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Benugung der Bibliothek.
89 der Gefeße.
Mit Ausnahme der Fefttage und fünfwöchentlicher, Mitte Suli Begins | 3
nenter Sommerferien, ift die Bibliothefan jedem Mittwoch und Sonnabend,
Nachmittags von 3 bis 5 Uhr geöffnet. Jedes Mitglied kann um diefe
Zeit nicht nur diefelbe benußen, fondern auch gegen einen, von ihm unters
zeichneten Schein daraus Bücher unter den nachfolgenden Bedingungen leihen:
1. Seltene oder ſchwer zu erfegende Bücher, fo wie alle Kupferwerke
können ohne befondere fchriftliche Erlaubniß des der Biblivthef fveciell
vorftehenden Mitgliedes der Direction nur auf der Bibliothek ſelbſt benußt
werden.
2. Niemand darf ohne befondere Erlaubniß zur Zeit mehr als —
drei Bücher von der Bibliothek im Haufe haben.
3. Niemand darf ein geliehenes Buch länger ala einen Monat SER
behalten, wenn er fih nicht von dem Director, welcher die Aufficht über
die Bibliothek hat, die Erlaubniß zum längern Behalten ausdrücklich
erwirft oder die Sommerferien eine Ausnahme machen.
4. Niemand kann vor Ablauf von acht Tagen, von der Zeit der
Ablieferung an gerechnet, das von ihm zurückgegebene Buch wieder erhalten.
5. Behält Jemand ein Buch länger als vie erlaubte Zeit, ſo wird
er wöchentlich durch einen Boten, dem er für jeden Meg 6 Grote bezahlen
muß, Eis die Zurüclieferung erfolgt, an die Rückgabe erinnert.
6. Mird ein Buch nach erfolgter dreimaliger Aufforderung nicht
zurücfgeliefert, fo wird es als verloren angefehen, und der Ausfteller des
Empfangss oder Bürgichaftsicheins hat den Werth deffelben, oder wenn
es ein Theil eines größeren Werks ift, ‚den Merth des ganzen Merfs
zu erfegen.
7. Diefelbe Berpflichtung trifft denjenigen, welcher Bücher unvoll—
ftandig gemacht oder befchädigt hat. —
8. Wird von Seiten der Direction eine öffentliche Aufforderung °
zur Zurüclieferung der Bücher erlaffen, fo müſſen dieſelben auch vor
Ablauf der sub 3 erwähnten Friſt zu der feitzufeßenden Zeit an bie
Biblivthef ohne Verzögern zurückgeſtellt werden.
9. Wünſcht ein Eingeführter oder auf Monatskarte die Geſellſchafts—
lokale Beſuchender die Bibliothek zu benutzen, ſo hat das einführende
Mitglied denſelben dazu ſchriftlich zu legitimiren. Der dieſerhalb aus—
geſtellte, dem Aufſeher der Bibliothek einzühändigende Schein muß zugleich
eine ſelbſtſchuldneriſche Bürgichaft darüber enthalten, daß der Ausſteller
für die rechtzeitige Zurücklieferung aller dem Gingeführten anzuvertrauenden
Bücher in unverfehrtem Zuftande einftehe.
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PRESENTED
TO
THE UnIversITY OF TORONTO
BY
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Be in 2009 with funding from >
Ontario Couneil of University Librar
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Deutſche Geſchichte
im Zeitalter der Reformation.
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Berlin, 1843,
Bei Dunder und Humblot.
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Neuntes Buch. Zeiten des Snterims.
Erfies Capitel. Neichstag zu Augsburg 1547, 48.
Angelegenheit des Conciliums : ;
Entzweiung zwifchen Kaiſer und Papſt 10.
Weltliche Einrichtungen im Reiche . } .
Abſicht den ſchwaͤbiſchen Yund zu erneuern 16.
Landfriede, Kammergericht) Neichsanfchläge 20.
Burgundifcher Ve Ä ‚24. Neichskriegscaffe
29. Belehnungen 32. a ee 34.
Das Snterim .
Zweites Capitel. am des
Deutfchland t
Veranderung der Stadträt
gung von Coftnik 63. Leipz
Drittes Capitel. Stellung und ——— Carls V
1549 — 1551 . s —
Verhandlungen mit Ko SR:
Neichstag zu Augsburg 1550 17.
Qucceffionsentwurf . ß
Die Proteftanten in Trient . .
Sächfifche und wirtenbergifche Gonfeffion 130.
Viertes Capitel. Elemente des BAR ERER BER in
den großen Maͤchten at a
Seekrieg im Mittelmeer 19.
Erneuerung des Kriegs in Ungarn .
terims in
Geite
36
56
90
113
119
128
142
143
152
IV Inhal—
Fortgang der Reformation in England
Heinrich II und die Farneſen
Fünftes Capitel. Elemente des Widerftandes in
Deutſchland
Belagerung von Masdeburg 179. Kirgliche
Gewaltfamfeiten in Augsburg 188. DBeleidi:
gung der Neichsfürften 190. Gefangenfchaft
des Landgrafen Philipp 194. Deutſch ⸗oͤſtrei⸗
chifches und brandenburgifchzpreußifches Sn:
tereffe 202. Zufammmenfunft zwifchen Churf.
Moriß und Markgraf Hans 207.
Schstes Capitel. Kriegszug des Churfürften
Moriß wider Carl V 1552
Erfte Entwürfe 210. Moritz 221. Unter:
handlung mie Frankreich 224. Kriegszug gegen
Carl V 231. Auflöfung des Conciliums 246.
Zehntes Buch. Epoche des Religionsfriedens.
Erſtes Capitel. Verhandlungen zu Linz und zu
Dallas.
Jaffau 277. Entlaffung Sohann
Rückkehr des Landgrafen Phi:
Zweites Sapitel.
1552, 1553
— von Mes 287. Feldzug in Un:
garn 291. Italien 294.
Drittes Capitel. Der Krieg zwifhen Markgraf
Aldrecht und Ba Moris im Jahr
ı ie
Carl V in Berbindung mit Albrecht 303. Er:
neuerung des Qucceffionsentwurfs 306. Hei—
delberger Bund 310. Berbindung zwiſchen
doritz, Heinrich von Braunfchweig und Kö:
Sranzöfifhzosmanifcher ie
Seite
158
171
177
210
253
285
299
3 nah € v
Seite
nig Ferdinand gegen Albrecht 311. Stellung
und Natur Albrechts 315. Moritz in neuen
Bunde mit Frankreich 321. Schlacht bei Sie
vershaufen 325.
Viertes Capitel. Allmählige + der
deutfchen Territorien. . 330
Eintrite Churfürft Augufts von Sadıfen 330.
Friede zwifchen Auguft und Albrecht 333. Ev;
neuerung der Erbverbrüderung zwiſchen Bran—
denburg, Sachfen und Heffen 333. Zutritt Fer:
dinands zum Heidelberger Bund 334. Heinrich
von Draunfchweig gegen Albrecht 335. Aus:
gang Markgraf Albrechts 344. Beilegung ter:
titorialee Streitigkeiten in Deutfchland 347.
Fünftes Capitel. Reichstag zu Augsburg 1555 . 352
Derathungen über den Neligionsfrieden . . . 356
Geiftlicher Vorbehalt 370.
Berathungen über Friede und Recht . . 373
Erecutionsordnung, Kreisverfaffung 373. Neue
Kammergevichtsordnung 379.
Defchlußnahbme . . - 2. SER 383
Sechstes Capitel. ——— — —88899
Verbindung des Kaiſers mit England unter Ma
via 393. uͤbertragung der Erblande auf —*
lipp 403, Unterhandlungen wegen der uͤber⸗
tragung des Kaiferthums All ff. Anfang der
felbftändigen Negierung Ferdinands 413. Chur:
fürftenverfammlung zu Frankfurt 415. Chur:
verein von 1558 418. Letzte Tage Karls V 423.
Siebentes Capitel. Fortgang und innerer Zu:
ftand des Proteftantismus. . . 427
Einwirkung des Proteftantismus auf die NReichs⸗
verfaſſung 430. Reformation der Rheinpfalz,
Badens 432. Conceſſionen in Baiern und Oft:
reich 433.
vI Snbalt
Seite
Grundzuͤge der proteſtantiſchen Kirchenverfaſſung 435
Theologiſche Streitigkeiten. . - u -'
Flacius 446. Major und Oſi ander 448. Cal:
vin 451. Mängel der Verfaffung 459. Un:
erledigte Fragen 462.
Achtes Eapitel. Entwicelung der Literatur . 465
Reuntes Buch.
Zeiten des Interims.
Ranke D. Geſch. V.
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Erftes Capitel.
Reichstag zu Augsburg 1547, 48.
Angelegenheit des Conciliums.
Siege werden bald erfochten: ihre Erfolge zu befefti-
gen, das iſt fchwer.
Für Carl V war mit dem Giege über die fchmalfal-
difchen Stände nur erft die Hälfte der Arbeit gethan: wollte
er die Gedanken ausführen, von denen er befeelt war, fo ftand
ihm noch ein Gang mit feinem eignen Verbündeten bevor.
Wir wiffen fchon, wie wenig ihm die Art und MWeife
genug that, in der dag Concilium unter dem Einfluß des
Papftes verfuhr: jene Feſtſetzung der flreitigen Lehrpuncte in
einem Sinne welcher die Proteftanten abftoßen mußte, die er
herbeisubringen gedachte, noch mehr die Translation der Ver
fammlung, zu der man gefchritten war, fo bald nur von der
fo oft verfprochenen Neform ein wenig ernftlicher die Rede
feyn follte. Keinen Augenblick hatte er diefe Dinge aus den
Augen verloren. Er hat wohl gefagt, im Laufe des Krie—
98 habe er mehr an Nom und an das Concilium gedacht
als an den Krieg felber. Noch war er nicht gefonnen, we
der diefe Verlegung fich gefallen zu laffen, oder auch nur
die publicirten Artikel anzuerkennen.
1 *
4 Neuntes Dud. Erftes Capitel.
In Bologna wagte man doch wirklich nicht, zu com
ciliaren Handlungen zu fchreiten:! man begnügte fich mit
vorläufigen Befprechungen.
Wie die beiden Häupter dort einwirkten, davon ift ein
Beifpiel, daß als eine folenne Seffion für die Mitte Sep
tember angekündigt war und der Papft ſich Ende Auguft aus
Nom erhob, um ihr durch feine Gegenwart fo größeres An-
fehn zu geben, — er verſäumte nicht vorher die Geſtirne um
die glückliche Stunde zu befragen, — der Faiferliche Gefandte
ihm nacheilte und ihn durch Drohungen dahin brachte, daß die
Sitzung nur in Form einer Congregation gehalten ward. ?
So recht römifch Fam es dem Kaifer vor, daß der päpft-
liche Gefandte, der ihn in Bamberg traf, ihn zu überreden
ſuchte, feine fiegreichen Waffen nun gegen England zu wen
den. Er antwortete, ev wolle nicht aufs neue den Haupt
mann eines Mannes machen, der ihn in der Mitte der Ieß-
ten Unternehmung verlaffen habe. Der Nuntius erinnerte
ihn mit officieller Frömmigkeit an feine Pflichten gegen Die
Neligion. Der Kaifer entgegnete, er wiinfche nur, daß An—
dere ihre Pflicht in diefer Beziehung fo guf erfülfen möchten
wie er die feine. ?
Blieb er aber dabei, die Sache des Conciliums in fer
nem Sinne durchzufegen, fo fand er dafür eine mächtige
Unterſtützung in dem Übergewicht dag er jet in Deutfch-
land erworben.
1. Mendoza an den Kaifer 26 Mai. Ha sido necesario ha-
blar a Farnesio, para que alli (a Bologna) no hiziesse algun acto,
y asegurarme primero con la palabra del papa diziendo que de
otra maniera yo haria el protesto.
2. Mendoza an den Kaifer 27 Aug., 2 Sept., 10 Sept.
3. Bericht von Sfondrato. Pallavicini X, ım.
—— — 46
Neichstag zu Augsburg 1547. Concilium. 5
Am erfien September eröffnete er den Neichstag zu
Augsburg, mit einer Propofition, in der er zunächſt Die geift-
lichen Angelegenheiten da wieder aufnahm, wo fie vor zwei
Jahren abgebrochen worden: aber unter ganz andern Um—
ſtänden und mit einer ohne Vergleich größern Ausficht, feine
Meinung durchzufegen.
Die proteftantifche Corporation, welche früher nicht al
lein nach ihrer eignen Meinung, fondern auch vermöge der
ihnen gewordenen Zugeftändniffe eine gefeßliche Stellung ein:
nahm und an der exclufiv proteftantifchen dee fefthielt, war
nicht mehr; der Kaifer verbat fich überhaupt abgefonderte
Zufammenfünfte und DBerathungen. Alle die in des Kaifers
Frieden gefommen, hatten fich mehr oder minder ohne Nück-
halt zum Gehorfam in diefer Hinficht verpflichtet. jene pro:
teftantifche Mehrheit, die fich zulest im Churfürftenrathe zu
bilden begonnen, war durch die Gataftrophe des Erzbifchof
Hermann von Cölln vollkommen befeitigt. Die geiftlichen
Fürften, die ihre Erhaltung hauptfächlich dem Kaifer ver
danften, hiengen ihm mit doppelter Ergebenheit an.
Unter dieſen Umftänden konnte die Beſchlußnahme des
Keichstags, als nun der Kaifer aufs neue die Anerkennung
des fridentinifchen Conciliums forderte, auf Feine befondere
Schwierigkeit ftoßen. R
Der Fürftenrath, der abermal die Initiative ergriff, er-
Flärfe, der wahre Weg die Spaltung in der Religion zu
heben ſey eben der, die Erörterung einem freien gemeinen
Concil heimzuftellen, „immaßen dag allbereit zu Trient an—
gefangen worden." Diefem Gutachten ftimmten die geift-
lichen Churfürſten beinahe wörtlich bei. ! Nicht fo entfchie-
1. Unter den Schriften welche Saftrow in die Hände befom-
6 Neuntes Buch. Erfies Eapitel.
den war die Äußerung der ‚weltlichen Mitglieder diefes Col
legiums; aber fie miderfprachen wenigſtens nicht: fie er
Fannten an, daß die flreitige Neligion auf ein gemein frei
chriftlich Concilium remittirt werden follte, e8 möge num zu
Trient gehalten werden oder an einem andern Orte deutfcher
Nation. Die Städte hatten em abweichendes Gutachten vor-
bereitet, aber durch die Vorftellung des Failerlichen Nathes
Dr Hafe liegen fie fich bewegen davon abzuftehn. Hierauf
Eonnte der Kaifer dem Papſt erklären: was er mit fo viel
Arbeit und Eifer herbeizuführen gefucht, das ſey nun ge
ichehen: Churfürften, geiftliche, weltliche Fürften fo wie die
Städte haben ſich dem nach Trient ausgefchriebenen und
dafelbft begonnenen Concilium unterworfen. !
Nun enthielt aber diefer Beſchluß im damaligen Augen-
blick nicht mehr einfach die Thatfache der Unterwerfung, fon:
dern zugleich — denn abfichtlich ward auf die Bezeichnung
des Drtes viel Nachdruck gelegt — eine Erklärung gegen
die Translation der Kirchenverfammlung. Schon gleich in
den erften Tagen nach ihrer Ankunft hatten die geiftlichen
Fürften den Papft einmüthig um die Zurückverlegung er:
fucht. Diefes Begehren ward jest durch den allgemeinen
Beſchluß der Stände gewaltig verftärft.
Und dabei blieben fie nicht ſtehen. Hatte der Kaifer
men und feiner Lebensbefchreibung einverleibt hat, fehlt das erfte Gut-
achten des Churfürftenrathes. Das was voranfteht (II, 112) ift der
Zeit nach fpäter als das ihm folgende fürjtliche.
l. Instructione al Cl de Trento 9 Nov. 1547. Lo substan-
tial sara avisar a S. Sd con quanto trabajo y cuidado nostro se
ha procurado que todos los estados de la Germania, assi eleeto-
res principes ecelesiasticos y seglares como las eibdades, se so-
mettiessen (como han hecho) al concilio ya inditto e celebrado
y que se celebre en Trento.
Neichstag zu Augsburg 1547. Konecilium. 7
die Publication der zu Trient gefaßten Beſchlüſſe gemißbil-
figt, fo traten ihm auch darin die Stände bei. Die Für—
fien, denen jene Feſtſetzungen wenigſtens amtlich noch nicht
mifgetheilt worden, forderten, wenn in dem ftreitigen Arti—
keln bereits etwas befchloffen fey, fo müſſe das doch aufs
neue vorgenommen und vor allem erſt die Erklärung der
Proteftirenden darüber gehört werden. Jene dogmatifchen
Beftimmungen, auf welchen fpäter die Nechtgläubigfeit der
Fatholifchen Kirche zu beruhen gefchienen, wollte fürs Erfte
fo wenig dag Neich wie der Kaifer anerkennen. Es ver
ſteht fich, daß die profeftantifch = gefinnten Mitglieder beider
Räthe hierin noch eifriger waren. Die weltlichen Churfür-
fen forderten ausdrücklich die Neaffumtion der fchon be:
fchloffenen Artikel: fie fügten hinzu, nur nach der Norm der
göttlichen Schrift würden diefelben zu enticheiden feyn. Die
Stimmung zeigte fich überhaupt ganz entfchieden. Berge
beng trug Leonhard Eck darauf an, daß man, um weiter:
gehende Fragen abzufchneiden, den Papft als Vorfiger des
Conciliums bezeichnen folle: die Zeiten feines Einfluffes und
Übergeivichts waren vorbei; in dem Nathfchlag des Für:
ſtenrathes findet fich nichts hievon. Dagegen lautet das
Gutachten der weltlichen Churfürften dahin, daß der Papft
die Mitglieder des Conciliums aller Pflichten, mit denen fie
ihm verwandt feyen, erledigen, und dem Concilium unter:
1. „Ob auch im vhall von etlichen flreitigen Artifeln im Con:
eilio zu Triendt geredt oder befchloffen worden wäre, welches doch nit
vor Augen, das dennoch nichtsdefteminder diefelbigen Artifel wiederum
für hand genommen und die profeftirenden genugfamlich darauf ver:
bort und von inen gute rechenfchaft irer lere und glauben vernom—
men werde.“
8 Neuntes Bud. Erftes Capitel.
worfen ſeyn folle: eine Reformation an Haupt und Glie-
dern brachten fie aufs neue in Anregung. Und noch leb-
hafter drückten fich die Städte aus. Die Entfcheidung über
die freitigen Artikel dürfe mit nichten Sr Hoheit dem Papft
(das Wort Heiligkeit vermieden fie) und den Anhängern
deffelben überlaffen, fie müffe frommen, gelehrten, gottesfürch—
figen und von allen Ständen dazu auserwählten Perfo-
nen, die von jeder Verpflichtung befreit worden, anheim-
geftelle werden. !
Auf Forderungen diefer Art konnte und mochte Earl V
nun zwar in diefem Augenblicke nicht eingehn. Auf Feinen
Fall aber war ihm ein Beftreben zumider, das auf eine Er:
höhung der Eaiferlichen Gewalt und eine Einfchränfung der
jenigen zielte, mit der er alle feine Tage zu kämpfen gehabt
und fo eben wieder in heftige Irrungen vertoickelt war. Am
Neichstag verlautete das Wort, daß der Kaifer Prafident
des Eonciliums feyn müſſe, nicht der Papft. In den Reiche:
beichlüffen war von keinem Vorbehalt päpftlicher Einwilli—
gung die Nedez? der Kaifer verfprach in feinem eignen Na—
men, daß das Concilium in Trient gehalten, und die ganze
Tractation — er bediente fich hiebei der Ausdrücke, die Die
weltlichen Churfürften gebraucht und die auf die älteſten
Schlüffe in diefer Sache zurüchwiefen — gottfelig, chriftlich,
nach göttlicher und der alten Väter heiliger Lehre und Schrift
vorgenommen und su Ende geführt werden folle. Die mei:
tern Anträge der Ehurfürften verwarf er doch nicht geradezu:
er bat nur auch im diefer Hinficht um das volle Vertrauen
der Stände.
1. Staͤdtiſches Gutachten bei Saftrow 143.
2. Wie fih Sfondrato befchwert, Yallav. X, vr, 121.
Reichstag zu Augsburg 1547. Concilium. 9
Hatte der Papft die Zeit des Krieges benutzen können,
um dag Concil auf feine Weiſe zu leiten, fo machte der Er:
folg der Waffen e8 wieder dem Kaifer möglich, fich diefer
Direction mit größtem Nachdruck zu widerſetzen.
Am Iten November fertigte er den Cardinal von Trient,
Chriſtoph Madrucci, noch Nom ab, um die Zurückverlegung
des Conciliums, auf welche er bisher fo ftandhaft gedrun—
gen, nun auc im Namen des Neiches zu fordern.
Der Kaifer erwähnte in der Inſtruction, daß er die
Anträge welche zum Nachtheil der päpftlichen Autorität ge
macht worden, nicht angenommen; er verficherfe ausdrüch
lich, daß dag Concilium im Fall einer Vacanz dem Wahl:
recht der Cardinäle Feinen Eintrag thun folle: aber da jetzt
das heilige Werk gefchehen, daß fich das Reich dem Con—
cilium einfach unterwerfe, fo möge nun auch der Papft bie
Umftände, die fo günſtig feyen wie man fie niemals häfte
hoffen dürfen, benußen und dag Concilium nach Trient zu:
rückführen: ! Damit werde er feine Pflicht gegen Gott und
feine Würde erfüllen.
Was wirde wohl gefchehen feyn, wenn die beiden Ober:
häupter fich verftanden, eine ernftliche Verbeſſerung der au-
genfcheinlichen Mängel vorgenommen und dann mit verein:
ten Kräften und ungetheilter Autorität auf die Herftellung
der alten Kirchenformen bingearbeitet hätten? Würden fie
bei einiger Nachhaltigkeit des Verfahrens damit nicht wirk
lich haben durchdringen können?
Es war ein großes Schickjal, daß in dem entfchei-
1. para dia certo e senalado con el mas breve termine que
ser pudiere. (Worte der Snftruction.)
10 Neuntes Bud. Erftes Capitel.
denden Augenblicke die Erbitterung zwifchen beiden größer
war als je.
Paul III fürchtete nichts mehr als die Übermacht eines
neu emporfommenden Kaiferthbums. So auffallend e8 auf
allgemeinem Standpunct augfieht, daß er im Frühjahr 1547
dem Vorfechter des Proteftantismus eher den Steg wünfchte,
fo gewiß ift e8 doch: mit Freuden vernahm er die Nach-
richt von jenem Nochlißer Ereigniß; der Hof gab zu erfen-
nen, wie fehr er wünſchte den Kaifer in Ungelegenheiten ver:
wickelt zu fehen. Dem König Franz ließ man von Rom -
aus noch wiffen, er könne nichts Nüslicheres thun, als Die:
jenigen unterftüßen, von denen dem Kaiſer Widerftand ge:
leiftee werde; mit dem Nachfolger deffelben, Heinrich II, trat
der alte Papſt fofort in die engfte Verbindung: er brachte
die Vermählung feines Enfels Horatio mit einer natürlichen
Tochter des neuen Königs zu Stande. Hierauf war von einer
dem Kaifer entgegenzufegenden Ligue zwifchen Sranfreich, We
nedig und dem Papft unaufhoörlich die Nede. Alle Gegner
des Kaifers und feiner Partei fahen in dem Papft und fei-
nem Haufe ihre natürlichen Häupter. Vier Luigi Farnıefe,
der Sohn des Vapftes, hatte an allen Bewegungen gegen
den Kaifer einen mehr oder minder zu Tage liegenden Antheil.
Welch ein Schlag ohne Gleichen war es da, daß eben
diefer Pier Luigi am 10ten September 1547 in Piacenza
ermordet ward.
Er hatte dafelbft im Sinne der italienifchen Tyrannen
alter Schule regiert, die Vorrechte der Edelleute aufgeho-
ben, die Bauern diefen zwar gleichgeftellt, aber dann mit
harten Frohnden belaftet, eine Menge Gefeße gegeben, Die
Entzweiung zwifchen Kaifer und Papf. 1
nur darauf berechnet fehienen, diejenigen zu frafen welche
fie übertreten würden und ihre Güter zu confifeiren, was
dann ohne Weitere gefchah. Sp eben baute er fich ein
Schloß, zu welchem er geweihte Pläge eingezogen, Häufer
von Witwen und Waiſen niedergeriffen; man fagte wohl,
er werde die Ungefehenften feines Gebietes dahin einladen
und es mit ihrem Blute dem Satan weihen. Go zog er
denn auch das Schickfal der alten Tyrannen über fich herein.
Eine Verſchwörung bildete fich, ber er erlag. '
Wie die Dinge der Welt einmal ftanden, fo griff dieſe
Ermordung mit allen großen Ereigniffen zufammen.
Der Faiferliche Befehlehaber in Mailand, Ferrante Gon:
zaga, der längft mit Mißvergnügen wahrgenommen daß Pier
Puigi franzöfifche Soldaten nach Piacenza Fommen laffen,
ſäumte Feinen Augenblick, diefe Stadt jeßt im Namen des
Neiches, das feine Anfprüche daran niemals aufgegeben, in
Befis zu nehmen. Man glaubte allgemein, er habe das
Unternehmen der Verfchtwornen gekannt und fey damit ein
verftanden geweſen. Der florentinifche Gefandte verfichert «8
mit Beftimmtheitz ? er meint annehmen zu dürfen daß aud)
Granvella darum gewußt habe. Wir finden Nachrichten,
nach welchen der Kaifer befragt worden, fich anfangs ge
fträubt und endlich eingemilligt hatte. ?
1. Detaild aus einer merfwürdigen Wertheidigungsfhrift der
Derfhwornen. Supplica delli conti Agostino Landi, Giov. An-
gosciola, Alessandro e Camillo fratelli de Pallavieini, — nella
quale allegano le eagioni che gli indussero a conspirar contra
P. L. Farnese. (Inform. politt. IV.)
2. V. Eccel. puo esser certa che D. Ferrante sapeva quel
che s’ordinava a Piacenza.
3. Avvertimenti al Da di Terranuova: Inf. politt. XU.
12 Neuntes Dudh. Erſtes Capitel.
Es iſt nicht zu befchreiben, in welche Stimmung von
Haß und verhaltener Wuth der Papſt hiedurch gerieth.
Don Diego Mendoza berichtet, er habe geſagt, wenn
man ihm Piacenza nicht wiedergebe, ſo werde er ſich helfen
fo gut er könne, und ſollte er die Hölle zu Hilfe rufen.“
Mendoza ift überzeugt, ein.Bund mit Frankreich fey dem
Abfchluß nahe, man denfe den Herzog von Guife zum Kö—
nig von Neapel zu machen. Ein Wort des Eardinal Far-
nefe, der heilige Vater werde ſich mit Jemand verbinden,
von dem man es nicht denke, deutet er auf das Vorhaben
eines Bundes mit dem Sultan. Dem Gefandten dagegen
gieng der Gedanke durch den Kopf, fih im Namen des
Kaifers der Engelsburg zu bemächtigen: wäre nur der Ver
dacht nicht fo wachſam gemefen,
Diefe weltliche Entzweiung machte nun den in den geift-
lichen Gefchäften eingetretenen Bruch vollends unheilbar.
Der Papft fah in den Anträgen, die der Cardinal Ma:
drucci brachte, doch nichts als eine neue Feindfeligkeit: er
wußte fehr wohl, daß die Forderung der Zurückverlegung
noch keineswegs das letzte Wort des Kaifers enthielt.
Dazu aber, diefe Forderung geradehin zurückzuweiſen,
war jedoch feine Stellung auch nicht angethan. Wie der
Kaifer, jo mußte auch er maaßhaltend, mit der nöthigen
Rechtfertigung vor der Welt erfcheinen.
Zuerft legte er die Sache einer Deputation von Car:
dinalen vor. Deren Urtheil war, daß Kaifer und Reich es
nicht übel deuten könne, wenn ©. Heil. in der wichtigen
1. „que hara lo que pudiere y se ajutara con el diablo.‘
(Mendoza 20 Sept.)
Entzweiung zwifchen Kaifer und Papf. 13
Angelegenheit die in Bologna verfammelten Prälaten felbft
zu Nathe siehe.
Sehr befonders: diefelbe Verſammlung, deren Berech—
tigung der Kaifer leugnete, wurde aufgefordert, fich tiber die
Anträge zu äußern Die er gegen fie machte.
Und diefe lehnte nun nicht mit dürren Worten ab, nad)
Trient zurüchzugehn, aber fie machte Bedingungen die eben
fo gut waren wie eine vollkommen abfchlägliche Antwort. Vor
allem follten die in Trient zurückgebliebenen Prälaten nach
Bologna Fommen und fich mit ihr vereinigen; dann wollte
fie im Voraus wiſſen, ob die deutfche Nation fich dem Con—
cil dergeftalt unterwerfe, daß fie Die in Trient befchloffenen
und bereits bekannt gemachten Decrete über die Glaubengfra-
gen anerkenne, folche niemals in Zweifel zu ziehen fich ver-
pflichte; ferner ob der Kaifer nicht etwa die bisher beobach-
teten conciliaren Formen abzuändern gedenke; ob e8 der
Mehrheit des Conciliums frei ſtehn werde, iiber neue Trang-
lation oder Beendigung definitiv zu befchließen. !
Eine Antwort die den Forderungen der deutfchen Na—
tion und den Abfichten des Kaifers fchlechthin entgegenlief.
Der Papft händigte fie dem Faiferlichen Bevollmächtigten als
feine eigne ein; diefer erkannte, daß hier weiter nichts aus—
zurichten ſey, und frat feine Niückreife an. ?
Dem Kaifer Fonnte dieß wohl nicht unerwartet Fommen;
1. Schreiben des Cardinal de Monte an den Papſt, Bologna
20 Dec. 1547. An 19ten war die Congregation gehalten, in wel-
her die Befchlüffe gefaßt worden find.
2. Vedendo il Cle che con tutto il negotio che si & pos-
suto fare non s’havea altra resolutione, piglid da S. S% licentia.
(Rel, del C! di Trento. )
14 Neuntes Bud. Erfies Capitel.
er war entfchloffen es nicht zu dulden, fondern die alte Dro-
bung einer feierlichen Proteftation endlich zu vollführen.
Auf die förmlichfte Art von der Welt Fam e8 zum Bruch
zwiſchen beiden Gemalten.
Am 16ten Januar 1548 erfchienen die Faiferlichen Pro—
curatoren, zwei Spanier, Ficentiat Vargas und Doctor Ve—
lagco, in der Berfammlung der Prälaten zu Bologna. „Wir
find hier," begann der Licentiat, „im Namen unfers Herrn,
des römifchen Kaifers, um einen Act auszuführen den ihr
längft erwartet. Ihr ſeht wohl welch ein Unglück der Welt
bevorfteht, wenn ihr hartnäckig auf einer Meinung behar—
ven wollt, die ihr einmal, ohne die gehörige Vorficht, er
ariffen habt.! — „Auch ich bin hier,” entgegnete der Le
gat Monte, „im Namen Sr Heiligkeit, des unzweifelhaf—
ten Nachfolgers Petri, Stellvertreters Jeſu Ehrifti, und hier
find diefe heiligften Väter, die dag Concilium unter Einwir—
fung des heiligen Geiftes fortfegen wollen, nachdem «8 recht
mäßig, aus Gründen die fie felber gebilligt haben, von Trient
verlegt ift. Wir bitten Seine Majeftät, ihre Meinung zu ändern
und ung ihren Schuß zu gewähren, denn man weiß, wie fchiwere
Strafen fich Diejenigen zuziehen, die ein Concilium fiören, wie
hoch auch die Würde feyn möge mit der fie bekleidet find.”
Nachdem hierauf die Eaiferliche Vollmacht vorgemwiefen
war — dag Driginal auf Pergament, von dem ausdrücklich
bemerkt wird, es ſey darin nichts ausgeftrichen oder radirt
geweſen, mit dem Faiferlichen Inſiegel,“ — verlag Velasco
die Proteftation, in welcher der Kaifer aus den öfter erwähn-
ten Gründen, die er noch einmal zufammenfaßfe, die un—
1. Datirt Augsburg 27 Aug., man fieht vorläufig.
" =
— — — —
Entzweiung zwifchen Kaiſer und Papft. 15
verzügliche Rückkehr der verfammelten Prälaten nach Trient
forderte. Würden fie fich, was er nicht hoffe, dazu nicht ent-
fchließen, fo proteſtire er hiemit, daß die Translation un—
rechtmäßig und fammt allem was darauf folge, mull und
nichtig fey. Ihnen die fich Legaten nennen, und den hier
verfammelten, größtentheils von dem Winfe des Papfies ab-
hängigen Bifchöfen, könne unmöglich dag Necht zuftehn, in
Sachen de8 Glaubens und der Neformation der Sitten der
chriftlichen Welt Gefeße vorzufchreiben, am wenigſten für eine
ihnen nicht eigentlich bekannte Provinz; die Antwort welche
fie und ©. Heiligkeit dem Kaiſer gegeben, ſey unangemeffen,
voll von Unmahrheiten, nichts als Täufchung. Er felbft, der
Kaifer, müſſe fich der vom Papft vernachläßigten Kirche an-
nehmen, und alles thun was nach Necht und Gefeß, nach
altem Herkommen und der öffentlichen Meinung der Welt
ihm zukomme, Eraft feines Amtes als Kaifer und als König.
Der Legat eriwiederte, von dem was er gethan, wolle
er Gott Nechenfchaft geben, dulden aber könne er nicht,
daß die weltliche Gewalt ſich anmaße ein Concilium zu be
herrſchen.
Wir ſehen: er hielt an ſeinem Begriffe von der Un—
abhängigkeit der geiſtlichen Gewalt feſt, und ließ ſich nicht
aus der Faſſung bringen. Andern aber war doch nicht wohl
zu Muthe. Der Secretär des Conciliums ſchließt ſeinen Be—
richt hierüber mit dem Gebet, daß dieſer Tag nicht der Anfang
des größten Schismas in der Kirche Gottes ſeyn möge. !
Die Proteftation ift eigentlich eine geiftliche Kriegserflä-
rung. Der Kaifer war gefonnen, die Seindfeligkeit die er auf
1. Xctenftüce bei Nainaldus Tom. XXI, p. 373.
16 Neuntes Bud. Erftes Kapitel.
diefem Gebiete begann, fo ernſtlich auszuführen wie jemals
eine andre.
Die vornehmfte Maaßregel die er hiegu ergriff, ift aber
fo durchaus reich8-oberhauptlich und bildet ein fo mefentli-
ches Stück feiner Neichgverwaltung, daß wir wohl am be
ften thun, dieſe zuvörderſt in ihren nächften weltlichen Be
siehungen ing Auge zu faffen.
Weltlihe Einrichtungen im Reiche.
Wir berührten oben, welche Plane höchſt umfaffender
Art den Kaifer durchflogen, als er den Krieg unternahm.
Wollte er aber das Neich einmal erblich machen, wie
er dachte, fo mußte er e8 vor allem regieren: er mußte fich
in dem Vereine autonomer felbftändiger Mächte die ihn um:
gaben, ein Übergewicht verfchaffen, durch welches fie genöthigt
wurden, dem Antriebe zu folgen den er ihnen geben wollte.
Es ift fehr merkwürdig, daß er dieß anfangs weniger
auf dem Wege der DVerfaffung als durch einen Bund zu
thun beabfichtigte.
In den erfien Jahren feiner Negierung hatte ev em:
pfunden, welch ein Moment der Macht in dem fchmwäbifchen
Bunde lag: fo twie jetzt fein Glück wieder beffer wurde, faßte
er den Gedanken denfelben zu erneuern und zu eriveitern,
und unaufhörlich finden wir ihm feitdem dahin arbeiten.
Den Capitulationen der oberländifchen Stände wurden
Ausdrücke einverleibt, an welche man fpäter die Anmuthung
knüpfen Eonnte, in einen Bund diefer Ark zu treten. ! Im Fe
1. Dem Herzog Ulrih fagten die Faiferlichen Abgeordneten,
Abſicht den fchwäbifchen Bund zu erneuern. 17
bruar 1547 dachte Carl in Perfon eine Verfammlung in
Frankfurt zu halten um denfelben zu Stande zu bringen; wir
finden feine Abgeordneten Caſpar von Kaltenthal und Hein:
rich Hafe jenen Franken durchreifen, diefen die ſchwäbiſche
Nitterfchaft verfammeln, um dazu vorzubereiten. ! So lange
jedoch mächtige Feinde im Felde ftanden, ließ fich hievon we:
nig Erfolg erwarten. Erft Ende Mai, nachdem der fäch:
ſiſche Krieg glücklich beendigt worden, eröffnete fich wirklich
ein Bundestag zu Ulm, an welchen der Bifchof von Auge:
burg und Marfgraf Johann von Cüftrin, diefer eigentlich
an Statt König Ferdinands, der noch in Böhmen befchäftigt
war, als Faiferliche Commiffarien auftraten, die alte Bun:
desformel vorlegten und zur Annahme derfelben einluden. ?
Bei weiten mächtiger aber wäre dieſer Bund gewor—
den als der frühere. Er follte dag ganze Neich umfaffen,
die einzige zugelaffene Einung bilden, mit Bundesrichtern ver:
fehen feyn, um jede innere Streitfache ohne viele Weitläuf—
figfeiten zu Ende zu bringen; Der Landfriede follte darin auf
dag ernftlichfte gehandhabt, jeder Vergewaltigte namentlich vor
allen Dingen wieder in feinen Befiß bergeftelt, dann erft
feine Sache unterfucht werden. Die Neichsverfaffung war
mit Förmlichkeiten überladen; bei dem Eintritt in die ver:
fchiedenen Eollegien ward fchon jedes Mitglied vom Gefühl
fein Beitritt würde der Heilbronner Abfunft gemäß feyn. Sattler
III, 258.
1. Relation was Gafpar v. Kaltentall mit den Stennden des
frenfifhen Krays der Hilff und des tags zu Ulm auggericht. (Arch.
zu Berlin.)
2. Actenſtuͤcke im Berl. Arhiv. (Mol. den Anhang.)
Ranke D. Geh. V. 2
18 Neuntes Buch. Erftes Capitel.
feiner Selbftändigfeit erfüllt; Heimbringen, Proteftiren war
faſt herkömmlich geworden: — in einem Bunde dagegen,
welcher die Vorausſetzung freiwilliger Theilnahme für ſich
hatte, waren die Beſchlüſſe einmüthiger, durchgreifender; we—
nigſtens der ſchwäbiſche hatte kein Heimbringen geſtattet; den
Schlüſſen der Bundesräthe zu. folgen war ein jeder verpflichtet.
E8 liegt am Tage, wie da dag Übergewicht der Macht
ſich bei weitem eher durchfegen Fonnte als im Reiche; der
Kaifer, der mit den öftreichifchen und niederländifchen Land-
ichaften beisutreten gedachte, würde den Bund ohne Ziveifel
beherrfcht haben. Die herfömmliche Autorität des Reichs—
oberhauptes würde durch die Bundesgemwalt zu doppelter Ener⸗
gie gelangt ſeyn.
Eben darum mußte aber dieſer Entwurf doch auch den
größten Widerſpruch hervorrufen.
Die Städte bemerkten mit Schrecken, daß fie fortan
an allen Kriegen des Haufes Öftreich in obern und nie:
dern Landen würden Theil nehmen müſſen; fchon die Unko—
ften der Zufammenfünfte würden ihnen läftig fallen, die un:
aufhörlichen Hülfleiftungen aber fie zu Grunde richten; ihr
Gewerbe nach den benachbarten Ländern, wie England und
Frankreich, würde fie doppelter Gefahr ausfeen. !
Die Näthe der Fürften überlegten, daß fogar die Ter—
ritorialhoheit dadurch in Gefahr gerathen dürfte. Biſchöfe,
Grafen und Herrn würden fich von der Negierung des Für-
1. Inſtruction von Mm. „Dieweil menigflich unverporgen, wöl-
hermaßen der Kayf. und Kon. Mt Erb und andere lender taglichs
von frembden Votentaten angefochten werden; -- Sf. Mt fey von
den Ständen zu bitten „von diefem Iren befchwerlihen Vorhaben
allergnedigft abzuſteen.“
Abficht den fhwabifchen Bund zu erneuern. 19
ſten abfondern, deffen Schuß ihnen nicht mehr nöthig fey,
fobald aller Schuß vom Bunde ausgehe. Churfürft Morig
erinnerte, die Erbeinung der Häuſer Heffen, Brandenburg und
Sachfen, durch welche die Kaifer oftmals genöthige worden
mit deren Nathe zu handeln, werde nicht mehr beftehn; ' das
fächfifche Necht, um deswillen man von der Appellation befreit
fey, und viele andere Privilegien würden bedroht werden. ?
Wilhelm von Batern, der wieder in fehr Fatholifchem
Eifer war, fand eine Verbindung mit proteftantifchen Für:
ften auch darum unthunlich, weil man dann genöthigt wer:
den Eönnte dem Neformationswefen zuzufehen.
E8 war Schon von fchlechter VWorbedeutung, daß der Kai-
fer in Ulm nicht vorwärts Fam und die Verhandlung über den
Bund an den Reichstag ziehn mußte. Hier ließ er fie aller:
dings nicht fogleich fallen: der vorgelegte Entwurf ward von
den beiden höhern Collegien begutachtet, ein Schrifttwechfel auf
die herkömmliche Weife darüber eingeleitet: wohlverftanden
jedoch, mit dem Vorbehalt der Unverbindlichkeit; endlich
ward, nach langer Weigerung der Churfürften, ein gemein-
fchaftlicher Ausfchuß darüber niedergefeßt; — fo weit Fön-
nen wir die Sache verfolgen: — wie nun aber der Ausſchuß
1. Aus dem Concept zu einem undatirten, jedoch früheren Schrei:
ben Foahims an Moritz: „Weil — wie E. Chf. Gn. erachten, diefer
bund hier diefen landen wenig nußlich oder furtreglich, fondern allein
zu untreglichen Foften gereihen wolt, - - bittet Chf. freundlich, f.
Chf. Gn. wolten die Unterrede und damals Sr Chf. Gn. Anzeigen
ingedenf feyn, fih in diefe Buͤndniß nit bereden laffen, noch diefelb
annemen, -- mit ferrer einfürung das unfer alte befhworne Erbeini-
gung dadurd abgethan werden wolt.”
2. Rethe zu Torgau an den Churfürften zu Sachſen. (Dresd
Archiv.)
2*
20 Neuntes Buch. Erftes Capitel.
zuſammentreten fol, wo dann jeder weitere Schritt eine wirk
liche Verpflichtung in fich gefchloffen haben würde, hören
die Acten auf darüber zu berichten; ! die Städte felbft find
verwundert, daß man davon nichts meiter an fie bringt:
Alles ward rückgängig.
Es wirkte wohl zufammen, daß die Fürſten eine un—
tiberwwindliche Abneigung an den Tag legten, und der Kaifer
dagegen die Ausſicht faffen durfte, zu einigen der fin ihn
bedeutendften Zwecke, die er bei dem Entwurf hatte, in den
Formen des Neichgtags zu gelangen.
In feiner Propofition hatte er außer den religiofen An—
gelegenheiten auch die übrigen herkömmlichen Gegenftände der
Neichsberathung, Landfrieden, Kammergericht, Anfchläge, zur
Sprache gebracht.
Schon bei den beiden erften gelang e8 ihm, das reli-
giöſe und reichSoberhauptliche Sntereffe, worauf e8 ihm vor
allem anfam, beftens wahrzunehmen.
Als Verletzungen des Landfriedens wurden jeßf auch
die Beraubungen der Geiftlichen ausdrücklich bezeichnet: ne
ben Schlöffern, Städten, Dörfern, die Niemand angreifen
dürfe, erfcheinen zum erften Mal auch Kirchen, Klöfter, Clau-
fen, die Jurisdictionen ganz im Allgemeinen.
Die Churfürften hatten vorgefchlagen, die Verſammlun—
gen herrnloſen Kriegsvolks ohne Ausnahme zu verbieten:
Kaifer und Fürften beliebten, daß fie nur dann zerfireut wer:
1. Sm Protocoll des Shurfürftenrathes fann man die Sache
bis zum 31 Fan. verfolgen, im Schererfchen Auszug bei Fels heißt
8: „aber es iſt letzlich alle folhe Handlung in ihr ſelbſt erfißen und
den Stätten ferner nichts deshalb vorbracht.“ (Fels I, 211.)
Weltliche Gefchafte des Reichstags von 1547. 21
den follten, wenn fie nicht vielleicht eine Erlaubniß des Kai-
fers und Königs nachweifen könnten.!
Nachdem jene DBeforgniffe gehoben waren, welche der
Bundesentwurf erweckt hatte, zeigte fich überhaupt eine fehr
enge Verbindung des Kaifers mit dem Fürftenrathe.
Die Fürften drangen darauf, daß fortan mie früher
ſämmtliche Mitglieder des Kammergerichts dem Eatholifchen
Glauben angehören follten. Der Kaifer gab e8 ihnen nad).
Dagegen forderte der Kaifer, daß ihm für dieß Mal
die Befegung des Kammergerichts allein anheimgeftellt würde.
Er brachte dabei die alten Gerechtfame des Kaiferthumsg,
dag Gericht am Hofe zu halten, in Erimmerung. Die Für:
ften gaben e8 nach.
Hierauf ſchritt man zur Abfaffung einer neuen Kam—
mergerichtsordnung. ? Zwei alte Beifißer, Dr Viſch und
Dr Braun, fahen die bisherigen Conftitutionen durch, brach:
ten fie in Ordnung und flellten, wo fie Mängel und Lücken
bemerften, ihre eigenen Vorſchläge auf. Mit aller Weitläuf—
figFeit welche legislativen Arbeiten ftändifcher Verſammlun—
gen eigen ift, verfuhr man bei der Derathung. Zuerſt
gieng ein ftändifcher Ausschuß Artikel fir Artikel durch wo—
bei er denn befonders die neuen Vorſchläge in Betracht
509, ber welche er feine Bemerfungen machte. So revi-
Dirt gelangte der Entwurf an die beiden Collegien der Für-
ften und der Churfürften, wo er ebenfalls von Anfang bis
1. Sn den Aeten findet fich undatirt der Entwurf der Churfür:
ften und die Antwort des Fürftenraths, die Eingabe an den Kaifer.
2. Harpprecht hat die meiften zwifchen Kaifer und Ständen
gewechſelten Schriften mitgetheilt. Won denen die er vermißte, fin-
den fich mehrere in den von mir benußten Archiven, namentlich dem
22 Meuntes Bud. Erſtes Capitel.
Ende. durchgefprochen ward. Die Collegien festen fich als—
dann mit dem Kaifer in Verbindung, der nun auch feine
Bemerkungen machte, worüber man hin und her fchrieb, big
man fich endlich vereinigte. Die Weitfchichtigkeit diefes Ver—
fahreng hinderte jedoch nicht, die vorwaltenden Intereſſen, na-
mentlich der Fürften, die der. Kaifer jett gewähren lief, im
Auge zu behalten. Bei der Beftimmung, wie die Präfentation
in Zufunft vorgenommen werden follte, ward des Antheils der
Grafen, Prälaten und Heren nur noch in Einem Kreife gedacht.
Gern hätten die Städte an der Berathung einer Sache Theil
genommen, von der, wie fie fagten, ihr Genefen und Ber
derben abhänge: fie blieben aber davon ausgefchloffen.
Berliner: 3. B. Bedenken, welche Articul aus der Cammergerichts:
ordnung in den Landfrieden gezogen und gefeßt werden follen, 14 Dec.
1547; — Bedenken über den erften Theil der Kammergerichtsord:
nung 14 Sanuar 1548; — des Ausfhuß Nelation über das ander
Theil der Kammergericht3ordnung. „Darin haben berurte Docto—
res aus allen des Reichs Abfcheiden und Gonftitutionen, desgleichen
aus dem Landfrieden fo auf diefen igigen Neichstag - - gebeflert - -
alle vhelle und fachen, darin dem kayſ. Kammergericht Gerichtszwang
zugeftellt und gegeben, zu hauf getragen und verfaßt; diefelbigen vhelle
und fachen, das mehrer theil mit iren umbflenden und zugehorungen,
derwegen fie jederzeit den Abfcheiden einverleibt, fo vil von notten,
in die Ordnung gezogen.” — Sie haben diefen Theil in zwei Ab—
theilungen gefondert, 1) perfonen und fachen dem reich ane mittel,
2) perfonen und fachen dem reich nit ane mittel untterworffen. „Wel—
hen zweien Stuͤcken die deputirten Doctores hin und wider new Ad-
dition und zufeß, und volgends dem darzu verordenten Ausſchuß res
lation, warumb folhe newe zufeß von inen fur nüßlich eracht, be
richt gethan haben. Demnach hat der Ausfhuß nit umbgehn follen
oder wollen, ein jeden punct nach dem andern an die hand zu neh-
men, was darin befund den alten Abfcheiden gemeß, Feine enderung
zu thun, fo viel aber bei der Deputirten neuen zufeßen vom Aus:
ſchuß femmtl. für annehmlich geacht, folches ift mit B ſigniret.“ (Die
Zufäße der Deputirten felbft mit A.)
Weltlihe Gefchäfte des Reichstags von 1547. 233
Überhaupt erfreuten fich die Städte an diefem Neichstag
Feiner befondern Berückfichtigung. Auf ihre Klage, daß der
Landfriede die Straßen noch immer nicht fichere, das Ge
leite feinen Schuß gemwähre, obgleich man gezwungen ſey ſich
daſſelbe zu verfchaffen, auf ihre Bitte, die Obrigfeiten für
jede Gemwaltthat die in ihrem Gebiete gefchehe verantwort-
lich zu machen, nahm der Kaifer in feiner Nefolution auch
nicht mit einer Silbe Nückficht. '
Und nicht beffer gieng e8 ihnen, als nun die Reichs—
anfchläge zur DBerathung Famen. Die Fürften bewilligten
dem römifchen König zur Bewahrung feiner Grenzen gegen
die Zürfen 50000 ©.; bei der Vertheilung derfelben legten
fie den Anfchlag von Coſtnitz zu Grunde, gegen welchen Die
Städte immer proteftire hatten. Diefe verfäumten nicht zu
bemerken, daß dergeftalt faft die Hälfte der ganzen Summe
auf fie falle. Sie gaben an, von einigen unter ihnen fordere
man faft fo viel Mannfchaft, als fie Bürger hätten, von
andern nicht viel weniger Geld, als ihr ganzes Einkommen
betrage. König Ferdinand eriwiederte, ihre Klage möge ge
gründet feyn, aber von dem Fürftenrath laffe ſich nun ein
mal Feine Abänderung des gefaßten Befchluffes erwarten:
er gebe den ehrbaren Städten zu bedenken, daß ihnen ihrer
Gewerbe halber noch mehr an einer Bewahrung der Gren-
sen liegen müffe als den Fürften.
Im Grunde eine fehr natürliche Folge der Ereigniffe.
Die Städte waren immer in der Oppofition geweſen; der
Fürſtenrath hatte fich dem Prinzip dag den Sieg behaup-
1. Schreiben des Frankfurter Gefandten Daniel zum Zungen
17 April. (Fr. U.)
24 - Meuntes Buch. Erftes Capitel.
tete am nächften gehalten. Das wirkte in den Feftferun-
gen des Neichstags nad).
Überdieß Eamen eben bei diefen Berathungen ein paar
Angelegenheiten zur Sprache, in denen der Kaifer der Gunft
der Fürſten bedurfte, und die ihm höchlich am Herzen lagen.
Bon allen die twichtigfte war eine nähere Verbindung
der Niederlande mit dem Neiche, wie fchon der Bundesent—
wurf dahin gezielt hatte. Da es mit diefem nicht gelungen
war, fo fuchte man nun auf dem gewohnten Wege zum Ziele
zu Fommen. Königin Maria erinnerte den Kaifer die Gele:
genheit nicht zu verfäumen, er könne nie eine beffere finden. !
Nun dürfte man aber nicht glauben, die Abficht der
niederländifchen Negierung ſey geweſen, die reichsftändifchen
Nechte und Pflichten fchlechthin zu theilen: nichts würde ihr
leichter geworden feyn.
Schon unter Marimilian, der die zu feiner Zeit verei⸗
nigten Niederlande als den burgundifchen Kreis bezeichnete,
fuchte das Kammergericht diefelben feiner Jurisdiction zu
unterwerfen und fie zu den Neichsanfchlägen herbeisusiehen.
Seitdem hatte dag Haus Burgund auch Utrecht und Gel:
dern, Die zu dem weftphälifchen Kreiſe gehörten, erwor—
ben: weder dag Kammergericht noch die Berfammlungen des
Kreifes hatten ſich dadurch abhalten laffen, diefe Länder nach
ihrem bisherigen Verhältniß zu behandeln. Allein von den Nie:
1. Instruetion pour Messire Viglius de Zuichem de ce quiil
aura a faire en la presente diete imperiale de Augsbourg a l’en-
droit des affaires des pays pardega. „L’occasion pour radresser
les dits affaires est a present meilleur quelle ne fut oneque pour
le bon et heureux succès de S. Me imple.“ (Arc. zu Brüffel.)
Burgundiſcher Vertrag. 25
derlanden hatte man ebenfall8 von jeher ſowohl gegen das
Eine wie gegen das Andre remonftrire; im Jahr 1542
war die Sache am Neichgtag in aller Ausführlichkeit ver
handele worden Auch jest, obwohl im Beſitz einer Neiche-
gewalt wie fie feit Jahrhunderten Feiner feiner Vorfahren
gehabt, fette fich der Kaifer dagegen. Er bemerfte, die Er:
richtung des burgundifchen Kreiſes ſey niemals zur Wirk—
famfeit gelangt: über Menfchen Gedenken ſey dafelbft von
feinem Proceß des Kammergerichts die Nede geweſen: dal
felbe aber fey von Geldern und Utrecht zu fagen: nach
dem Bericht der Stände von Geldern feyen die Reichsan—
fchläge von ihnen niemals gefordert, gefchweige denn gelei-
ſtet worden; die Landfchaft des Stifts Utrecht habe fich ge-
weigert die Auslagen wiederzuerftatten, welche Königin Maria
bei der letzten Türkenſteuer fir fie gemacht habe. -
Sc möchte nicht behaupten, daß dieß nun auch Die
Überzeugung des Kaiferg und feiner Näthe gemefen ſey: der:
jenige Faiferliche Rath wenigfteng, der diefe Sache in Auge:
burg bearbeitete, Viglius van Zuichem, fagte fpäter den Hol:
ländern, als fie Miene machten eine zu Gunften des Nei-
ches geforderte Anlage zu verweigern, nach altem Recht wür—
den fie verpflichtet feyn zehnmal ſoviel beizutragen.
Das Intereſſe der niederländifchen Negierung war, ef
was fir fich zu feyn, die Einwirkungen des Neiches fo wer
nig wie möglich zu empfinden und doch den Schuß deffel-
ben zu genießen.
In einer Inſtruction der Königin Maria heißt es, zur
Sicherheit der Niederlande fey e8 wünſchenswerth, ein Of
fenfiv- und Defenſiv⸗Bündniß derfelben mit dem Reich zu
26 Neuntes Buch. Erftes Capitel.
fchliegen, ohne fie doch darum in ihren Freiheiten zu beein:
trächtigen und fie dem Reiche zu unterwerfen. !
Der Kaifer hoffte dieß dem Weſen nach zu erreichen,
indem er fich endlich bereit erklärte, mit feinen Erbniederlan-
den in den Neichshülfen immer mit einer beſtimmten Summe
aufzufommen, wogegen man jedoch diefelben ſämmtlich in
Einem Kreife begreifen und in ihren Eremtionen von den
Neichsgerichten beftätigen müſſe.
Die Dinge lagen fo, daß die Stände dieß dem Kai-
fer bei weitem mehr als dem Neiche vortheilhafte Begeh—
ven dennoch nicht ablehnten. >
Sie forderten ihn zunächft auf, die Lande die er in
Einen Kreis zu vereinigen gedenfe, namentlich zu bezeichnen,
und anzugeben was er von denfelben leiften wolle und da:
gegen vom Neich erwarte.
In feiner Antwort am 1dten Mai zählt nun der Kai—
fer feine gefammten Erbniederlande auf: — die vormals fran-
zöfifchen, Flandern und Artois, fo gut wie die neu erworbe—
nen, Utrecht Dveriffel Gröningen Geldern Zütphen felbft Ma-
firicht, fchließt er ein; dag Neich foll fich verbinden, fie mie
andre feiner Glieder zu vertheidigen, ohne ihnen darum ihre
Eremtionen zu entreißen; dafiir will er den Anfchlag eines
Churfürſten zwiefach zahlen.
Die Stände waren nicht fogleich mit ihm einverftan-
den; fie besweifelten die Gültigfeit jener Eremtionen, fie hiel-
1. A été advise de trouver quelque expedient et bon moien,
pour lasseurance dudit pays, de les allier avec led. empire tant
par ligue offensive que defensive envers et contre tous, moyen-
nant que l’on le pourroit faire sans prejudicier lesd pays et leurs
libertes et privilöges et sans les assujettir aud. empire.
2 ee
— ——
Burgundifcher Vertrag. 27
fen einen dreifachen Anfchlag für billiger. Aber der Kaiſer
blieb bei feinen Behauptungen: fogar die Freiheit des lo—
tharingifchen Neiches, die auf feine Vorfahren und demnach
auf ihn fortgeerbt ſey, brachte er in Erinnerung; ' was den
Anfchlag betrifft, fo bemerkte er daß die Niederlande ſchon
an fich für die Bewachung ihrer für das ganze Neich fo
toichtigen Grenzen forgen müßten: ein Mehreres laſſe fic)
von ihnen nicht erlangen.
Churfürften und Fürften erklärten hierauf, es fey nicht
ihre Meinung, fic mit Faiferlicher Majeftät in Disputation
einzulaffen, und nahmen den Vorſchlag an.
So Fam der burgundifche Vertrag zu Stande, der am
26ſten Juni vollzogen worden ift. Der Kaifer gelangte durd)
denfelben zu allen feinen Abfichten.
Daß feine Erblande als ein einziger Kreis betrachtet
wurden, beförderte die Negierungseinheit, nach welcher er über:
haupt trachtete, und befreite ihn von dem fremdartigen Ein-
fluß benachbarter Kreisverfammlungen. Es hatte für fein
Haus den größten Werth, daß Flandern und Artois, über
welche Sranfreich noch immer die OberherrlichFeit in Anfpruc)
nahm, fo oft e8 auch darauf Verzicht geleifter, als Theile
des Meichs betrachtet, in deffelben Schuß und Schirm auf-
genommen wurden. Der zwiefache Anfchlag eines Churfür:
fien war dafür gewiß Fein zu hoher Preis, da die meiften
1. „So feint auch fonft der mehrertheil der niderlandt jn dem
lottringifchen reich, fo dem lottario zwufchen Tranfreih und Germa—
nien gelegen, für ein fonder reich in der Theilung Garoli Magni
enifel zugetheilt worden, und erbsweiß auff ir keyſ. Mt und deren
vorfaren von denfelbigen berfommen, welches eine fondere Provinz,
welches von allen Zurisdictionen und Appellationen je und allwegen
über unverdechtliche Zeit frei und eremt geweſen.“ — —
28 Neuntes Buch. Erftes Capitel.
europäifchen Kriege ohnehin die Niederlande betrafen, und
die Seindfeligkeit gegen die Türken, die einzige auf die es
noch außerdem anfanı, ein anderes dynaſtiſches Intereſſe dar-
bot. Man trug Sorge jeden meiteren Anfpruch zu befei-
tigen. Mürde 5. DB. der Neichstag einmal einen gemeinen
Pfennig einzubringen befchließen, dann follten, fo ward feft-
gefeßt, die Niederlande, ftatt den Beſchluß ausführen, nichts
weiter als eine Summe zahlen derjenigen gleich, welche diefe
Auflage in zwei Churfürftenthiimern am Nheine einbringe. !
Übrigens ward die innere Unabhängigkeit der Provinzen jetzt
erft eigentlich beftätigt. Ausdrücklicher als jemals ward zu:
geftanden, daß des Neiches Ordnungen und Saßungen fie
nicht verpflichten follten. Und zwar geſchah dieß im derfel
ben Urkunde, in welcher man ebenfalls ausdrücklicher als je:
mals früher fefifeßte, daß der Erb> und Oberherr diefer Nie
derlande Si und Stimme am Neichdtag haben folle mie
Oſtreich. Es liegt ein fonderbarer Widerfpruch darin, daß
der Kaifer in demfelben Augenblick wo er die Ernennun—
gen zum Kammergericht in feine Hand nimmt, fich zugleich
fo angelegentlich bemüht, fein Erbland von demfelben zu exi—
miren, und ift doch fehr gut zu erklären. Reich und Kat
ſerthum fallen noch mit nichten zuſammen: dieß iſt vor
1. Sn dem Berliner Archiv finden fich außer den Acten über
die Unfchläge folgende Stüfe in Bezug auf Burgund. 1) Kaifers
lihe Nefolution uf der Chf. FF. und Stend Bedenken der Anfchleg
halben de3 burgundifchen Kreifes, 28 März; 2) der Churfürften,
Fürften und Stende Antwort, 12 April; 3) Kaiferl. Mt andere Nie
folvirung, 27 April; 4) der Stände Antwort, 0. D.; 5) Kaif. Wit
Replic, 14 Maji; 6) Antwort der Stände 20 Mai, falfy bezeich-
net als vom 20 Juni; 7) Neue faif. Erflärung 28 Mai; 8) Notel
de3 Bündniffes 23 Zuni.
Bewilligung einer Neichsfriegscaffe. 29
übergehend, jenes bleibt immer. Die Politik der vorwalten:
den Mächte ift es allezeit geweſen, felber Einfluß auszuüben,
aber Feine Rückwirkung zu erfahren.
In diefem Augenblicke feßte der Kaifer aber noch eine
andre, fehr ungetwohnte, für feine Gewalt fehr bedeutende
Bewilligung durch.
Wie es bei jenem Bundesentwurf einer feiner vornehm-
ften Gedanken gewefen war, ſich die Mittel zur Fortferung
des Krieges zu verfchaffen, fo trug er jett auch bei dem
Neiche, über dag er fo viel vermochte, auf Bildung ‚eines
Vorrathes“ 8. i. einer Neichskriegscaffe an. „Denn vor
allem ſey es num auch nöthig dem erlangten Frieden zu er
halten: er könne nicht dafür ſtehn, ob fich nicht gar bald
Jemand innerhalb des Neiches auflehnen oder ein auswär—
figer Fürft dag Neich, wenn auch nur durch geheime Practif,
anfechten werde: nun wiſſe jedermann welchen Nachtheil die
bisherige Unverfaffung veranlaßt habe, verfaßte Hand da-
gegen twehre Befchwerungen ohne Mühe ab; ihm, der ſchon
fo viele Bürden frage, könne man Feine weitere Anftrengung
zumuthen: er müffe die Stände erfuchen, einen nahmhaften
Geldvorrath zufammenzubringen, der dann, aber nicht ohne
ihr Vorwiſſen, zur Erhaltung Friedens und Nechtens ange:
wendet werden ſolle.“
Eine Summe Geldes in der Hand eines ohnehin ſo
mächtigen Kaiſers, um jede innere Bewegung auf Koſten
des Reiches zu erdrücken: wahrhaftig, man braucht nicht
1. Kaiſ. Mt Propoſition und begeren etlich Geld im Reich zum
Vorrath zu erlegen. Actum am Pfingftabend 20 Mai 1548. (Berl.
Archiv.)
30 Neuntes Buch. Erftes Capitel.
zu erörtern wie fehr diefer Gedanfe außerhalb alles Her-
kommens deutfcher Stände lag.
Auch fand derfelbe, wie wir aus den Protocollen des
Churfürftenratheg fehen, ftarfen MWiderftand. Mainz be
merkte: durch die letzten Kriege ſey ein Jeder in feinem Kam—
merguf erfchöpft, eine neue Forderung an die ohnehin be
fchwerten Unterthanen dürfte Unruhen veranlaffen. Bran—
denburg meinte, der Kaifer fey wohl an fich mächtig genug,
zumal bei den Ordnungen des Kammergerichts und des Land-
friedeng, einen auftauchenden Widerftand zu erdrücken: man
‚möge doch ja nicht etwas bewilligen was dann vielleicht
nicht geleiftee werden Fönne.' Ge erflärten ſich auch Pfak
und Trier. Sachen winfchfe wenigftens Auffchub. Cölln,
jest am meiften Faiferlich gefinnt, rieth doch in diefem Fall,
den Kaifer lieber mit der Beitreibung der noch aus dem letz—
ten Türkenkrieg rückſtändigen Steuer zu befriedigen. Genug
fie waren im Grunde alle dagegen.
Allein es fchien jeßt als Fönne das Neich dem SKaifer
nichts mehr abfchlagen. Ein Ausſchuß ward niedergefeßt,
deffen Gutachten alle Gegengründe aufzählt, und doch mit
der Bewilligung eines halben Nomzugs zu dem angegebenen
Zwecke fchliegt. Fürften und Churfürften zogen daffelbe in wei-
tere Berathung: fie endigfen damit, dieß Erbieten auf einen
1. Votum von Brandenburg. ‚San nit erachten das die Fi.
Mt darumb beweget werden folt in dem das unmöglich; were beffer
die urfachen jeßo anzuzeigen, denn dag man zufagen folt und nit lei-
ften, das h. Neich ftehe jest in ruiglichem wefen, obgleich was ent:
fund, feyen die Faif. Mt alfo gefaßt daffelbig zu hindern; - - warn
ſolchs füglih mit erzellung des unvermogens Faiferliher Mt fürge-
tragen wirdet, wird es ff. Mt zu feinen ungnaden bewegen.“ (Pro:
tocoll im Berl. Arch.)
Anfeben Carte V. 31
ganzen Romzug zu erhöhen. EB bezeichnet die Einfachheit
der Epoche, daß fie den erften Termin diefer Zahlung auf
Weihnachten anfeßten, weil man den Unterthanen Zeit laſſen
müffe ihre Ernte einzubringen und zu verfaufen. '
Seit vielen Jahrhunderten hatte nie ein Kaifer eine grö—
ßere Hingebung erfahren. Bemerken wir nur mit welcher
Nückficht ihm die gerechteften Befchwerden vorgetragen wur:
ben. Denn gewiß lief es feiner Capitulation entgegen, daß
er fpanifche Truppen ins Meich geführt und fie fogar bie
und da in Befagung gelegt hatte. Nichts erregte Tebhaftere
Klagen, und endlich entfchloffen fich die Stände auf den An-
frag von Pfalz, die Abichaffung diefes Kriegsvolfs in Er-
innerung zu bringen. Sie thaten dag aber nur, indem fie
die Worte wegließen die dem Kaifer hätten empfindlich fallen
können: fpanifch, fremd: und es dem Faiferlichen Ermeffen
überließen, ob die Zeit dazu fchon gefommen. Der Kaifer er—
wiederte: er wiſſe wohl, daß die Klagen die man gegen fein
Kriegsvolk erhebe, größtentheils ungegründet feyen, doch wolle
er fie unterfuchen laffen: an der Abfchaffung der Mannfchaf:
ten aber werde er durch unvermeidliche Nothwendigkeit gehin-
derf. Und für diefe „allergnädigſte“ Antwort nun, Die doch
abfchläglich ift, danken ihm die Stände unterthänigft, flehen
ihn nur an, das nothwendige Einfehen zu haben: dann werde
er ein goftgefällig Werk thun: „fo find es“, fchließen fie,
„gemeine Stände um Kaiferl. Majeftät auch unterthänigft
zu verdienen willig, und thun fich derfelben zu Gnaden bie
mit unterthänigft befehlen.“ Welch eine Häufung des Gnä—
1. Bedenken des Ausfchuffes 28 Mai; Antwort der Stände
> Juni; Kaiſerl. Refolution 6 Juni; der Stände Ießte Antwort
10 Suni.
32 Neuntes Buch. Erftes Capitel.
digft und Umterthänigft in einer Sache, die fie mit gutem
Rechte hätten fordern können.
Der Kaiſer hatte nicht allein den Sieg erfochten und die
Macht im Allgemeinen in Händen, ſondern es lagen ihm
auch Streitſachen vor, die ihm auf das Wohl oder Wehe
der einzelnen Fürſten und ihrer Häuſer einen großen Ein—
fluß ſicherten.
Seinen Geburtstag, im Februar 1548, begieng Carl V da:
mit, daß er, „ſitzend in feiner Eaiferlichen Krone, Zierheit und
dajeſtät,“ wie ein gleichzeitiger Bericht fagt, die Chur Sach—
fen auf feinen Verbündeten Morig übertrug. Zehn Fahnen
beseichneten die verfchiedenen Nechte und Gebierstheile welche
Morig in Empfang nahm. !
Am Sten April ward Adolf von Schaumburg in Gr
genwart des Kaifers und des Könige mit allem Firchlichen
Pomp zum Erzbifchof von Cölln geweiht. Es war die zweite
Churwürde die der Kaifer in Folge feines Sieges vergabte.
Und fchon lag die Entfcheidung über eine dritte Chur:
würde in feiner Hand. Herzog Wilhelm von Baiern fah mit
Verdruß, daß der neue Ehurfürft von Sachfen und König Fer-
dinand von dem Kriege große Vortheile zogen, er dagegen, der
das Meifte gethan zu haben glaubte, leer ausgieng. Mit ver
doppeltem Ernft forderte er in die pfälziſche Chur eingefeßt
zu werden: — gleich als fey er der Entfete und Beraubte,
wollte er den Beſitz der Vettern gar nicht mehr anerkennen,
und lehnte, auf feinen Vertrag vom J. 1546 fich ftüßend,
1. Heimar Ko Luͤbeckſche Chronif: Den 24 Febr. hefft Hartch
Morig tho Außborch mercedem iniquitatis, if wolte feggen de Herl-
het -- duth, hefft de gode alde Görforfte angefehen und gelachet,
daft me mit untruw fodane berrichet vördenen fhal und kann.
Belehnungen. Pfälzifche Chur. 33
jeden weiteren Nechtsgang ab. So deutlich kam jedoch dem
Kaifer feine Verpflichtung mit nichten vor: der Herzog mußte
fich zu weiteren Erörterungen bequemen, und in den Acten
finden wir einen weitläuftigen Schriftwechfel über die Sache.
Es Fam hiebei zu einem Außerften das man gar nicht er
warten follte. Herzog Wilhelm erkannte die goldne Bulle
noch nicht an: er zog in Zweifel, ob Carl IV ohne Bewil-
ligung des Vapftes eine Beſtimmung über die Churfürften-
thiimer habe treffen Fonnen. ! Was war aber Nechtens im
Neiche, wenn diefe Urkunde nicht zu Necht beftand? Aller:
dings war fie im Geift der Oppofition gegen das Papft-
thum gefaßt: wir erfennen darin nur ein neues Motiv für
die Verbindung der Ludwigfchen Linie des Haufes Mittels:
bad) mit Nom; aber wie hätte der Kaifer darauf eingehn
Fönnen, der nur Fraft der goldnen Bulle regierte? Mit den
Pfalzgrafen, die ihm nahe verwandt waren, verföhnt, mochte
er um fo iveniger daran denken, den Anfprüchen des Her:
3098 Statt zu geben.
Schon erhob derfelbe noch einen andern Streit gegen
feine Vettern. Er forderte die Beſitzungen des Pfalsgrafen
Otto Heinrich, der mit dem Kaifer noch nicht ausgeföhnt
war. Don pfälzifcher Seite erwiederte man, daß die Land-
fchaften dann wenigftens nicht an Baiern, fondern an eine
andere Linie des pfälzifchen Haufes fallen müßten.
1. „Zu dem allen ift nit ein Fleiner zweiffel, dieweyl die Orde—
nung der Churfürften von dem bepfil. Stul erftlich gefeßt, ob in Koͤ—
nig Carls gewalt geftanden fey one bepfil. Heil. bewilligung und vor:
wiffen inn fachen die chur betreffende etwas news zu verordnen und
zu feßen.” Herzog Wilhelms von Baiern Gegenberiht 22 Mar:
tii 1548,
Ranke D. Gefh. V. 3
34 Neuntes Bud. Erſtes Capitel.
Und ein noch wichtigerer Nechtshandel war indeß von
König Ferdinand anhängig gemacht. Er erhob Anfpruch
auf Würtenberg, weil Herzog Ulrich den Vertrag von Ca—
dan, auf welchem fein Necht beruhe, durch feine Theilnahme
an dem fchmalfaldifchen Kriege gebrochen habe. Im Fe
bruar ward ein Gericht aus den Faiferlichen Näthen Selb,
Haas, Viglius, Veltwyk unter dem Präfidium des neuen
Erzbifchofs von Cölln zufammengefet, welche bald eine fo
entjchiedene Hinneigung zu Gunften des Königs Fund ga
den, daß die Anwälte von Würtenberg fich nur noch auf
das unverwirkte Necht des jungen Herzog Chriſtoph besie-
hen zu können glaubten. ! |
Einen andern Proceß, der feit 20 Jahren fchtwebte, ziwi-
fchen Naffau und Heffen, hielt der Kaifer für gut endlich)
su entjcheiden. Am 5ten Auguft, nachdem der Neichstag be
reits beendigt war, faß er in feinem Pallaft zu offener Au—
dienz auf feinem Stuhl; die Procuratoren beider Parteien
erfchienen vor ihm: die naffanifchen baten um Eröffnung
des Urtheils, die heffischen auch wegen der Gefangenfchaft
de8 Landgrafen um ferneren Verzug; der Kaifer antwortete
dadurch, daß er feinen Protonotar herbeirief und ihm anbefahl,
dag Urtel, das er ihm zugleich übergab, bekannt zu machen.
Ein großer Theil der bisher von Heffen behaupteten ftreiti-
gen Pfandfchaften, Nutungen und Gebiete, darunter halb
Darmſtadt, ward dem Grafen von Naffau zuerkannt, der nun
wirklich, wenigſtens auf einige Zeit, in Beſitz gelangte. °
Nicht fo entichieden trat der Kaifer in der preufifchen
1. Sattler II, 269
2. Arnoldi Gefh. von Naffau IM, 1, 130. Saftrow II, 563.
NRechtsentfiheidungen. 35
Sache auf, die zu Augsburg aufs neue in Anregung Fam.
Der Deutfchmeifter Wolfgang Schußbar von Milchling for-
derte die Execution der vorlängft über Herzog Albrecht aus—
gefprochenen Neichsacht. Dagegen brachte ein polnifcher Ge-
fandter, weil Preußen der Krone Polen angehöre, die Auf
hebung derfelben in Antrag." Ende Januar 1548 ward
ein Ausſchuß fir diefe Angelegenheit niedergefeßt. Die
fer vereinigte fich leicht darüber — felbft der Churfürſt von
Brandenburg ſtimmte dafür — daß die Acht ohne ein neues
Nechtsverfahren nicht aufgehoben werden dürfe. Streit er:
hob ſich erſt, als man nun fragte, ob fie erequirt werden
folfe oder nicht. Mit vielem Eifer erklärte Baiern, man
müffe dem Nechte feinen Lauf laffen, und die ergangenen Ur:
tel ausführen, ohne erft auf Gefahren die daher entfpringen
könnten, Nückficht zu nehmen: fonft werde bald Niemand
mehr zur Erhaltung des Kammergerichts beitragen wollen.
Damit drang nun Baiern zwar nicht vollftändig durch ; — Die
Majorität des Ausfchuffes, welche Feinen Bruch mit Polen
wollte, der den Osmanen zu Statten kommen könne, empfahl
dem Kaifer einen erneuten Verfuch gütlicher Beilegung — aber
e8 bildete fich doch eine Minorität, die auf unbedingfe Vollzie—
bung des Nechtes antrug. Der Kaifer hütete fich wohl den
Streit zu entfcheiden. Er war ein Mittel mehr, das Haus
Brandenburg, das an diefer Sache ein fo großes Intereſſe
hatte, und dieß auch gar nicht verhehlte, an fich zu feffeln.
Uberhaupt gab es Fein großes Haus im Neiche, dag
1. Petit rex serenissimus odiosam illam proscriptionem ab-
rogari, evelli et eradicari. Oratio Stanislai Laski ap. Dogiel
Cod. dipl. Poloniae IV, 318.
3 *
36 Neuntes Buch. Erfies Kapitel.
nicht durch die eine oder die andre Sache von dem Wohl
wollen des Kaifers abhängig geweſen wäre. !
Daher kam es eben daß alles fich beugte, alles ge
horchfe. Es war einmal wieder ein Oberhaupt von durch
greifender Macht in Deutfchland, und Jedermann fühlte daß
ein folches da mar.
Das Interim.
Zur Entwickelung diefer reichgoberhauptlichen Macht ge:
hört e8 nun recht eigen und wird davon bedingt, daß der
Kaifer es unternehmen Eonnte, auch in den religiöfen Ange
legenheiten Maaß zu geben.
Im Anfang der Verfammlung, als die altgläubig ge
finnte Partei fich fo zahlreich und ſtark fah, ward wohl ein
Gedanke laut, der auch dem Kaifer einmal früher in den
Sinn gekommen, ob e8 nicht das Defte ſey, die Neligion in
den früheren Stand wiederherzuftellen. Der Beichtvater hielt
die Sache noch immer für nothwendig und die Umftände für
günftig. Er meinte wohl: vor allem müſſe man die Iutheri-
fche Predigt verbieten, ihr unbedingt ein Ende machen: möge
dann das Volk glauben was e8 wolle; fürs Erfte Fomme
e8 nur auf die Erneuerung des alten Ritus und die Her:
ftellung der Kirchengüter an.! Er drückte die Tendenz der
firchlichen Neftauration aus, welche dem Kaifer vom füdli-
1. Protocoll bei Bucholtz IX, 447.
2. Disp. fiorentino 19 Nov. 1547: Il confessore et altri theo-
logi sono in oppenione che si rimetta in Alemagna il eulto di-
vino, ereda ogn’uno cio che vuole, restituischinsi i beni eccle-
siastiei et tolgasi via la predicatione luterana, fomento di tutte
eresie.
Das Interim. 37
chen Europa ber allerdings zu Hülfe gekommen war, aber
den Krieg doch nicht entfchieden hatte.
Denen welche Deuefchland Fannten und die Lage der
Dinge ohne confeffionelles Vorurtheil anfahen, Fam dieß je:
doch unausführbar vor. König Ferdinand ermwiederte dem
Beichkvater, man möge e8 unternehmen, wenn man fich in
einen neuen Krieg. ſtürzen wolle, der aber noch gefährlicher
ausfallen werde als der eben beendigfe, — wenn man die
Mittel, die Kraft und den Muth dazu befige: er erinnerte,
daß man Feinen Heller im Schaß habe. Er feinerfeits hatte
fchon längft einen andern Gedanfen gefaßt.
War die reine Neftauration unmöglich, fo durfte man,
wie die Dinge nun einmal giengen, auch von Feiner Finf
tigen Entfcheidung des Conciliums etwas Forderliches er:
warten; man Fonnte nicht denken, daß dag Concilium efiwas
andres, als die vollftändige Neftauration befchließen würde.
Ließ fich aber, nach der Niederlage welche die fireng-
profeftantifchen Meinungen erlitten, bei dem Übergewicht dag
der Kaifer in allen Angelegenheiten befaß, jeßt nicht wiel-
leicht eine Abficht erreichen, die, obwohl auf einer andern
Stufe, fchon früher gefaßt worden, nemlich: innerhalb des
Neiches, ohne Theilnahme des Papſtes, eine Vereinbarung
beider Parteien zu treffen?
Schon im Januar 1547, fo wie die Irrungen mit dem
Papft wieder ernftlic) ausbrachen, rieth Ferdinand feinem
Bruder, fich nicht allein auf die Befchlüffe des Conciliums
zu verlaffen, ' da man dort wohl nicht alle Puncte durch:
1. Il semble chose dangereuse, s’en arreter simplement sur
la determination dudit concil general. Bucholtz IX, 407.
38 Neuntes Bud. Erftes Capitel.
feßen werde auf die es anfomme, zumal wenn der Papft
fortfahre wie er angefangen; dem Urtheil erfahrner Theo:
logen zufolge ſey es vielmehr, nachdem die ſtreitigen Arti-
fel fo vielfach befprochen und verhandelt worden, fo ſchwer
nicht, in Deutfchland felbft eine folche Eonfultation und chrift-
liche Reformation nach den. Bedürfniffen der Deutfchen auf:
zufiellen, von der man hoffen dürfe daß die Proteftanten
wenigſtens zum größten Theile fie annehmen und auch Papft .
und Concil fie nicht verwerfen würden. Zu Abfaffung eines
folchen Entwurfes brachte der König gleich damals einige
Männer, die er für geeignet hielt, in Vorſchlag, namentlich
Julius Pflug Biſchof von Naumburg, und Michael Hel-
ding Weihbischof zu Mainz.
Eine fehr erwünſchte Vorbereitung hiezu war, daß der -
Fürftenrath bei der erften Antwort auf die Propofition dem
Kaifer heimgeftellt hatte einftweilige Ordnung zu freffen.
Wiewohl darin lag, daß eine folche nur big zum Schluß
des Conciliums gültig feyn follte, woher fich denn der
Name de Interim fehreibt, fo hatte die Sache doch an
ſich eine allgemeine Bedeutung, da jede Vereinbarung diefer
Gegenfäße, wie bedingt auch immer, ein neuer großer Schritt
war, und da ferner die conciliaren Angelegenheiten fo eben
hofnungslofer wurden, als fie jemals gemefen.
Dei der Sendung des Cardinal Madrucci hatte Carl
dem Papft bereits angefindigt, daß er die Dinge unmög-
lich in dem Zuftand laſſen könne, worin fie ſeyen; als diefer
nicht allein unverrichteter Sache zurückkehrte, fondern nun
erft der völlige Bruch erfolgte, hielt er fich für doppelt be
rechtigt zum Werfe zu fchreiten.
Das Snterim. 39
Die politifch = religiöfen Intereſſen des Neiches, die
Machtentwickelung die es möglich erfcheinen ließ, jetzt etwas
zu erreichen, und die Differenz mit dem Papft wirkten zufant-
men, um den Gedanken deg Interim in Gang zu bringen.
Es hätte aber nicht zum Ziele führen können, biebei
den alten Weg ftändifcher Berathung einzufchlagen. Der
Kaifer fchien wohl einen Augenblick darauf zu denfen. Er
erfuchte die Stände, zur Berathung über die Mittel einer
chriftlichen Bereinigung ihre Abgeordneten mit den feinen zus
fammentreten zu laffen; als fie, bei ihrer Heimftellung be
harrend, ihm überliegen diejenigen felbft zu wählen die er
hiezu fir tauglich halte, machte er diefen Verſuch wirklich;
allein fogleich gab fich die Unmöglichkeit Fund, mei diefem
Berfahren weiter zu kommen. Er Fonnte doch nicht vermeiden,
von beiden Seiten Männer zu ernennen, die fchon an den
bisherigen Streitigkeiten Theil genommen: noch einmal faßen
der Carmeliter Billik, der päpftlich gefinnte Politifer Leon—
hard von Eck neben dem Vorkämpfer des Proteſtantismus
Sacob Sturm. Sene forderten, wie der Beichtvater, die Her:
fiellung der geiftlichen Güter; diefer trug, wie vor 25 Jah—
ven, auf ein Nationalconcilium an. Man Fan ſich darüber
nicht wundern. Die großen Ereigniffe der legten Jahre ent:
hielten doch nichts was eine innere Annäherung der beiden
Parteien hervorgebracht hätte. An eine Vereinigung aber
war unter diefen Umftänden nicht zu Denken: nach einigen
Tagen löfte die Verſammlung fich auf und gab ihren Auf:
trag dem Kaifer zurück.
Es mußte nun doch dahin kommen, was auch von An-
fang Ferdinands Gedanfe gewefen, daß ohne fo viele Rück—
40 Neuntes Bud. Erftes Capitel.
fprache mit den entzweiten Ständen, fo wie ohne Nückficht
auf den Papft, unter Faiferlicher Autorität allein, der Ber:
fuch einer Seftfeßung gemacht würde, bei der fich beide Theile
beruhigen könnten.
Wie die Ereigniffe vor allem den Erfolg gehabt die
Macht des Kaifers zu heben, fo Fam es hauptfächlich dar-
auf an, wie Diefelbe hiezu benutzt werden würde.
Der Kaifer nahm mirflich die ihm von feinem Bru—
der vorgefchlagenen Theologen an, Julius Pflug und den
Weihbischof Helding. Churfürft Joachim II von Branden-
burg, in deſſen Ideen e8 von jeher lag eine Vermittelung
zu fuchen, ließ feinen Hofprediger Johann Agricola an der
Arbeit Theil nehmen. Die drei Männer waren in gewiſſem
Sinne die Nepräfentanten der drei vornehmften theologifchen
Parteien: Agricola, der an Luthers Tifch gefeffen, der pro-
teftantifchen, Helding der altfatholifchen, Julius Pflug der
erasmifchen. Julius Pflug hatte wohl fehon früher die
Grundlage des Entwurfs ausgearbeitet; " von Helding findet
fich einiges Handfchriftliche, deſſen ſich Pflug bedient zu ha
ben fcheint; daß der Antheil Agricolas nur gering gemefen
ift, dürfte fchon die Nuhmredigkeit beweifen, mit der er da—
von fpricht, wie denn auch fonft darüber nichts erhelf.
Das war nun aber hier nicht die Frage, welche Mei-
nungen in dem Gefpräche diefer drei Gelehrten die Ober:
band befommen, fondern vielmehr in wie fern fie Mittel
und Wege finden würden den Faiferlichen Gedanken zu ver:
wirklichen.
1. gl. Formula sacrorum emendandorum a Julio Pflugio
proposita, ed. Gottfr. Müller, Praef. XII.
Das Interim. 41
Dieſer war aber nicht eigentlich religiöſer, ſondern kirch—
lich-politiſcher Art. Die Abſicht des Kaiſers mußte ſeyn
und war es auch, die Hierarchie aufrecht zu erhalten, in der
er ſelber einen ſo hohen Platz einnahm, auf der ſein Kaiſer—
thum beruhte, und dabei doch den Proteſtanten die Möglich—
keit zu verſchaffen, ſich ihm wieder anzuſchließen, oder wenig—
ſtens nicht in offenen Widerſpruch mit ihm zu treten. Es
iſt unleugbar, daß darin zugleich ein großes Intereſſe der Na—
tion lag, ſowohl für ihren Frieden im Innern als für ihre
Macht nach außen. Die Frage war nur, ob es mit dem
Verſuche gelingen, ob die Theologen den vereinigenden Mit—
telweg entdecken würden.
Wir haben ein Schreiben des Fürſten, deſſen Seele
wohl an dieſem Geſchäft den größten Antheil nahm, Joa—
chims II von Brandenburg, über die Puncte, auf die es hie—
bei vorzüglich anfomme. Es find folgende: der Artikel über
die Suftification, der Genuß deg Abendmahls nach der Ein-
feßung des Herrn, Entfernung des Opus operatum aug der
Meſſe, und die Ehe der Geiftlichen. Er verfichert: der felige
Doctor Luther habe fich oft erboten, wenn diefe Puncte er—
halten würden, dem Bapfte den Fuß zu Füffen und den Bi—
fchöfen ihre Gewalt zu Taffen.
Mag es mit dem Sinne diefer Äußerung ſtehn wie
es wolle, gewiß ift, daß vor allem die bezeichneten Puncte
wirklich der Erledigung bedurften: und wir haben nun zu
fehen, wie der zu Stande gebrachte Entwurf, den der Kaifer
jedoch, um der Fatholifchen Orthodoxie vollfommen ficher zu
feyn, noch von zwei fpanifchen Theologen, Soto und Mal-
venda, durchfehen ließ, ehe er ihn den Ständen vorlegte,
diefe Aufgabe angriff.
42 Neuntes Bud. Erftes Capitel.
Noch einmal haben wir den fchon fo oft vorgekomme—
nen theologifch-Firchlichen Streitfragen unfre Aufmerkſam—
keit zusumenden.
Mit denjenigen Artikeln mun, die am meiften in Die
Augen fielen, der Priefterehe und dem Genuſſe von beider
lei Geftalt, hatte es die wenigfte Schwierigkeit: die Faifer:
lichen Bevollmächtigten urtheilten, in diefen Stücken ſey Die
Neuerung zu weit eingeriffen, zu allgemein geworden, als
daß man fie ohne die größte Bewegung abftellen könne: das
Concilium, dem fich die Stände unterworfen, werde ohne
Zweifel dafür forgen, daß darin dem Frieden der Gewiſſen
und der Kirche gerathen werde.
Dagegen war bei dem Artikel von der Juſtification,
über den fich feit den frühern Discuffionen dag Concil von
Trient ausgefprochen hatte, eben hiedurch die Schwierigkeit
fich zu vereinigen nur noch größer geworden. Waren Diefe
Befchlüffe auch vom Kaifer nicht anerkannt, auf feine Theo-
logen mußten fie gleichwohl wirken; von dem Begriff der in-
härirenden Gerechtigkeit Eonnten und wollten dieſe nicht ab:
weichen. In diefem Lehrftück Fam e8 aber dem Kaijer vor-
süglich darauf an, die Beiftimmung der Vroteftanten möglic)
su machen. Gewiß war e8 Feine Täufchung, wenn froß
der Annahme jenes Prinzips Julius Pflug fi) auf der an—
dern Seite doch wieder den Proteftanten annäherte; feine
ganze Überzeugung gieng dahin. So wenig wie die Drei-
fiigkeit der Unbegnadigten, die ihm Luthers Auffaffung zu
veranlaffen fchien, wollte er doc) auch die Sicherheit der
Vorgefchrittenen die auf ihre Werke trogen.' Genug man
1. Julius Pflug: Aus was guten und loblihen Bewegnuffen
Das Interim. 43
fette zugleich feft, daß Gott den Menfchen gerecht mache,
nicht aus deffen Werfen, fondern nach feiner Barmherzig:
keit: lauter umfonft, ohne fein Werdienft: daß fich ein Se
der immer an Chrifti Verdienft zu halten habe. Wie fich
beides mit einander vereinigen laffe, war freilich eine andre
Frage: man hütete fich aber wohl darauf einzugehn: man
hätte fürchten müffen die Zwiftigfeit Damit wieder zu erneuern:
und war fehr zufrieden eine Satzung gefunden zu haben,
welche das als das vornehmfte betrachtete Dogma der Pro-
teftanten gelten ließ.
Und noch mehr Fonnte man fich ihnen in dem Artifel
von der Meffe nähern, über den in Trient noch nichts be:
fchloffen war. Julius Pflug gab zu, daß darin lange Zeit
ein hochbefchwerlicher Mißverftand geherrfcht habe: er Tiek
den Begriff von dem Sühnopfer, der darnach dennoch feft-
gehalten worden ift, fallen: indem er den Ausdruck Opfer
fefihielt, verftand er darunter doch nur ein Gedenfopfer, ein
Danfopfer, wie fie in dem alten Teftament vorbildlich be
ftanden und Ehriftus fie erneuert. In diefem Sinn ift der
Artikel abgefaft. Durch das Blutopfer am Kreuz habe Ehri:
fus die Verföhnung erworben; das Danfopfer fey nicht
dazu eingefeßt, damit wir dadurch Vergebung der Sünden
verdienen, fondern daß wir fie, wie fie am Kreuz verdient ift,
ung durch den Glauben zu Nutze machen. Eine Auffaffung,
die Kaif. Mt verurfacht worden ihre Declaration in Religion fachen
dermaßen wie zw Augsburg auf jüngft gehaltenem Neichstage ge:
fhehen, vorzunehmen und zu publiciren. Abgedruct in Tzſchirners
und Stäudlins Firhengefch. Archiv Bd IV. Daß damit Pflug nur
feinen Entwurf meine, wie der Herausgeber Müller annimmt, nicht
das publicirte Interim, widerfpricht dem Titel geradezu und ift über:
haupt eine Chimäre. Jenes Motiv wird p. 115 auseinandergefeßt.
44 Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
die ſich von der proteſtantiſchen hauptſächlich nur durch die
Beibehaltung des Wortes Opfer unterſcheidet. Julius Pflug
iſt der Meinung, daß dieſe Erklärung Niemand mehr einen
Vorwand laſſe, ſich von der Kirche abzuſondern.!
Das war eben die Abſicht, bei allen Conceſſionen die man
machte, doch die große kirchliche Einheit aufrecht zu erhalten.
Auch in dem Artikel über die Kirche findet ſich eine ge—
wiſſe Annäherung an neuernde Vorſtellungen: er iſt wenigſtens
durchaus nicht papiſtiſch. Der Papſt wird als der oberſte
Biſchof betrachtet, der den andern vorgeſetzt iſt, um alle
Spaltung zu verhüten; aber auch den andern wird zugeſtan—
den, daß ſie wahrhaftige Biſchöfe ſeyen aus göttlichen Rech—
fen. Der Papft wird erinnert, feine Gewalt ſey ihm ver—
lieben zur Erbauung, nicht zur Zerftörung. Ubrigens aber
wird doch der Begriff der Kirche in aller Strenge behaup-
tet: es wird ihr dag Necht vindicirt die Bibel auszulegen,
die Lehre daraus feftsufeßen, „fintemal der h. Geift bei ihr
iſt,/ und auch über die Cerimonien Beftimmung zu treffen.
Die Formel beftätigt die Giebenzahl der Sacramente,
fucht Chrisma und letzte Olung zu rechtfertigen und hält
fett an der Transfubftantiation. Auch für dag Anrufen der
Sungfrau Maria und der Heiligen um ihre Fürbitte, fo wie
für die Beibehaltung der Faften findet fie Gründe; den Pomp
der Proceffionen, überhaupt die Ordnung und Pracht der big:
herigen Cerimonien trägt fie Sorge zu behaupten.
1. Plug: „Da man fi) einer folchen wohlgegründten und fchein:
barlihen Erflärung von der Meffe vor 30 Fahren hätte vergleichen
fünnen, würde die Kirche ohne Zweifel folher Meffe halben in die
befhwerlihe Verbitterung und Weiterung nit gefallen ſeyn.“
Das Snterim. 45
Wir fehen wohl: es ift die alte Kirche, was hier aufs
neue prockamirt ward: etwas weniger abhängig von dem
Papft, mit einer in einigen Artikeln dahin modificirten Doctrin,
daß die Abweichungen der Proteftanten nicht geradezu ver-
dammt wurden, aber übrigens fie felbft mit ihrem Kirchen:
dienft und in ihrer alten Einheit, als deren Mitrepräfentan-
ten fich der Kaifer betrachtete. Es war ohne Zweifel der
Faiferliche Gedanfe felbft der fich hier ausfprach: und man
mußte nun fehen welchen Anklang er bei der Neichgverfamm-
lung finden würde.
Der Kaifer legte den Entwurf zuvörderft den mächti—
gern der Augsburger Eonfeffion beigetretenen Fürften zur An-
nahme vor.
Was auf diefe Eindruck machte, war die Meinung daß
diefe Formel für dag ganze Neich, auch) für den altgläubi-
gen Theil gelten follte.
Auch war dieß ohne Zmeifel der urfprüngliche Sinn
de8 Kaifers: was hätte fonft die Erklärung über dag gött—
liche Necht der Bifchöfe zu bedeuten gehabt? Nur gegen den
Papft war fie gerichtete. Churfürft Joachim IE verfichert, er
habe nicht anders gewußt, als daß dieß die Meinung fey:
eben darum ließ er fich fo leicht bewegen die Formel an-
zunehmen. Er fah darin eine Beftätigung der von ihm
von jeher gehegten Meinungen über Zuftification, Sacra-
ment, Priefterehe und Meffe, und glaubte daß diefen auf folche
Weife der Weg über ganz Deutfchland hin eröffnet ſey. So—
gar einen Fortfchritt der evangelifchen Lehre meinte er voraus:
fehen zu können.! Der Churfürft von der Pfalz trat ihm bei.
1. Sn dem Berliner Archiv findet fich ein Auffaß zur Werthei:
46 Neuntes Bud. Erſtes Capitel.
Etwas mehr Schwierigkeiten machte der dritte weltliche
Churfürſt, Morig von Sachfen, obwohl er feine Chur der:
felben Gewalt verdanfte, deren Ausflug diefe Anordnung war.
Man dürfte nicht fagen, daß dieß ganz in feiner Willkühr beruht
habe. Er hatte feinen Landftänden in einem wichtigen Augen:
blick, und zwar auf das Wort des Kaifers, unzweideutige
Zufagen über die Beibehaltung ihrer Religion gegeben. Daran
erinnerte er jet den Kaifer, und behielt fich vor, erft mit fei-
ner Landfchaft zu berathichlagen. Der Kaifer erwiederte, er
habe nichts weiter verfprochen, als daß er die Lande nicht
mit Gewalt von ihrer Neligion dringen, fondern die Ver:
‚gleichung nur auf gebührlichem Wege fuchen wolle, wie er
das jet thuez in dem Neiche ſey es nicht Herkommens,
über das was Fürften und gemeine Stände bewilligt, an
die Landſchaften zurückzugehn: Moritz möge fich nicht auch
von feinen Theologen verführen laffen, wie feinem Vetter ge
fchehen. Moritz verfprach zulest, in dem Reichsrath nicht
durch offenen Widerfpruch Irrung zu veranlaffen, fondern
fich dahin zu erflären, daß er fich zwar in diefer Sache für
feine Unterthanen nicht verpflichten könne, aber er denfe, fie
digung des Interims, worin es heißt: Luther habe dreierlei gewollt:
1) quod Pontifex Romanus non sit-caput ecelesiae, sed Chri-
stus; 2) missam non esse sacrificium ex opere operato, quae
possit applicari pro vivis et mortuis; 3) cerimonias debere esse
liberas et adiaphoras. - - Jam, heißt e$ weiter, in hoc seripto
omnia haee tolluntur: eonceditur, Romanum pontificem esse pri-
mum quidem episcopum propter tollenda schismata, - - et alios
episcopos esse simili modo episcopos ut ipse jure divino, et eis
esse commissam a Christo administrationem suarum eccelesiarum
jure divino; 2) missam non esse sacrificium ex opere operato,
sed sacrificium commemorativum ete, etc.
Das Anterim. 47
würden wohl einſehen, daß es nicht in ſeiner Macht ſtehe
etwas abzuändern was alle andern Fürſten und Stände ge—
willigt.“ Der Kaiſer ſchien das nur fir eine eigenthüm—
liche Form vollkommener Einwilligung zu halten; wenig—
ſtens gegen Andre drückte er ſich ſo aus, als ſey an ſol—
cher kein Zweifel.
Leicht waren die jungen kriegsluſtigen Fürſten gewon—
nen, Albrecht von Brandenburg, Erich von Braunſchweig,
die bisher überhaupt noch Feine entfchiedene proteftantifche Mei-
nung Fund gegeben. Dagegen gab e8 auch unter den eifrig-
ſten Anhängern des Kaifers einige andre, wie Pfalzgraf Wolf
gang, befonders Markgraf Johann von Eüftvin, die fich wi—
derfeßten. Beim erften LÜberlefen der Formel faßte Johann
— dem e8 befonders nicht zu Sinne wollte, daß man die
Heiligen anrufen folle, da doch Chriſtus der einige Mittler
ſey, — einen heftigen Widerwillen dagegen.
Diel zu ſchwach waren jedoch diefe Fürften, als daß
ſich der Kaifer um fie gefiimmert hätte. Es war ihm ge
nug daß er fich der mächtigften verfichert halten durfte. Die
ganze weitere Frage lag für ihn darin, was nun die alt:
1. „Sit endlich dahin gehandelt, dieweil ſich mein gnädigffer
Herr ane f. b. G. Landfhaft Nat nicht hat entfchiießen Fönnen, wue
gemeine Stende durchaus das geftelte Interim annhemen worden,
das im Reichsrathe m. gn. Herre Feine zerruttung machen, Sondern
vor fein Suffragium fagen mochte, e8 were f. ch. Gn. nicht zu thuen
ſich feiner unterthanen zu mechtigen, f. ch. Gn. aber Fonnten wol er-
achten, was alle andern Chff. FF. und Stende fhlöffen, das f. dh.
Gn. daffelbige weder endern noch wenden fonten. Das ift alfo der
Fayf. Mt durd die Fon. Mt angezeigt, die feint dorann zu frieden ge-
weit.“ Protocoll im Dresdner Archiv über die Werhandlungen mit
den beiden Churfürften am 17, 19, 20, und mit dem Saifer am
Palmabend, 24 März.
48 Neuntes Bud. Erftes Capitel.
gläubige Partei dazu fagen würde. Mit Nückficht auf fie
hatte er den Entwurf fo überwiegend Fatholifch eingerichtet.
Er hatte bisher hauptjächlich mir der Majoritit des Für
ſtenrathes regiert, er mochte hoffen, denfelben auch jest auf
feine Meinung zu ziehen.
Wäre das geichehen, fo würde er einen factiſchen Ein-
fluß auf das Innere der Kirche gewonnen haben, der ihm
eine überaus großartige Stellung dem Papft und dem Con-
cilium gegenüber gegeben, alles was dort ihm zum Ver—
druß unternommen worden, aufgewogen häfte. Dann erft
konnte von der Einheit der Nation in religiöfer Hinficht wie—
der die Nede feyn. Man hätte fehen müffen was mehr ge
wirft hätte, die Wiederherfiellung einiger Äußerlichkeiten auf
der proteftantifchen oder die den neuen Lehrmeinungen ge
machten Conceffionen auf der Fatholifchen Geite.
ie wäre e8 aber möglich gewefen, daß nicht auch
jetst der alte Widerftand fich geregt hätte, der in Momenten
diefer Art, auf den verfchiedenen Stufen der Entwickelung
diefeg Ereigniffeg, immer hervorgetreten war?
Wir berührten daß Herzog Wilhelm von Baiern, feitdem
feine Abficht auf die Chur nicht durchgegangen, nicht mehr
der Freund des Kaifers war. In feinen Anfchreiben fprach
er dag Gefühl feines Verdienfteg immer hochfahrender, feiner
Kränfung immer bitterer, übellauniger aus." Als ihm diefer
Entwurf vorgelegt wurde, mit dem doch auch die Macht
des Papſtes eingefchränft werden follte, hielt der Herzog für
gut, erft bei dem Papſt anzufragen, ob er eine Genehmigung
1. Ein folhes Schreiben aus der Sammlung von Arrodenius
bei Sugenheim p. 37.
Das Snterim. 49
deffelben billigen wirde. Es könnte ausfehen wie Ironie,
wäre nicht ein fo bitterer Ernft dabei.
In Rom und felbft in Franfreich war man fchon längft
anf diefe Entwürfe des Kaiſers aufmerkfam. Cardinal Bel-
lay schlug dem Papft vor, feine Legaten mit den Fatholi-
fchen Ständen entfernt vom Neich$tag zufammentreten zu laf-
fen, um zu einer freien Berathung außerhalb der vom Ein:
flug des Kaifers beherrfchten Kreife zu gelangen. ! Defto
erwünſchter Fam nun die Anfrage des Herzogs dem römi-
fchen Stuhl. Der Papſt, der nicht verfäumte die Hingebung
deffelben zu beloben, antwortete ihm, er könne eine folche
Genehmigung nur mißbilligen. ?
Bei allem Anfehen das der Kaifer genoß, machte dag
doch fo viel Eindruck auf dag fürftliche Collegium, daß die
Antwort die es gab, durchaus im Sinne des Papftes aus:
fill. Darin wurde das jet auch von Nom her in Erin
nerung gebrachte Argument wiederholt, daß ein Geftatten
des früher bei ſchweren Pönen Verbotenen, 3. B. des Laien:
kelchs und der Priefterehe, ein Bekenntniß begangener Un—
gerechtigkeit enthalten wiirde: es fey fogar zweifelhaft, ob der
Papſt in diefen Stücken nachgeben dürfe, wenn ev auch wolle,
1. Instructio Clis Bellaji super rebus coneilii. MS St. Germ.
Paris 140,1. Ubi convenient legati ubi Caesar non sit, erit ma-
jor libertas. Vgl. f. Schreiben vom 31 Mai.
2. Responsum Pauli II datum „cuidam praepotenti Ger-
maniae duci“, der fehr deutlich als der Herzog von Baiern bezeichnet
wird: es wird an die Forderung erinnert die von eben dort an Pius IV
ergangen. Ohne Zweifel find die Antworten vor der Befanntmahung
des Interim gefchehen, weil davon Die Nede ift daß es in den Lan-
den des Herzogs eingeführt werden follte, was fpäterhin nicht nö-
thig war.
Ranke D. Geſch. V. 4
50 Neuntes Buch. Erftes Capitel.
teil darin eine Abweichung von den Saßungen der Concilien
liegen würde. Beſtimmungen über die Lehre, die doch dem
Concilium heimgeſtellt worden, ſeyen aber vollends unſtatthaft:
man wiſſe recht gut, was in der gemeinen chriſtlichen Kirche
zu glauben, und bedürfe dazu keiner Ordnung des Kaiſers.
Die Fürſten gaben dem Kaiſer zu verſtehn, er überſchreite
ſeine Befugniſſe, nicht alle ſeine Sätze möchten ſich als gut
katholiſch bewähren: lieber möge er die Proteſtanten vermö—
gen von der augsburgiſchen Confeſſion abzuftehn. !
Der Kaifer anttvortete mit großer Lebhaftigkeit. Man fage
ihm, die Lehre fey dem Eoncilium heimgeftelle: aber folle er
wohl bis dahin einen Jeden in feinem felbfigefchöpften Glau-
ben und bei unmiderfprechlichen Mißbräuchen laffen? Man
fordere, er folle die Proteftanten beiwegen von der augsbur-
gifchen Eonfeffion förmlich abzuftehn: dag heiße, unmögliche
Dinge verlangen. Er miffe jedoch, daß man damit nur die
Eintracht deutfcher Nation verhindern wolle; er Fenne die
Leute wohl, deren verbittertes Gemüth ihn allenthalben ver;
haßt zu machen ftrebe. ?
Und fo weit gab der Kaifer dieß Mal wirklich nicht
nach, daß er fich eine fo anzügliche Anfprache häfte gefallen
laffen: er ließ fie dem Fürftenrathe zurückftellen, als fo be
fchaffen daß er fie nicht annehmen Eönne.
1. Der Fürften und verordenten Stend Bedenfen auf das In-
terim, bei Saftrow II, 327, jedoch unvollfiindig.
2. Bucholtz VI, 236. Daniel zum Zungen an Sranffurt 23
April: „Kſ. Mt it ſolch ires Bedenfens ganz ubel zufrieden geweſt,
und fie weidlich erpußet, mit Vermeldung daß J. Mt inen die Ar-
tifel nit haben zuftellen laffen daß fie ir Gutbedunfen darüber an:
zeigen folten, fondern daß fie es inen wie es geftellt, gefallen laſſen
ſollten.“
Das Interim. 51
Allein auch dahin brachte er es doch nicht, daß er ſei—
nen urfprünglichen Gedanken hätte durchführen Eönnen. Die
Fürſten fchloffen fich dem Gutachten der geiftlichen Churfür-
ften an, das allerdings bei weiten milder ausgefallen war,
aber doch auch fehr ftarfe Fatholijche Anregungen enthielt,
z. B. Herftellung der Güter, Nothivendigkeit der Diepenfa-
tion in Hinficht der Wriefterehe und des Kelchs, und vor
allem dabei ftehn blieb, daß die Anordnung Niemand an:
gehe, der bisher bei der alten Religion geblieben.
Das Letzte mußte der Kaiſer twirflich nachgeben. Er er:
Flärte endlich, daß feine Declaration ſich nur auf die prote—
ftantifchen Stände beziehen folle: nur unter diefem Vorbehalt
Fonnte er dazu fehreiten ihr gefeßliche Autorität zu verleihen.
Am Löten Mai 1548, Nachmittag 3 Uhr, verfammel-
ten fich die Reichsſtände in der Faiferlichen Behaufung: vor
Kaifer und König. Erzherzog Maximilian fprach einige ein-
leitende Worte; dann ward, was wir als Vorrede bei dem
Buche finden, als Propofition verleſen; der Kaifer erinnerte
an die ihm gefchehene Heimfielung, legte die Schrift vor,
und verlangte unverweilte Annahme derfelben. Während
Kaijer und König auf ihren Stühlen fisen blieben, traten
die Stände vor ihren Augen in dem Saale felbft nach ihren
Eollegien zufammen. Es ift gewiß, daß fich manche abwei—
chende Meinungen regten. Den mächtigern Proteftanten war
e8 neu und unerwartet, daß die Erklärung nicht auch fir
die Katholiken gelten follte; ! unter den Churfürften machte
1. Sn der Snftruction des Churfürften von Brandenburg zum
Neichstag von 1550 heißt es: „Und wann es nochmalen dahin Fonnt
gehandelt werden, wie es denn auch von anfang und (in) allen Hands
4*
52 Neuntes Buch. Erftes Capitel.
Mori, unter den Fürften Johann von Cüſtrin einige Op—
pofitionz; mehrere verlangten, daß die Schrift erft abgefchrie-
ben und nochmals regelmäßig in Berathung gezogen werden
follte: aber zulegt drang doch der Faiferliche Mille durch.
Nachdem die Unterredung wohl eine Stunde gewährt,
trat der Churfürſt von Mainz im Namen der Stände mit
der Antwort hervor, daß fie fich deffen, was S. Maj. be
gehre, gehorfamlich halten würden. Der Kaifer nahm diefe
Bewilligung als den Ausdruck der allgemeinen Meinung an
und betrachtete feine Schrift nunmehr als Neichsgefeß. Jetzt
erft Tieß er zu, daß fie in den verfchiedenen Collegien abge-
fchrieben ward: es war dafür "geforge daß man Feine Be
rathung darüber eröffnete.
In diefem Augenblick war ein neuer päpftlicher Nun—
fing angefommen. Das Interim war der vömifchen Curie
und von diefer der DVerfammlung zu Bologna mitgerheilt
worden: hier hatten ein paar Theologen Anmerkungen dar:
über gemacht, welche darauf hinausliefen, daß in den Arti-
Feln die in Trient noch nicht entfchieden worden, gar man-
ches Unfatholifche aufgenommen worden, in den übrigen
aber ohne Zweifel das Befte fen, einfach die tridentinifchen
Satzungen zu wiederholen.! E8 erhellt nicht ganz, ob diefe
lungen nit anderd gemeinet nody von uns und andern flenden ver-
fianden worden, allein daß die faif. Mt hernach ohne jemands vor:
wiffen in der Vorrede ein anders eingefürt, daß die fo der alten re-
figion feyn daffeldige fo wol als -die welche der augsb. Confeſſion,
annehmen und halten wollten, fo wäre daffelbe unfers Erachtens nicht
auszufhlagen, denn wir erhielten ja die vornehmfte Punct unſer chriſi—
lichen Neligion, den Articul von der rechtfertigung, den rechten Braud)
der Sacramente, die Priefterehe, - - nemen inen auch den Canon aus
der meß.“
1. Am 2ten Mai gieng die erfte Antwort der Legaten de3 Con:
Das Interim. 53
Einwendungen dem Nuntius fchon bekannt waren, welche
Aufträge er iiberhaupt in diefer Hinſicht hatte: auf Feinen Fall
aber durfte er die Bekanntmachung des Interims billigen.
Eben darum eilte der Kaifer feinem Einfpruch zuvorzukom—
men. Er gab ihm erft Audienz, als die Sigung vorüber,
die Publication gefchehen war.
Hatte nun aber der Kaifer feinen urfprünglichen Ge
danfen, die Formel von allen Ständen annehmen zu Taf
fen, aufgeben müſſen, fo blieb ihm doch noch ein andres
Mittel übrig, auch auf das Fatholifche Deutfchland Firchli-
chen Einfluß zu erlangen.
Bon jeher war über das Verderbniß des Clerus ge
Flagt, eine Durchgreifende Neformation deffelben gefordert wor:
den: zulegt noch an dem Concilium; da fich von demfel-
ben nichts erwarten Tieß, fo trug Carl V Fein Bedenken
auch im dieſer Nückficht auf eigne Hand ans Werk zu gehn.
Schon in dem Pflugifchen Entwurf handelt der dritte
Theil von diefen Gegenftänden: bei weiten ausführlicher
aber und practifcher war die Neformationsformel, welche
der Kaifer wirklich zur Berathung brachte.
Über die Wahl der Kirchendiener, ihre verfchiedenen
Amter, Predigt, Verwaltung der Sacramente und Beobach—
tung der Cerimonien, ihre Zucht und Sitte wurden hier ganz
umfichtige und nmüßliche Anordnungen gemacht. Einige Miß—
bräuche, über die man immer geklagt, 5. B. Cumulation der
cils auf das Interim ab (Nainaldus XXL, 397, nr 51); davon hätte
der Nuntiug, der den Ilten Mai in Augsburg anfam, allenfalls auf
dem Wege Notiz befommen koͤnnen. Ihre ausführlichere Erflärung
war aber erſt vom 12ten.
54 Neuntes Buch. Erftes Gapitel.
Pfründen, wurden abgefchafft; der Kaifer verfprach, den rö—
mifchen Stuhl zu bewegen, gewiſſe Vorrechte in dieſer Hin—
ficht fahren zu laffen; den größten Werth legte er darauf,
daß allenthalben Viſitationen gehalten und befonders die
Provincialſynoden wiederhergeftellt würden; den Bifchöfen
ward ein beftimmter Termin hiefür gefeßt, welchen fie auch
größtentheilg eingehalten haben. !
Denn darauf war die Hauptabficht des Kaiſers gerich-
tet, die deutfche Hierarchie wieder zu erneuern und ihre Wirk
famfeit zu beleben.
Noch war das deutfche Bisthum faft- überall aufrecht
erhalten: da wo es erfchüttert worden, 3. B. in Meißen
und Thüringen, war e8 jet wieder hergeftellt; es bedurfte
nicht8 weiter, als die päpftliche Erlaubniß, in den dem Pro:
teſtantismus zugeftandenen erceptionellen Fällen zu dispen-
firen, um die bifchöfliche Zurisdiction überall wieder zur An—
erfennung zu bringen.
Unter den Defugniffen, die der Kaifer noch außerdem
für die Legaten forderte die ihm der Papft fchicken follte,
finden wir auch die, über die Herftellung der geiftlichen Gü—
fer zu verfügen, mit deren Inhabern unter Faiferlicher Bei—
fimmung darüber Vertrag zu fchließen.
Wir fehen: der Kaifer hoffte noch mit allen diefen Din;
gen zu Stande zu kommen: die Proteftanten, er allein, ohne
Zuthun des Papftes, zu beruhigen und fie zur Unterer
fung unter die Hierarchie des Neiches zu vermögen, —
1. Valde nobis probatur, quod de celebrandis synodis dioe-
cesanis ad festum divi Martini proximum constituistis. Caroli V
Reformatio ecelesiastica, unter andern bei Goldaft Constit. III, 325.
Das Snterim. 55
diefe auch felber durchgreifend zu verbeffern, ebenfalls durch
eigene Macht, ohne befondere Mitwirkung von Nom: —
und dann an der Spige des wiedervereinten Neiches die al-
ten Nechte des Kaiſerthums auf die allgemeine Kirche zur
Geltung zu bringen.
Zunächft mußte fich zeigen was er mit den Proteftan-
ten ausrichten würde.
Zweites Capitel.
Einführung des Interims in Deutjchland.
Wenn e8 dem Kaifer gelungen wäre, wie er urfprüng-
lich beabfichtigte, der interimiftifchen Anordnung die er traf,
für alle deutschen Landfchaften, auch die altgläubigen, Gel
fung zu verfchaffen, fo würde die Einführung derfelben einen
ganz andern Character entwickelt haben, als den fie annahm,
da dieß nicht durchgegangen mar.
In jenem Falle hätten die nachtheiligen Einwirkungen,
denen fich die Proteftanten unterwerfen mußten, durch die
Fortichritte die nach der andern Seite hin möglich wurden,
eine Art von Ausgleichung gefunden. Don den leitenden
Ideen der religiöfen Bewegung wäre wenigſtens die, welche
auf eine nationale Selbftändigfeit in religiöfen Dingen bin:
sielte, genährt und gefördert worden.
Yun aber war alles andere.
Da der Kaifer fich bewegen ließ, die Altgläubigen aus:
drücklich anzuweiſen, bei der Einheit der alten Kirche zu ver
harren, fo war an Feinen Fortfchritt der reformatorifchen
Beftrebungen, an Feine gemeinfchaftliche und nationale Ent:
wickelung des religiöfen Geiftes zu denfen.
Der Kaifer feinerfeits fand noch ein Mittel, feine Eirch-
Einführung des Snterime. 57
liche Gewalt aufrecht zu erhalten: er konnte auf dem poli-
tifchen Standpunct auf dem er fich befand, allenfalls nach—
geben. Fir die Proteftanten aber wurde nun jede Hertel:
lung des von ihnen Abgeänderten, jede Annäherung an das
entgegengefegte Prinzip, von dem fie fich erft losgeriffen, zu
einem Verluſte ohne allen Erfaß.
Bisher hatte fich der proteftantifche Geift nach den eig—
nen innern Trieben in freier Autonomie entwickelt; er hatte
die Lehre durchaus umgeftaltet, und von den Cerimonien nur
das behalten was ihm gemäß war. Jetzt follte er zwar
nicht das gerade Gegentheil feines Weſens anerfennen: er
ward im feinen Grundmeinungen, in, einigen der vornehm⸗
ften feiner Abweichungen gefchont, geduldet; allein dabei wollte
man ihm Auferlichfeiten und Gebräuche, auch wohl Mei-
nungsbeftimmungen aufdringen, die er mit vollem DBedacht,
als eigenthinmliche Ausflüffe des von ihm verworfenen Prin-
zipes, hatte fallen laffen.
Die Anordnung, die von dem Gedanfen der Verſöh—
nung ausgegangen, erhielt den Character der Unterdrückung.
Die Protefianten bekamen zu empfinden, was es heiße daf
fie fich hatten entzweien laffen und ihre Oberhäupter, welche
ihr Syſtem darftellten, befiege worden waren.
Allein es gab nun Feinen Ausweg mehr: der Neichstag
hatte den Befchluß gefaßt, die vornehmften Fürften, auch der
proteftantifchen Seite, hatten eingewilligt, und der Kaifer war
entichloffen die Sache mit aller Kraft ins Werk zu feßen.
Wie heftig bedeutete er zwei mindermächtige Fürften die
fic) widerfegten. Dem einen, dem Markgrafen Johann,
ließ der Kaifer, wie die officielle Nelation fagt, mit runden
58 Neuntes Dudh. Zweites Capitel.
und. dürren Worten vermelden, er werde die Gebühr dage—
gen vornehmen müffen; dem andern, Pfalzgrafen Wolfgang,
ward noch gröblicher angekündigt, er werde nächftens ein
paar taufend Spanier in feinem Lande fehen.
Die erſte große Frage in diefem Augenblicke lag nun
darin, wie fich die Städte verhalten würden. Hier hatte ein
lange fchon dazu vorbereitetes populares Element die reli—
giöfe Bewegung mit der größten Freude und Zuftimmung
empfangen; die ftädtifchen Gemwalten hatten ihren Wirfungs-
kreis dadurch, mächtig erweitert, und fich großentheils in fic)
felber demgemäß umgebildet; unzählige Mal hatte man fich
und andern gelobt, Leib und Gut bei der Neligion zu laffen.
Jetzt Famen die Tage der Prüfung.
An dem Neichstag zu Augsburg regte fich in den Städ-
ten die Abficht, zu einer gemeinfchaftlichen Proteftation zu
fchreiten; fie feheiterte aber, der Frankfurter Gefandte trägt
Bedenken zu fagen wodurch. Es muß wohl noch etwas
Anderes geweſen feyn als die Verfchiedenheit der Neligion,
von der er ohne Nückficht hätte reden Fonnen.
Der Faiferliche Hof behielt auch in diefer Sache den
Vortheil, mit den einzelnen verhandeln zu können.
Die Zuficherungen die denſelben bei den Eapitulationen
meiftentheils mündlich gegeben worden, hinderten ihn nicht,
auf die Annahme des Interims zu dringen, als bei welchem,
wie ihnen verfprochen war, ihre Neligion beftehen Eönne.
Zuerft ward diejenige Reichsſtadt aufgefordert, im der
die popularen Elemente am fchtwächften waren, die fich von
jeher dem Eaiferlichen Hofe am nächften gehalten, Nürnberg.
Der Kaifer wollte ſich aber dieß Mal nicht mit dem Ge
Einführ. des Snterims. Oberlaͤndiſche Städte. 59
ſammtnamen Nath abfinden laffen: er ließ den Mitgliedern
deffelben wiffen, von jedem einzeln werde er fich Reſolution
einholen. Hierauf unterwarfen fie fich ſämmtlich: die Äl—
tern des Nathes, der Nath felbft, und die Genannten des
Rathes; fie baten nur, daß man ihnen Zeit laffen möge.
Nicht ganz fo gefügig zeigte fich der Nath von Augs—
burg: er reichte eine Schrift ein, in welcher er fich nur zu
einigen Anmäherungen erbot. Granvella weigerte fich, die:
felbe auch nur anzunehmen, und forderte eine einfach beja-
bende Antwort. Er drohte, wenn diefe nicht erfolge, werde
der Kaifer fich auf eine Weife erzeigen, daß andre Ungehor-
fame ein Erempel daran zu nehmen hätten. Hierauf, am
26ften Juni, wurde großer und Fleiner Rath zufammenbern:
fen und folgender Befchluß gefaßt: in wie fern die Ord—
nung die Gewiſſen belange, Fönne man mit derfelben nicht
übereinftimmen; aber ein gefammter Nath habe vor allem
auf das Wohl der Stadt zu fehen, deren Verderben eine
abfchlägliche Antwort herbeiführen würde: und fo unterwerfe
er fich dem Faiferlichen Gebot. ?
Diefer MWiderftreit zwifchen Gehorfam und Gewiſſen
frat an mehreren Stellen hervor: z. B. in der Antwort der
Memminger, der Negensburger. Einige Nathsherrn von Ne:
gensburg bedienten fich des Ausdrucks, fie Fönnten nicht für
ihre Perfon einwilligen, fondern nur im Namen der Stadt. ?
1. Am 19ten Juni langte der Faiferlihe Gefandte in Nürnberg
an, am 22ſten wußte man ſchon daß die Stadt fich unterwerfe.
2. Gründlihe und ordentliche befchreibung der - - Handlungen
in der Stadt Augspurg -- ao 1548 und an den folgenden Reichs—
tagen. MS der fün. Bibliothek zu Dresden
3. Gemeiner, p. 231.
60 NMeuntes Buch. Zweites Capitel.
Schmerzliche Nothivendigkeit, die eigne Gefinnung zu ver
leugnen um das Gemeinmwefen nicht zu Grunde gehn zu laſ—
fen. Sie fagten mit alle dem doch zulegt mur, daß fie ge
nöthigt feyen der Gewalt zu weichen.
Die Eaiferlichen Beamten fpotteten ihrer Bedenklichkei—
ten, nicht ohne twegwerfenden Hohn. „Ihr habt Eonfeien-
zen,“ rief der Vicecanzler Heinrich Hafe dem Frankfurter Ab-
geordneten zu, der fic) auch auf das Gewiſſen bezog, „wie
Barfüßerärmel, die ganze Klöfter verſchlingen.“ Beſcheident—
lich antwortete der Frankfurter Nathsfreund, er wiſſe nicht,
daß feine Herrn den Geiftlichen das Mindefte mit Gewalt
entfremdet. „Redet mir nicht davon,’ verfeßte Hafe, ich
weiß es fo gut wie ein andrerz aber das ift des Kaifers
Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und
follte er ein Königreich darüber zufegen. Lernt nur das Alte
wieder, oder man wird euch Leute ſchicken die e8 euch leh—
ven: ihr ſollt noch fpanifch lernen.“
Zumeilen trat auch noch eine andre Schwierigfeit ein,
die in der Barfaffung lag, wie in Straßburg. Der Nath
war nach langen vergeblichen Gegenvorftellungen am Ende
geneigt, dem Beifpiele der übrigen Städte zu folgen; allein
die Schöffen entfchieden, daß dieß ein Fall fey in welchem die
Gemeine gefragt werden müffe. Bon diefer Gemeine aber,
welche eine fehr entfchieden proteftantifche Gefinnung hegte,
war niemals zu erwarten Daß fie fich unterwerfen würde.
Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung
wurden die Schöffen beivogen ihren Beſchluß zurückzuneh—
men. Hierauf ward auch hier dem Bifchof vergönnt, we—
1. Bericht des Frankfurter Gefandten Humbrecht in der Samm:
fung Faiferliher Briefe im Frankf. Archiv.
Deranderung der Stadträthe. 61
nigſtens in einigen Kirchen dag ganze Interim einzuführen,
während man fich in andern die freie Predigt vorbehielt. !
Der Kaifer fühlte fehr wohl, daß er auf einen Ge-
horſam dieſer Art nicht lange zählen, daß er überhaupt mit
Magiftraten welche Krieg wider ihn geführt, ſchwerlich zum
Ziele der äußern Einheit, das er fich eimmal geſetzt, werde
gelangen Fonnen.
Er war nicht in einer Stimmung um vor durchgrei-
fenden Mitteln zurückzuſchrecken, und hatte die Macht die
dazu gehörte um fie anzuwenden. Zuerft Augsburg, wo er
fich aufbielt, follte ihir kennen lernen.
