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Full text of "Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation"

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Benugung der Bibliothek. 


89 der Gefeße. 


Mit Ausnahme der Fefttage und fünfwöchentlicher, Mitte Suli Begins | 3 


nenter Sommerferien, ift die Bibliothefan jedem Mittwoch und Sonnabend, 
Nachmittags von 3 bis 5 Uhr geöffnet. Jedes Mitglied kann um diefe 


Zeit nicht nur diefelbe benußen, fondern auch gegen einen, von ihm unters 


zeichneten Schein daraus Bücher unter den nachfolgenden Bedingungen leihen: 
1. Seltene oder ſchwer zu erfegende Bücher, fo wie alle Kupferwerke 
können ohne befondere fchriftliche Erlaubniß des der Biblivthef fveciell 


vorftehenden Mitgliedes der Direction nur auf der Bibliothek ſelbſt benußt 


werden. 


2. Niemand darf ohne befondere Erlaubniß zur Zeit mehr als — 


drei Bücher von der Bibliothek im Haufe haben. 


3. Niemand darf ein geliehenes Buch länger ala einen Monat SER 


behalten, wenn er fih nicht von dem Director, welcher die Aufficht über 
die Bibliothek hat, die Erlaubniß zum längern Behalten ausdrücklich 
erwirft oder die Sommerferien eine Ausnahme machen. 

4. Niemand kann vor Ablauf von acht Tagen, von der Zeit der 
Ablieferung an gerechnet, das von ihm zurückgegebene Buch wieder erhalten. 

5. Behält Jemand ein Buch länger als vie erlaubte Zeit, ſo wird 
er wöchentlich durch einen Boten, dem er für jeden Meg 6 Grote bezahlen 
muß, Eis die Zurüclieferung erfolgt, an die Rückgabe erinnert. 

6. Mird ein Buch nach erfolgter dreimaliger Aufforderung nicht 
zurücfgeliefert, fo wird es als verloren angefehen, und der Ausfteller des 
Empfangss oder Bürgichaftsicheins hat den Werth deffelben, oder wenn 


es ein Theil eines größeren Werks ift, ‚den Merth des ganzen Merfs 


zu erfegen. 
7. Diefelbe Berpflichtung trifft denjenigen, welcher Bücher unvoll— 
ftandig gemacht oder befchädigt hat. — 


8. Wird von Seiten der Direction eine öffentliche Aufforderung ° 


zur Zurüclieferung der Bücher erlaffen, fo müſſen dieſelben auch vor 
Ablauf der sub 3 erwähnten Friſt zu der feitzufeßenden Zeit an bie 
Biblivthef ohne Verzögern zurückgeſtellt werden. 

9. Wünſcht ein Eingeführter oder auf Monatskarte die Geſellſchafts— 
lokale Beſuchender die Bibliothek zu benutzen, ſo hat das einführende 


Mitglied denſelben dazu ſchriftlich zu legitimiren. Der dieſerhalb aus— 


geſtellte, dem Aufſeher der Bibliothek einzühändigende Schein muß zugleich 
eine ſelbſtſchuldneriſche Bürgichaft darüber enthalten, daß der Ausſteller 
für die rechtzeitige Zurücklieferung aller dem Gingeführten anzuvertrauenden 
Bücher in unverfehrtem Zuftande einftehe. 


——— 











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THE UnIversITY OF TORONTO 


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Ontario Couneil of University Librar 





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Deutſche Geſchichte 


im Zeitalter der Reformation. 


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Berlin, 1843, 
Bei Dunder und Humblot. 








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Neuntes Buch. Zeiten des Snterims. 


Erfies Capitel. Neichstag zu Augsburg 1547, 48. 
Angelegenheit des Conciliums : ; 
Entzweiung zwifchen Kaiſer und Papſt 10. 
Weltliche Einrichtungen im Reiche . } . 
Abſicht den ſchwaͤbiſchen Yund zu erneuern 16. 
Landfriede, Kammergericht) Neichsanfchläge 20. 
Burgundifcher Ve Ä ‚24. Neichskriegscaffe 
29. Belehnungen 32. a ee 34. 
Das Snterim . 
Zweites Capitel. am des 
Deutfchland t 
Veranderung der Stadträt 
gung von Coftnik 63. Leipz 
Drittes Capitel. Stellung und ——— Carls V 
1549 — 1551 . s — 
Verhandlungen mit Ko SR: 
Neichstag zu Augsburg 1550 17. 
Qucceffionsentwurf . ß 
Die Proteftanten in Trient . . 

Sächfifche und wirtenbergifche Gonfeffion 130. 
Viertes Capitel. Elemente des BAR ERER BER in 
den großen Maͤchten at a 
Seekrieg im Mittelmeer 19. 
Erneuerung des Kriegs in Ungarn . 


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56 


90 
113 


119 
128 


142 
143 
152 


IV Inhal— 


Fortgang der Reformation in England 
Heinrich II und die Farneſen 


Fünftes Capitel. Elemente des Widerftandes in 
Deutſchland 
Belagerung von Masdeburg 179. Kirgliche 
Gewaltfamfeiten in Augsburg 188. DBeleidi: 
gung der Neichsfürften 190. Gefangenfchaft 
des Landgrafen Philipp 194. Deutſch ⸗oͤſtrei⸗ 
chifches und brandenburgifchzpreußifches Sn: 
tereffe 202. Zufammmenfunft zwifchen Churf. 
Moriß und Markgraf Hans 207. 
Schstes Capitel. Kriegszug des Churfürften 
Moriß wider Carl V 1552 
Erfte Entwürfe 210. Moritz 221. Unter: 
handlung mie Frankreich 224. Kriegszug gegen 
Carl V 231. Auflöfung des Conciliums 246. 


Zehntes Buch. Epoche des Religionsfriedens. 


Erſtes Capitel. Verhandlungen zu Linz und zu 
Dallas. 






Jaffau 277. Entlaffung Sohann 
Rückkehr des Landgrafen Phi: 


Zweites Sapitel. 
1552, 1553 
— von Mes 287. Feldzug in Un: 

garn 291. Italien 294. 


Drittes Capitel. Der Krieg zwifhen Markgraf 
Aldrecht und Ba Moris im Jahr 
ı ie 
Carl V in Berbindung mit Albrecht 303. Er: 
neuerung des Qucceffionsentwurfs 306. Hei— 
delberger Bund 310. Berbindung zwiſchen 
doritz, Heinrich von Braunfchweig und Kö: 


Sranzöfifhzosmanifcher ie 


Seite 
158 
171 


177 


210 


253 


285 


299 


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Seite 
nig Ferdinand gegen Albrecht 311. Stellung 
und Natur Albrechts 315. Moritz in neuen 
Bunde mit Frankreich 321. Schlacht bei Sie 
vershaufen 325. 


Viertes Capitel. Allmählige + der 
deutfchen Territorien. . 330 

Eintrite Churfürft Augufts von Sadıfen 330. 
Friede zwifchen Auguft und Albrecht 333. Ev; 
neuerung der Erbverbrüderung zwiſchen Bran— 
denburg, Sachfen und Heffen 333. Zutritt Fer: 
dinands zum Heidelberger Bund 334. Heinrich 
von Draunfchweig gegen Albrecht 335. Aus: 
gang Markgraf Albrechts 344. Beilegung ter: 
titorialee Streitigkeiten in Deutfchland 347. 


Fünftes Capitel. Reichstag zu Augsburg 1555 . 352 


Derathungen über den Neligionsfrieden . . . 356 
Geiftlicher Vorbehalt 370. 
Berathungen über Friede und Recht . . 373 


Erecutionsordnung, Kreisverfaffung 373. Neue 
Kammergevichtsordnung 379. 
Defchlußnahbme . . - 2. SER 383 


Sechstes Capitel. ——— — —88899 

Verbindung des Kaiſers mit England unter Ma 

via 393. uͤbertragung der Erblande auf —* 
lipp 403, Unterhandlungen wegen der uͤber⸗ 
tragung des Kaiferthums All ff. Anfang der 
felbftändigen Negierung Ferdinands 413. Chur: 
fürftenverfammlung zu Frankfurt 415. Chur: 
verein von 1558 418. Letzte Tage Karls V 423. 


Siebentes Capitel. Fortgang und innerer Zu: 
ftand des Proteftantismus. . . 427 
Einwirkung des Proteftantismus auf die NReichs⸗ 
verfaſſung 430. Reformation der Rheinpfalz, 
Badens 432. Conceſſionen in Baiern und Oft: 
reich 433. 





vI Snbalt 


Seite 
Grundzuͤge der proteſtantiſchen Kirchenverfaſſung 435 
Theologiſche Streitigkeiten. . - u  -' 


Flacius 446. Major und Oſi ander 448. Cal: 
vin 451. Mängel der Verfaffung 459. Un: 
erledigte Fragen 462. 


Achtes Eapitel. Entwicelung der Literatur . 465 


Reuntes Buch. 


Zeiten des Interims. 


Ranke D. Geſch. V. 









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Erftes Capitel. 


Reichstag zu Augsburg 1547, 48. 


Angelegenheit des Conciliums. 


Siege werden bald erfochten: ihre Erfolge zu befefti- 
gen, das iſt fchwer. 

Für Carl V war mit dem Giege über die fchmalfal- 
difchen Stände nur erft die Hälfte der Arbeit gethan: wollte 
er die Gedanken ausführen, von denen er befeelt war, fo ftand 
ihm noch ein Gang mit feinem eignen Verbündeten bevor. 

Wir wiffen fchon, wie wenig ihm die Art und MWeife 
genug that, in der dag Concilium unter dem Einfluß des 
Papftes verfuhr: jene Feſtſetzung der flreitigen Lehrpuncte in 
einem Sinne welcher die Proteftanten abftoßen mußte, die er 
herbeisubringen gedachte, noch mehr die Translation der Ver 
fammlung, zu der man gefchritten war, fo bald nur von der 
fo oft verfprochenen Neform ein wenig ernftlicher die Rede 
feyn follte. Keinen Augenblick hatte er diefe Dinge aus den 
Augen verloren. Er hat wohl gefagt, im Laufe des Krie— 
98 habe er mehr an Nom und an das Concilium gedacht 
als an den Krieg felber. Noch war er nicht gefonnen, we 
der diefe Verlegung fich gefallen zu laffen, oder auch nur 
die publicirten Artikel anzuerkennen. 

1 * 


4 Neuntes Dud. Erftes Capitel. 


In Bologna wagte man doch wirklich nicht, zu com 
ciliaren Handlungen zu fchreiten:! man begnügte fich mit 
vorläufigen Befprechungen. 

Wie die beiden Häupter dort einwirkten, davon ift ein 
Beifpiel, daß als eine folenne Seffion für die Mitte Sep 
tember angekündigt war und der Papft ſich Ende Auguft aus 
Nom erhob, um ihr durch feine Gegenwart fo größeres An- 
fehn zu geben, — er verſäumte nicht vorher die Geſtirne um 
die glückliche Stunde zu befragen, — der Faiferliche Gefandte 
ihm nacheilte und ihn durch Drohungen dahin brachte, daß die 
Sitzung nur in Form einer Congregation gehalten ward. ? 

So recht römifch Fam es dem Kaifer vor, daß der päpft- 
liche Gefandte, der ihn in Bamberg traf, ihn zu überreden 
ſuchte, feine fiegreichen Waffen nun gegen England zu wen 
den. Er antwortete, ev wolle nicht aufs neue den Haupt 
mann eines Mannes machen, der ihn in der Mitte der Ieß- 
ten Unternehmung verlaffen habe. Der Nuntius erinnerte 
ihn mit officieller Frömmigkeit an feine Pflichten gegen Die 
Neligion. Der Kaifer entgegnete, er wiinfche nur, daß An— 
dere ihre Pflicht in diefer Beziehung fo guf erfülfen möchten 
wie er die feine. ? 

Blieb er aber dabei, die Sache des Conciliums in fer 
nem Sinne durchzufegen, fo fand er dafür eine mächtige 
Unterſtützung in dem Übergewicht dag er jet in Deutfch- 
land erworben. 


1. Mendoza an den Kaifer 26 Mai. Ha sido necesario ha- 
blar a Farnesio, para que alli (a Bologna) no hiziesse algun acto, 
y asegurarme primero con la palabra del papa diziendo que de 
otra maniera yo haria el protesto. 

2. Mendoza an den Kaifer 27 Aug., 2 Sept., 10 Sept. 

3. Bericht von Sfondrato. Pallavicini X, ım. 


—— — 46 


Neichstag zu Augsburg 1547. Concilium. 5 


Am  erfien September eröffnete er den Neichstag zu 
Augsburg, mit einer Propofition, in der er zunächſt Die geift- 
lichen Angelegenheiten da wieder aufnahm, wo fie vor zwei 
Jahren abgebrochen worden: aber unter ganz andern Um— 
ſtänden und mit einer ohne Vergleich größern Ausficht, feine 
Meinung durchzufegen. 

Die proteftantifche Corporation, welche früher nicht al 
lein nach ihrer eignen Meinung, fondern auch vermöge der 
ihnen gewordenen Zugeftändniffe eine gefeßliche Stellung ein: 
nahm und an der exclufiv proteftantifchen dee fefthielt, war 
nicht mehr; der Kaifer verbat fich überhaupt abgefonderte 
Zufammenfünfte und DBerathungen. Alle die in des Kaifers 
Frieden gefommen, hatten fich mehr oder minder ohne Nück- 
halt zum Gehorfam in diefer Hinficht verpflichtet. jene pro: 
teftantifche Mehrheit, die fich zulest im Churfürftenrathe zu 
bilden begonnen, war durch die Gataftrophe des Erzbifchof 
Hermann von Cölln vollkommen befeitigt. Die geiftlichen 
Fürften, die ihre Erhaltung hauptfächlich dem Kaifer ver 
danften, hiengen ihm mit doppelter Ergebenheit an. 

Unter dieſen Umftänden konnte die Beſchlußnahme des 
Keichstags, als nun der Kaifer aufs neue die Anerkennung 
des fridentinifchen Conciliums forderte, auf Feine befondere 
Schwierigkeit ftoßen. R 

Der Fürftenrath, der abermal die Initiative ergriff, er- 
Flärfe, der wahre Weg die Spaltung in der Religion zu 
heben ſey eben der, die Erörterung einem freien gemeinen 
Concil heimzuftellen, „immaßen dag allbereit zu Trient an— 
gefangen worden." Diefem Gutachten ftimmten die geift- 
lichen Churfürſten beinahe wörtlich bei. ! Nicht fo entfchie- 

1. Unter den Schriften welche Saftrow in die Hände befom- 


6 Neuntes Buch. Erfies Eapitel. 


den war die Äußerung der ‚weltlichen Mitglieder diefes Col 
legiums; aber fie miderfprachen wenigſtens nicht: fie er 
Fannten an, daß die flreitige Neligion auf ein gemein frei 
chriftlich Concilium remittirt werden follte, e8 möge num zu 
Trient gehalten werden oder an einem andern Orte deutfcher 
Nation. Die Städte hatten em abweichendes Gutachten vor- 
bereitet, aber durch die Vorftellung des Failerlichen Nathes 
Dr Hafe liegen fie fich bewegen davon abzuftehn. Hierauf 
Eonnte der Kaifer dem Papſt erklären: was er mit fo viel 
Arbeit und Eifer herbeizuführen gefucht, das ſey nun ge 
ichehen: Churfürften, geiftliche, weltliche Fürften fo wie die 
Städte haben ſich dem nach Trient ausgefchriebenen und 
dafelbft begonnenen Concilium unterworfen. ! 

Nun enthielt aber diefer Beſchluß im damaligen Augen- 
blick nicht mehr einfach die Thatfache der Unterwerfung, fon: 
dern zugleich — denn abfichtlich ward auf die Bezeichnung 
des Drtes viel Nachdruck gelegt — eine Erklärung gegen 
die Translation der Kirchenverfammlung. Schon gleich in 
den erften Tagen nach ihrer Ankunft hatten die geiftlichen 
Fürften den Papft einmüthig um die Zurückverlegung er: 
fucht. Diefes Begehren ward jest durch den allgemeinen 
Beſchluß der Stände gewaltig verftärft. 

Und dabei blieben fie nicht ſtehen. Hatte der Kaifer 


men und feiner Lebensbefchreibung einverleibt hat, fehlt das erfte Gut- 
achten des Churfürftenrathes. Das was voranfteht (II, 112) ift der 
Zeit nach fpäter als das ihm folgende fürjtliche. 

l. Instructione al Cl de Trento 9 Nov. 1547. Lo substan- 
tial sara avisar a S. Sd con quanto trabajo y cuidado nostro se 
ha procurado que todos los estados de la Germania, assi eleeto- 
res principes ecelesiasticos y seglares como las eibdades, se so- 
mettiessen (como han hecho) al concilio ya inditto e celebrado 
y que se celebre en Trento. 


Neichstag zu Augsburg 1547. Konecilium. 7 


die Publication der zu Trient gefaßten Beſchlüſſe gemißbil- 
figt, fo traten ihm auch darin die Stände bei. Die Für— 
fien, denen jene Feſtſetzungen wenigſtens amtlich noch nicht 
mifgetheilt worden, forderten, wenn in dem ftreitigen Arti— 
keln bereits etwas befchloffen fey, fo müſſe das doch aufs 
neue vorgenommen und vor allem erſt die Erklärung der 
Proteftirenden darüber gehört werden. Jene dogmatifchen 
Beftimmungen, auf welchen fpäter die Nechtgläubigfeit der 
Fatholifchen Kirche zu beruhen gefchienen, wollte fürs Erfte 
fo wenig dag Neich wie der Kaifer anerkennen. Es ver 
ſteht fich, daß die profeftantifch = gefinnten Mitglieder beider 
Räthe hierin noch eifriger waren. Die weltlichen Churfür- 
fen forderten ausdrücklich die Neaffumtion der fchon be: 
fchloffenen Artikel: fie fügten hinzu, nur nach der Norm der 
göttlichen Schrift würden diefelben zu enticheiden feyn. Die 
Stimmung zeigte fich überhaupt ganz entfchieden. Berge 
beng trug Leonhard Eck darauf an, daß man, um weiter: 
gehende Fragen abzufchneiden, den Papft als Vorfiger des 
Conciliums bezeichnen folle: die Zeiten feines Einfluffes und 
Übergeivichts waren vorbei; in dem Nathfchlag des Für: 
ſtenrathes findet fich nichts hievon. Dagegen lautet das 
Gutachten der weltlichen Churfürften dahin, daß der Papft 
die Mitglieder des Conciliums aller Pflichten, mit denen fie 
ihm verwandt feyen, erledigen, und dem Concilium unter: 


1. „Ob auch im vhall von etlichen flreitigen Artifeln im Con: 
eilio zu Triendt geredt oder befchloffen worden wäre, welches doch nit 
vor Augen, das dennoch nichtsdefteminder diefelbigen Artifel wiederum 
für hand genommen und die profeftirenden genugfamlich darauf ver: 
bort und von inen gute rechenfchaft irer lere und glauben vernom— 
men werde.“ 


8 Neuntes Bud. Erftes Capitel. 


worfen ſeyn folle: eine Reformation an Haupt und Glie- 
dern brachten fie aufs neue in Anregung. Und noch leb- 
hafter drückten fich die Städte aus. Die Entfcheidung über 
die freitigen Artikel dürfe mit nichten Sr Hoheit dem Papft 
(das Wort Heiligkeit vermieden fie) und den Anhängern 
deffelben überlaffen, fie müffe frommen, gelehrten, gottesfürch— 
figen und von allen Ständen dazu auserwählten Perfo- 
nen, die von jeder Verpflichtung befreit worden, anheim- 
geftelle werden. ! 

Auf Forderungen diefer Art konnte und mochte Earl V 
nun zwar in diefem Augenblicke nicht eingehn. Auf Feinen 
Fall aber war ihm ein Beftreben zumider, das auf eine Er: 
höhung der Eaiferlichen Gewalt und eine Einfchränfung der 
jenigen zielte, mit der er alle feine Tage zu kämpfen gehabt 
und fo eben wieder in heftige Irrungen vertoickelt war. Am 
Neichstag verlautete das Wort, daß der Kaifer Prafident 
des Eonciliums feyn müſſe, nicht der Papft. In den Reiche: 
beichlüffen war von keinem Vorbehalt päpftlicher Einwilli— 
gung die Nedez? der Kaifer verfprach in feinem eignen Na— 
men, daß das Concilium in Trient gehalten, und die ganze 
Tractation — er bediente fich hiebei der Ausdrücke, die Die 
weltlichen Churfürften gebraucht und die auf die älteſten 
Schlüffe in diefer Sache zurüchwiefen — gottfelig, chriftlich, 
nach göttlicher und der alten Väter heiliger Lehre und Schrift 
vorgenommen und su Ende geführt werden folle. Die mei: 
tern Anträge der Ehurfürften verwarf er doch nicht geradezu: 
er bat nur auch im diefer Hinficht um das volle Vertrauen 
der Stände. 


1. Staͤdtiſches Gutachten bei Saftrow 143. 
2. Wie fih Sfondrato befchwert, Yallav. X, vr, 121. 


Reichstag zu Augsburg 1547. Concilium. 9 


Hatte der Papft die Zeit des Krieges benutzen können, 
um dag Concil auf feine Weiſe zu leiten, fo machte der Er: 
folg der Waffen e8 wieder dem Kaifer möglich, fich diefer 
Direction mit größtem Nachdruck zu widerſetzen. 

Am Iten November fertigte er den Cardinal von Trient, 
Chriſtoph Madrucci, noch Nom ab, um die Zurückverlegung 
des Conciliums, auf welche er bisher fo ftandhaft gedrun— 
gen, nun auc im Namen des Neiches zu fordern. 

Der Kaifer erwähnte in der Inſtruction, daß er die 
Anträge welche zum Nachtheil der päpftlichen Autorität ge 
macht worden, nicht angenommen; er verficherfe ausdrüch 
lich, daß dag Concilium im Fall einer Vacanz dem Wahl: 
recht der Cardinäle Feinen Eintrag thun folle: aber da jetzt 
das heilige Werk gefchehen, daß fich das Reich dem Con— 
cilium einfach unterwerfe, fo möge nun auch der Papft bie 
Umftände, die fo günſtig feyen wie man fie niemals häfte 
hoffen dürfen, benußen und dag Concilium nach Trient zu: 
rückführen: ! Damit werde er feine Pflicht gegen Gott und 
feine Würde erfüllen. 

Was wirde wohl gefchehen feyn, wenn die beiden Ober: 
häupter fich verftanden, eine ernftliche Verbeſſerung der au- 
genfcheinlichen Mängel vorgenommen und dann mit verein: 
ten Kräften und ungetheilter Autorität auf die Herftellung 
der alten Kirchenformen bingearbeitet hätten? Würden fie 
bei einiger Nachhaltigkeit des Verfahrens damit nicht wirk 
lich haben durchdringen können? 

Es war ein großes Schickjal, daß in dem entfchei- 


1. para dia certo e senalado con el mas breve termine que 
ser pudiere. (Worte der Snftruction.) 


10 Neuntes Bud. Erftes Capitel. 


denden Augenblicke die Erbitterung zwifchen beiden größer 
war als je. 

Paul III fürchtete nichts mehr als die Übermacht eines 
neu emporfommenden Kaiferthbums. So auffallend e8 auf 
allgemeinem Standpunct augfieht, daß er im Frühjahr 1547 
dem Vorfechter des Proteftantismus eher den Steg wünfchte, 
fo gewiß ift e8 doch: mit Freuden vernahm er die Nach- 
richt von jenem Nochlißer Ereigniß; der Hof gab zu erfen- 
nen, wie fehr er wünſchte den Kaifer in Ungelegenheiten ver: 
wickelt zu fehen. Dem König Franz ließ man von Rom - 
aus noch wiffen, er könne nichts Nüslicheres thun, als Die: 
jenigen unterftüßen, von denen dem Kaiſer Widerftand ge: 
leiftee werde; mit dem Nachfolger deffelben, Heinrich II, trat 
der alte Papſt fofort in die engfte Verbindung: er brachte 
die Vermählung feines Enfels Horatio mit einer natürlichen 
Tochter des neuen Königs zu Stande. Hierauf war von einer 
dem Kaifer entgegenzufegenden Ligue zwifchen Sranfreich, We 
nedig und dem Papft unaufhoörlich die Nede. Alle Gegner 
des Kaifers und feiner Partei fahen in dem Papft und fei- 
nem Haufe ihre natürlichen Häupter. Vier Luigi Farnıefe, 
der Sohn des Vapftes, hatte an allen Bewegungen gegen 
den Kaifer einen mehr oder minder zu Tage liegenden Antheil. 

Welch ein Schlag ohne Gleichen war es da, daß eben 
diefer Pier Luigi am 10ten September 1547 in Piacenza 
ermordet ward. 

Er hatte dafelbft im Sinne der italienifchen Tyrannen 
alter Schule regiert, die Vorrechte der Edelleute aufgeho- 
ben, die Bauern diefen zwar gleichgeftellt, aber dann mit 
harten Frohnden belaftet, eine Menge Gefeße gegeben, Die 


Entzweiung zwifchen Kaifer und Papf. 1 


nur darauf berechnet fehienen, diejenigen zu frafen welche 
fie übertreten würden und ihre Güter zu confifeiren, was 
dann ohne Weitere gefchah. Sp eben baute er fich ein 
Schloß, zu welchem er geweihte Pläge eingezogen, Häufer 
von Witwen und Waiſen niedergeriffen; man fagte wohl, 
er werde die Ungefehenften feines Gebietes dahin einladen 
und es mit ihrem Blute dem Satan weihen. Go zog er 
denn auch das Schickfal der alten Tyrannen über fich herein. 
Eine Verſchwörung bildete fich, ber er erlag. ' 

Wie die Dinge der Welt einmal ftanden, fo griff dieſe 
Ermordung mit allen großen Ereigniffen zufammen. 

Der Faiferliche Befehlehaber in Mailand, Ferrante Gon: 
zaga, der längft mit Mißvergnügen wahrgenommen daß Pier 
Puigi franzöfifche Soldaten nach Piacenza Fommen laffen, 
ſäumte Feinen Augenblick, diefe Stadt jeßt im Namen des 
Neiches, das feine Anfprüche daran niemals aufgegeben, in 
Befis zu nehmen. Man glaubte allgemein, er habe das 
Unternehmen der Verfchtwornen gekannt und fey damit ein 
verftanden geweſen. Der florentinifche Gefandte verfichert «8 
mit Beftimmtheitz ? er meint annehmen zu dürfen daß aud) 
Granvella darum gewußt habe. Wir finden Nachrichten, 
nach welchen der Kaifer befragt worden, fich anfangs ge 
fträubt und endlich eingemilligt hatte. ? 


1. Detaild aus einer merfwürdigen Wertheidigungsfhrift der 
Derfhwornen. Supplica delli conti Agostino Landi, Giov. An- 
gosciola, Alessandro e Camillo fratelli de Pallavieini, — nella 
quale allegano le eagioni che gli indussero a conspirar contra 
P. L. Farnese. (Inform. politt. IV.) 

2. V. Eccel. puo esser certa che D. Ferrante sapeva quel 
che s’ordinava a Piacenza. 

3. Avvertimenti al Da di Terranuova: Inf. politt. XU. 


12 Neuntes Dudh. Erſtes Capitel. 


Es iſt nicht zu befchreiben, in welche Stimmung von 
Haß und verhaltener Wuth der Papſt hiedurch gerieth. 

Don Diego Mendoza berichtet, er habe geſagt, wenn 
man ihm Piacenza nicht wiedergebe, ſo werde er ſich helfen 
fo gut er könne, und ſollte er die Hölle zu Hilfe rufen.“ 
Mendoza ift überzeugt, ein.Bund mit Frankreich fey dem 
Abfchluß nahe, man denfe den Herzog von Guife zum Kö— 
nig von Neapel zu machen. Ein Wort des Eardinal Far- 
nefe, der heilige Vater werde ſich mit Jemand verbinden, 
von dem man es nicht denke, deutet er auf das Vorhaben 
eines Bundes mit dem Sultan. Dem Gefandten dagegen 
gieng der Gedanke durch den Kopf, fih im Namen des 
Kaifers der Engelsburg zu bemächtigen: wäre nur der Ver 
dacht nicht fo wachſam gemefen, 

Diefe weltliche Entzweiung machte nun den in den geift- 
lichen Gefchäften eingetretenen Bruch vollends unheilbar. 

Der Papft fah in den Anträgen, die der Cardinal Ma: 
drucci brachte, doch nichts als eine neue Feindfeligkeit: er 
wußte fehr wohl, daß die Forderung der Zurückverlegung 
noch keineswegs das letzte Wort des Kaifers enthielt. 

Dazu aber, diefe Forderung geradehin zurückzuweiſen, 
war jedoch feine Stellung auch nicht angethan. Wie der 
Kaifer, jo mußte auch er maaßhaltend, mit der nöthigen 
Rechtfertigung vor der Welt erfcheinen. 

Zuerft legte er die Sache einer Deputation von Car: 
dinalen vor. Deren Urtheil war, daß Kaifer und Reich es 
nicht übel deuten könne, wenn ©. Heil. in der wichtigen 


1. „que hara lo que pudiere y se ajutara con el diablo.‘ 


(Mendoza 20 Sept.) 


Entzweiung zwifchen Kaifer und Papf. 13 


Angelegenheit die in Bologna verfammelten Prälaten felbft 
zu Nathe siehe. 

Sehr befonders: diefelbe Verſammlung, deren Berech— 
tigung der Kaifer leugnete, wurde aufgefordert, fich tiber die 
Anträge zu äußern Die er gegen fie machte. 

Und diefe lehnte nun nicht mit dürren Worten ab, nad) 
Trient zurüchzugehn, aber fie machte Bedingungen die eben 
fo gut waren wie eine vollkommen abfchlägliche Antwort. Vor 
allem follten die in Trient zurückgebliebenen Prälaten nach 
Bologna Fommen und fich mit ihr vereinigen; dann wollte 
fie im Voraus wiſſen, ob die deutfche Nation fich dem Con— 
cil dergeftalt unterwerfe, daß fie Die in Trient befchloffenen 
und bereits bekannt gemachten Decrete über die Glaubengfra- 
gen anerkenne, folche niemals in Zweifel zu ziehen fich ver- 
pflichte; ferner ob der Kaifer nicht etwa die bisher beobach- 
teten conciliaren Formen abzuändern gedenke; ob e8 der 
Mehrheit des Conciliums frei ſtehn werde, iiber neue Trang- 
lation oder Beendigung definitiv zu befchließen. ! 

Eine Antwort die den Forderungen der deutfchen Na— 
tion und den Abfichten des Kaifers fchlechthin entgegenlief. 
Der Papft händigte fie dem Faiferlichen Bevollmächtigten als 
feine eigne ein; diefer erkannte, daß hier weiter nichts aus— 
zurichten ſey, und frat feine Niückreife an. ? 

Dem Kaifer Fonnte dieß wohl nicht unerwartet Fommen; 


1. Schreiben des Cardinal de Monte an den Papſt, Bologna 
20 Dec. 1547. An 19ten war die Congregation gehalten, in wel- 
her die Befchlüffe gefaßt worden find. 

2. Vedendo il Cle che con tutto il negotio che si & pos- 
suto fare non s’havea altra resolutione, piglid da S. S% licentia. 


(Rel, del C! di Trento. ) 


14 Neuntes Bud. Erfies Capitel. 


er war entfchloffen es nicht zu dulden, fondern die alte Dro- 
bung einer feierlichen Proteftation endlich zu vollführen. 

Auf die förmlichfte Art von der Welt Fam e8 zum Bruch 
zwiſchen beiden Gemalten. 

Am 16ten Januar 1548 erfchienen die Faiferlichen Pro— 
curatoren, zwei Spanier, Ficentiat Vargas und Doctor Ve— 
lagco, in der Berfammlung der Prälaten zu Bologna. „Wir 
find hier," begann der Licentiat, „im Namen unfers Herrn, 
des römifchen Kaifers, um einen Act auszuführen den ihr 
längft erwartet. Ihr ſeht wohl welch ein Unglück der Welt 
bevorfteht, wenn ihr hartnäckig auf einer Meinung behar— 
ven wollt, die ihr einmal, ohne die gehörige Vorficht, er 
ariffen habt.! — „Auch ich bin hier,” entgegnete der Le 
gat Monte, „im Namen Sr Heiligkeit, des unzweifelhaf— 
ten Nachfolgers Petri, Stellvertreters Jeſu Ehrifti, und hier 
find diefe heiligften Väter, die dag Concilium unter Einwir— 
fung des heiligen Geiftes fortfegen wollen, nachdem «8 recht 
mäßig, aus Gründen die fie felber gebilligt haben, von Trient 
verlegt ift. Wir bitten Seine Majeftät, ihre Meinung zu ändern 
und ung ihren Schuß zu gewähren, denn man weiß, wie fchiwere 
Strafen fich Diejenigen zuziehen, die ein Concilium fiören, wie 
hoch auch die Würde feyn möge mit der fie bekleidet find.” 

Nachdem hierauf die Eaiferliche Vollmacht vorgemwiefen 
war — dag Driginal auf Pergament, von dem ausdrücklich 
bemerkt wird, es ſey darin nichts ausgeftrichen oder radirt 
geweſen, mit dem Faiferlichen Inſiegel,“ — verlag Velasco 
die Proteftation, in welcher der Kaifer aus den öfter erwähn- 
ten Gründen, die er noch einmal zufammenfaßfe, die un— 

1. Datirt Augsburg 27 Aug., man fieht vorläufig. 


" = 
— — — — 





Entzweiung zwifchen Kaiſer und Papft. 15 


verzügliche Rückkehr der verfammelten Prälaten nach Trient 
forderte. Würden fie fich, was er nicht hoffe, dazu nicht ent- 
fchließen, fo proteſtire er hiemit, daß die Translation un— 
rechtmäßig und fammt allem was darauf folge, mull und 
nichtig fey. Ihnen die fich Legaten nennen, und den hier 
verfammelten, größtentheils von dem Winfe des Papfies ab- 
hängigen Bifchöfen, könne unmöglich dag Necht zuftehn, in 
Sachen de8 Glaubens und der Neformation der Sitten der 
chriftlichen Welt Gefeße vorzufchreiben, am wenigſten für eine 
ihnen nicht eigentlich bekannte Provinz; die Antwort welche 
fie und ©. Heiligkeit dem Kaiſer gegeben, ſey unangemeffen, 
voll von Unmahrheiten, nichts als Täufchung. Er felbft, der 
Kaifer, müſſe fich der vom Papft vernachläßigten Kirche an- 
nehmen, und alles thun was nach Necht und Gefeß, nach 
altem Herkommen und der öffentlichen Meinung der Welt 
ihm zukomme, Eraft feines Amtes als Kaifer und als König. 

Der Legat eriwiederte, von dem was er gethan, wolle 
er Gott Nechenfchaft geben, dulden aber könne er nicht, 
daß die weltliche Gewalt ſich anmaße ein Concilium zu be 
herrſchen. 

Wir ſehen: er hielt an ſeinem Begriffe von der Un— 
abhängigkeit der geiſtlichen Gewalt feſt, und ließ ſich nicht 
aus der Faſſung bringen. Andern aber war doch nicht wohl 
zu Muthe. Der Secretär des Conciliums ſchließt ſeinen Be— 
richt hierüber mit dem Gebet, daß dieſer Tag nicht der Anfang 
des größten Schismas in der Kirche Gottes ſeyn möge. ! 

Die Proteftation ift eigentlich eine geiftliche Kriegserflä- 
rung. Der Kaifer war gefonnen, die Seindfeligkeit die er auf 

1. Xctenftüce bei Nainaldus Tom. XXI, p. 373. 


16 Neuntes Bud. Erftes Kapitel. 


diefem Gebiete begann, fo ernſtlich auszuführen wie jemals 
eine andre. 

Die vornehmfte Maaßregel die er hiegu ergriff, ift aber 
fo durchaus reich8-oberhauptlich und bildet ein fo mefentli- 
ches Stück feiner Neichgverwaltung, daß wir wohl am be 
ften thun, dieſe zuvörderſt in ihren nächften weltlichen Be 
siehungen ing Auge zu faffen. 


Weltlihe Einrichtungen im Reiche. 


Wir berührten oben, welche Plane höchſt umfaffender 
Art den Kaifer durchflogen, als er den Krieg unternahm. 

Wollte er aber das Neich einmal erblich machen, wie 
er dachte, fo mußte er e8 vor allem regieren: er mußte fich 
in dem Vereine autonomer felbftändiger Mächte die ihn um: 
gaben, ein Übergewicht verfchaffen, durch welches fie genöthigt 
wurden, dem Antriebe zu folgen den er ihnen geben wollte. 

Es ift fehr merkwürdig, daß er dieß anfangs weniger 
auf dem Wege der DVerfaffung als durch einen Bund zu 
thun beabfichtigte. 

In den erfien Jahren feiner Negierung hatte ev em: 
pfunden, welch ein Moment der Macht in dem fchmwäbifchen 
Bunde lag: fo twie jetzt fein Glück wieder beffer wurde, faßte 
er den Gedanken denfelben zu erneuern und zu eriveitern, 
und unaufhörlich finden wir ihm feitdem dahin arbeiten. 

Den Capitulationen der oberländifchen Stände wurden 
Ausdrücke einverleibt, an welche man fpäter die Anmuthung 
knüpfen Eonnte, in einen Bund diefer Ark zu treten. ! Im Fe 

1. Dem Herzog Ulrih fagten die Faiferlichen Abgeordneten, 


Abſicht den fchwäbifchen Bund zu erneuern. 17 


bruar 1547 dachte Carl in Perfon eine Verfammlung in 
Frankfurt zu halten um denfelben zu Stande zu bringen; wir 
finden feine Abgeordneten Caſpar von Kaltenthal und Hein: 
rich Hafe jenen Franken durchreifen, diefen die ſchwäbiſche 
Nitterfchaft verfammeln, um dazu vorzubereiten. ! So lange 
jedoch mächtige Feinde im Felde ftanden, ließ fich hievon we: 
nig Erfolg erwarten. Erft Ende Mai, nachdem der fäch: 
ſiſche Krieg glücklich beendigt worden, eröffnete fich wirklich 
ein Bundestag zu Ulm, an welchen der Bifchof von Auge: 
burg und Marfgraf Johann von Cüftrin, diefer eigentlich 
an Statt König Ferdinands, der noch in Böhmen befchäftigt 
war, als Faiferliche Commiffarien auftraten, die alte Bun: 
desformel vorlegten und zur Annahme derfelben einluden. ? 

Bei weiten mächtiger aber wäre dieſer Bund gewor— 
den als der frühere. Er follte dag ganze Neich umfaffen, 
die einzige zugelaffene Einung bilden, mit Bundesrichtern ver: 
fehen feyn, um jede innere Streitfache ohne viele Weitläuf— 
figfeiten zu Ende zu bringen; Der Landfriede follte darin auf 
dag ernftlichfte gehandhabt, jeder Vergewaltigte namentlich vor 
allen Dingen wieder in feinen Befiß bergeftelt, dann erft 
feine Sache unterfucht werden. Die Neichsverfaffung war 
mit Förmlichkeiten überladen; bei dem Eintritt in die ver: 
fchiedenen Eollegien ward fchon jedes Mitglied vom Gefühl 


fein Beitritt würde der Heilbronner Abfunft gemäß feyn. Sattler 
III, 258. 

1. Relation was Gafpar v. Kaltentall mit den Stennden des 
frenfifhen Krays der Hilff und des tags zu Ulm auggericht. (Arch. 
zu Berlin.) 

2. Actenſtuͤcke im Berl. Arhiv. (Mol. den Anhang.) 


Ranke D. Geh. V. 2 


18 Neuntes Buch. Erftes Capitel. 


feiner Selbftändigfeit erfüllt; Heimbringen, Proteftiren war 
faſt herkömmlich geworden: — in einem Bunde dagegen, 
welcher die Vorausſetzung freiwilliger Theilnahme für ſich 
hatte, waren die Beſchlüſſe einmüthiger, durchgreifender; we— 
nigſtens der ſchwäbiſche hatte kein Heimbringen geſtattet; den 
Schlüſſen der Bundesräthe zu. folgen war ein jeder verpflichtet. 

E8 liegt am Tage, wie da dag Übergewicht der Macht 
ſich bei weitem eher durchfegen Fonnte als im Reiche; der 
Kaifer, der mit den öftreichifchen und niederländifchen Land- 
ichaften beisutreten gedachte, würde den Bund ohne Ziveifel 
beherrfcht haben. Die herfömmliche Autorität des Reichs— 
oberhauptes würde durch die Bundesgemwalt zu doppelter Ener⸗ 
gie gelangt ſeyn. 

Eben darum mußte aber dieſer Entwurf doch auch den 
größten Widerſpruch hervorrufen. 

Die Städte bemerkten mit Schrecken, daß fie fortan 
an allen Kriegen des Haufes Öftreich in obern und nie: 
dern Landen würden Theil nehmen müſſen; fchon die Unko— 
ften der Zufammenfünfte würden ihnen läftig fallen, die un: 
aufhörlichen Hülfleiftungen aber fie zu Grunde richten; ihr 
Gewerbe nach den benachbarten Ländern, wie England und 
Frankreich, würde fie doppelter Gefahr ausfeen. ! 

Die Näthe der Fürften überlegten, daß fogar die Ter— 
ritorialhoheit dadurch in Gefahr gerathen dürfte. Biſchöfe, 
Grafen und Herrn würden fich von der Negierung des Für- 

1. Inſtruction von Mm. „Dieweil menigflich unverporgen, wöl- 
hermaßen der Kayf. und Kon. Mt Erb und andere lender taglichs 
von frembden Votentaten angefochten werden; -- Sf. Mt fey von 


den Ständen zu bitten „von diefem Iren befchwerlihen Vorhaben 
allergnedigft abzuſteen.“ 


Abficht den fhwabifchen Bund zu erneuern. 19 


ſten abfondern, deffen Schuß ihnen nicht mehr nöthig fey, 
fobald aller Schuß vom Bunde ausgehe. Churfürft Morig 
erinnerte, die Erbeinung der Häuſer Heffen, Brandenburg und 
Sachfen, durch welche die Kaifer oftmals genöthige worden 
mit deren Nathe zu handeln, werde nicht mehr beftehn; ' das 
fächfifche Necht, um deswillen man von der Appellation befreit 
fey, und viele andere Privilegien würden bedroht werden. ? 

Wilhelm von Batern, der wieder in fehr Fatholifchem 
Eifer war, fand eine Verbindung mit proteftantifchen Für: 
ften auch darum unthunlich, weil man dann genöthigt wer: 
den Eönnte dem Neformationswefen zuzufehen. 

E8 war Schon von fchlechter VWorbedeutung, daß der Kai- 
fer in Ulm nicht vorwärts Fam und die Verhandlung über den 
Bund an den Reichstag ziehn mußte. Hier ließ er fie aller: 
dings nicht fogleich fallen: der vorgelegte Entwurf ward von 
den beiden höhern Collegien begutachtet, ein Schrifttwechfel auf 
die herkömmliche Weife darüber eingeleitet: wohlverftanden 
jedoch, mit dem Vorbehalt der Unverbindlichkeit; endlich 
ward, nach langer Weigerung der Churfürften, ein gemein- 
fchaftlicher Ausfchuß darüber niedergefeßt; — fo weit Fön- 
nen wir die Sache verfolgen: — wie nun aber der Ausſchuß 


1. Aus dem Concept zu einem undatirten, jedoch früheren Schrei: 
ben Foahims an Moritz: „Weil — wie E. Chf. Gn. erachten, diefer 
bund hier diefen landen wenig nußlich oder furtreglich, fondern allein 
zu untreglichen Foften gereihen wolt, - - bittet Chf. freundlich, f. 
Chf. Gn. wolten die Unterrede und damals Sr Chf. Gn. Anzeigen 
ingedenf feyn, fih in diefe Buͤndniß nit bereden laffen, noch diefelb 
annemen, -- mit ferrer einfürung das unfer alte befhworne Erbeini- 
gung dadurd abgethan werden wolt.” 

2. Rethe zu Torgau an den Churfürften zu Sachſen. (Dresd 
Archiv.) 


2* 


20 Neuntes Buch. Erftes Capitel. 


zuſammentreten fol, wo dann jeder weitere Schritt eine wirk 
liche Verpflichtung in fich gefchloffen haben würde, hören 
die Acten auf darüber zu berichten; ! die Städte felbft find 
verwundert, daß man davon nichts meiter an fie bringt: 
Alles ward rückgängig. 

Es wirkte wohl zufammen, daß die Fürſten eine un— 
tiberwwindliche Abneigung an den Tag legten, und der Kaifer 
dagegen die Ausſicht faffen durfte, zu einigen der fin ihn 
bedeutendften Zwecke, die er bei dem Entwurf hatte, in den 
Formen des Neichgtags zu gelangen. 

In feiner Propofition hatte er außer den religiofen An— 
gelegenheiten auch die übrigen herkömmlichen Gegenftände der 
Neichsberathung, Landfrieden, Kammergericht, Anfchläge, zur 
Sprache gebracht. 

Schon bei den beiden erften gelang e8 ihm, das reli- 
giöſe und reichSoberhauptliche Sntereffe, worauf e8 ihm vor 
allem anfam, beftens wahrzunehmen. 

Als Verletzungen des Landfriedens wurden jeßf auch 
die Beraubungen der Geiftlichen ausdrücklich bezeichnet: ne 
ben Schlöffern, Städten, Dörfern, die Niemand angreifen 
dürfe, erfcheinen zum erften Mal auch Kirchen, Klöfter, Clau- 
fen, die Jurisdictionen ganz im Allgemeinen. 

Die Churfürften hatten vorgefchlagen, die Verſammlun— 
gen herrnloſen Kriegsvolks ohne Ausnahme zu verbieten: 
Kaifer und Fürften beliebten, daß fie nur dann zerfireut wer: 


1. Sm Protocoll des Shurfürftenrathes fann man die Sache 
bis zum 31 Fan. verfolgen, im Schererfchen Auszug bei Fels heißt 
8: „aber es iſt letzlich alle folhe Handlung in ihr ſelbſt erfißen und 
den Stätten ferner nichts deshalb vorbracht.“ (Fels I, 211.) 


Weltliche Gefchafte des Reichstags von 1547. 21 


den follten, wenn fie nicht vielleicht eine Erlaubniß des Kai- 
fers und Königs nachweifen könnten.! 

Nachdem jene DBeforgniffe gehoben waren, welche der 
Bundesentwurf erweckt hatte, zeigte fich überhaupt eine fehr 
enge Verbindung des Kaifers mit dem Fürftenrathe. 

Die Fürften drangen darauf, daß fortan mie früher 
ſämmtliche Mitglieder des Kammergerichts dem Eatholifchen 
Glauben angehören follten. Der Kaifer gab e8 ihnen nad). 

Dagegen forderte der Kaifer, daß ihm für dieß Mal 
die Befegung des Kammergerichts allein anheimgeftellt würde. 
Er brachte dabei die alten Gerechtfame des Kaiferthumsg, 
dag Gericht am Hofe zu halten, in Erimmerung. Die Für: 
ften gaben e8 nach. 

Hierauf ſchritt man zur Abfaffung einer neuen Kam— 
mergerichtsordnung. ? Zwei alte Beifißer, Dr Viſch und 
Dr Braun, fahen die bisherigen Conftitutionen durch, brach: 
ten fie in Ordnung und flellten, wo fie Mängel und Lücken 
bemerften, ihre eigenen Vorſchläge auf. Mit aller Weitläuf— 
figFeit welche legislativen Arbeiten ftändifcher Verſammlun— 
gen eigen ift, verfuhr man bei der Derathung. Zuerſt 
gieng ein ftändifcher Ausschuß Artikel fir Artikel durch wo— 
bei er denn befonders die neuen Vorſchläge in Betracht 
509, ber welche er feine Bemerfungen machte. So revi- 
Dirt gelangte der Entwurf an die beiden Collegien der Für- 
ften und der Churfürften, wo er ebenfalls von Anfang bis 

1. Sn den Aeten findet fich undatirt der Entwurf der Churfür: 
ften und die Antwort des Fürftenraths, die Eingabe an den Kaifer. 

2. Harpprecht hat die meiften zwifchen Kaifer und Ständen 


gewechſelten Schriften mitgetheilt. Won denen die er vermißte, fin- 
den fich mehrere in den von mir benußten Archiven, namentlich dem 


22 Meuntes Bud. Erſtes Capitel. 


Ende. durchgefprochen ward. Die Collegien festen fich als— 
dann mit dem Kaifer in Verbindung, der nun auch feine 
Bemerkungen machte, worüber man hin und her fchrieb, big 
man fich endlich vereinigte. Die Weitfchichtigkeit diefes Ver— 
fahreng hinderte jedoch nicht, die vorwaltenden Intereſſen, na- 
mentlich der Fürften, die der. Kaifer jett gewähren lief, im 
Auge zu behalten. Bei der Beftimmung, wie die Präfentation 
in Zufunft vorgenommen werden follte, ward des Antheils der 
Grafen, Prälaten und Heren nur noch in Einem Kreife gedacht. 
Gern hätten die Städte an der Berathung einer Sache Theil 
genommen, von der, wie fie fagten, ihr Genefen und Ber 
derben abhänge: fie blieben aber davon ausgefchloffen. 


Berliner: 3. B. Bedenken, welche Articul aus der Cammergerichts: 
ordnung in den Landfrieden gezogen und gefeßt werden follen, 14 Dec. 
1547; — Bedenken über den erften Theil der Kammergerichtsord: 
nung 14 Sanuar 1548; — des Ausfhuß Nelation über das ander 
Theil der Kammergericht3ordnung. „Darin haben berurte Docto— 
res aus allen des Reichs Abfcheiden und Gonftitutionen, desgleichen 
aus dem Landfrieden fo auf diefen igigen Neichstag - - gebeflert - - 
alle vhelle und fachen, darin dem kayſ. Kammergericht Gerichtszwang 
zugeftellt und gegeben, zu hauf getragen und verfaßt; diefelbigen vhelle 
und fachen, das mehrer theil mit iren umbflenden und zugehorungen, 
derwegen fie jederzeit den Abfcheiden einverleibt, fo vil von notten, 
in die Ordnung gezogen.” — Sie haben diefen Theil in zwei Ab— 
theilungen gefondert, 1) perfonen und fachen dem reich ane mittel, 
2) perfonen und fachen dem reich nit ane mittel untterworffen. „Wel— 
hen zweien Stuͤcken die deputirten Doctores hin und wider new Ad- 
dition und zufeß, und volgends dem darzu verordenten Ausſchuß res 
lation, warumb folhe newe zufeß von inen fur nüßlich eracht, be 
richt gethan haben. Demnach hat der Ausfhuß nit umbgehn follen 
oder wollen, ein jeden punct nach dem andern an die hand zu neh- 
men, was darin befund den alten Abfcheiden gemeß, Feine enderung 
zu thun, fo viel aber bei der Deputirten neuen zufeßen vom Aus: 
ſchuß femmtl. für annehmlich geacht, folches ift mit B ſigniret.“ (Die 
Zufäße der Deputirten felbft mit A.) 


Weltlihe Gefchäfte des Reichstags von 1547. 233 


Überhaupt erfreuten fich die Städte an diefem Neichstag 
Feiner befondern Berückfichtigung. Auf ihre Klage, daß der 
Landfriede die Straßen noch immer nicht fichere, das Ge 
leite feinen Schuß gemwähre, obgleich man gezwungen ſey ſich 
daſſelbe zu verfchaffen, auf ihre Bitte, die Obrigfeiten für 
jede Gemwaltthat die in ihrem Gebiete gefchehe verantwort- 
lich zu machen, nahm der Kaifer in feiner Nefolution auch 
nicht mit einer Silbe Nückficht. ' 

Und nicht beffer gieng e8 ihnen, als nun die Reichs— 
anfchläge zur DBerathung Famen. Die Fürften bewilligten 
dem römifchen König zur Bewahrung feiner Grenzen gegen 
die Zürfen 50000 ©.; bei der Vertheilung derfelben legten 
fie den Anfchlag von Coſtnitz zu Grunde, gegen welchen Die 
Städte immer proteftire hatten. Diefe verfäumten nicht zu 
bemerken, daß dergeftalt faft die Hälfte der ganzen Summe 
auf fie falle. Sie gaben an, von einigen unter ihnen fordere 
man faft fo viel Mannfchaft, als fie Bürger hätten, von 
andern nicht viel weniger Geld, als ihr ganzes Einkommen 
betrage. König Ferdinand eriwiederte, ihre Klage möge ge 
gründet feyn, aber von dem Fürftenrath laffe ſich nun ein 
mal Feine Abänderung des gefaßten Befchluffes erwarten: 
er gebe den ehrbaren Städten zu bedenken, daß ihnen ihrer 
Gewerbe halber noch mehr an einer Bewahrung der Gren- 
sen liegen müffe als den Fürften. 

Im Grunde eine fehr natürliche Folge der Ereigniffe. 
Die Städte waren immer in der Oppofition geweſen; der 
Fürſtenrath hatte fich dem Prinzip dag den Sieg behaup- 


1. Schreiben des Frankfurter Gefandten Daniel zum Zungen 
17 April. (Fr. U.) 


24 - Meuntes Buch. Erftes Capitel. 


tete am nächften gehalten. Das wirkte in den Feftferun- 
gen des Neichstags nad). 

Überdieß Eamen eben bei diefen Berathungen ein paar 
Angelegenheiten zur Sprache, in denen der Kaifer der Gunft 
der Fürſten bedurfte, und die ihm höchlich am Herzen lagen. 

Bon allen die twichtigfte war eine nähere Verbindung 
der Niederlande mit dem Neiche, wie fchon der Bundesent— 
wurf dahin gezielt hatte. Da es mit diefem nicht gelungen 
war, fo fuchte man nun auf dem gewohnten Wege zum Ziele 
zu Fommen. Königin Maria erinnerte den Kaifer die Gele: 
genheit nicht zu verfäumen, er könne nie eine beffere finden. ! 

Nun dürfte man aber nicht glauben, die Abficht der 
niederländifchen Negierung ſey geweſen, die reichsftändifchen 
Nechte und Pflichten fchlechthin zu theilen: nichts würde ihr 
leichter geworden feyn. 

Schon unter Marimilian, der die zu feiner Zeit verei⸗ 
nigten Niederlande als den burgundifchen Kreis bezeichnete, 
fuchte das Kammergericht diefelben feiner Jurisdiction zu 
unterwerfen und fie zu den Neichsanfchlägen herbeisusiehen. 
Seitdem hatte dag Haus Burgund auch Utrecht und Gel: 
dern, Die zu dem weftphälifchen Kreiſe gehörten, erwor— 
ben: weder dag Kammergericht noch die Berfammlungen des 
Kreifes hatten ſich dadurch abhalten laffen, diefe Länder nach 
ihrem bisherigen Verhältniß zu behandeln. Allein von den Nie: 


1. Instruetion pour Messire Viglius de Zuichem de ce quiil 
aura a faire en la presente diete imperiale de Augsbourg a l’en- 
droit des affaires des pays pardega. „L’occasion pour radresser 
les dits affaires est a present meilleur quelle ne fut oneque pour 
le bon et heureux succès de S. Me imple.“ (Arc. zu Brüffel.) 


Burgundiſcher Vertrag. 25 


derlanden hatte man ebenfall8 von jeher ſowohl gegen das 
Eine wie gegen das Andre remonftrire; im Jahr 1542 
war die Sache am Neichgtag in aller Ausführlichkeit ver 
handele worden Auch jest, obwohl im Beſitz einer Neiche- 
gewalt wie fie feit Jahrhunderten Feiner feiner Vorfahren 
gehabt, fette fich der Kaifer dagegen. Er bemerfte, die Er: 
richtung des burgundifchen Kreiſes ſey niemals zur Wirk— 
famfeit gelangt: über Menfchen Gedenken ſey dafelbft von 
feinem Proceß des Kammergerichts die Nede geweſen: dal 
felbe aber fey von Geldern und Utrecht zu fagen: nach 
dem Bericht der Stände von Geldern feyen die Reichsan— 
fchläge von ihnen niemals gefordert, gefchweige denn gelei- 
ſtet worden; die Landfchaft des Stifts Utrecht habe fich ge- 
weigert die Auslagen wiederzuerftatten, welche Königin Maria 
bei der letzten Türkenſteuer fir fie gemacht habe. - 

Sc möchte nicht behaupten, daß dieß nun auch Die 
Überzeugung des Kaiferg und feiner Näthe gemefen ſey: der: 
jenige Faiferliche Rath wenigfteng, der diefe Sache in Auge: 
burg bearbeitete, Viglius van Zuichem, fagte fpäter den Hol: 
ländern, als fie Miene machten eine zu Gunften des Nei- 
ches geforderte Anlage zu verweigern, nach altem Recht wür— 
den fie verpflichtet feyn zehnmal ſoviel beizutragen. 

Das Intereſſe der niederländifchen Negierung war, ef 
was fir fich zu feyn, die Einwirkungen des Neiches fo wer 
nig wie möglich zu empfinden und doch den Schuß deffel- 
ben zu genießen. 

In einer Inſtruction der Königin Maria heißt es, zur 
Sicherheit der Niederlande fey e8 wünſchenswerth, ein Of 
fenfiv- und Defenſiv⸗Bündniß derfelben mit dem Reich zu 


26 Neuntes Buch. Erftes Capitel. 


fchliegen, ohne fie doch darum in ihren Freiheiten zu beein: 
trächtigen und fie dem Reiche zu unterwerfen. ! 

Der Kaifer hoffte dieß dem Weſen nach zu erreichen, 
indem er fich endlich bereit erklärte, mit feinen Erbniederlan- 
den in den Neichshülfen immer mit einer beſtimmten Summe 
aufzufommen, wogegen man jedoch diefelben ſämmtlich in 
Einem Kreife begreifen und in ihren Eremtionen von den 
Neichsgerichten beftätigen müſſe. 

Die Dinge lagen fo, daß die Stände dieß dem Kai- 
fer bei weitem mehr als dem Neiche vortheilhafte Begeh— 
ven dennoch nicht ablehnten. > 

Sie forderten ihn zunächft auf, die Lande die er in 
Einen Kreis zu vereinigen gedenfe, namentlich zu bezeichnen, 
und anzugeben was er von denfelben leiften wolle und da: 
gegen vom Neich erwarte. 

In feiner Antwort am 1dten Mai zählt nun der Kai— 
fer feine gefammten Erbniederlande auf: — die vormals fran- 
zöfifchen, Flandern und Artois, fo gut wie die neu erworbe— 
nen, Utrecht Dveriffel Gröningen Geldern Zütphen felbft Ma- 
firicht, fchließt er ein; dag Neich foll fich verbinden, fie mie 
andre feiner Glieder zu vertheidigen, ohne ihnen darum ihre 
Eremtionen zu entreißen; dafiir will er den Anfchlag eines 
Churfürſten zwiefach zahlen. 

Die Stände waren nicht fogleich mit ihm einverftan- 
den; fie besweifelten die Gültigfeit jener Eremtionen, fie hiel- 

1. A été advise de trouver quelque expedient et bon moien, 
pour lasseurance dudit pays, de les allier avec led. empire tant 
par ligue offensive que defensive envers et contre tous, moyen- 


nant que l’on le pourroit faire sans prejudicier lesd pays et leurs 
libertes et privilöges et sans les assujettir aud. empire. 


2 ee 


— —— 


Burgundifcher Vertrag. 27 


fen einen dreifachen Anfchlag für billiger. Aber der Kaiſer 
blieb bei feinen Behauptungen: fogar die Freiheit des lo— 
tharingifchen Neiches, die auf feine Vorfahren und demnach 
auf ihn fortgeerbt ſey, brachte er in Erinnerung; ' was den 
Anfchlag betrifft, fo bemerkte er daß die Niederlande ſchon 
an fich für die Bewachung ihrer für das ganze Neich fo 
toichtigen Grenzen forgen müßten: ein Mehreres laſſe fic) 
von ihnen nicht erlangen. 

Churfürften und Fürften erklärten hierauf, es fey nicht 
ihre Meinung, fic mit Faiferlicher Majeftät in Disputation 
einzulaffen, und nahmen den Vorſchlag an. 

So Fam der burgundifche Vertrag zu Stande, der am 
26ſten Juni vollzogen worden ift. Der Kaifer gelangte durd) 
denfelben zu allen feinen Abfichten. 

Daß feine Erblande als ein einziger Kreis betrachtet 
wurden, beförderte die Negierungseinheit, nach welcher er über: 
haupt trachtete, und befreite ihn von dem fremdartigen Ein- 
fluß benachbarter Kreisverfammlungen. Es hatte für fein 
Haus den größten Werth, daß Flandern und Artois, über 
welche Sranfreich noch immer die OberherrlichFeit in Anfpruc) 
nahm, fo oft e8 auch darauf Verzicht geleifter, als Theile 
des Meichs betrachtet, in deffelben Schuß und Schirm auf- 
genommen wurden. Der zwiefache Anfchlag eines Churfür: 
fien war dafür gewiß Fein zu hoher Preis, da die meiften 

1. „So feint auch fonft der mehrertheil der niderlandt jn dem 
lottringifchen reich, fo dem lottario zwufchen Tranfreih und Germa— 
nien gelegen, für ein fonder reich in der Theilung Garoli Magni 
enifel zugetheilt worden, und erbsweiß auff ir keyſ. Mt und deren 
vorfaren von denfelbigen berfommen, welches eine fondere Provinz, 


welches von allen Zurisdictionen und Appellationen je und allwegen 
über unverdechtliche Zeit frei und eremt geweſen.“ — — 


28 Neuntes Buch. Erftes Capitel. 


europäifchen Kriege ohnehin die Niederlande betrafen, und 
die Seindfeligkeit gegen die Türken, die einzige auf die es 
noch außerdem anfanı, ein anderes dynaſtiſches Intereſſe dar- 
bot. Man trug Sorge jeden meiteren Anfpruch zu befei- 
tigen. Mürde 5. DB. der Neichstag einmal einen gemeinen 
Pfennig einzubringen befchließen, dann follten, fo ward feft- 
gefeßt, die Niederlande, ftatt den Beſchluß ausführen, nichts 
weiter als eine Summe zahlen derjenigen gleich, welche diefe 
Auflage in zwei Churfürftenthiimern am Nheine einbringe. ! 
Übrigens ward die innere Unabhängigkeit der Provinzen jetzt 
erft eigentlich beftätigt. Ausdrücklicher als jemals ward zu: 
geftanden, daß des Neiches Ordnungen und Saßungen fie 
nicht verpflichten follten. Und zwar geſchah dieß im derfel 
ben Urkunde, in welcher man ebenfalls ausdrücklicher als je: 
mals früher fefifeßte, daß der Erb> und Oberherr diefer Nie 
derlande Si und Stimme am Neichdtag haben folle mie 
Oſtreich. Es liegt ein fonderbarer Widerfpruch darin, daß 
der Kaifer in demfelben Augenblick wo er die Ernennun— 
gen zum Kammergericht in feine Hand nimmt, fich zugleich 
fo angelegentlich bemüht, fein Erbland von demfelben zu exi— 
miren, und ift doch fehr gut zu erklären. Reich und Kat 
ſerthum fallen noch mit nichten zuſammen: dieß iſt vor 

1. Sn dem Berliner Archiv finden fich außer den Acten über 
die Unfchläge folgende Stüfe in Bezug auf Burgund. 1) Kaifers 
lihe Nefolution uf der Chf. FF. und Stend Bedenken der Anfchleg 
halben de3 burgundifchen Kreifes, 28 März; 2) der Churfürften, 
Fürften und Stende Antwort, 12 April; 3) Kaiferl. Mt andere Nie 
folvirung, 27 April; 4) der Stände Antwort, 0. D.; 5) Kaif. Wit 
Replic, 14 Maji; 6) Antwort der Stände 20 Mai, falfy bezeich- 


net als vom 20 Juni; 7) Neue faif. Erflärung 28 Mai; 8) Notel 
de3 Bündniffes 23 Zuni. 











Bewilligung einer Neichsfriegscaffe. 29 


übergehend, jenes bleibt immer. Die Politik der vorwalten: 
den Mächte ift es allezeit geweſen, felber Einfluß auszuüben, 
aber Feine Rückwirkung zu erfahren. 

In diefem Augenblicke feßte der Kaifer aber noch eine 
andre, fehr ungetwohnte, für feine Gewalt fehr bedeutende 
Bewilligung durch. 

Wie es bei jenem Bundesentwurf einer feiner vornehm- 
ften Gedanken gewefen war, ſich die Mittel zur Fortferung 
des Krieges zu verfchaffen, fo trug er jett auch bei dem 
Neiche, über dag er fo viel vermochte, auf Bildung ‚eines 
Vorrathes“ 8. i. einer Neichskriegscaffe an. „Denn vor 
allem ſey es num auch nöthig dem erlangten Frieden zu er 
halten: er könne nicht dafür ſtehn, ob fich nicht gar bald 
Jemand innerhalb des Neiches auflehnen oder ein auswär— 
figer Fürft dag Neich, wenn auch nur durch geheime Practif, 
anfechten werde: nun wiſſe jedermann welchen Nachtheil die 
bisherige Unverfaffung veranlaßt habe, verfaßte Hand da- 
gegen twehre Befchwerungen ohne Mühe ab; ihm, der ſchon 
fo viele Bürden frage, könne man Feine weitere Anftrengung 
zumuthen: er müffe die Stände erfuchen, einen nahmhaften 
Geldvorrath zufammenzubringen, der dann, aber nicht ohne 
ihr Vorwiſſen, zur Erhaltung Friedens und Nechtens ange: 
wendet werden ſolle.“ 

Eine Summe Geldes in der Hand eines ohnehin ſo 
mächtigen Kaiſers, um jede innere Bewegung auf Koſten 
des Reiches zu erdrücken: wahrhaftig, man braucht nicht 


1. Kaiſ. Mt Propoſition und begeren etlich Geld im Reich zum 
Vorrath zu erlegen. Actum am Pfingftabend 20 Mai 1548. (Berl. 
Archiv.) 


30 Neuntes Buch. Erftes Capitel. 


zu erörtern wie fehr diefer Gedanfe außerhalb alles Her- 
kommens deutfcher Stände lag. 

Auch fand derfelbe, wie wir aus den Protocollen des 
Churfürftenratheg fehen, ftarfen MWiderftand. Mainz be 
merkte: durch die letzten Kriege ſey ein Jeder in feinem Kam— 
merguf erfchöpft, eine neue Forderung an die ohnehin be 
fchwerten Unterthanen dürfte Unruhen veranlaffen. Bran— 
denburg meinte, der Kaifer fey wohl an fich mächtig genug, 
zumal bei den Ordnungen des Kammergerichts und des Land- 
friedeng, einen auftauchenden Widerftand zu erdrücken: man 
‚möge doch ja nicht etwas bewilligen was dann vielleicht 
nicht geleiftee werden Fönne.' Ge erflärten ſich auch Pfak 
und Trier. Sachen winfchfe wenigftens Auffchub. Cölln, 
jest am meiften Faiferlich gefinnt, rieth doch in diefem Fall, 
den Kaifer lieber mit der Beitreibung der noch aus dem letz— 
ten Türkenkrieg rückſtändigen Steuer zu befriedigen. Genug 
fie waren im Grunde alle dagegen. 

Allein es fchien jeßt als Fönne das Neich dem SKaifer 
nichts mehr abfchlagen. Ein Ausſchuß ward niedergefeßt, 
deffen Gutachten alle Gegengründe aufzählt, und doch mit 
der Bewilligung eines halben Nomzugs zu dem angegebenen 
Zwecke fchliegt. Fürften und Churfürften zogen daffelbe in wei- 
tere Berathung: fie endigfen damit, dieß Erbieten auf einen 

1. Votum von Brandenburg. ‚San nit erachten das die Fi. 
Mt darumb beweget werden folt in dem das unmöglich; were beffer 
die urfachen jeßo anzuzeigen, denn dag man zufagen folt und nit lei- 
ften, das h. Neich ftehe jest in ruiglichem wefen, obgleich was ent: 
fund, feyen die Faif. Mt alfo gefaßt daffelbig zu hindern; - - warn 
ſolchs füglih mit erzellung des unvermogens Faiferliher Mt fürge- 


tragen wirdet, wird es ff. Mt zu feinen ungnaden bewegen.“ (Pro: 
tocoll im Berl. Arch.) 


Anfeben Carte V. 31 


ganzen Romzug zu erhöhen. EB bezeichnet die Einfachheit 
der Epoche, daß fie den erften Termin diefer Zahlung auf 
Weihnachten anfeßten, weil man den Unterthanen Zeit laſſen 
müffe ihre Ernte einzubringen und zu verfaufen. ' 

Seit vielen Jahrhunderten hatte nie ein Kaifer eine grö— 
ßere Hingebung erfahren. Bemerken wir nur mit welcher 
Nückficht ihm die gerechteften Befchwerden vorgetragen wur: 
ben. Denn gewiß lief es feiner Capitulation entgegen, daß 
er fpanifche Truppen ins Meich geführt und fie fogar bie 
und da in Befagung gelegt hatte. Nichts erregte Tebhaftere 
Klagen, und endlich entfchloffen fich die Stände auf den An- 
frag von Pfalz, die Abichaffung diefes Kriegsvolfs in Er- 
innerung zu bringen. Sie thaten dag aber nur, indem fie 
die Worte wegließen die dem Kaifer hätten empfindlich fallen 
können: fpanifch, fremd: und es dem Faiferlichen Ermeffen 
überließen, ob die Zeit dazu fchon gefommen. Der Kaifer er— 
wiederte: er wiſſe wohl, daß die Klagen die man gegen fein 
Kriegsvolk erhebe, größtentheils ungegründet feyen, doch wolle 
er fie unterfuchen laffen: an der Abfchaffung der Mannfchaf: 
ten aber werde er durch unvermeidliche Nothwendigkeit gehin- 
derf. Und für diefe „allergnädigſte“ Antwort nun, Die doch 
abfchläglich ift, danken ihm die Stände unterthänigft, flehen 
ihn nur an, das nothwendige Einfehen zu haben: dann werde 
er ein goftgefällig Werk thun: „fo find es“, fchließen fie, 
„gemeine Stände um Kaiferl. Majeftät auch unterthänigft 
zu verdienen willig, und thun fich derfelben zu Gnaden bie 
mit unterthänigft befehlen.“ Welch eine Häufung des Gnä— 

1. Bedenken des Ausfchuffes 28 Mai; Antwort der Stände 


> Juni; Kaiſerl. Refolution 6 Juni; der Stände Ießte Antwort 
10 Suni. 


32 Neuntes Buch. Erftes Capitel. 


digft und Umterthänigft in einer Sache, die fie mit gutem 
Rechte hätten fordern können. 

Der Kaiſer hatte nicht allein den Sieg erfochten und die 
Macht im Allgemeinen in Händen, ſondern es lagen ihm 
auch Streitſachen vor, die ihm auf das Wohl oder Wehe 
der einzelnen Fürſten und ihrer Häuſer einen großen Ein— 
fluß ſicherten. 

Seinen Geburtstag, im Februar 1548, begieng Carl V da: 
mit, daß er, „ſitzend in feiner Eaiferlichen Krone, Zierheit und 

dajeſtät,“ wie ein gleichzeitiger Bericht fagt, die Chur Sach— 
fen auf feinen Verbündeten Morig übertrug. Zehn Fahnen 
beseichneten die verfchiedenen Nechte und Gebierstheile welche 
Morig in Empfang nahm. ! 

Am Sten April ward Adolf von Schaumburg in Gr 
genwart des Kaifers und des Könige mit allem Firchlichen 
Pomp zum Erzbifchof von Cölln geweiht. Es war die zweite 
Churwürde die der Kaifer in Folge feines Sieges vergabte. 

Und fchon lag die Entfcheidung über eine dritte Chur: 
würde in feiner Hand. Herzog Wilhelm von Baiern fah mit 
Verdruß, daß der neue Ehurfürft von Sachfen und König Fer- 
dinand von dem Kriege große Vortheile zogen, er dagegen, der 
das Meifte gethan zu haben glaubte, leer ausgieng. Mit ver 
doppeltem Ernft forderte er in die pfälziſche Chur eingefeßt 
zu werden: — gleich als fey er der Entfete und Beraubte, 
wollte er den Beſitz der Vettern gar nicht mehr anerkennen, 
und lehnte, auf feinen Vertrag vom J. 1546 fich ftüßend, 

1. Heimar Ko Luͤbeckſche Chronif: Den 24 Febr. hefft Hartch 
Morig tho Außborch mercedem iniquitatis, if wolte feggen de Herl- 


het -- duth, hefft de gode alde Görforfte angefehen und gelachet, 
daft me mit untruw fodane berrichet vördenen fhal und kann. 


Belehnungen. Pfälzifche Chur. 33 


jeden weiteren Nechtsgang ab. So deutlich kam jedoch dem 
Kaifer feine Verpflichtung mit nichten vor: der Herzog mußte 
fich zu weiteren Erörterungen bequemen, und in den Acten 
finden wir einen weitläuftigen Schriftwechfel über die Sache. 
Es Fam hiebei zu einem Außerften das man gar nicht er 
warten follte. Herzog Wilhelm erkannte die goldne Bulle 
noch nicht an: er zog in Zweifel, ob Carl IV ohne Bewil- 
ligung des Vapftes eine Beſtimmung über die Churfürften- 
thiimer habe treffen Fonnen. ! Was war aber Nechtens im 
Neiche, wenn diefe Urkunde nicht zu Necht beftand? Aller: 
dings war fie im Geift der Oppofition gegen das Papft- 
thum gefaßt: wir erfennen darin nur ein neues Motiv für 
die Verbindung der Ludwigfchen Linie des Haufes Mittels: 
bad) mit Nom; aber wie hätte der Kaifer darauf eingehn 
Fönnen, der nur Fraft der goldnen Bulle regierte? Mit den 
Pfalzgrafen, die ihm nahe verwandt waren, verföhnt, mochte 
er um fo iveniger daran denken, den Anfprüchen des Her: 
3098 Statt zu geben. 

Schon erhob derfelbe noch einen andern Streit gegen 
feine Vettern. Er forderte die Beſitzungen des Pfalsgrafen 
Otto Heinrich, der mit dem Kaifer noch nicht ausgeföhnt 
war. Don pfälzifcher Seite erwiederte man, daß die Land- 
fchaften dann wenigftens nicht an Baiern, fondern an eine 
andere Linie des pfälzifchen Haufes fallen müßten. 


1. „Zu dem allen ift nit ein Fleiner zweiffel, dieweyl die Orde— 
nung der Churfürften von dem bepfil. Stul erftlich gefeßt, ob in Koͤ— 
nig Carls gewalt geftanden fey one bepfil. Heil. bewilligung und vor: 
wiffen inn fachen die chur betreffende etwas news zu verordnen und 
zu feßen.” Herzog Wilhelms von Baiern Gegenberiht 22 Mar: 
tii 1548, 

Ranke D. Gefh. V. 3 


34 Neuntes Bud. Erſtes Capitel. 


Und ein noch wichtigerer Nechtshandel war indeß von 
König Ferdinand anhängig gemacht. Er erhob Anfpruch 
auf Würtenberg, weil Herzog Ulrich den Vertrag von Ca— 
dan, auf welchem fein Necht beruhe, durch feine Theilnahme 
an dem fchmalfaldifchen Kriege gebrochen habe. Im Fe 
bruar ward ein Gericht aus den Faiferlichen Näthen Selb, 
Haas, Viglius, Veltwyk unter dem Präfidium des neuen 
Erzbifchofs von Cölln zufammengefet, welche bald eine fo 
entjchiedene Hinneigung zu Gunften des Königs Fund ga 
den, daß die Anwälte von Würtenberg fich nur noch auf 
das unverwirkte Necht des jungen Herzog Chriſtoph besie- 
hen zu können glaubten. ! | 

Einen andern Proceß, der feit 20 Jahren fchtwebte, ziwi- 
fchen Naffau und Heffen, hielt der Kaifer für gut endlich) 
su entjcheiden. Am 5ten Auguft, nachdem der Neichstag be 
reits beendigt war, faß er in feinem Pallaft zu offener Au— 
dienz auf feinem Stuhl; die Procuratoren beider Parteien 
erfchienen vor ihm: die naffanifchen baten um Eröffnung 
des Urtheils, die heffischen auch wegen der Gefangenfchaft 
de8 Landgrafen um ferneren Verzug; der Kaifer antwortete 
dadurch, daß er feinen Protonotar herbeirief und ihm anbefahl, 
dag Urtel, das er ihm zugleich übergab, bekannt zu machen. 
Ein großer Theil der bisher von Heffen behaupteten ftreiti- 
gen Pfandfchaften, Nutungen und Gebiete, darunter halb 
Darmſtadt, ward dem Grafen von Naffau zuerkannt, der nun 
wirklich, wenigſtens auf einige Zeit, in Beſitz gelangte. ° 

Nicht fo entichieden trat der Kaifer in der preufifchen 


1. Sattler II, 269 
2. Arnoldi Gefh. von Naffau IM, 1, 130. Saftrow II, 563. 


NRechtsentfiheidungen. 35 


Sache auf, die zu Augsburg aufs neue in Anregung Fam. 
Der Deutfchmeifter Wolfgang Schußbar von Milchling for- 
derte die Execution der vorlängft über Herzog Albrecht aus— 
gefprochenen Neichsacht. Dagegen brachte ein polnifcher Ge- 
fandter, weil Preußen der Krone Polen angehöre, die Auf 
hebung derfelben in Antrag." Ende Januar 1548 ward 
ein Ausſchuß fir diefe Angelegenheit niedergefeßt. Die 
fer vereinigte fich leicht darüber — felbft der Churfürſt von 
Brandenburg ſtimmte dafür — daß die Acht ohne ein neues 
Nechtsverfahren nicht aufgehoben werden dürfe. Streit er: 
hob ſich erſt, als man nun fragte, ob fie erequirt werden 
folfe oder nicht. Mit vielem Eifer erklärte Baiern, man 
müffe dem Nechte feinen Lauf laffen, und die ergangenen Ur: 
tel ausführen, ohne erft auf Gefahren die daher entfpringen 
könnten, Nückficht zu nehmen: fonft werde bald Niemand 
mehr zur Erhaltung des Kammergerichts beitragen wollen. 
Damit drang nun Baiern zwar nicht vollftändig durch ; — Die 
Majorität des Ausfchuffes, welche Feinen Bruch mit Polen 
wollte, der den Osmanen zu Statten kommen könne, empfahl 
dem Kaifer einen erneuten Verfuch gütlicher Beilegung — aber 
e8 bildete fich doch eine Minorität, die auf unbedingfe Vollzie— 
bung des Nechtes antrug. Der Kaifer hütete fich wohl den 
Streit zu entfcheiden. Er war ein Mittel mehr, das Haus 
Brandenburg, das an diefer Sache ein fo großes Intereſſe 
hatte, und dieß auch gar nicht verhehlte, an fich zu feffeln. 

Uberhaupt gab es Fein großes Haus im Neiche, dag 


1. Petit rex serenissimus odiosam illam proscriptionem ab- 
rogari, evelli et eradicari. Oratio Stanislai Laski ap. Dogiel 


Cod. dipl. Poloniae IV, 318. 
3 * 


36 Neuntes Buch. Erfies Kapitel. 


nicht durch die eine oder die andre Sache von dem Wohl 
wollen des Kaifers abhängig geweſen wäre. ! 

Daher kam es eben daß alles fich beugte, alles ge 
horchfe. Es war einmal wieder ein Oberhaupt von durch 
greifender Macht in Deutfchland, und Jedermann fühlte daß 
ein folches da mar. 


Das Interim. 


Zur Entwickelung diefer reichgoberhauptlichen Macht ge: 
hört e8 nun recht eigen und wird davon bedingt, daß der 
Kaifer es unternehmen Eonnte, auch in den religiöfen Ange 
legenheiten Maaß zu geben. 

Im Anfang der Verfammlung, als die altgläubig ge 
finnte Partei fich fo zahlreich und ſtark fah, ward wohl ein 
Gedanke laut, der auch dem Kaifer einmal früher in den 
Sinn gekommen, ob e8 nicht das Defte ſey, die Neligion in 
den früheren Stand wiederherzuftellen. Der Beichtvater hielt 
die Sache noch immer für nothwendig und die Umftände für 
günftig. Er meinte wohl: vor allem müſſe man die Iutheri- 
fche Predigt verbieten, ihr unbedingt ein Ende machen: möge 
dann das Volk glauben was e8 wolle; fürs Erfte Fomme 
e8 nur auf die Erneuerung des alten Ritus und die Her: 
ftellung der Kirchengüter an.! Er drückte die Tendenz der 
firchlichen Neftauration aus, welche dem Kaifer vom füdli- 


1. Protocoll bei Bucholtz IX, 447. 

2. Disp. fiorentino 19 Nov. 1547: Il confessore et altri theo- 
logi sono in oppenione che si rimetta in Alemagna il eulto di- 
vino, ereda ogn’uno cio che vuole, restituischinsi i beni eccle- 
siastiei et tolgasi via la predicatione luterana, fomento di tutte 
eresie. 


Das Interim. 37 


chen Europa ber allerdings zu Hülfe gekommen war, aber 
den Krieg doch nicht entfchieden hatte. 

Denen welche Deuefchland Fannten und die Lage der 
Dinge ohne confeffionelles Vorurtheil anfahen, Fam dieß je: 
doch unausführbar vor. König Ferdinand ermwiederte dem 
Beichkvater, man möge e8 unternehmen, wenn man fich in 
einen neuen Krieg. ſtürzen wolle, der aber noch gefährlicher 
ausfallen werde als der eben beendigfe, — wenn man die 
Mittel, die Kraft und den Muth dazu befige: er erinnerte, 
daß man Feinen Heller im Schaß habe. Er feinerfeits hatte 
fchon längft einen andern Gedanfen gefaßt. 

War die reine Neftauration unmöglich, fo durfte man, 
wie die Dinge nun einmal giengen, auch von Feiner Finf 
tigen Entfcheidung des Conciliums etwas Forderliches er: 
warten; man Fonnte nicht denken, daß dag Concilium efiwas 
andres, als die vollftändige Neftauration befchließen würde. 

Ließ fich aber, nach der Niederlage welche die fireng- 
profeftantifchen Meinungen erlitten, bei dem Übergewicht dag 
der Kaifer in allen Angelegenheiten befaß, jeßt nicht wiel- 
leicht eine Abficht erreichen, die, obwohl auf einer andern 
Stufe, fchon früher gefaßt worden, nemlich: innerhalb des 
Neiches, ohne Theilnahme des Papſtes, eine Vereinbarung 
beider Parteien zu treffen? 

Schon im Januar 1547, fo wie die Irrungen mit dem 
Papft wieder ernftlic) ausbrachen, rieth Ferdinand feinem 
Bruder, fich nicht allein auf die Befchlüffe des Conciliums 
zu verlaffen, ' da man dort wohl nicht alle Puncte durch: 


1. Il semble chose dangereuse, s’en arreter simplement sur 
la determination dudit concil general. Bucholtz IX, 407. 


38 Neuntes Bud. Erftes Capitel. 


feßen werde auf die es anfomme, zumal wenn der Papft 
fortfahre wie er angefangen; dem Urtheil erfahrner Theo: 
logen zufolge ſey es vielmehr, nachdem die ſtreitigen Arti- 
fel fo vielfach befprochen und verhandelt worden, fo ſchwer 
nicht, in Deutfchland felbft eine folche Eonfultation und chrift- 
liche Reformation nach den. Bedürfniffen der Deutfchen auf: 
zufiellen, von der man hoffen dürfe daß die Proteftanten 
wenigſtens zum größten Theile fie annehmen und auch Papft . 
und Concil fie nicht verwerfen würden. Zu Abfaffung eines 
folchen Entwurfes brachte der König gleich damals einige 
Männer, die er für geeignet hielt, in Vorſchlag, namentlich 
Julius Pflug Biſchof von Naumburg, und Michael Hel- 
ding Weihbischof zu Mainz. 

Eine fehr erwünſchte Vorbereitung hiezu war, daß der - 
Fürftenrath bei der erften Antwort auf die Propofition dem 
Kaifer heimgeftellt hatte einftweilige Ordnung zu freffen. 

Wiewohl darin lag, daß eine folche nur big zum Schluß 
des Conciliums gültig feyn follte, woher fich denn der 
Name de Interim fehreibt, fo hatte die Sache doch an 
ſich eine allgemeine Bedeutung, da jede Vereinbarung diefer 
Gegenfäße, wie bedingt auch immer, ein neuer großer Schritt 
war, und da ferner die conciliaren Angelegenheiten fo eben 
hofnungslofer wurden, als fie jemals gemefen. 

Dei der Sendung des Cardinal Madrucci hatte Carl 
dem Papft bereits angefindigt, daß er die Dinge unmög- 
lich in dem Zuftand laſſen könne, worin fie ſeyen; als diefer 
nicht allein unverrichteter Sache zurückkehrte, fondern nun 
erft der völlige Bruch erfolgte, hielt er fich für doppelt be 
rechtigt zum Werfe zu fchreiten. 


Das Snterim. 39 


Die politifch = religiöfen Intereſſen des Neiches, die 
Machtentwickelung die es möglich erfcheinen ließ, jetzt etwas 
zu erreichen, und die Differenz mit dem Papft wirkten zufant- 
men, um den Gedanken deg Interim in Gang zu bringen. 

Es hätte aber nicht zum Ziele führen können, biebei 
den alten Weg ftändifcher Berathung einzufchlagen. Der 
Kaifer fchien wohl einen Augenblick darauf zu denfen. Er 
erfuchte die Stände, zur Berathung über die Mittel einer 
chriftlichen Bereinigung ihre Abgeordneten mit den feinen zus 
fammentreten zu laffen; als fie, bei ihrer Heimftellung be 
harrend, ihm überliegen diejenigen felbft zu wählen die er 
hiezu fir tauglich halte, machte er diefen Verſuch wirklich; 
allein fogleich gab fich die Unmöglichkeit Fund, mei diefem 
Berfahren weiter zu kommen. Er Fonnte doch nicht vermeiden, 
von beiden Seiten Männer zu ernennen, die fchon an den 
bisherigen Streitigkeiten Theil genommen: noch einmal faßen 
der Carmeliter Billik, der päpftlich gefinnte Politifer Leon— 
hard von Eck neben dem Vorkämpfer des Proteſtantismus 
Sacob Sturm. Sene forderten, wie der Beichtvater, die Her: 
fiellung der geiftlichen Güter; diefer trug, wie vor 25 Jah— 
ven, auf ein Nationalconcilium an. Man Fan ſich darüber 
nicht wundern. Die großen Ereigniffe der legten Jahre ent: 
hielten doch nichts was eine innere Annäherung der beiden 
Parteien hervorgebracht hätte. An eine Vereinigung aber 
war unter diefen Umftänden nicht zu Denken: nach einigen 
Tagen löfte die Verſammlung fich auf und gab ihren Auf: 
trag dem Kaifer zurück. 

Es mußte nun doch dahin kommen, was auch von An- 
fang Ferdinands Gedanfe gewefen, daß ohne fo viele Rück— 


40 Neuntes Bud. Erftes Capitel. 


fprache mit den entzweiten Ständen, fo wie ohne Nückficht 
auf den Papft, unter Faiferlicher Autorität allein, der Ber: 
fuch einer Seftfeßung gemacht würde, bei der fich beide Theile 
beruhigen könnten. 

Wie die Ereigniffe vor allem den Erfolg gehabt die 
Macht des Kaifers zu heben, fo Fam es hauptfächlich dar- 
auf an, wie Diefelbe hiezu benutzt werden würde. 

Der Kaifer nahm mirflich die ihm von feinem Bru— 
der vorgefchlagenen Theologen an, Julius Pflug und den 
Weihbischof Helding. Churfürft Joachim II von Branden- 
burg, in deſſen Ideen e8 von jeher lag eine Vermittelung 
zu fuchen, ließ feinen Hofprediger Johann Agricola an der 
Arbeit Theil nehmen. Die drei Männer waren in gewiſſem 
Sinne die Nepräfentanten der drei vornehmften theologifchen 
Parteien: Agricola, der an Luthers Tifch gefeffen, der pro- 
teftantifchen, Helding der altfatholifchen, Julius Pflug der 
erasmifchen. Julius Pflug hatte wohl fehon früher die 
Grundlage des Entwurfs ausgearbeitet; " von Helding findet 
fich einiges Handfchriftliche, deſſen ſich Pflug bedient zu ha 
ben fcheint; daß der Antheil Agricolas nur gering gemefen 
ift, dürfte fchon die Nuhmredigkeit beweifen, mit der er da— 
von fpricht, wie denn auch fonft darüber nichts erhelf. 

Das war nun aber hier nicht die Frage, welche Mei- 
nungen in dem Gefpräche diefer drei Gelehrten die Ober: 
band befommen, fondern vielmehr in wie fern fie Mittel 
und Wege finden würden den Faiferlichen Gedanken zu ver: 
wirklichen. 


1. gl. Formula sacrorum emendandorum a Julio Pflugio 


proposita, ed. Gottfr. Müller, Praef. XII. 


Das Interim. 41 


Dieſer war aber nicht eigentlich religiöſer, ſondern kirch— 
lich-politiſcher Art. Die Abſicht des Kaiſers mußte ſeyn 
und war es auch, die Hierarchie aufrecht zu erhalten, in der 
er ſelber einen ſo hohen Platz einnahm, auf der ſein Kaiſer— 
thum beruhte, und dabei doch den Proteſtanten die Möglich— 
keit zu verſchaffen, ſich ihm wieder anzuſchließen, oder wenig— 
ſtens nicht in offenen Widerſpruch mit ihm zu treten. Es 
iſt unleugbar, daß darin zugleich ein großes Intereſſe der Na— 
tion lag, ſowohl für ihren Frieden im Innern als für ihre 
Macht nach außen. Die Frage war nur, ob es mit dem 
Verſuche gelingen, ob die Theologen den vereinigenden Mit— 
telweg entdecken würden. 

Wir haben ein Schreiben des Fürſten, deſſen Seele 
wohl an dieſem Geſchäft den größten Antheil nahm, Joa— 
chims II von Brandenburg, über die Puncte, auf die es hie— 
bei vorzüglich anfomme. Es find folgende: der Artikel über 
die Suftification, der Genuß deg Abendmahls nach der Ein- 
feßung des Herrn, Entfernung des Opus operatum aug der 
Meſſe, und die Ehe der Geiftlichen. Er verfichert: der felige 
Doctor Luther habe fich oft erboten, wenn diefe Puncte er— 
halten würden, dem Bapfte den Fuß zu Füffen und den Bi— 
fchöfen ihre Gewalt zu Taffen. 

Mag es mit dem Sinne diefer Äußerung ſtehn wie 
es wolle, gewiß ift, daß vor allem die bezeichneten Puncte 
wirklich der Erledigung bedurften: und wir haben nun zu 
fehen, wie der zu Stande gebrachte Entwurf, den der Kaifer 
jedoch, um der Fatholifchen Orthodoxie vollfommen ficher zu 
feyn, noch von zwei fpanifchen Theologen, Soto und Mal- 
venda, durchfehen ließ, ehe er ihn den Ständen vorlegte, 
diefe Aufgabe angriff. 


42 Neuntes Bud. Erftes Capitel. 


Noch einmal haben wir den fchon fo oft vorgekomme— 
nen theologifch-Firchlichen Streitfragen unfre Aufmerkſam— 
keit zusumenden. 

Mit denjenigen Artikeln mun, die am meiften in Die 
Augen fielen, der Priefterehe und dem Genuſſe von beider 
lei Geftalt, hatte es die wenigfte Schwierigkeit: die Faifer: 
lichen Bevollmächtigten urtheilten, in diefen Stücken ſey Die 
Neuerung zu weit eingeriffen, zu allgemein geworden, als 
daß man fie ohne die größte Bewegung abftellen könne: das 
Concilium, dem fich die Stände unterworfen, werde ohne 
Zweifel dafür forgen, daß darin dem Frieden der Gewiſſen 
und der Kirche gerathen werde. 

Dagegen war bei dem Artikel von der Juſtification, 
über den fich feit den frühern Discuffionen dag Concil von 
Trient ausgefprochen hatte, eben hiedurch die Schwierigkeit 
fich zu vereinigen nur noch größer geworden. Waren Diefe 
Befchlüffe auch vom Kaifer nicht anerkannt, auf feine Theo- 
logen mußten fie gleichwohl wirken; von dem Begriff der in- 
härirenden Gerechtigkeit Eonnten und wollten dieſe nicht ab: 
weichen. In diefem Lehrftück Fam e8 aber dem Kaijer vor- 
süglich darauf an, die Beiftimmung der Vroteftanten möglic) 
su machen. Gewiß war e8 Feine Täufchung, wenn froß 
der Annahme jenes Prinzips Julius Pflug fi) auf der an— 
dern Seite doch wieder den Proteftanten annäherte; feine 
ganze Überzeugung gieng dahin. So wenig wie die Drei- 
fiigkeit der Unbegnadigten, die ihm Luthers Auffaffung zu 
veranlaffen fchien, wollte er doc) auch die Sicherheit der 
Vorgefchrittenen die auf ihre Werke trogen.' Genug man 

1. Julius Pflug: Aus was guten und loblihen Bewegnuffen 


Das Interim. 43 


fette zugleich feft, daß Gott den Menfchen gerecht mache, 
nicht aus deffen Werfen, fondern nach feiner Barmherzig: 
keit: lauter umfonft, ohne fein Werdienft: daß fich ein Se 
der immer an Chrifti Verdienft zu halten habe. Wie fich 
beides mit einander vereinigen laffe, war freilich eine andre 
Frage: man hütete fich aber wohl darauf einzugehn: man 
hätte fürchten müffen die Zwiftigfeit Damit wieder zu erneuern: 
und war fehr zufrieden eine Satzung gefunden zu haben, 
welche das als das vornehmfte betrachtete Dogma der Pro- 
teftanten gelten ließ. 

Und noch mehr Fonnte man fich ihnen in dem Artifel 
von der Meffe nähern, über den in Trient noch nichts be: 
fchloffen war. Julius Pflug gab zu, daß darin lange Zeit 
ein hochbefchwerlicher Mißverftand geherrfcht habe: er Tiek 
den Begriff von dem Sühnopfer, der darnach dennoch feft- 
gehalten worden ift, fallen: indem er den Ausdruck Opfer 
fefihielt, verftand er darunter doch nur ein Gedenfopfer, ein 
Danfopfer, wie fie in dem alten Teftament vorbildlich be 
ftanden und Ehriftus fie erneuert. In diefem Sinn ift der 
Artikel abgefaft. Durch das Blutopfer am Kreuz habe Ehri: 
fus die Verföhnung erworben; das Danfopfer fey nicht 
dazu eingefeßt, damit wir dadurch Vergebung der Sünden 
verdienen, fondern daß wir fie, wie fie am Kreuz verdient ift, 
ung durch den Glauben zu Nutze machen. Eine Auffaffung, 


die Kaif. Mt verurfacht worden ihre Declaration in Religion fachen 
dermaßen wie zw Augsburg auf jüngft gehaltenem Neichstage ge: 
fhehen, vorzunehmen und zu publiciren. Abgedruct in Tzſchirners 
und Stäudlins Firhengefch. Archiv Bd IV. Daß damit Pflug nur 
feinen Entwurf meine, wie der Herausgeber Müller annimmt, nicht 
das publicirte Interim, widerfpricht dem Titel geradezu und ift über: 
haupt eine Chimäre. Jenes Motiv wird p. 115 auseinandergefeßt. 


44 Neuntes Buch. Erſtes Capitel. 


die ſich von der proteſtantiſchen hauptſächlich nur durch die 
Beibehaltung des Wortes Opfer unterſcheidet. Julius Pflug 
iſt der Meinung, daß dieſe Erklärung Niemand mehr einen 
Vorwand laſſe, ſich von der Kirche abzuſondern.! 

Das war eben die Abſicht, bei allen Conceſſionen die man 
machte, doch die große kirchliche Einheit aufrecht zu erhalten. 

Auch in dem Artikel über die Kirche findet ſich eine ge— 
wiſſe Annäherung an neuernde Vorſtellungen: er iſt wenigſtens 
durchaus nicht papiſtiſch. Der Papſt wird als der oberſte 
Biſchof betrachtet, der den andern vorgeſetzt iſt, um alle 
Spaltung zu verhüten; aber auch den andern wird zugeſtan— 
den, daß ſie wahrhaftige Biſchöfe ſeyen aus göttlichen Rech— 
fen. Der Papft wird erinnert, feine Gewalt ſey ihm ver— 
lieben zur Erbauung, nicht zur Zerftörung. Ubrigens aber 
wird doch der Begriff der Kirche in aller Strenge behaup- 
tet: es wird ihr dag Necht vindicirt die Bibel auszulegen, 
die Lehre daraus feftsufeßen, „fintemal der h. Geift bei ihr 
iſt,/ und auch über die Cerimonien Beftimmung zu treffen. 

Die Formel beftätigt die Giebenzahl der Sacramente, 
fucht Chrisma und letzte Olung zu rechtfertigen und hält 
fett an der Transfubftantiation. Auch für dag Anrufen der 
Sungfrau Maria und der Heiligen um ihre Fürbitte, fo wie 
für die Beibehaltung der Faften findet fie Gründe; den Pomp 
der Proceffionen, überhaupt die Ordnung und Pracht der big: 
herigen Cerimonien trägt fie Sorge zu behaupten. 


1. Plug: „Da man fi) einer folchen wohlgegründten und fchein: 
barlihen Erflärung von der Meffe vor 30 Fahren hätte vergleichen 
fünnen, würde die Kirche ohne Zweifel folher Meffe halben in die 
befhwerlihe Verbitterung und Weiterung nit gefallen ſeyn.“ 


Das Snterim. 45 


Wir fehen wohl: es ift die alte Kirche, was hier aufs 
neue prockamirt ward: etwas weniger abhängig von dem 
Papft, mit einer in einigen Artikeln dahin modificirten Doctrin, 
daß die Abweichungen der Proteftanten nicht geradezu ver- 
dammt wurden, aber übrigens fie felbft mit ihrem Kirchen: 
dienft und in ihrer alten Einheit, als deren Mitrepräfentan- 
ten fich der Kaifer betrachtete. Es war ohne Zweifel der 
Faiferliche Gedanfe felbft der fich hier ausfprach: und man 
mußte nun fehen welchen Anklang er bei der Neichgverfamm- 
lung finden würde. 

Der Kaifer legte den Entwurf zuvörderft den mächti— 
gern der Augsburger Eonfeffion beigetretenen Fürften zur An- 
nahme vor. 

Was auf diefe Eindruck machte, war die Meinung daß 
diefe Formel für dag ganze Neich, auch) für den altgläubi- 
gen Theil gelten follte. 

Auch war dieß ohne Zmeifel der urfprüngliche Sinn 
de8 Kaifers: was hätte fonft die Erklärung über dag gött— 
liche Necht der Bifchöfe zu bedeuten gehabt? Nur gegen den 
Papft war fie gerichtete. Churfürft Joachim IE verfichert, er 
habe nicht anders gewußt, als daß dieß die Meinung fey: 
eben darum ließ er fich fo leicht bewegen die Formel an- 
zunehmen. Er fah darin eine Beftätigung der von ihm 
von jeher gehegten Meinungen über Zuftification, Sacra- 
ment, Priefterehe und Meffe, und glaubte daß diefen auf folche 
Weife der Weg über ganz Deutfchland hin eröffnet ſey. So— 
gar einen Fortfchritt der evangelifchen Lehre meinte er voraus: 
fehen zu können.! Der Churfürft von der Pfalz trat ihm bei. 

1. Sn dem Berliner Archiv findet fich ein Auffaß zur Werthei: 





46 Neuntes Bud. Erſtes Capitel. 


Etwas mehr Schwierigkeiten machte der dritte weltliche 
Churfürſt, Morig von Sachfen, obwohl er feine Chur der: 
felben Gewalt verdanfte, deren Ausflug diefe Anordnung war. 
Man dürfte nicht fagen, daß dieß ganz in feiner Willkühr beruht 
habe. Er hatte feinen Landftänden in einem wichtigen Augen: 
blick, und zwar auf das Wort des Kaifers, unzweideutige 
Zufagen über die Beibehaltung ihrer Religion gegeben. Daran 
erinnerte er jet den Kaifer, und behielt fich vor, erft mit fei- 
ner Landfchaft zu berathichlagen. Der Kaifer erwiederte, er 
habe nichts weiter verfprochen, als daß er die Lande nicht 
mit Gewalt von ihrer Neligion dringen, fondern die Ver: 
‚gleichung nur auf gebührlichem Wege fuchen wolle, wie er 
das jet thuez in dem Neiche ſey es nicht Herkommens, 
über das was Fürften und gemeine Stände bewilligt, an 
die Landſchaften zurückzugehn: Moritz möge fich nicht auch 
von feinen Theologen verführen laffen, wie feinem Vetter ge 
fchehen. Moritz verfprach zulest, in dem Reichsrath nicht 
durch offenen Widerfpruch Irrung zu veranlaffen, fondern 
fich dahin zu erflären, daß er fich zwar in diefer Sache für 
feine Unterthanen nicht verpflichten könne, aber er denfe, fie 


digung des Interims, worin es heißt: Luther habe dreierlei gewollt: 
1) quod Pontifex Romanus non sit-caput ecelesiae, sed Chri- 
stus; 2) missam non esse sacrificium ex opere operato, quae 
possit applicari pro vivis et mortuis; 3) cerimonias debere esse 
liberas et adiaphoras. - - Jam, heißt e$ weiter, in hoc seripto 
omnia haee tolluntur: eonceditur, Romanum pontificem esse pri- 
mum quidem episcopum propter tollenda schismata, - - et alios 
episcopos esse simili modo episcopos ut ipse jure divino, et eis 
esse commissam a Christo administrationem suarum eccelesiarum 
jure divino; 2) missam non esse sacrificium ex opere operato, 
sed sacrificium commemorativum ete, etc. 


Das Anterim. 47 


würden wohl einſehen, daß es nicht in ſeiner Macht ſtehe 
etwas abzuändern was alle andern Fürſten und Stände ge— 
willigt.“ Der Kaiſer ſchien das nur fir eine eigenthüm— 
liche Form vollkommener Einwilligung zu halten; wenig— 
ſtens gegen Andre drückte er ſich ſo aus, als ſey an ſol— 
cher kein Zweifel. 

Leicht waren die jungen kriegsluſtigen Fürſten gewon— 
nen, Albrecht von Brandenburg, Erich von Braunſchweig, 
die bisher überhaupt noch Feine entfchiedene proteftantifche Mei- 
nung Fund gegeben. Dagegen gab e8 auch unter den eifrig- 
ſten Anhängern des Kaifers einige andre, wie Pfalzgraf Wolf 
gang, befonders Markgraf Johann von Eüftvin, die fich wi— 
derfeßten. Beim erften LÜberlefen der Formel faßte Johann 
— dem e8 befonders nicht zu Sinne wollte, daß man die 
Heiligen anrufen folle, da doch Chriſtus der einige Mittler 
ſey, — einen heftigen Widerwillen dagegen. 

Diel zu ſchwach waren jedoch diefe Fürften, als daß 
ſich der Kaifer um fie gefiimmert hätte. Es war ihm ge 
nug daß er fich der mächtigften verfichert halten durfte. Die 
ganze weitere Frage lag für ihn darin, was nun die alt: 

1. „Sit endlich dahin gehandelt, dieweil ſich mein gnädigffer 
Herr ane f. b. G. Landfhaft Nat nicht hat entfchiießen Fönnen, wue 
gemeine Stende durchaus das geftelte Interim annhemen worden, 
das im Reichsrathe m. gn. Herre Feine zerruttung machen, Sondern 
vor fein Suffragium fagen mochte, e8 were f. ch. Gn. nicht zu thuen 
ſich feiner unterthanen zu mechtigen, f. ch. Gn. aber Fonnten wol er- 
achten, was alle andern Chff. FF. und Stende fhlöffen, das f. dh. 
Gn. daffelbige weder endern noch wenden fonten. Das ift alfo der 
Fayf. Mt durd die Fon. Mt angezeigt, die feint dorann zu frieden ge- 
weit.“ Protocoll im Dresdner Archiv über die Werhandlungen mit 


den beiden Churfürften am 17, 19, 20, und mit dem Saifer am 
Palmabend, 24 März. 





48 Neuntes Bud. Erftes Capitel. 


gläubige Partei dazu fagen würde. Mit Nückficht auf fie 
hatte er den Entwurf fo überwiegend Fatholifch eingerichtet. 
Er hatte bisher hauptjächlich mir der Majoritit des Für 
ſtenrathes regiert, er mochte hoffen, denfelben auch jest auf 
feine Meinung zu ziehen. 

Wäre das geichehen, fo würde er einen factiſchen Ein- 
fluß auf das Innere der Kirche gewonnen haben, der ihm 
eine überaus großartige Stellung dem Papft und dem Con- 
cilium gegenüber gegeben, alles was dort ihm zum Ver— 
druß unternommen worden, aufgewogen häfte. Dann erft 
konnte von der Einheit der Nation in religiöfer Hinficht wie— 
der die Nede feyn. Man hätte fehen müffen was mehr ge 
wirft hätte, die Wiederherfiellung einiger Äußerlichkeiten auf 
der proteftantifchen oder die den neuen Lehrmeinungen ge 
machten Conceffionen auf der Fatholifchen Geite. 

ie wäre e8 aber möglich gewefen, daß nicht auch 
jetst der alte Widerftand fich geregt hätte, der in Momenten 
diefer Art, auf den verfchiedenen Stufen der Entwickelung 
diefeg Ereigniffeg, immer hervorgetreten war? 

Wir berührten daß Herzog Wilhelm von Baiern, feitdem 
feine Abficht auf die Chur nicht durchgegangen, nicht mehr 
der Freund des Kaifers war. In feinen Anfchreiben fprach 
er dag Gefühl feines Verdienfteg immer hochfahrender, feiner 
Kränfung immer bitterer, übellauniger aus." Als ihm diefer 
Entwurf vorgelegt wurde, mit dem doch auch die Macht 
des Papſtes eingefchränft werden follte, hielt der Herzog für 
gut, erft bei dem Papſt anzufragen, ob er eine Genehmigung 


1. Ein folhes Schreiben aus der Sammlung von Arrodenius 
bei Sugenheim p. 37. 


Das Snterim. 49 


deffelben billigen wirde. Es könnte ausfehen wie Ironie, 
wäre nicht ein fo bitterer Ernft dabei. 

In Rom und felbft in Franfreich war man fchon längft 
anf diefe Entwürfe des Kaiſers aufmerkfam. Cardinal Bel- 
lay schlug dem Papft vor, feine Legaten mit den Fatholi- 
fchen Ständen entfernt vom Neich$tag zufammentreten zu laf- 
fen, um zu einer freien Berathung außerhalb der vom Ein: 
flug des Kaifers beherrfchten Kreife zu gelangen. ! Defto 
erwünſchter Fam nun die Anfrage des Herzogs dem römi- 
fchen Stuhl. Der Papſt, der nicht verfäumte die Hingebung 
deffelben zu beloben, antwortete ihm, er könne eine folche 
Genehmigung nur mißbilligen. ? 

Bei allem Anfehen das der Kaifer genoß, machte dag 
doch fo viel Eindruck auf dag fürftliche Collegium, daß die 
Antwort die es gab, durchaus im Sinne des Papftes aus: 
fill. Darin wurde das jet auch von Nom her in Erin 
nerung gebrachte Argument wiederholt, daß ein Geftatten 
des früher bei ſchweren Pönen Verbotenen, 3. B. des Laien: 
kelchs und der Priefterehe, ein Bekenntniß begangener Un— 
gerechtigkeit enthalten wiirde: es fey fogar zweifelhaft, ob der 
Papſt in diefen Stücken nachgeben dürfe, wenn ev auch wolle, 


1. Instructio Clis Bellaji super rebus coneilii. MS St. Germ. 
Paris 140,1. Ubi convenient legati ubi Caesar non sit, erit ma- 
jor libertas. Vgl. f. Schreiben vom 31 Mai. 

2. Responsum Pauli II datum „cuidam praepotenti Ger- 
maniae duci“, der fehr deutlich als der Herzog von Baiern bezeichnet 
wird: es wird an die Forderung erinnert die von eben dort an Pius IV 
ergangen. Ohne Zweifel find die Antworten vor der Befanntmahung 
des Interim gefchehen, weil davon Die Nede ift daß es in den Lan- 
den des Herzogs eingeführt werden follte, was fpäterhin nicht nö- 
thig war. 

Ranke D. Geſch. V. 4 


50 Neuntes Buch. Erftes Capitel. 


teil darin eine Abweichung von den Saßungen der Concilien 
liegen würde. Beſtimmungen über die Lehre, die doch dem 
Concilium heimgeſtellt worden, ſeyen aber vollends unſtatthaft: 
man wiſſe recht gut, was in der gemeinen chriſtlichen Kirche 
zu glauben, und bedürfe dazu keiner Ordnung des Kaiſers. 
Die Fürſten gaben dem Kaiſer zu verſtehn, er überſchreite 
ſeine Befugniſſe, nicht alle ſeine Sätze möchten ſich als gut 
katholiſch bewähren: lieber möge er die Proteſtanten vermö— 
gen von der augsburgiſchen Confeſſion abzuftehn. ! 

Der Kaifer anttvortete mit großer Lebhaftigkeit. Man fage 
ihm, die Lehre fey dem Eoncilium heimgeftelle: aber folle er 
wohl bis dahin einen Jeden in feinem felbfigefchöpften Glau- 
ben und bei unmiderfprechlichen Mißbräuchen laffen? Man 
fordere, er folle die Proteftanten beiwegen von der augsbur- 
gifchen Eonfeffion förmlich abzuftehn: dag heiße, unmögliche 
Dinge verlangen. Er miffe jedoch, daß man damit nur die 
Eintracht deutfcher Nation verhindern wolle; er Fenne die 
Leute wohl, deren verbittertes Gemüth ihn allenthalben ver; 
haßt zu machen ftrebe. ? 

Und fo weit gab der Kaifer dieß Mal wirklich nicht 
nach, daß er fich eine fo anzügliche Anfprache häfte gefallen 
laffen: er ließ fie dem Fürftenrathe zurückftellen, als fo be 
fchaffen daß er fie nicht annehmen Eönne. 


1. Der Fürften und verordenten Stend Bedenfen auf das In- 
terim, bei Saftrow II, 327, jedoch unvollfiindig. 

2. Bucholtz VI, 236. Daniel zum Zungen an Sranffurt 23 
April: „Kſ. Mt it ſolch ires Bedenfens ganz ubel zufrieden geweſt, 
und fie weidlich erpußet, mit Vermeldung daß J. Mt inen die Ar- 
tifel nit haben zuftellen laffen daß fie ir Gutbedunfen darüber an: 
zeigen folten, fondern daß fie es inen wie es geftellt, gefallen laſſen 
ſollten.“ 


Das Interim. 51 


Allein auch dahin brachte er es doch nicht, daß er ſei— 
nen urfprünglichen Gedanken hätte durchführen Eönnen. Die 
Fürſten fchloffen fich dem Gutachten der geiftlichen Churfür- 
ften an, das allerdings bei weiten milder ausgefallen war, 
aber doch auch fehr ftarfe Fatholijche Anregungen enthielt, 
z. B. Herftellung der Güter, Nothivendigkeit der Diepenfa- 
tion in Hinficht der Wriefterehe und des Kelchs, und vor 
allem dabei ftehn blieb, daß die Anordnung Niemand an: 
gehe, der bisher bei der alten Religion geblieben. 

Das Letzte mußte der Kaiſer twirflich nachgeben. Er er: 
Flärte endlich, daß feine Declaration ſich nur auf die prote— 
ftantifchen Stände beziehen folle: nur unter diefem Vorbehalt 
Fonnte er dazu fehreiten ihr gefeßliche Autorität zu verleihen. 

Am Löten Mai 1548, Nachmittag 3 Uhr, verfammel- 
ten fich die Reichsſtände in der Faiferlichen Behaufung: vor 
Kaifer und König. Erzherzog Maximilian fprach einige ein- 
leitende Worte; dann ward, was wir als Vorrede bei dem 
Buche finden, als Propofition verleſen; der Kaifer erinnerte 
an die ihm gefchehene Heimfielung, legte die Schrift vor, 
und verlangte unverweilte Annahme derfelben. Während 
Kaijer und König auf ihren Stühlen fisen blieben, traten 
die Stände vor ihren Augen in dem Saale felbft nach ihren 
Eollegien zufammen. Es ift gewiß, daß fich manche abwei— 
chende Meinungen regten. Den mächtigern Proteftanten war 
e8 neu und unerwartet, daß die Erklärung nicht auch fir 
die Katholiken gelten follte; ! unter den Churfürften machte 


1. Sn der Snftruction des Churfürften von Brandenburg zum 
Neichstag von 1550 heißt es: „Und wann es nochmalen dahin Fonnt 
gehandelt werden, wie es denn auch von anfang und (in) allen Hands 


4* 


52 Neuntes Buch. Erftes Capitel. 


Mori, unter den Fürften Johann von Cüſtrin einige Op— 
pofitionz; mehrere verlangten, daß die Schrift erft abgefchrie- 
ben und nochmals regelmäßig in Berathung gezogen werden 
follte: aber zulegt drang doch der Faiferliche Mille durch. 

Nachdem die Unterredung wohl eine Stunde gewährt, 
trat der Churfürſt von Mainz im Namen der Stände mit 
der Antwort hervor, daß fie fich deffen, was S. Maj. be 
gehre, gehorfamlich halten würden. Der Kaifer nahm diefe 
Bewilligung als den Ausdruck der allgemeinen Meinung an 
und betrachtete feine Schrift nunmehr als Neichsgefeß. Jetzt 
erft Tieß er zu, daß fie in den verfchiedenen Collegien abge- 
fchrieben ward: es war dafür "geforge daß man Feine Be 
rathung darüber eröffnete. 

In diefem Augenblick war ein neuer päpftlicher Nun— 
fing angefommen. Das Interim war der vömifchen Curie 
und von diefer der DVerfammlung zu Bologna mitgerheilt 
worden: hier hatten ein paar Theologen Anmerkungen dar: 
über gemacht, welche darauf hinausliefen, daß in den Arti- 
Feln die in Trient noch nicht entfchieden worden, gar man- 
ches Unfatholifche aufgenommen worden, in den übrigen 
aber ohne Zweifel das Befte fen, einfach die tridentinifchen 
Satzungen zu wiederholen.! E8 erhellt nicht ganz, ob diefe 
lungen nit anderd gemeinet nody von uns und andern flenden ver- 
fianden worden, allein daß die faif. Mt hernach ohne jemands vor: 
wiffen in der Vorrede ein anders eingefürt, daß die fo der alten re- 
figion feyn daffeldige fo wol als -die welche der augsb. Confeſſion, 
annehmen und halten wollten, fo wäre daffelbe unfers Erachtens nicht 
auszufhlagen, denn wir erhielten ja die vornehmfte Punct unſer chriſi— 
lichen Neligion, den Articul von der rechtfertigung, den rechten Braud) 
der Sacramente, die Priefterehe, - - nemen inen auch den Canon aus 


der meß.“ 
1. Am 2ten Mai gieng die erfte Antwort der Legaten de3 Con: 


Das Interim. 53 


Einwendungen dem Nuntius fchon bekannt waren, welche 
Aufträge er iiberhaupt in diefer Hinſicht hatte: auf Feinen Fall 
aber durfte er die Bekanntmachung des Interims billigen. 
Eben darum eilte der Kaifer feinem Einfpruch zuvorzukom— 
men. Er gab ihm erft Audienz, als die Sigung vorüber, 
die Publication gefchehen war. 

Hatte nun aber der Kaifer feinen urfprünglichen Ge 
danfen, die Formel von allen Ständen annehmen zu Taf 
fen, aufgeben müſſen, fo blieb ihm doch noch ein andres 
Mittel übrig, auch auf das Fatholifche Deutfchland Firchli- 
chen Einfluß zu erlangen. 

Bon jeher war über das Verderbniß des Clerus ge 
Flagt, eine Durchgreifende Neformation deffelben gefordert wor: 
den: zulegt noch an dem Concilium; da fich von demfel- 
ben nichts erwarten Tieß, fo trug Carl V Fein Bedenken 
auch im dieſer Nückficht auf eigne Hand ans Werk zu gehn. 

Schon in dem Pflugifchen Entwurf handelt der dritte 
Theil von diefen Gegenftänden: bei weiten ausführlicher 
aber und practifcher war die Neformationsformel, welche 
der Kaifer wirklich zur Berathung brachte. 

Über die Wahl der Kirchendiener, ihre verfchiedenen 
Amter, Predigt, Verwaltung der Sacramente und Beobach— 
tung der Cerimonien, ihre Zucht und Sitte wurden hier ganz 
umfichtige und nmüßliche Anordnungen gemacht. Einige Miß— 
bräuche, über die man immer geklagt, 5. B. Cumulation der 


cils auf das Interim ab (Nainaldus XXL, 397, nr 51); davon hätte 
der Nuntiug, der den Ilten Mai in Augsburg anfam, allenfalls auf 
dem Wege Notiz befommen koͤnnen. Ihre ausführlichere Erflärung 
war aber erſt vom 12ten. 





54 Neuntes Buch. Erftes Gapitel. 


Pfründen, wurden abgefchafft; der Kaifer verfprach, den rö— 
mifchen Stuhl zu bewegen, gewiſſe Vorrechte in dieſer Hin— 
ficht fahren zu laffen; den größten Werth legte er darauf, 
daß allenthalben Viſitationen gehalten und befonders die 
Provincialſynoden wiederhergeftellt würden; den Bifchöfen 
ward ein beftimmter Termin hiefür gefeßt, welchen fie auch 
größtentheilg eingehalten haben. ! 

Denn darauf war die Hauptabficht des Kaiſers gerich- 
tet, die deutfche Hierarchie wieder zu erneuern und ihre Wirk 
famfeit zu beleben. 

Noch war das deutfche Bisthum faft- überall aufrecht 
erhalten: da wo es erfchüttert worden, 3. B. in Meißen 
und Thüringen, war e8 jet wieder hergeftellt; es bedurfte 
nicht8 weiter, als die päpftliche Erlaubniß, in den dem Pro: 
teſtantismus zugeftandenen erceptionellen Fällen zu dispen- 
firen, um die bifchöfliche Zurisdiction überall wieder zur An— 
erfennung zu bringen. 

Unter den Defugniffen, die der Kaifer noch außerdem 
für die Legaten forderte die ihm der Papft fchicken follte, 
finden wir auch die, über die Herftellung der geiftlichen Gü— 
fer zu verfügen, mit deren Inhabern unter Faiferlicher Bei— 
fimmung darüber Vertrag zu fchließen. 

Wir fehen: der Kaifer hoffte noch mit allen diefen Din; 
gen zu Stande zu kommen: die Proteftanten, er allein, ohne 
Zuthun des Papftes, zu beruhigen und fie zur Unterer 
fung unter die Hierarchie des Neiches zu vermögen, — 


1. Valde nobis probatur, quod de celebrandis synodis dioe- 
cesanis ad festum divi Martini proximum constituistis. Caroli V 
Reformatio ecelesiastica, unter andern bei Goldaft Constit. III, 325. 


Das Snterim. 55 


diefe auch felber durchgreifend zu verbeffern, ebenfalls durch 
eigene Macht, ohne befondere Mitwirkung von Nom: — 
und dann an der Spige des wiedervereinten Neiches die al- 
ten Nechte des Kaiſerthums auf die allgemeine Kirche zur 
Geltung zu bringen. 

Zunächft mußte fich zeigen was er mit den Proteftan- 
ten ausrichten würde. 


Zweites Capitel. 


Einführung des Interims in Deutjchland. 


Wenn e8 dem Kaifer gelungen wäre, wie er urfprüng- 
lich beabfichtigte, der interimiftifchen Anordnung die er traf, 
für alle deutschen Landfchaften, auch die altgläubigen, Gel 
fung zu verfchaffen, fo würde die Einführung derfelben einen 
ganz andern Character entwickelt haben, als den fie annahm, 
da dieß nicht durchgegangen mar. 

In jenem Falle hätten die nachtheiligen Einwirkungen, 
denen fich die Proteftanten unterwerfen mußten, durch die 
Fortichritte die nach der andern Seite hin möglich wurden, 
eine Art von Ausgleichung gefunden. Don den leitenden 
Ideen der religiöfen Bewegung wäre wenigſtens die, welche 
auf eine nationale Selbftändigfeit in religiöfen Dingen bin: 
sielte, genährt und gefördert worden. 

Yun aber war alles andere. 

Da der Kaifer fich bewegen ließ, die Altgläubigen aus: 
drücklich anzuweiſen, bei der Einheit der alten Kirche zu ver 
harren, fo war an Feinen Fortfchritt der reformatorifchen 
Beftrebungen, an Feine gemeinfchaftliche und nationale Ent: 
wickelung des religiöfen Geiftes zu denfen. 

Der Kaifer feinerfeits fand noch ein Mittel, feine Eirch- 


Einführung des Snterime. 57 


liche Gewalt aufrecht zu erhalten: er konnte auf dem poli- 
tifchen Standpunct auf dem er fich befand, allenfalls nach— 
geben. Fir die Proteftanten aber wurde nun jede Hertel: 
lung des von ihnen Abgeänderten, jede Annäherung an das 
entgegengefegte Prinzip, von dem fie fich erft losgeriffen, zu 
einem Verluſte ohne allen Erfaß. 

Bisher hatte fich der proteftantifche Geift nach den eig— 
nen innern Trieben in freier Autonomie entwickelt; er hatte 
die Lehre durchaus umgeftaltet, und von den Cerimonien nur 
das behalten was ihm gemäß war. Jetzt follte er zwar 
nicht das gerade Gegentheil feines Weſens anerfennen: er 
ward im feinen Grundmeinungen, in, einigen der vornehm⸗ 
ften feiner Abweichungen gefchont, geduldet; allein dabei wollte 
man ihm Auferlichfeiten und Gebräuche, auch wohl Mei- 
nungsbeftimmungen aufdringen, die er mit vollem DBedacht, 
als eigenthinmliche Ausflüffe des von ihm verworfenen Prin- 
zipes, hatte fallen laffen. 

Die Anordnung, die von dem Gedanfen der Verſöh— 
nung ausgegangen, erhielt den Character der Unterdrückung. 
Die Protefianten bekamen zu empfinden, was es heiße daf 
fie fich hatten entzweien laffen und ihre Oberhäupter, welche 
ihr Syſtem darftellten, befiege worden waren. 

Allein es gab nun Feinen Ausweg mehr: der Neichstag 
hatte den Befchluß gefaßt, die vornehmften Fürften, auch der 
proteftantifchen Seite, hatten eingewilligt, und der Kaifer war 
entichloffen die Sache mit aller Kraft ins Werk zu feßen. 
Wie heftig bedeutete er zwei mindermächtige Fürften die 
fic) widerfegten. Dem einen, dem Markgrafen Johann, 
ließ der Kaifer, wie die officielle Nelation fagt, mit runden 


58 Neuntes Dudh. Zweites Capitel. 


und. dürren Worten vermelden, er werde die Gebühr dage— 
gen vornehmen müffen; dem andern, Pfalzgrafen Wolfgang, 
ward noch gröblicher angekündigt, er werde nächftens ein 
paar taufend Spanier in feinem Lande fehen. 

Die erſte große Frage in diefem Augenblicke lag nun 
darin, wie fich die Städte verhalten würden. Hier hatte ein 
lange fchon dazu vorbereitetes populares Element die reli— 
giöfe Bewegung mit der größten Freude und Zuftimmung 
empfangen; die ftädtifchen Gemwalten hatten ihren Wirfungs- 
kreis dadurch, mächtig erweitert, und fich großentheils in fic) 
felber demgemäß umgebildet; unzählige Mal hatte man fich 
und andern gelobt, Leib und Gut bei der Neligion zu laffen. 
Jetzt Famen die Tage der Prüfung. 

An dem Neichstag zu Augsburg regte fich in den Städ- 
ten die Abficht, zu einer gemeinfchaftlichen Proteftation zu 
fchreiten; fie feheiterte aber, der Frankfurter Gefandte trägt 
Bedenken zu fagen wodurch. Es muß wohl noch etwas 
Anderes geweſen feyn als die Verfchiedenheit der Neligion, 
von der er ohne Nückficht hätte reden Fonnen. 

Der Faiferliche Hof behielt auch in diefer Sache den 
Vortheil, mit den einzelnen verhandeln zu können. 

Die Zuficherungen die denſelben bei den Eapitulationen 
meiftentheils mündlich gegeben worden, hinderten ihn nicht, 
auf die Annahme des Interims zu dringen, als bei welchem, 
wie ihnen verfprochen war, ihre Neligion beftehen Eönne. 

Zuerft ward diejenige Reichsſtadt aufgefordert, im der 
die popularen Elemente am fchtwächften waren, die fich von 
jeher dem Eaiferlichen Hofe am nächften gehalten, Nürnberg. 
Der Kaifer wollte ſich aber dieß Mal nicht mit dem Ge 


Einführ. des Snterims. Oberlaͤndiſche Städte. 59 


ſammtnamen Nath abfinden laffen: er ließ den Mitgliedern 
deffelben wiffen, von jedem einzeln werde er fich Reſolution 
einholen. Hierauf unterwarfen fie fich ſämmtlich: die Äl— 
tern des Nathes, der Nath felbft, und die Genannten des 
Rathes; fie baten nur, daß man ihnen Zeit laffen möge. 

Nicht ganz fo gefügig zeigte fich der Nath von Augs— 
burg: er reichte eine Schrift ein, in welcher er fich nur zu 
einigen Anmäherungen erbot. Granvella weigerte fich, die: 
felbe auch nur anzunehmen, und forderte eine einfach beja- 
bende Antwort. Er drohte, wenn diefe nicht erfolge, werde 
der Kaifer fich auf eine Weife erzeigen, daß andre Ungehor- 
fame ein Erempel daran zu nehmen hätten. Hierauf, am 
26ften Juni, wurde großer und Fleiner Rath zufammenbern: 
fen und folgender Befchluß gefaßt: in wie fern die Ord— 
nung die Gewiſſen belange, Fönne man mit derfelben nicht 
übereinftimmen; aber ein gefammter Nath habe vor allem 
auf das Wohl der Stadt zu fehen, deren Verderben eine 
abfchlägliche Antwort herbeiführen würde: und fo unterwerfe 
er fich dem Faiferlichen Gebot. ? 

Diefer MWiderftreit zwifchen Gehorfam und Gewiſſen 
frat an mehreren Stellen hervor: z. B. in der Antwort der 
Memminger, der Negensburger. Einige Nathsherrn von Ne: 
gensburg bedienten fich des Ausdrucks, fie Fönnten nicht für 
ihre Perfon einwilligen, fondern nur im Namen der Stadt. ? 


1. Am 19ten Juni langte der Faiferlihe Gefandte in Nürnberg 
an, am 22ſten wußte man ſchon daß die Stadt fich unterwerfe. 

2. Gründlihe und ordentliche befchreibung der - - Handlungen 
in der Stadt Augspurg -- ao 1548 und an den folgenden Reichs— 
tagen. MS der fün. Bibliothek zu Dresden 

3. Gemeiner, p. 231. 


60 NMeuntes Buch. Zweites Capitel. 


Schmerzliche Nothivendigkeit, die eigne Gefinnung zu ver 
leugnen um das Gemeinmwefen nicht zu Grunde gehn zu laſ— 
fen. Sie fagten mit alle dem doch zulegt mur, daß fie ge 
nöthigt feyen der Gewalt zu weichen. 

Die Eaiferlichen Beamten fpotteten ihrer Bedenklichkei— 
ten, nicht ohne twegwerfenden Hohn. „Ihr habt Eonfeien- 
zen,“ rief der Vicecanzler Heinrich Hafe dem Frankfurter Ab- 
geordneten zu, der fic) auch auf das Gewiſſen bezog, „wie 
Barfüßerärmel, die ganze Klöfter verſchlingen.“ Beſcheident— 
lich antwortete der Frankfurter Nathsfreund, er wiſſe nicht, 
daß feine Herrn den Geiftlichen das Mindefte mit Gewalt 
entfremdet. „Redet mir nicht davon,’ verfeßte Hafe, ich 
weiß es fo gut wie ein andrerz aber das ift des Kaifers 
Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und 
follte er ein Königreich darüber zufegen. Lernt nur das Alte 
wieder, oder man wird euch Leute ſchicken die e8 euch leh— 
ven: ihr ſollt noch fpanifch lernen.“ 

Zumeilen trat auch noch eine andre Schwierigfeit ein, 
die in der Barfaffung lag, wie in Straßburg. Der Nath 
war nach langen vergeblichen Gegenvorftellungen am Ende 
geneigt, dem Beifpiele der übrigen Städte zu folgen; allein 
die Schöffen entfchieden, daß dieß ein Fall fey in welchem die 
Gemeine gefragt werden müffe. Bon diefer Gemeine aber, 
welche eine fehr entfchieden proteftantifche Gefinnung hegte, 
war niemals zu erwarten Daß fie fich unterwerfen würde. 
Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung 
wurden die Schöffen beivogen ihren Beſchluß zurückzuneh— 
men. Hierauf ward auch hier dem Bifchof vergönnt, we— 


1. Bericht des Frankfurter Gefandten Humbrecht in der Samm: 
fung Faiferliher Briefe im Frankf. Archiv. 


Deranderung der Stadträthe. 61 


nigſtens in einigen Kirchen dag ganze Interim einzuführen, 
während man fich in andern die freie Predigt vorbehielt. ! 

Der Kaifer fühlte fehr wohl, daß er auf einen Ge- 
horſam dieſer Art nicht lange zählen, daß er überhaupt mit 
Magiftraten welche Krieg wider ihn geführt, ſchwerlich zum 
Ziele der äußern Einheit, das er fich eimmal geſetzt, werde 
gelangen Fonnen. 

Er war nicht in einer Stimmung um vor durchgrei- 
fenden Mitteln zurückzuſchrecken, und hatte die Macht die 
dazu gehörte um fie anzuwenden. Zuerft Augsburg, wo er 
fich aufbielt, follte ihir kennen lernen. 

