehen  wollte  und  der 
Kleinarbeit  kühnere,  rascheren  Erfolg  versprechende,  aber  nicht  ge- 
währende Pläne  (wie  die  Wiederaufnahme  des  Bergbaues)  vorzog,  mag 
von  Einfluß  gewesen  sein. 

Auf  die  ganze  Regierungstätigkeit  des  Lothar  Franz  hat  der 
Mangel  an  Nachdruck  und  Stetigkeit  seitens  des  Füfsten  nachteilig 
eingewirkt.  Und  dieser  ist  wohl  in  erster  Linie  veranlaßt  durch  den 
Mangel  dnes  lebendigen  Staatsgefühls,  der  Empfindung  der  Zusammen- 
gehörigkeit von  Fürst  und  Volk.  Lothar  Franz  ist  Zeitgenosse 
Ludwigs  XIV.;  in  seiner  Jugend  hat  er  das  Frankreich  des  Sonnen- 
königs mit  eigenen  Augen  gesehen,   dann  hat  er  als  Kurfur^  von 


—     124     — 

Mainz  und  Erzkanzler  des  Reichs  eifrigen  Anteil  genommen  an  der 
großen  Politik  Europas.  Kein  Wunder,  daß  ihm  Zeit  und  Lust  fehlte, 
sich  ganz  den  Interessen  des  Bistums  Bamberg  hinzugeben.  Er  steht 
noch  mitten  in  der  Zeit  des  VEtat  c^est  moi.  Der  Staat  ist  ihm  nicht 
Selbstzweck,  sondern  nur  Mittel,  um  den  Glanz  des  Fürsten  zu  erhöhen 
und  die  Entfaltung  fürstlichen  Prunks  zu  ermöglichen.  Als  ein  Wahr- 
zeichen fürstlicher  Größe  sollte  in  Bamberg  die  neue  Residenz  er- 
stehen, die  noch  heute  erkennen  läßt,  daß  sie  wesentlich  umfiassender 
geplant  war,  als  sie  ausgeführt  worden  ist. 

II. 

Mit  Friedrich  Karl  von  Schönborn,  der  1729,  fast  55Jährig, 
seinem  Oheim  in  Bamberg  —  nicht  aber  in  Mainz  —  folgte  und  noch 
im  gleichen  Jahr  zum  Bischof  von  Würzburg  gewählt  wurde,  beginnt 
eine  prunklosere  Zeit,  aber  dafür  eine  Zeit  unermüdlicher  stiller  Arbeit. 
Friedrich  Karl  war,  nachdem  er  1734  seine  Stelle  als  Reichsvizekanzler 
niedergelegt  hatte,  nur  noch  Territorialfürst  und  besaß  nicht  den  Ehr- 
geiz, in  der  großen  Politik  eine  Rolle  zu  spielen.  Aber  dafür  wollte  er 
unbedingter  Herr  seines  Territoriums  sein.  Weder  kümmerte  er  sich 
um  Rechte,  die  Kaiser  und  Reich  in  Bamberg  zustanden,  wie  Post- 
und  Zollwesen  oder  die  Gerichtsbarkeit  des  Reichskammergerichts, 
noch  ließ  er  sich  durch  Sondergewalten  in  seinem  Fürstentum  beirren. 
Er  beugte  sie  alle  unter  seine  Gewalt.  Lothar  Franz  hatte  sich  damit 
begnügt,  die  Verpflichtungen,  die  er  in  seiner  Kapitulation  hatte  ein- 
gehen müssen,  stUlschweigend  nicht  zu  erfüllen  und  den  Absolutismus 
praktisch  zu  begründen.  Friedrich  Karl  bekannte  sich  zum  grund- 
sätzlichen Absolutismus ;  er  hat  eine  Kapitulation  überhaupt  nicht  unter- 
zeichnet, sondern  prinzipiell  versucht,  das  Kapitel  auf  die  Stufe  be- 
ratender Landstände  herabzudrücken,  hat  den  Kampf  mit  ihm  um  die 
Staatsgewalt  auf  der  ganzen  Linie,  um  Polizei-,  MUitär-  und  Steuer- 
hoheit, aufgenommen  und  unbekümmert  um  die  Einmischung  des 
Kammergerichts  siegreich  durchgeführt.  Was  er  erreicht  hat,  zeigt 
ein  Vergleich  der  Wahlkapitulation  des  Lothar  Franz  mit  der  des 
Nachfolgers  Philipp  Anton  von  Frankenstein  (1746 — 1753).  Dort 
130  Paragraphen,  die  eine  volle  Mitregierung  des  Kapitels  fordern 
und  sogar  Strafen  gegen  den  Bischof  für  den  Fall  der  Verletzung 
festsetzen,  hier  nur  noch  29  Paragraphen,  in  denen  lediglich  das  Recht 
der  Beratung  in  Anspruch  genommen  wird. 

Es  ist  natürlich,  daß  nach  der  Niederlage  des  Kapitels  auch  die 
bisher   privUegierten  Abteilungen  Michelsberg,    Langheim  und  Banz 


—     125     — 

die  Oberhoheit  des  Bischofs  anerkennen  mußten  *).  Auch  die  un- 
mittelbare Reichsritterschaft,  die  zwar  kein  Rival  der  fdrstbischöflichen 
Gewalt  war,  aber  ihrer  umfassenden  Tätigkeit  auf  dem  Gebiet  der 
Verwaltung  viele  Hindernisse  in  den  Weg  legen  konnte,  zu  beugen 
und  zur  Befolgung  wenigstens  der  polizeilichen  Verordnungen  zu 
zwingen,  hat  Friedrich  Karl,  wenn  auch  mit  großer  Rücksicht  gegen 
den  Adel  und  daher  mit  geringem  Erfolg  versucht.  Auch  der  geringe 
Rest  von  Selbstverwaltung,  den  die  Stadt  Bamberg  noch  besaß,  wurde 
beseitigt.  Während  sich  Lothar  Franz  mit  Empfehlungsschreiben  fiir 
die  Persönlichkeiten,  deren  Wahl  in  den  Rat  er  wünschte,  begnügt 
hatte,  nahm  Friedrich  Karl  (ur  sich  das  Recht  der  Bestätigung  der 
Gewählten  in  Anspruch.  Es  kam  aber  auch  vor,  daß  er  Leute  be- 
stätigte, die  gar  nicht  gewählt  worden  waren,  und  schließlich  blieb 
der  Bürgerschaft  nur  ein  Vorschlagsrecht,  während  der  Fürstbischof 
die  Entscheidung  sich  selbst  vorbehielt.  Und  zu  noch  kräftigerer  Wahrung 
der  furstbischöflichen  Interessen  trat  an  die  Spitze  des  Stadtrates  ein 
Vizedom.  Die  „Muntäten",  d.  h.  die  der  fürstlichen  Polizeihoheit 
nicht  unterstehenden  Stadtbezirke,  verloren  ihre  Privilegien  und  wurden 
den  übrigen  Stadtteilen  gleichgestellt.  Über  allen  Sondergewalten 
stand  jetzt  eine  einheitliche  Staatsgewalt. 

Der  Einheitlichkeit  der  Staatsgewalt  entspricht  die  des  Beamten- 
tums. Während  irüher  das  Domkapitel  in  den  Kapitulationen  gefordert 
hatte,  daß  die  Beamten  in  ihrem  Amtseid  auch  ihm  Gehorsam  ge- 
loben sollten,  setzte  Friedrich  Karl  es  durch,  daß  sie  nur  noch  auf  den 
Fürstbischof  vereidigt  wurden  und  dem  Kapitel  nur  (ur  die  Zeit  der 
Sedisvakanz  Gehorsam  schwuren.  Dadurch  bekam  der  Fürst  das 
Beamtentum  ausschließlich  in  seine  Hand,  und  er  verstand  es  auch, 
die  so  gewonnene  Macht  anzuwenden.  Von  einem  Amtsrecht,  von 
Rechten  der  Beamten  gegenüber  dem  Fürsten,  war  keine  Rede.  Wie 
sein  Bruder  Damian  Hugo,  so  wollte  auch  Friedrich  Karl  „der  Herr 
bleiben  oder  ein  kalter  Cadaver  sein,  ehender  er  der  Herr  zu  sein 
aufhöre",  und  war  weit  davon  entfernt,  „mit  seinen  Räten  und  Dienern 
gleichsam  ein  pactum  redprocum  zu  stabilieren" ').  Noch  stand 
er  im  Kampf  um  die  Staatsgewalt,  und  das  Rfißtrauen  gegen  die 
eigenen  Beamten,  das  für  den  fürstlichen  Absolutismus  überhaupt 
charakteristisch  ist,   beseelte  auch  ihn  so  sehr,  daft  er  die  wichtigen 

i)  Bedeatender,  aber  weniger  erfolgreich  war  der  Kampf,  den  Friedrich  Karl  alt 
Bischof  von  Wttrzborg  mit  dem  ReichtanmiUelbarkeit  beanspruchenden  Kloster  Ebrach 
ausfocht.     Vgl.  Wild,  S.  36  f. 

2)  Wille,  S.  30;  Wild,  SUMot  und  WwUekafi,  S.  77,  Anm.  130. 


—     1S6     — 

Behörden  mit  zwei  Präsidenten  besetzte,  die  sich  gegenseitig  zu  kon« 
troUieren  hatten.  Die  Vorbildung  der  Beamten  wurde  neu  geregelt 
und  allen,  auch  den  Adligen,  die  bisher  von  der  Abfassung  schrift- 
licher Relationen  befreit  gewesen  waren,  ein  akademisches  Studium 
vorgeschrieben.  Um  den  Landeskindem  —  diese  bevorzugte  der 
Fürstbischof  —  die  Erfüllung  dieser  Vorschrift  im  Inlande  zu  ermög- 
lichen, wurden  an  der  bisher  rein  theologischen  Akademie  in  Bamberg 
drei  Professuren  für  Rechtswissenschaft  errichtet. 

Die  Erfolge  dieser  Reformen  sind  unverkennbar.  Wohl  gab  es 
auch  unter  Friedrich  Karl  noch  manche  imtauglichen  Elemente  unter 
den  Beamten ;  auch  wirkte  ungünstig  ein,  daß  der  geistliche  Stand  der 
rein  irdischen  Tätigkeit  eines  weltlichen  Beamten  immer  vorgezogen 
wurde,  was  manchen  fähigen  Kopf  vom  Eintritt  in  die  weltliche  Beamten- 
laufbahn abhielt.  Auch  hing  es  mit  dem  inneren  Wesen  des  geist- 
lichen Kleinstaats  und  den  geringeren  Ansprüchen,  die  man  an  seine 
Kräfte  stellte,  zusammen,  daß  eine  so  unbedingte  Hingabe  des  Beamten- 
tums an  den  Staat,  wie  sie  Friedrich  Wilhelm  I.  von  Preußen  erzielt 
hatte,  nicht  erreicht  wurde.  Aber  in  seiner  Gesamtheit  war  auch  das 
bambergische  Beamtentum  seinem  Fürsten  ergeben,  eifrig  und  zeigte 
sich  den  ihm  gestellten  Aufgaben  gewachsen. 

Eine  besondere  Aufmerksamkeit  wandte  Friedrich  Karl  der  Rechts- 
pflege zu.  Gerade  auf  diesem  Gebiet  zeigten  sich  die  segensreichen 
Wirkungen  der  Erziehung  des  Beamtentums  zu  Arbeitsamkeit,  Pflicht- 
treue und  Unbestechlichkeit.  Dazu  kam  noch,  daß  das  materielle 
Recht  im  Allgemeinen  Fränkischen  Landrecht  einheitlich  fiir  das  ganze 
Fürstentum  zusammengefaßt  und  das  Gerichtsverfahren  reformiert  wurde. 
Wohl  mochte  dabei  die  Absicht  Friedrich  Karls,  Appellationen  an  die 
Reichsgerichte  zu  verhindern,  stark  mitwirken;  aber  der  eigentliche 
Grund  liegt  doch  tiefer.  Er  hängt  mit  der  Staatsauffassung  Friedrich 
Karls  überhaupt  zusammen.  So  nahe  verwandt  sie  der  des  Oheims 
erscheint  tmd  so  sehr  sie  sich  in  der  starken  Betonung  der  Fürsten- 
macht mit  ihr  berührt,  so  besteht  doch  ein  grundlegender  Unterschied, 
oder  vielmehr :  es  läßt  sich  eine  fortschreitende  Entwicklung  von  Lothar 
Franz  zu  Friedrich  Karl  beobachten. 

In  dem  harten  Kampf  um  die  Macht  im  Staate,  den  Friedridi 
Karl  ausfechten  mußte,  hatte  sich  seine  Anschauung  vom  Staate  ver- 
tieft. Anfangs  erschien  der  Staat  dem  Fürsten  wohl  als  ein  Privat- 
gut; aber  je  länger  und  je  schärfer  der  Kampf  wurde,  desto  mehr 
ordnete  der  Fürst  seine  eigenen  Interessen  und  seine  Persönlichkeit  dem 
Staate  unter.     So  erst  bildete  sich  eine  lebendige  Staatsidee  heraus, 


—     127     — 

und  der  Fürst  fühlte  sich  nicht  mehr  als  Eigentümer,  sondern  als 
Organ  der  Gesamtheit,  als  Verkörperung  des  Staats.  Für  die  Fürsten- 
gewalt bedeutete  dies  keine  Minderung;  sie  blieb  den  Untertanen  gegen- 
über gleich  unbedingt  und  unumschränkt.  Darin  unterschied  sich  der 
geistliche  Fürst  keineswegs  vom  weltlichen.  Aber  diese  Machtfiille 
fand  ihre  Ergänzung  in  dem  Pflichtgefühl  des  absoluten  Herrschers. 
Der  Staat  ist  ihm  kein  Besitz,  sondern  ein  von  Gott  anvertrautes  Amt, 
das  Pflichten  auferlegt  und  unermüdliche  Arbeit  fordert.  So  hat  es 
Friedrich  Karl  aufgefaßt;  er  hat  manchmal  geseufzt  über  den  „Fürsten- 
käfig*', in  dem  er  gefangen  saß,  und  sich  gesehnt  nach  dem  sorg- 
loseren Leben  Wiens,  wo  ihm  sein  Amt  als  Reichs  Vizekanzler  reichlich 
Muße  ließ  zur  Veranstaltung  von  Festen  und  zu  Liebhabereien,  wie 
der  Züchtung  von  Tulpen.  Aber  er  hat  nicht  nachgelassen,  seine 
Kraft  dem  Staate  zu  widmen  und  die  gesamte  Verwaltungstätigkeit  zu 
überwachen  und  zu  leiten. 

Eine  neue  Fürstengeneration  war  auch  in  den  Kleinstaaten  er- 
wachsen. Wie  Friedrich  Karl,  so  dachte  und  handelte  sein  Bruder 
Damian  Hugo,  der  Speierer  Bischof;  auch  er  hat  seine  ganze  Arbeits- 
kraft in  den  Dienst  seines  Ländchens  gestellt  und  mit  eindringender 
Sachkenntnis  alle  Zweige  der  Verwaltung  und  des  Hofhalts  geleitet. 
Darin  besteht  der  Fortschritt  gegenüber  Lothar  Franz.  Erst  jetzt  fand 
der  Absolutismus,  das  rücksichtslose  Vorgehen  gegen  althergebrachte 
und  wohlerworbene  Rechte,  seine  historische  Rechtfertigung,  indem 
der  Fürstbischof  von  den  Rechten,  die  er  in  erbittertem  Ringen  ge- 
wonnen hatte,  in  einer  umfassenden,  planvollen,  bis  ins  kleinste  und 
daher  oft  ins  kleinliche  gehenden  Arbeit  für  die  Gesamtheit  Gebrauch 
machte. 

So  bildete  das  ausschlaggebende  Motiv  für  die  Justizreform  der 
Gedanke  einer  Sicherung  des  Untertanen  in  seinen  Privatrechten  durch 
einheitliches  Recht,  geordnetes  Verfahren,  tüchtige  Richter.  Von  einem 
Schutz  des  einzelnen  gegen  die  Staatsgewalt  war  dabei  natürlich  keine 
Rede,  obwohl  auch  der  absolute  Staat  grundsätzlich  Privatrechte  nicht 
antastete. 

In  der  Finanzverwaltung  gab  sich  der  neue  Staat^edanke  darin 
kund,  daß  sie  als  eine  einheitliche  Angelegenheit  des  Staates  be- 
trachtet, der  Dualismus  von  fürstlichen  imd  Landeskassen  beseitigt 
und  auch  die  landständische  Steuerbehörde,  die  Obereinnehmerei ,  in 
eine  fürstliche  Behörde  umgewandelt  wurde.  Gegen  die  volle  Ver- 
schmelzung von  Kammer  und  Obereinnehmerei,  wie  sie  Friedrich 
Wilhelm  I.  in  Preußen  in  Zentrale  und  Provinzen  durchführte,   erhob 


—     128     — 

jedoch  das  Domkapitel  erfolgreich  Widerspruch.  Eine  geordnete  Ver- 
waltung mit  strenger  Kontrolle  trug  zur  Vermehrung  der  Staatseinnahmen 
viel  bei.  Grundsätzliche  Änderungen  an  der  Steuerverfassung  wurden 
nicht  vorgenommen;  nur  die  unter  Lothar  Franz  begonnene  Regu- 
lierung der  Grundsteuer  wurde  zu  Ende  gefiihrt.  Nach  neuen  Ein- 
nahmequellen brauchte  der  Kleinstaat  nicht  zu  suchen,  denn  die 
unbedeutende  Armee  verursachte  keine  allzu  großen  Kosten.  In  den 
Ausgaben  herrschte  peinliche  Sorgfalt  und  Sparsamkeit,  so  daß  man 
sogar  mit  der  Tilgung  der  Schulden  beginnen  konnte.  Die  Kosten 
des  Hof  halts  wurden  von  denen  des  Staats  getrennt  und  stark  ver- 
mindert. 

Auch  die  Wirtschaftspolitik ,  die  bei  Lothar  Franz  vor  allem  den 
Zweck  gehabt  hatte,  Geld  zu  verschaffen,  wurde  jetzt  von  neuen, 
höheren  Gesichtspunkten  aus  betrachtet  ^).  Das  zeigte  sich  äußerUch 
daran,  daß  das  Kommerzienwesen  nicht  mehr  zur  Kameralwissenschaft, 
d.  h.  zur  Lehre  vom  Staatshaushalt,  sondern  zur  Polizei,  d.  h.  zur 
Wohlfahrtspflege  im  weitesten  Sinn,  gerechnet  wurde.  Ganz  merkan- 
tilistisch  klingen  die  Äußerungen  Friedrichs  Karls*):  „Die  Haupt- 
beförderung des  Handels  und  Wandels  für  ein  Land  hat  darin  zu  be- 
stehen, daß  dessen  Notdurft  in  dem  Lande  erzielet,  folgsam  das  Geld 
zu  Hause  gehalten  und  circulieret  werde,  von  den  Handwerkern  aber 
die  Waren  hinausgeschickt,  also  Geld  in  das  Land  gebracht  werde  .  .  . 
Man  muß  femer  mittelst  des  Zucht-  und  Arbeitshauses  vorgehen  und 
an  Tuch,  Zeug,  Strümpfen,  Decken  usw.  das  Land  versehen,  ebenso 
das  Leinenhandwerk  fördern  .  .  .  durch  Salz,  Glas,  Papier,  Schleif-, 
Walk-  und  Stampfmühlen  .  .  .  das  Geld  zirkulieren  machen.*'  In 
der  Praxis  aber  war  es  schwer,  diese  Grundsätze  zu  betätigen. 
Wohl  begann  Friedrich  Karl  mit  dem  Ausbau  von  Straßen,  reformierte 
das  Zollwesen  und  belebte  die  Märkte  von  neuem;  auch  auf  dem 
Gebiete  des  Manufakturwesens  suchte  er,  es  den  „ohnkatholischen'* 
Staaten  gleichzutun  und  fremde  Handwerker  zu  gewinnen;  um  dem 
Mangel  an  Arbeitskräften  abzuhelfen,  wurden  die  Zuchthausinsassen,  so- 
wohl Sträflinge  wie  Bettler,  zwangsweise  mit  Tuchmacherei  beschäftigt 

Aber  mit  all  seinen  Bemühungen  stieß  Friedrich  Karl  auf  un- 
übersteigbare  Schranken.     Die  Geringfügigkeit  des  Aufischwungs   der 


i)  Zöpfl  (m.  A.  O.  S.  36)  betrachtet  die  „ Experimentalpolitik  auf  dem  Gebiet  der 
Volkswirtschaft  und  VoUcswohlfahrt''  zu  wenig  in  ihrem  Zusammenhang  mit  dem  ganzen 
System  der  Regierung.  Seine  Worte  erwecken  beinahe  den  Anschein,  als  ob  es  sich 
um  eine  Spielerei  handle. 

3)  Zöpfl,  S.  116. 


—     129     — 

Manufakturen  lag  zum  Teil  wohl  an  der  Bevölkerung  und  an  den 
Beamten;  auch  hing  es  mit  der  Natur  des  Landes  zusammen,  daß  die 
Landwirtschaft  Haupterwerbszweig  blieb.  Wichtiger  aber  ist  doch  die 
Kleinheit  des  Territoriums.  Nicht  nur  mit  dem  mangelnden  Erwerbs- 
trieb stehen  die  geringen  Fortschritte  des  Manufakturwesens  in  Ver- 
bindung, sondern  zweifellos  ebensosehr  mit  dem  geringen  Bedürfnis 
nach  Vermehrung  der  Einnahmen,  das  wieder  eine  Folge  der  geringen 
militärischen  Machtentfaltung  ist.  Der  fiskalische  Geist,  der  mit  Nach- 
druck an  der  Entwicklung  aller  Geldquellen  arbeitete,  hatte  eben  doch 
auch  seine  guten  Seiten  gehabt,  und  seine  Verdrängung  zeitigte  nicht 
nur  gute  Früchte.  Eine  wirksame  Handelspolitik  aber  wurde  in  erster 
Linie  durch  den  geringen  Umfang  des  Fürstbistums  vereitelt.  Die 
eigenen  Bemühungen  zur  Hebung  des  Handels  wurden  nur  zu  ofl 
durchkreuzt  und  um  den  Erfolg  gebracht  durch  die  Gegenmaßregeln 
des  Nachbarn.  Und  dann  hängt  mit  der  Kleinheit  des  Territoriums 
auch  eine  gewisse  Enge  des  Gesichtskreises  zusammen.  Die  dem 
Merkantilismus  eigentümliche  Anschauung,  daß  eine  Förderung  des 
eigenen  Handels  nur  auf  Kosten  der  andern  Staaten  möglich  sei,  führte 
hier  in  kleinlichen  Verhältnissen  zu  einer  Handelspolitik,  deren  Haupt- 
ziel die  Schikanierung  des  Nachbarn  war.  Wohl  hat  man  Straßen 
gebaut;  aber  um  den  Nachbarn  zu  schädigen,  hat  man  auch  Straßen 
durch  Einrammen  von  Pflöcken  ungangbar  gemacht.  Und  noch  zwei 
Jahrzehnte  später  hätten  die  Würzburger  lieber  das  ganze  Mainkom- 
merzium  vernichtet,  als  einem  dritten  Stande  überlassen.  Auch  in 
der  volkswirtschaftlichen  Theorie  Friedrich  Karls  finden  sich  Reste 
älterer,  kleinstaatlicher  Anschauungen.  Den  neu  aufkommenden  Groß- 
betrieben „mit  Verlag  und  selbständiger  Handelschaft**  stand  er  miß- 
trauisch gegenüber;  auch  der  Pächter  des  Zuchthausbetriebes  sollte 
sich  in  den  Grenzen  handwerksmäßiger  Produktion  halten.  Wohl  be- 
tonte auch  Friedrich  Karl  wie  seine  merkantUistischen  Zeitgenossen 
die  Notwendigkeit,  bares  Geld  ins  Land  zu  bringen;  aber  diesem 
Gedanken  hielt  der  Wunsch  nach  einem  „gerechten**,  d.  h.  billigen 
Preis,  bei  dem  Produzent  und  Konsument  ihr  Auskommen  finden 
sollten,  das  Gleichgewicht.  Diese  wohlwollende  Politik  entspUcht  der 
Natur  des  Kleinstaats  wie  die  rücksichtslose  Anspannung  der  wirtschaft- 
lichen Kräfle  der  Untertanen  der  Natur  und  den  Bedürfnissen  einer 
werdenden  Großmacht.  Eine  solche  mußte  im  Interesse  ihrer  Macht 
Wirtschaftspolitik  im  großen  Stile  treiben;  im  Kleinstaat  überwog  der 
Wohlfahrtsgedanke  frühzeitig  das  Machtinteresse. 

Ein  Aufschwung  des  wirtschaftlichen  Lebens    dank  der  auf  alle 


—     130     - 

Zweige  ausgedehnten  regulierenden  Tätigkeit  der  Regierung  ist  un- 
verkennbar. Aber  er  berechtig^  doch  kaum,  von  „Volkswirtschaft" 
zu  sprechen ;  denn  das  wirtschaftliche  Leben  hielt  sich  doch  fast  ganz 
in  den  Bahnen  des  Hergebrachten,  und  auch  beim  Tode  Friedrich 
Karls  (25.  Juli  1746)  war  Bamberg  noch  fast  ganz  Agrarstaat. 

.III. 

Friedrich  Karl  hat  den  Kampf  um  die  Macht  im  Staate  endgültig^ 
ausgefochten.  Unter  den  Nachfolgern  hören  wir  nichts  mehr  von  An- 
sprüchen des  Domkapitels  auf  Mitregierung.  Man  stellte  zwar  noch 
Wahlkapitulationen  auf^  aber  die  Bischöfe  brauchten  sie  nicht  mehr 
zu  beschwören  *).  Ungestört  —  auch  von  kriegerischen  Verwicklungen 
blieb  Bamberg,  von  den  Zeiten  des  Siebenjährigen  Krieges  abgesehen^ 
nach  dem  Tode  Friedrich  Karls  ein  halbes  Jahrhundert  hindurch  ver- 
schont —  konnten  die  Nachfolger  der  Schönboms  sich  der  Pflege 
und  Weiterbildung  der  von  diesen  begonnenen  Wohlfahrtspolitik  widmen. 
Die  Grundrichtung  blieb  unverändert,  aber  das  Nachlassen  der  Spannung^ 
die  mit  Friedrich  Karls  Ringen  um  die  Macht  verbunden  gewesen 
war,  und  das  gleichzeitige  Eindringen  des  humanen  Geistes  der  Auf- 
klärungsepoche übten  doch  unverkennbaren  Einfluß  auf  das  Regierungs- 
system aus.  Mit  Adam  Friedrich  von  Seinsheim,  der,  seit 
1755  Bischof  von  Würzburg,  1757  auch  Bischof  von  Bamberg  wurde,, 
setzte  nach  den  Worten  eines  Zeitgenossen  „die  Periode  der  Land- 
und  Menschenverbesserung**  ein.  Unter  den  Schönboms  war  allein 
das  materielle  Leben  der  Untertanen  Gegenstand  der  staatlichen  Für- 
sorge gewesen;  Adam  Friedrich  wandte  sich  auch  der  Reform  des> 
Schulwesens  zu.  In  der  Wirtschaftspolitik  wurden  die  alten  Bahnen 
weiter  verfolgt'.  Zur  Hebung  der  Arbeitsamkeit  wurde  die  Zahl  der 
Feiertage  vermindert;  auch  die  Bemühungen,  eine  Industrie  zu  schaffen» 
dauerten  fort.  Angeregt  durch  das  Beispiel  seiner  Nachbarn  in  Mainz 
widmete  Adam  Friedrich  seine  Fürsorge  vor  allem  dem  Handel.  Der 
Straßenbau  wurde  in  großem  Maßstab  aufgenommen ;  die  Vollendung 
fallt  allerdings  erst  in  die  Zeit  des  Nachfolgers.  Im  Interesse  der 
Belebuilg'  der  Mainschiffahrt  war  man  sogar  bereit,  sich  eine  „merk- 
liche Verminderung  des  eigenen  Cameralnutzens**  gefallen  zu  lassen» 
und  verhandelte  mit  Mainz  darüber.  Es  kam  auch  im  Jahre  1 766  zum 
Abschluß  eines  Vertrags,  der  die  Rangfahrt  der  Schiffer  —  denn  von 
freier  Konkurrenz  konnte  noch    keine   Rede  sein    —    ordnete,    eine 


i)  Leitschab,  m.  a.  O.,  S.  4. 


—     131     — 

Herabsetzung  der  Zölle  um  ein  Drittel  und  den  Ausbau  der  Zufahrts- 
straßen bestimmte.  Aber  ein  dauernder  Erfolg  war  auch  diesem  Ver- 
trage nicht  beschieden;  denn  der  eine  Kontrahent,  Mainz,  fand  es 
vorteilhafter,  den  Vertrag  in  seinem  Gebiet  nicht  auszuführen ,  und  zu 
einer  selbständigen  Regelung  des  Mainhandels  war  Bamberg,  auch  in 
Verbindung  mit  Würzburg,  nicht  imstande.  So  stieß  Adam  Friedrich 
auf  die  gleiche  Schranke  wie  Friedrich  Karl:  die  Kleinheit  des  Ter- 
ritoriums. 

Es  ist  daher  verständlich,  daß  Franz  Ludwig  von  Erthal, 
der  1779  zum  Nachfolger  Adam  Friedrichs  in  Bamberg  und  Würzburg 
gewählt  wurde,  den  Schwerpunkt  seiner  Regierungstätigkeit  nicht  in 
der  Wirtschafts-,  sondern  in  der  Wohlfahrtspfl^e  im  engeren  Sinne 
uchte.  N/cht  als  ob  er  ganz  darauf  verzichtet  hätte,  die  wirtschaftliche 
Betätigung  seiner  Untertanen  in  bestimmte  Bahnen  zu  lenken;  er 
wirkte  vielmehr  namentlich  auf  Verbesserungen  in  der  Landwirtschaft 
hin  und  errichtete  zu  diesem  «Zweck,  vielleicht  nach  dem  Vorbild  des 
Bistums  Speier,  eine  Musterwirtschaft,  versuchte  durch  Ausfuhrverbote 
für  rohe  Häute,  Wolle  u.  dgl.  der  Industrie  bUlige  Rohstoffe  zu  ver- 
schaffen und  vollendete  den  Straßenbau;  aber  seine  Haupterfolge,  denen 
er  seinen  Ruhm  verdankt,  liegen  auf  dem  Gebiet  der  Wohlfahrtspflege. 
Das  Armenwesen  wurde  neu  geregelt,  ein  großes  Krankenhaus  gebaut, 
eine  Krankenversicherung  für  Handwerksgesellen  und  Dienstboten  ein- 
gerichtet. Das  staatliche  Interesse,  insbesondere  die  Rücksicht  auf 
die  Finanzen,  trat  hinter  der  Fürsorge  für  das  Individuum  zurück. 

Das  lag  zum  Teil  im  Geist  der  Zeit  und  trug  auch  seine  Früchte ; 
aber  das  Nachlassen  der  staatlichen  Energie  hatte  doch  auch  seine 
Nachteile.  Gerade  in  den  Tagen  Franz  Ludwigs  empfand  man  immer 
mehr,  daß  die  geistlichen  Staaten  trotz  alles  Eifers  ihrer  Regenten 
mit  den  weltlichen  nicht  mehr  gleichen  Schritt  halten  konnten.  Man 
hatte  vieles  von  den  großen  Staaten  gelernt ;  so  gut  wie  die  preußischen 
Könige  waren  die  Bamberger  Bischöfe  die  ersten  Diener  ihres  Staates 
und  Selbstherrscher  im  wahren  Sinne  des  Wortes,  die  bis  ins  einzelne 
selbst  anordneten  und  verfugten  ^).  Auch  in  wirtschaftspolitischer  Hin- 
sicht hatte  man  vieles  nach  dem  Muster  der  Großstaaten  eingerichtet 
oder  wenigstens  einzurichten  versucht.  Aber  eines  hatte  man  nicht 
nadizuahmen  vermocht:    den  Geist   des    Regierungssystems. 


i)  Daran  ändert  die  Tattache  nichts,  dafl  das  (toUicbe  Kabinett  nicht,  wie  in 
Preoflen,  ans  Subalternen  bestand,  sondern  nach  österreichischem  Muster  dem  höchsten 
weltlichen  Beamten,  dem  Kinder,  mtenteUt  ww. 


—     132     — 

Was  Friedrich  Karl  von  Moser  *)  über  den  esprit  de  corps  der 
weltlichen  Behörden  der  geistlichen  Staaten  im  Vergleich  zu  denen 
in  weltlichen  gesagt  hat,  es  sei  „ungefähr  so,  als  wenn  man  die 
Garnison  einer  Reichsstadt  neben  einem  preußischen  Feld-Regiment 
aufmarschiren  und  abfeuern  sähe",  das  gilt  auch  vom  ganzen  Regierungs- 
system. Es  hing  eben  zu  eng  mit  den  Machtverhältnissen  zusammen. 
Wenn  die  preußischen  Könige  mit  unermüdlicher  Zähigkeit  an  der 
Schaffung  einer  Industrie  und  an  der  Entfaltung  aller  wirtschaftlichen 
Kräfte  ihres  Landes  arbeiteten,  so  taten  sie  das  nicht  aus  theoretischen 
Erwägungen,  sondern  aus  dem  rein  praktischen  Bedürfnis,  fiir  die  Be- 
zahlung der  Armee  das  nötige  Geld  aufzubringen.  Für  sie  blieb  keine 
andere  Wahl  als  unerbittliches  Beharren  in  dieser  Arbeit  oder  Verzicht 
auf  ihre  europäische  Machtstellung.  In  Bamberg  war  es  anders.  Von 
Machtpolitik  war  hier  nicht  die  Rede  und  daher  auch  nicht  von  der 
kostspieligen  Beschaffung  der  Machtmittel.  So  brauchte  der  Absolutis- 
mus nicht  so  schroff  und  hart  zu  werden  wie  in  Preußen,  und  vor 
allen  Dingen  herrschte  nicht  die  herbe  Einseitigkeit,  die  rücksichtslose 
Anspannung  auf  ein  einziges  großes  Ziel,  das  doch  vieler  Herzen 
Sehnen  nicht  zu  befriedigen  vermochte.  Eine  schönheitsdurstige  Seele 
wie  Winkelmann  hat  dem  Preußen  Friedrich  WUhelms  I.  den  Rücken 
gekehrt;  J.  B.  Neumann  hat  in  Friedrich  Karl  von  Schönbom  seinen 
Mäcen  gefunden.  Gerade  die  Begründer  des  Absolutismus  in  Bamberg, 
Lothar  Franz  und  Friedrich  Karl,  sind  die  g^flen  Förderer  der  Bau- 
kunst gewesen ;  auch  am  Hofe  Adam  Friedrichs  haben  die  Musen  eine 
Stätte  gefunden. 

So  war  das  Leben  in  Bamberg  zur  2^it  des  Absolutismus  gewiß 
angenehmer  und  behaglicher  als  travaiUer  pour  le  rai  de  Pntsse, 
aber  eben  darum  ist  der  Absolutismus  auch  nicht  so  weit  durch- 
gedrungen. Der  Geist'  des  Kleinstaats  wurde  nicht  ganz  verdrängt; 
gerade  die  Tendenzen  Franz  Ludwigs  erinnern  mit  ihrer  starken  Be- 
tonung des  Wohlfahrtsgedankens  an  das  patriarchalische  Stilleben  eines 
Kleinstaats  des]  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts.  Trotz  aller  Fortschritte 
im  einzelnen  war  man  in  der  Gesamtentwicklung  stehen  geblieben. 
Am  deutlichsten  zeigt  sich  dies  auf  dem  Gebiet  der  auswärtigen  Politik. 
Lothar  Franz  hatte  noch  im  Bunde  mit  den  Kreisständen  eine  wenn 
auch  bescheidene  Rolle  im  europäischen  Konzert  spielen  können. 
Friedrich  Karl  war  es  in  den  Wirren  des  österreichischen  Erbfolge- 
krieges noch  möglich  gewesen,   sich  neutral  zu  halten  und  finanzielle 


I)  Über  die  Regierung  der  geisüichen  Staaten  in  DeuteMand  (1787). 


—     133     — 

Vorteile  aus  seiner  Neutralität  zu  ziehen.  Durch  engen  Anschluß  an 
Österreich  hatte  Adam  Friedrich  im  Siebenjährigen  Kriege  wenigstens 
die  Existenz  seines  Stifts  gerettet,  so  groß  auch  die  Leiden  waren, 
die  der  Krieg  über  Bamberg  brachte.  Franz  Ludwig  mußte  wehrlos 
zusehen,  als  Preußen  im  fränkischen  Kreise  Fuß  faßte  und  um  sich 
griff,  und  nur  der  Tod  (14.  Februar  1795)  hat  ihn  vor  dem  Schicksal 
bewahrt,  vor  den  Franzosen  fliehen  und  den  Zusammenbruch  seines 
Fürstbistums  mitansehen  zu  müssen. 


Der  Stadtplan  als  Gesehiehtsquelle 

Von 
Johannes  Kretzschmar  (Leipzig) 

Der  Straßburger  Historiker  J.  Fritz  ist  der  erste  gewesen,  der 
auf  den  Stadtplan  als  wertvolles  Hilfsmittel  für  die  geschichtliche 
Forschung  hingewiesen  hat.  In  der  1894  erschienenen  Programmarbeit, 
Deutsche  Stadtanlagen,  erbrachte  er  den  Nachweis,  daß  wir  in  dem 
Grundriß,  dem  Bebauungsplan  unserer  Städte  ein  hervorragend  gutes 
und  zuverlässiges  Quellenmaterial  besitzen.  Dieser  ist  nach  seiner  Auf- 
fassung gleichsam  „festgewordene  Geschichte",  eine  geschichtliche  Ur- 
kunde, welche  die  geschriebene  Urkunde  in  vorzüglicher  Weise  ergänzt 
und  unterstützt.  Die  Arbeit  von  Fritz  hat  viel  Anklang  gefunden ;  es  sind 
seitdem  eine  größere  Anzahl  von  Untersuchungen  veröffentlicht  worden, 
die  sich  —  teils  bewußt  teils  unbewußt  an  ihn  anlehnend  —  der 
topographischen  Methode  bedienen  und  insbesondere  den  Stadtplan 
als  historische  Quelle  benutzen  1). 

Man  muß  zugestehen,  daß  unter  der  Voraussetzung,  die  auch 
Fritz  macht,  daß  die  „Kontrolle  und  Ergänzung  durch  die  geschicht- 


i)  Es  seien  hier  die  folgenden  namhmft  gemacht:  S.  Rietschel,  Mturkt  und  Stadt 
in  ihrem  redUliehen  Verhälinia  (Leipzig  1897).  —  A.  Hand,  CMmar  vor  und  während 
seiner  Entwiekltmg  zur  Beidustadt  (Strafibarger  Diss.  1899).  —  Job.  R.  Kretssch- 
m  ftr ,  Die  Ent$teh%tng  von  Stadt  und  Stadtredkt  in  den  Otbieien  stoischen  der  mitt» 
leren  Saale  und  der  LausitMer  Nef/ie  (BresUo  1905).  —  W.  Deecke,  Die  Besiehungen 
der  vorpommersdien  Städte  sur  Topographie  und  Geologie  ihre  Umgebung  (Pommersche 
Jahrbücher  6.  Bd.  1905).  —  S.  Rietschel,  Das  Burggrafenamt  und  die  hohe  Ge- 
richtsbarkeit in  den  deutechen  Bisehofsstädten  während  des  früheren  Mittelalters 
(Leipzig  1905).  —  E.  Riehme,  Markgraf,  Burggraf  und  Ho^stift  Me^/ien  (Lti^gtr 
Diss.  1906).  —  p.  Meinardns,  Das  Neumarkter  BeMsbu^  und  andere  Neumarkter 
BechtsqueHen  (Darstellungen  und  Qaelleo  zur  schles.  Gesch.,  Bd.  II,  Breslau  1906). 


—     134     — 

liehe  und  topographische  Literatur  älterer  und  neuerer  Zeit'*  nicht 
außer  acht  gelassen  werden  darf,  in  der  Tat  die  Verwertung*  des 
Stadtplanes  dem  Historiker  außerordentliche  Vorteile  bietet.  Man  kann 
den  von  Fritz  ausgesprochenen  Gedanken,  es  müsse  eine  Sammlung 
deutscher  Stadtpläne,  ein  „Deutsches  Stadtplanbuch"  in  ähnlicher 
Weise  wie  unsere  Urkundenbücher  ins  Leben  gerufen  werden,  nur 
mit  Freude  begrüßen,  und  es  ist  sehr  zu  bedauern,  daß  bisher  nodi 
nichts  zu  seiner  Verwirklichung  getan  worden  ist ').  Fritz  begnügt  sich 
mit  den  Plänen  unserer  heutigen  modernen  Städte;  man  müßte  aller- 
dings wohl  noch  weiter  gehen  und  nach  Möglichkeit  die  älteren 
Grundrisse  publizieren,  auf  denen  noch  nicht  die  großen  Umwälzungen 
seit  den  ersten  Jahrzehnten  des  XIX.  Jahrhunderts  bemerkbar  sind, 
die  das  alte  Straßenbild  oft  ganz  auffallend  verändert  haben.  Auf 
den  alten  Plänen  finden  wir  noch  Mauern  und  Tore,  sowie  manches 
später  zerstörte  oder  abgebrochene  Gebäude,  das  für  die  Forschung 
von  Bedeutung  ist;  sie  bieten  insgesamt  —  auch  hinsichtlich  der 
nächsten  Umgebung  der  mittelalterlichen  Stadt  —  ein  Bild,  das  der 
ursprünglichen  Anlage  ziemlich  nahe  kommt,  zum  wenigsten  aber  mit 
geringer  Mühe  die  Rekonstruktion  gestattet.  Schon  seit  dem  Ende  des 
XVII.  Jahrhunderts  sind  zuverlässige  Stadtpläne  nachweisbar.  In  den 
größeren  Archiven  liegen  hier  noch  reiche  Schätze  verborgen,  die 
zu  heben  sind;  besonders  das  XVIII.  Jahrhundert  scheint  eine  sehr 
wertvolle  Ausbeute  zu  verheißen.  Es  wäre  wünschenswert,  daß  diese 
meist  als  Handzeichnungen  uns  erhaltenen  Pläne  nach  Territorien 
geordnet  publiziert  und  so  der  wissenschaftlichen  Bearbeitung  dienst- 
bar gemacht  würden. 

Die  Bedeutung  des  Stadtplanes  fiir  die  Forschung  liegt  auf  ver- 
schiedenen Gebieten;  er  läßt  sich  sowohl  ftir  die  Lokalgeschichte  als 
auch  für  die  allgemeine  Geschichte  verwenden;  er  erklärt  singulare 
Erscheinungen    und    dient   als    wertvolles  Hilfsmittel    vergleichen- 


i)  Nur  die  Thüringische  Historische  Kommission  hat  iUr  ihr  Arbeitsgebiet  einen 
entsprechenden  Versach  gemacht,  freilich  Tergeblich:  Dobenecker  hat  1900  die  H«^>t- 
pfleger  aufgefordert ,  alte  Stadtpläne  aller  Städte  im  Mafistabe  i  :  2000  und  in  Ermang* 
lung  alter  moderne  Pläne  einsusenden,  aber  ein  £rfolg  war,  wenigstens  bis  1901, 
nicht  zu  verzeichnen,  da  nur  ein  Plan  eingesandt  worden  war.  (VgL  diese  Zeitschrift 
2.  Bd.,  S.  238  und  3.  Bd.,  S.  3x4.)  Seitdem  ist  über  diese  Angelegenheit  nichts  wieder 
verlautet,  und  auch  ans  anderen  Landschaften  ist  nichts  von  ähnlichen  Bestrebungen  be- 
kannt geworden.  Wie  die  Dinge  liegen,  erscheint  eine  solche  Arbeit  heute  nur  durch 
Ausführung  in  landschaftlicher  Begrenzung  möglich,  und  die  Historischen  Kom- 
missionen und  Landesvereine  wären  diejenigen,  welche  die  Sammlung  in  die  Hand 
nehmen  sollten!  Die  Redaktion. 


—     135     — 

der  Forschung  zur  Erklärung  und  Begründung  von  wiederholt  vor" 
kommenden  und  weiter  verbreiteten  Erscheinungen. 

Was  die  Lokal  Forschung  betrifil,  so  ist  es  schon  ohne  ausfuhr«- 
liehen  Nachweis  begreiflich,  daß  das  Entstehen  und  Werden  irgend- 
eines bestimmten  Ortes  lediglich  aus  der  schriftlichen  Urkunde  heraus 
in  der  Regel  kaum  zu  verstehen  ist.  Häufig  fehlt  uns  die  letztere,  und  dann 
bleibt  als  einziger  Weg  nur  die  topographische  Forschung  übrig.  In 
vielen  Städten  besitzen  wir  wohl  sichere  Nachrichten  über  eine  Burg;, 
ein  Dorf,  ein  Kloster,  das  schon  vor  der  Stadt  selbst,  der  Marktr 
niederlassung,  bestand ;  aber  über  die  Entstehung  dieser  letzteren  selbst 
fehlt  jede  urkundliche  Überlieferung.  Aber  auch  dann,  wenn  sie  vor- 
handen ist,  macht  sie  das  Studium  der  Stadtanlage  noch  durchaus 
nicht  überflüssig;  sie  muH  dasselbe  aussagen  wie  diese,  und  ist  das  nicht 
der  Fall,  so  wird  zunächst  der  Stadtplan  die  größere  Glaubwürdigkeit 
für  sich  in  Anspruch  nehmen  dürfen.  Nicht  selten  wird  sogar  die 
Stadtgründungsurkunde  erst  durch  den  Stadtplan  richtig  interpretiert 
werden  können.  Ein  solcher  Fall  liegt  beispielsweise  bei  Leipzig 
vor.  Der  sogenannte  „Stadtbrief**,  zwischen  1 156  und  1170  von  dem 
meißnischen  Markgrafen  Otto  dem  Reichen  ausgestellt,  ist,  trotzdem 
er  die  klare  Wendung  enthält:  Marckio  lApz  aedificandam  distribuii, 
bisher  immer  nur  als  RechtsprivUeg  aufgefaßt  worden,  dem  zufolge  der 
Markgraf  ein  schon  lange  bestehendes,  ehemals  slawisches  Dorf  mit 
Stadtrecht  bewidmet  und  zur  Stadt  „erhoben**  haben  soll.  Die  An- 
lage ist  aber  nun,  wie.  sich  aus  dem  Stadtplane  und  seiner  Verglei- 
chung  mit  den  nach  ,dem  sogenannten  „nordostdeutschen  Schema'* 
angelegten  Städten  mit  Sicherheit  feststellen  läßt,  nicht  vor  der  zweiten 
Hälfte  des  XII.  Jahrhunderts  und  offenbar,  woran  nicht  zu  zweifeln  ist, 
gleichzeitig  mit  dem  Stadtbrief  entstanden;  letzterer  ist  also  nicht  nur 
als  Rechts-,  sondern  auch  als  GründungsprivUeg  zu  betraditen«  Ähn- 
liche Fälle  sind  in  den  Städten  des  kolonialen  Ostens  sehr  häufig  zu 
konstatieren.  Namentlich  auch  dort,  wo  mehrere  Anlagen  an  einem 
Orte  vorhanden  sind  und  in  kausalem  Zusammenhange  mit  der  Ent- 
stehung und  Entwicklung  der  Marktsiedelung  stehen,  ist  die  Zuhilfe- 
nahme des  Stadtplanes  direkt  unerläßlich.  Dies  lassen  z.  B.  die  kom- 
plizierten Verhältnisse  in  Braunschweig,  Halberstadt,  Osnabrück,  Magde- 
burg, Halle  a.  S.  erkennen,  wo  es  sich  meist  um  sehr  alte  Siedelungen 
handelt  Wie  schwierig  derartige  Städte  zu  untersuchen  sind,  lehrt 
Hunds  Arbeit  über  Kolmar,  wo  der  Zusammenhang  der  Stadtent- 
wicklung mit  einer  im  IX.  Jahrhundert  nachweisbaren  Dorfsiedelung  und 
insbesondere  zwei  Fronhöfen,   dem  Oberhof  des  Klosters  Peterlingen 

10 


—     15«     — 

flild  dem  Niederkof  des  DomkafMteis  KoMtaaz,  sü  bdeitclit»!!  ist. 
Die  Arbeit  von  E.  Riehme  aber  Meii)ea  lehrt  daMeU>e;  sie  siellt 
mit  Hilfe  angedehnter  topograph»cber  Fonckuagen  fett»  wie  weit  an 
dmem  Orte  m  den  äkeeten  Zeilen  der  Hemcbiftabereich  v^- 
•ohiedeiier  Gewakeü  rdchte,  n^  hält  die  räiimlidie  Afladehwuig  voa 
Bttfu^frsäieit,  Domfreiheit,  St  Airmsiodehttig  «nd  MaridaiedrilaMiung 
•tharf  wseiMndcr.  Awch  der  A«£atz  vom  A.  Till«:  Zmm  Mülpiober 
StmthtM  >)  gehört  hkriier.  £r  zeigt,  wie  das  hcttlige  IM^idBL  auf 
dm  wohl  etwa  gfeidneltig  entrtandeae  Aafaigen  airiickgeht :  dca  Hof 
Mmimden  (später  Pfanbenik  St  Martin),  die  P&lz  des  KöiMr  En- 
Mschofis  ^s^er  Pfanbesiilr  5t  Marien)  nd  die  MadctsiediviasMac 
<apiltor  PfitR4>eziric  St  Peter).  Ferner  verdient  die  Ariieit  vom  R«4. 
SehaUz«:  Die  hmt§em)m6UMie Flmmmiwioktm^  4&r  8tmM  Barn ^  an 
^eser  Stelle  Erwäkfiai«;  sie  lüt  sds  ttrsprängfUdie  BcstaadlSile  der 
Slaadt  —  iBit  eingebender  BerüdosichttgttQg  des  PlaaeS  —  das  alte 
)'6inische  ooatrmm^  die  viSa  Btmlica  \(Vefma)  mik,  deas  Casaiasntifte 
wnd  ^nem  Komplex  voa  Höfen  mit  dem  Marktfriüls  zwisokem  aaslmai 
tmd  «jlfo  etkennen. 

betrachtet  tnftn  fitin  a^ber  im  i^i^meinen  die  zasammwEssaeaden 
bfeftorisdien  Dustenung^en  über  einzelne  St&dte,  sowoAil  alte»  als  auch 
nefuiere,  '^  \iX.  leider  zu  kerostsltieren ,  daß  'Omen  imebr  oder  ^^fffsäaget 
ein  gewisser  Kf  ang^l  gememsam  4^ :  sie  shid  tm  ^^eftmgeii  «nd  ein- 
'^Itig  "imd  arwsir  insofern,  ah  sie  den  einzelnen  Ort  mir  aus  läoh  selbst 
hthratfs  ztt  verstehen  suchen,  ohne  Rficksi<jbt  avf  die  £ttMehoag  oad 
fintwidehing  der  detftseben  Sttdte  überhaufi^  oder  w^aigstens  der  des 
ßr  den  Lokalforscher  in  B^ty&cht  kommenden  Tervüoitaaai.  Die 
LokaHiistöriker  gehen  in  der  Regel  nicht  vergleichend  «i  We&e, 
lind  doch  vfirde  ihneti  eüi  prüfender  BHck  auf  die  Städte  der  »Uns- 
gebnng  sefhr  vicA  nützen:  m  würde  ihixen  Irrtüttier  in  der  voo^efiiäten 
Meinuiig  zeigen  und  manche  Lüdke  dort  -awsftillen  »belfea,  wo  das 
TJifcöidenitMlterial  des  Heimatortes  versagt*).  ^Bine  verg4et5dheftde 
Städtplanfotschüng  Würde  auch  hier 'ihr  redliohes  «Teil  Aku  bd- 
'tl^en,  mögliehät  große  'I^lafheit  über  den  Ursprung  der  etonlnesi 


i)  JfHiaJeti  dtM  tiistarischm  Vereins  für  den  Niederrhein,  73.  Aeft  (1902). 

2)  In  der  ZtiUchrifl  Der  StädUhau,  Heft  8,  1904. 

3)  'Auf  diesen  Ponkt  hat  kürzlich  aach  Tille  aafmerksam  gemacht ;  rgl,  Biese  Zeit- 
schrift, 7.  Band  (1906)  S.  277,  wo  er  ftir  die  innere  Gesöhidhte  PanUlelMhatidlitiig 
mehrei'ir  Städte  'fordert.  Um  die  «in^elne  StttAi  fafesser  <u  efst^faen.  Y^l.  ^mtu  cka  S.  159 
fR>«r  Oot1i«in  «frtd  I r^ rb 'Geftagte. 


—     IST     — 

Stadt  zu  erzeogren ;  der  Ver|^leidi  mit  anderen  OrteD  würde  das  Wisiefl 
über  die  eigene  Stadt  um  so  sicherer  stützen. 

Ein  ganz  besonderer,  oben  bofsits  aagedeiiteter  Vorteil  der  ver- 
gleichenden Untersuchung  der  Stadtpläne  besteht  aber  nun  ferner 
darin,  dafi  sie  chronologische  Feststellungen  ermöglicht,  daß  sie  einen 
in  den  meisten  FUlen  sicheren  Schtufi  auf  das  Alter  einer  Stadt  zu- 
läßt. Fritz  hat  auf  den  Unterschied  zwischen  den  regelmäßigen  An- 
lagen östlich  der  Elbe  und  den  auffallend  unregelmäßigen  Anlagen 
westlich  der  Elbe  hingewiesen;  er  hat  jene  als  die  jüngeren,  diese 
als  die  älteren  festgestellt.  Die  uns  erhaltenen  Gründungsprivilegien 
bestätigen  dies;  Quedlinburg,  Halberstadt,  Erfurt,  Magdeburg,  Halle, 
Naumburg  weisen  durch  Plan  und  Urkunde  auf  frühecen,  Loipeig» 
Dresden,  Breslau,  Neumarkt  u.  a.  auf  späteren  Ursprung  hin.  Wie 
ich  in  meinem  obengenannten  Buche,  S.  4  f.  und  133  f.,  gezeigt 
habe,  gehen  die  älteren  Marktsiedelungen  meist  bis  in  das  DC.  und  X 
Jahrhundert  zurück,  die  jüngeren  nur  bis  io  die  zweite  Hälfte  des  XII.  Jahr- 
hunderts. Auf  die  Weise  ist  z.  B.  festzustellen,  daß  die  ehemalige 
Mark  Meißen  ältere  und  jüngere  Städte  besitzt,  von  denen  die  älte- 
sten im  XL,  die  jüngeren  zu  Beginn  des  XIII.  Jahrhunderts  entstanden 
sein  müssen.  Mit  diesem  Gedanken  haben  wir  aber  bereits  den  lokal* 
historischen  Gesichtspunkt  verlassen  und  haben  uns  dem  Gebiete  der 
allgemeinen  Geschichte  zugewandt.  Hier  leistet  der  Stadtplan  nicht 
minder  wertvolle  Dienste  und  zwar  sowohl  für  die  Siedlungs-  als 
auch  für  die  Rechtsgeschichte. 

Was  die  Siedlungsgeschichte  betrifit,  so  ze^  sich  an  der 
deutschen  Stadtanlage  recht  klar  der  Gegensatz  von  Mutterland  und 
Kolonialland,  und  die  seit  der  Unterwerfung  des  slawischen  Ostens 
durch  die  Ottonen  einsetzende  gewaltige  Siedelungsbewegung  spiegelt 
sich  im  Stadtplan  recht  anschaulich  wider.  Namentlich  gilt  dies  von 
den  seit  1200  sich  vollziehenden  Stäittegrüadungen  in  der  Lausitz, 
Schlesien,  Bnmdenburg  und  Posen.  Auf  diese  Tatsache  hat  Fritz 
den  Schwerpunkt  seiner  Untersuchui^  gelegt  und  eine  ganze  Reiht 
von  Grundrissen  zum  Abdruck  gebracht,  die  in  klarer  Weise 
diesen  G^ensatz  erkennen  lassen.  Dort,  wo  wir  älteres  und 
jüngeres  Kolonialland  vor  uns  haben,  wie  im  Königreich  Sachsen,  läßt 
sidi  dies  ebenfidls  aus  der  Stadtanlage  erschließen;  ich  habe  deshalb 
seinerzeit  auf  die  in  der  Mark  Meißen  zwischen  Saale  und  Elbe  sidi 
vorfindenden  älteren  und  jüngeren  Marirtsiedelungen  auim^ksam  ge- 
macht, insbesondere  auf  die  „  Doppelmärkte  '*,  das  sind  jene  AnIngen, 
wo   ein  gemeinsamer  Mauerring  eine  ältere  und  eine  jüngere  Markt« 

10  • 


—     138     — 

niederlassung'  mit  je  einem  Marktplätze  einschließt.     Beispiele  hierfür 
sind  Freiberg,  Altenburg^,  Grimma,  Leisnig,  Oschatz,  Mügeln. 

Die  Entstehung  dieser  Orte  hat  man  sich  offenbar  so  zu  denken, 
daß  sich  ursprünglich  mehr  auf  dem  Wege  der  Emzelsiedelung  eine 
ältere  Stadtanlage  nach  mutterländischem  Muster  bildete,  die  sich  je- 
doch für  einen  später  hinzukommenden  größeren  Ansiedlertmpp  als  un- 
zureichend erwies  und  deshalb  durch  eine  planmäßige  nach  dem  ost- 
deutschen  Normalschema  ausgeführte  Neuansiedelung  erweitert  wurde. 
Ähnliche  Verhältnisse  scheinen  sich  auch  in  den  Gebieten  der  südost- 
deutschen Kolonisation  nachweisen  zu  lassen.  In  Prag  finden  wir  die 
Altstadt  neben  der  Kleinseite,  erstere  als  die  frühere,  letztere  als  die 
später  gegründete  Anlage.  Man  darf  sich  jedoch  durch  die  Bezeich- 
nung „Altstadt"  nicht  irreführen  lassen;  in  sehr  vielen  Fällen  deutet 
dieses  Wort  nicht  auf  eine  ältere  Marktniederlassung  hin.  Es  kommt 
vielmehr  sehr  häufig  vor,  daß  dort,  wo  ursprünglich  eine  Burg  be- 
stand, sich  an  diese  ein  Burgvorort,  das  sogenannte  suburbium  an- 
lehnte. Dieses  Suburbium  hat  eine  mehr  ländliche  Bevölkerung  ge- 
habt und  läßt  sich  nirgends  als  alte  Kaufmannsansiedelung  nach- 
weisen. Die  Niederlassung  der  merccUores  ist  später  daneben  ent- 
standen; im  Gegensatz  zu  ihr  ist  dann  der  ehemalige  Burgvorort  als  „alte 
Stadt",  „Altstadt",  antiqua  civitas,  benannt  worden.  Im  Bereich  der 
Ottonischen  Burgengründungen  des  X.  Jahrhunderts,  sowohl  westlich 
wie  östlich  von  Saale  und  Elbe,  sind  diese  alten  Suburbien  sehr  häufig. 
Im  Stadtplane  sind  sie  ohne  große  Mühe  zu  erkennen.  Als  Beispiele 
seien  genannt  Merseburg  und  Meißen,  außerdem  zwischen  beiden  noch 
Würzen,  Borna,  Zeitz,  Taucha,  Rochlitz,  Leisnig.  Im  späteren  Mittelalter 
ist  das  Suburbium  oft  mit  in  den  Mauerring  der  Stadt  eingeschlossen 
worden;  doch  ist  uns  auch  eine  Anzahl  von  Fällen  bekannt,  in  denen 
dies  nicht  geschah  und  die  Altstadt  als  selbständige  Ortschaft  neben 
der  Marktniederlassung  bestehen  blieb. 

Bei  den  Möglichkeiten,  die  durch  die  Benutzung  alter  Stadtpläne 
gegeben  sind,  liegt  nun  auch  der  Gedanke  nahe,  sie  in  Beziehung  zu 
bringen  zu  rechtlichen  Problemen.  Deswegen  hat  es  sich  neuerdings 
auch  die  Rechtsgeschichte  angelegen  sein  lassen,  die  topographische 
Forschung  für  ihre  Zwecke  zu  verwerten  und  insbesondere  den  Stadtplan 
heranzuziehen.  Dies  gilt  vor  allem  von  den  Arbeiten  Rietschels, 
namentlich  den  beiden  schon  erwähnten  Werken :  Markt  und  Stadi 
in  ihrem  rechÜichen  VerhäUnis  (1897)  ^^^  ^^  BurggrafenanU  und 
die  hohe  Gericht^arheU  in  den  deutschen  Bischofsstädten  während  des 
friiheren  Mittelcdters  (1905).     Rietsehel  hat  mit  Hilfe  der  Stadtplan- 


—     139     — 

förscbung,  die  er  direkt  von  J.  Fritz  übernommen  hat,  das  alte  Pro- 
blem des  rechtlichen  Ursprungs  des  deutschen  Städtewesens  bedeutend 
gefördert.  Er  hat  einen  großen  Teil  von  Markt  und  Stadt  der 
^  monographischen  Behandlung  einer  Reihe  der  wichtigsten  deutschen 
Städte  gewidmet"  und  findet  hier  stets  Gelegenheit,  auf  den  Stadtplan 
hinzuweisen.  Mit  seiner  Hilfe,  natürlich  unterstützt  durch  schriftliche 
Aufzeichnungen,  kommt  er  schließlich  zu  dem  Ergebnis,  daß  die 
deutschen  Marktansiedelungen  „keine  in  Marktorte  umgewandelte 
Dörfer  sind,  sondern  im  Anschluß  an  Märkte  entstandene  Ansiede- 
lungen von  Kaufleuten  und  Gewerbetreibenden,  welche  regelmäßig 
•eine  eigene  Gemeinde,  meist  auch  einen  eigenen  rechtlichen,  gericht- 
lichen und  kirchlichen  Bezirk  bilden  und  welche  sich,  je  nachdem  sie 
befestigt  sind  oder  nicht,  in  Städte  und  offene  Märkte  scheiden" 
(S.  232).  Ich  habe  dann  in  ähnlicher  Weise,  wie  es  Gothein 
1891  in  seiner  Wirtschaftsgeschichte  des  Schwarjstoaides  tat,  wie  es 
neuerdings  (1902)  auch  Ilgen  in  seiner  Arbeit  Die  Entstehung  der 
Städte  des  Erjsstifts  Köln  am  Niederrhein  ^)  versucht  hat ,  ein  einzel- 
nes Territorium  zum  Gegenstande  der  Untersuchung  gemacht  und 
den  Gedanken  Rietschels  auf  die  ehemalige  Mark  Meißen  angewandt 
{vgl.  Die  Entstehung  von  Stadt  und  Stadtrecht  usw.,  bes.  Kapitel  IV 
S.  140  ff.).  In  den  Gebieten  zwischen  Saale  und  Elbe  läßt  sich  mit 
Hilfe  des  Stadtplanes  ohne  große  Mühe  erkennen,  daß  hier  für  die 
Landgemeindetheorie  kein  Boden  ist  Die  meißnischen  Städte  sind 
weder  aus  Dörfern,  noch  aus  den  Burgen  Heinrichs  I.  und  seiner 
Nachfolger  entstanden.  Sie  sind  neben  diesen  ins  Leben  gerufen 
worden,  räumlich  und  rechtlich  davon  getrennt;  Dorf  und  Burg  haben  der 
Stadt  den  Namen  gegeben,  sind  dann  bald  an  Bedeutung  hinter  der 
neuen  Marktsiedelung  zurückgetreten,  haben  sich  aber  neben  ihr  meist 
bis  auf  die  Gegenwart  erhalten.  Der  Grundriß  der  Stadt  selbst  aber 
weist  stets  auf  den  Marktplatz  als  auf  den  Kern  der  Anlage  und  den 
Ausgangspunkt  der  städtischen  Besiedelung  hin.  Er  ist  es,  der  zu- 
erst angelegt  worden  sein  muß  und  meist  seinen  Ort  unmittelbar  an 
einer  wichtigen  Heerstraße  fand '). 

An    den   Marktplatz   schließen    sich    dann    die    StraQenzüge    an; 


i)  Annakn  des  Historischen  Vereins  für  den  Niederrhein,  74.  Heft  (1902). 
Die  sehr  wertTolle  Untersachang  behandelt  die  Stfidte  Andernftch,  Bonn,  Brtthl,  DeaU, 
Kempen,  LechenicÜ,  Neaß,  Rees^  Rheinberg,  Siegbarg,  Ürdingen,  Wesel,  Xanten,  Zons, 
Zülpich. 

2)  Vgl.  hierzu  meinen  Aufsatz  MarlUpiatz  und  Heerstraße  in  der  ehemaligen 
Mark  Meißen.    Wiss.  Beil.  z.  Leipziger  Zeitung.     1906.     Nr.  5. 


—     140     — 

straklcaü^rmi^  geben  sie  sowohl  in  den  ucLre^limiifiigea»  ätimen»  ab 
in  4ea  feg elmäöfgen,  nencsefi  Anlagen  von  ihm  an»  umd  denlen  mit 
voller  BestiiDinthck  daravf  hin,  dall  der  MafMioerk^r  das  Räloct  db» 
Städteurspruogs  löet^  denn  er  ist  es,  des  die  KanAente  hefaneiebt  ud 
sie  zur  ^ederlassuag^,  sof  Ansiedehing  veraaiaßt  So  wieist  die  I  age 
des  MarktplaitzeS)  die  AMiäagJ|fkeit  des  Staraßeasiige  von  ikm  inAOf^ 
halb  des  mittelalterliciMa  Mauerringes^  klar  und  dtutlidt  darauf  his, 
daß  die  Stadtanta^  nur  ein  Produkt  des  Handelsveiibehi«  scm  kaim 
und  zwar  insofern,  zh  sie  nur  von  solchen  ÄAsiedlem  heriühsen  tramn^ 
die  an  ihm  ein  unmittelbares  Interesse  hatten,  den  Kaufteuten^  de« 
mercatores.  Das  Studium  des  Grundrisses  der  Stadtanlag«  hat  hier 
eine  doppelte  Bedeutang;  einnud  ermö|^ht  es,  den  Urspm&gf  der 
Stadt  chronologisch  annähernd  genau  zu  bestimmen;  aadeserseits 
klärt  es  d»über  auf,  ob  wir  im  gegebenett  Falte  eine  selbsliadige 
Neuanlage  vor  uns  haben  oder  nicht.  Das  ättere  schriftliche  Ur* 
kufldenmaCerial  kann  hierzu  niemals  im  Widefspmche  stehen ;  richtig 
interpretiert  —  namenthcfa  dort,  wo  es  sich  um  die  früher  oft  shitUgon 
Bezeichnungen  urbe,  eMi^,  oppidum,  mäa  handelt  —  wird  es  ^o  Ans- 
ss^e  des  Stadtplanes  stets  bestätigen  und  dann  auch  dazu  dtenen 
können,  die  tiefer  liegenden  rechtlichen  Zusammenhänge  erkennen  zu 
lassen  und  für  diese  zu  bestimmten  allgemeinen  Sätzen  zu  fUhren. 

Wie  es  oft  trotz  reichen  diplomatischen  Materials  erst  durch  den 
Stadtplan  möglieh  wird,  gewisse  verwickelte  Reehtsverhattnisso  d» 
ältesten  Zeit  richtig  zu  deuten,  hat  Rietschel  an  verschiedenen  Stadien 
des  westetbiscfaen  Mutterlandes  gezeigt,  namentlich  an  Osnid>rüdc^ 
Halberstadt,  Braunschweig.  Für  die  Kolonialgebiete  des  deutschen 
Ostens  sei  hier  noch  kurz  hingewiesen  auf  Halte  a.  S.  und  FVeiberg. 
In  der  letz^^annten  Stadt  haben  wir  in  der  älteren  Zeit  eine  etwa» 
komplizierte  Rechtsverfassung,  die  von  der  der  übrigen  meifinisehMi 
Städte  nicht  unerheblich  abweicht.  Sie  erklärt  mch  dadurch,  daß  hier 
im  XII.  Jahrhundert  kurz  nacheinander  zwei  Siedlungen  entstanden  sind, 
eine  Niederlassung  von  Bergleuten  —  die  sogenannte  „Säcbs8tadt*% 
civüas  Saxonum  —  und  eine  Ansiediung  von  Kaufleuten  —  dte 
eigentliche  Stadt  mit  dem  alten  und  dem  neuen  Maricte.  Beide  An- 
lagen sind  ursprünglich  räumlich  und  rechtlich  getrennt  gewesen  und 
erst  im  XIII.  Jahrhundert  äußerlich  und  innerlich  zu  einer  Einheit  ver- 
schmolzen. Analoge  Verhältnisse  liegen  in  Halle  vor.  Wie  wir  im 
Freiberger  Rechte  bürgerliches  und  Bergrecht  verquickt  vorfinden,  so 
im  halUschen  bürgerliches  und  Hallorenrecht,  und  zwar  scheinen  hier 
die  Verhältnisse  noch  viel  komplizierter  zu  sein.     Wie  ich  in   mainer 


—     141     — 

obeng'enanflteo  Atbot  S.  27  ff,  daczaleg-en  veietieht  hs^,  wie  attdi 
m  demseibeti  Jahre  nnabfaängiif  von  n^  E.  Gm t jähr  ausfiklffte  in 
seiner  genialen  Untersuchung  Zur  neuhcK^täeutscken  Schriflspftuhe 
Eykes  von  Bqpgowe,  des  Schöffen  beim  obersten  secheischen  ße- 
ridäshafe  und  Pairisfiers  in  der  JBergstadt  zu  HMe  a.  d.  Saale  ^ro- 
l^ramm  der  IV.  Rcedschuie  in  Leq^ig  190$),  «ind  dieae  vem^ick^tM 
VerhlfttnlBBe  <iarauf  ^arückzuMire«!,  A2A  HaHe  ebonso  wie  Fveibeiff  traf 
eine  Öoppelsiedhmg  «rrtickgeht,  die  im  Jöffl.  Jahrhundert  dorch  Maner- 
ring  umschlossen  wurde.  Sie  bestand  aus  einer  Salzsiederniedcrlassung 
und  «ioer  ICauimaxiasaDsiedlaag.  Erslere  war  die  ältere,  letztere  die 
jüagste,  Avf  »dem  SUdIpiatte  beben  «sieh  lbei&  dettlioh  voiiiainaAder 
itb;  er  HGlmdet  «clivrf  die  Tuhtadt  mit  dem  lAmi  Mattete  ^an.  4er 
Bergstadt  mit  dem  neuen  Markte. 


MüteÜttagea 


JComillissioiien.  —  Die  von  der  Stadt  Prankfurt  a.  M.  im  Jahre  1 906 
ins  Leben  gerufene  4md  lediglich  aus  städtischen  ^tteln  dotierte  Historische 
Kommission'),  bestehend  aus  den  Herren  Stadtrat  Julius  Ziehen, 
Archivdirektor  Prof.  Rudolf  Jung  und  Akadende  -  ?rof.  Georg  K  ü  nt  2  e  l , 
hat  iHr  die  nächsten  Jahre  fblgeode  Veröffentlichuugen  in  ihren  Arbeitsplan 
aufgenommen :  Bie  Neubearbeitung  des  1^96  endhienenen  Weiires  'von  Jung 
über  das  Stadtarchiv  (Das  historische  Archiv  der  Stadt  Frankfurt  a.  M,, 
seine  Bestände  und  Gesdki6hte  ^ner  JSnMehung)  durch  den  Verteser, 
eine  Bibliographie  'tat  Gesdiichte  der  Stadt  Frankfurt  a.  M.  von  Biblio- 
thdL^  H.  Lafrenz.  In  diesen  beiden  A/beiten  soli  das  geschriebene 
und  gedruckte  Material  zur  städtischen  <je9chichte  zusammengestellt  werden. 
Pemcr  ist  gepllant  die  Ifcnmsgabc  der  -von  *GotÄieb  S^hnapp^er- Arndt 
tmvollend^  binterlasseueu  ^Beitr^je  ztir  ^Gieschic^e  des  -Geld^^e^ehrs, 
der  Preise  tmd  der  Lebenshaltmig  in  Pnokfhrt  a.  M.  vom  Ausgang 
des  lifittieMeers  bis  -et»  Beginn  4kb  XVffi.  JahrhoKlem  duivh  Dr. 
K.  Brauer;  eine  Darsttlhng  des  Msriten  Fettaaflch^Ailteandes  v6z2  bis 
r6i6  hn  Zusammenhange  mit  den  poBtisdien,  sozialta  ^und  wirtsolHiftlichen 
Bewegungen  der  ^Zek  'durch  Or.  'F.  ^otlK;  «die  Äsderuag  der  Veifiissung 
und  Reorganisation  der  Verwaltung  im  XVin.  Jatehmideft»  wcflche  ö»  Grund- 
lage des  hommunaltti  ^Lebens  ^r  die  JeMe  teicfai^dtiBdie  und  die  gaoae 
'toistädARihe  Z«k  ^gesduflba  hat,  ^ufcfa  BiUiolfaekariDr.  P.  Hoiieaemser; 
die  Geschichte  der  üreislftdtisdhea  Zeit  i^y^^sSM  bzw.  x668  ^iurdi  Prof. 
^r.  ^chwe-wer.  Bieg  Arbeiten  gnÜeiaa-ühMiMgfla  sollen  ai^ehse  botoaden 
wichtige  £podbBn  'der  stfidtiadkcni  «Geadhidile,  ^die  Ulfaer  neoh  j^  nicht 
oder  ttar  u^genügead  »behandelt  woidoi  ;iiad,  in  iiuiaiMnrnlitttyiiditr  Dar- 
lelluiig  ^UBler  VaiöfieutlickiiDg   des   wifthtigtUm    Aktmrniatftoals   daxstelka; 

i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  115— 116. 


—     142     — 

ihre  gründliche  Erforschung  ist  insbesondere  darum  ein  dringendes  Bedür&is, 
weil  eine  Gesamtgeschichte  der  Stadt  ohne  diese  sehr  atisgedehnten  Einzel- 
forschungen nicht  geschrieben  werden  kann.  Diese  noch  fehlende  wissen- 
schaftliche Darstellung  der  gesamten  Geschichte  der  Stadt  wird  die  Haupt- 
arbeit für  die  fernere  Tätigkeit  der  Konmiission  bilden,  für  welche  unter 
anderem  auch  die  Neubearbeitung  der  Gw  inner  sehen  Ktmstgeschichte, 
eine  Geschichte  des  Frankfurter  Rechtes,  eine  Frankfurter  Biographie  in 
Aussicht  genommen  sind.  —  Die  Fortsetzung  der  Neubearbeitung  des  Ur- 
kundenbuches  von  1 341  ab  bleibt  der  Dr.  Böhmerschen  Nachlaßadministration 
vorbehalten.  Von  Veröffentlichungen  von  Urkunden  und  Akten  aus  dem 
Archiv  der  Stadt  wird  die  Kommission  zunächst  die  Handwerkerordnungen 
und  Akten  des  Mittelalters  und  XVI.  Jahrhunderts  bis  zum  Fettmilch-Aufstande 
unter  Leitung  von  Prof.  Dr.  Bücher  (Leipzig)  bearbeiten  lassen  und  heraus- 
geben; über  die  Herausgabe  der  Verfassungs-  und  Verwaltungsakten  des  Mittel- 
alters steht  die  Beschlußfassung  noch  aus. 


Etiigeganii:ene  Bttcher. 

Hausrath,  Hans:  Der  deutsche  Wald  [=  Aus  Natur  und  Geisteswelt, 
Sammlung  wissenschaftlich -gemeinverständlicher  Darstellungen,  153. 
Bändchen].     Leipzig,  B.  G.  Teubner  1907.     130  S.  8*.     M.   1,25. 

Nießner,  Alois:  Zwanzig  Jahre  Franzosenherrschaft  am  Niederrhein  1794  bis 
18 14.     Aachen,  Gustav  Schmidt  1907.     208  S.  8®.     M.  3,00. 

Poetzsch,  Albert:  Studien  zur  frühromantischen  Politik  tmd  Geschichts- 
auffassung [==  Beiträge  zur  Kultur-  und  Universalgeschichte,  heraus- 
gegeben von  Karl  Lamp recht.  Drittes  HeftJ.  Leipzig,  R.  Voigtländer 
1907.     III  S.  8®.     M.  3,60. 

Roller,  Otto  Konrad:  Die  Emwohnerschaft  der  Stadt  Durlach  im  XVIIL 
Jahrhundert,  in  ihren  wirtschaftlichen  und  kulturgeschichtlichen  Ver- 
hältnissen  dargestellt  aus  ihren  Stammtafeln.  Karlsruhe  in  B.,  G.  Braun 
1907.     XXII,  424  und  272  S. 

Arbusow,  L.:  Grundriß  der  Geschichte .Liv-,  Est-  und  Kurlands.  Dritte,, 
umgearbeitete  Auflage.  Mit  einer  Karte  und  zwei  Lichtdrucktafeln.  Riga» 
Jonck  und  Poliewsky  1908.     291  S.  8^ 

Bärge,  Hermann:  Andreas  Bodenstein  von  Karlstadt  i.  Teil:  Karlstadt 
tmd  die  Anfüge  der  Reformation.  Leipzig,  Friedrich  Brandstetter 
1905.  VIU  tmd  500  S.  8^  M.  10,00.  2.  Teil:  Karlstadt  als  Vor- 
kämpfer des  laienchristlichen  Puritanismus.  Ebenda  1905.  XI  tmd 
632  S.  8^     M.   12,00. 

Bier  mann,  W.  Ed.:  Die  Weltanschautmg  des  Marxismus,  an  der  materia- 
listischen Geschichtsauf&sstmg  und  an  der  Mehrwertlehre  erörtert  Leip- 
zig, Roth  tmd  Schunke  1908.     83  S.  8^     M.   1,60. 

Dresbach,  Ewald :  Reformationsgeschichte  der  Grafschaft  Mark.  Ztir. Er- 
innerung an  die  300jährige  Verbmdtmg  der  Mark  mit  Brandenbtirg- 
Pretißen.    Gütersloh,  Bertelsmann  1909.    XX  tmd  519  S.  8®.    M.  6,00. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipsig. 
Verlag  aad  Druck  von  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


zur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 


IX.  Band  März/April  1908  6./;.  Heft 


Iiandesherrliehe  Kirehenpolitik  bis  zur 

^Reformation 

Von 
Heinrich  Werner  (Mayen) 

An  dem  Tage,  an  dem  Luther  seine  Gründung  dem  Kurfürsten 
von  Sachsen  empfahl  ^,  trat  ein  Umschwung  in  der  Entwicklung  des 
neuen  und  alten  Kirchenbegriffes  ein.  Die  Not  drängte  zur  Zuhilfe- 
nahme der  territorialen  Gewalt,  die  jetzt  Luther  aus  eigenem  Antrieb 
in  Anspruch  nahm  *).  Aus  der  Reformation  hat  der  Staat  bereitwilligst 
den  Reingewinn  gezogen.  Es  bedurfte  nicht  einmal  eines  langen 
Prozesses  der  Umwandlung;  denn  der  territoriale  Staat  hatte  schon 
in  der  Kirche  seines  Landes  Hoheitsrechte  ausgeübt  Der  heutige  längst 
Stand  der  Forschung  lehrt,  daß  schon  vor  Luther  alle  Rechte  eines 
landesherrlichen  Kirchenregiments  von  vielen  Territorialfürsten ,  wenn 
auch  nicht  rechtlich,  so  doch  durch  die  Macht  der  Gewohnheit  ge- 
handhabt wurden.  Nur  der  Gedanke  einer  Loslösung  der  Landes- 
kirche von  der  Universalkirche  lag  noch  fern.  Aber  gerade  durch 
seinen  Kampf  gegen  das  Papsttum  und  die  Weltkirche  war  Luther 
dazu  berufen,  auch  dieses  Band  zu  zerschneiden  und  damit  die  freie 
Landeskirche  ins  Leben  einzufuhren.  Der  Gang  der  Entwicklung  soll 
auf  den  folgenden  Blättern  skizziert  werden  *). 


1)  In  einem  Briefe  an  den  Kurfürsten.  Vgl.  De  Wette,  3f.  lAUherB  Briefe^ 
JSendachretben  umc,     5  Bde.  (Berlin  1825—28).    III,  S.  39. 

2)  C.  A.  H.  Barkhardt,  Geschichte  der  sächsischen  Kirchen-  und  Schul- 
Visitationen  van  1524—1545,    (Leipzig  1879)  S.  8. 

3)  Für  mehrere  Territorien  sind  in  den  letzten  Jahren  über  diesen  Gegenstand 
Einzelantersnchangen  erschienen.  So  von  Finke  für  Schleswig -Holstein  in  Zeitschrift 
für  Schleswig- Holstein 'Lauenburger  Geschichte ,  Bd.  XIII  und  von  v.  Schubert. 
Ebenda,  Bd.  XXIV;  für  Jülich-Berg  von  v.  Below,  Lcmdtagsakten  von  Jülich  (1895I 
nnd  von  Redlich,  Jülich- Bergische  Kirchenpolitik  am  Ausgange  des  MittdaUers 

11 


—     144     — 

Seitdem  die  königliche  Macht  dem  Kurfürstentum  gegenüber  an 
Boden  Einbuße  erlitt,  indem  dieses  die  Hoheitsrechte  der  Zentralgewalt 
territorialisierte,  gewann  auch  das  Landesfiirstentum  in  seinem  Streben 
nach  voller  Landeshoheit  ein  Stück  nach  dem  anderen  hinzu.  Als 
Erbe  des  Königtums  übernahm  es  auch  den  alten  Grenzstreit  zwischen 
Weltkirche  und  Weltreich  oder  zwischen  Geistlich  und  Weltlich.  In 
den  letzten  zwei  Jahrhunderten  des  Mittelalters  war  nun  die  Weltkirche 
auf  dem  rechtlichen  und  wirtschaftlichen  Gebiete  am  weitesten  über 
die  Grenzen  des  Geistlichen  in  das  Gebiet  des  Weltlichen  vorgedrungen. 
Als  deshalb  Nikolaus  von  Kusa  gegen  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts 
zwischen  der  Summe  geistlicher  und  weltlicher  Rechtsansprüche  die 
Bilanz  zog,  stellte  er  folgende  merkwürdige  Verschiebung  fest: 
imperiale  efßcUur  papaie  et  spririttuüe  temporale  *).  Die  Rückeroberung 
des  weltlichen  Gebietes  mußte  deshalb  zuerst  auf  rechtlicher  und  wirt- 
schaftlicher Grundlage  erfolgen.  War  die  Landeshoheit  überhaupt  im 
wesentlichen  auf  Grund  der  Erwerbung  der  Gerichtshoheit  zustande 
gekommen,  so  ist  es  um  so  verständlicher,  wenn  es  auch  auf  dem  Ge- 
biete der  Jurisdiktion  zuerst  zwischen  dem  jungen  Landesfiirstentum 
und  der  Kirche  zum  Zusammenstoß  kam.  Ein  besonderer  Anreiz  dazu 
lag  gerade  in  der  Überspannung  geistlicher  Rechtsansprüche,  wie  sie 
durch  Innozenz  III.  und  die  Dekretaliensammlung  formuliert  worden 
waren.  Sollte  doch  danach  überall  da,  „wo  einer  Partei  eine  Sünde 
zur  Last  fallen  konnte**,  die  geistliche  Jurisdiktion  Platz  greifen.  Hatte 
der  große  Grenzstreit  zwischen  Papsttum  und  Kaisertum  mit  der  Nieder- 
lage des  letzteren  geendet,  so  ging  aus  den  nun  einsetzenden  kleinen 
Kompetenzstreitigkeiten  das  Landesfürstentum  als  Sieger  hervor. 

Schon  im  XII,  Jahrhundert  wurde  die  Prärogative  der  geistlichen 
Gerichtsbarkeit  von  dem  weltlichen  Gerichtsherrn  um  so  schwerer 
empfunden  *),  als  dieser  durch  die  Umgehung  seines  Forums  Einbuße 
an  Gerichtsgefällen  erlitt  und  die  geistlichen  Richter  namentlich  seit 
dem  XIII.  Jahrhundert  bei  reinen  Geldforderungen  kirchliche  Straf- 

und  in  der  Beformationszeit  (1907);  ^^  Brandenbarg  tod  Priebatsch,  Staat  und 
Kirche  in  Brandenburg  in  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte,  Bd.  XIX  and  XX;  für 
Sachsen  von  Geß,  Akten  und  Briefe  zur  Kirchenpolitik  Herzog  Oeorgs  von  ScKihsen^ 
I.  Band  (1905);  fiir  Österreich  von  Srbik,  Besiehungen  von  Staat  und  Kirche  in 
Osterreich  (1904).  Eine  mehr  aUgemeine  Übersicht  gibt  Werminghoff,  Geschichte  der 
Kirchenverfassvmg  Deutschlands  im  Mittelalter,  i.  Band  (1905)  and  zaletst  fiir  die 
Pfak  Lossen,  Staat  und  Kirche  in  der  Pfalz  im  Ausgang  des  Mittelalters  (1907)- 
i)  Concordantia  catholica  lib.  III,  cap.  29. 

« 

2)  Vgl.  Werminghoff,  a.  a.  O.  S.  266,  fUr  die  städtische  Gerichtsbarkeit 
S.  284  ff. 


—     145     — 

mittel  verhängten  und  geistliche  Beklagte  oft  straflos  ausgehen  ließen. 
Da  die  Zentralgewalt  außerstande  war,  die  Überschreitung  der  Kom- 
petenz geistlicher  Gerichte  zurückzuweisen,  so  griffen  Fürsten  und 
Städte  zur  Selbsthilfe.  Häufig  wurde  dann  ein  kriegerischer  Austrag 
zwischen  geistlicher  und  weltlicher  Macht  dazu  benutzt,  im  Friedens- 
vertrag auch  die  Kompetenz  geistlicher  und  weltlicher  Gerichtsbarkeit 
von  neuem  abzugrenzen.  So  geschah  es  1289  in  einer  Fehde  Jülichs  mit 
dem  Erzbischof  von  Köln  *).  Der  von  Frankreich  ausgehenden  •)  Be- 
wegung, —  dort  trat  die  Lust,  sich  von  der  geistlichen  Gerichtsbarkeit 
zu  emanzipieren  am  frühesten  in  Erscheinung  '),  —  schlössen  sich  die 
Nachbarländer,  die  Niederlande,  Brabant  und  Lüttich  an.  Von  hier 
aus  griff  sie  über  auf  Jülich  und  Berg.  Nachdem  hier  Graf  Gerhard  *) 
1349  einen  entschiedenen  Anlauf  zur  Emanzipation  von  der  Ge- 
richtsbarkeit des  Erzbischofs  und  Offizialats  gemacht  hatte,  traten  die 
Landesfursten  beider  Länder  seit  ihrer  Erhebung  zu  Herzogtümern 
1380  auf  Grund  ihrer  potenzierten  Macht  entschieden  selbstbewußter 
auf.  Die  geistlichen  Gerichtsherren  ließen  es  nicht  an  Gegen- 
maßregeln fehlen  *).  So  ging  der  Kölner  Erzbischof  schon  in  den 
Provinzialstatuten  des  XIII.  und  XIV.  Jahrhunderts  dazu  über,  die 
geistliche  Jurisdiktion  zu  schützen.  Jedoch  haben  beide  Territorien 
in  dieser  ganzen  Epoche  dem  weiteren  Vordringen  geistlicher  Rechts- 
ansprüche standgehalten;  Berg  war  es  geglückt,  sogar  mit  einem 
Indult  des  Papstes  die  Übergriffe  der  geistlichen  Jurisdiktion  zu 
parieren,  während  Jülich  sogar  dazu  sich  versteigen  konnte,  beim 
Erzbischof  von  Köln  die  Ausschließung  aller  causcie,  die  vor  das  welt- 
liche Gericht  gehörten,  zu  erwirken  •).    Aber  trotz  der  Ausbildung  ihrer 


i)  Vgl.  O.  Redlich,  JÜHch-Bergisehe  Kirchmpolitik  am  Ausgang  des  Mittd- 
alters  und  in  der  BeformaHansseU.  I.  Band,  Urknndeo  and  Akten  1400 — 1553 
[XXVm.  Band  der  PubKkcOionen  der  Geseüschaft  für  rheimsd^e  Oesehichiskunde, 
(Bonn  1907)],  S.  18.  Redlich  bietet  ans  hier  ein  reiches  Akten  «Blaterial  in  moster- 
gültiger  Form,  das  nicht  nar  die  Jttlich-Bergische  Kirchenpolitik  von  1400 — 1553  ^Ih^üg 
beleachtet  (S.  i — 432),  sondern  aach  die  Kenntnis  der  mannigfachsten  anderen  kirch- 
lichen and  sozialen  Verhältnisse  wesentlich  erweitert.  Besonders  lobenswert  ist  die  aas- 
fUhrliche  Einftihrong  in  das  Stadiam  der  mitgeteüten  Akten  (S.  i^ — 121^)  and  das  aas- 
gibige  Register  (S.  431 — 482). 

2)  Ebenda  S.  28. 

3)  Ebenda  S.  4.    Anm.  i. 

4)  Ebenda  S.  19  a.  20. 

5)  Ebenda  S.  12  ff. 

6)  Aach  in  den  Städten  Worms  and  Speyer  warden  nm  die  geistliche  Gerichts* 
barkeit  die  erbittertsten  Kämpfe  geführt.     Lossen,  a.  a.  O.  S.  79 ff. 

11  • 


—     146     — 

völligen  Landeshoheit  haben  beide  bemerkenswerterweise  nirgends 
ihr  Lehensverhältnis  zur  kölnischen  Kirche  gelockert. 

Auch  nach  der  Vereinigung  beider  Territorien  (1423)  hat  der  Her- 
zog von  Jülich-Berg  zumal  bei  der  Zunahme  der  Streitigkeiten  zwischen 
Geistlichen  und  Weltlichen  im  XV.  Jahrhundert  durch  seine  schieds- 
richterliche Tätigkeit  große  Bedeutung  erlangt.  Zur  Vermittlerrolle  *) 
wurde  der  Landesherr  aber  geradezu  herausgefordert,  als  infolge  von 
Rechtshändeln  zwischen  Klerikern  und  Laien  die  geistlichen  Zucht- 
mittel, Bann  und  Interdikt,  oft  wegen  rein  persönlicher  Forderungen 
immer  häufiger  angewandt  wurden.  Konnte  es  doch  vorkommen,  daiJ 
„ein  ganzes  Kirchspiel  dem  Interdikt  verfiel,  weil  die  Weinfässer  eines 
Dechanten  beim  Transport  aufgehalten  worden  waren"  *).  Der  Landes- 
herr nahm  also  nur  das  berechtigte  Interesse  des  Volkes  wahr,  wenn 
er  auf  Abstellung  derartiger  Maßnahmen  drang,  durch  die  das  Land 
in  geistliche  Zensur  geriet,  die  es  wirtschaftlich  und  sozial  schädigten. 
War  es  bereits  zur  Strafsentenz  gekommen,  so  konnte  durch  herzog- 
lichen Schiedsspruch  Relaxation  derselben  herbeigeführt  werden. 

Allmählich  aber  ging  der  Landesherr  aus  der  defensiven  Stellung 
heraus  und  dazu  über,  auch  auf  die  geistliche  Gerichtsbarkeit  Einfluß 
zu  erringen,  schließlich  in  das  Gebiet  der  geistlichen  Jurisdiktion  ein- 
zugreifen und  seine  Rechtssphäre  zu  erweitern.  Dieser  weitere  Schritt  zur 
Kirchenhoheit  geschah  vermittels  der  Intervention  des  Landesherm. 
Der  Herzog  von  Jülich-Berg  konnte  davon  Gebrauch  machen  vermöge 
seiner  Stellung  zum  Landdechanten.  Herrschte  doch  in  Jülich  die  An- 
schauung, daß  der  Herzog  zwei  Rechte  habe,  ein  geistliches  und  ein  welt- 
liches, das  erste  liege  in  der  Hand  des  Jülicher  Landdechanten.  Dieser 
wurde  aber  im  XV.  Jahrhundert  als  der  kompetente  geistliche  Richter  in 
allen  Sachen,  die  überhaupt  Anlaß  zu  einem  geistlichen  Prozeß  geben 
konnten,  nämlich  bei  Ketzerei,  Ehebruch,  Inzest,  Hurerei,  Zehnten- 
pflicht, Wucher,  Zauberei,  Schwören  u.  a. ,  in  Jülich  angesehen*). 
Als  es  dann  durch  die  Ausschaltung  der  Archidiakonalgerichtsbarkeit 
zum  Konflikt  zwischen  Dechanten  und  Erzbischof  kam,  führte  die 
Intervention  des  Herzogs  auf  einem  Landkapitel  vom  Jahre  1496 
zu    einer    erneuten    Formulierung    der    Rechte    des    Landdechanten 


i)  Dieses  Amt  des  Schiedsrichters  konnte  auch  der  Kurfürst  Friedrich  von  der 
Pfalz  in  einem  Streit  des  Speyrer  Bischofs  mit  der  Stadt  Speyer  im  Jahre  1466  ausüben. 
Vgl.  Lossen,  a.  a.  O.  S.  75  und  S.  83flf.  und  S.  90. 

2)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  59  und  Wcrminghoff,  a.  a.  O.  S.  288 flf.  «eigen,  wie 
die  geistliche  Strafgerichtsbarkeit  von  den  Städten  eingedämmt  wurde. 

3)  Ebenda  S.  66  ff. 


—     147     — 

durch  den  Herzog  selbst.  Der  Kompetenzstreit  wurde  jahrelang  hin- 
geschleppt und  endigte  erst  1503  durch  einen  auf  zehn  Jahre  ab- 
geschlossenen Vergleich.  Das  Denkwürdige  in  diesem  Streit  war, 
daß  hier  der  Landesherr  durch  seine  Hilfsstellung  zur  Gerichtsbar- 
keit seines  Landdechanten  seine  Untertanen  gegen  eine  ausländische 
Kirchenbehörde  und  einen  fremden  Gerichtshof  schützte.  Bei  der 
wachsenden  Erregung  des  Volkes  gerade  gegen  die  OfSzialgerichts- 
barkeit  —  immer  bewegter  wurden  die  Klagen  des  Volkes  um  die  Wende 
des  XV.  Jahrhunderts  über  die  „Geldschinderei**  der  Offiziale  *)  — 
lag  es  im  Landesinteresse,  hier  einzuschreiten,  und  Städte  und  Fürsten 
gingen  gleichzeitig  gegen  die  Bedrückung  des  „armen  Mannes**  durch 
die  geistliche  Behörde  vor.  Einen  beredten  Ausdruck  fand  der  Volks- 
unwille in  dem  Petitionensturm  der  centum  gravamina,  die  dem  Wormser 
und  dem  ersten  Nürnberger  Reichstag  vorgelegt  wurden  und  von  denen 
40  Artikel,  und  gerade  die  ersten,  gegen  die  geistliche  Gerichtsbarkeit 
und  die  Appellation  nach  Rom  gerichtet  sind.  Unter  dem  Druck 
der  sozialen  Unruhen  traf  der  Herzog  von  Jülich-Berg  1524  und  1525 
Verordnungen  gegen  die  materielle  Schädigung  des  Volkes  durch  das 
geistliche  Gericht  auch  des  Landdechanten  *).  Nachdem  so  die  Landes- 
gewalt aus  der  Hilfsstellung  zur  niedrigsten  Instanz  geistlicher  Ge- 
richtsbarkeit, zum  Sendgericht,  in  eine  direkt  feindliche  Haltung 
übergegangen  war,  schritt  sie  zur  Bekämpfung  der  geistlichen  Gerichts- 
barkeit überhaupt  fort ').  Wir  stehen  in  der  Reformationszeit.  Der 
Kompetenzstreit  zwischen  geistlicher  und  weltlicher  Jurisdiktion  wurde 
nun  unmittelbar  zwischen  geistlichen  und  weltlichen  Untergewalten 
ausgefochten ,  zwischen  Erzbischof  und  Herzog.  Nach  langwieriger 
gegenseitiger  Befehdung  —  der  Erzbischof  brachte  die  Angelegenheit 
bis  vor  den  Kaiser,  der  Herzog  fand  in  den  Ständen  einen  Rückhalt  — 
kam  es  im  Jahre  1553  zu  Bacharach  zur  Verhandlung*).  Der  Erz- 
bischof vertrat  seine  althergebrachten  Rechte,  der  Herzog  stützte  sich 
auf  sein  Gewohnheitsrecht  mit  um  so  mehr  Erfolg,  als  seine  politisch 
klare  unzweideutige  Stellung  als  Landesherr  ihn  dazu  stark  genug  hatte 
werden  lassen.    Der  Konflikt  blieb  ungelöst  bis  1621,  wo  er  nach  dem 


i)  Gebhardt,   Die  gravamina  der  deutschen  Nation  gegen  den    römischen 
Hof  {2.  Aufl.  Breslau  1895),  S.   108  f. 

2)  Ebenda  S.  79. 

3)  Werm  inghoff,    a.  a.  O.  S.  291.    zeigt    dies    an    den  Städten   schon   für    das 
XIV.  Jahrhundert. 

4)  Ebenda  S.  8  7  f. 


—     148     — 

Eintritt  ruhigerer  Zeiten  durch  einen  Vergleich  beigelegt  wurde.  So 
sehen  wir,  daß  kirchliche  Hoheitsrechte  zuerst  auf  dem  Gebiete  der 
Gerichtsbarkeit  mit  der  erstarkenden  Landeshoheit  zusammen- 
wachsen. 

Das  war  aber  nur  em  Gebiet,  auf  dem  die  geistliche  Gewalt 
kraft  der  zunehmenden  Schwäche  der  Zentralgewalt  weit  über  die 
natürlichen  Grenzen  ihres  Machtbereichs  vorgedrungen  war  und  auf 
dem  naturgemäß  der  Gegenstoß  der  Landesherm  zuerst  fühlbar 
wurde.  Indes  auch  auf  dem  Grebiete  der  Verwaltung  hatte  die  Kirche 
im  Mittelalter  eine  starke  Prärogative  gegenüber  der  weltlichen  Ge- 
walt behauptet  und  diese  immer  mehr  in  zentralistischem  Sinne  ge- 
handhabt. Von  alters  her  beanspruchte  der  Klerus  neben  dem  Privi- 
legium fori  auch  das  Privilegium  immuniiaiis.  Die  Steuerfreiheit,  die 
Befreiung  des  Klerus  vom  Ungeld,  wurde  vor  allem  in  den  Städten  *) 
als  eine  wirtschaftliche  Einbuße  um  so  schwerer  empfunden,  als  im 
ausgehenden  Mittelalter  der  Besitz  der  toten  Hand  ins  Ungemessene 
stieg.  Die  klöster  han  das  ertrich  inne  *).  Um  die  Erl^ung  des 
Ungeldes  entbrannten  zwischen  der  Geistlichkeit  und  der  Stadt  l)äufig 
heftige  Kämpfe,  die  zur  Verjagung  der  GeistUchkeit  und  zur  Ver- 
hängung von  Bann  und  Interdikt  über  die  Stadt  führten  *). 

Das  Territorium  des  Landesfursten  hatte  meistens  schon  von  An- 
fang an  hierin  sein  Recht  besser  behauptet.  So  war  in  Jülich  und 
Berg  die  Befreiung  von  Schatz  und  Bede  sowie  von  Dienstpflicht  und 
Zollabgabe  nicht  ohne  weiteres  zugestanden  worden,  sondern  sie  mußte 
jedesmal  von  neuem  verbrieft  *)  werden.  Diese  Verbriefimg  galt  dann 
als  Stiftung,  als  Kompensation  für  die  dem  Seelenheil  des  Lances- 
herrn  dienenden  kirchlichen  Leistungen.  Daß  neben  der  gewöhnlichen 
Schatzpflicht  der  Klerus  auch  zu  außerordentlichen  Schatzimgen  heran- 
gezogen wurde,  zeigt  eine  Urkunde  aus  Beig  von  1246  *).  Aber  in  all 
diesen  Fällen  befindet  sich  das  Territorium  der  Kirche  gegenüber  noch 
in  der  defensiven  Stellung.  Zu  einer  direkten  Einmischung  in  die 
Verwaltung  des  Kirchenvermögens  gelangte  der  Landesherr  erst  durch 


i)  Vgl.  die  Zusammenfassung  bei  Werminghoff,  a.  a.  O.  S.  2 78 ff. 

2)  Die  Beformation  des  Kaisers  Sigmund,  herausgegeben  von  H.  Werner  als 
in.  Ergänzongsheft  des  Archivs  für  Kulturgeschichte  (Berlin  1908),  S.  23. 

3)  Vgl.  Seidenberger,  Die  kirchenpoUtische  Literatur  unter  Ludwig  dem 
Bayern  und  die  Ztmftkämpfe  vornehmlich  in  Maine  in  Westdeutsche  Zeitschrift 
für  Geschichte  und  Kunst  8.  Band,  S.  92 ff.  and  Werminghoff,  a.  a.  O.  S.  282 f. 

4)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  47. 

5)  Ebenda  S.  41. 


—     149     — 

das  Amt  eines  Kirchen-  oder  Klostervogts.  Fiel  ihm  schon  als  Erbe 
des  Kaisertums  die  Rolle  eines  advoccUus  ecclesitie  zu,  so  gab  ihm  das 
Vogteirecht  Gelegenheit,  nicht  nur  der  betreffenden  geistlichen  Kor- 
poration seinen  äußeren  Schutz  angedeihen  zu  lassen,  sondern  auch 
deren  Güterveräußerung  und  Gütertausch  zu  beaufsichtigen.  Dieses 
Vogteu-echt  suchte  dann  der  Herzog  von  Berg  auf  alle  geistlichen  Kor- 
porationen auszudehnen  *),  während  einzelne  Korporationen  wieder  durch 
pfandweise  Erwerbung  oder  Kauf  gerade  derVogteirechte  sich  der  Vogtei- 
schaft  des  Herzogs  im  XIII.  Jahrhundert  zu  entziehen  suchten.  Es  führte 
diese  Bewegung  zu  den  heftigsten  Kämpfen  zwischen  Erzbischof,  Prä- 
laten, Geistlichen  und  Klöstern  einerseits  und  dem  weltlichen  Territorial- 
herm  *)  andrerseits.  Infolge  des  Vogteirechtes  schritt  der  Landesherr 
bei  der  Vermehrung  des  Besitzes  der  toten  Hand  auch  dazu  fort,  den 
Gütererwerb  der  geistlichen  Korporationen  zu  überwachen,  ja  sogar 
einzuschränken  *).  Es  begann  nämlich  am  Ende  des  Mittelalters  auf 
diesem  Gebiete  die  Revindikation  des  Kirchengutes,  indem  der  Adel 
und  namentlich  der  Landesfiirst  sich  seiner  alten  Rechte  an  dem 
Kirchengut  wieder  bewußt  wurde.  So  beanspruchte  der  Landesherr 
ein  Obereigentum  am  gesamten  bevogteten  Gut  *).  Deshalb  legt  ein 
Pamphletist  dem  Kaiser  Friedrich  IIL  die  Worte  in  den  Mund :  pfafien- 
hob  ist  mein  Jcammergut  Tatsächlich  sprach  einmal  Friedrich  IIL  von 
unsem  praUUen,  den  von  statten  und  andern^  so  in  unser  kammer 
gehören  *). 