Eines Tages, ganz unerwartet, ließ er die Thore der
Stadt fehliegen und großen mie Fleinen Rath, Doctoren der
Nechte, Schreiber und Diener ſämmtlich in feinen Pallaft
entbieten. Nachdem fie eine Weile im Hof gewartet, ward
ihnen der große Saal eröffnet: und bier erfchten nun gegen
Mittag der Kaifer, mit einigen feiner Näthe, und ließ ihnen
durch Georg Seld, einen gebornen Augsburger, Fund thun,
wie er mit Schmerzen den Verfall, die Schmälerung und
die Unordnung ihrer Stadt anfehe, und fich, um dem Ubel
an die Wurzel zu graben, nach fleifiger Nachforfchung und
feinem beften Verſtand entfchloffen habe, die Form ihres
jetigen Regiments zu verändern und ihnen einen neuen Rath
zu verordnen. Man babe ihm vorgeftellt, daß die Verja—
gung des alten Elerus und die Theilnahme am fehmalfal-
difchen Krieg allein von dem Übergewicht der Zünfte und
der dadurch herbeigeführten gemaltfamen Herrfchaft des Bür-
germeifters Herbrot herrühre. Dadurch feyen die Erbaren,
die Gefchlechter die dem Kaifer mit Leib und Gut anhän-
1. Roͤhrich II, 196.
62 Neuntes Buch. Zweites Capitel.
gig, Fugger, Baumgartner, Welfer, Neithart, Hörmwart, un
ferdriicht worden. Sey es wohl billig daß die Feinde des
Kaifers auch jet noch Herrn der Stadt blieben? — Man
batte ihm als das vornehmfte Libel bezeichnet, daß bisher fo
viele unerfahrene Leute, die beffer ihres Handwerfs gewartet,
in dem Nath gefeffen, und er eilte e8 abzuftellen. Sofort in
Gegenwart der Verfammelten wurden die Namen derjenigen
verlefen, denen der Kaifer die Amter der Stadt und den Elei-
nen Nath anvertrauen wolle. E8 waren ihrer 41. Wir
finden unter ihnen 3 Fugger, 3 Paumgartner, 4 Nehlinger,
— denn auch dem Älteften von ihnen, der fchon 80 Jahr
zählte, Alt- Conrad, ward diefe Verpflichtung nicht erlaffen,
— 2 Welfer, 2 Peutinger, überhaupt 31 folche Namen die
entweder den wenigen wirklich alten Gefchlechtern die noch
übrig waren, ! oder Denen welche im Jahr 1538 diefen mit
gleichen Nechten beigefügt worden, angehörten. Der Ge
meinde wurden nur 10 Stimmen bewilligt. Die Zünfte wur:
den mit Einem Schlage aufgehoben, ihre Häufer, Baarfchaf:
ten, Privilegien mußten ausgeliefert werden. Am 7ten und
Sten Auguſt ward dem neuen Nath in dem verfchiedenen
Dierteln gefchworen. Der Kaifer empfahl ihm noch beſon—
ders die Neligion und dag von den Ständen bewilligte In—
terim. Dei der Eidesleiftung kam die Formel „bei den Hei-
ligen wieder vor, doch ward fie nur von den Wenigſten
nachgefprochen. ?
1. Bon den 33 alten Gefchlehtern waren im Jahr 1538 nur
noch 8 übrig, 2 Häufer Langenmantel, Ravenfpurger, Nehlinger, Bel:
fer, Hofmeier, Ilſung, Hörwart.
2. Wie Kaifer Carol der V ainen cleinen und großen rath zu
Augsburg entfeßt geurlaubt, einen neuen Rath und Gericht geordent,
>
Überwaältigung von Coftnik. 63
Ähnliche Veränderungen nahm der Kaifer auch in an-
dern Orten, z. B. in Ulm vor. Der Nath beftand bisher
aus 24 Gefchlechtern und 46 aus der Gemeine. Der Kai:
fer befegte ihn für die Zukunft mit 20 Gefchlechtern und
11 aus der Gemeine.
Es hat einen tiefen Zufammenhang, daß fich einft in dem
plebejifchen Element das in den Städten emporkam, die erfie
Dppofition gegen die Hierarchie geregt hatte, und daß nun
der Kaifer, der dieſe aufrecht erhalten wollte, wenn auch
in feinem befondern Sinn, eben diefe plebejifche Macht von
ihrem Antheil an der öffentlichen Gewalt zurückzudrängen
unternahnt.
Nicht überall aber genügte dieß. Zumeilen fchien wohl
auch der gegenwärtige Widerftand ein Recht zu verleihen,
alte Pläne gegen die Freiheit einer Stadt zu vollführen.
Am bten Auguft 1548 ward Coſtnitz, das nichts mehr
verbrochen als Andere, aber von dem Haus Dftreich ſchon
längft angefochten ward, plötzlich, während die Abgeordne-
ten noch mit dem Hofe unterhandelten, in die Acht erklärt,
und an demfelben Tage machte auch fchon ein Haufen Spa—
nier einen Verſuch, fich der Stadt felber durch Überfall zu
bemächtigen.
Die Einwohner, J überraſcht, wehrten ſich doch vor-
trefflich: ſie ſahen ihre Weiber und Kinder an, und waren ent:
fchloffen fie gegen den wilden Feind, deffen Lüfte und Räube—
reien ihnen fatanifch erfchienen, zu vertheidigen, und follte die
in der gründlichen und ordentlichen befehreitung — — 43. Die Zare
für die Gonfirmation des neuen Negiments betrug 1200 ©. on das
Sigel und Canzleygelt.
64 Neuntes Bud. Zweites Capitel.
Stadt ihr Kirchhof werden. Als die Vorſtadt fchon erobert
war und die erften Feinde auf der Rheinbrücke erichienen,
fo daß man befürchtete, fie möchten zugleich mit den Flie—
benden in das Thor eindringen, gefchah jene That, die man
nicht mit Unrecht der des Horatius Cocles verglichen hat.
Ein Bürger, mit zwei Spanien im Handgemenge, erfaßte
fie endlich beide, fchrie zu Gott um Vergebung feiner Sün—
den und ſtürzte fich mit ihnen über die Bruſtwehr in den
Rhein: fo daß feine Mitbürger wirklich Zeit behielten dag
Thor an der Brücke zusufchlagen, und fich überhaupt für
die Mal des Feindes erwehrten.
Das Eonnte aber alles ihre Freiheit nicht retten. Da
fie jeßt von Feiner Seite Schuß hatten, weder auf der deut—
ſchen, noch auch von der Schweiz her, wo die evangelifchen
Verbündeten durch die Fatholifchen Gegner zurückgehalten
wurden, hörten fie am Ende auf den Nath eines Haupt
manns in König Ferdinands Dienft, eines gebornen Con-
ſtanzers, Hans Egkli, fic) in des Königs Schuß zu bege-
ben, als dag einzige Mittel um dem Zorne des Kaifers zu
entgehn. Am L4ten October 1548 rückten dafelbft einige
ferdinandeifche Fähnlein ein.
Die Stadt hatte ſich indeß fchon von felber bequeme dag
Interim anzunehmen; damit war der König aber nicht zu:
frieden. Er befahl feinen Commiffarien die alte wahre Neli-
gion wieder in Weſen zu bringen; nach einiger Zeit ward
die evangelifche Predigt bei Todesftrafe verboten.
Mit der reichsftändifchen Freiheit und der evangelifchen
Pehre war e8 in demfelben Augenblicke vorüber.
Überhaupt entwickelte die Negierungsweife, wie fie der
Verfolgung der Prediger. 65
Kaifer nunmehr ausübte, den Character einer gehäffigen Ge:
waltjamfeit.
Nachdem man fic) der Gemeinheiten verfichert, Fam
man nun an die Einzelnen: vor allem an die Prediger. Es
waren noch faft überall die Männer die in den erften Zei-
ten der Gefahr fich erhoben, alle Wechfelfälle die feitdem
vorgekommen, beftanden, an der Entwicfelung der dogmati-
fchen Feftfeßungen lebendigen Antheil genommen, die Firch-
lichen Einrichtungen ausgebildet haften; ihr Name war vor
dem Volke gleichfam die Sache felbft. Die Frage ward an fie
gerichtet, ob fie nun auch fefthalten, oder im Angeſicht des
Unglücks, dag ihnen ohne allen Zweifel bevorftand, nach-
geben würden.
Die ehrlichen, frommen, beberzten Männer zweifelten
nicht: fie zogen vor, das Unglück über fich ergehn zu laffen.
Noch unter den Augen des Kaifers, in Augsburg er-
Flärte Wolfgang Meuslin dem Nath, er Tonne und wolle
dag Interim nicht annehmen: auch nur den Chorrock, von
dem zunächſt die Rede war, könne er nicht anziehen: nicht
als ob daran fo viel gelegen wäre: aber er habe dagegen
gepredigt: er könne es nicht hun. Er danfte dem Nath
für die Wohlthaten die er in Augsburg genoffen, und ver
ließ die Stadt unverzüglich).
Vergebens hatte Agricola die Prediger in Nürnberg für
feine Formel zu gewinnen gefucht. Weit Diedrich, fo mild
er fonft war, gab zu erfennen, in der Annahme derfelben
würde eine Verleugnung des evangelifchen Glaubens liegen.
Als der Rath den Predigern feinen Entfchluß anfündigte,
das Interim anzunehmen, und fie ermahnte nicht dawider
Nanfe D. Geſch. V. 5
66 Neuntes Buch. Zweites Capitel.
zu feyn, hörten fie ftillfchtweigend zu und entfernten fich ohne
eine Antwort zu geben. Nur die geiftig- unbedeutendern
aber unterwarfen fich. Veit Diedrich ward durch den Tod
diefem Sturme entriffen. Oſiander meinte, er wolle weichen
bis das Wetter vorübergezogen, und verließ Nürnberg; die
Stadt Eiindigte feiner Frau- dag Bürgerrecht auf.
In Um trotzte Srecht auf den Artikel feiner Bocation,
daß er das Evangelium ohne allen Zufag von Menfchenlehre
predigen folle; er ließ fich auch die Anweſenheit des Kaifers
nicht daran hindern. Dafür ward er ſammt feinen vornehm-
ften Amtsgenoffen in Ketten und Bande gelegt und unter der
Dbhut einer fpanifchen Wacht dem Faiferlichen Hoflager nach—
gefahren. Hinter dem Wagen lief ein Schulfnabe her, der
e8 fich nicht nehmen laffen wollte, feinen geiftlichen Meiftern
in ihrem Gefängniß Dienfte zu leiften. !
Sohann Brenz in Schwäbifch- Hall faß mit Frau und
Kindern bei Tisch, als er erfuhr, ein fpanifcher Hauptmann
fen angefommen und dringe auf feine Auslieferung. Er that
als wolle er einen Kranken in der Vorftadt befuchen, und
eilte davon zu Eommen. Auf einem Edelhofe in der Nähe
fand er eine Zuflucht, und auch feine Familie folgte ihm da-
hin nach; doch wagte er nur die Nächte dafelbft zuzubringen,
denn fortwährend ward er gefucht; bei Tage hielt er fich in
dem dichten Dunfel einer unmwegfamen Waldung auf. Eine
beffere Sreiftatt fand er endlich in dem mwürtenbergifchen Schloß
MWettlingen auf dem Gipfel des Hohberges. Er hat dafelbft
1. Auf Fürbitte der Stadt antwortet Arras dem Ulmifchen Ge:
fandten Marchtaler: „daß fie fih in irer antwurt fo übel gehalten,
das fte nit werd weren, das fich die von Ilm jrer annemen.” (March:
taler 1 Sept. 1548.)
Verfolgung der Prediger. 67
eine Auslegung des I3ften Palmen gefchrieben, mit deffen
Berheißungen er fich fröftete. „Die Wafferftröme erheben
fich, erheben ihr Braufen, heben empor ihre Wellen: grö-
Ber aber ift der Herr in der Höhe. Herr, dein Wort ift
die rechte Lehre. h
Sp hielten fie ſich allenthalben. In Regensburg er:
Elärte Dr Nopp und feine Gehülfen: fie wollten fich mit
Weihwaſſer, Ol und Chryſam nicht beflecken; in Frankfurt
Ambach und Lullus: ſie würden eher Hunger, Elend und
den Tod ertragen als von der reinen Lehre weichen. In
Reutlingen nahm Matthäus Alber, welcher dieſer Gemeine
jest 29 Jahre vorangegangen, an dem Tag feinen Abfchied
als die erfte Meffe gehalten ward. Ambrofius Blaurer in
Eofinig hatte um die Durchführung des proteftantifchen Prin-
zips in dem obern Deutfchland das DVerdienft eines Nefor-
mators: von der Kataftrophe feiner Vaterſtadt ward Nie:
mand tiefer betroffen: gleich nach Annahme des Interims
verließ er fie. Am erften November 1548 hielt Erhard
Schnepf feine Abfchiedspredigt in Tübingen, denn fein Fürft
Fonnte ihn nicht länger ſchützen; in langem Zuge begleitete
die Gemeinde den ehrwürdigen Greis weit hinaus vor die
Stadt.” Ein wenig länger hielt ſich Straßburg alg die übri-
gen Städte; aber der Kaifer hatte auch hier an den Begü—
terten, den reichen Dandelsleuten Verbündete: ſchon hatten
ihrer fünfzig die Stadt verlaffen, noch mehrere drohten nach-
zufolgen, wenn man die Ungnade des Kaifers nicht ver:
1. Eins der merfwärdigften Pfeudonymen: „Joanne Witlingio
autore.“
2. Adami Vitae theologorum.
5*
68 Neuntes Bud. Zweites Capitel.
meide. Hierauf entichloß fich die Stadt, Anfang Februar
1549, dem Bifchof zu verfprechen, daß in ihren Mauern
nicht mehr wider das Interim gepredigt werden ſolle.“ In
diefem Befchluß fahen Männer wie Buser und Fagius ihre
Entlaffung. Butzer fühlte fich ohnehin durch den Nuf, daß
er allzu nachgiebig fey, zu viel auf Vergleichung denfe, der
wie ein Schichfal auf ihm laftete, gedrückt, und wollte den:
felben um Feinen Preis beftätigen. Fagius entfchuldigte in
feiner Abfchiedspredigt den Rath, der fo lange als möglic)
feftgehalten, und die zurückbleibenden Prediger, die gewiß
von der rechten Lehre nicht abfallen wirden: für fich bat
er um die Fürbitte der Gemeine daß er ftandhaft bleibe in
feinem Kreuz. ?
Ich nenne mur die vornehmften Namen: eine große
Menge Anderer gefellte fich den Flüchtigen zu. Man wollte
bei 400 verjagte Prediger im Oberland zählen.
Diefe Standhaftigfeit fand nun aber auch weiter im
Norden und Hften Nachahmung.
Einer Vereinbarung welche Markgraf Albrecht von Culm⸗
bach mit feinen Landftänden auf den Grund des Interims
getroffen, wwiderfeßten fich die Prediger um fo mehr, da man
fich vorbehalten hatte, daran zu mehren oder zu mindern.
Ein langes Sorgen, fagten fie, fey ein langes Sterben: fie
verpflichte ihr Eid, nur das lautere Gotteswort zu lehren;
wolle man fie zwingen davon abzumeichen, fo wollten fie
hiemit ſammt und fonders um ihren Abfchied gebeten haben.
1. Bucerus Calvino 9 Jan. 7 Febr., in Epistolis Calvini
nr. 96 (ein vortreffliher Brief) und nr. 98.
2. Ein Auszug diefer Predigt findet fih in der ſchwaͤbiſchen
Ehronif des Martin Cruftus, der fte hörte, II, 274.
Widerftand in Norddeutichland. 69
Albrecht fehrieb dem Kaifer, er ſey nicht abgeneigt fie zu
entlaffen: er wife nur Feine andern zu befommen. !
Im Ealenbergifchen, zu Pattenhaufen, bielt die Geift-
lichkeit förmlich eine Synode, in der fie eine Erklärung ge
gen das Interim, die ihr Superintendent Corvinus verfaßt
hatte, unterzeichnete.
Fand doch felbft Ehurfürft Joachim von Brandenburg,
der feiner Geiftlichen eher ficher zu feyn glaubte, da eins
ihrer Oberhäupter an der Abfaffung des Interims Antheil
genommen hatte, als er fie nach Berlin zufammenrief, den
größten Widerfpruch. Sie erklärten, fie würden Die ewige
Verdammniß fürchten, wenn fie von der erfannten Wahrheit
abweichen wollten: der Kaifer fey mächtig: aber Gott noc)
viel mächtiger. ?
Auch in Sachfen, in dem Lande des Churf. Moritz
ſowohl, wie in den Landftrichen welche den Söhnen Johann
Friedrichs verblieben, war man in derfelben Stimmung. Auf
einer Berfammlung die Moritz Furz nad) feiner Nückfehr vom
Neichstage nach Meißen berief, zeigten fich die Theologen
beionders über die Vorrede der Faiferlichen Formel, die ihnen
bier erft bekannt ward, betroffen, da darin die Doctrin von
der fie abgewichen, als Acht Fatholifch bezeichnet ward: fie
erklärten daß fie nur die Neuerungen abgefchafft, und zu
den urfprünglichen Lehren der wahren Fatholifchen Kirche zu:
rückgekehrt ſeyen:“ das Verfahren des Kaiferg, fo mild es
1. Lang II, 209. 212. Bucholtz VI, 329.
2. Leuthinger Commentarii 219. 228.
3. Grave et hoc est quod nobis tribuitur, fuisse et esse
nos autores schismatum et novitatis, cum partis adversae recens
excogitatis et in ecclesiam inveclis doctrinae corruptelis et ab-
70 Neuntes Bud. Zweites Capitel.
auch ausfehen möge, bezeichneten fie als verderblih und
tyrannifch; auch die einzelnen Beftimmungen des Interim
griffen fie mit vielem Ernft an: in einer Erläuterung der
Suftification von Melanchthons Hand werden die proteftan-
tiſchen Grundfäße mit aller Schärfe hervorgehoben. Ganz
nach dieſem Vorgang ftellten. die Stände dem Churfürften
vor, daß die Lehre ihrer Lande eben die fey, welche die Glie—
der der wahren Eatholifchen Kirche von jeher bekannt: fie
erinmerten ihn an fein Verfprechen fie dabei zu fchügen, dag
auf allen Kanzeln dem Volk und durch offenen Druck der
Welt bekannt gemacht worden fey. .
Und dazu Fam nun daß es im Neiche noch unüber-
wundene Regionen gab, welche dem Eaiferlichen Willen zu:
gleich politifchen und geiftlichen Widerftand entgegenfegten.
In ganz Niederfachfen fprachen fich die Oberhäupter
der Geiftlichfeit dagegen aus, Apinus zu Hamburg, Johann
YAmfterdamus zu Bremen, Medler zu Braunfchweig; überall
wurden Synoden gehalten: zu Minden, Mölln, Hamburg;
die Städte correfpondirten darüber unter einander, und wur—
den endlich einig, wie der Faiferliche Truchſeß Könnerig be:
richtet, das Interim ſämmtlich zu vermwerfen, Leib und Gut
darüber zufammenzufegen.
Beſonders heftig lautete die Erklärung von Magdeburg.
Das Interim verdunkle den Hauptartifel des chriftlichen Glau-
bens, daß wir durch den Glauben ohne alle Werfe gerecht
und felig werden; es richte die Anrufung der Verftorbenen,
Vigilien, Seelmeffen und die ganze Gottesläfterung des Pap-
usibus cerimoniarum rejectis et repudiatis redierimus ad primam
et veterem catholicae ecelesiae doctrinam et traditiones.
Widerſtand in Norddeutfchland. 7
ſtes wieder auf; es wolle „Uns Alle“ um unſre Seligkeit
bringen.“ Und da die Stadt nicht allein unausgeſöhnt,
ſondern in der kaiſerlichen Acht war, da ſie nichts weiter
zu verlieren hatte, fo ward fie plötzlich der Heerd einer leb—
haften literarischen Oppofition. Eine Fluth von Gegenfchrif:
ten in jeder Form, — Satyre und Predigt, in Profa und
Verſen, * gab das Interim der Verachtung und dem öffent:
lichen Haffe Preis; in abenteuerlichen Garicaturen ward es
verfpottet; man bat fogenannte Interimsthaler, auf denen
ein dreiföpfiges Ungeheuer den Urfprung und inhalt diefer
Schrift verfinnbildet. Da fo viele Fürften ſchwankten oder
abfielen, wendeten fich alle Blicke auf Johann Friedrich, der,
obwohl ein armer Gefangener und in der Gewalt des Kai:
ferg, doch jedes Anfinnen dem Interim beizutreten ftandhaft
zurückwies. Denn wohl wiſſe er, daß e8 in vielen Artikeln
dem Worte Gottes zuwider ſey: würde er e8 billigen, fo
wäre e8 als ob er Gott droben in feiner Majeftät und die
weltliche Obrigkeit hienieden mit gefährlichen Worten betrü—
gen wolle: er würde die Sünde gegen den heiligen Geift
begehn, die nicht vergeben werde. Ruhig fah er zu, alg
man ihm feine Bibel und feine Iutherifchen Bücher weg—
nahm: er werde fchon behalten mag er daraus gelernt.
Seine Haltung flößte felbft den Feinden Hochachtung ein;
in den Gleichgefinnten nährte fie den ftillen und ftandhaf-
ten Widerftand der gläubigen Gemüther. War Johann
Friedrich früher als der Vertheidiger des reinen Glaubens
geachtet und geliebt worden, fo ward er jegt als Held und
1. Der von Magdeburg Entfchuldigung, bit und gemeine chrift-
lihe Erinnerung 1549.
72 ° Neuntes Bud. Zweites Capitel.
Märtyrer bewundert und verehrt. Man erzählte fich, bei
der Übergabe jener ablehnenden Erklärung habe ein Donner:
fchlag von heiterm Himmel gleichfam das göttliche Wohl
gefallen bezeugt; man meinte die Geftalt des Churfürften in
der Luft in den Bildungen der Wolfen zu fehen.
Was würde erft gefchehen feyn, wenn der Kaifer wir
lich, wie man ihm gerathen, den Verſuch hätte machen wol
fen die alten Eirchlichen Zuftände geradehin zurückzuführen.
Er fuchte jetzt nur einige Äußerlichkeiten herzuftellen, eine
Modification in Lehre und Leben zu Stande zu bringen, in
welcher doch auch profeftantifche Elemente unverkennbar ent
halten waren: und doch wurde fein Entwurf mit tiefem
und allgemeinem Widerwillen empfangen. Die Unterwür:
figfeit der befiegfen, mit dem Nuin ihrer Städte bedrohten
oder erft jet im Gefolge der Niederlage eingefegten Ma-
giftrate, und einiger fchwächern Seelen welche dag Eril fürch-
teten, wollte doch wenig fagen. Der profeftantifche Geift, in
feiner ganzen urfprünglichen Energie, feßte fich dagegen.
Diefer proteftantifche Geift aber follte in deinfelben Au—
genblick einen Angriff erfahren, der ihm noch bei weiten fies
fer gieng und gefährlicher wurde.
Churfürſt Morig hatte dag Interim, wie wir wiſſen,
nicht geradezu angenommen: er hatte e8 aber auch nicht ent:
fchieden abgelehnt. Er war dem Kaifer und dem König viel
zu fehr verpflichtet, um fich fo dringenden Wünfchen derfel-
ben zu widerfegen: hatte man ihn doch einft in Eger der
Fatholifchen Meffe beitvohnen fehen! Dagegen aber hatte
er feiner Landfchaft, welche die proteftantifchen Dockrinen um
fo lebendiger aufgenommen, je länger fie derfelben entbehren
Haltung des Churfürften Moritz. 3
müffen, dag Verfprechen gegeben, fie bei ihrer Religion, wie
fie jetzt ſey, zu ſchützen, eine Zufage die von dem Kaiſer
um der Gefahren des Krieges beftätigt worden. Die pro:
teftantifche Gefinnung war durch die Vereinigung der Alte:
fen evangelifchen Länder mit feinem bisherigen Territorium
nur um fo ftärfer geworden. Moritz erflärte endlich dem
Kaifer, er für feine Perſon habe nichts gegen die Formel des
Interim: was feine Landfchaft anbetreffe, fo wolle er alles
Mögliche thun um fie zur Annahme deffelben zu beivegen. !
Bei dem erftien Verſuch aber ward er inne, daß dieß
fo geradezu nicht möglich (ey. Wenn wir vecht unterrichtet
find, fand er überhaupt bei feiner Nückfehr in das Land
eine fchlechte Aufnahme. ? Bei der erften Zuſammenkunft fei-
ner Stände in Meißen empfieng er, wie berührt, eine ent
fchieden abfchlägliche Antwort.
Der Kaifer forderte ihn auf, ungefähr eben fo zu ver
fahren, wie er felbft in den oberen Landen und Städten
verfahren war, vor allen Dingen Melanchthon zu entfernen,
von dem ein Gutachten wider das Interim im Druck er:
fehienen war. Die Stände dagegen hielten ihm fein Verſpre—
chen entgegen: fie fchienen bereits ihre Augen auf feinen
Bruder Auguft zu werfen.
Bon entgegengefegten Anfprüchen und Pflichten gedrängt
faßte Churfürſt Moris den Gedanken, wenn es ihm nicht
1. Dem Marfar. Hans laßt Kön. Ferdinand Dienft. nah Trin.
fagen: „J. Könige. Mt wolle J. f. Gn. unangezeigt nicht laffen, daß
Herzoge Morig dag Interim vor fein perfon angenommen, ſich auch
dabeneben erboten, hoͤchſten und muglichen Fleiß anzuwenden feine
Landfhaft dahin zu bereden, daß fie folhes auch annehmen folte.“
2. Marillac 19 Sept. Bgl. fpäteres Schreiben bei Nibier II, 218.
74 Neuntes Buch. Zweites Capitel.
möglich fey das ganze Interim einzuführen, den Kaifer doch
wenigſtens durch möglichfie Annäherung an die Formel zu
befriedigen. Er forderte feine Stände und Theologen auf,
nochmals in Erwägung zu ziehen, was fich dem Kaifer mit
gutem Gewiſſen nachgeben laffe.
Näher ward diefer Gedanke für ihn befonders dadurd)
befiimmt, daß Zulius Pflug in das Bistum Naumburg zu:
rückgefommen war, fich aber hier troß aller Befehle des
Kaifers der Beihülfe des weltlichen Armes überaus bedürf—
tig fühlte. Und diefer Bifchof war nun von den gelehrten
Theologen der Fatholifchen Kirche wohl der gemäßigtfte, den
Proteftanten in feinen Meinungen verwandtefte, nächfte. Chur
fürft Morig meinte, die Modificationen welche in der augs—
burgifchen Formel nothwendig feyn würden, durch den Bi—
fchof, deffen Autorität er dafiir wieder anerfannte, dem Kai-
fer empfehlen zu laffen.
Hätte irgend ein andrer deutfcher Fürft diefen Plan ge:
faßt oder auch ausgeführt, fo würde es fo viel nicht zu fa-
gen gehabt haben, da die Wirfung doch immer auf ein ein-
siges Land befchränft geblieben wäre.
Hier aber war e8 von der größten Bedeutung. Das
Kriegsglück das fir den Kaifer entfchied, hatte die Metro:
pole des Proteftantismus, jenes Wittenberg, von dem big:
her die Seftfegung der dogmatifchen Normen hauptfächlich
ausgegangen war, im die Hände des Churfürften Morig
gebracht. Einf, bei den erften Verfolgungen der Lehre, un:
fer Friedrich dem Weifen, war Wittenberg dag allgemeine
Aſyl gewefen. Und noch lebte dafelbft der Mann der nächft
Luther das Meifte zur Entwickelung der neuen Kirche bei-
Haltung Melandhthons. 75
getragen. Dahin war noch immer die Aufmerffamkeit aller
Gläubigen gerichtete. Es war ein nicht allein fir Sachfen,
fondern für die ganze evangelifche Welt im böchften Grade
wichtiges Ereigniß, wenn es dem Churfürften gelang, dieſen
Mann und feine Amtsgenoſſen zu einer Annäherung an die
Faiferliche Formel zu vermögen.
Indem er die verfuchte, Fam ihm zu Statten daR er
die in den Kriegsunruhen zerſtreute Univerſität wieder auf
gerichtet, die alten Profefforen zuriickberufen, fich um alle
zufammen und jeden befonders perfönliche Verdienfte erwor—
ben hatte, auch um Melanchthon. Melanchthon war nach
England und nach Dänemark, nach Tübingen und Frank
furt a. d. Dder berufen worden, auch die Söhne Johann
Friedrichs hatten ihm Anträge gemacht; er 309 e8 aber vor,
nach Wittenberg zurückzukehren, an das ihn alle Gewohn—
heiten des täglichen Lebens feſſelten, wo ſeine Familie ſich
wohl befand, — ſeine liebſten Freunde, einverſtandene Col—
legen lebten;“ fein Ehrgeiz war, aus dem großen Schiff—
bruch, wie er fagte, die Trümmer zu retten, die Univerfität,
deren Ruf und Daſeyn mit dem feinen verwachfen war, wie—
derherzuftellen. Die neue Negierung 309 ihn bei den Ge
fchäften zu Nathe, nahm auf feine Empfehlungen Nück-
ſicht; — als fich einft der Kaifer darüber beklagte, daß
der mit ihm noch unausgeſöhnte Profeffor in Wittenberg
wieder auftrefe, und auf feine Auslieferung dringen zu wol:
len drohte, denn eben der ſey es, der den vorigen Chur-
1. „als ich bedacht habe, daß die Werfonen wie wir viel Fahr
beifammen gewefen, zu Pflanzung löblicher Künften und chriftlicher Lehr
nüglic gedient haben.” An Mfg. Joachim, Corp. Ref. VI, 734.
76 Meuntes Buch. Zweites Eapitel.
fürften in feiner Widerſetzlichkeit beftärft habe, nahm die Re—
gierung den Gelehrten in Schuß, und ließ ihn willen daß
fie das that. Einft, auf einer Reife hat fie ihn fogar
gleich als ſey die dringendfte Gefahr vorhanden einen Au—
genblick entfernt: e8 fehien ihm wohl als hänge von ihrer
Gunft und Fürfprache fein ganzes Dafeyn ab. Und zu Die:
ſem Gefühl der Dankbarkeit Fam noch ein andreg. In den
legten Jahren hatte ſich Melanchthon, aus Furcht den al-
ternden Luther zu verlegen, nicht mit voller Freiheit bewegt,
befonders feine Gedanken über die Abendmahlslehre nicht
wie er wünſchte zu entwickeln gewagt; auch von dem am
Wortlaut fefthaltenden Hofe hatte er fich befchränfe gefühle.
In dem Umfiurz der Negierung, unter deren Schirme die
neue" Lehre emporgefommen, ſah doch Melauchthon auc)
wieder auf feinem twoiffenfchaftlichen Standpuncte gleichfam
eine Erleichterung. So geſchah daß er fich dem neuen
Herrn mit einer ganz unerwarteten Hingebung anfchloß.
Mit jenen Näthen, deren bloßer Name Luthers Wider-
willen erweckte, trat er in Verhältniß: wir finden ihn den
Dr Komerftadt auf deffen Landgut befuchen, er correfpondirt
mit Garlowig. Wer wollte ihn an und für ſich darum ta
dein? Mit dem einen berierh er die Gefchäfte der Univer—
fität, die Herbeibringung der zerfireuten Einfünfte; bei dem
andern fuchte er etwa für einen alten Freund, Dr Jonas, die
Erlaubniß der Nückkehr an feine Stelle in Halle nach. Aber
indem man diefe Wendung feiner Hinneigung und Abhängigkeit
beobachtet, erſchrickt man fehon vor der Gefahr, in welche
feine perfönliche Haltung dadurch geräth. In einem unbe:
wachten Augenblick, in welchem er dem Carlowig für die
Haltung Melanchthons. 47
Gewährung eben jener Fürbitte für Jonas dankte, ! ver
lor er dag größte Verhältniß feiner frühern Zeiten, das ihn
zu dem Manne in der Welt gemacht hatte der er war,
die Freundichaft zu Luther, ganz aus den Augen. Das Ge
fühl der Befriedigung brachte ihm Ältere vorübergegangene
der Berftimmungen ing Gedächtnif. Er ließ Klagen über Lu—
thers Eigenfinn und Streitfucht einfließen: er erlaubte fich
Seitenblicke auf die frühern Herrn. Melanchthong Briefivech-
fel erweckt fonft immer TIheilnahme, Verehrung, Liebe: diefen
Brief aber wollte ich, hätte er nie gefchrieben. E8 mag
feyn daß er, wenigſtens bis auf einen gewiffen Grad, Necht
hatte: wer wiirde e8 ihm verargen, wenn er feine Klagen,
zu jener Zeit, in den Buſen eines Freundes ausgefchüftet
hätte. Jetzt aber, nach der Kataftrophe feines Fürften, nach
dem Tode des Freundes, Klagen gegen Den, in welchen
Diefer immer einen Widerfacher gefehen, und der dag Meifte
Dazu beigefragen hatte jenen zu ſtürzen! — nun, man fieht,
wohin auch ein edler Menfch, von momentanen DBesie:
hungen übernommen, gerathen kann. Melanchthon glaubte
wohl in feiner Befcheidenheit, daß er ein einfacher Gelehrter
fey. Ein Gelehrter aber wie er, der an den großen Ereig-
niffen mithandelnd Antheil nimmt, führt Fein Privatleben:
er hat die Pflicht eines Staatsmann, immer das Ganze
feiner Ihätigfeit im Auge zu behalten, feine Vergangenheit,
die unaufhörlich fortwirkt, nicht aufzugeben im überwiegenden
Gefühl der Nothivendigfeiten des vorhandenen Augenblicke.
Und fir ihn war diefe Pflicht ganz befonders dringend. In
ihm mehr als in irgend einem andern lebenden Menfchen
1. 28 April 1548. Corp. Ref. VI, p. 879.
78 Neuntes Buch. Zweites Capitel
fag- die Einheit der proteftantifchen Kirche; der freie Fort:
gang ihrer Entwickelung Fnüpfte fih an ihn. Jetzt war die
Zeit gefommen wo er die Zweifel an feiner moralifchen
Stärke, die fich fchon regten, widerlegen, durch eine männ—
liche und unnachgiebige Haltung das Zufrauen zur allgemei-
nern Sache befeftigen mußte. Welche Autorität würde er
dann gewonnen haben! mie hätte er mit dem wiſſenſchaft—
lichen Sinn und dem religiöfen Gefühl die fich in ihm durd)-
drangen, die vereinigten Geifter noch eine Strecke weiter füh-
ven können! Die Werkftätte der unabhängigen profeftanti-
fchen Gelehrfamfeit und Theologie, wo fie- auch aufgefchla-
gen werden mochte, die war fir ihn Wittenberg, nicht jener
Ort an der Elbe. - Eine unglückliche Iocale Vorliebe aber
führte ihn in den Bereich einer ftaatsflugen und verführeri—
ichen Gewalt. Melanchthon drückte fich in jenem Briefe auch
iiber den ihm ſchon mitgetheilten Entwurf des Interims fehr
entgegenfommend aus. Er billigte den Artikel über die Kirche
und die Herftellung der Gebräuche: er erwähnte felbft, mit
welchem Vergnügen er in feiner Kindheit die Firchlichen Ceri-
monien mitgemacht; er brachte Borfchläge bei wie die Prediger
su gewinnen ſeyen: und meinte noch, feine Mäßigung werde
den Mächtigen nicht genugthun. Sie gereichte innen zum
höchften Erftaunen. Carlowitz theilte den Brief Jedermann
mit, der ihn fehen wollte: zahlreiche Abfchriften giengen in
Augsburg von Hand in Hand: die Anweſenden können nicht
‚ausdrücken, wie zufrieden fich die Prälaten darüber Außer
tert, wie unglücklich fich die Evangelifchen darüber gefühlt
haben; die Gefandten ſchickten das Actenſtück ihren Höfen
ein. Ach dem Kaifer ward dag Schreiben vorgelefen: „den
Zufammenfunft in Pegau. 19
habt ihr," fol er ausgerufen haben, „ſeht zu, daß ihr ihn
fefthaltet. "
Von einer Negierung, wie dieſe morigifche war, fo nach—
haltig und gewandt, fo feft in den einmal gefaßten Gedan—
fen und gnädig gegen jeden Einzelnen, die fich vor allem
der PerfönlichFeiten zu bemächtigen fuchte, ließ fich wohl er:
warten daß fie das verſtehn würde.
Am 23ften Auguſt ward eine neue Zufammenfunft zu
Pegau gehalten, wo die drei Bischöfe, unter ihnen noch Georg
von Anhalt, der die geiftliche Adminiſtration von Merfeburg
führte, neben Melanchthon noch ein andrer Wittenberger Pro—
feffor, Paul Eber, und eine Anzahl fürftlicher Räthe erfchienen.
Was man den Theologen damals bereits abgewonnen
hatte (e8 darf wohl angeführt werden, daß Melanchthon ein
paar Tage vorher, unter dem 20ſten Aug., dem Carlowitz eine
Schrift gewidmet hat), zeigt fich recht, wenn man dag Gut:
achten über die Lehre das fie hier vorlegten, mit dem in
Meißen abgegebenen vergleicht, obwohl dag Pegauer eigent-
lich nur eine Überarbeitung von jenem: ift.
Der Unterfchied war nicht allein, daß fie Sätze weg—
liegen, worin die Verfaſſer des Interim und die tridentini-
fchen Schlüffe zugleich angegriffen waren, 5. B. über Die
Zmeifellofigkeit der Erlöfung, ! oder in denen der urfprüng-
liche Gegenfaß beider Syſteme lebhaft hervorgehoben war,
1. Adfirmamus igitur falsum esse et mendacium horribile
quod dicunt adversarii, dubitandum esse an habeas remissionem
peccatorum, was gegen den $ 8 de3 Interim gerichtet if. In dem
deutfhen Eremplar heißt e3 ſchon milder: „Und ift diefe Rede nicht
recht daß man zweifeln fol.” Aber in der Pegauiſchen Schrift
fehlt es ganz.
80 Neuntes Buch. Zweites Capitel.
wie da, wo von den Werken die Rede war, aus denen man
ohne Grund Gottesdienft gemacht: in der Lehre von der
Rechtfertigung nahm man felbft den Ausdruck eingegoffene
Gerechtigkeit auf, der der enfgegengefeßten Anſicht angehört. !
Julius Pflug war jedoch mit der Art wie das gefchah noch
nicht ganz befriedigt. Wenn die Theologen feftietten, die
Gerechtigkeit de8 Verſöhnten bedeute nur, daß Gott fich den
ichwachen Anfang des Gehorfams um Chriſti willen gefal-
len laffe, fo forderte man Fatholifcher Seits die Formel, daß
der Menſch durch den heil. Geift erneuert werde und dag
Nechte mit der That vollbringen könne. Die Theologen ha:
ben auf Einreden der fürftlichen Näthe endlich wirklich zu-
gegeben, daß beide Sätze vereinigt wurden. Go ift eine
Formel zu Stande gefommen, in der allerdings dag prote—
fiantifche Prinzip vorherrfcht, die aber nichts weniger als
aus Einem Guffe ift: man ſieht gleichham mit Augen, wie
eine Vorfiellung von anderm Urfprung mit demfelben in Be
rührung geräth und dagegen vorzudringen fucht. Höchlich
zufrieden erklärte fich Julius Pflug. Da man über die Lehre
im Allgemeinen, über die Autorität der Kirche und die Sa—
cramente einverftanden ſey,“ fo hofft er daß man fich auch
in den übrigen Puncten im Sinne der Faiferlichen Anord-
nung vereinigen werde.
1. In der alten Redaction heißt es: Etsi igitur inchoari obe-
dientiam oportet, tamen non est cogitandum hominem habere re-
missionem; in der neuen: Etiamsi nova obedientia inchoata est
et justilia infusa in homine, non tamen cogitandum est quod pro-
pter eam persona habeat remissionem. Es ijt auffallend daß fie
es nichts deſto minder nennen „Caput ex formula Mysnica de-
seriptum. ‘
2. Epistola Pilugii ad Georgium Anhaldiae prineipem 14 Cal.
SZufammenfunft in Celle. 81
Indeſſen gewann die Sache doch nicht den raſchen Fort⸗
gang den er vielleicht ertwarfefe. Dei einer Zufammenkfunft
einiger Mitglieder der Nitterfchaft und einiger churfürftlichen
Käthe mit den Theologen, die im October zu Torgau veran-
ftaltet wurde, zeigten fich die letzten unerfchütterlich. An der
Univerſität und in der Population war die Stimmung daß
man nichts mehr nachgeben dürfe. Man verglich wohl dag
Interim mit dem Apfel welchen Eva dem Adam dargereicht:
ein einziger Biffen habe dem Manne den Zorn Gottes zu:
gezogen. Es gieng eine Schrift von Hand in Hand unter
dem Titel, „daß man nichts verändern fol.’ Dr Eruciger
meinte noch in den Phantafien die feinem Tode voraus:
giengen, mit Disputationen diefer Urt geängftigt zu werden,
aber Widerfiand zu leiſten.“ Symmer dringender jedoch wur-
den die churfürftlichen Näthe. Am 17ten November, als
ihr Herr fich bereitete nach Trient zu reifen, um mit dem
Bifchof von Augsburg den Sohn des Kaifers Don Phi:
lipp an den deutfchen Grenzen zu empfangen, hielten fie eine
neue Zufammenkunft zu Kloftercelle mit den vornehmften Su:
perintendenten und Predigern des Landes; nur die drei milde:
ſten Profefforen, Major, Camerarius und Melanchthon waren
zugegen. Die Näthe legten denfelben den Torgauer Entwurf,
jedoch mit abermaligen Modificationen vor, und erörterten da-
Oct. 1548. Cum de doctrina de ecelesia ejusque autorilate et
potestate, de sacramentis denique jam conveniat inter nos, et ea
probemus quae a Caesaris consilio atque voluntate Christiana
aliena non sunt.
1. Entfhuldigung Matthiaͤ Flacii an die Univerfität zu Wit:
tenberg Bog. 2, II.
2. Eber an Melanchthon 16 Nov. Corp. Ref. VII, 194.
Ranke D. Geſch. V. 6
82 Neuntes Buch. Zweites Capitel.
bei die Gefahr die eine Verwerfung deffelben nach fich ziehen
möchte: man Fönne bewirken, daß die Kloftergüter, von de
nen fich jetst Kirchen und Schulen erhalten, ihnen wieder
entriffen würden, oder daß gar ein fremdes Kriegsvolk ein-
dringe und in Sachfen haufe wie in Würtenberg. Vorſtel—
lungen, die auf die armen Gelehrten, welche an der Wahr:
haftigfeit und überlegenen Weltkenntniß dieſer Räthe keinen
Augenblick zweifelten, den größten Eindruck hervorbrachten.
Sie ſuchten nur den Vorwurf von ſich abzulehnen, als
ſeyen ſie ſtarrköpfige Leute: vielmehr betheuerten ſie, auch
ſie ſeyen kaiſerlicher Majeſtät und ihrem gnädigſten Herrn
zu unterthänigſtem gebührlichem Gehorſam erbötig. Ge—
nug ſie gaben nach.“ Eine Formel kam dort in Celle zu
Stande, worin die biſchöfliche Jurisdiction wiederhergeſtellt
ward, ohne weitere Bedingung, als die ganz allgemeine,
das biſchöfliche Amt ſolle nach göttlichem Befehl ausgerich—
tet werden; ja der größte Theil der ſchon abgeſchafften Ce—
rimonien ward für wieder annehmbar erklärt, Firmelung,
Olung, canoniſche Geſänge, Lichter, Gefäße, Läuten, faſt
der ganze Ritus der alten Meſſe, Faſten, Feiertage. Neh—
men wir Rückſicht auf die ſpätern Äußerungen der Theo—
logen, ſo läßt ſich wohl nicht bezweifeln, daß man ihnen
hier Vieles ſo zu ſagen über den Kopf weggenommen, ihr
Stillſchweigen für Übereinſtimmung erklärt hat; aber ſie
1. Schreiben vom 19 Nov. Das deutſche Original: „wird
ſchwer feyn bei dem Wolf diefe befchwerliche Nede zu flillen, “ wäre
dunfel, wenn es nicht durch die lateinifche Faſſung erflärt würde,
AA. Synodica X, x, 4: Consideretis ipsi, quam non difficiles se
pastores exhibuerint, -- sed potius faciles, negleetis iniquis ju-
dieiis et obtreetationibus, quas secuturas esse intelligunt et ut
reprimantur diffieile esse futurum.
Leipziger Snterim. 83
wagten noch immer nicht zu widerfprechen. Ganz verän-
dert und umgekehrt zeigte ſich das Verhältniß, als die
Stände nach Leipzig berufen und diefe Feftfeßungen ihnen
mitgetheilt wurden. Die Stände erhoben Bedenken: die
Theologen, weniger eifrig als ihre Pflegbefohlenen, fuchten
diefelben zu heben. Sie verficherten, daß die Meffe doch nie
ohne Communicanten Statt finden, dag Frohnleichnamsfeft
mit Feiner Proceffion verbunden, dem ÖL Feine abergläubi-
[che Bedeutung beigelegt werden folle. Nach) Maafigabe
der zu Pegau und zu Eelfe getroffenen Vergleichungen ward
eine Schrift verfaßt, die unter dem Namen. des Leipziger
Interim bekannt if, und ald Norm für die Neligionsübung
in den ſächſiſchen Landen dienen ſollte.“ Als die Theolo—
gen ihr Werk anfahen, machte e8 fie felber beftürzt, daß fie
fich fo weit hatten führen laſſen: fie klagten, fie ſeyen durch
die Meinungen der Machthaber unterdrückt; ihr Troft war,
1. Schreiben der Bifchöfe in Weller Altes aus allen Theilen
der Gefchichte Bd I, p. 607, wie denn die auf die Neligion bezüg-
lihen Acten diefer Landtage dort überhaupt zuerft mitgetheilt find.
Aus einer andern Handfchrift finden fte fich jest im Corp. Ref. VII,
254 ff.; mit einigen Zufäßen, die fih auf den magdeburgifchen
Krieg und die dem Kaiſer zu leiftende Geldhülfe beziehen, im Berlis
ner Archiv. Auch in den ſchon befannt gemachten Stüden zeigen fich
da einige merfwürdige Varianten: 3. B. bei dem Bedenken ber Theo:
logen der Zufaß „gebührlihen und ſchuldigen“ Gehorfam, der alfo
nicht ein fpäterer Nachtrag iſt, fondern dem erften Entwurfe angehört.
2. Joh. Bugenhagen verfichert, er habe feinen grauen Kopf
dargeboten, „ehe ich wolt annehmen die läfterlihen Wfaffenunction,
Gonfecrationen ꝛc.“ noch ward da (zu Leipzig) vorgetragen Die
„extrema unctio nomine theologorum.* Voigt, Briefe der
Gelehrten an H. Albreht p. 93. Melanchthon an Hardenberg 18
März 1549 (er will nicht beurtheift feyn „ex pagellis, quibus quac-
dam inserta sunt quae non sunt nostra“). Corp. Ref. VI, 351.
6*
84 Neuntes Buch. Zweites Capitel.
daß doc) alles was fie zugegeben, fi) mit der Wahrheit
vereinigen laffe, daß fie dieß Joch nur auf fi) genommen,
um die Kirche der Verwüſtung nicht Preis zu geben. Und
fo viel ift geroiß, daß fie, obwohl im Weichen und Nachgeben
begriffen, in Lehre und Cerimonien doch den evangelifchen Lehr:
begriff in feinem Wefen nicht verlegt haben. Viele von diefen
Satzungen und Gebräuchen waren eben folche, die Luther in
feinem Anfang nicht hatte wollen umftürzen laffen. Allein
welch ein unermeßlicher Unterfchied ift e8 doch, dag Herge—
brachte einftweilen beftehn laffen, und dag bereits Abgefchaffte
tiederherftellen. Dort fchont der großmüthige Sieger: hier
unterwirft fich, gedrängt und beängftigt, der Befiegte. Menn
auch gemildert durch mannichfaltige Zugeftändniffe, immer war
e8 doch zuleßt die dee der Einheit der lateinifchen Kirche,
der man fich durch die Umftände genöthigt wieder unter
warf. Nur fo lange bis die nöthigen päpftlichen Indulte
eingetroffen, überließen die Bifchöfe noch die Ordination den
proteftantifchen Predigern. Als Churfürſt Morig von Trient
zurüchfam, wo er mit dem Prinzen in das befte Vernehmen
getreten, eilte er die Agende vollenden zu laffen, die fchon
in Celle entworfen worden war: im Mai ward fie von den
Superintendenten angenommen, und bald darauf als Landes:
gefeß verkündigt.
Und fo gefchah nun, daß während fich anderwärts Die
Dberhäupter der proteftantifchen GeiftlichFeit zum Widerftand
unter jeder Gefahr und Bedrängniß entfchloffen, das Geburte-
land der proteftantifchen Entwickelung, die Mutteruniverfität,
von der die Anhänger der neuen Meinungen ausgegangen,
ja der große Lehrer felbft, der allgemeine genannt, welcher
Einführung des Interims. 85
das höchfte Anfehen genoß, fich der religiöfen Verordnung
des Kaifers allerdings zwar nicht unterwarf, aber doch näher
anfchloß, als jemand für möglich gehalten hätte. !
Sein Beifpiel und fein Rath vermochten nun auch An—
dere zu einem Ähnlichen Verfahren.
Zriumphirend verfündigte Agricola in der Schloßfirche
zu Berlin die Zugeftändniffe der Wittenberger Theologen,
über welche zu Jüterbock mit den Räthen Joachims II Rück
fprache genommen worden, als eine Beftätigung des Eaifer-
lichen Buches, das man fo viel gefchmäht habe. Hierauf
fragten die märfifchen Prediger in Wittenberg an, was e8
mit ihren Befchlüffen auf fich habe: ob wirklich dag Wei—
ben von Waffer, Salz und DI, dag Heben und Legen des
Kreuzes, Singen der Vigilien von ihnen hergeftellt fen; ob
man fich wirklich wieder des von den Bifchöfen gemweihten
Chrisma bediene? Gern, fagen fie, wollen wir bei eurer
Kirche bleiben und alles halten was ihr haltet, als eure
Schüler. Bugenhagen und Melanchthon antworteten, nie:
mals ſey e8 ihnen in Sinn gekommen, das Weihen von
Waſſer und Ol zu billigen, noch erfchalle die Lehre rein zu
Wittenberg und über den Inhalt der märfifchen Kirchenord-
nung fey man nicht hHinausgegangen. hr Landesfürft möge
das Interim nach Maafgabe diefer Übereinfiimmung einfüh-
ren. So viel fey übrigens wahr, daß man eher eine harte
Knechtſchaft ertragen, als eine Verödung der Kirche zulaf
1. Schreiben Chriftof3 von Karlwitz Torgau 16 März (Berl.
Arch.), im Anhang: „Mein gn. 9. Fonte leiden daß es ehe befcheen,
und heldet embfig darumb an.“ Expositio Ddd „librum agendo-
rum confecerunt ad formulam mandatam, qui perfectus fuit mense
Martio‘, ao 49,
86 Meuntes Buch. Zweites Capitel.
fen müſſe. Und eben fo antwortete Melanchthon den frän-
Fifchen Predigern. Nicht dag ganze Interim, aber eine Kir-
chenordnung im Sinne deffelben hatte man Diefen vorgelegt,
und nur die Wahl zwifchen deren Annahme oder dem Eril
gelaffen. Viele waren geneigt auszuwandern: Melanchthon
dagegen rieth ihnen fich wicht zu widerſetzen; ſey doch in
jener Ordnung weder von Weihungen noch von dem Ca—
non die Nede, überhaupt nichts darin enthalten mas der
Lehre geradezu widerfpreche. „Wir müffen nur darauf den-
ken,“ jagt er, „daß die Kirche nicht verlaffen, die Stimme
der Wahrheit nicht unterdrückt werde: eine gewiſſe Knechtſchaft
müffen wir dulden, wenn fie nur ohne Gottloſigkeit iſt.““
Unglückfeliger Zuftand! Jedes Widerftreben gegen das
interimiftifche Anfinnen erfreute fein Herz. Den noch Um
bedrängten wünſchte er Glück zu ihrer Freiheit: von den noch
obfchwebenden Berathungen über den Canon in der Meffe,
1. Schreiben von Pfeffinger, Ziegler und Aleſius an die frän:
kiſchen Prediger Lipsiae XII Cal. Febr. 1549. Quarto est illud
quidem durum ae grave, id accipi quod religie et pietas conscien-
tiae refutat. Sed si accipi tali sensu et intelleetu jubetur qui
non est veritati contrarius, feratur et haec molestia. -- Vestrae
conscientiae si sunt integrae et bonae, quod non vestrae gloriae
aut fortunarum aut etiam vitae causa, sed ecelesiarum respeciu
et propter ministerium evangelii hoe jugum subieritis et istam
servilutem perpetiamini, permittatis filio dei Jesu Christo salva-
tori eaetera. Quod si aliqui astute hoc agunt, ut ita paulatim
via veritatis obstruatur et reducatur populus in veteres errores,
vigilare quidem et diligentes esse oportet -- et exspectare auxi-
lium a domino: hie enim illud consilium malum in capita auto-
rum eonvertet. Abſchrift im Archiv zu Berlin. Sch bemerfe nod)
daß dag Schreiben Melanchthons „Concionatoribus Franeieis“,
das im Corp. Ref. VII, 140 auf den 12 Sept. gefeßt wird, in der
Berliner Abſchrift ausdrüklih vom 20ſten Januar datirt it: ohne
Zweifel mit Recht.
Einführung des Interims. 87
auf deffen Wiederaufnahme Julius Pflug drang, fo wie über
die Art und Weiſe der herzuftellenden bifchöflichen Gewalt
fürchtete er noch Schlimmeres; aber indem er Flagte daß
man Drohungen und Sophismen verbinde, geheimen Zivang
ausübe, fügte er fich demfelben doch bis auf einen gemwiffen
Punct und rieth Andern fich ebenfalls zu unterwerfen. Er
mußte erleben, daß feine beften und wenigſtens windigften
Freunde an ihm irre wurden; der anmahnende Brief den
Calvin an ihn erließ, war voll von Hingebung, Anerken—
mung und Milde, aber er mußte ihm dag Herz zerfchneiden. !
Wie in den Oberlanden, fo machte fich hierauf das
Interim, obwohl unter gewiffen Milderungen, auch in den
nördlichen und öftlichen Fürftenthümern geltend.
In Heffen fchritt man endlich zur Einführung diefer
Formel, fo fehr die nunmehr berrfchend gewordene Gewohn⸗
heit, das religiöſe Bewußtſeyn, dag GSelbftgefühl der Land-
fchaft fich dagegen fträubten. Im Frühjahr 1549 melde:
ten die Söhne des gefangenen Fandgrafen, das Interim fey
sum guten Theil aufgerichtet, wegen des übrigen ftche man
im Werk: „wahrlich nicht mit geringer Befchwerung vieler
chriftlichen und gutherzigen Gemiffen.
Den Herzogen von Pommern machte der Kaifer die
Annahme des Interims zur Bedingung ihrer Ausfühnung.
Sie beriefen ihre vornehmften Theologen und Prädicanten
nach Colbatz, und wenigſtens einen Theil derfelben überre—
1. Epistolae Calvini nr 117. Plures tu unus paululum ce-
dendo querimonias et gemitus excitasti, (uam -centum mediocres
aperta defectione. Der Brief ift mit 1551 bezeichnet, aber wohl
fein andrer als der, deffen nr 115 Erwähnung geſchieht, alfo vom
Suni 1550.
58 Neuntes Buch. Zweites Capitel.
deten fie: wie man denn. in Greifswald ohnehin gewohnt
war, dem Beilpiele Bugenhagens, den Lehren Melanchthong
ſich anzufchließen. Bartholomäus Suave, Biſchof von Ca:
min, aber evangelifch und verheirathet, mußte auf den aus—
drücklichen Befehl de8 Kaifers das Bisthum fahren laffen.
Die Fürften leifteten auf dem Eirchlichen Einfluß den fie big-
her ausgeübt, förmlich Verzicht: dem Nath von Stral—⸗
fund haben fie erklärt, darin Diejenigen fchaffen laffen zu
wollen, denen folches Amts halber gebühre. Nach dem Mu-
fter des Leipziger Interim ward auch hier EM eine ver
mittelnde Formel aufgeftellt.
Als Herzog Ulrich von Meklenburg zum Bifchof von
Schwerin poftulirt ward, hielt er doch für gut, die Weihen
nach der Gewohnheit der alten Kirche zu nehmen. Der Bi—
fchof Magnus von Sfara ertheilte fie ihm, wie er ſagt „uns
ter Mitwirkung der Gnade des fiebenfältigen Geifteg.
Der Herzog von Eleve mußte jet endlich, was er bisher
noch immer vermieden, auf die Ausführung feines Tractats
mit dem Kaifer denken: in Soeft, Wefel, LKippftadt ord-
nete er die Einführung des Interim an. Mit vielem Selbft-
gefühl ließ fich fein Bevollmächtigter Gropper in Soeſt ver:
nehmen: „So will e8 ©. faif. Maj.“, vief er aus, „To will
es mein gnädigfter Fürft, fo will auch ich e8 haben.’
Im Lippifchen widerſetzten fich vergebens die entfchlof-
fenften Prädicanten, — merkwürdiger Weife vornehmlicd) Die,
welche aus dem Mönchthum übergefrefen, — eur 8 gab
andre die fich fügten.
In Hftfriesland fegte der Canzler Weften, deffen Ge:
1. Hamelmann Hist. renovati evangelii p. 1116.
Einführung des Interims. 89
finnung jedoch Vielen zweifelhaft erfchien, ein Kirchenformu-
lar durch, Eraft deffen die weißen Chorröcke wieder erfchienen,
lateinifche Gefänge, und was dem mehr: obgleich man aud)
bier nicht alie Anordnungen des Faiferlichen Buches einführte.
Wohl hörte die Oppofition in alle den genannten Län:
dern darum nicht auf, aber die Äußere Einheit machte doch
Tag fir Tag Fortfchritte.
Und indeffen wurden im Fatholifchen Deutfchland kraft
eines von den Prälaten noch zu Augsburg gefaßten Befchluf
fes überall Synoden der Diöcefen und der Provinzen ge:
halten, um die von dem Kaifer gebotene Neformation ein:
zuführen.
Beide Theile wurden von feinem Einfluß, feinem MWil-
len beherrfcht.
Der Fortgang feines Unternehmens war fo glücklic)
und umfaffend, daß er wohl meinte auch die fcandinavifchen
Reiche herbeisubringen, fein Interim auch in England durch:
zufeßen. Hatte ihn doch der Czaar von Moscau um die
Zufendung wie andrer Gelehrten fo auch einiger Theologen
erfucht, und wenn wir recht unterrichtet find, die Abficht
Fund gegeben, durch feine Bevollmächtigten an dem verfpro:
chenen freien chriftlichen Concil Antheil zu nehmen. !
1. Chyträus Saxonia 488. Desiderium conjunctionis cum
Germanico imperio adversus Turcas et concordiae in religione
ineundae exponit, quam missis ad liberum generale vel nationale
in Germania concilium hominibus suis promovere cupiat.
Drittes Capitel.
Stellung und Politik Carls V 1549 — 1551,
Dergeftalt machte fich, feit mehr als drei Jahrhunder—
ten zum erften Mal, ein durchgreifender Wille in Deutſch—
land geltend, und zwar in derfelben zwiefachen Nichtung, in
welcher die alten Kaifer gewirkt. Es konnte fcheinen als
würde der Druck den man erfuhr wenigſtens dadurch ver-
gütet werden, daß die alte Macht der deutfchen Nation, ihr
Übergewicht in Europa twiederhergeftellt würde.
Wir haben jedoch längſt bemerkt, daß die Intereſſen
der Nation und ihres Dberhaupfes mit nichten in einander
aufgiengen.
Carl V war ein Sprößling des burgundifchen Haufeg,
dag mit nationalen Beftrebungen nichts gemein hatte.
Im funfehnten Jahrhundert, als die Firchliche Einheit
nicht mehr fo unbedingt vorwaltete, die Erbfolgefriege zu
haltbarem Befisftand geführt hatten, England von Frank
reich, Stalien von Spanien, Polen von Ungarn abgefondert
worden, und ſeitdem die Nationalitäten fich in feften Schran-
Een zu entwickeln begannen, auch die deutfche Nation den
Verſuch machte alle ihre Glieder durch umfaffende Einrich—
Stellung und Politik Carls V. 9
ungen zu vereinigen, da war auch diefe burgundifche Macht
emporgefommen: aber im MWiderfpruch mit allem nationalen
Beftreben, nur auf Anſprüche der Erbfolge und Übergewicht
der Kräfte fiber die jedesmaligen Gegner gegründet: auf Die:
fem Grunde emporftrebend und vom Glück begünſtigt. Carl
der Kühne Fam um, indem er feine Herrichaft über die Grenz
lande von Deutjchland und Frankreich auszudehnen fuchte.
ie weit aber follte der Fortgang feines Haufes die Ermwar:
fungen übertreffen die er hätte begen können. Carln V,
der an dem von feinem Ahnheren gebildeten Hofe, welcher
deffen Ideen fefthiele, erzogen worden, der den dynaftifchen
Gedanken Burgunds in feinen Wahlipruch „Mehr Weiter‘!
auf feine Münzen prägen ließ, Eoftete e8 einige Mühe, in
den verfchiedenen Ländern die ihm zufielen, in Befig zu kom—
men: in den fpanifchen Königreichen, wo er mit einer gro:
Ben Nebellion zu Fümpfen hatte, in Italien, wo ihm ein
mächtiger Nebenbuhler lange Jahre die Spitze bot; aber
e8 gelang ihm damit: dieſer Nebenbuhler, urfprünglich an
Anfehen überlegen, vermochte doch das auffommende Glück
Carls V nicht niederzuhalten: bald fehen wir e8 wie in felb:
ſtändigem Fluge fich erheben und den Glanz der franzöfifchen
Waffen und Macht verdunfeln. Nicht minder gelang es
Carl V, die Befchränfung die ihm jedes einzelne feiner Län
der aufzulegen fuchte, zu durchbrechen. Wir haben bemerkt,
wie Caftilien zu feinen deutjchen Kriegen beiſteuerte; — ein
Sohn jenes feines niederländifchen Freundes, des Vicekönigs
Lannoy, führte ihm neapolitanifche Neiter über die Alpen, —
Deutjche und Staliener kämpften für ihn auf den africanifchen
Küſten; — Antwerpen Fam durch den Verkehr mit Spanien
92 Neuntes Buch. Drittes Capitel.
und die Rückwirkung der Colonien in Afien und Amerika empor
und vermittelte feine Geldhaushaltung. Eine gewiſſe Einheit
ift Diefer Macht nicht abzufprechen, aber man würde in Ver—
legenheit feyn, wenn man fie mit einem beftimmten an eine
Nation anknüpfenden Ausdruck beseichnen follte. Noch dürfte
man nicht von einer fpanifchen Monarchie im fpätern Sinne
des MWorts reden: dazu war dag fpanifche Element, da die
Niederlande noch ungetrennt gehorchten, da die höchfte Würde,
das Kaiferthbum, von fo ganz anderm Urfprung herrührte,
noch nicht vorwaltend genug; eher machten die Brabanter
den Anfpruch alles zu regieren, ! doch waren auch fie durch
die Maffe der übrigen DBeftandtheile weit überwogen: Die
Einheit der Macht beruhte blos in der Perſon, dem Haufe
des Fürften felbfi, wie denn durch ihn allein geſchah daß
die Länder zufammengehörten.
Wir werden ung, denke ich, nicht fäufchen, wenn wir aus
diefer Lage der Umftände das Verfahren herleiten, das er in
der innern Negierung feiner Länder befolgte. Es war Feing,
aus deffen Mitte ihm nicht ein befondrer Wille entgegengetre-
ten wäre, wo er nicht mit Landftänden zu verhandeln gehabt
hätte, von deren Bewilligung die Summe feiner Einfünfte
abhieng: er mußte ihre befondern localen Intereſſen fchonen
und fördern; aber niemals durfte er irgend einem von ihnen
überwiegenden Einfluß auf dag Ganze feiner Verwaltung ge:
ftatten: er würde damit alle andern verlegt haben und über:
haupt aus dem Mittelpunct feiner Gedanken gewichen feyn.
1. Die „weltregierenden Brabanter mit ihren fpißen Finan—
zen” find ihren Nachbarn ein Gegenftand des Haſſes. Carl Harft
an den Herzog von Cleve 21 Aug. 1540. „Unter dem Scheyn das
fy den Keifer haben, verhoffen fie alles unter ir Zoch zu bringen.‘
Stellung und Politik Carls V. 93
Die Macht die er befaß, war nichts Fertiges, Abgeſchloſſe—
nes, fondern etwas noch immerfort Werdendes, Sich: ent-
wickelndes: noch hatte er nach allen Seiten hin Anfprüche
und Pläne, an die er große Gedanken anfnüpfte. Die For:
derung die er an feine Landfchaften ftellte war hauptfächlich,
ihn bei Verfolgung derfelben in feinen auswärtigen Ange
legenheiten zu unterftügen, mit Leuten, Waffen und Geld:
befonders mit Geld, wofür alle andre leicht zu befommen
war: fie dazu zu ftimmen, bildete einen vorzüglichen Gefichtg-
punct feiner Staatsverwaltung. Es leuchtet ein, daß die de
liberativen VBerfammlungen, die früher überall auf eine wenn
gleich minder mächtige, aber doch unabhängige centrale Ne
gierung Einfluß gehabt, dadurch nicht wenig verloren. Gar
bald finden wir in Caſtilien zwar noch die Städte fich ver-
fammeln, welche Bewilligungen machen, nicht aber die Gran:
den und hohen Prälaten, die den Königen einft Gefeße ge:
geben. Nicht mehr die großen Angelegenheiten, deren Ent:
fcheidung früher von Wirkung und Rückwirkung der entge—
gengefeßten Parteien abhieng, fondern nur provincielle In—
tereffen Famen überall in den ftändifchen Verſammlungen zur
Sprache. Überhaupt muß man fagen daß die Negierung
Carls V dem Prinzip fändifcher, republicanifcher oder muni:
cipaler Freiheit nicht günftig war. In Stalien wollte er auch
da, wo er nicht feine Herrfchaft, nur feinen Einfluß gegründet,
Feine freie Bewegung der Kräfte, Die leicht zu einem ihm un.
bequemen Umfchwung hätte führen können. Er hat Florenz
den Medici überliefert, in Genua alles gethan um dag Über:
gewicht der Doria zu befeftigen. Der legte Mann der die
Herftellung der republifanifchen Freiheiten in Italien in Sinn
94 Neuntes Buch. Drittes Capitel.
faßte, Franz Burlamacchi von Pucca, ift in einem feiner Ge
fängniffe zu Mailand geftorben. Wir berührten, wie Die
Stadt Gent bei dem erfien VBerfuche den fie machte, von
dem alten Begriffe ftändischer Berechtigung aus auf die Krieg:
führung Einfluß zu gewinnen, behandelt wurde. In dem
Umfreife diefer Gewalt, gleichviel ob fie eine directe oder
eine indivecte Herrfchaft ausübte, durfte Fein Widerftreben
fichtbar werden. Carl V befaß die Mifchung von Klugheit
und Nachhaltigkeit die dazu gehörte um ein folches Verfah-
ven durchzuführen, ohne doch das Selbſtgefühl der verfchie:
denen Provinzen zur Empörung aufzureizen.
Nun liegt am Tage, daß ein Ähnliches Syſtem aud)
in Deutfchland befolgt werden mußte, und befolgt ward.
So höchſt erwünscht der Befi des Kaiſerthums war,
welches diefer ganzen Macht erft einen Namen gab, fo gieng
doch der Sinn Carls V nicht dahin, außer vielleicht in Ei—
nem Puncte, deffen wir bald gedenken werden, der Eorpora-
tion, welche ihm die Winde übertragen, den Anfpruch zu
geftatten den fie machte, bei der Verwaltung derfelben einen
weſentlichen Einfluß auszuüben. Er entsog feine Niederlande
vollends der höchften Gerichtsbarfeit des Neiches; während
er verfprochen die abgefommenen Reichslande twieder herbei-
zubringen und bei dem Neiche zus laffen, riß er vielmehr ein
altes Neichsland, das Bisthum Utrecht, davon ab und ein:
verleibte es feinen eignen Landen; die italienifchen Lehen, zu:
legt auch Mailand, nachdem es ihm fo lange zu einem Mo:
ment feiner Unterhandlungen gedient, vergabte er ohne Nück
ficht auf die Neichsfürften; er fah das Neichgfiegel mit Ver-
gnügen aus den Händen des Reichserzcanzlers in die Hände
Stellung und Politik Carls V. 95
feines vertrauteften Nathes Granvella übergehn; der ihm
aufgelegten Capitulation zum Troß hielt er fremde Truppen
im Reiche.
Für die innere Verwaltung des Reichs war ihm der
veligiöfe Zwiefpalt, der fie übrigens fo ſchwierig machte, doch
in einer andern Beziehung wieder vortheilhaft. Wir wiſ—
fen, wie die Proteftanten durch die Zugeftändniffe die ihnen
gefchahen, gewonnen wurden und dabei doc) auch die Ka:
tbolifchen, befonders die Bischöfe, den vornehmften Nückhalt
der ihr Beftehen ficherte, in der Faiferlichen Macht erblickten.
Schon bisher Fam es denn doch zu allgemeinen Bewilligun—
gen, gemeinfchaftlichen Kriegszügen, wiewohl in der Regel erſt
nach zweifelhaften Unterhandlungen und neuen Conceffionen.
Nunmehr aber war e8 ihm gelungen, auch diefer Nothwen—
digkeit widerfprechender Nückfichten zu entkommen; in Folge
des Krieges beherrfchte er die Berathungen der Neichsver:
fammlung zu Augsburg, wenn nicht vollftändig, doch in
ihren wichtigften Momenten: der deutfche Neichstag fieng
an, feinem Einfluß zu unterliegen, fo gut wie andre Stände:
verfammlungen feiner Lande. Auch die Autonomie der Städte
hat er, obwohl er fich zumeilen als Städtefreund bezeichnete,
in Deutfchland fo wenig begünftige wie in feinen erblichen
Gebieten. Den Antheil an der Neichgregierung, den fie um
ter feinen legten Vorfahren wenn nicht ganz vechtsbeftän-
dig, doch thatfächlich gewonnen, haben fie unter ihm, eben
auch großentheils in Folge des Krieges, welcher eine Art
von Städtefrieg und zwar der unglücklichfte von allen ge
weſen ift, wieder verloren. Genug, zu der Macht welche
die Regierung der übrigen dem burgundifch-öftreichifchen Haufe
96 Neuntes Bud. Drittes Capitel.
angefallenen Länder bildete, Fam nun auch eine fief eingrei-
fende Reichsgewalt. Carl V war in den Jahren wo wir
ftehen der große Fürft von Europa.
Fragen wir aber, was er in Beſitz diefer Stellung nun
weiter beabfichtigte, fo erfüllte ihn vor allem der Ehrgeiz,
was er war, in vollem Sinne de8 Wortes zu feyn, nem-
lich Kaifer.
Er hatte diefe Würde, in Bezug auf Macht, aus der
Hand feines Vorgängers mehr wie einen Anfpruch empfan-
gen: er war entfchloffen denfelben auszuführen.
Er faßte aber das Kaiferthum nicht fo auf, daß er
ſich bloß als Oberhaupt des deutfchen Neichgförpers erfchie-
nen wäre: er betrachtete fich alles Ernfteg, wie die alten Kai-
fer gethan, als das weltliche Oberhaupt der Chriftenheit.
Da hatte er nun den unermeßlichen Vortheil, daß er
nicht auf Deutfchland allein angemwiefen wars die Kräfte al-
fer feiner Neiche wirkten dafür zufammen. Der Befiß je
ser burgundifchen, fpanifchen, italienischen, deutfchen Lande,
verbunden mit dem Königthum feines Bruders in Ungarn
und Böhmen, gewann eine höhere allgemeine Bedeutung, in-
dem die Kealifation der höchften Ideen der weltlichen Macht
im Abendlande fich daran Fmüpfte.
In den Fahren feiner Jugend, bis ziemlich tief in fein
Mannesalter hinein, war e8 nun fein vornehmfter Wunfch,
nachdem die Chriftenheit feit dritthalb Jahrhunderten nur
Berlufte erfahren, ihr wieder einmal einen Sieg zu verfchaf-
fen. Eine der vornehmften Tendenzen der fpanifchen Na:
tion zur Eroberung und Colonifation von Nordafrica und
die drohende Gefahr, in welcher fich Deutfchland, vor al
Stellung und Politik Carls V. 97
lem fein Bruder durch die Osmanen fah, gaben ihm hiezu
einen gleich ftarfen Antrieb. Er ſah ſich in Gedanfen fchon
in Conftantinopel, in Jeruſalem. Seinen Zug gegen Tunis
ließ er fich im Ton einer Kreuzfahrt befchreiben.
In den fpätern Zeiten nahm jedoch fein Eaiferlicher Ehr-
geiz eine andre Wendung.
Indem er im Sahre 1541, 42 zu beiden Geiten mit
den Osmanen fchlug, fah er plötzlich durch eine allgemeine
Combination feine Macht in dem mern von Europa ge
fährdet, und mit Nothiwendigkeit erhob fich ihm der Ge:
danfe, daß er vor allem andern erft diefe befeftigen, eine
beffere innere Einheit gründen müſſe.“ Es war der gefähr:
lichfte Augenblick den er erlebt hat, aber die Politik die er in
demfelben nach dem Innern gewandt ergriff, führte ihn raſch
zu den glücklichften Erfolgen. Dort in der Nähe von Pa:
vis, wiewohl die Würfel noch zweifelhaft lagen, nöthigte er
doch den König Franz, zugleich auf feinen Bund mit den
Dsmanen Verzicht zu Teiften und Zufagen zu thun die felbft
gegen den Papſt angewandt werden Fonnfen. Denn in—
dem der Kaifer die weltliche Einheit einigermaßen befeftigte,
war er Schon entfchloffen auch die geiftliche wiederhersuftel-
len. Wirklich konnte der Papſt fich nun nicht mehr ſträu—
ben das lange verfprochene Concilium anzufündigen. Daß
die Proteftanten fich weigerten es anguerfennen, ward ein
Anlaß auch fie mit Gewalt der Waffen heimzufuchen. Der
glückliche Ausgang diefer Unternehmung gründete die Macht
in deren Beſitz wir den Kaifer fehen: zur Wiederaufrichtung
1. Die Kriege mit Sranfreih wurden am fpanifchen Hof als
bella intestina betrachtet.
Ranfe D. Gef. IV. 1
98 Neuntes Buch. Drittes Eapitel.
der alten Einheit fehlte e8 eigentlich an nichts, al an dem
Verſtändniß mit dem geiftlichen Oberhaupt. Und war nicht
fchon das ein großes Nefultat daß Carl V den alten Kampf
der weltlichen Macht gegen die geiftliche, nicht wie frühere
oder fpätere Könige mit befchränften Gefichtspuncten, ſon—
dern ganz im Allgemeinen, - in den Angelegenheiten degjeni-
gen Conciliums dag wirklich die Fatholifche Nechtgläubigkeit
und Kirchenverfaffung auf die folgenden Jahrhunderte firirt
bat, twiederaufnehmen konnte? Einer feiner urfprünglichen
Gedanken, mit dem er bei feiner erften Ankunft in Deutfch-
land auftrat, war die Neinigung und Neform der Kirche,
freilich in einem andern Sinn als in welchem Luther fie
unternahm, in einem folchen, bei dem er als das weltliche
Dberhaupt der Lateinischen Chriftenheit beſtehn oder vielmehr
erft wahrhaft auftreten Fonnte. Hiefür war e8 ihm lieb,
fich auf die Bedürfniffe und die Autorität des Neiches ftüßen
zu Fönnen. Die Anordnungen geiftlichen Inhalts die er unter
Autoriſation des Neiches getroffen hat, gaben ihm eine geiftliche
Berechtigung. Set nun lebte und webte er in diefem Gedan-
fen: feine geiftlichen Einrichtungen im Neiche durchzuführen,
an den conciliaren Angelegenheiten eingreifenden Antheil zu
nehmen, befonders die Neform ins Werk zu feßen, die auch
den römischen Hof betreffen mußte: Abfichten die nur dem
allgemeinen Wohle zu gelten fchienen, aber dabei doch die
größte Machterwerbung herbeizuführen, den Fortfeger Carls
des Kühnen wirklich zum Oberhaupt des Occidents zu ma—
chen verſprachen.
Wohl lag in dem urſprünglichen Begriffe des deutſchen
Kaiſerthums die Möglichkeit einer ähnlichen Stellung. Wäre
Carl V ein Deutſcher geweſen, von den nationalen Ideen
Stellung und Politik Carls V. 99
jener Zeit durchdrungen, allein auf die Hülfe der Nation
angemwiefen, fo Eonnte er eben fo gut darnach ftreben, doch
nur in evangelifchem Sinne. Jetzt aber nahm er fie in
Befis in Folge eines Sieges über die nationalen Beſtre—
bungen und Bindniffe, zu welchem er durch fpanifche und
italienische Kräfte und eine fremde Gelehrfamfeit unterftütt
worden war. Könnte man nicht vielmehr fagen, daß er
dag Kaiſerthum der deutfchen Nation entfremdete und gegen
diefelbe Eehrte, al8 daß er e8 in ihrem Sinne verwaltet
hätte, zu ihrem Beften?
Seine Verhältniffe waren nun aber nicht fo befchaffen, daf
fie ihm nicht die mannichfaltigfte Nückficht aufgelegt hätten.
Er hatte ſich zu dem Frieden mit den Osmanen beque-
men müſſen, die feine natürlichen Feinde waren und blieben.
Sein Glück wollte, daß dem neuen König von Frank
reich die Zahlung der Geldfummen welche fein Water den
Engländern verfprochen gegen die geringe Sicherheit der da-
gegen ftipulirten Herausgabe von Boulogne eine zu große
Laſt fchien, und fo der Krieg zwifchen England und Franf-
reich, kaum befchwichtigt, wieder ausbrach und die beiden
Nationen fürs Erfte vollauf befchäftigte. Carl hütete fich
wohl, ſich in ihre Zwiſtigkeiten einzulaffen: man hat ihm
vielmehr Schuld gegeben daß er fie nähre: gewiß hieng
e8 von denfelben ab daß er nach andern Geiten bin freie
Hand behielt.
Dabei verſäumte er jedoch nicht alle Bervegungen des
Königs von Frankreich mit fcharfer Aufmerkfamfeit zu be
gleiten. Die Unterhandlungen deffelben mit dem Papft und
mit Venedig gaben feinen Gefandten viel zu vermurhen und
7 *
100 Neuntes Buch. Drittes Capitel.
zu ſchreiben.“ Die Faiferlichen Minifter drücken fich zwar un-
beforgt darüber aus, weil doch Fein Theil dem andern frauen
werde: unter der Hand aber ergreifen fie fchon Maaßregeln
gegen ihre Erfolge. Mitten im Frieden nehmen fie Anerbie-
fungen frangöfifcher Hauptleute an, die etwa dahin zielen
ihnen eine Feftung des Königs zu überliefern, und zahlen
ihnen Geld dafür, mit der Weifung daß fie fich fill‘ halten
follen bis etwa der König den Frieden breche. ?
Einer der vornehmften Gefichtspuncte des Kaifers gieng
dahin, Feine Verbindungen der Franzofen in Deutfchland zu
dulden, weder mit den Fürften noch auch mit den Kriegshaupr-
leuten. Das Gefeb das er am Reichstage durchbrachte, daß
Niemand fremde Kriegsdienfte nehmen dürfe, nicht allein nicht
wider ihn oder feinen Bruder, fondern auch nicht ohne ihre
Genehmigung, — dag jedoch, auch aus allgemeinen Gründen,
hauptfächlich darum Widerfpruch fand, weil es dem Kriege:
gewerbe fchade und man einmal Feine Kriegsleute mehr finden
möchte, wenn man ihrer bedürfe, — war hauptfächlich ge
gen Frankreich gerichtet. Und aufs firengfte ward es in Voll-
sug gefeßt. Der Hauptmann GSebaftian Vogelsberger hatfe
dem König von Frankreich bei Gelegenheit feiner Salbung
ein paar Fähnlein sugeführt, die zu einer Demonftration ge
gen die englifche Grenze gebraucht worden waren. Noch
während des Neichgtags von Augsburg ward er dafiir —
nicht ohne Hinterlift — gefangen genommen, herbeigeführt
1. Instruction à Simon Renard amb" & la cour de France.
„Il veillera d’assentir s’il se traietera quelque ligue entre eux
(le Pape et le roi) de la quelle il a ja est€ pourparle bien long-
temps et avee quelles conditions elle se fera.
2. Schreiben Granvellas an Nenard über die Unträge des Ti
berio de la Rocha. Pap. d’et. III, 374.
Stellung und Politik Carls V. 101
und zum Tode verurtheilt. Vogelsberger war ein ſchöner
Mann, „daß ich nicht weiß," fagt Saſtrow, „ob ein Ma-
ler einen Mann anfehnlicher hätte malen Eönnen, hohes Ge
müths, anfchlegig und beredt“: gut evangelifch: die Prote-
ftanten richteten nach fo vielen Verluſten die fie erlitten ihre
Augen auf ihn. „Herr Conrad," fagte er zu Conrad von
DBoineburg, den er auf feinem Wege zur Nichtftätte anfich-
tig ward, „iſt mir nicht zu helfen?! „Mein Baftian,’ aut
wortete ihm Boineburg, „belfe Euch unfer Herre Gott."
„Der wird mir auch helfen," antwortete Vogelsberger, und
ſchritt mit aufgerichtetem Haupfe zum Nichtplaß; er ftarb,
vollfommen im Gefühl daß er unfchuldig leide; im Grunde
war dieß die allgemeine Meinung. Der Kaifer ward ohne
Zweifel dadurch zu feinem Verfahren bewogen, daß einige
der nahmhafteſten Oberften, der Rheingraf, Neckerode, Schärt:
lin, nach Frankreich geflohen waren und unter dem deutfchen
Kriegsvolk noch zahlreichen Anhang hatten. Durch den
Schrecken diefer Execution fuchte er alle Verbindung mit
ihnen abzufchneiden.
Jede Nachricht von der Anweſenheit eines deutfchen Be—
vollmächtigten am franzöfifchen Hofe fett ihn in Aufregung.
Er beauftragt feinen Gefandten, alles zu thun um dahinter
zu Fommen, ob ein folcher auch wirklich nur das betreibe,
was er als den Zweck feiner Sendung angiebt, oder viel-
leicht gar etwas Pflichtwidrigeg; er fol dabei Fein Geld fpa-
ren: denn e8 ſey eine Sache die man ergründen müſſe.
Eben fo hat der Gefandte die Anmweifung, die Unter:
bandlungen der einzelnen italienifchen Fürften mit Frankreich
im Auge zu behalten. Man dürfte nicht fagen, daß der
102 Heuntes Buch. Drittes Capitel.
Kaifer Eeinen Grund dazu gehabt habe dieß zu befehlen —
der Herzog von Ferrara 5. B., der ihm fo viel verdanfte, hatte
doch gefagt, er wolle fein Land auf Feine Weife gefährden,
auch nicht zu Gunften des Kaifers, — aber c8 bezeichnet fein
in jedem Augenblick unficheres Verhältniß, daß es fo war.
Obgleich die venezianifche Negierung ihm Vertrauen ein
flößte, fo verfäumte er doch nicht, immer einige der vornehm:
ſten Edelleute ihrer Terra ferma in feine Dienfte zu nehmen.
Die alte gibellinifche Gefinnung der Colonnas diente ihm
den Papft mitten in Nom doch immer in einer gewiſſen Be
forgniß zu halten. }
Gar mancher von den Näthen deutfcher Fürften bezieht
eine Befoldung von ihm, unter Andern Carlowitz: die Fürs
ften felbft, oder mwenigftens die jüngeren Söhne aus den res
gierenden Häuſern, find nicht felten durch Sahrgelder oder
Kriegsdienfte an ihn gefeffelt. Selbft an dem Hofe feines
Bruders fucht er nicht allein Freunde zu haben, feine Ge:
fandten geben ihm über die Gefinnung und politifche Ten:
denz der Näthe deffelben, über jede Abweichung ihrer Politik
von der Faiferlichen eine nicht allzeit günftige Runde.
Mit ungemeiner Nückficht wurden auch die entfernten
Höfe behandelt. Mit dem jungen Sigismund Auguft von
Polen ftand man nicht immer gut. Zu den preußifchen Ans
gelegenheiten, wo er die Widerpart des Kaifers hielt, Famen
bald die fiebenbürgifchen hinzu; feine Bermählung mit einer
Eingebornen, nach dem frühen Tode einer öftreichifchen Prin—
zeffin, die fich dort Feinen Augenblick glücklich gefühlt, hatte
fein gutes Blut gemacht; allein für alle ungarifchen, os—
manifchen, felbft für die erbländifchen Verhältniſſe, — ich
Stellung und Politik Carls V. 103
finde unter andern, daß die Franzofen ihn aufgefordert feine
alten Nechte an Schlefien geltend zu machen, — war ein
freundliches Vernehmen mit ihm unfchäßbar. Der Kaifer
hätte fonft dem Großfürften von Moscau gern den Titel
König, wie er es wünſchte, beigelegt: — die Nückficht auf
Polen hielt ihn davon ab. !
Noch viel begründeter war die Feindfeligkeit des Hau—
ſes Oftreich gegen Dänemark: aber da die Niederlande fchon
einmal die Nachtheile des Krieges empfunden, fo mußte eg
bei der Anerkennung Chriftians III fein Verbleiben haben,
wie fehr auch das pfähifche Haus fich dagegen flräubte.
Deutfche Fürften fuchten zumeilen durch die Fürfprache deg
Königs in die Gnade des Kaifers zu kommen;? Chriftian
vermittelte ein freundfchaftliches Verhältniß zwiſchen Carl V
und Guſtav Wafa.
Wie weit die vorforgende Umficht gieng, davon ift ein
Beifpiel, daß einft der portugiefifche Gefandte am franzöfifchen
Hofe bedeutet ward, nicht zu vortheilhaft von der Macht
des Sheriff von Marocco zu fprechen, weil man Dort fonft
Luft befomme fich mit demfelben zu verbinden.
Die Erwägung und Behandlung diefer Angelegenheiten
bildete nun dag Tagewerk des Kaifers.
An dem Briefwechſel deffelben mit feinem Bruder, fei-
ner Schwefter Maria, feinen Gefandten, befigen wir davon
die merfwürdigfien Documente. Die Briefe find wie Ge
fpräche, wo alle Verhältniffe, große und Eleine, durchgegan-
1. Aus Herberfteinsg Moscovia läßt es fich wenigftens fchlie:
gen; die Gefandten verfihern es ausdrücklich.
2. Cragius 303.
104 Neuntes Duch. Drittes Capitel.
gen, hin und wieder erwogen werden: und fo gefchieht «8
wohl daß fie zumeilen ein wenig gedehnt erfcheinen; allein
fie zeigen ein vollkommenes, den Geift erfüllendes Bewußt—
feyn de8 gegenwärtigen Moments, den fie auf das frefflichfte
erläutern: fie find gründlich und fein, umfaffend und ein:
dringend, fie eröffnen die Motive der Handlungen mit über:
rafchender Klarheit, und halten immer an der großen Ten
denz feft, welche einmal ergriffen worden. Man dürfte aber
nicht glauben daß fie alles fagen. Ferdinand redet wohl
einmal von der Möglichkeit, daß der Kaiſer Herr von
Deutfchland werden könne: Carl V würde dieß Wort nie
mals ausfprechen, niemals giebt er fich bloß.
Vielmehr mit der unausgejprochenen Abficht die in fei-
ner Seele lebt, beberricht er alle und leitet er alles.
Anfangs führten Chievres und Gattinara die Gefchäfte:
da bemerfte man nur, wie eifrig der junge Fürft fich denfelben
widme, wie er fein vornehmftes Vergnügen daran finde;
nach Gattinaras Tod nahm er fie felber in die Hand.
Noch heißt es eine Zeitlang, er thue nichts ohne feine
Minifter: bald darauf hören wir, daß fie nichts thun ohne
ihn; allmählig bekennt ein Sjeder, daß er felbft die Haupt:
fache augrichtet, daß er von den Elugen Leuten die er um
ſich verfammelt, felber der Klügfte ift.
In dem Minifter der ihm während der großen Ereig-
niffe die wir betrachtet, vornehmlich zur Seite ftand, Nico:
lag Perrenot Granvella, dem Altern, hatte er jedoch in die:
fem Rufe faft einen Nebenbuhler und gewiß einen unver
gleichlichen Gehülfen gefunden. Granvella war ein Mann der
den halben Virgil auswendig wußte, fich in feiner Heimath
Stellung und Politik Carls V. 105
in der Sranche- Comte eine Galerie von den Meifterftücken
der Kunft anlegte, durch diefe allgemeinen Beftrebungen ſei⸗
nen Geiſt für die Geſchäfte erſt recht geſchärft hatte und
den wohlbegründeten Ruf genoß, daß er die europäiſchen
Geſchäfte vollkommen verſtehe. Er beſaß ein ausnehmendes
Talent die Dinge ſich von ferne bereiten zu ſehen: in den
ſchwierigſten Fällen fehlte es ihm nie an einem Auskunfts—
mittel. Einige haben gemeint daß er den Kaiſer leite: ich
finde daß er ſich den Geſichtspuncten deſſelben ohne eine ei—
gene Richtung jeded Mal mit vollfommener Hingebung an
ſchloß. In zwei ganz verfchiedenen Epochen der Faiferlichen
Politik, der erften wo fich der Kaiſer den Proteftanten gefliſ—
fentlich annäherte, und der zweiten wo er fie angriff, finden
wir ihn, obwohl e8 ihm einige Mühe Eoftete der letzten bei-
zufreten, gleich thätig und unermüdlich. Die Epoche des
Glückes die nunmehr eintrat, war für ihn, wie Mocenigo
fih ausdrückt, ein Brunnen von Gold; doch wußte man
wohl, daß ihn Fein Geſchenk von der Pflicht gegen den Kat-
fer auch nur um ein Haarbreit abwendig machen Eönne, der
ihn dafür wie einen Vater ehrte. !
Die Methode der Verhandlung zwifchen Carl und fei-
nen Miniftern war, daß bei jedem zu faffenden Entfchluß
alles was darüber gefagt werden konnte, unter den Nubri-
fen Für und Wider zufammengeftellt, und die Puncte auf
deren Entfcheidung es ankam, in Form der Frage dem Kai—
fer vorgelegt wurden. Unzerſtreut durch irgend eine fremde
1. Mocenigo räth feiner Signoria nur, ihm „zuccari confetli,
speciarie‘ zu ſchicken. E prudentissimo, destro, piacevole, affabile
molto --
106 Meuntes Bud. Drittes Capitel.
Gegenwart, mit fich allein, in der Nuhe des Cabinets, er—
wog der Herr — denn mit diefem und Feinem andern Na:
men wird er in feinem Haufe bezeichnet — die aufgeftell-
ten Fragen, und entichied fie mit Ja oder Nein, Worte die
er an den Nand des Dlaftes fchrieb, zuweilen mit ein paar
näheren Beftimmungen. Alle Morgen trug der Kammer:
Diener Adrian, eine wichtige Perfon an diefem Hofe, da er
die Stimmung des Augenblickes Fannte, — man fagt, «8
ſey ihm zu Statten gefommen daß er weder leſen noc)
fehreiben Eonnte — die Papiere hin und ber." Konferen
sen folgten, doch waren fie nicht fo häufig, wie man glau—
ben follte: im fchriftlichem Verfahren wurden die Befchlüffe
eingeleitet und gereift.
Überhaupt gieng es am Hofe des Kaifers fehr ftill
ber. Er verfchmähte finnliche Genüffe nicht, wie er denn
zu viel und zu gut aß:“ von andern Unordnungen möchte
er, wenigftens während feines Witwerftandes, nicht frei zu
fprechen feyn; dagegen war an lärmende DVergnügungen,
Feftlichkeiten, äußere Pracht bei ihm nicht zu denken: zu:
mal da die Krankheit fein gewöhnlicher Zuftand und Ge
fundheit die Ausnahme war. Schon im Februar 1549
wird er ung gefchildert, wie er mit gebücktem Mücken,
todtenbleich, mit farblofer Lippe, in feinem Zimmer am
1. Diefer Adriano della camera fpielt in den Berichten der
Gefandten, 3. B. der florentinifchen, immer eine Rolle.
2. Cose da generar humori, wie Badoero fagt. Er Flagte
einft gegen Monfalcourt, daß die Speifen unſchmackhaft bereitet wür-
den; diefer drohte ihm: di far fare una nuova vivanda di polaggi
et horologi. Badoero wiederholt freilich nur den Nuf des Hofes,
aber er fagt unummunden: & stato nei piaceri venerei di non tem-
perata volontä.
Stellung und Politik Carte V. 107°
Stabe hin und her fehleicht; allein er lacht wohl felbft über
feinen Aufzug, weil er fich fo ſchwach nicht fühle wie er
augfehen möge, und bald erfüllt fich das matte Auge doch
wieder mit Glanz und Leben. Nicht übel bezeichnet ihn feine
Piebhaberei für künſtliche Uhrwerke, wo eine einmal angeregte
Kraft alles in regelmäßige Bewegung feßt. Unter den wiſ—
fenfchaftlichen Dingen gewannen ihm die aftronomifchen Stu:
dien, frei von alfen aftrologifchen Träumen, die größte Iheil:
nahme ab: dem Wandel der Planeten, dem Ninggang der
Geſtirne galt feine Aufmerkfamfeit und Bervunderung: gern
unterrichtete er fich an dem Himmelsglobus. Bis dann die
Zeit Fam, wo der Gedanke, mit dem er die Belt zu lenken
hoffte, in ihm wieder zu voller Kraft gelangte. Sch weiß
nicht, ob er denfelben in Worten hätte ausdrücken können,
od er nicht davon mehr erfüllt war wie von einem Gefühl,
in welchem fich alle feine Firchlichen, politifchen und dyna-
füfchen Beftrebungen zufammenfaßten; e8 war ein Gedanke,
der mit der Macht des Unbewußten in der Tiefe feiner Seele
ruhte und doch in jedem Falle mit voller Klarheit und An:
wendbarfeit ergriffen, unaufhörlich, mit allen Mitteln des
Krieges und der Politik verfolgt ward.
Wir haben den Kaifer oft auf feinen Kriegszügen bes
gleitet; auch in den Zeiten feiner Krankheit probirt er fich
dann und wann den Harniſch an — denn wiewohl natür:
licher Weife eher zaghaft, fo daß er wohl in feinem Zim-
mer vor dem leifeften Geräufch erfchrecfen Eonnte, — liebte
er doch das Handwerk der Waffen: er hegte ein vitter:
liches Gefühl für diefen Beruf und wußte fich Anfehen
bei den Kriegsleuten zu erwerben. Dazu jedoch waren die
108 Neuntes Buch. Drittes Capitel.
Dinge nicht angethan, weder die eignen Kräfte ftarf, noch
die fremden ſchwach genug, daß er in offenem Angriff hätte
zu feinem Ziele Fommen Eönnen: fein Verfahren und fein
Talent war, aus den entgegengefeßten Elementen fic) Sym—
pathien zu erwecken und fie zu Hülfe zu rufen. Es ift ihm
biebei das Unglaubliche gelungen.
Die Granden von Caftilien haben ihm die Kommunen
unterworfen; der Gehorfam der Communen hat ihm dann
gedient, die Granden, die ihm entbehrlich geworden, von fei-
ner Staatsverwaltung zu entfernen.
Ihm haben die Deutfchen, nicht ohne den Antrieb eines
proteftantifch = antipäpftlichen Eifers, Nom erobert und den
Papſt gefangen gehalten. Dafür ift ihm ein fpäterer Papft
mit Heeresfraft ebenfalls aus Neligiongeifer über die Alpen
zu Hülfe gefommen um die Proteftanten zu unterwerfen.
Nicht felten hat er mit Frankreich über einen Angriff
gegen England unterhandelt, dann hat der König von Eng-
land doc) fich mit ihm gegen Frankreich verbindet.
Die Proteftanten, die es oft erfahren, daß in der euro:
päifchen Dppofition gegen das Haus HÄſtreich das Ber:
hältniß lag das ihnen Raum in der Welt gemacht, hat er
doch bewogen, mit ihm wider dag Haupt diefer Oppofition
zu Felde zu ziehen. Dafür fah denn der König von Frank
reich wieder zu, als fie mit Krieg überzogen wurden.
Was wäre wohl aus Carl V geworden, wenn die deut—
ſchen Fürften fich jemals vereinigt hätten, den Begriff, Die
Nechte des Reiches als einer Gefammtheit gegen ihn zu be
haupten? Es find öfter Verfuche dazu vorgekommen, aber
immer noch zur rechten Zeit gefprengt worden. Die Un
Stellung und Politik Carte V. 109
einigkeit der Stände verfchaffte ihm vielmehr eine täglich grö-
ere Einwirkung.
Und felbft hiemit hätte er noch nichts ausgerichtet, hät-
ten fich nur wenigftens die Neugläubigen zur Verteidigung
vereinigt. Wie weit aber war er ihnen an Weltüberficht
und Klugheit überlegen! er mußte zu bewirken daß fie einer
wider den andern die Waffen ergriffen.
E8 liegt wohl am Tage, daß eine Politik die immer
offen hervorgefrefen wäre, von der man gewußt hätte was
fi) von ihr erwarten Tieß, niemals dahin gelangt ſeyn
würde. Mer aber wäre im Stande gemwefen diefe Politik
zu durchfchauen? Die entfcheidenden Handlungen auf denen
ihre Erfolge beruhen, find immer von Zweifel umgeben, in
Dunfel gehüllt.
Kein größeres Glück für den Kaifer, als daß die Deut:
fchen fich der Stadt Nom bemächtigten: er legte Trauer
darüber an. Wer kann fagen, ob e8 irgend eine Bedin-
gung gab, unter der er Mailand an einen franzöfifchen Prin-
gen wirklich abgetreten hätte? doch hat er ein Jahrzehent
darüber unterhandelt.
Welches war feine wahre Meinung, die welche Held in
Schmalfalden ausfprach, mochte diefer gleich feiner dama-
ligen Inſtruction entgegenhandeln, oder die welche Lunden
darftellte?
Wir haben die Zweidentigkeiten erörtert, in denen Earl V
fich bei der Gefangennehmung des Landgrafen nicht ohne ein
Bewußtſeyn davon bewegte. Es wird fchwerlich an Tag kom—
men, ob er zu der Ermordung Vier Luigig feine Einftimmung
gegeben hat oder nicht.
Ich will nicht behaupten, daß er jemals etwas ver-
110 Neuntes Bud. Drittes Capitel.
iprochen in der beftimmten Abficht es nicht zu halten: aber
zumeilen fieht e8 doch beinahe fo aus.
Nicht unglaubwürdig wird erzählt, er habe in demfel-
ben Augenblick als er im J. 1544 den Proteftanfen jene
foeierifchen Conceffienen gewährte, den Katholiken entgegen:
gefeßte Verficherungen thun -Taffen: ihre Nachgiebigkeit wäre
ohne dieß wirklich ſchwer zu erklären. Kaum hatte er den
Frieden mit Chriftian III gefchloffen, der demfelben Däne:
mark und Norwegen ficherte, fo gab er doch dem Pfalzgra—
fen, der fich darüber beklagte, die Erklärung, er wünſche daß
diefe Neiche vielmehr ihm, dem Pfalggrafen, gehören möch—
fen, und werde zu feiner Zeit alles dafür thun. !
Wenn wir dabei nicht annehmen follen daß er das
gegebene Wort zu brechen entfchloffen geweſen fey, fo giebt
e8 dafür Eeinen andern Grund, als daß auc) die enfgegen-
gefeßte Verficherung fo gewiß nicht war.
Die Verfprechungen werden, wie ſich Granvella einmal
ausdrückt, nach Zeit und Umftänden gegeben.
Denn vor allem ift immer ein nächfter Zweck zu errei-
chen, eine unmittelbar vorhandene Schwierigkeit wegzuräu—
men. Die Kräfte die fich entgegenfegen könnten, müffen
davon zurückgehalten werden: durch jede Eonceffion die man
ihnen machen kann ohne mit fich felbft in offenen Wider:
fpruch zu gerathen, durch jede Zufage die dem Syſtem nicht
ſchnurſtracks entgegenläuft.
Das hindert aber nicht, daß man nicht insgeheim fich
ein weiteres Ziel, und wäre es felbft der Feindfeligkeit gegen
den jeßt Begünftigten, vorbehalte.
1. Instruction de Granvelle a Champagny. P. d’et. IH, 94.
Stellung und Politik Carls V. 111
Bon der Königin Maria, welche dag Geheimniß der
Faiferlichen Politif am meiften theilte, haben wir ein Schreiben
aus der Zeit, in der, mitten in großen Gefahren, eine An:
näherung an die Proteftanten durchaus nöthig geworden, in
welchem fie dem Kaifer den dringenden Nath giebt darauf
einzugehn; aber bemerken wir wohl: fie fügt hinzu: es
werde wohl Zeit und Gelegenheit Eommen anders mit ihnen
zu verfahren. !
Der Kaifer trat ihnen mun, wie wir wiffen, fehr nahe,
aber die Folge zeigte daß er dabei den Vorbehalt künftiger
Feindfeligfeit Feinen Augenblick aufgegeben hat.
Man könnte nur fragen, ob er da nicht auf der einen
Seite fo weit gegangen ift, daß doch fein Vorbehalt nicht
wohl damit beftehn Fonnte. Wenigſtens den Mitgliedern
des fchmalfaldifchen Bundes blieb Feine Ahnung von der noch
fortdauernden Möglichkeit eines feindfeligen Verfahrens übrig.
Auch in den fpätern Jahren tauchte ein ähnlicher Wider,
fpruch auf. Carl hatte mehrere Stände in ihrer „habenden
chriftlichen Religion“ beftätigt, aber dabei doch ihre Unter:
werfung unter das Concilium ausbedungen. Er berief fich
auf ihre, fie beriefen fich auf feine Zufage.
Und wie e8 num bei diefer Bewandtniß der Dinge mit
feiner eignen Überzeugung ftand?
Die Meinungen Carl V mögen fich in mehreren noch
unentfchiedenen Puncten auf den Grensgebieten beider Lehren
bewegt haben: in der Hauptfache aber kann ich nicht fin-
den, daß er von evangelifchen Anfichten irgend wie ergriffen
1. Sie räth ihm user du tems, jusques aurez moyen et op-
portunit€ d’en faire autrement. (Schr. o. D. im Br. U.)
112 Neuntes Buch. Drittes Capitel.
geroefen fey: er war und blieb Eatholifch: an dem Geheim-
niß der Euchariftie im Eatholifchen Sinne und den Dien-
ften die fich daran knüpfen hat er wohl nie einen Augen
blick gezweifelt.
Hat er den Proteftanten Conceffionen gemacht, fo ift
er dazu von dem Vapft ermächtigt geweſen.
Der Beichtvater fpielte fchon bei ihm eine Nolle. Der
jüngere Granvella beflagt fich wohl, daß wenn er zu Ende
gekommen zu feyn glaube, die Hydra der Gewiffensjerupel
immer neue Köpfe hervorbringe. !
Das vornehmfte Ziel dag der Kaifer verfolgte, war zwar
politifcher, aber doch auch dem Werfen nach religiöfer und
zwar Fatholifcher Natur.
Und höchft gerechtfertigt gieng er Dabei zu Werfe. Er
begründete fein Verfahren allegeit auf die Sdeen von Neich
und Kirche.
Alles was er in Deutfchland unternahm, ward immer
mit den Pflichten gegen die allgemeine Kirche, feinem Eide
diefelbe aufrecht zu erhalten, der Niückficht auf die übrigen
Nationen vertheidige. In jeder Forderung an den Papft
dagegen fraten die Nechte und Befchlüffe des Neiches, die
Nothwendigkeit die Entzweiungen der Neichgglieder beizule—
gen, als Beftimmungsgründe hervor.
Die alten Formen die er noch einmal zu beleben fuchte,
gaben ihm eben die Ausficht durch fie zu herrfchen. Je gro:
1. Negotiato di D. Franc. di Toledo per l’acquisto di Piom-
bino: Bibliot. Maglibeechiana zu Florenz. Granvella fagt: resur-
gevano come i capi della hydra le riprensioni et advertimenti
della conscienza.
Stellung und Politik Carls V. 113
gern Einfluß er auf den Neichstag gewonnen, defto firenger
forderte er die Beobachtung der Befchlüffe deffelben; von Fei-
nem Heimbringen, von Feiner Selbftbeftimmung einer Land-
fchaft wollte er mehr hören. Eben fo aber dachte er mit
dem Concilium zu verfahren. Er wollte den Antheil an der
Leitung deffelben haben der ihm als Kaifer gebühre, dann
ſollte Jedermann feinen Satzungen gehorchen, namentlich auch
der Papſt jelbft.
Dahin hat e8 der burgundifche Prinz doch gebracht,
daß die Wiederbelebung diefer großen Ideen, an denen fich
das Mittelalter entwickelt hat, an fein Dafeyn, feine Macht
geknüpft iſt. Die Doppelfeitigfeit feines Beſtrebens fpie-
gelt fich in den entgegengefegten Eigenfchaften die fich in
feinem Character vereinigen. Carl V ift zweideutig, durch
und durch berechnet, habgierig, unverfohnlich, ſchonungslos,
und dabei hat er doch eine erhabene Ruhe, ein ſtolzes die
Dinge gehn laffen, Schwung der Gedanken und Seelen:
ftärke. Seine Ideen haben etwas Glänzendes, biftorifch
Großartiged. Das Kaiferthbum wie er c8 faßt, enthält Die
Fülle geiftlicher und weltlicher Gewalt, und er nähert fich
der Möglichkeit es herzuftellen. Ob es ihm damit gelingen
wird, ift die große Lebensfrage für Europa und die Welt.
Verhandlungen mit Rom.
Sn den Jahren 1549, 50 war Carl V hauptfächlich
in den conciliaren Erörterungen mit dem Papſt begriffen.
Am römifchen Hofe fuchte man jede Nachgiebigfeit in
geiftlichen Angelegenheiten, mern man fich ja zu einer folchen
Ranke D. Gef. V. 8
114 Neuntes Buch. Drittes Lapitel.
berbeilaffen wollte, mit der Sache von Piacenza in Verbindung
zu feßen. Der Kaifer antwortete fehr trocken: er wolle die
öffentlichen Dinge nicht mit Privatangelegenheiten vermengen.
Seine Gefandten berichteten wohl, wenn er Piacenza zurück
gebe, oder nur einen Erfaß dafiir anbiete, werde er in den
übrigen Streitfragen alles was er wolle erreichen: er blieb
dabei, daß diefe Sache für fich behandelt werden müſſe.
Vor aller weitern Verhandlung drang er auf rechtliche Un—
terfuchung, wen die Stadt gehöre, dem Neiche oder der
Kirche: er ſey fehr bereit, wenn das Urtel zu Gunften der
Kirche ausfalle, Piacenza zurückzugeben; er wife jedoch wohl,
daß e8 zum Neiche gehöre, fo gut wie Parma. Indem
man hoffte, er werde Piacenza herausgeben, erhob er An-
fpruch auch auf Parma.
Er lebte der Meinung, Paul III werde am erften durch
Drohungen beftimmt, und faft fchien e8 als hätte er Necht.
Sollte zunächft wenigftens eine vorläufige Ordnung in
Deutfchland eingeführt werden, fo mußte der Papft die deut-
fchen Bischöfe ermächtigen die den Proteftanten durch das
Interim gemachten Zugeftändniffe anzuerkennen.
Eine Zeitlang zögerte er damit, wie dag bei dem Wi—
derpillen den man in Nom gegen dag Interim hegte nicht
anders feyn konnte: dann Fam er mit ungenügenden Facultä-
ten hervor, endlich ließ er fich auch genügendere abgewinnen.
Am 1Sten Auguft 1549 erfchien Cardinal Otto Truch:
feß, Biſchof von Augsburg, der wenn irgend ein andrer als
ein rechtgläubiger Anhänger der römifchen Curie betrachtet
erden muß, in alle feinem Pomp, unter Vortragung des
Kreuzes, filbernen Scepters und feines Cardinalhuteg, in der
Verhandlungen mit Nom 1549. 15
Domfirche zu Augsburg. Er beflieg eine Kanzel die eigens
für ihn aufgerichtet und mit rothem Sammer überzogen war,
um zu erklären, daß in dem Interim nichts Schädliches noch
Beſchwerliches enthalten fey. !
Die Indulte welche der Papft gewährt, giengen man-
chen Eiferer faft fchon zu weit, und der Kaifer mußte durch
eine befondere Declaration ihre Anwendung auf die Länder
und Städte befchränfen, in welchen die neue Lehre Platz ge:
griffen. Für diefe aber waren fie nicht allein erwünfcht,
fondern unentbehrlich. Die Anerkennung der Hierarchie auch
in den proteftantischen Ländern war nur unter Diefer Bedin-
gung denfbar.
Und auch in Hinfiche des Conciliums gab der Papft
dem Haſſe des Kaifers gegen die Verſammlung zu Bologna
fo weit nach), daß er fie im September 1549 auflöfte. Ihm
felbft fiel fie bereits zur Laft, da fie unter den Umſtänden
der Zeit doch nichts ausrichten Fonnte.
Höchlich erfreut war der Kaifer, als der Papſt hierauf
die Abficht Fund gab, in einer andern VBerfammlung, zu
Nom, die Reformation ernftlic) vor die Hand zu nehmen.
Er machte nur noch die Bedingung, daß Fein Befchluß der:
felben den Anordnungen feines Interims oder der von ihm
1. Aus einem Schreiben des Card. Otto, Dillingen 3 Auguft
1549 (Winter IL, p. 151), ergiebt ſich, daß feine Indulte nicht allein
den Genuß beider Geftalt, fondern auch die Priefterehe umfaßten.
Welche Schwierigfeiten dieß gemacht, indem dadurch der Unterſchied
zwifchen Prieftern und Laien aufgehoben zu werden gefchienen, fehen
wir aus dem judiecium variorum pracsulum, Nainaldus 1548, nr 66
— 72. Ich bemerfe daß fih troß aller Gelehrfamfeit diefe Herrn
doch auf die untergefchobenen Canones apostolici beziehen (nr. 68).
8 *
116 Neuntes Buch Drittes Capitel.
den_geiftlichen Ständen vorgefchriebenen Reformation wider⸗
ſprechen dürfe.
Ehe es aber fo weit Fam, ſtarb Paul III; und eine Wahl
trat ein, welche dem Kaifer fogar die Möglichkeit eröffnete,
feine geiftlichen Abfichten noch in aller Form zu erreichen.
Die Faiferliche Partei .war es — unter Vermittelung
de8 Herzogs von Florenz — durch welche der neue Papft
Julius III auf den römifchen Stuhl gelangte.
In feinem erften Schreiben erkannte Julius dieß an:
nächft Gott feinem Andern als dem Kaifer fchrieb er feine
Erhebung zu; durch feinen erften Gefandten verfprach er,
den Kaifer in allen allgemeinen Angelegenheiten der Ehri-
ftenheit zufrieden zu ftellen, namentlich in der Sache des Con—
ciliums; es war wirklich einer feiner erften Befchlüffe (mie
denn Jedermann einfah, daß dieß unumgänglich fey, und die
Eonciliarcongregation felbft dafür ſtimmte), daß das Com
cilium in Trient wieder eröffnet werden ſolle.“ Nichts Ber
fereg hatte bisher der Kaifer gewünſcht: in einem feiner Briefe
an feinen Gefandten in Nom findet fich der Ausdruck: er be
dürfe Feiner Verficherung daß der Papft gute Abfichten hege,
er nehme fie aus feinen Handlungen ab.
Es war fchon eine glänzende Nechtfertigung feines bis—
herigen Verhaltens, daß derjenige Mann der fo lange den
Vorſitz im Concilium geführt und dabei, als Abgeordneter
1. Es lautet nicht fehr wahrfcheinlih, wenn Werantius wiffen
will, Julius TI Habe dem Kaifer erflärt, über den Ort des Concils
wolle er nicht ftreiten, „,etiamsi illud imperator in Belgio Bruxellae
haberi velit.‘“ Viennae 29 Aprilis 1550, bei Katona 21, 1041. Aber
der clevifche Abgeordnete Maftus verfichert: Sulius fage „ausdrücklich
er wölle das das Koncilium einen Fürgangf (habe) es fey zu Trient
oder wo e3 Faiferliher Maj. gelegen. ”
Neichstag zu Augsburg 1550. 117
Pauls III, ſich ihm entgegengefeßt, jet nachdem er felber
auf den römifchen Stuhl gelangt war, diefen Widerftand auf:
gab und die Wiedereröffnung des Concils zu Trient bewil
ligte, gleich als erfülle er damit nur eine Pflicht. Aber über:
dieß gewährte e8 ihm für alle feine Pläne eine weite Aus—
ficht, daß er endlich doch einen Papft gefunden der ihm gün—
ftig war und fich feiner Politik anfchloß.
Zuerft war nun die Erneuerung des Concils wirklich
u Stande zu bringen.
Am 26ften Juli eröffnete Carl V einen Neichstag, der
ſich abermals in Augsburg verfammelt hatte, mit einer Pro-
pofition, in welcher er die mancherlei noch unvollzogenen
Befchlüffe des vorigen Abfchiedg, auch in Beziehung auf fein
Interim, das er troß der veränderten Umftände mit nichten
fallen laſſen wollte, in Erinnerung brachte, hauptfächlich aber
den Ständen verfündigte, was bisher bei dem römifchen
Stuhle nicht zu erhalten gemwefen, dag fey von dem nun-
mehrigen Papfte bewilligt worden, die Continuation des Con—
ciliums zu Trient.
Nach allem was im Jahre 1547 vorgegangen, Fonnte
fein Zweifel feyn, daß die Neichsftände fich zur Beſchickung
deffelben bereit erflären würden. Die einzige Frage war,
wie e8 dabei mit der Theilnahme der Proteftanten gehalten
werden follte.
Wenn Churfürft Joachim II nochmals ausfprach, daß
ein nationales Concilium dem allgemeinen voraufgehn folle,
um daffelbe vorzubereiten, fo war das vielleicht an fich zu
wünſchen, aber bei der Stimmung des Kaifers und der Fa
tholifchen Stände nimmermehr zu erreichen." Diele hatten
1. Snftruction für die Neichstagsgefandten im Arch. zu Berlin.
118 Neuntes Bud. Drittes Capitel.
die ganze Entfcheidung dem Concilium vorbehalten, und es
war fchon zweifelhaft, ob fie die viel näher liegende For-
derung der Proteftanten daß die an dem Concil bereits ab-
gehandelten Artikel aufs neue erörtert, oder tie diefe fich
ausdrückten, reaffumirt werden follten, genehmigen würden.
Mit ausdrücklichen Worten haben fie dieß in der That
nicht gethan, aber fie haben e8 auch nicht verweigert. In
einem NeichSgutachten vom Sten October heißt e8: Die Bitte
einiger Ehurfürften und Fürften gehe dahin, ihre Abgeord:
neten über die Puncte zu hören welche bereits decidirt feyn
möchten; leicht würde fonft der Ausdruck Continuation des
Conciliums ein Mißverftändniß veranlaffen. Auch dem Kai-
fer fchien es rathſam fich in diefer Unbeftimmtheit zu hal-
ten.! Indem er Diejenigen, welche Anderungen gemacht,
aufforderte fih an das Concilium zu verfügen und ihnen
biefür ficheres Geleit zufagte, wiederholte er die Zuficherun:
gen die er ſchon am vorigen Neichstag gegeben, und die
allerdings einige Worte aus dem Gutachten der proteftan-
fifchen Churfürften enthielten, jene Forderung aber weder ab:
fchnitten noch auch gewährten. Er 509 e8 vor, fo guf diefe
tie andre Feftfegungen der Finftigen Unterhandlung vor:
zubehalten. Auch dem päpftlichen Nuntius, der auf die Her-
ftellung der geiftlichen Güter gedrungen, ertheilte er nur eine
ausweichende Antwort: er wollte in diefen Dingen fich in
Voraus zu nichts verpflichten. Nur dag Eine Verfprechen
gab er, die Befchlüffe welche das Concilium faffen würde
zu vollziehen, Deutfchland nicht zu verlaffen, ehe ein ernft-
1. Die Acten des Reichstags in den Archiven zu Frankfurt,
Dresden und Berlin.
Suecreffionsentwurf. 119
licher Anfang diefer Vollziehung gemacht worden. Seine
Autorität mit der des Conciliums zu verbinden, war längft
fein Gedanke, der nun zur Ausführung reifte.
Damit fchien ihm aber die Zeit eingetreten, wo er fich
noch mit einer andern Abficht hervorwagen Fönne, die er
längft gefaßt, und die nicht minder weitausſehend war.
Succeſſionsentwurf.
Der Kaiſer hegte den Plan, feinem Sohn Philipp, Prin-
gen von Spanien, nachmals König Philipp dem zweiten, Die
Nachfolge im Kaiſerthum zuzuwenden.
Schon 1548 hafte er daran gedacht, er hafte nur ge:
fürchtet, da fo vieles andre im Werke und noch zweifelhaft
war, Die Eiferfucht die das Haus Oftreich ohnehin erweckte
allzuftarf zu machen.
Wie andre Gefchäfte mußte auch diefes erft unterbaut,
mit Umſicht vorbereitet werden. Vor allem mußte Philipp
felbft gegenwärtig und den deutfchen Fürften befannt ge
worden feyn.
Es hatte einige Schwierigkeiten ihn aus Spanien her:
überfommen zu laffen, da man dort fehon über die Abwe—
fenheit des Kaifers mißvergnügt war, und die Cortes von
Valladolid erklärten fich dagegen. Der Kaifer befriedigte fie
dadurch, daß er feinen Neffen Mapimilian, dem er fo eben
1. Antwort auf die Snftruction des Papſtes vom 10ten Suni.
Der Kaifer fpriht die Beforgniß aus, daß nichts gefchehen werde,
wenn er vorher den Nücfen wende.
2. Darauf beziehen fich die Außerungen König Ferdinands in
feinem Schreiben vom 15 Juli bei Bucholg IX, 732.
120 Neuntes Bud. Drittes Capitel.
feine Tochter Maria vermählte, — denn einen Prinzen von
Geblüt fahen fie nun einmal gern an ihrer Spitze — mit der
einftweiligen Verwaltung der fpanifchen Negierung beauftragte.
Der Borwand, wohl auch ein Grund, nur nicht der
wichtigfte oder einzige, wofür er hier gelten mußte, war der,
daß Philipp in den Niederlanden eingeführt werden und die
Huldigung dafelbft empfangen follte. Die vornehmfte Ab-
ficht aber galt unverfennbar dem Reich und den Deutfchen.
Der Prinz gab ſich auch in Fleinen Dingen eine faft
zu fichtbare Mühe fich den Deutfchen anzunähern. Nur auf
deutſchem Noß wollte er reiten, als er in Trient ankam,
auf deutſche Weife tanzen, deutichen Gelagen beiwohnen: es
fiel um fo mehr auf, da er dag alles nicht eben auf das
gefchicftefte vollzog.
Ohne Zweifel um Vieles beffer erwogen war c8, wenn
man die Ankunft des Prinzen mit Gnadenbeweifen in po-
pulärem Sinn bezeichnete: die armen Ulmer Prädicanten hat-
ten fo lang in ihrem Gewahrfam fchmachten müffen, big
der Pring erfchien um fie zu befreien.
In gewiſſen Kreifen hielt man die Nachfolge des Prin-
sen im erften Augenblick fir eine ausgemachte Sache.
Die Herzogin von Baiern hatfe dem Ankommenden ee
was mehr Ehre ermwiefen, ald den Hofräthen angemeffen
fchien: und Dafür fagte ihr denn der Bifchof von Trient
einige belobende Worte. „Ehrwürdiger Herr,’ eriwiederte
fie, „ich thue nur meine Pflicht gegen S. Hoheit, der einft
mals unfer Herr ſeyn wird.“
Churfürſt Morig hatte den Prinzen perfönlich in Trient
eingeholt und war mit demfelben, wenn wir den Briefen deg
Succeffionsentwurf. 121
Carlowitz trauen dürfen, in dag verfraulichfte Verhältniß ge:
treten. Man wollte wiffen, um feine Stimme angegangen
habe er gefagt, er fey dem Sohne fo ergeben wie dem Vater.
Ganz ernftlich nahmen die jungen Landgrafen von Heſ—
fen die Sache. Das wahre Mittel ihren gefangenen Vater
zu erledigen, fahen fie in der Unterftügung twelche die bei-
den Churfürften die einft fir ihn gutgefagt, Sachfen und
Brandenburg, bei diefem Vorhaben dem Kaifer würden zu
Theil werden laffen, und trugen Fein Bedenken fie darum
su erfuchen. !
Wie e8 wohl zu gehn pflegt, Derjenige erfuhr am ſpä—
teften von der Sache, den fie am meiften angieng, König
Ferdinand.
Endlich aber drang doch dag Gerücht, und zwar in
der härteften Form, als fey e8 die Meinung des Kaifers
ihm die Würde und das Amt eines römischen Königs zu
entreißen und diefelben auf Philipp zu übertragen, bis zu ihm
vor, und er hielt für gut, nicht zwar geradezu feinen Bru-
der, aber feine Schwefter Maria, die um die geheimften
Anfchläge und Verhandlungen zu wiſſen pflegte, Darüber
su fragen. Er that dieß jedoch nicht ohne hinzuzufügen,
1. Wilhelm und Ludewig LL. zu Heffen an unfre gnediafte
Herrn die Churfürften zu Sachſen und Brandenburg, Ziegenhain 19
Maji 1549. „Bitten demnach ganz freundlich, E. L. wollen ſich nichts
verhindern laffen, nochmals an feumen an keyſ. hove fich zu verfu-
gen, den Pringen von Hifpanien unfern herrn und freundt an der
hant zu kehaltten, den bifhoff von Arras, ald an dem wir horen vil
gelegen zu fein, willig zu machen, und fich gegen Keyfr Mt Print
Philippſen uf den Fall zu einem Nomifchen Fonige zu erwelen und
keyſr Mt einen flattlichen Neiterdienft zu thun erbieten, wie E. 8. das
biebevor zu vielmalen durch uns gefchrieben und eroffnet. Go glau-
ben wir gewißlich es werde was wirfen.”
122 Neuntes Bud. Drittes Capitel.
er halte für fo gewiß wie das Evangelium, daß fein guter
Bruder, welcher ihm immer ein Vater geweſen, nicht an
eine Sache denfe die ihm fo wenig zum Vortheil und zur
Ehre gereiche.
Darüber nun wie er das Vorhaben auffaßte, konnte die
Königin ihn beruhigen. Obwohl fie fich für nicht hinreichend
unterrichtet erflärte, ließ fie doch fo viel erfennen, daß nur
von einer Verficherung des Neiches nach dem Tode beider
Majeftäten die Nede fey. Bald aber trat fie einen Schritt
näher und gab deutlichere Auskunft.
Nach ihrer Auffaffung gieng der Gedanfe des Kaifers
nur dahin, das Verhältniß das zwifchen den Vätern beftand,
auch auf die Söhne zu vererben. Ferdinands Sohn Ma-
ximilian follte dereinft wie Ferdinand römischer König, Phi-
lipp wie fein Vater Carl römifcher Kaifer werden. Bisher
war mohl nichts verabredet, aber man hatte in der Vor—
ausfeßung gelebt, Daß nicht allein nach dem Abgange Carls
fein Bruder ihm in dem Kaiferthum nachfolgen, fondern daß
der Anfpruch auf diefe ohnehin keineswegs erbliche Würde
den Söhnen deffelben, der in Deutfchland angefiedelten Li—
nie, nicht einem in Spanien erzogenen Prinzen, zufallen follte.
Auch der ermäßigte Plan war doch der ferdinandeifchen Fa—
milie unerwartet und in hohem Grade mwidermwärtig.
Maria ftellte dem römifchen König vor, Philipp werde
nur felten im Neiche erfcheinen können; für ihn werde aus
jener Würde nur die Pflicht hervorgehn, daffelbe zu unter-
fügen; aller Vortheil davon werde doch dem Haufe Fer-
dinands zufallen, zumal da fich Philipp in diefem Fall mit
einer feiner Töchter zu vermählen bereit ſey. Sie erinnerte
ihn an das DVerdienft, das fich der ältere Bruder um ihn
Succeſſionsentwurf. 123
erworben, indem er ihm die Würde eines römiſchen Königs
verſchafft habe, ohne an den eignen Sohn zu denken.!
Ferdinand antwortete: wie bisher, fo wolle er aud)
fortan alles thun mas zum Dienft feines Bruders und
des Prinzen gereiche: nur nicht in dieſem Puncte, der nicht
dienlich fey.? ·
So ftanden die Verhältniffe, als die beiden Brüder am
Neichstag zufammentrafen. Sie fahen einander in der Stadt
und machten eine Eleine Neife mit einander nad) München:
von diefer Angelegenheit war zwifchen ihnen nie die Nede.
Auch die Näthe gedachten derfelben nicht mit einem Worte.
Will man den Grund davon mwiffen, fo drückt ihn der
jüngere Granvella unverholen aus. Er meint, wenn man
die Sache einmal vornehme, müffe man den König nicht
Athem holen laffen, bis er nachgegeben habe. Dazu follte
die Königin Maria, auf die auch Ferdinand von jeher dag
größte Vertrauen gefeßt, von den Niederlanden herbeifom-
men. Gie felbft giebt einen Vorwand an, unter dem fie
erfcheinen könne.
Aber auch Ferdinand, der wohl ahnen mochte was man
ihm nicht fagte, fuchte ſich Hülfe. Er fprach den Wunfch
aus, daß fein Sohn Marimilian aus Spanien zurückkeh—
ren möchte.