Eines Tages, ganz unerwartet, ließ er die Thore der 
Stadt fehliegen und großen mie Fleinen Rath, Doctoren der 
Nechte, Schreiber und Diener ſämmtlich in feinen Pallaft 
entbieten. Nachdem fie eine Weile im Hof gewartet, ward 
ihnen der große Saal eröffnet: und bier erfchten nun gegen 
Mittag der Kaifer, mit einigen feiner Näthe, und ließ ihnen 
durch Georg Seld, einen gebornen Augsburger, Fund thun, 
wie er mit Schmerzen den Verfall, die Schmälerung und 
die Unordnung ihrer Stadt anfehe, und fich, um dem Ubel 
an die Wurzel zu graben, nach fleifiger Nachforfchung und 
feinem beften Verſtand entfchloffen habe, die Form ihres 
jetigen Regiments zu verändern und ihnen einen neuen Rath 
zu verordnen. Man babe ihm vorgeftellt, daß die Verja— 
gung des alten Elerus und die Theilnahme am fehmalfal- 
difchen Krieg allein von dem Übergewicht der Zünfte und 
der dadurch herbeigeführten gemaltfamen Herrfchaft des Bür- 
germeifters Herbrot herrühre. Dadurch feyen die Erbaren, 
die Gefchlechter die dem Kaifer mit Leib und Gut anhän- 

1. Roͤhrich II, 196. 











62 Neuntes Buch. Zweites Capitel. 


gig, Fugger, Baumgartner, Welfer, Neithart, Hörmwart, un 
ferdriicht worden. Sey es wohl billig daß die Feinde des 
Kaifers auch jet noch Herrn der Stadt blieben? — Man 
batte ihm als das vornehmfte Libel bezeichnet, daß bisher fo 
viele unerfahrene Leute, die beffer ihres Handwerfs gewartet, 
in dem Nath gefeffen, und er eilte e8 abzuftellen. Sofort in 
Gegenwart der Verfammelten wurden die Namen derjenigen 
verlefen, denen der Kaifer die Amter der Stadt und den Elei- 
nen Nath anvertrauen wolle. E8 waren ihrer 41. Wir 
finden unter ihnen 3 Fugger, 3 Paumgartner, 4 Nehlinger, 
— denn auch dem Älteften von ihnen, der fchon 80 Jahr 
zählte, Alt- Conrad, ward diefe Verpflichtung nicht erlaffen, 
— 2 Welfer, 2 Peutinger, überhaupt 31 folche Namen die 
entweder den wenigen wirklich alten Gefchlechtern die noch 
übrig waren, ! oder Denen welche im Jahr 1538 diefen mit 
gleichen Nechten beigefügt worden, angehörten. Der Ge 
meinde wurden nur 10 Stimmen bewilligt. Die Zünfte wur: 
den mit Einem Schlage aufgehoben, ihre Häufer, Baarfchaf: 
ten, Privilegien mußten ausgeliefert werden. Am 7ten und 
Sten Auguſt ward dem neuen Nath in dem verfchiedenen 
Dierteln gefchworen. Der Kaifer empfahl ihm noch beſon— 
ders die Neligion und dag von den Ständen bewilligte In— 
terim. Dei der Eidesleiftung kam die Formel „bei den Hei- 
ligen wieder vor, doch ward fie nur von den Wenigſten 
nachgefprochen. ? 

1. Bon den 33 alten Gefchlehtern waren im Jahr 1538 nur 
noch 8 übrig, 2 Häufer Langenmantel, Ravenfpurger, Nehlinger, Bel: 
fer, Hofmeier, Ilſung, Hörwart. 


2. Wie Kaifer Carol der V ainen cleinen und großen rath zu 
Augsburg entfeßt geurlaubt, einen neuen Rath und Gericht geordent, 


> 


Überwaältigung von Coftnik. 63 


Ähnliche Veränderungen nahm der Kaifer auch in an- 
dern Orten, z. B. in Ulm vor. Der Nath beftand bisher 
aus 24 Gefchlechtern und 46 aus der Gemeine. Der Kai: 
fer befegte ihn für die Zukunft mit 20 Gefchlechtern und 
11 aus der Gemeine. 

Es hat einen tiefen Zufammenhang, daß fich einft in dem 
plebejifchen Element das in den Städten emporkam, die erfie 
Dppofition gegen die Hierarchie geregt hatte, und daß nun 
der Kaifer, der dieſe aufrecht erhalten wollte, wenn auch 
in feinem befondern Sinn, eben diefe plebejifche Macht von 
ihrem Antheil an der öffentlichen Gewalt zurückzudrängen 
unternahnt. 

Nicht überall aber genügte dieß. Zumeilen fchien wohl 
auch der gegenwärtige Widerftand ein Recht zu verleihen, 
alte Pläne gegen die Freiheit einer Stadt zu vollführen. 

Am bten Auguft 1548 ward Coſtnitz, das nichts mehr 
verbrochen als Andere, aber von dem Haus Dftreich ſchon 
längft angefochten ward, plötzlich, während die Abgeordne- 
ten noch mit dem Hofe unterhandelten, in die Acht erklärt, 
und an demfelben Tage machte auch fchon ein Haufen Spa— 
nier einen Verſuch, fich der Stadt felber durch Überfall zu 
bemächtigen. 

Die Einwohner, J überraſcht, wehrten ſich doch vor- 
trefflich: ſie ſahen ihre Weiber und Kinder an, und waren ent: 
fchloffen fie gegen den wilden Feind, deffen Lüfte und Räube— 
reien ihnen fatanifch erfchienen, zu vertheidigen, und follte die 


in der gründlichen und ordentlichen befehreitung — — 43. Die Zare 
für die Gonfirmation des neuen Negiments betrug 1200 ©. on das 
Sigel und Canzleygelt. 


64 Neuntes Bud. Zweites Capitel. 


Stadt ihr Kirchhof werden. Als die Vorſtadt fchon erobert 
war und die erften Feinde auf der Rheinbrücke erichienen, 
fo daß man befürchtete, fie möchten zugleich mit den Flie— 
benden in das Thor eindringen, gefchah jene That, die man 
nicht mit Unrecht der des Horatius Cocles verglichen hat. 
Ein Bürger, mit zwei Spanien im Handgemenge, erfaßte 
fie endlich beide, fchrie zu Gott um Vergebung feiner Sün— 
den und ſtürzte fich mit ihnen über die Bruſtwehr in den 
Rhein: fo daß feine Mitbürger wirklich Zeit behielten dag 
Thor an der Brücke zusufchlagen, und fich überhaupt für 
die Mal des Feindes erwehrten. 

Das Eonnte aber alles ihre Freiheit nicht retten. Da 
fie jeßt von Feiner Seite Schuß hatten, weder auf der deut— 
ſchen, noch auch von der Schweiz her, wo die evangelifchen 
Verbündeten durch die Fatholifchen Gegner zurückgehalten 
wurden, hörten fie am Ende auf den Nath eines Haupt 
manns in König Ferdinands Dienft, eines gebornen Con- 
ſtanzers, Hans Egkli, fic) in des Königs Schuß zu bege- 
ben, als dag einzige Mittel um dem Zorne des Kaifers zu 
entgehn. Am L4ten October 1548 rückten dafelbft einige 
ferdinandeifche Fähnlein ein. 

Die Stadt hatte ſich indeß fchon von felber bequeme dag 
Interim anzunehmen; damit war der König aber nicht zu: 
frieden. Er befahl feinen Commiffarien die alte wahre Neli- 
gion wieder in Weſen zu bringen; nach einiger Zeit ward 
die evangelifche Predigt bei Todesftrafe verboten. 

Mit der reichsftändifchen Freiheit und der evangelifchen 
Pehre war e8 in demfelben Augenblicke vorüber. 

Überhaupt entwickelte die Negierungsweife, wie fie der 


Verfolgung der Prediger. 65 


Kaifer nunmehr ausübte, den Character einer gehäffigen Ge: 
waltjamfeit. 

Nachdem man fic) der Gemeinheiten verfichert, Fam 
man nun an die Einzelnen: vor allem an die Prediger. Es 
waren noch faft überall die Männer die in den erften Zei- 
ten der Gefahr fich erhoben, alle Wechfelfälle die feitdem 
vorgekommen, beftanden, an der Entwicfelung der dogmati- 
fchen Feftfeßungen lebendigen Antheil genommen, die Firch- 
lichen Einrichtungen ausgebildet haften; ihr Name war vor 
dem Volke gleichfam die Sache felbft. Die Frage ward an fie 
gerichtet, ob fie nun auch fefthalten, oder im Angeſicht des 
Unglücks, dag ihnen ohne allen Zweifel bevorftand, nach- 
geben würden. 

Die ehrlichen, frommen, beberzten Männer zweifelten 
nicht: fie zogen vor, das Unglück über fich ergehn zu laffen. 

Noch unter den Augen des Kaifers, in Augsburg er- 
Flärte Wolfgang Meuslin dem Nath, er Tonne und wolle 
dag Interim nicht annehmen: auch nur den Chorrock, von 
dem zunächſt die Rede war, könne er nicht anziehen: nicht 
als ob daran fo viel gelegen wäre: aber er habe dagegen 
gepredigt: er könne es nicht hun. Er danfte dem Nath 
für die Wohlthaten die er in Augsburg genoffen, und ver 
ließ die Stadt unverzüglich). 

Vergebens hatte Agricola die Prediger in Nürnberg für 
feine Formel zu gewinnen gefucht. Weit Diedrich, fo mild 
er fonft war, gab zu erfennen, in der Annahme derfelben 
würde eine Verleugnung des evangelifchen Glaubens liegen. 
Als der Rath den Predigern feinen Entfchluß anfündigte, 
das Interim anzunehmen, und fie ermahnte nicht dawider 

Nanfe D. Geſch. V. 5 








66 Neuntes Buch. Zweites Capitel. 


zu feyn, hörten fie ftillfchtweigend zu und entfernten fich ohne 
eine Antwort zu geben. Nur die geiftig- unbedeutendern 
aber unterwarfen fich. Veit Diedrich ward durch den Tod 
diefem Sturme entriffen. Oſiander meinte, er wolle weichen 
bis das Wetter vorübergezogen, und verließ Nürnberg; die 
Stadt Eiindigte feiner Frau- dag Bürgerrecht auf. 

In Um trotzte Srecht auf den Artikel feiner Bocation, 
daß er das Evangelium ohne allen Zufag von Menfchenlehre 
predigen folle; er ließ fich auch die Anweſenheit des Kaifers 
nicht daran hindern. Dafür ward er ſammt feinen vornehm- 
ften Amtsgenoffen in Ketten und Bande gelegt und unter der 
Dbhut einer fpanifchen Wacht dem Faiferlichen Hoflager nach— 
gefahren. Hinter dem Wagen lief ein Schulfnabe her, der 
e8 fich nicht nehmen laffen wollte, feinen geiftlichen Meiftern 
in ihrem Gefängniß Dienfte zu leiften. ! 

Sohann Brenz in Schwäbifch- Hall faß mit Frau und 
Kindern bei Tisch, als er erfuhr, ein fpanifcher Hauptmann 
fen angefommen und dringe auf feine Auslieferung. Er that 
als wolle er einen Kranken in der Vorftadt befuchen, und 
eilte davon zu Eommen. Auf einem Edelhofe in der Nähe 
fand er eine Zuflucht, und auch feine Familie folgte ihm da- 
hin nach; doch wagte er nur die Nächte dafelbft zuzubringen, 
denn fortwährend ward er gefucht; bei Tage hielt er fich in 
dem dichten Dunfel einer unmwegfamen Waldung auf. Eine 
beffere Sreiftatt fand er endlich in dem mwürtenbergifchen Schloß 
MWettlingen auf dem Gipfel des Hohberges. Er hat dafelbft 


1. Auf Fürbitte der Stadt antwortet Arras dem Ulmifchen Ge: 
fandten Marchtaler: „daß fie fih in irer antwurt fo übel gehalten, 
das fte nit werd weren, das fich die von Ilm jrer annemen.” (March: 
taler 1 Sept. 1548.) 


Verfolgung der Prediger. 67 


eine Auslegung des I3ften Palmen gefchrieben, mit deffen 
Berheißungen er fich fröftete. „Die Wafferftröme erheben 
fich, erheben ihr Braufen, heben empor ihre Wellen: grö- 
Ber aber ift der Herr in der Höhe. Herr, dein Wort ift 
die rechte Lehre. h 

Sp hielten fie ſich allenthalben. In Regensburg er: 
Elärte Dr Nopp und feine Gehülfen: fie wollten fich mit 
Weihwaſſer, Ol und Chryſam nicht beflecken; in Frankfurt 
Ambach und Lullus: ſie würden eher Hunger, Elend und 
den Tod ertragen als von der reinen Lehre weichen. In 
Reutlingen nahm Matthäus Alber, welcher dieſer Gemeine 
jest 29 Jahre vorangegangen, an dem Tag feinen Abfchied 
als die erfte Meffe gehalten ward. Ambrofius Blaurer in 
Eofinig hatte um die Durchführung des proteftantifchen Prin- 
zips in dem obern Deutfchland das DVerdienft eines Nefor- 
mators: von der Kataftrophe feiner Vaterſtadt ward Nie: 
mand tiefer betroffen: gleich nach Annahme des Interims 
verließ er fie. Am erften November 1548 hielt Erhard 
Schnepf feine Abfchiedspredigt in Tübingen, denn fein Fürft 
Fonnte ihn nicht länger ſchützen; in langem Zuge begleitete 
die Gemeinde den ehrwürdigen Greis weit hinaus vor die 
Stadt.” Ein wenig länger hielt ſich Straßburg alg die übri- 
gen Städte; aber der Kaifer hatte auch hier an den Begü— 
terten, den reichen Dandelsleuten Verbündete: ſchon hatten 
ihrer fünfzig die Stadt verlaffen, noch mehrere drohten nach- 
zufolgen, wenn man die Ungnade des Kaifers nicht ver: 


1. Eins der merfwärdigften Pfeudonymen: „Joanne Witlingio 
autore.“ 
2. Adami Vitae theologorum. 


5* 


68 Neuntes Bud. Zweites Capitel. 


meide. Hierauf entichloß fich die Stadt, Anfang Februar 
1549, dem Bifchof zu verfprechen, daß in ihren Mauern 
nicht mehr wider das Interim gepredigt werden ſolle.“ In 
diefem Befchluß fahen Männer wie Buser und Fagius ihre 
Entlaffung. Butzer fühlte fich ohnehin durch den Nuf, daß 
er allzu nachgiebig fey, zu viel auf Vergleichung denfe, der 
wie ein Schichfal auf ihm laftete, gedrückt, und wollte den: 
felben um Feinen Preis beftätigen. Fagius entfchuldigte in 
feiner Abfchiedspredigt den Rath, der fo lange als möglic) 
feftgehalten, und die zurückbleibenden Prediger, die gewiß 
von der rechten Lehre nicht abfallen wirden: für fich bat 
er um die Fürbitte der Gemeine daß er ftandhaft bleibe in 
feinem Kreuz. ? 

Ich nenne mur die vornehmften Namen: eine große 
Menge Anderer gefellte fich den Flüchtigen zu. Man wollte 
bei 400 verjagte Prediger im Oberland zählen. 

Diefe Standhaftigfeit fand nun aber auch weiter im 
Norden und Hften Nachahmung. 

Einer Vereinbarung welche Markgraf Albrecht von Culm⸗ 
bach mit feinen Landftänden auf den Grund des Interims 
getroffen, wwiderfeßten fich die Prediger um fo mehr, da man 
fich vorbehalten hatte, daran zu mehren oder zu mindern. 
Ein langes Sorgen, fagten fie, fey ein langes Sterben: fie 
verpflichte ihr Eid, nur das lautere Gotteswort zu lehren; 
wolle man fie zwingen davon abzumeichen, fo wollten fie 
hiemit ſammt und fonders um ihren Abfchied gebeten haben. 


1. Bucerus Calvino 9 Jan. 7 Febr., in Epistolis Calvini 
nr. 96 (ein vortreffliher Brief) und nr. 98. 

2. Ein Auszug diefer Predigt findet fih in der ſchwaͤbiſchen 
Ehronif des Martin Cruftus, der fte hörte, II, 274. 


Widerftand in Norddeutichland. 69 


Albrecht fehrieb dem Kaifer, er ſey nicht abgeneigt fie zu 
entlaffen: er wife nur Feine andern zu befommen. ! 

Im Ealenbergifchen, zu Pattenhaufen, bielt die Geift- 
lichkeit förmlich eine Synode, in der fie eine Erklärung ge 
gen das Interim, die ihr Superintendent Corvinus verfaßt 
hatte, unterzeichnete. 

Fand doch felbft Ehurfürft Joachim von Brandenburg, 
der feiner Geiftlichen eher ficher zu feyn glaubte, da eins 
ihrer Oberhäupter an der Abfaffung des Interims Antheil 
genommen hatte, als er fie nach Berlin zufammenrief, den 
größten Widerfpruch. Sie erklärten, fie würden Die ewige 
Verdammniß fürchten, wenn fie von der erfannten Wahrheit 
abweichen wollten: der Kaifer fey mächtig: aber Gott noc) 
viel mächtiger. ? 

Auch in Sachfen, in dem Lande des Churf. Moritz 
ſowohl, wie in den Landftrichen welche den Söhnen Johann 
Friedrichs verblieben, war man in derfelben Stimmung. Auf 
einer Berfammlung die Moritz Furz nad) feiner Nückfehr vom 
Neichstage nach Meißen berief, zeigten fich die Theologen 
beionders über die Vorrede der Faiferlichen Formel, die ihnen 
bier erft bekannt ward, betroffen, da darin die Doctrin von 
der fie abgewichen, als Acht Fatholifch bezeichnet ward: fie 
erklärten daß fie nur die Neuerungen abgefchafft, und zu 
den urfprünglichen Lehren der wahren Fatholifchen Kirche zu: 
rückgekehrt ſeyen:“ das Verfahren des Kaiferg, fo mild es 

1. Lang II, 209. 212. Bucholtz VI, 329. 

2. Leuthinger Commentarii 219. 228. 

3. Grave et hoc est quod nobis tribuitur, fuisse et esse 


nos autores schismatum et novitatis, cum partis adversae recens 
excogitatis et in ecclesiam inveclis doctrinae corruptelis et ab- 











70 Neuntes Bud. Zweites Capitel. 


auch ausfehen möge, bezeichneten fie als verderblih und 
tyrannifch; auch die einzelnen Beftimmungen des Interim 
griffen fie mit vielem Ernft an: in einer Erläuterung der 
Suftification von Melanchthons Hand werden die proteftan- 
tiſchen Grundfäße mit aller Schärfe hervorgehoben. Ganz 
nach dieſem Vorgang ftellten. die Stände dem Churfürften 
vor, daß die Lehre ihrer Lande eben die fey, welche die Glie— 
der der wahren Eatholifchen Kirche von jeher bekannt: fie 
erinmerten ihn an fein Verfprechen fie dabei zu fchügen, dag 
auf allen Kanzeln dem Volk und durch offenen Druck der 
Welt bekannt gemacht worden fey. . 

Und dazu Fam nun daß es im Neiche noch unüber- 
wundene Regionen gab, welche dem Eaiferlichen Willen zu: 
gleich politifchen und geiftlichen Widerftand entgegenfegten. 

In ganz Niederfachfen fprachen fich die Oberhäupter 
der Geiftlichfeit dagegen aus, Apinus zu Hamburg, Johann 
YAmfterdamus zu Bremen, Medler zu Braunfchweig; überall 
wurden Synoden gehalten: zu Minden, Mölln, Hamburg; 
die Städte correfpondirten darüber unter einander, und wur— 
den endlich einig, wie der Faiferliche Truchſeß Könnerig be: 
richtet, das Interim ſämmtlich zu vermwerfen, Leib und Gut 
darüber zufammenzufegen. 

Beſonders heftig lautete die Erklärung von Magdeburg. 
Das Interim verdunkle den Hauptartifel des chriftlichen Glau- 
bens, daß wir durch den Glauben ohne alle Werfe gerecht 
und felig werden; es richte die Anrufung der Verftorbenen, 
Vigilien, Seelmeffen und die ganze Gottesläfterung des Pap- 


usibus cerimoniarum rejectis et repudiatis redierimus ad primam 
et veterem catholicae ecelesiae doctrinam et traditiones. 


Widerſtand in Norddeutfchland. 7 


ſtes wieder auf; es wolle „Uns Alle“ um unſre Seligkeit 
bringen.“ Und da die Stadt nicht allein unausgeſöhnt, 
ſondern in der kaiſerlichen Acht war, da ſie nichts weiter 
zu verlieren hatte, fo ward fie plötzlich der Heerd einer leb— 
haften literarischen Oppofition. Eine Fluth von Gegenfchrif: 
ten in jeder Form, — Satyre und Predigt, in Profa und 
Verſen, * gab das Interim der Verachtung und dem öffent: 
lichen Haffe Preis; in abenteuerlichen Garicaturen ward es 
verfpottet; man bat fogenannte Interimsthaler, auf denen 
ein dreiföpfiges Ungeheuer den Urfprung und inhalt diefer 
Schrift verfinnbildet. Da fo viele Fürften ſchwankten oder 
abfielen, wendeten fich alle Blicke auf Johann Friedrich, der, 
obwohl ein armer Gefangener und in der Gewalt des Kai: 
ferg, doch jedes Anfinnen dem Interim beizutreten ftandhaft 
zurückwies. Denn wohl wiſſe er, daß e8 in vielen Artikeln 
dem Worte Gottes zuwider ſey: würde er e8 billigen, fo 
wäre e8 als ob er Gott droben in feiner Majeftät und die 
weltliche Obrigkeit hienieden mit gefährlichen Worten betrü— 
gen wolle: er würde die Sünde gegen den heiligen Geift 
begehn, die nicht vergeben werde. Ruhig fah er zu, alg 
man ihm feine Bibel und feine Iutherifchen Bücher weg— 
nahm: er werde fchon behalten mag er daraus gelernt. 
Seine Haltung flößte felbft den Feinden Hochachtung ein; 
in den Gleichgefinnten nährte fie den ftillen und ftandhaf- 
ten Widerftand der gläubigen Gemüther. War Johann 
Friedrich früher als der Vertheidiger des reinen Glaubens 
geachtet und geliebt worden, fo ward er jegt als Held und 


1. Der von Magdeburg Entfchuldigung, bit und gemeine chrift- 
lihe Erinnerung 1549. 








72 °  Neuntes Bud. Zweites Capitel. 


Märtyrer bewundert und verehrt. Man erzählte fich, bei 
der Übergabe jener ablehnenden Erklärung habe ein Donner: 
fchlag von heiterm Himmel gleichfam das göttliche Wohl 
gefallen bezeugt; man meinte die Geftalt des Churfürften in 
der Luft in den Bildungen der Wolfen zu fehen. 

Was würde erft gefchehen feyn, wenn der Kaifer wir 
lich, wie man ihm gerathen, den Verſuch hätte machen wol 
fen die alten Eirchlichen Zuftände geradehin zurückzuführen. 
Er fuchte jetzt nur einige Äußerlichkeiten herzuftellen, eine 
Modification in Lehre und Leben zu Stande zu bringen, in 
welcher doch auch profeftantifche Elemente unverkennbar ent 
halten waren: und doch wurde fein Entwurf mit tiefem 
und allgemeinem Widerwillen empfangen. Die Unterwür: 
figfeit der befiegfen, mit dem Nuin ihrer Städte bedrohten 
oder erft jet im Gefolge der Niederlage eingefegten Ma- 
giftrate, und einiger fchwächern Seelen welche dag Eril fürch- 
teten, wollte doch wenig fagen. Der profeftantifche Geift, in 
feiner ganzen urfprünglichen Energie, feßte fich dagegen. 

Diefer proteftantifche Geift aber follte in deinfelben Au— 
genblick einen Angriff erfahren, der ihm noch bei weiten fies 
fer gieng und gefährlicher wurde. 

Churfürſt Morig hatte dag Interim, wie wir wiſſen, 
nicht geradezu angenommen: er hatte e8 aber auch nicht ent: 
fchieden abgelehnt. Er war dem Kaifer und dem König viel 
zu fehr verpflichtet, um fich fo dringenden Wünfchen derfel- 
ben zu widerfegen: hatte man ihn doch einft in Eger der 
Fatholifchen Meffe beitvohnen fehen! Dagegen aber hatte 
er feiner Landfchaft, welche die proteftantifchen Dockrinen um 
fo lebendiger aufgenommen, je länger fie derfelben entbehren 


Haltung des Churfürften Moritz. 3 


müffen, dag Verfprechen gegeben, fie bei ihrer Religion, wie 
fie jetzt ſey, zu ſchützen, eine Zufage die von dem Kaiſer 
um der Gefahren des Krieges beftätigt worden. Die pro: 
teftantifche Gefinnung war durch die Vereinigung der Alte: 
fen evangelifchen Länder mit feinem bisherigen Territorium 
nur um fo ftärfer geworden. Moritz erflärte endlich dem 
Kaifer, er für feine Perſon habe nichts gegen die Formel des 
Interim: was feine Landfchaft anbetreffe, fo wolle er alles 
Mögliche thun um fie zur Annahme deffelben zu beivegen. ! 

Bei dem erftien Verſuch aber ward er inne, daß dieß 
fo geradezu nicht möglich (ey. Wenn wir vecht unterrichtet 
find, fand er überhaupt bei feiner Nückfehr in das Land 
eine fchlechte Aufnahme. ? Bei der erften Zuſammenkunft fei- 
ner Stände in Meißen empfieng er, wie berührt, eine ent 
fchieden abfchlägliche Antwort. 

Der Kaifer forderte ihn auf, ungefähr eben fo zu ver 
fahren, wie er felbft in den oberen Landen und Städten 
verfahren war, vor allen Dingen Melanchthon zu entfernen, 
von dem ein Gutachten wider das Interim im Druck er: 
fehienen war. Die Stände dagegen hielten ihm fein Verſpre— 
chen entgegen: fie fchienen bereits ihre Augen auf feinen 
Bruder Auguft zu werfen. 

Bon entgegengefegten Anfprüchen und Pflichten gedrängt 
faßte Churfürſt Moris den Gedanken, wenn es ihm nicht 


1. Dem Marfar. Hans laßt Kön. Ferdinand Dienft. nah Trin. 
fagen: „J. Könige. Mt wolle J. f. Gn. unangezeigt nicht laffen, daß 
Herzoge Morig dag Interim vor fein perfon angenommen, ſich auch 
dabeneben erboten, hoͤchſten und muglichen Fleiß anzuwenden feine 
Landfhaft dahin zu bereden, daß fie folhes auch annehmen folte.“ 

2. Marillac 19 Sept. Bgl. fpäteres Schreiben bei Nibier II, 218. 


74 Neuntes Buch. Zweites Capitel. 


möglich fey das ganze Interim einzuführen, den Kaifer doch 
wenigſtens durch möglichfie Annäherung an die Formel zu 
befriedigen. Er forderte feine Stände und Theologen auf, 
nochmals in Erwägung zu ziehen, was fich dem Kaifer mit 
gutem Gewiſſen nachgeben laffe. 

Näher ward diefer Gedanke für ihn befonders dadurd) 
befiimmt, daß Zulius Pflug in das Bistum Naumburg zu: 
rückgefommen war, fich aber hier troß aller Befehle des 
Kaifers der Beihülfe des weltlichen Armes überaus bedürf— 
tig fühlte. Und diefer Bifchof war nun von den gelehrten 
Theologen der Fatholifchen Kirche wohl der gemäßigtfte, den 
Proteftanten in feinen Meinungen verwandtefte, nächfte. Chur 
fürft Morig meinte, die Modificationen welche in der augs— 
burgifchen Formel nothwendig feyn würden, durch den Bi— 
fchof, deffen Autorität er dafiir wieder anerfannte, dem Kai- 
fer empfehlen zu laffen. 

Hätte irgend ein andrer deutfcher Fürft diefen Plan ge: 
faßt oder auch ausgeführt, fo würde es fo viel nicht zu fa- 
gen gehabt haben, da die Wirfung doch immer auf ein ein- 
siges Land befchränft geblieben wäre. 

Hier aber war e8 von der größten Bedeutung. Das 
Kriegsglück das fir den Kaifer entfchied, hatte die Metro: 
pole des Proteftantismus, jenes Wittenberg, von dem big: 
her die Seftfegung der dogmatifchen Normen hauptfächlich 
ausgegangen war, im die Hände des Churfürften Morig 
gebracht. Einf, bei den erften Verfolgungen der Lehre, un: 
fer Friedrich dem Weifen, war Wittenberg dag allgemeine 
Aſyl gewefen. Und noch lebte dafelbft der Mann der nächft 
Luther das Meifte zur Entwickelung der neuen Kirche bei- 


Haltung Melandhthons. 75 


getragen. Dahin war noch immer die Aufmerffamkeit aller 
Gläubigen gerichtete. Es war ein nicht allein fir Sachfen, 
fondern für die ganze evangelifche Welt im böchften Grade 
wichtiges Ereigniß, wenn es dem Churfürften gelang, dieſen 
Mann und feine Amtsgenoſſen zu einer Annäherung an die 
Faiferliche Formel zu vermögen. 

Indem er die verfuchte, Fam ihm zu Statten daR er 
die in den Kriegsunruhen zerſtreute Univerſität wieder auf 
gerichtet, die alten Profefforen zuriickberufen, fich um alle 
zufammen und jeden befonders perfönliche Verdienfte erwor— 
ben hatte, auch um Melanchthon. Melanchthon war nach 
England und nach Dänemark, nach Tübingen und Frank 
furt a. d. Dder berufen worden, auch die Söhne Johann 
Friedrichs hatten ihm Anträge gemacht; er 309 e8 aber vor, 
nach Wittenberg zurückzukehren, an das ihn alle Gewohn— 
heiten des täglichen Lebens feſſelten, wo ſeine Familie ſich 
wohl befand, — ſeine liebſten Freunde, einverſtandene Col— 
legen lebten;“ fein Ehrgeiz war, aus dem großen Schiff— 
bruch, wie er fagte, die Trümmer zu retten, die Univerfität, 
deren Ruf und Daſeyn mit dem feinen verwachfen war, wie— 
derherzuftellen. Die neue Negierung 309 ihn bei den Ge 
fchäften zu Nathe, nahm auf feine Empfehlungen Nück- 
ſicht; — als fich einft der Kaifer darüber beklagte, daß 
der mit ihm noch unausgeſöhnte Profeffor in Wittenberg 
wieder auftrefe, und auf feine Auslieferung dringen zu wol: 
len drohte, denn eben der ſey es, der den vorigen Chur- 


1. „als ich bedacht habe, daß die Werfonen wie wir viel Fahr 
beifammen gewefen, zu Pflanzung löblicher Künften und chriftlicher Lehr 
nüglic gedient haben.” An Mfg. Joachim, Corp. Ref. VI, 734. 


76 Meuntes Buch. Zweites Eapitel. 


fürften in feiner Widerſetzlichkeit beftärft habe, nahm die Re— 
gierung den Gelehrten in Schuß, und ließ ihn willen daß 
fie das that. Einft, auf einer Reife hat fie ihn fogar 
gleich als ſey die dringendfte Gefahr vorhanden einen Au— 
genblick entfernt: e8 fehien ihm wohl als hänge von ihrer 
Gunft und Fürfprache fein ganzes Dafeyn ab. Und zu Die: 
ſem Gefühl der Dankbarkeit Fam noch ein andreg. In den 
legten Jahren hatte ſich Melanchthon, aus Furcht den al- 
ternden Luther zu verlegen, nicht mit voller Freiheit bewegt, 
befonders feine Gedanken über die Abendmahlslehre nicht 
wie er wünſchte zu entwickeln gewagt; auch von dem am 
Wortlaut fefthaltenden Hofe hatte er fich befchränfe gefühle. 
In dem Umfiurz der Negierung, unter deren Schirme die 
neue" Lehre emporgefommen, ſah doch Melauchthon auc) 
wieder auf feinem twoiffenfchaftlichen Standpuncte gleichfam 
eine Erleichterung. So geſchah daß er fich dem neuen 
Herrn mit einer ganz unerwarteten Hingebung anfchloß. 
Mit jenen Näthen, deren bloßer Name Luthers Wider- 
willen erweckte, trat er in Verhältniß: wir finden ihn den 
Dr Komerftadt auf deffen Landgut befuchen, er correfpondirt 
mit Garlowig. Wer wollte ihn an und für ſich darum ta 
dein? Mit dem einen berierh er die Gefchäfte der Univer— 
fität, die Herbeibringung der zerfireuten Einfünfte; bei dem 
andern fuchte er etwa für einen alten Freund, Dr Jonas, die 
Erlaubniß der Nückkehr an feine Stelle in Halle nach. Aber 
indem man diefe Wendung feiner Hinneigung und Abhängigkeit 
beobachtet, erſchrickt man fehon vor der Gefahr, in welche 
feine perfönliche Haltung dadurch geräth. In einem unbe: 
wachten Augenblick, in welchem er dem Carlowig für die 


Haltung Melanchthons. 47 


Gewährung eben jener Fürbitte für Jonas dankte, ! ver 
lor er dag größte Verhältniß feiner frühern Zeiten, das ihn 
zu dem Manne in der Welt gemacht hatte der er war, 
die Freundichaft zu Luther, ganz aus den Augen. Das Ge 
fühl der Befriedigung brachte ihm Ältere vorübergegangene 
der Berftimmungen ing Gedächtnif. Er ließ Klagen über Lu— 
thers Eigenfinn und Streitfucht einfließen: er erlaubte fich 
Seitenblicke auf die frühern Herrn. Melanchthong Briefivech- 
fel erweckt fonft immer TIheilnahme, Verehrung, Liebe: diefen 
Brief aber wollte ich, hätte er nie gefchrieben. E8 mag 
feyn daß er, wenigſtens bis auf einen gewiffen Grad, Necht 
hatte: wer wiirde e8 ihm verargen, wenn er feine Klagen, 
zu jener Zeit, in den Buſen eines Freundes ausgefchüftet 
hätte. Jetzt aber, nach der Kataftrophe feines Fürften, nach 
dem Tode des Freundes, Klagen gegen Den, in welchen 
Diefer immer einen Widerfacher gefehen, und der dag Meifte 
Dazu beigefragen hatte jenen zu ſtürzen! — nun, man fieht, 
wohin auch ein edler Menfch, von momentanen DBesie: 
hungen übernommen, gerathen kann. Melanchthon glaubte 
wohl in feiner Befcheidenheit, daß er ein einfacher Gelehrter 
fey. Ein Gelehrter aber wie er, der an den großen Ereig- 
niffen mithandelnd Antheil nimmt, führt Fein Privatleben: 
er hat die Pflicht eines Staatsmann, immer das Ganze 
feiner Ihätigfeit im Auge zu behalten, feine Vergangenheit, 
die unaufhörlich fortwirkt, nicht aufzugeben im überwiegenden 
Gefühl der Nothivendigfeiten des vorhandenen Augenblicke. 
Und fir ihn war diefe Pflicht ganz befonders dringend. In 
ihm mehr als in irgend einem andern lebenden Menfchen 
1. 28 April 1548. Corp. Ref. VI, p. 879. 


78 Neuntes Buch. Zweites Capitel 


fag- die Einheit der proteftantifchen Kirche; der freie Fort: 
gang ihrer Entwickelung Fnüpfte fih an ihn. Jetzt war die 
Zeit gefommen wo er die Zweifel an feiner moralifchen 
Stärke, die fich fchon regten, widerlegen, durch eine männ— 
liche und unnachgiebige Haltung das Zufrauen zur allgemei- 
nern Sache befeftigen mußte. Welche Autorität würde er 
dann gewonnen haben! mie hätte er mit dem wiſſenſchaft— 
lichen Sinn und dem religiöfen Gefühl die fich in ihm durd)- 
drangen, die vereinigten Geifter noch eine Strecke weiter füh- 
ven können! Die Werkftätte der unabhängigen profeftanti- 
fchen Gelehrfamfeit und Theologie, wo fie- auch aufgefchla- 
gen werden mochte, die war fir ihn Wittenberg, nicht jener 
Ort an der Elbe. - Eine unglückliche Iocale Vorliebe aber 
führte ihn in den Bereich einer ftaatsflugen und verführeri— 
ichen Gewalt. Melanchthon drückte fich in jenem Briefe auch 
iiber den ihm ſchon mitgetheilten Entwurf des Interims fehr 
entgegenfommend aus. Er billigte den Artikel über die Kirche 
und die Herftellung der Gebräuche: er erwähnte felbft, mit 
welchem Vergnügen er in feiner Kindheit die Firchlichen Ceri- 
monien mitgemacht; er brachte Borfchläge bei wie die Prediger 
su gewinnen ſeyen: und meinte noch, feine Mäßigung werde 
den Mächtigen nicht genugthun. Sie gereichte innen zum 
höchften Erftaunen. Carlowitz theilte den Brief Jedermann 
mit, der ihn fehen wollte: zahlreiche Abfchriften giengen in 
Augsburg von Hand in Hand: die Anweſenden können nicht 
‚ausdrücken, wie zufrieden fich die Prälaten darüber Außer 
tert, wie unglücklich fich die Evangelifchen darüber gefühlt 
haben; die Gefandten ſchickten das Actenſtück ihren Höfen 
ein. Ach dem Kaifer ward dag Schreiben vorgelefen: „den 


Zufammenfunft in Pegau. 19 


habt ihr," fol er ausgerufen haben, „ſeht zu, daß ihr ihn 
fefthaltet. " 

Von einer Negierung, wie dieſe morigifche war, fo nach— 
haltig und gewandt, fo feft in den einmal gefaßten Gedan— 
fen und gnädig gegen jeden Einzelnen, die fich vor allem 
der PerfönlichFeiten zu bemächtigen fuchte, ließ fich wohl er: 
warten daß fie das verſtehn würde. 

Am 23ften Auguſt ward eine neue Zufammenfunft zu 
Pegau gehalten, wo die drei Bischöfe, unter ihnen noch Georg 
von Anhalt, der die geiftliche Adminiſtration von Merfeburg 
führte, neben Melanchthon noch ein andrer Wittenberger Pro— 
feffor, Paul Eber, und eine Anzahl fürftlicher Räthe erfchienen. 

Was man den Theologen damals bereits abgewonnen 
hatte (e8 darf wohl angeführt werden, daß Melanchthon ein 
paar Tage vorher, unter dem 20ſten Aug., dem Carlowitz eine 
Schrift gewidmet hat), zeigt fich recht, wenn man dag Gut: 
achten über die Lehre das fie hier vorlegten, mit dem in 
Meißen abgegebenen vergleicht, obwohl dag Pegauer eigent- 
lich nur eine Überarbeitung von jenem: ift. 

Der Unterfchied war nicht allein, daß fie Sätze weg— 
liegen, worin die Verfaſſer des Interim und die tridentini- 
fchen Schlüffe zugleich angegriffen waren, 5. B. über Die 
Zmeifellofigkeit der Erlöfung, ! oder in denen der urfprüng- 
liche Gegenfaß beider Syſteme lebhaft hervorgehoben war, 


1. Adfirmamus igitur falsum esse et mendacium horribile 
quod dicunt adversarii, dubitandum esse an habeas remissionem 
peccatorum, was gegen den $ 8 de3 Interim gerichtet if. In dem 
deutfhen Eremplar heißt e3 ſchon milder: „Und ift diefe Rede nicht 
recht daß man zweifeln fol.” Aber in der Pegauiſchen Schrift 
fehlt es ganz. 





80 Neuntes Buch. Zweites Capitel. 


wie da, wo von den Werken die Rede war, aus denen man 
ohne Grund Gottesdienft gemacht: in der Lehre von der 
Rechtfertigung nahm man felbft den Ausdruck eingegoffene 
Gerechtigkeit auf, der der enfgegengefeßten Anſicht angehört. ! 
Julius Pflug war jedoch mit der Art wie das gefchah noch 
nicht ganz befriedigt. Wenn die Theologen feftietten, die 
Gerechtigkeit de8 Verſöhnten bedeute nur, daß Gott fich den 
ichwachen Anfang des Gehorfams um Chriſti willen gefal- 
len laffe, fo forderte man Fatholifcher Seits die Formel, daß 
der Menſch durch den heil. Geift erneuert werde und dag 
Nechte mit der That vollbringen könne. Die Theologen ha: 
ben auf Einreden der fürftlichen Näthe endlich wirklich zu- 
gegeben, daß beide Sätze vereinigt wurden. Go ift eine 
Formel zu Stande gefommen, in der allerdings dag prote— 
fiantifche Prinzip vorherrfcht, die aber nichts weniger als 
aus Einem Guffe ift: man ſieht gleichham mit Augen, wie 
eine Vorfiellung von anderm Urfprung mit demfelben in Be 
rührung geräth und dagegen vorzudringen fucht. Höchlich 
zufrieden erklärte fich Julius Pflug. Da man über die Lehre 
im Allgemeinen, über die Autorität der Kirche und die Sa— 
cramente einverftanden ſey,“ fo hofft er daß man fich auch 
in den übrigen Puncten im Sinne der Faiferlichen Anord- 
nung vereinigen werde. 


1. In der alten Redaction heißt es: Etsi igitur inchoari obe- 
dientiam oportet, tamen non est cogitandum hominem habere re- 
missionem; in der neuen: Etiamsi nova obedientia inchoata est 
et justilia infusa in homine, non tamen cogitandum est quod pro- 
pter eam persona habeat remissionem. Es ijt auffallend daß fie 
es nichts deſto minder nennen „Caput ex formula Mysnica de- 
seriptum. ‘ 

2. Epistola Pilugii ad Georgium Anhaldiae prineipem 14 Cal. 


SZufammenfunft in Celle. 81 


Indeſſen gewann die Sache doch nicht den raſchen Fort⸗ 
gang den er vielleicht ertwarfefe. Dei einer Zufammenkfunft 
einiger Mitglieder der Nitterfchaft und einiger churfürftlichen 
Käthe mit den Theologen, die im October zu Torgau veran- 
ftaltet wurde, zeigten fich die letzten unerfchütterlich. An der 
Univerſität und in der Population war die Stimmung daß 
man nichts mehr nachgeben dürfe. Man verglich wohl dag 
Interim mit dem Apfel welchen Eva dem Adam dargereicht: 
ein einziger Biffen habe dem Manne den Zorn Gottes zu: 
gezogen. Es gieng eine Schrift von Hand in Hand unter 
dem Titel, „daß man nichts verändern fol.’ Dr Eruciger 
meinte noch in den Phantafien die feinem Tode voraus: 
giengen, mit Disputationen diefer Urt geängftigt zu werden, 
aber Widerfiand zu leiſten.“ Symmer dringender jedoch wur- 
den die churfürftlichen Näthe. Am 17ten November, als 
ihr Herr fich bereitete nach Trient zu reifen, um mit dem 
Bifchof von Augsburg den Sohn des Kaifers Don Phi: 
lipp an den deutfchen Grenzen zu empfangen, hielten fie eine 
neue Zufammenkunft zu Kloftercelle mit den vornehmften Su: 
perintendenten und Predigern des Landes; nur die drei milde: 
ſten Profefforen, Major, Camerarius und Melanchthon waren 
zugegen. Die Näthe legten denfelben den Torgauer Entwurf, 
jedoch mit abermaligen Modificationen vor, und erörterten da- 


Oct. 1548. Cum de doctrina de ecelesia ejusque autorilate et 
potestate, de sacramentis denique jam conveniat inter nos, et ea 
probemus quae a Caesaris consilio atque voluntate Christiana 
aliena non sunt. 

1. Entfhuldigung Matthiaͤ Flacii an die Univerfität zu Wit: 
tenberg Bog. 2, II. 


2. Eber an Melanchthon 16 Nov. Corp. Ref. VII, 194. 
Ranke D. Geſch. V. 6 


82 Neuntes Buch. Zweites Capitel. 


bei die Gefahr die eine Verwerfung deffelben nach fich ziehen 
möchte: man Fönne bewirken, daß die Kloftergüter, von de 
nen fich jetst Kirchen und Schulen erhalten, ihnen wieder 
entriffen würden, oder daß gar ein fremdes Kriegsvolk ein- 
dringe und in Sachfen haufe wie in Würtenberg. Vorſtel— 
lungen, die auf die armen Gelehrten, welche an der Wahr: 
haftigfeit und überlegenen Weltkenntniß dieſer Räthe keinen 
Augenblick zweifelten, den größten Eindruck hervorbrachten. 
Sie ſuchten nur den Vorwurf von ſich abzulehnen, als 
ſeyen ſie ſtarrköpfige Leute: vielmehr betheuerten ſie, auch 
ſie ſeyen kaiſerlicher Majeſtät und ihrem gnädigſten Herrn 
zu unterthänigſtem gebührlichem Gehorſam erbötig. Ge— 
nug ſie gaben nach.“ Eine Formel kam dort in Celle zu 
Stande, worin die biſchöfliche Jurisdiction wiederhergeſtellt 
ward, ohne weitere Bedingung, als die ganz allgemeine, 
das biſchöfliche Amt ſolle nach göttlichem Befehl ausgerich— 
tet werden; ja der größte Theil der ſchon abgeſchafften Ce— 
rimonien ward für wieder annehmbar erklärt, Firmelung, 
Olung, canoniſche Geſänge, Lichter, Gefäße, Läuten, faſt 
der ganze Ritus der alten Meſſe, Faſten, Feiertage. Neh— 
men wir Rückſicht auf die ſpätern Äußerungen der Theo— 
logen, ſo läßt ſich wohl nicht bezweifeln, daß man ihnen 
hier Vieles ſo zu ſagen über den Kopf weggenommen, ihr 
Stillſchweigen für Übereinſtimmung erklärt hat; aber ſie 

1. Schreiben vom 19 Nov. Das deutſche Original: „wird 
ſchwer feyn bei dem Wolf diefe befchwerliche Nede zu flillen, “ wäre 
dunfel, wenn es nicht durch die lateinifche Faſſung erflärt würde, 
AA. Synodica X, x, 4: Consideretis ipsi, quam non difficiles se 
pastores exhibuerint, -- sed potius faciles, negleetis iniquis ju- 


dieiis et obtreetationibus, quas secuturas esse intelligunt et ut 
reprimantur diffieile esse futurum. 


Leipziger Snterim. 83 


wagten noch immer nicht zu widerfprechen. Ganz verän- 
dert und umgekehrt zeigte ſich das Verhältniß, als die 
Stände nach Leipzig berufen und diefe Feftfeßungen ihnen 
mitgetheilt wurden. Die Stände erhoben Bedenken: die 
Theologen, weniger eifrig als ihre Pflegbefohlenen, fuchten 
diefelben zu heben. Sie verficherten, daß die Meffe doch nie 
ohne Communicanten Statt finden, dag Frohnleichnamsfeft 
mit Feiner Proceffion verbunden, dem ÖL Feine abergläubi- 
[che Bedeutung beigelegt werden folle. Nach) Maafigabe 
der zu Pegau und zu Eelfe getroffenen Vergleichungen ward 
eine Schrift verfaßt, die unter dem Namen. des Leipziger 
Interim bekannt if, und ald Norm für die Neligionsübung 
in den ſächſiſchen Landen dienen ſollte.“ Als die Theolo— 
gen ihr Werk anfahen, machte e8 fie felber beftürzt, daß fie 
fich fo weit hatten führen laſſen: fie klagten, fie ſeyen durch 
die Meinungen der Machthaber unterdrückt; ihr Troft war, 


1. Schreiben der Bifchöfe in Weller Altes aus allen Theilen 
der Gefchichte Bd I, p. 607, wie denn die auf die Neligion bezüg- 
lihen Acten diefer Landtage dort überhaupt zuerft mitgetheilt find. 
Aus einer andern Handfchrift finden fte fich jest im Corp. Ref. VII, 
254 ff.; mit einigen Zufäßen, die fih auf den magdeburgifchen 
Krieg und die dem Kaiſer zu leiftende Geldhülfe beziehen, im Berlis 
ner Archiv. Auch in den ſchon befannt gemachten Stüden zeigen fich 
da einige merfwürdige Varianten: 3. B. bei dem Bedenken ber Theo: 
logen der Zufaß „gebührlihen und ſchuldigen“ Gehorfam, der alfo 
nicht ein fpäterer Nachtrag iſt, fondern dem erften Entwurfe angehört. 

2. Joh. Bugenhagen verfichert, er habe feinen grauen Kopf 
dargeboten, „ehe ich wolt annehmen die läfterlihen Wfaffenunction, 
Gonfecrationen ꝛc.“ noch ward da (zu Leipzig) vorgetragen Die 
„extrema unctio nomine theologorum.* Voigt, Briefe der 
Gelehrten an H. Albreht p. 93. Melanchthon an Hardenberg 18 
März 1549 (er will nicht beurtheift feyn „ex pagellis, quibus quac- 
dam inserta sunt quae non sunt nostra“). Corp. Ref. VI, 351. 


6* 





84 Neuntes Buch. Zweites Capitel. 


daß doc) alles was fie zugegeben, fi) mit der Wahrheit 
vereinigen laffe, daß fie dieß Joch nur auf fi) genommen, 
um die Kirche der Verwüſtung nicht Preis zu geben. Und 
fo viel ift geroiß, daß fie, obwohl im Weichen und Nachgeben 
begriffen, in Lehre und Cerimonien doch den evangelifchen Lehr: 
begriff in feinem Wefen nicht verlegt haben. Viele von diefen 
Satzungen und Gebräuchen waren eben folche, die Luther in 
feinem Anfang nicht hatte wollen umftürzen laffen. Allein 
welch ein unermeßlicher Unterfchied ift e8 doch, dag Herge— 
brachte einftweilen beftehn laffen, und dag bereits Abgefchaffte 
tiederherftellen. Dort fchont der großmüthige Sieger: hier 
unterwirft fich, gedrängt und beängftigt, der Befiegte. Menn 
auch gemildert durch mannichfaltige Zugeftändniffe, immer war 
e8 doch zuleßt die dee der Einheit der lateinifchen Kirche, 
der man fich durch die Umftände genöthigt wieder unter 
warf. Nur fo lange bis die nöthigen päpftlichen Indulte 
eingetroffen, überließen die Bifchöfe noch die Ordination den 
proteftantifchen Predigern. Als Churfürſt Morig von Trient 
zurüchfam, wo er mit dem Prinzen in das befte Vernehmen 
getreten, eilte er die Agende vollenden zu laffen, die fchon 
in Celle entworfen worden war: im Mai ward fie von den 
Superintendenten angenommen, und bald darauf als Landes: 
gefeß verkündigt. 

Und fo gefchah nun, daß während fich anderwärts Die 
Dberhäupter der proteftantifchen GeiftlichFeit zum Widerftand 
unter jeder Gefahr und Bedrängniß entfchloffen, das Geburte- 
land der proteftantifchen Entwickelung, die Mutteruniverfität, 
von der die Anhänger der neuen Meinungen ausgegangen, 
ja der große Lehrer felbft, der allgemeine genannt, welcher 


Einführung des Interims. 85 


das höchfte Anfehen genoß, fich der religiöfen Verordnung 
des Kaifers allerdings zwar nicht unterwarf, aber doch näher 
anfchloß, als jemand für möglich gehalten hätte. ! 

Sein Beifpiel und fein Rath vermochten nun auch An— 
dere zu einem Ähnlichen Verfahren. 

Zriumphirend verfündigte Agricola in der Schloßfirche 
zu Berlin die Zugeftändniffe der Wittenberger Theologen, 
über welche zu Jüterbock mit den Räthen Joachims II Rück 
fprache genommen worden, als eine Beftätigung des Eaifer- 
lichen Buches, das man fo viel gefchmäht habe. Hierauf 
fragten die märfifchen Prediger in Wittenberg an, was e8 
mit ihren Befchlüffen auf fich habe: ob wirklich dag Wei— 
ben von Waffer, Salz und DI, dag Heben und Legen des 
Kreuzes, Singen der Vigilien von ihnen hergeftellt fen; ob 
man fich wirklich wieder des von den Bifchöfen gemweihten 
Chrisma bediene? Gern, fagen fie, wollen wir bei eurer 
Kirche bleiben und alles halten was ihr haltet, als eure 
Schüler. Bugenhagen und Melanchthon antworteten, nie: 
mals ſey e8 ihnen in Sinn gekommen, das Weihen von 
Waſſer und Ol zu billigen, noch erfchalle die Lehre rein zu 
Wittenberg und über den Inhalt der märfifchen Kirchenord- 
nung fey man nicht hHinausgegangen. hr Landesfürft möge 
das Interim nach Maafgabe diefer Übereinfiimmung einfüh- 
ren. So viel fey übrigens wahr, daß man eher eine harte 
Knechtſchaft ertragen, als eine Verödung der Kirche zulaf 

1. Schreiben Chriftof3 von Karlwitz Torgau 16 März (Berl. 
Arch.), im Anhang: „Mein gn. 9. Fonte leiden daß es ehe befcheen, 
und heldet embfig darumb an.“ Expositio Ddd „librum agendo- 


rum confecerunt ad formulam mandatam, qui perfectus fuit mense 
Martio‘, ao 49, 


86 Meuntes Buch. Zweites Capitel. 


fen müſſe. Und eben fo antwortete Melanchthon den frän- 
Fifchen Predigern. Nicht dag ganze Interim, aber eine Kir- 
chenordnung im Sinne deffelben hatte man Diefen vorgelegt, 
und nur die Wahl zwifchen deren Annahme oder dem Eril 
gelaffen. Viele waren geneigt auszuwandern: Melanchthon 
dagegen rieth ihnen fich wicht zu widerſetzen; ſey doch in 
jener Ordnung weder von Weihungen noch von dem Ca— 
non die Nede, überhaupt nichts darin enthalten mas der 
Lehre geradezu widerfpreche. „Wir müffen nur darauf den- 
ken,“ jagt er, „daß die Kirche nicht verlaffen, die Stimme 
der Wahrheit nicht unterdrückt werde: eine gewiſſe Knechtſchaft 
müffen wir dulden, wenn fie nur ohne Gottloſigkeit iſt.““ 

Unglückfeliger Zuftand! Jedes Widerftreben gegen das 
interimiftifche Anfinnen erfreute fein Herz. Den noch Um 
bedrängten wünſchte er Glück zu ihrer Freiheit: von den noch 
obfchwebenden Berathungen über den Canon in der Meffe, 

1. Schreiben von Pfeffinger, Ziegler und Aleſius an die frän: 
kiſchen Prediger Lipsiae XII Cal. Febr. 1549. Quarto est illud 
quidem durum ae grave, id accipi quod religie et pietas conscien- 
tiae refutat. Sed si accipi tali sensu et intelleetu jubetur qui 
non est veritati contrarius, feratur et haec molestia. -- Vestrae 
conscientiae si sunt integrae et bonae, quod non vestrae gloriae 
aut fortunarum aut etiam vitae causa, sed ecelesiarum respeciu 
et propter ministerium evangelii hoe jugum subieritis et istam 
servilutem perpetiamini, permittatis filio dei Jesu Christo salva- 
tori eaetera. Quod si aliqui astute hoc agunt, ut ita paulatim 
via veritatis obstruatur et reducatur populus in veteres errores, 
vigilare quidem et diligentes esse oportet -- et exspectare auxi- 
lium a domino: hie enim illud consilium malum in capita auto- 
rum eonvertet. Abſchrift im Archiv zu Berlin. Sch bemerfe nod) 
daß dag Schreiben Melanchthons „Concionatoribus Franeieis“, 
das im Corp. Ref. VII, 140 auf den 12 Sept. gefeßt wird, in der 
Berliner Abſchrift ausdrüklih vom 20ſten Januar datirt it: ohne 
Zweifel mit Recht. 


Einführung des Interims. 87 


auf deffen Wiederaufnahme Julius Pflug drang, fo wie über 
die Art und Weiſe der herzuftellenden bifchöflichen Gewalt 
fürchtete er noch Schlimmeres; aber indem er Flagte daß 
man Drohungen und Sophismen verbinde, geheimen Zivang 
ausübe, fügte er fich demfelben doch bis auf einen gemwiffen 
Punct und rieth Andern fich ebenfalls zu unterwerfen. Er 
mußte erleben, daß feine beften und wenigſtens windigften 
Freunde an ihm irre wurden; der anmahnende Brief den 
Calvin an ihn erließ, war voll von Hingebung, Anerken— 
mung und Milde, aber er mußte ihm dag Herz zerfchneiden. ! 

Wie in den Oberlanden, fo machte fich hierauf das 
Interim, obwohl unter gewiffen Milderungen, auch in den 
nördlichen und öftlichen Fürftenthümern geltend. 

In Heffen fchritt man endlich zur Einführung diefer 
Formel, fo fehr die nunmehr berrfchend gewordene Gewohn⸗ 
heit, das religiöſe Bewußtſeyn, dag GSelbftgefühl der Land- 
fchaft fich dagegen fträubten. Im Frühjahr 1549 melde: 
ten die Söhne des gefangenen Fandgrafen, das Interim fey 
sum guten Theil aufgerichtet, wegen des übrigen ftche man 
im Werk: „wahrlich nicht mit geringer Befchwerung vieler 
chriftlichen und gutherzigen Gemiffen. 

Den Herzogen von Pommern machte der Kaifer die 
Annahme des Interims zur Bedingung ihrer Ausfühnung. 
Sie beriefen ihre vornehmften Theologen und Prädicanten 
nach Colbatz, und wenigſtens einen Theil derfelben überre— 


1. Epistolae Calvini nr 117. Plures tu unus paululum ce- 
dendo querimonias et gemitus excitasti, (uam -centum mediocres 
aperta defectione. Der Brief ift mit 1551 bezeichnet, aber wohl 
fein andrer als der, deffen nr 115 Erwähnung geſchieht, alfo vom 
Suni 1550. 


58 Neuntes Buch. Zweites Capitel. 


deten fie: wie man denn. in Greifswald ohnehin gewohnt 
war, dem Beilpiele Bugenhagens, den Lehren Melanchthong 
ſich anzufchließen. Bartholomäus Suave, Biſchof von Ca: 
min, aber evangelifch und verheirathet, mußte auf den aus— 
drücklichen Befehl de8 Kaifers das Bisthum fahren laffen. 
Die Fürften leifteten auf dem Eirchlichen Einfluß den fie big- 
her ausgeübt, förmlich Verzicht: dem Nath von Stral—⸗ 
fund haben fie erklärt, darin Diejenigen fchaffen laffen zu 
wollen, denen folches Amts halber gebühre. Nach dem Mu- 
fter des Leipziger Interim ward auch hier EM eine ver 
mittelnde Formel aufgeftellt. 

Als Herzog Ulrich von Meklenburg zum Bifchof von 
Schwerin poftulirt ward, hielt er doch für gut, die Weihen 
nach der Gewohnheit der alten Kirche zu nehmen. Der Bi— 
fchof Magnus von Sfara ertheilte fie ihm, wie er ſagt „uns 
ter Mitwirkung der Gnade des fiebenfältigen Geifteg. 

Der Herzog von Eleve mußte jet endlich, was er bisher 
noch immer vermieden, auf die Ausführung feines Tractats 
mit dem Kaifer denken: in Soeft, Wefel, LKippftadt ord- 
nete er die Einführung des Interim an. Mit vielem Selbft- 
gefühl ließ fich fein Bevollmächtigter Gropper in Soeſt ver: 
nehmen: „So will e8 ©. faif. Maj.“, vief er aus, „To will 
es mein gnädigfter Fürft, fo will auch ich e8 haben.’ 

Im Lippifchen widerſetzten fich vergebens die entfchlof- 
fenften Prädicanten, — merkwürdiger Weife vornehmlicd) Die, 
welche aus dem Mönchthum übergefrefen, — eur 8 gab 
andre die fich fügten. 

In Hftfriesland fegte der Canzler Weften, deffen Ge: 


1. Hamelmann Hist. renovati evangelii p. 1116. 


Einführung des Interims. 89 


finnung jedoch Vielen zweifelhaft erfchien, ein Kirchenformu- 
lar durch, Eraft deffen die weißen Chorröcke wieder erfchienen, 
lateinifche Gefänge, und was dem mehr: obgleich man aud) 
bier nicht alie Anordnungen des Faiferlichen Buches einführte. 

Wohl hörte die Oppofition in alle den genannten Län: 
dern darum nicht auf, aber die Äußere Einheit machte doch 
Tag fir Tag Fortfchritte. 

Und indeffen wurden im Fatholifchen Deutfchland kraft 
eines von den Prälaten noch zu Augsburg gefaßten Befchluf 
fes überall Synoden der Diöcefen und der Provinzen ge: 
halten, um die von dem Kaifer gebotene Neformation ein: 
zuführen. 

Beide Theile wurden von feinem Einfluß, feinem MWil- 
len beherrfcht. 

Der Fortgang feines Unternehmens war fo glücklic) 
und umfaffend, daß er wohl meinte auch die fcandinavifchen 
Reiche herbeisubringen, fein Interim auch in England durch: 
zufeßen. Hatte ihn doch der Czaar von Moscau um die 
Zufendung wie andrer Gelehrten fo auch einiger Theologen 
erfucht, und wenn wir recht unterrichtet find, die Abficht 
Fund gegeben, durch feine Bevollmächtigten an dem verfpro: 
chenen freien chriftlichen Concil Antheil zu nehmen. ! 

1. Chyträus Saxonia 488. Desiderium conjunctionis cum 
Germanico imperio adversus Turcas et concordiae in religione 


ineundae exponit, quam missis ad liberum generale vel nationale 
in Germania concilium hominibus suis promovere cupiat. 





Drittes Capitel. 


Stellung und Politik Carls V 1549 — 1551, 


Dergeftalt machte fich, feit mehr als drei Jahrhunder— 
ten zum erften Mal, ein durchgreifender Wille in Deutſch— 
land geltend, und zwar in derfelben zwiefachen Nichtung, in 
welcher die alten Kaifer gewirkt. Es konnte fcheinen als 
würde der Druck den man erfuhr wenigſtens dadurch ver- 
gütet werden, daß die alte Macht der deutfchen Nation, ihr 
Übergewicht in Europa twiederhergeftellt würde. 

Wir haben jedoch längſt bemerkt, daß die Intereſſen 
der Nation und ihres Dberhaupfes mit nichten in einander 
aufgiengen. 

Carl V war ein Sprößling des burgundifchen Haufeg, 
dag mit nationalen Beftrebungen nichts gemein hatte. 

Im funfehnten Jahrhundert, als die Firchliche Einheit 
nicht mehr fo unbedingt vorwaltete, die Erbfolgefriege zu 
haltbarem Befisftand geführt hatten, England von Frank 
reich, Stalien von Spanien, Polen von Ungarn abgefondert 
worden, und ſeitdem die Nationalitäten fich in feften Schran- 
Een zu entwickeln begannen, auch die deutfche Nation den 
Verſuch machte alle ihre Glieder durch umfaffende Einrich— 


Stellung und Politik Carls V. 9 


ungen zu vereinigen, da war auch diefe burgundifche Macht 
emporgefommen: aber im MWiderfpruch mit allem nationalen 
Beftreben, nur auf Anſprüche der Erbfolge und Übergewicht 
der Kräfte fiber die jedesmaligen Gegner gegründet: auf Die: 
fem Grunde emporftrebend und vom Glück begünſtigt. Carl 
der Kühne Fam um, indem er feine Herrichaft über die Grenz 
lande von Deutjchland und Frankreich auszudehnen fuchte. 
ie weit aber follte der Fortgang feines Haufes die Ermwar: 
fungen übertreffen die er hätte begen können. Carln V, 
der an dem von feinem Ahnheren gebildeten Hofe, welcher 
deffen Ideen fefthiele, erzogen worden, der den dynaftifchen 
Gedanken Burgunds in feinen Wahlipruch „Mehr Weiter‘! 
auf feine Münzen prägen ließ, Eoftete e8 einige Mühe, in 
den verfchiedenen Ländern die ihm zufielen, in Befig zu kom— 
men: in den fpanifchen Königreichen, wo er mit einer gro: 
Ben Nebellion zu Fümpfen hatte, in Italien, wo ihm ein 
mächtiger Nebenbuhler lange Jahre die Spitze bot; aber 
e8 gelang ihm damit: dieſer Nebenbuhler, urfprünglich an 
Anfehen überlegen, vermochte doch das auffommende Glück 
Carls V nicht niederzuhalten: bald fehen wir e8 wie in felb: 
ſtändigem Fluge fich erheben und den Glanz der franzöfifchen 
Waffen und Macht verdunfeln. Nicht minder gelang es 
Carl V, die Befchränfung die ihm jedes einzelne feiner Län 
der aufzulegen fuchte, zu durchbrechen. Wir haben bemerkt, 
wie Caftilien zu feinen deutjchen Kriegen beiſteuerte; — ein 
Sohn jenes feines niederländifchen Freundes, des Vicekönigs 
Lannoy, führte ihm neapolitanifche Neiter über die Alpen, — 
Deutjche und Staliener kämpften für ihn auf den africanifchen 
Küſten; — Antwerpen Fam durch den Verkehr mit Spanien 





92 Neuntes Buch. Drittes Capitel. 


und die Rückwirkung der Colonien in Afien und Amerika empor 
und vermittelte feine Geldhaushaltung. Eine gewiſſe Einheit 
ift Diefer Macht nicht abzufprechen, aber man würde in Ver— 
legenheit feyn, wenn man fie mit einem beftimmten an eine 
Nation anknüpfenden Ausdruck beseichnen follte. Noch dürfte 
man nicht von einer fpanifchen Monarchie im fpätern Sinne 
des MWorts reden: dazu war dag fpanifche Element, da die 
Niederlande noch ungetrennt gehorchten, da die höchfte Würde, 
das Kaiferthbum, von fo ganz anderm Urfprung herrührte, 
noch nicht vorwaltend genug; eher machten die Brabanter 
den Anfpruch alles zu regieren, ! doch waren auch fie durch 
die Maffe der übrigen DBeftandtheile weit überwogen: Die 
Einheit der Macht beruhte blos in der Perſon, dem Haufe 
des Fürften felbfi, wie denn durch ihn allein geſchah daß 
die Länder zufammengehörten. 

Wir werden ung, denke ich, nicht fäufchen, wenn wir aus 
diefer Lage der Umftände das Verfahren herleiten, das er in 
der innern Negierung feiner Länder befolgte. Es war Feing, 
aus deffen Mitte ihm nicht ein befondrer Wille entgegengetre- 
ten wäre, wo er nicht mit Landftänden zu verhandeln gehabt 
hätte, von deren Bewilligung die Summe feiner Einfünfte 
abhieng: er mußte ihre befondern localen Intereſſen fchonen 
und fördern; aber niemals durfte er irgend einem von ihnen 
überwiegenden Einfluß auf dag Ganze feiner Verwaltung ge: 
ftatten: er würde damit alle andern verlegt haben und über: 
haupt aus dem Mittelpunct feiner Gedanken gewichen feyn. 


1. Die „weltregierenden Brabanter mit ihren fpißen Finan— 
zen” find ihren Nachbarn ein Gegenftand des Haſſes. Carl Harft 
an den Herzog von Cleve 21 Aug. 1540. „Unter dem Scheyn das 
fy den Keifer haben, verhoffen fie alles unter ir Zoch zu bringen.‘ 


Stellung und Politik Carls V. 93 


Die Macht die er befaß, war nichts Fertiges, Abgeſchloſſe— 
nes, fondern etwas noch immerfort Werdendes, Sich: ent- 
wickelndes: noch hatte er nach allen Seiten hin Anfprüche 
und Pläne, an die er große Gedanken anfnüpfte. Die For: 
derung die er an feine Landfchaften ftellte war hauptfächlich, 
ihn bei Verfolgung derfelben in feinen auswärtigen Ange 
legenheiten zu unterftügen, mit Leuten, Waffen und Geld: 
befonders mit Geld, wofür alle andre leicht zu befommen 
war: fie dazu zu ftimmen, bildete einen vorzüglichen Gefichtg- 
punct feiner Staatsverwaltung. Es leuchtet ein, daß die de 
liberativen VBerfammlungen, die früher überall auf eine wenn 
gleich minder mächtige, aber doch unabhängige centrale Ne 
gierung Einfluß gehabt, dadurch nicht wenig verloren. Gar 
bald finden wir in Caſtilien zwar noch die Städte fich ver- 
fammeln, welche Bewilligungen machen, nicht aber die Gran: 
den und hohen Prälaten, die den Königen einft Gefeße ge: 
geben. Nicht mehr die großen Angelegenheiten, deren Ent: 
fcheidung früher von Wirkung und Rückwirkung der entge— 
gengefeßten Parteien abhieng, fondern nur provincielle In— 
tereffen Famen überall in den ftändifchen Verſammlungen zur 
Sprache. Überhaupt muß man fagen daß die Negierung 
Carls V dem Prinzip fändifcher, republicanifcher oder muni: 
cipaler Freiheit nicht günftig war. In Stalien wollte er auch 
da, wo er nicht feine Herrfchaft, nur feinen Einfluß gegründet, 
Feine freie Bewegung der Kräfte, Die leicht zu einem ihm un. 
bequemen Umfchwung hätte führen können. Er hat Florenz 
den Medici überliefert, in Genua alles gethan um dag Über: 
gewicht der Doria zu befeftigen. Der legte Mann der die 
Herftellung der republifanifchen Freiheiten in Italien in Sinn 


94 Neuntes Buch. Drittes Capitel. 


faßte, Franz Burlamacchi von Pucca, ift in einem feiner Ge 
fängniffe zu Mailand geftorben. Wir berührten, wie Die 
Stadt Gent bei dem erfien VBerfuche den fie machte, von 
dem alten Begriffe ftändischer Berechtigung aus auf die Krieg: 
führung Einfluß zu gewinnen, behandelt wurde. In dem 
Umfreife diefer Gewalt, gleichviel ob fie eine directe oder 
eine indivecte Herrfchaft ausübte, durfte Fein Widerftreben 
fichtbar werden. Carl V befaß die Mifchung von Klugheit 
und Nachhaltigkeit die dazu gehörte um ein folches Verfah- 
ven durchzuführen, ohne doch das Selbſtgefühl der verfchie: 
denen Provinzen zur Empörung aufzureizen. 

Nun liegt am Tage, daß ein Ähnliches Syſtem aud) 
in Deutfchland befolgt werden mußte, und befolgt ward. 

So höchſt erwünscht der Befi des Kaiſerthums war, 
welches diefer ganzen Macht erft einen Namen gab, fo gieng 
doch der Sinn Carls V nicht dahin, außer vielleicht in Ei— 
nem Puncte, deffen wir bald gedenken werden, der Eorpora- 
tion, welche ihm die Winde übertragen, den Anfpruch zu 
geftatten den fie machte, bei der Verwaltung derfelben einen 
weſentlichen Einfluß auszuüben. Er entsog feine Niederlande 
vollends der höchften Gerichtsbarfeit des Neiches; während 
er verfprochen die abgefommenen Reichslande twieder herbei- 
zubringen und bei dem Neiche zus laffen, riß er vielmehr ein 
altes Neichsland, das Bisthum Utrecht, davon ab und ein: 
verleibte es feinen eignen Landen; die italienifchen Lehen, zu: 
legt auch Mailand, nachdem es ihm fo lange zu einem Mo: 
ment feiner Unterhandlungen gedient, vergabte er ohne Nück 
ficht auf die Neichsfürften; er fah das Neichgfiegel mit Ver- 
gnügen aus den Händen des Reichserzcanzlers in die Hände 


Stellung und Politik Carls V. 95 


feines vertrauteften Nathes Granvella übergehn; der ihm 
aufgelegten Capitulation zum Troß hielt er fremde Truppen 
im Reiche. 

Für die innere Verwaltung des Reichs war ihm der 
veligiöfe Zwiefpalt, der fie übrigens fo ſchwierig machte, doch 
in einer andern Beziehung wieder vortheilhaft. Wir wiſ— 
fen, wie die Proteftanten durch die Zugeftändniffe die ihnen 
gefchahen, gewonnen wurden und dabei doc) auch die Ka: 
tbolifchen, befonders die Bischöfe, den vornehmften Nückhalt 
der ihr Beftehen ficherte, in der Faiferlichen Macht erblickten. 
Schon bisher Fam es denn doch zu allgemeinen Bewilligun— 
gen, gemeinfchaftlichen Kriegszügen, wiewohl in der Regel erſt 
nach zweifelhaften Unterhandlungen und neuen Conceffionen. 
Nunmehr aber war e8 ihm gelungen, auch diefer Nothwen— 
digkeit widerfprechender Nückfichten zu entkommen; in Folge 
des Krieges beherrfchte er die Berathungen der Neichsver: 
fammlung zu Augsburg, wenn nicht vollftändig, doch in 
ihren wichtigften Momenten: der deutfche Neichstag fieng 
an, feinem Einfluß zu unterliegen, fo gut wie andre Stände: 
verfammlungen feiner Lande. Auch die Autonomie der Städte 
hat er, obwohl er fich zumeilen als Städtefreund bezeichnete, 
in Deutfchland fo wenig begünftige wie in feinen erblichen 
Gebieten. Den Antheil an der Neichgregierung, den fie um 
ter feinen legten Vorfahren wenn nicht ganz vechtsbeftän- 
dig, doch thatfächlich gewonnen, haben fie unter ihm, eben 
auch großentheils in Folge des Krieges, welcher eine Art 
von Städtefrieg und zwar der unglücklichfte von allen ge 
weſen ift, wieder verloren. Genug, zu der Macht welche 
die Regierung der übrigen dem burgundifch-öftreichifchen Haufe 


96 Neuntes Bud. Drittes Capitel. 


angefallenen Länder bildete, Fam nun auch eine fief eingrei- 
fende Reichsgewalt. Carl V war in den Jahren wo wir 
ftehen der große Fürft von Europa. 

Fragen wir aber, was er in Beſitz diefer Stellung nun 
weiter beabfichtigte, fo erfüllte ihn vor allem der Ehrgeiz, 
was er war, in vollem Sinne de8 Wortes zu feyn, nem- 
lich Kaifer. 

Er hatte diefe Würde, in Bezug auf Macht, aus der 
Hand feines Vorgängers mehr wie einen Anfpruch empfan- 
gen: er war entfchloffen denfelben auszuführen. 

Er faßte aber das Kaiferthum nicht fo auf, daß er 
ſich bloß als Oberhaupt des deutfchen Neichgförpers erfchie- 
nen wäre: er betrachtete fich alles Ernfteg, wie die alten Kai- 
fer gethan, als das weltliche Oberhaupt der Chriftenheit. 

Da hatte er nun den unermeßlichen Vortheil, daß er 
nicht auf Deutfchland allein angemwiefen wars die Kräfte al- 
fer feiner Neiche wirkten dafür zufammen. Der Befiß je 
ser burgundifchen, fpanifchen, italienischen, deutfchen Lande, 
verbunden mit dem Königthum feines Bruders in Ungarn 
und Böhmen, gewann eine höhere allgemeine Bedeutung, in- 
dem die Kealifation der höchften Ideen der weltlichen Macht 
im Abendlande fich daran Fmüpfte. 

In den Fahren feiner Jugend, bis ziemlich tief in fein 
Mannesalter hinein, war e8 nun fein vornehmfter Wunfch, 
nachdem die Chriftenheit feit dritthalb Jahrhunderten nur 
Berlufte erfahren, ihr wieder einmal einen Sieg zu verfchaf- 
fen. Eine der vornehmften Tendenzen der fpanifchen Na: 
tion zur Eroberung und Colonifation von Nordafrica und 
die drohende Gefahr, in welcher fich Deutfchland, vor al 


Stellung und Politik Carls V. 97 


lem fein Bruder durch die Osmanen fah, gaben ihm hiezu 
einen gleich ftarfen Antrieb. Er ſah ſich in Gedanfen fchon 
in Conftantinopel, in Jeruſalem. Seinen Zug gegen Tunis 
ließ er fich im Ton einer Kreuzfahrt befchreiben. 

In den fpätern Zeiten nahm jedoch fein Eaiferlicher Ehr- 
geiz eine andre Wendung. 

Indem er im Sahre 1541, 42 zu beiden Geiten mit 
den Osmanen fchlug, fah er plötzlich durch eine allgemeine 
Combination feine Macht in dem mern von Europa ge 
fährdet, und mit Nothiwendigkeit erhob fich ihm der Ge: 
danfe, daß er vor allem andern erft diefe befeftigen, eine 
beffere innere Einheit gründen müſſe.“ Es war der gefähr: 
lichfte Augenblick den er erlebt hat, aber die Politik die er in 
demfelben nach dem Innern gewandt ergriff, führte ihn raſch 
zu den glücklichften Erfolgen. Dort in der Nähe von Pa: 
vis, wiewohl die Würfel noch zweifelhaft lagen, nöthigte er 
doch den König Franz, zugleich auf feinen Bund mit den 
Dsmanen Verzicht zu Teiften und Zufagen zu thun die felbft 
gegen den Papſt angewandt werden Fonnfen. Denn in— 
dem der Kaifer die weltliche Einheit einigermaßen befeftigte, 
war er Schon entfchloffen auch die geiftliche wiederhersuftel- 
len. Wirklich konnte der Papſt fich nun nicht mehr ſträu— 
ben das lange verfprochene Concilium anzufündigen. Daß 
die Proteftanten fich weigerten es anguerfennen, ward ein 
Anlaß auch fie mit Gewalt der Waffen heimzufuchen. Der 
glückliche Ausgang diefer Unternehmung gründete die Macht 
in deren Beſitz wir den Kaifer fehen: zur Wiederaufrichtung 


1. Die Kriege mit Sranfreih wurden am fpanifchen Hof als 
bella intestina betrachtet. 


Ranfe D. Gef. IV. 1 


98 Neuntes Buch. Drittes Eapitel. 


der alten Einheit fehlte e8 eigentlich an nichts, al an dem 
Verſtändniß mit dem geiftlichen Oberhaupt. Und war nicht 
fchon das ein großes Nefultat daß Carl V den alten Kampf 
der weltlichen Macht gegen die geiftliche, nicht wie frühere 
oder fpätere Könige mit befchränften Gefichtspuncten, ſon— 
dern ganz im Allgemeinen, - in den Angelegenheiten degjeni- 
gen Conciliums dag wirklich die Fatholifche Nechtgläubigkeit 
und Kirchenverfaffung auf die folgenden Jahrhunderte firirt 
bat, twiederaufnehmen konnte? Einer feiner urfprünglichen 
Gedanken, mit dem er bei feiner erften Ankunft in Deutfch- 
land auftrat, war die Neinigung und Neform der Kirche, 
freilich in einem andern Sinn als in welchem Luther fie 
unternahm, in einem folchen, bei dem er als das weltliche 
Dberhaupt der Lateinischen Chriftenheit beſtehn oder vielmehr 
erft wahrhaft auftreten Fonnte. Hiefür war e8 ihm lieb, 
fich auf die Bedürfniffe und die Autorität des Neiches ftüßen 
zu Fönnen. Die Anordnungen geiftlichen Inhalts die er unter 
Autoriſation des Neiches getroffen hat, gaben ihm eine geiftliche 
Berechtigung. Set nun lebte und webte er in diefem Gedan- 
fen: feine geiftlichen Einrichtungen im Neiche durchzuführen, 
an den conciliaren Angelegenheiten eingreifenden Antheil zu 
nehmen, befonders die Neform ins Werk zu feßen, die auch 
den römischen Hof betreffen mußte: Abfichten die nur dem 
allgemeinen Wohle zu gelten fchienen, aber dabei doch die 
größte Machterwerbung herbeizuführen, den Fortfeger Carls 
des Kühnen wirklich zum Oberhaupt des Occidents zu ma— 
chen verſprachen. 

Wohl lag in dem urſprünglichen Begriffe des deutſchen 
Kaiſerthums die Möglichkeit einer ähnlichen Stellung. Wäre 
Carl V ein Deutſcher geweſen, von den nationalen Ideen 


Stellung und Politik Carls V. 99 


jener Zeit durchdrungen, allein auf die Hülfe der Nation 
angemwiefen, fo Eonnte er eben fo gut darnach ftreben, doch 
nur in evangelifchem Sinne. Jetzt aber nahm er fie in 
Befis in Folge eines Sieges über die nationalen Beſtre— 
bungen und Bindniffe, zu welchem er durch fpanifche und 
italienische Kräfte und eine fremde Gelehrfamfeit unterftütt 
worden war. Könnte man nicht vielmehr fagen, daß er 
dag Kaiſerthum der deutfchen Nation entfremdete und gegen 
diefelbe Eehrte, al8 daß er e8 in ihrem Sinne verwaltet 
hätte, zu ihrem Beften? 

Seine Verhältniffe waren nun aber nicht fo befchaffen, daf 
fie ihm nicht die mannichfaltigfte Nückficht aufgelegt hätten. 

Er hatte ſich zu dem Frieden mit den Osmanen beque- 
men müſſen, die feine natürlichen Feinde waren und blieben. 

Sein Glück wollte, daß dem neuen König von Frank 
reich die Zahlung der Geldfummen welche fein Water den 
Engländern verfprochen gegen die geringe Sicherheit der da- 
gegen ftipulirten Herausgabe von Boulogne eine zu große 
Laſt fchien, und fo der Krieg zwifchen England und Franf- 
reich, kaum befchwichtigt, wieder ausbrach und die beiden 
Nationen fürs Erfte vollauf befchäftigte. Carl hütete fich 
wohl, ſich in ihre Zwiſtigkeiten einzulaffen: man hat ihm 
vielmehr Schuld gegeben daß er fie nähre: gewiß hieng 
e8 von denfelben ab daß er nach andern Geiten bin freie 
Hand behielt. 

Dabei verſäumte er jedoch nicht alle Bervegungen des 
Königs von Frankreich mit fcharfer Aufmerkfamfeit zu be 
gleiten. Die Unterhandlungen deffelben mit dem Papft und 
mit Venedig gaben feinen Gefandten viel zu vermurhen und 

7 * 








100 Neuntes Buch. Drittes Capitel. 


zu ſchreiben.“ Die Faiferlichen Minifter drücken fich zwar un- 
beforgt darüber aus, weil doch Fein Theil dem andern frauen 
werde: unter der Hand aber ergreifen fie fchon Maaßregeln 
gegen ihre Erfolge. Mitten im Frieden nehmen fie Anerbie- 
fungen frangöfifcher Hauptleute an, die etwa dahin zielen 
ihnen eine Feftung des Königs zu überliefern, und zahlen 
ihnen Geld dafür, mit der Weifung daß fie fich fill‘ halten 
follen bis etwa der König den Frieden breche. ? 

Einer der vornehmften Gefichtspuncte des Kaifers gieng 
dahin, Feine Verbindungen der Franzofen in Deutfchland zu 
dulden, weder mit den Fürften noch auch mit den Kriegshaupr- 
leuten. Das Gefeb das er am Reichstage durchbrachte, daß 
Niemand fremde Kriegsdienfte nehmen dürfe, nicht allein nicht 
wider ihn oder feinen Bruder, fondern auch nicht ohne ihre 
Genehmigung, — dag jedoch, auch aus allgemeinen Gründen, 
hauptfächlich darum Widerfpruch fand, weil es dem Kriege: 
gewerbe fchade und man einmal Feine Kriegsleute mehr finden 
möchte, wenn man ihrer bedürfe, — war hauptfächlich ge 
gen Frankreich gerichtet. Und aufs firengfte ward es in Voll- 
sug gefeßt. Der Hauptmann GSebaftian Vogelsberger hatfe 
dem König von Frankreich bei Gelegenheit feiner Salbung 
ein paar Fähnlein sugeführt, die zu einer Demonftration ge 
gen die englifche Grenze gebraucht worden waren. Noch 
während des Neichgtags von Augsburg ward er dafiir — 
nicht ohne Hinterlift — gefangen genommen, herbeigeführt 

1. Instruction à Simon Renard amb" & la cour de France. 
„Il veillera d’assentir s’il se traietera quelque ligue entre eux 
(le Pape et le roi) de la quelle il a ja est€ pourparle bien long- 
temps et avee quelles conditions elle se fera. 


2. Schreiben Granvellas an Nenard über die Unträge des Ti 
berio de la Rocha. Pap. d’et. III, 374. 


Stellung und Politik Carls V. 101 


und zum Tode verurtheilt. Vogelsberger war ein ſchöner 
Mann, „daß ich nicht weiß," fagt Saſtrow, „ob ein Ma- 
ler einen Mann anfehnlicher hätte malen Eönnen, hohes Ge 
müths, anfchlegig und beredt“: gut evangelifch: die Prote- 
ftanten richteten nach fo vielen Verluſten die fie erlitten ihre 
Augen auf ihn. „Herr Conrad," fagte er zu Conrad von 
DBoineburg, den er auf feinem Wege zur Nichtftätte anfich- 
tig ward, „iſt mir nicht zu helfen?! „Mein Baftian,’ aut 
wortete ihm Boineburg, „belfe Euch unfer Herre Gott." 
„Der wird mir auch helfen," antwortete Vogelsberger, und 
ſchritt mit aufgerichtetem Haupfe zum Nichtplaß; er ftarb, 
vollfommen im Gefühl daß er unfchuldig leide; im Grunde 
war dieß die allgemeine Meinung. Der Kaifer ward ohne 
Zweifel dadurch zu feinem Verfahren bewogen, daß einige 
der nahmhafteſten Oberften, der Rheingraf, Neckerode, Schärt: 
lin, nach Frankreich geflohen waren und unter dem deutfchen 
Kriegsvolk noch zahlreichen Anhang hatten. Durch den 
Schrecken diefer Execution fuchte er alle Verbindung mit 
ihnen abzufchneiden. 

Jede Nachricht von der Anweſenheit eines deutfchen Be— 
vollmächtigten am franzöfifchen Hofe fett ihn in Aufregung. 
Er beauftragt feinen Gefandten, alles zu thun um dahinter 
zu Fommen, ob ein folcher auch wirklich nur das betreibe, 
was er als den Zweck feiner Sendung angiebt, oder viel- 
leicht gar etwas Pflichtwidrigeg; er fol dabei Fein Geld fpa- 
ren: denn e8 ſey eine Sache die man ergründen müſſe. 

Eben fo hat der Gefandte die Anmweifung, die Unter: 
bandlungen der einzelnen italienifchen Fürften mit Frankreich 
im Auge zu behalten. Man dürfte nicht fagen, daß der 


102 Heuntes Buch. Drittes Capitel. 


Kaifer Eeinen Grund dazu gehabt habe dieß zu befehlen — 
der Herzog von Ferrara 5. B., der ihm fo viel verdanfte, hatte 
doch gefagt, er wolle fein Land auf Feine Weife gefährden, 
auch nicht zu Gunften des Kaifers, — aber c8 bezeichnet fein 
in jedem Augenblick unficheres Verhältniß, daß es fo war. 

Obgleich die venezianifche Negierung ihm Vertrauen ein 
flößte, fo verfäumte er doch nicht, immer einige der vornehm: 
ſten Edelleute ihrer Terra ferma in feine Dienfte zu nehmen. 
Die alte gibellinifche Gefinnung der Colonnas diente ihm 
den Papft mitten in Nom doch immer in einer gewiſſen Be 
forgniß zu halten. } 

Gar mancher von den Näthen deutfcher Fürften bezieht 
eine Befoldung von ihm, unter Andern Carlowitz: die Fürs 
ften felbft, oder mwenigftens die jüngeren Söhne aus den res 
gierenden Häuſern, find nicht felten durch Sahrgelder oder 
Kriegsdienfte an ihn gefeffelt. Selbft an dem Hofe feines 
Bruders fucht er nicht allein Freunde zu haben, feine Ge: 
fandten geben ihm über die Gefinnung und politifche Ten: 
denz der Näthe deffelben, über jede Abweichung ihrer Politik 
von der Faiferlichen eine nicht allzeit günftige Runde. 

Mit ungemeiner Nückficht wurden auch die entfernten 
Höfe behandelt. Mit dem jungen Sigismund Auguft von 
Polen ftand man nicht immer gut. Zu den preußifchen Ans 
gelegenheiten, wo er die Widerpart des Kaifers hielt, Famen 
bald die fiebenbürgifchen hinzu; feine Bermählung mit einer 
Eingebornen, nach dem frühen Tode einer öftreichifchen Prin— 
zeffin, die fich dort Feinen Augenblick glücklich gefühlt, hatte 
fein gutes Blut gemacht; allein für alle ungarifchen, os— 
manifchen, felbft für die erbländifchen Verhältniſſe, — ich 





Stellung und Politik Carls V. 103 


finde unter andern, daß die Franzofen ihn aufgefordert feine 
alten Nechte an Schlefien geltend zu machen, — war ein 
freundliches Vernehmen mit ihm unfchäßbar. Der Kaifer 
hätte fonft dem Großfürften von Moscau gern den Titel 
König, wie er es wünſchte, beigelegt: — die Nückficht auf 
Polen hielt ihn davon ab. ! 

Noch viel begründeter war die Feindfeligkeit des Hau— 
ſes Oftreich gegen Dänemark: aber da die Niederlande fchon 
einmal die Nachtheile des Krieges empfunden, fo mußte eg 
bei der Anerkennung Chriftians III fein Verbleiben haben, 
wie fehr auch das pfähifche Haus fich dagegen flräubte. 
Deutfche Fürften fuchten zumeilen durch die Fürfprache deg 
Königs in die Gnade des Kaifers zu kommen;? Chriftian 
vermittelte ein freundfchaftliches Verhältniß zwiſchen Carl V 
und Guſtav Wafa. 

Wie weit die vorforgende Umficht gieng, davon ift ein 
Beifpiel, daß einft der portugiefifche Gefandte am franzöfifchen 
Hofe bedeutet ward, nicht zu vortheilhaft von der Macht 
des Sheriff von Marocco zu fprechen, weil man Dort fonft 
Luft befomme fich mit demfelben zu verbinden. 

Die Erwägung und Behandlung diefer Angelegenheiten 
bildete nun dag Tagewerk des Kaifers. 

An dem Briefwechſel deffelben mit feinem Bruder, fei- 
ner Schwefter Maria, feinen Gefandten, befigen wir davon 
die merfwürdigfien Documente. Die Briefe find wie Ge 
fpräche, wo alle Verhältniffe, große und Eleine, durchgegan- 


1. Aus Herberfteinsg Moscovia läßt es fich wenigftens fchlie: 
gen; die Gefandten verfihern es ausdrücklich. 
2. Cragius 303. 


104 Neuntes Duch. Drittes Capitel. 


gen, hin und wieder erwogen werden: und fo gefchieht «8 
wohl daß fie zumeilen ein wenig gedehnt erfcheinen; allein 
fie zeigen ein vollkommenes, den Geift erfüllendes Bewußt— 
feyn de8 gegenwärtigen Moments, den fie auf das frefflichfte 
erläutern: fie find gründlich und fein, umfaffend und ein: 
dringend, fie eröffnen die Motive der Handlungen mit über: 
rafchender Klarheit, und halten immer an der großen Ten 
denz feft, welche einmal ergriffen worden. Man dürfte aber 
nicht glauben daß fie alles fagen. Ferdinand redet wohl 
einmal von der Möglichkeit, daß der Kaiſer Herr von 
Deutfchland werden könne: Carl V würde dieß Wort nie 
mals ausfprechen, niemals giebt er fich bloß. 

Vielmehr mit der unausgejprochenen Abficht die in fei- 
ner Seele lebt, beberricht er alle und leitet er alles. 

Anfangs führten Chievres und Gattinara die Gefchäfte: 
da bemerfte man nur, wie eifrig der junge Fürft fich denfelben 
widme, wie er fein vornehmftes Vergnügen daran finde; 
nach Gattinaras Tod nahm er fie felber in die Hand. 

Noch heißt es eine Zeitlang, er thue nichts ohne feine 
Minifter: bald darauf hören wir, daß fie nichts thun ohne 
ihn; allmählig bekennt ein Sjeder, daß er felbft die Haupt: 
fache augrichtet, daß er von den Elugen Leuten die er um 
ſich verfammelt, felber der Klügfte ift. 

In dem Minifter der ihm während der großen Ereig- 
niffe die wir betrachtet, vornehmlich zur Seite ftand, Nico: 
lag Perrenot Granvella, dem Altern, hatte er jedoch in die: 
fem Rufe faft einen Nebenbuhler und gewiß einen unver 
gleichlichen Gehülfen gefunden. Granvella war ein Mann der 
den halben Virgil auswendig wußte, fich in feiner Heimath 


Stellung und Politik Carls V. 105 


in der Sranche- Comte eine Galerie von den Meifterftücken 
der Kunft anlegte, durch diefe allgemeinen Beftrebungen ſei⸗ 
nen Geiſt für die Geſchäfte erſt recht geſchärft hatte und 
den wohlbegründeten Ruf genoß, daß er die europäiſchen 
Geſchäfte vollkommen verſtehe. Er beſaß ein ausnehmendes 
Talent die Dinge ſich von ferne bereiten zu ſehen: in den 
ſchwierigſten Fällen fehlte es ihm nie an einem Auskunfts— 
mittel. Einige haben gemeint daß er den Kaiſer leite: ich 
finde daß er ſich den Geſichtspuncten deſſelben ohne eine ei— 
gene Richtung jeded Mal mit vollfommener Hingebung an 
ſchloß. In zwei ganz verfchiedenen Epochen der Faiferlichen 
Politik, der erften wo fich der Kaiſer den Proteftanten gefliſ— 
fentlich annäherte, und der zweiten wo er fie angriff, finden 
wir ihn, obwohl e8 ihm einige Mühe Eoftete der letzten bei- 
zufreten, gleich thätig und unermüdlich. Die Epoche des 
Glückes die nunmehr eintrat, war für ihn, wie Mocenigo 
fih ausdrückt, ein Brunnen von Gold; doch wußte man 
wohl, daß ihn Fein Geſchenk von der Pflicht gegen den Kat- 
fer auch nur um ein Haarbreit abwendig machen Eönne, der 
ihn dafür wie einen Vater ehrte. ! 

Die Methode der Verhandlung zwifchen Carl und fei- 
nen Miniftern war, daß bei jedem zu faffenden Entfchluß 
alles was darüber gefagt werden konnte, unter den Nubri- 
fen Für und Wider zufammengeftellt, und die Puncte auf 
deren Entfcheidung es ankam, in Form der Frage dem Kai— 
fer vorgelegt wurden. Unzerſtreut durch irgend eine fremde 


1. Mocenigo räth feiner Signoria nur, ihm „zuccari confetli, 
speciarie‘ zu ſchicken. E prudentissimo, destro, piacevole, affabile 
molto -- 


106 Meuntes Bud. Drittes Capitel. 


Gegenwart, mit fich allein, in der Nuhe des Cabinets, er— 
wog der Herr — denn mit diefem und Feinem andern Na: 
men wird er in feinem Haufe bezeichnet — die aufgeftell- 
ten Fragen, und entichied fie mit Ja oder Nein, Worte die 
er an den Nand des Dlaftes fchrieb, zuweilen mit ein paar 
näheren Beftimmungen. Alle Morgen trug der Kammer: 
Diener Adrian, eine wichtige Perfon an diefem Hofe, da er 
die Stimmung des Augenblickes Fannte, — man fagt, «8 
ſey ihm zu Statten gefommen daß er weder leſen noc) 
fehreiben Eonnte — die Papiere hin und ber."  Konferen 
sen folgten, doch waren fie nicht fo häufig, wie man glau— 
ben follte: im fchriftlichem Verfahren wurden die Befchlüffe 
eingeleitet und gereift. 

Überhaupt gieng es am Hofe des Kaifers fehr ftill 
ber. Er verfchmähte finnliche Genüffe nicht, wie er denn 
zu viel und zu gut aß:“ von andern Unordnungen möchte 
er, wenigftens während feines Witwerftandes, nicht frei zu 
fprechen feyn; dagegen war an lärmende DVergnügungen, 
Feftlichkeiten, äußere Pracht bei ihm nicht zu denken: zu: 
mal da die Krankheit fein gewöhnlicher Zuftand und Ge 
fundheit die Ausnahme war. Schon im Februar 1549 
wird er ung gefchildert, wie er mit gebücktem Mücken, 
todtenbleich, mit farblofer Lippe, in feinem Zimmer am 


1. Diefer Adriano della camera fpielt in den Berichten der 
Gefandten, 3. B. der florentinifchen, immer eine Rolle. 

2. Cose da generar humori, wie Badoero fagt. Er Flagte 
einft gegen Monfalcourt, daß die Speifen unſchmackhaft bereitet wür- 
den; diefer drohte ihm: di far fare una nuova vivanda di polaggi 
et horologi. Badoero wiederholt freilich nur den Nuf des Hofes, 
aber er fagt unummunden: & stato nei piaceri venerei di non tem- 
perata volontä. 


Stellung und Politik Carte V. 107° 


Stabe hin und her fehleicht; allein er lacht wohl felbft über 
feinen Aufzug, weil er fich fo ſchwach nicht fühle wie er 
augfehen möge, und bald erfüllt fich das matte Auge doch 
wieder mit Glanz und Leben. Nicht übel bezeichnet ihn feine 
Piebhaberei für künſtliche Uhrwerke, wo eine einmal angeregte 
Kraft alles in regelmäßige Bewegung feßt. Unter den wiſ— 
fenfchaftlichen Dingen gewannen ihm die aftronomifchen Stu: 
dien, frei von alfen aftrologifchen Träumen, die größte Iheil: 
nahme ab: dem Wandel der Planeten, dem Ninggang der 
Geſtirne galt feine Aufmerkfamfeit und Bervunderung: gern 
unterrichtete er fich an dem Himmelsglobus. Bis dann die 
Zeit Fam, wo der Gedanke, mit dem er die Belt zu lenken 
hoffte, in ihm wieder zu voller Kraft gelangte. Sch weiß 
nicht, ob er denfelben in Worten hätte ausdrücken können, 
od er nicht davon mehr erfüllt war wie von einem Gefühl, 
in welchem fich alle feine Firchlichen, politifchen und dyna- 
füfchen Beftrebungen zufammenfaßten; e8 war ein Gedanke, 
der mit der Macht des Unbewußten in der Tiefe feiner Seele 
ruhte und doch in jedem Falle mit voller Klarheit und An: 
wendbarfeit ergriffen, unaufhörlich, mit allen Mitteln des 
Krieges und der Politik verfolgt ward. 

Wir haben den Kaifer oft auf feinen Kriegszügen bes 
gleitet; auch in den Zeiten feiner Krankheit probirt er fich 
dann und wann den Harniſch an — denn wiewohl natür: 
licher Weife eher zaghaft, fo daß er wohl in feinem Zim- 
mer vor dem leifeften Geräufch erfchrecfen Eonnte, — liebte 
er doch das Handwerk der Waffen: er hegte ein vitter: 
liches Gefühl für diefen Beruf und wußte fich Anfehen 
bei den Kriegsleuten zu erwerben. Dazu jedoch waren die 


108 Neuntes Buch. Drittes Capitel. 


Dinge nicht angethan, weder die eignen Kräfte ftarf, noch 
die fremden ſchwach genug, daß er in offenem Angriff hätte 
zu feinem Ziele Fommen Eönnen: fein Verfahren und fein 
Talent war, aus den entgegengefeßten Elementen fic) Sym— 
pathien zu erwecken und fie zu Hülfe zu rufen. Es ift ihm 
biebei das Unglaubliche gelungen. 

Die Granden von Caftilien haben ihm die Kommunen 
unterworfen; der Gehorfam der Communen hat ihm dann 
gedient, die Granden, die ihm entbehrlich geworden, von fei- 
ner Staatsverwaltung zu entfernen. 

Ihm haben die Deutfchen, nicht ohne den Antrieb eines 
proteftantifch = antipäpftlichen Eifers, Nom erobert und den 
Papſt gefangen gehalten. Dafür ift ihm ein fpäterer Papft 
mit Heeresfraft ebenfalls aus Neligiongeifer über die Alpen 
zu Hülfe gefommen um die Proteftanten zu unterwerfen. 

Nicht felten hat er mit Frankreich über einen Angriff 
gegen England unterhandelt, dann hat der König von Eng- 
land doc) fich mit ihm gegen Frankreich verbindet. 

Die Proteftanten, die es oft erfahren, daß in der euro: 
päifchen Dppofition gegen das Haus HÄſtreich das Ber: 
hältniß lag das ihnen Raum in der Welt gemacht, hat er 
doch bewogen, mit ihm wider dag Haupt diefer Oppofition 
zu Felde zu ziehen. Dafür fah denn der König von Frank 
reich wieder zu, als fie mit Krieg überzogen wurden. 

Was wäre wohl aus Carl V geworden, wenn die deut— 
ſchen Fürften fich jemals vereinigt hätten, den Begriff, Die 
Nechte des Reiches als einer Gefammtheit gegen ihn zu be 
haupten? Es find öfter Verfuche dazu vorgekommen, aber 
immer noch zur rechten Zeit gefprengt worden. Die Un 


Stellung und Politik Carte V. 109 


einigkeit der Stände verfchaffte ihm vielmehr eine täglich grö- 
ere Einwirkung. 

Und felbft hiemit hätte er noch nichts ausgerichtet, hät- 
ten fich nur wenigftens die Neugläubigen zur Verteidigung 
vereinigt. Wie weit aber war er ihnen an Weltüberficht 
und Klugheit überlegen! er mußte zu bewirken daß fie einer 
wider den andern die Waffen ergriffen. 

E8 liegt wohl am Tage, daß eine Politik die immer 
offen hervorgefrefen wäre, von der man gewußt hätte was 
fi) von ihr erwarten Tieß, niemals dahin gelangt ſeyn 
würde. Mer aber wäre im Stande gemwefen diefe Politik 
zu durchfchauen? Die entfcheidenden Handlungen auf denen 
ihre Erfolge beruhen, find immer von Zweifel umgeben, in 
Dunfel gehüllt. 

Kein größeres Glück für den Kaifer, als daß die Deut: 
fchen fich der Stadt Nom bemächtigten: er legte Trauer 
darüber an. Wer kann fagen, ob e8 irgend eine Bedin- 
gung gab, unter der er Mailand an einen franzöfifchen Prin- 
gen wirklich abgetreten hätte? doch hat er ein Jahrzehent 
darüber unterhandelt. 

Welches war feine wahre Meinung, die welche Held in 
Schmalfalden ausfprach, mochte diefer gleich feiner dama- 
ligen Inſtruction entgegenhandeln, oder die welche Lunden 
darftellte? 

Wir haben die Zweidentigkeiten erörtert, in denen Earl V 
fich bei der Gefangennehmung des Landgrafen nicht ohne ein 
Bewußtſeyn davon bewegte. Es wird fchwerlich an Tag kom— 
men, ob er zu der Ermordung Vier Luigig feine Einftimmung 
gegeben hat oder nicht. 

Ich will nicht behaupten, daß er jemals etwas ver- 


110 Neuntes Bud. Drittes Capitel. 


iprochen in der beftimmten Abficht es nicht zu halten: aber 
zumeilen fieht e8 doch beinahe fo aus. 

Nicht unglaubwürdig wird erzählt, er habe in demfel- 
ben Augenblick als er im J. 1544 den Proteftanfen jene 
foeierifchen Conceffienen gewährte, den Katholiken entgegen: 
gefeßte Verficherungen thun -Taffen: ihre Nachgiebigkeit wäre 
ohne dieß wirklich ſchwer zu erklären. Kaum hatte er den 
Frieden mit Chriftian III gefchloffen, der demfelben Däne: 
mark und Norwegen ficherte, fo gab er doch dem Pfalzgra— 
fen, der fich darüber beklagte, die Erklärung, er wünſche daß 
diefe Neiche vielmehr ihm, dem Pfalggrafen, gehören möch— 
fen, und werde zu feiner Zeit alles dafür thun. ! 

Wenn wir dabei nicht annehmen follen daß er das 
gegebene Wort zu brechen entfchloffen geweſen fey, fo giebt 
e8 dafür Eeinen andern Grund, als daß auc) die enfgegen- 
gefeßte Verficherung fo gewiß nicht war. 

Die Verfprechungen werden, wie ſich Granvella einmal 
ausdrückt, nach Zeit und Umftänden gegeben. 

Denn vor allem ift immer ein nächfter Zweck zu errei- 
chen, eine unmittelbar vorhandene Schwierigkeit wegzuräu— 
men. Die Kräfte die fich entgegenfegen könnten, müffen 
davon zurückgehalten werden: durch jede Eonceffion die man 
ihnen machen kann ohne mit fich felbft in offenen Wider: 
fpruch zu gerathen, durch jede Zufage die dem Syſtem nicht 
ſchnurſtracks entgegenläuft. 

Das hindert aber nicht, daß man nicht insgeheim fich 
ein weiteres Ziel, und wäre es felbft der Feindfeligkeit gegen 
den jeßt Begünftigten, vorbehalte. 

1. Instruction de Granvelle a Champagny. P. d’et. IH, 94. 


Stellung und Politik Carls V. 111 


Bon der Königin Maria, welche dag Geheimniß der 
Faiferlichen Politif am meiften theilte, haben wir ein Schreiben 
aus der Zeit, in der, mitten in großen Gefahren, eine An: 
näherung an die Proteftanten durchaus nöthig geworden, in 
welchem fie dem Kaifer den dringenden Nath giebt darauf 
einzugehn; aber bemerken wir wohl: fie fügt hinzu: es 
werde wohl Zeit und Gelegenheit Eommen anders mit ihnen 
zu verfahren. ! 

Der Kaifer trat ihnen mun, wie wir wiffen, fehr nahe, 
aber die Folge zeigte daß er dabei den Vorbehalt künftiger 
Feindfeligfeit Feinen Augenblick aufgegeben hat. 

Man könnte nur fragen, ob er da nicht auf der einen 
Seite fo weit gegangen ift, daß doch fein Vorbehalt nicht 
wohl damit beftehn Fonnte. Wenigſtens den Mitgliedern 
des fchmalfaldifchen Bundes blieb Feine Ahnung von der noch 
fortdauernden Möglichkeit eines feindfeligen Verfahrens übrig. 

Auch in den fpätern Jahren tauchte ein ähnlicher Wider, 
fpruch auf. Carl hatte mehrere Stände in ihrer „habenden 
chriftlichen Religion“ beftätigt, aber dabei doch ihre Unter: 
werfung unter das Concilium ausbedungen. Er berief fich 
auf ihre, fie beriefen fich auf feine Zufage. 

Und wie e8 num bei diefer Bewandtniß der Dinge mit 
feiner eignen Überzeugung ftand? 

Die Meinungen Carl V mögen fich in mehreren noch 
unentfchiedenen Puncten auf den Grensgebieten beider Lehren 
bewegt haben: in der Hauptfache aber kann ich nicht fin- 
den, daß er von evangelifchen Anfichten irgend wie ergriffen 


1. Sie räth ihm user du tems, jusques aurez moyen et op- 
portunit€ d’en faire autrement. (Schr. o. D. im Br. U.) 


112 Neuntes Buch. Drittes Capitel. 


geroefen fey: er war und blieb Eatholifch: an dem Geheim- 
niß der Euchariftie im Eatholifchen Sinne und den Dien- 
ften die fich daran knüpfen hat er wohl nie einen Augen 
blick gezweifelt. 

Hat er den Proteftanten Conceffionen gemacht, fo ift 
er dazu von dem Vapft ermächtigt geweſen. 

Der Beichtvater fpielte fchon bei ihm eine Nolle. Der 
jüngere Granvella beflagt fich wohl, daß wenn er zu Ende 
gekommen zu feyn glaube, die Hydra der Gewiffensjerupel 
immer neue Köpfe hervorbringe. ! 

Das vornehmfte Ziel dag der Kaifer verfolgte, war zwar 
politifcher, aber doch auch dem Werfen nach religiöfer und 
zwar Fatholifcher Natur. 

Und höchft gerechtfertigt gieng er Dabei zu Werfe. Er 
begründete fein Verfahren allegeit auf die Sdeen von Neich 
und Kirche. 

Alles was er in Deutfchland unternahm, ward immer 
mit den Pflichten gegen die allgemeine Kirche, feinem Eide 
diefelbe aufrecht zu erhalten, der Niückficht auf die übrigen 
Nationen vertheidige. In jeder Forderung an den Papft 
dagegen fraten die Nechte und Befchlüffe des Neiches, die 
Nothwendigkeit die Entzweiungen der Neichgglieder beizule— 
gen, als Beftimmungsgründe hervor. 

Die alten Formen die er noch einmal zu beleben fuchte, 
gaben ihm eben die Ausficht durch fie zu herrfchen. Je gro: 


1. Negotiato di D. Franc. di Toledo per l’acquisto di Piom- 
bino: Bibliot. Maglibeechiana zu Florenz. Granvella fagt: resur- 
gevano come i capi della hydra le riprensioni et advertimenti 
della conscienza. 


Stellung und Politik Carls V. 113 


gern Einfluß er auf den Neichstag gewonnen, defto firenger 
forderte er die Beobachtung der Befchlüffe deffelben; von Fei- 
nem Heimbringen, von Feiner Selbftbeftimmung einer Land- 
fchaft wollte er mehr hören. Eben fo aber dachte er mit 
dem Concilium zu verfahren. Er wollte den Antheil an der 
Leitung deffelben haben der ihm als Kaifer gebühre, dann 
ſollte Jedermann feinen Satzungen gehorchen, namentlich auch 
der Papſt jelbft. 

Dahin hat e8 der burgundifche Prinz doch gebracht, 
daß die Wiederbelebung diefer großen Ideen, an denen fich 
das Mittelalter entwickelt hat, an fein Dafeyn, feine Macht 
geknüpft iſt. Die Doppelfeitigfeit feines Beſtrebens fpie- 
gelt fich in den entgegengefegten Eigenfchaften die fich in 
feinem Character vereinigen. Carl V ift zweideutig, durch 
und durch berechnet, habgierig, unverfohnlich, ſchonungslos, 
und dabei hat er doch eine erhabene Ruhe, ein ſtolzes die 
Dinge gehn laffen, Schwung der Gedanken und Seelen: 
ftärke. Seine Ideen haben etwas Glänzendes, biftorifch 
Großartiged. Das Kaiferthbum wie er c8 faßt, enthält Die 
Fülle geiftlicher und weltlicher Gewalt, und er nähert fich 
der Möglichkeit es herzuftellen. Ob es ihm damit gelingen 
wird, ift die große Lebensfrage für Europa und die Welt. 


Verhandlungen mit Rom. 


Sn den Jahren 1549, 50 war Carl V hauptfächlich 
in den conciliaren Erörterungen mit dem Papſt begriffen. 
Am römifchen Hofe fuchte man jede Nachgiebigfeit in 
geiftlichen Angelegenheiten, mern man fich ja zu einer folchen 
Ranke D. Gef. V. 8 


114 Neuntes Buch. Drittes Lapitel. 


berbeilaffen wollte, mit der Sache von Piacenza in Verbindung 
zu feßen. Der Kaifer antwortete fehr trocken: er wolle die 
öffentlichen Dinge nicht mit Privatangelegenheiten vermengen. 
Seine Gefandten berichteten wohl, wenn er Piacenza zurück 
gebe, oder nur einen Erfaß dafiir anbiete, werde er in den 
übrigen Streitfragen alles was er wolle erreichen: er blieb 
dabei, daß diefe Sache für fich behandelt werden müſſe. 
Vor aller weitern Verhandlung drang er auf rechtliche Un— 
terfuchung, wen die Stadt gehöre, dem Neiche oder der 
Kirche: er ſey fehr bereit, wenn das Urtel zu Gunften der 
Kirche ausfalle, Piacenza zurückzugeben; er wife jedoch wohl, 
daß e8 zum Neiche gehöre, fo gut wie Parma. Indem 
man hoffte, er werde Piacenza herausgeben, erhob er An- 
fpruch auch auf Parma. 

Er lebte der Meinung, Paul III werde am erften durch 
Drohungen beftimmt, und faft fchien e8 als hätte er Necht. 

Sollte zunächft wenigftens eine vorläufige Ordnung in 
Deutfchland eingeführt werden, fo mußte der Papft die deut- 
fchen Bischöfe ermächtigen die den Proteftanten durch das 
Interim gemachten Zugeftändniffe anzuerkennen. 

Eine Zeitlang zögerte er damit, wie dag bei dem Wi— 
derpillen den man in Nom gegen dag Interim hegte nicht 
anders feyn konnte: dann Fam er mit ungenügenden Facultä- 
ten hervor, endlich ließ er fich auch genügendere abgewinnen. 

Am 1Sten Auguft 1549 erfchien Cardinal Otto Truch: 
feß, Biſchof von Augsburg, der wenn irgend ein andrer als 
ein rechtgläubiger Anhänger der römifchen Curie betrachtet 
erden muß, in alle feinem Pomp, unter Vortragung des 
Kreuzes, filbernen Scepters und feines Cardinalhuteg, in der 


Verhandlungen mit Nom 1549. 15 


Domfirche zu Augsburg. Er beflieg eine Kanzel die eigens 
für ihn aufgerichtet und mit rothem Sammer überzogen war, 
um zu erklären, daß in dem Interim nichts Schädliches noch 
Beſchwerliches enthalten fey. ! 

Die Indulte welche der Papft gewährt, giengen man- 
chen Eiferer faft fchon zu weit, und der Kaifer mußte durch 
eine befondere Declaration ihre Anwendung auf die Länder 
und Städte befchränfen, in welchen die neue Lehre Platz ge: 
griffen. Für diefe aber waren fie nicht allein erwünfcht, 
fondern unentbehrlich. Die Anerkennung der Hierarchie auch 
in den proteftantischen Ländern war nur unter Diefer Bedin- 
gung denfbar. 

Und auch in Hinfiche des Conciliums gab der Papft 
dem Haſſe des Kaifers gegen die Verſammlung zu Bologna 
fo weit nach), daß er fie im September 1549 auflöfte. Ihm 
felbft fiel fie bereits zur Laft, da fie unter den Umſtänden 
der Zeit doch nichts ausrichten Fonnte. 

Höchlich erfreut war der Kaifer, als der Papſt hierauf 
die Abficht Fund gab, in einer andern VBerfammlung, zu 
Nom, die Reformation ernftlic) vor die Hand zu nehmen. 
Er machte nur noch die Bedingung, daß Fein Befchluß der: 
felben den Anordnungen feines Interims oder der von ihm 


1. Aus einem Schreiben des Card. Otto, Dillingen 3 Auguft 
1549 (Winter IL, p. 151), ergiebt ſich, daß feine Indulte nicht allein 
den Genuß beider Geftalt, fondern auch die Priefterehe umfaßten. 
Welche Schwierigfeiten dieß gemacht, indem dadurch der Unterſchied 
zwifchen Prieftern und Laien aufgehoben zu werden gefchienen, fehen 
wir aus dem judiecium variorum pracsulum, Nainaldus 1548, nr 66 
— 72. Ich bemerfe daß fih troß aller Gelehrfamfeit diefe Herrn 
doch auf die untergefchobenen Canones apostolici beziehen (nr. 68). 


8 * 


116 Neuntes Buch Drittes Capitel. 


den_geiftlichen Ständen vorgefchriebenen Reformation wider⸗ 
ſprechen dürfe. 

Ehe es aber fo weit Fam, ſtarb Paul III; und eine Wahl 
trat ein, welche dem Kaifer fogar die Möglichkeit eröffnete, 
feine geiftlichen Abfichten noch in aller Form zu erreichen. 

Die Faiferliche Partei .war es — unter Vermittelung 
de8 Herzogs von Florenz — durch welche der neue Papft 
Julius III auf den römifchen Stuhl gelangte. 

In feinem erften Schreiben erkannte Julius dieß an: 
nächft Gott feinem Andern als dem Kaifer fchrieb er feine 
Erhebung zu; durch feinen erften Gefandten verfprach er, 
den Kaifer in allen allgemeinen Angelegenheiten der Ehri- 
ftenheit zufrieden zu ftellen, namentlich in der Sache des Con— 
ciliums; es war wirklich einer feiner erften Befchlüffe (mie 
denn Jedermann einfah, daß dieß unumgänglich fey, und die 
Eonciliarcongregation felbft dafür ſtimmte), daß das Com 
cilium in Trient wieder eröffnet werden ſolle.“ Nichts Ber 
fereg hatte bisher der Kaifer gewünſcht: in einem feiner Briefe 
an feinen Gefandten in Nom findet fich der Ausdruck: er be 
dürfe Feiner Verficherung daß der Papft gute Abfichten hege, 
er nehme fie aus feinen Handlungen ab. 

Es war fchon eine glänzende Nechtfertigung feines bis— 
herigen Verhaltens, daß derjenige Mann der fo lange den 
Vorſitz im Concilium geführt und dabei, als Abgeordneter 

1. Es lautet nicht fehr wahrfcheinlih, wenn Werantius wiffen 
will, Julius TI Habe dem Kaifer erflärt, über den Ort des Concils 
wolle er nicht ftreiten, „,etiamsi illud imperator in Belgio Bruxellae 
haberi velit.‘“ Viennae 29 Aprilis 1550, bei Katona 21, 1041. Aber 
der clevifche Abgeordnete Maftus verfichert: Sulius fage „ausdrücklich 


er wölle das das Koncilium einen Fürgangf (habe) es fey zu Trient 
oder wo e3 Faiferliher Maj. gelegen. ” 


Neichstag zu Augsburg 1550. 117 


Pauls III, ſich ihm entgegengefeßt, jet nachdem er felber 
auf den römifchen Stuhl gelangt war, diefen Widerftand auf: 
gab und die Wiedereröffnung des Concils zu Trient bewil 
ligte, gleich als erfülle er damit nur eine Pflicht. Aber über: 
dieß gewährte e8 ihm für alle feine Pläne eine weite Aus— 
ficht, daß er endlich doch einen Papft gefunden der ihm gün— 
ftig war und fich feiner Politik anfchloß. 

Zuerft war nun die Erneuerung des Concils wirklich 
u Stande zu bringen. 

Am 26ften Juli eröffnete Carl V einen Neichstag, der 
ſich abermals in Augsburg verfammelt hatte, mit einer Pro- 
pofition, in welcher er die mancherlei noch unvollzogenen 
Befchlüffe des vorigen Abfchiedg, auch in Beziehung auf fein 
Interim, das er troß der veränderten Umftände mit nichten 
fallen laſſen wollte, in Erinnerung brachte, hauptfächlich aber 
den Ständen verfündigte, was bisher bei dem römifchen 
Stuhle nicht zu erhalten gemwefen, dag fey von dem nun- 
mehrigen Papfte bewilligt worden, die Continuation des Con— 
ciliums zu Trient. 

Nach allem was im Jahre 1547 vorgegangen, Fonnte 
fein Zweifel feyn, daß die Neichsftände fich zur Beſchickung 
deffelben bereit erflären würden. Die einzige Frage war, 
wie e8 dabei mit der Theilnahme der Proteftanten gehalten 
werden follte. 

Wenn Churfürft Joachim II nochmals ausfprach, daß 
ein nationales Concilium dem allgemeinen voraufgehn folle, 
um daffelbe vorzubereiten, fo war das vielleicht an fich zu 
wünſchen, aber bei der Stimmung des Kaifers und der Fa 
tholifchen Stände nimmermehr zu erreichen." Diele hatten 

1. Snftruction für die Neichstagsgefandten im Arch. zu Berlin. 


118 Neuntes Bud. Drittes Capitel. 


die ganze Entfcheidung dem Concilium vorbehalten, und es 
war fchon zweifelhaft, ob fie die viel näher liegende For- 
derung der Proteftanten daß die an dem Concil bereits ab- 
gehandelten Artikel aufs neue erörtert, oder tie diefe fich 
ausdrückten, reaffumirt werden follten, genehmigen würden. 

Mit ausdrücklichen Worten haben fie dieß in der That 
nicht gethan, aber fie haben e8 auch nicht verweigert. In 
einem NeichSgutachten vom Sten October heißt e8: Die Bitte 
einiger Ehurfürften und Fürften gehe dahin, ihre Abgeord: 
neten über die Puncte zu hören welche bereits decidirt feyn 
möchten; leicht würde fonft der Ausdruck Continuation des 
Conciliums ein Mißverftändniß veranlaffen. Auch dem Kai- 
fer fchien es rathſam fich in diefer Unbeftimmtheit zu hal- 
ten.! Indem er Diejenigen, welche Anderungen gemacht, 
aufforderte fih an das Concilium zu verfügen und ihnen 
biefür ficheres Geleit zufagte, wiederholte er die Zuficherun: 
gen die er ſchon am vorigen Neichstag gegeben, und die 
allerdings einige Worte aus dem Gutachten der proteftan- 
fifchen Churfürften enthielten, jene Forderung aber weder ab: 
fchnitten noch auch gewährten. Er 509 e8 vor, fo guf diefe 
tie andre Feftfegungen der Finftigen Unterhandlung vor: 
zubehalten. Auch dem päpftlichen Nuntius, der auf die Her- 
ftellung der geiftlichen Güter gedrungen, ertheilte er nur eine 
ausweichende Antwort: er wollte in diefen Dingen fich in 
Voraus zu nichts verpflichten. Nur dag Eine Verfprechen 
gab er, die Befchlüffe welche das Concilium faffen würde 
zu vollziehen, Deutfchland nicht zu verlaffen, ehe ein ernft- 


1. Die Acten des Reichstags in den Archiven zu Frankfurt, 
Dresden und Berlin. 


Suecreffionsentwurf. 119 


licher Anfang diefer Vollziehung gemacht worden. Seine 
Autorität mit der des Conciliums zu verbinden, war längft 
fein Gedanke, der nun zur Ausführung reifte. 

Damit fchien ihm aber die Zeit eingetreten, wo er fich 
noch mit einer andern Abficht hervorwagen Fönne, die er 
längft gefaßt, und die nicht minder weitausſehend war. 


Succeſſionsentwurf. 


Der Kaiſer hegte den Plan, feinem Sohn Philipp, Prin- 
gen von Spanien, nachmals König Philipp dem zweiten, Die 
Nachfolge im Kaiſerthum zuzuwenden. 

Schon 1548 hafte er daran gedacht, er hafte nur ge: 
fürchtet, da fo vieles andre im Werke und noch zweifelhaft 
war, Die Eiferfucht die das Haus Oftreich ohnehin erweckte 
allzuftarf zu machen. 

Wie andre Gefchäfte mußte auch diefes erft unterbaut, 
mit Umſicht vorbereitet werden. Vor allem mußte Philipp 
felbft gegenwärtig und den deutfchen Fürften befannt ge 
worden feyn. 

Es hatte einige Schwierigkeiten ihn aus Spanien her: 
überfommen zu laffen, da man dort fehon über die Abwe— 
fenheit des Kaifers mißvergnügt war, und die Cortes von 
Valladolid erklärten fich dagegen. Der Kaifer befriedigte fie 
dadurch, daß er feinen Neffen Mapimilian, dem er fo eben 

1. Antwort auf die Snftruction des Papſtes vom 10ten Suni. 
Der Kaifer fpriht die Beforgniß aus, daß nichts gefchehen werde, 
wenn er vorher den Nücfen wende. 


2. Darauf beziehen fich die Außerungen König Ferdinands in 
feinem Schreiben vom 15 Juli bei Bucholg IX, 732. 


120 Neuntes Bud. Drittes Capitel. 


feine Tochter Maria vermählte, — denn einen Prinzen von 
Geblüt fahen fie nun einmal gern an ihrer Spitze — mit der 
einftweiligen Verwaltung der fpanifchen Negierung beauftragte. 

Der Borwand, wohl auch ein Grund, nur nicht der 
wichtigfte oder einzige, wofür er hier gelten mußte, war der, 
daß Philipp in den Niederlanden eingeführt werden und die 
Huldigung dafelbft empfangen follte. Die vornehmfte Ab- 
ficht aber galt unverfennbar dem Reich und den Deutfchen. 

Der Prinz gab ſich auch in Fleinen Dingen eine faft 
zu fichtbare Mühe fich den Deutfchen anzunähern. Nur auf 
deutſchem Noß wollte er reiten, als er in Trient ankam, 
auf deutſche Weife tanzen, deutichen Gelagen beiwohnen: es 
fiel um fo mehr auf, da er dag alles nicht eben auf das 
gefchicftefte vollzog. 

Ohne Zweifel um Vieles beffer erwogen war c8, wenn 
man die Ankunft des Prinzen mit Gnadenbeweifen in po- 
pulärem Sinn bezeichnete: die armen Ulmer Prädicanten hat- 
ten fo lang in ihrem Gewahrfam fchmachten müffen, big 
der Pring erfchien um fie zu befreien. 

In gewiſſen Kreifen hielt man die Nachfolge des Prin- 
sen im erften Augenblick fir eine ausgemachte Sache. 

Die Herzogin von Baiern hatfe dem Ankommenden ee 
was mehr Ehre ermwiefen, ald den Hofräthen angemeffen 
fchien: und Dafür fagte ihr denn der Bifchof von Trient 
einige belobende Worte. „Ehrwürdiger Herr,’ eriwiederte 
fie, „ich thue nur meine Pflicht gegen S. Hoheit, der einft 
mals unfer Herr ſeyn wird.“ 

Churfürſt Morig hatte den Prinzen perfönlich in Trient 
eingeholt und war mit demfelben, wenn wir den Briefen deg 


Succeffionsentwurf. 121 


Carlowitz trauen dürfen, in dag verfraulichfte Verhältniß ge: 
treten. Man wollte wiffen, um feine Stimme angegangen 
habe er gefagt, er fey dem Sohne fo ergeben wie dem Vater. 

Ganz ernftlich nahmen die jungen Landgrafen von Heſ— 
fen die Sache. Das wahre Mittel ihren gefangenen Vater 
zu erledigen, fahen fie in der Unterftügung twelche die bei- 
den Churfürften die einft fir ihn gutgefagt, Sachfen und 
Brandenburg, bei diefem Vorhaben dem Kaifer würden zu 
Theil werden laffen, und trugen Fein Bedenken fie darum 
su erfuchen. ! 

Wie e8 wohl zu gehn pflegt, Derjenige erfuhr am ſpä— 
teften von der Sache, den fie am meiften angieng, König 
Ferdinand. 

Endlich aber drang doch dag Gerücht, und zwar in 
der härteften Form, als fey e8 die Meinung des Kaifers 
ihm die Würde und das Amt eines römischen Königs zu 
entreißen und diefelben auf Philipp zu übertragen, bis zu ihm 
vor, und er hielt für gut, nicht zwar geradezu feinen Bru- 
der, aber feine Schwefter Maria, die um die geheimften 
Anfchläge und Verhandlungen zu wiſſen pflegte, Darüber 
su fragen. Er that dieß jedoch nicht ohne hinzuzufügen, 


1. Wilhelm und Ludewig LL. zu Heffen an unfre gnediafte 
Herrn die Churfürften zu Sachſen und Brandenburg, Ziegenhain 19 
Maji 1549. „Bitten demnach ganz freundlich, E. L. wollen ſich nichts 
verhindern laffen, nochmals an feumen an keyſ. hove fich zu verfu- 
gen, den Pringen von Hifpanien unfern herrn und freundt an der 
hant zu kehaltten, den bifhoff von Arras, ald an dem wir horen vil 
gelegen zu fein, willig zu machen, und fich gegen Keyfr Mt Print 
Philippſen uf den Fall zu einem Nomifchen Fonige zu erwelen und 
keyſr Mt einen flattlichen Neiterdienft zu thun erbieten, wie E. 8. das 
biebevor zu vielmalen durch uns gefchrieben und eroffnet. Go glau- 
ben wir gewißlich es werde was wirfen.” 


122 Neuntes Bud. Drittes Capitel. 


er halte für fo gewiß wie das Evangelium, daß fein guter 
Bruder, welcher ihm immer ein Vater geweſen, nicht an 
eine Sache denfe die ihm fo wenig zum Vortheil und zur 
Ehre gereiche. 

Darüber nun wie er das Vorhaben auffaßte, konnte die 
Königin ihn beruhigen. Obwohl fie fich für nicht hinreichend 
unterrichtet erflärte, ließ fie doch fo viel erfennen, daß nur 
von einer Verficherung des Neiches nach dem Tode beider 
Majeftäten die Nede fey. Bald aber trat fie einen Schritt 
näher und gab deutlichere Auskunft. 

Nach ihrer Auffaffung gieng der Gedanfe des Kaifers 
nur dahin, das Verhältniß das zwifchen den Vätern beftand, 
auch auf die Söhne zu vererben. Ferdinands Sohn Ma- 
ximilian follte dereinft wie Ferdinand römischer König, Phi- 
lipp wie fein Vater Carl römifcher Kaifer werden. Bisher 
war mohl nichts verabredet, aber man hatte in der Vor— 
ausfeßung gelebt, Daß nicht allein nach dem Abgange Carls 
fein Bruder ihm in dem Kaiferthum nachfolgen, fondern daß 
der Anfpruch auf diefe ohnehin keineswegs erbliche Würde 
den Söhnen deffelben, der in Deutfchland angefiedelten Li— 
nie, nicht einem in Spanien erzogenen Prinzen, zufallen follte. 
Auch der ermäßigte Plan war doch der ferdinandeifchen Fa— 
milie unerwartet und in hohem Grade mwidermwärtig. 

Maria ftellte dem römifchen König vor, Philipp werde 
nur felten im Neiche erfcheinen können; für ihn werde aus 
jener Würde nur die Pflicht hervorgehn, daffelbe zu unter- 
fügen; aller Vortheil davon werde doch dem Haufe Fer- 
dinands zufallen, zumal da fich Philipp in diefem Fall mit 
einer feiner Töchter zu vermählen bereit ſey. Sie erinnerte 
ihn an das DVerdienft, das fich der ältere Bruder um ihn 


Succeſſionsentwurf. 123 


erworben, indem er ihm die Würde eines römiſchen Königs 
verſchafft habe, ohne an den eignen Sohn zu denken.! 

Ferdinand antwortete: wie bisher, fo wolle er aud) 
fortan alles thun mas zum Dienft feines Bruders und 
des Prinzen gereiche: nur nicht in dieſem Puncte, der nicht 
dienlich fey.? · 

So ftanden die Verhältniffe, als die beiden Brüder am 
Neichstag zufammentrafen. Sie fahen einander in der Stadt 
und machten eine Eleine Neife mit einander nad) München: 
von diefer Angelegenheit war zwifchen ihnen nie die Nede. 
Auch die Näthe gedachten derfelben nicht mit einem Worte. 

Will man den Grund davon mwiffen, fo drückt ihn der 
jüngere Granvella unverholen aus. Er meint, wenn man 
die Sache einmal vornehme, müffe man den König nicht 
Athem holen laffen, bis er nachgegeben habe. Dazu follte 
die Königin Maria, auf die auch Ferdinand von jeher dag 
größte Vertrauen gefeßt, von den Niederlanden herbeifom- 
men. Gie felbft giebt einen Vorwand an, unter dem fie 
erfcheinen könne. 

Aber auch Ferdinand, der wohl ahnen mochte was man 
ihm nicht fagte, fuchte ſich Hülfe. Er fprach den Wunfch 
aus, daß fein Sohn Marimilian aus Spanien zurückkeh— 
ren möchte. 


1. Schreiben der Königin 1 Mai 1550. Vous auriez satisfet 
a l’obligation de rendre a S. M@ le bien qu'il vous a fait de vous 
avoir prefere a son propre fils en ladite dignite, par etre cause 
de lavoir rendu au sien en le preferant au votre, lequel nean- 
moins demoroit avec plus de commandement a l’empire que led. 
St Prince, voiant que peu il porroit etre audit empire. 