Auf  dem  Patronatsrecht  des  Fürsten  beruhte  die  Präsentation 
zahlreicher  Würdenträger,  so  daß  der  Landesherr  im  XV.  Jahrhundert 


i)  Herzog  Albrecht  n.  von  Osterreich  nannte  sich  zuerst  obrister  vogi  in  dem 
land  ze  Oegterreieh,  Erst  Herzog  Rudolf  hat  sich  zum  Erbvogt  aller  Stifter  erklären 
lassen.  Vgl.  v.  Srbik,  Die  Beziehungen  von  Skuxt  und  Kirche  in  Österreich  wahrend 
des  Mittelalters  (Innsbruck  1904)  S.  82  und  Lossen,  a.  a.  O.  S.  66 ff. 

2)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  40. 

3)  Ebenda  S.  42,  48.  Auch  Srbik  weist  nach  (a.  a.  O.  S.  89),  daß  der  Herzog 
Friedrich  U.  von  Osterreich,  ebenso  Rudolf  IV.  ein  förmliches  Konsensrecht  statuierten, 
und  Lamprecht  {Deutsches  Wirtschaftsleben  I./2.,  S.  1073)  hat  diese  Konsenserklärung 
auch  bei  Änderung  der  Bebauungsart  und  der  Verwaltung  des  Kirchengutes  fUr  die  Mosel- 
gegend nachgewiesen.     Vgl.  auch  Lossen,  a.  a.  O.  S.  143. 

4)  So  fUhrte  der  Kurfürst  Philipp  von  der  Pfalz  als  Obereigentttmer  durch  einen 
Erlafi  an  seine  Amtleute  1499  die  Oberaufsicht  ftber  die  Verwaltung  des  Pfrttndenvermögens 
ein.     Vgl.  Lossen,  a.  a.  O.  S.  105  f.  und  S.  139. 

5)  Vgl  Srbik,  a.  a.  O.  S.  91,  ferner  Chmel,  Beiträge  sur  Oesthichte  Kaiser 
Friedrichs  IV.     2.  Bd.,  (Wien  1840),  S.  282  und  Lossen,  a.  a.  O.  S.  72. 


—     150     — 

geradezu  an  die  Stelle  des  Ordinarius  rückte  ^).  Zur  Zeit  des  Schisma 
suchen  die  österreichischen  Herzöge  mit  allen  Zwangsmitteln  überall 
in  ihren  Bistümern  die  von  ihnen  vorgeschlagenen  Bewerber  ein- 
zusetzen. So  kam  es,  daß  die  Landesgewalt  nun  immer  schärfer  mit 
dem  maßlos  ausgeübten  Provisionsrecht  der  Päpste  zum  Nachteil  der 
Kollationsberechtigten  konkurrierte.  Eine  andere  Äußerung  des  ur- 
sprünglich vom  römischen  Kaiser  geübten  ius  advocatiae  ist  ebenfalls 
vor  dem  XV.  Jahrhundert  bereits  kenntlich,  nämlich  der  Versuch,  kirch- 
liche Anordnungen  zu  treffen.  So  sehen  wir  1303  den  Grafen  Wilhelm 
von  Berg  und  die  Ritter  von  Eller  über  die  Verleihung  von  Pfründen 
an  der  von  ihnen  zur  KoUegiatkirche  erhobenen  Pfarrkirche  zu  Düssel- 
dorf statutarische  Bestimmungen  treffen  über  Dechantenwahl ,  Seel- 
sorge, Opfer  u.  a. ,  die  dem  Erzbischof  vorgelegt  wurden  *).  Ja  in 
anderen  Territorien  gehen  Landesherren  gerade  als  Stifter  von  geist- 
lichen Korporationen  und  auf  Grund  der  von  ihnen  den  Klöstern 
verUehenen  Schutzprivilegien  zu  innerkirchlichen  Maßregeln  über.  So 
wurde  in  Brandenburg  *)  bereits  vor  dem  XV.  Jahrhundert  das  Plazet 
gehandhabt,  und  in  Österreich  das  Konsens-  oder  Vetorecht  geltend 
gemacht  *).  Auch  erscheint  in  dieser  Periode  bereits  der  Landesfürst 
als  Erbe  des  kaiserlichen  defensor  ecdessiae  in  der  Rolle  eines  Vor- 
kämpfers der  Rechtgläubigkeit.  Bemerkenswert  ist  in  dieser  Beziehung 
der  Erlaß  des  Herzogs  Wilhelm  III.  an  alle  Amtleute  in  Jülich  und 
Geldern,  gegen  das  Unwesen  der  Geißelbrüder  aufzutreten*)  (1400, 
Mai  26.).  Aber  namentlich  in  Süddeutschland,  wo  am  frühesten  der 
Kampf  gegen  Dogma  und  Hierarchie  der  Kirche  entbrannte,  waren 
es  die  Landesfürsten  von  Schwaben,  Bayern  und  Österreich,  die  das 
hrttchium  sectdare  gegen  Irrgläubige  erhoben.    Bekannt  ist  das  Ketzer- 


i)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  44  and  Lossen,  a.  a.  O.  S.  97  ff.  Werminghoff 
bezeichnet  mit  Recht  den  Patronat  and  die  Vogtei  als  „die  beiden  wichtigsten  Voraas- 
Setzungen,  an  die  ein  landesherrliches  Kirchenregiment  anknüpfte '',  a.  a.  O.  S.  259.  In 
diesem  Buche  wird,  soweit  der  i.  Band  reicht,  zum  erstenmal  ein  sehr  wertvoller  und 
zuverlässiger  Führer  geboten  durch  die  mannigfachen  Beziehungen,  welche  die  Kirchen- 
Verfassung  des  Mittelalters  mit  dem  öffentlichen  Leben  in  dem  Territorium  der  Stadt  und 
des  Fttrstentoms  verbinden.  Namentlich  werden  die  Wandlungen  des  Verhältnisses  zwischen 
Kirche  und  Staat  im  XV.  Jahrhundert  klargelegt.  Das  Buch  sei  besonders  den  Lokal- 
forschern empfohlen,  weil  es  bei  aller  Buntheit  der  Gestaltungen  immer  wieder  die  ge- 
meinsamen Züge  der  verfassungsgeschichtlicben  Entwicklung  hervortreten  läflt. 

2)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  45  und  Lossen,  a.  a.  O.  S.  ii9ff. 

3)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  46. 

4)  Srbik,  a.  a.  O.  S.  89. 

5)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  52f. 


—     151     — 

mandat  der  österreichischen  Herzöge  Wilhelm  und  Albrecht  IV.  vom 
Jahre  1397.  Ja  Albrecht  V.  ließ  die  Professoren  der  Wiener  Uni- 
versität den  Eid  der  Rechtgläubigkeit  ablegen,  um  sie  gegen  den 
Husitismus  gleichsam  immun  zu  erhalten  ^). 

Aber  das  Fürstentum  blieb  nicht  bei  der  Abwehr  und  Revindi- 
kation  auf  dem  rechtlichen  und  wirtschaftlichen  Gebiete  stehen,  sondern 
es  ging  auch  direkt  auf  geistliches  Gebiet  hinüber  und  übte,  wenn  auch 
nur  zeitweilig,  das  volle  Kirchenregiment  aus*).  Diese  Grenz- 
überschreitung konnte  allerdings  nur  unter  einem  abnormen  Zustand 
der  Kirche,  wie  er  durch  das  große  Schisma  geschaffen  war,  und 
unter  der  fieberhaften  Geisterbewegung  der  Reformkonzilien  vor  sich 
gehen.  Noch  kurz  vor  dem  demütigenden  Gang  des  Papsttums  nach 
Avignon  hatten  sich  als  Gegengewicht  gegen  die  absolutistische 
Überhebung  Bonifaz'  VIII.  in  Frankreich  die  Vorboten  gezeigt.  Eine 
Ständeversammlung  im  Louvre  (1303)  hatte  unter  der  Leitung  des 
eigentlich  treibenden  Elements ,  der  juristischen  Laien ,  an  ein  all- 
gemeines Konzil,  die  erste  Appellation  dieser  Art,  appelliert,  das 
über  den  ketzerischen  Papst  zu  Gericht  sitzen  und  den  Zustand  der 
Kirche  verbessern  sollte  *).  In  der  nun  folgenden  verhängnisvollen 
Zeit  des  Schismas  bewarb  sich  das  durch  seinen  Zwiespalt  ge- 
schwächte Papsttum  um  die  Obödienz  von  Fürsten  und  Völkern, 
indem  es  zu  ihrer  Erlangung  seither  sorgsam  gehütete  Vorrechte  ver- 
geudete. Der  Kampf  um  die  Einheit  der  Kirche  hätte  die  kaiserliche 
Macht  an  ihre  alte  superiore  Stellung  erinnern  können.  Siegmund  ge- 
fiel sich  auch  in  dieser  universalen  Mission,  der  er  sich  in  Konstanz 
mit  allen  ihm  zur  Verfügung  stehenden  Kräften  hingab.  Aber  in  der 
anderen  Rolle,  in  der  eines  großen  Reformators,  die  ihm  das  Geschick 
ebenfalls  zugedacht  hatte,  war  er  nicht  so  glücklich.  Da  bei  der 
Reform  zu  Basel  die  Interessen  nicht  nur  der  Nationen,  sondern  in 
Deutschland  auch  der  Territorien  auf  dem  Spiele  standen,  so  wollten 
die  deutschen  Fürsten  deren  Wahrnehmung,  wie  schon  lange  auf 
dem  politischen,  so  auch  jetzt  auf  dem  kirchenpolitischen  Gebiete 
nicht  mehr  dem  Königtum  überlassen.  Wenn  es  auch  einige  Prälaten 
anstößig  fanden,  daß  ein  weltlicher  Fürst  das  Konzil  zu  Basel  so 
offenbar  beherrschte  *),  so  wußten  doch  die  beiden  sich  immer  heftiger 


i)  Srbik,  a.  a.  O.  S.  113 f. 

2)  Vgl.  fiir  die  Städte  Werminghoff,  a.  a.  O.  S.  295. 

3)  Voigt,  G.,  Enea  Silvio  de  Piccdomini  ah  Papst  Piu$  IL  und  sein  Zeit- 
alter (Berlin  1856),  i.  Band,  S.  24. 

4)  Voigt,  a.  a.  O.  1,  S.  43. 


—     162     — 

befehdenden  Parteien,  Papst  Eugen  IV.  und  das  allgemeine  Konzil, 
wo  die  letzte  Entscheidung  in  der  Machtfrage  zwischen  diesen  beiden 
Faktoren  ruhe,  nämlich  bei  den  weltlichen  Fürsten.  Nachdem  der 
kirchliche  Kampf  schließlich  zum  Verfassungskonäikt  ^)  —  das  Konzil 
entsetzte  den  Papst,  und  dieser  verlegte  es  nach  Ferrara  —  innerhalb 
der  Kirche  geführt  hatte,  waren  es  die  staatlichen  Organe,  bei  denen 
die  Entscheidung  lag.  Frankreich  ging  als  geschlossene  Nation  vor 
und  rezipierte  die  Reformdekrete  des  Baseler  Konzils  auf  der  National- 
synode zu  Bourges;  in  Deutschland  fuhren  sich  die  Kurfürsten  in  der 
Neutralität  fest.  Zeitgenossen  nannten  das  einen  Staatsstreich.  Die 
Neutralitätsurkunde  erklärte  am  17.  März  1438,  im  Streit  zwischen  Papst 
und  Konzil  keinem  von  beiden  Teilen  zufallen  zu  wollen,  und  für  den 
Zeitraum  von  6  Monaten  sollten  die  Gebote  der  einen  oder  der  anderen 
Partei  in  ihren  Landen  kraftlos  sein  *).  Die  Kurfürsten  wollten  das  Steuer 
der  geistlichen  Herrschaft  in  ihren  Diözesen  und  Territorien  in  die  Hand 
nehmen  unter  Wahrung  etwaiger  Rechte  des  Papstes  und  Konzils  ').  Um 
aber  dennoch  die  Reformdekrete  vom  Jahr  1435/36  für  die  Territorien 
Deutschlands  zu  retten,  wurden  diese  auf  dem  Reichstag  zu  Mainz  am 

*  * 

26.  März  1439  akzeptiert  unter  dem  Vorbehalt  von  Änderungen,  Er- 
läuterungen und  Einschränkungen,  wie  sie  durch  die  territoriale  Ver- 
schiedenheit bedingt  seien.  Durch  die  Verlängerung  der  Neutralität  wurde 
zugleich  der  ex-lex-Zusiand  noch  weiter  ausgedehnt.  Ja  der  Binger  Kur- 
verein vom  20.  März  1439  bestimmte,  daß  unter  Aufrechterhaltung  der 
Neutralität  die  beiden  uniyersalen  Autoritäten  durch  geistUche  und  welt- 
liche Landeskonsistorien  ersetzt  werden  sollten  *).  Also  auch  das 
geistliche  Territorium  nahm  willigen  Anteil  an  den  Emanzipationsbestre- 
bungen der  weltlichen  Untergewalten  gegen  die  päpstliche  Prärogative ! 
So  war  die  universale  Reform  in  ihre  nationalen,  in  Deutschland,  der 
politischen  Entwicklung  entsprechend,  in  ihre  territorialen  Faktoren  zer- 
fallen. Reichsgesetzlich  war  sie  in  der  Akzeptationsurkunde  von  1439  fest- 
gelegt, nachdem  sie  schon  kirchengesetzlich  kurz  zuvor  eingeleitet  war. 
Denn  auch  das  Konzil  hatte  in  seiner  15.  Sitzung  (1435)  die  universale 
Reform  in  partikulare  Bahnen  geleitet,  indem  es  bestimmte,  daß  regel- 
mäßig Provinzial-  und  Diözesansynoden  zur  Reform  der  Einzelkirchen 


1)  Vgl.  für  das  Folgende  meinen  Aufsau  Der  kirchliche  Verfa88ung8konflikt  vom 
Jahre  1438139  und  die  sog.  Beformation  des  Kaisers  Sigmund  im  Neuen  Archiv 
für  ältere  deutsche  Geschichtshunde  XXXII,  S.  730. 

2)  Text  bei  6 ach  mann  im  A.  fUr  österreichische  Geschichte  21'. 

3)  Joachimsohn,  Gregor  Heimburg,  S.  52. 

4)  Srbik,  a.  a.  O.  S.   ii. 


—     153     — 

abg^ehalten  werden  sollen.  In  der  Voraussicht  nämlich,  daß  die  Re- 
form der  Gesamtkirche  bei  dem  immer  rascheren  Anschwellen  der 
Zahl  der  radikalen  Elemente  auf  Abwege  geraten  könne ,  wollte  man 
zunächst  die  bereits  dekretierten  Reformbeschlüsse  erst  Gestalt 
annehmen  lassen.  Das  war  die  Absicht  der  damals  fuhrenden 
Geister  wie  des  Kardinallegaten  Cesarini.  Sein  Zeitgenosse  Joh.  Nieder 
sprach  sich  in  demselben  Sinne  aus,  wenn  er  meinte,  man  solle  jetzt 
eifrig  Klöster  und  Gemeinden  reformieren,  da  er  von  der  totalis 
reformcUio  ecclesiae  nichts  erhoffe  ').  Es  trat  in  der  Reform  der  ge- 
samten Kirche  ein  Stillstand  ein,  der  zugleich  zu  einem  Wendepunkt  in 
der  ganzen  Reformbewegung  wurde,  weil  diese  nun  partikularisiert  d.  h. 
territorialisiert  wurde.  Das  sprachen  die  Landesfürsten  auf  das  An- 
erbieten des  Papstes  hin,  fiir  die  gravamina  der  deutschen  Nation 
Abhilfe  zu  schaffen,  offen  aus,  nämUch,  daß  die  gravamina  land- 
schaftlich verschieden  seien,  es  sei  deshalb  Sache  der  einzelnen 
Landesteile ,  sich  eine  provisio  geben  zu  lassen  *).  So  arbeiteten 
Papst,  Konzil  und  Landesfürsten  darauf  hin,  daß  letztere  selbst  das 
allein  ins  reformandi  ausüben  könnten.  Ja  wir  begegnen  bereits 
in  dieser  Bewegung  dem  Worte  „Protestation"  =«  Neutralität.  Aber  bei 
aller  Ähnlichkeit  der  Protestation  des  XV.  Jahrhunderts  mit  der  des 
XVI.  Jahrhunderts  sind  beide  Begriffe  doch  so  voneinander  ver- 
schieden, wie  die  Reform  des  XV.  von  der  Reformation  des  XVI.  Jahr- 
hunderts. Nicht  anders  steht  es  um  das  hier  rechtlich  in  Anspruch  ge- 
nommene und  tatsächlich  ausgeübte  itis  reformandi.  Denn  dieses  soll 
1439  unter  dem  Vorbehalt  einer  von  dem  Papst  und  Konzil  zu 
erteilenden  Indenmität  ausgeübt  werden,  während  das  ius  reformandi 
des  I.  Speierer  Reichstags  das  universale  Band  durchschneidet  und  die 
Landeskirche  begründet.  Die  nun  von  dem  Papst,  Konzil  und  den 
Landesfürsten  eingeleitete  Partikularreform  in  Deutschland  setzte  bei 
den  Klöstern  zuerst  ein.  Sie  führte  zu  kirchlichen  Organisationen  in 
der  Gestalt  der  Bursfelder  und  Windesheimer  Kongregation.  Auch  bei 
dieser  scheinbar  aus  der  Kirche  selbst  hervorgehenden  Erneuerung 
sicherte  der  weltliche  Arm  der  Fürsten  erst  die  Verwirklichung 
und  Dauer  *).  So  sehen  wir ,  wie  der  Reformator  des  deutschen 
Augustinerordens,  Andreas  Proles,  mit  der  Einführung  der  Observanz 
in  die  sächsischen  Augustinerklöster  erst  dadurch  Erfolg  erzielte,  daß  er 


1)  Vgl.  meine  Aasgabe  der  Befarmation  Kaiser  Sigmunds  S.  XXÜ. 

2)  Reicbstagsabschied   vom   Reichstag   zu   Frankfart    1439.     Vgl.  Joacbimsobn, 
a.  a.  O.  S.  60. 

3)  ^Sl>  *°cl)  Lossen,  a.  a.  O.  S.   150 ff. 


—     164     — 

dem  Herzog  von  Sachsen  Wilhelm  III.  das  Reformationsrecht  vindi- 
zierte „um  der  eigenen  Seelen  Seeligkeit  und  des  Volkes  Besserung 
willen"  ^).  Erfüllt  von  den  Reformideen  des  Baseler  Konzils,  publizierte 
dieser  denn  auch  als  Abschied  des  Landtages  zu  Weißensee  (1446) 
die  Landesordnung,  wonach  „alle  Klöster  in  seinem  Lande  reformiert, 
alle  Priester  ermahnt  werden  sollen,  sich  geistlich  zu  halten**.  Sonst 
tvoüen  toir  mit  dUen  fleyß  daran  syn  und  schaffen^  daß  der  gestrafft 
und  gerechtfertiget  unirde,  als  sich  gd>iret,  und  das  auch  selbst  tun. 
Trotz  des  eifersüchtigen  Eingreifens  von  seiten  des  Ordensgenerals 
mit  kü-chlichen  Strafen  gegen  den  reformeifrigen  Mönch  erließ  der 
Herzog  strenge  Mandate  gegen  die  Konvente,  die  auf  den  Wink  des 
Generaloberen  von  der  Observanz  abfielen,  und  ließ  diese  wieder  durch 
seine  Amtleute  einfuhren  *).  Ebenso  lieh  ein  anderer  tatkräftiger  welt- 
licher Fürst,  Herzog  Albrecht  V.  von  Österreich,  einer  ähnlichen 
Reformbewegung,  die  von  Kloster  Melk  ausging,  seinen  starken  Arm 
und  erzwang  beim  Widerstand  gegen  das  Reformwerk  die  Einsetzung 
einer  Visitationskommission  *).  Ja  er  ließ  sich  durch  einen  Vertrag 
mit  dem  Bischof  von  Passau  die  Einholung  der  Zustimmung  des 
Landesherrn  zur  Vornahme  von  Visitationen  gewährleisten  *). 

Nicht  weniger  fest  steht,  daß  der  Herzog  Wilhelm  von  Jülich- 
Berg  ebenfalls  die  Reformation  der  Klöster  seines  Landes  anordnete 
oder  bei  den  geistlichen  Organen  in  Anregung  brachte,  denen  er  seine 
Räte  zur  Seite  stellte  *).  Selbst  geistliche  Fürsten  hielten  die  Reform 
für  eine  territoriale  Angelegenheit,  wie  der  Erzbischof  von  Köln  dies 


i)  Kolde,  Die  deutsche  Augustiner  -  KongregcUion  und  Joh,  von  Staupitz 
(1879),  S.  108 ff.  Vgl.  auch  Gefi,  Akten  und  Briefe  zur  Kirchenpolitik  des  Herzogs 
Georg  von  Sachsen,  i.  Band  (Leipzig  1905),  S.  XXXVIII.  Dieser  neue  religiös-sittliche 
Beruf  der  Fürsten,  für  das  Seelenheil  der  Untertanen  verantwortlich  tn  sein,  tritt  auch 
an  Herzog  Albrecht  V.  hervor,  der  am  Nichtbestätigung  des  Passaaer  Bischofs  bittet: 
propter  scUutem  animarum  sucie  et  suorum  subditorum  (a.  1424/25).  Srbik,  a.  a. 
O.  S.  10. 

2)  Kolde,  a.  a.  O.  S.  119.  Vgl.  auch  die  bezeichnenden  Äußerungen  von 
Mathias  Döring  (Albert,  Mathias  Döring,  S.  152)  und  Priebatsch,  Staat  und 
Kirche  in  der  Mark  Brandenburg  am  Ende  des  M.  A,  in  Zeitschrift  für  Kirchen- 
geschichte  19.  Band,  S.  417. 

3)  Srbik,  a.  a.  O.  S.  212. 

4)  So  konnte  ein  Nekrolog  diesem  Herzog  den  stolzen  Titel  geben:  reformator 
totuis  religiosae  vitae  in  Au^tria.  Eigner,  Geschichte  des  aufgehobenen  Klosters 
Mariazell  (1900),  S.  91. 

5)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  93.  Auch  der  Reformator  Johannes  Busch  [vgl. 
K.  Grabe:  Johannes  Busch,  Augustinerpropst  zu  Hildesheim,  Feiburg  1881,  S.  52] 
ruft  für  seine  Tätigkeit  den  weltlichen  Arm  an. 


—     155     — 

für  sein  kurkölnisches  Gebiet  in  Anspruch  nahm.  Von  anderen  Bei- 
spielen territorialer  Ausübung  des  ins  reformandi  ist  hier  auch 
der  merkwürdige  Versuch  eines  Reichsstädtebürgers  zu  erwähnen, 
für  das  Territorium  der  Stadt  das  Recht  der  Reformation  in  Anspruch 
zu  nehmen,  in  der  „Reformation  des  Kaisers  Siegmund**.  Ist  diese 
Reformschrift  auch  kein  offizielles  Aktenstück  in  der  damaligen  terri- 
torialen Reformbewegung,  so  steht  doch  jetzt  fest  *) ,  daß  sie  sich  an 
einen  offiziellen  Akt,  an  die  Akzeptationsurkunde  des  Reichstags  von 
Mainz  (1439),  eng  anschließt  und  alles  Ernstes  die  Stadt  zur  unmittel- 
baren Vornahme  der  Reform  der  Kirche  in  ihrem  Gebiet  aufruft.  Diese 
Zumutung  an  die  öffentliche  Meinung  in  den  Städten  würde  unberech- 
tigt erscheinen,  wäre  diese  für  die  partikulare  (territoriale)  Kirchen- 
reform nicht  schon  längst  vorbereitet  gewesen. 

In  der  Tat,  die  öffentliche  Meinung  drängte  schon  längst  zu  dieser 
Entwicklung.  Die  Ideen,  die  in  dem  letzten  großen  Kampf  zwischen 
Papsttum  und  Kaisertum  keimten  und  immer  mehr  Wurzel  faßten, 
schössen  in  der  schwülen  geistigen  Atmosphäre  des  Schismas  und  der 
Reformbewegung  üppig  ins  Kraut.  Die  päpstliche  Lehre  von  der 
Prärogative  des  Geistlichen  hatte  bereits  die  radikalste  Publizistik  in 
jenem  Kampfe  in  ihr  Gegenteil  gekehrt.  Die  Kirche  hat  nach  der  An- 
sicht ihrer  extremen  Vertreter  kein  Recht  der  Legislative,  keine  eigene 
Gerichtsbarkeit,  kein  Sondereigentum,  keine  Steuerfreiheit  für  dasselbe; 
das  Privilegium  fori  der  Kleriker  muß  vielmehr  zugunsten  der  weltlichen 
Gewalt  fallen.  Die  Beschränkung  und  Besetzung  der  kirchlichen  Stellen 
steht  ihr  allein  zu.  Der  Fürst  hat  sogar  das  Recht,  im  Notfall  und 
auf  Anruf  der  geistlichen  Gewalt  auch  in  die  Spiritualien  einzugreifen  *). 
Den  Vertretern  der  Staatsgewalt  fällt  ein  Notreformationsrecht  zu, 
kurzum  die  Kirche  wird  als  organischer  Bestandteil  des  Staatsganzen 
in  Anspruch  genommen  *).  Mit  gutem  Erfolg  hat  Srbik  den  bisher 
geleugneten  *)  Einfluß  dieser  Publizistik  auf  die  landesherrliche  Kirchen- 
politik nachgewiesen  *).  So  habe  Occams  bedeutendstes  Werk ,  der 
Dialogus,  den  Herzog  Albrecht  II.  von  Österreich  veranlaßt.  Bann 
und  Interdikt  über  Ludwig    den  Bayern   in   seinen  Landen   nicht   an- 


i)  Neues  Archiv  für  ältere  deutsche  Geschichtskunde  32.  Band,  S.  379  ff. 

2)  Friedberg,  Die  Grenzen  zwischen  StcMt  und  Kirche  (1872),  S.  i34ff. 

3)  Dorn  er,  Verhältnis  von  Stitat  tmd  Kirche  nach  Occam  in  Theologischen 
Studien  und  Kritiken  (1885),  S.  684  ff. 

4)  Vgl.  von  B  e  1  o  w ,  Die  städtische  Verwaltung  des  Mittelalters  in  Historischer 
Zeitschrift  75,  453  und  Joachimsohn,  Chregor  Heimburg,  S.  205 f. 

5)  Srbik  a.  a.  O.  S.  7. 


—     166     — 

zuerkennen.  Bemerkenswert  ist  auch  das  zeitliche  Zusammenfallen  dieser 
literarischen  Bewegung  mit  den  Mainzer  Zunftkämpfen,  die  ihren  An- 
griff auf  die  geistliche  Gerichts-  und  Steuerexemtion,  den  Erwerb  der 
toten  Hand,  richteten  und  das  Geistliche  vom  Weltlichen  schon  um 
die  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  zu  scheiden  versuchten.  Jedenfalls 
lag  für  Fürst  und  Volk  hier  in  den  Werken  der  Publizistik  das  Rüst- 
zeug zum  Kampf  für  ihre  territoriale  Unabhängigkeit  von  der  geist- 
lichen Gewalt  bereit.  Auf  die  Publizistik  des  XV.  Jahrhunderts  gar 
hat  diese  Literatur  erst  recht  Einfluß  ausgeübt.  Marsilius  und 
Occam  lieferten  Dietrich  von  Niem  *) ,  Mathias  Döring  *)  und  Gregor 
Heimburg  *)  die  Waffen  im  Kampfe  gegen  die  Prärogative  der  geist- 
lichen Gewalt.  In  der  Not  des  Schismas,  als  das  kirchliche  Oberhaupt 
infolge  seines  Zwiespaltes  selbst  in  den  Kampf  der  Parteien  gezogen 
wurde,  erging  der  Ruf  an  die  Fürsten,  der  Kirche  wieder  zur  Einheit 
zu  verhelfen  *).  An  die  Herzöge  von  Österreich  wandte  sich  mit  Er- 
folg die  Wiener  Hochschule  um  Mitwirkung  bei  der  Abstellung  des 
Schismas  *).  Wieder  ist  es  als  lautester  Rufer  im  Streit  Heinrich  von 
Langenstein,  der  in  einer  deutlichen  Apostrophe  an  den  Herzog  von 
Österreich  sich  wendet,  er  solle  gemeinsam  mit  Frankreich  und  Bur- 
gund  die  Einigung  der  Kirche  bewerkstelligen.  In  der  Tat  geht  der 
Herzog  Ernst  von  Österreich  mit  König  Siegmund  von  Ungarn  ein 
Bündnis  zur  Beseitigung  des  Schismas  ein  •).  Der  Erfolg  der  Publi- 
zistik auf  die  territoriale  Kirchenpolitik  liegt  hier  ebenfalls  klar  zu 
Tage.  Selbst  die  gemäßigtere  Richtung,  die  Nikolaus  von  Kues  und 
Eneas  Silvius  vertreten,  hält  an  der  Scheidung  des  Weltlichen  vom 
Geistlichen  fest  und  fordert  völlige  Koordination  beider  Gewalten. 
Auch  trotz  der  konservativen  Ansicht  des  Stadtschreibers  Valentin  Eber 
in  seiner  Reformation  des  Kaisers  Sigmund,  daß  alles  Recht  seinen 
Ursprung  im  Papst  und  in  den  Kardinälen  habe,  fordert  dieser  Laie 
angesichts  des  Notstandes  in  Reich  und  Kirche  —  denn  das  gaisUich 
recht  ist  krank,  das  kaisertum  und  aUes,  das  im  eugehort,  statt  Be  un- 


i)  Finke,  in  Bömische  Quartahchrift  7,  2240.  und  Erler,  Q.  Dietrich 
von  Niem  (1887),  S.  417. 

2)  Albert,  Mathias  Döring  (1892),  S.  154. 

3)  Joachimsohn,  Oregor  Heimburg,  S.  233. 

4)  Z.B.  in  der  invectiva contra monstrum Babylonis  von  Heinrich  von  Langen- 
stein (Kneer,  Entstehung  der  konzHiaren  Theorie  in  Bömische  QuartaUchrift, 
I.  Snpplementheft,  S.  94  f.)« 

5)  Ebenda,  S.  98 f.,  und  Aschbach,  Geschichte  der  Wiener  Universität,  1,382. 

6)  Deutsche  Beiehstagsakten  5,  41 3,  Nr.  305  nnd  Göller,  E.,  König  Siegmunds 
Kirchenpolitik  (Freiburger  Dissert.  1901),  S.  10. 


—     157     — 

recht  ^)  — ,  daß  man  geistlich  und  weltliches  Recht  mit  Gewalt  durchbrechen 
soll*),  und  er  vindiziert  auch  dem  Territorium  der  Stadt  das  ins  reformandi 
nach  dem  Gesichtspunkt  der  Scheidung  des  Geistlichen  vom  Weltlichen. 
In  dieser  Zeit  der  Neubildung  und  des  Ausbaues  der  Landes- 
hoheit trat  auch  in  Deutschland  ein  neuer  Stand  als  Bundesgenosse 
dem  Fürstentum  zur  Seite,  der  juristisch  'gebildete  Laienstand.  Durch 
die  sich  im  XV.  Jahrhundert  anbahnende  Rezeption  des  römischen 
Rechts  erfuhr  gerade  das  Landesfürstentum  eine  Potenzierung  der 
Machtfiille,  die  sich  bald  auch  nach  der  kirchlichen  Seite  hin  breit- 
machte. Wenn  auch  Eneas  Silvius  in  seinem  LibeUus  de  oriu  et  auto- 
ritcde  imperii  Bomani ')  in  adulatorischer  Absicht  sich  noch  einmal 
an  die  Zentralgewalt,  an  Kaiser  Friedrich  III.,  gewandt  hat,  um  ihn 
mit  absolutistischen  Gedanken  zu  erfüllen,  so  ruft  das  namentlich  in 
der  Hinsicht  Bedenken  hervor,  wenn  man  die  Kluft  mit  dem  geistigen 
Auge  mißt,  die  zwischen  solchen  Ansprüchen  imd  der  tatsächlichen 
Stellung  der  Reichsgewalt  damals  sich  auftat.  Dazu  hat  dieser  „Apostel 
der  absoluten  Staatsidee**  *),  der  namentlich  auf  Peter  von  Andlau  in 
seinem  LibeUus  de  Caesarea  Monarchia  nachhaltigen  Einfluß  ausübte, 
weniger  der  Zentralgewalt  genützt  als  ihren  Erben,  den  Fürsten ;  denn 
die  Rollen  waren  längst  vertauscht.  Den  Untergewalten,  dem  Fürsten- 
tum, wird  nun  mehr  durch  die  Rechtsdoktoren  mit  den  Begrifien  antik- 
römischer Allgewalt  das  weltliche  Schwert  geschärft,  mit  dem  jetzt  das 
Landesfürstentum  zu  Eroberungen  auf  dem  geistlichen  Gebiete  ins  Feld 
zieht.  Ist  doch  die  ganze  kirchenpolitische  Bewegung  des  Jahres  1438 
bis  1439,  die  im  Staatsstreich  imd  der  Obödienzverweigerung  dem  Papst 
und  Konzil  gegenüber  gipfelte,  gerade  das  Werk  dieser  humanistisch 
gebildeten  Rechtsgelehrten  *)  als  der  Berater  der  geistlichen  und  welt- 
lichen Fürsten.  Ihr  bedeutendster  Redner,  Gregor  Heimburg,  erklärte 
bezeichnenderweise  die  Beilegung  des  Streites  zwischen  Konzil  und 
Papst  als  eigenste  Sache  der  Fürsten.  Ihr  Verhalten  in  diesem 
werde  der  ganzen  Christenheit  Norm  sein.  Denn  „ihnen  hat  die  Ge- 
walt beider  Schwerter  geistliche  und  weltliche  Ehren    verliehen**  •). 

i)  S.  79   meiner  Ausgabe  (Berlin  1908). 

2)  Ebenda. 

3)  Meosel,  A.,  Enea  Silvio  ah  Publizist,  7.  Heft  der  Untersuchungen  zur 
deutschen  Staats-  tmd  EeMsgeachiehte,  herausgegeben  tod  O.  Gierke  (1905). 

4)  Ebenda,  S.  82. 

5)  Joacbimsobn,  Gregor  Heimburg,  S.  51. 

6)  Joacbimsobn,  a.  a.  O.  S.  21.  Ebenso  spielen  bei  der  Beratung  der  9  gra- 
veroina  der  dentschen  Nation  auf  verschiedenen  Fttrstentagen  seit  1452  diese  beiden  Jaristeo, 
Martin  Mayr  und  Gregor  Heimbarg,  eine  Haoptrolle.     Vgl.  Lossen,  a.  a.  O.  S.  2  7  f. 


—     168     — 

So  ist  denn  auch  gerade  das  XV.  Jahrhundert  wieder  reich  an 
kirchenpolitischen  Kämpfen  zwischen  Geistlich  und  Weltlich,  aber 
diese  werden  zwischen  LandesfUrsten  und  geistlicher  Gewalt  und 
zwar  beiderseits  zwischen  den  Untergewalten  ausgefochten.  Die 
beiden  Obergewalten  werden  nur  noch  als  Schiedsrichter  angerufen. 
Ich  erinnere  an  die  Streitigkeiten,  die  mit  der  kühnen  und  nicht 
weniger  die  öffentliche  Meinung  aufregenden  Feder  eines  Gregor  Heim- 
burg und  Martin  Mair  gefuhrt  wurden  *) ,  als  die  von  Männern  wie 
Marsilius  und  Occam.  Dieser  literarische  Kleinkrieg  der  Untergewalten 
bringt  so  recht  deutlich  die  Wendung  in  der  Machtverteilung  zwischen 
der  Zentralgewalt  und  den  territorialen  Faktoren  ztim  Ausdruck.  Diese 
ließen  sich  denn  auch  bei  Verständigung  zwischen  Kirche  und  Staat 
in  den  Wiener  Konkordaten  nicht  mehr  ausschalten.  Die  Neu- 
tralität und  die  Akzeptation  waren  ein  Provisorium.  Beide  hatten  sich 
als  ein  Versuch  des  eben  an  den  Fürstenhöfen  zur  Geltung  gelangen- 
den römischen  absolutistischen  Systems  herausgestellt,  und  das  Papst- 
tum suchte  nun  mit  allen  Mitteln  diesem  hinter  dem  Drängen  der  Fürsten 
nach  Reform  versteckten  Anlauf  zur  Verweltlichung  der  Kirchengewalt 
entgegenzutreten.  In  dem  von  den  Territorien  geübten  itis  reformandi 
lag  ein  bedeutender  Schritt  zum  Landeskirchentum.  Wäre  aus  der 
die  Obödienz  verweigernden  Neutralität  eine  dauernde  Einrichtung  ge- 
worden, so  hätten  wir  in  Deutschland  die  Nationalkirche  haben  müssen. 
Aber  die  Geschichte  macht  wie  die  Natur  keine  Sprünge.  In  Deutsch- 
land gab  es  keine  Nation,  keinen  Einheitsstaat,  die  einzelnen  Fürsten 
sollten  zuerst  immer  mehr  die  volle  Kirchenhoheit  in  ihre  Hände  be- 
kommen, bis  Luther  den  letzten  Schritt  tat,  auch  die  Verbindung  der 
Fürsten  mit  der  Universalkirche  zu  durchschneiden.  Vorerst  kam  im 
Jahre  1446  das  Kompromiß  zwischen  Papsttum  und  Landesfürstentum 
zustande,  durch  das  die  Obödienz  unter  das  Papsttum  mit  dem  Ver- 
zicht auf  die  akzeptierten  Reformdekrete  wiederhergestellt  wurde.  Das 
Fürstentum  zog  aber  schon  aus  der  Reformbewegung  den  Reingewinn. 
So  erhielt  der  Kurfürst  von  Brandenburg  vornehmlich  die  Besetzung 
der  Bischofsstühle  mit  dem  Landesfiirsten  genehmen  Männern,  Ein- 
dämmung der  geistlichen  Gerichtsbarkeit  u.  a.  *).    Bayern  und  Sachsen 


i)  So  Martin  Mayr  als  Rat  Georg  Podiebrads  von  Böhmen;  vgl.  Höfler,  Dm 
kaiserliche  Bitch  des  Markgrafen  Albrecht  AchiUes  (Bayreuth  1850)  und  Gregor  Heim- 
bürg  als  Bundesgenosse  des  Sigmund  von  Tyrol  gegen  Nikolaus  von  Cues;  vgl. 
dazu  Pastor,  Geschichte  der  Päpste  11^,  S.  132  —  149,  sowie  den  Streit  Herzog 
Albrechts  V.  in  Österreich,  den  S  r  b  i  k  dem  Siegmunds  von  Tirol  gleichstellt,  a.  a.  O.  S.  33. 

2)  Priebatsch,  Staat  und  KircJie  in  der  Mark  Brandenburg,  a.  a.  O.  19,  404. 


—     159     — 

erhielten  ähnliche  Vorteile.     Auch   die  geistlichen  Kurfürsten    sowie 
der  Erzbischof  von  Salzburg  erhielten   das  Recht,   die   in  den  päpst- 
lichen   Monaten   vakant   werdenden  Benefizien  zu  besetzen  ^).     Auch 
der  Kaiser  Friedrich  III.  erhielt  in  Gestalt  der  Kirchenhoheit  in  seinen 
Erblanden  einen  bedeutenden  Kaufjpreis  *)  für  den  Verzicht  auf  die  Re- 
formdekrete.   Es  ist  also  falsch,  von  einer  Auslieferung  der  deutschen 
Kirche  an  das  Papsttum   durch   die  Wiener  Konkordate   zu  sprechen. 
Es  gab  keine  deutsche  Nationalkirche,  sondern  nur  zu   einem  guten 
Stück  bereits  territorialisierte  Landeskirchen.     Durch  dieses  Kompro- 
miß   hat   also   gerade    das    Papsttumun   bewußt    der    Universalkirche 
weiteren  Abbruch   getan   und   der  fortschreitenden  Territorialisierung 
der  Landeskirche  Vorschub  geleistet.    Die  öffentliche  Meinung  schätzte 
deshalb   bald  darauf  das  Ziel  dieser  Entwicklung,   wenn  auch  nicht 
den     tatsächlichen    Zustand     des     Landesfiirstentums ,     richtig     ein, 
da    von     mehreren    Landesfürsten     gesagt    wurde:     papa    est    in 
terris   «ms  ').     In    Sachsen  wurde   denn  auch    in   demselben    denk- 
würdigen Jahre    1446  von  Herzog  Wilhelm  III.   das   landesherrliche 
ins  circa  sacra  kodifiziert  ^);  ferner  wußten  Brandenburg  ^)  und  Österreich 
der  Kirchenhoheit  des  Staates  Geltung  zu  verschaffen.    In  Jülich-Berg 
war  es  erst  Herzog  Wilhelm  IV.  (147S — 1511)1  der  seine  Geistlichkeit 
den  landespolizeilichen  Anordnungen  unterwarf^.     So    mischte    sich 
bereits  der  Herzog  in  innerkirchliche  Angelegenheiten  ein,   indem  er 
Gottesdienstordnungen  erließ  und  Anweisungen  über  Prozessionen  gab ; 
noch  am  Vorabend  der  Reformation   ordnete  er  Sakramentstrachten, 
Prozessionen  u.  a.  an  ^.    Er  erkannte  nicht  mehr  das  Privilegium  im- 
muniiaiis,  die  Steuerfreiheit  der  Kleriker  an,  sondern  zog  sie  zu  Schatz- 
und  Dienstpflicht  heran.     Um  die  Steuerkraft  des  Klerus  zu  erhalten, 
überwachte  er  die  Auflagen  von  selten  der  Päpste    und  Erzbischöfe 

i)  Srbik,  a.  a.  O.  S.  14. 

3)  Ebenda  and  Roßmann,  BeiraMungen  Über  das  ZeitaUer  der  BefarmaUon 
(1858),  S.  161. 

3)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  9.,  weist  dies  fUr  die  Landesherren  von  Kleve  and  von 
Sachsen  nach. 

4)  Gefl,  Akten  wfid  Briefe  i.  Band  (1005),  S.  XXI. 

5)  Lehmann,  Ffti/^en  und  die  katholische  Kirche  seit  1640^  i.  Band  (Leipzig 
1878),  S.  8. 

6)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  loo*.  Srbik,  a.  a.  O.  S.  16,  für  den  Herzog  Radolf  IV. 
von  Osterreich,  schon  1367  Hir  den  Herzog  von  Bayern,  Grafen  von  Schaambarg  and 
Herzog  von  Württemberg. 

7)  Ebenso  Karförst  von  der  Pfalz.  VgL  Lossen,  a.  a.  O.  S.  133 f.;  Hlr  die 
Städte  siehe  Werminghoff,  a.  a.  O.  S.  292  f. 

12 


—     160     — 

Kölns  ').  Aber  auch  das  sittliche  Wohl  seines  Landesklerus  behielt 
er  im  Auge.  War  er  auch  mit  seinen  Verordnungen  gegen  das  Kon- 
kubinat der  Kleriker  so  wenig  glüddich  wie  die  General-  und  Partikular- 
konzilien seiner  Zeit ') ,  so  suchte  er  durch  seine  Anordnungen  von 
1491  gegen  unsittlich  und  ungeistlich  lebende  Priester  geradezu  in  die 
Stellung  der  Kirchenobrigkeit  einzudringen. 

So  war  die  geistliche  Gewalt  auf  ihr  eigenes  Gebiet  zurück- 
gewiesen, indem  der  Staat  lediglich  die  Kompetenz  der  kirchlichen 
Gerichtsbarkeit  in  Ehe-,  Patronats-  und  Zehntensachen  anerkannte  '),  das 
Privilegium  fori  und  immunüaHs  des  Klerus  überhaupt  nicht  mehr 
gelten  ließ,  das  Kirchengut  der  Besteuerung  unterwarf,  den  Erwerb 
liegender  Güter  an  seine  Genehmigung  und  Beschränkungen  knüpfte, 
und  auch  ins  innere  Leben  der  Kirche  selbst  eingriff.  Denn  selbst  die 
beiden  mächtigsten  Handhaben  des  Staates,  um  die  Beeinträchtigung 
des  Staatswohls  zu  verhüten,  das  placet  und  den  recursus  ab  obusu, 
übte  die  weltliche  Gewalt  bereits  im  XV.  Jahrhundert  aus  *).  So  hatte 
sich  allmählich  an  Stelle  der  Untversalkirche  als  eines  Staates  im 
Territorialstaate  eine  Kirche  in  der  Kirche,  die  Landeskirche  in  der 
Universalkirche,  gebildet.  Die  Reformation  hatte  beide  nur  noch 
äußerlich  von  einander  zu  trennen,  ihre  Unabhängigkeit  voneinander 
theoretisch  zu  begründen  und  praktisch  zu  vollenden. 

Durch  den  Speierer  Reichstagsbeschlufi  (1526)  wurde  den  Landes- 
fürsten das  VU8  reformandi,  d.  h.  das  Recht,  Landeskirchen  zu  gründen, 
erteilt.  In  demselben  Jahre  trat  die  erste  Landeskirche  in  Hessen 
ins  Leben.  So  ging  für  einen  großen  Teü  Deutschlands  in  Erfüllung, 
was  Dietrich  von  Niem  in  Anbetracht  seiner  Zeit,  wo  reges  ei  jprm- 
cipea  ...de  praesenii  . . .  intromütunt  se  de  facHs  ecdesiarum  usque  ad 
ultimum  de  potentia.  Idco  ecdesiae  fere  in  oto  mundo  maie  skmt,  schon 
voraussagte,  daß  man  sich  um  Papst  und  Kurie  in  kirchlichen  Dingen 
nicht  mehr  bekümmern  werde  *). 

I)  Redlich,  a.  a.  O.  S.   loi  ff.  and  Werminghoff,  a.  a.  O.  S.  264. 
a)  Redlich,  a.  a.  O.  S.  108. 

3)  Srbik,  a.  a.  O.  S.  14. 

4)  Srbik,  a.  a.  O.  S.   15. 

5)  Finke,  Bit  hirchenpoHtischen  %md  hirehüehen  VerhaUnisae  su  Ende  de» 
MütelaÜers  ncush  der  Darstellung  K  Lamprechts  in  Römische  Quartdlsdirifl, 
IV.  Supplcmentheft  (1896),  S.  7. 


—     161     — 


Hilfswissensehaftliehe  Forschungen 
und  Forsehungsaufgaben  auf  dem  Gebiete 

neuzeitlicher  Geschichte 

Von 
Wühelm  Bauer  (Wien) 

Es  ist  vielleicht  nicht  unangebracht,  zunächst  in  Form  eines  zwang- 
losen Referats  des  Verhältnisses  zu  gedenken,  das  zwischen  den  histo- 
rischen Hilüswissenschaften  und  der  Geschichte  der  Neuzeit  besteht, 
und  anzudeuten,  in  welcher  Richtung  sich  in  Zukunft  das  gegenseitig 
befruchtende  Zusammenwirken  beider  Wissensgebiete  zu  bewegen  haben 
wird.  Gerade  die  Funktion  der  historischen  Hilfswissenschaften  beim 
Zustandekommen  geschichtlicher  Erkenntnisse  wird  vielfach  verkannt. 
Spricht  man  von  der  Tätigkeit  des  Historikers,  so  verbindet  man 
damit  vielfach  einzig  und  allein  den  Begriff  der  psychologischen  Kom- 
bination und  Darstellung,  man  denkt  wohl  dabei  an  die  Kritik  der 
Tatsachen  und  Ereignisse,  nicht  aber  an  die  der  geschichtlichen  Über- 
lieferung der  Quellen.  Und  doch  ist  diese  die  wichtigste  Voraus- 
setzung der  ersteren,  sofern  die  Schilderung  historischer  Vorgänge 
nicht  in  den  Bereich  des  Romans  fallen  will.  Die  geschichtliche  Dar- 
stellung, die  man  vielfach  aus  dem  Kreise  der  Wissenschaften  aus- 
zuscheiden geneigt  wäre,  ist  eben  nur  die  eine  Seite  unserer  Tätig- 
keit. Die  andere,  nicht  minder  wichtige,  beschäftigt  sich  mit  der 
Überprüfung,  Beurteilung  und  Sichtung  der  Quellen,  sie  bildet  ein 
Gebiet,  das  jenseits  künstlerischen  Wirkens  die  schöpferische  Phantasie 
in  die  Schranken  strenger  Methodik  weist  und  doch  wieder  mit  jeg- 
licher historischer  Forschung  aufs  unzertrennlichste  verknüpft  ist.  Von 
den  primitivsten  Vorkenntnissen,  wie  sie  der  unmittelbare  Verkehr  mit 
den  überlieferten  Zeugnissen  der  Vergangenheit  erfordert,  bis  zur 
Lösung  der  verwickeltsten  Quellenuntersuchungen,  —  all  das  fällt  in  den 
Bereich  der  historischen  Hilfswissenschaften.  So  zeigt  die  Geschichte 
ein  Doppelgesicht.  Dem  femstehenden  und  flüchtigen  Beurteiler  gibt 
sie  sich  bloß  als  literarische  Leistung  und  nur  dem  tiefer  in  das  Wesen 
Dringenden  als  das  Ergebnis  gelehrter  Forschung.  „Die  Historie  ist**, 
wie  Ranke  gelegentlich  sagt,  „zugleich  Kunst  und  Wissenschaft.** 

Gerade  aber  die  Eigenart  Rankes,  wie  sie  in  seinen  Werken  zum 
Ausdruck  kommt,  der  Zauber  seiner  glänzenden  Stilistik,  die  Kraft 
seines  Wortes,  die  Anschaulichkeit  seines   epischen  Talentes,   das  er 

12  ♦ 


—     162     — 

mit  Vorliebe  in  den  Dienst  der  neuzeitlichen  Geschichte  gestellt  hat, 
haben  den  Anschein  erweckt,  als  wären  die  historischen  Hilfiswissen- 
schaften  für  diesen  Zweig  geschichtlicher  Erkenntnis  von  ganz  neben- 
sächlicher Bedeutung.  Und  dies  schien  um  so  zutreffender,  wenn  man 
mit  dem  Rüstzeuge,  mit  dem  man  bei  der  Erforschung  des  Mittelalters 
so  überraschende  Elrfolge  aufweisen  konnte,  an  die  Geschichte  der 
Neuzeit  herantrat  *). 

Namentlich  die  Urkundenlehre,  deren  rascher  Siegeszug  fast 
gleichbedeutend  mit  der  wissenschaftlichen  Festlegung  unserer  Kennt- 
nis vom  Mittelalter  überhaupt  wurde,  hat,  je  näher  wir  der  G^en- 
wart  treten,  um  so  geringere  Bedeutung.  Die  Urkunde  hat  eben  an 
geschichtlichem  Werte  verloren,  seit  das  Rechtsleben  der  Völker 
mannigfaltigere  Formeii  angenommen,  seit  ein  geordnetes  amtliches 
Registerwesen  die  Frage  der  Echtheit  und  Unechtheit  in  den  Hinter- 
grund gerückt  und  überhaupt  die  Urkunde  als  Einzelerscheinung  an 
Bedeutung  arge  Einbuße  erlitten  hat  Zeigt  sich  dies  bereits  im 
späteren  Mittelalter,  so  verwischen  sich  nachher  immer  mehr  die 
Grenzen  zwischen  Diplomatik  und  Verwaltungsgeschichte.  Immerhin 
bewahren  einige  Urkundengruppen ')  auch  für  die  spätere  Zeit  ihre 
Wichtigkeit. 

Auch  die  Paläographie  hat,  je  näher  wir  der  Gegenwart 
treten,  an  Terrain  verloren.  Trotzdem  kann  der  Weg  zu  den  Über- 
lieferungen der  Vergangenheit  auch  in  der  Neuzeit  meist  nur  über 
die  Schriftkunde  gehen.  —  Der  klassische  Boden  für  die  Paläographie 
der  Neuzeit  ist  Frankreich.  Nicht  als  ob  die  Schriftentwicklung 
dieses  Landes  so  richtunggebend  und  einflußreich  für  das  übrige 
Europa  geworden  wäre,  aber  unzweifelhaft  wird  uns  hier  das  meiste 
Material  zugänglich  gemacht.  Der  schulmäßige  Betrieb  der  Schrift- 
kunde wird  ja  stets  an  die  Herausgabe  entsprechender  FaksimUewerke 
gebunden  sein*).     Frankreich   ist  nun  am  reichsten  an  solchen.     So 


i)  Ans  deo  folgenden  Darlegungen  warden  Chronologie,  Sphragistik,  Heraldik, 
Namismatik  nsw.  absichtlich  aasgeschaltet. 

2)  So  namentlich  die  Staatsverträge.  Über  sie  handelt  L.  Bittner,  CKronolog. 
Verzeichnis  der  öeterr.  SiacUweriräge,  Wien  1903.  (Veröffentl.  der  Kommission  fUr 
neuere  Geschichte  Österreichs)  i.  S.  Xff.  —  Die  Verträge  wie  den  offizieUen  Verkehr 
zwischen  den  einzelnen  Staaten  in  der  neaesten  Zeit  nnd  Gegenwart  verzeichnen  Das 
StcMisarchiv,  Sammlung  der  offiziellen  Aktenstücke  zur  Gesch.  der  Gegenwart  (Ham- 
burg 1 861  ff.)  und  die  Ärchives  diplamatiques,  (Paris  1 861  ff.). 

3)  Neben  B.  B  r  e  t  h  o  1  z ,  Latein.  PcUaeographie  (Meisters  Grandriß  der  Geschichts- 
wissenschaft i),  S.  56  ff.  bietet  jetzt  die  Liste  des  recueüs  de  faC'Simüe  de  chartes 
von  R.  Poupardin  and  M.  Prou  in  den  Actes   du  congres  intemaÜanal  paur   la 


—     163     — 

bringt  A.  de  Bourmont*)  auf  1 3  Tafeln  20  Schriftproben  aus  dem 
XVI.  bis  XVIII.  Jahrhundert,  wobei  sowohl  auf  Regesten-,  Urkunden-  und 
Bücherschriften  u.  a.  Rücksicht  genommen  worden  ist.  Das  Material 
entstammt  zumeist  Archiven  der  Normandie.  Interessanter,  wenn 
auch  vom  paläographischen  Standpunkt  weniger  lehrreich,  ist  die 
Sammlung  von  J.  Kaulek  und  Eug.  Plantet'),  in  der  die  Hand- 
schriften aller  Herrscher  Frankreichs  von  Heinrich  IV.  bis  Napoleon 
und  die  ihrer  Gemahlinnen  vertreten  sind.  —  Außer  diesen  nur  der 
Neuzeit  gewidmeten  Werken  kommen  aber  auch  alle  anderen  größeren 
Faksimileausgaben  in  Betracht,  da  diese,  anders  als  die  deutschen, 
zumeist  über  das  XV.  Jahrhundert  hinausg^eifen.  Da  ist  zunächst  das 
MusSe  des  Archives  dipartemerUales  (Paris  1878),  das  von  Tafel  50 
bis  60  dreißig  Schriftnachbildungen  des  verschiedensten  Materials  aus 
der  Zeit  von  1499  bis  1764  bringt,  darunter  z.  B.  Nr.  143  ein  eigen- 
händiges Schreiben  Melanchthons.  In  den  vier  Faszikeln  des  Becueü 
de  faosimiUs  ä  Tusage  de  T£cole  des  Charles  (Paris  1880  fr.)  finden  sich 
14  Stücke  aus  der  Zeit  von  1500  bis  1725,  von  denen  aber  allein  neun 
dem  XVI.  Jahrhundert  angehören.  Auch  das  Album  paleographique 
ou  recueü  de  documevUs  impcrtants  relaüfs  ä  Vkistoire  et  ä  la  liüirature 
nationales . . .  avec  des  notiees  explicaHves,  par  la  SodiU  de  VtjccHe  des 
Chartes  (Paris  1887)  bringt  auf  7  Tafeln  6  Schriftproben  von  1532 
bis  1682,  dem  Titel  entsprechend  meist  geschichtlich  interessante 
Stücke.  Für  das  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert  ist  femer  Jules 
Flammermont')  heranzuziehen,  wo  namentlich  Schriftbilder  aus 
dem  einst  brabantischen  Kreise  verwertet  wurden.  Maurice  Prou 
hat  in  seinem  Manuel  de  paleographie*  Recueü  de  fac-simiUs  d'ecriiures 
du  Xn*  au  XVII*  siede  (Paris  1892)  die  letzten  12  Tafeln  dem  Zeit- 
raum von  15  IG  bis  1650  gewidmet  und  in  dem  späteren  gleichnamigen 
Werke*)  12  Schriftproben  von  15 12  bis  1687  eingeräumt.  Nament- 
lich   ftir    die    französisch  -  niederländische    Schriftentwicklung    bieten 


reproduetum  des  manuscrits  etc,  ä  Lügt  1905  (Bevue  des  UibUoihkques  et  archints 
de  Belgique.  Publieatüms  1),  S.  219  ff.,  den  YoUständigsten  OberbUck  ttber  die  Faksimile- 
literatnr. 

i)  Ledwre  et  transcription  des  vieUies  icrüures.  Manuel  de  paliographie  des 
XVI*,  XVn*,  XVin*  sUeUs  (Caen  1881). 

a)  Beeueü  de  fac-simiUs  pour  servir  ä  fäude  de  la  paUographie  inodeme, 
XVU*  et  XVUI*  Stieles  (Paris  1889).  I*w  SMe:  B<ris  et  Beines  de  France. 

3)  AUmm  paUograpMque  du  Nord  cie  .FVonce  (UUe  1896).  (Traraiix  et  M6moires 
de  lUniversitö  de  LiUe.     Atlas  Nr.  2.) 

4)  Mit  dem  Untertitel  No^veau  recueü  de  fae-siwUUs  d^icritwes  du  XII*  au 
XVn*  such  (Paris  1896). 


—     164     — 

Reusens'  Clements  de  pcUeograjohie  (Louvain  1899)  aus  der  Zeit  von 
1506  bis  1791   14  Faksimile*). 

Die  deutschen  Faksimileausgaben  können  sich,  soweit  die  Neu- 
zeit in  Betracht  kommt,  an  Reichhaltigkeit  mit  den  firanzösischen  nicht 
messen.  Das  einzige  Werk,  das  sich  bewußt  die  Förderung  der 
späteren  Schriftkunde  zur  Aufgabe  macht,  sind  die  von  der  Direktion 
des  k.  und  k.  Kriegsarchivs  zusammengestellten  UfUerrichiä)ehelfe  eur 
Handschriftenkunde,  Handschriften  aus  dem  XVI.,  XVII.  und  XVIII.  Jahr- 
hundert, (Wien  1889).  Als  besonders  wertvoll  darf  darin  die  Ver- 
wertung der  typischen  Kanzleischriften  jedes  der  drei  Jahrhunderte 
hervorgehoben  werden.  Auf  20  Tafeln  werden  fünf  Schriftproben  des 
XVI.,  acht  des  XVII.  und  sieben  des  XVIII.  Jahrhunderts  gebracht 
Ein  ausgezeichneter  Beitrag  zur  Paläographie  des  XVI.  Jahrhunderts 
sind  die  von  Joh.  Ficker  und  O.  Winckelmann  herausgegebenen 
Handschriftenproben  des  sechzehnten  Jahrhunderts  nach  Straßburger  Ori- 
ginalen (Straßburg  1902).  1.  Band:  Zur  politischen  Geschichte,  2.  Band: 
Zur  geistigen  Geschichte.  Indem  hier  auf  102  Tafeln  sowohl  die  Hand- 
schriften der  führenden  Geister  Straßburgs  des  XVI.  Jahrhunderts,  aber 
auch  die  ungenannter  Kanzlisten,  Schreiber  und  Theologen  gebracht 
werden,  wird  dieses  Werk  eine  Fundgrube  schriftkundlicher  Forschung 
wie  auch  für  straßburgische  Personalien  und  Stadtgeschichte  jener 
Zeit.  Aber  es  gleicht  einem  erratischen  Block,  denn  leider  finden 
sich  nirgends  Ansätze  zu  ähnlichen  Ausgaben,  die  in  gleich  methodischer 
und  umfassender  Art  die  Schriftentwicklung  der  späteren  Zeit  auf  ört- 
lich und  kulturell  scharf  umgrenzten  Gebieten  verfolgen  und  wieder- 
geben.    R.  Thommen*)   überläßt  von  20  Tafeln   bloß  zwei,  in  der 


i)  Ponpardin-Proa  führen  weiter  noch  an:  M.  Battheney,  Uarchiviste  frangois 
(Paris  1775)  mit  Schriftproben  bis  1650,  ferner  A«  de  Bastard,  Petntures  et  ome- 
fnenU  des  manwsriU  . . .  depuis  le  IV*  siede  . . .  juaqu'ä  la  fin  du  XVI*  sikde  (Paris 
1832— 1869),  dznn  Isographie  des  hammes  cHehreSy  ou  coUection  de  fac-simüe  de  lettres 
autographes  sons  les  auspices  de  M.  M.  B^rard,  Chanteaogiron,  Dnchesne, 
Tr6misot  et  Berthier  (Paris  1843),  ^^^^  ^^^  alphabetischen  Reihenfolge  der  Persön- 
lichkeiten geordnet,  meist  Briefe  des  XVI.  bis  XVIII.  Jahrhonderts.  Bis  an  die  Grenze  des 
XVII.  Jahrhunderts  reichen  die  Fac-simile  de  24  püces  des  arckives  hospitdlieres  de 
Meaux  (Meaox  1878).  Ein  interessantes  Werk  scheint  das  Musie  des  Archives  wUtO- 
nales.  DocumerUs  originaux  de  Vkistoire  de  France  exposis  dans  Vkötel  Saubise. 
Publik  par  la  direction  generale  des  Archives  nationales.  Paris  1872  zu  sein,  das 
einen  AossteUongskatalog  mit  1 200  Faksimiles  ans  der  Merowingeneit  bis  zur  Revolations- 
zeit  darsteUt. 

2)  Sckrißprohen  atM  Handschriften  des  XIV.  bis  XVL  Jahrhunderts  (Basel 
1888),  2.  Aufl.   1908. 


—     165     — 

zweiten  Auflage  vier,  dem  XVI.  Jahrhundert.  Sie  entstammen  durchweg 
Baseler  Handschriften.  Von  den  großen  deutschen  Faksimilesamm- 
iungen  sind  es  nur  die  MonumerUa  Piikieographica,  herausgegeben  von 
Anton  Chroust  (München  iSpQflF.)',  zwei  Bände  zu  je  zwölf  Liefe- 
rungen, die  wenigstens  die  Schriftentwicklung  des  ausgehenden  Mittel- 
alters mit  bewußter  Sorgfalt  pflegen.  Lieferung  24  reicht  sogar  über 
das  erste  Viertel  des  XVL  Jahrhunderts  hinaus.  Doch  sind  diesem  groß- 
angelegten Werke  schon  durch  seinen  Untertitel :  Denkmäler  der  Schreib- 
kunst  des  MiüdaUers  bestimmte  Grenzen  gezogen.  In  dem  löblichen  Be- 
mühen nach  Universalität  hat  Fr.  Steffens^)  auch  aus  der  Zeit  vom 
XVI.  bis  zum  XVIII.  Jahrhundert  einige  Schriftproben  aufgenommen,  die 
aber  kein  Bild  der  späteren  Schriftentwicklung  zu  geben  vermögen  *). 
England  hat  iiir  unseren  2^itraum  weniger  methodische  Faksi- 
milesammlungen aufzuweisen,  aber  um  so  mehr  Werke,  die  durch  ihr 
stofflich -historisches  Interesse  hervorragen.  Immerhin  bieten  sie  ein 
ungemein  reiches  Material.  Nur  der  Neuzeit  gehört  G.  F.  Warner*) 
an,  der  in  5  Serien  Autogramme  nicht  nur  englischer  Herrscher, 
Staatsmänner  und  Dichter,  sondern  auch  anderer  berühmter  Männer  (wie 
Karls  V.,  Luthers,  Erasmus*,  Dürers,  Friedrichs  des  Grofsen,  Napoleons, 
Rousseaus  usw.)  angenommen  hat.  Dem  gröfiseren  Teil  nach  fallen 
in  unser  Gebiet  die  Facsimües  of  Nationcd  Manuscripts  from  WiUiam 
the  Canqueror  to  Queen  Anne,  selected  under  the  direction  of  the 
master  of  the  rolls  and  photozinco  -  graphed  by  command  of  Her 
Majesty  Queen  Victoria  by  colonel  sir  Henry  James  (Southampton 
1865  flf.).  Part  2  reicht  von  Heinrich  VIII.  bis  Eduard  VI.,  Part  3 
von  Maria  der  Katholischen  bis  Elisabeth,  Part  4  bis  Anna.  Obwohl 
nicht  die  besten  Reproduktionen,  zum  Teil  verkleinerte  Wiedergaben 
geboten  werden,  ist  diese  Sammlung  vom  politisch-historischen  Stand- 
punkte interessant  Die  Facsimües  of  national  manuscripts  of  Scotland, 
selected  under  the  direction  of  ...W.  Gibson-Craig  (Southampton 
1867  fr.),  reichen  bis  an  die  Grenze  des  XVII.  Jahrhunderts.    Von  den 

i)  Latemisdie  PcUäograpkie  (Freiburg  i.  Schw.  1903).  Erscheint  jeUt  io  zweiter 
Auflage. 

2)  Als  nur  nebenbei  der  Schriftkonde  dienend  mag  Ch.  Ob  er  leitner,  Album  de 
facfimUe  des  regetUt,  eapitaimes  et  howumes  d'HtU  depuia  fon  1600  pugu^en  1576 
(Vienne  1862)  erwähnt  werden,  das  zumeist  nur  Unterschriften  bringt.  Ähnlich  rereinigen 
die  vom  k.  and  k.  Kriegsarchiv  herausgegebenen  Autogramme  «mt  neueren  OeeekidUe 
der  habiburgieehen  Länder,  i.  Band  (Wien  1906),  die  Unterschriften  aller  Habsburger, 
soweit  eigenhändige  Unterfertigongen  vorhanden  sind. 

3)  Faceimilee  of  royal,  hietorical,  lüerary  and  other  autographa  in  the  dt' 
partment  of  manuecripia  British  Museum  (London  1895^1899). 


—     166     — 

grofsen  paläographischen  Tafelwerken  bringt  zwar  M.  J.  B.  Sil- 
vestre  *)  im  2.  Bande  einige  Stücke  s.  XVI — ^XVII,  doch  sind  es,  von 
Wenigem  abgesehen,  durchweg  Proben  kalligraphisch  ausgeführter 
Schriften.  2%e  PdUeographicäl  Society  edited  by  E.  A.  Bond,  E.  M. 
Thompson  and  G.  F.  Warner  (London  1873  flf.)  widmet  dem 
XVI.  Jahrhundert  ungeßLhr  6  Tafeln,  die  mehr  den  Kunsthistoriker  als 
den  Paläographen  angehen. 

Was  die  italienischen  Faksimilesammlungen  betrifft,  so  waren 
mir  gerade  von  denen,  die  unsere  Periode  betreffen,  nur  wenige  zu- 
gänglich. Ich  erwähne  deshalb  nur  kurz  den  Titel  von  A.  Galante 
InterpreUusione  e  riproduziane  fatggrafka  dt  aicuni  smUi  dd  XV  dl 
XVIII  secolo  etc.  (Caltagirone  1899),  N.  Barone,  Cenno  palech 
grafico  dd  tereo  periodo  della  scrittura  latina  (Neapel  1899),  P.  Vayra, 
II  museo  storico  ddla  casa,  di  Savoia  neW  archivio  di  staU>  in  Ibrino 
(Roma-Torino-Firenze  1880),  desselben  Herausgebers  Auiograß  dei  prin- 
dpi  savrani  deUa  casa  di  Savoia  1248 — 1859  (ebenda  1883)  gehören 
fast  allesamt  dem  französischen  Sprach-  und  Schriftgebiet  an.  Die 
italienische  Schriftentwicklung  des  XVI.  Jahrhunderts  illustriert  E.  Mo- 
naci  im  Archivio  Paleografioo  Itaiiano  (Roma  1882  ff.)  durch  9,  die 
des  XVII.  und  XVIII.  Jahrhunderts  durch  je  eine  Tafel.  Dessen 
Facsimili  di  tmtichi  manoscritH  per  uso  deUe  scucie  di  fUciogia  neoUUina 
(Roma  1881  ff.)  bringen  aus  dem  XVI.  Jahrhundert  eine  italienische, 
zwei  portugiesische  und  zwei  rumänisch-cyrillische  Schriftproben.  Dessen 
Esempi*)  bieten  für  das  XVL,  XVII.  und  XVIU.  Jahrhundert  je  ein 
Faksimile.  Die  Monumenta  pälaeographica  Sacra  *)  veröffentlichen  un- 
gefähr 21  Stücke  aus  dem  XVI.  Jahrhundert,  doch  wird  das  Haupt- 
gewicht auf  Miniaturen  und  Zierschriften  gelegt  *). 

Die  spanische  Literatur  weist  kein  Faksimilewerk  auf,  das  sich 
bloß  der  Neuzeit  widmet,  doch  reichen  fast  alle  bis  ins  XVII.  Jahr- 
hundert.  Über  Christoval  Rodriguez  ^),  Estevan  de  Terreros  y 


i)  Universal  Falatography  of  ftuxiimüeB  of  wriHngs  of  aü  natkma  and  periodi 
(London  1850).     In  französischer  and  englischer  Aasgabe. 

2)  Esempi  deUa  scrittwra  latina  del  secolo  I  di  Cristo  (deW  era  inodema) 
al  XVm,  »eeolo,     (Roma  1892.)     Naota  editione  (1906). 

3)  Mit  dem  Untertitel  AUante  paUogrttfico  artietioo  compHato  sui  manoeeritti 
esposH  'in  Torino  etc.,  pabblicato  per  cnra  di  F.  Carta,  C.  Cipolla  e  C.  Frati 
(Torino  1899). 

4)  Erwähnung  verdient  die  ZeiUchrift  La  BibliofUia  (Firenze  1899  ff.),  die  Faksi- 
mile sowohl  von  alten  Dracken  als  von  Handschriften  veröffentlicht. 

5)  BibUotheca  universcU  de  poHygrapTUa  eepoMola  etc.  (Madrid  1738)  mit  einem 
Faksimileanhang.     Zam  Teil  interlineare  Transskription. 


—     167     — 

Pando^)  brauche  ich  keine  Worte  zu  verlieren.  Ein  g^z  praktisches  Hand- 
buch mit  reichhaltigen  Faksimilebeigaben  aus  dem  XVL,XVII.  und  XVIII. 
Jahrhundert,  portugiesischen  u.  a.  Schriftproben,  Abkürzungsverzeich- 
nissen usw.  bietet  Andres  y  Merino  de  Jesu-Christo*),  der 
auch  das  Vorbild  und  die  Quelle  für  Antonio  AI  vera  Degras  •)  ab- 
gab. Im  Grunde  folgt  auch  D.  Jesus  Munoz  y  Rivero  in  seinem 
Manual  de  paleografia  diplomdtica  espancia  de  los  siglos  XII  al  XVII 
etc.  (Madrid  1880)  den  Spuren  Merinos.  Von  den  176  Schriftproben 
im  Anhang  gehören  55  dem  XVI.  und  34  dem  XVII.  Jahrhundert 
an.  In  dessen  Chrestamaikia  palaeographica.  Scripiurae  Hispaniae 
veteris  specimina.  Pars  prior:  scripiura  chartarum  (ebenda  s.  a.) 
sind  die  letzten  82  Tafeln  dem  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert  reserviert. 
Doch  stört  hier  wie  in  seinem  Idioma  y  escrUura  de  Espana  (eben- 
da 1882)  die  minderwertige  technische  Wiedergabe  und  das  kleine 
Format  *). 

Schon  diese  dürftigen  Anmerkungen  zu  den  einzelnen  Faksimile- 
ausgaben dürften  gezeigt  haben,  wie  sehr  die  Paläographie  der  Neu- 
zeit noch  der  Zusammenfassung  bedarf  und  wie  sehr  sie  noch  der 
Grundlage  ermangelt,  die  einzig  und  allein  durch  übersichtliche  Schrift- 
tafelwerke gewonnen  werden  kann.  Es  fehlt  ja  an  Faksimileeditionen 
gewiß  nicht.  Sie  sind  reichhaltiger  als  man  gemeinhin  annimmt,  aber 
wie  wenige  Institute  und  Bibliotheken  besitzen  sie  vollständig.  Zum 
Teil  sind  es  nur  in  beschränkter  Zahl  ausgegebene  Prachtwerke,  zum 
Teil  nur  um  teures  Geld  erschwingliche  Ausgaben.  Es  ist  gewiß  vor- 
teilhaft, wenn  man  für  gewisse  Schreibgebiete,  wie  dies  ftir  Straßburg 
geschehen  ist,  eigene  Sammlungen  anlegt,  daneben  muß  aber  eine 
leicht  erreichbare,  nicht  allzu  kostspielige  Zusammenstellung  neuzeit- 
licher Schriftproben  veranstaltet  werden,  die  nicht  bloß  die  paläo- 
graphische  Entwicklung  in  Deutschland  veranschaulichen  dürfte,  sondern 
auch  Italien,  Frankreich,  allenfalls  auch  Spanien  und  England  in  ihren 
Bereich  ziehen  müßte.    In  einer  solchen  Sammlung  könnten  aber  auch 


i)  Paleografia  etpa^ola  etc.  (Madrid  1758). 

3)  Etcuela  palaeographica,  6  de  leer  letrae  eturnvae  anliguas  y  Modemo«  etc. 
(Madrid  1780). 

3)  Cow^fiendio  de  paleografia  eepaHola  6  eeeuela  de  leer . . .  (Madrid  1857). 

4)  Die  CoUeeion  de  fae-simües  de  documenloe  de  lo$  sigloe  XII  al  XIII  etc. 
Madrid  1880)  war  mir  nicht  zagäDglich.  Der  Catalogo  de  las  eoUccionea  expuestas  en 
las  vUrinas  del  Palaeio  de  Liria,  por  la  Daqaesa  de  Berwick  j  Alba 
(Madrid  1898}  bringt  nur  verkleinerte  Reproduktionen  teilt  spanischer  Zierschriften,  teils 
nicht-spanischer  Stücke  des  XVI.  Jahrhunderts. 


—     168     — 

als  Anhang  Proben  chiffrierter  Stücke  aufjg'enommen  werden,  denn 
auch  die  Kenntnis  des  Chiffrenwesens  kann  nur  auf  Grund  syste- 
matischer Übung  über  das  Niveau  einer  praktischen  Fertigkeit  ge- 
hoben werden.  Was  in  dieser  Hinsicht  methodische  Behandlung  zu 
leisten  imstande  ist,  beweisen  die  Arbeiten  A.Meisters*).  Eine  Zu- 
sammenstellung auch  moderner  ChifTrenkunde  und  -literatur  gibt 
M.  Prou*).  Indessen  beschäftigen  sich  mit  neuerer  Kryptographie 
begreiflicherweise  zunächst  militärische  und  diplomatische  Fachkreise. 

Ihrem  inneren  Wesen  der  neuzeitlichen  Paläographie  zuzurechnen 
ist  die  Inkunabelkunde,  deren  Studium  ebenfalls  nur  auf  Grund  ent- 
sprechender und  nach  methodischen  Grundsätzen  angeordneter  Faksi- 
milewerke möglich  ist  •).  Leider  entsprechen  die  bestehenden  nicht 
immer  den  gerechten  Wünschen.  Für  Deutschland  kommen  die  von 
F.  Lippmann  und  Dohme  freilich  nur  für  praktische  Zwecke  be- 
rechneten Drtickschriften  des  XV.  bis  XVIIL  Jahrhunderts  (1884  flf.), 
ferner  K.  Burg  er  Manumenta  Gertnaniae  et  Itdliae  typographica  und 
Alfred  Götze  *)  in  Betracht,  für  I^rankreich  O.  Thierry-Poux  *),  für 
England  E.  Gordon  Duff  •),  für  die  Niederlande  J.  W.  Holtrop  ^)  usw. 

Die  Paläographie  ist  eine  wichtige  Vorbedingung  und  zugleich  ein 
wertvolles  Instrument  für  den  Historiker,  aber  keineswegs  Endzweck. 
Wichtiger  noch  ist  die  Kritik  der  Quellen  selbst.  Reich,  ja  überreich 
sind  uns  die  Nachrichten  aus  den  neuzeitlichen  Jahrhunderten  über- 
kommen, so  daß  deren  Sichtung  notwendiger  ist  als  irgend  etwas. 
Die  Bewertung  der  Historiographie  knüpft  an  Rankes  epoche- 
machendes Buch  Zur  Kritik  der  neueren  Geschichtschreiber  ^  das  er 
dann  im  Anhang  zu  verschiedenen  seiner  Werke  fortgesetzt  hatte.    Es 


i)  Zur  Kenntnis  des  venenanischen  Chiffrentoesens ,  Hist.  Jahrb.  17  (1896) 
S.  319  ff.  —  Die  Anfänge  der  modernen  diplomatischen  Geheimschrift  (Pader- 
born 1902).  —  Die  Oeheimschrift  im  Dienste  der  päpstlichen  Kurie.  Von  ihren 
Anflingen  bis  zum  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts.  (Ebenda  1906.)  Quellen  und  Fortchangen, 
herausgegeben  von  der  Görresgesellschaft,  Band  XL 

2)  La  Grande  Encychpidie  13,  S.  528  ff.  s.  v.  Cryptographie,  doch  ist  die  an- 
gegebene  Literatur  keineswegs  vollständig. 

3]  Wie  sie  Dziatzko,  Samwiung  bibliotJteksunssenschaftlicher  Arbeiten  6, 
S.  3  f.  niedergelegt  hat.  —  Ein  Gesamtkatalog  der  Wiegendrucke  wird  bekanntlich  eben 
vorbereitet. 

4)  Die  hochdeutschen  Drucker  der  Reformationszeit  (Straßburg  1905). 

5)  Premiers  monuments  de  Fimprimerie  en  France  au  15,  eihcle  (1890). 

6)  Early  English  Printing  a  Portfolio  of  Facsimiles  (London  1896). 

7)  Monuments  typographiques  des  Pays-Bas  au  15 «  si^cle  (La  Haye  1857—68). 


—     169     — 

ist  durchaus  kein  Zufall,  daß  diese  Untersuchungen  zu  keiner  enzyklo- 
pädischen Zusammenfassung  Anlaß  gegeben  haben  ^). 

Die  Aufzeichnungen  eines  einzelnen,  und  sei  er  noch  so  sehr  mit 
den  Äußerungen  des  staatlichen,  wirtschaftlichen  und  geistigen  Lebens 
vertraut,  müssen  notwendig  dort  an  Gewicht  verlieren,  wo  uns  ein  um- 
fassenderer Einblick  sozusagen  in  die  Werkstätte  der  Geschichte  selbst 
geboten  wird.  Die  Neuzeit  kennt  in  Europa  fast  ohne  Ausnahme 
Beamtenstaaten  mit  einer  mehr  oder  minder  streng  geregelten  Hierarchie 
ihrer  Diener  und  meist  scharfer  Kompetenzabgrenzung  ihrer  Behörden. 
Aus  dem  ganzen  Wesen  des  Beamtentums  und  dem  Instanzengange 
seiner  Beschlüsse  geht  aber  schon  hervor,  daß  der  Verkehr  zwischen 
den  einzelnen  Amtsstellen  nur  ein  schriftlicher  sein  kann.  Selbst  dort, 
wo  etwa  mündlich  kollegialische  Beratungen  stattfinden,  muß  eine 
protokollarische  Festlegung  zumindestens  ihrer  Ergebnisse  erfolgen. 
Es  bedarf  keines  Beweises,  wie  hoch  der  Niederschlag  der  Tätigkeit 
dieses  Beamtentums  in  Form  der  uns  überkommenen  Akten*)  als 
historische  Quelle  anzuschlagen  ist.  Und  sie  sind  uns  in  reicher 
Fülle  erhalten,  denn  das  Gefühl  der  Verantwortlichkeit  und  das  Be- 
wußtsein der  eigenen  Wichtigkeit  haben  den  Beamten  von  jeher  ver- 
anlaßt, die  Tätigkeit  seines  Wirkens  aufzubewahren  und  vor  Ver- 
nichtung zu  schützen.  Deshalb  fallen  auch  in  den  verschiedensten 
Ländern  die  Anfange  eines  geordneten  Archivwesens  mit  denen 
moderner  Beamtenorganisationen  zeitlich  zusammen. 

Aus  den  Instruktionen  und  Weisungen  für  die  Gesandten,  aus 
deren  Berichten,  aus  dem  brieflichen  Verkehre  der  Behörden  unter- 
einander und  aus  deren  Entscheidungen  und  Beschlüssen  läßt  sich  ein 
ziemlich  genaues,   wenn  auch  vielleicht  etwas  einseitiges   Bild   sowohl 


i)  Für  Dentschland  im  allgemeinen  bietet  F.  X.  Wegele,  CUscMchU  der  deut- 
schen Historiographie  (München  and  Leipzig  1885)  einigen  Ersatz.  Sonst  sei  Inirz  hin- 
gewiesen auf  G.  Wyfi,  Geschichte  der  Historiographie  in  der  Schwele  (Zilrich  1895), 
J.  Goldfriedrich,  Die  historische  Ideenkhre  in  Deutschland  (Berlin  1902),  ferner 
auch  die  Arbeiten  von  P.  Joachimsohn,  O.  Wetzstein,  M.  Lenz,  J.  G.  Droysen 
u.  V.  a.  Für  Frankreich  anf  G.  Monod,  Du  progres  des  Hudes  hist,  en  Franee 
depuis  le  XVI •  siecle.  Revue  hist.  i  (1876)  S.  5  flE.  Für  England  auf  F.  W.  Ehe- 
ling,  Englands  Creschichtsschreiber  (Berlin  1852),  S.  R.  Gardiner- J.  B.  Mul- 
linger,  Introduetion  to  the  study  of  EngUsh  History  (London  1903),  4*  Aufl., 
S.  307  ff.  o.  a. 

2)  Gegenüber  der  Anschanung  E.  Bernheims,  Lehrbuch  der  historischen  Me- 
thode (Leipzig  1903,  3.  n.  4.  Aufl.),  S.  274,  als  ob  Urkunden  and  Akten  begrifflich  za- 
sammenfielen,  scheint  mir  eine  Trennung  beider  stichhältiger.  VgL  Osw.  Redlich  in 
ürhundenlehre  von  Erben,  Schmitz-Kallenberg,  Redlich,  I,  S.  108. 


—     170     — 

von  der  politischen  als  auch  von  der  inneren  Geschichte  eines  Landes 
entwerfen  ^).  Aber  die  Benutzung  dieser  eigentümlichen  Quellenart  ist 
für  den  Historiker  ebenso  belehrend  wie  unter  Umständen  ge&hrlich, 
denn  nicht  allein  der  künstlerischen  Verarbeitung  bieten  sich  zahl- 
reiche Schwierigkeiten,  vor  allem  auch  ihrer  hilfiiwissenschafUichen 
Wertung.  Die  Scheidung  des  Wichtigen  vom  Unwichtigen,  die  Er- 
kenntnis des  Formelhaften  ist  nicht  immer  leicht.  Wie  es  in  der 
Diplomatik  nicht  genügt,  die  einzelne  Urkunde  als  etwas  Gegebenes 
zu  betrachten,  so  darf  sich  auch  der  Benutzer  von  Akten  nicht  dabei  be- 
ruhigen, diese  als  etwas  Fertiges  hinzunehmen,  ohne  sich  vorerst  da- 
mit vertraut  zu  machen,  wie  sie  entstanden  sind,  wer  an  ihrem  Zustande- 
kommen beteiligt  war  und  auf  welchem  Wege  sie  an  ihren  gegen- 
wärtigen Aufbewahrungsort  gelangt  sind.  Denn  erst,  wenn  man  dies 
festgestellt  hat,  kann  man  den  einzelnen  Akt  dort  kritisch  einordnen,  wo- 
hin er  gehört.  Damit  begibt  sich  aber  der  Historiker  von  vornherein  der 
Möglichkeit,  auf  Grund  irgendeiner  ihm  z  u  f  ä  1 1  i  g  vorliegenden  Aktenreihe 
eine  Seite  des  geschichtlichen  Lebens  behandeln  zu  wollen,  ohne  das 
ganze  Material  heranzuziehen,  wie  es  aus  dem  Geschäftsgänge  der  Be- 
hörden hervorgegangen  ist  Nur  durch  ideelle  Rekonstruktion  der 
Archivbestände  in  ihre  ursprüngliche  Zusammengehörigkeit  kann  man 
in  dieser  Hinsicht  methodisch  vorgehen  ').  Es  ergibt  sich  von  selbst, 
daß  eine  solche  Wiederherstellung  der  ursprünglichen  archivalischen 
Zusammenhänge  eine  genaue  Kenntnis  der  Behördenorg^anisation  und 
ihrer  Gebräuche  zur  Voraussetzung  haben  muß.  Erst  eine  systema- 
tische Behandlung  einheitlich  entstandener  Archivbestände  mit  Be- 
rücksichtigung jener  verwaltungsgeschichtlichen  Momente,  welche  für 
die  Entstehung  dieser  Schriftstücke  von  Bedeutung  sind,  kann  deren 
historische  Verwertung  zu  einem  wissenschaftlich  befriedigenden  Er- 
gebnisse führen,  wobei  aber  auch  die  rein  formale  Betrachtung  des 
einzelnen  Stückes  als  Glied  einer  in  ihren  äußeren  Merkmalen  vielfach 
gleichartigen  Queilengruppe  nicht  außer  acht  gelassen  werden  darf. 
Daß  diese  Forderungen  keiner  bloßen  Hinneigung  zum  Theoreti- 
sieren  entspringen,  beweist  die  praktische  Ausfuhrung,  wie  sie  Sickel 
in  den  Vorarbeiten  zu  den  Nuntiaturberichten  und  zur  Trienter  Konzils- 


i)  Vgl.  Sägmüller,  Die  Anfänge  der  diplofnatiachen  Korre^pondens.  Histo- 
risches Jahrbach  15.  Band  (1894),  S.  2790.,  wo  man  die  einschlSgige  Literatur  ver- 
zeichnet findet. 

2)  Dafl  dies  auch  für  die  Ordnung  der  Archive  maßgebend  sein  mofi,  zeigt  die  An' 
leitung  zum  Ordnen  und  Beschreiben  von  Archiven  von  Müller,  Feith  and  Frain, 
bearbeitet  von  H.  Kaiser  (Leipzig  1905),  S.  20  f.,  26 ff. 


—     171     — 

korrespondenz  geleistet  hat  ^).  Der  Altmeister  der  Diplomatik  hat  da 
ein  Musterbeispiel  dafür  geboten,  wie  sich  der  hilfswissenschaftliche 
Geist  auch  auf  die  Behandlung  neuzeitlichen  Materials  verpflanzen 
läßt  Er  hat  gezeigt,  in  welcher  Weise  die  kritischen  Grundlagen  ge- 
schaffen werden  müssen,  um  die  gedeihliche  Benutzung  eines  wichtigen 
Quellenstoffes,  dessen  archivalischer  Zusammenhang  längst  zerrissen  ist, 
dessen  Überlieferung  die  verschiedensten  Formen  aufweist,  zu  ermög- 
lichen. Er  hat  dargetan,  wie  er  zunächst  in  seiner  Gesamtheit  zu- 
sammengefaßt, wie  dessen  etwaige  Lückenhaftigkeit  festgestellt  und 
womöglich  nach  deren  Ursachen  geforscht  werden  müsse.  Gerade  die 
sorgfiLltige  Textvergleichung  zwischen  Konzept,  Reinschrift  und  Kopie 
hatte  ihn  zu  wertvollen  Ergebnissen  gefuhrt.  Aber  aus  den  Römischen 
Berichten  geht  auch  hervor,  wie  sehr  die  Kenntnis  der  beteiligten  Be- 
amten, ihres  Wirkungskreises  und  ihrer  Persönlichkeit  für  die  kritische 
Bewertung  der  von  ihnen  herrührenden  Akten  und  Korrespondenzen 
von  Bedeutung  ist '). 

Von  anderen  Gesichtspunkten  aus  als  Sickel  hat  Küch  in  dem 
Werke  PdiHsches  Archiv  des  Landgrafen  Philipp  des  QroßmUtigen  von 
Hessen ')  ähnliche  Ziele  wie  jener  verfolgt  Mit  weiser  Zugrunde- 
legung der  verwaltungsgeschichtlichen  Grundsätze  wurde  darin  der 
Stoff  so  abgegrenzt,  daß  aus  der  ganzen  Masse  der  Archivalien  die 
politisch-geschichtlichen  herausgeschält  wurden.  Mit  Recht  wird  Ge- 
wicht darauf  gelegt,  die  historischen  Zusammenhänge  beizubehalten 
und  dort,  wo  eine  zufallige  Trennung  und  Zerreißung  des  Materials 
stattgefunden  hat,  die  ursprüngliche  Einheit  wiederherzustellen.  „Das 
Ziel  war,  die  einzelnen  Aktenfaszikel  in  dem  Zustande  vorzuführen,  in 
dem  sie  sich  befanden  oder  bei  guter  Kanzleifuhrung  hätten  befinden 
müssen,  als  die  Handlung,  aus  der  sie  erwachsen  waren,  ihren  Ab- 
schluß fand"  (S.  XVIU).  Dies  konnte  natürlich  nur  durch  Feststellung 
der  Kompetenzen  der  an  der  Aktenentstehung  mitwirkenden  Be- 
amten  erreicht  werden.     Verdienstvoll   ist  es  auch,    daß   Küch    die 


i)  Bömischt  Berichte  in  den  SB.  der  Wiener  Ak.  phiL-hist.  Kl.  133,  135,  141, 
143,  144.  —  HoffenUich  beschreitet  dis  Archiv  für  Urhundenfonch%tng,  hermosgegeben 
von  Brandi,  Brefllaa  nnd  Tangl  (Leipzig  1907),  die  Bahnen  SickeU,  wenn  es, 
wie  die  EinfUhrnng  S.  3  verspricht,  die  , Jüngere  Entwicklang  und  Ausgestaltung  des  Ur- 
kunden- und  Aktenwesens'^  in  den  Kreis  seiner  besonderen  Beachtung  zieht. 

2)  Dort  wird  auch  der  Postgeschichte  der  Platz  eingeräumt,  den  sie  als  Hilfs- 
mittel der  Kritik  verdient. 

3)  PubUkaHanen  am  den  Kämghch  Pre^ßi$dieH  StaaUarchiven,  Bd.  78.  (Uip- 
zig  1904.) 


—     172     — 

einzelnen  Aktenformen  scharf  zu  fixieren  sucht.  Seine  Unterscheidungen 
in:  „Schreiben"  (mit  Konzept,  Mundum,  Ausfertigung  und  Kopie  als 
Hauptunterabteilungen),  in  Vollmachten,  Instruktionen,  Protokolle,  Denk- 
zettel ,  Propositionen ,  Artikelbriefe ,  Eidesformeln ,  Prozefischriften, 
Zeitungen,  Register,  Rechnungen  und  Rechnungsbeilagen  treffen  wohl 
im  allgemeinen  das  Richtige  und  dürften  Anregung  zu  weiteren  Fest- 
stellungen geben.  Hoffentlich  gelingt  es  hier  sowohl  wie  in  bezug 
auf  die  Editionsgrundsätze  der  Akten  *),  eine  gewisse  Einheitlichkeit 
zu  erzielen. 

Wenn  ich  der  Akten  in  diesem  Zusammenhange  ganz  besonders 
ausführlich  Erwähnung  tat,  so  wollte  ich  nur  hervorheben,  wie  ihnen 
ob  ihrer  Reichhaltigkeit  und  Fülle  ein  ganz  besonderer  Platz  unter 
den  übrigen  Quellen  der  Neuzeit  gebührt  und  sie  deshalb  das  vor- 
züglichste Objekt  hilfswissenschaftlicher  Behandlung  darstellen.  Doch 
ist  nicht  zu  übersehen,  dafi  ihre  Vorzüge,  der  Charakter  der  Amt- 
lichkeit, das  Autoritative  ihrer  Herkunft,  vielfach  auch  deren  schwache 
Seiten  in  sich  schließen.  Rücksichten  höherer  Art  gebieten  oft  dem 
amtlichen  Berichterstatter  eine  dem  Historiker  unerwünschte  Zurück- 
haltung, geben  den  Akten  sogar  bisweilen  eine  dem  Tatsächlichen 
nicht  entsprechende  Tendenz  (vgl.  Bemheim  S.  437).  Worüber  aber 
der  Staatsmann  oder  Feldherr  in  seinen  Depeschen  schweigt  und  schwei- 
gen muß,  spricht  er  sich  vielleicht  in  seinen  Denkwürdigkeiten 
offen  und  rückhaltslos  aus.  Und  ihre  Bedeutung  wächst,  je  näher 
wir  der  Gegenwart  treten,  in  der  uns  der  Einblick  in  das  archivalische 
Material  vielfach  erschwert  ist.  In  diesem  Zusammenhang  sei  auch 
der  Selbstbiographie  gedacht,  deren  höhere  Bedeutung  mit  der 
größeren  Individualisierung  des   modernen  Lebens  zusammenhängt^. 

Aus  ähnlichen   Ursachen   erklärt  sich   der  verhältnismäßig  hohe 


i)  Leider  drangen  die  von  F.  Stieve  formulierten  Grundsätze  (Ur  Akteneditionen 
(Berieht  über  die  2,  Versammlung  deutscher  Historiker  zu  Leipzig  1694),  die  auf 
dem  Historikertag  zu  Frankfurt  1895  (s.  den  Bericht)  abgeändert  wurden,  nicht  durch.  Sonst 
geben  die  Deutschen  Beichstagsakten  i,  S.  LX  ff.  wertvolle  Fingerzeige. 

2)  Vgl.  F.  V.  Bezold,  Über  die  Änßnge  der  Selbstbiographie,  Erlanger 
Rektoratsrede  1893.  H-  G  lag  au,  Die  moderne  Selbstbiographie  als  historische  Quelle 
(Marburg  1902).  M.  SerranoySanchez,  Äutobiografias  y  Memorias  (Madrid  1905). 
Von  G.  Misch,  Die  Geschichte  der  Autobiographie  (Leipzig  1907),  ist  erst  der  i.  Band, 
der  das  Altertum  bebandelt,  erschienen.  Für  die  historische  Verwertung  von  Memoiren 
lehrreiche  Winke  bei  A.  Fournier,  Napoleon  L  Bd.  2'  S.  403 ff.  Auf  die  wichtigen 
französischen  und  englischen  Memoirensam rolungen  von  Guizot,  C.  B.  P^titot, 
Bouchon,  J.  Ph.  Michaud,  Poujoulat,  Berville  et  Barriere  usw.  sei  hier  nur 
kurz  verwiesen. 


—     173     — 

Rang,  den  der  Brief  als  historische  Quellenart  einnimmt*).  Hat  er 
noch  im  XVI.  Jahrhundert  weniger  als  Gedankenaustausch  denn  als 
Neuigkeitsvermittlung  gedient  und  im  politischen  Leben  eine  be- 
deutendere Rolle  gespielt  als  heute  ^),  so  übernahm  späterhin  dessen 
Aufgabe  als  Vehikel  der  öffentlichen  Meinung  die  Zeitung •).  Ihr 
Aufschwung  ist  eng  verknüpft  mit  der  Entwicklung  des  Verkehrs- 
wesens, der  Errichtung  regelmäßiger  Postlinien,  mit  dem  Emporblühen 
jener  Handelshäuser  des  XVI.  Jahrhunderts,  deren  Interessenkreis  weit 
über  den  heimischen  Markt  hinaus  alle  damals  bekannten  Teile  der 
Erde  umspannte. 

Ursprünglich  nur  als  Nachrichtenorgan  verwendet,  hatte  die 
Zeitung,  soweit  man  von  einer  solchen  im  heutigen  Sinne  reden  kann, 
ihre  suggestive  Einflußnahme  auf  das  öffentliche  Leben,  die  sie  jetzt 
ausübt,  der  Flugschrift  überlassen.  Solange  erstere  noch  nicht 
jene  Organisation  und  Bewegungsfreiheit  erreicht  hatte,  bediente  sich 
namentlich  in  err^en  Zeiten  der  Kampf  der  Parteien  mit  Vorliebe 
der  Streitschriften  und  Pasquille  in  Flugschriftenform*). 

Mit  dem  Aufkommen  und  der  Ausbreitung  parlamentarischer 
Reg^erungsformen  gewannen  die  Reden  als  historische  Quelle  an 
Bedeutung  zusammen  mit  den  Manifestationen  und  Programmen 
der  politischen  Parteien*). 

Wenn    diese    Aufzählung    den    Eindruck    des    Bruchstückartigen 

1)  G.  Steinhaasen,  OtsehiehU  des  deutschen  Briefes  (Berlin  1889— 1891). 
Weniger  wichtig  J.  Barbcy  d'Attrevilly,  LitUrature  ipistdaire  (Parii  1893)  ^^ 
Vicomte  de  Broc,  Le  style  ipistolaire  (Paris  1901). 

2)  R.  Graflhof,  Die  hriefUche  Zeitung  des  XVL  JahrhunderU,  Diss.  (Leip 
lig  1877.) 

3)  Vgl  K.  Bttcher,  Die  Anfänge  des  Zeitungswesens  in  Die  Entstehung  der 
Foflkmctrtoc^/K  S.A.  (Tübingen  1906),  S.  220  ff.  L.  Stilomon^  OesehidUe  des  deutsehen 
Zeitungswesens  (Oldenbnrg  1900/06).  Eine  Bibliographie  des  internationalen  Zeitnngs- 
wesens  und  dessen  Geschichte  im  Katalog  der  Bibliothek  des  Börsenvereins  der  deut- 
schen Buchhändler  (Leipzig  18850.). 

4)  Vgl.  R.  M.  Meyer,  Über  die  deutsche  Flugsahrift,  Aussng  in  Deutscher 
Literaturzeitiing  29 ,  S.  164  f.  Eine  Übersicht  über  die  franxösische  Pamphletliteratnr  in 
P.  Larousse  Grand  Dictionnaire  universel  du  XIX*  si^cle  X9.  S.  91/99.  Die  Auf- 
zähloBg  aUer  hierher  gehörigen  Sammlangen  «nd  Abhandlangen  würde  za  weit  führen. 

5)  V/ertToU  als  allgemeiner  Überblick  and  wegen  seiner  Literatarangaben  ist 
Seignobos,  Hist.  politique  de  V  Europe  coniemporaine,  Jßvolution  des  partis  et 
des  formes  poUtiques  1814^1896  (Paris  1897).  ^^  Deutschland  vgl.  Specht  and 
Schwabe,  Die  Beichstagswahien  von  1867-1903  (2.  Aafl.  1904),  F.  Salomon, 
Die  deutschen  Parteiprogramme  (Leipzig  1907)  (Qaellensammlang  zar  deutschen  Ge- 
schichte), filr  Österreich  G.  Kolmcr,  Parlament  und  Verfassung  in  Osterreich 
1848—1885  (Wien  1902  ff.). 


n 


—     174     — 

macht,  mag  die  Größe  des  Gebietes  mitschald  daran  sein.     Nicht  zu- 
letzt hängt  dies  aber  mit  dem   Mangel  an  geeigneten  Nachschlage- 
büchem  zusammen.     Es  gebricht  uns,  wenn  ich  so   sagen   darf,  an 
einem  Potthast  der  Neuzeit,   es   fehlt  uns   ein  Oesterley   der  Akten- 
publikationen.    Gerade  ein  Verzeichnis  der  letzteren  müßte  als  Grund- 
lage neuzeitlicher  Quellenkunde  zugleich  ein  Wegweiser  für  die  archi- 
valische  Forschung  werden.     Hier  darf  auch  darauf  verwiesen  werden, 
welchen  Wert  besonders  für  die  politische  Geschichte  der  Neuzeit  die 
Kenntnis   des  Gesandtschaftswesens,   seiner  Technik  und  seines  Ent- 
wicklungsganges besitzt.     Es  li^  auf  der  Hand,  wie  viel  Berührungs- 
punkte die  neuzeitliche  Quellenkunde  mit  der  Geschichte  der  Diplo- 
matie hat     Dies  zeigt  z.  B.  Ed.  Rott,   Histoire  de  la  repre9mitaium 
diplomatique  de  Id France  aMprks  des  cantons  Suisses  etc.  (Beme  1900  ff.)  ^). 
So  sehr  anerkannt  werden  muß,  daß  die  oben  erwähnten  metho- 
dologischen Momente  von  geschulten  Historikern  schon  längst  berück- 
sichtigt worden  sind,  so  haben   sich  doch  zum  Teil  gerade  in  dieser 
Hinsicht   falsche   Vorstellungen   eingebürgert.     Man  vergißt  vielfach, 
daß    Altertum,    Mittelalter    und   Neuzeit   —    so    wenig   präzise   diese 
Unterscheidungen  auch  sein    mögen  —  ganz   deutliche  Verschieden- 
heiten in  ihrem  Quellenmateriale  aufweisen.     Da  nun  die  historischen 
Hilfswissenschaften  die  Aufgabe  haben,  die  überlieferten  Zeugpusse  der 
Vergangenheit  zu  überprüfen  und  zu  werten,  so  ist  es  selbstverständ- 
lich, daß  sie  sich  je  nach  den  drei  2^itabschnitten  unterscheiden.    Wie 
die  Epigraphik  für   die  Geschichte   des  Mittelalters   an  Wert   einbüßt, 
so  verliert  für  die  Neuzeit   die  DiplomatUc  ihren  Vorrang.     Es   wäre 
also  nichts  verfehlter,  als  die  Hilfswissenschaften  des  Mittelalters  auch 
für  die  Neuzeit  unbesehen  als  Paradigma  aufzustellen,  wenn  auch  ein- 
geräumt werden   muß,   daß    der  klassische   Boden  für  die  Schulung 
hilfswissenschafllichen  Forschens  noch  lange  im  Mittelalter  zu  suchen 
sein  wird.     Die  Neuzeit  weist  ja  in  dieser  Hinsicht  erst  Andeutungen 
künftiger  Gestaltungen  auf.     Und  das  ist  nicht  zu  verwundem,  ist  sie 
doch  die  jüngste  unter  den  drei  Schwestern.    In  ihr  knüpft  Gewordenes 
unmittelbar  an  Werdendes  an,  in  ihr  sind  noch  nicht  alle  historischen 
Bewegungen  zum  Abschlüsse  gelangt.     Die  Leidenschaften   von  einst 
zittern  noch  vielfach  nach  in  dem  Tagesstreite  von  heute,  und  es  ist 


i)  Ganz  anderer  Art  and  deshalb  fUr  die  hier  erwähnten  Zwecke  weniger  wichtig 
ist  Fr.  Combes,  Histoire  ginerdU  de  la  diplomaiie  ewropUmie  (Paris  1854).  — 
Eine  ziemlich  vollständige  Übersicht  Über  die  wichtigste  Literatur  über  das  Gesandtschafts- 
wesen bei  Mischler-Ulbrich,  OsterreichiBches  Staatswörterbuch  (Wien  1895,  i« 
S.  765)  und  Sägmüller  a.  a.  O. 