1. Schreiben der Königin 1 Mai 1550. Vous auriez satisfet
a l’obligation de rendre a S. M@ le bien qu'il vous a fait de vous
avoir prefere a son propre fils en ladite dignite, par etre cause
de lavoir rendu au sien en le preferant au votre, lequel nean-
moins demoroit avec plus de commandement a l’empire que led.
St Prince, voiant que peu il porroit etre audit empire.
2. hors cela, hors ledit article, qui n'est a propos. Bei
Bucholtz IX, 732.
124 Neuntes Buch. Drittes Capitel.
Sch finde, der Eniferliche Hof erſchrak hierüber, der Kai-
fer und der Prinz giengen mit den beiden Granvellas förm—
lich zu Nathe. „Der Hunger”, meinten fie, „treibe den Wolf
aus dem Hol." Sie befchloffen jedoch ihre Abfichten noch
nicht zu entdecken; fortwährend vermied der Kaifer mit fei-
nem Bruder in die Negion- diefer Pläne zu kommen; der
jüngere Granvella ward fogar beauftragt demfelben feine Be
forgniffe augzureden. !
Erft als Maria angekommen, im September, gefchab
die Eröffnung.
Der König erklärte jedoch, er könne ohne die Antvefen-
heit feines Sohnes, den die Sache am meiften angehe, ſich
in nichts «inlaffen. Schon waren alle Vorbereitungen zur
Rückkehr deffelben getroffen. Als Marimilian angelangt, Fam
auch Maria aus den Niederlanden wieder, und mun erft,
im December 1550, begannen ernftliche Unterhandlungen.
Da fie mündlich gepflogen wurden, fo find wir über
ihren Gang nicht authentisch unterrichtet.
Der päpftliche Nuntiug, der die Verhandlung mit ge:
ſpannter Aufmerkfamfeit verfolgte, behauptet, bei den erften
Eröffnungen fey von einer Erledigung der noch ſchwebenden
Würtenberger Irrungen zu Gunften des Königs die Nede
gemwefen; eine Geldhülfe von ein paar Millionen fey ihm
zur Fortfeßung des türfifchen Krieges angefragen worden.
Später wollte man wiſſen, die Königin fey unwillig
über die Näthe Ferdinand, ja über ihren Bruder felber, der
1. Schreiben Granvellas 25 Auguft, im Anhang. Bei der
Sammlung der Pap. d’et. hätte man fich nicht fo ausfchließend an
die Befangonfchen Papiere halten, fondern Wien und befonders Brüf-
fel confultiren follen.
Sueceffionsentwurf. 125
ihr weniger Zutrauen fchenfe als diefen Näthen: man wollte
bemerfen, daß fie einft ganz entrüftet von ihm gegangen, und
auch er fie gegen feine Gewohnheit nicht begleitet habe. !
In dem Publicum Tiefen fehr abenteuerliche Erzählun—
gen über die Entsweiung um, die in der Familie und unter
den Näthen des Kaifers und des Königs ausgebrochen fey-
Im Februar 1551 faßte endlich der Nuntius einmal
das Herz, den Kaifer darüber zu befragen. Der antwortete,
er ſey bei fich felbft noch nicht entichieden, ob die Sache
zum Heile der Ehriftenheit nothwendig ſeyn werde.
Wir ſehen nur: die Unterhandlungen waren in tiefes
Geheimniß gehüllt: einige Schwankungen mochten eintreten:
zuletzt aber führten ſie doch zum Ziele.
Am Iten März ward ein Tractat zwiſchen König Fer—
dinand und Prinz Philipp gefchloffen, ? worin der erfte fich
anheifchig machte, mit allen geeigneten Mitteln dahin zu wir:
Een, daß die Churfürften „nach den glücklichen Tagen des
Kaifers" und fobald er, der König, zum Kaifer gekrönt feyn
werde, den Prinzen zum römifchen König zu wählen verfpre
chen follten. Man wollte fie erfuchen, dieſer DVerficherung
die andre hinzuzufügen, nach dem Tode Ferdinands und der
Krönung Philipps zum Kaifer den jungen Marimilian zum
römifchen König zu ermählen. In diefem Sinne ward eine
Inſtruction entworfen, die den Churfürften vorgelegt werden
follte. Allein man konnte fich nicht verbergen, daß es fehr
1. Lettere dell’areivescovo Sipontino. Inff. polit. Dispacei
fiorentini.
2. Acte d’accord passé entre Ferdinand roi des Romains
et le prince Philippe des Espaigns, le 9 mars 1551 st. d. R.
Sm Anhang.
126 Neuntes Buch. Drittes Capitel.
ſchwer ſeyn werde, einen fo weit in die Zukunft vorgreifen:
den Antrag bei ihnen durchzufegen. Man fah die Antwort
voraus, daß eine Beftimmung diefer Art außerhalb ihrer Ber
fugniffe liege. Auf diefen Fall befchloß man, daß ein Ver—
fprechen Philipps, zu feiner Zeit die Erhebung Marimiliang
zum römischen König befördern und diefem alsdann die Ad-
miniftration des Neiches auf diefelbe Weife überlaffen zu wol-
len, wie fie Ferdinand jet führe, genügen folle. Es wur
den noch mehrere Beflimmungen getroffen, z. DB. über Die
Unterftügung die Philipp dem jeßigen römifchen Könige bei
feinem Krönungszug, ferner gegen jede Nebellion ſowohl
im Neiche wie in den Erblanden zu leiften habe, über Die
neue Verbindung der Familien durch die obgedachte Vermäh—
lung Philipps; die merkwindigfte, däucht mich, ift die fol-
gende. Sollte dag Concil, heißt e8 in dem Tractat, was
Gott verhüte, nicht bei Lebzeiten des Kaifers zu Ende ge
bracht werden, oder follte e8 den erwünſchten Ausgang zur
Abhülfe der Sachen des Glaubens und unferer heiligen Ne
ligion nicht haben, fo verfpricht der Prinz, den König zu un-
terftügen einmal zum guten Erfolg des Concils, fodann in
deffen Ermangelung in jeder andern Weiſe, um den An-
gelegenheiten unferes heiligen Glaubens und der Religion
abzuhelfen. !
Ich darf wohl nicht verfchweigen, Daß ich Fein unterzeich-
netes Exemplar diefes Vertrages gefehen habe, fondern nur
1. Sl advenait, que dieu ne veuille, que duvivant dud.
Se Empereur le conecile indiqu& ne s’acheva ou qu'il n’eut la fin
qu'on pretend e desire pour le remede de la ste foy et religion,
en ce cas led. sieur prince a promis e promet d’assister pour le
bon effet icelui Sr roi.
Sucreffionsentwurf. 127
eine Abfchrift, in dem Brüffeler Archiv: allenfalls Fönnte
Jemand vermuthen, daß derfelbe nur vorgelegt und viel-
leicht nicht vollzogen morden fey. Er bliebe auch dann
fehr merkwürdig, weil er die Gedanken des Kaifers, feines
Hofes und feiner Räthe beffer als irgend ein anderes Do—
cument darlegt das bisher befannt geworden ift. Aber
in der That finde ich doch nichts was einen ernftlichen Zwei—
fel an der Annahme diefer Verabredungen begründen könnte.
Wenigſtens ift die im Vertrag erwähnte Inſtruction von
dem römifchen König zugleich mit dem Kaifer den Churfür—
ften vorgelegt worden. Ferdinand bekennt darin, daß er
nach dem Abgang feines Bruders die Hilfe feines Neffen,
des Prinzen von Spanien, nicht werde entbehren Eönnen:
um diefen aber zu vermögen folche zu leiften, fey wohl das
einzige geeignete Mittel, daß man ihm jet gleich verfichere,
ihn zu feiner Zeit zum vömifchen König und Fünftigen Kai-
fer zu wählen. Über die Anfprüche feines Sohnes drückt
er fich ganz aus, wie in dem Vertrag feftgefegt worden war. !
Die Ehurfürften erftaunten daß er e8 that: fie waren über:
zeugt, er werde eg nicht ernftlich gemeint, nicht gern gethan
haben: aber genug, er bat e8 gethan.
Nun find dieß aber nicht einfache Succeffionspläne,
fondern fie hängen mit allen politifchen und Eirchlichen Ab:
fichten des Kaifers aufs genauefte zufammen. Dem Kaifer
entgieng nicht, wie hinderlich e8 ihm fey, daß man feinen
baldigen Tod erwartete und mit demfelben eine Auflöfung
- 1. Inſtruction, fhon durh Schmidt und Bucholß ziemlich be:
fannt. Die Urfchrift im 12ten Band der Brüffeler Documente bie-
tet doc) noch einiges Eigene.
128 Neuntes Buch. Drittes Capitel.
aller derjenigen Verhältniſſe welche Deutfchland wieder in
fo nahe Beziehung zu dem füdlichen Europa gebracht, und
dem Kaiſerthum eine fo eigenthimliche Stellung und Kraft
gegeben hatten. Fir die Durchführung feiner Gedanfen
hatte e8 unendlichen Werth, wenn Jedermann voraugfah,
daß auch in Zufunft der König von Spanien zugleich das
Kaiferthum befigen und e8 in dem nunmehr fefigefeßten
Sinne verwalten werde. Dadurch würde zugleich, wie doch
ein Seder begehrt, dag was er zu Stande gebracht, Die
Geftalt die er der Welt zu geben gedachte, auf immer be
feftige worden ſeyn. Ausdrücklich, wie wir fahen, verpflich-
teten fich fein Bruder und fein Sohn die Abfichten augzu-
führen, welche er in Beziehung auf dag Concilium und die
Einheit de8 Glaubens hegte. Um fo wichtiger ift es, wie
dieſe fich jest weiter entwickelten.
Die Proteftanten in Trient.
Außer den übrigen Beweggründen deren wir gedacht,
trugen noch Bedrohungen mit einer Nationalfirchenverfamm:
lung, dieß Dal von Seiten des franzöfifchen Hofes, der
über die Verbindung des Kaifers mit dem Papſt fehr un—
ruhig wurde, dazu bei, um Julius III zu vermögen, Die
Ausführung feines einmal gegebenen Verfprechens auf Feine
Weiſe zu verzögern.
Ende April 1551 erlebten die Eaiferlichen Prälaten welche
in Trient zurückgeblieben waren und fich fo ftandhaft gewwei-
gert hatten den Legaten Pauls III nach Bologna zu fol
gen, den Triumph, daß die Legaten eines neuen Papftes zu
Die Proteſtanten in Trient. 129
ihnen nach Trient Famen, um das unterbrochene allgemeine
Concil fortzufeßen.
Eigentlich nun erft erhielt e8 den Character der ihm ur-
fprünglich vom Kaifer zugedacht worden: es ward jegt Ernft
mit dem Gedanken, die in Deutfchland erhobenen religiöfen
Streitfragen unter lebendiger Mitwirkung der Deutfchen auf
einem allgemeinen Concil zur Entfcheidung zu bringen. !
Am legten Tage des Auguſt nahmen die Churfürften
von Mainz und von Trier in der allgemeinen Congregation
perfönlich ihren Platz ein: die Alteften erzbifchöflichen Site
hatten ihnen den Rang gelaffen. Nach einiger Zeit langte
auch der Erzbiſchof von Cölln anz andre Wrälaten folgten.
Die Hauptfache aber war, daß indeß auch profeftanti-
fche Theologen und Procuraforen fi) fertig machten, am
Concilium zu erfcheinen.
Da diefe aber durch Feine Firchliche Würde eine Be
deutung befaßen, die perfünlich in ihnen geruht hätte, fon:
dern nur als Nepräfentanten der evangelijchen Gemeinfchaft
etwas waren, fo bereitete man ihre Sendung durch neue
Befenntnißfchriften vor.
Das geſchah wohl nicht darum, wie man gejagt hat,
weil dem Kaifer fchon die Benennung der fchmalfaldifchen
Artikel, die einft zu ähnlichem Behuf aufgefegt worden,
oder auch der augsburgifchen Confeſſion fo verhaßt gewe—
fen wäre, daß man ihm damit nicht hätte kommen wollen.
Wir wiffen vecht gut, daß die Abfaffung der frühern Confeſ—
1. Die erfte Eröffnung fand am 1 Mai Statt, allein zu der
Verhandlung zu fehreiten ſchob man bis zum 1 September auf, „per
aspettare i Tedeschi.“ Pallavicini XI, xıv, 4.
Ranfe D. Geſch. V. 9
130 Neuntes Duch. Drittes Kapitel.
fionen mit NRückficht auf die obwaltenden Verhältniſſe un
ternommen worden war. Go follte e8 auch dieß Mal ge
fchehen. Zurückgezogen nach Deffau, um von den Zerftreuun-
gen der Univerfitätsgefchäfte ungeftört zu bleiben, verfaßte
Melanchthon die fogenannte fächfiiche Eonfeffion, die er als
eine Wiederholung der augsburgifchen bezeichnet, wofür fie
auch anerfannt worden ift, die aber doch fehr auf den
Stand der Streitfragen Bezug nimmt, wie er im Diefem
Augenblicke war." Die evangelifchen Kehren von der Recht
fertigung und der Kirche — in fo fern wieder eine und die:
felbe, als fie beide auf einem Zurücfgehn von dem Außer:
lichen und Zufälfigen auf das Innerliche, Achte, in der hei:
ligen Urkunde Enthaltene beruhen — mußten nochmals her-
vorgehoben und erläutert werden, da man eben in dieſen
Puncten zuletzt mit der Eatholifchen Dockrin in eine Be—
rührung geratben war, welche neue Zweifel erweckt hatte.
Auch die Lehre vom Abendmahl ward in dem Sinne der noch
obwaltenden Concordie ausführlicher erörtert. Indeſſen ver
faßte Johann Brenz, der feitdem wunderbare Schickſale er
lebt hatte, — Volksſagen fymbolifiren die Gefahren die er be:
fand und die Nettung die er erfuhr: eine Zeitlang hatte er
als Vogt fungiren müffen, — und fich noch immer verborgen
hielt, damals im Klofter Sundelfingen, im Auftrag des Her-
5098 von Würtenberg eine ähnliche Bekennenißfchrift, unter
verwandten Gefichtspuncten. Es ift ein müßiges Vergnü—
gen der Gegner der Proteftanten, über ihre mancherlei Con-
feffionen zu fpotten. Die Bekenntniffe enthielten die Lehre bis—
1. Ein Schreiben Melandhthon an Kommerftadt giebt eine folche
Nücfiht an. Corp. Ref. VII, 796.
Die Proteftanten in Trient. 131
her niemals in einer Formel, welche als unfehlbar und allein-
gültig betrachtet worden wäre: man konnte fie bei veränder:
ten Umftänden auch mit andern Worten als den einmal feft:
gefegten fchriftgemäß ausdrücken; genug, wenn man dag We-
fen der Sache behauptete. Die mwürtenbergifche Confeffion
ward in Stuttgart von eilf der nahmhafteften Theologen ge:
prüft und unterzeichnet; die fächfifche von den Profefloren
und Predigern im Gebiete des Herzog Morig, des Mark
grafen Georg Friedrich von Anfpach, der Herzoge von Pom-
mern, der Harzgrafen angenommen. Da man nicht hätte
wagen dürfen eine allgemeine Verfammlung zu berufen, fo
rechnete man auf allmähligen Beitritt." Die Straßburger
unterzeichneten die eine und die andre Schrift.
Zunächft Fam es aber nicht auf Confeffionen an: bei
dem Stande der Dinge war die Vorfrage über die Art und
Weiſe der neuen Berathung noc) von größerer Wichtigkeit.
Die Proteftanten würden fich felbft dag Urtheil gefpro-
chen haben, wenn fie die bei den frühern Sitzungen in Trient
durchgegangenen Decrete anerkannt hätten: fie blieben bei
ihrer Forderung der Neaffumtion.
Und zwar waren fie hiebei der Meinung, daß das ganze
Berfahren an dem Concilium abgeändert werden müffe. Me
lanchthon fagte, der Papft und feine Anhänger feyen von
den Proteftanten fo vieler Irrthümer angeFlagt, daß eine von
ihnen ausgehende Entfcheidung nichts anders feyn würde
1. ©. Major an Chriftian DI von Dänemark bei Schumacher
Il, 152: „dieweil alle Theologen fo vieler Oberfeith zufammenzus
fordern faft fhwer, auch viele Oberfeith ſich in ſolche fache einzu-
laffen ein bedenfen haben mochten.”
9 *
132 Neuntes Buch. Drittes Kapitel.
als ein Urtheil in eigner Sache. ' Er Fam auf den Gedan—
fen zurück, daß man unparteüfche Prälaten und Fürften, die
freilich zuerft ihrer Eidespflicht gegen den Papſt zu entledi-
gen feyen, aufftellen müffe, um zwiſchen beiden Parteien zu
entjcheiden. In verwandtem Sinn wurden Ende Geptem:
ber auch die würtenbergiſchen Gefandten inſtruirt, obwohl
man bier, wo man der Gewalt fo viel näher war, noch
mehr Anlaß hatte, Miückficht zu nehmen. Die päpftlichen Le
gaten follten nicht mehr präfidiren: fie follten nicht das Vor—
vecht haben die confultirenden Theologen anzuftellen: den Ele-
rifern follten nicht allein die entfcheidenden Stimmen zuftehn:
vor allem wollten fie auch über die bereits entjchiedenen Ar-
tifel gehört feyn. ?
Wenigſtens die erfie diefer Forderungen war dem Kai—
fer fchon am Neichgtag vorgelegt worden; er fand jedoch
damals nicht vathfam, weder fie anzunehmen noc) fie zurück
sumeifen: er fürchtete Streitfragen anzuregen, welche alles
verderben Fönnten. Jetzt aber war Fein längeres DVerziehen
möglich: eine fefte Meinung mußte ergriffen werden, ſey eg
von ihm oder von feinen Bevollmächtigten.
Höchft merkwürdig: der Eaiferliche Orator am Concil,
Licentiat Vargas, erklärte fich ganz im Sinne der Proteftan-
fen. In einem feiner Briefe an den Biſchof von Arras
heißt es, die bereits verhandelten Artikel müßten alle wieder
aufgenommen erden, von dem erften über die Erbfünde big
auf die legte Controverfe.
1. Sententia et judicium Melanthonis de coneilio triden-
tino. Corp. Ref. VII, 738.
2. Snftruction des Herzogs von MWürtenberg an feine Gefand-
ten nach Trient, 29 Sept. 1551. Sattler IV, Urff. 30.
er Ei BE
Die Protefianten in Trient. 133
Und nicht minder war e8 feine Meinung, daß die Ber:
faffung des Concils überhaupt geändert werden müſſe. Wir
haben eine Denkfchrift von ihm, in welcher er das Verfah—
ven des päpftlichen Hofes während der frühern Seffionen,
als ein folches, das nur dahin gezielt habe die Mitglie-
der in Knechtſchaft zu halten, fehr ernftlich tadelt, den Vor—
fig der Legaten überhaupt verwirft, und die Praxis der al-
ten Eoncilien, die Nechte welche den Kaifern dabei zuftan-
den, mwiederhergeftellt willen will." Diele Denkfchrift ward
vor der Eröffiung des Conciliums gefchrieben, und um fo
bedeutender ift es, daß der Kaifer den Verfaſſer derfeiben
su feinem Bevollmächtigten in Trient ernannte.
Wir werden den Kaifer nicht fo verfiehen, als ob er
eine geheime Hinneigung zu den Lehrfägen der Proteftanten
genährt hätte: davon war feine Seele frei; allein einmal
wollte er ihnen nichts auflegen laffen was fie zu offenem Wi—
derfpruch treiben konnte; ſodann war feine Abſicht nur gewe—
fen fie zur Idee der Einheit zurückzuführen, dem Concilium
zu unterwerfen: wenn fie innerhalb diefer Grenze dem Papft:
thum Miderftand leifteten, fo waren fie vielmehr feine Ber:
bündeten als feine Feinde: fie Fonnten doch niemals anders
als fich an dag Kaiferthum halten: fie unterftügten feine
Politik, welche die alte blieb, auch als er einen befreundeten
Papſt hatte.
Umftände, die freilich nicht Dazu beitragen konnten, den
Prälaten, die an den herfömmlichen Begriffen des Vontifi-
cates fefthielten, die Ankunft der proteftantifchen Abgeordne:
ten wünſchenswerth erfcheinen zu laffen.
1. Memoire sur la maniere de regler le concile, in Levaffor
Lettres et memoires de Frangois de Vargas ete. p. 42.
134 Neuntes Bud. Drittes Capitel.
. Anfangs wollten fie nicht glauben, daß die Proteftan-
ten überhaupt fich einfinden würden: je mehr fich dazu ge
wiſſe Augficht zeigte, defto ftärfer fprachen fie ihren Abfchen
dagegen aus: „fie thun alles," jagt Vargag, „um den Pro: .
teftanten die Thüre des Conciliums zu ſchließen.“!
Eine erfte voraufgeheude Frage betraf die Form des
ihnen zusugeftehenden ficheren Geleites.
Allem Widerfireben des Legaten zum Trotz feßten Die
Faiferlichen Minifter durch, daß dabei die Formel welche das
Concil zu Bafel, deflen Andenken der römifchen Eurie ver:
haßt war, den Huffiten bewilligt hatte, zu Grunde gelegt,
dagegen ein Canon des Coftniger Concils, durch welchen die
den Nicht-Nechtgläubigen zu haltende Treue in Zweifel ge-
sogen ward, ausdrücklich zurückgenommen wurde.
Schon hatte der Faiferliche Hof dafür geforgt, daß Eein
entjcheidender Schritt vor ihrer Ankunft gefchah. Eine der
erften Arbeiten der neuen Verfammlung war die Erörterung
der Streitfragen über die Euchariftie. Wäre, wie es wirk
lich beabfichtigt wurde, gegen das Empfangen derfelben um
ter beiderlei Geftalt entjchieden worden, fo würde dieß einer
Abfunft mit den Proteftanten mächtig in den Weg getreten
ſeyn. Wenige Tage vor der anberaumten Seffion lief ein
Schreiben des Kaifers ein, worin er auf Suspenfion der
Beſchlußnahme drang. Der Legat Creſcentio fuhr anfangs
heraus, er wolle lieber abdanken, als die Schmach des Con—
ciliums dulden, daß es mit fo gut vorbereiteten Decreten zu-
rückhalten müffe; aber zuletzt gab er nach.
1. Vargas ä l’eveque d’Arras, 7 Oct. 1551. Bei Levaſſor
p’ 117.
Die Proteftanten in Trient. 135
Der von dem Kaifer eingefeßte und ihm dafür dop-
pelt ergebene Ehurfürft von Cölln äußerte den Gedanken, daf
alle Befchlüffe nur vorläufig genommen und erft zulegt zu
einer definitiven Entfcheidung zufammengefaßt werden folk
ten. Ein Gedanke, der die momentanen Schwierigkeiten ziem—
lich gehoben häfte und mit der Politik des Kaiferg, die da-
durch den meiteften Spielraum erlangt haben würde, ganz
gut zuſammentraf.
Am 24ften Januar 1552 ließen fich nun die erften Pro-
teftanten, zunächft die weltlichen Procuratoren, denn nur erft
Diefe waren angelangt, in der öffentlichen Sitzung des Eom-
ciliums vernehmen.
Der Legat fand die Bollmachten welche die Fürften den:
felben gegeben, ungenügend, meil fie darin nicht ausdrück—
lich gefagt, daß fie fich den Entfcheidungen des Conciliums
zu unterwerfen bereit feyen, ja fogar anftößig, in fo fern
in Ddenfelben von einer geiftlichen und weltlichen Reform die
Nede war; er verwahrte fich durch eine befondre Schrift
gegen jedes Präjudiz das daraus entfpringen Eönne. Die
Eaiferlihen Minifter ließen jedoch diefe Proteftation nicht zu
öffentlicher DVerlefung kommen: fie ihres Orts waren mit
den Vollmachten zufrieden.
Zuerft erfchienen die würtenbergifchen Procuratoren und
überreichten die von Brenz verfaßte Confeffion, zu deren Er:
lauterung und Vertheidigung ihr Herr in Kurzem feine Theo:
logen fenden werde. Sie feßten voraus, daß dann die fchon
verhandelten Artikel nochmals erwogen würden; zu dieſer
Erörterung aber forderten fie die Aufftelung unparteiifcher,
dem Papft nicht verpflichteter Michter.
136 Meuntes Buch. Drittes Capitel.
Die Verfammlung erwiederte, fie werde diefe Dinge in
Erwägung ziehen, und befchäftigte fich hierauf mit einem Ge:
fuche des Churfürften von Brandenburg in Hinficht des Erz
bisthums Magdeburg, dag fie gewährte. !
Am Nachmittag traten die Gefandten des Ehurfürften Mo:
rig auf und zwar mit ciner Rede, die von allen die am Conci—
lium vorgefommen, wohl die merfwirdigfte, von dem Herfom-
men abweichendfte ift ? — in welcher fie nicht allein ebenfalls
die Neaffumtion der fchon befchloffenen Artikel und die freie
Theilnahme der Theologen an der Befprechung derfelben for:
derten, fondern auch den proteftantifchen Grundfaß aufftell-
ten, daß bei der Entfcheidung die heilige Schrift die einzige
Norm zu bilden habe. Auch fie forderten, daß die Mitglie-
der des Concils vor allem des Eideg, mit dem fie dem Papft
verpflichtet feyen, erledigt wirden, aber zugleich fügten fie
hinzu, im Grunde verftehe fich dag von felbft. Denn wie
könne fonft wahr feyn, was doch durch die Synoden von
Baſel und Coſtnitz fefigefett worden, daß der Papſt dem
Concil unterworfen ſey. Frei müffe Stimme und Zunge fic)
fühlen; man müſſe nicht nach dem Winke deg Einen oder
des Andern reden, fondern allein nach den Geboten der hei-
ligen Schrift. Dann erft laffe fich erwarten, daß man über
die Lehre gültige Sagungen machen, Haupt und Glieder re
formiren, den Frieden der Kirche herftellen werde.
1. Die Ausdruͤcke deren fih der brandenburgiihe Gefandte bes
diente, dem alles daran lag Magdeburg für einen jungen Marfgra-
fen zu gewinnen, geben fo weit, als es für einen Proteftanten mög:
ih war, und felbjt noch weiter: doch waren fie fo wohl abgewogen,
daß fich doch Feine ernitliche Verpflichtung daher leiten ließ. Wargas
bemerft: il ne specifie point en quoi il se soumet au coneil.
2. Bei Nainaldus XXI, 64. Dr Badehorn trug fie vor.
Die Protefianten in Trient. 137
Zum, erften Mal berührte dag protefiantifche Prinzip
bie conciliaren Beſtrebungen unmittelbar; die Nede rührt ohne
Zweifel von MelanchtGon herz fie hatte an dem Concil den
größten Erfolg.
„In voller Sitzung“, ruft der Biſchof von Drenfe
freudig aus, „haben fie ausgefprochen, was wir ung nicht
zu fagen getrauen.“ Er urtheilt, in den Reden der Prote—
fianten finde fich neben Schlechtem doch auch vieles Gute;
jehr weislich habe der Legat dafür geforgt, daß fie nicht von
einer größern Anzahl gehört worden feyen. |
„Das Schlachtfeld ift eröffnet,“ ſagt Vargas: „Me
lanchthon und feine Gefährten können nun nicht mehr ver
weigern zu erſcheinen: aber es ift nothwendig Daß fie eilen.“
Er bemerkt, der Papſt und feine Miniſter feyen in hohen
Grade erfchrocken: es fcheine ihnen, als gehe die Abficht
des Kaifers auf eine durchgreifende Neformation.
Daß dem wirklich fo war, ergiebt ſich unter andern
auch aus einem Schreiben Malvendas. Go lebhaft ar fonft
die Proteftanten bekämpft hat, jo ift ev doch mit ihren Ne
formtendenzen höchlich zufrieden. Er findet, da nun einmal
die Sache fo öffentlich zur Sprache gekommen, fo Eönne
S. Majeftät nun auch den Papft erinnern, ja bei Pflicht
und Ehre und Gewiffen auffordern, die alten Mißbräuche
su heben.
Schon glaubte fich der Legat fo ernftlich gefährdet, daß
er mit einem Schreiben des Kaifers hervortrat, worin die:
fer verfprach, die Oppofition feiner Bifchöfe gesen die päpfi-
liche Gewalt zu verhindern. Doch machte er damit mur
1. 24 Januar. Der Levajfor p. 472.
138 Neuntes Bud. Drittes Capitel.
wenig Eindruck. Vargas meinte, mit diefer Zufage habe man
wohl nur den Papft zur Wiedereröffnung des Concils be
wegen wollen; gewiß beziehe fie fich allein auf die gegründe—
ten und vernünftigen Anfprüche deſſelben; bei der Abfchaf-
fung augenfcheinlicher Mißbräuche könne den Prälaten die
Hand damit nicht gebunden -feyn.
Am römifchen Hofe war man auch dadurch in Schrecken
gejeßst, daß die fpanifchen Prälaten den Augenblick benugen
zu wollen fchienen, um die Collation der Pfarren und Pfrün—
den in Spanien ihm entweder ganz zu entziehen oder doc)
gewaltig zu fehmälern. „Daraus foll nichts werden," ruft
der Papſt aus, „eher wollen wir alles Unglück erwarten,
eher wollen wir die Welt zu Grunde gehn laffen.!" Dazu
Famen nun die Vorträge der Proteftanten, die er als extra
vagant und gottlos bezeichnet. „Unter dem Namen Miß—
brauch foll man ung dag nicht angreifen was Fein Mißbrauch
iſt; man fol unfre Autorität nicht antaften." ?
Bis auf dieſen Punct gediehen die Dinge in rafchem
Fortgang auf dem neueröffneten Concilium.
Der Kaifer war fo weit wie jemals entfernt, dem
Papft darin freie Hand zu laffen. Er trieb ihn vielmehr von
zwei entgegengefeßten Seiten in die Enge. Die alte Oppo-
fition der fpanifchen Prälaten verband fich jet mit den hier
zuerft erfchallenden Forderungen der deutfchen Proteftanten.
Beide fchloffen ſich an den Kaifer an, der zugleich in Beſitz
uralter Anfprüche an eine geiftliche Mitherrfchaft, eine gewal⸗
tige und troß aller politischen Verbindungen für das Papft-
thum furchtbare Stellung einnahm.
1. Giulio II al C! Crescentio 16 Genn. 1552.
2. Pp. Giulio a Monsignor de’ Grassi 20 Febr. 1552.
Die Proteftanten in Trient. 139
Wie er nun aber diefelbe zunächft zu bemugen, wohin
er die Dinge zu leiten gedachte?
E8 kann wohl Feine Frage feyn, daß er nunmehr jene
Reformation an Haupt und Gliedern, deren Nothwendigkeit
ihm ſchon einft fein Lehrer gezeigt, und fein ganzes Leben
ihm weiter Fund gethan, zu Stande zu bringen beabfichtigte.
Es war wie berührt der erfte Gedanfe, mit dem er einft
fein öffentliches Leben begonnen: die Zeit fchien gekommen
denfelben zu verwirklichen.
Minder deutlich erhellt, wie er in Hinficht der dogmati-
fchen Seftfegungen gefinnt war: ob er in Deutfchland den gan—
zen Katholicismug mit den in Trient bereits getroffenen Beftim-
mungen, oder nur die allgemeine Einheit, mit den Modifica-
tionen die fein Interim feftfegte, einführen wollte. Ich follte
dag Leßtere glauben. Er war zu den interimiftifchen Satzun—
gen auch darum gefchritten, weil er von dem Concilium nichts
ertvarfete, was den Proteftanten eine Annäherung möglic)
machte, ohne Belchimpfung; e8 hatte ihn unendliche Mühe
gefofter fie ing Werk zu feßen. Den Vorfchlag den man ihm
an dem legten Neichstage machte, in der Durchführung der:
felben mildere Maaßregeln eintreten zu laffen, hatte er zu:
rückgewieſen, und vielmehr gedroht bei den Einzelnen nach
der Urfache ihrer Säumniß zu forfchen: er hatte Ausdrücke
gebraucht die man faft auf das Vorhaben einer Inquiſition
deutete. Die Nevifion der frühern Decrete, die er offenbar
begünftigte, Eonnte doch, wenn fie überhaupt irgend eine
Wirkung haben follte, nur eben diefe haben, daß einige Ab-
weichungen der Profeftanten geduldet wurden.
Sp wäre denn die Wiederherbeibringung der Abgewiche-
140 Neuntes Buch. Drittes Capitel.
nen, die Neformation der Verfaſſung und die Aufrechterhal-
fung der alten Einheit sugleich durchgefegt worden.
Denn daran ift Fein Zweifel, daß er nun, wenn Die
Befchlüffe einigermaßen in feinem Sinne ausfielen, alles zu
thun entjchloffen war um fie zur Vollsiehung zu bringen.
Und war e8 nicht in der That der Mühe werth? Die
große Genoffenfchaft su behaupten, in der fich die europät-
ſche Melt feit ihrer erften Gründung entwickelt, und doc)
dabei die Mifbräuche zu heben, welche die Alleinherrichaft
der römiſchen Päpſte hervorgebracht hatte, war das nicht
twirflich eine eines großen Fürften würdige Abficht?
Mit der Idee verband fich aber der mächtigfte perfon:
liche Ehrgeiz. Das Kaiferthum wäre wahrhaft erneuert
worden, e8 hätte Wurzel für die Zukunft gefchlagen. Co
dachte er es noch felber zu verwalten und dann feinem
Sohne als einen Befitz feiner Nachkommen zu hinterlaffen.
Keinen Augenblick verließ ihn diefer Gedanke. Mit den
geiftlichen Fürften hat er noch auf ihrer Reife zum Conci-
lium darüber unterhandeln laffen, und wenigſtens Einer von
ihnen, der Churfürſt von Cölln, hatte feine beften Dienſte
verfprochen. Unaufhörlich Ind er Brandenburg und Gadı-
fen ein, ebenfall8 in die Nähe zu Fommen, um die Sache
sum Schluß zu bringen. Man glaubte, er denke fich des
Conciliums felber zu feinem Zwecke zu bedienen. !
1. Lettera dell arcivescovo Sipontino a Pp. Giulio III. In-
form. politt. XXI, f. 252. L’intentione di S M& & di provare
ogni via di ottenere questo suo disegno con buona volontä degli
elettori et altri principi di Germania, se poträ: altrimenti pre-
valersi dell’autoritä del coneilio: e come & stato gia parlato del
modo, questa ombra sarä causa che gli elettori ecclesiastiei per-
Die Proteftanten in Trient. 141
Eine andre Frage freilich ift, ob die Erreichung diefer
Ubfichten wirklich jo ſehr zum Heile der europäifchen Welt
gereicht haben würde, wie der Kaifer meinte, — ob fie ſich
auf dem Standpunct befand, wo die Wiederherftellung des
Kaifertbums mit feinen Eirchlichen Aetributen ihr förderlich
jeyn Fonnte, — ob namentlich Deutfchland ſich Glück dazu
su wünſchen hatte, Satzungen, wie fie dag fridentinifche Con-
cilium faßte, wenn fie auch gemildert worden wären, anneh—
men zu müffen, mit alle feinem befondern nationalen Beſtre—
ben einer allgemeinen Combination zu dienen.
Wir brauchen jedoch diefe Frage nicht zu erörtern. So
nah am Ziele erhoben fich dem Kaifer unerwartete Hinderniffe.
Denn nicht fo Teiche ift die Welt zu überwinden. Se
mehr jemand Ernft machen wird ihr feinen Willen oder
feine Meinung aufzudringen, defto ftärfer werden die freien
Kräfte fich dagegen zum Kampf erheben.
sonalmente si ritroveranno al concilio et li secolari vi mande-
ranno li procuratori. Ancorche non intendano bene il secreto,
pur per una certa ombra che tengono che forse l’imperatore non
tratti di farli privare dell’elettione, o veniranno o manderanno
ad ogni modo. Man fieht daß die Art und Weife feftgefegt war,
die Churfürften das Geheimniß ſelbſt nicht Fannten, aber doch etmas
fürdhteten.
Viertes Capitel.
Elemente des Widerftandes in den großen
Mächten.
Wir haben die Firchlichen Entwürfe des Kaiſers, da:
von fortgezogen, big zu dem Zeitpunck begleitet, wo fie ihrer
Ausführung näher Fommen und fic) zugleich erſt vollftändi-
ger entwickeln: und fehen wohl, welch ein univerfalhiftort-
fches Intereſſe fich daran Enüpft, ob fie ausgeführt werden
oder vielleicht doch noch ſcheitern; um aber die Kräfte die
dabei fördernd oder hindernd auf einander wirkten, und die
ganze Lage der Welt zu überfchauen, müffen wir noch bei
den einzelnen Nichtungen verweilen, in welchen fich diefe fo
gewaltig auffirebende Macht bewegt, und das Verhältniß ber
trachten, in dag fie zu den übrigen Elementen der damali-
gen Welt geräth, die fie bekämpft und die ihr widerftreben.
Unfre deutfche Gefchichte ift nun einmal in dieſem Zeit
alter gleichfam die allgemeine Gefchichte. Da der Schwer:
punct der deutfchen Gefchäfte in dieſem Augenblicke nicht
mehr in der Fürftenverfammlung am Neichstage lag, fon-
dern in dem Kaifer, der aber zu diefem Einfluß hauptſäch—
lich durch den Zufag von Macht gelangt war, welchen er
Seefrieg im Mittelmeer. 143
aus feinen außerdeutfchen Verhältniffen gewann, fo wirkte
jede Veränderung diefer Tetten, oder auch nur ihr Schwan—
Een auf den Gang der deutfchen Angelegenheiten zurück.
Beginnen wir auch dieß Mal mit dem Entfernteften,
dem Seekrieg im Mittelmeer, der jedoch zu der dee des
Kaiſerthums, wie eg Carl V wiederaufzurichten im Gimme
hatte, in unmittelbarfter Beziehung fteht.
Seekrieg im Mittelmeer.
Es war ein Act zugleich der Großmuth und der Po—
litif, daß Carl V dem aus Nhodus verjagten Orden der
Johanniter eine Freiftatt in Malta gab.
Um den Orden nicht länger umherirren zu laffen, fon:
dern ihm wieder einen feften Sig zu verfchaffen, „damit er,“
wie e8 im der Urkunde heißt, „ſeine Kräfte gegen die un—
gläubigen Feinde des chriftlichen Gemeinmwefens gebrauchen
könne,“ überließ ihm Carl zur Zeit feiner Kaiferfrönung, noch
in Bologna, drei nicht unmwichtige Plätze, die zu feinem fici-
lianifchen Königreich gehörten, Malta, Gozzo und ZTripoli
in Africa, zwar als ein Lehen, aber mit folchen Nechten die
einen beinahe unabhängigen Beſitz augmachfen. !
Dem Orden war 8 anfangs nicht angenehm, Daß ihm
auch Tripoli übertragen wurde: er hatte nur um Malta und
1. in perpetuo feudo nobile libero et franco, con mero et
misto imperio, con ragione di proprietä d’utile dominio, tal-
mente che riconoschino il feudo sopradetto da noi come Regi
dell’ulteriore Sicilia et da successori nostri sotto feudo solamente
d’uno sparviero osia falcone. Die Urfunde ift zu Caftelfranco aus-
gefertigt, aber fhon zu Bologna concipirt und genehmigt.
144 Meuntes Buch. Viertes Capitel.
Gozzo gebeten. Der Großmeifter de Lisle Adam ergriff
felöft von den Inſeln nur mit der Hofnung Beſitz, fie bald
wieder zu verlaffen, entweder nach Rhodus zurückzufchren
oder fich im Peloponnes anzufiedeln. Erſt ald Tunis erobert
war, faßten die Nitter das Dertrauen Tripoli behaupten zu
können; 1541 fingen fie an, fich in Malta ernftlich zu ber
feftigen; der Gefchichtichreiber des Ordens bemerkt, daß der
Großmeifter Omedes erft zwei Jahr fpäter, als fich zeigte
daß das Unalück des Kaifers vor Algier doc) nicht jo ver:
derbliche Solgen hatte wie man anfangs gefürchtet, aus fei-
ner bisherigen Niedergefchlagenheit erwachte.! Endlich fah
er ſich wieder von einer glänzenden Nitterfchaft, die zu Krieg
und Berathung zufammengefommen, zuverläßigen Söldnern,
sahlreichen Unterthanen umgeben, und mit Schiffen, Waf—
fen, und worauf es auf diefem unfruchtbaren Felſen bejon-
ders anfam, auch mit Lebensmitteln gut verfehen.
Für den Kaifer beftand der Vortheil der Anfiedelung
darin, daß alle Balleien von Europa beiftenern mußten, um
diefe dem Angriff der Osmanen jet zunächft ausgeſetzten,
swar fir Alle, doch für ihn noch mehr als jeden Andern
wichtigen Grenzplätze zu vertheidigen, eine Pflicht die ihm
fonft allein zugefallen wäre. Sein Verhöltniß als Ober:
lehnsherr und feine natürliche Beziehung zu den vier Zum:
gen, Deutfchland, Aragon, Caftilien und Stalien (wie denn
von den deutſchen und den fpanifchen Mitgliedern das erfte
1. Boſio Istoria della sacra religione et illma militia di S
Giovanni Gierusolimitano II, 225. gl. 221: larmata di mare
(de3 Kaiſers) restava in maniera reslaurata, chel danno patito
sot!o Algieri appena si sentiva.
Seefrieg im Mittelmeer. 145
Geſuch an ihn ausgegangen war) verfchaffte ihm einen grö-
gern Einfluß auf den Orden als je ein Kaifer gehabt.
Seit dem Sabre 1541 waren nun die Corfaren noch
befchtwerlicher getworden, als fie früher gewefen. Mit ihren
Eleinen gefchtwinden Fahrzeugen — wir finden wohl, daß fie
erbeutete Galeeren zerfchlagen, um ſich Galeoffen und Fir
ften daraus zu zimmern, — bald einzeln, bald in ganzen
Gefchwadern, durchftreifen fie alle diefe Gewäſſer: Fein Schiff
ift vor ihnen ficher, das ſich aus dem atlantifchen Ocean
durch die Meerenge wagt, oder auch nur das swifchen Malta
und GSicilien fegelt, — Fein. Dorf an den weiten Kiüften
gebieten des inneren Meeres, fo daß die Landleute fich ge
wöhnen müffen gute Wacht zu halten, die Nächte in na
ben Eaftellen zuzubringen: — wie oft hat man in Procida
Diejenigen wieder losgekauft die an der nenpolitanifchen
Küſte, etwa in Eaftellamare zu Gefangenen gemacht worden
waren. Der Kaifer ſah ſich genöthigt feine Galeeren in
mehrere Gefchwader zu theilen, um die Commumication zwi⸗
fchen feinen Ländern nur einigermaßen zu behaupten. Da
Famen ihm nun Die Galeeren des Ordens, als deren Ca
pitän wir im Jahr 1542 einen Deutfchen finden, Georg
Schilling, trefflich zu Statten. Die Ordenschronif fchildert
ihr mannichfaltiges Zufammentreffen mit den Seeräubern:
wie diefe fich faft immer mit verzweifelter Tapferkeit fchla-
gen, namentlich die Nenegaten unter ihnen, die freilich den
gewiſſen Tod vorausfehen, wenn man fich ihrer bemäch-
tigte; wie aber auch die Nitter das weiße Ordenskreuz big
in die entfernteften Buchten furchtbar machen und meiften-
theils die Oberhand behalten: die Ehriftenfelaven die an den
Ranke D. Geſch. V. 10
146 Neuntes Buch. Viertes Capitet.
Rudern ſeufzen, werden befreit; die jungen Türken die bis—
her die Herrn waren, an die Ruder geſchmiedet; von dem
Kauffahrteiſchiff flieht wohl zuweilen die türkiſche Beman—
nung an das nahe Land: dann empfangen die Neger auf
dem Verdeck tanzend und fingend den eindringenden Sieger,
der jedoch die Sclaverei als ihren natürlichen Zuftand an-
fieht und, vielleicht bedauernd, ihn beibehält. !
Don dem größten Nutzen für den Kaifer war ferner
die Behauptung von ZTripoli, befonders des dortigen Ha
fens, welcher als der befte von allen, 200 Miglien weit
nach Often und 200 Miglien nach Weften hin, angefehen
ward. In ſehr gefährlicher Nähe, zu Tanjura, faßte ein
alter Kiaja Chairedding, der Nenegat Morat Aga, Fuß, der
mit einer osmanischen Kriegscolonie die er herbeiführte und
mit den Eingebornen auf die er Einfluß gewann, den fchlech:
befeftigten Ort auf das ernftlichfte bedrohte. La Valette, der
fich fpäter in Malta unfterblich gemacht hat, legte die erfte
Probe feiner Fähigkeit durch die Einrichtungen ab, die er zur
Vertheidigung von Zripoli traf. Den Nittern war der Land:
Erieg ohnehin faft lieber al8 der Seefrieg. Befonders wirkſam
zeigten fich die Hafenfchügen zu Pferd, nachdem man einmal
die Thiere fo gut eingeübt hatte, daß man die Hände für den
Gebrauch der Büchſe frei behielt. Wir erftaunen, wenn mir
bemerken, in welchem Sinne diefer Krieg noch geführt ward.
Es ift wohl einmal der Vorfchlag gefchehen, und Anftalt zu
feiner Ausführung gemacht worden, über den Vorzug der
1. Vix contingit Rhodias vel deprimi vel capi, tanta est
militum illius ordinis virtus et militaris exercitatio. Calvetus
Stella de Aphrodisio expugnato. Schard. II, 372.
-
Seefrieg im Mittelmeer. 147
einen Neligion vor der andern, des Fatholifchen Chriften:
thums oder de8 Islam, durch einen Kampf von Zwölf ge:
gen Zwölf enticheiden zu laffen: ein fonderbares Gegenftück
zu den Neligionsgefprächen in Deutfchland. Die Nitter be-
hielten fürs Erfte auch bier in den Waffen die Oberhand.
E8 gelang ihnen, einzelne Eingeborne, Scheiche großer Dör-
fer zwifchen Tripoli und Tanjura für fich zu gewinnen, An—
hänger Morats dagegen, die in ihre Gewalt fielen, zu dem
Schwur auf den Koran zu nöthigen, daß fie in Zukunft die
Waffen nicht gegen den Orden tragen wollen. Allmählig
gefielen fie fich in dem reichen und anmuthigen Lande. Im
J. 1548 hat das Generalcapitel des Ordens den Beſchluß
gefaßt, feinen Hauptfiß in Zukunft in Tripoli aufsufchlagen,
nur mit der Beftimmung, daß dieß nach und nach, die er:
ften Jahre verſuchsweiſe gefchehen folle. !
Unter den Eorfaren jener Zeit war nun Fein Andrer fo
geichwind, glücklich und furchtbar, wie Thorgud Thorgudſcha—
beg, den die Abendländer Dragut nennen, der wahre Nach:
folger Chairedding, der einft wie diefer an eine genuefifche
Galeere geſchmiedet gemwefen, aber durch ein Gefchenf, zur
rechten Zeit der alten Fürftin Doria dargebracht, wieder frei
geworden war, und feitdem alle die berufenften Seeräuber,
Gaſi Muftafa, Uludſch, Karafafo und Andere als ihr natürli-
ches Oberhaupt um fich verfammelt hatte. Wir erinnern ung,
wie ſich Carl V nach jenem feinem tunififchen Unternehmen
1. che per quel primo anno si mandassero in Tripoli oltre
lV’ordinario presidio 50 cavalieri, e che cosi d’anno in anno con-
seguentemente s’andasse crescendo fin tanto che la religione tutta
in quel loco trasportata si trovasse. Bei Boſio I, 256.
10 *
148 Neuntes Buch. Piertes Capitel.
der Stadt Afrifija oder Mehdia zu bemächtigen dachte, wo
Anden und Mauren, welche aus Spanien und Porfugal
verjagt worden, fich eine Art von Republik gegründet haften.
Dieſes Platzes bemächkigte ſich Dragut mit einer glücklichen
von DVerrätherei unterſtützten Verfchlagenheit, und fuchte nun
von hier aus, je nachdem die Loofe des Alfaqui, den er befrage,
gefallen, bald die Küften von Valencia auf, wo er Fremde
unfer den Morigken hatte, bald die genueſiſche Riviera,
um fich den Doria twieder einmal bemerflich zu machen;
oder Gozzo, das er befonders gehaßt haben fol, weil ihm
dort ein Bruder gefallen und deffen Leiche nicht herausgege
ben worden: oder wohin dag unglücfliche Geſtirn eines Fand-
ftriches ihn führte. Dem GSeeraub hielt er für fein gufes
Necht: er hat wohl den Nittern ihre Graufamfeit gegen die
„armen Corfaren” zum Vorwurf gemacht. Zumeilen hatte
er 40 Segel in See. Don den Schlöffern wo man ihn
wahrnahm, ließ man Nauchfäulen zum Warnungszeichen auf
fteigen; doch gab es felten eine Vorficht, die nicht feiner
Hinterliſt hätte unterliegen müffen. Im Frühjahr 1550 ver—
einigten fich nun die ſpaniſch-italieniſchen Gefchwader des
Kaifers mit den Galeeren des Papſtes, des Herzog Cofimo
von Florenz und des Ordens zu einem ernftlichen Unterneh:
men gegen Dragut. Er felbft aber, durch das Beifpiel
Chairedding gewitzigt, war längft wieder in See, ehe die
Chriften ankamen, und diefen blieb nichts übrig als ihm
feine Stadt zu entreißen. Die drei Oberhäupter der Flotte,
der Vicefönig Vega von Sicilien, Don Garcia de Toledo
und Andrea Doria, entfchloffen fich endlich dazu, obwohl fie
zur Belagerung nur eine verhältnifmäßig geringe Mann-
Seefrieg im Mittelmeer. 149
fchaft zu verwenden hatten. Was ihnen Muth machte
war, daß die benachbarten Maurenfürften ihnen verſpra—
chen das chriftliche Heer mit ihrer Neiterei zu unterſtützen
und ihre Treue durch Geifeln gemwährleifteten. Die Tür:
Een vertheidigten die Stadt fo gut, wie jemals eine ihrer
Galeeren; dieß Mal aber waren ihnen die Chriſten überle:
gen. Mit Tapferkeit und altem Glaubengeifer — wie denn
der Beichtvater des Don Garcia wohl ein Erucifir auf eine
Pike gefteckt hat, um die Leute zu entflammen — verbanden
fie eine größere, gleichfam gelehrte GefchieflichFeit: die Erin—
nerung an eine Stelle des Appian foll es geweſen feyn,
was denfeiben Don Garcia auf den Gedanken brachte, auf
ein paar mit ſtarken Ankern unbeweglich befeftigten Galee—
ven eine Batterie zu errichten, welche die Mauern an der
Seefeite zertrümmerte und die Eroberung entfchied ! (LO Sept.
1550). Die Sohanniter nahmen an derfelben nicht allein
mit gewohnter Tapferkeit Theil, — unter den Gefallenen fin:
den wir auch ein paar deutfche Namen — fondern fie üb:
ten auch noch andere Pflichten aus, die ihre Negel ihnen
auflegt. Unter dem Zelte des Spittlers fanden die Verwun—
deten Pflege und die fremden Ankömmlinge Beköftigung.
Diefe Eroberung fehien aber von um fo größerer Bedeu-
tung, da einige mächtige Maurenfürften, wie Sfidi Arif von
Cairwan und jetzt auch der Nachfolger des Mulei Haffan in
Tunis, der fich früher eher feindlich bezeigt, mit dem Kaifer
in Bund fraten. Der Gedanke tauchte auf, Earl V werde
fich noch mit dem Priefter Johann, der doch hier Fein an—
1. Nach Sandoval I, 671 führten fie auch „dos morteretes
srandes, que el emperador avia embiado de Alemania.“
150 Neuntes Buch. PViertes Capitel.
drer feyn könnte al der Beherrſcher von Abyffinien, verbün⸗
den und die Osmanen in Ägypten und Syrien heimfuchen.
Um aber ein folches Ziel, wir fagen nicht, zu erreichen,
fondern nur ernftlich ing Auge zu faffen, hätte der Kaifer
vom Drange der innern Gefchäfte weniger eingenommen und
im Stande feyn müffen, die volle Gewalt feiner Streitkräfte
nach dem Orient hinzumenden.
Wie feine Angelegenheiten wirklich befchaffen waren,
ließ fich zweifeln, ob die Eroberung der Küftenftadt ihm nicht
eher ſchädlich ſeyn werde als vortheilhaft.
Der eigentlichen Macht Draguts, die_in feinen Galee—
ren beftand, hatte man doch EFeinen Abbruch, gethan. Go
weit zeigte fic) das Glück dem Andrea Doria noch einmal
günftig, daß er Dragut mit ſeinen Fahrzeugen in dem Golfe
von Dſcherbe einſchloß, der nach der andern Seite hin von
Untiefen und Sandbänken umgrenzt iſt, über welche damals
ſogar ein Weg nach dem Continent führte, den man trocknen
Fußes beſchritt.“ Aber Dragut, dieſer Küſtengewäſſer trefflich
kundig, fand doch einen Ausweg, den er ſich freilich zum
Theil erſt bahnte — dem Arme ſeiner Matroſen kam die Fluth
zu Hülfe — : plötzlich erſchien er wieder bei Sicilien; Andrea
Doria, der ihn noch bei Dſcherbe eingeſchloſſen zu halten
glaubte, mußte von Malta aus benachrichtigt werden daß
der Seeräuber, den er bereits als ſeinen Gefangenen betrach—
tete, ihm abermals entkommen war: ſchon hatte Dragut wie:
1. Boſio: mare tutto pieno di seccagne e di bassi fondi - -
potendosi nondimeno passare in terra ferma con piedi aseiutti
da huomini da cavalli e dagli armenti per mezzo d’un assai an-
gusto sentiero. (11, 284.) La Cantera, oder Alcantarat, die Brürfe.
Seefrieg im Mittelmeer. 151
der Die vornehmfte ficilianifche Galeere erbeutet, und erfüllte
die Küften mit dem Schrecken feiner Nähe.
Noch bei weitem wichtiger aber war es, daß hiedurch
der Stillſtand zweifelhaft wurde, auf dem die ganze Poli
tif des Kaifers beruhte. Carl V enfgegnete zwar auf Die
Befchwerden Suleimang, bei großen Fürften ſey es nicht
herfömmlich, Seeräuber in ihre Tractate zu begreifen. Aber
lag e8 nicht am Tage daß es eben dieſe Seeräuber waren,
welche hier fir den Sultan kämpften? Am Feinen Preis
wollte fich Suleiman den Verluft einer Stadt gefallen laſſen,
die bereitd von den Osmanen in Befiß genommen war und
feine Oberhoheit anerfannte. Im Juli 1551 erfchien eine
große Flotte unter dem jungen Sinan, Eidam des Wefir Nu-
ſtan, dem Dragut zur Seite ftand, in den ficilianifchen Gewäf-
fern. Zuerft ließ Sinan die beiden Vicefönige von Neapel
und Sicilien wiffen, er Fomme um Mehdia zurückzufordern;
da er hierauf eine ausmweichende Antwort enpfieng, fo ſtürzte
er fih, man möchte fagen, nicht ohne eine gewiſſe Folge:
richtigfeit, auf die Befisungen der Johanniter, welche zu
dem Kaifer in einem ähnlichen Verhältniß fanden wie die
der Seeräuber zu dem Sultan. Malta indeß, das er zuerft
angriff, war ihm doch ſchon zu feft, und die Stadt zu tief
im Lande, als daß er dort lange hätte verweilen Fünnen;
bei weitem weniger Widerftand konnte er in Tripoli fin
den. Die Kräfte der Nitter waren getheilt, Tripoli in dem
Schrecken des unerwarteten Anfalls mit Befehlshabern von
zweifelhaften Verdienſt und fehr untauglichen, frifch zuſam—
mengerafften Söldnern befeßt. Hülfe war auch deshalb nicht
zu erwarten, weil Andrea Doria fich befchäftigen mußte den
152 Neuntes Buch. Biertes Capitel.
Sohn des Kaifers aus Stalin nach Spanien und den Nef—
fen deffelben aus Spanien nach Stalien zu führen, was fir
jene Succeffionsentwürfe nöthig fchien. Unter diefen Um—
ftänden entfchloffen fich die Nitter — und e8 bedurfte Dazu
mohl nicht erft, wie man argwöhnte, einer von dem fran:
zöfifchen Gefandten Aramont angeſponnenen Verrätherei ! —
sur Überlieferung diefes Platzes an Sinan, welche am LAten
Auguft 1551 erfolgte. So raſch giengen die Hofnungen
welche der Orden an dieſen Ort geknüpft, in Nauch auf; der
alte Feind deffelben, Morat Aga, erfchien als Sandfchafbey
in Zripoli, wo fich nun dag Seeräuberhandwerk wie in Algier
unüberwindlich organifirfe. Für den Orden war dag Um
glück vielleicht nicht fo groß: er konnte nun feine ganze
Macht auf einen einzigen Punct concentriven, wie er auch
gethan hatz dem Kaifer aber war der Verluſt des trefflichen
Platzes, den er nicht einmal erobert, fondern ererbt, höchſt
empfindlich: dag maritime Übergewicht des mächtigen Fein
de8, den er als den allgemeinen betrachtete, ftellte fich alle
Tag entfchiedener heraus.
Erneuerung des Kriegs in Ungarn.
Ähnlich war der Gang der Dinge in Ungarn. Aug
einem Unternehmen das eine große Erwerbung verhieß, ent
1. Nur möchte ih ihn nicht mit Flaffan aus dem Zeugniß des
Großmeifterd Omedes rechtfertigen, das freilich in der Überfeßung, wo
es heißt: nous attestons que les bruits repandus sont sans fon-
dement, fehr pofitiv Iautet, aber nicht im Original, bei Nibier I,
303: quelli che hanno sparso quello rumore, non ci pare, lab-
biano fatto con ragione. Man hegte in Malta allerdings einigen
Verdacht; eine Erwägung der einzelnen Ereigniffe aber, wie fie Bofto
fehr ausführlih und glaubwürdig mittheilt, läßt ihn nicht auffommen.
Erneuerung des Kriegs in Ungarn. 153
wickelte fich eine Verfeindung mit den Osmanen, welche auch
den bisher noch geretteten Befi gefährdete.
Wie den König-Woityoden Johann Zapolya, fo be
frachtete der Sultan auch den jungen Sohn deffelben, den er
von Dfen nach Siebenbürgen verwiefen, als feinen Vaſallen.
Dagegen konnte Ferdinand die Verträge, kraft deren
das ganze Gebiet Zapolyas an ihn hatte übergehn follen,
noch nicht vergeffen, und wir finden ihn von Zeit gu Zeit
mit dem fiebenbürgifchen Hofe über die Auslieferung diefes
Landes unterhandeln.
Da geſchah nun daß dort im Lande felbft ein Zwie—
fpalt ausbrach.
Wir Fennen Georg Martinuzzi, Frater György, wie ihn
die ungrifchen Chroniken nennen, deſſen geheimnißvoller und
weltfluger TIhätigfeit der König-Woiwode fein Beſtehn gro:
ßentheils verdanfte: Ferdinand foll geſagt haben, er beneide
diefen feinen Nebenbuhler um nichts als um einen folchen
Diener. In Siebenbürgen hatte Martinussi jet als Vor:
mund des jungen Fiürften und Gubernator die Zügel der
Macht in feinen Händen. Man fah ihn in feinem rothen
mit 8 Pferden befpannten Wagen, von ein paar hundert
Hufaren und Haiducken begleitet durch dag Land fahren und
überall gleichfam aus eigner Macht feine Befehle ertheilen.
Die Kutte, die er noch immer frug, wie lang es auch her
feyn mochte daß er fich um die Klofterregel nicht mehr ge:
Fümmert, warf er in plöglichen Kriegggefahren auch von fich
und ward im Wappenrock und weithinwallenden Helmbufch
mitten unter den Streitenden gefehen. Er beherrfchte den
Schag und dadurch die bewaffnete Macht, dag ift dag Land
überhaupt.
154 Meuntes Buch. Viertes Capitel.
‚Nun Eonnte e8 ihm aber bei der Eigenmächtigfeit die-
fer Stellung nicht an Gegnern fehlen. Einen gefährlichen
Nebenbuhler hatte er in feinem Mitvormund Petrovich, der
bei Hofe und im Lande größeres moralifches Zutrauen ge
noß. Zumeilen vegte fich wohl der Gedanke, den Mönch
wenigſtens durch ein aus der Mitte der mächtigen Landherrn
zu befeßendes Nathscollegium zu beſchränken.“ Befonders
fühlte fich die Königin Iſabella darüber unglücklich, daß fie
fo gar nichts vermöge, ſich fo ganz in der Gewalt eineg
Menſchen befinde, den feine Geburt zu dem niedrigen Dienfte,
aber zu Feiner Herrſchaft beftimme habe; mehr als einmal
wollte fie das Land verlaffen: endlich entfchloß fie fich ihren
Schutzherrn, den Sultan, anzurufen, deffen Majeftät in dem
Kinde, welchem er Siebenbürgen überlaffen, verlegt werde. ?
Ohnehin war Suleiman Fein Freund diefes Mannes, an
welchen doch die Gelbftändigfeit des Landes fich knüpfte.
Der Pafcha von Ofen machte einen Verfuch, mit bewaffne-
ter Macht in Siebenbürgen einzudringen, ward aber von
Martinuzzi zurückgewieſen; einige andre Einwirkungen der
Türfen ließen dem Mönch Feinen Zweifel übrig, daß in Con—
ftantinopel fein Untergang befchloffen fey. °
Dadurch) ward aber auch er feinerfeits bewogen, ſich
an den andern Nachbar, König Ferdinand, zu wenden, und
1. Das verfichert wenigſtens Verantius beabfichtigt zu haben:
ut quilibet optimatum dignitate et officio aliquo insigniretur, ex
eisque conflaretur consilium quo interregnum moderaretur. Dei
Katona XXI, 1071.
2. Bei Katona XXI, 793.
3. So verfihert Ferdinand in einer amtlihen Denffhrift au
den Papſt bei Bucholß IX, p. 590. Man fieht daraus, daß die erſten
Gröffnungen im Jahr 1549 gemacht feyn müffen.
Erneuerung des Kriegs in Ungarn. 155
ihm die Ausführung des alten Tractates, die Überlieferung
Siebenbürgens und der heiligen Krone anzubieten.
Am Hofe des Königs trug man anfangs Bedenken
hierauf einzugehn: Johann Hofmann, den wir kennen, foll
e8 widerrathen haben; aber die Gelegenheit war zu lockend
um fie nicht zu ergreifen: dieß Mal, glaubte man, Fönne
der Mönch fich nicht wieder mit den Osmanen verfländigen.
Es wäre hier nicht am Ort, die oft doppelfinnigen
Verhandlungen die hierüber gepflogen wurden, im Einzelnen
zu begleiten: genug, nach einiger Zeit führten fie zum Ziele.
Sm Sahr 1551 ergab fich die Königin in ihr Geſchick und
vertaufchte die Herrſchaft in Siebenbürgen mit einigen fehle
fifchen Befigungen. Hierauf leifteten die Stände zu Clau—
fenburg die Huldigung an König ‚Ferdinand und überliefer—
ten die heilige Krone dem Befehlshaber deffelben.
Martinuzzi fchien hiedurch nur noch mächtiger zu wer:
den: er ward von Ferdinand als Schaßmeifter und MWoi-
mode des Landes und zwar ohne Eollegen anerkannt und
zum Cardinal erhoben: da ihm fo viel gelungen, fragte man
in diefen Ländern wohl, ob er nicht noch Papft werden Fönne.
Ganz ein andres Schichfal aber ftand ihm bevor. Un:
verweilt nemlich, noch im September 1551, erfchienen die
Zürken unter einem ihrer nahmbhafteften Anführer, Mehemet
Sofolli, 60000 M. ſtark, von Salanfemen her über der Do:
nau, eroberten eine ganze Anzahl von Schlöffern die vor ihnen
lagen, und durchzogen plündernd die von dem bisherigen Kriege
noch minder berührten Ebenen de8 Banates. Zwar wurde
nun die blutige Lanze und das blutige Schwert durch alle fie-
benbürgifchen Ortſchaften gefchickt; Die ferdinandeifchen Trup-
156 Neuntes Buch. Viertes Eapitel.
pen kamen herbei, und mehrere von diefen Schlöffern wur—
den twiedererobert, felbft das einft noch von Georg von
Brandenburg befefiigte Lippa; allein einmal fehlte viel daß
man den Türken alle ihre Eroberungen wieder entriffen häfte,
fodann entfpann fich eben aus diefem zweifelhaften Erfolg
eine Verſtimmung zwifchen. Martinuzzi und dem ihm zur
Seite fiehenden öftreichifchen Befehlshaber, die fofort zu ei
ner gräßlichen Kataftrophe führte.
Martinuzzi ließ ſich wohl vernehmen, er hätte geglaubt
die Deutfchen würden flärfer feyn als er fie gefunden: und
obwohl aus den vorliegenden Actenſtücken Fein Beweis da-
fir hervorgeht, fo ift e8 doch nicht ohne WahrfcheinlichFeit,
daß er daran gedacht hat, wie er fich auch ohne Ferdinand
in Siebenbürgen behaupten Fönne. !
Dagegen fchöpften die Föniglichen Befehlshaber den
Verdacht, als unterftüge er fie abfichtlich mar fchlecht und
denke auf ihr Verderben, um ſich dann unter türfifchem
Schuß zum Alleinherrn Siebenbürgens zu machen.
Bei Ferdinand trafen ihre Meldungen mit beinahe gleich:
lautenden Nachrichten aus Conftantinopel zufammen. Go
wichtig ſchien ihm der Beſitz von Siebenbürgen, fo drin-
gend die Gefahr das Faum Gewonnene zu verlieren, und
von fo gewaltfamen Entfchlüffen und Handlungen erfüllt
waren noch die Zeiten, daß er e8 über ſich gewann, der
1. Die beiden Schreiben des Mohammed Sofolli, abgedruckt
bei Hammer III, 723, beweifen doch nichts als daß Br. Georg über
die Herausgabe der noch nicht wiedereroberten ftebenbürgifchen Schlöf:
fer mit Mehemet in Unterhandlung fand. Br. Georg hatte fie ſelbſt
eingefchickt.
Erneuerung des Kriegs in Ungarn. 157
Beurtheilung feiner Befehlshaber zu überlaffen, ob ein Mann
leben oder fterben folle, deffen Schuld ihm felber zweifelhaft
war. Gaftaldo und feine Freunde, von perfönlichem Haß,
der Beforgniß am Ende felber verratben zu werden, und der
Begierde erfüllt, fich der Schäße des Mönches zu bemächtt-
gen, von denen man Unglaubliches meldete, trugen Fein Be
denfen augenblicklich zur That zu fehreiten. In dem eignen
Schloſſe des Mönches, der doch dabei wenig Vorficht zeigte,
Alvinz, fanden fie Gelegenheit an ihn zu Fommen. Mar:
tinuzzi ward in dem Augenblicke daß er fich anfchickte einen
ihm überbrachten Brief zu Tefen, wie dort in Neuburg Jo—
hann Diaz, von den Überbringern ermordet. Seine Schäße
fand man weit geringer als man gemeint.
Und nun laßt fich denken, daß auch dem König aus
diefen Dingen Fein Heil erwuchs. Der Tod des Manneg,
der alles zufammengehalten, mußte nothivendig alles auflö-
fen. In Kurzem finden wir den öftreichifchen Befehlshaber
Eaftaldo zugleich mit einem Aufſtand der Szefler, den Ein-
fällen der Walachen und einem neuen türkiſchen Heere in
ungleichem Kampfe.
Die Hauptfache war auch bier, daß biedurch der Still—
fiand gebrochen war, den man mit fo vieler Mühe zu Stande
gebracht hatte. Sch finde die Nachricht (wiewohl nicht mit
voller Sicherheit), die Unternehmungen auf Mehdia und auf
1. Nach Ferdinands Inftruction für feine Gefandten an den
Papſt bei Bucholtz IX, 600 war feine Weifung an Gaftaldo: ut
fortiter dissimularet, quatenus monachum - - differre sentiret: si
tamen intelligeret rem aliter transigi non posse -- tunc potius
ipse eum praeveniret et tolleret e medio, guam quod primum
ictum expectando, ab ipso preveniretur.
158 Meuntes Buch. Viertes Capitel.
Siebenbürgen feyen von dem beiden öftreichiichen Brüdern zu—
glei) in Erwägung gezogen worden: man habe ſehr wohl
geſehen, daß die Erneuerung des osmaniſchen Krieges die
unausbleibliche Folge davon ſeyn würde, aber es darauf
gewagt, um der großen Vortheile willen die man erwartete.
Die Vortheile waren nicht gewonnen; die Nachtheile traten
in vollem Maaße ein: zu beiden Seiten erhob ſich ein für
die beiderſeitigen Länder höchſt gefährlicher Krieg, der alle
Aufmerkſamkeit und Kraftentwickelung in Anſpruch nahm.
Und wenden wir nun unſer Augenmerk von dem Oſten
nach dem Weſten, wo die Thätigkeit des Kaiſers von ſei—
nen Beziehungen zu England und Frankreich und dem ge—
genſeitigen Verhältniß dieſer beiden Reiche bedingt wurde,
ſo waren auch hier die größten Veränderungen eingetreten,
oder bahnten ſich doch in dieſem Augenblicke an.
Bleiben wir zunächſt bei dem Gange der Dinge in
England ſtehn, der zugleich die kirchliche Seite der kaiſerli—
chen Unternehmungen nahe berührt.
Fortgang der Reformation in England.
Wenn ſich der Kaiſer und König Heinrich VIII nach
langem Hader wieder verbündeten, ſo konnte das, ſo viel
dringende Antriebe dafür vorhanden waren, bei der Sin—
nesweiſe jener Zeit doch nicht wohl geſchehen, ohne daß
auch in ihren kirchlichen Tendenzen wieder eine gewiſſe Ana-
logie eintrat.
Nachdem Heinrich) VIII mit feinem Clerus und feinem
Parlament fich einige Jahre daher in einer Nichtung bewegt,
die dem deutfchen Proteſtantismus entfprach, vereinigten fich
Reformation in England. 159
diefe drei Gewalten im 3. 1539 zu dem Gefeß der feche
Artikel, durch welches Priefterehe und Laienkelch verworfen,
dag Dogma der DBrotverwandlung dagegen, die herkömm—
liche Feier der Meffen und die Ohrenbeichte bei firenger Ahn-
dung eingefchärft wurde.
Fragen mir, was ihn dazu bewog, fo werden wir wohl
nicht irren, wenn wir dieß Gefes zu den Maafregeln der
Vertheidigung rechnen, welche er damals gegen die Verbin:
dung des Wapftes mit dem Kaiſer und dem König von
Frankreich ergriff. Bei der erften Nachricht von diefer Ver:
bindung waren ale heimlichen Anhänger des Papftes in Be—
wegung gerathenz der franzöfifche Geſandte meint, e8 gehöre
nichts weiter, als das Interdict und etwa ein Firchliches Han—
delsverbot dazu, um den offenen Aufruhr in England zu ent:
zünden.“ Der König glaubte das von ihm ergriffene Spftem
nur dadurch behaupten zu Fünnen, wenn er feine römifch-Fa-
tholifchen Unterthanen, die noch die Mehrzahl ausmachten,
in Hinficht der wichtigften Lehrpunete beruhigte. Eine Auf
faffung die fich beinahe aufdringt, wenn man dag Tagebuch
von Hollinfhed Lieft, wo die Friegerifchen Vorkehrungen die
Heinrich VIII traf, — Befeftigung der Häfen, Befichtigung
aller Landungspläge, Mufterung der Kriegsmannfchaften, —
und die Verkündigung diefer Artikel in Einer Reihe genannt
werden. ?
1. Castillon 2 Febr. 1538. II luy semble (dem Gef.) que
qui pourroit trouver moyen que le pape envoyast interdits et
excommuniements par les terres et pays qui luy portent obeis-
sance, et meme les marins, que nul marchand negociast ou pra-
tiquast en fagon queleonque avec les Anglais, que sans autre
despence le peuple d’Angleterre s’esmouveroit et contraindroit
le roi à retourner à leglise. Y
2. Hollinshed Chronicles III, 808.
160 Neuntes Bud. Viertes Capitel.
Wenn Heinrich VIII dabei fürs Erſte mit den Prote—
fianten doch noch in Verbindung blieb und jene Ehe mit
Anna von Eleve ſchloß, fo gefchah das aus dem verwand-
ten Grunde, weil ihm nichts erwinfchter und müßlicher war
als der Widerftand derfelben gegen den Kaifer. Sobald fie
diefen aufgaben, ward Anna verftoßen, jede engere Verbin-
dung abgebrochen, der bisherige Führer der religiöfen Neue:
rung, Cromwell, feinen Feinden Preis gegeben.
Seitdem erft begann man die Artikel mit der Strenge
zu handhaben, die ihnen den Namen der blutigen verfchafft
hat. Die Papiften wurden mit dem Schwert hingerichtet,
die Gegner der Transfubftantiation erlitten den Tod im Feuer:
beides im Namen des Geſetzes.
Dann konnte ſich der König auch wieder der Politik
des Kaifers nähern, mit deffen zugleich antipäpftlicher und
dogmatifch-Fatholifcher Haltung die feine eine bei weitem
nähere Verwandtſchaft hatte als mit dem Geifte des Prote-
ſtantismus.
Nur ganz in ſeinen letzten Tagen ſchien es ihm gut,
eine Veränderung wenn nicht eintreten zu laſſen, doch vor—
zubereiten.
Es wurden ihm Anzeigen gemacht, — er hat die be—
ſonders anzüglichen Stellen darin noch mit zitternder Hand
unterſtrichen! — nad) welchen es ihm ſchien, als ob dag
Haus Howard, das an der Spitze der katholiſchen Partei
ſtand, wohl feinem Sohne gefährlich werden könne. Gerade
su der Zeit, in welcher er die Howards einferferte oder hin-
richten ließ, mußte es num feyn, daß er Diejenigen Männer
1. Statepapers I, 891.
Neformation in England. 161
fchließlich ernannte welche während der Minderjährigfeit fei-
nes Sohnes die Negierung führen follten. Aus dem Ber:
zeichniß Derfelben filgte er mit eigner Hand den Namen
Gardiners, der bisher die Fatholifchen Lehrfäge nicht ohne
Geift und mit bemerfenswerther Feſtigkeit vertheidigt hatte;
den Namen Cranmers dagegen, des vornehmften geiftlichen
Werkzeugs der Neformation, fand man unfer den vom Kö—
nig ernannten Executoren des Teftaments obenan ftehn.
Und fo bildete fich unmittelbar nach Heinrichs Tode eine
Regierung, in der die profeftantifchen Hinneigungen vorwal-
teten. Ein Mann der fie mit Entfchiedenheit hegte, Edward
Seymour, jest zum Herzog von Sommerſet erhoben, trat
unter dem Titel eines Protectors als ihr Oberhaupt auf:
feine Miterecutoren ließen fich gefallen als feine Näthe zu
erſcheinen; gab es noch fremdartige Elemente unter ihnen,
fo wurden fie ohne Mühe ausgeftoßen.
Mag nun die Gefinnung König Heinrichs geweſen feyn
welche fie will, aller Graufamfeit feiner Edicte zum Troß,
durch das Ganze feiner Thätigkeit hat er die Fortſchritte der
religiöfen Neuerung mächtig befördert. Er hat die Summe
der geiftlichen Gewalt mit der Füniglichen verbunden. Diefe
neu begründete kirchlich-weltliche Macht hat er dann einer
Bereinigung von Männern hinterlaffen, in welcher das pro-
teftantifche Prinzip auf der Stelle die Oberhand befam.
Auch in dem Bisthum hatte unter Cranmers flillem
Einfluß die proteftantifche Anficht Eroberungen gemacht: der
weite Ersbifchof des Reiches, mehrere andere Bifchöfe neig-
ten fich ihr zu.
Es bedurfte nichts weiter als der natürlichen Entwicke—
Ranfe D. Geh. V. 11
162 Neuntes Buch. Viertes Capitel.
ung der innerhalb der conftituirten Gewalt auf diefe Weiſe
fchon gefchehenen Veränderung, um den neuen Meinungen
freien Nam zu machen. Man brauchte von dem durch
Heinrich VIII gebahnten ABege der GefeglichFeit nicht abzuwei⸗
chen und konnte doc) zu ganz andern Nefultaten gelangen.
Wie hätte die neue Negierung auch zum Beifpiel an
der Strenge fefihalten können, mit welcher Heinrich VII
feine Gebote hatte handhaben Iaffen. |
Fest erfchienen fliegende Blätter und Neime, Hefte,
Bücher gegen das bisherige Spftem; die Faſten wurden ge
brochen, Bilder umgeriffen. Niemand machte Miene fich
darum su befiimmern.
Vielmehr ward, ohne langen Verzug, eine neue Bifita-
tion vorgenommen um die Mißbräuche der Geiftlichen aus:
zurotten; fie Fnüpfte ausdrücklich an diejenigen Artikel an,
welche unter Cromwell bekannt gemacht worden.
Um das Volk zu unterweifen, verfaßte der Erzbifchof
Cranmer in deutfcher Weile eine Anzahl von Homilien, die
fich befonders in dem Artikel von der Juftification von dem
herkömmlichen Spftem entfernten.
Und hierauf nun verfammelte fich dag Parlament, Nov.
1547, unter dem Eindruck welchen die Veränderung der
Regierung überhaupt und befonders eine Unternehmung ge
gen Schottland gemacht, die fehr glücklich gegangen mar;
e8 fheilte vollfommen die Gefinnung der Negierung.
Vor allem wurden die fechs Artikel abgefchafft. Cran-
mer brauchte wohl nicht, wie man gefagt hat, erft darauf
aufmerffam gemacht zu werden, daß ohne dieß Fein weiterer
legaler Schritt möglich) war. Das Parlament ergriff aber auch
Neformation in England. 163
eine pofitive Maafregel: e8 ordnete die Communion unter bei-
derlei Geftalt an. Man follte glauben, daß die Überzeugung
von der Nechtmäßigfeit diefer Abänderung fehr verbreitet ge:
weſen fey. Unter den Bifchöfen waren nur fünf, im Unter:
haufe der Convocation, welches 64 Stimmen zählte, nicht
eine einzige dagegen.
Dabei hielt dag Parlament das geiftliche Supremat
der Krone auf dag nachdrücklichfte feft: befonders ihr Necht
die Bifchöfe zu feßen.
Auch in dem jeßt vorherrfchenden Sinne häfte Fein
Schritt ohne Erlaubniß der Negierung gefchehen dürfen. Wie
fo durchaus anders giengen die Dinge jenfeit de8 Meeres,
als dieffeit. Dei ung war die Bewegung von der Predigt
mit hervorgebracht: dort war die freie Predigt Faum einen
Augenblick erlaubt gewefen, fo wurde fie wieder verboten.
Der Grundfag ward aufgeftelt, daß Niemand Meinungen
und Gebräuche die der König noch dulden wolle, in Ver:
achtung bringen dürfe; einem Privatmanne könne nicht zu:
feehn Neuerungen anzufangen; ' die Negierung behielt fich
gleichfam das Necht vor, ausfchließend die öffentliche In—
telligenz zu ſeyn. Und nur fehr bedachtfam gieng fie zu
Werke. In dem Katechismus, den Erzbifchof Cranmer übri—
gens nach deutichem Vorbild bearbeitete, hütete er fich doc)
die Ideen vom Prieſterthum su verlegen: die Lehre von
dem göttlichen Urfprung und der göftlichen Berechtigung
deffelben wird darin mit aller Strenge feftgehalten.” Es
1. A letter sent to all those preacher, which the King's
Majesty has licensed. Bei Wilfins IV, 27.
2. Vgl. Collier II, 251.
11*
164 Neuntes Dudh. Viertes Capitel.
dauerte eine Weile che man Die Priefterehe erlaubte. Die
Commiffion von Bilchöfen und Geiftlichen, welche auf Be
fchluß des Parlaments dazu fchrift eine neue gleichförmige An—
ordnung des Goftesdienftes zu entwerfen, ließ es ihr haupt
fächlichfieg Gefchäft feyn, die verfchiedenen Liturgien die in
England in Gebrauch waren, von Sarun, Bangor, York,
su vereinigen und zu verfehmelen, und unterwarf fie nur
einer Durchficht und Neinigung. Sie verfuhr nach dem
Grundfaß, daß auch Ehrifius bei feinem Werfe dag Alte
nicht ganz versvorfen, fondern bei den beiden großen Inſti—
futionen die er gemacht, fich an die Gebräuche der Juden
angefchloffen habe. '
So nahe wie möglich hielt man fich an die hiftorifch
gegebenen Grundlagen. Aber dabei Fam doch eine Neue:
rung zu Tage, durch welche fich auch dort der reformatori-
fche Gedanke endlich felbftändig Bahn gebrochen hat.
Die Lehre von der Brotverwandlung war in England
am fpäteften durchgedrungen: fie hatte dort in Wikliffe den
erften twirkfamen und durchgreifenden Widerfpruch gefunden ;
zwar hatte fie fich nichtsdeftominder der Gemüther allmäh-
fig bemächtigt und war von Heinrich VIII mit Feuer und
Schwert vertheidigt worden, aber fie mußte es doch nieder
feyn, was dort, nachdem man bisher hauptfächlich die Ver-
faffung und die Gebräuche geändert, zu einer mefentlichen
Neuerung in der Lehre den entfcheidenden Anlaß gab.
Dder fagen wir vielmehr Herftellung, als Neuerung?
In England machte es noch größeren Eindruck als in
1. Our litargy is in great mesure a translation from the
catholie service. Hallam Constitut. history I, 115.
Reformation in Ingland. 165
Deutfchland, daß damals das Werk eines Mönches aus dem
Iren Jahrhundert, der immer unter den rechtgläubigen Kirchen:
fchriftfiellein aufgeführt worden, das Buch des Naframmus
von Eorbei über Leib und Blut unfers Herrn, bekannt ward,
worin nicht allein die Brotverwandlung verworfen, fondern die
leibliche Gegenwart überhaupt geleugnet, und diefe Anficht ei-
nem mächtigen König der damaligen Welt, Earl dem Kahlen,
als die wahrhaft Fatholifche bezeichnet wird. " Einer der Füh—
ver der Neformation, Nicolaus Ridley, ſtudirte diefe Schrift
auf feiner Landpfarre in Kent, und durchdrang fich mit der
Überzeugung, daß die herkömmliche Auffaffung nicht allein
unbaltbar, fondern auch die neuere fey: einer Meinung,
Die er gar bald feinem Freunde, dem Erzbifchof Erammer
mittheilte.“ Eben langten aus Deutſchland, zum Theil aus:
drücklich eingeladen, zum Theil durch die Gewaltfamfeit ver:
jagt mit welcher das Interim eingeführt wurde, auch folche
Leute an, denen die Wittenberger Concordie noch nicht ge
nügte, wie Peter Martyr, der eine Zeitlang bei Cranmer zu
Lamberh Iebte, und Johann a Lasco. Sie frugen nicht we
nig zur Befeftigung Crammers in diefen Abweichungen bei,
der dann wieder bei der gefammten Geiftlichfeit darin Nach:
folge fand. Man begnügte fich nicht die Meffe aufhören zu
laſſen, — in der Mutterficche der Hauptſtadt zu St. Paul frat
die Kommunion an die Stelle des Hochamtes, — fondern in
der neuen Liturgie ward die Elevation, welche Luther fo lange
beibehalten, und die Kniebeugung vor der Hoſtie verboten. °
Die Bifitatoren des Jahres 1549 verpönten jede Beibehal-
1. Bertrami presb. liber ete. Col. 1532. Genev. 1541.
2. Soames history of the reformation in England II, 177.
3. Soames Ill, 377.
166 Neuntes Buch. Viertes Capitel.
fung_der eigenthiimlich römifchen Gebräuche." Auf der Uni-
verſität Oxfort focht Peter Martyr die Lehre über die Eu—
chariſtie, obwohl nicht ohne harte Kämpfe, durch; wie er ſie
feſtſtellte, iſt ſie darnach in die Bekenntnißſchriften der engli—
ſchen Kirche aufgenommen worden.
Indem nun aber die kkirchliche Veränderung die Mo—
mente berührte, welche den Kern des katholiſchen Glaubens
ausmachten, mußte in England ſo gut wie anderwärts eine
allgemeine Erſchütterung erfolgen.
Was die ſechs Artikel einſt politiſch empfahl, zeigt ſich
erſt recht, wenn wir finden, daß die aufrühreriſche Menge
in mehreren Provinzen die Herſtellung dieſes blutigen Statu-
tes forderte.
Arch ganz enfgegengefeßte Motive mifchten fich ein, be
fonders Widerftand gegen das Umfichgreifen des Adels, na
mentlich die weitern Einsäunungen des Landeigenthumg, ver:
gefellfchafteer mit anabaptiftifchen NRegungen, welche faft an
den deuffchen Bauernfrieg erinnern. ?
Diefe Bewegungen wurden nun zwar leichter als in
Deutfchland erdrückt, da fie fich im fich felbft widerfprachen,
und in England das Herrenrecht der Weltgeiftlichfeit, die
ganze bifchöfliche Hierarchie aufrecht erhalten wurde; allein
fie blieben doch nicht ohne die größte Rückwirkung.
Um zu Haufe nicht zu unterliegen, mußte die Negie-
1. Articles bei Burnet II, Coll. nr. 33. that no minister do
counterfeit the popish mess: as to kiss the Lords table, - - to
use no olher cerimonies, than are appointed in the Kings book
of common prayers.
2. Ein gewiffer Ket nannte fih der Meifter oder König von
Norfolf und Suffolk; er führte die Widerftrebenden in Ketten mit
fih fort. Strype II, 290.
Reformation in England. 167
rung die Frieggelibten Leute, die bisher die Befaßung von Bou—
logne ausgemacht, von dort wegführen: dadurch aber ward der
König von Frankreich veranlaßt, ! feinen Krieg ernftlicher zu
ernenern als bisher; er bemächtigte fich in Kurzem der Elei-
nen Befefligungen in jenem Gebiete.
Auch in Schottland Fonnten fich die Engländer jeßt
nicht länger halten: nach mancherlei Verluſten entfchloffen
fie fich, den vornehmften Pat deſſen fie fich bemächtigt hat:
ten, Haddington, zu verlaffen. -
Wir werden wohl nicht irren, wenn wir den nächften
Grund daß der Protector Sommerfet fich nicht behaupten
Fonnte, in der Verflechtung diefer Umftände fuchen, in der
fchlechten Lage der öffentlichen Ungelegenheiten, die man ihm
Schuld gab, den Mißgriffen die er perfönlich dabei begieng:
doch nicht hierin allein, fondern zugleich in einer politifchen
Hinneigung die er dabei an Tag legte.
Er nahm fich der bedrängten Gemeinen ganz unzwei—
deufig an: die neuen Einzäunungen wurden an vielen Or
ten durch die Commiffarien die er ausgefandt hatte, zerftört,
und man fehrieb ihm die Abficht zu, in dem nächften Par:
lamente eine nachdrückliche Acte zur Abſtellung der Übergriffe
des Adels’ einzubringen. Nachdem er die geiftlichen Forde-
rungen: befeitigt; fchien er geneigt die weltlichen Anfprüche
su bemilligen. ?
1. Lorenzo Giustiniani Relne di Franeiä: Levorno i boni sol-
dati et esercitati che avevano in questa fortezza et vi mandarono
altretanti da sui Englesi non piu stali in guerra, di che acortosi
Chiatiglion lo fece saper al Condestabile, che prese questa oc-
casion persuase al re mandarci con ogni sforzo.
2. Sn der von Tytler (Edward a.M. 1,208) befannt gemach—
ten merfwürdigen Proclamation heißt es vom Adel: non fearing tha!
the lord proteetor according to his promise would haved redres-
168 Neuntes Buch. Biertes Capitel.
‚Er war jedoch viel zu fchwach für einen Plan, zu def:
fen Durchführung Sieg im Feld, unbestweifeltes übergewicht
im Rath und die entichloffene Unterſtützung eines Fräftigen
Königs gehört hätten. Er erlag feinen Gegnern, welche
fhon glaubten daß er e8 anf eine allgemeine Umwandlung
der Verfaffung abgeſehen Babe.
Man wird fich nicht wundern, wenn der Sturz des vor:
nehmſten Führers der rengiöfen Umbildung bie und da die Er:
wartung hervorrief als würde diefe felbft rückgängig werden.
Am Faiferlichen Hofe zu Brüffel war man mit der Ver:
waltung Sommerfets fo Schlecht zufrieden, daß der dortige
franzöfifche Gefandte Marillac den Sturz des Protectors
von den Einwirkungen des Kaifers herleitet.“ Wenigſtens
ward dag Ereigniß von diefem Hofe mit lauter Freude be:
grüßt. Der erften Gefandtichaft des neuen Gewalthaberg
Warwick, der ihn um Hülfe gegen Franfreich bat, twie auc)
fein Vorgänger gethan, eröffnete der Kaifer mit einem gewiſ—
fen Bertrauen, daß die englifche Regierung fich vor allen Din-
gen mit ihm in Sachen der Religion vereinigen müffe. ?
Wie wäre aber Warwick, den diefelben Männer —
fir ihn fchlechterdings unentbehrlich — umgaben welche Die
Beränderung eingeleitet, daffelbe Parlament dag fie befchlof
fen und fchon fo weit eingeführt hatte, wenn er auch ge
sed things in the parliament, which he short Iy intended to have
set to the intent that the poor commons may be godly eased.
1. Dei der Sendung Pagets Flagte man am Faiferlichen Hofe:
que non obstant qu'on voit quils faisoient la guerre a dieu, ils
vouloient que l’empereur les defendist. (Marillac 25 Juli 1549.)
2. Er erinnert den König „.him and his council, to have mat- x
ters of religion first recommended to the end, we may be at the
end all of one opinion.“ Cheyne bei Strype Mem. II, 308.
Reformation in England. 169
wollt hätte, im Stande geweſen, mit einer vicfgängigen
Bewegung durchzudringen? Der erfte Verſuch dazu hätte
ihm felber zum Derderben gereicht.
In der nächften Sitzung des Parlaments ward vieh
mehr dag begonnene Werk in gleicher Nichtung fortgefeßt.
Die alten Nituale mußten ausgeliefert werden; die Bil-
der wurden volends aus den Kirchen gefchafftz ein Ordi—
nationsbuch ward verfaßt, in welchem nun auch die Lehre
vom Character, die, wie wir oben andenfeten, zur Doctrin
von der Transfubftantiation eine nahe Beziehung hat, und
die bisherige Anficht von der Abfolntion verworfen wurde.
Indeſſen machten fich auch in Cambridge die enangelifchen
Anfichten von Gnade und Nechtfertigung, Gotteswort und
- Menfchenlehre durch den Einfluß befonders Martin Bußers
unter den Gelehrten geltend. Es bereitete fich alles zum
Abſchluß des Syſtemes vor, dag in den 39 Artikeln feſtge—
jet und in England behauptet worden ift.
Da nun aber um fo weniger an Hülfe des Kai-
fers gegen Frankreich zu denfen war, fo mußfe die ganze
Politif der englifchen Negierung fich ändern. Sie bewil-
ligte jeßt den Franzoſen die Rückgabe von Bonlogne ohne
fo viel drückende Bedingungen wie Heinrich VIII aufge
ftelle, und fchloß einen Frieden mit diefer Macht, der die
einft in Gemeinfchaft mit dem Kaifer im Jahr 1543 be:
gonnenen Feindfeligkeiten allererft beendigte. Zwar hat es
dann im Laufe des Sommers noch einige Srrungen iiber
die Grenzen gegen Calais hin gegeben, von denen e8 wohl
Einem und dem Andern fehien als würden fie eine neue
Schde veranlaffen, aber zuletzt ward doch alles befeitigt und
170 Neuntes Buch. Viertes Capitel.
ein ganz gutes Verſtändniß gegründet, bei dem man fogar
die Ausficht auf engen Bund faßte. |
Und nun leuchtet ein, welche Nachtheile zugleich Firchli-
cher und politifcher Natur für den Kaifer hierin lagen.
Seine Firchlichen Pläne umfaßten die ganze abendlän-
difche Chriftenheit. Unmöglich konnte e8 ihm gleichgültig
feyn, wenn in England die Meinungen emporfamen die er
in Deutfchland befämpfte. Während er bier feine vor:
nehmfte Sorge feyn ließ die Meſſe berzuftellen, ward fie
dort aufgehoben.
Da fich Prinzeffin Maria weigerte, fich der gefeglichen
Uniformität zu unterwerfen, und er fich ihrer hiebei annahm,
fo gerieth er jetzt felbft in Weiterungen mit der englifchen
Regierung; ! er hat ihr im Jahr 1551 mit Krieg gedroht,
und ich finde daß die flandrifchen Küften gegen einen An—
fall, den die Engländer plößlich unternehmen dürften, in Ver—
theidigungsftand geſetzt worden feyen. ?
Eine noch bei weitem dringendere Gefahr für ihn aber
fchloß es ein, daß König Heinrich IT von Frankreich, der
fich eben fo ſtark wie fein Vater als der natürliche Ne
benbuhler und Opponent des Haufes Oftreich fühlte, durch)
diefen Frieden freie Hand bekam.
Der König felbft hatte gefagt, er molle dem Kaiſer
nicht länger das Vergnügen machen, feine Nachbarn in den
Waffen gegen einander zu fehen. Die offenen und geheimen
Gegner des Kaifers in aller Welt wurden bei diefer Nach:
1. King Edwards Journal March 19 1551: Burnet II Coll.
23. The emperors amb" came with a short message from his ma-
ster of war, if I no would suffer the princess to use her mass.
2. „per non esser trovati all’improvista.“ (Dispaceio fior.)
Heinrich II und die Farnefen. 171
richt von der Erwartung ergriffen, daß eine Anderung der
allgemeinen Politik beworftehe: fie tranken wohl einander Glück
zu bei der Nachricht von diefem Friedensſchluß.
Heinrih IT und die Farneſen.
Ein fehr außerordentliches Verhältniß waltete fchon alle
diefe Jahre daher zwiſchen dem König von Frankreich und
dem Kaifer ob.
Im September 1548 frug der König dem Kaifer noc)
einmal die engfte Allianz an, die durch die Vermählung fei-
ner Schwefter mit dem Prinzen von Spanien bekräftigt wer:
den ſolle.“ Bei der Mittheilung diefes Gedankens rief Gran-⸗
vella aus, wenn er den Tod fehon zwifchen den Zähnen
hätte, würde ihn eine Mittheilung diefer Are wieder ing Le
ben zurückrufen, und die Unterhandlungen darüber wurden
wirklich eröffner.
Uber gleich bei dem erften Schritte fcheiterten fie auch.
Der Kaifer bezeichnete eine Bedingung als unerläßlich, welche
die Franzoſen fchlechterdings nicht eingehn wollten, die Her:
ausgabe von Piemont; — vorausgeſetzt daß «8 ja mit je
nem Vorſchlag überhaupt jemals dem einen oder dem an—
dern Theile Ernft gemefen ift.
Montmorency bekennt in einem Brief an Marillac, er
babe damit nur Zeit zu gewinnen gefucht.
1. Sehr unumwunden lautet diefer Antrag: Cette intelligence
commune seroit & lung et l’autre le moyen pour meltre soubs
eux et & leur an ce qui seroit utile et propre à chacun
d’eux. Worte des Connetable in einem Schreiben an Marillac o.
D. (Sept. 1548), angefommen im October. *
172 Neuntes Bud. Viertes Capitel.
Dagegen fagte wohl auch Granvella, er habe feine
weiten Ärmel voll von Befchwerden gegen Frankreich, doch
fen die Zeit noch nicht gefommen fie geltend zu machen.
Seitdem beobachtete jeder Theil den andern mit bewuß—
ter und nur wenig verborgener Feindſeligkeit.
Bon Anfang an aber, waren hiebei die Franzoſen in
Bortheil. Der Kaifer verfolgte ein ideales, Faum jemals
erreichbares Ziel. Sie dagegen nahmen mit voller Überle⸗
gung ſich wor, nur erſt ihre engliſch-ſchottiſche Angelegenheit
zu beendigen und ſich dann gegen den Kaiſer zu wenden.
Wir ſahen ſo eben, wie gut es dem König damit ge—
lang. Er hatte die Vereinigung von Schottland und Eng—
land zu Einem Reiche dieß Mal wirklich verhindert, die junge
Königin nach Frankreich geführt, um fie mit dem Dauphin
su vermählen, Boulogne iwiedererobert, und dabei noch ein
gutes Verſtändniß mit England geſtiftet. Dergeftalt nahm
er eine fehr ftarfe Stellung in Europa ein. Er war fieg-
veich, jung und Friegsbegierig. Er konnte darauf denken die
Dppofition zu erneuern, die einft fein Vater gehalten.
Den nächften Anlaß dazu gaben ihm die italienifchen,
namentlich Die farneſiſchen Angelegenheiten.
Nach der unglücklichen Kataftrophe Pier Luigis in Pia—
cenza hatte Paul III Parma an die Kirche zurückgenommen:
Camillo Orfino hielt es bei feinem Tode im Namen der
Kirche befegt. Einem im Conclave gegebenen Berfprechen
zufolge fing Julius III feine Negierung damit an, daß er
Parma dem Sohn Vier Luigis, Ottavio, wieder zurückgab.
Man wollte wiffen, der Kaifer habe hoffen laffen, diefen feinen
Eidam auch in Piacenza herzuftellen. Die Farneſen fchmei-
Heinrich IE und die Farnefen. 173
chelten fich, bei dem guten Verhältniß des Papftes mit dem
Kaifer noch in den Beſitz alles deffen zu gelangen, was fie
der Gunſt ihres Großvaters jemals verdankt.
Auf dem Neichstage von Augsburg, im September
1550, ward auch hierüber mit dem Kaiſer unterhandelk.
Es war aber nicht in feiner Weiſe, eine Landfchaft auf
die er Nechte zu haben glaubte, und die er größtentheils
fchon inne hatte, fo leicht wieder fahren zu laffen. Daß
feine Tochter mit Ottavio verheirathet war, machte auf ihn
wenig Eindruck, nachdem das ganze Haus in Pier Luigi
tödtlich beleidigt worden. Die Verbindung des jüngften von
den Brüdern, Dratio, mit Sranfreich erregte von Anfang an
feinen Verdacht und Miderwillen. So weit war er ent
fernt Piacenza zurückzugeben, daß er fogar Anfprüche auf
Parma erhob, und eine Unterfuchung der zwiſchen Reich
und Kirche ſchwebenden Streitfrage über die Oberherrlich-
Feit über diefe Städte in Antrag brachte. Ferrante Gon—
saga fette feine Feindfeligfeit gegen die Stadt Parma um
aufhörlich fort.
Da konnten nun die Farnefen auch von dem Papſt
nicht viel Schuß erwarten. Es war nicht das Herkommen im
Kirchenftaat, daß die Nepoten eines früheren Papſtes von
dem regierenden befondere Rückſicht genoffen. Eine der Ju:
firuetionen Julius III beweiſt unmiderleglich, daß ihn wirk—
lich der Gedanfe befchäftige hat, auch Parma dem Kaifer
zu überlaffen, bei günftiger Gelegenheit, unter den nöthigen
1. Pareva meglio che si conoscessero le ragioni della sede
apostolica e dell’imperio e le eittä si dessero a chi aveva ra-
sione. (Seine Worte an Yighino 4 Gept.)
174 Neuntes Buch. Viertes Capitel.
Bedingungen." Dem Herzog Ottavio ließ er endlich ge
radezu wwiffen, daß die Kammer den Anfivand nicht länger
tragen könne welchen ihr der Schuß von Parma verurfache.
Es blieb Fein Zweifel, daß die Farnefen verloren wa—
ven, wenn fie nicht zu einem außerordentlichen Mittel griffen.
Napft Baul III war durch den Zufammenhang der geift-
lichen und weltlichen Gefchäfte abgehalten worden, in ein
entichiedenes Verhältniß zu Frankreich zu treten. Bei fer
nen Enkeln fielen die geiftlichen Rückſichten weg. Allerdings
hatten fie in den Gebieten der Kirche und des Kaifers nicht
wenig zu verlieren, allein fie Fonnten auch gewinnen, fich
vielleicht rächen, und vor allen Dingen fich als Fürften in
Parma behaupten.
Und an wen follten fie fich wenden, wenn nicht an
Heinrich IE, in deffen Familie einer von ihnen, Oratio, auf
genommen mar?
Dem König ward der Antrag gemacht noch ehe die Ir—
rungen mit England vollkommen befeitigt waren; er frug
dazu bei daß dieß geichab.
Zuerft wurden einige zuverläßige Leute nach Stalien ge
fendet, um Die Lage der Dinge, auch die Haltbarfeit des
Platzes zu unterfuchen. Als deren Bericht günftig ausfiel,
ward ein Vertrag gefchloffen, Eraft deffen der König die
Farnefen in Schuß nahm und eine Mannfchaft zu Pferd
und zu Fuß nach Parma zu ſchicken verfprach, groß genug
um eine Belagerung auszuhalten, Dttavio dagegen ſich ver-
1. Instruttione al Vescovo d’Imola: Er habe dem fpanifchen
Botfchafter gefagt: che se pure S. Mà haveva desiderio di haver
Parma, si aspeltasse la maturitä del tempo a parlarne.
Erneuerung des Kriegs mit Franfreich. 175
band, die Fahnen von Frankreich fliegen zu laſſen, und ohne
Einwilligung diefer Macht Fein AbFommen mit dem Kaifer
einzugehen, auch nicht dag günftigfte.
ir wiffen, wie viel dem Kaifer von jeher daran lag
die Franzoſen von Stalien auszufchließen. Set mußte das
Mißverhältniß, in dag er zu feinem eignen Eidam gerathen
war, fie dahin zurückführen. Leicht hatte der König ein
paar tauſend Söldner in Sjtalien werben laffen, mit deren
Hülfe nun der junge Herzog und feine Stadt plößlich ein
ganz andres Anfehen fich verfchafften als fie bisher gehabt.
Der Papft war ergrimmt, daß „ein elender Wurm”,
wie er Ottavio nannte, fich gegen ihn und den Kaifer auf:
sulehnen wage Seine Angehörigen thaten alles, um ihn
defto enger mit dem Kaifer zu verbinden. T Nachdem feine
legten Vorſchläge abgemwiefen worden, trug er Fein Beden-
Een im Juni 1551 das Schwert gegen den vebellifchen Va—
fallen zu giehen.
Merkwürdige Geftale der Dinge: der Papft führte Krieg
mit feinem Vaſallen; jenen unterftüßte der Kaifer, diefen der
König von Frankreich, die doch noch Friede mit einander
haften.
Allein fchon fah Sedermann, daß der Krieg zwiſchen
den beiden Fürſten ſelbſt ſich nicht werde vermeiden laſſen.
Im September 1551 geriethen die Truppen beider Theile
im Piemonteſiſchen an einander. Indeſſen ließ der König
dem kaiſerlichen Geſandten an ſeinem Hofe alle Beſchwerden
1. Battiſta di Monte an Diego de Mendoza, Lettere di prin-
eipi III, 110. Penso che se dalla banda di S. M& ]i sarà cacciato
da voro, che pigliarä Yarmi in tutti i modi, et hora & il tempo
che Fimperatore si pub pigliare l’imperatore tutto per se.
176 Neuntes Duch. Viertes Capitel.
anfählen, die er fchon immer gegen den Kaifer erhoben, —
die Züchtigung der Deutſchen die in feinen Dienft gefreten,
die Begünſtigung die den Engländern während des Krie
ge8 zu Theil geworden fen, endlich die Verbindung mit dem
Napft wider Parma und Mirandula, — und ihm erklären,
da die Freundfchaft des Kaifers nur in Worten beftehe, und
fich bei jeder Verhandlung in das Gegentheil vertwandle, fo
fey er entfchloffen dieß nicht mehr mit anzufehen, fondern
feine Angelegenheiten felbft in Acht zu nehmen, wie es Gott
erlauben werde. !
Sp brach die alte Feindfeligkeit wieder aus, welche mit
fo viel Mühe bisher niedergehalten worden. Die Lage des
Kaifers ward um fo bedenflicher, da fie zugleich mit jener
Erneuerung der osmanifchen Anfälle verbunden war.
Wir wiffen: e8 war der Friede mit Diefen beiden Mäch-
ten geweſen, was es dem Kaifer möglich gemacht hatte die
Proteftanten zu übermwältigen. Es mußte fih nun zeigen,
0b dag damals gewonnene Übergewicht auch bei dem Wie:
derausbruch jener Kriege fich haltbar beweiſen würde.
1. Schreiben des Faiferlihen Gefandten ©. Mauris 14 Sept.
1551. Die Worte find: que veendo el dicho Sr rey, que toda
la amistad propuesta por V.Md consiste en palabras, y que usa
de punctos contrarios en todas negociaciones, ha deliberado de
no sufrir mas tal manera de actos, antes proveer en sus cosas
come dios permitira. (Arch. v. Simancas in Paris.)
Sünftes Capitel.
Elemente des Widerftandes in Deutfchland.
Im Sjahre 1547 hatte der Kaifer fein Eriegerifches Un:
ternehmen nicht gang zu Ende geführt; auch feitdem wen⸗
dete er fich nicht felber wider die Städte und Landfchaften
welche noch unausgeſöhnt die Waffen in der Hand hielten;
er zweifelte nicht, daß in Folge der Neichgordnungen die er
traf, und der übermacht Derjenigen die feine Partei hielten,
ohne weitere Anftrengung von feiner Seite auch die dorti-
gen Angelegenheiten ing Gleiche gebracht werden würden.
Sp erhoben fic auch wirklich die Nitterfchaften der
Stifter Bremen und Verden gegen den Grafen Albrecht von
Mansfeld, der fich dafelbft auf immer feftfeßen zu wollen
ſchien; nach mancherlei Glückswechfel haben fie, unterftügt
von den benachbarten Fürften, ihn noch im J. 1548 wirk—
lich genöthigt, alle Schlöffer und feften Häufer die er ein-
genommen, befonders Börde und die Rothenburg, heraus:
zugeben: jedoch nicht ohne daß ihm dagegen eine anfehn-
liche Summe Geldes häfte gezahlt werden müffen. '
1. Chytraͤus Saxonia, 488; doc gieng Graf Albrecht nicht fo-
gleich, wie es dort feheinen follte, nah Magdeburg: vol. Schwendi
21 Mai 1548 bei Buchol IX, 445.
Ranke D. Geſch. V. 12
178 Neuntes Buch. Fünftes Capitel.
- Einen ähnlichen Anlauf nahm Herzog Heinrich von
Braunfchiveig, der nach den Siegen de8 Kaifers ohne
Schwertſchlag in fein Land zurückgefehrt war. Er verfuchte
eine vollfommene geiftliche und weltliche Neftauration. Die
evangelifchen Superintendenten fanden wohl eines Morgens
dag Zeichen der Bedrohung, eine Nuthe und ein Paar Schuhe,
an ihre Thüre angeheftet, und eilten hierauf fich durch die
Flucht zu retten. Die Mitglieder der Nitterfchaft, die fich
dem Herzog feindlich gezeigt, die Warberg, Schtwichelde,
Mandelsloh, Bortfelde, wurden aus ihren feften Schlöffern
verjagt. Hierauf griff der Herzog auch die Stadt Braun-
ſchweig an, mit der er von jeher in ausgefprochener Feind-
feligEeit ftand. Zuerft ließ er nur gefchehen, daß feine An-
hänger den Waarenzügen derfelben auflauerten, ihre Dör-
fer überfielen und plünderten; die Stadt antwortete da—
mit, daß fie diefen ihren Feinden in ihre Schlupfiwinfel, in
die benachbarten Wälder und Moräfte nachfegte, bis fie
diefelben fand und erlegte; eines Tages, bei Gelegenheit ei-
ner großen Hochzeit, gelang es ihr, eine ganze Anzahl der:
felben auf einmal aufzuheben: zwei von ihnen wurden als
öffentliche Verbrecher behandelt und mit dem Tode beftraft.
Nun erft erfchien der Herzog felber über der Landwehr zu
Melverode und ſchickte fich zur Belagerung an. Auch diefe
beftand jedoch hauptfächlich darin, daß er das Gebiet der
Stadt verwüften, ihre Saaten — e8 war im Monat Juli
1550 — niederbrennen, ihre Dörfer zerftören ließ: man ſah
wohl das Hol von den abgefragenen Iutherifchen Kirchen
zum Verbrauch ing Lager führen; — der Herzog machte fer-
ner einen DVerfuch Die Ocker zu dämmen, um die Mühlen
Delagerung von Magdeburg. 179
die er nicht zerſtören konnte, ungangbar zu machen; aber
jene Verluſte fühlte, über dieſe Gefahr erſchrak man nicht,
da man ſich im Voraus mit allen Bedürfniſſen verſehen
hatte: auch die ſtädtiſchen Reiter ſtreiften unaufhörlich durch
das Gefild und waren oft im Vortheil. Im September ver—
ließ der Herzog fein Lager.!
Faſt gleiches Fehdeweſen erfüllte die Umgegend von
dagdeburg.
Diefe Stadt, die nicht allein jede Annäherung an den
Sieger von fich gemwiefen, fondern fich als Mittelpunet der
Widerfeglichkeit gegen dag Interim aufgefielt, war längft
in die NeichSacht erklärt, doch wollte fich) noch Niemand
an die Ausführung derfelben wagen. Der Sinn des Kai-
fers wäre eigentlich geweſen, fie durch die Nitterfchaft der
beiden Stifter und die Grafen am Harz volliehen zu laſ—
fen, wie er denn überhaupt in den territorialen Angelegen-
heiten mit dem Adel gern in Verbindung trat: Lazarıs
Schwendi erfchien in diefen Gegenden, um die Sache in
Gang zu bringen; allein ein großer Theil des ftiftifchen
Adels war felber evangelifch und von der Partei Johann
Friedrich: es Fam lange Zeit auch bier zu nichts, als zu
Fleinen Necfereien mit einzelnen Edelleuten aus dem Stifte
oder aus der Mark Brandenburg. Vorwerke und Amtshöfe
des Nathes wurden überfallen: eine Fuhre Zerbfter Bier, ein
Wagen mit Tuch aufgehoben; ? dagegen gelang e8 auch den
1. Tagebuch bei Nehtmeier II, 913. Olfen 56 f.
2. Heinrih Merkel Wahrhaftiger, ausführliher und gruͤnd—
licher Bericht von der Alten Stadt Magdeburg Belagerung. Hort:
leder Il, 1244.
ar
180 Neuntes Buch. Fünftes Capitel.
Magdeburgern, eine Anzahl Junker aus dem Lande Jerichow
gefangen zu nehmen; fie überfielen die benachbarten Märkte
oder Klöfter; auch fie nahmen wohl tangermündifche Güter
weg, oder fuchten fich ihres Schadens an einem reichen Ju—
den zu erholen, der mit ihren Feinden in Verbindung ftand:
das Fauftrecht im Kleinen galt gleichfam wieder, und ein Je—
der fügte dem Andern fo viel Schaden zu als er vermochte.
Ernftlichere Feindfeligfeiten begannen dadurch, daß der
junge Georg von Meklenburg, der dem Herzog Heinrich ge:
gen Braunfchweig zugesogen war, mit einem Theil der von
dort entlaffenen Truppen in dem magbdeburgifchen Gebiete
erfchien, eigentlich nur, um bindurchzugiehen und in feinem
Baterlande gewiſſe Anfprüche, die er in Folge einer Faifer-
lichen Anmwartfchaft auf das Bischum Schwerin erhob, ge
gen feine Brüder und feinen Oheim durchzufeßen. Er hielt
e8 für. ganz erlaubt, auf feinem Wege die Ungehorfamen, die
Rebellen, wie man fie nannte, ein wenig zu züchtigen.“ In
den Bürgern war noch ein fo energifches Selbftgefühl, daß
fie auch ihr Gebiet nicht wollten befchädigen laffen und
dem Herzog im offenen Lande entgegenzogen. Aber bei wei-
1. Hafe an Viglius 2ljten October: „Iſt die Sache alfo er-
gangen, das Herzog Joͤrg von Meflenburg ain Zwieſpalt mit feinem
Vetter und Bruedern des Bifhthums Schwerin halber gehabt (vgl.
Nudlof N. Geſch. von Mektenburg I, 120; Krey Beiträge zur Mef-
Ienburgifhen Kirchen: und Gelehrtengefch. enthält nichts von Be
lang), da ime etlih trußige wort von feinem Vetter Hz. Heinrichen
begegnet, deren er fich gern gerochen hett, und hat alfo Hz. Heinrichs
von Braunſchweigh Friegsvolf an fich gehenft, in Meinung, ſich wie
vorlaut zu rächen: dieweil er aber kain Gelt gehabt und das kriegs—
volf auch arm gewefen, hat er gedacht ſich an denjenigen die der
magdeburgifchen Nebellion etwas anhängig gewefen zu erholen, die
weil fte dafelbjt nit wol fündigen koͤnnen“ — — (Brüff. Archiv.)
Delagerung von Magdeburg. 181
tem Erieggeübtere Keuter führte diefer, als die Bauern waren
welche die Stärfe der magdeburgifchen Fähnlein ausmachs
ten: er trieb fie aus einander; eroberte ihre Wagenburg
fammt ihrem Gefchüß, und wandte ſich nun mit Entſchie—
denheit gegen fie felber (22 Sept. 1550).
Und nicht allein hiedurch ſah fich die Stadt plößlich
bedroht, fondern auch alle ihre andern Gegner wurden rege.
Die benachbarten Fürften, denen es gleich unbequem
geweſen wäre, wenn fich ein Weitergefeffener durch einen
plöglichen Glücksfall dafelbft feftgefeßt, " oder wenn dag
Kriegsvolf, das fich fo unerwartet gefammelt, aus Man—
gel an Sold fich wieder zerſtreut hätte, eilten fich der Sache
anzunehmen.
Zuerft, wenige Tage nach jenem Ereigniß, erfchien Chur:
fürft Moritz im Lager des Herzog Georg, und nahm zu—
gleich mit demfelben das Kriegsvolf auf drei Monat in
Pflicht. Am 2ten October trafen auch Churfürft Joachim,
Markgraf Albrecht von Brandenburg, die vornehmften Dom-
herrn, — nicht ohne einige Mitglieder der Nitterfchaft, in
dem Lager zu Schönebef ein; da die Stadt die Aufforde-
rung fich zu Handen der Churfürften und Fürften zu erge
ben zurückwies, und vielmehr auch ihrerfeits Kriegsleute von
denen bei ſich aufnahm, die in oder vor Braunfchweig ge:
legen, fo traf man Anſtalt zu einer förmlichen Belagerung:
Anfang November ward das erfte Blockhaus bei Buckow ge:
fchlagen. ?
Pur wollten weder die einzelnen Fürften noch die be
1. Dreihaupt Saalfreis I, 272 gedenft des Vorgebens, daf
Georg vertrieben werden folle.
2. Spangenberg Eislebifhe Chronif I, 461.
!
182 Neuntes Buch. Fünftes Eapitel.
nachbarten Kreife fich mit den Koften eines fo weitausſe—
henden Unternehmens beladen: fie riefen die Hilfe von Kai-
fer und Neich an, die damals eben in Augsburg verfam-
melt waren.
Wie wichtig der gewonnene Vortheil erfchien, mag man
daraus abnehmen, daß die fächfiichen Gefandten nicht war—
ten mochten, bis die Vesper aus war, der König Ferdi-
nand beimohnte, fondern während des Gottesdienftes dem:
felben ihre Nachricht mittheilten.“ Alles erfüllte fich mit
neuen Erwartungen und Plänen.
Im Fürftenrathe ward der Wunfch -geäußert, daß ber
Kaifer felbft, der den Krieg früher fo glücklich geführt, auch
den Neliquien deffelben, der magdeburgifchen Nebellion, un—
terftügt vom Neiche, ein Ende machen möge. Man begreift
e8 fehr wohl, wenn unter andern Herzog Heinric) dafür war:
gegen Braunfchweig häfte ihm nichts beffer zu Statten Fom-
men können: merfwirdig aber, wie weitaugfehende Gedanken
fih von andern Seiten her daran Fnüpften. Die Bifchöfe
hofften, daß eine neue Waffenthat des Kaifers die vollfom-
mene Herftellung ihrer Gerichtsbarkeit und der-geiftlichen Gi:
ter zu Folge haben werde; der Deutfchmeifter hegte die Mei-
nung, daß die Eroberung von Magdeburg dem Orden noch
den Weg zu einer Neftauration in Preußen bahnen dürfte. ?
In Preußen und Polen verlor man wirklich die Bewegun-
gen des Ordens feinen Augenblick aus dem Gefichte,; man
1. Franz Sram vom 28jten September. (Dr. U.)
2. Franz Sram 13 Nov. „Der Deußfchmeifter verhofft nach
dis orts vorrichter fache zu Preuffen zu fommen, dan er one das wer
nig troft fihet das Ime das Reich oder auch Kſ. Mt Itziger Zeit
belffen werde.“
Belagerung von Magdeburg. Neichsvorrath. 183
wollte wiffen, der Deutfchmeifter lege alle Fahr die Hälfte
feiner Einkünfte zurück, und habe fchon eine bedeutende Baaı-
schaft in Lübek, um demnächft einen Anfall zu verfuchen;
e8 waren Anordnungen getroffen demfelben zu begegnen.
Indeſſen fühlte fich der Kaifer weder unbefchäftige noch
gefund genug, um auf diefe Gedanken einzugehn: nochmals
einen deutfchen Krieg auf feine eigenen Koften zu unterneb-
men, war auch er nicht geneigt. Er ftimmte bei, wenn am
Reichstag der Befchluß durchgieng, daß der Krieg im Namen
und auf Koften des Neiches, durch Churfürft Morig, ge
führe werden follte. Er bewilligte felbft, daß das Geld hiezu
fürs Erfte aus dem indeß aufgebrachten und in den Lege:
ftädten gefammelten Borrath genommen werden follte. Da-
gegen verfprach man auch ihm, zur Erfeßung des Entnom:
menen zu fehreiten, fobald man nur ungefähr wiſſe, wie viel
die Belagerung koſten werde, und fette hiezu fogleic) eine
befondre Berfammlung an.! Das Geld follte dem Ehur-
fürften nicht in die Hand gegeben, fondern von einem Reichs—
pfennigmeifter verwaltet werden: Lazarus Schwendi ward
als Eaiferlicher Commiffarius in dag Lager gefchickt.
Es war nicht ein Erecutiongkrieg, wie ihn öfter ein
und der andre Fürft übernommen, fondern ein förmlicher
Neichsfrieg, nur unter dem DOberbefehl eines mächtigen Für:
fien, von dem man jedoch hiebei in Erinnerung brachte daß
ev zugleich Reichserzmarſchall fey, durch welchen Magdeburg
angegriffen ward. Wenn e8 unterlag, fo wurden die Neiche-
1. Briefe und Acten find davon voll, wie fchwer man dazu
ſchritt Arras erflärte: „das die kſ. Mt von dem vorrath feinen hel-
ler nhemen würde laffen, die erfegung wurde dann ifo alsbald und
auf Furge friften gewilliget.” Garlowig an Morig 9 Dec. (Dr X.)
184 Neuntes Bud. Fünftes Capitel.
ordnungen in Bezug auf Concilium und Interim auch an
diefer Stelle durchgefett.
Doch hatte Morit auch ein eigenes Sintereffe gegen Mag-
deburg. „Von Feinem andern Orte im Reiche," fchreibt ihm
Garlowiß, „find E. Churf. Gn. mehr geläftert und gefchmäht,
ihre Unterthanen mehr zu Widerwillen verhetzt worden, und
find in Zukunft böfere Practifen, größere Widerwärtigkeiten
zu erwarten: Niemanden auf der Welt liege mehr daran,
daß die Stadt gedemüthigt und gezüchtigt werde."
Am 2Sften November gelang es dem Churfürften fich
der Neuftadt zu bemächtigen, die von ihrem befondern Rath
nicht mit gehöriger Vorficht bewahrt wurde: ? two er fich
dann auf dag befte befeftigen Fonnte. Damit nicht etwas
Ahnliches in der Sudenburg gefchähe, eilten die Belagerten
fie abzubrechen. Aber hierauf wendete ſich nun der ganze
Anfall wider die Altſtadt ſelbſt; in Kurzem war fie mit Block
häuſern, Schangen, Blendungen und andern Werfen einge
fchloffen, und alles fchien zu einer Entfcheidung zu reifen.
Nathmannen, Innungsmeifter und Gemeine der alten
Stadt Magdeburg waren entfchloffen diefelbe Gott vertrauend
zu erwarten.
Moris hatte ihnen Vorfchläge gemacht, fo vortheilhaft,
daß man am Neichstag überzeugt war, er werde fie bei dem
1. 8 März „es fey diefer Ort, daraus E. Ch. G. und ire
unterthanen ſich hinfuro mherer widerwertifeit, bofer Practifen, bins
derliſt, unterfchleuff irer widerwartigen und alles boſes mher dan fonft
aus Feiner andern Stadt im Neich zu beforgen haben.”
2. Beſſelmeier Hiftorie des Magdeburgifchen Krieges: „dann
fi denfelbigen Tag eben den Nath verändert und newe Herrn ges
macht hatten, derhalben fie große Gaftung und Schlamp gehalten.“
Hortleder II, ıv, 18, 6.
Delagerung von Magdeburg. 185
Kaiſer nicht durchfegen: dag freie Bekenntniß der reinen Lehre
nach der augsburgifchen Confeffion und die Beftätigung al:
ler ihrer Sreiheiten; da er aber die Bedingung hinzufügte,
daß fie alsdann eine Beſatzung von Seiten der verbiindeten
Fürften würden aufzunehmen haben, fo erhob fich im ihnen
der Verdacht, der an den oberländifchen Begebenheiten feine
Begründung fand, daß diefe fie doch mit der Zeit zu dem
was der Kaifer begehre zwingen und nicht lange bei der
reinen Neligion und ihren Freiheiten laffen werde.“ Sie
antworteten, fie würden eher ſterben als dieſer Gefahr fich
ausſetzen. Von den Theologen, die vor dem Interim wei⸗
chend bei ihnen Aufnahme gefunden, wurden ſie mit der ſtol⸗
zen Meinung durchdrungen, allein bei ihnen habe Gottes
Wort noch eine ſichere Freiſtätte: wer ſie bekämpfe, der ſtehe
dem Widerchriſt bei. Das Gefühl für Gott zu ſtreiten, er
füllte fie auch nach alle den erlittenen Niederlagen ihrer Glau—
bensgenoffen mit der heldenmüthigen Zuverficht, er werde
fie nicht untergehn laffen. Bürger auf der Wache fahen
himmlische Gefichte, die fie mit tröſtlichen Zufagen erfreuten.
Sie trugen Eein Bedenken die zahlreiche Einmwohnerfchaft
der Sudenburg, obwohl fie zur Vertheidigung nicht viel
beitragen Eonnte, bei fich aufzunehmen; längſt hatten fie
fi) auf einen Fall diefer Art vorbereitet, fie waren auf
mehrere Jahre mit Lebensmitteln verfehen. Auch übrigeng
war die Stadt in gutem Vertheidigungsftand; noch unter den
1. Der von Magdburg Verantwortung alles Unglimpfs 13 Dec.
1550. „weil dann damit umgangen wirdt, das Paäpftliche widerchrift:
liche tridentinifhe Concilium zu erfolgen und mitler Zeit das gottloſe
Anterim anzunehmen, das aud) alle Gottes Diener von den päpft-
lichen Bifchöfen follen verhört und babilitirt werden.“
186 Meuntes Buch. Fuͤnftes Kapitel.
Augen des Feindes ward ein neues Bollwerk, von feinem
Erbauer genannt der Heideck, errichtet. Alle Thürme wa—
ren mit Schlangen und Falkoneten befeßt, die man zum
Theil aus dem Metall der aus den Klöftern weggenomme—
nen Glocken gegoffen: auf dem oberften Umgang an den
Domthürmen, 433 Stufen hoch, hatte man ihrer vier aufge:
pflanst; am beften wirkten die Gefchüige auf dem St. Ja—
cobi Thurm, von dem Büchfenmeifter Johann Krigmann ger
leitet, von dem man fagt, es fey ihm felten Jemand ent
gangen den er im Felde erblickte. Die geworbenen Trup-
pen und die Bürger verpflichteten fich eidlich zu gegenfeiti-
ger Hülfleiftung und Treue, und auf dag befte haben fie
ihren Schwur gehalten. Von welcher Art Enthufiasmus
fie erfüllt waren, zeigt die Meinung die fich unter ihnen ver-
breitete, der Feind fehe bei ihren Ausfällen einen Helden
auf weißem Noß vor ihnen daherziehen; fie bildeten ſich
nicht ein, ihn felber zu erblicken: das litt die profeftantifche
Wahrhaftigkeit nicht; aber fie meinten, der Feind werde durch)
göttlichen Schrecfen mit Zaghaftigkeit gefchlagen. " Und ganz
glücklich gieng es ihnen mit ihren Ausfüllen. Am 19ten
December überrafchten fie die füiftifchen Truppen bei einem
Gelage, nahmen mehrere hundert Mann gefangen, Edelleute
und Gemeine, und führten den Stiftsbanner mit dem SH.
Mori mit fich fort. Da der Churfürft eben einem Kriegs:
haufen entgegengezogen der fich im Gebiete von Verden fam-
melte, ſo hielt e8 Georg von Meklenburg für feine Pflicht
diefen Schimpf der Belagerer zu rächen. Er wagte fich aber
1. Merckel füst fogar Hinzu, fie mögen ſelbſt wiffen ob es
wahr ift.