2. hors cela, hors ledit article, qui n'est a propos. Bei 


Bucholtz IX, 732. 


124 Neuntes Buch. Drittes Capitel. 


Sch finde, der Eniferliche Hof erſchrak hierüber, der Kai- 
fer und der Prinz giengen mit den beiden Granvellas förm— 
lich zu Nathe. „Der Hunger”, meinten fie, „treibe den Wolf 
aus dem Hol." Sie befchloffen jedoch ihre Abfichten noch 
nicht zu entdecken; fortwährend vermied der Kaifer mit fei- 
nem Bruder in die Negion- diefer Pläne zu kommen; der 
jüngere Granvella ward fogar beauftragt demfelben feine Be 
forgniffe augzureden. ! 

Erft als Maria angekommen, im September, gefchab 
die Eröffnung. 

Der König erklärte jedoch, er könne ohne die Antvefen- 
heit feines Sohnes, den die Sache am meiften angehe, ſich 
in nichts «inlaffen. Schon waren alle Vorbereitungen zur 
Rückkehr deffelben getroffen. Als Marimilian angelangt, Fam 
auch Maria aus den Niederlanden wieder, und mun erft, 
im December 1550, begannen ernftliche Unterhandlungen. 

Da fie mündlich gepflogen wurden, fo find wir über 
ihren Gang nicht authentisch unterrichtet. 

Der päpftliche Nuntiug, der die Verhandlung mit ge: 
ſpannter Aufmerkfamfeit verfolgte, behauptet, bei den erften 
Eröffnungen fey von einer Erledigung der noch ſchwebenden 
Würtenberger Irrungen zu Gunften des Königs die Nede 
gemwefen; eine Geldhülfe von ein paar Millionen fey ihm 
zur Fortfeßung des türfifchen Krieges angefragen worden. 

Später wollte man wiſſen, die Königin fey unwillig 
über die Näthe Ferdinand, ja über ihren Bruder felber, der 

1. Schreiben Granvellas 25 Auguft, im Anhang. Bei der 
Sammlung der Pap. d’et. hätte man fich nicht fo ausfchließend an 


die Befangonfchen Papiere halten, fondern Wien und befonders Brüf- 
fel confultiren follen. 


Sueceffionsentwurf. 125 


ihr weniger Zutrauen fchenfe als diefen Näthen: man wollte 
bemerfen, daß fie einft ganz entrüftet von ihm gegangen, und 
auch er fie gegen feine Gewohnheit nicht begleitet habe. ! 

In dem Publicum Tiefen fehr abenteuerliche Erzählun— 
gen über die Entsweiung um, die in der Familie und unter 
den Näthen des Kaifers und des Königs ausgebrochen fey- 

Im Februar 1551 faßte endlich der Nuntius einmal 
das Herz, den Kaifer darüber zu befragen. Der antwortete, 
er ſey bei fich felbft noch nicht entichieden, ob die Sache 
zum Heile der Ehriftenheit nothwendig ſeyn werde. 

Wir ſehen nur: die Unterhandlungen waren in tiefes 
Geheimniß gehüllt: einige Schwankungen mochten eintreten: 
zuletzt aber führten ſie doch zum Ziele. 

Am Iten März ward ein Tractat zwiſchen König Fer— 
dinand und Prinz Philipp gefchloffen, ? worin der erfte fich 
anheifchig machte, mit allen geeigneten Mitteln dahin zu wir: 
Een, daß die Churfürften „nach den glücklichen Tagen des 
Kaifers" und fobald er, der König, zum Kaifer gekrönt feyn 
werde, den Prinzen zum römifchen König zu wählen verfpre 
chen follten. Man wollte fie erfuchen, dieſer DVerficherung 
die andre hinzuzufügen, nach dem Tode Ferdinands und der 
Krönung Philipps zum Kaifer den jungen Marimilian zum 
römifchen König zu ermählen. In diefem Sinne ward eine 
Inſtruction entworfen, die den Churfürften vorgelegt werden 
follte. Allein man konnte fich nicht verbergen, daß es fehr 


1. Lettere dell’areivescovo Sipontino. Inff. polit. Dispacei 
fiorentini. 

2. Acte d’accord passé entre Ferdinand roi des Romains 
et le prince Philippe des Espaigns, le 9 mars 1551 st. d. R. 
Sm Anhang. 


126 Neuntes Buch. Drittes Capitel. 


ſchwer ſeyn werde, einen fo weit in die Zukunft vorgreifen: 
den Antrag bei ihnen durchzufegen. Man fah die Antwort 
voraus, daß eine Beftimmung diefer Art außerhalb ihrer Ber 
fugniffe liege. Auf diefen Fall befchloß man, daß ein Ver— 
fprechen Philipps, zu feiner Zeit die Erhebung Marimiliang 
zum römischen König befördern und diefem alsdann die Ad- 
miniftration des Neiches auf diefelbe Weife überlaffen zu wol- 
len, wie fie Ferdinand jet führe, genügen folle. Es wur 
den noch mehrere Beflimmungen getroffen, z. DB. über Die 
Unterftügung die Philipp dem jeßigen römifchen Könige bei 
feinem Krönungszug, ferner gegen jede Nebellion ſowohl 
im Neiche wie in den Erblanden zu leiften habe, über Die 
neue Verbindung der Familien durch die obgedachte Vermäh— 
lung Philipps; die merkwindigfte, däucht mich, ift die fol- 
gende. Sollte dag Concil, heißt e8 in dem Tractat, was 
Gott verhüte, nicht bei Lebzeiten des Kaifers zu Ende ge 
bracht werden, oder follte e8 den erwünſchten Ausgang zur 
Abhülfe der Sachen des Glaubens und unferer heiligen Ne 
ligion nicht haben, fo verfpricht der Prinz, den König zu un- 
terftügen einmal zum guten Erfolg des Concils, fodann in 
deffen Ermangelung in jeder andern Weiſe, um den An- 
gelegenheiten unferes heiligen Glaubens und der Religion 
abzuhelfen. ! 

Ich darf wohl nicht verfchweigen, Daß ich Fein unterzeich- 
netes Exemplar diefes Vertrages gefehen habe, fondern nur 

1. Sl advenait, que dieu ne veuille, que duvivant dud. 
Se Empereur le conecile indiqu& ne s’acheva ou qu'il n’eut la fin 
qu'on pretend e desire pour le remede de la ste foy et religion, 


en ce cas led. sieur prince a promis e promet d’assister pour le 
bon effet icelui Sr roi. 


Sucreffionsentwurf. 127 


eine Abfchrift, in dem Brüffeler Archiv: allenfalls Fönnte 
Jemand vermuthen, daß derfelbe nur vorgelegt und viel- 
leicht nicht vollzogen morden fey. Er bliebe auch dann 
fehr merkwürdig, weil er die Gedanken des Kaifers, feines 
Hofes und feiner Räthe beffer als irgend ein anderes Do— 
cument darlegt das bisher befannt geworden ift. Aber 
in der That finde ich doch nichts was einen ernftlichen Zwei— 
fel an der Annahme diefer Verabredungen begründen könnte. 
Wenigſtens ift die im Vertrag erwähnte Inſtruction von 
dem römifchen König zugleich mit dem Kaifer den Churfür— 
ften vorgelegt worden. Ferdinand bekennt darin, daß er 
nach dem Abgang feines Bruders die Hilfe feines Neffen, 
des Prinzen von Spanien, nicht werde entbehren Eönnen: 
um diefen aber zu vermögen folche zu leiften, fey wohl das 
einzige geeignete Mittel, daß man ihm jet gleich verfichere, 
ihn zu feiner Zeit zum vömifchen König und Fünftigen Kai- 
fer zu wählen. Über die Anfprüche feines Sohnes drückt 
er fich ganz aus, wie in dem Vertrag feftgefegt worden war. ! 
Die Ehurfürften erftaunten daß er e8 that: fie waren über: 
zeugt, er werde eg nicht ernftlich gemeint, nicht gern gethan 
haben: aber genug, er bat e8 gethan. 

Nun find dieß aber nicht einfache Succeffionspläne, 
fondern fie hängen mit allen politifchen und Eirchlichen Ab: 
fichten des Kaifers aufs genauefte zufammen. Dem Kaifer 
entgieng nicht, wie hinderlich e8 ihm fey, daß man feinen 
baldigen Tod erwartete und mit demfelben eine Auflöfung 

- 1. Inſtruction, fhon durh Schmidt und Bucholß ziemlich be: 


fannt. Die Urfchrift im 12ten Band der Brüffeler Documente bie- 
tet doc) noch einiges Eigene. 





128 Neuntes Buch. Drittes Capitel. 


aller derjenigen Verhältniſſe welche Deutfchland wieder in 
fo nahe Beziehung zu dem füdlichen Europa gebracht, und 
dem Kaiſerthum eine fo eigenthimliche Stellung und Kraft 
gegeben hatten. Fir die Durchführung feiner Gedanfen 
hatte e8 unendlichen Werth, wenn Jedermann voraugfah, 
daß auch in Zufunft der König von Spanien zugleich das 
Kaiferthum befigen und e8 in dem nunmehr fefigefeßten 
Sinne verwalten werde. Dadurch würde zugleich, wie doch 
ein Seder begehrt, dag was er zu Stande gebracht, Die 
Geftalt die er der Welt zu geben gedachte, auf immer be 
feftige worden ſeyn. Ausdrücklich, wie wir fahen, verpflich- 
teten fich fein Bruder und fein Sohn die Abfichten augzu- 
führen, welche er in Beziehung auf dag Concilium und die 
Einheit de8 Glaubens hegte. Um fo wichtiger ift es, wie 
dieſe fich jest weiter entwickelten. 


Die Proteftanten in Trient. 


Außer den übrigen Beweggründen deren wir gedacht, 
trugen noch Bedrohungen mit einer Nationalfirchenverfamm: 
lung, dieß Dal von Seiten des franzöfifchen Hofes, der 
über die Verbindung des Kaifers mit dem Papſt fehr un— 
ruhig wurde, dazu bei, um Julius III zu vermögen, Die 
Ausführung feines einmal gegebenen Verfprechens auf Feine 
Weiſe zu verzögern. 

Ende April 1551 erlebten die Eaiferlichen Prälaten welche 
in Trient zurückgeblieben waren und fich fo ftandhaft gewwei- 
gert hatten den Legaten Pauls III nach Bologna zu fol 
gen, den Triumph, daß die Legaten eines neuen Papftes zu 


Die Proteſtanten in Trient. 129 


ihnen nach Trient Famen, um das unterbrochene allgemeine 
Concil fortzufeßen. 

Eigentlich nun erft erhielt e8 den Character der ihm ur- 
fprünglich vom Kaifer zugedacht worden: es ward jegt Ernft 
mit dem Gedanken, die in Deutfchland erhobenen religiöfen 
Streitfragen unter lebendiger Mitwirkung der Deutfchen auf 
einem allgemeinen Concil zur Entfcheidung zu bringen. ! 

Am legten Tage des Auguſt nahmen die Churfürften 
von Mainz und von Trier in der allgemeinen Congregation 
perfönlich ihren Platz ein: die Alteften erzbifchöflichen Site 
hatten ihnen den Rang gelaffen. Nach einiger Zeit langte 
auch der Erzbiſchof von Cölln anz andre Wrälaten folgten. 

Die Hauptfache aber war, daß indeß auch profeftanti- 
fche Theologen und Procuraforen fi) fertig machten, am 
Concilium zu erfcheinen. 

Da diefe aber durch Feine Firchliche Würde eine Be 
deutung befaßen, die perfünlich in ihnen geruht hätte, fon: 
dern nur als Nepräfentanten der evangelijchen Gemeinfchaft 
etwas waren, fo bereitete man ihre Sendung durch neue 
Befenntnißfchriften vor. 

Das geſchah wohl nicht darum, wie man gejagt hat, 
weil dem Kaifer fchon die Benennung der fchmalfaldifchen 
Artikel, die einft zu ähnlichem Behuf aufgefegt worden, 
oder auch der augsburgifchen Confeſſion fo verhaßt gewe— 
fen wäre, daß man ihm damit nicht hätte kommen wollen. 
Wir wiffen vecht gut, daß die Abfaffung der frühern Confeſ— 


1. Die erfte Eröffnung fand am 1 Mai Statt, allein zu der 
Verhandlung zu fehreiten ſchob man bis zum 1 September auf, „per 
aspettare i Tedeschi.“ Pallavicini XI, xıv, 4. 

Ranfe D. Geſch. V. 9 


130 Neuntes Duch. Drittes Kapitel. 


fionen mit NRückficht auf die obwaltenden Verhältniſſe un 
ternommen worden war. Go follte e8 auch dieß Mal ge 
fchehen. Zurückgezogen nach Deffau, um von den Zerftreuun- 
gen der Univerfitätsgefchäfte ungeftört zu bleiben, verfaßte 
Melanchthon die fogenannte fächfiiche Eonfeffion, die er als 
eine Wiederholung der augsburgifchen bezeichnet, wofür fie 
auch anerfannt worden ift, die aber doch fehr auf den 
Stand der Streitfragen Bezug nimmt, wie er im Diefem 
Augenblicke war." Die evangelifchen Kehren von der Recht 
fertigung und der Kirche — in fo fern wieder eine und die: 
felbe, als fie beide auf einem Zurücfgehn von dem Außer: 
lichen und Zufälfigen auf das Innerliche, Achte, in der hei: 
ligen Urkunde Enthaltene beruhen — mußten nochmals her- 
vorgehoben und erläutert werden, da man eben in dieſen 
Puncten zuletzt mit der Eatholifchen Dockrin in eine Be— 
rührung geratben war, welche neue Zweifel erweckt hatte. 
Auch die Lehre vom Abendmahl ward in dem Sinne der noch 
obwaltenden Concordie ausführlicher erörtert. Indeſſen ver 
faßte Johann Brenz, der feitdem wunderbare Schickſale er 
lebt hatte, — Volksſagen fymbolifiren die Gefahren die er be: 
fand und die Nettung die er erfuhr: eine Zeitlang hatte er 
als Vogt fungiren müffen, — und fich noch immer verborgen 
hielt, damals im Klofter Sundelfingen, im Auftrag des Her- 
5098 von Würtenberg eine ähnliche Bekennenißfchrift, unter 
verwandten Gefichtspuncten. Es ift ein müßiges Vergnü— 
gen der Gegner der Proteftanten, über ihre mancherlei Con- 
feffionen zu fpotten. Die Bekenntniffe enthielten die Lehre bis— 


1. Ein Schreiben Melandhthon an Kommerftadt giebt eine folche 
Nücfiht an. Corp. Ref. VII, 796. 


Die Proteftanten in Trient. 131 


her niemals in einer Formel, welche als unfehlbar und allein- 
gültig betrachtet worden wäre: man konnte fie bei veränder: 
ten Umftänden auch mit andern Worten als den einmal feft: 
gefegten fchriftgemäß ausdrücken; genug, wenn man dag We- 
fen der Sache behauptete. Die mwürtenbergifche Confeffion 
ward in Stuttgart von eilf der nahmhafteften Theologen ge: 
prüft und unterzeichnet; die fächfifche von den Profefloren 
und Predigern im Gebiete des Herzog Morig, des Mark 
grafen Georg Friedrich von Anfpach, der Herzoge von Pom- 
mern, der Harzgrafen angenommen. Da man nicht hätte 
wagen dürfen eine allgemeine Verfammlung zu berufen, fo 
rechnete man auf allmähligen Beitritt." Die Straßburger 
unterzeichneten die eine und die andre Schrift. 

Zunächft Fam es aber nicht auf Confeffionen an: bei 
dem Stande der Dinge war die Vorfrage über die Art und 
Weiſe der neuen Berathung noc) von größerer Wichtigkeit. 

Die Proteftanten würden fich felbft dag Urtheil gefpro- 
chen haben, wenn fie die bei den frühern Sitzungen in Trient 
durchgegangenen Decrete anerkannt hätten: fie blieben bei 
ihrer Forderung der Neaffumtion. 

Und zwar waren fie hiebei der Meinung, daß das ganze 
Berfahren an dem Concilium abgeändert werden müffe. Me 
lanchthon fagte, der Papft und feine Anhänger feyen von 
den Proteftanten fo vieler Irrthümer angeFlagt, daß eine von 
ihnen ausgehende Entfcheidung nichts anders feyn würde 


1. ©. Major an Chriftian DI von Dänemark bei Schumacher 
Il, 152: „dieweil alle Theologen fo vieler Oberfeith zufammenzus 
fordern faft fhwer, auch viele Oberfeith ſich in ſolche fache einzu- 
laffen ein bedenfen haben mochten.” 
9 * 


132 Neuntes Buch. Drittes Kapitel. 


als ein Urtheil in eigner Sache. ' Er Fam auf den Gedan— 
fen zurück, daß man unparteüfche Prälaten und Fürften, die 
freilich zuerft ihrer Eidespflicht gegen den Papſt zu entledi- 
gen feyen, aufftellen müffe, um zwiſchen beiden Parteien zu 
entjcheiden. In verwandtem Sinn wurden Ende Geptem: 
ber auch die würtenbergiſchen Gefandten inſtruirt, obwohl 
man bier, wo man der Gewalt fo viel näher war, noch 
mehr Anlaß hatte, Miückficht zu nehmen. Die päpftlichen Le 
gaten follten nicht mehr präfidiren: fie follten nicht das Vor— 
vecht haben die confultirenden Theologen anzuftellen: den Ele- 
rifern follten nicht allein die entfcheidenden Stimmen zuftehn: 
vor allem wollten fie auch über die bereits entjchiedenen Ar- 
tifel gehört feyn. ? 

Wenigſtens die erfie diefer Forderungen war dem Kai— 
fer fchon am Neichgtag vorgelegt worden; er fand jedoch 
damals nicht vathfam, weder fie anzunehmen noc) fie zurück 
sumeifen: er fürchtete Streitfragen anzuregen, welche alles 
verderben Fönnten. Jetzt aber war Fein längeres DVerziehen 
möglich: eine fefte Meinung mußte ergriffen werden, ſey eg 
von ihm oder von feinen Bevollmächtigten. 

Höchft merkwürdig: der Eaiferliche Orator am Concil, 
Licentiat Vargas, erklärte fich ganz im Sinne der Proteftan- 
fen. In einem feiner Briefe an den Biſchof von Arras 
heißt es, die bereits verhandelten Artikel müßten alle wieder 
aufgenommen erden, von dem erften über die Erbfünde big 
auf die legte Controverfe. 


1. Sententia et judicium Melanthonis de coneilio triden- 
tino. Corp. Ref. VII, 738. 

2. Snftruction des Herzogs von MWürtenberg an feine Gefand- 
ten nach Trient, 29 Sept. 1551. Sattler IV, Urff. 30. 


er Ei BE 


Die Protefianten in Trient. 133 


Und nicht minder war e8 feine Meinung, daß die Ber: 
faffung des Concils überhaupt geändert werden müſſe. Wir 
haben eine Denkfchrift von ihm, in welcher er das Verfah— 
ven des päpftlichen Hofes während der frühern Seffionen, 
als ein folches, das nur dahin gezielt habe die Mitglie- 
der in Knechtſchaft zu halten, fehr ernftlich tadelt, den Vor— 
fig der Legaten überhaupt verwirft, und die Praxis der al- 
ten Eoncilien, die Nechte welche den Kaifern dabei zuftan- 
den, mwiederhergeftellt willen will." Diele Denkfchrift ward 
vor der Eröffiung des Conciliums gefchrieben, und um fo 
bedeutender ift es, daß der Kaifer den Verfaſſer derfeiben 
su feinem Bevollmächtigten in Trient ernannte. 

Wir werden den Kaifer nicht fo verfiehen, als ob er 
eine geheime Hinneigung zu den Lehrfägen der Proteftanten 
genährt hätte: davon war feine Seele frei; allein einmal 
wollte er ihnen nichts auflegen laffen was fie zu offenem Wi— 
derfpruch treiben konnte; ſodann war feine Abſicht nur gewe— 
fen fie zur Idee der Einheit zurückzuführen, dem Concilium 
zu unterwerfen: wenn fie innerhalb diefer Grenze dem Papft: 
thum Miderftand leifteten, fo waren fie vielmehr feine Ber: 
bündeten als feine Feinde: fie Fonnten doch niemals anders 
als fich an dag Kaiferthum halten: fie unterftügten feine 
Politik, welche die alte blieb, auch als er einen befreundeten 
Papſt hatte. 

Umftände, die freilich nicht Dazu beitragen konnten, den 
Prälaten, die an den herfömmlichen Begriffen des Vontifi- 
cates fefthielten, die Ankunft der proteftantifchen Abgeordne: 
ten wünſchenswerth erfcheinen zu laffen. 


1. Memoire sur la maniere de regler le concile, in Levaffor 
Lettres et memoires de Frangois de Vargas ete. p. 42. 


134 Neuntes Bud. Drittes Capitel. 


. Anfangs wollten fie nicht glauben, daß die Proteftan- 
ten überhaupt fich einfinden würden: je mehr fich dazu ge 
wiſſe Augficht zeigte, defto ftärfer fprachen fie ihren Abfchen 
dagegen aus: „fie thun alles," jagt Vargag, „um den Pro: . 
teftanten die Thüre des Conciliums zu ſchließen.“! 

Eine erfte voraufgeheude Frage betraf die Form des 
ihnen zusugeftehenden ficheren Geleites. 

Allem Widerfireben des Legaten zum Trotz feßten Die 
Faiferlichen Minifter durch, daß dabei die Formel welche das 
Concil zu Bafel, deflen Andenken der römifchen Eurie ver: 
haßt war, den Huffiten bewilligt hatte, zu Grunde gelegt, 
dagegen ein Canon des Coftniger Concils, durch welchen die 
den Nicht-Nechtgläubigen zu haltende Treue in Zweifel ge- 
sogen ward, ausdrücklich zurückgenommen wurde. 

Schon hatte der Faiferliche Hof dafür geforgt, daß Eein 
entjcheidender Schritt vor ihrer Ankunft gefchah. Eine der 
erften Arbeiten der neuen Verfammlung war die Erörterung 
der Streitfragen über die Euchariftie. Wäre, wie es wirk 
lich beabfichtigt wurde, gegen das Empfangen derfelben um 
ter beiderlei Geftalt entjchieden worden, fo würde dieß einer 
Abfunft mit den Proteftanten mächtig in den Weg getreten 
ſeyn. Wenige Tage vor der anberaumten Seffion lief ein 
Schreiben des Kaifers ein, worin er auf Suspenfion der 
Beſchlußnahme drang. Der Legat Creſcentio fuhr anfangs 
heraus, er wolle lieber abdanken, als die Schmach des Con— 
ciliums dulden, daß es mit fo gut vorbereiteten Decreten zu- 
rückhalten müffe; aber zuletzt gab er nach. 


1. Vargas ä l’eveque d’Arras, 7 Oct. 1551. Bei Levaſſor 
p’ 117. 


Die Proteftanten in Trient. 135 


Der von dem Kaifer eingefeßte und ihm dafür dop- 
pelt ergebene Ehurfürft von Cölln äußerte den Gedanken, daf 
alle Befchlüffe nur vorläufig genommen und erft zulegt zu 
einer definitiven Entfcheidung zufammengefaßt werden folk 
ten. Ein Gedanke, der die momentanen Schwierigkeiten ziem— 
lich gehoben häfte und mit der Politik des Kaiferg, die da- 
durch den meiteften Spielraum erlangt haben würde, ganz 
gut zuſammentraf. 

Am 24ften Januar 1552 ließen fich nun die erften Pro- 
teftanten, zunächft die weltlichen Procuratoren, denn nur erft 
Diefe waren angelangt, in der öffentlichen Sitzung des Eom- 
ciliums vernehmen. 

Der Legat fand die Bollmachten welche die Fürften den: 
felben gegeben, ungenügend, meil fie darin nicht ausdrück— 
lich gefagt, daß fie fich den Entfcheidungen des Conciliums 
zu unterwerfen bereit feyen, ja fogar anftößig, in fo fern 
in Ddenfelben von einer geiftlichen und weltlichen Reform die 
Nede war; er verwahrte fich durch eine befondre Schrift 
gegen jedes Präjudiz das daraus entfpringen Eönne. Die 
Eaiferlihen Minifter ließen jedoch diefe Proteftation nicht zu 
öffentlicher DVerlefung kommen: fie ihres Orts waren mit 
den Vollmachten zufrieden. 

Zuerft erfchienen die würtenbergifchen Procuratoren und 
überreichten die von Brenz verfaßte Confeffion, zu deren Er: 
lauterung und Vertheidigung ihr Herr in Kurzem feine Theo: 
logen fenden werde. Sie feßten voraus, daß dann die fchon 
verhandelten Artikel nochmals erwogen würden; zu dieſer 
Erörterung aber forderten fie die Aufftelung unparteiifcher, 
dem Papft nicht verpflichteter Michter. 


136 Meuntes Buch. Drittes Capitel. 


Die Verfammlung erwiederte, fie werde diefe Dinge in 
Erwägung ziehen, und befchäftigte fich hierauf mit einem Ge: 
fuche des Churfürften von Brandenburg in Hinficht des Erz 
bisthums Magdeburg, dag fie gewährte. ! 

Am Nachmittag traten die Gefandten des Ehurfürften Mo: 
rig auf und zwar mit ciner Rede, die von allen die am Conci— 
lium vorgefommen, wohl die merfwirdigfte, von dem Herfom- 
men abweichendfte ift ? — in welcher fie nicht allein ebenfalls 
die Neaffumtion der fchon befchloffenen Artikel und die freie 
Theilnahme der Theologen an der Befprechung derfelben for: 
derten, fondern auch den proteftantifchen Grundfaß aufftell- 
ten, daß bei der Entfcheidung die heilige Schrift die einzige 
Norm zu bilden habe. Auch fie forderten, daß die Mitglie- 
der des Concils vor allem des Eideg, mit dem fie dem Papft 
verpflichtet feyen, erledigt wirden, aber zugleich fügten fie 
hinzu, im Grunde verftehe fich dag von felbft. Denn wie 
könne fonft wahr feyn, was doch durch die Synoden von 
Baſel und Coſtnitz fefigefett worden, daß der Papſt dem 
Concil unterworfen ſey. Frei müffe Stimme und Zunge fic) 
fühlen; man müſſe nicht nach dem Winke deg Einen oder 
des Andern reden, fondern allein nach den Geboten der hei- 
ligen Schrift. Dann erft laffe fich erwarten, daß man über 
die Lehre gültige Sagungen machen, Haupt und Glieder re 
formiren, den Frieden der Kirche herftellen werde. 


1. Die Ausdruͤcke deren fih der brandenburgiihe Gefandte bes 
diente, dem alles daran lag Magdeburg für einen jungen Marfgra- 
fen zu gewinnen, geben fo weit, als es für einen Proteftanten mög: 
ih war, und felbjt noch weiter: doch waren fie fo wohl abgewogen, 
daß fich doch Feine ernitliche Verpflichtung daher leiten ließ. Wargas 
bemerft: il ne specifie point en quoi il se soumet au coneil. 


2. Bei Nainaldus XXI, 64. Dr Badehorn trug fie vor. 


Die Protefianten in Trient. 137 


Zum, erften Mal berührte dag protefiantifche Prinzip 
bie conciliaren Beſtrebungen unmittelbar; die Nede rührt ohne 
Zweifel von MelanchtGon herz fie hatte an dem Concil den 
größten Erfolg. 

„In voller Sitzung“, ruft der Biſchof von Drenfe 
freudig aus, „haben fie ausgefprochen, was wir ung nicht 
zu fagen getrauen.“ Er urtheilt, in den Reden der Prote— 
fianten finde fich neben Schlechtem doch auch vieles Gute; 
jehr weislich habe der Legat dafür geforgt, daß fie nicht von 
einer größern Anzahl gehört worden feyen. | 

„Das Schlachtfeld ift eröffnet,“ ſagt Vargas: „Me 
lanchthon und feine Gefährten können nun nicht mehr ver 
weigern zu erſcheinen: aber es ift nothwendig Daß fie eilen.“ 
Er bemerkt, der Papſt und feine Miniſter feyen in hohen 
Grade erfchrocken: es fcheine ihnen, als gehe die Abficht 
des Kaifers auf eine durchgreifende Neformation. 

Daß dem wirklich fo war, ergiebt ſich unter andern 
auch aus einem Schreiben Malvendas. Go lebhaft ar fonft 
die Proteftanten bekämpft hat, jo ift ev doch mit ihren Ne 
formtendenzen höchlich zufrieden. Er findet, da nun einmal 
die Sache fo öffentlich zur Sprache gekommen, fo Eönne 
S. Majeftät nun auch den Papft erinnern, ja bei Pflicht 
und Ehre und Gewiffen auffordern, die alten Mißbräuche 
su heben. 

Schon glaubte fich der Legat fo ernftlich gefährdet, daß 
er mit einem Schreiben des Kaifers hervortrat, worin die: 
fer verfprach, die Oppofition feiner Bifchöfe gesen die päpfi- 
liche Gewalt zu verhindern. Doch machte er damit mur 


1. 24 Januar. Der Levajfor p. 472. 


138 Neuntes Bud. Drittes Capitel. 


wenig Eindruck. Vargas meinte, mit diefer Zufage habe man 
wohl nur den Papft zur Wiedereröffnung des Concils be 
wegen wollen; gewiß beziehe fie fich allein auf die gegründe— 
ten und vernünftigen Anfprüche deſſelben; bei der Abfchaf- 
fung augenfcheinlicher Mißbräuche könne den Prälaten die 
Hand damit nicht gebunden -feyn. 

Am römifchen Hofe war man auch dadurch in Schrecken 
gejeßst, daß die fpanifchen Prälaten den Augenblick benugen 
zu wollen fchienen, um die Collation der Pfarren und Pfrün— 
den in Spanien ihm entweder ganz zu entziehen oder doc) 
gewaltig zu fehmälern. „Daraus foll nichts werden," ruft 
der Papſt aus, „eher wollen wir alles Unglück erwarten, 
eher wollen wir die Welt zu Grunde gehn laffen.!" Dazu 
Famen nun die Vorträge der Proteftanten, die er als extra 
vagant und gottlos bezeichnet. „Unter dem Namen Miß— 
brauch foll man ung dag nicht angreifen was Fein Mißbrauch 
iſt; man fol unfre Autorität nicht antaften." ? 

Bis auf dieſen Punct gediehen die Dinge in rafchem 
Fortgang auf dem neueröffneten Concilium. 

Der Kaifer war fo weit wie jemals entfernt, dem 
Papft darin freie Hand zu laffen. Er trieb ihn vielmehr von 
zwei entgegengefeßten Seiten in die Enge. Die alte Oppo- 
fition der fpanifchen Prälaten verband fich jet mit den hier 
zuerft erfchallenden Forderungen der deutfchen Proteftanten. 
Beide fchloffen ſich an den Kaifer an, der zugleich in Beſitz 
uralter Anfprüche an eine geiftliche Mitherrfchaft, eine gewal⸗ 
tige und troß aller politischen Verbindungen für das Papft- 
thum furchtbare Stellung einnahm. 


1. Giulio II al C! Crescentio 16 Genn. 1552. 
2. Pp. Giulio a Monsignor de’ Grassi 20 Febr. 1552. 


Die Proteftanten in Trient. 139 


Wie er nun aber diefelbe zunächft zu bemugen, wohin 
er die Dinge zu leiten gedachte? 

E8 kann wohl Feine Frage feyn, daß er nunmehr jene 
Reformation an Haupt und Gliedern, deren Nothwendigkeit 
ihm ſchon einft fein Lehrer gezeigt, und fein ganzes Leben 
ihm weiter Fund gethan, zu Stande zu bringen beabfichtigte. 
Es war wie berührt der erfte Gedanfe, mit dem er einft 
fein öffentliches Leben begonnen: die Zeit fchien gekommen 
denfelben zu verwirklichen. 

Minder deutlich erhellt, wie er in Hinficht der dogmati- 
fchen Seftfegungen gefinnt war: ob er in Deutfchland den gan— 
zen Katholicismug mit den in Trient bereits getroffenen Beftim- 
mungen, oder nur die allgemeine Einheit, mit den Modifica- 
tionen die fein Interim feftfegte, einführen wollte. Ich follte 
dag Leßtere glauben. Er war zu den interimiftifchen Satzun— 
gen auch darum gefchritten, weil er von dem Concilium nichts 
ertvarfete, was den Proteftanten eine Annäherung möglic) 
machte, ohne Belchimpfung; e8 hatte ihn unendliche Mühe 
gefofter fie ing Werk zu feßen. Den Vorfchlag den man ihm 
an dem legten Neichstage machte, in der Durchführung der: 
felben mildere Maaßregeln eintreten zu laffen, hatte er zu: 
rückgewieſen, und vielmehr gedroht bei den Einzelnen nach 
der Urfache ihrer Säumniß zu forfchen: er hatte Ausdrücke 
gebraucht die man faft auf das Vorhaben einer Inquiſition 
deutete. Die Nevifion der frühern Decrete, die er offenbar 
begünftigte, Eonnte doch, wenn fie überhaupt irgend eine 
Wirkung haben follte, nur eben diefe haben, daß einige Ab- 
weichungen der Profeftanten geduldet wurden. 

Sp wäre denn die Wiederherbeibringung der Abgewiche- 


140 Neuntes Buch. Drittes Capitel. 


nen, die Neformation der Verfaſſung und die Aufrechterhal- 
fung der alten Einheit sugleich durchgefegt worden. 

Denn daran ift Fein Zweifel, daß er nun, wenn Die 
Befchlüffe einigermaßen in feinem Sinne ausfielen, alles zu 
thun entjchloffen war um fie zur Vollsiehung zu bringen. 

Und war e8 nicht in der That der Mühe werth? Die 
große Genoffenfchaft su behaupten, in der fich die europät- 
ſche Melt feit ihrer erften Gründung entwickelt, und doc) 
dabei die Mifbräuche zu heben, welche die Alleinherrichaft 
der römiſchen Päpſte hervorgebracht hatte, war das nicht 
twirflich eine eines großen Fürften würdige Abficht? 

Mit der Idee verband fich aber der mächtigfte perfon: 
liche Ehrgeiz. Das Kaiferthum wäre wahrhaft erneuert 
worden, e8 hätte Wurzel für die Zukunft gefchlagen. Co 
dachte er es noch felber zu verwalten und dann feinem 
Sohne als einen Befitz feiner Nachkommen zu hinterlaffen. 
Keinen Augenblick verließ ihn diefer Gedanke. Mit den 
geiftlichen Fürften hat er noch auf ihrer Reife zum Conci- 
lium darüber unterhandeln laffen, und wenigſtens Einer von 
ihnen, der Churfürſt von Cölln, hatte feine beften Dienſte 
verfprochen. Unaufhörlich Ind er Brandenburg und Gadı- 
fen ein, ebenfall8 in die Nähe zu Fommen, um die Sache 
sum Schluß zu bringen. Man glaubte, er denke fich des 
Conciliums felber zu feinem Zwecke zu bedienen. ! 


1. Lettera dell arcivescovo Sipontino a Pp. Giulio III. In- 
form. politt. XXI, f. 252. L’intentione di S M& & di provare 
ogni via di ottenere questo suo disegno con buona volontä degli 
elettori et altri principi di Germania, se poträ: altrimenti pre- 
valersi dell’autoritä del coneilio: e come & stato gia parlato del 
modo, questa ombra sarä causa che gli elettori ecclesiastiei per- 


Die Proteftanten in Trient. 141 


Eine andre Frage freilich ift, ob die Erreichung diefer 
Ubfichten wirklich jo ſehr zum Heile der europäifchen Welt 
gereicht haben würde, wie der Kaifer meinte, — ob fie ſich 
auf dem Standpunct befand, wo die Wiederherftellung des 
Kaifertbums mit feinen Eirchlichen Aetributen ihr förderlich 
jeyn Fonnte, — ob namentlich Deutfchland ſich Glück dazu 
su wünſchen hatte, Satzungen, wie fie dag fridentinifche Con- 
cilium faßte, wenn fie auch gemildert worden wären, anneh— 
men zu müffen, mit alle feinem befondern nationalen Beſtre— 
ben einer allgemeinen Combination zu dienen. 

Wir brauchen jedoch diefe Frage nicht zu erörtern. So 
nah am Ziele erhoben fich dem Kaifer unerwartete Hinderniffe. 

Denn nicht fo Teiche ift die Welt zu überwinden. Se 
mehr jemand Ernft machen wird ihr feinen Willen oder 
feine Meinung aufzudringen, defto ftärfer werden die freien 
Kräfte fich dagegen zum Kampf erheben. 
sonalmente si ritroveranno al concilio et li secolari vi mande- 
ranno li procuratori. Ancorche non intendano bene il secreto, 
pur per una certa ombra che tengono che forse l’imperatore non 
tratti di farli privare dell’elettione, o veniranno o manderanno 
ad ogni modo. Man fieht daß die Art und Weife feftgefegt war, 


die Churfürften das Geheimniß ſelbſt nicht Fannten, aber doch etmas 
fürdhteten. 


Viertes Capitel. 


Elemente des Widerftandes in den großen 
Mächten. 


Wir haben die Firchlichen Entwürfe des Kaiſers, da: 
von fortgezogen, big zu dem Zeitpunck begleitet, wo fie ihrer 
Ausführung näher Fommen und fic) zugleich erſt vollftändi- 
ger entwickeln: und fehen wohl, welch ein univerfalhiftort- 
fches Intereſſe fich daran Enüpft, ob fie ausgeführt werden 
oder vielleicht doch noch ſcheitern; um aber die Kräfte die 
dabei fördernd oder hindernd auf einander wirkten, und die 
ganze Lage der Welt zu überfchauen, müffen wir noch bei 
den einzelnen Nichtungen verweilen, in welchen fich diefe fo 
gewaltig auffirebende Macht bewegt, und das Verhältniß ber 
trachten, in dag fie zu den übrigen Elementen der damali- 
gen Welt geräth, die fie bekämpft und die ihr widerftreben. 

Unfre deutfche Gefchichte ift nun einmal in dieſem Zeit 
alter gleichfam die allgemeine Gefchichte. Da der Schwer: 
punct der deutfchen Gefchäfte in dieſem Augenblicke nicht 
mehr in der Fürftenverfammlung am Neichstage lag, fon- 
dern in dem Kaifer, der aber zu diefem Einfluß hauptſäch— 
lich durch den Zufag von Macht gelangt war, welchen er 


Seefrieg im Mittelmeer. 143 


aus feinen außerdeutfchen Verhältniffen gewann, fo wirkte 
jede Veränderung diefer Tetten, oder auch nur ihr Schwan— 
Een auf den Gang der deutfchen Angelegenheiten zurück. 

Beginnen wir auch dieß Mal mit dem Entfernteften, 
dem Seekrieg im Mittelmeer, der jedoch zu der dee des 
Kaiſerthums, wie eg Carl V wiederaufzurichten im Gimme 
hatte, in unmittelbarfter Beziehung fteht. 


Seekrieg im Mittelmeer. 


Es war ein Act zugleich der Großmuth und der Po— 
litif, daß Carl V dem aus Nhodus verjagten Orden der 
Johanniter eine Freiftatt in Malta gab. 

Um den Orden nicht länger umherirren zu laffen, fon: 
dern ihm wieder einen feften Sig zu verfchaffen, „damit er,“ 
wie e8 im der Urkunde heißt, „ſeine Kräfte gegen die un— 
gläubigen Feinde des chriftlichen Gemeinmwefens gebrauchen 
könne,“ überließ ihm Carl zur Zeit feiner Kaiferfrönung, noch 
in Bologna, drei nicht unmwichtige Plätze, die zu feinem fici- 
lianifchen Königreich gehörten, Malta, Gozzo und ZTripoli 
in Africa, zwar als ein Lehen, aber mit folchen Nechten die 
einen beinahe unabhängigen Beſitz augmachfen. ! 

Dem Orden war 8 anfangs nicht angenehm, Daß ihm 
auch Tripoli übertragen wurde: er hatte nur um Malta und 


1. in perpetuo feudo nobile libero et franco, con mero et 
misto imperio, con ragione di proprietä d’utile dominio, tal- 
mente che riconoschino il feudo sopradetto da noi come Regi 
dell’ulteriore Sicilia et da successori nostri sotto feudo solamente 
d’uno sparviero osia falcone. Die Urfunde ift zu Caftelfranco aus- 
gefertigt, aber fhon zu Bologna concipirt und genehmigt. 





144 Meuntes Buch. Viertes Capitel. 


Gozzo gebeten. Der Großmeifter de Lisle Adam ergriff 
felöft von den Inſeln nur mit der Hofnung Beſitz, fie bald 
wieder zu verlaffen, entweder nach Rhodus zurückzufchren 
oder fich im Peloponnes anzufiedeln. Erſt ald Tunis erobert 
war, faßten die Nitter das Dertrauen Tripoli behaupten zu 
können; 1541 fingen fie an, fich in Malta ernftlich zu ber 
feftigen; der Gefchichtichreiber des Ordens bemerkt, daß der 
Großmeifter Omedes erft zwei Jahr fpäter, als fich zeigte 
daß das Unalück des Kaifers vor Algier doc) nicht jo ver: 
derbliche Solgen hatte wie man anfangs gefürchtet, aus fei- 
ner bisherigen Niedergefchlagenheit erwachte.! Endlich fah 
er ſich wieder von einer glänzenden Nitterfchaft, die zu Krieg 
und Berathung zufammengefommen, zuverläßigen Söldnern, 
sahlreichen Unterthanen umgeben, und mit Schiffen, Waf— 
fen, und worauf es auf diefem unfruchtbaren Felſen bejon- 
ders anfam, auch mit Lebensmitteln gut verfehen. 

Für den Kaifer beftand der Vortheil der Anfiedelung 
darin, daß alle Balleien von Europa beiftenern mußten, um 
diefe dem Angriff der Osmanen jet zunächft ausgeſetzten, 
swar fir Alle, doch für ihn noch mehr als jeden Andern 
wichtigen Grenzplätze zu vertheidigen, eine Pflicht die ihm 
fonft allein zugefallen wäre. Sein Verhöltniß als Ober: 
lehnsherr und feine natürliche Beziehung zu den vier Zum: 
gen, Deutfchland, Aragon, Caftilien und Stalien (wie denn 
von den deutſchen und den fpanifchen Mitgliedern das erfte 


1. Boſio Istoria della sacra religione et illma militia di S 
Giovanni Gierusolimitano II, 225. gl. 221: larmata di mare 
(de3 Kaiſers) restava in maniera reslaurata, chel danno patito 
sot!o Algieri appena si sentiva. 


Seefrieg im Mittelmeer. 145 


Geſuch an ihn ausgegangen war) verfchaffte ihm einen grö- 
gern Einfluß auf den Orden als je ein Kaifer gehabt. 

Seit dem Sabre 1541 waren nun die Corfaren noch 
befchtwerlicher getworden, als fie früher gewefen. Mit ihren 
Eleinen gefchtwinden Fahrzeugen — wir finden wohl, daß fie 
erbeutete Galeeren zerfchlagen, um ſich Galeoffen und Fir 
ften daraus zu zimmern, — bald einzeln, bald in ganzen 
Gefchwadern, durchftreifen fie alle diefe Gewäſſer: Fein Schiff 
ift vor ihnen ficher, das ſich aus dem atlantifchen Ocean 
durch die Meerenge wagt, oder auch nur das swifchen Malta 
und GSicilien fegelt, — Fein. Dorf an den weiten Kiüften 
gebieten des inneren Meeres, fo daß die Landleute fich ge 
wöhnen müffen gute Wacht zu halten, die Nächte in na 
ben Eaftellen zuzubringen: — wie oft hat man in Procida 
Diejenigen wieder losgekauft die an der nenpolitanifchen 
Küſte, etwa in Eaftellamare zu Gefangenen gemacht worden 
waren. Der Kaifer ſah ſich genöthigt feine Galeeren in 
mehrere Gefchwader zu theilen, um die Commumication zwi⸗ 
fchen feinen Ländern nur einigermaßen zu behaupten. Da 
Famen ihm nun Die Galeeren des Ordens, als deren Ca 
pitän wir im Jahr 1542 einen Deutfchen finden, Georg 
Schilling, trefflich zu Statten. Die Ordenschronif fchildert 
ihr mannichfaltiges Zufammentreffen mit den Seeräubern: 
wie diefe fich faft immer mit verzweifelter Tapferkeit fchla- 
gen, namentlich die Nenegaten unter ihnen, die freilich den 
gewiſſen Tod vorausfehen, wenn man fich ihrer bemäch- 
tigte; wie aber auch die Nitter das weiße Ordenskreuz big 
in die entfernteften Buchten furchtbar machen und meiften- 
theils die Oberhand behalten: die Ehriftenfelaven die an den 

Ranke D. Geſch. V. 10 


146 Neuntes Buch. Viertes Capitet. 


Rudern ſeufzen, werden befreit; die jungen Türken die bis— 
her die Herrn waren, an die Ruder geſchmiedet; von dem 
Kauffahrteiſchiff flieht wohl zuweilen die türkiſche Beman— 
nung an das nahe Land: dann empfangen die Neger auf 
dem Verdeck tanzend und fingend den eindringenden Sieger, 
der jedoch die Sclaverei als ihren natürlichen Zuftand an- 
fieht und, vielleicht bedauernd, ihn beibehält. ! 

Don dem größten Nutzen für den Kaifer war ferner 
die Behauptung von ZTripoli, befonders des dortigen Ha 
fens, welcher als der befte von allen, 200 Miglien weit 
nach Often und 200 Miglien nach Weften hin, angefehen 
ward. In ſehr gefährlicher Nähe, zu Tanjura, faßte ein 
alter Kiaja Chairedding, der Nenegat Morat Aga, Fuß, der 
mit einer osmanischen Kriegscolonie die er herbeiführte und 
mit den Eingebornen auf die er Einfluß gewann, den fchlech: 
befeftigten Ort auf das ernftlichfte bedrohte. La Valette, der 
fich fpäter in Malta unfterblich gemacht hat, legte die erfte 
Probe feiner Fähigkeit durch die Einrichtungen ab, die er zur 
Vertheidigung von Zripoli traf. Den Nittern war der Land: 
Erieg ohnehin faft lieber al8 der Seefrieg. Befonders wirkſam 
zeigten fich die Hafenfchügen zu Pferd, nachdem man einmal 
die Thiere fo gut eingeübt hatte, daß man die Hände für den 
Gebrauch der Büchſe frei behielt. Wir erftaunen, wenn mir 
bemerken, in welchem Sinne diefer Krieg noch geführt ward. 
Es ift wohl einmal der Vorfchlag gefchehen, und Anftalt zu 
feiner Ausführung gemacht worden, über den Vorzug der 

1. Vix contingit Rhodias vel deprimi vel capi, tanta est 


militum illius ordinis virtus et militaris exercitatio. Calvetus 
Stella de Aphrodisio expugnato. Schard. II, 372. 


- 


Seefrieg im Mittelmeer. 147 


einen Neligion vor der andern, des Fatholifchen Chriften: 
thums oder de8 Islam, durch einen Kampf von Zwölf ge: 
gen Zwölf enticheiden zu laffen: ein fonderbares Gegenftück 
zu den Neligionsgefprächen in Deutfchland. Die Nitter be- 
hielten fürs Erfte auch bier in den Waffen die Oberhand. 
E8 gelang ihnen, einzelne Eingeborne, Scheiche großer Dör- 
fer zwifchen Tripoli und Tanjura für fich zu gewinnen, An— 
hänger Morats dagegen, die in ihre Gewalt fielen, zu dem 
Schwur auf den Koran zu nöthigen, daß fie in Zukunft die 
Waffen nicht gegen den Orden tragen wollen. Allmählig 
gefielen fie fich in dem reichen und anmuthigen Lande. Im 
J. 1548 hat das Generalcapitel des Ordens den Beſchluß 
gefaßt, feinen Hauptfiß in Zukunft in Tripoli aufsufchlagen, 
nur mit der Beftimmung, daß dieß nach und nach, die er: 
ften Jahre verſuchsweiſe gefchehen folle. ! 

Unter den Eorfaren jener Zeit war nun Fein Andrer fo 
geichwind, glücklich und furchtbar, wie Thorgud Thorgudſcha— 
beg, den die Abendländer Dragut nennen, der wahre Nach: 
folger Chairedding, der einft wie diefer an eine genuefifche 
Galeere geſchmiedet gemwefen, aber durch ein Gefchenf, zur 
rechten Zeit der alten Fürftin Doria dargebracht, wieder frei 
geworden war, und feitdem alle die berufenften Seeräuber, 
Gaſi Muftafa, Uludſch, Karafafo und Andere als ihr natürli- 
ches Oberhaupt um fich verfammelt hatte. Wir erinnern ung, 
wie ſich Carl V nach jenem feinem tunififchen Unternehmen 


1. che per quel primo anno si mandassero in Tripoli oltre 
lV’ordinario presidio 50 cavalieri, e che cosi d’anno in anno con- 
seguentemente s’andasse crescendo fin tanto che la religione tutta 
in quel loco trasportata si trovasse. Bei Boſio I, 256. 


10 * 


148 Neuntes Buch. Piertes Capitel. 


der Stadt Afrifija oder Mehdia zu bemächtigen dachte, wo 
Anden und Mauren, welche aus Spanien und Porfugal 
verjagt worden, fich eine Art von Republik gegründet haften. 
Dieſes Platzes bemächkigte ſich Dragut mit einer glücklichen 
von DVerrätherei unterſtützten Verfchlagenheit, und fuchte nun 
von hier aus, je nachdem die Loofe des Alfaqui, den er befrage, 
gefallen, bald die Küften von Valencia auf, wo er Fremde 
unfer den Morigken hatte, bald die genueſiſche Riviera, 
um fich den Doria twieder einmal bemerflich zu machen; 
oder Gozzo, das er befonders gehaßt haben fol, weil ihm 
dort ein Bruder gefallen und deffen Leiche nicht herausgege 
ben worden: oder wohin dag unglücfliche Geſtirn eines Fand- 
ftriches ihn führte. Dem GSeeraub hielt er für fein gufes 
Necht: er hat wohl den Nittern ihre Graufamfeit gegen die 
„armen Corfaren” zum Vorwurf gemacht. Zumeilen hatte 
er 40 Segel in See. Don den Schlöffern wo man ihn 
wahrnahm, ließ man Nauchfäulen zum Warnungszeichen auf 
fteigen; doch gab es felten eine Vorficht, die nicht feiner 
Hinterliſt hätte unterliegen müffen. Im Frühjahr 1550 ver— 
einigten fich nun die ſpaniſch-italieniſchen Gefchwader des 
Kaifers mit den Galeeren des Papſtes, des Herzog Cofimo 
von Florenz und des Ordens zu einem ernftlichen Unterneh: 
men gegen Dragut. Er felbft aber, durch das Beifpiel 
Chairedding gewitzigt, war längft wieder in See, ehe die 
Chriften ankamen, und diefen blieb nichts übrig als ihm 
feine Stadt zu entreißen. Die drei Oberhäupter der Flotte, 
der Vicefönig Vega von Sicilien, Don Garcia de Toledo 
und Andrea Doria, entfchloffen fich endlich dazu, obwohl fie 
zur Belagerung nur eine verhältnifmäßig geringe Mann- 


Seefrieg im Mittelmeer. 149 


fchaft zu verwenden hatten. Was ihnen Muth machte 
war, daß die benachbarten Maurenfürften ihnen verſpra— 
chen das chriftliche Heer mit ihrer Neiterei zu unterſtützen 
und ihre Treue durch Geifeln gemwährleifteten. Die Tür: 
Een vertheidigten die Stadt fo gut, wie jemals eine ihrer 
Galeeren; dieß Mal aber waren ihnen die Chriſten überle: 
gen. Mit Tapferkeit und altem Glaubengeifer — wie denn 
der Beichtvater des Don Garcia wohl ein Erucifir auf eine 
Pike gefteckt hat, um die Leute zu entflammen — verbanden 
fie eine größere, gleichfam gelehrte GefchieflichFeit: die Erin— 
nerung an eine Stelle des Appian foll es geweſen feyn, 
was denfeiben Don Garcia auf den Gedanken brachte, auf 
ein paar mit ſtarken Ankern unbeweglich befeftigten Galee— 
ven eine Batterie zu errichten, welche die Mauern an der 
Seefeite zertrümmerte und die Eroberung entfchied ! (LO Sept. 
1550). Die Sohanniter nahmen an derfelben nicht allein 
mit gewohnter Tapferkeit Theil, — unter den Gefallenen fin: 
den wir auch ein paar deutfche Namen — fondern fie üb: 
ten auch noch andere Pflichten aus, die ihre Negel ihnen 
auflegt. Unter dem Zelte des Spittlers fanden die Verwun— 
deten Pflege und die fremden Ankömmlinge Beköftigung. 
Diefe Eroberung fehien aber von um fo größerer Bedeu- 
tung, da einige mächtige Maurenfürften, wie Sfidi Arif von 
Cairwan und jetzt auch der Nachfolger des Mulei Haffan in 
Tunis, der fich früher eher feindlich bezeigt, mit dem Kaifer 
in Bund fraten. Der Gedanke tauchte auf, Earl V werde 
fich noch mit dem Priefter Johann, der doch hier Fein an— 


1. Nach Sandoval I, 671 führten fie auch „dos morteretes 
srandes, que el emperador avia embiado de Alemania.“ 





150 Neuntes Buch. PViertes Capitel. 


drer feyn könnte al der Beherrſcher von Abyffinien, verbün⸗ 
den und die Osmanen in Ägypten und Syrien heimfuchen. 

Um aber ein folches Ziel, wir fagen nicht, zu erreichen, 
fondern nur ernftlich ing Auge zu faffen, hätte der Kaifer 
vom Drange der innern Gefchäfte weniger eingenommen und 
im Stande feyn müffen, die volle Gewalt feiner Streitkräfte 
nach dem Orient hinzumenden. 

Wie feine Angelegenheiten wirklich befchaffen waren, 
ließ fich zweifeln, ob die Eroberung der Küftenftadt ihm nicht 
eher ſchädlich ſeyn werde als vortheilhaft. 

Der eigentlichen Macht Draguts, die_in feinen Galee— 
ren beftand, hatte man doch EFeinen Abbruch, gethan. Go 
weit zeigte fic) das Glück dem Andrea Doria noch einmal 
günftig, daß er Dragut mit ſeinen Fahrzeugen in dem Golfe 
von Dſcherbe einſchloß, der nach der andern Seite hin von 
Untiefen und Sandbänken umgrenzt iſt, über welche damals 
ſogar ein Weg nach dem Continent führte, den man trocknen 
Fußes beſchritt.“ Aber Dragut, dieſer Küſtengewäſſer trefflich 
kundig, fand doch einen Ausweg, den er ſich freilich zum 
Theil erſt bahnte — dem Arme ſeiner Matroſen kam die Fluth 
zu Hülfe — : plötzlich erſchien er wieder bei Sicilien; Andrea 
Doria, der ihn noch bei Dſcherbe eingeſchloſſen zu halten 
glaubte, mußte von Malta aus benachrichtigt werden daß 
der Seeräuber, den er bereits als ſeinen Gefangenen betrach— 
tete, ihm abermals entkommen war: ſchon hatte Dragut wie: 


1. Boſio: mare tutto pieno di seccagne e di bassi fondi - - 
potendosi nondimeno passare in terra ferma con piedi aseiutti 
da huomini da cavalli e dagli armenti per mezzo d’un assai an- 
gusto sentiero. (11, 284.) La Cantera, oder Alcantarat, die Brürfe. 


Seefrieg im Mittelmeer. 151 


der Die vornehmfte ficilianifche Galeere erbeutet, und erfüllte 
die Küften mit dem Schrecken feiner Nähe. 

Noch bei weitem wichtiger aber war es, daß hiedurch 
der Stillſtand zweifelhaft wurde, auf dem die ganze Poli 
tif des Kaifers beruhte. Carl V enfgegnete zwar auf Die 
Befchwerden Suleimang, bei großen Fürften ſey es nicht 
herfömmlich, Seeräuber in ihre Tractate zu begreifen. Aber 
lag e8 nicht am Tage daß es eben dieſe Seeräuber waren, 
welche hier fir den Sultan kämpften? Am Feinen Preis 
wollte fich Suleiman den Verluft einer Stadt gefallen laſſen, 
die bereitd von den Osmanen in Befiß genommen war und 
feine Oberhoheit anerfannte. Im Juli 1551 erfchien eine 
große Flotte unter dem jungen Sinan, Eidam des Wefir Nu- 
ſtan, dem Dragut zur Seite ftand, in den ficilianifchen Gewäf- 
fern. Zuerft ließ Sinan die beiden Vicefönige von Neapel 
und Sicilien wiffen, er Fomme um Mehdia zurückzufordern; 
da er hierauf eine ausmweichende Antwort enpfieng, fo ſtürzte 
er fih, man möchte fagen, nicht ohne eine gewiſſe Folge: 
richtigfeit, auf die Befisungen der Johanniter, welche zu 
dem Kaifer in einem ähnlichen Verhältniß fanden wie die 
der Seeräuber zu dem Sultan. Malta indeß, das er zuerft 
angriff, war ihm doch ſchon zu feft, und die Stadt zu tief 
im Lande, als daß er dort lange hätte verweilen Fünnen; 
bei weitem weniger Widerftand konnte er in Tripoli fin 
den. Die Kräfte der Nitter waren getheilt, Tripoli in dem 
Schrecken des unerwarteten Anfalls mit Befehlshabern von 
zweifelhaften Verdienſt und fehr untauglichen, frifch zuſam— 
mengerafften Söldnern befeßt. Hülfe war auch deshalb nicht 
zu erwarten, weil Andrea Doria fich befchäftigen mußte den 





152 Neuntes Buch. Biertes Capitel. 


Sohn des Kaifers aus Stalin nach Spanien und den Nef— 
fen deffelben aus Spanien nach Stalien zu führen, was fir 
jene Succeffionsentwürfe nöthig fchien. Unter diefen Um— 
ftänden entfchloffen fich die Nitter — und e8 bedurfte Dazu 
mohl nicht erft, wie man argwöhnte, einer von dem fran: 
zöfifchen Gefandten Aramont angeſponnenen Verrätherei ! — 
sur Überlieferung diefes Platzes an Sinan, welche am LAten 
Auguft 1551 erfolgte. So raſch giengen die Hofnungen 
welche der Orden an dieſen Ort geknüpft, in Nauch auf; der 
alte Feind deffelben, Morat Aga, erfchien als Sandfchafbey 
in Zripoli, wo fich nun dag Seeräuberhandwerk wie in Algier 
unüberwindlich organifirfe. Für den Orden war dag Um 
glück vielleicht nicht fo groß: er konnte nun feine ganze 
Macht auf einen einzigen Punct concentriven, wie er auch 
gethan hatz dem Kaifer aber war der Verluſt des trefflichen 
Platzes, den er nicht einmal erobert, fondern ererbt, höchſt 
empfindlich: dag maritime Übergewicht des mächtigen Fein 
de8, den er als den allgemeinen betrachtete, ftellte fich alle 
Tag entfchiedener heraus. 


Erneuerung des Kriegs in Ungarn. 


Ähnlich war der Gang der Dinge in Ungarn. Aug 
einem Unternehmen das eine große Erwerbung verhieß, ent 


1. Nur möchte ih ihn nicht mit Flaffan aus dem Zeugniß des 
Großmeifterd Omedes rechtfertigen, das freilich in der Überfeßung, wo 
es heißt: nous attestons que les bruits repandus sont sans fon- 
dement, fehr pofitiv Iautet, aber nicht im Original, bei Nibier I, 
303: quelli che hanno sparso quello rumore, non ci pare, lab- 
biano fatto con ragione. Man hegte in Malta allerdings einigen 
Verdacht; eine Erwägung der einzelnen Ereigniffe aber, wie fie Bofto 
fehr ausführlih und glaubwürdig mittheilt, läßt ihn nicht auffommen. 


Erneuerung des Kriegs in Ungarn. 153 


wickelte fich eine Verfeindung mit den Osmanen, welche auch 
den bisher noch geretteten Befi gefährdete. 

Wie den König-Woityoden Johann Zapolya, fo be 
frachtete der Sultan auch den jungen Sohn deffelben, den er 
von Dfen nach Siebenbürgen verwiefen, als feinen Vaſallen. 

Dagegen konnte Ferdinand die Verträge, kraft deren 
das ganze Gebiet Zapolyas an ihn hatte übergehn follen, 
noch nicht vergeffen, und wir finden ihn von Zeit gu Zeit 
mit dem fiebenbürgifchen Hofe über die Auslieferung diefes 
Landes unterhandeln. 

Da geſchah nun daß dort im Lande felbft ein Zwie— 
fpalt ausbrach. 

Wir Fennen Georg Martinuzzi, Frater György, wie ihn 
die ungrifchen Chroniken nennen, deſſen geheimnißvoller und 
weltfluger TIhätigfeit der König-Woiwode fein Beſtehn gro: 
ßentheils verdanfte: Ferdinand foll geſagt haben, er beneide 
diefen feinen Nebenbuhler um nichts als um einen folchen 
Diener. In Siebenbürgen hatte Martinussi jet als Vor: 
mund des jungen Fiürften und Gubernator die Zügel der 
Macht in feinen Händen. Man fah ihn in feinem rothen 
mit 8 Pferden befpannten Wagen, von ein paar hundert 
Hufaren und Haiducken begleitet durch dag Land fahren und 
überall gleichfam aus eigner Macht feine Befehle ertheilen. 
Die Kutte, die er noch immer frug, wie lang es auch her 
feyn mochte daß er fich um die Klofterregel nicht mehr ge: 
Fümmert, warf er in plöglichen Kriegggefahren auch von fich 
und ward im Wappenrock und weithinwallenden Helmbufch 
mitten unter den Streitenden gefehen. Er beherrfchte den 
Schag und dadurch die bewaffnete Macht, dag ift dag Land 
überhaupt. 


154 Meuntes Buch. Viertes Capitel. 


‚Nun Eonnte e8 ihm aber bei der Eigenmächtigfeit die- 
fer Stellung nicht an Gegnern fehlen. Einen gefährlichen 
Nebenbuhler hatte er in feinem Mitvormund Petrovich, der 
bei Hofe und im Lande größeres moralifches Zutrauen ge 
noß. Zumeilen vegte fich wohl der Gedanke, den Mönch 
wenigſtens durch ein aus der Mitte der mächtigen Landherrn 
zu befeßendes Nathscollegium zu beſchränken.“ Befonders 
fühlte fich die Königin Iſabella darüber unglücklich, daß fie 
fo gar nichts vermöge, ſich fo ganz in der Gewalt eineg 
Menſchen befinde, den feine Geburt zu dem niedrigen Dienfte, 
aber zu Feiner Herrſchaft beftimme habe; mehr als einmal 
wollte fie das Land verlaffen: endlich entfchloß fie fich ihren 
Schutzherrn, den Sultan, anzurufen, deffen Majeftät in dem 
Kinde, welchem er Siebenbürgen überlaffen, verlegt werde. ? 
Ohnehin war Suleiman Fein Freund diefes Mannes, an 
welchen doch die Gelbftändigfeit des Landes fich knüpfte. 
Der Pafcha von Ofen machte einen Verfuch, mit bewaffne- 
ter Macht in Siebenbürgen einzudringen, ward aber von 
Martinuzzi zurückgewieſen; einige andre Einwirkungen der 
Türfen ließen dem Mönch Feinen Zweifel übrig, daß in Con— 
ftantinopel fein Untergang befchloffen fey. ° 

Dadurch) ward aber auch er feinerfeits bewogen, ſich 
an den andern Nachbar, König Ferdinand, zu wenden, und 


1. Das verfichert wenigſtens Verantius beabfichtigt zu haben: 
ut quilibet optimatum dignitate et officio aliquo insigniretur, ex 
eisque conflaretur consilium quo interregnum moderaretur. Dei 
Katona XXI, 1071. 

2. Bei Katona XXI, 793. 

3. So verfihert Ferdinand in einer amtlihen Denffhrift au 
den Papſt bei Bucholß IX, p. 590. Man fieht daraus, daß die erſten 
Gröffnungen im Jahr 1549 gemacht feyn müffen. 


Erneuerung des Kriegs in Ungarn. 155 


ihm die Ausführung des alten Tractates, die Überlieferung 
Siebenbürgens und der heiligen Krone anzubieten. 

Am Hofe des Königs trug man anfangs Bedenken 
hierauf einzugehn: Johann Hofmann, den wir kennen, foll 
e8 widerrathen haben; aber die Gelegenheit war zu lockend 
um fie nicht zu ergreifen: dieß Mal, glaubte man, Fönne 
der Mönch fich nicht wieder mit den Osmanen verfländigen. 

Es wäre hier nicht am Ort, die oft doppelfinnigen 
Verhandlungen die hierüber gepflogen wurden, im Einzelnen 
zu begleiten: genug, nach einiger Zeit führten fie zum Ziele. 
Sm Sahr 1551 ergab fich die Königin in ihr Geſchick und 
vertaufchte die Herrſchaft in Siebenbürgen mit einigen fehle 
fifchen Befigungen. Hierauf leifteten die Stände zu Clau— 
fenburg die Huldigung an König ‚Ferdinand und überliefer— 
ten die heilige Krone dem Befehlshaber deffelben. 

Martinuzzi fchien hiedurch nur noch mächtiger zu wer: 
den: er ward von Ferdinand als Schaßmeifter und MWoi- 
mode des Landes und zwar ohne Eollegen anerkannt und 
zum Cardinal erhoben: da ihm fo viel gelungen, fragte man 
in diefen Ländern wohl, ob er nicht noch Papft werden Fönne. 

Ganz ein andres Schichfal aber ftand ihm bevor. Un: 
verweilt nemlich, noch im September 1551, erfchienen die 
Zürken unter einem ihrer nahmbhafteften Anführer, Mehemet 
Sofolli, 60000 M. ſtark, von Salanfemen her über der Do: 
nau, eroberten eine ganze Anzahl von Schlöffern die vor ihnen 
lagen, und durchzogen plündernd die von dem bisherigen Kriege 
noch minder berührten Ebenen de8 Banates. Zwar wurde 
nun die blutige Lanze und das blutige Schwert durch alle fie- 
benbürgifchen Ortſchaften gefchickt; Die ferdinandeifchen Trup- 








156 Neuntes Buch. Viertes Eapitel. 


pen kamen herbei, und mehrere von diefen Schlöffern wur— 
den twiedererobert, felbft das einft noch von Georg von 
Brandenburg befefiigte Lippa; allein einmal fehlte viel daß 
man den Türken alle ihre Eroberungen wieder entriffen häfte, 
fodann entfpann fich eben aus diefem zweifelhaften Erfolg 
eine Verſtimmung zwifchen. Martinuzzi und dem ihm zur 
Seite fiehenden öftreichifchen Befehlshaber, die fofort zu ei 
ner gräßlichen Kataftrophe führte. 

Martinuzzi ließ ſich wohl vernehmen, er hätte geglaubt 
die Deutfchen würden flärfer feyn als er fie gefunden: und 
obwohl aus den vorliegenden Actenſtücken Fein Beweis da- 
fir hervorgeht, fo ift e8 doch nicht ohne WahrfcheinlichFeit, 
daß er daran gedacht hat, wie er fich auch ohne Ferdinand 
in Siebenbürgen behaupten Fönne. ! 

Dagegen fchöpften die Föniglichen Befehlshaber den 
Verdacht, als unterftüge er fie abfichtlich mar fchlecht und 
denke auf ihr Verderben, um ſich dann unter türfifchem 
Schuß zum Alleinherrn Siebenbürgens zu machen. 

Bei Ferdinand trafen ihre Meldungen mit beinahe gleich: 
lautenden Nachrichten aus Conftantinopel zufammen. Go 
wichtig ſchien ihm der Beſitz von Siebenbürgen, fo drin- 
gend die Gefahr das Faum Gewonnene zu verlieren, und 
von fo gewaltfamen Entfchlüffen und Handlungen erfüllt 
waren noch die Zeiten, daß er e8 über ſich gewann, der 


1. Die beiden Schreiben des Mohammed Sofolli, abgedruckt 
bei Hammer III, 723, beweifen doch nichts als daß Br. Georg über 
die Herausgabe der noch nicht wiedereroberten ftebenbürgifchen Schlöf: 
fer mit Mehemet in Unterhandlung fand. Br. Georg hatte fie ſelbſt 
eingefchickt. 


Erneuerung des Kriegs in Ungarn. 157 


Beurtheilung feiner Befehlshaber zu überlaffen, ob ein Mann 
leben oder fterben folle, deffen Schuld ihm felber zweifelhaft 
war. Gaftaldo und feine Freunde, von perfönlichem Haß, 
der Beforgniß am Ende felber verratben zu werden, und der 
Begierde erfüllt, fich der Schäße des Mönches zu bemächtt- 
gen, von denen man Unglaubliches meldete, trugen Fein Be 
denfen augenblicklich zur That zu fehreiten. In dem eignen 
Schloſſe des Mönches, der doch dabei wenig Vorficht zeigte, 
Alvinz, fanden fie Gelegenheit an ihn zu Fommen. Mar: 
tinuzzi ward in dem Augenblicke daß er fich anfchickte einen 
ihm überbrachten Brief zu Tefen, wie dort in Neuburg Jo— 
hann Diaz, von den Überbringern ermordet. Seine Schäße 
fand man weit geringer als man gemeint. 

Und nun laßt fich denken, daß auch dem König aus 
diefen Dingen Fein Heil erwuchs. Der Tod des Manneg, 
der alles zufammengehalten, mußte nothivendig alles auflö- 
fen. In Kurzem finden wir den öftreichifchen Befehlshaber 
Eaftaldo zugleich mit einem Aufſtand der Szefler, den Ein- 
fällen der Walachen und einem neuen türkiſchen Heere in 
ungleichem Kampfe. 

Die Hauptfache war auch bier, daß biedurch der Still— 
fiand gebrochen war, den man mit fo vieler Mühe zu Stande 
gebracht hatte. Sch finde die Nachricht (wiewohl nicht mit 
voller Sicherheit), die Unternehmungen auf Mehdia und auf 


1. Nach Ferdinands Inftruction für feine Gefandten an den 
Papſt bei Bucholtz IX, 600 war feine Weifung an Gaftaldo: ut 
fortiter dissimularet, quatenus monachum - - differre sentiret: si 
tamen intelligeret rem aliter transigi non posse -- tunc potius 
ipse eum praeveniret et tolleret e medio, guam quod primum 
ictum expectando, ab ipso preveniretur. 





158 Meuntes Buch. Viertes Capitel. 


Siebenbürgen feyen von dem beiden öftreichiichen Brüdern zu— 
glei) in Erwägung gezogen worden: man habe ſehr wohl 
geſehen, daß die Erneuerung des osmaniſchen Krieges die 
unausbleibliche Folge davon ſeyn würde, aber es darauf 
gewagt, um der großen Vortheile willen die man erwartete. 
Die Vortheile waren nicht gewonnen; die Nachtheile traten 
in vollem Maaße ein: zu beiden Seiten erhob ſich ein für 
die beiderſeitigen Länder höchſt gefährlicher Krieg, der alle 
Aufmerkſamkeit und Kraftentwickelung in Anſpruch nahm. 

Und wenden wir nun unſer Augenmerk von dem Oſten 
nach dem Weſten, wo die Thätigkeit des Kaiſers von ſei— 
nen Beziehungen zu England und Frankreich und dem ge— 
genſeitigen Verhältniß dieſer beiden Reiche bedingt wurde, 
ſo waren auch hier die größten Veränderungen eingetreten, 
oder bahnten ſich doch in dieſem Augenblicke an. 

Bleiben wir zunächſt bei dem Gange der Dinge in 
England ſtehn, der zugleich die kirchliche Seite der kaiſerli— 
chen Unternehmungen nahe berührt. 


Fortgang der Reformation in England. 


Wenn ſich der Kaiſer und König Heinrich VIII nach 
langem Hader wieder verbündeten, ſo konnte das, ſo viel 
dringende Antriebe dafür vorhanden waren, bei der Sin— 
nesweiſe jener Zeit doch nicht wohl geſchehen, ohne daß 
auch in ihren kirchlichen Tendenzen wieder eine gewiſſe Ana- 
logie eintrat. 

Nachdem Heinrich) VIII mit feinem Clerus und feinem 
Parlament fich einige Jahre daher in einer Nichtung bewegt, 
die dem deutfchen Proteſtantismus entfprach, vereinigten fich 


Reformation in England. 159 


diefe drei Gewalten im 3. 1539 zu dem Gefeß der feche 
Artikel, durch welches Priefterehe und Laienkelch verworfen, 
dag Dogma der DBrotverwandlung dagegen, die herkömm— 
liche Feier der Meffen und die Ohrenbeichte bei firenger Ahn- 
dung eingefchärft wurde. 

Fragen mir, was ihn dazu bewog, fo werden wir wohl 
nicht irren, wenn wir dieß Gefes zu den Maafregeln der 
Vertheidigung rechnen, welche er damals gegen die Verbin: 
dung des Wapftes mit dem Kaiſer und dem König von 
Frankreich ergriff. Bei der erften Nachricht von diefer Ver: 
bindung waren ale heimlichen Anhänger des Papftes in Be— 
wegung gerathenz der franzöfifche Geſandte meint, e8 gehöre 
nichts weiter, als das Interdict und etwa ein Firchliches Han— 
delsverbot dazu, um den offenen Aufruhr in England zu ent: 
zünden.“ Der König glaubte das von ihm ergriffene Spftem 
nur dadurch behaupten zu Fünnen, wenn er feine römifch-Fa- 
tholifchen Unterthanen, die noch die Mehrzahl ausmachten, 
in Hinficht der wichtigften Lehrpunete beruhigte. Eine Auf 
faffung die fich beinahe aufdringt, wenn man dag Tagebuch 
von Hollinfhed Lieft, wo die Friegerifchen Vorkehrungen die 
Heinrich VIII traf, — Befeftigung der Häfen, Befichtigung 
aller Landungspläge, Mufterung der Kriegsmannfchaften, — 
und die Verkündigung diefer Artikel in Einer Reihe genannt 
werden. ? 


1. Castillon 2 Febr. 1538. II luy semble (dem Gef.) que 
qui pourroit trouver moyen que le pape envoyast interdits et 
excommuniements par les terres et pays qui luy portent obeis- 
sance, et meme les marins, que nul marchand negociast ou pra- 
tiquast en fagon queleonque avec les Anglais, que sans autre 
despence le peuple d’Angleterre s’esmouveroit et contraindroit 
le roi à retourner à leglise. Y 


2. Hollinshed Chronicles III, 808. 


160 Neuntes Bud. Viertes Capitel. 


Wenn Heinrich VIII dabei fürs Erſte mit den Prote— 
fianten doch noch in Verbindung blieb und jene Ehe mit 
Anna von Eleve ſchloß, fo gefchah das aus dem verwand- 
ten Grunde, weil ihm nichts erwinfchter und müßlicher war 
als der Widerftand derfelben gegen den Kaifer. Sobald fie 
diefen aufgaben, ward Anna verftoßen, jede engere Verbin- 
dung abgebrochen, der bisherige Führer der religiöfen Neue: 
rung, Cromwell, feinen Feinden Preis gegeben. 

Seitdem erft begann man die Artikel mit der Strenge 
zu handhaben, die ihnen den Namen der blutigen verfchafft 
hat. Die Papiften wurden mit dem Schwert hingerichtet, 
die Gegner der Transfubftantiation erlitten den Tod im Feuer: 
beides im Namen des Geſetzes. 

Dann konnte ſich der König auch wieder der Politik 
des Kaifers nähern, mit deffen zugleich antipäpftlicher und 
dogmatifch-Fatholifcher Haltung die feine eine bei weitem 
nähere Verwandtſchaft hatte als mit dem Geifte des Prote- 
ſtantismus. 

Nur ganz in ſeinen letzten Tagen ſchien es ihm gut, 
eine Veränderung wenn nicht eintreten zu laſſen, doch vor— 
zubereiten. 

Es wurden ihm Anzeigen gemacht, — er hat die be— 
ſonders anzüglichen Stellen darin noch mit zitternder Hand 
unterſtrichen! — nad) welchen es ihm ſchien, als ob dag 
Haus Howard, das an der Spitze der katholiſchen Partei 
ſtand, wohl feinem Sohne gefährlich werden könne. Gerade 
su der Zeit, in welcher er die Howards einferferte oder hin- 
richten ließ, mußte es num feyn, daß er Diejenigen Männer 


1. Statepapers I, 891. 


Neformation in England. 161 


fchließlich ernannte welche während der Minderjährigfeit fei- 
nes Sohnes die Negierung führen follten. Aus dem Ber: 
zeichniß Derfelben filgte er mit eigner Hand den Namen 
Gardiners, der bisher die Fatholifchen Lehrfäge nicht ohne 
Geift und mit bemerfenswerther Feſtigkeit vertheidigt hatte; 
den Namen Cranmers dagegen, des vornehmften geiftlichen 
Werkzeugs der Neformation, fand man unfer den vom Kö— 
nig ernannten Executoren des Teftaments obenan ftehn. 

Und fo bildete fich unmittelbar nach Heinrichs Tode eine 
Regierung, in der die profeftantifchen Hinneigungen vorwal- 
teten. Ein Mann der fie mit Entfchiedenheit hegte, Edward 
Seymour, jest zum Herzog von Sommerſet erhoben, trat 
unter dem Titel eines Protectors als ihr Oberhaupt auf: 
feine Miterecutoren ließen fich gefallen als feine Näthe zu 
erſcheinen; gab es noch fremdartige Elemente unter ihnen, 
fo wurden fie ohne Mühe ausgeftoßen. 

Mag nun die Gefinnung König Heinrichs geweſen feyn 
welche fie will, aller Graufamfeit feiner Edicte zum Troß, 
durch das Ganze feiner Thätigkeit hat er die Fortſchritte der 
religiöfen Neuerung mächtig befördert. Er hat die Summe 
der geiftlichen Gewalt mit der Füniglichen verbunden. Diefe 
neu begründete kirchlich-weltliche Macht hat er dann einer 
Bereinigung von Männern hinterlaffen, in welcher das pro- 
teftantifche Prinzip auf der Stelle die Oberhand befam. 

Auch in dem Bisthum hatte unter Cranmers flillem 
Einfluß die proteftantifche Anficht Eroberungen gemacht: der 
weite Ersbifchof des Reiches, mehrere andere Bifchöfe neig- 
ten fich ihr zu. 

Es bedurfte nichts weiter als der natürlichen Entwicke— 

Ranfe D. Geh. V. 11 


162 Neuntes Buch. Viertes Capitel. 


ung der innerhalb der conftituirten Gewalt auf diefe Weiſe 
fchon gefchehenen Veränderung, um den neuen Meinungen 
freien Nam zu machen. Man brauchte von dem durch 
Heinrich VIII gebahnten ABege der GefeglichFeit nicht abzuwei⸗ 
chen und konnte doc) zu ganz andern Nefultaten gelangen. 

Wie hätte die neue Negierung auch zum Beifpiel an 
der Strenge fefihalten können, mit welcher Heinrich VII 
feine Gebote hatte handhaben Iaffen. | 

Fest erfchienen fliegende Blätter und Neime, Hefte, 
Bücher gegen das bisherige Spftem; die Faſten wurden ge 
brochen, Bilder umgeriffen. Niemand machte Miene fich 
darum su befiimmern. 

Vielmehr ward, ohne langen Verzug, eine neue Bifita- 
tion vorgenommen um die Mißbräuche der Geiftlichen aus: 
zurotten; fie Fnüpfte ausdrücklich an diejenigen Artikel an, 
welche unter Cromwell bekannt gemacht worden. 

Um das Volk zu unterweifen, verfaßte der Erzbifchof 
Cranmer in deutfcher Weile eine Anzahl von Homilien, die 
fich befonders in dem Artikel von der Juftification von dem 
herkömmlichen Spftem entfernten. 

Und hierauf nun verfammelte fich dag Parlament, Nov. 
1547, unter dem Eindruck welchen die Veränderung der 
Regierung überhaupt und befonders eine Unternehmung ge 
gen Schottland gemacht, die fehr glücklich gegangen mar; 
e8 fheilte vollfommen die Gefinnung der Negierung. 

Vor allem wurden die fechs Artikel abgefchafft. Cran- 
mer brauchte wohl nicht, wie man gefagt hat, erft darauf 
aufmerffam gemacht zu werden, daß ohne dieß Fein weiterer 
legaler Schritt möglich) war. Das Parlament ergriff aber auch 


Neformation in England. 163 


eine pofitive Maafregel: e8 ordnete die Communion unter bei- 
derlei Geftalt an. Man follte glauben, daß die Überzeugung 
von der Nechtmäßigfeit diefer Abänderung fehr verbreitet ge: 
weſen fey. Unter den Bifchöfen waren nur fünf, im Unter: 
haufe der Convocation, welches 64 Stimmen zählte, nicht 
eine einzige dagegen. 

Dabei hielt dag Parlament das geiftliche Supremat 
der Krone auf dag nachdrücklichfte feft: befonders ihr Necht 
die Bifchöfe zu feßen. 

Auch in dem jeßt vorherrfchenden Sinne häfte Fein 
Schritt ohne Erlaubniß der Negierung gefchehen dürfen. Wie 
fo durchaus anders giengen die Dinge jenfeit de8 Meeres, 
als dieffeit. Dei ung war die Bewegung von der Predigt 
mit hervorgebracht: dort war die freie Predigt Faum einen 
Augenblick erlaubt gewefen, fo wurde fie wieder verboten. 
Der Grundfag ward aufgeftelt, daß Niemand Meinungen 
und Gebräuche die der König noch dulden wolle, in Ver: 
achtung bringen dürfe; einem Privatmanne könne nicht zu: 
feehn Neuerungen anzufangen; ' die Negierung behielt fich 
gleichfam das Necht vor, ausfchließend die öffentliche In— 
telligenz zu ſeyn. Und nur fehr bedachtfam gieng fie zu 
Werke. In dem Katechismus, den Erzbifchof Cranmer übri— 
gens nach deutichem Vorbild bearbeitete, hütete er fich doc) 
die Ideen vom Prieſterthum su verlegen: die Lehre von 
dem göttlichen Urfprung und der göftlichen Berechtigung 
deffelben wird darin mit aller Strenge feftgehalten.” Es 


1. A letter sent to all those preacher, which the King's 
Majesty has licensed. Bei Wilfins IV, 27. 
2. Vgl. Collier II, 251. 


11* 


164 Neuntes Dudh. Viertes Capitel. 


dauerte eine Weile che man Die Priefterehe erlaubte. Die 
Commiffion von Bilchöfen und Geiftlichen, welche auf Be 
fchluß des Parlaments dazu fchrift eine neue gleichförmige An— 
ordnung des Goftesdienftes zu entwerfen, ließ es ihr haupt 
fächlichfieg Gefchäft feyn, die verfchiedenen Liturgien die in 
England in Gebrauch waren, von Sarun, Bangor, York, 
su vereinigen und zu verfehmelen, und unterwarf fie nur 
einer Durchficht und Neinigung. Sie verfuhr nach dem 
Grundfaß, daß auch Ehrifius bei feinem Werfe dag Alte 
nicht ganz versvorfen, fondern bei den beiden großen Inſti— 
futionen die er gemacht, fich an die Gebräuche der Juden 
angefchloffen habe. ' 

So nahe wie möglich hielt man fich an die hiftorifch 
gegebenen Grundlagen. Aber dabei Fam doch eine Neue: 
rung zu Tage, durch welche fich auch dort der reformatori- 
fche Gedanke endlich felbftändig Bahn gebrochen hat. 

Die Lehre von der Brotverwandlung war in England 
am fpäteften durchgedrungen: fie hatte dort in Wikliffe den 
erften twirkfamen und durchgreifenden Widerfpruch gefunden ; 
zwar hatte fie fich nichtsdeftominder der Gemüther allmäh- 
fig bemächtigt und war von Heinrich VIII mit Feuer und 
Schwert vertheidigt worden, aber fie mußte es doch nieder 
feyn, was dort, nachdem man bisher hauptfächlich die Ver- 
faffung und die Gebräuche geändert, zu einer mefentlichen 
Neuerung in der Lehre den entfcheidenden Anlaß gab. 

Dder fagen wir vielmehr Herftellung, als Neuerung? 

In England machte es noch größeren Eindruck als in 


1. Our litargy is in great mesure a translation from the 
catholie service. Hallam Constitut. history I, 115. 


Reformation in Ingland. 165 


Deutfchland, daß damals das Werk eines Mönches aus dem 
Iren Jahrhundert, der immer unter den rechtgläubigen Kirchen: 
fchriftfiellein aufgeführt worden, das Buch des Naframmus 
von Eorbei über Leib und Blut unfers Herrn, bekannt ward, 
worin nicht allein die Brotverwandlung verworfen, fondern die 
leibliche Gegenwart überhaupt geleugnet, und diefe Anficht ei- 
nem mächtigen König der damaligen Welt, Earl dem Kahlen, 
als die wahrhaft Fatholifche bezeichnet wird. " Einer der Füh— 
ver der Neformation, Nicolaus Ridley, ſtudirte diefe Schrift 
auf feiner Landpfarre in Kent, und durchdrang fich mit der 
Überzeugung, daß die herkömmliche Auffaffung nicht allein 
unbaltbar, fondern auch die neuere fey: einer Meinung, 
Die er gar bald feinem Freunde, dem Erzbifchof Erammer 
mittheilte.“ Eben langten aus Deutſchland, zum Theil aus: 
drücklich eingeladen, zum Theil durch die Gewaltfamfeit ver: 
jagt mit welcher das Interim eingeführt wurde, auch folche 
Leute an, denen die Wittenberger Concordie noch nicht ge 
nügte, wie Peter Martyr, der eine Zeitlang bei Cranmer zu 
Lamberh Iebte, und Johann a Lasco. Sie frugen nicht we 
nig zur Befeftigung Crammers in diefen Abweichungen bei, 
der dann wieder bei der gefammten Geiftlichfeit darin Nach: 
folge fand. Man begnügte fich nicht die Meffe aufhören zu 
laſſen, — in der Mutterficche der Hauptſtadt zu St. Paul frat 
die Kommunion an die Stelle des Hochamtes, — fondern in 
der neuen Liturgie ward die Elevation, welche Luther fo lange 
beibehalten, und die Kniebeugung vor der Hoſtie verboten. ° 
Die Bifitatoren des Jahres 1549 verpönten jede Beibehal- 


1. Bertrami presb. liber ete. Col. 1532. Genev. 1541. 
2. Soames history of the reformation in England II, 177. 
3. Soames Ill, 377. 


166 Neuntes Buch. Viertes Capitel. 


fung_der eigenthiimlich römifchen Gebräuche." Auf der Uni- 
verſität Oxfort focht Peter Martyr die Lehre über die Eu— 
chariſtie, obwohl nicht ohne harte Kämpfe, durch; wie er ſie 
feſtſtellte, iſt ſie darnach in die Bekenntnißſchriften der engli— 
ſchen Kirche aufgenommen worden. 

Indem nun aber die kkirchliche Veränderung die Mo— 
mente berührte, welche den Kern des katholiſchen Glaubens 
ausmachten, mußte in England ſo gut wie anderwärts eine 
allgemeine Erſchütterung erfolgen. 

Was die ſechs Artikel einſt politiſch empfahl, zeigt ſich 
erſt recht, wenn wir finden, daß die aufrühreriſche Menge 
in mehreren Provinzen die Herſtellung dieſes blutigen Statu- 
tes forderte. 

Arch ganz enfgegengefeßte Motive mifchten fich ein, be 
fonders Widerftand gegen das Umfichgreifen des Adels, na 
mentlich die weitern Einsäunungen des Landeigenthumg, ver: 
gefellfchafteer mit anabaptiftifchen NRegungen, welche faft an 
den deuffchen Bauernfrieg erinnern. ? 

Diefe Bewegungen wurden nun zwar leichter als in 
Deutfchland erdrückt, da fie fich im fich felbft widerfprachen, 
und in England das Herrenrecht der Weltgeiftlichfeit, die 
ganze bifchöfliche Hierarchie aufrecht erhalten wurde; allein 
fie blieben doch nicht ohne die größte Rückwirkung. 

Um zu Haufe nicht zu unterliegen, mußte die Negie- 

1. Articles bei Burnet II, Coll. nr. 33. that no minister do 
counterfeit the popish mess: as to kiss the Lords table, - - to 
use no olher cerimonies, than are appointed in the Kings book 
of common prayers. 

2. Ein gewiffer Ket nannte fih der Meifter oder König von 


Norfolf und Suffolk; er führte die Widerftrebenden in Ketten mit 
fih fort. Strype II, 290. 


Reformation in England. 167 


rung die Frieggelibten Leute, die bisher die Befaßung von Bou— 
logne ausgemacht, von dort wegführen: dadurch aber ward der 
König von Frankreich veranlaßt, ! feinen Krieg ernftlicher zu 
ernenern als bisher; er bemächtigte fich in Kurzem der Elei- 
nen Befefligungen in jenem Gebiete. 

Auch in Schottland Fonnten fich die Engländer jeßt 
nicht länger halten: nach mancherlei Verluſten entfchloffen 
fie fich, den vornehmften Pat deſſen fie fich bemächtigt hat: 
ten, Haddington, zu verlaffen. - 

Wir werden wohl nicht irren, wenn wir den nächften 
Grund daß der Protector Sommerfet fich nicht behaupten 
Fonnte, in der Verflechtung diefer Umftände fuchen, in der 
fchlechten Lage der öffentlichen Ungelegenheiten, die man ihm 
Schuld gab, den Mißgriffen die er perfönlich dabei begieng: 
doch nicht hierin allein, fondern zugleich in einer politifchen 
Hinneigung die er dabei an Tag legte. 

Er nahm fich der bedrängten Gemeinen ganz unzwei— 
deufig an: die neuen Einzäunungen wurden an vielen Or 
ten durch die Commiffarien die er ausgefandt hatte, zerftört, 
und man fehrieb ihm die Abficht zu, in dem nächften Par: 
lamente eine nachdrückliche Acte zur Abſtellung der Übergriffe 
des Adels’ einzubringen. Nachdem er die geiftlichen Forde- 
rungen: befeitigt; fchien er geneigt die weltlichen Anfprüche 
su bemilligen. ? 


1. Lorenzo Giustiniani Relne di Franeiä: Levorno i boni sol- 
dati et esercitati che avevano in questa fortezza et vi mandarono 
altretanti da sui Englesi non piu stali in guerra, di che acortosi 
Chiatiglion lo fece saper al Condestabile, che prese questa oc- 
casion persuase al re mandarci con ogni sforzo. 

2. Sn der von Tytler (Edward a.M. 1,208) befannt gemach— 
ten merfwürdigen Proclamation heißt es vom Adel: non fearing tha! 
the lord proteetor according to his promise would haved redres- 





168 Neuntes Buch. Biertes Capitel. 


‚Er war jedoch viel zu fchwach für einen Plan, zu def: 
fen Durchführung Sieg im Feld, unbestweifeltes übergewicht 
im Rath und die entichloffene Unterſtützung eines Fräftigen 
Königs gehört hätten. Er erlag feinen Gegnern, welche 
fhon glaubten daß er e8 anf eine allgemeine Umwandlung 
der Verfaffung abgeſehen Babe. 

Man wird fich nicht wundern, wenn der Sturz des vor: 
nehmſten Führers der rengiöfen Umbildung bie und da die Er: 
wartung hervorrief als würde diefe felbft rückgängig werden. 

Am Faiferlichen Hofe zu Brüffel war man mit der Ver: 
waltung Sommerfets fo Schlecht zufrieden, daß der dortige 
franzöfifche Gefandte Marillac den Sturz des Protectors 
von den Einwirkungen des Kaifers herleitet.“ Wenigſtens 
ward dag Ereigniß von diefem Hofe mit lauter Freude be: 
grüßt. Der erften Gefandtichaft des neuen Gewalthaberg 
Warwick, der ihn um Hülfe gegen Franfreich bat, twie auc) 
fein Vorgänger gethan, eröffnete der Kaifer mit einem gewiſ— 
fen Bertrauen, daß die englifche Regierung fich vor allen Din- 
gen mit ihm in Sachen der Religion vereinigen müffe. ? 

Wie wäre aber Warwick, den diefelben Männer — 
fir ihn fchlechterdings unentbehrlich — umgaben welche Die 
Beränderung eingeleitet, daffelbe Parlament dag fie befchlof 
fen und fchon fo weit eingeführt hatte, wenn er auch ge 


sed things in the parliament, which he short Iy intended to have 
set to the intent that the poor commons may be godly eased. 

1. Dei der Sendung Pagets Flagte man am Faiferlichen Hofe: 
que non obstant qu'on voit quils faisoient la guerre a dieu, ils 
vouloient que l’empereur les defendist. (Marillac 25 Juli 1549.) 

2. Er erinnert den König „.him and his council, to have mat- x 
ters of religion first recommended to the end, we may be at the 
end all of one opinion.“ Cheyne bei Strype Mem. II, 308. 


Reformation in England. 169 


wollt hätte, im Stande geweſen, mit einer vicfgängigen 
Bewegung durchzudringen? Der erfte Verſuch dazu hätte 
ihm felber zum Derderben gereicht. 

In der nächften Sitzung des Parlaments ward vieh 
mehr dag begonnene Werk in gleicher Nichtung fortgefeßt. 

Die alten Nituale mußten ausgeliefert werden; die Bil- 
der wurden volends aus den Kirchen gefchafftz ein Ordi— 
nationsbuch ward verfaßt, in welchem nun auch die Lehre 
vom Character, die, wie wir oben andenfeten, zur Doctrin 
von der Transfubftantiation eine nahe Beziehung hat, und 
die bisherige Anficht von der Abfolntion verworfen wurde. 
Indeſſen machten fich auch in Cambridge die enangelifchen 
Anfichten von Gnade und Nechtfertigung, Gotteswort und 
- Menfchenlehre durch den Einfluß befonders Martin Bußers 
unter den Gelehrten geltend. Es bereitete fich alles zum 
Abſchluß des Syſtemes vor, dag in den 39 Artikeln feſtge— 
jet und in England behauptet worden ift. 

Da nun aber um fo weniger an Hülfe des Kai- 
fers gegen Frankreich zu denfen war, fo mußfe die ganze 
Politif der englifchen Negierung fich ändern. Sie bewil- 
ligte jeßt den Franzoſen die Rückgabe von Bonlogne ohne 
fo viel drückende Bedingungen wie Heinrich VIII aufge 
ftelle, und fchloß einen Frieden mit diefer Macht, der die 
einft in Gemeinfchaft mit dem Kaifer im Jahr 1543 be: 
gonnenen Feindfeligkeiten allererft beendigte. Zwar hat es 
dann im Laufe des Sommers noch einige Srrungen iiber 
die Grenzen gegen Calais hin gegeben, von denen e8 wohl 
Einem und dem Andern fehien als würden fie eine neue 
Schde veranlaffen, aber zuletzt ward doch alles befeitigt und 


170 Neuntes Buch. Viertes Capitel. 


ein ganz gutes Verſtändniß gegründet, bei dem man fogar 
die Ausficht auf engen Bund faßte. | 

Und nun leuchtet ein, welche Nachtheile zugleich Firchli- 
cher und politifcher Natur für den Kaifer hierin lagen. 

Seine Firchlichen Pläne umfaßten die ganze abendlän- 
difche Chriftenheit. Unmöglich konnte e8 ihm gleichgültig 
feyn, wenn in England die Meinungen emporfamen die er 
in Deutfchland befämpfte. Während er bier feine vor: 
nehmfte Sorge feyn ließ die Meſſe berzuftellen, ward fie 
dort aufgehoben. 

Da fich Prinzeffin Maria weigerte, fich der gefeglichen 
Uniformität zu unterwerfen, und er fich ihrer hiebei annahm, 
fo gerieth er jetzt felbft in Weiterungen mit der englifchen 
Regierung; ! er hat ihr im Jahr 1551 mit Krieg gedroht, 
und ich finde daß die flandrifchen Küften gegen einen An— 
fall, den die Engländer plößlich unternehmen dürften, in Ver— 
theidigungsftand geſetzt worden feyen. ? 

Eine noch bei weitem dringendere Gefahr für ihn aber 
fchloß es ein, daß König Heinrich IT von Frankreich, der 
fich eben fo ſtark wie fein Vater als der natürliche Ne 
benbuhler und Opponent des Haufes Oftreich fühlte, durch) 
diefen Frieden freie Hand bekam. 

Der König felbft hatte gefagt, er molle dem Kaiſer 
nicht länger das Vergnügen machen, feine Nachbarn in den 
Waffen gegen einander zu fehen. Die offenen und geheimen 
Gegner des Kaifers in aller Welt wurden bei diefer Nach: 


1. King Edwards Journal March 19 1551: Burnet II Coll. 
23. The emperors amb" came with a short message from his ma- 
ster of war, if I no would suffer the princess to use her mass. 
2. „per non esser trovati all’improvista.“ (Dispaceio fior.) 


Heinrich II und die Farnefen. 171 


richt von der Erwartung ergriffen, daß eine Anderung der 
allgemeinen Politik beworftehe: fie tranken wohl einander Glück 
zu bei der Nachricht von diefem Friedensſchluß. 


Heinrih IT und die Farneſen. 


Ein fehr außerordentliches Verhältniß waltete fchon alle 
diefe Jahre daher zwiſchen dem König von Frankreich und 
dem Kaifer ob. 

Im September 1548 frug der König dem Kaifer noc) 
einmal die engfte Allianz an, die durch die Vermählung fei- 
ner Schwefter mit dem Prinzen von Spanien bekräftigt wer: 
den ſolle.“ Bei der Mittheilung diefes Gedankens rief Gran-⸗ 
vella aus, wenn er den Tod fehon zwifchen den Zähnen 
hätte, würde ihn eine Mittheilung diefer Are wieder ing Le 
ben zurückrufen, und die Unterhandlungen darüber wurden 
wirklich eröffner. 

Uber gleich bei dem erften Schritte fcheiterten fie auch. 
Der Kaifer bezeichnete eine Bedingung als unerläßlich, welche 
die Franzoſen fchlechterdings nicht eingehn wollten, die Her: 
ausgabe von Piemont; — vorausgeſetzt daß «8 ja mit je 
nem Vorſchlag überhaupt jemals dem einen oder dem an— 
dern Theile Ernft gemefen ift. 

Montmorency bekennt in einem Brief an Marillac, er 
babe damit nur Zeit zu gewinnen gefucht. 


1. Sehr unumwunden lautet diefer Antrag: Cette intelligence 
commune seroit & lung et l’autre le moyen pour meltre soubs 
eux et & leur an ce qui seroit utile et propre à chacun 
d’eux. Worte des Connetable in einem Schreiben an Marillac o. 
D. (Sept. 1548), angefommen im October. * 


172 Neuntes Bud. Viertes Capitel. 


Dagegen fagte wohl auch Granvella, er habe feine 
weiten Ärmel voll von Befchwerden gegen Frankreich, doch 
fen die Zeit noch nicht gefommen fie geltend zu machen. 

Seitdem beobachtete jeder Theil den andern mit bewuß— 
ter und nur wenig verborgener Feindſeligkeit. 

Bon Anfang an aber, waren hiebei die Franzoſen in 
Bortheil. Der Kaifer verfolgte ein ideales, Faum jemals 
erreichbares Ziel. Sie dagegen nahmen mit voller Überle⸗ 
gung ſich wor, nur erſt ihre engliſch-ſchottiſche Angelegenheit 
zu beendigen und ſich dann gegen den Kaiſer zu wenden. 

Wir ſahen ſo eben, wie gut es dem König damit ge— 
lang. Er hatte die Vereinigung von Schottland und Eng— 
land zu Einem Reiche dieß Mal wirklich verhindert, die junge 
Königin nach Frankreich geführt, um fie mit dem Dauphin 
su vermählen, Boulogne iwiedererobert, und dabei noch ein 
gutes Verſtändniß mit England geſtiftet. Dergeftalt nahm 
er eine fehr ftarfe Stellung in Europa ein. Er war fieg- 
veich, jung und Friegsbegierig. Er konnte darauf denken die 
Dppofition zu erneuern, die einft fein Vater gehalten. 

Den nächften Anlaß dazu gaben ihm die italienifchen, 
namentlich Die farneſiſchen Angelegenheiten. 

Nach der unglücklichen Kataftrophe Pier Luigis in Pia— 
cenza hatte Paul III Parma an die Kirche zurückgenommen: 
Camillo Orfino hielt es bei feinem Tode im Namen der 
Kirche befegt. Einem im Conclave gegebenen Berfprechen 
zufolge fing Julius III feine Negierung damit an, daß er 
Parma dem Sohn Vier Luigis, Ottavio, wieder zurückgab. 
Man wollte wiffen, der Kaifer habe hoffen laffen, diefen feinen 
Eidam auch in Piacenza herzuftellen. Die Farneſen fchmei- 


Heinrich IE und die Farnefen. 173 


chelten fich, bei dem guten Verhältniß des Papftes mit dem 
Kaifer noch in den Beſitz alles deffen zu gelangen, was fie 
der Gunſt ihres Großvaters jemals verdankt. 

Auf dem Neichstage von Augsburg, im September 
1550, ward auch hierüber mit dem Kaiſer unterhandelk. 

Es war aber nicht in feiner Weiſe, eine Landfchaft auf 
die er Nechte zu haben glaubte, und die er größtentheils 
fchon inne hatte, fo leicht wieder fahren zu laffen. Daß 
feine Tochter mit Ottavio verheirathet war, machte auf ihn 
wenig Eindruck, nachdem das ganze Haus in Pier Luigi 
tödtlich beleidigt worden. Die Verbindung des jüngften von 
den Brüdern, Dratio, mit Sranfreich erregte von Anfang an 
feinen Verdacht und Miderwillen. So weit war er ent 
fernt Piacenza zurückzugeben, daß er fogar Anfprüche auf 
Parma erhob, und eine Unterfuchung der zwiſchen Reich 
und Kirche ſchwebenden Streitfrage über die Oberherrlich- 
Feit über diefe Städte in Antrag brachte. Ferrante Gon— 
saga fette feine Feindfeligfeit gegen die Stadt Parma um 
aufhörlich fort. 

Da konnten nun die Farnefen auch von dem Papſt 
nicht viel Schuß erwarten. Es war nicht das Herkommen im 
Kirchenftaat, daß die Nepoten eines früheren Papſtes von 
dem regierenden befondere Rückſicht genoffen. Eine der Ju: 
firuetionen Julius III beweiſt unmiderleglich, daß ihn wirk— 
lich der Gedanfe befchäftige hat, auch Parma dem Kaifer 
zu überlaffen, bei günftiger Gelegenheit, unter den nöthigen 

1. Pareva meglio che si conoscessero le ragioni della sede 


apostolica e dell’imperio e le eittä si dessero a chi aveva ra- 
sione. (Seine Worte an Yighino 4 Gept.) 


174 Neuntes Buch. Viertes Capitel. 


Bedingungen." Dem Herzog Ottavio ließ er endlich ge 
radezu wwiffen, daß die Kammer den Anfivand nicht länger 
tragen könne welchen ihr der Schuß von Parma verurfache. 

Es blieb Fein Zweifel, daß die Farnefen verloren wa— 
ven, wenn fie nicht zu einem außerordentlichen Mittel griffen. 

Napft Baul III war durch den Zufammenhang der geift- 
lichen und weltlichen Gefchäfte abgehalten worden, in ein 
entichiedenes Verhältniß zu Frankreich zu treten. Bei fer 
nen Enkeln fielen die geiftlichen Rückſichten weg. Allerdings 
hatten fie in den Gebieten der Kirche und des Kaifers nicht 
wenig zu verlieren, allein fie Fonnten auch gewinnen, fich 
vielleicht rächen, und vor allen Dingen fich als Fürften in 
Parma behaupten. 

Und an wen follten fie fich wenden, wenn nicht an 
Heinrich IE, in deffen Familie einer von ihnen, Oratio, auf 
genommen mar? 

Dem König ward der Antrag gemacht noch ehe die Ir— 
rungen mit England vollkommen befeitigt waren; er frug 
dazu bei daß dieß geichab. 

Zuerft wurden einige zuverläßige Leute nach Stalien ge 
fendet, um Die Lage der Dinge, auch die Haltbarfeit des 
Platzes zu unterfuchen. Als deren Bericht günftig ausfiel, 
ward ein Vertrag gefchloffen, Eraft deffen der König die 
Farnefen in Schuß nahm und eine Mannfchaft zu Pferd 
und zu Fuß nach Parma zu ſchicken verfprach, groß genug 
um eine Belagerung auszuhalten, Dttavio dagegen ſich ver- 


1. Instruttione al Vescovo d’Imola: Er habe dem fpanifchen 
Botfchafter gefagt: che se pure S. Mà haveva desiderio di haver 
Parma, si aspeltasse la maturitä del tempo a parlarne. 


Erneuerung des Kriegs mit Franfreich. 175 


band, die Fahnen von Frankreich fliegen zu laſſen, und ohne 
Einwilligung diefer Macht Fein AbFommen mit dem Kaifer 
einzugehen, auch nicht dag günftigfte. 

ir wiffen, wie viel dem Kaifer von jeher daran lag 
die Franzoſen von Stalien auszufchließen. Set mußte das 
Mißverhältniß, in dag er zu feinem eignen Eidam gerathen 
war, fie dahin zurückführen. Leicht hatte der König ein 
paar tauſend Söldner in Sjtalien werben laffen, mit deren 
Hülfe nun der junge Herzog und feine Stadt plößlich ein 
ganz andres Anfehen fich verfchafften als fie bisher gehabt. 

Der Papft war ergrimmt, daß „ein elender Wurm”, 
wie er Ottavio nannte, fich gegen ihn und den Kaifer auf: 
sulehnen wage Seine Angehörigen thaten alles, um ihn 
defto enger mit dem Kaifer zu verbinden. T Nachdem feine 
legten Vorſchläge abgemwiefen worden, trug er Fein Beden- 
Een im Juni 1551 das Schwert gegen den vebellifchen Va— 
fallen zu giehen. 

Merkwürdige Geftale der Dinge: der Papft führte Krieg 
mit feinem Vaſallen; jenen unterftüßte der Kaifer, diefen der 
König von Frankreich, die doch noch Friede mit einander 
haften. 

Allein fchon fah Sedermann, daß der Krieg zwiſchen 
den beiden Fürſten ſelbſt ſich nicht werde vermeiden laſſen. 

Im September 1551 geriethen die Truppen beider Theile 
im Piemonteſiſchen an einander. Indeſſen ließ der König 
dem kaiſerlichen Geſandten an ſeinem Hofe alle Beſchwerden 


1. Battiſta di Monte an Diego de Mendoza, Lettere di prin- 
eipi III, 110. Penso che se dalla banda di S. M& ]i sarà cacciato 
da voro, che pigliarä Yarmi in tutti i modi, et hora & il tempo 
che Fimperatore si pub pigliare l’imperatore tutto per se. 





176 Neuntes Duch. Viertes Capitel. 


anfählen, die er fchon immer gegen den Kaifer erhoben, — 
die Züchtigung der Deutſchen die in feinen Dienft gefreten, 
die Begünſtigung die den Engländern während des Krie 
ge8 zu Theil geworden fen, endlich die Verbindung mit dem 
Napft wider Parma und Mirandula, — und ihm erklären, 
da die Freundfchaft des Kaifers nur in Worten beftehe, und 
fich bei jeder Verhandlung in das Gegentheil vertwandle, fo 
fey er entfchloffen dieß nicht mehr mit anzufehen, fondern 
feine Angelegenheiten felbft in Acht zu nehmen, wie es Gott 
erlauben werde. ! 

Sp brach die alte Feindfeligkeit wieder aus, welche mit 
fo viel Mühe bisher niedergehalten worden. Die Lage des 
Kaifers ward um fo bedenflicher, da fie zugleich mit jener 
Erneuerung der osmanifchen Anfälle verbunden war. 

Wir wiffen: e8 war der Friede mit Diefen beiden Mäch- 
ten geweſen, was es dem Kaifer möglich gemacht hatte die 
Proteftanten zu übermwältigen. Es mußte fih nun zeigen, 
0b dag damals gewonnene Übergewicht auch bei dem Wie: 
derausbruch jener Kriege fich haltbar beweiſen würde. 


1. Schreiben des Faiferlihen Gefandten ©. Mauris 14 Sept. 
1551. Die Worte find: que veendo el dicho Sr rey, que toda 
la amistad propuesta por V.Md consiste en palabras, y que usa 
de punctos contrarios en todas negociaciones, ha deliberado de 
no sufrir mas tal manera de actos, antes proveer en sus cosas 
come dios permitira. (Arch. v. Simancas in Paris.) 


Sünftes Capitel. 


Elemente des Widerftandes in Deutfchland. 


Im Sjahre 1547 hatte der Kaifer fein Eriegerifches Un: 
ternehmen nicht gang zu Ende geführt; auch feitdem wen⸗ 
dete er fich nicht felber wider die Städte und Landfchaften 
welche noch unausgeſöhnt die Waffen in der Hand hielten; 
er zweifelte nicht, daß in Folge der Neichgordnungen die er 
traf, und der übermacht Derjenigen die feine Partei hielten, 
ohne weitere Anftrengung von feiner Seite auch die dorti- 
gen Angelegenheiten ing Gleiche gebracht werden würden. 

Sp erhoben fic auch wirklich die Nitterfchaften der 
Stifter Bremen und Verden gegen den Grafen Albrecht von 
Mansfeld, der fich dafelbft auf immer feftfeßen zu wollen 
ſchien; nach mancherlei Glückswechfel haben fie, unterftügt 
von den benachbarten Fürften, ihn noch im J. 1548 wirk— 
lich genöthigt, alle Schlöffer und feften Häufer die er ein- 
genommen, befonders Börde und die Rothenburg, heraus: 
zugeben: jedoch nicht ohne daß ihm dagegen eine anfehn- 
liche Summe Geldes häfte gezahlt werden müffen. ' 


1. Chytraͤus Saxonia, 488; doc gieng Graf Albrecht nicht fo- 
gleich, wie es dort feheinen follte, nah Magdeburg: vol. Schwendi 
21 Mai 1548 bei Buchol IX, 445. 


Ranke D. Geſch. V. 12 


178 Neuntes Buch. Fünftes Capitel. 


- Einen ähnlichen Anlauf nahm Herzog Heinrich von 
Braunfchiveig, der nach den Siegen de8 Kaifers ohne 
Schwertſchlag in fein Land zurückgefehrt war. Er verfuchte 
eine vollfommene geiftliche und weltliche Neftauration. Die 
evangelifchen Superintendenten fanden wohl eines Morgens 
dag Zeichen der Bedrohung, eine Nuthe und ein Paar Schuhe, 
an ihre Thüre angeheftet, und eilten hierauf fich durch die 
Flucht zu retten. Die Mitglieder der Nitterfchaft, die fich 
dem Herzog feindlich gezeigt, die Warberg, Schtwichelde, 
Mandelsloh, Bortfelde, wurden aus ihren feften Schlöffern 
verjagt. Hierauf griff der Herzog auch die Stadt Braun- 
ſchweig an, mit der er von jeher in ausgefprochener Feind- 
feligEeit ftand. Zuerft ließ er nur gefchehen, daß feine An- 
hänger den Waarenzügen derfelben auflauerten, ihre Dör- 
fer überfielen und plünderten; die Stadt antwortete da— 
mit, daß fie diefen ihren Feinden in ihre Schlupfiwinfel, in 
die benachbarten Wälder und Moräfte nachfegte, bis fie 
diefelben fand und erlegte; eines Tages, bei Gelegenheit ei- 
ner großen Hochzeit, gelang es ihr, eine ganze Anzahl der: 
felben auf einmal aufzuheben: zwei von ihnen wurden als 
öffentliche Verbrecher behandelt und mit dem Tode beftraft. 
Nun erft erfchien der Herzog felber über der Landwehr zu 
Melverode und ſchickte fich zur Belagerung an. Auch diefe 
beftand jedoch hauptfächlich darin, daß er das Gebiet der 
Stadt verwüften, ihre Saaten — e8 war im Monat Juli 
1550 — niederbrennen, ihre Dörfer zerftören ließ: man ſah 
wohl das Hol von den abgefragenen Iutherifchen Kirchen 
zum Verbrauch ing Lager führen; — der Herzog machte fer- 
ner einen DVerfuch Die Ocker zu dämmen, um die Mühlen 


Delagerung von Magdeburg. 179 


die er nicht zerſtören konnte, ungangbar zu machen; aber 
jene Verluſte fühlte, über dieſe Gefahr erſchrak man nicht, 
da man ſich im Voraus mit allen Bedürfniſſen verſehen 
hatte: auch die ſtädtiſchen Reiter ſtreiften unaufhörlich durch 
das Gefild und waren oft im Vortheil. Im September ver— 
ließ der Herzog fein Lager.! 

Faſt gleiches Fehdeweſen erfüllte die Umgegend von 

dagdeburg. 

Diefe Stadt, die nicht allein jede Annäherung an den 
Sieger von fich gemwiefen, fondern fich als Mittelpunet der 
Widerfeglichkeit gegen dag Interim aufgefielt, war längft 
in die NeichSacht erklärt, doch wollte fich) noch Niemand 
an die Ausführung derfelben wagen. Der Sinn des Kai- 
fers wäre eigentlich geweſen, fie durch die Nitterfchaft der 
beiden Stifter und die Grafen am Harz volliehen zu laſ— 
fen, wie er denn überhaupt in den territorialen Angelegen- 
heiten mit dem Adel gern in Verbindung trat: Lazarıs 
Schwendi erfchien in diefen Gegenden, um die Sache in 
Gang zu bringen; allein ein großer Theil des ftiftifchen 
Adels war felber evangelifch und von der Partei Johann 
Friedrich: es Fam lange Zeit auch bier zu nichts, als zu 
Fleinen Necfereien mit einzelnen Edelleuten aus dem Stifte 
oder aus der Mark Brandenburg. Vorwerke und Amtshöfe 
des Nathes wurden überfallen: eine Fuhre Zerbfter Bier, ein 
Wagen mit Tuch aufgehoben; ? dagegen gelang e8 auch den 


1. Tagebuch bei Nehtmeier II, 913. Olfen 56 f. 

2. Heinrih Merkel Wahrhaftiger, ausführliher und gruͤnd— 
licher Bericht von der Alten Stadt Magdeburg Belagerung. Hort: 
leder Il, 1244. 


ar 


180 Neuntes Buch. Fünftes Capitel. 


Magdeburgern, eine Anzahl Junker aus dem Lande Jerichow 
gefangen zu nehmen; fie überfielen die benachbarten Märkte 
oder Klöfter; auch fie nahmen wohl tangermündifche Güter 
weg, oder fuchten fich ihres Schadens an einem reichen Ju— 
den zu erholen, der mit ihren Feinden in Verbindung ftand: 
das Fauftrecht im Kleinen galt gleichfam wieder, und ein Je— 
der fügte dem Andern fo viel Schaden zu als er vermochte. 
Ernftlichere Feindfeligfeiten begannen dadurch, daß der 
junge Georg von Meklenburg, der dem Herzog Heinrich ge: 
gen Braunfchweig zugesogen war, mit einem Theil der von 
dort entlaffenen Truppen in dem magbdeburgifchen Gebiete 
erfchien, eigentlich nur, um bindurchzugiehen und in feinem 
Baterlande gewiſſe Anfprüche, die er in Folge einer Faifer- 
lichen Anmwartfchaft auf das Bischum Schwerin erhob, ge 
gen feine Brüder und feinen Oheim durchzufeßen. Er hielt 
e8 für. ganz erlaubt, auf feinem Wege die Ungehorfamen, die 
Rebellen, wie man fie nannte, ein wenig zu züchtigen.“ In 
den Bürgern war noch ein fo energifches Selbftgefühl, daß 
fie auch ihr Gebiet nicht wollten befchädigen laffen und 
dem Herzog im offenen Lande entgegenzogen. Aber bei wei- 
1. Hafe an Viglius 2ljten October: „Iſt die Sache alfo er- 
gangen, das Herzog Joͤrg von Meflenburg ain Zwieſpalt mit feinem 
Vetter und Bruedern des Bifhthums Schwerin halber gehabt (vgl. 
Nudlof N. Geſch. von Mektenburg I, 120; Krey Beiträge zur Mef- 
Ienburgifhen Kirchen: und Gelehrtengefch. enthält nichts von Be 
lang), da ime etlih trußige wort von feinem Vetter Hz. Heinrichen 
begegnet, deren er fich gern gerochen hett, und hat alfo Hz. Heinrichs 
von Braunſchweigh Friegsvolf an fich gehenft, in Meinung, ſich wie 
vorlaut zu rächen: dieweil er aber kain Gelt gehabt und das kriegs— 
volf auch arm gewefen, hat er gedacht ſich an denjenigen die der 


magdeburgifchen Nebellion etwas anhängig gewefen zu erholen, die 
weil fte dafelbjt nit wol fündigen koͤnnen“ — — (Brüff. Archiv.) 


Delagerung von Magdeburg. 181 


tem Erieggeübtere Keuter führte diefer, als die Bauern waren 
welche die Stärfe der magdeburgifchen Fähnlein ausmachs 
ten: er trieb fie aus einander; eroberte ihre Wagenburg 
fammt ihrem Gefchüß, und wandte ſich nun mit Entſchie— 
denheit gegen fie felber (22 Sept. 1550). 

Und nicht allein hiedurch ſah fich die Stadt plößlich 
bedroht, fondern auch alle ihre andern Gegner wurden rege. 

Die benachbarten Fürften, denen es gleich unbequem 
geweſen wäre, wenn fich ein Weitergefeffener durch einen 
plöglichen Glücksfall dafelbft feftgefeßt, " oder wenn dag 
Kriegsvolf, das fich fo unerwartet gefammelt, aus Man— 
gel an Sold fich wieder zerſtreut hätte, eilten fich der Sache 
anzunehmen. 

Zuerft, wenige Tage nach jenem Ereigniß, erfchien Chur: 
fürft Moritz im Lager des Herzog Georg, und nahm zu— 
gleich mit demfelben das Kriegsvolf auf drei Monat in 
Pflicht. Am 2ten October trafen auch Churfürft Joachim, 
Markgraf Albrecht von Brandenburg, die vornehmften Dom- 
herrn, — nicht ohne einige Mitglieder der Nitterfchaft, in 
dem Lager zu Schönebef ein; da die Stadt die Aufforde- 
rung fich zu Handen der Churfürften und Fürften zu erge 
ben zurückwies, und vielmehr auch ihrerfeits Kriegsleute von 
denen bei ſich aufnahm, die in oder vor Braunfchweig ge: 
legen, fo traf man Anſtalt zu einer förmlichen Belagerung: 
Anfang November ward das erfte Blockhaus bei Buckow ge: 
fchlagen. ? 

Pur wollten weder die einzelnen Fürften noch die be 


1. Dreihaupt Saalfreis I, 272 gedenft des Vorgebens, daf 
Georg vertrieben werden folle. 
2. Spangenberg Eislebifhe Chronif I, 461. 


! 


182 Neuntes Buch. Fünftes Eapitel. 


nachbarten Kreife fich mit den Koften eines fo weitausſe— 
henden Unternehmens beladen: fie riefen die Hilfe von Kai- 
fer und Neich an, die damals eben in Augsburg verfam- 
melt waren. 

Wie wichtig der gewonnene Vortheil erfchien, mag man 
daraus abnehmen, daß die fächfiichen Gefandten nicht war— 
ten mochten, bis die Vesper aus war, der König Ferdi- 
nand beimohnte, fondern während des Gottesdienftes dem: 
felben ihre Nachricht mittheilten.“ Alles erfüllte fich mit 
neuen Erwartungen und Plänen. 

Im Fürftenrathe ward der Wunfch -geäußert, daß ber 
Kaifer felbft, der den Krieg früher fo glücklich geführt, auch 
den Neliquien deffelben, der magdeburgifchen Nebellion, un— 
terftügt vom Neiche, ein Ende machen möge. Man begreift 
e8 fehr wohl, wenn unter andern Herzog Heinric) dafür war: 
gegen Braunfchweig häfte ihm nichts beffer zu Statten Fom- 
men können: merfwirdig aber, wie weitaugfehende Gedanken 
fih von andern Seiten her daran Fnüpften. Die Bifchöfe 
hofften, daß eine neue Waffenthat des Kaifers die vollfom- 
mene Herftellung ihrer Gerichtsbarkeit und der-geiftlichen Gi: 
ter zu Folge haben werde; der Deutfchmeifter hegte die Mei- 
nung, daß die Eroberung von Magdeburg dem Orden noch 
den Weg zu einer Neftauration in Preußen bahnen dürfte. ? 
In Preußen und Polen verlor man wirklich die Bewegun- 
gen des Ordens feinen Augenblick aus dem Gefichte,; man 

1. Franz Sram vom 28jten September. (Dr. U.) 

2. Franz Sram 13 Nov. „Der Deußfchmeifter verhofft nach 
dis orts vorrichter fache zu Preuffen zu fommen, dan er one das wer 


nig troft fihet das Ime das Reich oder auch Kſ. Mt Itziger Zeit 
belffen werde.“ 





Belagerung von Magdeburg. Neichsvorrath. 183 


wollte wiffen, der Deutfchmeifter lege alle Fahr die Hälfte 
feiner Einkünfte zurück, und habe fchon eine bedeutende Baaı- 
schaft in Lübek, um demnächft einen Anfall zu verfuchen; 
e8 waren Anordnungen getroffen demfelben zu begegnen. 

Indeſſen fühlte fich der Kaifer weder unbefchäftige noch 
gefund genug, um auf diefe Gedanken einzugehn: nochmals 
einen deutfchen Krieg auf feine eigenen Koften zu unterneb- 
men, war auch er nicht geneigt. Er ftimmte bei, wenn am 
Reichstag der Befchluß durchgieng, daß der Krieg im Namen 
und auf Koften des Neiches, durch Churfürft Morig, ge 
führe werden follte. Er bewilligte felbft, daß das Geld hiezu 
fürs Erfte aus dem indeß aufgebrachten und in den Lege: 
ftädten gefammelten Borrath genommen werden follte. Da- 
gegen verfprach man auch ihm, zur Erfeßung des Entnom: 
menen zu fehreiten, fobald man nur ungefähr wiſſe, wie viel 
die Belagerung koſten werde, und fette hiezu fogleic) eine 
befondre Berfammlung an.! Das Geld follte dem Ehur- 
fürften nicht in die Hand gegeben, fondern von einem Reichs— 
pfennigmeifter verwaltet werden: Lazarus Schwendi ward 
als Eaiferlicher Commiffarius in dag Lager gefchickt. 

Es war nicht ein Erecutiongkrieg, wie ihn öfter ein 
und der andre Fürft übernommen, fondern ein förmlicher 
Neichsfrieg, nur unter dem DOberbefehl eines mächtigen Für: 
fien, von dem man jedoch hiebei in Erinnerung brachte daß 
ev zugleich Reichserzmarſchall fey, durch welchen Magdeburg 
angegriffen ward. Wenn e8 unterlag, fo wurden die Neiche- 


1. Briefe und Acten find davon voll, wie fchwer man dazu 
ſchritt Arras erflärte: „das die kſ. Mt von dem vorrath feinen hel- 
ler nhemen würde laffen, die erfegung wurde dann ifo alsbald und 
auf Furge friften gewilliget.” Garlowig an Morig 9 Dec. (Dr X.) 


184 Neuntes Bud. Fünftes Capitel. 


ordnungen in Bezug auf Concilium und Interim auch an 
diefer Stelle durchgefett. 

Doch hatte Morit auch ein eigenes Sintereffe gegen Mag- 
deburg. „Von Feinem andern Orte im Reiche," fchreibt ihm 
Garlowiß, „find E. Churf. Gn. mehr geläftert und gefchmäht, 
ihre Unterthanen mehr zu Widerwillen verhetzt worden, und 
find in Zukunft böfere Practifen, größere Widerwärtigkeiten 
zu erwarten: Niemanden auf der Welt liege mehr daran, 
daß die Stadt gedemüthigt und gezüchtigt werde." 

Am 2Sften November gelang es dem Churfürften fich 
der Neuftadt zu bemächtigen, die von ihrem befondern Rath 
nicht mit gehöriger Vorficht bewahrt wurde: ? two er fich 
dann auf dag befte befeftigen Fonnte. Damit nicht etwas 
Ahnliches in der Sudenburg gefchähe, eilten die Belagerten 
fie abzubrechen. Aber hierauf wendete ſich nun der ganze 
Anfall wider die Altſtadt ſelbſt; in Kurzem war fie mit Block 
häuſern, Schangen, Blendungen und andern Werfen einge 
fchloffen, und alles fchien zu einer Entfcheidung zu reifen. 

Nathmannen, Innungsmeifter und Gemeine der alten 
Stadt Magdeburg waren entfchloffen diefelbe Gott vertrauend 
zu erwarten. 

Moris hatte ihnen Vorfchläge gemacht, fo vortheilhaft, 
daß man am Neichstag überzeugt war, er werde fie bei dem 


1. 8 März „es fey diefer Ort, daraus E. Ch. G. und ire 
unterthanen ſich hinfuro mherer widerwertifeit, bofer Practifen, bins 
derliſt, unterfchleuff irer widerwartigen und alles boſes mher dan fonft 
aus Feiner andern Stadt im Neich zu beforgen haben.” 

2. Beſſelmeier Hiftorie des Magdeburgifchen Krieges: „dann 
fi denfelbigen Tag eben den Nath verändert und newe Herrn ges 
macht hatten, derhalben fie große Gaftung und Schlamp gehalten.“ 
Hortleder II, ıv, 18, 6. 





Delagerung von Magdeburg. 185 


Kaiſer nicht durchfegen: dag freie Bekenntniß der reinen Lehre 
nach der augsburgifchen Confeffion und die Beftätigung al: 
ler ihrer Sreiheiten; da er aber die Bedingung hinzufügte, 
daß fie alsdann eine Beſatzung von Seiten der verbiindeten 
Fürften würden aufzunehmen haben, fo erhob fich im ihnen 
der Verdacht, der an den oberländifchen Begebenheiten feine 
Begründung fand, daß diefe fie doch mit der Zeit zu dem 
was der Kaifer begehre zwingen und nicht lange bei der 
reinen Neligion und ihren Freiheiten laffen werde.“ Sie 
antworteten, fie würden eher ſterben als dieſer Gefahr fich 
ausſetzen. Von den Theologen, die vor dem Interim wei⸗ 
chend bei ihnen Aufnahme gefunden, wurden ſie mit der ſtol⸗ 
zen Meinung durchdrungen, allein bei ihnen habe Gottes 
Wort noch eine ſichere Freiſtätte: wer ſie bekämpfe, der ſtehe 
dem Widerchriſt bei. Das Gefühl für Gott zu ſtreiten, er 
füllte fie auch nach alle den erlittenen Niederlagen ihrer Glau— 
bensgenoffen mit der heldenmüthigen Zuverficht, er werde 
fie nicht untergehn laffen. Bürger auf der Wache fahen 
himmlische Gefichte, die fie mit tröſtlichen Zufagen erfreuten. 
Sie trugen Eein Bedenken die zahlreiche Einmwohnerfchaft 
der Sudenburg, obwohl fie zur Vertheidigung nicht viel 
beitragen Eonnte, bei fich aufzunehmen; längſt hatten fie 
fi) auf einen Fall diefer Art vorbereitet, fie waren auf 
mehrere Jahre mit Lebensmitteln verfehen. Auch übrigeng 
war die Stadt in gutem Vertheidigungsftand; noch unter den 

1. Der von Magdburg Verantwortung alles Unglimpfs 13 Dec. 
1550. „weil dann damit umgangen wirdt, das Paäpftliche widerchrift: 
liche tridentinifhe Concilium zu erfolgen und mitler Zeit das gottloſe 


Anterim anzunehmen, das aud) alle Gottes Diener von den päpft- 
lichen Bifchöfen follen verhört und babilitirt werden.“ 


186 Meuntes Buch. Fuͤnftes Kapitel. 


Augen des Feindes ward ein neues Bollwerk, von feinem 
Erbauer genannt der Heideck, errichtet. Alle Thürme wa— 
ren mit Schlangen und Falkoneten befeßt, die man zum 
Theil aus dem Metall der aus den Klöftern weggenomme— 
nen Glocken gegoffen: auf dem oberften Umgang an den 
Domthürmen, 433 Stufen hoch, hatte man ihrer vier aufge: 
pflanst; am beften wirkten die Gefchüige auf dem St. Ja— 
cobi Thurm, von dem Büchfenmeifter Johann Krigmann ger 
leitet, von dem man fagt, es fey ihm felten Jemand ent 
gangen den er im Felde erblickte. Die geworbenen Trup- 
pen und die Bürger verpflichteten fich eidlich zu gegenfeiti- 
ger Hülfleiftung und Treue, und auf dag befte haben fie 
ihren Schwur gehalten. Von welcher Art Enthufiasmus 
fie erfüllt waren, zeigt die Meinung die fich unter ihnen ver- 
breitete, der Feind fehe bei ihren Ausfällen einen Helden 
auf weißem Noß vor ihnen daherziehen; fie bildeten ſich 
nicht ein, ihn felber zu erblicken: das litt die profeftantifche 
Wahrhaftigkeit nicht; aber fie meinten, der Feind werde durch) 
göttlichen Schrecfen mit Zaghaftigkeit gefchlagen. " Und ganz 
glücklich gieng es ihnen mit ihren Ausfüllen. Am 19ten 
December überrafchten fie die füiftifchen Truppen bei einem 
Gelage, nahmen mehrere hundert Mann gefangen, Edelleute 
und Gemeine, und führten den Stiftsbanner mit dem SH. 
Mori mit fich fort. Da der Churfürft eben einem Kriegs: 
haufen entgegengezogen der fich im Gebiete von Verden fam- 
melte, ſo hielt e8 Georg von Meklenburg für feine Pflicht 
diefen Schimpf der Belagerer zu rächen. Er wagte fich aber 


1. Merckel füst fogar Hinzu, fie mögen ſelbſt wiffen ob es 
wahr ift. 








Delagerung von Magdeburg. 157 


dabei fo Eeeflich vor, daß er felber in die Hände der Feinde 
fiel (20 Dec. 1551); unter ungeheurem Getümmel — gern 
hätten die Weiber den Tod ihrer Männer an ihn gerochen 
— ward er in des Kämmerers Haus zum Lindwurm in 
Gewahrfam gebracht. Bald darauf ward freilich dagegen in 
dem feindlichen Lager Freude gefchoffen, weil jener Haufe 
gerfireut worden, von dem man eine Gegenwirkung beforgt 
hatte; Churfürſt Moritz Fam von feinem Zuge wieder und 
ſchlug zu den vier bereits vorhandenen ein fünftes Lager 
vor der Stadt: die Scharmüßel giengen nicht immer glück 
lich: auch die Gefchüßge der Feinde machten Wirkung, und 
fällten unter andern die Zinnen des Jacobi Thurmes; nad) 
und nach dachte man doc) daran, ob man nicht die Ar— 
men zu entfernen habe; man fühlte die Gefahr in der man 
fich befand. 