—     175     — 

deshalb  begreiflich,  daß  der  Historiker,  der  den  Lebensäuße- 
rungen einer  Zeit  nachzuspüren  hat,  deren  Pulsschlag  noch  fortschlägt 
in  der  lebenden  Generation,  von  der  Lockung  fortgerissen  wird,  zu 
erzählen  und  darzustellen.  Darin  eben  liegt  aber  für  die  Geschichte  der 
Neuzeit  die  Gefahr,  daß  das  stoffliche  Interesse  nur  zu  oft  das  wissen- 
schaftliche überwiegt,  weil  politische,  nationale  und  religiöse  Gesichts- 
punkte nicht  selten  den  klaren  Ausblick  verhängen.  Eine  stärkere  Be- 
tonung des  hilfiswissenschaftlichen  Momentes  ist  gerade  deshalb,  wie 
ich  glaube,  von  doppelter  Wichtigkeit. 


Mitteilungen 


Yersammlimgeil.  —  Am  15.  April  wird  in  Riga  ein  Baltischer 
Historikertag  eröffnet,  dem  hoffentlich  andere  folgen  werden.  Zahlreiche 
Vereine,  und  zwar  nicht  nur  solche,  die  rein  geschichtliche  Zwecke  verfolgen, 
haben  das  Zustandekommen  ermöglicht,  und  die  Gesellschaft  für  Ge- 
schichte und  Altertumskunde  der  Ostseeprovinzen  Rußlands 
hat  die  hauptsächlichste  Vorarbeit  geleistet.  Die  Versammlung  wird,  soweit 
dies  aus  dem  Programm  ersichtlich  ist,  etwa  die  Mitte  halten  zwischen  den 
deutschen  Historikertagen  und  den  Jahresversammlungen  des  Gesamtvereins 
der  deutschen  Geschichts-  tmd  Altertumsvereine.  Einesteils  soll  sie  ein 
reiner  Fach-  und  Arbeitskongreß  sein  und  verzichtet  demgemäß  auf  äußer- 
liche Repräsentationsveranstaltungen,  andrerseits  aber  werden  Sektionen  (Ar- 
chivwesen; Denkmalpflege;  Ortsnamenforschung;  Heimatkunde  tmd  Orts- 
fÜhrer)  gebildet  und  nur  einige  allgemeinere  Vorträge  versprochen.  Die 
Gegenstände,  die  da  behandelt  werden  sollen,  zeigen  in  recht  erfreulicher 
Weise,  wie  lebhaft  die  entsprechenden  Arbeiten  in  Deutschland  verfolgt 
worden  sind,  denn  wohl  über  jeden  einzelnen  Punkt  hat  man  auf  deutschen 
Versammlungen  schon  verhandelt.  In  der  Sektion  für  Archivwesen,  fUr 
die  Stadtarchivar  Feuereisen  (Riga)  besonders  tätig  ist,  wird  über  die 
Veranstaltung  einer  Archivenquete  und  über  die  Bearbeitung  einer  Übersicht  über 
den  Stand  des  Archivwesens  in  den  Ostseeprovinzen,  beraten  werden,  und 
Vorschläge  zur  Hebtmg  tmd  Regeltmg  des  Archivwesens  der  Ostseeprovinzen 
unter  Berücksichtigimg  des  Standes  der  Archivfrage  im  Inneren  des  Reichs 
tmd  in  Westeuropa  sind  in  Aussicht  gestellt.  Die  Forschtmg  nach  landes- 
geschichtlichen Quellen  in  auswärtigen  Archiven  (z.  B.  im  Vatikanischen) 
wird  erörtert  werden,  tmd  dazu  wird  Prof.  Ha  11  er  (Gießen)  über  Livonica- 
funde  im  Vatikanischen  Archiv  Mitteiltmg  machen.  Schließlich  stehen  Be- 
richte in  Aussicht  über  das  Livländische  Ritterschaftsarchiv,  das  Kurländische 
Landesarchiv,  die  Stadtarchive  von  Wenden,  Lemsal  und  Riga,  das  Archiv 
der  Großen  Gilde  in  Riga  sowie  über  das  dortige  Schwarzhäupterarchiv. 
Die  Sektion  ftir  Denkmalpflege,  die  unter  Leitung  des  Rigaschen  Ar- 
chitektenvereins steht,  wird  ein  über  die  Hauptatifgaben  tmterrichtender  Vor- 
trag von  Prof.  W.  von  Stryk  eröffnen,  an  den  sich  die  Vorlage  von  Plänen 

18 


—     176     — 

zur  Erhaltung  des  alten  Stadtbildes,  namentlich  in  Riga,  von  Abbildungen 
interessanter  Bauten  und  Inneneinrichtungen  anschließen  wird.  Die  ent- 
sprechende Sanuneltätigkeit  soll  sich  künftig  auch  auf  technische  Anlagen 
und  Geräte  erstrecken.  In  der  Sektion  fUr  Ortsnamenforschung  wird 
W.  Schlüter  (Dorpat)  den  einleitenden  Vortrag  halten  und  einen  Plan  zu 
S3rstematischer  Erforschung  der  Ortsnamen  vorlegen,  wobei  der  kartogra- 
phischen Festlegung  der  &gebnisse  besondere  Berücksichtigung  zuteil  werden 
wird.  In  der  Sektion  für  Heimatkunde  und  Ortsführer  wird  Pastor 
Hörschelmann  (Mitau)  den  ersteren,  A.  von  Hedenström  den  letzteren 
Gegenstand  behandeln  im  Anschluß  an  ältere  Bestrebungen  einschlägiger  Art. 
Außerhalb  der  Sektionen  werden  folgende  allgemeine  Vorträge  dargeboten: 
Prof.  R.  Hausmann  über  die  Archäologie  der  OstseepVovinzen  im  letzten 
Jahrzehnt,  Pastor  O.  Schabert  über  den  Plan  einer  Publikation  zur  Re- 
formationsgeschichte Livlands;  Prof..  B.  Doß  über  Anregung  zum  Sammeln 
von  Nachrichten  über  Naturereignisse  im  baltischen  Gebiet  aus  Chroniken  und 
Archiven.  Auch  die  Veranstaltung  einer  Ausstellung  von  Städteansichten 
und  Medaillen  auf  livländische  Persönlichkeiten  und  Ereignisse  ist  geplant. 

Die  Verhandlungen  versprechen  vielseitig  imd  lehrreich  zu  werden,  tmd 
in  Deutschland  wird  man  allseitig  von  den  Ergebnissen,  die  hoffentlich  be- 
quem zugänglich  gemacht  werden,  mit  Interesse  Kenntnis  nehmen.  Wie 
schon  aus  dem  Programm  hervorgeht,  hat  wenigstens  ein  reichsdeutscher 
Historiker  —  Prof.  Hall  er  (Gießen)  —  seine  Mitwirkung  zugesagt  Hoffent- 
lich bleibt  er  nicht  der  einzige,  und  umgekehrt  wäre  es  sehr  zu  begrüßen, 
wenn  bei  den  deutschen  Versammlungen  auch  einige  baltische  Forscher  als 
regelmäßige  Gäste  sich  einfinden  würden.  Beide  Teile  können  durch  solchen 
Verkehr  nur  gewinnen! 


In  Berlin  findet  vom  6.  bis  zum  12.  August  1908  ein  Internationaler 
Kongrefs  für  historische  Wissenschaften  statt.  An  der  Spitze  des 
Organisationskomitees  stehen  Reinhold  Koser,  Eduard  Meyer  imd  Ulrich 
von  Wilamowitz- Mollen dor ff;  Schriftführer  ist  Privatdozent  Erich 
Caspar  (Berlin  W  15,  Kaiserallee  17),  an  den  etwaige  Zuschriften  zu 
richten  sind. 

Außer  den  allgemeinen  Versammlungen  finden  noch  Sektions- 
sitzungen statt,  und  zwar  sind  acht  Sektionen  gebildet  worden,  nämlich 
ftir  i)  Geschichte  des  Orients,  2)  Geschichte  von  Hellas  und  Rom,  3)  Poli- 
tische Geschichte  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit,  4)  Kultur-  und  Geistes- 
geschichte des  Mittelalters  und  der  Neuzeit,  5)  Rechts-  und  Wirtschafts- 
geschichte, 6)  Kirchengeschichte,  7)  Kunstgeschichte,  8)  Historische  Hil&- 
wissenschaften.  Neben  diesen  Sektionen,  deren  Leiter  bereits  bestimmt  sind, 
ist  die  Bildung  neuer  nicht  zulässig,  aber  wohl  kann  eine  Trennung  derselben 
in  Unterabteilungen  eintreten.  Von  jedem  Teilnehmer  am  Kongresse  wird 
ein  Beitrag  von  20  Mark  erhoben.  Die  für  die  allgemeinen  Versamm- 
lungen in  Aussicht  genommenen  13  Vorträge  sind  bereits  näher  bezeichnet. 
Das  endgültige  Programm  wird  von  Mitte  Juli  ab  versandt  werden.  Wer 
an  eine  Teilnahme  an  dem  Kongresse  denkt,  wird  gut  tun,  sich  schon  jetzt 
das  vorläufige  Programm  von  dem  Schriftftlhrer  zusenden  zu  lassen. 


—     177     — 

Der  Gesamtverein  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertums- 
vereine wird  in  diesem  Jahre  seine  Versammlung  in  Lübeck  abhalten, 
und  zwar  in  der  Zeit  vom  22.  bis  zum  24.  September  (Dienstag  bis  Donners- 
tag). Montag,  den  2».  September  findet  ebenfalls  in  Lübeck  der  Archiv- 
tag und  24.  bis  26.  September  (Donnerstag  bis  Sonnabend)  der  Tag  für 
Denkmalpflege  statt. 


ArehiT6.  —  Nach  fast  dreivierteljähriger  Arbeit  wurde  das  Ratsarchiv 
zu  Prankenhausen  a.  K.  ^)  durch  den  Unterfertigten  vollständig  neu  ge- 
ordnet. Dafi  dies  geschehen  konnte,  ist  in  erster  Linie  dem  energischen 
Vorgehen  des  dortigen  Ersten  Bürgermeisters,  Herrn  Stemberg,  zu  danken, 
der  den  derzeitigen  Stadtrat  von  der  dringenden  Notwendigkeit,  hier  Wandel 
zu  schaffen,  zu  überzeugen  vermochte. 

Man  war  früher  vielfach  der  Ansicht,  daß  alle  alten  imd  wirklich  wert- 
vollen Archivalien,  die  das  Jahr  1525  überdauert  haben,  durch  den  Rathaus- 
brand von  1833  vernichtet  worden  seien.  Daß  diese  Bestände  —  von  ganz 
wenigen  Ausnahmen  abgesehen  —  erst  mit  dem  Jahr  des  Bauernkriegs  beginnen, 
damit  hatte  man  allerdings  recht.  Thomas  Münzer  mit  seinen  Rotten  tat 
ganze  Arbeit,  ab  er  Anümg  Mai  besagten  Jahres  das  Archiv  auf  seine  Art 
„  aufräumte  *^  Der  Scheiterhaufen  auf  dem  Markte  fraß  nur  zu  gierig  alles, 
was  man  ihm  brachte,  Bücher,  Urkunden  und  Akten,  und  was  nicht  brennen 
wollte,  wie  das  große  Ratssiegel,  „zerschmissen''  sie,  wie  Müldener,  der 
Chronist,  erzählt.  Daß  trotzdem  ein  paar  alte  Ratsrechnungen  von  1412 
an,  einige  Schuldverschreibungen  gleichfialls  aus  dem  XV.  und  Anfang  des 
XVI.  Jahrhunderts  sowie  wenige  noch  ältere  Urkunden  aus  der  Vergangen- 
heit der  beiden  Hauptkirchen  Frankenhausens  vom  XIII.  Jahrhundert  ab  dem 
auch  ihnen  drohenden  Verderben  glücklich  entrannen,  ist  lediglich  dem  Zu&ll 
zuzuschreiben. 

Also  erst,  was  nach  diesem  Schreckensjahr  an  Schrifbtücken  neu  ent- 
stand und  aufgehoben  wurde,  bildete  später  das  Archiv.  Und  dies  alles  sollte 
wieder  ein  Opfer  des  großen  Brandes  von  1 833  geworden  sein  ?  Nein,  hier  irrte 
man  zum  Glück!  Zwar  brannte  das  Rathaus  in  der  denkwürdigen  Februar- 
nacht, die  zwei  Dritteile  der  Stadt  in  Asche  legte,  bis  auf  die  massiven 
Mauern  nieder,  aber  diese  blieben  doch  erhalten  und  mit  ihnen  das  darin 
wohlgeborgene  Archiv.  Ob  Akten  aus  der  alten  Ratsstube  mit  verbrannten 
oder  gerettet  wurden,  läßt  sich  nicht  erweisen :  ein  Vorhandensein  von  Lücken, 
das  fUr  die  erstere  Annahme  spräche,  ergab  sich  bei  der  Durchsicht  nicht. 
Man  hatte  also  die  Archivalien  wohl  beizeiten  in  Sicherheit  gel)racht 

So  kam  ein  inmierhin  fast  vier  Jahrhunderte  altes  Material  in  Frage, 
aber  schlimm  lag  es  durcheinander  und  bös  genug  sah  alles  aus,  obwohl 
bereits  im  Jahre  1864  ein  pensionierter  P&rrer,  namens  Dinckler,  den  An- 
lauf zu  einer  Neuordnung  nahm,  die  indes  unvollendet  blieb  und  bald  wieder 
zu  einem  ähnlich  bedauernswerten  Zustand  führte  wie  ehedem.  Hier  mußte 
also  einmal  etwas  Durchgreifendes  geschehen  —  und  es  geschah  dank 

1)  \g\,  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  235  sowie  Mitzschke,  Wegweiser  durch  die 
Hiatoriaclien  Archive  Thürtngens  (Gotha  1900),  S.  33. 

13* 


—     178     — 

dem  Entschlüsse  einer  einsichtsvollen  Stadtverwaltung.  Der  Archivraum  ward 
nun  ganz  feuersicher  ausgebaut,  mit  neuen  Fenstern,  Fliesen  und  Regalen 
ausgestattet  und  in  letzteren,  nach  Ausscheidung  des  nicht  Hineingehörigen, 
das  Aktenmaterial  ordnungsgemäß  untergebracht  Die  einzelnen  Stücke  sind, 
außer  mit  der  Inhaltsbezeichntmg ,  noch  mit  Stempel  und  Fachnummer  ver- 
sehen, und  über  die  ganzen  Bestände,  die  in  alphabetischer  Reihenfolge 
der  Materien  und  der  Zeit  nach  angeordnet  sind,  gibt  ein  Zettelkatalog  die 
nötige  Auskunft. 

Hans  V.  Wurmb. 


Einer  kurzen  Mitteilung,  die  der  Direktor  des  Straßburger  Bezirksarchivs, 
Hans  Kaiser,  in  der  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins,  N.F. 
Bd.  2  2,  S.  127 — 130,  veröffentlicht,  ist  zu  entnehmen,  daß  neuerdings  ein 
bedeutsamer  archivalischer  Fund  gemacht  worden  bt,  der  nicht  nur  für  die 
elsässische  Landesgeschichte,  sondern  auch  fUr  die  allgemeine  Geschichte 
wichtig  ist  Bei  dem  Verkaufe  der  Nationalgüter  1790  sollte  das  Archiv 
des  Strafsburger  Domkapitels  dem  dortigen  Bezirksarchiv  einverleibt 
werden,  aber  in  Wirklichkeit  fanden  sich  nur  einige  wenige  Bände  mit 
Protokollen  vor,  und  deren  größter  Teil  galt  daher  als  verloren.  Dies 
trifit  aber  zum  Glück  nicht  zu.  Vielmehr  ist,  wie  so  oft,  ein  Teil  des  Ar- 
chivs tatsächlich  nicht  abgegeben  worden,  sondern  im  Besitz  des  Domkapitels 
verblieben.  Merkwürdig  ist  nur,  daß  diese  Tatsache  bislang  unbekannt  bleiben 
konnte  und  der  Öffentlichkeit  erst  1906  durch  einen  Zufall  mitgeteilt  wurde. 
Der  Versuch,  die  zerrissenen  Akten,  so  wie  es  das  Provenienzprinzip  fordert, 
wieder  zu  vereinigen,  ist  leider  fehlgeschlagen,  aber  erfreulicherweise  hat 
das  Domkapitel  sein  Archiv  der  Öffentlichkeit  zugänglich  gemacht  und  im 
Oktober  1907  eine  zweckmäßige  Benutzungsordnung  erlassen,  so  daß  ietzt 
beide  Teile  des  alten  Domkapitelarchivs  durchforscht  werden  können.  Und 
zwar  werden  die  neuentdeckten  Archivalien  den  Benutzem  im  Bezirks- 
archiv vorgelegt,  so  daß  sie  die  Archivalien  beider  Teile  nebeneinander 
benutzen  können.  Auch  an  auswärtige  Archive  werden  Akten  versandt 
Entsprechende  Gesuche  sind  an  den  Archivar  des  Kapitels,  Domherrn 
Schickele  (Schiffleutstaden  13),  zu  richten.  Über  den  Inhalt  des  Archivs 
unterrichtet  eine  Schrift  von  Ingold:  Catatogue  sommaire  des  documents 
conservSs  aux  archives  du  chapitre  de  la  catMdrale  de  Strasbourg  [«=»  Bib- 
lioth^que  de  la  Revue  d'Alsace  XIII].     Kolmar,  Hüffel  1906. 


Um  Quellenstoff  aus  dem  Stadtarchiv  zu  Kolmar  mitzuteilen  und 
Arbeiten,  die  solchen  verwerten,  abzudrucken,  hat  die  Stadtverwaltung  durch 
den  Stadtarchivar  Eugen  Waldner  die  Herausgabe  einer  Schriftenfolge  in 
die  Wege  geleitet,  deren  erstes  Heft  vorliegt.  Der  Titel  lautet:  Veröffeni- 
lichungen  aus  dem  Stadtarchiv  bu  Colmar,  im  Auftrage  der  StadtvenoaUung 
herausgegeben  von  dem  Stadtarchivar  Eugen  Waldner,  Erstes  Heft.  Mit 
einem  Bilde  (Kolmar  1907.      177  S.  8®). 

Der  erste  Abschnitt  (S.  i — 12)  ist  der  Geschichte  des  Archivs 
gewidmet,  und  wir  lernen  daraus  in  Kürze  kennen,    wie  es  verwaltet  wurde 


—     179     — 

und  welche  Gestalt  die  InventarisieniDg  aDgenommen  hat.  Die  Loslösimg 
der  Archiwerwaltung  vom  Amte  des  Stadtschreibers  und  die  Anstellung  eines 
besonderen  Archivars  (Registrators)  erfolgte  1638.  Das  erste  Inventar  von 
626  Seiten  in  Folio  wurde  1662  abgeschlossen.  Nach  dem  Eintritt  einer 
Verwahrlosung  kam  es  17 19  zur  Anstellung  von  zwei  Archivaren,  einem 
katholischen  und  einem  protestantischen,  von  1726  an  aber  gab  es  wieder 
nur  einen.  Matthias  Hü f fei  bearbeitete  1719  —  X733  ein  neues  Inventar 
von  1600  Seiten  in  Folio.  Während  der  Revolution  hütete  Friedrich  ßirkel 
das  Archiv,  so  daß  es  im  ganzen  keinen  Schaden  litt,  aber  es  riß  dann 
wiederum  Unordnung  ein,  bis  seit  1864  Moßmann  aufs  neue  zu  einer  nun- 
mehr wissenschaftlichen  Inventarisation  schritt.  Sein  Werk  setzte  1893  bis 
1900  Waldner,  dann  August  Hertzog,  1903 — 1906  Ernst  Hauviller 
und  dann  wieder  Waldner,  der  aus  Gesundheitsrücksichten  ausgeschieden 
war,  fort. 

Der  zweite  Teil  bringt  Verordnungen  des  Rates  der  Stadt 
Kolmar  1362  — 1432  (S.  13 — 80),  die  dem  ältesten  Stadtbuche  ent- 
.  nonmien  sind  und  als  Quelle  zur  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschichte 
der  Stadt  Bedeutung  besitzen.  Der  Inhalt  wird  durch  ein  Sach-  und  Namen- 
register (S.  81 — 84)  einigermaßen  erschlossen,  so  daß  diese  Veröffentlichung 
auch  für  allgemeinere  Zwecke  zu  Rate  gezogen  werden  kann. 

An  dritter  Stelle  endlich  erscheint  eine  darstellende  Arbeit:  Dit  An- 
geUgenkeit  der  Reichsstädte  des  Elsafs  am  Reichstage  und  vor  dem  Schieds- 
gerichte Bu  Regensburg  1663 — 1673  (S.  85 — 177).  Es  handelt  sich  hier- 
bei um  eine  Veröffentlichung  von  Quellen  in  Form  einer  Bearbeitung,  die 
sich  eng  an  die  Vorlagen  anschließt  und  auch  deren  Ausdrucksweise  mög- 
lichst beibehält;  der  Zweck  ist,  das  im  Archiv  von  Kolmar  ruhende  Material 
über  den  Streit  mitzuteilen,  der  sich  zwischen  Frankreich  und  den  elsässischen 
Reichsstädten  wegen  der  Landvogteirechte  erhob.  Die  Kolmarer  Korre- 
spondenzen sind  deswegen  so  wichtig,  weil  Kolmar  damals  die  Führung  des 
Städtebundes  hatte  und  den  Abgeordneten  dieser  Stadt  die  Vertretung  der 
Interessen  des  Bundes  oblag.  Auf  den  Inhalt  kann  hier  nicht  näher  ein- 
gegangen werden,  aber  es  ist  hervorzuheben,  daß  die  Hauptmasse  der 
Schriftstücke  erst  aufgefunden  worden  ist,  nachdem  die  Schrift  Zur  Qe- 
schicJtte  der  Annexion  des  Elsaß  durch  die  Krone  Frankreichs  von  Rocholl 
(Gotha  1888)  erschienen  war. 

Der  reiche  und  auch  für  weitere  Kreise  wertvolle  Inhalt  dieser  neuen 
Veröffentlichung  aus  einem  Stadtarchive  erweckt  den  Wunsch,  daß  recht 
bald  ein  weiteres  Heft  folgen  möge,  und  nicht  minder  denjenigen,  daß  auch 
andre  Städte  sich  zu  ähnlichen  Publikationen  entschließen  möchten. 


Kommissionen.  —  Die  26.  Plenarsitzung  der  Badtschen  Histo- 
rischen Kommission')  hat  am  8.  und  9.  November  1907  in  Karls- 
ruhe stattgefunden;  den  Vorsitz  führte,  da  die  Stelle  eines  Vorstandes  zur- 
zeit unbesetzt  war,  der  frühere  Vorstand,  Prof.  Dove,  der  in  einem  warmen 
Nachrufe  die  der  Geschichtsforschung   durch   den   verstorbenen  Großherzog 


i)  Über  die  25.  Sitzung  vgl.  diese  Zeitschrift,  8.  Band,  S.  323 — 324. 


—     180     — 

zuteil  gewordene  FörderuDg  rühmend  henrorhob.  Im  Berichtsjahre  sind  fol- 
gende Werke  erschienen:  als  Neujahrsblatt  für  1907  Der  Breisgau  unter 
Maria  Theresia  und  Josef  II,  von  Eberhard  Gothein  (Heidelbei^,  Winter, 
130  S.);  vom  Oberbadischen  QescMechterbuchf  bearbeitet  von  Julius  Kindler 
von  Knobloch,  die  2.  Lieferung  des  3.  Bandes;  von  den  RegesUn  der 
Markgrafen  von  Baden  und  Hachberg  die  5.  Lieferung  des  3.  Bandes,  die 
das  von  Fritz  Frankhauser  bearbeitete  Orts-  und  Personenverzeichnis 
enthält.  Die  in  Angriff  genommenen  Veröffenüichtmgen  sind  sämtlich  mehr 
oder  weniger  gefördert  worden.  Die  von  Karl  Rieder  bearbeiteten  Bö* 
mischen  QueUen  eur  Konstanger  Bistumsgeschichte  sind  mit  Ausnahme  der 
Einleitung  im  Druck  vollendet.  An  einem  5.  Bande  der  Begesten  der  Mark- 
grafen von  Baden  und  Hachberg,  der  diejenigen  des  Mariegrafen  Christoph  I. 
(1473 — 15^7)  bringen  wird,  arbeitet  Albert  Krieger.  Für  den  2.  Band  der 
Begesten  der  Pfalegrafen  bei  Bhein  ist  Graf  von  Oberndorff  unter  Leitung 
von  Prof.  Wille  tätig.  In  der  Schwäbischen  Abteilung  der  Oberrheinischen 
Stadtrechte  ist  das  Stadtrecht  von  Überlingen,  bearbeitet  von  Geier, 
bald  zu  erwarten;  das  von  Neuenburg  bearbeitet  Merk,  das  von  Konstanz 
Beyerle.  Der  Nachtragsband  zur  Folüischen  Korrespondenß  Karl  Fried- 
richs von  Baden,  bearbeitet  von  Obs  er,  geht  seinem  Abschlüsse  entgegen. 
Mit  der  Bearbeitung  des  2.  Bandes  der  Denkwürdigkeiten  des  Markgrafen 
Wilhelm  von  Baden  hat  Obs  er  begonnen.  Als  neue  Veröffentlichtmg 
wurde  in  Aussicht  genommen  eine  Geschichte  der  badischen  Ver- 
waltungsorganisation vom  Ende  des  Mittelalters  bis  zum  Er- 
laß der  Verfassung  (1818). 

Entsprechend  der  früher  *)  mitgeteilten  Regelung  der  Fürsorge  fUr  die 
kleinen  Archive  ist  1907  die  Ordnung  der  Gemeindearchive  in  sechs 
Amtsbezirken  durchgeführt  worden.  Die  Verzeichnung  der  grundherrlichen 
Archive  nähert  sich  dem  Abschluß. 

Von  allgemeiner  Bedeutung  ist  es,  daß  jetzt  das  Register  zu  Band  i 
bis  39  der  sdten  Reihe  der  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins, 
dessen  Bearbeitung  einst  im  i.  Bande  dieser  Zeitschrift  (1900),  S.  239 
gefordert  wurde,  im  Manuskript  vorliegt. 

Infolge  Ausscheidens  aus  dem  badischen  Staatsdienste  sind  die  Pro- 
fessoren Erich  Marcks  und  Ulrich  Stutz  aus  der  Kommission  ausgeschieden. 
Neu  traten  als  ordentliche  Mitglieder  ein  Hermann  Oncken,  Professor  der 
neueren  Geschichte  in  Heidelberg,  und  Alfred  Schnitze,  Professor  der 
deutschen  Rechtsgeschichte  in  Freiburg  i.  B.  Archivdirektor  Hans  Kaiser 
in  Straßburg,  bisher  korrespondierendes  Mitglied,  wurde  zum  außerordent- 
lichen Mitgliede  gewählt.  Zum  Vorstand  der  Konunission  für  fünf  Jahre 
schlug  diese  Prof.  Dove  (Freiburg)  vor,  der  als  solcher  durch  allerhöchste 
Staatsministerialentschließung  bestätigt  wurde. 


Familienbriefe  als  kalturgeschichtliche  Qaelle.  —  Im  Juli- 
hefte 1907  der  Deutschen  Qeschichtsblätter  (S.  284 — 286)  hatte  ich  einen 
Aufruf  zum  Sammeln  von  Familienbriefen  erlassen.     Dagegen  geht  ein  Ano- 


I)  Vgl.  diese  Zeitschrift,  8.  Band,  S.  228—229. 


—     181     — 

nymus  in  dem  von  Georg  Steinhausen  herausgegebenen  Archiv  für  KuUur- 
geschickte,  Bd.  VI,  Heft  i,  S.  12 1/2  an,  indem  er  zugleich  und  vornehmlich  eine 
Lanze  für  Georg  Steinhausen  zu  brechen  sucht.  Der  Anonymus  liest  näm- 
lich im  Gegensatze  zu  der  Anerkennung  der  großen  Leistungen  Steinhausens 
aus  meinem  Aufruf  „eine  sehr  geringe  Orientienmg  meinerseits  über  das 
auf  dem  berührten  Gebiete  Geleistete '^  heraus  und  sucht  mein  Vorhaben  da- 
dtirch  in  den  Augen  seiner  Leser  herabzusetzen,  daß  er  „feststellt,  daß  meine 
Idee  von  Georg  Steinhausen  längst  ausgesprochen  und  vor  allem  bereits  zu 
einem  Teile  verwirklicht  ist,  und  zwar  besonders  auch  schon  für  das  XVI. 
und  XVII.  Jahrhundert". 

Nach  der  Auflassung  des  Anonymus  ist  also  das,  was  ich  erst  auf 
Grund  eines  hoffentlich  recht  umfangreichen,  neuen  und  ungedruckten  Brief- 
materials untersuchen  will,  bereits  in  Steinhausens  Geschichte  des  deutschen 
Briefes  längst  erforscht. 

Zu  diesem  Urteil  würde  der  Anonymus  schwerlich  gelangt  sein,  wäre 
ihm  einigermaßen  klar  gewesen,  daß  zwischen  der  Steinhausenschen  Behand- 
lung des  Quellenmaterials  und  der  meinigen  ab  unüberbrückbarer  Grenzwall 
eine  gänzlich  verschiedene  Auffassung  des  Begriffes  Kulturgeschichte  steht. 
Steinhausen  ist  kulturgeschichtlicher  Archäologe,  ich  bin  Entwicklungshistoriker. 
Ist  da  nun  noch  besonders  auseinanderzusetzen,  daß  unser  abweichender 
genereller  Standpunkt  natürlich  auch  zu  verschiedenen  Resultaten  bezüglich 
der  Beurteilung  der  Quellen  führen  muß? 

Schon  die  grundverschiedene  Auffassung  von  Kulturgeschichte  überhaupt 
macht  also  —  selbst  wenn  der  Wille  dazu  bei  Georg  Steinhausen  stärker 
vorhanden  wäre  —  eine  Verständigung  zwischen  der  Steinhausenschen  und 
meiner  Arbeitsrichtung  unmöglich.  Noch  viel  weniger  aber  ist  —  wenigstens 
nach  den  Ausführungen  des  Gewährsmannes  von  Georg  Steinhausen  —  an- 
zunehmen, daß  Steinhausen  je  verstehen  wird,  was  ich  meinte,  als  ich  vom 
„psychischen  Kern"  als  dem  Ziel  aller  kulturhistorischen  Forschung 
sprach.  Will  mir  nun  aber  Steinhausen  etwa  verwehren,  auch  von  meinem 
Standpunkte  aus  an  die  Briefe  als  Quellenmaterial  heranzutreten,  und  dabei, 
nach  den  Anforderungen  meines  Standpunktes,  über  die  Briefsammlungen, 
die  er  benutzte,  hinauszugehen  und  auch  solche  Briefe  mit  heranzuziehen, 
die  in  keinem  Archiv  vorhanden,  sondern  nur  aus  den  verborgenen  Schränken 
schlichter  Bürgerfamilien  herauszuholen  sind?  Oder  will  der  Anonymus  etwa 
gar  allen  Ernstes  behaupten:  Steinhausen  hätte  in  seiner  Geschichte  des 
detäschen  Briefes  in  erster  Linie  das  Briefoiaterial  verarbeitet,  das  ich  zu 
sammeln  mich  bemühe  und  von  dem  mir  heute,  nach  wenigen  Monaten  des 
Sammeins,  bereits  beträchtliche  Mengen  zur  Verfügung  stehen  *)  ? ! 

Welcher  Art  dieses  Briefmaterial  sein  muß,  das  sei  hier  —  vielleicht 
auch  zur  Belehrung  des  Anonymus  —  noch  einmal  mit  wenigen  Worten 
unzweideutig  gesagt: 

Briefe  von  Männern  und  Frauen,  die  in  keiner  Weise  über  der  Menge 


i)  Bei  dieser  Gelegenheit  will  ich  nicht  unterlassen,  besonders  auch  allen  den  Lesern 
der  Deutschen  Geschichtsblätter  herzlich  zu  danken,  die  mich  bisher  durch  freondliche 
Znseodang  von  Familienbriefen  bestens  unterstützten,  zugleich  aber  meine  Bitte  im  all- 
gemeinen wiederholen. 


—     182     — 

stehen,  deren  Namen  deshalb  in  keiner  Landes-  oder  Staats-,  keiner  Literatur- 
oder Kunstgeschichte  jemals  genannt  sind,  die  selbst  nicht  einmal  als  be- 
sonders angesehene  Patrizier  (etwa  wie  die  Nürnberger  Behaims)  eine  bevor- 
zugte Stelle  in  der  Bürgerschaft  einer  Stadt  oder  einer  anderen  Gemeinschaft 
eingenommen  haben,  die  auch  nicht  etwa  auf  Grund  höherer  Bildung  oder 
geistiger  Fähigkeiten  das  schlichte  Volk  überragen,  denn  sobald  letzteres  der 
Fall  wäre,  könnten  ja  ihre  Briefe  infolge  der  gehobenen  sozialen  Position, 
oder  wegen  der  höheren  geistigen  oder  künstlerischen  Ausbildung  der  Ver- 
fasser nicht  maßgebend  sein  für  die  kulturhistorische  Beurteilung  der  breiten 
Schichten,  weil  ihr  Denken  (und  auf  das  kommt  es  ja  an,  nicht  nur  auf 
die  bloß  beschreibende  Feststellung  seelischer  Eigenschaften !)  nicht  dem 
des  schlichten  Volkes  entspricht. 

Ein  derartiges  Briefmaterial  habe  ich  aber  trotz  fleißigen  Suchens  in  Stein- 
hausens Geschichte  des  deutschen  Briefes  nicht  verwertet  gefunden,  weshalb 
ich  zum  zweiten  Male  bestinmit  erkläre,  daß  „in  seiner  Geschichte  des  deutschen 
Briefes  in  der  Hauptsache  das  Briefinaterial  herangezogen  ist,  das  von 
Personen  stammt,  die  aus  der  Masse  hervorragen*'.  Wenn  der  Anonymus 
zur  Rechtfertigung  Steinhausens  die  mehrere  Jahre  nach  Erscheinen  des  eben 
genannten  Werkes  veröffentlichten  Briefsammlungen  Steinhausens  anführt,  so 
muß  ich  das  als  nicht  zur  Sache  gehörig  zurückweisen,  da  ich  ja  von  diesen 
in  meinem  Aufruf  gar  nicht  geredet,  insonderheit  mich  jeder  Kritik  über 
ihre  Bedeutung  enthalten  habe.  Daß  ich  mit  meiner  Forderung,  den  Privat- 
brief in  dem  angedeuteten  Sinne  zu  verwerten,  etwas  völlig  neues  ausspreche, 
habe  ich  nicht  behauptet,  aber  nicht  auf  die  Forderung  kommt  es  an,  son- 
dern auf  die  Ausführung  der  als  notwendig  erkannten  Arbeit,  und  da  zu 
einer  solchen  erst  Quellenstoff  beschafit  werden  muß,  so  war  ich  gezwungen, 
um  mir  ihn  in  möglichster  Reichhaltigkeit  zu  versorgen,  meine  Absichten 
einem  weiteren  Leserkreise  kund  zu  tun  und  darin  mein  Programm  deutlich 
zu  entwickeln.  Es  lag  jedoch  vollständig  außerhalb  meines  Planes  und 
Zweckes  dabei  alles  dasjenige  aufzuführen,  was  etwa  über  den  Brief  und 
seine  Verwertung  schon  gesagt  worden  ist.  Hätte  ich  das  gewollt,  dann 
hätte  ich  außer  Steinhausen  auch  noch  manchen  anderen  SchriftsteUer  nam- 
haft machen  müssen. 

Zum  Schlüsse  bleibt  mir  noch  eine  peinliche  Aufgabe.  Ich  muß 
darauf  hinweisen,  daß  der  Anonymus  ohne  den  geringsten  Gnmd 
die  Behauptung  aufgestellt  hat:  ich  hätte  die  einschlagenden  Schriften  Stein- 
hausens nicht  gelesen.  Ich  weise  diesen  Angriff  mit  Entrüstung  zurück  — 
nicht  ohne  es  zugleich  merkwürdig,  ja  in  mehr  als  einem  Betracht  komisch 
zu  finden,  daß  der  gleiche  Vorwurf  bisher  in  der  kritischen  Literatur  der 
letzten  Jahre  wohl  nur  einmal,  und  zwar  auch  in  der  Steinhausenschen  Zeit- 
schrift Band  III,  S.  370  —  371,  da  aber  nicht  durch  einen  Anonymus, 
sondern  durch  —  Herrn  Steinhausen  selbst  erhoben  worden  ist. 

Arthur  Köhler. 


Herausgeber  und  verantwortlicher  Redakteur:  Dr.  Armin  TiUe  in  Dresden. 
Verlag  und  Druck  Ton  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsscbrift 


rar 


FSrdening  der  landesgescMchtlichen  Forschung 

IX.  Band  Mai  1908  8.  Heft 


Deutsehe  Fluds^ohriften 
aus  den  ersten  Jahren  der  t^eformation 

Von 
WUhelm  Lücke  (HaUe  a.  S.) 

Auf  dem  Deutschen  Pfarrertage  in  Hannover  1907  wurde  unter 
anderem  auch  die  Bedeutung  der  Presse  gewürdigt.  Dabei  fiel  etwa 
folgende  Äußerung :  Wenn  Luther  die  Rolle,  welche  die  Presse  heute 
in  unserem  öffentlichen  Leben  spielt,  hätte  ahnen  können,  so  würde 
er  sicher  eine  „Wittenberger  Korrespondenz"  gegründet  haben  *). 
Diese  Behauptung  ist  recht  anfechtbar.  Die  Reformationszeit,  und 
vor  allem  Luther  selbst,  hat  die  Bedeutung  der  Presse  sehr  wohl  ge- 
kannt *).  Allerdings  in  anderer  Form  ihrer  Erzeugnisse.  Regelmäßig 
erscheinende  Zeitungen  gab  es  noch  nicht,  und  vielleicht  wären  die 
gar  nicht  einmal  angebracht  gewesen.  Jedenfalls  hat  sich  die  damalige 
Waffenrüstung  unserer  geistigen  Großmacht  recht  gut  bewährt. 

Vor  dem  Auftreten  Luthers  war  der  Besitz  gedruckter  Schriften 
noch  ein  Vorrecht  der  Gebildeten  gewesen.  Zwar  ließ  die  neue 
Kunst  alte  Heldengedichte  und  Lieder  wieder  erstehen,  zwar  ver- 
breitete sie  medizinische  Ratgeber,  geistliche  Erbauungsbücher  und 
ähnliches,    aber  all  ihre  deutschen  Erzeugnisse  traten  in  den  Hinter- 


i)  Wie  ich  nachträglich  mos  dem  mir  frenndUchst  too  Herrn  Pastor  Pasche>Dietkaa 
sngesteUten  ProtokoU  der  Verhandlungen  des  Verbandet  Denttcher  ETangelischer  Pfiarrer- 
Tereine  in  Hannover  1907  ersehe,  ist  meine  auf  einem  Referat  der  DetitadbaM  Zeihmg 
beruhende  Angabe  ongenan.  Es  wurde  gesagt:  Wäre  die  Presse  schon  organisiert  ge* 
wesen  wie  heute,  so  hätte  Lnther  sicher  eine  „Wittenberger  Korrespondenz'^  gegründet. 

a)  VgL  Kapp,  Otsehichie  des  deutsdien  Buchhandeü  I  (1S86),  409  ff.,  femer 
die  Anmerkimg  des  Herausgebers  in  Band  VI ,  65  f.  dieser  ZeitschrifL  Wie  auch  schon 
das  Mittelalter  von  dem  Wert  der  Publizistik  durchdrungen  war,  dafür  vgL  den  ebenda, 
S.  65-^88  und  105-  116,  erschienenen  AnfiMtz  von  H.  Werne >-,  Kircket^  und  aohol- 
jpoiUisehe  PubKtistik  im  MiUelaUer. 

14 


—     184     — 

gnind  vor  den  lateinischen  Darbietungen  der  mittelalterlich-scholasti- 
schen Literatur  und  vor  denen  der  Humanisten. 

Nach  dem  Beginn  des  großen  Greisteskampfes  wurde  das  anders. 
Weitaus  behaupten  jetzt  die  deutschen  Schriften  den  Vorrang.  In  den 
sieben  Jahren  von  15 17  bis  1523  sti^  die  Zahl  der  deutschen  Drucke 
auf  das  ZwölfTache,  von  einigen  achtzig  auf  rund  tausend  ^).  Luther 
schrieb  deutsch,  und  ihm  folgen  bald  ursprüngliche  Lateiner  wie 
Hütten,  Rhegius,  Butzer,  Okolampad  und  viele  andre.  Und  dazu 
tritt  eine  stattliche  Zahl  von  Neulingen  mit  Werken  in  der  Mutter- 
sprache auf  den  Kampfplatz.  Die  Literatur  stellt  sich  in  den  Dienst 
der  großen  kirchlichen  und  politischen  Bewegung ;  sie  wird  tendenziös, 
agitatorisch.  Dazu  müssen  sich  ihre  Produkte  dem  geistigen  Horizont 
der  breiten  Massen  in  Sprache  und  Gehalt  möglichst  anpassen.  Sie 
dürfen  auch  nicht  zu  umfangreich  sein,  schon  um  billig  verkauft  werden 
zu  können. 

Diese  Bedingungen  erfüllen  die  Flugschriften,  die  in  den 
ersten  Jahren  der  Reformation  der  ganzen  deutschen  Literatur  ihr 
Gepräge  geben,  die  dabei  historische,  vor  allem  kulturhistorische  Zeug- 
nisse allerersten  Ranges  sind'). 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  sei  zunächst  ihr  Inhalt  betrachtet. 

Aus  den  Kämpfen  jener  Tage  ragt  Luthers  Gestalt  am  mächtig- 
sten heraus.  Was  Wunders,  wenn  der  Reformator  auch  im  Mittel- 
punkt so  mancher  Flugschrift  steht  *).  Von  den  Feinden  meist  grob 
gelästert,   von   einem,  Thomas  Murner,  geistvoll  verspottet,  von  den 


i)  Kmpp,  m.  a.  O.,  408.     Über  die  Bedeatang  des  Nachdrucks  ebenda,  427. 

a)  Neben  den  gröfleren  Geschichtswerken  (Ranke,  ▼.  Besold,  Janssen  n.  a.), 
die  im  Zusammenhang  ihrer  DarsteUnng  anch  die  Flngschriften  würdigen,  ist  noch  immer 
unentbehrlich  K.  Hagen,  DewtBeMands  lüerari$€he  smuI  rdigiöm  VerhäUm$9e  im 
Eeformatumueitalter  n  (Erlangen  1843),  *>««•  S.  176—219.  Zumal  Inhaltsangaben 
liefert  A  Baar,  Deutschland  in  den  Jahren  1517^1526  (Ulm  1872).  Unter  der 
neueren  reichen  EinseUiteratur  bieten  viel  Material  manche  Schriften  des  Vereins  für 
Reformationsgeschichte  und  zahlreiche  Artikel  des  Archivs  fUr  Reformationsgeschichte.  — - 
Vgl.  auch  Band  VIT,  S.  155 ff.  dieser  S^eiUchrift. 

Im  Neudruck  ist  immerhin  erst  ein  kleiner  Bruchteil  der  grofien  Masse  dieser 
Schriften  veröffentlicht.  In  Betracht  kommen  vor  aUem:  O.  Schade,  SaHren  und 
PädqttüU  aus  der  BeforwMtiansgeU.  2.  Ausgabe.  3  Bände  (Hannover  1863),  im  fol« 
genden  angeftihrt  als  „  Schade  <<;  Neudntcke  deutscher  LUeraturwerke  des  XVL  und 
XVII.  Jahrhunderts  (HaUe  a.  d.  S.X  hier  angeführt  als  „HaUesche  Neudrucke^;  mietet 
O.  Giemen,  Flugsdiriften  aus  den  ersten  Jahren  der  BeformaUan  (Leipag  1907 f-)« 
bisl»er  2  Binde,  angeführt  als  „O.  Qemen,  Flugschriften'*. 

3)  U.  a.  vgl.  Schade  II,  Nr.  11,  16,  18,  21,  22.  m,  2,  6.  O. Giemen,  .FIm^ 
Schriften  I,  Nr.  i,  2,  12.    II,  7. 


—     185     — 

Gegnern  Roms  geachtet,  selbst  wenn  sie  ihm  nicht  immer  zustimmen, 
viel  häufiger  geehrt  und  gefeiert,  oft  geradezu  vergöttert  —  so  tritt  er 
vor  uns  in  diesen  Schriften  hin. 

Seine  großen  Tage  kennt  das  Volk  und  erstattet  darüber  Bericht. 
Einmal  wurde  ihm  von  Rom  aus  eine  hohe  kirchliche  Würde  angeboten, 
wenn  er  in  Zukunft  schwiege.  Ein  Gesandter  Beelzebubs  selbst  war 
es,  der  diese  Mission  erfüllte  und  schmähliche  Abweisung  erfuhr,  so 
legt  der  Dudogus  van  MarHno  Luther  und  der  geschickten  Botschaft  aus 
der  HöUe  dar  *).  Unter  der  Flut  von  Flugschriften,  die  der  Reichstag 
von  Worms  veranlaßt  hat,  übertrifft  eine  alle  an  Kühnheit  in  der 
Verherrlichung  des  Reformators:  Doctor  M.  Luthers  Passion^).  Ganz 
im  Stil  des  Evangeliums  wird  seine  Wormsfahrt  geschildert:  Es  ist 
ausgangen  der  Luther  mit  seinen  jungem  über  den  fluß  des  Bhems 
und  eingangen  gen  Worms,  .  .  Dort  hält  er  mit  seinen  Freunden 
das  Nachtmahl,  wird  verraten  und  gefangen:  am  andern  tag  umh  die 
viert  stunde  als  er  mit  sein  jungem  redte,  nempt  war,  da  ist  der  her 
von  Pappenheim  kamen  und  mit  im  ain  große  schar  mit  Schwertern  vnd 
kalben  . . .  und  haben  den  Luther  gefilrt  auf  das  gerichihaus.  Das  Ver- 
hör findet  statt,  falsche  Zeugen  treten  auf,  unter  ihnen  Johannes  von 
Eck.  Er  erklärt:  der  hat  gesagt,  das  Cancüium  gu  Costene  hob  geirt 
und  der  bapst  sei  ein  Entchrist.  Da  ist  Caiphas  der  bischof  van  Mene 
aufgestanden  und  hat  zu  im  gsagt:  was  antwerstu  zu  disen  dingen,  die 
sie  wider  dich  reden,  ich  beschwer  dich  bei  dem  lebendigen  got,  bekenn, 
die  ding  war  sein!  Und  fest  und  mutig  bekennt  sich  Luther  zu  seiner 
Lehre.  Der  Bischof  von  Trier  muß  nach  weiterem  Verhör  gestehen: 
ich  find  kain  ursach  in  im  des  todts.  waU  ir,  so  wül  ich  in  laßen. 
Aber  wilder  Widerspruch  tönt  auf  allen  Seiten  ihm  entgegen.  Da 
will  der  Kaiser  selbst  als  Richter  das  Urteil  finden.  Doch  sein  Weib, 
die  deutsche  Nation,  schickt  zu  ihm  und  warnt  ihn:  Dir  sol  nichts 
sein  mit  disem  gerechten.  Dann  in  diser  nacht  hob  ich  vü  durch 
seinetwillen  erlitten.  Zaudern  des  Richters,  wildes  Gebrüll  der 
Menge!  Laßestu  den  ledig,  so  bistu  nit  ain  freund  des  römischen 
bischafs.  er  wirt  dir  hilf  thün  wider  Frankreich. . .  Der  schwache 
Richter  gibt  nach.  In  effigie  wird  Luther  mit  seinen  Büchern  ver* 
brannt,  Hütten  zur  Rechten,  Karlstadt  zur  Linken.  Aber  Furcht  be- 
schleicht gleich  hinterher  die  Gegner,  denn  er  hat  gesagt,   er  würde 

i)  HcrmiugegebeD  tod  L.  Enders,  Htllesche  Neadrucke  Nr.  6a.  —  AU  Verfasser 
gilt  Erftsmos  Albems.  Vgl.  Beiirägt  am  QesMMt  der  demtsehen  Spraehe  XXVm,  2  28  ff. 

2)  Schade  II,  108 — 113.  Vgl.  O.  Giemen,  Beiträge  sur  BeformatiofisgtBMt^ 
m,  9—20.     Katholik  82,  2.  S.  95  £     82,  2.  S.  576. 

14^ 


—     186     — 

noch  größere  Dinge  schreiben.  Sie  lassen  neue  Gebote  ausgehen, 
alle  Schriften  des  Heiligen  zu  verbrennen.  Keiner  kehrt  sich  bislang 
daran,    sie  werden  sehen,  m  icelchen  sie  gestochen  haben! 

Ein  enger  Zusammenhang  besteht  zwischen  der  Reformation  und 
dem  Humanismus.  Der  bedeutendste  Humanist,  Erasmus  von  Rotter- 
dam, arbeitete  Luther  auf  das  wirksamste  mit  seiner  griechischen  Aus- 
gabe des  Neuen  Testamentes  vor.  Erasmus  ist  allerdings  alles  andre 
eher  als  ein  Volksmann,  aber  die  gebildeten  Kreise  sehen  in  ihm 
einen  Kampfgenossen  des  Wittenbergers.  So  setzt  Albrecht  Dürer 
nach  dem  Verschwinden  Luthers  im  Mai  1521  auf  ihn  allein  noch 
seine  Hoffnung  für  die  neue  Lehre  *).  Andere  suchen  dem  Volke 
seine  Gestalt  nahe  zu  bringen,  sei  es  durch  Übersetzung  seiner  Werke, 
sei  es  durch  Verherrlichung  in  besonderer  Form.  Zumal  süddeutsche 
Flugschriften  singen  so  sein  Lob  ').  Aber  Erasmus  gehört  zu  denen, 
die  weder  Fisch  noch  Fleisch  sind;  mit  der  alten  Kirche  ist  er  zwar 
innerlich  fertig,  allein  die  Auswüchse  der  neuen  Bewegung,  das  Poltern 
und  Gezänk,  widerstreben  seinem  jeder  kräftigen  Parteinahme  abholden 
Gemüt*).  Und  sehr  bald  tritt  die  Unzufriedenheit  mit  dieser  seiner 
Haltung  auch  in  der  Flugschriftenliteratur  hervor.  Bezeichnend  dafür 
ist  seine  Rolle  in  dem  Qesprächbüchlein  von  einem  Bauern,  BeUal, 
Erasmo  BoUerodam  und  Dodor  Johann  Fabri*).  Nur  noch  die 
Meisterschaft  des  zierlichen  Lateins  wird  ihm  da  zuerkannt,  sonst  ist 
er  der  weltkluge,  kleinmütige  Erasmus,  der  Schmeichler  des  Papstes 
und  unverschämte  Gotteslästerer.  Belial  hat  ihn  ganz  auf  seine  Seite 
gezogen,  indem  er  ihm  zeigte,  welche  weltlichen  Ehren  er  bei  ihm, 
welche  Gefahr  und  Verfolgung  er  bei  Luther  zu  erwarten  hätte. 

Erasmus  überlebte  seinen  Ruhm  —  mitten  aus  dem  Wirrwarr  der 


i)  Vgl.  M.  Thausing,  Dürers  Briefe,  Tagebücher  und  Reime  {=>  QucHenschnücti 
ZOT  Kunstgeschichte,  3.  Band,  Wien  1872),  S.  119 ff. 

2)  Vgl.  hienro  z.  B.:  Die  göttUche  MüMe,  Schade  I,  aaff.;  Runs  tmd  Fritg, 
Schade  II,  121;  Ein  kurz  OediefU,  so  neulich  ein  thurgäuiseher  Baur  ...gemacht 
h(U,  Schade  II,  161;  Ein  schöner  Dialogus  zwischen  einem  Pfarrer  und  einem 
Schultheiß  ...,  Schade  II,  153;  Der  erste  und  der  achte  Bundsgenosse,  Johann 
Eberlin  von  Günzbnrg,  Schriften,  heraasgegeben  von  L.  Enders,  I  (Halle  1896),  3,  12, 
86  (fernerhin  angeftthrt  als  Enders,  Eberlin). 

3)  Vgl.  G.  Kaweran,  Luthers  Stellung  zu  den  Zeitgenossen  Erasmus,  Zwim^ 
und  Melanchihon.  Sonderabdmck  aas  den  Deutsch -evangelischen  Blättern  1906. 
Heft  1—3,  S.  3  ff. 

4)  Herausgegeben  von  O.  Giemen,  Flugschriften  I,  S.  313—336.  —  AU  Ver- 
fasser   sucht    A,  Götze    Erasmus    Albems    zu    erweisen:    Archiv    für   Hifwmatiom 
geschickte,  V.  Jahrgang  (1908),  Heft  i,  S.  48 — 68. 


—     187     — 

Kämpfe,  die  er  bis  zuletzt  gefuhrt,  riß  das  Geschick  Ukich  von  Hütten 
hinweg.  Voll  Begeisterung  hatte  er  für  Luther  mit  seiner  Feder  den 
Kampf  aufgenommen.  Mit  deutschen  Flugschriften  war  auch  er  seit 
1520  auf  den  Plan  getreten  ^).  In  einem  flammenden  Liede  hatte  er, 
auf  sich  selbst  gestellt,  die  Römlinge  gewarnt: 

Ob  dam  mir  nach  tut  denken 

der  curtisanen  Ust: 

am  herz  last  sich  nit  hrenken 

das  rechter  mainung  ist. 

ich  ivaiß  noch  vü,    todin  auch  ins  spü 

und  soUens  drüber  sterben: 

auf,  landsknecht  gut    und  reuters  müt, 

last  Hütten  nit  verderben!*) 
Als  der  streitbare  Held  lebt  er  auch  in  der  Vorstellung  des 
Volkes,  und  so  zeichnen  ihn  die  Flugschriften.  Virich  van  hatten  übt 
die  fäder  vnd  das  schivert,  gu  erwecken  alie  Teüische  erberkeit. . .  aber 
die  Curtisanen  ligen  im  am  unlg,  so  ruft  der  erste  Bundsgenoß  Karl  V. 
zu^),  imd  der  achte  stimmt  dem  Gefährten  bei  und  fordert  die  Deut- 
schen auf  zum  Eintreten  für  Luther  und  Hütten:  0  ir  frommen  teiU- 
sehen,  greifen  die  sach  dapffer  an  und  halten  ob  den  EuHtngdischen 
lerem  und  ob  allem  irem  anhang.  Sind  kdck,  die  gj^  ist  hie,  gott  ist 
mit  euch^)l 

Die  Wirkung  solcher  Aufrufe  äußerte  sich  auch  in  den  Flug- 
schriften. Hüben  und  drüben  greift  man  die  Gegner  mit  Ungestüm 
an.  Ihre  Parteistellung  allein  ist  dabei  ausschlaggebend,  auf  eine 
Untersuchung  tiefer  liegender,  etwa  im  Charakter  begründeter  Motive 
läßt  man  sich  fast  niemals  ein. 

Mit  der  Person  Ecks  beschäftigt  sich  Ein  schöner  Dialogus, 
Cunjs  und  der  Frits  ...*):  Der  Junker  Eck  oder  Geck  von  Ingolstadt 


i)  über  den  Beginn  der  denUchen  SchrifUteUerei  Hntteni  vgL  Fr.  Strmnfl,  ühich 
von  Hütten  (4.-6.  Aufl.  Bonn  1895),  S.  345^*9  S.  Szmmmtölski,  ükid^  von 
Hütten  deutsche  Schriften  (1891),  S.  640.,  W.  Lacke,  Die  deutsche  Sammiung 
der  E3ag9dmftm  ülriehs  von  Huiten  (Progr.  Sohl  1905),  S.  18. 

2)  Ain  new  Ued  herr  VUridu  von  Hütten  15Ü1,  Ulrichs  ?on  Hatten  Schriften, 
heraasgegeben  von  £.  Böcking  II,  92 — 94. 

3)  Enders,  Merlin  I,  4. 

4)  Ebenlm  I,  88.  —  Vgl.  ferner  Schade  II,  4,  199  and  besonders  die  Lieder 
ükrich  wm  Hütten  das  edel  bMt  ...,  Hnttens  Schriften,  henutsgcgeben  von  Böcking 
II,  96  and  Ach  edler  Hut  annß  FVancken  . . .,  ebenda  II,  94ff. 

5)  Schade  II,  124 ff.  —  Als  Verfasser  wird  Urbanas  Rh^as  angenommen.  Vgl. 
nüetst  A.  Götze,  ZeUechrift  für  deutsche  PhOoiogie  XXXVU,  106 ff. 


—     188     — 

hat  sich  der  Operation  des  Narrenschneidens  ')  unterziehen  müssen. 
Sie  ist  ohne  Erfolg*  g-eblieben.  Es  sitzen  noch  so  viele  Narren  in 
seinem  Leibe,  daß  er  damit  ein  ganzes  Kloster  füllen  könnte.  Dabei 
ist  er  fürwahr  frommer  als  Judas!  Der  hat  Christum  um  nur  dreißig- 
Pfennige  verkauft,  er  hat  doch  für  den  Luther  wenigstens  blankes 
Gold  genommen. 

Andere  Vertreter  der  römischen  Partei  kommen  in  anderen  Schriften 
nicht  besser  weg.  Der  „Jude"  *)  Aleander,  des  Papstes  Gesandter  auf 
dem  Wormser  Reichstage,  konnte  mit  Recht  von  sich  sagen,  daß  er 
die  bestgehaßte  Person  in  deutschen  Landen  sei*).  Hogstraten 
war  auch  nach  der  Epoche  der  Dunkelmännerbriefe  noch  nicht  ver- 
gessen *). 

Einer  der  vielseitigsten  und  begabtesten  Gegner  der  neuen  Lehre 
war  der  Straßburger  Franziskaner  Thomas  Murner.  Durch  witzige 
Spottgedichte,  in  denen  auch  das  Leben  der  Kleriker  mit  grausamem 
Hohn  an  den  Pranger  gestellt  wurde,  hatte  er  sich  bereits  einen 
Namen  gemacht^).  Dann  aber  trat  er  für  die  alte  Kirche  in  die 
Schranken.  Im  Jahre  1520  kündigte  er  an,  daß  er  in  32  Traktaten 
die  Wittenbergsche  Ketzerei  bekämpfen  wollte.  Wenn  auch  nicht 
alle  erschienen,  so  maß  er  sich  doch  mit  einer  ganzen  Reihe  von  Re- 
formatoren in  literarischen  Fehden. 

Drei  seiner  Schriften  ragen  aus  der  Masse  besonders  hervor,  die 
An  den  großmäcMigsten  und  durchlauchtigsten  Adel  deutscher  Nation 


i)  Hierbei  wird  einerseits  mof  die  durch  Sebastian  Brants  Narrenschiff  ge« 
weckten  VorsteUangen ,  andrerseits  aof  die  von  den  damaligen  Ärzten  viel  geübte  Konst 
des  Steinschneidens  Besag  genommen. 

2)  Um  dem  oft  wiederkehrenden  Vorwurfe  jüdischer  Abstammung  zu  begegnen,  steUt 
Aleander  in  einem  Schreiben  an  Eküc  einen  pompösen  Stammbaum  für  sich  auf,  der  aller- 
dings der  realen  Grundlagen  entbehrt.  P.  Kalkoff,  Die  Depeschen  des  NwiUius 
Aleander  vom  Wormser  Beichstag  1521^  (Halle  1897),  9  f. 

3)  Vgl.  P.  Kalkoff,  a.  a.  O.,  27f.,  4Sflf.,  79«.  Dazu:  Schade  II,  108,  ia6, 
190.  Diahgus  von  Martino  Luther  und  Simone  Hesse  tu  Worms  geschehen  (iS^iy, 
in  Huttens  Schriften  IV,  6iof. 

Weitaus  am  schärfsten  aber  ist  das  Pamphlet  des  Wormser  Pfarrers  Johannes 
Römer:  Das  ist  der  hochthum  Bahd^  id  est  Cöfusio  Fapae,  darin  doctor  Luther 
gefangen  ist.  Die  Schrift  entstand  unmittelbar,  nachdem  Luthers  Aufhebung  in  Worm» 
bekannt  geworden  war,  am  14.  Mai  1521.  Vgl.  O.  Giemen,  Zeitschrift  für  Kirchen-' 
geschichte  XX,  445. 

4)  Vgl.  Schade  III,  113,  12$.  Femer  die  lateinische  Schrift  Hogstratus  ovanSf 
abgedruckt  in  Huttens  Schriften,  herausgegeben  von  Böcking,  Supplement  I,  439 ff. 

5)  Vgl.  W.  Kawerau,  Thomas  Mumer  und  die  Kirche  des  MittMUers 
(s=  Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgeschichte  Nr.  30,  HaUe  1890). 


—     189     — 

(1520)  ^),  eine  Erwiderung  auf  das  Büchlein,  das  Luther  an  die  gleiche 
Adresse  gerichtet  hatte,  das  Neue  Lied  von  dem  Untergang  des  Christ^ 
liehen  Glaubens,  das  er  als  Antwort  auf  das  Lied  von  der  ehristförmigen, 
rechtgegründeten  Lehre  Dr.  M.  lAähers  des  Eßlinger  Augustiners 
Michael  Stifel  1522  veröffentlichte*),  und  schließlich  das  Gedicht 
Von  dem  großen  lutherischen  Narren  ').  In  diesem  lieferten  ihm  Eber- 
lins 15  Bundsgenossen  und  das  alte  Motiv  des  Narrenbeschwörens 
die  Handhaben  zu  der  satirischen  Einkleidung.  Denn  unter  den  kleinen 
Narren,  die  der  große  lutherische  Narr  bei  sich  trägt,  sind  die  schlimm- 
sten eben  diese  fünfzehn  Bundesgenossen,  deren  jeder  mit  grimmigem 
Hohn  überschüttet  wird.  Unter  den  sonstigen  Narren  aber  befinden 
sich  auch  die,  welche  Murner  selbst  in  Pamphleten  öffentlich  oder 
anonym  angegriffen  hatten. 

Und  das  war  in  ausgiebigstem  Maße  geschehen.  Auf  den  Spuren 
der  Humanisten,  die  den  Straßburger  Mönch  schon  lange  vor  der 
Reformation  durch  die  Verschandelung  seines  Namens  in  „Murmarr** 
weidlich  geärgert  hatten*),  gingen  jetzt  Luther,  Stifel,  Pamphilus 
Gengenbach  *)  und  andere  gegen  ihn  vor.  Er  war  „ein  Talent,  kein 
Charakter"^),  und  mancher  Punkt  in  seinem  etwas  abenteuerlichen 
Leben  bot  Gelegenheit  zum  Angriff,  zumal  seine  Geldgier  und  Ruhm- 
sucht. Die  bedeutendste  Schrift,  die  ihn  in  dieser  Weise  mitnimmt, 
ist  der  Karsthans'^).  In  ihr  tritt  er  als  Kater  auf,  als  „böse  Katze, 
die  vom  leckt  und  hinten  kratz t'*.  Auch  der  Titelholzschnitt  deutet 
diese  Verspottung  an:  er  wird  dort  als  Mönch  mit  einem  Katzen- 
kopfe gezeichnet. 

Die  Darstellung  der  Gegner  unter  der   Gestalt   von   Tieren    ist 


i)  Herausgegeben  von  E.  Vofl,  HaUesche  Nendracke  Nr.  153  (1899).  ^S^*  <^^«^ 
W.  Kaweraa,  Thomas  Mumer  und  die  deutsche  Reformation  (=  Schriften  des 
Vereins  flir  Refonnationsgeschichte  Nr.  33,  HaUe  1891),  S.  30  ff. 

2)  Abgednickt  bei  L.  U bland,  AUe  hoch-  und  niederdeutsche  VolksUeder. 
3.  Auflage.  (CoUasche  Bibliothek  der  Gesamtliteratnr)  n,  216 ff.  Vgl.  W.  Kaweraa, 
a.  a.  O.,  55 ff.  Janssen,  Geschichte  des  deutscTkcn  Volkes  H,  125 f.  —  M.  Stifels  Lied 
bearbeite  ich  zum  Neudruck  in  O.  Clemens  Flugschriften, 

3)  Herausgegeben  von  H.  Kurs  (Zürich  1848). 

4)  Vgl.  W.  Kawerau,  Thomas  Mumer  und  die  Kirche  des  Mittelalters,  zot^ 
Derselbe,  Thomas  Mumer  und  die  deutsche  Reformation,  A^fL 

5)  In  der  Noveüa,  abgedruckt  bei  K.  Goedeke,  PümphUus  Chngenbat^  (Hannover 
1856),  262  —  391.  Ober  die  Verfasserfrage  H.  König,  Zeitschrift  fOr  deutedht 
Philologie  XXXVn,  40  ff. 

6)  Kawerau,  Thomas  Mumer  und  die  deutsehe  Reforwuxtian,  96. 

7)  Abgedruckt  bei  Böcking,  Huttens  Sdtriften  IV,  615—647. 


—     190     — 

überhaupt  beliebt  in  der  Flugschriftenliteratur.  Cochläus  wird  zur 
Schnecke,  Alveld  zum  Esel,  Eck  tritt  verschiedentlich  als  Schwein 
auf  ^).  Emser  und  Luther  begrüfien  sich  gegenseitig  als  Bock  von 
Leipzig  und  Stier  von  Wittenberg*). 

Mit  zarten  Fingern  fiaßt  man  sich  gegenseitig  nicht  an  in  diesen 
Pamphleten,  und  auf  einen  groben  Klotz  kommt  immer  ein  noch 
gröberer  Keil.  Aber  im  allgemeinen  treten  die  Angriffe  auf  die  ein- 
zelnen Gegner  in  den  Schriften  der  lutherischen  Partei  doch  zurück 
hinter  denen  auf  das  ganze  System,  dessen  Spitze  Rom  ist*). 

Ein  altes  Motiv,  das  schon  zur  Zeit  des  avignonesischen  Exils 
begegnet,  lebt  jetzt  wieder  auf.  Der  Papst  ist  der  Antichrist,  der 
Teufel  selbst,  oder  die  Kirche  ist  das  Reich  des  Satans,  der  Papst 
ein  Lehnsmann  des  Höllenfürsten.  Mit  einem  Sendbrief  wendet  sich 
Luzifer  an  ihn  und  seine  Bischöfe^):  Nachdem  die  Päpste  einst  Vor- 
bilder im  tugendhaften  Leben  für  die  Christenheit  gewesen  seien  und 
damit  seinem  höllischen  Reiche  großen  Abbruch  getan  hätten,  sei  es 
ihm  endlich  gelungen,  andere  Männer  auf  Petri  Stuhl  zu  bringen, 
solche,  von  denen  Jesus  einst  gesagt:  Sie  herrschen,  aber  nicht  aus 
mir.  —  Bei  der  Aufzählung  der  Vorteile,  die  ihnen  der  Teufel  für 
ihre  Dienste  verschafft  hat,  wird  mit  scharfen  Strichen  die  Verderbt- 
heit der  höheren  Geistlichen  gezeichnet.  Sie  sollen  nur  weiterhin  ge- 
treu ihrem  Herrn  und  Meister  dienen,  sich  insonderheit  seine  liebsten 
Töchter  Betrügerei,  Unkeuschheit  und  die  Frau  Simonie  befohlen  sein 
lassen.  Er  wird  sie  belohnen :  Ir  sorgeni  nü  auf  gukünftige  bdommg, 
ir  ßrchten  atuih  nit  die  ewige  pein.    Darumb  werdemU  ir  au(h  nU  he- 


i)  Vgl.  hiena  Die  Luiemch  StrebkaU  (i524~i$a5),  Schade  m,  iiafiL;  Em 
kuree  Anred  su  aJlen  Mißgünstigen  Doetar  Lnthen  und  der  ehristiichen  DreO^eU 
(1523),  Schade  ü,  i9off.  —  Ferner:  O.  Giemen,  Archiv  für  BeformaHans- 
gtBchichte  n,  78  —  90.  Derselbe,  Ein  Spottgedieht  cum  Speier  von  1524,  Archw 
fiir  Beformationsgeschichte  V,  77  —  86.  —  Eine  DarsteUung  der  Gegner  als  Wölfe 
im  Wolfgeeang,  Schade  III,  i — 3$.  Zur  Verfasserfirage  dieser  Schrift  vgl.  E.  Kflck, 
Judas  Naearei,  Vom  alten  und  neuen  Qott,  Glauben  und  Lehre  (1521)  ■«  Hallesche 
Neadmcke  Nr.  143,  143  (1896),  69  ff. 

2)  Luther  und  Emeer,  Ihre  Streitschriften  aus  dem  Jahre  1521,  herausgegeben 
▼on  L.  Enders.     Hallesche  Neudrucke  Nr.  83 — 84  (1889),  96 — 98  (1891). 

3)  VgL  H.  Preufl,  Die  VorsteUungen  vom  Antichrist  im  späteren  MittelaUer, 
bei  Luther  und  in  der  konfessionellen  Polemik  (Leipzig  1906). 

4)  Ain  grqßer  Preis,  so  der  Fürst  der  Heüen^  genant  Lucifer  iets  den  Oaiet- 
liehen  ,,,.  embeut.  1521.  Schaden,  85  —  92.  Vgl.  dasn  Weller,  Bepertorium 
typographicum  455;  Anmerkung  su  Nr.  444. 


—     191     — 

süssen,  das  ir  verachten,  sunder  ir  werdent  erlangen  mit  uns  den  ewigen 
tot.  —  In  dieser  Art  gibt  es  noch  mehrere  Schriften*). 

Sehr  wirksam  ist  auch  die  Gegenüberstellung:  Papst  —  Jesus. 
Wie  bezeichnend  ist  schon  der  Titel  eines  Büchleins  des  Heinrich 
von  Kettenbach :  Vergleiehung  des  aUerheiligsten  Herrn  und  Vaters,  des 
Papsts,  gegen  den  seltsamen  fremden  Gast  in  der  Christenheit,  genannt 
Jesus,  der  in  kurzer  Zeit  wiederum  in  Detdschland  ist  kommen  und 
jeteund  wieder  wiU  in  Egyptenland,  als  ein  Verachteter  bei  uns^). 

Aber  auch  über  die  niedere  Geistlichkeit  gießen  die  Flugschriften 
reiche  Schalen  voller  Vorwürfe  aus.  Ihre  Unwissenheit,  Habsucht, 
Unsittlichkeit  bieten  breite  Angriffsflächen*).  Dabei  wird  indes  auch 
nicht  verkannt,  daß  bei  vielen  ihrer  Glieder  eine  lebhafte  Sehnsucht 
nach  Besserung  der  traurigen  Zustände  herrscht.  So  läßt  Eberlin 
sieben  fromme  Pfaffen  herzbeweglich  ihre  mancherlei  Leibes-  und 
Seelennöte  klagen^),  und  er  tröstet  sie  in  einem  besonderen  inhalt- 
reichen Sendschreiben*). 

Am  schlimmsten  werden  in  der  Kampf  literatur  die  Bettelmönche 
mitgenommen.  Mit  recht  groben  Worten  schildert  sie  u.  a.  Wenzes- 
laus  Link  als  gekrönte  Esel,  Mastsäue,  grobe  Bachanten  und  gottlose, 
unverständige  Tölpel*).  Mit  feisten  Schweinen  vergleicht  sie  die  Glosse 
des  Ablasses  gu  HaUe  ^).  In  feiner,  satirischer  Weise  kennzeichnet  ihre 
Verbohrtheit  Johannes  Römer  von  Worms  in  der  famosen  Predigt,  die 
die  Einleitung  zu  seinem  Dialogus  von  den  vier  größten  Beschwernissen 
eines  jeglichen  Pfarrers  bildet  *). 

Ein  Dorfpfarrer  hat  zum  größeren  Glanz  der  Kirchweihe  sich 
einen   berühmten  Kanzelredner  aus    einem   Bettelorden  verschrieben. 


i)  Z.  B.  die  bei  Schade  11,  93 ff.,  99 ff.  abgedruckten. 

2)  Herausgegeben  von  O.  Giemen,  Fhtgtehriften  U,  126—152. 

3)  VgL  hierxu  und  sum  Folgenden:  H.  Werner,  Der  niedere  KUrue  am  ^t«- 
gcmg  de$  Mitteldlters,  Band  vm,  201  ff.  dieser  Zeitschrift 

4)  Syben  firum  aber  troeUoß  pfaffen  klagen  vre  no^  ...  (1522),  Enders, 
Eberlin  n,  57—77. 

5)  Der  frummen  pfaffen  trott  ...  (1522),  ebenda  II,  79^93. 

6)  Diahgus  Mwiedien  einem  Papisten  und  einem  evangditdien  Laien  von  wegen 
der  auegdaufenen  Mönd^  Büj. 

7)  E.  Böhmer,  HalliedM  TrMU-Som  von  1S21  (HaUe  1862),  1.  —  Ahnlich 
fittfiert  sich  auch  Hans  Sachs  in  dem  (}eaprä4sh  von  den  Seheimoerhen  der  Geistlichen 
und  ihren  QdObden.  Vgl.  R.  Köhler,  Vier  Dialoge  von  Harn  Sache  (Weimar 
1858),  2 7  ff. 

8)  Derselbe  erscheint  in  kurtem,  von  mir  herausgegeben,  als  2.  Heft  des  3.  Bandes 
von  O.  Clemens  Flugechriften.    Dort  der  Nachweis  des  Verfassers. 


—     192     — 

Dieser  stellt  als  Thema  seiner  Predigt  auf:  Tria  sunt  genera  ofmtm 
laudantium  detmu  Wie  man  bei  der  Dreifaltigkeit  von  Vater,  Sohn 
und  heiligem  Geist  spricht,  so  gibt  es  drei  Arten  von  Vögeln,  die 
Gott  loben,  die  Nachtigall,  die  Drossel  und  den  Raben.  Reizend  ist 
die  Schilderung  der  Nachtigall:  sie  ist  grau  gekleidet  —  wie  ein 
Mönch,  sie  vermischt  sich  mit  den  Spätzlein,  sie  hebt  schon  zu  Mitter- 
nacht an,  Gott  mit  Gesänge  zu  preisen  und  vergißt  darüber  selbst,  sich 
Futter  zu  suchen.  Und  nun  die  Anwendung!  Bey  dem  süsien  fMekti- 
gdlel  soU  jr  verstan  uns  arme  geisÜiche  brider  und  vdUer.  Zu  gleicher 
weiße  wie  das  graw  fögelin  hObsch  und  Mein,  also  sin  wir  andecUigen 
Herren  auch  und  demütig,  wiewol  wir  uns  mit  euch  menschen  (da 
deutet  er  mit  der  hand  uff  die  frauwen!)  vermüschen.  Dann  kommt 
ein  Eigenlob  der  Mönche,  wie  es  im  Buche  steht  Was  wollen  gegen 
diese  Heiligen  die  Stiftsherren  bedeuten,  die  in  ihrer  Bequemlich- 
keit und  Freßgier  mit  der  Drossel  verglichen  werden?  Und  gar  die 
Dorfpfaffen?  Der  drit  schwartz  hesslich  vogel  der  steckt  sumer  und 
Winter  in  den  tvüsten  stinckenden  dörffem,  warten,  wo  etwas  stirbt,  hiß 
jn  ein  schelm  (Aas)  jsu  teil  wirt,  das  er  im  zernag  sein  fleisch,  das  ist 
ein  Rap.  dann  schreit  er  grab,  grab,  grab.  Das  sein  die  dorff  pfaffen. 
die  singen  seilen,  dann  wann  jr  bauem  sterben,  das  sie  euer  schelmen 
bein  nagen. 

So  sprüht  es  von  Humor,  so  schwingt  der  Verfasser  geradezu 
genial  die  Geißel  seines  Spottes. 

Gegen  die  entarteten  Diener  der  Kirche  hatten  sich  ja  schon 
längst  aus  ihrem  eigenen  Kreise  höhnende,  aber  auch  warnende 
Stimmen  erhoben.  Auch  auf  manchen  Gebieten  der  Lehre  und  des 
Kultus  hatte  die  Kritik  schon  vor  der  Reformation  eingesetzt.  Jetzt 
geht  sie  auch  hier  mit  den  schärfsten  Waffen  vor. 

Das  kanonische  Recht,  auf  dessen  Grundlage  sich  die  Macht- 
stellung der  Kirche  erhebt,  sucht  man  als  Menschenwerk  und  Menschen- 
tand ,  als  Lug  und  Trug  zu  erweisen  *).  Gegen  die  Reliquien-  und 
Heiligenverehrung*),   gegen   die   Wallfahrten*),   gegen   das   „Chorge- 


i)  Vgl.  besonders  Luther,  An  den  christlichen  Adel  Krit.  Gesamtausgabe 
(Weimar)  VI,  458.  —  Hallesche  Neadnicke  Nr.  4,  S.  68.  L.  Spenglers  Atueug  aim 
den  päpstlichen  Rechten  gab  Lather  1530  mit  einer  Vorrede  heraus.  V|fl.  Köstlin, 
M.  Luther^  TL,  143  f. 

a)  Vgl.  £.  B.  Luthers  Wider  den  neuen  Abgott  %md  alten  Teufel,  der  zu 
Meißen  soll  erhoben  werden,  herausgegeben  von  O.  Albrecht,  Krit  Gesamtansgabe 
XV,  170  ff.,  femer  Von  der  recJUen  Erhebung  Bennonis  ein  Sendbrief  (1524)1  heraus- 
gegeben von  A.  Götze  in  O.  Clemens  Flugschriften  I,  1850.    H.  v.  Kettenbach, 


—     193     — 

plärr**  ^)  wenden  sich  neben  Luther  auch  Eberlin,  Nikolaus  Hermann, 
ein  Hans  Schwalb*)  und  viele  andere.  Unter  den  gegen  die  Seel- 
messen gerichteten  Schriften  zeichnet  sich  eine  durch  prächtigen  Witz 
aus:  Eine  Mögliche  Botschaß  an  den  Papst,  die  Seelmeß  betreff end, 
welche  krank  liegt  und  unU  sterben^).  Die  Ohrenbeichte  wird  oft 
verurteilt,  z.  B.  auch  von  Luther*),  aber  seine  Angriffe  sind  matt,  ver- 
glichen mit  den  Anstürmen,  die  Heinrich  von  Kettenbach  und  der 
Eiscnacher  Prediger  Jakob  Strauß  gegen  sie  unternehmen  *).  Nicht 
minder  wird  der  Zölibat  bekämpft,  die  Priesterehe  nicht  nur  von 
Luther  empfohlen®). 

Die  Verteidigung  der  alten  Zustände  wird  den  Anhängern  Roms 
bedeutend  schwerer  als  die  gegen  persönliche  Angriffe.  Zu  sehr 
lagen  die  Schäden  am  Tag,  selbst  Mumer  muß  anerkennen:  „Wir 
haben  schuld  daran** ').  Um  so  mehr  sucht  man  mit  Gewalt  die  neuen 
Lehren  zu  unterdrücken.  Zwar  erfüllt  das  Wormser  Edikt  keineswegs 
seinen  Zweck,  und  bald  bestimmen  die  äußeren  politischen  Verwick- 
lungen die  Haltung  des  Reichsregiments.  Doch  in  einzelnen  Land- 
schaften findet  die  Reformation  ihre  Märtyrer:  in  den  Niederlanden 
wurden  zwei  Augustiner  verbrannt,   in  Dithmarschen   starb    Heinrich 

Ein  Gespräch  mit  einem  frommen  AJtmüiterlein  von  Ulm,  herausgegeben  von  O. 
Giemen,  Flugschriften  ü,  5a  ff,  bes.  59.  Hierher  gehört  auch  die  schon  erwähnte 
Glosse  des  Ablasses  zu  Hatte, 

3)  Z.  B.  Ein  Gespräch  stoischen  vier  Personen,  wie  sie  ein  Gezänk  haben  von 
derWaUfahrt  im  Grimmental  ...  (1523  oder  1524),  herausgegeben  von  O.  Giemen, 
Flugschriften  I,  131  ff.  Vgl.  aach  Lather,  An  den  chrisUidten  Adel,  54 f* 
(Hallesche  Neadmcke);  Enders,  EberUn  I,  118  (10.  Bnndsgenofi);  Nik.  Hermann,  Ein 
Mandat  Jesu  Christi  ...  1524,  heraosg^eben  von  G.  Loesche  bei  O.  Giemen, 
Flugschriften  n,  265. 

i)  Enders,  EberUn  I,  68ff. 

2)  Beklagung  eines  Laien,  genannt  Hanns  Si^walb,  über  viel  Mißbräuche 
ehrisÜichen  Ld>ens  1521,  herausgegeben  von  W.  Lücke  in  O.  Glemens  Ilug* 
Schriften  I,  337  ff. 

3)  Abgedruckt  bei  Schade  IT,  252—263. 

4)  Luther,  Von  der  Beichte,  ob  die  der  Papst  Macht  Aa6e  zu  gebieten  1521. 
Krit  Gesamtausgabe  VHI,  129  ff. 

5)  Kettenbach,  Ein  neu  Apologia  und  Verantwortung  Martini  Luthers  ... 
1523,  O.  Giemen,  Iflugschrifien  II,  i6off.  —  Straufi,  Ein  neüw  wunderbarUeh 
Beychibuchiin  ...  1523.  Eine  Ausgabe  der  Wetke  Jac.  StrauO*  bereitet  Sarge  fUr 
O.  Glemens  Flugschriften  vor. 

6)  Z.  B.  von  Karlstadt  in  der  Schrift  Von  Gelübden  Unterrid^tung  1521. 
Ferner  von  Eberlin:  Wie  gar  gefährlich  sei,  so  ein  Üriester  kein  Eheweib  hat 
(1523),  Enders  II,  21  ff. 

7)  Vgl.  Kawerau,  ThowMS  Mumer  und  die  deutsche  Reformation,  56 f. 


—     194     — 

von  Zütphen  als  treuer  Bekenner,  in  Tirol  büßte  Leonhard  Kaiser«  in 
Wien  Kaspar  Tauber  seine  Ketzerei  mit  dem  Tode  *).  Ihnen  allen 
standen  Verteidiger  auf,  Luther  selbst  gab  die  Geschichte  Kaisers  mit 
einer  Vorrede  heraus'),  ebenso  verfaßte  er  selbst  den  Bericht  von 
dem  traurigen  Schicksal  des  Bruders  Heinrich'),  die  Kunde  von  den 
niederländischen  Märtyrern  ließ  er  im  Liede  erschallen^).  Die  Er- 
zählung der  Verfolgungen,  die  Jakob  Probst  in  Antwerpen  erleiden 
mußte,  übersetzte  Eberlin  ins  Deutsche^);  für  Arsacius  Seehofer,  der 
nach  hartem  Gefängnis  in  Ingolstadt  zum  Widerruf  gezwungen  wurde, 
trat  in  mutigen  Schriften  eine  der  interessantesten  PersönUchkeiten 
jener  Tage  ein,  Argula  von  Grumbach,  geborene  von  Stauflf*). 

So  bieten  auch  in  diesen  Apologien,  deren  Zahl  eine  recht  be- 
deutende ist,  die  Flugschriften  eine  reiche  Ausbeute  für  den  Reforma- 
tionsforscher. 

Luther  hatte  einst  durch  seinen  Thesenanschlag  den  Anstoß  zu  der 
gewaltigen  Bewegung  g^eben,  die  Millionen  eigriffen  hatte.  Aber 
nicht  unbedingt  folgten  nun  diese  MUlionen  auch  seinen  kirchlichen 
Maßnahmen  und  Vorschlägen.  Innerhalb  der  deutschen  Reformation 
machen  sich  mancherlei  Unterströmungen  geltend,  auf  dem  Gebiete 
der  Kirchenlehre  äußern  sich  besonders  schroff  die  laienchristlich-puri- 
tanischen und  die  wiedertäuferischen  Bestrebungen.  Auch  sie  kommen 
in  unserer  Literatur  zum  Ausdruck. 

Andreas  Bodenstein  von  Karlstadt  ist  der  Begründer  und  Vor- 
kämpfer des  laienchristlichen  Puritanismus  ^).  Schon  1521  spielt  er  in 
dem    sogenannten    Wittenberger    Bildersturm    eine    führende    Rolle. 


i)  Vgl.  dazu  Loesche,  Geschichte  des  Prüie8t€mti8muB  in  OeUrreich  (1903), 
21.    Luthers  Briefwechsel,  heraiugegeben  von  L.  Enders  V,  46. 

2)  Abgedruckt:  Krit.  Gcsamtaosgmbe  (Weimar)  XXm,  443 ff.  Vgl.  daza  Köstlin, 
M.  Luiher^  II,  104  f.,  635  f. 

3)  Von  Bruder  Henrico  in  Ditmar  verbramU  ...  1525.  Heransgegebeo  von 
O.  Giemen,  Krit.  Gesamtausgabe  XVni,  215  —  240.  Zu  H.  von  Zütphen  vgl,  die 
Monographie  von  J.  F.  Iken,  Schriften  des  Vereins  für  Refonnationsgeschichte,  Heft  12 
(HaUe  1886).     Weitere  Literatur  in  der  Einleitung  O.  Clemens  zu  dem  Neudruck. 

4)  Ein  neues  Lied  wir  heben  an  .  .  .  Abgedruckt  bei  Wackernagel,  Das 
deutsche  Kirchetüied  III,  3  f* 

5)  Ein  schone  vnd  clegUche  history  bräder  Jacobs  probst  Augustiner  ordens  . . . 
(1523),  Enders,  Eberlin  II,  95  —  117.  Vgl.  dazu  O.  Giemen,  Beiträge  sur  Befor- 
mationsgeschichte  I,  33  ff. 

6)  Vgl.  Th.  Kolde,  Arsacius  Seehofer  und  Argula  von  Orumbach  (Beitrüge 
zur  bairischen  Kirchengeschichte  XL,  49  ff.). 

7)  Über  ihn  jetzt  H.  Bärge,  Andr.  Bodenstein  von  Karlst€UU  (Leipzig  1905), 
2  Bände. 


—     196     — 

Aber  zumal  seine  Traktate  über  die  Abendmahlslehre  lassen  sich  in 
ihrer  Wirkung  auf  die  religiöse  Leidenschaft  der  Massen  wohl  zu- 
sammenstellen mit  Luthers  großen  Reformationsschriften  ^).  Für  uns 
eine  auffallige  Tatsache,  da  der  Stoff  spröde,  die  Beweisftihrung  zum 
Teil  schwer  verständlich  war.  Aber,  um  mit  H.  Bärge  zu  reden,  „von 
der  späteren  Geistesarmut  eines  steif  gewordenen  Dogmatismus  unter- 
scheidet sich  vorteilhaft  die  geistige  Beweglichkeit  und  Empfänglich- 
keit der  damaligen  Menschen.  Jeder  einzelne  suchte  die  religiösen 
Probleme  selbständig  zu  durchdenken,  empfangend  und  mitteilend 
zugleich"*).  Das  „mitteilend**  gilt  auch  für  literarische  Betätigung. 
Meist  wurde  sie  in  dieser  Art  von  Laien  geübt,  die  an  Luther  an- 
knüpfend in  puritanischem  Geiste  sein  Werk  fortsetzen  und  diejenigen 
kirchlichen  Institutionen  zertrümmern  wollen,  die  dem  unmittelbaren 
Verkehr  der  Seele  mit  Gott  im  Wege  stehen.  Sie  fanden  Wider- 
spruch im  streng  lutherischen  Lager.  Die  literarischen  Äußerungen 
zu  Karlstadts  Abendmahlslehre,  die  Fehdeschriften  Amsdorfs  gegen 
die  magdebuigischen  Laienprediger  sind  hierher  zu  rechnen'). 

Oft  waren  schon  mit  diesen  puritanischen  Bestrebungen  christlich- 
soziale Forderungen  verbunden,  oft  waren  diese  Bestrebungen  auch 
begleitet  von  wilden  Lärmszenen.  Beides  ist  noch  viel  mehr  der 
Fall  bei  den  schwärmerisch-täuferischen  Tendenzen.  Der  Name  ihres 
bekanntesten  Vertreters  Thomas  Münz  er  ist  eng  verquickt  mit  dem 
Bauernkriege  von  1525  *). 

Diese  Erinnerung  führt  zu  einem  neuen  Kapitel  in  der  Betrach- 
tung der  Flugschriftenliteratur,  zu  ihrer  Bedeutung  in  der  Geschichte 
der  sozialpolitischen  und  nationalpolitischen  Bewegungen  jener  Zeit 

Welche  Gefahren  für  die  Würde  der  Nation  und  noch  mehr  für 
den  Volkswohlstand  mit  manchen  der  kirchlichen  Schäden  verknüpft 
waren,  das  war  auch  vor  Luthers  Auftreten  schon  manchmal  be- 
leuchtet worden*).     Noch  viel  greller  geschieht  das  jetzt. 

Unsummen  Geldes  gingen  alljährlich  nach  Rom.  Aus  dem  Kampf 
gegen  den  Ablaß  war  die  Bewegung  entsprungen,  aber  es  gab  noch 


1)  Vgl.  Bärge,  a.  a.  O.,  U,  I44ff. 

2)  Bärge,  a.  a.  O.,  II,  187. 

3)  Vgl.  Fr.  Httlfle,  Die  EmfiOmmg  der  BeformaUon  m  der  Stadi  Mvgde- 
bürg.    GetchichUblätter  für  Stadt  und  Land  Magdeburg  XVm  (1883),  2461!. 

4)  Vgl.  AuB  dem  Kampf  der  Schwärw^er  gegen  Luther.    Drei  Fitgeehriften 
(1524,  1525).     Henuugegeben  Ton  L.  Endert.    Hallesche  Neodnicke  (1903)  Nr.  118. 

5)  Vgl.  a.  a.  H.  Werner,  ESnAet^  wnd  eotia^poUtieehe  PMiaieÜk  im  Mittel- 
cUer^  Bd.  VI,  65ff.,  io$fL  dieser  Zeitschrift 


—     196     — 

eine  lange  Liste  von  Titeln,  für  die  man  den  Deutschen  die  Rechnung 
ausstellte:  Annaten,  Pallien,  Inkompatabilien ,  Kommenden  usw.  Am 
gefährlichsten  für  den  Volkswohlstand  war  aber  die  „Pfründenfresserei*  "^ 
der  römischen  Kurtisanen.  Luther  erzählt  von  einem  römischen  Höf- 
ling, der  22  Pfarren,  7  Propsteien  und  43  sonstige  Pfründen  in  seiner 
Hand  vereinigte  *). 

Auch  in  diesem  Ringen  um  eine  wirtschaftliche  Hebung  der 
Nation  hatte  Luther  zunächst  die  Führung  mit  seiner  Schrift  an  dea 
christlichen  Adel.  Neben  ihm  eifern  im  größeren  Zusammenhang  ihrer 
Pamphlete  Eberlin,  Römer,  Urbanus  Rhegius  u.  a.  gegen  das  Pfründen- 
unwesen und  die  zahllosen  Abgaben  an  Rom').  Manche  Flug- 
schriften stellen  sich  allein  dies  Thema,  so  das  Gedicht  Der  Kur^ 
üsan  und  Pfründenfresser  *)  und  die  bedeutende  Von  dem  Pfründmarki 
der  Kurtisanen  und  Tempelhnechte% 

Daß  man  zuweilen  der  Kirche  ungerechter  Weise  zuviel  Schuld  an 
den  sozialen  Nöten  zuschob,  kann  in  dieser  Zeit  der  Entfesselung  reli- 
giöser Leidenschaften  nicht  wundernehmen.  Aber  vielfach  wird  doch  auch 
anerkannt,  daß  auch  auf  weltlichem  Gebiete  manches  faul  im  deutschen 
Reiche  sei.  Manches  harte  Wort  fallt  gegen  die  weltlichen  Herren,, 
die  „großen  Hansen**,  auch  gegen  den  Kaiser  Karl  V.,  dem  man  zu- 
erst mit  so  hoffnungsvoller  Erwartung  entgegengesehen  hatte  ^). 

Doch  man  bekrittelt  und  verneint  nicht  nur,  in  steigendem  Maße 
treten  auch  Reformvorschläge  an  die  Öffentlichkeit. 

Viele  beziehen  sich  auf  die  nächstliegenden  Bedürfhisse.     In  den 


i)  Lather,  An  den  chrisÜichen  ÄdeL  Hallesche  Neadrocke  Nr.  4,  26.  Krit. 
Gesamtaiugabe  VI,  424. 

2)  Selbst  Aleander  gibt  der  Karie  den  dringenden  Rat,  die  unersättlichen  Inhaber 
zahlloser  PfrtUiden,  die  auch  die  deutschen  Benefizien  alle  an  sich  reiflen  möchten,  zo. 
zügeln.    Kalkoff,  Depeschen  AJeanders^,  48* 

3)  Schade  I,  yff. 

4)  Schade  m,  59ff.  A.  Götze,  Vom  Pfründmarkt  der  KwrUsanen  (Zeit- 
schrift für  deaUche  Philologie  XXXVII,  193  ff.)  sacht  den  Strafibarger  Prediger  Sebastian 
Meyer  ans  Neaenbarg  am  Rhein  als  Verfasser  der  Schrift  za  erweisen. 

5)  Man  Tgl.  z.  B.  das  unbegrenzte  Vertrauen,  das  Eberlin  im  i.  Bundsgenossen  dem 
Kaiser  ausspricht  (etwa  April  1521),  mit  der  bittem  Datierung  des  etwa  im  Juli  oder 
August  entstandenen  12.  Bnndsgenossen :  Dixtum  yn  zeit  vnd  stat,  got  vnd  tftiß  wissent. 
wir  verhoffen,  so  vnser  genedigoster  herr  Kaiser  Karolue  vnd  oOe  stand  des  reidis 
ewer  worhaffUge  kiag  vnd  vnser  frünHich  erbieten  werden  ermessen,  ey  sSüen  grqß 
gefallen  dar  ab  Juiben. 

Dein  hoffnung  sets  allein  in  got 
Vnd  hob  mit  sorg  es  für  sich  godt. 
Enders,  I^}erUn  I,  141. 


—     197     — 

laienchristlichen  Kreisen  taucht  mit  der  Ordnung  der  Stadt  Witten- 
berg  1522  der  Gedanke  der  Errichtung  eines  „gemeinen  Kastens*' 
auf  *).  Aus  den  bisherigen  Einkünften  der  Priester  soll  eine  Art  Dar- 
lehnskasse  fiir  gemeinnützige  Zwecke  geschaffen  werden.  Der  Vor- 
schlag fand  viel  Anklang,  auch  Luther  stimmte  ihm  zu').  Aber  für 
eine  Lösung  der  sozialpolitischen  Fragen  im  weiteren  Sinne,  wie  sie 
sonst  vielfach  versucht  wird,  ist  er  nicht  zu  haben.  Ihm  ist  die 
Obrigkeit  etwas  Gottgewolltes,  an  einer  prinzipiellen  Weiterbildung 
der  bestehenden  Staats-  und  Gesellschaftsordnung  kann  und  soll  nach 
ihm  dem  Christen  nichts  liegen  *). 

Für  Reformprogramme  umfassender  Art  bot  schon  das  ausgehende 
Mittelalter  manche  Vorbilder,  das  berühmteste  in  der  sogenannten  „Re- 
formation Kaiser  Sigismunds'*  *).  An  sie  lehnt  sich  z.  B.  auch  die  nach 
Kaiser  Friedrich  III.  bezeichnete  Reform  an,  die  für  die  alten  Stände 
Kaiser,  Ritter,  Bauer  und  (ur  den  neuen  des  Stadtbürgers  neue  Grund- 
lagen schaffen  will*).  Ein  Fortsetzer  der  Reformer  des  XV.  Jahr- 
hunderts ist  auch  Eberlin  von  Günzburg  ^).  In  vielen  seiner  Schriften 
greift  er  hinüber  auf  das  politische  Gebiet  Eine  geschlossene  neue 
Ordnung  des  geistlichen  Standes  stellt  er  im  zehnten^),  eine  des 
weltlichen  im  elften  Bundesgenossen  auf^).  Er  ist  auch  der  geistige 
Vater  der  historisch  wichtigsten  und  berühmtesten  Reformschrift  des 
Zeitalters,    der  12  Artikel   der  Bauernschaft*).     So   wird    er  mittelbar 


i)  H.  Bärge,  KarhtacU  I,  37^ ff*  Vgl.  dizu  die  nagschrift  J^tn  Oespräeh  von 
dem  gemeinen  Schwabacher  Kasien  ...  (1524)  bei  Schade  in,  i96ff. 

2)  Vgl.  Köstlin,  M,  Luther^  I,  SSot 

3)  Vgl.  £.  Brandenbarg,  M.  Luthers  Anschauung  vom  Staate  und  der  Ge- 
sellschaft (Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgeschichte  1901),  17. 

4)  Siehe  daza  die  Aufsätze  von  H.  Werner  in  dieser  Zeitschrift  Band  IV,  i  ff., 
43 ff.,  171  ff.,  193 ff.,  VI,  840^,  Vn,  231  ff.  Jetzt  neu  herausgegeben  von  H.  Werner, 
Die  Beformation  des  Kaisers  Sigmund.  3.  Ergänzungsheft  zum  Archiv  für  Kultur- 
geschichte.    (BerUn  190S.) 

5)  Vgl.  Band  VII,  251  ff.  dieser  ZeiUchrift. 

6)  Über  ihn  M.  Radlkofer,  JoJl  EberUn  von  Oünzburg  und  sein  Vetter 
Hans  Jakob  Wehe  von  Ldpheim.  (Nördlingen  1887.)  Ergänzungen:  W.  Lücke,  Die 
Entstehung  der  15  Bundsgenossen  des  Joh.  EberUn  von  Günzburg.  pisserution 
Halle  1902)  Schornbaum,  Leutershausen  bei  Beginn  der  Beformationsjseit  und 
das  Ende  Eberlins  von  Günsburg  (Beiträge  zur  bairischen  Kirchengeschichte  XI,  1  ff.). 

7)  Enders,  Eberlin  I,  i07ff. 

8)  Ebenda  121  ff. 

9)  A.  Götze,  SebasUan  Lottere  Schriften  (Leipzig  1902),  10.  Die  zwölf  Artikel 
sind  zuletzt  untersucht  und  neu  gedruckt  von  A.  Götze,  Historische  Vierteljahrsschrift  V 
(1902),  1—33. 


—     198     — 

zu  einem  Urheber  der  Revolution,  deren  Rotten  er  in  Erfurt  in 
machtvoller  Predigt  entgegentritt  und  die  zu  bändigen  ihm  hier  auch 
gelingt. 

Denn  in  kriegerischen  Wirren  entlädt  sich  die  Unzufiriedenheit 
zweier  Stände  mit  ihrer  sozialen  Lage.  Aus  der  von  Hütten  mit 
allem  Feuer  seiner  hinreißenden  Leidenschaft  herbeigepredigten  Er- 
hebung der  Ritterschaft  wird  zwar  schließlich  kaum  mehr  als  eine 
persönliche  Fehde  Sickingens  mit  seinen  fürstlichen  Gegnern,  aber 
die  schwüle  Stimmung,  die  in  der  bedrückten  und  befrondeten 
Bauernschaft  herrscht,  bricht  in  einem   furchtbaren  Gewittersturm  los. 

Die  Volksliteratur  verfolgt  natürlich  diese  Bewegfungen  in  ihrem 
ganzen  Verlauf.  Über  den  sozialen  Niedergang  seines  Standes,  an 
dem  er  der  Geistlichkeit  nicht  die  kleinste  Schuld  zuweist,  unterredet 
sich  Sickingen  mit  einem  Bauern  in  dem  Gespräch  Neu  Karst- 
hans^).  Sickingens  letzter  Kampf  wird  in  Prosa  und  Poesie  be- 
handelt*), über  das  traurige  Los  seiner  Anhänger  gibt  eine  Unter- 
haltung Kunde,  die  ein  Fuchs  und  ein  Wolf  auf  dem  Steigerwald 
führen  •). 

Die  Nöte  der  Bauernschaft  sind  schon  in  den  Schriften  der  ersten 
Reformationsjahre  oft  erörtert  worden.  Gerade  dieser  Stand  hatte  ja 
unter  vielen  der  kirchlichen  Mißstände  am  meisten  zu  leiden,  unter 
den  hohen  Wucherzinsen,  der  Gült*),  und  den  Zehnten,  auch  dem 
„ Fürkauf  *S  jenen  Getreidespekulationen,  die  manche  Ähnlichkeiten  mit 
Machenschaften  unserer  Zeit  im  Trustwesen  zeigen*).  Bei  diesen 
politisch  unreifen  Köpfen  fanden  nun  die  Schwärmer  mit  ihren  phan- 
tastischen Ideen  Anhang.     Vergebens  sind    die  Warnungen  Luthers*) 

i)  Schade  11,  1—44. 

2)  Z.  B.  in  dem  DiaJogus,  80  Franciseus  van  Sickingen  vor  des  HimnuU 
Pforten  mit  Sankt  Peter  und  dem  Ritter  Safikt  Jörgen  gehalten  ...  Schade  II, 
45—59-  Ferner  das  Lied  Drei  forsten  hond  eich  aina  bedacht  ...  Uhland,  VoUee- 
lieder  II,  Nr.  182. 

3)  Schade  11,  60—72. 

4)  Von  der  GiÜt  ...  Schade  H.  73flF. 

5)  Vgl.  hierza  das  Gespräch  Ain  Dicdogus,  des  InhdU  ein  Ärgmment  der  üomo- 
nisten  ...  von  Hans  Sachs.  Abgedruckt  tod  R.  Köhler,  Vier  Dialoge  von  Hans 
Sachs  (Weimar  1858),  43 ff.;  bes.  45  f. 