Delagerung von Magdeburg. 157
dabei fo Eeeflich vor, daß er felber in die Hände der Feinde
fiel (20 Dec. 1551); unter ungeheurem Getümmel — gern
hätten die Weiber den Tod ihrer Männer an ihn gerochen
— ward er in des Kämmerers Haus zum Lindwurm in
Gewahrfam gebracht. Bald darauf ward freilich dagegen in
dem feindlichen Lager Freude gefchoffen, weil jener Haufe
gerfireut worden, von dem man eine Gegenwirkung beforgt
hatte; Churfürſt Moritz Fam von feinem Zuge wieder und
ſchlug zu den vier bereits vorhandenen ein fünftes Lager
vor der Stadt: die Scharmüßel giengen nicht immer glück
lich: auch die Gefchüßge der Feinde machten Wirkung, und
fällten unter andern die Zinnen des Jacobi Thurmes; nad)
und nach dachte man doc) daran, ob man nicht die Ar—
men zu entfernen habe; man fühlte die Gefahr in der man
fich befand.
Und nun läßt fih denfen, welche Theilnahme diefer
Kampf, eben das Schwanfen de Kriegsglücks und die Un-
gewißheit der Entfcheidung bei fo viel Muth und Tapfer—
Eeit in der Nation erregte. Wir haben heitere und ironi-
fche VBolfslieder in alten fchwungvollen Weiſen übrig, worin
der Widerftand gepriefen ward, den das hochgewehrte Haug,
die werthe Stade den fremden Gäften leifte, den Pfaffen-
fnechten: „will der Kaifer den Wein trinken der auf dem
Marfte zu Magdeburg im Faffe liegt, fo muß er felbft ein
Landsfnecht werden; will Herzog Moriß die goldnen Schwer:
ter haben, die ihn erft zu einem Churfürften machen, fo muß
er fie da von den Mauern holen; indeffen winden die Jung—
frauen ihre Kränze für den alten Churfürften, deffen Gemab:
lin und den Grafen Albrecht, der dag DBefte gethan.! Roger
188 Neuntes Buch. Fünftes Kapitel.
Aſham verfichert, in Augsburg rede man von nichts weiter
als von der magdeburgifchen Sache: jede andre trete dage—
gen zurück. Ihm als einem Claſſiſch⸗gebildeten ftellen fich
Papſt und Kaifer als die mythologifchen Ungeheuer dar, als
Eerberus und der ſpaniſche Geryon, die nur diefe Eine Stadt
zu unterwerfen wünſchen. Werden die Pforten der Stadt
erbrochen, fo wird jener twieder in Deutfchland herrſchen,
diefer in ganz Europa.
Der Kaifer feinerfeits ließ nicht in Zweifel, welche Folgen
die Ausbreitung feiner Herrfchaft in Deutfchland haben würde.
In Augsburg wurden die Proteftanten von dem Kriegs:
volk das ihn umgab, als Befiegte behandelt. Während der
predigt in der Kirche zum heiligen Kreuz ergötzten fich die Ita—
liener die dort in dag Klofter einfuriert worden, mit Ballfpiel:
der Ball fiel unter dag zuhörende Volf auf dem Kirchhof. In
St. Ulrich zerbrachen die Spanter Kanzel und Stühle; dem
Stadtvogt mit feinen Leuten, die ihnen Einhalt thun wollten,
festen fie fich mit bloßer Wehre entgegen; man bemerkte
daß nicht alles gemeine Söldner waren: einen Trabanten des
Prinzen Don Philipp unterfchted man unter ihnen. Dage—
gen fah man wieder die Proceffionen mit ihren Glöcklein
und Lichtern durch Die Straßen ziehen; wehe dem der fie
beleidigte. Eine Handwerferfrau, die fich fpörtifch verlau—
ten ließ, ob diefer Gott nicht ohne Lichter fehe, wurde erſt
in die Eifen gefchlagen, dann aus der Stadt vertiefen:
bäfte fich Königin Maria nicht ihrer angenommen, fo wäre
ihr noch Ürgeres gefchehen. Auf das firengfte ward dar-
über gehalten, daß Freitag und Sonnabend nur Faften-
fpeifen auf die Tifche Famen. Die Schulmeifter wurden an—
Kirchliche Gewaltfamfeiten in Augsburg. 189
gewiefen, nichts zu Ichren was nicht entweder der alten Re—
ligion oder dem Interim gemäß ſey, und ohne Gnade ab-
gefetst wenn fie fich deffen weigerten. Vier Lehrer in der
lateinifchen Schule, neun in der deutfchen, fogar einige Leh—
rerinnen waren ftandhaft genug dieß Schickfal über fich er-
gehn zu laffen. Und mit entfprechendem Ernft wurden die
Prediger vorgenommen. Vor dem Bifchof von Arras wur:
den fie eraminirt, ob fie auch glauben daß unter Einer Ge-
ftalt das Sacrament fo gut mitgetheile werde wie unter bei-
den; wie viel Sacramente fie überhaupt annehmen. Da
ihre Erklärungen fehr evangelifch Tauteten, wurden fie ange:
wieſen binnen drei Tagen beim Schein der Sonne die Stadt
zu räumen; fie mußten fchiwören in den Grenzen des heil.
Neiches niemals wieder zu predigen oder priefterliche Hand:
lungen zu verrichten, auch niemals Jemanden die Gründe
ihrer Ausweiſung mitzutheilen. ' Wo die Mönche nicht felbft
das Wort wieder ergriffen, wurden doch nur folche Predi-
ger geduldet welche fic) genau an dag Interim hielten. Der
Raifer nahm an diefen Dingen mit einem Eifer Antheil, als
wenn feine ganze Autorität davon abhienge. Es blieb ihm
nicht unbekannt, wenn ein Bürger von Ulm eins feiner Kin-
der auch nur außerhalb der Stadt nach evangelifchem Ritus
taufen ließ; er drang darauf, daß derfelbe dafür aus dem
Nathe entfernt wurde. Er verweiſt es dem Nathe, wenn
er einem verjagten Prediger, der ein Handwerk treiben will,
das Bürgerrecht gewährt hat. Bon allen Seiten wurden
1. Abſchaffung der evangelifchen Predigcanten zu Augsburg und
was davor mit inen geredt gehanndelt und von den Fayf. rethen auf:
erlegt worden ift. 26 Yug. 1551. Sn der grüntlichen und ordentli-
chen befchreibung, aus der auch unfre andern Nachrichten ſtammen.
190 Neuntes Bud. Fünftes Capitel.
die Prädicanten zufammengefordert, um denfelben Verpflich—
tungen untertvorfen zu werden, die in Augsburg auferlegt
worden. Da die regensburgifchen nicht erfchienen, ließ der
Kaifer die Rathsherrn von Negensburg vor fich befcheiden
und eidlich verpflichten, niemals einen Prädicanten anzuneh—
men, der nicht zuvor bei Gott und den Heiligen gelobe fich
der alten Neligion und dem Interim gemäß zu halten.
In weiten und meitern Kreifen zeigten fich verwandte
Beftrebungen. Der Erzbifchof von Mainz lud wohl die hei
fifchen Prediger auf feine Provinzialipnode. Was die Mag-
deburger fürchteten gejchah wirklich anderwärts. Die hohe
GeiftlichEeit machte in den Städten den Verſuch, den nie—
dern Elerus wieder einzufegen und überhaupt die alten Ver—
hältniffe zurückzuführen.
Auch in den Neichsgefchäften hielt der Kaifer ein Ver:
fahren ein, das allem Herkommen twiderfprach und dag
Selbftgefühl der Fürften aufregte.
In einem Gutachten über die Erfegung des Vorrathes
hatten die Stände einige ihrer Befchwerden doch etwas deut-
ficher alg am vorigen Neichstag, aber noch immer fehr be;
fcheiden zur Sprache gebracht, z. B. die Anweſenheit fpani-
fcher Truppen im Neiche, das bewaffnete Geleit mit tel
chem der Kaifer am Neichstag erfchienen war, die mancher-
lei Hülfgleiftungen die fie in den legten Fahren geleitet.
Der Kaifer nahm dieß nicht wenig übel: fchon den Stän—
den im Allgemeinen gab er zu erkennen, daß er ihren Auf
ſatz unbillig finde und fich darüber etwas bewegt fühle;
hauptfächlich aber wandte er fich an die Churfürften. Die
beiden perfönlich antwefenden, Mainz und Cölln, und von
Beleidigung der Neichsfürften. am
jedem der andern der vornehmfte Rath mußten ihm in dag
Innere feiner Gemächer folgen, wo er mit dem König feier-
lich Pas nahm und dann durch den Bifchof von Arras
vortragen ließ, mit welchem Mißvergnügen er bemerfe daß
gerade fie die Hartnäcigften in der ganzen Verfammlung
feyen: ganz ohne Grund fey mas fie in der übergebenen
Schrift ausgeführt: nur unbedeutend erfcheine die Reichs—
hilfe, wenn man fie mit den überfchwenglichen Unkoften ver
gleiche die er felber zur Aufrechterhaltung des Neiches auf
gewendet: der legte Krieg habe ihm über 60 mal hundert
taufend Gulden gefofter, und noch fey nicht fo guter Friede,
daß er des ohnehin nicht zahlreichen Kriegsvolfes das er
noch im Neiche habe, entbehren Fönnte: man möge nur rück
wärts fehen, fo werde man wohl finden daß auch andre
vömifche Könige und Kaifer Truppen an die Neichstage mit:
gebracht: er der Kaifer trachte nach nichts als daß die Ge;
bühr im Neiche gefchehe, und er wolle mur wünfchen daß
auch Fein andrer fich feine Privathändel irren laſſe.
„Gnädigfter Churfürft und Herr,” fchreibt der branden-
burgifche Sefandte an Sjoachim II, „wir können nicht unter:
laffen Ew. Churf. Gi. anzuzeigen, daß die beiden Churfür-
ften, die anmefenden Fürften und die Näthe der abweſen—
den über dieſes unerhörte Verfahren entfett find; wer dazu
gerathen, bat es fchlecht verfianden, und wär e8 auch ber
Fluge Arras geweſen.“
Großes Auffehen machte eine Differenz die über Die
Belehnung des Prinzen Philipp mit den Niederlanden aus
brach. Der Kaifer hatte die Abficht feinen Geburtstag mit
diefem Act zu feiern, und ließ eine prächtige Bühne dazu
192 Neuntes Bud. Fünftes Lapitel.
herrichten. Allein der Lehnbrief den er darüber auffegen laf-
jen, wich fo fehr von dem Herfömmlichen ab, daß die Chur:
fürften Bedenken trugen ihn anzunehmen. Bei einer und der
andern Provinz war mit abfichtlicher Unbeftimmtheit von der
Oberlehnsherrlichkeit des Neiches die Rede; für alle insge—
fammt war der Anfpruch, erhoben daß fie aud) durch Frauen
vererbt werden follten. Die Eaiferlichen Minifter entjchuldig-
ten dag erſte damit, daß die alten Lehenbriefe verloren ge
gangen, und man nicht mehr genau wiffe was zum Neiche
gehöre: das zweite mit dem Wunfche die Niederlande auf
immer ungetrennt beifammen zu halten. Allein damit war
der Erzcanzler des Neiches nicht zu befriedigen: er wandte
ein, wenn der Kaifer z. B. Geldern nicht ausfchließlich als
Mannslehen anerkenne, fo mache er feine eignen Nechte dazu
zweifelhaft. Ein Widerfpruch der fo gut begründet war,
daß der Kaifer fich entfchliegen mußte den Lehenftuhl wie—
der abtragen zu laſſen. Wollte er feinen Sohn belehnen,
fo mußte er es in feiner Wohnung thun.!
Einen allgemeinen Widerwillen erweckte das Betragen
der Spanier: — „obwohl ihrer nur eine Handvoll iſt,“ fagt
1. Dispaceio Fiorentino 26 Febr. Carlowitz an Moritz 16
Februar. Außer den beiden obigen Wuncten hatten die Deutjchen
noch eingemendet, daß die Lehnsberechtigung auch auf Die natürlichen
Nahfommen ausgedehnt werde. Gie verftanden darunter Baſtarde.
Darin aber hatten fie ohne Zweifel Unrecht; die Faiferlihen Mint:
jfer erwiederten: „das Wort natürlihe Erben wollten fie nicht uff
Yaftarden verftehen, fondern es folle zu dem Wort legitimis geho-
ren und an daffelbig gehangen feind: wie man auch fage: natürli:
her Herr.” Marillac bemerft daß darüber grande mocquerie ent:
jranden. Je scai au vray que linvestiture que l’empereur bailla
au prince d’Espagne sous la cheminee estait des pays bas se re-
servant administration durant sa vie.
Anmafung der Spanier. 193
eine Augsburger Chronik, „ſo treiben fie doch allen Muth—
willen ohne daß ihnen jemand einredet oder fie daran hin:
dert: fie machen daß in Augsburg niemand mehr Herr
und Meifter ift weder über Leib und Gut noch über Weib
und Kind; — durch ihre nationale Anmaßung fühlten
fich die Deutfchen gehöhnt. Bei einem Gaftgebot, dem
der füchfifche Gefandte beitwohnte, beflagten fie fich daß
ihr Prinz in der Eapelle unter den Churfürften ftehe: man
wiſſe in Deutfchland wohl nicht was ein Prinz von Hi-
foanien bedeute oder vermöge. Hhne Hehl ließen fie fic)
vernehmen, das Kaiferthum könne ihnen nicht entgehn: der
Churfürft von Cölln fey eine Ereatur des Kaifers, Mainz
der Rath deffelben, Pfalz ein noch nicht ganz ausgeföhnter
Feind der nichts verweigern dürfe, Sachfen durch die empfan-
genen Wohlthaten gefeffelt, Brandenburg, das nicht die Mit-
tel babe feinen churfürftlichen Stand aufrecht zu halten, werde
mit 100009 Gulden und etwa der Verficherung der Stifter
zu gewinnen feyn, mit Trier wolle man fchon fertig wer—
den: wollte Gott die Churfürften wären mur alle zugegen:
fähen fie dag Angeſicht des Kaifers, wirde man ihnen freund:
lich zufprechen, mit ihnen bankettiren, fo wäre alles aus—
gerichtet. Bei jener Vorhaltung in den Faiferlichen Gemä—
chern hatte man Alba und Arras über die betroffenen Für—
fin und Räthe lachen ſehen; die Spanier fpofteten über
die Sorglofigkeie de8 Landgrafen, der Thor genug geweſen
fey ſich mit guten Worten in Haft bringen zu laffen.
„Dahin,“ ruft der brandenburgifche Gefandte, Chriſtoph
von der Straßen, aus, „it e8 mit den Deutfchen gekom⸗
men, die fonft von allen Nationen gefürchtet waren: jeßt
Ranke D. Gef. V. 13
194 Neuntes Bud. Fuͤnftes Capitel.
ſpottet man ihrer, Gott ſeys geklagt.“ Er widerräth ſeinem
Herrn nach Augsburg zu kommen, ſo ſehr der Kaiſer darauf
dringe und ſo ſehr die Wendung welche die religiöſen An—
gelegenheiten nehmen, es ſonſt wünſchenswerth machen würde,
„So viel vermerken wir, die Spanier wollen einen Fuß ins
Reich ſetzen; es gilt Euch Herren, wir bleiben immer arme
Geſellen.“!
Eine andere Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung
bildete die noch immer fortdauernde Gefangenſchaft des Land-
grafen Philipp von Heffen.
Während des erften Neichstags zu Augsburg war er
zu Nördlingen, Heilbronn und Hall in Schwaben von Spa:
niern bewacht, alsdann den Rhein hinab nach den Nieder-
landen geführt und zu Dudenarde in engem Gewahrfam ge
halten, endlich im Sommer 1550 nach Mecheln gebracht
worden. Auch in der Gefangenschaft ward Philipp als der
regierende Herr feines Landes betrachtet; über alle wichtigen
Landesangelegenheiten ward an ihn berichte. Das hinderte
jedoch) nicht, daß er fich nicht zumeilen die unwürdigſte Ber
handlung hätte gefallen laffen müffen. Man hat dem Schrei-
ber dem er einen Brief dickirte, das Blatt aus der Hand
geriffen, einen Bettler dem er, als er ihn von feinem Ten:
fier aus anfichtig ward, ein paar Stüber hinunterfchickte,
nicht ohne Züchtigung weggetrieben; der fpanifche Haupt:
mann hat die Speifen die an einem Fafttag auf die fürft-
liche Tafel getragen wurden, auf den Boden geworfen und
1. Chriftoph von der Straßen, Doctor und Ordinarius, Mitt:
woh nah Nativitatis Mariaͤ 10 Sept. Der Brief ift von deffen
Hand; zugleich hat fih Timotheus Jung unterfchrieben.
Sefangenfchaft des Landgrafen Philipp. 195
befchimpfende Worte hinzugefügt. Man follte nicht jo oft
tadelnd darauf zurückkommen, daß Philipp fein Unglück bei
weitem nicht mit der großartigen Gelaffenheit getragen habe,
die wir an dem Churfürften bewundern. Die Lage der bei-
den Fürften ift fchon am fich fehr verfchieden. Der Chur:
fürft war in der Schlacht gefangen und bereits zum Tode
verurtheilt gewefen; der Landgraf, wenn wir ja nicht fa-
gen wollen, durch Betrug, doch durch Täufchung in die
Hände des Kaifers gerathen. Da hat er allerdings Au-
genbliche gehabt, wo der Wunfch wieder frei zu werden
und Einreden feiner Umgebung ihn zu einer undienlichen
Nachgiebigkeit vermocht hat, 3. B. in Sachen des Interims:
er bat fogar der Meffe einmal beigewohntz; aber dieſe
Anwandlungen giengen bald wieder vorüber: in feinem Ge
fängniß hörte man ihn doch mit heller Stimme geiftliche
Lieder fingen. Er ließ fich Schriften der Kirchenväter ge
ben: befonderg las er Auguftinus gern; e8 machte ihm Ber:
gnügen, wenn ihn gelehrte Katholifen befuchten und mit
ihm die Controverfen beider Theile, etwa über die Lehre
von der Nechtfertigung oder das Papſtthum oder die Anru-
fung der Heiligen, durchfprachen. Aus der Ferne ermahnt
er dann feinen Alteften Sohn, bei dem Evangelium zu ver:
harren, es Eofte gleich Leib oder Gut, die flüchtigen Prä—
dicanten zu unterftügen. Auch andre gute Ermahnungen
fügt er hinzu: 3. B. er möge fich vor einem unreinen Leben
hüten, Jedermann Gleich und Necht angedeihen laffen. ' Sin
feinem Gefängniß gedenft er des Zuftandes der armen Ge
fangenen in feinem Lande und bringt die Verbeſſerung def:
1. Auszüge aus feinen Briefen bei Rommel II, 530 — 550.
13 *
196 Meuntes Buch. Fünftes Capitel.
felben. in Anregung. Er vergift des Ihieres nicht dag ihn in
glücklichern Tagen getragen bat, dag er jet bis zum Tode
zu füttern befiehlt, noch des freuen Hundes, den er feinem
Sohne, denn er könne ihm wohl noch eine Ente fangen,
zuſchickt: „laß aber wohl aufſehen,“ fagt er, „daß ihn die
großen nicht todt beißen ,--Taß ihn in Deiner Kammer fchla:
fen.“ Seine Seele lebt in der Heimath; fie nährt fich in
diefen Erinnerungen und Sorgſamkeiten geringfügiger Art;
nach fo viel ftürmifcher Thatkraft im Glück entwickelt fie
Milde und Treue im Unglück. Von dorther entfprach man
ihm mit gleichem Verlangen. Alles was wir von feiner Ge—
mahlin hören, zeigt eine grundehrliche, durch nichts erfchütterte
Hingebung. Aber weder die Erfüllung der Capitulation, noch
jene religisfen Annäherungen, noch die Anmefenheit des
Prinzen von Spanien, der doch feine Verwendung verfpro-
chen hatte, wermochten feine Seffeln zu löfen. Man hat dem
Kaiſer angeboten, das Land fürs Erſte zu theilen, fo daß
Philipp, im Beſitz nur der einen Hälfte, während die andre
an feinen Sohn fallen möge, gewiß unfchädlich ſeyn werde;
er felbft fügte hinzu, er wolle dem Kaifer ein Fahr lang im
Felde dienen und fich niemals wieder von ihm fondern: —
Alles vergeblich. Vielmehr verlautete wohl, der Kaiſer werde
der hallifchen Capitulation nachgefommen feyn, wenn er
den Gefangenen auch erft in feiner legten Stunde freigebe.
Auf eine neue Verwendung der Churfürften am Neichstage
von 1550 erfolgte abermals eine abfchlägliche Antwort. Wer:
zweifelnd, jemals losgelaffen zu werden, faßte der Landgraf
den Gedanken, zu entfliehen. Es gelang wirklich durch einen
jungen in Antwerpen fiehenden Kaufdiener aus Heffen, auf
Gefangenschaft des Landgrafen Philipp. 197
dem ganzen Weg von Mecheln nach dem beffifchen Gebiete
Poften zu legen, d. i. nach dem Sprachgebrauch jener Zeit,
von 4 Meilen zu 4 Meilen frifche Pferde bereit zu halten; mit
den vafcheften und ficherften ftellte fich der Zeugmeifter Hans
Rommel in Mecheln felber ein: er harte einige handfefte
Leute, welche Diejenigen zurückhalten follten, die dem Flie—
henden nacheilen würden: und fchon waren alle nöthigen Bor:
bereitungen getroffen, um den Fürſten aus einem Garten der
an den Hofraum feines Gefängniffes ſtieß, zu entführen, alg
die unglückliche Furchtfamfeit eines Dieners, der im Voraus
fir fich felber eine Zuflucht fuchte, noch in dem letzten Au:
genblick das Vorhaben an Tag brachte. ! Es liegt in der Na—
tur der Sache, daß der Gewahrfam des Fürften nun doppelt
fiveng wurde. Der Kaifer, der namentlich die Aufftellung je-
ner Leute für einen Eingriff in feine landesherrliche Gerichts:
barkeit erklärte, fagte wohl, er habe Urfach, fich noch an—
drer Geftalt zu erzeigen als bisher. Der Landgraf verlor
nun vollends feine deutfchen Diener und ward überhaupt
vecht eigentlich mißhandelt; bittere Ihränen des Unmuths
ftiegen ihm über die Art und Weife in die Augen, wie man
bei den Vernehmungen mit ihm, einem Neichsfürften ‚um:
ging. „Ich will Lieber todt ſeyn,“ fchrieb er, „als länger
gefangen.” Menn er angiebt, daß man ihn nach Spanien
zu führen beabfichtige, fo darf man dieß für Feine Einbildung
halten: es ift gewiß, daß der Kaifer dazu entfchloffen war. ?
1. L’eserit da paige (Wersebe) bei Duller Neue Beiträge
zur Gefch. Philipps des Großmüthigen p. 119.
2. In einem Schreiben des Kaifers an Maria vom 6ten März
it darüber ganz unumwunden die Nede. Etant deja resolu de faire
transporter le landgrave en Espagne.
198 Neuntes Buch. Fünftes Capitel.
Wäre e8 auch nur aus Mitleid geweſen, fo hätten fchon
darum die deutfchen Fürften fic) des Landgrafen in diefer
Bedrängniß annehmen müſſen. Aber die beiden Churfürften
Brandenburg und Sachfen hatten überdieß eine vertragsmäßige
Verpflichtung dazu; wiewohl der Kaifer diefelbe fir nichtig
erklärte, Fonnten fie fich ihrer doc) noch nicht erledigt glau-
ben. Ihre Gefandten bereiften die verfchiedenen deutfchen
Höfe, um auch alle andern zur Theilnahme an einer allge
meinen Sürbitte zu vermögen. Im October 1551 vereinig-
ten fich hiezu in Augsburg oberländifche und niederdeutjche
Abgeordnete, von Meklenburg, Holftein, den pfalsgräflichen
Höfen, Würtenberg, Baden; ! die welche Feine Gefandten
gefchickt, Lauenburg, Lüneburg, gefellten fich wenigſtens durch
feierliche Anfchreiben hinzu; auch diejenigen traten bei, Die
fich) bisher cher feindlich gehalten, Baiern, wo ein fehr für:
derlicher Negierungsmechfel eingetreten war, Dftreich ſelbſt,
dag deutfche, in dem Bruder des Kaiſers. Es waren beinahe
fämmtliche weltliche Fürften: die Sache de8 Landgrafen er
fchien als die Sache des deutfchen Fürftenthums.
Unter diefen Vorgängen breitete fich über die verfchiede-
nen Randichaften und Bekenntniffe das Gefühl aus, daß das
alte freie Germanien überwältigt fey und gegen feinen Wil
len nach einem ihm widerwärtigen Ziele geführt merde.
Der Haß der urfprünglich den Spaniern allein gegol-
ten, fiel allmählig auch auf den Kaifer. Er foll es felbft
bemerkt und dem Herzog von Alba wegen der Vernachläßt-
1. Die Injiruction der Gefandten an den Kaifer iſt auf einer
Zufammenfunft der brandenburgifhen Abgeordneten (Ad. v. Zr. und
Lamp. Diftelmeier) mit den ſaͤchſiſchen Näthen, Dresden Dienftag
nach Galli, beratbfchlagt worden.
Allgemeine Aufregung. 199
gung der Mannszucht unter feinen Leuten, die folche Fol—
gen nach fich ziehe, Vorwürfe gemacht haben. Genug aber,
e8 war fo. Als er im Mai 1551 von Augsburg nach Ty—
rol gieng, fand man dort einen Anfchlag des Inhalts: die
Römiſch Kaiferliche Majeftät begehre, man wolle die Thrä—
nen, fo wegen J. Majeftät, ihres Sohnes und der Spa-
nier Abreife fallen würden, fleißig fammeln; J. Maj. be:
dürfe derfelben zur Arznei und werde fie mit indifchem Golde
theuer bezahlen.
Bon den deutfchen Fürften traf ein ähnlicher Haß be:
fonders Moritz von Sachfen, der an feinem Vetter, an fei-
nem Schwiegervater, an der gemeinfchaftlichen Sache zum
Verräther geworden ſey und fich jeßt auch wider Magde—
burg gebrauchen laffe. Sn gereimten Sprüchen ward er re
dend eingeführt, mit dem Bekenntniß daß er dag Evange
lium verlengnet habe. „Schwert und Nautenkranz führe ich:
wie ichs gewonnen, als werds verlieren ich." ı In Hochs
deutfchen und plattdeutjchen Chroniken erfcheint fein Name
mit gehäffigen Beiworten. Schon fühlte er in feinem eig:
nen Lande den Boden unter feinen Füßen erzittern. Seine
Nitterfchaft hat ihm förmlich verweigert gegen Magdeburg
Hülfe zu leiften, und wie berührt, man wollte wiffen fie richte
ihr Augenmerk auf den jüngern Bruder, Herzog Auguft.
In den Städten und auf dem Lande in Sachfen machte die
Beweisführung der Magdeburger, daß ihre Sache Gottes
1. Ein Sprud von Herkog Moriten von Sachfen; der zuerft
in Augsburg zum Vorfchein Fam, von dem man aber meinte, er fey
aus Sahfen gefommen. „Herzog Moriß von Sachſſen heiß ich, den
namen mit der that hab ich, mürrifch und flörrifch bin ich: aigen:
koͤpfiſch, hochfartig, tyrannifch bleib ich.” Eite.
200 Neuntes Buch. Fünftes Capitel.
Sache ſey, vielen Eindruck. Morig ift von feinen Amtleu-
ten erinnert worden, wenn er in Glaubensfachen auf die big-
herige Weife vorfchreite, fo werde ihm von hundert Men
ſchen nicht einer gehorfam bleiben.
Mit neuem Eifer fchaarten fich die Geifter, und viel
leicht eben darum, weil ihnen eine Richtung nach der ent
gegengefegten Seite gegeben werden follte, um das Banner
des evangelifchen Glaubens. Nie waren die Kirchen in den
Städten, wo die Predigt noch ericholl, gefüllter geweſen;
wir vernehmen von Augsburg, Straßburg, Negensburg, daß
die Fatholifche Geiftlichkeit verzweifelte dag Volk ohne Ge
walt in Zaum zu halten; fo wird e8 auch anderwärts ge
gangen feyn. In den Kirchengebeten durfte man begreiflicher
Weife Magdeburg nicht nennen: aber der dortige Kampf
war die große Angelegenheit welche die Gemüther befchäftigte:
man bediente fich allgemeinerer Ausdrücke, die jedoch Feine
andre Beziehung haben Fonnten als eben auf diefen Kampf.
Und indeſſen friumphirte der Bifchof von Arras, daß
ihm an dem Neichstage alle fein Vorhaben, befonders in
veligiöfer Beziehung, gelungen: von den verjagten Nredigern
rede man fo wenig als feyen fie nie da gewefen. In die
ſem Lande, vief er aus, fey alles möglich.
Sn der That, noch vieles hatte er vor.
Ihm konnte wohl nicht verborgen feyn, wie man Die
Succeffiongenttyürfe in Deutfchland anfehe. „Ich finde Nie:
mand,“ fchreibt felber, Carlowig, „weder hohen noch nie—
dern Standes, unter den Deutfchen, der damit zufrieden
wäre." Ohne die mindefte Nückficht darauf fette der Hof
die Unterhandlungen mit dem größten Eifer fort, und wandte
Allgemeine Aufregung. 201
alles an, um den Widerſtand zu brechen den der junge Ma—
gimilian noch leiftete, und die Churfürften endlich zu gewin-
nen. Mit Schreien fahen die Vaterlandsfreunde einen Trans:
port indifchen Geldes aus Spanien ankommen. Sie mei
ten nicht anders, als das Geld folle dienen die Churfürften
su beftechen. Sie fragten, ob es Jemand wohl wagen
werde das Vaterland zu verrathen.
Und dazu Fam nun die Erwartung der Befchlüffe des
Conciliums. Mochten auch die fchon abgefaßten Decrefe
reaffumirt, und wie der Kaiſer wünſchte, in einem den Prote—
fianten annehmbaren Sinne umgeftaltet werden, fo wäre man
doch niemals über die Feftfegungen des Augsburger Interims
hinausgegangen; diefe wären vielmehr wahrfcheinlich der Fa-
tholiſchen Nechtgläubigkeit noch weiter angenähert und auf
dag firengfte feftgehalten worden. Dem ftarren Begriffe kirch—
licher Einheit winde fic) alles haben unterwerfen müffen. '
Tridentiner Beichlüffe, mern auch nicht ganz wie fie
fpäter erfolgt find, aber diefen doch ohne Zweifel überaus
nahe vertvandt, nachdem die Proteftanten bei ihrer Abfaffung
zugegen geweſen, für fie verpflichtend, — und zu deren Hand:
habung ein Kaifer von der Macht und Gefinnung wie fie
Philipp IE entwickelt Hat: — welch eine Ausficht! Carln V
willkommen, deflen Politik in den legten Jahren dahin ge:
zielt hatte; aber eben fo drückend und drohend fir Deurfch:
land, das unter diefen Umftänden niemals das fpätere
Deutfchland geworden, der freien geiftigen Negung die fein
geben ausmacht verluftig gegangen wäre.
1. Schon früher fagte Pighino, nach dem Auszug bei Palla-
v ini XI, ır, 16, es bleibe fein Mittel übrig als das Schwert: „ve—
d.vasi che ogni opera era indarno eccetto quella di ferro.“
202 Meuntes Buch. Fünftes Eapitel.
Eben hier, wo fie zufammentreffen follten, fchieden fich
die Intereſſen des Kaiſers und der deutfchen Nation auf immer.
Hätte man nicht meinen follen, die Nation, in ihren
verschiedenen Ständen beleidigt, in der Tiefe ihres Daſeyns
angegriffen und in ihrer Zukunft bedroht, werde fich gegen
die Gewalt von der fie fo vieles litt und noch mehr fürch—
tete, plößlich einmal wie Ein Mann erheben?
Das ift nicht ihre Gewohnheit. Durch die Mannich-
faltigfeit der herrfchenden Gemwalten ift ihre Aufmerkſamkeit
von jeher zu fehr nach verfchiedenen Puncten hin zerfireut
geweſen, als daß dieß fo leicht gefchehen Fönnte. Auch fieht
fie gern ihre Fürften ſich vorangehen.
Und in diefen fehlte e8 nicht an geheimem Widerftand
und Negungen zu offenem.
Wohl merkwürdig, daß fich Abfichten wie fie Kaifer
Carl V hegte, zunächft ein deutjch > öftreichifches und ein bran-
denburgifch- preußifches Intereſſe entgegenfeßte.
Daß erfte beruhte auf dem Widerwillen gegen die Succeſ—
fion des Prinzen von Spanien. Ferdinand felbft hatte fich
endlich gefügt, aber weder fein Sohn, auf den es eigentlich an-
Fam, der dem jüngern Vetter fein Lebtag hätte nachftehn müffen,
noch auch feine Näthe, welche die Verwaltung des Neiches
bald an fich übergehn zu fehen und auf immer in der deutfchen
Linie zu befeftigen hofften. Und auch mit Ferdinand ftand der
Kaifer nicht mehr in dem alten Vertrauen. Er nahm es übel,
daß fich derfelbe bei der Fürbitte für den Landgrafen bethei-
ligte. Den Übrigen gab er die fchon oft vernommene Ant-
wort, er wolle fich in Gnaden erweifen, fo viel nach Ge:
ftalt des Handels thunlich; feinem Bruder ließ er außerdem
Preußifches Sntereffe. 203
fagen, wenn er den Landgrafen befreie, müſſe er auch Jo—
hann Sriedrich loslaffen. ! Er mußte wohl, daß Ferdinand
die Nückfehr diefes Fürſten nicht wünfchte, der noch immer
einen ftarfen Anhang in Böhmen hatte.
In dem brandenburgifchen Haufe hatten fich die bei-
den thatkräftigften Fürften, die dem Kaifer im fchmalfaldifchen
Kriege beigeftanden, feitdem von ihm abgemwendet: Albrecht
von Culmbach, den zuerft die Hinrichtung Vogelsbergers ver:
droffen, worin er eine Verlegung der hergebrachten kriegsmän—
nischen Ehre und Freiheit erblickte, und Johann von Eüftein,
der fic) an dem Interim geärgert, es vom erfien Augenblick
von Herzensgrund verdammt hatte. Marfgraf Johann fah
darin die Prophezeiung Carions erfüllt, daß im J. 1548
faljche Propheten aufftchn würden, und war entfchloffen ihm
zu widerſtehn. Während dag übrige Deutjchland fich beugte,
hat er wohl, fortfahrend wie er angefangen, wunderthätige
Bilder zerfiört, wie dag zu Göritz. Johann Friedrich ver-
fichert in einem an Carl V gerichteten Gutachten, daß zu der
Haltung des Hauſes Brandenburg auch die preußifchen Ver—
hältniffe beigetragen. Eben in diefen Zeiten waren die An-
fprüche der fränfifchen Linie erneuert worden, und für die
Mitbelehnung des Gefammthaufes ein neuer Schritt gefche:
hen. Die polnifch-preußifchen Stände fahen in der Ver:
bindung mit dem Haufe Brandenburg eine Verficherung des
1. Gramvella an Sönigin Maria 13 December 1551. „pour
piequer led. Se roy pour avoir semblé a S. M. qu'il enclinoit
trop a Sa dite Majeste.“ Ferdinand,antwortete darauf: „„ Combien
que les mots desd. lettres soient modestes comme toutelois, l'on
y voit tres Juyre quelque sentement, je crains que S. M. Imp'*
ne le sente.“
204 Neuntes Buch. Fünftes Capitel.
Friedens mit dem Neich, ' der fonft, wie wir wiſſen, bedroht
war. Zu dem Kreife diefer Verbindung gehörte Johann AL
bert von Mecklenburg, der wie Marfgraf Johann fein mir
ferlicher Oben, dem Interim zum Troß die Neform fort
fette, und fich in diefem Augenblick mit der Tochter des Her:
309 von Preußen verlobte Nun hatte Johann Albrecht in
jener StreitigFeit mit feinem Bruder Georg eine Heine Trup-
penſchaar geworben, deren er für fich nicht mehr bedurfte,
als Georg ſich gegen Magdeburg wendete und dort ftehn
blieb. Uber weder für Meflenburg noch fir Preußen wäre
es rathſam geweſen, Magdeburg in die Hände von Kaifer
und Neich fallen zu laffen. Es war ein Gedanke Marfgraf
Johanns, dem Kaifer wenigftens die Möglichkeit eines neuen
Widerſtandes zu zeigen, ihm wie er fagte „ein Blatt über
die Füße zu welgern.“ Johann Heideck, der fich im ober-
ländifchen Kriege, dann in Magdeburg hervorgethan, und der
junge Graf Volradt von Mangfeld erfchienen plöglic an
der Spiße eines Heeres im Berdenfchenz durch Vermittelung
Sohann a Lasco's empfiengen fie von England — es ift die
erfte Rückwirkung der dortigen Neligionsveränderung — ins—
geheim eine erwinfchte Geldunterffügung.
Dei weitem zu gering jedoch war diefe Macht, als daß
fi) etwas Durchgreifendes von ihr hätte erwarten laffen:
fich geradegu und in eigenem Namen dem Kaifer zu wider—
feßen, dazu waren überhaupt die Verhältniffe des Hauſes
Brandenburg nicht angethan. Noch viel weniger hätte Ferdi-
1. Schreiben des Landtags zu Graudenz ad festum Michae-
lis 1548. non esse aversandam conditionem, quin paeis autores
in aretiora regui jura recipiantur. Lengnich Preuß. Geſch IL, do-
cum. 1.
Politik des Ehurfürften Mori. 205
nand oder Marimiltan, die durch alle denkbaren Bande ge
feffele twaren, dieß wagen können. Vielmehr Fam alles auf
Denjenigen an, dev durch feinen Übertritt zum Kaifer den
fchmalkaldifchen Krieg entfchieden hatte, und der jeßt von al-
fen Fürſten allein die Waffen gewaltig in der Hand hielt.
Morig fühlte wohl ſchon von felbft die Gefahr einer
Stellung die mit der öffentlichen Meinung in Widerfpruch
if. Schon längft fchloß er fich nicht mehr fo unbedingt
der Faiferlichen Volitif an. Er verfäumte nichts was dazu
dienen konnte, Maximilian durch geheimen Zufpruch in jet
nem MWiderftand gegen die Succeffionsentwürfe des Kaifers
zu beftärfen; der ihn dafür fir einen der beften Freunde er:
Elärt die er auf der Welt habe. Es war von einer zwi—
fehen beiden Fürften zu veranftaltenden Zufammenkunft die
Nede, und die Schiwierigfeit lag nur darin fie dem Kaiſer un:
bemerkt zu Stande zu bringen. ! Bei den jungen Landgrafen
ließ Mori bereits anfragen, wenn zwei Augen fich zuthun
würden und er dann etwas zur Erledigung ihres Vaters
unternehme, weſſen ev fich zu ihnen verſehen könne. Es
war wohl nicht fein Ernft, bis zum Tode des Kaiferg zu
warten; die Landgrafen machten ihn aufmerkfam, der könne
noch manchen überleben: vieleicht zeige fich bald eine andre
I. Garlowig mußte anfragen: wenn Marimilian den Churfür-
fen „an ein geheimen Ort zu fich befcheiden mochte, fo wolde E.
Eh. G. (Moriß) derfeldigen (SG. Kgl. Würde) allerlei anzeygen,
doran fie Gefallen tragen folle.” Marimilian gebt darauf ein, je
doch weil er mit feinem Vater nach Ungarn gehn folle, koͤnne er fich
„noch nicht entfchliegen, was wege und mittel zu gebrauchen, damit
ſolches fuglih und unvormarft geſchehen mochte, wolt aber fobald fie
hinab fäme darauf gedenfen und ſolchs von ferneft irem Hern War
ter felbft auch alfo ingeheim entwerffen.” Schreiben von Garlowis
11 März 1551.
206 Meuntes Buch. Fünftes Capitel.
Gelegenheit, wenn der Kaifer über Meer gehe, oder wenn
fic) ihm dieſſeit ein neuer Krieg erhebe.
Auf dieſe Teste Wahrfcheinlichfeit hatte vielleicht von
allen Deutfchen zuerſt Marfgraf Albrecht von Culmbach bei
einer Anmefenheit in Weißenfels fehon im Frühjahr 1550
die Aufmerffamfeit gelenkt. Er fagte, der eine von diefen
Fürften babe den Wahlfpruch: Mehr, weiter! der andre zum
Zeichen den zunehmenden Mond mit dem Worte „bis er
vol wird": jeder wolle größer werden; aber der eine werde
abnehmen, der andre, der die Welt noch nicht fo gut ge
witzigt habe, fortfchreiten und wachſen; Heinrich II Fönne
dem Kaifer wohl einen Schlag beibringen, fo fchlimm, als
fein Vater jemals von diefem erlitten.
Seit dem Frieden Heinrichs II mit England Fonnte fich
Niemand verbergen, daß ein Wiederausbruch des Krieges
swifchen den beiden großen Mächten bevorftehe.
Wie aber wenn alsdann der König von Frankreich die
Dberhand behielt? Er machte Fein Hehl daraus, daß er
ſich der verjagten Fürften und Kriegsmänner annehmen und
fie zurückführen werde. Ein Vorhaben, voll Gefahr für Alle
welche den fchmalfaldifchen Bund zerfiören helfen und die
Partei des Kaifers gehalten. Moritz ward erinnert, wie
fchlechte Nachbarn er an den swiederhergeftellten Grafen von
Mangfeld oder dem eignen Vetter haben werde. !
Schon früh, im Sommer des Jahres 1550, finden
fihh Spuren einer Annäherung des Churfürften an den Kö—
nig von Sranfreich, der feine Augen auf jede mögliche Op-
1. Schreiben des Markgrafen an Ulbreht 22 März 1550 aus
dem Dresdener Archiv (im Anhang).
—
Politik des Churfuͤrſten Moritz. 207
poſition, unter andern ſogar auf König Maximilian, warf;
es fehlte jedoch noch viel, daß wirklich ein Verſtändniß ge—
ſchloſſen worden wäre: es blieb alles ganz im Unbeſtimm—
ten und Weiten.
Waren doch die mißvergnügten deutſchen Fürſten noch
weit entfernt einander zu trauen!
Das Ereigniß, wodurch zuerſt eine gewiſſe Annäherung
zwiſchen dieſen herbeigeführt worden iſt, war das Vorrücken
jener meklenburgiſch-heideckiſchen Truppen von Verden her
in der Richtung gegen Magdeburg. Moritz, der ſich in
ſeiner Belagerung nicht wollte ſtören laſſen, gieng wie be—
rührt auf dieſen Haufen los, und überlegen in den Waf—
fen wie er war, zwang er ihn Verden aufzugeben. Da—
bei geſchah nun aber das ganz Unerwartete. Der Chur:
fürft machte den Anführer der gefchlagenen Truppen, So:
hann Heide, der mit dem Kaifer noch unverföhnt war,
und nicht mit ihm verföhnt feyn wollte, zu feinem Vertrau—
ten. Darin lag die erfte überzeugende Kundgebung einer
veränderten Richtung der morißifchen Politif. Der Sieger
gieng, fo zu fagen im Momente des Sieges, zu der Mei:
nung der DBefiegten über.
Heideck ließ es eines feiner erften Gefchäfte feyn, daß
er eine Zufammenkunft zwifchen Churfürft Morig und Mark
graf Hans zu Stande brachte, die im Februar 1551 in
Dresden Statt fand.
Markgraf Hans erfchien nicht, ohne fich vorher durch
binreichendes Geleite ficher geftellt zu haben. Er traute dem
zweidentigen Nachbar mit nichten. Als fie zum Ziviege:
fpräch kamen, bedachte er fich Iange, ehe er mit feiner Mei-
208 Meuntes Buch. Fünftes Capitel.
nung hervortrat. Noch viel weniger aber hätte der geheim:
nißvolle Moriß geredet. Endlich erwähnte Hans den Ber:
denfchen Zug, durch welchen ihm Moris ein gutes Vorha—
ben zu Grunde gerichtet habe. „Und doch weiß ich,“ redete
er Moris an, „daß auch du fo gut nicht hinkommſt. Was
würdeſt du fagen, wenn dir Jemand 4000 Pferde zuführte,
um damit gegen Jeden zu dienen, der die Religion und
die deutfche Freiheit befchweren wollte?! „Weißt du nicht,"
fagte Morig, „daß ich im Dienfte des Mannes bin? Mit
4000 Pferden wäre ihm noch nicht viel abzubrechen, doc)
auch ich, in der Neligion bin ich Fein Mameluk.“ Zögernd
eröffneten fie fich einander. So wie einer den andern aber
einmal verftanden, waren fie der Sache bald einig. - Moritz
verfprach, die Neligion laut der Augsburger Confeffion zu be
Fennen, und zur Erhaltung derfelben, fo wie der deutfchen
Freiheit, Land und Leute zu wagen. Markgraf Hans machte
ſich anheifchig, ihm mit dritthalbtaufend Pferden zu Hilfe
su kommen. Am 20ften Februar 1551 ift hierüber eine
förmliche Dbligation aufgenommen worden. Der Markgraf
fah ein, daß vor allem eine Verföhnung der beiden fäch-
fifchen Linien nothivendig fey, und ſäumte nicht, alles mög—
liche dafür zu hun. !
So erhoben ſich endlich auch in Deutfchland die zer
freuten Negungen der Oppofition zu einer feften Geftalt,
einer bewußten Tendenz.
Wunderbarer Anblick, den nun die Lage der großen
Angelegenheiten darbietet.
In Insbruck wo der Kaifer fich aufhält, am Conci—
1. Protocoll im Dresdener Archiv, abgedruckt bei Langen.
Allgemeine Lage der Dinge. 209
lium zu Trient hegt man die Meinung, und darf fie hegen,
daß die Zeit gefommen fey wo alle Entwürfe deffelben fich
erfüllen follen. Die verfchiedenften von ferne her angelegten
Fäden werden verfnüpft, alle entlegnen und zweifelhaften
Spympathien aufgerufen, um zu dem großen Erfolg einer
Herſtellung des Kaiferthums in dem einmal aufgefaßten Sinne
und einer Befeftigung deffelben im Haufe Oftreich-Burgund,
älterer Linie, zuſammenzuwirken.
Aber indeſſen haben ſich die alten Feinde im Oſten und
Weſten, zur See und im innern Lande, mit denen der Kai—
fer früher fo oft gekämpft und die fich eine Zeitlang ruhig
gehalten, aufs neue erhoben. Und nicht Diefe allein, fon-
dern auch die befiegten Oppofitionen regen fich wieder, und
zwar in ganz unerwarteter Geſtalt; nene in der unmittelbar:
fien Nähe bilden fich an.
Wird es dem Kaifer gelingen dort das Ziel zu errei-
chen, fo daß er fich dann mit nen gerechtfertigten Waffen
gegen feine Seinde, einen nach dem andern, wird menden
fönnen?
Dder werden die Feinde ihm zuvorfommen? Werden
namentlich die werfchiedenen Gegner ficy unter einander fin-
den und zu einem Angriff auf ihn verftehn?
Hanke D. Gefh. V. 14
Sechstes Kapitel.
Kriegszug des Churfürften Morig wider Carl V.
Landgraf Philipp fpottete darüber; als ihm in fei-
nem Gefängniß eine freilich voreilige Kunde von dem Vor—
haben feines Schwiegerfohns Morig gegen den Kaifer zu-
Fam. Denn wie wolle ein Sperling den Geier angreifen;
babe doch Mori felbft die andern Vögel verftört; fremden
Nationen Fomme e8 lächerlich vor, daß ein Lutheriſcher wi—
der den andern fey.
Eben dahin zielten nun die Bemühungen des Marfgra-
fen Sohann, diefen Zwieſpalt zu heben, die beiden fächfifchen
Linien zu verföhnen, dem Krieg von Magdeburg ein Ende zu
machen: „damit nicht”, fagt er, „wir Ehriften unferm eini—
gen Haupt Ehrifto zur Schmach, ung unter einander mor:
den und würgen.““ Auch nach jener Zufammenfunft hält
er noc für nöthig, Moritz zu ermahnen, daß er fich feiner
Verbindung mit den Geiftlichen, die nur im Blute der Chri-
fen zu baden wünſchen, entfchlage, und Chriftum mit den
1. Was m gu. Herr Marfgr. Hans in entffandener magde-
burgiſcher gütliher Unterhandlung an Herzogf Morik mit eigener
Hand gejchrieben. 1551 27 Mer;.
— ——Rß—
— — — — — — — — — — — — — — — — — — nn
Erſte Entwuͤrfe. 211
Übrigen bekenne. Wenn dieß geſchehen iſt, ſo hofft er alle
weltliche Fürſten dieſer öſtlichen und nördlichen Länder, den
Herzog von Preußen, die Herzoge von Mecklenburg, Lüne—
burg, Pommern, Holftein, in den von ihm mit Moriß ver—
abredeten Bund zu ziehen.
Die erfte Abficht Hiebei war durchaus defenfiver Natur.
In der Obligation welche Moris dem Markgrafen
Hans ausftellte, verfprach er mit ausdrücklichen Worten, ein
Defenſivbündniß einzugehn, zur Erhaltung der Religion und
Freiheit der Deutfchen, Gut und Blut dabei aufzufegen; feine
Bedingung war allein, daß ihm Markgraf Hans von fer
nen’ Freunden die Verficherung einer beftimmten Hülfleiftung
bringe, für den Fall daß er angegriffen werde." Man hatte den
Gedanken, ein Heer von 20000 M. 3.5. und 7000 3. Pf. auf
zubringen und mehrere Fahre, oder doch auf Jahr und Tag,
auf den Beinen zu erhalten. Ein erfter, wiewohl noch fehr
unentwickelter Gedanke von der Aufftellung eines fiehenden
Heeres zum Schuge der Neligion. Es ſcheint als fey Die
Abſicht geweſen, dem Kaifer Bedingungen zur Sicherung vor
allem der Religion vorzulegen und diefen mit Aufftelung ei-
ner fo ftattlichen Mannfchaft Nachdruck zu geben. Man
war jedoch hierüber noch nicht zu beftimmten Entwürfen ge
1. Handlung zu Dresden bei Langenn II, 331 ift eine von den
heſſiſchen Abgeordneten, ohne Zweifel Simon Bing und Wilhelm von
Schachten, aufgefeßtes Protocol über ein Gefpräh mit Ehurfürft
Morig über feine Verhandlung mit Marfgraf Hans. Die Obliga:
tion vom 20 Febr. ift das officielle Nefultat diefer Verhandlungen:
„Herzog Moritz“, heißt es derin, „will die Religion laut der augs—
burgifchen Confeſſion befennen,” was alfo noch immer zweifelhaft
war; „will zu erhaltung der Neligion und freiheit der Deutfchen ein
Defenfiffbündnuß machen.”
14*
212 Neuntes Buch. Schstes Kapitel.
langt. Alle Unterredungen von Anfang an laffen doc) auch
die Möglichkeit offen, mit eignem Angriff zu Werke zu gehn.
Welchen Weg man aber auch einfchlagen mochte, fo
mußte man fich eingeftehn, daß man, bei der Geringfügigfeit
der Landeseinkünfte und der allgemeinen Erfchöpfung, fich
nicht ganz auf Die eignen Kräfte werde verlaffen dürfen.
Hatte doch der fchmalfaldifche Bund, dem noch die rei—
chen Kämmereien der oberdeutfchen Städte zu Gebote ſtan—
den, fich nicht fo lange als nöthig geweſen wäre, im Felde
su halten wermocht.
Wie nun die Veränderung die in den europäifchen An—
gelegenheiten eintrat, überhaupt Muth zu dem Gedanken
machte fich bewaffnet dem Kaiſer entgegenzuftellen, fo er
weckte fie auch die Hofnung, von den beiden Mächten welche
ſich fchon 1547, nur zu ſpät und insgeheim, geneigt bewie—
fen hatten, jetzt aber in offener Oppofition gegen den Kat-
fer ftanden, von Heinrich II in Franfreich und der profe-
feantifchen Negierung in England, Unterfiügung und zwar
zunächft in Geld zu erlangen. !
Der erfte Gedanke des Widerſtandes mar von Diefer
Abficht durchdrungen. Bei der Zufammenkunft in Dresden
äußerte der Markgraf, man werde wohl 100000 ©. des
1. DBedenfen, wes man fi in Handelung gegen den König
von Engeland zu verhalten ao LI 14 d. Julii. „Ob es fach were,
das fih etlihe Churfuͤrſten FF. und andre Stende des h. Neichs,
wellihen zuforderft unfre h. chrifil. Neligion und Lehre des Evan-
gelii auch dazu die Freiheit ires Waterlandes zu erhalten lieb were
und derbei zu bleiben neben einander bedacht weren, in ein chriftlich
Verſtendniß einliehen, und da fie perurter zweier urfachen wilfen mit
Gewalt und der That angefochten und überzogen, ſich der pillichen
Defenfton gebrauchen und alfo - - etwas wagen wolten, was alddann
der König ꝛc.“
Miffionen nah dem Ausland. 213
Monats von Frankreich, 50090 von England erlangen kön—
nen. Zugleich dachte man auch fchon daran, wie nützlich
e8 werden Fönnte, wenn der König von Frankreich den Kai-
fer etwa durch einen Angriff in den Niederlanden befchäf
tige: dann Eönne man noch „alle Pfaffen und Mönche” aus
Deutjchland verjagen.
Im Mai 1551 ward eine neue Zufammenfunft zwi—
chen Moris und Johann in Torgau gehalten, an der auc)
Johann Albert von Mecklenburg und Wilhelm von Heffen,
der ältefte von den jungen Landgrafen, Theil nahmen. Schon
ihr Erfcheinen bewies, daß fie einverftanden waren. Die
vier Fürften befchloffen, fich unter gemeinfchaftlichem Namen
und Siegel an die beiden Höfe zu wenden.
In der Inſtruction die fie dem nach Frankreich beftimm-
ten Gefandten, Friedrich von Neiffenberg, mitgaben, tritt be
fonders der politische Gefichtspunet hervor. Sie machen
darin bemerklich, daß der Kaifer, fobald er mit den Deut
ſchen Fürften, die er in eine der Menſchenwürde twiderfire-
bende Knechtſchaft! zu bringen fuche, fertig fey, auch die
andern Potentaten und zunächft Frankreich angreifen werde.
Um ihm Widerftand zu leiften, gebe es Fein Mittel, als fich
mit dem Nücken an einander zu fielen. Würde der König
fie jest unterſtützen, — fie beftimmen feine Leiftung auf
100000 Kronen, — fo würden fie außer andrer vielfältiger
Dankbarkeit in Zukunft einem römiſchen Kaifer auch wider
ihn nicht beiftehn. In aller Form tragen fie ihm den Wunfch
vor, daß er ihnen durch einen Angriff auf Earl von der an-
dern Seite her zu Hülfe Fommen möge.
1. „viehifche Servitut.”
214 Meuntes Bud. Sechstes Capitel.
Zufällige Hinderniffe, z. B. die Abweſenheit des ver
frauten Secretärg, oder Zweifel über einen Titel, bewirkten,
daß die Sendung nach England ſich bis in den Juli ver-
sögerte. Abfichtlich, weil man Fein Auffehen erregen wollte,
ward fie einem unbedentenden Mann anvertraut. In deſſen
Inſtruction aber hoben die Fürſten befonders den religiöfen
Gefichtspunet hervor. Sie forderten Eduard VI, als einen
‚ hriftlichen jungen König, der in der wahren und rechten Ne
ligion von Anfang an unterwieſen fey, auf, ihnen gegen
Diejenigen beizuftehn, von welchen diefe Neligion verfolgt
werde, und welche jetzt entfchloffen feyen die ewangelifchen
Stände, fo viel ihrer noch bei der augsburgifchen Confeſ—
fion verharren, vollends auszurotten. Ganz in dem Maaße,
in welchem der König ihnen helfe, find fie erbötig ihn zu
unterftügen, wenn er angegriffen werde. |
Der Gefichtsfreis der Verbündeten umfaßte auc) das
nördliche Europa. Churfürft Morig fette fich mit dem Kö—
nig von Dänemark in Verbindung, der zu feinem Verdruß
mit Guſtav Wafa fo eben in neue Srrungen gerieth. Mark
graf Johann hielt, da der König von Polen allzu entfernt
war um ihn zu erreichen, eine Zufammenfunft in diefer Sache
mit feinem Nachbar, dem Staroften von Pofen.
Sie fahen die Macht des Kaifers als eine allen un—
abhängigen Ländern von Europa gleich gefährliche an: daß
fie eine deutfche fey, Fam ihnen nicht zu Sinne.
In Deutfchland felbft lag die größte Schwierigkeit darin,
1. 12000 M. würden 88000 ©., 10000 M. 75666 ©., 9000
M. 66000 ©., 8000 M. 56666 ©. fojten. Die beiden Inſtructio—
nen bei Langenn.
— — — — — — — 2 ui Zu
Miffionen nach dem Ausland. 215
die Söhne Johann Friedrichs mit Demjenigen in Friede zu
fesen der fie der Chur beraubt hatte. Schon bei der Tor:
gauer Zufammenkunft hatte man den Befchluß gefaßt, wenn
fie auch die Vorfchläge nicht annähmen die man ihnen ma—
chen würde, fic) doch dadurch von weiterm Fortfchreiten
nicht abhalten zu laffen, und nur vergeblid) bemühte fich
Markgraf Johann noch eine Weile fie herbeizuziehen; Mo:
ritz, in deffen Briefen überhaupt nichts fo häufig und fo
dringend eingefchärft wird wie dag Geheimniß, um fo mehr
da ihm Gerichte vom Faiferlichen Hofe Famen, man mißtraue
ihm dort und hege Beforgniffe, " fürchtere nur immer, es
möchte feinen Vettern zu viel mitgetheilt werden, fo daß fie
ihn verrathen Fönnten. Er feinerfeits hatte fir den Erfolg
fein Augenmerk von Anfang an noch mehr auf Frankreich
gerichtet als auf Deutfchland. * Mit Freuden vernimmt er,
daß fich nach allen Nachrichten der Bruch zwiſchen Earl V
und Heinrich IE unvermeidlich zeigt. Jetzt, meint er, werde
der König Freunde brauchen und fort müffen.
Es verſteht fi wohl, daß ein Antrag mie der von
Neiffenberg überbrachte, dem König von Franfreich im höch:
fien Grade willkommen feyn mußte. Was er ohnehin zu
thun im Begriff war, dazu forderten jest deutſche Fürſten
ihn auf. Nicht allein eine fehr erwünfchte und nügliche Hülfe
bot fich ihm damit dar, fondern auch, da man ihn fuchte
1. Er erwähnt der Neden am Hof: „man fol auff Herzog Mo-
riß fehen, wan die Stadt Magtburg erobert, dag er nüt ein Ge-
fellfhaft an fich heng und Neiff dem Faifer ein Poßle.“
2. „Da wir deffelben mannes (Heinrich IT) nerva belli nit
follten haben, fo acht Ich den Handel bei mir unmuglich.” Schrei:
ben vom 18 Sunt.
216 Neuntes Bud. Sechstes Kapitel.
und brauchte, die befte Gelegenheit, feine Macht nach der
deutſchen Seite hin aussudehnen, wo fie bisher durch Carls
Borkehrungen und die Gewiffenhaftigfeit des älteren prote—
ftantifchen Bundes nur Verlufte: erlitten.
Gleich die Antwort welche Reiffenberg mitbrachte, gab
dem urfprünglichen Gedanken eine etwas andre Wendung.
Indem fich der König bereit erklärte auf den ihm ge
fchehenen Antrag einzugehn, bezeichnete er denfelben fo, als
habe man ihm für den Fall daß er die Waffen gegen den
Kaifer ergreife, (ey e8 zur Vertheidigung oder zum Angriff,
und daß er fich dabei der Sache des Landgrafen öffentlic)
annehme, verfprochen, fich für ihn zu erklären und ihm gufe
Dienfte zu leiften. !
Bon dem Defenfivbundniß, auf das man zuerfi gedacht,
zu deffen Ausführung man Hülfe von Frankreich gewünſcht
hatte, war hier nur noch im Vorbeigehn die Nede. Gtatt
deffen trat die Abficht hervor, gegen den Kaifer mit deutfcher
Hilfe einen großen Krieg zu beginnen.
Dder hatte vielleicht Morig, der fehon feit längerer Zeit
für fich allein mit Frankreich in geheimen Beziehungen ftand, *
diefe Wendung durch frühere Äußerungen veranlagt?
In Kurzem erfchien ein franzöfifcher Gefandter, de Freſſe,
Bifchof von Bayonne, in Deutfchland, der ſich in demfel-
ben Sinne erklärte. Bei einer Zufammenkunft, im Anfang
1. Abgedruckt bei Langenn II, 334.
2. Die erite Notiz von einer Verbindung zwifchen Moriß und
Heinrich II findet fih im Juli 1550. Es fcheint als habe Moritz
fih bald nad) der erjten Eröffnung Albrehts von Brandenburg an
Franfreidy gewandt. 29 Zuli empfiehlt der Geſandte Marillac einen
Staliener ald Vermittler.
AUnterhandlung-mir Frankreich. 217
October in Lochau, brachte Markgraf Hans feine Defenſions⸗
gedanken nochmals vor. Der Geſandte ſagte wohl, auf
dieſe Weiſe werde die Scheuer der deutſchen Fürſten um—
friedet, die Umfriedung des Königs von Frankreich zu fei-
nem alleinigen Schaden zerriſſen. Er wollte nur von ei—
nem Offenſivbündniß hören, und drang auf ſofortige un—
umwundene Erklärung darüber, damit man in Frankreich
Beſchluß faſſen könne, wie der Krieg im nächſten Frühjahr
zu führen ſey.
Und hiebei kam ihm die Meinung derjenigen von den
fürſtlichen Räthen entgegen welche bisher das Geheimniß
dieſer Geſchäfte getheilt oder vielmehr fie geleitet hatten.
dit Heideck war ein Mann in ſächſiſche Dienſte getreten,
der als Canzler deſſelben bezeichnet wird und ſpäter als
ſächſiſcher Amtmann erſcheint, Chriſtoph Arnold, der an die—
ſen Dingen den größten Antheil hatte. Er hauptſächlich
hat die Herſtellung eines guten Vernehmens zwiſchen Mo—
ritz und Markgraf Hans vermittelt, die Unterhandlungen
mit dem weimariſchen Hofe veranlaßt; er beſorgte die ge—
heime Correſpondenz: jene Inſtruction nach England konnte
darum nicht ausgefertigt werden, weil er, doch wieder in
eben dieſen Geſchäften, abweſend war. Von Arnold liegt ein
Gutachten bei den Acten, in welchem er auf entſcheidende
Maaßregeln dringt. Jetzt ſey die Zeit gekommen, wo man
das Haus Öſtreich, beſonders aber den Kaifer in feinem
Herzen angreifen müſſe; zunächft auf die Niederlande, den
Sig feiner Macht, müffe man loggehn, bis man feine Größe
gebrochen; und auf Feine Weife dürfe man feine Anhänger
in Deutfchland dulden; gebe es Leute die nicht von ihm
218 Neuntes Bud. Sechstes Capitel.
zu trennen, nicht für den Bund zu gewinnen feyen, die müſſe
man mit aller Gewalt verfolgen und augrotten.
Der nemlichen Überzeugung war der heffifche Bevoll—
mächtigte, Simon Bing, der den fransöfifchen Gefandten
mitgebracht: er legte einen Entwurf eines Dffenfivvertrages
vor, in dem fich zuweilen" nahe die Norte des Arnoldifchen
Gutachtens wiederfinden.
Markgraf Hans, von Natur hartnäcig bis zum Eigen-
finn und bier in feinem Rechte, wollte fich feinen urſprüng—
lichen Gedanfen nicht fo ganz umgeftalten laffen. Es Fam
dariiber zu Mißverftändniffen, zu einem Mortwechfel felbft
bei Tafel. „Du ſollſt“, fagte ihm Morig, „nicht immer
regieren twollen, du ſollſt mir nicht Fickfack machen. Mark:
graf Hans hielt fürs Befte fich auf der Stelle zu entfernen:
och denfelben Abend, bei Fackelfchein, ritt er ab. !
Dagegen gieng fein Neffe, Johann Albert von Meck
fenburg auf die neuen Entwürfe fo gut ein wie auf Die
früheren. Die jungen Landgrafen und Moriß theilten längft
die Anficht ihrer Räthe. Sie wollten nicht in den Feh—
ler des fchmalfaldiichen Bundes fallen, der fich hatte iſoli⸗
ven laffen, und dadurch vernichtet worden war. Sie wuß-
ten fehr wohl, wie der. Feind, den fie anzugreifen gedach-
ten, ihnen ohne Vergleich an Kraft überlegen, wie Flug und
friegserfahren er fey. Sie fahen ihr Heil nur darin, daß es
gelinge, ihn unvermuthet, von allen Seiten zu überrafchen.
1. Sn einem Schreiben Heidefs an Albrecht 29 Fanuar 1552
wird dieß dem Markgrafen fehr zum Vorwurf gemadt. „Wo ©.
Gn. zuvor entfchloffen oder bedacht gewefen, one Mittel bei der De-
fenfion zu verharren und fih in Fein lauter Offenfton zu begeben,
fo follte man mit dem König fo weit zu unterhandeln - - unterlaf-
fen haben.” bi
ee — ———
Unterhandlung mit Frankreich. 219
Nun Fam e8 nur auf die Bedingungen an, über die
man fich mit dem König von Frankreich verftehn würde.
Die deutfchen Fürften forderten eine Gubfidie von
100000 Kronen des Monats: der König antwortete ihnen
dafiir mit zwei Gegenforderungen, welche univerfalhiftorifch
wichtig geworden find.
Einmal: er verlangte das Zugeftändniß, daß er ſich
der zum Neiche, aber der fransöfifchen Zunge gehörigen Städte
Mes, Toul, Berdun und Cambrai bemächtigen könne, nicht
allein um fie dem gemeinfchaftlichen Feind zu entreißen oder
vor ihm zu befchügen, fondern auch um fie ald Neichgvicar
inne zu haben.
Sodann — jedoch erft etwas ſpäter — Fam der franzöſi—
fche Gefandte mit der Bemerfung hervor, der Kaifer habe nur
darum die hohe GeiftlichFeit auf feiner Seite, weil diefe von
einem Emporkommen feiner Gegner, der Protefianten, ihr
Berderben fürchte. Er forderte für feinen König die De:
fugniß, die geiftlichen Fürſten in feinen Schuß zu nehmen,
wie er mit ihnen Eine Glaubens fey.
Borfchläge, die ung einen Blick in die Pläne eröffnen,
twelche die Franzoſen auf Eroberungen über das Neich und
einen durchgreifenden Einfluß innerhalb deſſelben begten.
Dahin war es gefommen, daß man nur die Wahl zwi—
fchen zwei harten Nothwendigkeiten hatte: entweder den Kai:
fer feine Entwürfe vollenden zu laffen, was die Cabinete-
regierung deffelben wie dag Interim befeftigt, eine concen-
trirte weltlich - geiftliche Gewalt einem Prinzen, der froß al
ler abfichtlichen Näherung doc) immer als ein Fremder er—
fchien, überliefert, und die freie Entwickelung der Nation auf
220 Neuntes Bud. Sechstes Kapitel.
ſpäte Generationen gehemmt hätte: oder fi) dem Neben:
buhler des Koifers anzufchließen, der doch felber noch mehr
ein Ausländer war, und Abfichten auf einen Einfluß Fund
gab, bei dem die politifche GSelbfländigkeit der Nation im
höchfien Grade hätte gefährdet werden müſſen.
Es traten beinahe Erwägungen ein, wie damals als
es zweifelhaft war, ob Earl V oder Franz I zum Kaifer ge:
wählt werden- folle.
Über der Unterfchied lag darin, daß man Carln V Eennen
gelernt, in Erfahrung gebracht hafte, wozu die höchfte Gewalt
in diefen Händen führen mußte, jeßt nichts mehr wünſchte
als fich feiner Übermacht wieder zu entledigen, und dag man
dagegen dem König weder dag Kaiferthum übergab, wenn man
es ihm gleich in der Ferne zeigte, noch jenen Einfluß zugeftand.
Hatten aber die Fürſten nicht Pflichten gegen den Kat-
fer? war ihm nicht überdieß Morig durch die Bande der
Dankbarkeit höher als vielleicht irgend ein andrer Fürſt im
Neiche verbunden ?
Wenn man ihn Fannte, fo durfte man wohl nicht er-
toarten, daß er hierauf viel Nückficht nehmen würde.
Gleich feinen alten Vater hat Moritz durd) eine allzu
frühe, ohne deſſen Einwilligung vollgogene Vermählung höchft
unglücklich gemacht, fo daß man fürchfete, diefer möchte „aus
folch hohem gefaßten Harm an feinem Leben Schaden neh—
men. — Und diefe feine junge Gemahlin hat dann doc) wohl
auch einmal die Klage geführt, er habe die Wild-Schweins—
jagd lieber als ihre Gefellfchaft.
Wir kennen die Berdienfte Johann Friedrichs um Hein-
rich den Srommen, und wie er dann bei dem Tode deffelben
TE (EEE
7
Moritz. 221
dafür ſorgte, daß die Lande ungetheilt an Moritz gelang—
ten. Dem zum Trotz, und zwar wohl deshalb weil man
es ihn ein wenig fühlen ließ, konnte ihn Moritz nicht lei—
den: wie er fich gröblich ausdrückte, „den Diefen Hoffart.“
Wie lange hätte c8 dauern Fönnen, befonders bei der Lei
besbefcharfenheit Johann Friedrichs, die ihm Fein langes
Leben verhieß, fo hätte Morig mit feinem Schwiegervater
die Leitung der ewangelifchen Angelegenheiten in die Hände
befommen. Allein ihn zogen bei weiten mehr Die gegen
wärtigen Vortheile an, die ihm der Kaifer anbot: er ge
wann e8 über fich, von dem ganzen politifch >religiöfen Sy—
ſtem abzufallen dem er angehörte: e8 hielt ihm nicht zuriick,
daß fein Schwiegervater in denfelben Ruin gezogen ward,
den er dem Better bereitete.
Iſt es num aber nicht der gewöhnliche Lauf der Dinge,
daß Derjenige, der einem Dritten zu — die Treue brach,
fie auch diefem nicht hält?
Zur Entfchuldisung von Morig ift von jeher Viel ge
fagt worden und läßt ſich wirklich Mancherlei fagen. Ge
wiß aber hatte er durch fein bisheriges Verhalten nicht zu
der Meinung berechtigt, als werde er fich durch Rückſicht
auf empfangene Wohlthaten — die er ja überdieß durch
entjcheidende Hülfe vergolten — abhalten laffen dasjenige
zu thun, wozu fein Vortheil ihn einkud.
Wenn man fein tägliches Ihun und Laffen anfah, fo.
meinte man wohl, nur das Vergnügen des Tages habe
Reiz für ihn, die Wildbahn in den Dichten Gehölzen von
Nadeberg und Lohmen und im der erweiterten Dresdner
Forſt, oder die Freuden der Faſtnacht, die Nitterfpiele, in
222 Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
denen er, denn er war Sehr ftarf und gewandt, gewöhnlich
das Beſte that, oder das luſtige Leben auf den Reichstagen
und die ſich daran knüpfenden Beſuche an fremden Höfen,
wo er gern mit ſchönen Frauen Kundſchaft machte, oder die
Trinkgelage, bei denen er es auch den Meiſten zuvorthat. !
Kaiſer Carl glaubte, Der vermöge am meiften bei ihm, wer
ihm darin Vorſchub thue.
Allein hinter dieſem leichtfertigen Weſen barg fich ein
tiefer Ernft.
Der männliche Muth den er vor dem Feinde bewies
und der ihm früh einen Namen machte, zeigte zuerft daß
ev Fein gewöhnlicher Menfch war. Dann aber muß man
ihn in feinem Lande beobachten, wie er das ganze Ne
gierungsmwefen umbildet, und ihm in dem Mittelpunck eine
ftärfere Haltung giebt, wie er die großen Vaſallen die An-
ſpruch auf Neichgunmittelbarfeit machen, den Ordnungen
des „berainten und bezirkten“ Zerritoriumg, dag Feine Aug:
nahme zuläßt, unterwirft, dafür forget daß die Unterthanen
echt und Frieden und eine gemiffe Gleichheit der Behand:
fung genießen: wie er ferner das Spftem der Schulen grün:
det das diefem Lande eine fo eigenthimlich alle Claſſen
durchdringende Cultur verfchafft hat. Er zeigt eine fehr be
merfenswirdige Gabe fowohl für dag Ergreifen politifcher
Gedanken als fir ihre Ausführung. Er bekümmert fi) um
das Kleinfte wie um dag Große. Aus dem Feldlager fragt
er feine Gemahlin, wie e8 in ihrem Vorwerk ſtehe; er
fchilt darüber, daß man den Knaben in feiner neuen Land:
ichule zu Pforte brandiges trübes Bier zu trinken gebe.
1. So fahen ihn auch die Staliener an.
»
Morik. 223
In der Negel hielt er fich leutſelig. Zwar gerierh er
leicht in Zorn; man bemerkte aber daß er den Beleidig:
ten dann wieder durch irgend einen Gnadenbeweis zu feſ—
ſeln ſuche.
Die religiöſe Richtung feines Jahrhunderts hatte auf
ihn, ſo viel ich ſehe, weniger beherrſchenden Einfluß als
vielleicht auf irgend einen andern fürſtlichen Zeitgenoſſen. In
ſeinen Briefen gedenkt er des allmächtigen Gottes, des ge—
rechten Gottes, der alles wohl machen werde: tiefer geht er
nicht; er ſcherzt wohl felbft Darüber, daß er wenig bete.
Allgemeine große Ideen von weltgeftaltendem Inhalt,
wie fie der Kaifer hegte, finde ich nicht in ihm; defto fehär-
fer aber faßt er das Näherzliegende, bringe es nun Gefahr
oder Vortheil, ins Auge; unaufhörlich arbeitet feine Seele
an geheimen Plänen.
Er ift dafür bekannt daß er verfchwiegen it er fagt
einmal felbft, man wiſſe daß ihm der Schnabel nicht lang
gewachſen, es wäre denn indem er dieß fchreibe. Geht
er ja mit feinen Gedanfen heraus, fo fängt er wohl damit
an, das Entgegengefete von dem was er wünſcht vorzu-
fchlagen, z. B. im Gefpräch mit dem Markgrafen die Be:
freiung feines Vetters Johann Friedrich, an der ihm nichts
liegt, nur damit diefer felbft die Befreiung des Landgrafen
zur Sprache bringe, die er zu bewirken winfcht. An Brie-
fen liege ihm wenig: „ein Gefpräch ift beffer als viel be:
fchriebenes Papier." Niemals hat er große Eile: ein paar
Monat mehr Fümmern ihn wenig, wenn die Sache nur
gründlich vorbereitet wird und verborgen bleibt. Seine Rä—
the beklagten fich nicht mit Unrecht, daß unter Johann
I
224 Neuntes Bud. Sechstes Lapitel.
Friedrich felbft im Felde die Eanzleien regelmäßiger beforgt,
beffer berückfichtige tworden feyen als unter Moris. Das
machte: Johann Friedrich hatte in der Negelmäßigkeit der
Verhandlungen wirklich die Summe der Gefchäfte gefehen.
Moriß dagegen trieb das Wichtigfte insgeheim, mit einem
oder dem andern verfranten Secretär, während die übrigen
Räthe, die auch in feinem Vertrauen zu feyn glaubten, und
8 bis auf einen gewiffen Grad waren, in ihrem einmal ein:
gefchlagenen Gange blieben, ohne eine Ahnung von den
Dingen zu haben die ihr Herr eigentlich im Schilde führte.
Wichtige Brieffchaften auch nur etwa durch Zufall in ihre
Hände Fommen zu laffen hütet er fich forgfältig: er fehickt
fie an feine Gemahlin, die fie in ihrer Truhe mwohlpetfchiert
aufbewahren folk: ! fie kannte ihn genug, um fich nicht
daran zu vergreifen. Es giebt eine Art praftifcher Zweizün—
gigfeit, in der er fo weit als möglich gieng. Im Februar
1551 hatte er fich verpflichtet das Concilium nicht anzuer—
kennen, und war entjchloffen dazu: im Februar 1552 mar
der gufe Melanchthon noch unterwegs in Feiner andern Mei
nung, als er werde fich nach Trient verfügen müffen.
Damals nun hatte Morig eine ganz entichiedene Nich-
fung zum Bündniß mit den Franzofen und gegen den Kai—
fer genommen: er war nicht der Meinung, vor einer Forde—
rung die Frankreich machen konnte, zuriickzumeichen, wofern
fie nur nicht dem Zwecke felber entgegenlief.
Es mochte hinzufommen, daß der König von England
den Antrag, der ihm nunmehr auch gefchehen war, mit weit:
1. Brief nr 12 bei Arndt, Nonnulla de ingenio et moribus
Manritii 1806.
Unterbandlung mit Frankreich. | 225
läuftigen Anfragen über die Namen der verbündeten Fürften
und die Sicherheit die ihm dafür angeboten werden Fönne,
beantwortete, überhaupt eine große Bedenklichkeit Fund gab,
mit dem Kaifer zu brechen. !
Auch Eonnte dem Churfürften an einem Defenfiobind-
niß überhaupt nichts mehr liegen. Ein großer Schlag, gut
vorbereitet und plöglich mit aller Kraft geführt, das war
feine Politik.
In feinen Briefen findet fich nicht der Sthaften eines
Serupels über die Nechtmäßigfeit feines Verfahrens. Eher
blickt ein gewiſſes Vergnügen durch, daß er ihm angreifen
wird und vielleicht niederwerfen, den alten Sieger, der fie
alle in Zaum hält. ?
Und fo entſchloß er fich, wozu man auch auf der Seite
der Landgrafen fehr geneigte war, von jenen Forderungen
des Konigs die erfte anzunehmen.
Er willigte damit nicht in eine Logreißung der drei
Städte vom Neich, deffen Nechte er vielmehr ausdrücklich
vorbehielt: der König follte Diefelben befeßen und inne be:
halten, aber nur als Neichsvicar, wozu man ihn befördern
wolle. Das Unvaterländifche diefes Zugeftändniffes entſchul⸗
digte man damit, daß auch der Kaifer, der fich bereits Cam:
brays, Utrechts und Lüttichs bemächtigt habe, ähnliche Ab—
fichten auf die drei übrigen Städte hege, wodurch fie dann
auch dem Neiche wenigfteng nicht minder entfremdet würden.
1. K. Edwards Journal bei Burnet I, p- 40.
2. Moris an Marfgraf Hans 13 Aug. 1551. „ih hab gut
hofnung zu unferm Handel: wir wollen dem Bock reht an die Ho-
den greifen.‘
Ranke D. Geſch. V. 15
226 Heuntes Buch. Sechstes Capitel.
Dazu aber, dem König den Schuß über die geiftlichen
Fürftenthiimer anzuvertrauen, ließ Moritz ſich nicht bewegen.
Sn dem Entwurfe des Vertrages hieß e8: daß bie
Fürften Diejenigen, welche fich ihnen widerfegen oder auch)
nur nicht anfchließen würden, für diefe Treuloſigkeit gegen
das gemeine Vaterland mit Feuer und Schwert zu verfol-
gen gefonnen feyen. Eben gegen diefen Artikel waren Die
Einwendungen der Franzofen und ihre Schußvorfchläge ge
richtet. Da der Gefandte ſah, daß er damit fo im Ganzen
nicht durchdringen werde, fo wollte er wenigſtens Diejent-
gen, die fich nur nicht anfchließen würden, vor jener Gefahr
fichern. Uber die Fürften gaben weder das eine noch das
andre nach. Sie wollten fich bei ihrer Unternehmung nicht
fchon von Anfang Hinderniffe fchaffen, ihre Widerfacher nicht
mit ihren Verbündeten in Verhältniß fegen. Der Gefandte
mußte davon abftehn.
Seinerfeits erkannte der König die Erwerbungen an,
welche Moritz im leten Kriege gemacht, und verſprach —
nach einigem Hin und Herhandeln über die Summe — auf
die Dauer des Krieges monatlich 60000 Ecus, für die drei
Monate aber, die bis zu dem Beginn deffelben verlaufen
ſeyn würden, 240000 zu zahlen, die denn zur Vorbereitung
des Unternehmens unentbehrlich waren.
Markgraf Albrecht von Brandenburg: Culmbach fand
e8 nicht rathſam, im diefen Bund als eigentliches Mitglied
deffelben einzutreten: ein freies, durch eigenthümliche Ver—
träge nach beiden Seiten gefichertes Verhältniß fchien ihm
beffer. Aber wie er wohl der Erſte gewefen, der den Ge
danken einer Vereinigung wie diefe überhaupt gefaßt hafte,
——— RB DR
Si
Br
Unterhbandlung mit Frankreich. 227
fo ließ er fich auch Feine Mühe verdrießen fie vollkommen
zu Stande zu bringen. Gegen Ende 1551, Anfang 1552
finden wir ihn in Perſon am frangöfifchen Hofe, wo ihn
Schärtlin einführte. Er trug den Namen Paul von Bi-
berach und gab fich für einen der Hauptleute dieſes Kriegs:
oberften aus. Schon genug daß ihn der König als den
fehr hohen und mächtigen Fürften, feinen theuren Vetter
Albrecht von Brandenburg erfannte. Nachdem alle Schwie-
rigfeiten vollends befeitigt, befonders die Geldfachen abge:
mache waren, unterzeichnete und beſchwur der König den
Bund am Löten Januar auf dem Jagdſchloß Chambord
in Gegenwart des Markgrafen. Der Markgraf beſchwur
ihn im Namen der deutfchen Fürſten.!
Sp gefchah nun doch, was zu verhüten Earl V feit
feiner Wahl fo viel Angftliche Sorge getragen: deutfche Für-
fen vereinigten fich mit dem König von Frankreich, und
zwar in der entfchiedenften Feindfeligkeit gegen ihn, zu einem
großen Krieg, zum offenen Angriff.
Ohne Zögern rüfteten beide Theile, um fo bald wie
möglich aufzufommen. |
Moriß hatte den unfchäßbaren Vortheil, daß er die
Waffen vor Magdeburg in der Hand hielt.
Auch nach jenem erften Ziwiegefpräch mit Markgraf
Johann fette er die Belagerung fort: noch immer gab es
Scharmüßel, noch mehr als einmal floß Blut. Der Mark
graf ermahnte den ‚Churfürften wohl, den Schein nicht zu
weit zu treiben, aber auch er war dagegen, demfelben fofort
1. Urkunde bei Du Mont IV, ım, 33. Schärtlin, der fonft hier
gut unterrichtet ift, giebt den 2fen Februar an.
15 *
228 Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
ein Ende zu machen und die Aufhebung der Belagerung
allzu fehr zu befchleunigen. !
Erft nachdem fichere Borfchaft aus Frankreich gefom-
men, Ende Auguft, ward eine ernftliche Unterhandlung mit
Magdeburg begonnen.
Moritz hielt an den früheren Vorſchlägen feft, welche
im Weſentlichen diefelben find, die den oberländifchen Städ—
ten gemacht worden, allein er ließ fich zu Erläuterungen
herbei, die wohl das Außerordentlichfte feyn mögen, mas
unter diefem Titel jemals vorgekommen ift.
Der Kaifer hatte gefordert, die Stadt folle fich auf
Gnade und Ungnade ergeben: Moris erläuterte dieß dahin:
wenn fie die Eapitulation annehme, folle alle Ungnade fal-
len, auch Fein Prädicant davon betroffen werden. Der Kat
fer hatte ferner Vollziehung der letzten Neichgabfchiede und
alles deffen was er zum Frieden des Neiches anordnen
werde, zur Bedingung gemacht: Mori erklärte, daß fich
dieß nur auf weltliche Angelegenheiten beziehen folle. ?
Heide und Arnold waren oft in der Stadt: Moris
verpflichtete fich) mündlich, alles heilig zu halten was Heideck
inggeheim verabreden werde. ? Wir Fönnen nicht fagen, wie
weit deffen Eröffnungen giengen: fo viel aber fahen die
Magdeburger wohl, daß fie fich ohne Gefahr für ihre Ne
1. Schreiben vom Aten uni: „aus allerhand Bedenfen die fich
nicht wollen ſchreiben Iaffen.
2. Capitulation bei Merkel Hortleder II, ıv, xıx, nr 231.
Es ift aber zu merfen, daß Mori diefe Gapitulation dem Kaifer
niemals vorgelegt hat. In einem Schreiben vom 22 März 1552
flagt Earl V darüber Feine Auskunft geben zu Fönnen, „pour ne nous
avoir led. duc Mauris jusqu’ä ores envoy& la capitulation.‘“
3. Rathmann III, 591.
Magdeburger Kapitulation. 229
ligion auch derjenigen Bedingung fügen Fonnten die ihnen
früher die mwiderwärtigfte gewefen war: der Aufnahme einer
fächfifchen Beſatzung.
Nachdem dergeftalt die Eapitulation angenommen wor—
den, ritt der Churfürſt am Iten Nov., begleitet von dem kai—
ferlichen Commiſſarius Schwendi und einer ftattlichen Schaar
von Fürften, Deren und Näthen, in Magdeburg ein. Bei
dem Denfmal Ottos des Großen Famen ihm die drei Näthe,
die Ordnungsmeifter, hundert Mannen der Stadt, ſammt
ganzer Gemeine, enfgegen um ihm die Huldigung zu leiften.
Der fächfiiche Canzler eröffnete den Act mit einer Auffor:
derung hiezu, „nachdem, fagte er, „die Stadt fich nun—
mehr ergeben.” Der Bürgermeifter Levin von Emden fiel
ihm ing Wort: „vertragen und nicht ergeben. Der Chur:
fürft fagte: „es ift vertragen: fo foll e8 auch bleiben.
Hierauf leiftete ihm die Bürgerfchaft den un bei Gott und
feinem heiligen Worte.
Man wird Morig nicht zufrauen, daß er für die Er:
weiterung feiner Macht, die hierin lag, gleichgültig geweſen
fey; er ward nun, was er fo dringend gewünſcht, als Burg:
graf von Magdeburg anerkannt; in fofern mwenigftens, als
dieß zu erreichen war, hatte er die Belagerung gewiß ernft-
lic) gemeint. Aber die Hauptfache war doch immer, daf
er eine fo anfehnliche Truppenfchaar fo lange an der Hand
behalten hatte. Auch jest löſte fie fich noch nicht auf,
da fie noch nicht ihre vollftändige Bezahlung empfangen.
Der Reichszahlmeifter Wolf Haller gab fich alle mögliche
Mühe, Anleihen auf den demnächſt einzubringenden Reichs—
vorrath — denn der eingebrachte war bereits erfchöpft —
230 Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
bei Ständen und Städten abzufchließen; allein er fand nicht
viel Gehör, und es gieng fehr langfam. Indeſſen behielt
Mori Zeit, die Hauptleute für fich befprechen zu laſſen,
wozu er fich des nunmehr wieder befreiten Georg von Meck-
Ienburg bediente, der den Namen dazu bergab, und alles
sum Feldzug vorzubereiten.
Sm Laufe des Februar ward den ‚fächfifchen Landftän-
den zu Torgau, den heffiichen zu Eaffel das Kriegsvorhaben
der beiden Fürften zu dem Zweck den gefangenen Landgra-
fen zu befreien unummunden eröffnet. Die füchfifchen mahn-
ten ihren Herren geradezu ab, wie man denken kann ohne -
Erfolg. Die heffifchen waren nicht inggefamme erfchienen:
die anweſenden jedoch verfprachen ihren Beiftand: die Städte
eine nicht unbedeutende Steuer, die Edelleute, ihr Blut für
den Fürften zu wagen. !
Sindeffen erklärte auch Heinrich II in voller Sitzung
feines Parlaments, daß er fich an Denjenigen zu rächen ge:
denfe, der durch Ihaten, feinem Worte entgegen, gezeigt habe,
daß er fein, des Königs, Todfeind fey, — und traf Anord:
nung für die Negierung in feiner Abwefenheit. ?
Merkwirdigermeife ward fein Unternehmen ihm, wenn
nicht allein, doch vornehmlich durch die Beiftener möglich,
zu der fich damals fein Clerus entfchloß, um eine von Franz I
eingeführte Befchränkung feiner ZJurisdiction wieder los zu
werden.
1. Rommel 1, 547.
2. Discours du roi fait au parlement bei Ribier II, 376, doc
ift das Datum 12 San. wohl ohne Zweifel falfh: bei Belleforeft
heißt es: Des le mois de Mars — le roy — alla prendre conge
de sa eours de parlement — —
Kriegszug gegen Kart V. 231
Schon langten die Landsfnechte aus Deutfchland an,
welche Schärtlin, Reckerode und der Nheingraf geworben,
drei große Negimenter; aus Italien die alten Fahnen, die
bisher den Krieg in Piemont mit vielem Ruhme geführt;
zugleich erfüllte fich ganz Frankreich mit eignen Nüftungen.
Der urfpringliche Plan der deurfchen Fürften war, auf
den Kaifer, wo er fich auch aufhalten möge, unverweilt los—
sugehn und durch irgend einen großen Schlag ihm feine Ne:
pufation in Deutfchland zu entreißen. Was die Franzofen
dabei thun, ob fie in Stalien mit einem großen Heere vor:
rücken oder lieber dieffeit der Berge nur hauptfächlich die
niederländifchen Kräfte des Kaifers befchäftigen follten, lie:
fen die Deutfchen unentfchieden. Der König wählte, mit
feiner ganzen Macht von der Champagne ber gegen den
Oberrhein vorzudringen: wie er fagfe, damit nicht etwa der
Kaifer die zu fchwachen Kräfte der Fürften erdrücke, ohne
Zweifel auch darum, um die Landfchaften und Städte in
Beſitz zu nehmen, welche er zu erwerben gedachte. Gern
ließen fich dieß die deutfchen Fürften gefallen. Um fo cher
Fonnten fie hoffen, was fie vor allem im Sinne haften, dem
Kaifer felber mit überlegner Macht beisufommen. Bon ihnen
rührte der Gedanke her, ohne langen Verzug, fchon im März,
im Felde zu erfcheinen.
Anfang diefes Monats fammelten ſich die heffiichen
Völker bei Kirchhain. Sie begannen ihr Unternehmen da:
mit, daß fie eine neue Zollftätte niederriffen und dag main:
ziſche Ambneburg zur Auslieferung des daſelbſt befindlichen
ſchweren Geſchützes nöthigten. Mitte März finden wir den
Landgrafen Wilhelm ſchon mit einem anfehnlichen Haufen,
—
232 Neuntes Buch. Sechstes Kapitel.
nicht ohne den franzöfifchen Gefandten, vor Frankfurt, in
der Hofnung diefe mächtige Neichsftadt gleichfam durch eine
Überrafcehung ihrer proteffantifchen Sympathien mit ſich fort-
zureißen: da es vergeblich war, nahm er feinen Weg die
große Straße nad) Fulda hin, und überftieg den Rhön, um
fih hier mit dem Churfürſten zu verbinden.
Auch deffen Truppen hatten indeß einen Verſuch auf
Erfurt gemacht, der aber ebenfalls mißlang; ! den Nachwin—
ter hatten fie in Mühlhauſen und Nordhaufen gehalten, je:
doch mit nichten, wie Spangenberg fich ausdrückt, zu From—
men und Freuden der Bürger: immer voch neue Lande:
Fnechtfchaaren waren ihnen zugelaufen; jetzt endlich that fich
ihnen der wahre Kriegsherr öffentlich Fund: Churfürft Mo—
ritz erfchien bei ihnen in den Erfurter Gerichten, und führte
fie über den Thüringerwald nad) Franken.
Hier hatte Marfgraf Albrecht einen dritten Haufen ver:
fammelt.
Die drei Haufen vereinigten fich bei Nothenburg an
der Tauber, und fchlugen nun, ohne einen Augenblick zu ver
siehen, die Straße nach Augsburg ein.
Eben in der Eroberung diefer Stadt, wo der Kaifer
fo oft Neichstag gehalten, überhaupt feine Macht am ſtärk—
ften entwickelt hatte, die in mancher Beziehung als der Mit
telpunct des Reiches erfchien, fahen die Fürften den großen
Schlag welcher die Neputation des Kaiferg vernichten follte.
1. Xrnold Vita Mauritii, 1234. Militum proterviam Mauri-
tius molestam sibi esse fingebat — sed si oppido poltiti fuissent
milites, dubio procul neque Caesari neque cuiquam alteri illud
restituisset. ‘
— — — — — — nn — — — — — — _ _ — — — —
Kriegszug gegen Cart V. 233
Man hat behaupter, es feyen ihnen bier fchon aus der
Ferne VBerftändniffe angefmüpft geweſen. Uber bei weiten
mehr Fam ihnen zu Statten, daß man in Augsburg am
meiften den weltlichen und geiftlichen Druck des fpanifchen
Negimentd empfunden und fich mit einer nationalen Antipa-
thie gegen den Kaifer erfüllt hatte. Der Bifchof von Ar-
vas follte erfahren, daß die Prediger doc) nicht fo leicht
vergeffen waren. Bei der Aufregung welche die Nähe der
Verbündeten und ihre Aufforderung, die ganz im Sinne der
Einwohner war, verurfachten, Fonnte der Nath nicht verwwei-
gern die Gemeinde zu berufen; dieſe erflärte: fie wolle we
der Krieg noch Belagerung. Am Aten April verließ die big:
herige Beſatzung mit ihren rothen Feldgeichen Augsburg;
sivei Stunden darauf rückten durch daffelbe Thor die ver-
bündeten Truppen mit ihren weißen Kreuzen ein. Churfürft
Morig nahm Wohnung bei dem alten Bürgermeifter Herbrot,
den der Kaifer als feinen vornehmften Feind betrachtete. !
Und indem maren nun auch die Sranzofen im Felde
erfchienen. Der erfte Gebrauch den fie von ihrem Über:
gewicht in den Waffen dieß Mal machten, beftand darin,
daß fie die Herzogin Chriftine von Lothringen, eine Nichte
des Kaifers, welche an der Verwaltung des Landes großen
Antheil hatte, mit Beiftimmung der Stände davon entfernten,
fie nöthigten ihnen ihren jungen Sohn aussuliefern und eine
Regierung nach ihrem eignen Gutdünken einvichteten. Indeſ—
fen hatte fich der Connefable Montmorency gegen Meß ge:
wendet. Wir haben fchon oben bemerkt, daß die Partei
welche dort die Negungen des Proteftantismus unterdrückt
1. Gaffarus bei Mencken I, 1867.
234 Neuntes Bud. Sechstes Capitel.
hatte, zugleich franzöfifch gefinnt war. Wäre in Mes die
evangelifche Meinung durchgedrungen, fo würde «8 fich viel-
leicht den Franzoſen eben fo gut miderfegt haben, wie Straß-
burg dieß that. Aber jest hatten Diefe mehrere Mitglieder
im Rath und die hohe GeiftlichFeit auf ihrer Seite: durd)
den Bifchof der Stadt, Cardinal Lenoncourt, geſchah Daß
der Connetable aufgenommen ward und die Stadt in fran-
söfifche Hände übergieng.
In dem Bezeigen Heinrichs II erfcheinen die fchroffften
Hiderfprüche. Er Fannte fehr wohl das religiöfe Motiv
der proteftantifchen Fürften: aber er war nicht ausgezogen,
ohne erft von den Märtyrern Ruſticus und Eleutherius, und
St. Dionyfius, dem eigenften Heiligen des allerchriftlichften
Fatholifchen Königthums, Abfchied genommen zu haben. Er
nahm die Grenzlande der deutfchen Nation in Beſitz und
nöthigte ihnen feinen Willen auf, wie er denn die Verfaſ—
fung der Stadt Mes auf der Stelle wefentlich veränderte:
und in demfelben Augenblick proclamirte er fich als den Ber:
fechter der deutſchen Freiheit.
Indem diefe Bewegungen fich erheben, fuchen unfre Au-
gen unwillführlich den Kaifer, gegen den fie gerichtet find.
Er war noch in Insbruck, mit feinen conciliaren und
dynaſtiſchen Entwürfen auf eine Weife beichäftige daß er
fir nichts andres Sinn zu haben fchien. Eben in diefer
Zeit meinte er dem Concil zu Trient die Nichfung zu ge
ben, welche er demfelben von jeher zu geben beabfichtigt
hatte; er hoffte außer den drei Churfürften am Concil auch
die drei andern in Kurzem in feiner Nähe anlangen zu fe
hen, um die Succeffionsfache mit ihnen zu Ende zu bringen:
Kriegszug gegen Carl V. 235
So eben war ein neuer Verſuch auf König Martnilian
gemacht worden. Indem er dieſe idealen Abfichten verfolgte
und nur fo viel als unbedingt nothwendig war, dafür that
um den Feindfeligkeiten der Franzofen, die er in den Nie
derlanden und in Stalien erwartete, dafelbft zu begegnen,
bemerkte er nicht, was in Deutfchland gegen ihn vorberei-
tet ward. E8 fehlte ihm nicht an Warnungen. Sogar der
frangöfifche Gefandte hat dem Hof einmal von einer Con:
ſpiration gefagt, von der er höre, wahrfcheinlich nur, um
denfelben auf eine falfche Spur zu leiten, die dann Arras
verfolgfe, natürlich ohne etwas zu entdecken. Dielen An-
dern war die Verbindung der Franzofen mit Morig längft
fein Geheimniß mehr. In der Nelation eines veneziani-
ſchen Gefandten ift derfelben fehon im Sjahr 1550, unmit:
telbar nachdem fie begonnen hatte, und, wie wir aus den
Depefchen Marillacs fehen, auch ganz richtig gedacht wor:
den. Gegen Ausgang 1551 war eg ein ganz allgemeines
Gerücht, dag die Fleinften Höfe oder Provinzialregierungen
Eennen. Auf den Kaifer machte e8 Feinen Eindruck: er ant:
wortete, man müſſe fich nicht von jedem Winde bewegen
laffen. Gab ihm doch Schwendi fortwährend über die Stim-
mung und die Abfichten des EChurfürften ganz günftigen Be
richt: einer von deffen vornehmften Näthen, Franz Kram,
erfchien in Insbruck und meldete, fein Herr werde unver
züglich nachkommen. ' Und hatte derfelbe nicht feine Pro:
1. Schreiben Granvellas an die Königin 30 Dec. L’agent du
due Mauris a dit, quil ne pouvoit penser que son maitre se vou-
lut tant oublier que de faire contre son devoir, comme aucuns
semoient par la Germanie, et que non seulement s’il le faisoit
236 Meuntes Bud. Sechstes Capitel.
curatoren nach Trient, feine Theologen auf den Weg dahin
geſchickt? In Nofenheim am Sun hielten fich zwei fäch-
fiiche Räthe auf in der feften Meinung, ihren Herrn, der
auch wirklich eine Strecfe in entfprechender Nichtung vor-
wärts reifte, zu erwarten. Der Kaifer hielt fir gewiß, der
Ehurfürft werde Fommen: hätte er etwas anderes im Sinn,
das wäre von einem deutfchen Fürften nie erhört. Nod)
am 28ſten Februar fehrieb er dem Churfürften von Bran—
denburg, er verfehe fich zu Moriß alles Gehorſams, gufen
und geneigten Willens. Aber einen größeren Meifter in der
Verſtellung hat e8 wohl Faum je gegeben als Morig war.
Keiner von feinen alten Näthen, Carlowis fo wenig tie die
andern, hatten Kunde von feinen Entwürfen. ! Noch von
Schweinfurt aus, am 27ften März, hat er die Bitte um
die Loslaffung des Landgrafen erneuert, unter dem Vorge—
ben, daß er fich fonft in dag Gefängniß der Kinder deffel
ben einftellen müffe. Und doch vereinigte er in dieſem Aus
genblicfe fchon fein Heer mit dem Kriegshaufen eben diefer
jungen Landgrafen, durch alle denkbaren Verträge gebunden,
dem SKaifer felber zu Leibe zu gehn.
Der Kaifer glaubte wohl, als die Sache ernfter ward,
es ſey auf nichts anders abgefehen als eben auf die Be
freiung des Landgrafen. Er ließ fich ganz trotzig verneh-
men, er werde den Leib deffelben im zwei Theile zerlegen
il abandonneroit son service, mais que Ja pluspart de sa noblesse
feroit le meme.
1. Ob es wohl Grund hat, was der florentinifche Geſandte be:
richtet: Il duca Mauritio serive di suo pugno, che procura di ri-
tirar il Marchese dall’impresa, con persuaderlo a posar larmi,
promettendo di voler esser al certo alli 12 a Linz. Wenigftens
fiehbt man, was man am Hofe glaubte.
En
— — — — — — —
Kriegszug gegen Cart V. 237
und jeden davon einer der Parteien, die ihn zwingen woll—
ten, entgegenfchicfen. !
Allein die Augfchreiben der verbündeten Fürften, die in
Einem Moment durch Deutfchland flogen, belehrten ihn bald
eines Andern. Nicht allein von diefer Befreiung war darin
die Nede, fondern eine ganze Neihe Beſchwerden geiftlicher
und sweltliher Natur ward darin nahmhaft gemacht: der
Überdrang der mit dem Concilium gefchehe, die Art und
Weife wie man auf den Neichstagen eine Fünftliche Mehr—
heit hervorbringe, welche alles zugebe, unter andern eine
Schatzung nach der andern, bald unter diefem bald unter
jenem Vorwand, die Antwefenheit fremder Truppen im Reiche,
während den Dentfchen felbft verboten werde auswärtige
Kriegsdienfte zu nehmen, der Hohn, mit welchem nach dem
Kriege Gehorfame und Ungehorfame behandelt worden, die
Entfremdung des Neichgfiegels, die eigenmächtige Anderung
ftädeifcher Näthe. Würden fie, die Zeitgenoffen, dag dul-
den, fo wirden fie dafür von den Nachkommen als Ver—
väther der mit fo viel Blut erworbenen Freiheit unfer die
Erde verflucht werden. Albrecht von Brandenburg prote—
ftirte, nicht der Perſon des Kaifers gelte fein Unternehmen,
fondern er fechte nur gegen das, was dem heiligen Neich
zumider geſchehe.“ Was ihr Sinn war, drückt Morig in
1. Straß an Joachim II Dfterabend 1552.
2. Des durchl. - - Hern Albrechten - - gemein Ausfchreiben und
Urfachen, bei Hortl. II, V, v; hierüber am ausführlihiten. Er ae
denft auch des mit Faiferlihem Privilegium erfchienenen Buches von
Avila, worin die deutfche edelfte und fürnehmbfte Nation der ganzen
Chriſtenheit abconterfeyt werde, als ob fie irgend eine barbarifche un:
befannte Nation fey.
238 Neuntes Buch. Sechstes Kapitel.
einem feiner Briefe bündig und unummwunden aus: fie wol:
[en den Pfaffen und den Spaniern nicht unter dem Fuße
liegen. |
Da leuchtete num wohl ein, daß e8 auf eine Abänderung
des ganzen Faiferlichen Negimenteg, wie e8 in und nach dem
fchmalfaldifchen Kriege eingerichtet worden, abgefehen fey.
Noch einmal erhob fich die ungebändigte Freiheit des al
ten Germaniens gegen die Ordnung und Gewalt welche
der Sieger gegründet und zu gründen im Begriff war. Und
zwar fanden eben Diejenigen an der Spiße, die früher von
ihren Glaubensgenoffen abgefallen, die Niederlage derfelben
befördert, Die Partei des Kaiferd gehalten hatten, die mäch-
tigften and Frieggeübteften. Die Antipathien der Neligion,
die durch alle die bisherigen offenen oder indirecten Angriffe
und durch die Bedrohungen des Conciliums angeregt wor:
den, gaben ihrem Unternehmen eine breite nationale Grund:
lage und Famen ihnen auf das mächtigfie zu Hülfe.
Und wenn nun der Kaifer gegen dieſe Erhebung des
proteftantifchen Elementes Hülfe von den Katholifchen er
wartete, fo fah er ſich auch darin getäuſcht.
Er wendete fich zunächft an die geiftlichen Churfürften,
die unter diefen Umftänden Trient zu verlaffen eilten. Der
Churfürft von Trier antwortete, er werde fich immer alg
ein gehorfamer Neichsfinft bewähren, um aber zu wiffen
was er in diefem Fall thun folle, müffe er erſt mit feinen
Räthen fprechen; fo erklärte fich auch Cölln; Mainz machte
fogar auf Hülfteiftung Anfpruch.
Und nicht bereitwilliger ließen fich die älteften Verbün—
deten und nahen Verwandten vernehmen. Herzog Albrecht
—
Kriegszug gegen Carl V. 239
verſicherte ſeine Ergebenheit auch aus dieſem Grunde außer
der allgemeinen Pflicht, allein er gab zu bedenken, welcher
Gefahr er ſich ausſetze, wenn er ſich jetzt ohne Verzug auf
die Seite des Kaiſers ſchlage.
Schon früher hatte man ſich am kaiſerlichen Hofe be—
klagt, daß Ferdinand den Verſuch, zur Abdankung des von
Magdeburg abgezogenen Heeres eine Anleihe aufzubringen,
nicht mit ſeinem Credit unterſtützen wollte. Faſt feierlich
forderte ihn jetzt der Kaiſer auf, ihm zu ſagen, was er als
ſein Bruder und als römiſcher König aus den Mitteln ſei—
ner Länder in dieſer gemeinſchaftlichen Gefahr bei ihm zu
leiſten gedenke. Der König antwortete, er brauche alle ſeine
Kräfte wider die Osmanen in Ungarn. Statt der Unter—
ſtützung kam dem Kaiſer vielmehr von dieſer Seite eine For—
derung zu. Seine Tochter Maria, Gemahlin Maximilians,
erſuchte ihn in dieſem Augenblick um 300000 Duc. ihrer
Ausſteuer, wofür ſie ſich eine gut rentirende Beſitzung in
Ungarn kaufen wolle. Der Kaiſer war ſehr geneigt, dieſe
Bitte den Einflüſterungen ihres ihm im Herzen feindlichen
Gemahls zuzuſchreiben. Er meinte faſt, es ſey eine allge—
meine Verſchwörung gegen ihn im Werke. Die Wechsler:
häufer in Augsburg, an die er fich wendete, verweigerten
ihm ihre Unterffüßung, fo günftig auch die Bedingungen wa—
ren die er ihnen vorfchlug. !
Wie war dem alten Sieger und Herrfcher da zu Muthe,
als fich in demfelben Augenblicke alle Feinde erhoben und
alle Mittel verfagten. n
1. Comme si lesdits marchands avoient entre eux quelque
intelligence secrete, pour non nous servir. (Lettre à Ferdinand )
240 Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
Einft hatte es in feiner Wahl geftanden, an der Spiße
der deutfchen Nation, mit Begünftigung des reformatorifchen
Elementes, laut der Neichsichlüffe von 1544, feine Macht
gegen die auswärtigen Feinde zu richten, wie die Franzo-
fen, welche befonders durch deutfche Unterftügung früher in
Stalien befiege und damals in ihrer Heimath zum Frieden
genöthigt worden: fo hauptfächlich gegen die Osmanen, was
in jener Zeit das größte Intereſſe hatte und der allgemeine
Wunfch war. Dann hätte er dag Kaiferthum in dem Sinne,
wie es ihm bei feinen Zügen nach Africa vorfchwebte, ent
wickeln können. Freilich hätte er z. B. Philipp von Heſſen
nicht als Feind, fondern als Mitftreiter behandeln, die Ein-
heit der abendländifchen Ehriftenheit nicht in die Gleichfor-
migfeit de8 Bekenntniffes fegen müffen: dafiir wäre e8 ihm
aber, fo lange die Türken fich noch nicht in Ungarn befeftigt
hatten, vielleicht möglich geweſen zugleich dieſes Land zu be-
freien und den Trieb der Eultur und Ausbreitung der in den
Deutfchen lebte, nad) der mittlern Donau, dem füdoftlichen
Europa hinzuleiten. Aber er fchlug einen entgegengefetten
Weg ein. Er traf eine Abkunft mit den Osmanen, die ihnen
Zeit Tieß fich in den eingenommenen Landfchaften zu befefti-
gen, mit dem MWerfe der Barbarifirung fortsufchreiten, und
nahm fich vor, in den Streitigkeiten des Glaubens und des
Ritus, welche die Jahrhunderte nicht haben befeitigen kön—
nen, beiden Parteien Maaß zu geben, er, von feinem po:
litiſchen Standpunet aus. Nun Eonnte aber die natür—
liche FSeindfeligfeit gegen die Osmanen doch nicht auf die
Länge befeitigt werden: im Jahr 1551 brad) fie wieder in
volle Flammen aus. Überhaupt wurde die Faiferliche Politik
Kriegszug gegen Cart V. 241
nach dem Tode des ältern Granvella nicht geſchickt genug
nach den friedlichen Geſichtspuncten hin geleitet. In dem—
ſelben Augenblicke erhob ſich die wetteifernde Macht von
Frankreich, die man unbekümmert ihrer andern Gegner hatte
Herr werden laſſen, zu den alten Beſtrebungen. Und indeß
war doch das Ziel der innern Politik mit nichten erreicht,
weder die Kirchenverſammlung in die erwünſchte Bahn ge—
leitet, noch die Succeſſion befeſtigt worden: vielmehr erwachte
in Folge dieſer Verſuche ein allgemeiner Widerwille in bei-
den religiöfen Parteien, über Stalin und Deutfchland hin,
und firömte nun in plößlichem Ausbruch mit den Außern
Seindjeligkeiten zufammen. In Ungarn verjagte der Paſcha
von Ofen die Haiducken und Spanier Ferdinands aus Sze—
gedin, noch che fie fich dafelbft befeftigt, und bezeichnete den
Anfang des April mit der Eroberung von Veſprim. Zugleic)
näherten fich noch zwei andre Heere unter dem Deglerbeg von
Rumili und dem zweiten Weſir der Pforte den ungarifchen
Grenzen. In Wahrheit, Ferdinand hatte ganz Necht, wenn
er darin eine Gefahr erkannte die alle feine Kräfte in An—
fpruch nehme. Auch zur See regfen fich die Feinde: in den
Gewäſſern von Malta erfchien Sala Nais in denfelben Ta:
gen, in welchen der König von Frankreich durch Lothringen
nach dem Elfaß und dem Oberrhein zog und die proteſtan—
tiſchen Fürften Augsburg bedrohten.
Der Kaifer felbft, ohne Truppen, noch Geld, entfernt
‚von den eigenen Landfchaften, aus denen er beides häfte zie-
hen können, ſah fich überrafcht in dem wenig verwahrten
Insbruck, und fo gut wie hilflos.
Er dachte fich anfangs zu feinem Bruder zurückzuziehen:
Ranke D. Geſch. V. 16
242 Neuntes Buch. Sechstes Kapitel.
der konnte e8 aber, in der verlegenen und ſchwierigen Lage
in der er fich perfünlich befand, felber nicht wünfchen, und
widerrieth e8 ihm.
Ein anderer Ausweg wäre gewefen, fich nach Ita—
lien zu wenden und bier fich aufs neue zu rüften. Allein
auch da war der Krieg nicht eben glücklich gegangen, überall
war dag Landvolk durch die Truppenzüge in Aufregung ge
ſetzt. Es fehien dem Kaifer nicht rathſam, fich mit feiner
geringen Umgebung auf die dortigen Landftragen zu wagen.
Auch meinte er, wenn er einmal in Stalien fey, eine Neife
nach Spanien nicht gut ablehnen zu können; mie leicht, daß
ihm dann bei der Überfahrt ein Unfall von den Franzofen
oder gar den Osmanen begegne: die größte Schmacd) in ſei—
nen alten Tagen. Eher hielt ex e8 für möglich den Ober
vhein zu erreichen und nach den Niederlanden durchzukom—
men. Dazu hat er fich wirklich in diefen Tagen entjchloffen
und den Verſuch gewagt. In tiefftem Geheimniß, mit Zu:
rücklaffung eines Briefes an Ferdinand, der aber erft abgege-
ben werden follte, wenn die Sache gelungen fen, brach der
RKaifer am Gten April nach Mitternacht von Insbruck auf,
begleitet von feinen beiden Kammerheren, Andelot und No:
fenberg, einem eigenen und zwei Diener Nofenbergs. Sie
bofften die große Straße durch die Claufe nach Ulm noch
frei zu finden. Durch Gebirg und Wald reitend Eamen fie
em Tten Mittag nach Naſſereith und nach Eurzer Naft in
die Nähe der Claufe. Hier aber erfuhren fie, daß Morig
bereitd auf dem Wege fey, um an demſelben fiebenten Füßen
zu befeßen. Sie wären ihm in die Hände gegangen, wären
fie fortgeritten, und eilten, nach Insbruck umzufehren. !
1. Eigener Bericht des Kaifers an feine Schwefter 30 Mai
uni —
Kriegszug gegen Cart V. 243
E8 war für den Kaifer Feine Rettung als daß er zuerft
nur diefes nächften und geführlichften Feindes durch irgend
eine Abfunft, einen Stillftand fich zu entledigen fuchte.
Und fo durfte es noch als ein Glück erfcheinen daß fein
Bruder immer mit Morig in freundlicher Verbindung gewe—
fen war, und in dem Moment feines Auszugs aus Sachfen
eine Zufammenfunft mit ihm in Linz verabredet hatte." Diefe
fand am 1Sten April wirklich Statt und führte nach einiger
Unterhandlung — wir werden gleich davon mehr zu fagen
haben — zu einem wenn auch nur vorläufigen Stillftand,
der hauptfächlich dazu dienen follte um eine zahlreichere Ver:
fammlung „zur Abftelung der Irrungen und Gebrechen deut:
fcher Nation” in Paſſau möglich zu machen.
Allein nicht zu fehr durfte fich der Kaifer auf diefen
Stillftand verlaffen.
Moris hatte den Anfang deffelben wegen der Entfer:
nung feiner Bundesgenoffen und mit Vorbehalt ihrer Ein-
willigung auf den Ilten Mai feftgefegt. Sie genehmigten
ihn aber erft vom 26ften Mai an.
Nun hatte der Kaifer im Laufe des April doch am
Ende einiges Geld zufammengebracht, und begann fich zu
vüften. In weiterer Ferne, bei Frankfurt, fo wie in der
Nähe, bei Ulm, fammelten fic) Truppen auf feinen Namen,
1552, obne den wir von diefer Thatfache nicht3 wiffen würden, bei
Bucholtz IX, 544.
1. Sommaire de la lettre du bourggrave de Meissen (Heinrich
Reuß von Plauen) au roy des Romains du 16” de Mars de Leip-
zik: -- quil a fait toate instance vers le duc, pour obtenir la
surseance des armes, mais que sans le sceu des autres luy n'a rien
voulu attendre. Man wählte Linz, „pour garder la reputation à 8,
M& et que icelle puisse etre de retour a Vienne.“ (Brüff. U.)
16 *
244 Neuntes Bud. Sechstes Capitel.
fein vornehmfter Mufterplaß aber war Neitti, unfern der
Ehrenberger Elaufe, die er ebenfalls befegen ließ. Die Ver:
biindeten meinten ihn genug zu Fennen, um annehmen zu
dürfen, daß er ihnen nichts bewilligen werde, fobald er wie
der über ein Kriegsheer gebiete. Moris trug Fein Beden-
Een die zwifchen der Bewilligung feiner Freunde und der fei-
nen inne liegende Zeit zu benugen, um die verfammelten Trup-
pen zu zerfivenen und dem Kaifer noch näher zu rücken.
Am 1Sten Mai griffen die verbündeten Fürften dag
Lager von Neitti an und fprengten e8 auf der Stelle aus
einander. Befonders in dem freudigen Georg von Meklen:
burg erwachte hierüber eine Schlachtbegier und Siegeszuver⸗
ficht die alles mit fich fortriß. Da fich ein Theil der Trup-
pen mac) der Claufe zurüchzog, fo ließen fie fich durch ihr
gutes Verhältnig zu König Ferdinand nicht abhalten unmit—
telbar auf diefen Platz loszugehn. Noch in der Nacht nah:
men fie eine Höhe ein welche die Befeftigungen beherrfchte.
Bon bier aus den andern Morgen vordringend fanden fie
weder in den Schangen an der Elaufe, noch in dem verboll-
werften Waffe, noch in dem Schloffe felbft nachdrüdlichen
Widerftand: ! neun Fähnlein fielen in ihre Hand. Und wie
nun wenn fie in dem hiedurch eröffneten Lande vordrangen
und den Kaifer in Insbruck überfielen? Es ift ein Irrthum
anzunehmen, fie hätten das nicht gewollt. Am 20ften Mai
iſt zwiſchen ihnen förmlich gerathfchlagt worden, ob fie, tie
1. Nach der Tyroler Relation, in Hormayrs Chronif von Ho-
henſchwangau Urf. 61 p. 47, blieb das Schloß felbit „unerobert, un-
angefehen der feind folhen an fieben Orten vermacht gehabt.“ Die
brandenburgiſchen Gefandten geben den Verluft des Kaifers auf 1200
Zodte und 2500 Gef. an.
Flucht Carls V. 245
ſie ſich ſehr unehrerbietig ausdrücken, „den Fuchs weiter in
feiner Spelunke“ ſuchen ſollten: fie entſchloſſen ſich hiezu.
Gott weiß was geſchehen wäre, hätte nicht das tumultua—
riſche Kriegsvolk, eben als es vorwärts gegen Aiterwang
geführt werden ſollte, nach dem Sturmſold geſchrien, den
es ſo eigentlich nicht verdient hatte und der ihm wirklich
aberkannt worden iſt, und darüber ſeine Waffen gegen Mo—
ritz ſelbſt gerichtet, ſo daß dieſer ihm nur mit Mühe entrann.
Dadurch bekam der Kaiſer Zeit, Insbruck zu verlaſſen:
er hat die Nachricht von dem Falle der Clauſe abgewartet,
ehe er ſich dazu entſchloß. Den I9ten Mai Nachmittags
ließ er noch den gefangenen Johann Friedrich in den Schloß—
garten zu ſich beſcheiden, und kündigte ihm dort ſeine Be—
freiung ſelber an: wiewohl unter der Bedingung daß er
noch eine Zeitlang dem Hofe freiwillig folgen ſolle. Fer:
ner trug er Sorge, daß die wichkigften Schriften und Klei—
nodien nach dem feften Schloß Nodenegg gebracht wurden.
Dann Abend um 9 Uhr brach er auf: beim Scheine brem-
nender Windlichter: die Nacht war regnerifch und Falt, dag
Gebirge noch mit Schnee bedeckt: der Kaifer litt an einem An⸗
fall feiner Krankheit. Sein erfier Zufluchtgort war Brunecken,
nicht einmal ein eigenes Schloß, fondern dem Cardinal von
Trient gehörig, der in den Verhandlungen über die Mahl
nicht eben als ein Freund des Hofes betrachtet worden war.
Den andern Morgen folgte ihm Johann Friedrich auf
diefeom Wege. Er erlebte nun, was er immer von feinem
Gott erwartet: zum erften Mal feit fünf Fahren fah er fich
von Feiner Spanischen Garde umgeben; er flimmte auf fei-
nem Wagen ein geiftliches Danflied an.
246 NMeuntes Buch. Sechstes Capitel.
Am. 23ften Mai rückte Morig an der Spitze feiner Rei⸗
ter und Fußvölfer in Insbruck ein.! Die Landsfnechte brü-
fieten fich in den prächtigen ſpaniſchen Kleidern, denn alles
was den Spaniern gehörte, ward ihnen von dem Churfür—
fien als gute Beute überlaffen: auf ihren Hüten glänzten
portugiefiiche Goldftückez einer nannte den andern Don;
übrigens aber mußte fie Moris auf das befte in Zucht zu
halten. Er tadelte Georg von Mecklenburg, der fich nur eine
Truhe auf dem Schloß hatte eröffnen laffen. Es war ihm
genug daß er fo weit vorgedrungen, er begehrte nicht mehr.
Übrigens blieb er, was König Ferdinand einen Augenblick
besmweifelte, entfchloffen, den Waffenftillftand von den be
ſtimmten 26ften an zu beobachten; unverweilt machte er fich
zu der angeſetzten Verfammlung auf den Weg.
Auch ehe wir die Verabredungen berückfichtigen, die da-
felbft gepflogen worden, erkennen wir, daß ihm durch den
Gang der Begebenheiten und ihre Entfcheidung die größten
Erfolge gelungen waren.
Bor ihm her wich der mächtige Kaifer höher ing Ge
birg, nach Villach: er ließ die Brücken hinter ſich abwer—
fen und in den fehtwierigfien Päſſen fpanifche Soldaten auf
ftelfen, um ein etwaniges Nachdringen zu verwehren.
Und indeffen löſte fich, auf der andern Geite des Ge
birges, dag Concilium von Trient von felber auf. Gleich auf
die erfte Nachricht von den deutfchen Ereigniffen, am Löten
1. Schreiben der brandenburgifhen Gefandten Iſten Suni: „Der
Ehf. von Sachſen it alsbald gegen Insbruck verruckt und alles was
fpanifch und denfelben zuftendig geweſt, welches die Bürger bei ſchwe—
rer ftraf anzeigen und in ein faufhaus zufammenbringen müffen, preis
gemacht: den Fönigifchen aber hat er nichts nehmen Iaffen.” (Berl. A.)
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Auflöfung des Conciliums. 247
April, Sprach der Papft, der ohnehin nur einen zu befennenden
Grund dazu herbeigewünfcht, die erneuerte Sufpenfion des
Conciliums aus. Das Concilium, dag man für guf hielt felb-
ſtändig handeln zu laſſen, machte dieſen Beſchluß am 28ſten
April zu dem ſeinen. Noch widerſetzten ſich jedoch die ent—
ſchiedenen Anhänger des Kaiſers, und bei weitem nicht Alle
waren abgereiſt, als die Nachricht von der Eroberung der
Clauſe erſcholl. Man glaubte in Trient, die proteſtantiſche
Bewegung werde unmittelbar der Stadt des Conciliums gel:
ten, und Alles, Prälaten und Einwohner, Vornehme und Ge
ringe, flüchtete in wilder Verwirrung aus einander, höher
in die Berge hinauf, oder hinab nad) der See: in die dich:
teften Wälder oder die fefteften Städte." Der päpftliche Fe
gat Erefcentio ließ fich durch feine Kranfheit nicht abhal-
ten dem allgemeinen Zuge zu folgen. Er ftarb als er in
Berona ankam.
Das konnte man wohl vorherfehen, daß eine Combi—
nation Eaiferlicher und conciliarer Macht, mie die welche
Earl V ing Leben gerufen, und mit der er die Chriftenheit
su beherrfchen gedachte, fobald nicht wieder erfcheinen könne.“
Was aber erfolgen würde, wer hätte Darüber in der Ver
wirrung jener Tage auch nur eine Bermuthung hegen Fönnen?
Der König von Frankreich zog im Elfaß hin und ber,
1. Maffarellus: unoquoque rebus suis fuga, vel ad altiores
montes vel densas silvas aut maritima loca seu finitimas civila-
tes, consulente. (Nainaldus XXI, p. 70.)
2. Schreiben Bugenhagens an den König von Dänemarf 15
Aug. 1552. „Das Conciliabel it zu Trennt (zertrennt), e3 bleibt
zu Zrennt, zu Zrennt, ve. (Schumacher Briefe an den König von
Dänemarf I, 186.)
248 Neuntes Buch. Sechstes Kapitel.
befeßte die Eleineren Städte, nahm die größeren, z. B. Straß
burg von den Hausbergen aus, in Augenfchein. Es war
eine Verſammlung der nächftgefeffenen deutſchen Fürften in
Worms gehalten worden, allein fie hatten fich nicht entichlie;
Ben können Widerftand zu Teiften: nur eine fehr höfliche Bitte
legten fie ein. ;
Schwach, wie die meiften waren, ohne die Nähe des
mächtigen Kaifers der fie zuletzt vereinigt, von zwei mächti—
gen Feinden in die Mitte genommen, und ohne den Nick
halt befonderer Bündniſſe die fie fonft wohl geſchützt hatten,
waren fie auf ein nach beiden Seiten wohl abgewognes Ber
fahren angewiefen, um nicht zu Grunde gerichtet zu werden.
Der Herzog von Eleve wagte nicht das längſt gegebene
Berfprechen eines Befuches bei Königin Maria zu erfüllen,
weil er fürchtet, Morig möchte ihn darüber öftreichifcher
Gefinnung verdächtig halten. !
Sp gewaltig erfchien damals das Übergewicht der Geg-
ner diefes Haufeg, daß in einer Verſammlung oberdeutjcher
Fürften zu Heidelberg die Frage vorgefommen ift, — fo ver:
fichert wenigſtens Königin Maria, — ob Carl V nicht des
Neiches zu entfeßen fey.
Allein auch der Kaifer gebot doch noch über mannich—
faltige Kräfte, die er nur zu fammeln brauchte; nur die Über
rafchung einer unerwarteten Combination hatte ihn im erften
Augenblicke befiegt.
Er hoffte fogar einen Theil der Proteftanten auf feine
Seite zu bringen. Das große Anfehen das Johann Friedrich
1. Schreiben der Königin 15 Mai, 24 Mai 1552. (Br. X.)
2. Schreiben der Königin 1 Aug. 1552. (Br. 4.)
Ausfichten. 249
genoß, follte ihm dienen, fie um fich zu ſammeln. Königin
Maria rechnete auf die Anhänglichfeit von Nürnberg und
Frankfurt. Ein Gedanke taucht von Zeit zu Zeit auf, der
die weiteſte Ausſicht eröffnet hätte, nemlich der, ſich mit dem
in den meiſten Territorien ſchwierigen Adel zu verbünden
und ihn gegen die Landesherren aufzurufen. Johann Fried⸗
rich meinte, der Kaiſer müſſe nur vor allem erklären, daß
er das Wort Gottes nicht verfolgen wolle, und die freie
Predigt erlauben, damit werde er die Zuneigung der deut—
fchen Nation twiedererwerben. Er rieth ihm den alten froni-
men Churfürften von Cölln wiederherzuftellen: dann wolle
er, Johann Friedrich, die Heerführung felber übernehmen
und dag feindliche Heer gewiß aus einander fprengen. !