Und nun läßt fih denfen, welche Theilnahme diefer 
Kampf, eben das Schwanfen de Kriegsglücks und die Un- 
gewißheit der Entfcheidung bei fo viel Muth und Tapfer— 
Eeit in der Nation erregte. Wir haben heitere und ironi- 
fche VBolfslieder in alten fchwungvollen Weiſen übrig, worin 
der Widerftand gepriefen ward, den das hochgewehrte Haug, 
die werthe Stade den fremden Gäften leifte, den Pfaffen- 
fnechten: „will der Kaifer den Wein trinken der auf dem 
Marfte zu Magdeburg im Faffe liegt, fo muß er felbft ein 
Landsfnecht werden; will Herzog Moriß die goldnen Schwer: 
ter haben, die ihn erft zu einem Churfürften machen, fo muß 
er fie da von den Mauern holen; indeffen winden die Jung— 
frauen ihre Kränze für den alten Churfürften, deffen Gemab: 
lin und den Grafen Albrecht, der dag DBefte gethan.! Roger 


188 Neuntes Buch. Fünftes Kapitel. 


Aſham verfichert, in Augsburg rede man von nichts weiter 
als von der magdeburgifchen Sache: jede andre trete dage— 
gen zurück. Ihm als einem Claſſiſch⸗gebildeten ftellen fich 
Papſt und Kaifer als die mythologifchen Ungeheuer dar, als 
Eerberus und der ſpaniſche Geryon, die nur diefe Eine Stadt 
zu unterwerfen wünſchen. Werden die Pforten der Stadt 
erbrochen, fo wird jener twieder in Deutfchland herrſchen, 
diefer in ganz Europa. 

Der Kaifer feinerfeits ließ nicht in Zweifel, welche Folgen 
die Ausbreitung feiner Herrfchaft in Deutfchland haben würde. 

In Augsburg wurden die Proteftanten von dem Kriegs: 
volk das ihn umgab, als Befiegte behandelt. Während der 
predigt in der Kirche zum heiligen Kreuz ergötzten fich die Ita— 
liener die dort in dag Klofter einfuriert worden, mit Ballfpiel: 
der Ball fiel unter dag zuhörende Volf auf dem Kirchhof. In 
St. Ulrich zerbrachen die Spanter Kanzel und Stühle; dem 
Stadtvogt mit feinen Leuten, die ihnen Einhalt thun wollten, 
festen fie fich mit bloßer Wehre entgegen; man bemerkte 
daß nicht alles gemeine Söldner waren: einen Trabanten des 
Prinzen Don Philipp unterfchted man unter ihnen. Dage— 
gen fah man wieder die Proceffionen mit ihren Glöcklein 
und Lichtern durch Die Straßen ziehen; wehe dem der fie 
beleidigte. Eine Handwerferfrau, die fich fpörtifch verlau— 
ten ließ, ob diefer Gott nicht ohne Lichter fehe, wurde erſt 
in die Eifen gefchlagen, dann aus der Stadt vertiefen: 
bäfte fich Königin Maria nicht ihrer angenommen, fo wäre 
ihr noch Ürgeres gefchehen. Auf das firengfte ward dar- 
über gehalten, daß Freitag und Sonnabend nur Faften- 
fpeifen auf die Tifche Famen. Die Schulmeifter wurden an— 





Kirchliche Gewaltfamfeiten in Augsburg. 189 


gewiefen, nichts zu Ichren was nicht entweder der alten Re— 
ligion oder dem Interim gemäß ſey, und ohne Gnade ab- 
gefetst wenn fie fich deffen weigerten. Vier Lehrer in der 
lateinifchen Schule, neun in der deutfchen, fogar einige Leh— 
rerinnen waren ftandhaft genug dieß Schickfal über fich er- 
gehn zu laffen. Und mit entfprechendem Ernft wurden die 
Prediger vorgenommen. Vor dem Bifchof von Arras wur: 
den fie eraminirt, ob fie auch glauben daß unter Einer Ge- 
ftalt das Sacrament fo gut mitgetheile werde wie unter bei- 
den; wie viel Sacramente fie überhaupt annehmen. Da 
ihre Erklärungen fehr evangelifch Tauteten, wurden fie ange: 
wieſen binnen drei Tagen beim Schein der Sonne die Stadt 
zu räumen; fie mußten fchiwören in den Grenzen des heil. 
Neiches niemals wieder zu predigen oder priefterliche Hand: 
lungen zu verrichten, auch niemals Jemanden die Gründe 
ihrer Ausweiſung mitzutheilen. ' Wo die Mönche nicht felbft 
das Wort wieder ergriffen, wurden doch nur folche Predi- 
ger geduldet welche fic) genau an dag Interim hielten. Der 
Raifer nahm an diefen Dingen mit einem Eifer Antheil, als 
wenn feine ganze Autorität davon abhienge. Es blieb ihm 
nicht unbekannt, wenn ein Bürger von Ulm eins feiner Kin- 
der auch nur außerhalb der Stadt nach evangelifchem Ritus 
taufen ließ; er drang darauf, daß derfelbe dafür aus dem 
Nathe entfernt wurde. Er verweiſt es dem Nathe, wenn 
er einem verjagten Prediger, der ein Handwerk treiben will, 
das Bürgerrecht gewährt hat. Bon allen Seiten wurden 


1. Abſchaffung der evangelifchen Predigcanten zu Augsburg und 
was davor mit inen geredt gehanndelt und von den Fayf. rethen auf: 
erlegt worden ift. 26 Yug. 1551. Sn der grüntlichen und ordentli- 
chen befchreibung, aus der auch unfre andern Nachrichten ſtammen. 


190 Neuntes Bud. Fünftes Capitel. 


die Prädicanten zufammengefordert, um denfelben Verpflich— 
tungen untertvorfen zu werden, die in Augsburg auferlegt 
worden. Da die regensburgifchen nicht erfchienen, ließ der 
Kaifer die Rathsherrn von Negensburg vor fich befcheiden 
und eidlich verpflichten, niemals einen Prädicanten anzuneh— 
men, der nicht zuvor bei Gott und den Heiligen gelobe fich 
der alten Neligion und dem Interim gemäß zu halten. 

In weiten und meitern Kreifen zeigten fich verwandte 
Beftrebungen. Der Erzbifchof von Mainz lud wohl die hei 
fifchen Prediger auf feine Provinzialipnode. Was die Mag- 
deburger fürchteten gejchah wirklich anderwärts. Die hohe 
GeiftlichEeit machte in den Städten den Verſuch, den nie— 
dern Elerus wieder einzufegen und überhaupt die alten Ver— 
hältniffe zurückzuführen. 

Auch in den Neichsgefchäften hielt der Kaifer ein Ver: 
fahren ein, das allem Herkommen twiderfprach und dag 
Selbftgefühl der Fürften aufregte. 

In einem Gutachten über die Erfegung des Vorrathes 
hatten die Stände einige ihrer Befchwerden doch etwas deut- 
ficher alg am vorigen Neichstag, aber noch immer fehr be; 
fcheiden zur Sprache gebracht, z. B. die Anweſenheit fpani- 
fcher Truppen im Neiche, das bewaffnete Geleit mit tel 
chem der Kaifer am Neichstag erfchienen war, die mancher- 
lei Hülfgleiftungen die fie in den legten Fahren geleitet. 
Der Kaifer nahm dieß nicht wenig übel: fchon den Stän— 
den im Allgemeinen gab er zu erkennen, daß er ihren Auf 
ſatz unbillig finde und fich darüber etwas bewegt fühle; 
hauptfächlich aber wandte er fich an die Churfürften. Die 
beiden perfönlich antwefenden, Mainz und Cölln, und von 














Beleidigung der Neichsfürften. am 


jedem der andern der vornehmfte Rath mußten ihm in dag 
Innere feiner Gemächer folgen, wo er mit dem König feier- 
lich Pas nahm und dann durch den Bifchof von Arras 
vortragen ließ, mit welchem Mißvergnügen er bemerfe daß 
gerade fie die Hartnäcigften in der ganzen Verfammlung 
feyen: ganz ohne Grund fey mas fie in der übergebenen 
Schrift ausgeführt: nur unbedeutend erfcheine die Reichs— 
hilfe, wenn man fie mit den überfchwenglichen Unkoften ver 
gleiche die er felber zur Aufrechterhaltung des Neiches auf 
gewendet: der legte Krieg habe ihm über 60 mal hundert 
taufend Gulden gefofter, und noch fey nicht fo guter Friede, 
daß er des ohnehin nicht zahlreichen Kriegsvolfes das er 
noch im Neiche habe, entbehren Fönnte: man möge nur rück 
wärts fehen, fo werde man wohl finden daß auch andre 
vömifche Könige und Kaifer Truppen an die Neichstage mit: 
gebracht: er der Kaifer trachte nach nichts als daß die Ge; 
bühr im Neiche gefchehe, und er wolle mur wünfchen daß 
auch Fein andrer fich feine Privathändel irren laſſe. 

„Gnädigfter Churfürft und Herr,” fchreibt der branden- 
burgifche Sefandte an Sjoachim II, „wir können nicht unter: 
laffen Ew. Churf. Gi. anzuzeigen, daß die beiden Churfür- 
ften, die anmefenden Fürften und die Näthe der abweſen— 
den über dieſes unerhörte Verfahren entfett find; wer dazu 
gerathen, bat es fchlecht verfianden, und wär e8 auch ber 
Fluge Arras geweſen.“ 

Großes Auffehen machte eine Differenz die über Die 
Belehnung des Prinzen Philipp mit den Niederlanden aus 
brach. Der Kaifer hatte die Abficht feinen Geburtstag mit 
diefem Act zu feiern, und ließ eine prächtige Bühne dazu 


192 Neuntes Bud. Fünftes Lapitel. 


herrichten. Allein der Lehnbrief den er darüber auffegen laf- 
jen, wich fo fehr von dem Herfömmlichen ab, daß die Chur: 
fürften Bedenken trugen ihn anzunehmen. Bei einer und der 
andern Provinz war mit abfichtlicher Unbeftimmtheit von der 
Oberlehnsherrlichkeit des Neiches die Rede; für alle insge— 
fammt war der Anfpruch, erhoben daß fie aud) durch Frauen 
vererbt werden follten. Die Eaiferlichen Minifter entjchuldig- 
ten dag erſte damit, daß die alten Lehenbriefe verloren ge 
gangen, und man nicht mehr genau wiffe was zum Neiche 
gehöre: das zweite mit dem Wunfche die Niederlande auf 
immer ungetrennt beifammen zu halten. Allein damit war 
der Erzcanzler des Neiches nicht zu befriedigen: er wandte 
ein, wenn der Kaifer z. B. Geldern nicht ausfchließlich als 
Mannslehen anerkenne, fo mache er feine eignen Nechte dazu 
zweifelhaft. Ein Widerfpruch der fo gut begründet war, 
daß der Kaifer fich entfchliegen mußte den Lehenftuhl wie— 
der abtragen zu laſſen. Wollte er feinen Sohn belehnen, 
fo mußte er es in feiner Wohnung thun.! 

Einen allgemeinen Widerwillen erweckte das Betragen 
der Spanier: — „obwohl ihrer nur eine Handvoll iſt,“ fagt 

1. Dispaceio Fiorentino 26 Febr. Carlowitz an Moritz 16 
Februar. Außer den beiden obigen Wuncten hatten die Deutjchen 
noch eingemendet, daß die Lehnsberechtigung auch auf Die natürlichen 
Nahfommen ausgedehnt werde. Gie verftanden darunter Baſtarde. 
Darin aber hatten fie ohne Zweifel Unrecht; die Faiferlihen Mint: 
jfer erwiederten: „das Wort natürlihe Erben wollten fie nicht uff 
Yaftarden verftehen, fondern es folle zu dem Wort legitimis geho- 
ren und an daffelbig gehangen feind: wie man auch fage: natürli: 
her Herr.” Marillac bemerft daß darüber grande mocquerie ent: 
jranden. Je scai au vray que linvestiture que l’empereur bailla 


au prince d’Espagne sous la cheminee estait des pays bas se re- 
servant administration durant sa vie. 





Anmafung der Spanier. 193 


eine Augsburger Chronik, „ſo treiben fie doch allen Muth— 
willen ohne daß ihnen jemand einredet oder fie daran hin: 
dert: fie machen daß in Augsburg niemand mehr Herr 
und Meifter ift weder über Leib und Gut noch über Weib 
und Kind; — durch ihre nationale Anmaßung fühlten 
fich die Deutfchen gehöhnt. Bei einem Gaftgebot, dem 
der füchfifche Gefandte beitwohnte, beflagten fie fich daß 
ihr Prinz in der Eapelle unter den Churfürften ftehe: man 
wiſſe in Deutfchland wohl nicht was ein Prinz von Hi- 
foanien bedeute oder vermöge. Hhne Hehl ließen fie fic) 
vernehmen, das Kaiferthum könne ihnen nicht entgehn: der 
Churfürft von Cölln fey eine Ereatur des Kaifers, Mainz 
der Rath deffelben, Pfalz ein noch nicht ganz ausgeföhnter 
Feind der nichts verweigern dürfe, Sachfen durch die empfan- 
genen Wohlthaten gefeffelt, Brandenburg, das nicht die Mit- 
tel babe feinen churfürftlichen Stand aufrecht zu halten, werde 
mit 100009 Gulden und etwa der Verficherung der Stifter 
zu gewinnen feyn, mit Trier wolle man fchon fertig wer— 
den: wollte Gott die Churfürften wären mur alle zugegen: 
fähen fie dag Angeſicht des Kaifers, wirde man ihnen freund: 
lich zufprechen, mit ihnen bankettiren, fo wäre alles aus— 
gerichtet. Bei jener Vorhaltung in den Faiferlichen Gemä— 
chern hatte man Alba und Arras über die betroffenen Für— 
fin und Räthe lachen ſehen; die Spanier fpofteten über 
die Sorglofigkeie de8 Landgrafen, der Thor genug geweſen 
fey ſich mit guten Worten in Haft bringen zu laffen. 

„Dahin,“ ruft der brandenburgifche Gefandte, Chriſtoph 
von der Straßen, aus, „it e8 mit den Deutfchen gekom⸗ 
men, die fonft von allen Nationen gefürchtet waren: jeßt 

Ranke D. Gef. V. 13 


194 Neuntes Bud. Fuͤnftes Capitel. 


ſpottet man ihrer, Gott ſeys geklagt.“ Er widerräth ſeinem 
Herrn nach Augsburg zu kommen, ſo ſehr der Kaiſer darauf 
dringe und ſo ſehr die Wendung welche die religiöſen An— 
gelegenheiten nehmen, es ſonſt wünſchenswerth machen würde, 
„So viel vermerken wir, die Spanier wollen einen Fuß ins 
Reich ſetzen; es gilt Euch Herren, wir bleiben immer arme 
Geſellen.“! 

Eine andere Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung 
bildete die noch immer fortdauernde Gefangenſchaft des Land- 
grafen Philipp von Heffen. 

Während des erften Neichstags zu Augsburg war er 
zu Nördlingen, Heilbronn und Hall in Schwaben von Spa: 
niern bewacht, alsdann den Rhein hinab nach den Nieder- 
landen geführt und zu Dudenarde in engem Gewahrfam ge 
halten, endlich im Sommer 1550 nach Mecheln gebracht 
worden. Auch in der Gefangenschaft ward Philipp als der 
regierende Herr feines Landes betrachtet; über alle wichtigen 
Landesangelegenheiten ward an ihn berichte. Das hinderte 
jedoch) nicht, daß er fich nicht zumeilen die unwürdigſte Ber 
handlung hätte gefallen laffen müffen. Man hat dem Schrei- 
ber dem er einen Brief dickirte, das Blatt aus der Hand 
geriffen, einen Bettler dem er, als er ihn von feinem Ten: 
fier aus anfichtig ward, ein paar Stüber hinunterfchickte, 
nicht ohne Züchtigung weggetrieben; der fpanifche Haupt: 
mann hat die Speifen die an einem Fafttag auf die fürft- 
liche Tafel getragen wurden, auf den Boden geworfen und 

1. Chriftoph von der Straßen, Doctor und Ordinarius, Mitt: 


woh nah Nativitatis Mariaͤ 10 Sept. Der Brief ift von deffen 
Hand; zugleich hat fih Timotheus Jung unterfchrieben. 





Sefangenfchaft des Landgrafen Philipp. 195 


befchimpfende Worte hinzugefügt. Man follte nicht jo oft 
tadelnd darauf zurückkommen, daß Philipp fein Unglück bei 
weitem nicht mit der großartigen Gelaffenheit getragen habe, 
die wir an dem Churfürften bewundern. Die Lage der bei- 
den Fürften ift fchon am fich fehr verfchieden. Der Chur: 
fürft war in der Schlacht gefangen und bereits zum Tode 
verurtheilt gewefen; der Landgraf, wenn wir ja nicht fa- 
gen wollen, durch Betrug, doch durch Täufchung in die 
Hände des Kaifers gerathen. Da hat er allerdings Au- 
genbliche gehabt, wo der Wunfch wieder frei zu werden 
und Einreden feiner Umgebung ihn zu einer undienlichen 
Nachgiebigkeit vermocht hat, 3. B. in Sachen des Interims: 
er bat fogar der Meffe einmal beigewohntz; aber dieſe 
Anwandlungen giengen bald wieder vorüber: in feinem Ge 
fängniß hörte man ihn doch mit heller Stimme geiftliche 
Lieder fingen. Er ließ fich Schriften der Kirchenväter ge 
ben: befonderg las er Auguftinus gern; e8 machte ihm Ber: 
gnügen, wenn ihn gelehrte Katholifen befuchten und mit 
ihm die Controverfen beider Theile, etwa über die Lehre 
von der Nechtfertigung oder das Papſtthum oder die Anru- 
fung der Heiligen, durchfprachen. Aus der Ferne ermahnt 
er dann feinen Alteften Sohn, bei dem Evangelium zu ver: 
harren, es Eofte gleich Leib oder Gut, die flüchtigen Prä— 
dicanten zu unterftügen. Auch andre gute Ermahnungen 
fügt er hinzu: 3. B. er möge fich vor einem unreinen Leben 
hüten, Jedermann Gleich und Necht angedeihen laffen. ' Sin 
feinem Gefängniß gedenft er des Zuftandes der armen Ge 
fangenen in feinem Lande und bringt die Verbeſſerung def: 
1. Auszüge aus feinen Briefen bei Rommel II, 530 — 550. 
13 * 


196 Meuntes Buch. Fünftes Capitel. 


felben. in Anregung. Er vergift des Ihieres nicht dag ihn in 
glücklichern Tagen getragen bat, dag er jet bis zum Tode 
zu füttern befiehlt, noch des freuen Hundes, den er feinem 
Sohne, denn er könne ihm wohl noch eine Ente fangen, 
zuſchickt: „laß aber wohl aufſehen,“ fagt er, „daß ihn die 
großen nicht todt beißen ,--Taß ihn in Deiner Kammer fchla: 
fen.“ Seine Seele lebt in der Heimath; fie nährt fich in 
diefen Erinnerungen und Sorgſamkeiten geringfügiger Art; 
nach fo viel ftürmifcher Thatkraft im Glück entwickelt fie 
Milde und Treue im Unglück. Von dorther entfprach man 
ihm mit gleichem Verlangen. Alles was wir von feiner Ge— 
mahlin hören, zeigt eine grundehrliche, durch nichts erfchütterte 
Hingebung. Aber weder die Erfüllung der Capitulation, noch 
jene religisfen Annäherungen, noch die Anmefenheit des 
Prinzen von Spanien, der doch feine Verwendung verfpro- 
chen hatte, wermochten feine Seffeln zu löfen. Man hat dem 
Kaiſer angeboten, das Land fürs Erſte zu theilen, fo daß 
Philipp, im Beſitz nur der einen Hälfte, während die andre 
an feinen Sohn fallen möge, gewiß unfchädlich ſeyn werde; 
er felbft fügte hinzu, er wolle dem Kaifer ein Fahr lang im 
Felde dienen und fich niemals wieder von ihm fondern: — 
Alles vergeblich. Vielmehr verlautete wohl, der Kaiſer werde 
der hallifchen Capitulation nachgefommen feyn, wenn er 
den Gefangenen auch erft in feiner legten Stunde freigebe. 
Auf eine neue Verwendung der Churfürften am Neichstage 
von 1550 erfolgte abermals eine abfchlägliche Antwort. Wer: 
zweifelnd, jemals losgelaffen zu werden, faßte der Landgraf 
den Gedanken, zu entfliehen. Es gelang wirklich durch einen 
jungen in Antwerpen fiehenden Kaufdiener aus Heffen, auf 


Gefangenschaft des Landgrafen Philipp. 197 


dem ganzen Weg von Mecheln nach dem beffifchen Gebiete 
Poften zu legen, d. i. nach dem Sprachgebrauch jener Zeit, 
von 4 Meilen zu 4 Meilen frifche Pferde bereit zu halten; mit 
den vafcheften und ficherften ftellte fich der Zeugmeifter Hans 
Rommel in Mecheln felber ein: er harte einige handfefte 
Leute, welche Diejenigen zurückhalten follten, die dem Flie— 
henden nacheilen würden: und fchon waren alle nöthigen Bor: 
bereitungen getroffen, um den Fürſten aus einem Garten der 
an den Hofraum feines Gefängniffes ſtieß, zu entführen, alg 
die unglückliche Furchtfamfeit eines Dieners, der im Voraus 
fir fich felber eine Zuflucht fuchte, noch in dem letzten Au: 
genblick das Vorhaben an Tag brachte. ! Es liegt in der Na— 
tur der Sache, daß der Gewahrfam des Fürften nun doppelt 
fiveng wurde. Der Kaifer, der namentlich die Aufftellung je- 
ner Leute für einen Eingriff in feine landesherrliche Gerichts: 
barkeit erklärte, fagte wohl, er habe Urfach, fich noch an— 
drer Geftalt zu erzeigen als bisher. Der Landgraf verlor 
nun vollends feine deutfchen Diener und ward überhaupt 
vecht eigentlich mißhandelt; bittere Ihränen des Unmuths 
ftiegen ihm über die Art und Weife in die Augen, wie man 
bei den Vernehmungen mit ihm, einem Neichsfürften ‚um: 
ging. „Ich will Lieber todt ſeyn,“ fchrieb er, „als länger 
gefangen.” Menn er angiebt, daß man ihn nach Spanien 
zu führen beabfichtige, fo darf man dieß für Feine Einbildung 
halten: es ift gewiß, daß der Kaifer dazu entfchloffen war. ? 

1. L’eserit da paige (Wersebe) bei Duller Neue Beiträge 
zur Gefch. Philipps des Großmüthigen p. 119. 

2. In einem Schreiben des Kaifers an Maria vom 6ten März 


it darüber ganz unumwunden die Nede. Etant deja resolu de faire 
transporter le landgrave en Espagne. 





198 Neuntes Buch. Fünftes Capitel. 


Wäre e8 auch nur aus Mitleid geweſen, fo hätten fchon 
darum die deutfchen Fürften fic) des Landgrafen in diefer 
Bedrängniß annehmen müſſen. Aber die beiden Churfürften 
Brandenburg und Sachfen hatten überdieß eine vertragsmäßige 
Verpflichtung dazu; wiewohl der Kaifer diefelbe fir nichtig 
erklärte, Fonnten fie fich ihrer doc) noch nicht erledigt glau- 
ben. Ihre Gefandten bereiften die verfchiedenen deutfchen 
Höfe, um auch alle andern zur Theilnahme an einer allge 
meinen Sürbitte zu vermögen. Im October 1551 vereinig- 
ten fich hiezu in Augsburg oberländifche und niederdeutjche 
Abgeordnete, von Meklenburg, Holftein, den pfalsgräflichen 
Höfen, Würtenberg, Baden; ! die welche Feine Gefandten 
gefchickt, Lauenburg, Lüneburg, gefellten fich wenigſtens durch 
feierliche Anfchreiben hinzu; auch diejenigen traten bei, Die 
fich) bisher cher feindlich gehalten, Baiern, wo ein fehr für: 
derlicher Negierungsmechfel eingetreten war, Dftreich ſelbſt, 
dag deutfche, in dem Bruder des Kaiſers. Es waren beinahe 
fämmtliche weltliche Fürften: die Sache de8 Landgrafen er 
fchien als die Sache des deutfchen Fürftenthums. 

Unter diefen Vorgängen breitete fich über die verfchiede- 
nen Randichaften und Bekenntniffe das Gefühl aus, daß das 
alte freie Germanien überwältigt fey und gegen feinen Wil 
len nach einem ihm widerwärtigen Ziele geführt merde. 

Der Haß der urfprünglich den Spaniern allein gegol- 
ten, fiel allmählig auch auf den Kaifer. Er foll es felbft 
bemerkt und dem Herzog von Alba wegen der Vernachläßt- 

1. Die Injiruction der Gefandten an den Kaifer iſt auf einer 
Zufammenfunft der brandenburgifhen Abgeordneten (Ad. v. Zr. und 


Lamp. Diftelmeier) mit den ſaͤchſiſchen Näthen, Dresden Dienftag 
nach Galli, beratbfchlagt worden. 








Allgemeine Aufregung. 199 


gung der Mannszucht unter feinen Leuten, die folche Fol— 
gen nach fich ziehe, Vorwürfe gemacht haben. Genug aber, 
e8 war fo. Als er im Mai 1551 von Augsburg nach Ty— 
rol gieng, fand man dort einen Anfchlag des Inhalts: die 
Römiſch Kaiferliche Majeftät begehre, man wolle die Thrä— 
nen, fo wegen J. Majeftät, ihres Sohnes und der Spa- 
nier Abreife fallen würden, fleißig fammeln; J. Maj. be: 
dürfe derfelben zur Arznei und werde fie mit indifchem Golde 
theuer bezahlen. 

Bon den deutfchen Fürften traf ein ähnlicher Haß be: 
fonders Moritz von Sachfen, der an feinem Vetter, an fei- 
nem Schwiegervater, an der gemeinfchaftlichen Sache zum 
Verräther geworden ſey und fich jeßt auch wider Magde— 
burg gebrauchen laffe. Sn gereimten Sprüchen ward er re 
dend eingeführt, mit dem Bekenntniß daß er dag Evange 
lium verlengnet habe. „Schwert und Nautenkranz führe ich: 
wie ichs gewonnen, als werds verlieren ich." ı In Hochs 
deutfchen und plattdeutjchen Chroniken erfcheint fein Name 
mit gehäffigen Beiworten. Schon fühlte er in feinem eig: 
nen Lande den Boden unter feinen Füßen erzittern. Seine 
Nitterfchaft hat ihm förmlich verweigert gegen Magdeburg 
Hülfe zu leiften, und wie berührt, man wollte wiffen fie richte 
ihr Augenmerk auf den jüngern Bruder, Herzog Auguft. 
In den Städten und auf dem Lande in Sachfen machte die 
Beweisführung der Magdeburger, daß ihre Sache Gottes 

1. Ein Sprud von Herkog Moriten von Sachfen; der zuerft 
in Augsburg zum Vorfchein Fam, von dem man aber meinte, er fey 
aus Sahfen gefommen. „Herzog Moriß von Sachſſen heiß ich, den 


namen mit der that hab ich, mürrifch und flörrifch bin ich: aigen: 
koͤpfiſch, hochfartig, tyrannifch bleib ich.” Eite. 





200 Neuntes Buch. Fünftes Capitel. 


Sache ſey, vielen Eindruck. Morig ift von feinen Amtleu- 
ten erinnert worden, wenn er in Glaubensfachen auf die big- 
herige Weife vorfchreite, fo werde ihm von hundert Men 
ſchen nicht einer gehorfam bleiben. 

Mit neuem Eifer fchaarten fich die Geifter, und viel 
leicht eben darum, weil ihnen eine Richtung nach der ent 
gegengefegten Seite gegeben werden follte, um das Banner 
des evangelifchen Glaubens. Nie waren die Kirchen in den 
Städten, wo die Predigt noch ericholl, gefüllter geweſen; 
wir vernehmen von Augsburg, Straßburg, Negensburg, daß 
die Fatholifche Geiftlichkeit verzweifelte dag Volk ohne Ge 
walt in Zaum zu halten; fo wird e8 auch anderwärts ge 
gangen feyn. In den Kirchengebeten durfte man begreiflicher 
Weife Magdeburg nicht nennen: aber der dortige Kampf 
war die große Angelegenheit welche die Gemüther befchäftigte: 
man bediente fich allgemeinerer Ausdrücke, die jedoch Feine 
andre Beziehung haben Fonnten als eben auf diefen Kampf. 

Und indeſſen friumphirte der Bifchof von Arras, daß 
ihm an dem Neichstage alle fein Vorhaben, befonders in 
veligiöfer Beziehung, gelungen: von den verjagten Nredigern 
rede man fo wenig als feyen fie nie da gewefen. In die 
ſem Lande, vief er aus, fey alles möglich. 

Sn der That, noch vieles hatte er vor. 

Ihm konnte wohl nicht verborgen feyn, wie man Die 
Succeffiongenttyürfe in Deutfchland anfehe. „Ich finde Nie: 
mand,“ fchreibt felber, Carlowig, „weder hohen noch nie— 
dern Standes, unter den Deutfchen, der damit zufrieden 
wäre." Ohne die mindefte Nückficht darauf fette der Hof 
die Unterhandlungen mit dem größten Eifer fort, und wandte 





Allgemeine Aufregung. 201 


alles an, um den Widerſtand zu brechen den der junge Ma— 
gimilian noch leiftete, und die Churfürften endlich zu gewin- 
nen. Mit Schreien fahen die Vaterlandsfreunde einen Trans: 
port indifchen Geldes aus Spanien ankommen. Sie mei 
ten nicht anders, als das Geld folle dienen die Churfürften 
su beftechen. Sie fragten, ob es Jemand wohl wagen 
werde das Vaterland zu verrathen. 

Und dazu Fam nun die Erwartung der Befchlüffe des 
Conciliums. Mochten auch die fchon abgefaßten Decrefe 
reaffumirt, und wie der Kaiſer wünſchte, in einem den Prote— 
fianten annehmbaren Sinne umgeftaltet werden, fo wäre man 
doch niemals über die Feftfegungen des Augsburger Interims 
hinausgegangen; diefe wären vielmehr wahrfcheinlich der Fa- 
tholiſchen Nechtgläubigkeit noch weiter angenähert und auf 
dag firengfte feftgehalten worden. Dem ftarren Begriffe kirch— 
licher Einheit winde fic) alles haben unterwerfen müffen. ' 

Tridentiner Beichlüffe, mern auch nicht ganz wie fie 
fpäter erfolgt find, aber diefen doch ohne Zweifel überaus 
nahe vertvandt, nachdem die Proteftanten bei ihrer Abfaffung 
zugegen geweſen, für fie verpflichtend, — und zu deren Hand: 
habung ein Kaifer von der Macht und Gefinnung wie fie 
Philipp IE entwickelt Hat: — welch eine Ausficht! Carln V 
willkommen, deflen Politik in den legten Jahren dahin ge: 
zielt hatte; aber eben fo drückend und drohend fir Deurfch: 
land, das unter diefen Umftänden niemals das fpätere 
Deutfchland geworden, der freien geiftigen Negung die fein 
geben ausmacht verluftig gegangen wäre. 


1. Schon früher fagte Pighino, nach dem Auszug bei Palla- 
v ini XI, ır, 16, es bleibe fein Mittel übrig als das Schwert: „ve— 
d.vasi che ogni opera era indarno eccetto quella di ferro.“ 


202 Meuntes Buch. Fünftes Eapitel. 


Eben hier, wo fie zufammentreffen follten, fchieden fich 
die Intereſſen des Kaiſers und der deutfchen Nation auf immer. 

Hätte man nicht meinen follen, die Nation, in ihren 
verschiedenen Ständen beleidigt, in der Tiefe ihres Daſeyns 
angegriffen und in ihrer Zukunft bedroht, werde fich gegen 
die Gewalt von der fie fo vieles litt und noch mehr fürch— 
tete, plößlich einmal wie Ein Mann erheben? 

Das ift nicht ihre Gewohnheit. Durch die Mannich- 
faltigfeit der herrfchenden Gemwalten ift ihre Aufmerkſamkeit 
von jeher zu fehr nach verfchiedenen Puncten hin zerfireut 
geweſen, als daß dieß fo leicht gefchehen Fönnte. Auch fieht 
fie gern ihre Fürften ſich vorangehen. 

Und in diefen fehlte e8 nicht an geheimem Widerftand 
und Negungen zu offenem. 

Wohl merkwürdig, daß fich Abfichten wie fie Kaifer 
Carl V hegte, zunächft ein deutjch > öftreichifches und ein bran- 
denburgifch- preußifches Intereſſe entgegenfeßte. 

Daß erfte beruhte auf dem Widerwillen gegen die Succeſ— 
fion des Prinzen von Spanien. Ferdinand felbft hatte fich 
endlich gefügt, aber weder fein Sohn, auf den es eigentlich an- 
Fam, der dem jüngern Vetter fein Lebtag hätte nachftehn müffen, 
noch auch feine Näthe, welche die Verwaltung des Neiches 
bald an fich übergehn zu fehen und auf immer in der deutfchen 
Linie zu befeftigen hofften. Und auch mit Ferdinand ftand der 
Kaifer nicht mehr in dem alten Vertrauen. Er nahm es übel, 
daß fich derfelbe bei der Fürbitte für den Landgrafen bethei- 
ligte. Den Übrigen gab er die fchon oft vernommene Ant- 
wort, er wolle fich in Gnaden erweifen, fo viel nach Ge: 
ftalt des Handels thunlich; feinem Bruder ließ er außerdem 


Preußifches Sntereffe. 203 


fagen, wenn er den Landgrafen befreie, müſſe er auch Jo— 
hann Sriedrich loslaffen. ! Er mußte wohl, daß Ferdinand 
die Nückfehr diefes Fürſten nicht wünfchte, der noch immer 
einen ftarfen Anhang in Böhmen hatte. 

In dem brandenburgifchen Haufe hatten fich die bei- 
den thatkräftigften Fürften, die dem Kaifer im fchmalfaldifchen 
Kriege beigeftanden, feitdem von ihm abgemwendet: Albrecht 
von Culmbach, den zuerft die Hinrichtung Vogelsbergers ver: 
droffen, worin er eine Verlegung der hergebrachten kriegsmän— 
nischen Ehre und Freiheit erblickte, und Johann von Eüftein, 
der fic) an dem Interim geärgert, es vom erfien Augenblick 
von Herzensgrund verdammt hatte. Marfgraf Johann fah 
darin die Prophezeiung Carions erfüllt, daß im J. 1548 
faljche Propheten aufftchn würden, und war entfchloffen ihm 
zu widerſtehn. Während dag übrige Deutjchland fich beugte, 
hat er wohl, fortfahrend wie er angefangen, wunderthätige 
Bilder zerfiört, wie dag zu Göritz. Johann Friedrich ver- 
fichert in einem an Carl V gerichteten Gutachten, daß zu der 
Haltung des Hauſes Brandenburg auch die preußifchen Ver— 
hältniffe beigetragen. Eben in diefen Zeiten waren die An- 
fprüche der fränfifchen Linie erneuert worden, und für die 
Mitbelehnung des Gefammthaufes ein neuer Schritt gefche: 
hen. Die polnifch-preußifchen Stände fahen in der Ver: 
bindung mit dem Haufe Brandenburg eine Verficherung des 


1. Gramvella an Sönigin Maria 13 December 1551. „pour 
piequer led. Se roy pour avoir semblé a S. M. qu'il enclinoit 
trop a Sa dite Majeste.“ Ferdinand,antwortete darauf: „„ Combien 
que les mots desd. lettres soient modestes comme toutelois, l'on 
y voit tres Juyre quelque sentement, je crains que S. M. Imp'* 
ne le sente.“ 


204 Neuntes Buch. Fünftes Capitel. 


Friedens mit dem Neich, ' der fonft, wie wir wiſſen, bedroht 
war. Zu dem Kreife diefer Verbindung gehörte Johann AL 
bert von Mecklenburg, der wie Marfgraf Johann fein mir 
ferlicher Oben, dem Interim zum Troß die Neform fort 
fette, und fich in diefem Augenblick mit der Tochter des Her: 
309 von Preußen verlobte Nun hatte Johann Albrecht in 
jener StreitigFeit mit feinem Bruder Georg eine Heine Trup- 
penſchaar geworben, deren er für fich nicht mehr bedurfte, 
als Georg ſich gegen Magdeburg wendete und dort ftehn 
blieb. Uber weder für Meflenburg noch fir Preußen wäre 
es rathſam geweſen, Magdeburg in die Hände von Kaifer 
und Neich fallen zu laffen. Es war ein Gedanke Marfgraf 
Johanns, dem Kaifer wenigftens die Möglichkeit eines neuen 
Widerſtandes zu zeigen, ihm wie er fagte „ein Blatt über 
die Füße zu welgern.“ Johann Heideck, der fich im ober- 
ländifchen Kriege, dann in Magdeburg hervorgethan, und der 
junge Graf Volradt von Mangfeld erfchienen plöglic an 
der Spiße eines Heeres im Berdenfchenz durch Vermittelung 
Sohann a Lasco's empfiengen fie von England — es ift die 
erfte Rückwirkung der dortigen Neligionsveränderung — ins— 
geheim eine erwinfchte Geldunterffügung. 

Dei weitem zu gering jedoch war diefe Macht, als daß 
fi) etwas Durchgreifendes von ihr hätte erwarten laffen: 
fich geradegu und in eigenem Namen dem Kaifer zu wider— 
feßen, dazu waren überhaupt die Verhältniffe des Hauſes 
Brandenburg nicht angethan. Noch viel weniger hätte Ferdi- 

1. Schreiben des Landtags zu Graudenz ad festum Michae- 
lis 1548. non esse aversandam conditionem, quin paeis autores 


in aretiora regui jura recipiantur. Lengnich Preuß. Geſch IL, do- 
cum. 1. 





Politik des Ehurfürften Mori. 205 


nand oder Marimiltan, die durch alle denkbaren Bande ge 
feffele twaren, dieß wagen können. Vielmehr Fam alles auf 
Denjenigen an, dev durch feinen Übertritt zum Kaifer den 
fchmalkaldifchen Krieg entfchieden hatte, und der jeßt von al- 
fen Fürſten allein die Waffen gewaltig in der Hand hielt. 
Morig fühlte wohl ſchon von felbft die Gefahr einer 
Stellung die mit der öffentlichen Meinung in Widerfpruch 
if. Schon längft fchloß er fich nicht mehr fo unbedingt 
der Faiferlichen Volitif an. Er verfäumte nichts was dazu 
dienen konnte, Maximilian durch geheimen Zufpruch in jet 
nem MWiderftand gegen die Succeffionsentwürfe des Kaifers 
zu beftärfen; der ihn dafür fir einen der beften Freunde er: 
Elärt die er auf der Welt habe. Es war von einer zwi— 
fehen beiden Fürften zu veranftaltenden Zufammenkunft die 
Nede, und die Schiwierigfeit lag nur darin fie dem Kaiſer un: 
bemerkt zu Stande zu bringen. ! Bei den jungen Landgrafen 
ließ Mori bereits anfragen, wenn zwei Augen fich zuthun 
würden und er dann etwas zur Erledigung ihres Vaters 
unternehme, weſſen ev fich zu ihnen verſehen könne. Es 
war wohl nicht fein Ernft, bis zum Tode des Kaiferg zu 
warten; die Landgrafen machten ihn aufmerkfam, der könne 
noch manchen überleben: vieleicht zeige fich bald eine andre 


I. Garlowig mußte anfragen: wenn Marimilian den Churfür- 
fen „an ein geheimen Ort zu fich befcheiden mochte, fo wolde E. 
Eh. G. (Moriß) derfeldigen (SG. Kgl. Würde) allerlei anzeygen, 
doran fie Gefallen tragen folle.” Marimilian gebt darauf ein, je 
doch weil er mit feinem Vater nach Ungarn gehn folle, koͤnne er fich 
„noch nicht entfchliegen, was wege und mittel zu gebrauchen, damit 
ſolches fuglih und unvormarft geſchehen mochte, wolt aber fobald fie 
hinab fäme darauf gedenfen und ſolchs von ferneft irem Hern War 
ter felbft auch alfo ingeheim entwerffen.” Schreiben von Garlowis 
11 März 1551. 


206 Meuntes Buch. Fünftes Capitel. 


Gelegenheit, wenn der Kaifer über Meer gehe, oder wenn 
fic) ihm dieſſeit ein neuer Krieg erhebe. 

Auf dieſe Teste Wahrfcheinlichfeit hatte vielleicht von 
allen Deutfchen zuerſt Marfgraf Albrecht von Culmbach bei 
einer Anmefenheit in Weißenfels fehon im Frühjahr 1550 
die Aufmerffamfeit gelenkt. Er fagte, der eine von diefen 
Fürften babe den Wahlfpruch: Mehr, weiter! der andre zum 
Zeichen den zunehmenden Mond mit dem Worte „bis er 
vol wird": jeder wolle größer werden; aber der eine werde 
abnehmen, der andre, der die Welt noch nicht fo gut ge 
witzigt habe, fortfchreiten und wachſen; Heinrich II Fönne 
dem Kaifer wohl einen Schlag beibringen, fo fchlimm, als 
fein Vater jemals von diefem erlitten. 

Seit dem Frieden Heinrichs II mit England Fonnte fich 
Niemand verbergen, daß ein Wiederausbruch des Krieges 
swifchen den beiden großen Mächten bevorftehe. 

Wie aber wenn alsdann der König von Frankreich die 
Dberhand behielt? Er machte Fein Hehl daraus, daß er 
ſich der verjagten Fürften und Kriegsmänner annehmen und 
fie zurückführen werde. Ein Vorhaben, voll Gefahr für Alle 
welche den fchmalfaldifchen Bund zerfiören helfen und die 
Partei des Kaifers gehalten. Moritz ward erinnert, wie 
fchlechte Nachbarn er an den swiederhergeftellten Grafen von 
Mangfeld oder dem eignen Vetter haben werde. ! 

Schon früh, im Sommer des Jahres 1550, finden 
fihh Spuren einer Annäherung des Churfürften an den Kö— 
nig von Sranfreich, der feine Augen auf jede mögliche Op- 


1. Schreiben des Markgrafen an Ulbreht 22 März 1550 aus 
dem Dresdener Archiv (im Anhang). 














— 


Politik des Churfuͤrſten Moritz. 207 


poſition, unter andern ſogar auf König Maximilian, warf; 
es fehlte jedoch noch viel, daß wirklich ein Verſtändniß ge— 
ſchloſſen worden wäre: es blieb alles ganz im Unbeſtimm— 
ten und Weiten. 

Waren doch die mißvergnügten deutſchen Fürſten noch 
weit entfernt einander zu trauen! 

Das Ereigniß, wodurch zuerſt eine gewiſſe Annäherung 
zwiſchen dieſen herbeigeführt worden iſt, war das Vorrücken 
jener meklenburgiſch-heideckiſchen Truppen von Verden her 
in der Richtung gegen Magdeburg. Moritz, der ſich in 
ſeiner Belagerung nicht wollte ſtören laſſen, gieng wie be— 
rührt auf dieſen Haufen los, und überlegen in den Waf— 
fen wie er war, zwang er ihn Verden aufzugeben. Da— 
bei geſchah nun aber das ganz Unerwartete. Der Chur: 
fürft machte den Anführer der gefchlagenen Truppen, So: 
hann Heide, der mit dem Kaifer noch unverföhnt war, 
und nicht mit ihm verföhnt feyn wollte, zu feinem Vertrau— 
ten. Darin lag die erfte überzeugende Kundgebung einer 
veränderten Richtung der morißifchen Politif. Der Sieger 
gieng, fo zu fagen im Momente des Sieges, zu der Mei: 
nung der DBefiegten über. 

Heideck ließ es eines feiner erften Gefchäfte feyn, daß 
er eine Zufammenkunft zwifchen Churfürft Morig und Mark 
graf Hans zu Stande brachte, die im Februar 1551 in 
Dresden Statt fand. 

Markgraf Hans erfchien nicht, ohne fich vorher durch 
binreichendes Geleite ficher geftellt zu haben. Er traute dem 
zweidentigen Nachbar mit nichten. Als fie zum Ziviege: 
fpräch kamen, bedachte er fich Iange, ehe er mit feiner Mei- 


208 Meuntes Buch. Fünftes Capitel. 


nung hervortrat. Noch viel weniger aber hätte der geheim: 
nißvolle Moriß geredet. Endlich erwähnte Hans den Ber: 
denfchen Zug, durch welchen ihm Moris ein gutes Vorha— 
ben zu Grunde gerichtet habe. „Und doch weiß ich,“ redete 
er Moris an, „daß auch du fo gut nicht hinkommſt. Was 
würdeſt du fagen, wenn dir Jemand 4000 Pferde zuführte, 
um damit gegen Jeden zu dienen, der die Religion und 
die deutfche Freiheit befchweren wollte?! „Weißt du nicht," 
fagte Morig, „daß ich im Dienfte des Mannes bin? Mit 
4000 Pferden wäre ihm noch nicht viel abzubrechen, doc) 
auch ich, in der Neligion bin ich Fein Mameluk.“ Zögernd 
eröffneten fie fich einander. So wie einer den andern aber 
einmal verftanden, waren fie der Sache bald einig. - Moritz 
verfprach, die Neligion laut der Augsburger Confeffion zu be 
Fennen, und zur Erhaltung derfelben, fo wie der deutfchen 
Freiheit, Land und Leute zu wagen. Markgraf Hans machte 
ſich anheifchig, ihm mit dritthalbtaufend Pferden zu Hilfe 
su kommen. Am 20ften Februar 1551 ift hierüber eine 
förmliche Dbligation aufgenommen worden. Der Markgraf 
fah ein, daß vor allem eine Verföhnung der beiden fäch- 
fifchen Linien nothivendig fey, und ſäumte nicht, alles mög— 
liche dafür zu hun. ! 

So erhoben ſich endlich auch in Deutfchland die zer 
freuten Negungen der Oppofition zu einer feften Geftalt, 
einer bewußten Tendenz. 

Wunderbarer Anblick, den nun die Lage der großen 
Angelegenheiten darbietet. 
In Insbruck wo der Kaifer fich aufhält, am Conci— 


1. Protocoll im Dresdener Archiv, abgedruckt bei Langen. 


Allgemeine Lage der Dinge. 209 


lium zu Trient hegt man die Meinung, und darf fie hegen, 
daß die Zeit gefommen fey wo alle Entwürfe deffelben fich 
erfüllen follen. Die verfchiedenften von ferne her angelegten 
Fäden werden verfnüpft, alle entlegnen und zweifelhaften 
Spympathien aufgerufen, um zu dem großen Erfolg einer 
Herſtellung des Kaiferthums in dem einmal aufgefaßten Sinne 
und einer Befeftigung deffelben im Haufe Oftreich-Burgund, 
älterer Linie, zuſammenzuwirken. 

Aber indeſſen haben ſich die alten Feinde im Oſten und 
Weſten, zur See und im innern Lande, mit denen der Kai— 
fer früher fo oft gekämpft und die fich eine Zeitlang ruhig 
gehalten, aufs neue erhoben. Und nicht Diefe allein, fon- 
dern auch die befiegten Oppofitionen regen fich wieder, und 
zwar in ganz unerwarteter Geſtalt; nene in der unmittelbar: 
fien Nähe bilden fich an. 

Wird es dem Kaifer gelingen dort das Ziel zu errei- 
chen, fo daß er fich dann mit nen gerechtfertigten Waffen 
gegen feine Seinde, einen nach dem andern, wird menden 
fönnen? 

Dder werden die Feinde ihm zuvorfommen? Werden 
namentlich die werfchiedenen Gegner ficy unter einander fin- 
den und zu einem Angriff auf ihn verftehn? 


Hanke D. Gefh. V. 14 





Sechstes Kapitel. 


Kriegszug des Churfürften Morig wider Carl V. 


Landgraf Philipp fpottete darüber; als ihm in fei- 
nem Gefängniß eine freilich voreilige Kunde von dem Vor— 
haben feines Schwiegerfohns Morig gegen den Kaifer zu- 
Fam. Denn wie wolle ein Sperling den Geier angreifen; 
babe doch Mori felbft die andern Vögel verftört; fremden 
Nationen Fomme e8 lächerlich vor, daß ein Lutheriſcher wi— 
der den andern fey. 

Eben dahin zielten nun die Bemühungen des Marfgra- 
fen Sohann, diefen Zwieſpalt zu heben, die beiden fächfifchen 
Linien zu verföhnen, dem Krieg von Magdeburg ein Ende zu 
machen: „damit nicht”, fagt er, „wir Ehriften unferm eini— 
gen Haupt Ehrifto zur Schmach, ung unter einander mor: 
den und würgen.““ Auch nach jener Zufammenfunft hält 
er noc für nöthig, Moritz zu ermahnen, daß er fich feiner 
Verbindung mit den Geiftlichen, die nur im Blute der Chri- 
fen zu baden wünſchen, entfchlage, und Chriftum mit den 


1. Was m gu. Herr Marfgr. Hans in entffandener magde- 
burgiſcher gütliher Unterhandlung an Herzogf Morik mit eigener 
Hand gejchrieben. 1551 27 Mer;. 


— ——Rß— 





— — — — — — — — — — — — — — — — — — nn 


Erſte Entwuͤrfe. 211 


Übrigen bekenne. Wenn dieß geſchehen iſt, ſo hofft er alle 
weltliche Fürſten dieſer öſtlichen und nördlichen Länder, den 
Herzog von Preußen, die Herzoge von Mecklenburg, Lüne— 
burg, Pommern, Holftein, in den von ihm mit Moriß ver— 
abredeten Bund zu ziehen. 

Die erfte Abficht Hiebei war durchaus defenfiver Natur. 

In der Obligation welche Moris dem Markgrafen 
Hans ausftellte, verfprach er mit ausdrücklichen Worten, ein 
Defenſivbündniß einzugehn, zur Erhaltung der Religion und 
Freiheit der Deutfchen, Gut und Blut dabei aufzufegen; feine 
Bedingung war allein, daß ihm Markgraf Hans von fer 
nen’ Freunden die Verficherung einer beftimmten Hülfleiftung 
bringe, für den Fall daß er angegriffen werde." Man hatte den 
Gedanken, ein Heer von 20000 M. 3.5. und 7000 3. Pf. auf 
zubringen und mehrere Fahre, oder doch auf Jahr und Tag, 
auf den Beinen zu erhalten. Ein erfter, wiewohl noch fehr 
unentwickelter Gedanke von der Aufftellung eines fiehenden 
Heeres zum Schuge der Neligion. Es ſcheint als fey Die 
Abſicht geweſen, dem Kaifer Bedingungen zur Sicherung vor 
allem der Religion vorzulegen und diefen mit Aufftelung ei- 
ner fo ftattlichen Mannfchaft Nachdruck zu geben. Man 
war jedoch hierüber noch nicht zu beftimmten Entwürfen ge 

1. Handlung zu Dresden bei Langenn II, 331 ift eine von den 
heſſiſchen Abgeordneten, ohne Zweifel Simon Bing und Wilhelm von 
Schachten, aufgefeßtes Protocol über ein Gefpräh mit Ehurfürft 
Morig über feine Verhandlung mit Marfgraf Hans. Die Obliga: 
tion vom 20 Febr. ift das officielle Nefultat diefer Verhandlungen: 
„Herzog Moritz“, heißt es derin, „will die Religion laut der augs— 
burgifchen Confeſſion befennen,” was alfo noch immer zweifelhaft 


war; „will zu erhaltung der Neligion und freiheit der Deutfchen ein 
Defenfiffbündnuß machen.” 


14* 





212 Neuntes Buch. Schstes Kapitel. 


langt. Alle Unterredungen von Anfang an laffen doc) auch 
die Möglichkeit offen, mit eignem Angriff zu Werke zu gehn. 

Welchen Weg man aber auch einfchlagen mochte, fo 
mußte man fich eingeftehn, daß man, bei der Geringfügigfeit 
der Landeseinkünfte und der allgemeinen Erfchöpfung, fich 
nicht ganz auf Die eignen Kräfte werde verlaffen dürfen. 

Hatte doch der fchmalfaldifche Bund, dem noch die rei— 
chen Kämmereien der oberdeutfchen Städte zu Gebote ſtan— 
den, fich nicht fo lange als nöthig geweſen wäre, im Felde 
su halten wermocht. 

Wie nun die Veränderung die in den europäifchen An— 
gelegenheiten eintrat, überhaupt Muth zu dem Gedanken 
machte fich bewaffnet dem Kaiſer entgegenzuftellen, fo er 
weckte fie auch die Hofnung, von den beiden Mächten welche 
ſich fchon 1547, nur zu ſpät und insgeheim, geneigt bewie— 
fen hatten, jetzt aber in offener Oppofition gegen den Kat- 
fer ftanden, von Heinrich II in Franfreich und der profe- 
feantifchen Negierung in England, Unterfiügung und zwar 
zunächft in Geld zu erlangen. ! 

Der erfte Gedanke des Widerſtandes mar von Diefer 
Abficht durchdrungen. Bei der Zufammenkunft in Dresden 
äußerte der Markgraf, man werde wohl 100000 ©. des 


1. DBedenfen, wes man fi in Handelung gegen den König 
von Engeland zu verhalten ao LI 14 d. Julii. „Ob es fach were, 
das fih etlihe Churfuͤrſten FF. und andre Stende des h. Neichs, 
wellihen zuforderft unfre h. chrifil. Neligion und Lehre des Evan- 
gelii auch dazu die Freiheit ires Waterlandes zu erhalten lieb were 
und derbei zu bleiben neben einander bedacht weren, in ein chriftlich 
Verſtendniß einliehen, und da fie perurter zweier urfachen wilfen mit 
Gewalt und der That angefochten und überzogen, ſich der pillichen 
Defenfton gebrauchen und alfo - - etwas wagen wolten, was alddann 
der König ꝛc.“ 


Miffionen nah dem Ausland. 213 


Monats von Frankreich, 50090 von England erlangen kön— 
nen. Zugleich dachte man auch fchon daran, wie nützlich 
e8 werden Fönnte, wenn der König von Frankreich den Kai- 
fer etwa durch einen Angriff in den Niederlanden befchäf 
tige: dann Eönne man noch „alle Pfaffen und Mönche” aus 
Deutjchland verjagen. 

Im Mai 1551 ward eine neue Zufammenfunft zwi— 
chen Moris und Johann in Torgau gehalten, an der auc) 
Johann Albert von Mecklenburg und Wilhelm von Heffen, 
der ältefte von den jungen Landgrafen, Theil nahmen. Schon 
ihr Erfcheinen bewies, daß fie einverftanden waren. Die 
vier Fürften befchloffen, fich unter gemeinfchaftlichem Namen 
und Siegel an die beiden Höfe zu wenden. 

In der Inſtruction die fie dem nach Frankreich beftimm- 
ten Gefandten, Friedrich von Neiffenberg, mitgaben, tritt be 
fonders der politische Gefichtspunet hervor. Sie machen 
darin bemerklich, daß der Kaifer, fobald er mit den Deut 
ſchen Fürften, die er in eine der Menſchenwürde twiderfire- 
bende Knechtſchaft! zu bringen fuche, fertig fey, auch die 
andern Potentaten und zunächft Frankreich angreifen werde. 
Um ihm Widerftand zu leiften, gebe es Fein Mittel, als fich 
mit dem Nücken an einander zu fielen. Würde der König 
fie jest unterſtützen, — fie beftimmen feine Leiftung auf 
100000 Kronen, — fo würden fie außer andrer vielfältiger 
Dankbarkeit in Zukunft einem römiſchen Kaifer auch wider 
ihn nicht beiftehn. In aller Form tragen fie ihm den Wunfch 
vor, daß er ihnen durch einen Angriff auf Earl von der an- 
dern Seite her zu Hülfe Fommen möge. 

1. „viehifche Servitut.” 


214 Meuntes Bud. Sechstes Capitel. 


Zufällige Hinderniffe, z. B. die Abweſenheit des ver 
frauten Secretärg, oder Zweifel über einen Titel, bewirkten, 
daß die Sendung nach England ſich bis in den Juli ver- 
sögerte. Abfichtlich, weil man Fein Auffehen erregen wollte, 
ward fie einem unbedentenden Mann anvertraut. In deſſen 
Inſtruction aber hoben die Fürſten befonders den religiöfen 
Gefichtspunet hervor. Sie forderten Eduard VI, als einen 
‚ hriftlichen jungen König, der in der wahren und rechten Ne 
ligion von Anfang an unterwieſen fey, auf, ihnen gegen 
Diejenigen beizuftehn, von welchen diefe Neligion verfolgt 
werde, und welche jetzt entfchloffen feyen die ewangelifchen 
Stände, fo viel ihrer noch bei der augsburgifchen Confeſ— 
fion verharren, vollends auszurotten. Ganz in dem Maaße, 
in welchem der König ihnen helfe, find fie erbötig ihn zu 
unterftügen, wenn er angegriffen werde. | 

Der Gefichtsfreis der Verbündeten umfaßte auc) das 
nördliche Europa. Churfürft Morig fette fich mit dem Kö— 
nig von Dänemark in Verbindung, der zu feinem Verdruß 
mit Guſtav Wafa fo eben in neue Srrungen gerieth. Mark 
graf Johann hielt, da der König von Polen allzu entfernt 
war um ihn zu erreichen, eine Zufammenfunft in diefer Sache 
mit feinem Nachbar, dem Staroften von Pofen. 

Sie fahen die Macht des Kaifers als eine allen un— 
abhängigen Ländern von Europa gleich gefährliche an: daß 
fie eine deutfche fey, Fam ihnen nicht zu Sinne. 

In Deutfchland felbft lag die größte Schwierigkeit darin, 

1. 12000 M. würden 88000 ©., 10000 M. 75666 ©., 9000 


M. 66000 ©., 8000 M. 56666 ©. fojten. Die beiden Inſtructio— 
nen bei Langenn. 


— — — — — — — 2 ui Zu 





Miffionen nach dem Ausland. 215 


die Söhne Johann Friedrichs mit Demjenigen in Friede zu 
fesen der fie der Chur beraubt hatte. Schon bei der Tor: 
gauer Zufammenkunft hatte man den Befchluß gefaßt, wenn 
fie auch die Vorfchläge nicht annähmen die man ihnen ma— 
chen würde, fic) doch dadurch von weiterm Fortfchreiten 
nicht abhalten zu laffen, und nur vergeblid) bemühte fich 
Markgraf Johann noch eine Weile fie herbeizuziehen; Mo: 
ritz, in deffen Briefen überhaupt nichts fo häufig und fo 
dringend eingefchärft wird wie dag Geheimniß, um fo mehr 
da ihm Gerichte vom Faiferlichen Hofe Famen, man mißtraue 
ihm dort und hege Beforgniffe, " fürchtere nur immer, es 
möchte feinen Vettern zu viel mitgetheilt werden, fo daß fie 
ihn verrathen Fönnten. Er feinerfeits hatte fir den Erfolg 
fein Augenmerk von Anfang an noch mehr auf Frankreich 
gerichtet als auf Deutfchland. * Mit Freuden vernimmt er, 
daß fich nach allen Nachrichten der Bruch zwiſchen Earl V 
und Heinrich IE unvermeidlich zeigt. Jetzt, meint er, werde 
der König Freunde brauchen und fort müffen. 

Es verſteht fi wohl, daß ein Antrag mie der von 
Neiffenberg überbrachte, dem König von Franfreich im höch: 
fien Grade willkommen feyn mußte. Was er ohnehin zu 
thun im Begriff war, dazu forderten jest deutſche Fürſten 
ihn auf. Nicht allein eine fehr erwünfchte und nügliche Hülfe 
bot fich ihm damit dar, fondern auch, da man ihn fuchte 


1. Er erwähnt der Neden am Hof: „man fol auff Herzog Mo- 
riß fehen, wan die Stadt Magtburg erobert, dag er nüt ein Ge- 
fellfhaft an fich heng und Neiff dem Faifer ein Poßle.“ 

2. „Da wir deffelben mannes (Heinrich IT) nerva belli nit 
follten haben, fo acht Ich den Handel bei mir unmuglich.” Schrei: 
ben vom 18 Sunt. 








216 Neuntes Bud. Sechstes Kapitel. 


und brauchte, die befte Gelegenheit, feine Macht nach der 
deutſchen Seite hin aussudehnen, wo fie bisher durch Carls 
Borkehrungen und die Gewiffenhaftigfeit des älteren prote— 
ftantifchen Bundes nur Verlufte: erlitten. 

Gleich die Antwort welche Reiffenberg mitbrachte, gab 
dem urfprünglichen Gedanken eine etwas andre Wendung. 

Indem fich der König bereit erklärte auf den ihm ge 
fchehenen Antrag einzugehn, bezeichnete er denfelben fo, als 
habe man ihm für den Fall daß er die Waffen gegen den 
Kaifer ergreife, (ey e8 zur Vertheidigung oder zum Angriff, 
und daß er fich dabei der Sache des Landgrafen öffentlic) 
annehme, verfprochen, fich für ihn zu erklären und ihm gufe 
Dienfte zu leiften. ! 

Bon dem Defenfivbundniß, auf das man zuerfi gedacht, 
zu deffen Ausführung man Hülfe von Frankreich gewünſcht 
hatte, war hier nur noch im Vorbeigehn die Nede. Gtatt 
deffen trat die Abficht hervor, gegen den Kaifer mit deutfcher 
Hilfe einen großen Krieg zu beginnen. 

Dder hatte vielleicht Morig, der fehon feit längerer Zeit 
für fich allein mit Frankreich in geheimen Beziehungen ftand, * 
diefe Wendung durch frühere Äußerungen veranlagt? 

In Kurzem erfchien ein franzöfifcher Gefandter, de Freſſe, 
Bifchof von Bayonne, in Deutfchland, der ſich in demfel- 
ben Sinne erklärte. Bei einer Zufammenkunft, im Anfang 


1. Abgedruckt bei Langenn II, 334. 

2. Die erite Notiz von einer Verbindung zwifchen Moriß und 
Heinrich II findet fih im Juli 1550. Es fcheint als habe Moritz 
fih bald nad) der erjten Eröffnung Albrehts von Brandenburg an 
Franfreidy gewandt. 29 Zuli empfiehlt der Geſandte Marillac einen 
Staliener ald Vermittler. 


AUnterhandlung-mir Frankreich. 217 


October in Lochau, brachte Markgraf Hans feine Defenſions⸗ 
gedanken nochmals vor. Der Geſandte ſagte wohl, auf 
dieſe Weiſe werde die Scheuer der deutſchen Fürſten um— 
friedet, die Umfriedung des Königs von Frankreich zu fei- 
nem alleinigen Schaden zerriſſen. Er wollte nur von ei— 
nem Offenſivbündniß hören, und drang auf ſofortige un— 
umwundene Erklärung darüber, damit man in Frankreich 
Beſchluß faſſen könne, wie der Krieg im nächſten Frühjahr 
zu führen ſey. 

Und hiebei kam ihm die Meinung derjenigen von den 
fürſtlichen Räthen entgegen welche bisher das Geheimniß 
dieſer Geſchäfte getheilt oder vielmehr fie geleitet hatten. 

dit Heideck war ein Mann in ſächſiſche Dienſte getreten, 
der als Canzler deſſelben bezeichnet wird und ſpäter als 
ſächſiſcher Amtmann erſcheint, Chriſtoph Arnold, der an die— 
ſen Dingen den größten Antheil hatte. Er hauptſächlich 
hat die Herſtellung eines guten Vernehmens zwiſchen Mo— 
ritz und Markgraf Hans vermittelt, die Unterhandlungen 
mit dem weimariſchen Hofe veranlaßt; er beſorgte die ge— 
heime Correſpondenz: jene Inſtruction nach England konnte 
darum nicht ausgefertigt werden, weil er, doch wieder in 
eben dieſen Geſchäften, abweſend war. Von Arnold liegt ein 
Gutachten bei den Acten, in welchem er auf entſcheidende 
Maaßregeln dringt. Jetzt ſey die Zeit gekommen, wo man 
das Haus Öſtreich, beſonders aber den Kaifer in feinem 
Herzen angreifen müſſe; zunächft auf die Niederlande, den 
Sig feiner Macht, müffe man loggehn, bis man feine Größe 
gebrochen; und auf Feine Weife dürfe man feine Anhänger 
in Deutfchland dulden; gebe es Leute die nicht von ihm 


218 Neuntes Bud. Sechstes Capitel. 


zu trennen, nicht für den Bund zu gewinnen feyen, die müſſe 
man mit aller Gewalt verfolgen und augrotten. 

Der nemlichen Überzeugung war der heffifche Bevoll— 
mächtigte, Simon Bing, der den fransöfifchen Gefandten 
mitgebracht: er legte einen Entwurf eines Dffenfivvertrages 
vor, in dem fich zuweilen" nahe die Norte des Arnoldifchen 
Gutachtens wiederfinden. 

Markgraf Hans, von Natur hartnäcig bis zum Eigen- 
finn und bier in feinem Rechte, wollte fich feinen urſprüng— 
lichen Gedanfen nicht fo ganz umgeftalten laffen. Es Fam 
dariiber zu Mißverftändniffen, zu einem Mortwechfel felbft 
bei Tafel. „Du ſollſt“, fagte ihm Morig, „nicht immer 
regieren twollen, du ſollſt mir nicht Fickfack machen. Mark: 
graf Hans hielt fürs Befte fich auf der Stelle zu entfernen: 
och denfelben Abend, bei Fackelfchein, ritt er ab. ! 

Dagegen gieng fein Neffe, Johann Albert von Meck 
fenburg auf die neuen Entwürfe fo gut ein wie auf Die 
früheren. Die jungen Landgrafen und Moriß theilten längft 
die Anficht ihrer Räthe. Sie wollten nicht in den Feh— 
ler des fchmalfaldiichen Bundes fallen, der fich hatte iſoli⸗ 
ven laffen, und dadurch vernichtet worden war. Sie wuß- 
ten fehr wohl, wie der. Feind, den fie anzugreifen gedach- 
ten, ihnen ohne Vergleich an Kraft überlegen, wie Flug und 
friegserfahren er fey. Sie fahen ihr Heil nur darin, daß es 
gelinge, ihn unvermuthet, von allen Seiten zu überrafchen. 


1. Sn einem Schreiben Heidefs an Albrecht 29 Fanuar 1552 
wird dieß dem Markgrafen fehr zum Vorwurf gemadt. „Wo ©. 
Gn. zuvor entfchloffen oder bedacht gewefen, one Mittel bei der De- 
fenfion zu verharren und fih in Fein lauter Offenfton zu begeben, 
fo follte man mit dem König fo weit zu unterhandeln - - unterlaf- 
fen haben.” bi 


ee — ——— 


Unterhandlung mit Frankreich. 219 


Nun Fam e8 nur auf die Bedingungen an, über die 
man fich mit dem König von Frankreich verftehn würde. 

Die deutfchen Fürften forderten eine Gubfidie von 
100000 Kronen des Monats: der König antwortete ihnen 
dafiir mit zwei Gegenforderungen, welche univerfalhiftorifch 
wichtig geworden find. 

Einmal: er verlangte das Zugeftändniß, daß er ſich 
der zum Neiche, aber der fransöfifchen Zunge gehörigen Städte 
Mes, Toul, Berdun und Cambrai bemächtigen könne, nicht 
allein um fie dem gemeinfchaftlichen Feind zu entreißen oder 
vor ihm zu befchügen, fondern auch um fie ald Neichgvicar 
inne zu haben. 

Sodann — jedoch erft etwas ſpäter — Fam der franzöſi— 
fche Gefandte mit der Bemerfung hervor, der Kaifer habe nur 
darum die hohe GeiftlichFeit auf feiner Seite, weil diefe von 
einem Emporkommen feiner Gegner, der Protefianten, ihr 
Berderben fürchte. Er forderte für feinen König die De: 
fugniß, die geiftlichen Fürſten in feinen Schuß zu nehmen, 
wie er mit ihnen Eine Glaubens fey. 

Borfchläge, die ung einen Blick in die Pläne eröffnen, 
twelche die Franzoſen auf Eroberungen über das Neich und 
einen durchgreifenden Einfluß innerhalb deſſelben begten. 

Dahin war es gefommen, daß man nur die Wahl zwi— 
fchen zwei harten Nothwendigkeiten hatte: entweder den Kai: 
fer feine Entwürfe vollenden zu laffen, was die Cabinete- 
regierung deffelben wie dag Interim befeftigt, eine concen- 
trirte weltlich - geiftliche Gewalt einem Prinzen, der froß al 
ler abfichtlichen Näherung doc) immer als ein Fremder er— 
fchien, überliefert, und die freie Entwickelung der Nation auf 


220 Neuntes Bud. Sechstes Kapitel. 


ſpäte Generationen gehemmt hätte: oder fi) dem Neben: 
buhler des Koifers anzufchließen, der doch felber noch mehr 
ein Ausländer war, und Abfichten auf einen Einfluß Fund 
gab, bei dem die politifche GSelbfländigkeit der Nation im 
höchfien Grade hätte gefährdet werden müſſen. 

Es traten beinahe Erwägungen ein, wie damals als 
es zweifelhaft war, ob Earl V oder Franz I zum Kaifer ge: 
wählt werden- folle. 

Über der Unterfchied lag darin, daß man Carln V Eennen 
gelernt, in Erfahrung gebracht hafte, wozu die höchfte Gewalt 
in diefen Händen führen mußte, jeßt nichts mehr wünſchte 
als fich feiner Übermacht wieder zu entledigen, und dag man 
dagegen dem König weder dag Kaiferthum übergab, wenn man 
es ihm gleich in der Ferne zeigte, noch jenen Einfluß zugeftand. 

Hatten aber die Fürſten nicht Pflichten gegen den Kat- 
fer? war ihm nicht überdieß Morig durch die Bande der 
Dankbarkeit höher als vielleicht irgend ein andrer Fürſt im 
Neiche verbunden ? 

Wenn man ihn Fannte, fo durfte man wohl nicht er- 
toarten, daß er hierauf viel Nückficht nehmen würde. 

Gleich feinen alten Vater hat Moritz durd) eine allzu 
frühe, ohne deſſen Einwilligung vollgogene Vermählung höchft 
unglücklich gemacht, fo daß man fürchfete, diefer möchte „aus 
folch hohem gefaßten Harm an feinem Leben Schaden neh— 
men. — Und diefe feine junge Gemahlin hat dann doc) wohl 
auch einmal die Klage geführt, er habe die Wild-Schweins— 
jagd lieber als ihre Gefellfchaft. 

Wir kennen die Berdienfte Johann Friedrichs um Hein- 
rich den Srommen, und wie er dann bei dem Tode deffelben 


TE (EEE 
7 


Moritz. 221 
dafür ſorgte, daß die Lande ungetheilt an Moritz gelang— 
ten. Dem zum Trotz, und zwar wohl deshalb weil man 
es ihn ein wenig fühlen ließ, konnte ihn Moritz nicht lei— 
den: wie er fich gröblich ausdrückte, „den Diefen Hoffart.“ 
Wie lange hätte c8 dauern Fönnen, befonders bei der Lei 
besbefcharfenheit Johann Friedrichs, die ihm Fein langes 
Leben verhieß, fo hätte Morig mit feinem Schwiegervater 
die Leitung der ewangelifchen Angelegenheiten in die Hände 
befommen. Allein ihn zogen bei weiten mehr Die gegen 
wärtigen Vortheile an, die ihm der Kaifer anbot: er ge 
wann e8 über fich, von dem ganzen politifch >religiöfen Sy— 
ſtem abzufallen dem er angehörte: e8 hielt ihm nicht zuriick, 
daß fein Schwiegervater in denfelben Ruin gezogen ward, 
den er dem Better bereitete. 

Iſt es num aber nicht der gewöhnliche Lauf der Dinge, 
daß Derjenige, der einem Dritten zu — die Treue brach, 
fie auch diefem nicht hält? 

Zur Entfchuldisung von Morig ift von jeher Viel ge 
fagt worden und läßt ſich wirklich Mancherlei fagen. Ge 
wiß aber hatte er durch fein bisheriges Verhalten nicht zu 
der Meinung berechtigt, als werde er fich durch Rückſicht 
auf empfangene Wohlthaten — die er ja überdieß durch 
entjcheidende Hülfe vergolten — abhalten laffen dasjenige 
zu thun, wozu fein Vortheil ihn einkud. 

Wenn man fein tägliches Ihun und Laffen anfah, fo. 
meinte man wohl, nur das Vergnügen des Tages habe 
Reiz für ihn, die Wildbahn in den Dichten Gehölzen von 
Nadeberg und Lohmen und im der erweiterten Dresdner 
Forſt, oder die Freuden der Faſtnacht, die Nitterfpiele, in 


222 Neuntes Buch. Sechstes Capitel. 


denen er, denn er war Sehr ftarf und gewandt, gewöhnlich 
das Beſte that, oder das luſtige Leben auf den Reichstagen 
und die ſich daran knüpfenden Beſuche an fremden Höfen, 
wo er gern mit ſchönen Frauen Kundſchaft machte, oder die 
Trinkgelage, bei denen er es auch den Meiſten zuvorthat. ! 
Kaiſer Carl glaubte, Der vermöge am meiften bei ihm, wer 
ihm darin Vorſchub thue. 

Allein hinter dieſem leichtfertigen Weſen barg fich ein 
tiefer Ernft. 

Der männliche Muth den er vor dem Feinde bewies 
und der ihm früh einen Namen machte, zeigte zuerft daß 
ev Fein gewöhnlicher Menfch war. Dann aber muß man 
ihn in feinem Lande beobachten, wie er das ganze Ne 
gierungsmwefen umbildet, und ihm in dem Mittelpunck eine 
ftärfere Haltung giebt, wie er die großen Vaſallen die An- 
ſpruch auf Neichgunmittelbarfeit machen, den Ordnungen 
des „berainten und bezirkten“ Zerritoriumg, dag Feine Aug: 
nahme zuläßt, unterwirft, dafür forget daß die Unterthanen 
echt und Frieden und eine gemiffe Gleichheit der Behand: 
fung genießen: wie er ferner das Spftem der Schulen grün: 
det das diefem Lande eine fo eigenthimlich alle Claſſen 
durchdringende Cultur verfchafft hat. Er zeigt eine fehr be 
merfenswirdige Gabe fowohl für dag Ergreifen politifcher 
Gedanken als fir ihre Ausführung. Er bekümmert fi) um 
das Kleinfte wie um dag Große. Aus dem Feldlager fragt 
er feine Gemahlin, wie e8 in ihrem Vorwerk ſtehe; er 
fchilt darüber, daß man den Knaben in feiner neuen Land: 
ichule zu Pforte brandiges trübes Bier zu trinken gebe. 


1. So fahen ihn auch die Staliener an. 


» 





Morik. 223 


In der Negel hielt er fich leutſelig. Zwar gerierh er 
leicht in Zorn; man bemerkte aber daß er den Beleidig: 
ten dann wieder durch irgend einen Gnadenbeweis zu feſ— 
ſeln ſuche. 

Die religiöſe Richtung feines Jahrhunderts hatte auf 
ihn, ſo viel ich ſehe, weniger beherrſchenden Einfluß als 
vielleicht auf irgend einen andern fürſtlichen Zeitgenoſſen. In 
ſeinen Briefen gedenkt er des allmächtigen Gottes, des ge— 
rechten Gottes, der alles wohl machen werde: tiefer geht er 
nicht; er ſcherzt wohl felbft Darüber, daß er wenig bete. 

Allgemeine große Ideen von weltgeftaltendem Inhalt, 
wie fie der Kaifer hegte, finde ich nicht in ihm; defto fehär- 
fer aber faßt er das Näherzliegende, bringe es nun Gefahr 
oder Vortheil, ins Auge; unaufhörlich arbeitet feine Seele 
an geheimen Plänen. 

Er ift dafür bekannt daß er verfchwiegen it er fagt 
einmal felbft, man wiſſe daß ihm der Schnabel nicht lang 
gewachſen, es wäre denn indem er dieß fchreibe. Geht 
er ja mit feinen Gedanfen heraus, fo fängt er wohl damit 
an, das Entgegengefete von dem was er wünſcht vorzu- 
fchlagen, z. B. im Gefpräch mit dem Markgrafen die Be: 
freiung feines Vetters Johann Friedrich, an der ihm nichts 
liegt, nur damit diefer felbft die Befreiung des Landgrafen 
zur Sprache bringe, die er zu bewirken winfcht. An Brie- 
fen liege ihm wenig: „ein Gefpräch ift beffer als viel be: 
fchriebenes Papier." Niemals hat er große Eile: ein paar 
Monat mehr Fümmern ihn wenig, wenn die Sache nur 
gründlich vorbereitet wird und verborgen bleibt. Seine Rä— 
the beklagten fich nicht mit Unrecht, daß unter Johann 








I 





224 Neuntes Bud. Sechstes Lapitel. 


Friedrich felbft im Felde die Eanzleien regelmäßiger beforgt, 
beffer berückfichtige tworden feyen als unter Moris. Das 
machte: Johann Friedrich hatte in der Negelmäßigkeit der 
Verhandlungen wirklich die Summe der Gefchäfte gefehen. 
Moriß dagegen trieb das Wichtigfte insgeheim, mit einem 
oder dem andern verfranten Secretär, während die übrigen 
Räthe, die auch in feinem Vertrauen zu feyn glaubten, und 
8 bis auf einen gewiffen Grad waren, in ihrem einmal ein: 
gefchlagenen Gange blieben, ohne eine Ahnung von den 
Dingen zu haben die ihr Herr eigentlich im Schilde führte. 
Wichtige Brieffchaften auch nur etwa durch Zufall in ihre 
Hände Fommen zu laffen hütet er fich forgfältig: er fehickt 
fie an feine Gemahlin, die fie in ihrer Truhe mwohlpetfchiert 
aufbewahren folk: ! fie kannte ihn genug, um fich nicht 
daran zu vergreifen. Es giebt eine Art praftifcher Zweizün— 
gigfeit, in der er fo weit als möglich gieng. Im Februar 
1551 hatte er fich verpflichtet das Concilium nicht anzuer— 
kennen, und war entjchloffen dazu: im Februar 1552 mar 
der gufe Melanchthon noch unterwegs in Feiner andern Mei 
nung, als er werde fich nach Trient verfügen müffen. 

Damals nun hatte Morig eine ganz entichiedene Nich- 
fung zum Bündniß mit den Franzofen und gegen den Kai— 
fer genommen: er war nicht der Meinung, vor einer Forde— 
rung die Frankreich machen konnte, zuriickzumeichen, wofern 
fie nur nicht dem Zwecke felber entgegenlief. 

Es mochte hinzufommen, daß der König von England 
den Antrag, der ihm nunmehr auch gefchehen war, mit weit: 


1. Brief nr 12 bei Arndt, Nonnulla de ingenio et moribus 
Manritii 1806. 











Unterbandlung mit Frankreich. | 225 


läuftigen Anfragen über die Namen der verbündeten Fürften 
und die Sicherheit die ihm dafür angeboten werden Fönne, 
beantwortete, überhaupt eine große Bedenklichkeit Fund gab, 
mit dem Kaifer zu brechen. ! 

Auch Eonnte dem Churfürften an einem Defenfiobind- 
niß überhaupt nichts mehr liegen. Ein großer Schlag, gut 
vorbereitet und plöglich mit aller Kraft geführt, das war 
feine Politik. 

In feinen Briefen findet fich nicht der Sthaften eines 
Serupels über die Nechtmäßigfeit feines Verfahrens. Eher 
blickt ein gewiſſes Vergnügen durch, daß er ihm angreifen 
wird und vielleicht niederwerfen, den alten Sieger, der fie 
alle in Zaum hält. ? 

Und fo entſchloß er fich, wozu man auch auf der Seite 
der Landgrafen fehr geneigte war, von jenen Forderungen 
des Konigs die erfte anzunehmen. 

Er willigte damit nicht in eine Logreißung der drei 
Städte vom Neich, deffen Nechte er vielmehr ausdrücklich 
vorbehielt: der König follte Diefelben befeßen und inne be: 
halten, aber nur als Neichsvicar, wozu man ihn befördern 
wolle. Das Unvaterländifche diefes Zugeftändniffes entſchul⸗ 
digte man damit, daß auch der Kaifer, der fich bereits Cam: 
brays, Utrechts und Lüttichs bemächtigt habe, ähnliche Ab— 
fichten auf die drei übrigen Städte hege, wodurch fie dann 
auch dem Neiche wenigfteng nicht minder entfremdet würden. 


1. K. Edwards Journal bei Burnet I, p- 40. 

2. Moris an Marfgraf Hans 13 Aug. 1551. „ih hab gut 
hofnung zu unferm Handel: wir wollen dem Bock reht an die Ho- 
den greifen.‘ 

Ranke D. Geſch. V. 15 


226 Heuntes Buch. Sechstes Capitel. 


Dazu aber, dem König den Schuß über die geiftlichen 
Fürftenthiimer anzuvertrauen, ließ Moritz ſich nicht bewegen. 

Sn dem Entwurfe des Vertrages hieß e8: daß bie 
Fürften Diejenigen, welche fich ihnen widerfegen oder auch) 
nur nicht anfchließen würden, für diefe Treuloſigkeit gegen 
das gemeine Vaterland mit Feuer und Schwert zu verfol- 
gen gefonnen feyen. Eben gegen diefen Artikel waren Die 
Einwendungen der Franzofen und ihre Schußvorfchläge ge 
richtet. Da der Gefandte ſah, daß er damit fo im Ganzen 
nicht durchdringen werde, fo wollte er wenigſtens Diejent- 
gen, die fich nur nicht anfchließen würden, vor jener Gefahr 
fichern. Uber die Fürften gaben weder das eine noch das 
andre nach. Sie wollten fich bei ihrer Unternehmung nicht 
fchon von Anfang Hinderniffe fchaffen, ihre Widerfacher nicht 
mit ihren Verbündeten in Verhältniß fegen. Der Gefandte 
mußte davon abftehn. 

Seinerfeits erkannte der König die Erwerbungen an, 
welche Moritz im leten Kriege gemacht, und verſprach — 
nach einigem Hin und Herhandeln über die Summe — auf 
die Dauer des Krieges monatlich 60000 Ecus, für die drei 
Monate aber, die bis zu dem Beginn deffelben verlaufen 
ſeyn würden, 240000 zu zahlen, die denn zur Vorbereitung 
des Unternehmens unentbehrlich waren. 

Markgraf Albrecht von Brandenburg: Culmbach fand 
e8 nicht rathſam, im diefen Bund als eigentliches Mitglied 
deffelben einzutreten: ein freies, durch eigenthümliche Ver— 
träge nach beiden Seiten gefichertes Verhältniß fchien ihm 
beffer. Aber wie er wohl der Erſte gewefen, der den Ge 
danken einer Vereinigung wie diefe überhaupt gefaßt hafte, 


——— RB DR 


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Unterhbandlung mit Frankreich. 227 


fo ließ er fich auch Feine Mühe verdrießen fie vollkommen 
zu Stande zu bringen. Gegen Ende 1551, Anfang 1552 
finden wir ihn in Perſon am frangöfifchen Hofe, wo ihn 
Schärtlin einführte. Er trug den Namen Paul von Bi- 
berach und gab fich für einen der Hauptleute dieſes Kriegs: 
oberften aus. Schon genug daß ihn der König als den 
fehr hohen und mächtigen Fürften, feinen theuren Vetter 
Albrecht von Brandenburg erfannte. Nachdem alle Schwie- 
rigfeiten vollends befeitigt, befonders die Geldfachen abge: 
mache waren, unterzeichnete und beſchwur der König den 
Bund am Löten Januar auf dem Jagdſchloß Chambord 
in Gegenwart des Markgrafen. Der Markgraf beſchwur 
ihn im Namen der deutfchen Fürſten.! 

Sp gefchah nun doch, was zu verhüten Earl V feit 
feiner Wahl fo viel Angftliche Sorge getragen: deutfche Für- 
fen vereinigten fich mit dem König von Frankreich, und 
zwar in der entfchiedenften Feindfeligkeit gegen ihn, zu einem 
großen Krieg, zum offenen Angriff. 

Ohne Zögern rüfteten beide Theile, um fo bald wie 
möglich aufzufommen. | 

Moriß hatte den unfchäßbaren Vortheil, daß er die 
Waffen vor Magdeburg in der Hand hielt. 

Auch nach jenem erften Ziwiegefpräch mit Markgraf 
Johann fette er die Belagerung fort: noch immer gab es 
Scharmüßel, noch mehr als einmal floß Blut. Der Mark 
graf ermahnte den ‚Churfürften wohl, den Schein nicht zu 
weit zu treiben, aber auch er war dagegen, demfelben fofort 


1. Urkunde bei Du Mont IV, ım, 33. Schärtlin, der fonft hier 
gut unterrichtet ift, giebt den 2fen Februar an. 


15 * 


228 Neuntes Buch. Sechstes Capitel. 


ein Ende zu machen und die Aufhebung der Belagerung 
allzu fehr zu befchleunigen. ! 

Erft nachdem fichere Borfchaft aus Frankreich gefom- 
men, Ende Auguft, ward eine ernftliche Unterhandlung mit 
Magdeburg begonnen. 

Moritz hielt an den früheren Vorſchlägen feft, welche 
im Weſentlichen diefelben find, die den oberländifchen Städ— 
ten gemacht worden, allein er ließ fich zu Erläuterungen 
herbei, die wohl das Außerordentlichfte feyn mögen, mas 
unter diefem Titel jemals vorgekommen ift. 

Der Kaifer hatte gefordert, die Stadt folle fich auf 
Gnade und Ungnade ergeben: Moris erläuterte dieß dahin: 
wenn fie die Eapitulation annehme, folle alle Ungnade fal- 
len, auch Fein Prädicant davon betroffen werden. Der Kat 
fer hatte ferner Vollziehung der letzten Neichgabfchiede und 
alles deffen was er zum Frieden des Neiches anordnen 
werde, zur Bedingung gemacht: Mori erklärte, daß fich 
dieß nur auf weltliche Angelegenheiten beziehen folle. ? 

Heide und Arnold waren oft in der Stadt: Moris 
verpflichtete fich) mündlich, alles heilig zu halten was Heideck 
inggeheim verabreden werde. ? Wir Fönnen nicht fagen, wie 
weit deffen Eröffnungen giengen: fo viel aber fahen die 
Magdeburger wohl, daß fie fich ohne Gefahr für ihre Ne 


1. Schreiben vom Aten uni: „aus allerhand Bedenfen die fich 
nicht wollen ſchreiben Iaffen. 

2. Capitulation bei Merkel Hortleder II, ıv, xıx, nr 231. 
Es ift aber zu merfen, daß Mori diefe Gapitulation dem Kaifer 
niemals vorgelegt hat. In einem Schreiben vom 22 März 1552 
flagt Earl V darüber Feine Auskunft geben zu Fönnen, „pour ne nous 
avoir led. duc Mauris jusqu’ä ores envoy& la capitulation.‘“ 

3. Rathmann III, 591. 








Magdeburger Kapitulation. 229 


ligion auch derjenigen Bedingung fügen Fonnten die ihnen 
früher die mwiderwärtigfte gewefen war: der Aufnahme einer 
fächfifchen Beſatzung. 

Nachdem dergeftalt die Eapitulation angenommen wor— 
den, ritt der Churfürſt am Iten Nov., begleitet von dem kai— 
ferlichen Commiſſarius Schwendi und einer ftattlichen Schaar 
von Fürften, Deren und Näthen, in Magdeburg ein. Bei 
dem Denfmal Ottos des Großen Famen ihm die drei Näthe, 
die Ordnungsmeifter, hundert Mannen der Stadt, ſammt 
ganzer Gemeine, enfgegen um ihm die Huldigung zu leiften. 
Der fächfiiche Canzler eröffnete den Act mit einer Auffor: 
derung hiezu, „nachdem, fagte er, „die Stadt fich nun— 
mehr ergeben.” Der Bürgermeifter Levin von Emden fiel 
ihm ing Wort: „vertragen und nicht ergeben. Der Chur: 
fürft fagte: „es ift vertragen: fo foll e8 auch bleiben. 
Hierauf leiftete ihm die Bürgerfchaft den un bei Gott und 
feinem heiligen Worte. 

Man wird Morig nicht zufrauen, daß er für die Er: 
weiterung feiner Macht, die hierin lag, gleichgültig geweſen 
fey; er ward nun, was er fo dringend gewünſcht, als Burg: 
graf von Magdeburg anerkannt; in fofern mwenigftens, als 
dieß zu erreichen war, hatte er die Belagerung gewiß ernft- 
lic) gemeint. Aber die Hauptfache war doch immer, daf 
er eine fo anfehnliche Truppenfchaar fo lange an der Hand 
behalten hatte. Auch jest löſte fie fich noch nicht auf, 
da fie noch nicht ihre vollftändige Bezahlung empfangen. 
Der Reichszahlmeifter Wolf Haller gab fich alle mögliche 
Mühe, Anleihen auf den demnächſt einzubringenden Reichs— 
vorrath — denn der eingebrachte war bereits erfchöpft — 


230 Neuntes Buch. Sechstes Capitel. 


bei Ständen und Städten abzufchließen; allein er fand nicht 
viel Gehör, und es gieng fehr langfam. Indeſſen behielt 
Mori Zeit, die Hauptleute für fich befprechen zu laſſen, 
wozu er fich des nunmehr wieder befreiten Georg von Meck- 
Ienburg bediente, der den Namen dazu bergab, und alles 
sum Feldzug vorzubereiten. 

Sm Laufe des Februar ward den ‚fächfifchen Landftän- 
den zu Torgau, den heffiichen zu Eaffel das Kriegsvorhaben 
der beiden Fürften zu dem Zweck den gefangenen Landgra- 
fen zu befreien unummunden eröffnet. Die füchfifchen mahn- 
ten ihren Herren geradezu ab, wie man denken kann ohne - 
Erfolg. Die heffifchen waren nicht inggefamme erfchienen: 
die anweſenden jedoch verfprachen ihren Beiftand: die Städte 
eine nicht unbedeutende Steuer, die Edelleute, ihr Blut für 
den Fürften zu wagen. ! 

Sindeffen erklärte auch Heinrich II in voller Sitzung 
feines Parlaments, daß er fich an Denjenigen zu rächen ge: 
denfe, der durch Ihaten, feinem Worte entgegen, gezeigt habe, 
daß er fein, des Königs, Todfeind fey, — und traf Anord: 
nung für die Negierung in feiner Abwefenheit. ? 

Merkwirdigermeife ward fein Unternehmen ihm, wenn 
nicht allein, doch vornehmlich durch die Beiftener möglich, 
zu der fich damals fein Clerus entfchloß, um eine von Franz I 
eingeführte Befchränkung feiner ZJurisdiction wieder los zu 
werden. 


1. Rommel 1, 547. 

2. Discours du roi fait au parlement bei Ribier II, 376, doc 
ift das Datum 12 San. wohl ohne Zweifel falfh: bei Belleforeft 
heißt es: Des le mois de Mars — le roy — alla prendre conge 
de sa eours de parlement — — 


Kriegszug gegen Kart V. 231 


Schon langten die Landsfnechte aus Deutfchland an, 
welche Schärtlin, Reckerode und der Nheingraf geworben, 
drei große Negimenter; aus Italien die alten Fahnen, die 
bisher den Krieg in Piemont mit vielem Ruhme geführt; 
zugleich erfüllte fich ganz Frankreich mit eignen Nüftungen. 

Der urfpringliche Plan der deurfchen Fürften war, auf 
den Kaifer, wo er fich auch aufhalten möge, unverweilt los— 
sugehn und durch irgend einen großen Schlag ihm feine Ne: 
pufation in Deutfchland zu entreißen. Was die Franzofen 
dabei thun, ob fie in Stalien mit einem großen Heere vor: 
rücken oder lieber dieffeit der Berge nur hauptfächlich die 
niederländifchen Kräfte des Kaifers befchäftigen follten, lie: 
fen die Deutfchen unentfchieden. Der König wählte, mit 
feiner ganzen Macht von der Champagne ber gegen den 
Oberrhein vorzudringen: wie er fagfe, damit nicht etwa der 
Kaifer die zu fchwachen Kräfte der Fürften erdrücke, ohne 
Zweifel auch darum, um die Landfchaften und Städte in 
Beſitz zu nehmen, welche er zu erwerben gedachte. Gern 
ließen fich dieß die deutfchen Fürften gefallen. Um fo cher 
Fonnten fie hoffen, was fie vor allem im Sinne haften, dem 
Kaifer felber mit überlegner Macht beisufommen. Bon ihnen 
rührte der Gedanke her, ohne langen Verzug, fchon im März, 
im Felde zu erfcheinen. 

Anfang diefes Monats fammelten ſich die heffiichen 
Völker bei Kirchhain. Sie begannen ihr Unternehmen da: 
mit, daß fie eine neue Zollftätte niederriffen und dag main: 
ziſche Ambneburg zur Auslieferung des daſelbſt befindlichen 
ſchweren Geſchützes nöthigten. Mitte März finden wir den 
Landgrafen Wilhelm ſchon mit einem anfehnlichen Haufen, 


— 


232 Neuntes Buch. Sechstes Kapitel. 


nicht ohne den franzöfifchen Gefandten, vor Frankfurt, in 
der Hofnung diefe mächtige Neichsftadt gleichfam durch eine 
Überrafcehung ihrer proteffantifchen Sympathien mit ſich fort- 
zureißen: da es vergeblich war, nahm er feinen Weg die 
große Straße nad) Fulda hin, und überftieg den Rhön, um 
fih hier mit dem Churfürſten zu verbinden. 

Auch deffen Truppen hatten indeß einen Verſuch auf 
Erfurt gemacht, der aber ebenfalls mißlang; ! den Nachwin— 
ter hatten fie in Mühlhauſen und Nordhaufen gehalten, je: 
doch mit nichten, wie Spangenberg fich ausdrückt, zu From— 
men und Freuden der Bürger: immer voch neue Lande: 
Fnechtfchaaren waren ihnen zugelaufen; jetzt endlich that fich 
ihnen der wahre Kriegsherr öffentlich Fund: Churfürft Mo— 
ritz erfchien bei ihnen in den Erfurter Gerichten, und führte 
fie über den Thüringerwald nad) Franken. 

Hier hatte Marfgraf Albrecht einen dritten Haufen ver: 
fammelt. 

Die drei Haufen vereinigten fich bei Nothenburg an 
der Tauber, und fchlugen nun, ohne einen Augenblick zu ver 
siehen, die Straße nach Augsburg ein. 

Eben in der Eroberung diefer Stadt, wo der Kaifer 
fo oft Neichstag gehalten, überhaupt feine Macht am ſtärk— 
ften entwickelt hatte, die in mancher Beziehung als der Mit 
telpunct des Reiches erfchien, fahen die Fürften den großen 
Schlag welcher die Neputation des Kaiferg vernichten follte. 


1. Xrnold Vita Mauritii, 1234. Militum proterviam Mauri- 
tius molestam sibi esse fingebat — sed si oppido poltiti fuissent 
milites, dubio procul neque Caesari neque cuiquam alteri illud 
restituisset. ‘ 


— — — — — — nn — — — — — — _  _ — — — — 


Kriegszug gegen Cart V. 233 


Man hat behaupter, es feyen ihnen bier fchon aus der 
Ferne VBerftändniffe angefmüpft geweſen. Uber bei weiten 
mehr Fam ihnen zu Statten, daß man in Augsburg am 
meiften den weltlichen und geiftlichen Druck des fpanifchen 
Negimentd empfunden und fich mit einer nationalen Antipa- 
thie gegen den Kaifer erfüllt hatte. Der Bifchof von Ar- 
vas follte erfahren, daß die Prediger doc) nicht fo leicht 
vergeffen waren. Bei der Aufregung welche die Nähe der 
Verbündeten und ihre Aufforderung, die ganz im Sinne der 
Einwohner war, verurfachten, Fonnte der Nath nicht verwwei- 
gern die Gemeinde zu berufen; dieſe erflärte: fie wolle we 
der Krieg noch Belagerung. Am Aten April verließ die big: 
herige Beſatzung mit ihren rothen Feldgeichen Augsburg; 
sivei Stunden darauf rückten durch daffelbe Thor die ver- 
bündeten Truppen mit ihren weißen Kreuzen ein. Churfürft 
Morig nahm Wohnung bei dem alten Bürgermeifter Herbrot, 
den der Kaifer als feinen vornehmften Feind betrachtete. ! 
Und indem maren nun auch die Sranzofen im Felde 
erfchienen. Der erfte Gebrauch den fie von ihrem Über: 
gewicht in den Waffen dieß Mal machten, beftand darin, 
daß fie die Herzogin Chriftine von Lothringen, eine Nichte 
des Kaifers, welche an der Verwaltung des Landes großen 
Antheil hatte, mit Beiftimmung der Stände davon entfernten, 
fie nöthigten ihnen ihren jungen Sohn aussuliefern und eine 
Regierung nach ihrem eignen Gutdünken einvichteten. Indeſ— 
fen hatte fich der Connefable Montmorency gegen Meß ge: 
wendet. Wir haben fchon oben bemerkt, daß die Partei 
welche dort die Negungen des Proteftantismus unterdrückt 
1. Gaffarus bei Mencken I, 1867. 


234 Neuntes Bud. Sechstes Capitel. 


hatte, zugleich franzöfifch gefinnt war. Wäre in Mes die 
evangelifche Meinung durchgedrungen, fo würde «8 fich viel- 
leicht den Franzoſen eben fo gut miderfegt haben, wie Straß- 
burg dieß that. Aber jest hatten Diefe mehrere Mitglieder 
im Rath und die hohe GeiftlichFeit auf ihrer Seite: durd) 
den Bifchof der Stadt, Cardinal Lenoncourt, geſchah Daß 
der Connetable aufgenommen ward und die Stadt in fran- 
söfifche Hände übergieng. 

In dem Bezeigen Heinrichs II erfcheinen die fchroffften 
Hiderfprüche. Er Fannte fehr wohl das religiöfe Motiv 
der proteftantifchen Fürften: aber er war nicht ausgezogen, 
ohne erft von den Märtyrern Ruſticus und Eleutherius, und 
St. Dionyfius, dem eigenften Heiligen des allerchriftlichften 
Fatholifchen Königthums, Abfchied genommen zu haben. Er 
nahm die Grenzlande der deutfchen Nation in Beſitz und 
nöthigte ihnen feinen Willen auf, wie er denn die Verfaſ— 
fung der Stadt Mes auf der Stelle wefentlich veränderte: 
und in demfelben Augenblick proclamirte er fich als den Ber: 
fechter der deutſchen Freiheit. 

Indem diefe Bewegungen fich erheben, fuchen unfre Au- 
gen unwillführlich den Kaifer, gegen den fie gerichtet find. 

Er war noch in Insbruck, mit feinen conciliaren und 
dynaſtiſchen Entwürfen auf eine Weife beichäftige daß er 
fir nichts andres Sinn zu haben fchien. Eben in diefer 
Zeit meinte er dem Concil zu Trient die Nichfung zu ge 
ben, welche er demfelben von jeher zu geben beabfichtigt 
hatte; er hoffte außer den drei Churfürften am Concil auch 
die drei andern in Kurzem in feiner Nähe anlangen zu fe 
hen, um die Succeffionsfache mit ihnen zu Ende zu bringen: 








Kriegszug gegen Carl V. 235 


So eben war ein neuer Verſuch auf König Martnilian 
gemacht worden. Indem er dieſe idealen Abfichten verfolgte 
und nur fo viel als unbedingt nothwendig war, dafür that 
um den Feindfeligkeiten der Franzofen, die er in den Nie 
derlanden und in Stalien erwartete, dafelbft zu begegnen, 
bemerkte er nicht, was in Deutfchland gegen ihn vorberei- 
tet ward. E8 fehlte ihm nicht an Warnungen. Sogar der 
frangöfifche Gefandte hat dem Hof einmal von einer Con: 
ſpiration gefagt, von der er höre, wahrfcheinlich nur, um 
denfelben auf eine falfche Spur zu leiten, die dann Arras 
verfolgfe, natürlich ohne etwas zu entdecken. Dielen An- 
dern war die Verbindung der Franzofen mit Morig längft 
fein Geheimniß mehr. In der Nelation eines veneziani- 
ſchen Gefandten ift derfelben fehon im Sjahr 1550, unmit: 
telbar nachdem fie begonnen hatte, und, wie wir aus den 
Depefchen Marillacs fehen, auch ganz richtig gedacht wor: 
den. Gegen Ausgang 1551 war eg ein ganz allgemeines 
Gerücht, dag die Fleinften Höfe oder Provinzialregierungen 
Eennen. Auf den Kaifer machte e8 Feinen Eindruck: er ant: 
wortete, man müſſe fich nicht von jedem Winde bewegen 
laffen. Gab ihm doch Schwendi fortwährend über die Stim- 
mung und die Abfichten des EChurfürften ganz günftigen Be 
richt: einer von deffen vornehmften Näthen, Franz Kram, 
erfchien in Insbruck und meldete, fein Herr werde unver 
züglich nachkommen. ' Und hatte derfelbe nicht feine Pro: 


1. Schreiben Granvellas an die Königin 30 Dec. L’agent du 
due Mauris a dit, quil ne pouvoit penser que son maitre se vou- 
lut tant oublier que de faire contre son devoir, comme aucuns 
semoient par la Germanie, et que non seulement s’il le faisoit 


236 Meuntes Bud. Sechstes Capitel. 


curatoren nach Trient, feine Theologen auf den Weg dahin 
geſchickt? In Nofenheim am Sun hielten fich zwei fäch- 
fiiche Räthe auf in der feften Meinung, ihren Herrn, der 
auch wirklich eine Strecfe in entfprechender Nichtung vor- 
wärts reifte, zu erwarten. Der Kaifer hielt fir gewiß, der 
Ehurfürft werde Fommen: hätte er etwas anderes im Sinn, 
das wäre von einem deutfchen Fürften nie erhört. Nod) 
am 28ſten Februar fehrieb er dem Churfürften von Bran— 
denburg, er verfehe fich zu Moriß alles Gehorſams, gufen 
und geneigten Willens. Aber einen größeren Meifter in der 
Verſtellung hat e8 wohl Faum je gegeben als Morig war. 
Keiner von feinen alten Näthen, Carlowis fo wenig tie die 
andern, hatten Kunde von feinen Entwürfen. ! Noch von 
Schweinfurt aus, am 27ften März, hat er die Bitte um 
die Loslaffung des Landgrafen erneuert, unter dem Vorge— 
ben, daß er fich fonft in dag Gefängniß der Kinder deffel 
ben einftellen müffe. Und doch vereinigte er in dieſem Aus 
genblicfe fchon fein Heer mit dem Kriegshaufen eben diefer 
jungen Landgrafen, durch alle denkbaren Verträge gebunden, 
dem SKaifer felber zu Leibe zu gehn. 

Der Kaifer glaubte wohl, als die Sache ernfter ward, 
es ſey auf nichts anders abgefehen als eben auf die Be 
freiung des Landgrafen. Er ließ fich ganz trotzig verneh- 
men, er werde den Leib deffelben im zwei Theile zerlegen 


il abandonneroit son service, mais que Ja pluspart de sa noblesse 
feroit le meme. 

1. Ob es wohl Grund hat, was der florentinifche Geſandte be: 
richtet: Il duca Mauritio serive di suo pugno, che procura di ri- 
tirar il Marchese dall’impresa, con persuaderlo a posar larmi, 
promettendo di voler esser al certo alli 12 a Linz. Wenigftens 
fiehbt man, was man am Hofe glaubte. 


En 








— — — — — — — 


Kriegszug gegen Cart V. 237 


und jeden davon einer der Parteien, die ihn zwingen woll— 
ten, entgegenfchicfen. ! 

Allein die Augfchreiben der verbündeten Fürften, die in 
Einem Moment durch Deutfchland flogen, belehrten ihn bald 
eines Andern. Nicht allein von diefer Befreiung war darin 
die Nede, fondern eine ganze Neihe Beſchwerden geiftlicher 
und sweltliher Natur ward darin nahmhaft gemacht: der 
Überdrang der mit dem Concilium gefchehe, die Art und 
Weife wie man auf den Neichstagen eine Fünftliche Mehr— 
heit hervorbringe, welche alles zugebe, unter andern eine 
Schatzung nach der andern, bald unter diefem bald unter 
jenem Vorwand, die Antwefenheit fremder Truppen im Reiche, 
während den Dentfchen felbft verboten werde auswärtige 
Kriegsdienfte zu nehmen, der Hohn, mit welchem nach dem 
Kriege Gehorfame und Ungehorfame behandelt worden, die 
Entfremdung des Neichgfiegels, die eigenmächtige Anderung 
ftädeifcher Näthe. Würden fie, die Zeitgenoffen, dag dul- 
den, fo wirden fie dafür von den Nachkommen als Ver— 
väther der mit fo viel Blut erworbenen Freiheit unfer die 
Erde verflucht werden. Albrecht von Brandenburg prote— 
ftirte, nicht der Perſon des Kaifers gelte fein Unternehmen, 
fondern er fechte nur gegen das, was dem heiligen Neich 
zumider geſchehe.“ Was ihr Sinn war, drückt Morig in 


1. Straß an Joachim II Dfterabend 1552. 

2. Des durchl. - - Hern Albrechten - - gemein Ausfchreiben und 
Urfachen, bei Hortl. II, V, v; hierüber am ausführlihiten. Er ae 
denft auch des mit Faiferlihem Privilegium erfchienenen Buches von 
Avila, worin die deutfche edelfte und fürnehmbfte Nation der ganzen 
Chriſtenheit abconterfeyt werde, als ob fie irgend eine barbarifche un: 
befannte Nation fey. 


238 Neuntes Buch. Sechstes Kapitel. 


einem feiner Briefe bündig und unummwunden aus: fie wol: 


[en den Pfaffen und den Spaniern nicht unter dem Fuße 


liegen. | 

Da leuchtete num wohl ein, daß e8 auf eine Abänderung 
des ganzen Faiferlichen Negimenteg, wie e8 in und nach dem 
fchmalfaldifchen Kriege eingerichtet worden, abgefehen fey. 
Noch einmal erhob fich die ungebändigte Freiheit des al 
ten Germaniens gegen die Ordnung und Gewalt welche 
der Sieger gegründet und zu gründen im Begriff war. Und 
zwar fanden eben Diejenigen an der Spiße, die früher von 
ihren Glaubensgenoffen abgefallen, die Niederlage derfelben 
befördert, Die Partei des Kaiferd gehalten hatten, die mäch- 
tigften and Frieggeübteften. Die Antipathien der Neligion, 
die durch alle die bisherigen offenen oder indirecten Angriffe 
und durch die Bedrohungen des Conciliums angeregt wor: 
den, gaben ihrem Unternehmen eine breite nationale Grund: 
lage und Famen ihnen auf das mächtigfie zu Hülfe. 

Und wenn nun der Kaifer gegen dieſe Erhebung des 
proteftantifchen Elementes Hülfe von den Katholifchen er 
wartete, fo fah er ſich auch darin getäuſcht. 

Er wendete fich zunächft an die geiftlichen Churfürften, 
die unter diefen Umftänden Trient zu verlaffen eilten. Der 
Churfürft von Trier antwortete, er werde fich immer alg 
ein gehorfamer Neichsfinft bewähren, um aber zu wiffen 
was er in diefem Fall thun folle, müffe er erſt mit feinen 
Räthen fprechen; fo erklärte fich auch Cölln; Mainz machte 
fogar auf Hülfteiftung Anfpruch. 

Und nicht bereitwilliger ließen fich die älteften Verbün— 
deten und nahen Verwandten vernehmen. Herzog Albrecht 


— 











Kriegszug gegen Carl V. 239 


verſicherte ſeine Ergebenheit auch aus dieſem Grunde außer 
der allgemeinen Pflicht, allein er gab zu bedenken, welcher 
Gefahr er ſich ausſetze, wenn er ſich jetzt ohne Verzug auf 
die Seite des Kaiſers ſchlage. 

Schon früher hatte man ſich am kaiſerlichen Hofe be— 
klagt, daß Ferdinand den Verſuch, zur Abdankung des von 
Magdeburg abgezogenen Heeres eine Anleihe aufzubringen, 
nicht mit ſeinem Credit unterſtützen wollte. Faſt feierlich 
forderte ihn jetzt der Kaiſer auf, ihm zu ſagen, was er als 
ſein Bruder und als römiſcher König aus den Mitteln ſei— 
ner Länder in dieſer gemeinſchaftlichen Gefahr bei ihm zu 
leiſten gedenke. Der König antwortete, er brauche alle ſeine 
Kräfte wider die Osmanen in Ungarn. Statt der Unter— 
ſtützung kam dem Kaiſer vielmehr von dieſer Seite eine For— 
derung zu. Seine Tochter Maria, Gemahlin Maximilians, 
erſuchte ihn in dieſem Augenblick um 300000 Duc. ihrer 
Ausſteuer, wofür ſie ſich eine gut rentirende Beſitzung in 
Ungarn kaufen wolle. Der Kaiſer war ſehr geneigt, dieſe 
Bitte den Einflüſterungen ihres ihm im Herzen feindlichen 
Gemahls zuzuſchreiben. Er meinte faſt, es ſey eine allge— 
meine Verſchwörung gegen ihn im Werke. Die Wechsler: 
häufer in Augsburg, an die er fich wendete, verweigerten 
ihm ihre Unterffüßung, fo günftig auch die Bedingungen wa— 
ren die er ihnen vorfchlug. ! 

Wie war dem alten Sieger und Herrfcher da zu Muthe, 
als fich in demfelben Augenblicke alle Feinde erhoben und 
alle Mittel verfagten. n 


1. Comme si lesdits marchands avoient entre eux quelque 
intelligence secrete, pour non nous servir. (Lettre à Ferdinand ) 


240 Neuntes Buch. Sechstes Capitel. 


Einft hatte es in feiner Wahl geftanden, an der Spiße 
der deutfchen Nation, mit Begünftigung des reformatorifchen 
Elementes, laut der Neichsichlüffe von 1544, feine Macht 
gegen die auswärtigen Feinde zu richten, wie die Franzo- 
fen, welche befonders durch deutfche Unterftügung früher in 
Stalien befiege und damals in ihrer Heimath zum Frieden 
genöthigt worden: fo hauptfächlich gegen die Osmanen, was 
in jener Zeit das größte Intereſſe hatte und der allgemeine 
Wunfch war. Dann hätte er dag Kaiferthum in dem Sinne, 
wie es ihm bei feinen Zügen nach Africa vorfchwebte, ent 
wickeln können. Freilich hätte er z. B. Philipp von Heſſen 
nicht als Feind, fondern als Mitftreiter behandeln, die Ein- 
heit der abendländifchen Ehriftenheit nicht in die Gleichfor- 
migfeit de8 Bekenntniffes fegen müffen: dafiir wäre e8 ihm 
aber, fo lange die Türken fich noch nicht in Ungarn befeftigt 
hatten, vielleicht möglich geweſen zugleich dieſes Land zu be- 
freien und den Trieb der Eultur und Ausbreitung der in den 
Deutfchen lebte, nad) der mittlern Donau, dem füdoftlichen 
Europa hinzuleiten. Aber er fchlug einen entgegengefetten 
Weg ein. Er traf eine Abkunft mit den Osmanen, die ihnen 
Zeit Tieß fich in den eingenommenen Landfchaften zu befefti- 
gen, mit dem MWerfe der Barbarifirung fortsufchreiten, und 
nahm fich vor, in den Streitigkeiten des Glaubens und des 
Ritus, welche die Jahrhunderte nicht haben befeitigen kön— 
nen, beiden Parteien Maaß zu geben, er, von feinem po: 
litiſchen Standpunet aus. Nun Eonnte aber die natür— 
liche FSeindfeligfeit gegen die Osmanen doch nicht auf die 
Länge befeitigt werden: im Jahr 1551 brad) fie wieder in 
volle Flammen aus. Überhaupt wurde die Faiferliche Politik 


Kriegszug gegen Cart V. 241 


nach dem Tode des ältern Granvella nicht geſchickt genug 


nach den friedlichen Geſichtspuncten hin geleitet. In dem— 
ſelben Augenblicke erhob ſich die wetteifernde Macht von 
Frankreich, die man unbekümmert ihrer andern Gegner hatte 
Herr werden laſſen, zu den alten Beſtrebungen. Und indeß 
war doch das Ziel der innern Politik mit nichten erreicht, 
weder die Kirchenverſammlung in die erwünſchte Bahn ge— 
leitet, noch die Succeſſion befeſtigt worden: vielmehr erwachte 
in Folge dieſer Verſuche ein allgemeiner Widerwille in bei- 
den religiöfen Parteien, über Stalin und Deutfchland hin, 
und firömte nun in plößlichem Ausbruch mit den Außern 
Seindjeligkeiten zufammen. In Ungarn verjagte der Paſcha 
von Ofen die Haiducken und Spanier Ferdinands aus Sze— 
gedin, noch che fie fich dafelbft befeftigt, und bezeichnete den 
Anfang des April mit der Eroberung von Veſprim. Zugleic) 
näherten fich noch zwei andre Heere unter dem Deglerbeg von 
Rumili und dem zweiten Weſir der Pforte den ungarifchen 
Grenzen. In Wahrheit, Ferdinand hatte ganz Necht, wenn 
er darin eine Gefahr erkannte die alle feine Kräfte in An— 
fpruch nehme. Auch zur See regfen fich die Feinde: in den 
Gewäſſern von Malta erfchien Sala Nais in denfelben Ta: 
gen, in welchen der König von Frankreich durch Lothringen 
nach dem Elfaß und dem Oberrhein zog und die proteſtan— 
tiſchen Fürften Augsburg bedrohten. 

Der Kaifer felbft, ohne Truppen, noch Geld, entfernt 
‚von den eigenen Landfchaften, aus denen er beides häfte zie- 
hen können, ſah fich überrafcht in dem wenig verwahrten 
Insbruck, und fo gut wie hilflos. 

Er dachte fich anfangs zu feinem Bruder zurückzuziehen: 

Ranke D. Geſch. V. 16 


242 Neuntes Buch. Sechstes Kapitel. 


der konnte e8 aber, in der verlegenen und ſchwierigen Lage 
in der er fich perfünlich befand, felber nicht wünfchen, und 
widerrieth e8 ihm. 

Ein anderer Ausweg wäre gewefen, fich nach Ita— 
lien zu wenden und bier fich aufs neue zu rüften. Allein 
auch da war der Krieg nicht eben glücklich gegangen, überall 
war dag Landvolk durch die Truppenzüge in Aufregung ge 
ſetzt. Es fehien dem Kaifer nicht rathſam, fich mit feiner 
geringen Umgebung auf die dortigen Landftragen zu wagen. 
Auch meinte er, wenn er einmal in Stalien fey, eine Neife 
nach Spanien nicht gut ablehnen zu können; mie leicht, daß 
ihm dann bei der Überfahrt ein Unfall von den Franzofen 
oder gar den Osmanen begegne: die größte Schmacd) in ſei— 
nen alten Tagen. Eher hielt ex e8 für möglich den Ober 
vhein zu erreichen und nach den Niederlanden durchzukom— 
men. Dazu hat er fich wirklich in diefen Tagen entjchloffen 
und den Verſuch gewagt. In tiefftem Geheimniß, mit Zu: 
rücklaffung eines Briefes an Ferdinand, der aber erft abgege- 
ben werden follte, wenn die Sache gelungen fen, brach der 
RKaifer am Gten April nach Mitternacht von Insbruck auf, 
begleitet von feinen beiden Kammerheren, Andelot und No: 
fenberg, einem eigenen und zwei Diener Nofenbergs. Sie 
bofften die große Straße durch die Claufe nach Ulm noch 
frei zu finden. Durch Gebirg und Wald reitend Eamen fie 
em Tten Mittag nach Naſſereith und nach Eurzer Naft in 
die Nähe der Claufe. Hier aber erfuhren fie, daß Morig 
bereitd auf dem Wege fey, um an demſelben fiebenten Füßen 
zu befeßen. Sie wären ihm in die Hände gegangen, wären 
fie fortgeritten, und eilten, nach Insbruck umzufehren. ! 

1. Eigener Bericht des Kaifers an feine Schwefter 30 Mai 


uni — 











Kriegszug gegen Cart V. 243 


E8 war für den Kaifer Feine Rettung als daß er zuerft 
nur diefes nächften und geführlichften Feindes durch irgend 
eine Abfunft, einen Stillftand fich zu entledigen fuchte. 

Und fo durfte es noch als ein Glück erfcheinen daß fein 
Bruder immer mit Morig in freundlicher Verbindung gewe— 
fen war, und in dem Moment feines Auszugs aus Sachfen 
eine Zufammenfunft mit ihm in Linz verabredet hatte." Diefe 
fand am 1Sten April wirklich Statt und führte nach einiger 
Unterhandlung — wir werden gleich davon mehr zu fagen 
haben — zu einem wenn auch nur vorläufigen Stillftand, 
der hauptfächlich dazu dienen follte um eine zahlreichere Ver: 
fammlung „zur Abftelung der Irrungen und Gebrechen deut: 
fcher Nation” in Paſſau möglich zu machen. 

Allein nicht zu fehr durfte fich der Kaifer auf diefen 
Stillftand verlaffen. 

Moris hatte den Anfang deffelben wegen der Entfer: 
nung feiner Bundesgenoffen und mit Vorbehalt ihrer Ein- 
willigung auf den Ilten Mai feftgefegt. Sie genehmigten 
ihn aber erft vom 26ften Mai an. 

Nun hatte der Kaifer im Laufe des April doch am 
Ende einiges Geld zufammengebracht, und begann fich zu 
vüften. In weiterer Ferne, bei Frankfurt, fo wie in der 
Nähe, bei Ulm, fammelten fic) Truppen auf feinen Namen, 


1552, obne den wir von diefer Thatfache nicht3 wiffen würden, bei 
Bucholtz IX, 544. 

1. Sommaire de la lettre du bourggrave de Meissen (Heinrich 
Reuß von Plauen) au roy des Romains du 16” de Mars de Leip- 
zik: -- quil a fait toate instance vers le duc, pour obtenir la 
surseance des armes, mais que sans le sceu des autres luy n'a rien 
voulu attendre. Man wählte Linz, „pour garder la reputation à 8, 
M& et que icelle puisse etre de retour a Vienne.“ (Brüff. U.) 


16 * 


244 Neuntes Bud. Sechstes Capitel. 


fein vornehmfter Mufterplaß aber war Neitti, unfern der 
Ehrenberger Elaufe, die er ebenfalls befegen ließ. Die Ver: 
biindeten meinten ihn genug zu Fennen, um annehmen zu 
dürfen, daß er ihnen nichts bewilligen werde, fobald er wie 
der über ein Kriegsheer gebiete. Moris trug Fein Beden- 
Een die zwifchen der Bewilligung feiner Freunde und der fei- 
nen inne liegende Zeit zu benugen, um die verfammelten Trup- 
pen zu zerfivenen und dem Kaifer noch näher zu rücken. 
Am 1Sten Mai griffen die verbündeten Fürften dag 
Lager von Neitti an und fprengten e8 auf der Stelle aus 
einander. Befonders in dem freudigen Georg von Meklen: 
burg erwachte hierüber eine Schlachtbegier und Siegeszuver⸗ 
ficht die alles mit fich fortriß. Da fich ein Theil der Trup- 
pen mac) der Claufe zurüchzog, fo ließen fie fich durch ihr 
gutes Verhältnig zu König Ferdinand nicht abhalten unmit— 
telbar auf diefen Platz loszugehn. Noch in der Nacht nah: 
men fie eine Höhe ein welche die Befeftigungen beherrfchte. 
Bon bier aus den andern Morgen vordringend fanden fie 
weder in den Schangen an der Elaufe, noch in dem verboll- 
werften Waffe, noch in dem Schloffe felbft nachdrüdlichen 
Widerftand: ! neun Fähnlein fielen in ihre Hand. Und wie 
nun wenn fie in dem hiedurch eröffneten Lande vordrangen 
und den Kaifer in Insbruck überfielen? Es ift ein Irrthum 
anzunehmen, fie hätten das nicht gewollt. Am 20ften Mai 
iſt zwiſchen ihnen förmlich gerathfchlagt worden, ob fie, tie 
1. Nach der Tyroler Relation, in Hormayrs Chronif von Ho- 
henſchwangau Urf. 61 p. 47, blieb das Schloß felbit „unerobert, un- 
angefehen der feind folhen an fieben Orten vermacht gehabt.“ Die 


brandenburgiſchen Gefandten geben den Verluft des Kaifers auf 1200 
Zodte und 2500 Gef. an. 





Flucht Carls V. 245 


ſie ſich ſehr unehrerbietig ausdrücken, „den Fuchs weiter in 
feiner Spelunke“ ſuchen ſollten: fie entſchloſſen ſich hiezu. 
Gott weiß was geſchehen wäre, hätte nicht das tumultua— 
riſche Kriegsvolk, eben als es vorwärts gegen Aiterwang 
geführt werden ſollte, nach dem Sturmſold geſchrien, den 
es ſo eigentlich nicht verdient hatte und der ihm wirklich 
aberkannt worden iſt, und darüber ſeine Waffen gegen Mo— 
ritz ſelbſt gerichtet, ſo daß dieſer ihm nur mit Mühe entrann. 

Dadurch bekam der Kaiſer Zeit, Insbruck zu verlaſſen: 
er hat die Nachricht von dem Falle der Clauſe abgewartet, 
ehe er ſich dazu entſchloß. Den I9ten Mai Nachmittags 
ließ er noch den gefangenen Johann Friedrich in den Schloß— 
garten zu ſich beſcheiden, und kündigte ihm dort ſeine Be— 
freiung ſelber an: wiewohl unter der Bedingung daß er 
noch eine Zeitlang dem Hofe freiwillig folgen ſolle. Fer: 
ner trug er Sorge, daß die wichkigften Schriften und Klei— 
nodien nach dem feften Schloß Nodenegg gebracht wurden. 
Dann Abend um 9 Uhr brach er auf: beim Scheine brem- 
nender Windlichter: die Nacht war regnerifch und Falt, dag 
Gebirge noch mit Schnee bedeckt: der Kaifer litt an einem An⸗ 
fall feiner Krankheit. Sein erfier Zufluchtgort war Brunecken, 
nicht einmal ein eigenes Schloß, fondern dem Cardinal von 
Trient gehörig, der in den Verhandlungen über die Mahl 
nicht eben als ein Freund des Hofes betrachtet worden war. 

Den andern Morgen folgte ihm Johann Friedrich auf 
diefeom Wege. Er erlebte nun, was er immer von feinem 
Gott erwartet: zum erften Mal feit fünf Fahren fah er fich 
von Feiner Spanischen Garde umgeben; er flimmte auf fei- 
nem Wagen ein geiftliches Danflied an. 





246 NMeuntes Buch. Sechstes Capitel. 


Am. 23ften Mai rückte Morig an der Spitze feiner Rei⸗ 
ter und Fußvölfer in Insbruck ein.! Die Landsfnechte brü- 
fieten fich in den prächtigen ſpaniſchen Kleidern, denn alles 
was den Spaniern gehörte, ward ihnen von dem Churfür— 
fien als gute Beute überlaffen: auf ihren Hüten glänzten 
portugiefiiche Goldftückez einer nannte den andern Don; 
übrigens aber mußte fie Moris auf das befte in Zucht zu 
halten. Er tadelte Georg von Mecklenburg, der fich nur eine 
Truhe auf dem Schloß hatte eröffnen laffen. Es war ihm 
genug daß er fo weit vorgedrungen, er begehrte nicht mehr. 
Übrigens blieb er, was König Ferdinand einen Augenblick 
besmweifelte, entfchloffen, den Waffenftillftand von den be 
ſtimmten 26ften an zu beobachten; unverweilt machte er fich 
zu der angeſetzten Verfammlung auf den Weg. 

Auch ehe wir die Verabredungen berückfichtigen, die da- 
felbft gepflogen worden, erkennen wir, daß ihm durch den 
Gang der Begebenheiten und ihre Entfcheidung die größten 
Erfolge gelungen waren. 

Bor ihm her wich der mächtige Kaifer höher ing Ge 
birg, nach Villach: er ließ die Brücken hinter ſich abwer— 
fen und in den fehtwierigfien Päſſen fpanifche Soldaten auf 
ftelfen, um ein etwaniges Nachdringen zu verwehren. 

Und indeffen löſte fich, auf der andern Geite des Ge 
birges, dag Concilium von Trient von felber auf. Gleich auf 
die erfte Nachricht von den deutfchen Ereigniffen, am Löten 


1. Schreiben der brandenburgifhen Gefandten Iſten Suni: „Der 
Ehf. von Sachſen it alsbald gegen Insbruck verruckt und alles was 
fpanifch und denfelben zuftendig geweſt, welches die Bürger bei ſchwe— 
rer ftraf anzeigen und in ein faufhaus zufammenbringen müffen, preis 
gemacht: den Fönigifchen aber hat er nichts nehmen Iaffen.” (Berl. A.) 


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Auflöfung des Conciliums. 247 


April, Sprach der Papft, der ohnehin nur einen zu befennenden 
Grund dazu herbeigewünfcht, die erneuerte Sufpenfion des 
Conciliums aus. Das Concilium, dag man für guf hielt felb- 


ſtändig handeln zu laſſen, machte dieſen Beſchluß am 28ſten 


April zu dem ſeinen. Noch widerſetzten ſich jedoch die ent— 
ſchiedenen Anhänger des Kaiſers, und bei weitem nicht Alle 
waren abgereiſt, als die Nachricht von der Eroberung der 
Clauſe erſcholl. Man glaubte in Trient, die proteſtantiſche 
Bewegung werde unmittelbar der Stadt des Conciliums gel: 
ten, und Alles, Prälaten und Einwohner, Vornehme und Ge 
ringe, flüchtete in wilder Verwirrung aus einander, höher 
in die Berge hinauf, oder hinab nad) der See: in die dich: 
teften Wälder oder die fefteften Städte." Der päpftliche Fe 
gat Erefcentio ließ fich durch feine Kranfheit nicht abhal- 
ten dem allgemeinen Zuge zu folgen. Er ftarb als er in 
Berona ankam. 

Das konnte man wohl vorherfehen, daß eine Combi— 
nation Eaiferlicher und conciliarer Macht, mie die welche 
Earl V ing Leben gerufen, und mit der er die Chriftenheit 
su beherrfchen gedachte, fobald nicht wieder erfcheinen könne.“ 

Was aber erfolgen würde, wer hätte Darüber in der Ver 
wirrung jener Tage auch nur eine Bermuthung hegen Fönnen? 

Der König von Frankreich zog im Elfaß hin und ber, 


1. Maffarellus: unoquoque rebus suis fuga, vel ad altiores 
montes vel densas silvas aut maritima loca seu finitimas civila- 
tes, consulente. (Nainaldus XXI, p. 70.) 


2. Schreiben Bugenhagens an den König von Dänemarf 15 
Aug. 1552. „Das Conciliabel it zu Trennt (zertrennt), e3 bleibt 
zu Zrennt, zu Zrennt, ve. (Schumacher Briefe an den König von 
Dänemarf I, 186.) 


248 Neuntes Buch. Sechstes Kapitel. 


befeßte die Eleineren Städte, nahm die größeren, z. B. Straß 
burg von den Hausbergen aus, in Augenfchein. Es war 
eine Verſammlung der nächftgefeffenen deutſchen Fürften in 
Worms gehalten worden, allein fie hatten fich nicht entichlie; 
Ben können Widerftand zu Teiften: nur eine fehr höfliche Bitte 
legten fie ein. ; 

Schwach, wie die meiften waren, ohne die Nähe des 
mächtigen Kaifers der fie zuletzt vereinigt, von zwei mächti— 
gen Feinden in die Mitte genommen, und ohne den Nick 
halt befonderer Bündniſſe die fie fonft wohl geſchützt hatten, 
waren fie auf ein nach beiden Seiten wohl abgewognes Ber 
fahren angewiefen, um nicht zu Grunde gerichtet zu werden. 

Der Herzog von Eleve wagte nicht das längſt gegebene 
Berfprechen eines Befuches bei Königin Maria zu erfüllen, 
weil er fürchtet, Morig möchte ihn darüber öftreichifcher 
Gefinnung verdächtig halten. ! 

Sp gewaltig erfchien damals das Übergewicht der Geg- 
ner diefes Haufeg, daß in einer Verſammlung oberdeutjcher 
Fürften zu Heidelberg die Frage vorgefommen ift, — fo ver: 
fichert wenigſtens Königin Maria, — ob Carl V nicht des 
Neiches zu entfeßen fey. 

Allein auch der Kaifer gebot doch noch über mannich— 
faltige Kräfte, die er nur zu fammeln brauchte; nur die Über 
rafchung einer unerwarteten Combination hatte ihn im erften 
Augenblicke befiegt. 

Er hoffte fogar einen Theil der Proteftanten auf feine 
Seite zu bringen. Das große Anfehen das Johann Friedrich 


1. Schreiben der Königin 15 Mai, 24 Mai 1552. (Br. X.) 
2. Schreiben der Königin 1 Aug. 1552. (Br. 4.) 








Ausfichten. 249 


genoß, follte ihm dienen, fie um fich zu ſammeln. Königin 
Maria rechnete auf die Anhänglichfeit von Nürnberg und 
Frankfurt. Ein Gedanke taucht von Zeit zu Zeit auf, der 
die weiteſte Ausſicht eröffnet hätte, nemlich der, ſich mit dem 


in den meiſten Territorien ſchwierigen Adel zu verbünden 
und ihn gegen die Landesherren aufzurufen. Johann Fried⸗ 


rich meinte, der Kaiſer müſſe nur vor allem erklären, daß 
er das Wort Gottes nicht verfolgen wolle, und die freie 
Predigt erlauben, damit werde er die Zuneigung der deut— 
fchen Nation twiedererwerben. Er rieth ihm den alten froni- 
men Churfürften von Cölln wiederherzuftellen: dann wolle 
er, Johann Friedrich, die Heerführung felber übernehmen 
und dag feindliche Heer gewiß aus einander fprengen. ! 

Wir fehen: noch ſchien alles möglich. 