6)  Hierher  gehören:  Brief  an  die  Fürsten  zu  Sachsen  vom  aufrOkrerim^ien 
Geist  1524.  Enders,  Luthers  Briefwechsel  IV,  373.  Krit.  Getamtaosgabe  XV,  1090. 
Brief  an  Bat  und  Gemeinde  zu  M^^lhausen  1524.  Enders,  a.  a.  O.,  377 f.  Brief 
an  die  Christen  zu  Strqfiburg  wider  den  S^wärmergeist  1524.  Krit.  Gesamt- 
ausgabe XV,  380 ff.  Wider  die  himmlischen  ^-opheten  1525.  (<»«««»  Karlstadt) 
Erlanger  Ausgabe  XXIX,  134  ff. 


—     199     — 

und  anderer.  Vergebens  ist  der  Versuch  einer  originell  eingekleide- 
ten Flugschrift,  der  Scharfen  Mete,  die  mit  den  Schüssen  des  Gottes- 
worts von  Empörung  und  Gewalttat  zurückscheuchen  will  *):  die  Revo- 
lution bricht  los.  Die  zwölf  Artikel  durchfliegen  in  fast  unglaublicher 
Zahl  der  Auflagen  das  Land').  Auch  in  den  Städten  regt  sich  das 
Proletariat.  Bald  feiert  die  Erhebung  blutige  Orgien.  Ein  trauriger 
Anblick,  und  doch  eine  um  des  größeren  Ziels  willen  wohl  verständliche 
Tatsache  ist  es,  daß  Luther  in  diesem  Konflikt  sich  auf  die  Gegen- 
seite stellt  und  in  schärfster  Konsequenz  zur  Vernichtung  „der  räube- 
rischen und  mörderischen  Rotten  der  Bauern**  aufruft ').  Nach  anfang- 
lichen Mißerfolgen  sieget  die  Staatsgewalt,  triumphierende  Weisen 
stimmen  die  Berichte  über  die  letzten  Niederlagen  der  Bauern  an. 
Wenig  denkt  die  harte  Zeit  des  tausendfachen  Elends  der  Besiegen  ^). 

Ich  glaube,  mit  diesen  Darlegungen  die  Hauptzüge  des  Inhalts 
der  Flugschriften  gezeichnet  zu  haben,  nur  die  Hauptzüge,  denn  es 
gibt  noch  eine  ganze  Anzahl  von  Themen,  welche  hier  zu  erörtern 
zu  weit  fuhren  würde,  wie  die  Judenfrage ^),  das  Gerichtswesen^),  die 
Pflege  der  deutschen  Sprache^)  u.  a.  Ich  muß  indes  meine  Skizze 
noch  erweitem  durch  einige  Angaben  über  die  Form,  oder  vielmehr 
die  Formen  der  Flugschriften. 

Man  hat  sich  gewöhnt,  die  Drucke,  welche  vor  dem  Jahre  1500 


i)  Die  scharf  Metz  wider  die,  die  sich  evangelisch  nennen  und  doch  dem 
EvangeUo  entgegen  sind.  Herausgegeben  ron  W.  Lacke  in  O.  Clemens  Flug^ 
Schriften  I,  95  ff.  Die  gleiche  Absicht  verfolgen  die  Schriften  des  Heilbronner  Predigers 
Johann  Lachmann.     Sie  sind  jetzt  herausgegeben  von  G.  Bossert   in  O.  Clemens 

Ilugschriften  II,  415—455- 

2)  A.  Götze  führt  a.  a.  O.  2$  Auflagen  an. 

3)  Wider  die  mörderischen  und  räuberischen  Rotten  der  Bauern,  Erlanger 
Ausgabe  XXIV,  287  ff. 

4)  Vgl.  R.  V.  Liliencron,  Die  historischen  Volkslieder  der  Deutsehen  m, 

Nr.  374—392. 

5)  Vgl.  dazu  u«  a. :  Ein  Gespräch  swisd^en  einem  Christen  und  Juden,  auch  einem 
Wirte  s<m$  seinem  Hausknecht,  den  Eckstein  Christum  betreffend  {1S24),  heraus- 
gegeben von  W.  Haupt  bei  O.  Giemen,  Flugschriften  I,  373ff.  und  Ein  Untet' 
redung  vom  Glauben  durch  Herr  Michdn  Kromer,  Pfarrherr  su  Kunite,  und  einen 
jüdischen  Babbiner  (1523),  herausgegeben  von  O.  Giemen,  Fhtgs^riften  I,  4^3 ff. 

6)  U.  a.  ist  es  behandelt  in  dem  schon  erwähnten  Dialogus  von  den  vier  graten 
Beschwernissen  eines  jeglichen  Pfarrers, 

7)  Hierher  gehört  Eber  lins  8.  BwuUgenqfi.  Sehr  bemerkenswert  ist  die  Ein- 
leitung des  Johannes  Krefl  zu  Ain  schöner  lustigi^  Dialogus  von  dem  reMen 
wiMren  glauben  . . .  Dttrch  Vhrieh  BurdAart  des  Bisehoffs  im  Bamberg  CapeUan 
newH^  besekriben.   Jf.  D.  XXV. 

15 


—    200    — 

entstanden  sind,  als  Inkunabeln,  Wiegendrucke,  zu  bezeichnen.  Eia 
lieferer  Grund  dafür  ist  nicht  ersichtlich;  einen  Wendepunkt  im  Buch- 
druck, zumal  im  deutschen,  bringt  erst  Luthers  Auftreten.  Auch  in 
der  äußeren  Gestalt  der  Preßerzeugnisse  zeigt  sich  das :  an  Stelle  des 
Folioformats  tritt  das  Quartformat.  Und  dieses  ist  fast  aussdüießlich 
auch  das  der  Flugschriften.  Der  Umfang  ist  dabei  meist  gering,  oft 
nur  ein  paar  Seiten.  Im  Verhältnis  wenig  Schriften  kommen  über 
den  dritten  Bogen  hinaus.  Der  Titel  steht  meist  in  einer,  oft  sehr 
kunstvollen  Umrahmung,  in  vielen  Fällen  tritt  noch  ein  besonderer 
Holzschnitt  dazu  *).  Neben  grob  ausgeführten  gibt  es  da  auch  vollen- 
dete Kunstwerke  von  den  bedeutendsten  Holzschneidern  der  Zeit 

Der  äußeren  Ausstattung  hat  sicher  manche  Flugschrift  ihre  große 
Verbreitung  verdankt.  Aber  viel  mehr  zur  Wirkung  trug  natürlich  neben 
dem  „sensationellen* '  Inhalt,  den  oft  schon  der  Titel  kundgab,  die  innere, 
die  eigentliche  Form  bei,  die  Art  der  Einkleidung  der  Gedanken,  der  Auf- 
bau, die  Komposition,  die  Sprache.  Schlichte  Prosaaufisätze,  die  rein 
sachlich  ein  Thema  behandeln,  sind  nicht  allzu  zahlreich ;  vielmehr  sucht 
man  möglichst  der  Form  eine  besondere  Eigenart  zu  geben. 

Es  ist  auffallend,  wieviel  Briefe  uns  aus  der  ersten  Hälfte  des 
XVI.  Jahrhunderts  erhalten  sind.  Das  beruht  auf  dem  Sammeleifer  der 
Zeitgenossen,  aber  auch  auf  ihrer  lebhaften  Pfl^e  des  Briefwechsels. 
Diese  Freude  am  Brief  zeigt  sich  auch  in  der  Anlage  vieler  Flug- 
schriften. So  sendet  ein  Wittenberger  Student  eine  prächtige  Epistel 
über  Luthers  Lehre  an  seine  Eltern  *),  ein  Basler  Franziskaner  recht- 
fertigt in  einem  Bericht  an  seinen  Vater  seinen  Austritt  aus  dem 
Orden"),  ein  J.  N.,  wohl  der  Zwickauer  Johannes  Neander,  erzählt 
einem  Konstanzer  Gastfreunde  von  dem  tollen  Spottspiel,  das  Buch- 
holzer  Bergknappen  auf  die  Heiligsprechung  des  Bischofs  Benno  von 
Meißen  veranstaltet  hatten^),  u.  a.  m. 


i)  Wie  für  die  Drnckerforschung  dieser  Zeit  ttberhaapt,  so  ist  anch  für  die  Be- 
schreibung der  Umrahmongen  und  Zierstttcke  grundlegend  A.  v.  Dommer,  Luther' 
drucke  auf  der  Hamburger  StadtbibUathek  (Leipzig.  1888).  Eine  Erweitemng  nach 
der  Seite  der  Typenformen  bildet  A.  Götze,  Die  hochdeutschen  Drucker  der  i2e* 
farmathnseeit  (Straßbarg  1905). 

3)  Ein  Sendbrief  van  einem  jungen  Studenten  zu  Wittenberg  an  eeine  Mtem 
im  Schwabentand  von  wegen  der  Lutheriedien  Lehr  gugeachrieben,  (iS^s)-  Heraus- 
gegeben Ton  O.  Giemen,  Flugschriften  I,  iff. 

3)  Joh.  Schwan  aus  Marburg.  Vgl.  über  ihn  O.  Giemen,  Beiträge  Mur  Befor^ 
mationsgeschichte  Ij  S^ti 

4)  Von  der  rechten  Erhebung  Bennowis  «m.  Sendbrief,  herausgegeben  yoa 
A.  Götze.    O.  Giemen,  Flugschriften  I,  185fr. 


—     201     — 

Nocli  häufiger  ak  die  Form  der  Privatbriefe  ist  die  der  Send- 
schreibeiL  Sie  sind  an  den  Kaiser  oder  an  einen  Fürsten  oder  an 
den  Rat  einer  Stadt  gerichtet  Ihre  Sprache  hält  sich  an  die  ge- 
messenen Regeln  der  Kandeien,  meist  entspricht  ihr  ganzer  Aufbau, 
mindestens  aber  AnCamg  und  Schluß,  den  amtlichen  Vorschriften.  Ihr 
Inhalt  sind  Verteidigungen,  Vermahnungen,  Beschwerden.  Luthers  Schrift 
an  den  deutschen  Adel  ist  die  berühmteste  der  Art.  Sie  hat  eine  kürzere, 
stilistisch  glänzende  Parallele  in  Eberlins  erstem  Bundesgenossen^). 

In  anderen  Sendschreiben  ist  das  hohe  Pathos  ersetzt  durch  einen 
beißend  satirischen  Ton.  Absender  wie  Adressat  werden  oft  vorge- 
täuscht; so  wenn  sich  Luzifer  an  die  Kirche  wendet,  wenn  die  Kardi- 
näle an  den  Teufel,  ihren  rechten  Herrn,  einen  Bericht  erstatten. 

Nach  VorbUdern  der  Kanzlei  sind  auch  die  Edikte  und  Erlasse 
gearbeitet,  die  oft  begegnen.  In  einem  „Mandat**  fordert  Jesus  alle 
seine  getreuen  Christen  auf,  dem  Teufel  das  verlorene  Schloß  des 
Glaubens  wieder  abzugewinnen').  In  teils  ernster,  teils  recht  ergötz- 
licher Weise  veröffentlichen  Eberlins  lo.  und  ii.  Bundesgenosse  die 
geistliche  und  weltliche  Ordnung  des  Fabellandes  Wolfaria,  des  christ- 
lich-sozialen Idealstaates.  Allerdings  ist  der  Verfasser  dessen  Er- 
richtung gegenüber  selbst  etwas  skeptisch,  wie  die  Daten  bezeugen: 
Datum  in  unserer  stat  Baldeck  uff  den  xxxv.  tag  übdis  im  jar,  ah  Ostern 
uff  den  Montag  gfid  und  Datum  in  unser  haupt  stat  Wdtffeck,  im  Monat 
genant  QMwyle,  'im  jar  do  man  den  hättet  münchen  die  kutten  staubt*). 

Noch  zahlreiche  Beispiele  ließen  sich  anführen,  wie  die  Einkleidung 
der  Flugschriften  an  die  Sprache  und  die  Bräuche  des  öffentlichen 
amtlichen  Lebens  anknüpft.  Fast  noch  häufiger  indes  —  und  das 
darf  in  dieser  Zeit  der  Kirchentrennung,  da  der  Geistliche  und  der 
Gelehrte  im  Vordertreffen  fochten,  nicht  wundernehmen  —  leihen 
Formen  des  kirchlichen  und  weiter  des  wissenschaftlichen  Lebens  den 
Schriften  das  äußere  Gewand. 

Predigten  werden  oft  im  Druck  verbreitet.  In  Anlehnung  an 
akademische  Bräuche  werden  Thesen  verteidigt,  Glossen,  Kommentare 
und  Auslegungen  gegeben*).     Ein  sehr  wertvolles  Stück  dieser  Art 


I)  Vgl  darüber  Lncke,  Die  EfMehung  der  16  BuHdBgeno$$en  d€$  Joh. 
EberKn  von  Oündmrg  (190a),  57  ff- 

3)  Heraosgegebeo  von  G.  Loetche  bei  O.  Giemen,  Fhig$chriften  TL,  2S$ff. 

3)  Enders,  Eberlin  I,  119*  i3i- 

4)  Besonders  berühmt  ist  Hottens  Glosse  ni  Luthers  BannboUe,  abgedruckt  in  HiAtens 
Sdirilten  V,  301— 333,  Die  Glosse  tarn  Ablaß  von  Halle  herausgegeben  von  Böhmer, 
HäUeicKea  TnUz-Bom  1521  (Halle  i86a). 

15^ 


—     202     — 

ist  das  schon  in  anderem  Zusammenhange  erwähnte  Lied  von  der 
ckristßrmigen  rechigegründelen  Lehre  Dr.  IL  Luthers,  das  den  auch 
in  der  Geschichte  der  Mathematik  berühmten  Michael  Stifel  von 
Eßlingen  zum  Verfasser  hat  Die  Erläuteiiingen  werden  an  ein  Lied 
zum  Preise  Luthers  angeschlossen,  aus  dem  noch  heute  Strophen  an- 
muten*). 

Manchmal  knüpfen  die  Ausführungen  des  Textes  auch  an  ein 
Bild  an,  so  in  der  Kursen  Anred  eu  dUen  Mißgünstigen  Dodor 
Luthers^),  deren  Titelholzschnitt  die  in  Tiere  verwandelten  G^ner 
des  Reformators  zeigt.  Noch  mehr  ist  das  Gedicht  Triumphes  veri- 
taiis^)  die  ausführliche  Beschreibung  einer  Illustration.  In  der 
Luterischen  Strebkalz^)  gibt  das  Titelbild  eine  Erläuterung  zum  Text 
Die  Strebkatz  ist  ein  mittelalterliches  Krafbpiel.  So  stellt  nun  das 
BUd  dar,  wie  auf  der  einen  Seite  Luther,  auf  der  anderen  der  Papst 
sich  bekämpfen.  Beide  knien,  um  ihren  Nacken  ist  ein  dicker  Strick 
gelegt,  jeder  sucht  daran  den  anderen  aus  seiner  Stellung  zu  zerren. 
Schon  stürzt  der  Papst  vornüber,  die  dreifache  Krone  entfallt  seinem 
Haupte,  seiner  Hand  ein  Beutel  mit  Geld.  Vergeblich  sind  die  Be- 
mühungen tierköpfiger  Helfer,  Luther  von  dem  Kreuz,  an  das  er  sich 
klammert,  hinwegzuziehen. 

Lebendigkeit,  Leben!  Auf  die  verschiedenste  Weise  suchen  es 
die  Verfasser  der  Flugschriften  auch  der  Form  ihrer  Werke  einzu- 
hauchen. Das  einfachste  Mittel  dazu  ist  aber  die  Wiedergabe  wechseln- 
der Rede,  der  Dialog.  Mit  seiner  Anwendung  feiert  die  Flugschriflen- 
literatur  ihre  höchsten  Triumphe. 

Auf  lateinische  Vorbilder  geht  diese  Dialoggruppe  zurück,  Hütten 
darf  als  ihr  Begründer  gelten^).  Und  aus  welschen  Landen  kommt 
den  deutschen  Gesprächen  ein  oft  auftretender  Unterredner,  dessen 
Name  sich  für  tendenziöse  Angriffsschriften  im  weitesten  Sinne  einge- 
bürgert hat,  der  PasquilP). 


i)  Über  Stifel  am  besten  der  Artikel  Kaweraus  in  der  Realencjklop.  för  pro- 
testantische Theologie*  XIX,  24  ff.  Über  seinen  Streit  mit  Momer  hoffe  ich  demoicfast 
etwas  veröffentlichen  zu  können. 

a)  Schade  11,  iQoff. 

3)  Schade  II,  I96ff. 

4)  Schade  m,  ii2ff.  O.  Giemen,  Die  Luteris^  SMbkais  (Archir  för  Re- 
formationsgeschicbte  II,   78  ff.). 

5)  Vgl.  dazu  G.  Niemann,  Die  DiahgUteratur  der  Befarmation$geU  nach 
ihrer  EnUMmng  und  EfUwiekhimg  (Leipzig  1905). 

6)  Vgl.  O.  Giemen,  Beiträge  mr  BeformationsgeaeihichU  I,  iff.  Dort  weitere 
Literatur. 


—     203     — 

Vor  dem  Palazzo  Braschi  in  Rom  steht  eine  verstümmelte  Mar- 
morgestalt, an  deren  linkem  Bein  der  Rest  einer  zweiten  noch  zu  er- 
kennen ist.  Traurige  Überbleibsel  einer  einst  herrlichen  Gruppe: 
Meaelaos,  der  des  Patroklos  Leichnam  verteidigt.  Im  Anfang  des 
XVI.  Jahrhunderts  stand  dies  Werk  vor  dem  Palazzo  Orsini,  und 
römische  Spötter  hatten  die  Statue  nach  einem  gegenüberwohnenden 
Schulmeisterlein  Pasquino  genannt;  der  Name  war  bald  stadtbekannt. 
Alljährlich  am  25.  April  wurde  dieser  Pasquino  von  Künstlern  ge- 
schmückt und  maskiert;  zugleich  wurden  Spottverse  an  ihm  ange- 
heftet, und  so  wurde  der  Pasquino  bald  ein  Sammelplatz  römischer 
Schmähliteratur. 

Im  Jahre  1518  hatte  Leo  X.  wegen  der  Türkengefahr  Bußfahrten 
angeordnet.  Warum  sollte  nicht  auch  Pasquino  an  der  Not  seiner 
lieben  Römer  teUnehmen?  Er  tat  es.  Am  25.  April  fand  man  ihn 
ausgerüstet  zu  einer  Wallfahrt  nach  St.  Jago  di  Campostella.  Muschel- 
hut, Mantel  und  Stab  trug  er  wie  ein  echter  Jakobsbruder.  Ganz  Rom 
lachte,  die  Literatur  aber  hatte  eine  neue  Gestalt,  den  P(nsquiUus  extd. 
Aus  Italiens  Gauen  zog  er  fort,  kam  nach  Deutschland  und  gab  hier 
in  den  Flugschriften  seine  römische  Weisheit  zum  besten,  zuerst  noch 
Person,  dann  die  Schrift  selbst 

Ein  buntes  Gewimmel  von  Gestalten  tummelt  sich  neben  ihm  in 
diesen  Dialogen,  Gesprächen,  Gesprächbüchlein,  oder  wie  sonst  sie 
genannt  werden.  Die  Führer  im  Kampfe,  Luther,  Sickingen,  Hütten, 
Mumer  und  andere,  die  Vertreter  einzelner  Stände,  der  Edelmann 
und  die  Edelfrau,  der  Gelehrte,  Handwerker,  Bürger,  Bauer,  Papst  und 
Bischof,  Mönch  und  Nonne,  Dorfpfarrer  und  Student,  Jude  und  Türke, 
auch  St.  Petrus  und  St.  Georg,  selbstverständlich  auch  der  Teufel,  sie 
alle  und  viele  außer  ihnen  müssen  heran  und  messen  sich  mit  den 
Gegnern  in  Rede  und  Widerrede,  schimpfen  oder  lehren,  klagen  oder 
jubeln  je  nach  ihrem  Standpunkt.  In  manchen  Dialogen  treten  auch 
Tiere  auf,  in  einem  gar  die  Medikamente  einer  Apotheke  *).  Unwill- 
kürlich wird  man  an  Andersens  Märchen  erinnert,  wenn  man  diesen 
gelungenen  Streit  der  Heilkräuter  und  Salben  liest,  den  sie  unter 
Führung  der  Wurzel  Angelica  und  des  Unguents  Apostolicwn  über 
Luthers  Lehre  ausfechten.  Mit  allgemeiner  Versöhnung  schließt  der 
Redekampf.  Einträchtig  singt  schließlich  die  ganze  Apotheke  Te  deum 
laudamus. 


i)  Dialogus  oder  getpreeh  de$  apostolieums  Angdiea  vnd  anderer  tpeeerei  der 
apoteken  antreffen  doctor  Jf.  LnUers  ler  tmd  sein  atüumk.    Schade  ü,  36 ff. 


—     901    — 

Der  Gedankengang  dieses  Gesprächs  ist  typisch  fitr  die  Mehrzahl 
der  Gruppe :  Opposition,  Belehrung,  Zustimmung,  Versöhnung.  Manch- 
mal tritt  zu  der  Rede  noch  eine  einfache  Handlung,  und  ein^e  Stücke 
sind,  wenn  auch  nicht  Dramen,  so  doch  dramatische  Sienen.  — 

Eine  Auflalligkeit  des  Personenregisters  muß  hier  noch  erörtert 
werden.  Ungemein  häufig  kommt  der  Bauer  vor,  und  er  wird  dabei 
so  ganz  anders  charakterisiert  als  der  Tölpel  der  früheren  Fastnachts- 
spiele. Das  hängt  mit  dem  Fortschreiten  der  kirchlichen  Bewegung 
zusammen.  Viele  ihrer  Vorkämpfer  suchten  in  der  niederen  Bevölke- 
rung, zumal  in  der  Bauernschaft  ihre  Stütze,  und  um  sie  zu  gewinnen, 
schmeichelte  man  ihr  auch  in  der  Literatur.  Ein  Zug,  der  sich  ja 
heute  vielfach  dem  Arbeiterstande  gegenüber  wiederholt: 
„Alle  Räder  stehen  still. 
Wenn  dein  starker  Arm  es  will." 

Damals  ist  der  Bauer  der  Held.  Er  steht  mit  dem  Dreschflegel 
seinen  Mann,  ein  Sickingen  würdigt  ihn  seiner  Freundschaft,  aber  auch 
im  scharfen  Zungengefecht  weiß  er  über  Gelehrte  und  Geistliche  durch 
Mutterwitz  und  Bibelfestigkeit  zu  triumphieren  *). 

Wohl  sicher  steht  mit  dieser  demokratischen,  um  nicht  zu  sagen 
demagogischen  Tendenz  eine  noch  nicht  berührte  Eigentümlichkeit 
vieler  Flugschriften  in  Zusammenhang,  ihre  Anonymität.  Luther, 
Hütten,  auch  Kettenbach  und  einige  andere  verleugnen  sich  nicht  in 
ihren  Werken,  offen  treten  sie  für  deren  Inhalt  ein.  Und  die  Schriften 
wenigstens  Luthers  und  Huttens  wirkten  schon  durch  das  Gewicht  des 
Namens  ihrer  Verfasser.  Aber  andere  —  und  bei  der  größeren  Zahl 
der  Flugschriften  ist  es  der  Fall  —  verheimlichen  ihre  Person,  und 
manches  Rätsel  haben  sie  damit  noch  der  Forschung  unserer  Zeit 
aufgegeben.  Teils  müssen  sie  Nachstellung  und  Gefahr  bei  offenem 
Auftreten  befürchten,  teils  stehen  sie  aber  auch  nicht  auf  so  ausge- 
setztem Posten,  daß  ihre  Namen  schon  größere  TeUnahme  erwecken 
können.  Sie  wollen  mithelfen  nach  Kräften,  aber  klug  treten  sie  mit 
ihrer  Person  zurück  und  lassen  die  Sache  allein  wirken,  geben  ihr 
aber  dann  zumeist  eine  Form,  die  auf  die  Kreise,  an  die  sie  sich  wenden, 
ohnehin  Eindruck  machen  muß.  Es  kam  vor,  daß  Agitatoren  dieser 
Art  sich  als  Glieder  der  niederen  Volksschichten  ausgaben;  als  der 
Bauer  von  Wöhrd  ist  einer,  der  in  Franken  unter  großem  Zulauf 
predigte,   in   der  Erinnerung  geblieben.     Er   wurde   in  Nürnberg  als 


i)  Vgl.  data  Joh.  Bolte,  Der  Bauer  im  deutschen  Liede  in  den  Acta  Germanica, 
heraosgegebea  roa  Henning  und  Hofforj,  Band  I  (1S90),  lySff. 


—     206     — 

ehemaliger  Priester  entlarvt').     Und  gleich  ihm  opferten  auch  viele 
Verfasser  von  Flugschriften  dem  „Herrn  Omnes". 

Doch  bald  wurden  die  Geister  übermächtig ,  die  man  heraufbe- 
schworen hatte.  Vor  den  Scharen  Jörg  Metzlers,  Jäcklein  Rohrbachs, 
Florian  Geyers  erbebten  die  geistUchen  und  weltlichen  Gebieter  und 
die  friedlich  Gesinnten.  In  den  Schutz  der  Fürsten  flüchtete  sich  vor 
den  Rotten  der  Empörer  die  kirchliche  Bewegung,  die  die  Volksseele 
zuerst  in  ihren  tiefsten  Tiefen  erschüttert  hatte. 

Das  Jahr  1525  ist  em  Wendepunkt  auch  in  der  Literatur.  Die 
wissenschaftliche  Theologie  besetzt  den  Platz,  den  eine  Volksliteratur 
über  ein  halbes  Jahrzehnt  unumschränkt  innegehabt  hatte.  Und  wie 
der  Inhalt  der  deutschen  Schriften  jetzt  immer  einseitiger  wird,  so 
geht  auch  ihre  Zahl  mit  einem  Schlage  gewaltig  zurück.  Die  Flug- 
schriftenliteratur der  Reformationszeit  in  dem  weiten  Sinne,  wie  ich 
sie  geschildert,  ist  zu  Ende. 

Ernst  war  die  Zeit,  in  der  sie  herrschte,  eine  Zeit  der  Gärung, 
der  Wallung,  des  Bruchs  mit  alten  Formen,  der  Entfesselung  neuer 
Kräfte.  Doch  Jahre  waren  es  des  gewaltigsten  Lebens.  Und  das 
spiegeln  die  Flugschriften  wider.  Aus  ihnen  spricht  der  hohe  sitt- 
liche Ernst  der  Reformation,  frohlockt  die  laute  Freude  am  Kampf, 
aber  aus  ihnen  tönt  auch  der  befreiende  Humor  jener  Epoche  wider, 

„Das  gute,  alte,  deutsche  Lachen 
Verschollner,  lieber,  alter  Zeit!** 


Mitteilungen 

Ortsgesehiehte.  —  Eins  der  wesenüichsten  Ziele  heimatsgeschicht- 
licher Forschung,  ja  für  sehr  viele  schlechthin  das  Ziel  büdet  die  Herstellung 
einer  lesbaren,  auch  dem  Laien  verständlichen,  für  alle  Ortseingesessenen 
interessanten  Ortsgeschichte,  die  unter  Heranziehtmg  aller  vorhan- 
denen —  gedruckten,  geschriebenen  und  körperlichen  —  Quellen  auf  dem 
Wege  streng  wissenschaftlicher  Arbeit  entstanden  ist  tmd  deshalb  zugleich  in 
ihren  Einzelheiten  der  allgemeineren  Forschung  zu  neuen  Erkenntnissen  ver- 
hilft. Gegen  die  Berechtigimg  eines  solchen  Ideals  werden  wohl  heute 
theoretisch  von  keiner  Seite  mehr  Einwände  erhoben,  wenn  man  auch  bis- 
weilen der  Meinung  Ausdruck  verleiht,  es  komme  auf  die  wissenschaftlich 
unanfechtbare  Grundlage  nicht  so  sehr  an,  sondern  vielmehr  auf  den  er- 
zieherischen Zweck  d.  h.  darauf,  daß  in  weiteren  Kreisen  der  Bevölke- 
rung der  Sinn  für  die  Heimatsgeschichte  und  dadurch  die  Liebe  zur  Heimat 

1)  Vgl.  O.  Clemen,  Beiträge  zur  Beformatiansge$M<Me  n,  SsflE. 


—     206     — 

geweckt  werde.  So  berücksichtigenswert  dieser  Gesichtspunkt  an  sich  ist» 
so  entschieden  muß  doch  heute  dagegen  Einbruch  erhoben  werden,  daß 
die  löbliche  Absicht  des  Verfassers  als  Entschuldigung  fUr  eine  mangel- 
hafte Leistung  ins  Feld  geführt  wird.  Denn  bei  der  Veröffenüichung 
solcher  Schriften  und  ihrer  Kritik  handelt  es  sich  nicht  um  eine  Zensur, 
die  dem  Verfieisser  zuteil  wird,  überhaupt  nicht  um  seme  Privatangel^enheit, 
sondern  um  eine  öffentliche  Sache,  weil  ein  über  den  Ort  N.  handeln- 
des Buch  von  IOC  bis  500  Seiten  naturgemäß  am  meisten  am  Orte  imd  in 
dessen  nächster  Umgebung  gelesen  und  sein  Inhalt  als  maßgeblich  erachtet 
wird,  zumal  dann,  wenn  der  Verfasser  am  Orte  selbst  lebt  und  eine  an- 
gesehene gesellschaftliche  Stellimg  einnimmt.  Sind  nun  aber  in  einer  sol- 
chen ortsgeschichdichen  Schrift  —  und  Beispiele  daftir  lassen  sich  leicht 
beibringen  —  unrichtige  Angaben  enthalten,  zum  Teil  längst  wideri^;te  Irr- 
tümer aufs  neue  vorgetragen,  die  Verhältnisse  schief  beleuchtet  und  un- 
vollständig dargestellt,  dann  wirkt  sie  direkt  schädlich,  hilft  Falsches  ver- 
breiten und  richtet  namentlich  in  den  Köpfen  der  Lehrer,  die  jedes  heimats- 
kundliche  Hilfsmittel  zu  benutzen  trachten,  unangenehme  Verwirrung  an.  Der 
Schaden  ist  dann  entschieden  größer  als  der  bestenfalls  ^eichzeitig  erzielte 
Nutzen,  der  in  der  Erweckung  des  Interesses  an  der  Heimatsgeschichte  über- 
haupt besteht. 

Derartige  Gedanken  drängen  sich  dem  Kritiker  auf,  der  die  in  allen 
Teilen  Deutschlands  wie  Pilze  aus  der  Erde  schießenden  Geschichten  von 
Dörfern  und  kleinen  Städten  durchmustert  und  dabei  die  Überzeugung  ge- 
winnt, daß  die  allergrößte  Mehrzahl  den  billigerweise  an  eine  Oitsgeschichte 
zu  stellenden  Anforderungen  nicht  genügt  und  bei  der  mangelhaften  ge- 
schichtlichen Vorbildung  der  Verfasser  auch  gar  nicht  genügen  kann.  E>es- 
halb  ist  es  dringend  nötig,  daß  sich  die  wissenschaftlichen  Vertreter  heimats- 
geschichtlicher Forschung  zur  Wehr  setzen  gegen  den  Dilettantismus,  der 
ihre  eigenen  zum  Glück  eben  emigermaßen  anerkannten  Bestrebungen  der 
Verachtung  preiszugeben  droht,  weil  der  femer  stehende  Beobachter  den 
Unterschied  zwischen  den  beiden  gnmdsätzlich  verschiedenen  Leistungen 
nicht  macht  und  im  einzelnen  Falle  von  vornherein  auch  kaum  machen 
kann.  Abhilfe  schafft  aber  auch  die  beweglichste  Klage  über  die  minder- 
wertigen Leistungen  nicht,  sondern  ein  Erfolg  läßt  sich  nur  dadurch  erzielen, 
daß  die  berufenen  Vertreter  ortsgeschichtlicher  Arbeit  nicht  müßig  bleiben 
und  das  tatsächlich  vorhandene  Bedürfnis  nach  Ortsgeschich- 
ten durch  gute  Arbeiten  befriedigen,  damit  im  großen  und  ganzen 
den  Liebhabern  die  Lust  vergeht,  ihre  eigenen  Arbeiten  drucken  zu  lassen. 
So  stehen  gegenwärtig  die  Dinge,  und  es  gilt,  die  geschichtlichen  Landes- 
vereine tmd  historischen  Kommissionen  sowie  alle  anderen  be- 
rufenen Körperschaften  tmd  Behörden  auf  diese  ihnen  erwachsende  Aufgabe 
nachdrücklich  hinzuweisen.  Auf  einen  tatsächlich  gemachten  ersten  Versuch, 
die  Ortsgeschichtsforschung  in  einem  Lande  gewissermaßen  zu  organisieren, 
soll  unten  aufinerksam  gemacht  werden.  Die  Zeit  zu  einer  solchen  organi- 
satorischen Beeinflussung,  um  die  Dinge  nicht  ein&ch  ihrem  Laufe  zu  über- 
lassen, ist  ganz  tmfraglich  gekommen,  und  zwar  erstens,  weil  sich  schon 
genug  Sachverständige  über  die  Aufgaben  und  das  Mmdestmaß  dessen,  was 
von  einer  Ortsgeschichte   verlangt   werden  muß,   ausgesprochen  habeii,   so 


—     207     — 

daß  gewisse  Sätze  bereits  allgemein  anerkannt  sind,  zweiten s,  weil  eine 
nicht  ganz  unbedeutende  Anzahl  empfehlenswerter  Muster  ganz  verschiedener 
Art  vorliegen,  und  drittens,  weil  tatsächlich  in  vielen  Kreisen  der  Wunsch 
nach  einer  Anleitung,  wie  konkret  eine  „Ortschronik'*  zu  gestalten  sei, 
besteht.  So  wird  es  zur  Pflicht  der  wissenschaftlichen  Arbeiter,  nicht 
mit  ihren  Ansichten  hinter  dem  Berge  zu  halten,  vielmehr,  soweit  das  mög- 
lich ist,  Rat  zu  erteilen,  um  zu  verhüten,  dafi  Unberufene  es  tun  und  da- 
durch Unheil  stiften. 

Was  die  bereits  veröffentlichten  Arbeitsratschläge  für  die  Verfasser  von 
Ortsgeschichten  anlangt,  so  mufi  hier  zuerst  auf  den  Aufsatz  Orisyeschichte 
von  Albert*)  hingewiesen  werden ,  der  alles  Wesentliche  enthält  und  vor 
allem  an  Beispielen  zeigt,  wie  sich  mit  Erfolg  arbeiten  läßt;  denn  selbst 
die  vollkommensten  theoretischen  Anweisungen  werden  dem  ebzelnen  Ar- 
beiter nicht  entfernt  so  viel  nützen  wie  einige  von  berufener  Seite  als  nach- 
ahmenswert empfohlene  Bücher,  neben  denen  auch  eine  oder  die  andere  als 
abschreckendes  Beispiel  genannte  Schrift  immer  lehrreich  zu  lesen  sein  wird. 
Albert  hat  dann  gewissermaßen  als  Fortsetzung  zu  seinem  Aufsatze  im 
4.  Bande  dieser  Zeitschrift  (1903)  in  einer  Mitteilung  Zur  deutschen 
Ortsgeschichte  (S.  312 — 316)  noch  einmal  das  Wort  zu  dem  Gegenstande 
ergriffen  und  noch  einige  inzwischen  erschienene  Einzelschriften  besprochen. 
Seine  Ausführungen  sind  auch  nicht  imbeachtet  geblieben;  so  leitete  z.  B. 
Ermisch  die  Anzeige  von  15  Büchern  zur  sächsischen  Ortsgeschichte  im 
Neuen  Archiv  für  Sächsische  Geschichte  und  Altertumskunde  24.  Band 
(1903),  S.  190—- 204,  damit  ein,  daß  er  „alle  angehenden  Ortschronisten*' 
auf  jenen  Aufsatz  aufmerksam  machte  mit  der  Begründung :  „  Sie  finden  darin 
eine  Anleitung,  wie  auf  diesem  so  ungemein  fruchtbaren  und  doch  leider 
oft  mit  wenig  Glück  gepflegten  Gebiete  auch  der  Dilettant,  dem  seine  Be- 
arbeitung zumeist  näher  liegt  als  dem  Fachmann,  bei  einigermaßen  geschicht- 
licher Veranlagung  befriedigende  Ergebnisse  zu  erzielen  vermag.*' 

Ohne  Alberts  Ausführungen  zu  kennen,  haben  sich  wie  vorher  so  auch 
nachher  andere  Männer  über  die  einschlägigen  Fragen  geäußert.  Es  mag 
hier  auf  zwei  Kundgebungen  hingewiesen  werden,  die  sich  im  Schleswig- 
Holsteinischen  Kirchenblatt  6.  Jahrgang  (1905)  finden  imd  die  deswegen 
besonders  lehrreich  sind,  weil  sie  nicht  von  Geschichtsforschern  im  engsten 
Sinne  ausgehen:  zuerst  hat  der  Provinzialkonservator  für  Schleswig -Holstein, 
Richard  Haupt,  in  Nr.  i  seine  Stimme  erhoben,  und  in  Verfolg  seiner 
Anregungen  in  Nr.  21/22  ein  P&rrer,  Jakobsen  in  Glückstadt,  der  selbst 
eine  bisher  allerdings  noch  nicht  veröffentlichte  Geschichte  seiner  Pfarr- 
gemeinde geschrieben  hat  imd  nun  zimächst  eine  bisher  allerdings  noch 
nicht  veröffentlichte  Geschichte  seiner  Pfarrgemeinde  seinen  geistlichen 
Amtsgenossen  Fingerzeige  für  die  praktische  Arbeit  geben  will;  in  beiden 
Fällen  ist  von  einer  speziellen  Unterabteilung  der  Ortsgeschichte,  näm- 
lich den  Kirchspielschroniken,  die  Rede.  Haupt  faßt  sich  kurz;  der 
Leser  merkt  sofort,  daß  ihm  der  Ärger  über  minderwertige  Ortschroniken, 
die    von    Unberufenen    stammen,    die    Feder    in    die   Hand    gedrückt    hat. 


1)  In  die  11  er  Zeitschrift  3.  Band  (190a),  S.  193—208,  wo  ucb  einige  ältere  An* 
leitoogen  für  Ortsgeschichttchreiber  (S.  202 — 204)  erwähnt  sind. 


—     208     — 

Er  fordert  zunächst  vom  Ver&sser  einer  Ortsgeschichte  Selbstkritik  und 
womöglich  Prüfung  seiner  Arbeit  durch  einen  anderen  vor  dem  Druck,  zu- 
mal dann,  wenn  zur  Erleichterung  des  Druckes  im  voraus  Subskribenten 
gesucht  oder  wohl  gar  öffentliche  Mittel  in  Anspruch  genommen  werden. 
Objektiv  aber  fordert  Haupt  dreierlei,  nämlich  erstens  die  Ausführung  nach 
einem  bestimmten  Programm,  zweitens  Klarheit  darüber,  inwiefern  der 
Verfasser  gegenüber  dem  Bekannten  und  aus  der  Literatur  ohne  weiteres  zu 
Entnehmenden  Neues  bietet,  und  drittens  eine  Vorführung  des  Stoffes  in 
guter  Disposition  sowie  Erschließung  des  gesamten  Inhalts  durch  gute 
Register.  Die  knapp  gefaßte  Forderung  Haupts  würde  eine  weite  Ver- 
breitung verdienen,  und  wenn  die  vornehmlich  von  Geistlichen  gelesenen 
Zeitschriften  die  hier  ausgesprochenen  Gedanken  öfters  einmal  kurz  wieder- 
holen wollten,  so  wäre  das  gewiß  von  Nutzen ;  denn  es  sind  in  recht  vielen 
Fällen  die  Ortsgeistlichen,  die  gute,  weniger  gute  und  schlechte  Ortsgeschich- 
ten verfassen,  da  sie,  vielfach  durch  ihr  Amt  zu  derartigen  Untersuchungen 
veranlaßt,  die  Ergebnisse  ihrer  Arbeit  auch  anderen  mitteilen  wollen.  Es 
gibt  ja  in  vielen  Landesteilen  Sammelwerke,  die  sich  mit  der  Geschichte 
aller  Kirchengemeinden  nach  Bezirken  (Dekanaten,  Diözesen)  beschäftigen  ') 
und  so  recht  wesentliche  Teile  der  Ortsgeschichte  bearbeiten.  Aber  be- 
dauerlicherweise geht  das  Urteil  der  Kritiker  fast  immer  dahin,  daß  bei  einer 
gründlichen  Überprüfung  des  Manuskripts  durch  einen  Fachmann  auf  engerem 
Räume  viel  Besseres  hätte  geschaffen  werden  können  und  daß  es  zu  emp- 
fehlen sei,  eine  derartige  Arbeit  einem  geschulten  Geschichtsforscher  —  und 
und  deren  gibt  es  ja  zum  Glück  unter  den  Geistlichen  nicht  wenige  —  zu 
übertragen.  Es  beruht  einfach  auf  einer  Verkennung  des  tatsächlichen  Zu- 
standes,  wenn  man  von  vornherein  annimmt,  jeder  normal  ausgebildete  Pfarrer 
müsse  auch  die  Fähigkeit  zum  Geschichtsforscher  und  Geschichtschreiber  be- 
sitzen. Es  bedarf  vielmehr  keines  Beweises ,  daß  die  Fähigkeit  zu  solcher 
Arbeit,  selbst  wenn  sie  die  des  Dilettanten  im  guten  Sinne  sein  soll,  erst 
erworben  werden  muß  und  daß  sie  zu  einem  guten  Teile  eine  besondere 
Veranlagung,  eine  Begabung  mit  historischer  Denkweise,  zur  Voraussetzung  hat. 


i)  Solche  Sammelwerke  für  die  Erzdiözese  Köln  und  den  katholiscbea  Teil  des 
Herzogtums  Oldenburg  sind  in  dieser  Zeitschrift  2.  Band  (S.  39-40)  genannt,  und 
ebenda  S.  209  diejenigen  für  das  Bistum  Augsburg,  das  Erzbistum  München-Frei- 
sing  und  das  Bistum  Würzbnrg.  —  Als  Parallelerscheinung  aus  dem  evangelisclien 
Teile  Deutschlands  sei  die  Nette  SächsiscJhe  KirchengaHerie  (Leipzig  1899  ff.,  bis  jetzt 
14  Bände)  erwähnt;  ein  älteres  Werk  dieser  Art  ist  SacMens  Kirchengalerie,  um  1848  in 
1 2  Bänden  erschienen.  Die  Kirchengalerie  der  Provinz  Sachsen  scheint  über  das  erste 
Heft  (Leipzig  1903),  das  sich  mit  der  Geschichte  der  Kirchgemeinde  Badeleben  beschäf* 
tigt,  nicht  hinausgekommen  zu  sein.  —  Von  weltlichen  Sammelwerken,  die  sich  mit 
sämtlichen  Gemeinden  eines  Landes  beschäftigen,  muß  besonders  die  Beschreibnog  der 
einzelnen  württembergischen  Oberämter  und  der  in  ihnen  gelegenen  Orte  genann. 
werden  (vgl.  darüber  diese  Zeitschrift,  3.  Band  [1902],  S.  98).  Auch  die  anderen  dort 
von  Vancsa  beschriebenen  meist  lexikalisch  angeordneten  Werke  kommen  —  das  eine 
mehr,  das  andere  weniger  —  in  Betracht^  da  zum  wenigsten  die  Grundlagen  für  die  Ge- 
schichte  unendlich  vieler  Siedlungen  darin  zu  finden  sind,  während  sich  in  einig^i  Fällen 
Monographien,  wie  in  den  württembergischen  Oberamtsbeschreibungen,  aneinander  reihen. 
Diese  Sammelwerke  leiden  nur  sämtlich  daran,  daß  sie  zu  groß  sind  und  daß  deswegen 
auch  die  besonderen  von  dem  einzelnen  Orte  handelnden  Teile  nur  ausnahmsweise  dort 
selbst  heimisch  werden. 


—     209     — 

Pfarrer  Jakobsen  besitzt  diese  Begabung  offenkundig,  obwohl  er 
nicht,  wie  er  selbst  erklärt,  zu  den  gelernten  Historikern  gehört,  und  er 
6at  sich  entschieden  auch  die  dem  historischen  Fachmann  eigene  Arbeits- 
weise mit  Erfolg  anzueignen  versucht.  Er  beweist  das,  wenn  er  gleich  zu 
Beginn  eine  ganze  Spalte  lang  Frage  an  Frage  reiht,  die  alle  jeder  Orts- 
geschichtsforscher für  sein  Arbeitsgebiet  aufweifen  imd  zu  beantworten  suchen 
soll.  Entscheidend  Air  die  Art  seiner  Fragestellung  ist  der  auch  ausdrück- 
lich ausgesprochene  Gedanke,  daß  die  frühere  enge  Verbindung  zwischen 
kirchlichem  und  weltlichem  Leben  den  Geschichtschreiber  der  Kirch- 
gemeinde von  ganz  allein  dazu  führe,  sich  mit  der  Geschichte  des  Ortes, 
der  Siedlung,  nach  allen  Richtungen  hin  zu  befassen  und  auch  die  rein 
weltlichen  Dinge,  Ortsnamen,  Flurverfassimg,  Wirtschaft,  nicht  zu  vernach- 
lässigen. Um  die  örtlichen  Erscheinungen  in  den  eigentlich  kirchlichen 
Angelegenheiten  zweckentsprechend  behandeln  zu  können,  sucht  er  in  der 
Geschichte  des  geistigen  Lebens  der  letzten  vier  Jahrhunderte  nach  der 
rechten  Fragestellung  und  lehrt  seine  Leser  so  in  beherzigenswerter  Weise, 
daß  alles  örtliche  Leben  nur  eine  bestimmte  Variation  des  allgemeinen  ist, 
wie  umgekehrt  die  allgemeine  Entwicklung  als  solche  nur  dadurch  erkannt 
wird,  daß  sich  dieselben  Erscheinungen  in  grundsätzlich  gleicher  Weise  an 
vielen  Orten,  in  einem  ganzen  Lande  oder  dem  Siedlungsgebiete  eines  ganzen 
Volkes  wiederholen.  Jakobsen  ist  sich  voll  bewußt,  daß  eine  Au&ählung  der 
Punkte,  auf  die  der  Bearbeiter  sein  Augenmerk  richten  soll,  niemals  voll- 
ständig sein,  daß  es  sich  nur  um  Fingerzeige  und  Beispiele  handeln  kann; 
denn  „schließlich  hat  jede  Chronik  das  Gesetz  ihres  Um&ngs  und  ihres 
Inhalts  an  der  betreffenden  Gemeinde  selbst,  an  ihrer  besonderen  Stellung 
und  ihrem  eigentümlichen  Leben.  Da  muß  jeder  selbst  zusehen.*'  Zur 
Materialbeschafiung  übergehend  zählt  er  die  wichtigsten  gedruckten  Werke 
zur  Schleswig- hobteinischen  Geschichte  auf,  die  jeder  zu  Rate  ziehen  muß, 
nennt  auch  das  bibliographische  Hilfsmittel^),  dessen  keiner  entraten 
kann,  um  dann  eine  intensive  Ausbeutung  des  Kirchenarchivs  und  die 
Würdigung  der  steinernen  Denkmäler,  besonders  des  Kirchengebäudes,  zu 
fordern.  Zum  Schluß  wird  davon  gesprochen,  für  wen  gearbeitet  werden 
solle,  und  da  sagt  der  Pfarrer  kurz  und  bündig:  „für  die  Gemebde*^ 
Diese  denkt  er  sich  auch  als  die  Körperschaft,  die  für  die  Drucklegung 
sorgen  soll.  Wenn  Jakobsen  seine  eigene  Arbeit  ausdrücklich  in  Gegensatz 
zur  wissenschaftlich -geschichtlichen  Literatur  stellt  —  formell  ist  allerdings 
von  der  ganzen  Gattung  Schleswig- holstemischer  Kirchspielschroniken  die 
Rede  — ,  so  spricht  daraus  eine  zu  große  Bescheidenheit.  Aber  auch  sach- 
lich hat  er  mit  dieser  Unterscheidung  nicht  recht,  weil  sich  eine  solche 
Grenze  im  allgemeinen  gar  nicht  ziehen  läßt.  Der  Betrieb  der  heutigen 
landesgeschichtÜchen  Forschung  ist  ihm  wohl  kaum  bekannt,  und  des- 
wegen weiß  er  nicht,  wie  wichtig  es  für  diese  ist,  über  mögUchst  viele 
Orte  örtlich  zugespitzte  auf  guten  Quellen  beruhende  Nachrichte  zu 
bekommen;    insofern    ist   jede    Ortsgeschichte    ein    Baustein    zur    Landes- 


i)  Witt,  Queüen  und  Bearbeitungen  der  schleewig'hoisteimschen  Kurehen- 
geschickte  (Kiel  1899).  VgU  den  Aufsatz  von  Lorensen  in  dieser  Zeitschrift,  2.  Band 
(1901),  S.  108— 114  ond  134— 137* 


—     210     — 

geschichte,   und  die  letztere   hat  das  Recht  Berücksichtigiiiig  ihrer  Bedürf- 
nisse zu  verlangen. 

Wenn  alle  Kirchspiebchroniken,  die  gesondert  veröffentlichten  nicht 
minder  als  die  in  den  oben  genannten  Sammelwerken  enthaltenen,  unter  so 
großen  Gesichtspunkten  wie  den  von  Jakobsen  entwickdten  abgeüeifit  wären, 
dann  könnten  sich  die  wissenschaftlichen  Vertreter  der  Landesgeschichte  in 
allen  Gebieten  Glück  wünschen.  Das  trifit  aber  eben  leider  nicht  zu,  da 
längst  nicht  jeder,  der  sich  zu  einer  solchen  Arbeit  berufen  fühlt,  auch  die 
Fähigkeit  dazu  besitzt:  es  fehlt  oft  an  der  erforderlichen  Gewissenhaftigkeit, 
der  kritischen  Begabung,  der  Gerechtigkeit  gegenüber  vergangenen  Zeiten  und 
das  Vermögen,  sich  in  ganz  anders  geartete  Zustände  hineinzuversetzen.  Ge- 
rade im  Sinne  Jakobsens  müßte  direkt  davor  gewarnt  werden,  daß  ein  P&rrer 
nur  auf  eine  äußere  Veranlassimg  hin  ohne  inneren  Drang  dazu  schreitet, 
seine  Kirchspielschronik  drucken  zu  lassen;  denn  die  Drucklegung,  nicht 
die  private  Bearbeitung  des  Stoffii  ist  das  gefiüirliche.  Wenn  aber  zur  Ver- 
öffentlichung geschritten  wird,  dann  muß  auch  eine  Gewähr  daftir  geboten 
sein,  daß  der  Inhalt  auf  einer  gewissen  Höhe  steht.  Auch  darf  der  Um- 
fang nicht  künstlich  durch  Heranziehung  abliegender  Dinge  gesteigert  werden, 
nur  damit  ein  dickes  Buch  entsteht:  ein  Schriftchen  von  50  Seiten  kann 
imter  Umständen  viel  inhaltreicher  sein  und  nützlicheres  wirken  als  ein  Band 
von  500  Seiten! 

Jakobsens  Aufsatz  ist  entstanden,  weil  die  Geistlichen  in  seiner  Provinz 
eine  praktische  Anweisung  für  die  Arbeit  zu  haben  wünschten,  deren  Aus- 
führung ihnen  die  kirchliche  Aufsichtsbehörde  übertragen  hat').  Und  Jakobsen 
hat  sich  seiner  Aufgabe  mit  Geschick  entledigt;  denn  in  seinen  Worten  gibt 
sich  überall  der  geschichtlich  unterrichtete  Mann  zu  erkennen.  Auch  von 
anderer  Seite  ist  indes  der  Wunsch  nach  eber  Anweisung  für  die  Abfassung* 
von  „Dorfchronikeu**  geäußert  worden,  und  das  ist  erfreulich,  weil  darin 
das  Zugeständnis  liegt,  daß  auch  nach  dem  Urteile  der  zunächst  Beteiligten 
bisher  der  rechte  Weg  nicht  überall  gefunden  worden  ist.  Die  Gesellschaft 
für  Geschichte  und  Literatur  der  Landwirtschaft  ')  wollte  auf  ihrer  4.  Haupt- 
versammlung (6.  April  1907  in  Eisenach)  auch  die  Frage  der  Ortschroniken  be- 
handeln, und  Heinrich  Sundermann  (Berlin),  der  Redakteur  der  jtft/^et{icfi^e» 
der  deutscJien  LandwirtschaftsgestlUchaft^  wollte   darüber  Bericht   erstatten. 


i)  Durch  Verfügung  des  evangelisch-lutherischen  KonsUtoriums  in  Kiel  vom  15.  Juli 
1897  wurde  angeordnet,  daß  für  jede  selbständige  Kirchgemeinde  eine  kirchliche  Ge- 
meindechronik einzurichten  sei,  deren  Bearbeitung  den  Pfarrern  znfsUlt.  Jede  Chronik 
soll  aus  drei  Teilen  bestehen,  nämlich  einem  historischen,  einem  topographisch- 
statistischen und  einem  chronikalischen.  Der  Zweck,  der  damit  verfolgt  wird, 
ist  in  erster  Linie  nicht  ein  historischer,  sondern  durch  die  Feststellung  der  gegenwärtig 
herrschenden  Zustände  und  vorkommenden  Ereignisse  soll  erstens  den  künftig  in  den  Ge- 
meinden wirkenden  Geistlichen  ein  Mittel  gegeben  werden,  aus  dem  sie  sich  über  die  ört- 
lichen Zustände  unterrichten  können,  und  zweitens  soll  auf  diese  Weise  wichtiges  Material 
für  eine  spätere  Kirchengeschichtschreibung  gesammelt  werden;  der  geschichüiche  Teil 
ist  nur  die  unvermeidliche  Ergänzung  nach  rückwärts,  so  weit  die  Quellen  eine  solche 
gestatten.  Die  einzelnen  Arbeiten  sind  nur  im  Archiv  niederzulegen,  werden  aber  nicht, 
wie  in  den  oben  erwähnten  Fällen,  in  einem  Sammelwerke  veröffentlicht  Wenn  einige 
Geistliche  ihre  Arbeiten  zum  Druck  befördert  haben,  gerade  wie  es  früher  geschehen  ist, 
so  haben  sie  als  Privatleute  und  nicht  im  amtlichen  Auftrage  gehandelt. 

2)  Vgl.  darüber  diese  Zeitschrift,  6.  Band,  S.  327 — 329. 


—     211     — 

In  Wirklichkeit  geschah  das  nicht,  aber  die  dafür  bestimmten  Ausführungen 
sind  als  Aufsatz  Zur  Frage  der  Darfchronücen  in  den  XandtcirischaftUeh" 
kistarischen  BläHem^  6.  Jahrgang  Nr.  6  (Juni  1907),  erschienen ,  und  die 
Redaktion  hat  zu  weiterer  Aussprache  über  den  Gegenstand  aufgefordert, 
ohne  dafi  bisher  jemand  das  Wort  ergriffen  hätte.  Es  ist  ohne  weiteres 
Uar,  daß  die  Sache  hier  unter  einem  ganz  anderen  Gesichtspunkte  betrachtet 
wird  als  vorhin,  dafi  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des  Dorfes,  nicht  die 
kirchlichen  im  Mittelpunkte  des  Interesses  stehen,  so  wenig  sich  auch  beide  von- 
einander ganz  trennen  lassen.  Aber  daraus  ergibt  sich  eben  nur  die  Forderung, 
daß  der  Geschichtschreiber  eines  Dorfes,  dessen  einheitliches  Wesen  Jakobsen 
zutreffend  erfaßt  hat,  alle  Lebensäußerungen  gleichmäßig  berücksichtigen  muß, 
daß  er  sich  nicht  auf  einen  Zweig,  der  ihm  besonders  nahe  li^t,  beschränken 
darf.  Wenn  sich  die  ganze  Kraft  eines  Forschers  auf  ein  räumlich  so  eng 
begrenztes  Gebiet,  wie  es  ein  Dorf  ist,  konzentriert,  dann  muß  innerhalb  des 
gegebenen  Rahmens  unbedingt  so  weit  in  die  Tiefe  und  Breite  gegangen 
werden,  wie  es  die  Verhältnisse,  vor  allem  die  Quellen,  nur  irgend  gestatten, 
und  ein  Buch  muß  die  Frucht  dieser  Studien  bilden.  Sundermann  hat  die 
Aufgabe  im  ganzen  richtig  erfieißt;  er  weiß  sehr  wohl  gute  imd  schlechte 
Ortschroniken  ^)  zu  unterscheiden;  er  weiß,  daß  Geistliche  imd  Lehrer,  die 
sich  in  der  Regel  einer  solchen  Arbeit  unterziehen,  nicht  imbedingt  das 
nötige  Verständnis  für  die  wirtschaftlichen  Dinge  besitzen  imd  fordert  im 
Interesse  der  Geschichte  der  Landwirtschaft,  daß  die  Fluranlage,  der 
Wohnbau,  die  Wirtschaftsweise  früherer  Zeit  sachgemäß  beschrieben  werden. 
Aber  die  Schwierigkeit  einer  solchen  Arbeit  scheint  er  doch  bedeutend  zu 
unterschätzen;  denn  nicht  nur  Vertrautheit  .mit  der  allgememen,  auf  dem 
Lande  schwer  zugänglichen  Literatur  ist  dazu  unbedingt  nötig,  sondern  auch 
Kenntnis  der  Forschungsprobleme,  die  auf  diesen  umstrittenen  Gebieten  die 
Fachleute  beschäftigen,  und  es  ist  überdies  grundsätzlich  zu  verlangen, 
daß  der  Bearbeiter  einer  Dor%eschichte  nicht  die  in  der  allgemeinen  Literatur 
enthaltenen  Angaben  über  Flurverfassung  imd  Wohnbau  einfach  übernimmt, 
sondern  daß  er  von  den  tatsächlichen  Verhältnissen  dieses  einen  Ortes  aus- 
geht, diese  beschreibt  imd  an  der  Hand  der  Literatur  erklärt.  Um  nun 
dem  Ziele  näher  zu  kommen,  d.  h.  um  immer  mehr  gute,  auch  der  Ge- 
schichte der  Landwirtschaft  Rechnung  tragende  Dorfgeschichten  zu  erhalten, 
fordert  Sundermann,  daß  die  Gesellschaft  für  Geschichte  und  Literatur  der 
Landwirtschaft  einen  Leitfaden  bearbeite  und  verbreite,  der  die  Aufgabe 
der  Dorfchronik  darstellen  und  Fingerzeige  für  ihre  Bearbeitung  bieten  soll. 
„Es  der  Passion  von  Heimatfreunden  zu  überlassen,  hat  insofern  seine  Schatten- 
seiten,  als  dabei  große   einheitliche  Gesichtspunkte   der  Forschung  verioren 

I )  Auf  den  begrifflichen  Unterschied  zwischen  „Chronik*'  ond  ,, Geschichtet^ 
soll  hier  nicht  weiter  eingegangen  werden,  da  die  Laien  beide  Worte  meist  unterschieds- 
los rerwenden.  Aach  Sandermann  spricht  tatsächlich  zum  größten  Tcüe  von*  der  Be- 
arbeitung Ton  Dorfgeschichten,  aber  ihm  liegt  sogleich  auch  an  der  Ftthmng  einer 
Orttchronik,  in  der  die  neuen  Ereignisse  gebucht  werden  sollen.  Diese  zweite 
Forderung  interessiert  uns  in  diesem  Zusammenhange  weiter  nicht,  rerdient  aber  an  sich 
sehr  wohl  Beachtung  und  Ifiuft  auf  dasselbe  Ziel  hinaus  wie  die  schleswig-holsteinischen 
Kirchspielschroniken  und  riele  andere  derartige  zwar  offizieU  anbefohlene,  tatsächlich 
aber  nur  in  ganz  bescheidenen  Grenzen  regelmäßig  fortgesetzte  Aniscichnuogen  der 
Zeitereignisse. 


—     212     — 

gehen.  Wohl  wird  man  die  Bearbeitung  auch  in  Zukunft  den  Herren  za 
überlassen  haben,  die  unmittelbar  im  dörflichen  Leben  stehen.  Aber  diese 
werden  anderseits  flir  Anregungen,  die  von  aufien  an  sie  herantreten,  zwetfid- 
los  empf^glich  und  dankbar  sein/* 

Die  Verwirklichung  von  Simdermanns  Vorschlag  kann  nach  meinem 
Dafürhalten  —  und  wenn  der  zu  schaffende  Leitfaden  die  gediegenste,  wissen- 
schaftlich voll  auf  der  Höhe  stehende  Arbeit  wäre  —  niemals  den  beab- 
sichtigten Erfolg  haben;  im  günstigsten  Falle  würde  er  den  Beteiligten  die 
Augen  darüber  öffnen,  welche  schwierige  Aufgabe  sie  sich  gestellt  haben, 
sie  abschrecken  und  dadurch  zur  Verminderung  der  Zahl  erbärmlicher  Dorf- 
geschichten beitragen.  Das  wäre  immerhin  ein  Nutzen,  aber  doch  gewifi 
nicht  der  beabsichtigte ;  denn  gerade  viele  imd  natürlich  gute  Arbeiten  werden 
begehrt.  Solche  werden  aber  nur  dann  entstehen,  wenn  ein  in  geschicht- 
licher Arbeit  geschulter  und  mit  den  Problemen,  die  jede  Geschichte  des 
platten  Landes  stellt,  vertrauter  Bearbeiter  an  den  Stoff  herankommt,  und 
das  sind  eben  Pfarrer  und  Lehrer  im  grofien  und  ganzen  trotz  rühmlicher 
Ausnahmen  nicht.  Es  gibt  vielleicht  kaum  eine  schwierigere  Aufgabe  als 
die  Geschichte  eines  Durchschnittsdorfes  oder  einer  Kleinstadt  ohne  hervor- 
ragende geschichtliche  Merkmale  imd  Eriebnisse  ansprechend  und  in  einer 
einigermafien  künstlerischen  Form,  zugleich  aber  flir  die  Wissenschaft  frucht- 
bringend darzustellen!  Die  am  Orte  lebenden  und  mit  ihm  verwachsenen 
Personen  können  zur  Aufklärung  der  Tatbestände  viel  beitragen,  aber  eine 
Druckschrift,  die  gern  gelesen  werden  und  nützlich  wirken  soll,  muß  auch 
literarisch  auf  einer  gewissen  Höhe  stehen,  und  zu  ihrer  Gestaltung  ist  nicht 
nur  konzentrierte  Tätigkeit,  sondern  auch  tief  gehende  Geschichtskenntnis 
erforderlich.  Um  die  ermittelten  Tatsachen  sachentsprechend  zu  bewerten, 
wichtiges  vom  Unwesentlichen  unterscheiden  zu  können,  dazu  gehört  ein 
umfassendes  Wissen  vom  Leben  der  Vergangenheit,  wie  es  erfiahrungsgemäß 
nur  durch  eigenes  kritisches  Arbeiten  erworben  wird.  Selbstverständlich  muß 
ein  guter  Dorfgeschichtschreiber  auch  die  allgemeine  Literatur,  die  landes- 
und  fachgeschichtliche  kennen,  und  er  muß  diejenigen  SpracMcenntnisse  be- 
sitzen, die  eine  sachgemäße  Verdeutschung  der  in  mittelalterlichem  Latein 
und  in  älterem  stets  dialektisch  gefärbten  Deutsch  abgefisißten  Quellen  er- 
möglichen. Das  sind  aber  Anforderungen,  die  weit  über  das  Maß  des 
Wissens  hmausgehen,  das  im  allgemeinen  bei  Liebhabern  der  Geschichte 
vorausgesetzt  werden  kann,  und  deshalb  ist  es  Unrecht,  sie  zu  Ar- 
beiten zu  reizen,  denen  sie  nicht  gewachsen  sind.  Sie  mögen 
den  Stoff  sammeln  helfen,  das  Gesammelte  sorgsam  verwahren  und  die  ihrem 
engeren  Arbeitsgebiete  nächst  liegenden  Dinge  untersuchen,  aber  die  Ver- 
arbeitung des  Stoffes  zu  einer  umfassenden,  erschöpfenden  DarsteUung  muß 
Sache  des  Fachmanns  bleiben,  wenn  die  Arbeit  dauernd  gutes  wirken  soll. 
Aber  ebenso  klar  ist  es,  daß  sich  nur  ganz  ausnahmsweise  ein  geschulter 
Forscher  finden  wird,  der  ein  Arbeitsjahr  aus  reiner  Liebe  zur  Sache  an 
eine  Dorfgeschichte  wendet ;  wer  das  an  sich  könnte,  der  sucht  sich  in  der 
Regel  anderen  Stoff  zur  Bearbeitung.  Und  deshalb  ist  es  selbstverständlich, 
daß  die  Personen  oder  Körperschaften,  die  den  ernsten  Wunsch  hegen,  eine 
ordentliche  Ortsgeschichte  zu  bekonmien,  in  ihren  Beutel  greifen  und 
einige  tausend  Mark  opfern  müssen,  damit  sich  ein  —  natürlich  von  berufener 


—     213     — 

Seite  empfohlener  und  in  entsprechender  Arbeit  bereits  bewährter  —  Fachmann 
ein  Jähr  lang  ausschließlich  mit  der  Geschichte  des  Dorfes  N.  befassen  kann. 

£in  solches  Verfahren  wird  jedoch  aller  Voraussicht  nach  nur  ganz 
vereinzelt  eingeschlagen  werden;  die  Regel  wird  es  nicht  so  leicht  bilden, 
und  deshalb  muß  der  Versuch  gemacht  werden,  dem  Ziele  auf  andere  Weise 
näher  zu  kommen:  durch  eine  Organisation  der  ortsgeschichtlichen 
Forschung  in  ähnlicher  Weise,  wie  sie  bei  der  Inventarisation  und  Beschreibung 
der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  eingeschlagen  worden  ist.  Grundsätzlich  ist 
ja  bereits  bei  den  oben  genannten  Geschichten  der  Pfarrgemeinden  so 
verfahren  worden,  aber  diese  leiden  eben  zum  größten  Teile  daran,  daß  sie 
geschichtswissenschaftliche  Laien  zu  Ver&ssem  haben  und  deswegen  den 
billig  zu  stellenden  Anforderungen  nicht  genügen;  deswegen  sind  sie  auch 
im  eigenen  Lande  verhältnismäßig  wenig  bekannt,  geschweige  denn  in  anderen 
Gebieten.  Soll  dies  anders  werden,  dann  müssen  solche  Sammelwerke  von 
geschichtlichen  Gesichtspunkten  aus  durch  geschulte  Historiker  be< 
arbeitet  werden;  das  kann  natürlich  nur  landschaftlich  geschehen,  und  die 
geschichtlichen  Landesvereine  und  Historischen  Kommissionen  müssen 
deshalb  als  Unternehmer  und  Organisatoren  der  Arbeit  auftreten. 

Eine  Anrejgung  zu  solchem  Beginnen,  und  zwar  aus  dem  Schöße  einer 
Historischen  Kommission  hervorgegangen,  liegt  bereits  seit  zwei  Jahren  vor, 
hat  aber,  wie  es  scheint,  bisher  weitere  Kreise  nicht  interessiert  Wie  in 
dieser  Zeitschrift^)  schon  mitgeteUt  Moirde,  hat  Prof.  Größler  (Eisleben) 
bei  der  Sitzung  der  Historischen  Kommission  für  die  Provinz  Sachsen  und  das 
Herzogtum  Anhalt  im  Mai  1906  den  Antrag  gestellt,  wissenschaftlich 
begründete  Heimatskunden  der  einzelnen  Kreise')  unter  die 


:i 


Vgl.  7.  Band  (1906),  S.  325. 

Vielleicht  würde  es  sich  anch  empfehlen,  in  diesem  Falle  nicht  die  moderne 
Einteilung  des  Landes  zugrunde  zu  legen,  sondern  die  nach  alten  Territorien  bzw, 
Ämtern,  weil  sich  dann  die  ältere  Geschichte  der  Verwaltungseinheiten  in  den  Rahmen 
der  Landesgeschichte  noch  besser  einfügen  würde.  Nach  diesem  Gesichtspunkte  ist  z.  B. 
die  Hiatorisch'geographisch'Statigtisehe  Besc^eUmng  der  Grafschaften  Haya  und 
Diepholg  von  H.  Gade  (Hannover,  M.  &  H.  Schaper  1901,  3  Bände  von  600  und  660 
Seiten)  bearbeitet  In  besonderen  Abteilungen  für  jede  Grafschaft  sind  Spesitüe  Ort$^ 
geschickten  zusammengestellt,  und  wenn  der  einzelnen  Siedelung  auch  nur  wenig  Raum 
gewidmet  werden  kann,  so  sind  doch  in  Hoya  744  und  in  Diepholz  139  Orte  ganz  kurz 
behandelt,  während  sich  die  beiden  ersten  Teile  mit  der  Geschichte  der  Grafschaften  im 
allgemeinen  beschäftigen.  Das  ist  unter  allen  Umständen  eine  ganz  anerkennenswerte 
Leistung,  wenn  auch  die  örtlichen  Besonderheiten  naturgemäß  nicht  so  hervortreten  können, 
wie  es  flir  die  hier  besprochenen  Zwecke  wünschenswert  ist.  Schon  die  urkundlich  über- 
lieferten Formen  des  Ortsnamens  und  die  früheste  Erwähnung  der  Siedlung  in  jedem 
einzelnen  Falle  sind  dem  Forscher  und  dem  einheimischen  Leser  in  gleicher  Weise  will- 
kommen. —  In  ähnlichen  Bahnen  wandelt  Hermann  Schotte  in  seiner  MammMurger 
Chronik  (Halle  a.  S.,  Hendel  1906,  408  S.).  Den  Gegenstand  seiner  Darstellung  bildet 
das  alte  Mansfeldische  Amt  Rammelburg,  und  während  er  sich  in  den  Abschnitten  I — IX 
und  XII  mit  den  Verhältnissen  in  dem  ganzen  Gebiete  beschäftigt,  behandelt  er  im  Ab- 
schnitt X  die  besondere  Geschichte  von  dreizehn  Dörfern  (S.  139  —  194)  und  im  Ab- 
schnitt XI  (S.  194—231)  <lie  <)«>  Marktfleckens  Wippra.  Das  ist  ein  entschieden  zweck- 
mäßiges Verfahren,  und  auch  materiell  hat  der  Jurist  Schotte  seine  Angabe  gut  gelöst; 
sein  Buch  ist  in  vieler  Hinsicht  lehrreich  und  wird  auch  den  Lehrern  im  Rammelburger 
Gebiete  für  den  heimatskundlichen  Unterricht  gute  Dienste  leisten.  Die  Flurkarte  von 
Wippra  und  die  Karte  des  Amtes,  in  die  anch  die  eingegangenen  Orte  eingetragen  sind, 
sowie  das  gute  Register  machen  das  Bach  für  viele  Zwecke  bravcbbar. 


—     214     — 

Veröffentlichungen  aufzunehmen.  Die  eingehende  Begründung,  auf 
die  besonderen  in  der  Provinz  Sachsen  bestehenden  Verhältnisse  zugeschnitten, 
nimmt  Bezug  auf  die  inmier  ausführlicher  gewordenen*  Mitteilungen  über  die 
Geschichte  jedes  Ortes  in  der  Beschreibenden  DarstdUtmg  der  älteren  Bau- 
und  Kunstdenkmäler  der  Prcvhuf  Sachsen  und  der  angrenMenden  Gebiete 
tmd  fordert,  diese  Teile  selbständlich  zu  machen,  ausführlicher  zu  gestalten 
und  durchweg  quellenmäßig  neu  zu  bearbeiten.  Die  Gründe,  die  Gröftler 
anführt,  treffen  ganz  allgemein  zu  und  verdienen  in  allen  Landschaften  be- 
herzigt zu  werden,  so  dafi  sie  hier  eine  Stelle  finden  mögen.     Er  sagt: 

1.  Die  Heimatskunden  sind  schließlich  das  Ziel,  dem  idle  die  vor- 
bereitenden Arbeiten  für  Geschichtsquellen  usw.  zustreben  und  dem 
sie  dienen  sollen.  Das  Bauholz  muß  endlich  doch  einmal  zu 
Bauten  verwandt  werden. 

2.  Es  wird  hohe  Zeit,  die  wie  Pilze  aus  der  Erde  schießenden,  meist 
von  seminaristisch  gebildeten  Lehrern  geschriebenen,  mehr  oder 
minder  kritiklosen  und  wegen  Nichtbenutzung  der  neuerschlossenen 
QueUen  ganz  imzulänglichen  Heimatskunden  durch  solche  mit  besseren 
Eigenschaften  zurückzudrängen;  sonst  wird  es  kaum  mehr  möglich 
werden,  die  vielfach  darin  enthaltenen  Irrtümer  aus^rotten. 

3.  Da  eine  Heimatskunde  im  richtigen  Sinne  das  Ergebnis  selbständiger, 
mühevoller  Forschung  sein  wird ,  so  verdient  sie  auch  eine  selb- 
ständige Erscheinungsform.  In  der  bisherigen  Vergesellschaftung 
und  imter  dem  bisherigen  Titel  kann  sie  die  von  ihr  zu  erwartende 
Wirkung  nicht  ausüben.  Wozu  sollen  heimatskundliche  Forschungen 
nur  Magddienste  für  die  Baudenkmälerbeschreibungen  tun?  Aus- 
nutzen mögen  letztere  für  neue  Auflagen  die  ersteren  unter  gebüh- 
render Angabe  der  Quelle,  aus  der  sie  schöpfen,  aber  keinesfalls 
die  selbständige  Herausgabe  von  Heimatskunden  verhindern,  denn 
was  sind  sie  denn  im  Grunde  anders,  als  ein  selbtändiger  Ausschnitt 
aus  der  sie  mit  um&ssenden  Heimatskunde? 

Die  Wüstungsverzeichnisse  sind  in  ihrer  gegenwärtigen  Fonn 
wesentlich  Geschichtsquellen,  haben  also  auch  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  der  Heimatskunde  zu  dienen.  Aber  sie  befassen  sich  nur 
mit  einem  längst  erstorbenen,  jedoch  immerhin  von  der  geschicht- 
lichen Betrachtung  zu  beachtenden  Leben;  die  Hauptaufgabe  der 
letzteren  wird  aber  eine  Geschichte  der  noch  bestehenden  und  zum 
Teil  zu  immer  größerer  Blüte  gelangten  Gemeinwesen  und  Bezirke 
sein,  für  die  sich  die  lebenden  und  die  nachfolgenden  Geschlechter 
vorzugsweise  interessieren  werden. 

4.  Heimatskunden  der  angedeuteten  Art  werden  das  beste  Mittel  sein, 
um  die  große  Masse  der  Gebildeten  und  nach  Bildung  Strebenden 
für  die  Aufgaben  der  Historischen  Kommission  zu  erwärmen  und 
den  Beweis  zu  liefern,  daß  die  von  der  Provinz  gewährten  Gelder 
eine  der  Provinz  dienende  Anlage  sind.  Damit  aber  diese  Heimats- 
kunden leichter  in  weitere  Leserkreise  eindringen  können,  muß  die 
Möglichkeit  gegeben  sein,  sie  billig  zu  erwerben.  In  den  Baudenk- 
mälerbeschreibungen lebten  sie  zwar  diesen  einen  großen  Dienst, 
kommen  aber  nicht  zu  ihrer  vollen  Wirkung,  weil  nur  wenige  sich 


—     215     — 

die    ziemlich   teueren  Baudenkmäler   kaufen   können   oder  mögen. 
Es   dürfte   sich   daher  empfehlen,   zwar  die  Stadt-  und  Landkreise 
als  Rahmen  der  Darstellung  anzunehmen,  aber  innerhalb  der  Land- 
kreise  die   Darstelltmg  wieder  nach   Amtsbezirken    oder    kleineren 
Städten   zu   federn,   so  daß  die  Heimatskunde  eines  Kreises  aus 
einer  Anzahl  von  Liefenmgen  besteht,   deren  jede   die  Geschichte 
einer  Anzahl   von  Dörfern   oder  einer  Stadt  umfaßt  und  für  einen 
geringen  Preis   auch   allein   zu   haben   ist     Dann  wird  der  Absatz 
voraussichtlich  ein  guter  sein. 
Die  Beschlußfassung  über  den  Gegenstand  wurde  1906  auf  die  nächste 
Sitzung  (1907)   verschoben,   und  in  dieser  erhidt  eine  sechsgliedrige  Kom- 
mission ^)    den  Auftrag,   den   Arbeitsplan   näher  zu  beraten.     Wer  die  Ver- 
hältnisse kennt,  wer  weiß,  wie  unzulänglich  die  für  den  Schulunterricht  in  der 
Heimatskunde  meist  zur  VerfÜgimg  stehenden  Schriftchen  sind,  der  wird  auch 
begreifen,  welche  Bedeutung  der  von  Größler  gegebenen  Anregimg  für  die 
Volkserziehuug  zukonmit;   es  handelt  sich  um  eine  sozialpolitisch  hoch 
wichtige  Sache,  die  eine  reichliche  materieUe  Unterstützung  aus   öfientlichen 
Mitteln  zwar  braucht,   aber  auch  in  vollem  Maße  verdient.     Wenn  oft  aus- 
gesprochen  wird,   daß   es  an  den    erforderlichen  Arbeitskräften  fehle,   um 
verhältnismäßig  schnell  ein  solches  Werk  vorwärts  zu  führen,  so  ist  das  eine 
durchaus   fedsche   Auffassung.     Die   Arbeitskräfte,   und   zwar  tüchtige,   sind 
sofort  vorhanden,  wenn  ihre  Tätigkeit  den  entsprechenden  Lohn  bringt,  aber 
für   ein   Bogenhonorar  von  30 — 60  Mark   kann  natürlich   nur  derjenige 
eine  wissenschaftlich  begründete  Heimatskunde  für  ein  Dorf  oder  sämtliche 
Gemeinden  eines  Verwaltungsbezirks  schreiben,  der  von  seinen  Renten  lebt. 
Nebenbei,  in  einigen  Mußestunden,  lassen  sich  solche  Arbeiten  auch  nur  schlecht 
erledigen,  und  sie  nehmen  dann  vor  allen  eine  ganz  unverhältnismäßig  lange 
Zeit  in  Anspruch. 

Rein  wirtschaftlich  betrachtet,  d.  h.  vom  Standpunkte  der  Arbeitsökono- 
mie, ist  es  ganz  zweifeUos  das  einzig  Zweckmäßige,  wenn  ein  Forscher  ein 
eng  abgegrenztes  Gebiet  vollständig  .bearbeitet,  schon  weil  die  hand- 
schriftlichen QueUen  für  alle  darin  gelegenen  Orte,  soweit  sie  in  den  2^ntral- 
archiven  liegen,  vielfach  ineinander  greifen  und  weü  die  allgemeine  Literatur 
für  jeden  Ort  dieselbe  ist.  Für  die  Erklärung  der  individueUen  Erscheinungen 
kann  eine  Vergleichung  der  Nachbarorte  nur  von  Nutzen  sein ,  und  in  der 
Darstellung  braucht  vieles  nur  einmal  gesagt  zu  werden,  was  bei  einzeln 
dastehenden  Ortsgeschichten  in  jeder  wiederholt  werden  müßte.  Mag  man 
die  Bezirke  wählen  wie  man  will,  nur  nicht  zu  groß,  dann  wird  es  möglich 
sein,  in  einem  einleitenden  Hefte  alles  allgemein  für  den  ganzen  Bezirk 
giltige  —  z.  B.  die  Flurverhältnisse  —  darzustellen  und  dann  in  Einzel- 
heften für  je  eine  Gemeinde  oder  auch  für  zwei  enger  verbundene  die  Nach- 
richten über  das  Besondere  folgen  zu  lassen.  Mit  Erfolg  wird  übrigens  wohl 
nur  dort  gearbeitet  werden  können,  wo  die  sogenaimten  kleinen  Archive 
schön  bereist  sind  imd  die  Kunstdenkmälerbeschreibung  vorli^.  Trifit 
beides  zu,  dann  ist  es  durchaus  möglich  in  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  etwas  ab- 
schließendes zu  liefern,  den  Bezirkseingesessenen  ein  gern  gesehenes  Lesebuch, 


i)  Siehe  diese  ZeiUchrift,  oben  S.  24. 

16 


—     216     — 

den  Lehrern  einen  brauchbaren  Leit^Eiden  für  den  Untericht  in  der  Heimats- 
kunde  und  der  landesgeschichtlichen  Forschung  ein  überaus  wertroUes  Hi&- 
mittel  zu  geben,  wenn  sie  Einzelheiten  um  ihrer  selbst  willen  oder  als  konkrete 
Belege  für  gewisse  typische  Vorgänge  benötigt. 

Das  im  Vorstehenden  entwickelte  Programm  hat  die  Annahme  zur 
Voraussetzung,  dafi  es  einem  geschulten  Geschichtsforscher  möglich  ist,  auch 
den  für  ein  beliebiges  Hhirchschnittsdorf  vorliegenden  viel&ch  lückenhaften 
Quellenstoff  zu  einer  wissenschaftlich  wertvollen  und  zugleich  für  weitere  Kreise 
—  insbesondere  die  Ortsbewohner  —  lehrreichen  Darstellung  zu  verarbeiten. 
Ein  auf  alle  Fälle  anwendbares  Rezept,  mit  dessen  Hilfe  das  Ziel  zu  erreichen 
wäre,  gibt  es  natürlich  nicht  und  kann  es  nicht  geben;  dazu  sind  die  tat* 
sächlichen  Zustände  und  die  Arten  der  Überliefenmg  zu  verschieden.  Indes 
möglich  und,  wie  schon  oben  gesagt  wurde,  für  den  angehenden  Orts- 
geschichtschreiber empfehlenswert  ist  es,  verschiedene,  aus  ganz  verschiedenen 
Verhältnissen  erwachsene  gute  Ortsgeschichten  eingehend  zu  studieren  und 
nicht  nur  ihre  Ergebnisse,  sondern  vor  allem  auch  die  Arbeitsweise  und  die 
Fragestellung  der  Verfasser  zu  verfolgen.  Das  ist  jedoch  dem  einzelnen 
Arbeiter  immer  nur  möglich,  wenn  er  auf  solche  Bücher  aufinerksam 
gemacht  wird,  und  deswegen  sei  hier  neben  älteren  als  gute  Orts- 
geschichten empfohlenen  Büchern  ')  noch  auf  eine  neue  Schrift  hingewiesen, 
die  in  vieler  Hinsicht  als  vorbildlich  bezeichnet  werden  muß,  nämlich: 
Oeschichte  des  Dorfes  Leuba  in  der  Königlich  Sächsischen  Oberlausitg, 
nach  archivalischen  Quellen  bearbeitet  von  Richard  Doehler  (Zittau,  in 
Kommission  bei  Arthur  Graun  —  Olivas  Buchhandlung  —  1907.  199  S.  8*^). 

Der  Verfasser  ist  der  langjährige  Pfarrer  des  Ortes,  tmd  die  genaue  Be- 
kanntschaft mit  den  örtlichen  Verhältnissen  kommt  ihm  selbstverständlich  zu 
statten.  Aber  gerade  wenn  man  sein  Buch  mit  den  Schriften  anderer  Orts- 
pfarrer vergleicht,  die  ihre  Gemeinde  gewiß  ebenso  gut  kennen  und  nicht 
weniger  lieben,  wird  ersichtlich,  daß  die  persönliche  Beziehung,  so  wertvoll 
sie  ist,  doch  nicht  für  das  Gelingen  den  Ausschlag  gibt,  sondern  vielmehr 
die  geschichtliche  Bildung  und  die  Vertrautheit  mit  der  wissen- 
schaftlichen Arbeit.  Doehler  hat  sich  bereits  mehrfach  als  Historiker 
bewährt,  vor  allem  als  Herausgeber  bezw.  Bearbeiter  der  Urkunden  des  Klosters 
Marienthal  und  der  des  Stiftes  Joachimstein  *),  die  er  auch  in  dem  vorliegenden 
Werke  ausgiebig  benutzt;  er  hat  seiner  Pflicht  als  Forscher  getreu  durchweg 
aus  den  ersten  QueUen  geschöpft  und  demgemäß  außer  dem  Pfiärr-  und 
Gemeindearchiv  zu  Leuba  das  Ratsarchiv  in  Görlitz,  die  dortige  Milichsche 
Bibliothek  und  das  Dresdner  Hauptstaatsarchiv  benutzt,  sich  aber  dabei  nicht 
auf  einige  Brocken  beschränkt,  wie  man  sie  in  einigen  Stunden  zusanmien- 
raflt,  sondern  er  hat  systematisch  gearbeitet  und  ist  gründlich  den  Dingen 
nachgegangen,  so  weit  sie  nur  irgend  für  seinen  Zweck  Bedeutung  besaßen. 
Der  Leser  vergißt  allmählich,  daß  ein  bescheidenes  Dorf  im  Mittelpunkte  der 


i)  Albert:  Steinbach  hei  Mudau  (Freibars:  i.  B.  1899);  John:  OberMma, 
Geschichte  wnd  VbUcshwnde  eines  egerländer  Dorfes  [»  Beiträge  zur  Dentsch-böhmiflchea 
Volkikiuidc  IV,  2],  Prag  1903;  Trauer:  Chronik  des  Dorfes  Marieney  i.  V.  (Pümen 
i.  V.  1903). 

2)  Beide  sind  im  Neuen  Latuitzischen  Magazin  reröffentlicht  nnd  zwar  in  Band  78 
(1902)  and  in  Band-  81  (1905). 


—     217     — 

Darstellung  steht;  er  steht  vielmehr  in  den  erzählten  Ebzelheiten  das  Typische, 
tmd  so  wird  das  statdiche,  gut  ausgestattete,  mit  Abbildungen  und  der 
unentbehrlichen  Flurkarte  ^)  geschmückte  Buch  ein  wertvoller  Beitrag  zur 
oberlausitzer  Landesgeschichte.  Nicht  etwa  nur  die  mit  Liebe  verfolgte 
Geschichte  der  in  Frage  kommenden  Adelsgeschlechter  (v.  Gersdor£f,  v.  Üchtritz» 
v.  Schweinitz,  v.  Trautmannsdorf)  und  die  wichtige  Beziehimg  Leubas  als 
eines  Görlitzer  Weichbilddorfes  allein  rechtfertigen  diese  Wertung ,  sondern 
der  Blick  des  Verfassers  für  alle  im  Dasein  eines  Dorfes  wesentlichen  Er- 
scheinungen hat  dazu  verholfen,  dafi  ein  Bild  oberlausitzischer  Dorfzustände 
überhaupt  entstanden  ist.  Mögen  die  Herren  in  anderen  Dörfern  anders  beiden 
und  mögen  in  die  äußere  Geschichte  anderer  Orte  mancherlei  verschiedene 
Dinge  hereinspielen,  die  Beziehungen  der  Herrschaften  zu  ihren  Dörfern  und 
die  wirtschaftlichen  und  sozialen  Verhältnisse  in  letzteren  sind  im  großen 
und  ganzen  in  eber  Landschaft  die  nämlichen;  und  wenn  50  Nachbar- 
dörfer in  gleicher  Weise  genau  untersucht  werden,  sind  deshalb  immer  wieder 
dieselben  Bilder  mit  relativ  kleinen  Abweichungen  in  den  Einzelzügen  zu  er- 
blicken. Aus  dieser  in  den  Tatsachen  des  Lebens  begründeten  Eigenart  der 
Verhältnisse  ergibt  sich  wie  für  jede  gute  Ortsgeschichte  so  auch  für  die 
Leubas  ihre  Bedeutung  für  die  Landesgeschichte,  wie  umgekehrt  nur  die 
Vertrautheit  mit  der  besonderen  Geschichte  der  Landschaft  und  ihrer  Ge- 
schichtsliteratur die  richtige  Bewertung  aller  den  Quellen  zu  entnehmenden 
Angaben  ermöglicht 

Doehler  hat  den  Stoff  in  drei  Hauptabschnitte  gegliedert:  Geschichte 
der  politischen  Gemeinde,  Geschichte  der  Kirchgemeinde  und  Kriegs- 
ereignisse; es  folgt  dann  eine  Zuzanunenstellung  der  Leuba  betreffenden  Ur- 
kimden,  zumeist  in  Regestenform,  seit  14 13,  unter  denen  die  Ehdingsordnung 
von  1595  (S.  185 — 189)  als  Beispiel  einer  eingehenden  Dorfordnung  besondere 
Beachttmg  verdient,  und  im  Anhang  werden  die  Besitzerreihen  der  1 3  Bauern- 
güter imd  des  Kretschams  mitgeteUt.  —  Die  Kriegsnöte,  die  Leuba  heim- 
gesucht haben,  wie  sie  S.  151 — 172  kurz  zusammengestellt  sind,  bilden  zwar 
nicht  einen  natumotwendigen  Teil  der  Ortsgeschichte,  aber  mittelbar  werden 
durch  die  Schüderung  der  Ereignisse,  die  sich  in  den  Hussitenkriegen,  den 
Türkenkriegeh,  im  Dreißigjährigen  Kriege  in  den  Schwedenkriegen,  den  Schle- 
sischen  Kriegen,  den  Franzosenkriegen  1806 — 181 5  und  im  Kriege  von 
1866  in  und  bei  Leuba  zugetragen  haben,  auch  die  Verhältnisse  im  Dorfe 
beleuchtet;  so  z.  B.  der  Viehstand  (S.  168)  in  der  Gemeinde.  Besonders 
wichtig  sind  diese  Kriegsereignisse  (S.  152),  weil  sie  das  Material  an  die 
Hand  geben,  um  die  geographische  Lage  des  Ortes  an  der  Görlitz-Zittauer 
Straße,  über  die  auch  S.  94 — 96  selbständig  gehandelt  wird,  richtg  zu 
bewerten.  Besser  wäre  das  vielleicht  noch  geschehen,  weim  die  einzelnen 
den  Quellen  entlockten  Zügen  in  Verbindung  mit  der  Schilderung  der  Zu- 
stände, die  sie  beleuchten,  Erwähnung  gefunden  hätten.     Indessen  in  dem 


i)  Daß  eine  wisseoschaAlicb  gearbeitete  Dorfgeschichte  ohne  bUdliche  Anschauung 
der  Dorfflar  ganz  andenkbar  ist,  leuchtet  ohne  weiteres  ein.  Vgl.  diese  Zeitschrift, 
4.  Band,  S.  314  Anm.  2.  Sehr  erleichtert  wird  in  Sachsen  nicht  nnr  die  VeröffentUchong 
einer  Flnrkarte,  sondern  aoch  die  vergleichende  Verwertung  rieler  durch  die  nunmehr 
vollendete  photographische  Reproduktion  sämüicher  sächsischer  Flurkrokis  aus  der  Zeit 
vor  der  Grundstttckzusammenlegung.     Vgl.  oben  S.  23. 

16  ♦ 


—     218     — 

madigen  Umfange  und  weil  der  Verfasser  nur  örtliche  Quellen  benutzt,  nicht 
aber  —  wie  so  mancher  andere  —  fem  liegendes  heranzieht  und  übennädig 
wek  ausholt,  ist  auch  dieser  Teil  des  Buches  dankbar  zu  begrüßen.  Nur 
wenn  so  unter  Benutzung  der  örtlichen  Rechnungen  und  Akten  ins  einzelne 
gegangen  wird,  besteht  die  Möglichkeit,  unter  Umständen  der  allgemeinen 
G^chichte  eines  Krieges,  auch  in  neuerer  Zeit,  etwaige  bisher  unbekannte 
Züge  einztiftigen,  wenn  auch  im  aUgemeinen  in  dieser  Richtung  von  der  Orts- 
geschichte nicht  zu  viel  erwartet  werden  darf.  Bedeutenden  Nutzen  haben 
solche  Feststellungen  jedoch  für  den  Unterricht,  weU  im  Bewußtsein  der 
Schüler  die  Ereignisse,  deren  Schauplatz  sie  genau  kennen,  viel  tiefer  haften 
und  weU  sich  die  Opfer,  die  ein  Krieg  im  allgemeinen  forderte,  an  dem 
Beispiele  der  eigenen  Heimat  leicht  yeranschaulichen  lassen  ').  Soll  die  Dar- 
stellung aber  diesen  Zweck  erfüllen,  dann  darf  sie  auch  nicht  allzusehr  in 
die  Einzelheiten  gehen.  Die  Schlußzahlen  der  Rechnungen  —  z.  B.  über 
die  entstandenen  Verluste  während  der  Zeit,  da  der  Ort  militärisch  besetzt 
war —  soUen  bestimmte  vergleichbare  Gesamtvorstellungen  wecken,  während 
genaue  Rechnungen,  die  uns  über  die  Zusanmiensetzung  der  Summen  auf- 
klären, nur  dann  gerechtfertigt  sind,  wenn  sie  uns  Zustände  erkennen  helfen, 
die  aus  direkten  Quellen  nicht  zu  ermitteln  sind,  d.  h.  wenn  wir  sie  als 
Rohmaterial  für  eine  Wirtschaft-  oder  Sozialstatistik  benutzen  *). 

Der  Schwerpunkt  von  Doehlers  DarsteUung  liegt  begreiflicherweise  in 
den  beiden  ersten  TeUen,  die  sich  mit  der  Dorfgemeinde  und  dem  Kirch- 
spiele beschäftigen  und  die  in  sachentsprechende  Unterabschnitte  gegliedert 
sind.  Die  entschieden  wichtigsten  und  für  jeden  Forscher,  der  sich  mit  den 
Zuständen  im  Kolonisationsgebiete  beschäftigt,  lesenswerten  sind  diejenigen 
über  die  Flur-  und  Untertanenverhältnisse  (S.  34—  63)  und  über  das  Gerichts- 
wesen (S.  63  —  77);   innerhalb   letzteren  Abschnitts   wird  neben   der  Ober- 


i)  Mit  grofiem  Geschick  bat  Naa mann  in  seinem  Heimatkundliehmi  Vademecum 
für  die  Lehrer  der  Epharie  EckarUberga  i.  Heft  (Eckartsberga  1907)  diesen  Gedanken 
für  sein  Gebiet  dorckgeftthrt ,  indem  er  neben  anderen  Aufsätzen  solche  über  die  Teü' 
niikme  unserer  Oegend  am  Bauernkriege  (S.  38 — 46),  ttber  die  örtUchen  Bedehangen 
snr  Schlacht  bei  Rofibach  (S.  47 — 50,  54 — 67)  und  sn  der  bei  Anerstedt  (S.  68 — loa) 
bietet.  Trotzdem  bleibt  grundsätzlich  zu  beherzigen,  daü  die  Ortsgeschichte  ihrem  Wesen 
nach  nichts  mit  den  mehr  oder  weniger  zahlreichen  groflen  Weltbändeln  zu  tun  hat,  die 
sich  zufallig  in  der  Nähe  des  Ortes  zugetragen  haben:  das  sind  immer  nur  Episoden. 
Die  Erforschung  der  Ortsgescfaichte  bezweckt  vielmehr  die  Klarl^ung  der  örtlichen 
Indiridualität,  sie  will  das  innere  Wesen  des  Ortes  als  solchen,  als  selbständigen 
Gliedes  eines  Ganzen  begreifen.  Vgl.  dazu  meinen  Aufsatz  Cfrimmas  Sieüung  in  der 
deutschen  Geschichte  im  Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts- 
nnd  Altertumsvereine,  53.  Jahrgang  (1904),  Sp.  265 — 276. 

2)  Auch  das  mufi  mit  groficr  Vorsicht  geschehen!  Wie  ich  in  einem  kleinen 
Aufsatze  EutritMScher  Kriegsnöte  im  Jahre  1745  (Leipziger  Kalender,  $.  Jahrgang, 
1908,  S.  87)  mitteUte,  verloren  die  Eutritzscher  Bauern  durch  die  Preußen  80  Stück  Rind- 
vieh, 288  Schafe,  52  Schweine  und  586  Stück  Federvieh,  aber  nur  i  Pferd  und  2  Fohlen. 
Wenn  man  diese  Zahlen  in  einer  offiziellen  Rechnung  liest,  dann  liegt  für  den  Wirt- 
schaftshistoriker der  Schlufl  nahe,  dafl  man  damals  nur  außerordentlich  wenig  Pferde 
im  Dorfe  gebalten  habe.  Das  ist  aber  falsch,  wie  uns  in  diesem  Falle  der  zeitgenössische 
Bericht  selbst  sagt.  Pferde  fanden  die  Preußen  deswegen  so  wenig  vor,  weil  diese  Ton 
den  fliehenden  Sachsen  als  Vorspann  benutzt  worden  waren. '  Solche  Erfahmngen  lassen 
es  geraten  erscheinen,  immer  alle  Umstände  zu  berücksidttigen  und  nicht  voreilige  Trug- 
schlüsse zu  ziehen. 


—     219     — 

gerichtsbarkeit  das  Dorfgericht  und  der  Kretscham  erstens  als  Erbgericht, 
zweitens  als  Bierschankstätte  behandelt.  Recht  erfreulich  ist  die  Verzeichnung 
sämtlicher  Flurnamen  (S.  43 — 48),  weil  der  Leser  ein  Gesamtbild  dieser 
als  Quellen  bedeutenden  Bezeichnungen  gewinnt  und  nicht  nur  einige  aus- 
gewählte Namen  vor  sich  sieht.  Natürlich  werden  neben  den  Verhältnissen 
der  älteren  Zeit  auch  solche  des  XIX,  Jahrhtmderts  und  sogar  der  allemeuesten 
Zeit  beschrieben,  aber  es  wird  erfreuücherweise  auch  bei  der  Schilderung  der 
Gegenwartszustände  Maß  gehalten  und  nicht,  wie  so  oft,  allzuviel  geboten.  Das 
Mitgeteilte  wird  aber  nicht  nur  in  der  engeren  Heimat,  sondern  auch  in  anderen 
Landschaften  mit  anderen  Gebräuchen  und  Einrichtungen  gern  gelesen  werden. 

Für  allgemeinere  Arbeiten  wertvolles  Material,  das  in  einer  Form  mit- 
geteilt wird,  die  ein  Weiterforschen  ermöglicht,  findet  sich  fast  auf  jeder 
Seite.  Es  seien  hier  einige  Einzelheiten  herausgegriffen!  Belege  für  die 
Auskaufimg  von  Bauern  durch  einen  Junker  (152 1  ff.)  finden  sich  S.  37 — 38 
imd  S.  61;  jeder  Wirt  durfte  1499  auf  die  gemeine  Weide,  di  arm  und 
reich  ist,  2$  Schafe  treiben,  imd  es  wurde  damals  auch  ein  gemeiner  Hirt 
angenommen  (S.  50);  die  Rechtsverhältnisse  der  in  Bauern,  Gärtner  und 
Häusler  zerfallenden  Hintersassen  des  Klosters  Marienthal  in  Oberieuba  bis 
1840  werden  S.  57  —  58  beschrieben;  die  Hintersassen  des  Junkers  zu 
Niederleuba  dagegen  zerfallen  in  Bauern,  Hofegärtner,  Kleingärtner  und 
Häusler  (S.  59);  im  XVIU.  Jahrhundert  gab  es  in  Leuba  einen  Pranger, 
S.  68 ;  das  älteste ,  jetzt  verschollene,  aber  im  Auszug  erhaltene  Schoppen- 
buch  des  Dorfes  (begonnen  1498)  enthält  die  Ordnimg  der  für  Einträge 
imd  Auszüge  zu  entrichtenden  Gebühren  (S.  .71),  setzt  also  eine  geordnete 
GeschäfbfÜhrung  beim  Dorfgericht  voraus;  das  städtische  Bierschankrecht 
und  der  typische  Streit  um  die  Dorfwirtshäuser  zwischen  Görlitz  und  Zittau 
seit  1488  wird  S.  74  geschildert;  eine  Turmuhr  erhielt  die  Kirche  zuerst 
1676  (S.  109);  die  älteste  der  nachweisbaren  Glocken  wurde  1668  von 
Andreas  Herold  in  Dresden  gegossen,  während  man  später  Reichenberger 
imd  Sorauer  Giefier  in  Nahrung  setzte  (S.  109);  durch  den  Kirchenlieder 
dichtenden  PfiEtrrer  ToUmann  (gest  1765)  erhielt  Leuba  an  Stelle  des  bis 
dahin  üblichen  Görlitzer  ein  eigenes  Gesangbuch  (S.  131);  die  ortsübliche 
Bezeichnung  für  die  Gesamtheit  der  P&rrgnmdstücke  lautet  widmut  (S.  140), 
ganz  ähnlich  dem  dafür  im  Rheinland  üblichen  Ausdrucke  Wittum  gebildet 

Diese  Proben  mögen  genügen.  Aber  ehe  wir  von  Doehlers  freudig  zu 
begrüßenden  Buche  Abschied  nehmen,  muß  doch  noch  die  Aufinerksamkeit 
auf  einige  Einzelheiten  gelenkt  werden,  bezüglich  deren  der  Forscher  mit 
allgemeineren  Zielen  gern  mehr  gesehen  hätte,  vor  allem  deswegen,  weil 
die  gewissenhafte  Art  der  Quellenbenutzung  die  Gewähr  für  zuverlässige  An- 
gaben geboten  hätte.  Es  ist  ja  klar,  daß  der  Verfasser  sich  noch  mit  vielen 
Dingen  beschäftigt  hat,  die  er  wegen  unzureichender  Ergebnisse  nicht  aus- 
führlicher behandelt,  aber,  wie  es  scheint,  sind  ihm  doch  auch  manche 
nahe  liegende  Dinge  entgangen  oder  nicht  wichtig  genug  erschienen,  weil 
er  die  Gesamtheit  namentlich  der  wirtschaftsgeschichtlichen  Probleme  nicht 
genügend   überblickt*).      So   hätte   z.  B.    das   alte    im    XVIIL   Jahrhundert 


i)  Der  Landwirtschaflsbittoriker  findet   deshalb   nicht  diejenige  Belehrung,   die   er 
erwarten  sa  dürfen  glaubt. 