Wir fehen: noch ſchien alles möglich.
Berlieren wir uns jedoch nicht in dag Allzuentlegene,
fo ift die Hauptfache daß ein europäifcher Krieg ausgebro-
chen war, der Deutfchland wieder in der Mitte zerfchnitt.
Es mußte fich zeigen, ob in dem Kampfe der beiden großen
Mächte die Deutfchen vollends unter einander zerfallen, oder
ob fie — dem auch diefe MöglichFeit ſtellte fich dar — zwi—
chen denfelben zu einer erneuten GSelbftändigkeit gelangen
würden.
l. Les points et articles que le duc Jehann Frederic de
Saxe a faict par le seöretaire Obernburger, 23 Mai. (Br. X.)
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Zehntes Buch.
Epoche des Religionsfriedens.
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Erſtes Capitel.
Verhandlungen zu Linz und zu Pafjau.
Es mußte wohl fo feyn, daß ein Fürſt von der Her
kunft, Weltftellung und Gefinnung wie Carl V Abfichten
faßte wie er fie gefaßt hat, und bei den Kräften die er ein-
ſetzen konnte, dem Talent das ihm eigen war, und den Feh—
lern die feine Gegner begiengen, in ihrer Ausführung fo
weit vorfchritt.
Die Nothivendigfeit der Dinge brachte aber doch mit
fich, daß er damit nicht zu Ende Fommen Eonnte.
Er verfocht Ideen der formellen Einheit der abendlän-
difchen Chriftenheit, welche noch nicht aufgegeben, von den
beftehenden Zuftänden und den Meinungen der Menfchen
noch nicht auggefchieden waren, aber doch auch weder die
einen noch die andern mehr beherrfchten.
Diel zu entwickelt, mächtig und voll Selbftgefühl wa—
ren die andern europäiſchen Neiche, um fich ein Übergetwicht
des Kaiſerthums gefallen zu laffen.
Und viel zu tief war der Widerwille gegen die vor:
nehmfte NRepräfentation der geiftlichen Einheit gewurzelt, der
Widerfpruch der wider fie erhoben ward, viel zu gut begrün-
254 Zcehntes Bud. Erſtes Capitel.
det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine befchränkte
Unterordnung unter Diefelbe fic) hätte wiederherftellen laſſen.
Den aus der Vergangenheit auffteigenden Ideen der
formellen Einheit festen fich Tendenzen politifcher und reli-
giöfer Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländifchen
Nationen eine neue Zukunft eröffneten.
Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli-
tischen und des religiöfen Gegenfageg, um die geiftlich- welt:
liche Autorität zu zertrümmern, die fich über beide zu erhe—
ben fuchte.
Da nun aber das Kaiſerthum, das zu fo umfaffenden
Manen Anlaß und Nechtstitel gab, wie e8 auf der deutfchen
Nation beruhte, fo auch die Staatggewalt in derfelben bil-
dete, fo trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf
daffelbe auch dieſe zerfprengt, und entweder die Anarchie
wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb:
licher Einfluß eingeräumt werden möchte.
Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke
alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: bier war dieß
nicht der Fall.
Bei dem ihm felbft unerwarteten Fortgang feineg Glückes
gab zumeilen auch Morig der Hofnung auf baldigen Frieden
Raum: man verficherte ihm, der Kaifer werde im Reich folche
Borfehung thun, daß den Ständen augsburgifcher Eonfeffion
ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetaftee bleibe: er werde
fich auch mit dem König von Franfreich über deffen An—
fprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Ehriftenheit
gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre dag aber
wirklich zu erwarten gewefen!
Verhandlungen zu Linz und zu Paffau. 255
Wer auf ein einigermaßen freiwilliges Zurücktreten des
Kaifers von den einmal ergriffenen Planen vechnete, der
Fannte ihn ſchlecht; noch viel weniger aber wären die Fran—
zofen gemeint geweſen, fich mit einer Auseinanderfegung der
gegenfeitigen Anfprüche zu begnügen, und die Pläße die fie
vom Neich eingenommen, fo leicht wieder zu verlaffen.
Vielmehr war nichts andereg zu erwarten als ein lang-
wieriger und gefährlicher Krieg, der leicht auf deutfchem Bo-
den felber ausgefochten werden, alles vollends entzweien, den
Türken cher den Weg nach Deutfchland eröffnen Eonnte.
In Epochen diefer Art zeigt ſich am beften, ob in ei
ner Nation noch jene Kraft vorhanden ift, welche Staaten
bildet und erhält, ein conftitutiver Genius, der wenn dag
Bisher: befiandene zerfällt, die Fähigkeit entwickelt etwas
Neues und Angemeffeneres hervorzubringen.
Leicht war e8 in unferm Falle nicht, einen Ausweg zu
treffen. Die alte Parteiung zwiſchen Oftreich und Frank
reich, die alle Intereſſen anregte, berührte fich mit der reli:
giöfen Entzweiung, welche längft die Gemüther ergriffen: «8
fchien wohl, als ob es zu einem mitten durch das Neich
fchneidenden Gegenfaß einer franzöfifch proteftantifchen und
einer öftreichifch > Eatholifchen Partei Fommen müßte.
Das erſte Moment was eine Nettung aus diefer Ge
fahr darbot, lag darin, daß der römifche König weder die
Abfichten noch auch dag Intereſſe feines Bruders vollkom—
men theilte. Unmittelbar vor dem Aufbruch des Kriegs:
heers erinnerte Churfürft Joachim von Brandenburg feinen
Nachbar Moris, fich doch an König Ferdinand zu wenden,
der es immer gemißbiliigt daß der Landgraf gefangen genom⸗
256 Zehntes Buch. Erfies Eapitel.
men worden, überhaupt, keinen Theil: daran habe, wenn von
den Eaiferlichen Näthen die Wohlfahrt der deutfchen Nation
vernachläfige und fo viel. Grund zur Befchwerde gegeben
worden fen, der vielmehr, „alle Sachen des gemeinen Va—
terlandes väterlich, treulich und gnädiglich meine." Wir be
rührten fchon, wie Moritz; noch in feinem Land, eine Zufant-
menfunft mit dein römischen König zu Linz werabredete.
Noch vor der Unternehmung auf die Ehrenberger Claufe,
am 18ten April, fand diefelbe Gtatt.
Churfürft Morig eröffnete fie mit Aufftellung einiger
Forderungen, die fich zum Theil auf dag unmittelbar Vor:
liegende bezogen, die Befreiung des Landgrafen, Sicherheit
für die welche die Waffen ergriffen, zum Theil aber auch,
und dieß war ohne Zweifel das Wichtigfte daran, auf die
großen Angelegenheiten der Religion und der Kirche. Und
da war nun befonders merfwirdig, daß er die Zugeftänd-
niffe wieder forderte, welche der Kaifer zu jener Zeit, in wel
cher der Proteſtantismus in noch ununterbrochener Entwicke—
‚lung zu feiner größten Macht gelangt war, am Neich$tag
su Speier im Jahr 1544 gemacht hatte, und nur noch
auf eine Harere DVerficherung derfelben antrug.“ Bei dem
erften Umfchlag des Glückes tauchten fie wieder auf, und
zwar unter dem Vortritt Degjenigen, der früher es haupt
fächlich dem Kaifer möglich gemacht fie unausgeführt zu
1. Artikel zu Torga Fegen einander übergeben. (Arch. zu Bert.)
2. Zweite Schrift von Moriß, in Linz. „weil gleihwol die
Stende der Augsburgifhen Confeſſion, wie f. hf. On. anders nicht
wiffen, mit dem Abfchied, fo der Neligion halber im 44 Far zu
Speyer aufgericht, zufrieden geweſt, fo verhoffen f. hf. Gn., der Sf.
Mt werde auch nochmals nicht entgangen feyn, der Wuncten halber
clare und gewiffe Vorfehung zu thun.“
Verhandlungen zu Linz. 257
laffen. Von dem Interim, meinte Churfürft Moritz jett,
dürfe niemals wieder die Rede feynz eine Vergleichung der
Religion müſſe nicht weiter auf einem allgemeinen Concilium,
fondern nur auf einem nationalen oder auf einem abermali-
gen Colloquium verfucht werden. Niemand dürfe in Zukunft
der Religion halber Kriegsgefahren zu beforgen haben.
Und fo viel gab König Ferdinand, wenngleich nur fir
feine Perfon, auf der Stelle nach, daß ein allgemeines Eon-
cilium wie dag Tridentiner, zur Beruhigung von Deutſch—
land nicht fehr geeignet ſey; er zeigte fich überhaupt in al-
len Dingen entweder felbft einverftanden oder doch zur Nach-
giebigfeit bereit.
Nicht fo aber der Kaifer, dem die in Ling: gewechfelten
Schriften durch) Schwendi zugefandt wurden.
Er weigerte fich nicht miehr, den Landgrafen loszulaſ—
fen, aber er forderte eine ſchwer zu beftellende Sicherheit
gegen alle daraus etwa zu erwartenden Nachtheile." Was
den Neligionspunct betrifft, fo vertwahrte er fich in feiner
officiellen Antwort zunächft nur gegen jede Erwähnung des
Nationalconciliumg, die ihm von Anfang an verhaßt gewe:
fen war, allein Faum war diefe Erklärung gegeben, fo wollte
ihm fchon fcheinen als laffe fie eine allzu weite Deutung zu,
und er erläuferte durch ein paar eigenhändige Worte, daß
er auch ferner auf der Heimftellung der Glaubensftreitigkeiten
an ein Concil beftehe, gemäß den bisherigen Befchlüffen der
Keichstage. ?
1. Reponse de l’empereur donnée a Zwendy 25 Avril 1552.
(Anbang.)
2. Copie des lettres de la main de l’empereur au roi Fer-
Ranke D. Gef. V. 17
258 Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
Bei diefem feften Verharren des Kaiferg auf dem ein-
mal ergriffenen Standpunct, und da auch Churfürſt Moritz
nicht ermächtigt war für ſeine Bundesgenoſſen abzuſchließen,
konnte man hier keinen Schritt vorwärts kommen, und be—
ſchloß jede weitere Erörterung auf eine andre Zuſammen—
kunft zu verſchieben, nächſten 26 Mai, zu Paſſau, zu wel—
cher ſämmtliche Churfürſten und eine Anzahl geiſtlicher und
weltlicher Fürſten, die gleich hier benannt wurden, eingela—
den werden ſollten.
Wie geringfügig dieſer Erfolg auch ſcheint, ſo war er
doch ſehr bemerkenswerth.
In frühern Zeiten hatten die beiden Parteien ſich in—
nerhalb der Reichsverſammlung einander entgegengeſetzt: jene
alte Mehrheit des Jahres 1529, und die proteſtantiſche Min—
derheit, die jedoch unaufhörlich anwuchs; und der Kaifer
hatte es als ein Hülfsmittel der Macht benußt, zwiſchen
ihnen eine Ausgleichung zu fuchen; mochte man fich anftel-
[en wie man wollte, — in dem Abfchied zu Linz drückte
man fich auf das behutfamfte aus, — fo erfchien jetzt der
Kaifer als Partei, als die andre der in der Kriegshandlung
begriffene Bund; ſchon an und fir fich gewann ein Aug:
fchuß der Neichsfürften, der ausdrücklich dazu berufen ward
um eine gütliche Unterhandlung zwifchen ihnen zu werfuchen,
eine großartige Stellung.
Die Abficht des Churfürften Mori gieng gleich bei fei-
dinand, Inspr. 10 Avril. M’a sembl& outre le contenu de la dite
reponse vous declairer tres expressement et briefvement mon in-
tention quest en premier lieu quant a celui de la religion que
je n’entends m’obliger ny traitter sy non me remetlant a ung con-
eile conforme aux decrets passes.
Verfammlung zu Paffau. 259
nem erſten Antrage auf eine folhe Verſammlung dahin,
daß derfelben die Beſchwerden die man gegen die bishe
rige Regierung zu machen habe, vorgelegt, von ihr erörtert
werden follten. !
Und Feineswegs auf bloße Wermittelung mochte fich
diefe Verfammlung befehränfen. Sie war ungefähr auf die
nemliche Weiſe zufammengefeßt wie die "alten Negiments:
täge, und eine wiewohl unregelmäßige Nepräfentation des
Reichs. Churfürft Morig brachte fie eben darum in Vor:
fchlag, weil er und feine Freunde auf Eeinen Neichstag war:
ten wollten.
Um die beftimmee Zeit erfchienen die eingeladenen Stände;
neben dem römischen König und dem Churfürften Morig die
fünf übrigen Ehurfürften, die Herzöge von Braunfchweig,
Jülich, Pommern, Würtenberg, Markgraf Johann und der
Bifchof von Würzburg durch ihre Abgeordnete, der Herzog
1. „Dieweil fih denn auch J. Chf. Gn. befaren, wo die beſchwe—
rungen und mengl fo zuwidder der alten loblichen deutfchen Nation
hergebrachten Freihait an vill weegen angeßogen werden, alfererft auf
einen Neichstag folten verfhoben werden, das folches bey den Sten—
den fo jeßo beifammen feyn (ohne Zweifel: mit ihrem Kriegsvolf)
vorzüglich möchte angefehen werden und allerley nachdenfen machen,
So bedachten 3. Ch. ©. undertheniglihen zuforderit, weill 3. Ch. G.
auch entlich jegund allhie zu fchliefen der andern halben nit gewalt
babe, das 23 am bequemjten und peften feyn follte, das alsbald
jeßund etlih Chur und Fürften des Neiches benannt, des gleichen aud)
ein Tag und Malftadt nach der Funigl. Mt gnedigften Gefallen an:
gefeßt wurde, auf welchem folh Chur und Fürften neben der Khun.
Mt und deffelben geliebten Son Kh. Marimilian zufammenfommen
und aljodann nach anhorung folcher beſchwerung, welche denn ein je-
der ftand auf diefelbe Zeit feiner Nothdurft nach) anzuzeigen wird
wiffen, aller diefer Artiel halber eine gewiffe beftendige und freund:
liche Vergleihung machen.“ Erflärung von Moriß zu Link o. D.
im Berliner Archiv.
———
260 Zehntes Bud. Evftes Kapitel.
Albrecht -von Baiern, der Erzbifchof von Salzburg, der Bir
fchof von Eichftädt in Perfon.
Schr bezeichnend ift die Stellung welche die Stände
dem römifchen König gegenüber einnahmen. Ferdinand hätte
gewünſcht an ihren Sigungen Theil zu haben, denn nicht
als Partei fen er hier, etwa als Stellvertreter des Kaiſers,
diefer habe vielmehr feine eignen Näthe am Platz. Die
Stände haften wohl nicht Unrecht, wenn fie dieß nicht
ganz mörtlich für wahr hielten, da der König fo eben
vom Kaifer Fam und mit demfelben ununterbrochen in brief
lichem Verkehr ftand. Beſcheidentlich antworteten fie, ihr
Sinn ſey nicht, ihn augzufchließen, fondern ihm nur die
Mühe zu erfparen, ihren Sitzungen beisumohnen, die Stim-
men abzufordern; aber wie fie fich auch ausdrücken moch-
ten, dabei blieben fie, fich erſt unter einander berathen zu
wollen: die Meinung über welche fie einig geworden, wür—
den fie dann dem König vorlegen, und ſich mit der verglei-
chen, welche er indeß felbft gefaßt habe." Indem ſie ſich
von ihm abfonderten, um nicht gleich bei der erfien Faſ—
fung der Beſchlüſſe geftört zu werden, waren fie doch weit
entfernt fich ihm enfgegensufeßen. Sie gaben ihm vellfom-
men Recht, wenn er darauf drang, daß aller franzöfifche
Einfluß vermieden werde. Obgleich der franzöfifche Gefandte
sugegen war, fo befam er doch von deutſchen Gefchäften
nichts zu erfahren. * In dem Entwurf zu einer Inſtruction,
1. Prothocoll Lambert Diftelmeyers (hier und im Folgenden
meine vornehmſte Duelle) im Berliner Archiv.
2. Er hielt eine Nede, von welcher Sleidan XXIV, p. 375 ei:
nen Yuszug mittheilt. Die Stände forderten ihn auf, zu weiterer
Unterhandlung feine Inſtruction einzugeben, wie damals Gitte war:
Verhandlungen zu Pajfan. 261
nach welcher Markgraf Albrecht aufgefordert werden follte
dem von ihm noch nicht angenommenen Stillftand beizu—
treten, war als ein Beweggrund angeführt worden, daß
der franzöfifche Gefandte damit einverftanden fey, ein Mo—
tiv das hier wohl eine Wirkung haben Fonnte: auf die Er:
innerung des römifchen Königs aber, daß folch eine Bezug:
nahme auf eine fremde Macht dem Reiche ſchlecht anftehe,
ließ man fie weg.
Der Sinn der Stände war, den Einfluß wie der Fai-
ferlichen, fo noch viel mehr der franzöſiſchen Intereſſen zu
vermeiden, und aus dem Schoofe des verfammelten Neichg-
fürftenrathes eine Vermittelung der ausgebrochenen Strei-
tigfeiten hervorgehn zu laffen.
Und da lag nun die Summe des Ereigniffes, und ge
tiffermaßen ein neuer Anfang für die Erhaltung und Ent:
wickelung des Neiches darin, daß in dieſer Verſammlung
Farholifche und evangelifche Fürften vereinigt waren, einmü—
thig entfchloffen Feinen Krieg in Deutfchland zugulaffen. !
Bisher hatten die Fatholifchen Neichsfürften noch immer
darauf beftanden, den Proteftantismus fo weit wie möglic)
zurückzudrängen, oder lieber ganz zu vernichten, fey e8 nun
er bielt es für hinreichend ihnen eine Abfchrift feiner Rede mitzuthei-
len: non denegare orationem habitam scripto communicare, ut et
feeit, additis literis asserti secretarii regis Galliarum, ad se non
solitis literis sed characteribus (Chiffern) scriptam, qua (epi-
stola) asserebat injunctum sibi, ea coram statibus proponere. Alſo
eine chiffrirte Inſtruction theilte er mit, deren Sinn er felbft aus:
legte. Prothocoll Diftelmeyers.
1. Schreiben von Straß vigilia corp. Chi an den Churf. von
Brandenburg. „Die anmwefenden jtende allhie laffen vernehmen, das
fie feinen krigk in Deutfchland haben noch leiden wollen: welches
denn die fache fer freibet und fordert.‘
262 Zehntes Bud. Erftes Capitel.
jelbftäandig, durch die Mehrheit der Stimmen am Neichstag,
oder unter der Führung des Kaifers: jeßt fahen fie ein, daß
daran nich: mehr gedacht werden Fonne.
Die Übermacht der proteftantifchen Fürften war in die:
fem Augenblick vielmehr fo groß, daß fie felber von ihnen
überwältigt, ja vertilgte zu werden fürchten mußten. Der
Kaifer war nicht im Stande fie zu ſchützen, aber wäre erg
auch geweſen, fo hätten fie wenig Freude davan gehabt: fie
fühlten fo gut wie die andern, daß fein überwiegendes An-
fehen ihre Selbftändigkeit, die Yutonomie der Nation bedrohe.
Eine der wirkfamften Veränderungen bildete der Negierung®:
wechſel in Baiern. Jetzt feßte fich Fein Leonhard von Eck
mehr in den DBefis des maaßgebenden Einfluffes bei den
Fatholifchen Berathungen; Albrecht V, von Natur gemäßigt
und nachgiebig, in feinen erfien Jahren fogar evangelifchen
Anmandlungen nicht unzugänglich, jetzt überdieß bedroht und
gefährdet, hütete fich die Politik feines Vaters fortsufegen,
die wenigftens im Verhältniß zum Kaifer nur zu Nachthei-
len geführt hatte.
In feinem erften Gutachten nun gieng Churfürſt Moritz
von dem Zugeftändniß Ferdinands aus, daß ein Concilium
wie das tridentinifche fchiwerlich jemals zur Vergleichung füh—
ven dürfte, und Fam auf die Idee eines Nationalconciliums
zurück, das fo oft vorgefchlagen worden und nie hafte erreicht
werden können.“ Doch wollte er e8 auch auf deffen Ent:
1. „darin die Gelehrten der h. Schrift beiderjeit3 gehört wer-
den und einander guten chriftlichen Befcheid geben.” Die Berband:
lungen begannen Iſten Suni früh 7 Uhr, wo Ferdinand Morig auf:
forderte, wie er dem Kaifer meldet, „de bailler sa reponse et deli-
beration sur les articles de Linz.“ Hierauf folgt die Erflärung
von Moriß.
Verhandlungen zu Pajfau. 263
fcheidung nicht ankommen laffen. Er forderte vielmehr ei—
nen Frieden welcher immer beftehe, möge nun die Verglei-
chung zu Stande Fommen oder nicht. Denn nur von den
Mißbrauchen, fagte er, fchreibe fich die Spaltung herz in
den Hauptartifeln chriftlichen Glaubens fey man Gottlob ein-
verftanden; der Kaifer müſſe die Stände augsburgifcher Eon:
feifion vor allem verfichern, daß ihnen Feine Ungnade noc)
Befchwerung weiter bevorftehe. Zu dem unbedingten Frie—
den aber gehöre ferner, daß man auch Feine Entfcheidung
des Neichstags wo die der Confeſſion entgegengefeßte Par-
tei das Mehr habe, noch des Kammergerichts wie c8 jetzt
eingerichtet fey, befürchten dürfe: man müffe die Artikel über
Friede und Recht wiederherftellen und zur Ausführung brin-
gen, wie fie 1544 gegeben worden.
Ziweierlei, wie wir fehen, forderte er: das Aufgeben je
ner comciliaren auf die Wiederberftellung der Einheit, auch
im Wege der Gewalt, hinzielenden Ideen, und dagegen eine
den Frieden der Evangelifchen fichernde Einrichtung im Neiche.
Es waren ganz die altproteftantifchen Tendenzen: nicht zu
befehren, noch zu vertilgen, fondern nur zu beftehn, Fraft
der alten Berechtigungen der auf Neichsfchlüffe fich ſtützenden
Minderheit. Im Fahr 1544 hatten die Proteftanten ihre
Abſicht noch durch den Einfluß der Faiferlichen Gewalt zu
erreichen gemeint: im Jahre 1552 hielten fie das Schwert
in der Hand um fie durchzufeßen. Der Kaifer war über:
raſcht, im ferne Alpen zurückgefcheucht; die geiftlichen Für:
fien, die bisher die Majorität gebildet, in ihren Landfchaf:
ten angegriffen, und fchon zum Theil in die Hände der
Proteftanten geliefert. Unter dieſen Umftänden bot ihnen
264 Zehntes Bud. Erftes Kapitel.
Morig noch einmal die alten Bedingungen an, die freilich),
wenn fie dem Kaifer abgerungen waren, weit eine andre
Bedeutung erhielten, als wenn er fie frei und gern bewil—
ligt hätte.
Und auf die erfte diefer Forderungen nun giengen die
in Paffau verfammelten Fürſten mit allgemeiner Beiftimmung
ein. Jene dee einer Herftellung der Einheit, wie fie von
dem Kaifer angeftrebt ward, hatte fich ihnen allen felber ge-
fahrbringend erwiefen. Auch fie fanden, daß das tridenti-
niſche Eoncilium nicht geeignet fey die Spaltung in der Ne
ligion zu heben. Zwar wollten fie fich hiebei nicht im Vor—
aus gegen ein andreg allgemeines Concilium erklären: fie
behielten dem Neichgtag vor, nochmals zu unterfuchen, auf
welchem Wege dag Ziel am beften erreicht werden könne,
durch ein nationales oder doc) wieder ein allgemeines Con—
cil, oder dich welches andre Mittel! Darin aber ſtimm—
ten fie dem Ehurfürften bei, daß auf jeden Fall Friede be
ftehn müſſe, welches auch der Erfolg der Vergleichsverfuche
feyn möge, und eben darauf Fam es an. Die Frage war,
ob im Kreiſe der abendländifchen Chriftenheit ein friedliches
und ficheres Dafeyn möglich ſey, ohne die Dberhoheit des
Papſtthums oder auch eines Concils anzuerkennen, mochte
nun da ein Kaifer oder ein Papft den größern Einfluß ha—
ben. Diefe Frage bejahten jetzt die mächtigſten Neichsfür:
ften, auf welchen feit dein dreisehnten Jahrhundert dag Neich
und zum guten Theil die Kirche gegründet geweſen, Fatho-
liſche und proteftantifche, geiftliche und weltliche. Sie mein:
1. Gutachten der Churfürften und Fuͤrſten am 6ten Juni, im
Berliner Archiv.
Dr Te Ze u ee
Verhandlungen zu Paffau. 265
ten, der Friede müſſe beiderlei Ständen zu Gute kommen
und ſie gegen einander ſicher ſtellen. Am 6ten Juni 1552
verfaßten die Fürſten dieſes auf ewig merkwürdige Gutach—
ten; am 77ten erklärte König Ferdinand in dieſem Puncte
feine Beiftimmung dazu.
Wie nun aber diefer Grundfaß in den Ordnungen des
Neiches geltend zu machen fey, darüber Eonnte man ſich
nicht fogleich vereinigen. Die vermittelnden Fürften vermie—
den noch die Erwähnung der fpeierfchen Befchlüffe von 1544,
die ihnen oder ihren Vorgängern größtentheils zuwider gewe—
fen: nur Eine Stimme trug auf Wiederernenerung und Voll
siehung derfelben an; aber fie beiwilligten, daß bei dem Abfchluß
des Friedens auch über die Bejegung des Kammergerichts
Beftimmung getroffen würde. König Ferdinand trat noch
einen Schritt weiter zurück: ev wollte diefe Beftimmung fo
tie die Beichwerden die Moritz vorgebracht, auf den Neichg-
tag verweifen. Churfürſt Morig war hiemit nicht zufrieden:
er forderte die ausdrückliche Zuficherung unparteiifchen Nech:
te8 und die Aufhebung des Neichsabfchiedes von 1530, auf
den die Affefforen bisher verpflichtet worden. Es Fam hier:
über zu einem lebhaften Schriftwechfel, in welchem jeder Theil
auf feiner Meinung befand. Glücklicherweife hatte Moritz
auch feinerfeits etwas anzubieten. Bei der Verficherung der
Fatholifchen Fürften in ihren Befisthümern, die eine andre
Hauptgrundlage des Friedens bildete, hatte er die Worte ein:
fliegen laffen: „ſo viel fie noch in Poffeffion derfelben ſeyen“:
eine Claufel von der größten Bedeutung, da fehon manches
Amt bifchöflicher Lande von Markgraf Albrecht in Befig
genommen worden. Die vermittelnden Fürften machten ihn
266 Zehntes Bud. Erſtes Kapitel.
aufmerkſam, daß dadurch das Necht verkürzt, der gefammte
Nechtszuftand zweifelhaft werde. Indeſſen beftand Morig
fo lange auf feinem Vorfchlag, big fie und der König fich
ihm auf der andern Seite wieder näherten. Dabei blieb
es auch jett, daß die Sache definitiv erft am Neichgtag ab-
gemacht werden möge: aber im Voraus erklärten die Für—
ften, daß alsdann die Gleichheit bewilligt und die Form des
Eides frei gelaffen werden follte. Nicht ganz fo weit, denn
nur in Kleinen Schritten, fehr langſam, rücken diefe Angelegen:
heiten vorwärts, wollte König Ferdinand gehn. Die Gleich:
heit im Voraus zu bewilligen, fchien ihm ein Punct den
der Kaifer nicht genehmigen würde, aber dazu gab er feine
Zuftimmung, daß es freiftehen möge, ob man den Eid
su Gott, oder zu Gott und den Heiligen ſchwören folle.
Man bemerkte, daß in den Nechten beide Formen gültig
ſeyen. Und war dieß nicht im Grunde eben daſſelbe?
Die evangelifchen Affefforen waren bisher zurückgewieſen wor—
den, weil fie den Eid zu den Heiligen nicht ſchwören woll—
ten; fie mußten angenommen werden wenn man denfelben
nicht mehr forderte. Der Verpflichtung auf den Reichsab—
fchied von 1530 follte durch eine Elaufel begegnet werden,
nach welcher Fein früherer Schluß dem neuen Friedftand ab:
brechen, derogiren folle.
Dergeftalt vereinigte man fich in einer aus beiden Ne
ligiongparteien gemifchten Berfammlung über die wichtigſten
Berhältniffe die in Zukunft zwiſchen beiden obwalten follten.
1. „Dieweilen ohne das bede Formen in Nechten befunden.“
Auf des Churfürften von Sachſen Neplif Bedenken der Churfürften
Fürften ꝛc.
Verhandlungen zu Pafjau. 267
Die Katholischen, welche auch dort die Mehrzahl aus:
machten, gaben die Vortheile auf, welche ihnen aus der Idee
einer allgemeinen Bereinigung der Chriftenheit und ihrem
Übergewicht am Reichstag entfpringen konnten.
Dagegen verzichtete man evangelifcher Seits darauf,
fich der Übermacht die man in diefem Augenblicke beſaß, zu
bedienen, die hohen Geiftlichen, wie man anfangs gedacht,
geradezu zu verjagen, oder auch nur die ihnen fchon entrif-
jenen Gebietsftrecken zu behalten.
Wurde der Nechtsftand der Proteftanten erweitert und
einigermaßen firirt, fo hatte die andre Partei dagegen die Ge:
nugthuung, ihre bedrohten Beſitzthümer gefichert zu fehen.
Und da man nun in der Hauptfache verglichen war, fo
folgten die andern Puncte von felber nach. Man Fam überein,
daß der Landgraf in einer beftimmten Frift zu Nheinfels auf
freien Fuß gefetst werden folle. Für die Urtel die während der
Euftodie in feinen Angelegenheiten gefprochen worden, ward
ihm Sufpenfion und Nevifion verheißen. Alle Die welche
in dem legten Kriege um Land und Leute gekommen oder
die Flucht ergreifen müffen, von den SKriegsanführern der
Rheingraf, Albrecht von Mangfeld und fein Sohn, Chri—
fioph von Oldenburg, Heideck, Reckerode und Schärtlin, un-
ter den Fürften Wolfgang von Anhalt und Otto Heinrich)
von der Pfalz, follten wieder zu Gnaden angenommen wer:
den, und fich nur verpflichten, fernerhin nicht gegen den Kai—
fer zu dienen; die der jegigen Kriegsübung Verwandten fol
ten die Waffen niederlegen, ihre Eroberungen herausgeben
und dagegen einer Generalammeftie genießen.
Mit Freuden melden die brandenburgifchen Gefandten
268 Zehntes Bud. Erftes Capitel.
nad) Haus, daß es fo weit gefommen fey, hauptfächlich auch
durch dag eifrige Bemühen des römifehen Könige.
Auch Mori meinte wohl, daß hiemit ein fefter Friede
im Neich gegründet ſey. Sein Nath war, daß der verab-
redete Vertrag dem Kaifer zu einfacher Annahme oder Ver:
werfung vorgelegt werde folle: indeß wolle auch er zu fei-
nen Bundesverwandten reiten und wenn von dem Kaifer
die Er flärung der Annahme eingelaufen, den Vertrag ohne
weiteres Grübeln unterfchreiben.
Daß nun aber diefe Bedingungen erft dem Kaifer vor-
sulegen und von ihm zu beftätigen waren, bildete eine Schwie—
rigfeit die fich größer erwies, als man auch nach den be:
reits gemachten Erfahrungen glaubte.
Die Bevollmächtigten die er in Paſſau hatte, verſäum—
fen nicht8 um ihn dazu zu ſtimmen. Sie ftellten ihm vor,
daß in Deutjchland alles den immerwährenden Frieden wün—
fche, zumal da er, der Kaifer feldft fchon um feiner vielfa-
chen Befchäftigungen willen nicht im Stande fey eintreten:
den Unordnungen zu ſteuern.“ Der König motivirte bei
der Einfendung der Artikel die Bewilligung derfelben mit der
erwähnten Gefahr der Fatholifchen, befonders der geiftlichen
Fürften, und mit der Beforgniß, daß fich Leicht, wenn die
Vereinbarung ſich an die Neligionsfachen ftoße, alle andern
1. Rye und Geld an den Kaiſer, 15 Suni: nous trouvons
que tous les estats qui sont icy lesquels sont les premiers de
toute la Germanie sont merveilleusement enclins a celte paix uni-
verselle et les ecelesiastiques pas moins que les seeuliers. Car
voyant que les choses du coneil s’en vont a la longueur et que
tous les jours surviennent de nouveaux troubles et que V.M® a
tant d’affaires contre les malveillants quelle ne peut si bien re-
medier aux iuconvenients comme elle desire, tout le monde veut
eire assure.
Widerftand des Kaifers. 269
Stände augsburgifcher Eonfeffion an die Friegführenden an—
fchließen möchten. Man machte den Kaifer aufmerkfam, daß
weder der Papft, noch der König von Frankreich, noch irgend
ein andrer Fürft von Europa an die Pflicht denfe, die Ketze—
reien auszurotten, daß die ganze Laft einer folchen Unterneh:
mung auf ihn allein fallen würde. Auch liege wohl fo viel
an Tag, daß man wider die neuen Meinungen mit dem
Schwerte nichts ausrichten könne: die Deutfchen würden
ihre Hand nicht dazu bieten, durch fremde Nationen laffe
es fich nicht thun.
Im Angeficht der Kämpfe welche die Welt erfüllen, der
Kräfte die dazu von beiden Seiten in Anwendung gefett
werden und der Erfolge die fich ergeben, bilden fich Über:
zeugungen, die plößlich hervortreten und Jedermann ergrei-
fen, weil fie aus dem Gefchehenen mit Nothivendigkeit ent-
fpringen; man kann fagen: fie enthalten Gefeße fir eine,
wenn auch erft ferne Zufunft in ſich. So fühlte man jeßt
die Unmöglichkeit, das alte Spftem der dogmatifchen und
Firchlichen Einheit in der abendländifchen Ehriftenheit aufrecht
zu erhalten, die Gemüther mit dem Schwert zu regieren.
Und davon hängt die Mirkfamfeit eines hochgeftellten
Menſchen mit am meiften ab, in welches Verhältniß er zu
Überzeugungen diefer Art tritt, ob er fie annimmt oder fich
ihnen entgegenfeßt.
Carl V hielt umerfchütterlich an dem einmal ergriffenen
Spfteme feft.
Es war der Gedanke feines Lebens; daß er in einem
unglücklichen Augenblick vor einem plöglichen Anfall hatte zu-
rückweichen müffen, Fonnte ihn darin nicht irre machen.
Die Einheit der Ehriftenheit aufrecht zu halten galt ihm
270 Zehntes Buch. Erftes Kapitel.
für eine durch die Neligion gebotene Pflicht. Während der
Verhandlungen wiederholte er feine Behauptung, daß dazu
ein allgemeines Concilium das einzig geeignete Mittel ſey.
Höchftens wollte er die Sache, aber ganz in den gewöhn—
lichen Formen und mit Vorbehalt feiner alten Autorität,
noch einmal an den Neichstag bringen. Den immerwäh-
renden Frieden zu bewilligen, fchlug er ohne Weiteres ab.
Nicht als ob er, wie e8 in einem feiner Briefe heißt, daran
denfe, die Proteftanten mit Krieg zu überziehen, wozu er jeßt
nicht einmal die Mittel habe: aber durch diefe Bewilligung
würde alles rückgängig werden, was man mit fo vieler
Mühe und fo vielen Koften erreicht, das Interim und die
legten Reichstagsſchlüſſe; er würde die Kegereien auch dann
dulden müffen, wenn fich Zeit und Gelegenheit zum Gegen:
theil zeige; ſchon jetzt müffe ev Scrupel haben für die, welche
er dann empfinden werde. Und auch jest könne er fich
nicht damit entjchuldigen, daß ihm Gewalt gefchehe: noch
fen fie nicht gefchehen, noch könne er nach Stalien oder
vielleicht nach Flandern gehn, und gewiß er wolle es thun,
ehe er fein Gewiſſen beſchwere, ehe er dieſen Zaum fich an—
legen laffe. !
Der Nothiwendigkeit der Dinge, die er nicht anerkannte,
fegte er, wie wir fehen, feine geiftlichen Pflichten entgegen,
die er, feitdem er fich fo lange mit ihnen getragen, von Un—
glück und Gefahr mehr beftärft als erfchlittert, ſtrenger als
jemals auffaßte.
1. L’empereur au roi, undatirt, jedoch Anfang Juli: Si ne
puisje comme qu'il soit consentir Ja bride que en ce Ton me
veut meltre pour non pouyoir jamais procurer le vemede.
Widerſtand des Kaifers. 271
Ferdinand hielt nicht fir rathſam, die Weigerungen und
Ausftellungen des Kaifers der Verſammlung wie fie waren
mitzutheilen, er hätte den Bruch der ganzen Unterhandlung
gefürchtet. Nur im Allgemeinen bezeichnete er fie, aber er
verfprach, fich felbft zu feinem Bruder zu verfügen und al-
les zu verfuchen, „gleich als gelte e8 feiner Seelen Seligkeit“,
um denfelben auf eine andre Meinung zu bringen. ı Am Gten
Juli veifte er von Paffau ab, am 8ten finden wir ihn in
Billach. Er ftellte dem Kaifer vor, in welche Gefahr ihn
der MWiederausbruch der Feindfeligkeiten in Deutfchland ſtür—
zen werde: fchon fen auch der Herzog von Baiern von den
Friegführenden Fürften aufgefordert fich zu ihnen zu fehle
gen, und im Meigerungsfall mit dem Nuin feines Landes be:
droht; dagegen verfpreche Morig eine anfehnliche Hülfe in
Ungarn zu leiften, wenn der Friede zu Stande Fomme, und
bei den unaufhörlichen Fortfchritten der Türken fey für ihn
nichts dringender, nothiwendiger. uch bemwirfte er damit
mohl, daß eine und die andre unweſentliche Einwendung
weggelaffen ward, welche der Kaifer gegen die vorgefchlage:
nen Artikel gemacht; in Bezug auf dag Gericht wurden all
gemeine wiewohl nicht eben verpflichtende Werficherungen
1. Bor feiner Abreife erflärt er den Ständen: er wolle „alle
mügliche Perfuaftones, ausführung und anzeigung thun, dadurch Keyf.
Mt zu bewegen, und in Summa den Fleiß anwenden, als langete
eß ihrer Mt Seelen Seligfeit an, dann J. Mt hetten deffen treff:
lihe urfach, und wolten nichts liebers wahn das Deutfchland müchte
zu ruge und die gehorfamen ftende unbefchedigt bleiben, fo wehre ef
auch yhrer Mt eigene nothöurft, welche der ſchuch alfo drucket, das
fie wohl mehr hinfen dann gehen möchte. Sie wußten gewifi, das
die Tuͤrken auf die ſtunde würden vor Tomiſchwar liegen, und fie
fonnten doch weder mit Gelde noch mit volfe volgen, wehren diefer
handlung halben lange aus ihren landen geweſt.“
272 Zehntes Buch. Erftes Kapitel.
ertheilt.. In der Hauptfache aber richtete Ferdinand nichts
aus. Der Kaifer erflärte mündlich eben fo ftandhaft wie
er es fchriftlicy gethan, daß er nichts zulaffen werde mag
feiner Pflicht, feinem Gemiffen zumiderlaufe, und follte dar-
über alles zu Grunde gehn. Er wolle eher Deutfchland
dem römifchen König iberlaffen, als etwas geftatten: was
der Religion nachtheilig fey, oder fich dem Urtheilsſpruch
Derer unterwerfen, die er zu regieren habe. Den Sag in
welchem immerwährender Friede zugefagt wurde auch für
den Fall daß man fich nicht verftändige, ftrich er aus. Er
gieng nicht weiter, als daß er, wie ſchon in der Linzer Er-
klärung, einem Fünftigen Neichstag zu beftimmen vorbehielt,
auf welche Weife dem Ziwiefpalt abzuhelfen ſey: wohlver—
fanden jedoch — — „mit Ihrer Majeftät ordentlichem Zu:
thun“: nur bis dahin verfprach er Friede; er wiederholte
nicht einmal, daß er die Vergleichung nur durch friedliche
und gütliche Mittel herbeizuführen fuchen werde. Auch die
vorgebrachten Beſchwerden follten dort, unter feiner Theil
nahme, erörtert werden. Der römifche König mochte fa-
gen wag er wollte, fo mußte er fich mit diefem Befcheide
nach Linz zurückbegeben.
Hier hatte man das doch nicht erwartet. Man meinte
faft, e8 liege wohl an Ferdinand felbft, und richtete Die
dringende Frage an ihn, ob er nicht etwa noch eine Neben:
inftrnction habe. Der König antwortete, er handle rund
und ehrbar: häfte er weiteren Auftrag, fo würde er denfels
1. Letire de Yempereur à la reine 16 Juill. „qu'il ne fe-
roit rien contre son devoir el sa conscience, quand meme tout
devoit se perdre.“
Vertrag zu Paffau. 273
ben von Anfang angezeigt haben, er habe den Befehl, nicht
einen Buchftaben ändern zu laffen. !
Sollten nun aber nicht die vermittelnden Fürften troß
alle dem ihrerfeits auf den wohlerwogenen Vorfchlägen ver:
harren, die fie gemacht?
Sie zogen in Erwägung daß der Kaifer ihnen doch in
den weniger bedenklichen Puncten meifteng beigetreten war,
— daß für den Augenblick, da dag tridentinische Concilium
fich aufgelöft hatte und von einer Ausführung der Befchlüffe
deffelben nicht mehr die Nede feyn konnte, auch in religio-
fer Hinficht nichts zu befürchten ftand, — daß dem Reichs—
fag, an den die Entfcheidungen, wiewohl mit dem Vorbe—
halt der dee der allgemeinen Einheit, verwieſen worden,
ein weiter Spielraum offen blieb: und hielten fiir dag befte,
fi) dem unmiderruflichen Willen des Kaifers zu fügen.
Die Frage war nur, ob dann auch die Evangelifchen ihn
annehmen würden, namentlich Moriß, der feitdem noch ein—
mal nach Paffau zurückgefommen war, und als er fah wie
die Sachen fanden, e8 mit der Erflärung verlaffen hatte, Daß
auch er am feine Zufage nicht weiter gebunden ſeyn wolle.
Mit gegründeter Beforgniß nahm er bie fortgehenden
NRüftungen des Kaifers wahr. Wie im Mai gegen Neitti
und die laufe, fo flürzte er fich im Juli gegen einen an-
dern Mufterplaß des Kaifers bei Frankfurt a. M., wo fich
bereitd 16 Fähnlein z. 5. und 1000 M. 3. Pf. unter deffen
Namen gefammelt.
Hier aber war ihm das Glück nicht fo günftig wie dort.
Nach der Ausſöhnung hatte fich in Frankfurt der alte
1. Le Roi des Romains à l’empereur 16 Juill. (And. )
Nanfe D. Geſch. V. 18
274 Zehntes Buch. Erjtes Eapitel.
Einfluß des Kaifers auf ‚die Gefchlechter und den Nath von
Frankfurt wieder hergeftellt: die Stadt entfchloß fich, auch
unter den gefährlichen Umftänden in denen man war, feine
Truppen bei fich aufzunehmen. Der Oberſt der fie befeh—
ligte und der Bürgermeifter theilten die Schlüffel der Thore
unter einander. Zur rechten Zeit traf ein Faiferlicher Kriege:
commiffar mit dem nöthigen Gelde ein, um die Söldner zu:
frieden zu ftellen und ein gutes Verhältniß mit den Bürgern
möglich zu machen.
Dadurch zog nun zwar die Stadt den Angriff der Ber
bimdeten gegen fich felber herbei. Zerfprengte Flüchtlinge,
Nauchfäulen von der Holshaufer Ode her kündigten bald
dag Heer derfelben an. Im erften glücklichen Scharmüßel
fprengte Moris bis an die Stadtthore. Zu fürchten aber
war bei den guten Vorkehrungen die man in Frankfurt ge
troffen, diefer Feind, dem e8 an dem nöthigen Belagerungs—
gefchüß fehlte, mit nichten. Nicht allein feine Anfälle und
Stürme wurden abgefchlagen, er erlitt auch einen großen
Verluſt. Der junge Friegsfreudige Georg von Meflenburg,
der felber mit feinem Fauſthammer an das Thor von Sad)
fenhaufen Flopfte, um zu fehen ob es inwendig gefüllt fen,
und da er das nicht fo fand, ein Paar Büchfen heranbrin-
gen ließ um fie auf daffelbe zu richten, mußte diefe Kühn
heit mit dem Tode büßen. Moritz, der die Stadt auffor-
derte, befam darauf die bittere Antwort, er möge erft fromm
werden und die Judasfarbe ablegen.
1. Zimotheus Sung an den Churf. von Brandenburg. „25 und
26 haben Marggraf und Chf. zwen groß flurm vor Frankfurt ver-
loren, und dermaaßen abgewiefen, das fie Teichtlich nicht wiederfom-
men.” Vgl. Kirchner II, 192.
> As ei u ee
'
Vertrag zu Pajfau. 275
In diefem Augenblick trafen die Abgeordneten mit dem nach
der Faiferlichen Anmweifung veränderten Sriedengentwurf ein.
Wäre Mori Herr von Frankfurt gewefen, wer weiß
ob er den Vertrag angenommen hätte. Aber er war es
nicht; auch an vielen andern Stellen hielt fich die Eaiferliche
Macht: wenn er den Vertrag abfchlug, fo hafte er Achts—
erklärung und die unbedingte Herftellung feines Vetter Jo—
hann Friedrich zu erwarten; ' er mußte einen neuen Krieg
auf Leben und Tod beftehen. Nahm er dagegen den Der:
frag an, fo ward der Landgraf befreit, was ihn einer
fchweren perfönlichen Verpflichtung überhob; nicht unbebdeu-
tende andere Zugeftändniffe, wenn auch nicht die legten Die
er gefordert, traten in Wirkſamkeit; für die Sicherheit fei-
ner Ermwerbungen war e8 von dem größten Werthe, wenn
er fie zumächft auch unter einer veränderten Ordnung der
der Dinge unangefochten behauptete. Seinem Bunde mit
dem König von Frankreich entfprach es zwar nicht; aber er
wußte fehr wohl daß er darüber mit demfelben doch nicht
zerfallen wiirde. Nach einigem Bedenken nahm er am 29ften
Juli den Vertrag anz zu Nödelheim bei Frankfurt ift Die
Driginalurfunde, welche die Abgeordneten Ferdinands mit:
gebracht hatten, von Morig, den jungen Landgrafen umd
Johann Albrecht unterfiegelt worden. ?
1. Sn Paſſau hatte Johann Friedrich, nicht aus eigner Bewe-
gung fondern auf Antrieb des Kaifers, bei den Verfammelten anfra:
gen laffen: — er erzählt es felbjt in der Propofition auf dem Land:
tag zu Saalfeld (Hortleder II, ın, ce. 87, nr 7): „was wir ung aufm
Fall, da unfer Vetter Herzog Mori geächtigt würde und wir un-
fer Land wider einnehmen follten, vor Hülf und Zufaß bei iren Lieb:
den zu verfehen.
2. Adam Zrott an den Churf. von Brandenburg, Sonntag
18*
276 Zehntes Buch. Erfies Capitel.
Höchſt erwünscht war dieß zumächft dem König Ferdi-
nand, der nun feine Kräfte nach dem von einem türfifchen
Einfall aufs neue bedrängten Ungarn wenden konnte; Mo:
ritz ernenerfe fein DVerfprechen ihm felbft zu Hilfe zu kom—
men. Die vor Frankfurt verfammelten Truppen der Wer:
bindeten, bis auf ein einziges, dag reifenbergifche Negiment,
das fich zu Marfgraf Albrecht ſchlug, Teifteten dem König
den Eid der Treue.
Ferdinand vergalt die Dienfte die er dergeftalt empfieng,
dadurch, daß er feinen Bruder aufforderte, Johann Friedrich,
der noch immer dem Hofe folgte, nicht eher förmlich zu ent:
laffen, bi8 er das zwifchen feinen Söhnen und Morig ent
worfene Abkommen beſtätigt habe.
Schon war es jedoch dem Kaiſer, der täglich die Kräfte
ſeiner Gegner abnehmen und die ſeinen anwachſen ſah, wie—
der zweifelhaft geworden, ob er ſeinerſeits den Vertrag auch
nur ſo, wie er ihn zuletzt angenommen hatte, ratificiren ſolle.
Einer ſeiner Hauptleute und Räthe ſagte ihm, bis jetzt ſey
der Krieg von den Fürſten geführt worden, ohne Wider—
31 Juli. „Syn alſo uff den Abent Jacobi anfommen (24 Juli)
und folgendes tages gehort und an allem was moglich und zu dem
fryden, fornemlich zur Erledigung des Landgrafen dienftlich fein mogen
nicht3 unterlaffen, aber heut Sontags nah) Jacobi (31 Juli) feynd
mir erft teutfhe Antwort zu erlangen fortroftet und hat myr der
Ehurf. gefagt die Sachen fteen dermaß das ich uf der poft den Land-
grafen holen ſolle.“ Adam Trott an die Näthe zu Paſſau Iſten
Aug. — „magf Euch nicht verhalten, das die Handlung allhie Gott-
lobe verrichtet, aber doch nicht one große Mhue und auch durch fon-
dern Vlyß des Churf. zu Sahfen, und hat fych der Landgraff mit
den alten Rheten, die er iKond flattlich bei fich hat, aufs beſt er-
zeigt.“ Das Datum in der neuen Sammlung der Neichsabfchiede,
gegeben zu Paſſau 2 Aug., it ohne Zweifel falſch. Die alten Ab—
fohriften haben das richtige Datum 16 Juli—
nn
Vertrag zu Paffau. 277
fand: würden fie ihren Meifter und Herrn fich gegenüber
fehen, fo würde ihnen das Gewiſſen fehlagen und fie wür—
den das Herz verlieren. Am 10ren Auguſt hat der Kaifer
durch Andelot feinem Bruder wirklich noch einmal eine Er-
öffnung in diefem Sinne machen laffen: er fehe jeßt die
Möglichkeit den gehorfamen Ständen zu Hülfe zu Eommen;
allzu drückend feyen die Bedingungen die er eingegangen;
wer könne dafür ftehn, daß Moriß nicht, wenn er nach Un:
garn gehn dürfe, dort einen Streich fpiele wie vor Magde—
burg. Iſt Ferdinand je über eine Mitteilung feines Bru—
ders erfchrocken, fo war es damals. Er beſchwur ihn, ihm
diefen Schimpf nicht zugugiehen: nur auf fein Zureden, denn
er babe immer am meiften auf die Herftellung des Friedens
im Neiche gedrungen, feyen die Bedingungen des Vertrags
sulegt von den Fürften genehmigt worden, von Mori fürchte
er nichts, da die Truppen ihm, dem König, gefchtworen; und
entbehren Fönne er deffen und des Neiches Hülfe nun ein:
mal nicht: ein Bruch wide ihm und feinen Kindern, allen
feinen Ländern, in diefer Gefahr vor den Türken, zum voll
kommenen Verderben gereichen. !
Hierauf entfchloß ſich der Kaifer den Vertrag zu beftäti-
gen. „Ganz allein”, fchreibt er feinem Bruder, „die Nück
ficht auf Eure befondre Lage, Eure Königreiche und Lande
haben mich dazu bewogen. Auch feiner Schwefter meldet
er, die Betrachtung, welche Bedrängniß Ungarn und die ganze
Ehriftenheit von den Türken erfahren werde, wenn Mori
nicht einige Hilfe Teifte, habe ihn vermocht den Vertrag zu
vatificiren.
1. Ferdinand an den Kaifer 20 Aug. 1552. (Anh.)
278 Zehntes Bud. Erftes Capitel.
Unter einem fo mannichfaltigen Wechſel von Berathun-
gen und Antrieben ift der Paſſauer Vertrag zu Stande ge
kommen.
Man könnte nicht ſagen, daß er für die große innere
Frage, in den religiöſen Angelegenheiten eine definitive Be—
ſtimmung gegeben oder auch nur in ſich eingeſchloſſen habe.
Der immerwährende Friedſtand zwiſchen den beiden Be—
kenntniſſen war ausdrücklich verweigert, die alte Idee der
kirchlichen Einheit, als einer Bedingung des politiſchen Le—
bens, vorbehalten, und jede weitere Feſtſetzung auf den Reiche:
tag verfchoben worden, von dem fich doch nicht vorausfehen
ließ, ob er nicht durch feine Conſequenz gefeffelt unter Ahnli-
chen Einwirfungen wie früher auch wohl zu ähnlichen Be
fchlüffen gebracht werden Fönnte.
Auch wurden nicht einmal die obfchtwebenden Unruhen
dadurch befeitigt. Markgraf Albrecht von Brandenburg wei—
gerte fich ihn anzunehmen und feßte feine Züge gegen Stif—
ter und Städte, wie er fie in Franfen und Schwaben bes
gonnen, an Nhein und Mofel fort. Auf fein Beifpiel fah
Graf Bolradt von Mangfeld, der gegen Ende Mai in Nabe
burg eingebrochen war, die filbernen Apoftel aus der Dom:
Firche geholt und die Domherrn genöthige hatte den jungen
Herzog von Lauenburg zum Bifchof zu poftuliven: noch hielt
er dort an der Elbe eine beträchtliche Mannfchaft im Felde.
Bei alle dem war der Paflauer Vertrag doch ein un:
ermeßliches Glück für Deutfchland.
Das nunmehr auch vom Kaifer zufammengebrachte Heer
und das heffifch -fächfifche hätten fonft mit einander fchla-
gen müffen, und die ganze Kriegswuth beider Iheile häfte
fih nach dem Neiche hin entladen.
Entlaffung Johann Friedriche. 279
Set aber wandten die beiden Gegner ihre Kräfte nach
den Grenzen hin. In dem Innern ward wenigftens fo viel
erreicht, daß der gedrückte, durch die Kriegserfolge von 1547
berbeigeführte Zuftand aufhörte der bisher obgewaltet.
Zunächft Eehrten die beiden gefangenen Fürften in ihr
Land zurück.
Als der Kaifer ſich entjchloß die dem gewefenen Chur-
fürften Johann Friedrich bewilligten Erleichterungen in eine
vollftändige Befreiung zu verwandeln, ihn von dem Hofe,
der jeßt wieder nac) Augsburg gefommen, zu entlaffen, legte
er ihm doch noch) zwei Bedingungen vor, die eine mehr in
feinem, die andre mehr in feines Bruders Sinn. Johann
Friedrich follte fich noch verpflichten, den Befchlüffen eines
Finftigen Conciliums oder Neichstags in der Neligion Folge
zu leiſten und die Verträge mit feinem Vetter zu beobach-
ten. Das legte war in fo fern neu und ſchwer, als er zu:
gleich für feine Söhne gutfagen und andre Sicherheiten her:
beifchaffen ſollte; aber er entſchloß fich dazu: er erbot fich
die Verträge zu unterzeichnen, fobald als es Churfürft Mo-
vis gethan haben werde." Mag aber die erfte Anmuthung
betrifft, fo blieb er nach wie vor unerfchütterlich. Gern ver:
ſprach er wegen der Religion mit Niemand in Bündniß zu
treten, noch die Altgläubigen thätlich zu beläftigen; aber da-
hin war er nicht zu bringen, daß er fich eine Fünftige Wer:
gleichung anzuerkennen verpflichtet hätte. In aller Demuth
erwiederte er dem Kaifer, er ſey entfchloffen, bei der Lehre
die in der augsburgifchen Confeffion enthalten, bis in feine
Grube zu bleiben.
1. Die fogenannte Affecurationsacte. Eigner Beriht Johann
Friedrichs an feine Stände. Hortleder II, iu, 87, nr. 7.
280 Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
Durch ſeine Haltung in der Gefangenſchaft hatte Jo—
hann Friedrich erſt recht gezeigt, wie Ernſt es ihm auch
in glücklicheren Zeiten damit geweſen war, feinem Kaiſer Ge
horſam zu beweiſen. Es iſt immer derſelbe Gedanke, —
bei aller einem Reichsfürſten geziemenden Hingebung, doch
in Beziehung auf göttliche Dinge, wo man einer andern
Welt angehört, die volle Unabhängigkeit des Gewiſſens zu
bewahren. Früher, bei den Conflicten, in welche die ſtrei⸗
tigen Nechtsverhältniffe brachten, Fonnte diefe Gefinnung
nicht immer hell und zweifellos erfcheinen: in der Gefan—
genfchaft, wo fich die Gegenfäße reiner und einfacher ge:
ftalteten, leuchtete fie dann in vollem Glanze hervor. Und
recht naturgemäß entfprang fie in ihrer doppelten Nichtung
aus der deutſchen Gefchichte. Auf das tieffte hatte die Idee
des Neichs und feiner Ordnung die Gemüther durchdrun:
gen; eben fo Iebendig waren fie jegt von dem göftlichen
Urſprung der heiligen Schrift und der unbedingten Gültig:
keit einer freieren Auffaffung derfelben ergriffen; beides zu
vereinigen hätte Große und Geringe befriedigt. Aber Carl V
verftand dag entweder nicht, oder wollte doch nichts davon
hören; er wollte ſich Gehorfam in göttlichen und menfchlichen
Dingen erzwingen. Damit erzog er ſich eben Die, die ihm
endlich den einen wie den andern verfagten, und die Waf:
fen der Politik und des Krieges, die fie von ihm führen ge:
lernt, nun gegen ihn felber wandten. Johann Friedrich da-
gegen beobachtete auch in feiner Gefangenschaft vollfommene
Treue. Er wollte nicht einmal zugeben, daß jene Fürbitte der
Reichsfürften fir den Landgrafen auch auf ihn erftreckt würde;
es machte ihm Sorgen, daß die Stände feines Landes und
en —
En Zu a a a u ER Pe
TE
Rückkehr Johann Friedrichs. 281
feine Söhne nicht ganz abgeneigt waren auf die Verbindung
mit Mori einzugehn, und er felber hat es verhindert. Es
wäre zugleich graufam und unklug geweſen, einen Mann
von Diefer Gefinnung länger zurückzuhalten.“ Am erften
September 1552, dem Tag feines Aufbruchs von Augs—
burg, entließ ihn der Kaifer mit der Erflärung, er habe an
feinem Verhalten während der Verſtrickung ein gnädiges Ge:
fallen gehabt: er hoffe auch Fünftig zu allen Gnaden Ber:
anlaffung zu haben. Der Fürft fchied mit dankbaren Er
bietungen und fchlug den Weg nach feinem Lande ein.
Bon Anfang am zeigte er fich entfchloffen, Feine Feindſe—
ligfeiten gegen Morig vorzunehmen. „Geh hin’, fagte er
einem von denen, die ihm zuerft glückwünſchend entgegen:
Fame, „und fage zu Haufe, daß ich ohne Waffen Fomme
und feinen Krieg mehr führen will.
Welch ein Wiederfehen war es, alg er in feinem Stamm:
land bei Coburg wieder anlangte! Der erfte der ihm ent:
gegenfam, war fein Bruder Johann Ernft, der feinen Wahl—
fpruch: ich trau Gott, nun erfüllt fah. Bald erfchien aud)
feine Gemahlin mit ihren bherangewachfenen Söhnen. Die
Berge und Wälder wurden befucht, um der lange entbehr:
ten Jagdluſt zu pflegen und die heimathliche Luft wieder
einzuathmen; an den hellen Duellen im Grunde der Forften
ward das Mittagsmahl eingenommen. Bor den Städten
erfchienen dann weit Braußen die Rathsherrn in den ſchwar—
zen Mäntel, ihrer Amtstracht, um den angeſtammten Herrn
1. Der Kaifer verſprach „der Religion halber gegen ihn oder”
die feinen infonderheit nichts vorzunehmen ” Dieß infonderheit, die
gebuͤhrlichen Wege der Vergleichung ſchloſſen noch immer das Con—
cilium und eine allgemeine Reichsverpflichtung nicht aus.
282 Zehntes Buch. Erftes Capitet.
su bewillkommen: die Bürger mit ihren Nüftungen oder in
ihren beften Kleidern bildeten ein Spalier; auf den Märk—
ten warteten die Geiftlichen mit der männlichen Jugend auf
der einen Seite, auf der andern die eisgraueften Bürger mit
den jungen Mädchen, die in fliegenden Haaren mit dem
Rautenkranz erfchienen; die Knaben ftimmten das Tedeum
lateinifch an, die jungen Mädchen antworteten mit dem deut:
chen: Herr Gott dich Toben wir; der Fürft, der ihrem Ge
bet feine Nückfehr zufchrieb, zog mit entblößtem Haupte, dan:
Fend und gnädig, fie alle vorüber; — neben ihm fein Sohn
und Meifter Lucas Cranach, der aus herzlicher Liebe, die
ihm auch erwiedert ward, die Entbehrungen der Gefangen:
fchaft freiwillig mit ihm getheilt —; wenn er dann abge
ftiegen, brachte ihm wohl ein in die Hoffarbe gefleideter Knabe
aufgefparte Goldftücke der Bürgerfchaft in einem Fünftlichen
Pokale dar. Johann Friedrich erfchien wie ein Märtyrer
und Heiliger. Als er in Weimar einzog, meinte man ein
langes weißes Kreuz über ihm zu ſehen.“ Melanchthon —
denn auch aus dem verlornen Lande, von Wittenberg her
verſäumte man nicht ihn zu begrüßen — verglich ihn mit
Daniel unter den Löwen, oder jenen drei gläubigen Sfraeliten
im feurigen Ofen; Gott, der ihm diefe Seelenftärfe verliehen,
und ihn nunmehr freigemacht, habe dadurch gezeigt, daß er
wahrhaftig Gott fey, der im diefem fterblichen Leben fich eine
ewige Kirche ſammle, ihr Bitten und Seufzen erhöre. ?
1. Sobann Förfter: Custodia et liberatio des durchlauchti-
gen ꝛc. SHortleder IH, ı1, 88, nr. 55. Müller fächfifche Annales a.
h.a. Schultes Coburg: Saalfeldifhe Geſchichte I, 41.
2. Schreiben vom 14 Sept. Vgl. Dedication des vierten Theils
der Iutherifhen Schriften vom 29 Sept. (Corp. Ref. VII, 1072, 78.)
Ruͤckkehr des Landgrafen. 283
Um diefelbe Zeit Eehrte auch der Landgraf Philipp in
fein Land zurück. Erft in dem Augenblick der definitiven
Annahme des Vertrags gab der Kaifer Befehl zur Befreiung
de8 Gefangenen; bi dahin hatte derfelbe von dem eigen:
mügigen und üdermüthigen Wächter der ihm beigegeben war,
noch manche Mißhandlung auszuftehn. In Teroueren nahm
er dann von der Königin Maria Abfchied, die fich aus fei-
nen Neben überzeugte, daß er nun dem Kaifer treu bleiben
werde. Als er im Eaffel anlangte, begab er fich zuerft in
die Martingfirche, die fich fofort mit dem herbeiftrömenden
Volk erfüllte, und Fniete vor dem Denkmal feiner indeß ver:
ftorbenen Gemahlin nieder; fo verharrte er im Gebet und
Nachdenken und Erinnerung an alle perfönlichen Verwicke—
lungen der Vergangenheit — bis die erften Töne der Or—
gel den ambrofianifchen Lobgefang anhoben.
Wie die gefangenen Fürften, fo Fehrten auch an vielen
Stellen die verjagfen Vrediger zurück. Hie und da, wie im
Würtenbergiſchen, ward das Interim durch fürftliches Edict
abgefchafft. Der Kaifer felbft ward bewogen, unter andern
in Augsburg, wo er fonft an den Einrichtungen die er getrof:
fen, nicht leicht etwas fallen ließ, neben dem interimiftifchen
Dienft doch auch Prediger zu dulden die fich zur augsbur:
gischen Confeffion hielten. Auch dem Markgrafen Johann
gab er vorläufig beruhigende Verficherungen. Der religiöfe
Geiſt der Nation athmete wieder auf.
Wir fehen: fo umnerfchütterlich der Kaifer auch an den
alten Hauptgrundſätzen fefthielt, fo Eonnte er doch in diefem
Augenblick in ihrer Handhabung nicht mehr fortfahren.
Und war e8 nicht weiter ein großer Gewinn, daß fich
284 Zehntes Buch. Erftes Capitel.
in den Berathungen der -Neichsfürften in Paſſau jene Über—
zeugung, deren mir gedachten, obwohl fie dem Faiferlichen
Gedanken entgegen lief, durchgeſetzt hatte?
Sehr gewiß, daß der Kaifer, wenn er wieder in vol
len Beſitz feiner Macht Fam, derfelben nicht Naum geben
wirde: — Morig zweifelte nicht, er werde, wenn er köune,
auch alles dag wieder zurücknehmen was er jetzt zugeftanden; !
— allein wie dann, wenn e8 ihm damit nicht gelang?
Dann ließ fich wohl nichts anders erwarten, als daß
die in Paſſau von den Vermittlern gefaßten Gefichtspuncte
überwiegen und zur Geltung Fommen würden.
Nochmals knüpfte ſich die Entfcheidung über die wich—
tigſten innern DVerhältniffe von Deutfchland an den Aus—
fchlag der Waffengewalt in dem mwiederausgebrochenen euro:
päifchen Kriege an.
1. Anzeige an den franzöftfchen Gefandten, unmittelbar vor der
Annahme des Paffauer Vertrags: „man wußte wol und hett3 genug:
fam erfahren, das der Kaifer wo er erhalten konnt damit er umb—
gehe, — Gott geb er verfchreib ſich was er wolf, weniger denn nichts
halten würde.’
Zweites Gapitel.
Franzöſiſch-osmaniſcher Krieg. 1552, 53.
Nach den erften drückenden Verlegenheiten hatte der Kai
fer doch wieder die Mittel gefunden eine bewaffnete Macht
aufzubringen. Wie dort bei Frankfurt, fo fammelten fich
auch bei Ulm und bei Regensburg Neiter und Fußvölker
zu feinen Fahnen; ! deutfche Fürften fraten wieder in Dienft,
unter andern auch Marfgraf Johann, den der Fortgang dev
morißgifchen Unternehmungen auf die andre Seite trieb. Über
die Alpen Famen ein paar taufend Hafenfchüten und einige
Geſchwader neapolitanifcher Neiter. Eine glänzende Schaar
fpanifcher Großen hatte fich durch die Bedrängniffe ihres
Königs aufgefordert gefühlt demſelben auch über dag Meer,
was nicht ohne Gefahr gefchah, zu Hilfe zu eilen; der Kai:
fer kehrte nach Insbruck zurück, um fie dafelbft zu empfan-
gen. Was aber von allem wohl das Michtigfte war, der
Prinz Don Philipp, der fich wieder in Spanien befand, er-
füllte das DBerfprechen das er vor ſechs Jahren gegeben;
1. Briefe von Böcflin und Schwendi, welche in Böhmen die
Ruͤſtungen beforgten, im Brüffeler Archiv.
286 Zehntes Bud. Zweites Capitel.
er wußte eine Million Ducaten zufammenzubringen und über:
fchiefte fie feinem Dater. !
In Kurzem fah der Kaifer wieder ein Heer um fich,
wie dag, was er damals gegen die Proteftanten geführt;
und um fo erFlärlicher ift e8, wenn ihm der Gedanfe auf-
ftieg, fein Glück aufs neue in Deutfchland zu verfuchen.
Der Unterfchied war nur, daß er damals Friede mit
den Osmanen und den Franzofen gehabt hatte, von diefen
aber jeßt mit aller Macht angegriffen war. Was hätte,
wenn er den Krieg in Deutfchland fortfegen wollte, anders
erfolgen follen, als daß fich die Einen Ungarns, die Andern
der Niederlande bemächtigt hätten. Schon ließ Königin Ma-
via ihren Bruder wiffen, fie gefraue fich nicht, die Nieder:
lande den Winter über zu vertheidigen.
Beffer war e8 doch), im Neiche den Frieden eintreten zu laf-
fen und die Waffen gegen die auswärtigen Feinde zu richten.
Die beiden Heere, welche bereit gefchienen fich mit ein-
ander zu mieffen, zogen es vor, nun von dem beiden Fein
den jedes den einen auf fich zu nehmen.
Der Kaifer wandte fich gegen Frankreich. Am 19ten
September machte er der Stadt Straßburg feinen Befuch,
der er für die gute Haltung dankte, welche fie bei dem Ein:
fall der Frangofen in den Elfaß bewieſen hatte. Während er
im Minfter eine Andacht hielt, zog fein Heer an den Mauern
der Stadt vorüber.
Einige gaben ihm den Nath, wie früher, in dag Innere
von Frankreich vorzudringen, was den König, deffen Heer ſchon
nicht mehr recht in Stande war, in die größte Derlegenheit
1. Sepulveda XXVIL, $ 34, 35.
Belagerung von Me. 287
bringen und vielleicht zu einem Frieden tie der von Erefpy
nöthigen Eönne. Der ſtolze Kaifer aber Eonnte vor allem nicht
ertragen, daß eine Neichsftadt von den Franzofen bei feiner
Regierung follte in Befiß genommen feyn. Auch meinte ev
wohl durch die Eroberung derfelben die Sicherheit der Nieder
lande zu vermehren. Der Herzog von Alba, der in diefen An—
gelegenheiten dag große Wort führte, verficherte, daß es froß
der vorgerückten Jahreszeit noch möglich feyn werde. Am
19ten October erfchienen die Faiferlichen Truppen vor Mes.
Sehr befchwerlich häfte ihm Markgraf Albrecht werden
können, der fich) an der Spige von 10000 M. nach Loth:
ringen geworfen hatte; ohne viel Zeitverluft aber gelang es
dem Kaifer, — wir werden von den Bedingungen unter
denen e8 gefchah und den Ereigniffen die ſich daran knüpf—
ten bald ausführlicher zu Handeln haben, — den Marfgra:
fen auf feine Seite zu ziehen.
Und fo konnte er feine verftärfte Macht ungerftreut auf
die Belagerung wenden, von der man fühlte daß fie noch
über mehr, als über die Zukunft diefer Reichsſtadt ent:
fcheide. Der florentinifche Gefandte fpricht die Überzeugung
aus, wen es dem Kaiſer gelinge, fo werde er auch alle an:
dern FSeindfeligfeiten feiner Gegner überwinden und auf Fein
Hinderniß ftoßen, wohin er fich auch mende.
Nur langſam jedoch fchrift die Belagerung vorwärts.
„Schon liegen fie mehrere Wochen vor Meß," fchreibt der
König von Frankreich am 28ſten Nov. an feinen Verbin:
deten, den Sultan, „doch haben fie noch nichts Ernfiliches
unternommen. Sollten fie e8 noch thun, fo haben wir
darin unfern Vetter, den Herzog von Guife, mit mehr als
258 Zehntes Buch. Zweites Capitel.
10000 Mann, die fich nicht fo leicht werden überwältigen
laffen; im Frühjahr find wir entfchloffen fie wieder aufzufu-
chen: bis dahin werden fie durch die Jahreszeit und die häu—
figen Negengüffe welche fchon angefangen haben, zu Grunde ge-
richtet ſeyn.“ — Eben in diefen Tagen aber hatte der ernftliche
Angriff begonnen. Ein Theil der Laufgräben war gezogen;
die Batterien waren errichtet, der Kaifer, von feiner Krank
heit wieder einmal frei geworden, hatte in einem benachbar:
ten halbzerſtörten Schloß Wohnung genommen, das Fu
volE war gutes Muthes, und zeigte fich bereit zum Sturm,
wenn man ihm mur eine hinreichende Lücke eröffne. Hierauf
begann die große Batterie von 25 oder 26 Kanonen ihr
Feuer, das fie fehr lebhaft unterhielt; am 29ften November
ſtürzte in der That ein Theil der Mauer auf der GSüdfeite
der Stadt, zwifchen zwei großen Thürmen, zwanzig Schuh
breit zuſammen: ein lautes Freudengefchrei erſcholl und al
les lobte den Geſchützmeiſter des Kaifers, Johann Mans
rique: — allein als der Staub ſich gelegt und man die
Brefche genauer anfah, fo zeigte fich hinter derfelben eine
neue, ſchon ein paar Fuß erhöhte Brufiwehr, von Fahnen
und Standarten überweht, mit Hakenſchützen dicht befegt;
alles erfchien in folchem Stand, daß Fein Menfch zu dem
Sturme Luft behiel. Man mußte fürs Erfte die Laufgräben
weiter fortführen. In den Berichten die an den brandenbur:
gifchen Hof kamen, ift von einem Verſuch die Nede, die
Mauern, ja den Platz auf welchem fich die Feinde in Schlacht:
ordnung zu ftellen pflegten, zu untergraben und in die Luft
su fprengen; allein nur des Gedanfens wird Erwähnung ge
1. Salignac Siege de Metz. Coll. univ. de Memoires XL,
p. 86.
Kur
7
Belagerung von Metz. 289
than, Feines Verfuches. ! Überhaupt iſt die" Gefchichte der
Delagerung, die wir Tag für Tag aufgezeichnet finden, fehr
einförmig. Zu Angriffen welche Hofnung auf Erfolg gege-
ben hätten, Fam es nicht mehr. Die naßkalte Witterung,
die fchon den Deutfchen fehr befchtwerlich fiel, wie wir von
einem großen Theil der brandenburgifchen Neiter, welche der
Belagerung beiwohnten, die Meldung finden, daß fie er
krankt feyen, war den Sjtalienern und Spaniern vollends
verderblich.“ Man behauptet, daß von den Spaniern ein
Drittheil, von den Italienern die Hälfte umgekommen fen.
Die Vorherfagungen Heinrichg IT bewährten fich nur allzu
gut: Anfang Januar. 1553 mußte die Belagerung aufge:
hoben werden.
Die Sranzofen priefen den glücklichen Vertheidiger Guife,
der wirklich eben fo viel Muth wie Umficht an den Tag gelegt
bat, als einen Helden: wir haben Denfmünzen, auf denen
ihm dafiir die Krone Jeruſalem — denn von den Königen
dieſes Reiches leitete fein Haus ſich her — zugefagt wird.
Auf der Faiferlichen Seite ergoß fich alles in Tadel gegen
den Herzog von Alba, der durch die Hartnäcigkeit, mit der
er fich zu ungünftiger Zeit an eine fo zweifelhafte Unterneh:
mung gewagt, das fchönfte Heer ohne allen Nuten zu
Grunde gerichtet habe. ° Einft in dem deutfchen Feldzug,
1. Schreiben des brandenburgifchen Leuttenampts Sylfchrongf
an Marfgraf Hans 17 Dec. 1552 (Berl. A.). In dem Tagebuch
der Belagerten werden Contreminen erwähnt.
2. Pontus Heuterus lib. XIH, cap. XVII. Bruma enim con-
tinuo gelu corpora urebat, ingensque aere demissa nix molestis-
sima erat, quibus incommodis cum mox continuae supervenirent
pluviae, omnia aquis tegebantur corrumpebanturgue.
3. Dispacei fiorentini.
Ranfe D. Gefh. V. 19
290 Zehntes Bud. Zweites Capitel.
wo der Kaiſer felbft das Meifte gethan und von allen Sei
fen guter Nach ertheilt worden, habe Alba leicht ein großer
Mann feyn Fönnen: hier aber, mo guter Rath von Anfang
an verachtet worden und der Kaifer perfönlich weniger ein-
gegriffen, babe er bewiefen, daß e8 ihm an wahrem Ta:
lente gebreche.
Und nun erfi wurde Meß recht franzöfifch. Gegen
Hftern 1553 forderte der Bilchof-Cardinal die Macht in
tweltlichen fo wie geiftlichen Dingen. Die Dreisehn antworte
ten, im geiftlichen Dingen fey er allerdings ihre Obrigkeit,
auch fiehe ihm einige Befugniß in weltlichen zu, jedoch mit
Vorbehalt der höchften Gewalt, die Dem gehöre, welchem fie
von den Ständen des römifchen Neiches deutfcher Nation zu:
erkannt werde: fie wagten den Kaifer nicht zu nennen. Der
Cardinal antwortete, er wolle nichts weiter als die alte Gerech-
tigfeit feines Stiftes erneuern, und ließ die Gemeinden der
verfchiedenen Pfarren zufammenbernfen, um ihm eine Anz
sahl Namen zu bezeichnen, aus denen er das Regiment der
Stadt ernennen Eönne.! An jenen Gegenfaß des Nathes
1. Neue Zeitung aus Meg, Oftern 1553. Auf die Forderung
des Bifchofs antworteten die Dreizehn: „Sie geffanden ime als irem
Bifhof die Obrigfeit in spiritualibus, dazu das er auch etliche Ge—
rechtigfeit in temporalibus habe, aber nitt das er merum et mix-
tum imperium bei inen habe; fondern begeren fie das er dasfelbe
dem laffe, dem es zugehöre, und dem es die Stende des Neiches ala
zugehorig erfhennen (haben Keyf. Mt nit nennen dürfen), bitten auch
ſolchs der Zeith nit zu disputiren, -- aber es ift der Cardinal die:
fer irer Antwurt nit zufrieden gewefen, fundern gefagt, er gedenf ſich
der Gelegenheit jeßiger Zeit zu widereroberung feines Stift alte Ge-
rechtigfeit zu bedienen, hat darauf der Gemeine bevolen, wie man
aus jeder pfarfirchen, deren 19 fein follen, zu ermellen und jme zu
benennen, uß denen er das Negiment befeßen möge.“
PIRNt us
Feldzug in Ungarn. 291
und der bifchöflichen Macht hatten fich einft die Negungen
der Reform geknüpft; wären fie durchgedrungen, fo hätten
fie auch die Mittel und den Eifer des Widerflandes ver:
mehrt, und alles müßte anders gegangen feyn. Der Herzog,
der die Stadt gegen den Kaifer vertheidigt hat, ift derfelbe,
der einft die Verfammlung in Gorze zerftörte; jeßt ließ er
alle Iutherifchen Bücher auf einen Haufen bringen und ver-
brennen. Die Entfremdung der Stadt vom Neich und die
völlige Unterdrückung der reformatorifchen Negungen giengen
Hand in Hand.
Wie Carl V gegen Frankreich, fo hatte ſich Churfürft
Morig nach Ungarn gewendet.
Hier war, wie oben berührt, der Feldzug bereits im
März 1552 vom Sandfchaf von Ofen, Ali, einem Eunu—
chen, eröffnet worden. Vor Szegedin hatte er die rothe
Fahne erbeutet, auf der der Faiferliche Adler mit ausgebrei—
teten Flügeln ‚erfchien,; dann hatte ev Veſprim und mehrere
Bergftädte eingenommen; den Anführer der aus den Erblan-
den zu eilender Hilfe aufgebrachten Mannfchaften, Erasmus
Teufel, Freiheren zu Gundersdorf, nahın er gefangen und führte
ihn bei feiner Nückkehr nach Ofen förmlich in Triumph auf. !
Und diefen einheimifchen osmanifchen Streitkräften zur
Unterftügung erfchien nun fchon im Mai der MWefir Ahmed
mit dem aflatifchen Heere und den Neiterfchaaren die der
Beglerbeg von Numili ihm zuführte, an der Donau. Die
1. Isthuanfüius XVII, p. 206. Taifalum ipsum equo insi-
dentem, tympanistis et tibieinibus ac fistulis pedestribus prae-
cedentibus moreque suo canenlibus cum praecipuis captivis in
forum conduxit.
19 *
292 Zehntes Buch. Zweites Capitel.
vor dem Fahr abgefchlagene Belagerung von Temeswar
ward twieder aufgenommen, und auf die türkiſche Weife un—
ter ungeheuren Verluſten, deren man nicht achfete, gegen ei-
nen überaus tapfern, aber diefer Macht nicht gewachſenen
Feind zu Ende geführt. Die andern Schlöffer des Banats
folgten nach, und die fürfifchen Einrichtungen begannen, ! die
fih bis zum Sahr 1716 dafelbft gehalten haben.
Es war nicht größere Tapferkeit was den Osmanen
ihre Vortheile verschaffte, fondern nur die Überlegenheit der
Anzahl und der Vorbereitung: die Anführer die ihnen wider—
fiehn follten, bemerften es mit tiefem Gram.
„Wie glücklich waren Die alten Römer,“ vuft Eaftaldo
aug, „die mit zahlreichen wohlserfehenen Heeren, fo und fo
viel Legionen und Veteranen nach den entlegenen Provinzen
zogen: ich bin in dieſes Land gefommen, ohne etwas an-
ders fagen zu Fonnen, als: ich bin ein Befehlshaber des Kai-
ſers.“ Er Flagt, daß alles wider ihn ſey was für ihn ſeyn
ſollte, daß ſein Volk ſeit 7 Monat keinen Pfennig Sold
empfangen; er erblickt im Geiſt ſeinen Kopf ſchon auf ſo
einem Wagen, wie er ihn eben mit vielen abgeſchlagenen
Schädeln vorbeifahren fieht. ?
Ganz fo unglücklich gieng es jedoch nicht.
Nachdem die fefteften wohlverwahrteſten Plätze gefallen,
hielt fich ein Eleinerer, dem man e8 nicht häfte zutrauen fol-
len, Erlau; eine nur geringe Anzahl Landvolk aus der Zips,
das die Befakung ausmachte, wies unter Stephan Dobo,
der feinen Namen bier berühmt machte, wie Juriſchiz, die
1. Hammer aus Dfehennabi III, 303.
2. Gaftaldo an Ascanio Gentorio: L. d. p. III, 130.
Feldzug in Ungarn. 293
Anfälle der vereinigten türfifchen Heere zurück: drei große
Stürme beftand e8 fiegreich.
Und indeß langte Churfürſt Morig mit 5000 M. 3. F.
6000 5. Pf. bei Raab an. Es fcheint als habe ihm Fer:
dinand doch nicht ganz getraut und wenigſtens fein Vor—
rücken nicht gewünfcht. * Aber fchon die Nähe einer fri-
fchen Heeresmacht, unter einem Fürften der als ein glück:
licher Kriegsmann bekannt war, machte einen gewiſſen Ein
druck bei den Osmanen. ? Seine Anmefenheit, die Tapfer:
Feit der Beſatzung und die erfien Zeichen des herannahen—
den Winters wirkten zufammen, um die Osmanen zur Auf
hebung der Belagerung von Erlau zu vermögen.
Die erlittenen Verluſte herbeigubringen, war feine Macht
überhaupt nicht fähig; dazu aber, daß den türkiſchen Fort—
fchritten Einhalt gefchah und die Grenzen befeftige wurden,
bat er allerdings beigetragen.
War e8 aber nicht auch am meiften eben feine Schuld,
daß dieſe Verlufte überhaupt erlitten worden find?
Ich bin weit entfernt ihn rechtfertigen zu wollen, aber
ich denfe doch, dieß war bei weitem nicht fo entſchieden dev
Fall wie man meint. Eben fo viel Schuld wie Morig und
im Grunde noch größere hatte der Kaifer, der von feinen
conciliaren Abfichten ganz erfüllt und hingenommen den aus:
1. Moritz klagt 15 October, daß der König nicht im Nath finde
noch zulaffe daß er dem Feind entgegenziehe. Langenn I, 552.
2. Gamerarius verfichert: jactatas quasdam vaticinationes in
tureica gente de quodam acerrimo et quasi fatali oppugnatore po-
tentiae suae cujus nomen ad sonum nominis Mauriciani allude-
vet, significans facie torvum atque nigrum. Oratio in Maur. VI.
Nach Sfthuanffy verbreitete fich die Meinung unter ifnen, Mori
werde von der einen, Gaftaldo von der andern Seite fie angreifen.
294 Zehntes Bud. Zweites Capitel.
wärtigen Verhältniffen nur geringe Aufmerkfamfeit widmete.
Obwohl der Krieg mit den beiden Widerfachern fchon aus:
gebrochen war, hatte er doch verſäumt, die weſtlichen Mar-
Fon des Neiches in Vertheidigungsftand zu fegen, und feinen
Bruder gegen einen Einfall in Ungarn zu fichern.
Kriegsheere des Kaifers oder des Königs find von den
Proteftanten Feinen Augenblick befchäftigt worden.
Fern von ihrer Einwirfung, in Stalien, gerieth der Kai—
fer in ähnliche Nachtheile.
Die italienifchen Verhältniffe haben in fo meit eine ge
wiſſe Ähnlichkeit mit den deutfchen, als der andauernde ftille
Druck, mit dem auch dort die Faiferliche Oberherrfchaft au:
geübt ward, eben fo wohl einen geheimen Widerftand erweckte,
der nur den geeigneten Augenblick ertwartete um loszubrechen.
Wie die Farneſen Piacenza verloren, fo waren die Ap—
piani in Gefahr, Piombino und Elba an Herzog Cofimo
abtreten zu müffen. Dagegen erwarteten deſſen Feinde, Die
florentinifchen YAusgewanderten, zu einem Theil in Venedig,
sum andern in Frankreich aufgenommen, in Kurzem den Tag
ihrer Rückkehr zu erleben. In Mailand entdeckte Ferdinand
Gonzaga mehr ald einmal verrätherifche Berfuche, die er dann
mit fcharfer, aber aufreisender Überwachung erwiederte. In
Genua fuchte Luigi Alamanni, der in einem großen Helden:
gedicht franzöfifche Tendenzen und Namen verherrlichte, auch
einmal die Anhänger Frankreichs zu vereinigen. In Neapel
entzweite fich das Oberhaupt des einheimifchen Herrenftandes,
Fürft Ferrante von Salerno, mit dem Bicefönig: und da er
glaubte, man ftehe ihm nach dem Leben, fo verließ er dag
Land: nicht ohne den Gedanken, mit Gewalt zurückzukehren.
Stillftand in Stalien. 295
Und dazu Fam noch, daß unter Denen, welche die ita-
lienifchen Gefchäfte im Namen des Kaifers verwalteten,
Ztwiefpalt ausbrach. Gonzaga in Mailand und Mendoza zu
Rom fanden mit dem Vicekönig von Neapel und dem Her:
sog Cofimo von Florenz in ganz offener Feindfchaft. Daß
die ihm zugefagte Überlieferung von Piombino ſich fo lange
verzögerte, fchrieb Herzog Cofimo allein den beiden Gegnern,
befonders dem Borfchafter in Nom, zu.
Unter diefen Umſtänden können wir ung fo fehr nicht
wundern, daß die Belagerung von Mirandula und Parma
nicht zum Ziele führte. Papſt Julius klagt, er habe fich
bis auf die Gebeine beraubt, er habe die Ninge verpfänder
die er fonft täglich an feinen Fingern getragen; der Unruhe
welche der Krieg ihm machte, müde, ſchloß er im April
1552 einen Stilfftand mit den Franzofen, in welchem dieſe
verfprachen, weder Eaiferliches noch Firchliches Gebiet von
diefen Plätzen aus feindlich zu behandeln." Nach einigem
Bedacht nahm auch der Kaifer diefen Stilftand an.
„Sehr rühmlich für mich,’ ruft Heinrich IL aus, „ſehr
fchimpflich für ihn, daß ich mitten in den Ländern des Fai-
ferlichen Gehorfamg, ferne von den meinen, zwei fefte Pläße
behauptet habe!’ ? A
Und nothwendig mußte das nun auf die ganze Halb:
infel die größte Nückwirkung haben.
Im Kirchenftaat erfchienen jeßt die Farneſen, Paolo
Hrfino wieder; der Graf von Pitigliano, von dem Mendoza
dem Kaifer gefagt daß er feiner ganz ficher ſey, erklärte fic)
‚fir die Srangofen.
1. Capitoli dell’aceordo. Lettere di prineipi Ill, 123.
2. Bei Nibier II, 392.
296 Zehntes Buch. Zweites Kapitel.
Vor allem gährte e8 in Siena. Von jeher gibellinifch
und Eaiferlich gefinnt, wollte doch diefe Stadt fich die un—
mittelbare Herrfchaft nicht gefallen laffen, die der Kaifer aus—
zuüben unternahm. Schon ein paar Mal hatte fie fich der:
felben zu entziehen gefucht, aber den erften Verſuch hatte
fie durch die Aufnahme einer Befagung, den zweiten durch
Ablieferung aller Waffen gebüßt. Dann hatte Mendoza eine
Feſtung dafelbft aufgeführt. Die Wölfin, das altrömifche
Übzeichen der Stadt, fand man eines Tages in Ketten ge
legt. Es läßt fich wohl nicht bezweifeln, daß der Kaifer die
Abficht hatte eine fefte Negierung einzuführen und die Stadt
zum Sitz eines NeichSvicariats zu machen." Aber um fo ge:
waltiger braufte der alte Geift republicanifcher Unabhängig:
Feit in Neden und Entwürfen: e8 bedurfte nichts als der An—
näherung einiger Ausgewanderten und Franzoſen und des al-
ten Nufes zur Freiheit, fo erhob ſich die ganze Bevölkerung;
die Spanier, welche darauf nicht vorbereitet waren, konnten
ihr Gaftell nicht behaupten und wurden verjagt; die Stadt
nahm einen franzöfifchen Borfchafter auf und rief den Kö—
nig von Franfreich) zu Hülfe. Kardinal Tournon verfichert
dem König, Siena gehöre ihm mehr an als wenn er Herr
davon wäre, und biete ihm nun die befte Gelegenheit dar,
sur Unternehmung von Neapel zu fehreiten, oder zu jeder an
dern die ihm gefalle. ?
Mit einiger Hülfe de8 Herzogs Coſimo von Florenz,
der zwar von einer Seftfeßung der Franzofen in Toscana,
1. Sn einem Schreiben vom 18 Nov. 1551 fpricht er fehr ru:
big von der „„buena occasion, que se ofrece, para justificar la
del vieariato y establecer alli un governo perpetuo. “
2. Bei Nibier II, 424.
Angriff auf Neapel und Eorfica. 297
an die fich alle feine Feinde hielten, befonders die Strozzi,
kein Heil erwartete, aber fie eben darum weil fie ihm fo ge
fährlic) waren, mit größter Vorficht behandelte, brachte im
Januar 1553 Don Garcia de Toledo ein Fleines Heer zufant-
men, das dann auch einige Thäler befette, einige Bergfeften
einnahm, allein im Ganzen doch nichts Entfcheidendes voll
509, vor Montaleino gänzlich feheiterte.
Und in diefem Augenblick traten noch größere Gefah—
ven ein. Es liegt wohl fehr in der Natur der Sache, daß
die beiden großen Gegner des Kaifers fich endlich auch zu
einer gemeinfchaftlichen Unternehmung gegen denfelben ver:
einigten. Schon im Jahr 1552 war eine Verbindung der
Slotten beabfichtigt, doch erfchienen die Franzoſen nicht zur
gehörigen Zeit. Defto pünctlicher zeigten fie fich im Jahre
1553. Schon in den griechischen Gewäffern trafen die fran-
zöfifchen Galeeren unter de la Garde mit den Osmanen zu:
fammen, denen Suleiman ftatt jeder weiteren Anmweifung den
Defehl gegeben, alles zu vertilgen was fich dem König von
Sranfreich widerfeße.
Zuerft richteten fie ihre Angriffe gegen Neapel. Der
Fürft von Salerno war für den Fortgang deg Unternehmens
vielleicht eher hinderlich, indem er feine Freunde gegen die
Gewaltthaten der Osmanen in Schuß nahm. ! Aber fo viel
ward doch immer bemwirft, daß Don Garcia zur Vertheidi—
gung von Neapel abberufen und Siena dadurch für dieß
Mal ernftlicherer Feindfeligkeiten überhoben ward. Dann
aber lenkten die Flotten ihren Lauf nach den fogcanifchen
Gewäſſern. Auch hier fahen e8 die Osmanen auf Naub
1. De la Garde an den König, bei Nibier II, 443.
298 Zehntes Bud. Zweites Capitel.
und Plünderung ab, die Franzofen auf Eroberung. Bei die:
fem Zuge hat Dragut das fruchtbare Pianofa wüſte gelegt,
fo daß es fich niemals wieder hat erholen können. Dage—
gen machten die Franzoſen einen erften glücklichen Anfall auf
Corfica. Sie riefen die Widerfeglichfeit der Eingebornen ge:
gen Genua auf und nahmen beinahe die ganze Inſel ein. Dem
Dapft, der fich darüber befchwerte, antwortete der König, er
könne die Genuefer, von denen dem Kaifer zu Land und zur
See Vorſchub geleiftet werde, nur als Feinde feiner Krone
betrachten." Im Befige der Provence, Corſicas und Porter:
cold’ 8, und dadurch Herr des Meeres, ward er ihnen felbft
in hohem Grade gefährlich.
Zwar war mit alle dem noch nichts entfchieden. Der
Kaifer hatte noch allenthalben dem Angriff auch ſtarke
Kräfte der Vertheidigung entgegenzufegen. Aber ein gewiſ—
ſes Schwanfen Fam damit doch wieder in die allgemeinen
Verhältniſſe, die bereits befeftige gefchienen hatten. So nüß-
lich es dem Kaifer geworden wäre, wenn er Met erobert
hätte, fo fehr mußte mun alle diefes Mißlingen und Ver—
fieren fein Anfehen fchmwächen, fo gut in Deutfchland wie
anderwärts.
Überdieß aber nahmen die Dinge in Deutſchland durch
die Verbindung, in welche der Kaifer mit Markgraf Albrecht
getreten war, eine höchft eigenthümliche Geftalt an.
1. Discours hardy du nonce, auquel S. M. a repondu ge-
nereusement. Bei Nibier II, 477.
Drittes Capitel.
Der Krieg zwifhen Marfgraf Albrecht und Chur:
fürft Mori im Jahr 1553.
Dergegenmwärtigen wir uns vor allem dag ein wenig
verwickelte Verhältniß des Markgrafen Albrecht überhaupt.
Er war nicht eigentlich ein Mitglied des im J. 1552
zwiſchen den deutfchen Fürften und der franzöfifchen Krone
gegen den Kaifer gefchloffenen Bindniffes. Er fagt, er habe
den Fürften feine Hülfe zugefagt: gleichwohl unverpflichtet.
Er leugnet, daß die Negimenter die er führte, in franzöfifchen
Dienften geftanden: „keinem Herrn unter der Sonne haben
fie gefchworen, als ung."
Wie lebhaft er auch die allgemeinen Intereſſen umfaßte,
fo war doch fein Sinn, bei dem aufgehenden Kriegsfeuer
zugleich für fich felbft zu forgen. Von Schulden bedrängt,
welche durch feine Unternehmungen im Dienfte des Kaifers
nur noch immer gewachfen, ohne Hofnung zu den Beloh:
nungen zu gelangen, die man ihm verfprochen hatte, faßte
er den Gedanken fich am feinen Nachbarn, den geiftlichen
Fürſten, mit denen er in altem Hader lag, und der Reichs—
ſtadt Nürnberg fchadlos zu halten.
300 Zehntes Buch. Drittes Capitel.
Bei den erfien Bewegungen fprach man allgemein von
einer Eroberung und neuen Austheilung der Bisthümer. Der
gute Melanchthon warnte feinen Fürften, fich nicht einer Un—
ternehmung ansufchliegen, die dahin ziele, die ordentliche Ho—
heit und dag gefaßte Reich umsumerfen und eine allgemeine
Verwirrung anzurichten. '"
Morig war viel zu bedachtfam und practifch, um auf
Gedanken diefer Art ernftlich einzugehn: e8 war ihm genug,
ſich nicht durch enfgegengefegte Verpflichtungen zu feffeln.
Dem Markgrafen gab er im Einverftändnig mit den übri—
gen Verbündeten die Zuficherung, was er von folchen Stän-
den, die fich dem Unternehmen nicht zugefellen würden, durch
Brandfchagung oder auf eine andre Art erlange, das folle
ihm und feinem Kriegsvolf zu Gute Fommen.
darkgraf Albrecht fah darin eine Art von Berechtigung,
und ſäumte nicht diefelbe unverzüglich gegen die widerwär—
figen und unvorbereiteten Nachbarn geltend zu machen.
Zuerft griff er, und zwar mit erneuerter Bewilligung des
Bundes, den Bifchof von Bamberg an, und zwang ihn ein
volles Drittheil feines Stiftes gleich in fürmlichem Vertrag
abzutreten. Mit Mühe Fonnte der Bifchof feine Heimat)
Cronach retten.? Der Bifchof von Würzburg mußte fich
nicht minder zu einigen Abtretungen verftehn und befonders
einen guten Theil der marfgräflichen Schulden übernehmen.
Daß Nürnberg fich durch eine Zahlung an die übrigen Für—
1. Gutachten Melanchthons bei Hortleder I, v, m. „Und hat
einer neulich zu mir gefagt, das Bier fey noch nicht im rechten Taf,
aber es werde bald darein Fommen.
2. „wo er zu Haufe fey und lefen gelernt.” Hans Fuchs an
Wilhelm von Grumbach, Hortleder II, vı, 28, nr. 101.
Markgraf Albrechts Kriegszuͤge. 301
ften ficher zu ftellen fuchte, Eonmte auf Albrecht keinen Ein-
druck hervorbringen. Laut der ihm gewordenen Zuficherung
forderte Albrecht, daß fich die Stadt entweder dem Unter—
nehmen beigefellen oder ihm eine große Brandfchagung ge
ben folle: er nöthigte fie ihm 200000 ©. zu zahlen.
„Wo er hinzieht,“ fagte Moris einft zu Zaſius, „da
ift es als ob ein Wetter dahergienge.! „Ja wohl, ver
feßte Diefer, „Donner und Blig und wildes Feuer könnten
nicht erſchrecklicher ſeyn.“ Es ſchien nicht, ald ob dag dem
Churfürften mißfiele: er lachte.
Und fehr entjchloffen war Albrecht, was er Dergeftalt
gewonnen zu behaupten.
Nur um diefen Preis wollte er fich der Paſſauer Pa—
cification anfchließen. Er forderte Beftätigung der von ihm
mit den beiden Bifchöfen und der Stadt aufgerichteten Ver-
träge: mit den Eroberungen die er gemacht wollte er be
lehnt werden.
Mir fehen hier erfi, was jene von Morig bei den Ver;
handlungen vorgefchlagene Befchränfung der Anfprüche auf
den damals eingetretenen Befitftand zu bedeuten hatte. Wenn
1. „Das f. fitl. Gn. und dero Erben alles das gelaffen werde,
fo f. f. ©n. in irer befolen und aufgenommen Erpedition an Land
und Leuten, Geld und Gut wie das namen haben mag erobert.”
„Denn wir verfichert, was wir von den Ständen fo fih 3.8. Eini-
gung halben widerfegen würden möchten uns zu Guten erlangen,
erbrandfchaßen oder in andre Weg befommen, daß uns und unferm
Kriegsvolk daffelbe zu Erftattung und Guten gelaffen werden folfe,
und dieweil wir denn von den beiden Wfaffen und Nürnberg ver:
tragsmeife befchwerlih (Faum) fo viel befommen als wir unferm
Kriegsvolk zu thun ſchuldig gewefen, fo hetten wir, da wir diefelben
unfere Verträge follen fallen laffen, in die Capitulation keineswegs
bewilligen koͤnnen, es were ung denn eine folhe gebührliche Erftat:
fung dagegen befchehen deren wir zufrieden feyn Fönnen.
302 Zehntes Bud. Drittes Capitel.
er diefe Elaufel endlich fallen ließ und den Vertrag ohne
folche unterfchrieb, fo ſah Markgraf Albrecht darin eine
Treulofigkeit; er hielt fich für berechtigt feinen Krieg al
lein fortzufeßen. Nachdem er noch einmal feine Leuchtku:
geln über Sachfenhaufen auffteigen laffen, ſtürzte er fich auf
die Bisthümer am Rhein.” Nur mit einer ſchweren Con:
tribution erfaufte der Bifchof von Worms die Erlaubniß
auf feinen Sit zurückzukehren. Der Erzbifchof von Mainz
verfenfte fein fchweres Geſchütz, um e8 dem Feinde zu ent
siehen, in den Rhein und verließ feine Hauptſtadt; dafür
giengen feine Palläfte in Feuer auf. Da der Erzbifchof von
Trier die Anmuthung ablehnte dem Markgrafen die Rhein:
und Mofelpäffe einzuräumen, vielmehr an den wichtigften
derfelben feine Befeftigungen in Stand fette, fo überftieg
Albrecht den Hundsrück und erfchien am 25ſten Auguſt vor
Trier. Der Nath der Stadt Fam ihm entgegen und über:
reichte ihm die Schlüffel feiner Stadtthore, was er nie ei
nem feiner Finften gethan; dafiir ward bei Todesftrafe ver-
boten die Bürger zu befchädigen. Dagegen wurden die Klö—
fer und Stifte großentheilg geplündert: man mwunderte fich,
daß die Leute das Dlei der Dächer zurückliegen. Es fcheint
nicht als habe ihm dieß viele Feinde gemacht. Mit der Wie:
derherftellung der geiftlichen Macht war auch der Haß ge
gen fie erneuert worden. Wir finden wohl, daß jeßt wie
vor 30 Zahren ein päpftlicher Nuntius auch unter fonft fried-
lichen Berhältniffen nicht zu Land nach den Niederlanden zu
reifen, ja felbft nicht am Ufer auszuſteigen wagte, etwa um
einen Fürften zu begrüßen; feiner Begleitung auf dem Schiff
ward eingefchärft dag tieffte Geheimniß zu beobachten. |
1. Maftus an den Herzog von Cleve, 18 Juni. (Arch. zu Düff.)
= MEN
|
Albrecht in Verbindung mit dem Kaifer. 303
An der Spite von 10000 Mann und von einem Theile
der Bevölkerung unterftüst, nahm der Markgraf eine fehr
bedeutende Stellung ein.
Mußte der Kaifer, der jet auch des Weges daher 509,
um zur Belagerung von Meß zu fehreiten, nicht vor al
len Dingen den Verſuch machen fich des Widerftandes zu
entledigen, den ihm ein deutſches Heer unter der Anführung
eines deutfchen Neichsfürften zu leiften drohte?
Es Fam ihm zu Statten, daß Albrecht, der fich zu füh-
len anfieng, fich nicht lange mit den Franzoſen verftand.
Albrecht verfichert, man habe ihm früher verfprochen,
ihn zum Generaloberfien aller Landsfnechthaufen zu ma-
chen, und ihm außer einer flattlichen Unterhaltung für die
nächften zivei Monat 200000 Kronen zu zahlen, und habe
ihm dann von alle dem nichts gehalten. Aus dem Brick
wechſel in den er mit dem Connetable trat, leuchtet der in—
nere MWiderfpruch hervor, der darin liegt, daß Albrecht in
Dienften von Frankreich ſtehn und doch die Würde eines
Meichgfürften behaupten wollte. Den Antrag den man ihm
zuletzt machte, daß er mit 100000 Kronen zufrieden feyn
und dafiir mit feinem Haufen auf vorgefchriebenem Weg
nach den Niederlanden vorrücken und diefe angreifen folle,
fand er unannehmbar, und wies ihn zurück.
Dagegen bot ihm nun der Kaifer nicht allein Dienfte
an, bei denen er als Fürft beftehn, Ehre und Geld erwer—
ben konnte, fondern Carl V hatte ihm einen Preis zu bieten,
dem von franzöfifcher Seite nichts an die Seite geftellt wer:
1. Auch Schärtlin verfichert, der König habe „übel gehalten,
was ihme Marggrafen vom Bifchof zu Bajonne und mir zugefagt
war.“ (p. 220.) Albrecht meint, es fey Fein ungefchicftes Worha-
ben, mit 100000 Kr. die Niederlande zu erobern.
304 Zehntes Bud. Drittes Capitel.
den Fonnte: die Anerkennung und Beftätigung jener mit den
Bischöfen gefchloffenen Verträge.
Schon öfter haben wir gefehen, wozu der Kaifer, wenn:
gleich nicht ohne tieferen Vorbehalt, doch für den Augen
blick, in dringenden Umftänden zu bringen war; was er al
leg einft den Proteftanten‘ bewilligte, um fie von Cleve zu
trennen; wie er, im Begriff zur Erhaltung der hierarchifchen
Ordnungen dag Schwert zu ergreifen, dennoch dem Churfür-
fin Moris den Schuß über ein paar große Neichsftifter
anverfraute: von allem aber was er gethan hat, wohl das
Stärkſte, ift das Zugeftändniß das er jet dem Markgra—
fen machte. Die Verträge waren eben Denen abgezwungen
welche man für feine Anhänger hielt, und allein auf den
Grund, daß fie fich feinen Feinden nicht zugelellen wollten;
er hatte fie felbft fir ungültig erklärt, und fie waren bereits
von den frühen Verbündeten des Markgrafen aufgegeben
worden: jetzt beftätigte er fie, und fette feft, daß fie „voll—
fommen, ganz und gar, ohne alle Ein- und MWiderrede zu
vollziehen ſeyen.“
Dem Marfgrafen glückte e8 noch einen franzöſiſchen
Prinzen, Herzog von Aumale, der ihn feindfelig beobach-
tete und ihm feine Hauptleute abtrünnig zu machen fuchte,
mit feiner Neiterei zur günftigen Stunde zu überrafchen und
fogar zum Gefangenen zu machen. Dann im Ölanze ei-
nes neuen Sieges ftellte er fic) dem Kaifer dar, der ihn
1. „Wöllen, — was fi die bifchof und derfelben Eapittel ge-
gen f. Lieb fampt und fonders verbrieft und verfchrieben, das die⸗
ſelbe verſchreibung und Contract vollkommen ganz und gar ohne alle
Ein und Widerrede gehalten und vollzogen werden ſollen.“ — Metzi⸗—
fher Hauptvertrag 10 Nov. 1552 (der erjie v. 24 October). Hort:
leder II, vı, ı1, nr. 45.
Markgraf Albrecht im Bunde mit dem Kaiſer. 305
mit Freuden empfieng und ihm felber die rothe Feldbinde
darreichte. Man wollte bemerfen, daß der Markgraf den
Kaifer dabei feft ing Auge gefaßt habe, ob er auch der neuen
Freundſchaft und Zufage trauen Fönne.
Was der Kaifer sunächft beabfichtigte, erreichte er hier—
mit allerdings. Er Fonnte nun feine Belagerung fortfegen,
ohne Gefahr darin geftört zu werden. Sie mißlang, wie
wir wiffen, hauptſächlich durch die Ungunft der Jahreszeit.
Albrecht erwarb fich das Verdienft den Nückzug zu decken.
Mit jenem Zugeftändniß hatte nun aber; Carl den
Grund zu einer Bewegung gelegt, die fehr mweitausfehend
werden mußte.
Er hat immer gefagt, fein vornehmſtes Motiv fey die
Deforgniß gewefen, daß Markgraf Albrecht und Graf Vol
radt, mit Heinrich II verbündet und beide an der Spiße
zahlreicher Truppenfchaaren, Deutfchland noch weiter in Un—
rube feßen und dag Verderben aller geiftlichen Staaten her:
beiführen mirden. ! Und wer möchte nicht an die Wahr:
haftigkeit dieſes Beweggrundes glauben? Er befand fich in
der unbesweifelten Nothwendigkeit, die mächtigen Kriegshäup:
ter von den Franzofen zu rennen. Damals hat man all
gemein geglaubt, Earl habe in dem Friegsbereiten Markgra—
fen einen Bundesgenoffen zur Ausführung feiner alten Ab:
fichten zu gewinnen gedacht: König Marimilian hat dem
venezianifchen Gefandten gefage, Markgraf Albrecht fey ge
1. Si comme il avoist determine il se fust servy de la
correspondance des gens de guerre que le comte Volradt de
Mansfeld tenoit assembl&es, pour prenant son chemin par la Fer-
rette venir ruer sur les &v&ques.
Ranke D. Geſch. V. 20
306 Zehntes Buch. Drittes Capitel
gen ihr und feinen Vater aufgeftellt worden, um fie zu nö—
thigen fich in die Arme des Kaifers zu werfen. !
Das ift eine nicht zu besweifelnde Ihatfache, daß der Kai—
fer feine Succeffionsentwürfe nach mie vor im Auge behielt.
Neujahr 1553 ließ er diefelben bei dem Churfürften
von Brandenburg durch deffen Bruder Markgraf Hang noch
einmal ausführlich in Anregung bringen. In der Inſtruction
hiezu werden die früher vorgefommenen Gründe wiederholt,
befonders der vornehmfte, daß dem römifchen König nach
des Kaifers Abgang zur Aufrechterhaltung des Meiches die
Hilfe des fpanifchen Prinzen nicht allein” förderlich, fondern
unentbehrlich fen, diefer aber fich nicht dazu werde verpflich-
ten wollen, wenn er nicht die Verficherung erhalte, zu feiner
Zeit felbft zur römischen Krone zu gelangen. Der Antrag
bezog fich dieß Mal nicht, wie früher, zugleich auf König Ma-
gimilian: er gieng nur darauf, daß die Churfürften fich ver-
fehreiben follen, fobald der römische König zum Kaiſer ge
Front fen, den Prinzen ohne Verzug zum römifchen König zu
wählen, man möge ihm, dem Kaiſer, in feinen alten Tagen
diefe Freude gönnen; der Bring ſey ein Erzherzog und Fürft
des Neicheg; wie er dazu erzogen worden der Bürde der
1. Relatione di Suriano 1554. Mi disse il re di Bohemia
piu volte, che questo (das Verfahren mit Marfgr. Albrecht) faceya
credere che l’impre avesse acaro, di veder suo fratello et lui suo
genero eonstituiti in necessita di gettarsegli in braecio. Albrecht
leugnet zwar, daß ihn der Kaifer in Dienjt genommen um den rö-
mifhen König „J. M. Hoheit zu entfeßen, und den Sohn des Kai-
ferd „zu einem Nömifchen Kaifer wider des h. Reichs Freiheit mit
gewalt übertringen helfen” (Bucholtz VII, 111): die Worte aber
find fo gewählt, daß dabei doch Vieles wahr feyn Fonnte. Gegen
Ferdinand und auf Gewalt war die Abficht des Kaiferd gar nicht
gerichtet.
Erneuerung des Succeffionsentwurfs. 307
Regierung gewachſen zu feyn, fo habe er von feiner Fähig-
keit fchon jegt in Spanien gute Proben gegeben; er werde
bald wieder ing Neich Fommen und fo viel möglich feine
Nefidenz dafelbft nehmen, deutfche Fürften und andre ge
borne Deutfche an feinen Hof ziehen, dag Neich nur durch
Deutſche verwalten laffen und gewiß auch die deutſche Sprache
begreifen: jede billige Verficherung werde er augftellen. !
Mahrfcheinlich hängt e8 hiemit sufammen, daß der Kai-
fer auch fchon felbft daran dachte, den Deutfchen etwas mehr
Genugthuung zu geben und einen Neichshofrath aus deut:
fchen Mitgliedern aufzurichten. Zum Präafidenten deffelben
befiimmte er den Cardinal von Trient, wogegen der römiſche
König meinte, der Churfürſt von Mainz würde den Deut
fchen lieber feyn. Zu Beifigern dachte der Kaifer die Gra-
fen von Fürftenberg, Eberftein, Solms, die Freiherrn Wol—
Fenftein und Truchſeß, den Doctor Gienger und einige An—
dere zu berufen.
Auch die religiöfen Antipathien fchonte er jegt. Wenn
er 3. B. in der frühern Inſtruction feine Bekämpfung Der:
jenigen erwähnt, die unter dem „anmuthigen Schein der
Religion! das Neich unter fich zu theilen gedacht, fo er:
wähnte er jegt nur dag letzte, die vorgehabte Theilung: den
Schein der Religion ließ er weg.
Und nicht nur den Churfürften ließ der Kaifer feine
Anträge wiederholen. Auch dem Herzog Chriftoph von Wür-
tenberg, der am franzöfifchen Hofe gut deutfch geworden und
die Einmifchung der Franzofen in die deutfchen Angelegen-
1. Snftruction für Marfgraf Hans in dem Berliner Archiv; der
Hauptſache nach eine Überarbeitung der alten Snftruction von 1550.
20.*
308 Zehntes Bud. Drittes Capitel.
heiten faft am lauteften verdammte, eröffnete er durch feinen
Marfchall Böcklin am 26ften Januar 1553, er wiſſe Nie
mand, der dem Neiche, damit es nicht ganz zerriffen werde,
„fürftändiger ſeyn möchte”, als feinen Sohn. !
Allein der Kaifer irrte, wenn er nach alle dem mag
man erlebt hatte und befürchten müffen, das Vertrauen der
Fürſten wieder erwerben und ihnen ein Vorhaben, dag ihre
Beforgniffe eben am meiften erweckt hatte, annehmlich ma-
chen zu können glaubte. Geine Eröffnungen bewirkten das
Gegentheil von dem was er wünſchte. Schon am 5ten Fe
bruar 1553 Famen Friedrich von der Pfalz, Albrecht von
Baiern, Wilhelm von Jülich, von denen ich nicht weiß, ob
ihnen Ähnliche Mittheilungen gemacht worden, mit Herzog
Ehriftoph zu Wimpfen zufammen, ? um fich fürmlich zu ver-
abreden, wie dem Eindringen des fpanifchen Prinzen wider
ftanden und auch dem Bifchof von Arras die Verwaltung
der NeichSangelegenheiten, die er noch immer beforgte, ent
riffen werden Fönne. Es waren, wie wir fehen, abermals
Sürften beider Bekenntniffe. Auch davon handelten fie, auf
welche Meife man dem Zwieſpalt über die Religion abhel:
fen könne, ob nicht doch twirflich durch ein Nationalconci-
lium, auch wider den Willen des Papſtes. Sie beftärften
fi) aufs neue in den Gefichtspuncten die bei den Paſſauer
Verhandlungen vorgemaltet.
E8 leuchtet ein, wie viel ihnen dann daran liegen mußte
die Streitigkeiten zu verhliten, die bei der Nückfehr des Mark
‚grafen, der nun feine von der höchften Reichsgewalt beftä-
1. Pfiſter Herzog Chriftoph p. 213.
2. Stumpf Diplomatifche Gefhichte des Heidelberger Fürften-
vereined. Zeitfchrift für Baiern 1817 V, p. 139.
Verfammlung in Heidelberg März 1553. 309
figten Forderungen noch viel trogiger geltend machte als frü—
ber, in Franken auszubrechen drohten.
Bon dem Kaifer felbft dazu aufgefordert, nahmen die
Fürften diefe Sache im Februar in Wimpfen, im März zu
Heidelberg in langen Tagfagungen in die Hand.
Sie waren in fo weit auf der Seite des Markgrafen,
als fie die Bifchöfe zu beivegen fuchten, die ftipulivte Ceſ—
fion, wenn auch nicht durchaus, Doch in der Hauptfache
su genehmigen.
Wäre es nur auf Würzburg angefommen, fo würde
man auch wohl dahin gelangt feyn. Das Capifel war nicht
abgeneigt fich zu fügen; die Unterthanen fürchteten nichts
mehr als die Erneuerung des Krieges; der Bifchof felbft
beforgte die Faiferliche Ungnade.
Dagegen war der Bifchof von Bamberg, Wigand von
Redwitz, der die ihm entriffenen Amter indeß wieder einge:
nommen, nicht herbeizubringen. Die Nachgiebigfeit von Würz⸗
burg machte auf ihn Feinen Eindruck, da e8 bei diefem mehr
auf Geld anfomme, bei ihm aber handle es fich um Land
und Leute, und alle fürftlihe Negalien; — er wolle lieber
todt feyn, als diefen entfagen. !
Vergebens fchlug man dem Marfgrafen ein rechtliches
Derfahren vor. Er beftand darauf daß feine Gegner auf
jeden rechtlichen Behelf Verzicht geleiftet.
Höchſtens zu einer Geldentfchädigung wollte fich der
Biſchof verftcehn. Aber dem Markgrafen Fam «8 fchimpflic)
vor, eine Landſchaft, die ihm erft von feinen Verbündeten und
dann von dem Kaifer verfichert worden, gegen eine Geld:
sahlung aufzugeben. E
1. Ackenſtuͤcke bei Hortleder UI, vı, 27, nr. 76, nr. 80.
310 Zehntes Buch. Drittes Kapitel.
Nur den Vorfchlag ließ er fich gefallen, daß Bamberg
das Necht der Wiederablöfung haben, aber fing Erfte die
Ämter ihm wieder überliefern folle. Da der Bifchof von
Bamberg diefen Vorfchlag, wie fich denken läßt, zurückwies,
fo konnte auch Würzburg, durch alte Erbverträge beider Stif—
ter gefeffelt, feine Zugeſtändniſſe nicht vollziehen. !
Und nun meinte wohl der Markgraf, die vermittelnden
Fürſten würden auf feine Seite treten. Sie waren aber
weit entfernt, die Sache der Gewalt, die doch nur dem Kai—
fer zum Vortheil ausſchlagen Fonnte, zu der ihren zu mas
chen. Auch zu Heidelberg unterhandelten fie zugleich über
die allgemeinen Angelegenheiten, die Succeffion im Neiche,
die Entfernung des fpanifchen Einfluffes. Und da nicht ab-
sufehen war, wohin ein MWiederausbruc, der Unruhen füh-
ven könne, fo vereinigten fie ſich wenigftens unter einander
und mit den Churfürften von Mainz und von Trier, ihre
Neutralität gegen Jeden der fie angreifen werde, Niemand
ausgenommen, gemeinfchaftlich zu vertheidigen.
Nicht ohne Zeichen des Unwillens gieng Marfgraf Al-
brecht von dannen: er war entfchloffen fich felbft zu helfen.
Im Monat April 1553 finden wir ihn bereits mitfen
in der wildeften Fehde.
Indem er twürzburgifches Volk, das dem Biſchof von
Bamberg zuzog, bei Ponmergfelden auseinanderfprengfe, ward
er Herr im Stifte Bamberg; am 16ten April fiel die Haupt:
ftadt, gleich darauf auch die Altenburg in feine Hand; von
dem ganzen Stifte hielt fich nichts als Forchheim. ?
1. Der fogenannte Heidelberger Bund 29 März 1553.
2. Bifchöflihes Ausfchreiben bei Hortleder II, vı, 22. 1221.
ee
SJT 2 se a in
Fehde in Franken. 311
Hierauf wandte er fich gegen Nürnberg, das fich mit
den beiden Nachbarn, deren Unglück es getheilt, auch zum
Widerſtand vereinigte: einige hundert fchlefifche Neiter, die
auf weitem Umweg durch Böhmen und das Eichftädtifche
der Stadt zu Hülfe heranzogen, jagte er erft aus einander
und nahm fie dann großentheils in feine Dienſte; darauf
fand er auch bier Feinen Widerftand: Laufen und Altdorf
wurden gebrandjchagt und nachher doc) noch in Brand ge:
ſteckt; faft alle Schlöffer, Kleinen Städte, Dörfer und Klö—
fier des wiürzburgifchen wie des nürnbergiſchen Gebietes ge
viethen im Laufe des Mai in feine Hand. Auch Schwein:
furt, obgleich eine Neichsftadt, trug er Fein Bedenken zu be;
fegen, als er fürchten mußte, daß e8 vielleicht fonft in die
Hände neuer von Niederfachfen her drohender Gegner ge:
vathen würde.
Wenn die oberdeutfchen Fürften fich neutral hielten, fo
gab es doch einige andre im Neich, die nicht gemeint waren
ihn fo ohne Widerftand um fich greifen zu laffen.
Der vornehmfte war fein alter Kriegscamerad und Bun—
desgenoſſe Moriß.
In feinem Herzen überzeugt, daß der Kaifer ihm nie ver-
geben, vielmehr die erfte Gelegenheit ergreifen werde um ihn
anzufallen und zu verderben, ſah Moritz in der Verbindung
deffelben mit dem Markgrafen vom erfien Augenblick an
Gefahr für fich felber. Ohnehin grollte Albrecht wegen des
Paffauer Vertrags, der mit jener ihm urfprünglich gegebe-
nen Zufage in Widerfpruch ftand, und machte feinem Un—
willen nicht felten in drohenden Neden Luft, die dann von
dienfibefliffenen Leuten dem Churfürften binterbracht wurden,
312 Zehntes Buch. Drittes Capitel.
fo daß ſich diefer ein ganzes Verzeichniß davon anlegte. !
Nicht, als hätte er jedem diefer Worte geglaubt, aber er
fragte doch darüber einmal an, und gutes Blut machten fie
nicht. Immer feinen Blick auf die Eommenden Dinge ge
richtet, meinte er in demfelben Grade bedroht zu feyn, in
welchem der Markgraf mehr emporkam. Er entfchloß fich,
ihm bei Zeiten zu begegnen.
Mori war Fein Mann dem e8 Scrupel gemacht hätte,
eben die in Schuß zu nehmen, die einft im Einverftändniß
mit ihm angegriffen worden; er bot dem König Ferdinand,
der mit dem Markgrafen bereits in offenen Hader gerieth,
einen Bund an, in welchen die fränfifchen Bifchöfe einge:
fchloffen ſeyn follten.
Und noch an einer andern Stelle, in Niederfachien
fanden fich Verbündete für diefe Kombination.
Auch über die Irrungen der braunfchweigifchen Edel
leute mit Herzog Heinrich dem Jüngern hatte man in Paſ—
fau Beſtimmung getroffen, und zwar mehr zu Gunften der
erſten; eben darum aber hatte fie der Herzog nicht anerkannt:
Zufammenfünfte die man darüber hielt, hatten ſich ohne
Frucht zerfchlagen, endlich war die Fehde wieder auggebro:
chen, in der Graf Volradt -fich der Edelleute annahm und
den Herzog gewaltig bedrängte. Von den Verwandten def
felben in Calenberg und Lüneburg nicht gehindert, von der
Stadt Braunfchweig unterftügt, brachte er in Kurzem den
größten Theil der feſten Häufer Heinrichs, fo wie die viel
beftrittenen Klöfter Niddagshaufen und Steterburg in feine
Gewalt. Nur vergebens wendete fich der Herzog an den
1. Langenn I, 557. j
—
Verbindung gegen Albrecht. 313
Kaifer, der damals vollauf befchäftige war, und aus Rück—
ficht auf Markgraf Albrecht fi) mit dem niederfächfifchen
Kriegsvolf, das von diefem abzuhängen fehien, nicht ent
zweien wollte. Eben dieß zweifelhafte Bezeigen des Kaifers
aber verfchaffte nun dem Herzog einen andern Freund an
Churfinft Morig. Geübt in Unterhandlungen Diefer Art wußte
Moriß den Grafen Volradt auf feine Seite zu ziehen: das
Kriegsvolk deffelben blieb, wie jenes magdeburgifche, eine Zeit:
lang ohne benannten Herrn; endlich als es fic) auflöfte, gieng
es größtentheils in die Hande Heinrichs über. Hiedurch be
Fam diefer aufs neue dag Übergewicht, nahın feine Plätze
wieder und griff nun feinerfeits alle feine Gegner an, die
Edelleute, die Städte und feinen Vetter von Calenberg.
Leicht verftändigten fich hierauf Morig und Heinrich
auch über die fränfifchen Angelegenheiten. Schon im März
bat Herzog Heinrich den Bifchöfen feine Hülfe gegen einen
Beitrag zu den Kriegsfoften angeboten; ! ohne Zweifel war
dieß ein Grund, weshalb der Bifchof von Bamberg fich je
der Eonceffion fo entfchieden widerſetzte. Auch Morig, der
den Markgrafen mit einem beißigen Hunde verglich, gegen
den fich Jedermann wehren müffe, verfprach ihnen einige
Keitergefchtwader und 10 Fähnlein Fußvolf zuzuführen.
Man fprach damals viel von einem neuen Bunde zum
Schutze des Landfriedeng, Uber den im Mat auf einer Zu:
fammenfunft zu Eger ein ausführlicher Entwurf verfaßt wor:
den ift. Er war wohl hauptfächlic) darauf berechnet, unter
diefem allgemeinen Titel noch andre Kräfte gegen den Mark
1. Schreiben Heinrihs an MWrisberg, mit dem er damals wie:
der gut fand, 12 März. Lofius Ehrengedächtnig Beil. nr. 41.
314 Zehntes Buch. Drittes Capitel.
grafen zu gewinnen. Der Kaifer munderte fich, daß man
die Bifchöfe von Würzburg und Bamberg, die er einem ober:
deutfchen Verein vorzubehalten wünſchte, in diefen mehr nie
derdeutfchen Bund aufnehmen wolle, dagegen Johann Fried:
drich von Sachſen, der dahin gehöre, davon augfchliege. An—
dre machten andre Einwendungen. Eigentlich waren nur der
König, der Churfürft, die beiden Bifchöfe, Herzog Heinrich
und etwa der Graf von Plauen einzufreten bereit, alles Geg—
ner des Markgrafen, diefe aber waren auch ohne Bund ein-
verftanden, und fchon allein mächtig genug.
Ohne Zweifel hatte der Markgraf zu fürchten, in Fran-
Een in Kurzem von allen Seiten, von Böhmen und Meißen,
von dem anrückenden Kriegsvolf Heinrichs und neuen Streit
Fräften der Stadt Nürnberg angegriffen zu werden. Er faßte
den feiner Natur fehr entfprechenden Entfchluß, dieß nicht
su erwarten, fondern vielmehr dem vornehmften Feinde, der
jetzt allein gerüftet war, dem Herzog von Braunſchweig, fel-
ber zu Leibe zu gehn und fich nach Niederfachfen zu werfen.
Was ihn dazu vermochte, war die fichere Ausficht, dort
Verbündete zu finden. Die Mutter Erich von Calenberg,
geborne Marfaräfin von Brandenburg, damals in zweiter
1. Nach Bucholtz VII, 124 wäre der Bund doch zu Stande gefom-
men: Sonnabend nad Gantate. Sm Archiv zu Berlin findet ſich aber
ein mit allen Siegeln verfehener Abfchied, worin es heißt: „Dieweil e-
liche von ung, den Gefandten, mit vollfommenem Befelch nicht verfehen
geweſt und etliche vorftehender unficherheit halber fich auf die punct,
fo in handelung unvorfehenlich vorgefallen, bei iren herrn und obern
notfurftiges befchaits nit haben erholen mögen, als hatt der ſchluß
diefer handellung unumbgehenlich auff ein andere Zufammenfunft muf
fen verfchoben werden.’ in ausführlicher Entwurf ward auch dem
Kaifer mitgetheilt. Die nächfte Zufammenfunft follte 24 Zuli feyn.