Berlieren wir uns jedoch nicht in dag Allzuentlegene, 
fo ift die Hauptfache daß ein europäifcher Krieg ausgebro- 
chen war, der Deutfchland wieder in der Mitte zerfchnitt. 
Es mußte fich zeigen, ob in dem Kampfe der beiden großen 
Mächte die Deutfchen vollends unter einander zerfallen, oder 
ob fie — dem auch diefe MöglichFeit ſtellte fich dar — zwi— 
chen denfelben zu einer erneuten GSelbftändigkeit gelangen 
würden. 


l. Les points et articles que le duc Jehann Frederic de 
Saxe a faict par le seöretaire Obernburger, 23 Mai. (Br. X.) 


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Zehntes Buch. 


Epoche des Religionsfriedens. 








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Erſtes Capitel. 


Verhandlungen zu Linz und zu Pafjau. 


Es mußte wohl fo feyn, daß ein Fürſt von der Her 
kunft, Weltftellung und Gefinnung wie Carl V Abfichten 
faßte wie er fie gefaßt hat, und bei den Kräften die er ein- 
ſetzen konnte, dem Talent das ihm eigen war, und den Feh— 
lern die feine Gegner begiengen, in ihrer Ausführung fo 
weit vorfchritt. 

Die Nothivendigfeit der Dinge brachte aber doch mit 
fich, daß er damit nicht zu Ende Fommen Eonnte. 

Er verfocht Ideen der formellen Einheit der abendlän- 
difchen Chriftenheit, welche noch nicht aufgegeben, von den 
beftehenden Zuftänden und den Meinungen der Menfchen 
noch nicht auggefchieden waren, aber doch auch weder die 
einen noch die andern mehr beherrfchten. 

Diel zu entwickelt, mächtig und voll Selbftgefühl wa— 
ren die andern europäiſchen Neiche, um fich ein Übergetwicht 
des Kaiſerthums gefallen zu laffen. 

Und viel zu tief war der Widerwille gegen die vor: 
nehmfte NRepräfentation der geiftlichen Einheit gewurzelt, der 
Widerfpruch der wider fie erhoben ward, viel zu gut begrün- 


254 Zcehntes Bud. Erſtes Capitel. 


det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine befchränkte 
Unterordnung unter Diefelbe fic) hätte wiederherftellen laſſen. 

Den aus der Vergangenheit auffteigenden Ideen der 
formellen Einheit festen fich Tendenzen politifcher und reli- 
giöfer Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländifchen 
Nationen eine neue Zukunft eröffneten. 

Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli- 
tischen und des religiöfen Gegenfageg, um die geiftlich- welt: 
liche Autorität zu zertrümmern, die fich über beide zu erhe— 
ben fuchte. 

Da nun aber das Kaiſerthum, das zu fo umfaffenden 
Manen Anlaß und Nechtstitel gab, wie e8 auf der deutfchen 
Nation beruhte, fo auch die Staatggewalt in derfelben bil- 
dete, fo trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf 
daffelbe auch dieſe zerfprengt, und entweder die Anarchie 
wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb: 
licher Einfluß eingeräumt werden möchte. 

Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke 
alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: bier war dieß 
nicht der Fall. 

Bei dem ihm felbft unerwarteten Fortgang feineg Glückes 
gab zumeilen auch Morig der Hofnung auf baldigen Frieden 
Raum: man verficherte ihm, der Kaifer werde im Reich folche 
Borfehung thun, daß den Ständen augsburgifcher Eonfeffion 
ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetaftee bleibe: er werde 
fich auch mit dem König von Franfreich über deffen An— 
fprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Ehriftenheit 
gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre dag aber 
wirklich zu erwarten gewefen! 











Verhandlungen zu Linz und zu Paffau. 255 


Wer auf ein einigermaßen freiwilliges Zurücktreten des 
Kaifers von den einmal ergriffenen Planen vechnete, der 
Fannte ihn ſchlecht; noch viel weniger aber wären die Fran— 
zofen gemeint geweſen, fich mit einer Auseinanderfegung der 
gegenfeitigen Anfprüche zu begnügen, und die Pläße die fie 
vom Neich eingenommen, fo leicht wieder zu verlaffen. 

Vielmehr war nichts andereg zu erwarten als ein lang- 
wieriger und gefährlicher Krieg, der leicht auf deutfchem Bo- 
den felber ausgefochten werden, alles vollends entzweien, den 
Türken cher den Weg nach Deutfchland eröffnen Eonnte. 

In Epochen diefer Art zeigt ſich am beften, ob in ei 
ner Nation noch jene Kraft vorhanden ift, welche Staaten 
bildet und erhält, ein conftitutiver Genius, der wenn dag 
Bisher: befiandene zerfällt, die Fähigkeit entwickelt etwas 
Neues und Angemeffeneres hervorzubringen. 

Leicht war e8 in unferm Falle nicht, einen Ausweg zu 
treffen. Die alte Parteiung zwiſchen Oftreich und Frank 
reich, die alle Intereſſen anregte, berührte fich mit der reli: 
giöfen Entzweiung, welche längft die Gemüther ergriffen: «8 
fchien wohl, als ob es zu einem mitten durch das Neich 
fchneidenden Gegenfaß einer franzöfifch  proteftantifchen und 
einer öftreichifch > Eatholifchen Partei Fommen müßte. 

Das erſte Moment was eine Nettung aus diefer Ge 
fahr darbot, lag darin, daß der römifche König weder die 
Abfichten noch auch dag Intereſſe feines Bruders vollkom— 
men theilte. Unmittelbar vor dem Aufbruch des Kriegs: 
heers erinnerte Churfürft Joachim von Brandenburg feinen 
Nachbar Moris, fich doch an König Ferdinand zu wenden, 
der es immer gemißbiliigt daß der Landgraf gefangen genom⸗ 


256 Zehntes Buch. Erfies Eapitel. 


men worden, überhaupt, keinen Theil: daran habe, wenn von 
den Eaiferlichen Näthen die Wohlfahrt der deutfchen Nation 
vernachläfige und fo viel. Grund zur Befchwerde gegeben 
worden fen, der vielmehr, „alle Sachen des gemeinen Va— 
terlandes väterlich, treulich und gnädiglich meine." Wir be 
rührten fchon, wie Moritz; noch in feinem Land, eine Zufant- 
menfunft mit dein römischen König zu Linz werabredete. 

Noch vor der Unternehmung auf die Ehrenberger Claufe, 
am 18ten April, fand diefelbe Gtatt. 

Churfürft Morig eröffnete fie mit Aufftellung einiger 
Forderungen, die fich zum Theil auf dag unmittelbar Vor: 
liegende bezogen, die Befreiung des Landgrafen, Sicherheit 
für die welche die Waffen ergriffen, zum Theil aber auch, 
und dieß war ohne Zweifel das Wichtigfte daran, auf die 
großen Angelegenheiten der Religion und der Kirche. Und 
da war nun befonders merfwirdig, daß er die Zugeftänd- 
niffe wieder forderte, welche der Kaifer zu jener Zeit, in wel 
cher der Proteſtantismus in noch ununterbrochener Entwicke— 
‚lung zu feiner größten Macht gelangt war, am Neich$tag 
su Speier im Jahr 1544 gemacht hatte, und nur noch 
auf eine Harere DVerficherung derfelben antrug.“ Bei dem 
erften Umfchlag des Glückes tauchten fie wieder auf, und 
zwar unter dem Vortritt Degjenigen, der früher es haupt 
fächlich dem Kaifer möglich gemacht fie unausgeführt zu 


1. Artikel zu Torga Fegen einander übergeben. (Arch. zu Bert.) 

2. Zweite Schrift von Moriß, in Linz. „weil gleihwol die 
Stende der Augsburgifhen Confeſſion, wie f. hf. On. anders nicht 
wiffen, mit dem Abfchied, fo der Neligion halber im 44 Far zu 
Speyer aufgericht, zufrieden geweſt, fo verhoffen f. hf. Gn., der Sf. 
Mt werde auch nochmals nicht entgangen feyn, der Wuncten halber 
clare und gewiffe Vorfehung zu thun.“ 





Verhandlungen zu Linz. 257 


laffen. Von dem Interim, meinte Churfürft Moritz jett, 
dürfe niemals wieder die Rede feynz eine Vergleichung der 
Religion müſſe nicht weiter auf einem allgemeinen Concilium, 
fondern nur auf einem nationalen oder auf einem abermali- 
gen Colloquium verfucht werden. Niemand dürfe in Zukunft 
der Religion halber Kriegsgefahren zu beforgen haben. 

Und fo viel gab König Ferdinand, wenngleich nur fir 
feine Perfon, auf der Stelle nach, daß ein allgemeines Eon- 
cilium wie dag Tridentiner, zur Beruhigung von Deutſch— 
land nicht fehr geeignet ſey; er zeigte fich überhaupt in al- 
len Dingen entweder felbft einverftanden oder doch zur Nach- 
giebigfeit bereit. 

Nicht fo aber der Kaifer, dem die in Ling: gewechfelten 
Schriften durch) Schwendi zugefandt wurden. 

Er weigerte fich nicht miehr, den Landgrafen loszulaſ— 
fen, aber er forderte eine ſchwer zu beftellende Sicherheit 
gegen alle daraus etwa zu erwartenden Nachtheile." Was 
den Neligionspunct betrifft, fo vertwahrte er fich in feiner 
officiellen Antwort zunächft nur gegen jede Erwähnung des 
Nationalconciliumg, die ihm von Anfang an verhaßt gewe: 
fen war, allein Faum war diefe Erklärung gegeben, fo wollte 
ihm fchon fcheinen als laffe fie eine allzu weite Deutung zu, 
und er erläuferte durch ein paar eigenhändige Worte, daß 
er auch ferner auf der Heimftellung der Glaubensftreitigkeiten 
an ein Concil beftehe, gemäß den bisherigen Befchlüffen der 
Keichstage. ? 


1. Reponse de l’empereur donnée a Zwendy 25 Avril 1552. 
(Anbang.) 


2. Copie des lettres de la main de l’empereur au roi Fer- 
Ranke D. Gef. V. 17 


258 Zehntes Buch. Erſtes Capitel. 


Bei diefem feften Verharren des Kaiferg auf dem ein- 
mal ergriffenen Standpunct, und da auch Churfürſt Moritz 
nicht ermächtigt war für ſeine Bundesgenoſſen abzuſchließen, 
konnte man hier keinen Schritt vorwärts kommen, und be— 
ſchloß jede weitere Erörterung auf eine andre Zuſammen— 
kunft zu verſchieben, nächſten 26 Mai, zu Paſſau, zu wel— 
cher ſämmtliche Churfürſten und eine Anzahl geiſtlicher und 
weltlicher Fürſten, die gleich hier benannt wurden, eingela— 
den werden ſollten. 

Wie geringfügig dieſer Erfolg auch ſcheint, ſo war er 
doch ſehr bemerkenswerth. 

In frühern Zeiten hatten die beiden Parteien ſich in— 
nerhalb der Reichsverſammlung einander entgegengeſetzt: jene 
alte Mehrheit des Jahres 1529, und die proteſtantiſche Min— 
derheit, die jedoch unaufhörlich anwuchs; und der Kaifer 
hatte es als ein Hülfsmittel der Macht benußt, zwiſchen 
ihnen eine Ausgleichung zu fuchen; mochte man fich anftel- 
[en wie man wollte, — in dem Abfchied zu Linz drückte 
man fich auf das behutfamfte aus, — fo erfchien jetzt der 
Kaifer als Partei, als die andre der in der Kriegshandlung 
begriffene Bund; ſchon an und fir fich gewann ein Aug: 
fchuß der Neichsfürften, der ausdrücklich dazu berufen ward 
um eine gütliche Unterhandlung zwifchen ihnen zu werfuchen, 
eine großartige Stellung. 

Die Abficht des Churfürften Mori gieng gleich bei fei- 
dinand, Inspr. 10 Avril. M’a sembl& outre le contenu de la dite 
reponse vous declairer tres expressement et briefvement mon in- 
tention quest en premier lieu quant a celui de la religion que 


je n’entends m’obliger ny traitter sy non me remetlant a ung con- 
eile conforme aux decrets passes. 








Verfammlung zu Paffau. 259 


nem erſten Antrage auf eine folhe Verſammlung dahin, 
daß derfelben die Beſchwerden die man gegen die bishe 
rige Regierung zu machen habe, vorgelegt, von ihr erörtert 
werden follten. ! 

Und Feineswegs auf bloße Wermittelung mochte fich 
diefe Verfammlung befehränfen. Sie war ungefähr auf die 
nemliche Weiſe zufammengefeßt wie die "alten Negiments: 
täge, und eine wiewohl unregelmäßige Nepräfentation des 
Reichs. Churfürft Morig brachte fie eben darum in Vor: 
fchlag, weil er und feine Freunde auf Eeinen Neichstag war: 
ten wollten. 

Um die beftimmee Zeit erfchienen die eingeladenen Stände; 
neben dem römischen König und dem Churfürften Morig die 
fünf übrigen Ehurfürften, die Herzöge von Braunfchweig, 
Jülich, Pommern, Würtenberg, Markgraf Johann und der 
Bifchof von Würzburg durch ihre Abgeordnete, der Herzog 


1. „Dieweil fih denn auch J. Chf. Gn. befaren, wo die beſchwe— 
rungen und mengl fo zuwidder der alten loblichen deutfchen Nation 
hergebrachten Freihait an vill weegen angeßogen werden, alfererft auf 
einen Neichstag folten verfhoben werden, das folches bey den Sten— 
den fo jeßo beifammen feyn (ohne Zweifel: mit ihrem Kriegsvolf) 
vorzüglich möchte angefehen werden und allerley nachdenfen machen, 
So bedachten 3. Ch. ©. undertheniglihen zuforderit, weill 3. Ch. G. 
auch entlich jegund allhie zu fchliefen der andern halben nit gewalt 
babe, das 23 am bequemjten und peften feyn follte, das alsbald 
jeßund etlih Chur und Fürften des Neiches benannt, des gleichen aud) 
ein Tag und Malftadt nach der Funigl. Mt gnedigften Gefallen an: 
gefeßt wurde, auf welchem folh Chur und Fürften neben der Khun. 
Mt und deffelben geliebten Son Kh. Marimilian zufammenfommen 
und aljodann nach anhorung folcher beſchwerung, welche denn ein je- 
der ftand auf diefelbe Zeit feiner Nothdurft nach) anzuzeigen wird 
wiffen, aller diefer Artiel halber eine gewiffe beftendige und freund: 
liche Vergleihung machen.“ Erflärung von Moriß zu Link o. D. 
im Berliner Archiv. 


——— 


260 Zehntes Bud. Evftes Kapitel. 


Albrecht -von Baiern, der Erzbifchof von Salzburg, der Bir 
fchof von Eichftädt in Perfon. 

Schr bezeichnend ift die Stellung welche die Stände 
dem römifchen König gegenüber einnahmen. Ferdinand hätte 
gewünſcht an ihren Sigungen Theil zu haben, denn nicht 
als Partei fen er hier, etwa als Stellvertreter des Kaiſers, 
diefer habe vielmehr feine eignen Näthe am Platz. Die 
Stände haften wohl nicht Unrecht, wenn fie dieß nicht 
ganz mörtlich für wahr hielten, da der König fo eben 
vom Kaifer Fam und mit demfelben ununterbrochen in brief 
lichem Verkehr ftand. Beſcheidentlich antworteten fie, ihr 
Sinn ſey nicht, ihn augzufchließen, fondern ihm nur die 
Mühe zu erfparen, ihren Sitzungen beisumohnen, die Stim- 
men abzufordern; aber wie fie fich auch ausdrücken moch- 
ten, dabei blieben fie, fich erſt unter einander berathen zu 
wollen: die Meinung über welche fie einig geworden, wür— 
den fie dann dem König vorlegen, und ſich mit der verglei- 
chen, welche er indeß felbft gefaßt habe." Indem ſie ſich 
von ihm abfonderten, um nicht gleich bei der erfien Faſ— 
fung der Beſchlüſſe geftört zu werden, waren fie doch weit 
entfernt fich ihm enfgegensufeßen. Sie gaben ihm vellfom- 
men Recht, wenn er darauf drang, daß aller franzöfifche 
Einfluß vermieden werde. Obgleich der franzöfifche Gefandte 
sugegen war, fo befam er doch von deutſchen Gefchäften 
nichts zu erfahren. * In dem Entwurf zu einer Inſtruction, 

1. Prothocoll Lambert Diftelmeyers (hier und im Folgenden 
meine vornehmſte Duelle) im Berliner Archiv. 

2. Er hielt eine Nede, von welcher Sleidan XXIV, p. 375 ei: 


nen Yuszug mittheilt. Die Stände forderten ihn auf, zu weiterer 
Unterhandlung feine Inſtruction einzugeben, wie damals Gitte war: 


Verhandlungen zu Pajfan. 261 


nach welcher Markgraf Albrecht aufgefordert werden follte 
dem von ihm noch nicht angenommenen Stillftand beizu— 
treten, war als ein Beweggrund angeführt worden, daß 
der franzöfifche Gefandte damit einverftanden fey, ein Mo— 
tiv das hier wohl eine Wirkung haben Fonnte: auf die Er: 
innerung des römifchen Königs aber, daß folch eine Bezug: 
nahme auf eine fremde Macht dem Reiche ſchlecht anftehe, 
ließ man fie weg. 

Der Sinn der Stände war, den Einfluß wie der Fai- 
ferlichen, fo noch viel mehr der franzöſiſchen Intereſſen zu 
vermeiden, und aus dem Schoofe des verfammelten Neichg- 
fürftenrathes eine Vermittelung der ausgebrochenen Strei- 
tigfeiten hervorgehn zu laffen. 

Und da lag nun die Summe des Ereigniffes, und ge 
tiffermaßen ein neuer Anfang für die Erhaltung und Ent: 
wickelung des Neiches darin, daß in dieſer Verſammlung 
Farholifche und evangelifche Fürften vereinigt waren, einmü— 
thig entfchloffen Feinen Krieg in Deutfchland zugulaffen. ! 

Bisher hatten die Fatholifchen Neichsfürften noch immer 
darauf beftanden, den Proteftantismus fo weit wie möglic) 
zurückzudrängen, oder lieber ganz zu vernichten, fey e8 nun 
er bielt es für hinreichend ihnen eine Abfchrift feiner Rede mitzuthei- 
len: non denegare orationem habitam scripto communicare, ut et 
feeit, additis literis asserti secretarii regis Galliarum, ad se non 
solitis literis sed characteribus (Chiffern) scriptam, qua (epi- 
stola) asserebat injunctum sibi, ea coram statibus proponere. Alſo 
eine chiffrirte Inſtruction theilte er mit, deren Sinn er felbft aus: 
legte. Prothocoll Diftelmeyers. 

1. Schreiben von Straß vigilia corp. Chi an den Churf. von 
Brandenburg. „Die anmwefenden jtende allhie laffen vernehmen, das 


fie feinen krigk in Deutfchland haben noch leiden wollen: welches 
denn die fache fer freibet und fordert.‘ 


262 Zehntes Bud. Erftes Capitel. 


jelbftäandig, durch die Mehrheit der Stimmen am Neichstag, 
oder unter der Führung des Kaifers: jeßt fahen fie ein, daß 
daran nich: mehr gedacht werden Fonne. 

Die Übermacht der proteftantifchen Fürften war in die: 
fem Augenblick vielmehr fo groß, daß fie felber von ihnen 
überwältigt, ja vertilgte zu werden fürchten mußten. Der 
Kaifer war nicht im Stande fie zu ſchützen, aber wäre erg 
auch geweſen, fo hätten fie wenig Freude davan gehabt: fie 
fühlten fo gut wie die andern, daß fein überwiegendes An- 
fehen ihre Selbftändigkeit, die Yutonomie der Nation bedrohe. 
Eine der wirkfamften Veränderungen bildete der Negierung®: 
wechſel in Baiern. Jetzt feßte fich Fein Leonhard von Eck 
mehr in den DBefis des maaßgebenden Einfluffes bei den 
Fatholifchen Berathungen; Albrecht V, von Natur gemäßigt 
und nachgiebig, in feinen erfien Jahren fogar evangelifchen 
Anmandlungen nicht unzugänglich, jetzt überdieß bedroht und 
gefährdet, hütete fich die Politik feines Vaters fortsufegen, 
die wenigftens im Verhältniß zum Kaifer nur zu Nachthei- 
len geführt hatte. 

In feinem erften Gutachten nun gieng Churfürſt Moritz 
von dem Zugeftändniß Ferdinands aus, daß ein Concilium 
wie das tridentinifche fchiwerlich jemals zur Vergleichung füh— 
ven dürfte, und Fam auf die Idee eines Nationalconciliums 
zurück, das fo oft vorgefchlagen worden und nie hafte erreicht 
werden können.“ Doch wollte er e8 auch auf deffen Ent: 


1. „darin die Gelehrten der h. Schrift beiderjeit3 gehört wer- 
den und einander guten chriftlichen Befcheid geben.” Die Berband: 
lungen begannen Iſten Suni früh 7 Uhr, wo Ferdinand Morig auf: 
forderte, wie er dem Kaifer meldet, „de bailler sa reponse et deli- 
beration sur les articles de Linz.“ Hierauf folgt die Erflärung 


von Moriß. 





Verhandlungen zu Pajfau. 263 


fcheidung nicht ankommen laffen. Er forderte vielmehr ei— 
nen Frieden welcher immer beftehe, möge nun die Verglei- 
chung zu Stande Fommen oder nicht. Denn nur von den 
Mißbrauchen, fagte er, fchreibe fich die Spaltung herz in 
den Hauptartifeln chriftlichen Glaubens fey man Gottlob ein- 
verftanden; der Kaifer müſſe die Stände augsburgifcher Eon: 
feifion vor allem verfichern, daß ihnen Feine Ungnade noc) 
Befchwerung weiter bevorftehe. Zu dem unbedingten Frie— 
den aber gehöre ferner, daß man auch Feine Entfcheidung 
des Neichstags wo die der Confeſſion entgegengefeßte Par- 
tei das Mehr habe, noch des Kammergerichts wie c8 jetzt 
eingerichtet fey, befürchten dürfe: man müffe die Artikel über 
Friede und Recht wiederherftellen und zur Ausführung brin- 
gen, wie fie 1544 gegeben worden. 

Ziweierlei, wie wir fehen, forderte er: das Aufgeben je 
ner comciliaren auf die Wiederberftellung der Einheit, auch 
im Wege der Gewalt, hinzielenden Ideen, und dagegen eine 
den Frieden der Evangelifchen fichernde Einrichtung im Neiche. 
Es waren ganz die altproteftantifchen Tendenzen: nicht zu 
befehren, noch zu vertilgen, fondern nur zu beftehn, Fraft 
der alten Berechtigungen der auf Neichsfchlüffe fich ſtützenden 
Minderheit. Im Fahr 1544 hatten die Proteftanten ihre 
Abſicht noch durch den Einfluß der Faiferlichen Gewalt zu 
erreichen gemeint: im Jahre 1552 hielten fie das Schwert 
in der Hand um fie durchzufeßen. Der Kaifer war über: 
raſcht, im ferne Alpen zurückgefcheucht; die geiftlichen Für: 
fien, die bisher die Majorität gebildet, in ihren Landfchaf: 
ten angegriffen, und fchon zum Theil in die Hände der 
Proteftanten geliefert. Unter dieſen Umftänden bot ihnen 


264 Zehntes Bud. Erftes Kapitel. 


Morig noch einmal die alten Bedingungen an, die freilich), 
wenn fie dem Kaifer abgerungen waren, weit eine andre 
Bedeutung erhielten, als wenn er fie frei und gern bewil— 
ligt hätte. 

Und auf die erfte diefer Forderungen nun giengen die 
in Paffau verfammelten Fürſten mit allgemeiner Beiftimmung 
ein. Jene dee einer Herftellung der Einheit, wie fie von 
dem Kaifer angeftrebt ward, hatte fich ihnen allen felber ge- 
fahrbringend erwiefen. Auch fie fanden, daß das tridenti- 
niſche Eoncilium nicht geeignet fey die Spaltung in der Ne 
ligion zu heben. Zwar wollten fie fich hiebei nicht im Vor— 
aus gegen ein andreg allgemeines Concilium erklären: fie 
behielten dem Neichgtag vor, nochmals zu unterfuchen, auf 
welchem Wege dag Ziel am beften erreicht werden könne, 
durch ein nationales oder doc) wieder ein allgemeines Con— 
cil, oder dich welches andre Mittel! Darin aber ſtimm— 
ten fie dem Ehurfürften bei, daß auf jeden Fall Friede be 
ftehn müſſe, welches auch der Erfolg der Vergleichsverfuche 
feyn möge, und eben darauf Fam es an. Die Frage war, 
ob im Kreiſe der abendländifchen Chriftenheit ein friedliches 
und ficheres Dafeyn möglich ſey, ohne die Dberhoheit des 
Papſtthums oder auch eines Concils anzuerkennen, mochte 
nun da ein Kaifer oder ein Papft den größern Einfluß ha— 
ben. Diefe Frage bejahten jetzt die mächtigſten Neichsfür: 
ften, auf welchen feit dein dreisehnten Jahrhundert dag Neich 
und zum guten Theil die Kirche gegründet geweſen, Fatho- 
liſche und proteftantifche, geiftliche und weltliche. Sie mein: 


1. Gutachten der Churfürften und Fuͤrſten am 6ten Juni, im 
Berliner Archiv. 


Dr Te Ze u ee 














Verhandlungen zu Paffau. 265 


ten, der Friede müſſe beiderlei Ständen zu Gute kommen 
und ſie gegen einander ſicher ſtellen. Am 6ten Juni 1552 
verfaßten die Fürſten dieſes auf ewig merkwürdige Gutach— 
ten; am 77ten erklärte König Ferdinand in dieſem Puncte 
feine Beiftimmung dazu. 

Wie nun aber diefer Grundfaß in den Ordnungen des 
Neiches geltend zu machen fey, darüber Eonnte man ſich 
nicht fogleich vereinigen. Die vermittelnden Fürften vermie— 
den noch die Erwähnung der fpeierfchen Befchlüffe von 1544, 
die ihnen oder ihren Vorgängern größtentheils zuwider gewe— 
fen: nur Eine Stimme trug auf Wiederernenerung und Voll 
siehung derfelben an; aber fie beiwilligten, daß bei dem Abfchluß 
des Friedens auch über die Bejegung des Kammergerichts 
Beftimmung getroffen würde. König Ferdinand trat noch 
einen Schritt weiter zurück: ev wollte diefe Beftimmung fo 
tie die Beichwerden die Moritz vorgebracht, auf den Neichg- 
tag verweifen. Churfürſt Morig war hiemit nicht zufrieden: 
er forderte die ausdrückliche Zuficherung unparteiifchen Nech: 
te8 und die Aufhebung des Neichsabfchiedes von 1530, auf 
den die Affefforen bisher verpflichtet worden. Es Fam hier: 
über zu einem lebhaften Schriftwechfel, in welchem jeder Theil 
auf feiner Meinung befand. Glücklicherweife hatte Moritz 
auch feinerfeits etwas anzubieten. Bei der Verficherung der 
Fatholifchen Fürften in ihren Befisthümern, die eine andre 
Hauptgrundlage des Friedens bildete, hatte er die Worte ein: 
fliegen laffen: „ſo viel fie noch in Poffeffion derfelben ſeyen“: 
eine Claufel von der größten Bedeutung, da fehon manches 
Amt bifchöflicher Lande von Markgraf Albrecht in Befig 
genommen worden. Die vermittelnden Fürften machten ihn 





266 Zehntes Bud. Erſtes Kapitel. 


aufmerkſam, daß dadurch das Necht verkürzt, der gefammte 
Nechtszuftand zweifelhaft werde. Indeſſen beftand Morig 
fo lange auf feinem Vorfchlag, big fie und der König fich 
ihm auf der andern Seite wieder näherten. Dabei blieb 
es auch jett, daß die Sache definitiv erft am Neichgtag ab- 
gemacht werden möge: aber im Voraus erklärten die Für— 
ften, daß alsdann die Gleichheit bewilligt und die Form des 
Eides frei gelaffen werden follte. Nicht ganz fo weit, denn 
nur in Kleinen Schritten, fehr langſam, rücken diefe Angelegen: 
heiten vorwärts, wollte König Ferdinand gehn. Die Gleich: 
heit im Voraus zu bewilligen, fchien ihm ein Punct den 
der Kaifer nicht genehmigen würde, aber dazu gab er feine 
Zuftimmung, daß es freiftehen möge, ob man den Eid 
su Gott, oder zu Gott und den Heiligen ſchwören folle. 
Man bemerkte, daß in den Nechten beide Formen gültig 
ſeyen. Und war dieß nicht im Grunde eben daſſelbe? 
Die evangelifchen Affefforen waren bisher zurückgewieſen wor— 
den, weil fie den Eid zu den Heiligen nicht ſchwören woll— 
ten; fie mußten angenommen werden wenn man denfelben 
nicht mehr forderte. Der Verpflichtung auf den Reichsab— 
fchied von 1530 follte durch eine Elaufel begegnet werden, 
nach welcher Fein früherer Schluß dem neuen Friedftand ab: 
brechen, derogiren folle. 

Dergeftalt vereinigte man fich in einer aus beiden Ne 
ligiongparteien gemifchten Berfammlung über die wichtigſten 
Berhältniffe die in Zukunft zwiſchen beiden obwalten follten. 


1. „Dieweilen ohne das bede Formen in Nechten befunden.“ 
Auf des Churfürften von Sachſen Neplif Bedenken der Churfürften 
Fürften ꝛc. 








Verhandlungen zu Pafjau. 267 


Die Katholischen, welche auch dort die Mehrzahl aus: 
machten, gaben die Vortheile auf, welche ihnen aus der Idee 
einer allgemeinen Bereinigung der Chriftenheit und ihrem 
Übergewicht am Reichstag entfpringen konnten. 

Dagegen verzichtete man evangelifcher Seits darauf, 
fich der Übermacht die man in diefem Augenblicke beſaß, zu 
bedienen, die hohen Geiftlichen, wie man anfangs gedacht, 
geradezu zu verjagen, oder auch nur die ihnen fchon entrif- 
jenen Gebietsftrecken zu behalten. 

Wurde der Nechtsftand der Proteftanten erweitert und 
einigermaßen firirt, fo hatte die andre Partei dagegen die Ge: 
nugthuung, ihre bedrohten Beſitzthümer gefichert zu fehen. 

Und da man nun in der Hauptfache verglichen war, fo 
folgten die andern Puncte von felber nach. Man Fam überein, 
daß der Landgraf in einer beftimmten Frift zu Nheinfels auf 
freien Fuß gefetst werden folle. Für die Urtel die während der 
Euftodie in feinen Angelegenheiten gefprochen worden, ward 
ihm Sufpenfion und Nevifion verheißen. Alle Die welche 
in dem legten Kriege um Land und Leute gekommen oder 
die Flucht ergreifen müffen, von den SKriegsanführern der 
Rheingraf, Albrecht von Mangfeld und fein Sohn, Chri— 
fioph von Oldenburg, Heideck, Reckerode und Schärtlin, un- 
ter den Fürften Wolfgang von Anhalt und Otto Heinrich) 
von der Pfalz, follten wieder zu Gnaden angenommen wer: 
den, und fich nur verpflichten, fernerhin nicht gegen den Kai— 
fer zu dienen; die der jegigen Kriegsübung Verwandten fol 
ten die Waffen niederlegen, ihre Eroberungen herausgeben 
und dagegen einer Generalammeftie genießen. 

Mit Freuden melden die brandenburgifchen Gefandten 


268 Zehntes Bud. Erftes Capitel. 


nad) Haus, daß es fo weit gefommen fey, hauptfächlich auch 
durch dag eifrige Bemühen des römifehen Könige. 

Auch Mori meinte wohl, daß hiemit ein fefter Friede 
im Neich gegründet ſey. Sein Nath war, daß der verab- 
redete Vertrag dem Kaifer zu einfacher Annahme oder Ver: 
werfung vorgelegt werde folle: indeß wolle auch er zu fei- 
nen Bundesverwandten reiten und wenn von dem Kaifer 
die Er flärung der Annahme eingelaufen, den Vertrag ohne 
weiteres Grübeln unterfchreiben. 

Daß nun aber diefe Bedingungen erft dem Kaifer vor- 
sulegen und von ihm zu beftätigen waren, bildete eine Schwie— 
rigfeit die fich größer erwies, als man auch nach den be: 
reits gemachten Erfahrungen glaubte. 

Die Bevollmächtigten die er in Paſſau hatte, verſäum— 
fen nicht8 um ihn dazu zu ſtimmen. Sie ftellten ihm vor, 
daß in Deutjchland alles den immerwährenden Frieden wün— 
fche, zumal da er, der Kaifer feldft fchon um feiner vielfa- 
chen Befchäftigungen willen nicht im Stande fey eintreten: 
den Unordnungen zu ſteuern.“ Der König motivirte bei 
der Einfendung der Artikel die Bewilligung derfelben mit der 
erwähnten Gefahr der Fatholifchen, befonders der geiftlichen 
Fürften, und mit der Beforgniß, daß fich Leicht, wenn die 
Vereinbarung ſich an die Neligionsfachen ftoße, alle andern 


1. Rye und Geld an den Kaiſer, 15 Suni: nous trouvons 
que tous les estats qui sont icy lesquels sont les premiers de 
toute la Germanie sont merveilleusement enclins a celte paix uni- 
verselle et les ecelesiastiques pas moins que les seeuliers. Car 
voyant que les choses du coneil s’en vont a la longueur et que 
tous les jours surviennent de nouveaux troubles et que V.M® a 
tant d’affaires contre les malveillants quelle ne peut si bien re- 
medier aux iuconvenients comme elle desire, tout le monde veut 
eire assure. 








Widerftand des Kaifers. 269 


Stände augsburgifcher Eonfeffion an die Friegführenden an— 
fchließen möchten. Man machte den Kaifer aufmerkfam, daß 
weder der Papft, noch der König von Frankreich, noch irgend 
ein andrer Fürft von Europa an die Pflicht denfe, die Ketze— 
reien auszurotten, daß die ganze Laft einer folchen Unterneh: 
mung auf ihn allein fallen würde. Auch liege wohl fo viel 
an Tag, daß man wider die neuen Meinungen mit dem 
Schwerte nichts ausrichten könne: die Deutfchen würden 
ihre Hand nicht dazu bieten, durch fremde Nationen laffe 
es fich nicht thun. 

Im Angeficht der Kämpfe welche die Welt erfüllen, der 
Kräfte die dazu von beiden Seiten in Anwendung gefett 
werden und der Erfolge die fich ergeben, bilden fich Über: 
zeugungen, die plößlich hervortreten und Jedermann ergrei- 
fen, weil fie aus dem Gefchehenen mit Nothivendigkeit ent- 
fpringen; man kann fagen: fie enthalten Gefeße fir eine, 
wenn auch erft ferne Zufunft in ſich. So fühlte man jeßt 
die Unmöglichkeit, das alte Spftem der dogmatifchen und 
Firchlichen Einheit in der abendländifchen Ehriftenheit aufrecht 
zu erhalten, die Gemüther mit dem Schwert zu regieren. 

Und davon hängt die Mirkfamfeit eines hochgeftellten 


Menſchen mit am meiften ab, in welches Verhältniß er zu 


Überzeugungen diefer Art tritt, ob er fie annimmt oder fich 
ihnen entgegenfeßt. 

Carl V hielt umerfchütterlich an dem einmal ergriffenen 
Spfteme feft. 

Es war der Gedanke feines Lebens; daß er in einem 
unglücklichen Augenblick vor einem plöglichen Anfall hatte zu- 
rückweichen müffen, Fonnte ihn darin nicht irre machen. 

Die Einheit der Ehriftenheit aufrecht zu halten galt ihm 


270 Zehntes Buch. Erftes Kapitel. 


für eine durch die Neligion gebotene Pflicht. Während der 
Verhandlungen wiederholte er feine Behauptung, daß dazu 
ein allgemeines Concilium das einzig geeignete Mittel ſey. 
Höchftens wollte er die Sache, aber ganz in den gewöhn— 
lichen Formen und mit Vorbehalt feiner alten Autorität, 
noch einmal an den Neichstag bringen. Den immerwäh- 
renden Frieden zu bewilligen, fchlug er ohne Weiteres ab. 
Nicht als ob er, wie e8 in einem feiner Briefe heißt, daran 
denfe, die Proteftanten mit Krieg zu überziehen, wozu er jeßt 
nicht einmal die Mittel habe: aber durch diefe Bewilligung 
würde alles rückgängig werden, was man mit fo vieler 
Mühe und fo vielen Koften erreicht, das Interim und die 
legten Reichstagsſchlüſſe; er würde die Kegereien auch dann 
dulden müffen, wenn fich Zeit und Gelegenheit zum Gegen: 
theil zeige; ſchon jetzt müffe ev Scrupel haben für die, welche 
er dann empfinden werde. Und auch jest könne er fich 
nicht damit entjchuldigen, daß ihm Gewalt gefchehe: noch 
fen fie nicht gefchehen, noch könne er nach Stalien oder 
vielleicht nach Flandern gehn, und gewiß er wolle es thun, 
ehe er fein Gewiſſen beſchwere, ehe er dieſen Zaum fich an— 
legen laffe. ! 

Der Nothiwendigkeit der Dinge, die er nicht anerkannte, 
fegte er, wie wir fehen, feine geiftlichen Pflichten entgegen, 
die er, feitdem er fich fo lange mit ihnen getragen, von Un— 
glück und Gefahr mehr beftärft als erfchlittert, ſtrenger als 
jemals auffaßte. 

1. L’empereur au roi, undatirt, jedoch Anfang Juli: Si ne 


puisje comme qu'il soit consentir Ja bride que en ce Ton me 
veut meltre pour non pouyoir jamais procurer le vemede. 





Widerſtand des Kaifers. 271 


Ferdinand hielt nicht fir rathſam, die Weigerungen und 
Ausftellungen des Kaifers der Verſammlung wie fie waren 
mitzutheilen, er hätte den Bruch der ganzen Unterhandlung 
gefürchtet. Nur im Allgemeinen bezeichnete er fie, aber er 
verfprach, fich felbft zu feinem Bruder zu verfügen und al- 
les zu verfuchen, „gleich als gelte e8 feiner Seelen Seligkeit“, 
um denfelben auf eine andre Meinung zu bringen. ı Am Gten 
Juli veifte er von Paffau ab, am 8ten finden wir ihn in 
Billach. Er ftellte dem Kaifer vor, in welche Gefahr ihn 
der MWiederausbruch der Feindfeligkeiten in Deutfchland ſtür— 
zen werde: fchon fen auch der Herzog von Baiern von den 
Friegführenden Fürften aufgefordert fich zu ihnen zu fehle 
gen, und im Meigerungsfall mit dem Nuin feines Landes be: 
droht; dagegen verfpreche Morig eine anfehnliche Hülfe in 
Ungarn zu leiften, wenn der Friede zu Stande Fomme, und 
bei den unaufhörlichen Fortfchritten der Türken fey für ihn 
nichts dringender, nothiwendiger. uch bemwirfte er damit 
mohl, daß eine und die andre unweſentliche Einwendung 
weggelaffen ward, welche der Kaifer gegen die vorgefchlage: 
nen Artikel gemacht; in Bezug auf dag Gericht wurden all 
gemeine wiewohl nicht eben verpflichtende Werficherungen 


1. Bor feiner Abreife erflärt er den Ständen: er wolle „alle 
mügliche Perfuaftones, ausführung und anzeigung thun, dadurch Keyf. 
Mt zu bewegen, und in Summa den Fleiß anwenden, als langete 
eß ihrer Mt Seelen Seligfeit an, dann J. Mt hetten deffen treff: 
lihe urfach, und wolten nichts liebers wahn das Deutfchland müchte 
zu ruge und die gehorfamen ftende unbefchedigt bleiben, fo wehre ef 
auch yhrer Mt eigene nothöurft, welche der ſchuch alfo drucket, das 
fie wohl mehr hinfen dann gehen möchte. Sie wußten gewifi, das 
die Tuͤrken auf die ſtunde würden vor Tomiſchwar liegen, und fie 
fonnten doch weder mit Gelde noch mit volfe volgen, wehren diefer 
handlung halben lange aus ihren landen geweſt.“ 


272 Zehntes Buch. Erftes Kapitel. 


ertheilt.. In der Hauptfache aber richtete Ferdinand nichts 
aus. Der Kaifer erflärte mündlich eben fo ftandhaft wie 
er es fchriftlicy gethan, daß er nichts zulaffen werde mag 
feiner Pflicht, feinem Gemiffen zumiderlaufe, und follte dar- 
über alles zu Grunde gehn. Er wolle eher Deutfchland 
dem römifchen König iberlaffen, als etwas geftatten: was 
der Religion nachtheilig fey, oder fich dem Urtheilsſpruch 
Derer unterwerfen, die er zu regieren habe. Den Sag in 
welchem immerwährender Friede zugefagt wurde auch für 
den Fall daß man fich nicht verftändige, ftrich er aus. Er 
gieng nicht weiter, als daß er, wie ſchon in der Linzer Er- 
klärung, einem Fünftigen Neichstag zu beftimmen vorbehielt, 
auf welche Weife dem Ziwiefpalt abzuhelfen ſey: wohlver— 
fanden jedoch — — „mit Ihrer Majeftät ordentlichem Zu: 
thun“: nur bis dahin verfprach er Friede; er wiederholte 
nicht einmal, daß er die Vergleichung nur durch friedliche 
und gütliche Mittel herbeizuführen fuchen werde. Auch die 
vorgebrachten Beſchwerden follten dort, unter feiner Theil 
nahme, erörtert werden. Der römifche König mochte fa- 
gen wag er wollte, fo mußte er fich mit diefem Befcheide 
nach Linz zurückbegeben. 

Hier hatte man das doch nicht erwartet. Man meinte 
faft, e8 liege wohl an Ferdinand felbft, und richtete Die 
dringende Frage an ihn, ob er nicht etwa noch eine Neben: 
inftrnction habe. Der König antwortete, er handle rund 
und ehrbar: häfte er weiteren Auftrag, fo würde er denfels 


1. Letire de Yempereur à la reine 16 Juill. „qu'il ne fe- 
roit rien contre son devoir el sa conscience, quand meme tout 
devoit se perdre.“ 








Vertrag zu Paffau. 273 


ben von Anfang angezeigt haben, er habe den Befehl, nicht 
einen Buchftaben ändern zu laffen. ! 

Sollten nun aber nicht die vermittelnden Fürften troß 
alle dem ihrerfeits auf den wohlerwogenen Vorfchlägen ver: 
harren, die fie gemacht? 

Sie zogen in Erwägung daß der Kaifer ihnen doch in 
den weniger bedenklichen Puncten meifteng beigetreten war, 
— daß für den Augenblick, da dag tridentinische Concilium 
fich aufgelöft hatte und von einer Ausführung der Befchlüffe 
deffelben nicht mehr die Nede feyn konnte, auch in religio- 
fer Hinficht nichts zu befürchten ftand, — daß dem Reichs— 
fag, an den die Entfcheidungen, wiewohl mit dem Vorbe— 
halt der dee der allgemeinen Einheit, verwieſen worden, 
ein weiter Spielraum offen blieb: und hielten fiir dag befte, 
fi) dem unmiderruflichen Willen des Kaifers zu fügen. 

Die Frage war nur, ob dann auch die Evangelifchen ihn 
annehmen würden, namentlich Moriß, der feitdem noch ein— 
mal nach Paffau zurückgefommen war, und als er fah wie 
die Sachen fanden, e8 mit der Erflärung verlaffen hatte, Daß 
auch er am feine Zufage nicht weiter gebunden ſeyn wolle. 

Mit gegründeter Beforgniß nahm er bie fortgehenden 
NRüftungen des Kaifers wahr. Wie im Mai gegen Neitti 
und die laufe, fo flürzte er fich im Juli gegen einen an- 
dern Mufterplaß des Kaifers bei Frankfurt a. M., wo fich 
bereitd 16 Fähnlein z. 5. und 1000 M. 3. Pf. unter deffen 
Namen gefammelt. 

Hier aber war ihm das Glück nicht fo günftig wie dort. 

Nach der Ausſöhnung hatte fich in Frankfurt der alte 

1. Le Roi des Romains à l’empereur 16 Juill. (And. ) 

Nanfe D. Geſch. V. 18 


274 Zehntes Buch. Erjtes Eapitel. 


Einfluß des Kaifers auf ‚die Gefchlechter und den Nath von 
Frankfurt wieder hergeftellt: die Stadt entfchloß fich, auch 
unter den gefährlichen Umftänden in denen man war, feine 
Truppen bei fich aufzunehmen. Der Oberſt der fie befeh— 
ligte und der Bürgermeifter theilten die Schlüffel der Thore 
unter einander. Zur rechten Zeit traf ein Faiferlicher Kriege: 
commiffar mit dem nöthigen Gelde ein, um die Söldner zu: 
frieden zu ftellen und ein gutes Verhältniß mit den Bürgern 
möglich zu machen. 

Dadurch zog nun zwar die Stadt den Angriff der Ber 


bimdeten gegen fich felber herbei. Zerfprengte Flüchtlinge, 


Nauchfäulen von der Holshaufer Ode her kündigten bald 
dag Heer derfelben an. Im erften glücklichen Scharmüßel 
fprengte Moris bis an die Stadtthore. Zu fürchten aber 
war bei den guten Vorkehrungen die man in Frankfurt ge 
troffen, diefer Feind, dem e8 an dem nöthigen Belagerungs— 
gefchüß fehlte, mit nichten. Nicht allein feine Anfälle und 
Stürme wurden abgefchlagen, er erlitt auch einen großen 
Verluſt. Der junge Friegsfreudige Georg von Meflenburg, 
der felber mit feinem Fauſthammer an das Thor von Sad) 
fenhaufen Flopfte, um zu fehen ob es inwendig gefüllt fen, 
und da er das nicht fo fand, ein Paar Büchfen heranbrin- 
gen ließ um fie auf daffelbe zu richten, mußte diefe Kühn 
heit mit dem Tode büßen. Moritz, der die Stadt auffor- 
derte, befam darauf die bittere Antwort, er möge erft fromm 
werden und die Judasfarbe ablegen. 


1. Zimotheus Sung an den Churf. von Brandenburg. „25 und 
26 haben Marggraf und Chf. zwen groß flurm vor Frankfurt ver- 
loren, und dermaaßen abgewiefen, das fie Teichtlich nicht wiederfom- 
men.” Vgl. Kirchner II, 192. 


> As ei u ee 


' 











Vertrag zu Pajfau. 275 


In diefem Augenblick trafen die Abgeordneten mit dem nach 
der Faiferlichen Anmweifung veränderten Sriedengentwurf ein. 

Wäre Mori Herr von Frankfurt gewefen, wer weiß 
ob er den Vertrag angenommen hätte. Aber er war es 
nicht; auch an vielen andern Stellen hielt fich die Eaiferliche 
Macht: wenn er den Vertrag abfchlug, fo hafte er Achts— 
erklärung und die unbedingte Herftellung feines Vetter Jo— 
hann Friedrich zu erwarten; ' er mußte einen neuen Krieg 
auf Leben und Tod beftehen. Nahm er dagegen den Der: 
frag an, fo ward der Landgraf befreit, was ihn einer 
fchweren perfönlichen Verpflichtung überhob; nicht unbebdeu- 
tende andere Zugeftändniffe, wenn auch nicht die legten Die 
er gefordert, traten in Wirkſamkeit; für die Sicherheit fei- 
ner Ermwerbungen war e8 von dem größten Werthe, wenn 
er fie zumächft auch unter einer veränderten Ordnung der 
der Dinge unangefochten behauptete. Seinem Bunde mit 
dem König von Frankreich entfprach es zwar nicht; aber er 
wußte fehr wohl daß er darüber mit demfelben doch nicht 
zerfallen wiirde. Nach einigem Bedenken nahm er am 29ften 
Juli den Vertrag anz zu Nödelheim bei Frankfurt ift Die 
Driginalurfunde, welche die Abgeordneten Ferdinands mit: 
gebracht hatten, von Morig, den jungen Landgrafen umd 
Johann Albrecht unterfiegelt worden. ? 

1. Sn Paſſau hatte Johann Friedrich, nicht aus eigner Bewe- 
gung fondern auf Antrieb des Kaifers, bei den Verfammelten anfra: 
gen laffen: — er erzählt es felbjt in der Propofition auf dem Land: 
tag zu Saalfeld (Hortleder II, ın, ce. 87, nr 7): „was wir ung aufm 
Fall, da unfer Vetter Herzog Mori geächtigt würde und wir un- 
fer Land wider einnehmen follten, vor Hülf und Zufaß bei iren Lieb: 


den zu verfehen. 
2. Adam Zrott an den Churf. von Brandenburg, Sonntag 


18* 


276 Zehntes Buch. Erfies Capitel. 


Höchſt erwünscht war dieß zumächft dem König Ferdi- 
nand, der nun feine Kräfte nach dem von einem türfifchen 
Einfall aufs neue bedrängten Ungarn wenden konnte; Mo: 
ritz ernenerfe fein DVerfprechen ihm felbft zu Hilfe zu kom— 
men. Die vor Frankfurt verfammelten Truppen der Wer: 
bindeten, bis auf ein einziges, dag reifenbergifche Negiment, 
das fich zu Marfgraf Albrecht ſchlug, Teifteten dem König 
den Eid der Treue. 

Ferdinand vergalt die Dienfte die er dergeftalt empfieng, 
dadurch, daß er feinen Bruder aufforderte, Johann Friedrich, 
der noch immer dem Hofe folgte, nicht eher förmlich zu ent: 
laffen, bi8 er das zwifchen feinen Söhnen und Morig ent 
worfene Abkommen beſtätigt habe. 

Schon war es jedoch dem Kaiſer, der täglich die Kräfte 
ſeiner Gegner abnehmen und die ſeinen anwachſen ſah, wie— 
der zweifelhaft geworden, ob er ſeinerſeits den Vertrag auch 
nur ſo, wie er ihn zuletzt angenommen hatte, ratificiren ſolle. 
Einer ſeiner Hauptleute und Räthe ſagte ihm, bis jetzt ſey 
der Krieg von den Fürſten geführt worden, ohne Wider— 
31 Juli. „Syn alſo uff den Abent Jacobi anfommen (24 Juli) 
und folgendes tages gehort und an allem was moglich und zu dem 
fryden, fornemlich zur Erledigung des Landgrafen dienftlich fein mogen 
nicht3 unterlaffen, aber heut Sontags nah) Jacobi (31 Juli) feynd 
mir erft teutfhe Antwort zu erlangen fortroftet und hat myr der 
Ehurf. gefagt die Sachen fteen dermaß das ich uf der poft den Land- 
grafen holen ſolle.“ Adam Trott an die Näthe zu Paſſau Iſten 
Aug. — „magf Euch nicht verhalten, das die Handlung allhie Gott- 
lobe verrichtet, aber doch nicht one große Mhue und auch durch fon- 
dern Vlyß des Churf. zu Sahfen, und hat fych der Landgraff mit 
den alten Rheten, die er iKond flattlich bei fich hat, aufs beſt er- 
zeigt.“ Das Datum in der neuen Sammlung der Neichsabfchiede, 


gegeben zu Paſſau 2 Aug., it ohne Zweifel falſch. Die alten Ab— 
fohriften haben das richtige Datum 16 Juli— 


nn 








Vertrag zu Paffau. 277 


fand: würden fie ihren Meifter und Herrn fich gegenüber 
fehen, fo würde ihnen das Gewiſſen fehlagen und fie wür— 
den das Herz verlieren. Am 10ren Auguſt hat der Kaifer 
durch Andelot feinem Bruder wirklich noch einmal eine Er- 
öffnung in diefem Sinne machen laffen: er fehe jeßt die 
Möglichkeit den gehorfamen Ständen zu Hülfe zu Eommen; 
allzu drückend feyen die Bedingungen die er eingegangen; 
wer könne dafür ftehn, daß Moriß nicht, wenn er nach Un: 
garn gehn dürfe, dort einen Streich fpiele wie vor Magde— 
burg. Iſt Ferdinand je über eine Mitteilung feines Bru— 
ders erfchrocken, fo war es damals. Er beſchwur ihn, ihm 
diefen Schimpf nicht zugugiehen: nur auf fein Zureden, denn 
er babe immer am meiften auf die Herftellung des Friedens 
im Neiche gedrungen, feyen die Bedingungen des Vertrags 
sulegt von den Fürften genehmigt worden, von Mori fürchte 
er nichts, da die Truppen ihm, dem König, gefchtworen; und 
entbehren Fönne er deffen und des Neiches Hülfe nun ein: 
mal nicht: ein Bruch wide ihm und feinen Kindern, allen 
feinen Ländern, in diefer Gefahr vor den Türken, zum voll 
kommenen Verderben gereichen. ! 

Hierauf entfchloß ſich der Kaifer den Vertrag zu beftäti- 
gen. „Ganz allein”, fchreibt er feinem Bruder, „die Nück 
ficht auf Eure befondre Lage, Eure Königreiche und Lande 
haben mich dazu bewogen. Auch feiner Schwefter meldet 
er, die Betrachtung, welche Bedrängniß Ungarn und die ganze 
Ehriftenheit von den Türken erfahren werde, wenn Mori 
nicht einige Hilfe Teifte, habe ihn vermocht den Vertrag zu 
vatificiren. 

1. Ferdinand an den Kaifer 20 Aug. 1552. (Anh.) 


278 Zehntes Bud. Erftes Capitel. 


Unter einem fo mannichfaltigen Wechſel von Berathun- 
gen und Antrieben ift der Paſſauer Vertrag zu Stande ge 
kommen. 

Man könnte nicht ſagen, daß er für die große innere 
Frage, in den religiöſen Angelegenheiten eine definitive Be— 
ſtimmung gegeben oder auch nur in ſich eingeſchloſſen habe. 

Der immerwährende Friedſtand zwiſchen den beiden Be— 
kenntniſſen war ausdrücklich verweigert, die alte Idee der 
kirchlichen Einheit, als einer Bedingung des politiſchen Le— 
bens, vorbehalten, und jede weitere Feſtſetzung auf den Reiche: 
tag verfchoben worden, von dem fich doch nicht vorausfehen 
ließ, ob er nicht durch feine Conſequenz gefeffelt unter Ahnli- 
chen Einwirfungen wie früher auch wohl zu ähnlichen Be 
fchlüffen gebracht werden Fönnte. 

Auch wurden nicht einmal die obfchtwebenden Unruhen 
dadurch befeitigt. Markgraf Albrecht von Brandenburg wei— 
gerte fich ihn anzunehmen und feßte feine Züge gegen Stif— 
ter und Städte, wie er fie in Franfen und Schwaben bes 
gonnen, an Nhein und Mofel fort. Auf fein Beifpiel fah 
Graf Bolradt von Mangfeld, der gegen Ende Mai in Nabe 
burg eingebrochen war, die filbernen Apoftel aus der Dom: 
Firche geholt und die Domherrn genöthige hatte den jungen 
Herzog von Lauenburg zum Bifchof zu poftuliven: noch hielt 
er dort an der Elbe eine beträchtliche Mannfchaft im Felde. 

Bei alle dem war der Paflauer Vertrag doch ein un: 
ermeßliches Glück für Deutfchland. 

Das nunmehr auch vom Kaifer zufammengebrachte Heer 
und das heffifch -fächfifche hätten fonft mit einander fchla- 
gen müffen, und die ganze Kriegswuth beider Iheile häfte 
fih nach dem Neiche hin entladen. 





Entlaffung Johann Friedriche. 279 


Set aber wandten die beiden Gegner ihre Kräfte nach 
den Grenzen hin. In dem Innern ward wenigftens fo viel 
erreicht, daß der gedrückte, durch die Kriegserfolge von 1547 
berbeigeführte Zuftand aufhörte der bisher obgewaltet. 

Zunächft Eehrten die beiden gefangenen Fürften in ihr 
Land zurück. 

Als der Kaifer ſich entjchloß die dem gewefenen Chur- 
fürften Johann Friedrich bewilligten Erleichterungen in eine 
vollftändige Befreiung zu verwandeln, ihn von dem Hofe, 
der jeßt wieder nac) Augsburg gefommen, zu entlaffen, legte 
er ihm doch noch) zwei Bedingungen vor, die eine mehr in 
feinem, die andre mehr in feines Bruders Sinn. Johann 
Friedrich follte fich noch verpflichten, den Befchlüffen eines 
Finftigen Conciliums oder Neichstags in der Neligion Folge 
zu leiſten und die Verträge mit feinem Vetter zu beobach- 
ten. Das legte war in fo fern neu und ſchwer, als er zu: 
gleich für feine Söhne gutfagen und andre Sicherheiten her: 
beifchaffen ſollte; aber er entſchloß fich dazu: er erbot fich 
die Verträge zu unterzeichnen, fobald als es Churfürft Mo- 
vis gethan haben werde." Mag aber die erfte Anmuthung 
betrifft, fo blieb er nach wie vor unerfchütterlich. Gern ver: 
ſprach er wegen der Religion mit Niemand in Bündniß zu 
treten, noch die Altgläubigen thätlich zu beläftigen; aber da- 
hin war er nicht zu bringen, daß er fich eine Fünftige Wer: 
gleichung anzuerkennen verpflichtet hätte. In aller Demuth 
erwiederte er dem Kaifer, er ſey entfchloffen, bei der Lehre 
die in der augsburgifchen Confeffion enthalten, bis in feine 
Grube zu bleiben. 


1. Die fogenannte Affecurationsacte. Eigner Beriht Johann 
Friedrichs an feine Stände. Hortleder II, iu, 87, nr. 7. 





280 Zehntes Buch. Erſtes Capitel. 


Durch ſeine Haltung in der Gefangenſchaft hatte Jo— 
hann Friedrich erſt recht gezeigt, wie Ernſt es ihm auch 
in glücklicheren Zeiten damit geweſen war, feinem Kaiſer Ge 
horſam zu beweiſen. Es iſt immer derſelbe Gedanke, — 
bei aller einem Reichsfürſten geziemenden Hingebung, doch 
in Beziehung auf göttliche Dinge, wo man einer andern 
Welt angehört, die volle Unabhängigkeit des Gewiſſens zu 
bewahren. Früher, bei den Conflicten, in welche die ſtrei⸗ 
tigen Nechtsverhältniffe brachten, Fonnte diefe Gefinnung 
nicht immer hell und zweifellos erfcheinen: in der Gefan— 
genfchaft, wo fich die Gegenfäße reiner und einfacher ge: 
ftalteten, leuchtete fie dann in vollem Glanze hervor. Und 
recht naturgemäß entfprang fie in ihrer doppelten Nichtung 
aus der deutſchen Gefchichte. Auf das tieffte hatte die Idee 
des Neichs und feiner Ordnung die Gemüther durchdrun: 
gen; eben fo Iebendig waren fie jegt von dem göftlichen 
Urſprung der heiligen Schrift und der unbedingten Gültig: 
keit einer freieren Auffaffung derfelben ergriffen; beides zu 
vereinigen hätte Große und Geringe befriedigt. Aber Carl V 
verftand dag entweder nicht, oder wollte doch nichts davon 
hören; er wollte ſich Gehorfam in göttlichen und menfchlichen 
Dingen erzwingen. Damit erzog er ſich eben Die, die ihm 
endlich den einen wie den andern verfagten, und die Waf: 
fen der Politik und des Krieges, die fie von ihm führen ge: 
lernt, nun gegen ihn felber wandten. Johann Friedrich da- 
gegen beobachtete auch in feiner Gefangenschaft vollfommene 
Treue. Er wollte nicht einmal zugeben, daß jene Fürbitte der 
Reichsfürften fir den Landgrafen auch auf ihn erftreckt würde; 
es machte ihm Sorgen, daß die Stände feines Landes und 


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En Zu a a a u ER Pe 


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Rückkehr Johann Friedrichs. 281 


feine Söhne nicht ganz abgeneigt waren auf die Verbindung 
mit Mori einzugehn, und er felber hat es verhindert. Es 
wäre zugleich graufam und unklug geweſen, einen Mann 
von Diefer Gefinnung länger zurückzuhalten.“ Am erften 
September 1552, dem Tag feines Aufbruchs von Augs— 
burg, entließ ihn der Kaifer mit der Erflärung, er habe an 
feinem Verhalten während der Verſtrickung ein gnädiges Ge: 
fallen gehabt: er hoffe auch Fünftig zu allen Gnaden Ber: 
anlaffung zu haben. Der Fürft fchied mit dankbaren Er 
bietungen und fchlug den Weg nach feinem Lande ein. 

Bon Anfang am zeigte er fich entfchloffen, Feine Feindſe— 
ligfeiten gegen Morig vorzunehmen. „Geh hin’, fagte er 
einem von denen, die ihm zuerft glückwünſchend entgegen: 
Fame, „und fage zu Haufe, daß ich ohne Waffen Fomme 
und feinen Krieg mehr führen will. 

Welch ein Wiederfehen war es, alg er in feinem Stamm: 
land bei Coburg wieder anlangte! Der erfte der ihm ent: 
gegenfam, war fein Bruder Johann Ernft, der feinen Wahl— 
fpruch: ich trau Gott, nun erfüllt fah. Bald erfchien aud) 
feine Gemahlin mit ihren bherangewachfenen Söhnen. Die 
Berge und Wälder wurden befucht, um der lange entbehr: 
ten Jagdluſt zu pflegen und die heimathliche Luft wieder 
einzuathmen; an den hellen Duellen im Grunde der Forften 
ward das Mittagsmahl eingenommen. Bor den Städten 
erfchienen dann weit Braußen die Rathsherrn in den ſchwar— 
zen Mäntel, ihrer Amtstracht, um den angeſtammten Herrn 

1. Der Kaifer verſprach „der Religion halber gegen ihn oder” 
die feinen infonderheit nichts vorzunehmen ” Dieß infonderheit, die 


gebuͤhrlichen Wege der Vergleichung ſchloſſen noch immer das Con— 
cilium und eine allgemeine Reichsverpflichtung nicht aus. 


282 Zehntes Buch. Erftes Capitet. 


su bewillkommen: die Bürger mit ihren Nüftungen oder in 
ihren beften Kleidern bildeten ein Spalier; auf den Märk— 
ten warteten die Geiftlichen mit der männlichen Jugend auf 
der einen Seite, auf der andern die eisgraueften Bürger mit 
den jungen Mädchen, die in fliegenden Haaren mit dem 
Rautenkranz erfchienen; die Knaben ftimmten das Tedeum 
lateinifch an, die jungen Mädchen antworteten mit dem deut: 
chen: Herr Gott dich Toben wir; der Fürft, der ihrem Ge 
bet feine Nückfehr zufchrieb, zog mit entblößtem Haupte, dan: 
Fend und gnädig, fie alle vorüber; — neben ihm fein Sohn 
und Meifter Lucas Cranach, der aus herzlicher Liebe, die 
ihm auch erwiedert ward, die Entbehrungen der Gefangen: 
fchaft freiwillig mit ihm getheilt —; wenn er dann abge 
ftiegen, brachte ihm wohl ein in die Hoffarbe gefleideter Knabe 
aufgefparte Goldftücke der Bürgerfchaft in einem Fünftlichen 
Pokale dar. Johann Friedrich erfchien wie ein Märtyrer 
und Heiliger. Als er in Weimar einzog, meinte man ein 
langes weißes Kreuz über ihm zu ſehen.“ Melanchthon — 
denn auch aus dem verlornen Lande, von Wittenberg her 
verſäumte man nicht ihn zu begrüßen — verglich ihn mit 
Daniel unter den Löwen, oder jenen drei gläubigen Sfraeliten 
im feurigen Ofen; Gott, der ihm diefe Seelenftärfe verliehen, 
und ihn nunmehr freigemacht, habe dadurch gezeigt, daß er 
wahrhaftig Gott fey, der im diefem fterblichen Leben fich eine 
ewige Kirche ſammle, ihr Bitten und Seufzen erhöre. ? 

1. Sobann Förfter: Custodia et liberatio des durchlauchti- 
gen ꝛc. SHortleder IH, ı1, 88, nr. 55. Müller fächfifche Annales a. 
h.a. Schultes Coburg: Saalfeldifhe Geſchichte I, 41. 


2. Schreiben vom 14 Sept. Vgl. Dedication des vierten Theils 
der Iutherifhen Schriften vom 29 Sept. (Corp. Ref. VII, 1072, 78.) 








Ruͤckkehr des Landgrafen. 283 


Um diefelbe Zeit Eehrte auch der Landgraf Philipp in 
fein Land zurück. Erft in dem Augenblick der definitiven 
Annahme des Vertrags gab der Kaifer Befehl zur Befreiung 
de8 Gefangenen; bi dahin hatte derfelbe von dem eigen: 
mügigen und üdermüthigen Wächter der ihm beigegeben war, 
noch manche Mißhandlung auszuftehn. In Teroueren nahm 
er dann von der Königin Maria Abfchied, die fich aus fei- 
nen Neben überzeugte, daß er nun dem Kaifer treu bleiben 
werde. Als er im Eaffel anlangte, begab er fich zuerft in 
die Martingfirche, die fich fofort mit dem herbeiftrömenden 
Volk erfüllte, und Fniete vor dem Denkmal feiner indeß ver: 
ftorbenen Gemahlin nieder; fo verharrte er im Gebet und 
Nachdenken und Erinnerung an alle perfönlichen Verwicke— 
lungen der Vergangenheit — bis die erften Töne der Or— 
gel den ambrofianifchen Lobgefang anhoben. 

Wie die gefangenen Fürften, fo Fehrten auch an vielen 
Stellen die verjagfen Vrediger zurück. Hie und da, wie im 
Würtenbergiſchen, ward das Interim durch fürftliches Edict 
abgefchafft. Der Kaifer felbft ward bewogen, unter andern 
in Augsburg, wo er fonft an den Einrichtungen die er getrof: 
fen, nicht leicht etwas fallen ließ, neben dem interimiftifchen 
Dienft doch auch Prediger zu dulden die fich zur augsbur: 
gischen Confeffion hielten. Auch dem Markgrafen Johann 
gab er vorläufig beruhigende Verficherungen. Der religiöfe 
Geiſt der Nation athmete wieder auf. 

Wir fehen: fo umnerfchütterlich der Kaifer auch an den 
alten Hauptgrundſätzen fefthielt, fo Eonnte er doch in diefem 
Augenblick in ihrer Handhabung nicht mehr fortfahren. 

Und war e8 nicht weiter ein großer Gewinn, daß fich 


284 Zehntes Buch. Erftes Capitel. 


in den Berathungen der -Neichsfürften in Paſſau jene Über— 
zeugung, deren mir gedachten, obwohl fie dem Faiferlichen 
Gedanken entgegen lief, durchgeſetzt hatte? 

Sehr gewiß, daß der Kaifer, wenn er wieder in vol 
len Beſitz feiner Macht Fam, derfelben nicht Naum geben 
wirde: — Morig zweifelte nicht, er werde, wenn er köune, 
auch alles dag wieder zurücknehmen was er jetzt zugeftanden; ! 
— allein wie dann, wenn e8 ihm damit nicht gelang? 

Dann ließ fich wohl nichts anders erwarten, als daß 
die in Paſſau von den Vermittlern gefaßten Gefichtspuncte 
überwiegen und zur Geltung Fommen würden. 

Nochmals knüpfte ſich die Entfcheidung über die wich— 
tigſten innern DVerhältniffe von Deutfchland an den Aus— 
fchlag der Waffengewalt in dem mwiederausgebrochenen euro: 
päifchen Kriege an. 

1. Anzeige an den franzöftfchen Gefandten, unmittelbar vor der 
Annahme des Paffauer Vertrags: „man wußte wol und hett3 genug: 
fam erfahren, das der Kaifer wo er erhalten konnt damit er umb— 


gehe, — Gott geb er verfchreib ſich was er wolf, weniger denn nichts 
halten würde.’ 





Zweites Gapitel. 


Franzöſiſch-osmaniſcher Krieg. 1552, 53. 


Nach den erften drückenden Verlegenheiten hatte der Kai 
fer doch wieder die Mittel gefunden eine bewaffnete Macht 
aufzubringen. Wie dort bei Frankfurt, fo fammelten fich 
auch bei Ulm und bei Regensburg Neiter und Fußvölker 
zu feinen Fahnen; ! deutfche Fürften fraten wieder in Dienft, 
unter andern auch Marfgraf Johann, den der Fortgang dev 
morißgifchen Unternehmungen auf die andre Seite trieb. Über 
die Alpen Famen ein paar taufend Hafenfchüten und einige 
Geſchwader neapolitanifcher Neiter. Eine glänzende Schaar 
fpanifcher Großen hatte fich durch die Bedrängniffe ihres 
Königs aufgefordert gefühlt demſelben auch über dag Meer, 
was nicht ohne Gefahr gefchah, zu Hilfe zu eilen; der Kai: 
fer kehrte nach Insbruck zurück, um fie dafelbft zu empfan- 
gen. Was aber von allem wohl das Michtigfte war, der 
Prinz Don Philipp, der fich wieder in Spanien befand, er- 
füllte das DBerfprechen das er vor ſechs Jahren gegeben; 


1. Briefe von Böcflin und Schwendi, welche in Böhmen die 
Ruͤſtungen beforgten, im Brüffeler Archiv. 


286 Zehntes Bud. Zweites Capitel. 


er wußte eine Million Ducaten zufammenzubringen und über: 
fchiefte fie feinem Dater. ! 

In Kurzem fah der Kaifer wieder ein Heer um fich, 
wie dag, was er damals gegen die Proteftanten geführt; 
und um fo erFlärlicher ift e8, wenn ihm der Gedanfe auf- 
ftieg, fein Glück aufs neue in Deutfchland zu verfuchen. 

Der Unterfchied war nur, daß er damals Friede mit 
den Osmanen und den Franzofen gehabt hatte, von diefen 
aber jeßt mit aller Macht angegriffen war. Was hätte, 
wenn er den Krieg in Deutfchland fortfegen wollte, anders 
erfolgen follen, als daß fich die Einen Ungarns, die Andern 
der Niederlande bemächtigt hätten. Schon ließ Königin Ma- 
via ihren Bruder wiffen, fie gefraue fich nicht, die Nieder: 
lande den Winter über zu vertheidigen. 

Beffer war e8 doch), im Neiche den Frieden eintreten zu laf- 
fen und die Waffen gegen die auswärtigen Feinde zu richten. 

Die beiden Heere, welche bereit gefchienen fich mit ein- 
ander zu mieffen, zogen es vor, nun von dem beiden Fein 
den jedes den einen auf fich zu nehmen. 

Der Kaifer wandte fich gegen Frankreich. Am 19ten 
September machte er der Stadt Straßburg feinen Befuch, 
der er für die gute Haltung dankte, welche fie bei dem Ein: 
fall der Frangofen in den Elfaß bewieſen hatte. Während er 
im Minfter eine Andacht hielt, zog fein Heer an den Mauern 
der Stadt vorüber. 

Einige gaben ihm den Nath, wie früher, in dag Innere 
von Frankreich vorzudringen, was den König, deffen Heer ſchon 
nicht mehr recht in Stande war, in die größte Derlegenheit 

1. Sepulveda XXVIL, $ 34, 35. 





Belagerung von Me. 287 


bringen und vielleicht zu einem Frieden tie der von Erefpy 
nöthigen Eönne. Der ſtolze Kaifer aber Eonnte vor allem nicht 
ertragen, daß eine Neichsftadt von den Franzofen bei feiner 
Regierung follte in Befiß genommen feyn. Auch meinte ev 
wohl durch die Eroberung derfelben die Sicherheit der Nieder 
lande zu vermehren. Der Herzog von Alba, der in diefen An— 
gelegenheiten dag große Wort führte, verficherte, daß es froß 
der vorgerückten Jahreszeit noch möglich feyn werde. Am 
19ten October erfchienen die Faiferlichen Truppen vor Mes. 

Sehr befchwerlich häfte ihm Markgraf Albrecht werden 
können, der fich) an der Spige von 10000 M. nach Loth: 
ringen geworfen hatte; ohne viel Zeitverluft aber gelang es 
dem Kaifer, — wir werden von den Bedingungen unter 
denen e8 gefchah und den Ereigniffen die ſich daran knüpf— 
ten bald ausführlicher zu Handeln haben, — den Marfgra: 
fen auf feine Seite zu ziehen. 

Und fo konnte er feine verftärfte Macht ungerftreut auf 
die Belagerung wenden, von der man fühlte daß fie noch 
über mehr, als über die Zukunft diefer Reichsſtadt ent: 
fcheide. Der florentinifche Gefandte fpricht die Überzeugung 
aus, wen es dem Kaiſer gelinge, fo werde er auch alle an: 
dern FSeindfeligfeiten feiner Gegner überwinden und auf Fein 
Hinderniß ftoßen, wohin er fich auch mende. 

Nur langſam jedoch fchrift die Belagerung vorwärts. 
„Schon liegen fie mehrere Wochen vor Meß," fchreibt der 
König von Frankreich am 28ſten Nov. an feinen Verbin: 
deten, den Sultan, „doch haben fie noch nichts Ernfiliches 
unternommen. Sollten fie e8 noch thun, fo haben wir 
darin unfern Vetter, den Herzog von Guife, mit mehr als 


258 Zehntes Buch. Zweites Capitel. 


10000 Mann, die fich nicht fo leicht werden überwältigen 
laffen; im Frühjahr find wir entfchloffen fie wieder aufzufu- 
chen: bis dahin werden fie durch die Jahreszeit und die häu— 
figen Negengüffe welche fchon angefangen haben, zu Grunde ge- 
richtet ſeyn.“ — Eben in diefen Tagen aber hatte der ernftliche 
Angriff begonnen. Ein Theil der Laufgräben war gezogen; 
die Batterien waren errichtet, der Kaifer, von feiner Krank 
heit wieder einmal frei geworden, hatte in einem benachbar: 
ten halbzerſtörten Schloß Wohnung genommen, das Fu 
volE war gutes Muthes, und zeigte fich bereit zum Sturm, 
wenn man ihm mur eine hinreichende Lücke eröffne. Hierauf 
begann die große Batterie von 25 oder 26 Kanonen ihr 
Feuer, das fie fehr lebhaft unterhielt; am 29ften November 
ſtürzte in der That ein Theil der Mauer auf der GSüdfeite 
der Stadt, zwifchen zwei großen Thürmen, zwanzig Schuh 
breit zuſammen: ein lautes Freudengefchrei erſcholl und al 
les lobte den Geſchützmeiſter des Kaifers, Johann Mans 
rique: — allein als der Staub ſich gelegt und man die 
Brefche genauer anfah, fo zeigte fich hinter derfelben eine 
neue, ſchon ein paar Fuß erhöhte Brufiwehr, von Fahnen 
und Standarten überweht, mit Hakenſchützen dicht befegt; 
alles erfchien in folchem Stand, daß Fein Menfch zu dem 
Sturme Luft behiel. Man mußte fürs Erfte die Laufgräben 
weiter fortführen. In den Berichten die an den brandenbur: 
gifchen Hof kamen, ift von einem Verſuch die Nede, die 
Mauern, ja den Platz auf welchem fich die Feinde in Schlacht: 
ordnung zu ftellen pflegten, zu untergraben und in die Luft 
su fprengen; allein nur des Gedanfens wird Erwähnung ge 


1. Salignac Siege de Metz. Coll. univ. de Memoires XL, 
p. 86. 


Kur 
7 





Belagerung von Metz. 289 


than, Feines Verfuches. ! Überhaupt iſt die" Gefchichte der 
Delagerung, die wir Tag für Tag aufgezeichnet finden, fehr 
einförmig. Zu Angriffen welche Hofnung auf Erfolg gege- 
ben hätten, Fam es nicht mehr. Die naßkalte Witterung, 
die fchon den Deutfchen fehr befchtwerlich fiel, wie wir von 
einem großen Theil der brandenburgifchen Neiter, welche der 
Belagerung beiwohnten, die Meldung finden, daß fie er 
krankt feyen, war den Sjtalienern und Spaniern vollends 
verderblich.“ Man behauptet, daß von den Spaniern ein 
Drittheil, von den Italienern die Hälfte umgekommen fen. 
Die Vorherfagungen Heinrichg IT bewährten fich nur allzu 
gut: Anfang Januar. 1553 mußte die Belagerung aufge: 
hoben werden. 

Die Sranzofen priefen den glücklichen Vertheidiger Guife, 
der wirklich eben fo viel Muth wie Umficht an den Tag gelegt 
bat, als einen Helden: wir haben Denfmünzen, auf denen 
ihm dafiir die Krone Jeruſalem — denn von den Königen 
dieſes Reiches leitete fein Haus ſich her — zugefagt wird. 
Auf der Faiferlichen Seite ergoß fich alles in Tadel gegen 
den Herzog von Alba, der durch die Hartnäcigkeit, mit der 
er fich zu ungünftiger Zeit an eine fo zweifelhafte Unterneh: 
mung gewagt, das fchönfte Heer ohne allen Nuten zu 
Grunde gerichtet habe. ° Einft in dem deutfchen Feldzug, 

1. Schreiben des brandenburgifchen Leuttenampts Sylfchrongf 
an Marfgraf Hans 17 Dec. 1552 (Berl. A.). In dem Tagebuch 
der Belagerten werden Contreminen erwähnt. 

2. Pontus Heuterus lib. XIH, cap. XVII. Bruma enim con- 
tinuo gelu corpora urebat, ingensque aere demissa nix molestis- 
sima erat, quibus incommodis cum mox continuae supervenirent 


pluviae, omnia aquis tegebantur corrumpebanturgue. 
3. Dispacei fiorentini. 


Ranfe D. Gefh. V. 19 


290 Zehntes Bud. Zweites Capitel. 


wo der Kaiſer felbft das Meifte gethan und von allen Sei 
fen guter Nach ertheilt worden, habe Alba leicht ein großer 
Mann feyn Fönnen: hier aber, mo guter Rath von Anfang 
an verachtet worden und der Kaifer perfönlich weniger ein- 
gegriffen, babe er bewiefen, daß e8 ihm an wahrem Ta: 
lente gebreche. 

Und nun erfi wurde Meß recht franzöfifch. Gegen 
Hftern 1553 forderte der Bilchof-Cardinal die Macht in 
tweltlichen fo wie geiftlichen Dingen. Die Dreisehn antworte 
ten, im geiftlichen Dingen fey er allerdings ihre Obrigkeit, 
auch fiehe ihm einige Befugniß in weltlichen zu, jedoch mit 
Vorbehalt der höchften Gewalt, die Dem gehöre, welchem fie 
von den Ständen des römifchen Neiches deutfcher Nation zu: 
erkannt werde: fie wagten den Kaifer nicht zu nennen. Der 
Cardinal antwortete, er wolle nichts weiter als die alte Gerech- 
tigfeit feines Stiftes erneuern, und ließ die Gemeinden der 
verfchiedenen Pfarren zufammenbernfen, um ihm eine Anz 
sahl Namen zu bezeichnen, aus denen er das Regiment der 
Stadt ernennen Eönne.! An jenen Gegenfaß des Nathes 


1. Neue Zeitung aus Meg, Oftern 1553. Auf die Forderung 
des Bifchofs antworteten die Dreizehn: „Sie geffanden ime als irem 
Bifhof die Obrigfeit in spiritualibus, dazu das er auch etliche Ge— 
rechtigfeit in temporalibus habe, aber nitt das er merum et mix- 
tum imperium bei inen habe; fondern begeren fie das er dasfelbe 
dem laffe, dem es zugehöre, und dem es die Stende des Neiches ala 
zugehorig erfhennen (haben Keyf. Mt nit nennen dürfen), bitten auch 
ſolchs der Zeith nit zu disputiren, -- aber es ift der Cardinal die: 
fer irer Antwurt nit zufrieden gewefen, fundern gefagt, er gedenf ſich 
der Gelegenheit jeßiger Zeit zu widereroberung feines Stift alte Ge- 
rechtigfeit zu bedienen, hat darauf der Gemeine bevolen, wie man 
aus jeder pfarfirchen, deren 19 fein follen, zu ermellen und jme zu 
benennen, uß denen er das Negiment befeßen möge.“ 


PIRNt us 


Feldzug in Ungarn. 291 


und der bifchöflichen Macht hatten fich einft die Negungen 
der Reform geknüpft; wären fie durchgedrungen, fo hätten 
fie auch die Mittel und den Eifer des Widerflandes ver: 
mehrt, und alles müßte anders gegangen feyn. Der Herzog, 
der die Stadt gegen den Kaifer vertheidigt hat, ift derfelbe, 
der einft die Verfammlung in Gorze zerftörte; jeßt ließ er 
alle Iutherifchen Bücher auf einen Haufen bringen und ver- 
brennen. Die Entfremdung der Stadt vom Neich und die 
völlige Unterdrückung der reformatorifchen Negungen giengen 
Hand in Hand. 

Wie Carl V gegen Frankreich, fo hatte ſich Churfürft 
Morig nach Ungarn gewendet. 

Hier war, wie oben berührt, der Feldzug bereits im 
März 1552 vom Sandfchaf von Ofen, Ali, einem Eunu— 
chen, eröffnet worden. Vor Szegedin hatte er die rothe 
Fahne erbeutet, auf der der Faiferliche Adler mit ausgebrei— 
teten Flügeln ‚erfchien,; dann hatte ev Veſprim und mehrere 
Bergftädte eingenommen; den Anführer der aus den Erblan- 
den zu eilender Hilfe aufgebrachten Mannfchaften, Erasmus 
Teufel, Freiheren zu Gundersdorf, nahın er gefangen und führte 
ihn bei feiner Nückkehr nach Ofen förmlich in Triumph auf. ! 

Und diefen einheimifchen osmanifchen Streitkräften zur 
Unterftügung erfchien nun fchon im Mai der MWefir Ahmed 
mit dem aflatifchen Heere und den Neiterfchaaren die der 
Beglerbeg von Numili ihm zuführte, an der Donau. Die 


1. Isthuanfüius XVII, p. 206. Taifalum ipsum equo insi- 
dentem, tympanistis et tibieinibus ac fistulis pedestribus prae- 
cedentibus moreque suo canenlibus cum praecipuis captivis in 
forum conduxit. 


19 * 


292 Zehntes Buch. Zweites Capitel. 


vor dem Fahr abgefchlagene Belagerung von Temeswar 
ward twieder aufgenommen, und auf die türkiſche Weife un— 
ter ungeheuren Verluſten, deren man nicht achfete, gegen ei- 
nen überaus tapfern, aber diefer Macht nicht gewachſenen 
Feind zu Ende geführt. Die andern Schlöffer des Banats 
folgten nach, und die fürfifchen Einrichtungen begannen, ! die 
fih bis zum Sahr 1716 dafelbft gehalten haben. 

Es war nicht größere Tapferkeit was den Osmanen 
ihre Vortheile verschaffte, fondern nur die Überlegenheit der 
Anzahl und der Vorbereitung: die Anführer die ihnen wider— 
fiehn follten, bemerften es mit tiefem Gram. 

„Wie glücklich waren Die alten Römer,“ vuft Eaftaldo 
aug, „die mit zahlreichen wohlserfehenen Heeren, fo und fo 
viel Legionen und Veteranen nach den entlegenen Provinzen 
zogen: ich bin in dieſes Land gefommen, ohne etwas an- 
ders fagen zu Fonnen, als: ich bin ein Befehlshaber des Kai- 
ſers.“ Er Flagt, daß alles wider ihn ſey was für ihn ſeyn 
ſollte, daß ſein Volk ſeit 7 Monat keinen Pfennig Sold 
empfangen; er erblickt im Geiſt ſeinen Kopf ſchon auf ſo 
einem Wagen, wie er ihn eben mit vielen abgeſchlagenen 
Schädeln vorbeifahren fieht. ? 

Ganz fo unglücklich gieng es jedoch nicht. 

Nachdem die fefteften wohlverwahrteſten Plätze gefallen, 
hielt fich ein Eleinerer, dem man e8 nicht häfte zutrauen fol- 
len, Erlau; eine nur geringe Anzahl Landvolk aus der Zips, 
das die Befakung ausmachte, wies unter Stephan Dobo, 
der feinen Namen bier berühmt machte, wie Juriſchiz, die 


1. Hammer aus Dfehennabi III, 303. 
2. Gaftaldo an Ascanio Gentorio: L. d. p. III, 130. 














Feldzug in Ungarn. 293 


Anfälle der vereinigten türfifchen Heere zurück: drei große 
Stürme beftand e8 fiegreich. 

Und indeß langte Churfürſt Morig mit 5000 M. 3. F. 
6000 5. Pf. bei Raab an. Es fcheint als habe ihm Fer: 
dinand doch nicht ganz getraut und wenigſtens fein Vor— 
rücken nicht gewünfcht. * Aber fchon die Nähe einer fri- 
fchen Heeresmacht, unter einem Fürften der als ein glück: 
licher Kriegsmann bekannt war, machte einen gewiſſen Ein 
druck bei den Osmanen. ? Seine Anmefenheit, die Tapfer: 
Feit der Beſatzung und die erfien Zeichen des herannahen— 
den Winters wirkten zufammen, um die Osmanen zur Auf 
hebung der Belagerung von Erlau zu vermögen. 

Die erlittenen Verluſte herbeigubringen, war feine Macht 
überhaupt nicht fähig; dazu aber, daß den türkiſchen Fort— 
fchritten Einhalt gefchah und die Grenzen befeftige wurden, 
bat er allerdings beigetragen. 

War e8 aber nicht auch am meiften eben feine Schuld, 
daß dieſe Verlufte überhaupt erlitten worden find? 

Ich bin weit entfernt ihn rechtfertigen zu wollen, aber 
ich denfe doch, dieß war bei weitem nicht fo entſchieden dev 
Fall wie man meint. Eben fo viel Schuld wie Morig und 
im Grunde noch größere hatte der Kaifer, der von feinen 
conciliaren Abfichten ganz erfüllt und hingenommen den aus: 


1. Moritz klagt 15 October, daß der König nicht im Nath finde 
noch zulaffe daß er dem Feind entgegenziehe. Langenn I, 552. 

2. Gamerarius verfichert: jactatas quasdam vaticinationes in 
tureica gente de quodam acerrimo et quasi fatali oppugnatore po- 
tentiae suae cujus nomen ad sonum nominis Mauriciani allude- 
vet, significans facie torvum atque nigrum. Oratio in Maur. VI. 
Nach Sfthuanffy verbreitete fich die Meinung unter ifnen, Mori 
werde von der einen, Gaftaldo von der andern Seite fie angreifen. 


294 Zehntes Bud. Zweites Capitel. 


wärtigen Verhältniffen nur geringe Aufmerkfamfeit widmete. 
Obwohl der Krieg mit den beiden Widerfachern fchon aus: 
gebrochen war, hatte er doch verſäumt, die weſtlichen Mar- 
Fon des Neiches in Vertheidigungsftand zu fegen, und feinen 
Bruder gegen einen Einfall in Ungarn zu fichern. 

Kriegsheere des Kaifers oder des Königs find von den 
Proteftanten Feinen Augenblick befchäftigt worden. 

Fern von ihrer Einwirfung, in Stalien, gerieth der Kai— 
fer in ähnliche Nachtheile. 

Die italienifchen Verhältniffe haben in fo meit eine ge 
wiſſe Ähnlichkeit mit den deutfchen, als der andauernde ftille 
Druck, mit dem auch dort die Faiferliche Oberherrfchaft au: 
geübt ward, eben fo wohl einen geheimen Widerftand erweckte, 
der nur den geeigneten Augenblick ertwartete um loszubrechen. 

Wie die Farneſen Piacenza verloren, fo waren die Ap— 
piani in Gefahr, Piombino und Elba an Herzog Cofimo 
abtreten zu müffen. Dagegen erwarteten deſſen Feinde, Die 
florentinifchen YAusgewanderten, zu einem Theil in Venedig, 
sum andern in Frankreich aufgenommen, in Kurzem den Tag 
ihrer Rückkehr zu erleben. In Mailand entdeckte Ferdinand 
Gonzaga mehr ald einmal verrätherifche Berfuche, die er dann 
mit fcharfer, aber aufreisender Überwachung erwiederte. In 
Genua fuchte Luigi Alamanni, der in einem großen Helden: 
gedicht franzöfifche Tendenzen und Namen verherrlichte, auch 
einmal die Anhänger Frankreichs zu vereinigen. In Neapel 
entzweite fich das Oberhaupt des einheimifchen Herrenftandes, 
Fürft Ferrante von Salerno, mit dem Bicefönig: und da er 
glaubte, man ftehe ihm nach dem Leben, fo verließ er dag 
Land: nicht ohne den Gedanken, mit Gewalt zurückzukehren. 

















Stillftand in Stalien. 295 


Und dazu Fam noch, daß unter Denen, welche die ita- 
lienifchen Gefchäfte im Namen des Kaifers verwalteten, 
Ztwiefpalt ausbrach. Gonzaga in Mailand und Mendoza zu 
Rom fanden mit dem Vicekönig von Neapel und dem Her: 
sog Cofimo von Florenz in ganz offener Feindfchaft. Daß 
die ihm zugefagte Überlieferung von Piombino ſich fo lange 
verzögerte, fchrieb Herzog Cofimo allein den beiden Gegnern, 
befonders dem Borfchafter in Nom, zu. 

Unter diefen Umſtänden können wir ung fo fehr nicht 
wundern, daß die Belagerung von Mirandula und Parma 
nicht zum Ziele führte. Papſt Julius klagt, er habe fich 
bis auf die Gebeine beraubt, er habe die Ninge verpfänder 
die er fonft täglich an feinen Fingern getragen; der Unruhe 
welche der Krieg ihm machte, müde, ſchloß er im April 
1552 einen Stilfftand mit den Franzofen, in welchem dieſe 
verfprachen, weder Eaiferliches noch Firchliches Gebiet von 
diefen Plätzen aus feindlich zu behandeln." Nach einigem 
Bedacht nahm auch der Kaifer diefen Stilftand an. 

„Sehr rühmlich für mich,’ ruft Heinrich IL aus, „ſehr 
fchimpflich für ihn, daß ich mitten in den Ländern des Fai- 
ferlichen Gehorfamg, ferne von den meinen, zwei fefte Pläße 
behauptet habe!’ ? A 

Und nothwendig mußte das nun auf die ganze Halb: 
infel die größte Nückwirkung haben. 

Im Kirchenftaat erfchienen jeßt die Farneſen, Paolo 
Hrfino wieder; der Graf von Pitigliano, von dem Mendoza 
dem Kaifer gefagt daß er feiner ganz ficher ſey, erklärte fic) 


‚fir die Srangofen. 


1. Capitoli dell’aceordo. Lettere di prineipi Ill, 123. 
2. Bei Nibier II, 392. 


296 Zehntes Buch. Zweites Kapitel. 


Vor allem gährte e8 in Siena. Von jeher gibellinifch 
und Eaiferlich gefinnt, wollte doch diefe Stadt fich die un— 
mittelbare Herrfchaft nicht gefallen laffen, die der Kaifer aus— 
zuüben unternahm. Schon ein paar Mal hatte fie fich der: 
felben zu entziehen gefucht, aber den erften Verſuch hatte 
fie durch die Aufnahme einer Befagung, den zweiten durch 
Ablieferung aller Waffen gebüßt. Dann hatte Mendoza eine 
Feſtung dafelbft aufgeführt. Die Wölfin, das altrömifche 
Übzeichen der Stadt, fand man eines Tages in Ketten ge 
legt. Es läßt fich wohl nicht bezweifeln, daß der Kaifer die 
Abficht hatte eine fefte Negierung einzuführen und die Stadt 
zum Sitz eines NeichSvicariats zu machen." Aber um fo ge: 
waltiger braufte der alte Geift republicanifcher Unabhängig: 
Feit in Neden und Entwürfen: e8 bedurfte nichts als der An— 
näherung einiger Ausgewanderten und Franzoſen und des al- 
ten Nufes zur Freiheit, fo erhob ſich die ganze Bevölkerung; 
die Spanier, welche darauf nicht vorbereitet waren, konnten 
ihr Gaftell nicht behaupten und wurden verjagt; die Stadt 
nahm einen franzöfifchen Borfchafter auf und rief den Kö— 
nig von Franfreich) zu Hülfe. Kardinal Tournon verfichert 
dem König, Siena gehöre ihm mehr an als wenn er Herr 
davon wäre, und biete ihm nun die befte Gelegenheit dar, 
sur Unternehmung von Neapel zu fehreiten, oder zu jeder an 
dern die ihm gefalle. ? 

Mit einiger Hülfe de8 Herzogs Coſimo von Florenz, 
der zwar von einer Seftfeßung der Franzofen in Toscana, 


1. Sn einem Schreiben vom 18 Nov. 1551 fpricht er fehr ru: 
big von der „„buena occasion, que se ofrece, para justificar la 
del vieariato y establecer alli un governo perpetuo. “ 

2. Bei Nibier II, 424. 








Angriff auf Neapel und Eorfica. 297 


an die fich alle feine Feinde hielten, befonders die Strozzi, 
kein Heil erwartete, aber fie eben darum weil fie ihm fo ge 
fährlic) waren, mit größter Vorficht behandelte, brachte im 
Januar 1553 Don Garcia de Toledo ein Fleines Heer zufant- 
men, das dann auch einige Thäler befette, einige Bergfeften 
einnahm, allein im Ganzen doch nichts Entfcheidendes voll 
509, vor Montaleino gänzlich feheiterte. 

Und in diefem Augenblick traten noch größere Gefah— 
ven ein. Es liegt wohl fehr in der Natur der Sache, daß 
die beiden großen Gegner des Kaifers fich endlich auch zu 
einer gemeinfchaftlichen Unternehmung gegen denfelben ver: 
einigten. Schon im Jahr 1552 war eine Verbindung der 
Slotten beabfichtigt, doch erfchienen die Franzoſen nicht zur 
gehörigen Zeit. Defto pünctlicher zeigten fie fich im Jahre 
1553. Schon in den griechischen Gewäffern trafen die fran- 
zöfifchen Galeeren unter de la Garde mit den Osmanen zu: 
fammen, denen Suleiman ftatt jeder weiteren Anmweifung den 
Defehl gegeben, alles zu vertilgen was fich dem König von 
Sranfreich widerfeße. 

Zuerft richteten fie ihre Angriffe gegen Neapel. Der 
Fürft von Salerno war für den Fortgang deg Unternehmens 
vielleicht eher hinderlich, indem er feine Freunde gegen die 
Gewaltthaten der Osmanen in Schuß nahm. ! Aber fo viel 
ward doch immer bemwirft, daß Don Garcia zur Vertheidi— 
gung von Neapel abberufen und Siena dadurch für dieß 
Mal ernftlicherer Feindfeligkeiten überhoben ward. Dann 
aber lenkten die Flotten ihren Lauf nach den fogcanifchen 
Gewäſſern. Auch hier fahen e8 die Osmanen auf Naub 

1. De la Garde an den König, bei Nibier II, 443. 


298 Zehntes Bud. Zweites Capitel. 


und Plünderung ab, die Franzofen auf Eroberung. Bei die: 
fem Zuge hat Dragut das fruchtbare Pianofa wüſte gelegt, 
fo daß es fich niemals wieder hat erholen können. Dage— 
gen machten die Franzoſen einen erften glücklichen Anfall auf 
Corfica. Sie riefen die Widerfeglichfeit der Eingebornen ge: 
gen Genua auf und nahmen beinahe die ganze Inſel ein. Dem 
Dapft, der fich darüber befchwerte, antwortete der König, er 
könne die Genuefer, von denen dem Kaifer zu Land und zur 
See Vorſchub geleiftet werde, nur als Feinde feiner Krone 
betrachten." Im Befige der Provence, Corſicas und Porter: 
cold’ 8, und dadurch Herr des Meeres, ward er ihnen felbft 
in hohem Grade gefährlich. 

Zwar war mit alle dem noch nichts entfchieden. Der 
Kaifer hatte noch allenthalben dem Angriff auch ſtarke 
Kräfte der Vertheidigung entgegenzufegen. Aber ein gewiſ— 
ſes Schwanfen Fam damit doch wieder in die allgemeinen 
Verhältniſſe, die bereits befeftige gefchienen hatten. So nüß- 
lich es dem Kaifer geworden wäre, wenn er Met erobert 
hätte, fo fehr mußte mun alle diefes Mißlingen und Ver— 
fieren fein Anfehen fchmwächen, fo gut in Deutfchland wie 
anderwärts. 

Überdieß aber nahmen die Dinge in Deutſchland durch 
die Verbindung, in welche der Kaifer mit Markgraf Albrecht 
getreten war, eine höchft eigenthümliche Geftalt an. 


1. Discours hardy du nonce, auquel S. M. a repondu ge- 
nereusement. Bei Nibier II, 477. 








Drittes Capitel. 


Der Krieg zwifhen Marfgraf Albrecht und Chur: 
fürft Mori im Jahr 1553. 


Dergegenmwärtigen wir uns vor allem dag ein wenig 
verwickelte Verhältniß des Markgrafen Albrecht überhaupt. 
Er war nicht eigentlich ein Mitglied des im J. 1552 


zwiſchen den deutfchen Fürften und der franzöfifchen Krone 
gegen den Kaifer gefchloffenen Bindniffes. Er fagt, er habe 


den Fürften feine Hülfe zugefagt: gleichwohl unverpflichtet. 
Er leugnet, daß die Negimenter die er führte, in franzöfifchen 
Dienften geftanden: „keinem Herrn unter der Sonne haben 
fie gefchworen, als ung." 

Wie lebhaft er auch die allgemeinen Intereſſen umfaßte, 
fo war doch fein Sinn, bei dem aufgehenden Kriegsfeuer 
zugleich für fich felbft zu forgen. Von Schulden bedrängt, 
welche durch feine Unternehmungen im Dienfte des Kaifers 
nur noch immer gewachfen, ohne Hofnung zu den Beloh: 
nungen zu gelangen, die man ihm verfprochen hatte, faßte 
er den Gedanken fich am feinen Nachbarn, den geiftlichen 
Fürſten, mit denen er in altem Hader lag, und der Reichs— 
ſtadt Nürnberg fchadlos zu halten. 


300 Zehntes Buch. Drittes Capitel. 


Bei den erfien Bewegungen fprach man allgemein von 
einer Eroberung und neuen Austheilung der Bisthümer. Der 
gute Melanchthon warnte feinen Fürften, fich nicht einer Un— 
ternehmung ansufchliegen, die dahin ziele, die ordentliche Ho— 
heit und dag gefaßte Reich umsumerfen und eine allgemeine 
Verwirrung anzurichten. '" 

Morig war viel zu bedachtfam und practifch, um auf 
Gedanken diefer Art ernftlich einzugehn: e8 war ihm genug, 
ſich nicht durch enfgegengefegte Verpflichtungen zu feffeln. 
Dem Markgrafen gab er im Einverftändnig mit den übri— 
gen Verbündeten die Zuficherung, was er von folchen Stän- 
den, die fich dem Unternehmen nicht zugefellen würden, durch 
Brandfchagung oder auf eine andre Art erlange, das folle 
ihm und feinem Kriegsvolf zu Gute Fommen. 

darkgraf Albrecht fah darin eine Art von Berechtigung, 
und ſäumte nicht diefelbe unverzüglich gegen die widerwär— 
figen und unvorbereiteten Nachbarn geltend zu machen. 

Zuerft griff er, und zwar mit erneuerter Bewilligung des 
Bundes, den Bifchof von Bamberg an, und zwang ihn ein 
volles Drittheil feines Stiftes gleich in fürmlichem Vertrag 
abzutreten. Mit Mühe Fonnte der Bifchof feine Heimat) 
Cronach retten.? Der Bifchof von Würzburg mußte fich 
nicht minder zu einigen Abtretungen verftehn und befonders 
einen guten Theil der marfgräflichen Schulden übernehmen. 
Daß Nürnberg fich durch eine Zahlung an die übrigen Für— 

1. Gutachten Melanchthons bei Hortleder I, v, m. „Und hat 
einer neulich zu mir gefagt, das Bier fey noch nicht im rechten Taf, 
aber es werde bald darein Fommen. 


2. „wo er zu Haufe fey und lefen gelernt.” Hans Fuchs an 
Wilhelm von Grumbach, Hortleder II, vı, 28, nr. 101. 





Markgraf Albrechts Kriegszuͤge. 301 


ften ficher zu ftellen fuchte, Eonmte auf Albrecht keinen Ein- 
druck hervorbringen. Laut der ihm gewordenen Zuficherung 
forderte Albrecht, daß fich die Stadt entweder dem Unter— 
nehmen beigefellen oder ihm eine große Brandfchagung ge 
ben folle: er nöthigte fie ihm 200000 ©. zu zahlen. 

„Wo er hinzieht,“ fagte Moris einft zu Zaſius, „da 
ift es als ob ein Wetter dahergienge.! „Ja wohl, ver 
feßte Diefer, „Donner und Blig und wildes Feuer könnten 
nicht erſchrecklicher ſeyn.“ Es ſchien nicht, ald ob dag dem 
Churfürften mißfiele: er lachte. 

Und fehr entjchloffen war Albrecht, was er Dergeftalt 
gewonnen zu behaupten. 

Nur um diefen Preis wollte er fich der Paſſauer Pa— 
cification anfchließen. Er forderte Beftätigung der von ihm 
mit den beiden Bifchöfen und der Stadt aufgerichteten Ver- 
träge: mit den Eroberungen die er gemacht wollte er be 
lehnt werden. 

Mir fehen hier erfi, was jene von Morig bei den Ver; 
handlungen vorgefchlagene Befchränfung der Anfprüche auf 
den damals eingetretenen Befitftand zu bedeuten hatte. Wenn 


1. „Das f. fitl. Gn. und dero Erben alles das gelaffen werde, 
fo f. f. ©n. in irer befolen und aufgenommen Erpedition an Land 
und Leuten, Geld und Gut wie das namen haben mag erobert.” 
„Denn wir verfichert, was wir von den Ständen fo fih 3.8. Eini- 
gung halben widerfegen würden möchten uns zu Guten erlangen, 
erbrandfchaßen oder in andre Weg befommen, daß uns und unferm 
Kriegsvolk daffelbe zu Erftattung und Guten gelaffen werden folfe, 
und dieweil wir denn von den beiden Wfaffen und Nürnberg ver: 
tragsmeife befchwerlih (Faum) fo viel befommen als wir unferm 
Kriegsvolk zu thun ſchuldig gewefen, fo hetten wir, da wir diefelben 
unfere Verträge follen fallen laffen, in die Capitulation keineswegs 
bewilligen koͤnnen, es were ung denn eine folhe gebührliche Erftat: 
fung dagegen befchehen deren wir zufrieden feyn Fönnen. 


302 Zehntes Bud. Drittes Capitel. 


er diefe Elaufel endlich fallen ließ und den Vertrag ohne 
folche unterfchrieb, fo ſah Markgraf Albrecht darin eine 
Treulofigkeit; er hielt fich für berechtigt feinen Krieg al 
lein fortzufeßen. Nachdem er noch einmal feine Leuchtku: 
geln über Sachfenhaufen auffteigen laffen, ſtürzte er fich auf 
die Bisthümer am Rhein.” Nur mit einer ſchweren Con: 
tribution erfaufte der Bifchof von Worms die Erlaubniß 
auf feinen Sit zurückzukehren. Der Erzbifchof von Mainz 
verfenfte fein fchweres Geſchütz, um e8 dem Feinde zu ent 
siehen, in den Rhein und verließ feine Hauptſtadt; dafür 
giengen feine Palläfte in Feuer auf. Da der Erzbifchof von 
Trier die Anmuthung ablehnte dem Markgrafen die Rhein: 
und Mofelpäffe einzuräumen, vielmehr an den wichtigften 
derfelben feine Befeftigungen in Stand fette, fo überftieg 
Albrecht den Hundsrück und erfchien am 25ſten Auguſt vor 
Trier. Der Nath der Stadt Fam ihm entgegen und über: 
reichte ihm die Schlüffel feiner Stadtthore, was er nie ei 
nem feiner Finften gethan; dafiir ward bei Todesftrafe ver- 
boten die Bürger zu befchädigen. Dagegen wurden die Klö— 
fer und Stifte großentheilg geplündert: man mwunderte fich, 
daß die Leute das Dlei der Dächer zurückliegen. Es fcheint 
nicht als habe ihm dieß viele Feinde gemacht. Mit der Wie: 
derherftellung der geiftlichen Macht war auch der Haß ge 
gen fie erneuert worden. Wir finden wohl, daß jeßt wie 
vor 30 Zahren ein päpftlicher Nuntius auch unter fonft fried- 
lichen Berhältniffen nicht zu Land nach den Niederlanden zu 
reifen, ja felbft nicht am Ufer auszuſteigen wagte, etwa um 
einen Fürften zu begrüßen; feiner Begleitung auf dem Schiff 
ward eingefchärft dag tieffte Geheimniß zu beobachten. | 

1. Maftus an den Herzog von Cleve, 18 Juni. (Arch. zu Düff.) 


= MEN 





| 





Albrecht in Verbindung mit dem Kaifer. 303 


An der Spite von 10000 Mann und von einem Theile 
der Bevölkerung unterftüst, nahm der Markgraf eine fehr 
bedeutende Stellung ein. 

Mußte der Kaifer, der jet auch des Weges daher 509, 
um zur Belagerung von Meß zu fehreiten, nicht vor al 
len Dingen den Verſuch machen fich des Widerftandes zu 
entledigen, den ihm ein deutſches Heer unter der Anführung 
eines deutfchen Neichsfürften zu leiften drohte? 

Es Fam ihm zu Statten, daß Albrecht, der fich zu füh- 
len anfieng, fich nicht lange mit den Franzoſen verftand. 

Albrecht verfichert, man habe ihm früher verfprochen, 
ihn zum Generaloberfien aller Landsfnechthaufen zu ma- 
chen, und ihm außer einer flattlichen Unterhaltung für die 
nächften zivei Monat 200000 Kronen zu zahlen, und habe 
ihm dann von alle dem nichts gehalten. Aus dem Brick 
wechſel in den er mit dem Connetable trat, leuchtet der in— 
nere MWiderfpruch hervor, der darin liegt, daß Albrecht in 
Dienften von Frankreich ſtehn und doch die Würde eines 
Meichgfürften behaupten wollte. Den Antrag den man ihm 
zuletzt machte, daß er mit 100000 Kronen zufrieden feyn 
und dafiir mit feinem Haufen auf vorgefchriebenem Weg 
nach den Niederlanden vorrücken und diefe angreifen folle, 
fand er unannehmbar, und wies ihn zurück. 

Dagegen bot ihm nun der Kaifer nicht allein Dienfte 
an, bei denen er als Fürft beftehn, Ehre und Geld erwer— 
ben konnte, fondern Carl V hatte ihm einen Preis zu bieten, 
dem von franzöfifcher Seite nichts an die Seite geftellt wer: 


1. Auch Schärtlin verfichert, der König habe „übel gehalten, 
was ihme Marggrafen vom Bifchof zu Bajonne und mir zugefagt 
war.“ (p. 220.) Albrecht meint, es fey Fein ungefchicftes Worha- 
ben, mit 100000 Kr. die Niederlande zu erobern. 





304 Zehntes Bud. Drittes Capitel. 


den Fonnte: die Anerkennung und Beftätigung jener mit den 
Bischöfen gefchloffenen Verträge. 

Schon öfter haben wir gefehen, wozu der Kaifer, wenn: 
gleich nicht ohne tieferen Vorbehalt, doch für den Augen 
blick, in dringenden Umftänden zu bringen war; was er al 
leg einft den Proteftanten‘ bewilligte, um fie von Cleve zu 
trennen; wie er, im Begriff zur Erhaltung der hierarchifchen 
Ordnungen dag Schwert zu ergreifen, dennoch dem Churfür- 
fin Moris den Schuß über ein paar große Neichsftifter 
anverfraute: von allem aber was er gethan hat, wohl das 
Stärkſte, ift das Zugeftändniß das er jet dem Markgra— 
fen machte. Die Verträge waren eben Denen abgezwungen 
welche man für feine Anhänger hielt, und allein auf den 
Grund, daß fie fich feinen Feinden nicht zugelellen wollten; 
er hatte fie felbft fir ungültig erklärt, und fie waren bereits 
von den frühen Verbündeten des Markgrafen aufgegeben 
worden: jetzt beftätigte er fie, und fette feft, daß fie „voll— 
fommen, ganz und gar, ohne alle Ein- und MWiderrede zu 
vollziehen ſeyen.“ 

Dem Marfgrafen glückte e8 noch einen franzöſiſchen 
Prinzen, Herzog von Aumale, der ihn feindfelig beobach- 
tete und ihm feine Hauptleute abtrünnig zu machen fuchte, 
mit feiner Neiterei zur günftigen Stunde zu überrafchen und 
fogar zum Gefangenen zu machen. Dann im Ölanze ei- 
nes neuen Sieges ftellte er fic) dem Kaifer dar, der ihn 


1. „Wöllen, — was fi die bifchof und derfelben Eapittel ge- 
gen f. Lieb fampt und fonders verbrieft und verfchrieben, das die⸗ 
ſelbe verſchreibung und Contract vollkommen ganz und gar ohne alle 
Ein und Widerrede gehalten und vollzogen werden ſollen.“ — Metzi⸗— 
fher Hauptvertrag 10 Nov. 1552 (der erjie v. 24 October). Hort: 
leder II, vı, ı1, nr. 45. 








Markgraf Albrecht im Bunde mit dem Kaiſer. 305 


mit Freuden empfieng und ihm felber die rothe Feldbinde 
darreichte. Man wollte bemerfen, daß der Markgraf den 
Kaifer dabei feft ing Auge gefaßt habe, ob er auch der neuen 
Freundſchaft und Zufage trauen Fönne. 

Was der Kaifer sunächft beabfichtigte, erreichte er hier— 
mit allerdings. Er Fonnte nun feine Belagerung fortfegen, 
ohne Gefahr darin geftört zu werden. Sie mißlang, wie 
wir wiffen, hauptſächlich durch die Ungunft der Jahreszeit. 
Albrecht erwarb fich das Verdienft den Nückzug zu decken. 

Mit jenem Zugeftändniß hatte nun aber; Carl den 
Grund zu einer Bewegung gelegt, die fehr mweitausfehend 
werden mußte. 

Er hat immer gefagt, fein vornehmſtes Motiv fey die 
Deforgniß gewefen, daß Markgraf Albrecht und Graf Vol 
radt, mit Heinrich II verbündet und beide an der Spiße 
zahlreicher Truppenfchaaren, Deutfchland noch weiter in Un— 
rube feßen und dag Verderben aller geiftlichen Staaten her: 
beiführen mirden. ! Und wer möchte nicht an die Wahr: 
haftigkeit dieſes Beweggrundes glauben? Er befand fich in 
der unbesweifelten Nothwendigkeit, die mächtigen Kriegshäup: 
ter von den Franzofen zu rennen. Damals hat man all 
gemein geglaubt, Earl habe in dem Friegsbereiten Markgra— 
fen einen Bundesgenoffen zur Ausführung feiner alten Ab: 
fichten zu gewinnen gedacht: König Marimilian hat dem 
venezianifchen Gefandten gefage, Markgraf Albrecht fey ge 


1. Si comme il avoist determine il se fust servy de la 
correspondance des gens de guerre que le comte Volradt de 
Mansfeld tenoit assembl&es, pour prenant son chemin par la Fer- 
rette venir ruer sur les &v&ques. 


Ranke D. Geſch. V. 20 





306 Zehntes Buch. Drittes Capitel 


gen ihr und feinen Vater aufgeftellt worden, um fie zu nö— 
thigen fich in die Arme des Kaifers zu werfen. ! 

Das ift eine nicht zu besweifelnde Ihatfache, daß der Kai— 
fer feine Succeffionsentwürfe nach mie vor im Auge behielt. 

Neujahr 1553 ließ er diefelben bei dem Churfürften 
von Brandenburg durch deffen Bruder Markgraf Hang noch 
einmal ausführlich in Anregung bringen. In der Inſtruction 
hiezu werden die früher vorgefommenen Gründe wiederholt, 
befonders der vornehmfte, daß dem römifchen König nach 
des Kaifers Abgang zur Aufrechterhaltung des Meiches die 
Hilfe des fpanifchen Prinzen nicht allein” förderlich, fondern 
unentbehrlich fen, diefer aber fich nicht dazu werde verpflich- 
ten wollen, wenn er nicht die Verficherung erhalte, zu feiner 
Zeit felbft zur römischen Krone zu gelangen. Der Antrag 
bezog fich dieß Mal nicht, wie früher, zugleich auf König Ma- 
gimilian: er gieng nur darauf, daß die Churfürften fich ver- 
fehreiben follen, fobald der römische König zum Kaiſer ge 
Front fen, den Prinzen ohne Verzug zum römifchen König zu 
wählen, man möge ihm, dem Kaiſer, in feinen alten Tagen 
diefe Freude gönnen; der Bring ſey ein Erzherzog und Fürft 
des Neicheg; wie er dazu erzogen worden der Bürde der 


1. Relatione di Suriano 1554. Mi disse il re di Bohemia 
piu volte, che questo (das Verfahren mit Marfgr. Albrecht) faceya 
credere che l’impre avesse acaro, di veder suo fratello et lui suo 
genero eonstituiti in necessita di gettarsegli in braecio. Albrecht 
leugnet zwar, daß ihn der Kaifer in Dienjt genommen um den rö- 
mifhen König „J. M. Hoheit zu entfeßen, und den Sohn des Kai- 
ferd „zu einem Nömifchen Kaifer wider des h. Reichs Freiheit mit 
gewalt übertringen helfen” (Bucholtz VII, 111): die Worte aber 
find fo gewählt, daß dabei doch Vieles wahr feyn Fonnte. Gegen 
Ferdinand und auf Gewalt war die Abficht des Kaiferd gar nicht 
gerichtet. 


Erneuerung des Succeffionsentwurfs. 307 


Regierung gewachſen zu feyn, fo habe er von feiner Fähig- 
keit fchon jegt in Spanien gute Proben gegeben; er werde 
bald wieder ing Neich Fommen und fo viel möglich feine 
Nefidenz dafelbft nehmen, deutfche Fürften und andre ge 
borne Deutfche an feinen Hof ziehen, dag Neich nur durch 
Deutſche verwalten laffen und gewiß auch die deutſche Sprache 
begreifen: jede billige Verficherung werde er augftellen. ! 

Mahrfcheinlich hängt e8 hiemit sufammen, daß der Kai- 
fer auch fchon felbft daran dachte, den Deutfchen etwas mehr 
Genugthuung zu geben und einen Neichshofrath aus deut: 
fchen Mitgliedern aufzurichten. Zum Präafidenten deffelben 
befiimmte er den Cardinal von Trient, wogegen der römiſche 
König meinte, der Churfürſt von Mainz würde den Deut 
fchen lieber feyn. Zu Beifigern dachte der Kaifer die Gra- 
fen von Fürftenberg, Eberftein, Solms, die Freiherrn Wol— 
Fenftein und Truchſeß, den Doctor Gienger und einige An— 
dere zu berufen. 

Auch die religiöfen Antipathien fchonte er jegt. Wenn 
er 3. B. in der frühern Inſtruction feine Bekämpfung Der: 
jenigen erwähnt, die unter dem „anmuthigen Schein der 
Religion! das Neich unter fich zu theilen gedacht, fo er: 
wähnte er jegt nur dag letzte, die vorgehabte Theilung: den 
Schein der Religion ließ er weg. 

Und nicht nur den Churfürften ließ der Kaifer feine 
Anträge wiederholen. Auch dem Herzog Chriftoph von Wür- 
tenberg, der am franzöfifchen Hofe gut deutfch geworden und 
die Einmifchung der Franzofen in die deutfchen Angelegen- 


1. Snftruction für Marfgraf Hans in dem Berliner Archiv; der 
Hauptſache nach eine Überarbeitung der alten Snftruction von 1550. 


20.* 








308 Zehntes Bud. Drittes Capitel. 


heiten faft am lauteften verdammte, eröffnete er durch feinen 
Marfchall Böcklin am 26ften Januar 1553, er wiſſe Nie 
mand, der dem Neiche, damit es nicht ganz zerriffen werde, 
„fürftändiger ſeyn möchte”, als feinen Sohn. ! 

Allein der Kaifer irrte, wenn er nach alle dem mag 
man erlebt hatte und befürchten müffen, das Vertrauen der 
Fürſten wieder erwerben und ihnen ein Vorhaben, dag ihre 
Beforgniffe eben am meiften erweckt hatte, annehmlich ma- 
chen zu können glaubte. Geine Eröffnungen bewirkten das 
Gegentheil von dem was er wünſchte. Schon am 5ten Fe 
bruar 1553 Famen Friedrich von der Pfalz, Albrecht von 
Baiern, Wilhelm von Jülich, von denen ich nicht weiß, ob 
ihnen Ähnliche Mittheilungen gemacht worden, mit Herzog 
Ehriftoph zu Wimpfen zufammen, ? um fich fürmlich zu ver- 
abreden, wie dem Eindringen des fpanifchen Prinzen wider 
ftanden und auch dem Bifchof von Arras die Verwaltung 
der NeichSangelegenheiten, die er noch immer beforgte, ent 
riffen werden Fönne. Es waren, wie wir fehen, abermals 
Sürften beider Bekenntniffe. Auch davon handelten fie, auf 
welche Meife man dem Zwieſpalt über die Religion abhel: 
fen könne, ob nicht doch twirflich durch ein Nationalconci- 
lium, auch wider den Willen des Papſtes. Sie beftärften 
fi) aufs neue in den Gefichtspuncten die bei den Paſſauer 
Verhandlungen vorgemaltet. 

E8 leuchtet ein, wie viel ihnen dann daran liegen mußte 
die Streitigkeiten zu verhliten, die bei der Nückfehr des Mark 
‚grafen, der nun feine von der höchften Reichsgewalt beftä- 


1. Pfiſter Herzog Chriftoph p. 213. 
2. Stumpf Diplomatifche Gefhichte des Heidelberger Fürften- 
vereined. Zeitfchrift für Baiern 1817 V, p. 139. 





Verfammlung in Heidelberg März 1553. 309 


figten Forderungen noch viel trogiger geltend machte als frü— 
ber, in Franken auszubrechen drohten. 

Bon dem Kaifer felbft dazu aufgefordert, nahmen die 
Fürften diefe Sache im Februar in Wimpfen, im März zu 
Heidelberg in langen Tagfagungen in die Hand. 

Sie waren in fo weit auf der Seite des Markgrafen, 
als fie die Bifchöfe zu beivegen fuchten, die ftipulivte Ceſ— 
fion, wenn auch nicht durchaus, Doch in der Hauptfache 
su genehmigen. 

Wäre es nur auf Würzburg angefommen, fo würde 
man auch wohl dahin gelangt feyn. Das Capifel war nicht 
abgeneigt fich zu fügen; die Unterthanen fürchteten nichts 
mehr als die Erneuerung des Krieges; der Bifchof felbft 
beforgte die Faiferliche Ungnade. 

Dagegen war der Bifchof von Bamberg, Wigand von 
Redwitz, der die ihm entriffenen Amter indeß wieder einge: 
nommen, nicht herbeizubringen. Die Nachgiebigfeit von Würz⸗ 
burg machte auf ihn Feinen Eindruck, da e8 bei diefem mehr 
auf Geld anfomme, bei ihm aber handle es fich um Land 
und Leute, und alle fürftlihe Negalien; — er wolle lieber 
todt feyn, als diefen entfagen. ! 

Vergebens fchlug man dem Marfgrafen ein rechtliches 
Derfahren vor. Er beftand darauf daß feine Gegner auf 
jeden rechtlichen Behelf Verzicht geleiftet. 

Höchſtens zu einer Geldentfchädigung wollte fich der 
Biſchof verftcehn. Aber dem Markgrafen Fam «8 fchimpflic) 
vor, eine Landſchaft, die ihm erft von feinen Verbündeten und 
dann von dem Kaifer verfichert worden, gegen eine Geld: 
sahlung aufzugeben. E 

1. Ackenſtuͤcke bei Hortleder UI, vı, 27, nr. 76, nr. 80. 


310 Zehntes Buch. Drittes Kapitel. 


Nur den Vorfchlag ließ er fich gefallen, daß Bamberg 
das Necht der Wiederablöfung haben, aber fing Erfte die 
Ämter ihm wieder überliefern folle. Da der Bifchof von 
Bamberg diefen Vorfchlag, wie fich denken läßt, zurückwies, 
fo konnte auch Würzburg, durch alte Erbverträge beider Stif— 
ter gefeffelt, feine Zugeſtändniſſe nicht vollziehen. ! 

Und nun meinte wohl der Markgraf, die vermittelnden 
Fürſten würden auf feine Seite treten. Sie waren aber 
weit entfernt, die Sache der Gewalt, die doch nur dem Kai— 
fer zum Vortheil ausſchlagen Fonnte, zu der ihren zu mas 
chen. Auch zu Heidelberg unterhandelten fie zugleich über 
die allgemeinen Angelegenheiten, die Succeffion im Neiche, 
die Entfernung des fpanifchen Einfluffes. Und da nicht ab- 
sufehen war, wohin ein MWiederausbruc, der Unruhen füh- 
ven könne, fo vereinigten fie ſich wenigftens unter einander 
und mit den Churfürften von Mainz und von Trier, ihre 
Neutralität gegen Jeden der fie angreifen werde, Niemand 
ausgenommen, gemeinfchaftlich zu vertheidigen. 

Nicht ohne Zeichen des Unwillens gieng Marfgraf Al- 
brecht von dannen: er war entfchloffen fich felbft zu helfen. 

Im Monat April 1553 finden wir ihn bereits mitfen 
in der wildeften Fehde. 

Indem er twürzburgifches Volk, das dem Biſchof von 
Bamberg zuzog, bei Ponmergfelden auseinanderfprengfe, ward 
er Herr im Stifte Bamberg; am 16ten April fiel die Haupt: 
ftadt, gleich darauf auch die Altenburg in feine Hand; von 
dem ganzen Stifte hielt fich nichts als Forchheim. ? 


1. Der fogenannte Heidelberger Bund 29 März 1553. 
2. Bifchöflihes Ausfchreiben bei Hortleder II, vı, 22. 1221. 


ee 


SJT 2 se a in 





Fehde in Franken. 311 


Hierauf wandte er fich gegen Nürnberg, das fich mit 
den beiden Nachbarn, deren Unglück es getheilt, auch zum 
Widerſtand vereinigte: einige hundert fchlefifche Neiter, die 
auf weitem Umweg durch Böhmen und das Eichftädtifche 
der Stadt zu Hülfe heranzogen, jagte er erft aus einander 
und nahm fie dann großentheils in feine Dienſte; darauf 
fand er auch bier Feinen Widerftand: Laufen und Altdorf 
wurden gebrandjchagt und nachher doc) noch in Brand ge: 
ſteckt; faft alle Schlöffer, Kleinen Städte, Dörfer und Klö— 
fier des wiürzburgifchen wie des nürnbergiſchen Gebietes ge 
viethen im Laufe des Mai in feine Hand. Auch Schwein: 
furt, obgleich eine Neichsftadt, trug er Fein Bedenken zu be; 
fegen, als er fürchten mußte, daß e8 vielleicht fonft in die 
Hände neuer von Niederfachfen her drohender Gegner ge: 
vathen würde. 

Wenn die oberdeutfchen Fürften fich neutral hielten, fo 
gab es doch einige andre im Neich, die nicht gemeint waren 
ihn fo ohne Widerftand um fich greifen zu laffen. 

Der vornehmfte war fein alter Kriegscamerad und Bun— 
desgenoſſe Moriß. 

In feinem Herzen überzeugt, daß der Kaifer ihm nie ver- 
geben, vielmehr die erfte Gelegenheit ergreifen werde um ihn 
anzufallen und zu verderben, ſah Moritz in der Verbindung 
deffelben mit dem Markgrafen vom erfien Augenblick an 
Gefahr für fich felber. Ohnehin grollte Albrecht wegen des 
Paffauer Vertrags, der mit jener ihm urfprünglich gegebe- 
nen Zufage in Widerfpruch ftand, und machte feinem Un— 
willen nicht felten in drohenden Neden Luft, die dann von 
dienfibefliffenen Leuten dem Churfürften binterbracht wurden, 


312 Zehntes Buch. Drittes Capitel. 


fo daß ſich diefer ein ganzes Verzeichniß davon anlegte. ! 
Nicht, als hätte er jedem diefer Worte geglaubt, aber er 
fragte doch darüber einmal an, und gutes Blut machten fie 
nicht. Immer feinen Blick auf die Eommenden Dinge ge 
richtet, meinte er in demfelben Grade bedroht zu feyn, in 
welchem der Markgraf mehr emporkam. Er entfchloß fich, 
ihm bei Zeiten zu begegnen. 

Mori war Fein Mann dem e8 Scrupel gemacht hätte, 
eben die in Schuß zu nehmen, die einft im Einverftändniß 
mit ihm angegriffen worden; er bot dem König Ferdinand, 
der mit dem Markgrafen bereits in offenen Hader gerieth, 
einen Bund an, in welchen die fränfifchen Bifchöfe einge: 
fchloffen ſeyn follten. 

Und noch an einer andern Stelle, in Niederfachien 
fanden fich Verbündete für diefe Kombination. 

Auch über die Irrungen der braunfchweigifchen Edel 
leute mit Herzog Heinrich dem Jüngern hatte man in Paſ— 
fau Beſtimmung getroffen, und zwar mehr zu Gunften der 
erſten; eben darum aber hatte fie der Herzog nicht anerkannt: 
Zufammenfünfte die man darüber hielt, hatten ſich ohne 
Frucht zerfchlagen, endlich war die Fehde wieder auggebro: 
chen, in der Graf Volradt -fich der Edelleute annahm und 
den Herzog gewaltig bedrängte. Von den Verwandten def 
felben in Calenberg und Lüneburg nicht gehindert, von der 
Stadt Braunfchweig unterftügt, brachte er in Kurzem den 
größten Theil der feſten Häufer Heinrichs, fo wie die viel 
beftrittenen Klöfter Niddagshaufen und Steterburg in feine 
Gewalt. Nur vergebens wendete fich der Herzog an den 


1. Langenn I, 557. j 


— 


Verbindung gegen Albrecht. 313 


Kaifer, der damals vollauf befchäftige war, und aus Rück— 
ficht auf Markgraf Albrecht fi) mit dem niederfächfifchen 
Kriegsvolf, das von diefem abzuhängen fehien, nicht ent 
zweien wollte. Eben dieß zweifelhafte Bezeigen des Kaifers 
aber verfchaffte nun dem Herzog einen andern Freund an 
Churfinft Morig. Geübt in Unterhandlungen Diefer Art wußte 
Moriß den Grafen Volradt auf feine Seite zu ziehen: das 
Kriegsvolk deffelben blieb, wie jenes magdeburgifche, eine Zeit: 
lang ohne benannten Herrn; endlich als es fic) auflöfte, gieng 
es größtentheils in die Hande Heinrichs über. Hiedurch be 
Fam diefer aufs neue dag Übergewicht, nahın feine Plätze 
wieder und griff nun feinerfeits alle feine Gegner an, die 
Edelleute, die Städte und feinen Vetter von Calenberg. 
Leicht verftändigten fich hierauf Morig und Heinrich 
auch über die fränfifchen Angelegenheiten. Schon im März 
bat Herzog Heinrich den Bifchöfen feine Hülfe gegen einen 
Beitrag zu den Kriegsfoften angeboten; ! ohne Zweifel war 
dieß ein Grund, weshalb der Bifchof von Bamberg fich je 
der Eonceffion fo entfchieden widerſetzte. Auch Morig, der 
den Markgrafen mit einem beißigen Hunde verglich, gegen 
den fich Jedermann wehren müffe, verfprach ihnen einige 
Keitergefchtwader und 10 Fähnlein Fußvolf zuzuführen. 
Man fprach damals viel von einem neuen Bunde zum 
Schutze des Landfriedeng, Uber den im Mat auf einer Zu: 
fammenfunft zu Eger ein ausführlicher Entwurf verfaßt wor: 
den ift. Er war wohl hauptfächlic) darauf berechnet, unter 
diefem allgemeinen Titel noch andre Kräfte gegen den Mark 


1. Schreiben Heinrihs an MWrisberg, mit dem er damals wie: 
der gut fand, 12 März. Lofius Ehrengedächtnig Beil. nr. 41. 


314 Zehntes Buch. Drittes Capitel. 


grafen zu gewinnen. Der Kaifer munderte fich, daß man 
die Bifchöfe von Würzburg und Bamberg, die er einem ober: 
deutfchen Verein vorzubehalten wünſchte, in diefen mehr nie 
derdeutfchen Bund aufnehmen wolle, dagegen Johann Fried: 
drich von Sachſen, der dahin gehöre, davon augfchliege. An— 
dre machten andre Einwendungen. Eigentlich waren nur der 
König, der Churfürft, die beiden Bifchöfe, Herzog Heinrich 
und etwa der Graf von Plauen einzufreten bereit, alles Geg— 
ner des Markgrafen, diefe aber waren auch ohne Bund ein- 
verftanden, und fchon allein mächtig genug. 

Ohne Zweifel hatte der Markgraf zu fürchten, in Fran- 
Een in Kurzem von allen Seiten, von Böhmen und Meißen, 
von dem anrückenden Kriegsvolf Heinrichs und neuen Streit 
Fräften der Stadt Nürnberg angegriffen zu werden. Er faßte 
den feiner Natur fehr entfprechenden Entfchluß, dieß nicht 
su erwarten, fondern vielmehr dem vornehmften Feinde, der 
jetzt allein gerüftet war, dem Herzog von Braunſchweig, fel- 
ber zu Leibe zu gehn und fich nach Niederfachfen zu werfen. 

Was ihn dazu vermochte, war die fichere Ausficht, dort 
Verbündete zu finden. Die Mutter Erich von Calenberg, 
geborne Marfaräfin von Brandenburg, damals in zweiter 


1. Nach Bucholtz VII, 124 wäre der Bund doch zu Stande gefom- 
men: Sonnabend nad Gantate. Sm Archiv zu Berlin findet ſich aber 
ein mit allen Siegeln verfehener Abfchied, worin es heißt: „Dieweil e- 
liche von ung, den Gefandten, mit vollfommenem Befelch nicht verfehen 
geweſt und etliche vorftehender unficherheit halber fich auf die punct, 
fo in handelung unvorfehenlich vorgefallen, bei iren herrn und obern 
notfurftiges befchaits nit haben erholen mögen, als hatt der ſchluß 
diefer handellung unumbgehenlich auff ein andere Zufammenfunft muf 
fen verfchoben werden.’ in ausführlicher Entwurf ward auch dem 
Kaifer mitgetheilt. Die nächfte Zufammenfunft follte 24 Zuli feyn. 