—     220     — 

herrschende  Steuersystem,  von  dem  S.  8i  die  Rede  ist,  genauer  geschildert 
werden  sollen,  und  ebenso  die  alte  Ver&ssung  und  Verwaltung  der  Dorf- 
gemeinde. Bei  der  Erwähnung  der  älteren  Feuerpolizei  S.  87  hätten  die 
Artikel  10  und  11  der  Ehdingsordnung  Ton  1595  (S.  186)  genauer  heran- 
gezogen, überhaupt  das  dörfliche  Feuerlöschwesen  der  Oberlausitz  vom  XVI. 
bis  XVUI.  Jahrhundert  eingehender  geschildert  werden  müssen.  Es  wäre 
hier  durchaus  am  Hatze  gewesen,  die  allgemeinen  landesgesetzlichen  Be- 
stimmungen heranzuziehen  und  die  ördichen  Angaben  daran  zu  messen;  erst 
das  Mandat  vom  30.  Juli  1689  ordnet  für  die  Oberlausitz  ')  allgemein  die 
Errichtung  örtlicher  Feuerordnimgen  an,  wie  eine  in  Leuba  im  Kern  schon  1595 
vorhanden  war,  und  dieses  Verhältnis  ist  doch  nicht  ganz  unwesentlich.  £^ 
älteste  Brandkataster  von  1788  hätte  vermutlich  über  die  Zahl  der  Wohn- 
stätten und  ihren  relativen  Wert  Anhaltspunkte  geben  können.  Sind  ältere 
Kirchenvisitationsakten  überhaupt  nicht  vorhanden?  Als  erste  Visitation  wird 
S.  150  die  von  1824  genannt.  Vermifit  wird  auch  eine  statistische  Aus- 
beutung der  16 14  beginnenden  (S.  128)  Kirchenbücher,  die  interessante 
Aufschlüsse  über  die  Bevölkerungsvorgänge  zu  geben  pflegen;  die  Summen 
der  Taufen,  Trauungen  und  Sterbefälle  in  den  einzelnen  Jahren  sind  stets 
interessant.  Ein  klares  Bild  von  der  2^1  der  jeweib  vorhandenen  Haus- 
haltungen und  der  Einwohner  gewinnt  der  Leser  nicht;  sogar  nach  der 
modernen  Einwohnerzahl  (528)  habe  ich  vergeblich  gesucht.  Die  für  die 
Ausbildung  der  Rittergutswirtschaft  überaus  wichtigen  Angaben  über  die 
Schafweide  des  Junkers  1532  und  1536  (S.  174,  179)  werden  nicht  ge- 
würdigt, nicht  mit  dem  Weiderecht  der  Bauern  imd  der  Auskaufung  in  Ver- 
bindung gebracht,  obwohl  das  Material  offen  da  liegt.  Der  mitgeteilte  Ur- 
kundenstoff hätte  sich  entschieden  noch  stärker  inhaltlich  ausbeuten  imd 
dann  etwas  einschränken  lassen.  Mit  1697  brechen  die  Quellenauszüge  ab. 
Warum?  Lagen  aus  dem  XVIII.  Jahrhundert  keine  derartigen  Schriftstücke 
vor?  Es  scheint  mir  ein  anderer  Umstand  daran  schuld  zu  sein,  nämlich 
die  Vertrautheit  des  Verfassers  mit  den  Quellen  und  Problemen  der  mittel- 
alterlichen Geschichte,  der  ein  gleiches  Interesse  für  die  neuere  Zeit,  nament- 
lich das  XVüI.  Jahrhundert,  nicht  entspricht;  denn  bei  der  Behandlung  des 
XIX.  Jahrhunderts  und  der  modernen  Verhältnisse  kommen  für  ihn  eben 
andere  als  geschichtliche  Gesichtspunkte  in  Betracht.  Ein  entschiedener 
Mangel  ist  dagegen  das  Fehlen  eines  Registers! 

Diese  Ausstellungen  sollen  die  Freude  an  der  Geschichte  Leubas  nicht 
trüben;  sie  wurden  hier  auch  weniger  im  Sinne  der  Kritik  angeführt,  vielmehr, 
um  zu  zeigen,  daß  auch  in  guten  Büchern  manches  noch  anders  sein  kann, 
und  zugleich,  um  anderen  Ortsgeschichtschreibem  Fingerzeige  zu  geben,  in 
welcher  Richtung  sie  Untersuchungen  anstellen  müssen. 

Als  Gegenstück  zu  der  Arbeit  Doehlers  möchte  ich  auch  noch  den 
Blick  auf  ein  Buch  lenken,  das  als  warnendes  Beispiel  angeführt  werden 
muß ;  ich  meine  Chronik  von  Lauchheim,  Geschichte  der  ehemaligen  Deutsch- 
ordenskommende  Kapfenburg.  AusschliefiUch  nach  den  Quellen  von  Dr.  August 
Gerlach,  Stadtarzt  in  Lauchheim.    Mit  62  Abbildungen  und  einer  Original- 


1)  CoUection  derer  den  Statum  des  Marggrafihums  Ober-Laimtz  . . .  betreffenden 
Sachen.     Tom.  I  (1770),  S.  784—785. 


—     221     — 

umschlagzeichnuDg  von  Prof.  G.  Mayer-Franken  in  München  (EUwangen,  Franz 
Bücher,  1907.     363  S.  8*^.     M.  3,00). 

Lauchheim  ist  eine  kleine  württembergische  Stadt  von  etwas  über  1000 
Einwohnern,  aber  infolge  des  Umstandes,  dafi  der  Deutsche  Orden  1364 
die  Burg  Kapfenburg  erwarb,  dafi  er  1430  den  Ort  Lauchheim,  in  dem  seit 
1402  drei  Jahrmärkte  gehalten  wurden,  befestigte  und  bis  1806  beide  besaß, 
gewinnen  Burg  und  Stadt  nicht  nur  ein  allgemeineres  Interesse,  sondern  die 
innere  Entwicklung  des  Gemeinwesens  muß  auch  besondere  Züge  aufweisen, 
durch  die  es  sich  von  der  Umgebung  unterscheidet.  Der  Ort,  mit  dem 
sich  Gerlach  beschäftigt,  bildet  infolge  dieser  Umstände  ganz  tmstreitig  einen 
viel  verlockenderen  Gegenstand  für  den  Geschichtsforscher  als  das  Dorf  Leuba, 
und  dennoch  ist  das  Buch  in  jeder  Hinsicht  unbefriedigend,  ein  typisches 
Beispiel  dafür,  wie  eine  Ortsgeschichte  nicht  sein  soll.  Dem  Verfasser  mag 
ein  solches  Urteil  wehe  tun,  aber  er  wird  vielleicht  auch  selbst  empfinden, 
inwiefern  seine  Darstellimg  unzureichend  ist.  Daß  sich  der  viel  beschäftigte 
Arzt  mit  großer  Liebe  in  die  Vergangenheit  seines  neuen  Wohnsitzes  ver- 
senkt und  überaus  fleißig  gesammelt  hat,  soll  keinen  Augenblick  verkannt 
werden.  Aber  der  Ehrgeiz,  die  Früchte  seiner  Sammelarbeit  selbst  der 
Öffentlichkeit  übergeben  zu  woUen,  hat  ihn  geblendet,  und  es  ist  ein  Buch 
entstanden,  das  nur  Materialsammlung  ist,  keine  Darstellung  und  das  auf 
jeder  Seite  zeigt,  wie  wenig  der  Verfasser  mit  wbsenschafUich- literarischer 
Arbeit  überhaupt  und  im  besonderen  mit  geschichtlicher  Forschung  vertraut 
ist.  Wichtiges  kann  er  nicht  von  Nebensächlichem,  Typisches  nicht  vom 
Ausnahmefalle  unterscheiden ;  der  Arbeit  liegt  kein  fester  Plan  zugrunde,  und 
rein  äußerlich  sind  Nachrichten,  die  verwandte  Gegenstände  betreffen,  neben- 
einander gestellt.  An  sich  bilden  diese  für  den  Ortsgeschichtsdarsteller  ein 
gewiß  schätzenswertes  Material,  aber  der  Wert  desselben  wird  dadurch  er- 
heblich beeinträchtigt,  daß  nirgends  zu  erkennen  ist,  aufweichen  bestinmiten 
Archivalien  die  Angaben  beruhen.  Angenehm  berührt  das  ausführliche  alpha- 
betbche  Register,  mit  dessen  Hilfe  sich  der  Leser  über  manche  interessante 
Einzelheit  unterrichten  kann,  wenn  er  auch  in  jedem  einzelnen  Falle  eine 
Gewähr  dafür,  daß  die  Archivalien  richtig  verstanden  worden  sind,  nicht  be- 
sitzt. Über  die  mittelalterliche  Stadtver&ssung  von  Lauchheim  erhalten  wir 
S.  47,  wo  der  Ort  dafür  gewesen  wäre,  keine  Belehrung;  wenn  das  Bruch- 
stück einer  Gemeindeordnung  von  vor  1500  existiert,  dann  mußte  dieses 
wichtige  Schrifbtück  vollständig  wiedergegeben,  und  die  allmähliche  Ein- 
. Schrumpfung  der  städtischen  Autonomie,  von  der  die  Rede  ist,  mußte  durch 
Tatsachen  erhärtet  werden.  Wie  es  mit  Gerlachs  rechtsgeschichtlicher  Bildung 
steht,  zeigt  der  Satz  (S.  52):  „Die  Jurisdiktion  war  von  uralten  Zeiten  her 
ein  Regal,  d.  h.  ausschließliches  Recht  des  Grundherrn*^  Demnach 
scheint  rex  Grundherr  zu  bedeuten!  Um  solche  für  den  Laien  geradezu 
verhängnisvolle  Sätze  zu  vermeiden,  muß  sich  jeder  Ortsgeschichtschreiber 
über  den  Begriff,  den  die  dem  Historiker  geläufigen  Worte  decken,  Klarheit 
verschaffen,  und  ein  treffliches  Hilfismittel  dazu  bietet  das  Lehrbuch  der 
deutschen  Eechtsgeschichie  von  Richard  Schröder,  das  1907  in  5.  Auf- 
lage (Leipzig,  Veit  &  Comp.)  erschienen  ist. 

Mit  dem  Hinweis  auf  die  Ortsgeschichten  von  Leuba  und  Lauchheim 
seien    diese    kritischen   und    programmatischen    Bemerkungen    über   Orts- 


—     222     — 

geschichtschreibuDg  geschlossen.  Auf  einen  Hieb  ^t  kein  Baum, 
und  es  werden  in  nächster  Zeit  noch  manche  unreife  Ortsgeschichten  er- 
scheinen. Aber  aUmählich  werden  sich  die  Verhältnisse  doch  bessern,  wenn 
etwas  mehr  Selbstkritik  geübt  wird  und  wenn  die  Laien  mit  regem  geschicht- 
lichen Interesse  sich  klar  machen,  daö  zur  Ausführung  s<^cher  Arbeit  noch 
etwas  mehr  gehört,  nämlich  allgemeingeschichtliche  Bildung,  Ver- 
trautheit mit  der  historischen  Arbeitsweise  und  langjährige  lieberoUe 
Beschäftigung  mit  dem  gesamten  Quellenstoff,  dem  handschrifttichen 
wie  dem  gegenständlichen.  Zunächst  ist  es  Sache  der  wissenschafffichen 
Geschichtsforscher,  einerseits  immer  wieder  vor  voreiliger  VeröffentUchung 
unreifer  Ortsgeschichten  zu  warnen  tmd  dadurch  die  Zahl  solcher  Schriften 
zu  vermindern,  anderseits  aber  darauf  hinzuwirken,  dafi  geschulte  Forscher 
für  die  Bearbeitung  von  Oitsgeschichten  gewonnen  werden. 

Armin  Tille 

Eingegani^eiie  Bfleher. 

Kaindl,  Raimund  Friedrich:  Geschichte  der  Deutschen  in  den  Karpathen- 
ländem.  Zweiter  Band:  Geschichte  der  Deutschen  in  Ungarn  und 
Siebenbürgen  bis  1763,  in  der  Walachei  und  Moldau  bis  1774.  Mit 
einer  Karte  [s=s  Deutsche  LAndesgeschichten,  herausgegeben  von  Armin 
Tille,  Achtes  Werk].  Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesell- 
schaft 1907.     XI  und  421  S.  8^     M.  10,00. 

Lohmeyer,  Karl:  Zur  altpreufiischen  Geschichte.  Aufsätze  und  Vorträge. 
Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft  1907.  331  S.  8^. 
M.  6,00. 

Werminghoff,  Albert:  Geschichte  der  Kirchenverfitssung  Deutschlands  im 
Mittelalter.  Erster  Band.  Hannover  und  Leipzig,  Hahn  1905.  Vn  und 
301  S.  8*.     M.  7,00. 

Meyer,  Arnold  Oskar:  Studien  zur  Vorgeschichte  der  Reformation.  Aus 
schlesischen  Quellen.  [=s  Historische  Biblioüiek,  herausgegeben  von 
der  Redaktion  der  Historischen  Zeitschrift,  14.  Band.]  München  und 
Berlin,  R.  Oldenbourg  1903.     XIII  und  179  S.  8^     M.  4,50. 

R  i  b  b  e  c  k ,  Konrad :  Übersicht  über  die  Geschichte  der  Stadt  Essen  [=s  Sonder- 
abdruck aus  dem  von  der  städtischen  Verwaltung  herausg^ebenen  Führer 
durch  Essen].     Essen-Ruhr  1907.  51  S.  8^. 

Schlossar,  Anton:  Vier  Jahrhunderte  deutschen  Kulturlebens  in  Steiermark. 
Gesammelte  Aufsätze.  Graz  tmd  Leipzig,  Ulrich  Moser  (I.  Meyerho£f) 
1908.     270  S.  8*.     M.  3,50. 

Sigismund,  Ernst:  Ferdinand  von  Rayski,  ein  biographischer  Versuch 
[=  Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  Dresdens,  20.  Heft]. 
Dresden,  Wilhelm  Baensch  1907.     86  S.®. 

Werner,  Adolf:  Die  politischen  Bewegungen  in  Mecklenburg  und  der 
aufierordentliche  Landtag  im  Frühjahr  1848.  [=  Abhandlungen  zur 
Mittleren  tmd  Neueren  Geschichte,  herausgegeben  von  Georg  v.  Below, 
Heinrich  Finke,  Friedrich  Meinecke,  Heft  2.]  Berlin  und  Leipzig, 
Walther  Rothschild  1907.     117  S.  8®.     M.  3.60. 

Henutfttber  und  verantwortlicher  Rednkteur:  Dr.  Armin  Tille  In  Dresden. 
Verlag  md  Druck  von  Prt«drich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


sur 


Förderung  der  landesgeschicbtlicben  Forscbung 

IX.  Band  Juni  1908  9.  Heft 

Die  Panzerung  der  deutsehen  t^itter 

im  ISAittelalter 

Von 
Gustav  Hergsell  (Prag) 

Neben  dem  Schilde  zählte  zu  den  ältesten  Schutzwaffen  vor  allen 
das  „Panzerhemd"  oder  der  „Harnisch",  welcher  der  Leder- 
und  Stahlschienenrüstung  voranging.  Von  den  alten  Deutschen  wurde 
diese  Panzerung  auch  „Ringe",  „Halsberg",  „Brünne",  „Brunne" 
oder  „Brunika"  genannt  Brünnen  hießen  die  Brusthamische  zur 
Zeit  der  Karolinger,  aber  auch  schon  in  der  Lex  Salica  und  der  Lex 
Biptmria  kommt  das  Wort  bruina  häufig  vor.  Jeder  Franke,  der 
zwölf  Hufen  besaß,  mußte  ersterem  Gesetze  nach  in  Zeiten  der  Ge- 
fahr mit  einer  bruina,  das  heißt  vollkommen  gewappnet,  und  nebst 
zwei  Schildknappen  im  Felde  erscheinen.  Die  Brünne  bildete  die  oft 
kostbare  Brustbedeckung  des  Ritters,  wenn  auch  die  in  den  Dich- 
tungen gelegentlich  angegebenen  Preise  oder  Wertbestimmungen  einen 
Anhaltspunkt  für  den  wirklichen  Wert  nicht  gewähren.  Eine  beacht- 
liche Wertbestimmung  enthält  dagegen  die  Lex  Biptmria  (36,  11), 
wenn  sie  bei  der  Wehrgeldzahlung  eine  gute  Brünne  mit  12  Schillingen 
berechnet,  d.  h.  6  Stieren  oder  einem  guten  Hengste  gleichsetzt. 

Wenn  das  Wort  Brünne  auch  noch  im  Nibelungenlied  *)  mehr- 
fach vorkommt,  so  wird  es  in  der  Blütezeit  des  Rittertums,  obwohl  es 
nicht  gänzlich  verschwindet,  doch  so  weit  zurückgedrängt,  daß  es  von 
den  Dichtern  nur  noch  selten  gebraucht  wird.  Wir  finden  vielmehr 
für  die  Panzerung  dann  die  Bezeichnung  „Halsberg".  Darunter 
wird  jedoch  stets  nur  jener  Teil  des  Panzers  verstanden,  der  den  Hals 
bedeckt,   wie   dies   der  Name   deutlich  besagt  —  zum   Unterschiede 


i)  Lachmanns  Aasgabe  Strophe  67,  179a. 

17 


—     224     — 

von    den    „Beinbergen",    der   Bekleidung    und    Bepanzening    der 
Beine  *). 

An  de  m  Halsberg,  der  nicht  mit  dem  darüber  angebrachten  Kehl- 
stück verwechselt  werden  darf,  war  der  ganze  Harnisch,  vor  allem 
dessen  Hauptstück,  der  Brustpanzer,  befestigt.  Auch  die  oft  vorkom- 
mende Bezeichnung :  Spaldenier  oder  Spaldener  bedeutet  nichts  anderes 
als  Halsberg.  Daß  aber  auch  die  Bezeichnung  Halsberg  oft  —  pars 
pro  toto  —  iür  die  ganze  Bepanzerung  genommen  wird,  ist  dem 
Nibelungenliede  zu  entnehmen.  So  sagt  Hagen  zu  Rüdiger:  „Wenn 
ich  den  Schild  tragen  würde,  den  du  vor  Händen  hast,  so  bedürfte 
ich  ....  keiner  Halsberge  mehr  *)."  In  der  dichterischen  Sprache 
wird  Halsberg  sog^  im  Sinne  von  Ritter  gebraucht,  entsprechend 
der  in  späterer  Zeit  üblichen  Verwendung  des  Wortes  Harnisch  •).  Im 
Nibelungenliede  heißt  es  zu  Beginn  der  32.  Aventiure  in  diesem  Sinne: 

Die  Bioeddines  recken,  die  voaren  edle  gar: 
Mit  tüsent  halspergen  huoben  si  sich  dar. 

Gegen  Ende  des  X.  und  im  Anfange  des  XL  Jahrhs.  trugen 
die  Ritter  ein  langes  Waffenkleid  in  Kittelform,  aus  Leder  oder  staricer 
Leinwand,  den  „Haubert",  eine  romanische  Umbildung  des  deut- 
schen Wortes  Halsberg;  auch  das  Wort  Brünne  wird  dafür  verwendet, 
muß  aber  dann  von  der  metallenen  Schutzwaffe  der  fränkischen  und 
Karolingerzeit  unterschieden  werden. 

Der  „große",  auch  „weiße"  Haubert  genannt,  reichte  gewöhn- 
lich bis  zum  Knie,  und  dessen  wenig  anschließende  Ärmel,  oder  das 
Armzeug,  bis  zum  Ellenbogen.  Erst  in  späterer  Zeit  wurden  diese 
verlängert.  Der  „kleine"  Haubert  hingegen,  den  im  VIII.  Jahrh. 
alle  Ritter  trugen,  und  der  später  die  Rüstung  des  weniger  bemittelten 
Edelmanns  und  der  Knappen  bUdete,  war  eine  Art  Schuppenjacke  mit 
kurzen  Ärmeln  und  reichte  kaum  bis  zu  den  Hüften.  Eine  Art  Ketten- 
kapuze oder  Haube,  auch  Camail  genannt,  bedeckte  Kopf  und  Nacken, 
so  daß  nur  ein  kleiner  Teil  des  Gesichtes  frei  blieb. 

In  den  Handschriften  des  XL  Jahrhs.  findet  sich  das  Wafien- 
kleid  in  dieser  Weise  oft  .dargestellt;  doch  begegnen  wir  daneben 
auch  in  einer  gleichzeitigen  Handschrift  der  Darmstädter  Bibliothek 
einem  deutschen  Ritter  in  dem  großen  Haubert  mit  langen  Ärmeln,  so- 

I)  Bagnberga  kommt  Aach  schon  in  der  Lex  Bip%taria  (36,  11)  vor. 

3)  Lachmftnns  Ausgabe  Str.  2132:  9ane  gerie  ich  zen  Hiunen  deheiner  hals* 
perge  mir. 

3)  „Er  k»m  mit  so  und  so  viel  Harnischen  an*^  ist  eine  in  den  deutschen  Chro- 
niken  des  XIV.  and  XV.  Jahrhanderts  oft  wiederkehrende  Wendang. 


—     226     — 

wie  in  getrennten  Rüsthosen  und  Rüststrümpfen.  Diese  Schatzrüstung, 
die  sich  in  Deutschland  schon  im  XI.  Jahrh.  findet,  wurde,  wie  den 
vorhandenen  Siegeln*  zu  entnehmen  ist,  in  Frankreich,  Spanien  und 
England  erst  im  XII.  Jahrh«  üblich.  Der  normannische  Haubert  des 
XI.  Jahrhs.  war  dag^en  eine  enganliegende  Jacke  mit  daran  sitzen- 
den Rüsthosen  und  bestand  aus  einem  einzigen  Stücke,  das  den 
Körper  vom  Halse  bis  zu  den  Knien  und  den  Ellenbogen  bedeckte.  — 
Der  lose  Canuiil  oder  die  Kettenkapuze  bedeckte  gleichfalls  Nacken, 
Kopf  und  einen  TeU  des  Gesichtes. 

Der  Haubert  war  ein,  wie  bereits  erwähnt,  aus  Leder  oder  Lein- 
wand verfertigter  Kittel,  auf  welchem  Stoffe  entweder  starke  Ringe 
von  geschmiedetem  Eisen  nebeneinander  aufgenäht,  oder  Ketten 
senkrecht  oder  wagerecht,  oder  auch  Metallplatten  verschiedener 
Art,  meist  in  der  Grestalt  von  Schuppen  befestigt  waren.  Unter 
„Ringe'*  ^)  oder  „Ringgespänge"  ist  im  eigentlichen  Sinne  stets 
der  mit  Ringen  besetzte  und  dadurch  zum  Panzerhemd  gewordene  Kittel 
zu  verstehen.  Indes  scheint  diese  in  allen  mittelalterlichen  Dichtungen 
vorkommende  Bezeichnung  auch  noch  allgemeiner  für  jede  Art  von 
Panzer  verwendet  zu  werden.  Dieser  leicht  bewegliche  Panzer,  der 
sich  ziemlich  eng  an  den  Leib  anschloß,  bUdete  demnach  entweder 
eine  Jacke  mit  Schurz,  die  bis  zu  den  Knien  reichte,  oder  ein  rich- 
tiges Wams,  mit  Ärmeln  und  Beinkleidern;  letztere  wurden  „Rüst- 
hosen" genannt*). 

Die  ältesten  Panzerhemden  bestanden  aus  mehreren  Lagen  ge- 
polsterten und  gesteppten  Zeuges,  das  ein  Gitterwerk  aus  Lederstreifen 
zusammenhielt;  in  deren  Mitte  und  Winkeln  aber  waren  sie  mit 
einem  breitköpfigen  Nagel  oder  mit  einem  Ringe  besetzt.  Aber  es 
gab  auch  Brünnen,  die  weder  mit  Ringen  noch  mit  Nagelköpfen 
versehen  waren,  wie  es  anderseits  Maschen-  oder  Kettenpanzerhemden 
gab,  die  vollständig  aus  Metali  angefertigt  waren  und  jeglicher 
Unterlage  auf  Zeug  oder  Leder  entbehrten ;  diese  hatten  naturgemäß 
keine  Kehrseite. 


i)  So  schon  im  HüdebrandsUed :  gurtun  iih  iro  Bwert  €ma  ....  übar 
(sie  gfirteten  sich  ihre  Schwerter  um  ... .  fiber  den  Panxer). 

2)  Die  Tftpete  von  Bftjenx,  um  iioo  entstanden,  eine  wichtige  QaeUe  für  die 
Kenntnis  der  normannischen  fiewaffiiiing,  stellt  Wilhelm  den  Eroberer  schon  mit 
langen  Rttsthosen  dar,  die  wie  der  Haabert  mit  Ringen  besetzt  sind.  Die  Fttfie  der 
dort  dargesteUten  Ritter  sind  dagegen  ähnUch  denen  der  angelsichsischen  Krieger  mit 
Riemen  umwickelt.  —  Das  Standbild  eines  der  GrtUider  des  Naombnrger  Domes  zeigt 
gleichfalls  lange  Rüsthosen,  desgleichen  einige  der  von  Heinrich  dem  Löwen  geschla- 
genen  Milnzen. 

17* 


—     226     — 

Man  hatte  es  da  mit  einem  Metallgewebe  zu  tun,  das  wie  ein 
Hemd  angelegt  wurde,  dessen  Ringe  Stück  für  Stück  fest  vernietet 
waren,  und  diese  Art  der  Vereinigung  hieß  Gerstenkomvemietung. 
Es  gab  zweierlei  Arten  dieses  Maschenpanzerhemdes,  die  „ein- 
fache" und  die  „doppelte"  Masche,  aber  in  beiden  Fällen  war 
jede  dieser  Maschen  mit  vier  anderen  verbunden  ').  Die  Ringe  waren 
oval  und  flach,  und  einer  bedeckte  den  anderen  immer  zur  Hälfte. 

Eine  weitere  Art  der  Bepanzerung  bestand  aus  kleinen  durch- 
brochenen viereckigen  und  rautenförmigen  Schuppen  aus  Eisen,  zu- 
weilen auch  aus  Hom*),  die  dachziegelförmig  aneinander  befestigt 
waren.  Sie  waren  so  fest  aneinandergefügt,  dafi  zwischen  den  ein- 
zelnen Schuppen  kein  freier  Raum  blieb,  durch  den  eine  AngrifTswaffe 
hätte  eindringen  können. 

Diese  Schuppenpanzer,  auch  unter  den  Namen  j<ieera$%s  oder 
horcusinus  bekannt,  reichen,  wie  der  Dichtung  zu  entnehmen  ist,  weit 
vor  die  Zeit  des  Rittertums  zurück  und  wurden  nur  als  alte  Bewaff- 
nung übernommen.  Diese  Schuppenpanzer  ')  dürfen  jedoch  nicht  mit 
den  in  den  Museen  heute  zu  sehenden  Exemplaren  aus  späterer  Zeit 
verwechselt  werden. 

Auch  das  Maschenpanzerhemd  des  Mittelalters,  von  dem  irrtüm- 
licherweise angenommen  wird,  es  sei  infolge  der  Kreuzzüge  aus  dem 
Orient  eingeführt  worden,  war  bereits  vor  dem  XI.  Jahrhundert  der 
Ritterschaft  des  mittleren  und  nördlichen  Europas  bekannt.  Dem  Ku- 
drunliede  entnehmen  wir,  daß  Herwig  seine  Brünne  „in  den  Schild 
gleiten  ließ",  und  „daß  seine  Kleider  mit  dem  Roste  seines  Hauberts 


i)  Dieses  gemaschte  Kleid  hiefi  ftach  Irorx  „Maschen*^  im  mittelalterUchen  La- 
tein wutculatf  daher  französisch  der  ganze  Panzer  mecheB,  maüUs  oder  cattes  de  maüUs, 
Diese  Art  der  Rttstang  zeigt  das  Grabmal  Herzog  Heinrichs  IV.,  des  Minnesängers,  (gest. 
1290)  in  Breslau  und  das  des  Herzogs  Boleslaw  (gest.  1201)  in  Lenbns. 

3)  Ans  einer  Kölner  Chronik  geht  henror,  daß  die  gepanzerten  Krieger  Kaiser 
HeinricLs  V.  1115  Halsberge,  —  hier  wird  das  Wort  JuiUberge  im  Sinne  von  Panzer- 
hemd gebraucht  —  aus  Hörn  hatten.  Die  Stelle;  gut  loricis  oomeia  ferro  impene* 
trabilibus  utebantur  wird  in  einer  alten  Übersetzung  verdeutscht :  die  lUU  hatten  hole- 
berghe  van  ftom  gemacht. 

3)  Den  ältesten  ziegeiförmig  geschuppten  Haubert  zeigt  der  Codex  awreue  in  St 
GaUen  aus  dem  VIII.  Jahrh.  Aach  auf  den  Magdeburger  HeUem  von  11 50— 11 60  ist 
die  DachziegeUage  der  Schuppen  auf  den  Panzerhemden  deutlich  zu  unterscheiden  ge- 
radeso wie  bei  den  Wandmalereien  im  Braunschweiger  Dom  aus  dem  XL  Jahrh.  Für 
das  frühe  Dasein  dieser  Art  Panzer  spricht  eine  SteUe  (Vers  470)  im  Gedicht  De  €X- 
pediiione  Attüae  ac  de  rebue  gestie  WtMiarii,  wo  es  heifit: 

I^aecingite  corpora  ferro; 
Fortia  aqamoeus  thorax  tarn  terga  recondat. 


—     227     — 

bedeckt  waren"  ').  Leider  treffen  wir  in  den  Museen  sehr  viele 
Nachahmungen  solcher  Panzer,  die  allerdings  an  der  mangelhaften 
Vernietung  leicht  erkennbar  sind. 

Nach  dem  bisher  Gesagten  gab  es  demnach  dreierlei  Arten  von 
Panzerhemden,  und  zwar: 

i)  „beringte'S  die  aus  flachen  nebeneinander  aufgenähten  Ringen 
angefertigt  waren,  wohl  die  älteste  Art  der  Metallbepanzerung 
überhaupt ; 

2)  „bekettete'S  aus  ovalen  ineinandergreifenden  Ringen  her- 
gestellt, und 

3)  „beschildete*',  die  aus  dachziegelförmig  übereinander  ge- 
fugten Schuppen  oder  rautenförmigen  Eisenplättchen  hergestellt 
waren. 

Die  gegitterten  Panzerhemden,  und  ebenso  die  mit  Ringen  ver- 
sehenen, waren  zwar  pfeilfest,  vermochten  jedoch  der  Lanze  wenig 
oder  gar  keinen  Widerstand  zu  leisten;  sie  wurden  in  Frankreich 
bereits  unter  Ludwig  dem  Heiligen  (gest.  1270)  durch  die  Maschen- 
oder Kettenpanzerhemden  völlig  verdrängt.  Fast  alle  wohlhaben- 
den Ritter  trugen  im  XIII.  Jahrh.  Maschenpanzerhcraden ,  die  aber 
ebensowenig  wie  die  gegitterten  stoßfest  waren.  Erst  durch  die  Er- 
findung des  Drahtziehers  Rudolf  von  Nürnberg  1306  erreichten  sie 
eine  derartige  Vervollkommnung,  daß  sie  selbst  dem  Eindringen  der 
misericardia  —  des  tückischen  Dolches  —  festen  Widerstand  zu  lei- 
sten vermochten. 

Die  vollständige  Maschenrüstung  bestand  daher  um  1300  aus  dem 
langen  Panzerhemde,  der  Kettenkapuze,  Rüsthosen  und  Rüststrümpfen. 
Die  Ärmel  des  Waffenrockes  oder  des  Panzerhemdes  wurden  in  der 
letzten  Zeit  ihres  Bestandes  von  einer  derartigen  Länge,  daß  sie  auch 
die  Hände  gleichsam  wie  in  ein  Futteral  hüllten,  und  nur  zuweilen 
den  Daumen  frei  ließen,  der  gleichfalls  mit  Maschen  bedeckt  war,  so 
daß  der  Ritter  vollkommen  in  ein  Eisengewebe  eingehüllt  erschien. 
Unter  dieser  vollständigen  Maschenrüstung,  die  der  „große  Hau- 
bert" oder  auch  „weißer  Haubert**  hieß,  trugen  die  Ritter  auf 
der  Brust  nicht  selten  noch  eine  eiserne  Platte. 


Die   Einführung    der  Turniere    in   Deutschland,    die    bereits    im 
X.  Jahrhundert  unter  Heinrich  I.  in  Sachsen  landesüblich  waren,    er- 

i)  Do  $ehuUe  er  im  geuxtefen  in  des  mMdes  romtp 

Do  gie  er  isenvarwer  (Strophe  1530).  —  Im  Nibelaogenliede  kommt 
JwrfKMchvar  (vom  Harnisch  geftrbt)  in  demselben  Sinne  vor. 


—     228     — 

klärt  zur  Genüge,  daß  man  der  Vervollkommnung  der  Rüstung  ein 
besonderes  Augenmerk  zuwandte,  und  daß  in  der  Folge  deren  An- 
fertigung in  Deutschland  mit  so  großer  Meisterschaft  betrieben  wurde. 
Trotzdem  behauptete  sich  der  große  Haubert  bis  gegen  das  Ende  des 
XIII.  Jahrhunderts,  demnach  durch  volle  fünf  Jahrhunderte. 

Erst  nach  einer  Übergangsrüstung,  die  gegen  Ende  des  XIII.  Jahrhs. 
aufkam,  und  die  aus  dem  gekürzten  Panzerhemde  nebst  Arm-  und 
Beinschienen,  anfangs  aus  hart  gesottenem  Leder,  später  aus  Stahl- 
platten bestand,  erfuhr  die  Bewaffnung  im  XIV.  Jahrhundert  überall 
eine  gründliche  Umgestaltung. 

Zu  dieser  Zeit  wurde  die  deutsche  Rüstung,  die  nunmehr  den 
Haubert  verdrängte,  mehr  oder  weniger  vollständig  aus  Stahlplatten 
hergestellt;  es  war  die  „Schienenrüstung",  die  sich  von  nun  an 
überall  einbürgerte  und  die  der  „Plattenrüstung"  voranging. 

Diese  letztere  Art  der  Bepanzening  bestand  aus  großen  Blechen 
oder  Stahlplatten,  die  den  Ritter  vom  Kopf  bis  zu  den  Fußspitzen  in 
Eisen  einhüllten,  und  nur  an  den  Armen,  Schultern,  Lenden  und 
Füßen  Gelenke  besaß,  um  den  Bewegungen  des  Körpers  nachgeben 
zu  können.  Sie  war  gefugiger  als  der  Maschen-  und  Schuppenhar- 
nisch; der  Ritter  konnte  sich  leichter  bewegen,  und  überdies  wurde 
durch  die  vollkommene  Deckung  der  Schild  entbehrlich.  Von  ihrer 
unverkennbaren  Ähnlichkeit  mit  den  Schalendecken  des  Krebses  wurde 
die  aus  Eisenschienen  hergestellte  Rüstung  noch  im  XVI.  Jahrhundert 
„Krebs"  genannt  *). 

Im  eigentlichen  Sinne  wurden  unter  diesen  Namen  aber  nur  jene 
Teile  der  Rüstung  verstanden,  die  den  Oberschenkel  decken  sollten 
und  mittels  Riemen  an  den  Vorderschutz  befestigt  waren.  Indessen 
bezeichnen  einige  Schriftsteller  die  ganze  aus  Schienen  hergestellte 
Rüstung  als  „Krebs"  und  nennen  dann  den  unteren  Teil  der  ge- 
schienten und  mit  langem  Schenkelschutz  versehenen  Rüstung,  wie  sie 
sich  am  Ende  des  XVI.  und  am  Anfange  des  XVII.  Jahrhs.  findet, 
„Halben  Krebs"  oder  „Krebsfuß".  Auch  m  Frankreich  nannte 
im  XVI.  Jahrh.  der  Schriftsteller  Foucher  die  gänzlich  geschienten 
Rüstungen  ecreaisses,  also  Krebse. 

Die  vollkommene  Schienenrüstung  um  1500  bestand  aus  folgen- 
den Teilen:  dem  Halsberg,  der  den  ganzen  Harnisch  trug,  nebst 
den  dazu  gehörigen  Achselstücken;  dem  Brustpanzer,   häufig 

i)Leonhard  Frundsberg  nennt  in  seinem  Kriegsbnche  die  Rttstnng  den 
,, Krebs'*.  Luther  spricht  in  diesem  Sinne  Epheser  6,  14  vom  „Krebs  der  Gerech- 
tigkeit «S 


—     229     — 

mit  einer,  das  Bruststück  von  oben  nach  unten  in  der  Mitte  teilenden 
Linie,  der  sogenannten  Gräte,  versehen,  sowie  derRückenplatte. 

An  der  linken  Seite  der  Brustplatte  befand  sich  zum  Einlegen  der 
Lanze  der  Rüsthaken,  auch  Lanzenrast  genannt,  femer  ge- 
hörten zur  Rüstung  die  kleinen  Schienen,  die  Achselstücke,* 
mit  oder  ohne  Ränder,  die  Achselhöhlscheiben,  die,  zum 
Schutze  der  Achselhöhlen  dienend,  mit  dem  Ende  des  XV.  Jahrhs. 
ihr  Ende  erreichten,  und  schließlich  die  Krebse  im  engeren  Sinne, 
der  Beinschutz. 

Weiter  gehörte  zur  Rüstung  das  Arm  zeug,  das  aus  Schienen 
für  den  Ober-  und  Unterarm  bestand ,  die  zum  Schutze  des  Ellbogens 
durch  die  Menseln  oder  Ellbogenkacheln  miteinander  verbun- 
den waren,  samt  den  verblechten  Handschuhen,  mit  Stulpen 
versehen,  die  mit  getrennten  Fingern  als  gefingerte  Tatze  oder 
Fingerhandschuh  und  ohne  Finger  als  Fausthandschuhe  vor- 
kommen, weiter  der  Vorderschurz  sowie  der  Hinterschurz  oder 
Hüftstücke,  die,  wie  der  Name  sagt,  die  Hüften  bedeckten,  gewöhn- 
lich aus  Stahlschienen  bestanden  und  an  den  Krebsen  endigten,  und 
die  Gliedschienen. 

An  diese  schlössen  sich  an:  die  Schenkelstücke  oder 
Schenkelschienen,  auch  Dichlinge  oder  Dielinge  genannt, 
sowie  die  Beinschienen  für  den  Unterschenkel,  die  bis  1500  nur 
das  Vorderbein  bedeckten.  Deren  Fuge  über  dem  Knie  wurde 
durch  das  Kniestück  bedeckt.  Den  Fuß  bekleideten  die  aus 
Schienen  zusammengesetzten  Eisenschuhe  der  verschiedensten  Form 
mit  den  angeschnallten  Sporen;  das  Haupt  bedeckte  der  Helm, 
am  Arme  wurde  der  kleine  Brustschild  getragen.  Das  waren 
die  sämtlichen  Teile  der  Kriegsrüstung;  bei  Wafienspielen  kamen  noch 
der  große  Brustschild,  auch  Scharfrenntartsche  genannt, 
die  Turnierlendenplatte  und  einiges  andere  hinzu. 

Die  gesamte  Waffenkleidung,  den  vollständigen  Schmuck  des  zum 
Kampfe  gerüsteten  Ritters,  den  er  auf  dem  Leibe  trug,  nannte  man 
sarabcd,  wie  das  Wort  wiederholt  in  der  Reimchronüc  Ottokars  von 
Steiermark  genannt  wird,  oder  auch  sarawai,  oder  sanoat,  also  Kriegs- 
gewand, Kriegsanzug.  Weil  aber  die  Ritter  nicht  immer  gehamischt 
ritten,  und  erst  vor  dem  Kampfe  die  schwere  Rüstung  anl^en,  so 
wurden  die  Rüstungen  in  Säcken  oder  anderen  Hüllen  nachgefiihrt. 
Diese  Säcke  hießen  „Sarbalg"  *),  wobei  „Sar"  *)  die  Rüstung  oder 

i)  Wigalois,  Vers  61 13. 

3)  Im  HUdebrandsUed  als  sairo  (Genetiv  mtipm)  bezeugt 


—     280     — 

den  Harnisch  bedeutete.  Den  Schild  trug  während  des  Marsches  der 
Schildknappe. 

Alle  diese  Stücke  wurden  von  dem  plaUner,  dessen  Gewerbe  sich 
im  XIV.  Jahrh.  hoch  entwickelte,  mittels  Hammer  und  Punze  aus  Eisen 
pder  Stahl  getrieben.  Mit  dem  Namen  flauen  wurde  gelegentlich 
auch  die  ganze  Rüstung  oder  wenigstens  der  Brustpanzer  bezeichnet 
Da  auch  noch  in  späterer  2^it  die  Hamischmacher  und  Hamisch- 
schmiede  die  Plattnerzunft  bildeten,  so  ist  dies  nicht  unberechtigt,  und 
überdies  ist  die  Benennung  noch  bezeichnender  als  das  Wort  Krebs. 

Die  Limburger  Chronik  beschreibt  die  Bewaffnung  folgender- 
maßen: L%  dersdbm  Zeit  —  um  das  Jahr  135 1  —  und  manch  Jahr 
nachher,  da  waren  die  Waffen  als  nachher  geschrieben  steht:  Ein  jeg- 
Uch  guter  Mann,  Fürst,  Oraf,  Herr,  Ritter  tmd  Knecht^),  die  untren 
gewappnet  mit  Platten  *),  und  auch  die  Bürger  mit  ihren  Wappenröcken 
daran  über,  0U  stürmen  und  streiten,  mit  „Schossen'*^)  und  „Leib- 
eisen^%  das  sm  der  „Platte'^ ^)  gehörte;  mit  ihren  „gekrönten"^)  Hel- 
men, darunter  hatten  sie  kleine  „Bundhauben'*.  Und  führte  man 
ihnen  ihr  Schild  und  Tartsche  nach  und  auch  ihre  „Gleve'*'')  nach. 
Und  den  gekrönten  Helm  führte  man  ihnen  nach  auf  ihren  Globen  ®) 
und  führten  sie  auf  ihren  Beinen  „Streichhosen*' ^)  und  darüber 
große  weite  ,,Lersen'*^%  Auch  führten  sie  „Beingewand'',  das  war 
vorne  von  Leder  gemacht,  also  Amdeder,  oder  also  von  Sgreck  gestipt  ^^), 
und  eisen  Böcklein  vor  den  Knien^^). 

Solange  die  Schienenrüstung  nicht  in  Verwendung  kam,  waren 
zum  Schutze  der  Arme  die  Panzerhemden  oft  mit  Ärmeln  versehen, 
die  anfanglich  aus  Platten  aus  gesottenem  Leder,  später  aber  aus 
Stahlscheiben  bestanden.  Zum  Schutze  der  Hand  dienten  Maschen- 
fausthandschuhe. 

Mit  Einfuhrung  der  Schienenrüstung  fand  auch  der  eiserne  Arm- 
schutz Verwendung,  der  den  Arm  in  allen  seinen  Teilen  schützte.    Es 


i)  Das  heifit:  Knappen.  3)  Hier  also  der  Ausdruck  PlaUen  (Ür  Rüstung. 

3)  Dies  waren  die  blechernen  oder  eisernen  Hosen. 

4)  Die  eiserne  Rttstung,  die  den  Leib  bedeckte. 

5)  Daher  unter  Platte  die  YoUe  Rüstung  verstanden. 

6)  Gekrönte  Helme  sind  Timierhelme,  an  denen  der  Dank  angebracht  war. 

7)  HeUeparte,  Lanze. 

8)  Darunter  sind  wahrscheinlich  die  Handschuhe  verstanden. 

9)  Eng  anliegende  Hosen. 

10)  Dies  waren  die  Stiefel. 

11)  Das  heifit  von  Seide  gesteppt 

12)  Eiserne  Becken,  eiserne  Schalen. 


—     231      — 

gab  einfache  und  doppelte  sowie  vollständige  Armschienen;  letztere 
umhüllten  den  Oberarm,  den  Vorder-  und  Hinterarm  vollkommen. 
Die  Rüstung  des  Unter-  und  Oberarmes  war  durch  Ellbogenkacheln 
verbunden.  Die  großen  Tumierarmschienen  der  Tumierrüstungen  um 
1500  waren  nur  für  den  linken  Arm  bestimmt,  und  die  mit  ihnen  un- 
mittelbar verbundenen  Kampfhandschuhe  waren  nicht  gefingert 

In  der  Frühzeit  des  Mittelalters  waren  die  Beine  selten  bewehrt, 
und  wenn  diese  geschützt  werden  sollten,  so  wurden  sie  mit  ledernen 
Riemen  umwickelt,  wie  dies  die  Mmiaturen  der  Handschriften  des 
Vni.  bis  X.  Jahrhs.  zur  Genüge  beweisen,  die  den  Krieger  weder  mit 
Ketten  oder  Maschenstrümpfen  noch  mit  Beinschienen  darstellen.  Erst 
nachdem  im  Beginn  des  XI.  Jahrhunderts  die  Rüsthosen  und  Maschen- 
rüststrümpfe  aufgekommen  waren,  wurde  gegen  Ende  dieses  Jahrhun- 
derts der  vordere  Teil  des  Beines  durch  Schienen  aus  gesottenem 
Leder,  die  Schenkelstücke,  geschützt,  und  später  wurden  diese  durch 
Schienen  aus  Eisen  und  Stahl,  „Dichlinge**  oder  „Dielinge", 
oder  Schenkelschienen  ersetzt.  Sie  wurden  mittels  Riemen  an  den 
Rüststrümpfen  befestigt,  deren  Fuge  über  dem  Knie  das  Kniestück 
bedeckte.  Daß  Beinschienen  und  Eisenschuhe  in  Deutschland  bereits 
am  Ende  des  XI.  Jahrhs.  im  Gebrauche  waren,  beweist  das  Merse- 
buiger  Denkmal.  Miniaturen  des  XIII.  Jahrhs.  stellen  bereits  verein- 
zelt Schienenrüstungen  dar.  Auf  einem  Grabdenkmale  erscheint  die 
neue  Rüstung  zuerst  1258. 

Als  die  Maschenstrümpfe  durch  die  Beinschienen  ersetzt  wurden, 
stellte  man  auch  die  Fußbekleidung  aus  Eisenschienen  oder  Eisen- 
platten her.  Die  ersten  „Rüst-  oder  Eisenschuhe'*  waren  spitz, 
lanzettförmig,  und  näherten  sich  den  Schnabelscbuhen. 

Daß  diese  Mode  im  XII.  Jahrh.  herrschte,  beweist  eine  Stelle 
in  den  Denkwürdigkeiten  der  byzantinischen  Prinzessin  Anna  Comnena. 
Sie  sagt:  „Der  Franke  ist  furchtbar,  wenn  er  zu  Roß  sitzt,  sobald 
er  aber  herunterfällt,  erscheint  der  Reiter  nicht  mehr  derselbe,  denn 
schwerfällig  durch  seinen  Schild  und  die  langen  Eisenschuhe  wird  er 
leicht  zum  Gefangenen  gemacht."  Auch  die  Handschrift  von  Tristan 
und  Isolde  aus  dem  XIII.  Jahrh.  zeigt  bereits  die  Ritter  in  „Schna- 
belschuhen''. 

Gegen  die  Mitte  des  XIV.  Jahrhs.  aber  verschwindet  der  Schna- 
belschuh und  wird  durch  die  Halbschnabel-  oder  Lanzettbogenform 
ersetzt;  die  Spitzen  verlängerten  sich  so  weit,  daß  sie  scheinbar  für 
den  Kampf  gleichfalls  unbrauchbar  waren.  Es  wird  berichtet,  daß 
die  österreichischen  Ritter  bei  Morgarten   (1315)   sowie  bei  Sempach 


—     232     — 

(1386),  als  sie  von  den  Pferden  abstiep^en,  die  langen  Enden  ihrer 
Schuhe  abschneiden  maßten.  Die  Schnabelschuhe,  die  gegen  Mitte 
des  XIV.  Jahrhs.  verschwunden  .  waren ,  erscheinen  am  Ende  dieses 
Jahrhunderts  wieder  und  haben  sich  bis  in  das  XV.  Jahrh.  gehalten ; 
damals  war  auch  die  gotische  Spitzbogenform  und  nach  dieser,  gegen 
Ende  des  XV.  Jahrhs.,  der  „Halbholzschuh''  oder  „Halbbären- 
fuß*'  im  Gebrauche,  auch  „Halbbärenklaue"  genannt. 

Mit  der  Maximilianischen  oder  Mailänderrüstung  kam  die  der 
gerippten  Rüstung  eigentümlich  angehörende  Fußbekleidung,  der 
„Holzschuh"  oder  „Bärenfuß"  (Bärenklaue)  in  Gebrauch,  der 
sich  bis  in  die  zweite  Hälfte  des  XVI.  Jahrhs.  erhielt 

Dieser  Form  folgte  der  sogenannte  „Entenschnabelschuh" 
als  letzter  Eisenschuh,  den  im  XVII.  Jahrh.  der  Reiterstiefel  und  der 
Gamaschenstiefel  endgültig  verdrängte. 

Was  den  Schutz  der  Hand  anbelangt,  so  wurde  sie  im  XII.  und 
XIII.  Jahrh.  durch  das  äußere  Ende  des  Ärmels  des  Panzerhemdes 
geschützt,  so  daß  dieser,  da  er  keine  getrennten  Finger  besaß,  eine 
Art  Maschensack  bildete.  Nur  in  seltenen  Fällen  erscheint  der  Daumen 
abgetrennt.  Die  Bilder  des  IX.  bis  XL  Jahrhunderts  stellen  die  Be- 
waffneten mit  unbedeckter  Hand  dar. 

Der  älteste  Kampfhandschuh  war  die  „gefingerte  Handtatze", 
die  außer  der  Hand  noch  einen  Teil  des  Vorderarmes  bedeckte ;  sie 
geht  bis  zum  Ende  des  XIII.  Jahrhs.  zurück.  Im  XV.  Jahrh.  wurde 
sie  durch  den  Fausthandschuh  mit  ungetrennten  Fingern  ersetzt, 
um  abermals  gegen  Ende  dieses  Jahrhs.  den  gefingerten  Hand^ 
schuhen  Platz  zu  machen,  denn  es  gibt  gotische  Rüstungen  des 
XV.  Jahrhs.,  die  wieder  gefingerte  Handtatzen  aufweisen,  so  daß  eine 
Zeitlang  beide  Arten  nebeneinander  in  Verwendung  standen.  Fast 
alle  gerippten  Rüstungen  haben  jedoch  ungefingerte  Handschuhe. 
Das  Erscheinen  der  Pistole  verhalf  dann  gegen  Ende  des  XV.  Jahrhs. 
dem  gefingerten  Kampfhandschuh  zu  allgemeiner  Verbreitung. 

Außer  diesen  Kampfhandschuhen  finden  wir  noch  den  linken 
„Armschienenhandschuh"  der  Turnierrüstungen,  der  der  zwdten 
Hälfte  des  XV.  Jahrhs.  angehört. 

Die  Handschuhe,  die  bei  Ottokar  von  Steiermark  auch  manikd 
heißen  *),  wurden  auch  sinnbildlich  verwendet.  Forderte  ein  Ritter  den 
andern  zum  Zweikampfe,    dann   warf  er  ihm  den  rechten  Handschuh 

i)  Kapitel  536.  Alle  alten  Bilder  stellen  die  Kampfhelden  mit  anbedeckter 
Hand  dar,  so  dafi  der  Kampfhaodschah  erst  za  Ende  des  XIII.  Jahrhs.  üblich  geworden 
za  sein  scheint. 


—     233     — 

hin;  der  Herausgeforderte  verpflichtete  sich  zu  erscheinen,  sobald  er 
den  Handschuh  aufhob.  Wurde  ein  Ritter  in  der  Fehde  oder  im 
Zweikampfe  überwunden,  so  übergab  er  dem  Sieger  seinen  Handschuh 
und  seinen  rechten  Sporn,  manchmal  auch  sein  Schwert  als  Zeichen 
der  Versicherung,  daß  er  die  Bedingungen,  unter  denen  man  Frieden 
schlieflen  würde,  auch  erfüllen  werde.  Durch  Übergabe  eines  Hand- 
schuhes verlieh  auch  der  Herrscher  die  Ausübung  gewisser  könig- 
licher Rechte;  der  Handschuh  wurde  so  zum  InvestitursymboP),  und 
da  er  auch  bei  Verleihung  des  Marktrechtes  *)  in  diesem  Sinne  Ver- 
wendung fand,  fuhren  nicht  wenige  Städte  Handschuhe  in  ihren 
Wappen,  die  irrtümlicherweise  oft  für  Hände  gehalten  worden  sind. 
Desgleichen  findet  sich  auf  Münzen  nicht  selten  ein  Handschuh  geprägt, 
der  gleichfalls  oft  falschlich  für  eine  Hand  gehalten  worden  ist.  Auch 
bei  Belehnungen  oder  Standeserhebungen  diente  der  Handschuh  als 
Symbol,  und  umgekehrt  sandten  auch  vornehme  Vasallen  bisweilen 
ihren  abwesenden  Lehnsherren  ihren  Handschuh,  um  die  Übernahme 
der  Lehnspflichten  symbolisch  anzudeuten.  Bei  Hegung  des  pein- 
lichen Gerichtes  zog  der  Richter  das  Schwert  und  hielt  es  in  der 
rechten  Hand,  die  mit  einem  verblechten  Handschuh  geschützt  sein 
mußte. 

Bei  den  alten  Deutschen  waren  die  Helme  nach  Tacitus  sehr 
selten,  und  andere  römische  Geschichtschreiber  sagen  ausdrücklich, 
daß  die  Deutschen  mit  entblößtem  Kopfe  gekämpft  hätten.  Später 
bediente  man  sich,  um  den  Kopf  vor  Verwundungen  zu  schützen, 
vielleicht  auch  in  der  Absicht,  dem  Gegner  doppelt  furchtbar  zu  er- 
scheinen, des  Schutzes  von  Tierfellen;  diese  waren  die  Vorläufer  der 
Helme.  Als  man  solche  dann  verwendete,  waren  sie  gewöhnlich  aus 
Eisenblech,  mehr  oder  minder  stark,  und  gestalteten  sich  mannigfach 
um,  je  nach  ihrer  Bestimmung;  doch  war  es  nur  den  Anführern  der 
germanischen  Stämme  gestattet,  Helme  zu  tragen,  und  ihr  Dasein  ist 
lediglich  durch  schriftliche  Zeugnisse  erwiesen. 

Die  deutsche  Heldendichtung  weiß  vieles  von  wunderbaren,  selbst 
von  gefeiten  Helmen  zu  erzählen,  und  die  nordischen  Sagas  berichten 


i)  Vgl.  Schröder,  Lehrbudi  der  deutsehen  Bechtagem^iMe,  5*  Aufl.  (Leiptig 
1907),  S.  411— 412.  Der  lateinische  Aiudrack  Uatet  per  gauhtm,  gwaulum,  waulum 
oder  toafUanem,  Doch  werden  wir  dabei  an  einen  anderen  als  den  Kampfhandschah 
denken  müssen,  da  dieses  InTestitarsymbol  schon  früher  vorkommt  als  jener  üblich  wnrde. 
Vgl.  Sachsenspiegel  II,  36,  4  und  HI,  66,  i. 

2)  Siehe  ebenda  S.  201. 


—     334     — 

von  Helmen,  die  gleich  den  berühmten  Schwertern  besondere  Namen 
trugen.  Wie  die  Worte  Lanze  und  Harnisch,  so  stand  auch  das  Wort 
Helm  in  einem  solchen  Ansehen,  daß  es  kurz  zur  Bezeichnung  der 
Ritter  selbst  gebraucht  wurde. 

Die  Helme  der  südgermanischen  Herzöge  zeigen  alle  dieselbe 
konische  Form  wie  die  der  franko-germanischen  Stämme  des  XI.  Jahrhs. 
An  diesem  Helm  findet  sich  ein  unbeweglicher,  fester,  mehrere  Finger 
breiter  Nasenschutz  oder  Schemenbart,  der  über  das  Gesicht  herab- 
reicht und  der  Nase  Schutz  gewährt.  Dieser  Helm  wurde  über  der 
Ringhaube  oder  Kapuze  (Camail),  die  das  Panzerhemd  oder  der  Hau- 
bert abschloß,  getragen.  Der  Helm  der  Nordgermanen  zeigt  hin- 
gegen eine  gewölbte  Glocke,  mit  gleichfalls  fester  Nasenberge,  der 
sich  später  noch  Wangenklappen  und  ein  beweglicher  Nackenschutz 
zugesellte. 

Über  oder  unter  der  Kettenkapuze  wurde  die  „kleine  Kessel- 
haube'' {Badnet,  auch  Himkappe  genannt)  getragen,  doch  bedeckte 
sie  in  letzterem  Falle  den  Kopf  nicht  unmittelbar,  da  diesen  zunächst 
eine  gepolsterte  Zeugmütze,  die  „Watten kappe"  beschützte,  die 
durch  Riemen  an  die  Maschenkapuze  befestigt  war.  Während  des 
Kampfes  oder  im  Turniere  wurde  über  diese  dreifache  Kopfbedeckung 
der  umfangreiche  und  unförmliche  „Topfhelm"  getragen,  dessen 
erste  Exemplare  bereits  gegen  Ende  des  XII.  Jahrhs.  erscheinen. 

Die  kleine  „Kesselhaube"  von  spitzer  orientalischer  Form, 
die  gleich  einer  eng  anliegenden  Kappe  den  Kopf  bedeckte,  darf  da- 
gegen nicht  mit  der  „großen  Kesselhaube"  des  XIV.  Jahrhs. 
verwechselt  werden,  die  bereits  mit  Wangenklappen  und  Nacken- 
schutz versehen  war  und  häufig  ein  bewegliches  Visier  hatte,  das 
sich  mittels  eines  Scharniers  an  der  linken  Seite  öffnen  ließ.  Die 
große  Kesselhaube,  unter  der  die  Ritter  noch  eine  Zeitlang  die  Maschen- 
kopfbedeckung beibehielten,  hatte  eine  ähnliche  spitze  Form  wie  die 
kleine  Kesselhaube.  Aber  mit  Anfang  des  XV.  Jahrhs.  hört  der 
völlige  Gebrauch  der  Kesselhaube  auf. 

Bisweilen  erschienen  die  Ritter  nur  mit  der  Ringhaube  oder  nur 
mit  der  kleinen  Kesselhaube,  am  häufigsten  aber  trugen  sie  beide 
Schutzbedeckungen  gleichzeitig. 

Die  ersten  „Topfformhelme"  erscheinen  gegen  Ende  des 
XII.  Jahrhs.,  und  aus  ihnen  sind  alle  späteren  Formen  erwachsen. 
Der  echte  T  o  p  f  h  e  1  m ,  dieser  ungestüme  schwere  Kopfschutz,  der  um 
1300  erscheint  und  nur  im  Kriege  und  während  des  Turniers  ge- 
tragen wurde,  war  stark  und  schwer  und  hatte  eine  flache  Glocke ;  er 


—     285     — 

wurde  auf  dem  Marsche  am  Sattel  befestigt,  vor  dem  Kampfe  aber 
mittels  Schrauben  und  Ketten  mit  der  Rüstung  eng  verbunden.  Die 
damals  üblichen  regelrechten  Turniere  brachten  es  mit  sich,  daß  der 
Kopf  gegen  die  mit  aller  Macht  geführten  Stöße  der  schweren  Lanze 
geschützt  werden  mußte. 

Der  Stechtopfhelm  des  XIV.  Jahrhs.  wurde  weit  mehr  bei 
den  Turnieren  als  im  Kriege  verwendet,  da  man  im  letzteren  Falle 
meist  den  leichteren  Kriegstopfhelm  benutzte,  den  später  die 
große  Kesselhaube  ablöste;  letztere  wurde  sogar  noch  eine  Zeitlang 
über  der  Maschenkapuze  getragen. 

Der  Stechhelm,  der  Helm  für  den  Emstkampf,  dessen  Visier 
oder  Helmsturz  nicht  aufgeschlagen  werden  konnte,  und  der  daher 
auch  „geschlossener"  Helm  hieß,  gestattete  das  Durchsehen  nur 
durch  kleine  Öffnungen,  während  der  „offene**  Helm,  der  Helm  fiir 
das  Spiel,  der  Turnierhelm,  für  das  Scheingefecht  aufkam.  Bei  diesem 
leichten  Helme  ließ  sich  das  gitterartige  Visier  mittels  besonderer  Ge- 
lenke ganz  oder  halb  auf-  und  halb  abwärts  schieben.  Später  kamen 
Tumierhelme  mit  doppeltem  Visier  auf,  wobei  das  zweite  gleich  jenem 
des  Stechhelms  bloß  in  der  Augenhöhe  fein  durchlöchert  war  und 
sich  vor  dem  Gittervisiere  befand. 

Die  halb  offenen  Helme  waren  bei  den  eigentlichen  oder 
Hauptturnieren  in  Gebrauch,  in  denen  nur  mit  Kolben  oder  Schwert, 
aber  nicht  mit  der  schweren  Lanze  gekämpft  wurde,  und  daher  für 
das  Gesicht  keine  Gefahr  bestand. 

Im  XV.  Jahrh.  wurde  die  Kesselhaube  durch  die  Schale  ver- 
drängt. Es  ist  dies  ein  Helm  deutschen  Ursprunges,  der  bei  den 
zeitgenössischen  Schriftstellern  auch  „Schaller'*  heißt  Anfangs  mit 
fester  Lichtöffnung,  später  mit  beweglichen  Visieren  versehen,  war  er 
jedoch  so  kurz,  daß  sie  nicht  übcrr  die  Nasenspitze  reichten  und  des- 
halb das  „Kinnstück'*,  das  auf  den  oberen  Teil  des  Brustschildes 
geschraubt  wurde,  zum  Schutze  von  Hals,  Kinn  und  Mund  unentbehr- 
lich machten.  Oft  bestand  auch  das  Kinnstück  mit  dem  Halsberge 
aus  einem  Stücke. 

Die  Schalen  oder  Seh  all  er  sind  durch  ihren  Nackenschutz 
gekennzeichnet  und  besaßen  Ähnlichkeit  mit  dem  Eisenhut.  Letz- 
terer Helm,  der  weder  Visier  noch  Nackenschutz  aufwies,  war  ver- 
schieden geformt  und  mit  breiten  Rändern  versehen ;  er  reicht  gerade 
wie  die  „Eisenkappe**  —  den  vorhandenen  alten  Wandmalereien 
sowie  den  Handschriften  nach  —  bis  gegen  Ende  des  XII.  Jahrhs. 
zurück,    findet  sich  jedoch    auch   noch   im  XVII.  Jahrh.,  wenn  auch 


—     286     — 

dann  mit  Wangenklappen,  Nasenbeine  und  Nackenschutz  au^erüstet 
Die  Eisenkappe,  sehr  schwer  und  dick,  diente  im  XVL  und 
XVII.  Jahrh.  bei  Belagerungen, 

Außer  den  genannten  ist  noch  der  Burgunderhelm  zu  er- 
wähnen, der  dem  XV.  Jahrh.  angehört;  seine  gewölbte  Glocke  war 
mit  Kamm,  Augenschirm,  Wangenklappen  und  Nackenschutz  versehen. 
Seine  kleinere  Nebenform  war  die  Burgunderkappe. 

Der  Visierhelm,  der  sich  von  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhs. 
bis  zur  Mitte  des  XVII.  Jahrhs.  erhielt,  muß  als  der  vollkommenste 
Helm  genannt  werden.  Damit  wären  die  wesentlichsten  Helmt>rpen 
aufgezählt  Aber  neben  diesen  Typen  gab  es  noch  eine  große 
Menge  der  verschiedenartigst  geformten  Helme,  wie  der  Morian, 
der  Birnhelm  usw.,  die  den  Bogenschützen  und  Fußsoldaten  als 
Kopfschutz  dienten. 

Was  die  nach  den  Vorbildern  der  Antike  geformten  Helme  der 
Renaissance  anlangt,  so  waren  diese  mehr  Schmuck-  und  Parade-  als 
Kriegs-  und  TumierwafTen.  Ihr  archäologischer  Wert  ist  demnach  ge- 
ring. Die  Sitte,  auf  dem  Helme  noch  einen  besonderen  Schmuck 
anzubringen,  scheint  bis  in  die  Frühzeit  zurückzugehen.  Nach  Plutarch 
zierten  die  Kimbern  ihre  Helme  mit  oft  ftlrchterlichen  und  schrecken- 
erregenden Figuren,  und  diese  Sitte  findet  sich  bei  der  mittelalter- 
lichen Ritterschaft  wieder.  Zur  rechten  Ausrüstung  eines  Ritters  ge- 
hörte auch  ein  besonderer  Schmuck  auf  seinem  Helme.  Diese  Helm- 
zierden, oft  phantastische  Bilder  darstellend,  die  in  späterer  Zeit,  als 
der  einzelne  Ritter  sie  schon  längst  nicht  mehr  trug,  in  ihre  Wappen 
übergingen  und  sich  auf  den  Helmen  der  Wappen  erblich  als  heral- 
dische Abzeichen  erhielten,  wurden  Zimier,  Helmkleinode,  auch 
Helmzier  oder  Helmschmuck  genannt.  Um  sie  zu  befestigen, 
legte  man  um  den  Helm  eine  Wulst,  aus  dem  dann  die  Kronen  oder 
Kissen  entstanden.  Auch  der  Dank,  den  der  Ritter  im  Turnier  er- 
hielt, prangte  oft  auf  seinem  Helme,  und  da  jener  oft  aus  Kronen 
oder  Kränzen  bestand,  die  der  Sieger  als  seinen  größten  Schmuck, 
als  sein  persönlich  erworbenes  Gut  ansah,  der  ihm  von  Frauenhand 
überreicht  wurde,  so  war  die  Bezeichnung  gekrönter  Helm  gleich- 
bedeutend mit  Turnierhelm.  So  nur  wird  der  Ausspruch  jenes 
Rhters  verständlich,  der  ein  ihm  als  Geschenk  angebotenes  pracht- 
volles Zimier  mit  den  Worten  zurückweist:  „Ich  habe  nie  einen  an- 
deren Schmuck  getragen,  als  den  durch  das  Schwert  erworbenen." 
In  der  Limburgischen  Chronik  heißt  es  unter  anderem:  „In  derselbigen 
Zeit  (135 1)  erschienen  und  manch  Jahr  zuvor,    die  Ritter  gewappnet 


—     237     — 

mit  Platten  und  mit  ihren  gekrönten  Helmen,  darunter  hatten  sie 
kleine  Bundhauben.'* 

Die  Helmzeichen  galten  jedoch  anscheinend  „nicht  immer** 
als  sicheres  Erkennungszeichen  für  dessen  Träger,  wie  es  in  den  fol- 
genden Jahrhunderten  der  Fall  war.  Dies  lehrt  eine  Stelle  aus  Ulrichs 
von  Lichtenstein  „Frauendienst**,  in  der  er  von  der  „Zubereitung** 
zum  Turniere  spricht:  „Samt,  Zobel,  Pfeile,  Hermin,  Zendal  schnitt 
man  freudig  ohne  Maßen  viel  zum  Tumei,  Silber  und  Gold  wurde 
auf  Zendal  gelegt,  mancher,  der  das  nicht  hatte,  schnitt  Bukram  (?), 
jeder  ziemierte  *)  sich,  wie  er  wollte.** 

Die  Helmdecken  kamen  erst  ziemlich  spät  in  Gebrauch,  ob- 
gleich es  bereits  im  XII.  Jahrh.  allgemein  Sitte  war,  daß  die  Ritter 
Schleier,  Tücher,  Bänder,  sogar  Ärmel,  die  sie  von  ihren  Damen 
erhielten,  an  den  Helmen  befestigten. 

Die  Zimiere  war  der  vorzügUchste  Platz,  um  den  Dank  der 
Frauen  oder  sonstige  2^chen  ihrer  Gunst  anzubringen,  und  man  wird 
nicht  viel  fehlgehen,  wenn  man  in  diesem  Gebrauche  den  Ursprung 
der  Helm-  und  Waffendecken  sucht*),  die  auch  Helmbinden, 
auch  wohl  Helmlör  oder  Brünnlör  hießen.  Unter  Lör  ist  die 
Binde  zu  verstehen.  Auch  der  Name  Zindelbinde^)  kommt  oft  für 
Helmdecke  vor. 

Die  Vorläufer  der  Helmdecken  waren  wohl  Tücher,  die  den  Zweck 
hatten,  den  Träger  des  Helmes  vor  den  UnbUden  der  Witterung, 
namentlich  der  brennenden  Sonnenglut,  zu  schützen. 

Schild,  Helm  und  Helmdecken,  in  denen  der  Regel  nach  die 
Hauptfarben  des  Wappens  wiederkehren,  sind  die  drei  alten,  wesent- 
lichen BestandteUe  eines  Wappens ;  sie  bUdeten  bereits  im  XIII.  Jahr- 
hundert ein  harmonisches  Ganze,  und  waren  unstreitig  geeignet,  eine 
mit  ritterlichen  Vorzügen  ausgestattete  Persönlichkeit  zu  kennzeichnen. 
Diese  des  Schmuckes  halber  oft  ausgezackten  sowie  durch  den  Ge- 
brauch zerfetzten  Helmtücher  wandelte  dann  der  omamentale  Gestal- 
tungssinn der  Wappenmaler  und  Bildhauer  in  jene  reichen  Arabesken- 


i)  Von  „Zimier**  (>a  Helmkleinod)  gebildet 

2)  Nach  anderer  Ansicht  sind  die  Helmdecken  dorch  die  Einftthning  der  Wappen 
während  der  Kreozzttge  entstanden,  und  swar  nicht  allein  infolge  der  Anregung,  die  der 
färben-  nnd  formenreiche  Orient  den  abendlündischen  Kriegern  gewfihrte,  imd  die  eine 
vielfach  höchst  phantastische  Geschmacksrichtang  in  der  Wappenbildnerei  sor  Folge  ge* 
habt  haben  soll,  sondern  vor  allem  dadurch,  dafl  ein  dritter  Wappenbestandteil  notwen- 
dig wurde,  und  das  waren  eben  die  Helmdecken. 

3)  Zindel  ist  ein  leichter  Taft. 


—     238     — 

gebilde  um,  die  wir  noch  heute  auf  Wappenbildem  fioden.  Bei 
Verleihung  der  Ritterwürde  war  der  Helm  unentbehrlich:  er  wurde 
bei  Erteilung  des  Ritterschlages  dem  Ritter  als  2^ichen  der  neuen 
Würde  aufgesetzt. 

Zu  den  Obliegenheiten  des  Knappen  gehörte  es  auch,  seinem 
Herrn  den  Helm  in  gehöriger  Art  aufzusetzen  und  festzuschnüren. 
Ein  Versehen  dabei  konnte  bei  einem  Turniere  oder  im  Emstkampfe 
verhängnisvolle  Folgen  haben  *).  Hatte  während  des  Turniers  ein 
Ritter  das  Visier  aufgeschlagen,  oder  gar  den  Helm  abgenommen 
—  „abgebunden"  — ,  galt  es  als  ehrlos,  ihn  anzugreifen.  Das 
Abnehmen  des  Helmes  war  daher  das  Zeichen  dafiir,  daß  der  Ritter 
nicht  mehr  kämpfen  wollte;  umgekehrt  bedeutete  „mit  aufgebundenem 
Helme",  daß  der  Ritter  zum  Kampfe  bereit  sei.  Durch  das  Ab- 
nehmen des  Helmes  bezeigte  der  Ritter  auch  seine  Achtung  vor  den 
Großen  und  seine  Demut  vor  Gott  und  den  Heiligen,  aber  auch  ein 
Akt  der  Höflichkeit  war  mit  dem  Abnehmen  des  Helmes  verbunden  '). 
Auch  der  gefangene  Ritter  band  seinen  Helm  ab. 

Als  Symbol  der  Gastfreundschaft  galt  der  Helm  ebenfalls.  Ein 
auf  den  Zinnen  der  Burgen  angebrachter  Helm  gab,  wenigstens  in 
Frankreich,  davon  Kunde,  daß  ein  jeder  fahrende  Ritter  versichert 
sein  könne,  daselbst  eine  freundliche  Aufnahme  zu  finden. 


Die  vollkommene  Ausbildung  der  Rüstung  war  im  Norden  viel 
früher  vollendet  als  in  Frankreich,  wo  sich  die  Übergangsepoche 
bis  in  den  Anfang  des  XIV.  Jahrhs. ,  bis  in  die  Zeit  Philipps  IV. 
(1285 — 1314),  erstreckt.  Die  gegen  1210  entstandene  deutsche  Hand- 
schrift von  „  Tristan  und  Isolde "  zeigt  die  Ritter  bereits  in  Schienen- 
rüstung, während  die  Miniaturen  einer  burgundischen  Handschrift  des 
XV.  Jahrhs.  der  Bibliothek  des  Arsenals  zu  Paris  •)  noch  den  Ma- 
schenhaubert,  demnach  eine  weit  weniger  vorgeschrittene  Bewaffnung 
aufweisen. 

Alle  Stücke   der  Rüstung  waren   so   eng  miteinander  verbunden, 

i)  Es  heißt  daher  anter  den  Vorschriften  für  einen  Ritter:  Euer  Helm  Bty  weder 
zu  fest  noch  zu  lose,  sondern  so,  daß  er  paßt,  aufgeschnürt, 

2)  Als  WigoUis  zur  Königin  Ginevr«,  der  Gemahlin  des  Königs  Artus,  kommt  nnd 
die  Königin  erblickt,  so  band  er  seinen  Helm  ab: 

Und  setzt  in  auf  den  satelbogen, 
Er  war  hofsch  vnd  wol  gezogen. 

3)  Es  ist  das  die  Handschrift  einer  römischen  Geschichte,  die  für  den  burgundi- 
schen Herzog  Johann  Obnefurcht  (1401 — 141 9)  geschrieben  sein  soU,  die  jedoch  erst 
dem  Ende  des  XV.  Jahrhs.  anzugehören  scheint. 


—     239     — 

daß  im  ehrlichen  Kampfe,  Mann  gegen  Mann,  nicht  so  leicht  ein  Stoß 
durch  ihre  Fugen  dringen  konnte,  aber  ein  Hieb  noch  weniger  im- 
stande war,  eine  Verletzung  herbeizuführen.  Die  mit  aller  Kraft  ge- 
führten Hiebe,  sei  es  mit  dem  Schwerte  oder  dem  Kolben,  ver- 
mochten nur  eine  Betäubung  des  Ritters  und  hierdurch  eine  Trennung 
vom  Streitrosse  herbeizuführen,  wodurch  dann  allerdings  der  Ritter 
der  Gnade  des  Siegers  anheimgestellt  war;  denn  letzterer  hatte  nun 
das  Recht,  von  seinem  Dolche,  dem  Panzerbrecher,  Gebrauch  zu 
machen.  Bei  der  deutschen  Ritterschaft  geschah  dies  jedoch  viel  seltener 
als  bei  der  italischen  und  spanischen.  Am  wenigsten  aber  wurde  der 
Dolch  in  Deutschland  in  meuchelmörderischer  Absicht  benutzt. 

Die  Panzer,  meist  aus  geglättetem  und  hellglänzendem  Stahl 
verfertigt,  waren  oft  mit  reich  damaszierten  oder  tauschierten  und  ge- 
triebenen Ornamenten  und  Figuren,  oder  mit  geätzten  Gravierungen 
versehen,  deren  Detailausführungen  einen  hohen  künstlerischen  Wert 
aufwiesen.  Wenn  auch  im  Oriente,  besonders  in  Hindustau,  Persien, 
Khorasan  und  anderen  Orten  die  Anfertigung  von  Luxuswaffen  schon 
einen  hohen  Grad  der  Vollendung  hinsichtlich  des  „Inkrustierens'* 
und  „Damaskinierens"  oder  der  „Tauschierarbeiten"  zu 
einer  Zeit  erreichten,  als  man  in  Deutschland  sich  noch  größtenteils 
der  WafTen  aus  grobgeschmiedetem  Eisen  bediente,  so  gehört  die 
Kunst  des  Eisentreibens,  die  nicht  mit  dem  Ausstechen  oder 
Stechen  zu  verwechseln  ist,  sowie  die  Zusammensetzung  vollstän- 
dig gegliederter  Plattenrüstungen  dem  christlichen  Mittelalter  und  den 
nordischen  Völkern  an.  Das  Inkrustieren  oder  Damaskinieren  besteht 
im  Einlegen  dünner  Gold-  oder  Silberfäden  in  Eisen  oder  Stahl,  also 
Metall,  während  das  Einlegen  in  Holz  „  marketieren "  heißt. 

Gegen  Ende  des  XV.  Jahrhs.  übertrafen  die  getriebenen  Ar- 
beiten Mitteleuropas  hinsichtlich  ihrer  Zeichnungen  die  Erzeugnisse 
der  orientalischen  Waffenschmiede  bei  weitem,  und  erreichten  gleich- 
zeitig den  höchsten  Grad  der  Vollendung.  Die  Waffenschmiede 
brachten  es  dahin,  die  Helmglocke  aus  einem  einzigen  Stücke,  ohne 
j^liche  mechanische  Hilfe,  zu  hämmern,  und  ihre  Rüstungen  suchen 
ihresgleichen  ^). 


i)  Bekannte  Waffenichmiede  sind:  Desiderias  Kollmann  in  Augsbarg  gegen 
1533;  Lorens  Plattner,  der  Waffenkänstler  Maximilians  I.;  Wilhelm  Seusen- 
hofer  ans  Innsbmck,  der  Waffenkttn stier  Karls  V.  und  Ferdinands  I.,  gestorben  1547; 
Georg  Springenklee  in  Passaa;  Klemens  Hörn  und  Johann  Hopp  in  So- 
lingen, nach  1500;  Peter  Pah  und  Bulff  in  München.  Die  Namen  der  Maler 
Schwarz,    van    Achen    (gestorben    1597),    Brockberger,   Johann    Milich    in 

18 


—     240     — 

Spanien  hat  aus  München  und  Augsburg  reiche  Rüstungen  be- 
zogen, die  in  der  Armeria  real  zu  Madrid  lange  als  die  Werke 
italienischer  und  spanischer  Meister  aufbewahrt  wurden,  bis  ihr  deut- 
scher Ursprung  unzweifelhaft  bewiesen  wurde. 

Es  ist  jedoch  nicht  zu  leugnen,  daß  die  von  diesen  Meistern 
hinterlassenen  prachtvollen  Werke  denEinflufi  ausländischen  Geschmacks 
verraten;  denn  die  Renaissance  zeigte  sich  auch  in  der  WafTenschmiede- 
kunst,  in  der  Ornamentik  und  in  den  wunderbar  ziselierten  Arbeiten. 
Sie  führte  aber  auch  durch  die  Herrschaft  der  Reminiszenzen  zu  einer 
verkünstelten  Antike. 

Was  die  Formen  der  Schienenrüstung  anbelangt,  so  haben  sich 
diese  im  XV.  und  XVI.  Jahrh.  bedeutend  geändert,  denn  sie  paßten 
sich  der  Zeit  an,  und  man  kann  behaupten,  daß  die  Mode  auf  ihre 
Umgestaltung  derart  eingewirkt  hat,  daß  sich  die  Rüstungen  nach 
ihrer  Art  und  Entstehungszeit  leicht  bestimmen  lassen.  Dabei  ist  je- 
doch zu  berücksichtigen,  daß  die  Umgestaltungen  auch  durch  die 
veränderte  Fechtweise  infolge  der  Verbreitung  der  Feuergewehre  ge- 
radezu unvermeidlich  wurden. 

Während  des  XV.  Jahrhs.  war  die  Form  der  Rüstung  in  allen 
ihren  TeUen  gotisch,  und  die  gotische  Bewaffnung  germanischen 
Ursprungs  nahm  überall  dorthin  ihren  Weg,  wo  der  Geist  des  echten 
Rittertums  herrschte.  Alles  war  harmonisch  gegliedert,  und  die 
Rüstungen  einschließlich  des  Schwertes  bieten  die  schönsten  Typen 
ritterlicher  Bewaffnung.  Aber  die  edeln  Linien  verlieren  sich  bereits 
gegen  das  Ende  des  XV.  Jahrhs.  Der  Brustschild  wölbt  sich  immer 
mehr,  und  im  Anfange  des  XVI.  Jahrhs.  weisen  die  einzelnen  Teile 
der  Rüstung  eine  größere  Ausdehnung  auf. 

Die  dieser  Epoche  angehörende  gerippte  Rüstung,  auch  Mai- 
länder oder  Maximilianische  Rüstung  genannt,  eine  deutsche  Erfindung 
aus  MaximUians  I.  Zeit,  zeichnete  sich  durch  schöne  rippenartige  Aus- 
kehlungen aus,  die  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  häufig,  durch 
kunstvoll  geätzte  oder  gravierte  Zeichnungen  geziert  sind. 

Die  Hamischtracht,  die  unter  Maximilian  I.  in  ihrer  höchsten 
Blüte  stand,  erreichte  gegen  Ende  des  XVI.  Jahrhs.  ihre  größte  Voll- 
endung, doch  vermochte  die  Eiseneinhüllung  in  dieser  Zeit  g^en  die 


MfiDchen  (gestorben  1592),  welche  die  Zeichnungen  fUr  diese  illnstren  Meister  lieferten, 
sind  unzertrennlich  von  der  deutschen  Waffenschmiedekunst.  —  Nicht  za  vergessen  sind 
auch  die  beiden  Nürnberger  Meister  Wohlgemath  (1434-  15 19)  und  dessen  Schfiler 
Albrecht  Dürer,  1471  geboren,  welche  die  Rüstungen  mit  geätzten  Graviermigen 
—  ihrer  Erfindung  —  versahen. 


—     241     — 

sich  immer  mehr  verbreitende  Feuerwaffe,  die  dem  Fernkampfe  das 
Übergewicht  verschaffte,  keinen  hinreichenden  Schutz  mehr  zu  ge- 
währen. Die  Rüstung  erfüllte  ihren  Zweck  nicht  mehr,  und  sie  ver- 
fiel, gerade  wie  das  Rittertum,  infolge  der  geänderten  Kriegskunst 
schnell,  um  in  der  zweiten  Hälfte  des  XVII.  Jahrhs.  völlig  außer 
Gebrauch  zu  kommen. 

Ein  Rüstungsstück  verschwindet  nach  dem  anderen :  bald  wird  kein 
Armzeug  mehr  benutzt,  und  an  Stelle  des  Beinschutzes  und  der  Eisen- 
schuhe treten  die  Reitstiefel  und  der  Gamaschenstiefel.  Wir  stehen 
vor  der  sogenannten  Halbrüstung.  Bevor  jedoch  diese  eingeführt 
wurde,  nehmen  die  Brustschilde  der  Rüstungen  groteske  Formen  an, 
und  das  ist  das  Anzeichen  für  den  vollständigen  Verfall  der  Rüstung. 
In  Deutschland  sehen  wir  zur  Zeit  des  Dreißigjährigen  Krieges  bereits 
den  Lederkoller  mit  leichter  Halsberge  an  Stelle  des  Kürasses  oder 
Brustpanzers,  der  sich  mit  dem  Helme  bis  auf  unsere  Zeiten  nur  bei 
einigen  Reiterregimentern  erhalten  hat. 

Was  die  Tumierrüstungen  anbelangt,  so  waren  sie  immer  schwerer 
als  die  für  den  Kriegsdienst  bestimmten.  Hinsichtlich  der  Dimensionen 
aller  Rüstungen  des  XIV.  bis  XVI.  Jahrhs.  gilt,  daß  sie  ziemlich  eng 
sind  und  von  kräftig  gebauten  Männern  unserer  Generation  nicht 
getragen  werden  könnten. 

Um  die  Streiche  des  Gegners  zu  entkräften,  zugleich  um  —  be- 
sonders bei  den  Maschenharnischen  —  empfindliche  Quetschungen 
hintanzuhalten,  trugen  die  Ritter  unter  dem  Harnisch  ein  aus  Lcder, 
Leinwand  oder  seidenem  Zeuge  hergestelltes  Wams  ohne  Ärmel, 
Gambeson  oder  Gamboison,  auch  Watnbasium  genannt,  das  mit  Baum- 
wolle, Werg  oder  dergleichen  leicht  bepolstert  war.  Als  die  neue 
Rüstung  das  Maschenpanzerhemd  verdrängte,  erfuhr  auch  das  Unter- 
kleid insofern  eine  Änderung,  als  nunmehr  an  dem  Wams  sitzende 
Rüsthosen  und  Rüststrümpfe  gleichfalls  aus  leicht  gefüttertem 
Leder-  oder  Leinenzeug  üblich  wurden. 

Zwischen  Wams  und  Harnisch  soll  zum  Schutze  der  Brust  bis- 
weilen noch  eine  Eisenplatte  eingefügt  worden  sein;  ja  nach  Wilhelm 
de  Breton  wurde  sie  sogar  unter  dem  Wams  getragen,  was  jedoch 
an  sich  unwahrscheinlich  ist. 

Die  herrlichste  Zierde,  die  der  Ritter  über  die  ganze  Rüstung  zog, 
war  der  Waffenrock.  Dieses  Oberkleid,  in  Form  einer  Dalmatika, 
stets  ohne  Ärmel,  aus  feinstem  Tuche  hergestellt,  war  meist  mit  Gold 
und  Silber  reich  durchwirkt,  mit  prächtigem  Pelzwerk  oder  mit  kost- 
barem Zeug  geftittert  oder  verbrämt,  und  mit  den  Wappen  des  Trägers 

18* 


—     242     — 

geziert.  Der  Gewohnheit  der  Zeit  entsprechend  waren  auch  die  Waflfen- 
rocke  gelegentlich  mit  Denksprüchen  geziert.  Ein  höchst  kostbarer 
Waffenrock  galt  als  vorzügliches  Kennzeichen  ritterlicher  Würde.  Nur 
ein  Ritter  durfte  einen  Waffenrock  tragen,  und  einem  Knappen  war 
er  ebensowenig  gestattet  wie  ein  Ritterpanzer.  Allzu  großen  Luxus  in 
Waffenröcken   suchten  besondere  Vorschriften  hintanzuhalten. 

Je  nach  der  Sitte  der  Zeit  oder  dem  eigenen  Ermessen  des  Rit- 
ters entsprechend,  war  der  Waffenrock  von  verschiedener  Länge  und 
reichte  meist  bis  zu  den  Knien,  bisweilen  auch  bis  zu  den  Knöcheln. 
Die  Farbe  des  Tuches  ward  willkürlich  gewählt;  doch  war  das  Schar- 
lachrot wegen  seines  in  die  Augen  fallenden  Glanzes  besonders  beliebt  *). 

Ulrich  von  Lichtenstein  gibt  uns  folgende  Beschreibung  seiner 
Bekleidung,  als  er  als  König  Artus  verkleidet,  vom  Paradiese  kom- 
mend, von  neuem  in  die  Welt  zieht,  um  die  Ritterschaft  der  Tafel- 
runde wieder  herzustellen.  Er  sagt:  „Auch  legte  ich  einen  Halsberg 
an,  von  festen  leuchtenden  Stahl,  scharlachrot  war  mein  Wappenrock, 
mit  gelben  Zendal  gefuttert,  seine  Länge  schwang  bis  auf  die  Erde*). 
Über  den  Knien  war  er  mit  Borten  gezegelt  und  meisterlich  gegattert. 
Über  dem  Wappenrock  führte  ich  einen  Gürtel,  deß  Borte  war  grün 
und  mit  Gold  beschlagen,  an  meiner  Brust  sah  man  ein  köstlich  Heft- 
lein von  Gold.  Da  zog  man  mir  mein  Roß  her,  das  war  wohl  ver- 
deckt mit  Scharlach,  die  Decke  reichte  bis  an  den  Huf,  sie  war  dem 
Wappenrock  gleich  gefüttert,  und  mit  Borten  reich  gegattert.  Ich  stieg 
zu  Roß  und  band  den  Helm  zu  Haupte,  der  war  mit  einer  goldenen 
Wele  ^)  gezimiert,  um  die  ging  ein  Kranz  von  Scharlach,  die  Zegel*) 
schwankten  bis  auf  die  Fenster  ^).  Dann  nahm  ich  den  Schild  zu  Halse, 
er  war  wie  der  Wappenrock  von  Scharlach,  und  reich  mit  Borten 
gegattert,  er  hing  voll  Schellen,  die  lauten  Klang  von  sich  gaben." 
Man  sieht,  daß  auch  hier  die  Scharlachfarbe  vorherrschte.  Sie  hat  sich 
bei  Krönungsmänteln  sowie  bei  feierlichen  Aufzügen  in  der  Kleidung 
hoher  obrigkeitlicher  Personen  bis  in  die  neuere  Zeit  erhalten. 

Um  das  Flattern  des  Waffenrockes  hintanzuhalten,  das  den  Ritter 

i)  Der  Farzival  dargereichte  Mantel  hatte  eine  rote  Farbe,  und  im  „Iwain^'  heifit  es: 
,,  Ein  scharlachenes  Mantelein  gab  sie  mir  an.<^  „  Scharlach  <^  bezeichnet  jedoch  im 
Mittelalter  nicht  immer  die  Farbe,  sondern  auch  oft  ein  feines  TucIl,  so  dofi  einmal  so- 
gar von  hrün  scharla^hen  die  Rede  sein  kann. 

2)  Das  bezeugt  die  übergroße  Länge  der  Waffenröcke,  die  besonders  auf  den  Sie- 
geln so  auffallend  lang  dargestellt  sind,  daß  es  ans  kaum  möglich  erscheint. 

3)  Das  heißt  mit  einem  zusammengefalteten  Tuche  geziert. 

4)  Das  waren  die  Enden  oder  Zipfel. 

5)  Das  heißt  bis  zu  dem  Visier  des  Helmes. 


—     243     — 

in  der  freien  Bewegung  hindern  konnte,  wurde  ein  schmales  Gürtel- 
band oder  eine  Schärpe  um  die  Hüfte  angelegt,  der  Rittergürtel, 
ein  breiter,  reich  verzierter  Gurt,  in  dem  links  das  Schwert  und  rechts 
der  Dolch  steckte. 

Aus  der  Farbe  der  Schärpe  konnte  man  zuweilen  erkennen,  welcher 
Nation  der  Ritter  angehörte.  So  trugen  die  Engländer  rote,  die  Fran- 
zosen weiße  Schärpen.  Die  letzteren  fügten  auch  ihnen  noch  ihre 
eigene  Hausfarbe  hinzu,  und  nannten  diese  ihre  Leibfarbe,  „Livrei**, 
woraus  sich  später  der  Name  der  Tracht  der  Bedienung  entwickelte. 
Die  deutsche  Ritterschaft  wählte,  sofern  sie  sich  nicht  der  Farben 
ihrer  Wappenbilder  bediente,  als  Farbe  ihrer  Schärpen  die  Farbe  ihrer 
Damen.  Da  später  die  F^arbe  der  Schärpe  an  Bedeutung  gewann,  wurde 
sie  auch  über  die  Rüstung  gelegt,  aber  nicht  mehr  um  die  Hüften, 
sondern  von  der  rechten  Schulter  zur  linken  Hüfte  überhängend. 

Das  wichtigste  Attribut  der  Ritterwürde  waren  die  Sporen,  die 
dem  Ritter  nebst  den  anderen  Rüstungsstücken  bei  Erteüung  des 
Ritterschlages  in  feierlicher  Weise  angelegt  wurden.  Ohne  mich  auf 
die  verschiedenen  Formen  der  Sporen  hier  einzulassen,  sei  nur  auf 
deren  symbolische  Bedeutung  in  aller  Kürze  hingewiesen. 

Schon  bei  deren  Anlegung,  die  zuweilen  auch  Frauen  vornahmen, 
wurde  dem  jungen  Ritter  die  Mahnung  zuteil,  daß  ihn  die  Sporen 
hauptsächlich  daran  erinnern  sollten,  daß  Tapferkeit  und  Ehre  der 
einzige  Sporn,  der  einzige  Antrieb  zur  edeln  Tat  für  ihn  sein  dürften. 
Die  Redensart  „nach  goldenen  Sporen  streben",  „die  Sporen  ver- 
dient haben"  bedeutet  nach  der  Ritterwürde  streben,  oder  dieselbe  er- 
langt haben. 

Der  Besiegte  mußte  dem  Sieger  nebst  dem  rechten  Handschuh 
den  rechten  Sporn  übergeben  als  Zeichen,  daß  er  die  Bedingungen, 
unter  denen  ihm  das  Leben  geschenkt  oder  die  Gefangenschaft  er- 
lassen wurde,  treu  erfüllen  werde.  Die  Sporen  wurden  auch  als 
Siegestrophäen  in  den  Kirchen  aufbewahrt,  und  nicht  selten  den  Rit- 
tern auch  in  den  Sarg  gelegt. 

Auch  noch  spät  bildeten  die  Sporen  ein  Merkmal  des  Adels  als 
solchen  und  zwar  hielten  sich  Ritterbürtige  auch  dann  für  berechtigt, 
Sporen  zu  tragen,  wenn  sie  nicht  Gelegenheit  hatten,  ein  Reitpferd 
zu  besteigen,  oder  überhaupt  keines  besaßen.  Demgemäß  legten  ehe- 
dem auch  die  Doktoren  beider  Rechte,  die  als  solche  für  adlig  er- 
achtet wurden ,  als  Zeichen  ihrer  hohen  Würde  wenigstens  bei  dem 
feierlichen  Akte  der  Promotion  Sporen  an. 


—     244     — 


Mitteilungen 

Archive»  —  Die  Organisadon  des  staatlichen  Archivwesens  in  Würt- 
temberg ist  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  bekannt  ^) ,  und  auch  die  Ent- 
stehung und  der  Inhalt  des  Finanzarchivs  zu  Ludwigsburg,  das  dem 
Kgl.  Finanzministerium  untersteht,  ist  schon  kurz  berührt  worden.  Nunmehr 
ist  als  erstes  Heft  Württembergischer  Archmnventare,  herausgegeben  Ton 
der  Württembergischen  Kommission  für  Landesgeschichte,  eine  Publikation 
erschienen,  die  uns  wenigstens  mit  einem  Teile  der  Bestände,  nämlich  denen 
der  herzoglichen  Rentkammer ,  näher  bekannt  macht  *),  In  der  Einleitung 
wird  die  Entstehung  des  Finanzarchivs  (1806)  und  seine  Zusammensetzung 
beschrieben:  den  Grundstock  bilden  die  Akten  der  herzoglichen  Finanz- 
verwaltung (Herzogliche  Rentkammer)  und  die  der  Kirchengutverwal- 
tung  (Herzoglicher  Kirchenrat),  denen  noch  andere  Abteilungen  an- 
gegliedert worden  sind.  Durch  voreilige  Aktenausscheidung  in  den  ersten 
Jahrzehnten  des  XIX.  Jahrhunderts  sind  wertvolle  Teile  verloren  gegangen, 
so  die  Akten  über  die  Erbauung  des  Ludwigsburger  und  Stuttgarter  Schlosses, 
der  Solitude  und  anderer  Bauten,  während  andere  als  geschichtlich  beson- 
ders wichtig  erkannte  Archivalien  dem  Kgl.  Staatsarchiv  einverleibt  worden 
sind.  Trotzdem  ist  aber  noch  ein  recht  bedeutender  Rest  vorhanden,  der 
in  dem  vorliegenden  Hefte  übersichtlich  beschrieben  imd  dadurch  der  Öffent- 
lichkeit zugänglicher  gemacht  wird. 

Als  Beilagen  sind  abgedruckt  die  Verordnungen  über  die  Geschäfts- 
ftihrung  des  Kammerkollegiums  von  1728  und  über  die  Organisation  des 
Kollegiums  1791,  wodurch  zugleich  der  Wirkungskreis,  aus  dem  heraus 
Akten  entstanden  sind,  trefflich  gekennzeichnet  wird,  wenigstens  ftir  das 
XVIÜ.  Jahrhundert.  Für  die  ältere  Zeit  bietet  einen  gewissen  Ersatz  dafür 
die  Aufzählung  der  Einnahme-  und  Ausgabeposten  der  Landschreiberei- 
rechnungen von  1484—86,  1584 — 85,   1684/85  imd  1784/85. 

Der  Hauptteil  (S.  6 — 147)  enthält  eine  ziemlich  ins  einzelne  gehende 
Übersicht  über  die  Bestände,  die  sich  offenbar  eng  an  das  handschriftliche 
Inventar  anschließt  Darin  liegt  zugleich  ein  unverkennbarer  Mangel  der 
Veröffentlichung,  insofern  einesteils  ganz  unnötigerweise  viele  Formehi  des 
Kanzleistils  abgedruckt  werden,  während  andemteils  fUr  den  fremden  Be- 
nutzer recht  wesentliche  Angaben  fehlen,  nämlich  Andeutungen  über  den 
Umfang  der  einzelnen  bezeichneten  Akten.  In  einem  gedruckten  Archiv- 
inventar darf  man  sich  zweifellos  kürzer  fassen  als:  Die  Veranstaltungen 
und  Festivitäten  aus  Afilafs  der  Vermählung  des  Hereogs  Karl  mit  der 
Prinzessin  lYiederike  Sophie  inm  Brandenburg  -  Bayreuth  1748151  (S.  7). 
Recht  wissenswert  für  einen,  der  diese  Akten  benutzen  will,  ist  dagegen, 
wieviel  Faszikel  über  dieses  Ereignis  vorliegen.  Eine  kurze,  aber  treffende 
Kennzeichnung  des  Tatbestandes  ist  dagegen  auf  derselben  Seite  die :  Fürstl. 


i)  Vgl.  2.  Bd.,  S.  29—32  und  6.  Bd.  S.  134—135. 

2)  Bas  würitemhtrgische  Finanzarchiv.  I.:  Die  Akiensammlung  der  hersag- 
liehen  Rentkatnmer  von  £.  Denk.  Stattgart,  W.  Kohlhammer,  1907.  IV  n.  160  S. 
8°.     JH  2,00. 


—     245     — 

Beiseteungs-  und  Trauerakien  (38  FäUe)  158311799,   während  Der  fürst- 
brüderliche  Vergleich  1777180  offenbar  zu  wenig  besagt. 

Trotz  dieser  Mängel  in  der  Sachbezeichnung  sind  die  Mitteilungen  na- 
mentlich für  die  Wirtschaftsgeschichte  des  XVII.  und  XVIU.  Jahrhunderts 
ganz  außerordentlich  wertvoll,  ja  für  allgemeinere  Zwecke  besagen  schon  die 
kurzen  Angaben  des  Inventars  teilweise  genug,  so  z.  B.,  daß  es  1731  bis 
1751  herzogliche  „Kindbettstuben*'  gegeben  hat  (S.  7)  oder  daß  1747 — 52 
württembergisches  Holz  für  die  Pforzheimer  Industrie  gegen  Lieferung  von 
1000  bis  1500  Zentner  Eisenwaren  abgegeben  wurde  (S.  16).  Für  die 
Geschichte  der  Bezirksämter  und  der  in  ihnen  gelegenen  Orte  liegt,  wie 
Angaben  über  die  Akten  der  in  alphabetischer  Ordnung  aufgeführten  Ober- 
amteien  und  Kellereien  (S.  73 — 121)  erkennen  lassen,  ein  ganz  überaus 
reichliches  Material  vor,  das  bisher  gewiß  nur  zum  kleinsten  Teile  für  die 
Ortsgeschichte  ausgebeutet  worden  ist.  Indes  den  wertvollsten  Teil  der 
Archivbestände  scheinen  die  Akten  über  Forstwesen,  Hütten  und  Salinen, 
Regalien  (Salpeter,  Tabak,  Kalender),  ganz  besonders  aber  diejenigen  über 
Kommerzien,  Fabriken  imd  Manufakturen  (S.  60 — 63)  zu  bilden,  deren 
gründliche  Durcharbeitung  außerordentlich  zu  wünschen  wäre. 


Ober  das  Wesen  der  Landesarchive  der  einzelnen  österreichischen 
Kronländer  unterrichtete  bereits  früher  ein  Aufsatz  von  Michael  Mayr  ^), 
und  zwar  wurde  dort  dasjenige  in  Brunn  als  eines  der  hervorragendsten 
bezeichnet.  Wie  berechtigt  dieses  Urteil  war,  beweist  schlagend  eine  ganz 
prächtige,  äußerlich  sehr  vornehm  ausgestattete  und  inhaldich  mustergültige 
Veröffentlichung,  zu  deren  Herausgabe  der  Umstand  Anlaß  gab,  daß  1907 
das  Landesarchiv  aus  ungeeigneten,  schon  seit  Jahren  unzulänglichen  Räumen 
in  neue,  zweckentsprechende  übergeführt  wurde.  Mit  der  Übersiedlung  war 
aber  zugleich  eine  außerordentlich  starke  Vermehrung  der  Bestände  ver- 
bunden, imd  die  Aktensammlungen  befinden  sich  gegenwärtig  in  einem  sol- 
chen Zustande,  „daß  das  Landesarchiv  nicht  mehr  ein  fiast  unzugängliches 
Depot  verborgener  Schätze,  sondern  ein  interessantes  besichtigenswertes  wissen- 
schaftiiches  Institut  darstellt*^  Diese  Veröffentlichung  führt  den  Titel:  Das 
mährische  Landesarchiv,  seme  Oeschichte,  seme  Bestände,  herausgegeben 
vom  Landesausschusse  der  Markgrafschaft  Mähren,  von  Dr.  Bertold  Bretholz, 
Landesarchivar.  (Brunn,  Verlag  des  mährischen  Landesausschusses  1908, 
161  S.  40.) 

Das  Titelbild  zeigt  den  Prachtbau  des  neuen  Amtsgebäudes  für  den 
mährischen  Landesausschuß,  in  dessen  zweitem  Stock  das  Archiv  gegen- 
wärtig untergebracht  ist.  Auf  fünf  weiteren  Tafeln  ist  der  Grundriß  dieses 
Stockwerks  und  der  Anblick  von  vier  Archivsälen  veranschaulicht,  und  wir 
erkennen  daraus,  daß  die  Aufgabe,  einem  modernen  Verwaltungsgebäude 
zweckmäßige  Archivräume  einzugliedern,  nicht  nur  ganz  vorzüglich  gelöst 
worden  ist,  sondern  daß  zugleich  die  bei  den  neueren  Archivbauten  ge- 
machten Erfahrungen  Verwertung  gefunden  haben.  Die  Beschreibung  der 
Äußerlichkeiten   der   Archiveinrichtung  (S.   70—73)   verdient  die  Beachtung 


i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  5.  Bd.,  S.  317—318. 


—     246     — 

aller,  die  in  dieser  Richtung  Erfahrungen  sammeln  wollen.  Auf  zehn  wei- 
teren Tafeln  sind  wertvolle  Bestandteile  des  Archivs  vorzüglich  reproduziert, 
die  —  in  dieser  Weise  einer  breiteren  Öfiendichkeit  zugänglich  gemacht  — 
gewifi  dazu  beitragen,  das  Interesse  vieler  für  das  Archiv  wachzurufen»  die 
ihm  bisher  teilnahmlos  gegenüberstanden.  Demselben  Zwecke  dient  die 
dauernde  Ausstellimg  von  Archivalien  mannigfachster  Art  und  verschiedensten 
Inhalts,  deren  ausführlicher  Katalog  (350  Nummern,  S.  1 23 — 161)  auch  sachlich 
recht  lehrreich  ist,  weil  er  zugleich  auf  zahlreiche  inhaltlich  und  formell  be- 
deutende Stücke  des  Archivs  hinweist.  Die  Regesten  mit  ihren  Erläutenmgen 
können  überdies  als  mustergültig  gelten. 