— —
er ze
47
Markgraf Albrecht von Brandenburg 315
Ehe mit dem Grafen Poppo von Henneberg vermählt und
in Schleufingen wohnhaft, felber von Herzog Heinrich in
ihrem Witthum beeinträchtigt, vermittelte ein gutes Verneh—
men zwifchen Albrecht und ihrem Sohn.
Sich wohl vorſehend, dag Gebiet des mächtigen Mo-
vis nicht zu berühren, nahm Albrecht feinen Weg am Ge
birg über Arnftadt, Mansfeld, Halberftadt, bei Braunfchweig
ftießen 1000 Neiter Erichg zu ihm; in Hannover hatte er
mit diefem felbft die erfte Zufammenfunft. Sie verftändig-
ten fich vollfommen. Mit vereinten Kräften und mit Hilfe
der Städte brachten fie ein Heer zufammen, mit dem fie un:
verzüglich, an Statt Herzog Heinrich, Herin im Felde wur:
den und Sedermann in Schrecken feßten. Die nöthigen
Geldmittel wußten fie fi) auf ihre Weife zu verfchaffen.
Das Capitel von Halberftadt hatte dem Markgrafen bei fei-
nem Durchzug eine anfehnliche Summe zahlen müffen; in
Minden erbeutete er 50000 Thaler Brandfchagungsgelder,
welche für Herzog Heinrich aufgebracht waren.
Auch politisch und religiös nahm der fürmifche Kriege:
mann da noch einmal eine fehr merfwürdige Stellung ein.
Während früher die Charactere nahmbafter Deutfchen
fich) eigentlich nur durch das Maaß von Thatkraft und Ener:
gie, oder von Treue und Hingebung, das ihnen beitwohnte,
unterfchieden, wurden fie in unferer Epoche dadurch gebil-
det, daß ein Jeder im veligiöfer Hinficht eine Partei zu er-
greifen, fich felbft zu beftimmen hatte. Ganz andre Elemente
der Überzeugung, gefchähft durch die Gegenfäße auf die fie
fliegen, drangen dadurch in dag perfönliche Leben ein. Und
dazu Fam dann für die Evangelifch-gläubigen, da der Kai:
316 Zehntes Bud. Drittes Capitel.
fer ihren Tendenzen zumeilen verfteckt, zuweilen ganz offen
Widerftand leiftete, jener Zwieſpalt zwischen weltlichem Ge—
horſam und veligiöfer Überzeugung, deffen wir oben gedach-
fen, im welchem die Geifter, aufs neue zu eigener Entſchei—
dung und Wahl aufgerufen, entwickelt oder zerſetzt oder we—
nigfteng geprüft tourden.
Bon Albrecht follte e8 zwar fcheinen, als habe ihn
die Religion nur wenig gekümmert. Wir finden ihn früh
in der Gefellichaft martialifcher Kriegshauptleute, welche die
ihnen entgegenwachſende Fräftige Natur des jungen Fürſten
an fich zogen. Wie hätte auch ein Nachkomme des Albrecht
Achilles, von deffen mweidlichen Ihaten man feine jugend-
liche Aufmerkfamfeit oft unterhalten haben wird, der Sohn
des tapfern Markgrafen Eafimir, ſich entfchließgen können,
an der Eleinen Hofhaltung zu Neuſtadt an der Aiſch ſpar—
ſame Wirthfchaft zu führen und die Schulden feiner Väter
abzufragen. Sobald fein Alter es zuließ, finden wir ihn bei
den Kriegszügen des Kaiſers. Er fiht fo gut gegen die
profeftantifchen Fürften, wie gegen die Franzofen. In ei—
ner Eingabe an den Kaifer foll er fich wieder als gut ka—
tholifch bezeichnet haben.
Wer aber glauben wollte daß er fich hiebei beruhigt
hätte, würde die Kraft verfennen, mit welcher die ewangeli-
fche Lehre in diefen Zeiten die Gemüther ergriff. Die Unter:
weiſung eines guten Lehrers,! die er im erfter Jugend ge
noß, hatte ihren Samen tief in feine Seele gefenfk.
1. Arnoldus, Vita Mauritii, bei Menden II, 1252: a tenc-
ris annis literarum stadiis informatus -- Leuthinger p. 106: in
literis, artibus et evangelü doctrina. Opſopaͤus, ein guter Vhilolog,
war fein erffer Lehrer.
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Markgraf Albrecht von Brandenburg. 317
Sichtbare Wirfung brachte e8 zwar auf den Fürſten nicht
hervor, daß ihn der Hofprediger Körber bei dem Beginn
des fchmalfaldifchen Krieges vor allem Antheil daran warnte,
denn derſelbe werde wider die enangelifche Lehre gemeint feyn,
aber ohne Eindruck blieb es nicht: „wider mein Gemiffen”,
fagt er, „zog ich fort." Als er gegen Magdeburg aufbrach,
fielfte ihm der Prediger Wolfgang Nupertus vor, daß ein
Krieg dieſer Are nicht ohne Nachtheil des Keibes und der
Seele geführt werden könne. Es ift eine munderlihe Mt
fchung von Hohn und Glauben, wenn Albrecht ihm entgeg-
nete: „Fahren wir zum Teufel, Pfaff, fo ſollſt du mit ung
fahren”, und den Mann, der ihm ins Gewiſſen vedete, wirk—
lich als Feldprediger bei fich behielt. Einem andern, der ihn
an die jenfeitigen Strafen erinnerte, fol er gefage haben,
er werde feine Seele auf die Zäune fegen die Himmel und
Hölle feheiden, wer dann von beiden der ftärfere ſey, der
möge fie zu fich herüberziehen, Gott oder der Satan.
Das fehen wir wohl: über die großen Fragen war er
nicht zur Klarheit gekommen: übrigens aber zeigte er Geift
und Thatkraft.
Man bemerkte daß er lieber höre alg vede; forach er
aber, fo that er dieß mit einer natürlichen Beredtfamfeit, die
durch den vollen Ausdruck der Wahrhaftigkeit unterftügt wurde:
Mienen, Gebehrden und Worte, ſagt ein Zeitgenoffe, fchie:
nen nichts auszufprechen, als wovon fein Herz vol war. !
Seine Truppen, mit denen er alles theilte, Hiße und
Kälte, Hunger und Durſt, biengen ihm dafür mit Hinge:
bung an. Er ſagte ihnen wohl: Keiner fole Mangel bei
1. Roger Aſham der ihn am Faiferlichen Hofe fah.
Rn
318 Zehntes Bud. Drittes Capitel.
ihn leiden, fo lange er noch ein Laib Brot im Zelte habe,
auch nicht der Geringfte, aber eben fo wenig Einer ein Haar
breit von feinen Befehlen abweichen, auch nicht der Oberfte.
Über alles gieng ihm die Erieggmännifche Ehre. Die Hin:
richtung Vogelsbergers Eonnte er dem Kaifer der fie be
fohlen, und dem Lazarus Schtwendi der dazu geholfen, nie:
mals vergeben.
In Trier ift er in gutem Andenfen geblieben; mit Ver:
gnügen berichtet der gleichzeitige Chronift, wie er eines Ta—
ges die Rathsherrn der Stadt, als er fie in Gefchäften fuchte,
während fie beim Würfelſpiel faßen, von der Straße her
mit einem Schuß aus feiner Handbichfe, der durch dag Fen-
fter nach der Decke der Stube gieng, an ihre Amtspflichten
erinnerte. Auch noch eine andre Erzählung darf ich wohl
aus diefer Chronik wiederholen, von einem Kloftervorfteher,
der bei der allgemeinen Verfolgung der Geiftlichen doc Gnade
bei ihm fand. Es war der Prior des Martingklofters; er
gieng dem Eintretenden mit einem Becher des beften Weins
entgegen. Der Marfgraf Foftete den Wein, ließ vier Ohm
davon auf feinen Wagen laden und drückte dann fein Sie
gel an die Klofterpforte, zum Zeichen, daß Niemand diefes
Klofter antaften dürfe. !
Wir berührten oben, wie er auch dann wenn er Dienfte
genommen, fich doch immer als Neichsfürft fühlte. Der Kai—
fer bat ihm einmal, um ihn in einem Moment der Unzu—
friedenheit zu begütigen, eine "Stelle an feinem Hofhalt an
bieten laffen. Er fragte: wie ihn denn der Kaifer zu etwas
mehr machen wolle, als was er fchon fey, nemlich Mark
graf von Brandenburg.
1. Gesta Trevirorum ed. Wyttenbach IM, 14.
.-.
Markgraf Albrecht von Brandenburg. 319
Überhaupt fanden feine Gedanken ihm hoch. Er hat
einft der Thronerbin von England feine Hand angeboten. !
Er folk fich einft geruhmt haben, er werde noch) König von
Böhmen werden. Er dachte an die Nachwelt, und ich möchte
e8 ihm fo übel nicht nehmen, wenn ihn ungünftige Dar-
ftellungen feiner Thaten, wie bei Avila oder auch bei Glei-
dan, verftimmten.
Der Widerftreit von Armuth und Kriegsluft, Dienftver:
hältniß und Stolz, Necht und Gewalt, worin er lebte, und die
Übertäubung jener innern Stimme die er doch immer hörte,
gaben ſeinem ganzen Weſen einen Beigeſchmack von Wild—
heit, der ſich denn fortan an ſeinen Namen geknüpft hat.
Furchtbar anzuſehen ritt er an der Spitze ſeines Hau—
fens daher: im Panzerhemd, eine Büchſe und ein paar Fauſt—
Folben an feiner Seite; Sommerfproffen und ein vorher Bart
bedecften fein männliches Angeſicht; weithin wallte fein blon-
des Haupthaarz er nahm wohl felbft eine Fackel zur Hand,
um das nächfte Dorf feiner Feinde anzuzünden.
Das war mun einmal noch der barbarifche Gebrauch
diefer Zeiten.
Merkwürdig: bei alle dem hieng das gemeine Volk ihm
an. Er war ein Character, dem man feine Fehler nachfieht,
weil man fie von Feiner Bosheit herleitet. In dem Haffe
gegen die geiftlichen Machthaber traf er mit den populären
geidenfchaften zufammen. Er mußte das fehr wohl und
troßte darauf.
est war er wieder vollffommen Proteftant. Seine An-
weſenheit im Calenbergifchen bezeichnete er damit, daß er die
1. Er ift es doch gewiß, auf welchen fih die Nachricht bei
Strype (Ecel. Mem. II, 374) bezieht.
320 Zehntes Buch. Drittes Capitel.
Abſchaffung des Interims vermittelte, die Befreiung der Pre:
diger, die noch immer auf ihren Bergfeften im Gefängniß
fchmachteten, überhaupt die Durchführung des proteftanti-
chen Prinzipes. Auch Erich trat, wie feine forgfome Mut:
fer vorher berechnet, unter diefer Einwirkung zu dem evan-
gelifchen Glauben zurück.’
Auf Albrechts Seite ftand noch einmal die Combina-
tion die Johann Friedrich 1547 ftarf gemacht: die evange—
lichen Städte an der See und im innern Lande, alle Eifrig-
evangelifchen bis nad) Böhmen.
Ferdinand hegte einen Augenblick die Furcht, bei der
weitverbreiteten Bewegung, die fich abermal in dem gemei—
nen Volfe Fund thue, dürfte e8 dem Markgrafen nicht ſchwer
ſeyn, an der Spige deffelben einen allgemeinen Umfturz zu
bewirken.
Und dabei behandelte ihn der Kaifer mit aller Rückſicht
und Schonung. Er Fonnfe fich nicht mehr weigern, Edicke
gegen den Landfriedensbruch zu erlaffen: forgfältig jedod) ver:
mied er — es erregfe allgemeines Erftaunen — den Mark
grafen darin zu nennen.
Eben aber diefe energifche Haltung, diefe weitaugfehen:
den Beziehungen des Nebenbuhler8 wollte Moritz auf Feine
Weiſe fich entwickeln und befeftigen laffen; gute Worte die
ihm derfelbe gab, vermochten nichts über ihn. Öffentlich
fprach auch er hauptfächlich von dem Bruche des Landfrie: _
dens den er rächen, von der Nuhe die er herftellen müſſe;
trat man aber darüber in Unterhandlung, wie Markgraf Hans
8 that, fo bemerfte man bald, daß für Diefen Hader, der
an die großen Gegenſätze der europäifchen Welt anfnüpfte,
fein friedlicher Austrag zu hoffen fey.
‘
Moriß in neuem Bunde mit Frankreich. 321
War Albrecht mit dem Kaifer, fo war Morig noch im:
mer mit Frankreich verbindet.
Schon Anfang September des Jahres 1552, unmit—
telbar vor der Nückkehr des Landgrafen Philipp, noch im
Einverftändniß mit deffen Sohn Wilhelm, welcher die Mei-
nung hegte, ihre Sachen feyen noch nicht aufs Trockene ge:
bracht, hatte fi) Morig aufs neue an Heinrich II gewen:
det und diefem, wie er fich ausdrückt, „eine andre gründli—
chere Verſtändniß“ angetragen.“ Bald darauf erfchien ein
franzöfifcher Abgeordneter, Cajus de Virail, hauptfächlich in
der Abficht, die Hilfleiftungen welche der Kaifer damals
noc) vor Metz erwartefe, rlickgängig zu machen. Moriß er:
griff dieſe Gelegenheit, um jenen Antrag, jedoch für fich al-
lein, * nur noch förmlicher zu wiederholen. Er verfprach nicht
nur, fo viel an ihm, Feine Hülfe von Neichswegen wider Den
König zu leiften, vielmehr dafiir zu forgen, daß diefem felbft
fo viel deutfches Kriegsvolk zuziche als er brauche; er wieder:
holte auch die in dem Vertrag von 1551 gemachte Zufage,
daß der König den Titel eines Reichsvicarius haben, und bei
der nächften Wahl, wenn er e8 wünſche, felber zur Würde
eines Hauptes im Neich erhoben werden folle: wogegen er
fich die Beſchützung feiner Land und Leute und die Zahlung
eines nahmhaften Jahrgeldes ansbedang. Und fehr geneigt
erklärte er fich hiebei perfönlich mitzumirfen. Obgleich er den
Bund den er fchliegen will, als Defenfiobund bezeichnet, fo
erbietet er fich doch, wenn dem König auf das nächfte Früh—
1. Memorial für Johann Games Freiherrn v.d. Mark. (Dr. X.)
2. Es ift fehr hypothetiſch, wenn es bei den Verfprechungen
beißt: „mit denen Fürften fo fih mit in Bund geben möchten.”
Ranke D. Geſch. V. 21
322 Zehntes Buch. Drittes Capitel.
jahr mit einem Heer von 4000 M. 5. Pf. und 12000 3. 8.
gedient fen, daffelbe aufzubringen, wie fich das unter dem
Vorwand, daß er von feinem Better Johann Friedrich Ge:
fahr zu beforgen habe, ganz gut thun laſſen werde, und zur
beftimmten Zeit am Rhein zu erfcheinen." Der König, der
fich indeß in Met auch ohne folch eine Hilfe behauptet, gieng
auf diefe Anerbietungen nicht fo rafch ein, wie der Ehur-
fürft wünfchte. Im Laufe des Winters fchichte Moris Vol
vadt von Mangfeld, der noch immer den Titel eines Die
ners der franzöfifchen Krone führte, nach Frankreich, um die
Sache aufs neue in Anregung zu bringen. Auch Volradt
fand anfangs Schwierigkeiten, und e8 liefen Briefe ein, nach
denen Mori fchon fürchtete, fein Antrag werde ausgefchla-
gen werden; es reute ihn faft, fchon fo viel Geld auf die
Vorbereitungen verwandt zu haben, als er gethan. In—
dem aber wurden die Sranzofen andern Sinnes. Am 21ften
Mai 1553 leiftete Graf Volradt dem König einen neuen
Dienfteid. Heinrich IL wünſchte nichts mehr als daß ihm
jene Mannfchaften zugefchickt würden, die Morig verfpro-
chen; am 13ten Juni ordnete er Bevollmächtigte nach Mes
ab, die mit den Gefandten welche Moris dahin ſchicken werde,
verhandeln follten. Um die Sache zu bejchleunigen, begab ſich
Graf Volradt, begleitet von einem franzöfifchen Edelmann,
perfönlich nach Deutfchland zurück. Wir haben mehrere
Briefe, in denen er gleichlam von Station zu Station der
franzöfifchen Negierung von feiner Neife Nachricht giebt. An:
fang Juli erreichte er den Churfürften, als diefer eben in Be—
1. Memorial, damit der Cajus v. Wyraill von Chf. Morigen
diefes Verſtendnuß halben nach Frankreich abgefertigt worden. (Dres-
dener Archiv.) Undatirt, aller Wahrfcheinlichfeit nach vom December.
Morig in neuem Bunde mit Frankreich. 323
griff war, mit feinem Heere gegen Albrecht anzuziehen. „Ich
finde ihn”, fchreibt er dem König am 4ten Juli, „in allen
Dingen, welche die Ehre und den Vortheil der Krone Frank:
reich betreffen, vollfommen wohl gefinnt, und entichloffen, von
dieſem Kriege nicht abzuftehn, ehe nicht die Irrungen zwi—
ſchen derfelben und dem Neiche ausgemacht ſeyn werden.“!
Der König hatte, wie einft Albrecht, fo jest Morig zu
einem Angriff auf die Niederlande aufgefordert; ein märfi-
[cher Nietmeifter, Thomas von Hodenberg, verfichert, es fey
wirklich die Abficht des Churfürften, dahin vorzudringen, und
zwar von Niederdeutichland aus, fobald er nur mit Mark:
graf Albrecht fertig geworden: fchon habe er Leute abge
fchicht, um den Weg zu unterfuchen, namentlich die Surfen
und Päſſe zu bezeichnen, welche man im Voraus einzuneh:
men habe. ?
Die Anhänger des Haufes Oftreich hegten über feine
Entwürfe die fchlimmften Vermuthungen. Der alte Fugger
hat dem König Ferdinand gefagt, die Abficht des Churfür-
fen werde feyn, ihn, den König, zu verdrängen und fich fel-
ber einzufegen.
Sp viel ift richtig, daß wenn man nach dem legten
Ziel der beiden Nebenbuhler fragte, Niemand es hätte nen-
nen Fönnen.
Man erftaunte wenn man fah daß der römifche König
den Ehurfürften mit Kriegsvolk unterftügte, während der Kai-
fer den Markgrafen ganz offenbar begünftigte.
1. Schreiben Graf Volradts bei Menden Ser. R. G. II, 1421.
2. Auch der Kaifer fagt, er habe gehört „que si ledit due
Mauris surmontoit le dit marquis, il devoit venir assaillir mes
pais de Geldern.“ (Un Ferdinand 26 Aug. 1553.)
21 *
324 Zehntes Buch. Drittes Capitel.
Aber ihdem der Markgraf fich an den Kaifer hielt, nahm
er zugleich die Evangelifchen in Niederdeutfchland in Schuß,
und fchien nach einer popular» proteftantifchen Macht zu trach-
ten. Konnte dag der Sinn des Kaifers feyn?
Und indem der Churfürft die Hülfe Ferdinands annahm,
machte er zugleich dem König von Frankreich Hofnung auf
die deutfche Krone, wovon man in Oftreich Eeine Ahnung
hatte. Er, der fo eben die Waffen fir den Proteſtantismus
getragen und durch einen glücklichen Schlag die Feffeln ge
fprengt, die man ihm angelegt hatte oder noch anlegen
wollte, fand jetzt mit den fränfifchen Bifchöfen und mit je
nem Heinrich von Braunfchweig in Bund, der von jeher
als einer der größter Verfolger der Proteftanten betrachtet
worden war.
Den Bortheil hatte Moriß, daß er den Landfrieden und
den beftehenden Beſitz vertheidigte, während Albrecht An—
fprüche verfocht, die im Augenblick der Noth mit Gemalt
erworben, vor Feinem Gerichtshof zu Necht beftehn Eonnten
und durch die Einwilligung des Kaifers noch lange wicht ge:
feglich begründet wurden.
Wenn Moriß fiegte, fo war dag Anfehn des Kaifers
vollends vernichtet, und fofern e8 zu dem befprochenen Un—
ternehmen auf die Niederlande Fam, die Grundlage feiner
Macht höchlicy gefährder.
Schlug dagegen Albrecht den Gegner aus dem Felde,
fo hätte wohl ein allgemeiner Sturm auf die Bisthiimer be-
ginnen Fönnen, ja der ganze in Folge der Ießten Kriege ge
gründete Beſitzſtand wäre in Frage geftellt worden: alle Feinde
de8 Churfürften würden fich erhoben haben.
Schlaht von Sievershaufen. 325
Unter diefen Ausfichten rückten die beiden Kriegshäup:
ter im Juli 1553 wider einander.
Moriß hatte feine meißnifche und thüringifche Nitter-
fchaft zu Halle, Merfeburg und Sangerhaufen gemuftert: in
Sangerhaufen fammelten fich alle feine Haufen zu Fuß und
zu Pferd, und nahmen ihren Weg nach dem Eichsfeld. In
Giboldehaufen vereinigten fich die franfifchen, in Eimbeck die
braunfchweigifchen Schaaren mit den einigen. Das ge
fammte Heer mochte nun achttaufend M. z. F. und acht
halbtaufend Reifige zählen, eingefchloffen taufend böhmifche
Neiter, welche Heinrich von Plauen im Namen des römi-
fchen Königs herbeiführte.
Markgraf Albrecht lag vor dem feften Haus Peters:
bagen, und war eben bei Tifch, als ein Edelfnabe des Chur:
fürften ihm deſſen Verwahrungsfchrift brachte. Albrecht
fragte ihn, ob der Churfürft wirklich Pfaffen und Huſa—
ven zu Haufen gebracht. „Ich follte Dir wohl mehr ge
ben,“ fagte er dem Knaben, dem er vier Kronen fchenfte,
aber ich brauche mein Geld jett felbft, und dich werden
die Franzoſen befchenfen.
Indeſſen, daß er fich den Sieg verfprochen hätte, dürfte
man nicht glauben. Nur an Fußvolf fah er fich feinem
Feinde gewachſen; an Neiterei, davon er nur 3000 M. zählte,
obwohl er vor Kurzem von den Niederlanden her verftärft
worden, war ihm diefer bei weiten überlegen.
Eben deshalb faßte er den Gedanken, feinen Gegner
an günftiger Stelle vorbeisugehn und fich in feinem Nücken
durch das Stift Magdeburg auf deffen Erblande zu ftürzen.
Sehr wohl aber erkannte Morig diefe Gefahr; eine Furt
326 Zehntes Bud. Drittes Capitel.
in der Nähe von Sievershaufen, welche Albrecht überfchreiten
mußte um nach dem Magdeburgifchen zu gelangen, nahm
er glücklich noch vor ihm ein. „Er muß weichen”, heißt es
in einem feiner Briefe, „oder er muß ſchlagen.“ Moritz er
füllte fich mit der Schlachtbegier, die ihn immer bei der An—
näherung eines Feindes ergriff. Man hat ihn mit dem
Kriegsroß verglichen, das nicht mehr zurückzuhalten ift, wenn
es dag Wiehern der feindlichen Pferde gehört hat. Als der
Gegner heranfam, — am Hten Juli — vergaß er den Be:
fchluß des Kriegsrathes denfelben in der günftigen Stellung
die man genommen, zu erwarten, und ſtürzte fich ihm felber
entgegen. Ohne Mühe warf er eine Abtheilung der albrechti-
fchen Fußvölfer über den Haufen.
Daß nun aber hiedurch die churfürftliche Schlachtord-
nung geftört ward, feste den Markgrafen in den erwünſch—
teften Vortheil. Set rückte er feinerfeitS vor, drang in
die churfürftlichen Neiter ein, und warf fie, unterftügt von
dem Weftwind, der den Feinden den Staub in die Augen
trieb; er nahm wirklich mit feinem Wortrab, dem aber der
Gemwalthaufe auf der Stelle nachdrückte, die Furt in Beſitz,
an der ihm alles zu liegen fchien.
Hiewieder aber fegten fih nun der Churfürft und Her:
zog Heinrich in Perfon, mit dem beften Volke unter den
Hoffahnen von Braunfchtweig und Sachjen, in Bewegung.
An dem engen Orte Fam es zu einem ftürmifchen Zufam:
mentreffen, in welchem die Reiter ihre Büchfen und Pifto:
fen mit vielem Erfolg gegen einander brauchten. Mancher
wußte nicht, ob er Feind oder Freund getroffen. Die Chur:
fürftlichen verloren ihre beften Leute, — zwei Söhne des Her:
Schlacht von Sievershaufen. 327
5098 von Braunfchiveig, — Friedrich von Lüneburg, der die
Fahne von Moritzens Leibwache frug, erhielt zwei tödtliche
Stiche von einem Landsfnecht, — den legten Grafen von
Deichlingen, Johann Walwitz der einft Leipzig vertheidigt,
und viele andere; aber fie waren an Zahl überlegen: die
rothe Binde mit den weißen Streifen, die der Churfürſt
führte, behielt den Pla.
Damit war aber dag Gefchick noch nicht erfüllt. In
dem wilden Getümmel des Neitergemenges, man wußte nicht
ob nicht gar aus einem Nohr feiner eignen Leute, war Chur:
fürft Morig von einer Kugel getroffen worden; in einem
Zelt, das man ihm unweit an einem Zaun aufgeichlagen,
vernahm er den Sieg der Seinen; dann brachte man ihm
die erbeuteten Banner und Fähnlein, auch die Papiere des
Markgrafen, die er eifrig durchſuchte; er hatte die Genug:
thuung, noch den Siegesbericht in feinem Namen abfaffen zu
laſſen; ! allein die Wunde die er empfangen, war gefährlicher
als er felber glauben mochte: fchon am zweiten Tag nach der
Schlacht brachte fie ihm den Tod. Man fagk, fein letztes
Wort fey gewefen: „Gott wird kommen!“ Ob zur Strafe,
oder zur Belohnung, oder zur Löfung diefer wirren irdischen
Händel: man hat ihm nicht weiter verftanden.
Eine Natur, deren Gleichen wir in Deutfchland nicht
finden. So bedächtig und geheimnißvoll; fo unternehmend
und thatfräftig; mit fo vorfchauendem Blick in die Zukunft,
und bei der Ausführung fo vollfommen bei der Sache: und
dabei fo ohne alle Anwandlung von Treue und perfönlicher
Nückficht: ein Menfch von Fleifch und Blut, nicht durch Ideen,
1. Schreiben des Churfürften vom 7ten Juli bei Langen Il.
360, Iten Zul, u.a. bei Menden II, 1427.
328 Zehntes Buch. Drittes Capitel.
fondern durch fein Dafeyn als eingreifende Kraft bedeutend.
Sein Thun und Laffen ift für dag Schickfal des Broteftan-
tismus entfcheidend gewefen. Sein Abfall von dem ergrif
fenen Syſtem brachte daffelbe dem Ruine nah; fein Abfall
von dem Kaifer ftelte die Freiheit wieder her. Wenn er jetzt
wieder hauptfächlich mit Fatholifchen Fürften verbünder war,
fo würde das ohne Zweifel nicht fein letztes Wort gemefen
ſeyn: unberechenbare Möglichkeiten hatte diefer mächtige und
geiftreiche Menſch noch vor fih: — da, im Momente des
Sieges, in voller Manneskraft, Fam er um.
E8 war immer ein großer Erfolg dieſes Sieges, daß
die Macht des Markgrafen dadurch gebrochen war, und alle
Gedanken, die ſich an diefelbe Fnüpften, in das Nichts zer:
rannen.
Eine noch viel größere Entſcheidung, auch für den Mo—
ment, lag aber im Tode des Churfürſten.
Was würde daraus geworden ſeyn, wenn Moritz am
Leben geblieben wirklich nach den Niederlanden vorgerückt
wäre, und ſich dort mit den franzöſiſchen Heeren, die ſich zu
entſprechender Zeit in Bereitſchaft ſetzten, vereinigt hätte?
Nachdem ſich der König von Frankreich der drei andern
Städte die ihm zugeſprochen waren, bemeiſtert hatte, dachte
er jetzt auch die vierte von der in ſeinem Bunde mit Moritz
die Rede geweſen, Cambrai, zu erobern. Ende Auguſt ſetzte
ſich feine Macht, ungefähr 40000 M. ſtark, dabei vier deut:
fche Negimenter unter dem Rheingrafen und Neifenberg, ohne
ſich lange bei Bapaulme und Peromme aufzuhalten, geradezu
gegen jene Stadt in Bewegung, und forderte fie auf, ihm
als dem Befchüger der Freiheit, deren fie von dem Kaifer
Nriederländifcher Feldzug. 329
beraubt worden fey, ihre Thore zu öffnen. Wie fehr Fam
es da dem Kaifer zu Statten, daß jener Angriff von Deutfch-
land her, mit dem Moriß umgegangen, nun nicht wirklich
eintrat. Er behielt feine Hände frei, wie er ſich auch ſchon fel-
ber auf dag befte gerüftet hatte. Die Franzoſen wagten doch
das Lager, das er bei Valenciennes auffuchte, und in wel⸗
chem er felber erfchien, nicht anzugreifen. Bald trat Negen-
wetter ein, und fie ſahen fich genöthigt, unverrichteter Dinge
surüchzugehn. '
Ihre Verbindung mit den deutfchen Fürften, die von
einem fo mächtigen Oberhaupt wie Moritz feftgehalten noch
fehr gefährliche Folgen hätte nach fich ziehen können, löfte
fi) damit weiter auf.
Aber auch dem Kaifer Fonnte nun von dem gefchlagenen
Albrecht Feine befondere Hülfleiftung zu Iheil werden, wenn
er ja überhaupt darauf gerechnet hat. Vielmehr hatte er
durch fein Verhältniß zu demfelben, die Duldung feines offen:
baren Landfriedengbruches, die Wiederherſtellung ungerechter
und fchon von ihm felber vernichteter Verträge feinem reiche:
oberhanptlichen Anfehen unendlich gefchader.
Um fo mehr fühlte man das Bedürfniß, die noch ob:
ſchwebenden Jrrungen wo möglich ohne feinen Einfluß zu
befeitigen.
1. Das fünfte Buch der Memoiren von Nabutin und die Aug:
züge authentifcher Documente, die fih in der Ausgabe von 1788
(Bd 38, p 400) dabei finden, erläutern dieſen Feldzug.
Viertes Capitel.
Allmählige Beruhigung der deutfchen Territorien.
Gewiß, ein ſchweres Unternehmen, in Deutfchland Friede
zu ftiften, bei den ftarfen Gegenſätzen die es theilten, den
gegenfeitigen Beleidigungen die man rächen wollte, der Kriegs:
begier der Truppen die im Felde ftanden, und dem flarren
Sinn der Häupter.
Daß erfte Ereigniß, wodurch die Dinge doch eine friedliche
Wendung nahmen, lag in dem Negierungswechfel in Sad):
fen, dem Eintritt des Herzog Auguft, Bruders von Moritz.
Auguft war wohl nie ganz einverflanden mit feinem
Bruder. Gegen die Strenge wenigftens, mit welcher diefer
auf die den Vettern nachtheiligfte Ausführung der Witten-
berger Capitulation drang, hat er fich einft ausdrücklich er⸗
klärt; man meinte, durch eine Reife, die er Furz vor dem
Ausbruch der legten Fehde nach Dänemark unternahm, habe
er fein Mißvergnügen darüber Fund gegeben.” Sey dem
1. Schreiben bei Arndt: de variis prinecipum Saxoniae con-
troversiis, Doc. p. 21.
2. ut eventum belli, quod sine suo eonsilio et voluntate
susceptum esset, e longinquo speeularetur. Stephanius Contin.
Craghii.
Eintrite Churfürft Augufts von Sachfen. 331
wie ihm wolle: als er jet zurückkam, fand er fein Land
durch die Steuern, Hülfleiftungen und unaufhörlichen Kriegs:
süge fo ganz erfchöpft und feine Caffe mit fo unerſchwing—
lichen Laften beladen, daß er, und zwar, mie er felbft erzählt,
im erften Augenblick, bei fich befchloß, Friede zu machen. !
Arch hatte er freilich weniger Haß auf fich gezogen
und daher weniger zu fürchten als fein Bruder.
Unmittelbar nach der Sievershauſer Schlacht fandte Jo:
hann Friedrich feinen älteften Sohn nach Brüffel, und ließ
auf den Fall, daß der Kaifer nicht durch einen befondern
Tractat mit Auguft daran gehindert werde, um die Nück-
gabe der Churwürde und der verlorenen Lande bitten, wo—
für fein Haus dem Faiferlichen ohne Aufhören dankbar feyn
werde. Der Kaifer antwortete ihm: auch Auguft ſey in
der Belehnung mit der Churwürde begriffen: Johann Fried:
rich) werde nichts von ihm verlangen, was gegen feine Ehre
und Pflicht Taufe. ?
1. Propofitio ufm Landtage zu Dreßden Donnftag nad) Dftern
1554. „Und wie wohl wir diefelbe Zeit eine Fleine Regierung ge:
bapt (vor 7 Zahren), fo hatten wir doch - zu dem liebſten gerathen
gefordert und geholfen, das frid und einigfeit in diefen Landen und
der ganzen deutfhen Nation wer erhalten worden. Da es aber ans
ders erfolget und fider des ein frig aus dem andern verurfachet,
das auch diefe lande erbermlich verterbet, mordt brand und andre tref—
fenliche beſchwerung erleyden und ertragen müffen, dorin find wir bil-
lig entfhuldiget, den es iſt am tage, das wir derzu feine urfach ge:
geben, fondern nicht ein geringes mitleiden in unferm gemüthe ges
hapt.“ — Er fagt nur, daß er den neuen Krieg gegen Albrecht nicht
erwartet; bei feiner Nücffehr habe das Kriegsvolk monatlich 64000 ©.
gefoftet. — „Haben bei uns befchloffen durch Gottes Hülf und Gnade
den Frieden nicht abe noch auszufchlagen fondern zu fördern.” (MS
der Bibl. zu Berlin.)
2. Schreiben de3 Kaiſers an Ferdinand 26 Aug 1553.
332 Zehntes Bud. Viertes Capitel.
Wie hätte auch der Kaifer wagen können, einen Für—
ften, der ein fo ftarfes Heer in den Händen und fo ausge
breitete Verbindungen hafte, fi zum Feinde zu machen?
Auguſt war fehr bereit, feine Vettern mit größerer Nach:
giebigfeit zu behandeln, wie denn darüber fogleich Unter
handlungen eröffnet wurden, die bald zu der erwünſchten Ab-
kunft führten: die Chur, welche ihm fchon übertragen war,
hätte er fich nie wieder entreißen laffen.
Da ein Verſuch hiezu nun aber nicht zu befürchten ftand,
fo hatte auch der Krieg für ihn Feinen Sinn mehr.
Die Verbindung feines Bruders mit Frankreich feßte
er, fo viel wir fehen Eönnen, Eeinen Augenblick fort.
Man ftellte ihm vor, es diwfte ihm Feinen guten Ruf
machen, wenn er den Krieg mit Marfgraf Albrecht, in wel
chem fein Bruder gefallen, fo bald abbreche; von den Rä—
then die er fand, waren fowohl die welche die franzöſiſche,
als die welche die deurfch -öftreichifche Allianz wünſchten, Dei
def fo gut wie Carlowiß, für eine Fortfegung des Krie—
ge8;' König Ferdinand drang darauf. Dagegen forderte
die Landfchaft, die an dem Krieg fo wenig Gefallen gehabt
tie Auguft, und von dem Markgrafen, der fich furchtbar
su machen gewußt, mit einem Einfall bedroht wurde, auf
einer Berfammlung zu Leipzig, Auguft 1553, dringend den
Frieden.” Von den alten Näthen waren doch einige, fie
1. Diefe Verhältniffe theilte Landgraf Philipp dem Dr Zaſius
mit. Schreiben deffelden 12 Oct. bei Bucholg VII, 536.
2. Die Städte führten zu Gemuͤth: do die befchwerlichen laſt uff
den unterthanen lenger ligen, und die Friege confinuirf, wurde es die
lenge nicht ertragen, und endlichen f. hurf. On. ein wuſt ledig und
blos land behalten, und fprehen die Hofnung zu ©. Ch. ©. aus,
u u u el Sue
Friede zwifchen Auguft und Albrecht. 333
Komerftadt und Fachs, auf ihrer Seite. Sie gaben Auguft
Niückhalt genug, um bei feinem erften Entfchluß zu verhar:
ven. Unter Vermittelung des Churfürften von DBranden-
burg und des Königs von Dänemark Fam ein Vertrag zu
Stande, zu Brandenburg am Liten September, in welchem
Anguft Frieden mit Albrecht eingieng, mit dem Verſpre—
chen, die Truppen die er abdanfen werde, nicht den Fein-
den deffelben zulaufen zu laſſen, und unter einigen andern
dem Markgrafen ganz günftigen Bedingungen, „als eine Vor—
bereitung”, wie e8 in dem Vertrage heißt, „des wieder auf
surichtenden allgemeinen Friedens.“
An die Vollziehung des egerfchen Biindniffes, dag eine
feindfelige Nichtung gegen den Marfgrafen gehabt, war num
vollends nicht zu denken. Eine VBerfammlung zu Zeiß, Die
dazu anberaumt war, Fam, fo viel ich finden Fann, gar nicht
zu Stande.
Vielmehr, da auch Landgraf Philipp, der feinem Schwie—
gerfohn Mori allerdings eine Fleine Hilfe gegen Albrecht
geleifter, fich jet mit Diefem ausſöhnte, konnte man daran
denken,“ die alte Erbverbrüderung der drei Häufer Bran—
denburg, Sachfen und Heffen, deren erfte Gründung einft
zur Beruhigung des nördlichen und öftlichen Deutfchlande
ſchon fo viel beigetragen, und deren Auflsfung den Un—
frieden allgemein gemacht hafte, wieder zu erneuern, und
fie werden gnedigft bedacht feyn auff die wege des fridens und das
man auf dem frieg komme und der trefflichen unfoft und ander be-
fhwerung enthept. (Saͤchſiſche Landtagsacten von 1553. MS der
K. Bibl zu Berlin.)
1. Der fiebente Artifel des Vertrages (bei Hortleder II. vı,
14) beſtimmt dieß ausdrücklich.
334 Zehntes Buch. Viertes Capitel.
zwar jegt in entfchieden proteftantiichem und zugleich deut:
fchem Sinne.
Dagegen faßte König Ferdinand, der in diefem Augen:
biick nach einigem Schwanken der Stände in den Heidelberger
Bund aufgenommen ward, die Hofnung, denfelben zu einer Er:
klärung gegen den Markgrafen zu bewegen. Sollte aber dieſer
Bund, von dem einft Albrecht Hülfe gehofft, fich jett fo enge
an Dftreich anfchließen? Mächtige Mitglieder, wie die Chur:
fürften von Mainz und Trier, fühlten die Wunden noch allzu
wohl, welche ihnen durch den erften Einfall des Markgrafen
geichlagen worden, wo Fein Menfch ihnen Hülfe geleiftet; fie
haften bei deffen Nückzug ihre Neutralität verfprechen müffen,
und waren gefonnen diefelbe zu halten. Zuerft auf einer
Verſammlung der Näthe zu Ladenburg, hierauf auf einer Zu:
ſammenkunft der Fürften zu Heilbronn — die Churfürften von
der Pfalz und von Mainz, die Herzöge von Würtenberg und
Baiern waren perfönlich, von Jülich und Trier nur die Räthe
erfchienen — ward über eine neue Verbefferung und Erwei—
terung des Bundes gerathichlagt. Allenfalls der Herzog von
Baiern fcheint geneigt geweſen zu feyn, fich dem Wunſche
de8 römifchen Königs zu fügen; von den Übrigen aber wollte
Keiner daran: die Claufel, daß die Neutralität gegen beide
Theile, die fränfifchen Verbündeten und den Marfgrafen beob-
achtet werden folle, ward zuleßt in aller Form erneuert. !
ie in dem nördlichen, fo bildete fich hiedurch in dem
öftlichen Deutfchland eine Vereinigung, deren Prinzip der
Friede war.
1. Schreiben des Zaſius a. a. DO. p. 542. Die Actenſtuͤcke des
Tages allein wären ohne diefe Erläuterungen nicht zu verftehen.
Treffen bei Braunſchweig. 335
Den Bemühungen des Haufes Brandenburg gelang es
nicht, Albrecht wie mit Auguft fo auch mit feinen übrigen
Feinden zu verföhnen: aber e8 war nun wenigftens dafiir
geforgt, Daß diefe Fehde nicht weiter um fich greifen konnte:
e8 waren ihr beftimmte Grenzen gezogen.
Innerhalb derfelben Tieß die Entfcheidung nicht lange
auf fich warten. Am 12ten September Fam «8 noch ein-
mal zu einem Treffen zwifchen Herzog Heinrich und dem
Markgrafen in der Nähe von Braunſchweig. Man er
sähle, Albrecht habe bei feinem Angriff auf eine Meute
vei gerechnet, die fich im Heere des Herzogs, dem es an
Geld fehlte, entfponnen: noch zur rechten Zeit aber fen der
nürnbergifche Kriegszahlmeifter eingetroffen, durch welchen
Reiter und Knechte befriedigt und wieder freudig gemacht
worden. Genug der Markgraf fand feinen Feind nicht al-
lein an Zahl überlegen, * hauptfächlich mit Fußvolk und Ge:
ſchütz auf das befte verfehen, fondern auch diefer Truppen
ficher, entfchloffen und muthvoll. Bei Geitelde und Steter—
burg trafen fie auf einander. Die Braunfchweiger fliegen
auf ihre Zinnen und Thürme, um den Gang des Gefechts zu
beobachten. Albrecht fchlug mit gewohnter Tapferkeit: zwei⸗
mal warf er den Anfall des Feindes zurück, und faft alle
Fahnen deffelben fanfen; aber auch hier wie bei Sievers:
haufen entfchied die Überlegenheit der Zahl: dem dritten
Anfall konnte er nicht widerfiehn. Der Herzog behauptete
1. Nach einem Schreiben von Mandelslo an Marfg. Johann,
Braunfchweig 13 Sept., hatte der Herzog 1500 M. z. F., 3000
3 Pf. und ein gutes Feldgefhis, der Marfgraf 2000 Pf. Tobias
Dlfen giebt dem letztern nur 1200 Pf.
336 Zehntes Bud. Viertes Capitet.
die Wahlſtatt und ſchoß Victoria, daß in Braunfchweig die
Fenſter ersitterten.
Diefes Ereigniß ward aber für Niederdeuffchland haupt:
fächlich dadurch entjcheidend, daß Markgraf Albrecht, durch
ungünftige Nachrichten von feinen Erblanden vermocht, den
Beſchluß faßte dahin zurückzukehren.
Herzog Heinrich war und blieb dort zuletzt Doch Herr
und Meifter im Felde.
Unverzüglich wandte er fich gegen Braunſchweig; Doch
hätte e8 ihm wohl ſchwer werden follen, mit feinem Gefchüß,
dag er abermal auf einem nahen Berge aufpflanzte, die Stadt
zur Überlieferung zu zwingen. Dagegen Fam ihm feine Ver:
bindung mit dem fränfifchen Bunde, der fich feiner Kriegskräfte
zu bedienen winfchte, zu einem friedlichen Austrag zu Stat:
ten. Erasmus Ebner von Nürnberg leitete eine Lnterhand-
lung ein, am welcher auch bald die umliegenden Städte,
auch Goßlar und Hildesheim Theil nahmen. Der Herzog
felber war milder getworden, und da auch er feine Wieder-
herftellung wenigſtens guten Theil proteftantifcher Hülfe, der
des gefallenen Churfürften und der Stadt Nürnberg verdanfte,
mußte er wohl von der Heftigfeit ablaffen, mit der er fonft
die Bekenner der neuen Lehre verfolge hatte. Ohnehin waren
die Braunſchweiger nicht gemeint fich feiner Gnade zu über:
laffen. Als der Entwurf des Vertrags in einigen weſent—⸗
lichen Puncten abgeändert zu ihnen zurückkam, befchloffen fie
lieber mehr Volk zu werben und den Krieg aufs Außerfte
fortzufeßen. Hierauf fühlte fich Heinrich bewogen, den Ver:
trag anzunehmen wie fie ihn vorgefchlagen.
Sp fam eine Streitfache zu Ende, welche alle nord:
Friede zw. Hz. Heinrich u. d. St. Brannfchweig. 337
deutfchen Gebiete feit fo vielen Jahren in Athem gehalten.
Der Herzog hatte den Städten die Veränderung der Neli-
gion nicht nachfehen wollen, fondern vielmehr eben bei die—
fer Gelegenheit fie völlig in feine Hände zu bringen gedacht.
Dadurch waren die Städte beivogen worden, auch ihm Die
Anerkennung feiner OberherrlichEeit zu verfagen; Wechſel der
Übermacht und der Herrfchaft waren hier zahlreicher einge-
treten als irgendwo fonft. Set aber entfchloß fich der Her:
zog, die veränderte Neligionsübung und die alten verbrief:
ten Gerechtfame anzuerkennen; wofür man auch ihm bin:
wieder feine Ehre gewährte Die Abgeordneten der Bürger:
fchaft thaten einen Fußfall; er fagte ihnen, er vergebe ihnen
von Herzen und wolle fortan ihr gnädigfter Herr feyn und
bleiben. Am 29ften October ward zu Braunfchmweig dag
Herr Soft dich loben wir unter Paukenfchlag gelungen: in
allen Kirchen dankte man Gott, daß er den „güldnen" Frie—
den wieder fchenfe. !
Schon früher war Herzog Erich durch Verwüſtung fei-
nes Gebietes zu einem Abkommen genöthigt worden: fo viel:
fachem Vorgang mußten jet auch die Edelleute folgen. Hein:
rich wandte dag Geld, das ihm fein alter Gegner Landgraf
Philipp zum Abtrag zahlte, zu ihrer Befriedigung an.
Hier fürs Erfte gefichert, nahm Heinrich nun den Weg
nach Franken, wohin ihn feine Bundesverwandten dringend
einluden.
Er hätte unterwegs Gelegenheit nehmen Fünnen, fich an
feinen alten Gegnern, dem Grafen Albrecht von Mansfeld
und Johann Friedrich, zu rächen. Auch fchien e8 wohl, als
1. Tobias Dlfen 77.
Ranfe D. Geſch. V. 22
338 Zehntes Buch. Viertes Kapitel.
habe er dieß im Sinn: er drohte alles zu werheeren, was
dem Grafen gehöre, feinen befondern Antheil an dem Haufe
Mangfeld auszubrennen; dem gewefenen Churfürften warf
er neue Verbindungen mit Albrecht vor, und forderte eine
unerfchtwingliche Brandfchagung. Allein die Worte waren
fchlimmer als die Handlungen. Die Zeiten waren vorüber,
two Herzog Heinrich nur feinen Leidenfchaften folgte: jetzt
hörte er auf Entfchuldigungen und Fürbiften. Für dieß
Mal blieben die albrechtifchen Befisthümer unzerſtört; mit
Johann Friedrich ward ein „‚endlicher, ewiger und gütlicher
Hauptvertrag”! aufgerichtet, in welchem er mit einer leidli-
chen Zahlung wegfam.
Dergeftalt 509 fich die ganze Entfcheidung nach Sran-
Een, wo indeß der Krieg zwiſchen Albrecht und den Verbin:
deten fehr ernftlich fortgegangen war.
Zuerft hatten die Völfer der Bifchöfe und der Stadt
in Abweſenheit des Markgrafen die Übermacht im Felde er-
langt, und den Landen deffelben vergolten was er in den
ihren gethan. Als fie Neuftadt am der Aifch eroberten, nah—
men fie fich gar nicht einmal die Zeit, die dahin zufammen-
geflüchteten Güter unter fich zu vertheilen, fondern fie brann-
ten die Stadt mit denfelben unverzüglich auf. Mit ferdinan:
deifchem Kriegsvolk war ihnen Heinrich von Plauen vom
Voigtland her zu Hülfe gekommen, hatte Hof eingenom-
men und fich im Namen des römifchen Königs dafelbft hul⸗
digen laſſen.
Hierauf aber, unter dem doppelten Antrieb dieſer Nach—
richten und der in Niederſachſen erlittenen Niederlage, die ihm
dort keine Hofnung übrig ließ, war Albrecht zurückgekommen.
Fehde in Franken. 339
Wie erfchrafen die Plauenfchen Söldner, die ihrer Er:
oberung ficher, fich vor den Thoren von Hof gütlich thaten,
fchmauften und zechten, als der Markgraf, den fie weit ent
ferne wähnten, plößlich mit der niederdeutfchen Neiterfchaar,
die den eilenden Ritt mit ihm gemacht, erfchien und fie aus—
einanderfprengte. Seine Wuth gegen diefen Plauen, „einen
Deutjchböhmen, der fein von beiden Theilen zufammenge-
raubtes Fürftenthum nur immer weiter ausbreiten wolle,”
Fannte Feine Grenzen; dagegen bewies er den Bürgern, Die
fich ziemlich gut vertheidigt hatten, alle Anerkennung, die fie
verdienten. Er hoffte e8 noch dahin zu bringen, daß er
ihnen "alle ihre Verluſte erftatten Fönne. Er hatte noc)
Bairenth, Culmbach, die Plaffenburg, wohin er jet dag in
Hof erbeutete Plauenfche Geſchütz führen ließ, Schweinfurt
und Hohenlandsberg. Bald erfuhren feine Feinde, daß er
wieder da war: er entriß ihnen Kleine Feftungen, wie Lich-
tenfel8; den ganzen Aifchgrund hinauf trieb er Beute von
ihnen sufammen.
Hätte nur ein Andrer indeß den Krieg in Niederdeutſch⸗
land an ſeiner Stelle geführt.
Da das nicht der Fall war, ſo geſchah was er durch
ſeinen Zug eben hatte verhindern wollen: der Fürſt, der dort
ihn geſchlagen, erſchien nun doch und zwar mächtiger und
angeſehener als je in Franken.
Bald mußte Albrecht fühlen, daß er der Verbindung ſo
vieler Feinde nicht gewachſen war.
Im Felde erlitt er am 7ten November bei Lichtenfels
eine Niederlage; bei Eulmbach gelang e8 ihm nur eben fich
durch die Feinde durchzufchlagen. Hierauf flüchteten die Ein-
22 *
340 Zehntes Bud. Viertes Capitel.
mwohner von Culmbach ihre fahrende Habe auf die Plaſſen—
burg und ftecften ihre Wohnungen in Brand. Wie Culm—
bach, fo fiel Baireuth und von neuem auch Hof in die
Hände der Feinde.
Und indem erfchien dag lange zurückgehaltene Urtel des
Kammergerichts, durch welches Markgraf Albrecht wegen fei-
ner landfriedensbrüchigen eigengemwaltigen Thaten in die Acht
erklärt, fein Leib, Hab und Gut Gedermann Preis gege-
ben ward.
Albrecht fcherzte als er davon vernahm, aber bisher wa—
ven dieſe Urtel noch immer vollftreckt worden, und daß auc)
ihm nicht wohl dabei ward, zeigt die grengenlofe Wuth, in
die er gerieth. Er befiehlt den Hauptleuten feiner Truppen,
fie follen den Pfaffen, feinen Feinden, „zum glücklichen Neu—
jahr ein sehen Orte anftecfen oder zwanzig; fie follen ein Feuer
anzünden, daß die Kinder im Mutterleibe einen Fuß an fich
ziehen oder auch beide." „Wenn man mich verdirbt," vief
er aus, „wohlan, fo will ich bewirfen, daß auch andre Leute
nichts haben.
Seine Stammesvettern und die Heidelberger Verbün—
deten fürchten auch jeßt noch einen Austrag zu Stande zu
bringen: und zwei Mal ward im Anfang des Jahres 1554
darüber Verhandlung gepflogenz; aber die Gegner wollten
dem gefährlichen Nachbar, den fie jest nach Wunfch einge:
trieben, unter Feiner andern Bedingung einen Stillſtand ge
währen, al8 daß feine Nuhe von feinen Verwandten ver-
bürgt werde und er felber die Waffen niederlege.
Dazu wollte er fich nimmermehr verftehn. Noch hielt
er an allen feinen Anfprüchen, Brief und Siegel die er habe,
Verhaͤltniß zu Frankreich 1554. 341
feſt. Die Anmuthung, den Kaiſer diefer Verfchreibungen zu
entlaffen, die ihm von dem Hof zu Brüffel zugleich mit dem
Berfprechen einen alten Nückftand zu zahlen zufam, mies
er mit Entrüftung ab; ' dem Bifchof von Arrag, dem er
Schuld gab erft ihn in feiner Abficht gegen die Bifchöfe be
ſtärkt und dann diefe zum MWiderftand gegen ihn ermuntert
su haben, ließ er entbieten, er werde durch Feines Andern
als feine des Markgrafen Hand den Tod finden.
Ein Zuftand, worin denn freilich nichts anders als ein
versweifelter Entfchluß zu erwarten war.
ie in den beiden vorigen Jahren, fo fuchte der Kö—
nig von Sranfreic) auch zu dem neuen Feldzug, den er 1554
zu unternehmen beabfichtigte, Hülfe aus dem innern Deutfch-
land. An wen hätte er fich, nachdem Moris gefallen war,
eher menden können als an den Markgrafen?
Einen nahen Anlaß bot das Gefchäft der Ranzionirung
des Herzogs von Aumale dar, der bisher noch immer gefan-
gen gehalten worden: — bald aber war man ohne Zweifel
noch) über andre Dinge einverftanden. Den Nachrichten zwar,
welche König Ferdinand feinem Bruder mittheilte, ? als fey
die Abrede, daß Albrecht dem Beifpiel der Farneſen folgen
und die franzöfifchen Fahnen in feinen Plägen fliegen laf-
fen, dafür aber mit franzöfifchem Geld zur Fortfegung feines
Krieges unterſtützt werden folle, dürfte man nicht unbeding-
ten Glauben beimeffen. Albrecht wenigſtens hat erflärt, der
Tractat mit dem man fich frage, werde in Nürnberg oder
1. Albrecht an feine Oberften 30 März 1554 bei Hortleder II,
vi,'25, nr. 45.
2. Bucholß VII, 151.
342 Zehntes Buch. DBiertes Kapitel.
von feinem Feinde Arras gefchmiedet worden feyn. Aber
wahr ift, und er felber gefteht e8 unummunden, daß er die
franzöfifchen Anträge nicht völlig von ſich wies.“ Die Mei-
nung, vom Eaiferlichen Hofe mißhandelt, vom Neiche mit
Vernichtung bedroht zu feyn, und der trotzige Wunfch, die
Waffen um jeden Preis in der Hand zu behalten, trieben
ihn zu dieſem verzweifelten Schritte. Doch könnte man nicht
fagen, worauf die Verabredungen gegangen find. Es fcheint
als feyen einige frühere Verbündete im Verftändniß gewe—
fen, wie Johann Albrecht von Meklenburg, Erich von Ca-
lenberg. Auch die alten Kriegsoberfien füchte Heinrich II
zu gewinnen, deren Name bei jeder neuen Bewegung er—
ſcheint, Chriftoph von Oldenburg, Wrigberg, von dem wir
einen Brief haben, worin er dem Kaifer gar nicht verhehlt,
daß er mit fremden Finften in Unterhandlung ſtehe. Big
an die Grenzen von Polen und Pommern waren Muſter—
pläße eingerichtet, wohin die Landsfnechte bereits ihren Lauf
zu nehmen begannen; überall ſah man gardende Neiterz
bald machte fich der Markgraf feldft wieder nach Nieder
deutichland auf den Weg. Aus einer Inſtruction für einen
nach Deutfchland beftimmten Abgeordneten fehen wir, daß
fi) der König fogar der Antipathien der deutjchen Linie des
Haufes Öftreich gegen den Kaifer zu bedienen dachte. ?
1. Schreiben Albreht3 an den Kaifer vom 22ften April. „Ob
nun durch dieß allg ich als ein armer verlaßner verderbfer und ver-
jagter Fürft, der vermög der Acht genzkich ausgetilft werden foll, zum
hoͤchſten dazu gedrungen die wege zu fuchen, das ich mein Aufent-
haltung und Schuß haben möge, wo ich halt den find, das wirdet
niemands unparteilich verdenfen Fönnen.” (Arc. zu Berlin.)
2. Instruction au comte de Roquendolf, pour oflrir secours
au Roi de Boheme. Nibier II, 507.
—————
Verhaͤltniß zu Frankreich. 343
ie fehr aber waren die Verhältniffe in Deutfchland
feit jenem erfien Bunde verändert. Jetzt wandte fich der
allgemeine Widerwille bereits gegen Heinrich IT felbft, der
drei Städte des Neiches in Beſitz behalten und unter der
Hand immer weiter um fich greifen zu wollen fchien. Die
Leute mit denen er in Verbindung trat, waren bereits ge
fchlagen und auf das Außerfte gebracht, fie bedurften eher
Hülfe als daß fie deren hätten leiften können.
Und fchon war Herzog Heinrich allen ihren Werbungen
zuvor gekommen. Georg von Holle und Willmar von Miünch-
haufen brachten ihm hauptfüchlich mit fränfifchem Geld zwei
große Megimenter zu Fuß, Hilmar von Duernheim und Fi-
borius von Münchhaufen 1200 Pferde auf; einige Neiterge:
fchwader fchloffen fich ihm perfönlich an; eine Anzahl Lands:
Enechte hatten fich den Winter über im Verdenfchen unterbal-
ten. Mit dem Frühjahr fuchte er alle Diejenigen heim, die
er für Anhänger des Markgrafen oder gar des Königs von
Frankreich hielt: die Herzoge von Lauenburg und Lüneburg,
welche der Verbindung mit Albrecht entfagen, Städte wie
Hamburg und Lübek, welche nicht unbedeutende Summen
zum Abtrag alter Feindfeligkeiten zahlen mußten, Herzog Jo—
hann Albrecht von Meklenburg, im Bunde mit dem Bru-
der deffelben, Johann Ulrich, der fich Ancheil an der Lan⸗
desregierung erfämpfen wollte. Vergebens bot Johann Al-
brecht feine Nitterfchaft auf: Niemand wollte feine Pferde ge:
gen einen Feind fatteln, mit dem einer ihrer Landegfürften ver:
bindet war." Dabei behielt Herzog Heinrich noch Leute ge-
nug, um auch nach andern Seiten hin Mufterpläge zu zer—
1. Ehyträus 529 Nudloff II, 1, 140.
344 Zehntes Buch. Viertes Capitel.
ftören, z. B. einen in Tangermünde, albrechtifche Neiter nir-
gends aufkommen zu laffen.
Merkwürdiger Anblick, wie der alte Parteigänger fich jetzt
als Erecutor der Neichsordnungen aufgeftellt hat, von Ort
zu Ort zieht, und alles erdrückt was fich empören will.!“
Und nun endlich ſprach auch der Kaiſer ſich aus. Er
hatte doch noch gewartet, bis Albrecht ihm ſeine Dienſte
förmlich aufkündigte. Hierauf erſt (18 Mai) erließ er die
Mandate zur Execution der über ihn geſprochenen Acht.
Das Schickſal Albrechts neigte ſich zu ſeiner Cataſtrophe.
In Niederdeutſchland etwas auszurichten, durfte er jetzt nicht
mehr hoffen. Die Abſicht gieng ihm durch den Kopf, mit
den ausgewanderten Proteſtanten die bei ihm waren, ſich
nach Böhmen oder Schleſien zu werfen; aber auch da war
man vorbereitet, ihn zu empfangen. Es blieb ihm nichts
übrig, als ſich nach Franken zurückzuwenden: mit ein paar
hundert Reitern, die ſich ihm in Ilmenau zugeſellt, gelangte
er Anfang Juni nach Schweinfurt.
Bereits ſeit ein paar Monaten war dieſe Stadt auf
das ernſtlichſte von biſchöflichem und nürnbergiſchem Volk
belagert. Noch wehrten ſich die Truppen Albrechts ftand-
haft, auch die Einwohner nahmen mit Eifer an der Ver—
theidigung Theil, befonders nachdem fie den erfien Schrecken
1. Er flagt jedoch „das er in jüngifer feiner Noth fo gar von
der Faiferlihen Majeſtaͤt verlaffen, und auf fein vielfeltig anfuchen nicht
3 oder 4 taufend G. anlehensweife befommen mögen. Schreiben
Schwendis an Königin Maria, Wolfenbüttel 5 Mai (Ar. 5. Br.).
Auch fprach der Herzog fehr ernftlic von dem Mißtrauen fo der Fi.
Mt von wegen des Marfgrafen Handlung und das er fogar nicht
über Acht und Neichsordnung halte auf dem Halfe liege, der Kaifer
follte fich feiner Pflicht gemäß der Erecutionsfahe annehmen.
Ausgang Marfgraf Albrechte. 345
überwunden, in den fie anfangs durch die in die Stadt ge
fchleuderten Feuerkugeln verfegt worden. Schon war aber
der größte Theil der Wehren auf den Ihürmen zerfchoffen,
und nur mit großer Behutfamkeit konnte dag Gefchüg noch
bedient werden; die Lebensmittel fingen am zu mangeln,
Krankheiten viffen ein, und nicht immer wollte das Kriege:
volk ohne Befoldung dienen. Der Markgraf ſah wohl daß
auch hier feines Bleibens nicht fey-
Er hoffte noch, ſey es nun daß er dazu Grund hatte
oder fich einer Täufchung hingab, in Nothenburg Zuzug er:
warten zu können. Dahin brach er in der Nacht zum 13ten
Juni mit alle den Seinen von Schweinfurt auf. Aber die
Feinde waren ihm, und zwar auch, was er nicht gemeint,
an Meiterei viel zu überlegen als daß fie ihn dahin hätten
entfommen laffen. Schon auf der fandigen Haide zwifchen
Bolfach und Kiffingen holten fie ihn ein. Sie haften 1500
Hafenfchügen bei fich, die man die freien Schützen nannte,
und die nun hier die beften Dienfte leifteten. Auf der Stelle
waren die Landsknechte Albrechts aus einander gefprengt und
feine Neiter warfen fich in die Flucht; fein Geſchütz, fein
Silber, feine Brieffchaften und Kleider fielen dem Feinde in
die Hände. Mit Mühe rettete er fich felbft über den Main.
Indeſſen ward Schweinfurt, obgleich von den Truppen ver
laffen, von den Feinden ohne Erbarmen in Brand gefteckt.
1. Kilian Göbel Bericht von der Belagerung, bei Neinhard
Beiträge zur Hiſtorie Sranfenlandes I, p. 239. „Wurden Ießlich
Kufen voll Hammelhäut eingeweiht und lauter befunden zum Lö:
fhen. Auch wurd der Vortheil alfo erlernet, daß alsbald fie (die
Kugeln) fielen, man wiffen font, ob man fie müßte verfchiefen laſſen
oder ob man fie vor dem fchiefen mit löfchen möge angreifen.“
346 Zehntes Buch. Viertes Capitel.
Acht Tage fpäter mußte auch die letzte culmbachifche Fefte,
dag alte Schatz- und Archivhaus, die Plaffenburg, fich er-
geben. Für die Verbündeten, deren Altwordern wie fie fel-
ber feit Jahrhundert von diefer Burg her befehdet und be:
drängt worden, ein erwünſchter Anblick, als die Flammen
iiber die Zinnen aufftiegen.
- Denn ganz im eigentlichften Sinn mit Feuer und —*
führte man in dieſen Zeiten den Krieg.
Markgraf Albrecht erſchien, doch nicht mehr als ein
Kriegsanführer, ſondern nur als ein Verbannter und Hülfe—
ſuchender in Frankreich. Wenigſtens nahe gekommen ſind
ihm noch ſpäter ſehr weitausſehende Entwürfe, doch iſt er
niemals wieder im Felde erſchienen. Vielmehr erhoben ſich
ihm allmählig die religiöſen Gedanken, mit denen feine Ju—
gend genährt worden, in aller ihrer urfprünglichen Stärke.
Er fah fein Unglück als eine Strafe Gottes an, deffen Wort
er einft verfolgt habe; er rechnete nach, wie Viele von De
nen die den Zug nach Magdeburg mitgemacht, vor der Zeit
umgekommen feyen. Das fchone Kirchenlied, durch dag er
bei den evangelifchen Gemeinden in gutem Andenken geblieben
ift, zeigt ein nach herber Prüfung wieder gefaßteg, den gütt-
lichen Rathſchlüſſen in Leben und Tod vertrauendes Gemüth.
Indeſſen hatte in Deurfchland der fränfifche Bund die
Dberhand. Er nahm Eraft Eaiferlichen Indultes die Land-
ichaft des Markgrafen in vorläufige Verwaltung; — auch
ließ er fich nicht abhalten, bei einigen Ständen, welche ihm
anfangs beigetreten, fpäter aber fich wieder abgefonderf, wie
der Stadt Rothenburg und dem Deutfchmeifter, fein Necht
mit Gewalt zu fuchen. Schon fürchtete Ehriftoph von Würz
tenberg, an den Herzog Heinrich alte Anfprüche erhob, über:
Deruhigung deutfoher Territorien. 347
zogen zu werden: er ordnete bereits fein Kriegsvolf in ver:
fehiedenen Aufgeboten; aber dag Kammergericht und der Hei-
delberger Bund nahmen fich feiner nachdrücklich an. Bier
Monat lang hielt der Bund Kriegsvolf im Felde, bis jede
Gefahr eines Angriffes vorübergegangen. |
Herzog Heinrich begnügte fich, die ihm näher geſeſſe—
nen alten Gegner heimzufuchen, den Grafen von Henneberg,
Wolfgang von Anhalt, Albrecht von Mangfeld, mit dem er
jest mehr Ernft machte, und deffen Städte.
Und fo viel wenigſtens ward hiedurch erreicht, daß nun
auch die fränfifch- niederfächfifchen Länder, two Fein DVertras
gen möglich gewefen, in Folge der Entfcheidung der War
fen beruhigt wurden.
Überhaupt neigte fich alles zum Frieden. Die territo-
rialen Streitigkeiten in Deutfchland die bisher mit den großen
religiöfen Fragen oder den politifchen Gegenfägen von Eu:
vopa in Beziehung gekommen, wurden jeßt von denfelben ab-
gelöft, und unter dem Einfluß der letzten Ereigniſſe, die Feine
große Veränderung weiter erwarten ließen, meiftentheilg zu
Ende gebracht. "
König Ferdinand hätte nicht in den Heidelberger Bund
aufgenommen werden können, hätte er nicht zu einem Aus:
frag feiner Streitigkeiten mit Würtenberg, auf dag er feine
alten Unfprüche felbft im Gegenfaß mit dem Kaifer bisher
fefigehalten, endlich die Hand geboten. Auf dem großen
Landtag von 1554, von welchem überhaupt der Geldhaus—
halt von Würtenberg einigermaßen geregelt ward, dachte man
auf die Mittel, die zur Ausgleichung mit Ferdinand nöthi—
gen Zahlungen zu leiften.
Herzog Albrecht von Baiern, der in diefer Sache mit
348 Zehntes Buch. Viertes Eapitel.’
großem Eifer vermittelte, feßte die Politik feines Vaters iwe-
der gegen König Ferdinand, mit deffen Tochter er vermählt
war, noch gegen die Pfalz fort. Wir finden nicht, daß er
der pfälzifchen Linie die Chur beftritten habe.
Den Faßenelnbogenfchen Streit, der in allen verfchie-
denen Lagen der öffentlichen Angelegenheiten aufgetaucht,
übernahmen jeßt, da e8 dem Kaifer mißlungen war, einige
Mitglieder des heidelbergischen Bundes, die Churfürften von
Trier und Pfalz, die Herzoge von Jülich und von Würten-
berg, auszutragen. Am 2öften October hielten fie die erfte
Sigung darüber zu Frankfurt. Nach einiger Zeit brachten
fie einen Entwurf zu Stande, der wirklich die Grundlage
des Dertrages geworden ift, der einige Jahre fpäter dieſe
Sache gefchlichtet hat. !
Noch bei weiten tiefer hatten die Irrungen der beiden
fächfiichen Linien in die allgemeinen Angelegenheiten einge
griffen. Der unmwiderruflichen Entfcheidung welche die Waf—
fen darin gegeben, trat im Februar 1554 eine Abkunft zur
Seite, die den Frieden zwiſchen ihnen endlich wwiederher-
ſtellte. Auguſt gab der Wittenberger Capitulation eine fei-
nen Dettern bei weitem günftigere Auslegung als fein Bru-
der gethan. Jetzt erſt empfiengen fie Altenburg, Eifenberg,
Herbsleben, Altftädt, das Necht der Einlöfung von Königs:
berg und mehrere andre Zugeftändniffe, die ihnen nach den
harten Verluſten die fie erlitten, doch wieder einigermaßen die
Möglichkeit verfchafften, als deutfche Fürften fortzudauern. ?
1. Arnoldi II, 147.
2. Propofition auf dem Landtag zu Dresden 1554: „Haben
ein fattliches nicht angefehen und unf mit gemelten unfern lieben
Beruhigung deutfcher Territorien. 349
Abfichten, wie fie Johann Friedrich auf Magdeburg ge-
begt, waren durch den Lauf der Dinge befeitigt. Der jüngfte
Sohn des Ehurfürften Joachim, Siegmund, noch von fer
nem Lehrer geleitet, trat als Erzbifchof ein. Die Oberherr⸗
- lichkeit über die Stadt theilten Joachim und Auguſt mit
ihm. Im Sahr 1555 Fam ein ausführlicher Vertrag, ge
nannt das ZTripartit, hierüber zu Stande.
Unter dem Schrecken der Anmefenheit der braunfchwei-
giſch-fränkiſchen Truppen in Boizenburg entfchloß fich Jo—
hann Albrecht von Meklenburg zu der lange vermweigerten
Theilung des Landes mit feinem Bruder Ulrich. Die Zwi—
ftigfeiten zwifchen Lauenburg und Nageburg wurden dadurd)
befeitigt, daß der bisherige Bifchof austrat und ein meklen—
burgifcher Prinz ihm nachfolgte. Auch hier wirfte Herzog
Heinrich mitz indeß ließ man ihn auch bier nicht allzu weit
um fich greifen. Die ftarfe Haltung welche Holftein annahm,
hinderte ihn dahin vorzudringen. Der Kaifer felbft, der jetzt
zwar wieder mit Heinrich in Verbindung getreten, aber auch
mit Holftein gut fand, hätte e8 nicht gewünſcht.
Durch den Gang den dieſe Ereigniffe genommen, geſchah
nun nothiwendig, daß die Franzoſen in dem Feldzug von 1554,
wiewohl fie deutfche Truppen genug an fich zogen, Doch Feine
Hülfe von dem innern Deutfchland her empfiengen.
Im Juni brach der König mit drei großen NHeerhau:
Vettern freundlich und in der Güthe aller unfrer Gebrechen, benant
und unbenant, genzlih und zu Grunde vertragen laffen.” Der här-
tefte Urtifel war der, nach welchem demjenigen Theil, der den Ver—
trag brechen würde, feine Landfchaft „widder rettig noch hilflich“ feyn
folle. „Gleichwol“, fagt Auguſt, „haben wir dorein gemifliget, und
wollen den Vortragk - - halten, thuen euch auch uf obberurten falh
zu volge und vereinunge des Vortrags euer pflicht erlaffen. ”
350 Zehntes Buch. Viertes Capitel.
fen in die Niederlande ein, die fich außer mehreren andern
der feften Plätze Marienburg, Bouvines und Dinant bemäch—
tigen. Dinant gehörte zu dem Bisthum Lüttich, das der
König ungefähr aus demfelben Gefichtspunct anfah wie Meß
und Cambrai, und" dem er e8 nicht vergeben konnte, daß
e8 mit dem Kaifer in fo enge Verbindung gefreten. In—
deffen fammelte der Kaifer, den die Nachrichten von den Nie
derlagen des Marfgrafen von anderweiten Sorgen befreiten,
alfe feine Macht zu Namur. Er wollte jedoc) fein Glück nicht
nochmals auf einen Schlachttag wagen, und ließ gefchehen
daß die Sranzofen vor feinen Augen über die Sambre gien:
gen und fich nach dem Hennegau zogen; fie begeichneten ihren
Weg mit Verwüſtungen eben der blühendften Orte, der Pal:
läfte zu Binche, der Gärten zu Marimont, welche ſich Köni—
gin Maria mit großen Koften eingerichtet hatte: — angeblich
um ähnliche Verwüſtungen, die in Frankreich gefchehen wa—
ren, zu rächen; ' — dann aber gieng das Faiferliche Heer,
bei dem wir Graf Günther von Schwarzburg an der Spiße
einer ſchwarzen Neiterfchaar finden, die fich nicht wenig her:
vorthat, den Franzoſen nach, drängte fie nach Artoig, entfeßte
Renty und drang zuletzt felbft in die Picardie ein.
Während dem hatten fich die Kreife, an welche Die
Ereeutionsmandate des Kaifers gerichtet gemwefen, zu Worms
verfammelt, um jeder Einwirkung welche Frankreich vermöge
feiner alten Verbindungen auf Deutfchland ausüben Fönne,
su widerfiehn. Sie vereinigten fich, dag dem Angegriffenen
1. Schreiben des Connetable an Briffac, gegen Ende Zuli 1554:
„Avons fait et faisons encores tous les jours de si beaux feux
a 4 ou 5 lieues à la ronde du chemin.“ (Mem. Coll. univers.
XXXVI, p 443.)
Beruhigung deutfeher Territorien. 351
oder auch nur Gefährdeten von allen Andern unversügliche
Hülfe bis auf den Betrag eines doppelten Nömermonats
geleiftee werden follte.
Das war jedoch nicht mehr zu befürchten. Kriegsban-
denführer Fonnten fich vielleicht für Frankreich erheben; da-
gegen war eine nachhaltige Verbindung eines mächtigen Für:
fien mit diefem Lande jeßt nicht mehr zu beforgen.
Nach alle dem was gefchehen, und worüber man fich
vereinigt, hatte Keiner mehr weder die alten Antriebe einen
Bund diefer Art einzugehn, noch auch Ausficht dadurch et:
was zu erreichen.
Da aber der Kaifer hiezu nur wenig beigetragen, und
auch er feinerfeitS des Neiches nicht mehr mächtig war, fo
geichah daß das Schwanfen der allgemeinen Derhältniffe
Deutfchland überhaupt nicht mehr fo unmittelbar berührte
und ergreifen Eonnfe wie bisher. Es blieb mehr fich felber
überlaffen.
Und hiedurc waren die Dinge fo weit gereift, daß man
daran denken durfte, endlich auch die große Frage, von der
die allgemeine Unruhe hauptfächlich ihren Urfprung genom-
men, die religiöfe, zur Entfcheidung zu bringen.
Fuͤnftes Capitel.
Reichstag zu Augsburg 1555.
Im Sturme de Kriegeg war die Überzeugung von
der Nothwendigkeit einer religiöfen Ausſöhnung entfprungen:
fhon der Paffauer Vertrag war die Frucht deffelben; durch
die beiden feitdem entftandenen Bündniſſe, das heidelbergifche
md das fränkifch-braunfchweigifche, in welchen Stände des
einen und des andern Bekenntniffes einander zu Hülfe ge
kommen, hatte fie weiteren Grund und Boden gewonnen:
wie ganz anders als einft, da dag Nürnberger und das
fchmalfaldifche Bündniß die excluſiv confeffionellen Gegen:
füge repräfentirten, und gegen einander in die Waffen zu
bringen drohen; allein mit alle dem war doch noch nichts
ausgemacht noch befeftigt: nach mehr als zwei Jahren war
es noch nicht zu dem Neichstag gekommen, dem der Pal
fauer Vertrag die wichtigften Feftfegungen vorbehalten hatte;
Dielen däuchte es fchon wieder gefährlich, daß ein fo eifrig
Fatholifcher Fiürft wie Herzog Heinrich zulegt das Schwert
in der Hand hielt und fich an allen feinen alten Feinden
rächen durfte.
Als endlich König Ferdinand, dem der Kaifer volle Ge
Neichstag zu Augsburg 1555. 353
walt ertheilt hatte „abzuhandeln und zu befchließen: abſo—
Inte: ohne alles Hinterfichbringen”, den verfprochenen Neichg-
tag eröffnete, zu Augsburg, am 5ten Februar 1555, fehien
ihm an dem Neligiongfrieden wenig zu liegen; bei weiten
größeren Nachdruck legte er in feiner Propofition auf Die
Erneuerung des Landfriedens und eine durchgreifende Exe—
cutionsordnung. Einrichtungen zur Sicherftellung des Be
fisftandes gegen Unternehmungen wie die legten, wurden wie
von ihm, fo von der Majorität der Fürften, befonders den
geiftlichen, gefordert." Mas der fränfifche Bund vollbracht,
die Stellung und Verfahrungsweiſe Herzog Heinrichs hatte
deren ganzen Beifall.
Auf einem Kreistage zu Frankfurt gegen Ende 1554
war ein Entwurf in diefem Sinne vorgelegt worden, der
die Macht in wenigen Händen vereinigt hätte, nach der
Wahl der ſtändiſchen Mehrheit in den Kreifen: die geiftli-
chen Fürften, welche zahlreich erjchienen waren, wünfchten,
daß vor allem andern diefer Entwurf auf dem Reichstag
vorgenommen und durchgeführt würde.
Unmöglich aber durften die Proteftanten dieß gefchehen
1. Brandenburgifhe Näthe, Jacob Schilling, Chriftoph von
der Strafen, Zimotheus Jung und Lambert Diftelmeier, legten Fe:
bruar: „Im Fürften Rhat feind die hendel - - albereith fo weith un:
derbauett, das fie dahin votiren, das man den Artifel des Landfrie:
dens am erften vor handen nehmen - - fol.” Die fächfifchen Geſand—
ten, 21 Februar: „Die im Fürften Nath haben fih anfangs fait
bloß geben, was fie des merern theil fürhaben, nemlich allein die
bandhabung des Landfriedens in weltlichen Dingen zu befchliegen, denn
daran iſt der Koͤn. Mt und den fränfifchen Ainungsverwandten al-
lein gelegen, und fo es durch einen ausſchuß dahin gereichte, das fie
die andern zu überflimmen hetten, fo glauben wir dag fie den Frie-
den in Neligionfachen diegmal nit worden ſchließen wollen.“
Ranke D. Geſch. V. — 23
354 Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
laffen, oder auch nur überhaupt die Einrichtung einer ſtar—
Fon executiven Gewalt zugeben, ohne vorher über die wich—
tigſte gefeßliche Frage, den religiöfen Frieden, beruhigt zu
ſeyn. Unter den Umſtänden jener Zeit mochten die Gegner,
da das Gedächtniß an die letzten Ereigniſſe noch friſch war,
wohl nicht daran denken, die Proteſtanten zu bekriegen; aber
wie leicht konnten die Dinge ſich ändern: eine ſtarke Reichs—
gewalt in katholiſchen Händen, gegen die fie nicht rechts—
beftändig gefichert waren, Fonnte ihnen einmal fo gefährlich
werden wie der Kaifer geworden war.
Es ſieht wie eine nichtsbedeutende Formfrage aus, wenn
man vorläufige Berathungen darüber eröffnete, welcher Ge
genftand zuerft vorgenommen werden folle, der Neligiong-
friede oder der Landfriede, aber es ift eine Differenz welche
die Summe der Dinge berührt.
Die Proteftanten fürchteten, wenn über den Landfrieden
befchloffen fey, werde man ihnen den Neligiongfrieden er-
fchweren, vielleicht, ehe derfelbe bewilligt worden, den Reichs—
tag abbrechen. |
In dem Churfürftenrath wurde auch diefe Angelegen-
heit, wie jeßt alle andern, zuerft vorgenommen, lange jedoch
ohne Erfolg; fünf Mal ward Umfrage gehalten, ohne daß
man zu einer Mehrheit hätte gelangen können; fchon ge:
ſchah der Vorfchlag, daß man die verfchiedenen Meinungen
dem Fürftenrath referiven folle.
Die weltlichen Stimmen, welche auf die Priorität des
Neligiongfriedens drangen, haften jedoch den Wortheil, daß
ihre Forderung den vorhergegangenen Befchlüffen beffer ent:
fprach. In dem Paffaner Vertrage hieß es, daß der Neichg-
Neichstag zu Augsburg 1555. 355
tag die Neligionsfache bald anfangs vornehmen folle; fie
erinnerten ihre geiftlichen Collegen, daß auch fie jene Ab—
Funft „bei ihren fürftlichen Ehren, in guter rechter Treue,
und bei dem Worte der Wahrheit befräftige!!: wirde man
von derfelben auch nur in Einem Puncte abweichen, fo würde
alles was darin beſtimmt fey, zweifelhaft oder ungültig wer:
den. Dazu Fam, daß dag Collegium, wenn e8 fich entzweite,
an feiner Autorität verlor, was den geiftlichen Mitgliedern
fo wenig erwünſcht war wie den weltlichen.
Churfürft Johann von Trier, ein geborner Sfenburg,
der auch fonft als ein gemäßigter und vaterländifch- gefinn-
ter Mann erfcheint, wie wir denn wohl anführen dürfen,
daß ihn Sebaftian Münfter wegen der Förderung rühmt,
die er ihm vor den meiften andern Fürften zu feiner Kosmo—
graphie gethan, erwarb fich das Verdienft, endlich, bei der
fechsten Umfrage, auf die Seite der weltlichen Stimmen zu
treten. Dadurch war die Mehrheit entfchieden; doch hatte
es auch dabei nicht fein Verbleiben: Cöln und Mainz folg-
ten dem Beifpiele Trierd nach. Ganz einhellig, und in fol-
chen Ausdrücken, in welchen alle Andeutung einer urfprüng-
lichen Berfchiedenheit der Anfichten vermieden war, faßten
die Churfürften den Beſchluß, daß am Neichstag zuerft über
den beharrlichen Neligiongfrieden berathſchlagt werden folle.
In dem Fürftenrathe fehlte e8 nicht an Einwendungen
dagegen. Beſonders machte man geltend, daß der Profan-
1. Die fächfifhen Gefandten bemerfen: Herzog Heinrih von
Braunfhweig hat fich noch befonders „unnüß gemacht.” Die bran:
denburgifchen bezeichnen den Erfolg in ihrem Schreiben vom 13ten
März mit diefen Worten: „dabei aber gleichwol fo viel abgearbeitet,
23 *
356 Zehntes Buch. Fünftes Capitel.
friede zunächft bedroht fey, und daher die nächfte Fürforge
erfordere; Eaiferliche Schreiben und neue Zeitungen wurden
eingebracht nach denen eim unmittelbarer Friedensbruch be-
vorfiehn follte. Auch meinten wohl Einige, fey erft der Ne
ligiongfriede befchloffen, fo werde man auf die Einrichtun-
gen des Landfriedeng nicht mehr Bedacht nehmen.
Und wenigſtens diefe legte Beforgniß brachte auf die geift-
lichen Churfürften einer gemwiffen Eindruck hervor. Aber die
weltlichen gaben ihnen ihr Wort, daß nach der Feſtſetzung
de8 Neligionsfriedens die Berathung über den Profanfrieden
unfehlbar folgen folle. Aller Widerrede zum Troß mußten
am Ende auc) die Fürften fich fügen.
E8 hat acht Tage lebhaften Kampfes gekoſtet, ehe man
fo weit Fam; der Ausfall deffelben aber gab nun auch) fir
die Hauptfache, zu der man munmehr fehritt, eine größere
Sicherheit.
Berathungen über den Keligionöfrieden.
Bon allen Forderungen welche die Proteftanten jemals
aufgeftellt, war die wichtigfte, daß ihnen ein nicht mehr durch
die Ausficht auf eine conciliare Befchlußnahme beſchränkter, fon-
dern ein unbedingter immerwährender Friede bewilligt wiirde.
Nicht ale hätten fie mißfannt, wie wünſchenswerth für
das wir numehr (fpäterer Zufaß: fonderlich im Churfürftenrathe) ei:
nigf feien, das die handlung diefes reichstags nach der ordnung und
inhalt der Paffauifhen Handlung und Abfchiedes zu dirigiren und zu
richten, item, das in feinen ausfchuß zu bewilligen (d. h. der Öefammt-
beit), item, das die franffordifch Handlung gar hinwegzuthun, welches
die vornehmften puncte unfrer Inſtruction.“
Berathungen über den Neligionsfrieden. 357
die deutfche Nation eine religiöſe Wiedervereinigung wäre;
aber fie wollten diefelbe nicht mehr von einem Concilium
erwarten: fchon in Bezug auf den Glauben nicht, für den
fie eine feftere Grundlage gewonnen, als die in der leicht
von zufälligen Einflüffen zu beftimmenden Entfcheidung ho—
her Prälaten lag, eben fo wenig aber fir die außeren Ver
hältniffe der Kirche, wo die Abweichungen, die fie getroffen,
dag ganze Wefen ihres Staates bedingten.
Bon allgemeinem Standpunck angefehen, war die Frage
die: ob es in der abendländifchen Chriftenheit noch ein als
unfehlbar betrachtetes höchftes Tribunal geben follte, deffen
Entfcheidungen für Jedermann verpflichtend feyen und mit
Gewalt durchgeführt werden müßten. Nicht allein die Alt
gemeingültigkeit dogmatifcher Feftfeßungen hieng davon ab,
fondern auc), und darin liegt noch mehr ihre mwelchiftorifche
Bedeutung, alle freie Staatenbildung, zunächft dag DBeftehn
der bereit in der germanifchen Welt begonnenen minder
Firchlichen Gründungen.
Gewährte das Neich einen von Feiner conciliaren Ent:
fcheidung bedingten Frieden, ward diefer zu einem Reichs—
gefeß erhoben, fo bedurfte e8 Feiner weitern Conceſſion der
bisherigen oberſten Kirchengewalt, die ſich auf ihre Ortho—
doxie zurückziehen mochte, aber doch niemals weiter auf
legale Unterſtützung der Reichsgewalt rechnen konnte. Viel—⸗
mehr wäre dieſe ſogar zum Widerſtand gegen jeden einſei—
tigen Verſuch der Gewalt verpflichtet geweſen.
Über dieſe Frage waren die Proteſtanten im Jahr 1545
mit dem Kaiſer zerfallen: ſie gab, wie wir ſahen, den ei—
gentlichen Anlaß zum ſchmalkaldiſchen Kriege; nachdem aber
358 Zehntes Bud. Fünftes Capitel.
der Kaifer gefiegt, war fie noch vollfommener in dag allge:
meine Bewußtſeyn getreten: die Worbereitungen die diefer
nicht ohne Gewalt zur Wiedervereinigung getroffen, darauf
die Beforgniß vor einer nahen Entfcheidung des Conciliums
hatten die Geifter in jene allgemeine Gährung gebracht, aus
der dag Unternehmen des Churfürften Morig wenigfteng zum
Theil entfprang und gewiß feine befte Unterftügung zog.
Der Umſchwung des Glückes der hieraus erfolgte, brachte
dann auch die große Frage, fofort wieder in Gang. Der
unbedingte Friede war die erfie Forderung welche die Pro:
teftanten in Paffau aufftellten, fie enthält die Summe deffen
in fich, was ihnen nothwendig war.
Wir fahen, wie fich der Kaifer auch unter den ungün—
ftigen Umftänden in denen er fich damals befand, nicht be
wegen ließ fie zu bemilligen. Er hatte fi) nun einmal von
jeher als den Verfechter und NRepräfentanten der großen Firch-
lichen Einheit betrachtet. Er drang auch fortan auf die Ver:
gleichung der Religion und behielt fie ſich vor: nur daß er
fic) mit minderer Beftimmtheit über die Art und Weife fie
zu Stande zu bringen ausdrückte: er gewährte nichts als
einfiweiligen Frieden. Wäre er wieder Herr im Felde gewor—
den, fo würde er leicht die Dinge in den alten Gang zurück
geleitet haben. Allein fein Glück war fo ſchwankend gewe—
fen, fein Anfehen im Reich ſo fichtbar in Abnahme gerathen,
daß er, die Kräfte erwägend die ihm enfgegenftanden, nicht
mehr hoffen durfte mit feinem Gedanken durchzudringen.
Aber auch das ließ fich nicht erwarten, daß er ihn auf
geben, oder e8 nur auf die Gefahr ankommen laffen würde,
von dem Reiche zu einem feiner Sinnesweiſe entgegengefegten
Berathungen über den Neligionsfrieden. 359
Befchluß getrieben zu werden. Wie er immer gefagt, cher
war er entichloffen, das Neich fich felber zu überlaffen.
Dieß ift der Grund, weshalb er Verzicht darauf lei-
fiete an dem Neichstag zu erfcheinen und die Verhandlung
ſo ganz feinem Bruder überließ. Wir Fonnten es fchon ver:
muthen, aber wir willen es auch aus feinem Munde. Was
feine öffentlicher Augfchreiben, enthielten, erläutert er feinem
Bruder in einem Briefe vom 10fen Juni 1554 augführli
cher. Er fagt darin, daß Ferdinand als römifcher König
auf dem Neichstag alles entfcheiden möge, was dafelbft
vorfomme, ohne von feiner Seite Nefolution zu erwarten;
die Commiffarien die er senden werde, follen fich doch in
die Entfcheidung nicht zu mifchen haben; dieſe überlaffe er
vielmehr dem König und den Ständen vollfommen, nicht
in feinem Namen noch in feiner Vollmacht. „Und um
Euch den Grund hievon anzugeben,’ fügt er hinzu, „es ge:
fchieht allein aus Rückſicht auf die Religion, über welche
ich meine Serupel habe." Er bittet ihn, EFeinen andern
Grund irgend einer Art zu vermuthen und fich vielmehr daran
erinnern zu wollen, was er ihm volftändiger in Villach ge:
fagt habe. !
Und nun forderte er zwar auch feinen Bruder auf, nichts
anzunehmen, wodurch fein Gewiſſen beſchwert, oder der Zwvie-
fpalt vergrößert und deffen Abhilfe in allzu meite Ferne ge:
1. Die Worte: Et pour vous dire la cause - - et vous priant
non la vouloir imaginer autre, c'est seulement pour le respect du
point de la religion, auquel j’ai mes serupules, que je vous ai si
pertinemment et plainement declaire et m&me en ma derniere
detenue a Villach. Der ganze Brief aus dem Brüffeler Arch. im
- Anhang.
360 Zehntes Bud. Fünftes Capitel.
rückt würde; er hegte die Hofnung noch, das letzte, wider
wärtigſte Zugeftändniß werde fich vermeiden laffen; war das
aber nicht möglich, fo wollte, er wenigſtens nichts damit zu
fchaffen haben. In ihm hatte fich die veligiöfe Überzeugung
mit dem Selbftgefühl des Staatsmannes durchdrungen, der
den Schimpf nicht erleben till ‚, den Gedanken fallen laffen
zu müffen, den er mit allen Mitteln lange Jahre daher zu
versirklichen getrachtet. Mochte dann fein Bruder mit fich
felber zu Nathe gehn und die Dinge fo weit führen als
er vermochte:
Nun leuchtet ein, wie fehr fich hiedurch die Lage der
Dinge änderte. Der Kaifer, der bei den Verhandlungen in
Paſſau der fonft bei den Anweſenden allgemein geworde—
“nen Überzeugung von der Nothwendigkeit des unbedingten
Friedens allein Widerftand geleiftet, zog fich zuriick und ließ
denfelben freien Lauf. |
Freilich fehlte noch viel, daß die Sache damit entfchie-
den geweſen wäre.
An dem Neichstage wurde dag geiftliche Intereſſe bei
weiten ftärfer vepräfentirt als in Paſſau. Überdieß war eg
aber jet durch die Thätigfeit des braunſchweigiſch-fränkiſchen
Bundes bei weitem beffer gefichert und der Bedrängniffe über-
hoben, welche damals zur Nachgiebigfeit genöthigt hatten.
Auch ift e8 doch ganz etwas anders, eine Sache vorläufig
für wünſchenswerth zu erklären, wie dort gefchehen war, und
fie auf immer zu bewilligen, was der Erfolg eines Reichs—
tagsbefchluffes werden mußte.
Glücklicherweife war das Churfürftencollegium friedlich
gefinnt. Die geiftlichen Churfürften‘ waren noch eben Die,
Berathungen über den Neligionsfrieden. 361
welche durch die albrechtifchen Züge erfahren hatten, wohin
Neligionskriege führen, mer fand ihnen dafür, daß nicht
bald ein neues Friegerifches Oberhaupt fid) aus den Neihen
ihrer Gegner erhob? Zwei von ihnen waren Mitglieder des
heidelbergifchen Bundes, und dadurch noch befonders zu ci
nem gemäßigten Verfahren gegen die Genoffen einer andern
Confeſſion verpflichtet.
Das mußte denn auch in dem Firftenrarhe unter an:
dern auf Herzog Albrecht von Baiern wirken, der demfel:
ben Bunde angehörte und der fich auch fonft als ein ſchlech—
ter Freund der Spanier und ihrer Tendenzen auswies.
Schon der Ausfall der vorläufigen Frage hatte das
Verhältniß beider Näthe, dag Übergewicht des churfüirftlichen
im Allgemeinen herausgeſtellt.
In diefem Fam nun auch die Frage von dem unbeding-
ten Frieden zuerft zur Verhandlung, und zwar zumächft in
einem Ausfchuß deffelben, der dadurch gebildet wurde, daß
nicht die geſammten Gefandtfchaften erfchienen, fondern von
jeder nur Ein Rath.!
Und hier wurden nun anfangs einige fehr abweichende
Gedanken geäußert. Eine geiftliche Stimme rieth, den Ab:
fchied von 1530 zu Grunde zu legen: die weltlichen erwie—
derten, daß dieß das Mittel feyn würde, — denn gegen die:
fen Abſchied hatte fich die ganze Bewegung des Proteftan-
1. Meine vornehmfte Duelle für dieß und alles Folgende find
4 Foliobaͤnde im Dresdener Archiv, betitelt: Augsburgifche Neichs-
tagsacten 1555. Die Schreiben von Lindemann und Sram an Chur:
fürft Auguft enthalten nicht alein die Wrotocolle des Churfürftenra-
thes, fondern auch fehr willfommene Erläuterungen der bei der ganz
zen Verhandlung vorgefommenen Motive.
362 Zehntes Bud. Fuͤnftes Capitel.
tismus erhöben, — nicht Friede zu ftiften, fondern den al
ten Haß zu erneuern. Cölln meinte, man möge Eaiferlicher
Majeſtät nochmals die Bergleichung heimftellen, — eben da-
bin aber hatte man big jeßt gearbeitet, dem Kaifer die Sache
aus der Hand zu nehmen; er felbft ließ fich nicht träumen,
daß dieß nochmals gefchehen konnte. Nach einigem Hin und
Herreden mußte man nothivendig auf die in Paffau gefaßten
Geſichtspuncte und Borfchläge zurückkommen. Der Canzler
von Mainz übernahm, aus dem Abfchied von 1544, der
jetst endlich wieder zu Ehren Fam, und den Paffauer Be
fchlüffen einen Entwurf zu neuen Artikeln sufammenzusichen,
die in der That die Grundlage des Neligiongfriedeng gewor—
den find. Wie fie der Churfürftenvath annahm, fo ward
darin nicht allein die in Paſſau beliebte Formel wiederholt,
dag man zwar auf eine Vergleichung durch chriftliche freund-
liche Mittel denken werde, der Friede aber beftehen folle,
auch wenn die Vergleichung nicht su Stande Fomme, fon
dern diefe ward auf den Vorfchlag des fächfifchen Gefand-
ten durch den Zufaß noch verftärft, „es folle in alle Wege
ein beftändiger, beharrlicher, unbedingter, für und für ewig
währender Friede befchloffen und aufgerichtet feyn.
Eine vorläufige Frage erhob fich hiebei noch, wie nem-
lich die beiden Parteien zu beseichnen feyen, zwiſchen denen
der Friede gefchloffen werde. Trier machte den Vorfchlag,
die Einen als Bekenner der alten Fatholifchen Neligion, die
Andern als Verwandte der Confeffion die im Jahr 1530
1. Der Churfürftlihen Raͤth Bedenfen und Nelation, welder:
maaßen auf dem Abfchiede zu Speier ao 1544 der Neligionfriede zu
begreifen, mit förmliher Nubrif: Hactenus, bei Lehmann p. 25.
Berathungen über den Neligionsfrieden. 363
übergeben worden, aufzuführen. Es verdient angemerkt zu
werden, daß die weltlichen Churfürften ſchon das Erfte zu:
vückwiefen, denn auch auf der andern Seife befenne man
eine einzige Eatholifche Kirche; felbft den Ausdruck „Ber
wandte der alten Religion gaben fie nur zu, weil er fchon
im Paſſauer Vertrag gebraucht worden; aber noch viel be
merfenswerther und auffallender ift es, Daß fie die ausdrück—
liche Befchränfung auf die im Sabre 1530 übergebene Con—
feffion verwarfen. Sie erinnerten fich, daß die kleine auf
die Herfiellung der Eintracht in der Abendmahlslehre be
zügliche Abänderung der urfpringlichen Worte von den Geg-
nern fchon öfters hatte benußgt werden wollen fie zu ent
zweien. Nicht allein Pfalz ftimmte gegen die Nahmhaftma—
hung der Jahrzahl, fondern auch Sachfen war dagegen.
Der fächfifche Bevollmächtigfe erklärte, die Dinge fo enge
einzuziehen, würde Miptrauen erzeugen: bier handle man
nicht von Neligiongartikeln, fondern vom Frieden; am beften
werde man thun, wenn man auch hier dem paffauifchen Ver:
frage folge, worin Die Confeffion im Allgemeinen genannt
worden, ohne das Sahr. ?
Und fo war der Befchluß, einen Frieden aufzurichten,
der unberührt von den Differenzen der veligiöfen Syſteme,
der profeftantifchen Meinung und Verfaffung im Ganzen
und Großen ein ungefährdetes Dafeyn gewähren, aller Ge:
waltfamkeit aus religiöfem Grunde zwiſchen den verfchiede:
nen Ständen auf immer ein Ende machen follte.
1. Schreiben der fächfiichen Gefandten o. D., in der Samm—
lung zwifchen den Briefen vom 16 und 22 März eingefchaltet. Im
Anhang.
364 Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Als nun aber dieſer Entwurf in den Fürſtenrath kam,
fand er den größten Widerſpruch.
Der päpftlihe Nuntius Morone erinnerte die geiftlichen
Fürften, welche hier die Mehrzahl ausmachten, an die Pflicht,
mit der fie dem vömifchen Stuhle verwandt feyen.
Hierauf erklärte Bifchof Otto Truchfeß von Augsburg,
daß er von dem vorgelegten Entwurf des Friedens weder
viel noch wenig bewilligen könne; er vermaß fich, ehe er
auf Verhandlungen darüber eingehe, Leib und Leben, alles
was er auf Erden habe, zu verlieren. !
Viele andere meinten, daß man von einem künftigen
Austrag in der Religion nicht abſehen, nur einen befchränf:
ten Frieden zugeftehn, alle Streitigfeiten dariiber zur Decla-
ration des Kaifers ftellen müffe.
König Ferdinand machte noch einen Verfuch, die ganze
Berathung auf den Landfrieden zurückzuführen. Er ließ Die
churfürftlichen Gefandten perfönlich zu fich Fommen, um fie
dazu zu vermögen, und legte im Neichgrath darauf bezüg-
liche Supplicationen vor.
Dagegen aber ergriffen die proteftantifchen Mitglieder
des Fürftenraths den Entwurf der Churfürften mit aller Theil-
nahme die er verdiente; befonders zeigte ſich Chriſtoph von
Würtenberg, den man als „den Nädelsführer der Partei‘
bezeichnete, unerfchütterlich.
Indeſſen würden fie fchtwerlich dDurchgedrungen feyn, hät:
ten fie nicht von außen her einige Unterftügung befommen.
Im März 1555 vereinigten fich die Häuſer Sachen,
1. Proteftation bei Lehmann: de pace religionis acta publica
p- 24.
Berathungen über den Neligionsfrieden. 365
Brandenburg und Heffen wie, berührt zur. Erneuerung ihrer
alten Erbverbrüderung. Es war recht das Gegentheil von
den religiöfen Entzweiungen, die. bei einem ähnlichen Vorha—
ben, im 3. 1537 zu Zeig, zwifchen ihnen ausgebrochen, daß
fie jest dem römifchen König einmüthig ihren Entfchluß er—
Härten, an der augsburgifchen Confeſſion feftzuhalten und
in religiöfen Dingen Feine Stimmenmehrheit anzuerkennen.
Sie beſchwuren ihn, fich nicht durch fremde, der deutfchen
Nation vielleicht feindfelig gefinnte Leute von dem hochbe—
theuerten paffanifchen Vertrag abführen zu laffen, vielmehr
die Zufage die er einft gegeben, einen beharrlichen Frieden
aufrichten zu wollen, nunmehr zu erfüllen." Der fächfifche
Gefandte weiß nicht auszudrücken, wie viel guten Namen
Diefe Erklärung der erbverbrüderten Fürſten mache, auch in
der Stadt Augsburg: in öffentlicher Predigt habe man Gott
dafiir Dankfagung dargebracht.
Ferner aber gefchah, daß nach dem Tode des Papfi
Julius Cam 24ften März 1555) die- beiden beftigften Geg-
ner des Entwurfs, Morone und Truchfeß, beides Cardinäle
der römischen Kirche, den Reichſstag verließen, um fich zum
Conclave zu begeben.
Da dergeftalt die Einen verftärft, die Andern geſchwächt
wurden, fo überwog allmählig die mildere Meinung. - Die
geiftlichen Fürften nahmen zwar nicht, wie ihre weltlichen
Collegen, den churfürftlichen Entwurf förmlich an: fie mach:
ten vielmehr in dem befondern Gutachten dag fie eingaben,
viele Ausftellungen dagegen; aber fie wiefen ihn doch auch
1. Copia Schreibens von etlichen Chur und Fürften aus Naum-
burg bei Lehmann 116.
366 Zehntes Buch. Fünftes Kapitel.
nicht geradehin von ſich: fie giengen auf die Hauptgrund:
lagen ein, freilich mit dem Vorbehalt, fo weit e8 ihre geift:
liche Amtspfticht erlaube.
Merkwiürdig welchen Eindruck fie durch diefe Erinnerung
wie durch jene frühere doch noch einmal bei ihren Amtsbrüdern
den Erzbifchöfen im Churfürſtenrathe hervorbrachten. Es ſchien
faſt als wollten dieſe jetzt auf dieſelbe Weiſe ſich verclauſuli⸗
ren. Nicht von ihnen, meinten ſie, rühre die Einwendung her:
da ſie aber einmal vorgebracht worden, würden ſie ohne Tadel
ſich nicht weigern können ihr beizupflichten. Die weltlichen Rä—
the erinnerten: ſie rühre von Leuten her, die dem Papſte mehr
verwandt ſeyen als dem Reiche. Sie wollten nichts davon
hören, daß jene ſich wenigſtens Zeit ausbaten, um von ihren
Herrn Beſcheid über dieſe neue Schwierigkeit einzuholen;
dann, ſagten ſie, würden auch ſie Reſolution von den ihren
verlangen, bis wohin dann jede weitere Berathung unter
bleiben müſſe; fie hatten den Much die Sieung ohne Wei-
teres abzubrechen. Denn das leuchtete im erften Augenblicke
ein, daß unter einem folchen Vorbehalt, der dem Einfluß
des römifchen Stuhles, auf den er fich hauptfächlich bezog,
Thür und Thor geöffnet hätte, an Feine Beendigung des re
ligiöfen Streites, Feine Feftfegung des Friedens zu denken
geweſen wäre. Was der Kaifer fchon nicht bewilligen wol
len, war von dem Papft nimmermehr zu erwarten. Wohl
fühlten dag auch die geiftlichen Näthe: fie bereuten ihren
Mißariff faft in demfelben Augenblick, in dem fie ihn began-
gen. Schon indem man nach Haufe gieng, näherten fic)
einige von ihnen den brandenburgifchen Gefandten mit be:
gütigenden Worten. Bald darauf erfchien der mainzifche
a
Derarb. ud. d. Neligionsfr. Jurisdiction. 367
Canzler in. der Wohnung der fächfiichen Abgeordneten, und
bat fie, die gewöhnliche Por am ihren Herin, durch twelche
fie von diefem Ereigniß hätten Nachricht geben müſſen, nicht
abzufertigen. Er verwarf jetzt diefe Clauſel felbft mit den
ftärkfien Ausdrücken. In den Erzbifchöfen und Churfür-
fien war von jeher ein Iebendiges Gefühl der Autonomie
des Meicheg, die fie auch im Gegenfaß gegen Nom behaup:
teten. Den andern Tag ließen ſämmtliche Stimmen jenen
Vorbehalt fallen.
Nun erſt konnte der Defchluß, den bebarrlichen Frieden
su Stande zu bringen, einigermaßen gefichert fcheinen: vor—
ausgeſetzt daß man fich über die einzelnen Beſtimmungen die
dabei getroffen werden mußten, einverfichn würde.
Am. leichteften Fam man mit dem Artikel über die Ju—
visdiction zu Stande. Die geiftlichen Fürſten beider Colle—
gien fahen ein, daß der Vorbehalt der Jurisdiction den Frie—
den, ja das Daſeyn des Proteftantismus überhaupt unmög-
fich machen würde. Sie mußten nur darüber beruhigt wer—
den, daß man nicht die Capitel aus proteftantifchen Städ—
ten verjagen wolle. Unter diefer Bedingung gaben fie zu,
vas ohnehin nicht mehr zu ändern ftand. So leicht e8 aber
auch ward, fo liegt hierin doch im Grunde die Summe der
Dinge. Das DBeftehen der profeftantifchen Kirchen gewann
erſt dadurch allgemeine rechtliche Anerkennung. Was einft Phi-
lipp von Heffen im erften Eifer dem, Ehurfürften von Mainz
1. „Iſt ung der mainziſch Canzler in unfer herberg nachgangen
und uns gebeten, wir wolten je Feine poft abfertigen, fondern der fa-
hen bis auf den andern fag anftand geben, auch unter andern ge-
redt, der teufel hette diefe claufel gemacht, er muſte ſelber bekennen
daß ſie nichts werth.“ e
365 Zehntes Buch. Fünftes Capitel.
abziwingen wollen, ward jet Durch Reichsbeſchluß allen Evan:
gelifchen gewährt.
Auch bei dem Artikel über die geiftlichen Güter erhoben
fich nicht fo viele Schwierigfeiten al8 man an fich häfte er—
warten follen, und als felbft noch der erfie Entwurf, der
eine Menge Ausnahmen zum Vortheil einzelner Perfonen
enthielt, erwarten ließ. Die ſächſiſchen Gefandten erwarben
fi) das DVerdienft, einen annehmbaren Vorſchlag einzubrin-
gen. Er lautete dahin, daß. alle eingezogenen Güter, welche
nicht Neichsunmittelbaren angehörig gewefen, in dem Frie
den begriffen feyn, Niemand ihrethalb angefochten werden
folle. Dabin waren fchon lange alle Erklärungen der pro:
teftantifchen Fürften gegangen, daß man nicht diejenigen Gü⸗
ter auf welche das Neich gegründet ſey, angreife, fondern
nur die andern, welche in jedem Lande gelegen, zu verwenden
gedenfe. ES war eine andre Frage, Die fich bei pfälziſchen
Anfprüchen erhob, ob es nicht wieder einem Zweifel unter
liege, in welche der beiden Kategorien jede Stiftung ge
höre: genug daß man den Grundfaß anerfannte. Ob aber
nicht über die Verwendung der dergeftalt der Hierarchie ent
fremdeten Güter etwas beftimmt werden follte? Mainz war
nicht dafür. Was gegeben, fagte der Canzler, fey für voll
gegeben worden; fie feyen doch weg, wer wolle ihnen nach:
fragen? Dagegen ward von den Fürften eine Clauſel bean-
trage und wirklich in den Abfchied gebracht, nach welcher
das nur von den Gütern gelten follte die fchon zur Zeit
des Paſſauer Vertrags eingegogen geweſen.
1. „Man möge fie ſieden oder braten.” Schreiben der ſaͤch—
fiihen Gefandten vom 14ten April.
— ee —
Berath. üb. d. Neligionsfr. Geiftlihe Güter. 369
‚Überhaupt; was bereits gefchehen, ließ man fich gefal-
len: die großen Irrungen erhoben fich darüber was in Zu-
Eunft gefchehen dürfe.
Die weltlichen Churfürften forderten J den Vorſchlag
der Pfalz, daß der Friede allen Denen zu Gute kommen
müſſe die ihrer Confeſſion auch in Zukunft beitreten würden.
Noch einmal regte ſich hierüber in dem geiſtlichen die Vor—⸗
ausſetzung daß der alte Zuſtand der allein rechtliche gewe⸗
fens und Cölln meinte wohl, jede weitere Neuerung müffe
ernftlich verboten werden. Die weltlichen verfeßten: ob es
nicht Heiße, den Frieden in Unfrieden verkehren, wenn man
Diejenigen mit dem Schwert verfolgen wolle, die zu ihnen
träten? Die Verhandlungen über diefen Artikel mußten un:
terbrochen werden; es dauerte einige Zeit, ehe fich die Geift-
lichen von den Begriffen logriffen, die allerdings den al
ten Einrichtungen zu Grunde lagen und die Geifter Tange
Sahrhunderte beherricht hatten. Unter Vortritt von Mainz
gaben fie endlich zu, daß die Anhänger der augsburgifchen
Eonfeffion nicht angegriffen werden follten, „zu welcher Zeit
fie auch derfelben verwandt geworden.’ Ein neuer Sturm
erhob fich, als dieſer Entwurf in den Fürftenrath Fam. Die
weltlichen Fürften, die fonft nicht nachzugeben pflegten, zo—
gen dieß Mal vor, die letzte Elaufel wegzulaffen, und ein:
fach dabei ftehen zw bleiben, daß Niemand wegen der augs⸗
burgifchen Confeffion angegriffen werden dürfe. Und war
1. Nach dem Bericht der fächfifhen Gefandten wurden fie von
den Geiftlichen gelobt: „theten ganz billig daß wir jnen nachgeben
was ung nicht fchadete, und jhnen gegen andern vorweislich; was
Ranke D. Geſch, V. 24
370 Zehntes Bud. Fünftes Capitel.
das nicht im Grunde daffelbe? Die Zeitbeftimmung diente
nur MWiderfpruch zu erwecken. Schon genug, daß der Friede
nicht ausdrücklich auf die bereits Beigetretenen befchränft
wurde. Geiftliche und weltliche Churfürften trugen Fein Be
denfen, hierin dem fürftlichen Collegium nachzugeben.
Damit aber näherte man fich einer andern Frage, der
michtigften und in fich felbft fchmwierigften, die bei den Be:
fiimmungen des Friedens überhaupt vorgefommen ift.
Wie nun, wenn auc Diejenigen die Confeffion annah-
men, welche die Hochftifter des Neiches inne hatten? Durch
die Beſtimmungen die man getroffen, wären auch fie in den
Frieden eingefchloffen gemwefen. Erzbifchöfe und Biſchöfe, die
geiftlichen Ehurfürften felbft hätten Proteftanten ſeyn Eönnen.
Dem evangelifchen Befenntniß wäre die Ausficht eröffnet wor;
den, im Laufe der Zeit noch einmal zur vollen Herrfchaft im
Reiche zu gelangen.
Man gab wohl ar, daß hiemit dag Beſtehen des Nei-
ches überhaupt gefährdet fey: aber ohne Zweifel mit Un—
recht. Die Einwendung, daß die Stifter erblich werden wür-
den, ließ fich leicht widerlegen. Man brauchte nur, tie
die anweſenden Näthe vorfchlugen, durch eine befondere
Neichsconftitution feftzufeßen, daß dieß nicht gefchehen dürfe,
daß die Hochftifter bei ihren Wahlen und ihrer fonftigen
Berfaffung zu laffen feyen; dann lag hierin fogar das ein-
zige Mittel, die Einheit des Neiches durch die Gleichheit des
Bekenntniſſes in geiftlichen und weltlichen Herrfchaften wie—
man aber viel disputirt, die meinung häft es und folt es haben daß
die alle fride folten haben fo zu uns treten wolten: welchs denn vlei-
fig prothocollirt worden.”
Ber. üb. d. Neligionsfr. Geiftliher Vorbehalt. 371
derherzuftellen und fir immer aufrecht zu erhalten. ' Aber
unleugbar ift, daß der Vorfchlag die größte Gefahr für den
Katholicismus einfchloß. Dei weiten die meiften Neichsfür-
ften waren evangelifch, und leicht Eonnten alle Stifter von
ihnen eingenommen werden. Man darf fich nicht wundern,
wenn fich die Geiftlichen lebhaft zur Wehre ſetzten. Sie
fchlugen vor, das Zugeftändniß, daß Niemand wegen der
Religion angegriffen werden folle, ausdrücklich auf die welt:
lichen Stände zu befchränfen, fo daß es niemals auf geift-
liche angewendet werden könne. Gie führten aus, daß Ent
fegung von Amt und Würden die natürliche Folge des Über—
tritts ſey. Die weltlichen Näthe antworteten, einmal, daß
dadurch der Friede wieder gefährdet werde: die Eonfeffiong-
verwandten würden ihre Freunde und Blutsverwandten nicht
um der Religion willen entfegen laffen; — und fodann:
ſey es nicht fchimpflich für die Confeffion, daß fie nur von
MWeltlichen, nicht auch von Geiftlichen bekannt werden folle?
es liege eine Art von Strafe darin, daß Jemand des Be
Eenntniffes halber von den geiftlihen Würden ausgefchloffen
ſey. Mochten fie aber auch jagen was fie wollten, ? dieß
Mal drangen fie nicht durch. Mainz, das fonft in den
meiften Stücken den MWeltlichen beigetreten war, hielt jeßt
1. Melanchthon de reservato ecelesiastico. Corp. Ref. VIII,
478. „Dann menfhlich ift Fein ander Weg zur Einigfeit zu geden-
fen, dann diefer das die Warheit foll für und für mehr bifchöfe
Fürften und andre Negenten bewegen diefe Lehre anzunehmen und
zu pflanzen.
2. Ein Argument des Zaſius war: „es folten imer die bifchöfe
fo Iutterifh werden wolten, billih daran begnügen laffen, das es
einem irer perfon halber frei gelaffen, den fo fie der lehr aus drin-
gender Confcienz und Zelo wollten anhangig feyn, fo folten fie der
24 *
372 . Zehntes Buch. Fünftes Kapitel.
auch deshalb feft, weil fo eben nach dem Tode Heufen:
ſtamms ein neuer Ersbifchof, Daniel Brendel, eintrat, der
Rückſicht auf die päpftliche Confirmation nehmen mußte.
Auch die Weltlichen aber gaben nicht nach. Was in den
andern Puncten glücklich vermieden worden, geſchah in die-
ſem: dem römifchen König wurden zwei entgegengefetste Gut-
"achten eingereicht.
Die Neichsftädte, welche noch immer die Nachwehen
ihrer Niederlage von 1547 fühlten, zumal da fie fich 1552
nicht wieder zu einem gemeinfchaftlichen Intereſſe vereinigt,
nahmen an, weſſen fich die obern Stände verglichen, und
fimmten bei, daß wegen des Unverglichenen der König an-
gegangen werde. !
Und fo Fam noch einmal unendlich viel auf König Fer-
dinand an, in den verglichenen Artifeln auf feine Beiftim-
mung, in den unverglichenen auf feine Entfcheidung.
Ehe er fie gab, nahmen die Stände nun auch die an-
dern Angelegenheiten von mehr weltlicher Natur vor, Profan-
frieden und Kammergericht, wie im Anfang befchloffen worden.
Wir haben ihrer ſchon öfter gedacht: erſt jetzt aber,
nachdem man über die Grundfäße des religiöfen Friedens
einig war und die Reichsgewalt nicht mehr zur Unterdrückung
der doch auch auf Neichgfchlüffen begründeten profeftantifchen
Einrichtungen gebraucht werden Fonnte, befam ihre Erörte:
rung Bedeutung fir die definitive Geftalt der Dinge.
Guter nicht achten, nach der Lehr im Evangelio Ecce reliquimus
omnia et te secuti sumus. Wie denn Zaftus der Neferent dieß
ganz honifch geredt.” Schreiben der fächf. Gefandten vom 20 Juni.
1. Der Frei und Neichsftätte Nefolution 20 Junii mündlich
fürgetragen; bei Lehmann p. 59.
Derathbungen über Friede und Recht. 373
Berathungen über Friede und Recht.
Darüber war man längft einig, daß die Beftimmungen
de8 Landfriedeng, deffen Grundlagen aus einer Zeit ſtamm—
ten, wo von der religiöfen Entsweiung noch nicht die Nede
war, und deffen Mängel dann öfter verbeffert worden, an
und für fich wohl überlege und zutreffend feyen, und daß es
nur an der Handhabung mangle.
Für diefe hauptfächlich hatten die Kreife, die fich vor
dem Jahr zu Frankfurt verfammelt, durch eine neue Execu—
tionsordnung forgen wollen. !
Der Entwurf den fie gemacht, ward jedoch fchon darum
nicht angenommen, weil er fich allzu fehr auf den damaligen
Augenblick, die vorgegebene Gefahr vor Markgraf Albrecht
bezog, fo daß Brandenburg felbft die Einleitung verwarf; es
ward vielmehr befchloffen die alten Neichsbefchlüffe zu Grunde
zu legen. Allein darum war jener Entwurf nicht unnütz; un:
aufhörlich ward er beriickfichtige, und gerade der Gegenfaß
verleiht den neuen Feftfeßungen zum Theil ihren Character.
Alles Fam hiebei auf eine weitere Ausbildung der Kreig:
verfaffung an. Erwägen wir, wie wichtig Diefe in den ſpä—
tern Zeiten des Neiches geweſen ift, wie alle lebendige Hand:
habung der höchften Gewalt darauf beruhte, fo find doch diefe
Berathungen nicht ohne große Wichtigkeit für unfre Gefchichte.
Der erfte Mangel über den man mit Recht Klage führte,
lag darin, daß wenn ein Stand Vergewaltigungen erlitt, erft
1. Über die Verhandlungen zu Franffurt benußte ich die Acten:
ftücfe die fi) im Staatsarchiv zu Berlin finden.
374 Zehntes Bud. Fünftes Capitel.
ein Kreistag ausgefchrieben werden mußte, und wenn diefer
dann auf Hülfe fchloß, doch noch immer einige Zeit vorüber-
gieng, ehe man fich vorbereitet hatte diefelbe zu leiften.
In Frankfurt mun hatte man den Entwurf gemacht,
in jedem Kreife einen Oberften aufzuftellen, der mit den ihm
von den Ständen deffelben beisugebenden Näthen, welche
aber von der Pflicht gegen ihre befondere Obrigkeit entbun-
den werden müßten, Befchlüffe faffen und Unternehmungen
beginnen dürfe, in denen ihm fämmtliche Kreisftände beizu—
ſtehn fchuldig feyn follten. Wie aber die Macht Eines Krei-
ſes felten zum Widerftand hinreiche, hatte man es meiter
rathfam gefunden, zwei Generaloberften im Reiche aufzuftel-
len, einen über die ſechs oberländifchen, einen andern über
die vier niederländifchen Kreife, die von der Gefammtheit
diefer Kreife, jedoch mit Vorwiſſen des Kaifers und unter
Vorbehalt feiner Genehmigung, ernannt werden, und auf eine
ähnliche Weife den allgemeinen Zuzug zu beftimmen haben
follten wie die Oberſten in den einzelnen Kreifen.
Ein Entwurf der den beiden Fürften welche zu Gene
raloberfien erwählt worden wären, eine ungemein tief eingrei-
fende, allen andern überlegene Macht verfchafft haben würde.
Nicht mit Unrecht bemerkte Joachim II, dieß fey mehr
die Verfaffung eines Bundes, — wie denn wirklich die Anz
ordnungen aus denen des ſchwäbiſchen und des fchmalfal-
difchen Bundes zufammengefegt zu feyn fcheinen, — als eine
Neichsordnung. Die Churfürften Famen bald überein, jene
Generaloberften überhaupt gar nicht zuzulaffen, und auch den
Kreisoberften nur fo viel Macht beisulegen, als zur Verthei—
digung erforderlich fey, nicht eine folche die fie mißbrauchen
oder mit der fie den Ständen beſchwerlich fallen könnten.
Derathungen über die Erecutionsordnung. 375
Wie das gefammte Erecutionswefen auf den Drdnun:
gen beruhte, welche das Neichgregiment in den erfien Mo:
naten feine Beftehens, Ende 1521, Anfang 1522, vorge;
nommen, fo hatte fich auf den Grund der damals beliebten
Bezeichnungen ' ein Herkommen gebildet, Eraft deffen in je:
dem Kreife Ein Fürft dag Amt der Berufung der Stände
und der allgemeinen Leitung der Gefchäfte erhielt, den man
um das J. 1550 den Ereisaugfchreibenden zu nennen an—
fing. Der Vorſchlag geſchah, zunächſt von Sachſen, daß
allemal der ausſchreibende Kreisfürſt zugleich auch Oberſter
ſeyn ſolle, wie denn wirklich ſpäter beiderlei Befugniſſe beis
nahe ganz in einander gefloſſen ſind und dann das wich—
tigſte Vorrecht gebildet haben das einem Reichsfürſten über
haupt zuftand.
Eben deshalb aber weil fich dieß vorausfehen ließ, fand
der Gedanfe großen Widerfpruch. Brandenburg, dag mit
Sachen in Einem Kreiſe faß, diefem aber noch den Vor—
vang laffen mußte, war nicht minder dagegen als die geift:
lichen Ehurfürften, die alsdann von ihrem weltlichen Collegen
in der Pfalz überflügele zu werden fürchteten. Es entftand
eine Mehrheit in dem churfürftlichen Rathe die den Befchluß
faßte, daß die Wahl des Oberſten den Ständen jedes Kreis
ſes anheimgeftellt bleiben folle, von denen dann der kreisaus—
fchreibende Fürft oder auch ein andrer gewählt werden Fönne.
Die ihm beisugebenden Gehülfen wollte man nicht Näthe
nennen, mas eine Art von Unterordnung unter ihn auszu—
drücken fchien, Sondern Zugeordnete. Man bedingte noch
1. „Als den,” heißt es in dem eriten Schreiben des Regiments,
„den wir im -- Graiß zu ſolchem fonderlich fürgenommen.” 17 Febr.
1524. N. ©. d. Reichsabſch.
376 Zehntes Bud. Fünftes Capitel.
ausdrücklich, daß dem Kreisausfchreibenden oder dem Hber-
fien durch dieß fein Amt Feinerlei Vorrang zufallen folle.
Die Frage entftand, ob nicht wenigſtens die von den ver—
fchiedenen Ständen zu ernennenden Zugeordneten ihrer befon-
dern Eidegpflicht gegen Diefelben zu erledigen feyen. Urs
fprünglich war Brandenburg fo wie einige andre Stimmen
dagegen. Da man aber dann feftießen wollte, daß der Zu:
geordnete die Verfammlung verlaffen müſſe, fo oft über eine
feinen Herrn angehende Angelegenheit berathichlagt werde, fo
z0g auch Brandenburg die Auskunft vor, daß derfelbe zwar
der Berathichlagung beivohnen, aber auf diefen Fall feiner
befondern Pflicht erlaffen werden möge. Wir fehen, tie
forgfältig man Bedacht nahın, daß nicht durch die neue Ein:
richtung der fchon begründeten Landeshoheit Eintrag gefchähe-
Übrigens aber war man fehr bereit das Nothmwendige zu Iei-
fin. Dem Oberfien und den Verordneten ward die Befug-
niß gegeben, dringenden Falles einen doppelten Romzug auf
den Kreis auszufchreiben. Gegen den Vorfchlag von Sad):
fen, welches für jeden Kreis die Verpflichtung forderte, 500
M. z. Pf. und 1000 3. 5. zu fielen, ward die Einwendung
gemacht, daß die Kreife ungleichen Vermögens, und nicht
wohl zu gleichen Leiftungen anzuftrengen feyenz und man
hielt für beffer, bei den NeichSanfchlägen ftehen zu bleiben.
Auch war man einverftanden, daß nicht jedem Kreife die
1. „Haben wir es vohr nüßlicher geachtet,” fchreiben die bran-
denburgifchen Gefandten, „das ehr (der Zugeordnete) feiner pflicht
losgezalt würde, und bei der Berathfchlagung bleiben möchte, daber
wir uns in allewege gefliffen die fachen dahin zu richten, das im
oberfähhfifchen Kreis E. Ch. Gn. in allen Niheten, fo der Erecution
oder Handhabung des Landfriedens halber müchten vorfommen, mit
weren.“
Derathungen über die Erecutionsordnung. 377
Sorge für fich felbft überlaffen werden dürfe, fondern daß
in jedem erheblichen Fall deren fünf zufammentreten, die Ko—
fien tragen und die Mannfchaften ftellen follten.' Die Ans
führung beftimmte man alle Mal dem Oberften degjenigen
Kreifeg, welcher der Libermältigte fey und die Hülfe der an-
dern in Anfpruch nehme. Die Säumigen wurden mit den
ſchwerſten Strafen bedroht.
AS diefer Entwurf in den Fürftenrath gelangte, gieng
e8 damit wie e8 mit den übrigen Entwürfen gegangen war:
die geiftlichen Fürften fuchten ihn nach ihren eigenthümlichen
DBedürfniffen und Gefichtspuncten umzugeftalten.