— — 


er ze 


47 





Markgraf Albrecht von Brandenburg 315 


Ehe mit dem Grafen Poppo von Henneberg vermählt und 
in Schleufingen wohnhaft, felber von Herzog Heinrich in 
ihrem Witthum beeinträchtigt, vermittelte ein gutes Verneh— 
men zwifchen Albrecht und ihrem Sohn. 

Sich wohl vorſehend, dag Gebiet des mächtigen Mo- 
vis nicht zu berühren, nahm Albrecht feinen Weg am Ge 
birg über Arnftadt, Mansfeld, Halberftadt, bei Braunfchweig 
ftießen 1000 Neiter Erichg zu ihm; in Hannover hatte er 
mit diefem felbft die erfte Zufammenfunft. Sie verftändig- 
ten fich vollfommen. Mit vereinten Kräften und mit Hilfe 
der Städte brachten fie ein Heer zufammen, mit dem fie un: 
verzüglich, an Statt Herzog Heinrich, Herin im Felde wur: 
den und Sedermann in Schrecken feßten. Die nöthigen 
Geldmittel wußten fie fi) auf ihre Weife zu verfchaffen. 
Das Capitel von Halberftadt hatte dem Markgrafen bei fei- 
nem Durchzug eine anfehnliche Summe zahlen müffen; in 
Minden erbeutete er 50000 Thaler Brandfchagungsgelder, 
welche für Herzog Heinrich aufgebracht waren. 

Auch politisch und religiös nahm der fürmifche Kriege: 
mann da noch einmal eine fehr merfwürdige Stellung ein. 

Während früher die Charactere nahmbafter Deutfchen 
fich) eigentlich nur durch das Maaß von Thatkraft und Ener: 
gie, oder von Treue und Hingebung, das ihnen beitwohnte, 
unterfchieden, wurden fie in unferer Epoche dadurch gebil- 
det, daß ein Jeder im veligiöfer Hinficht eine Partei zu er- 
greifen, fich felbft zu beftimmen hatte. Ganz andre Elemente 
der Überzeugung, gefchähft durch die Gegenfäße auf die fie 
fliegen, drangen dadurch in dag perfönliche Leben ein. Und 
dazu Fam dann für die Evangelifch-gläubigen, da der Kai: 





316 Zehntes Bud. Drittes Capitel. 


fer ihren Tendenzen zumeilen verfteckt, zuweilen ganz offen 
Widerftand leiftete, jener Zwieſpalt zwischen weltlichem Ge— 
horſam und veligiöfer Überzeugung, deffen wir oben gedach- 
fen, im welchem die Geifter, aufs neue zu eigener Entſchei— 
dung und Wahl aufgerufen, entwickelt oder zerſetzt oder we— 
nigfteng geprüft tourden. 

Bon Albrecht follte e8 zwar fcheinen, als habe ihn 
die Religion nur wenig gekümmert. Wir finden ihn früh 
in der Gefellichaft martialifcher Kriegshauptleute, welche die 
ihnen entgegenwachſende Fräftige Natur des jungen Fürſten 
an fich zogen. Wie hätte auch ein Nachkomme des Albrecht 
Achilles, von deffen mweidlichen Ihaten man feine jugend- 
liche Aufmerkfamfeit oft unterhalten haben wird, der Sohn 
des tapfern Markgrafen Eafimir, ſich entfchließgen können, 
an der Eleinen Hofhaltung zu Neuſtadt an der Aiſch ſpar— 
ſame Wirthfchaft zu führen und die Schulden feiner Väter 
abzufragen. Sobald fein Alter es zuließ, finden wir ihn bei 
den Kriegszügen des Kaiſers. Er fiht fo gut gegen die 
profeftantifchen Fürften, wie gegen die Franzofen. In ei— 
ner Eingabe an den Kaifer foll er fich wieder als gut ka— 
tholifch bezeichnet haben. 

Wer aber glauben wollte daß er fich hiebei beruhigt 
hätte, würde die Kraft verfennen, mit welcher die ewangeli- 
fche Lehre in diefen Zeiten die Gemüther ergriff. Die Unter: 
weiſung eines guten Lehrers,! die er im erfter Jugend ge 
noß, hatte ihren Samen tief in feine Seele gefenfk. 

1. Arnoldus, Vita Mauritii, bei Menden II, 1252: a tenc- 
ris annis literarum stadiis informatus -- Leuthinger p. 106: in 


literis, artibus et evangelü doctrina. Opſopaͤus, ein guter Vhilolog, 
war fein erffer Lehrer. 





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Markgraf Albrecht von Brandenburg. 317 


Sichtbare Wirfung brachte e8 zwar auf den Fürſten nicht 
hervor, daß ihn der Hofprediger Körber bei dem Beginn 
des fchmalfaldifchen Krieges vor allem Antheil daran warnte, 
denn derſelbe werde wider die enangelifche Lehre gemeint feyn, 
aber ohne Eindruck blieb es nicht: „wider mein Gemiffen”, 
fagt er, „zog ich fort." Als er gegen Magdeburg aufbrach, 
fielfte ihm der Prediger Wolfgang Nupertus vor, daß ein 
Krieg dieſer Are nicht ohne Nachtheil des Keibes und der 
Seele geführt werden könne. Es ift eine munderlihe Mt 
fchung von Hohn und Glauben, wenn Albrecht ihm entgeg- 
nete: „Fahren wir zum Teufel, Pfaff, fo ſollſt du mit ung 
fahren”, und den Mann, der ihm ins Gewiſſen vedete, wirk— 
lich als Feldprediger bei fich behielt. Einem andern, der ihn 
an die jenfeitigen Strafen erinnerte, fol er gefage haben, 
er werde feine Seele auf die Zäune fegen die Himmel und 
Hölle feheiden, wer dann von beiden der ftärfere ſey, der 
möge fie zu fich herüberziehen, Gott oder der Satan. 

Das fehen wir wohl: über die großen Fragen war er 
nicht zur Klarheit gekommen: übrigens aber zeigte er Geift 
und Thatkraft. 

Man bemerkte daß er lieber höre alg vede; forach er 
aber, fo that er dieß mit einer natürlichen Beredtfamfeit, die 
durch den vollen Ausdruck der Wahrhaftigkeit unterftügt wurde: 
Mienen, Gebehrden und Worte, ſagt ein Zeitgenoffe, fchie: 
nen nichts auszufprechen, als wovon fein Herz vol war. ! 

Seine Truppen, mit denen er alles theilte, Hiße und 
Kälte, Hunger und Durſt, biengen ihm dafür mit Hinge: 
bung an. Er ſagte ihnen wohl: Keiner fole Mangel bei 


1. Roger Aſham der ihn am Faiferlichen Hofe fah. 


Rn 


318 Zehntes Bud. Drittes Capitel. 


ihn leiden, fo lange er noch ein Laib Brot im Zelte habe, 
auch nicht der Geringfte, aber eben fo wenig Einer ein Haar 
breit von feinen Befehlen abweichen, auch nicht der Oberfte. 
Über alles gieng ihm die Erieggmännifche Ehre. Die Hin: 
richtung Vogelsbergers Eonnte er dem Kaifer der fie be 
fohlen, und dem Lazarus Schtwendi der dazu geholfen, nie: 
mals vergeben. 

In Trier ift er in gutem Andenfen geblieben; mit Ver: 
gnügen berichtet der gleichzeitige Chronift, wie er eines Ta— 
ges die Rathsherrn der Stadt, als er fie in Gefchäften fuchte, 
während fie beim Würfelſpiel faßen, von der Straße her 
mit einem Schuß aus feiner Handbichfe, der durch dag Fen- 
fter nach der Decke der Stube gieng, an ihre Amtspflichten 
erinnerte. Auch noch eine andre Erzählung darf ich wohl 
aus diefer Chronik wiederholen, von einem Kloftervorfteher, 
der bei der allgemeinen Verfolgung der Geiftlichen doc Gnade 
bei ihm fand. Es war der Prior des Martingklofters; er 
gieng dem Eintretenden mit einem Becher des beften Weins 
entgegen. Der Marfgraf Foftete den Wein, ließ vier Ohm 
davon auf feinen Wagen laden und drückte dann fein Sie 
gel an die Klofterpforte, zum Zeichen, daß Niemand diefes 
Klofter antaften dürfe. ! 

Wir berührten oben, wie er auch dann wenn er Dienfte 
genommen, fich doch immer als Neichsfürft fühlte. Der Kai— 
fer bat ihm einmal, um ihn in einem Moment der Unzu— 
friedenheit zu begütigen, eine "Stelle an feinem Hofhalt an 
bieten laffen. Er fragte: wie ihn denn der Kaifer zu etwas 
mehr machen wolle, als was er fchon fey, nemlich Mark 
graf von Brandenburg. 

1. Gesta Trevirorum ed. Wyttenbach IM, 14. 


.-. 





Markgraf Albrecht von Brandenburg. 319 


Überhaupt fanden feine Gedanken ihm hoch. Er hat 
einft der Thronerbin von England feine Hand angeboten. ! 
Er folk fich einft geruhmt haben, er werde noch) König von 
Böhmen werden. Er dachte an die Nachwelt, und ich möchte 
e8 ihm fo übel nicht nehmen, wenn ihn ungünftige Dar- 
ftellungen feiner Thaten, wie bei Avila oder auch bei Glei- 
dan, verftimmten. 

Der Widerftreit von Armuth und Kriegsluft, Dienftver: 
hältniß und Stolz, Necht und Gewalt, worin er lebte, und die 
Übertäubung jener innern Stimme die er doch immer hörte, 
gaben ſeinem ganzen Weſen einen Beigeſchmack von Wild— 
heit, der ſich denn fortan an ſeinen Namen geknüpft hat. 

Furchtbar anzuſehen ritt er an der Spitze ſeines Hau— 
fens daher: im Panzerhemd, eine Büchſe und ein paar Fauſt— 
Folben an feiner Seite; Sommerfproffen und ein vorher Bart 
bedecften fein männliches Angeſicht; weithin wallte fein blon- 
des Haupthaarz er nahm wohl felbft eine Fackel zur Hand, 
um das nächfte Dorf feiner Feinde anzuzünden. 

Das war mun einmal noch der barbarifche Gebrauch 
diefer Zeiten. 

Merkwürdig: bei alle dem hieng das gemeine Volk ihm 
an. Er war ein Character, dem man feine Fehler nachfieht, 
weil man fie von Feiner Bosheit herleitet. In dem Haffe 
gegen die geiftlichen Machthaber traf er mit den populären 
geidenfchaften zufammen. Er mußte das fehr wohl und 
troßte darauf. 

est war er wieder vollffommen Proteftant. Seine An- 
weſenheit im Calenbergifchen bezeichnete er damit, daß er die 


1. Er ift es doch gewiß, auf welchen fih die Nachricht bei 
Strype (Ecel. Mem. II, 374) bezieht. 





320 Zehntes Buch. Drittes Capitel. 


Abſchaffung des Interims vermittelte, die Befreiung der Pre: 
diger, die noch immer auf ihren Bergfeften im Gefängniß 
fchmachteten, überhaupt die Durchführung des proteftanti- 
chen Prinzipes. Auch Erich trat, wie feine forgfome Mut: 
fer vorher berechnet, unter diefer Einwirkung zu dem evan- 
gelifchen Glauben zurück.’ 

Auf Albrechts Seite ftand noch einmal die Combina- 
tion die Johann Friedrich 1547 ftarf gemacht: die evange— 
lichen Städte an der See und im innern Lande, alle Eifrig- 
evangelifchen bis nad) Böhmen. 

Ferdinand hegte einen Augenblick die Furcht, bei der 
weitverbreiteten Bewegung, die fich abermal in dem gemei— 
nen Volfe Fund thue, dürfte e8 dem Markgrafen nicht ſchwer 
ſeyn, an der Spige deffelben einen allgemeinen Umfturz zu 
bewirken. 

Und dabei behandelte ihn der Kaifer mit aller Rückſicht 
und Schonung. Er Fonnfe fich nicht mehr weigern, Edicke 
gegen den Landfriedensbruch zu erlaffen: forgfältig jedod) ver: 
mied er — es erregfe allgemeines Erftaunen — den Mark 
grafen darin zu nennen. 

Eben aber diefe energifche Haltung, diefe weitaugfehen: 
den Beziehungen des Nebenbuhler8 wollte Moritz auf Feine 
Weiſe fich entwickeln und befeftigen laffen; gute Worte die 
ihm derfelbe gab, vermochten nichts über ihn. Öffentlich 


fprach auch er hauptfächlich von dem Bruche des Landfrie: _ 


dens den er rächen, von der Nuhe die er herftellen müſſe; 
trat man aber darüber in Unterhandlung, wie Markgraf Hans 
8 that, fo bemerfte man bald, daß für Diefen Hader, der 
an die großen Gegenſätze der europäifchen Welt anfnüpfte, 
fein friedlicher Austrag zu hoffen fey. 


‘ 





Moriß in neuem Bunde mit Frankreich. 321 


War Albrecht mit dem Kaifer, fo war Morig noch im: 
mer mit Frankreich verbindet. 

Schon Anfang September des Jahres 1552, unmit— 
telbar vor der Nückkehr des Landgrafen Philipp, noch im 
Einverftändniß mit deffen Sohn Wilhelm, welcher die Mei- 
nung hegte, ihre Sachen feyen noch nicht aufs Trockene ge: 
bracht, hatte fi) Morig aufs neue an Heinrich II gewen: 
det und diefem, wie er fich ausdrückt, „eine andre gründli— 
chere Verſtändniß“ angetragen.“ Bald darauf erfchien ein 
franzöfifcher Abgeordneter, Cajus de Virail, hauptfächlich in 
der Abficht, die Hilfleiftungen welche der Kaifer damals 
noc) vor Metz erwartefe, rlickgängig zu machen. Moriß er: 
griff dieſe Gelegenheit, um jenen Antrag, jedoch für fich al- 
lein, * nur noch förmlicher zu wiederholen. Er verfprach nicht 
nur, fo viel an ihm, Feine Hülfe von Neichswegen wider Den 
König zu leiften, vielmehr dafiir zu forgen, daß diefem felbft 
fo viel deutfches Kriegsvolk zuziche als er brauche; er wieder: 
holte auch die in dem Vertrag von 1551 gemachte Zufage, 
daß der König den Titel eines Reichsvicarius haben, und bei 
der nächften Wahl, wenn er e8 wünſche, felber zur Würde 
eines Hauptes im Neich erhoben werden folle: wogegen er 
fich die Beſchützung feiner Land und Leute und die Zahlung 
eines nahmhaften Jahrgeldes ansbedang. Und fehr geneigt 
erklärte er fich hiebei perfönlich mitzumirfen. Obgleich er den 
Bund den er fchliegen will, als Defenfiobund bezeichnet, fo 
erbietet er fich doch, wenn dem König auf das nächfte Früh— 


1. Memorial für Johann Games Freiherrn v.d. Mark. (Dr. X.) 
2. Es ift fehr hypothetiſch, wenn es bei den Verfprechungen 
beißt: „mit denen Fürften fo fih mit in Bund geben möchten.” 
Ranke D. Geſch. V. 21 





322 Zehntes Buch. Drittes Capitel. 


jahr mit einem Heer von 4000 M. 5. Pf. und 12000 3. 8. 
gedient fen, daffelbe aufzubringen, wie fich das unter dem 
Vorwand, daß er von feinem Better Johann Friedrich Ge: 
fahr zu beforgen habe, ganz gut thun laſſen werde, und zur 
beftimmten Zeit am Rhein zu erfcheinen." Der König, der 
fich indeß in Met auch ohne folch eine Hilfe behauptet, gieng 
auf diefe Anerbietungen nicht fo rafch ein, wie der Ehur- 
fürft wünfchte. Im Laufe des Winters fchichte Moris Vol 
vadt von Mangfeld, der noch immer den Titel eines Die 
ners der franzöfifchen Krone führte, nach Frankreich, um die 
Sache aufs neue in Anregung zu bringen. Auch Volradt 
fand anfangs Schwierigkeiten, und e8 liefen Briefe ein, nach 
denen Mori fchon fürchtete, fein Antrag werde ausgefchla- 
gen werden; es reute ihn faft, fchon fo viel Geld auf die 
Vorbereitungen verwandt zu haben, als er gethan. In— 
dem aber wurden die Sranzofen andern Sinnes. Am 21ften 
Mai 1553 leiftete Graf Volradt dem König einen neuen 
Dienfteid. Heinrich IL wünſchte nichts mehr als daß ihm 
jene Mannfchaften zugefchickt würden, die Morig verfpro- 
chen; am 13ten Juni ordnete er Bevollmächtigte nach Mes 
ab, die mit den Gefandten welche Moris dahin ſchicken werde, 
verhandeln follten. Um die Sache zu bejchleunigen, begab ſich 
Graf Volradt, begleitet von einem franzöfifchen Edelmann, 
perfönlich nach Deutfchland zurück. Wir haben mehrere 
Briefe, in denen er gleichlam von Station zu Station der 
franzöfifchen Negierung von feiner Neife Nachricht giebt. An: 
fang Juli erreichte er den Churfürften, als diefer eben in Be— 

1. Memorial, damit der Cajus v. Wyraill von Chf. Morigen 


diefes Verſtendnuß halben nach Frankreich abgefertigt worden. (Dres- 
dener Archiv.) Undatirt, aller Wahrfcheinlichfeit nach vom December. 














Morig in neuem Bunde mit Frankreich. 323 


griff war, mit feinem Heere gegen Albrecht anzuziehen. „Ich 
finde ihn”, fchreibt er dem König am 4ten Juli, „in allen 
Dingen, welche die Ehre und den Vortheil der Krone Frank: 
reich betreffen, vollfommen wohl gefinnt, und entichloffen, von 
dieſem Kriege nicht abzuftehn, ehe nicht die Irrungen zwi— 
ſchen derfelben und dem Neiche ausgemacht ſeyn werden.“! 

Der König hatte, wie einft Albrecht, fo jest Morig zu 
einem Angriff auf die Niederlande aufgefordert; ein märfi- 
[cher Nietmeifter, Thomas von Hodenberg, verfichert, es fey 
wirklich die Abficht des Churfürften, dahin vorzudringen, und 
zwar von Niederdeutichland aus, fobald er nur mit Mark: 
graf Albrecht fertig geworden: fchon habe er Leute abge 
fchicht, um den Weg zu unterfuchen, namentlich die Surfen 
und Päſſe zu bezeichnen, welche man im Voraus einzuneh: 
men habe. ? 

Die Anhänger des Haufes Oftreich hegten über feine 
Entwürfe die fchlimmften Vermuthungen. Der alte Fugger 
hat dem König Ferdinand gefagt, die Abficht des Churfür- 
fen werde feyn, ihn, den König, zu verdrängen und fich fel- 
ber einzufegen. 

Sp viel ift richtig, daß wenn man nach dem legten 
Ziel der beiden Nebenbuhler fragte, Niemand es hätte nen- 
nen Fönnen. 

Man erftaunte wenn man fah daß der römifche König 
den Ehurfürften mit Kriegsvolk unterftügte, während der Kai- 
fer den Markgrafen ganz offenbar begünftigte. 


1. Schreiben Graf Volradts bei Menden Ser. R. G. II, 1421. 
2. Auch der Kaifer fagt, er habe gehört „que si ledit due 
Mauris surmontoit le dit marquis, il devoit venir assaillir mes 


pais de Geldern.“ (Un Ferdinand 26 Aug. 1553.) 
21 * 





324 Zehntes Buch. Drittes Capitel. 


Aber ihdem der Markgraf fich an den Kaifer hielt, nahm 
er zugleich die Evangelifchen in Niederdeutfchland in Schuß, 
und fchien nach einer popular» proteftantifchen Macht zu trach- 
ten. Konnte dag der Sinn des Kaifers feyn? 

Und indem der Churfürft die Hülfe Ferdinands annahm, 
machte er zugleich dem König von Frankreich Hofnung auf 
die deutfche Krone, wovon man in Oftreich Eeine Ahnung 
hatte. Er, der fo eben die Waffen fir den Proteſtantismus 
getragen und durch einen glücklichen Schlag die Feffeln ge 
fprengt, die man ihm angelegt hatte oder noch anlegen 
wollte, fand jetzt mit den fränfifchen Bifchöfen und mit je 
nem Heinrich von Braunfchweig in Bund, der von jeher 
als einer der größter Verfolger der Proteftanten betrachtet 
worden war. 

Den Bortheil hatte Moriß, daß er den Landfrieden und 
den beftehenden Beſitz vertheidigte, während Albrecht An— 
fprüche verfocht, die im Augenblick der Noth mit Gemalt 
erworben, vor Feinem Gerichtshof zu Necht beftehn Eonnten 
und durch die Einwilligung des Kaifers noch lange wicht ge: 
feglich begründet wurden. 

Wenn Moriß fiegte, fo war dag Anfehn des Kaifers 
vollends vernichtet, und fofern e8 zu dem befprochenen Un— 
ternehmen auf die Niederlande Fam, die Grundlage feiner 
Macht höchlicy gefährder. 

Schlug dagegen Albrecht den Gegner aus dem Felde, 
fo hätte wohl ein allgemeiner Sturm auf die Bisthiimer be- 
ginnen Fönnen, ja der ganze in Folge der Ießten Kriege ge 
gründete Beſitzſtand wäre in Frage geftellt worden: alle Feinde 
de8 Churfürften würden fich erhoben haben. 








Schlaht von Sievershaufen. 325 


Unter diefen Ausfichten rückten die beiden Kriegshäup: 
ter im Juli 1553 wider einander. 

Moriß hatte feine meißnifche und thüringifche Nitter- 
fchaft zu Halle, Merfeburg und Sangerhaufen gemuftert: in 
Sangerhaufen fammelten fich alle feine Haufen zu Fuß und 
zu Pferd, und nahmen ihren Weg nach dem Eichsfeld. In 
Giboldehaufen vereinigten fich die franfifchen, in Eimbeck die 
braunfchweigifchen Schaaren mit den einigen. Das ge 
fammte Heer mochte nun achttaufend M. z. F. und acht 
halbtaufend Reifige zählen, eingefchloffen taufend böhmifche 
Neiter, welche Heinrich von Plauen im Namen des römi- 
fchen Königs herbeiführte. 

Markgraf Albrecht lag vor dem feften Haus Peters: 
bagen, und war eben bei Tifch, als ein Edelfnabe des Chur: 
fürften ihm deſſen Verwahrungsfchrift brachte. Albrecht 
fragte ihn, ob der Churfürft wirklich Pfaffen und Huſa— 
ven zu Haufen gebracht. „Ich follte Dir wohl mehr ge 
ben,“ fagte er dem Knaben, dem er vier Kronen fchenfte, 
aber ich brauche mein Geld jett felbft, und dich werden 
die Franzoſen befchenfen. 

Indeſſen, daß er fich den Sieg verfprochen hätte, dürfte 
man nicht glauben. Nur an Fußvolf fah er fich feinem 
Feinde gewachſen; an Neiterei, davon er nur 3000 M. zählte, 
obwohl er vor Kurzem von den Niederlanden her verftärft 
worden, war ihm diefer bei weiten überlegen. 

Eben deshalb faßte er den Gedanken, feinen Gegner 
an günftiger Stelle vorbeisugehn und fich in feinem Nücken 
durch das Stift Magdeburg auf deffen Erblande zu ftürzen. 

Sehr wohl aber erkannte Morig diefe Gefahr; eine Furt 


326 Zehntes Bud. Drittes Capitel. 


in der Nähe von Sievershaufen, welche Albrecht überfchreiten 
mußte um nach dem Magdeburgifchen zu gelangen, nahm 
er glücklich noch vor ihm ein. „Er muß weichen”, heißt es 
in einem feiner Briefe, „oder er muß ſchlagen.“ Moritz er 
füllte fich mit der Schlachtbegier, die ihn immer bei der An— 
näherung eines Feindes ergriff. Man hat ihn mit dem 
Kriegsroß verglichen, das nicht mehr zurückzuhalten ift, wenn 
es dag Wiehern der feindlichen Pferde gehört hat. Als der 
Gegner heranfam, — am Hten Juli — vergaß er den Be: 
fchluß des Kriegsrathes denfelben in der günftigen Stellung 
die man genommen, zu erwarten, und ſtürzte fich ihm felber 
entgegen. Ohne Mühe warf er eine Abtheilung der albrechti- 
fchen Fußvölfer über den Haufen. 

Daß nun aber hiedurch die churfürftliche Schlachtord- 
nung geftört ward, feste den Markgrafen in den erwünſch— 
teften Vortheil. Set rückte er feinerfeitS vor, drang in 
die churfürftlichen Neiter ein, und warf fie, unterftügt von 
dem Weftwind, der den Feinden den Staub in die Augen 
trieb; er nahm wirklich mit feinem Wortrab, dem aber der 
Gemwalthaufe auf der Stelle nachdrückte, die Furt in Beſitz, 
an der ihm alles zu liegen fchien. 

Hiewieder aber fegten fih nun der Churfürft und Her: 
zog Heinrich in Perfon, mit dem beften Volke unter den 
Hoffahnen von Braunfchtweig und Sachjen, in Bewegung. 
An dem engen Orte Fam es zu einem ftürmifchen Zufam: 
mentreffen, in welchem die Reiter ihre Büchfen und Pifto: 
fen mit vielem Erfolg gegen einander brauchten. Mancher 
wußte nicht, ob er Feind oder Freund getroffen. Die Chur: 
fürftlichen verloren ihre beften Leute, — zwei Söhne des Her: 








Schlacht von Sievershaufen. 327 


5098 von Braunfchiveig, — Friedrich von Lüneburg, der die 
Fahne von Moritzens Leibwache frug, erhielt zwei tödtliche 
Stiche von einem Landsfnecht, — den legten Grafen von 
Deichlingen, Johann Walwitz der einft Leipzig vertheidigt, 
und viele andere; aber fie waren an Zahl überlegen: die 
rothe Binde mit den weißen Streifen, die der Churfürſt 
führte, behielt den Pla. 

Damit war aber dag Gefchick noch nicht erfüllt. In 
dem wilden Getümmel des Neitergemenges, man wußte nicht 
ob nicht gar aus einem Nohr feiner eignen Leute, war Chur: 
fürft Morig von einer Kugel getroffen worden; in einem 
Zelt, das man ihm unweit an einem Zaun aufgeichlagen, 
vernahm er den Sieg der Seinen; dann brachte man ihm 
die erbeuteten Banner und Fähnlein, auch die Papiere des 
Markgrafen, die er eifrig durchſuchte; er hatte die Genug: 
thuung, noch den Siegesbericht in feinem Namen abfaffen zu 
laſſen; ! allein die Wunde die er empfangen, war gefährlicher 
als er felber glauben mochte: fchon am zweiten Tag nach der 
Schlacht brachte fie ihm den Tod. Man fagk, fein letztes 
Wort fey gewefen: „Gott wird kommen!“ Ob zur Strafe, 
oder zur Belohnung, oder zur Löfung diefer wirren irdischen 
Händel: man hat ihm nicht weiter verftanden. 

Eine Natur, deren Gleichen wir in Deutfchland nicht 
finden. So bedächtig und geheimnißvoll; fo unternehmend 
und thatfräftig; mit fo vorfchauendem Blick in die Zukunft, 
und bei der Ausführung fo vollfommen bei der Sache: und 
dabei fo ohne alle Anwandlung von Treue und perfönlicher 
Nückficht: ein Menfch von Fleifch und Blut, nicht durch Ideen, 


1. Schreiben des Churfürften vom 7ten Juli bei Langen Il. 
360, Iten Zul, u.a. bei Menden II, 1427. 





328 Zehntes Buch. Drittes Capitel. 


fondern durch fein Dafeyn als eingreifende Kraft bedeutend. 
Sein Thun und Laffen ift für dag Schickfal des Broteftan- 
tismus entfcheidend gewefen. Sein Abfall von dem ergrif 
fenen Syſtem brachte daffelbe dem Ruine nah; fein Abfall 
von dem Kaifer ftelte die Freiheit wieder her. Wenn er jetzt 
wieder hauptfächlich mit Fatholifchen Fürften verbünder war, 
fo würde das ohne Zweifel nicht fein letztes Wort gemefen 
ſeyn: unberechenbare Möglichkeiten hatte diefer mächtige und 
geiftreiche Menſch noch vor fih: — da, im Momente des 
Sieges, in voller Manneskraft, Fam er um. 

E8 war immer ein großer Erfolg dieſes Sieges, daß 
die Macht des Markgrafen dadurch gebrochen war, und alle 
Gedanken, die ſich an diefelbe Fnüpften, in das Nichts zer: 
rannen. 

Eine noch viel größere Entſcheidung, auch für den Mo— 
ment, lag aber im Tode des Churfürſten. 

Was würde daraus geworden ſeyn, wenn Moritz am 
Leben geblieben wirklich nach den Niederlanden vorgerückt 
wäre, und ſich dort mit den franzöſiſchen Heeren, die ſich zu 
entſprechender Zeit in Bereitſchaft ſetzten, vereinigt hätte? 

Nachdem ſich der König von Frankreich der drei andern 
Städte die ihm zugeſprochen waren, bemeiſtert hatte, dachte 
er jetzt auch die vierte von der in ſeinem Bunde mit Moritz 
die Rede geweſen, Cambrai, zu erobern. Ende Auguſt ſetzte 
ſich feine Macht, ungefähr 40000 M. ſtark, dabei vier deut: 
fche Negimenter unter dem Rheingrafen und Neifenberg, ohne 
ſich lange bei Bapaulme und Peromme aufzuhalten, geradezu 
gegen jene Stadt in Bewegung, und forderte fie auf, ihm 
als dem Befchüger der Freiheit, deren fie von dem Kaifer 





Nriederländifcher Feldzug. 329 


beraubt worden fey, ihre Thore zu öffnen. Wie fehr Fam 
es da dem Kaifer zu Statten, daß jener Angriff von Deutfch- 
land her, mit dem Moriß umgegangen, nun nicht wirklich 
eintrat. Er behielt feine Hände frei, wie er ſich auch ſchon fel- 
ber auf dag befte gerüftet hatte. Die Franzoſen wagten doch 
das Lager, das er bei Valenciennes auffuchte, und in wel⸗ 
chem er felber erfchien, nicht anzugreifen. Bald trat Negen- 
wetter ein, und fie ſahen fich genöthigt, unverrichteter Dinge 
surüchzugehn. ' 

Ihre Verbindung mit den deutfchen Fürften, die von 
einem fo mächtigen Oberhaupt wie Moritz feftgehalten noch 
fehr gefährliche Folgen hätte nach fich ziehen können, löfte 
fi) damit weiter auf. 

Aber auch dem Kaifer Fonnte nun von dem gefchlagenen 
Albrecht Feine befondere Hülfleiftung zu Iheil werden, wenn 
er ja überhaupt darauf gerechnet hat. Vielmehr hatte er 
durch fein Verhältniß zu demfelben, die Duldung feines offen: 
baren Landfriedengbruches, die Wiederherſtellung ungerechter 
und fchon von ihm felber vernichteter Verträge feinem reiche: 
oberhanptlichen Anfehen unendlich gefchader. 

Um fo mehr fühlte man das Bedürfniß, die noch ob: 
ſchwebenden Jrrungen wo möglich ohne feinen Einfluß zu 
befeitigen. 

1. Das fünfte Buch der Memoiren von Nabutin und die Aug: 


züge authentifcher Documente, die fih in der Ausgabe von 1788 
(Bd 38, p 400) dabei finden, erläutern dieſen Feldzug. 


Viertes Capitel. 


Allmählige Beruhigung der deutfchen Territorien. 


Gewiß, ein ſchweres Unternehmen, in Deutfchland Friede 
zu ftiften, bei den ftarfen Gegenſätzen die es theilten, den 
gegenfeitigen Beleidigungen die man rächen wollte, der Kriegs: 
begier der Truppen die im Felde ftanden, und dem flarren 
Sinn der Häupter. 

Daß erfte Ereigniß, wodurch die Dinge doch eine friedliche 
Wendung nahmen, lag in dem Negierungswechfel in Sad): 
fen, dem Eintritt des Herzog Auguft, Bruders von Moritz. 

Auguft war wohl nie ganz einverflanden mit feinem 
Bruder. Gegen die Strenge wenigftens, mit welcher diefer 
auf die den Vettern nachtheiligfte Ausführung der Witten- 
berger Capitulation drang, hat er fich einft ausdrücklich er⸗ 
klärt; man meinte, durch eine Reife, die er Furz vor dem 
Ausbruch der legten Fehde nach Dänemark unternahm, habe 
er fein Mißvergnügen darüber Fund gegeben.” Sey dem 


1. Schreiben bei Arndt: de variis prinecipum Saxoniae con- 
troversiis, Doc. p. 21. 

2. ut eventum belli, quod sine suo eonsilio et voluntate 
susceptum esset, e longinquo speeularetur. Stephanius Contin. 


Craghii. 











Eintrite Churfürft Augufts von Sachfen. 331 


wie ihm wolle: als er jet zurückkam, fand er fein Land 
durch die Steuern, Hülfleiftungen und unaufhörlichen Kriegs: 
süge fo ganz erfchöpft und feine Caffe mit fo unerſchwing— 
lichen Laften beladen, daß er, und zwar, mie er felbft erzählt, 
im erften Augenblick, bei fich befchloß, Friede zu machen. ! 
Arch hatte er freilich weniger Haß auf fich gezogen 
und daher weniger zu fürchten als fein Bruder. 
Unmittelbar nach der Sievershauſer Schlacht fandte Jo: 
hann Friedrich feinen älteften Sohn nach Brüffel, und ließ 
auf den Fall, daß der Kaifer nicht durch einen befondern 
Tractat mit Auguft daran gehindert werde, um die Nück- 
gabe der Churwürde und der verlorenen Lande bitten, wo— 
für fein Haus dem Faiferlichen ohne Aufhören dankbar feyn 
werde. Der Kaifer antwortete ihm: auch Auguft ſey in 
der Belehnung mit der Churwürde begriffen: Johann Fried: 
rich) werde nichts von ihm verlangen, was gegen feine Ehre 


und Pflicht Taufe. ? 


1. Propofitio ufm Landtage zu Dreßden Donnftag nad) Dftern 
1554. „Und wie wohl wir diefelbe Zeit eine Fleine Regierung ge: 
bapt (vor 7 Zahren), fo hatten wir doch - zu dem liebſten gerathen 
gefordert und geholfen, das frid und einigfeit in diefen Landen und 
der ganzen deutfhen Nation wer erhalten worden. Da es aber ans 
ders erfolget und fider des ein frig aus dem andern verurfachet, 
das auch diefe lande erbermlich verterbet, mordt brand und andre tref— 
fenliche beſchwerung erleyden und ertragen müffen, dorin find wir bil- 
lig entfhuldiget, den es iſt am tage, das wir derzu feine urfach ge: 
geben, fondern nicht ein geringes mitleiden in unferm gemüthe ges 
hapt.“ — Er fagt nur, daß er den neuen Krieg gegen Albrecht nicht 
erwartet; bei feiner Nücffehr habe das Kriegsvolk monatlich 64000 ©. 
gefoftet. — „Haben bei uns befchloffen durch Gottes Hülf und Gnade 
den Frieden nicht abe noch auszufchlagen fondern zu fördern.” (MS 
der Bibl. zu Berlin.) 

2. Schreiben de3 Kaiſers an Ferdinand 26 Aug 1553. 





332 Zehntes Bud. Viertes Capitel. 


Wie hätte auch der Kaifer wagen können, einen Für— 
ften, der ein fo ftarfes Heer in den Händen und fo ausge 
breitete Verbindungen hafte, fi zum Feinde zu machen? 

Auguſt war fehr bereit, feine Vettern mit größerer Nach: 
giebigfeit zu behandeln, wie denn darüber fogleich Unter 
handlungen eröffnet wurden, die bald zu der erwünſchten Ab- 
kunft führten: die Chur, welche ihm fchon übertragen war, 
hätte er fich nie wieder entreißen laffen. 

Da ein Verſuch hiezu nun aber nicht zu befürchten ftand, 
fo hatte auch der Krieg für ihn Feinen Sinn mehr. 

Die Verbindung feines Bruders mit Frankreich feßte 
er, fo viel wir fehen Eönnen, Eeinen Augenblick fort. 

Man ftellte ihm vor, es diwfte ihm Feinen guten Ruf 
machen, wenn er den Krieg mit Marfgraf Albrecht, in wel 
chem fein Bruder gefallen, fo bald abbreche; von den Rä— 
then die er fand, waren fowohl die welche die franzöſiſche, 
als die welche die deurfch -öftreichifche Allianz wünſchten, Dei 
def fo gut wie Carlowiß, für eine Fortfegung des Krie— 
ge8;' König Ferdinand drang darauf. Dagegen forderte 
die Landfchaft, die an dem Krieg fo wenig Gefallen gehabt 
tie Auguft, und von dem Markgrafen, der fich furchtbar 
su machen gewußt, mit einem Einfall bedroht wurde, auf 
einer Berfammlung zu Leipzig, Auguft 1553, dringend den 
Frieden.” Von den alten Näthen waren doch einige, fie 


1. Diefe Verhältniffe theilte Landgraf Philipp dem Dr Zaſius 
mit. Schreiben deffelden 12 Oct. bei Bucholg VII, 536. 

2. Die Städte führten zu Gemuͤth: do die befchwerlichen laſt uff 
den unterthanen lenger ligen, und die Friege confinuirf, wurde es die 
lenge nicht ertragen, und endlichen f. hurf. On. ein wuſt ledig und 
blos land behalten, und fprehen die Hofnung zu ©. Ch. ©. aus, 


u u u el Sue 





Friede zwifchen Auguft und Albrecht. 333 


Komerftadt und Fachs, auf ihrer Seite. Sie gaben Auguft 
Niückhalt genug, um bei feinem erften Entfchluß zu verhar: 
ven. Unter Vermittelung des Churfürften von DBranden- 
burg und des Königs von Dänemark Fam ein Vertrag zu 
Stande, zu Brandenburg am Liten September, in welchem 
Anguft Frieden mit Albrecht eingieng, mit dem Verſpre— 
chen, die Truppen die er abdanfen werde, nicht den Fein- 
den deffelben zulaufen zu laſſen, und unter einigen andern 
dem Markgrafen ganz günftigen Bedingungen, „als eine Vor— 
bereitung”, wie e8 in dem Vertrage heißt, „des wieder auf 
surichtenden allgemeinen Friedens.“ 

An die Vollziehung des egerfchen Biindniffes, dag eine 
feindfelige Nichtung gegen den Marfgrafen gehabt, war num 
vollends nicht zu denken. Eine VBerfammlung zu Zeiß, Die 
dazu anberaumt war, Fam, fo viel ich finden Fann, gar nicht 
zu Stande. 

Vielmehr, da auch Landgraf Philipp, der feinem Schwie— 
gerfohn Mori allerdings eine Fleine Hilfe gegen Albrecht 
geleifter, fich jet mit Diefem ausſöhnte, konnte man daran 
denken,“ die alte Erbverbrüderung der drei Häufer Bran— 
denburg, Sachfen und Heffen, deren erfte Gründung einft 
zur Beruhigung des nördlichen und öftlichen Deutfchlande 
ſchon fo viel beigetragen, und deren Auflsfung den Un— 
frieden allgemein gemacht hafte, wieder zu erneuern, und 
fie werden gnedigft bedacht feyn auff die wege des fridens und das 
man auf dem frieg komme und der trefflichen unfoft und ander be- 
fhwerung enthept. (Saͤchſiſche Landtagsacten von 1553. MS der 
K. Bibl zu Berlin.) 


1. Der fiebente Artifel des Vertrages (bei Hortleder II. vı, 
14) beſtimmt dieß ausdrücklich. 





334 Zehntes Buch. Viertes Capitel. 


zwar jegt in entfchieden proteftantiichem und zugleich deut: 
fchem Sinne. 

Dagegen faßte König Ferdinand, der in diefem Augen: 
biick nach einigem Schwanken der Stände in den Heidelberger 
Bund aufgenommen ward, die Hofnung, denfelben zu einer Er: 
klärung gegen den Markgrafen zu bewegen. Sollte aber dieſer 
Bund, von dem einft Albrecht Hülfe gehofft, fich jett fo enge 
an Dftreich anfchließen? Mächtige Mitglieder, wie die Chur: 
fürften von Mainz und Trier, fühlten die Wunden noch allzu 
wohl, welche ihnen durch den erften Einfall des Markgrafen 
geichlagen worden, wo Fein Menfch ihnen Hülfe geleiftet; fie 
haften bei deffen Nückzug ihre Neutralität verfprechen müffen, 
und waren gefonnen diefelbe zu halten. Zuerft auf einer 
Verſammlung der Näthe zu Ladenburg, hierauf auf einer Zu: 
ſammenkunft der Fürften zu Heilbronn — die Churfürften von 
der Pfalz und von Mainz, die Herzöge von Würtenberg und 
Baiern waren perfönlich, von Jülich und Trier nur die Räthe 
erfchienen — ward über eine neue Verbefferung und Erwei— 
terung des Bundes gerathichlagt. Allenfalls der Herzog von 
Baiern fcheint geneigt geweſen zu feyn, fich dem Wunſche 
de8 römifchen Königs zu fügen; von den Übrigen aber wollte 
Keiner daran: die Claufel, daß die Neutralität gegen beide 
Theile, die fränfifchen Verbündeten und den Marfgrafen beob- 
achtet werden folle, ward zuleßt in aller Form erneuert. ! 

ie in dem nördlichen, fo bildete fich hiedurch in dem 
öftlichen Deutfchland eine Vereinigung, deren Prinzip der 
Friede war. 


1. Schreiben des Zaſius a. a. DO. p. 542. Die Actenſtuͤcke des 
Tages allein wären ohne diefe Erläuterungen nicht zu verftehen. 











Treffen bei Braunſchweig. 335 


Den Bemühungen des Haufes Brandenburg gelang es 
nicht, Albrecht wie mit Auguft fo auch mit feinen übrigen 
Feinden zu verföhnen: aber e8 war nun wenigftens dafiir 
geforgt, Daß diefe Fehde nicht weiter um fich greifen konnte: 
e8 waren ihr beftimmte Grenzen gezogen. 

Innerhalb derfelben Tieß die Entfcheidung nicht lange 
auf fich warten. Am 12ten September Fam «8 noch ein- 
mal zu einem Treffen zwifchen Herzog Heinrich und dem 
Markgrafen in der Nähe von Braunſchweig. Man er 
sähle, Albrecht habe bei feinem Angriff auf eine Meute 
vei gerechnet, die fich im Heere des Herzogs, dem es an 
Geld fehlte, entfponnen: noch zur rechten Zeit aber fen der 
nürnbergifche Kriegszahlmeifter eingetroffen, durch welchen 
Reiter und Knechte befriedigt und wieder freudig gemacht 
worden. Genug der Markgraf fand feinen Feind nicht al- 
lein an Zahl überlegen, * hauptfächlich mit Fußvolk und Ge: 
ſchütz auf das befte verfehen, fondern auch diefer Truppen 
ficher, entfchloffen und muthvoll. Bei Geitelde und Steter— 
burg trafen fie auf einander. Die Braunfchweiger fliegen 
auf ihre Zinnen und Thürme, um den Gang des Gefechts zu 
beobachten. Albrecht fchlug mit gewohnter Tapferkeit: zwei⸗ 
mal warf er den Anfall des Feindes zurück, und faft alle 
Fahnen deffelben fanfen; aber auch hier wie bei Sievers: 
haufen entfchied die Überlegenheit der Zahl: dem dritten 
Anfall konnte er nicht widerfiehn. Der Herzog behauptete 


1. Nach einem Schreiben von Mandelslo an Marfg. Johann, 
Braunfchweig 13 Sept., hatte der Herzog 1500 M. z. F., 3000 
3 Pf. und ein gutes Feldgefhis, der Marfgraf 2000 Pf. Tobias 
Dlfen giebt dem letztern nur 1200 Pf. 


336 Zehntes Bud. Viertes Capitet. 


die Wahlſtatt und ſchoß Victoria, daß in Braunfchweig die 
Fenſter ersitterten. 

Diefes Ereigniß ward aber für Niederdeuffchland haupt: 
fächlich dadurch entjcheidend, daß Markgraf Albrecht, durch 
ungünftige Nachrichten von feinen Erblanden vermocht, den 
Beſchluß faßte dahin zurückzukehren. 

Herzog Heinrich war und blieb dort zuletzt Doch Herr 
und Meifter im Felde. 

Unverzüglich wandte er fich gegen Braunſchweig; Doch 
hätte e8 ihm wohl ſchwer werden follen, mit feinem Gefchüß, 
dag er abermal auf einem nahen Berge aufpflanzte, die Stadt 
zur Überlieferung zu zwingen. Dagegen Fam ihm feine Ver: 
bindung mit dem fränfifchen Bunde, der fich feiner Kriegskräfte 
zu bedienen winfchte, zu einem friedlichen Austrag zu Stat: 
ten. Erasmus Ebner von Nürnberg leitete eine Lnterhand- 
lung ein, am welcher auch bald die umliegenden Städte, 
auch Goßlar und Hildesheim Theil nahmen. Der Herzog 
felber war milder getworden, und da auch er feine Wieder- 
herftellung wenigſtens guten Theil proteftantifcher Hülfe, der 
des gefallenen Churfürften und der Stadt Nürnberg verdanfte, 
mußte er wohl von der Heftigfeit ablaffen, mit der er fonft 
die Bekenner der neuen Lehre verfolge hatte. Ohnehin waren 
die Braunſchweiger nicht gemeint fich feiner Gnade zu über: 
laffen. Als der Entwurf des Vertrags in einigen weſent—⸗ 
lichen Puncten abgeändert zu ihnen zurückkam, befchloffen fie 
lieber mehr Volk zu werben und den Krieg aufs Außerfte 
fortzufeßen. Hierauf fühlte fich Heinrich bewogen, den Ver: 
trag anzunehmen wie fie ihn vorgefchlagen. 

Sp fam eine Streitfache zu Ende, welche alle nord: 








Friede zw. Hz. Heinrich u. d. St. Brannfchweig. 337 


deutfchen Gebiete feit fo vielen Jahren in Athem gehalten. 
Der Herzog hatte den Städten die Veränderung der Neli- 
gion nicht nachfehen wollen, fondern vielmehr eben bei die— 
fer Gelegenheit fie völlig in feine Hände zu bringen gedacht. 
Dadurch waren die Städte beivogen worden, auch ihm Die 
Anerkennung feiner OberherrlichEeit zu verfagen; Wechſel der 
Übermacht und der Herrfchaft waren hier zahlreicher einge- 
treten als irgendwo fonft. Set aber entfchloß fich der Her: 
zog, die veränderte Neligionsübung und die alten verbrief: 
ten Gerechtfame anzuerkennen; wofür man auch ihm bin: 
wieder feine Ehre gewährte Die Abgeordneten der Bürger: 
fchaft thaten einen Fußfall; er fagte ihnen, er vergebe ihnen 
von Herzen und wolle fortan ihr gnädigfter Herr feyn und 
bleiben. Am 29ften October ward zu Braunfchmweig dag 
Herr Soft dich loben wir unter Paukenfchlag gelungen: in 
allen Kirchen dankte man Gott, daß er den „güldnen" Frie— 
den wieder fchenfe. ! 

Schon früher war Herzog Erich durch Verwüſtung fei- 
nes Gebietes zu einem Abkommen genöthigt worden: fo viel: 
fachem Vorgang mußten jet auch die Edelleute folgen. Hein: 
rich wandte dag Geld, das ihm fein alter Gegner Landgraf 
Philipp zum Abtrag zahlte, zu ihrer Befriedigung an. 

Hier fürs Erfte gefichert, nahm Heinrich nun den Weg 
nach Franken, wohin ihn feine Bundesverwandten dringend 
einluden. 

Er hätte unterwegs Gelegenheit nehmen Fünnen, fich an 
feinen alten Gegnern, dem Grafen Albrecht von Mansfeld 
und Johann Friedrich, zu rächen. Auch fchien e8 wohl, als 

1. Tobias Dlfen 77. 

Ranfe D. Geſch. V. 22 


338 Zehntes Buch. Viertes Kapitel. 


habe er dieß im Sinn: er drohte alles zu werheeren, was 
dem Grafen gehöre, feinen befondern Antheil an dem Haufe 
Mangfeld auszubrennen; dem gewefenen Churfürften warf 
er neue Verbindungen mit Albrecht vor, und forderte eine 
unerfchtwingliche Brandfchagung. Allein die Worte waren 
fchlimmer als die Handlungen. Die Zeiten waren vorüber, 
two Herzog Heinrich nur feinen Leidenfchaften folgte: jetzt 
hörte er auf Entfchuldigungen und Fürbiften. Für dieß 
Mal blieben die albrechtifchen Befisthümer unzerſtört; mit 
Johann Friedrich ward ein „‚endlicher, ewiger und gütlicher 
Hauptvertrag”! aufgerichtet, in welchem er mit einer leidli- 
chen Zahlung wegfam. 

Dergeftalt 509 fich die ganze Entfcheidung nach Sran- 
Een, wo indeß der Krieg zwiſchen Albrecht und den Verbin: 
deten fehr ernftlich fortgegangen war. 

Zuerft hatten die Völfer der Bifchöfe und der Stadt 
in Abweſenheit des Markgrafen die Übermacht im Felde er- 
langt, und den Landen deffelben vergolten was er in den 
ihren gethan. Als fie Neuftadt am der Aifch eroberten, nah— 
men fie fich gar nicht einmal die Zeit, die dahin zufammen- 
geflüchteten Güter unter fich zu vertheilen, fondern fie brann- 
ten die Stadt mit denfelben unverzüglich auf. Mit ferdinan: 
deifchem Kriegsvolk war ihnen Heinrich von Plauen vom 
Voigtland her zu Hülfe gekommen, hatte Hof eingenom- 
men und fich im Namen des römifchen Königs dafelbft hul⸗ 
digen laſſen. 

Hierauf aber, unter dem doppelten Antrieb dieſer Nach— 
richten und der in Niederſachſen erlittenen Niederlage, die ihm 
dort keine Hofnung übrig ließ, war Albrecht zurückgekommen. 





Fehde in Franken. 339 


Wie erfchrafen die Plauenfchen Söldner, die ihrer Er: 
oberung ficher, fich vor den Thoren von Hof gütlich thaten, 
fchmauften und zechten, als der Markgraf, den fie weit ent 
ferne wähnten, plößlich mit der niederdeutfchen Neiterfchaar, 
die den eilenden Ritt mit ihm gemacht, erfchien und fie aus— 
einanderfprengte. Seine Wuth gegen diefen Plauen, „einen 
Deutjchböhmen, der fein von beiden Theilen zufammenge- 
raubtes Fürftenthum nur immer weiter ausbreiten wolle,” 
Fannte Feine Grenzen; dagegen bewies er den Bürgern, Die 
fich ziemlich gut vertheidigt hatten, alle Anerkennung, die fie 
verdienten. Er hoffte e8 noch dahin zu bringen, daß er 
ihnen "alle ihre Verluſte erftatten Fönne. Er hatte noc) 
Bairenth, Culmbach, die Plaffenburg, wohin er jet dag in 
Hof erbeutete Plauenfche Geſchütz führen ließ, Schweinfurt 
und Hohenlandsberg. Bald erfuhren feine Feinde, daß er 
wieder da war: er entriß ihnen Kleine Feftungen, wie Lich- 
tenfel8; den ganzen Aifchgrund hinauf trieb er Beute von 
ihnen sufammen. 

Hätte nur ein Andrer indeß den Krieg in Niederdeutſch⸗ 
land an ſeiner Stelle geführt. 

Da das nicht der Fall war, ſo geſchah was er durch 
ſeinen Zug eben hatte verhindern wollen: der Fürſt, der dort 
ihn geſchlagen, erſchien nun doch und zwar mächtiger und 
angeſehener als je in Franken. 

Bald mußte Albrecht fühlen, daß er der Verbindung ſo 
vieler Feinde nicht gewachſen war. 

Im Felde erlitt er am 7ten November bei Lichtenfels 
eine Niederlage; bei Eulmbach gelang e8 ihm nur eben fich 


durch die Feinde durchzufchlagen. Hierauf flüchteten die Ein- 
22 * 


340 Zehntes Bud. Viertes Capitel. 


mwohner von Culmbach ihre fahrende Habe auf die Plaſſen— 
burg und ftecften ihre Wohnungen in Brand. Wie Culm— 
bach, fo fiel Baireuth und von neuem auch Hof in die 
Hände der Feinde. 

Und indem erfchien dag lange zurückgehaltene Urtel des 
Kammergerichts, durch welches Markgraf Albrecht wegen fei- 
ner landfriedensbrüchigen eigengemwaltigen Thaten in die Acht 
erklärt, fein Leib, Hab und Gut Gedermann Preis gege- 
ben ward. 

Albrecht fcherzte als er davon vernahm, aber bisher wa— 
ven dieſe Urtel noch immer vollftreckt worden, und daß auc) 
ihm nicht wohl dabei ward, zeigt die grengenlofe Wuth, in 
die er gerieth. Er befiehlt den Hauptleuten feiner Truppen, 
fie follen den Pfaffen, feinen Feinden, „zum glücklichen Neu— 
jahr ein sehen Orte anftecfen oder zwanzig; fie follen ein Feuer 
anzünden, daß die Kinder im Mutterleibe einen Fuß an fich 
ziehen oder auch beide." „Wenn man mich verdirbt," vief 
er aus, „wohlan, fo will ich bewirfen, daß auch andre Leute 
nichts haben. 

Seine Stammesvettern und die Heidelberger Verbün— 
deten fürchten auch jeßt noch einen Austrag zu Stande zu 
bringen: und zwei Mal ward im Anfang des Jahres 1554 
darüber Verhandlung gepflogenz; aber die Gegner wollten 
dem gefährlichen Nachbar, den fie jest nach Wunfch einge: 
trieben, unter Feiner andern Bedingung einen Stillſtand ge 
währen, al8 daß feine Nuhe von feinen Verwandten ver- 
bürgt werde und er felber die Waffen niederlege. 

Dazu wollte er fich nimmermehr verftehn. Noch hielt 
er an allen feinen Anfprüchen, Brief und Siegel die er habe, 








Verhaͤltniß zu Frankreich 1554. 341 


feſt. Die Anmuthung, den Kaiſer diefer Verfchreibungen zu 
entlaffen, die ihm von dem Hof zu Brüffel zugleich mit dem 
Berfprechen einen alten Nückftand zu zahlen zufam, mies 
er mit Entrüftung ab; ' dem Bifchof von Arrag, dem er 
Schuld gab erft ihn in feiner Abficht gegen die Bifchöfe be 
ſtärkt und dann diefe zum MWiderftand gegen ihn ermuntert 
su haben, ließ er entbieten, er werde durch Feines Andern 
als feine des Markgrafen Hand den Tod finden. 

Ein Zuftand, worin denn freilich nichts anders als ein 
versweifelter Entfchluß zu erwarten war. 

ie in den beiden vorigen Jahren, fo fuchte der Kö— 
nig von Sranfreic) auch zu dem neuen Feldzug, den er 1554 
zu unternehmen beabfichtigte, Hülfe aus dem innern Deutfch- 
land. An wen hätte er fich, nachdem Moris gefallen war, 
eher menden können als an den Markgrafen? 

Einen nahen Anlaß bot das Gefchäft der Ranzionirung 
des Herzogs von Aumale dar, der bisher noch immer gefan- 
gen gehalten worden: — bald aber war man ohne Zweifel 
noch) über andre Dinge einverftanden. Den Nachrichten zwar, 
welche König Ferdinand feinem Bruder mittheilte, ? als fey 
die Abrede, daß Albrecht dem Beifpiel der Farneſen folgen 
und die franzöfifchen Fahnen in feinen Plägen fliegen laf- 
fen, dafür aber mit franzöfifchem Geld zur Fortfegung feines 
Krieges unterſtützt werden folle, dürfte man nicht unbeding- 
ten Glauben beimeffen. Albrecht wenigſtens hat erflärt, der 
Tractat mit dem man fich frage, werde in Nürnberg oder 


1. Albrecht an feine Oberften 30 März 1554 bei Hortleder II, 
vi,'25, nr. 45. 


2. Bucholß VII, 151. 


342 Zehntes Buch. DBiertes Kapitel. 


von feinem Feinde Arras gefchmiedet worden feyn. Aber 
wahr ift, und er felber gefteht e8 unummunden, daß er die 
franzöfifchen Anträge nicht völlig von ſich wies.“ Die Mei- 
nung, vom Eaiferlichen Hofe mißhandelt, vom Neiche mit 
Vernichtung bedroht zu feyn, und der trotzige Wunfch, die 
Waffen um jeden Preis in der Hand zu behalten, trieben 
ihn zu dieſem verzweifelten Schritte. Doch könnte man nicht 
fagen, worauf die Verabredungen gegangen find. Es fcheint 
als feyen einige frühere Verbündete im Verftändniß gewe— 
fen, wie Johann Albrecht von Meklenburg, Erich von Ca- 
lenberg. Auch die alten Kriegsoberfien füchte Heinrich II 
zu gewinnen, deren Name bei jeder neuen Bewegung er— 
ſcheint, Chriftoph von Oldenburg, Wrigberg, von dem wir 
einen Brief haben, worin er dem Kaifer gar nicht verhehlt, 
daß er mit fremden Finften in Unterhandlung ſtehe. Big 
an die Grenzen von Polen und Pommern waren Muſter— 
pläße eingerichtet, wohin die Landsfnechte bereits ihren Lauf 
zu nehmen begannen; überall ſah man gardende Neiterz 
bald machte fich der Markgraf feldft wieder nach Nieder 
deutichland auf den Weg. Aus einer Inſtruction für einen 
nach Deutfchland beftimmten Abgeordneten fehen wir, daß 
fi) der König fogar der Antipathien der deutjchen Linie des 
Haufes Öftreich gegen den Kaifer zu bedienen dachte. ? 


1. Schreiben Albreht3 an den Kaifer vom 22ften April. „Ob 
nun durch dieß allg ich als ein armer verlaßner verderbfer und ver- 
jagter Fürft, der vermög der Acht genzkich ausgetilft werden foll, zum 
hoͤchſten dazu gedrungen die wege zu fuchen, das ich mein Aufent- 
haltung und Schuß haben möge, wo ich halt den find, das wirdet 
niemands unparteilich verdenfen Fönnen.” (Arc. zu Berlin.) 

2. Instruction au comte de Roquendolf, pour oflrir secours 
au Roi de Boheme. Nibier II, 507. 


————— 





Verhaͤltniß zu Frankreich. 343 


ie fehr aber waren die Verhältniffe in Deutfchland 
feit jenem erfien Bunde verändert. Jetzt wandte fich der 
allgemeine Widerwille bereits gegen Heinrich IT felbft, der 
drei Städte des Neiches in Beſitz behalten und unter der 
Hand immer weiter um fich greifen zu wollen fchien. Die 
Leute mit denen er in Verbindung trat, waren bereits ge 
fchlagen und auf das Außerfte gebracht, fie bedurften eher 
Hülfe als daß fie deren hätten leiften können. 

Und fchon war Herzog Heinrich allen ihren Werbungen 
zuvor gekommen. Georg von Holle und Willmar von Miünch- 
haufen brachten ihm hauptfüchlich mit fränfifchem Geld zwei 
große Megimenter zu Fuß, Hilmar von Duernheim und Fi- 
borius von Münchhaufen 1200 Pferde auf; einige Neiterge: 
fchwader fchloffen fich ihm perfönlich an; eine Anzahl Lands: 
Enechte hatten fich den Winter über im Verdenfchen unterbal- 
ten. Mit dem Frühjahr fuchte er alle Diejenigen heim, die 
er für Anhänger des Markgrafen oder gar des Königs von 
Frankreich hielt: die Herzoge von Lauenburg und Lüneburg, 
welche der Verbindung mit Albrecht entfagen, Städte wie 
Hamburg und Lübek, welche nicht unbedeutende Summen 
zum Abtrag alter Feindfeligkeiten zahlen mußten, Herzog Jo— 
hann Albrecht von Meklenburg, im Bunde mit dem Bru- 
der deffelben, Johann Ulrich, der fich Ancheil an der Lan⸗ 
desregierung erfämpfen wollte. Vergebens bot Johann Al- 
brecht feine Nitterfchaft auf: Niemand wollte feine Pferde ge: 
gen einen Feind fatteln, mit dem einer ihrer Landegfürften ver: 
bindet war." Dabei behielt Herzog Heinrich noch Leute ge- 
nug, um auch nach andern Seiten hin Mufterpläge zu zer— 

1. Ehyträus 529 Nudloff II, 1, 140. 


344 Zehntes Buch. Viertes Capitel. 


ftören, z. B. einen in Tangermünde, albrechtifche Neiter nir- 
gends aufkommen zu laffen. 

Merkwürdiger Anblick, wie der alte Parteigänger fich jetzt 
als Erecutor der Neichsordnungen aufgeftellt hat, von Ort 
zu Ort zieht, und alles erdrückt was fich empören will.!“ 

Und nun endlich ſprach auch der Kaiſer ſich aus. Er 
hatte doch noch gewartet, bis Albrecht ihm ſeine Dienſte 
förmlich aufkündigte. Hierauf erſt (18 Mai) erließ er die 
Mandate zur Execution der über ihn geſprochenen Acht. 

Das Schickſal Albrechts neigte ſich zu ſeiner Cataſtrophe. 
In Niederdeutſchland etwas auszurichten, durfte er jetzt nicht 
mehr hoffen. Die Abſicht gieng ihm durch den Kopf, mit 
den ausgewanderten Proteſtanten die bei ihm waren, ſich 
nach Böhmen oder Schleſien zu werfen; aber auch da war 
man vorbereitet, ihn zu empfangen. Es blieb ihm nichts 
übrig, als ſich nach Franken zurückzuwenden: mit ein paar 
hundert Reitern, die ſich ihm in Ilmenau zugeſellt, gelangte 
er Anfang Juni nach Schweinfurt. 

Bereits ſeit ein paar Monaten war dieſe Stadt auf 
das ernſtlichſte von biſchöflichem und nürnbergiſchem Volk 
belagert. Noch wehrten ſich die Truppen Albrechts ftand- 


haft, auch die Einwohner nahmen mit Eifer an der Ver— 


theidigung Theil, befonders nachdem fie den erfien Schrecken 


1. Er flagt jedoch „das er in jüngifer feiner Noth fo gar von 


der Faiferlihen Majeſtaͤt verlaffen, und auf fein vielfeltig anfuchen nicht 
3 oder 4 taufend G. anlehensweife befommen mögen. Schreiben 
Schwendis an Königin Maria, Wolfenbüttel 5 Mai (Ar. 5. Br.). 
Auch fprach der Herzog fehr ernftlic von dem Mißtrauen fo der Fi. 
Mt von wegen des Marfgrafen Handlung und das er fogar nicht 
über Acht und Neichsordnung halte auf dem Halfe liege, der Kaifer 
follte fich feiner Pflicht gemäß der Erecutionsfahe annehmen. 





Ausgang Marfgraf Albrechte. 345 


überwunden, in den fie anfangs durch die in die Stadt ge 
fchleuderten Feuerkugeln verfegt worden. Schon war aber 
der größte Theil der Wehren auf den Ihürmen zerfchoffen, 
und nur mit großer Behutfamkeit konnte dag Gefchüg noch 
bedient werden; die Lebensmittel fingen am zu mangeln, 
Krankheiten viffen ein, und nicht immer wollte das Kriege: 
volk ohne Befoldung dienen. Der Markgraf ſah wohl daß 
auch hier feines Bleibens nicht fey- 

Er hoffte noch, ſey es nun daß er dazu Grund hatte 
oder fich einer Täufchung hingab, in Nothenburg Zuzug er: 
warten zu können. Dahin brach er in der Nacht zum 13ten 
Juni mit alle den Seinen von Schweinfurt auf. Aber die 
Feinde waren ihm, und zwar auch, was er nicht gemeint, 
an Meiterei viel zu überlegen als daß fie ihn dahin hätten 
entfommen laffen. Schon auf der fandigen Haide zwifchen 
Bolfach und Kiffingen holten fie ihn ein. Sie haften 1500 
Hafenfchügen bei fich, die man die freien Schützen nannte, 
und die nun hier die beften Dienfte leifteten. Auf der Stelle 
waren die Landsknechte Albrechts aus einander gefprengt und 
feine Neiter warfen fich in die Flucht; fein Geſchütz, fein 
Silber, feine Brieffchaften und Kleider fielen dem Feinde in 
die Hände. Mit Mühe rettete er fich felbft über den Main. 
Indeſſen ward Schweinfurt, obgleich von den Truppen ver 
laffen, von den Feinden ohne Erbarmen in Brand gefteckt. 


1. Kilian Göbel Bericht von der Belagerung, bei Neinhard 
Beiträge zur Hiſtorie Sranfenlandes I, p. 239. „Wurden Ießlich 
Kufen voll Hammelhäut eingeweiht und lauter befunden zum Lö: 
fhen. Auch wurd der Vortheil alfo erlernet, daß alsbald fie (die 
Kugeln) fielen, man wiffen font, ob man fie müßte verfchiefen laſſen 
oder ob man fie vor dem fchiefen mit löfchen möge angreifen.“ 


346 Zehntes Buch. Viertes Capitel. 


Acht Tage fpäter mußte auch die letzte culmbachifche Fefte, 
dag alte Schatz- und Archivhaus, die Plaffenburg, fich er- 
geben. Für die Verbündeten, deren Altwordern wie fie fel- 
ber feit Jahrhundert von diefer Burg her befehdet und be: 
drängt worden, ein erwünſchter Anblick, als die Flammen 
iiber die Zinnen aufftiegen. 

- Denn ganz im eigentlichften Sinn mit Feuer und —* 
führte man in dieſen Zeiten den Krieg. 

Markgraf Albrecht erſchien, doch nicht mehr als ein 
Kriegsanführer, ſondern nur als ein Verbannter und Hülfe— 
ſuchender in Frankreich. Wenigſtens nahe gekommen ſind 
ihm noch ſpäter ſehr weitausſehende Entwürfe, doch iſt er 
niemals wieder im Felde erſchienen. Vielmehr erhoben ſich 
ihm allmählig die religiöſen Gedanken, mit denen feine Ju— 
gend genährt worden, in aller ihrer urfprünglichen Stärke. 
Er fah fein Unglück als eine Strafe Gottes an, deffen Wort 
er einft verfolgt habe; er rechnete nach, wie Viele von De 
nen die den Zug nach Magdeburg mitgemacht, vor der Zeit 
umgekommen feyen. Das fchone Kirchenlied, durch dag er 
bei den evangelifchen Gemeinden in gutem Andenken geblieben 
ift, zeigt ein nach herber Prüfung wieder gefaßteg, den gütt- 
lichen Rathſchlüſſen in Leben und Tod vertrauendes Gemüth. 

Indeſſen hatte in Deurfchland der fränfifche Bund die 
Dberhand. Er nahm Eraft Eaiferlichen Indultes die Land- 
ichaft des Markgrafen in vorläufige Verwaltung; — auch 
ließ er fich nicht abhalten, bei einigen Ständen, welche ihm 
anfangs beigetreten, fpäter aber fich wieder abgefonderf, wie 
der Stadt Rothenburg und dem Deutfchmeifter, fein Necht 
mit Gewalt zu fuchen. Schon fürchtete Ehriftoph von Würz 
tenberg, an den Herzog Heinrich alte Anfprüche erhob, über: 








Deruhigung deutfoher Territorien. 347 


zogen zu werden: er ordnete bereits fein Kriegsvolf in ver: 
fehiedenen Aufgeboten; aber dag Kammergericht und der Hei- 
delberger Bund nahmen fich feiner nachdrücklich an. Bier 
Monat lang hielt der Bund Kriegsvolf im Felde, bis jede 
Gefahr eines Angriffes vorübergegangen. | 

Herzog Heinrich begnügte fich, die ihm näher geſeſſe— 
nen alten Gegner heimzufuchen, den Grafen von Henneberg, 
Wolfgang von Anhalt, Albrecht von Mangfeld, mit dem er 
jest mehr Ernft machte, und deffen Städte. 

Und fo viel wenigſtens ward hiedurch erreicht, daß nun 
auch die fränfifch- niederfächfifchen Länder, two Fein DVertras 
gen möglich gewefen, in Folge der Entfcheidung der War 
fen beruhigt wurden. 

Überhaupt neigte fich alles zum Frieden. Die territo- 
rialen Streitigkeiten in Deutfchland die bisher mit den großen 
religiöfen Fragen oder den politifchen Gegenfägen von Eu: 
vopa in Beziehung gekommen, wurden jeßt von denfelben ab- 
gelöft, und unter dem Einfluß der letzten Ereigniſſe, die Feine 
große Veränderung weiter erwarten ließen, meiftentheilg zu 
Ende gebracht. " 

König Ferdinand hätte nicht in den Heidelberger Bund 
aufgenommen werden können, hätte er nicht zu einem Aus: 
frag feiner Streitigkeiten mit Würtenberg, auf dag er feine 
alten Unfprüche felbft im Gegenfaß mit dem Kaifer bisher 
fefigehalten, endlich die Hand geboten. Auf dem großen 
Landtag von 1554, von welchem überhaupt der Geldhaus— 
halt von Würtenberg einigermaßen geregelt ward, dachte man 
auf die Mittel, die zur Ausgleichung mit Ferdinand nöthi— 
gen Zahlungen zu leiften. 

Herzog Albrecht von Baiern, der in diefer Sache mit 


348 Zehntes Buch. Viertes Eapitel.’ 


großem Eifer vermittelte, feßte die Politik feines Vaters iwe- 
der gegen König Ferdinand, mit deffen Tochter er vermählt 
war, noch gegen die Pfalz fort. Wir finden nicht, daß er 
der pfälzifchen Linie die Chur beftritten habe. 

Den Faßenelnbogenfchen Streit, der in allen verfchie- 
denen Lagen der öffentlichen Angelegenheiten aufgetaucht, 
übernahmen jeßt, da e8 dem Kaifer mißlungen war, einige 
Mitglieder des heidelbergischen Bundes, die Churfürften von 
Trier und Pfalz, die Herzoge von Jülich und von Würten- 
berg, auszutragen. Am 2öften October hielten fie die erfte 
Sigung darüber zu Frankfurt. Nach einiger Zeit brachten 
fie einen Entwurf zu Stande, der wirklich die Grundlage 
des Dertrages geworden ift, der einige Jahre fpäter dieſe 
Sache gefchlichtet hat. ! 

Noch bei weiten tiefer hatten die Irrungen der beiden 
fächfiichen Linien in die allgemeinen Angelegenheiten einge 
griffen. Der unmwiderruflichen Entfcheidung welche die Waf— 
fen darin gegeben, trat im Februar 1554 eine Abkunft zur 
Seite, die den Frieden zwiſchen ihnen endlich wwiederher- 
ſtellte. Auguſt gab der Wittenberger Capitulation eine fei- 
nen Dettern bei weitem günftigere Auslegung als fein Bru- 
der gethan. Jetzt erſt empfiengen fie Altenburg, Eifenberg, 
Herbsleben, Altftädt, das Necht der Einlöfung von Königs: 
berg und mehrere andre Zugeftändniffe, die ihnen nach den 
harten Verluſten die fie erlitten, doch wieder einigermaßen die 
Möglichkeit verfchafften, als deutfche Fürften fortzudauern. ? 

1. Arnoldi II, 147. 


2. Propofition auf dem Landtag zu Dresden 1554: „Haben 
ein fattliches nicht angefehen und unf mit gemelten unfern lieben 





Beruhigung deutfcher Territorien. 349 


Abfichten, wie fie Johann Friedrich auf Magdeburg ge- 
begt, waren durch den Lauf der Dinge befeitigt. Der jüngfte 
Sohn des Ehurfürften Joachim, Siegmund, noch von fer 
nem Lehrer geleitet, trat als Erzbifchof ein. Die Oberherr⸗ 


- lichkeit über die Stadt theilten Joachim und Auguſt mit 


ihm. Im Sahr 1555 Fam ein ausführlicher Vertrag, ge 
nannt das ZTripartit, hierüber zu Stande. 

Unter dem Schrecken der Anmefenheit der braunfchwei- 
giſch-fränkiſchen Truppen in Boizenburg entfchloß fich Jo— 
hann Albrecht von Meklenburg zu der lange vermweigerten 
Theilung des Landes mit feinem Bruder Ulrich. Die Zwi— 
ftigfeiten zwifchen Lauenburg und Nageburg wurden dadurd) 
befeitigt, daß der bisherige Bifchof austrat und ein meklen— 
burgifcher Prinz ihm nachfolgte. Auch hier wirfte Herzog 
Heinrich mitz indeß ließ man ihn auch bier nicht allzu weit 
um fich greifen. Die ftarfe Haltung welche Holftein annahm, 
hinderte ihn dahin vorzudringen. Der Kaifer felbft, der jetzt 
zwar wieder mit Heinrich in Verbindung getreten, aber auch 
mit Holftein gut fand, hätte e8 nicht gewünſcht. 

Durch den Gang den dieſe Ereigniffe genommen, geſchah 
nun nothiwendig, daß die Franzoſen in dem Feldzug von 1554, 
wiewohl fie deutfche Truppen genug an fich zogen, Doch Feine 
Hülfe von dem innern Deutfchland her empfiengen. 

Im Juni brach der König mit drei großen NHeerhau: 
Vettern freundlich und in der Güthe aller unfrer Gebrechen, benant 
und unbenant, genzlih und zu Grunde vertragen laffen.” Der här- 
tefte Urtifel war der, nach welchem demjenigen Theil, der den Ver— 
trag brechen würde, feine Landfchaft „widder rettig noch hilflich“ feyn 
folle. „Gleichwol“, fagt Auguſt, „haben wir dorein gemifliget, und 


wollen den Vortragk - - halten, thuen euch auch uf obberurten falh 
zu volge und vereinunge des Vortrags euer pflicht erlaffen. ” 


350 Zehntes Buch. Viertes Capitel. 


fen in die Niederlande ein, die fich außer mehreren andern 
der feften Plätze Marienburg, Bouvines und Dinant bemäch— 
tigen. Dinant gehörte zu dem Bisthum Lüttich, das der 
König ungefähr aus demfelben Gefichtspunct anfah wie Meß 
und Cambrai, und" dem er e8 nicht vergeben konnte, daß 
e8 mit dem Kaifer in fo enge Verbindung gefreten. In— 
deffen fammelte der Kaifer, den die Nachrichten von den Nie 
derlagen des Marfgrafen von anderweiten Sorgen befreiten, 
alfe feine Macht zu Namur. Er wollte jedoc) fein Glück nicht 
nochmals auf einen Schlachttag wagen, und ließ gefchehen 
daß die Sranzofen vor feinen Augen über die Sambre gien: 
gen und fich nach dem Hennegau zogen; fie begeichneten ihren 
Weg mit Verwüſtungen eben der blühendften Orte, der Pal: 
läfte zu Binche, der Gärten zu Marimont, welche ſich Köni— 
gin Maria mit großen Koften eingerichtet hatte: — angeblich 
um ähnliche Verwüſtungen, die in Frankreich gefchehen wa— 
ren, zu rächen; ' — dann aber gieng das Faiferliche Heer, 
bei dem wir Graf Günther von Schwarzburg an der Spiße 
einer ſchwarzen Neiterfchaar finden, die fich nicht wenig her: 
vorthat, den Franzoſen nach, drängte fie nach Artoig, entfeßte 
Renty und drang zuletzt felbft in die Picardie ein. 
Während dem hatten fich die Kreife, an welche Die 
Ereeutionsmandate des Kaifers gerichtet gemwefen, zu Worms 
verfammelt, um jeder Einwirkung welche Frankreich vermöge 
feiner alten Verbindungen auf Deutfchland ausüben Fönne, 
su widerfiehn. Sie vereinigten fich, dag dem Angegriffenen 
1. Schreiben des Connetable an Briffac, gegen Ende Zuli 1554: 
„Avons fait et faisons encores tous les jours de si beaux feux 


a 4 ou 5 lieues à la ronde du chemin.“ (Mem. Coll. univers. 


XXXVI, p 443.) 











Beruhigung deutfeher Territorien. 351 


oder auch nur Gefährdeten von allen Andern unversügliche 
Hülfe bis auf den Betrag eines doppelten Nömermonats 
geleiftee werden follte. 

Das war jedoch nicht mehr zu befürchten. Kriegsban- 
denführer Fonnten fich vielleicht für Frankreich erheben; da- 
gegen war eine nachhaltige Verbindung eines mächtigen Für: 
fien mit diefem Lande jeßt nicht mehr zu beforgen. 

Nach alle dem was gefchehen, und worüber man fich 
vereinigt, hatte Keiner mehr weder die alten Antriebe einen 
Bund diefer Art einzugehn, noch auch Ausficht dadurch et: 
was zu erreichen. 

Da aber der Kaifer hiezu nur wenig beigetragen, und 
auch er feinerfeitS des Neiches nicht mehr mächtig war, fo 
geichah daß das Schwanfen der allgemeinen Derhältniffe 
Deutfchland überhaupt nicht mehr fo unmittelbar berührte 
und ergreifen Eonnfe wie bisher. Es blieb mehr fich felber 
überlaffen. 

Und hiedurc waren die Dinge fo weit gereift, daß man 
daran denken durfte, endlich auch die große Frage, von der 
die allgemeine Unruhe hauptfächlich ihren Urfprung genom- 
men, die religiöfe, zur Entfcheidung zu bringen. 


Fuͤnftes Capitel. 
Reichstag zu Augsburg 1555. 


Im Sturme de Kriegeg war die Überzeugung von 
der Nothwendigkeit einer religiöfen Ausſöhnung entfprungen: 
fhon der Paffauer Vertrag war die Frucht deffelben; durch 
die beiden feitdem entftandenen Bündniſſe, das heidelbergifche 
md das fränkifch-braunfchweigifche, in welchen Stände des 
einen und des andern Bekenntniffes einander zu Hülfe ge 
kommen, hatte fie weiteren Grund und Boden gewonnen: 
wie ganz anders als einft, da dag Nürnberger und das 
fchmalfaldifche Bündniß die excluſiv confeffionellen Gegen: 
füge repräfentirten, und gegen einander in die Waffen zu 
bringen drohen; allein mit alle dem war doch noch nichts 
ausgemacht noch befeftigt: nach mehr als zwei Jahren war 
es noch nicht zu dem Neichstag gekommen, dem der Pal 
fauer Vertrag die wichtigften Feftfegungen vorbehalten hatte; 
Dielen däuchte es fchon wieder gefährlich, daß ein fo eifrig 
Fatholifcher Fiürft wie Herzog Heinrich zulegt das Schwert 
in der Hand hielt und fich an allen feinen alten Feinden 
rächen durfte. 

Als endlich König Ferdinand, dem der Kaifer volle Ge 





Neichstag zu Augsburg 1555. 353 


walt ertheilt hatte „abzuhandeln und zu befchließen: abſo— 
Inte: ohne alles Hinterfichbringen”, den verfprochenen Neichg- 
tag eröffnete, zu Augsburg, am 5ten Februar 1555, fehien 
ihm an dem Neligiongfrieden wenig zu liegen; bei weiten 
größeren Nachdruck legte er in feiner Propofition auf Die 
Erneuerung des Landfriedens und eine durchgreifende Exe— 
cutionsordnung. Einrichtungen zur Sicherftellung des Be 
fisftandes gegen Unternehmungen wie die legten, wurden wie 
von ihm, fo von der Majorität der Fürften, befonders den 
geiftlichen, gefordert." Mas der fränfifche Bund vollbracht, 
die Stellung und Verfahrungsweiſe Herzog Heinrichs hatte 
deren ganzen Beifall. 

Auf einem Kreistage zu Frankfurt gegen Ende 1554 
war ein Entwurf in diefem Sinne vorgelegt worden, der 
die Macht in wenigen Händen vereinigt hätte, nach der 
Wahl der ſtändiſchen Mehrheit in den Kreifen: die geiftli- 
chen Fürften, welche zahlreich erjchienen waren, wünfchten, 
daß vor allem andern diefer Entwurf auf dem Reichstag 
vorgenommen und durchgeführt würde. 

Unmöglich aber durften die Proteftanten dieß gefchehen 

1. Brandenburgifhe Näthe, Jacob Schilling, Chriftoph von 
der Strafen, Zimotheus Jung und Lambert Diftelmeier, legten Fe: 
bruar: „Im Fürften Rhat feind die hendel - - albereith fo weith un: 
derbauett, das fie dahin votiren, das man den Artifel des Landfrie: 
dens am erften vor handen nehmen - - fol.” Die fächfifchen Geſand— 
ten, 21 Februar: „Die im Fürften Nath haben fih anfangs fait 
bloß geben, was fie des merern theil fürhaben, nemlich allein die 
bandhabung des Landfriedens in weltlichen Dingen zu befchliegen, denn 
daran iſt der Koͤn. Mt und den fränfifchen Ainungsverwandten al- 
lein gelegen, und fo es durch einen ausſchuß dahin gereichte, das fie 


die andern zu überflimmen hetten, fo glauben wir dag fie den Frie- 
den in Neligionfachen diegmal nit worden ſchließen wollen.“ 


Ranke D. Geſch. V. — 23 


354 Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel. 


laffen, oder auch nur überhaupt die Einrichtung einer ſtar— 
Fon executiven Gewalt zugeben, ohne vorher über die wich— 
tigſte gefeßliche Frage, den religiöfen Frieden, beruhigt zu 
ſeyn. Unter den Umſtänden jener Zeit mochten die Gegner, 
da das Gedächtniß an die letzten Ereigniſſe noch friſch war, 
wohl nicht daran denken, die Proteſtanten zu bekriegen; aber 
wie leicht konnten die Dinge ſich ändern: eine ſtarke Reichs— 
gewalt in katholiſchen Händen, gegen die fie nicht rechts— 
beftändig gefichert waren, Fonnte ihnen einmal fo gefährlich 
werden wie der Kaifer geworden war. 

Es ſieht wie eine nichtsbedeutende Formfrage aus, wenn 
man vorläufige Berathungen darüber eröffnete, welcher Ge 
genftand zuerft vorgenommen werden folle, der Neligiong- 
friede oder der Landfriede, aber es ift eine Differenz welche 
die Summe der Dinge berührt. 

Die Proteftanten fürchteten, wenn über den Landfrieden 
befchloffen fey, werde man ihnen den Neligiongfrieden er- 
fchweren, vielleicht, ehe derfelbe bewilligt worden, den Reichs— 
tag abbrechen. | 

In dem Churfürftenrath wurde auch diefe Angelegen- 
heit, wie jeßt alle andern, zuerft vorgenommen, lange jedoch 
ohne Erfolg; fünf Mal ward Umfrage gehalten, ohne daß 
man zu einer Mehrheit hätte gelangen können; fchon ge: 
ſchah der Vorfchlag, daß man die verfchiedenen Meinungen 
dem Fürftenrath referiven folle. 

Die weltlichen Stimmen, welche auf die Priorität des 
Neligiongfriedens drangen, haften jedoch den Wortheil, daß 
ihre Forderung den vorhergegangenen Befchlüffen beffer ent: 
fprach. In dem Paffaner Vertrage hieß es, daß der Neichg- 








Neichstag zu Augsburg 1555. 355 


tag die Neligionsfache bald anfangs vornehmen folle; fie 
erinnerten ihre geiftlichen Collegen, daß auch fie jene Ab— 
Funft „bei ihren fürftlichen Ehren, in guter rechter Treue, 
und bei dem Worte der Wahrheit befräftige!!: wirde man 
von derfelben auch nur in Einem Puncte abweichen, fo würde 
alles was darin beſtimmt fey, zweifelhaft oder ungültig wer: 
den. Dazu Fam, daß dag Collegium, wenn e8 fich entzweite, 
an feiner Autorität verlor, was den geiftlichen Mitgliedern 
fo wenig erwünſcht war wie den weltlichen. 

Churfürft Johann von Trier, ein geborner Sfenburg, 
der auch fonft als ein gemäßigter und vaterländifch- gefinn- 
ter Mann erfcheint, wie wir denn wohl anführen dürfen, 
daß ihn Sebaftian Münfter wegen der Förderung rühmt, 
die er ihm vor den meiften andern Fürften zu feiner Kosmo— 
graphie gethan, erwarb fich das Verdienft, endlich, bei der 
fechsten Umfrage, auf die Seite der weltlichen Stimmen zu 
treten. Dadurch war die Mehrheit entfchieden; doch hatte 
es auch dabei nicht fein Verbleiben: Cöln und Mainz folg- 
ten dem Beifpiele Trierd nach. Ganz einhellig, und in fol- 
chen Ausdrücken, in welchen alle Andeutung einer urfprüng- 
lichen Berfchiedenheit der Anfichten vermieden war, faßten 
die Churfürften den Beſchluß, daß am Neichstag zuerft über 
den beharrlichen Neligiongfrieden berathſchlagt werden folle. 

In dem Fürftenrathe fehlte e8 nicht an Einwendungen 
dagegen. Beſonders machte man geltend, daß der Profan- 


1. Die fächfifhen Gefandten bemerfen: Herzog Heinrih von 
Braunfhweig hat fich noch befonders „unnüß gemacht.” Die bran: 
denburgifchen bezeichnen den Erfolg in ihrem Schreiben vom 13ten 
März mit diefen Worten: „dabei aber gleichwol fo viel abgearbeitet, 


23 * 


356 Zehntes Buch. Fünftes Capitel. 


friede zunächft bedroht fey, und daher die nächfte Fürforge 
erfordere; Eaiferliche Schreiben und neue Zeitungen wurden 
eingebracht nach denen eim unmittelbarer Friedensbruch be- 
vorfiehn follte. Auch meinten wohl Einige, fey erft der Ne 
ligiongfriede befchloffen, fo werde man auf die Einrichtun- 
gen des Landfriedeng nicht mehr Bedacht nehmen. 

Und wenigſtens diefe legte Beforgniß brachte auf die geift- 
lichen Churfürften einer gemwiffen Eindruck hervor. Aber die 
weltlichen gaben ihnen ihr Wort, daß nach der Feſtſetzung 
de8 Neligionsfriedens die Berathung über den Profanfrieden 
unfehlbar folgen folle. Aller Widerrede zum Troß mußten 
am Ende auc) die Fürften fich fügen. 

E8 hat acht Tage lebhaften Kampfes gekoſtet, ehe man 
fo weit Fam; der Ausfall deffelben aber gab nun auch) fir 
die Hauptfache, zu der man munmehr fehritt, eine größere 
Sicherheit. 


Berathungen über den Keligionöfrieden. 


Bon allen Forderungen welche die Proteftanten jemals 
aufgeftellt, war die wichtigfte, daß ihnen ein nicht mehr durch 
die Ausficht auf eine conciliare Befchlußnahme beſchränkter, fon- 
dern ein unbedingter immerwährender Friede bewilligt wiirde. 

Nicht ale hätten fie mißfannt, wie wünſchenswerth für 


das wir numehr (fpäterer Zufaß: fonderlich im Churfürftenrathe) ei: 
nigf feien, das die handlung diefes reichstags nach der ordnung und 
inhalt der Paffauifhen Handlung und Abfchiedes zu dirigiren und zu 
richten, item, das in feinen ausfchuß zu bewilligen (d. h. der Öefammt- 
beit), item, das die franffordifch Handlung gar hinwegzuthun, welches 
die vornehmften puncte unfrer Inſtruction.“ 














Berathungen über den Neligionsfrieden. 357 


die deutfche Nation eine religiöſe Wiedervereinigung wäre; 
aber fie wollten diefelbe nicht mehr von einem Concilium 
erwarten: fchon in Bezug auf den Glauben nicht, für den 
fie eine feftere Grundlage gewonnen, als die in der leicht 
von zufälligen Einflüffen zu beftimmenden Entfcheidung ho— 
her Prälaten lag, eben fo wenig aber fir die außeren Ver 
hältniffe der Kirche, wo die Abweichungen, die fie getroffen, 
dag ganze Wefen ihres Staates bedingten. 

Bon allgemeinem Standpunck angefehen, war die Frage 
die: ob es in der abendländifchen Chriftenheit noch ein als 
unfehlbar betrachtetes höchftes Tribunal geben follte, deffen 
Entfcheidungen für Jedermann verpflichtend feyen und mit 
Gewalt durchgeführt werden müßten. Nicht allein die Alt 
gemeingültigkeit dogmatifcher Feftfeßungen hieng davon ab, 
fondern auc), und darin liegt noch mehr ihre mwelchiftorifche 
Bedeutung, alle freie Staatenbildung, zunächft dag DBeftehn 
der bereit in der germanifchen Welt begonnenen minder 
Firchlichen Gründungen. 

Gewährte das Neich einen von Feiner conciliaren Ent: 
fcheidung bedingten Frieden, ward diefer zu einem Reichs— 
gefeß erhoben, fo bedurfte e8 Feiner weitern Conceſſion der 
bisherigen oberſten Kirchengewalt, die ſich auf ihre Ortho— 
doxie zurückziehen mochte, aber doch niemals weiter auf 
legale Unterſtützung der Reichsgewalt rechnen konnte. Viel—⸗ 
mehr wäre dieſe ſogar zum Widerſtand gegen jeden einſei— 
tigen Verſuch der Gewalt verpflichtet geweſen. 

Über dieſe Frage waren die Proteſtanten im Jahr 1545 
mit dem Kaiſer zerfallen: ſie gab, wie wir ſahen, den ei— 
gentlichen Anlaß zum ſchmalkaldiſchen Kriege; nachdem aber 


358 Zehntes Bud. Fünftes Capitel. 


der Kaifer gefiegt, war fie noch vollfommener in dag allge: 
meine Bewußtſeyn getreten: die Worbereitungen die diefer 
nicht ohne Gewalt zur Wiedervereinigung getroffen, darauf 
die Beforgniß vor einer nahen Entfcheidung des Conciliums 
hatten die Geifter in jene allgemeine Gährung gebracht, aus 
der dag Unternehmen des Churfürften Morig wenigfteng zum 
Theil entfprang und gewiß feine befte Unterftügung zog. 
Der Umſchwung des Glückes der hieraus erfolgte, brachte 
dann auch die große Frage, fofort wieder in Gang. Der 
unbedingte Friede war die erfie Forderung welche die Pro: 
teftanten in Paffau aufftellten, fie enthält die Summe deffen 
in fich, was ihnen nothwendig war. 

Wir fahen, wie fich der Kaifer auch unter den ungün— 
ftigen Umftänden in denen er fich damals befand, nicht be 
wegen ließ fie zu bemilligen. Er hatte fi) nun einmal von 
jeher als den Verfechter und NRepräfentanten der großen Firch- 
lichen Einheit betrachtet. Er drang auch fortan auf die Ver: 
gleichung der Religion und behielt fie ſich vor: nur daß er 
fic) mit minderer Beftimmtheit über die Art und Weife fie 
zu Stande zu bringen ausdrückte: er gewährte nichts als 
einfiweiligen Frieden. Wäre er wieder Herr im Felde gewor— 
den, fo würde er leicht die Dinge in den alten Gang zurück 
geleitet haben. Allein fein Glück war fo ſchwankend gewe— 
fen, fein Anfehen im Reich ſo fichtbar in Abnahme gerathen, 
daß er, die Kräfte erwägend die ihm enfgegenftanden, nicht 
mehr hoffen durfte mit feinem Gedanken durchzudringen. 

Aber auch das ließ fich nicht erwarten, daß er ihn auf 
geben, oder e8 nur auf die Gefahr ankommen laffen würde, 
von dem Reiche zu einem feiner Sinnesweiſe entgegengefegten 








Berathungen über den Neligionsfrieden. 359 


Befchluß getrieben zu werden. Wie er immer gefagt, cher 
war er entichloffen, das Neich fich felber zu überlaffen. 

Dieß ift der Grund, weshalb er Verzicht darauf lei- 
fiete an dem Neichstag zu erfcheinen und die Verhandlung 
ſo ganz feinem Bruder überließ. Wir Fonnten es fchon ver: 
muthen, aber wir willen es auch aus feinem Munde. Was 
feine öffentlicher Augfchreiben, enthielten, erläutert er feinem 
Bruder in einem Briefe vom 10fen Juni 1554 augführli 
cher. Er fagt darin, daß Ferdinand als römifcher König 
auf dem Neichstag alles entfcheiden möge, was dafelbft 
vorfomme, ohne von feiner Seite Nefolution zu erwarten; 
die Commiffarien die er senden werde, follen fich doch in 
die Entfcheidung nicht zu mifchen haben; dieſe überlaffe er 
vielmehr dem König und den Ständen vollfommen, nicht 
in feinem Namen noch in feiner Vollmacht. „Und um 
Euch den Grund hievon anzugeben,’ fügt er hinzu, „es ge: 
fchieht allein aus Rückſicht auf die Religion, über welche 
ich meine Serupel habe." Er bittet ihn, EFeinen andern 
Grund irgend einer Art zu vermuthen und fich vielmehr daran 
erinnern zu wollen, was er ihm volftändiger in Villach ge: 
fagt habe. ! 

Und nun forderte er zwar auch feinen Bruder auf, nichts 
anzunehmen, wodurch fein Gewiſſen beſchwert, oder der Zwvie- 
fpalt vergrößert und deffen Abhilfe in allzu meite Ferne ge: 


1. Die Worte: Et pour vous dire la cause - - et vous priant 
non la vouloir imaginer autre, c'est seulement pour le respect du 
point de la religion, auquel j’ai mes serupules, que je vous ai si 
pertinemment et plainement declaire et m&me en ma derniere 
detenue a Villach. Der ganze Brief aus dem Brüffeler Arch. im 
- Anhang. 


360 Zehntes Bud. Fünftes Capitel. 


rückt würde; er hegte die Hofnung noch, das letzte, wider 
wärtigſte Zugeftändniß werde fich vermeiden laffen; war das 
aber nicht möglich, fo wollte, er wenigſtens nichts damit zu 
fchaffen haben. In ihm hatte fich die veligiöfe Überzeugung 
mit dem Selbftgefühl des Staatsmannes durchdrungen, der 
den Schimpf nicht erleben till ‚, den Gedanken fallen laffen 
zu müffen, den er mit allen Mitteln lange Jahre daher zu 
versirklichen getrachtet. Mochte dann fein Bruder mit fich 
felber zu Nathe gehn und die Dinge fo weit führen als 
er vermochte: 

Nun leuchtet ein, wie fehr fich hiedurch die Lage der 
Dinge änderte. Der Kaifer, der bei den Verhandlungen in 
Paſſau der fonft bei den Anweſenden allgemein geworde— 
“nen Überzeugung von der Nothwendigkeit des unbedingten 
Friedens allein Widerftand geleiftet, zog fich zuriick und ließ 
denfelben freien Lauf. | 

Freilich fehlte noch viel, daß die Sache damit entfchie- 
den geweſen wäre. 

An dem Neichstage wurde dag geiftliche Intereſſe bei 
weiten ftärfer vepräfentirt als in Paſſau. Überdieß war eg 
aber jet durch die Thätigfeit des braunſchweigiſch-fränkiſchen 
Bundes bei weitem beffer gefichert und der Bedrängniffe über- 
hoben, welche damals zur Nachgiebigfeit genöthigt hatten. 
Auch ift e8 doch ganz etwas anders, eine Sache vorläufig 
für wünſchenswerth zu erklären, wie dort gefchehen war, und 
fie auf immer zu bewilligen, was der Erfolg eines Reichs— 
tagsbefchluffes werden mußte. 

Glücklicherweife war das Churfürftencollegium friedlich 
gefinnt. Die geiftlichen Churfürften‘ waren noch eben Die, 





Berathungen über den Neligionsfrieden. 361 


welche durch die albrechtifchen Züge erfahren hatten, wohin 
Neligionskriege führen, mer fand ihnen dafür, daß nicht 
bald ein neues Friegerifches Oberhaupt fid) aus den Neihen 
ihrer Gegner erhob? Zwei von ihnen waren Mitglieder des 
heidelbergifchen Bundes, und dadurch noch befonders zu ci 
nem gemäßigten Verfahren gegen die Genoffen einer andern 
Confeſſion verpflichtet. 

Das mußte denn auch in dem Firftenrarhe unter an: 
dern auf Herzog Albrecht von Baiern wirken, der demfel: 
ben Bunde angehörte und der fich auch fonft als ein ſchlech— 
ter Freund der Spanier und ihrer Tendenzen auswies. 

Schon der Ausfall der vorläufigen Frage hatte das 
Verhältniß beider Näthe, dag Übergewicht des churfüirftlichen 
im Allgemeinen herausgeſtellt. 

In diefem Fam nun auch die Frage von dem unbeding- 
ten Frieden zuerft zur Verhandlung, und zwar zumächft in 
einem Ausfchuß deffelben, der dadurch gebildet wurde, daß 
nicht die geſammten Gefandtfchaften erfchienen, fondern von 
jeder nur Ein Rath.! 

Und hier wurden nun anfangs einige fehr abweichende 
Gedanken geäußert. Eine geiftliche Stimme rieth, den Ab: 
fchied von 1530 zu Grunde zu legen: die weltlichen erwie— 
derten, daß dieß das Mittel feyn würde, — denn gegen die: 
fen Abſchied hatte fich die ganze Bewegung des Proteftan- 


1. Meine vornehmfte Duelle für dieß und alles Folgende find 
4 Foliobaͤnde im Dresdener Archiv, betitelt: Augsburgifche Neichs- 
tagsacten 1555. Die Schreiben von Lindemann und Sram an Chur: 
fürft Auguft enthalten nicht alein die Wrotocolle des Churfürftenra- 
thes, fondern auch fehr willfommene Erläuterungen der bei der ganz 
zen Verhandlung vorgefommenen Motive. 


362 Zehntes Bud. Fuͤnftes Capitel. 


tismus erhöben, — nicht Friede zu ftiften, fondern den al 
ten Haß zu erneuern. Cölln meinte, man möge Eaiferlicher 
Majeſtät nochmals die Bergleichung heimftellen, — eben da- 
bin aber hatte man big jeßt gearbeitet, dem Kaifer die Sache 
aus der Hand zu nehmen; er felbft ließ fich nicht träumen, 
daß dieß nochmals gefchehen konnte. Nach einigem Hin und 
Herreden mußte man nothivendig auf die in Paffau gefaßten 
Geſichtspuncte und Borfchläge zurückkommen. Der Canzler 
von Mainz übernahm, aus dem Abfchied von 1544, der 
jetst endlich wieder zu Ehren Fam, und den Paffauer Be 
fchlüffen einen Entwurf zu neuen Artikeln sufammenzusichen, 
die in der That die Grundlage des Neligiongfriedeng gewor— 
den find. Wie fie der Churfürftenvath annahm, fo ward 
darin nicht allein die in Paſſau beliebte Formel wiederholt, 
dag man zwar auf eine Vergleichung durch chriftliche freund- 
liche Mittel denken werde, der Friede aber beftehen folle, 
auch wenn die Vergleichung nicht su Stande Fomme, fon 
dern diefe ward auf den Vorfchlag des fächfifchen Gefand- 
ten durch den Zufaß noch verftärft, „es folle in alle Wege 
ein beftändiger, beharrlicher, unbedingter, für und für ewig 
währender Friede befchloffen und aufgerichtet feyn. 

Eine vorläufige Frage erhob fich hiebei noch, wie nem- 
lich die beiden Parteien zu beseichnen feyen, zwiſchen denen 
der Friede gefchloffen werde. Trier machte den Vorfchlag, 
die Einen als Bekenner der alten Fatholifchen Neligion, die 
Andern als Verwandte der Confeffion die im Jahr 1530 


1. Der Churfürftlihen Raͤth Bedenfen und Nelation, welder: 
maaßen auf dem Abfchiede zu Speier ao 1544 der Neligionfriede zu 
begreifen, mit förmliher Nubrif: Hactenus, bei Lehmann p. 25. 








Berathungen über den Neligionsfrieden. 363 


übergeben worden, aufzuführen. Es verdient angemerkt zu 
werden, daß die weltlichen Churfürften ſchon das Erfte zu: 
vückwiefen, denn auch auf der andern Seife befenne man 
eine einzige Eatholifche Kirche; felbft den Ausdruck „Ber 
wandte der alten Religion gaben fie nur zu, weil er fchon 
im Paſſauer Vertrag gebraucht worden; aber noch viel be 
merfenswerther und auffallender ift es, Daß fie die ausdrück— 
liche Befchränfung auf die im Sabre 1530 übergebene Con— 
feffion verwarfen. Sie erinnerten fich, daß die kleine auf 
die Herfiellung der Eintracht in der Abendmahlslehre be 
zügliche Abänderung der urfpringlichen Worte von den Geg- 
nern fchon öfters hatte benußgt werden wollen fie zu ent 
zweien. Nicht allein Pfalz ftimmte gegen die Nahmhaftma— 
hung der Jahrzahl, fondern auch Sachfen war dagegen. 
Der fächfifche Bevollmächtigfe erklärte, die Dinge fo enge 
einzuziehen, würde Miptrauen erzeugen: bier handle man 
nicht von Neligiongartikeln, fondern vom Frieden; am beften 
werde man thun, wenn man auch hier dem paffauifchen Ver: 
frage folge, worin Die Confeffion im Allgemeinen genannt 
worden, ohne das Sahr. ? 

Und fo war der Befchluß, einen Frieden aufzurichten, 
der unberührt von den Differenzen der veligiöfen Syſteme, 
der profeftantifchen Meinung und Verfaffung im Ganzen 
und Großen ein ungefährdetes Dafeyn gewähren, aller Ge: 
waltfamkeit aus religiöfem Grunde zwiſchen den verfchiede: 
nen Ständen auf immer ein Ende machen follte. 


1. Schreiben der fächfiichen Gefandten o. D., in der Samm— 
lung zwifchen den Briefen vom 16 und 22 März eingefchaltet. Im 
Anhang. 


364 Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel. 


Als nun aber dieſer Entwurf in den Fürſtenrath kam, 
fand er den größten Widerſpruch. 

Der päpftlihe Nuntius Morone erinnerte die geiftlichen 
Fürften, welche hier die Mehrzahl ausmachten, an die Pflicht, 
mit der fie dem vömifchen Stuhle verwandt feyen. 

Hierauf erklärte Bifchof Otto Truchfeß von Augsburg, 
daß er von dem vorgelegten Entwurf des Friedens weder 
viel noch wenig bewilligen könne; er vermaß fich, ehe er 
auf Verhandlungen darüber eingehe, Leib und Leben, alles 
was er auf Erden habe, zu verlieren. ! 

Viele andere meinten, daß man von einem künftigen 
Austrag in der Religion nicht abſehen, nur einen befchränf: 
ten Frieden zugeftehn, alle Streitigfeiten dariiber zur Decla- 
ration des Kaifers ftellen müffe. 

König Ferdinand machte noch einen Verfuch, die ganze 
Berathung auf den Landfrieden zurückzuführen. Er ließ Die 
churfürftlichen Gefandten perfönlich zu fich Fommen, um fie 
dazu zu vermögen, und legte im Neichgrath darauf bezüg- 
liche Supplicationen vor. 

Dagegen aber ergriffen die proteftantifchen Mitglieder 
des Fürftenraths den Entwurf der Churfürften mit aller Theil- 
nahme die er verdiente; befonders zeigte ſich Chriſtoph von 
Würtenberg, den man als „den Nädelsführer der Partei‘ 
bezeichnete, unerfchütterlich. 

Indeſſen würden fie fchtwerlich dDurchgedrungen feyn, hät: 
ten fie nicht von außen her einige Unterftügung befommen. 

Im März 1555 vereinigten fich die Häuſer Sachen, 


1. Proteftation bei Lehmann: de pace religionis acta publica 
p- 24. 








Berathungen über den Neligionsfrieden. 365 


Brandenburg und Heffen wie, berührt zur. Erneuerung ihrer 
alten Erbverbrüderung. Es war recht das Gegentheil von 
den religiöfen Entzweiungen, die. bei einem ähnlichen Vorha— 
ben, im 3. 1537 zu Zeig, zwifchen ihnen ausgebrochen, daß 
fie jest dem römifchen König einmüthig ihren Entfchluß er— 
Härten, an der augsburgifchen Confeſſion feftzuhalten und 
in religiöfen Dingen Feine Stimmenmehrheit anzuerkennen. 
Sie beſchwuren ihn, fich nicht durch fremde, der deutfchen 
Nation vielleicht feindfelig gefinnte Leute von dem hochbe— 
theuerten paffanifchen Vertrag abführen zu laffen, vielmehr 
die Zufage die er einft gegeben, einen beharrlichen Frieden 
aufrichten zu wollen, nunmehr zu erfüllen." Der fächfifche 
Gefandte weiß nicht auszudrücken, wie viel guten Namen 
Diefe Erklärung der erbverbrüderten Fürſten mache, auch in 
der Stadt Augsburg: in öffentlicher Predigt habe man Gott 
dafiir Dankfagung dargebracht. 

Ferner aber gefchah, daß nach dem Tode des Papfi 
Julius Cam 24ften März 1555) die- beiden beftigften Geg- 
ner des Entwurfs, Morone und Truchfeß, beides Cardinäle 
der römischen Kirche, den Reichſstag verließen, um fich zum 
Conclave zu begeben. 

Da dergeftalt die Einen verftärft, die Andern geſchwächt 
wurden, fo überwog allmählig die mildere Meinung. - Die 
geiftlichen Fürften nahmen zwar nicht, wie ihre weltlichen 
Collegen, den churfürftlichen Entwurf förmlich an: fie mach: 
ten vielmehr in dem befondern Gutachten dag fie eingaben, 
viele Ausftellungen dagegen; aber fie wiefen ihn doch auch 


1. Copia Schreibens von etlichen Chur und Fürften aus Naum- 
burg bei Lehmann 116. 


366 Zehntes Buch. Fünftes Kapitel. 


nicht geradehin von ſich: fie giengen auf die Hauptgrund: 
lagen ein, freilich mit dem Vorbehalt, fo weit e8 ihre geift: 
liche Amtspfticht erlaube. 

Merkwiürdig welchen Eindruck fie durch diefe Erinnerung 
wie durch jene frühere doch noch einmal bei ihren Amtsbrüdern 
den Erzbifchöfen im Churfürſtenrathe hervorbrachten. Es ſchien 
faſt als wollten dieſe jetzt auf dieſelbe Weiſe ſich verclauſuli⸗ 
ren. Nicht von ihnen, meinten ſie, rühre die Einwendung her: 
da ſie aber einmal vorgebracht worden, würden ſie ohne Tadel 
ſich nicht weigern können ihr beizupflichten. Die weltlichen Rä— 
the erinnerten: ſie rühre von Leuten her, die dem Papſte mehr 
verwandt ſeyen als dem Reiche. Sie wollten nichts davon 
hören, daß jene ſich wenigſtens Zeit ausbaten, um von ihren 
Herrn Beſcheid über dieſe neue Schwierigkeit einzuholen; 
dann, ſagten ſie, würden auch ſie Reſolution von den ihren 
verlangen, bis wohin dann jede weitere Berathung unter 
bleiben müſſe; fie hatten den Much die Sieung ohne Wei- 
teres abzubrechen. Denn das leuchtete im erften Augenblicke 
ein, daß unter einem folchen Vorbehalt, der dem Einfluß 
des römifchen Stuhles, auf den er fich hauptfächlich bezog, 
Thür und Thor geöffnet hätte, an Feine Beendigung des re 
ligiöfen Streites, Feine Feftfegung des Friedens zu denken 
geweſen wäre. Was der Kaifer fchon nicht bewilligen wol 
len, war von dem Papft nimmermehr zu erwarten. Wohl 
fühlten dag auch die geiftlichen Näthe: fie bereuten ihren 
Mißariff faft in demfelben Augenblick, in dem fie ihn began- 
gen. Schon indem man nach Haufe gieng, näherten fic) 
einige von ihnen den brandenburgifchen Gefandten mit be: 
gütigenden Worten. Bald darauf erfchien der mainzifche 





a 





Derarb. ud. d. Neligionsfr. Jurisdiction. 367 


Canzler in. der Wohnung der fächfiichen Abgeordneten, und 
bat fie, die gewöhnliche Por am ihren Herin, durch twelche 
fie von diefem Ereigniß hätten Nachricht geben müſſen, nicht 
abzufertigen. Er verwarf jetzt diefe Clauſel felbft mit den 
ftärkfien Ausdrücken. In den Erzbifchöfen und Churfür- 
fien war von jeher ein Iebendiges Gefühl der Autonomie 
des Meicheg, die fie auch im Gegenfaß gegen Nom behaup: 
teten. Den andern Tag ließen ſämmtliche Stimmen jenen 
Vorbehalt fallen. 

Nun erſt konnte der Defchluß, den bebarrlichen Frieden 
su Stande zu bringen, einigermaßen gefichert fcheinen: vor— 
ausgeſetzt daß man fich über die einzelnen Beſtimmungen die 
dabei getroffen werden mußten, einverfichn würde. 

Am. leichteften Fam man mit dem Artikel über die Ju— 
visdiction zu Stande. Die geiftlichen Fürſten beider Colle— 
gien fahen ein, daß der Vorbehalt der Jurisdiction den Frie— 
den, ja das Daſeyn des Proteftantismus überhaupt unmög- 
fich machen würde. Sie mußten nur darüber beruhigt wer— 
den, daß man nicht die Capitel aus proteftantifchen Städ— 
ten verjagen wolle. Unter diefer Bedingung gaben fie zu, 
vas ohnehin nicht mehr zu ändern ftand. So leicht e8 aber 
auch ward, fo liegt hierin doch im Grunde die Summe der 
Dinge. Das DBeftehen der profeftantifchen Kirchen gewann 
erſt dadurch allgemeine rechtliche Anerkennung. Was einft Phi- 
lipp von Heffen im erften Eifer dem, Ehurfürften von Mainz 

1. „Iſt ung der mainziſch Canzler in unfer herberg nachgangen 
und uns gebeten, wir wolten je Feine poft abfertigen, fondern der fa- 
hen bis auf den andern fag anftand geben, auch unter andern ge- 


redt, der teufel hette diefe claufel gemacht, er muſte ſelber bekennen 
daß ſie nichts werth.“ e 


365 Zehntes Buch. Fünftes Capitel. 


abziwingen wollen, ward jet Durch Reichsbeſchluß allen Evan: 
gelifchen gewährt. 

Auch bei dem Artikel über die geiftlichen Güter erhoben 
fich nicht fo viele Schwierigfeiten al8 man an fich häfte er— 
warten follen, und als felbft noch der erfie Entwurf, der 
eine Menge Ausnahmen zum Vortheil einzelner Perfonen 
enthielt, erwarten ließ. Die ſächſiſchen Gefandten erwarben 
fi) das DVerdienft, einen annehmbaren Vorſchlag einzubrin- 
gen. Er lautete dahin, daß. alle eingezogenen Güter, welche 
nicht Neichsunmittelbaren angehörig gewefen, in dem Frie 
den begriffen feyn, Niemand ihrethalb angefochten werden 
folle. Dabin waren fchon lange alle Erklärungen der pro: 
teftantifchen Fürften gegangen, daß man nicht diejenigen Gü⸗ 
ter auf welche das Neich gegründet ſey, angreife, fondern 
nur die andern, welche in jedem Lande gelegen, zu verwenden 


gedenfe. ES war eine andre Frage, Die fich bei pfälziſchen 


Anfprüchen erhob, ob es nicht wieder einem Zweifel unter 
liege, in welche der beiden Kategorien jede Stiftung ge 
höre: genug daß man den Grundfaß anerfannte. Ob aber 
nicht über die Verwendung der dergeftalt der Hierarchie ent 
fremdeten Güter etwas beftimmt werden follte? Mainz war 
nicht dafür. Was gegeben, fagte der Canzler, fey für voll 
gegeben worden; fie feyen doch weg, wer wolle ihnen nach: 
fragen? Dagegen ward von den Fürften eine Clauſel bean- 
trage und wirklich in den Abfchied gebracht, nach welcher 
das nur von den Gütern gelten follte die fchon zur Zeit 
des Paſſauer Vertrags eingegogen geweſen. 


1. „Man möge fie ſieden oder braten.” Schreiben der ſaͤch— 
fiihen Gefandten vom 14ten April. 


— ee — 





Berath. üb. d. Neligionsfr. Geiftlihe Güter. 369 


‚Überhaupt; was bereits gefchehen, ließ man fich gefal- 
len: die großen Irrungen erhoben fich darüber was in Zu- 
Eunft gefchehen dürfe. 

Die weltlichen Churfürften forderten J den Vorſchlag 
der Pfalz, daß der Friede allen Denen zu Gute kommen 
müſſe die ihrer Confeſſion auch in Zukunft beitreten würden. 
Noch einmal regte ſich hierüber in dem geiſtlichen die Vor—⸗ 
ausſetzung daß der alte Zuſtand der allein rechtliche gewe⸗ 
fens und Cölln meinte wohl, jede weitere Neuerung müffe 
ernftlich verboten werden. Die weltlichen verfeßten: ob es 
nicht Heiße, den Frieden in Unfrieden verkehren, wenn man 
Diejenigen mit dem Schwert verfolgen wolle, die zu ihnen 
träten? Die Verhandlungen über diefen Artikel mußten un: 
terbrochen werden; es dauerte einige Zeit, ehe fich die Geift- 
lichen von den Begriffen logriffen, die allerdings den al 
ten Einrichtungen zu Grunde lagen und die Geifter Tange 
Sahrhunderte beherricht hatten. Unter Vortritt von Mainz 
gaben fie endlich zu, daß die Anhänger der augsburgifchen 
Eonfeffion nicht angegriffen werden follten, „zu welcher Zeit 
fie auch derfelben verwandt geworden.’ Ein neuer Sturm 
erhob fich, als dieſer Entwurf in den Fürftenrath Fam. Die 
weltlichen Fürften, die fonft nicht nachzugeben pflegten, zo— 
gen dieß Mal vor, die letzte Elaufel wegzulaffen, und ein: 
fach dabei ftehen zw bleiben, daß Niemand wegen der augs⸗ 
burgifchen Confeffion angegriffen werden dürfe. Und war 


1. Nach dem Bericht der fächfifhen Gefandten wurden fie von 
den Geiftlichen gelobt: „theten ganz billig daß wir jnen nachgeben 
was ung nicht fchadete, und jhnen gegen andern vorweislich; was 

Ranke D. Geſch, V. 24 








370 Zehntes Bud. Fünftes Capitel. 


das nicht im Grunde daffelbe? Die Zeitbeftimmung diente 
nur MWiderfpruch zu erwecken. Schon genug, daß der Friede 
nicht ausdrücklich auf die bereits Beigetretenen befchränft 
wurde. Geiftliche und weltliche Churfürften trugen Fein Be 
denfen, hierin dem fürftlichen Collegium nachzugeben. 

Damit aber näherte man fich einer andern Frage, der 
michtigften und in fich felbft fchmwierigften, die bei den Be: 
fiimmungen des Friedens überhaupt vorgefommen ift. 

Wie nun, wenn auc Diejenigen die Confeffion annah- 
men, welche die Hochftifter des Neiches inne hatten? Durch 
die Beſtimmungen die man getroffen, wären auch fie in den 
Frieden eingefchloffen gemwefen. Erzbifchöfe und Biſchöfe, die 
geiftlichen Ehurfürften felbft hätten Proteftanten ſeyn Eönnen. 
Dem evangelifchen Befenntniß wäre die Ausficht eröffnet wor; 
den, im Laufe der Zeit noch einmal zur vollen Herrfchaft im 
Reiche zu gelangen. 

Man gab wohl ar, daß hiemit dag Beſtehen des Nei- 
ches überhaupt gefährdet fey: aber ohne Zweifel mit Un— 
recht. Die Einwendung, daß die Stifter erblich werden wür- 
den, ließ fich leicht widerlegen. Man brauchte nur, tie 
die anweſenden Näthe vorfchlugen, durch eine befondere 
Neichsconftitution feftzufeßen, daß dieß nicht gefchehen dürfe, 
daß die Hochftifter bei ihren Wahlen und ihrer fonftigen 
Berfaffung zu laffen feyen; dann lag hierin fogar das ein- 
zige Mittel, die Einheit des Neiches durch die Gleichheit des 
Bekenntniſſes in geiftlichen und weltlichen Herrfchaften wie— 
man aber viel disputirt, die meinung häft es und folt es haben daß 


die alle fride folten haben fo zu uns treten wolten: welchs denn vlei- 
fig prothocollirt worden.” 





Ber. üb. d. Neligionsfr. Geiftliher Vorbehalt. 371 


derherzuftellen und fir immer aufrecht zu erhalten. ' Aber 
unleugbar ift, daß der Vorfchlag die größte Gefahr für den 
Katholicismus einfchloß. Dei weiten die meiften Neichsfür- 
ften waren evangelifch, und leicht Eonnten alle Stifter von 
ihnen eingenommen werden. Man darf fich nicht wundern, 
wenn fich die Geiftlichen lebhaft zur Wehre ſetzten. Sie 
fchlugen vor, das Zugeftändniß, daß Niemand wegen der 
Religion angegriffen werden folle, ausdrücklich auf die welt: 
lichen Stände zu befchränfen, fo daß es niemals auf geift- 
liche angewendet werden könne. Gie führten aus, daß Ent 
fegung von Amt und Würden die natürliche Folge des Über— 
tritts ſey. Die weltlichen Näthe antworteten, einmal, daß 
dadurch der Friede wieder gefährdet werde: die Eonfeffiong- 
verwandten würden ihre Freunde und Blutsverwandten nicht 
um der Religion willen entfegen laffen; — und fodann: 
ſey es nicht fchimpflich für die Confeffion, daß fie nur von 
MWeltlichen, nicht auch von Geiftlichen bekannt werden folle? 
es liege eine Art von Strafe darin, daß Jemand des Be 
Eenntniffes halber von den geiftlihen Würden ausgefchloffen 
ſey. Mochten fie aber auch jagen was fie wollten, ? dieß 
Mal drangen fie nicht durch. Mainz, das fonft in den 
meiften Stücken den MWeltlichen beigetreten war, hielt jeßt 

1. Melanchthon de reservato ecelesiastico. Corp. Ref. VIII, 
478. „Dann menfhlich ift Fein ander Weg zur Einigfeit zu geden- 
fen, dann diefer das die Warheit foll für und für mehr bifchöfe 
Fürften und andre Negenten bewegen diefe Lehre anzunehmen und 
zu pflanzen. 

2. Ein Argument des Zaſius war: „es folten imer die bifchöfe 
fo Iutterifh werden wolten, billih daran begnügen laffen, das es 


einem irer perfon halber frei gelaffen, den fo fie der lehr aus drin- 
gender Confcienz und Zelo wollten anhangig feyn, fo folten fie der 


24 * 


372 . Zehntes Buch. Fünftes Kapitel. 


auch deshalb feft, weil fo eben nach dem Tode Heufen: 
ſtamms ein neuer Ersbifchof, Daniel Brendel, eintrat, der 
Rückſicht auf die päpftliche Confirmation nehmen mußte. 
Auch die Weltlichen aber gaben nicht nach. Was in den 
andern Puncten glücklich vermieden worden, geſchah in die- 
ſem: dem römifchen König wurden zwei entgegengefetste Gut- 
"achten eingereicht. 

Die Neichsftädte, welche noch immer die Nachwehen 
ihrer Niederlage von 1547 fühlten, zumal da fie fich 1552 
nicht wieder zu einem gemeinfchaftlichen Intereſſe vereinigt, 
nahmen an, weſſen fich die obern Stände verglichen, und 
fimmten bei, daß wegen des Unverglichenen der König an- 
gegangen werde. ! 

Und fo Fam noch einmal unendlich viel auf König Fer- 
dinand an, in den verglichenen Artifeln auf feine Beiftim- 
mung, in den unverglichenen auf feine Entfcheidung. 

Ehe er fie gab, nahmen die Stände nun auch die an- 
dern Angelegenheiten von mehr weltlicher Natur vor, Profan- 
frieden und Kammergericht, wie im Anfang befchloffen worden. 

Wir haben ihrer ſchon öfter gedacht: erſt jetzt aber, 
nachdem man über die Grundfäße des religiöfen Friedens 
einig war und die Reichsgewalt nicht mehr zur Unterdrückung 
der doch auch auf Neichgfchlüffen begründeten profeftantifchen 
Einrichtungen gebraucht werden Fonnte, befam ihre Erörte: 
rung Bedeutung fir die definitive Geftalt der Dinge. 


Guter nicht achten, nach der Lehr im Evangelio Ecce reliquimus 
omnia et te secuti sumus. Wie denn Zaftus der Neferent dieß 
ganz honifch geredt.” Schreiben der fächf. Gefandten vom 20 Juni. 

1. Der Frei und Neichsftätte Nefolution 20 Junii mündlich 
fürgetragen; bei Lehmann p. 59. 











Derathbungen über Friede und Recht. 373 


Berathungen über Friede und Recht. 


Darüber war man längft einig, daß die Beftimmungen 
de8 Landfriedeng, deffen Grundlagen aus einer Zeit ſtamm— 
ten, wo von der religiöfen Entsweiung noch nicht die Nede 
war, und deffen Mängel dann öfter verbeffert worden, an 
und für fich wohl überlege und zutreffend feyen, und daß es 
nur an der Handhabung mangle. 

Für diefe hauptfächlich hatten die Kreife, die fich vor 
dem Jahr zu Frankfurt verfammelt, durch eine neue Execu— 
tionsordnung forgen wollen. ! 

Der Entwurf den fie gemacht, ward jedoch fchon darum 
nicht angenommen, weil er fich allzu fehr auf den damaligen 
Augenblick, die vorgegebene Gefahr vor Markgraf Albrecht 
bezog, fo daß Brandenburg felbft die Einleitung verwarf; es 
ward vielmehr befchloffen die alten Neichsbefchlüffe zu Grunde 
zu legen. Allein darum war jener Entwurf nicht unnütz; un: 
aufhörlich ward er beriickfichtige, und gerade der Gegenfaß 
verleiht den neuen Feftfeßungen zum Theil ihren Character. 

Alles Fam hiebei auf eine weitere Ausbildung der Kreig: 
verfaffung an. Erwägen wir, wie wichtig Diefe in den ſpä— 
tern Zeiten des Neiches geweſen ift, wie alle lebendige Hand: 
habung der höchften Gewalt darauf beruhte, fo find doch diefe 
Berathungen nicht ohne große Wichtigkeit für unfre Gefchichte. 

Der erfte Mangel über den man mit Recht Klage führte, 
lag darin, daß wenn ein Stand Vergewaltigungen erlitt, erft 


1. Über die Verhandlungen zu Franffurt benußte ich die Acten: 
ftücfe die fi) im Staatsarchiv zu Berlin finden. 








374 Zehntes Bud. Fünftes Capitel. 


ein Kreistag ausgefchrieben werden mußte, und wenn diefer 
dann auf Hülfe fchloß, doch noch immer einige Zeit vorüber- 
gieng, ehe man fich vorbereitet hatte diefelbe zu leiften. 

In Frankfurt mun hatte man den Entwurf gemacht, 
in jedem Kreife einen Oberften aufzuftellen, der mit den ihm 
von den Ständen deffelben beisugebenden Näthen, welche 
aber von der Pflicht gegen ihre befondere Obrigkeit entbun- 
den werden müßten, Befchlüffe faffen und Unternehmungen 
beginnen dürfe, in denen ihm fämmtliche Kreisftände beizu— 
ſtehn fchuldig feyn follten. Wie aber die Macht Eines Krei- 
ſes felten zum Widerftand hinreiche, hatte man es meiter 
rathfam gefunden, zwei Generaloberften im Reiche aufzuftel- 
len, einen über die ſechs oberländifchen, einen andern über 
die vier niederländifchen Kreife, die von der Gefammtheit 
diefer Kreife, jedoch mit Vorwiſſen des Kaifers und unter 
Vorbehalt feiner Genehmigung, ernannt werden, und auf eine 
ähnliche Weife den allgemeinen Zuzug zu beftimmen haben 
follten wie die Oberſten in den einzelnen Kreifen. 

Ein Entwurf der den beiden Fürften welche zu Gene 
raloberfien erwählt worden wären, eine ungemein tief eingrei- 
fende, allen andern überlegene Macht verfchafft haben würde. 

Nicht mit Unrecht bemerkte Joachim II, dieß fey mehr 
die Verfaffung eines Bundes, — wie denn wirklich die Anz 
ordnungen aus denen des ſchwäbiſchen und des fchmalfal- 
difchen Bundes zufammengefegt zu feyn fcheinen, — als eine 
Neichsordnung. Die Churfürften Famen bald überein, jene 


Generaloberften überhaupt gar nicht zuzulaffen, und auch den 


Kreisoberften nur fo viel Macht beisulegen, als zur Verthei— 
digung erforderlich fey, nicht eine folche die fie mißbrauchen 
oder mit der fie den Ständen beſchwerlich fallen könnten. 








Derathungen über die Erecutionsordnung. 375 


Wie das gefammte Erecutionswefen auf den Drdnun: 
gen beruhte, welche das Neichgregiment in den erfien Mo: 
naten feine Beftehens, Ende 1521, Anfang 1522, vorge; 
nommen, fo hatte fich auf den Grund der damals beliebten 
Bezeichnungen ' ein Herkommen gebildet, Eraft deffen in je: 
dem Kreife Ein Fürft dag Amt der Berufung der Stände 
und der allgemeinen Leitung der Gefchäfte erhielt, den man 
um das J. 1550 den Ereisaugfchreibenden zu nennen an— 
fing. Der Vorſchlag geſchah, zunächſt von Sachſen, daß 
allemal der ausſchreibende Kreisfürſt zugleich auch Oberſter 
ſeyn ſolle, wie denn wirklich ſpäter beiderlei Befugniſſe beis 
nahe ganz in einander gefloſſen ſind und dann das wich— 
tigſte Vorrecht gebildet haben das einem Reichsfürſten über 
haupt zuftand. 

Eben deshalb aber weil fich dieß vorausfehen ließ, fand 
der Gedanfe großen Widerfpruch. Brandenburg, dag mit 
Sachen in Einem Kreiſe faß, diefem aber noch den Vor— 
vang laffen mußte, war nicht minder dagegen als die geift: 
lichen Ehurfürften, die alsdann von ihrem weltlichen Collegen 
in der Pfalz überflügele zu werden fürchteten. Es entftand 
eine Mehrheit in dem churfürftlichen Rathe die den Befchluß 
faßte, daß die Wahl des Oberſten den Ständen jedes Kreis 
ſes anheimgeftellt bleiben folle, von denen dann der kreisaus— 
fchreibende Fürft oder auch ein andrer gewählt werden Fönne. 
Die ihm beisugebenden Gehülfen wollte man nicht Näthe 
nennen, mas eine Art von Unterordnung unter ihn auszu— 
drücken fchien, Sondern Zugeordnete. Man bedingte noch 


1. „Als den,” heißt es in dem eriten Schreiben des Regiments, 
„den wir im -- Graiß zu ſolchem fonderlich fürgenommen.” 17 Febr. 
1524. N. ©. d. Reichsabſch. 








376 Zehntes Bud. Fünftes Capitel. 


ausdrücklich, daß dem Kreisausfchreibenden oder dem Hber- 
fien durch dieß fein Amt Feinerlei Vorrang zufallen folle. 
Die Frage entftand, ob nicht wenigſtens die von den ver— 
fchiedenen Ständen zu ernennenden Zugeordneten ihrer befon- 
dern Eidegpflicht gegen Diefelben zu erledigen feyen. Urs 
fprünglich war Brandenburg fo wie einige andre Stimmen 
dagegen. Da man aber dann feftießen wollte, daß der Zu: 
geordnete die Verfammlung verlaffen müſſe, fo oft über eine 
feinen Herrn angehende Angelegenheit berathichlagt werde, fo 
z0g auch Brandenburg die Auskunft vor, daß derfelbe zwar 
der Berathichlagung beivohnen, aber auf diefen Fall feiner 
befondern Pflicht erlaffen werden möge. Wir fehen, tie 
forgfältig man Bedacht nahın, daß nicht durch die neue Ein: 
richtung der fchon begründeten Landeshoheit Eintrag gefchähe- 
Übrigens aber war man fehr bereit das Nothmwendige zu Iei- 
fin. Dem Oberfien und den Verordneten ward die Befug- 
niß gegeben, dringenden Falles einen doppelten Romzug auf 
den Kreis auszufchreiben. Gegen den Vorfchlag von Sad): 
fen, welches für jeden Kreis die Verpflichtung forderte, 500 
M. z. Pf. und 1000 3. 5. zu fielen, ward die Einwendung 
gemacht, daß die Kreife ungleichen Vermögens, und nicht 
wohl zu gleichen Leiftungen anzuftrengen feyenz und man 
hielt für beffer, bei den NeichSanfchlägen ftehen zu bleiben. 
Auch war man einverftanden, daß nicht jedem Kreife die 


1. „Haben wir es vohr nüßlicher geachtet,” fchreiben die bran- 
denburgifchen Gefandten, „das ehr (der Zugeordnete) feiner pflicht 
losgezalt würde, und bei der Berathfchlagung bleiben möchte, daber 
wir uns in allewege gefliffen die fachen dahin zu richten, das im 
oberfähhfifchen Kreis E. Ch. Gn. in allen Niheten, fo der Erecution 
oder Handhabung des Landfriedens halber müchten vorfommen, mit 
weren.“ 





Derathungen über die Erecutionsordnung. 377 


Sorge für fich felbft überlaffen werden dürfe, fondern daß 
in jedem erheblichen Fall deren fünf zufammentreten, die Ko— 


fien tragen und die Mannfchaften ftellen follten.' Die Ans 


führung beftimmte man alle Mal dem Oberften degjenigen 
Kreifeg, welcher der Libermältigte fey und die Hülfe der an- 
dern in Anfpruch nehme. Die Säumigen wurden mit den 
ſchwerſten Strafen bedroht. 

AS diefer Entwurf in den Fürftenrath gelangte, gieng 
e8 damit wie e8 mit den übrigen Entwürfen gegangen war: 
die geiftlichen Fürften fuchten ihn nach ihren eigenthümlichen 
DBedürfniffen und Gefichtspuncten umzugeftalten. 

Da fie beforgten, die neue Einrichtung dürfte doch in 
den Händen der weltlichen Fürften ihnen zum Nachtheil ge 
reichen, fo fuchten fie die Ernennung der Kreigoberften wo 
möglich in die Hände des Kaifers zu bringen, von dem fie 
ihrerfeits Nückhalt und Unterftügung erwarteten. In die 
ſem Sinne arbeitete befonders der Canzler des Bifchofs von 
Augsburg, Dr Braun. ? Die allgemeine Stimmung aber 
war nicht der Art, um ein folches Vorhaben zu befördern. 
Nachdem der Einfluß des Kaifers feit mehreren Jahren fo 
tief herabgefommen, Eonnte man nicht daran denken denfel- 
ben auf diefem Wege wieder zu erneuern. Don jenen Vor 

1. „Damit nicht etwa, wenn Einem ein Nad übers Bein gehe, 
ein Andrer fich freuen möge.” 