Für  die  fernere  Benutzung  des  Archivs  zu  geschäftlichen  und  wissen- 
schaftlichen Zwecken  von  allergrößter  Bedeutung  ist  die  übersichtliche  Be- 
schreibung der  Bestände  (S.  73 — 113)  imd  die  Geschichte  des  Ar- 
chivs (S.  I — 67),  die  sich  gegenseitig  in  der  Weise  ergänzen,  daß  ein  Teil 
immer  erst  durch  den  andern  voll  verständlich  wird.  Was  in  diesen  Blättern 
schon  so  oft  für  jedes  Archiv  gefordert  worden  ist  —  ein  sog.  Über- 
sichtsinventar  — ,  das  liegt  hier  für  das  mährische  Landesarchiv  vor, 
und  an  seiner  Hand  vermag  sich  jeder  Forscher  ein  Urteil  darüber  zu  bil- 
den, welche  Archivalien  er  mit  Grund  dort  suchen  darf.  —  Den  Grundstock 
der  Landesarchive  bildet  in  allen  Kronländem  die  Registratur  der  alten 
Landstände,  über  deren  Verwahrung  wenigstens  seit  dem  XVI.  Jahrhundert 
genauere  Angaben  vorliegen.  Eme  Verwertung  imd  Ordnung  des  Archivs 
in  modernem  Sinne  und  zu  wissenschaftlichen  Zwecken  wurde  in  die  Wege 
geleitet  durch  die  Anstellung  des  mährischen  Historiographen  (seit  1836) 
Anton  Boczek  als  Landesarchivar  (1839),  wenn  auch  zunächst  mehr  die 
Absicht  vorschwebte,  eine  Zentralstelle  für  Erforschung  der  mährischen  Landes- 
geschichte zu  gründen  und  zu  diesem  Zwecke  die  im  Lande  verstreuten  Ar- 
chive zu  inventarisieren.  Als  Boczek  Anfang  1847  starb,  war  für  die  Aus- 
gestaltung des  Archivs  selbst  nur  wenig  geschehen,  aber  eine  bedeutende 
Erwerbung  bildete  doch  der  Nachlaß  des  1826  gestorbenen  Johann  Peter 
Cerroni  für  eine  15jährige  Rente  von  400  Gulden  an  dessen  Neffen. 
Auch  Boczeks  Nachlaß  wurde  angekauft. 

Als  Historiograph  trat  1849  Beda  Dudik  in  den  Dienst  des  Landes, 
während  Chytil  (gest.  1861)  und  Peter  Ritter  v.  Chlumecky  (gest.  1863) 
seit  1853  die  Organisation  des  Landesarchivs  in  die  Hand  nahmen  und 
ersteier  1855  offiziell  zum  Archivar  ernannt  wurde.  Neben  mannigfachen 
Veröffentlichungen,  die  auf  die  Erschließung  der  kleineren  Archive  hinaus- 
laufen, wtu-de  nun  begonnen,  das  Landesarchiv  zur  allgemeinen  Sammelstelle 
für  „alle  auf  Recht  und  Geschichte  Bezug  nehmenden  und  zum  kurrenten 
Dienst  nicht  mehr  gehörigen  Schriften,  Urkunden  und  Akten  der  Landes- 
behörden" zu  machen.  Schon  1856  wurden  die  Archive  der  aufgehobenen 
Klöster  einverleibt  (S.  49),  und  1857  beschloß  man  eine  allgemeine  Archiv- 
statistik durch  die  PfarrgebUichkeit  des  Landes  vornehmen  zu  lassen  (S.  51 
bis  52).  Ja  1858  ging  v.  Chlumecky  noch  weiter  imd  ernannte  „Archiv- 
korrespondenten *S  d.  h.  Personen,  die  ganz  in  dem  Sinne  wirken  sollten 
wie  die  Archivpfleger  in  Baden  seit  1884  tätig  gewesen  sind.  Ein  Jahr 
lang  waren  die  Bemühungen  dieser  Männer  von  Erfolg  begleitet  (S.  53), 
aber  dann  versagte  die  Organisation.     Unter  dem  Archivar  Vinzenz  B  ran  dl 


—     247     — 

(i86i — 1899)9  <^cr  sich  die  Aufgaben  eines  Landesarchivs  längst  nicht  so 
umfassend  dachte  wie  v.  Chlumecky,  trat  eine  Stockung  ein,  wenn  auch  die 
Tätigkeit  des  letzteren  noch  einige  Jahre  über  seinen  Tod  hinaus  nachwirkte. 
Der  Zuwachs  an  Archivalien  aus  Registraturen,  namentlich  seit  1867,  war 
demgemäß  gering,  während  manche  Einzelstücke  im  Handel  erworben  wur- 
den. Die  Haupttätigkeit  Brandls  lag  auf  literarischem  Gebiete,  und  zwar 
beschäftigte  er  sich  besonders  mit  der  Rechtsgeschichte.  Diesem  Umstände 
ist  es  zu  verdanken,  daß  durch  ihn  dem  Archive  eine  große  Zahl  Gerichts- 
bücher einverleibt  wurde. 

Die  Räume,  in  denen  das  Archiv  seit  1877  imtergebracht  war,  er- 
wiesen sich  schon  imter  Brandl,  noch  mehr  aber  unter  seinem  Amtsnach- 
folger, Bretholz,  der  in  v.  Chlumeckys  Fußtapfen  trat,  als  völlig  unzu- 
reichend. Die  schon  1897  beschlossene  Übernahme  der  Statthaltereiregistratur 
mußte  wegen  Platzmangels  aufgeschoben  werden,  und  ebenso  ging  es  mit 
anderen  angebotenen  Zuwendungen.  EHesen  Übelständen  wurde  durch  den 
Neubau  des  Amtsgebäudes  und  die  Schaffung  großer,  zweckmäßiger  Archiv- 
räume darin  begegnet,  und  der  Erfolg  war,  daß  die  Bestände  1907  um  das 
Fünffache  des  bisherigen  Umfangs  vermehrt  werden  konnten.  Nunmehr  ist  das 
Landesarchiv  das  Zentralarchiv  für  Mähren  geworden,  und  nimmt  von  jetzt 
an  unter  den  Landesarchiven  der  Kronländer  eine  ganz  besondere  SteUung  ein. 

Auf  die  Übersicht  der  Bestände  (S.  73  ff.)  braucht  hier  weiter  nicht 
eingegangen  zu  werden.  Aber  für  jeden  Archivar  und  jede  Archivbibliothek 
besitzt  das  vorliegende  Buch  eine  solche  Bedeutung,  daß  seine  Verbreitung 
in  allen  Landschaften  wünschenswert  erscheint.  Die  in  schlichter  Weise  ge- 
schilderte Entwicklung  des  Archivwesens  in  Mähren  —  nichts  weniger  wird 
geboten  —  ist  geradezu  typisch,  und  für  die  Lösung  der  modernen  archi- 
valischen  Aufgaben  finden  sich  manche  Fingerzeige.  Deshalb  schulden  die 
Archivare  dem  Verfasser,  dem  derzeitigen  Landesarchivar,  für  sein  Buch  den 
wärmsten  Dank.  Dank  schuldet  ihm  aber  auch  das  Land  Mähren  und 
dessen  offizielle  Vertretung,  der  Landesausschuß ;  denn  diese  großartige  Neu- 
organisation in  den  neuen  Räumen  war  eben  nur  mögUch,  weU  sich  ein 
Mann  wie  Bretholz  der  Riesenaufgabe  unterzogen  hat  sie  durchzuführen. 

Zu  der  früheren  Mitteüung  über  das  Stadtarchiv  in  Elbing  *)  teUt 
Prof.  Neubaur  das  Folgende  mit  Zum  ersten  Male  wird,  soweit  bis  jetzt 
bekannt  ist,  das  Archiv  in  einem  Schreiben  des  Rats  zu  Elbing  an  den  zu 
Dan  zig  vom  30.  Dezbr.  1580  (Orig.  im  Staatsarchiv  Danzig)  erwähnt,  und 
zwar  handelt  es  sich  um  die  tx^rmals  eingesanUeten  simplen  Accisen.  Dieses 
Schreiben  ist  auch  archivgeschichtlich  deswegen  bemerkenswert,  weU  darin  das 
Wort  „Archiv'*  im  modernen  Sinne  verwendet  wird,  wenn  es  heißt:  .  .  ., 
indem  wir  in  unserm  archivo  disfcUs  wenig  nachrichtiges  befinden  Sonst 
findet  sich  dieser  Sprachgebrauch  erst  im  XVIL  Jahrhimdert. 

Prelsmnssehrelben.  —  Durch  eine  Stiftung  desKammerherm  von 
Frege-Weltzien   ist  die  Kgl.  Sächsische  Kommission   für  Geschichte   in 

i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  8.  Bd.,  S.  247  Anm.   i. 


—     248     — 

die  Lage  versetzt  worden,  Preise  für  darstellende  Arbeiten  auszuschreiben. 
Gegenwärtig  geschieht  dies  zum  ersten  Male,  und  zwar  soll  der  Einflufs 
der  Kontinentalsperre  auf  die  Entwicklung  des  Wirtschaftslebens 
im  Königreich  Sachsen  möglichst  aUseitig  imd  derartig  untersucht  wer- 
den, daß  die  Ergebnisse  sichere  Bausteine  zu  einer  vertieften  Geschichte 
Sachsens  in  der  Zeit  Friedrich  Augusts  des  Gerechten  bieten.  Bearbeitungen 
sind  unter  Beigabe  des  Namens  des  Verfassers  in  einem  verschlossenen 
Briefumschlage,  der  ein  Kennwort  und  eine  Adresse  für  die  Rücksendung 
des  Manuskriptes  tragen  muß,  bis  zum  i.  September  1910  an  die  Kgi. 
Sächsische  Kommission  für  Geschichte,  Leipzig,  Universität,  Bomerianum 
einzusenden.     Preis  1000  «4f. 

Das  Preisausschreiben  der  Oberlausitzischen  Gesdlschaft  der  Wissen- 
schaften vom  Jahre  1906,  das  zur  Bearbeitung  einer  Geschichte  des 
Siebenjährigen  Krieges  in  der  Lausitz^)  aufforderte,  ist  offenbar  er- 
gebnislos geblieben.  Deshalb  wird  die  Aufgabe  unter  Reichen  Bedingungen 
aufs  neue  gestellt  und  als  Ablieferungstermin  der  i.  Jantiar  xgii  bestinmit 

Eingegangene  Bflcher. 

Schnitze,  Karl:  Aus  acht  Jahrzehnten,  Lebenserinnerungen.  Gotha,  Fried- 
rich Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft  1907.     269  S.  8^'.    M.  5,00. 

Wittenberger  Ordiniertenbuch  1537 — 1560,  veröffentlicht  von  Georg 
Buchwald.     Leipzig,  Georg  Wigand  1894.   141  S.  Lex.-8®.     M.  5,00. 

Dasselbe.  Zweiter  Band:  1560— 1572  mit  Berichtigungen  und  Ergän- 
zungen fUr  die  Jahre  1558 — 1568  aus  Paul  Ebers  Aufzeichnimgen, 
veröffentlicht  von  Georg  Buchwald.  Leipzig,  Georg  Wigand  1895. 
2x8  S.  Lex.-8^     M.  9,00. 

Zah  n,  W.:  Die  Geschichte  und  die  wissenschaftliche  Tätigkeit  des  Altmärkischen 
Vereins  für  vaterländische  Geschichte  1836 — 1906  [=  34.  Jahres- 
bericht des  Altmärkischen  Vereins  für  vaterländische  Geschichte  zu  Salz- 
wedel (Magdeburg,  E.  Baensch  jun.   1907),  S.   i — 14.]. 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Universitäten  Mainz  und  Gießen,  herausgegeben 
im  Auftrage  des  Historischen  Vereins  für  das  Großherzogtiun  Hessen 
von  Julius  Reinhard  Di  et  er  ich  und  Karl  Bader.  Gießen,  Emil 
Roth  1907.    '532  S.  8^. 

B  e  n  s  n  e  r  Bezirkskalender  für  das  Jahr  1 908 .  Bensen,  Heinrich  Pilz.   171  S.  4^. 

Fink,  Georg:  Standesverhältnisse  in  Frauenklöstem  und  Stiftern  der  Diözese 
Münster  imd  Stift  Herford.  Bonner  Dissertation.  Münster,  Regensberg 
1907.     82  S.  8®. 

Ger  lach,  August:  Chronik  von  Lauchheim,  Geschichte  der  ehemaligen 
Deutschordenskommende  Kapfenburg.  EUwaugen,  Franz  Bucher  1907. 
363  S.  8^.     M.  3,00. 

Halle,  Ernst  von:  Die  Seemacht  in  der  deutschen  Geschichte  [=  Samm- 
lung Göschen,  Nr.  370].  Leipzig,  G.  J.  Göschen  1907.  154  S.  i6®. 
Geb.  M.  0,80. 

i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  200. 


—     249     — 

Kot  he,  Wilhelm:  Kirchliche  Zustände  Strafiburgs  im  XIV.  Jahrhundert, 
ein  Beitrag  zur  Stadt-  und  Kulturgeschichte  des  Mittelalters.  Freiburg 
i.  B.  1903.     126  S.  8^     M.  2,50. 

Nikel,  Johannes:  Allgemeine  Kulturgeschichte,  im  Grundriß  dargestellt. 
Paderborn,  Ferdinand  Schöningh  1907.     621  S.  8^.     M.  5,80. 

Reformation  des  Kaisers  Sigmimd,  die  erste  deutsche  Reformschrift  eines 
Laien  vor  Luther,  herausgegeben  von  Heinrich  Werner  [=  III.  Er- 
gänzungsheft des  Archivs  für  Kulturgeschichte,  herausgegeben  von  Georg 
Steinhausen].     Berlin,  Alexander  Dtmcker  1908.     113  S.  8^. 

Roth,  Friedrich:  Augsburgs  Reformationsgeschichte.  III.  Band:  1539  bis 
1547  bzw.   1548.     München,  Theodor  Ackermann  1907.    564  S.  8^. 

Schmithals,  Otto:  Drei  freiherrliche  Stifter  am  Niederrhein  (Essen,  Elten, 
Gerresheim).     Bonner  EHssertation.     Bonn   1907.     80  S.  8^. 

Slaski,  W.  von:  Danziger  Handel  im  XV.  Jahrhundert,  auf  Grund  eines 
im  Danziger  Stadtarchiv  befindlichen  Handlungsbuches  geschildert. 
Heidelberger  Dissertation  1905.     97  S.  8^. 

Srbik,  Heinrich  Ritter  von:  Der  stai^che  Exporthandel  Österreichs  von 
Leopold  I.  bis  Maria  Theresia,  Untersuchungen  zur  Wirtschaftsgeschichte 
Österreichs  im  Zeitalter  des  Merkantilismus.  Wien  und  Leipzig,  Wilhelm 
Braumüller  1907.     432  S.  8^.     M.  8,00. 

Archivinventare,  Württembergische.  Herausgegeben  von  der 
Württembergischen  Kommission  für  Landesgeschichte.  Erstes  Heft: 
Das  württembergische  Finanzarchiv,  i.  Die  Aktensammlung  der  her- 
zoglichen Rentkammer.  Von  £.  Denk,  Finanzrat  in  Ludwigsburg. 
Stuttgart,  W.  Kohlhanmier  1907.     IV  und  160  S.  8^.     M.  2,00. 

Blennerhassett,  Charlotte  Lady:  Maria  Stuart,  Königin  von  Schottland 
1542 — 1587,  nach  den  neuesten  Forschungen  und  Veröffentlichungen 
aus  Staatsarchiven  dargestellt  Kempten  und  München,  Jos.  Kösel 
1907.     V  und  386  S.  8®.     M.  4,20. 

Bretholz,  Bertold:  Das  mährische  Landesarchiv,  seine  Geschichte,  seine  Be- 
stände, herausgegeben  vom  Landesausschusse  der  Markgrafschaft  Mähren. 
Brunn,  Verlag  des  mährischen  Landesausschusses  1908.     161  S.  4®. 

Buchkremer,  Josef:  Das  Grab  Karis  des  Großen.  Mit  5  Abbildungen 
[=  Zeitschrift  des  Aachener  Q^chichtsvereins,  29.  Band,  S.  68 — 210]. 
Aachen  1907. 

Devrient,  Ernst:  Thüringische  Geschichte  [=  Sammlung  Göschen  Nr.  352]. 
Leipzig,  G.  J.  Göschen   1907.     181  S.   16^.     M.  0,80. 

Dilichs,  Wilhelm,  Federzeichnungen  kursächsischer  imd  meißnischer  Ort- 
schaften aus  den  Jahren  1626 — 1629,  herausgegeben  von  Paul  Emil 
Richter  und  Christian  Krollmann  [>«  Aus  den  Schriften  der 
Königlich  Sächsischen  Kommbsion  für  Geschichte].  3  Bände  quer-fol. 
Dresden,  C.  C.  Meinhold  &  Söhne  1907.  28  S.  Text  und  142  Ab- 
bildungen.    M.  28,00. 

Efilinger,  C.:  Das  Postwesen  in  Ostfnesland  in  der  Zeit  von  1744  bis 
1806  [=3  Abhandlungen  und  Vorträge  zur  Geschichte  Ostfrieslands, 
Heft  Vni/lX].     Aurich,  D.  Friemann  1908.     89  S.  B^. 

Fischer,  Franz:  Die  Reformationsversuche  des  Bischofs  Franz  von  Waldeck 
im  Fürstbistum  Münster  [=  Beiträge  für  die  Geschichte  Niedersachsens 


—     250     — 

und  West&lens,  6.  Heft].    Hfldesheim,  August  Lax  1907.     176  S.  8^ 
M.  3,00. 

Frey  tag,  Hermann:  Wie  Danzig  evangelisch  wurde.  Danzig,  Evangdische 
Vereinsbuchhandlung  1903.     61  S.  8^. 

Fried,  Alfred  H.:  Die  moderne  Friedensbew^^g  [=  Aus  Natur  und 
Geisteswek,  157.  Bändchen].  Leipzig,  B.  G.  Teubner  1907.  120  S. 
16*^.     M.   1,25. 

Gerber,  L.:  l^glische  Geschichte  [«»  Sammlung  Göschen,  Nr.  375]. 
Leipzig,  G.  J.  Göschen  1908.     162  S.  i6^     M.  0,80. 

Geyer:  Christian:  Aus  der  Reformationsgeschichte  Nördlingens.  Nördlingen, 
C.  H.  Beck  [1901].     24  S.  8«. 

Hauffe,  Gustav:  Die  grundlegenden  Unterschiede  zwischen  ELnaben-  imd 
Mädchenschulen.  Preisschrift,  preisgekrönt  vom  „Verein  für  das  höhere 
Mädchenschulwesen  im  Königreich  Sachsen'*.  Hohen-Neuendorf,  Rieh. 
Fuchs  [1908].     212  S.  8^     M.  3,50. 

Herrmann,  Fritz:  Die  evangelische  Bewegung  zu  Mainz  im  Reformations- 
zeitalter.    Mainz,  Hermann  Quasthoff  1907.     280  S.  8^.     M.  6,00. 

Jungnitz,  J.:  Visitationsberichte  der  Diözese  Breslau,  Archidiakonat  Glogau. 
Erster  Teil  [»»  Veröffentlichungen  aus  dem  Fürstbischöflichen  Diözesan- 
archive  zu  Breslau,  dritter  Band].  Breslau,  G.  P.  Aderholz  1907. 
768  S.  4®.     M.  20,00. 

Knapp,  Hermann:  Die  Zenten  des  Hochstifts  Würzburg,  ein  Beitrag  zur 
Geschichte  des  süddeutschen  Gerichtswesens  imd  Strafrechts.  Mit  Unter- 
stützung der  Savignystiftung  herausgegeben.  L  Band:  Die  Weistümer 
und  Ordnimgen  der  Würzburger  Zenten  (2  Abteilimgen  1400  S.). 
IL  Band:  Das  Alt-Würzburger  Gerichtswesen  und  Strafrecht  (979  S.). 
Berlin,  J.  Guttentag  1907.     M.   75,00. 

Knapp,  Hermann:  Die  Würzburger  Zentgerichts-Reformation  1447,  heraus- 
gegeben und  erläutert  von  H.  K.,  eingeleitet  von  Josef  Kohler 
[ssm  Quellen  zur  Geschichte  des  Strafrechts  außerhalb  des  Karolina- 
kreises].    Mannheim,  J.  Bensheimer  [1907].     92  S.  8^.     M.  3,00. 

Koniecki,  O.:  Geschichte  der  Reformation  in  Polen.  Zweite  vermehrte 
und  verbesserte  Auflage.  Posen,  W.  Decker  &  Co.  1901.  276  S.  8 ^ 
M.   1,50. 

Krause,  G.:  Die  Reformation  und  Gegenreformation  im  ehemaligen  König- 
reiche Polen,  besonders  in  den  jetzigen  Ostmarken  Deutschlands  bzw. 
Preußens.  Zweite  erweiterte  Auflage.  Lissa  i.  P.,  Friedrich  Ebbecke 
1905.     146  S.  8^     M.  1,60. 

Lenz,  Max:  Ausgewählte  Vorträge  und  Aufsätze  [=  Deutsche  Bücherei, 
Band  i8/i8*].  Dritte  vermehrte  Auflage.  Berlin  SW  68,  Verlag 
Deutsche  Bücherei  [1907].     228  S.  8®.     M.  0,60. 

Mamlock,  G.  L.:  Friedrichs  des  Großen  Korrespondenz  mit  Ärzten.  Stutt- 
gart, Ferdinand  Enke  1907.     168  S.  8®.     M.  6,00. 

Maydorn,  Bernhard:  Bilder  aus  der  schlesischen  Reformationsgeschichte 
für  Volk  und  Jugend.  Breslau,  Ferdinand  Hirt  1903.  64  S.  8®. 
M.  0,60. 


Henotfeber  und  Terantwortlicher  Redakteur:  Dr.  Armin  Ulle  in  Dresden. 
VerUf  und  Druck  von  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktienfesellschaft|  Gotha. 


Deutsche  Ceschichtsblätter 

Monatsschrift 


cur 


Förderung  der  landesgeschicbtlicben  Forschimg 

IX.  Band  Juli  1908  10.  Heft 

Die  Geburtsstände  in  der  deutschen  i^irche 

des  Mittelalters 

Von 
Heinrich  Werner  (Mayen) 

Seitdem  A.  Schulte  den  von  ihm  gebildeten  Kunstausdruck  „  frei- 
herrliche**  ^)  Klöster  in  die  Debatte  geworfen  hat,  regen  sich  viele 
fleißige  Hände,  um  die  Standesverhältnisse  der  geistlichen  Korporationen 
des  Mittelalters  genauer  zu  untersuchen.  Der  bisherige  Stand  der 
Forschung  läßt  sich  am  besten  in  die  Worte  Janssen-Pastors  *)  kleiden, 
der  sagt:  „Eine  überaus  schwere  Schuld  hat  auch  hier  der 
deutsche  Adel  auf  sich  geladen.  Mit  einer  Rücksichtslosigkeit 
sondergleichen  ging  sein  Streben  dahin,  den  von  den  bischöflichen 
Sitzen  und  allen  übrigen  höheren  Kirchenstellen  ausgeschlossenen 
Bürger-  und  Bauemsöhnen  nun  auch  den  Eintritt  in  die  reichen  Klöster 
und  Abteien  zu  verwehren.  Nach  und  nach  fiel  die  Mehrzahl  dieser 
Anstalten  mit  ihren  unermeßlichen  Hilfsquellen  für  Bildung  und  Unter- 
richt lediglich  dem  Adel  anheim.  Selbst  das  altehrwürdige  Stift 
Einsiedeln  war  zu  Ende  des  XV.  Jahrhs.  zu  einer  Versorgungs- 
anstalt für  die  nachgeborenen  Söhne  der  Freiherrn  und  Grafen 
Alemanniens  und  Burgunds  herabgesunken  .  .  .  Tiefer  Verfall 
war  die  Folge."  Diese  landläufige  Anschauung  lautet,  kurz  formu- 
liert, folgendermaßen.  Der  Adel  schlechthin,  ohne  Rücksicht  auf 
seine  feinere  Gruppierung,  betrachtete  infolge  einer  widerrechtlichen 
Anmaßung    im    XV.    Jahrh.     außer    den    höheren    Kirchenstellen ') 


i)  lo  einem  Vortrage  aaf  der  X.  Versammlong  deutscher  Historiker  ea  Dresden 
(1907)  bezeichnet  A.  Schulte  selbst  den  Ausdruck  „freiherrlich"  fUr  „nicht  gut^',  da 
er  „nicht  ohne  Bedenken  sei<<.     Vgl.  Bericht  über  diese  Versammlung  S.   13  und  16. 

2)  C^chichte  des  deutschen  Volkes  n^  (i^97)>  S.  723f. 

3)  Wie  die  deutschen. Bistümer   und  Erzbistümer   als  Sinekuren   fUr    fUrsUiche   und 

19 


—     262     — 

auch  die  reichen  Abteien  und  Kapitel  als  seine  Domäne.  Es  liegt 
darin  für  diese  geistlichen  Korporationen  eine  Entartung,  die  zu  einem 
vom  Adel  selbst  verschuldeten  Verfall  dieser  Körperschaften  fuhren 
m\xQte. 

Hier  setzte  nun  die  neue  Fragestellung  A.  Schultes  *)  ein ,  in- 
dem er  zunächst  den  BegrifT  des  Adels  enger  faßte  und  wie  im  Mittel- 
alter sich  die  Geburtsstände  überhaupt  scharf  voneinander  schieden, 
auch  innerhalb  des  Adels  zwei  Klassen  deutlich  auseinanderhielt:  die 
Freien  einerseits,  nämlich  die  Freiherren,  Grafen  und  Fürsten  und  ander- 
seits die  Unfreien  (Ministerialen).  Erstere  haben  die  freie  Geburt 
gemeinsam  und  unter  ihnen  besteht  das  Konnubium.  Die  Ministerialen 
dagegen  sind  unfrei  geboren.  Es  war  also  jetzt  nachzuprüfen,  welche 
von  den  beiden  Adelsklassen  die  geistlichen  Korporationen  für  sich 
allein  beschlagnahmten.  Es  ergab  sich,  daß  man  nicht  nur  von  adligen, 
sondern  auch  von  freiherrlichen  Klöstern  reden  muß.  Dabei  stellte  es 
sich  zugleich  heraus,  daß  der  für  das  XV.  Jahrh.  gerügte  Zustand  viel 
älter  ist,  ja  bis  auf  die  Gründung  dieser  Körperschaften  zurückgeht, 
daß  in  diesem  Zustand  auch  keine  Entartung  zu  suchen  ist  Es  wurde 
der  Beweis  geliefert,  daß  „im  Mittelalter  die  geistlichen  Korporationen 
(Klöster,  Stifter,  Kapitel)  in  ihrer  persönlichen  Zusammensetzung  ein 
ausgeprägtes  Standesbewußtsein  offenbarten"  *). 

A.  Schulte  versteht  unter  einem  „freiherrlichen**  Kloster  ein  sol- 
ches, „dessen  sämtliche  Mönche  entweder  Söhne  von  Fürsten  und  Grafen 
oder  doch  aus  den  Kreisen  edler  freigeborener  Geschlechter  hervor- 
gegangen sind,  in  dessen  Konvent  also  weder  Söhne  der  Ministerialen 
oder  des  niederen  Adels  aufgenommen  wurden,  noch  die  Sprossen  der 
vornehmsten  städtischen  Geschlechter,  geschweige  denn  die  Kinder  von 
Handwerkern  oder  unfreien  Bauern**  •).  Damit  sind  der  Geschichtsfor- 
schui^  neue  Aufgaben  gestellt  worden.  Da  eine  große  Reihe  von  Ein- 
zeluntersuchungen  zur  vollständigen  Lösung   der  Frage   nötig  ist,   ist 

gr&f liehe,  also  auch  „ freiherrlichen ^'  Familien  im  XV.  Jahrh«  angesehen  wnrden,  lehrt 
die  TabeUe  bei  Janssen  a.  a.  O.  S.  689  ff. 

i)  Zuerst  über  die  Standesverhältnisse  der  Minnesänger  in  Zeitschrift  für  detU^ 
sches  Altertum  39  (1895),  S«  i^Sff*  ^^^  U^cr  ireiherrliche  Klöster  in  Baden  als  Fes^ 
Programm  der  Universität  Freiht*rg  für  Großherzog  Friedrich  von  Baden  (1896) 
veröffentlicht. 

2)  A.  Tille  in  seinem  Vortrag:  Samnüimg  und  Verwertung  famiHengesa^Ucht" 
licher  Forschungen,  gehalten  in  der  Hauptversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen 
Geschichts-  und  Altertomsvereine ,  abgedruckt  im  Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins 
(1908),  Spalte  52. 

3)  In  Westdeutsche  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Kunst  25.  Bd.  (1906),  S.  178. 


—     263     — 

namentlich  die  Lokal forschung  dazu  berufen,  hier  ihrerseits  die 
Bausteine  für  die  noch  sehr  lückenhafte  Klostergeschichte  des  aus- 
gehenden Mittelalters  zu  liefern.  Dabei  muß  die  genealogische  und 
statistische  Methode  auch  für  die  Zeit  des  Mittelalters  einmal 
deutlicher  in  den  Vordergrund  treten.  In  der  Anwendung  dieser  Me- 
thode haben  es  mit  A.  Schulte  an  der  Spitze  mehrere  seiner  Schüler 
zu  sehr  anerkennenswerten  Leistungen  gebracht  *).  Die  Resultate 
dieser  Einzeluntersuchungen  sollen  im  folgenden  gewertet  werden. 

Von  den  bis  jetzt  vorliegenden  Arbeiten  über  die  Standeszugehörig- 
keit kirchlicher  Korporationen  im  Mittelalter  ist  die  Untersuchung 
Kothes  nicht  nur  eine  der  ersten,  sondern  auch  die  vollständigste, 
insofern  sie  einen  Querschnitt,  wenn  auch  nur  für  den  Zeitraum  von 
13CX) — 1400,  durch  die  Straßburger  Kirchengeschichte  bietet  und  dabei 
die  Standesverhältnisse  nicht  nur  aller  kirchlichen  Körperschaften, 
sondern  auch  aller  geistlichen  Personen  Straflburgs  behandelt.  Zu- 
nächst prüft  Kothe  die  Standeszugehörigkeit  der  Mitglieder  des  Großen 
oder  Domstifts  zu  Straßburg  und  findet,  daß  mindestens  schon  in 
der  zweiten  Hälfte  des  XII.  Jahrh.  überwiegend  freiherrliche  Ge- 
schlechtsangehörige an  der  Straßburger  Hauptkirche  saßen.  Aber  erst 
seit  der  Mitte  des  XIII.  Jahrh.  erscheinen  die  Ansprüche  des  Frei- 
herrenstandes auf  die  Sitze  des  Straßburger  Domkapitels  vollständig 
durchgesetzt.  Das  läßt  sich  aus  einer  Appellation  des  Kapitels  gegen 
eine  Provision  des  Papstes  vom  Jahre  1231  erkennen,  in  der  von 
einer  „alten,  bisher  unverletzt  gewahrten  Gewohnheit"  gesprochen 
wird,  keinen  Bewerber  um  eine  Domkapitelspfründe  nisi  ab  tUroque 
parente  iUastrem  zuzulassen.  Auch  kann  Kothe  bereits  für  das  Jahr 
125 1  ein  Personenverzeichnis  des  Domkapitels  mitteilen,  das  aus- 
schließlich freiherrliche  Geschlechtsnamen  aufweist').  Ein  vollstän- 
diges Mitgliederverzeichnis  liegt  erst  aus  dem  Jahre  13 18  vor.  Eine 
Stichprobe   auf  die   freiherrliche   Abstammung   der   rezipierten  Kano- 


i)  Für  sämtliche  geistliche  Korporationen  Strafibargs  behandelt  die  Frage: 
W.  Kothe,  Kirchliche  Zustände  Straßburgs  im  XIV.  Jahrh,  (1903),  Freibarg. 
Für  einzelne  Körperschaften  die  Bonner  Dissertationen  von  1907:  Fink,  Standes' 
verThättnisse  in  FrauenMöstem  und  Stiftern  der  Diözese  Münster  und  Stift  Her- 
tOfd\  Schmithals,  Drei  freiherrliche  Stifter  am  Niederrhein  (Essen,  EUen, 
Oerresheim),  Dazn  kommen  die  Arbeiten  von  Kisky,  Die  Damkapitel  der  geitüichen 
Kurfürsten  in  ihrer  persönlichen  Zusammensetgung  im  XIV,  und  XV.  Jahrh. 
(Gekrönte  Preisschrift  1906).  Derselbe,  Das  freiherrliche  Stift  St.  Gereon  in  Köln 
in  Anoalen  d.  h.  V.  f.  d.  Niederrhein  82.  Heft  (1907).  K.  H.  Schäfer,  Die  Kano- 
nissenstifter  und  der  Adel  in  Stutz,  kirchenrechtl.  Abh.  Heft  43/44- 

2)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  7. 

19* 


—     264     — 

niker  ergibt,  dafi  in  diesem  Jahre  unter  den  44  Stiftsherren  nur  ein 
einziger  Fall  vorli^t,  in  dem  die  freiherrliche  Abstammung  zweifel- 
haft genannt  werden  kann  ^).  Auch  Kisky  beschränkt  seine  Unter- 
suchungen über  die  Domkapitel  zu  Köln,  Mainz  und  Trier  auf  das 
XrV.  Jahrh.  und  fügt  das  XV.  noch  dazu  mit  der  ausgesprochenen 
Begründung,  daß  in  diesem  Zeitraum  die  ständische  Abschlieflung  in 
den  geistlichen  Korporationen  ihren  Höhepunkt  erreicht  habe,  die 
Beschränkung  der  Kapitel  auf  eine  bestimmte  Anzahl  von  Mitgliedern 
allgemein  durchgeführt  sei  und  so  die  Prüfung  der  noch  vorhandenen 
Listen  von  Kapitelsmitgliedern  auf  ihre  Vollständigkeit  erst  möglich 
sei.  Übrigens  legt  der  Mangel  an  urkundlichen  Nachrichten  aus 
früherer  Zeit  und  das  Fehlen  des  Nationale  der  Kanoniker  vor  dem 
XIIL  Jahrh.  dem  F'orscher  diese  Beschränkung  von  selbst  auf.  Wie 
lagen  nun  die  Standesverhältnisse  im  Kölner  Domkapitel?  Kisky 
findet  die  Ahnenproben  der  freien  Geburt  zum  erstenmal  für  das 
Jahr  1373  ausdrücklich  betont*).  Die  daraus  ersichtliche  Gewohn- 
heit bestätigten  die  Bullen  der  Päpste  Bonifaz  IX.,  Sixtus  IV.  und 
Innocenz  VIII.  Noch  der  päpstliche  Legat  Caietanus  bezeichnet  das 
Domkapitel  als  unentbehrliche  Versorgungsanstalt  für  nachgeborene 
Söhne  des  höchsten  Adels  *).  Ebenso  sprechen  schon  alte  Schrift- 
steller von  der  ständischen  Sonderstellung  der  Mitglieder  des  Kölner 
Domkapitels.  Eine  unmittelbare  Bestätigung  dieser  Zeugnisse  gibt 
die  Statistik.  Kisky  stellt  eine  ausfuhrliche  und  zum  Teil  recht 
mühevolle  Liste  aller  Kölner  Domherren  vom  Jahre  1300 — 1500  zu- 
sammen^). Daraus  ersehen  wir  den  Stand  derselben  und  ihr  Re- 
krutierungsgebiet. Unter  den  352  Domherren,  die  sich  auf  nur 
109  FamUien  verteilen  ^),  befindet  sich  nur  ein  bürgerlicher,  der  dazu 
vom  Papst  providiert  war,  ebenso  ein  ebenfalls  vom  Papst  providierter 
Ministeriale.  Alle  anderen  stammen  aus  fürstlichen,  gräflichen  und 
freiherrlichen  FamUien.  Somit  steht  für  den  genannten  Zeitraum  die 
Tatsache  fest,  daß  im  Domkapitel  zu  Köln  nur  Mitglieder  des  hohen 
Adels  aufgenommen  wurden,  dagegen  solche  des  niederen  Adels  und 
der  Bürger  ausgeschlossen  waren.  Dies  Ergebnis  deckt  sich  voll- 
kommen  mit   den  Standesverhältnissen   des   Straßburger   Domkapitels 


i)  Ebenda  S.  9  ff. 

2)  Kisky,  Die  Domkapitel  der  geistlichen  Kurfürsten  in  ihrer  persönlichen 
Ztisammensettung  im  XIV.  t^d  XV,  Jalvrh,  S.  13. 

3)  Ebenda  S.  1 1  f. 

4)  Ebenda  S.  26 — 103. 

5)  Ebenda  S.  22. 


—     255     — 

wenigstens  für  das  XIV.  Jahrh.  Ja  in  Köln  wurde  der  Ring  der 
Standesexklusivität  schließlich  immer  enger  zugunsten  der  Grafen  und 
Fürsten  gezogen  *).  So  sind  z.  B.  von  den  loo  in  den  letzten  50  Jahren 
des  XIV.  Jahrh.  aufgenommenen  Domherren  5 1  noch  Freiherren  und 
45  Grafen;  aber  von  dem  Zugang  der  letzten  50  Jahre  des  XV.  Jahrh., 
121,  sind  104  Grafen  und  nur  noch  17  Freiherren.  Die  freiherrlichen 
Geschlechter  waren  allenthalben  in  der  Abnahme  begriffen.  „Auf 
den  Friedhöfen  der  freiherrlichen  Klöster  und  Domkapitel  liegt  die 
Blüte  des  Hochadels  des  Mittelalters"*). 

Etwas  anders  lagen  die  Standesverhältnisse  im  Mainzer  und  Trierer 
Domkapitel.  Während  in  Mainz  die  blofie  ritterliche  Abkunft  als  hin- 
reichend für  die  Aufnahme  ins  Kapitel  angesehen  wurde,  so  forderte 
man  in  Trier  adlige  Herkunft  schlechthin.  Die  bei  Kisky  angeführte 
statistische  Zusammenstellung  für  den  genannten  2^itraum  1300  bis 
1500  weist  in  Mainz  415  Domherren  in  205  Familien  auf,  davon  sind 
286  Ministerialen,  also  mehr  als  zwei  Drittel  der  Gesamtheit').  Eine 
allmähliche  Verschärfung  der  Aufnahme  wie  in  Köln  fehlt  hier  ganz. 
In  Trier  ergibt  die  Liste  378  Domherren  in  185  Familien  *).  Davon 
sind  190  Ministerialen,  also  gerade  die  Hälfte  der  Gesamtzahl. 
Darunter  findet  sich  jedesmal  ein  kleiner  Prozentsatz  Bürgerlicher. 

Die  erste  Folge  dieses  Systems  ist:  Je  enger  der  Ring  der 
Standeszugehörigkeit,  um  so  weiter  das  Ergänzungs- 
gebiet. Das  zeigt  sich  am  Kölner  Domkapitel  am  deutlichsten. 
Solange  hier  die  Freihenen  überwogen,  solange  stammte  die  Mehr- 
zahl der  Kapitelsmitglieder  aus  der  Erzdiözese  selbst  —  die  Grafen 
stammten  schon  damals  aus  entfernteren  Diözesen.  In  den  letzten 
50  Jahren  des  XV.  Jahrh.,  der  Zeit  der  strengsten  Exklusivität  kamen 
nur  noch  11  Mitglieder  aus  der  Erzdiözese  ins  Kapitel.  Sämtliche 
Freiherren  stammten  aus  anderen  Diözesen  ^).  Die  Grenzgebiete  des 
Rekrutierungsbezirkes  bildeten  etwa  die  Diözesen  Utrecht,  Bremen, 
Ratzeburg,  Meificn,  Freising,  Konstanz,  Genf  und  Arras.  In  Straß- 
burg griff  entsprechend  dem  hohen  Grade  der  Exklusivität  das  Rekru- 
tierungsgebiet der  Domherren  auf  neun  fremde  Diözesen  über.    Im  Süden 


i)  über  die  Priesterkanoniker  vgl.  unten  S.  257. 

2)  Vgl.  Schulte  in  seinem  Vortrag:  Die  deuUche  Kirche  des  Mitteküters  und 
die  Stände^  gehalten  anf  der  10.  Versammlung  deutscher  Historiker  za  Dresden  (1907), 
gedmckt  im  Bericht  darüber  (S.  12  ff.)  S.  15. 

3)  Ebenda  S.   103. 

4)  Ebenda  S.  156. 

5)  Ebenda  S.  23  ff. 


—     266     — 

ist  die  Gegend  von  Bern,  im  Westen  Diedenhofen,  im  Osten  die 
Gegend  von  Nördlingen  und  im  Norden  Hanau  und  Bingen  die 
Grenze  *). 

Eine  zweite  Folge  des  freiherrlichen  Systems  war  die  Art  der 
Ergänzung  der  Domkapitel.  Da  der  Ring  ein  für  allemal  in  Köln 
und  StraOburg  für  freiherrliche  Abkunfl  geschlossen  war,  so  mußte 
auch  bei  der  Vakanz  einer  Domkapitelstelle  eine  besondere  Art  und 
Weise  der  Kapitelwahl  Platz  greifen.  Der  Wahlmodus  war  der  der 
Selbstergänzung  oder  wie  der  technische  Ausdruck  lautet,  der  Koop- 
tation, eine  übrigens  recht  alte  Art  der  Eli^^änzung  aristokratischer 
Körperschaften.  So  vereinigten  sich  in  Straßburg  immer  zwei  der 
jüngeren  Domkapitulare  zur  Ernennung  eines  neuen  Amtsbruders,  der 
dann  die  Expektanz  auf  die  zunächst  freiwerdende  Pfründe  hatte  *). 
Ähnlich  war  es  in  Mainz  und  Trier*).  In  Köln  bestand  ein  be- 
stimmter Turnus,  wonach  ein  jeder  Domherr  in  bestimmter  Reihen- 
folge (ex  ordine)  wohl  nach  der  der  Anciennität,  bei  eintretender 
Sedisvakanz  den  Domherrn  ernannte. 

Als  Begleiterscheinung  dieser  zweiten  Folge  leuchtet  die  Tatsache 
ein,  daß  ein  Geschlecht,  das  einmal  festen  Fuß  in  einem  Domkapitel 
gefaßt  hatte,  sich  darin  jahrhundertelang  behaupten  konnte.  Bei  der 
Kooptation  konnten  die  Domherren  in  erster  Linie  ihre  Verwandten 
berücksichtigen.  Das  ersehen  wir  schon  aus  der  Zahl  der  an  Dom- 
herrenstellen beteiligten  Familien.  In  Köln  waren  es  im  Zeitraum 
von  1300 — 1500  109  Familien,  in  Trier  185,  in  Mainz  207*).  Das 
ergibt  die  neue  Gesetzmäßigkeit:  Je  enger  die  ständische  Ex- 
klusivität an  einem  Domkapitel,  um  so  enger  auch  der 
beteiligte  Familienkreis.  Ähnlich  war  es  in  Straßburg.  Hier 
herrschte  wie  in  Köln  die  Vetternwirtschaft  (Nepotismus).  Nicht  selten 
saßen  zwei ,  oft  drei  leibliche  Brüder  im  Straßburger  Kapitel  *).  Es 
wird  Zeiten  gegeben  haben ,  wo  die  Domherren  fast  alle  miteinander 
verwandt  waren  *).  Gewisse  freiherrliche  Geschlechter  sind  durch  Jahr- 
hunderte hindurch  stereotyp  vertreten.  So  betrachteten  es  die  ein- 
heimischen Freiherrengeschlechter  des  Elsasses  als  ein  durch  Her- 
kommen   begründetes    Recht,    daß    ihre    Familien    im   Straßbui^er 


1)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  6. 

2)  Ebenda  S.  11. 

3)  Kisky,  IHe  Domkapitel  usw.  S.  14. 

4)  Kisky,  a.  a.  O.  S.  15. 

5)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  12. 

6)  Kisky,  a.  a.  O.  S.   15. 


—     257     — 

Domkapitel  vertreten  waren.  In  einer  Pfründenstiftung  des  jüngeren 
Hermann  von  Geroldseck,  Kanonikus  der  Straßburger  Hauptkirche 
(1324),  wurde  das  Besetzungsrecht  der  Pfründe  dem  ältesten  Mitglied 
(also  werden  andere  gleichzeitige  vorausgesetzt)  der  Familie  Geroldseck 
reserviert,  das  Kanonikus  der  StraOburger  Domkirche  sei  ^).  So  treten 
neben  die  päpstlichen  Reservationen  noch  eigenmächtige  der  freiherr' 
liehen  Familien,  die  auch  die  Kooptation  von  neuem  einengen.  Ver- 
hältnismäßig wenig  machte  der  Papst  von  seinem  Provisionsrecht  Ge- 
brauch, da  er  an  der  Vetternwirtschaft  nicht  zu  rütteln  wag^e.  Häufig 
aber  bedeutete  die  päpstliche  Provision  noch  den  kürzeren  Weg  als 
den  der  Ernennung  durch  Verwandte.  Eine  weitere  Begleiterscheinung 
dieses  Systems  war  auch  die  Ernennung  selbst  von  Kindern  zu  Prä- 
bendaren  *).  In  Köln,  Mainz  und  Trier  erreichten  die  Päpste  über- 
haupt nur  dann  ihr  Ziel,  wenn  das  Kapitel  nichts  gegen  den  Geburts- 
stand des  Providierten  einzuwenden  hatte. 

Eine  weitere  Folge  des  immer  schärfer  betonten  Standesbewußt- 
seins war  die  schließliche  Festsetzung  einer  bestimmtenPfründen- 
zahl  im  Kapitel.  Denn  nach  dem  Willen  sowohl  des  Stifters  als 
auch  des  den  Sohn  versorgenden  Freiherren  sollte  die  Pfründe  ein 
standesgemäßes  Einkommen  gewähren.  Infolge  des  Sinkens  des 
Rentenwertes  und  der  Steigerung  der  Ansprüche  einer  immer  aus- 
schließlicher auftretenden  höheren  Adelsklasse  in  den  Domkapiteln 
mußten  natürlich  mehrere  Pfründen  zusammengelegt  werden,  um  den 
einzelnen  Rentenanteil  zu  erhöhen.  Die  Zahl  der  Präbenden  mußte 
also  von  selbst  über  die  festgesetzte  Zahl  hinaus  zusammenschrumpfen. 
Diese  Tatsache  wird  uns  unten  nochmals  beschäftigen. 

Der  Edelkanoniker  wertete  eine  Pfründe  nur  nach  ihrer  Eigen- 
schaft als  Sinekure.  So  verschärfte  sich  auch  allmählich  immer  mehr 
der  Gegensatz  zwischen  Edelkanonikern  und  Priesterkanonikern, 
an  die  keine  Forderung  der  Geburt  gestellt  war.  Der  Kapitelstaat  schied 
sich  schließlich  in  solche,  die  nur  Würde  und  Einkommen  genossen, 
und  in  solche,  die  die  Bürde  des  Amtes  trugen  und  arbeiteten. 
Schließlich  glitt  auch  das  Amt  der  Priesterkanonücer,  sei  es  durch  die 
aus  zu  reichlicher  Zuwendung  von  Stiftungen  entstandenen  allzu  großen 
Verpflichtungen,  sei  es  aus  der  auch  in  diesen  Kreisen  einreißenden 
Laxheit,  in  die  Hände  von  Vikaren.  Wie  gering  die  Edelkanoniker 
selbst  die  geistlichen   offida   einschätzten,    ersieht   man  daraus,    daß 


i)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  12. 

2)  Kisky,  Die  Domkapitel  usw.  S.  15  f. 


—     268     — 

„vielfach  die  Edelherren  mit  den  Priesterp&ünden  ihre  Hausgenossen 
und  famuU  versorgten''  ^).  Als  dann  auch  in  Köln  die  Universität 
errichtet  war,  kamen  zwei  solcher  Priesterpräbenden  des  Domkapitels 
als  Versorgungsrente  in  die  „  festen  Hände  **  *)  von  zwei  Professoren. 
Den  freiherrlichen  Standesgenossen  reservierte  man  die  mühelose 
besser  dotierte  Kanonikerpfninde  und  überließ  den  eigentlichen  geist- 
lichen Dienst  gegen  geringeres  Entgelt  den  Angehörigen  niederer 
Stände.  Dabei  achtete  der  Standesdünkel  der  freiherrlichen  Dom- 
kapitel natürlich  die  gelehrte  Bildung  gering,  sodaß  z.  B.  in  Straß- 
burg keiner  der  Edelkanoniker  sich  die  Magisterwürde  erwarb '). 
Freilich  mußte  der  Adel  es  sich  dennoch  gefallen  lassen,  daß  ein 
akademischer  Grad  eines  der  Geburt  nach  nicht  Ebenbürtigen  adliger 
Geburt  gleichgestellt  wurde  *). 

Eine  weitere  Folge  der  ständischen  Exklusivität  war  Disziplin- 
losigkeit. Da  die  Edelkanoniker  mit  dem  Empfang  der  Tonsur 
oder  der  niederen  Weihen  beim  Eintritt  in  ein  Domkapitel  die  An- 
schauungen ihres  Krieger-  und  Herrenstandes  nicht  so  rasch  abstreifen 
konnten,  so  dürfen  wir  uns  nicht  wundem,  wenn  von  ihnen  mit  ge- 
wappneter Faust  wiederholt  Streitigkeiten  um  geistliche  Stellen  aus- 
gefochten  werden  (so  z.  B.  im  Jahre  1338  in  Straßburg)  ^).  Denn  oft 
wurden  fiir  eine  Stelle  zwei,  drei,  ja  vier  Personen  von  den  Kanonikern 
ernannt^).  Aber  nicht  nur  untereinander,  sondern  auch  gegen  ihren 
unmittelbaren  Vorgesetzten,  den  Bischof,  wurde  Gehorsam  und  Dis- 
ziplin von  den  Freiherren  und  Grafen  als  lästig  empfunden.  So 
sehen  wir  im  Jahre  1300  sich  eine  Kapitelslig^  mit  dem  Domkapitel 
an  der  Spitze  bilden  gegen  den  Bischof  von  Straßburg  ganz  allein 
deshalb,  weil  dieser  die  billige  Forderung  stellte,  daß  jeder  Pfründen- 
inhaber die  seiner  Stellung  zukommende  Weihe  empfangen  sollte  ^). 
Im  Jahre  1388  ging  man  geradezu  zur  Revolution  über,  die  mit  dem 
Siege  der  Kapitelsliga  endete. 

So  versteht  es  sich  denn  wiederum  von  selbst,  daß  nur  der 
Bischof,  der  mit  einer  ähnlichen  Hausmacht  ausgestattet  war  wie 
seine  Kapitulare,  dem  Ansturm  der  im  Domkapitel  vereinten  freiherr- 


1)  Kisky,  Die  Domkapitel  S.  18. 

2)  Vgl.  meinen  AnfsaU  in  dieser  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  206. 

3)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  30. 

4)  Kisky,  Die  Domkapitel  S.  13. 

5)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  13. 

6)  Ebenda  S.  22. 

7)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  17. 


—     2Ö9     — 

liehen  Familien  und  deren  Verwandtschaft  standhalten  konnte.  Ed 
sagt  deshalb  schon  der  Chronist  Königshoven  vom  StraOburger  Erz* 
bischof  Lamprecht  (1371 — 1374):  „Weil  er  kein  Graf  oder  Freiherr 
war,  so  war  er  gehaßt  von  allen  Edlen,  so  daß  er  ehrlos  war  und 
sein  Land  nicht  beschirmen  konnte''  ').  So  entwickelte  sich  ein 
Familienegoismus,  eine  Interessenwirtschaft  in  der  kirchlichen  Ämter- 
laufbahn, die  zu  denselben  Erscheinungen  im  staatlichen  Leben  Deutsch- 
lands iiihrte :  zur  Verselbständigung  der  Untergewalten  gegenüber  der 
Zentralgewalt.  Daher  hat  denn  auch  die  Säkularisierung  solcher  Ka- 
pitel dem  Adel  mehr  als  der  Kirche  geschadet. 

Ähnliche  Zustände  inbezug  auf  die  ständische  Zusammensetzung 
herrschten  wie  im  Domkapitel  zu  Köln  auch  im  Stift  St.  Gereon  da- 
selbst. Auch  iiir  diese  geistliche  Korporation  fuhrt  Kisky  den  unan- 
fechtbaren Nachweis,  daß  ihre  Mitglieder  freiherrlich  und  nicht  adlig 
schlechthin  waren.  Das  bezeugt  eine  Bestätigungsurkunde,  die  sich 
das  genannte  Stift,  nach  langer  Untersuchung  der  alten  Gewohn- 
heit, vom  Erzbischof  von  Köln  über  seine  freiherrliche  Zusammen- 
setzung 1329  ausstellen  ließ ').  Ebenso  bestätigen  dies  die  einzige 
und  ausführlichste  Präsenzliste  des  Stiftes  vom  Jahre  1287  ^"^  ^^^ 
uns  erhaltene  älteste  Ahnenprobe  vom  Jahre  1377.  Nicht  nur  wußte 
das  Stift  seinen  freiherrlichen  Charakter  zu  wahren,  sondern  es  drängte 
auch  wie  das  Kölner  Domkapitel  die  Freiherren  immer  mehr  zurück  '). 
Dabei  traten  natürlich  dieselben  Folgen  in  die  Erscheinung.  Je  enger 
die  Ausschließlichkeit  des  Standes  der  Mitglieder,  um  so  enger  das 
Rekrutierungsgebiet.  Die  Kooptation  beschränkte  den  Kreis  der  Fa- 
milien, aus  denen  die  Kapitulare  hervorgingen,  und  damit  zogen  auch 
in  diese  Körperschaft  dieselben  Mißstände  ein,  die  wir  oben  an  den 
Domkapiteln  beobachteten. 

Etwas  anders  verhält  es  sich  mit  den  drei  übrigen  Stiftern  in 
Straßbui^  *).  Es  sind  das  St.  Thomas ,  St  Peter  und  St  Arbogast. 
Auf  Grund  einer  Liste  der  Stiftsherren  weist  Kothe  nach,  daß  in 
St.  Thomas  zwei  Drittel  aller  Mitglieder  im  XIV.  Jahrh.  Patrizier 
waren,  das  ist  der  Inbegriff  aller  ratsiahigen  Ritter  und  Bürger  der 
Stadt  im  Gegensatz  zu  den  erst  seit  1332  ratsfähig  gewordenen  Hand- 


i)  Ebenda  S.  23.     Andere  Beispiele  daselbst. 

2)  Kisky,  Das  freiherrliche  Stift  St.   Gereon  in  Köln  in  Annalen  des  Hin. 
Vereins  f.  d.  Niederrhein,  82.  Heft  (1907),  S.  29  ff. 

3)  Ebenda  S.  44. 

4)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  24?. 


—     260     — 

werker.    Das  andere  Drittel  bestand  aus  Fremden  der  nahe  gelegenen 
Städte  und  Dörfer  des  Elsasses  ^). 

In  St.  Peter  hatten  die  Straßburger  Patrizier  noch  mehr  das 
Übergewicht  über  die  Fremden.  Diesen  Standesverhältnissen  gemäß 
ist  das  Rekrutierungsgebiet  denn  auch  sehr  einfach:  Straflburg,  Stadt 
und  Land,  höchstens  noch  das  Elsaß.  Aber  trotzdem  haben  wir  in- 
folge der  städtisch-bürgerlichen  Exklusivität  ebenfalls  die  Vetternwirt- 
schaft in  den  Stiftern.  Dadurch,  daß  das  Wahlrecht  an  die  einzelnen 
Glieder  als  Emennungsrecht  überging,  wurden  auch  hier  nur  Leute 
aus  derselben  Sippe  und  Partei  ins  Kapitel  aufgenommen.  Welche 
weittragende  Bedeutung  eine  solche  Besetzung  der  Kapitel  bei 
städtischen  oder  kirchenpolitischen  Streitigkeiten  haben  konnte,  leuchtet 
ohne  weiteres  ein.  Aber  in  einem  Punkte  heben  sich  die  städte- 
bürgerlichen Stifter  von  den  freiherrlichen  deutlich  ab,  darin  nämlich, 
daß  ihre  Mitglieder  es  nicht  verschmähten,  in  Paris,  Bologna  und 
Padua  tüchtige  wissenschaftliche  Studien  zu  machen.  Namentlich 
mußte,  wie  ehedem  bei  den  Domkapiteln,  der  Mangel  der  adligen 
Gebiurt,  so  jetzt  der  Mangel  der  Straßburger  Ortszugehörigkeit  bei 
den  Fremden  durch  gelehrte-wissenschaftliche  Qualifikation  ausgeglichen 
werden.  Von  den  einheimischen  Stiftsherren  ist  im  XIV.  Jahrh.  jeder 
zwölfte,  von  den  fremden  jeder  dritte  Mann  magister  gewesen.  Dabei 
spielten  recht  praktische  städtebürgerliche  Gesichtspunkte  mit,  indem 
derjenige  Fremde  die  meisten  Aussichten  auf  eine  Kanonikatspfründe 
hatte,  der  sich  medizinische  Kenntnisse  erworben  hatte.  So  waren 
unter  den  40  fremden  Stiftsherren  von  St.  Thomas  wenigstens  fünf 
Ärzte  *).  Das  weit  hinter  St.  Thomas  und  St.  Peter  zurückstehende 
Stift  St.  Arbogast  zeigt  bereits  die  bunte  soziale  Mischung  des  niederen 
Weltklerus.     Wenden  wir  uns  nun  den  weiblichen  Stiftern  zu. 

Das  bedeutendste  und  größte  Damenstift  war  in  Essen  *).  Mehrere 
Jahrhunderte  lang  nach  seiner  Gründung  gehörte  es  dem  sächsischen 
Königshause  als  Familienstift.  Die  erste  uns  zugängliche  Liste  der 
Kanonissen  vom   Jahre    1275  weist    13  Namen  auf*),   die  vom  Jahre 


1)  Ebenda  S.  25  ff. 

2)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  31. 

3)  Vgl.  für  das  Folgende  A.  Schulte,  Über  freiherrliche  Klöster  in  Baden. 
Freiburger  Festprogramm  1896,  und  Schmithals,  Drei  freiherrliche  Stifter  am 
Niederrhein,     Bonner  Dissertation  1907. 

4)  Schmithals,  a.  a.  O.  S.  I3f.  —  Die  Zahl  der  Pfründen  und  die  der  je- 
weils vorhandenen  Nutznießer  festzustellen  ist  sehr  wichtig.  Dies  tut  mit  Erfolg  Kallen, 
Zur  oherschwäbischen  Pfründengeschichte  vor  der  Information  (Bonner  Dissert.  1907)' 


—  261  — 

1292:  27,  I3IO-  12,  1330:  l6,  137O:  21,  I376:  12,  1396:  14, 

1399:  9,  1426:  II,  1431:  7,  1445:  8,  1459:7.  Die  von  1400—- 1500 
überlieferten  Namen  der  Essener  Kanonissen  ergeben  130  Stiftsdamen  ^). 
Abgesehen  von  drei  Familien,  deren  Stand  nicht  bekannt  ist,  gehören 
sie  alle  dem  freien  Adel  an.  Diese  130  Namen  verteilen  sich  auf 
71  Familien,  somit  im  Durchschnitt  auf  eine  Familie  zwei  Stiftsdamen. 
Bei  einigen  Geschlechtem  geht  aber  der  Anteil  weit  über  die  Durch- 
schnittszahl. So  sind  z.  B.  die  Isenburger  nut  7  Angehörigen  ver- 
treten, andere  mit  5 ,  4  und  3  ').  Die  Höchstzahl  der  Kanonissen  in 
Essen  betrug  im  Jahre  1292:  27;  also  fast  nur  die  Hälfte  der  vor- 
handenen 50  Präbenden.  A.  Schulte  konstatiert  dieselbe  auffallende 
Tatsache  auch  für  Reichenau  und  macht  dafür  als  allein  ausschlag- 
gebenden Grund  die  Abnahme  der  freiherrlichen  Geschlechter  geltend. 
Doch  es  liegt  auch  hier  noch  eine  wirtschaftliche  Ursache  vor,  die 
ich  oben  schon  bei  den  Domkapiteln  von  Straßburg,  Mainz  und  Trier 
betont  habe.  Das  Sinken  des  Rentenwertes  und  das  diese  Rente  noch 
verringernde  Wachsen  der  Ansprüche  einer  standesgemäßen  Lebens- 
haltung der  freiherrlichen  Stiftsdamen  erforderte  Zusammenlegen 
mehrerer  Pfründe  zu  einer.  Die  Abnahme  der  freiherrlichen  Familien 
reicht  allein  zur  Erklärung  nicht  aus.  Wir  haben  nämlich  auch  die 
merkwürdige  Tatsache  vor  uns,  daß  in  dem  Zeitraum  von  1300—1400 
die  freiherrlichen  Damen  mit  24  Mitgliedern  die  Höchstzahl  erreichen, 
während  gleichzeitig  das  gräfliche  Element  ebenfalls  wächst  und  zwar 
so,  daß  von  1400— 1500  sich  nur  5  freiherrliche,  aber  13  gräfliche 
Kanonissinnen  aus  den  vorhandenen  Listen  ergaben  ').  So  wurde  das 
Essener  Stift  schon  in  der  Mitte  des  XV.  Jahrh.  in  einer  Urkunde  als 
„gräflich"  bezeichnet.  Hätten  nun  die  freiherrlichen  Familien  be- 
sonders rasch  abgenommen,  so  müßte  diese  Erscheinung  sich  besonders 
bei  dem  gräflichen  Stande  geltend  machen,  der  doch  an  sich  schon 
in  geringerer  Zahl  vertreten  war  als  der  freiherrliche.  Bei  der  immer 
größer  werdenden  Standesexklusivitat ,  wie  sie  in  obigen  Zahlen  vor- 
liegt und  schon  bei  den  oben  genannten  Domkapiteln  erwähnt  ist, 
wurde  natürlich  die  standesgemäße  Lebenshaltung  der  überwiegend 
gräflichen  Kanonissen  kostspieliger  und  erforderte  immer  mehr  die 
Zusammenlegung  einer  größeren  Anzahl  von  Pfründen.  Vielleicht 
fehlte  es  nicht  selten  auch  einfach  an  Kandidatinnen.  Die  Höchst- 
zahl 27  (abgesehen  von  der  ordnungsmäßigen  Zahl  50)  schrumpfte  so 

i)  Ebenda  S.  32. 

2)  Ebenda  S.  38  f. 

3)  Ebenda  S.  39. 


—     262     — 

.auf  9,  8  und  7  zusammen.  Im  Hochmittelalter  ist  noch  das  Rekru- 
tierungsgebiet des  Stiftes  das  Rheinland  und  Westfalen.  Später  aber, 
entprechend  der  oben  angeführten  Gesetzmäßigkeit,  greift  bei  der  sich 
immer  mehr  verengenden  Standesabschließung  die  Rekrutierung  sogar 
über  deutsches  Gebiet  hinaus. 

Nicht  ganz  so  verhält  es  sich  mit  dem  Stift  Elten.  Auch  hier 
sprechen  die  Urkunden  von  den  „edlen  Jungfrauen**,  von  denen  ge- 
radezu Ahnenproben  verlangt  wurden  ').  Die  Listen  der  Kanonissen 
sind  hier  weit  spärlicher  herzustellen,  doch  gehören  von  65  Kanonissen 
9  dem  Grafenstand  und  27  den  Freiherren,  zusammen  42  Geschlechtem 
an;  nur  zwei  mußten  den  Ministerialen  zugezählt,  über  andere  konnte 
nichts  Sicheres  ermittelt  werden.  Damit  ist  auch  dieses  Stift  im  ganzen 
als  freiherrlich  anzusprechen  *). 

Einen  tieferen  Einblick  in  die  persönliche  Zusammensetzung  eines 
Stiftes  erhalten  wir  durch  die  reiche  Arbeit  Kothes  über  Straßburgs 
kirchliche  Verhältnisse.  Das  alte  Kanonissenstift  von  St.  Stephan  ') 
steht  in  mannigfacher  Parallele  zu  dem  Hohen  Stift  der  Domkano- 
niker. Zwar  ist  hier  die  freiherrliche  Exklusivität  nicht  so  aus- 
gesprochen vorhanden,  wie  in  den  oben  besprochenen  Damen- 
stiftern, geschweige  denn  die  des  Hohen  Stifts.  —  Es  gab  nämlich  in 
diesem  Damenstift  etwa  zu  gleichen  Teilen  Freiinnen,  Töchter  aus- 
wärtiger und  städtischer  Ritter  —  aber  es  ist  hier  eine  andere  Schranke 
der  Exklusivität  aufgerichtet,  die  zu  ähnlichen  Folgen  fiir  das  Stift 
führte,  wie  die  oben  angefiihrte  Beschränkung  auf  Grund  der  Geburt. 
Die  Freifrauen  und  ritterlichen  Damen  schlössen  sich  nämlich  zu  einer 
Partei  der  Fremden  zusammen ,  und  es  gelang  ihnen ,  die  Partei  der 
Straßburgerinnen,  also  der  Einheimischen,  zu  majorisieren.  Mit  dem- 
selben Terrorismus  wurde  dann  auch  dieses  System  gehandhabt.  So 
mußte  in  der  Mitte  des  XIV.  Jahrh.  eine  Äbtissin  vor  ihrer  Wahl  den 
Eid  leisten,  keine  Straßburgerin  in  das  Stift  au&unehmen.  Und  tat- 
sächlich  widersetzte  sich  diese  Äbtissin  der  Aufnahme  einer  Straß- 
burgerin gegen  den  Willen  eines  päpstlichen  Nuntius  so  lange ,  bis 
die  Exkommunikation  und  die  Entbindung  von  dem  genannten  Eide 
durch  den  Papst  die  Äbtissin  willfährig  machte  *).  Die  Folge  dieses 
Systems  war  ebenfalls  die  Fixierung  der  Pfründenzahl,  die  Einfiihrung 
der   Kooptation   und   demgemäß    die  Monopolisierung    der  Pfründen 

i)  Ebenda  S.  46. 

2)  Ebenda  S.  79. 

3)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  46fr. 

4)  Ebenda  S.  49. 


—     263     — 

durch  die  deshalb  häufig  sich  wiederholenden  Geschlechter  *).  Auch 
zeigt  der  ausschließliche  Zutritt  der  städtischen  Ritterstöchter  zu  dem 
Stift  gegenüber  den  aus  dem  Handelsstande  hervorgegangenen  Adels- 
geschlechtern, wie  diese  noch  nicht  die  gleiche  Anerkennung  genossen. 
Auch  hier  hat  der  Kastengeist  dieselben  Folgen  der  Disziplinlosigkeit 
gehabt.  So  weist  das  Stift  das  Recht  der  „preces  primaria^"  von- 
seiten des  Erzbischofs  von  sich  und  verfällt  im  Jahre  1355  deshalb 
dem  Bann.  Ein  Statut  von  1366  sollte  weitere  ähnliche  Fälle  wenigstens 
in  ihren  materiellen  schädlichen  Folgen  dadurch  hintertreiben ,  daß 
jede  neugewählte  Stiftsdame  sich  verpflichtete,  dem  Klostgr  sechs  Bürgen 
und  Mitschuldner  zu  stellen,  die,  falls  die  Wahl  der  genannten  Stifts- 
dame vom  Papst,  Kaiser,  König,  Bischof  oder  einem  anderen  an- 
gefochten wird,  dann  dem  Stift  den  daraus  envachsenden  Schaden 
binnen  acht  Tagen  voll  zu  ersetzen  habe.  Das  war  geradezu  eine  Ver- 
sicherung auf  den  aus  einem  Akt  der  Disziplinlosigkeit  erwachsenden 
Schaden. 

Mit  den  Standesverhältnissen  von  Frauenklöstern  und  -stifiem  der 
Diözese  Münster  und  vom  Stift  Herford  macht  uns  Fink  des  wei- 
teren näher  bekannt*).  So  bietet  die  Reichsabtei  Herford,  „der 
Typus  der  westfälischen  Klöster  mit  Ministerialen  und  freiherrlicher 
Spitze ",  das  stereotype  Bild  für  die  ganze  Landschaft  Westfalen.  Die 
Äbtissinnen  sind  bis  in  die  neueste  Zeit  freiadlig  gewesen  *),  während 
die  Nonnen,  für  deren  Standeszugehörigkeit  wir  erst  im  XIII.  Jahrh. 
vollwichtige  Zeugnisse  haben,  schon  am  Ende  des  XIV.  Jahrhs.  eine 
Ministerialin  aufweisen  *).  Das  freiherrliche  System  wird  dann  im  An- 
fang des  XV.  Jahrhs.  noch  mehr  gelockert,  um  dann  von  der  Mitte 
desselben  Jahrhs.  an  wieder  straffer  angespannt  zu  werden.  Ebenso 
steht  es  mit  den  Standesverhältnissen  des  als  Reichsabtei  gegründeten 
Stiftes  Vreden  *)  und  der  Stifter  Freckenhorst  *)  und  Borghorst.  Bei 
den  beiden  letzten  sind  sogar  Ministerialinnen  schon  im  XIV.  Jahrh. 
in  die  Prälatur  eingedrungen.     Dieser  Vorgang  mußte   natürlich   auch 

i)  Ebenda  S.  46.  Aas  diesen  Tatsachen  ist  ersichtlich,  mit  welcher  Berechtigung 
sich  die  Reformation  des  Kaisers  Sigmund  über  die  Domklosterfranen  anspricht :  Mcm 
spricht,  es  tey  der  edlen  spitcd,  sie  erben  allermeist  dieselben  kloster- 
frawen.  Vgl.  meine  Aasgabe:  Die  Beformation  des  Kaisers  Sigmund.  III.  Er- 
gänmngsheft  des  Archivs  für  Kdtargeschtchte  (1908)  S.  55. 

2)  In  der  oben  angeführten  Arbeit. 

3)  Ebenda  S.  5,  12  and  14. 

4)  Ebenda  S.  19. 

5)  Ebenda  S.  20  ff. 

6)  Ebenda  S.  42. 


—     264     — 

auf  die  Standeszugehörigkeit  der  Nonnen  in  der  Richtung  zunehmender 
Ministerialisierung  einwirken  *).  Auch  im  ältesten  Frauenstift  in  West- 
falen, St.  Martin  zu  Nottuln,  war  die  Reihe  der  Äbtissinnen  bis  zur 
Mitte  des  XV.  Jahrhs.  von  Ministerialinnen  freigeblieben  •) ,  obwohl 
hier  keine  einzige  Kanonissin  freiherrlich  war,  ja  sogar  Bürgerlichen 
die  Pforten  des  Stiftes  offenstanden.  Ähnlich  stand  es  mit  den  Klöstern 
Metelen  •)  und  Überwasser-Münster  *).  Es  scheint  hier  folgende  land- 
schaftliche Übereinstimmung  vorzuliegen:  Die  aufgezählten  Kon- 
vente sind  freiherrliche  Stiftungen,  und  darauf  geht  auch  ihre  fast 
ausnahmslose- -iveiherrliche  Spitze  zurück.  Dem  entspricht  die  freiherr- 
liche Zusammensetzung  der  Konvente  und  Klöster  wenigstens  fiir  die 
ersten  Jahrhunderte,  für  die  allerdings  bis  jetzt  nur  ganz  spärliche 
Zeugnisse  vorliegen.  Als  sich  dann  später  viele  edle  Geschlechter 
in  ein  teilweises  oder  ganzes  Dienstverhältnis  begaben,  schwand  die 
Zahl  der  freiherrlichen  Familien  und  man  nahm  jetzt  doch  die  Töchter 
aus  diesen  ministerialisierten  Adelsgeschlcchtern.  Später  aber  besann 
sich  der  Freiadel  wieder  auf  den  ursprünglich  freiherrlichen  Charakter 
der  Stiftungen  und  betrachtete  wenigstens  Herford  wieder  als  seine 
Domäne.  Durch  Zusammenlegen  von  Pfründen  paßte  sich  die  Zahl 
derselben  der  zusammengeschmolzenen  Anzahl  der  freiherrlichen  Ge- 
schlechter mehr  an,  zumal  diese  infolge  Sinkens  des  Rentenwertes 
und  der  Erhöhung  der  Lebensansprüche  auch  eine  Erhöhung  des 
Pfründeneinkommens  erheischten.  Die  anderen  Stiftungen  blieben 
weiteren  Kreisen  geöffnet. 

Was  nun  die  Standeszugehörigkeit  der  Herrenklöster  und  anderer 
Frauenkonvente  betrifft,  so  hat  A.  Schulte  bei  drei  schweizerischen 
Abteien :  Zürich ,  St.  Gallen  und  Einsiedeln  *) ,  ebenso  bei  drei  ba- 
dischen Klöstern:  Reichenau,  Waldkirch,  Säckingen*)  ihren  freiherr- 
lichen Charakter  nachgewiesen  und  zuletzt  ist  ihm  auch  derselbe  Be- 
weis für  das  Herrenkloster  Werden  ')  gelungen.  Seit  dem  XII.  Jahrh. 
ist  der  Bestand  des  Werdener  Konvents  exklusiv  freiherrlich  *).  Da- 
mals blühte  der  Konvent  wirtschaftlich  auf  und  war  deshalb  stark  be- 
setzt.    Der  wirtschaftliche  Apparat  erhielt   einen  großartigen  Ausbau, 

i)  Ebenda  S.  57. 

2)  Ebenda  S.  68. 

3)  Ebenda  S.  69  fr. 

4)  Ebenda  S.  74  ff. 

5)  In  Zeitschrift  für  deutsches  Altertum,  39.  Band. 

6)  In  Festprogramm  der  Universität  Freiburg  (1896). 

7)  In  Westdeutsche  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Kunst  (1906). 

8)  Ebenda  S.   190. 


—     265     — 

aber  seit  1300  wurde  der  Konvent  immer  lebensunfähiger  und  geriet 
so  in  ein  seltsames  Mißverhältnis  zu  der  wirtschaftlichen  Anlage.  Im 
Jahre  1425  sind  nur  noch  9  Mönche,  1450:  5,  1474  nur  noch  Abt, 
Propst  und  Küster  im  Kloster  Werden  vorhanden.  So  schrumpfte 
Werden  wie  Reichenau,  St.  Gallen  und  Einsiedeln  und  viele  andere 
Benediktinerklöster  in  Westfalen  zusammen,  weil  sie  an  der  Forderung 
der  Geburt  festhielten.  A.  Schulte  fuhrt  Krieg  und  Zölibat  als  Ur- 
sachen dieses  Schwindens  der  freiherrlichen  Klöster  an,  insofern  die 
freiherrlichen  Familien  infolge  frühen  Todes  oder  Ehelosigkeit  seit 
dem  XII.  Jahrh.  aussterben.  Oder  sie  sanken  auch  infolge  von  Miß- 
heirat und  aus  anderen  Gründen  zur  Ministerialität  herab.  Dazu  lockte 
die  Freiherren  auch  die  bessere  Aussicht  auf  Prälaturen  von  den 
Klösten  weg.  „Die  alte  Organisation  ist  auf  große  imponierende  Ver- 
hältnisse eingerichtet,  die  Zahl  der  vorhandenen  Mönche,  von  denen 
schließlich  keiner  mehr  Priester  ist,  macht  das  Kloster  zu  einer  leeren 
Halle,  in  der  die  Edelmönche  verschwinden.  Den  Bau  haben  die  alten 
freien  Geschlechter  aufgerichtet,  die  letzten  Sprossen  des  verdorrten 
Blutes  schleichen  wie  Schatten  in  ihnen  umher.  Das  frühere  und 
hohe  Mittelalter  hat  hier  seine  Ruinen "  *).  So  wird  es  auch  vielen 
anderen  uns  noch  nicht  genauer  bekannten  ehemals  reichen  Bene- 
diktinerklöstern ergangen  sein.  Nur  fragt  man  sich  denn  doch,  woher 
haben  diese  Freiherren  diese  unverantwortliche  Engherzigkeit  her- 
genommen, diesen  gewaltigen  wurtschaftlichen  Apparat  veröden  zu 
lassen.  Wären  die  Schranken  der  Standesexklusivität  allein  so  stark 
gewesen,  auf  die  Dauer  den  damals  so  sehr  nach  kirchlicher  Ver- 
sorgung drängenden  niederen  Ständen  der  Ministerialen  oder  Bürger 
standzuhalten?  Denn  wir  sahen  doch,  wie  tatsächlich  bei  Frauen- 
klöstern und  Stiftern  das  exklusive  Prinzip  durch  Ministeriale  und 
Bürgerliche  durchbrochen  wurde,  wenn  auch  nur  vorübergehend.  Es 
muß  hier  noch  eine  wirtschaftliche  Ursache  stark  mitgewirkt  haben. 
Der  wirtschaftliche  Betrieb  dieser  vorwiegend  auf  Landwirtschaft  ge- 
gründeten Benediktinerklöster  wurde  im  XV.  Jahrh.  stillgelegt.  Und 
zwar  haben  mehrere  Ursachen  dies  herbeigeführt.  Einmal  war  es  das 
Sinken  der  Grundrente,  also  der  Rentabilität,  die  aber  noch  dadurch 
besonders  herabgemindert  wurde,  daß  an  Stelle  des  klösterlichen 
Kommunismus  und  der  gemeinsamen  Betriebsweise  das  Privateigentum  *) 

1)  Ebenda  S.  180. 

2)  Linneborn,  Der  Zustand  der  westfälischen  Benediktinerklöster  in  den 
letzten  50  Jahren  vor  ihrem  Anschlüsse  an  die  Bursfelder  Kongregation  (Zeitschrift 
für  vaterländische  Geschichte  und  Altertumskunde  [Westfalens]  56.  Bd.  [1898],  S.  9  ff.). 


—     266     — 

und  der  Einzelbetrieb  trat.  Dieser  konnte  aber  niemals  bei  dem  für 
gemeinsamen  Betrieb  eingerichteten  wirtschaftlichen  Apparat  die  alte 
Rentabilität  der  Klosterwirtschaft  erzielen.  Dazu  versagte  damals 
durchaus  das  zu  jeder  klösterlichen  Bewirtschaftung  nötige  Element 
der  Laienbrüder.  So  sehen  wir  die  alten  feudal-agrarischen  KJoster- 
genossenschaften  veröden  hinsichtlich  des  Personal-  und  Besitzbestandes, 
während  die  neueren  mehr  demokratisch -kapitalistisch  organisierten 
Orden  an  Überftillung  leiden,  so  daß  der  Verfasser  der  Reformation 
des  Kaisers  Sigmund  sie  allmählich  fast  auf  den  Aussterbeetat  setzen 
will.  Während  die  Domkapitel  und  Stifter  sich  durch  Union  der 
Pfründen  und  namentlich  durch  Inkorporationen  von  Pfarrkirchen  *)  zu 
helfen  wissen ,  drängen  sich  namentlich  die  Bettelorden  in  die  Seel- 
sorgc  und  erhöhen  somit  ihr  Einkommen.  Eis  entstand  ja  daraus  ein 
hartnäckiger  wirtschaftlicher  Konkurrenzstreit  mit  dem  Kuratklerus. 

Daß  man  diese  beiden  Gruppen  von  Klöstern  auseinanderhalten 
muß,  bestätigt  auch  die  Untersuchung  Kothes  über  die  anderen  Kloster- 
genossenschaften in  Straßburg.  Wenn  auch  dort  die  Dominikaner 
als  älter  und  angesehener,  für  aristokratischer  im  Vergleich  zu  den 
Franziskanern  gehalten  wurden,  so  waren  dennoch  in  diesen  beiden 
Bettelorden  die  Angehörigen  aus  allen  Ständen  brüderlich  vereint. 
Diesen  Ruf  rechtfertigten  übrigens  die  Predigermönche  im  Laufe  des 
XIV.  Jahrhs.  immer  mehr,  indem  sie  in  der  Tat  das  patrizische  Stadt- 
clement (ratsfähige  Ritter  und  Bürgergeschlechter)  bevorzugten  *). 
Auch  waren  dem  Franziskanerkonvent  uns  aus  anderen  aristokratischen 
Körperschaften  Straßburgs  bekannte  Namen  nicht  fremd.  Verschmähte 
doch  der  Freiherr  von  Entringen  die  Würde  eines  „gardianus**  nicht; 
doch  überwog  neben  patrizischen  Mitgliedern  die  Zahl  derer  aus 
Straßburger  Zünften.  Das  Rekrutierungsgebiet  beider  Orden  war  das 
ganze  Rheinland  von  Köln  bis  Basel.  Zu  den  übrigen  Bettelorden: 
Augustiner-Eremiten,  Karmeliter  und  Wilhelmiter  drängten  sich  fast 
nur  Zünftlcr.  Den  einheimischen  Konventualen ,  die  meistens  aus 
Handwerkerfamilien  stammten,  tritt  eine  große  Anzahl  von  PVemden 
an  die  Seite.  Nur  aus  diesem  Elemente  setzte  sich  dann  noch  das 
ganz  abseits  der  Stadt  gelegene  Kartäuserkloster  zusammen,  ein  Seiten- 
stück zu  dem  Stift  St.  Arbogast  derselben  Stadt.  Bei  dieser  Gruppe 
von  Klöstern  hören  wir  also  nichts  von  ständischer  Exklusivität,  nichts 
von  Einschrumpfung   des  Personen-   und   Besitzstandes.     Da  sie    kein 


i)  Kothe. 

2)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  42. 


—     267     — 

reiches  Stiftungsvermögen  besaßen,  sondern  vom  Bettel,  Seelsorge 
und  Handarbeit  lebten  *),  waren  sie  gleichsam  nicht  salonfähig,  hatten 
also  auch  nicht  unter  der  Monopolisierung  durch  einen  Stand  wie  der 
Freiherren  zu  leiden. 

Anders  verhält  es  sich  wieder  mit  den  Frauenklöstern  derselben 
Stadt.  Bei  ihnen  finden  wir  wieder  eine  bestimmte  Standesexklusivität, 
da  sie  im  XIV.  Jahrh.  sämtlich  den  Töchtern  wohlhabender  Patrizier 
reserviert  waren  *).  Ja  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  befindet  sich 
dort  ein  erheblicher  Prozentsatz  von  Töchtern  des  elsässischen  Adels. 
Zünfte  sind  dagegen  ganz  von  den  Frauenklöstem  Straßburgs  aus- 
geschlossen. So  stehen  wir  vor  der  merkwürdigen  Tatsache,  daß 
Mädchen  aus  dem  Straßburger  Volke  überhaupt  ihr  Leben  in  einem 
regelrechten  Kloster  nicht  zubringen  konnten,  während  doch  die 
Männerklöster  dem  männlichen  Geschlecht  dazu  reichlich  Gelegenheit 
boten.  Dabei  ist  der  Überschuß  an  weiblichen  Geburten  damals  recht 
groß  gewesen.  Man  hat  auf  looo  Männer  mindestens  iioo  Frauen 
gerechnet  ^).  Unter  diesem  Mißverhältnis  hatten  natürlich  die  Mädchen 
der  besseren  Stände  mehr  zu  leiden,  als  die  der  niederen,  die  keine 
Standesrücksichten  beim  Nahrungserwerb  zu  üben  hatten.  Dazu  blieb 
einem  Frauenkloster  gerade  die  Seelsorge  als  damals  ergiebige  Er- 
werbsquelle verschlossen.  Es  mußte  deshalb  für  den  Eintritt  einer 
Frau  ins  Kloster  die  Mitgift  hoch  sein,  um  ihr  ein  standesgemäßes 
Auskommen  zu  sichern.  So  fiel  von  selbst  der  Zutritt  zu  den  Frauen- 
klöstern ausschließlich  den  Töchtern  aus  besseren  Ständen  in  die 
Hände.  Dazu  paßte  dann  auch  das  beschauliche  Leben  den  Mädchen 
aus  diesen  Kreisen  eher  als  den  aus  dem  niederen  Volke.  So  wandten 
sich  denn  die  mittellosen  Töchter  des  Volkes  den  kirchlichen  Körper- 
schaften zu,  die  eine  Versorgung  ihrer  Mitglieder  boten  auf  Grund 
von  körperlichen  Arbeiten,  wie  Waschen,  Nähen,  Spinnen  u.  a.  Das 
waren  die  Beghinenhäuser.  Groß  war  deshalb  die  Zahl  dieser 
Beghinenhäuser  gerade  in  Straßburg  (noch  größer  in  Köln).  Im  Jahre 
13 17  waren  es  z.  B.  30,  von  1300 — 1400  lassen  sich  70  urkundlich 
nachweisen.  Die  Zahl  ihrer  Insassen  schwankte  zwischen  6 — 24.  So 
war  durch  diese  kirchliche  Institution  der  weibliche  Überschuß  auch, 
dieser  Volkskreise  untergebracht.  Doch  gab  es  noch  drei  vornehme 
Kollegien   von    Beghinen,   die   sogenannten  Mantelfräulein,    die   sich 

i)  Beides  wurde  freilich  als  lästige  Konknrrenz  in  den  Städten  empfunden,  ersteres 
▼on  dem  Knratklems,  das  letztere  von  den  Handwerkern. 

2)  Kothe,  a.  a.  O.  S.  49. 

3)  Vgl.  C.  Bücher,  Die  Frauenfrage  im  Mittelalter  (1882)  S.  5. 

20 


—     268     — 

ebenfalls   durch   ihren  patrizischen  Standescharakter  scharf  von   dem 
Gros  abhoben. 

Es  bleibt  uns  nur  noch  Weniges  über  die  Standesverhältnisse  des 
niederen  Weltklerus  von  Straßburg  zu  sagen  übrig,  das  sich  im  wesent- 
lichen mit  dem  deckt,  was  ich  bereits  in  einem  früheren  Aufsatz  in 
dieser  Zeitschrift  *)  auf  Grund  anderer  Untersuchungen  mitgeteilt  habe. 
Schon  im  Anfang  des  XIV.  Jahrhs.  war  der  Prozeß  vollendet,  daß 
der  eigentliche  rector  ecdesiae,  der  Kirchenherr  depossediert  war  und 
an  seine  Stelle  infolge  der  Inkorporation  seiner  Pfründe  in  Kanonikate 
und  Klöster  der  vicarius  perpetuas  getreten  war.  Diese  werden  nun 
immer  zahlreicher  namentlich  durch  die  sich  ständig  mehrenden 
Messepfründner  mit  ihrer  kärglichen  Löhnung  *).  Im  Zeitraum  von 
1300 — 14CX)  sind  in  Straßburger  Kirchen  140  Meßstipendien  gestiftet 
worden,  abgesehen  von  den  verloren  gegangenen  Urkunden.  Es  haftet 
also  diesem  Heere  von  geistlichen  Hilfsarbeitern  das  echt  Proletarische 
an:  die  große  Zahl  und  ein  Hungereinkommen.  Es  sind  das  deshalb 
meistens  Söhne  aus  dem  Straßburger  Handwerkerstande.  Besser  si- 
tuierte  Patrizier  versorgten  ihre  Söhne  auch  nicht  selten  mit  einer 
gfuten  Meßpfründe,  reservierten  sie  aber  dann  ihrer  FamUie  oder  sie 
brachten  sie  in  der  kirchlichen  Verwaltung  imtcr,  wo  sie  sich  dann 
durch  vornehme  Verwandten  die  Anwartschaft  auf  eine  Kanonikats- 
pfiründe  erwarben.  Auch  hier  entschied  besseres  Einkommen  und 
höhere  Würde  über  den  Eintritt  in  eine  kirchliche  Körperschaft  oder 
kirchliches  Amt,  das,  je  sorgenloser  und  arbeitsloser  es  war,  um  so 
mehr  von  den  vornehmen  Ständen  als  Domäne  behandelt  wurde. 

Ohne  Zweifel  stehen  wir  vor  einer  Reihe  von  merkwürdigen  und 
weittragenden  Ergebnissen,  zu  denen  wir  auf  Grund  der  angeßihrten 
Arbeiten  gelangt  sind.  Abgesehen  von  der  schärferen  Profilienmg 
des  Bildes,  das  sich  für  die  Geschichte  der  geistlichen  Korporationen 
namentlich  für  das  Klosterwesen  ergibt,  steht  nun  noch  eine  Ver- 
wertung der  Resultate  aus  fiir  die  Frage  der  um  die  Mitte  des 
XV.  Jahrhs.  einsetzenden  Klosterreform  sowie  für  das  Verhalten  dieser 
Korporationen  der  Reformation  gegenüber.  Auf  die  Bedeutung  der 
neuen  Fragestellung  für  die  allgemeine  deutsche  Geschichte  ist  schon 
hingewiesen  worden.  Es  bleibt  immer  noch  vieles  zu  tun  übrig. 
Trotz  der  einheitlichen  Gesichtspunkte,  die  wir  oben  feststellen  konnten, 
trotz   aller  Gesetzmäßigkeit  ist  doch   nirgends  Schablone.     Jedenfalls 


i)  Vgl.  diese  ZeiUchrift,  8.  Bd.,  S.  219  ff. 
a)  Vgl.  Kothe,  m.  m.  O.  S.  38 f. 


—     269     — 

hinterläßt  die  Feststellung  eines  so  weitgehenden  Standesbewußtseins 
in  den  geistlichen  Korporationen  des  Mittelalters  beim  Beobachter 
einen  imposanten  Eindruck.  Entstammten  doch  ihre  Mitglieder  den 
reichsten  und  mächtigsten  Familien  des  Landes,  in  denen  ihre  Wurzeln 
aber  auch  die  Kraft  ihres  Widerstandes  bei  der  Reformbewegung,  zum 
Teil  auch  bei  der  Reformation  lagen.  Freilich  stand  das  ganze  Ge- 
wohnheitsrecht der  ständischen  Exklusivität  im  direkten  Widerspruch 
zu  Statuten  und  Ordensregeln.  Man  spricht  so  gern  von  Romani- 
sierung  des  Christentums.  Ist  es  nicht  an  der  Zeit,  angesichts  der 
vorliegenden  Tatsachen,  dem  eine  Germanisierung  des  Christentums 
gegenüber  zu  stellen?  Gewiß  ließen  sich  dafiir  noch  andere  Gründe 
hinzufügen. 


Mitteilungen 


Versammlangeil.  —  Der  Baltische  Historikertag,  dessen  Pro- 
gramm oben,  S.  175 — 176,  mitgeteilt  wurde,  hat  in  der  angekündigten 
Weise  stattgefunden  und  zwar  am  15.  bis  17.  April  russischen,  d.  h.  38. 
bis  30.  April  unseres  Kalenders.  Über  die  wissenschaftliche  Leistung  der 
Versammlung  wird  später  ein  Sammelband  Auskunft  geben,  der  den  Titel 
tragen  soll:  Arbeiten  des  L  Baltischen  Histarikertages.  Aber  vorläufig  ist 
ein  kurzer  Bericht  erschienen:  Protokolle  des  Ersten  Baltischen  Historiker' 
tages  bu  Biga  lö.jJSS.— 17.130.  Aprü  1908  (Riga,  W.  F.  Hacker  1908, 
45  S.  8®),  dem  wir  einige  MitteUungen  entnehnien  wollen. 

Offiziell  beteiligt  haben  sich  an  der  Versammlung  19  Vereine  sowie 
II  Verwaltungen  von  Archiven,  Bibliotheken  und  Museen.  Unter  den  163 
persönlichen  Teilnehmem  überragen  allerdings  an  Zahl  die  aus  Riga  alle  an- 
deren bei  weitem,  aber  immerhin  waren  Reval,  Dorpat,  Mitau,  Peraau  und 
Petersburg  gut  vertreten.  Aus  dem  Deutschen  Reiche  waren  anwesend  Biblio- 
thekar Dr.  Hans  Schmidt  (Posen)  und  Baron  v.  d.  Osten-Sacken 
(Berlin).  Hoffentlich  werden  sich  auch  einige  Balten  an  der  Versammlung 
des  Gesamtvereins  in  Lübeck  beteiligen! 

In  den  Verhandlungen  kennzeichnete  zunächst  Oberlehrer  Worms 
(Mitau)  die  Aufgaben  der  volkskundlichen  Forschung  in  den  Ostsee- 
provinzen, die  es  bisher  nach  seiner  Meinung  noch  nicht  gibt  Nachdem 
er  die  entsprechenden  ausländischen  Bestrebungen,  namentlich  die  der  deut- 
schen Vereine  flir  Volkskunde  '),  geschildert  hatte,  forderte  er  für  die  balti- 
schen Gebiete  ein  anderes  als  das  dort  eingeschlagene  Verficüiren,  weil  der 
eigentliche  Träger  volkskundlicher  Überlieferungen,  der  deutsche  Bauernstand, 
fehle.  Es  gelte  darzustellen,  wie  sich  die  Volksseele  äußere  in  den  Worten, 
im  Glauben,   in  den  Handlungen   und  in  den  Werken.     Durch  Vermittlung 


i)  Vgl.  darüber  oben,  S.  63—83. 

20^ 


—     270     — 

der  deutschen  Vereine  sollten  Fragebogen  ausgegeben  und  der  dadurch 
gesammelte  Stoff  solle  von  den  historischen  Vereinen  durch  historisch- 
philologisch gebildete  Kräfte  bearbeitet  werden.  —  Im  Anschloß  daran 
machte  Ingenieur  Minuth  (Riga)  Mitteilungen  über  die  Handwerksgebräuche 
der  Rigaer  Kupferschmiedegesellen,  und  Redakteur  Seraphim  (Riga)  for- 
derte nachdrücklich  dazu  auf,  alle  derartigen  Dinge  schriftlich  au&uzeichnen ; 
notwendig  sei  aber  vor  allem  die  Errichtung  von  Sammelstellen,  an  denen 
solcher  Stoff  niedergelegt  werde. 

Auf  Veranlassung  der  geographischen  Sektion  des  Baltischen  Lehrer- 
tags 1907  hat  sich  ein  Zentralkomitee  der  baltischen  Heimat- 
kunde gebildet  und  als  erste  Aufgabe  die  Herausgabe  eines  imifassenden 
Lehrbuchs  der  Heimatkunde  ins  Auge  gefaßt.  Pastor  Hörschelmann 
(Mitau)  erläuterte  den  Plan  näher.  Stadtbibliothekar  Busch  (Riga)  vertrat 
dagegen  die  Ansicht,  daß  ein  Werk  wie  das  geplante,  das  eine  allgemein 
verständliche  Darlegung  der  Geographie,  Naturkunde,  Geschichte  sowie  der 
politischen  tmd  wirtschaftlichen  Verhältnisse  enthalten  solle,  noch  keine 
Heimatkunde  sei,  sondern  nur  eine  Vorarbeit  dazu.  Das  notwendigste  sei 
Schafiung  von  Heimatkunden  fUr  die  einzelnen  Unterrichtsorte,  denn 
die  Aufgabe  des  heimatkundlichen  Unterrichts  bestehe  darin,  zur  Beobach- 
tung der  sichtbaren  Spuren  des  geschichtlichen  Werdegangs  in  der  Um- 
gebung anzuregen.  Deswegen  ist  er  der  Meinung,  daß  dem  Bedürfnis  nach 
heimatkundlichen  Hilfsmitteln  im  Unterricht  am  besten  durch  Bearbeitung 
historischer  Ortsführer  entsprochen  werde,  wie  sie  v.  Hedenström 
(Riga)  als  notwendig  bezeichnet  hatte.  Letzterer  hatte  für  jede  Stadt  der 
Ostseeprovinzen  einen  Ortsführer  verlangt,  der  an  der  Hand  der  Realien 
die  geographischen,  historischen  und  soziologischen  Bedingungen  der  engeren 
Heimat  erläutere. 

In  Anlehnung  an  die  entsprechenden  deutschen  Bestrebungen ')  be- 
sprach Prof.  Doß  (Riga)  die  Sammlung  historischer  Nachrichten 
über  Naturereignisse  und  physisch-geographische  Verhält- 
nisse des  Ostbaltikums,  erläuterte  die  große  wissenschaftliche  und 
praktische  Bedeutung  solcher  Bemühungen  und  forderte  die  Einsetzung  eines 
Ausschusses,  der  bis  zur  nächsten  Versammlung  bestimmte  Vorschläge  machen 
solle  in  Anschluß  an  die  bis  dahin  vermutlich  ins  Leben  getretene  ent- 
sprechende Organisation  in  Deutschland.  Außer  dem  Redner  wurden  Ar- 
chivdirektor Stavenhagen  (Mitau)  und  Stadtarchivar  Feuereisen  (Riga) 
in  diesen  Ausschuß  gewählt.  —  Die  Notwendigkeit,  den  Naturdenkmälern 
auch  in  den  Ostseeprovinzen  Aufmerksamkeit  zu  schenken  und  für  ihre  Er- 
haltung zu  sorgen,  besprach  Arzt  Otto  Thilo  (Riga),  und  Prof.  Kupffer 
(Riga)  erläuterte  an  der  Hand  ausgestellter  Naturdenkmäler  aus  der  baltischen 
Pflanzenwelt  —  meist  Überreste  früherer  Vegetationsperioden  —  die  Wich- 
tigkeit dieser  Gedanken. 

Prof,  V.  Stryk  (Riga)  führte  in  seinen  Darlegungen  über  Denkmal- 
pflege den  Gegensatz^  der  in  dem  Konservieren  oder  Restaurieren  der 
Denkmäler  zum  Ausdruck  gelange,  auf  einen  andern  zurück,  nämlich  den, 
ob   das   Kunstwerk   oder   die    Urkunde   geschützt  werden   solle;    denn 


i)  Vgl.  diese  ZciUchrift  7.  Bd.  (1906),  S.  223  und  8.  Bd.  (1907),  S.  52—53- 


—     271     — 

beides  zugleich  sei  meist  unmöglich,  und  deshalb  müsse  über  die  letzte  Ab- 
sicht, was  man  bezwecke,  Klarheit  herrschen.  —  Der  Rigasche  Architekten- 
i^erein  hat  sich  in  einem  ausführlichen  Gutachten  über  die  Aufgaben  der 
Denkmalpflege  im  Ostseegebiet  ausgesprochen,  und  zwar  bildete  den  Anlaß 
<lazu  eine  seitens  der  russischen  Regienmg  geplante  gesetzliche  Regelung 
des  Denkmalschutzes,  über  die  sich  schon  1905  die  Gesellschaft  flir  Ge- 
schichte und  Altertumskunde  der  Ostseeprovinzen  Rußlands  gutachtlich  ge- 
äußert hat.  Ein  besonderer  Ausschuß,  dem  Mitglieder  des  Architekten- 
vereins und  der  genannten  Gesellschaft  angehören,  soll  diese  Angelegenheit 
im  Auge  behalten.  —  Stadtarcbivar  Feuereisen  (Riga)  machte  noch  sehr 
interessante  Mitteilungen  über  den  in  Schweden  und  Livland  tatsächlich  im 
XVU.  Jahrhundert  geübten  Denkmalschutz. 

Prof.  Hausmann  (Dorpat)  schilderte  in  dem  Vortrage  Die  archäo- 
logische Forschung  in  den  baltischen  Provinzen  im  letzten  Jahrzehnt  knapp 
zusammenfassend  den  gegenwärtigen  Stand  des  Wissens  über  die  baltische 
Vorgeschichte.  —  Oberlehrer  Diederichs  (Mitau)  forderte  die  systema- 
tische Herausgabe  der  bereits  früher  gedruckten,  aber  meist  schlecht  bear- 
beiteten, und  der  bisher  ungedruckten  Geschichtsquellen  und  begründete  seine 
Forderung  eingehend.  Auch  diese  Bestrebungen  soll  ein  besonderer  Aus- 
schuß fördern.  —  Für  die  Herausgabe  eines  baltischen  Ortsnamens- 
buchs trat  Dr.  Schlüter  (Dorpat)  ein  und  entwickelte  einen  bis  ins  ein- 
zelne gehenden  Arbeitsplan.  In  der  Eröiterung  wurde  auch  die  Sammlung 
<ler  Flurnamen  eingehend  mit  behandelt,  und  über  eine  von  A.  Bielen- 
stein  1892  vorgenommene  Umfrage,  durch  die  40000  Namen  zusammen- 
gebracht \»urden,  berichtete  dessen  Sohn.  Auch  der  Aufgabe,  diese  An- 
regungen weiter  zu  verfolgen,  wird  sich  ein  besonderer  Ausschuß  unterziehen. 

Für  die  deutschen  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  Flurkarten- 
forschung interessant  waren  die  Mitteilungen  von  v.  Löwis  ofMenar 
(Riga)  über  kartographische  Archivalien:  aus  der  Zeit  von  1681 — 1693  hegen 
28  Folianten  mit  Gutskarten  vor,  und  Wegekarten  von  1695  geben  will- 
konmiene  Ergänzungen.  Der  letztgenannte  hat  auch  bereits  Geschichts- 
karten für  Livland  bearbeitet,  und  zwar  im  Maßstabe  i  :  100 000  und 
I  :  230000;  es  liegen  bis  jetzt  20  verschiedene  Karten  vor.  Es  werden 
^rauf  dargestellt  die  heidnischen  Burgberge,  die  Landschaftsgrenzen  des 
XIL  Jahrhunderts,  die  politische  Einteilung  Livlands  in  den  Jahren  1207,  1220, 
1237,  1250,  1297,  1382  und  1398,  die  Territorialgrenzen  und  Diözesan- 
grenzen  des  XV.  Jahrhunderts,  die  politische  Gestaltung  von  Livland,  Estland, 
Kurland  in  den  Jahren  1563,  1585  und  1630,  die  kurländischen  Kolonien 
im  XVIL  Jahrhundert,  die  Ostseeprovinzen  in  den  Jahren  1699,  1721»  1783» 
1819  und  1908. 

Nicht  mindere  Beachtung  verdienen  die  eingehenden  Mitteilungen  über 
das  baltische  Archivwesen,  das  durchgängig  den  Organen  der  Selbst- 
verwaltung untersteht.  Wie  dem  eingehenden  Berichte  des  Stadtarchivars 
Feuereisen  (Riga)  zu  entnehmen  ist,  wurden  die  Stadtarchive  von  Riga 
tmd  Reval  1882  und  1883  durch  Trennung  der  alten  von  der  laufenden 
Registratur  als  wissenschaftliche  Anstalten  gegründet;  dasselbe  geschah  in 
Pemau  1893  und  in  Dorpat  1900,  während  sich  des  Stadtarchivs  zu  Fellin 
die   dortige  Literarische   Gesellschaft   angenommen   hat.     Ein   Landeszentral- 


—     272     — 

archiv  für  Livland  gibt  es  in  gewissem  Sinne  in  dem  Livländischen  Ritter- 
Schaftsarchiv  ^),  in  welchem  die  alten  Kirchenbücher  ruhen,  gefährdete 
Archive  imd  sonstige  ausgeschiedene  Akten  verwahrt  werden.  Weniger  Sorg- 
falt ist  bisher  dem  Schwedischen  Generalgouverneur-Archiv  in  Riga, 
das  zurzeit  auch  ungenügend  untergebracht  ist,  gewidmet  worden,  aber  der 
eben  vollendete,  von  Bienemann  bearbeitete  Katalog  des  Schwedischen 
Qenerälgauvernetir'Ärchivs  eu  Riga  (Riga  1908,  70  S.)  wird  vermuüich  den 
Anfang  einer  inhaltlichen  Ausnutzung  bedeuten.  —  In  Mitau  ist  1903  ein 
Kurländisches  Landesarchiv  ^)  gegründet  worden,  dessen  Zusanmien- 
setzung  und  weitere  Aufgaben  Archivdirektor  Stavenhagen  schilderte.  — 
Bei  der  Estländischen  Gouvemementsregierung  in  Reval  gibt  es  auch  ein 
„Schwedisches  Archiv",  über  das  Propst  Winkler  (Reval)  Bericht 
erstattete;  es  ist  nicht  fachmännisch  geordnet  und  bisher  nur  sehr  wenig 
wissenschaftlich  benutzt  worden.  —  Auch  über  die  Archive  der  Städte  Libau, 
Wenden  und  Lemsal  sowie  über  das  der  Genossenschaft  der  Schwarzen 
Häupter  in  Riga  wurden  nähere  MitteUungen  gemacht. 