Da fie beforgten, die neue Einrichtung dürfte doch in
den Händen der weltlichen Fürften ihnen zum Nachtheil ge
reichen, fo fuchten fie die Ernennung der Kreigoberften wo
möglich in die Hände des Kaifers zu bringen, von dem fie
ihrerfeits Nückhalt und Unterftügung erwarteten. In die
ſem Sinne arbeitete befonders der Canzler des Bifchofs von
Augsburg, Dr Braun. ? Die allgemeine Stimmung aber
war nicht der Art, um ein folches Vorhaben zu befördern.
Nachdem der Einfluß des Kaifers feit mehreren Jahren fo
tief herabgefommen, Eonnte man nicht daran denken denfel-
ben auf diefem Wege wieder zu erneuern. Don jenen Vor
1. „Damit nicht etwa, wenn Einem ein Nad übers Bein gehe,
ein Andrer fich freuen möge.”
2. Saͤchſiſche Gefandte 5 Aug.: „Der Ausfhuß (des Fürften-
raths) hat wiederumb einen engen Ausfhuß, als nemlich des Hz.
von Wirtenpergf und D. Braun des Gardinal von Augfpurg Ge
fandten erwelet. Des Hz. v. W. Gefandter hat Dr Braun das Con:
cept ganz allein übergeben, welcher dann das Concept geftelt und
und unfre Ordnung mit Fleiß invertirt.” (Anfang Yuguft Fam der
Entwurf in den Churfürftenrath zuruͤck.)
378 Zehntes Buch. Fünftes Capitel.
fchlägen wurden einige fchon innerhalb des Fürfienrathg be
feitigt; die übrigen zu verwerfen, blieb den Churfürften über:
laffen, deren Gutachten zuleßt in diefem, mie in den mei:
ften andern Puncten angenommen und zum Neichsgefeß er:
hoben ward.
Und nicht allein gegen innere Unruhen follte die neue
Ordnung dienen, fondern man befchloß fie auch bei den An—
griffen ausmwärtiger Feinde in Anwendung zu bringen.
Nur erhob fich hiebei. der Zweifel, ob die Verpflich-
fung einem Kreiſe zu Hülfe zu Fommen auch auf den nie
derländifchen erftrecft werden folle, der in einem beinahe fort:
mwährenden Kriege mit Franfreich) lag. Die Sache würde-gar
nicht haben in Frage Fommen Fönnen, wenn fich die Nieder:
lande ernfilich zum Neiche gehalten, befonders, worauf alles
anfam, fich dem Kammergericht unterworfen häften. König
Ferdinand vertheidigte eine Zeitlang die Anfprüche der Nies
derlande. Die Einwendung aber, daß eine auf die Hand:
habung des Landfriedeng bezügliche Ordnung unmöglid; De
nen zu Gute Fommen könne, von denen die Reichsgerichts—
barkeit in Randfriedensbruchfachen gar nicht einmal anerkannt
werde, wußte er nicht zu befeitigen. Er erlangte nur fo viel,
daß es durch eine neue Claufel in den Willen des Kaifers
geftellt wurde, ob er fich mit feinen Niedererblanden jener
Surisdiction unterwerfen wolle.
Wir fehen wohl: zum Vortheil Carls V und feiner
Faiferlichen Macht gereichten diefe Befchlüffe mit nichten.
Die executive Gewalt gerieth dadurch eben fo gut in die
Hände der Neichgftände, wie ihnen die legislative dem Her:
kommen nach faft augfchließend zuftand. Die Anwendung
Berathungen über das Kammergericht. 379
der fir dag innere erfundenen Einrichtungen auf die Außern
Verhältniſſe befchränfte jeden Dienft, der dem Kaifer für feine
Kriege daraus entipringen konnte, auf WVertheidigung. Und
auch davon wurden nun feine Niederlande noch ausdrücklich
ausgefchloffen. Wie viel Mühe hatte er eg fi) im 5. 1548
Eoften laffen, um die Anerfennung der Niederlande als ei:
nes Meichgkreifes zu bewerfftelligen. Aber die Bedingung
die er dabei gemacht, die Exemtion von den Neichsgerich-
ten, bob jeßt den Nutzen auf, welchen er ſich davon ver:
fprochen. Die Stände fagten Fein Wort über den burgun-
difchen Vertrag: fie ließen ihn unangefaftet ftehn; aber der
Defenfivverfaffung im Neiche, welche fie befchloffen, gaben
fie eine folche Entwickelung, daß fie auf erimirte Lande wie
jene nicht mehr bezogen werden Eonnte. Es war dabei nicht
einmal Vorbedacht, Fein übler Wille: es entfprang ganz aus
der Natur der Dinge.
Auch in einer andern großen Neichsangelegenbeit, der
Sache des Kammergerichts, mußte man nad) allem was
vorgegangen und den in Paſſau gefaßten Befchlüffen, von
den Anordnungen des Kaifers zurücktreten.
An dem Vertrag zu Paffau war nach manchem Hin
und Herhandeln zulett Förderung bei dem Neichstage ver:
heißen, daß die Verwandten der augsburgifchen Confeffion
von dem Kammergericht nicht mehr außgefchloffen würden.
Der Zweideutigkeit diefes Ausdrucks fuchten fich jetzt
einige geiftliche Mitglieder des Churfürftencollegiums zu be
dienen, um ihren Nath zu begründen, daß man alles beim
Alten laffen möge: denn nicht zu eigentlicher Befchlußnahme,
nur zur Förderung fenen fie verpflichtet.
350 Zehntes Buch. Fünftes Capitel.
Nun leuchtet aber ein, daß unbefchränfte Iheilnahme
am höchſten Gericht eins der größten Intereſſen der Prote—
ftanfen ausmachte: fie würden fonft in allen ihren Angele-
genheiten der Einmwirfung einer feindfeligen Meinung aus:
geſetzt geweſen ſeyn; unaufhörlich hatten fie darum gefämpft,
und wenn e8 irgend eine Sache gab, worin fie nicht nach—
geben Fonnten, fo war e8 diefe.
Bald Ienfte auch der Eanzler von Mainz ein, indem er
bemerkte, daß in dem Artikel des Vertrags von einer För—
derung mit Erfolg die Nede fen, eine folche aber nicht ſtatt
finden Eönne, wenn man nicht felbft einwillige.
Es bedurfte nichts weiter, um allem Widerfpruch ein
Ende zu machen. Man nahm jest an, daß die Sache durd)
den Paſſauer Vertrag bereits entfchieden fey,! und hatte
nichts weiter zu thun als einige Artikel der Kammergerichts:
ordnung darnach abzuändern. j
Man fette feft, daß Kammerrichter, Beifiger und andre
Gerichtsperfonen fo gut dem augsburgifchen Bekenntniß wie '
der alten Religion anhängig feyn, — daß fie nicht, wie auch
hier vorgefchlagen ward, auf die geiftlichen Nechte, fondern
auf gemeine des Reichs Nechte und den jet beiilligten
Sriedftand in der Neligion, fo wie auch, was auf VBorfchlag
von Mainz hinzugefügt ward, auf Handhabung des Land-
friedens verpflichtet werden, daß fie endlich den Eid zu Goft
und dem heiligen Evangelium leiſten follten.
1. Schreiben vom Aten Mai. Die Kammergerihtsordnung wird
verlefen. Bei dem 31: „haben es entlichen dahin bracht, das die Geiſt—
lihen zu feßen gewilligt die prefentacion zu befcheen durch beide res
ligion, und das vermuge des paffauwifchen vertrages die augsb. Cons
feffionsverwandten nicht follten davon ausgefchloffen werden.‘
j
Berathungen über das Kammergericht. 381
Eben dieß war die Summe deffen, was die Proteftan-
ten von jeher gefordert, und was ihnen nothwendig war.
Auch der Fürftenrath nahm e8 an.‘
Noch Ein Gedanke Fam vor, der jedoch Fein vorzuge-
weiſe profeftantifches, fondern ein allgemeines reichgfürftliches
Intereſſe hatte: Die Achtserflärungen zu befchränfen, mit de
nen früher das Gericht, fpäter auch der Kaifer ziemlich ge
waltfam vorgefchritten waren. Was die Achten des Ge
richt8 gegen Fürften anbelangt, fo bielt das churfürftliche
Collegium fir gut, daß jedes Urtheil diefer Art erft einem
aus Abgeordneten des Kaifers, des Königs, der Ehurfürften
und deputirten Fürften beftehenden Ausſchuß vorgelegt wer-
den folle, der dann entweder auf eine Vergleichung hinarbei-
ten oder die Execution des Sprucheg vorbereiten würde. Aber
mit Necht ward hiegegen eingewandt, daß man damit einen
unftatthaften Unterſchied zwiſchen Fürften und andern Stän—
den mache; wie der König fagfe, daß man die fürderlichen
Wege die bisher zur Beftrafung des Übels vorgenommen
worden, eher verhindern werde. Die Churfürften Eonnten da:
mie nicht durchdringen, und ließen ihren Antrag fallen. ?
1. Bei Harpprecht VI, nr. 141 findet fih der Schriftmechfel
in ziemlicher WVollftändigfeit. Diele von den zur Sprache gebrach-
ten Puneten find jedoch unerledigt geblieben, bis zum weftphälifchen
Srieden hin.
2. Gonft blieben die churfürftlichen Bedenfen über Landfrieden
und Gericht faft unverändert. Die fächfifchen Gef. 10 Aug.: „Haben
die Tage nach einander ganz fehr im landfrieden gearbeit und bleibt
in Summa in unferm Nath bei dem vorigen Churfürftenbedenfen —
gleichergeftalt wird e3 auch mit dem Cammergericht zugehen.” Am
25 Aug. ward das neue Fürften Gutachten über beide Wuncte refe-
rirt und fand ſich bis auf wenige Puncte dem hurfürftlichen gleich
mäßig. 30 Auguſt: „Stehen in Summa die Dinge darauf, daf die
382 Zehntes Buch. Fünftes Capitel.
Daß die Acht, die man mit Mühe der Eaiferlichen Ge-
walt zu Gunften des Gerichtes abgerungen, nun auch noch
einer Vorberathung der Fürften unterworfen werden follte,
war gleichfam zu viel, und hätte dag Mecht in eine Sache
der Convenienz verwandelt. Schon genug daß dag Gericht
iiberhaupt ein fländifches war, und dieß durch paritätifche
Einrichtung nun erft recht vollftändig wurde. Die alten, zwei
Menfchenalter früher feftgefetten Normen gehörten dazu, um
die neuen Einrichtungen und. den gleichen Antheil der Evan:
gelifchen möglich zu machen, woran nicht hätte gedacht wer-
den Fönnen, wenn das Gericht noch wie einft an den Hof
gebannt geweſen mwäre.
Damit fich aber nicht wiederholen möchte was früher
öfter gefchehen, daß das Kammergericht ſich um die durch-
gegangenen DVeränderungen, wenn fie nur dem Neichsab-
fchied einverleibt waren, wenig gekümmert hatte, ward der,
Beſchluß gefaßt, daß die Ordnung mit den Veränderungen
neu gedruckt werden, als eine neue Ordnung gelten, die Bei-
ſitzer ſie beſchwören follten.
Dergeftalt vereinigte man ſich über die weltlichen An-
gelegenheiten, wie man fich, Einen Punct ausgenommen, über
die geiftlichen vereinigt hatte. Die eine Seite ergänzte gleich-
fam die andre. Beide zufammen bildeten ein neues Sta—
dium in der Entwickelung des Neiches.
im Fürftenrath die Ordnung des Churfürftenraths nicht mebr fech—
ten, vergleihen fih auch durchaus in Substancia mit unferm Be—
denfen außerhalb fünf Punct in der Handhabung und Einem Punct
in der Kammergerichtsordnung. Aber in dem fünften im Landfrie-
den ift nichts fonderlich prejudicial: — — im Kammergericht iſt der
Punet der Acht ſtreitig.“
— er
Ze, We
———
Defhlußgnahme. 383
! Indeſſen: wir wiſſen, noch war man damit nicht zu
vollem Befchluß gelangt: an dem Einen Streitpunct Fonnte
noch alles fecheitern. !
Beichlußnahme.
Schon an und für fich Fonnte Ferdinand mit feinen
Freunden nicht geneigt feyn fo große Zugeftändniffe zu ma:
chen wie man ihm anmuthete. Einen ganz andern Gang
der Dinge hatte er erwartet. Er beklagt, daß er zu dem
was er wünſche fchwerlich noch gelangen werde, und dage—
gen zugeben ſolle was ihm widerwärtig ſey.“ Da er mit
dem erneuerten Antrag, auf Koften des Neiches eine Kriegs:
macht unter Herzog Heinrich ins Feld zu ftellen, nicht durch-
drang, fo faßte er den Gedanken, und zwar mit Beiftimmung
feines Bruders, der zwar nicht mehr eingreifen wollte aber
noch zu Nathe gezogen ward, den Neichstag auf Fünftiges
Frühjahr zu prorogiren, und brachte e8 förmlich in Vorfchlag.
Die Bevollmächtigten fragten bei ihren Fürften darüber an,
allein die meiften, vor allen aber die proteftantifchen, er
klärten fich mit Entfchiedenheit dagegen. Sie fürchteten die
Unterhandlungen die in diefem Augenblick mit Frankreich und
1. Die fähhfifchen Gefandten bemerfen 29 Juni, daß „ehr (der
Neligionsfriede) vielen fauer eingeht, und wenig Luft und guten wil—
lens dazu haben. 8 Suli: Kram: „ich befinde unfers widertheilg
gemüther jeßo viehl verpitterter gegen ung denn jehmals vor der Zeit:
was nun ferner folgen wil gibt die Zeit.”
2. Schreiben Ferdinandg am 20ſten Aug. Et a la verité je
me trouve empesch@ de resoudre ce que je devrai faire pour ce
que je erains que ne pourray obtenir ce a quoy je pretends et
d’austre couste pour etre les conditions qu'ils demandent bien
grielves et mal honnestes.
384 Zehntes Buch. Fuͤnftes Lapitel.
den Osmanen gepflogen wurden: fie meinten wohl, e8 könne
noch einmal etwas Ähnliches gefchehen wie im Jahr 1545,
und die Kriegsgewalt des Kaifers, von den übrigen Fein-
den frei, fich gegen fie ftürgen. Dem König mochten einige
feiner geiftlichen Freunde beipflichten, allein fie wagten fich
aus Nückficht auf die übrigen nicht zu Außern; ! die allge
meine Stimme war dagegen: und er mußte fich entichließen,
mit feiner Nefolution hervorzutreten.
Am 30ften YAuguft 1555 gab er fie, aber fie lautete
nicht fehr tröſtlich. Er weigerte fic) die vornehmfte Beſtim—
mung anzunehmen, daß der Friede dauern folle, die Verglei-
hung möge nun erfolgen oder nicht; außerdem aber trat
er in Beziehung auf die Ausſchließung der Proteftanten von
den Stiftern dem Gutachten der geiftlichen Fürften bei und
vertheidigte e8 mit neuen Argumenten.
Es muß wohl dahin geftellt bleiben, ob er die erfte
Weigerung ernftlich meinte: Das Zugeftändniß das in je
ner Sormel lag, war ſchon in Paffau gemacht und damals
von ihm felbft nicht vertworfen worden; es war jeßt bereits
angenommen, und die Grundbedingung aller andern Zeft-
fegungen. Er konnte nicht erwarten mit feinem Widerfpruch
durchzudringen. Am bten September erklärte er in der Ihat
den Proteftanten in einer mündlichen Conferenz, daß er von
feinem Widerfpruch ablaffen und den unbedingten Frieden in
der Formel wie fie ihn vorgefchlagen, annehmen wolle. Da-
gegen aber forderte er fie auf, ihm in dem andern Punck,
1. Ferdinand à l’empereur 27 Aoüt. Encores que les estats
catholiques a ma persuasion y voulsissent prester l’oreille j’en-
tends qu'ils n’oseront le faire par respect aux autres protestants.
ee u nme
Schlußberathungen über den geiftl. Vorbehalt. 385
dem geiftlichen Vorbehalt, beizuftimmen. Er bat fie, fich auch
von ihrer Seite etwas gefallen zu laffen, fo wie er manchen
fauren Biffen verfchlucken müſſen; aber er erklärte auch auf
das Beſtimmteſte, daß er davon nicht weichen könne: fein
Anfehen bei auswärtigen Fürften, fein Gewiſſen gebiefe es
ihm: wolle man die Beftimmung nicht förmlich annehmen,
fo möge man ihm wenigftens zulaffen fie aus Eöniglicher
Machtvollfommenheit augzufprechen, wolle man auch das
nicht, nun wohl, — er habe bei feiner Ehre gefchtworen da:
von nicht abzulaffen — fo möge lieber alles Andre ebenfalls
rücfgängig twerden. !
Ein Moment voll Entfcheidung wie für diefe Berathung
fo für die gefammte Zufunft des Neiches.
Der König war dadurch ftarf, daß er die Geiftlichen
faft alle auf feiner Seite hatte. Die proteftantifchen Näthe
aus beiden Collegien hielten für rathſam, fich über die dem
König zu gebende Antwort in diefem außerordentlichen Falle
zuerſt unter einander zu berathen.
Und da drangen nun Viele auch ferner auf die Verwer—
fung des geiftlichen Vorbehalts, von dem in dem Paffauer
Vertrag Feine Erwähnung gefchehen und der dadurch ftill-
ſchweigend fchon aufgegeben ſey; daß die Feftfegung dem Kö—
nig anheimgeftelle werde, Andere in der Sache nichts, da man
1. Schreiben der ſaͤchſiſchen Gefandten vom 9ten September.
(Sm Anhang.)
2. Man hat fpäter gefagt, daß der Vorbehalt wohl zu ver:
meiden gewefen wäre; auch mögen einzelne, 3. B. Würzburg, geneigt
gewefen feyn. Sonſt aber berichten die fächfifchen Gefandten das
Gegentheil: 30 Aug: „haben abermal aus vilen votis fo vil verftan-
den, das unfere geiftlichen nunmehr davon nicht zu bringen, fondern
in diefen Dingen gang auf der Königl. Mt Seite ſtehen.“
Ranke D. Geſch. V. 4 25
386 Zehntes Bud. Fünftes Capitel.
fie ja doch bewilligen müſſe; eine folche Beſchränkung des
Bekenntniffes dürfe man fich nicht gefallen laffen.
Andere jedoch erwiederten, dieſe ſey vielleicht fo groß
nicht, wie fie fcheine. Der Übertritt ganzer Capitel werde
in der vorgefchlagenen Formel nicht verboten; auch werde den
Capiteln nicht aufgelegt, Sondern nur zugelaffen, Bifchöfe, die
der Eonfeffion beigetreten, durch Andere, Altgläubige zu er-
feen. Trotz der Befchränfung die in dem Vorbehalt liege,
fen der Friede vortheilhafter als jemals ein andrer, und man
werde ihn nicht ausfchlagen Dürfen.
Diefer Meinung war vornehmlich Churfürft Auguft von
Sachfen. Auf die Anfrage feiner Näthe bemerkte er zwar alle
die Nrachtheile die aus einer Satzung wie die vorgefchlagene
entfpringen müßten: aber er verwarf fie nicht entfchieden, be:
fonders wenn in dem Abfchied angegeben werde, daß die Stände
fich nicht dazu vereinigt, und unter der Vorausfegung, daß
man ihm eine Gegenforderung bemillige, die er jet erft zur
Sprache brachte. Im vielen bifchöflichen Gebieten waren
nemlich Städte und Adel großentheils ewangelifch; wenn man
fie nicht in Schuß nahm, fo ftand zu befürchten, daß Die
geiftlichen Fürften einmal Gewalt gegen fie brauchen möch-
ten. ! Churfürſt Auguſt forderte, daß fie durch einen befon-
dern Artikel im Frieden die Verficherung empfangen follten,
bei ihrer Neligion bleiben zu können.
Nach einigem Bedenken traten die übrigen evangelifchen
Stände diefem Vorfchlage bei. Brandenburg erflärte, es
1. „mit vorwendung, das & nicht Neichsitete, darauf diefer
Friede allein gienge, und dag wir den bifchofen Fein maß zu geben.”
Schreiben des Churf. Auguft an den Rath o. D., vor dem der Näthe
vom 25 Gept.
Schlußberathbungen über den geiftl. Vorbehalt. 387
halte fich in Dingen diefer Art gern an Sachfen, dag die
vornehmften Theologen auf feinen Univerfitäten habe, von
denen auch diefe Sache berathichlagt worden fey.
Allein um fo heftiger erhob fich der Miderfpruch der
Geiftlichen. Sie beftanden darauf, daß jede Obrigkeit das
Necht habe, über die Neligion in ihrem Lande zu verfügen.
Sey den Eonfeffioniften bisher Duldung von ihnen gewährt
worden, fo ſey dag durch ihren freien Willen gefchehen; viel:
leicht daß es ihnen gefalle, ein ander Mal ihre alte Befug-
niß zu erfrifchen und in Übung zu bringen.
Forderung und Miderrede veranlaßten eine allgemeine
Aufregung. König Ferdinand fagte, er habe fchon geglaubt
im Hafen zu feyn, da fteige ihm plößlich noch die neue Un:
wetter mit einem Ungeſtüm auf, der alles zerrütten Eönne.
So viel erkannte er bei einer nochmaligen Konferenz
mit den Proteftanten, daß diefe in den Vorbehalt auch auf
die bedingte Weife, wie e8 gefchehen follte, nicht willigen
würden, wenn man ihnen nicht dagegen auch ihr Verlangen
erfülle; da die bifchöfliche Würde nun einmal der alten Ne
ligion vorbehalten wurde, fo hielten fie e8 für eine Gewiſ—
jenspflicht, ihre Glaubensgenoffen vor möglichen Gewaltfam-
feiten zu fchügen. Wollte Ferdinand den Frieden noch zu
Stande bringen, fo mußte er nicht allein ſelbſt ihnen beitre—
ten, fondern auch alle feinen Einfluß dazu anwenden, die
Gegenpartei herbeisubringen. Er ftellte feinen geiftlichen
Freunden vor, daß ohne jenes Zugeſtändniß der Friede nur
ein halber Friede ſey und dem Bedürfniß nicht genüge. Da
ſie doch noch Schwierigkeiten machten, eröffnete er ihnen,
er werde ſie nicht von dannen gehn laſſen, bis ſie ſich mit
23”
388 Zehntes Bud. Fünftes Capitel.
ihm verglichen hätten. : Sein fefter Wille bemwirfte zulett,
daß fie fich fügten. Sie machten nur die Bedingung, daß
Diefer Befchluß nur als eine Declaration und zwar nicht in
offenem Abſchied erfcheine.
Auch nachdem man fo weit gekommen, fand fich noch
eine Schtwierigfeit in der Form. In dem Abfchied ward
jede einen Artikel deffelben verändernde Erläuterung für un:
ftatthaft erklärt. Es mußte erft eine Derogation diefer Be
fiimmung aufgelegt und son den Geiftlichen bewilligt wer:
den, und zwar mit einer Claufel, auf welche befonders Die
Proteftanten drangen, daß eine weitere Erläuterung nicht mehr
zugelaffen werden Fönne. !
Und nun wäre nur noch übrig geweſen, auch über die
in Paſſau gegen die Neichsverwaltung in Anregung gebrad)-
ten Beſchwerden zu Nathe zu gehn.
Man ließ die Sache in Augsburg nicht aus der Acht.
Die Entfremdung des Neichgfiegels, die hohen Taren der
Faiferlichen Ganzlei und andre Dinge Famen im Churfürften-
rath zur Sprache. Man fehlug wohl vor, daß jeder Stand
feine befondern Befchwerden auffegen, und die Verſamm—
lung alsdann ein Verzeichniß aller dem König überreichen
möge. Sollte man aber nach einem fo großen Umſchwung
der Dinge nochmals die alten Gehäffigfeiten hervorſuchen?
Sachfen urtheilte, es ſey jeßt nicht mehr fchicflich, nachdem
1. Saͤchſiſche Gefandte 25 Sept. „Und iit bin und wieder
bedacht, von einer Claufeln derogatoria derogatoriae; wir haben ge
fagt es muft ir (der Geiftlihen) consensus auch dobei feyn — ba:
ben es endlichen Gottlob dahin bracht, das Jonas ein Claufel ges
ftalt, das die Geiftlihen bewilligt, die Derogation im Religionsfrie—
den folle diefer Erflerung und Entfchaid nicht abbruͤchlich ſeyn.“
4
J
Religionsfriede. 389
dag vortreffliche Werk des unbedingten Friedens zu Stande
gekommen. Don allen Erinnerungen ward nur die Eine
beliebt, daß nach der Zufage des Kaiferg ein mit Deut
fchen befegter Hofrath mit einem deutfchen Präfidenten er
richtet werden möge.
So kam e8 am 2õſten September 1555 zum Neiche:
abfchied von Augsburg.
Man wird eingeftehn müffen, daß die Beftimmungen
über den geiftlichen Vorbehalt und die religiöfe Autonomie
bifchöflicher Unterthanen Fünftige Zwiftigfeiten wohl befürch-
ten ließen; indeß man konnte nun einmal nicht weiter Fom-
men. Diefe Beftimmungen drückten ungefähr dag Verhält:
niß der Macht aus, welches fich damals in den beiden Par:
teien entwickelt hatte: fie waren mehr eine Auskunft für den
Augenblick als ein Gefeß für alle Folgezeit.
Dagegen enthielt der Friede übrigens abfchließende Feft-
feßungen von höchftem Werthe.
Wie mir öfter bemerkt, der Proteftantismug ift nicht
befehrender Natur. Er wird fich jedes Beitritts, der aus
Überzeugung entfpringt, als eines Fortganges feiner guten
Sache freuen: fonft aber fchon zufrieden feyn, wenn ihm
1. Man darf alfo mit nichten fchliegen, wie Bucholg VII, 218,
daß die Öravamina etwa ein bloßer Vorwand gewefen feyen. „Pa:
ben bedacht,“ fagen die fächftfehen Gefandten, „das die Gravamına
eines theils alfo geſchaffen das fie zu erledigen zugefagt, etzliche durch
diefen Neichsabfchied, wan er erfolgt, erledigt werden, die übrigen ge:
heffig, und ſich ißiger zeit zu erhaltung gelimpfs in einem folchen für:
fiehenden fürtrefflichen werf des unbedingten Friedens ein Ding alfo
wie zu Paſſau zu fuchen, fich vielleicht nicht fchicfen mocht — —
Aus dem Berichte der brandenburgifchen Gefandten ergiebt ſich aber
daß diefe damit ſchlecht zufrieden waren.
390 Zehntes Buch. Fünftes Capitel.
nur felber verſtattet iſt, fich ungeirrt von fremder Einwir-
fung zu entwickeln. Dieß war es wonac) die evangelifchen
Fürften vom erfien Augenblick an ftrebten. Unaufhörlich aber
hatte man e8 ihnen fireitig gemacht, und die gefährlichften,
allen Beſitz ummälzenden Kriege hatten fie darüber beftan:
den. Jetzt endlich gelangten fie zum Ziel: es ward ihnen
ein unbedingter Friede gewährt. !
Es mag nur wie eim leichtes Wort erfcheinen, wenn
es heißt: der Friede folle beftehn, möge die Vergleichung er
folgen oder nicht; aber darin liege die Summe der Dinge,
die große Anderung der Verfaſſung.
Fortan war nicht mehr fo viel daran gelegen, ob ein
päpftliches Concilium die Proteftanten verdammte oder nicht:
Fein Kaifer, Feine Partei in den Reichsſtänden Eonnte ferner
daran denfen, die conciliaren Decrete mit Gewalt gegen fie
auszuführen und Grund davon hernehmen fie zu erdrücken.
Auch waren e8 nicht einzelne Meinungen die man dul-
dete, wozu Carl V fich wohl entichloffen hätte, e8 war ein
ganzes Syſtem der Lehre und des Lebens, dag su eigener
felbftändiger Entwickelung gedieh.
Was Luther in dem erfien Moment feines Abfalls, bei
dem Colloquium von Leipzig in Anfpruch genommen, Unab-
hängigfeit von den Glaubensentfcheidungen wie des Papſtes
fo auch der Concilien, dag war nunmehr durchgefeßt.
Die Vergleichung in der Neligion, die man noch in
Aussicht fiellte, und wohl auch verfuchte, hatte zwar noch im:
1. Unter andern legte König Ferdinand bei feinen andern Ver—
weigerungen darauf den größten Werth: „fo theten auch die vorigen
Abſchied nichts, denn fie weren temporal, diefer aber ewig.” (9 Spt.)
Neligionsfriede. 391
mer ein großes deutfches ntereffe, minder ein allgemeines:
man möchte fagen: für die Melt war es wichtiger, daß
fich die gefeßliche Trennung erhielt, die allein eine freie Be—
wegung nach dem nun einmal feftgeftellten Prinzip mög:
lich machte.
Und dabei haften fich die Neichgordnungen nach der
im Löten Jahrhundert angebahnten Tendenz erſt eigentlich
feftgefett.
Die Feindfeligkeiten des Kammergerichts waren nicht
allein befeitige, fondern dieſer Gerichtshof hatte durch den
Antheil der den Proteftanten daran zu nehmen geftaftet ward,
nunmehr erft die fländifche Verfaſſung wahrhaft erlangt,
welche urfprünglich beabfichtigt worden. Daß aud) die re
ligiöfe Abweichung Niemand davon ausſchließen follte, darin
lag die volle Durchführung des urfprünglichen auf gleichen
Antheil Aller zielenden Gedanfens. Die Kammergerichts:
ordnung von 1555 ift immer als ein Neichsgrundgefeß be:
trachtet worden; im weftphälifchen Frieden hat man fich dar-
auf bezogen: fpäter ift nur der Entwurf einer Veränderung
su Stande gekommen.
Zugleich) hatte man doc, eine gewiſſe Einheit erreicht,
eine Verfaſſung zum Widerftand gegen innere und äußere
Feinde gegründet, die wenigftens alle Diejenigen wirklich ge:
fichert hat, die fich ihr angefchloffen. Daß auch diefe Ein:
richtung großentheils ftändifcher Natur war, gehörte zu dem
Ganzen der neuen Ordnung der Dinge.
Wie ganz anders nunmehr, als zu jenen Zeiten mo
die Neichstage ſich unter dem Vorſitz päpftlicher Legaten
verfammelten, und die einfeitigen Berechtigungen des geift-
392 Zehntes Bud. Fuͤnftes Eapitel.
lichen und des weltlichen Oberherrn nichts als Verwirrung
veranlaßten.
Noch beftanden aber die beiden Gemwalten, von welchen
man fic) losriß. Noch lebte der Kaifer, und war in der
Nähe, der den Einrichtungen einen ganz andern, dymafti-
fchen und religiöfen Character zu geben gefucht hatte. Noch
hielt dag Papſtthum alle feine Ansprüche feft, und war mäch:
fig genug um fie nicht in DVergeffenheit gerathen zu laffen.
Wir haben zu betrachten welches Verhältniß fich in diefem
Augenblicke zu beiden bildete.
Sechstes Capitel.
Abdankung Carls V.
Die Aufmerkſamkeit des Kaiſers war in den letzten Jah—
ren zwar von Deutſchland nicht abgewendet, aber doch bei
weitem mehr auf England gerichtet, wo ein Ereigniß eintrat,
das alle alte Tendenzen feiner PolitiE nach diefer Seite hin
noch einmal belebte.
Eduard VI, unter dem die weltlichen und geiftlichen
Angelegenheiten von England einen ihm fo twiderwärtigen
Gang genommen, ftarb im Juli 1553; nach Furzem Wider:
fireben einer von der Bevölkerung, namentlich auch der pro-
teftantifchen, nicht unterftügten Partei beftieg die Tochter Hein:
richs VIII von feiner Fatholifchen Gemahlin, Maria, Ge:
fchwifterfind mit dem Kaifer, den englifchen Thron.
Das gute Verhältniß das fich hierauf fogleich bildete,
genügte jedoch dem Kaifer noch nicht; er wollte es ‚nicht
dabei laffen, daß England in dem Kriege zwiſchen ihm und
dem König von Frankreich nur neutral ſeyn follte: die Zeit
fchien ihm gekommen, wo der Gedanke Ferdinand des Ku
tholifchen, eine immerwährende Verbindung zwifchen Spa;
nien, England und den Niederlanden zu Stande zu bringen,
394 Zehntes Bud. Sechstes Capitel.
noch beffer ausgeführt werden könne als diefer es vermocht:
er bot der neuen Königin, mit der er einft felbft verlobt ge-
wefen, die Hand feines Sohnes an, des Prinzen Philipp
von Spanien, deffen erfte Gemahlin vor ein paar Jahren
gefiorben war. Der römische König brachte einen feiner
Söhne in Vorſchlag; man wird fich aber nicht wundern,
daß der Kaifer darauf nicht eingieng. Kam es darauf an,
die antifranzöfifche und zugleich Fatholifche Politif des weſt—
lichen Europa zu confolidiren, fo war hiezu der Finftige Be
herrfcher Spaniens und der Niederlande bei weitem geeig-
neter als ein machtlofer Erzherzog. Es war Die Zeit, in
welcher Churfürft Morig in der Schlacht blieb und die fran-
söfifchen Angriffe Widerftand zu finden anfiengen. Carl V
glaubte den Glückgftern noch einmal aufgehn zu fehen, um:
ter welchem feine früheren Unternehmungen gelungen waren;
noch einmal ftiegen feine weltumfaffenden dynaftifchen Ge:
danfen ihm auf.
Es ift bemerfenswerth, daß die eifrigften Geiftlichen der
alten Kirche, fo gut Fatholifch Vhilipp II auch war, diefe Ver:
mählung nicht unbedingt guthießen. Ihrem Enthufiasmus
hätte es beffer entfprochen, wenn eine jungfräuliche Köni—
gin ihre Sache ergriffen, das Schisma abgefchafft, die alten
Gebräuche und Lehren twiederhergeftelle hätte. Sie fagten
ihr wohl felbft, die Sorge für die Succeffion an der Krone
möge fie Gott überlaffen, der fie fo wunderbar erhoben. Der
römische Hof aber billigte die Verbindung. Papſt Julius
erklärte, einen Gemahl müffe die Königin haben, der ihr Die
vielen Feindfeligkeiten, von denen fie bedroht werde, beftehn
helfe; mit einem Eingebornen dürfe fie fich jedoch nicht ver:
D
En I
Verbindung des Kaifers mit England. 395
mäbhlen, denn ein folcher würde, um fich zu halten, den an:
dern Großen zu viel Zugeftändniffe machen müſſen; nur ein
Prinz von fo großer und fo naher eigener Macht, wie Kö—
nig Philipp, werde fie gegen äußere und innere Feinde ver
theidigen Eönnen und durch fein Anfehen die Wiedervereint-
gung des Neiches mit der Kirche befördern. ! Und die Haupt:
fache: Maria felbft, obgleich um vieles älter, gab einen ganz
unmiderftehlichen Drang Fund, fi mit Philipp zu vermäh-
len. Sie hörte fo viel von ihm, daß fie ihn liebte, ehe fie
ihn geſehen hatte. Auch fehien e8 ihr ehrenvoll, daß fich
eben der reichfte und mächtigfte Prinz, den es in der damali:
gen Welt gab, um ihre Hand bemühte: dag religiöfe Mo: |
tiv rechtferfigte die übrigen, genug: fie willigte ein.
Im März 1554 Fam der Ehetractat zu Stande, durch
welchen eine ganz neue Ausficht für die Zukunft eröffnet
ward. Der ältefte Sohn aus diefer Ehe follte dermaleinft
England und die ſämmtlichen burgumdifchen Erblande ver:
einigen. Neben der fpanifchen und der deutfchen wäre noch
eine dritte, eine englifche Linie des Hauſes Oftreich entftanden.
Aber auch für die nächfte Zeit hatte der Tractat viele
Bedeutung. Philipp erhielt den Titel eines Königs von Eng:
land, und die Befugniß an der Verwaltung des Landes Theil
su nehmen.
Und das muß man zugeftiehn, daß Philipp, der nun
nach England Fam, — am Tage de heiligen Jacob, des
1. Morone al Card! Polo 21 Dec. 1551. S. Stà per lo con-
trario confida in dio che il prineipe di Spagna, essendo catolico
nalo e nutrito et avendo la potenza sua vieina di Spagna e di
Fiandra, possa con maggior autoritä introdurre l!umore alla chiesa
e difendere la regina dalli nemiei interni et esterni. (MS Corsin.)
396 Zehntes Buch. Sechstes Kapitel.
Apoftel8 von Spanien, am 25ſten Zuli, ward die Vermäh—
lung vollgogen, — ſich in feinem neuen Verhältniß mit vie
ler Klugheit betragen hat. Keinen Eingriff, noch viel we:
niger irgend eine Gewaltſamkeit, wie allgemein gefürchtet
ward, ließ er fich zu Schulden Fommen. Vielmehr machte
er wohl manche Rechte die ihm suftanden, befonders in De:
zug auf fein Einfommen, nicht geltend. Es war für ihn eine
Ehrenfache, nichts von England zu brauchen, eher etwas zu
geben als zu nehmen. Seine ganze Hofhaltung beftritt er
mit fpanifchem und niederländifchem Geld: ! in langer Reihe
fah man Wagen und Saumroffe mit feinen Schätzen bela
den durch die Straßen der Hauptfiadt nach dem Tomer zie—
hen. Er nahm Engländer in feinen Dienft, belohnte Die
jenigen welche der Königin befondere Treue bewieſen, fagte
Penfionen zu und ließ fie richtig auszahlen. Da die Königin
fehr bald in allem Ernfte glaubte, guter Hofnung zu feyn,
fo gewann Philipp, dem in den Ehepacten für den Fall
des Ablebens feiner Gemahlin die Bormundfchaft über den
Thronerben verfichert worden, von Tag zu Tag einen grö-
Bern Einfluß.
E8 leidet Feinen Zweifel, daß feine Anmefenheit zur
Herftellung des Katholicismus in England mächtig beige:
fragen hat.
1. Micheli Relae d’Inghilterra 1556. Troppo ben conoscendo
il stato e l’impotenza della regina si & sempre falto le spese e
nelle cose minime a lui e tutti li suoi con quello che di Spagna
e di Fiandra li era provisto, havendo per questa via dato un
tant utile al regno che giä molti anni non ha ricevuto, facendo
conto per quello pud havere speso lui e li suoi insieme con gli
altri forastieri rieapitati per rispetto suo in poco piu d’un anno
habbia importato meglio d’un milion d’oro tutto rimaso nell’isola.
Verbindung des Kaifers mit England. 397
Schon war eine ftarfe Nichtung dahin vorhanden, Die
wohl auch daher rührte, daß die fo eifrig proteftantifc) ge
finnten Häupter der vorigen Negierung nach dem Ableben
Eduards zu weit gegriffen, das Prinzip der einmal feltge-
ftellten Thronfolge verkegt, und einen Weg eingefchlagen hat:
ten, der wirklich zur Erneuerung der Bürgerfriege hätte füh-
ren Fünnen. Unmittelbar nach der Krönung der Königin ver
fammelte fich ein Parlament, das fat wie jene welche wäh:
rend der Bürgerfriege von den jedesmaligen Siegern ver-
ſammelt worden, zu Befchlüffen schritt die den frühen ge:
radezu entgegengefeßt waren. Zunächft hielt man noch an
der von Heinrich VIII gegründeten Vereinigung geiftlicher
und weltlicher Macht feft, Fehrte aber zu der von dieſem
König eingeführten Religionsform zurück und widerrief die
unter Eduard VI angenommenen Statuten Natürlich ge
fchah das nicht ohne großen Widerfpruch, wie die Königin
felbft ſagt, „nicht ohne heftige Disputation und eifrige Ar
beit der Getreuen!;! aber es gefchah. Nach einiger Zeit
Fonnte man den Gedanken fallen, zu einer noch größern Un-
ternehmung zu fehreiten. Sm November des jahres 1554
follte auch die Neligionsform Heinrichs VIII aufgehoben
und der Gehorfam gegen die römifche Kirche überhaupt her:
geftelle werden. Sch finde, daß der Kaifer über die Art
und Weife dieß zu bewirken zu Nathe gezogen ward. Auf
1. Non sine contentione, disputatione aeri et summo labore
fidelium. Schreiben an Poole 15 Nov. 1553. (MS Corsin.)
2. Am Aten November fchreibt der florentinifhe Gefandte: Il
luogotenente d’Amone se ne tornd gia cinque giorni sono in In-
shilterra con la mente di Cesare eirca quello che S. Mä desi-
dera che si tratti nel futuro parlamento. — Per li ravvisi della re-
398 Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
feine Erinnerung trug man Sorge, den hohen Adel über
die Deforgniß zu beruhigen, daß die von ihm in Befiß ge
nommenen geiftlichen Güter zurickgefordert werden Fönnten.
Und fo ſtark wuchs nun die Fatholifche Meinung unter dem
Einfluß des Hofes und der vorwaltenden Stimmung des
Augenblifs an, daß fich das Parlament wirklich entfchloß,
und zwar beinahe einmüthig, die Begründung einer engli-
fchen Kirche, auch fo weit fie unter Heinreich VIII gedie—
hen, aufzugeben und unter den Gehorfam des Papftes zu:
rückzufehren.
Auf den Kaifer machte e8 einen großen Eindruck, daß
diefe Rückkehr eines Königreichs in den Schooß der alten
Kirche mit der Ausſicht zufammentraf, ein Gefchlecht katho—
lifcher Könige, fein eignes Gefchlecht, in demfelben fortge-
pflanzt zu fehen. Er fagte wohl, wenn er fchon halb todt
fey, würden ihn Nachrichten diefer Art wieder ing Leben zu:
rückrufen. Er fah darin eine unmittelbare Fügung des Him-
mels, und gab zu vernehmen, fein Sohn fey noch zu großen
Dingen beftimmt, für England und für die Chriftenheit. !
Wäre der Thronerbe geboren worden, den man in öf—
fentlichen Gebeten von Gott gleichfam forderte, mit beinahe
frevelhaft- ftürmifcher Überzeugtheit daß das Heil der Welt
‚darauf beruhe, und einer unglaublich fichern Erwartung, fo
ligione, facendo perd prima un deereto, che non si possa trattar
in modo aleuno di spogliar di beni ecclesiastiei quelli che al di
d’oggi ne son possessori, il numero de’quali interessati ascende
a piu di 40000 persone.
1. Schreiben Pagets vom 13 Nov., Mafons vom 25 Decem-
ber 1554. He trusted, God had ordained him (Philip) to done
some good to the whole estate of Christendom and to that realım.
Tytler II, 465.
Verbindung des Katfers mie England. 399
würde Philipp wirklich in England Fuß gefaßt, alle neuen
Einrichtungen würden Feftigkeit gewonnen haben.
Sp wunderbar ift in der Verfaffung der europätfchen
Staaten die Verflechtung des Perfönlichen und des Allge—
meinen, daß es wie eine Art von Weltbegebenheit erfchien,
als das nicht gefchah, fondern die Meinung der Königin über
ihren Zuftand fich endlich alg ein Serum auswies.
Man fühlte fogleich, daß fich dann die von ihr unter
nommene Herftelung nicht über ihren Tod hinaus erhalten
wide. Durch eine Kombination günftiger Umftände mar
fie zu Stande gebracht worden: mit denfelben mußte fie ver:
fchwinden. Zu tief war bereit die evangelifche Lehre in die
Gemüther gedrungen. Man fah e8 bei den blutigen Der:
folgungen welche Maria verhieng und mit denen fie ihren
Namen zum Abfchen der fpäteren Gefchlechter gemacht hat.
Sie brachte damit nur Märtyrer hervor, deren erhabene
Standhaftigkeit an die erfien Zeiten des Chriftenthums er:
innerte und auf die Maffe ftärker wirkte, als die Predigten
jemals hätten wirken Fönnen, die man damit abzuftellen ge
dachte. Auch waren die evangelischen Lehren ſchon viel zu
weit verbreitet: der venezianifche Gefandte will verfichern, daß
es unter den jüngern Männern, von weniger als 35 Jah—
‚ren, vielleicht nicht einen Einzigen von rein Eatholifcher Farbe
mehr gebe. Und wie hätte Philipp auch nur hoffen dürfen,
ſich alsdann perfönlich dort zu halten? Man hatte fich wohl
gehütet, ihm irgend ein von dem Leben feiner Gemahlin oder
dem Dafeyn eines Erben unabhängiges Necht zu gewäh—
ven, und war jeßt weit entfernt, ihm die Krönung, die er
wünſchte, zu bewilligen. Vielmehr gährte in der Tiefe der
400 Zehntes Buch. Schstes Lapitel.
ganze nationale Widertille, der feiner Ankunft vorausgegan—
gen," deſſen Ausbruch zu verhüten ſo viel Vorficht nöthig
geweſen; auch fein Name war durch die blutigen Erecutio-
nen. befleckt, als deren. Beförderer er galt. Und dazu Fam
daß die Staatsverwaltung, ‚die freilich ‚feit 20 Jahren haupt:
fächlich auf die geiftlichen Einkünfte angewieſen war, jetzt da
diefe mwegfielen, — tie denn die Königin ihr Gemiffen nur
durch Zurückgabe aller der Krone zugefallenen Kirchengüter
beruhigen zu Fönnen meinte, — aus dem regelmäßigen Gange
wich, drückende Maaßregeln ergriffen, Schulden gemacht, und
dann doch die nöthigften Zahlungen nicht geleifiet wurden.
Es trat ein Zuftand ein, wo man nur noch in der Voraus—
fegung gehorcht, die beftehende Negierung werde doch nicht
lange dauern: wozu hier die fchlechte Gefundheit Marias al-
len Anlaß gab. Aller Augen richteten fich bereitS auf die
nächfte Nachfolgerin, die Tochter Heinrichg von Anna Bo:
len, Mylady Eliſabeth. Welch ein Jubel empfieng fie, wenn
fie während der Verfolgungen, die auch fie ihres Theils er—
lebte, in den Straßen von London erfchien, noch in der
Blüthe der Jugend, aber angegriffen, bleich, geiftvoll und
ſtolz. Bald boten ihr die Mitglieder der vornehmften Häufer
wetteifernd ihre Dienfte an; fie Eonnte als die Königin der
Zukunft angefehen werden. ?
1. Micheli: Nell’ intrinseco gli animi sono piu che mai al-
terati, ma non ardiscono di mostrarsi, per la paura che hanno
della perdita della vita e delli beni.
2. Micheli: non & aleuno del regno, nè cavaliere ne signore,
che non abbia procurato e procuri tuttavia o entrare nel suo ser-
vitio o di metterle qualche suo figlivolo o fratello; tale & l’affet-
3 — ⸗
tion e lF'amore che gli vien portato. Aus den Depeſchen von Noail—
er
Verbindung des Katfers mie England. 401
Obwohl Maria noch ein paar Jahr lebte, fo mußte
doch die Abficht, in welcher der Kaifer fie mit feinem Sohne
vermählt, fchon im Sommer 1555 al8 gefcheitert betrachtet
werden. Man erzählt, er fey gewarnt gemwefen; ! aber diefe
religiös-dynaſtiſchen Combinationen waren ftärfer als feine
fonft in Berechnungen geübte Klugheit und Voraugficht: fie
riffen ihn mit fich fort.
Sehr begreiflich ift die Ungeduld, mit der er die Nach:
richt von der Niederfunft der Königin Maria erwartete: er
hat den englifchen Gefandten einft früh um fünf Uhr an fein
Bert Fommen laffen, um ihn wegen eines darliber verbrei-
teten Gerüchtes zu fragen; — nur ungern und langfam
überzeugte er fich von der Nichtigkeit ihres Vorgebens.
Hätten die Dinge in England fic) befeftigt, wäre dann,
worüber von London aus eifrig unterhandelt ward, ein Friede
mit Frankreich zu Stande gefommen, fo möchte der Kaifer
wohl auch auf der Prorogation des deutfchen Reichstags
beftanden und der Eonceffion des Neligiongfriedeng ernften
Widerfpruch entgegengefeßt haben.
Statt der Erftarfung des Prinzipes der alten Kirche
aber, die man erwartete, brach in der Mitte derfelben noch
einmal ein neuer Zwieſpalt aus.
Im Mai 1555 beftieg ein Mann den römifchen Stuhl,
den der Kaifer von jeher als feinen perfönlichen Feind be:
les (V.) ſieht man wie viel Mühe es im Unfang des Sahres 1556
den Sranzofen machte, die Anhänger der Elifabeth von einer gewalt:
famen Machination abzuhalten.
1. Gofelini 201: Gonzaga habe erinnert „dovere, a giudizin suo,
la corona di Spagna far poco fundamento dell’ Inghilterra pendente
dal debil filo di una donna non giovane non sana non fertile.“
Ranke D. Geſch. V. 26
402 Zehntes Bud. Sechstes Capitel.
trachten müſſen, Johann Peter Caraffa, Paul IV, — der
nun seit entfernt, fich dem Kaifer anzufchließen, wie Ju—
lius TIE, oder auch nur, wie Paul III, mit feinen Seindfe-
ligkeiten an fich zu halten, ganz offen damit hervortrat, bei
der erften Gelegenheit die Anhänger des Kaifers verfolgte,
und nach wenigen Monaten ſchon fo weit war, daß er ei—
nen feiner Bafallen aufforderte, feine Truppen fertig zu hal
ten, um Die Bewegungen der Kaiferlichen zu unterdrücken.
Der alte Hader zwiſchen Kaiſerthum und Papſtthum brad)
nochmals aus. Wenn e8 dem Faiferlich -tofcanifchen Heer
unter dem Marchefe von Marignano um diefe Zeit gelang
Siena wieder zu erobern, Stadt und Gebiet, auch Porter:
cole (April bis Juni), und fpanifch>deutfche Beſatzungen
dafelbft einzuführen, fo gewannen dagegen die Franzofen
an einem Papſt, der ihre alten Abfichten auf Neapel offen
begünftigte, und um den fich alle Mißvergnügfen aus dei
italienifchen Ländern des Kaiſers fammelten, einen ftärkeren
Nückhalt, als fie feit vielen Jahren gehabt. Man mußte
fich auf einen Krieg gefaßt machen, det dag ganze Syſtem
der fpanifchen Herrfchaft in Stalien, dag in Folge der Iek-
ten Stiege aufgerichtet worden, noch einmal in Frage flel-
len, und vielleicht ein entgegengefeßteg, dag der franzoſiſchen
Übermacht, herbeiführen konnte.
Bei dieſen Ausſichten neuer und allgemeiner Gefahren
fühlte man zuerſt, daß die in der letzten Zeit eingetretene Re—
gierungsweiſe der kaiſerlichen Gebiete nicht mehr haltbar war.
Die Vermählung ſeines Sohnes mit Königin Maria
hatte der Kaiſer dadurch gefeiert, daß er denſelben ſeiner Ge—
mahlin auch an Rang gleichſtellte und ihm das Königreich
Übertragung der italien. Länder an Philipp. 403
Neapel übertrug, und zwar nicht allein dem Titel nach: gleich
darauf ward es im Namen Philipps mit allen bei einem
Thronwechſel herfümmlichen Formen in Befiß genommen. !
Auch Mailand übertrug er ihm, und belehnte ihn mit Siena,
ehe dieß noch erobert war. Hatte er ihn nicht zu feinem
Nachfolger im Kaiferthun machen können, fo überließ er
ihm wenigſtens dieſe italienifchen Länder, an die ihm frei:
lich Eein anderer Nechtstitel zuftand als die alte Oberherrlich-
keit der Kaifer darüber. Diefe Übertragung ift der Act, durch
welchen dieſe Länder ihren alten Zufammenhang mit dem
Neiche, das dabei in Feiner Weiſe zu Rathe gegogen ward,
vollends verloren haben. Damals war damif noch eine innere
Negierungsveränderung verfnüpft. Die bisherigen Nepräfen:
tanten des Kaifers in Stalien Eonnten fich nicht mehr halten.
Don Diego Mendoza, dem wir erft in Flandern, dann in
England begegnen, begab fich nach Spanien. Ferrante Gon-
zaga ward nach den Niederlanden berufen und dort einer
fivengen Unterfuchung feines Verhaltens unterworfen, die
zwar mit perfönlicher Sreifprechung, aber doch nicht mit
Herfiellung in fein Amt fich endigte. Im uni 1555 er—
fchien der Herzog von Alba al8 Generalvicar Philipps IE in
Italien; die toledanifche Partei, der auch der Herzog von
Flovenz angehörte, behielt unter dem Einfluß des neuen Für:
ften zunächſt den Platz. Und auch hiebei Fonnte e8 fein Ver:
bleiben nicht haben. Lange Zeit brachte man auch nach der
Übertragung alle Gefchäfte die fich auf Stalien bezogen, zu:
1. Informatione di quanto & passato tra il Cle di Parecho
ed il marchese di Pescara nel pigliar il possesso del regno di
Napoli, und Ragguaglio del possesso preso, Inf. pol. XII.
26*
404 Zehntes Buch. Sechstes Eapitel.
nächft an den Faiferlichen Hof. Erft nachdem hier Bera—
thung darüber gepflogen und vorläufig Befchluß gefaßt war,
wurden fie dem Eöniglichen Hofe zu London mitgetheilt. Da-
durch entftand nun nicht allein, eine neue, ſehr unzufrägliche
Verzögerung, fondern bald: gaben fi) auch Meinungsver-
fchiedenheiten der, Minifter und der Höfe Fund. „Was wir
bier dieffeit machen,’ heißt es in einem Schreiben vom Hofe
Philipps, „wird von. Euch da drüben verdorben, und von
ung, was Ihr macht.“ Nachdem Mendoza und Gonzaga
gefallen, Eonnte fich auch Granvella, ja felbft Königin Ma:
via, welche bisher die Negierung in der Nähe des Kaifers
ungefähr in demfelben Sinne geleitet wie jene in Stalien,
nicht länger in ihrer Autorität behaupten. Das neue Sy:
fiem das Philipp griindete, trieb das alte mit Nothwendig—
feit aus feiner Stelle.
Da ereignete fih nun, daß Donna Juana, die Mut:
ter des Kaifers, deren Name, mit dem ihres Sohnes
vereinigt, noch immer an der Spise aller königlichen Er—
laffe ftand, nach einem befonders heftigen Ausbruch ihres
Wahnfinng endlich verftarb. Um das hierüber erforder
lich Werdende vorzufehren, und ‚den Spanier die Genug:
thuung zu geben, die fie in der. Anmefenheit eines Fürften
aus dem regierenden Haufe von jeher erblickten, fchien es
nöthig, daß entweder Carl felbft oder Philipp nach Spa-
nien gienge.
Eine Zeitlang fchwanften die Meinungen in Brüffel, wel:
cher von Beiden dieſe Neife unternehmen würde: ein ernft-
licher Zweifel Eonnte aber wohl niemals obmwalten.
1. Mitgetheilt in den Dispacei fiorentini.
Abdankung des Kaiſers. (Niederlande) 405
Dem Kaifer hatten feine Ärzte längſt gerathen, fich nach
einem wärmeren Himmelgftrich, in veinere Luft zurückzuziehen.
Den jungen König wirde dagegen eine Entfernung vom Mit-
telpunct der Gefchäfte, an denen er kaum Antheil zu nehmen
begonnen hatte, um allen Einfluß darauf und auch um fein
Anfehen in Europa gebracht haben! die Gegner des Hau:
ſes wünſchten nichts Beſſeres. Wenn fich aber der Kaifer
entfernte und Philipp in den Niederlanden blieb, wie er denn
dafelbft im September 1555 erfchien, fo war nichts na—
türlicher als daß die Negierung auch diefer Lande wie der
italienifchen an ihn übergieng. "Die bisherige Verwaltung
hätte ohnehin neben feinen Miniftern Eeinen Augenblick be
ſtehn Eönnen.
Noch im Laufe des September wurden die Ritter des
goldnen Vließes und die Stände der niederländifchen Pro:
vingen eingeladen, auf den beftimmten Tag des folgenden
Monats in Brüffel zu erfcheinen, um den König Philipp als
ihren Herrn und Fürften zu empfangen. !
Am Ziften October 1555 begann der feierliche Act der
Abdication in der Verſammlung der Nitter des goldenen
Vließes. Der Kaifer zeigte fich weder Firchlich noch poli—
tiſch fehr friedfertig geftimmt. Er eröffnete dem Capitel, daß
er dem König Heinrich II von Franfreich den Michaelsorden
zurückzuſchicken gedenke, nicht allein wegen der andauernden
Feindfeligkeit die ihm derfelbe beweiſe, fondern auch weil er
Ketzer und Verräther im denfelben aufgenommen. Die Trage
ward erhoben, ob Churfürft Friedrich von der Pfalz, der
1. Le Prince à la Princesse d’Orange 28 Spt. Bei Grön
v. Prinfterer Archives de la maison d’Orange Nassau I, p. 17.
406 BZehntes Bud. Sechstes Capitel.
des Lutherthums verdächtig fey, noch ferner zu dem Capitel
berufen werden könne. Die Hauptfache aber war, daß der
Kaifer den Verſammelten feine Abſicht ankündigte, wie die
Regierung der dieffeitigen Länder fammt Burgund, fo auch
die Würde eines Hauptes und Souveräns des Ordens vom
goldnen Vließ, die am diefelbe fich Fnüpfe, auf feinen Sohn
den König von England zu übertragen. Philipp trat ei
nen Augenblick ab, während deffen die Ritter fich befprachen.
Man Fan denken, daß fich Feine Stimme gegen den Vor:
fchlag erhob, doch follte Feine Form unbeobachtet bleiben.
Als Philipp wieder eintrat; ward er als der neue Souverän
des Ordens beglückwünfcht, und man faßte den Befchluf,
demgemäß deffen Siegel zu verändern. !
Hierauf, am 25ſten, verfammelten fich die Mitglieder
der Stände, die von den verfchiedenen Landfchaften hiezu
mit den nöthigen VBollmachten verfehen worden, im Eaifer-
lichen Pallaſt. Es war derfelbe Saal, in welchem Carl vor
vierzig Jahren für mündig erklärt worden, und die Ne
gierung diefer Lande übernommen hatte. Dazwiſchen lag
fein ganzes mit dem Kampfe aller lebendigen Elemente der
Welt erfülltes Leben. Nachdem einer der Näthe die Propo—
fition der Abdanfung vorgetragen, ergriff der Kaifer felbft
dag Wort. Er ließ vor feinem Geifte vorübergehn, mag
ihn perfönlich feit jenem Anfang betroffen: wie der Gedanke
feiner Jugend, dag Gebiet der Chriftenheit gegen den Erb:
feind auszubreiten, durch den Widerfiand politifchen und re: |
ligiöfen Urſprungs, der fich ihm von allen Seiten erhoben,
1. Reiffenberg Histoire de l’ordre de la toison d’or p. 444.
Abdanfung des Kaifers. (Miederlande.) 407
unausführbar geworden ſey; tie ſchwer es ihm gefallen,
ſelbſt nur dieſe nächften Feindfeligkeiten zu beftehn; welche
Reiſen und Feldzüge er dazu unternehmen müffen, nach dem
obern Deutfchland, nach Stalien, Frankreich, Spanien, Africa,
wie oft er das Mittelmeer und den Dcean durchfchifft habe:
aber noch fehe er fich in gefährliche und heftige Kriege ver:
wickelt; er habe gethan was er gekonnt, feine Kraft fey er:
ichöpft: er würde eine ſchwere Verantwortung vor Gott auf
fich laden, wenn er nicht die Negierung dem Fräftigeren
Manne, feinem Sohne überlaffe, den er ihnen hiemit als
ihren Herrn vorftelle. Sein Sinn war noch nicht, demfel-
ben Alles abzutreten, ev wollte ihm nur die Niederlande ein—
räumen. Allein es lag etwas in feiner Nede, als lege er
sugleich die ganze Negierung feines Neiches, die Aufgabe den
Gedanken derfelben zu realifiren, in Philipps Hände nieder.
Indem er bekannte, ihm felber mit aller feiner Macht und
alfer Anftrengung ſey es nicht gelungen, ermahnte ev noch
feinen Sohn und die Stände, an dem oberften Grundfaß
wenigftens feftzuhalten, von der alten Neligion nicht abzu-
weichen. Er lehnte fich, indem er fprach, mit feinem linken
Arm auf die Schultern des Prinzen Wilhelm von Dranien,
den rechten hatte er auf einen Stab geftügt. Ein Moment
voll Schickfal und Zukunft! Die Anweſenden wurden von
dem Gefühl ergriffen, das fich beim Anblick der Vergäng-
lichkeit menfchlicher Größe und des irdiſchen Dafeyns der
Gemüther unmiderftehlich bemächtigt; auch dem Kaifer fel-
ber fliegen die Thränen auf. Nicht das etwa, fügte er
noch hinzu, thue ihm Leid, daß er die Herrfchaft aufgebe,
fondern es fchmerze ihn, daß er das Vaterland, worin er
408 Zehntes Bud. Schstes Gapitel.
geboren. ‚worden, und ſo viele ergebene Vaſallen verlaſſen
müſſe; der; Tod. feiner Mutter rufe ihn nach Spanien."
Auch Königin Maria legte in diefer VBerfammlung das
Amt einer Negentin nieder. Den andern Tag leiſteten die
Stände dem neuen Fürſten den Eid der Treue:
Sogleich ‚aber mußte ſich das begonnene Ereigniß noch
einen Schritt weiter. zu. feiner letzten Vollendung entwickeln.
Da widrige Winde und ein Krankheitsanfall der Kai:
fer an fofortiger Abreife verhinderten, fo wurden die wich:
tigften Sachen, auch wenn fie z. B. Stalien betrafen, wie
dem der florentinifche Gefandte den Auftrag hatte den Kai
fer. von, allem in Kenntniß zu fegen, nach wie vor an ihn
gebracht. Er wies fie nicht von ſich; da er aber nicht ge
fund genug war fie zu erledigen, und nur die Antipathien
und Neibungen. der beiderjeitigen Minifter darüber erwach—
ten, fo führte dieß zu einer Erifis, aus der die vollfiändige
Abdankung. hervorgieng-
An ſich leuchtet ein, daß bei den engen Beziehungen Die
ſich zroifchen den Ländern des Kaiferg gebildet, eine Trennung
derfelben in zwei verfchiedene Adminiſtrationen die größten
Schiierigfeiten darbot. Ganz unüberſteiglich zeigten fie fich
in einem Augenblicke, wo ein neuer großer Krieg bevorfiand:
Gegen Ende des Jahres liefen Nachrichten von einem zwi—
fchen Paul IV, dem König von Frankreich und dem Her
1. Die legte Wendung berichtet der florentinifche Gefandte. tiber
die Rede des Kaifers giebt es überhaupt verfchiedene Verſionen, doch
flimmen fie in allem Weſentlichen überein. Eine der merfwürdigiten
iſt die des Pontus Heuterus XIV, u. Er begeht allerdings den Feh—
ler, den faft alle Gefchichtfchreiber theilen, daß er die Verhandlung
mit den Nittern v. 9. Vl. auch auf den Zöjten feßt. Das kann aber
feine Glaubwürdigfeit, namentlich über die Außerlichfeiten, nicht ſchwaͤ—
hen, da er felbft, 20 Jahr alt, der Verfammlung beiwohnte.
Abdanfung des Kaiſers. (Spanien.) 409
sog von Ferrara zu einer nenen Vertheilung der italienifchen
Länder getroffenen Bündniß ein." Man muß bekennen, die
Minifter Philipps TI hatten nicht Unrecht, wenn fie erklär—
ten, die burgundiſchen und italienifchen Länder ohne Beihilfe
der fpanifchen nicht wertheidigen zu Fünnen. Wir Haben un⸗
verwerfliche Nachrichten, daß Philipp II, von einigen Sta:
lienern wie Tornabuoni noch’ befonders angefeuert, dieß ſei⸗
nem Vater eines Tages fehr Tebhaft und ernftlich vorge
ſtellt hat.
Und sugleich erhob fic) in dem Kaifer, bei dem e8 für
alle fein Thun eines äußern Anftoßes bedurfte, eine Sehn⸗
fucht nach Zurückgezogenheit und Elöfterlicher Büßung, mit
der er ſich ſchon lange getragen, zu vollem Bewußtſeyn.
Noc als feine Gemahlin lebte, hatten fie fih wohl
geträumt, am Ende ihrer Tage, nach abgelegter HerrlichFeit
der Welt, in ein paar benachbarten Klöftern zu Ieben, er in
einem Manngconvent, fie unter Klofterfrauen, und dann unter
dem Altar einer Kirche gemeinfchaftlich begraben zu werden.
Dei der Rückkehr von dem unglücklichen Unternehmen
gegen Algier an die fpanifche Küfte bemerkte man, welchen
Eindruck der Friede, die Einſamkeit und die einfache Lebens:
weife des erfien Klofters das er antraf, auf ihn machte.
Im tiefſten Geheimniß vertraute er bald darauf, im
Jahr 1542, zu Monzon, dem Francisco de Borja feine Ab:
1. Disp. Fiorentino 4 Genn. 1555 (56). Questa freddezza
(zwiſchen den beiden Fürften) € nata di poi la venuta del capitano
Alessandro Tomasi, il quale vuole a tutti i partiti dar ad inten-
dere a queste MMä ed alli loro ministri, che i Franzesi unita-
mente col Papa voglion romper la guerra nel reguo (di Napoli).
Noh war Sicilien als zu Aragon gehörig unter Faiferlicher Ver:
waltung.
410 Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
ficht, fich einmal in ein’Klofter zurückzuziehen, mit ausdrück
lichen Worten an.
Damals aber hatte ihn der Strom der Ereigniffe nod)
einmal ergriffen: im Grunde ift dag Meifte was fein An-
denfen in der Welt unvergeßlich gemacht hat, erft nachher
gefchehen; er hatte noch einmal den kühnen und großartigen
Derfuc gemacht, feinen Begriff eines römifch-gläubigen Kai:
ſerthums zu realifiven; damit aber war e8 nun auch vorbei.
Was war ihm an der Macht gelegen, wenn fie ihm
nicht mehr zur Ausführung feiner Gedanken dienen Fonnte?
As er fih in dem Falle fah, den unbedingten Frieden in
Deutfchland zwar nicht ausdrücklich beftätigen zu müſſen,
— niemals hätte er das gefhan, — aber ihm doch auc)
nicht widerftreben zu Fönnen, meldete er feinem Bruder, daß
er ihm die Faiferliche Würde überlaffe. Nur in der befon-
dern Bedeutung wie er das Kaiferthum gefaßt, hatte eg
Werth für ihn.
Und dazu Fam noch eine Gewiſſensbedrängniß fehr per-
fönlicher Art, die jetzt erft hervortaucht. Er befannte, er habe
Unrecht daran gethan, daß er fich aus Liebe zu feinem Sohne
nicht zum zweiten Male vermählt habe, und verhehlte nicht,
daß er darüber in Sünden gefallen fey die er jet büßen wolle,
um fich vor feinem Ende mit feinem Gott zu vergleichen. !
Am 15ten Januar 1556, in einer Verfammlung der
angefehenften Spanier die fich in den Niederlanden befan-
den, in Anweſenheit der beiden Königinnen feiner Schwe—
ftern, übertrug der Kaifer auch die fpanifchen Königreiche
an feinen Sohn.
1. Bericht bei Arnoldi Hiftorifhe Denfwürdigfeiten p. 31.
Abdankung des Katfers. (Das Kaiſerthum.) 411
Sn allen ſpaniſchen Hauptftädten, auf der Halbinfel
felbft und in den Wicefönigreichen auf einer andern Hemi-
fohäre, wurden darauf die Fahnen für den König Don Fe:
Iipe den Zweiten erhoben: nicht anders als ob König Car—
108, für fie diefes Namens der Erfte, bereits geftorben fey.
So raſch und Teicht Fonnte es nun aber mit der Über:
tragung des Kaiſerthums nicht gehn.
Wie Ferdinand fpäter erzählt, Tangte unmittelbar vor
dem Schluffe des Neichstags von 1555 der Faiferlihe Ge
heimfchreiber Pfinzing bei ihm in Augsburg an: mit der
mündlichen und fchriftlichen Anzeige, daß Earl das Kaifer
thum ihm abzutrefen wünfche, und zwar unverweilt: noch die
damalige Neichsverfammlung follte die Sache zu Ende brin-
gen. Ferdinand zeigte wie unmöglich dieß ſey, da die Ber
fammlung noch an demfelben Tage gefchloffen werden müßte,
und die Sache ohnehin nicht wor den Neichgtag, fondern
vor die Churfürften gehörte. Er verfichert, er habe alles
gethan um den Kaifer von diefem Gedanfen zurückzubrin—
gen: vier Mal nach einander, durch Pfinzing und Gusman,
dann durch feine Söhne Ferdinand und Maximilian habe
er ihm Gegenvorfelfungen machen laffen, e8 fen aber alleg
vergeblich gemwefen.
Manche wollten vermuthen, Ferdinand habe abfichtlich
gezögert die Sache in Gang zu bringen, um nicht etwa
feinem Neffen Gelegenheit zur Erneuerung feiner alten Der:
fuche zu geben, ? wie denn wenigſtens der Einwand, den
1. Saiferliher Majeftät Selbftrede, in den Noten der Nefigna-
tion des Kaiferthums in Hoffmanns Sammlung ungedructer Nach—
richten p. 27.
2. Gabrera Felipe segundo p. 31.
412 Zehntes Bud. Sechstes Kapitel.
die Ehurfürften machten, daß man nicht fo viele Häupter
auf einmal haben könne, durch die Abdankung wegfiel. AL
lein ich, finde davon Feinen Beweis. Noch vor dem Reichs—
tag hatte der Kaifer feinem Bruder die DVerficherung gege-
ben, daß feine Abficht nicht dahin gehe: nach feiner Art
nicht ausdrücklich, aber unzweideutig: daran hielt’ er feft.
In dem Briefwechfel zwifchen beiden Brüdern in den
- Sahren 1555 und 1556, fo weit ihn das Brüffeler Archiv
aufbewahrt, finder fi) überhaupt das alte herzliche Verhält—
niß wieder, das früher fo lange obgewaltet: war etwas da—
zwiſchen vorgefallen, fo war das nun fo gut tie vergeffen.
„Wo ich auch feyn möge," fchreibt Carl am 19ten -
Detober 1555, zu einer Zeit wo von feiner nahen Abreife
die Nede war, „immer werdet Ihr in mir meine alte brü—
derliche Zuneigung finden, und ich will alles dafür thun, daß
fih unfre Freundfchaft auch unter den Unſern fortfete.
„Ich darf verſichern,“ antwortet Ferdinand, „daß ich
nichts mehr wünsche, als in der Unterthänigkeit und brüder-
fichen Freundfchaft, die ich bisher gegen Ew. Majeftät ge
hegt, bis ang Ende zu verharren: fo bleibe e8 auch unter
unferer Nachfommenfchaft: ich werde die Meinen anweiſen,
daß fie denfelben Weg wandeln.”
Noch einmal verfichert hierauf der Kaifer feinen Bru-
der der £iebe die er ihm fchuldig ſey: dag wiſſe Der, der fie
gefchaffen; ein großer Troft würde e8 ihm geweſen feyn,
Ferdinand noch einmal vor feiner Abreife zu fprechen.
Ferdinand fendere wenigſtens Marimilian, der fonft nicht
in Gnaden geftanden; aber jet ward auch dieß Verhältnig
ausgeglichen: alle gegenfeitigen Anfprüche wurden freundlich
Abdanfung des Kaifers. (Das Kaiferchum.) 413
gehoben, und Maximilian muß geftehn daß er fehr gut be-
handelt worden fey:
Sorgfältig vermied der Kaifer jede weitere Theilnahme
an Gefchäften die mehr als bloße Eangleifachen waren. Zu
der Neichsverfammlung, die im Juli 1556 in Negensburg
eröffnet ward, verweigerte er Abgeordnete zu fchicfen, was
er doc) noch vor dem Jahre gethan, fo daß er jetzt auch
gar nicht mehr gefragt werden Fonnte. „Sch werde mich”,
fchreibt Ferdinand, „dem Wunfche Em. Majeftät fügen, und
im Namen Gottes, fo weit er es mir eingeben wird, die
Geichäfte führen. Man ficht: e8 ift dag Gefühl des Be
ginnens, das fich in diefem Briefe ausfpricht: die Leitung
diefer Verſammlung ift dev Anfang der felbftändigen Reichs—
verwaltung Ferdinande.
Endlich, im September 1556 Fam dann auch die Zeit
wo der Kaifer wirklich von Seeland aus nad) Spanien un-
ter Segel gieng. Es war eine feiner letzten Handlungen
in dieffeitigen Landen, daß er eine Gefandtfchaft, am deren
Spise Wilhelm von Oranien ftand, abordnete, um den Chur:
fürften feine Versichtleiftung zu Gunften feines Bruders an-
zufündigen. In der Urkunde find die Ausdrücke, die jede
Bedingung dabei augfchließen, recht abfichtlich gehäuft. Es
heißt darin, er trete demfelben dag heilige Neich und römi-
fche Kaiſerthum ab, ſammt deffen Verwaltung, Titel, Ho:
heit, Scepter und Krone, mit allen und jeglichen Nechten,
frei, vollfommen, unwiderruflich).
Wenn Ferdinand nicht rafcher vorfchritt, ſo liegt das
nur daran, daß die Dinge in Deutfchland überhaupt lang-
fam gehn und vor allem gut vorbereitet feyn wollen.
414 Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
Als die Churfürften zuerfi, doch nur im Allgemeinen,
Nachricht von dem Vorhaben der Übertragung des Reiches
erhielten, und zu einer Zufammenkunft deshalb eingeladen
wurden, fürchteten fie fat, e8 werde nur von der Verwal:
tung die Rede feyn, und Carl werde fich Titel und Krone
vorbehalten wollen. |
Sie urtheilten daß dieß nicht genügen würde, und nicht
unmerfwürdig find die Gründe die Sachſen und Branden-
burg, die bei Gelegenheit einer feftlichen Zufammenfunft dar-
über berietben, dagegen anführen. !
Sie meinen, dann Fünne e8 dem Kaifer unter verän—
derten Umftänden wohl beifommen, die Verwaltung einmal
wieder zu ergreifen, Truppen ins Neich zu führen, einen Frem—
den zum Kaifer zu machen, und die Churfürften, die ihre
Stimme dazu nicht geben wollen, mit Gewalt zu erdrücken.
Oder im Gegentheil, wenn dag nicht gefchehe, der Kat
fer nur den Namen führe und nicht das Amt verwalte, ſo—
könne der Papfı daher Anlaß nehmen, die Eaiferliche Krone
auf Frankreich, wie er ohnehin wünſche, zu übertragen.
Überhaupt aber müffe wo möglich der Gefahr ein Ende
gemacht werden, daß der König von Frankreich durch feine
Kriege mit dem Kaifer veranlaßt gegen das Neich um fid)
greife: Teiche Eönne derfelbe fonft den Rheinftrom gewinnen.
Wir fehen wohl, diefe ganze Combination, nach wel
cher ein Fürft, deffen Macht auf außerdeutſchen Verhältniſ—
fen beruhte, die Krone inne hatte, und dadurch entweder,
wenn er ſtark und mächtig war, die Freiheit des Reiches
gefährdete, oder wenn er dag nicht war, die Grenzprovin
1. Berathſchlagung fächfifcher und brandenburaifcher Näthe.
1557. (Berl. Arch.)
NW
asien
ER —
Churfürftenverfammlung zu Sranffurt. 415
son dem gewaltfamen Umfichgreifen feiner Feinde ausſetzte,
wünſchten fie abgeftellt zu fehen. Eine Übertragung der Ber:
waltung verwarfen fie nur als unvollftändig: aus demfelben
Grunde aber waren fie fehr geneigt die Verzichtleiſtung an—
zunehmen.
Eine Zeitlang war die Mahlftatt der Verfammlung zwei—
felhaft. Ferdinand wünſchte einen den Erblanden bequem
gelegenen Dit, etwa Eger oder auch Ulm, die Churfürften
beharrten auf dem fir die Wahlhandlungen durch dag Her—
kommen feftgefegten Frankfurt; darüber ward dann weitläuf—
tig hin und her gefchrieben, und e8 dauerte bis in den An—
fang des Jahres 1558, ehe man — und zwar eben in
Sranffurt — zufammenfam.
Am 25ſten Februar 1558 hörten die Churfürften das
Anbringen des Prinzen von Oranien, der fich entjchuldigte,
daß fein Beglaubigungsichreiben von fo altem Datum fey.
Da der Antrag mit den Münfchen die fie hegten zu-
fammentraf, jo fiel jeder Widerfpruch weg. Sie ergriffen
nur die Gelegenheit, durc) die von dem römischen König zu
beſchwörende Eapitulation den zulegt getroffenen Neichgein:
richtungen eine neue Feftigfeit zu geben.
Noc einmal wurde hier der zu Paſſau vorgelegten Be
fchwerden gedacht: wir finden fie aufs neue Punct für Punct
von den churfürſtlichen Räthen begutachtet; allein wenn man
ſich ſchon in Augsburg überzeugt hatte, daß die meiſten durch
die dort beſchloſſenen Einrichtungen von ſelbſt erledigt wor—
den, ſo war das jetzt, da Würde und Verwaltung des Kai—
ſerthums auf immer an Ferdinand übergiengen, noch mehr
der Fall: — man hielt fr hinreichend, fie demſelben, wie
416 Zehntes Buch. Schstes Capitel.
fie waren, zu übergeben, damit er felbft fehen möge, was
davon noch abzuftellen ſey.
In der Eapitulation dagegen ward nun die Verpflichtung
auf die Neichsbefchlüffe des Jahres 1555 überall, wo die
Gegenftände derfelben in Erwähnung Famen, fo nachdrücklic)
wie möglich eingefchalter. Ferdinand gelobte, den Religions:
frieden forwohl als den Landfrieden und deffen Handhabung,
wie fie im Jahr 1555 aufgerichtet worden, und Die dort zu
Stande gekommene revidirte Kammergerichtsordnung ftät und
feft zu beobachten. Er verfprach nichts dagegen weder felbft
zu verfügen, noch fich von einzelnen Ständen bewilligen zu
zu laffen, noch auch anzunehmen wenn e8 ihm bewilligt
würde. Alle frühern Neichgordnungen follten nur gültig
feyn, in fo fern fie mit den Beſchlüſſen vom Jahre 1555
übereinſtimmen.
Am Uten März 1558 beſchwur zuerſt Ferdinand in Ge
genwart ſämmtlicher Churfürften in der Ehurcapelle der Bar:
tholomäusfirche diefe Capitulation; hierauf fegte ihm der Erz—
cammerer des Neiches, Churfürft Joachim IL, die goldene
Krone auf; dann begaben fie fich ſämmtlich auf eine dort
vor dem hohen Chor aufgerichtete Bühne. Inden fie fich
bier nach althergebrachter Ordnung niedergelaffen: zur Nech-
ten des Kaifers Mainz und Pfalz, zur Linken Cölln, Sad)
fen und Brandenburg, vor ihm Trier, — die Unterämter
von Pfalz und Sachfen, Seldeneck und Pappenheim, ſtan—
den mit Neichsapfel und Schwert vor Ferdinand, Joa
chim II hielt das Scepter felbft in feiner Hand, — fliegen
von der andern Seite eine breite Brücke welche die Kirche
mit der Bühne verband, die Bevollmächtigten Carls V, der
7
Shurfürftenverfammlung zu Sranffurt. 417
* Prinz von Dranien und der Vicecanzler Seld hinauf. Seld
verlag die Faiferliche Vollmacht und die Urkunde der Ceſſion;
Dr Jonas die der Annahme von Seiten Ferdinand, Die
denn hauptfächlich enthielt, daß er mit dem Rathe der Chur-
fürften, den er fich erbat, zu regieren gedenfe. Hierauf ward
König Ferdinand ald erwählter römischer, Kaifer proclamirt.
Im Namen der Churfürften begrüßte ihn der Erzcanzler deg
Reiches: im Namen der Neichsfürften, Die ſich fehr zahlreich
eingefunden, Ehriftoph von Würtenberg; Ferdinand ‚gelobte
ihnen ihre Privilegien zu halten. Man ſah, daß fich Ale,
welches auch ihre religiöfen Meinungen feyn mochten, ‚wie:
der als eine Einheit fühlten, auf dem Grunde des von kei—
ner Fünftigen dogmatifchen Seftfegung abhängigen immerwäh—
renden Friedens. Der Gottesdienft mit welchem fie die Feier:
lichFeit befchloffen, war fo eingerichtet, daß die Einen und
die Andern demfelben beiwohnen Eonnten.
Man fühlte, daß es auch außerhalb der dogmatifchen
Gegenfüße etwas gebe was doch auch Neligion ſey, ob-
gleich es fich nicht fo leicht ausfprechen ließ; bauptfächlich
aber fah man, daß jenfeit der Fragen über Mein und Dein,
die daraus entfprungen, und aller damit zufammenhängen-
den politifchen Sjrrung, noch etwas Gemeinfames liege, was
man fchlechterdings fefthalten müffe, die Idee des Neiches.
Carl V hatte in dem Kaiferthum ein ihm zugefalleneg, von
ihm perfönlich geltend zu machendes Necht gefehen: jet Fam
daffelbe wieder an die Gemeinfchaft der Fürften zurüc. In
jenem Verzeichniß der Beſchwerden wird der Begriff des hei:
ligen Neiches feſtgehalten; es wird als ein folches bezeich-
net, das auf dem Wege freier Wahl fich felbft und der gan-
Ranfe D. Geh. V. 27
418 Zehntes Bud. Sechstes Capitel.
zen Chriftenheit, ein meltliche8 Haupt zu feßen habe, und
nach den alten Nechten und Herfommen, mit Wiffen Mil
len und Nath der Stände zur regieren ſey.! Man faßte
dabei fehr gut die doppelte Beziehung der innern Ordnung
und des Außern Nanges, auf denen e8 beruht, die mit ein-
ander gegründet worden, nicht an die Perſon, fondern an
die Gemeinfchaft geknüpft waren, und die man nicht fallen
laffen durfte. Ein jeder fühlte wohl, daß er außerhalb die:
fer Bereinigung nur wenig bedeute.
Beſonders waren die fechs Churfürften davon durch
drungen. ;
Gleich bei der Einladung zu einer perfünlichen Zuſam—
menfunft hatten Sachfen und Brandenburg den Gedanken ge
faßt, diefelbe zur Erneuerung des Churfürftenvereing zu be
nutzen, der lange Zeit die vornehmfte Macht im Neiche gebil-
det. Sie waren der Meinung, auch dag frühere Anfehen des
Collegiums laſſe fich mwiedergeminnen, wenn es nur in allem
sufammenhalte, was die Wohlfahrt des Neiches und die
eigne Hoheit anlange. ?
Es fam ihnen hiebei zu Statten, daß die Erinnerung
1. „Nachdem das heil. Reich deutfcher Nation ein frei reich ift
— das aus feinen eignen Gliedern durch frei ordentliche wal der Chur—
fürften ein weltlih haupt zu erfiefen hat, welches haupt gleichwol in
fachen daffelbig Neich belangend, vermöge der gulönen bull, und al—
tem berfommen nad, mit Wiffen Willen und Kath der Stände und
fonderlich der ſechs Churfürften als der vornehmſten Glieder regieren
fol.” Kurker Bericht etlicher gemeiner auch fonderbarer befhwerungf
des heil. reichs deutfher Nation — allein zu weiterm Nachdenfen
und Erinnerung geftalt. (Archiv zu Berlin.)
2 „Und wurden die Faif. u. Fön. Mt, wan fie fehen, das die
Ehurfürjten fich wiederum freundlich zufammenbielten, und in dem
Churverein von 1558. 419
an die alten Nechte durch ein neues Verdienft wieder be
lebt worden war. Wie wir fahen, waren die Einrichtun-
gen des Neichstags von 1555 in alle dem worin man fich
vereinigt hatte, das Werk des Churfürftenratheg.
In dem neuen Vereine nun, der wenige Tage nach dem
Acte der Nenunciation, am 18ten März, zu Stande Fam,
gelobten die Ehurfürften vor allem, über diefen Ordnungen
zu halten und einander zu Hülfe zu Fommen, wenn einer
von ihnen „dem Frieden in Religions: oder Profanfachen zu:
wider angegriffen werden follte. Bei dem Entwurf der Ca—
pitulation hatten fie fich das Necht vorbehalten wollen, nur
in ihrem eigenen Mathe zu deliberiren, nicht zu einem Aug:
ſchuß aus beiden Näthen genöthigt zu werden, — was in der
legten Berfammlung ihnen und der gemeinen Sache fo vor:
theilhaft geiwefen war; — Ferdinand hatte jedoch aus Nück
ficht auf das Fürftencollegium Bedenken getragen dieß zu
genehmigen: fie halfen fich dadurch, daß fie in dem Der:
eine übereinkfamen, zu einem folchen Ausschuß niemals ein:
zuwilligen. Mit befonderm Nachdruck verpflichteten fie fich,
einer den andern nicht etwa um der Neligion oder der Ce:
vimonien willen von den Wahlen auszuſchließen, dazu un:
fähig zu achten. Sie betrachteten fich fortwährend als bie
vorderften Glieder des römifchen Neiches; auch nachdem die
Hälfte von ihnen fich von der römifchen Kirche getrennt
hatte: in ihrer Gefammtheit als die Säulen des Neiches
und der Ehriftenheit. Sollte ſich Jemand, wer auch im-
das des h. reichs wolfahrt und ire ſelbſt hurfürftlihe Würde und
Hochheit anlangete, vor einen man flunden, ungezweifelt vil under:
wegen laffen.”
24”
420 Zehntes Bud. Sechstes Capitel.
immer, unterwinden, daß heilige Neich der deutjchen Nation
zu entziehen und auf eine andre zu übertragen, fo wollen
fie fic) gemeinfchaftlich dagegen fegen, Feiner foll den an—
dern verlaffen. Das ſchwören fie einander, alle in der von
den Protefianten angenommenen Formel, bei Gott und dem
heiligen Evangelium. !
In diefer Urkunde finden fic Ausdrücke die an den
früheften Churverein vom Jahr 1338 erinnern: ein fpäferer,
von 1446, wird darin ausdrücklich erwähnt, die goldene
Bulle zu wiederholten Malen. Wie wir bemerften daß alle
feit Friedrich III verfuchte Neichgeinrichtungen durch die Ber
fchlüffe von 1555 vollendet und erft recht feftgeftellt wur—
den, fo gab e8 dem neuen Zuftand der fich in deren Folge
bildete, noch eine befondere Gewähr, daß die Erneuerung
der churfürfilichen Macht fich damit verband, deren Wur—
zeln im noch bei weitem ältere Zeiten zurückreichen.
Freilich Fonnte fih nun auch Niemand wundern, wenn
der Nepräfentant der in den hierarchifchen Jahrhunderten
gebildeten Nechtgläubigkeit und geiftlich-weltlichen Gewalt, der
römifche Papft, fich dieſen Dingen widerſetzte.
Paul IV hafte ohnehin das Haus Öftreich, dem er
das Emporkommen der proteftantifchen Meinungen zufchrieb;
er Eonnte Ferdinand nicht vergeben, daß unter feinen Aufpt-
cin ein NeichSabfchied zu Stande gekommen mar, wie der
augsburgifche von 1555. „Was Fönne”, heißt e8 in einem
feiner Schreiben, „dem Eatholifchen Glauben Widermärtigeres
1. Neuefter gemeiner Verein aller Churfürften, unter andern bei
Gerftlaher Handbuch der Neichsgefege IV, 511. ©. erinnert, daß
1745 Böhmen und Hannover in den Verein aufgenommen wurden.
Paul IV und das Neid. 421
begegnen, als was dort in Augsburg befchloffen worden.’ !
Der römifche Hof hat ihn niemals anerkannt.
Eben fo lief e8 aber allen Begriffen Pauls IV von
der päpftlichen DOberhoheit auch über dag Kaiferthum entge—
gen, daß Carl V demfelben entfagte, ohne mit ihm darüber
Nückfprache genommen zu haben, und zwar in die Hände
der Churfürften, nicht in die feinen. Er erklärte die ganze
Entfagung für null und nichtig: für nicht minder ungül—
tig die darauf erfolgte Wahl: die von Kegern, ja von Hä—
vefiarchen vorgenommen worden. Er äußerte Zweifel felbft
über die perfönliche Befähigung Ferdinandg, der da lebe wie
Eli, und fich nicht darum Fiimmere, daß fein Sohn Mari:
milian den Abtrünnigen beigetreten fey.? Den Gefandten
Ferdinand, Martin Gusman, wollte ex lange Zeit nicht fer
ben: bei Nacht fey er gekommen, rief er aus, bei Nacht
möge er fich entfernen; nachdem Gusman eine Zeitlang in
Tivoli gewartet, ward er endlich zwar vorgelaffen, aber nur
als Privatmann, und um die Einwendungen zu hören, welche
eine Congregation von Cardinälen gegen dag Verfahren der
Deutfchen erhob.” Der römifche Hof ftellte die Forderung
auf, der neue Kaifer folle zuerft auf feine Würde wieder
Verzicht leiften und erwarten was der Papft alsdann ver
ordnen werde.
So weit war e8 nun doch im Neiche gekommen, daf
fih Niemand um diefen Widerfpruch befümmerte. E8 war
1. An den Bifhof von Paſſau 13 Dec. 1555. Bei NRainal:
dus 22, 134.
2. Babou au roi de France 11 Juin 1558 bei Ribier II, 746.
3. Dal. die Erzählung von Nores, das Driginal aller fpäteren,
bei Bromato Vita di Paolo IV Bd II, 431.
422 Zehntes Bud. Sechstes Capitel.
eine Zeit gewefen, wo die Zürften auf den Wink des Pap-
fies zu neuen Wahlen fchritten: jeßt waren fie alle, geift-
liche wie weltliche, in der Abficht einverftanden, das Anſe—
hen des Neiches gegen denfelben aufrecht zu erhalten. Viel
Worte darüber zu wechfeln, fchien nicht einmal nöthig. Nur
der Kaifer ließ durch den Reichsvicecanzler Seld eine Wir
derlegung der päpftlichen Anfprüche ausarbeiten. ' Vielleicht
das Merkwürdigfte darin ift, daß auch das Intereſſe des
Neiches zu einer ausdrücklichen Verwerfung der päpftlichen
Satzungen aus den let vorhergegangenen Zahrhunderfen no:
thigte.“ So ernftlich der Kaifer und fein Canʒler ſonſt an
der hergebrachten Kirchenlehre feſthalten, ſo ſehen ſie ſich doch
auf ihrem Standpunct endlich zu einer Oppoſition getrieben,
die eine gewiſſe Verwandtſchaft mit dem erſten Auftreten des
Proteſtantismus hat. Die ganze politiſche Entwickelung des
Reiches wäre nun einmal ohne Gegenſatz gegen das Papft-
thum gar nicht möglich gewefen. Wie die Churfürften, fo
mußte jest auch der Kaifer auf die Zeiten Ludwigs des
Baiern zurückkommen. Aventins Darftellung derfelben und
Lupold von Babenberg find für Seld eine große Autorität.
Während diefer Srrungen lebte nun Earl V fchon längft
in dem Zufluchtsort den er fich auserſehen.
1. Die Beichwerden und Anmuthungen des Papſtes ergeben ſich
aus diefem „ausbündigen treweiffrigen Rathſchlag“ beim dritten und
vierten Yunct p. 189 und 195 beffer als aus den bei Goldaft p. 166
vorhergehenden apoeryphen Artifeln.
2. „Wan E.M. fonften gemeynet ift die alten heiligen Cano-
nes zu halten und bei denfelben zu bleiben, fo dürffen Sie Sich die
neuen parteiifchen Bäpft Decretales nicht befümmern laffen, quia ta-
lis est extravagans illa, unam sanctam.“ Seld bei Goldaft Poli—
tifche Neichshändel p. 185.
I
i
I}
Letzte Tage Carls V. 423
In Efiremadura, in der Vera von Placencia, die den
alten Ruf gefunder Luft genießt, in der Mitte von Daum:
pflanzungen, die von frifchen Duellen und Bächen vom Ge:
bivge belebt find, liegt dag Hieronymitenklofter Juſte, dag
damals aus zwei Kloftergebauden und einer Kirche beftand,
an dem Abhang eines Hügels der es vor den Nordwinden
fhüst, in vollfommener Einfamfeit. Dahin hatte fich der
Kaiſer fogleich nach feiner Ankunft in Spanien begeben.
Man dürfte nicht glauben daß er ein Klofterbruder ge
worden ſey. Er wohnte nicht in dem Klofter, fondern an
der Kirche war ihn ein eigenes Haus erbaut; unfern davon
waren Wohnungen für feine Dienerfchaft eingerichtet, die
noch den ganzen Apparat einer regelmäßigen Hofhaltung dar:
ſtellt.“ Auch ift ein Irrthum, anzunehmen, daß er aller Theil:
nahme an den Gefchäften entfagt habe. Mit feinem Sohne
ftand er in unausgefeßtem DBriefwechfel, und diefer bat ihn
noch zuweilen, die Gewalt wiederzuergreifen: in Spanien un:
ternahm er noch einiges auf eigne Hand. Unter andern finde
ich, daß er nach dem Tode König Johanns III von Portugal
im 5. 1557 jenen Francisco de Borja, der damals in den
Sjefuiterorden getreten war, nad) Liffabon fehickte, unter dem
Scheine einer Bifitation dortiger Collegien, aber in der That,
um zu bewirken, daß in die neue Huldigung der junge Don
Carlog, fein Enkel, aufgenommen werde. ? Der Unterfchied
1. Aus den Legaten feines Teftamentes lernt man die Mitglie-
der derfelben Fennen, — eine ganze Anzahl Kammerdiener, befondre
Diener für die Fruchtfammer, Obftfammer, Lichtbefchließerei, Auf:
bewahrung der Kleider, der Juwelen, meiftens Niederländer, jedoch
unter einem fpanifchen Oberhofmeifter Luis Quirada. Der Leibarzt
und eine Apothefe fehlten nicht.
2. que desejava que Portugal jurasse condieionalmente na
424 Zehntes Buch. Sechstes Kapitel.
gegen früher lag befonders darin, daß er nicht von laufenden
Gefchäften bedrängt war und Feine Negierungspflicht mehr
hatte. Er Eonnte der Einfamkeit und Nuhe, nach der ihn
verlangte, fo viel er wollte genießen. Seine Umgebung
hatte Befehl, Feine Befuche anzunehmen, und in dem Klofter
war es fo ftill, als wäre er nicht anmefend. Oder vielmehr,
e8 ward noch ftiller durch ihn: er bemerfte mit Mißfallen,
daß zumeilen Frauen an die Pforte Famen und mit den
Mönchen redeten: auf feinen Wunfch ward es abgeftellt.
Man hatte dafür geforgt, daß der Blick aus feinen Zimmern,
der über die Kloftergärten hinführte, durch nichts Fremd:
artiges geftört wurde. Sein Vergnügen war, wenn er fich
wohl befand, nach einer Kleinen ein paar Armbruftfchüffe
entfernten Einfiedelei zu luftwandeln, unter dem Schatten
dichtgepflanzter Caſtanienbäume, welche vor der Sonne diefeg
Himmels ſchützten; zumeilen machte er den Weg auf einem
Saumthier, endlich war ihm auch dieß unmöglich. Beſonders
gern wohnte er dem Gefange in der Kirche bei, wie er denn
Geſchmack und Unterfcheidungsgabe für die Muſik befaß;
die Dbern des Ordens haften nicht verfäumt, ihre beften
Stimmen in dem Klofter zu verfammeln. Seine Wohnung
war im eine folche Verbindung mit der Kirche gefeßt, daß
er in den Tagen der Krankheit den Gefang und die Feier
der Meffe in feinem Schlafzimmer hören Fonnte.
Und fo hoffte er wohl, dag Ziel feiner Tage in tiefem
Frieden zu erreichen. Jedoch vergeblih. So lange der
falta del rey D. Sebastian por sucesor de coroa ao prineipe
D. Carlos su neto. Barbofa Machado Memorias para a historia
de Portugal. que comprehenden o governo del rey D. Sebastiao
1736.
Reste Tage Carls V. 425
Menſch noch athmet und lebt, kann er fich dem Kampfe der
Elemente nicht entziehen, welcher die Welt bewegt. Auch
in diefer Abgefchiedenheit ward Earl V von den ihm, feit
fie den Umſturz feines Glückes veranlaßt, erſt recht verhaß-
ten neuen Meinungen erreicht. Plötzlich entdeckte man kleine
Gemeinen proteftantifcher Tendenz in Valladolid und Se
villa." Auguſtin Cazalla, der während des fchmalfaldifchen
Krieges um ihn geweſen und noch in Juſte vor ihm gepre:
digt, wies fich felbft als ein Lutherifch-gläubiger aus. Der
Kaifer war darüber betroffen, ja erfchüttert. Am Ende fei-
ner Tage mußte er erleben, daß ein Mann der fein Gewiſ—
fen eine Zeitlang geleitet, die Meinungen bekannte, mit de:
nen ev fein ganzes Leben gekämpft hatte. In feinem legten
Codicill, nur zwölf Tage vor feinem Tode, ermahnt er noch
feinen Sohn und die fpanifche Negierung auf dag dringendfte,
bie Ketereien in ihrem Keime zu unterdrücken. Doch feheint
es faft als habe er an menfchlichen Mitteln verzweifelt. Er
betete nur noch für die Einheit der Kirche: „in deine Hände,
o Herr," hörte man ihn fagen, „habe ich deine Kirche über:
geben. U? Er ftarb in dem Gedanken der fein Leben aug:-
gemacht: 21 Sept. 1558.
Für eine Kirche von politifch-religiöfer Einheit, die ganze
abendländifche Welt umfaffend, wie er fie gedacht, war Fein
Raum mehr in Europa. Der Gedanke felbft ift niemals wie
der fo Iebendig in die Seele eines Menfchen gekommen, wie
Carl V ihn hegte. Schon genug, wenn die füdlichen Na:
tionen fich der vordringenden Bewegung nur felber erwehr:
1. MErie Gefhichte der Reformation in Spanien p. 252.
2. In manus tuas tradidi ecelesiam tuam. Sandoval I, 834.
426 Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
ten: von den nördlichen einmal in der Abweichung begriffe:
nen war Feine Rückkehr zu erwarten.
Und beruht denn die Einheit der Chriftenheit wirklich
fo ausfchließend auf dem gleichen religiöfen Bekenntniß?
Gere ich nicht, fo hat fie fich auch unter den Gegen:
fäsen behauptet, die doch die gewonnene Grundlage nicht
verleugnen können, fich unaufhörlic auf einander beziehen,
einer ohne den andern nicht zu denken find. Zuletzt ift der
gleichartige Fortfchritt der europäifchen Eultur und Macht
an die Stelle der Firchlichen Einheit getreten. Was diefe
verloren hatte, das Übergewicht über die Welt, ift durd)
jene im Laufe der Jahrhunderte wiedererworben worden.
Wie weit übertreffen die göttlichen Gefchicke menfchliche
Gedanken und Entwürfe.
Noc nicht zwei Monat nach Carl farb Maria von
England, und die proteftantifchen Tendenzen, die nur durch
die VBoraugficht ihres baldigen Todes vom Ausbruch zurück
gehalten worden, raten nun in neuer Kraft, durch die Prü—
fung die fie beftanden, erſt des nationalen Geiftes recht mäch-
fig getworden, hervor. Königin Elifaberh beftieg den Thron,
und die Herrfchaft des Papſtthums hörte auch in England auf.
In Deutfchland bemerften die evangelifchen Fürften auf
der Stelle, wie viel das auch für fie zu bedeuten habe. Aus
ihren Briefen ergiebt fich, daß fie ehr wohl die Verſtär—
fung wahrnahmen, die dag von ihnen ergriffene Syſtem da—
durch erhielt.
Siebentes Capitel.
Fortgang und innerer Zuftand des Proteftantismus,
Wenn man im funfzehnten Jahrhundert wirklich der
Meinung geweſen ift, wie man denn viel davon gefprochen
hat, daß fich das Anfehen und die Macht des alten Kaifer-
thums in Europa wieder herftellen laffe, fo war e8 dahin
nun freilich nicht gekommen.
Vielmehr hatte die Verbindung des Neiches mit einem
über zwei Welten hin mächtigen Kaifer, wie Earl V, nur
neue DVerlufte nach fich gezogen.
Die Siege welche die Deutfchen mit den Spaniern in
Verbindung in Italien erfochten, führten doch nur dahin,
daß die eröffneten Neichslehen, auf deren Erträge man wohl
einft die Verwaltung des Neiches zu gründen gedacht, an
den Prinzen von Spanien übergiengen und von Deutfchland
vollends loggeriffen wurden. Die Niederlande bildeten zwar
dem Namen nach noch einen Kreis des Neiches, aber in
ihrer innern Verwaltung waren fie von den Anordnungen
der Reichsgewalten vollfommen unabhängig; daß der Kai-
fer Geldern und Utrecht in Befiß genommen, war für dieſe
ein eigentlicher Verluſt. Und dabei war der Kaifer doch in
428 Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
feinem Kriege mit Frankreich zulegt der Schwächere geblieben,
fo daß der Einfluß der Franzoſen in Lothringen überwog, und
die Grenzlande der franzöfifchen Zunge, Die fo viele Jahrhun—
derte hindurch behauptet worden, geradezu verloren giengen.
Wohl gelang es König Philipp dem IL, kurz darauf das
Gleichgewicht zwifchen beiden Mächten herzuftellen; Frank
reich mußte fich entfchließen alle feine Eroberungen heraus:
zugeben; nur die behielt e8, die es über das Reich gemacht.
Die Eidgenoffenfchaft und Böhmen mit feinen Nebenlanden,
obwohl Glieder des Neiches, waren niemals in die Kreife
deffelben eingezogen. Wie hätte man daran denken Fönnen,
die im funfzehnten Jahrhundert von Polen losgeriffenen preu-
fifchen Landfchaften wieder herbeisubringen? In dem Über
refte derfelben, dem öftlichen Ordenslande, hafte man das
einzige Mittel, eine gewiſſe Selbftändigfeit für beffere Zei-
ten zu retten, darin gefehen daß man fich unter einem erb-
lichen Fürften der polnifchen Krone freiwillig anfchloß. Daß
die Liefländer fich nicht zu einem’ ähnlichen Schritte ver:
einigen Fonnten, mußte bald ihre völlige Entfremdung zur
Folge haben.
Der vornehmfte Grund von alle dem lag darin, daß
die Begriffe von Kaifer und Neich nicht mehr in einander auf:
giengen. Wir bemerften oft, daß gerade der Kaifer, felbft im
Zenith feiner Macht, die forgfältigften Vorkehrungen traf,
feine Erblande von den Einwirkungen des Neiches zu be
freien. Dagegen wollten auch die Stände nicht zu einem
Anhang der großentheild auf fremdartigen Weltverhältniffen
beruhenden Eaiferlichen Macht werden. Während in allen
benachbarten Ländern die erbliche Gewalt fortfchriet und zu
1
Einwirf. des Proteft. auf d. Neichsverfaffung. 429
Unternehmungen nach außen erftarfte, brach in Deutfchland
ein MWiderftreit zwifchen dem Oberhaupt und den Ständen
aus, der mit der Abdanfung des Erften endigte. Wir wiſ—
fen, daß die Unruhen von 1552 nicht von den religiöfen
Srrungen allein herrührten, fondern nicht weniger durch den
Widerwillen der in ihrer Autonomie gefährdeten Neichgftände
gegen das Auffommen einer durchgreifenden oberherrlichen
Gewalt veranlagt wurden. Glück genug, daß man in den
Stürmen und Verwirrungen jener Tage nicht noch größeres
Mißgeſchick erfuhr, daß nicht, wozu es ſich einen Augenblick
wohl anließ, der Gegenſatz eines franzöſiſchen und eines Fat:
ferlich - fpanifchen Anhangs Deutſchland geradezu in zwei Par⸗
feien serfeßte.
Und waren wohl überhaupt jene Verfuche die Neiche-
verfaffung zu verbeffern, dazu angethan, demfelben eine ftarfe
Stellung nach außen zu verfchaffen? Was auch dann und
wann beabfichtige worden feyn mag: die Einrichtungen zu
denen es wirklich gekommen ift, waren doch nur friedlicher
Natur. Der Kaifer ward als die Duelle des Nechts, als
der Ausdruck und Inbegriff der Würde und Hoheit des
Reiches verehrt; Macht aber follte ihm von Anfang nicht
gegeben werden: diefe follte allein in der Vereinigung der
Stähde ihren Sit haben.
Was fih auf diefem Grunde erreichen ließ, war nun
doch erreicht worden.
Eiferfüchtig hatte man den Vorrang feftgehalten, der
dem Reiche in dem Verein der abendländifchen Völker von
jeher zufam und auf welchem das Verhältniß der Stände,
die Abftufung ihrer Macht und ihres Ranges nun einmal
430 Zehntes Bud. Siebentes Capitel.
beruhte, und demfelben ſogar eine feftere unabhängige Aner:
fennung verfchafft. Der Anfpruch der Päpfte, über dag Neich
zu verfügen, entlud fih nur noch in Worten: in der Sache
felbft erfchien er matt und Fraftlog.
Überhaupt war den Einwirkungen des römifchen Stuhls,
der früher, felbft in weltlicher Beziehung, eine wahrhafte Ge-
walt im Reiche augmachte, eine Grenze geſetzt worden. Oder
follte e8 heutzutage Jemand geben, dem e8 als ein Nach:
theil erfchiene, daß päpftliche Legaten nicht ferner deutfche
Neichstage eröffneten, der römische Hof nicht mehr zur Be
ftätigung von Zöllen, zur Schlichtung von Nechtshändeln
herbeigezogen wurde, noch Contributionen in Form des Ab:
laſſes augfchreiben durfte?
Wir Eönnen fagen: die Gedanken deg viersehnten Jahr:
hunderts, wie fie dem älteften Churfürftenvereine und der
goldnen Bulle zu Grunde liegen, und das Beftreben des
funfzehnten, an die Stelle der Willkührlichkeiten, welche der
Faiferliche und der päpftliche Hof von der Ferne her aus:
iibten, wobei fie doch den eingeriffenen Gewaltfamkeiten nicht
im mindeften feuern Eonnten, Ordnung Friede und Necht
einzuführen, waren jet erft vollzogen; die urfprünglich beab-
fichtigte ftändifche Verfaffung war in großen — J— und
friedebringenden Conſtitutionen befeſtigt.
Es liegt am Tage, daß das Emporkommen der prote—
ftantifchen Meinung an allen diefen Dingen den größten An-
theil hatte. Zu der Oppofition gegen das Papſtthum gab
fie zugleich Berechtigung und weiteren Antrieb. Dem Kai—
ferthum, dem fie am fich nicht entgegen war, mußte fie fich
doch wegen feiner Verbindung mit der geiftlichen Macht wi:
derfegen. Erſt unter ihrem Einfluß kamen Landfriede, Kam:
Einwirk. des Proteft. auf d. Neichsverfaffung. 431
mergericht, Executions⸗ und Kreiseinrichtungen zu bleibender
Geftalt; mit dem Neligiongfrieden zufammen bildeten fie ein
einziges zufammenhängendes fchügendes Spftem. Wer es
nicht annahm, gehörte nicht mehr in vollem Sinne des Wor:
fe8 zum Neiche.
Dadurch gefchah nun aber wieder, daß die profeftan-
tifche Entiwicfelung fortan unter dem Schutze der Reiche:
gemeinfchaft ftand. Das Neich hatte fich verpflichtet, Feiner
Verdammung der Evangelifchen, die etwa das Concilium
ausiprechen möchte, Folge zu geben.
War e8 nicht ein allgemeiner Gewinn, daß die hierar-
hifche Macht, die alles weltliche und geiftliche Leben der
Nationen nach ihren einfeitigen Gefichtspuneten zu leiten dag
Recht zu haben glaubte, endlich einen unübermwindlichen Ge-
genfaß gefunden hatte? ES war das Werf des eigenthim:
lich deutfchen Genius, der jetzt zuerft auf den Gebieten des
ſelbſtbewußten Geiftes fchöpferifch eintrat, und ein Moment
der großen welthiftorifchen Bewegung zu bilden anfieng.
Und dieß gefchah nun nicht allein, ohne daß die große
Inſtitution des Neiches, in melcher die Nation feit fo vie,
len Sahrhunderten lebte, verlegt worden wäre, fondern mit
einer inneren DBefeftigung feiner ftändifchen Ausbildung.
Es iſt fchon gefagt worden, und hat eine unzweifel—
hafte Wahrheit, daß die Neichsgefchichte, in die fich feit dem
Abgang der großen Häufer des alten Kaiſerthums niemals
alle Kräfte recht zufammenfaffen, erft wieder ein großes In—
tereffe gewinnt, feitdem die religiöfe Neuerung fich erhob.
Man befchäftigte fich wieder mit einer Angelegenheit die aller
Anftrengung und Aufmerkfamkeit würdig war. Einen Augen-
blick hatte es den Anfchein, als follte die Neuerung alle Ele
432 Zehntes Bud. Siebentes Capitel.
mente durchdringen und den vollen Sieg behalten. Da das
nicht gefchah, fo war menigftens ein Glück, daß fie dazu
beitrug, den allgemeinen Einrichtungen feftere Formen zu ge:
ben. Auf den beiden Gegenfägen und ihrem Verhältniß be:
ruhte fortan das Neich.
E8 lag nun alles daran, fremde Einwirkungen, ſey es
der Meinung oder des Intereſſes, nicht wieder eingreifen
und das Ebengegründete zerfprengen zu laffen. Dann Fonn-
ten die geiftigen Momente die dag Neich enthielt, die althifto-
rifchen, die feiner Bildung zu Grunde lagen, und die neuen
den Fortgang der Entwickelung bedingenden, fich in friedli-
chen Beifammenfeyn noch inniger durchdringen.
Noch fchritt dag proteftantifche Element unaufhörlich fort.
Was Churfürft Friedrich von der Pfalz zwar unternom-
men, aber doch nicht mit woller Entfchiedenheit ausgeführt,
die Neformation der Nheinpfals, davon ließ fich deffen Nach—
folger, Dttheinrich, durch Feine Nückficht abhalten. Eifaffi-
fche und mwürtenbergifche Theologen wirften dabei zufammen :
bei der Neformation der Univerſität Heidelberg ward Me
lanchthon zu Nathe gezogen.
Den deutfchen Fürftenhäufern, die bereits in fo großer
Mehrzahl die Sache der Neform ergriffen, gefellte fich im
Sahr 1556 auch Baden beiz Markgraf Earl von Baden:
Durlach fah befonders dahin, daß feine neue Kirchenordnung
den nachbarlichen gleichförmig ausfiel. Diele Priefter alten
Glaubens nahmen fie an.
Und da wo die Fürften zögerfen, ergriffen die Stände
dieſe Angelegenheit. Im Frühjahr 1556 ward Herzog Al
brecht von Baiern durch die beharrliche Weigerung der welt
Verhaͤltniß Eatholifcher Landesfürften. 433
lichen Mitglieder des Landtags vorher auf feine Propofitio-
nen einzugehn, genöthigt, den Genuß des Abendmahls un:
ter beiderlei Geftalt und die Straflofigfeit der Übertretung
der Faftengefeße zu bewilligen. Das Verfprechen das er
gab, fo viel an ihm fey, dafür zu forgen daß dag Wort
Gottes durch taugliche Seelforger im Sinne der apoftolifchen
Kirche verkündet werde, ließ die weitefte Auslegung zu, fo
unbeftimmt auch die Worte gewählt waren. !
Durch ähnliches Andringen der Stände ward auch Kai:
fer Ferdinand in demfelben Jahre bewogen, die General:
mandate, durch die er dem Gebrauch des Kelches im Abend:
mahl / und andern Abweichungen Einhalt zu thun gedroht
hatte, fürs Erfte einzuftellen und die Zugeftändniffe, die in
Böhmen und Mähren unmiderruflich geworden, jeßt auch
in den öftreichifchen Herzogthümern eintreten zu laffen. In
Schlefin gab er auf, die von Fürften und Ständen vor:
genommenen Veränderungen rückgängig zu machen.
Es wäre eine Täufchung geweſen, hätte man die Ein-
willigung des römischen Hofes zu diefen Schritten erwarten
wollen. Mit heftigen Scheltworten empfieng Paul IV den
clevifchen Abgeordneten Mafius, der im Juli 1556 nach
Nom gekommen war, um einen verwandten Antrag zu ma-
chen." Er ergoß fich in Ausrufungen über die Undankbarkeit
der Deutfchen gegen die Kirche, welche doch dag Kaiferthum
von den Griechen auf fie übertragen habe; der Abfall der
Nation werde verurfachen, daß ihr durch die Türken eben fo
gefchehe, wie diefe einft den Griechen gethan.
1. Freiberg Landftände II, 330.
2. Maftus Bericht vom Aten Juli. „Darauf fy (paͤpſtl. Hei
Ranke D. Geſch. V. 28
434 Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Diefe Fürften mußten fogar in Bezug auf ihre altgläu-
bigen Unterthanen fich felber helfen. Man kennt die Strenge,
mit welcher Herzog Wilhelm von Eleve feine Nechte bei der
Beſetzung der Pfarrftellen fefthielt und Feinerlei Eingriff ei-
ner fremden geiftlichen Jurisdiction in feinem Lande geftat-
tete; ' feine Edicte haben allen fpätern Negierungen zur Norm
gedient.” Oſtreich und Baiern Tagen mit den Bifchöfen. der
Didcefen, zu denen ihre Landfchaften gehörten, in unaufhör—
lichem Hader. Auf den Synoden zu Salzburg 1549 und
1550, zu Mühldorf 1553, erhoben die Geiftlichen laute Kla-
gen, daß man ihrer Gerichtsbarkeit nicht achte, ihre Smmuz
nitäten verleße, ihnen ungewwohnte Laften auflege. Die Für-
ſten vertheidigten fich damit, daß fie den Bifchöfen Vernach—
läßigung ihrer geiftlichen Pflichten Schuld gaben. * Es blieb
dabei, daß in den weltlichen Gebieten die Firchlichen Angele—
genheiten hauptfächlich unter dem Einfluß fürftlicher Näthe,
nur mit Zusiehung eines und des andern ergebenen Elerifers
verwalter wurden. Wenn man die Unterfuchungen über an-
gedliche Wiedertäufer anfieht, die in Baiern noch dann und
ligfeit) von Stund an mit vielen und heftigen worten, als die fich
etwas entjeß, mir geantwort, ſolches fey nicht zuzulaffen.
1. Er habe „leinene Sädfe aufhenfen laffen, worin diejenigen,
fo der geiftlihen Jurisdietion halber etwas anzubringen unternehmen
würden, — als proditores patriae erfäuft werden ſollten.“
2. Laspeyres Verfaffung der Fatholifhen Kirche Preußens p.195.
3. Auszüge aus den gewechfelten Schriften bei Bucholtz VII,
208. Sugenheim 207. 218. „So fein,” fagt Ferdinand 1549, „die
geiftlihen folcher ihrer geiftlihen Necht, Gemwaldt3 und Gerichts:
zwangs, — fonderlich in unfern Erblanden — gar nicht in Gebrauch;
— halten für billig, das diej. Saien, fo de erimine heresis, sacri-
legii, falsi, simoniae, usurarum, adulterii, fractae pacis et perjurü
in Verdacht oder überwunden, nindert anderfiwohin als von der
weltlichen Obrigfait gerechtfertigt und geftraft und kainswegs für die
gaiftlih Dbrigfait gewifen oder gezogen werden follten.”
Verhaͤltniß Eatholifcher Landesfürften. 435
warn vorfommen, fo findet man, daß folche von den ber-
soglichen Neligionsräthen veranlagt, von einer Provinsialre-
gierung und dem Pfleger eines Fleinen Bezirks geführt wer:
den ohne alle eigentliche Theilnahme der bifchöflichen Ge-
walt, der man nur zuletzt einen als fchuldig betrachteten
Priefter zu canonifcher Strafe ausliefert. !
Nicht fo durchaus verfchieden wie e8 fcheinen follte, ift
das Verhältniß der weltlichen Fürften der alten Kirche zu
den Bilchöfen von dem, das fich in den Landfchaften der
augsburgifchen Confeſſion bildete. Nur eriwehrte man fich
bier der bifchöflichen Jurisdiction vollftändig und mußte daran
denken fie andermweit zu erfegen. Mir dürfen nicht verfäumen,
auf dieſe Seite des Ereigniffes noch einen Blick zu werfen.
Grundzüge der proteftantifchen Kirchenverfaffung.
Wie der alte Zuftand des mittelalterlichen Staates auf
einem Zufammenwirfen der geiftlichen und. weltlichen Gewalt
beruhte, fo entfprang die Neuerung zunächft Daher, daß, alg
die Bifchöfe die Anhänger Iutherifcher Lehren zu beftrafen
verfuchten, die Fürften ihnen dabei ihren weltlichen Arm
nicht mehr lieben. Dieß allein reichte hin, der bifchöflichen
Jurisdiction, welche bisher, 5. B. in Sachfen, ziemlich be
fchwerlich gefallen, ein Ende zu machen. Die Erzprieſter
und Diaconen, oder Officialen und Commiſſarien, durch welche
fie bisher ausgeübt worden, und die, da fie mit ihrer Ein-
nahme an die Sporteln verwiefen waren, fich felten ein Ver⸗
gehen hatten entfchlüpfen laſſen, erfchienen nicht mehr.
1. Winter Gefhichte der Baierifhen Wiedertäufer p. 83.
28 *
436 Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Nachdem aber diefes ganze Syſtem gefallen, fah man
doch auch, daß es etwas Gutes gehabt hatte und nicht ganz
zu entbehren mar.
Man trug Bedenken, Ehefachen, die bisher einen fo be
deutenden Zweig der geiftlichen Jurisdiction gebildet, geradezu
an bie weltlichen Gerichte zu überweifen, weil der Nichter,
wie die Theologen oftmals wiederholen, darin dem Gewiſ—
fen rathen müſſe.
Ferner bedurfte der geiftliche Stand, der früher jede
Unbill die er erfuhr, als ein Verbrechen gegen die allgemeine
Kirche geahndet, jetzt eines andern Schutzes : über Beleidi⸗
gungen der Patrone oder der Pfarrer hatte er nicht felten
zu Flagen.
War aber nicht für diefen Stand felber Aufficht nö—
thig? Gar bald fanden fic auch unter den proteftantifchen
Predigern Leute, die ein unordentliches Leben führten, oder
in der Lehre ihrem Gutdünfen nachhiengen: unmöglich Fonnte
man fie gewähren laffen.
Endlich forderten öffentliche Lafter ein Einfchreiten auch
von Firchlicher Seite heraus; der gemeine Mann, der fonft
alle Fahr fünf, fehs Mal vor den Official citirt worden
war, und jeßt nichts mehr von demfelben hörte, mußte auf
eine andre Weiſe in Zaum gehalten werden.
Anfangs war nun der Gedanke, einen Theil diefer Be:
fugniffe und Pflichten an die Pfarrer und Superintendenten
übergehn zu laffen, an jene den Bann und die Ehefachen,
an dieſe Auffiht und Schuß. E8 finden ſich Citationen,
welche Luther im Namen des Pfarrers von Wittenberg in
ganz juriftifcher Form erlaffen hat.
Allein bald zeigte fich, daß dieß nicht augreiche. Die
Proteſtantiſche Kirchenverfaffung. 437
Pfarrer waren doch der weltlichen Angelegenheiten nicht Fun;
dig genug, um nicht zuweilen groben Betrügereien ausge:
fett zu feyn, und in den geiftlichen vielleicht nur zu heftig.
Hauptfächlich aber, e8 fehlte ihnen an allem Nachdruck, al-
ler Zwangsgewale. ! ;
Und woher follte diefe auch überhaupt genommen, wor—
auf begründee werden?
Man Eonnte fie nicht aus dem päpftlichen Necht her:
leiten, das man verwarf, noch aus der alten Praris, die
wieder auf dem Nechte beruhte. Auch ließ fich nicht ein
Gemeinwille der Mitglieder der Kirchengefellfchaft nachwei—
fen, die noch lange nicht hinreichend von dem Prinzip durch
drungen zum großen Theil erft zu unterrichten, ja zu zäh—
“ men waren und noch regiert werden mußten. Es fehlte
der neuen GeiftlichFeit an einem zu Recht beftehenden Grund
ihrer Jurisdiction.
Die Wittenberger Theologen fühlten diefen Mangel fo
lebhaft, daß fie endlich Johann Friedrich baten, ihnen ei-
nen Commiffar zu geben ; einen rechtsverftändigen Mann,
der die Jurisdiction aus unmittelbarem Auftrag des Für:
fien ausübe. ?
1. Sn dem hauptfählih von Bugenhagen und Jonas herruͤh—
renden Bedenfen der Theologen heißt es: „die Pfarrer feyen erm—
lih verforgt und mit andern fachen ufgehalten: die Superintenden»
ten haben feine Erecution, feine Gewalt zu citiren, Fein Einfommen
um nur die Boten zu lohnen.‘
2. „Derfeldig muft ein wolgefchiefter mann fein, gelehrt in jure,
und auch in der h. Schrift; derfelbige fol die JZurisdiction haben aus
Befehl ane mittel des landesfürften.” Bedenfen der Theologen. Fer:
ner „Hochvonnöthen gewiffe Confiftoria aufzurichten, do die Judices
Befel und Gewalt hetten, rechtlich zu citiren, auch Urtel Straf und
Buß ufzulegen und entlich erecution zu thun.“
438 Zehntes Bud. Siebentes Capitel.
Die große Wendung für die Verfaffung evangelifcher
Landegfirchen liegt darin, daß Johann Friedrich fich entfchloß,
dieſe Bitte zu erfüllen. |
Sch denfe wohl: er war dazu hinreichend befugt. Die
alten Neichsjchlüffe hatten die einzelnen Landfchaften, in de
nen eine allgemeine Verwirrung ausgebrochen war, ermäch-
tigt, für fich felber Ordnung zu treffen. Schon haften die
fächfifchen Landftände, im Frühjahr 1537 in einem größern
Ausschuß verfammelt, wahrfcheinlich auf Antrieb des Canz-
lers Brück, die Errichtung einiger Firchlichen Behörden, die
fie Confiftorien nannten, in Antrag gebracht, hauptfächlich zu
den Ehefachen und dem Schuß der Pfarrer; und e8 war be
fchloffen worden, diefelben aus dem GSequeftrationsfends zu
befolden. Johann Friedrich entfprad) dem Auftrag des Nei-
che, dem Begehren der Stände, dem dringenden Anfuchen
der Theologen ſelbſt, wenn er feine landesfürfiliche Macht
zur Gründung eines fefteren Eirchlichen Zuftandes anwandte.
Er fette das Confiftorium aus zwei weltlichen und zwei geift:
lichen Mitgliedern zufammen, die er als feine Beauftragte
in Kirchenfachen, wie er e8 ausdrückt, als „feine von der
Kirchen wegen Befehlshaber“ bezeichnet. Sie follen in den
durch ein beigefchloffenes Gutachten der Theologen beftimm-
ten Fällen — eben in den oben angegebenen — die Defug-
niß haben, feine Unterthanen vorzubefcheiden, Verhör zu hal⸗
ten, Unterfuchung zu führen, und wofern e8 nöthig, rechtlich
zu verfahren. Alle Amtleute, Schöffer, Vögte, in den Städ—
ten die Näthe weift er an, dag zu volkiehen, was diefelben
verfügen oder erkennen werden. ! |
1. Gopei hurfurftlihen Gwalts und Vollmadts: den Commif:
farien des Gonfiftorii gegeben: undatirt, von anderer Hand mit der
Proteftantifche Kirchenverfaljung- 439
Einft hatten die Bifchöfe die weltliche Macht zu ver:
drängen gewußt, zumeilen ganze Didcefen zu Fürſtenthümern
umgewandelt. Jetzt trat in weltlichen Gebieten die umge:
Eehrte Entwickelung ein: die fürftliche Macht dehnte ihre Ju:
risdiction über geiftliche und gemifchte Fälle aus, die bisher
ein geiftliches Forum gehabt.
Die Theologen fanden, daß eine folche Ausdehnung dem
urfprünglichen Begriffe der Obrigkeit, wie er in der h. Schrift
vorliege, nicht allein vollfommen entfpreche, fondern durch
Diefelbe vorausgefet, gefordert werde. Durch Stellen des
alten und des neuen Teftaments bewiefen fie, daß die Obrig-
Feit auch in geiftlicher Beziehung Schuß gewähren und das
Böſe beftrafen müffe. !
Das hängt auch damit zufammen, daß die Neforma-
toren Die Kirche nicht mehr in den Bifchöfen, dem geiftlichen
Stande fahen, fondern eine Iheilnahme der Laien, nament:
lich der angefehenften, an ihren Gefchäften für zuträglich und
nothwendig hielten.
An einen Gegenfaß der verfchiedenen Stande war hier
nicht zu denken, da alle vereinigt, nur ein und eben daffelbe
Ziel hatten. Die fürftliche Autorität war nicht zu entbeb-
ven, um die Firchliche Ordnung wieder aufzurichten. Dod)
hätte fie allein nicht vorfchreiten können; fie bedurfte der
Mitwirkung der Geiftlichen, und zwar aus dem eigenen, von
feinem Auftrage des Fürften ſtammenden Prinzipe derfelben.
Sahrzahl 1538 bezeichnet; ferner ein Schreiben des Churfürften, Creuz⸗
burg Donnerftag nach Dorothei (11 Febr.) an die eben bezeichneten
Mitglieder. (Weim. Arch.)
1. Eine Stelle Eſaiaͤ 49 „die Könige werden der Kirchen Naͤh—
rer feyn” mag nun wohl diefen Sinn urfprünglich nicht haben: man
verftand fie aber in aller Aufrichtigfeit nicht anders.