2. Saͤchſiſche Gefandte 5 Aug.: „Der Ausfhuß (des Fürften- 
raths) hat wiederumb einen engen Ausfhuß, als nemlich des Hz. 
von Wirtenpergf und D. Braun des Gardinal von Augfpurg Ge 
fandten erwelet. Des Hz. v. W. Gefandter hat Dr Braun das Con: 
cept ganz allein übergeben, welcher dann das Concept geftelt und 


und unfre Ordnung mit Fleiß invertirt.” (Anfang Yuguft Fam der 
Entwurf in den Churfürftenrath zuruͤck.) 








378 Zehntes Buch. Fünftes Capitel. 


fchlägen wurden einige fchon innerhalb des Fürfienrathg be 
feitigt; die übrigen zu verwerfen, blieb den Churfürften über: 
laffen, deren Gutachten zuleßt in diefem, mie in den mei: 
ften andern Puncten angenommen und zum Neichsgefeß er: 
hoben ward. 

Und nicht allein gegen innere Unruhen follte die neue 
Ordnung dienen, fondern man befchloß fie auch bei den An— 
griffen ausmwärtiger Feinde in Anwendung zu bringen. 

Nur erhob fich hiebei. der Zweifel, ob die Verpflich- 
fung einem Kreiſe zu Hülfe zu Fommen auch auf den nie 
derländifchen erftrecft werden folle, der in einem beinahe fort: 
mwährenden Kriege mit Franfreich) lag. Die Sache würde-gar 
nicht haben in Frage Fommen Fönnen, wenn fich die Nieder: 
lande ernfilich zum Neiche gehalten, befonders, worauf alles 
anfam, fich dem Kammergericht unterworfen häften. König 
Ferdinand vertheidigte eine Zeitlang die Anfprüche der Nies 
derlande. Die Einwendung aber, daß eine auf die Hand: 
habung des Landfriedeng bezügliche Ordnung unmöglid; De 
nen zu Gute Fommen könne, von denen die Reichsgerichts— 
barkeit in Randfriedensbruchfachen gar nicht einmal anerkannt 
werde, wußte er nicht zu befeitigen. Er erlangte nur fo viel, 
daß es durch eine neue Claufel in den Willen des Kaifers 
geftellt wurde, ob er fich mit feinen Niedererblanden jener 
Surisdiction unterwerfen wolle. 

Wir fehen wohl: zum Vortheil Carls V und feiner 
Faiferlichen Macht gereichten diefe Befchlüffe mit nichten. 

Die executive Gewalt gerieth dadurch eben fo gut in die 
Hände der Neichgftände, wie ihnen die legislative dem Her: 
kommen nach faft augfchließend zuftand. Die Anwendung 





Berathungen über das Kammergericht. 379 


der fir dag innere erfundenen Einrichtungen auf die Außern 
Verhältniſſe befchränfte jeden Dienft, der dem Kaifer für feine 
Kriege daraus entipringen konnte, auf WVertheidigung. Und 
auch davon wurden nun feine Niederlande noch ausdrücklich 
ausgefchloffen. Wie viel Mühe hatte er eg fi) im 5. 1548 
Eoften laffen, um die Anerfennung der Niederlande als ei: 
nes Meichgkreifes zu bewerfftelligen. Aber die Bedingung 
die er dabei gemacht, die Exemtion von den Neichsgerich- 
ten, bob jeßt den Nutzen auf, welchen er ſich davon ver: 
fprochen. Die Stände fagten Fein Wort über den burgun- 
difchen Vertrag: fie ließen ihn unangefaftet ftehn; aber der 
Defenfivverfaffung im Neiche, welche fie befchloffen, gaben 
fie eine folche Entwickelung, daß fie auf erimirte Lande wie 
jene nicht mehr bezogen werden Eonnte. Es war dabei nicht 
einmal Vorbedacht, Fein übler Wille: es entfprang ganz aus 
der Natur der Dinge. 

Auch in einer andern großen Neichsangelegenbeit, der 
Sache des Kammergerichts, mußte man nad) allem was 
vorgegangen und den in Paſſau gefaßten Befchlüffen, von 
den Anordnungen des Kaifers zurücktreten. 

An dem Vertrag zu Paffau war nach manchem Hin 
und Herhandeln zulett Förderung bei dem Neichstage ver: 
heißen, daß die Verwandten der augsburgifchen Confeffion 
von dem Kammergericht nicht mehr außgefchloffen würden. 

Der Zweideutigkeit diefes Ausdrucks fuchten fich jetzt 
einige geiftliche Mitglieder des Churfürftencollegiums zu be 
dienen, um ihren Nath zu begründen, daß man alles beim 
Alten laffen möge: denn nicht zu eigentlicher Befchlußnahme, 
nur zur Förderung fenen fie verpflichtet. 











350 Zehntes Buch. Fünftes Capitel. 


Nun leuchtet aber ein, daß unbefchränfte Iheilnahme 
am höchſten Gericht eins der größten Intereſſen der Prote— 
ftanfen ausmachte: fie würden fonft in allen ihren Angele- 
genheiten der Einmwirfung einer feindfeligen Meinung aus: 
geſetzt geweſen ſeyn; unaufhörlich hatten fie darum gefämpft, 
und wenn e8 irgend eine Sache gab, worin fie nicht nach— 
geben Fonnten, fo war e8 diefe. 

Bald Ienfte auch der Eanzler von Mainz ein, indem er 
bemerkte, daß in dem Artikel des Vertrags von einer För— 
derung mit Erfolg die Nede fen, eine folche aber nicht ſtatt 
finden Eönne, wenn man nicht felbft einwillige. 

Es bedurfte nichts weiter, um allem Widerfpruch ein 
Ende zu machen. Man nahm jest an, daß die Sache durd) 
den Paſſauer Vertrag bereits entfchieden fey,! und hatte 
nichts weiter zu thun als einige Artikel der Kammergerichts: 
ordnung darnach abzuändern. j 

Man fette feft, daß Kammerrichter, Beifiger und andre 


Gerichtsperfonen fo gut dem augsburgifchen Bekenntniß wie ' 


der alten Religion anhängig feyn, — daß fie nicht, wie auch 
hier vorgefchlagen ward, auf die geiftlichen Nechte, fondern 
auf gemeine des Reichs Nechte und den jet beiilligten 
Sriedftand in der Neligion, fo wie auch, was auf VBorfchlag 
von Mainz hinzugefügt ward, auf Handhabung des Land- 
friedens verpflichtet werden, daß fie endlich den Eid zu Goft 
und dem heiligen Evangelium leiſten follten. 

1. Schreiben vom Aten Mai. Die Kammergerihtsordnung wird 
verlefen. Bei dem 31: „haben es entlichen dahin bracht, das die Geiſt— 
lihen zu feßen gewilligt die prefentacion zu befcheen durch beide res 


ligion, und das vermuge des paffauwifchen vertrages die augsb. Cons 
feffionsverwandten nicht follten davon ausgefchloffen werden.‘ 


j 











Berathungen über das Kammergericht. 381 


Eben dieß war die Summe deffen, was die Proteftan- 
ten von jeher gefordert, und was ihnen nothwendig war. 
Auch der Fürftenrath nahm e8 an.‘ 

Noch Ein Gedanke Fam vor, der jedoch Fein vorzuge- 
weiſe profeftantifches, fondern ein allgemeines reichgfürftliches 
Intereſſe hatte: Die Achtserflärungen zu befchränfen, mit de 
nen früher das Gericht, fpäter auch der Kaifer ziemlich ge 
waltfam vorgefchritten waren. Was die Achten des Ge 
richt8 gegen Fürften anbelangt, fo bielt das churfürftliche 
Collegium fir gut, daß jedes Urtheil diefer Art erft einem 
aus Abgeordneten des Kaifers, des Königs, der Ehurfürften 
und deputirten Fürften beftehenden Ausſchuß vorgelegt wer- 
den folle, der dann entweder auf eine Vergleichung hinarbei- 
ten oder die Execution des Sprucheg vorbereiten würde. Aber 
mit Necht ward hiegegen eingewandt, daß man damit einen 
unftatthaften Unterſchied zwiſchen Fürften und andern Stän— 
den mache; wie der König fagfe, daß man die fürderlichen 
Wege die bisher zur Beftrafung des Übels vorgenommen 
worden, eher verhindern werde. Die Churfürften Eonnten da: 
mie nicht durchdringen, und ließen ihren Antrag fallen. ? 

1. Bei Harpprecht VI, nr. 141 findet fih der Schriftmechfel 
in ziemlicher WVollftändigfeit. Diele von den zur Sprache gebrach- 
ten Puneten find jedoch unerledigt geblieben, bis zum weftphälifchen 
Srieden hin. 

2. Gonft blieben die churfürftlichen Bedenfen über Landfrieden 
und Gericht faft unverändert. Die fächfifchen Gef. 10 Aug.: „Haben 
die Tage nach einander ganz fehr im landfrieden gearbeit und bleibt 
in Summa in unferm Nath bei dem vorigen Churfürftenbedenfen — 
gleichergeftalt wird e3 auch mit dem Cammergericht zugehen.” Am 
25 Aug. ward das neue Fürften Gutachten über beide Wuncte refe- 


rirt und fand ſich bis auf wenige Puncte dem hurfürftlichen gleich 
mäßig. 30 Auguſt: „Stehen in Summa die Dinge darauf, daf die 








382 Zehntes Buch. Fünftes Capitel. 


Daß die Acht, die man mit Mühe der Eaiferlichen Ge- 
walt zu Gunften des Gerichtes abgerungen, nun auch noch 
einer Vorberathung der Fürften unterworfen werden follte, 
war gleichfam zu viel, und hätte dag Mecht in eine Sache 
der Convenienz verwandelt. Schon genug daß dag Gericht 
iiberhaupt ein fländifches war, und dieß durch paritätifche 
Einrichtung nun erft recht vollftändig wurde. Die alten, zwei 
Menfchenalter früher feftgefetten Normen gehörten dazu, um 
die neuen Einrichtungen und. den gleichen Antheil der Evan: 
gelifchen möglich zu machen, woran nicht hätte gedacht wer- 
den Fönnen, wenn das Gericht noch wie einft an den Hof 
gebannt geweſen mwäre. 

Damit fich aber nicht wiederholen möchte was früher 
öfter gefchehen, daß das Kammergericht ſich um die durch- 
gegangenen DVeränderungen, wenn fie nur dem Neichsab- 


fchied einverleibt waren, wenig gekümmert hatte, ward der, 


Beſchluß gefaßt, daß die Ordnung mit den Veränderungen 
neu gedruckt werden, als eine neue Ordnung gelten, die Bei- 
ſitzer ſie beſchwören follten. 

Dergeftalt vereinigte man ſich über die weltlichen An- 
gelegenheiten, wie man fich, Einen Punct ausgenommen, über 
die geiftlichen vereinigt hatte. Die eine Seite ergänzte gleich- 
fam die andre. Beide zufammen bildeten ein neues Sta— 
dium in der Entwickelung des Neiches. 


im Fürftenrath die Ordnung des Churfürftenraths nicht mebr fech— 
ten, vergleihen fih auch durchaus in Substancia mit unferm Be— 
denfen außerhalb fünf Punct in der Handhabung und Einem Punct 
in der Kammergerichtsordnung. Aber in dem fünften im Landfrie- 
den ift nichts fonderlich prejudicial: — — im Kammergericht iſt der 
Punet der Acht ſtreitig.“ 


— er 


Ze, We 


——— 





Defhlußgnahme. 383 


! Indeſſen: wir wiſſen, noch war man damit nicht zu 
vollem Befchluß gelangt: an dem Einen Streitpunct Fonnte 
noch alles fecheitern. ! 


Beichlußnahme. 


Schon an und für fich Fonnte Ferdinand mit feinen 
Freunden nicht geneigt feyn fo große Zugeftändniffe zu ma: 
chen wie man ihm anmuthete. Einen ganz andern Gang 
der Dinge hatte er erwartet. Er beklagt, daß er zu dem 
was er wünſche fchwerlich noch gelangen werde, und dage— 
gen zugeben ſolle was ihm widerwärtig ſey.“ Da er mit 
dem erneuerten Antrag, auf Koften des Neiches eine Kriegs: 
macht unter Herzog Heinrich ins Feld zu ftellen, nicht durch- 
drang, fo faßte er den Gedanken, und zwar mit Beiftimmung 
feines Bruders, der zwar nicht mehr eingreifen wollte aber 
noch zu Nathe gezogen ward, den Neichstag auf Fünftiges 
Frühjahr zu prorogiren, und brachte e8 förmlich in Vorfchlag. 
Die Bevollmächtigten fragten bei ihren Fürften darüber an, 
allein die meiften, vor allen aber die proteftantifchen, er 
klärten fich mit Entfchiedenheit dagegen. Sie fürchteten die 
Unterhandlungen die in diefem Augenblick mit Frankreich und 


1. Die fähhfifchen Gefandten bemerfen 29 Juni, daß „ehr (der 
Neligionsfriede) vielen fauer eingeht, und wenig Luft und guten wil— 
lens dazu haben. 8 Suli: Kram: „ich befinde unfers widertheilg 
gemüther jeßo viehl verpitterter gegen ung denn jehmals vor der Zeit: 
was nun ferner folgen wil gibt die Zeit.” 

2. Schreiben Ferdinandg am 20ſten Aug. Et a la verité je 
me trouve empesch@ de resoudre ce que je devrai faire pour ce 
que je erains que ne pourray obtenir ce a quoy je pretends et 
d’austre couste pour etre les conditions qu'ils demandent bien 
grielves et mal honnestes. 





384 Zehntes Buch. Fuͤnftes Lapitel. 


den Osmanen gepflogen wurden: fie meinten wohl, e8 könne 
noch einmal etwas Ähnliches gefchehen wie im Jahr 1545, 
und die Kriegsgewalt des Kaifers, von den übrigen Fein- 
den frei, fich gegen fie ftürgen. Dem König mochten einige 
feiner geiftlichen Freunde beipflichten, allein fie wagten fich 
aus Nückficht auf die übrigen nicht zu Außern; ! die allge 
meine Stimme war dagegen: und er mußte fich entichließen, 
mit feiner Nefolution hervorzutreten. 

Am 30ften YAuguft 1555 gab er fie, aber fie lautete 
nicht fehr tröſtlich. Er weigerte fic) die vornehmfte Beſtim— 
mung anzunehmen, daß der Friede dauern folle, die Verglei- 
hung möge nun erfolgen oder nicht; außerdem aber trat 
er in Beziehung auf die Ausſchließung der Proteftanten von 
den Stiftern dem Gutachten der geiftlichen Fürften bei und 
vertheidigte e8 mit neuen Argumenten. 

Es muß wohl dahin geftellt bleiben, ob er die erfte 
Weigerung ernftlich meinte: Das Zugeftändniß das in je 
ner Sormel lag, war ſchon in Paffau gemacht und damals 
von ihm felbft nicht vertworfen worden; es war jeßt bereits 
angenommen, und die Grundbedingung aller andern Zeft- 
fegungen. Er konnte nicht erwarten mit feinem Widerfpruch 
durchzudringen. Am bten September erklärte er in der Ihat 
den Proteftanten in einer mündlichen Conferenz, daß er von 
feinem Widerfpruch ablaffen und den unbedingten Frieden in 
der Formel wie fie ihn vorgefchlagen, annehmen wolle. Da- 
gegen aber forderte er fie auf, ihm in dem andern Punck, 


1. Ferdinand à l’empereur 27 Aoüt. Encores que les estats 
catholiques a ma persuasion y voulsissent prester l’oreille j’en- 
tends qu'ils n’oseront le faire par respect aux autres protestants. 








ee u nme 


Schlußberathungen über den geiftl. Vorbehalt. 385 


dem geiftlichen Vorbehalt, beizuftimmen. Er bat fie, fich auch 
von ihrer Seite etwas gefallen zu laffen, fo wie er manchen 
fauren Biffen verfchlucken müſſen; aber er erklärte auch auf 
das Beſtimmteſte, daß er davon nicht weichen könne: fein 
Anfehen bei auswärtigen Fürften, fein Gewiſſen gebiefe es 
ihm: wolle man die Beftimmung nicht förmlich annehmen, 
fo möge man ihm wenigftens zulaffen fie aus Eöniglicher 
Machtvollfommenheit augzufprechen, wolle man auch das 
nicht, nun wohl, — er habe bei feiner Ehre gefchtworen da: 
von nicht abzulaffen — fo möge lieber alles Andre ebenfalls 
rücfgängig twerden. ! 

Ein Moment voll Entfcheidung wie für diefe Berathung 
fo für die gefammte Zufunft des Neiches. 

Der König war dadurch ftarf, daß er die Geiftlichen 
faft alle auf feiner Seite hatte. Die proteftantifchen Näthe 
aus beiden Collegien hielten für rathſam, fich über die dem 
König zu gebende Antwort in diefem außerordentlichen Falle 
zuerſt unter einander zu berathen. 

Und da drangen nun Viele auch ferner auf die Verwer— 
fung des geiftlichen Vorbehalts, von dem in dem Paffauer 
Vertrag Feine Erwähnung gefchehen und der dadurch ftill- 
ſchweigend fchon aufgegeben ſey; daß die Feftfegung dem Kö— 
nig anheimgeftelle werde, Andere in der Sache nichts, da man 


1. Schreiben der ſaͤchſiſchen Gefandten vom 9ten September. 
(Sm Anhang.) 

2. Man hat fpäter gefagt, daß der Vorbehalt wohl zu ver: 
meiden gewefen wäre; auch mögen einzelne, 3. B. Würzburg, geneigt 
gewefen feyn. Sonſt aber berichten die fächfifchen Gefandten das 
Gegentheil: 30 Aug: „haben abermal aus vilen votis fo vil verftan- 
den, das unfere geiftlichen nunmehr davon nicht zu bringen, fondern 
in diefen Dingen gang auf der Königl. Mt Seite ſtehen.“ 

Ranke D. Geſch. V. 4 25 


386 Zehntes Bud. Fünftes Capitel. 


fie ja doch bewilligen müſſe; eine folche Beſchränkung des 
Bekenntniffes dürfe man fich nicht gefallen laffen. 

Andere jedoch erwiederten, dieſe ſey vielleicht fo groß 
nicht, wie fie fcheine. Der Übertritt ganzer Capitel werde 
in der vorgefchlagenen Formel nicht verboten; auch werde den 
Capiteln nicht aufgelegt, Sondern nur zugelaffen, Bifchöfe, die 
der Eonfeffion beigetreten, durch Andere, Altgläubige zu er- 
feen. Trotz der Befchränfung die in dem Vorbehalt liege, 
fen der Friede vortheilhafter als jemals ein andrer, und man 
werde ihn nicht ausfchlagen Dürfen. 

Diefer Meinung war vornehmlich Churfürft Auguft von 
Sachfen. Auf die Anfrage feiner Näthe bemerkte er zwar alle 
die Nrachtheile die aus einer Satzung wie die vorgefchlagene 
entfpringen müßten: aber er verwarf fie nicht entfchieden, be: 
fonders wenn in dem Abfchied angegeben werde, daß die Stände 
fich nicht dazu vereinigt, und unter der Vorausfegung, daß 
man ihm eine Gegenforderung bemillige, die er jet erft zur 
Sprache brachte. Im vielen bifchöflichen Gebieten waren 
nemlich Städte und Adel großentheils ewangelifch; wenn man 
fie nicht in Schuß nahm, fo ftand zu befürchten, daß Die 
geiftlichen Fürften einmal Gewalt gegen fie brauchen möch- 
ten. ! Churfürſt Auguſt forderte, daß fie durch einen befon- 
dern Artikel im Frieden die Verficherung empfangen follten, 
bei ihrer Neligion bleiben zu können. 

Nach einigem Bedenken traten die übrigen evangelifchen 
Stände diefem Vorfchlage bei. Brandenburg erflärte, es 

1. „mit vorwendung, das & nicht Neichsitete, darauf diefer 
Friede allein gienge, und dag wir den bifchofen Fein maß zu geben.” 


Schreiben des Churf. Auguft an den Rath o. D., vor dem der Näthe 
vom 25 Gept. 








Schlußberathbungen über den geiftl. Vorbehalt. 387 


halte fich in Dingen diefer Art gern an Sachfen, dag die 
vornehmften Theologen auf feinen Univerfitäten habe, von 
denen auch diefe Sache berathichlagt worden fey. 

Allein um fo heftiger erhob fich der Miderfpruch der 
Geiftlichen. Sie beftanden darauf, daß jede Obrigkeit das 
Necht habe, über die Neligion in ihrem Lande zu verfügen. 
Sey den Eonfeffioniften bisher Duldung von ihnen gewährt 
worden, fo ſey dag durch ihren freien Willen gefchehen; viel: 
leicht daß es ihnen gefalle, ein ander Mal ihre alte Befug- 
niß zu erfrifchen und in Übung zu bringen. 

Forderung und Miderrede veranlaßten eine allgemeine 
Aufregung. König Ferdinand fagte, er habe fchon geglaubt 
im Hafen zu feyn, da fteige ihm plößlich noch die neue Un: 
wetter mit einem Ungeſtüm auf, der alles zerrütten Eönne. 

So viel erkannte er bei einer nochmaligen Konferenz 
mit den Proteftanten, daß diefe in den Vorbehalt auch auf 
die bedingte Weife, wie e8 gefchehen follte, nicht willigen 
würden, wenn man ihnen nicht dagegen auch ihr Verlangen 
erfülle; da die bifchöfliche Würde nun einmal der alten Ne 
ligion vorbehalten wurde, fo hielten fie e8 für eine Gewiſ— 
jenspflicht, ihre Glaubensgenoffen vor möglichen Gewaltfam- 
feiten zu fchügen. Wollte Ferdinand den Frieden noch zu 
Stande bringen, fo mußte er nicht allein ſelbſt ihnen beitre— 
ten, fondern auch alle feinen Einfluß dazu anwenden, die 
Gegenpartei herbeisubringen. Er ftellte feinen geiftlichen 
Freunden vor, daß ohne jenes Zugeſtändniß der Friede nur 
ein halber Friede ſey und dem Bedürfniß nicht genüge. Da 
ſie doch noch Schwierigkeiten machten, eröffnete er ihnen, 
er werde ſie nicht von dannen gehn laſſen, bis ſie ſich mit 

23” 


388 Zehntes Bud. Fünftes Capitel. 


ihm verglichen hätten. : Sein fefter Wille bemwirfte zulett, 
daß fie fich fügten. Sie machten nur die Bedingung, daß 
Diefer Befchluß nur als eine Declaration und zwar nicht in 
offenem Abſchied erfcheine. 

Auch nachdem man fo weit gekommen, fand fich noch 
eine Schtwierigfeit in der Form. In dem Abfchied ward 
jede einen Artikel deffelben verändernde Erläuterung für un: 
ftatthaft erklärt. Es mußte erft eine Derogation diefer Be 
fiimmung aufgelegt und son den Geiftlichen bewilligt wer: 
den, und zwar mit einer Claufel, auf welche befonders Die 
Proteftanten drangen, daß eine weitere Erläuterung nicht mehr 
zugelaffen werden Fönne. ! 

Und nun wäre nur noch übrig geweſen, auch über die 
in Paſſau gegen die Neichsverwaltung in Anregung gebrad)- 
ten Beſchwerden zu Nathe zu gehn. 

Man ließ die Sache in Augsburg nicht aus der Acht. 
Die Entfremdung des Neichgfiegels, die hohen Taren der 
Faiferlichen Ganzlei und andre Dinge Famen im Churfürften- 
rath zur Sprache. Man fehlug wohl vor, daß jeder Stand 
feine befondern Befchwerden auffegen, und die Verſamm— 
lung alsdann ein Verzeichniß aller dem König überreichen 
möge. Sollte man aber nach einem fo großen Umſchwung 
der Dinge nochmals die alten Gehäffigfeiten hervorſuchen? 
Sachfen urtheilte, es ſey jeßt nicht mehr fchicflich, nachdem 


1. Saͤchſiſche Gefandte 25 Sept. „Und iit bin und wieder 
bedacht, von einer Claufeln derogatoria derogatoriae; wir haben ge 
fagt es muft ir (der Geiftlihen) consensus auch dobei feyn — ba: 
ben es endlichen Gottlob dahin bracht, das Jonas ein Claufel ges 
ftalt, das die Geiftlihen bewilligt, die Derogation im Religionsfrie— 
den folle diefer Erflerung und Entfchaid nicht abbruͤchlich ſeyn.“ 


4 
J 











Religionsfriede. 389 


dag vortreffliche Werk des unbedingten Friedens zu Stande 
gekommen. Don allen Erinnerungen ward nur die Eine 
beliebt, daß nach der Zufage des Kaiferg ein mit Deut 
fchen befegter Hofrath mit einem deutfchen Präfidenten er 
richtet werden möge. 

So kam e8 am 2õſten September 1555 zum Neiche: 
abfchied von Augsburg. 

Man wird eingeftehn müffen, daß die Beftimmungen 
über den geiftlichen Vorbehalt und die religiöfe Autonomie 
bifchöflicher Unterthanen Fünftige Zwiftigfeiten wohl befürch- 
ten ließen; indeß man konnte nun einmal nicht weiter Fom- 
men. Diefe Beftimmungen drückten ungefähr dag Verhält: 
niß der Macht aus, welches fich damals in den beiden Par: 
teien entwickelt hatte: fie waren mehr eine Auskunft für den 
Augenblick als ein Gefeß für alle Folgezeit. 

Dagegen enthielt der Friede übrigens abfchließende Feft- 
feßungen von höchftem Werthe. 

Wie mir öfter bemerkt, der Proteftantismug ift nicht 
befehrender Natur. Er wird fich jedes Beitritts, der aus 
Überzeugung entfpringt, als eines Fortganges feiner guten 
Sache freuen: fonft aber fchon zufrieden feyn, wenn ihm 


1. Man darf alfo mit nichten fchliegen, wie Bucholg VII, 218, 
daß die Öravamina etwa ein bloßer Vorwand gewefen feyen. „Pa: 
ben bedacht,“ fagen die fächftfehen Gefandten, „das die Gravamına 
eines theils alfo geſchaffen das fie zu erledigen zugefagt, etzliche durch 
diefen Neichsabfchied, wan er erfolgt, erledigt werden, die übrigen ge: 
heffig, und ſich ißiger zeit zu erhaltung gelimpfs in einem folchen für: 
fiehenden fürtrefflichen werf des unbedingten Friedens ein Ding alfo 
wie zu Paſſau zu fuchen, fich vielleicht nicht fchicfen mocht — — 
Aus dem Berichte der brandenburgifchen Gefandten ergiebt ſich aber 
daß diefe damit ſchlecht zufrieden waren. 


390 Zehntes Buch. Fünftes Capitel. 


nur felber verſtattet iſt, fich ungeirrt von fremder Einwir- 
fung zu entwickeln. Dieß war es wonac) die evangelifchen 
Fürften vom erfien Augenblick an ftrebten. Unaufhörlich aber 
hatte man e8 ihnen fireitig gemacht, und die gefährlichften, 
allen Beſitz ummälzenden Kriege hatten fie darüber beftan: 
den. Jetzt endlich gelangten fie zum Ziel: es ward ihnen 
ein unbedingter Friede gewährt. ! 

Es mag nur wie eim leichtes Wort erfcheinen, wenn 
es heißt: der Friede folle beftehn, möge die Vergleichung er 
folgen oder nicht; aber darin liege die Summe der Dinge, 
die große Anderung der Verfaſſung. 

Fortan war nicht mehr fo viel daran gelegen, ob ein 
päpftliches Concilium die Proteftanten verdammte oder nicht: 
Fein Kaifer, Feine Partei in den Reichsſtänden Eonnte ferner 
daran denfen, die conciliaren Decrete mit Gewalt gegen fie 
auszuführen und Grund davon hernehmen fie zu erdrücken. 

Auch waren e8 nicht einzelne Meinungen die man dul- 
dete, wozu Carl V fich wohl entichloffen hätte, e8 war ein 
ganzes Syſtem der Lehre und des Lebens, dag su eigener 
felbftändiger Entwickelung gedieh. 

Was Luther in dem erfien Moment feines Abfalls, bei 
dem Colloquium von Leipzig in Anfpruch genommen, Unab- 
hängigfeit von den Glaubensentfcheidungen wie des Papſtes 
fo auch der Concilien, dag war nunmehr durchgefeßt. 

Die Vergleichung in der Neligion, die man noch in 
Aussicht fiellte, und wohl auch verfuchte, hatte zwar noch im: 


1. Unter andern legte König Ferdinand bei feinen andern Ver— 
weigerungen darauf den größten Werth: „fo theten auch die vorigen 
Abſchied nichts, denn fie weren temporal, diefer aber ewig.” (9 Spt.) 





Neligionsfriede. 391 


mer ein großes deutfches ntereffe, minder ein allgemeines: 
man möchte fagen: für die Melt war es wichtiger, daß 
fich die gefeßliche Trennung erhielt, die allein eine freie Be— 
wegung nach dem nun einmal feftgeftellten Prinzip mög: 
lich machte. 

Und dabei haften fich die Neichgordnungen nach der 
im Löten Jahrhundert angebahnten Tendenz erſt eigentlich 
feftgefett. 

Die Feindfeligkeiten des Kammergerichts waren nicht 
allein befeitige, fondern dieſer Gerichtshof hatte durch den 
Antheil der den Proteftanten daran zu nehmen geftaftet ward, 
nunmehr erft die fländifche Verfaſſung wahrhaft erlangt, 
welche urfprünglich beabfichtigt worden. Daß aud) die re 
ligiöfe Abweichung Niemand davon ausſchließen follte, darin 
lag die volle Durchführung des urfprünglichen auf gleichen 
Antheil Aller zielenden Gedanfens. Die Kammergerichts: 
ordnung von 1555 ift immer als ein Neichsgrundgefeß be: 
trachtet worden; im weftphälifchen Frieden hat man fich dar- 
auf bezogen: fpäter ift nur der Entwurf einer Veränderung 
su Stande gekommen. 

Zugleich) hatte man doc, eine gewiſſe Einheit erreicht, 
eine Verfaſſung zum Widerftand gegen innere und äußere 
Feinde gegründet, die wenigftens alle Diejenigen wirklich ge: 
fichert hat, die fich ihr angefchloffen. Daß auch diefe Ein: 
richtung großentheils ftändifcher Natur war, gehörte zu dem 
Ganzen der neuen Ordnung der Dinge. 

Wie ganz anders nunmehr, als zu jenen Zeiten mo 
die Neichstage ſich unter dem Vorſitz päpftlicher Legaten 
verfammelten, und die einfeitigen Berechtigungen des geift- 





392 Zehntes Bud. Fuͤnftes Eapitel. 


lichen und des weltlichen Oberherrn nichts als Verwirrung 
veranlaßten. 

Noch beftanden aber die beiden Gemwalten, von welchen 
man fic) losriß. Noch lebte der Kaifer, und war in der 
Nähe, der den Einrichtungen einen ganz andern, dymafti- 
fchen und religiöfen Character zu geben gefucht hatte. Noch 
hielt dag Papſtthum alle feine Ansprüche feft, und war mäch: 
fig genug um fie nicht in DVergeffenheit gerathen zu laffen. 
Wir haben zu betrachten welches Verhältniß fich in diefem 
Augenblicke zu beiden bildete. 











Sechstes Capitel. 
Abdankung Carls V. 


Die Aufmerkſamkeit des Kaiſers war in den letzten Jah— 
ren zwar von Deutſchland nicht abgewendet, aber doch bei 
weitem mehr auf England gerichtet, wo ein Ereigniß eintrat, 
das alle alte Tendenzen feiner PolitiE nach diefer Seite hin 
noch einmal belebte. 

Eduard VI, unter dem die weltlichen und geiftlichen 
Angelegenheiten von England einen ihm fo twiderwärtigen 
Gang genommen, ftarb im Juli 1553; nach Furzem Wider: 
fireben einer von der Bevölkerung, namentlich auch der pro- 
teftantifchen, nicht unterftügten Partei beftieg die Tochter Hein: 
richs VIII von feiner Fatholifchen Gemahlin, Maria, Ge: 
fchwifterfind mit dem Kaifer, den englifchen Thron. 

Das gute Verhältniß das fich hierauf fogleich bildete, 
genügte jedoch dem Kaifer noch nicht; er wollte es ‚nicht 
dabei laffen, daß England in dem Kriege zwiſchen ihm und 
dem König von Frankreich nur neutral ſeyn follte: die Zeit 
fchien ihm gekommen, wo der Gedanke Ferdinand des Ku 
tholifchen, eine immerwährende Verbindung zwifchen Spa; 
nien, England und den Niederlanden zu Stande zu bringen, 

















394 Zehntes Bud. Sechstes Capitel. 


noch beffer ausgeführt werden könne als diefer es vermocht: 
er bot der neuen Königin, mit der er einft felbft verlobt ge- 
wefen, die Hand feines Sohnes an, des Prinzen Philipp 
von Spanien, deffen erfte Gemahlin vor ein paar Jahren 
gefiorben war. Der römische König brachte einen feiner 
Söhne in Vorſchlag; man wird fich aber nicht wundern, 
daß der Kaifer darauf nicht eingieng. Kam es darauf an, 
die antifranzöfifche und zugleich Fatholifche Politif des weſt— 
lichen Europa zu confolidiren, fo war hiezu der Finftige Be 
herrfcher Spaniens und der Niederlande bei weitem geeig- 
neter als ein machtlofer Erzherzog. Es war Die Zeit, in 
welcher Churfürft Morig in der Schlacht blieb und die fran- 
söfifchen Angriffe Widerftand zu finden anfiengen. Carl V 
glaubte den Glückgftern noch einmal aufgehn zu fehen, um: 
ter welchem feine früheren Unternehmungen gelungen waren; 
noch einmal ftiegen feine weltumfaffenden dynaftifchen Ge: 
danfen ihm auf. 

Es ift bemerfenswerth, daß die eifrigften Geiftlichen der 
alten Kirche, fo gut Fatholifch Vhilipp II auch war, diefe Ver: 
mählung nicht unbedingt guthießen. Ihrem Enthufiasmus 
hätte es beffer entfprochen, wenn eine jungfräuliche Köni— 
gin ihre Sache ergriffen, das Schisma abgefchafft, die alten 
Gebräuche und Lehren twiederhergeftelle hätte. Sie fagten 
ihr wohl felbft, die Sorge für die Succeffion an der Krone 
möge fie Gott überlaffen, der fie fo wunderbar erhoben. Der 
römische Hof aber billigte die Verbindung. Papſt Julius 
erklärte, einen Gemahl müffe die Königin haben, der ihr Die 
vielen Feindfeligkeiten, von denen fie bedroht werde, beftehn 
helfe; mit einem Eingebornen dürfe fie fich jedoch nicht ver: 


D 
En I 











Verbindung des Kaifers mit England. 395 


mäbhlen, denn ein folcher würde, um fich zu halten, den an: 
dern Großen zu viel Zugeftändniffe machen müſſen; nur ein 
Prinz von fo großer und fo naher eigener Macht, wie Kö— 
nig Philipp, werde fie gegen äußere und innere Feinde ver 
theidigen Eönnen und durch fein Anfehen die Wiedervereint- 
gung des Neiches mit der Kirche befördern. ! Und die Haupt: 
fache: Maria felbft, obgleich um vieles älter, gab einen ganz 
unmiderftehlichen Drang Fund, fi mit Philipp zu vermäh- 
len. Sie hörte fo viel von ihm, daß fie ihn liebte, ehe fie 
ihn geſehen hatte. Auch fehien e8 ihr ehrenvoll, daß fich 
eben der reichfte und mächtigfte Prinz, den es in der damali: 
gen Welt gab, um ihre Hand bemühte: dag religiöfe Mo: | 
tiv rechtferfigte die übrigen, genug: fie willigte ein. 

Im März 1554 Fam der Ehetractat zu Stande, durch 
welchen eine ganz neue Ausficht für die Zukunft eröffnet 
ward. Der ältefte Sohn aus diefer Ehe follte dermaleinft 
England und die ſämmtlichen burgumdifchen Erblande ver: 
einigen. Neben der fpanifchen und der deutfchen wäre noch 
eine dritte, eine englifche Linie des Hauſes Oftreich entftanden. 

Aber auch für die nächfte Zeit hatte der Tractat viele 
Bedeutung. Philipp erhielt den Titel eines Königs von Eng: 
land, und die Befugniß an der Verwaltung des Landes Theil 
su nehmen. 

Und das muß man zugeftiehn, daß Philipp, der nun 
nach England Fam, — am Tage de heiligen Jacob, des 


1. Morone al Card! Polo 21 Dec. 1551. S. Stà per lo con- 
trario confida in dio che il prineipe di Spagna, essendo catolico 
nalo e nutrito et avendo la potenza sua vieina di Spagna e di 
Fiandra, possa con maggior autoritä introdurre l!umore alla chiesa 
e difendere la regina dalli nemiei interni et esterni. (MS Corsin.) 





396 Zehntes Buch. Sechstes Kapitel. 


Apoftel8 von Spanien, am 25ſten Zuli, ward die Vermäh— 
lung vollgogen, — ſich in feinem neuen Verhältniß mit vie 
ler Klugheit betragen hat. Keinen Eingriff, noch viel we: 
niger irgend eine Gewaltſamkeit, wie allgemein gefürchtet 
ward, ließ er fich zu Schulden Fommen. Vielmehr machte 
er wohl manche Rechte die ihm suftanden, befonders in De: 
zug auf fein Einfommen, nicht geltend. Es war für ihn eine 
Ehrenfache, nichts von England zu brauchen, eher etwas zu 
geben als zu nehmen. Seine ganze Hofhaltung beftritt er 
mit fpanifchem und niederländifchem Geld: ! in langer Reihe 
fah man Wagen und Saumroffe mit feinen Schätzen bela 
den durch die Straßen der Hauptfiadt nach dem Tomer zie— 
hen. Er nahm Engländer in feinen Dienft, belohnte Die 
jenigen welche der Königin befondere Treue bewieſen, fagte 
Penfionen zu und ließ fie richtig auszahlen. Da die Königin 
fehr bald in allem Ernfte glaubte, guter Hofnung zu feyn, 
fo gewann Philipp, dem in den Ehepacten für den Fall 
des Ablebens feiner Gemahlin die Bormundfchaft über den 
Thronerben verfichert worden, von Tag zu Tag einen grö- 
Bern Einfluß. 

E8 leidet Feinen Zweifel, daß feine Anmefenheit zur 
Herftellung des Katholicismus in England mächtig beige: 
fragen hat. 


1. Micheli Relae d’Inghilterra 1556. Troppo ben conoscendo 
il stato e l’impotenza della regina si & sempre falto le spese e 
nelle cose minime a lui e tutti li suoi con quello che di Spagna 
e di Fiandra li era provisto, havendo per questa via dato un 
tant utile al regno che giä molti anni non ha ricevuto, facendo 
conto per quello pud havere speso lui e li suoi insieme con gli 
altri forastieri rieapitati per rispetto suo in poco piu d’un anno 
habbia importato meglio d’un milion d’oro tutto rimaso nell’isola. 








Verbindung des Kaifers mit England. 397 


Schon war eine ftarfe Nichtung dahin vorhanden, Die 
wohl auch daher rührte, daß die fo eifrig proteftantifc) ge 
finnten Häupter der vorigen Negierung nach dem Ableben 
Eduards zu weit gegriffen, das Prinzip der einmal feltge- 
ftellten Thronfolge verkegt, und einen Weg eingefchlagen hat: 
ten, der wirklich zur Erneuerung der Bürgerfriege hätte füh- 
ren Fünnen. Unmittelbar nach der Krönung der Königin ver 
fammelte fich ein Parlament, das fat wie jene welche wäh: 
rend der Bürgerfriege von den jedesmaligen Siegern ver- 
ſammelt worden, zu Befchlüffen schritt die den frühen ge: 
radezu entgegengefeßt waren. Zunächft hielt man noch an 
der von Heinrich VIII gegründeten Vereinigung geiftlicher 
und weltlicher Macht feft, Fehrte aber zu der von dieſem 
König eingeführten Religionsform zurück und widerrief die 
unter Eduard VI angenommenen Statuten Natürlich ge 
fchah das nicht ohne großen Widerfpruch, wie die Königin 
felbft ſagt, „nicht ohne heftige Disputation und eifrige Ar 
beit der Getreuen!;! aber es gefchah. Nach einiger Zeit 
Fonnte man den Gedanken fallen, zu einer noch größern Un- 
ternehmung zu fehreiten. Sm November des jahres 1554 
follte auch die Neligionsform Heinrichs VIII aufgehoben 
und der Gehorfam gegen die römifche Kirche überhaupt her: 
geftelle werden. Sch finde, daß der Kaifer über die Art 
und Weife dieß zu bewirken zu Nathe gezogen ward. Auf 

1. Non sine contentione, disputatione aeri et summo labore 
fidelium. Schreiben an Poole 15 Nov. 1553. (MS Corsin.) 


2. Am Aten November fchreibt der florentinifhe Gefandte: Il 


luogotenente d’Amone se ne tornd gia cinque giorni sono in In- 
shilterra con la mente di Cesare eirca quello che S. Mä desi- 


dera che si tratti nel futuro parlamento. — Per li ravvisi della re- 


398 Zehntes Buch. Sechstes Capitel. 


feine Erinnerung trug man Sorge, den hohen Adel über 
die Deforgniß zu beruhigen, daß die von ihm in Befiß ge 
nommenen geiftlichen Güter zurickgefordert werden Fönnten. 
Und fo ſtark wuchs nun die Fatholifche Meinung unter dem 
Einfluß des Hofes und der vorwaltenden Stimmung des 
Augenblifs an, daß fich das Parlament wirklich entfchloß, 
und zwar beinahe einmüthig, die Begründung einer engli- 
fchen Kirche, auch fo weit fie unter Heinreich VIII gedie— 
hen, aufzugeben und unter den Gehorfam des Papftes zu: 
rückzufehren. 

Auf den Kaifer machte e8 einen großen Eindruck, daß 
diefe Rückkehr eines Königreichs in den Schooß der alten 
Kirche mit der Ausſicht zufammentraf, ein Gefchlecht katho— 
lifcher Könige, fein eignes Gefchlecht, in demfelben fortge- 
pflanzt zu fehen. Er fagte wohl, wenn er fchon halb todt 
fey, würden ihn Nachrichten diefer Art wieder ing Leben zu: 
rückrufen. Er fah darin eine unmittelbare Fügung des Him- 
mels, und gab zu vernehmen, fein Sohn fey noch zu großen 
Dingen beftimmt, für England und für die Chriftenheit. ! 

Wäre der Thronerbe geboren worden, den man in öf— 
fentlichen Gebeten von Gott gleichfam forderte, mit beinahe 
frevelhaft- ftürmifcher Überzeugtheit daß das Heil der Welt 
‚darauf beruhe, und einer unglaublich fichern Erwartung, fo 


ligione, facendo perd prima un deereto, che non si possa trattar 
in modo aleuno di spogliar di beni ecclesiastiei quelli che al di 
d’oggi ne son possessori, il numero de’quali interessati ascende 
a piu di 40000 persone. 

1. Schreiben Pagets vom 13 Nov., Mafons vom 25 Decem- 
ber 1554. He trusted, God had ordained him (Philip) to done 
some good to the whole estate of Christendom and to that realım. 
Tytler II, 465. 








Verbindung des Katfers mie England. 399 


würde Philipp wirklich in England Fuß gefaßt, alle neuen 
Einrichtungen würden Feftigkeit gewonnen haben. 

Sp wunderbar ift in der Verfaffung der europätfchen 
Staaten die Verflechtung des Perfönlichen und des Allge— 
meinen, daß es wie eine Art von Weltbegebenheit erfchien, 
als das nicht gefchah, fondern die Meinung der Königin über 
ihren Zuftand fich endlich alg ein Serum auswies. 

Man fühlte fogleich, daß fich dann die von ihr unter 
nommene Herftelung nicht über ihren Tod hinaus erhalten 
wide. Durch eine Kombination günftiger Umftände mar 
fie zu Stande gebracht worden: mit denfelben mußte fie ver: 
fchwinden. Zu tief war bereit die evangelifche Lehre in die 
Gemüther gedrungen. Man fah e8 bei den blutigen Der: 
folgungen welche Maria verhieng und mit denen fie ihren 
Namen zum Abfchen der fpäteren Gefchlechter gemacht hat. 
Sie brachte damit nur Märtyrer hervor, deren erhabene 
Standhaftigkeit an die erfien Zeiten des Chriftenthums er: 
innerte und auf die Maffe ftärker wirkte, als die Predigten 
jemals hätten wirken Fönnen, die man damit abzuftellen ge 
dachte. Auch waren die evangelischen Lehren ſchon viel zu 
weit verbreitet: der venezianifche Gefandte will verfichern, daß 
es unter den jüngern Männern, von weniger als 35 Jah— 
‚ren, vielleicht nicht einen Einzigen von rein Eatholifcher Farbe 
mehr gebe. Und wie hätte Philipp auch nur hoffen dürfen, 
ſich alsdann perfönlich dort zu halten? Man hatte fich wohl 
gehütet, ihm irgend ein von dem Leben feiner Gemahlin oder 
dem Dafeyn eines Erben unabhängiges Necht zu gewäh— 
ven, und war jeßt weit entfernt, ihm die Krönung, die er 
wünſchte, zu bewilligen. Vielmehr gährte in der Tiefe der 





400 Zehntes Buch. Schstes Lapitel. 


ganze nationale Widertille, der feiner Ankunft vorausgegan— 
gen," deſſen Ausbruch zu verhüten ſo viel Vorficht nöthig 
geweſen; auch fein Name war durch die blutigen Erecutio- 
nen. befleckt, als deren. Beförderer er galt. Und dazu Fam 
daß die Staatsverwaltung, ‚die freilich ‚feit 20 Jahren haupt: 
fächlich auf die geiftlichen Einkünfte angewieſen war, jetzt da 
diefe mwegfielen, — tie denn die Königin ihr Gemiffen nur 
durch Zurückgabe aller der Krone zugefallenen Kirchengüter 
beruhigen zu Fönnen meinte, — aus dem regelmäßigen Gange 
wich, drückende Maaßregeln ergriffen, Schulden gemacht, und 
dann doch die nöthigften Zahlungen nicht geleifiet wurden. 
Es trat ein Zuftand ein, wo man nur noch in der Voraus— 
fegung gehorcht, die beftehende Negierung werde doch nicht 
lange dauern: wozu hier die fchlechte Gefundheit Marias al- 
len Anlaß gab. Aller Augen richteten fich bereitS auf die 
nächfte Nachfolgerin, die Tochter Heinrichg von Anna Bo: 
len, Mylady Eliſabeth. Welch ein Jubel empfieng fie, wenn 
fie während der Verfolgungen, die auch fie ihres Theils er— 
lebte, in den Straßen von London erfchien, noch in der 
Blüthe der Jugend, aber angegriffen, bleich, geiftvoll und 
ſtolz. Bald boten ihr die Mitglieder der vornehmften Häufer 
wetteifernd ihre Dienfte an; fie Eonnte als die Königin der 
Zukunft angefehen werden. ? 


1. Micheli: Nell’ intrinseco gli animi sono piu che mai al- 
terati, ma non ardiscono di mostrarsi, per la paura che hanno 
della perdita della vita e delli beni. 

2. Micheli: non & aleuno del regno, nè cavaliere ne signore, 
che non abbia procurato e procuri tuttavia o entrare nel suo ser- 
vitio o di metterle qualche suo figlivolo o fratello; tale & l’affet- 


3 — ⸗ 
tion e lF'amore che gli vien portato. Aus den Depeſchen von Noail— 


er 





Verbindung des Katfers mie England. 401 


Obwohl Maria noch ein paar Jahr lebte, fo mußte 
doch die Abficht, in welcher der Kaifer fie mit feinem Sohne 
vermählt, fchon im Sommer 1555 al8 gefcheitert betrachtet 
werden. Man erzählt, er fey gewarnt gemwefen; ! aber diefe 
religiös-dynaſtiſchen Combinationen waren ftärfer als feine 
fonft in Berechnungen geübte Klugheit und Voraugficht: fie 
riffen ihn mit fich fort. 

Sehr begreiflich ift die Ungeduld, mit der er die Nach: 
richt von der Niederfunft der Königin Maria erwartete: er 
hat den englifchen Gefandten einft früh um fünf Uhr an fein 
Bert Fommen laffen, um ihn wegen eines darliber verbrei- 
teten Gerüchtes zu fragen; — nur ungern und langfam 
überzeugte er fich von der Nichtigkeit ihres Vorgebens. 

Hätten die Dinge in England fic) befeftigt, wäre dann, 
worüber von London aus eifrig unterhandelt ward, ein Friede 
mit Frankreich zu Stande gefommen, fo möchte der Kaifer 
wohl auch auf der Prorogation des deutfchen Reichstags 
beftanden und der Eonceffion des Neligiongfriedeng ernften 
Widerfpruch entgegengefeßt haben. 

Statt der Erftarfung des Prinzipes der alten Kirche 
aber, die man erwartete, brach in der Mitte derfelben noch 
einmal ein neuer Zwieſpalt aus. 

Im Mai 1555 beftieg ein Mann den römifchen Stuhl, 
den der Kaifer von jeher als feinen perfönlichen Feind be: 


les (V.) ſieht man wie viel Mühe es im Unfang des Sahres 1556 
den Sranzofen machte, die Anhänger der Elifabeth von einer gewalt: 
famen Machination abzuhalten. 

1. Gofelini 201: Gonzaga habe erinnert „dovere, a giudizin suo, 
la corona di Spagna far poco fundamento dell’ Inghilterra pendente 
dal debil filo di una donna non giovane non sana non fertile.“ 


Ranke D. Geſch. V. 26 





402 Zehntes Bud. Sechstes Capitel. 


trachten müſſen, Johann Peter Caraffa, Paul IV, — der 
nun seit entfernt, fich dem Kaifer anzufchließen, wie Ju— 
lius TIE, oder auch nur, wie Paul III, mit feinen Seindfe- 
ligkeiten an fich zu halten, ganz offen damit hervortrat, bei 
der erften Gelegenheit die Anhänger des Kaifers verfolgte, 
und nach wenigen Monaten ſchon fo weit war, daß er ei— 
nen feiner Bafallen aufforderte, feine Truppen fertig zu hal 
ten, um Die Bewegungen der Kaiferlichen zu unterdrücken. 
Der alte Hader zwiſchen Kaiſerthum und Papſtthum brad) 
nochmals aus. Wenn e8 dem Faiferlich -tofcanifchen Heer 
unter dem Marchefe von Marignano um diefe Zeit gelang 
Siena wieder zu erobern, Stadt und Gebiet, auch Porter: 
cole (April bis Juni), und fpanifch>deutfche Beſatzungen 
dafelbft einzuführen, fo gewannen dagegen die Franzofen 
an einem Papſt, der ihre alten Abfichten auf Neapel offen 
begünftigte, und um den fich alle Mißvergnügfen aus dei 
italienifchen Ländern des Kaiſers fammelten, einen ftärkeren 
Nückhalt, als fie feit vielen Jahren gehabt. Man mußte 
fich auf einen Krieg gefaßt machen, det dag ganze Syſtem 
der fpanifchen Herrfchaft in Stalien, dag in Folge der Iek- 
ten Stiege aufgerichtet worden, noch einmal in Frage flel- 
len, und vielleicht ein entgegengefeßteg, dag der franzoſiſchen 
Übermacht, herbeiführen konnte. 

Bei dieſen Ausſichten neuer und allgemeiner Gefahren 
fühlte man zuerſt, daß die in der letzten Zeit eingetretene Re— 
gierungsweiſe der kaiſerlichen Gebiete nicht mehr haltbar war. 

Die Vermählung ſeines Sohnes mit Königin Maria 
hatte der Kaiſer dadurch gefeiert, daß er denſelben ſeiner Ge— 
mahlin auch an Rang gleichſtellte und ihm das Königreich 





Übertragung der italien. Länder an Philipp. 403 


Neapel übertrug, und zwar nicht allein dem Titel nach: gleich 
darauf ward es im Namen Philipps mit allen bei einem 
Thronwechſel herfümmlichen Formen in Befiß genommen. ! 
Auch Mailand übertrug er ihm, und belehnte ihn mit Siena, 
ehe dieß noch erobert war. Hatte er ihn nicht zu feinem 
Nachfolger im Kaiferthun machen können, fo überließ er 
ihm wenigſtens dieſe italienifchen Länder, an die ihm frei: 
lich Eein anderer Nechtstitel zuftand als die alte Oberherrlich- 
keit der Kaifer darüber. Diefe Übertragung ift der Act, durch 
welchen dieſe Länder ihren alten Zufammenhang mit dem 
Neiche, das dabei in Feiner Weiſe zu Rathe gegogen ward, 
vollends verloren haben. Damals war damif noch eine innere 
Negierungsveränderung verfnüpft. Die bisherigen Nepräfen: 
tanten des Kaifers in Stalien Eonnten fich nicht mehr halten. 
Don Diego Mendoza, dem wir erft in Flandern, dann in 
England begegnen, begab fich nach Spanien. Ferrante Gon- 
zaga ward nach den Niederlanden berufen und dort einer 
fivengen Unterfuchung feines Verhaltens unterworfen, die 
zwar mit perfönlicher Sreifprechung, aber doch nicht mit 
Herfiellung in fein Amt fich endigte. Im uni 1555 er— 
fchien der Herzog von Alba al8 Generalvicar Philipps IE in 
Italien; die toledanifche Partei, der auch der Herzog von 
Flovenz angehörte, behielt unter dem Einfluß des neuen Für: 
ften zunächſt den Platz. Und auch hiebei Fonnte e8 fein Ver: 
bleiben nicht haben. Lange Zeit brachte man auch nach der 
Übertragung alle Gefchäfte die fich auf Stalien bezogen, zu: 


1. Informatione di quanto & passato tra il Cle di Parecho 
ed il marchese di Pescara nel pigliar il possesso del regno di 
Napoli, und Ragguaglio del possesso preso, Inf. pol. XII. 


26* 


404 Zehntes Buch. Sechstes Eapitel. 


nächft an den Faiferlichen Hof. Erft nachdem hier Bera— 
thung darüber gepflogen und vorläufig Befchluß gefaßt war, 
wurden fie dem Eöniglichen Hofe zu London mitgetheilt. Da- 
durch entftand nun nicht allein, eine neue, ſehr unzufrägliche 
Verzögerung, fondern bald: gaben fi) auch Meinungsver- 
fchiedenheiten der, Minifter und der Höfe Fund. „Was wir 
bier dieffeit machen,’ heißt es in einem Schreiben vom Hofe 
Philipps, „wird von. Euch da drüben verdorben, und von 
ung, was Ihr macht.“ Nachdem Mendoza und Gonzaga 
gefallen, Eonnte fich auch Granvella, ja felbft Königin Ma: 
via, welche bisher die Negierung in der Nähe des Kaifers 
ungefähr in demfelben Sinne geleitet wie jene in Stalien, 
nicht länger in ihrer Autorität behaupten. Das neue Sy: 
fiem das Philipp griindete, trieb das alte mit Nothwendig— 
feit aus feiner Stelle. 

Da ereignete fih nun, daß Donna Juana, die Mut: 
ter des Kaifers, deren Name, mit dem ihres Sohnes 
vereinigt, noch immer an der Spise aller königlichen Er— 
laffe ftand, nach einem befonders heftigen Ausbruch ihres 
Wahnfinng endlich verftarb. Um das hierüber erforder 
lich Werdende vorzufehren, und ‚den Spanier die Genug: 
thuung zu geben, die fie in der. Anmefenheit eines Fürften 
aus dem regierenden Haufe von jeher erblickten, fchien es 
nöthig, daß entweder Carl felbft oder Philipp nach Spa- 
nien gienge. 

Eine Zeitlang fchwanften die Meinungen in Brüffel, wel: 
cher von Beiden dieſe Neife unternehmen würde: ein ernft- 
licher Zweifel Eonnte aber wohl niemals obmwalten. 

1. Mitgetheilt in den Dispacei fiorentini. 





Abdankung des Kaiſers. (Niederlande) 405 


Dem Kaifer hatten feine Ärzte längſt gerathen, fich nach 
einem wärmeren Himmelgftrich, in veinere Luft zurückzuziehen. 
Den jungen König wirde dagegen eine Entfernung vom Mit- 
telpunct der Gefchäfte, an denen er kaum Antheil zu nehmen 
begonnen hatte, um allen Einfluß darauf und auch um fein 
Anfehen in Europa gebracht haben! die Gegner des Hau: 
ſes wünſchten nichts Beſſeres. Wenn fich aber der Kaifer 
entfernte und Philipp in den Niederlanden blieb, wie er denn 
dafelbft im September 1555 erfchien, fo war nichts na— 
türlicher als daß die Negierung auch diefer Lande wie der 
italienifchen an ihn übergieng. "Die bisherige Verwaltung 
hätte ohnehin neben feinen Miniftern Eeinen Augenblick be 
ſtehn Eönnen. 

Noch im Laufe des September wurden die Ritter des 
goldnen Vließes und die Stände der niederländifchen Pro: 
vingen eingeladen, auf den beftimmten Tag des folgenden 
Monats in Brüffel zu erfcheinen, um den König Philipp als 
ihren Herrn und Fürften zu empfangen. ! 

Am Ziften October 1555 begann der feierliche Act der 
Abdication in der Verſammlung der Nitter des goldenen 
Vließes. Der Kaifer zeigte fich weder Firchlich noch poli— 
tiſch fehr friedfertig geftimmt. Er eröffnete dem Capitel, daß 
er dem König Heinrich II von Franfreich den Michaelsorden 
zurückzuſchicken gedenke, nicht allein wegen der andauernden 
Feindfeligkeit die ihm derfelbe beweiſe, fondern auch weil er 
Ketzer und Verräther im denfelben aufgenommen. Die Trage 
ward erhoben, ob Churfürft Friedrich von der Pfalz, der 


1. Le Prince à la Princesse d’Orange 28 Spt. Bei Grön 
v. Prinfterer Archives de la maison d’Orange Nassau I, p. 17. 


406  BZehntes Bud. Sechstes Capitel. 


des Lutherthums verdächtig fey, noch ferner zu dem Capitel 
berufen werden könne. Die Hauptfache aber war, daß der 
Kaifer den Verſammelten feine Abſicht ankündigte, wie die 
Regierung der dieffeitigen Länder fammt Burgund, fo auch 
die Würde eines Hauptes und Souveräns des Ordens vom 
goldnen Vließ, die am diefelbe fich Fnüpfe, auf feinen Sohn 
den König von England zu übertragen. Philipp trat ei 
nen Augenblick ab, während deffen die Ritter fich befprachen. 
Man Fan denken, daß fich Feine Stimme gegen den Vor: 
fchlag erhob, doch follte Feine Form unbeobachtet bleiben. 
Als Philipp wieder eintrat; ward er als der neue Souverän 
des Ordens beglückwünfcht, und man faßte den Befchluf, 
demgemäß deffen Siegel zu verändern. ! 

Hierauf, am 25ſten, verfammelten fich die Mitglieder 
der Stände, die von den verfchiedenen Landfchaften hiezu 
mit den nöthigen VBollmachten verfehen worden, im Eaifer- 
lichen Pallaſt. Es war derfelbe Saal, in welchem Carl vor 
vierzig Jahren für mündig erklärt worden, und die Ne 
gierung diefer Lande übernommen hatte. Dazwiſchen lag 
fein ganzes mit dem Kampfe aller lebendigen Elemente der 
Welt erfülltes Leben. Nachdem einer der Näthe die Propo— 
fition der Abdanfung vorgetragen, ergriff der Kaifer felbft 
dag Wort. Er ließ vor feinem Geifte vorübergehn, mag 
ihn perfönlich feit jenem Anfang betroffen: wie der Gedanke 
feiner Jugend, dag Gebiet der Chriftenheit gegen den Erb: 


feind auszubreiten, durch den Widerfiand politifchen und re: | 


ligiöfen Urſprungs, der fich ihm von allen Seiten erhoben, 


1. Reiffenberg Histoire de l’ordre de la toison d’or p. 444. 











Abdanfung des Kaifers. (Miederlande.) 407 


unausführbar geworden ſey; tie ſchwer es ihm gefallen, 
ſelbſt nur dieſe nächften Feindfeligkeiten zu beftehn; welche 
Reiſen und Feldzüge er dazu unternehmen müffen, nach dem 
obern Deutfchland, nach Stalien, Frankreich, Spanien, Africa, 
wie oft er das Mittelmeer und den Dcean durchfchifft habe: 
aber noch fehe er fich in gefährliche und heftige Kriege ver: 
wickelt; er habe gethan was er gekonnt, feine Kraft fey er: 
ichöpft: er würde eine ſchwere Verantwortung vor Gott auf 
fich laden, wenn er nicht die Negierung dem Fräftigeren 
Manne, feinem Sohne überlaffe, den er ihnen hiemit als 
ihren Herrn vorftelle. Sein Sinn war noch nicht, demfel- 
ben Alles abzutreten, ev wollte ihm nur die Niederlande ein— 
räumen. Allein es lag etwas in feiner Nede, als lege er 
sugleich die ganze Negierung feines Neiches, die Aufgabe den 
Gedanken derfelben zu realifiren, in Philipps Hände nieder. 
Indem er bekannte, ihm felber mit aller feiner Macht und 
alfer Anftrengung ſey es nicht gelungen, ermahnte ev noch 
feinen Sohn und die Stände, an dem oberften Grundfaß 
wenigftens feftzuhalten, von der alten Neligion nicht abzu- 
weichen. Er lehnte fich, indem er fprach, mit feinem linken 
Arm auf die Schultern des Prinzen Wilhelm von Dranien, 
den rechten hatte er auf einen Stab geftügt. Ein Moment 
voll Schickfal und Zukunft! Die Anweſenden wurden von 
dem Gefühl ergriffen, das fich beim Anblick der Vergäng- 
lichkeit menfchlicher Größe und des irdiſchen Dafeyns der 
Gemüther unmiderftehlich bemächtigt; auch dem Kaifer fel- 
ber fliegen die Thränen auf. Nicht das etwa, fügte er 
noch hinzu, thue ihm Leid, daß er die Herrfchaft aufgebe, 
fondern es fchmerze ihn, daß er das Vaterland, worin er 





408 Zehntes Bud. Schstes Gapitel. 


geboren. ‚worden, und ſo viele ergebene Vaſallen verlaſſen 
müſſe; der; Tod. feiner Mutter rufe ihn nach Spanien." 

Auch Königin Maria legte in diefer VBerfammlung das 
Amt einer Negentin nieder. Den andern Tag leiſteten die 
Stände dem neuen Fürſten den Eid der Treue: 

Sogleich ‚aber mußte ſich das begonnene Ereigniß noch 
einen Schritt weiter. zu. feiner letzten Vollendung entwickeln. 

Da widrige Winde und ein Krankheitsanfall der Kai: 
fer an fofortiger Abreife verhinderten, fo wurden die wich: 
tigften Sachen, auch wenn fie z. B. Stalien betrafen, wie 
dem der florentinifche Gefandte den Auftrag hatte den Kai 
fer. von, allem in Kenntniß zu fegen, nach wie vor an ihn 
gebracht. Er wies fie nicht von ſich; da er aber nicht ge 
fund genug war fie zu erledigen, und nur die Antipathien 
und Neibungen. der beiderjeitigen Minifter darüber erwach— 
ten, fo führte dieß zu einer Erifis, aus der die vollfiändige 
Abdankung. hervorgieng- 

An ſich leuchtet ein, daß bei den engen Beziehungen Die 
ſich zroifchen den Ländern des Kaiferg gebildet, eine Trennung 
derfelben in zwei verfchiedene Adminiſtrationen die größten 
Schiierigfeiten darbot. Ganz unüberſteiglich zeigten fie fich 
in einem Augenblicke, wo ein neuer großer Krieg bevorfiand: 
Gegen Ende des Jahres liefen Nachrichten von einem zwi— 
fchen Paul IV, dem König von Frankreich und dem Her 


1. Die legte Wendung berichtet der florentinifche Gefandte. tiber 
die Rede des Kaifers giebt es überhaupt verfchiedene Verſionen, doch 
flimmen fie in allem Weſentlichen überein. Eine der merfwürdigiten 
iſt die des Pontus Heuterus XIV, u. Er begeht allerdings den Feh— 
ler, den faft alle Gefchichtfchreiber theilen, daß er die Verhandlung 
mit den Nittern v. 9. Vl. auch auf den Zöjten feßt. Das kann aber 
feine Glaubwürdigfeit, namentlich über die Außerlichfeiten, nicht ſchwaͤ— 
hen, da er felbft, 20 Jahr alt, der Verfammlung beiwohnte. 








Abdanfung des Kaiſers. (Spanien.) 409 


sog von Ferrara zu einer nenen Vertheilung der italienifchen 
Länder getroffenen Bündniß ein." Man muß bekennen, die 
Minifter Philipps TI hatten nicht Unrecht, wenn fie erklär— 
ten, die burgundiſchen und italienifchen Länder ohne Beihilfe 
der fpanifchen nicht wertheidigen zu Fünnen. Wir Haben un⸗ 
verwerfliche Nachrichten, daß Philipp II, von einigen Sta: 
lienern wie Tornabuoni noch’ befonders angefeuert, dieß ſei⸗ 
nem Vater eines Tages fehr Tebhaft und ernftlich vorge 
ſtellt hat. 

Und sugleich erhob fic) in dem Kaifer, bei dem e8 für 
alle fein Thun eines äußern Anftoßes bedurfte, eine Sehn⸗ 
fucht nach Zurückgezogenheit und Elöfterlicher Büßung, mit 
der er ſich ſchon lange getragen, zu vollem Bewußtſeyn. 

Noc als feine Gemahlin lebte, hatten fie fih wohl 
geträumt, am Ende ihrer Tage, nach abgelegter HerrlichFeit 
der Welt, in ein paar benachbarten Klöftern zu Ieben, er in 
einem Manngconvent, fie unter Klofterfrauen, und dann unter 
dem Altar einer Kirche gemeinfchaftlich begraben zu werden. 

Dei der Rückkehr von dem unglücklichen Unternehmen 
gegen Algier an die fpanifche Küfte bemerkte man, welchen 
Eindruck der Friede, die Einſamkeit und die einfache Lebens: 
weife des erfien Klofters das er antraf, auf ihn machte. 

Im tiefſten Geheimniß vertraute er bald darauf, im 
Jahr 1542, zu Monzon, dem Francisco de Borja feine Ab: 


1. Disp. Fiorentino 4 Genn. 1555 (56). Questa freddezza 
(zwiſchen den beiden Fürften) € nata di poi la venuta del capitano 
Alessandro Tomasi, il quale vuole a tutti i partiti dar ad inten- 
dere a queste MMä ed alli loro ministri, che i Franzesi unita- 
mente col Papa voglion romper la guerra nel reguo (di Napoli). 
Noh war Sicilien als zu Aragon gehörig unter Faiferlicher Ver: 
waltung. 








410 Zehntes Buch. Sechstes Capitel. 


ficht, fich einmal in ein’Klofter zurückzuziehen, mit ausdrück 
lichen Worten an. 

Damals aber hatte ihn der Strom der Ereigniffe nod) 
einmal ergriffen: im Grunde ift dag Meifte was fein An- 
denfen in der Welt unvergeßlich gemacht hat, erft nachher 
gefchehen; er hatte noch einmal den kühnen und großartigen 
Derfuc gemacht, feinen Begriff eines römifch-gläubigen Kai: 
ſerthums zu realifiven; damit aber war e8 nun auch vorbei. 

Was war ihm an der Macht gelegen, wenn fie ihm 
nicht mehr zur Ausführung feiner Gedanken dienen Fonnte? 
As er fih in dem Falle fah, den unbedingten Frieden in 
Deutfchland zwar nicht ausdrücklich beftätigen zu müſſen, 
— niemals hätte er das gefhan, — aber ihm doch auc) 
nicht widerftreben zu Fönnen, meldete er feinem Bruder, daß 
er ihm die Faiferliche Würde überlaffe. Nur in der befon- 
dern Bedeutung wie er das Kaiferthum gefaßt, hatte eg 
Werth für ihn. 

Und dazu Fam noch eine Gewiſſensbedrängniß fehr per- 
fönlicher Art, die jetzt erft hervortaucht. Er befannte, er habe 
Unrecht daran gethan, daß er fich aus Liebe zu feinem Sohne 
nicht zum zweiten Male vermählt habe, und verhehlte nicht, 
daß er darüber in Sünden gefallen fey die er jet büßen wolle, 
um fich vor feinem Ende mit feinem Gott zu vergleichen. ! 

Am 15ten Januar 1556, in einer Verfammlung der 
angefehenften Spanier die fich in den Niederlanden befan- 
den, in Anweſenheit der beiden Königinnen feiner Schwe— 
ftern, übertrug der Kaifer auch die fpanifchen Königreiche 
an feinen Sohn. 

1. Bericht bei Arnoldi Hiftorifhe Denfwürdigfeiten p. 31. 





Abdankung des Katfers. (Das Kaiſerthum.) 411 


Sn allen ſpaniſchen Hauptftädten, auf der Halbinfel 
felbft und in den Wicefönigreichen auf einer andern Hemi- 
fohäre, wurden darauf die Fahnen für den König Don Fe: 
Iipe den Zweiten erhoben: nicht anders als ob König Car— 
108, für fie diefes Namens der Erfte, bereits geftorben fey. 

So raſch und Teicht Fonnte es nun aber mit der Über: 
tragung des Kaiſerthums nicht gehn. 

Wie Ferdinand fpäter erzählt, Tangte unmittelbar vor 
dem Schluffe des Neichstags von 1555 der Faiferlihe Ge 
heimfchreiber Pfinzing bei ihm in Augsburg an: mit der 
mündlichen und fchriftlichen Anzeige, daß Earl das Kaifer 
thum ihm abzutrefen wünfche, und zwar unverweilt: noch die 
damalige Neichsverfammlung follte die Sache zu Ende brin- 
gen. Ferdinand zeigte wie unmöglich dieß ſey, da die Ber 
fammlung noch an demfelben Tage gefchloffen werden müßte, 
und die Sache ohnehin nicht wor den Neichgtag, fondern 
vor die Churfürften gehörte. Er verfichert, er habe alles 
gethan um den Kaifer von diefem Gedanfen zurückzubrin— 
gen: vier Mal nach einander, durch Pfinzing und Gusman, 
dann durch feine Söhne Ferdinand und Maximilian habe 
er ihm Gegenvorfelfungen machen laffen, e8 fen aber alleg 
vergeblich gemwefen. 

Manche wollten vermuthen, Ferdinand habe abfichtlich 
gezögert die Sache in Gang zu bringen, um nicht etwa 
feinem Neffen Gelegenheit zur Erneuerung feiner alten Der: 
fuche zu geben, ? wie denn wenigſtens der Einwand, den 

1. Saiferliher Majeftät Selbftrede, in den Noten der Nefigna- 
tion des Kaiferthums in Hoffmanns Sammlung ungedructer Nach— 
richten p. 27. 

2. Gabrera Felipe segundo p. 31. 








412 Zehntes Bud. Sechstes Kapitel. 


die Ehurfürften machten, daß man nicht fo viele Häupter 
auf einmal haben könne, durch die Abdankung wegfiel. AL 
lein ich, finde davon Feinen Beweis. Noch vor dem Reichs— 
tag hatte der Kaifer feinem Bruder die DVerficherung gege- 
ben, daß feine Abficht nicht dahin gehe: nach feiner Art 
nicht ausdrücklich, aber unzweideutig: daran hielt’ er feft. 

In dem Briefwechfel zwifchen beiden Brüdern in den 
- Sahren 1555 und 1556, fo weit ihn das Brüffeler Archiv 
aufbewahrt, finder fi) überhaupt das alte herzliche Verhält— 
niß wieder, das früher fo lange obgewaltet: war etwas da— 
zwiſchen vorgefallen, fo war das nun fo gut tie vergeffen. 

„Wo ich auch feyn möge," fchreibt Carl am 19ten - 
Detober 1555, zu einer Zeit wo von feiner nahen Abreife 
die Nede war, „immer werdet Ihr in mir meine alte brü— 
derliche Zuneigung finden, und ich will alles dafür thun, daß 
fih unfre Freundfchaft auch unter den Unſern fortfete. 

„Ich darf verſichern,“ antwortet Ferdinand, „daß ich 
nichts mehr wünsche, als in der Unterthänigkeit und brüder- 
fichen Freundfchaft, die ich bisher gegen Ew. Majeftät ge 
hegt, bis ang Ende zu verharren: fo bleibe e8 auch unter 
unferer Nachfommenfchaft: ich werde die Meinen anweiſen, 
daß fie denfelben Weg wandeln.” 

Noch einmal verfichert hierauf der Kaifer feinen Bru- 
der der £iebe die er ihm fchuldig ſey: dag wiſſe Der, der fie 
gefchaffen; ein großer Troft würde e8 ihm geweſen feyn, 
Ferdinand noch einmal vor feiner Abreife zu fprechen. 

Ferdinand fendere wenigſtens Marimilian, der fonft nicht 
in Gnaden geftanden; aber jet ward auch dieß Verhältnig 
ausgeglichen: alle gegenfeitigen Anfprüche wurden freundlich 





Abdanfung des Kaifers. (Das Kaiferchum.) 413 


gehoben, und Maximilian muß geftehn daß er fehr gut be- 
handelt worden fey: 

Sorgfältig vermied der Kaifer jede weitere Theilnahme 
an Gefchäften die mehr als bloße Eangleifachen waren. Zu 
der Neichsverfammlung, die im Juli 1556 in Negensburg 
eröffnet ward, verweigerte er Abgeordnete zu fchicfen, was 
er doc) noch vor dem Jahre gethan, fo daß er jetzt auch 
gar nicht mehr gefragt werden Fonnte. „Sch werde mich”, 
fchreibt Ferdinand, „dem Wunfche Em. Majeftät fügen, und 
im Namen Gottes, fo weit er es mir eingeben wird, die 
Geichäfte führen. Man ficht: e8 ift dag Gefühl des Be 
ginnens, das fich in diefem Briefe ausfpricht: die Leitung 
diefer Verſammlung ift dev Anfang der felbftändigen Reichs— 
verwaltung Ferdinande. 

Endlich, im September 1556 Fam dann auch die Zeit 
wo der Kaifer wirklich von Seeland aus nad) Spanien un- 
ter Segel gieng. Es war eine feiner letzten Handlungen 
in dieffeitigen Landen, daß er eine Gefandtfchaft, am deren 
Spise Wilhelm von Oranien ftand, abordnete, um den Chur: 
fürften feine Versichtleiftung zu Gunften feines Bruders an- 
zufündigen. In der Urkunde find die Ausdrücke, die jede 
Bedingung dabei augfchließen, recht abfichtlich gehäuft. Es 
heißt darin, er trete demfelben dag heilige Neich und römi- 
fche Kaiſerthum ab, ſammt deffen Verwaltung, Titel, Ho: 
heit, Scepter und Krone, mit allen und jeglichen Nechten, 
frei, vollfommen, unwiderruflich). 

Wenn Ferdinand nicht rafcher vorfchritt, ſo liegt das 
nur daran, daß die Dinge in Deutfchland überhaupt lang- 
fam gehn und vor allem gut vorbereitet feyn wollen. 





414 Zehntes Buch. Sechstes Capitel. 


Als die Churfürften zuerfi, doch nur im Allgemeinen, 
Nachricht von dem Vorhaben der Übertragung des Reiches 
erhielten, und zu einer Zufammenkunft deshalb eingeladen 
wurden, fürchteten fie fat, e8 werde nur von der Verwal: 
tung die Rede feyn, und Carl werde fich Titel und Krone 
vorbehalten wollen. | 

Sie urtheilten daß dieß nicht genügen würde, und nicht 
unmerfwürdig find die Gründe die Sachſen und Branden- 
burg, die bei Gelegenheit einer feftlichen Zufammenfunft dar- 
über berietben, dagegen anführen. ! 

Sie meinen, dann Fünne e8 dem Kaifer unter verän— 
derten Umftänden wohl beifommen, die Verwaltung einmal 
wieder zu ergreifen, Truppen ins Neich zu führen, einen Frem— 
den zum Kaifer zu machen, und die Churfürften, die ihre 
Stimme dazu nicht geben wollen, mit Gewalt zu erdrücken. 

Oder im Gegentheil, wenn dag nicht gefchehe, der Kat 


fer nur den Namen führe und nicht das Amt verwalte, ſo— 


könne der Papfı daher Anlaß nehmen, die Eaiferliche Krone 
auf Frankreich, wie er ohnehin wünſche, zu übertragen. 
Überhaupt aber müffe wo möglich der Gefahr ein Ende 
gemacht werden, daß der König von Frankreich durch feine 
Kriege mit dem Kaifer veranlaßt gegen das Neich um fid) 
greife: Teiche Eönne derfelbe fonft den Rheinftrom gewinnen. 
Wir fehen wohl, diefe ganze Combination, nach wel 
cher ein Fürft, deffen Macht auf außerdeutſchen Verhältniſ— 
fen beruhte, die Krone inne hatte, und dadurch entweder, 
wenn er ſtark und mächtig war, die Freiheit des Reiches 
gefährdete, oder wenn er dag nicht war, die Grenzprovin 


1. Berathſchlagung fächfifcher und brandenburaifcher Näthe. 
1557. (Berl. Arch.) 


NW 


asien 


ER — 





Churfürftenverfammlung zu Sranffurt. 415 


son dem gewaltfamen Umfichgreifen feiner Feinde ausſetzte, 
wünſchten fie abgeftellt zu fehen. Eine Übertragung der Ber: 
waltung verwarfen fie nur als unvollftändig: aus demfelben 
Grunde aber waren fie fehr geneigt die Verzichtleiſtung an— 
zunehmen. 

Eine Zeitlang war die Mahlftatt der Verfammlung zwei— 
felhaft. Ferdinand wünſchte einen den Erblanden bequem 
gelegenen Dit, etwa Eger oder auch Ulm, die Churfürften 
beharrten auf dem fir die Wahlhandlungen durch dag Her— 
kommen feftgefegten Frankfurt; darüber ward dann weitläuf— 
tig hin und her gefchrieben, und e8 dauerte bis in den An— 
fang des Jahres 1558, ehe man — und zwar eben in 
Sranffurt — zufammenfam. 

Am 25ſten Februar 1558 hörten die Churfürften das 
Anbringen des Prinzen von Oranien, der fich entjchuldigte, 
daß fein Beglaubigungsichreiben von fo altem Datum fey. 

Da der Antrag mit den Münfchen die fie hegten zu- 
fammentraf, jo fiel jeder Widerfpruch weg. Sie ergriffen 
nur die Gelegenheit, durc) die von dem römischen König zu 
beſchwörende Eapitulation den zulegt getroffenen Neichgein: 
richtungen eine neue Feftigfeit zu geben. 

Noc einmal wurde hier der zu Paſſau vorgelegten Be 
fchwerden gedacht: wir finden fie aufs neue Punct für Punct 
von den churfürſtlichen Räthen begutachtet; allein wenn man 
ſich ſchon in Augsburg überzeugt hatte, daß die meiſten durch 
die dort beſchloſſenen Einrichtungen von ſelbſt erledigt wor— 
den, ſo war das jetzt, da Würde und Verwaltung des Kai— 
ſerthums auf immer an Ferdinand übergiengen, noch mehr 
der Fall: — man hielt fr hinreichend, fie demſelben, wie 


416 Zehntes Buch. Schstes Capitel. 


fie waren, zu übergeben, damit er felbft fehen möge, was 
davon noch abzuftellen ſey. 

In der Eapitulation dagegen ward nun die Verpflichtung 
auf die Neichsbefchlüffe des Jahres 1555 überall, wo die 
Gegenftände derfelben in Erwähnung Famen, fo nachdrücklic) 
wie möglich eingefchalter. Ferdinand gelobte, den Religions: 
frieden forwohl als den Landfrieden und deffen Handhabung, 
wie fie im Jahr 1555 aufgerichtet worden, und Die dort zu 
Stande gekommene revidirte Kammergerichtsordnung ftät und 
feft zu beobachten. Er verfprach nichts dagegen weder felbft 
zu verfügen, noch fich von einzelnen Ständen bewilligen zu 
zu laffen, noch auch anzunehmen wenn e8 ihm bewilligt 
würde. Alle frühern Neichgordnungen follten nur gültig 
feyn, in fo fern fie mit den Beſchlüſſen vom Jahre 1555 
übereinſtimmen. 

Am Uten März 1558 beſchwur zuerſt Ferdinand in Ge 
genwart ſämmtlicher Churfürften in der Ehurcapelle der Bar: 
tholomäusfirche diefe Capitulation; hierauf fegte ihm der Erz— 
cammerer des Neiches, Churfürft Joachim IL, die goldene 
Krone auf; dann begaben fie fich ſämmtlich auf eine dort 
vor dem hohen Chor aufgerichtete Bühne. Inden fie fich 
bier nach althergebrachter Ordnung niedergelaffen: zur Nech- 
ten des Kaifers Mainz und Pfalz, zur Linken Cölln, Sad) 
fen und Brandenburg, vor ihm Trier, — die Unterämter 
von Pfalz und Sachfen, Seldeneck und Pappenheim, ſtan— 
den mit Neichsapfel und Schwert vor Ferdinand, Joa 
chim II hielt das Scepter felbft in feiner Hand, — fliegen 
von der andern Seite eine breite Brücke welche die Kirche 
mit der Bühne verband, die Bevollmächtigten Carls V, der 





7 


Shurfürftenverfammlung zu Sranffurt. 417 


* Prinz von Dranien und der Vicecanzler Seld hinauf. Seld 
verlag die Faiferliche Vollmacht und die Urkunde der Ceſſion; 
Dr Jonas die der Annahme von Seiten Ferdinand, Die 
denn hauptfächlich enthielt, daß er mit dem Rathe der Chur- 
fürften, den er fich erbat, zu regieren gedenfe. Hierauf ward 
König Ferdinand ald erwählter römischer, Kaifer proclamirt. 
Im Namen der Churfürften begrüßte ihn der Erzcanzler deg 
Reiches: im Namen der Neichsfürften, Die ſich fehr zahlreich 
eingefunden, Ehriftoph von Würtenberg; Ferdinand ‚gelobte 
ihnen ihre Privilegien zu halten. Man ſah, daß fich Ale, 
welches auch ihre religiöfen Meinungen feyn mochten, ‚wie: 
der als eine Einheit fühlten, auf dem Grunde des von kei— 
ner Fünftigen dogmatifchen Seftfegung abhängigen immerwäh— 
renden Friedens. Der Gottesdienft mit welchem fie die Feier: 
lichFeit befchloffen, war fo eingerichtet, daß die Einen und 
die Andern demfelben beiwohnen Eonnten. 

Man fühlte, daß es auch außerhalb der dogmatifchen 
Gegenfüße etwas gebe was doch auch Neligion ſey, ob- 
gleich es fich nicht fo leicht ausfprechen ließ; bauptfächlich 
aber fah man, daß jenfeit der Fragen über Mein und Dein, 
die daraus entfprungen, und aller damit zufammenhängen- 
den politifchen Sjrrung, noch etwas Gemeinfames liege, was 
man fchlechterdings fefthalten müffe, die Idee des Neiches. 
Carl V hatte in dem Kaiferthum ein ihm zugefalleneg, von 
ihm perfönlich geltend zu machendes Necht gefehen: jet Fam 
daffelbe wieder an die Gemeinfchaft der Fürften zurüc. In 
jenem Verzeichniß der Beſchwerden wird der Begriff des hei: 
ligen Neiches feſtgehalten; es wird als ein folches bezeich- 
net, das auf dem Wege freier Wahl fich felbft und der gan- 

Ranfe D. Geh. V. 27 


418 Zehntes Bud. Sechstes Capitel. 


zen Chriftenheit, ein meltliche8 Haupt zu feßen habe, und 
nach den alten Nechten und Herfommen, mit Wiffen Mil 
len und Nath der Stände zur regieren ſey.! Man faßte 
dabei fehr gut die doppelte Beziehung der innern Ordnung 
und des Außern Nanges, auf denen e8 beruht, die mit ein- 
ander gegründet worden, nicht an die Perſon, fondern an 
die Gemeinfchaft geknüpft waren, und die man nicht fallen 
laffen durfte. Ein jeder fühlte wohl, daß er außerhalb die: 
fer Bereinigung nur wenig bedeute. 

Beſonders waren die fechs Churfürften davon durch 
drungen. ; 

Gleich bei der Einladung zu einer perfünlichen Zuſam— 
menfunft hatten Sachfen und Brandenburg den Gedanken ge 
faßt, diefelbe zur Erneuerung des Churfürftenvereing zu be 
nutzen, der lange Zeit die vornehmfte Macht im Neiche gebil- 
det. Sie waren der Meinung, auch dag frühere Anfehen des 
Collegiums laſſe fich mwiedergeminnen, wenn es nur in allem 
sufammenhalte, was die Wohlfahrt des Neiches und die 
eigne Hoheit anlange. ? 

Es fam ihnen hiebei zu Statten, daß die Erinnerung 


1. „Nachdem das heil. Reich deutfcher Nation ein frei reich ift 
— das aus feinen eignen Gliedern durch frei ordentliche wal der Chur— 
fürften ein weltlih haupt zu erfiefen hat, welches haupt gleichwol in 
fachen daffelbig Neich belangend, vermöge der gulönen bull, und al— 
tem berfommen nad, mit Wiffen Willen und Kath der Stände und 
fonderlich der ſechs Churfürften als der vornehmſten Glieder regieren 
fol.” Kurker Bericht etlicher gemeiner auch fonderbarer befhwerungf 
des heil. reichs deutfher Nation — allein zu weiterm Nachdenfen 
und Erinnerung geftalt. (Archiv zu Berlin.) 

2 „Und wurden die Faif. u. Fön. Mt, wan fie fehen, das die 
Ehurfürjten fich wiederum freundlich zufammenbielten, und in dem 








Churverein von 1558. 419 


an die alten Nechte durch ein neues Verdienft wieder be 
lebt worden war. Wie wir fahen, waren die Einrichtun- 
gen des Neichstags von 1555 in alle dem worin man fich 
vereinigt hatte, das Werk des Churfürftenratheg. 

In dem neuen Vereine nun, der wenige Tage nach dem 
Acte der Nenunciation, am 18ten März, zu Stande Fam, 
gelobten die Ehurfürften vor allem, über diefen Ordnungen 
zu halten und einander zu Hülfe zu Fommen, wenn einer 
von ihnen „dem Frieden in Religions: oder Profanfachen zu: 
wider angegriffen werden follte. Bei dem Entwurf der Ca— 
pitulation hatten fie fich das Necht vorbehalten wollen, nur 
in ihrem eigenen Mathe zu deliberiren, nicht zu einem Aug: 
ſchuß aus beiden Näthen genöthigt zu werden, — was in der 
legten Berfammlung ihnen und der gemeinen Sache fo vor: 
theilhaft geiwefen war; — Ferdinand hatte jedoch aus Nück 
ficht auf das Fürftencollegium Bedenken getragen dieß zu 
genehmigen: fie halfen fich dadurch, daß fie in dem Der: 
eine übereinkfamen, zu einem folchen Ausschuß niemals ein: 
zuwilligen. Mit befonderm Nachdruck verpflichteten fie fich, 
einer den andern nicht etwa um der Neligion oder der Ce: 
vimonien willen von den Wahlen auszuſchließen, dazu un: 
fähig zu achten. Sie betrachteten fich fortwährend als bie 
vorderften Glieder des römifchen Neiches; auch nachdem die 
Hälfte von ihnen fich von der römifchen Kirche getrennt 
hatte: in ihrer Gefammtheit als die Säulen des Neiches 
und der Ehriftenheit. Sollte ſich Jemand, wer auch im- 


das des h. reichs wolfahrt und ire ſelbſt hurfürftlihe Würde und 
Hochheit anlangete, vor einen man flunden, ungezweifelt vil under: 
wegen laffen.” 


24” 





420 Zehntes Bud. Sechstes Capitel. 


immer, unterwinden, daß heilige Neich der deutjchen Nation 
zu entziehen und auf eine andre zu übertragen, fo wollen 
fie fic) gemeinfchaftlich dagegen fegen, Feiner foll den an— 
dern verlaffen. Das ſchwören fie einander, alle in der von 
den Protefianten angenommenen Formel, bei Gott und dem 
heiligen Evangelium. ! 

In diefer Urkunde finden fic Ausdrücke die an den 
früheften Churverein vom Jahr 1338 erinnern: ein fpäferer, 
von 1446, wird darin ausdrücklich erwähnt, die goldene 
Bulle zu wiederholten Malen. Wie wir bemerften daß alle 
feit Friedrich III verfuchte Neichgeinrichtungen durch die Ber 
fchlüffe von 1555 vollendet und erft recht feftgeftellt wur— 
den, fo gab e8 dem neuen Zuftand der fich in deren Folge 
bildete, noch eine befondere Gewähr, daß die Erneuerung 
der churfürfilichen Macht fich damit verband, deren Wur— 
zeln im noch bei weitem ältere Zeiten zurückreichen. 

Freilich Fonnte fih nun auch Niemand wundern, wenn 
der Nepräfentant der in den hierarchifchen Jahrhunderten 
gebildeten Nechtgläubigkeit und geiftlich-weltlichen Gewalt, der 
römifche Papft, fich dieſen Dingen widerſetzte. 

Paul IV hafte ohnehin das Haus Öftreich, dem er 
das Emporkommen der proteftantifchen Meinungen zufchrieb; 
er Eonnte Ferdinand nicht vergeben, daß unter feinen Aufpt- 
cin ein NeichSabfchied zu Stande gekommen mar, wie der 
augsburgifche von 1555. „Was Fönne”, heißt e8 in einem 
feiner Schreiben, „dem Eatholifchen Glauben Widermärtigeres 


1. Neuefter gemeiner Verein aller Churfürften, unter andern bei 
Gerftlaher Handbuch der Neichsgefege IV, 511. ©. erinnert, daß 
1745 Böhmen und Hannover in den Verein aufgenommen wurden. 





Paul IV und das Neid. 421 


begegnen, als was dort in Augsburg befchloffen worden.’ ! 
Der römifche Hof hat ihn niemals anerkannt. 

Eben fo lief e8 aber allen Begriffen Pauls IV von 
der päpftlichen DOberhoheit auch über dag Kaiferthum entge— 
gen, daß Carl V demfelben entfagte, ohne mit ihm darüber 
Nückfprache genommen zu haben, und zwar in die Hände 
der Churfürften, nicht in die feinen. Er erklärte die ganze 
Entfagung für null und nichtig: für nicht minder ungül— 
tig die darauf erfolgte Wahl: die von Kegern, ja von Hä— 
vefiarchen vorgenommen worden. Er äußerte Zweifel felbft 
über die perfönliche Befähigung Ferdinandg, der da lebe wie 
Eli, und fich nicht darum Fiimmere, daß fein Sohn Mari: 
milian den Abtrünnigen beigetreten fey.? Den Gefandten 
Ferdinand, Martin Gusman, wollte ex lange Zeit nicht fer 
ben: bei Nacht fey er gekommen, rief er aus, bei Nacht 
möge er fich entfernen; nachdem Gusman eine Zeitlang in 
Tivoli gewartet, ward er endlich zwar vorgelaffen, aber nur 
als Privatmann, und um die Einwendungen zu hören, welche 
eine Congregation von Cardinälen gegen dag Verfahren der 
Deutfchen erhob.” Der römifche Hof ftellte die Forderung 
auf, der neue Kaifer folle zuerft auf feine Würde wieder 
Verzicht leiften und erwarten was der Papft alsdann ver 
ordnen werde. 

So weit war e8 nun doch im Neiche gekommen, daf 
fih Niemand um diefen Widerfpruch befümmerte. E8 war 


1. An den Bifhof von Paſſau 13 Dec. 1555. Bei NRainal: 
dus 22, 134. 

2. Babou au roi de France 11 Juin 1558 bei Ribier II, 746. 

3. Dal. die Erzählung von Nores, das Driginal aller fpäteren, 
bei Bromato Vita di Paolo IV Bd II, 431. 





422 Zehntes Bud. Sechstes Capitel. 


eine Zeit gewefen, wo die Zürften auf den Wink des Pap- 
fies zu neuen Wahlen fchritten: jeßt waren fie alle, geift- 
liche wie weltliche, in der Abficht einverftanden, das Anſe— 
hen des Neiches gegen denfelben aufrecht zu erhalten. Viel 
Worte darüber zu wechfeln, fchien nicht einmal nöthig. Nur 
der Kaifer ließ durch den Reichsvicecanzler Seld eine Wir 
derlegung der päpftlichen Anfprüche ausarbeiten. ' Vielleicht 
das Merkwürdigfte darin ift, daß auch das Intereſſe des 
Neiches zu einer ausdrücklichen Verwerfung der päpftlichen 
Satzungen aus den let vorhergegangenen Zahrhunderfen no: 
thigte.“ So ernftlich der Kaifer und fein Canʒler ſonſt an 
der hergebrachten Kirchenlehre feſthalten, ſo ſehen ſie ſich doch 
auf ihrem Standpunct endlich zu einer Oppoſition getrieben, 
die eine gewiſſe Verwandtſchaft mit dem erſten Auftreten des 
Proteſtantismus hat. Die ganze politiſche Entwickelung des 
Reiches wäre nun einmal ohne Gegenſatz gegen das Papft- 
thum gar nicht möglich gewefen. Wie die Churfürften, fo 
mußte jest auch der Kaifer auf die Zeiten Ludwigs des 
Baiern zurückkommen. Aventins Darftellung derfelben und 
Lupold von Babenberg find für Seld eine große Autorität. 

Während diefer Srrungen lebte nun Earl V fchon längft 
in dem Zufluchtsort den er fich auserſehen. 


1. Die Beichwerden und Anmuthungen des Papſtes ergeben ſich 
aus diefem „ausbündigen treweiffrigen Rathſchlag“ beim dritten und 
vierten Yunct p. 189 und 195 beffer als aus den bei Goldaft p. 166 
vorhergehenden apoeryphen Artifeln. 

2. „Wan E.M. fonften gemeynet ift die alten heiligen Cano- 
nes zu halten und bei denfelben zu bleiben, fo dürffen Sie Sich die 
neuen parteiifchen Bäpft Decretales nicht befümmern laffen, quia ta- 
lis est extravagans illa, unam sanctam.“ Seld bei Goldaft Poli— 
tifche Neichshändel p. 185. 


I 


i 
I} 











Letzte Tage Carls V. 423 


In Efiremadura, in der Vera von Placencia, die den 
alten Ruf gefunder Luft genießt, in der Mitte von Daum: 
pflanzungen, die von frifchen Duellen und Bächen vom Ge: 
bivge belebt find, liegt dag Hieronymitenklofter Juſte, dag 
damals aus zwei Kloftergebauden und einer Kirche beftand, 
an dem Abhang eines Hügels der es vor den Nordwinden 
fhüst, in vollfommener Einfamfeit. Dahin hatte fich der 
Kaiſer fogleich nach feiner Ankunft in Spanien begeben. 

Man dürfte nicht glauben daß er ein Klofterbruder ge 
worden ſey. Er wohnte nicht in dem Klofter, fondern an 
der Kirche war ihn ein eigenes Haus erbaut; unfern davon 
waren Wohnungen für feine Dienerfchaft eingerichtet, die 
noch den ganzen Apparat einer regelmäßigen Hofhaltung dar: 
ſtellt.“ Auch ift ein Irrthum, anzunehmen, daß er aller Theil: 
nahme an den Gefchäften entfagt habe. Mit feinem Sohne 
ftand er in unausgefeßtem DBriefwechfel, und diefer bat ihn 
noch zuweilen, die Gewalt wiederzuergreifen: in Spanien un: 
ternahm er noch einiges auf eigne Hand. Unter andern finde 
ich, daß er nach dem Tode König Johanns III von Portugal 
im 5. 1557 jenen Francisco de Borja, der damals in den 
Sjefuiterorden getreten war, nad) Liffabon fehickte, unter dem 
Scheine einer Bifitation dortiger Collegien, aber in der That, 
um zu bewirken, daß in die neue Huldigung der junge Don 
Carlog, fein Enkel, aufgenommen werde. ? Der Unterfchied 


1. Aus den Legaten feines Teftamentes lernt man die Mitglie- 
der derfelben Fennen, — eine ganze Anzahl Kammerdiener, befondre 
Diener für die Fruchtfammer, Obftfammer, Lichtbefchließerei, Auf: 
bewahrung der Kleider, der Juwelen, meiftens Niederländer, jedoch 
unter einem fpanifchen Oberhofmeifter Luis Quirada. Der Leibarzt 
und eine Apothefe fehlten nicht. 

2. que desejava que Portugal jurasse condieionalmente na 


424 Zehntes Buch. Sechstes Kapitel. 


gegen früher lag befonders darin, daß er nicht von laufenden 
Gefchäften bedrängt war und Feine Negierungspflicht mehr 
hatte. Er Eonnte der Einfamkeit und Nuhe, nach der ihn 
verlangte, fo viel er wollte genießen. Seine Umgebung 
hatte Befehl, Feine Befuche anzunehmen, und in dem Klofter 
war es fo ftill, als wäre er nicht anmefend. Oder vielmehr, 
e8 ward noch ftiller durch ihn: er bemerfte mit Mißfallen, 
daß zumeilen Frauen an die Pforte Famen und mit den 
Mönchen redeten: auf feinen Wunfch ward es abgeftellt. 
Man hatte dafür geforgt, daß der Blick aus feinen Zimmern, 
der über die Kloftergärten hinführte, durch nichts Fremd: 
artiges geftört wurde. Sein Vergnügen war, wenn er fich 
wohl befand, nach einer Kleinen ein paar Armbruftfchüffe 
entfernten Einfiedelei zu luftwandeln, unter dem Schatten 
dichtgepflanzter Caſtanienbäume, welche vor der Sonne diefeg 
Himmels ſchützten; zumeilen machte er den Weg auf einem 
Saumthier, endlich war ihm auch dieß unmöglich. Beſonders 
gern wohnte er dem Gefange in der Kirche bei, wie er denn 
Geſchmack und Unterfcheidungsgabe für die Muſik befaß; 
die Dbern des Ordens haften nicht verfäumt, ihre beften 
Stimmen in dem Klofter zu verfammeln. Seine Wohnung 
war im eine folche Verbindung mit der Kirche gefeßt, daß 
er in den Tagen der Krankheit den Gefang und die Feier 
der Meffe in feinem Schlafzimmer hören Fonnte. 

Und fo hoffte er wohl, dag Ziel feiner Tage in tiefem 
Frieden zu erreichen. Jedoch vergeblih. So lange der 


falta del rey D. Sebastian por sucesor de coroa ao prineipe 
D. Carlos su neto. Barbofa Machado Memorias para a historia 
de Portugal. que comprehenden o governo del rey D. Sebastiao 
1736. 





Reste Tage Carls V. 425 


Menſch noch athmet und lebt, kann er fich dem Kampfe der 
Elemente nicht entziehen, welcher die Welt bewegt. Auch 
in diefer Abgefchiedenheit ward Earl V von den ihm, feit 
fie den Umſturz feines Glückes veranlaßt, erſt recht verhaß- 
ten neuen Meinungen erreicht. Plötzlich entdeckte man kleine 
Gemeinen proteftantifcher Tendenz in Valladolid und Se 
villa." Auguſtin Cazalla, der während des fchmalfaldifchen 
Krieges um ihn geweſen und noch in Juſte vor ihm gepre: 
digt, wies fich felbft als ein Lutherifch-gläubiger aus. Der 
Kaifer war darüber betroffen, ja erfchüttert. Am Ende fei- 
ner Tage mußte er erleben, daß ein Mann der fein Gewiſ— 
fen eine Zeitlang geleitet, die Meinungen bekannte, mit de: 
nen ev fein ganzes Leben gekämpft hatte. In feinem legten 
Codicill, nur zwölf Tage vor feinem Tode, ermahnt er noch 
feinen Sohn und die fpanifche Negierung auf dag dringendfte, 
bie Ketereien in ihrem Keime zu unterdrücken. Doch feheint 
es faft als habe er an menfchlichen Mitteln verzweifelt. Er 
betete nur noch für die Einheit der Kirche: „in deine Hände, 
o Herr," hörte man ihn fagen, „habe ich deine Kirche über: 
geben. U? Er ftarb in dem Gedanken der fein Leben aug:- 
gemacht: 21 Sept. 1558. 

Für eine Kirche von politifch-religiöfer Einheit, die ganze 
abendländifche Welt umfaffend, wie er fie gedacht, war Fein 
Raum mehr in Europa. Der Gedanke felbft ift niemals wie 
der fo Iebendig in die Seele eines Menfchen gekommen, wie 
Carl V ihn hegte. Schon genug, wenn die füdlichen Na: 
tionen fich der vordringenden Bewegung nur felber erwehr: 


1. MErie Gefhichte der Reformation in Spanien p. 252. 


2. In manus tuas tradidi ecelesiam tuam. Sandoval I, 834. 


426 Zehntes Buch. Sechstes Capitel. 


ten: von den nördlichen einmal in der Abweichung begriffe: 
nen war Feine Rückkehr zu erwarten. 

Und beruht denn die Einheit der Chriftenheit wirklich 
fo ausfchließend auf dem gleichen religiöfen Bekenntniß? 

Gere ich nicht, fo hat fie fich auch unter den Gegen: 
fäsen behauptet, die doch die gewonnene Grundlage nicht 
verleugnen können, fich unaufhörlic auf einander beziehen, 
einer ohne den andern nicht zu denken find. Zuletzt ift der 
gleichartige Fortfchritt der europäifchen Eultur und Macht 
an die Stelle der Firchlichen Einheit getreten. Was diefe 
verloren hatte, das Übergewicht über die Welt, ift durd) 
jene im Laufe der Jahrhunderte wiedererworben worden. 

Wie weit übertreffen die göttlichen Gefchicke menfchliche 
Gedanken und Entwürfe. 

Noc nicht zwei Monat nach Carl farb Maria von 
England, und die proteftantifchen Tendenzen, die nur durch 
die VBoraugficht ihres baldigen Todes vom Ausbruch zurück 
gehalten worden, raten nun in neuer Kraft, durch die Prü— 
fung die fie beftanden, erſt des nationalen Geiftes recht mäch- 
fig getworden, hervor. Königin Elifaberh beftieg den Thron, 
und die Herrfchaft des Papſtthums hörte auch in England auf. 

In Deutfchland bemerften die evangelifchen Fürften auf 
der Stelle, wie viel das auch für fie zu bedeuten habe. Aus 
ihren Briefen ergiebt fich, daß fie ehr wohl die Verſtär— 
fung wahrnahmen, die dag von ihnen ergriffene Syſtem da— 
durch erhielt. 











Siebentes Capitel. 


Fortgang und innerer Zuftand des Proteftantismus, 


Wenn man im funfzehnten Jahrhundert wirklich der 
Meinung geweſen ift, wie man denn viel davon gefprochen 
hat, daß fich das Anfehen und die Macht des alten Kaifer- 
thums in Europa wieder herftellen laffe, fo war e8 dahin 
nun freilich nicht gekommen. 

Vielmehr hatte die Verbindung des Neiches mit einem 
über zwei Welten hin mächtigen Kaifer, wie Earl V, nur 
neue DVerlufte nach fich gezogen. 

Die Siege welche die Deutfchen mit den Spaniern in 
Verbindung in Italien erfochten, führten doch nur dahin, 
daß die eröffneten Neichslehen, auf deren Erträge man wohl 
einft die Verwaltung des Neiches zu gründen gedacht, an 
den Prinzen von Spanien übergiengen und von Deutfchland 
vollends loggeriffen wurden. Die Niederlande bildeten zwar 
dem Namen nach noch einen Kreis des Neiches, aber in 
ihrer innern Verwaltung waren fie von den Anordnungen 
der Reichsgewalten vollfommen unabhängig; daß der Kai- 
fer Geldern und Utrecht in Befiß genommen, war für dieſe 
ein eigentlicher Verluſt. Und dabei war der Kaifer doch in 


428 Zehntes Buch. Siebentes Capitel. 


feinem Kriege mit Frankreich zulegt der Schwächere geblieben, 
fo daß der Einfluß der Franzoſen in Lothringen überwog, und 
die Grenzlande der franzöfifchen Zunge, Die fo viele Jahrhun— 
derte hindurch behauptet worden, geradezu verloren giengen. 
Wohl gelang es König Philipp dem IL, kurz darauf das 
Gleichgewicht zwifchen beiden Mächten herzuftellen; Frank 
reich mußte fich entfchließen alle feine Eroberungen heraus: 
zugeben; nur die behielt e8, die es über das Reich gemacht. 
Die Eidgenoffenfchaft und Böhmen mit feinen Nebenlanden, 
obwohl Glieder des Neiches, waren niemals in die Kreife 
deffelben eingezogen. Wie hätte man daran denken Fönnen, 
die im funfzehnten Jahrhundert von Polen losgeriffenen preu- 
fifchen Landfchaften wieder herbeisubringen? In dem Über 
refte derfelben, dem öftlichen Ordenslande, hafte man das 
einzige Mittel, eine gewiſſe Selbftändigfeit für beffere Zei- 
ten zu retten, darin gefehen daß man fich unter einem erb- 
lichen Fürften der polnifchen Krone freiwillig anfchloß. Daß 
die Liefländer fich nicht zu einem’ ähnlichen Schritte ver: 
einigen Fonnten, mußte bald ihre völlige Entfremdung zur 
Folge haben. 

Der vornehmfte Grund von alle dem lag darin, daß 
die Begriffe von Kaifer und Neich nicht mehr in einander auf: 
giengen. Wir bemerften oft, daß gerade der Kaifer, felbft im 
Zenith feiner Macht, die forgfältigften Vorkehrungen traf, 
feine Erblande von den Einwirkungen des Neiches zu be 
freien. Dagegen wollten auch die Stände nicht zu einem 
Anhang der großentheild auf fremdartigen Weltverhältniffen 
beruhenden Eaiferlichen Macht werden. Während in allen 
benachbarten Ländern die erbliche Gewalt fortfchriet und zu 








1 








Einwirf. des Proteft. auf d. Neichsverfaffung. 429 


Unternehmungen nach außen erftarfte, brach in Deutfchland 
ein MWiderftreit zwifchen dem Oberhaupt und den Ständen 
aus, der mit der Abdanfung des Erften endigte. Wir wiſ— 
fen, daß die Unruhen von 1552 nicht von den religiöfen 
Srrungen allein herrührten, fondern nicht weniger durch den 
Widerwillen der in ihrer Autonomie gefährdeten Neichgftände 
gegen das Auffommen einer durchgreifenden oberherrlichen 
Gewalt veranlagt wurden. Glück genug, daß man in den 
Stürmen und Verwirrungen jener Tage nicht noch größeres 


Mißgeſchick erfuhr, daß nicht, wozu es ſich einen Augenblick 


wohl anließ, der Gegenſatz eines franzöſiſchen und eines Fat: 
ferlich - fpanifchen Anhangs Deutſchland geradezu in zwei Par⸗ 
feien serfeßte. 

Und waren wohl überhaupt jene Verfuche die Neiche- 
verfaffung zu verbeffern, dazu angethan, demfelben eine ftarfe 
Stellung nach außen zu verfchaffen? Was auch dann und 
wann beabfichtige worden feyn mag: die Einrichtungen zu 
denen es wirklich gekommen ift, waren doch nur friedlicher 
Natur. Der Kaifer ward als die Duelle des Nechts, als 
der Ausdruck und Inbegriff der Würde und Hoheit des 
Reiches verehrt; Macht aber follte ihm von Anfang nicht 
gegeben werden: diefe follte allein in der Vereinigung der 
Stähde ihren Sit haben. 

Was fih auf diefem Grunde erreichen ließ, war nun 
doch erreicht worden. 

Eiferfüchtig hatte man den Vorrang feftgehalten, der 
dem Reiche in dem Verein der abendländifchen Völker von 
jeher zufam und auf welchem das Verhältniß der Stände, 
die Abftufung ihrer Macht und ihres Ranges nun einmal 


430 Zehntes Bud. Siebentes Capitel. 


beruhte, und demfelben ſogar eine feftere unabhängige Aner: 
fennung verfchafft. Der Anfpruch der Päpfte, über dag Neich 
zu verfügen, entlud fih nur noch in Worten: in der Sache 
felbft erfchien er matt und Fraftlog. 

Überhaupt war den Einwirkungen des römifchen Stuhls, 
der früher, felbft in weltlicher Beziehung, eine wahrhafte Ge- 
walt im Reiche augmachte, eine Grenze geſetzt worden. Oder 
follte e8 heutzutage Jemand geben, dem e8 als ein Nach: 
theil erfchiene, daß päpftliche Legaten nicht ferner deutfche 
Neichstage eröffneten, der römische Hof nicht mehr zur Be 
ftätigung von Zöllen, zur Schlichtung von Nechtshändeln 
herbeigezogen wurde, noch Contributionen in Form des Ab: 
laſſes augfchreiben durfte? 

Wir Eönnen fagen: die Gedanken deg viersehnten Jahr: 
hunderts, wie fie dem älteften Churfürftenvereine und der 
goldnen Bulle zu Grunde liegen, und das Beftreben des 
funfzehnten, an die Stelle der Willkührlichkeiten, welche der 
Faiferliche und der päpftliche Hof von der Ferne her aus: 
iibten, wobei fie doch den eingeriffenen Gewaltfamkeiten nicht 
im mindeften feuern Eonnten, Ordnung Friede und Necht 
einzuführen, waren jet erft vollzogen; die urfprünglich beab- 
fichtigte ftändifche Verfaffung war in großen — J— und 
friedebringenden Conſtitutionen befeſtigt. 

Es liegt am Tage, daß das Emporkommen der prote— 
ftantifchen Meinung an allen diefen Dingen den größten An- 
theil hatte. Zu der Oppofition gegen das Papſtthum gab 
fie zugleich Berechtigung und weiteren Antrieb. Dem Kai— 
ferthum, dem fie am fich nicht entgegen war, mußte fie fich 
doch wegen feiner Verbindung mit der geiftlichen Macht wi: 
derfegen. Erſt unter ihrem Einfluß kamen Landfriede, Kam: 














Einwirk. des Proteft. auf d. Neichsverfaffung. 431 


mergericht, Executions⸗ und Kreiseinrichtungen zu bleibender 
Geftalt; mit dem Neligiongfrieden zufammen bildeten fie ein 
einziges zufammenhängendes fchügendes Spftem. Wer es 
nicht annahm, gehörte nicht mehr in vollem Sinne des Wor: 
fe8 zum Neiche. 

Dadurch gefchah nun aber wieder, daß die profeftan- 
tifche Entiwicfelung fortan unter dem Schutze der Reiche: 
gemeinfchaft ftand. Das Neich hatte fich verpflichtet, Feiner 
Verdammung der Evangelifchen, die etwa das Concilium 
ausiprechen möchte, Folge zu geben. 

War e8 nicht ein allgemeiner Gewinn, daß die hierar- 
hifche Macht, die alles weltliche und geiftliche Leben der 
Nationen nach ihren einfeitigen Gefichtspuneten zu leiten dag 
Recht zu haben glaubte, endlich einen unübermwindlichen Ge- 
genfaß gefunden hatte? ES war das Werf des eigenthim: 
lich deutfchen Genius, der jetzt zuerft auf den Gebieten des 


ſelbſtbewußten Geiftes fchöpferifch eintrat, und ein Moment 


der großen welthiftorifchen Bewegung zu bilden anfieng. 

Und dieß gefchah nun nicht allein, ohne daß die große 
Inſtitution des Neiches, in melcher die Nation feit fo vie, 
len Sahrhunderten lebte, verlegt worden wäre, fondern mit 
einer inneren DBefeftigung feiner ftändifchen Ausbildung. 

Es iſt fchon gefagt worden, und hat eine unzweifel— 
hafte Wahrheit, daß die Neichsgefchichte, in die fich feit dem 
Abgang der großen Häufer des alten Kaiſerthums niemals 
alle Kräfte recht zufammenfaffen, erft wieder ein großes In— 
tereffe gewinnt, feitdem die religiöfe Neuerung fich erhob. 
Man befchäftigte fich wieder mit einer Angelegenheit die aller 
Anftrengung und Aufmerkfamkeit würdig war. Einen Augen- 
blick hatte es den Anfchein, als follte die Neuerung alle Ele 


432 Zehntes Bud. Siebentes Capitel. 


mente durchdringen und den vollen Sieg behalten. Da das 
nicht gefchah, fo war menigftens ein Glück, daß fie dazu 
beitrug, den allgemeinen Einrichtungen feftere Formen zu ge: 
ben. Auf den beiden Gegenfägen und ihrem Verhältniß be: 
ruhte fortan das Neich. 

E8 lag nun alles daran, fremde Einwirkungen, ſey es 
der Meinung oder des Intereſſes, nicht wieder eingreifen 
und das Ebengegründete zerfprengen zu laffen. Dann Fonn- 
ten die geiftigen Momente die dag Neich enthielt, die althifto- 
rifchen, die feiner Bildung zu Grunde lagen, und die neuen 
den Fortgang der Entwickelung bedingenden, fich in friedli- 
chen Beifammenfeyn noch inniger durchdringen. 

Noch fchritt dag proteftantifche Element unaufhörlich fort. 

Was Churfürft Friedrich von der Pfalz zwar unternom- 
men, aber doch nicht mit woller Entfchiedenheit ausgeführt, 
die Neformation der Nheinpfals, davon ließ fich deffen Nach— 
folger, Dttheinrich, durch Feine Nückficht abhalten. Eifaffi- 
fche und mwürtenbergifche Theologen wirften dabei zufammen : 
bei der Neformation der Univerſität Heidelberg ward Me 
lanchthon zu Nathe gezogen. 

Den deutfchen Fürftenhäufern, die bereits in fo großer 
Mehrzahl die Sache der Neform ergriffen, gefellte fich im 
Sahr 1556 auch Baden beiz Markgraf Earl von Baden: 
Durlach fah befonders dahin, daß feine neue Kirchenordnung 
den nachbarlichen gleichförmig ausfiel. Diele Priefter alten 
Glaubens nahmen fie an. 

Und da wo die Fürften zögerfen, ergriffen die Stände 
dieſe Angelegenheit. Im Frühjahr 1556 ward Herzog Al 
brecht von Baiern durch die beharrliche Weigerung der welt 














Verhaͤltniß Eatholifcher Landesfürften. 433 


lichen Mitglieder des Landtags vorher auf feine Propofitio- 
nen einzugehn, genöthigt, den Genuß des Abendmahls un: 
ter beiderlei Geftalt und die Straflofigfeit der Übertretung 
der Faftengefeße zu bewilligen. Das Verfprechen das er 
gab, fo viel an ihm fey, dafür zu forgen daß dag Wort 
Gottes durch taugliche Seelforger im Sinne der apoftolifchen 
Kirche verkündet werde, ließ die weitefte Auslegung zu, fo 
unbeftimmt auch die Worte gewählt waren. ! 

Durch ähnliches Andringen der Stände ward auch Kai: 
fer Ferdinand in demfelben Jahre bewogen, die General: 
mandate, durch die er dem Gebrauch des Kelches im Abend: 
mahl / und andern Abweichungen Einhalt zu thun gedroht 
hatte, fürs Erfte einzuftellen und die Zugeftändniffe, die in 
Böhmen und Mähren unmiderruflich geworden, jeßt auch 
in den öftreichifchen Herzogthümern eintreten zu laffen. In 
Schlefin gab er auf, die von Fürften und Ständen vor: 
genommenen Veränderungen rückgängig zu machen. 

Es wäre eine Täufchung geweſen, hätte man die Ein- 
willigung des römischen Hofes zu diefen Schritten erwarten 
wollen. Mit heftigen Scheltworten empfieng Paul IV den 
clevifchen Abgeordneten Mafius, der im Juli 1556 nach 
Nom gekommen war, um einen verwandten Antrag zu ma- 
chen." Er ergoß fich in Ausrufungen über die Undankbarkeit 
der Deutfchen gegen die Kirche, welche doch dag Kaiferthum 
von den Griechen auf fie übertragen habe; der Abfall der 
Nation werde verurfachen, daß ihr durch die Türken eben fo 
gefchehe, wie diefe einft den Griechen gethan. 


1. Freiberg Landftände II, 330. 
2. Maftus Bericht vom Aten Juli. „Darauf fy (paͤpſtl. Hei 


Ranke D. Geſch. V. 28 


434 Zehntes Buch. Siebentes Capitel. 


Diefe Fürften mußten fogar in Bezug auf ihre altgläu- 
bigen Unterthanen fich felber helfen. Man kennt die Strenge, 
mit welcher Herzog Wilhelm von Eleve feine Nechte bei der 
Beſetzung der Pfarrftellen fefthielt und Feinerlei Eingriff ei- 
ner fremden geiftlichen Jurisdiction in feinem Lande geftat- 
tete; ' feine Edicte haben allen fpätern Negierungen zur Norm 
gedient.” Oſtreich und Baiern Tagen mit den Bifchöfen. der 
Didcefen, zu denen ihre Landfchaften gehörten, in unaufhör— 
lichem Hader. Auf den Synoden zu Salzburg 1549 und 
1550, zu Mühldorf 1553, erhoben die Geiftlichen laute Kla- 
gen, daß man ihrer Gerichtsbarkeit nicht achte, ihre Smmuz 
nitäten verleße, ihnen ungewwohnte Laften auflege. Die Für- 
ſten vertheidigten fich damit, daß fie den Bifchöfen Vernach— 
läßigung ihrer geiftlichen Pflichten Schuld gaben. * Es blieb 
dabei, daß in den weltlichen Gebieten die Firchlichen Angele— 
genheiten hauptfächlich unter dem Einfluß fürftlicher Näthe, 
nur mit Zusiehung eines und des andern ergebenen Elerifers 
verwalter wurden. Wenn man die Unterfuchungen über an- 
gedliche Wiedertäufer anfieht, die in Baiern noch dann und 
ligfeit) von Stund an mit vielen und heftigen worten, als die fich 
etwas entjeß, mir geantwort, ſolches fey nicht zuzulaffen. 

1. Er habe „leinene Sädfe aufhenfen laffen, worin diejenigen, 
fo der geiftlihen Jurisdietion halber etwas anzubringen unternehmen 
würden, — als proditores patriae erfäuft werden ſollten.“ 

2. Laspeyres Verfaffung der Fatholifhen Kirche Preußens p.195. 

3. Auszüge aus den gewechfelten Schriften bei Bucholtz VII, 
208. Sugenheim 207. 218. „So fein,” fagt Ferdinand 1549, „die 
geiftlihen folcher ihrer geiftlihen Necht, Gemwaldt3 und Gerichts: 
zwangs, — fonderlich in unfern Erblanden — gar nicht in Gebrauch; 
— halten für billig, das diej. Saien, fo de erimine heresis, sacri- 
legii, falsi, simoniae, usurarum, adulterii, fractae pacis et perjurü 
in Verdacht oder überwunden, nindert anderfiwohin als von der 


weltlichen Obrigfait gerechtfertigt und geftraft und kainswegs für die 
gaiftlih Dbrigfait gewifen oder gezogen werden follten.” 








Verhaͤltniß Eatholifcher Landesfürften. 435 


warn vorfommen, fo findet man, daß folche von den ber- 
soglichen Neligionsräthen veranlagt, von einer Provinsialre- 
gierung und dem Pfleger eines Fleinen Bezirks geführt wer: 
den ohne alle eigentliche Theilnahme der bifchöflichen Ge- 
walt, der man nur zuletzt einen als fchuldig betrachteten 
Priefter zu canonifcher Strafe ausliefert. ! 

Nicht fo durchaus verfchieden wie e8 fcheinen follte, ift 
das Verhältniß der weltlichen Fürften der alten Kirche zu 
den Bilchöfen von dem, das fich in den Landfchaften der 
augsburgifchen Confeſſion bildete. Nur eriwehrte man fich 
bier der bifchöflichen Jurisdiction vollftändig und mußte daran 
denken fie andermweit zu erfegen. Mir dürfen nicht verfäumen, 
auf dieſe Seite des Ereigniffes noch einen Blick zu werfen. 


Grundzüge der proteftantifchen Kirchenverfaffung. 


Wie der alte Zuftand des mittelalterlichen Staates auf 
einem Zufammenwirfen der geiftlichen und. weltlichen Gewalt 
beruhte, fo entfprang die Neuerung zunächft Daher, daß, alg 
die Bifchöfe die Anhänger Iutherifcher Lehren zu beftrafen 
verfuchten, die Fürften ihnen dabei ihren weltlichen Arm 
nicht mehr lieben. Dieß allein reichte hin, der bifchöflichen 
Jurisdiction, welche bisher, 5. B. in Sachfen, ziemlich be 
fchwerlich gefallen, ein Ende zu machen. Die Erzprieſter 
und Diaconen, oder Officialen und Commiſſarien, durch welche 
fie bisher ausgeübt worden, und die, da fie mit ihrer Ein- 
nahme an die Sporteln verwiefen waren, fich felten ein Ver⸗ 
gehen hatten entfchlüpfen laſſen, erfchienen nicht mehr. 

1. Winter Gefhichte der Baierifhen Wiedertäufer p. 83. 

28 * 


436 Zehntes Buch. Siebentes Capitel. 


Nachdem aber diefes ganze Syſtem gefallen, fah man 
doch auch, daß es etwas Gutes gehabt hatte und nicht ganz 
zu entbehren mar. 

Man trug Bedenken, Ehefachen, die bisher einen fo be 
deutenden Zweig der geiftlichen Jurisdiction gebildet, geradezu 
an bie weltlichen Gerichte zu überweifen, weil der Nichter, 
wie die Theologen oftmals wiederholen, darin dem Gewiſ— 
fen rathen müſſe. 

Ferner bedurfte der geiftliche Stand, der früher jede 
Unbill die er erfuhr, als ein Verbrechen gegen die allgemeine 
Kirche geahndet, jetzt eines andern Schutzes : über Beleidi⸗ 
gungen der Patrone oder der Pfarrer hatte er nicht felten 
zu Flagen. 

War aber nicht für diefen Stand felber Aufficht nö— 
thig? Gar bald fanden fic auch unter den proteftantifchen 
Predigern Leute, die ein unordentliches Leben führten, oder 
in der Lehre ihrem Gutdünfen nachhiengen: unmöglich Fonnte 
man fie gewähren laffen. 

Endlich forderten öffentliche Lafter ein Einfchreiten auch 
von Firchlicher Seite heraus; der gemeine Mann, der fonft 
alle Fahr fünf, fehs Mal vor den Official citirt worden 
war, und jeßt nichts mehr von demfelben hörte, mußte auf 
eine andre Weiſe in Zaum gehalten werden. 

Anfangs war nun der Gedanke, einen Theil diefer Be: 
fugniffe und Pflichten an die Pfarrer und Superintendenten 
übergehn zu laffen, an jene den Bann und die Ehefachen, 
an dieſe Auffiht und Schuß. E8 finden ſich Citationen, 
welche Luther im Namen des Pfarrers von Wittenberg in 
ganz juriftifcher Form erlaffen hat. 

Allein bald zeigte fich, daß dieß nicht augreiche. Die 











Proteſtantiſche Kirchenverfaffung. 437 


Pfarrer waren doch der weltlichen Angelegenheiten nicht Fun; 
dig genug, um nicht zuweilen groben Betrügereien ausge: 
fett zu feyn, und in den geiftlichen vielleicht nur zu heftig. 
Hauptfächlich aber, e8 fehlte ihnen an allem Nachdruck, al- 
ler Zwangsgewale. ! ; 

Und woher follte diefe auch überhaupt genommen, wor— 
auf begründee werden? 

Man Eonnte fie nicht aus dem päpftlichen Necht her: 
leiten, das man verwarf, noch aus der alten Praris, die 
wieder auf dem Nechte beruhte. Auch ließ fich nicht ein 
Gemeinwille der Mitglieder der Kirchengefellfchaft nachwei— 
fen, die noch lange nicht hinreichend von dem Prinzip durch 
drungen zum großen Theil erft zu unterrichten, ja zu zäh— 
“ men waren und noch regiert werden mußten. Es fehlte 
der neuen GeiftlichFeit an einem zu Recht beftehenden Grund 
ihrer Jurisdiction. 

Die Wittenberger Theologen fühlten diefen Mangel fo 
lebhaft, daß fie endlich Johann Friedrich baten, ihnen ei- 
nen Commiffar zu geben ; einen rechtsverftändigen Mann, 
der die Jurisdiction aus unmittelbarem Auftrag des Für: 
fien ausübe. ? 


1. Sn dem hauptfählih von Bugenhagen und Jonas herruͤh— 
renden Bedenfen der Theologen heißt es: „die Pfarrer feyen erm— 
lih verforgt und mit andern fachen ufgehalten: die Superintenden» 
ten haben feine Erecution, feine Gewalt zu citiren, Fein Einfommen 
um nur die Boten zu lohnen.‘ 

2. „Derfeldig muft ein wolgefchiefter mann fein, gelehrt in jure, 
und auch in der h. Schrift; derfelbige fol die JZurisdiction haben aus 
Befehl ane mittel des landesfürften.” Bedenfen der Theologen. Fer: 
ner „Hochvonnöthen gewiffe Confiftoria aufzurichten, do die Judices 
Befel und Gewalt hetten, rechtlich zu citiren, auch Urtel Straf und 
Buß ufzulegen und entlich erecution zu thun.“ 


438 Zehntes Bud. Siebentes Capitel. 


Die große Wendung für die Verfaffung evangelifcher 
Landegfirchen liegt darin, daß Johann Friedrich fich entfchloß, 
dieſe Bitte zu erfüllen. | 

Sch denfe wohl: er war dazu hinreichend befugt. Die 
alten Neichsjchlüffe hatten die einzelnen Landfchaften, in de 
nen eine allgemeine Verwirrung ausgebrochen war, ermäch- 
tigt, für fich felber Ordnung zu treffen. Schon haften die 
fächfifchen Landftände, im Frühjahr 1537 in einem größern 
Ausschuß verfammelt, wahrfcheinlich auf Antrieb des Canz- 
lers Brück, die Errichtung einiger Firchlichen Behörden, die 
fie Confiftorien nannten, in Antrag gebracht, hauptfächlich zu 
den Ehefachen und dem Schuß der Pfarrer; und e8 war be 
fchloffen worden, diefelben aus dem GSequeftrationsfends zu 
befolden. Johann Friedrich entfprad) dem Auftrag des Nei- 
che, dem Begehren der Stände, dem dringenden Anfuchen 
der Theologen ſelbſt, wenn er feine landesfürfiliche Macht 
zur Gründung eines fefteren Eirchlichen Zuftandes anwandte. 
Er fette das Confiftorium aus zwei weltlichen und zwei geift: 
lichen Mitgliedern zufammen, die er als feine Beauftragte 
in Kirchenfachen, wie er e8 ausdrückt, als „feine von der 
Kirchen wegen Befehlshaber“ bezeichnet. Sie follen in den 
durch ein beigefchloffenes Gutachten der Theologen beftimm- 
ten Fällen — eben in den oben angegebenen — die Defug- 
niß haben, feine Unterthanen vorzubefcheiden, Verhör zu hal⸗ 
ten, Unterfuchung zu führen, und wofern e8 nöthig, rechtlich 
zu verfahren. Alle Amtleute, Schöffer, Vögte, in den Städ— 
ten die Näthe weift er an, dag zu volkiehen, was diefelben 
verfügen oder erkennen werden. ! | 


1. Gopei hurfurftlihen Gwalts und Vollmadts: den Commif: 
farien des Gonfiftorii gegeben: undatirt, von anderer Hand mit der 











Proteftantifche Kirchenverfaljung- 439 


Einft hatten die Bifchöfe die weltliche Macht zu ver: 
drängen gewußt, zumeilen ganze Didcefen zu Fürſtenthümern 
umgewandelt. Jetzt trat in weltlichen Gebieten die umge: 
Eehrte Entwickelung ein: die fürftliche Macht dehnte ihre Ju: 
risdiction über geiftliche und gemifchte Fälle aus, die bisher 
ein geiftliches Forum gehabt. 

Die Theologen fanden, daß eine folche Ausdehnung dem 
urfprünglichen Begriffe der Obrigkeit, wie er in der h. Schrift 
vorliege, nicht allein vollfommen entfpreche, fondern durch 
Diefelbe vorausgefet, gefordert werde. Durch Stellen des 
alten und des neuen Teftaments bewiefen fie, daß die Obrig- 
Feit auch in geiftlicher Beziehung Schuß gewähren und das 
Böſe beftrafen müffe. ! 

Das hängt auch damit zufammen, daß die Neforma- 
toren Die Kirche nicht mehr in den Bifchöfen, dem geiftlichen 
Stande fahen, fondern eine Iheilnahme der Laien, nament: 
lich der angefehenften, an ihren Gefchäften für zuträglich und 
nothwendig hielten. 

An einen Gegenfaß der verfchiedenen Stande war hier 
nicht zu denken, da alle vereinigt, nur ein und eben daffelbe 
Ziel hatten. Die fürftliche Autorität war nicht zu entbeb- 
ven, um die Firchliche Ordnung wieder aufzurichten. Dod) 
hätte fie allein nicht vorfchreiten können; fie bedurfte der 
Mitwirkung der Geiftlichen, und zwar aus dem eigenen, von 
feinem Auftrage des Fürften ſtammenden Prinzipe derfelben. 


Sahrzahl 1538 bezeichnet; ferner ein Schreiben des Churfürften, Creuz⸗ 
burg Donnerftag nach Dorothei (11 Febr.) an die eben bezeichneten 
Mitglieder. (Weim. Arch.) 

1. Eine Stelle Eſaiaͤ 49 „die Könige werden der Kirchen Naͤh— 
rer feyn” mag nun wohl diefen Sinn urfprünglich nicht haben: man 
verftand fie aber in aller Aufrichtigfeit nicht anders. 


440 Zehntes Buch. Siebentes Lapitel. 


Auch an andern Stufen follten die beiden Zweige concurri- 
ren. Bei der jährlichen Bifitation aller Kirchen des Bezir- 
feg, die dem Conſiſtorium aufgetragen ward, follte fich daf- 
felbe in den Städten mit zwei Mitgliedern des Raths und 
zweien von den Vorſtehern des gemeinen Kaſtens, in den 
Dörfern mit den Älteſten oder einigen Mitgliedern der Ge— 
meinde vereinigen, um Wandel und Haushalt des Pfarrers 
zu prüfen; mit Herbeisiehung des Pfarrers felbft follte dann 
das Betragen der Gemeine unterfucht werden. Kein Mit: 
glied follte Lafter dulden, durch welche der Zorn Gottes über 
die Menfchen Fomme. i 

Denn dabei blieb man immer, daß die Kirche ein gött— 
liches Inſtitut fey, welches durch ein Zufammentvirfen aller 
Kräfte aufrecht erhalten werden müffe. 