Mit  der  ferneren  Fürsorge  für  die  Kirchenarchive  beschäftigte  sich 
Pastor  Grüner  (Salgaln,  Kurland).  Nachdem  im  Revolutionsjahre  1905 
mehrere  Kirchenarchive  zugrunde  gegangen  sind,  haben  die  kurländischen 
Kirchenbücher  aus  der  Zeit  vor  1833  sämtlich  im  Landesarchiv  zu  Mitau 
eine  Stelle  gefunden.  Darüber  hinaus  hielt  der  Redner  eine  gleichmäßige 
Inventarisation  aller  Pfarrarchive  flir  notwendig  und  forderte  zu  diesem 
Zwecke  die  Einsetzung  einer  dreigliedrigen  Kommission  für  jeden  Ver- 
waltungsbezirk, darüber  hinaus  aber  die  Gründung  von  Synodalarchiven 
und  Kirchenzentralarchiven  flir  alle  Kirchgemeinden  der  größeren 
Städte. 

Für  das  Jubeljahr  191 7  wird  die  Herausgabe  einer  livländischen  Refor- 
mationsgeschichte geplant.  Aus  der  Regestensammlung  des  Repertorium 
Crermanicum  in  Berlin  hat  Baron  v.  d  Osten-Sacken  die  Livonia  aus- 
gezogen und  berichtete  über  seine  Arbeit 

Diese  kurze  Übersicht  über  die  vielseitigen  Verhandlungen  und  Mit- 
teilungen kann  natürlich  den  Inhalt  bei  weitem  nicht  erschöpfen,  aber  sie 
lenkt  vielleicht  die  Aufmerksamkeit  manches  Lesers  auf  die  zu  erwartende 
größere  VeröfTentlichtmg.  Der  nächste  baltische  Historikertag  soll  in  zwei 
Jahren  stattfinden,  und  es  wäre  von  Herzen  zu  wünschen,  daß  die  baltischen 
Historikertage  eine  dauernde  Einrichtung  werden,  so  wie  es  die  deutschen 
geworden  sind. 


Wie  schon  oben,  S.  177,  kurz  mitgeteilt  wurde,  findet  die  diesjährige 
Tagung  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertums- 
vereine in  Lübeck  statt,  und  zwar  vom  21.  September  an,  nicht  wie  oben 
angegeben  wurde,  am  2  2 .  September  beginnend.  Vorträge  finden  am  2 1 .  bis 
23.  September  (Montag  bis  Mittwoch)  statt;  am  Sonntag  ist  der  Begrüßungs- 
abend.    Für  Donnerstag,   den  24.  September,  sind   die  Teilnehmer  an  der 


i)  Über  dessen  Geschichte  machte  Hermann  v.  Brainingk  eingehende  Mitteüangen. 
2)  Vgl.  dazu  diese  Zeitschrift  2.  Bd.  (1901),  S.  210—213. 


—     273     — 

Versammlung  zu  einem  Besuch  in  Schwerin  seitens  des  Vereins  fUr  Mecklen- 
burgische Geschichte  und  Altertumskunde  eingeladen,  während  Mittwoch  Aus- 
grabungen bei  Alt -Lübeck  besucht  werden  und  eine  Fahrt  nach  Trave- 
münde  stattfindet.  In  der  Katharinenkirche  zu  Lübeck  sind  am  Montag 
und  Dienstag  Lübecker  Urkunden  und  Zeichnungen  und  Lichtbilder  Lübecker 
Baudenkmäler  sowie  Pläne  zur  Erhaltung  des  Lübecker  Stadtbildes  ausgestellt. 

In  den  öffentlichen  Versammlungen  wird  Senator  Fehling  (Lübeck) 
über  Marksteine  lübischer  Geschichte,  Geh.  Archivrat  Grotefend  (Schwerin) 
über  VoUcsßählungsmateriäl  im  Schweriner  Archive  1498 — 1900  und  Prof. 
Reuter  (Lübeck)  über  Die  Deutschen  und  die  Ostsee  von  Karl  dem  Großen 
bis  Mum  Interregnum  sprechen. 

Für  die  I.  und  II.  Abteilung  sind  folgende  Vorträge  voi;gesehen:  Der 
Stand  der  vorgeschichtlichen  Forschung  in  Mecklenburg  (Prof.  Beltz, 
Schwerin);  Vorschläge  zur  Katalogisierung  kleinerer  Sammlungen  (Prof. 
Dragendorff,  Frankfurt  a.  M.);  Schwäbisch  -  fränkische  Hallenkirchen  des 
XIII.  und  XIV.  Jahrhunderts  (Prof.  Gradmann,  Stuttgart);  Die  Anfänge 
des  Ziegelbaues  in  Wagrien  und  ihre  persönlichen  Zusammenhänge  (Prof. 
Haupt,  Eutin);  Die  Pipinsburg  und  Verwandtes  (Dr.  Hofmeister,  Lü- 
beck); Neue  neolithische  Wohngräber  bei  Worms  (Sanitätsrat  Koehl, 
Worms).  —  In  der  III.  Abteilung  werden  folgende  Gegenstände  behandelt: 
Die  Aufgaben  der  deutschen  Seegeschichte  (Prof.  Dietrich  Schäfer,  Berlin); 
Der  Grundriß  der  deutschen  Stadt  des  Mittelalters  in  seiner  Bedeutung  ads 
geschichtliche  Urkunde  (Museumsdirektor  Prof.  Meier,  Braunschweig);  Der 
Lageplan  der  osteuropäischen  Kolonialstädte  (Archivrat  Prof.  Warschauer, 
Posen).  —  Die  IV.  Abteilung  wird  sich  mit  folgenden  Pimkten  beschäf- 
tigen: Einige  Besonderheiten  der  Altersverhältnisse  in  Südtirol  (Prof.  Außerei); 
Besprechung  der  auf  der  Mannheimer  Versammlung  ')  von  Ritter  v.  Bauer 
und  Prof.  Renner  gemachten  Vorschläge;  Das  Münzwesen  von  Stadt  und 
Bistum  Lübeck  (Prof.  Curtius,  Lübeck);  Alt-Lübecker  Heraldik  (Stadtbau- 
inspektor Grube,  Stettin);  Die  Bedeutung  des  Wetzlarer  Staatsarchivs  für 
genealogische  Forschungen  (Schrifbteller  Macco,  Berlin);  Die  Wendungen 
des  Münzrechts  im  Deutschen  Reiche  (Prof.  Menadier,  Berlin);  Die  äl- 
testen Stammbücher  des  Stiftes  Kremsmünstcr  (Prof.  Pösinger).  —  In  der 
V.  Abteilung  (für  Volkskunde)  endlich  kommt  zur  Erörterung:  Au^aben  der 
Hausbauforschung  in  Schleswig-Holstein  (Prof.  Haupt,  Eutin);  Das  nieder- 
sächsische Bauernhaus  (Dr.  Peßler,  Hamburg);  Berichte  über  die  Haus- 
statistik und  die  volkskundliche  Bibliographie  (Profi  Brenner,  Würzburg); 
Das  Schleswig -hobteinische  Idiotikon  (Oberlehrer  Mensing,  Kiel);  Die 
Rethraforschung  (Oberlehrer  Wossidlo,  Waren). 

An  die  Teilnehmer  ergeht  die  Bitte,  sich  bis  zum  15.  September  beim 
Schriftführer  des  Ortsausschusses,  Rat  Dr.  Linde,  Lübeck,  Mühlenstr.  72, 
anzumelden. 


Während    in    unmittelbarem    Anschluß    an    die    eben    genannte    Ver- 
sammlung am  24.  und  25.  September  (Donnerstag,   Freitag)   der  Tag   für 


1)  Vgl.  oben  S.  89—90. 


—     274     — 

Denkmalpflege  in  Lübeck  stattfindet,  wird  am  20.  September  (Sonntag) 
der  Achte  deutsche  Archivtag  daselbst  abgebalten.  Als  Teil  desselben 
gilt  auch  der  bereits  oben  genannte  Vortrag  von  Grotefend  über  Volks- 
zählungsmaterial im  Schweriner  Archiv  von  1498  bis  1900.  Den  Haupt- 
gegenstand der  Verhandlungen  bildet  die  Aussprache  über  den  vorjährigen 
Vortrag  von  Striedinger  (München)  über  die  Versendung  von  Archivalien  '). 
Außerdem  wird  Archivar  L  u  1  v  ^  s  (Hannover)  über  die  Verwaltung  der  Staats- 
archive Italiens  im  letzten  Jahrhundert,  Senatssekretär  Dr.  Hagedorn 
(Hamburg)  über  das  Hamburger  Staatsarchiv  und  die  Personenforschung  ^ 
und  Staatsarchivar  Kretzschmar  (Lübeck)  über  das  Lübecker  Staatsarchiv 
berichten. 

Anmeldungen  zum  Archivtag  erbittet  Geh.  Archivrat  Dr.  Grotefend 
in  Schwerin  (Meckl.).  Eine  zwanglose  Zusammenkunft  der  Archivare  als- 
Vorbereitung  für  die  Versammlung  findet  Sonnabend,  den  19.  September^ 
8i  Uhr  abends  im  Schabbeihause  (Mengstr.  36)  statt. 

Eingega]iii;ene  Bfleher. 

Me  ring  er,  R.:  Das  deutsche  Haus  und  sein  Hausrat  [=  Aus  Natur  und 
Geisteswelt,  116.  Bändchen].  Leipzig,  B.  G.  Teubner  1906.  iii  S. 
8«.    M.   1,25. 

Pflaum,  Chr.  D.:  J.  G.  Droysens  Historik  in  ihrer  Bedeutung  für  die 
moderne  Geschichtswissenschaft  [=  Geschichtliche  Untersuchungen^ 
herausgegeben  von  Karl  Lamprecht,  5.  Band,  2.  Heft].  Gotha, 
Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft  1907.    115  S.  8®.  M.  2,40. 

Prutz,  Hans:  Die  geistlichen  Ritterorden,  ihre  Stellung  zur  kirchlichen, 
politischen,  gesellschaftlichen  und  wirtschaftlichen  Entwicklung  des  Mittel- 
alters. Berlin,  Ernst  Siegfried  Mittler  und  Sohn  1908.  XVIII  und 
549  S.  8^     M.   14,00. 

Ranck,  Chr.:  Kulturgeschichte  des  deutschen  Bauernhauses  [==  Aus  Natur 
und  Geisteswelt,  121.  Bändchen].  Leipzig,  B.  G.  Teubner  1907. 
103  S.  8<*.     M.   1,25. 

Spangenberg,  Hans:  Hof-  und  Zentralverwaltung  der  Mark  Brandenburg 
im  Mittelalter  [=•  Veröffentlichungen  des  Vereins  flir  Geschichte  der 
Mark  Brandenburg].     Leipzig,  Duncker  &  Humblot  1908.     M.   14,40. 

Tschamber,  K.:  Der  deutsch- französische  Krieg  von  1674 — 1675.  Mit 
4  Schlachtplänen  und  3  Karten,  nach  urkimdlichen  Quellen  bearbeitet. 
Hüningen,  Kart  Weber  1906.     268  S.  S^,     M.  3,80. 

Volz,  G.  B.:  Aus  der  Zeit  Friedrichs  des  Großen.  Mit  5  Bildern.  Gotha^ 
Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  1908.    270  S.  8".  M.  4,50. 

Wäschke,  H.:  Die  Zerbster  Ratschronik,  übersetzt.  Dessau,  C.  Dünnhaupt 
1907.     96  S.  8®.     M.   1,20. 

i)  Vgl.  oben  S.  84—85. 

2)  Dieser  Vortrag  Hihrt  die  in  Bamberg  (1905)  erörterte  Frage  über  die  Archiv- 
benntzung  zu  genealogischen  Zwecken  (vgl.  diese  Zeitschrift  7.  Bd.,  S.  56 — 57} 
weiter. 

Hemugeber  und  verantwortlicher  Redakteur :  Or.  Armin  Tille,  in  Dresden. 
Verlag  und  Druck  Ton  Friedrich  Andreas  Perthes,  Aktiengesellschaft,  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


cur 


Förderung  der  landesgescMcbtlichen  Forschimg 

IX.  Band  August/September  zgoS  11./12.  Heft 

Zur    neueren     fefoftnationsgesehiehtliehen 
liiteratuf  Ost^  und  florddeutsehlands  nebst 

den  Gf enzländer n ') 

Von 
Friedrich  Roth  (München) 

Da  in  einem  früheren  Aufsatze  ')  eine  Anzahl  neuerer  und  neuester 
Schriften  besprochen  wurde,  welche  die  religiöse  Bewegung  und  die 
Kirchenreformation  in  Süd-  und  in  Mitteldeutschland  von  Thüringen 
bis  ins  Hessische  zum  Gegenstande  haben,  wollen  wir  uns  diesmal  in 
den  Osten  und  Norden  des  Reiches  und  dessen  Grenzländer  wenden, 
wo  die  evangelische  Kirche  im  Gegensatz  zum  Süden,  von  dessen 
Territorien  die  größten  von  der  alten  Kirche  festgehalten,  andere 
entweder  ganz  oder  teilweise  zurückerobert  worden  sind,  ihre  wich- 
tigsten Heimstätten  gefunden  hat. 

Wir  beginnen  mit  einigen  Neuerscheinungen,  die  uns  nach  Witten- 
berg, dem  Ausgangspunkt  der  deutschen  Reformation,  fuhren  und  sich 
mit  Karlstadt  beschäftigen,  einem  der  markantesten  unter  den  pro- 
testantischen Dissenters,  deren  Leben  und  Wirken  man  in  unserer 
Zeit  mit  einer  gewissen  Vorliebe  nachgeht.  Hermann  Bärge  hat  in 
Gemeinschaft  mit  E.  Freys  im  ZentraJbhU  für  Bibliothekwesen  ein 
mit  Angabe  der  verschiedenen  Ausgaben  nmd  der  Fundorte  sowie  mit 
Druckbeschreibung  und  historisch  -  chronologischen  Notizen  ausgestat- 
tetes Verzeichnis  der  gedruckten  Schriften  C.  Bodensteins  veröffent- 
licht^), im  ganzen  nicht  weniger  als  156  Nummern,  von  denen  manche 

i)  Die  Rücksicht  auf  den  zar  VerHigang  stehenden  Raun  macht  es  aach  diesmal 
anmöglicb,  eine  vollständige  oder  auch  nur  aUe  wichtigeren  Schriften  umfassende  Ober- 
sicht zu  bieten ;  der  Haaptsache  nach  habe  ich  mich  wieder  auf  solche  Bücher  und  Zeit- 
schriftenaufsätze beschränkt,  die  mir  zur  Besprechang  vorlagen. 

2)  Vgl.  den  Vil.  Band  (1906),  S.  156—185. 

3)  Jahrgang  XXI  (1904),  S.  153«.,  S.  209  flf.,  S.  305  ff. 

21 


—     276     — 

nur  schwer  erreichbar  waren;  und  als  Ergänzung  hierzu  fügte  Bai^e 
ebenda  noch  eine  Untersuchung  Zur  Chronologie  und  Drucklegung 
der  Karlstadtschen  AhendnuMstrcMate  ^)  an.  Diese  Drucke  und  eine 
Menge  bisher  unbekannter  oder  nur  wenig  beachteter  Stücke,  die 
Bärge  in  dem  reichen  sächsischen  Gesamtarchiv  zu  Weimar,  im  Staats- 
archiv zu  Basel,  in  der  Stadtbibliothek  zu  Zürich,  auf  der  Ratsbiblio- 
thek zu  Zwickau  und  anderwärts  mühsam  zusammentrug,  bildeten  den 
Grundstock  des  gewaltigen  Materials,  aus  dem  er,  {linfzig  Jahre  nach 
der  veralteten  Karlstadtbiographie  von  C.  F.  Jäger*),  sein  großes 
zweibändiges  Werk  über  Karlstadt  •)  aufbaute,  von  dem  der  erste  Teil 
Karlstadt  und  die  Reformaiian,  der  zweite  KarUtadt  als  Vorkämpfer 
des  laienchristlichen  Puritanismus  *^)  behandelt.  Eine  solche  Arbeit 
war  so  recht  geeignet,  die  theologischen  Grundfragen,  die  die  Re- 
formation hervorriefen  und  in  ihrer  Entwicklung  bestimmten,  von 
neuen  Gesichtspunkten  aus  wieder  aufzurollen,  und  Bärge  hat  es  auf 
das  gründlichste  getan  und  damit  unsere  Kenntnis  der  aus  den  Tiefen 
des  damaligen  geistigen  Lebens  erwachsenen  religiösen  Strömungen 
in  unzähligen  Einzelheiten  erweitert  und  vertieft.  Und  was  Bärge 
über  die  letzten  Lebensjahre  Karlstadts  aus  archivalischen  Quellen 
geschöpft  hat ,  ist  fast  vollständig  neu  *).  Also  gewiß  ein  vortreff- 
liches, preiswürdiges  Werk!  „Als  Resultat",  sagt  Bärge  selbst,  „er- 
gab sich  eine  nicht  unwesentliche  Verschiebung  des  herkömmlichen 
Gesamtbildes,  wie  es  in  den  Werken,  die  über  die  Geschichte  jener 
Tage  handeln,  festgehalten  zu  sein  pflegt.  Wenn  in  unserem  Buche 
Karlstadt  eine  weit  bedeutsamere  Rolle  zufallt,  als  ihm  bisher  zuge- 
standen ist,  So  darf  der  Grund  hierfür  nicht  in  dem  Bemühen  des 
Verfassers  gesucht  werden,  eine  persönliche  Ehrenrettung  seines  Helden 
zu  unternehmen.  Vielmehr  führte  ihn  zu  seinen  Ergebnissen  das  Be- 
mühen, auch  in  d  i  e  reUgiösen  Symptome  und  Bewegungen  unbefangen 
einzudringen,  welche  —  wenn  schon  dem  reformatorischen  Gesamt- 
bewußtsein  entspringend  — -  doch   sich   unabhängig  von  Luther   ent- 

i)  Ebenda  S.  323  ff. 

2)  Stattgart  1856. 

3)  Andreas  Bodenstein  von  Karlstadt  (Leipzig  1905).  —  Über  Karlstadt  als 
Scholastiker  handelt  G.  Bauch  in  der  ZeiUchr.  fUr  Kirchengesch.  Bd.  XVIII  (1897)  S.  37ff. 

4)  Nebenbei  sei  hier  bemerkt,  daß  der  II,  S.  198  o.  im  Reg.,  S.  628  erwähnte 
Angsborger  Weber  Ulrich  Richsner  hie0,  nicht  Ulrich  Risner,  wie  er  infolge  eines  Schreib- 
oder  Druckfehlers  genannt  wird;  ferner,  daß  die  ErfUllang  des  II,  S.  201  Anm.  135 
aasgesprochenen  Wunsches  den  erwarteten  Aufschluß  nicht  bieten  würde. 

5)  Im  Anschluß  an  diese  FeststeUnngen  berichtet  Über  den  Lebensabend  Karlstadts 
in  der  Schweiz  auch  Egli,  Zwingliana  U,  S.  77  ff.,  der  Bärge  nicht  durchaus  zustimmt. 


—     277     — 

faltet,  und  deren  Träger  sich  von  der  durch  Luther  geschaffenen 
kirchlichen  Organisation  bewußt  fernhielten."  Ob  der  Verfasser,  indem 
er  diesen  Weg  ging,  sich  die  Objektivität  zu  wahren  vermochte,  die 
er  sich  zur  heiligen  Pflicht  gemacht  hat?  Wir  wagen  nicht,  uns  darüber 
zu  äußern,  müssen  aber  darauf  hinweisen,  daß  die  berufensten  Kenner 
der  hier  in  Betracht  kommenden  Persönlichkeiten  und  Verhältnisse 
wie  Kawerau*),  Kolde*),  Friedensburg*)  und  namentlich  K. 
Müller^)  bei  aller  Anerkennung,  die  sie  Barges  Werk  sonst  zuteil 
werden  lassen,  der  Meinung  sind,  daß  er  viel  zu  viel  durch  die  Brille 
Karlstadts  sieht  und  dadurch  gegen  Luther  ungerecht  geworden  ist.  — 
Dem  ersten  Band  ist  ein  aus  der  Basler  Universitätsbibliothek  ent- 
nommenes Bild  Karlstadts  und  ein  Anhang  von  neun  Exkursen 
beigegeben,  dem  zweiten  ein  sehr  interessanter  Epilog  KarlskuUs 
Nachleben,  der  von  der  an  seinen  Namen  sich  knüpfenden  Teufels- 
legende, von  seiner  Witwe,  seinen  Kindern  und  seinem  Fortleben  bei 
Reformierten  und  Lutheranern  handelt,  dann  eine  Sammlung  von  acht- 
undfünfzig das  Leben  Karlstadts  beleuchtenden  Briefen  und  anderen 
Dokumenten. 

Ein  aus  Wittenberg  stammendes,  für  die  Reformationsgeschichte 
wichtiges  Quellenwerk  ist  das  von  Georg  Buchwald  herausgegebene 
WiMenberger  Ordinierbuch  *),  das  sich  als  ein  neues  Glied  an  die  be- 
kannten Editionen  K.  E.  Förstemanns:  Liber  decanorum  facuUcUis 
thecHcgicae  AJsademiae  Witeberg.  ®)  und  ÄJbum  AJcad.  Viieb.  ^)  und 
Köstlins:  Bacalaurei  und  Magistri  der  Wittenb.  philosophischen  Fa- 
cuUät  ®)  anschließt.  Das  Ordinierbuch  enthält  die  Namen  sämtlicher 
in  Wittenberg  ordinierten  Geistlichen,  den  Namen  des  Ordinators  und 
die  Angabe  der  Berufissteilung  (Pfarramt,  Predigtamt,  Priesteramt, 
Schulmeisterstelle),  die  der  Ordinierte  an  dem  Orte,  wohin  er  berufen 
wurde,  einnehmen  sollte.  Welche  reiche  Fundgrube  sich  hier  für  die 
lokalgeschichtliche  und  kirchengeschichtliche  Forschung  erschUeßt, 
liegt    auf   der  Hand.     Für  die   Zeit  von    1558 — 1567    gibt    es   noch 


i)  Deutsche  Literatarzeitung,  1906,  Nr.  2. 

2)  Beitr.  zur  B.  Kirchengesch.  Bd.  XII  (1906),  S.  189,  Bd.  XIV  (1908),  S.  144. 

3)  Archiv  filr  Ref.-Gesch.  Bd.  IH  (1906),  S.  208. 

4)  Luther  und  KarUtadt  (Tttbingen  1907). 

5)  Erster  Band,  1537 — 1560  (Leipzig  1894),  zweiter  Band,  1560— 1572  (Leipzig  1895). 

6)  Leipzig  1838. 

7)  Alb.  ac.  V.  ab  a.  Chr.  1502  uaque  ad  1602  (Lipsiae  1841)  VoL  II,   1502  bis 
1602  (Halis  1895). 

8)  Osierprogrammt  der  Universität  HaUe  (Wittenberg  1887,  1888,  1890,  1891). 

21* 


—     278     — 

parallellaufende  Aufzeichnungen  Paul  Ebers  ^),  aus  denen  Buchwald 
wertvolle  Berichtigungen  und  Ergänzungen  sowohl  iiir  den  ersten  wie 
für  den  zweiten  Band  seines  Werkes  entnahm.  „In  letzterem  ist  die 
Form  der  Einträge  eine  andere,  reichere  als  im  ersten :  Der  Ordinand 
schreibt  kurz  seinen  Lebensgang  mit  eigener  Hand  ein,  so  daä  sich 
die  Ordinierbücher  zu  einem  großen  Album  der  ganzen  evangelisch- 
lutherischen Geistlichkeit  gestalten."  Sehr  instruktiv  sind  die  Über- 
sichten, die  Buchwald  dem  Vorwort  zum  zweiten  Bande  eingefugt 
hat;  so  gleich  die  erste,  aus  der  zu  ersehen  ist,  wie  viele  offenbar 
nur  recht  mangelhaft  vorgebildete  PersönUchkeiten  man  infolge  des 
schrecklichen  Mangels  an  entsprechenden  Kräften  zum  Predigtamte 
zulassen  mußte :  ehemalige  Buchdrucker,  Küster,  Schreiber,  ja  gewöhn- 
liche Handwerker  und  Bauern.  Eine  andere  Übersicht  zeigt  uns  die 
Zahl  der  von  1537 — 1816  in  jedem  Jahre  Ordinierten.  1537  sind  es 
8,  1538  24,  1539  HO;  im  Jahre  1553  wird  die  Maximalzahl  126  er- 
reicht. 1572  steigt  sie  zum  letzten  Male  über  100 ;  das  Jahr  1600 
weist  70,  1650  16,  1700  8,  1750  6,  1800  12,  1816  einen  Ordinanden 
auf.  Dieser  eine,  der  letzte,  war  Karl  Theophil  Ulich,  der  sich  durch 
einen  ziemlich  langen  Eintrag  verewigt  hat.  —  Jeder  der  beiden  Bände 
ist  mit  einem  sehr  sorgfältig  ausgearbeiteten  Personen-  und  Ortsregister 
ausgestattet. 

Das  Verdienst,  auf  die  Ordinierbücher  wieder  aufmerksam  gemacht 
zu  haben,  gebührt  E.  Rietschel,  der  über  die  Ordination  eine  grund- 
legende Schrift  veröffentlicht  hat  *),  und  er  war  es  auch,  der  die  An- 
regung gab,  diese  Bücher,  soweit  sie  in  die  Reformationszeit  und  die 
sich  anschließenden  Jahrzehnte  fallen,  durch  den  Druck  der  Wissen- 
schaft allgemein  und  bequem  zugänglich  zu  machen.  Die  Ergebnisse, 
zu  denen  Rietschel  in  seinem  Buche  gekommen,  wurden  in  neuester 
Zeit  nachgeprüft  von  P.  Drews*),  der  nach  sorgfaltiger  Abwägung 
aller  einschlägigen  Quellenstücke  und  Umstände  in  mehreren  wichtigen 
Punkten  seinen  Vorgänger  berichtig^. 

In  der  Wittenberg  so  nahe  liegenden  Mark  Brandenburg  fand 
die  Reformation   bekanntlich   erst  Eingang  unter   dem  Kurfürsten  Jo- 

i)  Eigentum  der  Herzogl.  Bibl.  su  Gotha  (Cod.  Chart.  B  nr.  18):  Ordinati  ad 
ministerium  Euangelii  Vuitebergae  a  pastore  Pavio  Ehero  ab  vndecima  die  OcUh 
bris,  quo  ia  commigravit  in  damum  parochidlem,  quod  faustum  et  scdutare  eit  Ec- 
clesiae  Anno  1558. 

2)  Luther  und  die  Ordination,  2,  Aufl.  (Wittenberg  1889). 

3)  Die  Ordination,  Prüfung  und  Lehrverpflichtung  der  Ordinanden  in  Wüten- 
^^g  1535  in  d«r  Deutschen  Zeitschrift  fiir  Kirchenrecht,  Bd.  XV  (1905),  S.  66 ff.  und 
S.  273  ff. 


—     279     — 

achim  IL,  der  im  Gegensatz  zu  seinem  streng  am  alten  Glauben 
festhaltenden  Vater  schon  früh  Hinneigung  zum  Evangelium  hatte 
erkennen  lassen,  ohne  jedoch  offen  Farbe  zu  bekennen.  So  hielt  er 
es  auch  nach  seinem  Regierungsantritt;  er  machte  kein  Hehl  aus 
seiner  protestantischen  Gesinnung,  wollte  aber  doch  als  gehorsamer 
Sohn  der  alten  Kirche  angesehen  werden.  Er  fühlte  sich  zum  Ver- 
mittler zwischen  den  Gegensätzen  berufen  und  suchte  nach  Kräften 
auf  das  Zustandekommen  des  religiösen  Friedens  im  Reiche  hinzu- 
wirken und  auf  diese  Weise  der  Reformation  in  seinem  Lande  Eingang 
zu  verschaffen.  In  der  Tat  brachte  er  es  dahin,  daß  der  nach  dem 
dritten  zwischen  dem  Kaiser  und  Frankreich  geschlossenen  Frieden 
drohende  Religionskrieg  durch  den  Frankfurter  Anstand  wieder  hinaus- 
geschoben wurde.  Und  nun  zögerte  er  auch  nicht  länger,  in  der 
Kurmark,  in  der  das  Gebäude  der  alten  Kirche  unterdessen  immer 
mehr  in  Verfall  gekommen  war,  eine  die  katholischen  „Bräuche^ 
so  viel  als  möglich  beibehaltende  evangelische  Kirchenordnung  ein- 
zuführen, die  dem  Bischof  von  Brandenburg,  „der  mit  der  heil- 
samen Lehre  des  Evangeliums  einig  war**  *),  die  Ordination  der  Geist- 
lichen überließ.  Diese  Dinge  sind,  natürlich  mit  der  Erschließung 
neuer  Quellen  fortschreitend  in  immer  größerer  Klarheit  und  Ausiiihr- 
lichkeit,  nach  verschiedenen  Richtungen  hin,  schon  öfter  dargestellt 
worden;  in  neuerer  Zeit  von  J.  Heidemann'),  von  J.  Gebauer*), 
von  P.  Steinmüller*),  von  F.  Meine,  der  die  vermittelnde  Sklltmg 
Joachims  su  den  politischen  und  religiösen  Parteien  seiner  Zeit  unter- 
suchte*), und  von  J.  Sonneck,  der  die  Beibehaltung  katholischer 
Formen  in  der  Reformation  Joachims  und  ihre  allmähliche  Befestigung 
in  einer  Rostocker  Dissertation  erörterte  *).  In  der  viel  besprochenen 
Frage,  ob  Kurfürst  Joachim,   der   seinen  persönlichen  Übertritt  zum 


i)  J.  Gebaner,  Beiträgt  sur  Oeseh,  des  M(Uth.  wm  Jagow,  Bitchoß  ton 
Brandenburg  (1526— 1544)  im  J^J^rb.  f.  Brmndenb.  K.-G.,  IV  (1907),  S.  Syflf.  —  Siehe 
aach  A.  Parisias,   Über  die  TeUoww  Eimgung  (1539)1  ebenda  I  (i9<H))  S.  222  fif. 

2)  Die  Reformation  in  der  Mark  Bnmdenburg  (Berlin  1889). 

3)  Die  Reformation  des  Bietums  Brandenburg,    Progr.  (Brandenb.  1898). 

4)  Einführung  der  Reformation  in  der  Kurmark  Brandenburg  durch  Jo- 
achim IL  (HaUe  1903,  Sehr,  des  V.  für  Ref.-Gesch.).  —  Das  Bekenntnis  Joachims  11, 
in  Forsch,  z.  Brdb.-prenfi.  Gesch.  Bd.  XVII  (1904). 

5)  Lüneburg  1898.  —  Vgl.  auch  Rosenberg,  Der  Kaiser  und  die  Protestanten 
in  den  Jahren  1537—1539  (HaUe  1903,  Schriften  des  Ver.  fiir  Ref.-Gesch.,  Nr.  77); 
Landwehr,  Joachims  IL  Stellung  sur  KonsUsfrage  in  den  Forschungen  tur  Brandenb.- 
preuß.  Geschichte,  Bd.  VI  (1893). 

6)  Rostock  1903. 


—     280     — 

Evang-elium  durch  die  Kommunion  unter  beiderlei  Gestalt  einleitete, 
diesen  Schritt  in  der  Nikolaikirche  zu  Spandau  oder  in  der  Stiftskirche 
zu  Berlin  getan,  entscheidet  sich  Steinmüller  nach  eingehender 
Prüfung  aller  darüber  sprechenden  Quellenstellen  für  Berlin ;  dort  fand, 
wie  er  überzeugend  nachweist ,  am  i.  November  1539  diese  Abend- 
mahlsfeier, an  der  sich  auch  Joachims  Gefolge  beteiligte,  in  aller 
Stille  statt,  „demi  er  hat  seinen  Bekenntniswechsel  augenscheinlich 
nicht  verbergen,  wohl  aber  auch  nicht  Gegenstand  des  Gespräches 
sein  lassen  wollen"  —  und  zwar  zumeist  aus  Rücksicht  auf  den  Kaiser 
und  den  König,  mit  denen  er  es  um  keinen  Preis  verderben  wollte. 
Die  Bistümer,  Stifter,  Klöster  und  Komtureien  wurden  in  ihrem  Stande 
belassen  und  sollten,  wie  es  die  Landstände  verlangten,  keine  „Ände- 
rung" erfahren.  Im  Jahre  1540  begann  die  erste  Visitation*),  durch 
die  unter  vielen  Schwierigkeiten  die  neue  Kirchenordnung  überall  zur 
Einführung  kam,  worauf  im  Jahre  1543  durch  Errichtung  eines  aus 
Theologen  und  Juristen  zusammengesetzten  Konsistoriums  für  das 
neue  Kirchenwesen  eine  Zentralbehörde  geschaffen  und  15  51  weiter 
ausgestaltet  wurde.  Auf  dem  Reichstage  zu  Regensburg  (1541)  er- 
langte Joachim,  daß  seine  Kirchenordnung  durch  den  Kaiser  bis  zur 
Entscheidung  eines  Konziles  anerkannt  wurde,  wogegen  er  zur  Nach- 
folge König  Ferdinands  in  der  Kaiserwürde  seine  Zustimmung  gab 
und  jedem  protestantischen  Bündnisse  fernzubleiben  versprach. 

Die  wissenschaftliche  Bildung  und  das  Schulwesen  standen  in  der 
Mark  damals  auf  einer  tiefen  Stufe.  Der  Humanismus  hatte  hier  nur 
sehr  wenig  Boden  gefunden;  auch  auf  der  1506  begründeten  Univer- 
sität Frankfurt,  wo  ein  Wimpina  und  ein  Mensing  die  Hauptrolle 
spielten,  vermochte  er  nicht  au&ublühen,  und  im  dritten  Jahrzehnt 
des  Jahrhunderts  kam  diese  Hochschule  infolge  der  durch  die  Re- 
formation erzeugten  eigenartigen  Störungen  und  öfteren  Auftretens 
der  Pest  zu  völligem  StUlstand.  Die  Einzelnheiten  dieses  Verlaufes 
ergeben  sich  aus  G.  Bauchs  Buch:  Die  Anfänge  der  Universiiäi 
Frankfurt  a.  0,  und  die  EntwUMung  des  wissenschaftlichen  Lebens  an 
der  Hochschule,  1506—1546  (Berlin  1900)  und  aus  den  von  G.  Kauf- 
mann und  ihm  herausgegebenen  Urkunden  der  Universiiäi^). 


1)  Miller  o.  Parisias,  Die  Abschiede  der  in  den  Jahren  1640— ISUi  in 
der  Ältmark  gehdUenen  ersten  GenertUkirchenvieitation  (Magdeburg  1891). 

2)  Akten  und  Urkunden  der  Universität  Frankfurt  o.  0.  Heraosg^eben  von 
G.  Kaufmann  and  G.  Bauch  (Breslau  18970.).  —  Siehe  aach  E.  Friedländer, 
Aktenstücke  zur  Universität  Frankfurt  a.  0.  i.  und  2.  in  den  Forschungen  vai 
Brandenb.-prenß.  Gesch.,  Bd.  VIII  (1895). 


—    281     — 

Eine  kurze  Strecke  die  Elbe  abwärts  ziehend,  betreten  wir  die 
anhaltischen  Ländchen  >),  deren  Regenten  unter  den  deutschen  Fürsten 
zu  den  ersten  und  treuesten  Bekennem  des  Evangeliums  zahlen.  Für 
uns  ]commt  hier  nur  Georg  III.  in  Betracht,  der  innerhalb  der  Wirkungs- 
kreise, in  die  er  gestellt  war,  ein  hervorragender  Förderer  der  Re- 
formation gewesen  ist.  Er  erscheint  als  ein  von  natürlicher  Frömmig- 
keit beseelter,  edeldenkender  Mann  von  untadeliger  Sittenreinheit,  der 
in  seiner  trefflichen  Art  als  Mensch  und  Fürst  in  mancher  Beziehung 
an  den  Grafen  Wolrad  von  Waldeck  erinnert  und  als  Angehöriger 
des  geistlichen  Standes,  in  den  er  schon  früh  als  Domherr  zu  Merse- 
burg und  Dompropst  zu  Magdeburg  eintrat,  im  Gegensatz  zu  den 
meisten  seiner  Standesgenossen  ein  lebhaftes  Bewußtsein  der  ihm  von 
seinen  Würden  auferlegten  Verpflichtungen  in  sich  trug.  Nach  schweren 
inneren  Kämpfen  und  gewissenhafter  Prüfung  der  im  Vordergrunde 
stehenden  theologischen  Streitfragen  wandte  er  sich  seit  etwa  1530 
dem  Evangelium  zu,  entschloß  sich  aber,  im  Einvernehmen  mit  seinen 
Brüdern  Johann  und  Joachim,  erst  im  Jahre  1534,  seine  Gesinnung 
in  die  Tat  umzusetzen,  indem  er  in  Dessau  das  Abendmahl  sub 
utraque  spenden  ließ  und  „etliche  Mißbräuche*'  abschaffte.  Als  geist- 
licher Koadjutor  des  im  Jahre  1544  zum  Bischof  von  Merseburg  ge- 
wählten Herzogs  August  von  Sachsen,  eines  Bfuders  des  Herzogs 
Moritz,  war  er  eifrig  daran,  die  Reformation  in  diesem  Stifte  durch- 
zuführen ,  was  ihm  auch  vollständig  gelang ').  Seine  Persönlichkeit 
und  sein  Lebenswerk  wurde  gelegentlich  der  400jährigen  Feier  seines 
Geburtstages  der  Gegenstand  von  zwei  Publikationen  F.  Westphals, 
einer  größeren  und  einer  kleineren  ') ,  in  denen  er  mit  Umsicht  und 
Geschick  die  gesamte  ältere  Literatur  sowie  eine  Anzahl  neu  er- 
schlossener Quellen  ausbeutete,  um  eine  dem  jetzigen  Stande  der 
Geschichtschreibung  entsprechende  Biographie  George  bieten  zu  können. 
Von  solchen  neuen  Quellen  sind  die  wichtigsten  der  von  O.  Giemen 
herausgegebene  Briefwechsd  Oeorg  JSfeto*),   der  der  Lehrer,  Freund 

i)  Siehe  zum  Gaoseo  H.  WSichke,  Die  landeBge$eh,  Forsehung  in  AnhaU  in 
Bd.  V  dieser  BläUer. 

2)  Die  Akten  der  enten  VieitaHan  im  HwMift  MenOmrg  (i544-~i545)  >"><! 
beransgegeben  von  P.  Flemming  in  der  Zeittcbr.  des  Ver.  fttr  Kirchengesch.  in  der 
Pronns  Sachsen,  m  (1906),  S.  145  ff. 

3)  Fü/rsi  Oeorg  der  Goheeüge  su  AnhaU.  Sein  Werden  und  Wirken.  1907. 
(Mit  Abdruck  der  Quellen.)  —  Zur  Erinnerung  an  Fikret  Georg  den  OdieeUgen  «m 
AnhaU.  Zum  400jährigen  Geburteiage  am  15.  Auguet  1907.  (Uipzig  1907 ,  Sehr, 
des  Ver.  Ar  Ref.-Gesch.,  Nr.  95). 

4)  Im  Arch.  f.  Ref.-Gesch.,  ed.  W.  Friedensburg:  Eigin£.-Bd.  11  (Leipdg  1907). 


—     282     — 

und  innigste  Vertraute  George  war,  und  die  gleichfalls  von  Clemen 
veröffentlichte  Sammlung  von  Briefen  Emsers,  CocMäus',  Mensmgs 
und  Peter  Rtmchs  an  die  Fürsten  Johann  und  Georg  und  deren  Mutter 
Margareta,  eine  geborene  Herzogin  von  Münsterberg  ').  Die  beiden 
Editionen  ergänzen  sich  in  der  Art,  daß  uns  die  erstere  bekannt  macht 
mit  den  dem  Hofe  mehr  oder  weniger  nahestehenden  Persönlichkeiten 
der  erfolgreich  vordringenden  „Neuerer^,  während  die  letztere  uns 
einen  Einblick  in  die  Lebensverhältnisse  und  die  Denkweise  der  katho- 
lischen Gruppe  gestattet,  die  trotz  ihrer  Bemühungen  sich  zu  behaupten 
von  Tag  zu  Tag  an  Boden  verlor.  Wie  mit  Helt  so  stand  Georg 
auch  mit  dem  1531  von  Zwickau  her  als  Hofprediger  nach  Dessau 
berufenen  Nikolaus  Hausmann  in  enger  Verbindung,  dessen  Andenken 
in  jüngster  Zeit  F.  Bobbe*)  erneuert  hat.  Die  Verdienste,  die  sich 
der  Fürst  erwarb,  indem  er  Joachim  II.  von  Brandenburg  zu  seinem 
Übertritt  „innerlich  vorbereitete^,  sind  letzthin  in  einer  Abhandlung 
von  Nikolaus  Müller  näher  beleuchtet  worden*). 

Wir  schreiten  nun  über  die  damaligen  Grenzen  des  Reiches  hin- 
aus in  die  Gebiete  der  Oder  und  Weichsel,  zunächst  nach  dem  ge- 
fahrvoll zwischen  Böhmen  und  Polen  eingeklemmten  Schlesien,  das 
in  eine  Anzahl  von  eigenen  Herzögen  und  Fürsten  beherrschter  Teile 
zerspalten  war  und  'unter  der  Oberhoheit  des  Königs  von  Böhmen 
stand.  Eine  Übersicht  über  die  Ausbreitung  der  Reformation  in  allen 
Territorien  des  Landes  findet  sich  in  der  Einleitung  zu  H.  Zieglers 
trefflicher  Geschichte  der  Gegenreformation  in  Schlesien  (Halle  1888). 
Mit  Recht  betont  er  darin  den  eigenartig  konservativen  Charakter  der 
schlesischen  Reformation  und  den  fast  auffällig  ruhigen  Übergang  vom 
Alten  zum  Neuen,  der  auch  darin  zum  Ausdruck  kommt,  daß  Schlesien 
der  verheerende  Bauernkrieg  erspart  blieb  und  die  Richtung  der 
„Schwärmer^  der  Hauptsache  nach  hier  in  der  verhältnismäßig  mUden 


i)  Briefe  von  H.  Em$er,  J,  Cochläus,  J.  Meneing  u.  P.  Baw^  an  die  FürUin 
Margareta  und  die  Forsten  Johann  und  Oeorg  von  Anhalt  (Münster  iQ^Ti  Driues 
Heft  der  von  J.  Greving  heraosgegebenen  BeformationsgeeehichÜichen  Studien  und 
TexU). 

2)  Nikolaus  Hausmann  und  die  Reformation  in  Dessau  in  H.  Wäschke, 
Net^ahrsblätter  aus  Anhalt  (1905}. 

3)  N.  Müller,  Beziehungen  zwischen  den  Kurfürsten  Joachim  L  u,  II.  von 
Brandenburg  Mnd  dem  Fürsten  Chorg  III.  von  AnhaU  in  den  Jahren  1534—1540 
im  Jb.  für  Brandenb.  Kirchengescb.,  Bd.  IV  (1907),  S.  127  ff.  —  Derselbe  teilt  auch  in 
einem  Aufsatie  Zur  Geschichte  des  Beichstages  von  Begentburg  1541  (ebenda  S.  1 75ff.) 
eine  Anzahl  von  Schriftstücken  mit,  die  über  die  damalige  Sendung  des  Fürsten  Georg 
und  seines  Bruders  Johann  zu  Luther  neue  Aufschlüsse  bieten. 


—     283     — 

Form  der  „Schwenckfelderei"  auftrat  Wenn  man  nach  den  Männern 
blickt,  die  der  schlesischen  Reformation  dieses  -Gepräge  aufdrückten, 
so  sind  es  vor  allem  zwei,  die  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  lenken, 
nämlich  Johann  Heß  und  Ambrosius  Moibanus,  beide  mit  Luther  eng* 
verbunden  und  in  Breslau  tätig.  Von  den  älteren  Schriften  über  Heß 
seien  A.  J.  Koldes  Br.  Heß,  der  schlesische  BefamuUcr  (Breslau  1846), 
J.  Kost  lins  Johann  Heß^  der  Breslatier  Reformator  genannt  *),  von 
neueren  die  D.  Erdmanns,  Luther  und  seine  Beziehungen  jsu  Schlesien, 
insbesondere  zu  Breslau  (Halle  1887),  die  sich  zum  größten  Teile  mit 
Heß  beschäftigt,  und  A.  Henschels  Dr.  Johannes  Heß,  der  Breslauer 
Beformaior  (Halle  190 1)  *).  Über  einige  Einzelheiten  in  dem  Leben 
Heß'  handelt  G.  Bauch  in  einem  Aufsatz  Zur  Breslauer  Refor- 
mationsgeschichte ') ;  in  einem  anderen  bespricht  er  das  Verhältnis 
dieses  Mannes  zu  dem  Breslauer  Bischof  Johann  Thurzo  *),  Den 
zweiten  der  genannten  Breslauer  Reformatoren,  Ambrosius  Moibanus, 
der  im  Jahre  1525  vom  Breslauer  Rate  als  Pfarrer  an  der  Elisabethen- 
kirche aufgestellt  wurde,  hat  uns  zum  ersten  Male  P.  Konrad  in 
einer  größeren  Lebensbeschreibung  näher  gerückt  ^) ;  wir  lernen  ihn 
hier  nicht  nur  als  erfolgreichen  Förderer  der  Reformation  und  tüch- 
tigen Seelsorger,  sondern  auch  als  umsichtigen  Schulmann  und  eifrigen 
Bekämpfer  der  Wiedertäufer  kennen.  —  Erwähnen  wollen  wir  hier 
noch  Maydorns  Bilder  aus  der  schlesischen  Reformationsgeschichte 
(Breslau  1903),  die  frisch  und  packend  geschrieben  sind  und  beim 
„Volk  und  der  Jugend",  denen  er  sie  widmet,  sicher  den  vom  Ver- 
fasser gewünschten  Eindruck  machen  werden. 

Zur  Erweiterung  unserer  Kenntnisse  von  den  wissenschaftlichen 
Bestrebungen  und  den  damaligen  Schulverhältnissen  in  Schlesien  hat 
das  meiste  wieder  G.  Bauch  getan,  sowohl  durch  Herausgabe  der 
Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Breslauer  Schulwesens  im  XVL  Jahr- 
hundert (Breslau  1898),  als  durch  seine  Beiträge  zur  Literaturge- 
schichte des  schlesischen  Humanismus*)  und    seine  Abhandlung  über 

1)  ZeiUchr.  f.  Gesch.  o.  Altert.  Schlesiens  VI,  i  (1865)  S.  97  ff.,  2  S.  181  ff.,  XII, 
2  S.  410  ff.  (1874). 

2)  Schriften  für  das  Deutsche  Volk,  heraosgeg.  Tom  Verein  fttr  Ref.*Gesch.  Nr.  37. 

3)  ZeiUchria  fUr  Gesch.  n.  Altert.  Schlesiens,  Bd.  XLI  S.  336  ff.  (1907). 

4)  Ebenda,  Bd.  XXXVI  (1902).  Vgl.  H.  Luchs,  SchUsisO^  Fürttenbiider  des 
MitUläUers  (Breslau  1872). 

5)  Dr,  Ambronua  Moüxmua.  Ein  Beitrag  Mur  GtschichU  der  Kird^e  und 
Schule  ScMesiena  im  BeformatümsieitaUer  (HaUe  1891,  Schriften  des  Ver.  fUr  Ref.- 
Gesch.,  Nr.  34). 

6)  In   der  Zeitschr.   fUr   Gesch.   n.   Altert.    Schlesiens    Bd.   XXIX,    XXX,   XXXI 


—     284     — 

den  Schulmeister  Laurentius  Corvin  >).  Die  Kirchenordnungen  Schlesiens 
wurden  von  G.  Eb^rlein  veröffentlicht*).  Von  den  schlesischen 
Fürsten,  die  in  der  Reformationszeit  besonders  hervortraten,  hat  der 
seit  1524  mit  dem  Herzogtum  Jägerndorf  belehnte  Markg^raf  Geoi^ 
von  Brandenburg  in  D.  Erdmann  •),  der  zeitweise  zwischen  den  Par- 
teien schwankende  Herzog  Karl  I.  von  Münsterberg-Ols  in  Schimmel- 
pfennig*) einen  Biographen  gefunden. 

In  die  Vorgeschichte  der  schlesischen  Reformationsgeschichte 
führt  uns  ein  das  in  der  Historischen  Bibliothek  erschienene  Büch- 
lein Oskar  Meyers*),  der  den  größten  Teil  des  hier  benutzten  Ma- 
terials in  dem  Staatsarchiv  sowie  in  dem  neubegründeten  Diözesan- 
archiv  zu  Breslau  fand  und  in  letzterem  namentlich  die  für  die  Zeit 
von  15 10 — 1520  vollständig  erhaltenen  Sitzungsberichte  des  Breslauer 
Domkapitels  •)  —  eine  ebenso  reichhaltige  wie  wertvolle  Quelle  — 
ausbeuten  konnte.  Die  Schilderung  Meyers,  die  unter  besonderer 
Betonung  der  kirchlichen  und  religiösen  Verhältnisse  die  gesamte 
geistige  und  sittliche  Kultur  Schlesiens  berührt,  bestätigt  uns  in  allem 
das  bekannte  Bild  der  kirchlichen  und  sittlichen  Verderbnis,  das  man 
noch  überall  erhalten  hat,  wo  man  aus  ähnlichen  Quellen  schöpfen 
konnte  wie  der  Verfasser.  Der  neuen  Züge,  die  sich  ergeben,  sind 
nicht  allzu  viele,  und  so  beruht  der  Hauptwert  dieser  Arbeit,  in  der 
außer  dem  archivalischen  Stoff  eine  sehr  umfangreiche  Spezialliteratur 
verwendet  worden  ist,  wohl  zumeist  in  den  lokal-  und  territorialge- 
schichtlichen Ergebnissen,   die  in  ihr  zutage  gefördert  wurden.     Von 


(1897),  XXXIV  (1900),  XXXVn,  XXXVm  (1904).  —  siehe  auch  die  LebensbescbreibuDg 
von  Heinrich  (1485— -1544)  w»d  Seyfried  Bibitsch  (1530— *574)  von  R.  Foerster 
ebenda  Bd.  XU,  (1907),  S.  170  ff. 

1)  Zcitschr.  für  Gesch.  u.  Altert.  Schlesiens  Bd.  XVII  (1883),  S.  230«. 

2)  Die  evangelischen  Kirchenordnungen  Schlesiens  im  16,  Jahrhundert  Si- 
lesiaca  1898. 

3)  Markgraf  Georg  von  Brandenburg -Jägemdorf  und  seine  Verdienste  um 
die  Beformation  in  Oberschlesien  im  Korrespondenzbl.  des  Ver.  für  Gesch.  der  evangeL 
Kirche  in  Schlesien,  I— III.  S.  aach  Neastadt,  Markgr,  G.  V.  Br,  ob  Ersieher  am 
ungarischen  Hofe  (Breslau  1883). 

4)  Herzog  Karl  L  von  Münsterberg  -  Öls  und  seine  Si^twester  Margareta  von 
Anhalt  in  der  Zeitschr.  für  Gesch.  u.  Altertum  Schlesiens,  Bd.  XVm  (1884),  S.  117  ff. 

5)  A.  O.  Meyer,  Studien  smr  Vorgeschichte  der  Beformation,  aus  schlesischen 
Quellen  (Mttnchen  u.  Berlin  1903)  =.  Hist.  Bibl.  Bd.  XIV. 

6)  Acta  capituH  ecdesiae  cathedralis  8.  Jchannis.  Sie  werden  in  den  kfirzlich 
begründeten  Veröffentlichungen  aus  dem  iUrstbisch.  DiösesanarchiTe  herausgegeben  werden. 
Der  erste  Band  dieser  Publikation  enthält  die  Vieitationsberichte  der  Diözese  Breslau, 
Archidiakonat  Breslau,     i.  Teil,  ed.  J.  Jnngnits  (Breslau  1902). 


—     286     — 

besonderem  Interesse  ist  für  uns  das  letzte  Kapitel  des  Buches  — 
Bischof  Johann  Tureo  und  das  DamkapUel  im  Verhältnis  zur  Befor- 
mation  — ,  in  welchem  Meyer  im  Widerspruch  mit  den  meisten  pro- 
testantischen Forschem  zu  beweisen  sucht  —  wie  uns  scheint  mit 
Erfolg  — ,  daß  der  Bischof  zu  Unrecht  als  Freund  der  Reformation 
angesehen  wird;  ja  der  Verfasser  glaubt  feststellen  zu  können,  daß  sich 
in  der  ganzen  Regierung  Johanns  nicht  ein  Zug  findet,  „der  seinen 
Anschluß  an  die  Wittenberger  hätte  erhoffen  oder  befürchten  lassen  **. 

In  dem  mächtigen  Polenreiche,  wo  die  Kirche  dem  Papsttum 
gegenüber  sich  einer  weit  freieren  Stellung  erfreute  als  in  Deutsch- 
land und  König  Siegmund  im  Jahre  1525  ein  außerordentlich  günstiges 
Konkordat  mit  der  Kurie  abgeschlossen  hatte,  war  es  hauptsächlich 
die  Spannung  zwischen  dem  polnischen  Kleinadel,  der  Szlachta,  und 
der  reich  begüterten  Geistlichkeit,  aus  der  die  Antriebe  zu  einer  rasch 
und  weit  sich  ausdehnenden  Opposition  gegen  das  alte  Kirchentum 
erwuchsen.  Die  einzelnen  Phasen  dieses  Kampfes  und  die  Wirkungen, 
die  die  Reformation  im  allgemeinen  auf  die  Geschicke  Polens  aus- 
geübt, sind  natürlich  schon  längst  in  größeren  Werken  festgelegt, 
aber  es  fehlte  noch  an  Spezialarbeiten,  die  in  die  Einzelheiten  hinein- 
leuchten und  zu  einer  wirklich  allseitig  erschöpfenden  polnischen  Re- 
formationsgeschichte den  Grund  legen.  Das  ist  nun  auch  anders  ge- 
worden, und  es  ist  eine  erfreuliche  Tatsache,  daß  es  nicht  zuletzt 
Autoren  deutscher  Zunge  sind,  die  sich  in  dieser  Beziehung  erfolg- 
reich an  die  Arbeit  gemacht  haben.  In  vorderster  Reihe  steht  hier 
der  Pfarrer  Theodor  Wotschke  von  Santomichel;  er  verfolgte  in 
mehreren  gehaltvollen  Aufsätzen  namentlich  die  Strömungen,  die  die 
polnische  Reformation  zum  Antitrinitarismus  führten,  und  ist  nun  auch 
mit  einer  umfangreichen  Quellenpublikation,  dem  Briefvoechsd  der 
Schweizer  mit  den  Bellen  ^)  hervorgetreten,  die  die  zahlreichen  Be- 
ziehungen zwischen  der  kleinpolnischen  Kirche  und  der  Schweiz  noch 
deutlicher  erkennen  läßt,  als  es  bisher  schon  der  Fall  gewesen,  und 
tiefe  Einblicke  in  die  Entstehung  des  Unitarismus  in  Polen  gewährt. 

Eine  aus  den  gegenwärtigen  nationalen  und  religiösen  Kämpfen 
in  den  deutschen  Ostmarken  erwachsene  Tendenzschrift  im  guten 
Sinne  des  Wortes  ist  G.  K  r  a  u  s  e  s  Beformaticn  und  Gegenrefarmaiion 
im  ehemaligen  Königreich  Bolen  *) ,  die  keinen  Anspruch  auf  selbstän- 

i)  Archiv  fttr  Ref.-Gesch..,  ed.  Friedensborg:  m.  Efgäazungsband  (Leipzig  1908). 

2)  Die  Beformation  u,  QegenrtformatUm  im  ehemaligm  Kömgrtieke  Fcknf 
htsonden  in  den  jetzigen  Ottmarken  Deutschlands  bsw,  Pre%^/9ens,  Zweite  erweiterte 
Auflage  (Lissa  1905). 


—     286     — 

dige  wissenschaftliche  Forschung  macht,  sondern  sich  die  Aufgabe 
setzt,  die  deutsch-evangelischen  Elemente  Westpreußens  und  Posens  ^) 
in  ihrem  Kampfe  gegen  das  Polentum  und  den  Katholizismus  zu 
stärken.  Es  wird  gezeigt,  wie  die  Reformation,  deren  Anhänger  sich 
in  Böhmische  Brüder,  Lutheraner,  Kalvinisten  imd  Sozinianer  schieden, 
in  den  polnischen  Ländern  eine  solche  Verbreitung  gewann,  daß  sich 
auf  dem  Höhepunkt  ihrer  Entwicklung  vielleicht  drei  Viertel  der  Be- 
völkerung zu  ihr  bekannten,  und  wie  sie  dann  den  schwer  errungenen 
Boden  nach  langem,  erschöpfendem  Ringen  mit  den  immer  mächtiger 
werdenden  Gegnern,  unter  denen  die  Jesuiten  die  gefahrlichsten 
waren,  bis  auf  geringe  Reste  wieder  verlor.  Mit  welcher  unglaub- 
lichen Brutalität  dabei  gegen  die  Evangelischen  verfahren  wurde,  zeigt 
das  noch  im  Jahre  1724  unter  ihnen  angerichtete  „Thorner  Blutbad*'  *). 
Erst  der  im  Jahre  1767  zwischen  Polen  und  Rußland  abgeschlossene 
Vertrag,  der  den  protestantischen  Dissidenten  und  den  Griechisch- 
Katholischen  die  in  der  Konföderation  von  1573  verbrieften  Freiheiten 
und  Rechte  zurückgab,  machte  diesen  Quälereien  ein  Ende.  Das 
Schlußkapitel  des  Büchleins  umfaßt  den  Zeitraum  von  1767  bis  zur 
Gegenwart,  in  dem  das  1888  erlassene  Ansiedelungsgesetz  für  Posen 
und  Westpreußen  einen  Markstein  bildet.  Der  am  Schlüsse  angefugte 
Anhang  von  „20  Empfehlungen  und  Rezensionen^  kann  nur  mit  dem 
patriotischen  Zweck,  den  der  Verfasser  verfolgt,  entschuldigt  werden. 
Wie  groß  die  Teilnahme  ist,  die  solchen  Schriften  gegenwärtig  ent- 
gegengebracht wird,  ist  daraus  zu  ersehen,  daß  die  im  Jahre  1871 
zum  ersten  Male  erschienene  Geschickte  der  Reformation  von  Pcien 
von  Koni  eck i  nun  rasch  hintereinander  in  zwei  neuen  Auflagen 
erscheinen  konnte  •).  Auch  sie  will ,  ohne  eigentlich  eine  Förderung 
der  Wissenschaft  anzustreben,  der  Belehrung  weiterer  Kreise  dienen, 
und  daß  sie  dabei  den  rechten  Ton  getroffen,  zeigt  die  große  Ver- 
breitung, die  sie  gefunden.  Ein  Anhang,  enthaltend  ein  längeres  Stück 
Aus  Krowickis  größerer  Apologie  und  das  Antwortschreiben  des  Fikrsten 
Nikolaus  Radgiwill,   Woiwoden  von  WUna^),    auf  die  Zuschrift  des 

i)  Für  Posen  siehe  noch  im  allgemeinen:  Christian.  Meyer,  Die  Geschichte  des 
Landes  Posen  (Posen  1881);  L.  Schmidt,  Geschichte  des  Deutschtums  im  Lande 
Posen  unter  polnischer  Herrschaft  (Bromberg  1904).  Zar  Reformationsgeschichte: 
A.  Werner  u.  Joh.  Steffany,  Gesch.  der  evangel.  Parochien  in  der  Provinz  Posen. 
2.  Aufl.  (Lissa  1904). 

2)  Siehe  hierzu  besonders  die  sehr  ansführliche  Darstellung  von  F.  Jacobi,  2Hu 
Thamer  Blutgericht ,  1734  (Halle  1896,  Schriften  des  Ver.  für  Ref.-Gesch.,  Nr.  51.  52). 

3)  Mir  liegt  die  zweite  vor:  Posen  1901;  die  dritte  erschien  in  Lissa  1904. 

4)  Er  ist  der  Held  des  vielfach  mit  großer  Begeisterung  aufgenommenen  historischen 


—     287     — 

päpsüichen  Legaten  Ähysius  Lippamanni  vom  März  1556  hätte  fuglich 
weggelassen  werden  können. 

Kleine  Ausschnitte  aus  der  polnischen  Reformationsgeschichte 
bietet  Hermann  Frey  tag  in  seinem  Aufsatz  Die  Beziehungen  Danzigs 
zu  Wittenberg  tn  der  Zeit  der  Refomuxtian  *)  und  in  dem  populär  ge- 
schriebenen Büchlein  Wie  Danzig  evangelisch  umrde  (Danzig  1902). 
Durch  einen  Aufruhr  wurde  anfangs  1525  der  Rat  abgesetzt  und  ein 
neuer  gewählt,  der  dem  Evangelium  Tür  und  Tor  öffnete,  aber  schon 
im  Frühling  des  nächsten  Jahres  erfolgte  eine  verderbliche  Reaktion. 
Am  17.  April  zog  König  Siegmund  ein,  um  die  Stadt  zur  Wiederher- 
stellung der  früheren  Zustände  zu  zwingen,  und  wenige  Tage  darauf 
fielen  die  Häupter  der  „Rebellen"  unter  der  Hand  des  Henkers.  So 
wurde  die  religiöse  Bewegung  in  Danzig  niedergeschlagen  und  kam 
erst  in  den  dreißiger  Jahren  wieder  in  Fluß.  Besondere  Abschnitte 
widmet  der  Verfasser  den  evangelischen  Armenordnungen  *)  und  dem 
1555  begründeten  Danziger  Gymnasium,  dessen  erste  Leiter  der  tüchtige 
Johann  Hoppe,  dann  Heinrich  Möller  und  der  aus  Memmingen  ge- 
bürtige Andreas  Frankenberger  waren. 

Einen  Beitrag  zur  Reformationsgeschichte  von  Livland*),  wozu 
auch  Kurland,  Estland  und  Osel  gehörte,  liefert  Wilhelm  Schnöring 
in  seiner  auf  gründlichen  Studien  beruhenden  Biographie  des  Johannes 
Blankenfeld  *),  eines  der  begabtesten,  gelehrtesten  und  rührigsten  Vor- 
kämpfers der  alten  Kirche,  der  dem  „neuen  Wesen",  auf  das  er 
überall  stieß,  mit  unermüdlicher  Zähigkeit  und  Energie  entgegentrat. 
Elr  war  der  Sohn  eines  Berliner  Kaufmannes,  erwarb  sich  in  Bologna 
die  Würde  eines  Doktors  beider  Rechte,  trat  in  den  geistlichen  Stand 
ein,  wirkte  mehrere  Jahre  als  akademischer  Lehrer  in  Leipzig  und 
Frankfurt,  dann  als  brandenburgischer  Assessor  am  Reichskammer- 
gericht und  weilte  seit  15 12  in  eifriger  Geschäftigkeit  als  Orator  des 


Schauspiels  „Die  neue  Lehre*'  (ans  der  Zeit  der  EinfUhmog  dtr  Reformaüon  in  Litauen 
und  Polen)  too  Hans  von  Hansen  (Psendon3rm). 

1)  In  der  Zeitschrift  des  Westprenßischen  Gesch.-Ver.,  Heft  38.    (Danzig  1898). 

2)  Frey  tag  hat  Über  sie  anch  in  einem  eigenen  Anfsatz  gehandelt :  Zwei  Danziger 
Annenordnnngen  des  sechzehnten  Jahrhnnderts,  ebenda,  Heft  39  (Danzig  1899).  —  Siehe 
anch :  Die  Stadt  Damig,  ihre  geschichtliche  EfUwi4!khing  und  ihre  öffentlichen  Ein- 
richtungen,   Herausgegeben  im  Auftrage  des  Magistrats  (Danzig  1904). 

3)  Nen  erschienen:  E.  Seraphim,  Livländische  Geschichte  bis  znr  Einverleibung 
in  das  russische  Reich,  3.  Bd.,  2.  Aufl.  (Reval  1897 — 1904)-  Derselbe:  Geschichte  von 
Livland,  Bd.  I  bis   1582  (Gotha  1905). 

4)  Johannes  Blankenfeld,  Ein  Lebensbild  ans  den  Anflingen  der  Reformation 
(Halle  1905,  Schriften  des  Ver.  fUr  Ref.-Gesch.,  Nr.  86). 


~     288     — 

Kurfürsten  von  Brandenburg  und  als  Prokurator  des  Deutschen  Ordens 
in  Rom.  Einen  Haupterfolg  zugunsten  des  Brandenburgischen  Hauses 
errang  er,  als  er  durchsetzte,  daß  der  Papst  Albrecht,  dem  Bruder 
des  Kurfürsten,  gestattete,  gegen  alles  Herkommen  die  Erzbistümer 
Mainz  und  Magdeburg  sowie  das  Bistum  Halberstadt  in  seiner  Hand 
zu  vereinen;  er  war  es  auch,  der  hauptsächlich  die  Verhandlungen 
wegen  des  als  eine  Art  Entschädigung  für  die  von  Albrecht  an 
den  Papst  hierfür  zu  entrichtende  „Komposition^  (von  locxx)  Dukaten) 
bewUligten  Ablasses  führte  ^) ,  dessen  Ausbietung  Luther  zu  seinem 
Thesenanschlage  veranlaßte.  Blankenfeld  hatte  sich  in  Rom  großes 
Ansehen  und  eine  viel  beneidete  Beliebtheit  beim  Papste,  bei  den 
Kardinälen  und  anderen  hohen  Würdenträgem  erworben  und  erlangte 
außer  anderen  Gunstbezeugungen  im  Sommer  15 14  die  Ernennung 
zum  Elekten  des  Stiftes  von  Reval.  So  kam  er  nach  Livland.  Schon 
nach  zwei  Jahren  aber  begab  er  sich  als  Vertreter  des  Deutschherm- 
ordens wieder  nach  Rom  und  schlug  diesmal  im  Jahre  15 17  für  sich 
die  Anwartschaft  auf  zwei  Abtstellen  in  Gotland  und  auf  ein  Bistum 
in  den  Ostseeprovinzen  oder  in  Schweden  heraus.  Demgemäß  wurde 
ihm  das  im  Jahre  15 18  freiwerdende  Bistum  Dorpat  zugesprochen, 
neben  welchem  er  Reval  behalten  durfte.  Und  noch  höher  stieg  er 
hinauf;  im  Jahre  1523  wurde  er  Koadjutor  des  kranken  und  schwäch- 
lichen Erzbischofs  Jasper  von  Riga,  der  ihm  schon  im  nächsten  Jahre 
den  Platz  räumte.  Von  den  beiden  Bistümern,  die  er  innehatte, 
mußte  er  nur  Reval  abtreten,  so  daß  er  sich  nun  im  Besitze  einer 
bedeutenden  Macht  und  beträchtlicher  Einkünfte  befand.  Aber  unter- 
dessen war  der  Boden,  auf  dem  Blankenfeld  stand,  durch  die  allent- 

i)  Diese  Sache  wird  auch  behandelt  von  Aloys  Schulte  in  seinem  Werk  Die 
Fugger  in  Born  (i495 — ^S^3)i  Bd.  I:  DarsteUang,  Bd.  II:  Urkunden  (Leipzig  1904)  und 
von  Schrörs  in  einem  Aufsatz  Leo  X,,  die  Mainzer  ErzhiichofawaM  und  der 
deutsche  Ablaß  am  St.  Peter  im  Jahre  1514,  ein  Beitrag  zu  ihrer  hirchengeschicht' 
liehen  und  kcmonigtischen  Würdigung  in  der  Zeitschr.  für  kath.  Theologie,  Bd.  XXXI 
(1904),  S.  2670.  Während  Schulte  in  diesem  Handel  Simonie  erblickt,  sucht  Schrörs  nach- 
zuweisen, daß  ein  solcher  Vorwurf  unbegründet  ist.  Dieser  Ansicht  ist  auch  PUlff  in 
den  Stimmen  aus  Maria  Laach  (1904,  Heft  8),  S.  323 ff.  und  Kalkoff,  der  in  seiner 
Abhandlung  Zu  den  rämischen  Verhandlungen  Ober  die  Bestätigung  Erzbischof 
Albrechts  von  Mainz  im  Archiv  für  Ref. -Gesch.,  Bd.  I  (1904),  S.  379  ff.  zu  dem  Schlüsse 
kommt,  daß  die  vom  Papste  geforderte  „Komposition^^  sich  ganz  im  Rahmen  der  her- 
kömmlichen Taxenordnung  halte.  Gegen  diese  Stimmen  wendet  sich  Schnöring  in  einem 
seiner  Schrift  über  Blankenfeld  als  Nachtrag  (S.  91)  angefügten  „  Exkurs <',  in  welchem 
er  die  Auffassung  Schultes,  die  er  zu  der  seinigen  macht,  verteidigt.  Vgl.  auch  Th. 
Briegers  in  den  Preußischen  Jahrb.,  Bd.  CXVI  (1904),  S.  41 7 ff.  veröffentlichten  Aufsatz 
Über  Die  neuesten  AbUißstudien. 


—     289     — 

halben  gewaltig  überhandnehmende  evangelische  Bewegung,  die  in 
Livland  zu  gefährlichen  politischen  Verwicklungen  führte,  vollständig 
unterwühlt  worden;  wohin  er  blickte,  sah  er  nur  Feinde,  die  sich  zu 
seinem  Verderben  verschworen  zu  haben  schienen.  Alle  Versuche 
Blankenfelds ,  das  Unheil  durch  List  oder  Gewalt  zu  unterdrücken, 
waren  vergebens.  Der  Deutschmeister  Walter  von  Plettenberg  wurde 
Herr  der  Bistümer,  und  Blankenfeld,  der  schließlich  in  die  Gefangen- 
schaft der  erzstiftischen  Ritterschaft  geriet,  muflte,  um  die  letzten 
Reste  seines  Besitzes  uüd  seiner  Befugnisse  zu  retten,  am  i6.  Juni 
1526  auf  dem  Landtage  zu  Wolmar  mit  seinen  Suffraganen  dem 
Deutschmeister  den  Eid  der  Treue  leisten,  womit  er  auf  die  unmittel- 
bare Freiheit  des  Reichsfiirstenstandes  sowie  auf  die  Selbständigkeit 
als  Lehensherr  verzichtete  und  sich  natürlich  auch  aller  Eingriffe  m 
die  religiösen  Verhältnisse  des  Landes  begab.  Aber  einen  solchen 
Schwur  zu  halten,  war  der  ehrgeizige  Mann  nicht  gewillt.  Sein  ganzes 
Trachten  ging  jetzt  darauf  hin,  das  Geschehene  rückgängig  zu  machen, 
wobei  er  auf  die  Hilfe  des  Papstes  und  des  Kaisers  hoffte.  So  machte 
er  sich  zunächst  auf  nach  Rom,  aber  der  Papst  war  eben  jetzt  als 
Mitglied  der  heiligen  Liga  in  einen  schweren  Krieg  mit  dem  Kaiser 
verwickelt  und  konnte  nicht  daran  denken,  ihm  Beistand  zu  leisten. 
Also  auf  zum  Kaiser,  der  in  Madrid  weUte.  Elr  war  nur  mehr  zwei 
Tagreisen  von  seinem  Ziele  entfernt,  als  er,  von  der  Ruhr  ergriffen, 
am  9.  September  1527  in  der  Nähe  von  Palencia  seinen  Geist  aus- 
hauchte. Welch  ein  tragisches  Ende  nach  einem  so  verheißungsvollen 
Lebensgang!  Sein  Nachfolger  in  Riga  wurde  nicht,  wie  er  gewünscht 
hatte,  Herzog  Georg  von  Braunschweig-Lüneburg,  der  Dompropst  zu 
Köln  und  Straßburg  war,  sondern  Thomas  Schöning,  der  Dompropst 
des  Erzsüfles,  der  zwar  die  Aufhebung  des  Wolmarer  Vertrages  er- 
langte, aber  sich  zur  Duldung  des  Evangeliums  in  Riga  verpflichten 
mußte.  Sein  Koadjutor  wurde  Wilhelm,  ein  Bruder  des  Herzogs  Al- 
brecht von  Preußen. 

Der  der  fränkischen  Linie  des  Hauses  Hohenzollem  entstammende 
Albrecht ')  hatte  als  Hochmeister  des  Deutschherrenordens  in  seinem 
Gebiete  die  Reformation  schon  im  Jahre  1525  durchgeführt.  Wohl 
kam  ihm  dabei  zustatten,  daß  er  als  Fürst  eines  „jenseits  der  Zivili- 
sation" gelegenen,  schon  „sarma tischen"  Landes  vor  dem  Eingreifen 
des  Kaisers  sicher  war,  und  daß  die  beiden  Bischöfe  seines  Gebietes, 

i)  Siehe  K.  Lohmeyer,  Herzog  ÄJbreekt  von  I^eußen  (Danzig  1890];  Loh- 
meyer schrieb  auch  eine  C^chichU  von  0»t-  und  Westpreußen,  Abt  L  (Gotha  1880. 
3.  Aufl.  1908). 


—     290     — 

der  von  Samland  ^)  und  der  von  Pomesanien,  nicht  nur  evangelisch 
gesinnt  waren,  sondern  ihre  Gesinnung  auch  in  der  Tat  bewährten: 
aber  es  gehörte  doch  ein  ganzer  Mann  dazu,  mit  den  jahrhunderte- 
alten Überlieferungen  so  radikal  und  plötzlich  zu  brechen,  in  dem 
Gewirr  der  zu  überwindenden  Schwierigkeiten  die  Ruhe,  Besonnenheit 
und  Mäßigung,  die  seinem  Handeln  das  eigenartige  Gepräge  ver- 
liehen, nicht  zu  verlieren  und  mit  sicherer  Hand  die  Kreise  zu  ziehen, 
innerhalb  deren  sich  die  Neuordnungen  zu  bewegen  hatten.  Am  besten 
zeichnet  ihn  als  reformatorische  Persönlichkeit  eine  Monographie  von 
P.  Tschackert*),  der  seme  Arbeit  auf  das  von  ihm  in  drei  Bänden 
herausgegebene  Urkundenbuch  eur  Refortnatumsgeschickte  des  Her- 
zogtums ^eußen  stützen  konnte  *).  In  seiner  Schrift  wird  natürlich 
auch  von  der  Gründung  der  Universität  Königsberg  gesprochen,  die 
zunächst  die  Angabe  hatte,  für  die  Kirche,  die  Schulen  und  die  Be- 
hörden einheimische  Kräfte  heranzubilden,  aber  darüber  hinaus  ein 
segensreicher  Mittelpunkt  der  Pflege  deutscher  Kultur  und  Wissen- 
schaft im  äußersten  Osten  des  Reiches  wurde  ^)  und  nach  Jahrhunderten 
einen  Kant  zu  ihren  Lehrern  zählen  konnte.  Die  Opfer,  die  diese 
Gründung  den  Herzog  kostete,  brachte  er  gern,  denn  er  war  ein 
warmer  und  aufrichtiger  Freimd  der  Wissenschaft  und  der  Gelehrten, 
die  er  nach  ihrem  Werte  zu  schätzen  und  zu  ehren  wußte.  Tschackert 
hat  auch  diese  Seite  des  Herzogs  in  einem  eigenen  Kapitel  eingehend 
gewürdigt. 

Der  Theologe,  dessen  sich  Albrecht  bei  der  Durchführung  seines 
Werkes  hauptsächlich  bediente,  war  neben  Briesmann,  Poliander  und 
Michael  Meurer  der  tüchtige  Paul  Speratus  aus  Röteln  bei  Ellwangen, 
dessen  neuestes  Lebensbild  ebenfalls  Tschackert  verfaßte*).     Spe- 

i)  Tschackert,  Oeorg  von  Polentz,  Bischof  van  Samland  (Leipzig  1888). 

2)  Herzog  AU>recht  von  Preußen  als  reformatorische  PeraöhlichkeU  (Halle  1894, 
Schriften  des  Ver.  ftir  Ref.-Gesch.,  Nr.  45). 

3)  Urktmdenbuch  zur  ReformcUionegezchichte  des  Herzogtums  Preußen,  3.  Bd. 
(Leipzig  1890,  in  den  Pabl.  ans  den  königl.  preußischen  Staatsarchiven).  —  Fttr  die  vor- 
ausgehende Zeit  bis  1525  siehe  Joachim,  Die  Politik  des  letzten  Hochmeisters  in 
Preußen,  AlbrecJU  von  Brandenburg,  15 10—1525.  3.  Bd.  (Leipzig  1892 — 1895), 
ebenfalls  ein  Teil  dieser  Publikationen. 

4)  S.  H.  Frey  tag,  Der  preußische  Humanismus  bis  1650  in  der  Zeitschr.  des 
Westpreuß.  Geschichtsvereins,  Bd.  XLVU  (1905),  S.  41  flf. 

5)  Paul  SpercUus  von  RöÜen,  evangelischer  Bischof  von  Pomesanien  und 
Marienwerder  (Halle  1891,  in  den  Schriften  des  Ver.  für  Ref.-Gesch.,  Nr.  33). —  Seit- 
her erschien  noch  ein  Aufsatz  von  Kolde,  P.  Speratus  und  J,  Poliander  als  Dom- 
prediger  in  Würzhurg  in  den  Beitr.  zur  bayer.  Kirchengesch. ,  Bd.  VI  (1900),  S.  49  ff. 
nud  Z  e  1 1  e  r ,  Paulus  Speratus  . . .  Seine  Herkunft,  sein  Studiengang  und  seine  I^ig- 


—     291     — 

ratus  kam  1524  zunächst  als  Hofprediger  nach  Königsberg  und  wurde 
1530  Bischof  von  Pomesanien  mit  dem  Sitze  in  Marienwerder.  Er 
war  ein  echter  Kirchenmann,  wie  ihn  das  Land  mit  seinen  eigenartigen 
Verhältnissen  brauchte,  und  verstand  es  trefflich,  den  harten  Boden, 
der  ihm  anvertraut  war,  urbar  zu  machen.  Sein  Verdienst  haupt- 
sächlich ist  es,  daß  die  neue  preußische  Kirche  eine  echt  evangelische 
Kirchenordnung  vom  Wittenberger  Schlag  (1544)  und  ein  ihr  ange- 
paßtes Gesangbuch  erhielt,  daß  die  neu  abgegrenzten  Parochien  lebens- 
fähig .gemacht  und  die  aus  dem  Katholizismus  übernommene  Pfarr- 
geistlichkeit des  Landes  durch  Predigtanleitung  und  dogmatische 
Belehrung  evangelisch  umgebildet  wurde.  Er  ist  es  auch  gewesen, 
der  die  auch  in  Preußen  mächtig  um  sich  greifende  „Schwenkfelderei*^ 
besonders  zäh  und  erfolgreich  bekämpfte  und  nicht  nachließ,  bis  der 
eine  Zeitlang  schwankende  Herzog,  erschreckt  durch  die  Auswüchse 
des  spiritualistischen  Christentums  in  Münster,  den  Sektierern  in  Preußen 
den  Boden  rechtlich  entzog.  Speratus  starb  im  Jahre  1551,  nachdem 
er  noch  die  ersten  Wogen  der  verderblichen  Wirmisse  gesehen  hatte, 
die  durch  den  von  Nürnberg  nach  Preußen  berufenen  Oslander  er- 
regt wurden.  So  blieb  es  ihm  erspart,  den  unermeßUchen  Schaden, 
der  durch  den  Osiandrismus  der  preußischen  Kirche  zugefügt  wurde, 
und  die  Schwäche,  die  sein  ehedem  so  energischer  Herr  während  der 
letzten  anderthalb  Jahrzehnte  seiner  Regierung  an  den  Tag  legte, 
beklagen  zu  müssen.  Erst  die  Kirchenordnung  vom  Jahre  1568,  die 
im  wesentlichen  an  die  von  1544  anknüpfte,  leitete  die  kirchlichen 
Verhältnisse  des  Landes  wieder  in  die  Bahn  des  Luthertums  zurück. 
Über  die  Tätigkeit  des  bekannten  Joachim  Marlm,  der  seit  Ende  der 
sechziger  Jahre  Bischof  von  Samland  war,  berichtet  ein  Aufsatz  von 
F.  Koch»). 

Unter  den  weltlichen  Räten,  denen  der  Herzog  sein  Vertrauen 
schenkte,  ragt  über  alle  hervor  der  treffliche  Ritter  Friedrich  von  Hey^ 
deck,  den  wir  aus  einer  Monographie  von  Besch  näher  kennen  lernen  •), 
und  der  häufig  als  Gesandter  verwendete  Asverus  von  Brandt,  dessen 

keii  in  den  Württemberg.  Vierteljahrsheften  für  LaDdetgeschichte ,  1907,  Heft  2  ood  3, 
die  über  die  Anfänge  des  Speratos  viel  Neaes  bringen.  Vgl.  hierzu  auch  Kolde  in 
den  Beitr.  zur  bayer.  Kirchengesch.  Bd.  XIII  (1907),  S.  291  ff. 

i)  Joachim  Mörlin  ak  Bisehof  von  Samiand  (1567^1671)  in  der  AltprevflischeD 
Monatsschrift,  Bd.  XLIV,  2  (1907).  —  Koch  gab  auch  heraus  den  Briefwechtel  des 
Dr.  Joachim  Mörlin  mit  Herzog  AJbreM,  WoV  von  KöteriU  und  Christoph  von 
Kreutz  wahrend  der  Osiandrischen  Wirren.    Ebenda,  Bd.  XXXIX  (1902),  S.  5170. 

2)  Th.  Besch,  Friedrich  von  Heydeck,  ein  Beitrag  mr  Geschichte  der  Be- 
formaHon  und  Säkularisation  Preußens.    Ebenda,  Bd.  XXXIV  (1897)- 

22 


—     292     — 

inter^ante  Briefe  und  Berichte  an  den  Herzog  samt  den  darauf  er- 
g^genen  Antworten  im  Auftrage  der  ostpreufiischen  Provinzialver- 
waltung  Ad.  Bezzenberger')  herauszugeben  begonnen  hat. 

In  Pommern  *)  regierte  bei  Beginn  der  Reformation  Herzog  Bole- 
slaw,  der,  96  Jahre  alt,  1523  starb.  Er  konnte  sich  natürlich  in  die 
neuen  Ideen,  die  sich  während  der  letzten  Zeit  seines  Lebens  überall 
Bahn  brachen,  nicht  mehr  hineinfinden,  sondern  suchte  sie  zu  unter- 
drücken. Von  seinen  beiden  Söhnen,  die  nun  die  Regierung  gemein- 
schaftlich übernahmen,  verhielt  sich  der  ältere,  Georg,  der  am  Hofe 
des  Lutherfeindes  Georg  von  Sachsen  erzogen  worden  war,  allen 
religiösen  Neuerungen  gegenüber  durchaus  ablehnend,  während  der 
jüngere,  Barnim,  der  in  Wittenbei^  studiert  und  der  Leipziger  Dis- 
putation beigewohnt  hatte,  ihnen  geneigt  war  oder  sie  wenigstens  nicht 
mit  mißgünstigen  Augen  betrachtete.  Als  Georg  1531  starb  und  ihm 
sein  Sohn  Philipp  folgte,  faßte  dieser  und  Barnim,  nachdem  sie  eine 
Landesteilung  vorgenommen,  den  Entschluß,  die  kirchliche  Refor- 
mation ,  die  namentlich  in  Stralsund  und  in  den  anderen  größeren 
Städten  des  Landes  schon  festen  Fuß  gefaßt  hatte,  selbst  in  die  Hand 
zu  nehmen  und  sich  zu  diesem  Zwecke  auf  dem  Landtage  zu  Trep- 
tow ')  mit  den  Landständen  und  dem  Landesbischof  von  Kammin  ins 
Einvernehmen  zu  setzen.  Dabei  stützte  man  sich  hauptsächlich  auf  den 
aus  Wittenberg  berufenen  Johann  Bugenhagen  ^),  der  sein  praktisches 
Geschick  als  kirchlicher  Organisator  schon  anderwärts  bewährt  hatte. 
Gelang  es  ihm  auch  nicht,  mit  seinen  Vorschlägen  vollständig  durch- 
zudringen, so  hatten  seine  Bemühungen  doch  wenigstens  so  weit  Er- 
folg, daß  die  pommersche  Kirche  eine  feste,  auf  der  Grundls^e  der 
Augsburger   Konfession   fußende   Ordnung  erhielt  *) ,    die    trotz  ihrer 


i)  Die  Berichte  und  Briefe  des  Sates  und  Gesandten  Her  tag  Älbreckts  von 
^eußen  Asverus  van  Brandt  (f  1560)  nebst  den  an  ihn  ergangenen  Schreiben 
in  dem  königl.  Archiv  tu  Königsberg,  Heft  i,  enthaltend  die  Schreiben  von  1538  bis 
1545,  Heft  2  die  von  1545 — 1547  (Königsberg  1904).  —  Drei  Briefe  Brandts  an  Albrecht 
mitgeteilt  von  Wotschke  anter  den  Beilagen  zu  seinem  Aufsatz  Stanislaus  Lutomirski 
im  Archiv  ftir  Ref.-Gesch ,  Bd.  III  (1906),  S.  151.  153.  154. 

2)  Martin  Wehrmann,  Geschichte  von  Pommern,  Bd.  I,  bis  zur  Ref.,  1523» 
Bd.  n,  bis  zar  Gegenwart  (Gotha  1903,  1906). 

3)  K.  Graebert,  Der  Landtag  zu  Treptow  an  der  Bega  1534  (Berliner 
Dissertation,  1900). 

4)  Von  katholischer  Seite:  E.  Goerigk,  Bugenhagen  und  die  Protestantisierung 
Pommerns,  im  Katholik,  Bd.  LXXV,  i  (1895). 

5)  M.  Wehrmann,  Die  pommersche  Kirchenordnung  vom  Jahre  1535  (Stettin 
1S93).  —  ^-  Uckeley,  Johann  Bugenhagens  Gottesdienstardnung  fikr  die  Klöster 


—     293     — 

Anlehnung  an  die  Kirchenordniingen  anderer  Territorien  den  Sonder- 
verhältnissen Pommerns  in  gebührender  Weise  Rechnung  trug.  Sie 
enthielt  auch  Anweisungen  für  die  sofort  vorzunehmende  Kirchen- 
visitation, die  im  nächsten  Frühling  (1535)  unter  wirksamer  Beteiligung 
Bugenhagens  vor  sich  ging  '),  aber  auf  mancherlei  einer  einheitlichen 
Neugestaltung  des  Kirchenwesens  sich  entgegenstemmende  Hinder- 
nisse stieß.  Dies  war  besonders  der  Fall  in  Stettin  und  Stralsund  ^), 
wo  man  die  Visitatoren  schon  deshalb  mit  Unwillen  kommen  sah, 
weil  man  in  der  Ausfuhrung  ihres  Werkes  einen  Versuch  zur  Stärkung 
der  herzoglichen  Gewalt  erblickte,  dem  die  auf  ihre  Privilegien  und 
Freiheiten  so  eifersüchtigen  Bürgerschaften  nicht  ohne  weiteres  nach- 
geben wollten.  Und  noch  weitere  unerfreuliche  Züge  traten  bei  dieser 
Visitation  zutage:  daß  die  Städte  rücksichtslos  die  Hand  auf  die  ihnen 
erreichbaren  geistlichen  Güter  legten,  und  daß  sie,  was  zum  Teil  da- 
mit zusammenhing,  so  gar  wenig  Ernst  zeigten,  für  die  Besoldung  ihrer 
Geistlichen  auch  nur  das  Nötigste  bereitzustellen.  Auch  die  HoiTnung, 
daß  man  der  pommerschen  Kirche  die  bischöfliche  Gewalt  erhalten 
könnte,  erfüllte  sich  nicht,  da  der  Bischof  von  Kammin  —  Erasmus 
von  Manteuffel  — ,  über  dessen  Persönlichkeit  uns  eine  Biographie  von 
Gräbert  unterrichtet'),  sich  auf  die  dabei  für  ihn  erwachsenden 
Konsequenzen  nicht  einließ ;  und  selbst,  wenn  er  es  getan  hätte,  wären 
damit  noch  lange  nicht  alle  in  dieser  Sache  sich  ergebenden  Schwierig- 
keiten behoben  gewesen,  da  Stralsund  mit  den  benachbarten  Städten 
und  Dörfern  zu  dem  Bistum  Schwerin,  Rügen  zu  dem  dänischen 
Bistum  Rösküde  gehörte.  So  teilte  man  das  ganze  Land  in  drei  Diö- 
zesen: in  die  Superintendenturen  Pommern  -  Wolgast  und  Pommern- 
Stettin  *)  und  in  die  Präpositur  Stolpe.  Von  dem  Abendmahlstreit 
blieb  Pommern  so  ziemlich  frei,  ebenso  von  den  Wiedertäufern;  und 


und  Stifte  in  Pommern,  im  Archiv  für  Ref.-Gesch.,  Bd.  V  (1908),  S.  iisff.,  wo  sie 
S.  133  ff.  neu  gedruckt  ist. 

i)  Die  Visitation  begann  in  Stolp.  S.  Uckeley,  Zur  Visitation  von  Stolp,  in 
der  Zeitschr.  ftlr  Kirchengetch.,  Bd.  XXVffl  (1907),  S.  48  ff. 

2)  Neu:  M.  Wehrmann,  Zur  Befttrm.-Oeach,  Straleunda,  Pomm.  Jahrbb.,  Bd. 
VI  (1905),  S.  49  ff. 

3)  Eraemus  von  Manteuffel,  der  UUte  Biechof  von  Kammin,  (Berlin  1903^ 
Zum  Teil  gegen  die  Schrift,  die  E.  Goerigk  (Mainz  1905)  über  diesen  Bischof  rcr- 
öffentlicht  hat,  gerichtet 

4)  Erster  Superintendent  Paulus  von  Rode.  Siehe  über  ihn  Franck  in  den  Bal- 
tischen Studien,  Bd.  XXII  (i868>  und  einen  Artikel  Bahlows  in  MonaUbl  der  Gesellsch. 
für  Pommersche  Gesch.,  1905,  S.  98  ff. 

22* 


—     294     — 

auch  der  osiandrische  Streit,   der  in  anderen  Ländern  so   verderblich 
wirkte,  richtete  in  Pommern  nicht  allzu  viel  Schaden  an. 

Der  Gang  dieser  Dinge,  wie  wir  ihn  hier  angedeutet,  wird  uns 
anschaulich  geschildert  von  F.  Bahlow  in  seiner  Schrift  Johann 
Enipstroh,  der  erste  CreneralsuperifUeHdent  in  Pamtnem-Wdlffasi  ^) ,  die 
natürlich  besonders  auf  die  Verhältnisse  der  Örtlichkeiten  eingeht,  in 
denen  dieser  tüchtige,  aus  recht  kleinen  Verhältnissen  emporgestie- 
gene Mann  gewirkt  hat.  Es  sind  dies:  Pyritz  bei  Treptow,  Stettin, 
Stargard,  Stralsund,  Greifswalde  und  Wolgast,  wo  Knipstroh  im  Jahre 
1556  starb.  Knipstrohs  Nachfolger  in  der  Wolgaster  Superintendentur 
war  Jakob  Runge  (1557 — 1595)  i  ^^^  Verfasser  der  ersten  Pommer- 
sehen  Reformationsgeschichte,  der,  wie  eine  seine  Tätigkeit  beleuch- 
tende Abhandlung  R.  Dieckmanns')  erkennen  läßt,  das  von  seinem 
Vorgänger  Begonnene  in  gedeihlicher  Weise  zum  Abschluß  bzw.  erst 
in  Fluß  brachte. 

Die  seit  1456  bestehende  Universität  Greiüswalde  *)  geriet,  da  sie 
sich  gegen  die  Reformation  verschloß,  von  1526  an  in  gänzlichen 
Verfall  und  mußte  im  Jahre  1539  neu  begründet  werden,  wobei  man 
den  Anregungen,  die  Bugenhagen  seinerzeit  gegeben  hatte,  folgte. 
Der  erste  Professor  für  Theologie  wurde  hier  Knipstroh,  der  diese 
Stelle  zwar  schon  nach  kurzer  Zeit  niederlegte,  aber  später  wieder 
übernehmen  und  bis  zum  Jahre  1552  beibehalten  mußte.  Auch  sonst 
machten  die  Schulen  des  Landes,  von  denen  in  der  humanistischen 
Zeit  die  von  Bugenhagen  (1505 — 1521)  geleitete  Anstalt  des  Klosters 
Beibeck  bei  Treptow  die  bekannteste  gewesen,  jetzt  erfreuliche  Fort- 
schritte ^).  So  wurde  in  Stettin  die  alte  Ratsschule  zu  einem  fünf- 
klassigen  Gymnasium  und  die  dortige  Domschule  zu  einer  Landes- 
anstalt ausgebaut.  In  Stralsund  legte  man  1560,  in  Grei&walde  ein 
Jahr  später  die  Trivialschulen  zusammen,  um  größere  Gelehrtenschulen 
einzurichten,  und  auch  in  Stargard  und  Kolberg  entstanden  höhere 
Schulen. 

Um  die  Aufhellung  der  mecklenburgischen  Reformationsgeschichte 
hat  sich   in  neuerer  Zeit   am   meisten   H.  Schnell   bemüht,   der  in 

i)  Halle  1898,  in  den  Schriften  des  Ver.  für  Ref.-Gesch.,  Nr.  62. 

2)  Monatsbl.  der  Ges.  für  Pommersche  Gesch.,  1903,  S.  97  ff. 

3)  E.  Friedländer,  ÄUere  üniversitäimatrikeln,  T.  U:  Greifewald,  2  Bd., 
1456— 1700  (Leipzig  1893).  —  Siehe  aach  ückeley,  Bef.-Cfesch,  der  SUidt  Greif s- 
wald  in  Pomm.  Jahrb.,  1903,  S.  i  ff. 

4)  Wehrmano,  Begründung  des  evangelischen  Schulwesens  in  Pommern  bis 
1563,  in  den  Mitteil,  der  Ges.  fUr  deutsche  Erziehungs-  nnd  Schnlgeschichte ,  Beiheft  7 
(Berlin  1905). 


—     295     — 

rascher  Folge  eine  Geschickte  Mecklenburgs  im  ZeiiaUer  der  Refor- 
matian,  1503 — 1603  (Berlin  1900)  *),  und  die  Monographie  Heinrich  F., 
der  Friedfertige,  Herzog  van  Mecklenburg,  1503 — 1552  (Halle  1902), 
schrieb.  Heinrich,  ein  der  Reformation  günstig  gesinnter  Fürst,  mußte 
die  Regierung  des  Landes  teilen  mit  seinem  ihm  an  Charakter  und 
Lebensrichtung  sehr  unähnlichen  Bruder  Albrecht  VII.,  der  ein  Schwieger- 
sohn des  Kurfürsten  Joachim  I.  von  Brandenburg  war,  zu  der  den 
Habsburgem  anhängenden  katholischen  Fürstenpartei  gehörte  und  der 
Ausbreitung  der  Reformation  in  Mecklenbui^,  soviel  an  ihm  lag,  nach 
Kräften  en^egenarbeitete.  Auch  Herzog  Heinrich  aber  trachtete  da- 
nach, mit  dem  Kaiser  stets  in  gutem  Einvernehmen  zu  stehen,  und 
so  konnte  er  sich  lange  nicht  aufraffen,  für  die  Reformation  offen  ein- 
zutreten. Immerhin  bewirkte  er,  dafl  das  Wormser  Edikt  in  Meck- 
lenburg nicht  verkündet  und  der  evangelischen  Predigt  möglichst 
viel  Raum  gegeben  wurde,  wozu  er  sich  durch  die  Reichstags- 
abschiede berechtigt  glaubte.  Andere  Neuerungen  aber,  insbesondere 
Eingriffe  in  die  Zeremonien,  duldete  er  nicht.  Und  dem  entsprach 
auch  sein  Verhalten  in  der  Politik ;  wohl  ließ  er  sich  zum  Anschlüsse 
an  das  Torgauer  Bündnis  herbei;  aber  sein  Name  findet  sich  nicht 
unter  den  Unterzeichnem  der  Speirer  Protestation  sowie  der  Augs- 
burgischen Konfession ,  und  auch  von  der  Schmalkaldischen  Einigung 
hielt  er  sich  fem.  Bei  alledem  aber  brach  sich  in  dem  Herzog,  der 
manche  Verbindungen  mit  Wittenbergem  unterhielt,  immer  mehr  die 
Überzeugung  von  der  Notwendigkeit  der  Reformation  Bahn,  und  an- 
fangs 1533  entschloß  er  sich,  der  Stimme  des  Gewissens  zu  folgen. 
Nachdem  er  durch  die  Aussöhnung  mit  dem  ihm  verfeindeten  Bruder 
Albrecht  freiere  Hand  bekommen,  ordnete  er  für  das  Jahr  1535  eine 
Visitation  an  *),  setzte  1 540  den  bekannten  Prädikanten  Johann  Rieb- 
ling  •)  als  Generalsuperintendenten  mit  dem  Sitze  in  Parchim  ein  und 
ließ  nach  der  Norm  einer  von  Osiander  für  Nürnberg  ausgearbeiteten 
Kirchenordnung  *)  eine  neue  Visitation  vornehmen,  die  sich  auch  über 


i)  In  kurzer  Zosammenfassang:  Die  Einführung  dtr  BeformaHon  in  Meckkn^ 
hurg  (Halle  1899,  Nr.  35  der  ▼om  Vcr.  för  Ref.-Gesch.  henuugegebeiieD  Schriften  für 
das  Deotsche  Volk). 

2)  Das  Protokoll  der  Visitation  vom  Jahre  1535,  heraosgegcben  von  Lisch 
in  den  Jahrbüchern  för  Meckleob.  Gesch.  n.  Altertamskunde,  Bd.  VH!  (1843)1  S-  43  ff- 

3)  Über  RiebUng  and  aeine  erste  Berufung  nach  Mecklenburg:  Schnell  in 
den  Jahrb.,  Bd.  63  (1898),  S.  207. 

4)  Schnell,  Die  Mecklenburgischen  Kirchenordnungen,  ein  Beitrag  sur  Ge- 
schichte unserer  Landeskirche,  in  den  Jahrb.,  Bd.  63  u.  64  (1899).  —  Eine  buher  wibekannt 


—     296     — 

die  Herzog  Albrecht  gehörenden  Landesteile  erstreckte.  Als  der  Kaiser 
auch  von  Herzog  Heinrich  die  Durchführung  des  Interims  verlangte, 
wies  der  nach  Stemberg  berufene  Landtag  dies  zurück  und  übersandte 
ihm  zur  Motivierung  dieses  Beschlusses  ein  auf  Veranlassung  des 
Herzogs  gestelltes  Bekenntnis  %  das  am  20.  Juni  1549  vor  den 
Ständen  verlesen  wurde.  Dieser  Tag  gilt  in  Mecklenburg  als  der 
eigentliche  Geburtstag  der  Landeskirche  und  wurde  am  20.  Juni  1899 
nach  350  Jahren  wieder  als  solcher  gefeiert  —  Viel  trug  zu  dem 
ruhigen  Verlaufe  der  mecklenburgischen  Reformation  der  Umstand 
bei,  daß  das  Bistum  Schwerin,  das  den  größten  Teil  Mecklenburgs 
umfaßte,  im  Jahre  15 16  an  Herzog  Heinrichs  minderjährigen  Sohn 
Magnus  gekommen  war,  der  evangelisch  erzogen  wurde  und  später 
seinem  Vater  bei  der  Reformation  des  Landes  fördernd  zur  Seite  stand. 

Die  Einführung  der  Reformation  in  Rostock,  der  bedeutendsten 
Stadt  des  Landes ,  die  auch  Hansastadt  war ') ,  schildert  Axel  Vor- 
berg *) ,  der  dem  eigentlichen  Thema  seiner  Schrift  zwei  interessante 
Kapitel:  Bosiocks  kirchlidie  VerhaUnisse  bei  Beginn  der  Befarmation 
und  Vorrefarmaiarisehe  Strömungen,  hauptsächlich  Nikolaus  Rutze^) 
betreiTend ,  vorausschickt.  Der  hervorragendste  Reformator  der  Stadt 
war  Joachim  Slüter,  der  seine  Rostocker  Laufbahn  als  Kaplan  bei 
St.  Peter  begann,  und  ihr  Hauptförderer  beim  Rate  der  Jurist  Johann 
Oldendorp,  der  an  verschiedenen  Universitäten,  zuletzt  in  Grei&wald 
als  akademischer  Lehrer  tätig  gewesen  war  und  im  Jahre  1526  Syn- 
dikus von  Rostock  wurde.  Vom  Jahre  1531  an  trat  der  Sieg  der 
evangelischen  Richtung  in  der  Bürgerschaft  und  im  Rate  ofTen  zutage, 
und  als  Slüter  1532  starb  ^),   war  Rostock  der  Hauptsache  nach  eine 

gebliebene  zweite  Ausgabe  der  Mecklenburger  Kirchenordnnng  von  1540  wird  besprochen 
von  ihm  in  der  Zeitschr.  für  Niedersächsische  Kircbengesch.,  Bd.  Vn  (1902),  S.  280  ff. 

i)  Schnell,  Dm  Bekenntnis  des  Hersogtums  Mecklenhurg,  Kaiser  Karl  V, 
überreicht,  nebst  denjenigen  des  Landes  Braunsehweig-Lüneburg.  Ein  Beitrag  twr 
Geschickte  des  Augsburger  Interims  (Berlin  1899). 