440 Zehntes Buch. Siebentes Lapitel.
Auch an andern Stufen follten die beiden Zweige concurri-
ren. Bei der jährlichen Bifitation aller Kirchen des Bezir-
feg, die dem Conſiſtorium aufgetragen ward, follte fich daf-
felbe in den Städten mit zwei Mitgliedern des Raths und
zweien von den Vorſtehern des gemeinen Kaſtens, in den
Dörfern mit den Älteſten oder einigen Mitgliedern der Ge—
meinde vereinigen, um Wandel und Haushalt des Pfarrers
zu prüfen; mit Herbeisiehung des Pfarrers felbft follte dann
das Betragen der Gemeine unterfucht werden. Kein Mit:
glied follte Lafter dulden, durch welche der Zorn Gottes über
die Menfchen Fomme. i
Denn dabei blieb man immer, daß die Kirche ein gött—
liches Inſtitut fey, welches durch ein Zufammentvirfen aller
Kräfte aufrecht erhalten werden müffe.
Die weltliche Gewalt erbot fich, den Übelthätern, „als
die ihren Taufbund verleugnen,” ihr Handwerk zu legen, alle
bürgerliche Gemeinfchaft zu unterfagen.
Das erfte Confiftorium trat in Wittenberg im Februar
1539 zufammen. Es beftand aus den Theologen Juſtus
Sonas und Johann Agricola, und aus den Juriften Kilian
Goldftein, der anfänglich beftimmt war den Vorſitz zu füh—
ven, e8 aber abgelehnt hatte, und Baſilius Monner; war
aber noch fehr formlos. Es fehlte fogar an einem Amts:
fiegel: die Mitglieder mußten fich bei der Ausfertigung ihrer
Petſchafte bedienen. Eine eigentliche Inſtruction erfolgte erſt
1542, ' die denn zugleich für zwei andre Confiftorien, die in
1. Conſtitution und Articul des hurf. geiftl. Conſiſtorii zu Wit:
tenberg in Sachſen ao 42 aufgericht. (Weim. A.) Darin wird denn
auch der Bann fehr ausdrücklich gebilligt.
BL." Aa
Proteſtantiſche Kirchenverfaſſung. 441
Zeiz und in Saalfeld errichtet werden ſollten, beſtimmt war: doch
fehlte viel, daß alles fogleich ins Werk gefegt worden wäre.
War doch überhaupt der ganze Zuftand noch provifo-
rifch. Bei der erften Augficht auf eine allgemeine Neforma-
tion im Neiche erklärten fich die proteftantifchen Fürften be
reif, diefe Eirchliche Surisdiction den Bifchöfen zurückzugeben,
vorausgefeßt daß die Neinheit der Lehre gewahrt, und ein
ähnliches Inſtitut wie das Confiftorium unter bifchöflicher
Autorität eingerichtet würde.
Davon erfolgte jedoch, tie wir wiffen, das Gegentheil.
Das Interim war auf eine vollftändige Herftelung der Hierar-
chie des Neiches abgefehen: bei aller Vorficht, mit der «8
ſich ausdrückte, neigte e8 doch fo überwiegend zu dem Sinne
der alten Kirche, daß dieſer nothwendig den Sieg hätte da-
von fragen müffen.
In Bezug auf die Verfaffung ward dag Interim felbft
da wo man fonft dazu geneigt war, nicht ausgeführt. So
fehr man fich in den morigifchen Landen der Faiferlichen $or-
mel annäherte, fo Fonnten doch die Bifchöfe auch hier die
Drdination, die mit einer Prüfung in Eatholifchem Sinne ver:
bunden geweſen wäre, nicht wiedererlangen.
Wie viel weniger war daran zu denken, nachdem die
ganze Kraft der Eaiferlichen Anordnungen gefallen war!
Auf einer Zufammenkfunft fächfifcher und heffifcher Theo:
logen zu Naumburg, im Mai 1554, der von den Oberlän-
dern Sleidan beitvohnte, ward der Befchluß gefaßt, auf die
frühern Einrichtungen definitiv zurüchufommen.' Man er
1. Relation der Verhandlungen im Convent zu Naumburg.
Corp. Ref. VII, 282. Neudecker Neue Beiträge I, 102.
442 Zehntes Buch. . Siebentes Capitel.
Härte e8 für unmöglich, die Ordination den Bifchöfen zu
überlaffen, von denen die rechte Lehre nach wie vor verfolgt
werde, und befchloß diefelbe den Superintendenten zu über:
weifen, bei denen fie denn auch fortan geblieben ift. Etwas
ganz anders war e8 in England, wo das große national.
Firchliche Snftitut, — bei allem Wechfel den es durchmachte,
doch in fich felbft unangerafter, — zulett das evangelifche
Spftem in feinen Grundlehren annahm; und doch hat aud)
da die Beibehaltung der Vorrechte des Bisthums den hef—
figften Widerſpruch hervorgerufen. In Deutfchland hätte
man an die Mpfterien des Ordo wohl niemals wieder ge
glaubt. Man behielt nur den einfachen Nitus der Hand:
auflegung bei, wie man das Vorbild davon in der Schrift
fand, und trug dafür Sorge, daß der Ertheilung diefer
Weihe immer erft Unterweifung und Prüfung vorangieng.
Die Eonfiftorien traten wieder in ihre urfprüngliche Geltung
ein. Die Theologen erfuchten nur die Fürften, ihre Amt:
leute zu unnachfichtiger Erecution der gefaßten Decrete an—
zumeifen: fie miederholten aufs neue, daß die Erhaltung
diefes Inſtitutes ein Gortesdienft fey, der in dag Amt der
Zürften gehöre.
Auch hatte es jeßt von Seiten der Gegner damit Feine
Gefahr mehr. Auf der VBerfammlung zu Augsburg im Jahr
1555 befchloß das Neich, daß den Bifchöfen in den zur
augsburgifchen Confeffion übergetretenen Gebieten Fein An—
fpruch auf die Zurisdiction mehr zuftehe. Es Fam gleich:
fam auf die im Jahr 1526 ausgefprochene Delegation zu—
rück, und beftätigte, was in Folge derfelben gefchehen war.
Seitdem feßte fich denn die Confiftorialverfaffung überall
Proteftantifche Kirchenverfaffung. 443
und auch da durch, wo man bisher die bifchöflichen For:
men beibehalten hatte. - Sie beruht auf einer Vereinigung
de8 neuen geiftlichen Prinzipes und der Landeshoheit, die
dem Ereigniß wie es ſich nun einmal vollgogen hatte, voll
fommen entfpricht. Die Geiftlichfeit hätte fich ohne dag
Fürftenthum nimmermehr behaupten können; diefes dagegen
erlangte durch eine ergebene GeiftlichFeit eine Ausdehnung fei-
ner Befugniffe, welche auch in Eatholifchen Ländern gefucht,
aber doch nicht in fo vollem Maaße erreicht werden Eonnte.
Freilich waren damit auch wieder bei weiten größere
Schwierigkeiten verknüpft. Es war mur erft ein Grund ge
legt, ein Anfang gemacht, und fchon folte man die bedeu-
tendften, weitausſehendſten Irrungen erledigen.
Bon der Lehre war die Abfonderung von der alten Kirche
und die Einrichtung eines neuen Gemeinweſens ausgegan-
gen: nichts konnte widriger und bedenklicher feyn, als daß
man fich über die Lehre wieder entzweite.
Theologiſche Gtreitigfeiten.
Vor dem fchmalfaldifchen Kriege herrfchte in der pro:
teftantifch -theologifchen Welt ein ziemlich allgemeiner Friede.
Wohl war Fury vorher der alte Ingrimm Luthers gegen die
fchweizerifche Meinung noch einmal aufgeflammt, ? eine Ber
1. Melanchthon findet folgenden Wortheil. „Mo Konftftoria
find, fagt er, da iſt nicht einer allein gewaltig, fondern die Sachen
muͤſſen durch etliche erfahrne Perfonen bedacht werden und alsdann
an die Herrfchaft gebracht, die folches auch weiter bedenken kann.“
Bedenfen vom Synodo 1558.
2. Calvin, Expositio consensionis capitum: ex sopitis car-
bonibus subinde micabant scintillae.
444 Zehntes Bud. Siebentes Capitel.
wegung aber war daraus nicht mehr entftanden. Der Ztwing-
lianismug, wie ihn Bullinger bekannte, war wie berührt da-
mals in fehr enge Grenzen eingefchloffen; die deutfchen Kir:
chen hielten an der Wittenberger Concordie feft. Eine Eleine
Veränderung, ! die Melanchthon in dem Wortlaut der augs⸗
burgifchen Eonfeffion vorgenommen, ward ihm wenigſtens
auf der evangelifchen Seite noch nicht zum Vorwurf ge
macht. ? Abweichende Meinungen regen fic) dann und
warn, wie des Eisleber Agricola oder Oſianders in Nürn-
berg: fie wurden aber leicht beichwichtigt. Die hohe Schule
zu Wittenberg, die jedoch bei ſchwierigen Fragen niemals
verſäumte auch andre angeſehene beſonders practiſche Theo—
logen herbeizuziehen, bildete eine Autorität, vor der ſich alles
beugte. In ihr ſelber ließen ſich zwar verſchiedene Richtun—
gen unterſcheiden, die ſich an die Sinnesweiſe der beiden
großen Lehrer, Luther und Melanchthon, knüpften, allein ſie
traten vor einem höheren Einverſtändniß zurück. Ein un—
vergängliches Denkmal dieſer Gemeinſchaft der ſpätern Jahre
iſt Die neue Ausgabe der Bibelüberſetzung, bei der Melanch—
thon, Eruciger, Öugenhagen und mehrere Sjüngere den Doctor
Luther, jeder mit feiner befondern Kunde unterftügten, und die
nun nicht wie in den erften Zeiten in Form einer Flugfchrift,
fondern als ein Codex göttlicher Wiffenfchaft der deutfchen Na-
1. Urfprünglich hieß e8: docent, -- quod corpus et sanguis
Christi vere adsint et distribuantur vescentibus in coena domini
et improbant secus docentes; — fpäter: docent, quod cum pane
et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus
in coena domini. ı
2. Luther billgte beim Wiederabdruck älterer Streitſchriften in
der Sacramentsfahe die Weglaffung anzüglicher und beleidigender
Stellen. Salig Gef. der Augsb. Conf. III,
Univerfitat Wittenberg. 445
tion dargeboten wurde. Auch fonft übte diefe Univerfität ei-
nen unermeßlichen Einfluß aus. Die ganze deutfche Nation,
von Liefland big nach Öftreich auf der einen, und nach Bra-
bant auf der andern Seite, fchickte ihre Jugend zu den Fü—
Ben der Wittenberger Lehrer. Wittenberg war feit Bologna
und Paris die erfte felbftändige hohe Schule die es gab:
feine Colonie mehr, wie die früheren gewefen. Eher konn⸗
ten die Fleineren profeftantifchen Univerfitäten als Pflansftät-
ten von Wittenberg gelten, von wo aus fie großentheils be:
fest worden waren. Wenn man fich hier nur verftand, fo
brauchte man übrigens Feinen Zwiefpalt zu fürchten. Der
Eid den die zu Wittenberg creirten Magifter ſchwuren, fich
in fireitigen Fragen bei den Älteren Raths zu erholen, war
darauf berechnet, unreife Meinungsäußerungen und daraus
zu beforgenden Ziviefpalt zu verhüten, wenn er auch nicht
darauf gieng, wie ihn einige verftehn wollten, als follten die
wittenbergifchen Lehrer immer zuerft gefragt werden.
Wenn die Dinge in diefem Gange geblieben wären,
fo hätte fich wohl eine ruhige Weiterbildung der Lehre in
1. Im Sahr 1540 finden wir 448, 1541 461, 1542 594,
1543 503, 1544 814, 1545 556, 1546 748 Snferipti. Die große
Maffe der Studirenden gaben die naͤchſten Landfchaften, Meißen,
Thüringen, Sranfen, Brandenburg, Heffen; fehr regelmäßig finden
wir unter den Snferibirten auch Liefländer und Preußen, ferner 3.2.
im Sahr 1544 35 Schlefter, 15 Pommern, 11 Hamburger, im Fahr
1543 7 Weſtphalen, 5 riesländer, 4 Cölfner; und diefen Norddeut—
fhen gefellten fih dann die Oberdeutfchen und Nheinländer in ziem—
lich gleicher Anzahl bei: im Jahr 1543 finden wir 10 Augsburger
und noch 6 andre Schwaben, 2 Straßburger, 3 von Speier: Franf-
furt und Nürnberg erfchienen jedes Jahr mit einer Anzahl Inferiptio:
nen, eben fo Oftreih, auch die Stadt Wien. Schweizer, Holländer,
Brabanter find doch immer Einige.
446 Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
den Puncten wo fie noch nicht genügte, namentlich in dem
Artikel vom Abendmahl, wo die Grundfäge der Wittenber-
ger Concordie noch nicht recht durchgearbeitet, zur Allgemein:
gültigkeit erhoben waren, erwarten laffen.
Aber die großen Ereigniffe, der fchmalfaldifche Krieg
und was demfelben folgte, unterbrachen auch hier den na
türlichen Lauf der Dinge.
Mir gedachten oben der interimiftifchen Händel. Die
. Metropole der evangelifchen Doctrin, in den Bereich der vor:
dringenden Neftaurationsverfuche gezogen, ließ fich zu Annähe⸗
rungen herbei, die im Drange des Augenblicks allenfalls ent-
fehuldigt, niemals aber die allgemeine Norm werden Font:
ten. Sie mußten vielmehr Denen ein Greuel feyn, die um:
ter perfönlicher Gefahr ähnlichen Anmuthungen widerſtan—
den, Flucht und Verbannung vorgegogen hatten, und auc)
Die zurückftoßen, die von der vordringenden fiegreichen Ge
malt nicht erreicht worden waren. Melanchthon gerieth un-
ter dem Einfluß einer provinziellen Politik in eine. einfeitige
Stellung, in der er aufhörte „den Wagen Iſraels“ zu Ienfen.
In feiner unmittelbaren Nähe brach ihm darüber Wir
derfpruch aus. Ein junger Lehrer der hebräifchen Sprache,
Matthias Vlacich von Albona, genannt Flacius, — der einft
im Klofter von den Schriften Luthers angeregt, diefen per-
ſönlich aufgefucht, und fich, nicht ohne den Zufpruch deffel-
ben, unter heftigen inneren Bedrängniffen, von der Nechtfer-
tigungslehre allein durch den Glauben durchdrungen, ihre heil-
dringende Kraft am fich erprobt hatte, — wollte nicht mit
anfehen, daß man fich in diefem Hauptartikel jeßt wieder
dem alten Syſteme annähere. Da er jedoch weder mit fchrift:
Theologifhe Streitigkeiten. (Flacius.) 447
lichen noch mit mündlichen Erinnerungen bei feinen Lehrern
Eingang fand, fo entfernte er fich lieber aus Wittenberg, und
begab fich nach den Gegenden wo man von den Wermitte-
Iungsverfuchen noch unberührt geblieben war. In Magde
burg vereinigte er fich mit Amsdorf, der fein Bisthum ver
loren hatte, und die DVerfuche feiner frühen Collegen, fich
mit den Feinden zu verföhnen, denen er weichen müffen, wohl
nicht anders als verdammen Fonnte: und mit Nicol. Gallus,
der deg Interims wegen von Negensburg ausgewandert war:
von Hamburg ber Fam ihm Weftphal, bei dem er fich erft
Raths erholt hatte, zu Hülfe. Noch befonders durch jenen
Brief an Carlowitz gereist, trugen fie endlich Fein Beden—
Een, den allgemeinen Lehrer in offenen Schriften anzugrei-
fen. Sie zogen die Differenzen ang Licht, die man früher
zu berühren vermieden, und erklärten die Zugeftändniffe, zu
denen fi) Melanchthon widerfirebend hatte bewegen laffen,
für eine abfichtliche Abtrünnigkeit. Daß er bei der Lehre
von der Rechtfertigung durch den Glauben das Wort „allein!
tweggelaffen, oder den Papft nicht mehr geradezu für den
Antichrift erflären wollte, fehien ihnen eine Anbahnung zu
neuer Unterwerfung unter das alte Syſtem. in theologi-
fcher Krieg brach aus, der dag Getümmel der Waffen mit
feinem Geräufche durchbrach.
Nachdem wir die Nettung des großen Prinzipes betrach-
tet, was unfre Aufgabe war, wollen wir nicht diefe Ent
zweiung im Einzelnen verfolgen, — faffen mir nur auf, wo—
von hauptfüchlich die Nede war.
Die erſte Streitigkeit betraf den Artikel über Glauben
und gute Werke.
448 Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Es Fonnte Niemand mehr beifommen, unfer Heil von
den gebotenen Firchlichen Merken herzuleiten, oder die Erwer⸗
bung deffelben damit in Verbindung zu feßen.
Dann aber machte die Ausdrucksmweife, die man in der
evangelifchen Kirche beibehielt, daß gute Werke zur Seligkeit
nicht nöthig feyen, allerdings ein Mißverftändniß möglich,
welches in jenen Tagen unter dem Volke öfter hervorgetre-
ten ift, als ſey fchon der hiftorische Glaube an das My:
fterium der Erlöfung zur Geligkeit hinreichend. Die Be
haupfung, die Lehre mache dadurch fichere und rohe Leute,
gab den Gegnern wieder Waffen in die Hände, und ohne
Nugen wäre e8 nicht gewefen ihnen jeden Grund dazu zu
enfreißen.
Dahin eigentlich gieng die Abficht Majors und Ofian:
ders, deren Doctrinen die Fehde, die fonft mit dem Interim
felbft hätte aufhören müffen, aufs neue belebten.
Georg Major, ein Schüler und freuer Anhänger Me
lanchthons, blieb bei dem practifchen Gefichtspunct ftehn,
und Iehrte, Niemand ſey noch felig geworden durch böfe
Werke, Niemand werde e8 ohne gute Werke. Er mar
der Meinung, die Wiedergeburt bringe fo unfehlbar gufe
Werke hervor, wie die Sonne Licht und Wärme verbreite;
und fo fprach er die Lehre aus: gute Werke feyen zur Se
ligfeit ohne allen Zweifel nothwendig.
Obgleich fi) Oſiander gegen die Wittenberger Schule,
deren Autorität ihn früher zumeilen bejchränft hafte, na-
mentlich gegen Melanchthon und deffen Anhänger, die Phi—
lippiften, in heftigen Widerfpruch warf, ! fo gieng doch feine
1. Nur follte man nicht immer wieder fagen, daß der Neid des
Iheologifche Streitigkeiten. (Dfiander.) 449
Meinung eben dahin: nur daß er fie tiefer ergriff, und nicht
ohne Anklang an die deutfche Myſtik und die faulerifchen
Lehren, von denen auch Luther einft ausgegangen, entfchie-
dener ausbildete. Das Eigenthümliche feiner Meinung: ift,
daß er, an dem Mittleramt Chrifti und der Lehre von der
Genugthuung durch deffen Leiden und Sterben fefthaltend,
doch den Artikel von der Erneuung und Heiligung, die er
mit dem Worte Nechtfertigung begeichnete, ftärfer hervor:
bob als es gewöhnlich gefchah, und zu größerer Bedeu:
tung auszubilden fuchte. Er war mit dem Begriffe von der
Einwirkung des heiligen Geiftes nicht zufrieden, indem diefe
nichts als ein creatürliches Leben wirfe und nur uneigent
lich als ein Einwohnen Gottes bezeichnet werden könne:
er lehrte vielmehr, daß die Gottheit in ihrer Fülle in De:
nen wohne welche lebendige Glieder Chrifti feyen, wie in
Chriſto felbfi. Die Rechtfertigung bezeichnet er als die in
ung wirkende swefentliche Gerechtigkeit Gottes, die ein ge
rechtes Wollen und gerechte Werke hervorbringt: dag gött—
liche Licht, das dem Menfchen zu Theil wird, als daf-
felbe das den Tod überwindet, das Leben und Wort Got:
tes, Chriſtus, Gott ſelbſt. Im Wefentlichen das Nemliche
was Tauler lehrt, daß Gott fein Wort im Grunde der See
len fpricht, das Wort, in welchem alle Dinge gefchaffen
find. Nur daß Ofiander feine Süße dem Sprachgebrauch
der Zeit annähert und mit aller Gelehrfamfeit fchriftmäßiger
Staphylus über eine Bevorzugung Oftanders in der Profeffur den
Anlaß zum Streit gegeben habe. Arnold hat längft gezeigt, daß
Staphylus bereits refignirt hatte, ehe Oftander ernannt ward. Kir—
chengefch. p. 413.
Ranfe D. Geſch. V. 29
450 Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Theologie zu beweiſen fucht. Sein Sinn ift, daß Chrifti
Leiden und Sterben, auf das man gleichwohl allein zu trauen
habe, durch den Glauben ergriffen, den Leib der Sünde in
ung zerfiöre und allmählig den alten Menfchen tödte: eben
wie Major die innere Nothivendigkeit der guten Werfe be
hauptete, nicht die Außere:
Man wird nicht leugnen, daß diefe Anfichten von ho—
her Wichtigkeit, einer weiteren Ausbildung höchft würdig wa—
ren: wie fie denn auch gleich damals nicht ohne Rückwir—
fung blieben; ! aber durchdringen Eonnten fie nicht, fchon
darum nicht, weil fie mwenigftens dag Anfehen hatten ale
näherten fie ſich dem in Trident ergriffenen Syſtem: zu
einer Zeit wo nach kurzem Wermittelungsverfuch dag Prin-
sip der Abfonderung und des Gegenſatzes wieder die Ober-
band gewonnen hatte. Man wollte Feine Annäherung mehr,
weil dadurch dieffeit nur Schwanken und Entzweiung, jenfeit
Beftärfung und neue Umgriffe veranlaßt würden. Melanch-
thon felbft verwarf die Ausdrucksweife Majors, weil «8
doch feheinen könne, ald werde den Werken Verdienſt zuge
fchrieben, und Major mußte fie endlich fallen laffen. Auch
die Dfiandriften unterlagen, wiewohl fie mächtige Unterftügung
gefunden hatten. Aber der firenger orthodoren Partei, die
bier den Sieg behalten, wurde darum doch nicht geftattet
ihr Prinzip zu weit auszudehnen. Übertreibende Behauptun
1. Oſiander felbft behauptet dieß: MWiderlegung der ungegrund-
ten undienftlihen Antwort Philippi Melanthonis: „warumb hat er
aber folhs in allen feinen Wüchern nie gelehrt, noch befennet, bis
ichs ihm in diefem 1551 jar mit der h. fihrift abgedrungen hab.“
2. Vgl. f. Brief an die Nordhaufer 13 Jan. 1555. Er gab
nur zu, die Werke feyen nöthig: nicht aber „nöthig zur Seligkeit.“
Theologifhe Streitigkeiten. (Calvin) 451
gen, zu denen fich Flacius und Amsdorf fortreißen ließen,
wurden zuleßt allgemein verworfen, und namentlich dem er
ftern felbft verderblich. E8 herrfchte in der Gefammtheit fo
viel gefunder Sinn, daß fie fich aus der unter Luthers Füh—
rung eingefchlagenen Bahn, die fie den Katholifen gegenüber
behauptete, nicht auch nach der andern Seite hin abführen
laffen mochte, wo fie in dag GSectirerifche gefallen wäre.
Während dem aber war auch der äÄltefte innere Streit,
über das Abendmahl, wieder in Gang gefommen, womit e8
folgende Bewandtniß hat.
In der Wittenberger Concordie gaben, wie wir fahen,
die beiden Parteien die fchroffiten Behauptungen auf, Durch
die fie fich früher an einander geärgert hatten. Ohne Zwei—
fel behauptete die lutheriſche Auffaffung das Libergemwicht,
aber fie erfehien doch in fehr milder Geftale. Jene Ande:
rung in dem Wortlaut der augsburgifchen Confeffion be
wirfte daß diefe von Jedermann angenommen werden Eonnte.
Wohl waren damit noch nicht alle Bedenken gehoben:
noch gab Manchem der fich übrigens anfchloß, der Ausdruck
des Darreicheng, oder die Bezeichnung „real, Eörperlich
Anſtoß, Andere wollten fich nicht überzeugen, daß auch Un—
würdigen der Leib Chrifti mitgetheilt werde. Melanchthon
fuchte in den neuen Ausgaben feines theologifchen Lehr:
buchs, der Loci, einige diefer Zweifel zu heben: wie er z. B.
im Jahr 1543 den Ausdruck „körperlich“ nach dem Vor—
gang des Cyrillus beffer auslegte, als e8 bisher gefchehen
war; nur bewirfte die Furcht, die alten Antipathien Luthers
aufzumecken, daß er Außerft behutfam vorfchritt..
Die Concordie hielt unter diefen Umftänden nicht al-
29*
452 Zehntes Buch. Siebentes Eapitel.
lein in Deutfchland die Gemüther vereinigt, fondern fie drang
auch in der Schweiz vor. In Bern und den von Diefer
mächtigften Stadt der Eidgenoffenfchaft abhängigen Land-
fehaften gewannen die Intherifchen Anfichten zwiſchen 1540
und 1546, unter dem Vortritt Simon Sulzers, unbezwei-
felt die Oberhand. Calvin, der nach Genf zurückgefommen
war, und dort feine große Laufbahn begann, ward noch als
ein Gegner Zwinglis betrachtet. Necht im Gegenfas mit
den Zürchern, welche durch die Behauptung der fubftangiellen
Gegenwart hauptfächlich verhindert waren ſich der Concordie
anzufchliegen, * bekannte er einft im feiner Confeffion über
die Euchariftie, welche auch von Bußer unterfchrieben wor—
den, die Mittheilung der Subſtanz des Leibes und Blutes
unfers Herrn.“ Die räumliche Gegenwart nahm er wohl
nicht an, aber er tadelt die Schweizer daß fie in Bekäm—
pfung derfelben zu weit gegangen, und faft aus der Acht
gelaffen, wie mit dem Zeichen auch die Wahrheit vereinigt
ſey.“ Wir finden ihn im Jahr 1540 unter den deutfchen
Theologen welche die Neligionsgefpräche befuchen; zu Genf
fuhr er fort diefe Meinungen zu befennen.
Schr auffallend, wie das Unglück des fchmalfaldifchen
Bundes im Gebiete der Eidgenoffenfchaft fogar auf die rein
geiftlichen Angelegenheiten zurückwirkte.
Woher e8 auch rühren mag, wahrfcheinlid) doch aus
1. Ruchat Histoire de la reformation de Suisse V, 552.
2. „ita ut nos ille (spiritus sanctus) carnis et sanguinis
domini substantia vere ad immortalitatem pascat.“ Worte der
confessio fidei quam obtulerunt Farellus, Calvinus, Viretus, cui
subscripserunt Bucerus et Capito.
3. De coena domini, Opera VII, p.10. non cogitarunt, ita
signa esse ut veritas cum eis conjuncta sit.
Theologiſche Streitigfeiten. (Kalvin.) 453
der Furcht, durch eine fernere Trennung von Zürid) allen
Rückhalt zu verlieren: mit, jenem Unglück trat: eine Re
action gegen die Iutheranifirenden Meinungen in Bern ein.
Man befeßte entfiehende Vacanzen troß des Widerſpruchs
der angeftellten GeiftlichFeit mit Anhängern des reinen Zwing—
lianismus; die Zöglinge der theologifchen Schule wurden
einft einer Prüfung unterworfen, und von fechgzehn nur ihrer
drei als ächte Anhänger Zwinglis befunden, alle übrigen in
gefängliche Haft genommen; nach einiger Zeit wurden Gul-
zer und deffen nächfte Freunde durch fürmlichen Rathsſchluß
ihrer Stellen entfegt, und bald follte auch in der Waat nichts
anders anerkannt werden als was mit den Schlüffen der
Berner Disputation übereinftimme.! Calvins nächfte Freunde
und er felbft fahen fich in Bern bedroht und mißhandele.
Man eiferte dort über Calvinismus und Bucerianismug, was
man fir einerlei hielt; man warf Calvin dunfle Iutherani-
firende Lehren, den Begriff der Impanation vor; man fa
delte ihn heftig, als er einft nach Laufanne gefommen um
da zu predigen; in Genf felbft, fagten feine Feinde, müſſe
er aus dem Kirchendienft geftoßen werden.
Bei den politifchen Verhältniffen Genf, dag nur un
ter dem Schuße von Bern die Neformation angenommen,
ließ fich in der That nicht denken, daß fich dort eine Lehre
halten Fönne, die hier verdammt wurde.
Wie ein Seufzer aus tiefſter Seele bricht in einem Briefe
Calvins der Ausruf hervor: e8 wäre ehrenvoller geweſen die
geiftliche Herrfchaft von Nom zu dulden als die von Bern. ?
1. Hundeshagen: Die Conflicte des Zwinglianismus, Luther:
thums und Galvinismus in der bernifchen Landesfirche p. 200.
2. Utrum generosius saltem fuit, Romae an Bernae sub-
454 Zehntes Bud. Siebentes Capitel.
Wohl Fam ihm der Gedanke, von Genf, wo die alten
Feinde ſich aufs neue vegten, abermals zu weichen, aber da:
gegen machte fich doch wieder die Betrachtung geltend, welch
ein treffliches Mittel fchon die Lage diefes Ortes zur Aus—
breitung der Lehre nach allen Seiten hin darbiete. !
Und mußte e8 denn wirklich zu einem Äußerſten diefer
Art Fommen?
Calvin war fich bewußt, daß der Haß mit dem man
ihn verfolgte, großentheils auf falfchen Vorſtellungen beruhte,
daß er bei feinem Befennen der pofitiven Momente, dem
Weſen nad) wie fie in der Concordie ausgedrückt waren,
doch) Feineswegs in allen Streitpuneten mit den Zwinglia—
nern in Widerfprucdy fand. Wie nun wenn er verfuchte
dieß Verhältniß geltend zu machen? indem er fie anerfannte,
fich felber Anerkennung zu verfchaffen?
Man dürfte nicht fagen, daß hier lediglich von Nachgie-
bigfeit die Nede geweſen fey: es maltete ein viel höheres und
allgemeineres Intereſſe ob. Calvin mußte zugleich das Werf
fortfeßen das Butzer nicht zu Ende bringen Fönnen, und eine
Vereinigung von allgemeiner Bedeutung unternehmen.
Butzer hielt e8 noch) nicht für möglich: er machte einige
Artikel nahmhaft, in welchen man in Zürich niemals nad):
jiei. Calvin an Bullinger 6 Cal. Jul. 1548 bei Henry II Anh. 132.
Es ift nur fehr auffallend, daß diefer Brief ſchon einmal abgedruckt
it, aber nicht ohne große Abweichungen, bei Süfflin, Epistolae ab ec-
clesiae Helveticae reformatoribus scriptae, nr. 66. Obige Worte
lauten da: quid profecimus, tyrannide Papae excussa. Bei Henry
denfe ich iſt das Urfprüngliche.
1. Dum expendo quantum habeat hie angulus momenti ad
propagandum Christi regnum, sum sollieitus de eo tuendo. Aus
einem Schreiben Calvins (Mai 49) bei Hundeshagen p. 254.
*
—38
Theologifhe Streitigkeiten. (Kalvin.) 455
geben werde; und Calvin felbft fühlte, welch eine ſchwere
Sache er umternehme. Wie oft hatte er früher über den
Starrfinn der Züricher geklagt, die fich in ihre Meinungen und
Seindfeligkeiten immer mehr hineingeredet, über das Gelbft-
genügen Bullingers, der ein harter Kopf fey. Als er jekt,
im Juli 1549, in Begleitung Farels nach Zürich Fam, fehien
e8 nicht anders zu ſtehn als früher, und e8 war ein Au:
genblick wo er zum Ziele zu Fommen verzweifelte. Plötz—
lich aber, fagt er, fahen wir Licht. Wielleicht, daß deutiche
Flüchtlinge wie Muſculus von Augsburg, der in Bullingers
Haufe Aufnahme gefunden, dazu beigetragen hatten perſön—
liche Borurtheile zu zerftreuen. Nafcher als man hätte glau:
ben follen, Fam zwifchen Bullinger und Calvin eine Verein
gung zu Stande, der Conſenſus Tigurinus, in welchem einige
Meinungen Zwinglis wiederholt werden, aber dabei doch auch
die Grundgedanken der entgegengefegten Lehre ihr Necht be
haupten. Den Sab, daß der Leib Ehrifti auch den Unwür—
digen gegeben werde, ließ Calvin fich nicht entreißen, fo vie
len Anftoß auch die Schweizer von jeher daran genommen
hatten: er erläuterte nur näher, daß die Berheißung zwar
nur den Gläubigen zu Gute Eomme, welche Chriſtum geift-
lich genießen, mit dem Zeichen aber doc) auch die Wahr:
heit deffelben und ihr Inhalt den Ungläubigen dargeboten
werde. Den Ausdruck „Darreichen: darreichende Zeichen”, der
den Sinn der Wittenberger Concordie fo recht eigentlich aus-
fprach, und von den Schweizern bisher verfchmäht worden
war, hielt er fe." Er lehrte unverändert, daß der Leib
1. Fatemur dignis simul et indignis Christum corpus suum
offerre, nec ullius hominis pravitate fieri quin panis verum sit el
exhibitivum, ut loquuntur, Christi corporis pignus.
456 Zehntes Duch. Siebentes Capitel.
Ehrifti welcher-Dargeboten werde, der nemliche fen der am
Kreuze gelitten. Genug, vom Objectiven des Myſteriums
wich er nicht ab. Es läßt fich aber gar nicht denken,
daß er e8 zu Diefer Anerkennung deffelben gebracht haben
würde, hätte er nicht dagegen twieder einige eigenthümliche
fchweiserifche Meinungen zu den ſeinen gemacht. Er gab
zu, was dort immer behauptet worden, daß in den Sacra—
menten nur Gottes eigene Kraft wirke, und erklärte ſich ſehr
nachdrücklich gegen Die, welche das Göttliche in den Ele—
menten ſehen wollen. Wie Zwingli nahm er an, daß Chri-
ftus im Himmel wohne und räumlich von der Erde ent
ferne fen; er fügte nur hinzu, durch feine göttliche Kraft
fteige er Doch zu ung herab. In der Auslegung der Ein-
feßungsmworte pflichtete er den Schtweizern unummunden bei.
Ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht in einem und dem an—
dern Punct, wenigfiens im Ausdruck, einen Schritt weiter
gegangen ift, als er urfprünglich beabfichtigt hatte; Teicht
aber gab er zu, was die Summe feiner Anficht nicht ver:
legte, womit er übereinftimmen Fonnte. Ohne Zweifel trägt
1. Defensio ad Westphalum VIN, 775. Scio quod semel
mortale Christus corpus induit, nunc novis coelestis gloriae qua-
litatibus esse praeditum, quae tamen non impediunt quo minus
idem substantia sit corpus; dico igitur illo corpore quod in cruce
pependit non minus in spiritualem vitam animas ipsas vegetari,
quanı pane terreno corpora nostra aluntur.
2. Ego aliter verba temperaveram, fagt Calvin in einem Briefe
an Bußer, ceterum quia haece quam usurpavimus forma nihil con-
tinebat nisi quod sentiebam, aliam eis concedere non fuit religio.
In dem erften Entwurf des Konfenfus (bei Henry II Anh.), der im
Mai nad) Bern gefchicft wurde, fehlt die ausdrückliche Anerfennung
der fchweizerifhen Auslegung. Und enthält nicht in der That die
Lehre Calvins das lutheriſche Iſt doch auch in fich?
a — —
|
Theologifche Streitigkeiten. (Calvin) 457
der Conſenſus noch ein ziemlich ſtarkes Gepräge des Ortes
two er gefchloffen wurde, der Umftände unter denen er zu
Stande Fam, aller jener provinziellen Bedingungen: als dag
legte Wort in der Sache kann er nicht betrachtet werden;
aber dabei läßt fich doch, hiſtoriſch angefehen, nicht leugnen,
daß die Ideen der Wittenberger Concordie, in denen dag
Intherifche Element überwog, dadurch einen Fortſchritt mach-
ten, an einer Stelle Eingang fanden, wo man bisher noch
niemals etwas davon hatte hören wollen: der Conſenſus ift
fehon eine neue Concordie, nur mit ſtarker ſchweizeriſcher
Berfegung. Die Kraft der Formel zu der man fich verei-
nigte, liegt darin, daß fie beide Momente in fich enthält;
der Freund Calvins, Butzer, der einige Abweichungen die in
England vorfamen und von Peter Martyr befördert wur:
den, nicht billigte, war doch mit dem KConfenfus einverftan-
den: er ſah darin eine Fortfeßung feines eignen Werkes.
Es gieng auch diefer Formel wie e8 Vermittelungen zu
gehn pflegt: fie fand auf beiden Seiten Widerfpruch.
In Zürich zeigten fich die Anhänger Zwinglis, in Ba-
fel die mehr Iutheranifirenden Theologen ein wenig verftimmt.
Die fo eben in Bern emporgefommene Zwinglifche Partei
verweigerte eine Zeitlang ihre Unterfchrift. Es gehörte die
ganze Autorität des alten Bullinger dazu, um fie endlich
dazu zu vermögen; doch hat e8 bis in das Jahr 1551
gedauert, ehe man den Conſenſus durch den Druck be-
kannt machte. !
Kaum aber war e8 hier jo meit gefommen, fo erhob
1. Hundeshagen p. 252.
458 Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
ſich der Widerfpruch von einer andern Geite * in tumul⸗
tuariſcher Aufwallung.
In einer ähnlichen Stellung wie damals die Zwinglia—
ner in Bern, welche die lutheriſchen Meinungen verdrängt
hatten, waren die Lutheraner in den niederdeutſchen Städten:
ihre Herrſchaft gründete ſich auf eine Unterdrückung zwinglia⸗
niſirender Meinungen, die hier einmal ſehr ſtark geweſen, und
jetzt, ſobald nur eine Annäherung dazu in Bremen hervor—
tauchte, ſich plötzlich wieder lebhaft regten. Dafür, daß Cal⸗
vin eine vermittelnde Richtung verfolgt, der dieſſeitigen Auf—
faſſung in ihrem Weſen bei den alten Gegnern Raum ge
macht, hatten die iederdeutfchen Feine Augen. Sie bemerk
ten nur die Hinneigungen nach der Ziwinglifchen Seite, fie
faßten einige anzgügliche Ausdrücke auf, durch welche ihnen
das Gedächtniß Luthers verunglimpft zu feyn fehien, dag
vielleicht auch mehr hätte gefchont werden können: mit hef
tiger Leidenschaft begannen fie den Krieg. Die frühern,
fhon in Gang gefeßten Streitigkeiten ftrömten bald mit die
fer zuſammen: Melanchthon meinte von Anfang, er fey
es hauptfächlich, dem auch diefer Angriff gelte." Mochte
denn nun auch Calvin fie auf den wahren Stand der Dinge
aufmerkfam machen, ? fo blieben fie dabei, ihn mit Zwingli
gleich zu achten. Sie ihrerfeits forderten jetzt die fchrofferen
Ausdrücke der ungeänderten augsburgifchen Confeſſion zu:
1. Scito quosdam praecipue odio mei eam disputationem
movere, ut habeant plausibilem causam ad me opprimendum. An
Calvin 14 Dct. 1554. Corp. Ref. VIII, 362.
2. Calvin bezeigt in der Defensio ad Westphalum, Opp. VII,
785, fein Erftaunen darüber. Mihine, qui piae sacraeque concilia-
tioni semper dedi operam, haec merces nune referenda est? Eben
dieß Mipverftändniß der Gegner gab ihm aber Die Überlegenheit, die
in jener Streitfchrift unverkennbar ift.
——
eu u nn nn ——
Mängel der Verfaffung. 459
rück; die Wittenberger Concordie betrachteten fie als nicht
sefchloffen; ihre Unterfcheidungslehre, die Dockrin von der
Ubiquität des Leibes, bildeten fie jest erft formlich aus und
nahmen ſymboliſche Autorität dafür in Anfpruch.
Sp erfüllte fich) das ganze Gebiet der evangelifchen
Kirche mit innerem Krieg und Hader.
Mängel des Firhlichen Zuſtandes.
Es leuchtet ein, daß die Eonfiftorialverfaffung, die nur
auf die inner, gleichfam häuslichen Verhältniffe berechnet
war, nicht dazu beitragen Eonnte ihn zu heben.
Eben darin lag fir die neuen Einrichtungen die große
Schwierigkeit, daß es auch Fein andres Inſtitut gab, dag
dazu geeignet geiwefen wäre. Oftmals dachte man auf einer
allgemeinen proteftantifchen Synode eine Ausgleichung zu ver:
fuchen. Mächtige Stände wie Pfalz und Würtenberg haben
e8 mehr als einmal in Vorfchlag gebracht; andre, wie Chur:
fachien, es wenigſtens ernftlich in Berathung gezogen. Vor
allem wäre dann nöthig geweſen den Antheil der weltlichen
Stände feftsufegen, wie denn hievon fchon bei den frühern
Entwürfen des allgemeinen Conciliums oft die Nede gewe—
fen war. Man dachte fich zu dem Grundfaß zu befennen,
Daß die Mehrheit dag Necht der Entfcheidung habe, und
die Minderheit fich ihr unterwerfen müffe. Ob fich aber
auch eine Mehrheit hätte gewinnen laffen, in der dag Ge
fühl der Einheit, das Bewußtſeyn der gemeinfchaftlichen Ge:
1. Melanchthons Bedenken vom Synodo Corp. Ref. IX, 463.
„Soll die Potestas ſelbſt als ein Gliedmaß der chriftlichen Kirchen
auch eine Stimme und vocem deeisivam haben.”
460 Zehntes Bud. Siebentes Capitel.
danfen die Oberhand befommen hätte? man dürfte das doch
wohl nicht fchlechthin in Abrede ftellen. Bei einer Zufam-
menkunft, die im Jahr 1557 zu Frankfurt gehalten wurde,
hatten doch die gemäßigteren Tendenzen, wiewohl fie noch
nicht zu vollem Verſtändniß gelangt waren, das offenbare
Übergewicht." Und tie Biele gab es, die das Verdächtig—
machen alter Ehrenmänner, das Schelten auf den Kanzeln,
welches jet überhand nahm, auf dag ernftlichfte mißbillig-
ten. E8 wäre fchon ein unendlicher Gewinn geweſen, über—
haupt die Form einer allgemeinen Verfaſſung aufzuftellen.
Indeſſen das Ungewohnte, Neue des Gedanfens, fo wie
die damit doch auch unleugbar verbundene Gefahr, fchreck
ten von feiner Ausführung zurück. Brenz fagte wohl: „ja
wenn unter den Fürften ein Conftantin lebte, oder unter den
Gelehrten ein Luther!! Melanchthon urtheilte, die Sache
müffe erft unter den einzelnen Fürften vorbereitet werden,
man müffe der Einigkeit im Voraus gewiß feyn, ehe man
fie unternehme.
Berathung unter den vormwaltenden Fürften war wirklich
dag einzige Mittel dag man zur Beilegung der Srrungen ergriff
Und Diefe waren nun, in der Epoche in der wir fiehn,
ſehr friedfertig gefinnt.
Wir berührten wie fie fi) beim Abfchluß des Reli—
giongsfriedens nicht zu Beſtimmungen fortreißen ließen die
den Zwieſpalt zwifchen ihnen felber hätten entzünden Eönnen.
Bei jener merkwürdigen Zufammenfunft vom 5. 1558
zogen fie neben den Neichsangelegenheiten auch die Religiong-
1. Vgl. das Schreiben eines Flacianerd de conventu Franco-
ford. 1557 bei Salig II, 276 Note.
Mangel der VBerfaffung. 461
fache in Betracht. In dem Neceß, der dafelbft abgefaßt
worden, drückten fie fich über den wichtigften Punck, die
Euchariftie, auf eine der Fortbildung der Concordie gemäße
Weiſe aus. ES fchien ihnen genug daß fie von der we
fentlichen, fubftanzielen Gegenwart redeten: der Förperlichen
zu gedenken enthielten fie fich." Der Gegenfaß den fie aus—
fprechen ift noch immer hauptfächlich gegen die alte Kirche,
gegen die Anbetung des Sacraments gerichtet. Wenn fie
die Lehre verdammen, daß die Zeichen bloß Außerliche Zeichen
feyen, fo Fonnte das wahrhaftig Calvin nicht treffen.
In einer fehr zahlreich befuchten VBerfammlung, zu
Naumburg im Sahre 1561, erkannten fie aufs neue die
abgeänderte augsburgifche Confeſſion an: ? mit den Erflü-
rungen die der Churfürft von der Pfalz gab, der ſchon als
ein Calvinift betrachtet wurde, zeigfen fie fich zufrieden.
Mit alle dem gelangte man jedoch nicht zur Herftel-
lung der Eintracht: es gab jedes Mal Fürften und Stände
die fich abfonderten und MWiderfpruch erhoben.
Und nicht allein von böfem Willen dürfte man dag
herleiten. Die Dinge hatten innere Schwierigkeiten, denen
auf diefe Weiſe nicht beisufommen war. Vielmehr zeigte
ſich eben in den Verſuchen fie zu erledigen eine neue, und
zwar eine folche die nicht geringer war als die übrigen.
Die große Hauptfache war gewonnen, ein legales Da-
feyn gegründet; für die Entwickelung deffelben auf dem glück
1. Die merfwürdigite Auffaffung. diefes Neceffes ift wohl die
von Hospinian Historia sacramentaria II, 438.
2. Neque animus .est nobis, quod discedere ab ea (confes-
sione) quae anno XL exhibita est vel in minimo velimus. Prae-
fatio ad Ferdinandum bei Gelbfe Naumburger Fürftentag p. 184.
462 Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
lich eroberten Grund und Boden aber lagen noch viele uns
gelöfte Fragen vor.
In unfrer hiftorifchen Betrachtung ftellen fich deren be-
fonders drei heraus.
Nachdem der Grundfaß von der Nechtfertigung durch
den Glauben allein erhalten war, bedurfte doch die Lehre
von der innigen und geheimnißvollen Verbindung, in welche
der Menfch durch die fortgehende Erneuerung mit der Gott:
heit tritt, noch neuer Erläuterungen, um tieferen Geiftern
völlig zu genügen. Hatte nicht eine Durchdringung der al-
ten ächten deutfchen Myſtik mit dem erneuerten Dogma in
der urfprünglichen Abficht gelegen? Noch mar fie wohl
nicht gelungen. Nur allzu oft fchlugen fich die jungen,
ftreitbaren Theologen wieder um die harten Schalen des
Glaubens, die aus der Scholaftif übrig geblieben.
Ferner war, wie berührt, der Zürcherifche Conſenſus
noch nicht der legte Schritt in dem großen Werke der Ver:
einigung über die Abendmahlslehre. Es wäre wohl die Auf
gabe geweſen, das an Zeit und Ort des Urfprungs Erinnernde,
mit zufälligen Befchränfungen Behaftete, dag er noch an fich
trug, vollends fallen zu laffen, und die weſentlichen Momente
beider Anfichten noch tiefer mit einander zu durchdringen.
Bon allen Gelehrten eignete fich gewiß Melanchthon am
meiften, diefe Sache durchzuführen; allein in ſchwieriger Lage
und von Widerfachern umgeben fand er nie den Muth, fie
mit vollem Ernft in die Hand zu nehmen, der Meinung
die er in fich trug, eine allfeitig entwickelte Form zu geben
und ihr ein feſtes Dafeyn zu erfämpfen.
Und wie viel war noch in Hinficht der Verfaffung zu
Unerledigte Fragen. 463
thun übrig! Das Verhältniß der Geiftlichen zu den Ge:
meinen, fo tie zu den Obrigfeiten, hatte noch viel Unbe-
ftimmtes, von momentanen Negungen Abhängiges. Indem
die Landesherrfchaften fo mächtig eingriffen, regte fich an
andern Stellen der heftigfte Widerfpruch gegen jede Einmi-
fchung derfelben. Es fehlte gleichfam an dem Schlußftein
de8 Gebäudes, einer Einrichtung um über die auffteigenden
Serungen zu einer gültigen, von Jedermann anerkannten Ent:
ſcheidung zu gelangen.
Eine natürlich entftandene Autorität wie die der hoben
Schule zu Wittenberg hätte fich erweitern, fortpflanzen laſ—
fen: hergeftelle werden Eonnte fie nicht, nachdem fie einmal
gebrochen worden.
Den Proteftanten war e8 nun einmal nicht gegeben,
ſich als eine einzige Genoffenfchaft zu entwickeln. Aug vie
len Gründen möchte man wünſchen, e8 wäre gefchehen; ob
e8 im jeder Nückficht das Beſte gewefen wäre, wer will eg
fagen?
Da es aber nicht der Fall war, und doch überaus
wichtige Fragen die öffentliche TIheilnahme, die lebendigen
geiftigen und politifchen Kräfte befchäftigten, fo mußte erfol-
gen, daß fich auf einer Stelle mehr dag eine, auf einer an-
dern mehr ein anderes Prinzip geltend machte.
Die Bewegung warf fich in die verfchiedenen Territo-
rien, wo fie mit mannichfaltigen andern Beftrebungen in den
Zweigen der Adminiftration oder des Rechts, der Cultur
oder der Befeftigung des Landes zufammenfiel. Diefes land-
fchaftliche Moment entwickelt fich in den nächften Zeiten auf
das eigenthiimlichfte, und zwar in den Ländern der altgläu-
464 Zehntes Bud. Siebentes Capitel.
bigen Stände nicht minder als in den profeftantifchen. Wir
müffen ung enthalten hier näher darauf einzugehn. Die po-
litifchen Geftaltungen der einzelnen Landfchaften, die feither
allerdings vorbereitet worden, find doch erft fpäter zu ei-
ner gewiſſen Feftigkeit gelangt, und zwar unter den wech—
felnden Einwirkungen anderer Weltverhältniffe als der hier
betrachteten.
Nur Eine Frage fcheint mir muß für unfere Epoche
noch erörtert werden. Wir fahen wie die Firchliche Neuerung
aus der Gefammtheit einer großen geiftigen Bewegung ent
fprang. Seitdem hat jene die öffentliche Aufmerkfamteit faft
ausfchließend befchäftigt. Betrachten wir noch, welchen Fort
gang Diefe in derſelben Zeit genommen hat.
Achtes Capitel.
Entwickelung der Literatur.
Den mächtigften innern Antrieb hatte der deutfche Geift
im Anfange des fechszehnten Jahrhunderts durch die De:
kanntſchaft mit dem claſſiſchen Alterthum empfangen, die,
ſchon in den carolingiſchen Zeiten begonnen, während der
Herrſchaft der Hierarchie unterbrochen oder in Schatten ge—
ſtellt, ihm jetzt in aller Fülle zu Theil wurde.
Wir ſahen wie dieſes Studium zuerſt in den gramma—
tiſchen Schulen erneuert ward, wie viel Mühe es koſtete
und was es zu bedeuten hatte, daß es ſich endlich auch auf
den Univerſitäten feſtſetzte.
Auch in dieſer Beziehung nahm Melanchthon eine be—
deutende Stellung ein. In dem Sinne, wie er die alte Li—
teratur in Wittenberg förderte, thaten es die ihm nächſtver—
bundenen Freunde, Camerarius in Leipzig, Sabinus in Kö—
nigsberg und Frankfurt a. d. D.; feine Schüler in Marburg,
Tübingen, Heidelberg. In Noftock gewährte Johann Ak
bert von Meklenburg, deffen politifche und Eriegerifche Un—
ternehmungen wir zumeilen berührten, und der zugleich einen
offenen Sinn für höhere Bildung bewies, diefen Studien
feinen Schuß. Melanchthon fieht im Geifte die alfenthal-
Ranke D. Geſch. V. 30
466 Zehntes Buch. Achtes Capitel.
ben verfioßenen griechifchen Mufen bei ihm im Norden ihre
Zuflucht fuchen. ' ;
Dabei behaupteten fich aber auch noch einige Schulen
in großem Ruf.
Erſt feit dem Jahre 1531 entwickelte fich dag ganze
Verdienft Valentin Trogendorfs in Goldberg; — er hatte
eine Art von Jugendrepublik errichtet, mit Confuln, Sena:
toren, Cenforen, in deren Mitte er fich felber als immerwäh—
renden Dictator aufftellte.
Der legte Abt von Ilfeld, der diefes Klofter aus eig
nem Antrieb in eine Schule verwandelt hatte, fand in einem
Zögling von Goldberg, Michael Neander, ganz den Mann,
der dazu gehörte, nach feinem Tode diefe Stiftung fortzu-
führen und ihr allgemeine Wirkſamkeit zu verfchaffen: — ei-
nen ftillen Gelehrten, von gebrechlichem Körper und einem
in feiner Tiefe der Neligion zugewandten Gemüthe, aber
doch weltklug und umfichtig genug, um feine Klofterfchule
gegen die Anfprüche mächtiger Nachbarn zu ſchützen, und
von unermüdlicher Ihätigfeit. Die Kenntniß der griechi-
fehen Sprache hat er in den miederfächfifchen Gegenden erft
verbreitet; er wird als ein zweiter Lehrer von Deutfchland
gepriefen. ?
Eine faft noch mehr europäifche als deutfche Wirkſam—
1. Ergo per extremam Germani litoris oram
Hospitium miserae supplice voce petunt.
Corp. Ref. X. Carm. nr. 249.
2. Juventutis formandae artifex juxta. dexterrimus ac feli-
eissimus. Nhodomannus, Oratio de lingua graeca, der diefe Aus:
drücke braucht, fügt hinzu: man habe auch griechiſch bei ihm ſchrei—
ben lernen: es fey wohl gefagt worden: „plures ex eo gymnasio
graece doctos quam proceres ex equo trojano.“ Havemann Mit-
theilungen aus dem Leben Neanders p. 23. 24.
Schulen. 467
keit erlangte die Schule welche Johann Sturm 1537 in
Strasburg errichtete. Johann Sturm nahm an den öffentli-
chen Angelegenheiten lebendigen, wohl felbft eingreifenden An—
theil: ' doch verlor feine Schule dabei nicht, der er vielmehr
aus dem allgemeinen Gefichtspuncte um fo größeren Eifer
widmete. Sie ward gleichfam eine allgemeine weltliche Aca-
demie fir die profeftantifche Welt, wie Genf eine theologifche.
Auch wurde fie gern von dem deutfchen Adel befucht, deſſen
Bedürfniffe der Vorfteher in eignen Schriften erwog.
Bei der würdigen Stellung welche diefe Studien em-
pfangen, Eonnte fic) das fumultuarifche Händel-fuchende Trei-
ben der frühern Poetenfchulen nicht mehr halten. Das
Schickſal des Simon Lemnius, der e8 unter den Augen
Luthers fortfegen wollte und darüber verjagt ward, ift für
die Richtung überhaupt begeichnend. Der neue Olymp die:
fer Poeten ward fchon wieder verworfen. Der feine und
elegante Micyll will nur von einer güchtigen Mufe miffen.
Er und feine Schüler haben wirklich Feine andern Gefühle,
als die der großen Tendenz entfprechen in welcher die Na-
tion hauptfächlich begriffen ift. °
Schon nahm man mit ernftiem und anhaltendem Be
mühen an der Arbeit der Wiederbefanntmachung und Erläu-
terung der claffiichen Werke Antheil.
1. In Schumachers Briefen an die Könige von Dänemark fin
den fich viele von Sturm, mit ganz guten Notizen über damalige
Striegsereigniffe.
2. Micyllus: — Quae domini plantata est vinea verbo
Si cultu careat, terra jacebit iners.
Quos igitur eultus aut quas adhibebimus artes?
Nempe has quas secum Musa pudica refert.
30 *
468 Zehntes Buch. Achtes Capitel.
Noch waren die Tateinifchen Schäte deutfcher Klöfter,
wie Hirichfeld oder Lorfch, nicht erfchöpft; man hatte Welt:
verbindung und Theilnahme für die Sache genug, um aud)
griechifche Handfchriften aus dem Orient an fich zu brim
gen, wie z. DB. die Stadt Augsburg im Jahr 1545 zu Corfu
eine Summe Geld daran wandte; manches brachten Ge:
fandte des römischen Königs oder Procuratoren der Fugger
herbei. Vincenz Opfopäug, der Lehrer des Markgrafen AL
brecht, fol die deutfchen Buchdrucker zuerft angeregt haben,
mit dem Nuhme der Aldus und Junta zu wetteifern und
die Werke der Alten Dieffeit der Berge zu publiciren. Er
ſelbſt konnte der Welt einen der großen Gefchichtfchreiber
des Alterthums, Polybius, aus einem oder, den der Zu:
fall von Eonftantinopel nad) Nürnberg geführt hatte, wieder
vorlegen; er hat diefe Arbeit auf eine Weife vollzogen, die
ihm noch heute Ehre macht." Nach und nach entwickelte
fich eine lebhafte Ihätigkeit in diefem Zweige. Flavius Jo—
fephus und Ptolemäus, die wefentlichften Ergänzungen des
Diodorus Siculug, Livius, Ammianus und mie vieler an—
derer Schriftfteller in beiden Sprachen giengen zuerft aus
deutfchen Preffen hervor. Andre Autoren erfchienen mit ihren
Scholiaften, fpätern Fortfeßern: oder in berichtigten Texten,
die griechifchen mit Überfeßungen, die zum Theil noch den
heutigen Ausgaben beigegeben werden. Es mag feyn, daß
diefe Arbeiten noch oftmals Fritifch- grammatifche Genauig-
feit vermiffen laffen; aber es giebt auch folche, die ein tie—
1. Schweighäufer, Praefatio: Non paucae leetiones in hac
editione reperiuntur probatissimae, et ex hac in Basileensem
transierunt, a quibus temere\deinde recessit Casaubonus. (LXXV
ed. Oxon.)
Philologie. (Hier. Wolf.) 469
feres Eingehen, Kritik und ächtes Verſtändniß beweifen. Joa—
chim Gamerarius hat für Plautus vielleicht von allen Her
ausgebern das Meifte gethanz ' er ift der Erſte der die
Spuren einer doppelten Necenfion in dem vorliegenden Texte
der ciceronianifchen Schriften, möge diefelbe nun ſtammen
woher fie wolle, bemerkt hat. ? Ein entfchiedenes philologi-
fches Talent war Hieronymus Wolf aus Ottingen: — eine
zarte, fchwächliche, leicht verlegbare Natur, der darüber er:
röthete wenn ein Andrer eine Unwahrheit fagte, der von der
Sohle bis zur Scheitel erzitterte, als er zuerft den berühm—
ten Melanchthon anfichtig wurde; immer voll Furcht vor
dem Haffe der Menfchen und dem widrigen Einfluß gehei—
mer fatanifcher Kräfte; aber eben darum mit einfiedlerifchem
Fleiße unter den ungünftigften Umftänden den Studien hin—
gegeben, und feiner Sache, obwohl er nie recht damit zu:
frieden war daß er fie ergriffen hatte, vollfommen Met
fir. Er wagte ſich an die Überfegung des Demoftheneg,
eine Arbeit, vor der Erasmus und Budaus zurückgefchrocken
waren, und führte fie auf eine Weiſe durch, die feinen Na—
men mit dem feines Autors auf immer verfnüpft hat. Er
ift auch in der Kritik des Textes? der Sofpitator der Ned»
ner, und hat fie den fpätern Zeiten erft wieder zugänglich,
verftändlich gemacht. Ohne feinen Fleiß würden die Byzan—
tiner wohl noch lange unbekannt geblieben feyn: er ift glück
1. Vgl. Lefling Won dem Leben und den Werfen des Plautus.
Sämmtlihe Schriften herausgeg. von Lachmann II, 17.
2. „quam observationem fecit suam C. Stephanus.“ Literar—
notiz vor der Zweibrücer Ausgabe des Cicero I, p. LXXXV.
3. F. X. Wolf: saepe orator ibi etiam inoffensius legitur
quam in postrema Lipsiensi. Bol. Beer Literatur des Demoſthe—
nes p. 96.
470 Zehntes Bud. Achtes Eapitel.
lich gleichlam ein Ganzes byzantiniſcher Gefchichten zufam-
menzuftellen. Sehr lefenswürdig ift doch die Autobiographie
die er hinterlaffen hat.“ Er erjcheint darin als eim recht
ehrlicher Patriot, freilich als ein folcher, der mit dem was
um ihn ber vorgeht, oftmals fchlecht zufrieden ift: als ein
überzeugter evangelifcher Ehrift, ohne Parteimefen, wie denn
feine Neligiofität nur dann und warn unwillführlich hervor-
bricht: und als ein Philologe, der das Alterthum in Fleiſch
und Blut verwandelt hat: die finnreichften Sprüche bieten
fich feiner Erinnerung dar: man Fann an ihm fehen, daß
diefe Elemente einander nicht widerfprechen.
Und Niemand follte fagen, daß diefe Studien in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Abnahme gerathen feyen:
in die ja Sturm, Neander und Wolf zum großen Theil
gehören. Schon lebten ihre Nachfolger Rhodomann und
Sylburg.
Auf die Fortpflanzung der Studien allein kam es je—
doch nicht an. Wir beſchäftigen uns mit einem Zeitalter,
von dem man nicht mit Unrecht geſagt hat, alle vier Fa—
cultäten ſeyen da im Grunde nur eine einzige geweſen, nem⸗
lich die der Grammatifer. Von der Herftellung und Aug
legung der Texte hieng jeder Fortichritt ab.
Wir brauchen nicht darauf zurückzufommen, mie fehr
dieß in der gelehrten Theologie der Fall war, die eben auf
diefem Grunde beruhte. Die Publication der Kirchenväter,
auch der Tateinifchen, um die fich nach dem Vorgange des
1. Hieronymi Wolfii ad cl. v. Joannem Oporinum commen-
tariolus de vitae suae ratione ac potius fortuna, in den Oratt.
Attic. v. Neisfe, Tom. VIH, p. 773.
Rechtswiſſenſchaft. (Haloander.) 471
Erasmus auch andere deutſche Philologen viel Verdienſt er⸗
warben, kam den Abweichungen der Proteſtanten mächtig zu
Statten. Vor der urſprünglichen Auffaſſung des chriſtlichen
Alterthums verſchwanden die hierarchiſchen Satzungen.
Verwandter Natur, wenn auch lange nicht ſo weit aus—
ſehend, iſt, was in der Rechtsgelehrſamkeit geſchah.
Bei weitem enger hatten ſich die Gloſſatoren ihrer Ur—
kunde, den juſtinianeiſchen Rechtsbüchern angeſchloſſen, deren
Wiederbelebung und Verbreitung die Welt ihnen eigentlich
verdankt, als die ſcholaſtiſchen Theologen der heiligen Schrift.
Ihr Text beruht auf alten Handſchriften, ihre Anmerkun—
gen find nicht ſelten ganz treffend. Aber dabei iſt doch un:
leugbar, daß diefe befonders unter den Händen ihrer Nach:
folger fic) immer mehr mit fremdartigen Elementen verfeß:
ten und nur größere Dunkelheit hervorbrachten, ! jener durch
willkührliche Eintheilungen und Zuſätze entftellt, nichts weni—
ger als zuverläßig war. Und doch wurden diefe Nechtsbü-
cher als die Eaiferlichen, allgemein gültigen betrachtet, und
follten practifch in Anwendung Fommen. Die pifanifche
Handichrift der Pandecten, wie hoch man ihren Werth auch
anfchlug, fo daß man fich ihr nur mit einer Art von aber:
gläubifcher Verehrung näherte, war noch nicht zu öffentli-
chem Gebrauche benutzt. Da wollte nun die Gunft deg
Zufalls, daß ein junger Deutfcher, Gregor Hoffmann aus
Zwickau, genannt Haloander, der in Begleitung Julius
Plugs eine Neife nach Italien machte, in Bologna eine
1. Bebel an Zaftus: Creverunt Glossatorum commentaria
super omnes constitutiones, nec ullus finis est sperandus, nisi
Caesar - - verbositatem nodosissimam atque obseurissimam in
compendium reducat.
472 Zehntes Buch. Achtes Capitel.
Abfchrift von einer Collation jener Handfchrift benußen konnte,
die einft Politian an dem Nand eines Eremplars der Vul-
gata verzeichnet hatte. Auch von den Novellen, die bisher
nur in der fogenannten Authentica vorhanden waren, gro:
fentheils überfegt und unvollftändig, fand er dort Gele
genheit die Abfchrift eined Manuferiptes! zu copiren, das
bei manchen Lücken und Mängeln die es hatte, doch die
originale Grundlage eines neuen Studiums darbof. Mit
diefen Hülfgmitteln erfchien Haloander im 5. 1528 zu Nürn-
berg, wo ihm der profeftantifche Abt des Agidienklofters
freundliche Aufnahme und der Rath eine nicht unbedeutende
Geldunterftügung gewährte, fo daß er ohne perfönliche Sorge
unvermweilt zur Herausgabe fehreiten Eonnte. Haloander hat
nach dem Urtheil der Fundigften Männer, wie Savignys,
bei der Arbeit hiftorifche Gelehrſamkeit und Fritifches Ta-
lent gezeigt. Bei den Pandecten mußte er fich der politia-
nifchen Collation, die an fich fehr unzureichend und über
dieß durch den erften Abfchreiber * hie und da gröblich miß-
verftanden war, doch fo gefchickt zu bedienen, daß er damit
eine große Menge Fehler weggefchafft hatz es gelang ihm
Stellen Har zu machen, deren Sinn man vorher nicht ein-
mal zu errathen vermochte. Dem Eoder der Conftitutionen
gab er feine zwölf Bücher wieder; er fpricht feine Genug:
thuung aus, tie viel Lücken er ausfüllen, wie viel Wunden
er habe heilen Fönnen. In den Jahren 1529 big 1531
1. Daß dieß die ſlorentiniſche Handſchrift war, iſt von Biener,
Geſchichte der Novellen Juſtinians p. 560 f., nachgemiefen.
2. Ludovicus Bologninus; an einem fchlagenden Beifpiel zeigt
die v. Savigny, Gefchichte des Römifchen Rechtes im Mittelalter
VI, p. 319.
Kechtswiffenfchaft. (DIdendorp.) 473
erfehienen Die einzelnen Theile des Corpus juris — denn
auch die Inſtitutionen Fonnten nach der Arbeit über die Pan-
decten leicht verbeffert werden — in einer der urfprünglichen
Faſſung über alles Erwarten angenäherten Geftalt.
Und mit der größten Freude ward nun diefe Gabe von
den Gelehrten empfangen.
Dem Kaifer Earl, der in Juſtinian feinen Vorgänger,
in deffen Nechte fein eigenes fah, bemerkte Johann Dlden-
dorp, wie früher durch die verunftalteten Gefeße die Nechts-
übung felbft unficher geworden fey, jest aber habe man Ge-
feße und Eonftitutionen in ihrem urfprünglichen Wortlaut wie:
der: feit vielen Jahrhunderten habe Fein Volk etwas Nuhm:
volleres erlebe." Dldendorp verbarg fich nicht, daß damit
noch nicht alles was wünſchenswerth wäre gefchehen fey.
Sehr fehmerzlich empfand er den Verluſt der alten Nechts:
quellen, aus denen erft volle Beftimmeheit und Klarheit her:
vorgehn würde.“ Wenn ich ihn recht verftehe, war feine
Meinung, daß ſich das Spftem auf der nunmehr gewon—⸗
nenen Grundlage wiffenfchaftlich weiter ausbilden, und zum
allgemeinen Necht aller Nationen erheben laffe.
Aber auch Leute die nicht fo weit giengen, fahen doch
in der Anwendung des gefchriebenen Nechtes eine Verbeſſe—⸗
rung. Sch finde überhaupt daß man weite Augfichten er
griff, ſchon damals die Tortur verwarf,? die Confifcation
1. Variarum leetionum libri III. 1540. Dedication.
2. Institutiones et libri rerum quotidianarum Caji, actiones
in ordinem ab Appio Claudio compositae, edicta praetorum ...
quare non potuissent conservari?
3. Jacob Lerfener;: Antwort, Bericht und Beweiß, Auff die
Frage, Ob es beffer fei, nach gewiffen, befchriebenen, vnnd fonft be;
474 Zehntes Buch. Achtes Capitel.
zu befchränfen gedachte, den Mißbrauch der Privilegien rügte,
eine Menge Übelftände zur Sprache brachte, die noch lange
fortgedauert haben. Gabriel Mudäug, einer der ausgezeich—
netften Lehrer auf der fehr befuchten Nechtsichule zu Lö—
wen, erwarb ſich das Verdienſt, von feinem ciwilrechtli-
chen Standpunct aus den Gewaltfamfeiten der Inquiſition
entgegenzufrefen.
Genug, mit dem Studium empfieng zugleich die Prarig
eine neue ftarfe Anregung, die dann befonders auf die deut:
fche Provinzialgefeßgebung von größtem Einfluß gemefen ift.
Und menden wir unfern Blick auf eine dritte Facul
tatswiffenfchaft, die Arzneikunde, fo traten auch in diefem
Gebiete durchgreifende Ummandlungen ein.
Die Medicin hieng von viel verderbterer Überlieferung
ab als das Necht. Die griechifche Heilkunde, wie fie einft
Galen fpftematifcher als feine Vorgänger, aber fchon nicht
mehr in voller Originalität zufammenfaßte, hatte einen wei—
ten Weg gemacht um nach Deutfchland zu gelangen: —
wie fie von arabifchen Sammlern begriffen, dann durch Ber:
mittelung des Kaftilianifchen in ein barbarifches Latein über:
fragen, und etwa von italienischen Kommentatoren dem Be:
dürfniß der Zeiten angenähert worden, jo ward fie damals
werten breuchlichen Nechten, Gefeßen, Ordnungen und Gewonheyten,
Oder nach) eygner WVernunfft, Sinn, Witz - - zu regieren, zu Vrtey—
len ꝛc. Getruct zu Marpurg. 1542. C iij: „man findet, die luſt dazu
haben leute zuſtoͤcken und peinigen, fuchen allerley newe Fünftlein
unmenfchlicher marter, dar durch fie auch den aller vnſchuldigſten da-
hin engftigen koͤnnenn, das er was fie wöllen,-und dag jme nie ge:
freumet oder in finne gefallen, verjehen müffe, meynen fte haben jr
ampt damit wol aufgericht, Wie offt fein leute alfo getödtet wor:
den? wie offt fein leuth auff folche bekentnus gericht worden, deren
vnſchuld fich bernach befunden bat?“
Pe = SO © VEN 55 a ie
Medicin. (Paracelfus.) 475
auf den deutfchen Univerfitäten gelehrt; der Canon des Api-
cenna, der Commentar des Johann d'Arcoli über eine Schrift
Arraſi's waren die gefchägteften Lehrbücher, die man z. D.
noch in den zwanziger jahren des fechszehnten Jahrhunderts
in Wittenberg brauchte. E8 leuchtet ein, daß auf diefem
Grunde die Kunft nicht gedeihen Eonnte, zumal da fich ihr
eine große Anzahl mittelmäßiger Köpfe widmete, die man
ohne Schwierigkeit zu Doctoren erhob.
Man muß fich diefen Zuftand vergegenwärtigen, um die
Dppofition des Paracelfus dagegen zu begreifen. Im bo:
ben Gebirg aufgewachfen, wo fich mancherlei fonft verſchwun—⸗
dene Kenneniffe erhalten hatten, im Umgang mit Geiftlichen
von geheimnißvoller Erfahrung, mit Freunden chymifcher
Verfuche, wie Siegmund Fugger zu Schwaß, in ftefem Ber:
kehr mit Bergleuten, NHüttenarbeitern, dem gemeinen Mann
überhaupt, hatte Paracelfus nicht allein Mittel Eennen gelernt
und durch glückliche Euren erprobt, fondern fich auch Welt:
anfichten gebildet, die allem widerfprachen was auf den ho:
ben Schulen galt. Als er 1527 zu DBafel auftrat, erklärte
er zuvörderſt, daß er nichts auf fremde Autorität lehren werde.
Er fpottete über den Proceß der ererbten Necepte; den Ca—
non des Avicenna hat er einft in ein Johannigfeuer ge:
mworfen; er wollte von nichts als von der Natur hören. ?
Denn nur die Bücher feyen wahrhaft und ohne Falfch
welche Gott gefchrieben: die Elemente müffe man ftudiren,
1. Adami Vitae Medicorum p.38. Praelegebantur Avicenna,
qui princeps totius artis habebatur, Rasis deinde, ete.
2. So Ehriftus fpricht: perscrutamini seripturas, warum follt
ich nicht auch fagen: perscerutamini naturas rerum? Die erſt De:
> fenfton Opp. III, 163.
476 Zehntes Buch. Achtes Eapitel.
der Natur nachgehn von Land zu Land, da jedes einzelne nur
ein Blatt des großen Buches ſey; die Augen, „die an der
Erfahrenheit Luft haben”, die feyen die wahren Profefforen;
und wie er fonft feinen Widermwillen gegen die Schriftgelehr:
famfeit ausfpricht. Auch das was er Teiftete, ift in neuern
Zeiten wieder mehr su Ehren gefommen:! auf einen Laien,
der feine Bücher durchläuft, macht befonders feine Anficht
von der fortwirkenden Energie des einmal angeregten Lebens
Eindrucf, von der dem Organismus eingebornen und den—
felben von innen her erhaltenden Kraft der Natur. Es lebt in
ihm ein finnvoller, tiefer und mit feltenen Kenntniffen aus⸗
gerüfteter Geift, der aber von dem Einen Puncte aus, den
er ergriffen, die Welt zu erobern meint: viel zu weit aus—
greifend, felbftgenügfam, troßig und phantaftifch: wie folche
wohl in der deutfchen Nation noch öfter hervorgegangen
find. Damals war mit der allgemeinen Bewegung der Gei-
fter auch ein DVerfuch verfnüpft, das Joch der Zucht, die
Negel der antiken Difeiplin, ja Kirche und Staat von fic)
abzumerfen. Die miüngerifchen Inſpirationen, die fociali-
ftifchen Verſuche der MWiedertäufer und diefe paracelfifchen
Theorien entfprechen einander fehr gut; vereinigt hätten fie
die Welt umgeftaltet. Zur Herrfchaft aber Eonnten fie doch
nicht Eommen: dazu waren fie in fich zu verworren und
iiberladen: fie hätten nur den großen welthiftorifchen Gang
der Eultur unterbrochen.
In der Medicin war e8 zunächft, eben wie in andern
Wiffenfchaften, erforderlich, auf die ächtern Quellen der Bes
lehrung zurückzugehn.
1. Marr Zur Würdigung des Paracelfus, Leffing Leben des
Paracelfus, Schulz Homdobiotif u. U.
x
I Se ee
Medicin. (Cornarus.) 47
—
Merkwürdigerweiſe war es ein Landsmann Haloanders,
Johann Cornarus, der die Bahn hiezu brach. In Witten—
berg auf die Nothwendigkeit ſich vor allem des Hippokra—
tes wieder zu bemächtigen aufmerkſam gemacht, unternahm
- er hiezu eine Reiſe nach Italien, aber ſchon in Baſel Fam
ihm fo zu fagen fein Autor felber entgegen: im Jahr 1526
war der griechifche Tert von Aldus, wiewohl fehr uncor:
vect, gedruckt worden, und vor Furzem angelangt. Bei dem
erften Studium durchdrang fich Cornarus noch mehr mit der |
Überzeugung, daß die Griechen die einzigen wahren Meifter
der Heilkunde feyen, die man nur zuvörderſt wieder befannt
machen müffe. Mit Hilfe einiger Handfchriften die Sroben
berbeifchaffte, ftellte er einen bei weiten vichtigern Tert auf,
und Fonnte es dann tagen auch eine Überſetzung zu ver:
ſuchen:“ ein Merk, von dem fein Lebensbefchreiber rühmt,
es werde feit zwei Jahrtaufenden in der Iateinifchen Sprache
vermiße: fo ganz fühlte man fich dieffeit noch als weſentlichen
Beftandtheil der alten Iateinifchen Eulturwelt. Hierauf er
fcheinen an den Univerfitäten Borlefungen über Hippokrates
und den Ächten Galen, dem Cornarus einen ähnlichen Fleiß
zuwandte; bei der Prüfung der Dockoranden legte man wohl
eine Stelle aus den Aphorismen, oder eine Definition Ga:
lens zur Erklärung vor. Es begann eine allgemeine Ne
action gegen die Araber. Leonhard Fuchs, ein glücklicher
Nebenbuhler des Cornarus, fah ihre Wiffenfchaft faft aus
dem Standpunck einer nationalen Feindfeligkeit an: als eine
folche, durch die, wenn fie länger beftünde, der Untergang
1. Er fand alle frühern Verſuche unbrauchbar, „tribus aut
quatuor ad summum libellis exceptis.“
478 Zehntes Buch. Achtes Capitel.
der Chriftenheit befördert werden würde: niemals feyen die
Griechen von ihnen verftanden worden; ihre Theorien und
ihre Heilmittel feyen gleich verwerflich; er feinerfeits werde
nicht aufhören gegen dieſe Saracenen zu ftreiten.
Nun Eonnte man fid) aber in der Medicin unmöglich
wie in der Jurisprudenz an die hergeftellten Texte halten:
man ward durch die Alten felbft zu eigener Beobachtung der
Natur fortgetrieben; nur auf eine ganz andre Weife als Pa-
racelfus im Sinn gehabt, eben auf dem von den Alten an-
gebahnten, noch nicht vollendeten Wege.
Die erften wichtigen Erfolge erlangte man in der Ana-
tomie, nachdem man fich einmal der Vorurtheile entfchlagen,
die bisher eine genügende Unterfuchung des menfchlichen Kör-
pers verhindert hatten. Es war eine auffallende Neuerung,
dag Dr Auguftin Schurf in Wittenberg im Juli 1526 die
Anatomie eines Kopfes vornahm. Etwas Ähnliches ver-
fuchte ein andrer Deutfcher, Johann Günther von Ander-
nach, zu Paris, doch wollte er weder von den Arabern noc)
vollends von Galen laffen. Einer feiner Schüler aber, An-
dreas Veſalius, aus einer Familie von Arzten die von Wer
fel herftammten, geboren in Brüffel, that endlich den ent
fcheidenden Echritt. Veſalius war gleichfam von Nafur zum
Anatomen beftimmt: von Kindheit auf hatte er fich halb aus
Muthiwillen an Ihieren geübt; in Paris trieb er fich mit
Lebensgefahr auf dem Kirchhof des Innocents oder den Hö—
ben von Montfaucon herum, um aus den Gebeinen die er
auflag, wo möglich ein ganzes Skelett zufammenzufegen.
Eben daran hatte e8 Galen gefehlt, und bald wurde der
muthige junge Mann die Irrthümer des alten Meifters inne.
Anatomie (Veſalius.) 479
Er war erft 29 Jahr alt, als er im J. 1543 fein Werk
über den Bau des menfchlichen Körpers zu Bafel drucken
ließ, das die Grundlage aller fpätern Anatomie geworden ift.
Es fand um fo mehr Eingang, da ein Schüler Titiang, So:
hann von Galfar, den Tert mit vortrefflichen Abbildungen
erläuterte. Wäre Veſalius nicht als Leibarzt Carl V dem
Hofe gefolgt, fo hätte er vielleicht die Entdeckungen noch
vollendet die er angefangen, und menigftens feine Schüler
nicht beftritten, die fie wirklich gemacht hatten." Auch am
Hofe hatte er von den Anhängern Galens viel zu leiden.
Auf jeden Fall war hiedurch der große Schritt gefche-
ben, auf den alles ankam: die innere Kraft deg von den
Alten angeregten forfchenden Geiftes führte über die Gren—
zen ihrer Wiffenfchaft hinaus.
In allen verfchiedenen Zweigen der Naturgefchichte gieng
man daran, die Kenntniffe der Alten zugleich zu fammeln und
zu erweitern.
Die EigenthiimlichFeit diefes Beſtrebens lernt man recht
an dem zoologifchen Werfe Conrad Geßners Fennen. Geß—
ner arbeitete viel für dag Bedürfniß des literarifchen Publi-
cums, überfeßte, und verfaßte Wörterbücher: im Grunde aug
Noth. Er war glücklich, wenn er einmal die befonderen Ge
genftände feiner Neigung fefthalten Eonnte, wie in der No-
menclatur der den Alten bekannten Pflanzen, der er die nicht
ohne Mühe aufgefuchten ‚neuen Namen beifeßte. Endlich
erhob er fich zu dem Gedanken, den Namen auch die Be:
fchreibungen hinzuzufügen, in einem umfaffenden Werfe über
1. Sprengel Gefhichte der Arzneifunde, Bd IH, Abſchnitt über
die vornehmſten anatomifchen Entdecfungen $ 46 — 78.
480 Zehntes Bud. Achtes Capitel.
die Thierwelt alles das zufammenzuftellen was man über:
haupt von ihr wiſſe. Die Schilderungen der alten Auto:
ven, der heiligen und der profanen, bilden die Grundlage;
damit werden die Notisen der fpätern Schriftfteller, auch
der arabifchen, fo weit fie, den Lateinern zugänglich find,
verbunden, und unter wiederkehrenden Rubriken, z. B. Ba;
terland, Eörperliche Befchaffenheit, Nußen, beigeordnetz; ! auch
die Sprichwörter der, verfchiedenen Sprachen, die fih auf
Thiere beziehen, werden herangezogen; die Maxime des
Derfaffers war, nichts zu wiederholen, nichts wegzulaſſen.
Nicht fo häufig wie man meint ift das Talent der Compi—
lation. Sol fie der Wiffenfchaft dienen, fo muß fie nicht
allein aus vielfeitiger Lectüre hervorgehn, fondern auf Ad):
tem Intereſſe und eigener Kunde beruhen, und durch fefte
Gefichtspuncte geregelt feyn. Ein Talent diefer Art von der
größten Befähigung war Conrad Geßner. Als alles beifam-
men war, zeigten fich erft die Lücken. Geßner feßte feine
literarifchen Bekannten in den verfchiedenen Ländern, deren
er über 50 zählt, Staliener, Franzofen, Engländer, Polen
und hauptfächlich Deutfche, in Bewegung, um ihm mit Be
fchreibungen des noch Unbekannten und mit Abbildungen zu
Hülfe zu kommen. So brachte er einen Theſaurus zoolo—
gifcher Kenntniffe zufammen,? in dem fich Gemeinnützigkeit
1. Non physice aut philosophice tantum, sed medice etiam
et grammatice, — — ut ad alios autores super iisdem rebus post-
hae non sit recurrendum —
2. Conradi Gesneri historiae animalium libri: opus philoso-
phis, medieis, grammatieis, philologis et poetis et omnibus re-
rum linguarumque studiosis utilissimum simul jueundissimumque
futurum. Tiguri 1551. 4 Foliobände hat er noch felbft herausgegeben.
Dotanif. 481
und MWiffenfchaftlichFeit vereinigen der fortan für den Fort
gang des Studiums eine treffliche Grundlage bildete und
noch heute unentbehrlich iſt.
Das Gleiche wünfchte Geßner nun auch für dag Pflan-
zenreich zu leiften, wofür er fein ganzes Lebenlang im Stillen
gearbeitet und alles vorbereitet hatte; doch war e8 ihm nicht
befchieden, damit zu Stande zu Fommen. Große Ermwarfun:
gen erweckte einft für diefen Zweig Valerius Cordus, der als
Studirender und junger Lehrer in Wittenberg fich fo zu fa
gen in inneren Befis der Pflanzenbefchreibungen der Alten
fegte, und damit einen unermüdlichen Eifer felber zu fuchen
und zu beobachten verband: er hat dag meißnifche Hochland
ganze Tage durchftreift, um ein einziges Heilkraut zu finden;
aber eben diefer Ungeftüm der Lernbegier zog ihm auf einer
italienifchen Neife, wo er des Climas nicht achtete, einen frü—
ben Tod zu. Man Fam jedoch auch hier um vieles wei—
ter. Man hatte den natürlichen Vortheil über die Alten,
daß fich die wwiffenfchaftliche Forfchung eines von denfelben
noch nicht beherrfchten Ländergebietes bemächtigen Fonnte.
In den Kräuferbüchern von Brunfels und Fuchs merden
hauptſächlich die einheimifchen Gewächſe in die allgemeine
Kunde eingeführt. ?
1. Per mare sic rutilas pinus latura cohortes
Ante diem rapido fulmine mota cadit,
fagt Eruciger von ihm, wie denn überhaupt fein Tod als ein allge:
meiner Verluſt beflagt ward.
2. Es war ein ganz eigenes Unglüc der Botanif, daß L. Fuchs
ein größeres auf 3 Theile, jeden mit 300 Abbildungen, berechnetes
fehr weit verbreitetes Werf „von allerlei Bäumen und Kraͤutern“
auch nicht beendigte. ein Briefmechfel mit Albrecht bei Voigt
p. 274.
Ranke D. Geh. V. 3l
482 Zehntes Buch. Achtes Capitel.
Und fogleich ward die aus dem Altertum ſtammende
Wiffenfchaft durch diefe neue Berührung mit dem Boden Ger-
maniens auf ein Gebiet gerichtet, deſſen fie fi) nur noch
unvolftändig bemächtigt hatte: das Neich der Mineralien.
Es war eigentlich die Erwähnung metallifcher Arznei-
ftoffe, deren fich die Alten bei äußern Schäden viel bedient
haben und die man nicht wicdererfannte, was einen jun
gen, von der claffiichen Nichtung durch und durch ergriffe
nen Arzt, Georg Agricola, veranlaßte, feine Wohnung bei
den DBergleuten im Joachimsthal aufzufchlagen." Indem
er nun aber alle Notizen der Alten iiber die Mineralien
fammelte, und fie mit dem verglich was er vor Augen
fah, ward er inne, daß ihn eine Welt umgab, von der fic)
wenigſtens aus den übrig gebliebenen claffifchen Schriften
Fein Begriff bilden ließ. Er gieng von dem Wunfche aus, mag
die Alten gewußt, fir feine Zeit wieder zu beleben; fah
fich aber gar bald in dem umgekehrten Falle, die deutjchen
Bezeichnungen die er vorfand, in die gelehrte Sprache auf
zunehmen. In dem uralten Betriebe des deutjchen Bergbaues
hatte fich eine fchon weit gediehene Kunde der Erze und Ge:
fteine gebildet; bei den mancherlei metallurgifchen Operationen
die man vornahm, hatte man in den Hütten Wahrnehmun:
gen gemacht und Erfahrungen gefammelt, die nur aufgefaßt
und in der Sprache der Gelehrfamfeit ausgedrückt zu werden
1. Georgii Agricolae Bermannus: Quid mirum, si uleera quae-
dam--non sanamus, cum pauca admodum emplastra, praesertim ex
metallieis composita, quibus veteres - - usi sunt - - (vergl. Hecker
Gef. der Heilfunde I, 447) conficere possimus. Quae sane prae-
cipua fuit causa, quam ob rem me ad loca quae metallis abunda-
rent contulerim. (ed. Froben p. 422.)
Mineralogie. 483
brauchten, um in der Neihe der Wiffenfchaften eine würdige
und glänzende Stelle einzunehmen. Dieß gethan zu haben
und zwar mit eigener Einficht und dem unabläßigen Eifer, der
allein wiffenfchaftliche Erfolge zu fichern vermag, ift dag Ver:
dienft Georg Agricolag. ! Er hatte das Glück, nicht Anfänge
noch zweifelhafte Verſuche, fondern erprobte und zufammen:
hängende Kenntniffe, beinahe Syſteme der Mineralogie und
Metallurgie darbieten zu können, die eine Grundlage aller
fpätern Studien nicht allein dieffeit der Alpen fondern für
die Welt geworden find.”
Ein herrliches Berk würde feyn, wenn einmal die Theil-
nahme welche die Deutfchen an der Fortbildung der Wiſſen—
fchaften überhaupt genommen haben, im Lichte der europäifchen
Entwickelung jedes Jahrhunderts mit gerechter Würdigung
dargeftellt werden Fönnte. Zu einer allgemeinen Gefchichte der
Nation wäre es eigentlich unentbehrlich. Denn nicht allein
in den Bildungen des Staats und der Kirche, oder in Poeſie
und Kunft, tritt der Geift eines großen Volkes hervor; zu-
weilen werfen fich die beften Kräfte auf die wiffenfchaftlichen
Gebiete; man muß willen, was fie da fchaffen und vollbrin-
gen, wenn man die Beftrebungen einer Epoche überhaupt
verftehen will. Die Zeit die wir bier betrachten, würde eine
1. Die Beziehung auf die Alten gab er darum nicht auf. De
vet. et novis metallis (383). De rebus subterraneis, quas vel
sparsas et disjeetas in Graecorum et Latinorum libris inveni, vel
ex bene peritis artis metallicae didiei, vel denique ipse vidi in
fodinis et olfieinis, explicavi.
2. Man findet bei ihm spathum, quarzum, wismuthum, zin-
cum, cobalum. Beckmann Beiträge zur Gefhichte der Erfindungen
III, 552. Z
3l*
484 Zehntes Bud. Achtes Capitel.
der fruchtbarſten feyn. Schon erfcheinen, z. DB. bei Para:
celfus, die Anfänge der Chemie. Es Fommen die feinften
und eingreifendften phyfikaliichen Beobachtungen vor. Georg
Hartmann zu Nürnberg, der fich mit der Verfertigung von
Compaffen befchäftigte, hat dabei die Inclination des Ma-
gnets entdeckt; er bemerkte, tie der Nordmagnetismus beim
Streichen füdliche Polaricät hervorbringe; er fcheint noch mehr
gewußt zu haben als was er ausdrücklich ausfpricht. Gern
unterhielt er theilnehmende Fürften, den König Ferdinand wäh:
vend des NeichStags, oder den Herzog Albrecht von Preußen
in Briefen, von der geheimnißvoffen Tugend und Kraft des
ragneten. Die Wißbegier CarlsV die von von feiner Stel-
lung zu beiden Hemifphären genährt ward, veranlaßte zu Ar—
beiten der mathematifchen Geographie, welche allen Nationen
zu Statten gefommen find. Aus Duisburg, von Mercator
rührt die erfte durchgreifende DVerbefferung der Zeichnung der
Land- und Seecharten her. Ich werde mich in diefen Gebieten
nicht weiter vorwärts wagen: wie e8 denn auch nicht an
diefen Ort gehören würde einzelnen Nichtungen nachzugehn;
gedenfen wir nur noch einiger Erfcheinungen von allgemein-
ſter Bedeutung.
An den öftlihen Grenzen wo die deutfchen Elemente
fic) mit den polnischen berühren, gieng aus einer der gefchil-
deren ähnlichen Befchäftigung mit dem Alterthum, gleich-
1. Voigt Briefwechfel und Erläuterung bei Dove Neperforium
der Phyſik I.
2. DBeifpielgweife führe ih an: Cosmographie ou description
des quatre parties du monde ete. escrite par Pierre Apian: corri-
gee et augmentee par Gemma Frisius excellent geographe — —
Ausors 1581. So faft in allen Sprachen.
Aftronomier (Kopernicus.) 485
fam unter dieſer geiftigen Atmosphäre, ‚eine ‚der größten Ent:
deefungen hervor die dieß Jahrhundert auszeichnen, die des
wahren Sonnenſyſtems.
Ptolemäus beherrichte, wie die Erdkunde, fo auc) die
Aftronomie: feit vielen Jahrhunderten war er hierin dag Ora⸗
kel von Drient und. Occident.
Schon einige Zeit daher aber, nachdem man ihn beffer
verftand und wieder eigene, Beobachtungen begannen, vegten
fi) Zweifel gegen feine Unfehlbarkeit. Neue Berechnungen
der Polhöhe verfchiedener Städte z. Be wollten: mit feinen
Angaben nicht ſtimmen; aber fo groß war die Verehrung fir
ihn und die Alten, daß man eher an eine feitdem eingetretene
Veränderung im Weltſyſteme als an die Mangelhaftigfeit ih-
rer Beobachtungen glaubte.
Nicolaus Copernicus aus Thorn, Domherr zu Frauen⸗
burg, — ein auch in den Staatsgefchäften des dem deut:
fchen Orden entriffenen preußifchen Landes vielbefchäftigter
Mann — fand nicht allein die Beobachtungen mangelhaft,
wenigſtens fo weit fie vorlagen, fondern auch Das ganze
Syſtem unverftändlich und zur Erflärung vieler Erſcheinun—
gen unzureichend. Er meinte wohl, die beften Beobachtun-
gen möchten verloren gegangen oder den Hppothefen zu Gun-
ſten willkührlich verändert worden ſeyn; indem er dann in
den Alten weiter forſchte, fand er auch Andeutungen eines
ganz andern Syſtems als des ptolemäiſchen.“ Im Alter:
thum war geſagt worden, daß ſich die Erde bewege, daß
L. Incertitudinem mathematicarum traditionum cum diu me-
cum revolverem -- hance mihi operam sumpsi ut omninm philo-
sophorum quos habere possem, libros relegerem - - ac reperi
486 Zehntes Buch. Achtes Capitel.
fie nicht allein -eine rotirende Bewegung um fich felber, fon:
dern auch eine fortfchreitende habe: wie nun wenn hierin
die noch unbekannte Wahrheit lag? Eopernicus ergriff die:
fen Gedanfen mit aller Kraft eines die Wahrheit vorahnen-
den Genius. In feiner Wohnung am Dome zu Frauenburg,
die ihm einen großen Horizont eröffnete, betrachtete er die
Höhen der Planeten, des Mondeg, der Sonne und der Fix-
fterne, mit fehr ungulänglichen Inſtrumenten, nicht felten von
dem aus dem frifchen Haff auffteigenden Nebel behindert,
aber im Ganzen vortrefflih; er überzeugte fich, daß die Er:
fcheinungen die bisher unbegreiflich geweſen, fich wirklich
nur erklären liegen, wenn man die verworfene Hypotheſe,
die Bewegung der Erde annehme, und fie mit der Bewegung
der Planeten und des Mondes combinire. So erft ließen
fich die Erfcheinungen der täglichen Bewegung der Himmels:
Fugel, des jährlichen Laufs der Sonne in der Efliptif, der
Wechſel der Jahreszeiten und Tageslängen, des Vor- und
Nückgehens der Planeten verftehen; die Erläuterungen die
er davon gab, Famen einem Beweife feines Hauptſatzes
nahe." Wohl war diefer noch unvollffändig und nicht von
alten Irrthümern riß fich Copernicus 108; aber er hatte einen
Gedanken von fo Achter Wahrheit ergriffen, daß Mängel der
Darftellung denfelben nicht hindern Fonnten fich allmählig Platz
zu machen. Was man von Ariftarch von Samos gefagt, dag
hat in der That erft Copernicus vollbracht: er fette den
Heerd des Kosmos in Bewegung. Die Erde erfchien ihm als
quidem apud Ciceronem, primum Nicetam dixisse terram moveri.
Copernicus de revolutt. orbb. coelestium. Praefatio.
1. Soeler Über das Verhältnig des Copernicus zum Alterthum—
Aftronomie. (Kopernicus.) 487
dag was fie ift, in dem Verhältniß eines Punctes zum Gan-
zen: auf das gewaltigfte durchbrach er die Welt des Scheinee.
In diefem Gedanken aber, der aller Anfchauung, in der
fich die Menfchen bewegen, zumwiderläuft, liegt ettwag, was
den Urheber deffelben wohl bedenklich machen Fonnte ihn
zu Außern. Copernicus meinte faft, e8 ſey das Defte wenn
er wie Pythagoras feine Lehre nur mündlich fortpflange.
E8 gereicht der Schule von Wittenberg zur Ehre, daß
einer ihrer jungen Profefforen, Rhäticus, durch dag Gerticht
in Kenntniß gefeßt, fich zu Copernicus begab, der Welt die
erfie fichere Nachricht über die Entdeefung mitteilte, und
wirklich) den Druck des von dem Autor beinahe bei Seite
gelegten Werkes veranlaßt hat.
Den Vorwurf dürfte man überhaupt der Wittenberger
Schule damaliger Zeit nicht machen, daß ihre Theologie fie ab-
gehalten hätte fich auch mit andern MWiffenfchaften zu befchäfti-
gen. Wir finden die eifrigften Theologen, wie Wigand zu Eis:
leben, die benachbarten Berge durchftreifen um die Wunder
Gottes in den feltenen Kräutern zu ſchauen; Michael Nean-
der zu Ilfeld verband mit der Kräuterfunde felbft medici-
nifche Einfichten: er wird als der Chiron des Harzes geprie:
fen; Johann Mathefins befaß eine treffliche Kenntniß der
Metalle und Erdgewächfe. In hohem Anfehen bei feinem
‚Leben und unvergänglichem Gedächtniß nach feinem Tode
fand Caſpar Erueiger, Profeffor der Theologie, den aber phy⸗
ſikaliſche und beſonders mathematiſch⸗ aftronomifche Einſich—
ten perſönlich faſt noch mehr auszeichneren. !
Melanchthon, der fich immer in lebendiger Theilnahme
1. Laudes Crucigeri im Corp. Ref. VI, 223.
488 Zehntes Bud. Achtes Capitel.
an allen diefen- Fortfchritten zu halten fuchte, in defien Vor:
Iefungen z. B. Valerius Cordus Anregung zu feinen bota-
nifchen Ausflügen empfieng, widmete doch feinen beften und
fruchtbarften Fleiß den philofophifchen Studien.
In feiner Jugend, noch in Tübingen, hafte er es fich
beinahe als die vornehmſte Aufgabe feines Lebens gedacht, die
Werke des Ariftoteles von den Berunftaltungen zu befreien, Die
fie während des Mittelalters erlitten, und den wahren Sinn
diefes Philofophen zu erforfchen. Wie von einer ganz am
dern Natur auch der Beruf war, den ihm Leben und Ge:
fchichte anwieſen, fo tauchen doch auch dann und wann jene
Gefichtspuncte auf. Wir finden bei ihm polemifche Erörterun—
gen gegen die arabifche Auffaffung ariftotelifcher Begriffe," und
neue Verfuche, den Achten Sinn derfelben, zumeilen im Wider:
foruch mit den griechifchen Erflärern, zu ergründen.” Nur
war fein Ziel hiebei nicht die NWiederherfiellung des Autors,
fondern die Ermittelung einer objectiv haltbaren Dockrin. In
den mancherlei Eehrbüchern die er verfaßte, — ber Dia-
lectif, Moral, Piychologie, fogar Phyſik — verglich er im-
mer auch die übrigen Philofophen mit Ariftoteles. In der
Negel zog er den Iegferen vor, deffen Feder in Sinn und
Berftand getaucht fey; die Hyperbeln der Stoa, die Zivei-
felfucht der Akademiker, die Ableugnungen des Epicur fand er
gleich unerfreulich; jedoch ftieß er auch bei ihnen auf main
ches Gute und nahm es an; am entfchiedenften wich er von
Ariſtoteles ab, wo diefer mit den Urkunden der Offenbarung
in Widerfpruch Eommt. Stellen wir ung in den Gefichts-
1. „prodigiosas naenias Averrois.“
2. 3 DB. bei der Erflärung der Entelechie: de anima p. 19.
Philoſophie. (Melanchthon.) 489
frei jener Zeit, fo Fonnfe von einer mit unbedingtem Selbft-
vertrauen auf die höchften Probleme hinftrebenden Anftrengung
des Gedankens überhaupt gar nicht die Nede feyn. Das
Räthſel der Welt war fchon gelöft, die Summe der Dinge
war ſchon bekannt; die allgemeine Anficht gieng vielmehr
dahin, daß man „die allmächtige Kraft der göttlichen Ma-
jeftät nicht fchärfer zu erforfchen habe;“ nicht ohne Tieffinn
fagt Herzogin Elifabeth von Braunfchmweig: „könnten wir Gott
durch unſere Vernunft ausgründen, fo nähme die Gottheit
ein Endet Es konnte nur darauf anfommen, die Neful
tate des philofophifchen Nachdenkens mit der Schrift in Ein—
Hang zu bringen.” Man dürfte wohl nicht fagen, daß
daraus ein blos formelles Ergebniß hervorgegangen wäre.
In den philofophifchen Schriften Melanchthons treten einige
Vorfiellungen, befonders über das Weſen des Geiftes, mit ei-
genthümlicher Stärke auf. Die Meinung als fey die Seele
einer veinen Tafel gleich und erwerbe die Begriffe erft durch
Erfahrung, verwirft er mit Widerwillen: er weiſt vielmehr zwei
verfchiedene Arten angeborener Begriffe nach, fpeculative des
veinen Denkens, und practifche dev Moral; ? eine ganze Neihe
von Urgrundfägen beiderlei Arc führe er aufz* von dem gott:
ähnlichen Wefen des Geiftes wohne ihm eine unerfchütter:
1. Fürftenfpiegel von Strombeck p. 70.
2. Theſis von 1542: angeführt von Bruder Hist. phil. IV,
231. Prodest studiosis erudita collatio philosophiae et doctrinae
quam deus tradidit ecclesiae.
3. Ethicae doctrinae elementa, 1554, p. 210.
4. Quodlibet est aut non est; omnia quae oriuntur, ab aliqua
causa oriuntur; effectus non est praestantior causa; verilas amanda
est; pacta sunt servanda. De anima p. 265. Vergl. Buhle Ge-
fchichte der Philoſophie II, 499 f.
490 Zehntes Buch. Achtes Capitel.
liche Überzeugung bei. So hat er denn auch, ohne an⸗
dere Beweiſe für das Dafeyn Goftes zu verfchmähen, doch
den moralifchen mit befonderem Eifer ausgebildet. Die
natürliche Unterfcheidung zwifchen Gut und Böfe, die dem
Menfchen inwohne, das laftende Bewußtſeyn welches aus
den Verbrechen entipringe, die Freudigkeit, mit der dag
Gute erfülle, endlich den heroifchen Auffchwung des Ge:
müthes bei der Gründung von Staaten oder auch im
Neiche der Wiffenfchaften, fieht er als Beweiſe eines gött—
lichen Urſprungs und eines höchften Geiftesg an, von dem
der menfchliche herrühre. Zwei Jahrhunderte beinahe — ſo
lange nemlich der Glaube an die Offenbarung volles Leben
hatte — ſind dieſe Anſichten und das darauf gegründete ſehr
einfache und beſcheidene Syſtem in den proteſtantiſchen Schu—
len herrſchend geweſen; während in den katholiſchen die fiegrei-
chen Mönchsorden das labyrinthifche Gebäude der früheren
Zeit auch mit dem Ächten Ariftoteles aufrecht zu erhalten
wußten. Später haben fich an den Gränzgebieten beider Wel—⸗
ten andere Tendenzen de8 allgemeinen Geiftes entwickelt. Gelb:
ftändig haben doch vornehmlich profeftantifche Gelehrten auf
den Gang der hiedurch angeregten Bewegung eingemwirkt. Un:
‚möglich kann die Summe der Ideen die ſich Dieffeit be
feftigt hatten, ohne Einfluß auf die Art und Weiſe gewe—
fen feyn wie dieß gefchehen ift.
Welches aber auch das Verhältniß feyn mochfe, in dag
die Theologie zu andern MWiffenfchaften trat, Eine wenigſtens
empfieng durch diefelbe einen neuen, überaus fürderlichen An—
trieb, die Wiffenfchaft der Gefchichte.
Wollte man fich den Fortſchritt encyclopädifcher Ge
Geſchichte. (Sfeidan.) 491
fchichtsfunde mit Einem Blick vergegenmwärtigen, fo diirfte man
nur das im Anfange des Jahrhunderts ungemein oft gedruckte
Compendium, den Fasciculus temporum von Rolewink, mit
dem vergleichen, das um die Mitte deffelben auffam und
fih lange in Geltung erhielt, dem Buche Sleidans von
den vier Monarchien. " Dort ift hauptfächlich von Päpften,
Märtyrern und Heiligen die Nede: hier beruht ſchon alles
auf der erneuerten Befanntfchaft mit dem Inhalt ſo vieler
feitdem wieder gedruckten Autoren. Sleidan kennt die AL
ten fehr gut, überall giebt er die Stellen an, aus denen
ausführlichere Nachricht zu fchöpfen iftz da er auch einen gro-
gen Theil der Ehroniften des Mittelalters ſtudirt hat, fo er-
weitert er auch da den Gefichtsfreis nach allen Seiten; «8
mag wenig Compendien geringen Umfangs von fo gründ—
licher Arbeit geben.
Auch in andern Beziehungen wirfte dag Studium der
alten Hiftorifer ein. Man nahm fie ſich bei Behandlung
der Zeitgefchichte mwenigftens in der Sprache zum Mufter:
vecht glücklich unter andern Urfinus Velius; einen unermeßli-
chen Eindruck machte auch in diefer Hinficht der fo weit feine
Forſchungen reichten, zugleich urfundlich » gründliche Sleidan.
Mit alle dem aber war doch der Weg zu einer wah—
ren Gefchichte befonders der Zeiten des Mittelalter noch
nicht eröffnete. Der ganze Umkreis derfelben war von ab-
fichtlicher Fiction oder unwillkührlicher Dichtung verdunfelt
1. Dazwifchen liegt noch die erfte Chronica Garionis, ohne Zwei:
fel Hauptfählih ein Werk Melanchthons. Vergl. deffen Schreiben
an Corvinus, Sanuar 1532. Misit ad me Carion farraginem quan-
dam negligentius coacervatam, quae a me disposita est.
492 Zehntes Bud. Achtes Capitel.
und umgogen? Während ſich in andern noiffenfchaftlichen
Zweigen die Eritif zur Anfchauung des Äüchten erhob, hatte
bier, feitdem der falfche Berofus erfchienen war, der Wahn
noch einmal um ſich gegriffen. Wohl erhoben fich einzelne
Stimmen dagegen, aber der Betrug war doch immer fo
gefchieft angelegt, daß fich die Gelehrfamkeit jener Zeit noch
tänfchen ließ. Einmal aber auf den Irrweg geführt, gieng
man recht abfichtlich darauf meiter. Die Provinzialchroniften,
unter denen fich gleichwohl einige entfchiedene Talente finden,
namentlich fir die Erzählung, die fih dann und wann zu he-
rodoteifcher Anmuth entfaltet, machten fich faft ein Gefchäft
daraus; die Fabel nach allen Seiten auszuarbeiten.
Unter diefen Umftänden brauchte man nichts fo dringend
als eine durchgreifende Eritif auf irgend einer Seite, welches
diefelbe auch feyn mochte. Die Tendenz des Profeftantismus
bewirkte, daß fie zunächft im Firchlichen Gebiete hervortrat.
Flacius und deffen ſtreng Iutherifchen Freunde, Wigand,
Judex, Baf. Faber, vereinigeen fich unter einander und mit
einer Anzahl jüngerer Freunde zur Abfaffung einer ausführ-
lichen Kirchengefchichte. Sie hatten es dabei hauptfächlich
auf eine Sammlung urfundlicher Materialien über den Fort:
gang der Lehre, der Cerimonien, der Kirchenregierung in den
verfchiedenen Jahrhunderten abgefehen, und fchon diefe Aus:
dehnung der Gefichtspuncte über den herkömmlichen Kreis
der Kenntniffe muß als ein Verdienſt befrachtet werden. !
Ein noch viel größeres war, daß fie Ernft damit machten,
1. Sie beabfihtigen, wie es in der Worrede heißt, quoddam
cornu copiae omnium ecelesiasticarum materiarum et negotiorum
maxima diligentia et solertia comparatum.
Geſchichte. (Lenturiatoren.) 493
dag Unächte zurückzumeifen, und die große Firchliche Fiction
die fich im Laufe der Zeiten ausgebildet, zu durchbrechen.
Gleich beim erften Jahrhundert nahmen fie die Frage über
die falfchen areopagitifchen Schriften vor, die Erasmus zwar
angeregt, aber lange nicht zu Ende geführt hatte; ' — beim
zweiten griffen fie mit gutem Necht einige Pfeudepigraphen
an, $ DB. den Hirten des Hermas; fchon da, noch mehr
aber im driften und vierten Jahrhundert ftellen fich ihnen Die
falfchen Decretalen dar. Die Eenturiatoren find die Erfien,
welche die Umächtheit derfelben recht eingefehen und mit ein-
leuchtenden unmiderleglichen Bemweifen dargethan haben.? Ge—
wiß wurden fie hiebei von ihrem polemifchen Eifer gegen
das Papſtthum angefenert, aber indem fie die Nebelgeftalten
zertheilten, durch welche die hierarchifche Macht ihren eige-
nen Urſprung verhüllt hatte, Teifteten fie zugleich der allge:
meinen hiftorifchen Wiffenfchaft einen großen Dienft. Ohne
ein folches Verfahren war nirgends zu einer richtigen An—
ſchauung gefchichtlicher Entwickelung zu gelangen; fie mach—
ten wenigſtens an Einer Stelle ziemlich freie Bahn. Der
fleißigen Sammlung ftellte fich eindringende Eritif zur Seite;
was eben die beiden Grundlagen aller Hiftorie ausmacht.
Nichts iſt ſtärkender als ein fiegreicher Kampf gegen Irr—
1. Centuria II, c. IV, p. 72. Den areop. Schriften weifen
fie auch ihre Zeit an.
2. 1,7. IN, 7. IV, 7. (Alles folgt nach durchgehenden Hauptru-
brifen.) Ihe Urtheil: non est absimile vero, eireiter id tempus
(Caroli M.), cum ecclesiae oceidentales passim ex Romana biblio-
theca libros peterent, confietas et suppositas late sparsas esse.
Wie fie anderweit einzelne Interpretationen befämpften, davon ift
3d II, p. 906 ein Beifpiel.
494 Zehntes Buch. Achtes Capitet.
thum und Wahn. Die Erfenntniß der Wahrheit an Einem
Puncte macht fie an andern nothwendig, und ruft das Be:
fireben danach hervor. Nach und nach regte fich die For—
fhung in jedem Zeige.
ir überfchauen die Arbeit in welcher der deutſche Geift
begriffen war. In allen Gebieten reißt er fich von der Über:
lieferung los, welche fich im Laufe der Zeit in hohem
Grade verfälfcht und mit Aberglauben erfüllt hatte. Aber
indem er zu Ächteren Duellen der Belehrung auffteigt, be:
merkt er doch mas auch diefe zu wünſchen übrig laffen.
Er ift überall bemüht, die Kenntniß welche die Alten be
faßen zu erweitern und zu ergänzen. Gegen die Syſteme
die fie gebildet, ruft er den fragmentarifchen Widerftand zu
Hilfe, der fich unter ihnen felbft geregt hat, und ſchickt fich
an, aus eigner Kraft zur Anfchauung der Natur der Dinge
hindurch zu dringen. Die gewonnene religiöfe Überzeugung
flößt ihm Vertrauen und Turchtlofigfeit ein: Forfchung und »
Critik werden ihm Natur. Wir nehmen nicht ein Beſtre—
ben wahr das aus dem Schooße der Nationalität ohne
fremde Einwirfung hervorgegangen wäre: der deutſche Geift
fucht vielmehr den Boden der fchon vor Zeiten gegründe:
ten MWiffenfchaft nun auch feinerfeits vollftändig zu gewin—
nen und an der Arbeit der Jahrhunderte thätigen Antheil
su nehmen.
Wenn e8 eben daher rührt daß Latein die ausſchlie—
gende Sprache der Wiffenfchaft blieb, fo ward doc) and)
die auf die Mufterfprache angewieſene Bevölferung von der
Theilnahme an der Bewegung nicht ausgefchloffen.
Schon die theologifchen Flugfchriften, die Predigten, die
Überfeßungen. 495
immer ſchwerere Fragen in Anregung brachten, nahmen die
Aufmerkfamkeit der Ungelehrten in Anfpruch.
Ein großer Theil der alten Literafur ward ihnen in
deutſchen Überfegungen zugänglich gemacht: es iſt bezeich-
niend was man überfegte, was man bei Seite ließ. Man
nahm z. B. die Aeneide, die Metamorphofen, nicht Horaz,
noch Catull: es war hauptfächlich der Stoff, den man fich
anzueiguen fuchte. Man befchäftigte fich viel mit Terenz, fei:
nes Iehrreichen Inhalts wegen, der gleich auf dem Titel ge
rühmt ward, wenig mit Plautus; man überfegte nicht die
Reden Ciceros, fondern feine populären philofophifchen Schrif:
fen. Am forgfältigften find vielleicht diejenigen Werke be
arbeiter, die zu unmittelbarem Gebrauch beftimmt waren.
Vitruvius erfcheint „als ein Schlüffel aller mathematischen
und mechanifchen Künfte die zu der Architectur gehören, aus
rechtem Grund und fattem Fundament, fo daß jeder Kunſt⸗
begierige einen rechten Verftand faffen möge”: einer der ſchön—
ſten Drucke jener Zeit mit trefflichen Holzſchnitten, unter de:
nen auch das Bildniß Albrecht Dürers prange. !
Fehlt es auch nicht durchaus an freier Production, fo
ift e8 doch noch mehr die Aneignung, Popularifirung ſchon
vorhandener fremder Stoffe, was auch der deutfchen Lite:
ratur jener Zeit ihren Character giebt.
Sp recht eigen ift die das Element, in welchem fich
die umfangreichen Werke des „ſinn- und Funftreichen, wohl
erfahrnen“ Meifter Hang Sachs beivegen.
Einen großen Theil der heiligen Bücher, alten und neuen
1. Vergl. Degen, Nachtrag zu der Literatur der uͤberſetzungen
der Römer p. 300.
Nanfe D. Gefh, V. 32
496 Zehntes Buch. Achtes Capitel.
Teftamentes, giebt er in Neimen wieder; daran fchließen fich
die Hiftorien von den Märtyrern; dann folgen die weltlichen
Gefchichten, wo denn bei der alten Welt „der gricchifche Weife
Herodotus“, oder Zuftin oder Johann Herolt abmwechfelnd
als die Gewährsmänner genannt werden, in der neuern Die
Chroniften, die franzöfifch Chronica, die hochburgundifch
Chronica; weiter finden fich die Erzählungen der Volksbücher,
wie vom hörnen Siegfried oder der ſchönen Magelone; die
Sprüche der alten Philofophen und die Ihierfabel fehlen nicht;
sumeilen werden theologifche Fragen aufgeworfen, wo dann
jeder Theil feine Zeugniffe aufführt, Propheten und Apoftel
gewiffermaßen redend erfcheinen.
Indem fic) aber Hans Sachs faſt überall frühern Autoren
anschließt, weiß er fich doch ihrer Form zu eriwehren. Sein
Berfahren fteht anderer Poefie beinahe entgegen. Während
Andere dem überlieferten Stoffe neue Geftalt zu geben fuchen,
führt er das Geftaltete auf den Stoff zurück. Er nimmt zu:
weilen alte Comödien herüber, aber gleichſam auszugsweiſe;
ihm gewinnen hauptfächlich nur die Situationen, ihre Yufein-
anderfolge und dag daraus hervorgehende Ergebniß Theilnahme
ab. Seine dramatifchen Arbeiten find höchſt fonderbar: man
könnte fagen, fie entbehren des Dialogs; wenigſtens arbeitet
ſich derfelbe aus der Erzählung nur eben erft hervor. Und
felbft mit feiner Erzählung verhält es ſich oft auf eine ähn—
liche Weife: er epitomirt die Volksbücher. Den großen
Inhalt der Kiteratur, der ihm felbft zu Handen gekommen,
rückt er in einen feinen Lefern entfprechenden Geſichtskreis.
Nur da entwickelt er dichterifche Gaben, wo er fich ent
weder in dieſem Kreife fchon beivegt, wie in den Schwän—
Hans Sadhe. 497
ken, oder wo er das Anmuthige, Heitere, Unfchuldig- finn:
liche berührt. Die grüne Tiefe der Wälder, die Maien-
luft der Wieſen, Schönheit und. Schmuck der Jung—
frauen weiß er mit unnachahmlicher Anmuth und Zartheit zu
fchildern. Überhaupt muß man ihm Zeit laffen und ihm nach-
gehn. Seine Anfänge pflegen profaifch und uneben zu feyn;
weiterhin wird die Sprache fließender, und die Gedanken tre-
ten mit voller Deutlichkeit hervor; mit freuberziger Einfalt
fpender er beſonders die Lehre aus. Es ift ihm nicht ge
nug, in feinem Garten die fchönften und würzigſten Blu—
men gepflanzt zu habenz er will auch kräftige Waffer, heil-
fame Säfte daraus abziehen, zur Stärfung der: Geiftig-fchiwa-
chen. Religiöſe Überzeugung und moralifche Abficht find
aber in ihm eins und daffelbe. Mögen die Theologen über
einzelne Puncte noch hadern: ihn berühren diefe Streitigkei-
ten nicht: er hat eine fichere Weltanfchauung gewonnen, Die
alles umfaßt, der fich alles was in fein Bereich Fommt,
von felbft unterwirft. Er hat Gefühl für den Reiz der ir-
difchen Dinge, und oft beichäftigt ihn die Vergänglichkeit
derfelben; man fieht wohl, daß diefer Gegenfaß inneren Ein-
druck auf ihn hervorbringt: aber er hat dafür einen ewi-
gen Troft ergriffen, an dem ihm nichts ivre machen Fann.
Diefe Bildung, die doch auch von ihrem Standpunck
aus die Welt umfaßt, und diefe Gefinnung flößen ung Hoch—
achtung gegen den damaligen Stand der deutfchen Handwerker
ein, aus dem fie hervorgieng. An vielen Orten wo von je
her die Poeſie geblüht, fand man noch Meifterfänger. Um
Hans Sachs hatten fich deren, wie man fagt, über sweihun-
1. Gervinus Gefchichte der poetifchen Nationalliteratur 11, 475.
32 *
498 Zehntes Buch! Achtes Tapitel.
dert im Nürnberg gefammelt und noc) oft hielten fie ihre
Singjchule zu St. Catharina. Sie wiederholten gern ‘die
Sage ihrer Altvordern, wie ihre Gefellfchaft einft bei ih—
rem Urfprung von allem Verdacht der Keßerei freigefprochen,
und von Kaifer und Papſt beftätigt worden fey; wenn
dann aber das Hauptfingen begann, welches immer fchrift:
mäßig ſeyn mußte, hatte der Vorderfte der Merker die hu
therifche Bibel vor fich, und gab Acht, ob dag Lied, wie mit
dem Inhalt des Textes, fo auch mit den reinen Worten de
ven fich Doctor Luther bedient hat, übereinftimmte.?
Bon den Fünftlerifchen und poetischen Hervorbringungen
diefer Zeit haben wohl diejenigen überhaupt den meiften Werth,
welche die religiöfe Gefinnung ausfprechen. Das Kirchenlied,
deffen Urfprung wir berührten, bildete fich von Jahr zu Jahr
manmnichfaltiger und eigenthimlicher aus; es vereinigt die
Einfalt der Wahrheit mit dem Schwung und der Tiefe des
auffaffenden Gemüthes; es ift zugleich von dem Gefühle des
Kampfes, deffen verfchiedene Epochen fich darin ausgedrückt
baben und der Gewißheit des Sieges durchdrungen: es iſt oft
wie ein Kriegsgefang gegen den noch immer drohenden Feind.
Und mit dem Liede ift zugleich die Melodie hervorgegangen,
häufig ohne daß man fagen Eönnte wie dag gefchehen if. Nur
geringe Anfänge enthalten die erften Eiederbicher von 15245
im Jahre 1545 erfcheinen fchon 98 Melodien, im Jahre 1573,
denn mit der Zeit wuchs auch die Gabe, 165. Biblifche
1. Als die vier Urheber bezeichnet Metzgers meifterliche Sreiung
der Ginger einen hohen Geifllihen, einen Nitter, einen Gelehrten
und einen Handwerfer.
2. Wagenfeil über die Minnefinger. De eivit. Norimberg. 541.
ng |
Kirchenlied. 499
Texte hatten eine, befondere Kraft die Mufifer anzuregen:
zu dem Magnificat finden fich vier verfchiedene Weiſen, alle
gleich trefflich. Und hieran knüpfte fich die Funftgerechte
Ausbildung des Chorals. Das Unächte und Lberladene,
dag fich der früheren Muſik beigefellt hafte, ward auggefto:
Ben: man bemühte ſich nur die Grundtonart fireng und har:
monifch. zu entfalten; die evangelifche Gefiunung gewann
im Neich der Töne Ausdruck und Darftellung.
Gewiß ſchloß man fich auch. hier an das Vorhandene
an: es bat Kirchenlieder vor Luther gegeben, die neue Mu:
fif gründete fich auf die alten Gefünge der lateinischen Kirche;
aber alles athmete doch einen neuen Geift. So beruhte fer
nerjeits auch der gregorianifche Gefang auf den Grundfägen
der antifen Kunftübung. 2
Eben darin liege die Eigenthümlichkeit der ganzen Be:
wegung, daß fie das Eonventionelle, Abgeftorbene, oder doc)
nicht zu weiterem Leben zu Entwickelnde von fich ftieß, und
dagegen die lebensfähigen Momente der überlieferten Eultur
unter dem Anhauch eines frifchen Geifteg, der nach wirklicher
Erkenntniß ſtrebte, zu meiterer Entfaltung brachte.
Dadurch ward fie felbft ein mefentliches Glied des uni-
verfalhiftorifchen Fortfchrittes, der die Jahrhunderte und Na—
—— mit einander verbindet.
In Feiner andern Nation wäre dieß fo bedeutend ge
en wie in der deutfchen. |
Die romanifchen Völker beruhten doch noch, der *
ſache nach, auf den Stämmen, von denen die Herrlichkeit des
Alterthums ausgegangen: in Italien ſah man bie alte Welt
1. Winterfeld, der ewangelifche Kirchengefang.
520 Zehntes Buch. Achtes Capitel.
wohl als die eigene nationale Vorzeit an: — daß ein urfprüng-
lich verfchiedener Geift, der germanifche, an der Erneuerung der
alten Cultur Iebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend,
ſich aneignend, fondern mithervorbringend, und zwar im
Reiche der pofitiven Wiffenfshaften, die von nun an unauf
hörlic) fortfchritten, trug erſt recht Dazu bei, fie zu einem Ge
meingut der Menfchheit zu machen.
Wie dadurch eigentlich erft ausgeführt wurde was Carl
der Große bei feinen fcholaftifchen Gründungen beabfichtigt
hatte, fo war auch diefer Standpunct wieder nur eine Stufe.
E8 bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen
fich durcharbeiten, bewähren konnten: — auf Copernicus
mußte erft Kepler folgen; — die Einwirkungen der mitftreben-
den Nationen der europäifchen Gemeinfchaft mußten erft mo
fie. fördernd waren aufgenommen, wo aber dag Gegentheil,
was doch auch gefchah, überwunden werden. Die Wiffen-
fchaften waren noch zu fireng an den Gebrauch der lateini—
fchen Sprache gebunden, als daß der Geift der Nationen
neuerer Zeit fich mit, voller Freiheit darin häfte bewegen
fünnen. Die Tiefe und Urfprünglichfeit der eigenthümlich
germanifchen Anfchauungen war gleichfam zu ſtark zurück
gedrängt. Es ift eine Zeit gekommen, mo der deutfche Geift
das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß
der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu
eigner und doch allgemein gültiger Darftellung gelangt ift.
Dazu gehörte aber freilich — denn auch der wiſſen⸗
fchaftliche Fortfchritt beruht auf dem langfam reifenden all-
gemeinen Leben — eine Entwickelung der politifchen Verhält—
niſſe, die es möglich machte.
Schluß. 501
Und für dieſe ſtanden, tkotz alle dem was bereits ‘er:
reiche war, noch die ſchwerſten Kämpfe bevor.
So viel hatte Carl V doch beiwirft, daß fich der pro-
teftantifche Geift nicht der ganzen deutfchen Nation und ihrer
großen Inſtitute bemächtigen Fonnte.
Bald nach ihm aber trat in der alten Kirche felbft eine
Umwandlung in Leben und Verfaſſung ein, die ihr neue Ener-
gie verlieh: in Kurzem warf fie fich dem noch immer vor
dringenden profeftantifchen Elemente mit ganz andern Kräf—
ten entgegen als bisher. Auf das Zeitalter der Neforma-
tion folgte das der Gegenreformationen.
E8 gelang dem Papfithum zuerft, in den Ländern fer
nes Urſprungs und feiner älteſten Herrichaft alle entgegen:
gefegten Negungen zu erfticfen, alsdann auch in Deutfchland
vorzudringen, und die Landfchaften die Feine profeftanti-
fchen Obrigfeiten hatten, fich wieder vollfommen anzueig-
nen; der Widerftand, auf den es hiebei an einer oder der
andern Stelle doch ftieß, gab ihm Anlaß, endlich nochmals
zu den Waffen zu greifen; durch eine Verflechtung politi:
ſcher und religiöfer Verhältniffe, die es zu Feiner Vereinigung
unter den Proteftanten Fommen ließ, gewann e8 den Sieg;
feine Heerfchaaren überfintheten die Länder, aus denen der
Nroteftantismus hervorgegangen; der Gedanfe an eine all
gemeine Herbeibringung Fonnte fich noch einmal regen.
Dahin freilich Fam es nicht daß er auch ausgeführt
worden wäre; allein e8 mußte in einem wilden und verwil-
dernden Kriege, der die gewonnene Eultur zum Theil wire
lich zerftörte, dagegen gekämpft werden; und als man endlich
den Religiongfrieden ernenern und auf die alten Grundla-
502 Zehntes Bud. Achtes Kapitel.
gen der Berfaffung zurückkommen wollte, war die Selbftän-
digfeit der Nation durch eine von beiden Seiten angerufene
und alsdann nicht wieder fo bald zu befeitigende Theilnahme
auswärtiger Mächte gefährdet.
Wie viel Mühe und lange andauernden Kampf hat es
gekoſtet, in Epochen voll wechſelnden Glückes und neuer Ge—
fahren den fremden Einfluß abzuwehren! wir müſſen ſagen,
erſt in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war es ei—
nigermaßen geſchehen.
Eher aber konnten die urſprünglichen Beſtrebungen, welche
dag Zeitalter das wir betrachtet haben, erfüllten, nicht in vol-
ler Freiheit und Kraft wieder aufgenommen werden. Sie
sielten dahin, an den lebendigen Momenten der allgemeinen
und nationalen Gefchichte fefthaltend, eine allfeitige und un—
abhängige Entwickelung der Nation hervorzubringen; fie ver-
knüpfen die Anfänge unferer Gefchichte mit ihrer fernften
Zufunft.
Gedruckt bei A. W. Schade.