Die weltliche Gewalt erbot fich, den Übelthätern, „als 
die ihren Taufbund verleugnen,” ihr Handwerk zu legen, alle 
bürgerliche Gemeinfchaft zu unterfagen. 

Das erfte Confiftorium trat in Wittenberg im Februar 
1539 zufammen. Es beftand aus den Theologen Juſtus 
Sonas und Johann Agricola, und aus den Juriften Kilian 
Goldftein, der anfänglich beftimmt war den Vorſitz zu füh— 
ven, e8 aber abgelehnt hatte, und Baſilius Monner; war 
aber noch fehr formlos. Es fehlte fogar an einem Amts: 
fiegel: die Mitglieder mußten fich bei der Ausfertigung ihrer 
Petſchafte bedienen. Eine eigentliche Inſtruction erfolgte erſt 
1542, ' die denn zugleich für zwei andre Confiftorien, die in 

1. Conſtitution und Articul des hurf. geiftl. Conſiſtorii zu Wit: 


tenberg in Sachſen ao 42 aufgericht. (Weim. A.) Darin wird denn 
auch der Bann fehr ausdrücklich gebilligt. 


BL." Aa 














Proteſtantiſche Kirchenverfaſſung. 441 


Zeiz und in Saalfeld errichtet werden ſollten, beſtimmt war: doch 
fehlte viel, daß alles fogleich ins Werk gefegt worden wäre. 

War doch überhaupt der ganze Zuftand noch provifo- 
rifch. Bei der erften Augficht auf eine allgemeine Neforma- 
tion im Neiche erklärten fich die proteftantifchen Fürften be 
reif, diefe Eirchliche Surisdiction den Bifchöfen zurückzugeben, 
vorausgefeßt daß die Neinheit der Lehre gewahrt, und ein 
ähnliches Inſtitut wie das Confiftorium unter bifchöflicher 
Autorität eingerichtet würde. 

Davon erfolgte jedoch, tie wir wiffen, das Gegentheil. 
Das Interim war auf eine vollftändige Herftelung der Hierar- 
chie des Neiches abgefehen: bei aller Vorficht, mit der «8 
ſich ausdrückte, neigte e8 doch fo überwiegend zu dem Sinne 
der alten Kirche, daß dieſer nothwendig den Sieg hätte da- 
von fragen müffen. 

In Bezug auf die Verfaffung ward dag Interim felbft 
da wo man fonft dazu geneigt war, nicht ausgeführt. So 
fehr man fich in den morigifchen Landen der Faiferlichen $or- 
mel annäherte, fo Fonnten doch die Bifchöfe auch hier die 
Drdination, die mit einer Prüfung in Eatholifchem Sinne ver: 
bunden geweſen wäre, nicht wiedererlangen. 

Wie viel weniger war daran zu denken, nachdem die 
ganze Kraft der Eaiferlichen Anordnungen gefallen war! 

Auf einer Zufammenkfunft fächfifcher und heffifcher Theo: 
logen zu Naumburg, im Mai 1554, der von den Oberlän- 
dern Sleidan beitvohnte, ward der Befchluß gefaßt, auf die 
frühern Einrichtungen definitiv zurüchufommen.' Man er 


1. Relation der Verhandlungen im Convent zu Naumburg. 
Corp. Ref. VII, 282. Neudecker Neue Beiträge I, 102. 


442 Zehntes Buch. . Siebentes Capitel. 


Härte e8 für unmöglich, die Ordination den Bifchöfen zu 
überlaffen, von denen die rechte Lehre nach wie vor verfolgt 
werde, und befchloß diefelbe den Superintendenten zu über: 
weifen, bei denen fie denn auch fortan geblieben ift. Etwas 
ganz anders war e8 in England, wo das große national. 
Firchliche Snftitut, — bei allem Wechfel den es durchmachte, 
doch in fich felbft unangerafter, — zulett das evangelifche 
Spftem in feinen Grundlehren annahm; und doch hat aud) 
da die Beibehaltung der Vorrechte des Bisthums den hef— 
figften Widerſpruch hervorgerufen. In Deutfchland hätte 
man an die Mpfterien des Ordo wohl niemals wieder ge 
glaubt. Man behielt nur den einfachen Nitus der Hand: 
auflegung bei, wie man das Vorbild davon in der Schrift 
fand, und trug dafür Sorge, daß der Ertheilung diefer 
Weihe immer erft Unterweifung und Prüfung vorangieng. 
Die Eonfiftorien traten wieder in ihre urfprüngliche Geltung 
ein. Die Theologen erfuchten nur die Fürften, ihre Amt: 
leute zu unnachfichtiger Erecution der gefaßten Decrete an— 
zumeifen: fie miederholten aufs neue, daß die Erhaltung 
diefes Inſtitutes ein Gortesdienft fey, der in dag Amt der 
Zürften gehöre. 

Auch hatte es jeßt von Seiten der Gegner damit Feine 
Gefahr mehr. Auf der VBerfammlung zu Augsburg im Jahr 
1555 befchloß das Neich, daß den Bifchöfen in den zur 
augsburgifchen Confeffion übergetretenen Gebieten Fein An— 
fpruch auf die Zurisdiction mehr zuftehe. Es Fam gleich: 
fam auf die im Jahr 1526 ausgefprochene Delegation zu— 
rück, und beftätigte, was in Folge derfelben gefchehen war. 
Seitdem feßte fich denn die Confiftorialverfaffung überall 




















Proteftantifche Kirchenverfaffung. 443 


und auch da durch, wo man bisher die bifchöflichen For: 
men beibehalten hatte. - Sie beruht auf einer Vereinigung 
de8 neuen geiftlichen Prinzipes und der Landeshoheit, die 
dem Ereigniß wie es ſich nun einmal vollgogen hatte, voll 
fommen entfpricht. Die Geiftlichfeit hätte fich ohne dag 
Fürftenthum nimmermehr behaupten können; diefes dagegen 
erlangte durch eine ergebene GeiftlichFeit eine Ausdehnung fei- 
ner Befugniffe, welche auch in Eatholifchen Ländern gefucht, 
aber doch nicht in fo vollem Maaße erreicht werden Eonnte. 

Freilich waren damit auch wieder bei weiten größere 
Schwierigkeiten verknüpft. Es war mur erft ein Grund ge 
legt, ein Anfang gemacht, und fchon folte man die bedeu- 
tendften, weitausſehendſten Irrungen erledigen. 

Bon der Lehre war die Abfonderung von der alten Kirche 
und die Einrichtung eines neuen Gemeinweſens ausgegan- 
gen: nichts konnte widriger und bedenklicher feyn, als daß 
man fich über die Lehre wieder entzweite. 


Theologiſche Gtreitigfeiten. 


Vor dem fchmalfaldifchen Kriege herrfchte in der pro: 
teftantifch -theologifchen Welt ein ziemlich allgemeiner Friede. 
Wohl war Fury vorher der alte Ingrimm Luthers gegen die 
fchweizerifche Meinung noch einmal aufgeflammt, ? eine Ber 


1. Melanchthon findet folgenden Wortheil. „Mo Konftftoria 
find, fagt er, da iſt nicht einer allein gewaltig, fondern die Sachen 
muͤſſen durch etliche erfahrne Perfonen bedacht werden und alsdann 
an die Herrfchaft gebracht, die folches auch weiter bedenken kann.“ 
Bedenfen vom Synodo 1558. 

2. Calvin, Expositio consensionis capitum: ex sopitis car- 
bonibus subinde micabant scintillae. 


444 Zehntes Bud. Siebentes Capitel. 


wegung aber war daraus nicht mehr entftanden. Der Ztwing- 
lianismug, wie ihn Bullinger bekannte, war wie berührt da- 
mals in fehr enge Grenzen eingefchloffen; die deutfchen Kir: 
chen hielten an der Wittenberger Concordie feft. Eine Eleine 
Veränderung, ! die Melanchthon in dem Wortlaut der augs⸗ 
burgifchen Eonfeffion vorgenommen, ward ihm wenigſtens 
auf der evangelifchen Seite noch nicht zum Vorwurf ge 
macht. ? Abweichende Meinungen regen fic) dann und 
warn, wie des Eisleber Agricola oder Oſianders in Nürn- 
berg: fie wurden aber leicht beichwichtigt. Die hohe Schule 
zu Wittenberg, die jedoch bei ſchwierigen Fragen niemals 
verſäumte auch andre angeſehene beſonders practiſche Theo— 
logen herbeizuziehen, bildete eine Autorität, vor der ſich alles 
beugte. In ihr ſelber ließen ſich zwar verſchiedene Richtun— 
gen unterſcheiden, die ſich an die Sinnesweiſe der beiden 
großen Lehrer, Luther und Melanchthon, knüpften, allein ſie 
traten vor einem höheren Einverſtändniß zurück. Ein un— 
vergängliches Denkmal dieſer Gemeinſchaft der ſpätern Jahre 
iſt Die neue Ausgabe der Bibelüberſetzung, bei der Melanch— 
thon, Eruciger, Öugenhagen und mehrere Sjüngere den Doctor 
Luther, jeder mit feiner befondern Kunde unterftügten, und die 
nun nicht wie in den erften Zeiten in Form einer Flugfchrift, 
fondern als ein Codex göttlicher Wiffenfchaft der deutfchen Na- 


1. Urfprünglich hieß e8: docent, -- quod corpus et sanguis 
Christi vere adsint et distribuantur vescentibus in coena domini 


et improbant secus docentes; — fpäter: docent, quod cum pane 
et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus 
in coena domini. ı 


2. Luther billgte beim Wiederabdruck älterer Streitſchriften in 
der Sacramentsfahe die Weglaffung anzüglicher und beleidigender 
Stellen. Salig Gef. der Augsb. Conf. III, 











Univerfitat Wittenberg. 445 


tion dargeboten wurde. Auch fonft übte diefe Univerfität ei- 
nen unermeßlichen Einfluß aus. Die ganze deutfche Nation, 
von Liefland big nach Öftreich auf der einen, und nach Bra- 
bant auf der andern Seite, fchickte ihre Jugend zu den Fü— 
Ben der Wittenberger Lehrer. Wittenberg war feit Bologna 
und Paris die erfte felbftändige hohe Schule die es gab: 
feine Colonie mehr, wie die früheren gewefen. Eher konn⸗ 
ten die Fleineren profeftantifchen Univerfitäten als Pflansftät- 
ten von Wittenberg gelten, von wo aus fie großentheils be: 
fest worden waren. Wenn man fich hier nur verftand, fo 
brauchte man übrigens Feinen Zwiefpalt zu fürchten. Der 
Eid den die zu Wittenberg creirten Magifter ſchwuren, fich 
in fireitigen Fragen bei den Älteren Raths zu erholen, war 
darauf berechnet, unreife Meinungsäußerungen und daraus 
zu beforgenden Ziviefpalt zu verhüten, wenn er auch nicht 
darauf gieng, wie ihn einige verftehn wollten, als follten die 
wittenbergifchen Lehrer immer zuerft gefragt werden. 

Wenn die Dinge in diefem Gange geblieben wären, 
fo hätte fich wohl eine ruhige Weiterbildung der Lehre in 


1. Im Sahr 1540 finden wir 448, 1541 461, 1542 594, 
1543 503, 1544 814, 1545 556, 1546 748 Snferipti. Die große 
Maffe der Studirenden gaben die naͤchſten Landfchaften, Meißen, 
Thüringen, Sranfen, Brandenburg, Heffen; fehr regelmäßig finden 
wir unter den Snferibirten auch Liefländer und Preußen, ferner 3.2. 
im Sahr 1544 35 Schlefter, 15 Pommern, 11 Hamburger, im Fahr 
1543 7 Weſtphalen, 5 riesländer, 4 Cölfner; und diefen Norddeut— 
fhen gefellten fih dann die Oberdeutfchen und Nheinländer in ziem— 
lich gleicher Anzahl bei: im Jahr 1543 finden wir 10 Augsburger 
und noch 6 andre Schwaben, 2 Straßburger, 3 von Speier: Franf- 
furt und Nürnberg erfchienen jedes Jahr mit einer Anzahl Inferiptio: 
nen, eben fo Oftreih, auch die Stadt Wien. Schweizer, Holländer, 
Brabanter find doch immer Einige. 


446 Zehntes Buch. Siebentes Capitel. 


den Puncten wo fie noch nicht genügte, namentlich in dem 
Artikel vom Abendmahl, wo die Grundfäge der Wittenber- 
ger Concordie noch nicht recht durchgearbeitet, zur Allgemein: 
gültigkeit erhoben waren, erwarten laffen. 

Aber die großen Ereigniffe, der fchmalfaldifche Krieg 
und was demfelben folgte, unterbrachen auch hier den na 
türlichen Lauf der Dinge. 

Mir gedachten oben der interimiftifchen Händel. Die 
. Metropole der evangelifchen Doctrin, in den Bereich der vor: 
dringenden Neftaurationsverfuche gezogen, ließ fich zu Annähe⸗ 
rungen herbei, die im Drange des Augenblicks allenfalls ent- 
fehuldigt, niemals aber die allgemeine Norm werden Font: 
ten. Sie mußten vielmehr Denen ein Greuel feyn, die um: 
ter perfönlicher Gefahr ähnlichen Anmuthungen widerſtan— 
den, Flucht und Verbannung vorgegogen hatten, und auc) 
Die zurückftoßen, die von der vordringenden fiegreichen Ge 
malt nicht erreicht worden waren. Melanchthon gerieth un- 
ter dem Einfluß einer provinziellen Politik in eine. einfeitige 
Stellung, in der er aufhörte „den Wagen Iſraels“ zu Ienfen. 

In feiner unmittelbaren Nähe brach ihm darüber Wir 
derfpruch aus. Ein junger Lehrer der hebräifchen Sprache, 
Matthias Vlacich von Albona, genannt Flacius, — der einft 
im Klofter von den Schriften Luthers angeregt, diefen per- 
ſönlich aufgefucht, und fich, nicht ohne den Zufpruch deffel- 
ben, unter heftigen inneren Bedrängniffen, von der Nechtfer- 
tigungslehre allein durch den Glauben durchdrungen, ihre heil- 
dringende Kraft am fich erprobt hatte, — wollte nicht mit 
anfehen, daß man fich in diefem Hauptartikel jeßt wieder 
dem alten Syſteme annähere. Da er jedoch weder mit fchrift: 











Theologifhe Streitigkeiten. (Flacius.) 447 


lichen noch mit mündlichen Erinnerungen bei feinen Lehrern 
Eingang fand, fo entfernte er fich lieber aus Wittenberg, und 
begab fich nach den Gegenden wo man von den Wermitte- 
Iungsverfuchen noch unberührt geblieben war. In Magde 
burg vereinigte er fich mit Amsdorf, der fein Bisthum ver 
loren hatte, und die DVerfuche feiner frühen Collegen, fich 
mit den Feinden zu verföhnen, denen er weichen müffen, wohl 
nicht anders als verdammen Fonnte: und mit Nicol. Gallus, 
der deg Interims wegen von Negensburg ausgewandert war: 
von Hamburg ber Fam ihm Weftphal, bei dem er fich erft 
Raths erholt hatte, zu Hülfe. Noch befonders durch jenen 
Brief an Carlowitz gereist, trugen fie endlich Fein Beden— 
Een, den allgemeinen Lehrer in offenen Schriften anzugrei- 
fen. Sie zogen die Differenzen ang Licht, die man früher 
zu berühren vermieden, und erklärten die Zugeftändniffe, zu 
denen fi) Melanchthon widerfirebend hatte bewegen laffen, 
für eine abfichtliche Abtrünnigkeit. Daß er bei der Lehre 
von der Rechtfertigung durch den Glauben das Wort „allein! 
tweggelaffen, oder den Papft nicht mehr geradezu für den 
Antichrift erflären wollte, fehien ihnen eine Anbahnung zu 
neuer Unterwerfung unter das alte Syſtem. in theologi- 
fcher Krieg brach aus, der dag Getümmel der Waffen mit 
feinem Geräufche durchbrach. 

Nachdem wir die Nettung des großen Prinzipes betrach- 
tet, was unfre Aufgabe war, wollen wir nicht diefe Ent 
zweiung im Einzelnen verfolgen, — faffen mir nur auf, wo— 
von hauptfüchlich die Nede war. 

Die erſte Streitigkeit betraf den Artikel über Glauben 
und gute Werke. 


448 Zehntes Buch. Siebentes Capitel. 


Es Fonnte Niemand mehr beifommen, unfer Heil von 
den gebotenen Firchlichen Merken herzuleiten, oder die Erwer⸗ 
bung deffelben damit in Verbindung zu feßen. 

Dann aber machte die Ausdrucksmweife, die man in der 
evangelifchen Kirche beibehielt, daß gute Werke zur Seligkeit 
nicht nöthig feyen, allerdings ein Mißverftändniß möglich, 
welches in jenen Tagen unter dem Volke öfter hervorgetre- 
ten ift, als ſey fchon der hiftorische Glaube an das My: 
fterium der Erlöfung zur Geligkeit hinreichend. Die Be 
haupfung, die Lehre mache dadurch fichere und rohe Leute, 
gab den Gegnern wieder Waffen in die Hände, und ohne 
Nugen wäre e8 nicht gewefen ihnen jeden Grund dazu zu 
enfreißen. 

Dahin eigentlich gieng die Abficht Majors und Ofian: 
ders, deren Doctrinen die Fehde, die fonft mit dem Interim 
felbft hätte aufhören müffen, aufs neue belebten. 

Georg Major, ein Schüler und freuer Anhänger Me 
lanchthons, blieb bei dem practifchen Gefichtspunct ftehn, 
und Iehrte, Niemand ſey noch felig geworden durch böfe 
Werke, Niemand werde e8 ohne gute Werke. Er mar 
der Meinung, die Wiedergeburt bringe fo unfehlbar gufe 
Werke hervor, wie die Sonne Licht und Wärme verbreite; 
und fo fprach er die Lehre aus: gute Werke feyen zur Se 
ligfeit ohne allen Zweifel nothwendig. 

Obgleich fi) Oſiander gegen die Wittenberger Schule, 
deren Autorität ihn früher zumeilen bejchränft hafte, na- 
mentlich gegen Melanchthon und deffen Anhänger, die Phi— 
lippiften, in heftigen Widerfpruch warf, ! fo gieng doch feine 

1. Nur follte man nicht immer wieder fagen, daß der Neid des 

















Iheologifche Streitigkeiten. (Dfiander.) 449 


Meinung eben dahin: nur daß er fie tiefer ergriff, und nicht 
ohne Anklang an die deutfche Myſtik und die faulerifchen 
Lehren, von denen auch Luther einft ausgegangen, entfchie- 
dener ausbildete. Das Eigenthümliche feiner Meinung: ift, 
daß er, an dem Mittleramt Chrifti und der Lehre von der 
Genugthuung durch deffen Leiden und Sterben fefthaltend, 
doch den Artikel von der Erneuung und Heiligung, die er 
mit dem Worte Nechtfertigung begeichnete, ftärfer hervor: 
bob als es gewöhnlich gefchah, und zu größerer Bedeu: 
tung auszubilden fuchte. Er war mit dem Begriffe von der 
Einwirkung des heiligen Geiftes nicht zufrieden, indem diefe 
nichts als ein creatürliches Leben wirfe und nur uneigent 
lich als ein Einwohnen Gottes bezeichnet werden könne: 
er lehrte vielmehr, daß die Gottheit in ihrer Fülle in De: 
nen wohne welche lebendige Glieder Chrifti feyen, wie in 
Chriſto felbfi. Die Rechtfertigung bezeichnet er als die in 
ung wirkende swefentliche Gerechtigkeit Gottes, die ein ge 
rechtes Wollen und gerechte Werke hervorbringt: dag gött— 
liche Licht, das dem Menfchen zu Theil wird, als daf- 
felbe das den Tod überwindet, das Leben und Wort Got: 
tes, Chriſtus, Gott ſelbſt. Im Wefentlichen das Nemliche 
was Tauler lehrt, daß Gott fein Wort im Grunde der See 
len fpricht, das Wort, in welchem alle Dinge gefchaffen 
find. Nur daß Ofiander feine Süße dem Sprachgebrauch 
der Zeit annähert und mit aller Gelehrfamfeit fchriftmäßiger 


Staphylus über eine Bevorzugung Oftanders in der Profeffur den 
Anlaß zum Streit gegeben habe. Arnold hat längft gezeigt, daß 
Staphylus bereits refignirt hatte, ehe Oftander ernannt ward. Kir— 
chengefch. p. 413. 

Ranfe D. Geſch. V. 29 


450 Zehntes Buch. Siebentes Capitel. 


Theologie zu beweiſen fucht. Sein Sinn ift, daß Chrifti 
Leiden und Sterben, auf das man gleichwohl allein zu trauen 
habe, durch den Glauben ergriffen, den Leib der Sünde in 
ung zerfiöre und allmählig den alten Menfchen tödte: eben 
wie Major die innere Nothivendigkeit der guten Werfe be 
hauptete, nicht die Außere: 

Man wird nicht leugnen, daß diefe Anfichten von ho— 
her Wichtigkeit, einer weiteren Ausbildung höchft würdig wa— 
ren: wie fie denn auch gleich damals nicht ohne Rückwir— 
fung blieben; ! aber durchdringen Eonnten fie nicht, fchon 
darum nicht, weil fie mwenigftens dag Anfehen hatten ale 
näherten fie ſich dem in Trident ergriffenen Syſtem: zu 
einer Zeit wo nach kurzem Wermittelungsverfuch dag Prin- 
sip der Abfonderung und des Gegenſatzes wieder die Ober- 
band gewonnen hatte. Man wollte Feine Annäherung mehr, 
weil dadurch dieffeit nur Schwanken und Entzweiung, jenfeit 
Beftärfung und neue Umgriffe veranlaßt würden. Melanch- 
thon felbft verwarf die Ausdrucksweife Majors, weil «8 
doch feheinen könne, ald werde den Werken Verdienſt zuge 
fchrieben, und Major mußte fie endlich fallen laffen. Auch 
die Dfiandriften unterlagen, wiewohl fie mächtige Unterftügung 
gefunden hatten. Aber der firenger orthodoren Partei, die 
bier den Sieg behalten, wurde darum doch nicht geftattet 
ihr Prinzip zu weit auszudehnen. Übertreibende Behauptun 


1. Oſiander felbft behauptet dieß: MWiderlegung der ungegrund- 
ten undienftlihen Antwort Philippi Melanthonis: „warumb hat er 
aber folhs in allen feinen Wüchern nie gelehrt, noch befennet, bis 
ichs ihm in diefem 1551 jar mit der h. fihrift abgedrungen hab.“ 

2. Vgl. f. Brief an die Nordhaufer 13 Jan. 1555. Er gab 
nur zu, die Werke feyen nöthig: nicht aber „nöthig zur Seligkeit.“ 








Theologifhe Streitigkeiten. (Calvin) 451 


gen, zu denen fich Flacius und Amsdorf fortreißen ließen, 
wurden zuleßt allgemein verworfen, und namentlich dem er 
ftern felbft verderblich. E8 herrfchte in der Gefammtheit fo 
viel gefunder Sinn, daß fie fich aus der unter Luthers Füh— 
rung eingefchlagenen Bahn, die fie den Katholifen gegenüber 
behauptete, nicht auch nach der andern Seite hin abführen 
laffen mochte, wo fie in dag GSectirerifche gefallen wäre. 

Während dem aber war auch der äÄltefte innere Streit, 
über das Abendmahl, wieder in Gang gefommen, womit e8 
folgende Bewandtniß hat. 

In der Wittenberger Concordie gaben, wie wir fahen, 
die beiden Parteien die fchroffiten Behauptungen auf, Durch 
die fie fich früher an einander geärgert hatten. Ohne Zwei— 
fel behauptete die lutheriſche Auffaffung das Libergemwicht, 
aber fie erfehien doch in fehr milder Geftale. Jene Ande: 
rung in dem Wortlaut der augsburgifchen Confeffion be 
wirfte daß diefe von Jedermann angenommen werden Eonnte. 

Wohl waren damit noch nicht alle Bedenken gehoben: 
noch gab Manchem der fich übrigens anfchloß, der Ausdruck 
des Darreicheng, oder die Bezeichnung „real, Eörperlich 
Anſtoß, Andere wollten fich nicht überzeugen, daß auch Un— 
würdigen der Leib Chrifti mitgetheilt werde. Melanchthon 
fuchte in den neuen Ausgaben feines theologifchen Lehr: 
buchs, der Loci, einige diefer Zweifel zu heben: wie er z. B. 
im Jahr 1543 den Ausdruck „körperlich“ nach dem Vor— 
gang des Cyrillus beffer auslegte, als e8 bisher gefchehen 
war; nur bewirfte die Furcht, die alten Antipathien Luthers 
aufzumecken, daß er Außerft behutfam vorfchritt.. 

Die Concordie hielt unter diefen Umftänden nicht al- 

29* 


452 Zehntes Buch. Siebentes Eapitel. 


lein in Deutfchland die Gemüther vereinigt, fondern fie drang 
auch in der Schweiz vor. In Bern und den von Diefer 
mächtigften Stadt der Eidgenoffenfchaft abhängigen Land- 
fehaften gewannen die Intherifchen Anfichten zwiſchen 1540 
und 1546, unter dem Vortritt Simon Sulzers, unbezwei- 
felt die Oberhand. Calvin, der nach Genf zurückgefommen 
war, und dort feine große Laufbahn begann, ward noch als 
ein Gegner Zwinglis betrachtet. Necht im Gegenfas mit 
den Zürchern, welche durch die Behauptung der fubftangiellen 
Gegenwart hauptfächlich verhindert waren ſich der Concordie 
anzufchliegen, * bekannte er einft im feiner Confeffion über 
die Euchariftie, welche auch von Bußer unterfchrieben wor— 
den, die Mittheilung der Subſtanz des Leibes und Blutes 
unfers Herrn.“ Die räumliche Gegenwart nahm er wohl 
nicht an, aber er tadelt die Schweizer daß fie in Bekäm— 
pfung derfelben zu weit gegangen, und faft aus der Acht 
gelaffen, wie mit dem Zeichen auch die Wahrheit vereinigt 
ſey.“ Wir finden ihn im Jahr 1540 unter den deutfchen 
Theologen welche die Neligionsgefpräche befuchen; zu Genf 
fuhr er fort diefe Meinungen zu befennen. 

Schr auffallend, wie das Unglück des fchmalfaldifchen 
Bundes im Gebiete der Eidgenoffenfchaft fogar auf die rein 
geiftlichen Angelegenheiten zurückwirkte. 

Woher e8 auch rühren mag, wahrfcheinlid) doch aus 


1. Ruchat Histoire de la reformation de Suisse V, 552. 

2. „ita ut nos ille (spiritus sanctus) carnis et sanguinis 
domini substantia vere ad immortalitatem pascat.“ Worte der 
confessio fidei quam obtulerunt Farellus, Calvinus, Viretus, cui 
subscripserunt Bucerus et Capito. 

3. De coena domini, Opera VII, p.10. non cogitarunt, ita 
signa esse ut veritas cum eis conjuncta sit. 


Theologiſche Streitigfeiten. (Kalvin.) 453 


der Furcht, durch eine fernere Trennung von Zürid) allen 
Rückhalt zu verlieren: mit, jenem Unglück trat: eine Re 
action gegen die Iutheranifirenden Meinungen in Bern ein. 
Man befeßte entfiehende Vacanzen troß des Widerſpruchs 
der angeftellten GeiftlichFeit mit Anhängern des reinen Zwing— 
lianismus; die Zöglinge der theologifchen Schule wurden 
einft einer Prüfung unterworfen, und von fechgzehn nur ihrer 
drei als ächte Anhänger Zwinglis befunden, alle übrigen in 
gefängliche Haft genommen; nach einiger Zeit wurden Gul- 
zer und deffen nächfte Freunde durch fürmlichen Rathsſchluß 
ihrer Stellen entfegt, und bald follte auch in der Waat nichts 
anders anerkannt werden als was mit den Schlüffen der 
Berner Disputation übereinftimme.! Calvins nächfte Freunde 
und er felbft fahen fich in Bern bedroht und mißhandele. 
Man eiferte dort über Calvinismus und Bucerianismug, was 
man fir einerlei hielt; man warf Calvin dunfle Iutherani- 
firende Lehren, den Begriff der Impanation vor; man fa 
delte ihn heftig, als er einft nach Laufanne gefommen um 
da zu predigen; in Genf felbft, fagten feine Feinde, müſſe 
er aus dem Kirchendienft geftoßen werden. 

Bei den politifchen Verhältniffen Genf, dag nur un 
ter dem Schuße von Bern die Neformation angenommen, 
ließ fich in der That nicht denken, daß fich dort eine Lehre 
halten Fönne, die hier verdammt wurde. 

Wie ein Seufzer aus tiefſter Seele bricht in einem Briefe 
Calvins der Ausruf hervor: e8 wäre ehrenvoller geweſen die 
geiftliche Herrfchaft von Nom zu dulden als die von Bern. ? 


1. Hundeshagen: Die Conflicte des Zwinglianismus, Luther: 
thums und Galvinismus in der bernifchen Landesfirche p. 200. 
2. Utrum generosius saltem fuit, Romae an Bernae sub- 


454 Zehntes Bud. Siebentes Capitel. 


Wohl Fam ihm der Gedanke, von Genf, wo die alten 
Feinde ſich aufs neue vegten, abermals zu weichen, aber da: 
gegen machte fich doch wieder die Betrachtung geltend, welch 
ein treffliches Mittel fchon die Lage diefes Ortes zur Aus— 
breitung der Lehre nach allen Seiten hin darbiete. ! 

Und mußte e8 denn wirklich zu einem Äußerſten diefer 
Art Fommen? 

Calvin war fich bewußt, daß der Haß mit dem man 
ihn verfolgte, großentheils auf falfchen Vorſtellungen beruhte, 
daß er bei feinem Befennen der pofitiven Momente, dem 
Weſen nad) wie fie in der Concordie ausgedrückt waren, 
doch) Feineswegs in allen Streitpuneten mit den Zwinglia— 
nern in Widerfprucdy fand. Wie nun wenn er verfuchte 
dieß Verhältniß geltend zu machen? indem er fie anerfannte, 
fich felber Anerkennung zu verfchaffen? 

Man dürfte nicht fagen, daß hier lediglich von Nachgie- 
bigfeit die Nede geweſen fey: es maltete ein viel höheres und 
allgemeineres Intereſſe ob. Calvin mußte zugleich das Werf 
fortfeßen das Butzer nicht zu Ende bringen Fönnen, und eine 
Vereinigung von allgemeiner Bedeutung unternehmen. 

Butzer hielt e8 noch) nicht für möglich: er machte einige 
Artikel nahmhaft, in welchen man in Zürich niemals nad): 
jiei. Calvin an Bullinger 6 Cal. Jul. 1548 bei Henry II Anh. 132. 
Es ift nur fehr auffallend, daß diefer Brief ſchon einmal abgedruckt 
it, aber nicht ohne große Abweichungen, bei Süfflin, Epistolae ab ec- 
clesiae Helveticae reformatoribus scriptae, nr. 66. Obige Worte 
lauten da: quid profecimus, tyrannide Papae excussa. Bei Henry 
denfe ich iſt das Urfprüngliche. 

1. Dum expendo quantum habeat hie angulus momenti ad 


propagandum Christi regnum, sum sollieitus de eo tuendo. Aus 
einem Schreiben Calvins (Mai 49) bei Hundeshagen p. 254. 


* 


—38 








Theologifhe Streitigkeiten. (Kalvin.) 455 


geben werde; und Calvin felbft fühlte, welch eine ſchwere 
Sache er umternehme. Wie oft hatte er früher über den 
Starrfinn der Züricher geklagt, die fich in ihre Meinungen und 
Seindfeligkeiten immer mehr hineingeredet, über das Gelbft- 
genügen Bullingers, der ein harter Kopf fey. Als er jekt, 
im Juli 1549, in Begleitung Farels nach Zürich Fam, fehien 
e8 nicht anders zu ſtehn als früher, und e8 war ein Au: 
genblick wo er zum Ziele zu Fommen verzweifelte. Plötz— 
lich aber, fagt er, fahen wir Licht. Wielleicht, daß deutiche 
Flüchtlinge wie Muſculus von Augsburg, der in Bullingers 
Haufe Aufnahme gefunden, dazu beigetragen hatten perſön— 
liche Borurtheile zu zerftreuen. Nafcher als man hätte glau: 
ben follen, Fam zwifchen Bullinger und Calvin eine Verein 
gung zu Stande, der Conſenſus Tigurinus, in welchem einige 
Meinungen Zwinglis wiederholt werden, aber dabei doch auch 
die Grundgedanken der entgegengefegten Lehre ihr Necht be 
haupten. Den Sab, daß der Leib Ehrifti auch den Unwür— 
digen gegeben werde, ließ Calvin fich nicht entreißen, fo vie 
len Anftoß auch die Schweizer von jeher daran genommen 
hatten: er erläuterte nur näher, daß die Berheißung zwar 
nur den Gläubigen zu Gute Eomme, welche Chriſtum geift- 
lich genießen, mit dem Zeichen aber doc) auch die Wahr: 
heit deffelben und ihr Inhalt den Ungläubigen dargeboten 
werde. Den Ausdruck „Darreichen: darreichende Zeichen”, der 
den Sinn der Wittenberger Concordie fo recht eigentlich aus- 
fprach, und von den Schweizern bisher verfchmäht worden 
war, hielt er fe." Er lehrte unverändert, daß der Leib 


1. Fatemur dignis simul et indignis Christum corpus suum 
offerre, nec ullius hominis pravitate fieri quin panis verum sit el 
exhibitivum, ut loquuntur, Christi corporis pignus. 


456 Zehntes Duch. Siebentes Capitel. 


Ehrifti welcher-Dargeboten werde, der nemliche fen der am 
Kreuze gelitten. Genug, vom Objectiven des Myſteriums 
wich er nicht ab. Es läßt fich aber gar nicht denken, 
daß er e8 zu Diefer Anerkennung deffelben gebracht haben 
würde, hätte er nicht dagegen twieder einige eigenthümliche 
fchweiserifche Meinungen zu den ſeinen gemacht. Er gab 
zu, was dort immer behauptet worden, daß in den Sacra— 
menten nur Gottes eigene Kraft wirke, und erklärte ſich ſehr 
nachdrücklich gegen Die, welche das Göttliche in den Ele— 
menten ſehen wollen. Wie Zwingli nahm er an, daß Chri- 
ftus im Himmel wohne und räumlich von der Erde ent 
ferne fen; er fügte nur hinzu, durch feine göttliche Kraft 
fteige er Doch zu ung herab. In der Auslegung der Ein- 
feßungsmworte pflichtete er den Schtweizern unummunden bei. 
Ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht in einem und dem an— 
dern Punct, wenigfiens im Ausdruck, einen Schritt weiter 
gegangen ift, als er urfprünglich beabfichtigt hatte; Teicht 
aber gab er zu, was die Summe feiner Anficht nicht ver: 
legte, womit er übereinftimmen Fonnte. Ohne Zweifel trägt 


1. Defensio ad Westphalum VIN, 775. Scio quod semel 
mortale Christus corpus induit, nunc novis coelestis gloriae qua- 
litatibus esse praeditum, quae tamen non impediunt quo minus 
idem substantia sit corpus; dico igitur illo corpore quod in cruce 
pependit non minus in spiritualem vitam animas ipsas vegetari, 
quanı pane terreno corpora nostra aluntur. 

2. Ego aliter verba temperaveram, fagt Calvin in einem Briefe 
an Bußer, ceterum quia haece quam usurpavimus forma nihil con- 
tinebat nisi quod sentiebam, aliam eis concedere non fuit religio. 
In dem erften Entwurf des Konfenfus (bei Henry II Anh.), der im 
Mai nad) Bern gefchicft wurde, fehlt die ausdrückliche Anerfennung 
der fchweizerifhen Auslegung. Und enthält nicht in der That die 
Lehre Calvins das lutheriſche Iſt doch auch in fich? 


a — — 





| 





Theologifche Streitigkeiten. (Calvin) 457 


der Conſenſus noch ein ziemlich ſtarkes Gepräge des Ortes 
two er gefchloffen wurde, der Umftände unter denen er zu 
Stande Fam, aller jener provinziellen Bedingungen: als dag 
legte Wort in der Sache kann er nicht betrachtet werden; 
aber dabei läßt fich doch, hiſtoriſch angefehen, nicht leugnen, 
daß die Ideen der Wittenberger Concordie, in denen dag 
Intherifche Element überwog, dadurch einen Fortſchritt mach- 
ten, an einer Stelle Eingang fanden, wo man bisher noch 
niemals etwas davon hatte hören wollen: der Conſenſus ift 
fehon eine neue Concordie, nur mit ſtarker ſchweizeriſcher 
Berfegung. Die Kraft der Formel zu der man fich verei- 
nigte, liegt darin, daß fie beide Momente in fich enthält; 
der Freund Calvins, Butzer, der einige Abweichungen die in 
England vorfamen und von Peter Martyr befördert wur: 
den, nicht billigte, war doch mit dem KConfenfus einverftan- 
den: er ſah darin eine Fortfeßung feines eignen Werkes. 

Es gieng auch diefer Formel wie e8 Vermittelungen zu 
gehn pflegt: fie fand auf beiden Seiten Widerfpruch. 

In Zürich zeigten fich die Anhänger Zwinglis, in Ba- 
fel die mehr Iutheranifirenden Theologen ein wenig verftimmt. 
Die fo eben in Bern emporgefommene Zwinglifche Partei 
verweigerte eine Zeitlang ihre Unterfchrift. Es gehörte die 
ganze Autorität des alten Bullinger dazu, um fie endlich 
dazu zu vermögen; doch hat e8 bis in das Jahr 1551 
gedauert, ehe man den Conſenſus durch den Druck be- 
kannt machte. ! 

Kaum aber war e8 hier jo meit gefommen, fo erhob 


1. Hundeshagen p. 252. 


458 Zehntes Buch. Siebentes Capitel. 


ſich der Widerfpruch von einer andern Geite * in tumul⸗ 
tuariſcher Aufwallung. 

In einer ähnlichen Stellung wie damals die Zwinglia— 
ner in Bern, welche die lutheriſchen Meinungen verdrängt 
hatten, waren die Lutheraner in den niederdeutſchen Städten: 
ihre Herrſchaft gründete ſich auf eine Unterdrückung zwinglia⸗ 
niſirender Meinungen, die hier einmal ſehr ſtark geweſen, und 
jetzt, ſobald nur eine Annäherung dazu in Bremen hervor— 
tauchte, ſich plötzlich wieder lebhaft regten. Dafür, daß Cal⸗ 
vin eine vermittelnde Richtung verfolgt, der dieſſeitigen Auf— 
faſſung in ihrem Weſen bei den alten Gegnern Raum ge 
macht, hatten die iederdeutfchen Feine Augen. Sie bemerk 
ten nur die Hinneigungen nach der Ziwinglifchen Seite, fie 
faßten einige anzgügliche Ausdrücke auf, durch welche ihnen 
das Gedächtniß Luthers verunglimpft zu feyn fehien, dag 
vielleicht auch mehr hätte gefchont werden können: mit hef 
tiger Leidenschaft begannen fie den Krieg. Die frühern, 
fhon in Gang gefeßten Streitigkeiten ftrömten bald mit die 
fer zuſammen: Melanchthon meinte von Anfang, er fey 
es hauptfächlich, dem auch diefer Angriff gelte." Mochte 
denn nun auch Calvin fie auf den wahren Stand der Dinge 
aufmerkfam machen, ? fo blieben fie dabei, ihn mit Zwingli 
gleich zu achten. Sie ihrerfeits forderten jetzt die fchrofferen 
Ausdrücke der ungeänderten augsburgifchen Confeſſion zu: 


1. Scito quosdam praecipue odio mei eam disputationem 
movere, ut habeant plausibilem causam ad me opprimendum. An 
Calvin 14 Dct. 1554. Corp. Ref. VIII, 362. 

2. Calvin bezeigt in der Defensio ad Westphalum, Opp. VII, 
785, fein Erftaunen darüber. Mihine, qui piae sacraeque concilia- 
tioni semper dedi operam, haec merces nune referenda est? Eben 
dieß Mipverftändniß der Gegner gab ihm aber Die Überlegenheit, die 
in jener Streitfchrift unverkennbar ift. 


—— 








eu u nn nn —— 


Mängel der Verfaffung. 459 


rück; die Wittenberger Concordie betrachteten fie als nicht 
sefchloffen; ihre Unterfcheidungslehre, die Dockrin von der 
Ubiquität des Leibes, bildeten fie jest erft formlich aus und 
nahmen ſymboliſche Autorität dafür in Anfpruch. 

Sp erfüllte fich) das ganze Gebiet der evangelifchen 
Kirche mit innerem Krieg und Hader. 


Mängel des Firhlichen Zuſtandes. 


Es leuchtet ein, daß die Eonfiftorialverfaffung, die nur 
auf die inner, gleichfam häuslichen Verhältniffe berechnet 
war, nicht dazu beitragen Eonnte ihn zu heben. 

Eben darin lag fir die neuen Einrichtungen die große 
Schwierigkeit, daß es auch Fein andres Inſtitut gab, dag 
dazu geeignet geiwefen wäre. Oftmals dachte man auf einer 
allgemeinen proteftantifchen Synode eine Ausgleichung zu ver: 
fuchen. Mächtige Stände wie Pfalz und Würtenberg haben 
e8 mehr als einmal in Vorfchlag gebracht; andre, wie Chur: 
fachien, es wenigſtens ernftlich in Berathung gezogen. Vor 
allem wäre dann nöthig geweſen den Antheil der weltlichen 
Stände feftsufegen, wie denn hievon fchon bei den frühern 
Entwürfen des allgemeinen Conciliums oft die Nede gewe— 
fen war. Man dachte fich zu dem Grundfaß zu befennen, 
Daß die Mehrheit dag Necht der Entfcheidung habe, und 
die Minderheit fich ihr unterwerfen müffe. Ob fich aber 
auch eine Mehrheit hätte gewinnen laffen, in der dag Ge 
fühl der Einheit, das Bewußtſeyn der gemeinfchaftlichen Ge: 

1. Melanchthons Bedenken vom Synodo Corp. Ref. IX, 463. 


„Soll die Potestas ſelbſt als ein Gliedmaß der chriftlichen Kirchen 
auch eine Stimme und vocem deeisivam haben.” 


460 Zehntes Bud. Siebentes Capitel. 


danfen die Oberhand befommen hätte? man dürfte das doch 
wohl nicht fchlechthin in Abrede ftellen. Bei einer Zufam- 
menkunft, die im Jahr 1557 zu Frankfurt gehalten wurde, 
hatten doch die gemäßigteren Tendenzen, wiewohl fie noch 
nicht zu vollem Verſtändniß gelangt waren, das offenbare 
Übergewicht." Und tie Biele gab es, die das Verdächtig— 
machen alter Ehrenmänner, das Schelten auf den Kanzeln, 
welches jet überhand nahm, auf dag ernftlichfte mißbillig- 
ten. E8 wäre fchon ein unendlicher Gewinn geweſen, über— 
haupt die Form einer allgemeinen Verfaſſung aufzuftellen. 

Indeſſen das Ungewohnte, Neue des Gedanfens, fo wie 
die damit doch auch unleugbar verbundene Gefahr, fchreck 
ten von feiner Ausführung zurück. Brenz fagte wohl: „ja 
wenn unter den Fürften ein Conftantin lebte, oder unter den 
Gelehrten ein Luther!! Melanchthon urtheilte, die Sache 
müffe erft unter den einzelnen Fürften vorbereitet werden, 
man müffe der Einigkeit im Voraus gewiß feyn, ehe man 
fie unternehme. 

Berathung unter den vormwaltenden Fürften war wirklich 
dag einzige Mittel dag man zur Beilegung der Srrungen ergriff 

Und Diefe waren nun, in der Epoche in der wir fiehn, 
ſehr friedfertig gefinnt. 

Wir berührten wie fie fi) beim Abfchluß des Reli— 
giongsfriedens nicht zu Beſtimmungen fortreißen ließen die 
den Zwieſpalt zwifchen ihnen felber hätten entzünden Eönnen. 

Bei jener merkwürdigen Zufammenfunft vom 5. 1558 
zogen fie neben den Neichsangelegenheiten auch die Religiong- 


1. Vgl. das Schreiben eines Flacianerd de conventu Franco- 
ford. 1557 bei Salig II, 276 Note. 








Mangel der VBerfaffung. 461 


fache in Betracht. In dem Neceß, der dafelbft abgefaßt 
worden, drückten fie fich über den wichtigften Punck, die 
Euchariftie, auf eine der Fortbildung der Concordie gemäße 
Weiſe aus. ES fchien ihnen genug daß fie von der we 
fentlichen, fubftanzielen Gegenwart redeten: der Förperlichen 
zu gedenken enthielten fie fich." Der Gegenfaß den fie aus— 
fprechen ift noch immer hauptfächlich gegen die alte Kirche, 
gegen die Anbetung des Sacraments gerichtet. Wenn fie 
die Lehre verdammen, daß die Zeichen bloß Außerliche Zeichen 
feyen, fo Fonnte das wahrhaftig Calvin nicht treffen. 

In einer fehr zahlreich befuchten VBerfammlung, zu 
Naumburg im Sahre 1561, erkannten fie aufs neue die 
abgeänderte augsburgifche Confeſſion an: ? mit den Erflü- 
rungen die der Churfürft von der Pfalz gab, der ſchon als 
ein Calvinift betrachtet wurde, zeigfen fie fich zufrieden. 

Mit alle dem gelangte man jedoch nicht zur Herftel- 
lung der Eintracht: es gab jedes Mal Fürften und Stände 
die fich abfonderten und MWiderfpruch erhoben. 

Und nicht allein von böfem Willen dürfte man dag 
herleiten. Die Dinge hatten innere Schwierigkeiten, denen 
auf diefe Weiſe nicht beisufommen war. Vielmehr zeigte 
ſich eben in den Verſuchen fie zu erledigen eine neue, und 
zwar eine folche die nicht geringer war als die übrigen. 

Die große Hauptfache war gewonnen, ein legales Da- 
feyn gegründet; für die Entwickelung deffelben auf dem glück 

1. Die merfwürdigite Auffaffung. diefes Neceffes ift wohl die 
von Hospinian Historia sacramentaria II, 438. 

2. Neque animus .est nobis, quod discedere ab ea (confes- 


sione) quae anno XL exhibita est vel in minimo velimus. Prae- 
fatio ad Ferdinandum bei Gelbfe Naumburger Fürftentag p. 184. 


462 Zehntes Buch. Siebentes Capitel. 


lich eroberten Grund und Boden aber lagen noch viele uns 
gelöfte Fragen vor. 

In unfrer hiftorifchen Betrachtung ftellen fich deren be- 
fonders drei heraus. 

Nachdem der Grundfaß von der Nechtfertigung durch 
den Glauben allein erhalten war, bedurfte doch die Lehre 
von der innigen und geheimnißvollen Verbindung, in welche 
der Menfch durch die fortgehende Erneuerung mit der Gott: 
heit tritt, noch neuer Erläuterungen, um tieferen Geiftern 
völlig zu genügen. Hatte nicht eine Durchdringung der al- 
ten ächten deutfchen Myſtik mit dem erneuerten Dogma in 
der urfprünglichen Abficht gelegen? Noch mar fie wohl 
nicht gelungen. Nur allzu oft fchlugen fich die jungen, 
ftreitbaren Theologen wieder um die harten Schalen des 
Glaubens, die aus der Scholaftif übrig geblieben. 

Ferner war, wie berührt, der Zürcherifche Conſenſus 
noch nicht der legte Schritt in dem großen Werke der Ver: 
einigung über die Abendmahlslehre. Es wäre wohl die Auf 
gabe geweſen, das an Zeit und Ort des Urfprungs Erinnernde, 
mit zufälligen Befchränfungen Behaftete, dag er noch an fich 
trug, vollends fallen zu laffen, und die weſentlichen Momente 
beider Anfichten noch tiefer mit einander zu durchdringen. 
Bon allen Gelehrten eignete fich gewiß Melanchthon am 
meiften, diefe Sache durchzuführen; allein in ſchwieriger Lage 
und von Widerfachern umgeben fand er nie den Muth, fie 
mit vollem Ernft in die Hand zu nehmen, der Meinung 
die er in fich trug, eine allfeitig entwickelte Form zu geben 
und ihr ein feſtes Dafeyn zu erfämpfen. 

Und wie viel war noch in Hinficht der Verfaffung zu 





Unerledigte Fragen. 463 


thun übrig! Das Verhältniß der Geiftlichen zu den Ge: 
meinen, fo tie zu den Obrigfeiten, hatte noch viel Unbe- 
ftimmtes, von momentanen Negungen Abhängiges. Indem 
die Landesherrfchaften fo mächtig eingriffen, regte fich an 
andern Stellen der heftigfte Widerfpruch gegen jede Einmi- 
fchung derfelben. Es fehlte gleichfam an dem Schlußftein 
de8 Gebäudes, einer Einrichtung um über die auffteigenden 
Serungen zu einer gültigen, von Jedermann anerkannten Ent: 
ſcheidung zu gelangen. 

Eine natürlich entftandene Autorität wie die der hoben 
Schule zu Wittenberg hätte fich erweitern, fortpflanzen laſ— 
fen: hergeftelle werden Eonnte fie nicht, nachdem fie einmal 
gebrochen worden. 

Den Proteftanten war e8 nun einmal nicht gegeben, 
ſich als eine einzige Genoffenfchaft zu entwickeln. Aug vie 
len Gründen möchte man wünſchen, e8 wäre gefchehen; ob 
e8 im jeder Nückficht das Beſte gewefen wäre, wer will eg 
fagen? 

Da es aber nicht der Fall war, und doch überaus 
wichtige Fragen die öffentliche TIheilnahme, die lebendigen 
geiftigen und politifchen Kräfte befchäftigten, fo mußte erfol- 
gen, daß fich auf einer Stelle mehr dag eine, auf einer an- 
dern mehr ein anderes Prinzip geltend machte. 

Die Bewegung warf fich in die verfchiedenen Territo- 
rien, wo fie mit mannichfaltigen andern Beftrebungen in den 
Zweigen der Adminiftration oder des Rechts, der Cultur 
oder der Befeftigung des Landes zufammenfiel. Diefes land- 
fchaftliche Moment entwickelt fich in den nächften Zeiten auf 
das eigenthiimlichfte, und zwar in den Ländern der altgläu- 


464 Zehntes Bud. Siebentes Capitel. 


bigen Stände nicht minder als in den profeftantifchen. Wir 
müffen ung enthalten hier näher darauf einzugehn. Die po- 
litifchen Geftaltungen der einzelnen Landfchaften, die feither 
allerdings vorbereitet worden, find doch erft fpäter zu ei- 
ner gewiſſen Feftigkeit gelangt, und zwar unter den wech— 
felnden Einwirkungen anderer Weltverhältniffe als der hier 
betrachteten. 

Nur Eine Frage fcheint mir muß für unfere Epoche 
noch erörtert werden. Wir fahen wie die Firchliche Neuerung 
aus der Gefammtheit einer großen geiftigen Bewegung ent 
fprang. Seitdem hat jene die öffentliche Aufmerkfamteit faft 
ausfchließend befchäftigt. Betrachten wir noch, welchen Fort 
gang Diefe in derſelben Zeit genommen hat. 


Achtes Capitel. 


Entwickelung der Literatur. 


Den mächtigften innern Antrieb hatte der deutfche Geift 
im Anfange des fechszehnten Jahrhunderts durch die De: 
kanntſchaft mit dem claſſiſchen Alterthum empfangen, die, 
ſchon in den carolingiſchen Zeiten begonnen, während der 
Herrſchaft der Hierarchie unterbrochen oder in Schatten ge— 
ſtellt, ihm jetzt in aller Fülle zu Theil wurde. 

Wir ſahen wie dieſes Studium zuerſt in den gramma— 
tiſchen Schulen erneuert ward, wie viel Mühe es koſtete 
und was es zu bedeuten hatte, daß es ſich endlich auch auf 
den Univerſitäten feſtſetzte. 

Auch in dieſer Beziehung nahm Melanchthon eine be— 
deutende Stellung ein. In dem Sinne, wie er die alte Li— 
teratur in Wittenberg förderte, thaten es die ihm nächſtver— 
bundenen Freunde, Camerarius in Leipzig, Sabinus in Kö— 
nigsberg und Frankfurt a. d. D.; feine Schüler in Marburg, 
Tübingen, Heidelberg. In Noftock gewährte Johann Ak 
bert von Meklenburg, deffen politifche und Eriegerifche Un— 
ternehmungen wir zumeilen berührten, und der zugleich einen 
offenen Sinn für höhere Bildung bewies, diefen Studien 
feinen Schuß. Melanchthon fieht im Geifte die alfenthal- 

Ranke D. Geſch. V. 30 


466 Zehntes Buch. Achtes Capitel. 


ben verfioßenen griechifchen Mufen bei ihm im Norden ihre 
Zuflucht fuchen. ' ; 

Dabei behaupteten fich aber auch noch einige Schulen 
in großem Ruf. 

Erſt feit dem Jahre 1531 entwickelte fich dag ganze 
Verdienft Valentin Trogendorfs in Goldberg; — er hatte 
eine Art von Jugendrepublik errichtet, mit Confuln, Sena: 
toren, Cenforen, in deren Mitte er fich felber als immerwäh— 
renden Dictator aufftellte. 

Der legte Abt von Ilfeld, der diefes Klofter aus eig 
nem Antrieb in eine Schule verwandelt hatte, fand in einem 
Zögling von Goldberg, Michael Neander, ganz den Mann, 
der dazu gehörte, nach feinem Tode diefe Stiftung fortzu- 
führen und ihr allgemeine Wirkſamkeit zu verfchaffen: — ei- 
nen ftillen Gelehrten, von gebrechlichem Körper und einem 
in feiner Tiefe der Neligion zugewandten Gemüthe, aber 
doch weltklug und umfichtig genug, um feine Klofterfchule 
gegen die Anfprüche mächtiger Nachbarn zu ſchützen, und 
von unermüdlicher Ihätigfeit. Die Kenntniß der griechi- 
fehen Sprache hat er in den miederfächfifchen Gegenden erft 
verbreitet; er wird als ein zweiter Lehrer von Deutfchland 
gepriefen. ? 

Eine faft noch mehr europäifche als deutfche Wirkſam— 

1. Ergo per extremam Germani litoris oram 

Hospitium miserae supplice voce petunt. 
Corp. Ref. X. Carm. nr. 249. 

2. Juventutis formandae artifex juxta. dexterrimus ac feli- 
eissimus. Nhodomannus, Oratio de lingua graeca, der diefe Aus: 
drücke braucht, fügt hinzu: man habe auch griechiſch bei ihm ſchrei— 
ben lernen: es fey wohl gefagt worden: „plures ex eo gymnasio 


graece doctos quam proceres ex equo trojano.“ Havemann Mit- 
theilungen aus dem Leben Neanders p. 23. 24. 





Schulen. 467 


keit erlangte die Schule welche Johann Sturm 1537 in 
Strasburg errichtete. Johann Sturm nahm an den öffentli- 
chen Angelegenheiten lebendigen, wohl felbft eingreifenden An— 
theil: ' doch verlor feine Schule dabei nicht, der er vielmehr 
aus dem allgemeinen Gefichtspuncte um fo größeren Eifer 
widmete. Sie ward gleichfam eine allgemeine weltliche Aca- 
demie fir die profeftantifche Welt, wie Genf eine theologifche. 
Auch wurde fie gern von dem deutfchen Adel befucht, deſſen 
Bedürfniffe der Vorfteher in eignen Schriften erwog. 

Bei der würdigen Stellung welche diefe Studien em- 
pfangen, Eonnte fic) das fumultuarifche Händel-fuchende Trei- 
ben der frühern Poetenfchulen nicht mehr halten. Das 
Schickſal des Simon Lemnius, der e8 unter den Augen 
Luthers fortfegen wollte und darüber verjagt ward, ift für 
die Richtung überhaupt begeichnend. Der neue Olymp die: 
fer Poeten ward fchon wieder verworfen. Der feine und 
elegante Micyll will nur von einer güchtigen Mufe miffen. 
Er und feine Schüler haben wirklich Feine andern Gefühle, 
als die der großen Tendenz entfprechen in welcher die Na- 
tion hauptfächlich begriffen ift. ° 

Schon nahm man mit ernftiem und anhaltendem Be 
mühen an der Arbeit der Wiederbefanntmachung und Erläu- 
terung der claffiichen Werke Antheil. 


1. In Schumachers Briefen an die Könige von Dänemark fin 
den fich viele von Sturm, mit ganz guten Notizen über damalige 
Striegsereigniffe. 

2. Micyllus: — Quae domini plantata est vinea verbo 

Si cultu careat, terra jacebit iners. 
Quos igitur eultus aut quas adhibebimus artes? 
Nempe has quas secum Musa pudica refert. 


30 * 


468 Zehntes Buch. Achtes Capitel. 


Noch waren die Tateinifchen Schäte deutfcher Klöfter, 
wie Hirichfeld oder Lorfch, nicht erfchöpft; man hatte Welt: 
verbindung und Theilnahme für die Sache genug, um aud) 
griechifche Handfchriften aus dem Orient an fich zu brim 
gen, wie z. DB. die Stadt Augsburg im Jahr 1545 zu Corfu 
eine Summe Geld daran wandte; manches brachten Ge: 
fandte des römischen Königs oder Procuratoren der Fugger 
herbei. Vincenz Opfopäug, der Lehrer des Markgrafen AL 
brecht, fol die deutfchen Buchdrucker zuerft angeregt haben, 
mit dem Nuhme der Aldus und Junta zu wetteifern und 
die Werke der Alten Dieffeit der Berge zu publiciren. Er 
ſelbſt konnte der Welt einen der großen Gefchichtfchreiber 
des Alterthums, Polybius, aus einem oder, den der Zu: 
fall von Eonftantinopel nad) Nürnberg geführt hatte, wieder 
vorlegen; er hat diefe Arbeit auf eine Weife vollzogen, die 
ihm noch heute Ehre macht." Nach und nach entwickelte 
fich eine lebhafte Ihätigkeit in diefem Zweige. Flavius Jo— 
fephus und Ptolemäus, die wefentlichften Ergänzungen des 
Diodorus Siculug, Livius, Ammianus und mie vieler an— 
derer Schriftfteller in beiden Sprachen giengen zuerft aus 
deutfchen Preffen hervor. Andre Autoren erfchienen mit ihren 
Scholiaften, fpätern Fortfeßern: oder in berichtigten Texten, 
die griechifchen mit Überfeßungen, die zum Theil noch den 
heutigen Ausgaben beigegeben werden. Es mag feyn, daß 
diefe Arbeiten noch oftmals Fritifch- grammatifche Genauig- 
feit vermiffen laffen; aber es giebt auch folche, die ein tie— 

1. Schweighäufer, Praefatio: Non paucae leetiones in hac 
editione reperiuntur probatissimae, et ex hac in Basileensem 


transierunt, a quibus temere\deinde recessit Casaubonus. (LXXV 


ed. Oxon.) 





Philologie. (Hier. Wolf.) 469 


feres Eingehen, Kritik und ächtes Verſtändniß beweifen. Joa— 
chim Gamerarius hat für Plautus vielleicht von allen Her 
ausgebern das Meifte gethanz ' er ift der Erſte der die 
Spuren einer doppelten Necenfion in dem vorliegenden Texte 
der ciceronianifchen Schriften, möge diefelbe nun ſtammen 
woher fie wolle, bemerkt hat. ? Ein entfchiedenes philologi- 
fches Talent war Hieronymus Wolf aus Ottingen: — eine 
zarte, fchwächliche, leicht verlegbare Natur, der darüber er: 
röthete wenn ein Andrer eine Unwahrheit fagte, der von der 
Sohle bis zur Scheitel erzitterte, als er zuerft den berühm— 
ten Melanchthon anfichtig wurde; immer voll Furcht vor 
dem Haffe der Menfchen und dem widrigen Einfluß gehei— 
mer fatanifcher Kräfte; aber eben darum mit einfiedlerifchem 
Fleiße unter den ungünftigften Umftänden den Studien hin— 
gegeben, und feiner Sache, obwohl er nie recht damit zu: 
frieden war daß er fie ergriffen hatte, vollfommen Met 
fir. Er wagte ſich an die Überfegung des Demoftheneg, 
eine Arbeit, vor der Erasmus und Budaus zurückgefchrocken 
waren, und führte fie auf eine Weiſe durch, die feinen Na— 
men mit dem feines Autors auf immer verfnüpft hat. Er 
ift auch in der Kritik des Textes? der Sofpitator der Ned» 
ner, und hat fie den fpätern Zeiten erft wieder zugänglich, 
verftändlich gemacht. Ohne feinen Fleiß würden die Byzan— 
tiner wohl noch lange unbekannt geblieben feyn: er ift glück 


1. Vgl. Lefling Won dem Leben und den Werfen des Plautus. 
Sämmtlihe Schriften herausgeg. von Lachmann II, 17. 

2. „quam observationem fecit suam C. Stephanus.“ Literar— 
notiz vor der Zweibrücer Ausgabe des Cicero I, p. LXXXV. 

3. F. X. Wolf: saepe orator ibi etiam inoffensius legitur 
quam in postrema Lipsiensi. Bol. Beer Literatur des Demoſthe— 
nes p. 96. 


470 Zehntes Bud. Achtes Eapitel. 


lich gleichlam ein Ganzes byzantiniſcher Gefchichten zufam- 
menzuftellen. Sehr lefenswürdig ift doch die Autobiographie 
die er hinterlaffen hat.“ Er erjcheint darin als eim recht 
ehrlicher Patriot, freilich als ein folcher, der mit dem was 
um ihn ber vorgeht, oftmals fchlecht zufrieden ift: als ein 
überzeugter evangelifcher Ehrift, ohne Parteimefen, wie denn 
feine Neligiofität nur dann und warn unwillführlich hervor- 
bricht: und als ein Philologe, der das Alterthum in Fleiſch 
und Blut verwandelt hat: die finnreichften Sprüche bieten 
fich feiner Erinnerung dar: man Fann an ihm fehen, daß 
diefe Elemente einander nicht widerfprechen. 

Und Niemand follte fagen, daß diefe Studien in der 
zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Abnahme gerathen feyen: 
in die ja Sturm, Neander und Wolf zum großen Theil 
gehören. Schon lebten ihre Nachfolger Rhodomann und 
Sylburg. 

Auf die Fortpflanzung der Studien allein kam es je— 
doch nicht an. Wir beſchäftigen uns mit einem Zeitalter, 
von dem man nicht mit Unrecht geſagt hat, alle vier Fa— 
cultäten ſeyen da im Grunde nur eine einzige geweſen, nem⸗ 
lich die der Grammatifer. Von der Herftellung und Aug 
legung der Texte hieng jeder Fortichritt ab. 

Wir brauchen nicht darauf zurückzufommen, mie fehr 
dieß in der gelehrten Theologie der Fall war, die eben auf 
diefem Grunde beruhte. Die Publication der Kirchenväter, 
auch der Tateinifchen, um die fich nach dem Vorgange des 


1. Hieronymi Wolfii ad cl. v. Joannem Oporinum commen- 
tariolus de vitae suae ratione ac potius fortuna, in den Oratt. 


Attic. v. Neisfe, Tom. VIH, p. 773. 


Rechtswiſſenſchaft. (Haloander.) 471 


Erasmus auch andere deutſche Philologen viel Verdienſt er⸗ 
warben, kam den Abweichungen der Proteſtanten mächtig zu 
Statten. Vor der urſprünglichen Auffaſſung des chriſtlichen 
Alterthums verſchwanden die hierarchiſchen Satzungen. 

Verwandter Natur, wenn auch lange nicht ſo weit aus— 
ſehend, iſt, was in der Rechtsgelehrſamkeit geſchah. 

Bei weitem enger hatten ſich die Gloſſatoren ihrer Ur— 
kunde, den juſtinianeiſchen Rechtsbüchern angeſchloſſen, deren 
Wiederbelebung und Verbreitung die Welt ihnen eigentlich 
verdankt, als die ſcholaſtiſchen Theologen der heiligen Schrift. 
Ihr Text beruht auf alten Handſchriften, ihre Anmerkun— 
gen find nicht ſelten ganz treffend. Aber dabei iſt doch un: 
leugbar, daß diefe befonders unter den Händen ihrer Nach: 
folger fic) immer mehr mit fremdartigen Elementen verfeß: 
ten und nur größere Dunkelheit hervorbrachten, ! jener durch 
willkührliche Eintheilungen und Zuſätze entftellt, nichts weni— 
ger als zuverläßig war. Und doch wurden diefe Nechtsbü- 
cher als die Eaiferlichen, allgemein gültigen betrachtet, und 
follten practifch in Anwendung Fommen. Die pifanifche 
Handichrift der Pandecten, wie hoch man ihren Werth auch 
anfchlug, fo daß man fich ihr nur mit einer Art von aber: 
gläubifcher Verehrung näherte, war noch nicht zu öffentli- 
chem Gebrauche benutzt. Da wollte nun die Gunft deg 
Zufalls, daß ein junger Deutfcher, Gregor Hoffmann aus 
Zwickau, genannt Haloander, der in Begleitung Julius 
Plugs eine Neife nach Italien machte, in Bologna eine 


1. Bebel an Zaftus: Creverunt Glossatorum commentaria 
super omnes constitutiones, nec ullus finis est sperandus, nisi 
Caesar - - verbositatem nodosissimam atque obseurissimam in 
compendium reducat. 


472 Zehntes Buch. Achtes Capitel. 


Abfchrift von einer Collation jener Handfchrift benußen konnte, 
die einft Politian an dem Nand eines Eremplars der Vul- 
gata verzeichnet hatte. Auch von den Novellen, die bisher 
nur in der fogenannten Authentica vorhanden waren, gro: 
fentheils überfegt und unvollftändig, fand er dort Gele 
genheit die Abfchrift eined Manuferiptes! zu copiren, das 
bei manchen Lücken und Mängeln die es hatte, doch die 
originale Grundlage eines neuen Studiums darbof. Mit 
diefen Hülfgmitteln erfchien Haloander im 5. 1528 zu Nürn- 
berg, wo ihm der profeftantifche Abt des Agidienklofters 
freundliche Aufnahme und der Rath eine nicht unbedeutende 
Geldunterftügung gewährte, fo daß er ohne perfönliche Sorge 
unvermweilt zur Herausgabe fehreiten Eonnte. Haloander hat 
nach dem Urtheil der Fundigften Männer, wie Savignys, 
bei der Arbeit hiftorifche Gelehrſamkeit und Fritifches Ta- 
lent gezeigt. Bei den Pandecten mußte er fich der politia- 
nifchen Collation, die an fich fehr unzureichend und über 
dieß durch den erften Abfchreiber * hie und da gröblich miß- 
verftanden war, doch fo gefchickt zu bedienen, daß er damit 
eine große Menge Fehler weggefchafft hatz es gelang ihm 
Stellen Har zu machen, deren Sinn man vorher nicht ein- 
mal zu errathen vermochte. Dem Eoder der Conftitutionen 
gab er feine zwölf Bücher wieder; er fpricht feine Genug: 
thuung aus, tie viel Lücken er ausfüllen, wie viel Wunden 
er habe heilen Fönnen. In den Jahren 1529 big 1531 

1. Daß dieß die ſlorentiniſche Handſchrift war, iſt von Biener, 
Geſchichte der Novellen Juſtinians p. 560 f., nachgemiefen. 

2. Ludovicus Bologninus; an einem fchlagenden Beifpiel zeigt 


die v. Savigny, Gefchichte des Römifchen Rechtes im Mittelalter 
VI, p. 319. 





Kechtswiffenfchaft. (DIdendorp.) 473 


erfehienen Die einzelnen Theile des Corpus juris — denn 
auch die Inſtitutionen Fonnten nach der Arbeit über die Pan- 
decten leicht verbeffert werden — in einer der urfprünglichen 
Faſſung über alles Erwarten angenäherten Geftalt. 

Und mit der größten Freude ward nun diefe Gabe von 
den Gelehrten empfangen. 

Dem Kaifer Earl, der in Juſtinian feinen Vorgänger, 
in deffen Nechte fein eigenes fah, bemerkte Johann Dlden- 
dorp, wie früher durch die verunftalteten Gefeße die Nechts- 
übung felbft unficher geworden fey, jest aber habe man Ge- 
feße und Eonftitutionen in ihrem urfprünglichen Wortlaut wie: 
der: feit vielen Jahrhunderten habe Fein Volk etwas Nuhm: 
volleres erlebe." Dldendorp verbarg fich nicht, daß damit 
noch nicht alles was wünſchenswerth wäre gefchehen fey. 
Sehr fehmerzlich empfand er den Verluſt der alten Nechts: 
quellen, aus denen erft volle Beftimmeheit und Klarheit her: 
vorgehn würde.“ Wenn ich ihn recht verftehe, war feine 
Meinung, daß ſich das Spftem auf der nunmehr gewon—⸗ 
nenen Grundlage wiffenfchaftlich weiter ausbilden, und zum 
allgemeinen Necht aller Nationen erheben laffe. 

Aber auch Leute die nicht fo weit giengen, fahen doch 
in der Anwendung des gefchriebenen Nechtes eine Verbeſſe—⸗ 
rung. Sch finde überhaupt daß man weite Augfichten er 
griff, ſchon damals die Tortur verwarf,? die Confifcation 


1. Variarum leetionum libri III. 1540. Dedication. 

2. Institutiones et libri rerum quotidianarum Caji, actiones 
in ordinem ab Appio Claudio compositae, edicta praetorum ... 
quare non potuissent conservari? 

3. Jacob Lerfener;: Antwort, Bericht und Beweiß, Auff die 
Frage, Ob es beffer fei, nach gewiffen, befchriebenen, vnnd fonft be; 


474 Zehntes Buch. Achtes Capitel. 


zu befchränfen gedachte, den Mißbrauch der Privilegien rügte, 
eine Menge Übelftände zur Sprache brachte, die noch lange 
fortgedauert haben. Gabriel Mudäug, einer der ausgezeich— 
netften Lehrer auf der fehr befuchten Nechtsichule zu Lö— 
wen, erwarb ſich das Verdienſt, von feinem ciwilrechtli- 
chen Standpunct aus den Gewaltfamfeiten der Inquiſition 
entgegenzufrefen. 

Genug, mit dem Studium empfieng zugleich die Prarig 
eine neue ftarfe Anregung, die dann befonders auf die deut: 
fche Provinzialgefeßgebung von größtem Einfluß gemefen ift. 

Und menden wir unfern Blick auf eine dritte Facul 
tatswiffenfchaft, die Arzneikunde, fo traten auch in diefem 
Gebiete durchgreifende Ummandlungen ein. 

Die Medicin hieng von viel verderbterer Überlieferung 
ab als das Necht. Die griechifche Heilkunde, wie fie einft 
Galen fpftematifcher als feine Vorgänger, aber fchon nicht 
mehr in voller Originalität zufammenfaßte, hatte einen wei— 
ten Weg gemacht um nach Deutfchland zu gelangen: — 
wie fie von arabifchen Sammlern begriffen, dann durch Ber: 
mittelung des Kaftilianifchen in ein barbarifches Latein über: 
fragen, und etwa von italienischen Kommentatoren dem Be: 
dürfniß der Zeiten angenähert worden, jo ward fie damals 


werten breuchlichen Nechten, Gefeßen, Ordnungen und Gewonheyten, 
Oder nach) eygner WVernunfft, Sinn, Witz - - zu regieren, zu Vrtey— 
len ꝛc. Getruct zu Marpurg. 1542. C iij: „man findet, die luſt dazu 
haben leute zuſtoͤcken und peinigen, fuchen allerley newe Fünftlein 
unmenfchlicher marter, dar durch fie auch den aller vnſchuldigſten da- 
hin engftigen koͤnnenn, das er was fie wöllen,-und dag jme nie ge: 
freumet oder in finne gefallen, verjehen müffe, meynen fte haben jr 
ampt damit wol aufgericht, Wie offt fein leute alfo getödtet wor: 
den? wie offt fein leuth auff folche bekentnus gericht worden, deren 
vnſchuld fich bernach befunden bat?“ 


Pe = SO © VEN 55 a ie 








Medicin. (Paracelfus.) 475 


auf den deutfchen Univerfitäten gelehrt; der Canon des Api- 
cenna, der Commentar des Johann d'Arcoli über eine Schrift 
Arraſi's waren die gefchägteften Lehrbücher, die man z. D. 
noch in den zwanziger jahren des fechszehnten Jahrhunderts 
in Wittenberg brauchte. E8 leuchtet ein, daß auf diefem 
Grunde die Kunft nicht gedeihen Eonnte, zumal da fich ihr 
eine große Anzahl mittelmäßiger Köpfe widmete, die man 
ohne Schwierigkeit zu Doctoren erhob. 

Man muß fich diefen Zuftand vergegenwärtigen, um die 
Dppofition des Paracelfus dagegen zu begreifen. Im bo: 
ben Gebirg aufgewachfen, wo fich mancherlei fonft verſchwun—⸗ 
dene Kenneniffe erhalten hatten, im Umgang mit Geiftlichen 
von geheimnißvoller Erfahrung, mit Freunden chymifcher 
Verfuche, wie Siegmund Fugger zu Schwaß, in ftefem Ber: 
kehr mit Bergleuten, NHüttenarbeitern, dem gemeinen Mann 
überhaupt, hatte Paracelfus nicht allein Mittel Eennen gelernt 
und durch glückliche Euren erprobt, fondern fich auch Welt: 
anfichten gebildet, die allem widerfprachen was auf den ho: 
ben Schulen galt. Als er 1527 zu DBafel auftrat, erklärte 
er zuvörderſt, daß er nichts auf fremde Autorität lehren werde. 
Er fpottete über den Proceß der ererbten Necepte; den Ca— 
non des Avicenna hat er einft in ein Johannigfeuer ge: 
mworfen; er wollte von nichts als von der Natur hören. ? 
Denn nur die Bücher feyen wahrhaft und ohne Falfch 
welche Gott gefchrieben: die Elemente müffe man ftudiren, 


1. Adami Vitae Medicorum p.38. Praelegebantur Avicenna, 
qui princeps totius artis habebatur, Rasis deinde, ete. 

2. So Ehriftus fpricht: perscrutamini seripturas, warum follt 
ich nicht auch fagen: perscerutamini naturas rerum? Die erſt De: 


> fenfton Opp. III, 163. 





476 Zehntes Buch. Achtes Eapitel. 


der Natur nachgehn von Land zu Land, da jedes einzelne nur 
ein Blatt des großen Buches ſey; die Augen, „die an der 
Erfahrenheit Luft haben”, die feyen die wahren Profefforen; 
und wie er fonft feinen Widermwillen gegen die Schriftgelehr: 
famfeit ausfpricht. Auch das was er Teiftete, ift in neuern 
Zeiten wieder mehr su Ehren gefommen:! auf einen Laien, 
der feine Bücher durchläuft, macht befonders feine Anficht 
von der fortwirkenden Energie des einmal angeregten Lebens 
Eindrucf, von der dem Organismus eingebornen und den— 
felben von innen her erhaltenden Kraft der Natur. Es lebt in 
ihm ein finnvoller, tiefer und mit feltenen Kenntniffen aus⸗ 
gerüfteter Geift, der aber von dem Einen Puncte aus, den 
er ergriffen, die Welt zu erobern meint: viel zu weit aus— 
greifend, felbftgenügfam, troßig und phantaftifch: wie folche 
wohl in der deutfchen Nation noch öfter hervorgegangen 
find. Damals war mit der allgemeinen Bewegung der Gei- 
fter auch ein DVerfuch verfnüpft, das Joch der Zucht, die 
Negel der antiken Difeiplin, ja Kirche und Staat von fic) 
abzumerfen. Die miüngerifchen Inſpirationen, die fociali- 
ftifchen Verſuche der MWiedertäufer und diefe paracelfifchen 
Theorien entfprechen einander fehr gut; vereinigt hätten fie 
die Welt umgeftaltet. Zur Herrfchaft aber Eonnten fie doch 
nicht Eommen: dazu waren fie in fich zu verworren und 
iiberladen: fie hätten nur den großen welthiftorifchen Gang 
der Eultur unterbrochen. 

In der Medicin war e8 zunächft, eben wie in andern 
Wiffenfchaften, erforderlich, auf die ächtern Quellen der Bes 
lehrung zurückzugehn. 


1. Marr Zur Würdigung des Paracelfus, Leffing Leben des 
Paracelfus, Schulz Homdobiotif u. U. 


x 
I Se ee 


Medicin. (Cornarus.) 47 


— 


Merkwürdigerweiſe war es ein Landsmann Haloanders, 
Johann Cornarus, der die Bahn hiezu brach. In Witten— 
berg auf die Nothwendigkeit ſich vor allem des Hippokra— 
tes wieder zu bemächtigen aufmerkſam gemacht, unternahm 

- er hiezu eine Reiſe nach Italien, aber ſchon in Baſel Fam 
ihm fo zu fagen fein Autor felber entgegen: im Jahr 1526 
war der griechifche Tert von Aldus, wiewohl fehr uncor: 
vect, gedruckt worden, und vor Furzem angelangt. Bei dem 
erften Studium durchdrang fich Cornarus noch mehr mit der | 
Überzeugung, daß die Griechen die einzigen wahren Meifter 
der Heilkunde feyen, die man nur zuvörderſt wieder befannt 
machen müffe. Mit Hilfe einiger Handfchriften die Sroben 
berbeifchaffte, ftellte er einen bei weiten vichtigern Tert auf, 
und Fonnte es dann tagen auch eine Überſetzung zu ver: 
ſuchen:“ ein Merk, von dem fein Lebensbefchreiber rühmt, 
es werde feit zwei Jahrtaufenden in der Iateinifchen Sprache 
vermiße: fo ganz fühlte man fich dieffeit noch als weſentlichen 
Beftandtheil der alten Iateinifchen Eulturwelt. Hierauf er 
fcheinen an den Univerfitäten Borlefungen über Hippokrates 
und den Ächten Galen, dem Cornarus einen ähnlichen Fleiß 
zuwandte; bei der Prüfung der Dockoranden legte man wohl 
eine Stelle aus den Aphorismen, oder eine Definition Ga: 

lens zur Erklärung vor. Es begann eine allgemeine Ne 
action gegen die Araber. Leonhard Fuchs, ein glücklicher 
Nebenbuhler des Cornarus, fah ihre Wiffenfchaft faft aus 
dem Standpunck einer nationalen Feindfeligkeit an: als eine 
folche, durch die, wenn fie länger beftünde, der Untergang 


1. Er fand alle frühern Verſuche unbrauchbar, „tribus aut 
quatuor ad summum libellis exceptis.“ 








478 Zehntes Buch. Achtes Capitel. 


der Chriftenheit befördert werden würde: niemals feyen die 
Griechen von ihnen verftanden worden; ihre Theorien und 


ihre Heilmittel feyen gleich verwerflich; er feinerfeits werde 


nicht aufhören gegen dieſe Saracenen zu ftreiten. 

Nun Eonnte man fid) aber in der Medicin unmöglich 
wie in der Jurisprudenz an die hergeftellten Texte halten: 
man ward durch die Alten felbft zu eigener Beobachtung der 
Natur fortgetrieben; nur auf eine ganz andre Weife als Pa- 
racelfus im Sinn gehabt, eben auf dem von den Alten an- 
gebahnten, noch nicht vollendeten Wege. 

Die erften wichtigen Erfolge erlangte man in der Ana- 
tomie, nachdem man fich einmal der Vorurtheile entfchlagen, 
die bisher eine genügende Unterfuchung des menfchlichen Kör- 
pers verhindert hatten. Es war eine auffallende Neuerung, 
dag Dr Auguftin Schurf in Wittenberg im Juli 1526 die 
Anatomie eines Kopfes vornahm. Etwas Ähnliches ver- 
fuchte ein andrer Deutfcher, Johann Günther von Ander- 
nach, zu Paris, doch wollte er weder von den Arabern noc) 
vollends von Galen laffen. Einer feiner Schüler aber, An- 
dreas Veſalius, aus einer Familie von Arzten die von Wer 
fel herftammten, geboren in Brüffel, that endlich den ent 
fcheidenden Echritt. Veſalius war gleichfam von Nafur zum 


Anatomen beftimmt: von Kindheit auf hatte er fich halb aus 


Muthiwillen an Ihieren geübt; in Paris trieb er fich mit 
Lebensgefahr auf dem Kirchhof des Innocents oder den Hö— 
ben von Montfaucon herum, um aus den Gebeinen die er 
auflag, wo möglich ein ganzes Skelett zufammenzufegen. 
Eben daran hatte e8 Galen gefehlt, und bald wurde der 
muthige junge Mann die Irrthümer des alten Meifters inne. 





Anatomie (Veſalius.) 479 


Er war erft 29 Jahr alt, als er im J. 1543 fein Werk 
über den Bau des menfchlichen Körpers zu Bafel drucken 
ließ, das die Grundlage aller fpätern Anatomie geworden ift. 
Es fand um fo mehr Eingang, da ein Schüler Titiang, So: 
hann von Galfar, den Tert mit vortrefflichen Abbildungen 
erläuterte. Wäre Veſalius nicht als Leibarzt Carl V dem 
Hofe gefolgt, fo hätte er vielleicht die Entdeckungen noch 
vollendet die er angefangen, und menigftens feine Schüler 
nicht beftritten, die fie wirklich gemacht hatten." Auch am 
Hofe hatte er von den Anhängern Galens viel zu leiden. 

Auf jeden Fall war hiedurch der große Schritt gefche- 
ben, auf den alles ankam: die innere Kraft deg von den 
Alten angeregten forfchenden Geiftes führte über die Gren— 
zen ihrer Wiffenfchaft hinaus. 

In allen verfchiedenen Zweigen der Naturgefchichte gieng 
man daran, die Kenntniffe der Alten zugleich zu fammeln und 
zu erweitern. 

Die EigenthiimlichFeit diefes Beſtrebens lernt man recht 
an dem zoologifchen Werfe Conrad Geßners Fennen. Geß— 
ner arbeitete viel für dag Bedürfniß des literarifchen Publi- 
cums, überfeßte, und verfaßte Wörterbücher: im Grunde aug 
Noth. Er war glücklich, wenn er einmal die befonderen Ge 
genftände feiner Neigung fefthalten Eonnte, wie in der No- 
menclatur der den Alten bekannten Pflanzen, der er die nicht 
ohne Mühe aufgefuchten ‚neuen Namen beifeßte. Endlich 
erhob er fich zu dem Gedanken, den Namen auch die Be: 
fchreibungen hinzuzufügen, in einem umfaffenden Werfe über 


1. Sprengel Gefhichte der Arzneifunde, Bd IH, Abſchnitt über 
die vornehmſten anatomifchen Entdecfungen $ 46 — 78. 


480 Zehntes Bud. Achtes Capitel. 


die Thierwelt alles das zufammenzuftellen was man über: 
haupt von ihr wiſſe. Die Schilderungen der alten Auto: 
ven, der heiligen und der profanen, bilden die Grundlage; 
damit werden die Notisen der fpätern Schriftfteller, auch 
der arabifchen, fo weit fie, den Lateinern zugänglich find, 
verbunden, und unter wiederkehrenden Rubriken, z. B. Ba; 
terland, Eörperliche Befchaffenheit, Nußen, beigeordnetz; ! auch 
die Sprichwörter der, verfchiedenen Sprachen, die fih auf 
Thiere beziehen, werden herangezogen; die Maxime des 
Derfaffers war, nichts zu wiederholen, nichts wegzulaſſen. 
Nicht fo häufig wie man meint ift das Talent der Compi— 
lation. Sol fie der Wiffenfchaft dienen, fo muß fie nicht 
allein aus vielfeitiger Lectüre hervorgehn, fondern auf Ad): 
tem Intereſſe und eigener Kunde beruhen, und durch fefte 
Gefichtspuncte geregelt feyn. Ein Talent diefer Art von der 
größten Befähigung war Conrad Geßner. Als alles beifam- 
men war, zeigten fich erft die Lücken. Geßner feßte feine 
literarifchen Bekannten in den verfchiedenen Ländern, deren 
er über 50 zählt, Staliener, Franzofen, Engländer, Polen 
und hauptfächlich Deutfche, in Bewegung, um ihm mit Be 
fchreibungen des noch Unbekannten und mit Abbildungen zu 
Hülfe zu kommen. So brachte er einen Theſaurus zoolo— 
gifcher Kenntniffe zufammen,? in dem fich Gemeinnützigkeit 


1. Non physice aut philosophice tantum, sed medice etiam 
et grammatice, — — ut ad alios autores super iisdem rebus post- 
hae non sit recurrendum — 

2. Conradi Gesneri historiae animalium libri: opus philoso- 
phis, medieis, grammatieis, philologis et poetis et omnibus re- 
rum linguarumque studiosis utilissimum simul jueundissimumque 
futurum. Tiguri 1551. 4 Foliobände hat er noch felbft herausgegeben. 





Dotanif. 481 


und MWiffenfchaftlichFeit vereinigen der fortan für den Fort 
gang des Studiums eine treffliche Grundlage bildete und 
noch heute unentbehrlich iſt. 

Das Gleiche wünfchte Geßner nun auch für dag Pflan- 
zenreich zu leiften, wofür er fein ganzes Lebenlang im Stillen 
gearbeitet und alles vorbereitet hatte; doch war e8 ihm nicht 
befchieden, damit zu Stande zu Fommen. Große Ermwarfun: 
gen erweckte einft für diefen Zweig Valerius Cordus, der als 
Studirender und junger Lehrer in Wittenberg fich fo zu fa 
gen in inneren Befis der Pflanzenbefchreibungen der Alten 
fegte, und damit einen unermüdlichen Eifer felber zu fuchen 
und zu beobachten verband: er hat dag meißnifche Hochland 
ganze Tage durchftreift, um ein einziges Heilkraut zu finden; 
aber eben diefer Ungeftüm der Lernbegier zog ihm auf einer 
italienifchen Neife, wo er des Climas nicht achtete, einen frü— 
ben Tod zu. Man Fam jedoch auch hier um vieles wei— 
ter. Man hatte den natürlichen Vortheil über die Alten, 
daß fich die wwiffenfchaftliche Forfchung eines von denfelben 
noch nicht beherrfchten Ländergebietes bemächtigen Fonnte. 
In den Kräuferbüchern von Brunfels und Fuchs merden 
hauptſächlich die einheimifchen Gewächſe in die allgemeine 
Kunde eingeführt. ? 

1. Per mare sic rutilas pinus latura cohortes 

Ante diem rapido fulmine mota cadit, 
fagt Eruciger von ihm, wie denn überhaupt fein Tod als ein allge: 
meiner Verluſt beflagt ward. 

2. Es war ein ganz eigenes Unglüc der Botanif, daß L. Fuchs 
ein größeres auf 3 Theile, jeden mit 300 Abbildungen, berechnetes 
fehr weit verbreitetes Werf „von allerlei Bäumen und Kraͤutern“ 


auch nicht beendigte. ein Briefmechfel mit Albrecht bei Voigt 
p. 274. 


Ranke D. Geh. V. 3l 


482 Zehntes Buch. Achtes Capitel. 


Und fogleich ward die aus dem Altertum ſtammende 
Wiffenfchaft durch diefe neue Berührung mit dem Boden Ger- 
maniens auf ein Gebiet gerichtet, deſſen fie fi) nur noch 
unvolftändig bemächtigt hatte: das Neich der Mineralien. 

Es war eigentlich die Erwähnung metallifcher Arznei- 
ftoffe, deren fich die Alten bei äußern Schäden viel bedient 
haben und die man nicht wicdererfannte, was einen jun 
gen, von der claffiichen Nichtung durch und durch ergriffe 
nen Arzt, Georg Agricola, veranlaßte, feine Wohnung bei 
den DBergleuten im Joachimsthal aufzufchlagen." Indem 
er nun aber alle Notizen der Alten iiber die Mineralien 
fammelte, und fie mit dem verglich was er vor Augen 
fah, ward er inne, daß ihn eine Welt umgab, von der fic) 
wenigſtens aus den übrig gebliebenen claffifchen Schriften 
Fein Begriff bilden ließ. Er gieng von dem Wunfche aus, mag 
die Alten gewußt, fir feine Zeit wieder zu beleben; fah 
fich aber gar bald in dem umgekehrten Falle, die deutjchen 
Bezeichnungen die er vorfand, in die gelehrte Sprache auf 
zunehmen. In dem uralten Betriebe des deutjchen Bergbaues 
hatte fich eine fchon weit gediehene Kunde der Erze und Ge: 
fteine gebildet; bei den mancherlei metallurgifchen Operationen 
die man vornahm, hatte man in den Hütten Wahrnehmun: 
gen gemacht und Erfahrungen gefammelt, die nur aufgefaßt 
und in der Sprache der Gelehrfamfeit ausgedrückt zu werden 


1. Georgii Agricolae Bermannus: Quid mirum, si uleera quae- 
dam--non sanamus, cum pauca admodum emplastra, praesertim ex 
metallieis composita, quibus veteres - - usi sunt - - (vergl. Hecker 
Gef. der Heilfunde I, 447) conficere possimus. Quae sane prae- 
cipua fuit causa, quam ob rem me ad loca quae metallis abunda- 
rent contulerim. (ed. Froben p. 422.) 


Mineralogie. 483 


brauchten, um in der Neihe der Wiffenfchaften eine würdige 
und glänzende Stelle einzunehmen. Dieß gethan zu haben 
und zwar mit eigener Einficht und dem unabläßigen Eifer, der 
allein wiffenfchaftliche Erfolge zu fichern vermag, ift dag Ver: 
dienft Georg Agricolag. ! Er hatte das Glück, nicht Anfänge 
noch zweifelhafte Verſuche, fondern erprobte und zufammen: 
hängende Kenntniffe, beinahe Syſteme der Mineralogie und 
Metallurgie darbieten zu können, die eine Grundlage aller 
fpätern Studien nicht allein dieffeit der Alpen fondern für 
die Welt geworden find.” 

Ein herrliches Berk würde feyn, wenn einmal die Theil- 
nahme welche die Deutfchen an der Fortbildung der Wiſſen— 
fchaften überhaupt genommen haben, im Lichte der europäifchen 
Entwickelung jedes Jahrhunderts mit gerechter Würdigung 
dargeftellt werden Fönnte. Zu einer allgemeinen Gefchichte der 
Nation wäre es eigentlich unentbehrlich. Denn nicht allein 
in den Bildungen des Staats und der Kirche, oder in Poeſie 
und Kunft, tritt der Geift eines großen Volkes hervor; zu- 
weilen werfen fich die beften Kräfte auf die wiffenfchaftlichen 
Gebiete; man muß willen, was fie da fchaffen und vollbrin- 
gen, wenn man die Beftrebungen einer Epoche überhaupt 
verftehen will. Die Zeit die wir bier betrachten, würde eine 


1. Die Beziehung auf die Alten gab er darum nicht auf. De 
vet. et novis metallis (383). De rebus subterraneis, quas vel 
sparsas et disjeetas in Graecorum et Latinorum libris inveni, vel 
ex bene peritis artis metallicae didiei, vel denique ipse vidi in 
fodinis et olfieinis, explicavi. 

2. Man findet bei ihm spathum, quarzum, wismuthum, zin- 
cum, cobalum. Beckmann Beiträge zur Gefhichte der Erfindungen 
III, 552. Z 

3l* 


484 Zehntes Bud. Achtes Capitel. 


der fruchtbarſten feyn. Schon erfcheinen, z. DB. bei Para: 
celfus, die Anfänge der Chemie. Es Fommen die feinften 
und eingreifendften phyfikaliichen Beobachtungen vor. Georg 
Hartmann zu Nürnberg, der fich mit der Verfertigung von 
Compaffen befchäftigte, hat dabei die Inclination des Ma- 
gnets entdeckt; er bemerkte, tie der Nordmagnetismus beim 
Streichen füdliche Polaricät hervorbringe; er fcheint noch mehr 
gewußt zu haben als was er ausdrücklich ausfpricht. Gern 
unterhielt er theilnehmende Fürften, den König Ferdinand wäh: 
vend des NeichStags, oder den Herzog Albrecht von Preußen 
in Briefen, von der geheimnißvoffen Tugend und Kraft des 
ragneten. Die Wißbegier CarlsV die von von feiner Stel- 
lung zu beiden Hemifphären genährt ward, veranlaßte zu Ar— 
beiten der mathematifchen Geographie, welche allen Nationen 
zu Statten gefommen find. Aus Duisburg, von Mercator 
rührt die erfte durchgreifende DVerbefferung der Zeichnung der 
Land- und Seecharten her. Ich werde mich in diefen Gebieten 
nicht weiter vorwärts wagen: wie e8 denn auch nicht an 
diefen Ort gehören würde einzelnen Nichtungen nachzugehn; 
gedenfen wir nur noch einiger Erfcheinungen von allgemein- 
ſter Bedeutung. 
An den öftlihen Grenzen wo die deutfchen Elemente 
fic) mit den polnischen berühren, gieng aus einer der gefchil- 
deren ähnlichen Befchäftigung mit dem Alterthum, gleich- 


1. Voigt Briefwechfel und Erläuterung bei Dove Neperforium 
der Phyſik I. 

2. DBeifpielgweife führe ih an: Cosmographie ou description 
des quatre parties du monde ete. escrite par Pierre Apian: corri- 
gee et augmentee par Gemma Frisius excellent geographe — — 


Ausors 1581. So faft in allen Sprachen. 


Aftronomier (Kopernicus.) 485 


fam unter dieſer geiftigen Atmosphäre, ‚eine ‚der größten Ent: 
deefungen hervor die dieß Jahrhundert auszeichnen, die des 
wahren Sonnenſyſtems. 

Ptolemäus beherrichte, wie die Erdkunde, fo auc) die 
Aftronomie: feit vielen Jahrhunderten war er hierin dag Ora⸗ 
kel von Drient und. Occident. 

Schon einige Zeit daher aber, nachdem man ihn beffer 
verftand und wieder eigene, Beobachtungen begannen, vegten 
fi) Zweifel gegen feine Unfehlbarkeit. Neue Berechnungen 
der Polhöhe verfchiedener Städte z. Be wollten: mit feinen 
Angaben nicht ſtimmen; aber fo groß war die Verehrung fir 
ihn und die Alten, daß man eher an eine feitdem eingetretene 
Veränderung im Weltſyſteme als an die Mangelhaftigfeit ih- 
rer Beobachtungen glaubte. 

Nicolaus Copernicus aus Thorn, Domherr zu Frauen⸗ 
burg, — ein auch in den Staatsgefchäften des dem deut: 
fchen Orden entriffenen preußifchen Landes vielbefchäftigter 
Mann — fand nicht allein die Beobachtungen mangelhaft, 
wenigſtens fo weit fie vorlagen, fondern auch Das ganze 
Syſtem unverftändlich und zur Erflärung vieler Erſcheinun— 
gen unzureichend. Er meinte wohl, die beften Beobachtun- 
gen möchten verloren gegangen oder den Hppothefen zu Gun- 
ſten willkührlich verändert worden ſeyn; indem er dann in 
den Alten weiter forſchte, fand er auch Andeutungen eines 
ganz andern Syſtems als des ptolemäiſchen.“ Im Alter: 
thum war geſagt worden, daß ſich die Erde bewege, daß 


L. Incertitudinem mathematicarum traditionum cum diu me- 
cum revolverem -- hance mihi operam sumpsi ut omninm philo- 
sophorum quos habere possem, libros relegerem - - ac reperi 


486 Zehntes Buch. Achtes Capitel. 


fie nicht allein -eine rotirende Bewegung um fich felber, fon: 
dern auch eine fortfchreitende habe: wie nun wenn hierin 
die noch unbekannte Wahrheit lag? Eopernicus ergriff die: 
fen Gedanfen mit aller Kraft eines die Wahrheit vorahnen- 
den Genius. In feiner Wohnung am Dome zu Frauenburg, 
die ihm einen großen Horizont eröffnete, betrachtete er die 
Höhen der Planeten, des Mondeg, der Sonne und der Fix- 
fterne, mit fehr ungulänglichen Inſtrumenten, nicht felten von 
dem aus dem frifchen Haff auffteigenden Nebel behindert, 
aber im Ganzen vortrefflih; er überzeugte fich, daß die Er: 
fcheinungen die bisher unbegreiflich geweſen, fich wirklich 
nur erklären liegen, wenn man die verworfene Hypotheſe, 
die Bewegung der Erde annehme, und fie mit der Bewegung 
der Planeten und des Mondes combinire. So erft ließen 
fich die Erfcheinungen der täglichen Bewegung der Himmels: 
Fugel, des jährlichen Laufs der Sonne in der Efliptif, der 
Wechſel der Jahreszeiten und Tageslängen, des Vor- und 
Nückgehens der Planeten verftehen; die Erläuterungen die 
er davon gab, Famen einem Beweife feines Hauptſatzes 
nahe." Wohl war diefer noch unvollffändig und nicht von 
alten Irrthümern riß fich Copernicus 108; aber er hatte einen 
Gedanken von fo Achter Wahrheit ergriffen, daß Mängel der 
Darftellung denfelben nicht hindern Fonnten fich allmählig Platz 
zu machen. Was man von Ariftarch von Samos gefagt, dag 
hat in der That erft Copernicus vollbracht: er fette den 
Heerd des Kosmos in Bewegung. Die Erde erfchien ihm als 


quidem apud Ciceronem, primum Nicetam dixisse terram moveri. 
Copernicus de revolutt. orbb. coelestium. Praefatio. 
1. Soeler Über das Verhältnig des Copernicus zum Alterthum— 








Aftronomie. (Kopernicus.) 487 


dag was fie ift, in dem Verhältniß eines Punctes zum Gan- 
zen: auf das gewaltigfte durchbrach er die Welt des Scheinee. 

In diefem Gedanken aber, der aller Anfchauung, in der 
fich die Menfchen bewegen, zumwiderläuft, liegt ettwag, was 
den Urheber deffelben wohl bedenklich machen Fonnte ihn 
zu Außern. Copernicus meinte faft, e8 ſey das Defte wenn 
er wie Pythagoras feine Lehre nur mündlich fortpflange. 

E8 gereicht der Schule von Wittenberg zur Ehre, daß 
einer ihrer jungen Profefforen, Rhäticus, durch dag Gerticht 
in Kenntniß gefeßt, fich zu Copernicus begab, der Welt die 
erfie fichere Nachricht über die Entdeefung mitteilte, und 
wirklich) den Druck des von dem Autor beinahe bei Seite 
gelegten Werkes veranlaßt hat. 

Den Vorwurf dürfte man überhaupt der Wittenberger 
Schule damaliger Zeit nicht machen, daß ihre Theologie fie ab- 
gehalten hätte fich auch mit andern MWiffenfchaften zu befchäfti- 
gen. Wir finden die eifrigften Theologen, wie Wigand zu Eis: 
leben, die benachbarten Berge durchftreifen um die Wunder 
Gottes in den feltenen Kräutern zu ſchauen; Michael Nean- 
der zu Ilfeld verband mit der Kräuterfunde felbft medici- 
nifche Einfichten: er wird als der Chiron des Harzes geprie: 
fen; Johann Mathefins befaß eine treffliche Kenntniß der 
Metalle und Erdgewächfe. In hohem Anfehen bei feinem 
‚Leben und unvergänglichem Gedächtniß nach feinem Tode 
fand Caſpar Erueiger, Profeffor der Theologie, den aber phy⸗ 
ſikaliſche und beſonders mathematiſch⸗ aftronomifche Einſich— 
ten perſönlich faſt noch mehr auszeichneren. ! 

Melanchthon, der fich immer in lebendiger Theilnahme 

1. Laudes Crucigeri im Corp. Ref. VI, 223. 


488 Zehntes Bud. Achtes Capitel. 


an allen diefen- Fortfchritten zu halten fuchte, in defien Vor: 
Iefungen z. B. Valerius Cordus Anregung zu feinen bota- 
nifchen Ausflügen empfieng, widmete doch feinen beften und 
fruchtbarften Fleiß den philofophifchen Studien. 

In feiner Jugend, noch in Tübingen, hafte er es fich 
beinahe als die vornehmſte Aufgabe feines Lebens gedacht, die 
Werke des Ariftoteles von den Berunftaltungen zu befreien, Die 
fie während des Mittelalters erlitten, und den wahren Sinn 
diefes Philofophen zu erforfchen. Wie von einer ganz am 
dern Natur auch der Beruf war, den ihm Leben und Ge: 
fchichte anwieſen, fo tauchen doch auch dann und wann jene 
Gefichtspuncte auf. Wir finden bei ihm polemifche Erörterun— 
gen gegen die arabifche Auffaffung ariftotelifcher Begriffe," und 
neue Verfuche, den Achten Sinn derfelben, zumeilen im Wider: 
foruch mit den griechifchen Erflärern, zu ergründen.” Nur 
war fein Ziel hiebei nicht die NWiederherfiellung des Autors, 
fondern die Ermittelung einer objectiv haltbaren Dockrin. In 
den mancherlei Eehrbüchern die er verfaßte, — ber Dia- 
lectif, Moral, Piychologie, fogar Phyſik — verglich er im- 
mer auch die übrigen Philofophen mit Ariftoteles. In der 


Negel zog er den Iegferen vor, deffen Feder in Sinn und 


Berftand getaucht fey; die Hyperbeln der Stoa, die Zivei- 
felfucht der Akademiker, die Ableugnungen des Epicur fand er 
gleich unerfreulich; jedoch ftieß er auch bei ihnen auf main 
ches Gute und nahm es an; am entfchiedenften wich er von 
Ariſtoteles ab, wo diefer mit den Urkunden der Offenbarung 
in Widerfpruch Eommt. Stellen wir ung in den Gefichts- 


1. „prodigiosas naenias Averrois.“ 
2. 3 DB. bei der Erflärung der Entelechie: de anima p. 19. 


Philoſophie. (Melanchthon.) 489 


frei jener Zeit, fo Fonnfe von einer mit unbedingtem Selbft- 
vertrauen auf die höchften Probleme hinftrebenden Anftrengung 
des Gedankens überhaupt gar nicht die Nede feyn. Das 
Räthſel der Welt war fchon gelöft, die Summe der Dinge 
war ſchon bekannt; die allgemeine Anficht gieng vielmehr 
dahin, daß man „die allmächtige Kraft der göttlichen Ma- 
jeftät nicht fchärfer zu erforfchen habe;“ nicht ohne Tieffinn 
fagt Herzogin Elifabeth von Braunfchmweig: „könnten wir Gott 
durch unſere Vernunft ausgründen, fo nähme die Gottheit 
ein Endet Es konnte nur darauf anfommen, die Neful 
tate des philofophifchen Nachdenkens mit der Schrift in Ein— 
Hang zu bringen.” Man dürfte wohl nicht fagen, daß 
daraus ein blos formelles Ergebniß hervorgegangen wäre. 
In den philofophifchen Schriften Melanchthons treten einige 
Vorfiellungen, befonders über das Weſen des Geiftes, mit ei- 
genthümlicher Stärke auf. Die Meinung als fey die Seele 
einer veinen Tafel gleich und erwerbe die Begriffe erft durch 
Erfahrung, verwirft er mit Widerwillen: er weiſt vielmehr zwei 
verfchiedene Arten angeborener Begriffe nach, fpeculative des 
veinen Denkens, und practifche dev Moral; ? eine ganze Neihe 
von Urgrundfägen beiderlei Arc führe er aufz* von dem gott: 
ähnlichen Wefen des Geiftes wohne ihm eine unerfchütter: 

1. Fürftenfpiegel von Strombeck p. 70. 

2. Theſis von 1542: angeführt von Bruder Hist. phil. IV, 
231. Prodest studiosis erudita collatio philosophiae et doctrinae 
quam deus tradidit ecclesiae. 

3. Ethicae doctrinae elementa, 1554, p. 210. 

4. Quodlibet est aut non est; omnia quae oriuntur, ab aliqua 
causa oriuntur; effectus non est praestantior causa; verilas amanda 


est; pacta sunt servanda. De anima p. 265. Vergl. Buhle Ge- 
fchichte der Philoſophie II, 499 f. 


490 Zehntes Buch. Achtes Capitel. 


liche Überzeugung bei. So hat er denn auch, ohne an⸗ 
dere Beweiſe für das Dafeyn Goftes zu verfchmähen, doch 
den moralifchen mit befonderem Eifer ausgebildet. Die 
natürliche Unterfcheidung zwifchen Gut und Böfe, die dem 
Menfchen inwohne, das laftende Bewußtſeyn welches aus 
den Verbrechen entipringe, die Freudigkeit, mit der dag 
Gute erfülle, endlich den heroifchen Auffchwung des Ge: 
müthes bei der Gründung von Staaten oder auch im 
Neiche der Wiffenfchaften, fieht er als Beweiſe eines gött— 
lichen Urſprungs und eines höchften Geiftesg an, von dem 
der menfchliche herrühre. Zwei Jahrhunderte beinahe — ſo 
lange nemlich der Glaube an die Offenbarung volles Leben 
hatte — ſind dieſe Anſichten und das darauf gegründete ſehr 
einfache und beſcheidene Syſtem in den proteſtantiſchen Schu— 
len herrſchend geweſen; während in den katholiſchen die fiegrei- 
chen Mönchsorden das labyrinthifche Gebäude der früheren 
Zeit auch mit dem Ächten Ariftoteles aufrecht zu erhalten 
wußten. Später haben fich an den Gränzgebieten beider Wel—⸗ 
ten andere Tendenzen de8 allgemeinen Geiftes entwickelt. Gelb: 
ftändig haben doch vornehmlich profeftantifche Gelehrten auf 
den Gang der hiedurch angeregten Bewegung eingemwirkt. Un: 
‚möglich kann die Summe der Ideen die ſich Dieffeit be 
feftigt hatten, ohne Einfluß auf die Art und Weiſe gewe— 
fen feyn wie dieß gefchehen ift. 

Welches aber auch das Verhältniß feyn mochfe, in dag 
die Theologie zu andern MWiffenfchaften trat, Eine wenigſtens 
empfieng durch diefelbe einen neuen, überaus fürderlichen An— 
trieb, die Wiffenfchaft der Gefchichte. 

Wollte man fich den Fortſchritt encyclopädifcher Ge 


Geſchichte. (Sfeidan.) 491 


fchichtsfunde mit Einem Blick vergegenmwärtigen, fo diirfte man 
nur das im Anfange des Jahrhunderts ungemein oft gedruckte 
Compendium, den Fasciculus temporum von Rolewink, mit 
dem vergleichen, das um die Mitte deffelben auffam und 
fih lange in Geltung erhielt, dem Buche Sleidans von 
den vier Monarchien. " Dort ift hauptfächlich von Päpften, 
Märtyrern und Heiligen die Nede: hier beruht ſchon alles 
auf der erneuerten Befanntfchaft mit dem Inhalt ſo vieler 
feitdem wieder gedruckten Autoren. Sleidan kennt die AL 
ten fehr gut, überall giebt er die Stellen an, aus denen 
ausführlichere Nachricht zu fchöpfen iftz da er auch einen gro- 
gen Theil der Ehroniften des Mittelalters ſtudirt hat, fo er- 
weitert er auch da den Gefichtsfreis nach allen Seiten; «8 
mag wenig Compendien geringen Umfangs von fo gründ— 
licher Arbeit geben. 

Auch in andern Beziehungen wirfte dag Studium der 
alten Hiftorifer ein. Man nahm fie ſich bei Behandlung 
der Zeitgefchichte mwenigftens in der Sprache zum Mufter: 
vecht glücklich unter andern Urfinus Velius; einen unermeßli- 
chen Eindruck machte auch in diefer Hinficht der fo weit feine 
Forſchungen reichten, zugleich urfundlich » gründliche Sleidan. 

Mit alle dem aber war doch der Weg zu einer wah— 
ren Gefchichte befonders der Zeiten des Mittelalter noch 
nicht eröffnete. Der ganze Umkreis derfelben war von ab- 
fichtlicher Fiction oder unwillkührlicher Dichtung verdunfelt 


1. Dazwifchen liegt noch die erfte Chronica Garionis, ohne Zwei: 
fel Hauptfählih ein Werk Melanchthons. Vergl. deffen Schreiben 
an Corvinus, Sanuar 1532. Misit ad me Carion farraginem quan- 
dam negligentius coacervatam, quae a me disposita est. 


492 Zehntes Bud. Achtes Capitel. 


und umgogen? Während ſich in andern noiffenfchaftlichen 
Zweigen die Eritif zur Anfchauung des Äüchten erhob, hatte 
bier, feitdem der falfche Berofus erfchienen war, der Wahn 
noch einmal um ſich gegriffen. Wohl erhoben fich einzelne 
Stimmen dagegen, aber der Betrug war doch immer fo 
gefchieft angelegt, daß fich die Gelehrfamkeit jener Zeit noch 
tänfchen ließ. Einmal aber auf den Irrweg geführt, gieng 
man recht abfichtlich darauf meiter. Die Provinzialchroniften, 
unter denen fich gleichwohl einige entfchiedene Talente finden, 
namentlich fir die Erzählung, die fih dann und wann zu he- 
rodoteifcher Anmuth entfaltet, machten fich faft ein Gefchäft 
daraus; die Fabel nach allen Seiten auszuarbeiten. 

Unter diefen Umftänden brauchte man nichts fo dringend 
als eine durchgreifende Eritif auf irgend einer Seite, welches 
diefelbe auch feyn mochte. Die Tendenz des Profeftantismus 
bewirkte, daß fie zunächft im Firchlichen Gebiete hervortrat. 

Flacius und deffen ſtreng Iutherifchen Freunde, Wigand, 
Judex, Baf. Faber, vereinigeen fich unter einander und mit 
einer Anzahl jüngerer Freunde zur Abfaffung einer ausführ- 
lichen Kirchengefchichte. Sie hatten es dabei hauptfächlich 
auf eine Sammlung urfundlicher Materialien über den Fort: 
gang der Lehre, der Cerimonien, der Kirchenregierung in den 
verfchiedenen Jahrhunderten abgefehen, und fchon diefe Aus: 
dehnung der Gefichtspuncte über den herkömmlichen Kreis 
der Kenntniffe muß als ein Verdienſt befrachtet werden. ! 
Ein noch viel größeres war, daß fie Ernft damit machten, 


1. Sie beabfihtigen, wie es in der Worrede heißt, quoddam 
cornu copiae omnium ecelesiasticarum materiarum et negotiorum 
maxima diligentia et solertia comparatum. 





Geſchichte. (Lenturiatoren.) 493 


dag Unächte zurückzumeifen, und die große Firchliche Fiction 
die fich im Laufe der Zeiten ausgebildet, zu durchbrechen. 
Gleich beim erften Jahrhundert nahmen fie die Frage über 
die falfchen areopagitifchen Schriften vor, die Erasmus zwar 
angeregt, aber lange nicht zu Ende geführt hatte; ' — beim 
zweiten griffen fie mit gutem Necht einige Pfeudepigraphen 
an, $ DB. den Hirten des Hermas; fchon da, noch mehr 
aber im driften und vierten Jahrhundert ftellen fich ihnen Die 
falfchen Decretalen dar. Die Eenturiatoren find die Erfien, 
welche die Umächtheit derfelben recht eingefehen und mit ein- 
leuchtenden unmiderleglichen Bemweifen dargethan haben.? Ge— 
wiß wurden fie hiebei von ihrem polemifchen Eifer gegen 
das Papſtthum angefenert, aber indem fie die Nebelgeftalten 
zertheilten, durch welche die hierarchifche Macht ihren eige- 
nen Urſprung verhüllt hatte, Teifteten fie zugleich der allge: 
meinen hiftorifchen Wiffenfchaft einen großen Dienft. Ohne 
ein folches Verfahren war nirgends zu einer richtigen An— 
ſchauung gefchichtlicher Entwickelung zu gelangen; fie mach— 
ten wenigſtens an Einer Stelle ziemlich freie Bahn. Der 
fleißigen Sammlung ftellte fich eindringende Eritif zur Seite; 
was eben die beiden Grundlagen aller Hiftorie ausmacht. 
Nichts iſt ſtärkender als ein fiegreicher Kampf gegen Irr— 


1. Centuria II, c. IV, p. 72. Den areop. Schriften weifen 
fie auch ihre Zeit an. 

2. 1,7. IN, 7. IV, 7. (Alles folgt nach durchgehenden Hauptru- 
brifen.) Ihe Urtheil: non est absimile vero, eireiter id tempus 
(Caroli M.), cum ecclesiae oceidentales passim ex Romana biblio- 
theca libros peterent, confietas et suppositas late sparsas esse. 
Wie fie anderweit einzelne Interpretationen befämpften, davon ift 
3d II, p. 906 ein Beifpiel. 


494 Zehntes Buch. Achtes Capitet. 


thum und Wahn. Die Erfenntniß der Wahrheit an Einem 
Puncte macht fie an andern nothwendig, und ruft das Be: 
fireben danach hervor. Nach und nach regte fich die For— 
fhung in jedem Zeige. 

ir überfchauen die Arbeit in welcher der deutſche Geift 
begriffen war. In allen Gebieten reißt er fich von der Über: 
lieferung los, welche fich im Laufe der Zeit in hohem 
Grade verfälfcht und mit Aberglauben erfüllt hatte. Aber 
indem er zu Ächteren Duellen der Belehrung auffteigt, be: 
merkt er doch mas auch diefe zu wünſchen übrig laffen. 
Er ift überall bemüht, die Kenntniß welche die Alten be 
faßen zu erweitern und zu ergänzen. Gegen die Syſteme 
die fie gebildet, ruft er den fragmentarifchen Widerftand zu 
Hilfe, der fich unter ihnen felbft geregt hat, und ſchickt fich 
an, aus eigner Kraft zur Anfchauung der Natur der Dinge 
hindurch zu dringen. Die gewonnene religiöfe Überzeugung 


flößt ihm Vertrauen und Turchtlofigfeit ein: Forfchung und » 


Critik werden ihm Natur. Wir nehmen nicht ein Beſtre— 
ben wahr das aus dem Schooße der Nationalität ohne 
fremde Einwirfung hervorgegangen wäre: der deutſche Geift 


fucht vielmehr den Boden der fchon vor Zeiten gegründe: 


ten MWiffenfchaft nun auch feinerfeits vollftändig zu gewin— 
nen und an der Arbeit der Jahrhunderte thätigen Antheil 
su nehmen. 

Wenn e8 eben daher rührt daß Latein die ausſchlie— 
gende Sprache der Wiffenfchaft blieb, fo ward doc) and) 
die auf die Mufterfprache angewieſene Bevölferung von der 
Theilnahme an der Bewegung nicht ausgefchloffen. 

Schon die theologifchen Flugfchriften, die Predigten, die 


Überfeßungen. 495 


immer ſchwerere Fragen in Anregung brachten, nahmen die 
Aufmerkfamkeit der Ungelehrten in Anfpruch. 

Ein großer Theil der alten Literafur ward ihnen in 
deutſchen Überfegungen zugänglich gemacht: es iſt bezeich- 
niend was man überfegte, was man bei Seite ließ. Man 

nahm z. B. die Aeneide, die Metamorphofen, nicht Horaz, 
noch Catull: es war hauptfächlich der Stoff, den man fich 
anzueiguen fuchte. Man befchäftigte fich viel mit Terenz, fei: 
nes Iehrreichen Inhalts wegen, der gleich auf dem Titel ge 
rühmt ward, wenig mit Plautus; man überfegte nicht die 
Reden Ciceros, fondern feine populären philofophifchen Schrif: 
fen. Am forgfältigften find vielleicht diejenigen Werke be 
arbeiter, die zu unmittelbarem Gebrauch beftimmt waren. 
Vitruvius erfcheint „als ein Schlüffel aller mathematischen 
und mechanifchen Künfte die zu der Architectur gehören, aus 
rechtem Grund und fattem Fundament, fo daß jeder Kunſt⸗ 
begierige einen rechten Verftand faffen möge”: einer der ſchön— 
ſten Drucke jener Zeit mit trefflichen Holzſchnitten, unter de: 
nen auch das Bildniß Albrecht Dürers prange. ! 

Fehlt es auch nicht durchaus an freier Production, fo 
ift e8 doch noch mehr die Aneignung, Popularifirung ſchon 
vorhandener fremder Stoffe, was auch der deutfchen Lite: 
ratur jener Zeit ihren Character giebt. 

Sp recht eigen ift die das Element, in welchem fich 
die umfangreichen Werke des „ſinn- und Funftreichen, wohl 
erfahrnen“ Meifter Hang Sachs beivegen. 

Einen großen Theil der heiligen Bücher, alten und neuen 

1. Vergl. Degen, Nachtrag zu der Literatur der uͤberſetzungen 


der Römer p. 300. 
Nanfe D. Gefh, V. 32 


496 Zehntes Buch. Achtes Capitel. 


Teftamentes, giebt er in Neimen wieder; daran fchließen fich 
die Hiftorien von den Märtyrern; dann folgen die weltlichen 
Gefchichten, wo denn bei der alten Welt „der gricchifche Weife 
Herodotus“, oder Zuftin oder Johann Herolt abmwechfelnd 
als die Gewährsmänner genannt werden, in der neuern Die 
Chroniften, die franzöfifch Chronica, die hochburgundifch 
Chronica; weiter finden fich die Erzählungen der Volksbücher, 
wie vom hörnen Siegfried oder der ſchönen Magelone; die 
Sprüche der alten Philofophen und die Ihierfabel fehlen nicht; 
sumeilen werden theologifche Fragen aufgeworfen, wo dann 
jeder Theil feine Zeugniffe aufführt, Propheten und Apoftel 
gewiffermaßen redend erfcheinen. 

Indem fic) aber Hans Sachs faſt überall frühern Autoren 
anschließt, weiß er fich doch ihrer Form zu eriwehren. Sein 
Berfahren fteht anderer Poefie beinahe entgegen. Während 
Andere dem überlieferten Stoffe neue Geftalt zu geben fuchen, 
führt er das Geftaltete auf den Stoff zurück. Er nimmt zu: 
weilen alte Comödien herüber, aber gleichſam auszugsweiſe; 
ihm gewinnen hauptfächlich nur die Situationen, ihre Yufein- 
anderfolge und dag daraus hervorgehende Ergebniß Theilnahme 
ab. Seine dramatifchen Arbeiten find höchſt fonderbar: man 
könnte fagen, fie entbehren des Dialogs; wenigſtens arbeitet 
ſich derfelbe aus der Erzählung nur eben erft hervor. Und 
felbft mit feiner Erzählung verhält es ſich oft auf eine ähn— 
liche Weife: er epitomirt die Volksbücher. Den großen 
Inhalt der Kiteratur, der ihm felbft zu Handen gekommen, 
rückt er in einen feinen Lefern entfprechenden Geſichtskreis. 
Nur da entwickelt er dichterifche Gaben, wo er fich ent 
weder in dieſem Kreife fchon beivegt, wie in den Schwän— 





Hans Sadhe. 497 


ken, oder wo er das Anmuthige, Heitere, Unfchuldig- finn: 
liche berührt. Die grüne Tiefe der Wälder, die Maien- 
luft der Wieſen, Schönheit und. Schmuck der Jung— 
frauen weiß er mit unnachahmlicher Anmuth und Zartheit zu 
fchildern. Überhaupt muß man ihm Zeit laffen und ihm nach- 
gehn. Seine Anfänge pflegen profaifch und uneben zu feyn; 
weiterhin wird die Sprache fließender, und die Gedanken tre- 
ten mit voller Deutlichkeit hervor; mit freuberziger Einfalt 
fpender er beſonders die Lehre aus. Es ift ihm nicht ge 
nug, in feinem Garten die fchönften und würzigſten Blu— 
men gepflanzt zu habenz er will auch kräftige Waffer, heil- 
fame Säfte daraus abziehen, zur Stärfung der: Geiftig-fchiwa- 
chen. Religiöſe Überzeugung und moralifche Abficht find 
aber in ihm eins und daffelbe. Mögen die Theologen über 
einzelne Puncte noch hadern: ihn berühren diefe Streitigkei- 
ten nicht: er hat eine fichere Weltanfchauung gewonnen, Die 
alles umfaßt, der fich alles was in fein Bereich Fommt, 
von felbft unterwirft. Er hat Gefühl für den Reiz der ir- 
difchen Dinge, und oft beichäftigt ihn die Vergänglichkeit 
derfelben; man fieht wohl, daß diefer Gegenfaß inneren Ein- 
druck auf ihn hervorbringt: aber er hat dafür einen ewi- 
gen Troft ergriffen, an dem ihm nichts ivre machen Fann. 

Diefe Bildung, die doch auch von ihrem Standpunck 
aus die Welt umfaßt, und diefe Gefinnung flößen ung Hoch— 
achtung gegen den damaligen Stand der deutfchen Handwerker 
ein, aus dem fie hervorgieng. An vielen Orten wo von je 
her die Poeſie geblüht, fand man noch Meifterfänger. Um 
Hans Sachs hatten fich deren, wie man fagt, über sweihun- 

1. Gervinus Gefchichte der poetifchen Nationalliteratur 11, 475. 

32 * 


498 Zehntes Buch! Achtes Tapitel. 


dert im Nürnberg gefammelt und noc) oft hielten fie ihre 
Singjchule zu St. Catharina. Sie wiederholten gern ‘die 
Sage ihrer Altvordern, wie ihre Gefellfchaft einft bei ih— 
rem Urfprung von allem Verdacht der Keßerei freigefprochen, 
und von Kaifer und Papſt beftätigt worden fey; wenn 
dann aber das Hauptfingen begann, welches immer fchrift: 
mäßig ſeyn mußte, hatte der Vorderfte der Merker die hu 
therifche Bibel vor fich, und gab Acht, ob dag Lied, wie mit 
dem Inhalt des Textes, fo auch mit den reinen Worten de 
ven fich Doctor Luther bedient hat, übereinftimmte.? 
Bon den Fünftlerifchen und poetischen Hervorbringungen 
diefer Zeit haben wohl diejenigen überhaupt den meiften Werth, 
welche die religiöfe Gefinnung ausfprechen. Das Kirchenlied, 
deffen Urfprung wir berührten, bildete fich von Jahr zu Jahr 
manmnichfaltiger und eigenthimlicher aus; es vereinigt die 
Einfalt der Wahrheit mit dem Schwung und der Tiefe des 
auffaffenden Gemüthes; es ift zugleich von dem Gefühle des 
Kampfes, deffen verfchiedene Epochen fich darin ausgedrückt 
baben und der Gewißheit des Sieges durchdrungen: es iſt oft 
wie ein Kriegsgefang gegen den noch immer drohenden Feind. 
Und mit dem Liede ift zugleich die Melodie hervorgegangen, 
häufig ohne daß man fagen Eönnte wie dag gefchehen if. Nur 
geringe Anfänge enthalten die erften Eiederbicher von 15245 
im Jahre 1545 erfcheinen fchon 98 Melodien, im Jahre 1573, 
denn mit der Zeit wuchs auch die Gabe, 165. Biblifche 


1. Als die vier Urheber bezeichnet Metzgers meifterliche Sreiung 
der Ginger einen hohen Geifllihen, einen Nitter, einen Gelehrten 
und einen Handwerfer. 

2. Wagenfeil über die Minnefinger. De eivit. Norimberg. 541. 


ng | 


Kirchenlied. 499 


Texte hatten eine, befondere Kraft die Mufifer anzuregen: 


zu dem Magnificat finden fich vier verfchiedene Weiſen, alle 
gleich trefflich. Und hieran knüpfte fich die Funftgerechte 
Ausbildung des Chorals. Das Unächte und Lberladene, 
dag fich der früheren Muſik beigefellt hafte, ward auggefto: 
Ben: man bemühte ſich nur die Grundtonart fireng und har: 
monifch. zu entfalten; die evangelifche Gefiunung gewann 
im Neich der Töne Ausdruck und Darftellung. 

Gewiß ſchloß man fich auch. hier an das Vorhandene 
an: es bat Kirchenlieder vor Luther gegeben, die neue Mu: 
fif gründete fich auf die alten Gefünge der lateinischen Kirche; 
aber alles athmete doch einen neuen Geift. So beruhte fer 
nerjeits auch der gregorianifche Gefang auf den Grundfägen 
der antifen Kunftübung. 2 

Eben darin liege die Eigenthümlichkeit der ganzen Be: 
wegung, daß fie das Eonventionelle, Abgeftorbene, oder doc) 
nicht zu weiterem Leben zu Entwickelnde von fich ftieß, und 
dagegen die lebensfähigen Momente der überlieferten Eultur 
unter dem Anhauch eines frifchen Geifteg, der nach wirklicher 
Erkenntniß ſtrebte, zu meiterer Entfaltung brachte. 

Dadurch ward fie felbft ein mefentliches Glied des uni- 
verfalhiftorifchen Fortfchrittes, der die Jahrhunderte und Na— 
—— mit einander verbindet. 

In Feiner andern Nation wäre dieß fo bedeutend ge 
en wie in der deutfchen. | 

Die romanifchen Völker beruhten doch noch, der * 
ſache nach, auf den Stämmen, von denen die Herrlichkeit des 
Alterthums ausgegangen: in Italien ſah man bie alte Welt 


1. Winterfeld, der ewangelifche Kirchengefang. 


520 Zehntes Buch. Achtes Capitel. 


wohl als die eigene nationale Vorzeit an: — daß ein urfprüng- 
lich verfchiedener Geift, der germanifche, an der Erneuerung der 
alten Cultur Iebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend, 
ſich aneignend, fondern mithervorbringend, und zwar im 
Reiche der pofitiven Wiffenfshaften, die von nun an unauf 
hörlic) fortfchritten, trug erſt recht Dazu bei, fie zu einem Ge 
meingut der Menfchheit zu machen. 

Wie dadurch eigentlich erft ausgeführt wurde was Carl 
der Große bei feinen fcholaftifchen Gründungen beabfichtigt 
hatte, fo war auch diefer Standpunct wieder nur eine Stufe. 

E8 bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen 
fich durcharbeiten, bewähren konnten: — auf Copernicus 
mußte erft Kepler folgen; — die Einwirkungen der mitftreben- 
den Nationen der europäifchen Gemeinfchaft mußten erft mo 
fie. fördernd waren aufgenommen, wo aber dag Gegentheil, 
was doch auch gefchah, überwunden werden. Die Wiffen- 
fchaften waren noch zu fireng an den Gebrauch der lateini— 
fchen Sprache gebunden, als daß der Geift der Nationen 
neuerer Zeit fich mit, voller Freiheit darin häfte bewegen 
fünnen. Die Tiefe und Urfprünglichfeit der eigenthümlich 
germanifchen Anfchauungen war gleichfam zu ſtark zurück 
gedrängt. Es ift eine Zeit gekommen, mo der deutfche Geift 
das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß 
der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu 
eigner und doch allgemein gültiger Darftellung gelangt ift. 

Dazu gehörte aber freilich — denn auch der wiſſen⸗ 
fchaftliche Fortfchritt beruht auf dem langfam reifenden all- 
gemeinen Leben — eine Entwickelung der politifchen Verhält— 
niſſe, die es möglich machte. 











Schluß. 501 


Und für dieſe ſtanden, tkotz alle dem was bereits ‘er: 
reiche war, noch die ſchwerſten Kämpfe bevor. 

So viel hatte Carl V doch beiwirft, daß fich der pro- 
teftantifche Geift nicht der ganzen deutfchen Nation und ihrer 
großen Inſtitute bemächtigen Fonnte. 

Bald nach ihm aber trat in der alten Kirche felbft eine 
Umwandlung in Leben und Verfaſſung ein, die ihr neue Ener- 
gie verlieh: in Kurzem warf fie fich dem noch immer vor 
dringenden profeftantifchen Elemente mit ganz andern Kräf— 
ten entgegen als bisher. Auf das Zeitalter der Neforma- 
tion folgte das der Gegenreformationen. 

E8 gelang dem Papfithum zuerft, in den Ländern fer 
nes Urſprungs und feiner älteſten Herrichaft alle entgegen: 
gefegten Negungen zu erfticfen, alsdann auch in Deutfchland 
vorzudringen, und die Landfchaften die Feine profeftanti- 
fchen Obrigfeiten hatten, fich wieder vollfommen anzueig- 
nen; der Widerftand, auf den es hiebei an einer oder der 
andern Stelle doch ftieß, gab ihm Anlaß, endlich nochmals 
zu den Waffen zu greifen; durch eine Verflechtung politi: 
ſcher und religiöfer Verhältniffe, die es zu Feiner Vereinigung 
unter den Proteftanten Fommen ließ, gewann e8 den Sieg; 
feine Heerfchaaren überfintheten die Länder, aus denen der 
Nroteftantismus hervorgegangen; der Gedanfe an eine all 
gemeine Herbeibringung Fonnte fich noch einmal regen. 

Dahin freilich Fam es nicht daß er auch ausgeführt 
worden wäre; allein e8 mußte in einem wilden und verwil- 
dernden Kriege, der die gewonnene Eultur zum Theil wire 
lich zerftörte, dagegen gekämpft werden; und als man endlich 
den Religiongfrieden ernenern und auf die alten Grundla- 


502 Zehntes Bud. Achtes Kapitel. 


gen der Berfaffung zurückkommen wollte, war die Selbftän- 
digfeit der Nation durch eine von beiden Seiten angerufene 
und alsdann nicht wieder fo bald zu befeitigende Theilnahme 
auswärtiger Mächte gefährdet. 

Wie viel Mühe und lange andauernden Kampf hat es 
gekoſtet, in Epochen voll wechſelnden Glückes und neuer Ge— 
fahren den fremden Einfluß abzuwehren! wir müſſen ſagen, 
erſt in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war es ei— 
nigermaßen geſchehen. 

Eher aber konnten die urſprünglichen Beſtrebungen, welche 
dag Zeitalter das wir betrachtet haben, erfüllten, nicht in vol- 
ler Freiheit und Kraft wieder aufgenommen werden. Sie 
sielten dahin, an den lebendigen Momenten der allgemeinen 
und nationalen Gefchichte fefthaltend, eine allfeitige und un— 
abhängige Entwickelung der Nation hervorzubringen; fie ver- 
knüpfen die Anfänge unferer Gefchichte mit ihrer fernften 
Zufunft. 





Gedruckt bei A. W. Schade.