2)  K.  Koppmann,  Geschichte  der  Stadt  Bostock.    Rostock  1887. 

3)  Die  Einfahrung  der  Beformatian  in  Bostock,  (Halle  1897,  in  den  Schriften 
des  Vereins  fUr  Ref.-Gesch.,  Nr.  58). 

4)  Siehe  über  ihn  hauptsächlich:  J.  Wiggers,  Nie.  Rufi  und  sein  Buch  von  den 
drei  Strängen  in  Niedners  Zeitschr.  fUr  die  hist.  Theol.,  Jahrg.  1850;  K rey  in  den  Bei- 
trägen zur  Mecklenb.  Kirchen-  und  Gelehrtengesch. ,  Bd.  U,  S.  I74ff. ;  J.  Malier:  Zu 
den  Schriften  des  Mag,  Nikolaus  Butze  in  der  Zeitschrift  der  Ges.  für  niedere, 
Kirchengesch.,  Bd.  I  (1896),  S.  173;  Krauses  ArUkel  in  der  Allg.  D.  Biogr.,  Bd.  XXX 
(Leipzig  1890). 

5)  Über  sein  Ende:  Koppmann,  Die  angdfUche  Vergiftung  Joachim  SHUers, 
in  den  Beitr.  zur  Gesch.  der  SUdt  Rostock,  Bd.  I  (Rostock  1895). 


—     297     — 

evangelische  Stadt.  1532  fielen  die  letzten  altkirchlichen  Bollwerke, 
als  das  Nonnenkloster  zum  heiligen  Kreuz  das  Evangelium  annahm 
und  die  Mönchsklöster  aufjgehoben  wurden.  Die  Universität  Rostock, 
die  älteste  in  Niederdeutschland,  hatte  dasselbe  Schicksal  wie  Greiüs- 
walde  ^) ;  erst  von  den  vierziger  Jahren  konnte  sie  sich  langsam  wieder 
erholen.  Bedeutendere  evangelische  Gelehrtenschulen  entstanden  in 
Schwerin,  in  Güstrow  und  Parchim,  in  Wismar  und  Rostock.  —  Eine 
interessante  Episode  aus  der  vorreformatorischen  Zeit  des  I^andes  isi 
das  „Blutwunder"  in  der  Stadt  Stemberg,  dessen  Geschichte  K.  Schmidt 
in  einem  lesenswerten  Schriftchen ')  wieder  ins  Gedächtnis  zurück- 
gerufen hat.  Herzog  Magnus,  Heinrichs  Vater,  ließ  für  die  zur  Ver- 
ehrung der  Wunderstätte  herbeikommenden  Andächtigen  eine  Fron- 
leichnamskapelle bauen  und  aus  einem  Teil  der  ihr  erwachsenden 
Einkünfte  ein  Augustinerkloster  errichten,  das  einzige  in  Mecklenburg 
und  den  angrenzenden  Grebieten,  dessen  Insassen  wesentlich  zur  Aus- 
breitung der  Reformation  in  Stemberg  beitrugen;  schon  im  Sommer 
1524  konnte  sie  Luther  beglückwünschen,  daß  sie  dem  bei  ihnen 
„herrschenden  Aberglauben  das  Maul  gestopft  und  ihren  gottlosen 
Erwerb  abgetan"  hätten. 

Einen  eigenartig  bewegten,  stürmischen  Verlauf  nahm  die  Re- 
formation in  der  mit  den  mecklenburgischen  und  pommerschen  Städten, 
hauptsächlich  mit  Rostock  und  Stralsund,  in  vielen  Wechselbeziehungen 
stehenden  freien  Hansastadt  Lübeck  '),  wo  sich  mehr  noch  als  ander- 
wärts demokratische  und  politische  Strömungen  mit  den  religiö9en 
kreuzten.  An  die  frühere  Gcschichtschreibung  über  diese  Bewegungen 
reiht  sich  als  letzte  die  von  Heinrich  Schreiber^),  die  mit  dem 
endgültigen  Siege  des  Evangeliums,  im  Jahre  1531,  abschließt.  Nach 
einer  Einleitung,  die  mit  festen  Strichen  die  bei  dem  Kampfe  des 
Alten  mit  dem  Neuen  in  Betracht  kommenden  Momente  erörtert, 
geht  der  Verfasser  auf  die  „evangelischen  Bestrebungen**  der  Bürger- 
schaft über,   die  von  Seite   des  patrizischen  ^ ,  schroff  an   der  alten 

1)  A.  Hofmeister,  Die  Matrikel  der  Univenität  BoeUKk.  T.  1-4,  1417 
bis  1747  (Rostock  1889 — 1900). 

2)  Bob  heiUge  BhU  van  Sternberg  (HaUe  1892,  in  den  fom  Ver.  fUr  Ref.-Getcfa. 
heraosgegebeoen  Schriften,  Nr.  18). 

3)  M.  Hoffmann,  Oeachichte  der  freien  und  Hamaetadt  Lübeck,  2.  Bd. 
(Lübeck  1889),  S.  92. 

4)  Bit  Reformation  Lübecks  (Halle  1902,  Schriften  des  Ver.  für.  Ref. -Gesch. 
Nr.  74). 

5)  Wehrmann,  Ba8  Lübecker  PatriMiat  in  der  Zeitschrift  fttr  Lttb.  Geschichte, 
1888,  S.  295  ff. 


—     298     — 

Kirche  festhaltenden  Rates  entschiedene  Zurückweisung'  erfuhren,  aber 
trotzdem  nicht  unterdrückt  werden  konnten.  Eine  Wendung  hierin 
trat  erst  ein,  als  der  Rat  infolge  finanzieller  Schwierigkeiten,  in  die 
die  Stadt  durch  ihre  letzten  kriegerischen  Unternehmungen  gestürzt 
worden  war,  von  der  Bürgerschaft  die  BcMrüligung  neuer  Abgaben 
fordern  mußte,  was  von  dieser  benutzt  wurde,  als  Gegenleistung  die 
Zulassung  lutherischer  Prediger  zu  verlangen.  Der  Rat  sah  sich  an- 
gesichts der  gereizten  Stimmung  und  tumultuarischen  Haltung  der  Ge- 
meinde *)  zum  Nachgeben  genötigt,  hoffte  aber,  die  gemachten  Zu- 
geständnisse in  Bälde  bei  günstiger  Gel^enheit  wieder  zurücknehmen 
zu  können.  Die  Bürgerschaft,  die  diese  Absicht  wohl  durchschaute, 
wurde  nun  immer  trotziger  und  ungestümer  und  wählte  einen  Aus- 
schuß, der  dem  Rate  zur  Seite  trat  und,  rasch  an  Macht  gewinnend, 
die  Wünsche  des  Volkes  mit  Energie  und  Beharrlichkeit  verfocht. 
Im  Sommer  1530,  während  des  Augsburger  Reichstages,  mußte  es 
der  Rat  geschehen  lassen,  daß  das  alte  Kirchenwesen  in  der  Stadt 
vollständig  „abgetan**  und  im  darauffolgenden  Herbst  Bugenhagen 
herbeigeholt  wurde;  die  Warnungen  des  Kaisers  und  die  Drohungen 
des  Herzogs  Heinrich  von  Braunschweig  gaben  der  Stadt  nur  neue 
Antriebe,  sich  um  Aufnahme  in  den  Schmalkaldischen  Bund  zu  be- 
werben. Nachdem  Bugenhagen  die  neue  Kirche  organisiert  •)  und 
auch  die  Armenpflege  und  die  Schulen  in  zweckmäßiger  Weise  ge- 
ordnet hatte,  kehrte  er  im  Frühling  1532  nach  Wittenberg  zurück. 
Der  erste  Superintendent  der  Stadt  wurde  auf  Bugenhagens  Empfeh- 
lung der  bis  dahin  als  Schulmann  tätige  Hermann  Bonnus,  dessen 
Leben  von  Spiegel  beschrieben  worden  ist  •).  Die  Herren  vom 
Domkapitel  hatten  natürlich  so  lange  als  möglich  ihre  Rechte  und 
den  in  der  Stadt  befindlichen  Besitz  zu  erhalten  gesucht,  fugten  sich 
aber  schließlich  der  Macht  der  Verhältnisse  und  schlössen  am  10.  No- 
vember 1531  einen  Vertrag,  durch  den  sie  dieser  die  in  ihren  Mauern 
liegenden  Kirchspielkirchen  überließen  und  dafür  auf  Lebenszeit  im 
Besitze  ihrer  Einkünfte  blieben.  Von  Seite  des  Bischofs  Heinrich 
von  Eutin  und  des  Erzbischofs  Christoph  von  Bremen,  der  nur  wenig 


i)  HauptqaeUe:  Petersen,  Ausführliche  Gesch.  der  LÜbeckschen  Kirchen- 
reformation  in  den  Jahren  1529—31  aus  dem  Tagebuch  eines  Augenzeugen  und 
Beförderers  der  Reformation  (Lübeck  1830). 

2)  Lübecksche  Kirchenordnung  von  Joh,  Bugenhagen  Pom.  (Neue  Aasgabe: 
Lübeck  1877). 

3)  Spiegel,  Hermann  Bonnus  (Göttingen  1892). 


—     299     — 

kirchlichen  Sinn  besaß,  erfuhr  die  Stadt  keine  ernstlichen  Hemmung'en 
ihres  Reformationswerkes. 

Ruhiger  als  in  Lübeck  ging  die  Reformation  in  dem  damals  noch 
wenig  bedeutenden  Hamburg  vor  sich ,  wo  der  Rat  zwar  auch  nur  schrittweise 
und  notgedrungen  den  Forderungen  der  Evangelischen  entsprach,  aber, 
weil  hier  ein  Patriziat  fehlte,  der  Gemeinde  weniger  schroff  gegen- 
überstand. Es  sind  hauptsächlich  zwei  neuere  Schriften,  die  uns  eine 
tiefere  Kenntnis  der  Hamburger  Reformation  vermitteln,  nämlich  die 
Einfuhrung  der  BefamuUion  in  Hamburg  von  W.  Sillem  ^)  und  der 
Kampf  Hamburgs  um  die  Refarmaticn,  15 17 — 61,  von  H.  Kalt*).  In 
diesen  Rahmen  fallen  auch  die  von  C.  Bertheau  herausgegebene 
Hamburger  Kirchenordnung  vom  Jahre  1529*),  Sillems  Edition  der 
Briefsammlung  des  Hamburger  Superintendenten  J,  Westphol  (Hamburg 
1903),  desselben  Aufsatz  über  den  Dominikaner  Augustin  von  Getelen  ^), 
den  redegewandten  Gegner  des  Evangeliums,  über  den  auch  Nikolaus 
Paulus  geschrieben  hat^),  die  GeschiMe  des  Johannisklosters  von 
Gaedechus,  M.  Gensler  und  Koppmann  (Hamburg  1884),  die 
Publikation  von  Aktenstücken  aus  den  Jahren  1535 — 36,  betreffend  die 
Au fnahme  Hamburgs  in  das  christliche  FerstöiMJnis  von  H.  Nirrnheim  ^) 
und  eine  Studie  des  gleichen  Autors  über  den  den  Neuerungen  gänzlich 
abgeneigten  Hamburger  Bürgermeister  Hinrich  Salsborch  (1524 — 31) '). 
Der  lang  sich  hinziehende  Streit,  in  den  die  Hamburger  bei  ihrer  Refor- 
mation mit  dem  Domkapitel  verwickelt  wurden,  gliedert  sich  in  zwei 
Abschnitte:  der  erste  umfaßt  die  Zeit  von  1528 — 36,  während  dessen  auf 
Klage  des  Kapitels  ein  Reichskammerprozeß  gegen  die  Stadt  schwebte, 
der  zweite  den  diplomatischen  Kampf  zwischen  den  beiden  Parteien  in 
den  nächsten  Jahrzehnten,  der  erst  im  Jahre  1561  durch  den  Bremer 
Vergleich  beendet  wurde.  Der  Verlauf  dieser  Begebenheiten,  den  man 
bisher  nur  sehr  unvollkommen  kannte,  wurde  aus  den  einschlägigen 
Aktenbeständen  des  Hamburger  Stadtarchivs  bis  in  alle  Einzelnheiten 


i)  Halle  1886,  Schriften  des  Ver.  für  Ref.-Getch.  Nr.  16. 

a)  Programm.     Hamburg  1898.  99. 

3)  Kirchenordnong  fUr  die  Stadt  Hamburg  von  1529  (Hamburg  1885). 

4)  In  der  Monatsschrift  für  die  CT.-lath.  Kirche  im  Hamb.  Staate,  V.  (Hamburg  1885), 

S.  335  ff. 

5)  Zuerst  in  der  Innsbrucker  Zcitschr.  für  kath.  Theol.,  Bd.  XXV  (1901),  S.  4"  ff., 
dann  in  seinem  Buch  Die  deutsdien  DomnUcaner  im  Kampfe  gegen  Luther  (Frei- 
burg i.  Br.  1903),  S.  77  ff. 

6)  In  den  Mitt.  des  Ver.  für  Hamb.  Gesch.,  Bd.  XXV  (1905)1  S.  27  ff. 

7)  In  der  Zeitschr,  des  Ver.  für  Hamb.  Gesch.,  Bd.  XU  (1904),  S.  261  ff.  —  Vgl. 
auch  SiUems  Artikel  über  Salshorch  in  Bd.  LHI  der  Allg.  D.  Biogr.,  S.  692  ff. 


—     300     — 

hinein  aufgerollt  in  einer  Abhandlung  J.  Spitzers  *),  die  im  XL  Bande 
der  Zeitschrift  des  Vereins  für  Hamburger  Geschichte  erschien.  In 
diesen  Streit  mischten  sich  auch  die  dänisch-holsteinischen  Landesfiirsten 
und  stellten  dabei  so  drückende  Anforderungen  an  die  Hamburger, 
daß  sich  diese  veranlaßt  sahen,  einen  Ratschlsig  des  in  solchen  Dingen 
mehr  als  alle  anderen  Reformatoren  er&hrenen  Buzer  einzuholen. 
Dieser  Ratschlag,  der  sich  als  eine  wertvolle  Bereicherung  der  vielen 
Buzerschen  reformationspolitischen  Dokumente  darstellt,  ist  nach  dem 
Original  im  Straßburger  Thomasarchiv  und  einer  Hamburger  Kopie 
herausgegeben  in  einem  Aufisatze  von  H.  v.  Schubert'),  der  die 
Arbeit  Spitzers  in  erwünschter  Weise  ergänzt. 

In  ganz  anderen  Bahnen  als  in  Lübeck  und  in  Hamburg  bew^e 
sich  die  Reformation  in  Bremen,  an  deren  Geschichte  wir  an  der 
Hand  Ikens')  herantreten.  Während  in  den  beiden  anderen  Städten 
der  Rat  sich  so  lange  wie  möglich  g^en  das  Evangelium  wehrte, 
nahm  in  Bremen  von  Anfang  an  Rat  und  Bürgerschaft  einträchtig  für 
dieses  Partei,  und  daran  vermochten  weder  die  KunstgrifTe,  die  der 
Erzbischof  Christoph  dagegen  versuchte,  noch  die  drohende  Haltung, 
die  er  nach  deren  Mißlingen  gegen  die  Stadt  einnahm,  etwas  zu  ändern. 
Der  Reformator  Bremens  war  bekanntlich  der  ebenso  durch  gedi^ene 
Charaktereigenschaften  als  durch  tüchtige  theologische  Kenntnisse  aus- 
gezeichnete Heinrich  von  Zütphen  *) ,  der  sich  seit  dem  Spätherbst 
1522  in  der  Stadt  aufhielt,  durch  seine  Predigten  den  weitaus  größten 
Teil  der  Bevölkerung  für  sich  gewann  und  so  eine  allmähliche 
Wandlung  der  Dinge  anbahnte,  der  sich  keine  größeren  inneren 
Schwierigkeiten  entgegenstellten.  Iken  ließ  es  sich  angelegen  sein, 
durch  sorgfaltige  Nachprüfung  der  bereits  über  Heinrich  vorhandenen 
Literatur  sowie  durch  Ausnutzung  einer  Anzahl  neuer  Quellen,  die 
gerade  für  dessen  Tätigkeit  in  Bremen  noch  manches  Neue  ei^ben, 
feste  und  gesicherte  Ergebnisse  zu  gewinnen,  so  daß  nur  noch  ganz 
wenige   Punkte   in   dem   Lebensgang   des   Märtyrers   zweifelhaft   oder 

i)  Hamburg  im  Beformaiiansstreit  mit  dem  DomkapiUl,  Ein  Beitrag  zur 
Hamhürgischen  StcuxU'  und  Kirehengesehichte  d,  J,  1526—1561  in  der  Zeitschr.  des 
Ver.  für  Hamb.  Gesch.,  Bd.  XI  (1903),  S.  430  ff. 

3)  Scbrifteo  des  Ver.  Air  Schlesw.-llolsteiner  K.-G.,  2.  Reibe,  Bd.  III,  1904,  S.  iff.— 
Einen  Nachtrag  hiereu  liefert  Schubert  im  dritten  Heft  dieses  Jahrganges.     S.  394  ff. 

3)  J.  F.  Iken,  Die  erste  Epoche  der  Bremisi^hen  Befonnation,  Bremer  Jb. 
Bd.  VIII  (1876). 

4)  Iken,  Heinrieh  von  Zütphen  (HaUe  1886,  Schriften  des  Ver.  fUr  Ref.-Gesch., 
Nr.  la.)  S.  hierza  C  Rolfs  in  den  Schriften  des  Ver.  (Ur  Schlesw.-Ho  st.  K-G.,  2.  Reihe, 
Bd.  IV  (1905),  S.  143  ff. 


—     301     — 

unaufgeklärt  geblieben  sind.  Als  Heinrich  Ende  November  1524  die 
Stadt  Bremen,  deren  Rat  ihn  dem  seine  Auslieferung  verlangenden 
Erzbischof  Christoph  gegenüber  ebenso  besonnen  wie  entschieden  ver- 
teidigt und  geschützt  hatte,  verließ,  um  sich  für  einige  Monate  nach 
Meldorf  im  Lande  Ditmarsen,  wohin  man  ihn  rief,  zu  begeben  und 
sich  dort  ein  neues  Arbeitsfeld  zu  suchen,  konnte  er  ruhig  scheiden, 
denn  er  durfte  vertrauen,  daß  die  zwei  Prädikanten,  die  seit  kurzem 
neben  ihm  in  der  Stadt  angestellt  waren,  bis  er  wiederkäme,  das  Be- 
gonnene in  Fluß  halten  und  weiterführen  würden.  Doch  er  sollte 
nicht  mehr  zurückkehren.  Schon  nach  wenigen  Tagen,  am  10.  De- 
zember 1524,  wurde  er  durch  eine  hauptsächlich  von  dem  fanatischen 
Prior  des  Meldorfer  Dominikanerklosters,  Augustin  Tomeborch,  an- 
gestachelte und  betrunken  gemachte  Volksmenge  überfallen  und 
unter  dem  schlechtgewahrten  Schein  eines  Rechtsverfahrens  auf  das 
grausamste  ermordet.  Die  ausführliche  Erzählung  dieser  Vorgänge 
und  der  daraus  sich  ergebenden  Folgen  bildet  das  ergreifende 
Schlußkapitel  dieser  Biographie.  Den  Bremern,  an  die  Luther  ein 
Trostschreiben,  eine  kurze  Auslegung  des  10.  Psalmes  von  den  Mär- 
tyrern Christi  und  eine  „Histori  von  Bruder  Heinrichs  von  Zütphen 
Martyrertode"  sandte,  wurde  die  an  ihrem  Liebling  verübte  Bluttat 
nur  ein  Ansporn,  die  Reformation  in  ihrer  Stadt  nun  rasch  und 
kräftig  durchzuführen.  Schon  im  Herbste  des  folgenden  Jahres  waren 
alle  Kanzeln  Bremens,  den  Dom  ausgenommen,  mit  evangelischen 
Prädikanten  besetzt.  Die  Messe  wurde  abgeschafft  und  der  Gottes- 
dienst nach  Wittenberger  Vorbild  gestaltet  Aber  auch  im  Ditmarsen- 
land  übte  die  blutige  Tat  der  Verblendeten  eine  dem  Evangelium 
günstige  Wirkung;  langsam  und  in  der  Stille  breitete  es  sich  unauf- 
haltsam aus. 

Das  benachbarte  Weifenland  war  damals  in  vier  Gebiete  zer- 
spalten: in  die  Herzogtümer  Braunschweig -Grubenhagen,  Calenberg, 
Wolfenbüttel  und  Lüneburg.  Verweilen  wir  zuvörderst  bei  dem  zu- 
letzt genannten,  so  haben  wir  vor  allen  der  Arbeiten  Wredes  zu 
gedenken :  seiner  Einfuhrung  der  Befarmation  im  Lüneburgischen  durch 
Herzog  Ernst  den  Bekenner  (Göttingen  1887)  ^^^  seiner  Monographie 
Ernst  der  Bekenner,  Herzog  von  Braunschweig  und  Lündmrg  (Halle 
1888).  Dieser  Fürst,  der  beim  Antritt  der  Regierung  mfolge  der 
Mißwirtschaft  des  Vaters  und  der  aus  der  hildesheimischen  Fehde  ent- 
standenen Nachwehen  mit  äußerst  ungünstigen  äußeren  Verhältnissen 
zu  kämpfen  hatte,  richtete  schon  früh  sein  Augenmerk  darauf,  über 
die  Klöster  seines  Landes,   denen   er  als   überzeugter  Lutheraner  die 


—     302     — 

Existenzberechtigung  absprach,  mehr  und  mehr  Macht  zu  gewinnen 
und  ihr  Vermögen  zur  Bezahlung  der  drückendsten  Schulden  heran- 
zuziehen. Dies  und  die  ganze  Art  und  Weise,  wie  er  das  alte  Kirchen- 
tum  trotz  schwerer  Hindemisse  allmählich  verdrängte,  kennzeichnet 
die  Reformation  im  Lüneburgischen  so  recht  als  eine  Reformation 
,,von  oben,,  nicht  hervorgegangen  aus  einer  tiefgehenden  Bewegung 
des  Volkes,  sondern  unternommen  und  durchgeführt  von  dem  Landes- 
herm  unter  geringer  aktiver  Beteiligung  der  Massen".  Seine  wich- 
tigsten Helfer  waren  dabei  sein  Kanzler  Joh.  Förster  und  von  1531 
an  Urbanus  Rhegius  ') ,  den  er  nach  einiger  Zeit  zu  seinem  Landes- 
superintendenten machte.  Dieser  ging,  ganz  im  Sinne  des  Herzogs, 
als  solcher  mit  großer  Mäßigung  vor,  tastete  die  alten  Zeremonien 
möglichst  wenig  an,  legte  bei  der  Ordnung  des  Hauptgottesdienstes 
Luthers  Formula  missae  zugrunde,  duldete,  daß  man  der  „lieben 
Heiligen  in  der  Kirche  ehrlich  gedachte'*  und  behielt  sogar  die  Me- 
morien  Verstorbener,  soweit  sie  im  Gebet  fiir  die  Toten  bestehen, 
bei.  Im  Jahre  1543  wurde  für  das  Land,  das  schon  seit  1529  als 
evangelisch  gelten  konnte,  eine  allgemeine  Kirchenordnung  erlassen  *). 
Dem  Kaiser  und  dem  Reich  gegenüber  stand  Herzog  Ernst  seit  1 526 
offen  auf  Seite  der  evangelischen  Fürsten:  er  war  Mitglied  des  Tor- 
gauer  Bundes,  unterzeichnete  die  Speierer  Protestation  und  die  Aug^« 
burger  Konfession,  trat  der  Schmalkaldischen  Einigung  schon  bei  ihrer 
Entstehung  bei  und  wirkte  eifrig  für  deren  Stärkung  und  Elrweiterung. 
Die  Teilnahme  am  Religionskriege  blieb  ihm  erspart,  da  er  einige 
Monate  vorher,  kurz  nach  Luther,  starb.  —  Die  bedeutendste  Stadt 
seines  Landes  war  Lüneburg  *) ,  die  nur  in  einem  sehr  lockeren  Ab- 
hängigkeitsverhältnis zu  dem  Herzoge  stand,  allen  seinen  Versuchen, 
ihr  etwas  abzugewinnen,  trotzig  begegnete  und  mit  allen  seinen  offenen 
oder  heimlichen  Gegnern  in  Verbindung  trat.  Auch  hier  suchte  der 
Rat,  wie  fast  überall,  die  in  der  Gemeinde  herrschende  religiöse  Er- 
rcgung,  mit  der  sich  verschiedene  auf  Erweiterung  der  bürgerlichen 
Rechte  abzielende  Forderungen  verquickten,  mit  allen  Mitteln  nieder- 
zuhalten; erst,  als  er  eine  Verständigung  der  Gemeinde  mit  dem 
Herzoge  befurchten  mußte,   gab  er  nach  (1530)  und   berief  den   von 


i)  ühlhorn,  Urbanus  Bhegias  (Elberfeld  1861);  der  gßtat  «weite  Teil  dieses 
Buches  handelt  von  der  Tätigkeit  dieses  Reformators  in  Norddeatschland. 

2)  Knoop,  Herzog  Ernsts,  des  Bekenners,  Ordnung  vom  15.  Nov.  1543. 
ZeiUchr.  der  Ges.  für  Niedcrsächs.  Kirchengesch.  Bd.  IV  (1899),  S.  203  flf.  S.  auch 
Bd.  IX  (1904),  S.  203  ff. 

3)  Siehe  neben  Wrede  noch  Uhlhorn  S.  176  ff. 


—     303     — 

den  Evangelischen  begehrten  Prädikanten  Stephan  Kempe,  der  in  der 
Stadt  eine  Nachbildung  der  hamburgischen  Kirchenordnung  zur  Gel- 
tung zu  bringen  suchte.  Auch  Rhegius  weilte  auf  Bitten  der  Lüne- 
burger mit  Erlaubnis  des  Herzogs  zweimal  längere  Zeit  bei  ihnen, 
vermochte  aber  trotz  aller  Anstrengungen  der  in  der  Stadt  herrschen- 
den religiösen  Wirren  nicht  recht  Herr  zu  werden,  und  eine  von  ihm 
entworfene  Kirchenordnung  gewann  ebensowenig  allgemeine  An- 
erkennung, wie  die  von  Kempe.  —  Der  erste  Rektor  der  von  Rhe- 
gius eingerichteten  Schule  wurde  der  tüchtige  Hermann  Tulichius,  den 
man  von  Wittenberg  her  berief,  und  neben  ihm  wirkte  Lukas  Lossius, 
über  den  eine  Biogrs^^hie  von  Görges^)  vorliegt. 

In  denkbar  schärfstem  Gegensatze  zu  der  Haltung,  die  der  Lüne- 
burger Herzog  in  den  religiösen  Kämpfen  der  Zeit  einnahm,  steht  die 
seines  Vetters  aus  der  Wolfenbüttler  Linie  des  weifischen  Hauses,  des 
„tollen  Heinz**,  der  starr  am  alten  Glauben  festhielt  und  einer  der 
rührigsten  Parteigänger  der  kaiserlichen  Politik  war.  Trotzdem  konnte 
er  nicht  verhindern,  daß  sich  das  Evangelium  auch  in  den  Städten 
seines  Landes  festsetzte,  insbesondere  in  Braunschweig  und  Goslar, 
um  deren  Reformation^eschichte  sich  von  Neueren  hauptsächlich 
Hänselmann')  bzw.  Hölscher')  verdient  gemacht  haben.  Die 
von  Heinz  gegen  diese  Städte  *)  verübten  Feindseligkeiten  hatten  die 
Folge,  daß  der  Schmalkaldische  Bund  gegen  ihn  einschritt,  ihn  1542 
im  Felde  besiegte  und  vertrieb,  um  dann  in  seinem  Gebiet  die  Re- 
formation durchzuführen  ^).    Das  wirkte,  um  dies  hier  anzufügen,  auch 


I)  Görges,  JuUus  Louius,  ein  Sd^hnann  de$  16,  JahrhdU,  (Progr.  des 
Johanneams  za  Lüneburg.  1885).  —  Interessante  Hinweise  auf  die  selten  gewordene 
Schrift  des  Lossius,  Lüneburg  im  Scichsenlande,  von  E.ZechHn  in  den  Lttnebnrger 
MaseumsbläUem,  Bd.  I  (1904),  S.  41  ff. 

a)  In  der  Einleitung  zu  der  von  ihm  herausgegebenen  Kirchenordntmg  für  die  Sttidt 
Brcmnsehweig  vom  Jahre  15!i6  von  Job.  Bugenbagen  (Wolfenbttttel  1885). 

3)  Gleich,  der  Ref.  in  Goslar  n<»€h  den  Akten  im  atädt,  Archive.  Hannover 
und  Leipzig  1901 ;  Gesch,  des  Interime  in  Goslafr  Zeitschr.  der  Ges.  fOr  Nieders. 
Kirchengesch.  Bd.  VIII  (1903),  S.  46  ff.  —  Siehe  auch  Tscbacke rt,  Joh,  Amandue, 
der  erste  Superintendent  der  freien  Reichsstadt  Goslar,  ebenda.    S.  5  ff. 

4)  Für  Braonschweig  G.  Hassebranck,  Heinrich  der  Jüngere  und  die  Stadt 
Braunsdnoeig  im  Jahrb.  des  Gesch.- Ver.  fttr  das  Herzogtum  Braonschweig,  Bd.  V  (1906), 
S.  I  ff. 

5)  F.  Koldewey,  Die  Ref.  des  Hersogtums  Braunschweig-Wolfenlfüttei  unter 
dem  Regiment  des  sdmudk,  Bundes.  Zeitschr.  des  bist  Ver.  für  Niedersachsen  1868.  — 
Über  die  Förderung  des  Schulwesens  in  der  Reformationsseit  siehe  von  demselben  Autor : 
Braunschweigis<^  Schulordnungen  bis  1528  in  Mon.  Germ,  paed.,  Bd.  I  u.  8.  (Berlin 
1886);  Gesch,  des  Schulwesens  im  Herzogtum  Braunsehweig  von  den  ältesten  Zeiten 


—     304     — 

auf  die  Verhältnisse  in  der  Stadt  Hildesheim,  wo  nun  (1542)  die 
längst  der  neuen  Lehre  anhängende  Bürgerschaft  dem  Evangelium, 
das  der  Rat  unter  Anführui^  des  tüchtigen,  aber  ganz  „papistiscb" 
gesinnten  Bürgermeisters  Wildefüer  so  lange  „tyrannisch**  unterdrückt 
hatte,  fast  plötzlich  freie  Bahn  erzwang.  Zu  der  älteren  hierüber  vor- 
handenen Geschichtsliteratur  gesellte  sich  zuletzt  K.  Kaysers  Buch 
Die  Einfuhrung  der  Beformaiian  in  Hildesheim  (1883)  und  die  kleine 
für  weitere  Kreise  berechnete  Schrift  G.  Erdmanns  BeformoiUan  und 
Gegenreformation  im  Fürstentum  Hildesheim  (Hannover  1 889),  die  auch 
eine  übersichtliche  Darstellung  der  HUdesheimer  Stiftsfehde  enthält. 

Im  Calenberger  Landesteil,  wo  der  „abenteurische**  Herzog 
Elrich  I.  regierte,  kam  die  religiöse  Bewegung  erst  in  Fluß,  als  nach 
seinem  Tode  seine  zweite  Gemahlin  Elisabeth,  eine  Schwester  des  Kur- 
fürsten Joachim  II.  von  Brandenbui^,  der  die  Vormundschaft  über 
ihren  unmündigen  Sohn  Erich  IL  zufiel,  mit  Hilfe  Anton  G)rvins,  Jo- 
hann Sutellius'  und  anderer  zugunsten  der  Reformation  eingriff  und 
ein  evangelisches  Kirchenwesen  begründete,  für  das  sie  im  Jahre  1 542 
eine  von  Corvin  verfaßte  evangelische  Ktrchenordnung  erließ.  Die 
Einzelnheiten  dieser  Bestrebungen  und  die  Störungen ,  die  die  neue 
Kirche  durch  den  im  Jahre  1545  ans  Regiment  kommenden  jungen 
Herzog  infolge  seines  Übertritts  zum  Katholizismus  erfuhr,  lernen  wir 
aus  mehreren  wertvollen  neueren  PublUcationen  kennen.  Wir  nennen 
hier  von  Tschackert  die  Schriften  Die  Herzogin  Elisabeth  von 
Minden  (Leipzig  1900)  ^),  Antonius  Corvinus'  Leben  und  Schriften 
(Hannover  1899)  sowie  den  Briefwechsel  des  Antonius  Corvinus 
(Hannover  1906),  dann  Uhlhorns  Antonius  Corvinus  (Halle  1892) 
und  F.  Kochs  Sammlung  von  Briefen  der  Hereogin  Elisabeth  und 
ihres  Sohnes  aus  den  Jahren  1545 — 54  *).  Die  fast  wie  freie  Städte 
dastehenden  größeren  Städte  des  Landes  erforderten  eben  wegen  ihrer 
Selbständigkeit  Sonderdarstellungen  ihrer  Reformationsgeschichte,  und 
so  entsand,  nachdem  bereits  Uhlhom,  A.  Ulrich  und  andere  vorge- 
arbeitet,   die    Geschichte   der   Reformation   der   Stadt   Hannover   von 


hü  zum  BegierungMntritt  des  Hergogs  Withelm  im  J.  1831,  (Wolfenbflttel  1891); 
A.  Heinemaan,  Oeich,  des  Volksschulwesena  im  Hersogtum  Braumschweig,  Van 
den  Anfingen  bis  zum  Tode  Herzog  Wilhelms  (Braanschweig  1900). 

i)  Vgl.  anch  das  Scbriftchen  von  A.  Kars,  Elisabeth  ^  Herzogin  van  Braun- 
schweig-Ckdenberg,  geborene  Prinzessin  van  Brandenburg  (Halle  1891,  Schriften  fHr 
das  d.  Volk,  heransgegeb.  Toin  Ver.  für  Ref.-Gescb.,  Nr.  XXXVII). 

2)  Zeitschr.  der  Ges.  für  Nieders.  Kirchengesch.,  Bd.  X  (1905),  S.  331  ff.;  Bd.  XI 
(1906),  S.  89  ff. 


—     305     — 

W.  Bahr  dt  (Hannover  1891)  und  die  Geschickte  der  Kirchenrefarmation 
in  der  Stadt  Oattingen  von  G.  Erdmann  (Göttingen  1888).  Wich- 
tigere spezialgeschichtiiche  Arbeiten,  die  die  Reformation  dieser  beiden 
Städte  betreffen,  sind  das  von  Tschackert  gezeichnete  LAenshild 
des  Juristen  Autor  Sanders  ^) ,  der  in  Braunschweig  und  Hildesheim 
als  energischer  Förderer  des  Evangeliums  auftrat  und  der  erste  evan- 
gelische Syndikus  der  Stadt  Hannover  wurde,  seine  Biographie  des 
in  Göttingen,  Schweinfurt  und  Northeim  als  Reformator  tätigen  Mag. 
Johann  Sutel '),  und  die  ebenfalls  von  Tschackert  veröffentlichten 
Briefe  und  Aktenstücke  MMins  aus  der  Zeit  seiner  Oöttinger  Wirk- 
samkeit  bis  0u  seinem  Weggang  aus  der  Stadt  (1543 — 1550)').  Die 
Einführung  der  Beformatian  in  der  kleinen  Stadt  Utlar,  wo  im  Jahre 
1543  die  erste  Kirchenvisitation  gehalten  wurde,  schildert  uns  ein  Auf- 
satz A.  Tecklenburgs^).  Die  refarmatarischen  Kirchenvisitaiionen 
in  den  weifischen  Landen  (1542 — 1544)  veröffenüichte  K.  Kays  er 
(Göttingen  1898),  dem  wir  auch  eine  lehrreiche  Abhandlung  über 
die  Anfänge  des  deutschen  VoUcsschulwesen^  in  den  aliwelfischen  Her- 
eogtümem  der  Provinz  Hannover  ^)  verdanken. 

Indem  wir  nun  von  hier  aus  zurückblicken,  haben  wir  eines 
Mannes  zu  gedenken,  der  in  mehreren  der  von  uns  durchwanderten 
Gebiete,  wie  in  Norddeutschland  überhaupt,  eine  ebenso  umfassende 
wie  tiefgreifende  Tätigkeit  entfaltet  hat.  Es  ist  dies  Bugenhagen. 
Sein  Lebenswerk  wird  stückweise  erzählt  in  den  Reformationsgeschichten 
der  Territorien,  denen  er  seine  Kräfte  gewidmet  hat,  aber  in  seiner 
ganzen  Bedeutung  tritt  er  uns  nur  in  den  ausfuhrlicheren  Beschreibungen 
seines  Lebens  zutage ,  deren  letzte  —  von  Hermann  Hering*)  — 
infolge  der  Übersichtlichkeit  und   Klarheit   der  Darstellung  und   der 


i)  Ebenda,  Bd.  IX  (1904),  S.  i  ff. 

2)  Brmiuischweig  1897. 

3)  Zeittchr.  für  Niedere.  K.-G.,  Bd.  X  (190$),  S.  1240.  —  Ein  Bild  vom 
kirchlichen  Lehen  OÖttingens  aus  dem  Jahre  1565  (Beschwerdeschrift  des  Prid.  Hart- 
mann Henremann  an  den  Rat  über  den  Bfirger  Steffen  Ramme)  bietet  D.  K.  K  n  o  k  e 
im  Archiv  fttr  Ref.-Gesch.,  Bd.  II  (1905),  S.  362  ff. 

4)  ProtokoUe  über  die  Sitzungen  des  Vereins  für  die  Gesch.  Göttingens,  Bd.  III, 
Heft  4  (1905),  S.  12  ff. 

5)  2^itschr.  des  Hist.  Ver.  ftir  Niedereachsen,  1904,  S.  64  ff. 

6)  Hering,  Doctor  Pameranus,  Johannes  Bugenhagen,  Ein  Lebensbild  aus 
der  Zeit  der  Be/bnnaUon,  (Halle  1888,  in  den  Schriften  des  Ver.  fttr  Ref.-Gesch.,  Nr.  22). 
Hier  ist  aach  die  frühere  Literatur  sorgfältig  verzeichnet.  —  Joh,  Bugenhagens  Brief- 
Wechsel,  herausgegeben  von  O.  Vogt,  enchien  im  gleichen  Jahre  in  Stettin.  Nachträge 
hiersa  von  Enders  in  den  TheoL  Stad.  o.  Kritiken,  Jahrg.  1889. 


—     306     — 

geschickten  Gruppierung  und  Verwertung  des  umfangreichen  Materials 
in  der  Bugenhagenliteratur  eine  hervorragende  Stelle  einnimmt.  Und 
noch  eine  zweite  Persönlichkeit,  die  Bugenhagen  an  Bedeutung  frei- 
lich nicht  erreicht,  darf  in  diesem  Zusammenhange  nichi  übergangen 
werden,  nämlich  Heinrich  Winkel  aus  Halberstadt,  dessen  Entwicklungs- 
gang und  Tätigkeit  uns  Ed.  Jacobs  unter  Ausnutzung  mancher  früher 
unbeachteter  Quellenstücke  in  einem  liebevoll  gezeichneten  Lebens- 
bild vor  Augen  führt  *).  Winkel  wirkte,  wie  wir  daraus  ersehen,  nach- 
einander in  Halberstadt,  Braunschweig,  Göttingen,  Hannover  und  Hildes- 
heim und  gewann  hier  überall  so  großes  Ansehen,  daß  sich  die 
Schilderung  seines  Wirkens  in  jeder  dieser  Städte  für  die  Zeit  seiner 
Anwesenheit  in  ihnen  zu  einer  Art  Reformationsgeschichte  derselben 
gestaltet. 

Anhang. 

Noch  liegen  einige  Bücher  vor  uns,  die  ihrem  Inhalt  nach  nicht 
in  den  Kreis  der  uns  diesmal  gestellten  Aufgabe  hineinfallen,  aber, 
nachdem  sie  uns  einmal  zugesandt  worden  sind,  anhangsweise  doch 
auch  zur  Besprechung  kommen  sollen. 

Als  erstes  die  ReformcUionsgeschicMe  der  Grafschaft  Mark  von 
Ewald  Dresb  ach*),  der  außerordentlich  weitschichtige  und  weit  zerstreute 
Quellenbestände  zu  bewältigen  hatte,  um  seinen  Gegenstand,  wie  er 
beabsichtigte,  in  einem  abschließenden  Werke  so  viel  als  möglich 
erschöpfend  darzustellen.  Es  war  dies  um  so  schwieriger,  als  er  dabei 
an  vielen  Stellen  auf  die  so  verwickelten  politischen  Verhältnisse  des 
Herzogtums  Kleve  eingehen  mußte,  die  zeitweise  einen  der  wichtigsten 
Angelpunkte  der  europäischen  Politik  bildeten.  Auch  war  die  zu 
durchlaufende  Strecke  eine  sehr  ausgedehnte,  denn  der  Abschluß  des 
märkischen  Reformationswerkes  fallt  erst  in  das  Jahr  1672,  in  welchem 
der  am  6.  Mai  zwischen  Pfalz-Neuburg  und  Brandenburg  abgeschlossene 
Religionsvergleich  den  konfessionellen  Kämpfen  die  gesetzlichen 
Schranken  zog.  Das  Eigenartige  der  Reformation  in  der  Mark  beruht 
darin,  daß  sich  hier  „  die  evangelische  Neueinrichtung  nicht  wie  anderswo 
itnter  Anlehnung  an  den  Staat,  sondern  aus  den  Gemeinden  frei 
heraus  und  oft  genug  im  schärfsten  Gegensatz  zu  dem  Staat  entwickelt 
hat**.    Während  der  langen  Regierung  des  Herzogs  Wilhelm  herrschte 


i)  Ed.  Jacobs,  Heinrich  Winkd  umi  die  Eefarmation  im  südlichen  Nieder- 
sachsen,    (HaUe  1896,  Sehr,  des  Ver.  fUr  Ref.-Gesch.,  Nr.  53.) 

2)  Zur  Erinnernng  an  die  300  jähr.  Verbindung  der  Mark  mit  Braodenborg-Preufien. 
(Güterslho  1907). 


—     307     — 

in   dessen  Landen   ein   religiöser  Zwitterzustand,    der  auf  der    einen 
Seite  in  dem  Sinne  gedeutet  wurde,   daß  das  Evangelium   zugelassen 
sei,   während  auf  der  anderen  behauptet  werden  konnte,  „der  recht- 
liche  Zusammenhang    mit   der   römischen    Kirche   sei    in  Kleve    nie 
unterbrochen  worden*'.     Dresbach   charakterisiert  den  schwankenden 
Kurs,  den  der  herzogliche  Hof  während  der  Reformationszeit  einhielt, 
mit  den  Worten:   er  war  erst   „lutherfeindlich  bis  1525,   dann   eras- 
misch  bis  1539,   darauf  annähernd  melanchthonisch  bis  1543,   femer 
kaiserlich  bis  1555,   von  da  an   kassandrisch   bis  1567".     In   diesem 
Jahre   erkrankte   der    Herzog   und    wandte    sich    unter    dem    Drucke 
spanischen    Geldes    wieder    entschieden    dem    Katholizismus    zu,    so 
daß  die  letzte   Periode  von  1567  bis  zum   Aussterben  des  klevischen 
Hauses  im  Jahre  1609  als  „spanisch-jesuitisch"   gekennzeichnet  werden 
kann.     Aber  die  Evangelischen,  denen  die  vielen  Freiheiten  und  Vor- 
rechte der  Ritterschaft  und   der  Städte   eine   mächtige   Handhabe  zu 
ziemlich    freier    Bewegung    darboten,    verfolgten,    unbeirrt    von    den 
Schwankungen  des  Hofes,  ihren  Weg;  überall  entstanden  evangelische 
Gemeinden,    die   sich,    wenn   sie   auch   des  äußeren    rechtlichen   Zu- 
sammenhanges entbehrten,  kräftig  entwickelten,  so  daß  im  Jahre  1609 
die  ganze  Grafschaft  evangelisch  war.    Die  weitere  Ausgestaltung  des 
märkischen   Kirchenwesens   erfolgte  während    des  Erbfolgestreites    in 
stürmischen  Zeiten  unter  vielen  Gefahren,  Nöten  und  inneren  Kämpfen, 
deren  wechselvoller  Verlauf  uns   von   dem   Verfasser  eingehend  ge- 
schildert  wird.  —   Fast  gleichzeitig   mit   dem  Werke   Dresbachs   ließ 
Heinrich  Niemöller  seine  Beformationsgeschichte  van  Lippstadt  er- 
scheinen,  das  zu  den  sogenannten  „Nebenquartieren**   der  Mark   ge- 
hörte   und    unter   dem  Kondominat   der  Grafen    zur   Lippe    und    des 
Herzogs  von  Kleve  stand  ').     Die  Stadt  war  unter   den   westfälischen 
Städten ,    die  das  Evangelium  annahmen ,   die   erste   und  hielt  daran, 
trotz  mancher  Bedrängnisse,  die  sie  deshalb  zu  erleiden  hatte,  wacker 
fest,  bis  ihr  der  Religionsfriede  Ruhe  und  Sicherung  brachte. 

Nördlich  grenzte  an  die  Mark  das  Hochstift  Münster,  auf  dessen 
Bischofsstuhle  in  der  zweiten  Hälfte  des  Reformationszeitalters  Franz 
von  Waldeck  saß.  Im  Gegensatze  zu  den  Reformations versuchen  des 
Erzbischofs  Hermann  von  Köln,  die  durch  die  Werke  von  Drouwen  ») 
und  Varrentrapp')  ins  hellste  Licht  gerückt  wurden,  haben  die  sich 
nach  der  gleichen  Richtung  hin  bewegenden  Bestrebungen  des  Bischofs 

i)  HaUe  1906,  in  den  Schriaen  des  Ver.  für  Ref.-Gesch.,  Nr.  91. 

2)  Die  Beformaiwn  in  der  CölmBchm  KircKenproving  (Neafl  u.  Köln  1S76). 

3)  Hermann  von  Wied  und  sein  BeformationeverBueh  in  Köln.    Leipng  1878. 

23 


—     308     — 

Franz  bis  in  die  neueste  Zeit  herein  bei  den  Historikern  verhältnis- 
mäßig nur  wenig  Beachtung  gefunden.  Erst,  als  die  großen  Akten- 
publikationen von  Lenz  ^)  und  Winckelmann  *)  neue,  bis  dahin  un- 
bekannte Quellen  eröffneten,  wurden  die  Pläne  dieses  Bischofs  einer 
genaueren  Prüfung  unterworfen,  und  zwar  zuerst  von  Janssen-Pastor 
(Bd.  III,  17.  u.  18.  Aufl.),  der  hierzu  auch  Akten  des  Frankfurter 
Archivs  benutzen  konnte.  Ihm  folgt  jetzt  Franz  Fischer*),  der  fiir 
sein  Buch  aus  den  reichen  Schätzen  des  in  Marburg  aufbewahrten 
Archives  des  Landgrafen  Philipp  schöpfen  durfte  und  auf  Grund  des 
dort  vorgefundenen  Materials  und  anderer  bereits  gedruckter,  aber 
noch  nicht  in  dieser  Sache  verwerteter  Schriftstücke  noch  viel  Neues 
zu  bieten  und  manche  alten  Irrtümer  zu  berichtigen  vermochte.  — 
Die  Anfange  des  Bischofs,  eines  jüngeren  Sohnes  des  Grafen  Philipp  II. 
von  Waldeck,  waren  heiter  und  glückverheißend.  Frühzeitig  schon 
kam  er  in  den  Besitz  reicher  Pfründen;  am  2.  Februar  1530  wurde 
er  zum  Bischof  von  Minden  gewählt,  am  i.  Juni  1532  zum  Bischof 
von  Münster  und  wenige  Tage  darauf,  am  ii.  Juni,  zum  Bischof  von 
Osnabrück,  so  daß  er  nun  zu  den  mächtigeren  Fürsten  Niederdeutsch- 
lands zählte.  Aber  er  kam  zu  keinem  friedlichen  Genuß  seines  Be- 
sitzes, sondern  sein  Dasein  gestaltete  sich  unter  dem  Drucke  großer 
geschichtlicher  Ereignisse  —  man  denke  an  das  zionistische  Reich  der 
Wiedertäufer  in  Münster  —  bald  zu  einem  Leben  voll  innerer  und 
äußerer  Kämpfe,  die  ihn  unablässig  in  aufreibender  Spannung  und 
Bewegung  erhielten.  Das  Evangelium  war  ihm  unzweifelhaft  Herzens- 
sache. Es  war  sein  fester  Vorsatz,  ihm  in  seinen  Bistümern  Raum 
zu  schaffen  und  den  ihm  hierbei  begegnenden  Widerstand  seiner 
Landstände  und  Domkapitel  zu  brechen ;  ja  eine  Zeitlang  trug  er  sich 
sogar  mit  dem  Gedanken,  in  den  Ehestand  zu  treten,  seine  Stifte  zu 
säkularisieren  und  zu  Erbfürstentümem  umzuwandeln.  Daß  er  hierin 
nur  mit  Hilfe  des  Schmalkaldischen  Bundes  zum  Ziele  kommen  könne, 
war  ihm  von  Anfang  an  klar,  und  er  machte  in  verschiedenen,  ihm 
hierzu  geeignet  erscheinenden  Zeitpunkten  ernstliche  Anstrengungen, 
in  den  Bund  Aufnahme  zu  finden,  aber  trotz  der  warmen  Fürsprache 

i)  Briefwechsel  Landgraf  Fhüipps  des  Großmütigen  von  Hessen,  m.  Bd., 
Leiptig  1880 — 90. 

2)  Politische  Correspondene  Strcßhurgs  aus  der  Bef-Zeii,  II.  u.  III.  Bd. 
(Straflbarg  1887,  98). 

3)  Die  Beformationsversuche  des  Bischofs  Franz  von  Waldeck  im  Fiirsientum 
Monster.  (Hildesheim  1907,  in  den  Beiträgen  fUr  die  Gesch.  Niedersachsens  a.  West- 
falens, ed.  Georg  Erler,  6.  Heft). 


—     309     — 

des  Landgrafen  jedesmal  vergeblich.  Als  der  unheilvolle  Religions- 
krieg ausbrach,  war  Franz  willens,  sich  offen  den  Schmalkaldern  an- 
zuschließen, aber  die  Stände  des  Stiftes  Münster  nötigten  ihn  zur 
Neutralität  und  überhaupt  zum  dauernden  Verzicht  auf  die  Ausführung 
seiner  so  lange  mit  zäher  Ausdauer  verfolgten  Entwürfe.  So  war  sein 
Zusammenbruch  zum  guten  Teil  eine  Folge  der  kurzsichtigen  Politik 
des  Schmalkaldischen  Bundes,  der  in  der  Sorge,  sich  in  der  Person 
des  Bischofs  ein  unbequemes  Bundesglied  aufzuhalsen,  versäumt  hatte, 
dem  vom  besten  Willen  für  das  Evangelium  Beseelten  zur  rechten 
Zeit  die  schützende  und  fördernde  Hand  zu  reichen.  Andere  Gründe 
für  diesen  betrübenden  Ausgang  lagen  in  der  Persönlichkeit  des  Bischofs, 
dem  die  zur  Überwindung  großer  Schwierigkeiten  erforderlichen  Kräfte 
und  Eigenschaften  nicht  verliehen  waren.  Die  letzten  Jahre  seiner 
Regierung  verlebte  er,  von  seinen  Ständen  fast  aller  weltlichen  Macht 
beraubt,  zurückgezogen  in  seiner  Lieblingsresidenz  Iburg.  Er  wurde 
daraus  aufgescheucht,  als  im  Jahre  1553  Philipp  Magnus  von  Braun- 
schweig, ein  Sohn  des  Herzogs  Heinrich,  mit  einem  Söldnerheere 
gegen  ihn  heranzog.  Auf  der  Suche  nach  einem  neuen  Zufluchtsort 
wandte  sich  Franz  nach  Osnabrück,  aber  die  Stände  erklärten,  ihn 
nicht  einlassen  zu  wollen,  bis  der  durch  den  Kxiegszug  des  Braun- 
schweigers verursachte  Schaden  gedeckt  sei.  Er  überlebte  diese 
Kränkung,  zu  der  sich  noch  andere  gesellten,  nur  kurze  Zeit.  Am 
15.  Juli  des  Jahres  verschied  er  auf  der  Burg  Wolbeck  und  wurde 
im  Dome  zu  Münster  beigesetzt.  —  In  einem  rückschauenden  Kapitel 
kommt  Fischer  auch  auf  die  Vorwürfe  zu  sprechen,  die  man  gegen 
Franz  in  sittlicher  Beziehung  erhoben.  Das,  was  hierüber  feststeht, 
läßt  erkennen,  daß  er  in  diesem  Punkte  allerdings  bedenkUche 
Schwächen  zeigte,  aber  sicher  nicht  tiefer  stand  als  die  meisten  hohen 
Würdenträger  dieser  Zeit.  Im  übrigen  entbehrte  sein  Charakter  keines- 
wegs schöner  und  edler  Züge,  wie  die  von  Corvin  und  anderen,  die 
ihn  näher  kannten,  gefällten  Urteile  zur  Genüge  beweisen. 

Und  nun  geht  es  zum  Schlüsse  noch  nach  dem  uralten,  herr- 
lichen Mainz.  Die  Reformationsgescbichte  dieser  Stadt  ist  in  neuester 
Zeit  durch  mehrere  sehr  wertvolle  Arbeiten  bereichert  worden,  so 
durch  Kalkoffs  Schrift  TT.  Capüo  im  Dienste  Ergbischofs  Albrecht 
von  Mainz  '),  durch  einen  Aufsatz  von  Bauch  Aus  der  Geschichte  des 


i)  In  den  Quellen  und  Forschungen  eu  den  entecheidenden  Jahren  der  BefoT' 
matian  1519 — 1523  =  N.  Boawetscb  a.  R.  Seeber^,  Neae  Stadien  zur  Gesch.  der  Thcol. 
u.  der  Kirche,  Stück  i.     Berlin  1907. 

23* 


—     810     — 

Mainzer  Humanismus  ^),  durch  Kißlings  Abhandlung  über  den  Dom- 
dekan L,  Truchseß  von  Pommersfelden  •)  und  vor  allen  durch  F.  Her- 
manns Buch  Die  evangelische  Bewegung  in  Mainz  im  Beformationszeü- 
aUer  '),  bei  dem  wir  einen  Augenblick  stehen  bleiben  wollen.  Das  vom 
Verfasser  hierzu  benutzte  archivalische  Material  mußte  in  Würzburg,  Mün- 
chen und  Wien  gesammelt  werden,  wobei  sich  zeigte,  daß  es  sich  nur 
lückenhaft  erhalten  hat.  Trotzdem  ist  es  Hermann  gelungen,  die  An- 
fange und  den  Verlauf  der  Mainzer  Reformation  ausfuhrlich  und  klar 
zu  zeichnen,  so  daß  kein  wichtigeres  Glied  in  der  Kette  der  Ereig- 
nisse vermißt  wird.  Voraus  geht  der  eigentlichen  Geschichte  eine 
interessante  Studie  „  Zur  Sittengeschichte  des  Mainzer  Klerus  im  XVI. 
Jahrhundert",  die  ersehen  läßt,  daß  auch  in  Mainz  das  alte  Kirchen- 
wesen durch  und  durch  verdorben  und  faul  war. 

Die  drei  ersten  Kapitel  umfassen  den  Zeitraum  von  15 17  bis  1523, 
während  dessen  der  Erzbischof  von  Mainz,  Kardinal  Albrecht,  der 
Kurie  gegenüber  in  dem  „Lutherhandel**  eine  dieser  verdächtig  er- 
scheinende Zurückhaltung  an  den  Tag  legte,  die  teils  durch  allerlei 
selbstsüchtige  Berechnungen,  teils  durch  die  an  seinem  Hofe  herrschende 
humanistische  Strömung  veranlaßt  wurde.  Vom  Jahre  1520  an  aber 
war  es  hauptsächlich  der  zuerst  kurze  Zeit  als  Domprediger,  dann  als 
erzbischöflicher  Rat  in  Mainz  wirkende  Wolfjgang  Capito,  der  auf  die 
Haltung  des  ihm  wohlgewogenen  Kirchenfiirsten  größeren  Einfluß  übte 
und  dadurch  erreichte,  daß  sein  Herr  gegen  die  Lutheraner  keine  Gre- 
walttat  unternahm,  sondern  sie  im  allgemeinen  ruhig  gewähren  ließ.  Die 
Folge  davon  war,  daß  das  Evangelium  auch  in  Mainz  Boden  fand  und 
sich  dort  wohl  dauernd  festgesetzt  hätte,  wenn  nicht  der  Erzbischof 
nach  dem  mißglückten  Unternehmen  Franz  von  Sickingens,  das  ihm 
empfindliche  Ungelegenheiten  und  Schädigungen  zuzog  und  auch  den 
Austritt  Capitos  aus  dem  mainzischen  Dienste  zur  Folge  hatte,  seine 
bis  dahin  gegen  die  Protestanten  beobachtete  Taktik  geändert  und 
fortan,  wenn  auch  anfanglich  nur  zögernd,  ihnen  feindselig  entgegen- 
getreten wäre,  was  im  vierten  Kapitel  eingehend  dargetan  wird.  Caspar 
Hedio,  der  seit  Ende  1520  an  Capitos  Stelle  die  Domprädikatur  ver- 
sah, mußte  im  Spätherbste  1523  abziehen,  um  sich  nicht  der  Gefahr 
auszusetzen,  daß  er  in  kurzem  verjagt  würde.  Das  Jahr  1525,  dem 
das  fünfte  Kapitel  gewidmet  ist,  brachte  die  endgültige  Entscheidung : 


i)  Beitr,  zur  Oesch.  der  üniv,  Maim  u.  Gießen,  hermusgegeb.  Ton   dem  Hist. 
Ver.  für  das  Groflhenogtam  Hessen  zar  Gieflener  Jubelfeier,  S.  3  ff. 

2)  Im  KaihoUk,  3.  Folge,  Bd.  XXXm  (1906),  S.  i  ff.,  S.  93  ff-,  S.  167  ff. 

3)  Mains  1907. 


—     311     — 

nachdem  die  revolutionäre  Bewegung  der  Bauern,  von  der  die  Evan- 
gelischen in  Mainz  sich  Rettung  versprachen,  niedergeworfen  worden, 
war  es  auch  mit  dem  Luthertum  in  Mainz  zu  Ende,  soweit  es  sich 
um  eine  nach  Begründung  einer  evangelischen  Kirche  ringende  Partei 
handelte.  Immerhin  aber  gab  es  in  Mainz,  wie  in  dem  sechsten 
Kapitel  ausgeführt  wird,  auch  fernerhin  no'ch  Lutheraner  genug,  einige 
sogar  unter  den  Mainzer  Kanonikern  und  unter  den  erzbischöflichen 
Hofbeamten.     Erst  als  in   der  zweiten   Hälfte   des  XVI.  Jahrhunderts 

■ 

die  Bekehrungstätigkeit  der  Jesuiten  einsetzte,  gelang  es  dem  Katho- 
lizismus, das  Luthertum  aus  der  Stadt  allmählich  gänzlich  zu  ver- 
drängen. Dreiundzwanzig  Beilagen,  von  denen  die  ersten  einen  ,,  Status 
urbis  Mog.  circa  annum  domini  1500"  enthält,  sind  dem  Texte  an- 
gefügt. 


Mitteilungen 

ArchiTe»  —  Für  das  Vorarlberger  Landesarchiv  ')  in  Bregenz  ist 
im  Laufe  des  Jahres  1908  eine  vom  Landtag  genehmigte  Ordnung  er- 
lassen worden.  Aus  dieser  seien  hier  diejenigen  Stellen  mitgeteilt,  die  all- 
gemeineres Interesse  beanspruchen  dürfen. 

S  17.  Neben  . . .  erfordert  die  Bestimmung  des  Landesarchivs,  nach 
Möglichkeit  auf  die  stete  Vennehnmg  desselben  durch  Einverleibung  aller 
auf  die  Landesgeschichte  Bezug  habender  Archivalien  bedacht  zu  sein.  Es 
ist  daher  ein  besonderes  Augenmerk  auf  die  allmähliche  Einverleibung 
aller  in  den  Registraturen  der  dem  Lande  untergeordneten 
Behörden  und  Ämter  erliegenden  Archivalien  zu  richten.  Daneben 
soll  die  Überlassung  und  Erwerbung  etwa  frei  werdender  Archivalien  der 
staatlichen  Behörden  z.  B.  der  Justiz-  und  Finanzbehörden  angestrebt  werden. 

Die  Erwerbung  von  staatUcben  Archiven  oder  Archivalien  hat  jederzeit 
im  Einvernehmen  mit  dem  zuständigen  staatlichen  Archive  zu  erfolgen. 

$  18.  Ein  besonderes  Augenmerk  soll  auf  die  Erwerbung  der  am 
meisten  gefährdeten  Gemeindearchive  gerichtet  und  die  Gemeinden, 
Körperschaften  und  Private  aufgemuntert  werden,  ihre  historisch  wertvollen, 
für  die  laufenden  Geschäfte  nicht  mehr  benötigten  Archivalien  dem  Landes- 
archive wenigstens  als  Depositum  unter  Wahrung  des  Eigentumsrechtes 
zu  übergeben,  woselbst  sie  auf  die  im  $  14  bestimmte  Art  und  Weise  zur 
Aufstellung  gelangen  sollen. 

Die  Archivalien  bleiben  Eigentum  der  Übergeber  und  sind  ihnen  im 
Bedarfsfalle  im  Original  auszufolgen. 

Über  alle  von  Gemeinden,  Körperschaften  oder  Privaten  abgelieferten 
Urkunden  und  Aktenstücke   werden  genaue  Regesten   angefertigt.     Je   ein 


i)  Vgl.  darüber  diese  ZciUchrift  5.  Bd.,  S.  112  und  S.  317—318. 


—     312     — 

vollständiges   Exemplar  wird   dem  Übergeber  bzw.   Eigentümer  kostenlos 
zur  Verfügung  gestellt 

Tritt  die  Gefahr  der  Vernichtung  oder  Verschleppung  auf 
die  Geschichte  des  Landes  bezüglicher  Akten  imd  Urkunden  ein,  soll  das 
Landesarchiv  diese  oder  auch  sonst  angebotene  Archivalien  eventuell  kauüs- 
weise  oder  wenigstens  abschriftlich  zu  erwerben  suchen. 

In  geeigneten  Fällen  kann  auch  ein  passender  Austausch  mit  anderen 
Archiven,  Bibliotheken  oder  Instituten  angebahnt  werden. 

S  24.  Mit  Ausnahme  der  Landes-,  Staats-  und  Kirchenbehörden  sind 
alle  Archivbenutzer  als  Privatpersonen  zu  betrachten. 

S  25.  Wer  das  Archiv  in  irgendeiner  Weise  zu  benutzen  wünscht,  hat 
sich  unter  genauer  Angabe  des  Zweckes  an  den  Landesarcbivar  zu  wenden, 
sich  entsprechend  zu  legitimieren  und  den  vorgelegten  Benutzungsbogen 
ordnungsgemäß  auszufüllen.  In  der  Regel  erteilt  der  Landesarchivar  die 
Erlaubnis  zut  Benutzung;  in  besonders  wichtigen  Fällen,  oder  wenn  der 
Landesarchivar  die  Verantwortung  nicht  übernehmen  will,  ist  ein  schrift- 
liches Gesuch  an  das  Landesarchiv  zu  richten,  das  von  diesem  mit  einem 
Gutachten  zur  Entscheidung  an  den  Landesausschuß  geleitet  wird. 

S  26.  Die  zur  Benutzung  ausgehobenen  Archivalien  sind  vor  der  Aus- 
folgUDg  durchzusehen  und  in  das  Benutzungsprotokoll  einzutragen.  Es 
bleibt  dem  Landesarchivar  überlassen,  die  Menge  des  jeweilig  vorzulegenden 
Materials  zu  bestimmen. 

S  27.  Die  Einsicht  in  die  Buchrepertorien,  wie  in  die  Zettel- 
repertorien  findet  in  der  Regel  nicht  statt,  bleibt  aber  dem  Ermessen  des 
Landesarchivars  anheimgestellt. 

$28.  Die  Benutzimg  der  Archivalien  findet  in  den  Arbeitsräumen  des 
Archivs  unter  Aufsicht  statt.  Die  Mitnahme  von  Archivalien  in  die  Privat- 
wohnung der  Benutzer  ist  untersagt. 

Der  Benutzer  darf  vertrauenswürdige  Personen  als  Kopisten  verwenden. 

S  29.  Nach  erfolgter  Benutzung  sind  die  Archivalien  in  bezug  auf 
Vollständigkeit,  Unversehrtheit  und  Ordnung  zu  prüfen  und  nach  richtigem 
Befunde  sogleich  zu  reponieren.  Es  ist  strenge  darauf  zu  achten,  daß  Be- 
schädigungen und  unachtsame  Behandlung  der  Archivalien,  wie  Anbringen 
von  Zeichen  und  Notizen  vermieden  werden. 

S  30.  Eine  Versendung  von  Archivalien  findet  bei  Erfüllung 
folgender  Bedingungen  statt: 

a)  der  Benutzer  muß  die  einzelnen  Archivalien  genau  bezeichnen  können ; 

b)  der  Zustand  der  gewünschten  Archivalien  muß  derartig  sein,  daß  Be- 
schädigungen durch  die  Versendung  nicht  zu  befürchten  sind; 

c)  die  Versendung  erfolgt  nur  an  Archive,  Bibliotheken,  wissenschaftliche 
Anstalten  und  andere  Amtsstellen,  die  für  feuersichere  Aufbewahrung, 
alleinige  Benutzung  des  Antragstellers  (nur  in  den  Diensträumen),  sowie 
pünktliche  Rücksendung  in  der  bestimmten  Frist  im  voraus  einstehen. 
An  Privatpersonen  werden  Urkunden  oder  Akten  nicht  ausgefolgt; 

d)  die  Versendung  geschieht  in  der  Regel  nur  auf  die  Dauer  von  acht 
Wochen.  Auf  einen  speziellen,  einmaligen  Antrag  des  Entleihers  oder 
der  die  Archivalten  autbewahrenden  Behörde  hin  kann  diese  Frist  um 
weitere  sechs  Wochen  verlängert  werden; 


—     313     — 

e)  alle  Sendungen  hin  und  her  haben  unter  Wertdeklaration  zu  gehen, 

wobei  die  entstehenden  Unkosten  (Porto,  Versicherungsgebühr  u.  dgl.) 

dem  Benutzer  zur  Last  fallen. 

S31.  Anfragen  auswärtiger  Persönlichkeiten  hat  das  Landesarchir 
nur  insoweit  zu  beantworten,  daß  der  Fragesteller  im  allgemeinen  über  die 
fUr  seine  Zwecke  vorhandenen  Archivalien  tmterrichtet  wird.  Abschriften 
oder  Auszüge  darf  das  Archiv  an  Private  nur  ohne  Beeinträchtigung  der 
laufenden  Geschäfte  und  archivalischen  Arbeiten  liefern.  Hierfür  wie  für 
Recherchen  rein  privater  Natur  sind  mäßige,  nach  den  paläographischen 
Schwierigkeiten  zu  bemessende  Gebühren  zu  entrichten. 

S  32.  Für  die  Ausstellung  beglaubigter  Abschriften  ist  neben 
den  Gebühren  für  Abschrift  und  Vidimierung  die  gesetzliche  Stempeltaxe 
zu  entrichten. 

§  33.  Behufs  Herstellung  von  Photogrammen,  die  in  den  Archiv- 
räumen nicht  ausgeführt  werden  können,  kann  der  Landesarchivar  gestatten, 
daß  die  betreffenden  Archivalien  unter  Aufsicht  an  einen  geeigneten  Ort 
gebracht  werden.  Doch  muß  die  Rückstellimg  der  Archivalien  noch  an 
demselben  Tage  erfolgen. 

S  34.  Das  Landesarchiv  erwartet  von  seinen  Benutzem,  daß  von 
jeder  mit  Benutzung  seiner  Bestände  veröffentlichten  Druckschrift  ein  Exem- 
plar der  Vorarlberger  Landesbibliothek  gewidmet  werde. 

§  35.  Direkt  an  das  Landesarchiv  gerichtete  Eingaben,  sowie  Zu- 
schriften rein  wissenschaftlichen  Charakters  erledigt  dieses  selb- 
ständig. Glaubt  der  Landesarchivar  die  Verantwortung  nicht  übernehmen 
zu  können  oder  zu  sollen,  so  legt  er  den  betreffenden  Akt  samt  seiner 
gutachtlichen  Äußerung  dem  Landesausschusse  vor. 


In  den  Niederlausitßer  Miiteüungen  10.  Bd.,  S.  115 — 239,  veröffent- 
licht Mittelschullehrer  Fritz  Schmidt  Regesten  der  im  Stadtarchiv  Cott- 
bus ruhenden  Urkunden  1386  ff.  Das  Archiv  der  Stadt  ist  bei  einem 
Brande  167 1  zum  größten  Teile  zerstört  worden;  es  handelt  sich  also  bei 
den  jetzigen  Beständen  nur  um  Überreste,  die  allerdings  durch  spätere 
fleißige  Sammlung  verschiedener  auf  die  Stadt  bezüglicher  Urictmden  be- 
trächtlich ergänzt  worden  sind.  Ein  1772  angelegtes  Urkundenbuch  enthält 
abschriftlich  zahlreiche  Urkunden,  deren  Originale  nicht  mehr  vorliegen,  imd 
dessen  Inhalt  ist  deshalb  gleichzeitig  mit  ausgebeutet  worden.  Unnötige 
Mühe  hat  sich  der  Bearbeiter  bei  der  Auflöstmg  der  Daten  gemacht,  da  er 
sich  selbst  jedesmal  Ostern  „einmal  nach  der  Gaußschen  Formel,  das  andere 
Mal  unter  Berücksichtigung  des  Sonnenzirkels,  der  goldenen  Zahl  und  des 
Ostervollmondes"  berechnet  hat.  Demnach  scheint  Grotefends  jSeU' 
rechnung  des  deutschen  MitteüaUers  und  der  Neuheit,  Erster  Band  (Hannover 
189 1)  immer  noch  nicht  genügend  bekannt  zu  sein!  Recht  erft^ulich  ist 
die  Ausarbeitung  eines  eingehenden  Namen-  imd  Sachregisters,  das  die  Be- 
nutzung und  Ausbeutung  der  ziemlich  ausführlich  gehaltenen  Regesten  sehr 
erleichtert.  Nicht  nur  für  den  engeren  Kreis  der  Stadtgeschichte  sind  die 
Ergebnisse  wertvoll.  So  fehlt  z.  B.  die  Urkunde  des  Meißner  Bischöfe 
Rudolf  vom  8.  Februar  141 3  im  Urkundenbuehe  des  HoehsHfts  Meißen  von 


—     814    — 

Gersdorf  2.  Bd.,  S.  393,  wo  zwischen  Nr.  851  imd  852  ihr  Platz  sein 
würde.  Die  Urkunde  vom  26.  August  1524  belehrt  uns^  daß  auch  in  Cottbus 
in  jener  bewegten  Zeit  eine  Empörung  der  Büi^erschaft  gegen  den  Rat  statt- 
gefunden hat.  Demnach  würden  wir  der  Liste  jener  Städte,  für  die  das 
gleiche  nachgewiesen  ist  *) ,  nunmehr  auch  Cottbus  einreihen  können.  Seit 
1500  wird  wiederholt  ein  „Altar  der  Schützen**  mit  einem  eigenen  Altaristen 
erwähnt;  die  Schützengilde  war  demnach  auch  zugleich  gdsffiche  Brüderschaft. 
Im  Register  fehlt  ein  Hinweis  auf  diese  bemerkenswerte  Tatsache.  Über  die 
Finanzen  des  gemeinen  kastens  geben  zwei  Urkunden  von  1549  u.  a.  Aus- 
kunft; identisch  damit  scheint  der  große  hirehenkaeten  zu  sein;  neben  dem 
es  aber  noch  einen  Meinen  kirchetäBCUien  (1589,  März  30)  gibt  Ein 
Leipziger  Schöppenspruch  von  155 1  setzt  die  Länge  der  Meile  fest  Für 
die  Wertrelation  der  Münzen  ist  die  Urkunde  vom  11.  November  1564 
wichtig.  Der  Vergleich  zwischen  Kurfürst  Johann  Sigismund  und  der  Cott- 
buser Ritterschaft  vom  12.  Juni  161 1  sieht  unter  anderem  auch  vor,  dafi 
eine  fernere  Auskaufung  der  Bauern  nicht  stattfinden  solL  Neben  der  (1579, 
März  23)  genannten  „wendischen**  Kirche  wird  eine  andere  (1628,  Januar 
15  und  öfter)  als  die  „deutsche**  bezeichnet.  Vom  Verfiedl  des  Gewerks 
der  Leineweber  berichtet  die  Urkunde  vom  17.  November  1638.  Durch 
den  Rezeß  vom  30.  Oktober  1685  werden  die  Zunftprivilegien  durch- 
brochen. 

Diese  Einzelheiten  sollen  kurz  darüber  belehren,  daß  auch  die  allgemeine 
Forschung  manches  aus  solchem  örtlichen  Quellenstoflfe  lernen  kann  und 
nicht  achtlos  daran  vorübergehen  darf.  Andrerseits  läßt  sich  aber  auch  bei 
dieser  für  den  Verfasser  gewiß  höchst  mühseligen  Arbeit  die  Beobachtung 
machen,  daß  ohne  Mehraufwand  an  Zeit  sehr  leicht  eine  noch  größere  sach- 
liche Ausbeute  zu  erzielen  gewesen  wäre,  wenn  der  Bearbeiter  die  Bedeutung 
jedes  Quellenbelegs  für  die  Geschichte  der  Zustände  auf  Grund  allgemeiner 
Quellenkenntnis  und  Vertrautheit  mit  den  Aufgaben  der  Forschung  voll  er- 
kannt hätte. 


KoiIlIlllssioiL6Il«  —  Zu  den  älteren  Historischen  Kommissionen 
ist,  wie  schon  oben  S.  26  kurz  berichtet  wurde,  neuerdings  eine  solche  für 
das  Grofsherzogtum  Hessen  getreten,  die  am  11.  Mai  1908  unter  dem 
Vorsitze  des  Staatsministers  Braun  ihre  erste  Versammlung  abgehalten  hat. 
Der  Staat,  der  auch  den  Historischen  Verem  mit  1000  Mark  jährlich  unter- 
stützt, hat  der  Kommission  eine  jährliche  Beisteuer  von  2000  Mark  bewilligt, 
so  daß  die  Arbeiten  sofort  in  Angriff  genommen  werden  können.  Auf  An- 
trag von  Prof.  Behaghel  (Gießen)  wurde  der  Arbeitsplan  festgestellt.  Es 
handelt  sich  zunächst  erstens  um  die  Herausgabe  von  Quellen,  zweitens 
um  die  Bearbeitung  von  Nachschlagewerken  und  Darstellungen  und 
drittens  um  die  Veröffentlichung  historischer  Karten.  EHe  Herausgabe  des 
Codex  traditionum  Laureshamensis  übernehmen  Archivdirektor  Freiherr 
Schenk  zu  Schweinsberg  und  Staatsarchivar  Dieterich  (Darmstadt), 
die  des  Codex  diphmaticus  Mognetinus  Prof.  Haller  (Gießen).    Die  iVoto- 


i)  Zasammengestellt  von  Käser  in  dieser  Zeitschrift  4.  Bd.,  S.  30. 


—     316     — 

koUe  des  MainMer  Damkapitels  bis  in  die  zweite  Hälfte  des  XVU.  Jahr- 
hunderts wird  Lic.  Hermann  (Darmstadt),  die  Statuten  der  Landesuni- 
versität  Gießen  Oberlehrer  Becker  (Darmstadt)  herausgeben.  Oberbiblio- 
thekar Voltz  (Darmstadt)  bearbeitet  eine  Hessische  Bibliographie,.  Für  die 
Herstellung  einer  Hessischen  Biographie  wurde  Bibliotheksdirektor  Haupt 
(Giefien)  als  Leiter  gewonnen.  Für  jede  dieser  geplanten  Veröffentlichungen 
wurde  ein  Ausschuß  gebildet  und  aus  dessen  Mitte  ein  Leiter  bestellt.  Staats- 
archivar Dieterich  ist  sachverständiger  Beirat  der  Geschäftsleitung. 

£ine  Reihe  anderer  Arbeiten  wurden  wenigstens  besprochen,  imd  zwar 
wurden  einzelne  Mitglieder  der  Kommission  beauftragt,  bei  der  nächsten 
Versammlung  Vorberichte  zu  erstatten  über  die  Herausgabe  von  Hessischen 
Weistümem,  der  Briefe  tmd  Akten  Ludewigs  I.  (i  790 — 1830),  eines  Ortsnamen- 
wörterbuchs und  einer  Hassia  saera  sowie  über  die  Bearbeitung  von  Karten. 


Am  14.  Dezember  1907  fand  in  Leipzig  die  zwölfte  Jahresversammlung 
der  Königlich  Sächsischen  Kommission  für  Geschichte')  statt. 
Von  den  Veröffentlichungen  der  Kommission  sind  seit  Erstattung  des  letzten 
Berichts  erschienen:  Wilhelm  Düichs  Federseichnungen  kursächsischer  und 
meiflmischer  Ortschaften  aus  den  Jahren  1626 — 1629,  herausgegeben  von 
Paul  Emil  Richter  imd  Christian  Krollmann  (3  Bände,  Dresden,  C.  C. 
Meinhold  &  Söhne  1907.     Mark  28.00). 

Fast  vollendet  liegt  im  Drucke  der  von  Regierungsrat  Lippe rt  (Dresden) 
bearbeitete  Briefwechsel  der  Eiurflirstin  Maria  Antonia  mit  der  Kaiserin 
Maria  Theresia  vor.  Im  Manuskript  abgeschlossen  ist  die  von  Prof.  Wuttke 
und  Bibliotheksdirektor  Er  misch  (Dresden)  vorbereitete  Ausgabe  der  In- 
struktion eines  Vorwerksverwalters  von  1570,  die  das  erste 
Lehrbuch  der  Landwirtschaft  in  deutscher  Sprache  auf  Grund  heimischer 
Erfahrungen  darstellt.  Die  übrigen  Arbeiten  sind  sämtlich  rüstig  fortgeschritten. 
Neu  wurden  unter  die  geplanten  Veröffentlichungen  aufgenommen :  die  Heraus- 
gabe des  ftir  die  historische  Landeskunde,  für  Verfassungs-,  Rechts-,  und 
Wirtschafbgeschichte  sowie  die  Adelsgeschichte  überaus  wichtigen  Registers 
der  Markgrafen  von  Meißen  vom  Jahre  1378,  dessen  Bearbeitung  Archivrat 
Beschorner  (Dresden)  übernommen  hat,  femer  die  Prof.  G.  Müller 
(Leipzig)  übertragene  Bearbeitung  der  Visitationsakten  aus  der  Reformations- 
zeit Auch  wurde  der  Plan  einer  Sammltmg  der  sächsischen  Dorford- 
nungen ins  Auge  gefaßt,  sowie  die  Herausgabe  von  Neujahrsblättern 
mit  kurzen,  für  weitere  Kreise  bestimmten  Darstellungen  aus  der  sächsischen 
Geschichte.  Von  der  Frege-Weltzin-Stifbmg  und  der  durch  sie  ermöglichten 
Ausschreibung  einer  Preisarbeit  war  schon  oben  S.  247 — 248  die  Rede. 

Die  Reproduktion  der  sächsischen  Flur  karten  ist  vollendet,  von  der 
Grundkarte  fehlt  nur  noch  die  Sektion  Finsterwalde-Großenhain,  die  von 
der  Historischen  Kommission  für  Sachsen-Anhalt  bearbeitet  wird.  Die  Samm- 
lung der  Flurnamen  hat  erfreuliche  Fortschritte  gemacht,  ebenso  die  Arbeit 
am  historischen  Ortsverzeichnis  imd  an  der  Bibliographie  der 
sächsischen   Geschichte. 


i)  Vgl  oben  S.  22—33. 


—     316     — 

EHe  Kommission  zur  Herausgabe  lothringischer  Geschichts- 
quell en^)  tagte  am  12.  Oktober  1907  in  Metz  unter  dem  Vorsitze  des 
Bezirkspräsidenten  Grafen  von  Zeppelin-Aschhausen.  Dem  von  Archiv- 
direktor Wolfram  erstatteten  Bericht  über  den  Fortgang  der  Arbeiten  ist 
folgendes  zu  entnehmen.  Als  Band  4  der  Qudkn  Mur  Mkringiachen  Ge- 
schickte  ist  die  Chronik  des  Jacques  d'Esch  (Jaique  Dex)  über  die  Kaiser 
und  Könige  aus  dem  Luxemburgischen  Hause,  herausgegeben  von  Wolf- 
ram (Metz,  G.  Scriba  1906)  erschienen,  und  vier  andere  Chroniken 
werden  für  die  Herausgabe  vorbereitet.  Die  von  Prof.  Wichmann  be- 
sorgte Bearbeitung  der  Metzer  Schreinsrollen  liegt  druckfertig  vor,  imd 
zwar  aufier  dem  Textre  sechs  Register,  die  den  Inhalt  erschließen.  Eanleitung 
und  Kartenwerk  werden  während  des  Druckes  fertiggestellt  Als  Probe  der 
beizugebenden  Karten  lag  eine  Karte  vor,  die  auf  Grund  der  Rollen  graphisch 
den  Besitzstand  der  Metzer  Bürgerschaft  in  Metz  und  weiterer  Umgebung 
(in  roter  Farbe)  imd  die  Herkunft  der  Metzer  Bürger  (durch  Bezeichnung 
der  betr.  Geburtsorte  mit  schwarzer  Farbe)  darstellt.  Femer  soll  eine  Karte 
von  Metz  und  Umgebung  unter  Zugrundelegung  des  heutigen  Bebauungs- 
zustandes mit  Eintragtmgen  der  alten  Orts-  und  Straßenbezeichnungen  der 
Rollen  versehen  werden.  Referent  schlägt  vor,  die  Rollen  nicht  als  Schreins-, 
sondern  richtiger  tmd  treffender  als  Bannrollen  zu  bezeichnen,  da  sie 
von  den  Kölner  Schreinsrollen  inhaltlich  wesentlich  abweichen. 

£ine  Ergänzung  zu  dieser  eigenartigen  Veröffentlichung  bildet  die  der 
Metzer  Amansur  künden  des  XIII.  Jahrhunderts.  Bibliothekar  Bonnardot 
(Verdun)  hat  vor  30  Jahren  schon  deren  Sammlung  begonnen,  und  Proben 
davon  wurden  vorgelegt.  Damach  bat  Bonnardot  bisher  in  erster  Linie  als 
Linguist  gesanmielt  imd  zwar  nur  die  altfranzösischen  Urkunden,  wird  aber 
nunmehr  das  Werk  nach  der  historischen  Seite  durch  Hinzufügung  der  bis- 
her übergangenen  lateinischen  Urkunden  vervollständigen. 

Der  Druck  des  WMerbuchs  der  deHi8ch''lothHngi8chen  Mvndmrten,  be- 
arbeitet von  Prof.  FoUmann  (Metz),  kann  beginnen.  Als  Ergänzung  dazu 
wurde  beschlossen,  auch  ein  Wörterbuch  des  Patois  messin  durch  Prof. 
Z^liqzon  (Metz)  bearbeiten  zu  lassen.  Der  3.  Band  der  Vaükamsi^ien 
Urkunden  und  Regesten  eur  Geschichte  Lothringens,  gesammelt  von  Sauer- 
land, kann  voraussichtlich,  da  bis  jetzt  600  Nummem  vorlagen,  und  der 
Gelehrte  etwa  200  weitere  Urkunden  bis  Juni  1908  in  Aussicht  stellte,  im 
nächsten  Jahre  veröffentlicht  werden.     Dieser  Band  würde  bis  14 10  reichen. 

Auch  mehrere  neue  Veröffentlichungen  wurden  beschlossen,  so  vor 
allem  die  der  Cahiers  de  doUances,  d.  h.  der  Beschwerdeschriften,  welche 
1789  von  jeder  einzelnen  Ortschaft,  jedem  Baillage  tmd  jedem  Stande 
an  die  Nationalversammlung  eingereicht  wurden.  Die  Bearbeitung  dieser 
Cahiers  von  Lothringen  nach  dem  Muster  der  gleichen  französischen  Publi- 
kation ist  von  Abb^  Lesprand  und  Abb^  Dorveaux  im  Manuskript 
bis  zur  Vollendung  des  3.  Bandes  gefördert  worden.  Da  vom  Bezirkstag 
von  Lothringen  eine  Subvention  in  dankenswerter  Weise  zur  Verftigung  ge- 
stellt wurde,  ist  der  Dmck  bereits  in  Angriff  genommen.  Femer  bereitet 
Prof.    Grimme   (Metz)   die   Herausgabe   der  Protokolle    des  MeUser   Dom- 


i)  Vgl.  darüber  7.  Bd.,  S,  225 — 226. 


—     317     — 

kapitels  vor,  während  fUr  die  von  Paulus  begonnenen  Begesten  der  Metzer 
Bischöfe  bald  ein  geeigneter  Fortsetzer  gefunden  sein  wird. 

An   Stelle   des   ausgeschiedenen  Abb^  Paulus    wurde  Professor    Bour 
(Metz)  zum  Mitglied  der  Kommission  gewählt. 


In  Wien  tagte  am  31.  Oktober  1907  unter  dem  Vorsitze  Sr.  Durch- 
laucht des  Prinzen  Franz  von  und  zu  Liechtenstein  die  Kommission  für 
neuere  Geschichte  Österreichs').  An  Stelle  des  durch  den  Tod 
ausgeschiedenen  Mitgliedes  der  Kommission  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst 
wurde  Archivdirektor  Heinrich  Kretschma]yr  in  die  Kommission  berufen. 
Im  Druck  erschienen  ist  das  von  Thomas  Fellner  hinterlassene  Werk  Die 
österreichische  ZenträlverwaUung,  I.  Abteilung:  fnm  Maximilian  L  bis  ssur 
Vereinigung  der  österreichischen  und  höhmischen  Hofkanzlei  (1749),  das 
Kretschmayr  bearbeitet  und  vollendet  hat;  einen  Band  fUUt  die  Dar- 
stellung und  zwei  die  Akten  (Wien,  Holzhausen  1907).  Für  die  Abteilung 
Staatsverträge  arbeitet  Pribram  am  zweiten  Bande  der  österreichisch- 
englischen (seit  1749),  Ritter  v.  Srbik  an  den  österreichisch-niederländischen, 
Roderich  Gooß  an  den  österreichisch-siebenbürgischen  Konventionen,  Sek- 
tionsrat Schlitter  an  den  österreichisch-französischen  Verträgen;  leider 
mußte  letzterer  anderer  Arbeiten  wegen  vorläufig  seme  Tätigkeit  einschränken. 
Der  von  Ludwig  Bittner  hergestellte  zweite  Band  des  Chronologischen  Ver^ 
zeichnisses  der  österreichischen  Staatsverträge  (bis  1847)  ^^^  druckfertig 
vor.  Für  die  Herausgabe  der  Briefe  Ferdinands  I.  ist  Privatdozent  Wilhelm 
Bauer  tätig  und  hat  das  Material  für  einen  ersten  bis  1526  reichenden 
Band  gesammelt,  während  Karl  GoU  die  Abschrift  der  Briefe  Marias  an 
Ferdinand  besorgt.  Viktor  Bibl  bearbeitet  die  Korrespondenz  Maximilians  U. 
und  hat  zu  diesem  Zwecke  die  Archive  zu  Florenz,  Modena,  Turin,  Genua 
und  Mantua  durchforscht.  —  Ein  zweites  Heft  der  ÄrchivaUen  zur  neueren 
Geschichte  Österreichs  ist  in  Vorbereitung;  für  die  beiden  nächsten  Hefte 
(2.  und  3.)  ist  die  Veröffentlichung  weiterer  Berichte  über  böhmische  und 
mährische  Privatarchive  in  Aussicht  genommen;  hiermit  dürfte  der  erste  Band 
abgeschlossen  und  dann  zu  der  Publikation  der  nieder-  und  oberöstereichischen 
Archivberichte  geschritten  werden. 


Der  dritte  Jahresbericht  der  Gesellschaft  für  fränkische  Ge- 
schichte'), das  Jahr  1907  umfiässend,  erzählt  von  deren  weiterer  günstigen 
Entwicklung:  Die  Zahl  der  Stifter  ist  von  18  auf  19,  die  der  Patrone  von 
96  auf  103  gestiegen.  Den  Einnahmen  von  19800  Mark  stand  eine  Aus- 
gabe von  12640  Mark  gegenüber;  das  Stammvermögen  beziffert  sich  auf 
23  500  Mark. 

Als  erste  Veröffentlichung  (Leipzig,  Quelle  &  Meyer  1907)  ist  Die  Chronik 
des  Bamberger  Immunitätenstreites  1430 — 1435  mit  einem  ürkundenanhang, 
nach  einem  Manuskript  von  Th.  Knochenhauer  neu  bearbeitet  und  heraus- 


i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  8.  Bd.,  S.  324. 

2)  Vgl.  diese  Zeitschrift  8.  Bd.,  S.  324—325. 


—     318     — 

gegeben  von  Anton  Chroust,  erschienen.  Als  drittes  Neujahrsblatt  (für 
1908)  erschien  Die  Nürnberger  Malerakademie  und  Zeichenschde,  im  Zu- 
sammenhang mit  dem  KuneÜeben  der  Beichastadt  von  der  Mitte  des 
XVII.  Jahrhunderts  bis  1821  nach  literarischen  und  archivalischen  Quälen 
dargestellt  von  Kreisarchivar  Georg  Schrotte r.  Rüstig  gearbeitet  wird  an 
der  Bibliographie  der  fränkischen  Geschichte  durch  mehrere  Mitarbeiter  unter 
Leitung  von  Prof.  Henner,  während  die  durch  den  Weggang  Festers  ver- 
waiste Bearbeitung  der  Akten  des  fränkischen  Kreises  von  Fritz  Härtung 
for^esetzt  wird;  der  erste  Band  wird  die  Zeit  1521 — 1559  umfassen.  Die 
Matrikehi  der  Universitäten  Altdorf  imd  Würzburg,  namentlich  die  der  ersteren, 
sind  in  ihrer  Bearbeitung  schon  weit  fortgeschritten.  Die  Verzeichmmg  der 
in  den  Archiven  zu  findenden  Weistümer  und  Dorfordnungen  nimmt  ihren 
Fortgang,  aber,  um  auch  bald  zu  einer  Herausgabe  zu  gelangen,  ist  die  An- 
stellung eines  besonderen  Arbeiters  unter  Leitung  von  Prof.  von  Eheberg 
und  Prof.  Steinmeyer  beschlossen  worden.  Die  Ausgabe  des  Urkunden^ 
buche  des  Benediktinerklosters  8t.  Stephan  in  Würjsburg  bereitet  Franz  Josef 
Bendel  vor;  zwei  Bände  werden  dafür  nötig  sein,  von  denen  der  erste 
(bis  1300)  Urkundentexte,  der  zweite  (bis  1500)  vornehmlich  Regesten  ent- 
halten wird.  Die  Inventarisienmg  der  evangelischen  Pfarrarchive  durch  Prof. 
Kolde  und  Pfarrer  Schornbaum  (Alfeld  bei  Hersbruck)  ist  soweit  ge- 
fördert worden,  daß  die  Dekanate  Roth,  Hersbruck,  Schwabach  und  Rothen- 
burg nahezu  erledigt  sind.  Auch  den  Gemeindearchiven  wird  bei  der  Be- 
reisung der  einzelnen  Orte  jetzt  Beachtung  geschenkt  Erfreulicherweise  ist 
jetzt  auch  in  den  Archiven  der  katholischen  Pfarreien  die  Repertorisierung 
durch  Pfarrer  Dr.  Amrhein  (Efifeld  bei  Giebelstadt  in  Unterfranken)  m  An- 
griff genonmien  worden,  und  zwar  wurde  in  den  Dekanaten  Ochsenfurt, 
Röttingen  und  Bütthard  begonnen.  Voraussichtlich  werden  vom  nächsten 
Jahre  an  die  Ergebnisse  der  Repertorisierungsarbeiten  im  Anschluß  an  die 
Jahresberichte  veröffentlicht. 


Die  Gesellschaft  für  rheimsche  Geschichtskunde  ^)  hielt  ihre 
27.  Jahresversammlung  am  7.  März  1908  in  Köln  ab.  Aus  dem  bei  dieser 
Gelegenheit  erstatteten  Berichte  ist  das  folgende  zu  entnehmen.  Im  letzten 
Jahre  wurden  veröffentlicht:  Landtagsakten  von  JOtich-Berg,  herausgegeben 
von  Georg  von  Below.  Zweiter  Band:  1563 — 1589  (Düsseldorf  1907); 
Urkunden  und  Begesten  Mur  Geschichte  der  Bheinlande  €MS  dem  Vatikanischen 
Archiv,  gesanmielt  und  bearbeitet  von  H.  V.  Sau  er  1  and.  Vierter  Band: 
^353  — 1362  (Bonn  1907);  Die  Kölner  Zunfturkunden  nebst  anderen 
Kölner  Gewerbeurkunden  bis  Bum  Jahre  1500,  bearbeitet  von  Heinrich 
von  Lösch.  Zwei  Bände  (Bonn  1907).  Die  begonnenen  Arbeiten  sind 
sämtlich  fortgeschritten.  An  Loerschs  Stelle  hat  die  Leitung  der  Weistümer- 
herausgabe  Prof.  Stutz  (Bonn)  übernommen,  und  Referendar  Edwin  Mayer 
(Bonn)  hat  mit  der  Bearbeitung  der  Kurkölnischen  Weistümer  begonnen. 
Am  dritten  Bande  der  Begesten  der  Kölner  Ergbischöfe  (1204 — 1304)  wird 
gegenwärtig  gedruckt.      Vom   Geschichtlichen  Atlas   der  Bheinprovine   hat 


i)  Vgl.  diese  Zeitschrift  8.  Bd.,  S.  325—326. 


—     319     — 

Fabricius  eme  Karte  der  kirchlichen  Einteilung  um  1300  hergestellt,  und 
zwar  im  Maßstabe  i  :  500000;  dieser  genügt,  da  die  Pfarrgrenzen  wegbleiben 
und  nur  die  Namen  der  Pfarr-  tmd  Kapellenorte  ebgetragen  werden.  Der 
Teil  des  dazugehörigen  Textes,  der  der  Kölnischen  Kirehenprovinz  gewidmet 
ist,  befindet  sich  im  Druck.  Quellen  zur  städtischen  Rechts-  und  Wirt- 
schaftsgeschichte werden  für  Neufi,  Deutz,  Trier,  Boppard  und  Oberwesel 
bearbeitet.  Neu  beschlossen  wurde  die  Herausgabe  der  Statuten  des  Kölner 
DomkapUela  vom  XIU.  bis  XVIII.  Jahrhundert,  die  Gerhard  K allen  unter 
Leitung  von  Prof.  Stutz  besorgt.  Gemeinsam  mit  der  Kgl.  Akademie  der 
Wissenschaften  in  Berlin  gibt  die  Gesellschaft  ein  Wörterbuch  der  rheinischen 
Mundarten  heraus;  Prof.  Franck  (Bonn)  leitet  die  Arbeit,  und  der  rheinische 
Provinzialverband  gibt  eine  besondere  finanzielle  Unterstützung  dazu.  —  EHe 
Inventarisation  der  kleinen  Archive  ist  in  den  Kreisen  Montjoie,  Eupen  tmd 
Malmedy  ziemlich  zu  Ende  geführt  worden.  Die  Inventarisienmg  des  Neu- 
wieder Archivs  ist  vollendet,  und  der  Druck  des  Inventars  mit  ausführ- 
lichem Namenregister  hat  begonnen. 

Stifter  zählt  die  Gesellschaft  gegenwärtig  9,  von  denen  3  verstorben 
sind,  Patrone  136,  Mitglieder  201.  Die  Gesamteinnahme  des  Jahres  1907 
betrug  33828  Mark,  die  Gesamtausgabe  28000  Mark;  das  Vermögen  be- 
ziffert sich  einschliefilich  der  Mevissen-Stiftung  (46  866  Mark)  auf  1 20 1 93  Mark. 


Zeitschriften.  —  Das  bereits  im  8.  Bande,  S.  143—144,  als  in 
Vorbereitung  begriffen  erwähnte  General-Register  zu  den  ersten  27  Bänden 
(1880 — 1906)  der  Studien  und  Mifteüungen  aus  dem  Benediktiner'  und 
Zisterßsienserorden  ist  nunmehr  erschienen,  und  da  diese  Veröffentlichung 
nicht  im  Buchhandel  zu  haben  ist,  sondern  nur  direkt  von  der  Administration 
der  Studien  usw.  in  Stift  Raigem  bei  Brunn  zu  beziehen  ist,  so  sei  noch- 
mals darauf  aufmerksam  gemacht.  Der  Band  (210  Seiten)  zerflLllt  in  zwei 
Teile:  ein  Autoren-  und  ein  Sachregister.  Das  erstere  verzeichnet  jedoch 
nicht  nur  die  Verfasser  der  Aufsätze,  sondern  auch  die  der  angezeigten 
Bücher,  während  in  dem  letzteren  nicht  nur  die  Namen  der  behandelten 
Klöster,  Personen  und  Gegenstände  zu  finden  sind,  sondern  auch  der  Inhalt 
der  rezensierten  Bücher  an  den  betreffenden  Stellen  Erwähnung  gefunden  hat. 
So  erhält  dieses  Register  einen  Wert  als  bibliographisches  Nachschlagebuch 
auch  für  denjenigen,  der  die  Reihe  der  Studien  nicht  besitzt  und  sollte  in 
keiner  wissenschaftlichen  Bibliothek  fehlen. 


Eingeganiceiie  Bfleher. 

Bierbach,  Arthur:  Die  Geschichte  der  Halleschen  Zeitung,  Landeszeitung 
für  die  Provinz  Sachsen,  für  Anhalt  und  Thüringen.  Eine  Denkschrift 
aus  Anlaß  des  200jährigen  Bestehens  der  Zeitung  am  25.  Juni  1908. 
Halle  a.  S.,  Otto  Thiele  1908.     168  S.  8«. 

Braun,  LUy:  Im  Schatten  der  Titanen,  ein  Erinnerungsbuch  an  Baronin 
Jenny  von  Gustedt.  Braunschweig,  George  Westermann  [1908].  412  S. 
8».     Geb.  M.  6,50. 


—     820     — 

Fehr,  Hans:  Der  Zweikampf.  Antrittsrede.  Berlin,  Karl  Curtius  1908. 
64  S.  8*.     M.  2,00. 

Fournier,  August:  Historische  Studien  und  Skizzen.  Zweite  Reihe.  Wien, 
Wilhehn  Braumüller  1908.     361  S.  8^     M.  6,00. 

Führer  durch  die  Staats-Sanmilung  vaterländischer  Altertümer  in  Stuttgart, 
herausgegeben  von  der  Direktion.  Mit  einem  Grundriß  und  48  Tafeln 
in  Ton-  und  Strichätzung.  Efilingen,  Paul  Neff  (Max  Schreiber)  1908. 
136  S.   i6^     M.   1,20. 

Hashagen,  Justus:  Der  Menschenfreund  des  Freiherm  Friedrich  von  der 
Trenck,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Aufklärung  in  Aachen  [=  Zeit- 
schrift   des    Aachener    Geschichtsvereins,     29.    Band    (Aachen    1907), 

S.  49—67]- 

Hennig,  Bruno:  Die  Kirchenpolitik  der  älteren  Hohenzollem  in  der  Mark 
Brandenburg  und  die  päpstlichen  Privilegien  des  Jahres  1447  [=  Ver- 
öffentlichungen des  Vereins  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg]. 
Leipzig,  Duncker  &  Humblot  1906.     258  S.  8^     M.  7,00. 

Kiekebusch,  Albert:  Der  Einfluß  der  römischen  Kultur  auf  cÜe  germanische 
im  Spiegel  der  Hügelgräber  des  Niederrheins.  Nebst  einem  Anhang: 
Die  absolute  Chronologie  der  Augenfibel.  Stuttgart,  Strecker  &  Schröder 
1908.     92  S.  8^     M.  3,60. 

Kluge,  Friedrich:  Bunte  Blätter.  Kulturgeschichtliche  Vorträge  und  Auf- 
sätze.    Freiburg  i.  B.,  J.  Bielefeld  1908.     213  S.  8*.     M.  6,00. 

Liermann,  Otto:  Das  Lyceum  Carolinum,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  des 
Bildungswesens  im  Großherzogtum  Frankfurt  [=  Beilage  zum  Programm 
des  Wöhler-Realgymnasiums  in  Frankfurt  a.  M.  Ostern  1908].     70  S.  8^ 

Loewe,  Victor:  Bibliographie  der  Hannoverschen  und  Braunschweigischen 
Geschichte.     Posen,  Joseph  Jolowicz  1908.     450  S.  8^.     M.   15,00. 

Meyer,  Christian:  Altreicbsstädtisclie  Kulturstudien.  München,  Max  Steine- 
bach 1906.     257  S.  8®. 

Mitteilungen  über  römische  Funde  in  Heddemheim  IV,  herausgegeben 
von  dem  Vereine  für  Geschichte  und  Altertumskunde  zu  Frankfurt  a.  M. 
Frankfurt  a.  M.,  K.  Th.  Völcker  1907.     170  S.  4^^  mit  25  Tafeln. 

Müller,  Anton:  Das  neue  Kreisarchiv  der  Pfalz  in  Speier  [=  Sonder- 
abdruck aus  der  Ärchivalischen  Zeitschrift  N.  F.  12.  Bd.  (1905)]. 
20  S.  8^. 


Berichtigungen. 

Nachträglich  seien  folgende  Dnickfehler  berichtigt: 

S.  226  Z.   15  V.  o.  lies  koraztns  statt  korasinus, 

S.  226  Z.   16  V.  u.  lies  macles  statt  meches. 

S.  228  Z.  7  V.  u.  lies  ^crevüses  statt  ecreoüses. 

S.  229  Z.  9  V.  o.  lies  ,, Schutz  fUr  den  Oberschenkel^^  statt  ,, Beinschatz ^^ 

S.  273  Z.  26  T.  o.  lies  „Adelsverhältnisse'^  statt  „Alteraverhältnisse*'. 


Herautfeber  \ind  yerantwordicher  Redakteur:  Dr.  Armin  Tille  in  Dresden. 
Verlag  und  Druck   von  Friedrich  Andreas  PerthM,  Akdensesellschaft,  Gotha. 


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Stanford,  California 


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